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Full text of "Volk und Rasse - illustrierte Monatsschrift 7.1932-8.1933"

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Volt und Raff ¢ 


Illuſtrierte — 
Vvierteljahrsſchrift fuͤr deutſches volkstum 


7. Jahrgang 1932 


J. S. Lehmanns Verlag, Muͤnchen 





(, 
9 
its} nbaltsverzeidhnis 
ed — des 7. Jahrganges, 1932. 
"ae. cn O5—128; Heft 35S. 129—184; Heft 4 S. 185—244. 


Derfafferverzeichnis. 
Seite 
Banfe, €., Über den Zufammenbang von ne und Menfch. Mit 
4 Abb. und 3 Strichzeihnungen . z $ 
Baur, €., Der Untergang der Kulturvdller im Lichte der Biologie ; 65 
Burkhardt, 9, Raffenforjdung und Pfychiatrie . ‘ 4 
Capelle, w., Bildnis eines em? der Völkerwandes 
rungszeit 129 
Gintbher, 4. §. B. ‚Wie fah Chriftus aus? ; 118 | 
Gutenbrunner, S., Die Olea der lintsrheiniſchen Germanen 
bis auf Cafar : 150 


Hanila, 3., Egerländer Art. ine voltetundliche Unterfudbung. Mit 
Abb. 


I 24 
ae R., Deutfche voikstrachten. mit farbigen Tafeln und Abb. 

m Tert s 170, 218 | 
Roteuana: Tp., Urflawenbeimat und Aleflowenwanderungen | I. Teil. 203 
£eifs, J., Altnordifche Dollsmufil. Mit ı Abb. . 163 \ 
Liters, 5. Die Runen. Mit ı Abb. ; 97 | 


Mofer, © ., Überfichtsberichte aus dem raſſenbygieniſchen Schrifttum | 
53, 175 u. 223 | 

Ulippert, O., Einiges über Rants Anfichten von Viaturgaben, Derers 
bung und dem Zufammenbang 3wifden Rörper und Seele. Mit 





ı Bilde Rants ; $0 
Deterfen, £., Die Burgunden in Sehefen und bre Seidel mit 

6 Abb. $6 
Aus der raffenbygieni{den Bewegung : ; 52, 114 u. 174 | 
Rede, ©., Zum 25 jährigen en des Vinderens£aboratoriums in 

Oslo. ‘Mit ı Abb. . B 
Riedl, M., Rriminalbiologie : 145 
Sandvoß, en ., Kinfluß der Raffe auf künftlerifche Auffaffung und Ge: 

ftaltung. Mit 4 Abb. . 199 | 


Sartori, P., Erbliche Samilientennzeichen im Voltsglauben : ; 106 
Shelling, ©., Die Geburtentraft im voltspolitifden Kampfe . ‘ 194 
Schulg, W ., Börlig, Arifche Raffenbygiene in der Religion der alten 


Derfer. Mit : Abb. . 129 : 
Schwertfeger, £., Zin verlorener deutfcher Dorpofte in Doten : 172 
Spebr, 5 + „Der Stuch der Arbeit“ . 2 44 
Tirala, £. G., Ebevermittlung. ‘ : : ’ ‘ : 110 
Ein Urteil Bismards ; : ; : : ‘ 149 
Diergug, R. $., über Kaffe und Sele. ; 32 


Mitte, A, Lleue Arbeiten zur Pula nr ote Often. (Sorte 
fegung) 47 u. 239 


Inbalteverzeichnis. III 





Seit 
Wolfram, R., „Chriftentum und beidnifche Überlieferung im deutfchen 
Dollsbraud“ 218 
308,£.$., Totenfurcht und Aberglaube bei den Germanen der Voller, 
wanderungszeit. Mit 5 Abb. 186 
Buchbefprechungen. 
Der Auslandsdeutiche. (OO. Effen) : ‘ 124 
Baafen, €., Yliederfächfifche Siedlungstunde. (R. Miete) ‘ : 119 
Banſe, E. , Deutfche Landeskunde. I. Teil. (Schulg) . 119 


—, Deutfche £andestunde. II. Teil. Suds und Alpendeutfchland. Schultz) 229 
Beninger, &., Der weftgotifchsalanifcdye Zug nach ua = 


Deterfen) : : 229 
BeFmertny, A, Das Atlantisrätfel. (©. Reche) ; : ; ‘ 229 
Boje, M., Die letzten Gylter Riefen. (€.S.) . ‘ ‘ : 57 
Bonne, G., Das Verbrechen ale RKrantbeit. (€. Weber) . : 124 
Deutfche Zuefte fur Dollss und Rulturbodenforfdung. (4. Witte) ; 125 

| Dinft am Deutfcdhtum. Jahrweifer für das deutfche Haus . 230 

| Dupré, §., Aber die Herren ,,Aufartler und andere oem due der 

| menf{dliden Hodsicdhtung. (v. Rutlowfti) . i 230 
Erdmann, £., Die Glodenfagen. (§. £üere) . : : ; : 87 
Aus: The Eugenics Review. (£. Zoeffler) . 116 

Bandert, ©.S., Sorfhungen 3. Befchichte d. Zaushundes. (©. Evedardi 67 
Gottſchald, M., Deutfche Liamentunde. (%. Zeiß) : 120 
Guͤrge, W., Daneuropa und Mitteleuropa. (OO. Eilen) . 125 

| Haag, §. £, Die geiftige Gefundbheit des Volkes und eur Pfige «. 

| Loeffler) ; 120 

| Habm, im Deutfche Voltstunft. Schuitz 180 
Harmfen, H., Praltifhe Bevslkerungspolitil. (Tb. fang) 3 13} 


— —, $298 Ginn u. Droblematil d. Ubtreibungsparagrapben. (v. Ruttowfti) 230 
 Hartnade, W., „Bildungswahn—Volkstod.“ (v. Rutlowfli) . ; 231 
Hauptmann, 5, Erneuerung aus Blut und Boden. (©. Rede). 231 


Aedfcher, R., Die Dollstunde der Pronins Hannover. (|. ya : 33} 
>eimat. Dorarlberger Monatshefte. (R. Glau) ‘ ; 125 
Mein Heimatland. Badifche Blätter für Volkskunde. (R. Grau) . ; 126 
Hennig, R., Beopolitit. (©. Schelling) ‘ i ; 32} 
Hielſcher, R., Dänemark, Schweden, Klorwegen. Schultz 121 
Jahn, M., Die Relten in Sehlefien. (€. Deterfen) . ; ; 53 
Johannes, Martin, Otto, Adel Belle Rede) : 5 181 
Juft, ©., $ Jungenbilder. (Schulg) ; 182 
| Rarafets£anger, A. und Straygowfti, £:; Sagen der Bes: 
kidendeutfchen. ($. Lüere) ‘ 326 
—sL£üd, Die deutfchen Siedlungen in Wolbynien. (%. Witte) . : 232 
Reiter, S, Schwanfen und die Schlei. (S. Ehrhardt) . ; 58 
Rlend, m. und Sdeidt, WO., Fliederfächlifche Bauern. (M. Heid) . 122 


Rlofe, O., Die Samilienverbäftniffe auf Island vor der Belehrung zum 
Chriftentum auf Grund der Joalendingafogur. (4%. Zei) - x 59 

Rloß, #., Das Grundbud der Stadt Dirfchau. (©. Rede) . : 59 

Rrieg, 9, SchleewigsSHolfteinifche Vollstunde. I. Teil. ($.£üere) . 120 


82885319 


JJ er un 


IV Inbaltsverzeichnis. 





Kummer, B., Die germanifde Weltanfdauung nad a er 
Überlieferung. (YO. Hyll) ; 

LangbanssRageburg, M., Die Wolgadeutfchen. (%. Witte) 

Lehmann, R., Gefhicted. Wendentums i ind. Lliederlaufig. (9. Witte) 

LendsvaisDi rd fen, &., Das deutfche Dollsgefidt. (Gdulg) . 

Lentz, W., Auf dem Dad der Welt. (©. Rede) . 

Lurembue a et, %., Piychiatrifche SHeillunde und Eugenil. (v. Ruttows ti) 


Mattbes, MD , Die nördlichen Elbgermanen in a a (€. 


Peterfen) 

—, Die Germanen in der Prignig. E. Peterfen) . 

Mayer, SM. u Hans Pirdegger, Geſchichte und Kulturleben 
Deut(dhdfterreis von 1526—1792. (%. Witte) ; 

Mefchle, R., Schwerttanz und Schwerttanzfpiel. (Od. Schulg, Görlie) 

Müller-Guttenbrunn, R., Der brennende Men. (©. oe 

Oberdeutfche Zeitfchrift für Voltetunde. (R. Grau) ; 

Der Öberfchlefier. (R. Grau) 

Peßler, W. Deutſche Voitotumsgeogtaphie. (2. Mielke) . 

Plifmte, 5, Chriftoph Rolumbus. (©. Rede) ; 

Reglaff, €., Die von der Scholle. (S. Ehrhardt) : 

Ridthofen, B., Sebr. v., Altfteingeitlide Sunde aus der Provin 
Öberfchlefien. (€. Deterfen) ; 

Ried, %. A, Miesbacer Landbevditerung. m. Hei) ‘ ; 

Robmeder, D., Das Deutfhtum in Südtirol. (9. Witte) . 

Robrbad, P.u. Roloff, G., a Volksgeſchichte. den 

Scheidt, W., Rulturbiologie. (£. ©. Tirala) : 

— Raſfentunde. E. Suchsland) 

—, Die raffifchen Derbhaltniffe in Clordeuropa. (©. Rede) . 

Sdhemann, £., Die Raffe in den Beifteswiffenfchaften, Band Ill. Die 
Raffenfeagen im Schrifttum der Neuzeit. (.. ®. Tirala) 

Schulze, R., Die jüngere Steinzeit im Rötbener Lande. (Id. Schulz) 

Schwalm, %. und Burlbhardt, §., Bevdllerungstacten ser Obers 
und Fliederlaufig auf Grund der Doltszählungen. (©. Redhe) 

Siemens, WD., run und Miethodil der A 
(©. Mofe) . 

Stodbaufen, 3. von, Dom nordiſchen Geiſte. (©. Uftel) : 

Strager, K. Tb., Gacdfen und Angelfadfen. (00. Sols oe 

Ubden, R., Völkertore. (YO. Effen) . 

Wable, £., Deutſche Vorzeit. (W. Schultz, Görlig) ; 

Wedetind, €. en Das Märchen vom Hienfchen im Briftall. (00. 
Eſſen) 


Weiſſenborn, E., Quellen und Hilfsmittel der Samiliengefcichte. 


($. Weden) . 


Mintbuis, J., Die Wabrbeit über das Zweigeſchiechterweſen durch) | 


die Begner beftätigt, nod) fefter begründet von ... (®. Spannaus) 
Herman Wirth und die deutfche Wiffenfchaft. (€. Deterfen) 
Seitferift fur Ortsnamenforfdung. (€. — 
Zink, Th. Die Pfalz. (Schultz). 
Zimmer, N., Deutſchlands Srenzentwicklung. (00. Eſſen) 


233 
182 


258 
124 
184 
258% 
255 


128 
236 


239 
237 
127 
238 

64 





























— 


m 25 jährigen Beftehen des Binderen-Laboratoriums | in Oslo. don 

. Prof. Dr. O. Rede, (Mit 1 Wbitoung) - - - Seite 
Re -afenforiung und Pinsbiatrie. Bon Dr. med. Sans Burtharde, Hambirg- 

” OS ee ne: — 
den Zuſamnienhang von Banbfihnt und Meute) Yon Ewald — 


— “3 Punineishipety: | (Mit'4 Abbildungen und 2 Strichzeichnungen . - . — 
— ‘ildnis eines Wejtgotentinigs der — Von Aniv. — 
J Dr. W. Gapelle, Hamburg . - % 
ss gerlainber Art. Eine noltstundlidhe Unterfudung. Bon Dr. Sofef * 
Prag. (Mit 1 Abbildung) - - ” 
ber Raffe und Seele. Bon RG. Biergug . 2 - se ee eee sw 
| j Der Flud) der Arbeit“. Bon Dr. Harald Spehr, Leipzig » + + nn. * * 


INN 


MDege zur Ffamiliens und Namenforfhung 


Deutfche Namentunde 


Unfere Familiennamen nad ihrer Entftehung und Bedeutung 


Don Studienrat M. Gottihald, Plauen 
Mit etwa 50000 Namen. Geh. RIM. 15.—, Cwd. RM, 15.— 


Gottihalds Bud) ilt anderen Namenbücdyern gegenüber etwas durchaus Eigenes. Zunädjit 
dürfte jein Wert alle ähnlihen Werte an Reichhaltigteit weit übertreffen. Dot auch in 
Einzelheiten der Dede bringt jein Bud; Dieles, was bisher ae genügend ausgewertet 
wurde: 3. B. die Ableitung vieler altdeutiher Namen aus altgermanijchen religiöjen 
Dorftellungen; ferner die Behandlung der einjtämmigen Namen und der Miidhformen. 
Auf die ojenamen wie Hölderlin, Kreutel und Steudel, Blumenjhein und Maienthau 
if jeit ein pact langft vergefjenen Bemerfungen Grimms und Uhlands niemand mehr 

— ———— Überaus wichtig ijt aud) die Statijtif der heutigen —— die 

islang niemand — zum Zwede der Deutung benußt Pr ittag 3. B. fommt 
* Familienname in Köln und München nur je einmal, in Dresden aber 66 mal 
por; bier ijt es aber aus Mittas entſtanden, der wendifden Sorm fiir Watthias. 


Das Bud; zerfällt in zwei Hauptteile: Die Namentunde und das Namenbudy. Die 

Namenftunde enthält u. a, folgende Abjchnitte : — ichte der Namenforſchung. Indo—⸗ 

* er manijde Namen ; jemitijche Namen. Altdeutiche Taufnamen mit ihren Kurzformen, 

erfleinerungen und Mifchformen. Kirchliche und literarijhe Namen. Entftehung der 

ee ee Namen aus Wohnjtätten und Herfunftsort, von Stand und Beruf. 

bernamen ; Sagnamen ; Judennamen ; Latinijierungen jlawijcher und anderer fremder 
Namen. Dornamen. Namenwandel und Namendeutung. 





















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"Dolt und Raffe 


Illuſtrierte Viertehjahrsfchrift für deutfches Volkstum.. 
» Herausgeber: Prof. Aichel (Riel); Dr. Bachtold (Bafel); Prof. Derbleffren. (Röpıgabiry- 
li. Pr.); Prof. Sebrle (Heidelberg); Prof. E. Sifcher (Berlin); Prof. Yambrud (Hamburg); 
Prof. Helbot (Innsbrud) ; Prof. O. Lebmann (Altona); Dr. Lhers (Minden); Prof. Mielke 
‚(Hermsdorf b. Bin); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Muh (Wien); Prof. Panzer 
(Heidelberg); Dr. PeBler (Hannover); Prof. I. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dort: 
mund); Prof. W. N. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Königsberg); Prof. Schulges 
INsumburg (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof. 
. Wrede (Röln); Dr. Zaunert (Wilbelmsböbe); Dr. Zeif (Srankfurt/!M.). 
Schriftleitung der Zeitfchrift: Univerfitätsprofeifor Dr. Ötto Rebe, Gausich 

bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Kurt Schulg, München, FTeubauferftr. 51. 


5 Derlag: J. $. Lehmann, Münden 2 SW., Paul Heyje-Straße 206. 
| Jabrlid) erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jährlih MT. $.—, Einzelheft MM. 2.—. 
: Poftfcdedfonto des Verlags München 129. 


; poſtſparkaſſe Wien 59594. — Ronto bei der Bayeriſchen Vereinsbank Muͤnchen. — 

‘Ronto bei der Rreditanftalt der Deutiden e. G. m. b. . Prag II, Krafauerftraße 11 
np (Poft{partafjenfonto der Rreditanftalt: Prag 62 730). — Schweizerifche Doftidedrechnung 
I Bern III 4845. Schwed. Poftichedtonto Stodbolm 41067. 








17. Jahrgang yeft)  Ianuar (Eismond) 1932 





Der Derlag bebält fi das ausfchließlihe Recht der Vervielfältigung und Derbreitung der 
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor. 


Zum 25 jährigen Befteben 
| des Dinderen-Laboratoriums in Oslo. 


Don Prof. Dr. O. Rede. 
Mir ı Abbildung. 


DI“ Dinderen-Laboratorium wurde am 28. De: 

zember 1905 urd Or, Fon Alfe. Mpoen gee 
gründet; zunächft als private Schöpfung, bald 
aber befam es Unterftügung aus öffentlichen 
Mitteln und 1916 bewilligte die norwegifche 
Dolksvertretung dem Leiter des Inftitutes eine 
beftimmte Dergütung, als Anerkennung und Ge: 
genleiftung für feine im öffentlichen ntereffe 
durchgeführten Arbeiten. 

Die Aufgaben des Laboratoriums liegen auf 
dem Gebiet der Erbbiologie und Raffen- 
Sw J. bygiene. Gchon 1908 verdffentlichte Mjoͤen 

ein forgfaltig ausgearbeitetes Programm zur 

| Durchführung caffenbygienijder Maßnabmen, 

Dorfchläge, die auf dem internationalen Ron: 

Dr. Jon Alfred Misen. greß für Lugeme in Paris im Jabre 1913 in 
Pol und Baffe. 1932. Januar. } 






2 Dolt und Kaffe. 1932, 1 





ven Hauptpuntten angenommen wurden. Diefes „Llorwegifche Programm für 
Raffenbygiene‘ befteht aus folgenden chauptforderungen: 


..... Ir Yteg stäve Raffenbygiene (Maßnahmen zur Verringerung minders 


*.* wertiger Kaffenelgmente): 
oes oti Fwnngstosfe Zufammenfaffung gewiffer Verbrecher in Arbeitstolonien, 
222.2 Steräliftering minderwertiger Raffenelemente. 

II. Pofitive Raffenbygiene (Maßnahmen zur Dermebrung der wert: 
vollen Raffenelemente): 

1. Innere Rolonifation unter Befichtspuntten der Auslefe. Maßnahmen ge: 
gen die Landfluht. Landwirtfchaftlihe Organifationen in Unabhängigleit von 
den Städten. Abftufung der Löhne und Steuern nach dem Samilienftand. 

2. Mutterfchaftsverficherung. Einführung der Biologie des Menſchen in 
Schule und Univerfität, Kampf gegen die heutige vermannlidende Erziehung der 
Mädchen und deren Vorbereitung bauptfächlich für die Wutterfchaft. 

3. Zentrals und Rontroliftelle für Vervollftändigung und Verbreitung der 
Renntniffe über Erneuerung, Befundheit, Ernährung der Bevölkerung, in Der: 
bindung mit einem beratenden Ausfhuß für raffenbygienifche Sragen. 

III. Propbplattifhe Raffenbygiene (Schug des ungeborenen 
Rindes): 

1. Rampf gegen die Raffengifte (Gefdledtstrantheiten, Marfotita ufw.), 

2. Dorbeugungsmagnabmen gegen Raffenz und Dollstrantheiten, als Pflicht 
des Staates, 

3. Befundheitszeugniffe vor der Ehe (Rreuzung mit fernftebenden [primi- 
tiveren] Raffen ift zu widerraten bzw. zu verhindern), 

4. Aufzeichnung biologifcher Daten über die ganze Viation. Einführung 
eines Geſundheitspaſſes („Kjennbok“), 

5. Einwanderungskontrolle unter biologiſchen Geſichtspunkten. Auswei⸗ 
ſungsamt. 

Dieſes Programm wurde — trotz ſeiner ſorgfaͤltigen Faſſung und trotz ſeiner 
Maͤßigung — ſelbſtverſtaͤndlich verſchiedentlich angegriffen, aber J. A. Mjoͤen 
konnte den großen Erfolg buchen, daß die wichtigſten Punkte in Norwegen be⸗ 
reits Geſetz geworden ſind und daß die anderen Ausſicht haben, ebenfalls einge⸗ 
führt zu werden. Norwegen verdankt dieſen Rulturfortſchritt auch der Unter⸗ 
ftugung der Gefegesvorlagen dsurd die Minifter Lars Abrabamfen, Johan Caft- 
berg und Sriis Peterfen. 

Aud im Kampfe gegen den Mißbrauch des Altobols und bei der Sormue 
lierung der betreffenden Gefege ift Miden mit Erfolg tätig gewefen. 

Unterftügt wurden die raffenbygienifchen Beftrebungen I. A. Midens durch 
ein im Laufe der Jahre gebildetes „Llorwegifches beratendes Romite für Raffen- 
bygienc“‘, das der „International Federation of Eugenic Organisations“ 
(Vorfigender Major Dr. Leonard Darwin) angehört. 

Der Rampf für raffenbygienifche Ziele wurde von Wijden und feinen Mit: 
arbeitern am Vinderens£faboratorium durch eine ganze Anzahl wiffenfchaftlicher 
und populärer Schriften geführt und nicht zulegt mit chilfe der von Claͤre Mjoͤen 
geleiteten Zeitfchrift „Den Nordiske Race“. Gefchhidt verwertet wurden außers 
dem Ergebniffe von Rundfragen, bei denen zablreiche in= und ausländifche Bes 
lehrte ihre Anfichten über raffenbygienifche Sragen Außerten; die Ergebniffe wurden 
in „Kommentarer til det Norske Program for Racehygiene“ (Mitarbeiter 
u. a. Kindfay, Sorel, Darwin, Davenport, Brotjahn, 5. Virchow, £. Sifcher, 


1932, 1 ©. Rede, Zum 235 jäbr. Belteben des Oinderens Laboratoriums in Oslo. 3 





de Lapouge, Schreiber, £enz, Tollin, Rrobhne) und in „Er den nordiske race 
domt til undergang* (Mitarbeiter u. a.: Davenport, €. Baur, Sahlbed, €. 
Sifcher, Wille, Madifon Grant, Siemens, Bsborn, Sorel, Heiberg, Lenz, 9%. Pirs 
how, Darwin, Ezelliger) zufammengefaßt. 

In das raffenbygienifche Bebiet gehört auch die von J. A. Miden kräftig 
in Angriff genommene Stage nach den antbropologifchen, gefundbeitlichen und 
tulturellen Solgen von Raffentreuzungen beim Hlenjchen; ich erwähne nur 
den vor der Berliner Anthropologifchen Befellfhaft gehaltenen Vortrag I. X. 
Midens „Harmonifche und unbarmonifche Rreuzungen“, den in „Bolt und Kaffe“ 
erfchienenen Auffag „Raffentreuzung beim Menfchen“ (Jahrgang 1928, S. 104 
und Jahrgang 1929, S. 72) und den Auffat „Norden for de nordiske. Et 
forslag fra den norske komité for racehygiene.“ 1925. I. A. Mijden zeigt 
an der HYand eigener Unterfuchungen, wie gefäbrlich Raffentreuzungen werden 
können, da es bei ihnen immer wieder zu unbarmonifchen Vereinigungen fehr ver- 
fchiedenartiger Erbanlagen fommt. 

Aud die rein erbbiologifchen Sragen wurden nicht vernadhläffigt, und je 
mebr Mitarbeiter das Vinderensfaboratorium im Laufe der Fabre erbielt, sefto 
zahlreicher wurden die Unterfuchungen und Veröffentlihungen auf diefem Ges 
biete; befonders gepflegt wurden dabei erbpfychologifche Sragen. Don den Ders 
Öffentlihungen will ich nur die folgenden erwähnen: J. A. Mypoen ,Hvordan 
opstaar geniet (Genius as a biological problem). Review.“ „Den Nor- 
diske Race“ 1920; „Zur Erbanalyfe der Begabung. Hereditas. Bd. 7, 1925; 
„Analysis of the Component Faculties of Musical Ability, and their 
Inheritance“. Eugenics Review. Jan. 1926; „Zur pfpchologifchen Beftims 
mung der Mufikalität‘‘. Zeitfch. f. Pfychologie. 388. 27. 1926; „Die Bedeutung 
der Rollateralen für den Begabungsgrad der Rinder“. In „Derbandl. 8. V. Ins 
ternat. Rongr. f. Dererbungswiffenfchaft“. Berlin 1927. Guppl. II 9. Zeit: 
fr. f. induttive Abftammungs: und Pererbungslebre 1928; „Geniet og for- 
bryderen som biologisk problem“. In: Religion och Kultur. Jahrg. II. 
1931. — Sridtjof Mijsden: „Zur Vererbung pfychifder Eigenfchaften“. Dif: 
fertation 1923; „Die Bedeutung der Tonhöbenunterfchiedsempfindlichkeit für die 
Mufikalität und ihr VDerbalten bei der Vererbung“. „hereditas, Bd. 7. 9. 2. 
1925; — Sridtjof Mijden und Jans Roc: „Vergleichende geneoftatiftifche 
Unterfuchungen zu der Abhandlung von Haeder und Ziehen ‚Die Vererbung und 
Entwidelung der mufitalifchen Begabung‘. Zeitfchr. f. Pfychologie, Bo. go. 
1926; „Die Erblichleit der Mufitalitat, Teil II“. Zeitfchr. f. Pfychologie. 
121. %. 1—4. SG. 104— 136. — Hans Rod: „Die Ewaldfche SHörtheorie. Line 
Unterfuchung der matbematifchpbpyfitalifchen Grundlagen der Ew. Hörtbeorie...“ 
Differtation 1927. 

Durd die unermudlide Tattraft J. A. Midens bat das VWinderen: Labora: 
torium eine außerordentlich reiche und fruchtbringende Tätigkeit entfaltet, die nicht 
nur für fein Vaterland Llorwegen von grdgtem Mugen war, fondern aud für 
die Entwidelung und Derbreitung erbbiologifcher und raffenbygienifcher Ideen in 
anderen Rulturländern. 

Und fo entbieten wir, zufammen mit den Raffenbygienitern der ganzen Welt, 
dem Dinderen:£aboratorium und feinem verdienftvollen Gründer und Keiter Dr. 
Jon Alfred Miden zum 25 jährigen Jubiläum unfern berzlichften Gruß, verbuns 
den mit dem WOunfde, daß diefen Sorfchern eine noch recht lange und erfolgreiche 
Arbeit vergönnt fein möge! 


1* 


4 | Dolt und Naffe. 1932, I 


Rafjenforfdhung und Yfydiatrie. 
Don Dr. med. Hans Burkhardt, Hamburg:Sriedrichsberg. 


De pſychiatriſche Forſchung ſieht ſich in beſonderem Maße genoͤtigt, ihre Gren⸗ 
zen nach verſchiedenſten Richtungen hin zu erweitern. Daß ſolche Beſtrebun⸗ 
gen Gefahren haben — allzuweites Zuruͤckbleiben des kritiſch⸗empiriſchen Den⸗ 
kens gegenuͤber dem ſpekulativen — darf nicht verkannt werden. Aber der große 
Gewinn, der uns in lockender Ausſicht ſteht, kann nicht erkauft werden ohne viele 
Irrtuͤmer: naͤmlich eine Sammlung der ehedem nur nebeneinanderfließenden Stroͤ⸗ 
mungen wie Raſſenlehre, Ronſtitutionslehre, Charakterkunde und damit eine ver⸗ 
tiefte und vereinheitlichte „Biologie der Perſon“. In weiteren Kreiſen am be⸗ 
kannteſten ſind die Verſuche Rretſchmers geworden. Beſondere Beachtung 
verdient die Auseinanderſetzung Rretſchmers mit den Raſſenfragen, wie er 
ſie neuerdings in „Geniale Menſchen“ gibt. 

Solcher Forſchungsrichtung kommt die Anthropologie felber entgegen. Sie 
ſtrebt nach immer engerer Fuͤhlungnahme mit den biologiſchen Grundproblemen 
wie Vererbung und Ausleſe und ſucht den Begriff Raſſe lockerer und lebensvoller 
zu geſtalten. Es genuͤgt nicht mehr Raſſe zu definieren als eine Gruppe von Men⸗ 
ſchen mit moͤglichſt viel gleichen erblichen Merkmalen, ſondern das Weſen einer 
Raſſe iſt, daß ſie als beſondere Anpaſſungsform unter beſtimmten Ausleſever⸗ 
haͤltniſſen entſtanden iſt und ſomit irgendwelche beſonderen biologiſchen Vorteile 
haben muß). Die eine Raſſe hat ſich etwa durch beſondere Geſelligkeitsinſtinkte, 
die andere durch Individualismus und Roloniſatoreneigenſchaften bewaͤhrt. Man 
koͤnnte die Raſſen als verſchiedene Ronſtruktionsmodelle, mit denen es die Natur 
verſucht hat, bezeichnen. Der Anthropologe Scheidt laͤßt deshalb die Trennung 
von Ronſtitution und Raſſe, die man fruͤher verſucht hat, nicht gelten. Fuͤr Raſ⸗ 
ſenforſchung iſt jedes erbliche Merkmal wichtig, alfo vom Mediziner feftgeftellte 
Anfaͤlligkeit gegen irgendeine Rrankheit ebenſo wie Schaͤdelform oder Haarfarbe. 
Da der Mediziner auf eine ganz beſtimmte Betrachtungsweiſe eingeſtellt iſt (naͤm⸗ 
lich Anfaͤlligkeit gegen Krankheit), iſt es von vornherein nicht wahrſcheinlich, 
daß von ihm herausgeſtellte RKonſtitutionstypen ſich mit Raſſentypen decken. Da 
aber in den großen Geſichtspunkten die Einſtellung des Anthropologen von der 
des Mediziners nicht grundſaͤtzlich verſchieden ſein ſoll, da auch er, ſogar von noch 
breiterer Baſis aus, die biologiſchen Reaktionsweiſen, die Frage der Angepaßtheit 
verſchiedener Menſchentypen zum Gegenſtande hat, muͤßte es ſeltſam zugehen, 
wenn ſich keine Beziehungen zwiſchen ſeinen Raſſentypen und der Typenlehre des 
Mediziners finden laſſen ſollten. 

Die Pſychiatrie hat nun im Unterſchiede zur uͤbrigen Medizin mit der Anthro⸗ 
pologie ein beſonders breites Beruͤhrungsfeld, weil ſie die ſeeliſchen Eigenſchaften 
in den Rreis der Betrachtung zieht (daß für die Raſſenforſchung ſeeliſche Eigen⸗ 
ſchaften von mindeſtens gleicher Bedeutung ſind wie rein koͤrperliche, da ſie ja 
fuͤr die biologiſche Angepaßtheit und Leiſtungsfaͤhigkeit eines Menſchentyps aus⸗ 
ſchlaggebend ſind, iſt uns heute wohl ſelbſtverſtaͤndlich). Eine Darſtellung der 
Zuſammenhaͤnge von Geiſteskrankheit und Charakter iſt freilich im Rahmen die⸗ 
ſer Arbeit nicht moͤglich. Der Nichtfachmann weiß durch Rretſchmer viel⸗ 





1) Vgl. uͤber dieſe Fragen das Buch des Verfaſſers: „Der raſſenhygieniſche Gedanke 
und ſeine Grundlagen.“ Reinhardt⸗Verlag 1930. 


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1932, I Hans Burkbardt, KRaffenforfhung und Pfydyiatrie. 5 


leicht, daß man Beziehungen annimmt einerfeits zwifchen dem manifchsdepref: 
fiven Jerefein (periodifche Geiftestrantheit mit beiterer oder trauriger Derftims 
mung) und dem zyllotbymen (untomplizierten, warmen) Charalter, andererfeits 
zwifchen Ler Schizophrenie (affektive Derblodung) und dem fchizotbymen (nicht 
unmittelbar fich gebenden, kühlen) Charakter. Die Art diefer Beziehungen ift noch 
ftrittig und verknüpft mit vielen nur dem Sadmann vertrauten Srageftellungen 
bezüglich der Ylatur der genannten Pfychofen. Angedeutet fei bier nur, daß bei 
febr vielen Geiftesftörungen, auch bei foldhen, die durch Außere Einwirkungen 
ausgelöft werden, es fi nur um eine Auslöfung von angeborenen Mechanismen, 
d. b. von Verbaltungsweifen, die in dem Charakter des betreffenden Wenfchen bes 
reitliegen, handelt. Bei einer großen Gruppe von Beiftesftörungen ift der Einfluß 
diefer angeborenen Mechanismen, fagen wir alfo des Charalters, fo groß, daß 
die Geftaltung der Krankheit und fogar die Srage des guten oder fhlechten Der: 
laufes wefentlid von ihnen abhängt. Mit dem Studium diefer Mechanismen 
bofft man die Wurzeln des Charalters, die biologifehen Radikale, wie Aretfchs 
mer fagt, erfaffen zu können. 

So kann man heute fehon einen, wie mir fcheint, befonders wichtigen Charals 
terbeftandteil mit dem von Bleuler eingeführten (wenn auch in feiner Bedeus 
tung inzwifchen erweiterten) Ausdrude Autismus berausheben. Diefer Begriff 
meint etwas Abnliches wie der Rretfchmerfche Begriff Schizotbymie, fcheint 
mir aber noch treffender zu fein. Autiftifch wäre ein Wenfch zu nennen, der nicht 
in unmittelbarem Uustaufd mit der Umwelt lebt, fondern feine eigene Welt für 
fih bat. Autiftifch in krankhafter Steigerung ift vor allem der Schizophrene. 

Welches find nun die Beziehungen zur Raffenfrage? Stern=:Piper bat 
zuerft die Meinung geäußert, daß die Rretfchmerfchen Charakter: und Kors 
perbautypen fich mit den europäifchen Raffen dedten. Die nordifche Raffe entjpräche 
dem _ fdhmalwidfigen und fcdizothymen, die ,,dinarifde’ Raffe dem atbletifchen 
und fcdizothymen, die ,,alpine Raffe dem breitwüchfigen und zyflothymen Typus. 
Ber Gedante war anregend, war aber in diefer Sorm unbaltbar. Es find inzwis 
fcen viele Urbeiten, meift ftatiftifcher Art mit oft recht widerfprechenden Lrgebs 
niffen über das dadurch aufgerührte Problem erfchienen. Eine Rlärung ift nod 
lange nicht erreicht, die Srageftellung an fich aber erwies fich als fruchtbar. 

1. Über die Beziehungen von Raffe und Charalter können wir ganz ficher 
fagen, daß die nordifche Raffe eine ftarke Kleigung zur fhizotbymen Wefensart, 
ich würde lieber fagen zum Autismus zeigt. Befonders fcheint dies für die (chwere 
blonde Raffe, die man auc dalifche Raffe genannt bat (ich halte fie nicht für eine 
felbftändige Raffe, fondern nur für einen älteren Zweig der nordifchen Kaffe), zu 
gelten. Gut getroffen bat diefen Jug, wie id meine, Bryn (Der nordifche Menfch, 
£chmann 1929), wenn er von dem nordnorwegifden Menfden fcreibt: ,,MNan 
weiß nie leicht, wo man ibn bat, er liefert fich nie ganz aus, fondern bebält immer 
noch etwas bei fich zurüd.‘“ Autiftifh könnte man die Siedlungsart des Welt: 
falen nennen, der in Einzelböfen lebt. Eine gewiffe Sremdbeit zwifchen Menfch 
und WMenfd ıft ein bedeutfamer nordifcher Zug. Flichts feheint mir verkebrter 
als eine Wertung, die jeden Zug von Autismus für frankbaft anzufeben geneigt 
ift. Die nordifche Raffe ift urfprünglich wobl weniger auf gefelliges Dafein als 
auf fachliche und felbftändige Leiftung gezüchtet und ibr Autismus ift ihre bios 
logifcbe Stärke und Wurzel ihrer Sübrereigenfchaften. In Mitteleuropa sages 
gen fommt eine andere, Beinere, emfig-gefchäftige, aber feßbafte, gefellige, warm: 
berzige und febr anpaffungefäbige, offenbar alfo mebr zytlotbvme Wienfchenart 


6 Volt und Kaffe. 1932, I 





(die fog. „oftifche Raffe‘‘) vor. Die mittellandifde (weftifde) Menfcbenart dagegen 
ift wohl wieder mehr fchizotbym geartet (Spanier) und Aretfchmer vermutet 
wohl richtig, daß manche Züge der fog. romanifchen (3. B. füdfranzöfifchen) Leb⸗ 
baftigteit durch Beimifchung „alpinen“ Blutes zu erklären find. Befonders betont 
fei aber noch, daß für Südeuropa wie auch für viele andere außereuropäifche Erd: 
teile mit dem Vorkommen eines befonderen grazilen Rörperbautppus gerechnet 
werden muß, der fih in das Rretfchmerfcdhe Schema nicht obne weiteres eins 
ordnen läßt. Einer foldyen Einordnung widerftreben audy vorläufig die dinarifche 
vorderafigtifchen Raffenclemente. 

2. Was nun die Rörperbautppen betrifft, fo ift, im großen gerechnet, die fol: 
gende Übereinftimmung deutlih: Der fcdlantwudfige Aörperbautyp, der dem 
fhizotbymen Charakter entfprecdhen foll, ift von jeber für ein Raffenmertmal der 
(im übrigen mebr grazilen) mittelländifchen und (im übrigen mebr Rräftiggroßen) 
nordifchen Raffe, der breitwüchfige (pylnifche), dem zptlotbymen Charakter ent: 
fprechende Typ fur ein foldhes der bypotbetifch angenommenen oftifchen Raffe ges 
balten worden. Bewegungsraffen, wie es die nordifche vorwiegend ift, fcheinen, 
was biologifh verftandlid ift, allgemein einem fdlantwudfigen und vom bes 
babig-gefelligen, sytlothymen Lebenstempo abweichenden Typus anzugebören. In 
Deutfchland fcheint nach einer Statiftit Derfchuers breitwücdhfiger Rörperbau 
im Süden bei weiten häufiger (3590) als im Florden (1290) zu fein. Saft ebenfo 
groß ift der Unterfchied zwifchen Beiftestranten aus München und aus Schweden. 
Yiun zeigten freilid) Unterfuchungen diefer Art an Geiftestranten in Munchen, 
Schweden (Henkel), der Schweiz (MW yrfc), daß die Shmalwüdhfigsfchizopbhrene 
Gruppe in Merkmalen wie Größe, Schädelmaß, Sarbe nicht nordifcher ift als die 
breitwüchfige derfelben Landfhaft. Das berechtigt aber nicht zu dem Schluffe, 
daß die Rretfchmerfchen Körperbautypen mit der Raffe nichts zu tun haben, 
fondern nur, daß fie fih nicht in Roppelung mit den bisher in der Raffentunde 
maßgebenden Merkmalen vererben. Ob fie in höherem Maße als diefe bei der 
einzelnen Raffe variieren können als diefe, muß erft noch unterfucht werden. Den 
Begriff einer ftreng erbgleichen Raffe erkennt man heute fowiefo mebr und mebr 
als eine unwirkliche UWhftraftion an. Bemerlt fei auch, daß der Rretfchmerfce 
„Idealtyp des fhmalwüchfigen Menfchen der Aftbeniker ift, ein Ertremtyp, der 
der biologifchen Florm keiner Raffe entiprechen kann, möglicherweife nur durch 
Mifhung zu ftande kommt und vielleicht durch größere Kleigung zu kurzer, wenn 
auch dabei fchmaler Ropfform und Duntelbaarigkeit als andere mebr im Bereiche 
gefunder Llorm liegende fhmalwüchfige Aörperbautppen die Statiftit beeinflußt. 
Dafür fprechen die Unterfucdhungen Sagemanns an Rieler Geiftestranten. Er 
nabm bei einer Statiftit von Geiftestranten die aftbenifde Gruppe fur fic und 
konnte zeigen, daß keineswegs diefe Gruppe, wohl aber der aftbenifch-atbletifche 
Mifchtyp an Ropfform und Sarbe weitaus am ausgefprodenften nordifde Mert: 
male aufwies. 

3. Endlich bat man felbftverftändlich die Haͤufigkeit der verſchiedenen Geiſtes⸗ 
ftörungen in verfchiedenraffigen Gebieten geprüft. Zundchft wieder ift nach 
enkel die fhizopbrene Gruppe in Schweden wefentlich größer als in Munchen. 
Sur Deutfchland tann es heute als gefichert gelten, daß das maniſch⸗depreſſive 
Jerefein überhaupt, befonders aber die „ftilreine‘ Verlaufsform diefer Krantbeit, 
von Süden nach Klorden zu wefentlich feltener wird. In Hamburg ift diefe Aranl: 
beit eine außerordentliche Seltenbeit. Rittersbaus konnte zeigen, daß von 11 
einwandsfreien Rranktbeitsfällen in Jamburg=Sriedrichsberg nur 3 Arante nieder: 


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1932, I Fans Burkbardt, Raffenforfhung und Pfychiatrie. 





fächfifcher Abftammung waren. Den nordifchen Raffetyp fieht man zweifellos 
am bäufigften unter den ftillverlaufenden Scizopbrenieformen und allenfalls bei 
gewiffen depreffiven Erkrankungen, deren Zugehörigkeit zu größeren Pfychofes 
gruppen oft fchwer zu beftimmen ift. Auffallend ift die große prozentuale 
Szaufigkeit der Schizophrenie in der Schweiz. syier entfprechen die Schizophrenen 
nad Wyrfds Unterfuhungen keineswegs dem nordifchen Typ. Mandes fprict 
dafür, daß in der deutfchen Schweiz das fchizotbyme Element ftärter vertreten ift 
als im übrigen Süddeutfchland. Vielleicht ift auch ihre Zugehörigkeit zur protes 
ftantifhen Glaubensform in diefem Sinne deutbar. Daß fchizotbym und nordifch 
Beine fich dedenden Begriffe find, ift felbftverftandlid. Mande fdhizotbyme 
Sonderart könnte ähnlich wie auf körperlichem Gebiet der aftbenifche Habitus 
als Ergebnis befonderer WMifchungsverbältniffe erklärt werden. Hier find nod 
viele Srageftellungen verborgen. 

Sonftige raffenpfycbiatrifche Beobachtungen weniger fpftematifcher Art follen 
im folgenden noch Erwähnung finden. Mehrfach ift vermerkt worden, daß Rrant: 
beitsbilder depreffiver Särbung im Unterfchied zu den manifchen bei den gers 
manifden Völkern viel bäufiger feien als bei den romanifchen und flawifchen. 
Das gleiche gilt fur die Selbftmordneigung. Don allen europäifchen Ländern ftebt 
bier Dänemark an der Spige. In Baden und in der Rheinpfalz follen manifche 
Bilder wieder häufiger fein als etwa in Württemberg. Flab Runge zeigt 
Syolftein dagegen ausgefprochenes Dorwiegen der Depreffionen. Wlan wird alfo 
feftftellen, daß wohl eine Beziehung beftebt zwoifchen ftillerer und rubigerer Volkes 
art und Lleigung zu gemütlicher Depreifion. Rofenfeld erwähnt von den 
medlenburgifden Aranten, daß fie im Vergleiche zu elfäffifchen ein viel felteneres 
Vorkommen hyfterifchen Bewegungsdranges und lebhafter Erregungszuftände 
zeigen. Rraepelin betonte die größere Fleigung zu Gewalttatigteit bei Geiftes- 
kranten aus ©bers und Lliederbayern verglichen mit folden aus Gacdfen. In 
Thüringen und Stanten foll die Kleigung zu byfterifcher Reaktionsart bäufig fein. 
Binswanger wies auf die häufig gefteigerte Affektlabilität und die damit in 
Zufammenbang ftebende Kyäufigkeit von „Mifchpfychofen“ in Thüringen bin. 

Don großem JIntereffe ift auch die Unterfucung judifder Geiftesftorungen, 
fiir die vielfad) Abnlihe Erwägungen gelten wie fie Binswanger fir die 
Pſychoſen der Thüringer anftellt. Verfaffer glaubt in einer Arbeit zeigen zu 
können, daß die geringe Fleigung der Juden zu autiftifcher Lebenshaltung auf der 
einen Seite, auf der andern Seite aber eine gewiffe feelifehe Rompliziertbeit und 
Unrube, die fie von dem zpllotbymen Charakter ebenfoweit abrüden läßt, einen ge: 
wiffen Einfluß auf die Beftaltung der judifchen Pfychofen bat. 

Atypifdhes GBeprage zeigen nad Gaupp aud verhältnismäßig bäufig 
Geiftesftdrungen ser wirtfdaftlid gehobenen Sdidten. Man wird dies zum 
Teil mit den vielfeitigen geiftigen Säbigkeiten, zum Teil mit geringerer Bodens 
ftändigkeit und dadurch ftärkerer „Mifchblütigkeit‘‘ im weiteften Sinne bei diefen 
Schichten in Zufammenbang bringen. Umgelebrt ift die Epilepfie ganz deutlich 
(Ausnabmen gibt es natürlich) mebr eine Krantheit geiftig primitiverer Bevdlle- 
rungsteile. Dazu ftimmt es, daß fie bei Juden auffallend felten vortommt und 
wie Lange anfübhrt bei Klegern viel häufiger als bei Weißen. 

Im übrigen ift unfer Wiffen über Pfychofen bei außereuropäifchen, vor 
allem primitiven Völkern ein febr dürftiges. Das Studium folder Pfycofen 
wäre eine fehr wichtige und dantbare Aufgabe, ftellt aber fehwierigfte Anforde: 
rungen. Dor allem müßte eine genaue Renntnis der Sprache und Gebräuche des 


8 Volt und Raffe. 1932, I 
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Landes vorausgeſetzt werden, um uͤberhaupt Weſentliches von Unweſentlichem 
unterſcheiden zu koͤnnen. Von den Negern heißt es, daß ſie zu maniſchen Krank⸗ 
heitsbildern neigen, was zu ihrer naiv⸗lebhaften Natur auch gut paſſen wuͤrde. 
Eine gewiſſe Beruͤhmtheit hat eine Studie Rraepelins über Pſychoſen bei 
Malayen auf Java erlangt. Er glaubt ein faſt voͤlliges Fehlen der depreſſiven ge⸗ 
genuͤber den maniſchen Krankheitsbildern und einen inhaltlich ſehr armen Ver⸗ 
lauf (faſt keine Wahnideen) der ſchweren Geiſtesſtoͤrungen feſtſtellen zu koͤnnen. 
Ahnliches ſoll auch fuͤr andere primitive Voͤlker gelten. Endlich wurde die 
Rretſchmerſche Lehre uͤber die Zuſammenhaͤnge von Kérperbau und Geiftess 
ſtoͤrung bei verſchiedenen Voͤlkern (Agyptern, Tartaren) nachgepruͤft und bei diefen 
im ſelben Sinne wie in Europa beſtaͤtigt gefunden. Zu Unrecht hat man auch 
hieraus zu ſchließen verſucht, daß dieſe Roͤrperbautypen, weil ſie faſt uͤberall vor⸗ 
zulommen fcheinen, mit Raffe nichts zu tun haben koͤnnten. Wir wuͤrden aber 
aud) lang: und kurzköpfige Wienfchen unter allen heutigen Völkern finden. Es 
gibt kein Landgebiet, wo nicht verfchiedene Raffen fich überfchichtet haben, febr 
haufig wohl in der Weife, daß eine mehr feßbafte Stammbevslkerung von einer 
oder mehreren Bewegungsraffen überfpült und durchfetzt wourde. 

Der Lefer diefer Arbeit wird bemerkt haben, daG alle unfere Annahmen auf 
nod lange nicht geficherten Boden fteben, vielleicht ift es aber gelungen, ibm zu 
zeigen, daß die Bearbeitung diefer Probleme von weittragendfter Bedeutung ift und 
daß bier verfchiedene Gebiete der Wiffenfchaft fich überfchneiden, auf deren engfte 
Sufammenarbeit es ganz und gar antommt. Dor allem aber ift die teilweife 
allerdings felbft noch im Werden begriffene pfpchiatrifch begründete Charalters 
funde fdhon beute keinem mebr entbehrlich, der fich mit Sragen der Raffenforfdung 
oder Stammestunde auseinanderfegen will. 


Über den Zufammenbang von Lanöfchaft 
und Weenfd). 


Yon Ewald Banfe. 


Mit 4 Abbildungen und 2 Stridseicnungen. 


A feit Herder fteben fic in der Beurteilung der Beziebungen zwifchen 
Landſchaft und Menfd zwei Anfichten gegenüber. Die ältere glaubt nicht 
an einen Zufammenbang, entweder weil fie gar nicht darüber nachdentt oder weil 
fie den Menfchen für einmalig nimmt und erdlicher Bindung entzogen. Die neuere 
behauptet eine Abhängigkeit des Mienfchen von der Landesnatur. Jede diefer beiden 
Meinungen enthält allerlei Wabres, aber keine trifft den Kern der Stage. Ls ift 
don richtig, daß ein menfchlicher Leib bei der Derfegung in ein anderes lature 
gebiet nicht verändert wird, obwohl das oft und oft vorgegeben und nun gar für 
das nddfte, dort fdyon geborene Befchlecht nachzumeifen verfucht wird. Und es 
ift fehon richtig, daß die wirtfchaftliche und fiedlerifche Tätigkeit von der Landess 
natur in beftimmte Bahnen geleitet wird. Aber hierin liegt ja gar nicht das "Jauptz 
tüd der Aufgabe, fondern diefes ift mehr feelifcher Art. Das ift in der Richtung 
zu verftehen, daß die Landfchaft nicht durch ihre Landformen oder ihr Pflanzen 
Heid, fondern durch ihre Luft und deren Erfcheinungen auf das Flervenneg des 


1932, I Ewald Banfe, Über den Fufammenbang von Landfdaft und Menfd. 9 





Rörpers und damit auf das feelifche Verhalten des Htenfchen Einwirkung nimmt. 
£uftundLlierven finddie Brüudezwifhen Landfhaft uns Menfc, 
und diefe Bride ift fo feft gefügt und es findet über fie ein fo ftarker und ein fo 
ununterbrochener Verkehr ftatt, daß man fich wundern muß, daß dies bislang nie 
cecht erlannt worden ift, von Beograpben nicht und von Anthropologen nicht und, 
ich vermute, von Pfiydhologen fdhon gar nicht. 

&s wäre nun falfch zu vermeinen, diefe Brüde wäre als Verbindung zwi⸗ 
Idyen zwei einander völlig entgegengefegten, wohl gar feindlichen Elementen ges 
jdlagen worden und fie fei nur ein Mittel, nur Derfuch zu einer Verftändigung 
zwifchen beiden. Weit gefeblt! Dielmebr ift fie der letgte Reft einer vor Zeiten viel 
engeren Bindung, ja der letzte Strang eines vormaligen Einsfeins. Alles Leben 
ft irgendwann einmal dem Boden und der Luft entfproffen und hat fic in den 
verfchiedenen Alimabreiten von Ur an verfchieden entwidelt; foweit es aber durch 
Wanderungen in andere Rlimagürtel gelangt ift, trägt es die Prägeform des 
urfprünglichen Heimatllimas äußerlich verändert, aber doch unverlierbar und uns 
verfennbar an fid. Bleiben wir beim Menfchen, fo ftebt zu vermuten, daß feine 
dlteften Entwidlungsformen der Klatur noch eng verhaftet waren, daß er ihr — 
wie es beim wilden Tiere noch heute der Sall ift — willenlofer gegenüberftand oder, 
beffer bemerkt, felbftverftändlicher angehörte. Er trug damals die Kinflüffe feiner 
Eandfchaft ganz offenkundig zur Schau, er war wie weiches Wache, in dem fich 
die Landfchaft abdrüudte und reliefartig ausprägte. Seine fchlummernde Seele, 
ihrer felbft nocdy nicht bewußt, ruhte in der Landfchaft und zeichnete echoartig auf 
deren Rufe und Klänge. 

Die auffallendfte Kenntlidmadhung diefer in ihren Einzelheiten uns unbes 
kannten Tatfache ift der Sarb:, Sorm: und Charalterunterfdied zwifchen dem 
Weifen und Schwarzen. Die Sarbftoffeinlagerung in der fhwarzen Haut konnte 
nur in einem beißen und fonniggrellen Rlima entfteben, da das weiche Wachs des 
Plervenneges zum Werden ihrer bedurfte und nur unter ihrem Schutze lebens» 
fabig war. Aber eine feinere Ausbildung der Klerven vermochte fie nicht zu ers 
reichen, die wurde durch die brutale Araft der Sonne trotden behindert. So vers 
blieb der Schwarze auf niedriger Stufe, und feine ganze Art blieb der bloßen 
Sriftung der mehr tierifchen, wenn man fo will, vegetativen Aufgaben verbaftet. 
Seine kräftigen Riefer und feine Meinere Gebirntapfel und fein dumpfer, umfanges 
ner Blid, die Sorglofigkeit und fchrantenlofe Hingabe an Augenblidsftimmuns 
gen find die Solgen diefer Elimagetrennten Entwidlung. Jm Gegenfatze dazu 
vermodte fid) die Sarbftoffarmut der weißen Haut lediglich unter einem kühlen 
und bededten Himmel auszubilden, da das weiche Wachs des Llervenbaues bier 
des Sonnenfchuges einer Sarbftoffeinlagerung bedurfte und fich trogdem auf das 
allerfeinfte ausbilden konnte. Deshalb vermochte fich der Weiße verftandesmäßig 
über die einfachfte Lebensaufgabe der Primitiven, das Leben fchlecht und recht zu 
friften, zu erheben und Iöfte fich damit auch feelifch mehr von der Umgebung ab. 
Seine f[höngewälbte Ropfform und feine gebaltenere Rieferausbildung und fein 
bewußterer Blid, feine beforgte Art der Lebensauffaffung und feine Überlegenbeit 
in allem Denten und Trachten und yandeln — das alles find Ausflüffe einer 
Himageförderten Entwidlung. 

Wichtig ift, zu verfteben, daß diefe Entwidlungen und Entwidlungsunters 
fchiede zeitlihh unendlich weit zurüdliegen und nur auf Stufen feelifcher Linges 
wedtbeit fich begeben konnten. Daß aber die auf diefe Weife einmal erzielten Ers 
gebniffe einigermaßen unabänderlich und, wenn man dies Wort vorfichtig aus» 


10 Volt und Kaffe. 1932, I 





jprechen darf, ewig bleiben dürften. Sür fämtlihe Mifchfarben — ein Zigarrens 
macher würde fie Seblfarben nennen — gilt das Gefagte nicht, denn fie find Solgen 
eingetretener Dermifhung von Hell und Duntel. Sie haben mit der Landfchaft 
an fich nichts zu tun und find bodftens als Anpaffungen an verfdiedene Lands 
Ichaften zu verfteben. Wie wenig die jeweilige Landfchaft auf fie von Einfluß 
ift, erfennt man leicht daraus, daß alle braunen Blendlingspölter ungefähr (und 
nur ganz roh gejagt) die gleiden Charattereigenfcaften befigen, gleihgültig ob 
fie in Afrika oder Amerika oder Afien oder der Südfee oder am ewigen Life wohnen. 

£8 ergibt ficy weiter, daß man bei der Beurteilung des inneren Verbältniffes 
swifden Landfcdaft und Menfd genau unterfceiden muß zwifchen Raffetum, 
das in der Landfchaft feiner Raffewerdung lebt, und foldyem, das in fremde Lands 
(haft ausgewandert ift. Erfteres trägt die innere, jabrzehntaufendealte Derbundens 
beit arer zur Schau als letzteres. Ja in diefem wird fid) fogar ein Gegenfat 
zwifchen Landfchaft und Seele ergeben, der nicht überbrüdt ift und wohl auch nie 
überbrüdt werden kann. Denn eine Raffe trägt die Projektion ihrer Urlandfchaft 
in ihrem feelifchen Lichtbilde unverlierbar und unverwifchbar mit fich berum, 
wobin aud immer fie auf ihren Wanderungen geraten mag. Die braunen Hirten: 
ftämme der innerafritanifden Gavanne verbalten fic) ganz anders zu ihrer Yyeimat, 
die fie 3. T. doch fchon etliche Jabrtaufende innehaben, als die fhwarzen Aderbauer 
am Gaume der Galeriewdlder der gleichen Umgebung. Diefer Unterfchied ents 
fpringt nicht der verfchiedenen Befchäftigung (die zudem auch die gleiche fein ann), 
fondern diefe Beichäftigung gebt aus andersartiger Einftellung zur glutbeißen 
Gavanne und ihren Lebensbedingungen hervor. Die Abftämmlinge der bellen 
mittelländifchen Raffe, als welche jene feit der Jungfteinzeit fudwärts gewander: 
ten Hirten aufzufaffen find, konnten oder mochten fidh ibrer unter küblerem (nicht 
kaltem) Himmel geprägten Befeeltheit balber nicht anders in die drüdende Glut 
der Tropen einzufügen denn in Geftalt des Wanderbirtentums, das dem Lande 
weniger eng verbaftet ift als das Pflanzertum mit feiner mitleidlos engen Derz 
Inchtung an den Boden und feiner berrifchen, ja dort geradezu brutalen Gefte. 
Wanderbirtentum ift dortzulande die einzige Möglichkeit, einigermaßen ledig zu 
bleiben des Sllavenfinnes und der Abhängigkeit von Sron= oder Derdummungs- 
arbeit. 

Die Raftengefege der indifden Arier, die als eines der hervorragendften Renn: 
male Dorderindiens gelten, baben mit Jndiens Klatur nicht das geringfte zu tun, 
fondern gingen aus der Beforgnis ser bellen Oberfdidt vor Dermifdung mit 
der „nafenlofen dunklen Haut hervor, entfprangen alfo einem Geifte, der im 
Abendlande feine Entwidlung erfuhr. Außerdem famen fie erft in den Jabrbunders 
ten furs vor unferer Zeitrechnung auf, fo daß alfo das frühere Indien diefer heute 
fo bezeicdhnenden Einrichtung entriet. 

Blidt man in diefer Weife genau zu, fo laffen fich bei den meiften Völkern 
der Erde zablreihe Eigenfchaften und Einrichtungen nadhweifen, die mit sen Bez 
öingungen ihrer gegenwärtigen Umwelt in offenbarftem Widerfpruce fteben 
und die Meinung der üblichen Geographie von der volllommenen und unbedingten 
Abhängigkeit des Menfchen von feinem Wohnraume nur zu oft Lügen ftrafen, 
wenn nicht einfach lächerlich machen. Tieferes Eindringen ift freilich nur dent: 
bar, wenn man nicht allein die Außerlichkeiten des Völkerlebens betrachtet, fondern 
die Unterfudung auch auf die feelifche Struktur ausdebnt. Der Sat der Geoz 
grapben ift falfch, wenn fie fagen: Diefes Dolk ift fo und fo, alfo mug das in 
der Landesnatur begründet fein. Sie follten vielmebr fagen: Diefes Volt ift fo 





1931, I "Ewald Banfe, Uber den Zufammenbang von Landfdaft und Menfd. 11 


und fo, wie kommt es, daß es troßdem in einem folchen, ihm vielfach offenbar zu: 
wideren Lande wobnt ? 

Um nun nicht weiter bloß Lebrfätze vorzubringen, foll an zwei Beifpielen die 
Meinung ausgeführt und geftaltet werden. Gewählt feien das Germanifche Abend: 
land und das Morgenland. Leider ift es wegen der Anappbeit des dem Schreiber 
diefer Zeilen zur Verfügung ftebenden Raumes nicht möglich, den Gedankengang 
an den beiden Beifpielen lüdenlos durchzuführen. Der Kefer muß fich mit einem 
bloßen Umriffe zufrieden geben. Im Abendlande ift feelifche Bindung eng und 
organifch, deshalb auch folgerichtig und ftarke Elemente des Aufbaus enthaltend. 
Im Morgenlande aber ift fie eng und unorganifch, deshalb nicht folgerichtig und 
obne Syinleitung zu Auf= und Weiterbau. 


J andfdaft und Menfh im Germanifdhen Abendlande. Diefer 
Raum umfaßt den nördlich der Alpen gelegenen Teil Europas, der fich rund 
um YTord: und Bftfee fehließt. Lr beftebt in der Mitte aus den genannten Meeres⸗ 


Germanisches Abendland 


Nord: u. Ostsee 
Tief-u. Hügelland 
Bergland 


Oo 
—— — 





flächen, in einem darum gelagerten Ringe aus Tieflandſtücken, die vor der Ent— 
ſtehung der beiden Meere eine Einheit gebildet haben, und in einem aͤußeren Ringe, 
wenn man von der Oſtſeite abfiebt, aus Bergland. Der Raum ift alfo ein auf fic 
angewiefenes Ganzes, deffen einzelne Länder durch die See verknüpft und defjen 
einzelne Landesteile durch Slußniederungen, die von rundum zur See binftreben, 
untereinander und mit der See verflochten werden. Die Gejamtbeit fiebt fic 


12 Dolf und Raffe. 1932, I 





rein topograpbifd als eine gefchloffene Einbeit von rundlicher Geftalt an, ift es 
aber aud) morpbologifh. Tro der grundfägzlichen Derfchiedenbeit des Sormen= 
fchatzes, der von Meer und Ebene über Hügelei und Bergland bis zum KHocge: 
birge wechfelt, tritt nämlich als berrfchende Sorm fat überall die Ebene auf, fei 
diefe nun tifchflach oder fei fie, wie dod allermeift, leicht gewellt. Beim Meere 
ift dies felbftverftändlich. Die platten Ebenen und die niedrigen Hugellander ere 
Haren fich durch Auffebüttung loderer Gebirgsabfhbwennmungen oder Gletjcher: 
ablagerungen. Die welligen Gebirgsplatos aber find Teile des eingerumpften 





Abb. }. Standinaviſche Schrotbolztirde in Borgund, Hardanger. 


Dariszifcen Altgebirges, das fpater zerbrocen und in feinen Scollentrummern 
ungleich geboben wurde. Wenn die daraus entftandenen Zinzelgebirge nun auch 
an den Rändern tiefzertalte Bergwände bilden, fo näbern fie ficb doch in ihrem 
noch wenig angefreffenen Innern der Sorm welliger Ebenen. Selbft in manchen 
Teilen der Alpen, in Sonderbeit in dem öftlichen Teile, und noch mebr in More 
wegen ift dies Ser Sall. Die deutfchen Mittelgebirge befteben geradezu aus zwei 
verfchieden boben, in fich aber flachen Stodwerken: den breiten Talboden unten 
und den KHochplatos oben. 

Das Germanifche Abendland erfcbeint uns alfo als ein zumeift flacher, aber 
reichgegliederter, ftark bewegter und gut aufgefchloffener Raum von ftraffem Juz 
fammenbalte des Ganzen. yierzu kommt nun noch ein anderer, nämlich Elimati= 
fber Dorzug. Der Erdteil ift im Winter ganz bedeutend wärmer, im Sommer 
aber nur wenig wärmer, als es der Sonnenerwärmung in unferen Breiten ent= 
fpricht. Während die geringe fommerliche Überwärmung nichts fcbadet, ift die 
bobe winterlicdbe Überwärmung ein gar nicht genug zu preifender Vorzug, der 
nirgends auf Erden wiederkebrt. Sie beträgt nämlich im YTordweften um 20° 
und vermindert fich fUdoftwärts, und zwar erft an der unteren Donau, auf 0°. Die 


1932, I «Ewald Bänfe, Über den Zufammenbang von Landfdaft und Menfch. 13 
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Urfache liegt im Fordwärtsdringen des Golfftromes aus dem Atlant ins Lis- 
meer und in der Überwebung des Germanifchen Abendlandes mit milder, feuchter 
Seeluft, die es bewirkt, daß die Winterwarme von Weft nach Gft, nicht von 
Hord nah Süd abnimmt. Die Weftküfte KTorwegens bis zu den Lofoten binauf 
bat im Januar Temperaturen, die weiter öftlich erft wieder am Schwarzen Meer 
und unweit von Tokio auftauchen, während das in gleicher Breite mit den Lofoten 
gelegene Klordoftfibirien den Rältepol mit —50° bat. Die Bedeutung diefer Eli: 
matifdhen Bevorzugung beruht darin, daß der Gürtel kühlen oder gemäßigten 





Abb. 2. Llorwegifhe Landfhaft (Budbrandedal). 


Klimas bier und nur bier um ungefähr zwanzig, im Winter fogar um dreißig 
Breitengrade polwärts vorftößt, alfo viel breiter ift als fonftwo auf Erden. So 
Öffnet fich bier ein ungemein geräumiges Seld, in dem der Alenfch nicht durch über: 
ftrenge Winter abgefchredt oder ein halbes Jahr lang aus der KTatur ausgefchlof: 
fen wird — ein Seld, in dem der Winter vielmebr nur wenige ITonde dauert und 
oft nur für Wochen die Tätigkeit im Sceien unmöglich macht — ein Seld, das 
Getreides, Gemüfe:, Rartoffelbau bis in ziemlich bobe Breiten binauf gewäbrt 
und bier entwideltere Lebensweife verftattet als nur Sifcherei, Jagd und Ren: 
tierzucht — ein Seld, das damit alfo auch dauerndes Siedeln an fefter Stätte an 
Stelle von KTomadentum erlaubt. „yierdurch entftebt die AMiöglichkeit, daß der 
Menfd zu boberen Entwidlungsformen gelangt und nicht unbedingt von der 
Vatur verfnedhtet wird. Sur Landfdaftsbild und Wirtfchaftsart ergibt fich aus 
dem von der Seeluft fo ftark beeinflußten Klima, weldbes Regen zu allen Jabres: 
zeiten befchert, ferner, daß, wo nicht febr durchläffige Böden entgegen find, reicher 
Pflanzenwuchs überall und in zufammenbängendem Teppich ergrünt, und zwar 
Wald und Heide, Wiefe und Moor. Dies ermöglicht für den Menfeben den fiche- 
ren Betrieb der Landwirtfchaft allerorten, da der LTiederfchlag zur Ernäbrung 


14 Volt und Kaffe. , 1932, I 
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aller Pflanzen ausreicht, und es läßt die Befiedlung des Raumes in gleichmäßiger 
Dichte zu, die eigentlihe Wohnwüften nur im SGochgebirge kennt. 

In foldyer Landfchaft von grüner Bewachfenbeit und blauer Sernenfülle, von 
tublgrauer Bededtheit oder blauweißer Wollengeziertbeit des Himmels, von fols 
her Trächtigkeit der Pflanze und Weider, der Siedlungs: und Entwidlungsmögs 
lichteiten bat fich die weiße Raffe gebildet. In einer Ylatur alfo, die durch 
Arbeit erft ihre Gaben erfchließt, die Aufgaben fett, die fich erft einer geiftigen Ans 
firengung ergibt, die ein feelifches Ringen um fich verlangt. Es wird nicht bes 
bauptet, daß die fchöpferifchfte Kaffe der Erde nur und allein im diefem bevors 
zugteften Raum der Erde entfteben Bonnte — aber fie ift bier entftanden, und 
ver in Faturwerden und Menfchengefcheben mebr als blinden Zufall erblidt, der 
wird dod) ftugig. 

Wenn wir von der oftifchen und oftbaltifden Raffe, von den Mongolen und 
Dinariern und aud von der mittelländifchen Raffe als von Zumwanderern aus Sremd= 
land und von Anpaffungen an unfern Raum abfeben, fo handelt es ficy für uns nur 
noch um die nordifche und fälifche Kaffe, die bier entftanden find und die wir kurz: 
voeg als Weiße zufammenfaffen. Ihr Verbältnis zum Raume und feiner Sands 
fhaft und feinem Rlima und feiner Bewachfung und feinen Möglichkeiten ift eng 
und fachlich. In erfter Linie beruht es auf der Problematik der KTatur. Diefe ftellte 
von vornherein Aufgaben, die zu löfen und zu bewältigen waren und an denen 
jedes andere Raffentum, foweit wir von deffen heutigen Erfcheinungsformen wiſ⸗ 
fen, geſcheitert waͤre. Nur ein erfinderiſch veranlagter Raſſengeiſt konnte ſich dieſer 
Natur gegenuͤber als eine eigne Macht behaupten, jeder andere waͤre ihr Sklave ge⸗ 
worden. Nur ein ſolcher vermochte die landwirtſchaftlich notwendigen Geraͤte zu 
erſinnen, voran den wirkſamen Raͤderpflug und den Wagen, nur ein ſolcher die 
Tiere zu Arbeitsgefaͤhrten umzuzaͤhmen, beſonders Pferd und Rind. So bildete 
ſich eine ausgeſprochene Schoͤpferkraft heraus, da das Gewebe des Nervennetzes durch 
Beſtrahlung nicht geſtoͤrt, durch Bedecktheit vielmehr beruhigt wurde, da weiter 
der Geiſt immerwaͤhrend angeregt und beſchaͤftigt wurde, da er geſtuͤtzt auf aus⸗ 
reichende Hilfsmittel der Natur die Moͤglichkeit dauernder Verbeſſerung finden 
konnte und da die Durchgängigkeit des Raumes ftetigen Austaufch von Erfahruns 
gen ermöglichte und damit zu ewiger Derbefferung und Vollendung anregte. 

Bewiß, dies alles mußte vielleicht nicht fein und fommen, aber es ift nun 
einmal fo gewefen und ift fo gelommen. Alles was fonft über die weiße Kaffe 
gefagt wird, alles was darin über ihr Fliezufriedenfein mit dem Beftebenden und 
ibr ftetes Beffermadenwollen — und das ift doh Schöpfertraft — binausgebt, 
das feheint uns nicht ihr ureigentumlich zu fein und ift nicht aus der Befumtlands 
fchaft des Raumes zu erklären. Wegen des Seblens von Pla kann an diefer 
Stelle nicht darauf eingegangen werden. 


andfdaft und Menfdh im Morgenlande. Diefer Raum umgreift 
Yordafrita und Vorderafien. Er ift in entfcheidenden Dingen dem vorigen 
durchaus entgegengefetzt. Er erftredt fi über feine Ausdebnung bin als Sefts 
landsmaffe, Neer aber tritt nur an feinen Rändern, und nicht einmal an allen auf. 
Damit fehlt den Erdteile ein feine Teile vereinendes, ein von allfeits zugängliches 
und cin bequem verbindendes KZlement, denn eine große Seftlandsmaffe zerfällt, zus 
mindeft in Voreifenbabngzeiten, in eine Anzabl Räume, deren jeder feine Beziehuns 
gen in fich bat und Verkehr böchftens noch mit feinen LTachbarräumen pflegt, 
von deren Llachbarräumen aber durch zu weite und zu fehwierig überwindbare 


- in  _ „BER. 


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1932, 1 Ewald Banfe, Über den Zufammenbang von Landfdaft und Menfd. 15 





Entfernungen getrennt wird. Diefe im Seftlandscharalter an fich begründete FTei: 
gung zum Zerfall des Ganzen in Teile wird beim Morgenlande im befondern 
durch Erfcheinungen des Bodenbaus und des Klimas verftärkt. 


Der Aufbau des Raumes beftebt vorwiegend aus Tafelland, d. b. jöblig ge: 
lagerten Gefteinstafeln, welche die Meigung baben auf weite Slächen bin fich 
nicht zu verändern; nur gelegentlich bildet eine Stufe oder aber ein Tal eine Unter: 


Morgenland 





JiedelleereWiste [_1 SiedelanrmeWüste IM Wich£igsteStedelgebiete 
ee Grenze des.Erdteils Morgenlaod 


brecbung, und es kommt nur felten vor, daß Infelberge auftragen. Richtige Ges 
birge, die durch Auffaltung oder Schollenbruch entftanden find, gibt es zwar, 
allein fie liegen in den nördlichen Teilen gefondert und umjchließen ftets weite Auf: 
fbuttungshodflachen. Es wiederholt fich alfo eine Erfcheinung, äbnlich jener 
des Abendlandes, daß die Landform der Ebene allerwärts beftimmend ift, gleich: 
gültig um welche Wieeresböbe es fich handelt; die Ebenen des Wlorgenlandes find 
weniger gegliedert und machen eber einen tifchplatten Eindrud. 


Das Rlima ift ein heißes Trodenklima, da der Wind zumeift von Viorden 
ftebt und deshalb nur an den Klordfeiten der Gebirge größere Regenmengen nieder: 
fcblagen kann. Im weitaus größten Teile des Raumes ift es fo regenarm, daß 
der Boden nicht zufammenbängend bewachfen ift, ja vielfach vollig kahl bleibt. 
MWüfte und Steppe berrfchen vor, Wald tritt nur auf etlichen Gebirgen infel: 
formig auf. In Solge deffen wird der Zerfall des Erdteils in Einzelräumenament: 
lich durch die Verteilung der gewaltigen Wüften, die unbewobnbar und nur fchwer 
überfchreitbar find, verftärkt. Aber auch die nicht weniger Eleinen Steppen ver: 
nichten ibrerfeits die Reime größerer Zufammenbänge, trennen die vereinzelten 
und febr Heinen Gebiete möglichen Aderbaus und legen den Grund zu der großen 
Spaltung orientalifcher Alenfchbeit in Seßbafte und Schweifende, swifcben denen 
3 keine Brüde der Verftändigung gibt und die wie fremde Welten nebeneinander 
berleben auch da, wo fie die gleiche Sprache fprechen und in friedlichen oder Eriege- 
rifchem Austaufchverkebr fteben. 

Der Schauplatz fefter Siedlungen ift von Yiatur aus ganz Bein, denn er 
det fich böchftens mit dem freien Waldwuchje, wo allein der Fiederfchlag für 


16 Volt und Raffe. 1932, I 





befcbeidenere Rulturgewächfe ausreicht. Der Menfd bat ibn aber 3u vergrogern 
verftanden dadurch, daß er lodere Böden durch künftliche Bewäfferung, alfodurdh 
Regenerfag, fruchtbar machte. Dies find die Oafengebiete, in denen freilich nur 
durch angeftrengtefte Seld- und Beriefelungsarbeit Lrgebniffe zu erzielen find. 
Die morgenländifche Landfadaft fegt fich alfo aus drei ftreng voneinander ge: 
fhiedenen Sormen zufammen: aus der Wüfte, die auf die Ebaralterprägung der 
ortentalifdben Nenfadbeit an fic obne Einfluß ift — aus der Steppe, die den 
Wanderbirten gezüchtet bat — aus der Bafe, die den Sellachen berangebildet bat. 





Abb. 3. Sandwöülte. 


Die Steppe ift dürftiges Gras: und Rrautland mit heißer, aber gefunder Luft. 
Wegen ibrer kurzen Srüblingsregenzeit und ibrer langen Trodenzeit fowie wegen 
ihrer wenigen Wafferftellen müffen die Herden das ganze Jabr bindurch in Be- 
wegung fein und immer neue Weidepläge auffuchen. Die Hirtenbevölterung tft 
deshalb rubelos und feclifch auf ununterbrochenes Erwerben und Verteidigen neuen 
Raumes eingeftellt. Sie ift, obwobl fie keinen Seren anerkennt, durchaus nicht 
gefeglos, denn jeder Stamm wandert auf einer beftimmten Linie, die er vor ande: 
ren Stämmen zu verteidigen fucht. Einzig gegenüber den Sellachen der Bafen: 
gebiete gilt unbedingt das Recht des Stärkeren. Der bervorftechende Charalterzug 
der Wanderbirten ift Herrengefübl, das des Raumes nicht achtet und fich in der 
ungreifbaren Weite ficher füblt. 

Den graden Gegenfat dazu bildet die Bafe. Eine Oafe oder cin Oafengebiet 
ift üppig bepflanztes, in febwerer Sron beriefeltes und mübfam von Sandver: 
webung freigebaltenes Sruchtland mit Seld, Obftgarten und Palmbain auf dem 
gleichen, ftets Eleinen Stud Land. Bewäfferungsarbeit kann oft, Verteidigung 
gegen die Steppenbirten nur durch Gemeinfchaftsarbeit erreicht werden, und der 


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1932, 1 Ewald Banfe, Uber den Sufammenbang von Landfdaft und Menfd. 17 





verfügbare Platz ift ftets Bein und muß in ausgellügelter Weife 3uc Mugung fom: 
men. Desbalb boden die Sellachen dicht beieinander, und ihr Bli ift nicht in die 
Weite, fondern in die Enge gerichtet. Die Beforgnis um den mübfam errungenen 
Befig und das Seblen eines natürlichen Schutzes macht fie ängftlich und unfrei. 
Und außerdem, wie das fo gebt, wo viele Wienfchen auf einem Haufen fiten, 
bat fih früb Großkapital gebildet, das die breite Maffe verftlapt und in Schuld: 
Enechtichaft bringt. Deshalb ift der grundlegende Charakter der Sellachen Knechts- 
gefühl, das am engften Raume baftet und in ewiger Unficherbeit lebt. 





Abb. 4. Pflügen mit Srauen in der algerifben Sabara. 


Dies find obne Rüdficht auf raffifche und volklide Grundlinien die wich: 
tigften Beziebungen zwifchen Landfchaft und Wienfch in den beiden hHauptnatur⸗ 
gebieten des Morgenlandes. Darüber binaus aber läßt fich noch eine Beziehung 
erkennen, die beiden gemeinfam ift. Die Schwierigkeit der Lebensmöglichkeiten 
und dic Hitze des endlos langen Sommers, die Gedrüdtheit der weiten Slächen 
und die mitleidlofe Unabänderlichkeit des feuerblauen immels — alle vier wire 
fen auf den Hlenfchen läbmend cin und fegen feine Unternebmungsluft berab. In 
Solge deffen Fann er nicht auf grundfaglicbe Derbefferung übertommener Kultur: 
werte eingeftellt fein, fondern ift nur im Stande, fie zu erbalten foweit fie unbe: 
dingt notwendig oder eindrudsvoll find, ja es beftebt die FTeigung febwicrigere 
Rulturformen in Verfall geraten zu laffen. Diefe Sragen find 3. T. folche der Zu: 
fubr fremden Blutes: abendländifchen Blutes für den KTeubau, negerifchen Blutes 
für den Derfall. 


Ts der Rürze und daraus fich berleitender Lüdenbaftigkeit der Darlegung 

mag als Ergebnis dafteben, daß die feclifche Bindung zwifchen Landichaft 

und Wienfch im Abendlande enger verkettet ift und förderfamer als ım Morgen: 

lande. Der abendländifche Charakter leitet ficb unmittelbar aus der YTatur ab, er 
Dolf und Raffe. 1932. Januar. 2 


18 Volt und Raffe. 1932, 1 
Ln SR a RE ur es Ne oe ee ee 


fpiegelt ibre beften Wiöglichkeiten, die anfcheinend unerfchöpflich find und zu ewig 
erneuter Selbftbeweifung des Menfchen führen. Der morgenlandifde Charatter 
dagegen tritt zu der Klatur in Widerfprud, er vermag fich nur dadurdh in ihr zu 
behaupten, daß er fie überliftet, ihre ,,Sebler’’ verbeffert und ihre Allgewalt unter: 
läuft. Während der Abendländer Zujammenfaffung und Spite feiner landfchaft: 
lichen Eigenart bildet, ıft der Worgenländer Widerpart und Widerfinn zu der 
feinen. Der Europäer lebt mit und wegen feiner Landfchaft, der Drientale ihr 
zum Trog und zum Hohne. Die weiße Kaffe ift in ihrem Raume entftanden und 
ohne ihn nicht denkbar, die braunen Wifchraffen des Südens entbalten Blutes: 
elemente, die anderswoher ftammen und in das Morgenland eingerüdt find, fie müf: 
fen nicht unbedingt grade Orientalen fein. Go gibt es feine fcblecthin morgen: 
landifdbe Raffe, die für den ganzen Raum bezeichnend wäre, fondern es finden fid 
nur Anpaffungsformen verfchiedenfter Särbung zwifchen Weg und Schwarz, 
deren ganzes Sinnen und Tradıten darauf binausläuft, fich in der feindfeligen 
Yiatur 3u behaupten, die alfo durchaus materiell eingeftellt find und dumpfböbe: 
ren Schwung böchftens dann erhalten, wenn es fich um die Derfechtung religidfer 
- Vorftellungen banbdelt. 


Bildnis eines 
Weftgotenfonigs Ser Dolferwanderungszeit. 


Don Univ.-Prof. Dr. YW. Capelle, Samburg. 


De bedeutſame Tatſache, daß die uns erhaltene antike Literatur noch manchen 
ungehobenen Schatz an koſtbarſter Runde von den Germanen in der erſten 
großen Periode ihrer Geſchichte birgt, iſt leider immer noch viel zu wenig be⸗ 
kannt!). Das gilt insbeſondere von der ſpaͤtantiken Literatur fuͤr die Zeit ſeit Be⸗ 
ginn der Voͤllerwanderung. Davon ſoll hier dem Leſer dieſer Zeitſchrift ein Bei⸗ 
ſpiel vor Augen gefuͤhrt werden, das, ſchon an ſich ein Rabinettſtuͤck von Schilde⸗ 
rungskunſt, ein wahres Rleinod der Germanenkunde iſt. Es iſt ein Brief des 
roͤmiſchen Gallies Sidonius Apollinaris, der uns auf Grund eigener, ge⸗ 
nauer Renntnis die Perſon und Lebensfuͤhrung des Weſtgotenkönigs Theo—⸗ 
dor ich II. mit ganz intimen Einzelheiten ſchildert, die er nur bei wiederholten Be⸗ 
ſuchen am chofe des Koͤnigs ſelber beobachtet und erfahren haben kann. Dieſer 
Sidonius Apollinaris, von dem uns eine große Anzahl von Briefen und auch Ge⸗ 
dichten, leider in ſehr geſchraubten und durchwegs rhetorifch ftilifiertem Latein, 
erhalten ſind, das ſelbſt dem Philologen im einzelnen oft ſchwer verſtaͤndlich iſt, 
wurde etwa 430 n. Chr. im ſuͤdlichen Gallien, in Lugdunum, dem heutigen Lyon, 
als Sohn einer altadligen Familie des Landes geboren. Etwa im Jahre 470 
wurde er Biſchof von Arverni, dem heutigen Clermont. Sidonius Apollinaris ge⸗ 
hoͤrt, wie ſein Schwager Ecdicius, zu jenen vornehmen und hochgebildeten Maͤn⸗ 
nern, die in Gallien die roͤmiſche Macht, auch noch nachdem die wilde Hunnen⸗ 


1) Vgl. hieruͤber meine Ausfuͤhrungen in meiner Schrift „Die Germanen im Fruͤh⸗ 
licht der Geſchichte“ (Leipzig 1928) S. baff. Sür die Germanen bis zur Völkerwanderung 
kann davon jetzt der Inbatı meines Buches „Das alte Bermanien”“ (Die Clacdhridten der 
Griehen und Römer) — Srübgermanentum Bd. I, Jena, Eugen Diederiche, 1929 einen 
wirklichen Begriff geben. 


— —— — un. 


1932, 1 DO. Capelle, Bildnis eines Weftgotentdnigs der Ddlterwanderungsszeit. 19 


woge unter Attila auf den Catalaunifcen Seldern zerfchellt war, gegenüber den im 
Lande als Eroberer figenden Weftgoten nah Möglichkeit aufrechtzuerbalten fuch- 
ten. Um fo wertvoller ift für uns feine Schilderung ihres Rönigs Theodorich II., 
da er von Haufe aus von jeder Doreingenommenbeit für diefen durchaus frei ift 
und ibm trogdem — vielleicht halb wider Willen — in feinem Brief, der offen 
bar noch zu Lebzeiten des Rönigs gefchrieben ift, ein unvergängliches Dentmal 
gefegt bat, das von mir im folgenden in eigener Überfetzung des fchwierigen Dri=- 
ginals vorgeführt werden foll. 


Theodorich II., der im Jahre 453 nad) Ermordung feines Bruders Thoriss 
mund König der Weftgoten wurde, bat auch in der Befchichte eine erhebliche Rolle 
geipielt. Insbefondere bat er den Arverner Epardhius Avitus, einen der vors 
nebmften Ballier damals, der nicht nur im Befitz böchfter römifcher Bildung, fons 
dern auch ein tapferer Arieger war, im Jabre 455 zum weftrömifchen Aaifer ges 
macht und ift im folgenden Jabr in deffen Auftrag mit feinen Boten über die Pyres 
nden gegen die im nordöftlichen Spanien plündernden Sueben des Rönigs Recdiar 
gezogen. Flacdy mehreren Siegen uber dic Gueben 30g er in die Stadt Bracara 
(nordlid) der Dueromindung) ein; Ronig Recdiar wurde bald darauf gefangen 
und dann bingeridtet. Cheodorid aber drang mit feinen Goten weiter (udwarts, 
bis tief nad Lufitanien (Portugal) binein, wo er fogar die Stadt Augufta Emerita 
(das beutige Merida am Guadiana, auf der Breite von Kiffabon) einnabm. Das 
gefchichtlich bedeutfame Ergebnis diefes Zuges ift die Seftfegung der Weltgoten in 
Spanien, wo dann ihr Reich bis zum Einbruch der Araber beftanden hat (71) n. 
Ebr.). Im Jahre 466 wird Theodorid in feiner HBauptftadt Tolofa (Touloufe) 
durch einen jüngeren Bruder (Zurich) ermordet. 


Um fic aber angefichte des bier folgenden Briefes, der ein für jene Zeit eins 
zigartiges Bild von der Perfönlichkeit eines Germanentonigs gibt, deffen Vater, 
Theodorih I., im Jabre 451 in der Schlacht gegen Attila gefallen war, eine biftorifch 
richtige Vorftellung von der geiftigen und überhaupt kulturellen Bildung des 
Rönigs und feiner Brüder zu machen, ift es nicht unwichtig, zu wiffen, daß jener 
vorbin genannte Avitus, der fpätere Raifer, noch unter der Regierung des Rönigs 
Theodorich I., alfo vor dem Jahre 451, bei feinen regelmäßigen Befuchen am Fyofe 
des Könige deffen Sdbne (alfo aud den fpdteren Theodoridy IL.) in das Romifae 
Recht und die lateinifche Literatur eingefubrt bat, und daß — ficher mit infolge 
biervon — Theodorids II. jüngerer Bruder und Flachfolger, der fpätere Konig 
Zurich, der erfte germanifche Surft ift, der feinem Doll ein — in lateinifcher 
Sprade — gefchriebenes Befegbuch gegeben bat, wie er auch als erfter Germanens 
törig Steuern nach römifchen Mufter von feinen Untertanen bat einzieben laffen. 

Was aber die Glaubwürdigkeit des folgenden Briefes anlangt, fo trägt troß 
der rbetorifchen Sorm, die fich insbefondere in den ftändigen Antithefen zeigt, jeder 
Sat fozufagen den Stempel der Wahrheit der Schilderung, die — wie auch der 
Inbalt an mebr als einer Stelle zeigt — auf unmittelbarer perfönlicher Aenntnis 
des Derfaffers berubt, der ganz offenbar den Rönig genau gelannt und beobachtet 
und ficher mebr als einmal an feinem Aofe geweilt bat. Übrigens bat möglichers, 
wenn nicht wabrfcheinlicherweife daneben der genannte Avitus, deffen Tochter fpä= 
ter Gidonius Apollinaris gebeiratet hat, dem Verfaffer des Briefes diefe oder jene 
Einzelbeit mitgeteilt, da er ja, wie wir faben, früber ein häufiger Gaft am Hofe 
Rönig Theodoricdhe I. gewefen ift. 

Dod nun folge der Brief felbft, in möglichft getreuer Überfezung. 


2* 


20 Dolt und Kaffe. 1932, I 
EEE EEE — 





Sidonius grüßt ſeinen Agricola. 

Weil der Ruf des Gotenkoͤnigs Theodorich den Voͤlkern ſeine Leutſeligkeit 
ruͤhmt, haſt Du mich oft gebeten, Dir einmal im Briefe zu ſchildern, wie er aus⸗ 
ſieht und was fuͤr ein Leben er fuͤhrt. Ich komme gern Deinem Wunſche nach, 
ſoweit es der Umfang eines Briefes geſtattet, und freue mich dabei uͤber die Offen⸗ 
heit, mit der Du mir eine ſo waͤhleriſche Neugierde verraͤtſt. 

Alſo, er iſt ein Mann, der verdient, auch von denen gekannt zu werden, die 
ihn mit weniger freundlichen Blicken betrachten; ſo ſehr hat Gott bei ſeiner Ent⸗ 
ſcheidung und das Walten einer ihr Hoͤchſtes leiſtenden Natur im Verein mit den 
Gaben des Gluͤckes ſeine Perſon auf den Gipfel der Vollendung gebracht. Sein 
Weſen aber iſt ſolcher Art, daß ſein Ruhm nicht einmal durch den Neid auf ſein 
Koͤnigtum beeintraͤchtigt werden kann. 

Wenn Du nach ſeiner Geſtalt fragſt: er iſt ein Mann von volllommenem 
Koͤrperbau, an Leibesgroͤße unter dem Hoͤchſtmaß, doch ſchlanker und ſtattlicher 
als Maͤnner von mittlerer Groͤße. Die Ruppe ſeines Ropfes iſt wohlgerundet, an 
ihr lockt ſich das Haar, das von der Stirn nach dem Scheitel zu etwas zurückweicht. 
Sein Nacken iſt nicht etwa von Fettpolſtern verdidt ?), fondern von Sehnen geftrafft. 
Seine beiden Augen uͤberwoͤlbt ein buſchiger Bogen von Brauen. Wenn er aber die 
Augenlider ſenkt, reicht der Rand ſeiner Wimpern faſt bis zur Mitte ſeiner Wangen. 
Seine Ohrlaͤppchen werden, wie es bei ſeinem Volk Sitte iſt, durch Buͤſchel daruͤber⸗ 
bangender Haare verdedt. Die Klafe ift in anmutigfter Weife gefbwungen). Die 
Lippen find fhmal und nicht durch verbreiterte Winkel des Wiundes vergrößert. 
Die Haare, die unterhalb der Kiafenböble bufhig wachen, läßt er täglich ſchnei⸗ 
den4). Gein Bart ift an den Schläfenmulden raub; da, wo er in der unteren Partie 
des Befichtes bervorfproßt, nimmt ihn der Scherer beftändig mit Stumpf und Stiel 
von den noch jugendfrifchen Wangen fort. Die Haut von Kinn, Reble und Yale, 
der nicht mager ift, fondern von Kraft ftrogt, ift weiß wie Wilh; wenn man 
fie aus der Lläbe betrachtet, fieht man, daß fie durch jugendliche Röte unterftrömt 
ift, denn diefe Sarbe gibt ihm oft nicht etwa der Zorn, fondern fhambafte Sittfam- 
keit. Seine Schultern find rund, wie gedrechfelt, feine Oberarmmusteln ftar, feine 
Unterarme bart, feine Fyände breit, feine Bruft gewoölbt, während der Leib zurüd: 
tritt. Die Släche des Rüdens fcheidet das KRüdgrat, das zwifchen den Erböbungen 
der Rippen tiefer liegt. Beide Seiten find voll von Ballen, da die Yluskeln bervor- 
treten. In den gedrungenen Weichen berrfcht Spanntraft. Die Oberfchentel find 
bart wie Korn, die Belentzwifchenräume der Rnieleblen find durchaus männlich; 
die größte Pracht aber zeigt fich in den Anien (felber), die keine Spur von Runzeln 
aufweifen. Die Unterfchentel ftügen fih auf fehwellende Waden, und die Süße 
find, wenn man bedentt, daß fie diefe ftattlihen Glieder zu tragen baben, von 
mäßiger Größe. 

Wenn Du nad feiner täglichen Befchäftigung fragft, die für den Blid von 
außen offen daliegt, fo wiffe: die Derfammlungen feiner Priefter >) vor Tagesan: 

2) Der Tert der drei vorbergebenden Worte berubt nur auf Vermutung. 

3) Nasus venustissime incurvus beißt es im Original; was bier m. €. nur auf 
leicht gebogene Adlernafe geben kann. 

4) Alfo im Gegenfag zur keltifchen Sitte des ungelürzten Schnurrbartes. 

5) D. b. die von feinen Prieftern geleiteten Gottesdienfte. „Seiner Prieiter” fagt 
der Batbolifche Bifhaf Sidonius von den hriftlichen Geiftlicben des Weftgotentdnigs, da 
diefer mit feinem Dolke arianifader Reger (nach katbolifher Auffaffung) war. „Ver: 
fammlungen (coetus) nennt er daber die in feinen Augen illegalen Bottesdienfte (bier die 
Srübmefje) der Weftgoten. 


- 





1932, 1 XD. Lapelle, Bildnis eines Weſtaotenkoͤnigs der Voͤllerwanderungszeit. 21 


bruch beſucht er mit ganz kleinem Gefolge; mit großer Befliſſenheit bezeugt er 
ſeine Ehrfurcht, wenn man auch, unter uns geſagt, bemerken kann, daß er jene 
fromme Sitte mehr aus Gewohnheit als aus innerer Überzeugung beobachtet. Den 
uͤbrigen Teil des Morgens nehmen Regierungsgeſchaͤfte in Anſpruch. Um des 
RKoͤnigs Stuhl ſtellt ſich ſein bewaffnetes Gefolge; damit die Schar ſeiner Mannen 
in ibren Pelzen nicht feblt, wird fie zugelaffen; damit fie xaber> nicht durch ihren 
£ärm ftört, wird fie über die Schwelle verwiefen, und fo murmelt fie draußen vor 
der Tür, außerhalb der Vorhänge), doch innerhalb des Gebeges. Unterdeffen hort 
er, nadhdem die Befandtfchaften anderer Völker vorgelaffen find, gar Vieles, ant- 
wortet Weniges. Wenn etwas weiterer Behandlung bedarf, vertagt er es; wenn 
etwas erledigt werden muß, befchleunigt er es. 

Die zweite Stunde des Tages’): dann ftebt er von feinem Sitz auf, um der 
Befichtigung der Schaglammern oder der Ställe) eine Weile zu widmen. Denn 
er 3ut Jagd aufbridt (die vorher angefagt ift), bält er es für unter feiner Lönig: 
lichen Würde, einen Bogen an feiner Seite zu gürten; doch gibt ihm fein Anappe, 
wenn ibm der Zufall auf der Jagd oder fonft unterwegs einen Dogel oder fonft 
ein Stud Wild in Schußbereich bringt, diefen in feine hinter den Rüden ausge: 
ftredte Fand, während noch die Sehne oder die Lederfchnur daran lofe herunter: 
hängt; wie er es für Inabenhaft hält, ihn in einem Sutteral zu tragen, fo balt er 
für Weiberart, fic ihn fchon gefpannt reichen zu laffen. Bald fpannt er ibn dann, 
nachdem er feine Enden gegeneinander gebogen bat, bald folgt er, nachdem der 
Teil des Anotens nach der in der Schwebe befindlichen Serfe zugetebrt ift?), der 
fhlaffen Schlinge der hin und ber baumelnden Sehne mit darüberhin gleitendem 
Singer, und bald nimmt er Pfeile, legt fie auf die Sehne!) und fchnellt fie ab. 
Oder er läßt Dich vorber fagen, was Du getroffen feben mödhteft; Du wäblft 
aus, was er treffen foll: was Du gewählt haft, trifft er, und, falls einer von 
Euch beiden irren foll: feltener gebt der Pfeil des Schützen fehl als das Auge des 
Sielbeftimmere. 

Wenn es 3um Mable gebt, das freilid) am Alltag dem eines einfachen Mannes 
ähnlich ift, fo fegt Sort nidt etwa ein keuchender Truchfeß einen ungepugten 
f,0ufen blauangelaufenen Gilbergefcdirrs auf einen fic) biegenden Cifd: das grogte 
Gewidt liegt dann in der Unterbaltung, da dort entweder gar nidt oder Ernftes 
gefproden wird. An getriebenem Gefdire und an Deden wird bald purpurfarbe- 
ner, bald leinener Hausrat auf den Tifch gebracht 11). Die Speifen gefallen durd) 
Runft !?), nicht durch Roftbarkeit; die <einzelnen» Gerichte durch ihr verlodendes 
Ausfeben, nicht durd) ibre Menge. Le kommt eher vor, daß der Durft <des 
Baftes> uber zu feltenes Anbieten von Bechern und Trintfchalen Magt als daß die 


6) Die des Rénigs Gemad von dem Porraum fdhieden. 

7) Man begann damals den Tag morgens, nach Sonnenaufgang. 

8) Sreude an feinen Pferden ift fur einen Germanentdnig, der felber zuerft und vor 
allem Krieger und Heerfisbrer ift, etwas ganz YTatürliches. 

9) Im Original lautet die Stelle: ad talum pendulum nodi parte conversa. 
Syier verftebe ich unter dem „Teil des Rnotens“ dasjenige Ende des Bogens, an dem die 
Schne feftgelnotet ift, unter „talum pendulum“ den etwas vom Boden erhobenen Fuß 
des Königs, gegen den er das eine Ende des Bogens ftemmt, um von unten (da wo die 
Sehne angelnotet ift) anfangend mit den Singern die Sehne — auf etwaige Schäden —- 
abzutaften. 

10) Im Original ftebt bier implet, wofür ich imponit vermute. 

11) Der erfte Teil des Satzes (torennatum peripetasmatumque) ftimmt nicht ganz 
zum zweiten. “hier fcheint der Tert des Originals nidt ganz in Ordnung. 

12) Des Rochs. 


22 Volt und Raffe. 1932, I 





Truntenbeit ein Zuviel ablehnt. Kurz, feben kannft Du dort der Griechen feinen 
Gefdhmad, gallifhen Reichtum, italifhe Gefdwindigkeit, Prunt von Staats 
wegen, die aufmertfame Bedienung eines Privatbaufes und die Dienerzucht eines 
Konigshofs. Don jener Pradt aber am Sabbat kann meine Schilderung abs 
feben, da fie nicht einmal verborgenen Perfonen verborgen bleiben kann. 

Dod zurüd zu meiner Schilderung! Wenn er gegeifen bat, folgt oft gar 
kein Mittagsfchlaf, ftets aber nur ganz kurz. Um diefe Zeit des Tages bat der 
Mann fein Dergnügen am Brettfpiel; dann greift er rafch die Würfel, betrachtet 
fie mit Spannung, f&hüttelt fie mit Routine, läßt fie mit viel Temperament fal: 
len, feuert fie fcherzend an und wartet dann in Geduld. Bei guten Dürfen 
fhweigt, bei fhlecdhten lacht er; bei keinem von beiden regt er fich auf; in beiden 
Sällen gibt er fic) wie ein Pbilofopb 13). — Würfe zweiten Ranges verfchmäbt 
er zu fürchten oder zu tun; bietet fic) ibm günftige Gelegenheit zu folchen, läßt 
er fie unbeachtet; find fie ibm entgegen, übergeht er fie. Obne Erregung gebt das 
Spiel aus; ohne Scherz (mit feinem Partner) ftebt er auf. Man könnte glauben, 
daß er auch beim DBrettfpiel die Waffen führe: nur auf den Sieg ift fein Sinn 
gerichtet. 

Wenn er ans Spiel gebt, legt er fo lange die königliche Strenge ab und ruft 
zum Spiele zwanglofes Wefen und Rameradfchaft herbei. Ih will Dir fagen, 
was ich denke: er fürchtet, gefürchtet zu werden. Und zum Schluß bat er fein Bee 
bagen an dem Arger des Befiegten, und erft dann glaubt er, daß ihn fein Mit- 
fpieler nicht bat <abfidtlic&> gewinnen laffen, wenn ibn der Arger des anderen 
von der Wirklichkeit feines Sieges überzeugt. Und — worüber man fich wundern 
tonnte — oft führt jene Sreude <des Aönige> , die aus fo geringfügigen Anlaß 
entfpringt, wichtige Unterbandlungen zu glidlidem Ausgang. Dann tut fic 
für Befuche, die vorher lange durd) Schiffbriche ihrer Sürfprecher bin und ber 
geworfen find, der Hafen plöglicher Erfüllung auf, dann werde auch id), der ich 
vorbabe, ibm eine Bitte vorzutragen, zu meinem Glud befiegt, weil ich zu dem 
Ende das Spiel verliere, daß ich in meiner Sache gewinne. 

Um die neunte Stunde !t) wird die Mübfal der Regierungsgefchäfte wieder 
wad: es fommen wieder Leute, die <beim Ronige anflopfen wollen; es fommen 
aber auch die Trabanten wieder, die fie zurüddrängen; überall lärmt der Andrang 
der DBittfteller unter Zant und Streit, der fic bis zum Abende binziebt und erft 
abflaut, wenn das Mahl des Rönigs dem ein Ende madt; dann werden fie durch 
die Hofbeamten der Reibe nad, entfprechend den verfchiedenen Rang ihrer Sürs 
fprecher, zerftreut, um bis zu nadhtfchlafender Zeit draußen zu lagern !>). 

Möhrend der Mahlzeit <des Rönigs> werden freilih, wenn aud) felten, 
Spaßmadher und Witbolde eingelaffen 6), dod) mit dem Beding, daß kein Gaft 
durd) die Galle einer biffigen Zunge verlegt wird. Doc läßt man <diefe Art 


13) D. b. zeigt er vollendeten Gleichmut. 

14) Begen 2 Uhr nachmittags, wenn der Tag um 6 Uhr morgens begann, was [ich 
aber mit der Jahreszeit änderte. 

15) Manche hofften offenbar immer nod, an dem Tage (nad der Abendmablzeit des 
Königs) vorgelaffen zu werden. Möglich audy, daß mandye, die von weit ber getommen 
waren, tein Obdadh batten und daber im Sreien ubernacteten, vermutlich in nächfter Yiäbe 
des königlichen Palaftes, um womdglih am andern Morgen gleich „daranzukommen“. 

16) Eine ungermanifche, aus Rom bzw. Byzanz ftammende Sitte, worüber zundchft 
auf die anfchauliche Skizze von Buftav Sreytag, Bilder aus deutfcher Dergangenbeit II ı, 
445 ff. verwiefen fei. Dgl. aud die treffenden Bemerkungen von Guftav Filedel, Germanen 
und Relten ©. 83. 


1932, 1 WW. Capelle, Bildnis eines Weftgotentdnigs der Ddllerwanderungsseit. 23 
EEE EEE 


£eute gelegentlich ein), weil dort am Hofe weder Wafferorgeln ertönen noch unter 
£citung eines Gefangmeifters ein Chor von Sängern ein eingeübtes Stüd zum 
PVortrage bringt; dort lagt fic) tein Leierfpieler, Stdotenblafer, Chormeifter, aud 
keine Pautenfchlägerin oder Zitberfpielerin horen, da der Konig nur durch jenes 
Saitenfpiel erbaut wird, durch das Wlännertugend das Gemüt ebenfo ergögt wie 
der Gefang das Gebdr. 

Wenn er vom Tifche aufgeftanden ift, treten die Mannen des Hof(duges 3uc 
nächtlichen Wade an; Bewaffnete treten an die Zugänge zum Haufe des Rönige, 
durch die die Stunden des erften Schlafes bebütet werden. 

Dod was gebt das mein Unternehmen an! Jc babe Dir ja nicht viel von 
der Herrfdaft des Ronigs, fondern nur etwas über feine Perfon mitteilen wollen. 
Es ift auch Zeit, mein Schreiben abzufchließen, zumal aud Du nur die Befchäftis 
gungen und die Perfon des Mannes kennenlernen wollteft, und ich bier nicht Bes 
fehichte, fondern einen Brief habe fchreiben wollen. Lebe wohl. 

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Flur ein ganz turses Viadwort fei dem ,, Bildnis diefes Weftgotentdnigs 
beigegeben, um deffen Wirtung auf den Lefer nicht abzufchwächen. Denn es kann 
bier nicht meine Abficht fein, den Brief des Sidonius Apollinaris im einzelnen zu 
tommientteren. 

Dom Standpuntte der antiten Anthropologie aus gefeben, die wir dank der 
Sorfdung des legten Menfdenalters dod) recht genau tennen, vermiffen wir in 
der Befchreibung der dugeren Erfceinung des Kdnigs eine Angabe über die Sarbe 
feiner Augen und feines Ayaares. Das erklärt fich vielleicht mit daraus, daß Si: 
donius Apollinaris nicht raffentundlid ,,eingeftellt ift; wohl daber fallen ibm 
unter den vielen Weftgoten in Gallien deren Augen: und Syaarfarbe kaum noch 
auf. Und auch unter den Galliern jener Zeit waren ficher noch blaue oder graue 
Augen und blonde Haare die Regel. Wunder nimmt dagegen, daß er gar 
nichts über den Befichtsausdrud des Königs, insbefondere den feiner Augen, fagt. 
Don „truces et caerulei oculi* (Tacitus’ Germania) béren wir daber nichts. 
Wir erfahren leider auch nichts von der Tracht und Bewaffnung des Aönigs, 
obgleich dies ein Gebiet ift, das durchaus im Blidfelde des Verfaffers liegt, wie 
ein anderer Brief von ihm über den Aufzug eines jungen Germanenfürften zeigt, 
der vielleicht fpäter einmal in diefer Zeitfchrift veröffentlicht werden kann. — 
Bei cer Beichreibung der Beftalt des Rönigs gebt der Verfaffer fpftematifch all: 
mäblidy vom Ropf bis zu den Süßen binab. 

Banz weniges fei noch zu dem zweiten Teile des Briefes, der Schilderung 
des gewöhnlichen Tageslaufs des Könige, bemerkt. Da ift u. a. von befonderem 
Intereffe die Haltung des Königs beim Brettfpiel, das offenbar fein befonderes 
Dergnügen war. Wenn man diefe Haltung recht würdigen will, mag man eins 
mal die bekannte Stelle in der Germania 24 vergleichen, wo Tacitus von der 
Spielleidenfchaft der Germanen beim Warfeln fpricht, die fie manchmal dabin 
treibt, die eigene Perfon zu verfpielen und fo für Zeitlebens der Sklaverei zu vers 
fallen. ®der man erinnere fic einmal daran, daß laut Angabe des Paulus Diacos 
nus der Herulertönig Rodulfus und laut der des Sredegar ein frantifcder Maus: 
meier wabrend einer GSchladt wie gebannt bei ihrem Brettfpiel figen bleiben. 
Cheodorids Haltung dagegen zeigt bei all feiner Sreude am Spiel eine fchöne 
Scebftbeberrfchung, wie andrerfeits die ganze Art, wie er fic beim Spiele, aud 


24 Dolt und Kaffe. 1932, I 





den Mitfpieler gegenüber, gibt, einen Zug von Fyumanität zeigt, der vielleicht mit 
eine Srucht antiter Bildungseinflüffe ift. Hervorgeboben fei dann nody die böchft 
bezeichnende Tatfache, daß beim Mable des Königs nicht nur auffallende Mäßig- 
keit berrfchte, fondern daß dabei nur von ernften Dingen gefprochen wurde oder 
gar nicht. Das erfcheint mir freilich echt germanifch, wie denn der Rönig an gries 
Hifdh-rdmifden Poffenreigern und Gaullern offenbar wenig Gefhmad findet und 
etwaige bosbafte Anzüuglichkeiten diefer „fahrenden Leute‘ auf feine Gafte von 
vornherein ausschließt. Klacy all diefem mag der Lefer felber ermeffen, wie unges 
recht und verkehrt das Urteil von Otto Seed uber den Rönig ift, wenn er ihn 
als Zwar gutmütig, „aber noch ganz barbarifch‘‘ bezeichnet 17). 

Das Gegenteil erfcheint richtig, und gerade dies Bildnis eines Germanen: 
tonigs aus der Odllerwanderungs3eit ann jedem Unbefangenen aufs neue zeigen, 
daß die noch immer bier und da berrfchende Anfchauung von den Germanen zu 
Beginn ihrer Gefchichte als wilden Barbaren — von einzelnen Sällen, die überall 
vorfommen, abgefeben — der biftorifhen Wahrheit durchaus widerfpricht. 


Egerlaͤnder Art. 


Eine voltstundliche Unterfuchung. 
Don Dr. Jofef Hanifa, Prag. 


Wit 1 Abbildung. 


„Es ift ein waderes, abgefchloffenes Völtchen. 
Id babe die Egerländer wegen ihrer beibebals 
tenen Rleidertracht, die ich in früberen Jabren 
wabrnabm, lieb gewonnen. 3. WD. Goethe. 


a" der Llordweftede des bdbmifcden Bedens ftoßen vier Gebirgszüge aufeinans 
der: der Böhmerwald und das Erzgebirge, der Raiferwald und das Sichtel- 
gebirge. Wir treffen aber an diefer Stelle keinen gewaltigen Gebirgstnoten. In 
uralten Zeiten bat fid) dort das Land geſenkt und fo einen weiten Talteffel ge: 
bildet. Wenn wir auf den Rammerbühl binauffteigen, einen Beinen verlofchenen 
Dullan, auf den Goethe des öfteren feine Vorliebe für geologifche Studien führte, 
können wir diefes Ländchen trefflich überfchauen. 

Rings umrabmen den Talkeffel mit dunklem Sichtenwald bededte Berge, die 
einander ihre Ausläufer zufchiden. Dazwifchen breitet fih das Land aus: Grime 
Wiefenflädhen, brdunlice Moorftreden, weite Slächen Aderbodens, gligernde 
Teiche, Ortjchaften und Einzelböfe darüber hingeftreut. Der Blid auf die Eger: 
ftadt ift uns bier verwehrt, aber aus den fchattigen Parkanlagen leuchten die 
vornehmen SHäufer von Sranzensbad herauf. Don Weft nad) Oft wird diefes 
„engere“ Lgerland von der Eger durdfloffen, die ihr braunliches Waffer in uns 
zähligen Rrümmungen durch die Wiefenftreden fchlingt, die ihre flachen Lfer 
bekleiden. Don allen Gebirgen, die den Bau wallförmig umgeben, nimmt fie 
Sufluffe auf, die den Grund des Keffels in eine Anzahl langgezogener Rüden 
teilen. Zu den Kigentümlichkeiten des Egerlandes gebdren die deutlichen Spuren 
einer vullanifchen Tätigkeit: die Heinen erlofchenen Dullane, die zahlreichen Säuers 


17) Gefdidte des Untergangs der antilten Welt, Bd. VI S. 363. 


1932, I Jofef Hanika, Egerländer Art. 25 





linge, die den gegen die fumpfigen Lliederungen gelegenen Dörfern wohlfchmedens 
dea und gefundes Trintwaffer liefern und vor allem die Mineralquellen der Rurs 
orte und in Zufammenbang damit die WMineralmoore von Sranzensbad. 

Den Mittelpunkt des Gebietes bildet die feit der Mitte des 11. Jahrhunderts 
urkundlich erwähnte Reichsftadt Eger. Sie wurde zum ARnotenpuntt von feche 
Babnlinien: zwei böhmifchen, drei bayrifdben und einer fadfifden. Hier ift das 
weftlide ,infallstor in die böhmifche Seftung“. 

Diefe Landfchaft ift die Rernlandfchaft des Egerländer Stammesgebietes, das 
„engere“, „biftorifche‘ Egerland. Daran fchließt fid) das in jabrhundertelanger 
Siedlertätigleit durch den Stamm erworbene fogenannte „weitere Lgerland. 
Zunähft das Lgertal weiter mit Elbogen und Karlsbad bis dorthin, wo das 
Duppauer Gebirge die Eger an das Krzgebirge preßt. Kinen großen Raum 
nimmt dann eine breite, nach Llorden und Weften fteiler abfallende, nach Süden 
und GÖften gemady verflacdhende Hodebene ein, deren aufgeworfener Liordrand als 
Raiferwald und Rarlsbader Gebirge bekannt find, während der übrige Teil als 
Cepler Hochland bezeichnet wird, das nach orden von der Tepl, nah Süden von 
der Schnella und dem Lieumarlter Bach durdfurdht wird. Die Hochfläche ift 
raub und eintönig. Heide, Moore, Wealdftreden und dürftiger Aderboden wechfeln 
ab. In den gebirgigen Teilen berrfcht der Wald vor und auch über den größten 
Teil des füdlichen Abfalles des Hochlandes breiten fich ausgedehnte Waldungen 
aus, immer wieder von Aderflächen durchbrochen. Im Weften diefes weiteren 
Egerlandes erhebt fidh der nördliche Böhmerwald zwifchen den ftärker bervors 
tretenden Bergen der Schwarztoppe und des Tillen. Auch diefes Waldgebirge 
dacht fich gegen Often zu in eine Hocfldde ab und erfceint daber von dortber 
als niedriger Bergwall mit welligen Umriffen der fanft gewölbten Ruppen und 
Rämme. Im Innern des Gebirges find faft nur Sdrfters und Hegerbaufer zu 
finden, doch längs der Slüffe und Bäche hat fic eine ftärkere Befiedlung ents 
widelt in Ortfchaften, Mühlen, Einfchichten, hie und da aud Glashuͤtten, Kifen- 
bammern, Holzinduftrie u. a. Die Wiefen und Saatfelder bringen Abwehflung 
in die Einförmigleit des Waldmantels, der vorwiegend aus Sichten, teilweife 
vermengt mit Tannen, beftebt. 

Das VDorland diefes nördlichen Bdhmerwaldes und das Tepler Hochland 
laufen in eine wellige, bügelige, ftellenweife auch bergige Slache aus, die fich 
nad) Often 3u immer mebr verfladt und 3um Pilfener Been hin fentt. Sie wird 
von der Miefa, Radbufa und Angel durchfchnitten, die Talmulden in ihren Boden 
gegraben haben, an deren Bebängen ftellenweife in Selspartien das GBeftein zutage 
tritt, das fie aufbaut. Auch in diefem dictbevdllerten Gebiete wechfeln Ader: 
boden und Wald. 

Das Gebiet war in vorgefhhichtlicher Zeit ftellenweife befiedelt, wie die neuen 
Sunde bei Sranzensbad wiederum erweifen, es faßen Relten bier, aus deren Sprache 
der Llame Eger ftammt, dann Germanen, von denen Refte bis zur Wiederkehr 
deutfcher Siedler fitzen blieben, wie wir ebenfalls aus der Kamenktunde fchließen 
können, Slawen drangen feit dem 6. Jahrhundert die Slußtäler entlang vor und 
binterlicfen ibre Spuren in Ortsnamen. Teile des Egerländer Stammgebietes 
find alfo alter Rulturboden, der größte Teil aber wurde durch Rodung aus wilder 
Wurzel durch die mittelalterliche Rolonifation der menfdhlichen Siedlung  erz 
{cdloffen. Don Welten ber drangen baprıfhe Siedler vor, zunächft ins engere 
Egerland, dann weiter gegen Often, wo fie auf eine flawifche Siedlerwelle ftiegen, 
die daran war, von den Slußniederungen aus ibr Siedlungsgebiet aud) in die 


26 Volt und Raffe. 1932, 1 





Hochflächen hinein und an die Berge beran auszubauen. Uber das fiedlungsge- 
fchichtliche Werden der oberpfälzifchzegerländer Stammesbeimat, über die Aus: 
bildung der oberpfälzifchzegerländer Mundart unterrichten uns neueftens die Arz 
beiten #%. Muggentbalers und 9%. Hafmanns. Um den alten Kern des engeren 
Egerlandes wurden gegen Often 3u im Laufe der Jahrhunderte immer neue Scyhich- 
ten angefchloffen. So reicht heute das Egerländer Stammesgebiet auf dem Boden 





Bauernpaar in alter Tradt aus dem deutfchen Teile des Pilfener Bedens. 


Böhmens gegen Öften zu einer Linie ungefähr von Kifenftein im Böhmerwald 
an, die tfchechifche Sprachgrenze entlang (Staab— Dobrzan—Pilfen—lanetin) 
und weiter bis Scheles, Duppau, Schladenwertb, MTeudsed, Graslig, jenfeits 
welcher Brte fich eine egerländifchzoberfächfifche Mifchmundart und im LTorden das 
Oberfächfifche anfchließt. Kah Welten reicht das Gebiet unferes nordbayrifchen 
Stammes bis gegen MTürnberg und Regensburg. Breite Senken ermöglichen einen 
leichten Zugang dorthin und der Zug nach Flürnberg fpielte im geiftigen Leben 
der Egerländer, namentlich in der ftädtifchen Rultur Lgers immer eine Rolle. 

Das ganze Gebiet ift zum überwiegenden Teile Bauernland: Jm engeren 
Egerland, auf der Planer und Tepler KJochebene, im Miefer Bezirke, im Böhmer: 
waldvorland. Dazwifchen baben die Bodenfchäge die Weltkurorte entfteben laf- 
fen: Rarlsbad, Marienbad, Sranzensbad, Rönigswart; Bergbau auf Roblen wird 
noch betrieben im Salktenauer Beden, im Pilfner Beden. Der Bergbau auf Erze 


1932, I Jofef Sanita, Egerlander Ace. 27 





ift verfiegt. Raolinwerke, Por3zellaninduftrie finden wir im Rarlsbader Gebiet, 
solzinduftrie in den waldreichen Gegenden, Cleinere Glashitten. Auch andere 
JInduftrie bat fic entwidelt (namentlid in Eger, Afd). Dod ift diefe Entwid: 
lung in mdigen Grenzen geblieben, feine Städteungebeuer find entftanden. 
Rleinere Landftädtchen und größere Rreisftädte bilden die natürlichen Mittel- 
puntte ihrer Bezirke und Rreife. Wir finden dort noch das Rübbürgertum, fo 
daß auch die Landftädtcdhen von der Landwirtfchaft mitbeftimmt werden. Das 
Bauerntum beftimmt daher die Eigenart des Stammes. 

Dazu kommt, daß einen bedeutenden Teil der Angebörigen der höheren und 
alademifden Berufe die jüngeren Bauernföhne ftellen. 

„Es ift ein ftämmig robuftes Volk von gefundem Außeren. Soviel ich febe 
baben die Egerländer weiße, gefunde Zähne, dunlelbraune syaare, doch wenig 
Waden.“* Go fab Goethe das äußere Erfcheinungsbild diefes Stammes. Diefe ftäm: 
mige, derbe Rörperlichkeit wird von allen Beobachtern bervorgeboben. Wir baben 
es eben mit einem Bauernvolle 3u tun, das auf einem Boden fitt, der feine 
Srücdhte nicht von felbft hergibt. Sie müffen ihm in barter unermüdlicher Arbeit 
abgerungen werden. Er gibt dann aber auch fo viel ber, daß er feine Bewohner 
kräftig ernährt. Stellenweife, wieder befonders im engeren gerlande oder im 
deutfchen Anteile am Pilfner Beden, tonnte fic fogar ein breiter DDoblftand ents 
wideln, der fid) aud in Tract und Hausrat des Bauern auswirlte. 

Leider liegen einwandfreie raffentundliche Unterfuchungen über den Stamm 
nod nicht vor. Er ift in diefer Hinſicht natürlich ebenfowenig einheitlich, wie 
andere Giedlerftamme. Wir find bier auf allgemeinere Beobachtungen anges 
wiefen. Da bat fhon 1880 Bradl zwei fcharf ausgeprägte Typen aufgeftellt, 
zwifchen denen er aber hunderte von Übergängen gelten läßt. Den einen fcildert 
er: unterfegte, nicht eben fhön gebaute Beftalten mit dunklem, fchütterem Haare 
und breitem Befichte. Diefer Typus liefert den Hauptteil der Anechte, Taglöbner 
oder niedrigeren Hilfsarbeiter der Stadt. Ihnen gegenüber als dugerfter Gegen: 
fa fchreitet ein langer, bagerer Typus einher, zwar felten mit blondem, aber 
dod mit bellerem yaare, fleifchlofem Gefidte, Fleifchlofer Wade, tnodig, wobl 
breitfpurig aber edler gebaut, ein Typus, der meiftenteils unter den Hofbauern 
zu finden ift. Bradl fügt hinzu: Selbftverftändlich gibt es auch unterfetzte, ja 
oft recht bebäbig breite Aofbauern (dank der Sruchtbarkeit unferes Ländchene), 
wie es anderwärts auch langaufgefchoffene, felbft bellbaarige Rnedte gibt — 
die fozialen Derbaltniffe wedfeln ja dod in Jahren, gefbweige gar in Jabrs 
bunderten — aber im ganzen find, abgefeben von den zabllofen Übergängen des 
einen Typus in den andern, diefe beiden Beftaltformen doch in der oben anges 
führten Weife beute noch erkennbar auf die beiden Stände, Herr und Anecht, 
verteilt. 

Diefer lange bagere Typus fcheint nun als der eigentliche Typus des ger: 
länders empfunden zu werden. Dies drüdt fich vor allem in der Runft aus. Unfere 
Egerländer Maler und Griffeltünftler ftellen ihre Landleute gern fo dar, mit 
wenig Waden, wie Boethe fagt und Gradl nach ihm wieder beobachtet. 

&. ©. Rolbenheyer, deffen Mutter eine Egerländerin ift und der feine Jugend 
in Rarlsbad und Eger verbrachte, fchildert uns in feinem Roman „Meifter Joadbim 
Paufewang“ einen Egerländer in dem Lgerer Schuftergefellen Engelbert, alfo 
einen Vertreter des ftädtifchen Ahandwerts. Don ibm beißt es: „Er blidet fcheel 
auf mich nieder, denn er war ein baumlanger Rerl‘‘ oder „er ftund auf, redet feine 
beilige Lang mit gefpreigten Ellenbogen“. 


28 Dolt und Kaffe. 1932, I 





Diefer Typus ift es auc, der im Wolksliede, in der „Egerländer Rirchweih“ 
feine Derberrlibung findet: Die ftädtifchen Befucher der Rirchweih haben die 
Bauernburfchen berausgefordert. Da gibt ein Burfche das Zeichen zur Rauferei, 
von dem es beißt: „Däu kinnt da Birch mit’n länge Rragn, a Kerl wei a Ries,“ 
alfo ein Kerl wie ein Riefe, und „langer Rragen“‘, das bedeutet „langer Hals, 
drudt alfo das Lange, Hagere aus. Es fcheint ein ähnlicher Typus zu fein, wie 
ihn Rirchhoff unter den bayrifchen Alplern findet. 

Das weibliche Schönheitsideal ift, fo wie wir es aus der Volksdichtung ers 
fchließen, ein anderes. Da beißt es in einem Dierzeiler: „Schödin rund in B’ficht, 
fdydin did in da Mitt, fun mou ma Mäidel fan“. Die Mädchen felber fingen von 
fih: „Gräuß bin i niat g’wäcdhfn, gräuß mogb i niat wer(d)n, [hin rund und 
fhsin ftumpfat bobm 8°’ Bdiwala fua gern“. „Stumpfats Ratberl, ftumpfats 
Ratberl, gäib mit mir in ’Schläia" (Schleben) fordert ein Burfd ſein Maͤd⸗ 
chen auf. Der Bauer braucht fein Weib zur Arbeit und zum Rindergebdren, und 
da beißt ein Sprichwort: „Rurz ba da Er(d)n, owa latta (lauter) Kern“. 

Das Mädchen, das der Egerländer befingt, ift nicht fo fehr blond und blaus 
éugig, als braun und fehwarzäugig, wie auch fonft im Baprifchen: „Belt du 
fhwoazaugbata, gelt diga taughata’. „Schwärza Tauben, braung Tauben, di 
ftehn mir in d8’Augn, wenn i amäl a Jagba wir(d), d6i fdoig i mir’. 

„Gaͤih her du ſchoͤins Schaͤtzerl, Schwaͤrzaughat moͤins (muͤſſen ſie) 


ho(b)ma oins ſ'ana gern. g'wiß wer(d)yn, 
Ja da'n all deina Rinna grod woͤi du ſchoͤina Schaͤtz. 
ſchoͤin ſchwaͤrzaughat wer(d)n. Jaͤ gaͤih her herzats Maͤiderl 


u gi(b)ma an Schmotz. 

Und ſo in vielen andern Beiſpielen. Die blauaͤugigen treten demgegenuͤber 
zuruͤck, obgleich auch ſie beſungen werden: „Du herzats ſchoͤin's Schaͤtzerl, woͤi 
läng is en ber, daß i daina Aigla, ddi bläulb)m nimma bo g’feab“. Dieſes Lied 
ift zugleich viel inniger und treuberziger in Wort und Weife als die in denen 
die Schwarzäugigen befungen werden, in denen mebr die derbere Sinnenfreudige 
keit zum Ausdrud kommt: „Belt du fdwarzaugbats Ding, du bift was imma 
q’ftiegn, ba(b)m f’ da oins affezwedt, g’fdiat di fdbo recht“. Ein lang aufges 
fchoffenes Mädchen wird mit Ausdrüden bedacht, die eher Mißfallen als Gefallen 
ausdriden, 3. B. langa Hagaign (Heugeige), längs Elend, 8’Stodtläng van) 
Eger u.a. 

Die derbe urwücdfige Araft kommt wie im körperlichen au) im ganzen 
Wefen des Egerländers zum Ausdrude. Derb, ja raub ift feine Redeweife, im 
Klang und in den Ausdriden. Welder Unterfdied beftehbt da 3u dem böflichen 
Oberfadfen. Gie felber nennen ibre Art ,,grod oa(n) (gerade an). 

Das Wefen des Egerlanders pragt fid) aud in feiner Mundart aus. Sie ift 
cine Teilmundart des Bayrifchen. Aber ftatt der „feineren‘“, gemütlicheren ia, 
ua, a, Fwielauten, in denen der erfte Teil den Hochton trägt, dem kurz das a 
nad(dlagt, an der Stelle, wo der Öberfachfe die nüchternen Englaute i, u, ufw. 
hören läßt, bat der Egerländer breite, derbe Zwielaute: di, ou, äu ufw. Die Eger: 
länder Mundart Clingt dadurd) nicht nur breiter und derber, fondern auch ernfter 
als ibre Viachbarmundarten. 

Die Egerländer find ein Stud bayrifchen Vollstums. Wir finden darum 
bier auch noch den Jodler. Sreilich, der richtige Jodler wird im Hochgebirge ge: 
boren. Jn der nördlicheren MWittelgebirgslandfchaft aber, auf Hochflaͤchen, da 


1932, I Jofef Hanika, Egerländer Art. 29 





Klingt diefes Jauchzen und Jodeln nidt mebr fo elementar, wie von den Sels- 
wänden über tiefen Abgründen. Da wird es gedämpft, wird flacher, breiter, und 
ger in cinem Wunde, der an die breiten, groben Zwielaute gewöhnt ift: da wird 
der Jodler eben zum „Droudi‘“, wie er ım Egerlande beißt. 3, ou / du ou ou / 
ou a ou / öu a ron / du a ufw., oder 3, bolla / dlou dldu dlöu / did lai di, 
"und dbnlid. An Stelle des elementar Jauchzenden tritt dann im Droudi des 
öfteren eine innige yerzlichkeit, befonders wenn ibn die Mädchen zweiftimmig 
fingen, wie man das binter dem Pfraumberge nod bdren kann. 

Abnliche Beobachtungen können wir auch bei einem Dergleih des Eger: 
lander Dolksliedes mit dem Alplerifchen machen. Auch bier finden wir beide Male 
bayrıfches WDefen, befonders in dem reichen Schag an primitiven Vierzeilern: 
„Denkſt lat i bo di gern, zammödrahta Miftlatern, rinnaugbats Odlfog (Jauchen- 
faß), th pfeif da wos“. Derber Spott, der in „anfchaulichen“ Ausdrüden nicht 
weöblerifch ift. Aber in den Liebesliedern, da klingt wieder beim Lgerlander etwas 
tief Inniges, eine verbaltene, berbe Serzlichkeit an, wo der Alpler frei und Eraft- 
voll feine Befüble äußert. LTiemals aber wird das echte Egerlander Lied füßlich 
oder fentimental. 

Wiederum echt bayrifdes Wefen mit £B-, Sauf: und Raufluft bricht in 
anderen Liedern und Wierzeilern durd: ,,Rinn, Boierl, rinn!“ „Schauts ner, woi 
888 Boierl (Bierlein) fchmedt u wi der Wirt fai(n) Zahn berbledt, u bledt a’s 
bin und bledt a’s ber, dö8 Bodierl kröigt a nimma mehr!“ „WMät, gaib febent a, 
ma Mau haut a Luadh...!“ Oder in der fchon genannten „Kgerländer Rirdys 
weib“ beißt es freilich mit Übertreibung: „ächtmäl g’freffn u naimäl g’fpeit, dd8 
is für uns a B’fpaß“. Und diefe Egerländer Rirchweib ift eine echt bayrifche 
Rirchweib, die mit einer Rauferei enden muß: „WDdi d’Rafarei zu End is g’weft, 
warn ällzamm frumm und 1di. ©ba 8’Bauan fogn: Rraizfalrament, di Rirwa, 
dor war fcdi(n). Go finden wir beim Egerländer auch die bayrifcbe Sreude an 
großen Doltsfeften, bei denen das Bier eine große Rolle fpielt. 

Wenn Will Defper von den oberbayrifchen Dichtern fagt, ibre Heimatliebe 
fet von einer merfwurdig biffigen Urt, ibre Dichtung etwa bervorgegangen aus 
der derben fpdttifcden alten Dolksliteratur der Schnaderbupfl, Marterlfprüce ufw., 
fo Mlagte Habermann 1886 in dbnlidber Weife über Egerländer Dichter, daß fie 
nur die derbe Seite des Dialeftes, das Drollige und Draftifce kultivieren, fo daß 
es den Anfchein madıt, als ob fie fich uber das Volkstum felbft luftig machten. 
€s tommt bier eben die echt bayrifche Lleigung zu Parodie und Satire zur Gels 
tung, die bis zur Selbftironie gebt. Zu einer ernften, bedeutenderen Kyeimatdichtung 
in der Mundart ift es im Egerlande bis heute eigentlich noch nicht gelommen. Krft 
in allerjüngfter Zeit finden wir verheißungsvolle Anfäge dazu. 

Daneben muß immer wieder darauf bingewiefen werden, daß wir im ger: 
länder Wefen auch andere Züge finden: Ernft und Verfchloffenbeit, und dicfes 
Innige, Herzliche, das ganz befonders dem weiblichen Befchlechte sutommt. Don 
feinem Engelbert fagt Rolbenbeyer: .,,Aus feinem fauren Beficht blinzelten sween 
gansgraue Auglein voll weichen Gemüts“. Und aus dem Gebaben diefes Lgerer 
Scuftergefellen fchließt der junge Paufewang: „Muß ein ftilles und ernftbaftiges 
Dolf fein dort zu Land, jedannoch mit einem zäben Durft begabet“. 

Die Egerlönder find der am weiteften nach Morden vorgefchobene Zweig des 
bayrifehen Stammes. Sräntifcher und vielleiht noch anderer infdlag baben 
wobl mitgewirkt an diefer Abtönung bayrifchber Wefensart. Gegen die Sprach: 
grenze zu fpielt ficher auch flawifcher Einfchlag eine Rolle. 


30 | Volt und Raffe. 1932, I 





Durcdaus nuchtern und praktifd ift der Egerländer auf die reale Wirklichs 
keit eingeftellt. Wiyftizismus, religiöfe Seltirerei und Schwärmerei, wie wir fie 
etwa im Schlefifchen finden, bat im gerlande keinen Boden. Bäuerlich primitiv 
ift die Einftellung zu Bott. Diefer beberrfcht vor allem das Wetter und kann Gee 
deiben oder Derderb bringen. Der Bauer fteht mit ibm in einer Art Vertrags: 
verhältnis. Er führt einen rechtfchaffenen Lebenswandel, gibt Gott, was Gottes | 
ift, indem er den Sonntag beiligt, Opfergaben bringt, an Prozeffionen teil= 
nimmt und was fonft die Rirdye von ibm fordert. Dafür verlangt er aber Ge⸗ 
deiben in feiner Wirtfchaft. Kommt Gott dem nicht nach, fo zurnt er über den 
Vertragsbrud. Jn traffer Sormulterung drudt fid) diefe Dentungsart in der 
Sagenbildung aus: „In der Vidbe von Eger batte ein Sreibauer einen großen 
Hof, zu weldyen viele Selder gebörten. Die Erntezeit ging langfam vorüber und 
et hatte noch viel Getreide auf dem Selde, als Regen drobte. Er trieb feine Leute 
zu größtem Sleiße an, um das letzte Getreide noch troden in die Scheuer zu brins 
gen. Schon fuhr der legte Wagen dem Sofe zu, als es anfing zu regnen. Darüber 
geriet der Bauer in Wut und fdlug mit der Peitfche auf ein Kreuz, das am 
Wege ftand, und fchrie: „Haft du uns das Getreide nicht troden einführen laffen 
können >“ 

Yiad) einer anderen Gage bat der Hofbauer von Reichersdorf, als einft fein 
Getreide mißriet, den am Wege ftebenden Rreuzbilde mit einem Büfchel Abren 
freventlid) um das GBeficht gefdlagen mit den Worten: „Da fcbau an, ift das 
ein Creid fur einen Edelmann?“ Beide Srevler wurden von Gott natürlich dafür 
geftraft. 

Uber gerade in bezug auf die Selder denkt der Bauer fehr realiftifch. Prozefs 
fionen und Gebete allein tun’s nicht. Sie find eber dazu da, fchädliche Einflüffe 
fernzubalten. Anfonften beißt es: „Do kein Miftus, da kein Ehriftus“. In einem 
Schwan bittet ein Bauer während einer Bittprozeffion den Pfarrer, er möge auch 
bei feinem Selde etwas fteben bleiben. Der Pfarrer aber antwortet: „Wenn da 
etwas wadfen foll, muß zuerft Mift bertommen“. 

Müchtern, fachlich denkt der Egerländer über Liebe und Lhe. Wir finden 
£iebeslieder voll inniger Hyerzlichkeit, aber nie find fie überfchwenglich, fdmad: 
tend und verfchmachtend. Immer fteben fie auf dem Boden der Wirklichkeit, 
{ind einfad, fagen alles unverblümt beraus, find „gerade an“, wie eben der Eger: 
lander felbft: „Und nu Mäidl, wennft mi gern bäft, fo fag’s kirzagrod“ heißt es 
recht bezeichnend in einem Liede. 

Oft muß dem Ayofe zuliebe eine innige Fleigung geopfert werden. 

Der Bauer gebt nicht auf äußeren Pflanz und Prunt, bei dem nichts dahinter: 
ftedt. Don folden Keuten fagt er: Oben hui, unten pfui! Er felbft denkt fich: 
Beffer ein Stud! Brot in ser Tafcben als a Sedern am ut. Oder: Bettels 
mannifd gefabren ift beffer als edlmännifch gegangen. 

Schwärmereien gibt er fih audy da nicht bin: „Was nügt mir KTürnberg, 
wenn ich kein Haus drinnen hab“. | 

Uber die Mlatur und die Urt feiner Befchäftigung bat ibn gelehrt, daß man 
es nur mit zäber, ausdauernder Arbeit weiterbringen kann: „Baling (jäbe) Spring 
toun feltn gout! Wer flöign will, mou(ß) vandıb (zuerft) 8’Stügel wadfen 
laͤua (laſſen)“. 

Die Rede des Bauern iſt nicht voreilig, überſtuͤrzt, denn: „Hitzig is neat 
witzig“. Gegen einen Vielredner iſt er mißtrauiſch: „Wer viel red't, mou(ß) viel 


1932, I Jofef Sanita, Egerlander Art. 31 
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wiffen oder viel ldign’. Uberbaupt gilt, befonders Sremden gegenuber die Regel: 
„Wer niat traut, wird niat oag’fchmiert“. 

Seine Jandlungen überlegt er fidh vorher gut, befonders, wenn er irgendwo 
mittun foll: „Der z’erft in God einfclupft, timmt zuletzt affe (hinaus) !“ Solche 
Einftellungen haben 3. B. die Einführung bäuerlicher genoffenfchaftlicher Organis 
fationen {cbr erfdwert. 

St ser Egerlander fo neuen Gedanten fdwer zugänglich, fo vertritt er ihn 
aber, bat er ihn einmal erfaßt und als ridtig erfannt, mit der ganzen Wucht feines 
Wefens und hält daran feft, wenn bei andern die leichter erregbare Begeifterung 
längft wieder vorbei ift. Das bat natürlich feine guten und fchlechten Seiten. 
Tiirgends baben fic 3. B. politifche und weltanfdaulide Einftellungen und Bes 
wegungen, die vor ein oder zwei Menfchenaltern eine Rolle fpielten, fo 3ab ers 
halten, wie im Lgerland. 

Seinen als richtig erfannten Weg gebt der Egerländer, obne fib um das 
Berede der Leute zu kümmern: „UÜDenn man af all Gund fdmeign wollt, doi 
ain oaballn (die einen anbellen), mOi~t ma viel Stoi(n) afhiabm (Steine aufbeben)“. 

So gebt das Leben in den Bauernböfen in fchwerer, ernfter Arbeit dabin. Die 
neuzeitlichen landwirtfchaftliden Mafchinen fcdaffen auc bier große KErleichtes 
rungen. Dem jungen Gefdledt Klingen aus der Zeit ausfchließlicher fehwerer 
Handarbeit Arbeitsreime fhon faft wie eine Sage berüber, wie etwa der Reim 
im Dreitalt der Drefchflegel, der das Rubebedurfnis nad diefer bärteften bäuers 
lihen Winterarbeit ausdrüdt: „Wenn Bott ga, daß Llächt wa, wenn Gott ga, 
daß iadt wa... (Wenn Gott gabe, dag Llacht wäre). Auf den Gute Macht: 
Gruß dachte man fid: ,Die Macht ware fchon gut, wenn nur der Tag beffer 
wäre“. 

Aber an Sefttagen, beim Tanz, da gebt’s dann bocdhber, da wird „aufges 
baut“: „Spielleut fpielt’s af und läut’s (laßt) ’Säitn Elinga .... fingt der 
Bauernburfche die Mufifanten an, den fcdaumenden DBiertrug hodbebend. Und 
die Mufitanten echeben fid) von ibren erhöhten Sigen und fpielen mit ernften 
Gefichtern oder felbft felig vertieft in ibre Weifen dem Burfchen mit feinem 
Lieblingsftüdl „s’Bsia eine‘ (das Bier hinein): „Beign, Dudlfad, Klarine(t)n, 
808 is a luftigs Leben!“ 

Don früher ber bat der Egerländer auch Sagen ererbt. Naturerſcheinungen 
feiner Heimat regten feine Phantafie an. In dem abgründigen, einft unbeims 
licben Moore von Sranzensbad hauft der Hdimoan (Hyebsmann), der durch feinen 
peinlichen Adib! Aaib:Ruf, der wie der HSilferuf eines Verfintenden Elingt, den 
Wanderer vom fdymalen Weg ablodt, fo daß er im Moor verfinkt. In den ers 
lofchenen Bullanen treiben Zwerge ibr Wefen, in den großen Wäldern verfolgen 
Molzbetzer die Holzdiebe, HBolze oder Moosfräulein flüchten vor der Wilden Jagd, 
der Bilmisfdnitter fchädigt die Selder, in den erzbältigen Bergen baufen Denedis 
germännlein, an die verfallenen Burgen Inüpfen fih Schagfagen, im Tillenberg 
liegt die verfuntene Tillenftadt, die nach dem Untergange Egers wiedererfteben 
wird ufw. Diefe Dinge find beute freilich mebr literarifch geworden, als daß fie 
im Volke wirklich noch lebendig find. Das Sranzensbader Moor ift längft „zivilis 
fiert und induftrialifiert und der gefurdtete Adimoa(n) bat fid) in eine barmlofe 
Redensart geflicdtet..... 

Go bat fic bier in der Vlordweftede Bdbmens ein ganz eigenartiger Stamm 
gebildet. ,,Unfer gerlander erfcheint uns als ein einbeitlidhbes, ungebrocenes 
Mefen, ganz und immer derfelbe, fo daß er eber zerbricht, als fich im geringften 


32 Volt und Raffe. 1932, I 





zu ändern“ (Emil Lehmann). Der Egerländer ift fich feiner Eigenart aud be: 
wußt und ift ftolz darauf, er befigt ein ausgefprochenes StammesgefühlL Diefes 
Selbftgefühl förderte namentlich im engeren Egerlande die politifche Dergangen: 
beit. Die ebemals freie Reichsftadt Eger mit einer Raiferpfalz der Hobenftaufen 
ift Mittelpunkt eines Ländchens, das im 14. Jahrhundert an Böhmen bloß ver- 
pfändet, innerhalb des neuen ftaatlichen Verbandes ftets eine rechtliche Sonder: 
ftellung einnahm, fogar feinen eigenen Jandtag hatte. Das Egerer Wappen, der 
durch ein Bitter zur Hälfte verdedte Reichsadler, ift da fymbolifcher Ausdrud. 

Aus dem Heimats⸗ und Stammesgefühl entfpringt dann in der Serne das 
Fycimweb. Aber wiederum ift diefes HBeimweb nicht fo elementar wie beim Alpler, 
von dem Kirchhoff fagt, daß es ihn wie „eine wahre Seelentrankbeit befällt‘“‘. 
Es ift gemäßigter und fehr bezeichnend ift da, daß ein Lgerlander in einem Auf: 
fag über die „Egerländer Bmoin‘ den Ausdrud gebraucht, der Egerländer in 
der Sremde „Eränkelt“ an der Gebnfucht nach der Heimat. „Überall ift gut Brot 
effen, wo man eines bat‘, tröften fich die Egerländer, die in die Sremde muffen, 
weil die Heimat nicht alle ihre Söhne ernähren kann. Sie fhließen fich zu Eger: 
länder Gemeinden (Egbalanda Bmoin) zufammen, die ihnen ein Stud Heimat 
bedeuten. 

Stagen wir nun nach der Begabung diefes Stammes !), fo fcheint er weniger 
für Höchftleiflungen in Wiffenfchaft, Dichtlunft, politifcher und wirtfchaftlicher 
Örganifstion befähigt zu fein, als vielmehr für tüchtiges, gediegenes Mittelgut. 
Ein abfchließendes Urteil in diefer Richtung wird nach Beendigung der von 
E. Bitrach b:rausgegebenen „Sudetendeutfchen Lebensbilder‘‘ möglich fein. Starter 
treten Egerländer bildende Rünftler hervor. Wenn mande Beobachter beim 
jüngeren Rünftlergefchlecht eine befondere malerifche Begabung bervorbeben, fo 
empfinden wir diefe als ftammesgebunden bei der Betrachtung der herrlichen, 
farbenpradtigen Egerländer Stidereien aus der Mitte des vorigen Jabrbunderts ?). 
Die ganze erdfchwere Rraft und Wucht des Stammes ballt fid gegen Often zu, 
fhon hart an der Sprachgrenze, noch einmal zufammen in den Schöpfungen des 
Bildhauers Stanz Metzner, wobei wir ganz befonders an feine „Erde denken. 


Über Kaffe und Seele. 
Don R. §. Viergug. 


affentunde, Anthropologie, wurde bisher haupt(adlid von Ylaturwiffen: 
fchaftlern betrieben und daber nad diefer Richtung bin ausgebaut. Wo 
man nun die Llotwendigkeit erfannte, auger den körperlichen auch feelifche und 
geiftige Züge der Raffen zu befchreiben, fam man zu keinen wirklich befriedigenden 
Ergebniffen. Die Antbropologen waren zu wenig Pfychologen, die meiften ftam= 
men zudem nody aus einer Zeit, in der eine „naturwiffenfchaftliche‘ Pſychologie 


1) Durd fein Siedlungswerk in Weftbdbmen bat der Stamm feine ganz befondere 
Eignung für bäuerliche Rolonifation zu fehr erwiefen, als daß dieje Sabigkeit fic nicht in 
vollem Maße geltend machte bei jungen Siedlungen weiter im Often, worauf verfdiedene 
Beobachter in der Bulowina und Galizien bingewiefen haben. Seber auffadlugreic ift 
befonders das inzwifchen erfhienene Buch von W. Rubn, Die jungen deutichen Sprach⸗ 
infeln in Galizien, Münfter i. OD. 1930. 

2) Eine reichhaltige Sammlung ift im Anfdluffe an das Egerer Mufeum ausgeftellt. 





1932, I R.$. Diergug, Über Raffe und Seele. 33 


vorberrfchte, durch die fie leicht in die Jere gefubrt wurden — und fuchten fie Syilfe 
bei den Piychologen, fo ergab fich, daß diefe zu wenig Unthropologen waren. 

Will man hier weiterlommen, fo ift zunächft eine Befinnung auf den 
Ausgangspunkt nötig. „Aaffe‘ ift eine Tatfache, die der aufgefchloffene 
Mienfcy tagtäglich mehr oder weniger erlebt, von der es, wie von jedem Lebendis 
gen, keinen Sinn bätte, fie in Rörperliches und Seelifches zu zerteilen. In bezug 
auf Kaustiere 3. B. befteht hierüber nirgends der geringfte Zweifel; jedermann 
weiß, daß fie fich nicht nur nach Sormen und Sarben, fondern aud) nad) Verbalten 
und Wefen unterfdeiden: von einem Zwergpintfcdyer erwartet niemand das gleiche 
wie von einem Schäferhund, und diefer leiftet wiederum anderes als ein Dadel. 

Ein Lebewefen ift nie ein bloßer „Körper“, ein bloßes Raumpding, fondern 
ftets befeelter Leib, wie auch umgelebrt die Seele nichte Liurpfychifches ift, fons 
dern zu ihrer Darftellung immer des Leibes und Leibhaftigen bedarf. Wie wäre 
Denten möglid ohne Sprache, alfo ohne Sprechen! 

Sind Einzelwefen, Einzelmenfchen immer „Leib-Seeles®anzheiten‘, fomuß 
auch ihre Raffenbaftigteit etwas fein, was den ganzen Menfchen, Leib wie Seele, 
beftimmt. „Raſſe“ ift alfo nicht nur eine biologifche, fondern auch eine pfychos 
logifde Tatfache, und obwohl die nambafteften Sorfcher das auch erkennen, ift 
man doch zu einer befriedigenden Raffenpfpchologie noch nicht gelangt. Ls fei 
dabei ganz abgefeben von Schwierigkeiten nicht wiffenfchaftlicher Art, von relis 
gidfen, politifchen oder pfeudowiffenfchaftlichen Vorurteilen, die ihr Zuftandes 
kommen bemmen. Sie alle könnten ja nicht befteben, bätte eine echte Raffenpfycos 
logie nicht vor allem erhebliche metbhodifche Schwierigkeiten zu überwinden. Hiers 
über wird noch zu reden fein (f. S. 34). 

Jedermann verfpürt ohne weiteres, wenn er unbefangen Menfchen verfchiedes 
ner Raffen gegenüberftebt, daß dsiefe Menfden verfchieden find, und er findet 
diefe Verfchiedenartigleit dann wieder bei anderen Mienfchen derfelben Raffe. Und 
diefes unmittelbare Erleben der Raffenbaftigkeit befchräntt fich nicht 
auf Seftftellung der törperlichen, erfcheinungsmäßigen Unterfchiede allein (meift, 
bei Laien, ftommt es gar nicht zu einer „Seftftellung“). Wan bat irgendwie aud 
die Wefenbeit des betr. Menfchen mit, vermag wohl audy einige Charalterzuge 
anzugeben — meift bleibt freilich diefe Seite des rlebens eines Du unter der 
Schwelle Elarbewußter Wahrnehmung. Wir verfügen in verfchiedenem Grade 
über die Sähigleit, uns in andere „einfübhlend“, deren Wdefensart gleichfam von 
innen ber 3u erfaffen. Alles Derfteben beruht letzten Endes auf diefer Möglichkeit 
des Miterlebens deflen, was der andere „ausdrüdt“. 

Go ,, bat aud der Sorfcer bei Beginn feiner Arbeit ein ungefdbres Raffens 
bild, und damit find ihm beftimmte Richtungen gegeben, in denen er nun mit 
wiffenfhaftlichen Methoden weitergeben kann, an deren Ende das geläuterte und 
nach allen Seiten fefter begründete Raffenbild ftebt. An diefen Puntte, wo die 
wiffenfchaftliche, und das beißt immer: abftrabierende Methode einfegt, beftebt die 
große Gefahr, daß man dem, wopon man zundädhft abftrabieren mußte, binterber 
mit derfelben Methode beizulommen verfucht, vermöge deren man es anfangs beis 
feitegefhoben bat. Sieht man alfo zunadhft vom Lebendigen der Raffe ab und bes 
tradtet man fie auch nicht etwa biologifch, fondern matbematifchsnaturwiffens 
fdaftlih, dann wäre es finnlos, zu dem fo gewonnenen mecaniftifchen Raffens 
bilde dann noch eine „Seele“ fügen und fo die urfprüngliche Banzbeit wieder bers 
ftellen zu wollen. Das Seelifche läßt fih auf Wegen, die zu Mengenbaftem 
führen, nun und nimmer erfaffen. 

Dolf und Baffe. 1952. Januar, 3 


8 


Volk und Raſſe. 1932, I 





Dielmebhr muß der Ausgangspunlt, der vor aller Abftraltion liegt, Har ers 
tannt und ftets feftgebalten werden. Auf die ertenntnistbeoretifchen Sragen, die 
er aufgibt, namentlich binfidtlid des Ausdrudsverftebens, kann bier nicht eins 
gegangen werden; man vergleiche hierzu in Sonderbeit die Arbeiten von Ludwig 
Rlages. Ganz verfdiedene philofopbifche Richtungen kommen aber bier zu Ars 
gebniffen, die mit den feinen im Grunde übereinftimmen: „Der Leib ift die Crs 
fcheinung der Seele, die Seele der Sinn des lebendigen £eibes“ (Klages, Auss 
drudsbewegung und Geftaltungstraft, 3. Aufl. Leipzig 1923, SG. 16); „So if 
auch die mimifche Bewegung eine unmittelbare Einheit des ‚Inmern‘ und ‚Außes 
ren‘, des ‚Beiftigen‘ und des ‚Keiblichen‘, fofern fie gerade in dem, was fie direkt 
und finnlich ift, ein anderes, aber in ihr felbft Begenwärtiges, bedeutet und ‚bes 
fagt‘“1). Man wird dies gelten laffen und auch folgenden Sat als Ariom anfeben 
müffen: „Wie einer fich befindet, fo benimmt er fic) auch“ ?). 

Hier alfo fegt nun die fahwiffenfhaftlide Sorfhung ein, die 
allerdings einerfeits vom Seelifhen abftrabieren muß, um zu dem zu ges 
langen, was an der Raffe biologifd widtig ift. Dies ift das Arbeitsfeld der 
naturwiffenfchaftliden Antbropologen, die indes nie verfäumen follten, die 
Augen fürdas Banze offen zu behalten und zugleich immer aud pfydos 
logifch zu denken. Ihre Arbeit muß begleitet und ergänzt werden von foldyen Sors 
fern, die ihr Augenmerk vornehmlich auf Beiftiges und Seelifches richten, aus 
deren Methoden das Rörperliche beräusfällt. Es ift aber nötig bei allen Sors 
{cdungen, die es mit dem Menfden und feinen Werken 3u tun haben, alfo naments 
lid aud fir Aiftoriter und Pfpcdologen, aud immer auf das Banze zu fchauen 
und 3ugleicd aud) anthbropologifdh 3u denten. 

Lin Antbropologe, der fich diefer Sorderung bewußt ift, der um die Grenzen 
der meffenden Derfahrensweifen weiß, ift 3. DB. Stig Lenz. Durcdhaus im Sinne 
des Gefagten liegt es, wenn er fchreibt: „So fann man Individuen, die aud nur 
einen geringen Anteil negrider Raffe haben, bei einiger Übung mit großer Sicher; 
beit erkennen. Ja fogar die Zugehörigkeit zu einer Mifchraffe wie der judifchen 
tann man in den meiften Sällen mit einer an Sicherheit grenzenden Wabrfcheins 
lichkeit ertennen.... Wenn das mit beftimmten Waßmethoden nicht gelingt, fo 
fpricht ase alfo eber gegen diefe Methoden als gegen die Möglichkeit der Erlens 
nung“). 

Der eingangs erwähnte Mangel einer befriedigenden Raffenpfychologie bes 
ruht aber vor allem darauf, daß die meiften von Anthropologen unternommenen 
Derfuche, ein Bild vom Ganzen einer Raffe zu erlangen, additiv vorgingen, 
ja teilweife im mehbaniftifhen Dentfchema verblieben, das zwar für große 
Teilgebiete der Klaturwiffenfchaft feine volle Berechtigung bat, mit dem man aber 
nun und nimmer Seelifches erfaffen kann. 

Beifpiele für folche Sehlverfuche finden fih vielfah bei W. Scheidt. Sür 
ibn fallen „die Methoden der allgemeinen Raffentunde“ „natürlich“ „mit den 
Methoden der Erblicdleitss, Dariationss und Auslefeforfehung“, in denen er rein 
mechaniftifch vorgeht, zufammen *), und ganz im Sinne diefer Dentweife liegt es, 
wenn er a.a. ©. (S. 5f.) unterfcheidet Zwifchen unmittelbar feftftellbaren Werts 


1) Eaffirer, Philof. der fymbol. Sormen, I, Berlin 1923 ae 
2) v. ornboftel, Kaut und Sinn, Seftfchrift Meinhof 
3) BaursSifherskenz, Grundriß dec menfdlicden Erblichteitelehre I, 2. Aufl. 


unden, ©. 4 
4) ’ Kaffenforfung“, Leipzig 1927. 








1932, I R. $. Diergug, Über Raffe und Seele. 35 


malen und folden ,,(bef. feelifchen) Merkmalen, die nur mehr oder minder 
mittelbar, auf dem Wege über follettiv erfcheinende Außerungen, erfchloffen wers 
den können“. Ja, Scheidt verfuht fogar eine Befhreibung des Seelis 
{den auf medhaniftifher Abftrattionsebene: „feelifche Lebenserfcheis 
nungen“ find ibm „LebeweienstimweltsRealtionen im Gefolge der finnliden 
MWebhrnehbmung. Seele ift die felunddre DOabrnebmungswelt oder die durch Eins 
. flüffe finnlicher Wahrnehmung gemodelte fetundäre lebendige Subftanz‘‘ 5) (unter 
„felundärer leb. Subftanz‘“ verfteht er bier das Soma). So „eralt naturwiffens 
fcaftlicd das auc Plingt, fo febr bier verfucht wird, den Anfchein zu wahren, 
als bandbabe man nur Begriffe, die durch Betrachtung des Gegenftandes von 
außen ber gewonnen find — fo erweift fich doch gerade an diefem Beifpiele das 
Derfagen diefes Bemibhens: Lebenserfcheinungen, nun gar „feelifche‘‘, find gar 
nicht zu befchreiben ohne Begriffe, die aus der Erfahrung des eigenen Innern ftams 
men. Denn wie könnte fonft von „finnliden Wahrnehmungen“ gefprodhen wers 
den?! Ic weiß von ihnen nur auf Grund meiner Selbftbefinnung. Die Pros 
jettion der Lebenserfdeinungen auf die Wbftraktionsebene der mathematifden 
Ulaturwiffenfdaft gelingt nicht nur nicht ohne erhebliche Derzerrungen und Ums 
ftändlichkeiten, fondern auch nicht obne Derluft gerade der wefentliden Züge des 
Kebendigen. Werden diefe dennod anzubringen verfudt, fo gefdiebt das auf 
Roften der Reinheit des Prinzips, der Methode und damit audy der Ergebniffe. 

Ein weiteres Beifpiel für den Verfuch, Seelifches medhaniftifch zu erfaffen, 
ift der Sat Scheidts (a. a. ©. &. 31): „Die Pfychologie könnte fidy nun auch, 
einen entfprechenden Stand der Phyfiologie vorausgefetst, fo ausdrüden, daß fie 
etwa fagen würde: ein Menfc, der die und die Veränderungen der und der Rörs 
perzellen im Gehirn, Rleinhirn, Rüdenmarl, in Llervenbahnen, innerfelretorifchen 
Drüfen ufw. aufweift, wird diefer Befhmadswahrnebmung, diefen Schlüffen 
aus dem Wege geben, jenen Unfall erleiden...“ 

Wichtiger noch als diefe Derfuche, Seelifches auf mechaniftifche Art zu er- 
faffen, die ja fhon daran fcheitern, daß der vorauszufetzende „entfprecdhende Stand 
der Dbyfiologie’ nicht erreicht ift — wichtiger ift das bei faft allen Antbropologen 
zu beobadtende additive Derfabren als Ablömmling einer medhaniftifchs 
naturwiffenfchaftlichen Denkweife. Gie dugert fid vor allem darin, daß man 
verfucht, feinen Gegenftand, in unferem Salle alfo die Raffe, von feinen Teilen, 
p&lementen“ ber zu begreifen und aus ihnen aufzubauen. So fprah Scheidt 
oben von „feelifhen Merkmalen“. Lab ihm wird der Raffentypus „zufammens 
gefügt‘‘ aus den „typifchen Werten jedes einzelnen Merktmals‘ 6), wobei er unter 
„typifchen Werten“ Zahlen verfteht, die er aus den Maßangaben eines „Werks 
mals“ für eine größere Anzahl Hienfchen berausrechnet. „Seelifche Merkmale‘, 
„auf dem Wege über follettiv erfcheinende Außerungen erfchloffen“, woürde er zu 
diefen unmittelbar, durd Meffung ufw. gewonnenen hinzufügen: binfidtlid 
widhtigfter Raffenunterfchiede komme es ja „letzten Endes darauf an, die drtliden 
Unterfciede beftimmter ldorperlider Raffenmertmale mit denen beftimmter volles 
tümlicher und allgemein kultureller Außerungen zu vergleichen“ („Raffenforfhung“ 
SG. 7) und (SG. 15) ,,in Zufammenbang zu bringen“. Cine Welt von Sragen tut 
fiy auf hinter diefer fo einfach Elingenden Sorderung, tulturelle Augerungen und 
körperliche Mertmale in Zufammenbang zu bringen. Was befagen folde Zus 


6) „Rulturbiologie”, an — S. 38. 
) „Raffenforfhung“ & 
3* 


36 Volt und Kaffe. 1932, 1. 





fammenbänge, gefett, fie könnten aus dem Banzen der Rultur einer Landfchaft, 
eines Volles oder Stammes, berauspräpariert werden, für die feelifche Eigenart 
der betreffenden Bewohner? Wie find diefe Zufammenbänge kulturpbilofophifch, 
wie find fie gefchichtlich zu verfteben? Wie und wo fcheidet fic der Anteil des 
taffenmäßigen, ererbten Eigenwertes von dem der Überlieferungen? die liege fib 
der Anteil einer (gar mebrerer!) Beimifchungen berausfchälen, der im Aulturellen 
einen ganz anderen Umfang baben tann als im Gomatifden? Ufw. ufw. Mit 
diefen Bedenken foll beileibe nicht gefagt fein, daß fid vom Kulturellen ber übers 
baupt nichts über das Raffenfeelifche ausmachen ließe, hiervon wird noch zu reden 
fein; aber auf diefem additiven Wege, wie ihn Scheidt bier verfucht, läßt fich die 
Banzbeit einer Raffe nicht erfaffen. 

Abnlich fucht auch Lenz („Brundrig“ I) die „feelifchen Unterfchiede der 
großen Raffen zu beftimmen: „In ähnlicher Weife‘ (wie die erblichen Anlagen, 
welche in der körperlichen Erfcheinung des Mienjchen zum Ausdrud kommen) 
„find auch die feelifhen Erbanlagen über die verfchiedenen Länder verteilt‘ 
(GS. 406). £enz will nun aus den feelifchen Unterfchieden der Bevdllerungen auf 
die feelifhen Anlagen der fie zufammenfetzenden Raffen zurüudichliegen. Wie das 
im einzelnen zu machen fei, ohne groben Seblern aus „Überprägungen“ u. &. zu 
verfallen, führt er freilich nicht aus. Eine große Rolle fpielt bei ibm die Srage 
der geiftigen Begabung. Jhrer Erforfhung legt er Schulleiftungen zu 
Grunde (3. 412). Die Unterfchiede der Begabungsböbe namentlich europäifcher 
Raffen belegt er durch eine amerikanifche Heeresunterfuchung”?). Die Seelenbilder 
der „großen Raffen“ fucht er an Hand der einbeimifchben Rulturen zu ges 
winnen und befchreitet damit einen Weg, der unter gewiffen Dorausfegungen 
zu brauchbaren Ergebniffen führen fann. So betrachtet er die Rultur der „Lieger‘“ 
in Afrika, der „Mongolen“ in China und Japan. Sür letztere ift ibm 3. B. lenns 
zeichnend ihre Lleigung zur Befchichte, trodene Lrüchternbeit und die Tatfache des 
Seblens von Religionstriegen. Es fei noch erwähnt, daß Lenz an der vorders 
‚afiatifchen Raffe Gewandtheit in Handel und Verkehr, wohl mit auf ihrer Mens 
fehentenntnis berubend, feftftellt und eine gewiffe weltflüchtige @eiftigleit ans 
deutet. Die nordifche Seele befchreibt er mit Willensfreibeit und Dorausfidt. 

Der mechaniftifch anmutende Ausgangspunlt, den wir bier bei Lenz fefts 
ftellen mußten, findet fih auch bei Büntber. Er fiebt zwar das Wefentlice 
einer Kaffe in einer „Menfchengruppe‘, als ihr Rennzeichen aber dod, additiv, 
die „Vereinigung körperlicher Merkmale und feelifcher Eigenfchaften“ (Rafs 
fentunde des dt. D., 32. Aufl. S. 15). Diefen Zwiefpalt vermeidet Sifcher, 
wenn er die Definition der Raffe von Große übernimmt, welche das die Raffe 
Beftimmende in dem „bereditären GBemeinbefi eines beftimmten angeborenen 
körperlichen und geiftigen Habitus erkennt (zit. nady Büntber a. a. O. S. 15). 

Aber Büuntber verläßt dann doch diefen additiven Weg und fucht die Seele 
als eine Ganzheit zu befchreiben, die durch das Dorwiegen beftimmter „Berns 
eigenfchaften“ eine gewiffe Struttur erhält. So betont er die Liotwendigkeit, den 
Wefenstern eines Menfchen zu erkennen, auf den — und bier erweift fich, daß 
er im Grunde doch vom Ganzen ber blidt — „das Leiblihe wie das Seelifche 
in wechfelfeitiger Bedingtheit und KEntfprechung binweifen“ (a. a. ©. ©. 2). 
Damit ftellt er fich auf den Ausgangspuntt, den wir oben (GS. 2) als unerläglich 
erfannt batten. 


1) Yiah PYertes, Psychological Examining in the U.S. Army, Wafbington 
192}. 





1932, I R.$. Diergun, Über Raffe und Seele. 37 


Aber wie fucht er nun diefen „WDefenstern“ zu erfaffen? Er gebt dabei 
grundfaglid& denfelben Weg wie Lenz. Zwar befchäftigt er fich Zuerft mit den 
poewegungseigenbeiten der Raffen. Aber ftatt diefe Bride zum Seelifchen zu 
Ende zu geben, faßt er doch zum anderen „feelifche Eigenfchaften“ zufammen und 
fudt fie dann zu gliedern nady Rerneigenfchaften, denen die anderen als Neben⸗ 
eigen(daften und Solgerungen, Derivate, angegliedert werden. Diefe Gliederung 
erfolgt aus der richtigen Einficht heraus, daß die Seele ein ftrulturiertes Ganges 
ift; die Glieder aber fucht er doch auch vereinzelt zu erfaffen: durch unmittelbare 
charalterologifche Beobachtung vieler Einzelner (unterftügt durch verfchiedene 
Sorfcher), zumal wo fie in gefchloffenen Siedelungen eine Aulturform entwidelt 
baben, von der man auf Grund von Vergleichen annehmen darf, daß fie Züge 
vom Seelifchen der betreffenden Raffe aufweift; — diefe an fich ganzheitliche Bes 
tradtung ergänzt er duch Erforfchung jener Rulturformen felbft, namentlich 
ihrer vollstümlichen Seite (denn die „höheren“ find ja zu fehr vom gemein 
europäifchen Bildungsgut beftimmt); — daneben betrachtet er tppifche Vertreter, 
die irgendwie für die Kultur bedeutfam find (was freilich erft gefcheben kann, 
wenn Dergleichsftoff vorhanden ift); — und fchließlich fügt er hierzu die Ber 
obadtungen uber Art und Häufigkeit von Verbrechen in Gebieten des Dorwiegens 
einer Raffe. Auf Mifcherfcheinungen und „Überprägungen“ gebt Gunther ein 
in „Raffe und Stil“ (München 1926). 

Kenz und Gunther ftügen fich in ihrer feelifchen Rennzeichnung der 
Raſſen ſonach vornehmlich — neben unmittelbarer Beobachtung der lebendigen 
Menfhen — auf die Leiftungen, die Rultur der Raffen. Wach dem, 
was wir über den Zufammenbang Seele —Leiib— Ausdrud— Derfteben wiffen, 
ift diefer Weg durchaus gangbar. Denn die Tat, das Wert ift ein befonders wichs 
tiger „Ausdrud“ des Wienfchen, wenn auch kein unmittelbarer, wie etwa die 
Mimi, fondern ein auf beftimmte Zwede gerichteter. Aber gerade darin Außert 
fic) der Geift einer Raffe, der fih in Werken zu verwirklichen trachtet. 

Kur muß fich, wer diefen Weg befchreitet, über die Schwierigleiten und 
Oefabren im Maren fein, denen er da begegnen muß. Allen kulturellen Außeruns 
gen liegen Wertungen zum Grunde. Aber Raffen (und Kulturen) tonnen 
nicht gegeneinander gewertet werden; es gibt feine an fich „böber‘‘ oder „tiefer“ 
ftebende Raffen. Eine Wertung ift nur von beftimmten Gefidtspuntten aus 
möglich, die man als foldhe kennen muß. Als folche bieten fich etwa an: die 
Widerftandsfabigteit gegen beftimmte Rrankheiten, die Anpafjungsfäbigkeit an 
die verfchiedenften Rlimate — fchlieglih auch die Cignung fur eine beftimmte 
Rultur. Diefe, nicht die „Begabung“ fcledthin (eine folcdhe gibt es nicht), ers 
fährt man in bezug auf im wefentlichen nordifche Kultur, wo man im Umtteis 
europäifcher Zivilifation Schulzeugniffe oder die meiften pfychologifchen Tefts 
befragt. „Begabung“ gibt es nur zu beftimmten Leiftungen. Sind das Leiftuns 
gen, für die der nordifche Menfch begabt ift und auf denen feine Kultur beruht, 
fo müffen gegen fie andere Raffen natürlich minder begabt erfcheinen — wie ums 
gelehrt der nordifche Menfch unbegabt ift für Leiftungen etwa der Liegers oder 
Estimotulturen. 

Eine Ausnahme bierpon leidet böchftens das reine Denken. Auch zu ihm 
mug man begabt fein, aber ihm ift doch kein befonderer Stil eigen: den Pytbas 
gordifdhen Lehrfat kann man nur „auf matbematifch‘‘ beweifen, nicht „auf nors 
dich‘ oder „auf hinefifch“‘. In diefem Sinne bat Konfuzius recht, wenn er 
fagt: „Zwifchen gebildeten Wienfchen gibt es keine Raffenunterfchiede“. In be: 


38 Volt und Raffe. 1932, I 
a ——— 


zug auf die Wiffenfchaft als folder tann man wobl von verfdiedener Bes 
gabungebdbe der Raffen fprechen, je nachdem, zu welcher Höhe der Abftraktion 
der Durchſchnitt oder die Beften einer Raffe fähig find. Cs gäbe aber ein völlig 
foffches Bild, wollte man von bier aus die Seele einer Raffe ergründen, denn 
— und dies gilt in gleicher WDeife für alle irgendwie feftgeftellten einzelnen 
Sunttionen und £eiftungen — nun lommt es darauf an, was eine foldye Begabung 
für das Banze diefer Seele bedeutet. 

Go weit fic diefe Derfuche, an die Raffenfeelen beranzutommen, nady der 
Weife matbematifcher Kiaturwiffenfchaft vollzieben, tonnen fie 3u keinen befriedis 
genden Ergebniffen führen. Brundverfchieden ift die pfychologifche Denktweife 
von diefer, die von großen Zahlen ausgebt, durdhfchnittliche Leiftungen und 
Unterfchiede feftftellt, fie auf ,€igenfdaften’ als eine Art feelifcher Elemente 
surüdführen will und aus ihnen auf Grund einer populären Charalterologie ein 
Bild der betreffenden Raffenfeele zufammenzuftellen trachtet. Aber auc dort, 
wo die Raffe als Banzheit ins Auge gefaßt wird — wie namentlidh bei Gunther 
— ift es Baum in einem Salle möglich, danach und damit die Raffenhaftigleit eines 
Einzelnen zu beftimmen, das zu erfaffen und zu gliedern, was man unmittelbar 
erlebt, wenn man Mienfchen verfchiedener Raffen oder gar Baftarden gegenüberftebt. 
Hinzulommen müßte die Beobadtung und Bewertung des unmittelbaren Auss 
druds: der Mimik und der Beten. An diefem Puntte vor allem können wir auch 
den Einzelnen faffen. Hieran fehlt es noch trotg wertvoller Anfäge, die nun der 
pfychologifchen Ausarbeitung barren. 

Um bier weiter zu kommen, ift die Befinnung auf den Ausgangspuntt, von 
dem oben die Rede war, erforderlich. Hier fegt die pfychologifhe Dentweife 
cin, fir welche gilt, daß ein Ganzes (auch „Raſſe“ ift ja ein Ganzes) mehr 
ift als die Summe feiner Teile. ft diefe Erkenntnis auch der biologifchen 
Haturwiffenfchaft nicht fremd, fo gebt doch die pfychologifche Betrachtung noch 
entfchiedener vom Banzen aus, deffen Befet fie in den Teilen und Gliedern 
wiederfindet, die fie von da ber verftehbt. Das gilt namentlich von der Banzbeit 
der Seele, aber auch von jeglichem Erleben, fofern man es nicht objeltiviert, fons 
dern eben pfychologifch betrachtet 8). „Das wirkliche pfychifche Befcheben vertnupft 
nicht ftüdtweife Einzels,Dorftellungen‘ mit anderen ebenfoldyen, fondern urfprüngs 
lich und regelmäßig verläuft der Strom des Erlebens ganzbeitsbeftimmt von Eins 
ftellung 3u inftellung, in heterogenen, ganz oder teilweife ungegliederten Roms 
pleren.“ 

Yun bat aber der Strom des Erlebens im Gegenfage etwa zum WWDaffers 
ftrom keine glatte Oberfläche, fondern fdhon im bewußten und bemerkten Erleben 
wird eine Bliederung erkennbar, am deutlichften im Erleben einer Tiefe. In ibe 
namentlich wird etwas ertennbar, was allem Erleben als zugrundeliegend gedacht 
werden muß: eine Strultur. In ihr, erfceheinungsmäßig im Werterleben, ers 
faffen wir den Rern der Perfönlichkeiten: „Eine wabrbaft wiffenfchaftliche, ges 
netifh und fozialpfychologifch durchgeführte Theorie der menfchlichen Lebenss 
formen, für welche das ‚Zentrum unferer Struktur‘ fehr viel mebr ift als ‚ein 
Bündel von Gefühlen und Trieben‘, erkennt in den Wertungsdispofitionen, nicht 
aber in den ‚Zwedzufammenbängen‘ den Rern fowohl der Perfönlichkeiten als 
des Rulturlebens“ (Rruegera.a. ©. ©. 51). 


8) Siehe Rrueger, Über pfydiiche Banzbeit. Lleue pfychol. Studien, I, 1, S. 27. 


1932, I R. $. Diergug, Über Raffe und Seele. 39 
u EEE SEE EEE Pe Ee 





iermit ift die Richtung gewiefen, in der eine Raffenpfychologie vorzus 
geben hatte; denn wo anders follte ,,Raffe zu erfaffen fein, wenn nicht im Bern 
der Derfönlichkeit? Raffe it das Befeyg der Banzbeit, erkennbar in übers 
greifenden Strulturqualitäten, die, „pfychopbyfifch neutral (Stern), fowobl 
den befeelten Leib wie die leibbaftig erfcheinende Seele durchberrfchen, die Weife 
ihres Erlebens und Außerns beftimmen. 

Sreilich ftellen fic der praktifchen Sorfchung erhebliche Schwierigkeiten ents 
gegen. Ks ift ja bekannt, wie fehr der Kern und die Anlage eines Menfchen durch 
Erziehung und andere Kinflüffe gemodelt werden können. Dor allem wiffen wir 
aud das Inhaltliche in Denken, Werten und Handeln eines Menſchen als ab⸗ 
bangig von vielen Außeren LUmftänden, zumal dem jeweiligen „Zeitgeift“. Auf 
808 Inbaltlidhe an fich, etwa die Zugehörigkeit zu einer Weltanfdauung oder 
einer Partei, kommt es darum im einzelnen Salle nicht an, wo es um das Raffifde 
der Seele gebt, fondern darauf, was aus der Umwelt und dem Schidfal einer 
Seele gerade diefen und keinen anderen Inhalt madht — die Dispofitionen. 
Yiun gibt es aber auch keine Dispofitionen fchlechthin; ftets muß angegeben wers 
den, worauf und wodurd fie gerichtet find. Wir dürfen auch nicht in den Sehler 
der alten pfychologifchen Schule verfallen, die Seele als eine Summe von Diss 
pofitionen erklären zu wollen. Diefe fteben vielmehr zueinander in ganz beftimms 
ten Derbältniffen und bilden zufammen ein „woblftrutturiertes Banzes“®). 
Diefes Ganze wird nun ebenfo vererbt wie fein „Entwidlungsmodue, d. b. 
die Art und Reihenfolge des ganzen pfychifchspbyfifchen Ablaufs von der Wiege 
bis zum Grabe (Sommer ©. 20). 

In diefem Gefey der Ganzheit, das die Weifedes Erlebens 
und Außerns wie die Art und Sorm des ganzen organifch> 
pfyhifchen Ablaufs beftimmt, ecfaffen wir die Raffenbhaftigs 
beit des Menfchen. Ls ift einerfeits ficher ererbt, andrerfeits aber auch der 
Betrachtung unmittelbar und in jedem Augenblid zugänglich, fofern man feinen 
Blil dafür gefchärft bat. 

Es ift nun erfreulich, zu feben, daß die Antbropologen vielfah in 
diefer Richtung gearbeitet haben, auch wo fie fich über ihre Erkenntniss 
grundlage nicht im Elaren find. So betont u. a. Scheidt, obwohl er fonft ganz 
mechaniftifch denkt, in der Raffenpfychologie werde „mit der Befchreibung von 
Außerungsunterfcdieden Befferes erreicht als mit ... Kigenicheftsunters 
fcheidungen“ (Raffenforfhung S. 15). Damit zielt er ja auf tonftante Auges 
rungsridtungen, alfo auf Strutturqualitaten. 

Betrachten wir aber auch die auf anderen Wegen gewonnenen Lrgebniffe, 
fo feben wir, daß die aufgeftellten „Rerneigenfchaften“ gar mande Abns 
lichkeit mit feelifhem Stil haben, zum mindeften läßt fi aus ihnen ein 
folder Stil ableiten. Man vergleiche 3. B. die angedeutete Beſchreibung der 
„mongoliſchen“ Seele durch Lenz: ift „trodene Hüdternbeit“ nicht in der Tat ein 
Zug, der — mit unferen Augen betrachtet! — in allen Außerungen mongolifcher 
Gefittung wiederzulehren fceint? in Stil, der felbft ihre Glaubens» und Sittens 
leben durchberrfcht? Wir kommen auf das Verhältnis „Stil“ und „Berneigens 
{daft nody einmal zurüd. 

Jedenfalls dürfen die Ergebniffe der bisherigen Verfuche, die feelifche Kigens 
art der Raffen zu befchreiben, nicht nur bei allen künftigen Verfuchen in diefer 

) So Sommer, Geift. Deranlagg. u. Dererbg., 2. Aufl., Leipzig 1939, S. 23, der 
fi darin ganz mit Rruegers Auffaffung dedt. 


40 Dolt und Kaffe. 1932, I 
$e ren RP ann 0 0 


Ridtung beadhtet werden, fondern fie müffen es auch, und wo ihr Bild geändert 
wird, bedarf dies in jedem Salle eingehender Begründung. Trog des Mangels 
an pfychologifcher Schulung haben die Anthropologen doch Wertvolles — wenn 
aud) nod nicht Legtgultiges — für eine Raffenpfpchologie geleiftet; und es ftebt 
zu hoffen, daß aus der Zufammenarbeit der Antbropologen, Pfydhos 
logen und AHiftoriler wirllidh Befriedigendes hervorgehen wird — allen 
Vorurteilen zum Troß, die dem namentlich auf geifteswiffenfchaftlicher Seite 
immer noch entgegenfteben. 

Es fei nun nod der Derfud eines Philofophen und Pfydologen betrachtet, 
der aud) vom unmittelbaren Erleben der Raffenbaftigteit ausging, nun aber zus 
nahft vom Rörperlichen abftrabierte. 

Ihm ift alles Leibliche nur Ausdrudsmittel für Seelifches und erbält von 
diefem feinen Sinn. Es ift Ludwig Serdinand Elauß, deffen Werte „Raffe 
und Seele“ und „Don Seele und Antlig der Raffen und Völker“ 
wir im folgenden zugrunde legen. 

Ihm ift Raffenpfychologie ausfhlieglihb Stilforfhung. Er betreibt fie 
am unmittelbaren, lebendigen Ausdrude der Menfhhen. „Raffe“ faßt er als Jdee 
im platonifchen Sinne auf, die fic in den Menfden in verfchiedenem Grade der 
Polllommenbeit verwirklicht. Darum zeichnet er von jeder Raffe jeweils das 
feelifehe Bild ihres volllommenen Vertreters, ihres „Edelings“, nicht ihres Durdys 
fehnittes. Diefer metapbyfifche Standpuntt ift als foldher weder zu beweifen noch 
zu widerlegen, wobl aber feine wiffenfchaftliden Auswirkungen. Wir haben 
zu fragen, ob die Wege, weldbe Clauß befchreitet, wiffenfchaftlih, d. b. für 
alle entfprechend Dorgebildeten begebbar find, und von bier aus feine Ergeb> 
niffe zu prüfen, wobei wir fie mit denen anderer vergleichen müjfen. 

€s erfdeint uns als einfeitig, wenn Claug nur den phanomenologifden 
Meg zur Raffenpfychologie für möglich hält. Aber wir können ihm doch in vielem 
zuftimmen. Go, wenn er ,,Raffe nidt als eine Summe von Kigenfchaften ber 
ftimmt, fondern als ein „inneres Befetz‘‘ — eben den Stil der betreffenden feelis 
ſchen Banzheit. Er werde erforfcht vom Erleben und feinem Ausdrud aus. Wir 
weren zu einem ähnlichen Ergebnis bereits gelangt und wollen nun zunädft 
Elauß’ Thefen über „Grundfragen ser feelentundliden Anthropologie (Don 
Seele u. Antlig S. 57 ff.) wiedergeben, welche feine Auffaffung der Bedeutung 
und der Grenzen diefer „mimifchen Methode‘, wie er fie nennt, zeigen. „Auss 
drud verfteben, beißt: das Krlebnis miterleben, das der Ausdrud ausdrudt‘“ 
(8. 58). Derfelbe Menfch bat teil an verfchiedenen „Beftaltideen‘ (er handelt eins 
mal als ,,Bauer“, dann als ,,@atte oder ,,@Gemeindevorfteber’ ufw.). Aber fein 
Erleben bat immer eine Weife, einen Stil, der alles beftimmt und durcdhwirkt. 
Der ,,Stiltypus wird „im Mitleben“ verftanden (S. 62). Durdy vergleichende 
Abgrenzung wird das fo Verftandene begrifflid geflart und „ertannt‘“. Wichtig 
ift es nun, die für eine Raffe typifchen Vertreter zu finden. Das gefchieht durdy 
Derfentung in die „Gefetzlichleit der Beftaltidee‘, durch „Erfahren einer Sülle 
von Einzelmenfcdhen und ihrer Welten“ (S. 64). Ift fo der Blid für den Stil 
(der für Clauß eben die „Befetzlichkeit der Geftaltiee’ ift) einer Raffe gefchärft, 
dann erkennt man fie felbft aus Teilen (3. B. einer Gefte) des Menfden. 

Über Stil und Ausdrud Außert er fich deutlicher in „Raffe und Seele“: 
„Artung‘ (fo nennt er bier das Stilgefeg im Erleben einer Seele) wird ertenns 
bar am Ausdrud, diefem „deutet‘‘ der andere fein eigenes Erleben „ein‘‘ und „pers 
ftebt‘‘ fie fo. Dom Ausdrudsftil unterfcheidet Claug den Ausdrudsinbalt, das 


1932, I R. $. Diergug, Über Raffe und Seele. 41 





Erlebnis. Bei Raffengemifchten wechfelt der Stil bisweilen mit dem Inhalt. Der 
„LKeibs Bauftil“ „umgrenzt ... den Umfang feiner (feelens) ftilhaften Mögs 
lichkeiten“ (S. 74 in „Seele u. Antlig). Wo verfudt wird, einen anderen Stil 
als den in Leibesbabnen vorgezeidneten auszudriden, entftebt ,,Dofe. Je Marer 
der Bauftil eines Leibes, defto deutlicher verlangt er eine beftimmte Weife feelis 
fben Ausdruds (GS. 74). Entfpridt ibm der Erlebnisftil der Seele, dann ift 
„volllommener“ Ausdrud möglich, andernfalls nur „gebrochener“ (S. 76). Züge 
des Antliges können „leer“ bleiben, wenn kein artechter Ausdrud fie belebt (S. 77). 

Derwidelt wird die Ausdrudsforfhung dadurch, daß der ftiltypifche Auss 
drud durd ation, Dolt, Stamm, Stand, Beruf und Einzelfchidfal vielfhichtig 
geprägt wird, doch ift durch alle Prägung, die Menfchen verfchiedener Raffe, 
aber 3. B. eines Berufes, einander angleichen kann, doch der Raffenftil erkennbar. 

Bwifchen den raffifchen Stiltypen einerfeits, den Prägungen, feelifchen Ans 
lagen und Kigenfchaften andrerfeits befteht das Verhältnis, daß fie zwar an fich 
(gemeint ift: begrifflich) von einander unabhängig find, daß aber jedes Stils 
gefeg gewiffe Prägungen, Anlagen und Kigenfchaften bes 
günftigt. Bei der Wichtigkeit gerade des letsteren Derbältniffes mögen Clauß’ 
eigene Worte bier fteben: „Jedes Stilgefetz begünftigt feinem Sinne nach ges 
wiffe Anlagen von Eigenfchaften, und zwar fo, daß gewiffe Eigenfchaften, wenn 
fie in einer Seele vom Stiltypus A auftreten, dort eher Zur berrfchenden Kigens 
fhaft innerhalb einer einzelmenfchlichen Anlage beftimmt fein können als in einer 
Seele vom Stiltypus B, ufw." (S. 99). 

Selbftverftändlich lonnen aud) nad) ClaugG die Raffen nicht gegeneinander 
gewertet werden. Dielmebr trägt jeder Stiltypus feine Wertmöglichleiten und 
ihre Ordnung in fich (S. 15). So fann man audy nicht, wie „Raffe und Seele“ 
ausführt, von „Seblern“ einer Raffe reden, das wäre genau fo unwiffenfchaftlich 
wie die Bezeihnung „nügliche“ und „schädliche“ Tiere. 

Unfere Bedenken gegen diefe Methode richten fich vor allem auf den Ans 
teil des Gubjettiven, der ibr bei ClaugQ anbaftet und fich im VDerfteben des 
Stiltypus durd Miterleben, dem Angelpuntt des Banzen, verdichtet. Die Grunds 
frage der mimifchen Methode ift überhaupt die: wie ift das unmittelbare Auss 
drudsverftcehen möglih? Daß es möglich ift, darüber kann kein Zweifel bes 
fteben, wenn auch die Menfchen in verfchiedenem Grade zu foldyer „Schau“ bes 
gabt find. Elauß nennt diefe Art des Verftebens „Mitleben‘‘ und befchreibt es 
als ein inneres Spielen der Rolle des anderen, auf diefe Wdeife könne man feine 
Welt und ihre Möglichkeiten in fich felbft erleben und abfchreiten. Es fei nicht 
beftritten, daß diefer Weg gangbar ift. Sceilich fpielt Gubjettives hierbei eine 
beträchtliche Rolle: man muß zu foldem „Syineinverfegzen‘‘ in den anderen fähig 
fein, irrationale Saltoren treten dabei ins Spiel, es ift unauflösbar verbunden mit 
der eigenen Erlebnisbreite, der perfönlichen Erfahrung u. &. ClaugG ift fich diefer 
Grenzen feiner Methode auch bewußt: über fie hinaus fei nur noch Schließen 
möglich. 

Ertennt man aud den Weg, in der Augerung Seelifcdhes zu erfaffen und 
mit ibm die Geftaltgefeglicdteit, als legitim, fo bleibt dod 3unddh(t und 3umal 
bei Elauß der Machteil des verhältnismäßig großen Anteils des Subjeltiven bes 
fteben. Er könnte ausgeglichen werden, wenn möglichft viele Sorfcher auf diefem 
Gebiete arbeiten und fi dabei tunlichft nachprüfbarer Mittel bedienen (3. B. 
tinemstograpbifdhe Aufnahmen mimifcher Reiben), die freilich durch die Llatur 
des GBegenftandes ziemlich eingefchräntt find — verbalten fid dod) die meiften 


42 Volt und Raffe. 1932, I 
eS SS SS SP 


anders, wenn fie merken, daß man fie beobachtet. Cin weiterer Ausgleich beftände 
in der Dergleihung mit Ergebniffen, die auf anderem, etbnograpbis 
fem oder biftorifhen Wege gefunden wurden. rft die innige Zufammens 
arbeit naturwiffenfchaftlicher und pfychologifcher Antbropologen liefert vertiefte 
und fichere Ergebniffe. 

£s bleibt uns nody übrig, kurz auf Elauß’ Ergebniffe einzugeben, wos 
bei audy Streiflichter auf das Verhältnis Stil und Eigenfchaft fallen werden. 

Die nordifde Raffe nennt Elauß „£eiftungstypus“, eigentlih „Auss 
griffstppus“. Jbr ift die Welt Gegenftand, objectum, nach dem fie ausgreift, 
den fie geftaltet. Das fetzt ein Abftandserleben voraus und erfordert Herrenart 
und Pflichtbewußtfein. In „Raffe und Seele“ wird diefes Welterleben fdylags 
wortartig zufammengefaßt als: „Der Abftand als Seld des Ausgriffs“. 

Die weftifche (mediterrane) Raffe beißt „Darbietungstypus“, ihre „zuges 
hoͤrige“ Landfchaft „mittelländifch“. Kine foldhe Seele erlebt die Welt als Tris 
bine und fic als Spieler, wie denn diefes Erleben in „Raffe und Seele“ getenns 
zeichnet wird durd: „Der Abftand als Seld des Spieles“, „Anmut im Spiele 
macht den Wert diefer Mienfchen aus“ (daf. S. $5). 

Die orientalifche Kaffe nennt er „Berufungstypus“ (bzw. „wöüftenläns 
dif). Ihre feelifche Grundhaltung ift ein ,,inborden“ auf das im Krleben 
Mechfelnde, häufig bingegeben an den Augenblid und die Stimmung, daber uns | 
bereyenbar und von „fließendem Umrig’ swifden Derfuntenbeit und auffprins 
gender Leidenfchaft. Ihre Adelsform ift der von Bott Berufene, der Prophet. 

Die vorderafistifche Raffe gipfelt im „Erlöfungstypus“. Sie kenns 
zeichnet ein „Hang“ aller (leiblichen) Sormen, ihr Bauftil habe Ahnlichkeit mit 
dem des Ramels (S. u. A. S. 29). Sie ift weltabgewandt oder gleichgültig 
gegen die Welt, das „Außere‘“, und dem Inneren, dem Geiftigen zugelebrt. So 
ift ihr nichts einfach felbftverftändlich, fondern alles erft zu ergründen, und darum 
erfüllt fie Mißtrauen und Wißbegier, die von anderen leicht als „zudringlich“ 
empfunden werden kann. Im Grunde erlebt fie ftändig einen WWiderftreit des 
„Sleifches“ mit den „Geift“. Der „Erlöfte‘‘, der Heilige, ift die Vollendung nach 
diefer Seite, während die Derleugnung des Beiftes zu Stoffs und Mactgier 
führt, die alt, aber erfolgreich ift — eine „verzerrte‘ Sorm. 

Die dinarifde Raffe fapt Clauß ale Mifchung des Leiftungss mit dem 
Erldfungstypus auf. 

Als letzte befchreibt Elauß den „Entbebungstppus“ („turanifch‘‘) und faßt 
darunter die oftifche (alpine), oftbaltifche und fudetifche Raffe zufammen. Diefer 
Menfch nimmt an allem gleich großen oder Beinen Anteil, ift mit allem im Grunde 
irgendwie unzufrieden. Diefe Seele traut fich nicht recht, FÖBt nicht vor bei Bes 
rubrung mit Sremdem, fondern fchrumpft in fich zurud (in Raffe und Seele: in 
ihre „dumpfe Rugel“, ein Bild, das viel mehr befagt, als durch Begriffe zu ums 
fhreiben wäre). Sie erlebt ohne Abftand, fucht vielmehr nach warmer Fiäbe. 
Darum ift ihr das Herrentümliche fremd, fie fucht ihren Wert im Dienen. Ihre 
Vollendung findet fie als „Weifer‘, der, allem Streit „entboben“, in „fchmels 
zender Ausgeglichenbeit‘‘, mit gleicher Kiebe das Größte wie das Rleinfte ums 
faffend, befhaulich mit allem und vertraulich Iebt. 

Im erften Buche, „Raffe und Seele“, unterfcheidet Clauß biervon noch die 
oftbaltifche Raffe und befchreibt fie andeutungsweife als ein Erleben, das immer 
ganz ausgefüllt ift von einem Du oder — von außen betrachtet — jeweils der 


1932, I %.$. Diergug, Über Raffe und Seele. 43 
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Spiegel des anderen iſt. Ganz kurz kommt Clauß im zweiten, „Seele und 
Antlitz, dann auch auf die faͤliſche (daliſche) Raſſe zu ſprechen, die er als „Be⸗ 
harrungstypus“ kennzeichnet. — 

Obwohl wir uns hier immer der Clauß ſchen Sprache bedienten und in 
feinem Sinne den Stil, zu befchreiben fuchten, fällt doch die Derwandtfchaft diefer 
Bennzeichnungen mit den „Rerneigenfchaften“ auf, die andere Sorfder den 
Raffen zufchrieben — fowohl inbaltlid als aud formal. Das ift angeficts der 
obenerwähnten Zufammenbänge zwifcdhen Stil und Kigenfhhaft nicht verwuns 
derlih. Aber wir bemerken doch auch bei diefen Stilbefchreibungen, daß fich 
eigenfchaftliche Wendungen nicht ganz umgeben laffen. Clauß fcheint fich diefes 
Umftandes nicht bewußt geworden zu fein. Unterfuchen wir feine Gründe, fo 
finden wir fie darin, daß man einen Stil nur mit Ausdrüden befchreiben kann, 
die formal „Kigenfchaftswörter‘‘ find, pfychologifch freilid Romplerqualitäten 
bezeichnen. 

Das fei an einem Beifpiel verdeutlicht, welches Elauß felber zur Erläutes 
rung des Verbältniffes Stils@igenfhaft bringt. Er ftellt nämlich im Bilderteil 
den Sreiburger Dom und die Eheopsppramide gegenüber: beide haben die gleiche © 
Eigenfcdhaft „body“ (etwa 145 m), feien dies aber auf verfchiedene Weife. Ja — 
will man aber nun diefe Weife, diefen Stil des AHodfeins befdreiben, fo ift man 
genötigt, zu Rennzeichnungen zu greifen wie: „fchlant, ftrebend, loder, lebhaft‘ 
auf der einen Seite, „did, laftend, fchwer, gerubig‘“ auf der anderen. 

Andererfeits ift in den Eigenfchaftswörtern, mit denen wir die Seele unferer 
Mitmenfchen belegen, zugleich auch etwas von Stilempfindungen vorhanden, 
man vergleiche „fteif — bölzern — tölpelbaft‘“ oder „EHugsgeicheit — ſcharfſinnig“ 
ufw. Und wo Elauß die Kigenfhaft „Derfchlagenbeit“ in mebreren Stilen 
zeigt, würde man auch diefen mit Cigenfdaftswortern befchreiben können: „vers 
ſchlagen — liſtig — verfhmigt“. Sreilidd dürfte es fewer halten, in Deutfchs 
land nidt häufig vorkommende Raffen auf diefe Weife zu treffen, da unfere 
Wörter eben an Beobachtungen in unferer Umgebung gebildet find. — 

Elauß’ zweites Wert, „Don Seele und Antlitz der Raffen und Völker“, 
war als 3. Auflage des 1926 erfchienenen „Kaffe und Seele“ gedacht. In diefem 
ift manches weiter ausgeführt, aber die 2. Auflage ift beffer gegliedert und im 
Ganzen dsurcdadter. Er befchreibt bier Stiltypen als LeibsSGeelesinbeiten, mit 
jenem beginnend, und gibt nur ab und zu Zuge aus dem (wie er meint: gleichen) 
Stil der einer Raffe (ftilmäßig) zugehörigen Landfchaft an, während er in Kaffe 
und Seele von der Landfchaft auszugeben fuchte. Dies ift wohl der fdhwächfte 
Puntt feines Wertes, zumal eine Begründung des Zufammenhanges zwifchen 
Kandihaft und Kaffe wiffenfchaftlih fchwer auf befriedigende Weife möglidy 
fein dürfte (außer Prägungen, die eine Landfchaft Abnlich einem Berufe ihren 
Menfden aufdridt — aber die meint Elauß nicht, er behauptet Stilverwandts 
fdaften). Trotgdem kann nicht geleugnet werden, daß im unmittelbaren Erleben 
eine foldye Kinhelligkeit empfunden wird. 

Alles in allem genommen ift Claug’ £eiftung nicht nur beacdhtenswert, 
fondern in hohem Grade aud adhtenswert, man mag fid 3u den einzelnen Ers 
gebniffen ftellen, wie man will. Uns fcdeint, als bedurfe die oftbaltifche und die 
dinarifche Raffe noch einer befonderen, eingebenderen Behandlung und als müßte 
auch die Stilbefchreibung der vorderafiatifden Raffe in manchen Zügen berichtigt 
werden (ein unverbildetes Wefen, das fein Dafein von vornherein als Zwiefpalt 


44 Dolt und Kaffe. 1932, I 








empfindet, erfcheint uns fragwürdig), zum mindeften bedarf die bier vorhandene 
Abweidhung von anderen Beichreibungen (bei Lenz, Gunther u. a.) einer Bes 
gründung. Aber Elauß betrachtet ja felbft feine Arbeit als eine vorläufige, die 
zur Klachprüfung und zum Ausbau anregen foll. 


Der Slud) der Arbeit." 


Don Dr. Harald SGpebr, Leipzig. 


ED" verbreitet und aud von Wiffenfchaftlern vertreten ift die Anficht, daß 
nach der urfprünglichen Auffaffung des Germanen Arbeit etwas fei, was 
des freien Mannes unwürdig ift, was er Srauen und Anedhten überläßt. Das 
Joeal des freien Mannes fei, andere für fich arbeiten laffen und felber nichts 
zu tun. 

Daß es das wirklich gewefen fei, behauptet eine Reihe nambafter Sorfcher, 
von denen ich nur Karl Weinhold, Sriedrih Kauffmann, Otto Schrader und 
Sriedrih Aluge nenne. Leider babe die zunehmende Ausbildung der Technik des 
Aderbaues den Mann mit der Zeit gezwungen, felber mit Hand anzulegen. Urs 
fprünglich aber babe er, auf der Barenbhaut liegend, Srau, Rinder und Gefinde zur 
Arbeit tommandiert, „denn der Mann auf diefer Stufe wehrt feine Serrfchaft durch 
grundfätzliches Llichtzugreifen bei allem, was er für fic tun laffen tann und will 
(Eduard Herd). 

Den gefund fühlenden und dentenden Deutfchen kommen bei diefen Ausfühs 
rungen, wenn fie auch noch fo beftimmt vorgebracht werden, Zweifel an, und er 
fragt, mit welchem Rechte die Wiffenfchaft diefes Bild von der Stellung des gers 
manifchen Mannes zur Arbeit zeichnet. 

Da balt man ihm als Rronzeugen den Römer Tacitus entgegen, der im 
14. Stüd feiner „Bermania“ (nach der Ausgabe und Überfezung von Eugen Sebrle, 
Münden, I. S.£ehmann 3929, S. 19) folgendes berichtet: „Man kann fie leichter 
dazu bringen, den Seind berauszufordern und fih Wunden zu bolen als die Erde 
3u bebauen und mit einer Ernte zu rechnen‘, und bald darauf im 15. Stud (Sebrle 
Seite 21): „Die Sorge um Haus, Herd und Seld ift den Srauen, den alten Leuten 
und fhwächlicheren Mitgliedern der Samilie überlaffen; fie felber regen fic nicht“. 
Das ift freilich deutlich genug, und wir baben auch gar keinen Grund, an der 
Richtigkeit deffen, was Tacitus berichtet, zu Zweifeln, zeigt fich doch immer wieder, 
wie zuverläffig die Quellen find, die er für feinen völkertundlichen Bericht benutzt 
bat, wie fcharf und genau die Römer fremde Völker zu beobachten verftanden 
haben. Tacitus Worte find volllommen richtig. Und dod ift es vollfommen 
falf{d, wenn man bebauptet, die Germanen batten die Arbeit fur etwas Sdmab= 
lides gebalten und fic als freie Männer nicht damit abgegeben. 

Die Sorfhung bat bier einen Sehler begangen, wie er ungezäblte Mal vors 
kommt: Man reißt ein Stüd, einen Satz aus dem Zufammenbange, weil er einem 
gerade in den Kram paßt — in diefem Salle in das auf Grund von Berichten über 
andere Völker konftruierte Schema —, und gibt ibm damit einen ganz anderen 
Sinn, als wie der Derfaffer ihn gemeint bat. 

Lieft man den bier in Stage fommenden Abfchnitt, die Stüde 13—15, bei 
Tacitus im Zufammenbang, fo fiebt man, daß bier überall nur von der germanis 


1932, I Sarald Spebr, „Der Study der Arbeit”. 45 





fhben Befolgfhaft die Rede ift. Erft fpricht Tacitus über die Webrbafts 
machung des Junglings, dann uber das Wefen der auf einem gegenfeitigen Treues 
verhältnis berubenden, von den Römern ftark beachteten Befolgfchaft. Die Schils 
derung der Gefolgfdaft im Rampfe führt zu der Srage, woraus der Gold und 
Unterhalt diefer Leute beftritten wird. Tacitus erklärt: „Die Verpflegung mit 
einem zwar einfachen, aber doch reichlichen Aufwand gilt als Sold. Die Mittel 
zu Bejchenten werden duch Rrieg und Raubzüge erworben‘. Daran fchließt fich 
die erfte der oben ausgebobenen Stellen. Daß zwanzigjährige Jünglinge lieber in 
Rrieg und Abenteuer ziehen, als friedlich den Ader bebauen, ift fo natürlich wie 
möglidy und wohl zu allen Zeiten bei den Germanen fo gewefen. Über die ins 
ftellung des reifen Mannes zur Arbeit ift damit nichts gefagt. 

Auf die Schilderung der Befolgfchaft im Rriege folgt bei Tacitus fo logifch 
wie möglich ihr Leben im Srieden. Da ift die einzige Befchäftigung der Gefolges 
leute die Jagd; fonft tun fie nichts. „Berade die Tapferften und Rriegstüchtigften 
verrichten keine Arbeit.“ „in merktwürdiger Widerfpruch in ibrem Wefen; da 
diefelben Wenfchen fo den Müßiggang lieben und die Rube baffen.“ Zwifchen dies 
fen beiden Sägen ftebt die zweite der oben angeführten Stellen. Auch bier ift die 
Beziehung allein auf die Befolgsmannen Mar. In den Ausdriden ,,Srauen, alte 
£eute und Schwaͤchlinge“ glauben wir nod den Hochmut zu hören, mit dem der 
germanifhe Bewährsmann diefes römifchen Berichtes, ficher ein junger ftolzer 
®efolgsmann, auf die ruhig dabeim SGigenden berabgefeben bat. Ein paar Jahre 
fpäter ift auch er ficher auf den väterlichen Hof beimgetebrt. 

Denn diefe Verachtung der bäuerlichen Arbeit ift, wenn fie überhaupt vors 
banden gewefen ift, nur eine ganz vorübergehende Einftellung der Jugend. 

Jslands Gagaliteratur, diefer reiche Schaß, aus dem wir wahre Kenntnis 
germanifden Wefens gewinnen können, zeigt viele Flordleute aus Bauernges 
fclechtern, die in jungen Jahren auf Wilingfabrt ausziehen, um dann bald, wenn 
fie fic die Hörner abgeftoßen und Beute und Ehre errungen haben, auf den beimats 
lihen Hof zurüdzulehren und dort die Wirtfchaft zu übernehmen, wobei fie fich 
nicht fcheuen, auch felber, wo es not tut, Hand anzulegen. 

Damit fcheint die Thefe von der Verachtung der Arbeit bei den Germanen als 
ein Mißverftändnis erwiefen und erledigt zu fein. Aber die Verteidiger diefer Bes 
bauptung baben noch einen zweiten Beweis, diesmal einen fprachlicher Art: Das 
Wort ,, Arbeit felbft. 

Arbeit ift nämlich ein in allen germanifden Sprachen verbreitetes Wort, 
und überall bat es die Bedeutung des Mühevolien, Befchwerlichen, Läftigen. Llocdh 
in neubochdeutfcher Zeit fonnte man fagen „Arbeit leiden“. Sur das Mittelalter 
genügt es, auf den belannten Anfangsvers des Flibelungenliedes binzuweifen: 

„Uns ift in alten maeren wunders vil gefeit, 
von beleden lobebaeren, von grözer arebeit.‘“ 

Aud das dazugehörige Zeitwort „arbeiten“ bat zunächft die Bedeutung 
„ſich abmuͤhen“. Llody bei Rlopftod beißt es: „Sein Auge arbeitete mit fcharfem 
unterfuchendem Blid, die ftolze Stadt zu erkennen“. Daber mug dem Worte 
Arbeit dod) von Anfang an die Bedeutung des Schweren, Laftigen, gern Bes 
miedenen angebdrt haben und die Arbeit als etwas angefeben worden fein, dem 
man fich gerne entzog. Don einer erniedrigenden Bedeutung des Wortes Arbeit, 
die zeigt, daß man diefe als Schande, als des freien Hannes nicht würdig emps 
findet, ift freilich hier nichts zu finden. Etwas Befchwerliches entehrt noch nicht. 


46 Dolt und Kaffe. 1932, I 





Diefe Bedeutung kommt erft durd die außergermanifche Derwandtfchaft des Wors 
tes hinzu. 

Zu dem neuhochdeutfchen Worte Arbeit gehört nämlich zweifellos das alts 
flawifdhe rabota ,,Dienerarbeit (das feinerfeits wieder in fpäterer Zeit als Ros 
bot ,,Srondienft ins Deut{de übernommen worden ift), das zu altflawifcy rabu, 
robu „f£eibeigener, Bnnedht‘‘ gebört. ft im Deutfchen eine entfprecyende Deutung 
von „Arbeit‘‘ nicht nachweisbar, fo zeigt das verwandte flawifche Wort doch, daß 
eine berabfetzende Bedeutung zum mindeften nabelag. 

Alle Siefe fprachlicden Beziehungen und Deutungen befteben zu Recht. Und 
dod beweifen auch fie nicht das, was fie beweifen follen. Denn das deutfche Ars 
beit, altnordifch erfidi und ihre Derwandten in den anderen germanifcdhen Spras 
chen bedeuten urfprünglihd nur „Mübe, Befchwerde“ und haben die Bedeutung 
unferes heutigen „Arbeit‘ erft fpäter auf gleich zu erdrternde Weife erhalten. Das 
eigentliche germanifche Wort für das, was wir heute mit Arbeit bezeichnen, ift 
„Merk mit dem dazugehörigen Zeitwort „wirken“, zu dem auch das mit „jchöps 
fen“ zufammenbängende „fchaffen“ tritt. Heute noch überwiegt vert im Jess 
ländifchen bei weitem die Derwendung von erfidi, wie feine vielen Ableituns 
gen und Zufammenfegungen beweifen. Diefes Wort, das im Hochdeutſchen ſtark 
an Geltung verloren bat, bedeutet urfprünglich jede Tätigkeit, jede fchaffende Ars 
beit, und „wirken“ ift das Tätigfein und Arbeiten fchlechtbin. 

Damit fcheidet auch diefer „Beweis“ für die altgermanifche Zeit aus, 
und es bleibt noch die Srage zu beantworten, wie der Bedeutungswandel des Wors 
tes Arbeit aus „Mühe, Befchwerde“ zu „zwedmäßiger Beichäftigung‘ und deren 
Prodult zu erllären ift. 

Da zeigen die nordifchen. Quellen unzweideutig, daß die Umdeutung von 
„ruhe“ in „Arbeit“ ein Werk der hriftlicden Miffion ift. Die Beiftlidhen gingen 
von dem altteftamentlichen Begriff der Arbeit aus. Sie war für fie, entfprechend 
1. Mofe 3, 17—19, eine Strafe Gottes, ein Stuch, den Bott wegen des Sündens 
falls auf die Menfchen gelegt batte. Daher wählten fie, wenn es fi um die Übers 
fegung biblifcher Ausfprüce handelte und danach auch in ihren eigenen Reden 
und Schriften ftatt des üblichen verk das in diefer Anwendung noch nicht ges 
brdudlide erfidi. Damit wurde den Lleubelehrten die im fruben Chriftentum 
fortlebende judifche Auffaffung der Arbeit hHöchft deutlich vor Augen geführt, 
denn fir fie hatte das Mdort natürlich noch die alte Bedeutung. Wie ftark aber 
dem Germanen eine andere Schätzung der Arbeit eigen ift, bezeugt kein geringerer 
als Martin Luther, wenn er bei der Oberfegung von Jefus Girad 13, 20—21 
bewußt an die Stelle des in dem Urtert wie in den vorlutberifchen Bibeluberfetguns 
gen ftebenden Ausdruds ,mubevolle Arbeit’ das Wort „Beruf“ fett: „Bleibe 
in Bottes Wort und übe dich drinnen und bebarre in deinem Beruf; und laß dich 
nicht irren, wie die Gottlofen nah But trachten. VDertraue du Gott und bleibe 
in deinem Beruf. Rlarer konnte er es nicht ausdrüden, daß für ihn und für den 
Deutfchen überhaupt Arbeit etwas ift, wozu der Mienfch berufen ift, was zu feinem 
Menfchfein gebört. 

Auf deutfchen Boden läßt fich diefer Bedeutungswandel nicht gut verfolgen, 
weil bier die literarifche Tätigkeit von Anfang an in den Händen der Geiftlicdleit 
liegt. Aber man achte einmal darauf, wie wenig beimifch das Wort „arbeiten“ in 
den meiften unferer Mundarten ift. Sie brauchen ftatt feiner alle möglichen andes 
ren Ausdrüde: fchaffen, wirken, tun, machen — das von der Rirche geprägte ars 





1932, I Rleine Beiträge. 47 


beiten ift ihnen meift fremd geblieben oder erft in neuerer Zeit aus der AHocfprade 
eingedrungen. — 

Welde Auffaffung der Arbeit ift nun die dem germanifden Menfden ges 
mäßere? Die von der Arbeit als einem Sluch, der auf dem Menfden rubt, die ges 
boren ift auf afiatifdem Boden, unter der Blut einer erfchlaffenden Sonne, die 
Flichtstun als den Jdealzuftand erfcheinen laffen muGte? Oder die von der Arbeit 
als einem wertefchaffenden Wirken, die unter den kühlen Rlima eines nördlichen 
Himmels dem energifchen, zur Tätigkeit drängenden nordifchen Menfden eine 
Selbftverftändlichkeit war? ch denke, die Antwort verfteht fich von felbft. Das, 
was die Llatur uns in unfer Blut gelegt bat, ift das uns Bemäße, das wir gegen» 
über allen fremden Einflüffen zur Geltung bringen müffen. Die Befinnung auf 
die nordifden Grundlagen unferes OOefens tut unferem Doll gerade heute befons 
ders not. 


Alleine Beiträge. 


Pieue Arbeiten zur Deutfhwerdung ses Oftens. 
Don Ardivdirettor Dr. Hans Witte. 
(Sortfegung.) 


Das ganz von Deutfchen umgebene Ermland aber bat fich trog Rekatholifierung, trog 
polnifcher Bifchöfe und Domberren fein Deutfchtum erhalten. Die Befchichte der Rolonifas 
tion des Ermlands auf Grund einer überaus reichen urtundlichen Überlieferung, Ort für Ort 
mit fid immer gleichbleibender Benauigleit und Treue zu fdreiben, ift das Lebenswert 
Victor Roͤhrichs gewefen. Erft nach jeinem Tode erfchien noch unter feinem Llamen das 
Werk, das zufammenfaffend die Summa aus feiner Lebensarbeit zieht, „Die Befiedlung 
des Ermlandes mit befonderer Berüdjichtigung der Herkunft der Siedler” (Zeitfchr. f. d. 
Geſch. u. Alterttde. Ermlands, 22. Bd., 1925, G. 256—297). Es zeigt, wie troß der 
ungebeuren Rriegsverwüftungen der 11/3 Jahrhunderte währende und gegen 1400 im großen 
und ganzen abgefchloffene Wiederaufbau überwiegend mit Stammpreußen durchgeführt 
wurde. „Unfer Blut ift febr viel ftacter, als wir glauben, mit ftammespreußifchem Blut 
durchfetgt“ (5. 264). Lieben den Stammpreußen treten bei der Wiederbeftedlung befonders 
die Lliederdeutfchen und nähft ihnen die Schlefier hervor. Die Mationalitat und Sprade 
der nad) Süden zu immer ftärter überwiegenden Stammpreußen „blieben ihnen unangetaftet“ 
(G. 279). Die Ermländifchen Bifhöfe dachten nicht an LUnterdrüdung oder gar Auss 
rottung. Obne jeden Zwang ging die alte Bevölkerung im Deutfhtum auf. Ihre legten 
Refte cafften die Kriege des 15. und 16. Ib. hinweg. 

Die polnifche Einwanderung, wie fie danach u. a. von polnifchen Bifchöfen namentlich 
in die füdlichen Landesteile geleitet wurde, fhhildert Leo Witfchell, Die völkifdhen Ders 
baltniffe in Mafuren und dem füdlichen Ermland (Deröffentl. d. Geogr. Inftit. der 
Albertussliniverfität zu Rönigsberg, Heft V, 1926), zurüdgreifend auf ihre älteren Dors 
läufer und mit ihren Auswirkungen bis in die neuefte Zeit nebft ftatiftifchen Angaben über 
den Aid gang, dec Mafuren. 

Hans Sdhmaud, Zur Srage der mafurifchspolnifchen Bevölkerung im fudliden 
Ermland (Zeitfehr. f. 8. Gelb. u. Alde. Ermlands 1927 S. Is3—190) greift Witfchells 
Behauptung an, daß ins füdliche Ermland die polnifdhen Roloniften aus Weftpreußen und 
über Domefanien eingewandert wären, während im fonftigen Süden Oftpreugens Mafuren 
angefiedelt feien. Er ftellt ergänzend feft, daß fich fhon 1502 im Liordoften des Rreifes 
Altenftein Mafovier — haben, ja daß fogar fon feit 1484 gelegentlid Mafuren 
unter den Anfiedlern im „Domtlapitulären Amt Allenftein? genannt werden. Don befons 
derer Wichtigkeit ift feine Seftftellung, daß man fchon um die Wende des 15. zum 16. Ib. 
„bewußt 3zwifhen Mafowiern und Polen unterfhieden” bat (S. 133f.). 
ine Tabelle über die Slaweneinwanderung feit 1484 zeigt deren Möbepunlt von 18520 


48 Dolt und Raffe. 1932, I 
La a ae aa aa SR En Ea ma a IA Ee ee ———— 





bis 1529 mit 29 v.%. Go beginnt in Ermangelung anderer Siedler im 16. Ib. die Übers 
fremdung des füdlichen Ermiands, „das bis dabin im wefentliden eine preußifchsdeutfche 
Mifhbevälkerung aufzuweifen batte“. 

Eingebend bebandelt Hans Shmaud die gefdidtlide Bedingtbeit diefer Dor: 
gänge in Feiner Unterfuhung „Die Wiederbefiedlung des Ermlandes im 16. Jabrhundert“ 
(ebd. 1929 5. 537—732). Er fcildert die Derwiftung des Landes nad einem Jahrhundert 
voller Rriege (1410— 1525). Saft die Halfte der Hufen war wüft geworden, das Land nicht 
mebr in der Lage, die entftandenen Lüden aus eigener Rraft auszufüllen. Die Heranziebung 
von Ausländern, namentlid Mafowiern, wurde dadurd — wie aud im benadbarten 
Ordensftaat — unvermeidlid. Der Menfcenmangel bewirlte aud, daß „eine ganze Reibe 
von friiberen Décfern ... ganz oder teilweife in adlige Güter verwandelt“ wurden (3. 594). 

Saft erfcheint es wie ein Wunder, daf trog alledem das Ermland feinen deutfchen 
Charalter zu erhalten vermochte und daß fogar das bedeutend weniger tolonifierte Wefts 
preußen, mit dem es einer 300 jäbrigen polnifchen Herricdhaft unterworfen war, im Jabre 
1772 nod mit einer zur guten Halfte deutfchen Bewobhnerichaft unter deutfche SHerrichaft 
konnte. Welcher Unterfchied gegen heute — nicht viel mehr als zehn Jahre 
nad 1919! 
fteben wir mitten im deutfchspolnifchen Ringen um den Boden. Weiter 
udlich in 

Dofen und Polen 

ift es mit nicht geringerer Zäbigleit durdhgelämpft worden. Die waldfreien Räume, an die 
bier wie überall die menfchliche See bis in mittelalterliche Zeiten gebunden war, fucht 
Walter Maas, Beziehungen zwifchen ältefter Befiedlung, Pflanzenverbreitung und Böden 
in Oftdeutfchland und Polen (Defde. Wiffenfd. Zeitfchr. f. Polen, Heft 13, 1928, S.5—31), 
mit Hilfe der alte Steppenbdden und fdbwarze Erde kennzeichnenden pontifchen Pflanzen 
feftzuftellen. Er findet fie in dem Schwarzerdgebiet Cujaviens, das alfo aud fur Pofen den 
Mauptfiedlungstern darftellt. Vorber fhon hatte er „Die Entftebung der Pofener Rulturs 
landfchaft. Beiträge zur Siedlungsgeograpbie“ (Pofen 1927, aud) Heft 30 obiger Zeitfchrift) 
bebandelt, obne den Entfchluß 3u finden, im Streit um die Laufiger Rultur eindeutig 
Stellung zu nehmen. Er erflact ibren flawifden Charatter nur ,fuc febr wenig wabre 
fcdeinlid”, nicht aber fir ,vdllig ausgefdloffen’ (S. 13). Sein Verſuch, aus der Maffe 
der deutfchrechtlicdhen Dörfer die auch der Volkszugebörigteit nach deutichen auszufondern, 
endet auf etwas fchematifche Art damit, daß er die Klationalität des Schulzen, Lolatore, 
entfcheidend madt. Dantenswerter ift das Bild, das von den für die deutjche Siedlung 
fennzeicbnenden Angers und Waldbufenddrfern mit ibren didten Anfammlungen gegen die 
möärlifche und fchlefiiche Grenze mit Hilfe einer Rarte geboten wird. 

In erfter Linie aktuelle Sragen bebandelt Sriedrih Heideld, Die Stellung des 
Deutfchtums in Polen (Dtfche. Blätter in Polen Ig. VI, 1929, S. 49— 104), gibt aber eins 
leitend eine kurze, aber brauchbare Überficht über die deutſche Beſiedlungsgeſchichte und den 
Sprachenkampf in Polen. W. Ruhn, Die deutſchen Siedlungsformen in Polen (Dtiſche. 
Blätter in Polen Ig. VI, 1929, S. 309—324) gibt an der Hand der Siedlungsformen ein 
zufammenfaffendes Gefamtbild der deutfchen Siedlungstätigkeit. StraBens, Angers und 
Waldbufenddérfer fteben aud ibm im Vordergrund. Aber diefe Sormen wurden aud von 
Polen und Rafchuben übernommen. Die Waldbufendörfer, die im Süden und Often bes 
fonders in Hügelland und Mittelgebirge von Deutjchen eingeführt wurden, find beute nur 
nod deutfd in der LKiffaer Gegend und auf der BieligsBialaer Spradinfel. Im übrigen 
find fie heute überwiegend polnifh durh Auswanderung, Sprahwechjel oder Übernahme 
der Sorm durch die polnifche Innenkolonifation. Als legter Ausläufer diefer deutjchen Bes 
wegung erfdeint das litauifche Waldhufendorf bis ins 17. 3b. Lingebend wird auch die 
Holldndereinwanderung bebandelt, die um 1560 mit Einzelbof und Marfchbufendorf im 
Danziger Werder einfegt und über die Lictes und Wartbeniederung im 17. und 38. Jb. 
weidhjelaufwärts Plocz und Warfchau erreicht, bei den fpäteren Siedlungsporgängen nur 
nod 3um Teil oder nur noch dem Kamen nad Holländer (Sauländer). Auch ganz neuzeits 
lie Siedlungsporgänge mit ihren Ausftrablungen nad Wolbynien in’s innere Rußland 
und nad Sibirien finden Berudfichtigung. 

Welle auf Welle feben wir bier Deutiche in Polen einftrömen, das polnifhe Land zu 
höherer Rultur bringen und fchlieglich, wenigftens zum febr großen Teile, ihrer angeborenen 
Voltsart ree geben. Sur Zeit der großen Rampfe mit dem Deutiden Ritterorden 
lebten „im Dolenlande nod zablreihe Refte der deutfchen Rolonifation der früberen Jahr⸗ 
hunderte”. Sie wurden von den Polen des Einverftändniffes mit dem Seinde verdächtigt. 
In der Stadt Pofen beftand damals, wie Adolf Warfchauer, Aus der Befchichte des 


1932, 1 Rleine Beiträge. 49 
EEE 


Kletionalitätenlampfes im 35. Jabrbundert (Bifhe. Willen. Zeitfchr. f. Polen Heft 3, 
1923, S. I—4) zeigt, zur Zeit der böchften Spannung des Rampfes (1454) der Rat faft 
ausfhhlieglih aus Bürgern deutfcher Abftammung. Trog Befduldigung des Hodverrats 
zeigte auc der neugewablte Rat faft nur deutfche Liamen. „Es muß damals das Patriziat 
der Stadt nod fait volltommen deutfcher Abkunft gewefen fein, fo daß es keine andere 
Moͤglichkeit gab, als Deutfche zu wählen.“ 

Wie fih der Sprach und Mationalitatentampf in neuefter Zeit abgefpielt bat, darüber 
unterrichtet uns fortlaufend Manfred Laubert in nie raftender Arbeitsfreude. Seine 
„Studien zur Gefdhichte der Provinz Pofen“ (Difche. Wilfenfch. Zeitichr. f. Polen Heft 13, 

927) find in der Hauptfache Derwaltungsgeidichte. Doc fchildern fie im Abfdnitt I , Das 
fener Deutidtum im Herzogtum Warfdhau“ nad einer Eingabe von 1815 die Leiden 
der Deutfchen im Herzogtum und die Schwäche der preußifchen Regierung, die in diefer 
Übergangszeit mehr auf den feindlihen polnifhen Adel hörte anftatt fich der berechtigten 
deutfchen Beichwerden anzunehmen. Unter „Polentum und Minderbeitenfdug nad) 1815“ 
wird weiter die Anmaßung der Polen dargeftellt, die trog woeiteftgebenden Entgegen» 
tommens der preußifhen Aegierung diefe mit unbegründeten Befchwerden über Benadhs 
teiligung der polnifchen Klationalität überfchütteten, obne jemals die gebubrende Antwort 
zu erbalten. Auch dein berausfordernden Pochen der Polen auf Anwendung ihrer Sprache 
im Derclehbe mit der preußifchen Regierung woußte diefe nah Laubert, Epifoden aus dem 
deutfchspolnifhen Spradentampf um 3830 (Brenzmärtifche MHeimatblätter, Schneidemühl, 
2. 3g. 1920, SG. 9—23) nur eine unverändert fdhonungsvoll entgegentommende altung 
entgegenzufegen. 
aß tatfählih „in Pofen Schule, Rirdye und Derwaltung nach 1835 größtenteils in 
den Mäanden der Polen verblieben“ und daß 75 Jahre fpdter nokh Bürgermeifter geduldet 
wurden, „die fein Wort deutfch konnten“, erfahren wir ebenfalls durh Laubert, Beis 
träge zum Spradhs und Llationalitätenverbältnis in der Provinz Pofen um 1830 (Dtiche. 
Blätter in Polen Ig. 5, 1928, SG. 415—427). Er ftugt fid dabei auf Alten der Pojfener 
Regierung u. a. eine auf den Oberpräfidenten Slottwell zurüdgeführte Dentfchrift v. I. 1831, 
worin aud das Verbältnis der Sprade zur Ronfeflion erörtert wird. Llamentlih im 
Weften der Proving und in den Städten wird auc bei den Ratboliten eine ftarte Ders 
breitung der dSeutfden Sprache hervorgeboben. Anderfeits find die fieben reformierten 
Unitätsgemeinden nach Abftammung polnifd, aber „größtenteils der Sprache und Ges 
finnung nad germanifiert“ duch Anlehnung an die deutfchen Evangelifhen. Das Zahlens 
verhältnis in der Provinz war damals 4306577 Deutfde gegen 659 264 Polen. 

Seit 1830 bot die Anlegung einer Rittergutsmatritel wenigftens die Möglichkeit, „dem 
Deutfdtum bier innerbalb see Seveentuen verftärkten politifchen Einfluß zu verfchaffen“. 
Es wurde aud in amtliden Berichten manches darüber gefchrieben. Aber vor lauter „ges 
rechter Abwägung“, die der Deutfche ja mit Vorliebe dem Sremden zugute kommen i t, 
wurde nah Laubert, Die Rittergutsmatrilel in der Provinz Pofen bis 1847 (Dtiche. 
Wiffenfh. Zeitfchr. f. Polen Heft 38, 1930, S. 97—14)), auch diefe Gelegenbeit ,teiness 
wegs fonfequent“ benugt. 

1833 endlich gelang es Slottwell, einen Giterbetriebsfonds fur feine Provinz zu ers 
richten. Er bat eine — allerdings nur entfernte — Abnlidhleit mit dem Bismardfden Ans 
fiedlungsunternebmen, wollte gelegentlich angelaufte größere polnifde Befigungen nad 
erfolgter Bauernregulierung in orm Heiner Rittergüter an Deutfche weiterveräußern. Cine 
angefidts der Iandesverräterifchen Betätigung eines großen Teils des pofenichen Adels im 
Polenaufftand 1830/33 überaus milde Maßregel! Flur als Ausnahme war eine Zerfchlagung 
in bduerlide Unwefen vorgefeben. Die Sarai entfaltete Tätigkeit war nah Laubert, Der 
Siottwellfhe Giterbetriebsfonds in der Provinz Pofen (Breslau 1929), berzlih unbes 
deutend. Im ganzen wurden 19 Büter erworben, zum größeren Teil fogar aus deutfcher 
Ayand. Bas polnifde Bauerntum wurde dabei nicht nur gefchont, fondern fogar gefördert. 
Und fdon vor 1841 tommen Dertdufe folder Rittergüter an Polen vor. Das trogdem 
erhobene polnifche Bejchrei bewirkte, daß nah Sriedrih Wilhelms IV. Regierungsantritt 
der Sonds fie Chauffeebauten in der Provinz verwandt und fchließlid (1845) aufgeboben 
wurde. Wenn beute polnifcherfeits in der Berufung auf diefen Guterbetriebsfonds eine 
Rechtfertigung der im neuen polnifchen Staat betriebenen gewaltfamen Verdrängung des 
deutfchen Grundbefiges gefucht wird, fo ift er dazu denkbar ungeeignet. Je mehr man die 
dem preußifchen Staat vorgeworfene planmäßige Unterdrüdung des Polentums an der 
Hand der Quellen nadhprift, defto mehr fchwindet fie in ein Flichts zufammen. Mit viel 
größerer Beredhtigung kann man von Preußen fagen, daß es in feiner Polenpolitik jede 
zielbewugte Stetigleit vermiffen ließ und den deutfchen Belangen feiner Oftprovinzen 

Dolf und Baffe. 1932. Januar. 4 


50 Volt und Raffe. 1932, I 
I ————— 


beftenfalle nur eine laue, faft immer nur auf Einzelheiten eingeftellte, niemals aber das 
Gefamtgebiet vdltifcen Lebens gleihmäßig und planvoll umfaffende Sorderung geliehen bat. 

Hab den friderizianifchen Beftrebungen, die ja weniger dem Deutfdtum als ser 
bung der Landeskultur dienen wollten, gibt es bis zur Bismardfchen Anfiedlung nur 
einige ſchwache VDerfuce auf dem Bebiete des Siedlungswefens. Auguft Müller, Die 
preußifche Rolonifation in Klordpolen und Litauen 1795— 1807 (Studien 3. Gef. d. Wirtfch. 
u. Geiftestultur. Srag. von Rud. Haple, B. IV, Berlin 1928; aud Otfehe. Blätter in 
Polen Ig. V, 1928, ©. 334— 333), hat gezeigt, daß auch bei diefem raf vorübergegangenen 
neuoftpreußifchen Siedlungsunternebmen keineswegs germanifatorifde, fondern lediglich 
wirtfidaftlidstulturelle Ziele verfolgt wurden. In der Gegend von Ploc3, Wyfzogrod, 
Plonft, Lomza und Bialyftol fowie im duGerften WTordzipfel dee Proving wurden 32 Rolos 
nien gefchaffen und rund 600 Samilien mit gegen 3500 Perfonen angefiedelt. Davon waren 
$2 Samilien aus der Provinz und polnifcher Herkunft, die übrigen aus den anderen preußis 
fhen Provinzen und dem Reich, namentlidy aus Württemberg und Medlenburg. Liebenber 
lief in den Städten eine Anfiedlung von 798 Handwerlerfamilien mit etwa 2050 Röpfen. 

Die gleichzeitig in der Llachbarprovinz Südpreußen durchgeführte Rolonifation belief 
fi, wie derfelbe 4. Müller, Dom Deutfhtum Bongreßpolens und feiner “Herkunft 
(Dtfdhe. Blatter in Polen Ig. VI, 1929, S. 278—293), nad einer Differtation von 
A. Pytlat (1937) und eigenen Sorfhungen darlegt, bis 1806 auf 2133 Samilien mit 
10 285 Röpfen. Den deutfchen Gefamtzuzug in die beiden preußifchen Provinzen auf fpäter 
tongreßpolnifhem Gebiet fchätzt er einfchließlich der Arbeiter, Handwerker und Gewerbes 
treibenden in den Städten für die Zeit von 1793—1806 auf 5500 Samilien mit 26 000 
Röpfen. Unter ibnen waren die Schwaben am ftärtften, daneben aber auch Baden, Heffen, 
Pfalz, Elfoß, Medlenburg und preußifdhe Provinzen vertreten. 


Wenn Preußen bier auf altpolnifhem Boden deutfche Anfiedlung betrieb, fo bat es 
damit nur fortgefegt, was vorber unter polnifder SHerrfchaft fhon in größerem Umfang 
begonnen war. Die Polen felber batten bewirkt, da8 fon vor den Teilungen das Land mit 
einem „Lie deutfcher Siedlungen überzogen war”, fo daß befonders im Dobriner Land, 
in der Weichfelniederung, in Rujavien, der WartbesProsnagegend fdhon nad dem Toleranzs 
edilt von 1767 mlutberstebe Rirdfpiele wie Pilze aus dem Boden fchoffen“. Und nach der 
en. Zeit bat die polnifche Regierung des Herzogtums Warfchau, fpäter audy nod 

ongreßpolen die deutfche Rolonifation wieder aufgenommen und fortgeführt. Ber Deutfche 
war eben feit Jahrhunderten bis tief ins 19. Ib. der gefucte Siedler in diefen Gegenden, 
aud unter polnifder Herrichaft. 

SH(t Haralteriftifd für die fpäteren preußifchen Verbältniffe ift, was Manfred 
Laubert, Lin Verfud zur Überführung württembergifcher Auswanderer nad der Proving 
Pofen 1839 (Wirtthg. Vierteljabrafdrift f. Landesgefd. VI. §. XXXII, 1927, S. 273 
bis 284; nad Befpr. in Difche. Wiffenich. Zeitfchr. f. Polen Heft 18, 1930, SG. 195 f.), zu 
berichten weiß. Der Oberpräfident Slottwell empfabl die Anfiedlung in der Herrfdaft 
Rosmin. Die Landrdte aber waren nicht geneigt, „Ausländer“ aufzunehmen. „Liur einer, 
ein Pole, war bereit dazu“! Bei lauer Vertretung, fogar dur Slottwell, den „angeblich 
fo rüdfichtslofen Germanifator, ... fiel die ganze Angelegenbeit ins Waffer und wurde 
wieder einmal eine Möglichkeit, das Deutfchtum im Dofenfchen zu ftärken, verfäumt“. 

Wie ftart diefe Dinge von Dorgängen auf konfelfionellem Gebiet beeinflußt werden, 
zeigt wieder Walter KRubn, Gefchidte der Mennoniten in Rleinpolen (DOtfce. Blatter in 
Polen 3g. V, 1928, S. 397 ff.). Die Mennoniten wandern von den Fliederlanden, wo fie 
im 16. Ib. gegründet wurden, über das Danziger Gebiet (vgl. oben Hollaͤndereinwande⸗ 
rung), Welts und Oftpreußen nach Rongreßpolen, in die Polefie und vor allem nah Rugs 
land. Schon in Preußen nehmen fie die deutfche Schriftfprache an und werden in ftändiger 
Schidfalsgemeinfdyaft mit den deutfchen Roloniften überall Subrer der Auslandedeutfchen. 
Ein zweiter Stamm ließ fi 1784 mit 28 Samilien in der Gegend von Lemberg (Galizien) 
nieder. Er lam wie andere jofefinifche Siedler aus der Pfalz, wohin er aber aus der Schweiz 
eingewandert war. Seine ftarlte Dermebrung duch boben Beburtenüberfhuß führte 3830 
bis 1875 zu einer Blütezeit und Grundung 3ablreiher Todterfiedlungen trog betradtlider 
Derlufte duch Auswanderung nad Rußland und Amerika und feit 1875 aud dur Ans 
nahme der polnifcben Sprache in den zerftreuten Pädhterfamilien. 

Georg Schulz, Unionss und Verfaffungsbeftrebungen der proteftantifchen Kirchen 
im Großherzogtum Warfhau (Diiche. Wiffenfchaftl. Zeitfchr. f. Polen Heft 38, 1930, 
&. 5—51), zeigt, daß diefe Beftrebungen der Jahre 1808—1810 auch den Derfuc einer 
Sufammenfaffung der deutfiden Bevdllerung bedeutete, foweit fie Iutberifchen und refors 


1932, I Rleine Beiträge. 51 
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mierten Betenntniffes war. Sie f&heiterten am Widerfpruc einer Gruppe der Lutheraner 
und an der Aaltung des preußifchen Staates. 

Groffert, Evangelium und Deutfchtum im Silehner Gebiet unter polnifcher Grund» 
berrfhaft 91 2— 1789 (Schönlante 1929) behandelt ausführlich die Degsunsung der deutſch⸗ 
evangelifchen Gemeinden feit 1593, wo die deutfchsevang. Befiedlung des Bebiets nördlich 
der Liege begann (vgl. Sorfch. 3. Brand. u. Preuß. Gelb. 43. Bd., 1930, S. 223). 

Das tonfeffionelle Derbältnis fpielt auch bei Walter Maas, Wandlungen im Pofener 
Kandfchaftsbild zur preußifhen Zeit (Sorfch. 3. dtich. Landess u. Vollstde. Bd. XXVI, 
Speft }, Stuttgart 1928) in der Art eine unglüdlidhe Rolle, daß die beigegebene große Rarte 
vom Flegediftrilt 1774 zu Ungunften des Deutfchtums gefärbt erfcheint, weil fie im Gegen» 
fa zu Ausführungen des Tertes für Verbreitung und Stärke der Deutichen zu fehr die der 
Evangelifhen grundlegend madt. Die Wirkjamteit der Anfiedlungstommilfion bat nach 
Maas den Rüdgang des Deutfchtums nur aufgehalten, nicht aber — abgefeben von drts 
tihhen Kinzelheiten — ein erneutes Vordringen herbeizuführen vermocht. 


(Sortfegung folgt.) 


Die jüngere Steinzeit im Köthener Lande.*) 


In der Erforfhung der vorgefhhichtlichen Wurzeln des deutfchen Voltstums nimmt 
die deutfche vorgeihichtliche Archäologie einen hervorragenden Play ein, doch das fchuls 
iblide vorgefhichtlichsardhäologifhe Schrifttum wird vielleiht manchen, der nicht von 
antiquarifchem Intereffe an den Gegenftänden ausgeht, nicht fo ganz befriedigen, fteben doch 
immer wieder diefelben Rategorien von KEinzelgegenftänden im Vordergrund der Betradhs 
tung, die auf ihr gegenfeitiges Verbältnis unterfudht werden; tritt dagegen aber das ges 
fhichtlih Wefentlidhe zurüd. Und dennody ift diefe ordnende Bearbeitung der Bodenfunde, 
die die unmittelbarften Quellen der Dorgefchichte find, die notwendige, grundlegende Vors 
bedingung für jede weitere gefchichtliche Aufbauarbeit, die bei dem Seblen des feften Unters 
gtundes trog Anwendung allen Sdharffinns und Geiftes gar leicht zu Truggebilden führt, 
wie fid in der Gefdidte der Sorfdhung oft genug gezeigt bat. Die entfagungavolle Rleins 
arbeit an den Sunden bat fid dann immer nod als ftärter und verdienftvoller erwiefen. 

Diefe Vorarbeiten find je gründlicher zu leiften, je mebe der Bearbeiter fide in der 
Umgrenzung 3eitlid und räumlidy befchräntt. Zur Zeit fteben 3.3. in Mitteldeutfchland 
Probleme der jüngeren Steinzeit, das Derbältnis der einzelnen Rulturen zueinander, in dem 
Vordergrund der Erörterung. Hier wieder wird entweder eine der Rulturen berausgeboben 
oder es wird ein Bebiet zur Bearbeitung ausgewählt. Diefe Gedietsauswabhl ift aber leider 
zu oft nur ein willlürlicher Uusfdnitt aus dem Siedlungss und Rulturgebiete der bes 
bandelten Zeit, wenn nämlich heutige politifche Umgrenzungen ale Grundlage genommen 
werden. Bei der vorliegenden Bearbeitung ift der biftorifche Gau Serimunt, der über die 
Grenzen des heutigen Breifes Rötben in Anhalt binausreicht, zugrunde gelegt. Diefer Gau 
it von natürlichen Kinien umfdloffen, nämlich von Elbe, Wulde, Subnegraben und Saale. 
Es wird allerdings aud hier nuc ein Ausfchnitt aus einer Siedlungslandfchaft berauss 
genommen, da Slußläufe im allgemeinen fir die Befiedlung nidt ale Grenzen wirken. 

Sur die en Kultur im heutigen Mitteldeutihland war von der jüngeren 
Steinzeit an die ittellage innerhalb des nordmitteleuropäifchen Rulturgebietes beftimmend. 
Und ein eines Abbild diefer allgemeinen mitteldeutfchen Dechaltniffe um die mittlere Elbe 
und Saale gibt das Mundungsgebiet der Saale, an das der Rreis Röthen angrenzt. Die 
erftaunlide Materialfülle des jungen Köthener Mufeums bietet dafür ein beredtes Zeugnis. 
Aus der Arbeit von Schulze erfehben wir, daß faft fämtliche fteinzeitlichen Kulturen, die auf 
deutfchem Boden feitgeftellt find, wenigftens in Ausläufern fid bis in diefes enge Gebiet 
erftceden. Weiter aber laffen ſchon die in der Sahwilfenichaft gebräuchlichen Rulturs 
bezeihnungen, die von mitteldeutfchen Sundplägen entnommen find, erkennen, daß Mittels 
deutfchland eine ganze Anzahl Sondererfchheinungen bervorgebradt bat. Es fällt daber in 
der Bearbeitung direkt ein Abfchnitt über „Jordansmühler Reramit” auf, ift soc diefe nach 
der Sundftelle Jordansmühl in Sdlefien benannt. Eine Auseinanderfegung über Einzel⸗ 
beiten der Arbeit gehört m. €. nicht in diefe Zeitfchrift, doch muß fo viel bier gejagt werden, 
daß der Derfudy von Schulze, audy die Jordansmühler Keramik aus Mitteldeutfchland, und 


*) Robert Schulze: Die jüngere Steinzeit im Rötbener Lande. Rötben (Anhalt) 
1930. Selbftverlag, 124 Seiten, 60 Tafeln, 6 Rartenbeilagen. MI. 25.—. 


4° 


52 Dolt und Raffe. 1932, I 








zwar aus dem Rötbener Lande, abzuleiten, gewiß nicht genügend begründet ift. Herauss 
gearbeitet bat der Derfaffer weiter zum erften Male die Gruppe: „der mitteldeutfchen 
UAmpboren“ mit Begleitgefagen, die im Adthener Lande befonders haufig find. Manche 
weiteren Ergebniffe, die bei einer forgfaltigen Bearbeitung fid ja einftelfen müjffen, find 
zunächft für die mitteldeutfde Lotalforfdung von Bedeutung. Der Menfchenforfcher wird 
für die Berüdfichtigung und Wiedergabe von Menfchenreften (befonders Schädeln) dankbar 
fein. Denn wenn thm auch Abbildungen und Angaben für feine Spezialforfchungen nicht 
genügen, wird er doch fhon daraus ein Bild von dem Material gewinnen, das bier für 
weitere Unterfuchungen bereit liegt. Der zweite Teil gibt in Sundberidten und Befdreis 
bungen das der Arbeit zugrunde Iiegende Sundmaterial; an Abbildungen ift nicht gefpart. — 
Um wieder an das oben Gefagte anzultnüpfen: der Verfaffer bat einen foliden Bauftein für 
den Unterbau der deutficden Vorgeichichte geliefert. 
Dr. Waltber Schulz, Halle. 


Aus der raffenhygienifden Bewegung. | 


Die Sortpflanzung von Derbrecdhern. Die Stage, in welder Zahl fi die Vers 
bredyer fortpflanzen, ift von außerordentlicher Bedeutung, da wir annehmen müffen, deß für 
die Kriminalität mit ihren afozialen Solgeerfcheinungen mebr erbbedingte als äußere Saltoren 
verantwortlich zu machen find. Hieruber gibt die wertvolle Unterfudung von Dr. med. 
Martin Riedl im „Archiv für Raffens und Befellihaftsbiologie”, Heft 3, 1931, Aufichluß. 
An einem Material, das 500 kriminelle Srauen und 100 kriminelle Männer umfaßte, wurde 
in erfter Linie die Beburtenhäufigkeit diefer Srauen bzw. die Zahl der von den Männern 
erzeugten Rinder im Vergleich zur Sortpflanzung der anderen Bevölkerung geftellt. Serner 
wurde die Art der Briminalität fowie die verfchiedenen geiftigen Deranlagungen, Pfydo- 
patbien, Schwadhfinnsgrade mit der Rinderzahl verglichen. 

Don den 500 Srauen waren 202 verbeiratet, davon 170 verheiratete Mütter, 
32 verbeirstete Rinderlofe; die Zahl der erzeugten Rinder betrug 758. Die 298 
Kedigen, davon ledige Mütter 1837, ledige Rinderlofe 1 3 1, gaben 293 Rins 
dern das Leben. Die zur Erhaltung des Beftandes notwendige Beburtenzahl beträgt nad) 
£enz für eine fruchtbare Ehe 3,4 Rinder; nach den Unterfuchungen Riedls treffen auf eine 
Eriminelle be beute bereits 4,46 Binder, wobei die außerebelich geborenen mit einges 
fdloffen find, während durdfdnittlid® auf eine deutfche Stau beute 2,2 Rinder kommen 
(£enz). Unter den 3000 unterfuchten männlichen Derbrechern baben fih 838 verbeiratet; 
von diefen Eben blieben nur 15,600 obne Uadhtommen. Auf einen Rriminellen fallen _ 
durhfchnittlich 3,5 lebendgeborene Rinder, auf einen Vater 4,9 Rinder. Die Liettozahl der 
Rinder, das find jene, die das 230. Jahr überleben, beträgt je Vater 3,72 bzw. 2,39. Bei 
den 1000 verheirateten und ledigen VDerbrechern konnten 170 unebelidye Rinder gezählt 
werden. Die wirkliche Zabl ift aber ficher größer. 

Nach diefen Darlegungen, die eine böbere Geburtenziffer der Kriminellen De 
über der Allgemeinheit ae ift die Sterilifierung der einzige Weg, um die ment iche 
Befellichaft vor den wertiofen und gefäbrliden Hachlommen diefer Afozialen zu fidhern. 


Sterilifierung. Eine Sterilifationss Gefegesvorlage wurde dur Major Church 
im vorigen Juli im englifchen Unterbaufe eingebracht. Die Befegesporlage wurde aber mit 
107 gegen s9 Stimmen abgelehnt. Eine foldhe Stellungnahme ift auf die bisherige Uns 
kenntnis über biologifche Dorgänge in weiten Rreifen der Bevölkerung, auf die rein mates 
eialiftifch eingeftellte Denkungsart und Surdht, für eine bisher unbelannte Sade eintreten 
zu müffen, zurüdzuführen. Der Antrag wird ja aber nicht zum letzten Male eingebradt fein! 

Bei dem Ende Juni 193) in Ropenbagen abgebaltenen Hordifben Rongreßfür 
Sonderfürforge, (Blinde, Taube, Stumme und Geiftesfawadhe ufw.), der von etwa 
700 Vertretern der vier nordifchen Länder beihidt war, trat der dänische Sozialminifter 
Steinde für eine Derfehärfung der beftebenden Sterilifierungsmaßnabmen ein. 
Ein Sterilifierungsantrag erfordert nämlich in Dänemark Begutachtung durdy eine gerichtes 
&rztlihe und Gefundheitstommiffion und Genebmigung durd den Juftizminifter. Mans 
gelnde Renntnis der Rafjenbygiene bei den juriftiichen Stellen erfcwert bier offenbar 
das Handeln. ’ 

Serner forderte Steinde verfchärfte Beftimmungen über Anmeldepflidt von Beiftess 
tranten und Shwadfinnigen. 


1932, 1 _&. Mofer, Überfichtsberidhte aus dem rafienbygienifchen Schrifttum. 53 
EEE | 


Ein Antrag auf Sterilifierung von Geiftestranten und Gewohns 
beitsverbredhern wurde vom fähfiichen Landesgefundheitsamt (Leiter: Gebeimrat 
Dr. Weber) beim Strafredhtsausfhuffle eingebracht. | 


Amtsärztliche Unterfuhung von Ebefchließenden. Die Türkei bat mit einer 
Sea UNA EDT DDN beftimmt, daß von nun ab Ebeichließende fih von einem Amtsarste 
unterfucen laffen muffen. Das Zeugnis, das fie dann der Behörde vorlegen müffen, 
befagt, daß fie mit keinem Gebrechen bebaftet find, das fiir die Wadhtommenfdaft üble 
Solgen baben ténnte. 


Überfichtsberichte 
aus dem raflenhygienifchen Schrifttum. 


Don Dr. ©. Mofer, Göttingen. 


Was ift Eugenit? Unter diefem Titel gibt £. Darwin), der Sohn von Charles 
Darwin, eine allgemein verftändlice Einführung, in einigem von den deutfden Aufs 
faffungen abweichend, d0c¢ im ganzen die wichtigen Sragen durch die Rürze befonders 
unterftreichend, wie: Wietboden der Eugenil, Menfden die wir brauchen, Mehr Rinder der 
Tüchtigen, Auslefe bei der Ehefchließung, Wer zahlt die Zeche? 

ber Ebeberatung liegt eine Anzahl von Fleuerfcheinungen vor, daneben werden in 
vielen Beiträgen des pri ttums Kinzelfragen erörtert. Eine zufammenfaffende Überficht 
mit einem faft vollzäbligen Literaturverzeihnis gibt H. Llevermann?) in feiner Monos 
grapbie, welche zu den letzten Deröffentlihungen nicht mehr Stellung nehmen kann. 

Sehr wichtig für alle an den Sragen der Ebeberatung beteiligten Reeife ift die auf 
zahlreichen Kinzelarbeiten fußende Mötterfbaftefürtor e von M. Airfa ), 
weldyer die Ebeberatung und Sortpflanzungsregelung, bei deren Behandlung die rubig abs 
wöägende Art angenehm berührt, dem Leitgedanten der Mutterfchaftsfürforge unterordnen 
will. Diefem Gedanten foll das ganze Leben der Srau, die Aufzucht und Erziehung des 
Rindes, die Hygiene der Reifezeit, die Erwerbstätigkeit der Srau untergeordnet werden. 
Don diefem umfaffenden Gefidtspuntte aus tann allerdings die reinlide Trennung von 
Ebheberatung und Mutterfchaftsfürjorge fewer durchgeführt werden. Die Zeugungsfürforge 
foll beraten in Hygiene der Zeugung, Gattenwahl, Beburtenregelung: d. b. Belämpfung der 
Unterfrüdtigteit und der Überfrüchtigkeit. Leben die Mutterfchaftsfürforge vor der Geburt 
foll die Schwangerenfürforge treten und die Sürforge nach der Geburt. ift ein großs 
3bgiger Plan, der den ganzen Lebenslauf der Srau dem Mlutterfchaftsgedanten von einem 
ee Gefihtspuntte aus untecordnet, der aud in der Ebeberatung ftets Leitgedante 
fein follte. 

§. BR. Sheumann‘) will — von dem Perfonalismus von §. Rraus ausgebend — 
die Ebeberatungaftellen zu einer Samilienfürforge erweitern; in diefen neuen Sürforgeftellen 
foll der Ebes und Serualberatung eine zentrale Stellung eingeräumt werden. 

Über die Entwidlung der Dresdener Beratungsftelle berichtet Setfcherd). Die Zahl 
der. Beratungen von Brautleuten bleibt nod hinter den Beratungen von Serualsbes 
beratungen zurüd. Die Heiratsberatungen, d.b. Beratung von Brautleuten vor der Eher 
fhließung, machten 45,3 v. %., die Ehes und Serualberatungen 20,2 und 34,7 v. 9. aus in 
den Jabren 1927 bis 1929. Die Anzahl der Cbheberatungen ift im Steigen, ebenfo die 
Serualberatungen; auch bei der Heiratsberatung miffen in etwea der Hdlfte der Salle Geruals 
fragen mit erörtert werden. Dies wird befonders verftändlich, wenn §. ausdrudlid darauf 


1) £. Darwin, Was ift Eugenit? Aus dem Englifden überfegt von §. Tiege. 
A. Metner Derlag, Berlin 193). 

2) m Tevermann, Ober Cheberatung. Monogr. 3. Srauentunde u. Ronftitutionss 
forfhung. €. Rabigfdh, Leipzig 1931. 

8) M. Hirfd, Mutterſchaftsfuͤrſorge. Ebenda 1931. 

4) §. B. Sheumann, Ztidr. f. Serw. u. Serpol. BW. XVII, 3; Ard. fo3. Hyg. 
u. Dem. Bd. VI, 3. 

5) Serfcher, Die Entwidlung der Ebeberatung in Deutichland. D. m. OO. 56, Vie. 50. 


54 Doll und Kaffe. 1932, I 





binweift, daß 98 v. 9. der Heiratswilligen aus allen Schichten der Bevölkerung fchon 
Gefchkehtsbeziehungen aufgenommen baben und biologisch verbeiratet find. Ofters kann bei 
ftärkerer Bindung der beiden Partner der Ebeberater von der AHeirat nicht mebr abraten und 
muß fich auf Geburtenverbütung oder Sterilifierung befchränten. Schwangerichaftsver, 
bütungsfälle tommen Sfters zur Beratung, doch meine erft dann, wenn eigene Derfuche 
mißlungen oder künftlihe Seblgeburten eine zwedmäßigere Regelung der Gefdlectss 
beziebungen verlangen. Zur Unterbindung der auch auf diefem Gebiete fich ausdehnenden 
Burpfufcherei wird die Ronzeffionspflicht für Ebeberatungsftellen gefordert. Damit die 
raffenbygienifche Beratung zur Aauptfade wird, mus nod viel Aufllärungsarbeit ges 
leiftet werden, wie aud e die Zeit fir einen gefegliden Zwang zum Austaufe der 
Feiratszeugniffe noch nicht gelommen fei. 

Wichtiger als die verfrühte Regelung des zwangsweifen Feugnisaustaufdes fei die 
Blärung der Rechtslage für die Sterilifierung. Setfder®) beridtet auch über das Er⸗ 
gebnis einer Umfrage an 93 Städte mit über 50 000 Einwohnern bezüglich der Stellung 
zur Roftenübernahme bei Sterilifationen. 53 Städte lehnen ab, 17 übernehmen die 
Roften. In den ı7 Städten wurden aus medizinifchem Anlaß 33 Srauen, aus caffens 
bygienifchen und fozialen Gründen 18 Srauen und Manner fterilifiert, darunter 6 Minders 
jabrige oder Entmindigte mit Zuftimmung des Dormundfchaftsgerichts. Einige Städte 
lebnen die Genebmigung und Roftendedung mit Rüdficht auf die unfidere Rectelage ab. 
Es bleibt das dauernde Derdienft von §., die Sorderung der Sterilifierung in einer 
ganzen Anzahl von Sällen in die Tat umgefegt 3u haben und Öffentlich für fein Handeln eins 
zutreten. 

Uber Salle aus feiner Ebeberatungsftelle berichtet Setfcher?), bei denen Sterilis 
fation nad den mitgeteilten Stammbäumen angexigt war und ausgeführt wurde. Bei 
Otofllerofe (erblicyer Ertaubung) wurde der VOunfdh vom Patienten felbft geäußert, die Roften 
von der Ortstrantentaffe ubernommen. Ein Taubftummer ging auf den Dorfdblag der St. 
ein, die Roften wurden ebenfalls von einer Ortstrantentaffe getragen. Bei einer Detternebe 
erften Grades in einer Samilie mit Taubftummbeit wurde die Unfrudtbarmadhung der Srau 
mit einer Blinddarmoperation verbunden. Ein reisbarer Pipchopath mit Ertaubung nach 
Scharladh, der die Lhe mit einer taubftummen Srau eingeben wollte, wurde auf Koſten 
eines Bezirksfürforgeverbandes fterilifiert. Einige Arante bezahlten den Zingriff felbft. In 
einem Salle wurde die Entichließung vom Dormundfchaftsgericht dem Lrmeffen des Dors 
mundes überlaffen. In anderen Sällen, fo bei Schizophrenie im Remiffionsftadium, ließ fich 
der Brante freiwillig fterilifieren, bei einem fhwachfinnigen Jungen mit ftarten feruellen 
Regungen wurde der Eingriff auf Wunfch der Eltern ausgeführt. Auf Veranlaffung eines 
Jugendamtes wurde bei einem 24 jährigen f[hwadfinnigen Mädchen mit drei unebelichen 
Rindern von verfcdiedenen Pätern die Sterilifation vorgenommen. In zwei Sällen von 
Epilepfie, einmal Schizophrenie, zweimal Shwahfinn, wurde dem Dorfchlag der operas 
tiven Unfrudtbarmadhung nidt entfproden. In einem Jahre wurde Sterilifierung aus 
rafjenbygienifchen Gründen 21 mal vorgeichlagen und 15 mal aud ausgeführt; „ein Beweis, 
daß es nur darauf anlommt, es zu wollen.“ 

A. Mayer) berichtet, daß in Tübingen in der Srauentlinit in 32 Jabren 219 Tubens 
fterilifierungen vorgenommen wurden, aus medizinifchseugenifcher Indikation (Mpilepfie, 
Pſychoſen) in 25 Sällen. Auch er bält die Sterilifierung aus rein raffenbygienifchen Gründen 
für erwünfdht zur Verhütung der Bevölterungsverpöbelung, doc feien die Grundlagen noch 
unficher, da die Dererbungsgefetze noch nicht in allen Sällen genügend belannt (I) und die 
Rechtsgrundlagen zweifelhaft. 

In einem Beitrag Über Ebeberstung in der SYandbücherei für Staatsmedizin befepräntt 
fid Gerlach?) auf die Befährdung der Kladhlommen durd geiftige Erbkrankheiten. ©. 
benugt die Zahlen der deutfchen Sorfehungsanftalt für Pfiyciatrie in München und verfucht 
die Prozentzablen der Ertrantungswahrjcheinlichkeit der gefährdeten Rinder, mit welden 
der Laie nidts anfangen kann, verftändlicher zu machen durch die Gegenüberftelfung mit der 
Ertrantungewabhrideinlidteit der Durchfchnittebenölterung. Erfreulich ift, daß die Sragen 
der Ebeberatung, wenn zundächft auch nur für ein eines Gebiet, auch von der Staatsmedizin 
berüdfichtigt werden. 


6) Setfcher, Der Stand oer Sterilifierung im Deutiden Reid. D. m. W. 57, 2. 
) Setfaerc, Die Praris der Sul lemg Arch. fos. 8. VI, 32}. 

8) A. Mayer, Fur Srage der operativen Sterilifierung. Rl. Ue. 42, 193}. 

9%) Gerladw, Handbicderei f. Staatamed. BW. XVIII. 


1932, I G. Moſer, Überfiytsberichte aus dem raflenbygienifchen Schrifttum. 55 








Unter weitgebender Heranziebung der Originalberichte aus Rußland und kritifcher 
Derwertung des übrigen Scrifttums gibt Kiedermeyer!!) eine ausfibrlide rs 
örterung der Auswirkungen des ruffifchen Rampfes genen die Samilie und der Ebegefet- 
gebung. Wenn auch einige eugenifche Gedanken zu finden find, wie der Tadhweis, da die 

tautleute fid ber ibren GBefundbeitszuftend unterrichtet haben, ift der Sinn und die 
Wirkung der Gefeggebung familienfeindlich. IT. tampft gegen die Sreigabe der Schwangers 
fcdafteunterbrechung, arbeitet die Gegenfage zu deutfchen Derbältniffen Kar heraus und zeigt, 
daß das, was in Rußland guter Fladhlommenfchaft entgegenwirkt, trotg aller Propaganda 
für deutfche Derbältniffe untragbar fei. 

Aus einem Aufruf der Dereinigung Sffentlider Ebeberatungss 
ftellen!!): Die vom Reich, den Ländern, den Gemeinden und den fozialen Derficherungss 
trägern dauernd in zunehmendem Umfange aufgewendeten Mittel zur Belämpfung der 
Dolltsfeuchen und zur Hebung der Dollsgejundheit finden jest ihre natürliche Begrenzung 
cefp. Einjchräntung durd die Sinanznot. Die dazu berufenen Stellen find gendtigt, Wege 
ausfindig 3u machen, auf denen mit weit weniger Mitteln ein gefundes leiftungsfabiges Doll 

ffen und erbalten werden kann. Die Hocdwertigteit unferes Tach wuddfes ift zu fördern. 

ies ift nur méglid, wenn fid mit dem Ebewillen auc das VDerantwortlichkeitsgefühl für 
die Sortpflanzungseignung verbindet. Als Lladhlommen ungeeigneter Eltern fallen unferer 
Öffentlihen Sürforge dauernd zur Laft: mindeftens 100000 fcbwere erblid Geiftestrante, 
60000 Sallfücdhtige, 200 000 Trinker, 52 000 Geburtatrüppel, 35000 Taubftumme, 13000 
Blinde, I 300 000 Minifh Tuberkulöfe, 400 000 Pfiychopatben und Sürforgesöglinge, 60 000 
erblich Schwachſinnige. Das find s—j0% aller Deutfchen zwifchen 16 und 45 Jahren. 
Hier beitebt eine fchwere en unferer Ausgaben, die durch die Cheberatung in Ders 
bindung mit raffenbygienifchen MaGnabmen eine gewilfe Einfchräntung erfahren kann. 

Die Sruchtbarkeit der geiftig Minderwertigen prüfte Popenoel2): Als Lebrfa gilt 
in der Raffenbygiene, daß die raffenbygienifch Minderwertigen fich fchneller fortpflanzen und 
die Yodwertigen bedroben. Die meiften bisherigen Unterfuhungen geben von einem Rinde 
aus und ermitteln die Wechſelbeziehung zwiſchen Intelligenzquotienten und Geſchwiſterzahl. 
Unterſuchungen uͤber die Wechſelbeziebung zwiſchen Intelligenzquotienten der Eltrn und 
der Rinderzahl ſind ſchwieriger und ſeltener. Die Unterſuchungen ergaben eine Beziehung 
zwifchen mütterlihem Intelligenzquotienten und Rinderzabl von — 13 + 06 und zwischen 
päterlihem Intelligensquotienten und Rinderzabl von + 06+ 07. — In Sonoma (Balis 
fornien) führte „The Horman Betterment Foundation“ an wegen Geiftesfdhwaide 
Sterilifierten Unterfuchungen dur und fand, daß der geiftesfhwache Mann feruell nidt 
aktiv, wabrfcheinlid pbyfiologifh ferucll unterwertig fei; er war nie verheiratet oder uns 
ebeliher Dater. Wenn feruelle Belaftung in der Vorgefchichte vorhanden, handelt es fi 
meift um paffive Dergeben als Godomift, dronifde Mafturbation, paffiv Gomoferuelle 
oder Erbibitioniften. Die geiftig minderwertige Srau dagegen ift beiratsluftig, zur Rinders 
produftion bereit in und außer der Ehe. Drei Diertel diefer Srauen batten einen Relord an 
Serualvergeben in der eae Die verbeiratete geiftig minderwertige Srau batte 
surdfanittlid sur seit der Sterilifation 2,32 Rinder, eine Erwartung von 3—4 Rindern 
der vollendeten Samilie entfpredhend. Lliormale Mütter fterilifierter Datienten batten dies 
felbe Samiliengröße wie geiftesidwadhe Mutter. Fwifdhen mütterlidder Intelligenz und 
BRinderzabl beftebt eine negative Wechfelbeziebung, infofern die Minderwertigiten die meiften 
Rinder haben. Die bier unterfuchten Samilien waren mebr als um die Sälfte fructbarer als 
die falifornifhen Studentenfamilien. Das Mißlingen einer Sruchtbarteitsbeidhräntung 
ee laßt das ftandige Abfinten der Bucdfchnittsintelligenz der Lommens 
den Gefchlechter befürchten. 

Die Auswertung der Hocfchullebrerftatiftit von Mudermann!?) ergab, daß von 
3370 vollendeten Eben von Univerfitätsprofefforen 173 (= 15%) kinderlos waren. Auf 
eine be überhaupt entfielen 2,8 Rinder, Überlebende Rinder 2,33. Wie die Mberficht über 
die früheren Jahre zeigt, begann der Geburtenridgang in Aocdfdullebrerfamilien fdon zu 
einer Zeit, in der er in anderen Bevdllerungstreifen noch relativ gering war. 


10) A. Wiedermeyer, Die Eugenit und die bes und Samiliengefeggebung in 
SGowjetrufland. §. Dimmlers Verlag, Berlin 1931. 

11) Aufruf der Vereinigung öffentlicher Ebeberatungstftellen. Lug. Bo. I, 182. 

13) Dopenoe, The Fecundity of the Feebleminded. Urd. Raffenbiol. 24, 291. 

13) Mudermann, Differenzierte Sortpflanzung, eine Unterfuchung über 3847 Sas 
milien von Profefforen deutfcher Univerfitäten und Aodfdulen. Arc. Rajfenbiol. 24, 269. 


56 Dolt und Kaffe. 1932, I 


Die Dereinigung der VDorfigenden der cheinifden Wobhlfabrtss und Jus 
endämter bat Richtlinien!) über Sparmöglidleiten angenommen, wie fie ähnlich 
ir andere Bezirke ausgearbeitet wurden. Darin wird geplant: Soweit befondere, mit 
eigenen Mitteln ausgeftattete Eher bzw. Serualberatungsftellen befteben, find keine Bedenken 
dagegen zu erheben, wenn fie eingefchräntt oder die Aufgaben anderen Beratungeftellen 
übertragen werden. 

Trog aller Warnungen werden immer neue, oe Nachwuchs gefaͤhrdende Notmaß⸗ 
nahmen getroffen: Die Arbeitsgruppe I des vom Keichsminifterium des Innern berufenen 
Reihsausfhuffes für Bepvöllerungsfragen!?) veranftaltete am 10. Juli eine 
Ausfpracde über die bevölterungspolitifchen Auswirkungen der zweiten Derordnung des Reichs 
präfidenten zur Giderung von Wirtidaft und Sinanzen vom 5. Juni 1931. Solgende Ents 
foheBung wurde Seo lenin „Der vom Reihsminifterium des Innern eins 
geſetzte Reichsausſchuß fuͤr Bevoͤllerungsfragen bat fidy in feiner Sigung am yo. Juli 1933 
mit der Prüfung der bevölterungspolitifchen Auswirkungen der zweiten Verordnung des 
Reidhsprafidenten zur Siderung von Wirtfdyaft und Sinanzen, vom 5. Juni 1931, befaßt. 
Er vertennt in keiner Weife die zwingende Llotwendigleit, den öffentlichen Haushalt von 
Reich, Ländern und Gemeinden, aud aus bevdllerungspolitifden Grimden, 3u fidern. Er 
ftellt mit Bedauern feft, daß über die ftarke Belaftung binaus, die durch die neue Llotverords 
nung der gefamten Bevölkerung auferlegt worden ift und die die Lebenshaltung des ger 
famten Volles auf das fhwerfte bedroht, die Samilie nob in befonderem Maße 
betroffen worden ift. 

Lieben der allgemeinen Gebaltss und Lohnkürzung der Beamten, Angeftellten und 
Arbeiter des Sffentlichen Dienftes ift den Samilienpätern durch die Halbierung der Zulage 
für das erfte Rind bei den Beamten und Angeftellten bzw. durch den völligen Wegfall diefer 
Zulage bei den Arbeitern und Briegsbefhädigten nobh eine Sonderfteuer auferlegt 
worden. Ihre wirtfchaftlihe und piychologifche Auswirkung ift um fo fhlimmer, als von 
ihr in erfter Linie die Samilien mit geringerem Eintommen betroffen werden. Bei der 
Rrifenfteuer feblt jede Rüdficht auf die Bröße der Samilie. Umgekehrt wirkt fic die 
Suderfteuer und die Ausfchaltung der jugendlichen Arbeiter aus der Arbeitslofenverforgung 
als weitere fhwere Belaftung der Samilte, insbefondere der kinderreichen Samilie, aus. Die 
gefegliden und freiwilligen Aufwendungen der Bezirksfürforgeverbände find erjchüttert 
worden. Den meiften deutfchen Samilien ıft fchon feit Jahren durch die Solgen von Krieg, 
Inflation und fteigender Wirtfchaftsnot und Arbeitslofigteit nur mebr cin Lebenan der 
Grenze des Eriftenzminimums ermöglicht; die fchweren Kaften, die ihnen durch 
die Derordnungen des Jahres 1933 auferlegt worden find, haben das Maß des Erträgs 
lien überfdritten. Der Reihsausfhuß für Bevölkerungsfragen ift daber der Übers 
zeugung, daß die Eingriffe der Zweiten Kotverordnung nur no familienzerftörend 
wirken und fomit den Lebenswillen des deutfchen Volkes vernichten können. Sie werden 
nidt nur den Beburtenrüdgang noch weiter befchleunigen, fondern insbefondere die 
gefundbeitlide und feelitde Erbaltung der Lebenden unterbinden. 

Der Reihsausfhuß fordert eine möglidhft baldige Rüdgängigmadung aller familiens 
feindlih wirkenden Sonderbelaftungen der Zweiten Vlotverordnung. Insbefondere fordert 
er, daß wenigftens für die Samilien mit mebr ale zwei Rindern feine Rurzung der 
früheren Rinderzulage eintritt und daß bei der Erhebung der Rrifenfteuer der Samiliens 
ftand und die Samiliengröße berüdfichtigt werden. 

Der Reihsausfhuß erwartet, daß die MTotverordn fpesiell unter bev dllerung ss 
politifden Gefidtspuntten einer grundlegenden Revifion unterzogen wird, und daß 
er binfichtlich der Regelung der Einzelheiten gutadtlid gebdrt wird.“ 

£en315) fragt daber mit Redt: Warum keine Entlaftung der Samilie? Die Bes 
ftimmungen des § 119 der Derfaffung über den Schut der Samilie und befonders der 
kinderreihen Samilie find auf dem Papier fteben geblieben obne Auswirkung in der Praris, 
weil die zur Durchführung berufenen Abgeordneten fi vorwiegend aus Leuten zufammen« 
fetgen, weldye nidt oder nur fhwad an eine Samilie gebunden, joweit fie verheiratet Cinders 
los oder kinderarm find. Verftändnis für die Bedeutung der Samilie und fir Rinders 
ceiddtum tann man von Lnderlofen oder Linderarmen Politikern nicht erwarten, vor allem 


14) Sifcher, Sparmöglichleiten der kommunalen Befundheitsfürforge. 3. Schuls 
gefundbpfl. u. foz. Ayg. Air. 20, 1931. 

15) Reihsausfhuß f. Bepslkerungsfragen, Gefdb.verw. ir. 16, 193}. 

16) §. £en3, Warum keine Entleftung der Samilie? ug. Bo. I, 25}. 


1932, I 


Buchbefpredhungen. 57 





nicht, wenn fie unglüdlid verheiratet find. Aud die weiblichen Abgeordneten ftellen in 


diefer Hinficht eine inftige 2 
wie die Öffentliche Si 


uskefe dar. Durdy nichts wird die Zukunft des Staates 
rheit fo bedroht wie durd den Zerfall der Samilie. 


(Sortfegung folgt.) 


Buchbeſprechungen. 


Margarete Boie: Die letzten Sylter Rie⸗ 
fen. Gtuttgart 1930, Derlag 3. §. Steins 
topf. 136 SG. Geb. Mk. 3.—. 

Margarete Boie bringt im Rahmen ihrer 
Sylter Reihe als Niederfehrift perfönlicher 
Erlebnifje eines Sylter Lebrers eine tnappe 
Jufammenfaffung der Gefcidte der Rämpfe 
SadHleswigeAolftein um feine Verfaſſungs⸗ 
rechte in den Jabren von 1800— 18585. 

In fcddsnem einfadhem Stil werden uns 
die Derbdltniffe und Zuftände einer Zeit 
nabe gebracht, die nicht weit zurüdliegt und 
sod 6 wenig betannt ift. Wer unter der 
beutigen Jugend tennt die VIamen Lornfen, 
Bau, Rolding, Edernförde? Ls ift auf den 
136 Rleinottavfeiten erftaunlich viel erzäblt, 
und die baftenden Zeitgenofien, die Split 
bdd(tens ale Badeort kennen, können fidh 
über die Urgründe in fpannender Sorm uns 
terrichten, die in unferen Tagen 3u dem nad 
unferer Anfidt nur vorläufigen Verluft 
et geführt haben. 

Das Büdlein kann nur warm empfobs 
len werden. E.S. 


Dr. €. Erdmann: Die Glockenfagen. 
Heft 6 der Beitrdge zur rhein. und weftf. 
Dollstunde in Einzeldarftellungen. DOuppers 
tals@iberfeld 3930. Martini u. Grittefien, 
G. m. b. 9, Derlag. 94 S. Preis geb. 
mi. 3.—. ; 

Das Grundergebnis, 3u dem Erdmann 
kommt, ift, daß nabezu allen Glodenfagen 
die perfonifizierte Glode als Rerns 
puntt zugrundeliegt. Ob dabei das Abfons 
derliche der Sorm oder des Tones, das Duns 
Rel über ihre Herkunft, ihr Alter, das Ges 
beimnisvolle ihrer Wirkung zur Sage Ans 
laß gegeben bat, ftebt zunädhft nicht im uns 
mittelbaren Dordergrunde, vielmehr wird die 
Sandlung immer beftimmt durch Taten, die 
nur der perfonifizierten Blode möglidy find. 

Der Derfaffer bleibt jedoch nicht bei diefer 
Tatfachenfeftftellung fteben, fondern verfucht 
auch die Stage zu löfen, auf weldhe Weife 
diefe perfonifizierte Blode diefe verfdiedenen 
Sagentypen bat bilden können, alfo Ants 
wort zu geben auf die Sragen: Wie vers 
mag die Glode fo zu handeln und nicht 
anders. 

Die Meine, aber inbaltreihe Abhandlung 
ift für die Vollelunde und ganz befonders 


für die vergleichende Sagenforfhung eine 
wertvolle Bereicherung. 
Sriedrih Lüers, München. 


Otto Sriedrih Gandert: Sorfchungen zur 
Gefdhidte des Haushundes. Die Steinzeit» 
raffen in Llordofteuropa. MannussBiblios 
tbet Fir. 46. Leipzig 1930. Verlag Curt Ras 
bigfd. 93 S. 34 Abb. Preis brofd. M2. 7.—, 
gebunden ME. 9.—. 

Zur Kenntnis der Rultur und fomit der 
Wirtfhaftsformen einer Zeitperiode gebdrt 
auch die Renntnis der Haustierbaltung. Kur 
durch gleichzeitige gefchichtlihe Rulturfors 
bung erbält die ustierforfhung ihren 
Wert. Andrerfeits dient die Stammesger 
fdidte der Haustiere der Archäologie, fo 
3. B. für die Abgrenzung von Kulturctreis 
fen, für die Herkunft von Völtergruppen. 
AHaustierreften kommt der Wert von „Leits 
foffilien“ zu. Verf. hat fic der Aufgabe uns 
terzogen, den MHaustierbeftand des Aulturs 
Breifes der Grübdyens und Rammleramil der 
jüngeren Steinzeit 3u unterfuden, insbefons 
dere die wirtfdaftlide und z00logifde Bes 
deutung der Hunderaffen. Aus einem reichen 
Kiteraturmaterial bat er die Ausgrabungss 
berichte einer eingebenden Rritik unterworfen, 
wobei 20 Sunditellen in Rußland, Sinnland 
und Lettland betrachtet werden. Selbft uns 
terfuchtes neolitbifches Waterial aus den 
Res. Querfurt und Lleubaldensleben werden 
vergleidbeweife herangezogen. Der erfte Teil 
der Arbeit ift der Beichreibung fteinzeitlicher 
Wobnplage und ihrer Sauna gewidmet. Das 
Derbreitungsgebiet der Rammleramil reicht 
nad) den neuen Unterfucdungen im Weften 
bis nah Oftdeutfdland binein und erftredt 
fi dann in breiter Släcdye über Klords und 
Mittelrußland bis nah Sibirien. Die als 
tefte Tonware findet man in Mittelrußland, 
im Ofatale. Es ift möglich, daß die Ramms 
teramit mit der „arktifchen“ oder Wohn⸗ 
plattultur Standinaviens in Jufammenbang 
3u bringen ift. Gemeinfame Urbeimat ift das 
weftliche Oftfeegebiet. Sür diefen Zufammens 
bang fpreden aud gleidhe Wirtfchaftsfors 
men, gleiche Steins und Rnodyengeräte beider 
Rulturtreife. Der zweite Teil der Arbeit bes 
bandelt den Hund als Haustier, feine wirts 
fhaftlihe Bedeutung, feine Aafienzugebörig: 
keit und feine Herkunft. Zur Zeit der Grübs 


58 Volt und Kaffe. 


1932, I 


dens und Kammteramil ift der Hund als 
einziges AHaustier einwandfrei feftgeftellt. 
Da der Hund bon im Fleolitbitum in Rafs 
fen zerfällt, Bann der fammleramifcdhe Rul⸗ 
turtreis Llordofteuropas nicht feine Heimat 
gewefen fein. Bie Dorfabren ftammen aus 
dem Weftbaltitum. Aus einer eingebenden 
Unterfuchung des Stelettmaterials, wobei eine 
Reibe von Maßen am Schädel und an den 
Ertremitäten betrachtet werden, unterfcheis 
det man verfchiedene Raffen des feinzeit- 
lihen Hundes in Llordofteurope. 

8. Ehrhardt, Münden. 


M. Jahn: Die Kelten in Schlefien. 
Quellenfchriften zur oftdeutfhen Dore und 
Srübgefhihte (breg. von % Seger), 
Band 1. Leipzig 1933. C. Rabigfd. 160 S., 
76 Abb., 12 Taf. Preis geb. ME. 13.—. 

Mm. Jahn legt bier in feiner Habilitationss 
fehrift den gefamten Stoff in überfichtlichfter 
Sorm mit reihen Abbildungen und unter der 
bei ihm belannten Beberrfchung der Metbode 
bis in die Beinften Einzelheiten vor, und eine 
reiche Ernte ift es, die er einbringen fann. Sind 
fhon die Abfchnitte über die formentundlice 
und zeitliche Gliederung der fchlefiichen Sunde 
im Derbältnis zur gefamtleltifhen Rultur 
ein großer Gewinn, fd bietet die Arbeit weis 
teren Rreifen noch mebr in den fiedlunges 
gefcbichtlichen Ergebniffen, die aus der rein 
arddologifden Betradtung erwadfen. Dems 
nach wanderten die Beltifhen Bojer und Vols 
ker etwa um 400 vor Ebr. aus Böhmen und 
Mähren in Mittels und Oberfchlefien ein, wo 
fie fich in den fruchtbaren Lößgegenden nies 
derließen. Auf den Trümmern des von ihnen 
endgültig vernichteten „illyeifhen“ Urnens 
feldervoltes befeftigten fie ihre Herrfdaft um 
den Zobtenberg und den oberen Bderlauf, bis 
fie um 100 vor Chr. ihr nördliches und etwa 
100 Jabre fpäter ihr füdliches Gebiet räumen 
mußten, nicht obne daß wefentliche Doltsteile 
den neu eingewanderten Wandalen bdrig ger 
worden wären. Alle diefe Schidfale aus dem 
— Rulturgut abgeleſen und zur 
Darſtellung gebracht zu haben, bleibt ein 
dauerndes Verdienſt des Verfaſſers um die 
deutſche Vorgeſchichtsforſchung. 

E. Peterſen, Breslau. 


riedrich Keiter, Schwanſen und die Schlei, 
Schleswigſche Bauern und Fiſcher. Deutſche 
Raſſenkunde Bd. 2. Jena 1931, Guſt. Fiſcher 
Derlan. 134 8. 1 Abb. i T., ı5 Taf. Preis 
geb. ME. 15.—, geb. Mi. 17.—. 

Reiters Linterfuchung ift ein wefentlidyer 
Bauftein zur Anthropologie SchleswigsHols 
fteins. Der erfte Abfchnitt, insgefamt 39 S., 
gibt eine Überficht über Landfchaft und Doll, 
der zweite, 53 &., behandelt die Kaffe, das 


cein Methodifde, Ergebniffe der Meffungen 
und fchließt mit einer raffentundliden Zus 
fammenfaffung und mit Dergleicen anderer 
Sorfcdhungsergebniffe. 

Die Urgefdhidte SdhleswigsAolfteins bes 
ginnt mit dem Scluffe der Eiszeit. Schon 
das Neolithikum iſt nicht einheitlich. Wich⸗ 
tige Markſteine in der Bevoͤlkerungsentwick⸗ 
lung ſind die Auswanderung der Angeln 
und Sachſen um das 5. und o. Jahrhun⸗ 
dert n. Ehr., die Einwanderung der Jüten 
(das fudlichfte nordgermanifche Doll) um das 
Jahr 1000, das Kinftrömen von Ylieders 
deutfchen im Jahre 1260. Sür Schwanfen 
ft die Anfiedlung zahlreicher Bauernfamis 
lin aus Angeln von Bedeutung. Unters 
fucht wurde die Bauerns und Sifherbenöl: 
terung, insgefamt ein Material von 1353 
(701 0°, 652 2) Erwadfenen und 552 (630 0" 
3229) Rindern, wobei Rinder unter 14 Jabs 
ten im allgemeinen nicht mitbearbeitet wurs 
den. Aufgenommen wurden nur die Pers 
fonen, deren 4 Großeltern aus Schleswig 
Holftein gebürtig waren. 

Die Rörpergröße ift mit 169,6 cm für die 
Männer und 159,} cm für die Srauen nicht 
febr bedeutend. Beinlänge, Spannweite und 
Sculterbreitefindrelativgroß. Die Ropflänge 
ift mit dem Wert von 194,83 mm febr lang, 
die Bewohner von Angeln erreichen mit 
197, mm das Marimum der in der Lites 
ratur angegebenen Ropflängens!Mittelwerte, 
die Ropfbreite beträgt für die Männer im 
Mittel 159,0 mm, die Bopfbdbe ift dabei 
fehr niedrig. Das Gefidt ift febr boc und 
dabei breit und zeigt dadurch einen geringen 
Gefidtsinder. Die afe ift bäufig gerade. 
Die Augen liegen tief, die Lidfpalte ıft oft 
eng. Die Augenfarbe ift mit 49% rein bell 
und ift dadurdh den bellen Augen flandis 
navifder Bevdllerung taum unterlegen. Das 
ar ift 54% blond oder belibraun. Die 
Srauen find unbedeutend blonder. Aud in 
diefem Merkmal fließt fib Schwanfen 
Skandinavien weitgebend an. Schleswigs 
Holftein ift raffifch nicht einbeitlih. Es it 
euch eine Ddllerbride swifden Mord und 
Ghd. Befonders abweidend von flandis 
napifchen Gruppen find die Breite von 
Ropf und Gefidt. 

Auf Grund feiner Unterfuchungen will 
Reiter in der Bevdllerung des leiges 
bietes ein Bemenge aus „dalifcher” und „nors 
difcher“ Raffe mit Schwachen Anteil der als 

inen, dinarifhen und oftbaltifden Raffe 
ben. Don einem Teil der führenden Ans 
tbropologen wird das Befteben einer Dal⸗ 
taffe fir Standinavien in Zweifel gefett. 
Esdarf nicht vergeffen werden, daß Paudler 
der die Dalraffe aufgefteli bat, fid nur auf 
das Material von Regius und Surft ftüßte. 


ce ais — 


1932, I 


Buchbefpredpungen. 59 





Derf. fchließt fich in einer fcharfen Trennung 
von dalifcher und nordifcher Kaffe Paudler 
nicht an, enthält fich aber leider einer ges 
nauen Stellungnahme. Leider gibt Keiter 
keine Abbildung von einem ausgefprochenen 
Daltypus. Seine Untlarbeit auf diefem Ges 
biet fommt fchon in folgenden Sägen zum 
Ausdrud. Auf S. 103 fehreibt Derf.: „Odenn 
ftarke alpine, dinarifche oder oftbaltifche Beis 
men in unferer Bevöllerung vorhanden 
wäre, ließe fich das Seblen abfolut ſehr kurzer 
Böpfe nicht verfteben.“ Weiter unten beißt 
es: „Sehr ausgeprägte ‚Sinarifche‘ und auch 
mebt rundliche ‚alpine‘ Rurztöpfe finden 


316 Stammbaume mit einer Reibe photos 
grapbifcher Belege und insgefamt 135 gute 
pbotograpbifche Bilder vervollftändigen diefe 
offenbar gründliche Arbeit. 

S. Ehrhardt, Münden. 


Olaf Klofe: Die Samilienverhaltniffe auf 
Island vor der Belehrung zum Ebriftentum 
auf Grund ser Jslendingafogur. Flordifche 
Studien X. Braune Dein 
1929. — Gg. Weſtermann. 123 ©. 
Preis geb. Mil. s.—. 

Der Derfaffer bemüht fich, ein möglichft 
Hares Bild der Sippens und Samilienvers 
bältniffe zu entwerfen, und nimmt dabei ent« 
fcieden fir die Auffaflung von Wilhelm 
Grdnbed und gegen gewiffe ältere Anfichten 
Dartei, die beute faum nod foviel Beads 
tung genießen, als man nach Rlofe meinen 
möchte. Die Sammlung der Belegitellen aus 
den Sagas ift fehr wertvoll; fie würde ges 
wif aud über den engften Sadtreis hinaus 
intereffieren, wenn fic der Derfaffer ents 
ſchloſſen batte, in Anmerkungen oder in 
einem Anbange die altnordifchen Belege zu 
überfetzen. Die Saltbarkeit der Schlüffe aus 
den einzelnen Belegen ift nicht immer die 

leihe. Die bobe etbifhe Bedeutung des 
&ippenzufammenbange wird mit Recht (wie 
überhaupt in neuerer Sorfehung) betont. Bei 
den Samilienverbältniffen hätte ftärker zum 
Ausdrud kommen follen, daß bierin die iss 
ländifchen Zuftände keine Befonderbeit ges 
enüber dem zeigen, was innerhalb des eng» 

N Rreifes auc anderswo die Regel ift. 

Srantfurt a. M. %. Zeiß. 


Elifabeih Kloh: Das Grundbuch; der Stadt 
Ditfhau. Quellen und Darftellungen zur Ges 
fcicdte Weftpreugens, herausgegeben vom 
Weftpreug. Gefcidteverein. 14. Danzig 
1929. 

Schon ale um das Jahr 1252 Herz0g 
Gambor II von Pomerellen Burg und Aes 
fidenz erbaute, z0g er deutfche Aitter und 
Siedler heran und verlieh der Stadt lbs 


bifches Recht. Auch als Dirfchau im Jahre 
1457 durch Verrat böbmifcher Söldner in 
die Sand des Polentdnigs tam, bebielt es 
durchaus feinen deutfchen Charatter bei, es 
„wurde polnifh nur nach feiner politifchen 
dugebörigleit, niemals nad feiner nationas 
len Gefinnung oder fpradlicen Abgrens 
zung“, felbft die deutfche Amtsfpracdhe des 
Rates wurde während der ganzen Zeit pols 
nifcher Syerrfchaft beibehalten, und fo Find 
aud alle erhalten gebliebenen Urkunden in 
deutfeher Sprache gefchrieben. Wie übers 
tafchend deutich die Stadt geblicben war, 
gebt befonders aus dem nad dem Brande 
von 1577 angelegten „Brunds und Wies 
fenbucy“ der Stadt bervor, weldes die vors 
liegende Derdffentlidung ins rechte Licht 
rüdt. Das Grundbuch reicht bis ins 19. 
Jahrhundert hinein. — Das Intereffantefte 
ift, daß während der ganzen Zeit die Llamen 
aller GHausbefiger deutfc find; die ganz wes 
nigen polnifden amen finden fid) nur bei 
Befigern einiger Handwerkerbuden am Rats 
baus und auf dem „Muͤnchenberge“. Die 
Arbeit bringt am Sdlug ein nad den Ans 
gaben des Grundbuches zufammengeftelltes 
&ronologifches Bürgerverzeichnis, eine Lifte 
der Bürgermeifter, Rateherren und Schoͤf⸗ 
fen von Dirfchau (bier finden fi) nur 6 flas 
wifd tlingende MTamen) und endlich ein als 
pbabetifehes Ortes, Perfonens und Sachs 
regifter. 

Das Wert beweift fehlagend, welche Vers 

waltigung man der ftets echt deutiden 

tadt angetan bat, als man fie im Dittat 
von Verfailles „unter Berufung auf die 
Gefcdidte” febr gegen ibren Willen unter 
polnifdye Herrſchaft bradte! Ke ift nie fo 
Gefchichte gefälfcht worden, wie in Vers 
failles! ©. Rede. 


RB. Müller-Guttenbrunn: Der brennende 
Menih. Das geiftige Vermächtnis von Ars 
thur Trebitfch. 368 Seiten, 4 Bilder. Uns 
taios:Derlag, Leipzig. C. 3. 1930. In Gangs 
leinen ME. 5.—. 

Go lange er lebte, ift Trebitfd von vies 
len nict verftanden worden, er war für 
fie eine Erfcheinung voller Ratfel: ein Wann 
aus febr wohlhabender jüdifcher Samilie, uns 
abhängig, durchaus in der Lage feinen Yleis 
nungen und vielfeitigen Begabungen in vols 
er Sorgkfigkeit zu leben, folgt er einem 
inneren Swange und betritt den dormens 
vollen Weg des Kampfes gegen feine eigene 
Kaffe, wird er zu einem der leidenjchafts 
lichften Beldmpfer des Judentumes, von 
dem er fich feehich abgeftoßen füblt, dem er 
auch in feiner dugeren Erfcheinung rect 
fern ftebt. 

Diefem ,liebenden, leidenden, ewig miß⸗ 


60 Volt und Kaffe. 


1932, I 








verftandenen und verneinten Rämpfer für 
deutfhen Geiſt“ verfudht im vorliegenden 
Bud Steundesband ein Denkmal zu fegen; 
MB. ift fi dabei der Schwierigleiten 
durchaus bewußt, die einer umfaffenden und 
objektiven Darftellung diefer problematifchen 
Perfonlidleit entgegenfteben, zumal er bei 
vielen Sclußfolgerungn von Trebitfch 
„das Mitgeben verweigern“ muß. 

Das Buch bringt umfangreiche Proben 
aus dem Schaffen von Trebitfh als Dids 
ter und Pbilofopb, als „Belenner“ und 
Rämpfer, nicht nur aus den zahlreichen Ders 
Öffentlihungen, fondern aud aus Tages 
bicern und Briefen, und vermittelt auf 
diefe Weife einen tiefen. und intereffanten 
Einblid in Geift und Seele diefes im Grunde 
tief unglüdliden und tragifh endenden 
Wannes, der fi in feinem Kampf, am es 
folg verzweifelnd, felbft aufrieb. Beiges 

eben find dem Buche einige Bildbeilagen: 

orträts von Trebitfch, eine Handfchrifte 
probe, Zeichnungen, das Grabmal. 
O. Rede. 


H. Plifhke: Chriftoph Molumbus. Die 
Entdehung Amerikas. Mach zeitgenöffiichen 
Quellen bearbeitet. 160 Geiten, 29 Abb., 
5 Karten. Derlag $. A. Brodbaus. Leips 
zig 1930. 3. Auflage. In Halbl. ME. 2.80, 
in Gansl. Mtl. 3.50. 

Das in der verdienftvollen Reihe „Alte 
Reifen und Abenteuer“ berausgelommene 
Büchlein ift jetzt bereits in dritter Auflage 
erfchienen! ine Einleitung madt den Les 
fer mit den biftorifchen und geograpbilien 
Grundlagen der Sabrten des Kolumbus bes 
kannt. Die Reifen werden bauptfädhlich nach 
feinen eigenen Tagebidern, aber aud nad 
fonftigen zeitgensffifhen Quellen darges 
ftellt, die Rärtchen zeigen in guter Überficht 
die Reifewege der vier Unternehmungen, die 
meift alten Reifewerten entnommenen Abs 
bildungen geben Ayinweife zur Völkerkunde 
der damaligen Indianer. 

Das Werkchen ift geeignet, woeitefte Rreife 
mit den Abenteuern und dem tragifchen Ger 
{did diefes berubmteften aller Entdeder bes 
© Rede 


Erih Reglaff: Die von der Scholle. 
56 photograpbiiche Bildniffe bodenftändiger 
Menfchen. Mit einem Geleitwort von Hans 
Sr. Blund. (Deutfhe Menfden 3. Solge.) 
Menfhen am Werk. 856 pbotograpbilche 
Bildniffe aus deutfchen Induftrieftädten. Mit 
einem Geleitwort von Heinrich Lerfd. 
(Deutfhe Menfden 2. Solge) Göttingen 
1933. Verlag der Deuerlihihen Buchband» 
lung. 56 ©. 4°. Rart. je ME. 3.80. 

ilderfammlungen in Buchform mit kurs 


kannt zu machen. 


gem Begleittert find heute häufige und vom 
Publitum gerne beadtete Derlagswertke. In 
den bier vorliegenden beiden Banden foll 
an and von je 56 photograpbifden Ders 
größerungen, die von €. Reglaff ftammen, 
das Gefidt des dseutiden Bauern und des 
deutfchen Arbeiters dargeftellt werden. Einige 
der beften Bilder des Bandes „Die von der 
Scholle“ find unferen Lejern bereits durch 
die Deröffentlihung des Preisausfchreibens 
im Oftoberbefte 1931 in Doll und Raffe, 
Geite 202—207, belannt. Auch eine Reibe 
anderer guter Typen ftellt Reglaff vor allem 
aus Feilen dem Betradter dar. Bei einem 
Teile der Bilder beider Bände ift freilich 
die Vergrößerung oder der Lichteffelt in fols 
her Weife übertrieben, daß bier nicht mebr 
ganz die Wirklichkeit fpricht. Leider gelang 
es den Pbotograpben nur in einzelnen Säls 
len, raffentundlich wertvolle Typen in kenn» 
zeichnender Weife vor die Ramera zu bes 
tommen. Die beiden Se find ins 
foferne wertvoll, als fie wirklich ein ges 
wiffes Burdfchnittsbild der den dseutiden 
Bauern und deutfcben Arbeiter befeelenden 
Zuge gibt und damit gewiffe Vergleiche ers 
möglidht. 8. Ehrhardt, Münden. 


Paul Rohrbad und Guftav Roloff: Deut: 
ihe Dolksge(hidte. Berlin 1930. Verlag 
von Reimar Hobbing. 92 S., 30 Abb. Preis 
geb. ME. 5.60. 


Es ift zweifellos Bein leichtes Unternebs 
men, auf verbältniemäßig begrenztem Raume 
die Befchichte des deutjchen Volles — nicht 
der deutfchen Staaten — darzuftellen. Das 
ift um fo fchwerer, wenn man bedentt, daß 
das deutfche Volk allein fchon in Europa auf 
15 verfchiedene Staaten verteilt ift, von des 
nen aber nur 3 deutfh find. Ber große 
Überblid über das gefchichtlichspolitifche 
Scidfal des deutfchen Volkes ift den beis 
den Derfaffern gut gelungen. Ein Abfchnitt 
nad) dem andern führt Srübzeit, Döllerwans 
derung, Entftehbung der weltpolitifchen Macht 
zur Zeit der FHobenftauffen, den nationalen 
Serfall und 30 jährigen Krieg, Bedrangung 
durd> Srantreih, Untergang des Reiches, 
das Ringen um den deutichen Klationalftaat 
und Erneuerung des Deutfchen Reiches vor 
zn Auf die Bedeutung der deutfchen 
Rolonifation des Oftens und des Auslandss 
deutfchtums wird in diefem Zufammenbange 
befonders eingegangen. 

Die Darftellung der Germanen der Döls 
ferwanderungszeit ift freilich teilweife Thief 
und nicht fo gebalten, wie man nad den 
neueren Sorfchungen es in einem folden 
Buche erwarten müßte. Den Germanen das 
Bauerntum absufprehen und ihre Kultur 
als eine bloße Kriegertultur binzuftellen, 


1932, I 


Buchbefprechungen. 61 





derzufolge fie nur den Aderbau oberflächlich 
betrieben, die Seldarbeit Srauen und Unfreien 
überließen und es fic in einem berrenmäßigen 
Leben woblergeben ließen, ift ein Sebler. 
Wenn die VWerfaffer sabei gelegentlid fid 
auf Gidonius Apollinaris, einen verfeinerten, 
nur das römifche Rulturideal [hätgenden Bals 
tier berufen, fo gibt das ein ganz faliches 
Bild. Es wäre beffer gewefen, wenn fie ihr 
Urteil an den Berichten der isländifchen Gas 
gas gebildet hätten, die ein Kulturbild ent» 
werfen, das fid von dem der Ddlterwans 
derungszeit wenig unterfcheiden dürfte. 
Jene Flordgermanen find Bauern mit dem 
Schwerte an der Seite! Die Behandlung der 
iftigen und tulturellen Kräfte, 3. B. des 
heitenconie, die in pofitivem, wie negas 
tivem Sinne am deutfchen Dolfstum wits 
ten, verdiente eingebendere Behandlung. 
BrunoR. Schul. 


W. Sheidt: Die raffifhen Derhaltni e in 
Hordeuropa. E. weizerbart'fhe Ders 
lagsbuchh. Stuttgart 1930. Preis brofd. 
Me. 43.—, geb. We. 45.—. 

Die vorliegende Arbeit ftellt aus der Lites 
ratur die bisher vorbandenen Unterfucuns 

an lebenden, frübs und vorbiftorifchen 
Iterungen Großbritaniens, Islands und 
Standinaviens zufammen, verarbeitet das 
Material ftark kritifch (wobei der Verf. bes 
fonders an Beddoe Kritik übt), erwähnt und 
tritifiert die bisberigen Sypotbefen über das 
raffifche Werden Lordeuropas und ftellt dies 
fen die Unfcauungen und Dermutungen des 
Derf. gegeniber, die bauptfadlid auf torres 
lationsftatiftifden Unterfudungen beruben. 
Derf. tritifiert auch die berrfdenden Ans 
fhauungen über das Erjdeinungsbild der 
bauptfächlichften europäifchen Rafien und ift 
der Meinung, daß mande in Wirklicpkeit 
nicht vorhanden find; fo wendet er fidh 
onders gegen die „DalsRafje” Paudlers; 
et fagt, diele fei bisher „in keinem nordeuros 
päifyen Unterfuchungsgebiet nadgewiefen 
worden. Die von Paudler in UAnfprud ger 
nommenen Befunde und Gelegenbeitebeobs 
adtungen feien zu diefem Zwede unbrauds 
er”. Auch an das Vorbandenfein einer 
„oftbaltifchen Kaffe“ glaubt er nicht, mins 
deftens nicht für das unterfuchte LTordeurope. 
Bezüglich der „nordifchen Kaffe“ meint er: 
„Wir müffen aljo mindeftens mit der Mög: 
lichkeit rechnen, daß das bisher angenommene 
Erfdeinungebild einer nordifehen Raffe 
mander Rorrefturen bedarcf, wenn es in 
einer Erbgefdhidte nordeucopäifcher Bevoͤl⸗ 
terungen 3wedmagig fein, d. 6. Deutungss 
wert baben foll*. Werfaffer gibt. dems 
entfprechend der ,nordifden Rajfe” etwas 
veränderte Züge: „Anlage für hoben Wuchs, 


langen, mittelbreiten, mäßig rundförmi 
(bis mittellangférmigen) Kopf, belle Aus 
ens und aarfarbe und fdlidte Aaars 
orm”; das Geficdt diefer Raffe fei niche tys 
pifd nlangförmig die Klafe nicht typiich 
ſchmalfoͤrmig“. ieſe Auffaſſung beruͤhrt 
ſich mit der meinigen, die ich verſchiedent⸗ 
lich ausgeſprochen habe: der Umſtand, daß 
heute nordeuropaͤiſche Bevoͤllerungen — bei 
erheblicher Ropflaͤnge — zugleich eine recht 
bedeutende Ropfbreite aufweiſen, braucht 
nicht eine Folge von Raſſenmiſchung zu ſein. 
Nicht in das Bild zu paſſen ſcheint mir die 
„ſchlichte“ hHaarform. Verf. iſt weiterhin 
der Anſicht, dieſe nordiſche Raſſe zerfalle in 
zwei „Schlaͤge“: der eine habe ausgeſprochen 
blondes haar und moͤglicherweiſe eine etwas 
rundlichere Ropfform und (obgleich beide 
Tppen großwüchfig feien) vielleicht etwas 
geringere Rörpergröße; der zweite babe 
duntleres Maar, eine möglicherweife etwas 
längere und fehmälere Ropfform und fei viels 
leicht etwas größer; den erftgenannten 
Schlag bezeichnet er ale „binnenflandines 
vif“, den zweiten als „atlantiih“. Trog 
des Linterfchiedes in der Haarfarbe feien Uns 
terfehiede in Augens und Hautfarbe nicht 
vorbanden. £s fei wahrfcheinlich, daß „beide 
Schläge im ganzen nordeuropäifchen Gebiet, 
alfo aud da vortommen, wo der eine oder 
der andere überwiegt“. 


Man wird vieles bei den Theorien 
SGeeidts ftart mit Sragezeichen verfeben 
miffen, denn es gibt viele Meffuns 
gen und Beobachtungen, die durchaus ges 
gen feine Auffaffungen fprechen; aber ©. 
madt fic die Beweisfibrung leicht und ers 
tlart alles, was nicht zu feiner Theorie paßt 
(darunter auch Angaben von Lundborg!) fur 
wahrſcheinlich fehlerhaft. 

Stoͤrend ſind die zahlreichen Druckfehler. 

Der in der Einleitung ſich findende An⸗ 
griff gegen die „vielen marktgaͤngigen Buͤ⸗ 
der und Schriften uͤber Raſſenkunde“: ihr 
„Gehalt an mehr oder minder geiſtreichen 
Ideen“ ſei „meiſt ebenſo groß, wie der Ges 
balt an Arbeit ourcftig’, fdieGt in diefer 
Derallgemeinerung über das Ziel binaus; er 
trifft Pit viele, aber nicht für alle zu, bes 
fonders nicht fiir die Sauptwerke Jans. R. 
Guͤnthers. O. Reche. 


Walter Scheidt: Kulturbiologie. Jena 
1930. Guſt. Fiſcher Verlag. 127 S. Preis 
brof. ME. 6.—, geb. MI. 7.60. 

Ein intereffantes Buch, das dennoch ins 
folge einer gewiffen Scwerfalligteit im 
Ausdrude und in der Geftaltung der Pros 
bleme und einer eigenartigen Srageftellung 
fih keine Sreunde erwerben wird. Schon 


62 Volt und Raffe. 


1932, I 


die Überfchriften der Rapitel weifen auf diefe 
befondere 3. T. auch weit abjchweifende Art 
bin. Sypotbefenbildung in der Biologie, Bes 
fhreibung, Erklärung, Geleg, Rörper und 
Seele, Umwelt, Typus, Anpaffung, Lebens» 
baltung, GBeiellihaft, Adoption, Tradition 
— feine beiden Lieblingsworte —, Entwids 
lung, Aiftorie und Gefhidte, Ronftitution 
und Rultur. 

Sceidt vertritt dabei aber eine Auffafs 
fung der Biologie, wie fie vor 30 Jahren 
zur Zeit der Aocfonjunttur ses Mechanis⸗ 
mus möglich gewefen war, aber beute nad 
den Arbeiten eines Driefh und v. Vertill, 
um nur zwei der Bedeutendften zu nennen, 
nicht mebr angängig ift. 

Wie plagt fid doc Scheidt mit den Bes 
griffen Umwelt und Biologie, wo sod v. 

ertüll in feiner fhönen „Umwelt und 
Innenwelt der Tiere” und feiner ausgezeichs 
neten „ÜLbeoretifchen Biologie“ mit aller 
Deutlichkeit einen beträcdhtliden Teil der 
Sragen gelöft bat, an denen fich Scheidt vers 
geblih verfudht. 

Er wirft 3. DB. allen Ernftes die Stage 
auf: „Soll man bei der bells ai der 
typifchen Srofhummelt von den Sröfchen 
oder von den limwelten ausgeben“ und bes 
weift damit, daß er fiy mit moderner Bios 
logie nicht befchäftigt bat. 

Wenn er aber über Runft fpridht, fo 
fpricht er au da m. E. am Entfcheidenden 
vorbei. „Die Runftwerte als Einzelleiftuns 
pen find nicht Beftandteil der Rultur eines 

oltes.“ Id kann diefen Sat nidht bils 
ligen, fondern mödte ihn fo ergänzen: Die 
Runftwerfe find febr oft nit Beftanodteil 
der Kultur eines Volles. Kur dann find fie 
es, wenn die Einzelleiftung aus den Mars 
den, Mytben, Sagen, Dorftellungen und 
Gefühlen des Volles, furzum aus dem Volles 
tum berauswädft. Ein Beifpiel für Diele: 
Goethes Sauft gebört nad diefer veränderten 
Beftimmung tro der genialen und einzigs 
artigen Kinzelleiftung zur Rultur unferes 
Dolles, weil es die Erfüllung deffen ift, was 
unfer Dolt duch Jahrhunderte gefungen 
und gejagt bat. So ift jedes Runſtwerk 
mehr oder weniger Beftandteil der Volles 
kultur, je nachdem es der obigen Bedingung 
mebr oder weniger entfpridt. — 

Lothar Gottlieb Tirala, Brimn. 


Walter Scheidt: Raffenkunde. Reclams 
Univerfalbibliothe? MWe. 7076. Leipzig 1930. 
Verlag Philipp Reclam jun. Me. 0.40. 

Wenn man fic fragt, ob dies Meine 
Wert balt, was es verfpridt, fo mug man 
fagen ,ttein’. Daran ift der Titel fchuld. 
Denn die gebildete Maffe, für die das Buch 
doch gedacht ift, erwartet von einer „Raffens 


kunde“ eine Aufllärung, eben Runde über die 
Raffen. Die erbält der Lefer nicht. Dafür 
werden bebandelt, der Raffenbegriff in 
Sceidtfher Auffaffung, Crblicteitalebre, 
Anpaffung, Gefundbeit und Rrantheit, Sies 
bung und Auslefe, Raffendildung, smis 
fhung und sforfhung, Raffenbygiene und 
im Anbang ein Wegweifer 3um Studium 
der Raffentunde in Geftalt eines Literaturs 
nadhweifes mit Befprecdhung. 

Die Aufzählung der Abfchnitte zeigt, daß 
bier eine groge Menge wilfenswerter Dinge 
den Lefer geboten werden, und zwar meift 
in einer recht Baren Sorm. Sicherlih ift 
es für viele raffentundlid Intereffiecte rect 
wertvoll zu erfahren, weldye Rräfte an dem 
raffifhen Bilde eines Menfaeen oder einer 
Bevölkerung mitwirken, und daß es nicht 
angebt, fid mit der Seftftellung einiger dupes 
rer Merkmale zu begnügen, um einen Mens 
fhen oder eine Bevälkerung raffifh abzus 
ftempeln, oder aus feinem Erfdcinungss 
bilde Rüdfchlüffe wertender Art zu zichen. 

Im Abfdnite „Raffenbildung“ gebt 
Scheidt auf die Siebungsporgänge in „Spals 
tungen in Teilumwelten“ bei böber zivilis 
fierten Gemeinwefen ein, berudfidtigt aber 

ar nicht, daß die langfte Feit in der Wrens 
hengeihichte die Zeit war, in dser das lands 
liche Hauswefen die Wirtidaftseinheit war, 
und die Spaltung in verfchiedene Berufe, 
damit neue Leilumwelten eine relativ junge 
Erfcheinung ift. 

Im Wegweifer zum Studium der Rafs 
fentunde ift weder Martin no Güntber 
erwähnt. Das ift eine Tatface, uber die 
man fic wundert. Martin ift fir die moderne 
Anthropologie fubrend geworden und war 
Seceidts Lehrer. Und Gunther? Gintber ift 
trog oder vielleicht gerade wegen der Abs 
lebnung der Bahnbredyer der Raffentunde 
in die breiten Maffen unferes Volkes gewors 
den. E.Sudsland. 


Ludwig Sdhemann: Die Raffe in den 
Geifteswiffenfdhaften, Band III: Die Raffen: 
fragen im Schrifttum der Neuzeit. München 
1931. I. $. Lehmann’s Derlag. 441 ©. Preis 
geb. ME. 20.—, geb. ME. 22.—. 

Mit diefem 3. Bande bat Schemann den 
Schlußftein zu feinem Aauptwerte: Die 
Raffe in den Geifteswiffenfchaften gelegt. 

Der Eindrud der Leiftung ift geradezu 
überwältigend. Stolze Sreude darf nicht nur 
den Derfaffer erfüllen, fondern auch uns, daß 
uns fold ein großartiges Werk gefchentt 
worden ift — nit zulegt fhließlidh den 
Verleger I. $. Lehmann, der im Vertrauen 
auf den germanifchen Geift in deutfchen Lans 
den die Herausgabe diefes Werkes auch ohne 


1932, I 


Budbefpredhungen. 63 








oe der Wotgemeinfdaft gewagt 


Vornehm und rubig fegt fid Sdhemann 
mit den Geleheten und Sorfchern der letzten 
150 Jahre auseinander, feien es nun Sreunde 
oder Seinde der Raffenidee, mit überlegener 
Beberrfhung des gefamten Stoffes gebt er 
3u Werte, unbeirrt durch den Lärm des Tas 
ges, aber unerbittlid in entjcheidenden Sras 

n. So ziehen an unferem geiftigen Auge 

ilofopben, Rechtes und Volkswirtſchafts⸗ 
lebrer, Gefcdidtes und Raffenforfder, die 
„BDeutfchdenter”, Sprachforfcher und Dich⸗ 
ter vorüber. 

Wir erleben es noch einmal, wie fidy der 
Raffengedante ihrer bemädhtigt, wie fie fidy 
diefem gewaltigen Gedanlenftrom anvers 
trauen dder trogig entgegenftreben und in 
dem Rampfe ecft recht die Urgewalt diefer 
Idee bezeugen. (Siebe die Worte über Wis 
lamowig und Momfen.) 

Die tnappe Rennzeihnung und Würdis 

ung Fliegfches auf 4 Seiten ift ein wahr; 
Baftiaes Meifterfiüd. Go fest er fi aud 
freundlid cubig mit 00. Aentidel auseins 
ander. Um aber die Gedanten Aentfchels 
naddenten 3u können, darf man allerdings 
kein Deffimift fein; denn für den ift die Welt 
und auch unfere Rultur doch finnlos, alfo 
wozu fie erhalten? Wenn aber Schemann 
fürdhtet, daß durch MHentfchels Gedanten das 
Chriftentum einen fdhweren Schlag erlitten 
bätte, fo muß man es einem Raffenforfder 
fhon zugute balten, wenn er im Chriftens 
tum nicht eine legte Inftanz fiebt. Oben» 
drein gab es nad dem 30 jährigen Kriege 
in Deutfdland fogar kirhlih erlaubte — 
Polygamie und doch ift dem Chriftentum 
daraus kein Schaden erwacdfen. Und das 
moralifche Entfetzen über Hentſchels Dors 
fhlag kann id mit Shemann nidt teilen. 
Die Welt und aud das Chriftentum aller 
Belenntniffe bleibt rubig und obne moralis 
fhes Entfegen, obwohl 35 Millionen frieds 
licher Bürger in Rußland von den Bolfdes 
wilen in den legten Jahren graufam ermordet 
worden find. Jt das Eorinentun geſchaͤdigt 
worden, weil verſchiedene Paͤpſte in vielen 
Jahrhunderten ihre Rinder aus polygamen 
Verbindungen in Rom als ihre Nepoten er⸗ 
ziehen ließen? Nein! — 

Will Schemann die verſchiedenen „Ba⸗ 
ſtarde“, alſo unehelichen Rinder unſerer 
Großen aus irgendwelchen Gruͤnden ab⸗ 
ſchaffen? Alſo 3. B. die verſchiedenen poly⸗ 
gam und unehelich entſproſſenen Soͤhne der 
dseutfden Raifer im 120., 23., 92. und 13. 
Jahrhundert? Darf ih nur 2 _ ,natirlide“ 
Sdbne Raifer Sriedrids II. nennen? Rönig 
Manfred und Konig Einzio, zwei berrlide 
germanifde Erfdeinungen der Weltges 


fhichte, um zu erinnern, daß die „natürs 
lichen“ Söhne gar häufig echter waren als 
die „ehelichen“, in Wirklichkeit irgendeiner 
Konventionsebe entfproffenen, wie 3. B. der 
ebeliche Sohn Sriedrih II. Heinrich, der als 
Rönig Heinrich in Deutfchland feinen Vater 
Sriedrid II. an Rom verriet. 

Auffallen muß, daß Schemann in feinem 
Bude an zwei verfwiedenen Stellen auss 
führlich und durchaus verfchieden über 9. 
St. Chamberlain urteilt. An der erften 
Stelle eine geradezu vernichtende Kritik, 
100 Seiten fpater begeiftertes Lob. 

Man kann es ja verfteben, daß Chambers 
lain, der Gobineau abgelebnt bat, von Gos 
bineaus Sreunden nicht geliebt wird. Aber 
wenn felbft Schemann Gobineau auf S. 23 
„einen wiffenichaftliden Wildling“ nennt, i 
es Chamberlain, der von der naturwiffens 
fhaftlihen Seite bertam, zu verargen, wenn 
er fich in ähnlihen Sinne geäußert bat? Über 
Theorien läßt fich ftreiten, ob die reine Raffe 
im Anfang der Entwidelung ftebe oder nicht 
vielmebr in der Mitte, wird fich fewer ents 
fcheiden laffen. Aber man lann Chamberlain 
nicht tadeln, daß er die germanifde Raffe im 
SlawosKRelto:®ermanentum zu finden meinte 
und GBüntber loben, daß er die nordifde, 
d. b. germanifde Raffe in allen europäifchen 
Völkern als wertvollen Beftandteil aufweift — 
weil es eben dann nur ein Streit um Worteift. 

Der wahre Grund aber, warum Chams 
berlain den Grafen Gobineau ablehnte, ift 
der: Hat Gobineau recht, ift die urfpriinglid 
reine Raffe durch Dermifhung zu einer Bas 
ftardpopulation geworden, welde im Laufe 
der weiteren Generationen notwendiger 
Weife nur nod verfdledtert und nod 
mebr gemifht wird, dann gibt es für 
Chamberlain — und ich erkläre, daß ich da 
volllommen feine Meinung teile — nur 
Eines: fo rafh als möglich durdy eine wohls 
gezielte Rugel ein Ende madhen. Gobineau 
und feine Anhänger aber müßten fidy als 
Peffimiften folgerichtigerweife von diefer 
Melt zurüdziehen. Wenn fie es in Wirk 
lichkeit nicht tun, fondern im Gegenteil, for 
wie Schemann beroifch den Rampf aufnebs 
men und fortfegen, fo danten wir diefen 
Mangel an Solgericdtigheit dem heroiſchen 
Charakter ihrer germanifchen Raffe. Uns 
aber befreit von dem Peffimismus die mos 
derne Llaturwiffenfchaft, vor allem die ers 
perimentelle Dererbungslebre, welche eben des 
vielverläfterten Chamberlains feberifche Ans 
fidt beftätigt bat, daß Raffe eine plaftifce 
Größe ift, daß man Raffe züchten und gotts 
fob eine Kaffe auch wieder rein züchten 
kann, wenn fie durch Kreuzung mit anderen 
Raffen vermifht und fogar verfchlecdhtert 
worden ift. Serner daß Gobineaus Meinung 


64 Doll und Raffe. 


1932, I 





ierig ift, daß die Raffenverderbnis bei jeder 
weiteren Generation fich vertiefe, weil eine 
Population — alfo in diefem Salle cin Doll 
— weldes fi panmiltijd vermebrt, cet. 
paribus immer die gleice raffifee Zufams 
menfegung zeigt, d. 6. alfo fir unfer Doll, 
daG die germanifden Raffenwerte fich nicht 
dauernd verringern und zunehmend vers 
fdlechtern miffen und daß wir mit der 
Reinzucht jederzeit beginnen können, daß es 
daber auch im Leben unferes Volkes nicht zu 
fpat ift. In diefem Sinne dürfen wir auch 

emann fagen, daß fein fhönes Wert 
nicht nur einen boben literarifchen Wert bat, 
fondern daß es geeignet ift, die Beten uns 
feres Volles auf den Weg zu einer germanis 
fen Wiedererftebung zu führen. 

Lothar Gottlieb Tirala, Brünn. 


5. Schwalm m. 3; Burkhardt: Bevölkes 
rungskarten der Obers und Niederlaufig 
auf Grund der Volktszählungen der Jahre 
1930 und 1925. Stiftung für Deutſche 
Doltss und Kulturbodenforjdung in Leips 
3ig. Gonderdrud aus Deutfche Hefte fur 
Volles u. Rulturbod.»Sorfhung. Jahrg. 3. 
Heft 2, 1933/31. Brofd. Me. 2.—. 

Flah der außerordentlih überfichtlicdhen 


und für fpradhliche Mifchgebiete einzig mög: - 


liden von Wilhelm Dolz erdadhten Mes 
thode — fie wird bier nochmals ausführs 
Ich befhrieben — find auf zwei Karten 
die Ergebniffe der Doltszählungen von 1910 
und 1925 dargeftellt und zwar bezüglich der 
Mutterfpradye der Bevölkerung. Man fiebt 
deutlih, daß es Heute cin „wendifches 
Spracgebiet“ überhaupt nicht mebr gibt: 
es ift durd das Lindringen der deutlichen 
Sprache vollftändig zerfett, zu einem typis 
fen „Mifchgebiet“ geworden, oder rich« 
tiger zu zwei Mifchgebieten, einem in der 
Obers und einem in der Fliederlaufitz, beide 
dur einen „Bürtel dichtfitgender deutfchs 
fprechender Bevölkerung, der faft frei von 
Wendifchiprechenden ift“, getrennt. Im Süs 
den der Öberlaufig wohnt dann in breiter 
Zone eine rein deutfche Bevölkerung, die 
fic bis jenfeits der böhmischen Grenze forte 
fegt. Die Wenden der Obers und der Lies 
derlaufitg unterfcheiden fich übrigens ziemlich 
ftart voneinander, vor allem durch einen 
ftart abweichenden Dialelt, aber aud durch 
die Ronfeffion: die der Kiederlaufig find 
evangelifch, die der Gberlaufig meift fas 
tholifd. 

Der Vergleid) der beiden Außerft inter 
effanten und auffchlußreichen Karten zeigt 
auf den erften Blid den außerordentlichen 
Rüdgang der Wendifchiprechenden in dies 
fem kurzen Zeitraum. Es bat fich eine Ents 


widelung fortgefett, die fdhon vor Fabre 
zehnten begann; nach der erften amtlichen 
Seftftellung der Sabl der Wenden waren im 
preußifchen Staatsgebiet im Fabre 1843 
insgefamt 90667 Wendifdipredende vors 
banden, im Jabre 19265 waren es nur now 
33 $20, $984 batten deutfche und wendifche 


Mutterfprade. Im fadfifeden Wendens - 


gebiet zählte man im Jabre 3832 noc 
40483, im Jabre 3925 nur nod 27646 
mit wendifder und 626 mit deutfcher und 
wendifcher Mutterfprade. Die Abnahme 
der Wendifchfprecdhenden ift nicht gleichmäßig 
erfolgt, es bat dazwifdhen auch eine kurze 
Periode mit geringer Zunahme gegeben, in 
der Lleuzeit ıft fie aber am fchnellften ers 
folgt. Als Gründe für die Verminderung 
der Wenden werden von Burkhardt ve 
fahlich drei angegeben: die zunehmende 
duftrialifierung, die Abwanderung vom 
Lande in die Städte und endlich der Um: 
ftand, daß „die Wenden ganz offenkundig 
die deutfche Rulturgemeinfchaft fuchen“; die 
fhulftatiftifchen Erhebungen baben ergeben, 
daß im fählifchen Gebiet im Jahre 3925 
von wendifdftémmigen Doltsfdulltindern 
14 Prozent, und af im Jahre 1927 
19 Prozent auf Wunfh ibrer ltern 
nidt am wendifden Unterricht teilnahmen; 
in sunebmendem Maße wird alfo felbjt von 
rein wendifhfpredhenden Eltern Wert dars 
auf gelegt, daß die Kinder deutid lernen. 
Bedeutfam ift übrigens, daß fich die wendifche 
Sprade im katbolifchen Gebiete fehr viel 
zaber bält, als im evangelifchen. 
©O. Ree. 


Norbert Zimmer: Deutichlands Grensent: 
wiklung. Eine Rartenreibe. Verlag Hoc: 
fcbule und Ausland, BerlinsCharlottenburg 
1928. 

Auf 13 Rarten wird bier in Schwarz- 
weiß, Manier die Grenzentwidlung Deutfch- 
lands gezeigt. Allerdings bleibt ‘es frage 
lid, wie weit man ous Reid oer Sranten 
(846), Barls des Großen (814) und das Ofts 
fräntifhe Acie (888) obne weiteres als 
Vorgänger des beutigen Deutidlands ber 
trachten darf. Außerdem wird BDeutfchland 
um 1000, 1400, 1547, 1648, 1763, 1772/93, 
1800/12, 1815/06, 1871/1914 umd 1979 dari 
geftellt, dazu als 14. Rarte das gefchloffene 
deutfche Siedlungsgebiet in Mitteleurope. 
Ein kurzer Tert ergänzt Sie Karten und 
fdildert die Gebietsentwidlung zwifchen 
zwei Karten. Im ganzen zeigt die Gefamts 
darftellung augenfällig, wie Ihwantend die 
Orenzen Deutichlands von jeher waren. 


Werner £ffen. 


& 


Biufgruppenbestimmung: 
ar clgeeckicktesit:Wictsroplen.  Fldieeteateresstces 


Dr. —— — Hilsinger, Berlin-Lankwitz 
an 


vermittelt unauffällig, nicht gewerbsmäßig, der | |] „, aitares „Ba —— 
> „Ballungs Test“ ° Serum zur 


Böltifche Freia-Bund, Neuruppin 36. Nah. 1 RW. : je Iccm A, B und O RM. 10. 


Senten Sie an unjeren Abreiffalender 


Dienit am Deutſchtum 


Ein Jahrweijer für das deutihe Haus 1932. 


55 Bilöblätter mit prächtigen Bildern aus Dolftstum, Ralfe, 
Heimat, Kunft, Gejchichte, Begleitterten, Gedenttagen. Preis 1 ME. 


3. 3. Lehmanns Berlag, München. 
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Don Seele und Antlik 
der Raffen und Wolter 


Pon Dr. Ludwig Ferd. Clauf. 


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Mit 231 Abbildungen auf 86 Kunjtörudtafeln. Geh. 
RM. 10.—, Leinwand RI. 13.—. 


Es ijt nur fchwer möglich, von der Neuartigteit und Eigenartigfeit diejes 
neueften Buches des Begründers der rajjenpiychologiihen Soridung 
mit wenigen Säßen ein auch nur annähernd erihöpfendes Bild zu 
zeichnen. Die 231 zu „mimijchen Reihen“ zujammengeitellten Auf- 
nahmen von Dolts- und Rafjentypen jind vom Derfafjer nad) eingehenden 
Studium der Abgebildeten aufgenommen, aus einem größeren Schaße 
mit vortrefflichem Gejchid ausgewählt, und lajjen durd) ihre enge inner- 
liche Derbundenheit mit dem ebenjo jtraffen wie lebendigen und durch 
feine Klarheit allgemein verjtändlichen Tert den feelijden Erlebens- 
und den leiblichen Ausdrudsitil der einzelnen Gejtalten vor dem nad) 
etlebenden Lejer einleuchtend jchaubar werden. „Bolt und Raffe“. 


GE Achmanns Derliag / Münhen2 SW. 


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3. §. Cehmanns Derlaa - wMindhen 2 s2 


Die acijtiae Gejundheit : 4 
des Volkes und ihre Pflege 


Don Dr. med. Sriedrih Erhard Haag, Dozent a. d. Med. Akademie Düffeldorf. 
Preis geh. Mt, 7.—, £wd. Mt. 9.—. 


Der Derfaljer hat in feiner langjährigen Praris als Schul» und Bezirksarzt immer mehr die Über 
eugung gewonnen, da die angewandte Gejundheitspflege id) nicht nur mit dem Leib zu befaljen 
* im ern den ganzen Menjden, aljo aud) das, was man gemeinhin Seele nennt, betrachten 
I muß. Nur die Erhöhung der fittlichen Wideritandstraft des einzelnen, die Wiederverwu elung 
unjeres Doltes im Boden und in gejunder Gemeinjchaft fann — Dolte Gejundung bringen. 


jm erjten Teil werden die jeelenfundliden Grundlagen gelegt! wie läßt jich das geijtige Leben 
gejund erhalten? Hierzu it eritens eine gejunde Doltsgemeinjhaft nötig, darum muß das 
geiltige Leben in der Gemeinjchaft unterjucht werden; es wird (im zweiten Teile) nadıge 

a ie geijtige Gejundheit nur moglid ijt, wenn die ftaatlide Ordnung die Kulturgemein] 
(als Gegenjak er Zwedgemeinichaft und Herdengemeinjcdhaft) Zar Ziele bet Don —— B 
ijt ferner die Sozialpolitif. Der dritte Hauptteil behandelt daher die Grundfragen der jozialen 

giene: unjere heutige Sozialpolitit ift am Ende ihrer Leijtung, weil fie jid) nicht nad wiffentchafte 

lichen, jondern nad; politiihen Grundjäßen entwidelt hat. An die Stelle der Sozialverjicherung muß 
notwendig eine — treten, die nicht ae e, jondern Dorjorge bedeutet, die 
dem einzelnen jein Selbitvertrauen läßt, ibn in den Stand jest, fiir fich felbjt wirtſchaftliche Dor⸗ 
jorge 3u treiben und ihn dadurch zwingt, ſich wirtſchaftlich richtig zu verhalten. Auch die beſonderen 
Aufgaben der ſozialen hugiene müſſen dem Ziele dienen, eine möglichſt hohe Cebensarbeitstraft 
der ganzen Volksgemeinſchaft zu erreichen. 
Schließlich ift die Bildung der geijtigen ae aD en nötig. Die Lernjchule vermag jie 
nicht zu geben, die bisherige Prüfungsauslefe wird diejer Aufgabe nicht — Einerſeits handelt 
es ſich darum, nur Tauglichen zum For age 3u verhelfen, andererjeits 

gedeihlihen Entwidlung fommen zu lafjen. 


Die Rajjenfraaen 
im Schrifttum der Neuzeit 


Don Prof. Dr. £udwig Schemann=Sreiburg. 
Preis geh. ME. 20.—, Lwd. ME. 22. —. 


Der dritte Band des großen Rajjfenwerfes zeigt, wie i die gtoken Denfer der Meuzeit mit 
diejem immer flarer 3utage tretenden Problem auseinanderjegten. Zweifellos ijt diejer Band 
der interejjantejte; wer médte nicht auc) wijjen, wie ein Leibniz oder Kant,, Doltaire oder 
Roujjeau, Goethe oder Humboldt, Schopenhauer oder uch je: Rante oder Mommien, Jatob 
Grimm und viele andere jich zu Rafjefragen geäußert haben. Die Entwidlung wird bis in die neuejte 
Zeit hinein verfolgt; von Männern der Gegenwart oder leßten Dergangenbeit find behandelt (die 
Namen jind in der Reihenfolge aufgeführt, in der ie im Buche Cat Eh Drews, Graf de Lapouge, 
Ammon, R. W. Darre, 5.5.K. er Kern, ©. Haujer, Erbt, €. Sijder, H. Wagner, Kojjinna, 
Sdhudbardt, K. Breyjig, Cartellieri, Wilamowik, Eduard Weyer, Moeller van den Brud, Medel und 
andere, So wird diejer Band 3u einem Querjchnitt durd) das geiltige Leben unjerer Zeit und wir 7 
jeben mit Staunen, welche Siille von Geijt und Wifjen von den verjchiedenjten Seiten her Zur 
Löjung diejer Stagen aufgewendet worden ijt. 


Schemanns Wert „Die Rafje in den Geiteswifjenfchaften” ift mit diefem 5. Band abgejchloffen. 


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ieje Cauglichen 3u einer 


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Verantwortlich für die Schriftleitung von „Bolk und Raffer: Prof. Dr. D. Rede, Leipzig und Dr. Bruno K. Schulk, 
Berantwortlid) fiir den Anzeigenteil: Guido Haugg, Münden. — Gerlag: I. F. Lehmann, Münden, 


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‚7. Jahrgang Heft 2 April (Oftermond) 1932 













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2. er J ST akon ate | 
t FE EN ; Mit Erlaubnis des Kunstverlags Hermes, Dresden, 


Immanuel Rant 


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— Prof. Or.O. Reche, Leipzig u. Dr. Bruno K. Schultz, München 
—— — — — — — 


+ 6. Lehmanns Verlag Minden 


Bezugspreis jährlih M.8.—, Einzelheft M. 2.— 


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— — —— 


Der Untergang ber Aulturvölter im Lichte der Biologie. Bon Prof 
Dr. Erwin Baur (Miindeberg) - = 2220 7 — 


Die Burgunden in Schleſien und ihre Schicſale. on Dr. Ernft Peterfen, 


GErblide Familientenngeidjen im Volfsglauben. Bon Paul Sartori, Dortmund » 106 
| 








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—— | * 





Einiges über Kants Anfichten von Naturgaben, Vererbung und dem Zu- 
| i zwifchen Körper und Seele. Gon Dr. Olga Nippert, Liegnig. 
(Mit einem Bilde Rants) RER . IE ; . 


Di Breslau. (Mit 6 Abbildungen) . . . . „ 86 
Die Runen. Bon Dr. Friedrich Lüers, Münden. (Mit 1 Abbildung) . . . . » 97 


Chevermittlung. Bon Dr. phil. et med. Lothar Gottlieb Tirala, Vriinn . . . . „ 110 
Aus der rafjenhygienifhen Bewegung : 2 2: 2 2 mr nen „114 
Bene Eußenice Review . ı.. . .D.. Sa 5 116 
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Wege zur Familien, und Namenforfhung 


Deutfche Namentunde 
Unfere Familiennamen nad) ihrer Entftehung und Bedeutung = 


Don Studienrat M. Gottihald, Plauen 
Mit etwa 50000 Samiliennamen. Geh. AM. 15.—, Cwd. RM. 15.— 


Gottſchalds ns ijt anderen Namenbüchern gegenüber etwas durchaus Eigenes. Zunädjt 
dürfte jein Wert alle ähnlichen Werte an Reichhaltigteit weit übertreffen. Doc auch in 
Einzelbeiten der Deutung bringt jein Buch Dieles, was bisher nicht genügend ausgewertet 
wurde: 3. B. die Ableitung vieler altdeuticher Namen aus altgermanijchen religiöfen 
Doritellungen; ferner die Behandlung der einjtämmigen Namen und der Mijchformen. 
Auf die Kojenamen wie Hölderlin, Kreutel und Steudel, Blumenjdein und Maienthau 
ijt jeit ein paar längjt vergejjenen Bemertungen Grimms und Uhlands niemand mehr 
eingegangen. Überaus wichtig ijt auch die Statiftit der heutigen Samiliennamen, die 
bislang niemand ernitlih zum Zwede der Deutung benußt bat. Mittag 3. B. tommt 
als Samilienname in Köln und München nur je einmal, in Dresden aber 66 mal 
vor; hier ijt es. aber aus Mittas entjtanden, der wendijden Sorm fiir Matthias. 
Das Bud) zerfällt in zwei Hauptteile: Die Mamentunde und das Namenbud. Die 
Namentunde enthält u. a. folgende Abjchnitte : Gejchichte der Mamenforjdung. Jndo- 
— Namen; ſemitiſche Namen. Altdeutſche Taufnamen mit ihren Kurzformen, 

erkleinerungen und Miſchformen. Kirchliche und literariſche Namen. Entftehung der 

amiliennamen. Namen aus Wohnjtätten und Herfunftsort, von Stand und Beruf. 

bernamen ; Sagnamen ; Judennamen ; Latinijierungen jlawijcher und anderer fremder 
Namen. Dornamen. Namenwandel und Namendeutung. 


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Dolt und Reffe 


Flluftrierte Viertejahrsfchrift für deutfches Volkstum 


Herausgeber: Prof. Aidel (Kiel; Or. Baidtold (Bafel); Prof. Derblefffen CBonigebera 
i.Pr.); Prof. Sehrle (Heidelberg); Prof. €. Sifher (Berlin); Prof. HAambrud) (Samburg); 
Prof. Helbot (Innsbrud) ; Prof. ©. Lehmann (Altona); Dr. Lüers (Münden); Prof. Mielke 
Hermsdorf b. Bin); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Muh (Wien); Prof. Danzer 
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. I. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dorts 
mund); Prof. W. M. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulges 
Klaumburg (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof. 

Wrede (Böln); Dr. Zaunert (Wilhelmsboͤhe); Or. Seif (Frankfurt / M.). 
Sriftleitung der Feit{Hrift: Univerfitatsprofeffor Dr. Otto Rehe, Gaugid 
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Kurt Sdhulg, Minden, Meubauferftr. 5). 

Verlag: J. §. Lehmann, Minden 2 SWDO., Paul HeyferStrage 26. 

Jadhrlid erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jährlih M.s.—, Einzelheft M. 2.—. 
Poftfchedtonto des Verlags München 129. 


Doftfparkaffe Wien 59594. — Konto bei der Bayerifhen Vereinsbant München. — 

Ronto bei der Rreditanftalt der Deutichen e. ©. m. b. Prag IT, Rrakauerſtraße 33 

(Poftfpartaffentonto der Kreditanftalt: Prag 62 730). — Schweizeriſche Poſtſcheckrechnung 
Bern III 48345. Schwed. Poftichedlonto Stodbolm 4167. 


— 








7. Jubrgang Heft 2 April (Öftermond) 1932 








Der — behaͤlt ſich das ausſchließliche Recht der Vervielfaͤltigung und Verbreitung der 
n diefer Seitferift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor. 





Der Untergang 
der Aulturvölker im Lichte der Biologie. 


(Zwei Vorträge, gebalten an der Univerfität Uppfala (Schweden) am 8. und 9. Sehruar 1932). 
Don Prof. Dr. Erwin Baur (Müncheberg). 


enn wir die Menfchheitsgefchichte uberbliden, feben wir, daß alle Aulturs 

kreife, nachdem ein gewiffer Höhepunkt der geiftigen Aultur, ein Adbhepuntt 
der Drganifation des Staatswefens und der ganzen Wirtfchaftsführung erreicht 
wer, zufammengebrochen find. Oft ift diefer Zufammenbrucy mit einer geradezu 
dramatifchen Schnelligkeit erfolgt, Affyrien, Agypten, Hellas, Rom, überall haben 
wir das gleiche Bild. Und mit den Rulturen find auch immer die Völker, die 
Träger diefer Kulturen waren, oft auch ihre Sprache untergegangen. 

Wir feben audy — befonders Spengler bat in feinem Buch „Der Untergang 
des Abendlandes das Bar berausgearbeitet —, daß diefer Zufammenbruch fich 
ftets in ganz ähnlicher WDeife abgefpielt bat, daß die Einzelheiten des Verfalls 
in Wiffenfchaft, Aunft, Religion, in Politit und Dollswirtfchaft immer wieder 
die gleichen waren. 

Wir alle fehen auch, daß in unferem heutigen Rulturkeeife die Dinge wieder 
den gleichen Weg geben. 

£s ift nur die Stage, ob wir das alles als unabwendbares Befchid fataliftifch 
binnebmen follen, fo, wie man im Mittelalter die Poden oder eine Peftepidemie 

Dolf und Baffe. 1932. April. 5 


66 Volt und Raffe. 1932, II 
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aud eben einfach als ein unvermeidliches Ereignis oder als eine Gottesftrafe bins 
nabm — oder ob wir dagegen anlämpfen follen. 

Ich betone von vornherein, daß ich mid nicht auf den rein fataliftifchen 
Standpuntt ftelle, daß ich aber einen Kampf fur febr fcbwer balte, und daß alles, 
was wir bisher getan haben, um den völligen Verfall aud der heutigen Kultur 
zu verhindern, nichts bedeutet. Andererfeits zeigen aber die Arankheitsprozeffe, 
die Degenerstionsporgänge der heutigen Rulturvoͤlker wefentliche Unterfchiede 
gegenüber dem Verlauf im alten Rom, und vor allem fie zeigen eine gewoiffe 
Tendenz zur Selbftheilung. Das einzige, was uns zu tun übrig bleibt, 
ift, daß wir diefe fhon vorhandenen Heilungstendenzen unter ftügen. 

Wenn wir gegen die heute offen zutage liegenden Derfallserfcheinungen 
unferer Kultur und unferes Dollstdrpers antampfen wollen, muffen wie uns tlar 
fein über die Urfachen. Wir dürfen bier fo wenig wie bei einer Rrantbeit des 
Einzelmenfchen die Symptome der Aranktheit betämpfen, wir müffen verfuchen, 
die Urfache der Rranktheit zu bebeben. 

Die Haupturfachen der Degeneration der Kulturen und Rulturvdller find 
aber nach meiner feften Überzeugung biologifcher Hatur, und leider find 
faft alle Hiftoriker, Wirtfchaftspolititer, Soziologen ufw. biologifch hoffnungslos 
ungebildet und fommen mit allen ihren Unterfuchungen nie recht an den Kern 
der Gace heran. Begabung und Verftdndnis fur das eine Gebiet fcheinen faft 
Begabung und Verftändnis für das andere auszufchließen. Ls ift deshalb auc 
fur mid als Biologen ein gewiffes Wagnis, zu diefem Problem Stellung zu 
nehmen, weil mir ja die biftorifchen Speziallenntniffe fehlen, aber gerade dess 
balb betrachte ich auch abfichtlich diefe ganze Stage betont einfeitig, rein 
vom Standpuntt der Biologie aus. 

Träger einer beftimmten Rultur ift immer ein ganz beftimmtes Voltstum 
gewefen, und dem Untergang der Kultur ift bisher immer ein Untergang, ein faft 
vdlliges Derfdwinden ses Dollstums vorbergegangen, das diefe Kultur ges 
fhaffen und getragen batte. 

Je fage abfidtlid Dollstum und nidt Kaffe. Rein Rulturvoll, weder 
die alten AUgypter, nod die alten Grieden, nod die alten Römer waren eine eins 
beitliche Raffe. Sie waren ein Mifdvoll, wie auc die heutigen Rulturvdlter 
es find. Völlig reinraffige Ddller bat es feit vielen Jabrtaufenden nirgends mebr 
gegeben, reinraffige große Völker ficher überhaupt nie, böchftens Beine Stämme 
und Horden. Kin Doll, das eine Kultur zu entwideln beginnt, ift immer ſchon 
eine Mifchung von fehr verfchiedenartigen Raffenelementen. 

Aber genau fo, wie eine beftimmte Mifdung oder, wie man in der Technit 
fagt, eine beftimmte Legierung von Metallen auch ganz beftimmte andere Ligens 
fchaften bat, oft febr viel beffere als die hemifch reinen Metalle, fo bat auch jedes 
Raffengemifh als Ganzes betrachtet, d. b. jedes einzelne Volktstum 
feine ganz beftimmten Kigenfchaften. 

Bewiffe ChromstTidel-Stahl-Legierungen find ausgezeichnete harte Metalle. 
Andern wir die Zufammenfetung, holen wir etwa das Chrom oder das Flidel 
ganz oder teilweife aus der Legierung beraus, fo wird das Metall als Ganzes 
fchlechter. Entfprechende Vorgänge, d.h. Anderungen der raffenmäßigen 
Zufammenfegung, vollziehen fich aber dauernd in allen Ddllern. Und dsiefe 
Anderungen find nah meiner Überzeugung die Haupturfaden 
des Derfalls der Rulturvdiler. 


1932, 1I €rwin Baur, Der Untergang der Rulturvölter im Lichte der Biologie. 67 
EEE Fa a EEE eS I EEE EEE EEE EIER EN 





Um diefe Anderungen in der Zufammenfetgung der Völker, diefe, wie man 
in der Biologie fagt, Dariationsvorgange verfteben zu können, müffen wir einen 
ganz kurzen Abftecher in die VDererbungslehre machen. 

Mir können künftlich ohne große Mühe von allen Organismen völlig reine 
Raffen berftellen. Wir haben folcde reine, erblich einheitliche Raffen in großer 
Sabl in unferen Laboratorien (3. B. viele Taufende von Weizen), und wir können 
damit erperimentieren. Jede derartig reine Kaffe zeigt uns, daß fie erblich 
außerordentlich tonftant ift und ihre erblichen Kigenfchaften behält, 
aud wenn wir fie unter fehr verfchiedenartigen Bedingungen balten. Denn wir 
3. BD. von zwei Samenlörnern einer foldhen einheitlichen WDeizenraffe das eine auf 
guten Boden, das andere in fehr fchlechtem Boden ausfäen, fo betlommen wir 
davon zwei äußerlich fehr verfehieden ausfehende Pflanzen, aber die Nach⸗ 
kommen der gut ernäbrten Pflanze find erblich in keiner Weife von denen der 
fhlecht genährten Pflanze verfchieden. Die erblihen Eigenfchaften einer 
Raffe werden durch die Außeneinflüffe, denen ein einzelnes Individuum ausgefetzt 
ift, nicht verändert. Zbenfowenig vererbt aud ein gar nicht mufilalifch vers 
anlagter Menfch, dem man durch forgfältige Erziehung ein gewiffes Mufitvers 
ftandnis und auc eine gewiffe Mufittednil anerzogen bat, nun diefe ihm dußerlich 
beigebrachte Sertigteit auf feine Kinder. Ebenfowenig wird aud ein Stamm von 
HYottentotten, den man durd viele Generationen hindurd in englifchen Schulen 
erziebt, und den man in allem fo hält, wie heute eine bochkultivierte Samilie in 
England lebt, dadurch in feiner erbliden Deranlagung irgendwie verändert. Lr 
bleibt, was er ift, und auch nach vielen Benerationen werden die von ihm ges 
borenen Rinder eben Sottentottenkinder fein mit genau den gleichen Kigenfchaften 
und genau den gleichen Deranlagungen wie fonft die AHottentottentinder aud. 

Durd Erziehung, durch Dreffur, durch die Art der Lebensweife fann man 
zwar ein einzelnes Individuum verändern, aber nicht feine erbliche 
Deranlagung, fie wird weder beffer noch fchlechter. 

Das ift das erfte, was jeder Soziologe fich heute von der Dererbungslebre 
einprägen muß. 

Die Völker find aber gar keine „Raffen“, fondern Raffengemifde. Denn 
ein Dutzend Hottentotten und Hottentottinnen und Engländer und Engländerinnen 
untereinander heiraten und fo ein Mifchoold erzeugen, fo feben wir, daß inners 
halb diefes Mifdvolles die einzelnen Raffenunterfchiede unabhängig voneinander 
nad den Mendelfchen Regeln vererbt werden. Kreuzen wir zwei reine, nur in 
zwei Ligenfdaften verfchiedene Raninchenraffen, etwa eine kurzbaarige weiße 
Raffe und eine langbaarige fdwarze, fo beLommen wir kurzbaarige fhwarze 
Junge, und wenn wir diefe fich untereinander paaren laffen, fo betommen wir 
eine Entelgeneration, die 3u 9/,s aus kurzhaarigen fehwarzen Ranindyen, zu 3/,, 
aus kurzbaarigen weißen, °/,; aus langbaarigen fchwarzen und 1/,, aus lang» 
baarigen weißen beftebt. Wenn wir diefe ganze Enkelgeneration auf einer Infet 
ausfetzen, wo es feine anderen Raninchen gibt, und fic dort ganz in freier Paarung 
beliebig vermehren laffen, dann befommen wir ein Ranindhenvoll, in dem daus 
ernd immer ?/,; der Tiere kurzbaarig fchwarz, 3/,; kurzbaarig weiß, ?/,; langs 
baarig fhwarz, 1/,, langbaarig weiß find. Dabei werden 3. B. weiße Tiere von 
ſchwarzen Eltern oder langbaarige von kurzbaarigen geboren werden können, aber 
es bleibt das Haͤufigkeits verhaͤltnis der einzelnen Kategorien von Tieren 
gleich. Warum das fo ift, ift bier nicht auseinanderzufetzen, jedes beliebige Kchr« 
buch der Dererbungswiffenfchaft tann darüber Auskunft geben. 

5* 


68 Volt und Raffe. 1932, II 





Breuzen wir zwei Raffen, die fi in drei Eigenfchaften unterfcheiden, fo 
betommen wir in der Enlelgeneration achterlei verfchiedene Typen, die unters 
einander im AHäufigkeitsperbältnis 27:9:9:9:3:3:3:1 auftreten. Auch ein 
fo zufammengefetztes, künftlich bergeftelltes Raninchenvolt bleibt, wenn nicht 
Auslefevorgänge erfolgen, in feiner bunten Zufammenfegung und in der 
relativen Ayäufigkeit der einzelnen Typen durch beliebige Generationsreiben bins 
durch völlig konftant. 

Denn wir ein Mifchvolß berftellen aus zwei Raninchenraffen, die 10 Einzels 
unterfchiede aufweifen, dann befommen wir in der Enkelgeneration 21° = 1024 
verfchiedenerlei Tiere, auch wieder in einem ganz beftimmten Haufigteitsverbaltnis. 

Wir können ein Mifchoolk auch berftellen, indem wir erft zwei Ranindens 
raffen Ereuzen, die untereinander etwa fechs Unterfchiede aufweifen und dann diefe 
Baftarde wieder kreuzen mit einer Kaffe, die vier neue Kigenfchaften mithereins 
bringt. Auch dann belommen wir ein Mifchvolt, in dem 1024 verfchiedene Typen 
möglich find und in einem beftimmten Syäufigkeitsverbältnis auftreten, das dann 
auch weiterhin ftets erhalten bleibt. 

Ein foldyes Mifdvoll, in dem aber nicht bloß 4 oder 10 oder 20, fondern 
viele Hunderte von felbftandig vererbten Einzelunterfchieden mitfprecdhen, ift 
jedes MWienfchenvoll. Schon 100 felbftändig vererbte Einzelunterfchiede geben 
2100, 8. b. eine „aftronomifche" Zahl von verfchiedenen, möglichen Typen. Und 
wenn wir feben, daß, abgefeben von eineiigen, d. b. identifchen Zwillingen, auc 
in einem HundertsMillionensDolk keine zwei einander erblich völlig gleiche Indis 
viduen gefunden werden, fo liegt das nur an der ungeheuer großen Zahl von 
Möglichkeiten, die es für die Kombination der vielen Hundert Cinzelunterfdiede 
gibt. Uber auch fur ein folches, febr kompliziertes Mifchvolk gilt der Gay, daß 
esinfeiner hbaraktteriftifhen Buntbeit auch durch alle weiteren Generas 
tionen gleich bleibt — wenn nidt Seleltionsvorgange einfegen. 
Es wird alfo der Prozentfag der Blonden und der Duntelbaarigen, der Klugen 
und der Dummen, der Mufikalifchen und der Unmufilalifchen, der Beradenafigen 
und Krummnefigen, der Leute mit barnfaurer Diathefe, mit Settfucht, mit Zuders 
trantheit, der Leute mit perverfen Serualneigungen, der Leute mit Cigenfdaften 
eines Volksführers, der Leute mit bober künftlerifcher Begabung ufw., turzum, 
es wird das ganze Doll in feiner bunten Zufammenfegung gleich bleiben. Auch 
diefe heute jedem Benetiter felbftverftändliche Gefegmäßigleit muß jeder Soziologe 
kennen, wenn er über Zugenit und über Sozialbygiene oder Benölkerungspolitit 
mitreden will. 


Alle heutigen europäifchen Völker unterfcheiden fi nur in der relativen 
Häufigkeit der einzelnen Typen, die in ibnen auf Grund der eben gefchilderten 
Mendelfchen Gefey auftreten. In Holftein findet fi ganz felten auch einmal ein 
Menfd, dunteldugig und dunkelbaarig, wie ein „reiner Spanier“, und in Granada 
auch ganz felten einmal ein Menfch wie ein typifcher „Holfteiner“. Die Volles 
grenzen find meift auch antbropologifch [ehr unfcharf, man fiebt nur, wenn man 
3. B. von Deutfchland durch Srankreich nach Spanien reift, wie der Prozentfat 
der Blonden, der Broßen, der Kleinen ufw. fib allmählich verfchiebt. 

Die einzelnen europäifchen Völker enthalten zwar im wefentlichen diefelben 
Raffenbeftandteile, aber fie find entfprechend dem [ehr verfhiedenen Mengens 
verhältnis, in dem die Raffenelemente in ihnen enthalten find, fehr verfchieden 
im VDollsdurchfchnitt ihrer körperlichen und geiftigen Zigenfchaften. 





1932, II «Erwin Baur, Der Untergang der Rulturvditer im Lichte der Biologie. 69 


Ganz offenfidtlid find aud) wie bei den MetallsKegierungen gewiffe 
Mifdhungen und gewiffe beftimmte Mengenverbaltniffe ,beffer als andere. 

Es ift aber ganz ficher, nicht etwoa immer gerade ein ganz beftimmtes Raffen: 
element, das ein Volt dazu befähigt, eine höhere Rultur bervorzubringen, wir 
können jedoch trotzdem fagen, daß 3. DB. ein Doll von der raffenmäßigen Zus 
fammenfegung der Auftralneger niemals eine höhere Aultur ausbilden kann, und 
daß ferner ein Volk wie die alten Griechen niemals genau die gleiche Kultur wie 
die alten Agypter, fondern eben nur feine ganze fpezififche eigene Art der Rultur 
bervorbringen konnte. 


Daraus ergibt fih ohne weiteres, daß, wenn ein Rultur-= 
voltfibh im Laufe der Zeit in feiner raffenmäßigen Zufammens 
fegung ändert, fihb aud die Sorm und Hobe der Rultur dement: 
fprehend ändern muß, und daß, wenn ein Rulturvoll fid 
raffenmäßigftartverfhlechtert, feine Rulturzufammenbreden 
muß. 

Wenn unfere Srauen eines Tages nicht mehr gebären wollten, wenn fie es 
bequemer fänden, daß wir Beine Säuglinge aus Ehina importierten, und wir 
diefe Adoptivkinder dann in unferer Sprache und unferer Kultur wie unfere eigenen 
Rinder erzieben würden, dann würde fo ein Volk entfteben, das unfere Sprache 
fpricht, das alle unfere gefhichtlichen und kulturellen Überlieferungen, alle unfere 
Renntniffe hätte, aber es wäre ein völlig anderes Volk und wäre nicht imftande, 
unfere Kultur zu behaupten, und erft recht nicht, weiter zu entwideln. Es wurde 
im Laufe von wenigen Jahrzehnten die ihm entfprechende Rulturftufe und Rultur: 
art befommen. 


Tatfächlich fpielte und fpielt fich in allen Rulturvditern ein Prozeß ab, der 
im Endergebnis auf das gleiche beraustommt. 


Wenn in einem Ranindenvoll unferes erften Beifpieles, das aus der 
Rreuzung von langhaarigen fehwarzen und kurzbaarigen weißen Tieren entftanden 
ift, aus irgendeinem Grunde die langbaarigen weißen Tiere feine Junge mebr bez 
kommen, fo würde das zundächft nicht viel ändern, weil langbaarige weiße Tiere 
ja aud) von ganz anders befchaffenen Eltern geboren werden können. Aber wenn 
eine Reihe von Generationen hindurd immer die langbaarigen weißen Ticre 
keine, die übrigen aber viele Junge betommen, dann werden von Jahr zu 
Jahr immer weniger langbaarige weiße Tiere geboren werden und fdhlieglich 
nad etwa 100 Generationen nur noch ganz ausnabmeweife. 

So ift es aber auch, wenn die Verbdltniffe verwidelter liegen. Auch bei 
einem Menfdenvoll werden bochbegabte Rinder von wenig: oder mäßigbegabten 
Eltern geboren, große Talente und Subrernaturen werden immer wieder aus der 
Maffe des Volkes auftauchen, und fie felbft werden auch durchaus nicht immer 
überdurchfchnittlich begabte Rinder betommen, audy nicht, wenn beide Ehepartner 
zufällig in gleicher Richtung bochbegabt find. Wenn aber Sur viele 
®enerationen hindurd in einem Doll gerade die bervorragen: 
den Menfaen keine oder unter Durbhfchnitt wenig Kinder bes 
tommen, dann wird im Laufe der Benerationen diefes DPollaud 
prozentualimmer weniger Talente und Sübrerperfönlidhleiten 
bervorbringen und fhlieglih fo wenige, daß niht mehr genug 
Trager der Kultur vorhanden find. Die Rulturhbdbhe des VDolles 
muß dann finten. 


70 Volk und Kaffe. 1932, II 





Änderungen in der Zufammenfetsung eines Volles brauchen indeffen keines= 
wegs immer cin Sinten der Kultur zu fein. Wenn in einem Volk die fchlechteften 
Elemente wenig oder keine Rinder betommen, dann wird das Voll fic in der 
anderen Richtung ändern, oder wenn in einem Mifchoolt aus orientalifchen, 
mongolifchen und nordeuropäifchen Raffen, die Menfchen mit „nordeuropäifcher 
Scelenverfaffung“ fich wenig fortpflanzen, dann wird die Rulturhdbe, die ganze 
Dents und Süblart des Volles vielleicht nicht fchlechter, aber ganz beftimmt 
weniger nordeuropäifch, fondern mehr und mehr orientalifchsmongolifcy werden. 

Da die einzelnen igenfdaften im großen und ganzen unabhängig vons 
einander vererbt werden, und bei jeder Zeugung fic laleidoflopifd neu verbinden, 
ift durdhaus nicht gefagt, daß in einem folden Mifchoolk jeder koͤrperlich 
nordeuropäifch ausfehende Menfch immer auch nordeuropäifche Denks und Sühls 
art bat und umgekehrt. In der neueren populären eugenifchen Literatur wird 
diefe falfdhe Dorausfegung oft gemadt. Es ift der gleiche Sebler, den die Tiers 
züchter begeben, wenn fie glauben, dag eine beftimmte Aautfarbe oder Hornform 
ufw. ein wefentlides Rriterium einer Leiftungscaffe fei. Man beißt das 
in der Tierzucht „Sormalismus“. Diefer Sormalismus bat fchweren Schaden ges 
ftiftet und fangt jegt aud an, in der Eugenit fhAdlih zu werden! 

Alle diefe Anderungen in einem Mifchvolt geben febr langfam vor fid, 
aber 5 bis 10 Benerationen genügen fchon, um die Solgen deutlich ertennen zu 
laffen, und man kann in Derfuchen mit Raffengemifchen von Tieren oder Pflanzen 
zeigen, daß die tbeoretifch zu erwartenden und im voraus genau tbeoretifch bes 
cechenbaren Anderungen fich tatfächlich fo vollziehen, wie man fie berechnet bat. 

Wenn innerhalb eines Volkes fchon eine gewiffe foziale Schichtung, eine 
„Kaftenbildung‘‘ befteht, oder wenn von vornherein die Mifchung nur teilvoeife 
erfolgte, etwa wenn eine Serrenfchicht ein unterworfenes Dollstum überlagerte, 
dann wirkt eine ungleiche Dermebrungsgefdwindigteit febr viel rafcer als in 
einem Mifchvolt ohne Raften und ohne foziale Schichtung. Wenn, um ein ein= 
faches Beifpiel zu nehmen, ein Volt aus zwei Raften beftebt, etwon Ratboliten und 
Proteftanten, die felten Mifchehen eingeben, und von denen die eine, die Katholiken, 
ein durchfchnittliches Seiratsalter von 20 Jahren und eine durchfchnittlicye Rinders 
zahl von 4 bat, während die andere Kafte, die Droteftanten, im Burdhfchnitt ein 
Feiratsalter von 30 Jahren und eine dundfchnittliche Ainderzahl von 3 bat, 
dann bedeutet diefer Eleine Unterfchhied in der Dermebrungsges 
[hwindigleit, daß im Laufe von wenigen Benerstionen die 
eine Rafte die andere faft vSllig verdrängt. 

Befteht bei Beginn des Derfuches das Volk zu je 50% aus den beiden Raften, 
dann haben wir folgenden weiteren Derlauf: 

Rate I (Meiratsalter 20, Bafte Il (Heiratsalter 30, 


Rinderzabl 4) Kinderzabl 3) 
Bei Beginn 50% 50% 
Nach 100 Jahren 32,50% 17,5 % 
Flach 300 Jahren 99,1 %0 0,9% 


£s ift alfo nach 300 Jahren die eine Kafte faft volltommen vers 
ſchwunden. 

Ahnliche und noch groͤßere Unterſchiede in der Vermehrungsgeſchwindigkeit 
beobachten wir aber tatſaͤchlich in jedem Volk, und daß alle Voͤlker im Laufe 
der Jahrhunderte und Jahrtauſende ſich aͤndern und vor allem, daß ſie ſich ſehr 


1932, II «rwin Baur, Der Untergang der Rulturvölter im Lichte der Biologie. 71 
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tafe 3um fdlechten dndern, fowie eine gewiffe Rulturbobe erreicht ift, rührt 
von foldben Unterfdicden in der Sortpflanzungsgefhwindig: 
keit der einzelnen Dollsbeftandteile ber. 

Kine höhere geiftige und technifche Rultur fett immer erft ein, nachdem ficdh 
Städte gebildet haben. Jede Stadtbildung bat zundchft immer eine ftarkte Auss 
prägung von KRaftenunterfchieden zur Solge. Sobald die ftädtifche Aultur eine 
gewiffe mdbe erreicht bat, finden wir zuerft in der ftädtifchen Oberfchicht das 
Beftreben, die Rinderzabl einzufchränten. Das ift für das alte Hellas 
und das alte Rom mit aller Sicherheit ertennbar und ift auch damals von den 
Griechen und Römern Mar erfannt und ausgefprochen worden. Sur die heutigen 
Rulturvditer ift es ftatiftifch einwandfrei erwiefen. 

Schon im Jahre 19123 batten wir in Preußen in den verfchiedenen fozialen 
Schichten folgende durchfchnittliche Rinderzablen je Samilie: 

Eyöbere Beamte, freie Berufe (Arzte, Rechtsanwälte, Offiziere) . 2,0 


Ungefielite » . = 2: 0 en 2,5 
Gehbilfen, Geſellenn.. 2,9 
Sabritarbeite - 2. © : 2 2 0 2 0. ee a 4,1 
Togllöbne 2. > 2 2 Er nn. 5,3 


Diefe Unterfchiede in der Sortpflanzungsgefchwindigleit wären an fic) nict 
bedrohlich, aber wir feben in diefem Entwidlungsftadium, daß in allen Schichten 
des Volkes gerade die erblich zweifellos am [hlechteften Deranlagten mebr 
Rinder betommen als die erblich Befferen. 


Aus dem ungebeuer großen Material, dae Uber diefe Sragen im Laufe der 
Jahrzehnte in Europa, in Amerika gefammelt worden ift, nur einige wenige Beis 
fpiele. So bat man in Deutfchland in großen Statiftiten feftgeftellt, daß Mütter, 
die Rinder in Hilfsfchulen!) haben, faft doppelt fo viel Rinder haben als der 
Burchfchnitt der Mütter des gleichen Stadtviertels. Zbenfo bat fich gezeigt, daß 
überhaupt in den Schulen immer die Schüler mit der fchlecdhteften Durdfchnittes 
note faft dreimal fo viele Gefchwifter haben als die Schüler mit der Durdh- 
fchnittsnote „gut“. Ebenfo ift fehr auffällig, daß die Säufer eine überdurchichnitts 
lid) bobe Rinderzabl aufweifen. 

Alles das bedeutet zwar zundcdhft noch keine ernfte Gefabr fur die Dolls: 
vermebrung überhaupt, wenigftens nicht folange die übergroße Mehrzahl des 
Volkes noch auf dem Lande wohnt, aber es bedeutet eine Gefahr für die Bes 
fdaffenbeit des Volkes. In einem Zuftand, wie er bei uns etwa um die 
achtziger Jahre einfetzte, und wie er im alten Rom etwa zu Anfang der Raiferzeit 
gegeben war, baben wir folgendes Bild: 

Dom Lande ber wandert Jahr für Jahr ein Strom von WMenfchen in die 
Stadt. Die Landbevditerung nimmt zwar 3zunddft nod nidt ab oder dod) nur 
in einzelnen „Landfluchtgebieten‘‘, aber fchon bei diefer Abwanderung in die Stadt 
findet eine gewiffe Auslefe ftatt. Es find im allgemeinen überducdhfchnittlid) 
intelligente und unternebmungsluftige Menfchen, die in die Stadt zieben. In der 
Stadt fteigen wiederum die höher Begabten im Laufe von einigen Generstionen 
in die oberften fozialen Schichten auf, und in diefer Oberfchicht finden wir eine 
fo geringe Rinderzahl, daß faft alle diefe Samilien langfam ausfterben. Eine 


1) Sfsfchulen nennt man in Deutichland befondere Schulen für fehr Ihwachbegabte 
Rinder, die in gewöhnlichen Schulen nicht mitlommen. 


12 Volt und Kaffe. 1932, 11 
a | 


Sabl von mehr als zwei Rindern im Durh{hnitt dec Samilie 
wird in diefer Shit in allen Rulturvdllern heute fon nidt 
mebr erreicht. Zum größeren Teil ift diefe Befchrantung der Rinderzahl ges 
wollt, zum Teil ift fie ungewollt, eine Solge des in diefer Schicht fehr fpäten 
Fyeiratsalters und der größeren Infeltionsgefahr für Gefchlechtetrantheiten, denen 
gerade wegen des fpäten HHeiratsalters diefe Schicht befonders ftark ausgefetst ift. 
In den Städten ift in diefem Entwidlungsftadium die Beburtenbäufigkeit über» 
baupt fchon fo gering, daß fie nicht annähernd mehr zur Erhaltung der ftädtifchen 
Bevölkerung ausreicht. 

In Berlin haben wir 3. B. 1930 auf 1000 Menfchen nur nody 9,5 Geburten 
und in allen deutfchen Grogftadten über 100 000 Einwohner zufammen 13 Ges 
burten. Auf die Dauer ift jedoch mindeftens eine Geburtenbäufigleit von ı8 bis 20 
aufs Taufend notwendig, um ein Doll lebensträftig zu erhalten. Die Städte 
wirken gewiffermaßen als Sallen, in denen die beftveranlagten Mienfchen ges 
fangen und an einer genügenden Sortpflanzung verhindert werden. Es find alfo 
alle Dorausfegungen dafür erfüllt, Daß durch diefe Auslefevors 
gängeeine ftarte Deränderung, und zwar DerfHlehterung des 
Volkes erfolgt. 

Selbftverftändlich ift durchaus nicht alles, was fozial auffteigt, überdurdhs 
fhnittlich gut erblicdy und veranlagt und noch weniger wandert jeder überdurdys 
fehnittlid gut veranlagte Bauer in die Stadt, aber im großen ganzen bat 
zweifellos die Rinderarmut der ftädtifchen Öberfchichten und der ftädtifchen Bes 
völkerung überhaupt und die dauernde Abwanderung vom Lande ber eine langfame 
Derfchlechterung des Volkes zur Solge. Je leichter es Derfonen aus niederen fozialen 
Schichten gemadt ift, „aufzufteigen“, defto rafcher gebt diefe fchadliche Aus: 
merzung der Beften, diefe „negative Selektion“ vor fid. Sceier „Aufftieg der 
Tiüschtigen‘‘ bedeutet leider eben auch „tafche Ausmerzung“ der Tüchtigen. 


Es fommt aber noch etwas anderes hinzu. Wie bei allen Organismen, bei 
Pflanzen und Tieren, fo findet auch in jedem Volk eine gewiffe natürliche 
„pofitive‘* Zuchtwahl ftatt, durch welche lebensunfäbige, ftart minderwertige Indi⸗ 
viduen ausgemerzt werden. Je primitiver ein Volk lebt, defto fchärfer arbeitet 
diefe natürliche Zuchtwahl. 

Bei einem Primitivvoll von Jagern, Hirten oder Aderbauern wird jede Srau, 
die ein zu enges Beden bat, bei der erften Geburt fterben, die Rinder von Srauen, 
die nicht ftillen können, werden mindeftens zu einem größeren Prozentfat fterben 
als die Kinder normal ftillender Srauen. Jeder nicht rafch entfchloffene und fcharfs 
finnige und kräftige Mann wird eine befonders große Wabhrfcheinlichkeit haben, 
bei den vielen Rämpfen der einzelnen Horden totgefchlagen zu werden, und in 
gleicher Weife wird durch natürliche Zuchtwahl auf Widerftandsfähigleit gegen 
Infeltionstrantheiten, auf Sreifein von konftitutionellen Rrantheiten gezüchtet. 

Ducdh diefe natürliche Zuchtwahl werden alle wilden Pflanzen: und Tierarten 
dauernd auf das fchärffte gefiebt. Alles Winderwertige wird rafch ausgefchieden, 
e8 bleibt nur der an die gegebenen Bedingungen beftangepaßte Cyp erbalten. Tur 
daher rührt die außerordentlich große Einbeitlichkeit des ganzen Typus, durch 
den fich jede Wildart von ihren Rulturformen unterfdeidet. Man dente 
an Wolf und Scatlal auf der einen Seite und an das zabllofe Acer der Aundes 
taffen auf der anderen, oder an den WOildtobl und die zabllofen Roblraffen wie 


— 4 > 


1932, II «Erwin Baur, Der Untergang der Rulturoditer im Lichte der Biologie. 13 
ee 


Blumentobt, Kohlrabi, Rofentohl, Ropftohl, die alle aus diefem Wildtobl hers 
vorgegangen find. 

Aud bei allen wild lebenden Pflanzens und Tierarten treten dauernd neue 
Mutanten?) auf, nach allem, was wir heute wiffen, wohl ebenfo häufig wie bei 
den tultivierten Organismen, aber in der Rultur Halt man künftlid 
alle die zabllofen fo entftebenden erblimen Migbildungen am 
Leben, in der UWatur fterben fie rafch wieder aus. Der Unterfchied 
zwifchen einem primitiven Menfchenvolt und einem Rulturvolt ift in allem wefents 
lichen der gleiche wie zwifchen einer Wildart und ihren Rulturraffen. Bei den 
Aunden Halt man die einzelnen mißbildeten Typen, d. b. beftimmte uns gerade 
gefallende Rombinationen von Kigenfchaften, als Möpfe, Dadel, Windhunde, 
Bulldoggen, Pinfcher, d. b. als „reine Raffen“ getrennt. Bei den Menfden 
find alle diefe Linzelmißbildungen in jedem Rulturvolt auch enthalten. Rönnte 
man nach Belieben mit den Menfden züchten wie mit den Aunden, dann ware 
es eine Kleinigkeit, aus der heutigen Rulturmenfchbeit, ja aus den Einwohnern 
jeder einzelnen Stadt fich alle die entfprechenden menfdliden Rarifaturen, 
Möpfe, Dadel ufw. auch als reine Raffen berauszuzüchten. DOenn man unfere 
beutigen Hunderaſſen fich kunterbunt durcheinander paaren ließe, dann käme fo 
ein Aundevoll beraus, das etwa einem ARulturvolt entfpräche. Liur wäre wahr; 
fheinlih in dem AHundevolk die Zahl der mitgefchleppten, ganz ausgefprocdhen 
tranthaften Eigenfchaften (Geiftestrantheit, Epilepfie, Gicht, Settfucht, Zuders 
trantheit ufw.) wefentlich Peiner. 

In einem Rulturvolt ermöglicht der hohe Stand der Medizin und der Hygiene 
auch Srauen mit zu engem Beden und Müttern, die nicht ftillen, aud) Diabetitern, 
Rurzfichtigen, Settfüchtigen fich ebenfogut fortzupflanzen wie gefunden Mienfchen 
und alle ibre Sebler auf die Kacdhlommen zu vererben. Da dauernd durch Mutation 
einzelne Üenfchen entfteben, welche derartige neue erblicdye Sehler aufweifen, mug 
die Zahl der Lorperlich oder geiftig mißbildeten Menfchen zunehmen, wenn in dem 
Ausmaße, wie es heute der Sall ift, die natürliche Zuchtwahl ausgefdaltet aft. 
Unfere Jdiotenanftalten, unfere milde Juftiz tun ein weiteres in diefer Richtung. 
Catfadlicd ift heute fchon in unferer Rulturmenfchheit die Zahl der mitgefchleppten 
Erbanlagen für folde Defette ganz ungeheuer groß, nur ein ganz Bleiner Prozents 
fag aller Rulturmenfchen ift überhaupt völlig frei davon. Die meiften Erbkrank⸗ 
beiten und Migbildbungen werden ja verdedt (rezeffiv) vererbt, auch zwei dugers 
lid normal befchaffene Menfchen können albinotifche Rinder beLommen, wenn 
zufällig fie beide beterozpgotifch (ungleicherbig) die albinotifche Deranlagung ents 
balten. Ulur weil gewöhnlich Mann und Srau nicht gerade die gleichen Migs 
bildungsanlagen enthalten, belommen fie normale Kinder. Daß bei enger Ders 
wandtenebe febr of t Mißbildungen beraustommen, hängt nur damit zufammen, 
daß bei nahe blutsverwandten Eltern die Wabrfcheinlichkeit fehr groß ift, daß 
von Pater und Mutter ber die gleichen Mißbildungsanlagen zufammentommen. 

£s ift aber audy wahrfcheinlich, mehr läßt fich heute noch nicht fagen, daß 
Mutationen, durch welche folche Mißbildunganlagen neu entftehen, bei Aulturs 
völkern etwas häufiger vorkommen als bei Primitivraffen. Allerhand Gifte, 
Altohol 3. B., ferner aber auch Beftrablung mit Röntgenftrablen ohne genügenden 
Shut der GBefchlechtsdrufen oder erft recht Cingriffe wie zeitweilige Uns 


2) Unter einer ,Mutation’ verftebt man das erftmalige Auftreten eines Individuums, 
das fich in einer ganz neuen Kigenihaft von der Ausgangsftelle unterfcheidet. 


74 | Dolt und Kaffe. 1932, II 








frudtbarmadung 5) (tempordre Sterilifation) durdh Beftrablung der 
Kierftdode erhbdben die Häufigkeit von Mutationen. Ganz ficdere Scdlisffe 
aus Beobactungen an Menfden laffen fih nok nicht ziehen, aber alle Tiers 
und Pflanzenverfude geben vdllig eindeutige Refultate. 

Bei den einzelnen KRulturvdllern im ungleidhen Ausmage kommt noch hinzu, 
daß durh Zuwanderung fremder Raffenbeftandteile das ganze Dollstum fic 
ändern fann. 3. B. im alten Rom hat die Cinfubr von Stlaven (dwerwiegende 
Solgen gehabt. WPabhrfcheinlich beftand fchon gegen Ende der Raiferzeit der größere 
Teil der Einwohner von Rom und ein fehr großer Teil der Bevölkerung dee 
Kandes aus Klacdhlommen von Sklaven und Sreigelaffenen uberwiegend orientalis 
fcher Herkunft. 

Einwanderung taffefremder Clemente fpielt auch heute in mandyen Ländern 
3. B. in Sranltreich und in den Dereinigten Staaten eine fehr große Rolle. In 
Deutfchland bat die ftarte Zuwanderung von O ft juden in den Nachkriegsjahren 
fidh unginftig ausgewirkt. Allerdings gleicht fich das wieder aus, weil die emansis 
pierten Juden eine ganz befonders kleine Rinderzabl aufweifen. 

Ebenfo verhangnisvoll tann aud eine ftarke überfeeifche Auswanderung ein 
Dolfstum verdndern, da im allgemeinen die nach Überfee auswandernden Mienfchen 
örperlich und geiftig über dem Durdhfchnitt fteben *), wirkt diefe Auswanderung 
im gleihen Sinne wie die Abwanderung vom Lande in die Stadt. Daß die 
Mutterländer großer Rolonialgebiete befonders gefährdet find, zeigt die Ges 
fchichte und auch die heutige Beobachtung. 

Alle diefe Vorgänge führen in ihrer Befamtheit mit unbedingter Sicherheit 
zu einer Verfchlechterung des Volles, zwar nicht in einigen Jahren, aber im Laufe 
von 1—2 Jahrhunderten. Diefe Degeneration erfolgt erft langfam und dann mit 
zunehmender Gefdhwindigkeit. Wir fteben heute da, wo das Tempo der Vers 
fhlechterung anfängt, rafch zuzunehmen. 

ou diefer verbangnisvollen negativen Seleltion, zu diefem Raffenfelbftmord, 
wie man es auch genannt bat, kommt nun noch eine andere Störung der fozialen 
Strußtur der Aulturvölter. Wir finden überall in diefem Entwidlungsftadium, 
in dem wir Mitteleuropäer uns etwa feit 1900 befinden, eine ganz befonders 
ftarte Befhleunigung der Landfludht und eine ganz befonders bes 
droblihe Zufammenballung der Ddlker in den Grogftädten und 
eine rafc) zunehmende Derddung des Landes. Diefe verftärkte Landflucht bat im 
wefentlichen wirtfchaftspolitifche Urfachen: 

Mit einer gewiffen Aulturböbe, in der, wie eben fchon gefagt, wir Mittels 
europäer etwa feit der Jahrhundertwende uns befinden, nimmt der Außenhandel 
und nimmt der politifche Einfluß von Broßlapital, Handel und Jnduftrie fehr 
ftart zu. Der Außenbandel wird quafi Selbftzwed, anftatt als „nots 
wendiges Übel“ betrachtet zu werden. Während früber die einzelnen 
VSlker und noch früher fogar die einzelnen Landfchaften innerhalb eines Volkes 
im wefentlichen autart waren, fangen in diefer jet erreichten Aulturftufe die 
einzelnen VSlker an, fich für beftimmte Jnduftrien zu fpezialifieren. Die Ents 
widlung gebt immer dahin, daß die bochkultivierten induftrialifierten Stadtoöälker 
einen von Jahr zu Jahr größer werdenden Teil ihrer Lebensmittel vom Auslande 
beziehen. &s wird dabei an Lebensmitteln nicht bloß das eingeführt, was 


5) Yack den heutigen Erfahrungen der Genetifer dürfte ein gewiffenbafter Arzt 
diefe Operation nidt mebr ausführen, leider gefchiebt das immer nod! 
4) n weil Jdioten, Rrüppel und Geiftestrante im allgemeinen nicht auswandern. 


— | 


1932, II «rwin Baur, Der Untergang der Rulturvölter im Lichte der Biologie. 75 
ET __________ ________________—___—_—_—_____—1 


die eigene Landwirtfehaft nicht erzeugen tann, fondern febr 
viel mebr, einfach weil irgendwober aus dem Auslande, bald aus Lieufeelans, 
bald aus Ranada diefe Dinge ,,billiger bezogen werden tonnen. Daf das Auss 
land billiger liefert, braucht durchaus nicht daran zu liegen, daß es beffer und 
rationeller arbeitet, fondern es liegt tatfächlich meift daran, daß es klimatifch bes 
günftigt ift (für Srifchgemüfe 3. B. Italien) oder daß es Raubbau treibt (für Solz 
3. DB. heute Rußland und Polen), oder daß feine Landarbeiter außerordentlich ans 
fpruchslos find, für Löhne und unter Derbältniffen arbeiten, für die kein beimifcher 
Arbeiter zu baben ift (Soja in China). 

Dadurch kommt aber rafch die beimifche Landwirtfchaft in eine ganz boff- 
nungslofe £age. Mit den zunehmenden Getreideeinfubren Roms aus Spanien, 
Ulordafrita, Rleinafien und anderen Rolonialgebieten fhwanden die Bauern im 
Lande. Latifundienbildung, Menfdenarmut auf dem Lande waren die Solgen. 
Dies warder Anfang vom Endse Roms. Der vielsitierte Gag „latifundia 
perdidere Romam* ift nidt rid@tig: Die Bildung der Latifundien war 
felbft fcdbon eine Solge des Derfalls, eine Solge der Bauernvernidtung 
durch die verkehrte Agrarpolitik. 

Bei den beutigen Rulturpöltern ift diefer Prozeß gebemmt durch Zollmaß⸗ 
nahmen. Ulur in wenigen Ländern, 3.3. in England, bat die Vernichtung der 
Bauernbevdlterung fchon einen bedroblichen, ja faft boffnungslofen Grad erreicht. 
Bberall fonft tampfen die Bauern heute noc um ihre Eriftenz. Solange wir eine 
völlig freie, privatlapitaliftifche Wirtfchaft baben, folange Aandelsvertrage als 
das Ergebnis eines langen, 34ben Handelns und Feilſchens zwiſchen den 
Intereffentengruppen der Jnduftrie, dea Handels und der ftädtifchen Aons 
fumenten auf der einen Seite und der Landwirtfchaft auf der anderen zuftande 
kommen, wird beftenfalls erreicht, daß die heimische Landwirtfchaft etwas lang s 
famer zugrunde gebt als fonft ihr Gefhid wäre Aber unterliegen muß 
fie auf die Dauer beftimmt in diefem ungleimen Rampfe. In 
allen Induftrieländern, auch in jungen, wie den Vereinigten Staaten, wandern die 
Bauern deshalb in großem Umfange ab. Das Derbältnis von Stadts und Lands 
bevdllerung verfciebt fich immer rafcher zuungunften der Tetteren. Da aber in 
allen Rulturftasten, wie wir vorhin fehon gebört haben, die Städte viel weniger 
Binder erzeugen als nötig find, um die Bevölkerung zu erhalten, ift das Land und 
im wefentliden dic Bauernbevdllerung das Element, auf weldhem 
Gberbaupt nod die Dollsvermebrung berubt. Je groger der Prozents 
fat der Bevölkerung ift, der in den Stadt: und Jnduftriesentren wohnt, defto ges 
tinger ift die Dollsvermebrung. Die meiften beutigen Kulturlander find nabe an 
dem Punlt, wo die Bevdllerungszabl nicht mehr zunimmt, fondern abnimmt. 
In Luropa finden wir pro 1000 inwobner in den legten Jabren folgende Ges 
burtenüberfchüffe 5): 


Dautihland . . > 2 2 2 22. 6,5 (1930) 
Schwein. 2. » 2 2 2 2 2. 3,0 (1929) 
England und Weile . . . 2... 4,9 (1930) 
Schottland 2. 2. 2. 2 2 2 nen 6,3 (1930) 
HordsIrhend -. - > 2 2 2 2 en 7,0 (1930) 
Ilm. 2 2 2 2 ren 5,7 (1930) 
Scantreih mit Elfaßsfotbringen . . 2,4 (1930) 


5) D. b. mehr Geburten ale Todesfälle. 


16 Volt und Kaffe. 1932, IL 
A PS EEE 


Elfaßslotbringen . . » 1... 7,5 (1930) 


BDanemare . ww www et 7,6 (1929) 
Shwi3 . . 2: 2 2 2 2 2 2. 5,6 (1930) 
Spanin 2. » 2 2 2 22.20.20. .1857 (1930) 
Italien . . - 6 6 $3,4 (1930) 
europäifches Sowwjet-RuBland ~ « « 23,9 (1929) 
Meißrußlend. . . ... 424,6 (1929) 
Ukraine.. 17,0 (1929) 


Diefe Zahlen fprechen eine ganz Hare Sprache — na deutlicher wird die Bee 
fahr, wenn man fiebt, in weldyem Ausmaße im Laufe der letzten Jahrzehnte die 
Beburtenüberfchüffe in den einzelnen Ländern abgenommen haben. Bisher ift 
nod jedes Volk, das überwiegend ein Stadtpolk wurde, in diefer Weife 
refh zugrunde gegangen. 

Aber auch fonft bedeutet es für jedes Volk immer eine fchwere Gefahr, wenn 
es in der Kebensmittelverforgung vom Auslande abhängig ift. Ganz abgefeben 
davon, daß es dann im Kriegefall ftets früher oder fpäter, fo wie Deutfchland im 
Meltkriege, ausgebungert und niedergeswungen wird, bedeutet jede große 
Mirtfchaftskrife eine Befahr. Wenn das Ausland wegen der Rrife die 
Erportwaren nist mebr aufnimmt, beftebt auch keine Möglichkeit mehr, den 
£ebensmittelimport zu bezablen. In diefe Lage fommt vorausficdhtlich 
Deutfhland fhon im Jahre 1932. 


Safjen wir zufammen: Zwei eng ineinander greifende Rranktheitsprogeffe bes 
drohen alle heutigen Rulturvdller und haben wabhrfcheinlidy auch die alten Ruls 
turen vernichtet. Mindeftens für das alte Rom kann daran heute kein Zweifel 
mebr befteben. Diefe Arantbeitsprozeffe find: 

1. Die negative Selektion, d. b. das allmablide Ausfterben der beft- 
veranlagten Dollselemente und die ftarfe Zunahme der minderwertig erblicdy vers 
anlagten. 


2. Die überhaupt ungenüuügende Bevdlkerungspvermebrung, ja 
fogar Bevdllerungsabnabme. 


Was kann man gegen diefe Rrantheitsproseffe tun? 


Ganz offenfichtlih trägt die erfte Arankheit, die Ausmerzung der Befts 
veranlagten, gewiffe Selbftheilungstendenzen in fid. 

Das Beftreben, die Geburtenzabl ftark einzufchränten, fegt Zwar immer 3u 
erft in den oberen fozialen Schichten ein, aber nad) einigen Jahren handelt das 
ganze Dolknad diefen Prinzipien. Die Renntnis der Technik der Empfängniss 
verhütung wird allgemein, die Induftrie liefert empfängnisverbütende Mittel billig 
und in großen Maffen. Das hat zur Solge, daß von „Buten‘“ wie von „Schlecdys 
ten“ gleidh wenig Rinder erzeugt werden, ja, wabrfcheinlidh ift fogar heute 
fcbon bei den pfychifd oder körperlich zweifellos ftart minderwertigen Volles 
beftandteilen der Beburtenüberfchuß geringer als beim Voltsdurdhfchnitt! 

Bei einem großen Teil der ganz ausgefproden Minderwertigen, befonders 
bet dem Heer der leicht fchwachfinnigen und mehr oder weniger kriminellen Mens 
fhen beftebt ja gar fein Wunfh nah Rindern. Die Rinder kommen 
bei ihnen als eine fehr unerwünfchte Solge der Befriedigung ihres Gefchlechtss 
triebes, fo wie ein Ratgenjammer nach dem Raufd. Daß die Technik der Emp: 


1932, II erwin Baur, Der Untergang der Rulturpälter im Lichte der Biologie. 77 
EEE TEE EEE ED DE ur EEE — 


fängnisverbütung auch in diefen Rreifen bekannt wird und daß die erforders 
lichen Mittel billig und einfach anzuwenden find, ift alfo durchaus kein Unglüd. 

Die Dinge liegen heute alfo wefentlich anders als vor 10 bis 20 Jabren, und 
die Entwidlung gebt ganz offenbar in diefer Richtung weiter. 

£3 fommt fpeziell in Deutfchland hinzu, daß bier heute der größte Teil 
des gebildeten Bürgertums befilos geworden, in einem gewiffen Sinne „pros 
letarifiert“ ift. Damit im Zufammenbang ftebt in diefen Rreifen ein wefentlich 
früberes Heirstsalter als etwa vor zwei Jahrzehnten üblich war, und es fällt 
außerdem ein fehr wejentlicher Grund für Rleinhaltung der Rinderzahl, die Rüds 
ficht auf die Erbteilung, weg. Rinderarm find natürlich unter dem Drud der 
Liot audy alle diefe Samilien, aber, und das ift das wefentliche, fie find nicht kinder: 
&rmer als die Volksfchichten, deren Sortpflanzung unerwünfcht ift. 

Ebenfo ift die Befahr der fchweren Reimfchädigung durch Alkohol, Rokain 
ufw. bei den fehon obnebin erblid) Minderwertigen größer als bei den Befts 
veranlagten. Trotgdem muß bier auf dem von der Lugenil lar vorgeszeichneten 
Wege weiter vorgefdritten werden. Wir müffen 3. GB. die Sortpflanzung aller 
{wer Minderwertigen, vor allem aller pfycdifh Minderwertigen, mit allen 
überhaupt anwendbaren Mitteln zurüdbalten. Sreilich ift die Arbeit auf diefem 
Webiet fehr fchwierig, der Sortfchritt langfam wegen zabllofer Vorurteile und 
vor allem wegen der biologifchen Unbildung und Derftdndnislofigkeit der Mebrs 
zahl unferer Politiker und vor allem unferer Juriften. 

Line fehr wichtige, vielleicht die wichtigfte Aufgabe in diefer Richtung bat 
unfere Rechtspflege. Daß wir noch von „Straf"sRecht, daß wir von „Schuld 
und Sühne“ reden, zeigt allein fchon, daß unfere Rechtspflege fich noch auf mittels 
alterlichen Jdeen aufbaut. Unfere Rechtspflege follte durch humane, aber dauernde 
Afylierung und dadurch Unfdadslidmadung aller afosialer Elemente uns 
andere fcbugen und follte — am beften durch gefeglid vorgefdriebene Sterilifas 
tion — die offenfichtlich triminell veranlagten Mienfchen an der Sortpflanzung 
verhindern. Das ift alles ohne Schwierigkeit durch fehr einfache chirurgifche Eins 
griffe zu erreichen. 

Dag wir heute nod fdpwere Serualverbrecher und zahllofe andere ganz offens 
fidtlid pathologifde Verbredher „beftrafen‘‘ und fie dann wieder auf die Wienfchs 
beit loslaffen, a8 wir 3zabllofe andere als ,,unzuredhnungsfabig’ erklären und 
weiterbin fich frei austoben laffen, ift beller DOabnfinn 6). 

Was man von Argumenten gegen die Afylierung und Sterilifierung vors 
bringt, ift lächerlich. denn man aus religisfen Bedenten nicht fterilifieren will, 
wie fann man dann Todesftrafe und Zuchthaus und andere fchwerfte Mißhands 
lungen gutbeißen? 

Unfer beutiges Strafredht ift ein Stud Mittelalter und ein 
Skhandfled unferer Kultur. 

Jh unterfchreibe Wort für Wort den Gag von Siemens?), der vers 
langt, „Daß die ‚Beftrafung‘ endlich aufhört der Zwed des ‚Straf'sRecdhtes zu fein. 
Wir brauchen eine Rechtfprechung, die den Schuß der Befellfchaft und den Schutz 


©) Saft alle Verbrecher find tatfadlid patbologifch. Wenn doch unfere Juriften jich 
einmal der Mühe unterziehen wollten, die neuen Arbeiten über das Schidfal alle 
— ſtudieren, aus denen klar hervorgeht, wie weit aſoziale Neigungen erb 
t ſind 
my Prof. Dr. 5. W. Siemens, vee (Raffenbygiene und Bevdllerungs: 
politif), Münden, Derlag Lehmann, 4. Auflage, S. 115. 


78 Volt und Kaffe. 1932, II 





der Raffe zum Ziel hat. Die dauernde Unfdadlidbmadhung tranlhaft oder minders 
wertig Deranlagter und ihre Verhinderung an der Erzeugung neuer Elender muß 
das eigentliche Ziel der Rechtfprechung werden.“ 

Die Hauptarbeit der Cugeniter wird deshalb auf Jahre hinaus auf dem Ges 
biete der Werbung und Aufllärung liegen müffen. Leider find bier von 
übereifrigen Apofteln fehr viele Sehler begangen worden, Eugenil darf nicht 
formaliftifdh werden, darf nicht in das Beftreben ausarten, ein beftimmtes 
térperlides Raffeidseak rein zu züchten. 


* 


Aber ich ſehe zur Zeit die groͤßte Gefahr nicht in der Raffens 
verſchlechterung ſondern in der gaͤnzlichen Verſtaͤdterung der 
europäifchen Rulturvölker, der ftarten Landfludt und dee das 
dsurd bedingten Bewißbeit des allmabliden Ausfterbens. Aud 
diefer Rrankheitsprozeß zeigt aber, mindeftens in manden Ländern, eine gewiffe 
Tendenz zur Gel bftheilung s). Das gilt ganz ficber auc für Deutfchland. 

Wir haben fdhon in Deutfchland vor dem Kriege und noch mehr nad) dem 
BRriege wie bypnotifiert auf den Außenbandelgefeben. Wir waren ftolz auf die 
anfteigenden Erports und Jmportsziffern und freuten uns in den letzten Jahren über 
das Altivfaldo unferer Aandelsbilanz. Das ift jet anders geworden. Infolge der 
Meltwirtfchaftstrife fhrumpft der Erport tro verzweifelter Begenwehr 
und obwohl wir zum Teil fogar unter Produltionskoften erportieren. Schon 
im laufenden Jahr wird unfer Erport Baum mehr genügen, um unferen unbes 
dingt notwendigen Import von Robftoffen (Metalle, Kautfchul, Saferftoffe ufw.) 
und dazu nod die Zinfen unferer Schulden zu bezahlen. 

&s wird aber diefer gefchrumpfte Erport beftimmt nit ausreichen, um 
den Agrarimport im heutigen Umfang (über 3 Milliarden Mark) zu bezahlen. 

Wir werden alfo bungern oder aber mindeftens zwei Drittel des heutigen 
Agrarimports im Inlande erzeugen mällen. Daraus wird fich unter allen Ums 
ftänden eine ganz neue, beffere Lage fur die beimifche Landwirtfchaft ergeben. 
Jench dem Brad der Urteilslofigkleit der gerade am Ruder 
befindlimen Regierungen wird diefe Anderung der Lage 
trafder oder langfamer und mit mebe oder weniger grogen 
Reibungen und Schwierigkeiten fib vollziehen. Aber fie wird 
fi vollziehen. 

Sür die Dauer wird freilidy alles darauf anlommen, ob diefe Anderung 
der Wirtfchaftspolitil, vor welcher wir heute in Deutfchland ganz beftimmt fteben, 
von Leuten durchgeführt wird, welche Mar die bevslkterungspolitifche und 
eugenifche Bedeutung der Agrarpolitik erkennen und danady zielbewußt handeln. 

Es tommt nicht darauf an, die Landwirtfchaft etwa in Sorm von Latis 
fundien zu erhalten und alle Lebensmittel möglihft rationell und billig 
im Inlande zu erzeugen, fondern es fommt alles darauf an, daß ein lebens; 
Präftiger Bauernftand (teils ale Bauern, teils als Gartner) erhalten wird, 
fo daß wenigftens ein Drittel des Volles aus felbftändigen Bauern und Bärtnern 
beftebt, und es kommt ferner darauf an, daß der größte Teil unferer Heute in den 


8) Diefe ganz andere Entwidlung, die wir heute im Vergleich mit dem Verlauf der 
Dinge im alten Rom feben, rührt wabrfcheinlich daher, daß es damals nur ein Kultur», 
Induftries und Militärzentrum und dazu ein großes Rolonialgebiet gab, heute aber viele 
Rulturs, Induftries und Militärzentren gibt, die einander betämpfen. 


1932, II rwin Baur, Der Untergang der Rulturvölter im Lichte der Biologie. 19 
EEE 


Mietslafernen der GBroßftädte vertümmernden Induftriearbeiter auf dem 
Zande oder am Rande der Stadt und Jnduftriezentren als „Llebenerwerbes 
fiedler“ wohnt und einen Teil ihrer Arbeitskräfte auf diefen eigenen Befitg vers 
wenden. Hur auf eine Bauernbevdllerung allein kann heute 
eine erfolgreidhe Bepsöllerungspolitit niht mehr aufgebaut 
werden. Bauern und Arbeiter, aber felbftändige, menfbhenwürs 
dig wohnende und mit dem Land durhihr Eigenheim und ihre 
Gärten in Derbindung bleibende Arbeiter müffen den Lebens» 
quellunferes Volkes bilden?). 


Daß das alles wohl nicht ohne fchwere Erfchütterung politifcher und wirt: 
fcyaftlicher Art möglich ift, brauche ich nicht zu betonen, aber dDiefer Rampf 
wird vielleiht für unfer Dollstum die HAeilung slrife dars 
ftellen. Die Aeilung von Krantheitsproszeffen, an denen bisher alle Kulturen und 
Rulturoölter zugrunde gegangen find. 

Deutfchhland wird das erfte Land fein, in welchem diefe Entfcheidung reift. 

JI glaube, es gibt von einer gewiffen Dollsgrdge und von einer gewiffen 
Rulturhdbe an nur zwei Möglichkeiten: 


Entweder 


man verfudt den Staat unter Vernichtung jeder Individualität fo abfolut for 
ztaliftifch Surchzuorganifieren, wie etwa cin Ameifenftaat oder ein Termitenftaat 
organifiert ift. Diefen Weg verfuht SowjetsRußland zu geben. Ich nehme an, 
daß diefer Derfuch, wenn auch nicht fofort, doch auf die Dauer fcheitern wird, 
weil eben der Menfdh keine Termite und überhaupt von Haus 
aus fein ftaatenbildendes Tier ift. Er it individualiftifch einge 
ftellt und in diefer Richtung von der Klatur im Laufe feiner ganzen ftammesge 
fehichtlichen Entwidlung durchgesüchtet, alle feine Inftinkte weifen diefen Weg. 


Oder 


man verfucht, eben weil der Menfch individualiftifch denkt und fühlt, den von 
mir kurz umriffenen Wdeg einer Autarkie und nationalen Planwirtfchaft zu geben, 
und wir bleiben dabei felbftändige freie Einzelmenfchen und behalten den Zufams 
menbang mit dem Land und mit dem Bauerntum, aus dem wir hervorgegangen 
find, und immer bervorgeben werden. 


9) Wie baben in den legten Jahrzehnten vieles verfucht, um die Entvdlterung des 
Landes 3u befdmpfen. Wir haben vor allem febe bobe Beträge auf Iandwirtfchaftliche 
„Siedlungen“ verwandt. Erreiht ift aber dadurh wenig. Es nigt nidts, tinftlid 
neve Bauernitellen 3u fhaffen, wenn fdon den alten durch eine falfhe Agrar» 
politit die Grundlage ihres Beftebens entzogen wird! 

Bauern wahfenvon felbfi, wenn die landwirtfhaftliden Vers 
bältniffe für das Bauerntum güunftig und beffer find als für den 
Grogbefig. 


80 Doll und Kaffe. 1932, II 





Einiges über Rants Unfidten von Ylaturgaben, 
Vererbung und dem Zufammenhang swifden 


e 
Aörper und Seele, 
Don Dr. Olga Flippert, Liegnit. 
Mit einem Bilde Rants. 
Au Rante „Anthropologie in pragmatifcher Sinficht‘“ möchte ich im folgenden 
Gedanken über angeborene Gaben, deren Vererbung und die wechfelweife Ab» 
bängigkeit von Rörper und Seele berausftellen. 

Dor 159 Jahren fchon bat Rant feine Dorlefungen über Mienfchentunde bes 
gonnen. Gein erftes Rolleg über Anthropologie bielt er im Winterfemefter 
1772/73. Saft 23 Jabre bindurd bat er vor 30 bis 70 AHdrern aus allen gebils 
deten Rreifen 4 Stunden wöchentlich uber Menfdbentunde gelefen und dabei Sragen 
der Raffentunde und Abftammung berührt. Abnliche Sragen kamen auch in feinen 
Dorlefungen über „Pbpyfifche Geographie‘ zur Sprade. Wenn man -bedentt, 
daß Rant diefe Art Vorlefungen über Erdlunde und Menfchentunde in Deutfch- 
land erft einführte, fo erkennt man, was Rant als Antbropologe bedeutet. Er, 
der in allen Zweigen der Biologie Bewanderte, war dazu berufen. 

Er bat die Anthropologie in pragmatifcher Hinficht im DDinterfemefter 
1796/96 zum letzten Male gelefen und gab fie auf Anraten feiner Sceunde im Jabre 
1798 in Buchform beraus. 

Wie Rant in der Vorrede fagt, will er das Somatifche nicht behandeln, fon 
dern verweift es in feine „Pbyfilalifche Geographie“. In der Tat finden fic 
Bemerkungen über das rein Körperliche des Mienfchen nur vereinzelt. So erwähnt 
ec am menfdliden Schädel den Gefchlechtsunterfchied im Bau der Stirn. Die 
männliche Stirn nennt er flach, die weibliche Eugelig. Loch heute wird die größere 
Steilbeit der weiblichen Stirn von Antbropologen als ein Unterfcheidungsmerkmal 
der Gefclechter erachtet. Diefe Seftftellung über die menfchlidye Stirn bringt er 
deshalb mit in die pragmatifche Anthropologie, weil ihm diefe Tatfache ein Merks 
mal auf der Mitte zwifchen Rörperlichem und Seelifchem zu fein fcheint. Vers 
mutlich denkt er dabei an Zufammenbänge zwifchen Sirnbildung und Geiftess 
gaben. 

Streng unterfcheidet Kant zwifchen angeborenen und erworbenen Außeruns 
gen der Seele. Sur angeboren erklärt er Affelte und die Leidenfchaften des Sreis 
beitsdranges und des Befchlechtstriebes. Obwohl er im Laufe der fittlichen Ente 
widlung Affekte und Leidenfchaften überwunden wiffen will, preift er doch die 
Weisheit der Klatur, in uns die Anlage zum Affelt gepflanzt zu haben. Der Affekt 
führe die Zügel als finnlicher Anreiz zum Guten, bevor noch die Dernunft zur 
gebdrigen Stärke erwacht fei. Der Affekt wurde der menfchlichen Seele zur Bes 
lebung beigefügt. Der Mut als Affekt gebdre unter die angeborenen Anlagen. 
Mut könne aber auch durch die Vernunft erwedt fein und gelte dann als erwors 
ben. Kigenartig berührt es, wenn Rant von Affelten, durch welche Sie Viatur 
die Gefundheit medanifd befdordere, fpridbt und meint: ,,.Dabin gebdrt vornebm: 
li) das Lachen und das Weinen‘. Die beilfame Bewegung des Zwerdhfells beim 
Laden ftarke das Gefühl der Lebenskraft. Das Weinen als fehmerzlinderndes 
Mittel gibt Rant als Vorforge der Kletur für die Gefundbeit an. SGeltfam ift 
die Meinung, es müffen Rinder — vornebmlid Mädchen — früb zum unges 


———————— ee ———— Senn Sa en 


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1932, II Olga Flippert, Einiges über Rants Anfichten von Klaturgaben ufw. 8l 





zwungenen freimütigen Lächeln gewöhnt werden, „denn die Erbeiterung der Ge- 
jichtszüge biebei drüdt fich nach und nach auch im Innern ab und begründet eine 
Dispofition zur Sröblichkeit, Sreundlichkeit und Gefelligkeit, welche die Annäbe: 
rung der Tugend des Woblwollens frübzeitig vorbereitet‘. Hier vertritt Kant die 
Auffaffung, daß Korperliches riidwirkend feelifche Außerungen zeitigen kann. 





Immanuel Kant (1724— 1804). Radierung v. Pedhe nad dem Gemälde von Döbler 1791. 
Mit Erlaubnis des Kunitverlags Hermes, Dresden. 


Mit befonderem VDerftändnis lieft man Rants Ausführungen über die ange: 
borene Sreibeitsneigung als Leidenfchaft. Er bält fie für die beftigfte unter allen 
im !Taturmenfchen in einem Zuftande, „da er es nicht vermeiden kann, mit andern 
in wechjelfeitige Anfprüche zu kommen“. Was die Sreibeitsneigung für die fitt- 
liche Entwidlung bedeutet, zeigt Kant am Beifpiel der Tungufen. Sie veredelten 
fich, weil fie fib von ibnen verwandten Stämmen trennten. YTebenbei fei bez 
merkt, daß Kant meint, die Leidenfchaft fei im Gegenfag zum Affekt jederzeit mit 
Dernunft des Subjelts verbunden und bloßen Tieren könne man Eeine Leiden: 
jchaften beimeffen, ebenfowenig aber auch reinen Dernunftwefen. Ebrfucht, Rach: 
fucht, Khyerrjchfucht nennt er unter den erworbenen Leidenfcaften; doch will es 


Dolf und Raffe. 1932. April. 6 





82 Dolt und Raffe. 1932, II 


mir fcheinen, als ob diefe drei letztgenannten doch manifeft und fomit vererbbar 
geworden feien. 

Sehr feffelnde Darftellungen enthält der Abfchnitt von der Fleigung des 
Wabhns als £eidenfhaft. Ich will nur die Spiele der Knaben im Ballfchlagen, 
Ringen, Wettftreiten, Soldatenfpielen anführen. Die Spieler werden „unwiffent- 
lih von der weifen Flatur zu Wagftüden, ihre Rräfte im Streit mit anderen zu 
verfuchen, angefpornt, eigentlich damit die Lebenskraft überhaupt vor dem Er: 
matten bewahrt und rege erhalten werde. Zwei folche Streiter glauben, fie fpielen 
unter fich; in der Tat aber fpielt die Klatur mit beiden —“. Ein Naturgeſchenk 
fei!) auch die Sagazität oder Erforfchungsgabe, „fich darauf zu verfteben, wie 
man gut (mit Glüd) fuchen (die Klatur oder andere Ülenfchen befragen) foll. Ein 
Talent, vorläufig zu urteilen, wo die Wabhrbeit wobl mödte zu finden 
fein und ihr auf die Spur zu kommen“. Unbedingt angeboren fei die Genialitac. 
Rant nennt das Genie die Originalität in der Erzeugung der Produlte des Er: 
kenntnisvermögens; das Vermögen, unabhängig von einem anderen Mufter und 
felbft d0d) mufterbaft 3u denten. 

Nicht allein von wertvollen Erbgütern der Wienfchen weiß Kant, fondern 
auch von erblichen Anlagen, die den Betroffenen zum Unfegen werden können. Er 
befpricht die Erblichkeit der Beiftestranten eingehend und gibt die erbgefundbeitliche 
Wefung, nicht in Samilien 3u beiraten, in denen Geiftestrantheiten vorkamen. 
Sogar die rezeffive Vererbung wird von ihm erwähnt. &s könne ein Gefdlede 
 verfchont bleiben und dennoch die Beiftestranktheit verdedt weitergeben. Aber auch 
aus diefen unbefallenen Samilien follen keine Ehegatten gewählt werden, um das 
Weitertragen der Rrankheit zu vermeiden. 

Wie Rörper und Seele wedfelfeitig zufammenbängen, entwidelt Rant im 
zweiten Teil feiner Anthropologie, in der „Charalteriftil“. 

Im Abfchnitt über das Temperament unterfcheidet er, wie üblich, zwifchen 
einer phyfiologifden und einer pfychologifhen Temperamentsanlage. Suc une 
ift bemerkenswert, daß bier der Pbilofopb ausfpricht: „Da ergibt fid nun, daß 
die Temperamente, die wir bloß der Seele beilegen, doch wohl insgebeim das 
Rörperliche im Mienfchen auch zur mitwirkenden Urfade haben“. Rant nimmt 
alfo eine Wechfelwirtung zwifchen Körper und Seele an. Wenn die Ausdrudes 
weife fo vorfichtig ift, liegt das in Kante Klatur begründet. ft im Dorangeben- 
den das Körperliche ale Urfache der Seele erwähnt, fo im weiteren Verlauf, daß 
jede Temperamentsäußerung mit Erregbarleit der Lebenskraft (intensio) oder Ab⸗ 
fpannung (remissio) derfelben verbunden werden kann. Wie in der Chemie zwei 
verfchiedenartige Stoffe fich vereinigen, um ein Drittes zu bilden, fo verfchwiftern 
fid) Derftand und Sinnlichkeit trog ihrer Verfchiedenheit und bewirken unfere 
Erfenntnis, als ob eine von der andern oder beide von einem gemeinfchaftlichen 
Stamme ihren Urfprung bätten. Kants zufammenfaffende Worte lauten: „Das 
Spiel der Kräfte in der leblofen KTatur fowohl als der lebenden, in der Seele eben 
fowohl als des Körpers, berubt auf Zerfegungen und Vereinigungen des Un: 
gleichartigen. Wir gelangen zwar zur Erkenntnis derfelben dur Krfabrung 
ihrer Wirkung; die oberfte Urfache aber und die einfachen Beftandteile, darin ibr 
Stoff aufgeldft werden kann, find für uns unerreicdhbar“. Weiter führt er aus, 
was jeder an fich erfährt, die Empfindung der Wärme und Kälte tonne auch 
durch Gemüt erregt werden (Sreude, AUngft). Wahrnehmungen erweden den 





1) Der KRonjunttiv wurde überall eingetragen, wo es fih um Wiedergabe der 
Meinung Rants handelt. 


1932, II Olga Flippert, Einiges über Rants Anfidten von Klaturgaben ufw. 83 
EEE BE WET EEE EEE SE ER ———— 





Glauben, daß die Seele, das Gemut als befondere im Menfchen wohnende Sub: 
ftanz vorhanden fei. Er hält es für verlorene Mübe, bier den Abftamm ergrün: 
den oder audy nur erraten zu wollen. 

Don den allgemeinen menfdhlidyen Klaturgaben geht Kant auf die über, die 
den Menfchen als Gefchlechtswefien zuerteilt find, um die Erhaltung und Ent: 
widlung der Art zu regeln. Rant führt aus, daß die Seele von Mann und Stau 
verfchieden fich dugern müffe, um beide zueinander zu führen und dauernd zu 
binden. Wcchfelfeitig müffe der eine dem andern in irgend etwas überlegen fein, 
denn bei völliger Gleichheit ware der häusliche Sriede gefährdet, wodurdy aber 
die Abficht der Llatur vereitelt wourde. Aus der eingehenden Darlegung bebe ich 
nur nod beraus: der Mann regiert durch Derftand, die Srau berrfeht durch Leis 
gung. sKhyalb entfchuldigend meint Kant am Schluffe der Beweisführung, er 
babe fic bei dem Charalter der Gefchlecter länger aufgebalten als bei den anderen 
Abfchnitten, doch findet er ,,die CTatur Hat auch in diefe ibre Olonomie einen fo 
reihen Schag von Veranftaltungen 3u ibrem Jwede, der nidts Geringeres ift 
als die Erhaltung der Art, hineingelegt, daß bei Belegenbeit näherer Miacdforfdung 
es noch lange Stoff genug zu Problemen geben wird, die Weisheit der fich nach 
und nach entwidelnden Llaturanlagen zu bewundern und praltifch zu gebrauchen‘. 
Gerade die Eugenik bleibt nicht bei der Bewunderung diefer Weisheit fteben, 
fondern fdidt fid) an, zu ihrem praßtifchen Gebrauch vorzudringen. 

Hat Kant vom Kinzelmenfchen behauptet, er babe keinen angeborenen Charal: 
ter, fondern müffe zu einer beftimmten Denltungsart erzogen werden, fpricht er 
vom angeborenen Ylationalcharalter mancher Völker. Llachdem er die Begriffe 
Wolf, Flation, Pöbel geklärt bat, beginnt er, die Gegenfage im Mationaldaralter 
der Engländer und Stanzofen aus ihrer Abftammung berzuleiten. Der Mational- 
&haralter beider Völker babe fich erft entwidelt. Trotdem feien Engländer und 
Sranzofen vielleicht die einzigen Völker, von denen man einen unveränderlichen 
Charakter annehmen könne. Das Flaturell der Sranzofen mit ihrem Ronverfations: 
bedürfnis, ihrer £ebbaftigkeit rübre vom angeborenen Charalter des Urvolts ihrer 
Abftammung ber. Rant fucht alfo den Urfprung diefer und anderer Charalterzüge 
zeitlich weit rüdwärts und bekennt fomit feine Überzeugung von der Erblichkeit 
feelifher Anlagen ganzer Völker bzw. Raffen. 

3m englifden Doll fei das alte Original des tüchtigen Stammes der Briten 
(eines teltifden Dolles) durch die Einwanderung der Deutfchen und des franzdfi- 
fhen Stammes verlöfcht worden. Der Engländer babe feinen Dollsdaratter fid 
felbft angefchafft, da er von Ylatur aus nach den genannten Einwanderungen 
keinen mebr batte. „Mithin dürfte der Eharalter des Engländers wohl nichts 
anderes bedeuten als den durch frühe Lehre und Beifpiel erlernten Grundfat, er 
muffe fid einen folden machen, 8. i. einen zu haben affektieren; indem ein fteifer 
Sinn, auf einem freiwillig angenommenen Prinzip zu bebarren und von einer 
gewiffen Regel (gleihgut welcher) nicht abzuweichen, einem Manne die Wich: 
tigkeit gibt, daß man ficher weiß, weffen man fidh von ihm und er fich von anderen 
zu gewärtigen bat.‘ So babe fich der Aandelsgeift, der wie der Adelsgeift unge: 
fellig fei, entwidelt. Beide — Engländer und Stanzofen — laffen ibren Volke: 
dharalter aus der Eigenart ihrer Rultur ableiten. Sür uns taucht die Srage auf, 
ob diefer angefchaffte Krationaldharalter erblich werden kann, oder ob er nur immer 
wieder durch frübe Lebre und PDorbild erlernt werden muß. Man dürfte im leg: 
teren Salle nicht vom Vollscharalter in dem von Rant zuerft gebrauchten Sinne 
reden, trogdem er den Urgrund in die Stammopöllter verlegt. 

o* 


84 Dolt und Raffe. 1932, II 





Was Kant von anderen Völkern fagt, will id) nur foweit zur Spradye brin= 
gen, wie es feine Stellung 3ur Vererbung erfordert. inleitend fchidt er voraus, 
daß die Flationaleigentümlichkeit der übrigen Völker aus der Anlage ihrer Llatur 
durch Vermifhung ihrer urfpringlid) verfchiedenen Stämme abzuleiten fein 
modte. „Der aus der Mifchung des europdifden mit arabifcdem Blute ent: 
fprungene Spanier zeigt in feinem Sffentliden und Privatbetragen eine gewiffe 
Seierlichkeit —“ und in feinem Gefhmad zum Teil außereuropäifche Abftammung. 
Am Italiener hebt er hervor, daß das Temperament ungemifcht fei und eine Stim= 
mung der Sinnlichkeit zum Gefühle des Erhabenen, fofern es zugleich mit dem 
des Schönen vereinbart fei, zeitige. Die übrige Charakteriftit gibt die Züge des 
Italieners an, die allgemein betannt find. 

Den Deutfchen zeigt er 3unddft im günftigen Urteil des Englanders von 
Hordamerila. Obwohl diefe und Rants perfonlide Wleinung über den deutfchen 
Voltscharalter feffelnd genug ift, um fie bierber 3u fegen, will id nur cine Aus: 
wabl bringen. ,,SGein Charalter ift mit Derftand verbundenes Pblegma, das 
Pblegma (im guten Sinne genommen) das Temperament der falten Oberlegung 
und Ausdauerung in Verfolgung feines Zwedes, im gleichen des Ausbaltens der 
damit verbundenen Befdwerlidleiten.“ Man könne von feiner tiefnachdentenden 
Dernunft foviel wie von jedem anderen der größten Rultur fähigen Doll er: 
warten. Der Deutfche fei Großhändler der Belebrfamkeit, lerne mehr Spracden ale 
andere, fomme im Selde der Wiffenfchaften zuerft auf mande Spur. Er babe einen 
Vationalftols und bange ale Weltbürger auch nicht an feiner “seimat. Tadelns: 
wert findet er feinen ang zum Llachabmen und die geringe Wieinung von fid, 
orginal fein zu können. Rant felber vertritt leider auch die Anficht, daß die Bes 
nialität der Deutfchen binter der anderer Völker gleicher Rulturböbe zurüdftebe. 
Mit Spottluft geißelt Kant die Sucht der Deutfchen — und wie er meint ger: 
manifchen Doölter überhaupt — nad Titeln und Rangordnung. Auch bier fpricht 
er den Vererbungsgedanten aus. ss laffe fich dabei die Bemerkung nicht bergen, 
daß doch das Entfteben der pedantifchen Sorm felber aus dem natürlichen Hange 
der Deutfchen bervorgebe: „zwifchen dern, der berrfchen, bie zu dem, der gebordhen 
foll, eine Leiter anzulegen, woran jede Sproffe mit dem Grade des Anfebens bes 
zeichnet wird, der ihr gebührt“. Andern Völkern müffe das lächerlich vortommen. 
Diefe Peinlichkeit und das Bedürfnis der metbodifchen Einteilung um ein Ganzes 
unter einen Begriff zu faffen, verrate die Befdrantung des angeborenen Talents. 

Von den Ruffen fagt er, fie feien das noch nicht, was zu einem beftimmten 
Begriff der natürlichen Anlagen, welche fid zu entwideln bereit liegen, erfor: 
dert wird. 

Bevor er noch von Griechen und Armeniern fpricht, rät er zur Bebutfamleit 
im Charalterifieren, da bier immer vom angeborenen natürlichen Ebaralter, der 
fozufagen in der Blutmifhung der Wienfchen liege, die Rede fei, nicht vom ers 
worbenen, künftlichen oder verktünftelten. 

Wie dauerbaft fib Rant Eörperliches und geiftiges Raffenerbe vorftellt, 
erbellt aus feinem Urteil über die Griechen. Er vermutet, daß ihre cbemalige 
Sinnesart (Lebbaftigkeit und Leichtfinn) wie die Bildung ihres Leibes, ibrer Bes 
ftalt und ihrer Befichtszüge nicht verloren gingen, fondern fich wieder heraus: 
ftellen würden, wenn fie unter andere Lebensbedingungen kämen. 

Unter den Armeniern berrfche ein Kyandelsgeift befonderer Art, der auf einen 
befonderen Abftamm diefes Volkes binweife, deffen erfte Bildung wir nicht mebr 
erforfehen können. 


1932, II Olga Flippert, Einiges über Rants Anfidhten von Klaturgaben ufw. 85 
———— ———— er Te er re u u BE re] 





Ebenſo wie die geniale Veranlagung des Einzelweſens eroͤrtert Rant die 
Genialitaͤt der Nationen. Nach Rant ſcheint das Genie auch nach der Verſchieden⸗ 
beit des Bodens, dem es angeboren iſt, verſchiedene urſpruͤngliche Reime in fich 
zu haben und ſie verſchiedenartig zu entwickeln. „Es ſchlaͤgt bei den Deutſchen 
mebr in die Wurzel, bei den Italienern in die Rrone, bei den Franzoſen in die 
Bluͤte, und bei den Englaͤndern in die Frucht.˖ Wenn es ſich in der Tat fo vers: 
haͤlt, wie Rant in dem unvergleichlich ſchoͤnen Bilde andeutet, dann waͤre es ver⸗ 
ftandlid, daß ein Univerfalgenie vielfach Züge körperlicher und geiftiger Art vers 
fhiedener, aber auf gleicher Entwidlungsftufe ftebender Stämme trägt. Diefe 
Erfabrungstatfadhe fchließt erft recht die Reintultur edler Raffen im übrigen in 
fih. Auch dafür fest fid Kant ein: ,,foviel ift wohl mit Wabrfcheinlichkeit zu 
urteilen, daß die Dermifchung der Stämme (bei großen Eroberungen), welche 
nach und nach die Charaktere auslöfcht, dem Wienfchengefchlechte alles vergeblichen 
Pbilentbropismus ungeachtet nicht zuträglich fei“. 

Zum Charakter der Raffe nimmt Kant ebenfalls das Wort. Er bezieht fich 
dabei anfanglid auf die Schrift Girtanners, der Rants Grundfage uber Raffen 
erläutert und erweitert bat. ier aber will Rant nod) etwas von Darietdten oder 
Spielarten anmerten, die fic in ein und derfelben Raffe beobacten laffen. Wenn 
man anndbme, die Klatur babe in der Zufammenfchmelzung verfchiedener Raffen 
eine Deräbnlichung beabfichtigt, fo irre man fid. Gerade das Gegenteil fcheine 
fie fib zum Befesy gemacht zu haben; denn fie laffe die Charaktere in einem Volke 
gleicher Raffe nicht fortgefetgt fich näbern, bis endlich nur ein und dasfelbe Abbild 
beraustomme, vielmehr vervielfältige fie in demfelben Stamme und gar in der 
nämlichen Samilie im Rörperlichen und Geiftigen bis ins Unendliche. Zwar faßt 
Rant den Begriff Raffe weiter, als es gegenwärtig gefchiebt, und wir wiffen 
beute, daß mandye Vielfältigkeit des Korperliden und Geiftigen in einer Samilie 
dern Auffpalten verfchiedener Raffenelemente zuzufchreiben ift, andrerfeits müffen 
wir ibm darin beipflichten, daß alle Sormen der Wenfchenzeugung erfchöpft fein 
würden, wenn die Rinder nur eine Wiederholung der Eltern waren. Kant fiebt 
in der Verfchiedenbeit der Einzelwefen ein Mittel zur Auffrifcbung der Srucht- 
barkeit in Paarungen, wodurch die Klatur die Sortpflanzung davor bewahre, ins 
Stoden zu geraten. Als Beweis für die Sormenfülle der Wienfchengattung er- 
waͤhnt Rant das afdblonde “yaar, wie es von Anthropologen, die cine oftbaltifcbe 
Raffe annehmen, für diefe angegeben wird. Rant fpricht gegen die Anficht, als 
ob es fich bier um ein Ergebnis der Mifchung bandele. Im felben Abfchnitt 
bringt Rant Wichtiges über Weltanfcbauungsfragen in ihrer Bedeutung für die 
Raffenbygiene. Jm Plane der Katur wirkte böchfte und unerforfchliche Weisheit 
durch das Mittel der Zwietracht zur VDervolllommnung der WMenfchen in fort: 
fchreitender Kultur mit mancher Aufopferung der Lebensfreuden desfelben. Eine 
idealiftifhe Weltanfchauung, die Opfer bringen kann, gilt auch gegenwärtig zur 
Sörderung und Erreichung raffenbygienifcher Ziele für erforderlich. 

Welde Erbguter halt nun Rant für ausfchlaggebend in der Gattung 
Menſch? „Unter allen Erdbewohnern ift der Menfch durch feine technifche (mit 
Bemwußtfein verbundene mechanifche) zur ABandbabung der Saucen, durdy feine 
pragmatifche (andere Wienfchen zu feinen Sadyen gefchidt zu gebrauchen) und die 
moralifche Anlage in feinem Wefen (nach dem Sreibeitsprinzip unter Gefegen 
gegen fich und andere zu handeln) von allen Mlaturwefen kenntlich unterfchieden, 
und eine jede diefer drei Stufen kann für fichb allein febon den !Wenfchen zum 
Unterfchiede von anderen Erdbewohnern charakterifieren. Dank diefer Anlagen 





86 Volt und Kaffe. 1932, II 





kann fi das menfchliche Befchledht nur durch Sortfchreiten unabfeblich vieler 
Benerationen zu feiner Beftimmung emporarbeiten.“ Cin hdberes Ziel werde ihm 
natürlich immer nody vorfchweben, öfter werde er auch auf feinem Wege gebemmt, 
aber nie ganz rüdläufig werden. Diefe boffnungsfrobe Ausfidt, die uns Rant 
damit eröffnet, Bann nach 150 Jahren noch heute jedem zum Anreiz werden, wenn 
es fcheint, als ob vielfach eine rüdläufige Bewegung im Lmporarbeiten im 
Gange fei. Denn erbtüdhtige Stämme fterben aus, Straftaten bäufen fi in 
allen Doltskreifen, die Jrrenbäufer find überfüllt. Die Menfchengattung könne 
felbft Schöpferin ihres Blüdes fein, wenn fic aud nicht mit Beftimmtbeit aus 
ibren Ulaturanlagen fagen laffe, daß fie es unbedingt fein wird. Doc Erfahrung 
und Befchichte deuten darauf bin. Alle Erkenntnis bleibt nur das Dorfpiel in der 
Zielftrebigkeit. Wenn der Einficht die Tat folgen foll, müffen ftärkere Antriebe 
mithelfen, als fie vom VDerftande ausgeben: der Opferwille, dec fic beim Art 
gefunden in der Gründung einer Samilie zeigt und in der Aufzucht einer genügend 
großen Rinderfchar und der Öpferwille zum Verzicht auf Ehe und Kinder von 
feiten der Mitglieder erblid) belafteter Samilien dürfen nicht fehlen, wenn nicht 
alles Wiffen um die Erbgefundbeit obne Erfolg bleiben foll. Auf die enge Der: 
tnupfung der Weltanfdauung mit Sragen der Rafjenbygiene gebt übrigens auch 
der betannte Raffenbygieniler Prof. Dr. Sritg Lenz, München, ein in feinem Hand⸗ 
budy über „Wenfchliche Auslefe und Raffenbygiene“. Und Kant gebört unter die 
Vorläufer der Rafjenbygieniter. 


Die Burgunden in Schlefien und ihre Schidfale. 
Don Dr. Ernft Peterfen, Breslau. | 


Mit 6 Abbildungen. 


au: fid) im erften vordriftliden Jahrhundert ganz Oftdeutfchland und weite 
Teile Polens nach den Abzuge der als Baftarnen und Stiren erkannten älteften 
oftgermanifchen Bevdllerung!) 3um zweiten Male mit germanifchen Siedlern 
füllten, die diesmal vom Tlorden ber über die Gftfee einwanderten, brad für 
Schlefien die wohl glanzvollfte Epoche im Verlaufe feiner ganzen vor: und 
frübgefhichtlichen Entwidlung an. Gefchichtliche Quellen und eine Unzabl von 


1) Tadenberg, Die Baftarnen, Doll und Kaffe IV (1929), 3. 232 ff. Es ift febr 
bedauerlich, daß der in diefer Zeitjchrift fchon mebrfach genannte Profeffor der Vorgeicichte 
an der Univerfität Pofen, I. Roftrzewfti, fidh immer no nicht bat entfchließen können, 
die jabrhundertelange Befiedelung Oftdeutichlande und Polens mit oftgermanifchen Stämmen 
zuzugeben, obwohl die bier berangezogenen neueren Arbeiten Bar erwiefen baben, daß feine 
nody niemals wifjenjchaftlich ausreichend begründete Annahme einer urflawifchen Bevöls 
ferung in den genannten Bebieten auf Seblfchlüffen berubt. Auch in feinen jüngften Außes 
tungen zu den — Fragen nimmt er fuͤr die oſtdeutſch⸗polniſche Geſichtsurnen⸗ 
Steintiſtenkultur — von Tackenberg als baſtarniſch⸗ſkiriſch erwieſen — ein baltiſches Volks⸗ 
tum an, waͤhrend er die ſeit dem 3. Jahrh. vor Chr. auftretende Rultur germaniſchen 
Charakters ſogar an die von ihm fuͤr ſlawiſch gehaltene „lauſitziſche“ Rultur anſchließt. 
Der einhellige Widerſpruch, den jedoch ſeine Anſchauungen vor allem auch von ſkandina⸗ 
viſcher Seite gefunden haben, berechtigt uns, auf eine erneute Auseinanderſetzung mit 
Roſtrzewſki zu verzichten, ehe nicht eine wiſſenſchaftliche Begrundung ſeiner Anſchauungen 
im Druck erſchienen iſt und eine Eroͤrterung erfolgverſprechend macht. 


1932, II  enft Deterfen, Die Burgunden in Sdlefien und ihre Scidfale. 87 
aL a a a a ETI TR TE LIL EES 





Bodenfunden betunden übereinftimmend, daß das Land damals zum Rerngebiet 
de8 mächtigen oftgermanifchen Wandalenvolles wurde und damit fünf Jahr: 
bunderte rubiger tultureller und politifcher Aufwärtsentwidlung erlebte, deren 
legte Erinnerung fich noch in dem heutigen Klamen „Schlefien‘“ widerfpiegelt 2). 
Fleuere Sorfchungen 3) haben es wahrfcheinlich gemacht, daß die Wandalen aus 
ordjütland und angrenzenden Teilen Dänemarks und der flandinavifcben Halb⸗ 
infel gelommen find und mit ihrer alten Heimat noch eine Zeitlang Beziebungen 
unterbalten haben. Seit Chr. Geb. im unbefdrantten Befige des größten Teiles 
von Ober: und Fliederfchlefien und des füdlichen Polens feftigten fie dann ihr 
Reich, in dem eine lennzeidnende wandalifde Kultur erwuche, deren wichtige Der: 
mittlerrolle unter den umwmobnenden Germanen vielfeitige Ausftrablungen und 
felbftändig verarbeitete Anregungen von außen in gleichem Mage erweifen. 


Als jedod) nach Beginn der fpätrömifchen Raiferzeit alle germanifchen Völker 
ibre zeitweife etwas zur Rube geLommene Wanderbewegung wieder aufnahmen, 
muß ficdh ein weiteres oftgermanifches Dolkt mit beträchtlichen Teilen im ndrd- 
lichen Abfchnitte Lliederfchlefiens anfäffig gemacht haben. Die antiken Schriftfteller 
baben uns von diefem Dorgange keinen Bericht binterlaffen, blieb ihnen doch im 
wefentlichen der Einblid in die verwidelten Befiedlungsverhaltniffe Oftgermaniens 
verwehrt; jedoch können wir in großen Zügen heute die ebenfo eindringliche 
Sprache der Bodenbefunde deuten und auf diefe Weife erfahren, „wes iam’ und 
Art die neuen Bewohner diefer Gegend waren. 


Zu Beginn der eigentlichen germanifchen Völkerwanderung, im Anfang des 
erften vordriftliden Jahrhunderte, als die Wandalen in der Gegend der Oder: 
mündung ibren Schiffen entftiegen, um nunmebr ibre Hofe auf dem neuen Rolo: 
nialboden zu errichten und fich bier eine neue Heimat zu gründen, folgten ihnen 
noch mebrere andere Völker reifiger Germanen, deren altes Siedlungsgebiet gleich: 
falls die anwadfenden Menfchenmajffen nicht mehr zu ernähren vermochte. Unter 
ibnen ragten die Burgunden bervor, von Plinius „Burgundiones“ genannt, 
die auf der Karte des Prolemäus als „bourgountes“ etwas füdlich der Oftfeeküfte 
zwijdhen Öder und Weichfel fizend angegeben werden. Der Hauptteil des Volles 
ftammte, was fowohl der fpracdhlide Gleihllang „Burgundensdurgundar: 
bolmt“ ?), als auch vor allem die archäologifchen Sunde bekräftigen, von der Oft: 
feeinfel Bornholm. Daneben dürften jedod) aud) Bevdllerungsteile aus dem 
fcbwedifden Seftlande an der Wanderung beteiligt gewefen fein, die dann fpäter 
mit dem KHaupt(tamme verfehmolzen find. Raum batten die neuen Siedler im 
nördlichen Teile KHBinterpommerns und Weftpreußens feften Suß gefaßt, als fie 
ibren Siedlungsraum bereits beträchtlich nad Süden und Südoften ausdebnten. 
Sie trafen dabei bald auf die nördliche Gruppe der Wandalen, deren Gebiet fie 
in zwei Teile trennten, wobei fie fib durch das weftpreußifche Weichfelland, den 
nördlichen Teil von Pofen und das nordweftliche RongreBpolen vorfdoben, wab- 
rend fie weiter weftlich die KTeumart gewannen. Überall in diefen Gegenden finden 
wir zu diefer Zeit die Bennzeichnenden burgundifchen Sriedbhöfe, die faft ausſchließ⸗ 
lih aus „Brandgrubengräbern‘ befteben, jener Beftattungsart, bei der die ver: 
brannten Rnodyen des Toten nebft feinen Waffen, Geräten, Schmudfacdhen und 


2) Peterfen, Die Wandalen im Spiegel der oftdeutfchen Bodenfunde, Volt und 
Kaffe IV (1929), S. 34 ff. 

3) pon Ridtbofen, Jur Herkunft der Wandalen, Altfblefien III, 3. 21 ff. 

I) alter Klame far Bornholm, nod im 13. Jabrbundert zulegt nachgewicfen. 


88 Dolt und Kaffe. 1932, II 





den Reften des Scheiterhaufens in einer Umbüllung aus vergänglichem Stoffe, 
jedoch ohne die fehütende Urne aus Ton, beigefegt werden. Zwar ift die Brand: 
grubenbeftattung, wie wir wiffen, auch den Wandalen nicht fremd, ein gewich- 
tiges Zeugnis für die engen verwandtfchaftlichen Beziebungen zwifchen beiden 
Völkern, doch tritt fie bei ihnen nicht fo vorberrfchend auf, fondern wird zeit- 
weife fogar von der Urnens und Körperbeftattung faft völlig verdrängt. 

Den weiteren Schidfalen des Burgundenvolles leuchtete nicht der glüdliche 
Stern, der den füudlich benachbarten Wandalen zu ftändig wachfender Bedeutung 


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Abb. 1. Cifenbeigaben von Gr.sReichenau, Ar. Sagan. */, (nad) Tadenberg, Wandalen). 


auf immer ausgedebnterem Siedlungsraume verbalf. Denn nur etwea bundert Jabre 
lang konnten fich die Burgunden der neu eroberten Kyeimat erfreuen. In den um 
Chr. Geb. über See im Weichfelmündungsgebiet eindringenden Goten und Ge: 
piden erwuchfen ihnen mächtige Gegner. Jbrem Anfturme mußten die Burgunden 
in ibrem nordöftlichen Teile weichen, ja ibr im Weichfellnie wobnender Volks: 
teil beugte fichb wabrfcheinlich der gotifchen Herrfchaft. So auf ein ftark verengtes 
Gebiet befchränkt, wandte fich das Burgundenvolt nach Weften, zunächft im öft: 
lichen „yinterpommern und dem Oftteil ser KTeumark und des eigentlichen Bran= 
denburg zufammengedrängt. Eingekeilt zwifchen den mächtigen Staatswefen der 
Boten und Gepiden im FTorden und der Wandalen im Süden mußte ces danach 
trachten, vor allem gegen Welten zu, wo die verfchiedenen weftgermanifchen 
Stämme feit Jahrhunderten fiedelten, Raum zu gewinnen. Diefe Möglichkeit 
ergab fich fcbon an der Wende vom 2. zum 3. Jabrbundert nach Chr., als die 
fuebifchen Semnonen den größten Teil Brandenburgs räumten und nach Süd: 


1932, II Ernit Peterfen, Die Burqunden in Schlefien und ibre Scidfale. 89 
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deutfchland zogen, wo fie bald als Alamannen den Römern entgegentraten?). 
Ob es kriegerifcher Ausdehnungsdrang der Burgunden war, der den Anlaß zu 
diefer Wanderung bot, oder ob fie nur in die freiwerdenden Gebiete einrüdten, 
wiffen wir nicht, jedenfalls finden wir die burgundifche Weftgrenze im 3. Jahr: 
bundert in der Höhe von Berlin wieder und begegnen audy zahlreichen burgundis 
- {chen Grabfunden in der Lieder: und Oberlaufig, dem Oftteile des Staates Sachſen 
und in der Gegend von Torgau an der Elbe®). Dod) audy jegt mug der Land- 
bunger der Burgunden nody groß gewefen fein, denn nur fo ift es zu erklären, daß 


| 


Abb. 3. Cifendcigaben aus der burgundifden Brandgrube von Saltenberg, Ar. Boltenbain. */;. 





— 
— 





ſie verſuchten, ſich vom Ende des 3. Jahrhunderts ab auch in ſchwach oder gar 
nidt befiedelte Ceile Gchlefiens einzufchieben. Maier treten uns 3u der Feit, in der 
im übrigen Schlefien die wandalifche Rultur in den Sürftengräbern von Sacrau 
ibren Hshepunlt erreicht bat, eine ganze Anzahl von Brabfunden entgegen, die 
swear mit dem Sormentreis der wandalifden Altertumer den allgemeinzoftgers 
manifden Charalter teilen, in den Cingelbeiten jedoch mit demjenigen Rulturgut 
übereinftimmen, das die Sorfcehung feit geraumer Zeit den Burgunden zufchreibt. 


Die am längften belannten von diefen Sunden ftammen aus der preußifchen Ober: 
laufit, und zwar aus der Gegend um Gorlig; andererfeits findaud aus den Kreifen 
Sagen, Bunzlau und Löwenberg, den nordweftlichen Teilen des eigentlichen FTieder: 
fchlefien einige Altfachen burgundifchen Charalters bekannt, die fich der Gruppe der 
niederlaufigifchen Burgundenfriedhöfe zugefellen. Alte hierher gebörigen Sundftüde 
befchränten fic auf einen Beinen Sormenvorrat eiferner Waffen und Gerate, der 


5) Vgl. hierzu Matthes, Die ndrölihen Elbgermanen in fpätrömifcher Zeit (Leipzig 
1933), 3. 6) ff. 

6) 3.3. Rranichau, Ar. Torgau; nad fröl. Mitteilung von Dr. ©. $. Gandert in 
Goͤrlitz. 


90 Volt und Kaffe. 1932, U 








troß engfter Derwandtfchaft mit gleichzeitigem wandalifchem Sundftoff feine kenn= 
zeichnende burgundifche Eigenart befigt. Zwar ift bei keinem diefer Sunde eine 
wiffenfchaftlicdde Beobachtung bei feiner Auffindung gemacht worden, doch darf 
man annehmen, daß cs fic bei allen um Beigaben aus Brandgrubengräbern bans 
delt, um fo mehr, als in keinem Salle Befäßrefte erhalten geblieben find. Unter 
den Begenftänden felbft fallen vor allem fünf eiferne Schaftlodhärte”), Abnlich 
dem Stüd in Abb. 3 unten, ins Auge. Sie ftammen aus Jauernid, „yennersdorf 
und Z0del, Ar. Börlig, fowie aus Alt Rleppen, Rr. Gagan. Mit geringen Abs 
weichungen vertreten fie einen einheitlichen Typus; fie find einfchneidig bei leicht 
verbreiterter und wenig gewölbter Schneide, verbreiten fich nach rüdwärts und 
tragen dort ein ziemlich langes, fhmales Schaftloh. Die Art von Alt Rleppen 
befigt am Uladen nod cinen fdmalen Sortfag, der auc in unferer Abb. 3 wieders 
kehrt. Im Zufammenbange mit diefen Waffen fteben Lanzenfpitgen, ein Schilds 
budel, ein Sporn, ferner eine Schere, Meffer und einige eiferne Sibeln ale Schmud: 
ſachen. Mehrere der erwähnten Beigaben ftammen aus einem leider aud uns 
fahgemäß gehobenen Grabfunde von Grog Reichenau, Kr. Sagan, wo fie in 
einem — wobl aud burgundifchen — Mannergrabe zufammengelegen baben 
werden (Abb. 1). Mute man fron mit Rüdficht auf diefe Eifengegenftände für 
das Ende der römifchen Raiferzeit mit einer burgundifchen Befiedelung der an 
die fächfifche Oberlaufitz und die brandenburgifche Fiederlaufig angrenzenden Ge: 
biete rechnen, fo war es von nod größerer Bedeutung, daß auch fehr viel tiefer 
im Innern Schlefiens ein burgundifches Brandgrubengrab nachgewiefen werden 
konnte. &s kam bei Saltenberg, Ar. Bolkenbain zutage und enthielt wiederum eine 
größere Anzahl eiferner Begenftände (Abb. 2), die nach den Auskünften der Sinder 
zufammen in einer f[hwarzen, bolztohlebaltigen Grube beigefegt waren. Die reiche 
Ausftattung mit Waffen beweift, daß wir ein Rriegergrab vor uns haben; drei 
mehr oder minder gut erhaltene, fchlante Lanzenfpigen liegen vor, ferner Schere, 
Meffer, Scildfeffel, Gürtelfehnalle und eine Anzahl Befchlagftüde, die böchft: 
woabhrfcheinlih zu einem der in germanifchen Gräbern häufigen Holzeimer ge= 
hören. Ein fpäter gefundener Seuerftabl (nicht mit abgebildet), der mit einer Ofe 
am Gürtel des Mannes befeftigt war, vervollftändigt die in ihren wichtigften 
Stüden offenbar gerettete Ausrüftung des Toten. 

Worin unterfcheidet fid nun der Brabinhalt von dem gleichzeitigen wans 
dalifchen Rulturgute? Sehen wir von der Art der Beftattung in einer Brandgrube 
einmal ab, fo ift vor allem die Lanzenfpige mit langem und fdmalem, fcdarfgratis 
gem Blatte bier zu beachten, die in gleichzeitigen wandalifchen Sunden ungewöhns 
lich wäre. Serner ift das aus Meinen albbdogen beftebende Rüdenornament an dem 
Meffer (Abb. 2, links) zwar für die fpäte römische Raiferzeit allgemein Eennzeichs 
nend, bei den Burgunden jedoch befonders oft anzutreffen. Auch die ovale Lifen: 
fehnalle mit treuzformigem Dorn (Abb. 2, rechts unten) wirkt unwandalifch. 
An letzter Stelle verdienen die Eimerbefchlagteile befondere Beachtung. Sie 
unterfcheiden fih von den wandalifcben einmal durch die Sorm (vgl. Volt und 
Raffe 1929, S. 42, Abb. 16), fodann aber durch das für fie zur Verwendung 
tommende Kifen, das bei den Wandalen in der Zeit um 300, in welche unfer Grab 


*) Zwar glaubte KIeedon auf Grund diefer und dbnlicher Arte aus der Oberlaufig 
langobardifhe Stammeszugebörigkeit der zugebörigen Rultur annehmen zu müffen, doc 
dürfte diefer Derfuch durch M. Ichns Ausführungen in der GdgesSeftidrift (Leipzig 1925) 
S. 194 ff. ein für alle Male als erledigt betrachtet werden, auch trog fpäterer Entgegnung 
von !FTeedon. 


1932,1I €renft Peterfen, Die Burqunden in Schlefien und ibre Sdidfale. 91 
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gehoͤrt, bereits von der anſehnlicheren Bronze abgeloͤſt worden war. Die uͤbrigen 
Beigaben koͤnnten, was bei der engen kulturellen Gemeinſchaft der Oſtgermanen 
aber nicht verwunderlich iſt, gut aus einem wandaliſchen Grabe ſtammen. 

Wenn auch die bisher erwaͤhnten Funde als Außenpoſten des geſchloſſenen 
burgundiſchen Siedlungsgebietes für deffen Abgrenzung von genügender Bedeus 
tung find und der Sallenberger Sund, weit vorgefchoben in das Randgebiet der 
Sudeten, Har erweift, daß fich die landhungrigen Burgunden in jede freigebliebene 
Siedlungslüde einzwängten, fo handelt es fid) bei ibnen dod) immer um einzelne 
Gräber, die den ausgedehnten wandalifchen Sriedhdfen aus Schlefien nicht recht 
die Waage zu halten vermögen. &s wäre jedoch irrig, annehmen zu wollen, daß 
nur Bleine burgundifche Volksfplitter in Schlefien gewohnt haben. „yierfür ift eine 
widtige Entdedung aus dem Jahre 1930 ein befonders beredtes Zeugnis, der: 
zufolge der erfte burgundifche Sriedbof Schlefins 3. T. unterfucht werden 
tonnte 8). 

Der Sundort, Schertendorf, Rr. Grünberg, nordweftlich der belann: 
ten jchlefifchen Weinftadt gelegen, reibt fich wiederum dem feit langem belannten 
Siedlungsraume der Burgunden in der brandenburgifchen Lliederlaufig an, läßt 
jedoh daneben fhon jet Mar erkennen, daß größere burgundifche Anfiedlungen 
auch auf fchlefifchenm Boden beftanden haben müffen. Die bisher vorgenommenen 
Grabungen auf einem Meinen Gelände baben fhon zur Sreilegung von einem 
Dugend Gräbern geführt, und es fteht außer Zweifel, daß der ganze Sriedhof noch 
keineswegs erfchöpft ift. Auf dem Schertendorfer Graberfeld wird nun die tule 
turelle Scheidung zwifchen Burgunden und Wandalen befonders deutlich; ge: 
lang es doch im Begenfatge zu den vorber erwähnten Sunden, diesmal nicht nur 
reiche Metallbeigaben, fondern auch eine reiche Auswahl an Tongefäßen zu ber: 
gen, eine Sundgattung, die infolge ihrer bodenftändigen Herftellung in allen vor: 
gefbichtlichen Zeitftufen den GBefchmadsrichtungen engbegrenzter Bevdllerungs:- 
teile befonders ftart unterworfen ift und fic daber zur Abgrenzung ftammlich 
gebundener Rulturen in bervorragendem Maße eignet. 

Das Schertendorfer Graberfeld zeigt bei weiten überwiegend die den Bur: 
gunden eigentümliche Beftattung in Brandgruben. Die meiften diefer Gräber 
enthalten die Refte von Mannern, wie die zahlreichen Waffen erweifen, zu denen 
noch weiteres Gerät des Mannes, wie Seuerftable, Scheren und ein Rafiermeffer 
(Abb. 3) tritt. Den wenigen inmitten des Sriedbofes beftatteten Srauen batte man 
Eennzeichnende Srauengeräte, wie Krähnadeln und Spinnwirtel mit ins Grab ges 
geben. Die Eifenbeigaben find infolge des Ausglübens auf dem Sceiterbaufen 
meift trefflich erbalten, während die wenigen Refte aus Bronze und anderen Stoffen, 
wie Rnoden, nur in Brudftuden auf uns gefommen find. Don den Waffen des 
Mannes find vor allem zwei eiferne Arte bervorzubeben, von denen die eine (Abb. 3) 
befonders gut erbalten ift. Weiterhin find Pfeilfpigen, Scheren (Abb. 3 Mitte), 
Seuerftable (Abb. 3, rechts), ein Rafiermeffer (Abb. 3, rechts), fowie mebrere andere 
Meffer für Wöännergräber Eennzeichnend. Auch ein eiferner Pfriemen dürfte zum 
Handwerkszeug eines Mannes gebört haben. Unklar ift die Derwendung eiferner 
Yladeln, an deren oberem Scyaftende eine Drabtöfe nebft darin hängenden Beichlag: 
ftüd bäufig zu gewabren ift. Jentfch ?) barg ähnliche Geräte mehrfach in dem Sricd: 


5) Peterfen, Das erfte burgundifche Bräberfeld aus Schlefien. Sorfchungen und 
Sorticritte VII (1933) S. 382. 

*) Das Gräberfeld bei Sadersdorf im Rreife Buben. Yliederlaufiger Mitteilungen IV 
(1395), Taf. IV, 1—2. 


92 Volt und Kaffe. 1932, II 





bof von Sadersdorf, Ar. Guben Y7.:£.; man findet fie 3. T. als ,,Catauter- 
nadeln“ erklärt, doch kennen wir fonft nichts, das auf diefen Brauch bei den Ger: 
manen fcbließen ließe. Auf jeden Sall aber kommen äbnliche Geräte befonders 
baufig auf burgundifden Sriedböfen vor, wenn fie auch in Schlefien und 
Böhmen innerhalb anderer germanifcher Kulturen nicht gänzlich feblen. Wen: 
den wir uns der Grabausftattung der Srau zu, fo finden wir bier YTäbnadeln 
und Spinnwirtel, fraglos weibliche Geräte, mebrfach vertreten; dagegen bat 
man Gürtelfchnallen einfacher Art, von welchen aus Schertendorf auch mebrere 
vorliegen (Abb. 3, links), ficher ebenfogut für die männliche, als die weibliche 





Abb. 3. Cifenbeigaben aus burgundifhhen Gräbern von Scertendorf, Kr. Grünberg. */>.- 


Kleidung gebraucht. Die Gräber von Srauen pflegen in den meiften Sriedböfen 
der Vorzeit durch reihe Schmudbeigaben ausgezeichnet zu fein, und auch bei den 
Germanen ift diefe Beobachtung oft gemacht worden. In Schertendorf berrfchen 
andere Derbaltniffe; denn felbft, wenn man die im Seuer arg mitgenommenen Refte 
von Glasperlen und Knocentammen als weiblicdhen Schmud anfiebt, ift der 
Mangel an größeren Schmudftüden in den Srauengräbern auffällig genug. Dor 
allem vermiffen wir Sibeln vollftändig, die in einfacherer Ausführung in senners- 
dorf, Ar. Görlitz, vertreten find, wabrend das burgundifce Graberfeld von Litten 
bei Baugen in der Oberlaufi, fogar eine prachtvolle Silberfibel im Stile der 
ibönen Shmudftüde aus den wandalifchen Rönigsgräbern von Sacrau bei Bres- 
lau geliefert bat. Überhaupt tritt uns an den Beigaben unferes Sriedbofs weniger 
Schmud oder Derzierung entgegen, als wir es fonft gewobnt find, doch werden 
wir durch eine Külle gefcbmadvoller Erzeugnifje burgundifcher Keramik reich» 
lih belobnt. Troßgdem, wie eingangs betont, die Sitte der Brandgrubenbeftat: 


—— Vu. Zu eee Naar en 


—— 


1932, II Ernft Peterfen, Die Burgunden in Sdlefien und ibre Scyidfale. 93 





tung der Erbaltung von Tongefäßen dußerft verderblicy ift, liegt aus Scherten- 
dorf eine ganze Reibe guterbaltener und reich verzierter Gefäße und größerer 
Gefäßrefte vor, die uns einen guten Einblid in die burgundifche Töpferei und ihre 
bejonderen Merkmale bietet. Drei Hauptgruppen von Gefäßen vermögen wir auf 
den erften Blid zu unterfcheiden: Zunächft einige robe Töpfe oder Eleine Mapfe 
obne jegliche Verzierung (Abb. 4, binten links), ferner Schalen mit fteilem, leicht 
getebltem Hals, die auf der Schulter eine einfache, 3. T. plaftifche Verzierung 
tragen (Abb. 4, vorn), beide Arten aus freier Mand geformt. An dritter Stelle 
ftebt fodann eine größere Anzabl auf der Töpferfcheibe gearbeitete Schalen, 


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Abb. 4. Gefäße aus burgundifchen Gräbern von Schertendorf, Kr. Grünberg. */,. 


deren Verzierung aus waagerecht umlaufenden Leiften und bisweilen einer Art 
Saltung der Wandung beftebt (Abb. 4, rechts und links). Bänzlich aus dem Rab: 
men des Üblichen fällt die große bandgearbeitete Sußfchale mit drei Henkeln auf 
Abb. 4, Mitte, die in ıbrem Aufbau und ibrer aus Strichen und Dellen beftebenden 
Verzierung auffallende Abnlichkeit mit den drei großen Prachtgefäßen aus den 
Rönigsgräbern von Sacrau zeigt. Legtere find gleichfalls aus freier Hand gez 
formt, obwobl fonft auch in Sacrau die gedrebte Tonware überwiegt. 

Gerade die gedrebte Keramik ift es nun, die uns im Verein mit einer Reibe 
von Beigabenformen wertvolle Singerzeige für die Ermittelung der Zeitftellung 
unferes Schertendorfer Sriedhofes an die and gibt. Gleich den Wandslen baben 
auch die Burgunden im Laufe des 4. Jahrhunderts nach Chr. von den Töpfer: 
wertftätten der römifchen Provinzen die fcbon etwas früber bekannte Herſtellung 
ibrer feinen Töpferware auf der Drebfcheibe völlig übernommen und ficb nun 
daran gemadt, — ein Vorgang, der in der germanifchen Kultur immer von 
neuem deutlich wird —, die von Süden gelommenen Dorbilder dem eigenen Sor: 
menfchag einzugliedern. Wäbrend die Wandalen vorzugsweife den bellgrauen 
und fchwarzen Ton für ihre gedrebten Gefäßformen verwandten und außer Suß: 
fchalen befonders große eiförmige Töpfe mit flachem Rande, die fogenannten 
„Araufen“ verfertigten, feben wir, wie bei den Burgunden in erfter Linie eine 
weitmündige Schalenform in der neuen Technik bergeftellt wird, zu der dann meift 
ein feiner bellgelber Ton benugt wird. Pflegen die Wandalen ibre Gefäße gern 
mit Stempel» und eingeglätteten Surchenmuftern zu fehmüden, jo gewinnen bei 
der burgundifchen Keramik die waagrecht umlaufenden Leiften eine befondere Be: 
deutung, und lediglich die Wellenlinie ift beiden Völkern gemeinfam. in 
Blid auf unfere Abbildung 6 zeigt, daß auch in der ©berlaufig gefundene bur: 


94 Dolt und Raffe. 1932, II 





gundifche Gefäße mit dem aus dem Schertendorfer Sriedbofe ftammenden kerami: 
fchen Material weitgebend übereinftimmen, und ein Heiner, gedrebter Becher mit 
waagrecht umlaufenden Leiften wie Abb. 4 zeigt uns eine ebenfalls aus Sdyer- 
tendorf befannte Gefäßform aus dem Gräberfelde von Wilbelmsau Kr. YTieder: 
barnim in Brandenburg und mag bier als Zeugnis für den einbeitlichen Charakter 
der burgundifchen Altfachengruppe Platz finden. Das Vorberrfchen der gedrebten 
Tonware in Verbindung mit der Sorm der Metallbeigaben ergibt die für weitere 
Schlüffe fo wichtige Zeitftellung unferer fchlefifchen und der bier behandelten Bur- 








Abb. 8. Gefäßrefte und Eıfenbeigaben aus einem burgundifchen Grabe von Luppa (Überlaufig). 
(Nah Seftfcbrift zur 25: Jabrfeier der Gef. f. Vorgefbichte und Gefdhidte d. Oberiaufig 1926.) 4/5. 


gundenfunde. Sie alle können kaum vor 300 nach Chr. in die Erde gelangt fein 
und ftellen dengemäß die Kyinterlaffenfchaft von Bevdlkerungsteilen dar, die noc 
im 4. Jahrhundert die genannten Gegenden befiedelt haben. Sämtliche Gebiete, 
in welchen die Burgunden in der jüngeren Raiferzeit Zuß gefaßt haben, nämlich 
der größte Teil Brandenburgs, der Sreiftaat Sachfen — insbefondere die fäch- 
fifche Oberlaufig, aus der der Grabfund auf Abb. 5 als Beispiel vorgeführt 
fet — und die preugifce Oberlaufig nebft den angrenzenden feblefifchen Kreifen, 
baben nun Grabfunde aus dem 4. Jabrbundert geliefert, ja in Schlefien, das 
wir bier in erfter Linie bebandeln, kennt man burgundifche Altertümer über: 
baupt nur aus diefer Zeit, denn der ältefte fchlefifche Burgundenfund, das Grab 
aus Salkenberg, ift, wie erwäbnt, um 300 anzufegzen. Daraus ergibt fi eine 
wichtige biftorifche Solgerung, die mit der Abwanderung des Burgundenvoltes 
aus feinen oftdeutfchzmitteldeutfchen Wobnfigen zufammenbängt. Wie erft vor 
kurzem £. Schmidt 19) wieder betonte, nimmt die Gefchbichtswiffenfchaft febon für 


10) Gefchichte der germanischen Srübzeit (Bonn 1925), S. 2063. 








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2 


1932, II «rnit Peterfen, Die Burgunden in Schlefien und ibre Scidfale. 95 
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die Mitte des 3. Jahrhunderts die Räumung der burgundifchen Gebiete in Branz 
denburg und der Laufit an, während andererfeits eine ganze Reibe archäologifcher 
Zeugniffe erkennen laffen, daß es fich zu fo früber Feit nur um eine Teilwande- 
rung gebandelt haben kann, wogegen ein beträchtlicher Teil des Volkes noch bis 
in das 4. Jahrhundert hinein in der alten Heimat verblieben ift, fogar in den ge- 
nannten Teilen Schlefiens noch FTeuland binzugewonnen bat. Der Grund für die 
Annahme einer früberen Abwanderung nah Suödweften ift darin zu fuchen, daß 
fhon gegen Ende des 3. Jahrhunderts Burgunden in der Meingegend auftreten. 


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Abb. 6. Burgundifche Gefäße aus der Oberlaufig. 
(Ka Setfchrife zur 25: Jabrfeier der Gef. f. Dorgefdicdte und Gefdidte d. Oberlaufig I926.) twa !/,. 


Dies mögen, wie es ja auch dem Vorgang der Wanderung anderer germanifcher 
Stämme entfpricht, die Vortrupps des ganzen Volkes gewefen fein, die ibre 
Landsleute nach gelungener Landnabme zum Aufgeben ibres alten Gebietes zu 
beftimmen vermodten. 

Don dem gleichen wechfelvollen Schidfal, das den Burgunden nach Aus: 
weis der archäologischen Sunde in Oftdeutfchland befchieden gewefen ift, berichten 
uns auch für die Solgezeit die gefchichtlichen Quellen, die fich erft vom Ende des 
4. Jabrbunderts an in ftarkerem Wiaße mit unferen oftdeutfchen Auswanderern 
zu befchäftigen beginnen. Aus der Zeit um 370 vermelden fie einen beftigen Rampf 
zwifchen Alamannen und Burgunden um die Salzquellen in der Umgebung von 
Schwäbifchzyall. Im Jabre 406 feben wir dann Wandalen und Burgunden, 
die einftigen Grenznachbarn, Schulter an Schulter den Rhein überfchreiten und 
in Gallien einfallen. Es folgt die Eroberung der Städte Mainz und Worms, 
deren Befitz fich die nun zu römischen „Söderaten“ gewordenen Burgunden von 
Raifer Ronftantin III. beftätigen lafjen. Doch bald fchliegen fie fich defjen Gegen: 
Baifer Jovinus an und erneuern dann 413 den Vertrag mit Raifer SHonorius. Aus 
diefer Feit ift uns als erfter Burgundentönig Gundabar überliefert, der aus 
den Gefchlechte der Gibikunge bervorgegangen war. ach einem mißglüdten 
Vorftoß gegen die nördlich angrenzende Provinz Belgica wurden die Burgunden 


96 Volt und Kaffe. 1932, 1I 
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dann im Jahre 430 von einem hunniſchen Heere vernichtend geſchlagen, das der 
roͤmiſche Heermeiſter Aetius gegen ſie ausgeſandt hatte. Die Erinnerung an dieſes 
Ereignis, bei dem der Roͤnig mit ſeiner ganzen Sippe und dem groͤßten Teile ſeines 
Volkes den Tod finden, hat ſich in dem uͤbriggebliebenen Volksteile noch lange er⸗ 
halten und bildet den geſchichtlichen Rern des Nibelungenliedes. Der Reſt des Bur⸗ 
gundervolkes wird ſpaͤter von Aetius am Rande der Weſtalpen zwiſchen Genf 
und Grenoble erneut angeſiedelt und ſchließt ſich unter einem neuen Roͤnigsge⸗ 
ſchlecht zu einem Reich zuſammen, deſſen Heerbann unter Gundovech auf weft: 
gotiſch⸗roͤmiſcher Seite im Jahre 451 in der Voͤlkerſchlacht auf den Ratalauni⸗ 
ſchen Gefilden bei Troyes gegen Attilas Hunnenſcharen im Rampfe ſteht. Zwi⸗ 
ſchen 470 und 420 befindet ſich das wieder erſtarkte Reich auf der Hoͤhe feiner 
Macht und erſtreckt ſich von der mittleren Schweiz bis an das Mittellaͤndiſche 
Meer, im Oſten von den Alpen, im Weſten von der Rhone begrenzt. Doch bald 
entfteben innerbalb des regierenden Befchlechtes Erbftreitigkeiten; 501 kämpfen die 
Burgunden gegen den Srantentönig Cblodevcdh, treten jedoch dann auf feine Seite, 
um mit ibm zufammen das mächtige Oftgotenreich Theoderiche d. Gr. anzufallen. 
Im Sticdy gelaffen von den Sranten miffen fic die Burgunden endgültig von der 
Rüfte des Mittelmeeres abdrängen laffen, bis fie dann etwas fpäter im Verbande 
de8 immer mächtiger gewordenen Srankenreiches Aufnahme finden 

Die legten Ereigniffe haben nur noch wenig mit denjenigen Burgunden zu 
tun, die wir auf den vorbergebenden Seiten als Bewohner beträchtlicher Teile des 
heutigen Oftdeutfchlands kennengelernt haben. Don der Einwanderung in Öft: 
deutfchland bis an die Grenze des Römifchen Reiches hin erkennt man die gleich 
mäßige Sortentwidlung einer bodenftändigen germanifcben Rultur in enger Be: 
ziehbung zu den benachbarten oftgermanifchen Stämmen, infonderbeit den Wan: 
dalen; doch feit dem Betreten des heutigen Srantreich ändert fi) das Bild vollig, 
wie es die Altertümer aus dem Burgundenreiche feit dem 5. Jabrbundert, fo 3. B. 
die fogenannten „Propbetenfchnallen“, zur Genüge erweifen. Gleid allen ans 
deren nach dem Süden gewanderten Germanenvodllern bradte aud) den Burgunden 
die Berührung mit dem weiten Einflußgebiet römifcher Kultur zwar eine reiche 
Entfaltung eigenen Rönnens und einc zeitweilige politifche Machtftellung unge: 
abnten Umfanges, doch folgte der Derfall auf dem Suge, und aud das Burgunden- 
volf, das fid) immerbin nod der alten ecimat am nddften angefiedelt hatte, teilte 
das Los der Ubrigen untergegangenen oftgermanifden Völker, den fpurlofen Unter: 


gang. 


Widtigtes Shrifttum uber die Burgunden. 


J. Allgemein: 

Blume, Die germanifden Stamme und die Kulturen 3wifdhen Oder und Paffarge zur 
römifchen Raiferzeit I, Würzburg 1912 (befonders S. 197 ff.). 

Buffe, Das Brandgräberfeld bei Wilhelmsau, Kreis !Tiedersdarnim, Ztichr. f. Erbno= 
logie XXXVII (1905) S. 569 ff. 

Jahn, Fleue fpätkaiferzeitliche Sunde aus der Laufig. Studien zur vorgeidhichtlidhen 
Archäologie (Gögesfcitfchrift), Leipzig 1925, S. 190 ff. 

Roffinna, Über verzierte Eifenlanzenfpigen ale Kennzeichen der Oftgermanen. Ztichr. 
f. Etbnologie XXXVII (1905), S. 300 ff. (befonders S. 390 f.). 

— — ir ala ein uralter eimatboden der Germanen, Danzig 1919 (befonders 

. 17 ff.). 

— Die deutfhe Vorgefchichte cine bervorragend nationale Wiffenfcaft. 4. Aufl., Leipzig 
1925 (befondera S. 148 ff.). 

— Germanifce Kultur im ı. Iabrtaufend nach Chriftus, Leipzig 1932, befonders S. 209 ff. 


1932, II Sriedrich Lüers, Die Runen. 97 
ET EEE Ei ————— TE EEE) 





Roſtrzewſki, Die oftgermanifche Kultur der Spätlatenezeit, Leipzig u. Würzburg 1919. 

Weedon, Das Brandgraberfeld von Kitten bei Bauten und verwandte Sundftätten aus 
der fpäteren römiichen Raiferzeit. Jabreshefte d. Befellfchaft f. Anthropologie und 
Urgeſchichte 8. Oberlaufig III, ı (1920), S. 3 ff. 


— Das Brandgräberfeld von Kitten bei Bauten II. Seftfehrift 3. 25° Jabrfeier d. Gefells 
fhaft f. Dorgeichichte u. Gelchichte d. Oberlaufig zu Baugen (3926), S. 89 ff. 
Nerman, Die Aerkunft und die frübeften Auswanderungen der Germanen. Rgl. vitterhets 
a antikvitets alademiens bandlingar 34:5, Stodbolm 1925 (befonders 
. 37 ff.). 

Schmidt, Befchichte der deutichen Stämme I, Berlin 1910, S. 367 ff. 

— Gefchidte der germanifchen Srübzeit, Bonn 1925, S. 69f., 263 ff. 

Stjerna, Bidrag till Bornbolms befoltningsbiftoria under järnälderen, Antitverift 
Tioftrift for Sverige XVIII (1908), S. 3 ff. 
2. Sdlefien: 

Taenberg, Die Wandalen in Miederfdlefien (Worgeſchichtliche Forſchungen I, 2), Berlin 
1925 (befonders S. 129 und Taf. 38). 

— Die Burgunden in Schkefien. Sclefifche Monatsbefte (1926), S. 77 ff. 


Die Runen. 
Don Dr. Stiedrihh Lüers, München. 
Mit ı Abbildung. 


ie Stage nach der erbunft der Runen und ihrer Stellung den anderen Alphas 

beten gegenüber ift von jeber eines der fchwierigften Probleme fowohl der 
wiffenfchaftlihen Sprahforfchung, als auch der Rulturgefchichte gewefen; ser 
Sprachforſchung deswegen, weil die Alteften unmittelbaren und eigenen Sprachs 
dentmäler des germanifchen Volkes in Runen, fei es nun auf Steinen oder auf 
verfchiedenen Begenftänden eingeritt auf uns gelommen find. Ob die Srage nach 
der Herkunft der germanifchen Runen jemals einwandfrei und gefeit gegen jede 
Widerlegung gelöft werden kann, erfcheint mir mehr als zweifelhaft; denn für 
eine unbeftreitbare Behauptung fehlen bier die nötigen Beweife. Das Derbältnis 
der Runen zu den anderen Alpbabeten fcheint mir indefjen weit Marer und eins 
deutiger beurteilt werden zu können. Was die Entftebung der Runen betrifft, fo 
werden wir einen gan3 wefentliden Gefidtspuntt dabei immer in unfere ganze 
Rechnung mit einftellen müffen: Die Tatfache, daß bei jedem Volke, fobald es auf 
einer beftimmten Eultürlichen dhe angelangt ift, das Bedürfnis fich einftellt, 
beftimmte Begriffe durch Zeichen, die wir fpäter in ihrer Verbindung Schrift 
nennen, dauernd feftzubalten. Llach dem, was die vergleichende Sorfhung auf 
dem Gebiete der Sprache, der Dollstunde, der Runft, vor allem aber was die 
Entftebung von Sage und Märchen betrifft, an Ergebniffen gerade in den legten 
Jahren erzielt bat, kann man mit voller Berechtigung annehmen, daß auch die 
Anwendung beftimmter Zeichen ein Teil deffen ift, was Sans Klaumann mit dem 
Wort „primitive Bemeinfchaftstultur‘‘ bezeichnet! Es ift alfo durchaus nicht nots 
wendig, daß das germanifche Runenalphabet aus dem Griechifchen oder Lateinis 
(ben Alphabet übernommen fein muß, wie das vielfach auch heute noch anges 
nommen wird. 

Doll und Baffe. 1932. April. 7 


98 Volt und Kaffe. 1932, II 
EDER 


Zunädhft muß es für den Sorfcher allein fhon hinreichend verdächtig fein, 
daß die germanifchen Sprachen für das Schriftzeichen ein eigenes, jedesfalls ganz 
anderes Wort haben, als die Griechen und die Römer, von denen aber die Gers 
manen die Schrift entlehnt haben follen. Die Zahl der Gegenbeweife, die bier ans 
geführt werden kann, daß bei den Germanen, wo es fich tatfächlid um Übers 
nahme von Kulturgütern von jenen Völkern handelt, das fremde Wort mit der 
fremden Sadye übernommen worden ift, ift beinahe unüberfehbar. Ich erinnere 
nur an £ebngut fachlicher und fprachlicher Viatur wie Keller, Mauer, Senfter, 
Pforte, Münze u.v. a. 

Unfer beutiges Wort Rune ift im ı3. Jahrhundert aus den nordifchen 


Sprachen in die neubochdeutfche Schriftfprache wieder eingeführt worden; das. 


Wort felbft ift eines der Alteften der germanifchen Spraden. Im Altnordifden 
bezeichnet rüner Buchftaben, Runen, Benntnis, Belebrfamtleit, magifches Sors 
mular; gotifch bedeutet rüna Geheimnis. Daß der Wortftamm außer bei den 
Clordgermanen aud bei den übrigen germanifchen Stämmen belannt und ger 
braucht war, beweift unfer beutiges audy fchriftdeutfches Zeitwort raunen, das 
fich in ununterbrochener Entwidlungsreihe über die mbd. Sorm rünen und das 
abd. rinén in der Bedeutung flüftern, heimlich und leife reden zum gleiden 
Stamm wie das Hauptwort Rune zurüdverfolgen läßt. 

Sür die Beurteilung der ganzen Runenfrage erfcheinen mir zwei Dinge als 
befonders wefentlich: Einmal die geograpbifche Verteilung der Sunde mit Runens 
infchriften und zum andern die Cinftellung dec wiffenfdaftliden Runenforfdhung 
diefem gegebenen Material gegenüber. Ich gebe zunddft eine gedrängte Überficdht 
der Runenfunde: 3. dee ,,Bularefter Ring von Pietroaffa in der Walachei; 
2. eine taufchierte Speerfpige von Rovel in Wolbynien; 3. eine filbertaufchierte 
Speerfpige von Müncheberg in Brandenburg; 4. ein goldener Ring von 
Röslin in Pommern; 5. eine Rnopfbibel von Sreilaubersbeim in Rheins 
beffen; 6. eine Sibel mit Tierkdpfen von Charnay im Departement Cdte 
d'Or; 7. und 8. 2 Sibeln von Mordendorf in Bayern; g. eine Sibel von Engers 
in der Rheinproving; 10. und 11. 2 Sibeln von Bezenye in Ungarn; 12. eine 
Sibel von Ems in Waffau; 13. eine Spange von Ofthofen in Rheinbeffen; 
14. eine Gpange von Sriedberg in Oberbeffen; 15. eine SGpange von Balingen 
in Murttemberg; 16. 3 Mameninfdriften aus Gräbern bei Weimar in 
Thüringen. Zu diefen Seftlandfunden kommen dann die zablreiden Sunde der 
fltandinavifden AHalbinfel, fowie aus England. Wohl der dltefte nordifde Runens 
fund ift die in TWorwegen, Dore Stabu in Rriftiansamt gefundene Speerfpige 
aus der Zeit um 250. Befonders widtig ift ein Depotfund im dänifchen 
Moor, deffen Begenftände in die Zeit 2350—400 gehören dürften. Überaus werts 
voll ift der Einangerftein aus Horwegen, der Stein von Rylver auf Bots 
land in Schweden und der fogenannte Bralteat von Dadftena in Schweden 
deshalb, weil fie uns das ganze 24typige gemeingermanifche Runenalphabet, 
den ,,Sutbark, in feiner Reihenfolge überliefern. Die bedeutendften englifchen 
Runenfunde find: das fogenannte Themfemeffer aus der Zeit von etwa 700 mit 
einer angelfächfifchen Runenreibe von 28 Zeichen und der Srankiche Runenfchrein 
aus Elfenbein aus der Zeit von 6850. 

Was das Alter der Runeninfchriften im allgemeinen betrifft, fo find fich die 
Sorfcher darüber einig, daß die nordifchen und die gotifchen Infchriften wefentlid 
älter find (ungefähr 200—300 Jahre), ale die füdweftdeutfchen, zu denen Zeits 
lich auch die englifchen zu rechnen find. Der zeitlidhe Zufammenfall der gotifchen 


1932, II Sriedriy Luers, Die Runen. 99 
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Infchriften mit denen der dänifchen WMoorfunde gegenüber den etwa 200—300 
Jahre fpäter anzufetzenden weftgermanifchen Runeninfchriften bot der Sorfchung 
zu Anfang diefes Jahrhunderts wefentliche Anhaltspunkte zur Märung der Urs 
fprungsfrage der Runenfchrift und ihrer Ausbreitung in Europa. Nach Anſicht 
des fchwedifchen Archäologen Bernhard Salin hätten die Germanen im 2. oder 
3. Jahrhundert n. Chr. die Buchftabenfchrift in der Gegend nördlich vom Schwars 
zen Meer unter dem Einfluß Maffifcher, vorwiegend griechifcher Bildung tennens 
gelernt. Zu folge der Ergebniffe der Gefchidtsforfdung der Odllerwanderungs: 
zeit wiffen wir beftimmt, daß um 150 die Boten ihre alte Heimat an der unteren 
Weichſel verlaffen und um 200 am Schwarzen Meere fteben; denn im Jahre 
214 erfolgte ihr erfter Zufammenftoß mit den Römern. Wir geben alfo nicht 
fehl in der Annahme, daß die Boten jener Germanenftamm waren, der im 2. und 
3. Jahrhundert unter den Rultureinfluß der Baffifchen Dölker gelommen war. 
Salin weift ferner darauf hin, daß zu folge archäologifcher Zeugniffe die Beziehun: 
gen der Boten zu ihrer alten Heimat an der Öftfee keineswegs abgebrochen waren, 
und daß mit diefem ganzen von Südoften nady Llordwelten fließenden Rulturs 
ftrome auch die von den Boten gefchaffene gotifche Runenfchrift nach dem Llorden 
getommen fei. Diefer Rulturftrom, der zunädhft der WDeichfel folgte, fetzte fich 
nad Weften durd Torddeutidland bis nad) Danemarl und Skandinavien fort. 
Die dlteften Runendentmäler wurden im Bereich diefes Kulturftromes gefunden, 
fodag es für Salin „eine an Bewißbeit grenzende Wabrfcheinlichkeit ift, daß es 
gerade diefer von Südoften berauflommende Rulturftrom ift, der die Kenntnis der 
Runen in unfere nördlichen Gegenden beraufgebracdht bat, weshalb wir, wenn 
wir ihrem Urfprung nachforfchen wollen, unfer Auge auf die Länder des Schwars 
zen Meeres richten müffen“ (Salin, Altgermanifde Cierromantil, Stodbolm 1904, 
S. 147). 

Eine wefentlide Stuge erfubren Galins Oberlegungen und Schlußfolgeruns 
gen durd die Unterfudung von Otto von Sriefen ,Om runornas bärkomft“ 
(Upfala 1904). Vlad Stiefens Anficht follen von den 24 Runenzeichen 16 beftimmet 
oder fehr weabhrfcheinlih aus dem griechifchen Alphabet, 3 entweder aus dem 
Grichhifchen oder Lateinifchen, 4 vielleicht auch noch eine 5. ficher aus dem lateinis 
fchen Alphabet ftammen. Weiterhin befchäftigt er fich in diefem Zufammenbange 
aud mit der Srage, welcher Dolteftamm als Vermittler vom Sudoften nach dem 
Forden in Betracht käme und nennt bier zu folge gefchichtlicher, archäologifcher, 
runologifder und namentundlider Grunde die Syeruler. Die Vermittlung ftellt 
er fich fo vor: Die Dänen befiegten und unterwarfen die Seruler, worauf Teile 
des Merulerftammes in die Schwarze Meergegend auswanderten und dort um 
die Wende des dritten, vierten Jahrhunderts mit den Boten in Verbindung 
kamen. BDiefe Serulertolonien feien ftandig mit dem unterworfenen Hauptteil 
ihres Stammes in Schleswig und auf Sünen in Verbindung geftanden und auf 
diefem nordwärts gehenden Rulturftrome feien die Runen auf die dänifchen Infeln 
getommen. BDiefe Gegend faßt er gleichfam als ein nordifcdyes Zentrum der Runen 
auf, von wo aus die Schriftlunft nad Wefteuropa gedrungen fei. Sur das nords 
weftliche Deutfchland fei diefe nordländifche Kultur befonders in der Gegend von 
Hannover weitergebildet worden und zu Anfang des 5. Jahrhunderts fowohl 
nach England hinüber als auch rbeinaufwärts nad Süden getragen worden. 

Gegen diefe Anficht muß ein fchweres Bedenken erhoben werden: Ift es wabrs 
fheinlich, daß mehr oder weniger gewaltfam abgefprengte oder durch politifchen 
Drud aus der Heimat verdrangte Dolksteile, die dem AHauptftamme gegenüber 

7* 


100 Volt und Raffe. 1932, II 








immer eine Minderheit darftellen, aus weit entlegenen neuen Wobnfigen eine fo 
rege Verbindung mit dem Mutterftiamme aufrecht erhalten, daß eine Rulturvers 
mittlung durch fie möglich ift? Die Beobachtungen abnlider Erfchyeinungen im 
DVoölkerleben der jungften Zeit beweifen das Gegenteil. Dabei muß nody bedacht 
werden, daß für die damalige Zeit die Entfernung vom Schwarzen Meere bis 
zu den dänifchen Infeln ale weit größer zu werten ift, als das beute etwa der 
Salt wäre. Serner darf auch nicht außer acht gelaffen werden, daß gerade in der 
Zeit, nachdem fich die yerulerteile am Schwarzen Meer niedergelaffen batten, 
in den Gebiete zwifchen ihnen und ihrer Heimat fich gewaltige Völkerverfchies 
bungen abgefpielt haben, die eine Verbindung nur hemmen oder gar verhindern 
konnten, wie fie angenommen werden muß für die Vermittlung einer Schrift. 
Die Ergebniffe von Sriefen erfuhren durcy den Sorfcher des Aeltifchen, fowie der 
Sprachvergleidung Holger Pederfen in Ropenbagen eine ganz erhebliche Er: 
fhütterung. Er kehrt zunächft zu der fhon von $. AU. Wimmer vertretenen Ans 
fhauung zurüd, wonach die Runenfchrift lateinifchen Urfprungs fei und bringt 
als neuen Hinweis den auf das irifche Ogamalphabet. Runen und Ogam ftünden 
3war nicht unmittelbar im Zufammenbange, fondern bätten lediglich eine ges 
meinfame Quelle. Als Lehrmeifter der Jren und Germanen in diefer Beziehung 
nennt er die Gallier und betont den allgemein befannten Kultureinflug der Kelten 
auf die Germanen, der mebr als ein Jabrtaufend lang wirkfam war. 

Stanz Rolf Schröder fchreibt dazu in feinem Buche „Altgermanifche Auls 
turprobleme‘ (Berlin 1929): „Mit der LUnterfuchung Pederfens ift die Runens 
forfehung in ein neues Stadium getreten, und es wird fid jegt vor allem darum 
bandeln, feftzuftellen und zu Mären, wie und wo die Übernahme und Bildung der 
Runen aus dem lateinifden Alphabet erfolgt ift. Einmal: hat das Iateinifche 
Alphabet die unmittelbare Vorlage abgegeben oder müffen wir, was vielleicht 
wabrfcheinlicher ift, eine keltifchslateinifche Zwoifchenftufe anfegen, und ift wenigs 
ftens für einige Zeichen Entlehnung aus einem griechifchen Alphabet anzunebs 
men? Und zum andern: find die Runen in den ARbeinlanden entftanden oder um 
die Wende unferer Zeitrechnung im Gebiete der Marlomannen und Quaden, in 
Vioricum oder den dftliden Alpengegenden“. 

Dann aber fommt auch Schröder auf das alte, fdwerwiegende Bedenten: 
„Woher ftammt die von den lateinifchen und griechifchen Alpbabeten völlig abs 
weichende Reihenfolge des germanifchen Sutbart und die Llamen der einzelnen 
Runen?“ 

Doch nun bringt Schröder einen ganz neuen Gefidtspuntt, indem er meint, 
daß für die Entftehbung der RunensReibenfolge und der Viamen Porftellungen 
des Mithratultes wirkfam gewefen feien. 

In überaus fcharffinniger Überlegung vergleicht Schröder den von Garo 
Orammaticus (1200 n. Chr.) berichteten nordifden Mythos von ,,Odins erfter 
Verbannung“ mit der iranifchen Überlieferung der Manichder. Hier wie dort 
ftebt dem Botte Mithra beziechungsweife Odin ein Sämonenbafter Widerfacher 
gegenüber: der „falfche Mithra“, beziebungsweife „falfhe Bdin“. Schröder fagt 
dazu: „Inhaltlich berührt fich dies manichäifche Sragment nahe mit dem nordis 
fchen Mytbus; und follte etwa in der erften Silbe des dunklen Fiamens „Mitotbyn“ 
(fo beißt nah Saro Grammaticus dser Gegner Odins) ,nod ein unverftandener 
Reft des Mamens des perfifchen Gottes und feines Widerfachers, des „falfchen 
Mithra‘ fteden?“* Im Anfchluffe daran weit er dann auf Sigurd Agrell bin, 
der den Verſuch machte, die Reihenfolge der 24 Runenzeichen aus der Zablens 


1932, II Sriedrih Lüers, Die Runen. 101 
Ree eS 


Myftit der Mithraslebre abzuleiten. Jedem Zeichen des germanifchen Suthark hatte, 
wie im antiten Alphabet, ein beftimmter Jablenwert entfproden. Was nun 
weiter von den Überlegungen Sigurd Agrells angeführt wird, ift kaum einzus 
feben. So fehlt vollftändig die Begründung für feine Behauptung, der Runens 
meifter babe abfichtlidy die Reihenfolge der Zeichen verändert, um den Laien den 
magifchen Sinn zu verdeden. So erkläre fidy die Anfangsftellung der SsRune, 
die eigentlich ganz ans Ende gehöre; ich frage bier warum? Dann beißt es weiter: 


„Urfprünglich ift alfo u die erfte Rune und fie befigt nad Agrell auds den Zahblens .-. 


wert 1. Mit ihrem Llamen ur „Auerochfe‘‘ vergleicht er den mytbifchen "Urftier, - 


der nad) perfifchem Glauben als das erfte Lebewefen am Anfange dar Schöpfung - 


ftebt“. In diefer Art werden die 5 erften Runen dem Mithrasmpfteriumund feinem 
Spmbol gegenübergeftellt. Diefe Beweisführung Agrells bat, wie Schröder fagt, 
heftigen Widerfprud erfahren, trogdem hält Schröder den von Agrell befchrittes 
nen Weg für den richtigen, da nach feiner Überzeugung der Mithrastult wie übers 
haupt die iranifche Religion für sas Germanentum der Völlerwanderungszeit 
eine große Bedeutung batte. 

Go fteben denn auch heute noch völlig ungellärt und gegenfeitig unabges 
glichen 3 beziebungsweife 4 AHauptmeinungen uber die Entftehung der Runen 
einander gegenüber: ı. Übernahme aus dem griechifchen Alphabet durch) die Boten 
am Schwarzen Meer; Dermittlung durch den Aulturftrom weichfelabwärts nach 
Lorden; 2. Gadblid das Gleide nur an Stelle der Boten die Aeruler; 3. Ents 
lebnung aus dem rémifden Alphabet durdy Vermittlung der Relten; 4. Einfluß 
des MNithrastultes. 

Daneben gibt es nod 3u diefen Aauptanfidten zahlreiche Viebenformen, die 
vielfad nicht wert find, eigens genannt zu werden. Kliochmals befonders binweifen 
muß ich allerdings auf die oben fhon wörtlich angeführten Stagen $. R. Schrös 
ders im Anfchluffe an Pederfens Unterfuchungen, wobei er die Markomannen und 
Quaden in VMoricum und den Oftalpen nennt. ft es da nicht mehr als auffallend, 
daß von allen deutfchen Stämmen nur die heutigen MarkomannensBaiern von 
der nördlichen Oberpfalz und dem Egerand bis Südtirol, vom Ledrain bis in 
die Ungarnmark für Dienstag: Ertag (nad §. Kluge aus griedy. äriös he- 
merä), für Donnerstag: Pfinztag (aus griech. pempte), für Yemd: Pfeit 
(aus griech. beite, got. paida) kennen und wie Kluge annimmt, diefes Sprach 
gut durch got. Vermittlung donauaufwärts erhalten hätten. Wir bätten alfo 
demnach 3 große Rulturftröme: Einen früberen vom Schwarzen Meere weicdhfels 
abwärts zur Oftfee nad Klorden und einen fpäteren donauaufwarts vom 
Schwarzen Meere nah Weften. Diefer letzte fällt nun zufammen mit der bes 
kannten alten Völkerftraße, auf der die Boten, HYunnen, Wandalen, Ungarn und 
Slawen nah Wefteuropa vordrangen. Diefe gefhichtliche Tatfache bat ja in der 
Rulturgefchichte lange Zeit dazu geführt, dem Grundfage 3u huldigen: „ex 
oriente lux“. 3Jndeffen ift es aber ebenfo erftaunlich wie bezeichnend, daß gerade 
die Verfechter diefer Anficht in der Runenfrage die orientalifche Entftehung, vor 
allem aber die phönikifche Erfindung einmütig ablehnen. WPD. von Landau fchreibt 
in der von Windler herausgegebenen Zeitfchrift „Ex oriente Lux“ 1905 in 
einem Auffag: „Die Bedeutung ser Pbdnitier im Völkerleben‘ fehr energifch: 
„Die zahlreichen Urkunden in einer Buchftabenfchrift“ (wie fie auf Kreta ufw. 
gefunden wurden) „werden hoffentlich endlich die Arämer von Tprus und Sidon 
von dem Flachruf befreien, der Mienfchheit eine der größten Taten gefchenkt zu 
baben, welde die Geiftesentwidlung kennt“. 


102 Dolt und Raffe. 1932, II 
—————————————————————————————— 


Nun bedarf es den verſchiedenen Entſtehungstheorien gegenuͤber noch einiger 
Uberlegung, die durch ſchwere ſachliche und logiſche Bedenken veranlaßt ſind: 
Es kann billiger⸗ und vernuͤnftigerweiſe nicht angenommen werden, daß ein fuͤh⸗ 
render Mann eines Volkes die Bibel aus dem Griechiſchen in die Volksſprache 
uͤberſetzt und gleichzeitig damit ſein Volk nun erſt auch die Schrift lehrt. ine 
ſolche Ubertragung in die eigene Volksſprache kann die beabſichtigte Wirkung nur 
haben, wenn die Einfuͤhrung der Schrift laͤngſt vorangegangen war und, wenn 


“+3 vielleicht oad inzwiſchen veraͤndert, doch den Grundcharakter der alten Schrift⸗ 


zeichen beibehriten hat. Vergleicht man die alten 24 Runenzeichen ſowohl mit 


er. dem gtirchtſchen Wphabet, als auch mit dem lateiniſchen ABC, ſo erkennt ſelbſt 
:*: Rin ˖ Nichtſchriftgeſehrter, daß teilweiſe Formenuͤbereinſtimmung oder doch ⸗ahn⸗ 


lichkeit ſowohl mit verſchiedenen Zeichen der einen, wie des anderen zu beobachten 
ſind. Iſt es denkbar, daß eine Schrift in 2 Etappen zur Einfuͤhrung kommt, etwa 
ſo, daß zunaͤchſt 2 oder 12 Zeichen aus der griechiſchen Zeichenreihe entnommen 
werden und dann ſpaͤter weitere 10 oder 12 aus der roͤmiſchen? Das iſt praktiſch 
unmoͤglich und uͤberhaupt ſinnwidrig. Gegen eine geſamte, einheitliche Uber⸗ 
nahme der roͤmiſchen Zeichen ſprechen aber wieder die kultuͤrlichen, runologiſchen 
und hiſtoriſchen Tatſachen. 

Obendrein berichtet nun Tacitus in ſeiner Germania von ſogenannten 
„notae“: „virgam frugiferae arbori decisam in succulos amputant 
eosque notis quibusdam discretos super candidam vestem temere 
ac fortuito spargunt“; d. b. (nad) €. Sebries Obertragung in ,,®ermania“, 
Verlag Lehmann Münden 1929): ,,einen Fweig, den fie von einem fruchtbrins 
genden Baum abgefchnitten haben, zerteilen fie in Stäblein, diefe unterfcheiden fie 
durch gewiffe Zeichen und ftreuen fie auf Beratewohl und wie der Zufall es 
will über eine weiße Dede“. Sehrle ift zwar der Anficht, daß mit den „notae 
quaedam“ wohl keine Runen gemeint feien, da diefe nicht vor dem dritten Jabhrs 
hundert erfcheinen, fagt aber dazu: „Die Zeichen werden irgendwelche Vorftelluns 
gen und Begriffe erwedt haben, aus denen man Gutes oder Schlimmes bervors 
fagte‘‘. Die notwendige Dorausfegung biefür aber ift doch, daß diefe Zeichen 
untereinander verfchieden waren, und damit fteben wir doch jedenfalls am Anfang 
deffen, was man Schrift, wenn auch Zeichenfchrift zu nennen pflegt. Eine ganz 
bervorragende Stüte bietet bier die Sprache, genauer die Wortlunde. Die gers 
manifchen Spradyen bezeichnen die einzelnen Zeichen des fogenannten Alphabets 
mit „Buchftabe“, abd. buodftap, altfächf. bofftaf, ags. bocftaef, an. bolftafr, 
fhwed. bokftaf. Alle etymologifden Wörterbücher geben im Sinn die einbeits 
lide Erfläörung: „Kigendlih Buchenftab, der zum Kinritgen von Runen bes 
ftimmt war“ (Rluge), oder eigentlich von den fogenannten Runenftäben oder 
Aunenlettern (vergleiche altnord. ftafr, angelf. ftzef) (Salt und Torp). Hierzu 
kommt die fchon eingangs erwähnte Bedeutung des Wortes „Runa“ fowohl bei 
Wulfile, wie in der altgermanifchen Literatur im Sinne von „Geheimnis, mas 
gifches Zeichen und Sormel“. Im heutigen Klorwegifchen bedeutet das Feitwort 
rung „Wabrfages bzw. Zauberkunft ausüben“. 

Rarften weift in feinem Buch „die Germanen“ (Pauls Grundriß dee gers 
manifchen Philologie Seite 167) darauf bin, daß zablreihe Runeninfchriften auf 
Orabfteinen nicht über dem Erdboden, fondern vielfach unter der Erde gefunden 
wurden, wo fie gar niemand feben und lefen konnte. „Es waren Befhwörungss 
infchriften, die für übernatürliche Mächte, mit denen der Tote verkehrte, beftimmt 
waren. Rarften fchließt diefes Rapitel mit dem Sage: ,,Die Weisfagungstunft 





1932, II Seiedrich Lüers, Die Runen. 103 





war im Volksleben der Germanen offenbar tief eingewurzelt und wenn fie ihrer 
näheren Befchaffenbeit nach uns auch unbelannt ift, dürfte man doch fagen können, 
daß fie der gotifchen Runenfchrift den Boden bereitet bat“. 


Nicht auger act darf in diefem Zufammenbange gelaffen werden, worauf 
G. Steinbaufen („Bermanifche Rultur der Urzeit“, Kat. u. Geifteswelt 
Vir. 1005. Teubner 1927 Seite 114) mit Recht ausdrüdlich auch binweift, daß 
gewiffe, den Runen ähnliche Zeichen als Hausmarlen fpäter, vielleicht fehon wie 
in der Urzeit, Derwendung bebielten. In wie weit diefen Sausmarlen zauberifche 
Rraft im Sinne der Schugzeichen zulam und heute noch zulommt, ift von der 
Voltstundeforfhung mehrfach unterfucht worden. Ich möchte da nur auf einen 
Meinen Beitrag von Albert Beder in den bayrifchen Heften fur Dollstunde Jg. VII 
(1920 Seite 110) binweifen, wo er die „Pfälzer Ravelftäbchen‘‘ behandelt. In 
fämtlichen Gemeinden des pfälzifchspreußifchen Grenzgebietes, unweit Kufel, wird 
alle 6 Jahre das Bemeindeland neu ausgeloft, dazu verwendet man Kichens oder 
Budenbolsftabe im Ausmaß 1,5:1:1 cm, auf deren Längsfläche jeweils die 
Marke eines Haufes eingefchnitten ift. Aus der dem Auffatz beigegebenen Tafel 
ift zu erfeben, dag unter den aufgeführten 43 Losftäbchen nicht weniger als 38 
gerade oder gebrochene Sormen aufweifen, dagegen nur 3 runde, während 2 fos 
genannte Augenmarlen find. Einige von den 38 ftimmen mit den alten Runens 
zeichen genau überein. €. ®. Johbmayer bat in feinem Bud „Die Hauss und 
Spofmarten“ (Berlin 1907) diefen uralten Brauch des Lofens mit Losftabden aud 
für Tirol, Steiermark, Schweiz und die Rheinprovinz nachgewiefen, während er 
früber nur für den Llorden Deutfchlands und für Skandinavien angenommen 
wurde. 


Yiebmen wir alle diefe unbeftreitbaren Tatfachen fprachlicher, kulturgefchichts 
licher und vollstundlider Art zufammen, fo müffen wir eigentlih zum nabes 
liegendften Ergebnis in der ganzen Runenfrage von felbft kommen. Die Runen 
brauchen weder von den Griechen, noch von den Römern entlehnt und durch die 
Boten, Seruler oder Kelten vermittelt zu fein, fondern die Runen können längft 
vor der Berührung der Germanen mit den antifen Rulturvölkern mehr oder wenis 
ger volllommen entwidelt gewefen fein, wobei fidy die bei manchen Zeichen immers 
bin auffallende Abnlichkeit mit den antiken Schriftzeichen auf zweierlei Art ers 
Mären ließe: entwoeder, daß beide, die Runen wie die antiten Zeichen aus einer ges 
meinfamen Vorftufe, gleichfam einer Urfdrift, entftanden waren und fic felbs 
ftandig weiterentwidelt batten; oder wir geben vom Begriff des ,,primitiven Ges 
meinfchaftsgutes“‘ aus und müffen dann annehmen, daß den Schrift» bzw. Runen: 
zeichen anfangs eine beftimmte bildömäßige Bedeutung zulam, wobei es ganz uns 
zworifelbaft ift, daß die Gleichheit der Sorm des Dinges, das mit dem betreffenden 
Zeichen dargeftellt fein follte auch eine gewiffe Bleichbeit der Sorm diefes Zeis 
&ens bedingt haben kann. Auf diefe Bild-Grundlage für die Runen bat fdon 
Ludwig Wilfer „Deutfche Vorzeit“ (Leipzig 1923) ausführlich bingewiefen. 
Wenn man ibm auch nicht in allen Einzelheiten reftlos folgen und beipflichten 
kann, fo ift an feiner geundfäglich bier zum Ausdrud gebrachten Auffeffung uns 
gemein viel Braucdhbares. 


Damit tomme id 3u einem fchon in anderem Zufammenbange kurz erwähns 
ten GBefichtspuntt, der die zulegt bier ausgeführte Meinung vom Standpunkt des 
„primitiven Bemeinfchaftsgutes“ aus rechtfertigt. Warum bat man denn, wenn 
man fchon die Zeichen eines fremden Volkes übernahm, nicht aud die fremden 


104 Volt und Raffe. 1932, II 
EEE 


Llamen diefer Zeichen und die fremde Reihenfolge übernommen? Die Anordnung 
des alten Runenalphabetes war folgende: 


PNPRR< XPNE AL 


UHA RW @wru aig @® 


NASTBMMTSRM 


STBENnLNMOD 


PDPRRCNN GASP PITS PP 


M S WwW 


Die erften fechs Runen, nad) deren Anordnung das ganze Runenalphabet 
mit Sutback bezeichnet wird, haben im einzelnen folgende Llamen: 

1. fe(h); das Wort erfcheint im Altnordifden als fé in der Bedeutung 
»ieh, Gut, Geld“; got. faibu „Dieb, Dermögen, Geld“; es liegt indogerm. pecu, 
lateinifch pecu und pecus zugrunde ebenfalls in der Bedeutung ,,rperdentier“, 
davon abgeleitet pecunia das „Beld“. Es ift bezeichnend genug, daß die Rune 
nfe(h)“ in der germ. Schriftzeichenreihe am Anfange ftebt, war ja doch das durdh 
fie bezeichnete Dieb das Vermögen und die gefamte Dafeinsgrundlage Pich bals 
tender germanifcher Bauern. 

2. ur; der Auerochfe altnord. Arr Gen. Arar, angelfacdf. Ar, althodd. dro. 
Im £ateinifchen ift das Wort Lehnwort, die Römer lernten das Tier erft durch 
Cäfars Befchreibung fennen (wie fann man alfo ernftlid annehmen, die gers 
manifden Runen feien aus dem rdomifden Alphabet entlebnt 2). 

3. thorn; der Dorn, altnord. thorn, gotifh thaurnus, angelfacf. thorn, englifch 
thorn, althodd. Dorn. Das Wort gebt zurüd auf indogermanifd trno — fanftr. 
trna — in der Bedeutung ,,@rashalm, Gras. es fei hier befonders auf den 
bildbaften Charalter diefer ,DornsRune hingewiefen und ferner darauf, daß in 
der germanifden Mythologie dies die Rune des mächtigften unter den Afen, des 
Donnergottes DonarsThor gewefen ift. 

4.ask; die Lice, altnord. aftr ,,Z(che, Spief, tleines Sabrzeug, tleines Sag“; 
angelfadf. zeflt „Eiche, Spieß, Boot“, althochd. aff. Die Grundwurgzel ift indoc 
germ. 08 vgl. lateinifch ornus „Bergefche, Spieß“. 

5. reda (reida); Wegen, zugrunde liegt die indogerm. Wurzel reth 
„laufen“, damit verwandt ift fanftr. ratha „Wagen“ und die germanifche Brunds 
form ratha, althodd. rad. 

6. chan; der Kahn, altnord. kaena „eine Art Boot“, im Schwebdifchen bes 
zeichnet tana einen „Schlitten“, im Liorwegifchen kane eine Schale mit Hentel 
auf beiden Seiten, einen Beinen fchwanenförmigen Schöpfnapf, der im Biergefäß 
fhwimmt, im älteren Dänifchen bedeutet fane „Boot“, ebenfo mittelniederdeutfch 
kane „Boot“. 





———— 0 die ~_ 


1932, II Sriedrih Lüers, Die Runen. 105 








Schon aus diefen 6 Beifpielen ift ohne weiteres zu erfeben, daß es fich bier 
um die Bezeichnung von Dingen handelt, die dem Leben und der Umwelt des Miens 
fcben, bier des germanifchen, entftammen, die felbft auf einer noch primitiven Ruls 
turftufe von hervorragender Bedeutung für fein ganzes Dafein waren. 

Die Auffaffung der Runen als zum „primitiven Bemeinfchaftsgut‘‘ gehörig, 
findet noch 2 kräftige Stüten: 

Die vergleichende Sorfhung bat erwiefen, daß der Glaube vom göttlichen 
Urfprunge der Schrift ungemein weit verbreitet ift. Die Babylonier nannten als 
Gott der die Schrift erfunden und den Menfchen gegeben bat den abu, die Ars 
menier den Tiur, die Agypter den Thot. Die Germanen kennen als Erfinder der 
Runen Odin. Im Runenliede der Edda berichtet Odin felbft wie er fie mübevoli 
erfann. &s beißt dort „Runen wirft du finden und Ratftäbe, fehr ftarte Stäbe, 
febr mädhtige Stäbe, Erzredner erfann fie, fie ritge der berfte der SHerrfcher‘. Dann 
zahle Odin in 18 Derfen den Zauber auf, den er durch die Runen bewirlen Tann. 

Mertwürdig im böchften Grade ift, worauf $. R. Schröder in „Altgers 
manifcye Rulturprobleme“ (S. 49) binweift. Durdy Dermittlung der türkifchs 
tartarifchen Völker fei die Vorftellung vom göttlidhen Urfprunge der Schrift bis 
zu den Oftjaten im nördlichen Sibirien gelommen. „Diefe kennen eine Bottbeit, 
die fie den ‚Schreibermann‘ nennen; er gilt als der erfte Bebilfe des Himmelsgottes, 
und man glaubt, daß er im Himmel nur wenig tiefer als der Obergott felbft 
wohnt. Seine Aufgabe foll fein nad der Beftimmung des Obergottes in das 
Schickſalsbuch 3u fcreiben, wielange und unter welden Verbaltniffen ein Menfd 
auf Erden leben darf‘. Und beim Tode eines Mienfchen pflegen die Oftjaten zu 
fagen: ‚Seine vom Schreibermann aufgefchriebenen Tage find zu Ende. Ks ift 
Mar, daß diefer Bott aus der Sremde ftammt, da ein fchreibender Gott nicht unter 
einem Volk entfteben konnte, das felbft nicht fchriftlundig war.“ 

Ih babe fowohl in meiner „Volkstumstunde im Unterricht‘ (Srankfurt 
1934, Seite 25 und 31), als aud in „Sitte und Braud im Mienfchenleben“ 
(München 1927, Seite 230, 22 und 86), auf die böchft auffallende Abnlichkeit, je 
vielfah Übereinftimmung des oftjalifchen Brauchtums mit unferm eigenen bins 
gewiefen; id kann mich bier darüber nicht weiter verbreiten, docdy gibt es im Zus 
fammenbange mit der Schriftfrage und der Auffaffung von der göttlichen Hers 
tunft der Schrift zu denken. 

Schröder erwähnt in dem genannten Bude ausfubrlid aud die An: 
fdhauungen, wie fie bei den Relten und den Griechen über einen Bott der Schrift 
beftanden haben. 

Die andere Stüge bietet uns die Archäologie: In Megalithgräbern, die ins 
4. Jahrtaufend vor Chriftus gehören, fand man Beine Steindyen mit Zeichen, die 
mit Sicherheit als eine Buchftabenfchrift aufgefaßt werden müffen. Diefe Zeichen 
baben auffallende Abnlichkeit fowohl mit dem auf Rreta feftgeftellten ägadifchen 
Schriftipftem wie aud mit den germanifchen Runen. Die Erbauung von Mes 
galithgrabern ift ein ausgefprochen indogermanifcher Braud. Ls ift demnach 
anzunehmen, und zwar mit der gleichen Sicherheit, daß diefe iberifchen Schrifts 
fteinchen ebenfalls indogermanifchen Urfprungs find. Aus diefen unbeftreitbaren 
Tatfachen kann füglich weitergefchloffen werden, daß die Indogermanen eine Buchs 
ftabenfchrift zu einer Feit befagen, wo der Orient erft feine Bilderfchrift zu ges 
ftalten begann. M. Schufter fagt dazu in „Altertum und deutfche Rultuc’ (Wien 
1926, Seite 4233) „ift diefer Schluß richtig, fo läßt er die weitere Solgerung zu, 
daß die Runen nicht unter dem Einfluß des griehifchsrömifchen Alphabets ents 


106 Doll und Kaffe. 1932, II 








ftanden find (die Ahnlichkeit der Zeichen läßt fich aus der indogermanifden Gemein; 
famteit erklären), fondern „ein weit höheres Alter befitzen, ale man bisher meinte“. 
Damit find wir wieder beim „primitiven Gemeinfchaftsgut‘‘, diesmal von der 
archäologischen Seite ber, auch für die Runen angelangt. 

Zufammenfaffend läßt fi demnadh fagen: Die Germanen wie die anderen 
indogermanifchen Stämme befaßen offenbar vor ihrer Trennung die Grundlagen 
für Schriftzeichen und deren Kenntnis und baben fie felbftändig, ganz ihrer 
Mefensart entfprechend, weitergebildet und ausgebaut. Die kennzeichnenden Merks 
male des vollftändigen jüngeren Runenalphabets find die geraden und gebroches 
nen £inien gegenüber den runden Sormen etwa des lateinifdben Alphabets. Diefe 
germanifche Eigenart ift nicht durch eine fpätere romantifche, teutonifierende 
Schwärmere in die Runen bineingelegt worden, fondern fie ift als primitives 
Gemeinfdhaftsgut, oder wie ic es lieber bezeichnen möchte, alenaturgegebenes 
VDollsgut von Anfang an vorhanden gewefen. Es ift darum nicht zu ver: 
wundern, daß in der weiteren Entwidlung der Schrift in den fpäteren Jabrs 
hunderten die Kigenart des „Gebrochenen‘ in der Schriftform immer wieder zum 
BDucdhbruch kommt; bezeichnet man ja die deutfche Schrift der neueren Zeit nicht 
obne innerer und dußerer Berechtigung gegenüber der lateinifden Antiqua als 
deutfche Sraktur. Ks ift pfychologifch ungemein bezeichnend, daß in der 
. deutfden Sprache zum Ausdrude deffen, daß man einem andern gebörig die 
Meinung fagen will, die Redensart gebraudht: „Mit dem muß ich einmal Fraktur 
reden“. 

Die Antiqua mag für beftimmte befondere Sälle ihre Berechtigung auch zur 
gedrudten Wiedergabe der deutfchen Sprache haben, die Preisgabe der deutfchen 
Schrift aber wäre gleichbedeutend mit der Preisgabe einer deutfhen Eigen 
art, was dem deutfchen Volke unter allen Umftänden vom Auslande als Schwäche 
susgelegt würde, namentlich in einer Zeit, wo fogar das uns nicht freundlich 
gefinnte Ausland die deutfche Scakturfchrift in ausgedehntem MaKe verwendet. 





Erblidhe Samilientennzeiden im Dol€sglauben. 
Yon Paul Sartori, Dortmund. 


er Vollsmund weiß bier und da von beftimmten Samilien zu erzählen, deren 

Mitglieder ein Ldrperliches Rennzeichen aufzuweifen baben, das fie von allen 
andern ihrer Umgebung unterfcheidet. Befonders gewiffe vornebme Bes 
{dhledhter find auf diefe Weife ausgezeichnet. Dem RKonigsftamme der Meros 
winger (fie follten von einem tiergeftaltigen Wleerungebeuer abftammen) wuchfen 
Schweinsborften auf dem Rüden!). Der Samilie Rarls des Großen legte man 
ein befonderes Merkmal auf der rechten Schulter bei?). Kliady Marco Polo wurden 
in alten Zeiten alle Rönigsföhne eines nordindifchen Volkes mit einem Adlerbilde 
auf der rechten Schulter geboren. Die Jaitwas von Rajputäna leiten ihre Hers 
tunft von dem Affengott Hanuman ab; daher ift das Rüdgrat ihrer Sürften wie 
ein Schwanz verlängert?). Eine fpanifche Dame in Galicien wurde von einem 


1) Grimm, Deutfdhe Mythol.* 3, 324 f. 
2) Studien zur ven! Kiteraturgefchichte 5 (1905) 339. 
8) Croote, Popular religion and folklore of Northern India 285. 





1932, II Paul Sartori, Erblicdhe Samilientennzeichen im Voltsglauben. 107 


Meermann überrafcht und gebar einen außerordentlich ftarten Sohn. Seine Llachs 
tommen nannten fid) Marinos und follten an gewiffen Teilen des Körpers Schups 
pen wie Sifche haben). Ob ſolche Erfcheinungen irgend etwas mit Totemiss 
mus zu tun haben, wird wohl kaum zu entfcheiden fein. 

Dom Raifer Tiberius erzählt Sueton (Tib. 68), er Habe am Hinterkopf ziems 
lich berabbangendes Haar gebabt, fo daß es auch den Lladen bededte, „quod 
gentile in illo videbatur“. Der fdottifden Samilie der Campbells wird Sciefs 
mauligteit 3ugefcdrieben. Der bl. Syacinthus verfdaffte einmal durch fein Ges 
bet zwei blindgeborenen Zwillingsbrüdern des Gefdlecdtes VDitoslaweli in Polen 
Augen von Engeln, und feitdem follen alle ihre Llachlommen wunderfchöne Augen 
baben 5). Dem berühmten Gefdlechte der Wolfungen war ein fcharfer und durdhs 
dringender Blid eigen. Sigmund führt davon den Beinamen ,,Scdlangimauge 
(ormr i auga). In allen weftlichen Gemeinden Cornwalls bherrfdt feit undents 
lichen Zeiten eine große Abneigung gegen gewiffe rotbaarige Samilien, die für 
die Llachlommen von Dänen gelten®). Blondes Saar fchreibt Euripides’) als 
eine Samilieneigentumlichkeit den Mitgliedern des Atridenhaufes zu. Belegents 
lid verwendet auc die neuere Literatur derartige Züge. In dem Roman „Die 
Heilige und ihr Llarr‘‘ von Agnes Gunther ift in dem Gefchlecdte der Sürften von 
Brauned ein roter Streifen an den Händen erblidh. Die Heblmanns in Hermann 
£öns’ Roman „Der letzte Hansbur“ haben überzäblige Singer und zwei Haar⸗ 
wirbel. Die Rinder auf dem Gute Rosmersholm in Ibſens Drama ſchreien nie, 
und die Erwachſenen lachen nie. 

Auch außergewoͤhnliche koͤrperliche Faͤhigkeiten und Begabungen 
werden auf Vererbung zuruͤckgefuͤhrt. Die Wuͤrde des oberſten Rultbeamten von 
Eleuſis, des Hierophanten, erbte im Hauſe der Eumolpiden fort. Die ſchoͤne 
Stimme, die von ihm verlangt wurde, druͤckt ſich im Geſchlechtsnamen aus. Im 
Gebiete der Falisker gab es einige Familien der Hirpi, die bei dem jährlichen 
Apolloopfer uͤber einen brennenden Scheiterhaufen wandelten, ohne ſich zu ver⸗ 
letzen 8). Auch auf Raiatea (Neu⸗Seeland) kannte man eine Familie von erblichen 
Feuerdurchſchreitern 9). 

Vor allem war in aͤlteren Zeiten der Glaube verbreitet, daß gewiſſen Fa⸗ 
milien eine beſondere Heilkraft fuͤr beſtimmte Krankheiten innewohne. Die 
engliſchen Koͤnige heilten ſeit Eduard dem Bekenner durch ihre Beruͤhrung Skro⸗ 
feln 10), die franzoͤſiſchen Kroͤpfe, die ungariſchen Gelbſucht, die ſpaniſchen Bes 
ſeſſenheit 11). HSier haftet freilich die magiſche Rraft wohl mehr an der koͤnig⸗ 
lichen Wuͤrde und Weihe. Aber auch die Grafen von Habsburg heilten ſtam⸗ 
melnde Kinder durch einen Ruß, die von Alt⸗Rappersweil auf dieſelbe Weiſe 
ſolche, die in Gefahr ſtanden ſtumm oder blind zu werden 12), und in Italien gibt 


4) Menzel, Odin 131. 

5) Menzel, Chriftliche SGymbolit 3, 94. 

6 Courtney, Cornish feasts and folklore 14. 

") Iphigenia Taurica 52. 

8) Plinius, Natural. hist. 7,2. De Jong, D. antite Myfterienwefen? S. 325; 
vgl. S. 337. 

9) De Jong, ©. 347 

2 cy ha The vation bough 3, G. 368 ff. Abnlides außerhalb Europas: 
ebenda 
11) Ro hols, Alemann. Rinderlied, S. 323. Mitteil. d. fdlefifcen Gefellichaft 
far Dolkstunde 29 (192%) GS. 76. 

12) Rochholz a. g. O. 8 321. Vgl. auch Ztfchr. f. Dollstunde (Berlin) 7, S. 212. 


108 Volt und Kaffe. 1932, II 








es Samilien, denen die Sähigkeit zugefchrieben wird, beftimmte je nach dem Sas 
miliennamen wechfelnde Krankheiten zu beilen 13). 

Nicht immer ift das eigentumliche Kennzeichen allen Mitgliedern der Samilie 
eigen, fondern mandmal nur einem Teil oder einem einzigen. Die Mehr: 
zahl derer von der Samilie Warfufee bat ein Obr fo durdftocden, daß eine Lladel 
bindurddringen kann, ohne es zu verlegen. Dies Zeichen tragen fie feit dem 
Ritter Raes mit dem DBartelt). Als Mörder der „drei Angelfachfen“ (frommer 
Manner, deren Gebeine in dem Aauptaltar der Sarmensdorfer Pfarrkirche beiges 
fegt worden find) gelten Leute aus Boswil vom Gefdlechte der Viotter. Jeder 
Erftling, der in den hen diefer Derwandtfchaft geboren wird, foll mit einem 
roten Striemen um den Hales auf die Welt kommen (den drei Wärtyrern war der 
Ropf abgeſchlagen worden)15). Don der Samilie, die feit langen Jahren den 
Bauernhof Plüdesburg bei Hedingbaufen befigt, ift immer ein Glied einäugig 
geboren. Die Stammutter war eine Here, und ein Burfde ftadh ibr einft, als 
fie fih in eine Ratge verwandelt hatte, ein Auge aus 16). Cin Bauer fcdlug wider 
das Derbot feine Srau, eine Salige. Sie verließ ihn daher. Der Bauer aber bes 
tam feitdem das Stottern, und das ging auf alle fpäteren Befigerdes Haufes 
über 17), 

Golde Samilienmale — faft immer bandelt es fic ja um Mißbildungen oder 
Bebrecdhen — werden alfo oft als Solgen eines von einem Vorfahren begangenen 
Unredtes, vor allem gegen die Religion, erklärt. Die oft auf aberglaubifden 
Vorftellungen beruhenden Gefchichten, die man fich darüber erzählt, gehören in 
das umfangreiche Gebiet der Atiologifhen Sagen. Sie fegen im allgemeinen 
wohl voraus, daß die behauptete Erbeigentümlichkeit der betreffenden Samilie 
irgendeinen Anhalt in der Wirklichkeit bat. In Sriesland gibt es viele Leute, 
die am Ainterbaupte dide, greife Haare haben. Sie follen von den Mördern des 
Bonifatius abftammen 18). Dodon, der Mörder des bi. Lambert, hatte feds Sins 
ger an einer Hand, und Gott ftrafte fein ganzes Befchledht mit diefer Mißform 19). 
Dagegen den Flachlommen eines Ausbundes von Bosbeit namens Bürgel, der 
auf dem Suchsberge im Riefengebirge lebte, fehlten, wie der Vollsmund fagt, 
ein oder zwei Singer der rechten Hand 20). Die Peiniger des bi. Othmar, die 
Herren von Bodmann, follen in der Mehrzahl ihres Befchlechtes Ihadhafte Schens 
fel und Süße baben 21). Ein Jude in Würzburg fpie vor der vorübergetragenen 
Softie fluchend aus; da blieb der Speichel in feinem Barte hängen, und das ges 
{hab künftig jedesmal, wenn er ausfpudte. Das foll auch bei allen feinen Flachs 
kommen noch beute der Sall fein?2). Die Vorfahren der Einwohner des unteren 
Teiles des Dorfes Zeitun auf Malta lehnten einft die Belehrung durch den bi. 


13) Ztfchr. für Pollstunde 6, S. 337. 

14) Wolf, Hiederländ. Sagen S. 441 (369). | 

15) Zeitfchr. f. deutfche Mythol. 2, S. 236 (Aargau). Vgl. Handweörterbud des 
deutfchen Aberglaubens 2, Sp. 979. 

16) Schell, Bergifhe Sagen ©. 188 (119). 

17) Dernaleten, Mptben ufw. des Volles in Ofterreih 247. gl. aud ebenda 
245. Zingerle, Sagen ufw. aus Tirol 7. 

18) Wolf, Fliederländ. Sagen 4385. 

19) €benda 93. 

20) Ribnau, Sdhlefifhe Gagen 2, 610. 

21) Birlinger, Aus Schwaben 3, 38 f. 

22) Seitfer. f. deutice Mythologie 3, 67. 





Km ‘hp. ee — 


1932, II Paul Sartori, Erblidhe Samilientennzeichen im Volteglauben. 109 
GEBPESE FRE ee ee 


Paulus ab und ftampften dabei zornig auf. Da triegten fie Plattfüße und ver: 
erbten diefe an Rinder und Rindestinder ?3). 

In Deutichland kommt es öfters vor, 88 Tierquäler in ihren Klachs 
"kommen auf folche Wdeife geftraft werden. in Meyger fchnitt den Rälbern gern 
die Augen aus oder verletzte fie daran. Da wurden er und feine Liachlommen 
fchielig. Die eines Mannes, der Odgeln die Zunge ausriß oder durchftieß, wurden 
alle tumm 2%). 

In vielen Sällen ift der Börperliche Samilienfchaden die Solge eines ausdruds 
liden Sludes oder einer Derwuinfdung 25). Doc ift die Wirkung eines 
foldyen Stucyes mitunter zeitlich begrenzt. Kine angellagte Stau ſchwoͤrt: 
„Gott firafe mich und meine Llachlommen bis ins dritte und vierte Glied, wenn 
id) falfd geweift babe“. lady Jahresfrift ift ihre rechte Gand ganz krumm 
gezogen. Fhren Rindern fehlte an jeder Hand das letzte Blied, ebenfo den Enteln. 
€rft dem Urentel ward ein Gobn mit ganz wohlgebildeten Sänden geboren ?6). 
Line von der fhwangeren Bäuerin abgewiefene Bettlerin verwünfcht den Eins 
Sohof Schwendt im Thierfee: „Bis auf den neunten Stum (Stamm) labm und 
krumm 7). Auch Japan liefert ein paar Beifpiele diefer Einzelheit. Ein Soldat 
bieb einem Priefter das rechte Bein ab. Im Sterben rief diefer, er werde an dem 
Goldaten und an feinen Klachlommen bis ins fiebente Blied Rache üben. Der 
Soldat wird infolgedeffen am rechten Suge lahm, und den folgenden Befchlechs 
tern ging es ebenfo28), Herr Afai tötet im Zorn feine Llebenfrau, nachdem er 
tbe vorber ihr linkes Auge ausgefchlagen bat. Infolge ihrer Derwünfdhung vers 
liert auch er fein linkes Auge und ftirbt bald darauf. Seitdem find durch feds 
Generationen hindurd alle Adupter feines Befchlechtes, fobald fie das Alter von 
vierzig Jahren erreicht batten, — fo alt war ihr Ahnberr zur Zeit jener Bes 
gebenbeit — erft erblindet und dann febr bald geftorben 2%). 

Aud will man wohl einmal eine Abfh wächung des Samilientennzeichens 
wahrgenommen baben. lac einer maltefifchen Legende erhielten Wienfchen, die 
nad dem Kern fpudten, als er den Ralvarienberg binanftieg, diigefchwollene 
Lippen; ibre Klacdhlommen erkennt man noch beute, obwohl die fippen etwas 
Meiner geworden find30). Es wird audy von Sällen erzählt, in denen das Renns 
zeichen einige Benerationen überfpringt. Plutard>1) macht darauf aufmerts 
fan, daß öfters Warzen, fchwarze Stellen und £eberfleden von Vätern, die bei 
Söhnen verfhwunden waren, bei Enteln wieder auftauchten. Don den Rindern 
des Thebaners Python, der mit dem Gefchlechte der Sparten verwandt fein follte 
und zu Plutarchs Zeiten ftarb, zeigte eines das Bild einer Lanze an feinem Kors 
per. Die Sparten aber — der Sage nad ftammten fie von den Dradenzabnen 
ber, die Radmos gefäet hatte — follten als Muttermal eine Lanze tragen 52). 


3) Dabnbardt, Maturfagen 2, 194. 
24) Birlinger U, Schwaben ı, 77. Abnlib: Shambabhs Müller, Flieders 
: a 243. Bander, VDollsfagen aus dem Lande Baden 184. 

35) 5. B. Mitteil. d. fchlef. Gefellih. f. Woltsk. 30, 98. Rugwurm, SGagen aus 
apfel 141. Dgl. Handwörterbuch d. deutichen Aberglaubens 2, 1646. 

26) Rübnau, Sclef. Sagen 3, 400. 

27) Alpenburg, Deutide Alpenfagen 25. 

%) Brauns Japanifhe Marden und Sagen 426. 

29) £bd. 425 f. 

5°) Débnbardt, — — 2, 196. 

31) De sera numinis vindicta 2]. 


32) Roſcher, Lexikon der griech. u. roͤm Mythologie 2, 240. 


110 Doll und Kaffe. . 1932, II 
LE 


Gewöhnlich ift es der Vater, von dem das Kennzeichen vererbt wird, nicht 
felten aber aud die Mutter. Allen fonft tüchtigen Rindern des Blüds- Anders 
im norwegifden Marden fehlt das oberfte Glied am linken Beinen Singer. Ihre 
Mutter war als Rind in den Berg zu den Robolden verzaubert, wo ihr nichts 
gefchehen war, als daß fie jenes Glied verloren hatte 53). Alle Heren find triefs 
Augig und haben rote, entzüundete Augenlider; fie haben das von ihren Müttern 
ererbt und pflanzen es ebenfo wieder auf ihre Kinder fort 54). Jn Wurzburg 
erfchoß fid ein verfchmähter Anbeter vor den Augen feiner der erften Entbindung 
entgegenfebenden ®eliebten. Die Erfchrodene griff nady ihrem Hinterbaupt, und 
die berührte Lode wurde plöglich grau. Ihre Tochter hatte fchon bei ibrer Ges 
burt eine graue Aaarlode, und das ift feitdem bei allen Gliedern der Samilie der 
Sall. Der Derfhmähte hatte der Geliebten, ebe er fi) das Leben nabm, mit einem 
ewigen Dentmal feiner Todesftunde gedrobht 35). Aier bat fic die betannte Dolls: 
anfdauung vom ,,Derfeben der Schwangeren eingemifcht, nach der am Kore 
per dea Rindes fidh ein Mal an derfelben Stelle zeigt, nach der die Mutter an 
ihrem eigenen Körper im Schreden gegriffen bat. 

Auf die etwaige Richtigkeit oder Unrichtigkeit der angeführten Erfcheinums 
gen foll bier nicht eingegangen werden. &s war nur die Abficht, die Anfchauungen 
des Volles, und was feine Aufmerkfamteit erregt und es zu Deutungen verans 
laßt bat, an einigen Beifpielen vorzuführen. 


Ehevermittlung. 


Don Dr. phil. et med. Lothar Gottlieb Tirala, Brünn. 


n der Bevölkerung des Deutfchen Reiches lebten Mitte 1927 etwa 16,4 Mils 

lionen gebarfabige Srauen, d. b. folche im Alter von 15—45 Jahren. Das 
find 3 Millionen Srauen mebr, als es bei einer gleidhgroßen, normalen Bevdller 
rung von 631/, Millionen eigentlich der Sall fein dürfte. 

Im Jahre 1930 waren von 100 Srauen diefes Alters 51,700 verheiratet, 
jetzt find es nur 48,300. &s find mithin 1,3 Millionen Srauen prattifd von der 
Che und nach unferen derzeit gultigen Moralgrundfagen von der Sortpflanzung 
susgefchaltet. 

Dürfen wir auf die Sortpflanzung diefer Srauen verzichten? Streichen wir 
fie aus dem Leben unferes Volkes? In dem Augenblid, da alle Einfichtigen rufen: 
das deutfche Volk erhält nicht mehr feinen Bevdllerungsbefigftand, es fchrumpft 
ein, es ftirbti Denn es werden rund 250000 Rinder jährlich Zu wenig geboren, 
um auch nur den derzeitigen Befigftand unferes Volkes zu erhalten. 

Zur Erläuterung mögen einige Zahlen dienen: 

Im Jahre 1933 kamen auf 1000 Stauen im Alter von 15—45 Jahren überhaupt 


120 Geburten 
„ „ 1923 en ee ee ee ae en OR os 
” „ 1924 Be ea lan Kal re ee ne 79 u 
” „ 38927 se ° 70 „ 


auf 1000 verheiratete Scauen ‘aber fonmen gleichzeitig — 1850 Geburten. 


83) Stroebe, wege Volksmaͤrchen 2, 263. 
34) Rohhols, Schweizerfagen 3, $2. 
85) Zeitſchr. ſ. deutſche —— 3, 62 f. 


1932, II Lotbar Gottlieb Tirala, Ebevermittlung. 111 
Po a Ee ee a EEE re lg Se ee er Ge ee oe eee) 





Wenn es uns alfo gelänge, auch nur ein Drittel des fogenannten Srauens 
überfchuffes zu verbeiraten, fo könnten wir unfer biologifdes GeburtensGoll 
wieder auf die normale Adbe bringen. 

Flicht die Junggefellenfteuer, Clternverfiderung, Stills und Geburtenprds 
mien, Ecbrecht und Vollbürgerrecht für Rinderreiche, kurz all die Maßnahmen, die 
fdon im alten Rom fich als vergeblich berausgeftellt haben, werden uns weiter 
bringen, fondern nur die biologifche Erfaffung des Srauenüberfchuffes und der 
Junggefellen in den mittleren und böberen Befellfchaftsfchichten. 

Während bei den unteren und mittleren Beamten 3. B. rund 1/19 unvers 
beiratet ift, find bei den böberen Beamten rund 16% unverbeiratet. Der Grund 
ift offenfichtlih. Je fpäter einer heiraten kann, defto fchwerer entfchließt er fich 
dazu. Prüfungen, lange Studien, viel geiftige Arbeit, gleihfam unter erhöhten 
Drud, ProjeltsTerminsBilanzsArbeiten laffen die Luft zu heiraten erlalten und 
nehmen auch die Möglichkeit, fich in der be anzupaffen, tursum Glud zu fpens 
den und Blüd zu empfangen, felbft wenn der Betreffende fchon eine entfprechende 
Stau gefunden bat. Wenn dann die Paare mit 35 Jahren oder noch fpäter 
beiraten, baben fie alle möglichen Ausreden vor ihrem eigenen GBewiffen, keine 
Rinder mehr in die Welt zu fegen und aufzuziehen — zu ihrem Troft könnte man 
ihnen allerdings fagen, daß 3. B. Darwin und Lamard aus dem 44. Jahre der 
Mutter und dem 42. des Vaters ftammen, Siegfried Wagner fogar aus dem 
56. des Daters ufw. Die inneren Hemmungen derartig uberderanewoortliger 
könnte man wirklich mit Erfolg betämpfen. 

£s drängt fi daber einem jeden normal denkenden Menfden im AHinblid 
auf diefe Tatfachen der Bedankte auf: fo verbeiraten wir doch diefe Millionen 
Stauen. Dazu braudht man — allerdings nur bei einer monogamen Gefellfchaftes 
Sorm — die entfprechende Anzahl Männer. Werden diefe aber nicht die Ehever⸗ 
mittlung in jeder Sorm ablehnen? Die Erfahrung beweift das Gegenteil. Nach 
R. Setfcher find unter 3243 Ehebewerbern durch die Zeitung 16% Akademiker 
und 70%0 in den Berufen des gebildeten Mittelftandes, Kaufleute, Beamte und 
$% felbftändige Gewerbetreibende. In der Monatsfchrift „Die Sonne“, weldye 
ein nordifches Anzeigeblatt mit herausgibt, fand ich unter den ebefuchenden Mans 
nern gar 70% mittlerer und höherer Berufe, darunter 5800 mit Hocdfdulbildung. 
Der befte Beweis für meine Behauptung, daß in diefen Schichten, wo es mehr 
Junggefellen als unter den niedrigeren Schichten gibt, auch mehr Verlangen nach 
Syeiratspermittlung beftebt, daß alfo unfere Beftrebungen auf fruchtbaren Boden 
fallen werden. 

Ic) erinnere nochmals, daß 3. B. 20% der höheren Beamten ledig ift. Man 
kann nicht behaupten, daß diefe Männer aus innerem Antrieb oder Veranlagung 
ledig bleiben, fondern es find dafür meiftens die Außeren Umftände maßgebend. 

Gehen wir von der allgemeinen Statiftit in die eigene Umwelt, fo find da 
etwa 20—250/0 aller männlichen Belannten unverhbeiratet; mebr als die AHAlfte 
von ihnen find folche, die gern heiraten würden, oder gebeiratet batten und nur 
weil fie keine richtige Ebegefponfin gefunden haben, ledig geblieben find. Gerade 
unter der aufftrebenden aber überlafteten Sührerfchaft gibt es fo viele, die die Übers 
fahrt verfäumen. 

Diefe, gewöhnlich an Charakter und Intelligenz hochwertigen Wiänner, welche 
in den Laboratorien, Inftituten, Arbeitezimmern, Adrfalen, Büros ufw. bis zum 
fpäten Abend arbeiten, kommen fo baufig gar nidt dazu, wertvolle Srauen kennen 
zu lernen. Leidtfinnige Weiber wollen fie nicht heiraten, die fie im Kaffeehaus 


112 Volt und Raffe. 1932, II 
———— ee ee 





oder auf einer Tanzdiele ohne Schwierigkeiten kennen lernen koͤnnen, — mit denen 
kann man im beſten Fall einen Flirt, ein kurzes Verhaͤltnis haben —, aber die 
heiratet man nicht. Auf der anderen Seite gibt es ſo viele wertvolle, ſchoͤne und 
geſunde Frauen, die in der Pflege ihrer kranken Eltern oder Verwandten, oder 
verſchanzt hinter der Schreibmaſchine eines Buͤros gar niemals Gelegenheit haben, 
gleichwertige Maͤnner kennen zu lernen. Iſt doch 3. B. geradezu eine koͤrperliche 
und geiſtige Ausleſe von Frauen — Poſt⸗, Telegraphs und Telephonbeamtinnen — 
in Deutſchland zum Zoͤlibat verurteilt und in vielen anderen Gruppen iſt es aͤhnlich. 

Wir muͤſſen uns auch uͤberlegen, wie in normalen Verhaͤltniſſen das Rennen⸗ 
lernen und die Brautwerbung vor ſich geht. Am Dorf, in der Rleinſtadt kennt 
einer den andern. Je mehr Leute aber in einer Großſtadt beiſammen wohnen, 
deſto einſamer iſt der Einzelne. Wenn heutzutage jemand wirklich einſam ſein will, 
dann taucht er in der Großſtadt unter. Niemand kuͤmmert ſich um ihn, einſam und 
allein iſt er in dem Gewuͤhle der Millionen. Der Bauernburſch aber, der kennt von 
den verſchiedenen Dorftanzereien und aus der „Freundſchaft“ ſelbſt auf kleinen 
Dörfern 40—50 Mädchen, unter denen er fich feine Zukünftige ausfuchen kann. 
Melcer frädtifche Mann kennt 40—50 Mädchen, unter denen er wählen kann? 
£r fiebt natürlich viel mehr als der Dorfbewohner oder der Rleinftädter, aber der 
Strom des großftädtifchen Lebens führt fie an ibm fo rafch vorbei, daß er keine 
Möglichkeit findet, eine größere Anzabl wirklich kennen zu lernen. Ich erinnere 
ferner daran, daß es noch in den fiebenbürgifchen Dörfern geradezu einen Aeirats: 
marlt gibt. Die Mädchen fommen mit ihrer Ausfteuer angefahren, mit Riften 
oder Truben voll Wäfche und fonftigen SHausrates. Die Trube wird auf dem 
Platz abgeladen, das Mädchen fetzt fich darauf und wartet den Vormittag mit 
ihren gleichgefinnten Rameradinnen,- bis ein Sreier tommt. Reine wird dadurch 
entwertet, aber bei unferen bürgerlichen Mädchen gilt es als Schande, wenn eine 
merken läßt, daß fie beiraten will. 

Wenn wir es aud nicht fo primitiv geftalten wollen, wir müffen doch 
wenigftens wiffen, wer beiraten will und kann. 

Hun befteben ja in Wirklichkeit, der allgemeinen Zwangslage entfprecdyend, 
einige moderne Arten der Ebevermittlung. Doran die AHeiratsgefuche und Heirates 
anzeigen in den gelefenen Tageszeitungen der bürgerlichen Preffe. In den fozias 
liftifcben Blättern fehlen diefe, weil Aeiratsgefuche nach fozialiftifcher Doltrine 
— fiehe Bebel: Die Stau und der Sozialismus — unfittlich feien. Ich weiß aus 
Erfahrung (Wien 1907), daß ein normales KYeiratsgefuch eines 28 jährigen Mans 
nes in einer gelefenen Wiener Zeitung mit ungefähr 20—30 Briefen verfchiedener 
Mädchen, Srauen und Witwen beantwortet wurde. Die Srauen ftammten alle aus 
den unteren Schichten der Bevölkerung, weil die intelligenten und wertvollen das 
Wagnis einer folben Ehevermittlung fdeuen. Wenn man die Heiratsgefuche aus 
den Zeitungen zufammenftellt, findet man bedeutend mehr Manner als Srauen 
unter den Gefucftellern; fo find nah AR. Setfcher unter 2963 folder Befuche 
50,30,0 von Männern und 43,7% von Srauen, nach Werner unter 1302 Heiratss 
anzeigen 727 von Mannern (rund 56%) und nur 457 von Srauen (0. f. 35%), 
der Reft ftammt von Heiratsvermittlern. 

Lieben den Heiratsgefuchen in den Tageszeitungen gibt es aud eigene Heirate- 
zeitungen. In Deutfchland gibt es ungefähr 1/; Dutzend foldyer Zeitungen, dars 
unter ein „Beamtenbeiratsblatt“, in welchem lediglich Anzeigen deutfcher Staates, 
Bemeindes und Privatbeamten Aufnahme finden. Die Gefuche machen fehr häufig 
einen recht guten Eindrud; die Bewerber fuchen einen begefährten mit ganz 


1932, II | Lothar Gottlieb Tirala, Ebevermittlung. 113 
eam a EEE RTE eS ELE SN SE TEE) 





—— ſeeliſchen Eigenſchaften. Auslanddeutſche ſuchen dort nicht ſelten nach 
einer Frau. — 

Dieſe Heiratszeitungen werden ſich halten und ſicherlich noch an Bedeutung 
zunehmen, weil wirklich Gruͤnde fuͤr ihr Beſtehen gegeben ſind, die ich ja zum 
Teil vorher eroͤrtert habe. 

Es gibt drittens in den großen Staͤdten Deutſchlands Hunderte konzeſſionierte 
Ebevermittlungsbüros — in Stuttgart allein 36 —. 

Kin kurzer Hinweis auf die „Schadchen“ bei den Juden, die gewerbsmäßigen 
£bevermittler, welche in den beften und reichften Samilien auss und eingeben, 
möge genügen. 

Schließlich haben wir bereits einige Verfuche einer amtlichen Ehevermittlung. 
Löwenfeld!) forderte als erfter eine ehrenamtliche Dermittlung in Ebeangelegens 
beiten. Ibm fchloffen fid Thewalt, Stighr, Rubn und Spinner an. 

Zwei wichtige Derfuche diefer Art find bereits unternommen worden: der 
Srauenbund der deutfchen Rolonialgefellfchaft beförderte 2253 Mädchen in die 
Rolonien, die dort bei den Mangel an Srauen rafch geheiratet wurden. Die Mä&ds 
den waren durd) Dertrauensmanner und «frauen forgfältig ausgewählt worden. 

Ebenſo bewährte fich die Magdeburger Rriegerwitwenberatungsftelle als 
amtliche Ehevermittlungsftelle. Der Leiter des Amtes fab ein, daß er den Krieger: 
witwen am beften dann helfe, wenn er ihre Wiederverebelichung fördere. Er vers 
mittelte erfolgreich Belanntfchaften und war bald von Srauen aus ganz Deutfchs 
land fo überlaufen, daß er feine Tätigkeit einftellte — anftatt fie unter dem Beifall 
aller Einfichtigen fortzufetzen. 

Mährend faft alle ficb eine amtliche Ebevermittlung als ein ftaatlicdes 
Inftitut vorftellen, fchlage ich vor, nadhdem ich jahrelang mit allen möglichen 
Stellen und Perfönlichkeiten über die Gründung folcher Inftitute verhandelt habe, 
Daß die verfchiedenen GBefellichaften für Raffenbygiene, Eugenit, Dollsgefundbeit, 
Aufartung, Samilienforfhung und ähnliche fich zu einer Arbeitsgemeinfchaft zu: 
fammenfcdliegen mögen und in jeder deutfchen Stadt, wo eine oder die andere 
GSefellfchaft vorhanden ift, eine Abteilung für Chevermittlung eröffneten. 

Ein angefebener Mann und eine ebenfolde Srau follen die Dorfigenden fein, 
im Ausfchuß zwei Arzte, zwei Juriften und einige Manner und Srauen aus allen 
Sdhidten, womdglid auch ein wiffenfdaftlidy gebildeter Graphologe. 

Der Bewerber oder die Bewerberin legen ihrem Syeiratsanfuchen zwei Photos 
grapbien und zwei Schriftproben bei nebft einer kurzen Lebensbefchreibung, in 
der auch körperliche und geiftige Kigenfchaften, Anlagen, Liebbabereien und Sor: 
derungen an den Ehegefährten geftellt werden, natürlich auch ein Gefundbeits: 
zeugnis; — als faft noch wichtiger balte id die Belanntgabe der Samilientrant: 


1) £öwenfeld, Ehrenamtliche Vermittlung in Ebeangelegenbeiten, neue Generation 
1918, & 9. — Mataja, Heiratspermittlung u. Heiratsanzeigen, Dunder u. Aumblot, 
Münden u. Keipsig 1920. — Thewalt, Archiv für Raffens u. Gef. Biol. 1916. — 
Stigler, Die vollsgefundheitliche Bedeutung einer ftaatl. Ebevermittlung, Wien. med. 
W. 1918. — Ebevermittlung, Die neue Generation 1920, S. 186. — Rubn, Ebeförderung 
u. Raffenbygiene i. d. Rolonien. Offentl. Befundheitspflege 1919, S. 162. Uber ametl. €hes 
vermittlung, Offentl. Befundbeitspflege 1919, GS. 221. — Briegerwitwenberatungsftelle: 

1. 5. Harmen, Die amtl. Magdeburg. Heiratspermittlung für Rriegerwitwen. Vers 
Öff. Mediz. Derw. 22, 257, 1926. — Ebegefuche von R. Setfaer in dem Sammelwert: 
Die €bhe, von M. Marcufe, Berlin 1927. — B. Sdhulgestlaumburg Das Lbes 
problem der nordifchen Rafte in der Monatsfchrift „Die Sonne“ Januar 1932. 


Doff und Baffe. 1932. April. 8 


114 Volt und Kaffe. 1932, II 





beiten, 3. 8. Schizophrenie, Melancholie, Selbftvernichtungstrieb, gebäuftes Vor: 
tommen von Krebs, Tubertulofe ufw. 

Der Vorftand fieht die Befuche durch, ordnet fie und fann fdon da naturlid 
eine gewiffe raffenbygienifche Auswahl vornehmen und [ddt 3. B. die betreffende 
Stau ein, in die von ibm als paffend erachteten Befuce Einblid zu nehmen. 
Außerdem verftändigt er die dem Befuche entfprechenden Männer, fie mögen in 
das Anfuchen der betreffenden Srau Einblid nehmen. Ylatürlich muß das unter 
firenger Wabrung des Taltes und der Derfchwiegenbeit gefcheben. Ehrenwörts 
lie Schweigepfliht! Die Manner follen ebenfo wie die Srauen nicht wiffen, 
wer diefes oder jenes Befuch bereits gefeben bat. Wollen Mann und Srau nad 
Einblid in das Befuch fich kennen lernen, fo kann die perfönliche Belanntichaft 
vermittelt werden. Damit ift die Aufgabe der Anbabnungaftelle beendet. 


Aus der raffenhygienifden Bewegung. 


Kine großzügige Durdführung raffenbygienifcher Maßnahmen in der Praris bat zum 
erften Male die Reiheführung der Schutftaffel SS der 11.9.D.A.P. begonnen, wie aus 
dem im folgenden wiedergegebenen Befehle der Reihefübrung bervorgebt. Biefer Maßs 
nahme fommt darum befondere Bedeutung zu, weil die SS heute ein Derband von 25.000 
im Ainblide auf ihre Tüchtigleit eigens ausgelefenen jungen Männern ift. 

Der Reicheführer SS. Münden, den 31. Dezember 1931. 
SS — Befehl — A — Fir. 68. 

1. Die SS ift ein nach befonderen Befichtspuntten ausgewählter Verband deutfcher 

nordifchsbeftimmter Männer. 

2. Entfpredhend der nationalfozialiftifichen Weltanfhauung und in der Erkenntnis, 

daß die Zukunft unferes Volles in der Auslefe und Erhaltung des raffifch und erbs 
fundheitli guten Blutes berubt, führe ih mit Wirkung vom 1. Januar 1932 
für alle unverbeirateten Angehörigen der SS die „Heiratsgenehmigung“ ein. 

3. Das erftrebte Ziel ift die erbgefundheitlid wertvolle Sippe deutfcher nordifchs 

beftimmter Art. 

4. Die Seiratsgenehmigung wird einzig und allein nad raffiichen und erbgefundheits 

lihen Gefichtspuntten erteilt oder verweigert. 

b. Jeder SSsMann, der zu heiraten beabfichtigt, bat hierzu die Aeciratsgenebmigung 

des Reichsführere»sSS einzuholen. 

6. SSsAngebörige, die bei BE BL Und der Aeiratsgenehmigung trogdem heiraten, 

werden aus der SS geftrichen; der Austritt wird ihnen freigeftellt. 

7. Die gomacmate Bearbeitung der Aeiratagefude ift Aufgabe des „Aaffeamtes“ 

der ; 


2. Das Raffeamt der SS führt das „Sippenbuch der SS“, in das die Samilien der 
SSsAngebörigen nach Erteilung der Feiratsgenebmigung oder Bejabung des Lins 
tragungsgefudes eingetragen werden. 

9. Der ReichesführersSS, der Leiter des Raffeamtes und die Referenten diefes Amtes 
find ebrenwörtlid zur Verfchwiegenbeit verpflichtet. 

10. Die SS ift fich darüber Mar, daß fie mit diefem Befehl einen Schritt von großer 
Bedeutung getan bat. Spott, Hohn und Mißverfteben berühren uns nicht; die 


Sulunft gebort uns! 
Der ReicheführersSS. ge. 9. Himmler. 
Anlagen: 
Ausführungebeftimmungen. 
Mufter einer Abftammungstafel. 
Mufter des Befuches um Heirstsgenehmigung. 





1932, II Aus der caffenbygienifdhen Bewegung. 115 
EEE) 


Ausfühbrungsbeftimmungen 
zum SSs Befehl — A — Fir. 65 vom 31. Dezember 1931. 


§. SSsAngehdrige, die zu heiraten beabfichtigen, haben diefe Abficht mindeftens drei 
Mionate vorher an den ReichsführersSS zu melden. 
2. Vlad Eingang diefer Meldung werden dem Hteldenden die Unterlagen, die für 
das Gefud um AHeirategenebmigung notwendig find, zugefandt. 
3. Die Unterlagen beftehen aus den Abftammungstafeln und dem Mufter eines Erb» 
u 
e Gefuchfteller hat dem Gefuh um AHeiratsgenehbmigung beizulegen: 
die Abftammungstafeln von fih und feiner Braut, 
die Erbgefundheitszeugniffe von fid und feiner Braut, 
die lidenlofen Leumundszeugniffe von fic und feiner Braut, 
die ludenlofen, ausfibrliden Lebensläufe von fich und feiner Braut. 
Gefude um “eiratsgenebmigung und Anlage given in gefdloffenen verfiegelten 
Briefumfchlägen auf den Dienftwege an den AReidsfihrersSS. 
. Der — ührer⸗SS gibt Geſuch und Anlagen an das Raſſeamt zur Bearbeitung 
und Prufung. 
. lad erfolgter Bearbeitung und Prüfung wird das Gefuch dem ReicheführersSS 
zur Entfcheidung vorgelegt. 
. Mad erfolgter Zuftimmung wird der Gefuchfteller und feine Samilie in das 
„Bippenbuch der SS“ eingetragen. 
3. Allen anderen Angehörigen der SS (verheiratet oder nicht verheiratet) ftebt es frei, 
unter Einreichung derfelben Unterlagen die Eintragung in das Sippenbucdh der 


SS zu beantragen. 
Der Reicheführen-: SS. ges. 9. Himmler. 


“a © oa 


Ein ergänzender Befehl befagt: 

}. SSsManner, die vor dem 8. Januar 1932, dem Tag der Belanntgabe des SS Bes 
feblessA sFr. 65 (Siratsgenebmigung), bereits verlobt waren, brauchen nicht um 
Fyeiratsgenebmigung einzugeben, da grundfäglich in beftebende Rechtaverhaltniffe 
nidt cingegriffen wird. 

2. Zu den Ausführungsbeftimmungen, Ziffer 1: Der SSsAngebörige, der zu beis 
raten beabfichtigt, bat diefe Abfiht mindeftens 3 Monate vor der Derlobung 
an den Reichsführer SS zu melden, da die Verlobung bereits ein Rectsalt ift. Die 
Genehmigung ift alfo vor diefem Rechtsalte einzuholen. 


* 
Raſſenbygieniſche Maßnabmen in Indien. Um dem Geburtenruͤckgange zu ſteuern, 
ſoll auf Verfuͤgung des Maharadſcha von Raſchmir von nun ab jeder Vater eines neugeborenen 


Rindes ein Hektar Land erhalten. Die Bevölkerung wird gleichzeitig durch Flugſchriften 
und Plakate auf die Gefahr der Rinderloſigkeit hingewieſen. 


Oeburtenrüdgang im ı. Halbjahr 1931. Mak dem vorlaͤufigen Berichte des ſtatiſti⸗ 
feben Reihsamtes wurden im 3. Aalbjabre 193) im Deutfchen Reiche 30 000 Eben weniger 

efdloffen, gemeffen an der gleichen Zeit des Dorjabres. Diefe im wefentliden surdh die 
Reigende Wirtfchaftstrife bedingte Ericheinung bat im Gefolge, daß rund 45 000 Rinder in 
dem vergangenen AHalbjabre nidt zur Welt tamen im Gegenfage zur gleichen Zeit des Dors 
jahres. Da die Heiratsziffer der gefamten Broßftädte noch um 4090 binter dem Reichee 
durdfdnitte liegt, mus man fdliefen, daß diefes „Defizit“ an Geburten im ganzen Reiches 
gebiet (1930, 3. Halbjabr: 214658; 1933, 3. Halbjahr: 143704) faft ausfchließlich vom 
Kande und der Rleinftadt getragen werden muß. 


32 Mill. for Geiftestrante. Auf oer Te nq des Breifes Schwaben wurde auch über 
die SHeils und Pflegeanftalten des Kreifes berichtet. Die 28500 Beiftestranten Bayerns 
koften den baperifhen Staat jährlih gs Mill. Reihsmart. Der Anteil des Rreifee Schwaben 
an der Gefamtzahl der Geiftestranten ift fehr body. 

Ob die fog. „offene Sürforge“, die zu einer Derminderung des Rrantenitandes geführt 
bat, das Übel an der WOurzel und ein Zurudgeben der I der Geiftestranten bewirtt, 
ift ftark anzuzweifeln, wenn nit vor Entlaffung aus der Anftalt die betreffenden Aranten 
fterilifiert werden. 

3* 


116 Volt und Kaffe. 1932, II 








Internationaler Raffenbygieniter-Bongreß 1932. In diefem Jabre findet in 
nung I dem 6. Dererbungss Rongreß, der in Itbaca, im Staate Lieuyork abgehalten 
wird, ein Rongreß der Raffenbygieniter aller Weltteile ftatt. Der Tagungsplan zeigt an, 
daß die Raffenbygiene in zwei Gruppen geteilt wird; die gefellfhaftlidde und praktifche 
ARiühtung wird in Lleuyork befproden; die Abteilung für mentehliche Dererbungslebre wird 
ihre Sragen auf dem gleichzeitig ftattfindenden Rongreß der GBenetiler in Ithaca behandeln. 
£ine forgfältig angelegte Ausitellung foll befonders die erblichen und patbologifhen Zus 
fammenbhänge umfalfen, damit die Arztefchaft die bisher den rafjenbygienifchen Beftreb 

nod etwas fern ftand, auf die Wichtigkeit diefer Sragen bingewiefen werde. Daneben foll 
ein Tag in Goldfpring Marbour verbradht werden, um das dortige raffenbygieniide Urs 
tundenamt und die vielen beadhtenswerten Unterfudungen des CarnegiesInftituts far Ders 
erbungslehre unter dem Direttor Prof. Davenport 3u bejidtigen. Der Gekretdr des 3.$.2.0. 
Dr. 9. 9. Laugbin, Eugenifches Urkundenamt, Goldfpring Harbour, Long Island, Fleus 


york, U.S.4., bittet um Nachrichten über Sortfchritte der raffenbygienifchen Bewegung in- 


den verfehiedenen Ländern, um diefe auf die Tagesordnung des Rongreffes fetzen zu können. 


Aus: The Eugenics Review. 


In Band 23 ©. 117—1236 berihtet Eldon Moore („Unfere nationalen 
Laften“) über die Erbebung des Mental Deficiency Committee, eines ges 
mifchten Ausfchuffes er Board of Education and Board of Control. Die 
Unterfuchung, die fih auf 6 Bezirke mit etwa 300000 Einwohnern beziebt, geftattet fich 
ein annäberndes Bild der Verbreitung des Schwachlfinns in England zu machen. Danach 
feheint der Shwahjfinn in England auf dem Lande verbreiteter zu fein als in der Stadt. 
Die Zahl der eee betrug in den unterfuchten ländlichen Bezirken faft 10,679/o0, 
in den ftädtifchen annähernd 6,489/o,. Im Durdhfanitt der Bevdllerung wird man etwea 
8% oo in Rechnung ftellen Lonnen, was auf ganz England tbertragen 314 000 geiftig Minders 
wertige jeden Alters und Grades ausmadt. Dabei find Gerftestrante, Cpileptiter und 
Pfycdopathen nidt einberechnet. Da nad einem Bericht der Böniglichen KRommiffion vom 
Jahre 3906 in England etwa 40/0 der Bevölkerung fhwadhfinnig waren, fo ift in den 
23 Jabren eine Zunahme der Shwadhfinnigen von 100% feftzuftellen, die nach dem Bericht 
der Bommiffion nicht auf andere Unterfuhungstechnit oder Abgrenzung des Begriffs 
„Schwadfinn“ zurüdzuführen ift. Als bedeutfam für diefe Entwidlung wird aber anges 
feben, daß beute die Shwahfinnigen günftigere Ausfichten haben am Leben 3u bleiben, als 
früher. 

Die Kommiffion fpricht fich für einen Ausbau der Sürforge aus, da neben den Minders 
wertigen auch die normalen Rinder durch fie am Leben erhalten würden. €. Moore fagt 
dagegen febr Mar, daß eine Sürforge, durch die auch nur ein minderwertiges Rind mehr am 
Leben erhalten würde, von Schaden fei, felbft wenn gleichzeitig die Zahl der normalen 
Rinder verdoppelt würde. Das Mißverbältnis tritt jedoch befonders ftark bervor, wenn die 
Geburtenzahl der normalen Rinder fällt, die der Minderwertigen aber gleich hoch bleibt. 


In: „Baffenmifhung in verfhiedenen Gegenden der Erde" (Band 21 S. 57—063) 
wendet fid Rachel, M. Fleming gegen den „raffifhen Brößenwahn“ der Weißen. Auch 
fremde Raffen batten groBe Kulturen hervorgebracht. Es könnten doch vielleicht von beiden 
Seiten die „guten“ KLigenfchaften vererbt werden. Man wiffe nicht, welche Rolle die 
Umwelt fpiele, 3. B. bei Mifchlingen in Hafenftädten. Es fei beifer, das Kliveau der Mifchs 
linge durch weitere Mifchungen urd Weiße zu beben, als fie fozial zu Achten. 

Diefer Anfiht SIemings tritt €. Moore im felben Heft S. 273 —76 auf Grund 
der Erfahrungen mit Raffentreuzungen bei Tieren entgegen. Rafjenmifchung fei ein Glüdes 
fpiel, deffen Ergebnis man nicht vorberfeben kann. Sur den biologifh Dentenden — wenn 
er fein eigenes Raffenvorurteil vergeffen kann — ift ng in Menfeoen nur 
ein ——— Experiment, das unſere Beobachtungen an anderen Organismen beſtaͤtigt. 
Wichtiger als der Baſtardierung das Wort zu reden, iſt, die guten cbftämme bei uns 
— die uns ein Erperimentieren im Dunteln erfparen — 3u erhalten und zu ftärlen. 


Wie wichtig diefe Sorderung Moores ift, zeigt ein Auffatz über „Die Derwandtiaft 
bedeutender Männer, III. Die Größe ihrer eigenen Samilie und die ihrer Eltern“ von 
W. T. 3. Gun und M. €. Buer mit einem Hahwort von E. Moore (Bo. 23, SG. 253 











ap 


1932, II Aus: The Eugenics Review. 117 
EEE 


bis 262). Don 200 beroorragenden Männern des Öffentlichen Lebens, der Wiffenfchaft und 
der Runft, die in England zwifchen 1500 und 1900 lebten, befaßen 4 Rinder und mebr 54, 
I—4 Rinder 59; 42 waren kinderlos, 45 unverbeiratet. Llur die ehelichen Rinder wurden 
Ka deren Zahl aber wohl etwas größer fein dürfte, weil wohl nicht immer alle 
Rinder, befonders die Srübgeftorbenen, erfaßt werden konnten. Kur etwa die Sälfte aller 
grote Männer bat überhaupt Klahlommen, und die Rinderzahl der Übrigen ift böchftens 
i den bedeutenden Männern des Öffentlichen Lebens groß genug, um den Sortbeftand der 
Sührerfchicht aus fih heraus zu gewäbrleiften. Das zeigt deutlich folgende Tabelle. 


Sruhtbarkeit bedeutender Männer in England. 


Samiliengröße 
Bedeutende Männer Zeit Zahl der Sruchtb. Iberbaupt 

des öffentlichen Lebens vor 1800 37 5,13 3,32 
nad 1800 58 4,14 3,37 

der Wiffenfchaft vor 1800 26 5,37 2,38 
nad 1800 27 4,82 3,96 

der Runt vor 1800 38 4,45 2,34 
nad 3800 34 4,2} 2,38 

alle bedeutenden Manner vor 1800 303 4,89 2,71 
nad 1800 99 4,85 2,064 

Rinder der Eltern bed. Männer vor 1800 — 6,33 — 
nach 1800 — 6,05 — 

Durdfdnittebevditerung 3775—99 Taufzablen je Ehe 3,05 
1800—34 3,7 

um 3830 nah Taufzablen gefhägt 4,3 

1876— 84 4,5 


Um die Rinderzahl bedeutender Männer mit denen der Ducchfchnittebepälterung zu 
vergleichen (die Taufzahlen für die Durchfchnittsbevälterung müffen nah IM. €. Buer um 
dal: vermehrt werden, um die Geburtenzabl 3u erhalten), bat €. Moore aus dem als 

le angefügten Urmaterial des Autors die Rinderzahl je Ehe der bedeutenden Männer 
errechnet. Sie beträgt vor 1800 3,8, nach 1800 3,34, während die Beburtenzahl der Durds 
fdnittebenditerung nach 1800 4,2 je Ehe beträgt. 


„Die Intelligenz von Swillingen” (Wd. 22 S. 183—186) wurde von Aler H. 
Wingfield an der Univerfitat Toronto auf Grund von Tefte bei 1023 Zwillingspaaren 
und 29 Waifen unterfudt, welde mindeftens 3 Jabre und mindeftens 25% ibres Lebens im 
felben Waifenbaus verbradt batten. Diefe Unterfuchungen, vergliden mit den gleicen 
Teftprüfungen bei verfchiedenen Derwandtideftsgraden und nicht verwandten Perfonen, 
ergaben überwiegende Gleichheit der Prüfungsergebniffe bei erbgleihen Zwillingen. Der 
BRortrelationstoeffizient für die Intelligenz beträgt bei: identifchen Zwillingen + 0,90; bei 
gleidge(dlecdtliden Zw. -+- 0,82; bei zweieiigen Zw. (fraternal twins) -+ 0,70; bei uns 
en 3w. + 0,59; bei Gefchwiftern (siblings) +- 0,50; 3wifden ltern 
und Rindern + 0,30; bei Befchwifterlindern + 0,27; zwifdhen Großeltern und Entel 
+ 0,35; bei Waifen + 0,00; bei nicht verwandten Rindern + 0,00. „JIe näber die genetifche 
Derwandtfchaft zwifchen Individuen ift, um fo größer ift der Brad, in dem fie fich bezüglich 
der Intelligenz gleichen. Alfo ift die Intelligenz eine erbliche Eigenſchaft.“ 


In einem Auffeg „Natürliche Selektion beim Menfhen und die Entwidlung der 
menfdliden Intelligenz“ führt S. 4. Holmes (Bd. 223 SG. 7—16) fir unfere heutigen 
Derbältniffe aus: Die Sterblichkeit in gewiffen Berufsgruppen ift viel bdber als in wieder 
anderen. Andererfeits beftebt ein Sulammaban zwifchen dem Berufsniveau und dem 

ftigen Kliveau. Srisber waren die Todesurfaden in allen Gruppen viel einheitlicher. 

t bringt die Wirtfchaftsordnung viel mehr Gelegenbeit 3u fterben, fur weniger begabte 

Menfdhen. Cine Auslefe gefdhiedt alfo nicht nur nah phyfifden Momenten, fondern aud 

nad) der Begabung. Leider wirkt aber diefer günftigen Auslefe heute noch der dyseugenifche 

Einfluß der differenzierten Geburtenzabl entgegen. Holmes bofft, daß in Zukunft darin 
nod eine Befferung eintreten könne. 


In Bd. 23 SG. 15— 18 finden fich intereffante Mitteilungen über die nad eugenifchen 
Gefidhtspuntten aufgezogene Gartenftadt „Les Jardins, Ungemady“ bei Straßburg. Der 


118 Volt und Kaffe. 1932, II 





Reiter diefer Gartenftadt Alfred Dachert berichtet, daß nur junge Ehepaare aufger 
nommen werden, die fich viele Rinder wünfchen, denn „wir wollen nicht kinderreichen 
Samilin Obdah gewähren, fondern weldbe fhaffen“. Tur Ehepaare, die einer 
febr forgfaltigen Auswahl in jeder Beziehung genügen, werden aufgenommen, foldye, die 
keine Rinder belommen, müffen wieder ausziehen. Die Siedlung umfaßte 1929 132 Hauler 
und 692 Einwohner. Lotbar Loeffler, Riel. 


Aleine Beiträge. 
Wie fab Ehriftus aus? 


In einer in dem Runftverlage Hugo Schmidt, Münden, erfhienenen Schrift mit 
obigem Titel behandelt Sranz Wolter!) unter Beigabe von 12 Abbildungen den Sund eines 
Ropfes aus paläftinifchem oder Agyptiichem Alabafter, der vor etwa 25 Jahren in Jerus 
falem gemacht wurde und der dann von einem griechifchen Runftbändler mit anderen Runfts 
gegenftänden nad) Minden zum Verkaufe gebracht worden ift. Der Ropf ftellt eine künfts 

rifche, und wie man fagen muß, bedeutende künftlerifche Arbeit eines in belleniftifcher 
Kunftüberlieferung erzogenen unbelannten Rünftlers aus dem ı. Drittel des I. Jahrhun⸗ 
derts n. Chr. dar. Erwiefen ift, daß es Jefusbüften gab, zwar kaum bei ftrenggläubigen 
Chriften, wohl aber in Käufern mit belleniftifcher Bildung und riftliden Meigungen oder 
Überzeugungen mebr oder minder tiefgebender Art. Mit einer gewiffen Wabrideinlids 
keit, daß ein fo auffallender Menſch wie Jefus einmal zu feinen Lebzeiten einen der aud in 
SyriensPaldftina nicht feltenen belleniftifch gefdulten oder gar aus Griechenland ftammens 
den Rünftler zu einer Bildnisbüfte angeregt babe, ift zu rechnen, ebenfo mit Madhbildungen 
eines folhen Runftwerts für den Bedarf der oben gelennzeichneten belleniftifchschriftlihden 
Syaufer. Auch Raifer Alerander Severus (222— 235) bejaß eine Jefusbüfte. 

Der Kopf zeigt Bert und in der Mitte gefcheiteltes Hauptbaar, wie es bei Jefus 
entfprechend feinen Beziehungen zur Sekte der Klazirder anzunehmen ift. Das Haar fällt 
bis auf die Schultern, wie dies KIonnus Ende des 4. Jahrhunderts für die Galilder als Gitte 
bezeugt und wie es wohl auch allgemeinsjüdifch war. Auch für den unten zwiegeteilten Bart 
des Wlabaftertopfes Iaffen fid Weabrideinlidleitabelege aus Zeit und Umwelt Jeju ers 
nen. So darf Wolter als Kunftwiffenfchafter den Schluß zieben: „Diefer Jes 
rufakemsChriftus ift entftanden aus porträtbafter Llaturnäbe, im Gefühl, fidh des gebotenen 
Stoffes zu bemächtigen.” 

Darin kann, ja muß man Wolter durchaus recht geben. Ob der fünftlerifch und ges 
Shichtlih wertvolle Kopf aber Jefus widergibt? (Die Stage der Beichichtlichkeit Jefu fei 
bier einmal ganz bei Seite gelafjen). — izupflichten it Wolter aud darin, daß, 
wenn nicht ,jeder”, wie Wolter fdreibt, fo doc febr viele Abendländer, befonders Abends 
länder mit germanifcher Prägung ihrer Empfindungen, wenn fie diefen Kopf betrachtet 
baben, auf die Srage, wer der Dargeftellte fei, fo antworten werden, wie Wolter das 
nad feinen Erfahrungen an "Atenfiben der verfchiedenartigften Bildungsftufen“ mitteilt, 
nämlich mit der Ausfage: „Das ift Chriftus’. Dabei ift aber zu bedenken, daß diefer Ropf 
mit den (vielen Menfchen geläufigen) Iefusdarftellungen eines Dürer, eines Lionardo da 
Vinci oder aud eines Thorvaldfen und anderer immerbin fo viel Abnlichleit bat, daß 
auch daraus eine foldhe Ausfage fich erflären könnte. Dod) wird man Wolter recht geben, 
daß Iefus fo ausgefeben haben kanıı und daß andere als diefe Züge dem abendländifchen 
Betrachter eben nicht oder nur unter Zwang feiner Vorftellungen als die Züge Jeju ers 
fheinen würden. Wolter tann aud für feine Annahme die Urteile anderer Aunfts 
wiffenfchafter anführen, und es muß ihm ficherlich zugeftanden werden, daß diefem Sunde 
und feiner Deutung eine außerordentliche Wichtigkeit zulommt. 

Sollte wirklich diefer Kopf ein Zeugnis über die Züge Jefu bedeuten? — Dann wäre 
er eine Betätigung der Sfters fchon en Vermutung, daß man fich Jefus nicht als 
bezeichnend judifch vorftellen dürfe. olter fagt mit Recht, daß diefer Kopf „keine Vors 
ftellung eines rein jüdifchen Typs“ vermittle. Dem raffentundlidyen Betrachter wird fid 
fofort für die Sormen diefes Ropfes — über feine Sarben läßt fidh je nichts fagen — 


1, Wolter, Sranz, Wie fab Chriftus aus? 1930. Hugo Schmidt, Verlag, Mins 
den. Gebeftet 2,50 ME. 





1932, II Bucbbefpredhungen. 119 
pi _____________t.___t 


die Annabme vorwiegend nordifder Züge ergeben. Bas ganslide Sehlen vorders 
aſiatiſcher Züge wird ihm im Ainblid auf Ort und Zeit auffallen, und in der Anficht mit 
dem nach vorn geneigten Ropf (Abb. 13) wird er nad der Bildung der Unterlippe die Moͤglich⸗ 
keit eines Einfchlags der orientalifchen Raffezugeben. Haar und Bart ericheinen von der 
Besen Weichheit wie bei den Bildnisbüften vorwiegend nordifcher HeHenen; dod) daran 
Önnte auch die belleniftifche Runftüberlieferung beteiligt fein, obfehon man bei der Bes 
gabung des Rinftlers auc die Erreichung einer „Porträtähnlichkeit” vorausfegen darf. 

Ein Einfhlag nordifdher Raffe läßt fi) auch für das damalige Syrien und Pas 
läftina mebr als wabhrfcheinlid machen. Wäre ein folcher Einfchlag, der gerade auch für 
Oaliläa anzunehmen ift, durch Erbhäufung innerhalb des Befchledhtes Ihn und bei ibm 
felbft fo ftark bervorgetreten, fo müßte man ibn aud in leiblider Sinficht als eine der 
Randerfcheinungen (und aljo nicht Rernerfcheinungen) des damaligen Judentums auffaffen, 
als die er ja in feelifcher Hinsicht auch erjcheint. 

Sür die gefamte hriftliche Welt, vor allem aud fur die hriftliche Runſt, kommt nach 
all dem dieſem Funde beſondere Bedeutung zu. —Hans F. R. Guͤnther. 


Buchbeſprechungen. 


Carl Baafen: Niederfächlifche Siedlungskunde. Verl. Ad. Littmann, Oldenburg i. ©. 
1930. 387 S. 77 Abb. und Pläne. 

Die Deröffentlihung eines folden Buches lag gewilfermaßen in der Luft, nachdem 
£Einzelunterfuhungen von Rotbert, Swart, Martiny, Pröwe, Oftermann 
und neuerdings Hunte ein Clareres Bild über die Anfänge des Siedlungsurjprungs und 
des Aderbaus im nordweftliden Deutfchland ermöglicht haben, als es die Torfpungen von 
HAansfen und Meigen julieBen. Ls zeigt fidh wieder einmal, daß die verhältnismäßig 
fpäten Berichte der Urkunden oder der Römer nur zeitliche Bilder einer Entwidlung find, 
die bereits Jahrtaufende vorher eingejegt batte, daß fie für die vorgefchichtlidhe Zeit wenig 
fagen und erft durch Bodentatfachen zu verfteben find. Es bäufen fich die Beobachtungen, 
daß die Germanen fon in der Steinzeit einen geregelten Plaggenbau, in der Bronzezeit 
mindeftens einen technifdh bodftebenden Aders und Wiejenbau kannten, ja daß fie in einer 
planvollen Bewirtfchaftung des Waldes (was bisher nie fo recht 3um Bewußtfein ges 
fommen war) fich als verftändnispolle Verwalter ihres AHeimatbodens ausweifen. Der 
frühe Übergang zur planmäßigen Bodenkultur infolge der fteigenden Dollszabl fcbuf die 
erfte Brundlage für einen genoſſenſchaftlichen Zuſammenhang. Aber für diefe engen Bes 
ziebungen, über die fich der Derfaffer nur im Zufammenbange mit der Siedlungstunde 
dußert, fpricht die Verbindung von Aderflur und Siedlung, bei der die erftere unbedingt 
beftimmend ift und der Siedlungsform eine von ihr abhängige Stellung zuweilt. Dabei 
beftebt, woas angefichts neuerer Erörterungen von Wert ift, durchaus kein Gegenfag swifden 
Einzelbof und SHaufendorf. Der Derfaffer faßt, m. €. mit Recht, die Dreifelderwirtichaft 
als ein räumliches, nicht als ein zeitliches Llebeneinander auf; er rüdt fie dadurch in 
ein weit höheres Alter binauf als in die bisher dafür in Anfprudy genommene Rarolingers 
zeit. Auch die Wiefentultur ift altgermanifch und durch Keden und Wälle fchon in der Lirzeit 
frftematifch gepflegt worden. Als ein wichtiges Ergebnis, auf das der Verfaffer anfceinend 
nicht befonderen Wert legt, falle ich die Seftitellung auf, daß bei dem unleugbar boben Alter 
des Eihes bzw. der Gewannflur die Anfänge fih aus dem Privatbefitz gebildet haben, 
daß alle Behauptungen, den Germanen ein urfprünglich genoffenfchaftliches Bodeneigentum 
zuzufprechen, den Tatfachen gegenüber nicht ftandbalten. — Auf einen Irrtum binzuweifen, 
geftatte ih mir zum Schluffe: Der Pflug von Dabergog ift nicht fteinzeitlih, fondern ents 
ftammt dem Mittelalter (Zeitfehr. f. Ethnologie, Berlin, 1924 S. aye 1926 = — 

obert Mmielke 


Ewald Banſe, Deutſche CLandeskunde, Teil J: Nieder⸗ und Mitteldeutſchland. J. F. 
— Verlag, Muͤnchen 1932. 327 Seiten, oo Abbildungen. Preis geb. ME. 10.—, 
eb. .12.—. 
— Banſes deutſche Landeskunde ſtellt etwas ganz Neues und Einzigartiges im geogra⸗ 
phiſchen Schrifttum dar. Man glaubt beim Leſen auf einem großen Rreuz⸗ und Querfluge 
uͤber Deutſchland zu ſein und den uͤber Geologie, Land, Geſchichte und raſſiſche Juſammen⸗ 
ſetzung der einzelnen Gebiete kundigen Verfaſſer neben ſich zu hoͤren, der die großen Zus 


120 7 Volt und Raffe. | 1932, II 








fammenbänge zwifchen Menfh und Scholle, Doll und Raffe in feiner bildhaften Sprache 
erklärt. In dem vorliegenden erften Bande behandelt der Derfaffer zunächft Deutihland als 
Ganzes: Beobgifhen Aufbau, Sorm, Klima, Pflanzenwelt, Raffenfunde, Rultur, Bes 
fiedlung und Wirtichaft und gebt dann auf die erften zwei der vier „Landformgebiete”, die 
er unterfcheidet, auf Lliederdeutfchland und Miitteldeutfchland, ein. Sur Banfe find weder 
die politifche, noch die rein geograpbifche Abgrenzung maßgebend, es ift dies in viel größerem 
Mage die Sremmessumeböcigteit der Bewohner. Mit Fliederdeutfhland umfaßt er die 
Lliedverlande, Weftfalen, Niederſachſen, Schleswig⸗Holſtein, Mecklenburg. Vorpommern, 
Uckermark, Mark Brandenburg, Hinterpommern, Altpreußen und Oftmart, mit Mittels 
dseutfdland Sdlefien, Oberlauf, Sadjen, Thüringen, Hefien und das Rheinland. Auf 
Grund feiner reihen Erfahrungen und Studien, die der Verfaffer im Laufe von 25 Jahren 
gewonnen bat, ift es ihm möglid geworden, jedem der einzelnen deutfchen Stammesgebiete 
in der Weife gerecht zu werden, daß der Lefer ein in jeder Richtung plaftifhes Bild von 
£and und Voll gewinnt. 

Das Bud, das aud in der ganzen Ausftattung vorzüglich ift, kann beftens empfohlen 
werden. Der zweite Teil, der Süds und Alpendeutfchland behandelt, ift inzwifchen auch 
erfchienen. Bruno RK. SHulg. 


Mag Gottihald: Deutihe Namenkunde. Linfere Samiliennamen nach ihrer Entftehbung 
- Bedeutung. — F. Lehmanns Verlag, Muͤnchen 1932. VII, 428 S. Preis geh. 
. 13.—, geb. ML 16.—. 


Das reidbaltige Bud beftebt aus zwei Aauptteilen: einer Clamentunde und einem 
Vamenbud, weldes an die 50000 verfdledene Samiliennamen verzeichnet und naw Mdgs 
lidhfeit deutet. Die Liamenkunde behandelt den ganzen Stoff vom fpradhgeidhidtliden wie 
vom tulturgefdidtliden Standpuntte aus, eingebend genug, um aud oem Lehrer an 
bdberen Schulen und dem Studierenden als ficherer Sührer zu dienen und dabei fo übers 
ficdtlid und gut verftändlidh, daß fich jeder Gebildete obne befondere Dortenntniffe leicht 
einlefen und an dem vielfeitigen Stoff Intereffe gewinnen kann. Befonders fei darauf bins 
gewiefen, daß die Perfonennamen altdeutfcher Herkunft in beiden Teilen ausführlid bes 
thdfidhtigt find, da fie ja in ungemein zahlreichen Sällen heute (oft in kaum ertennbarer 
Geftalt) zu Samiliennamen geworden find. Daß über die Liamenbildung in den wichtigften 
Stremödfprachen das Kotwendigfte gefagt ift, erfcheint fehr zwedmäßig. Abgefeben von dem 
Bulturgefchichtlichen Reiz des Stoffes (man denke etwa an die Llamen, welde an uralte 
religiöfe Vorftellungen anknüpfen, oder welde die Erinnerung an längft abgelommene 
DBerufsbezeichnungen forterbalten) ift befonders erwähnenswert, daß der Derfaffer auch 
der Klamenftatiftit gebührende Aufmerkfamtleit zugewandt bat; dieje liefert wertvolle Aufs 
fhlüffe über Hertunftsfragen, welde fir Ortss und Samiliengefchicdhte widtig und aud 
für die raffentundliche De LTE EHER) beachtenswert find. Die 
befonnene Art, in der fic der Derfaffer über die Schwierigkeiten des Gegen(tandes aus 
fpricht, erwedt das Vertrauen, daß er fein Beftes getan bat, um die Aufgabe zu bewältigen. 
Der Preis erfcheint in Anbetracht des Bebotenen außerordentlich niedrig, was die zablreidhen 
Intereffenten gewiß dankbar begrüßen werden. %. Zei, Srankfurt a. M. 


Sriedr. Ehrhardt Haag: Die geiftige Gefundheit des Volkes und ihre Pflege. Verl. 
J. §. Lehmann, Minden 1931. 243 S. Geb. MI. 7.—, geb. ME. 9.—. 

„Die Unterfudung der verfdiedenften Sragen in der Gefundbeitslebre (Arbeit und 
Erholung, Wohnung, Surforge, Woblfabrtapflege, Geburtenzabl und andere Gebiete) ergibt 
nur balbe Antworten, wenn nidt neben dem Rérperliden aud geiftige Gefidtspuntte 
fteben.“ Diefe Erfabrung, die der Derfaffer während feiner ns Hr als Schuls und Bes 
sirtsarzt machte, veranlaßte ibn, in dem vorliegenden Buche die Beftrebungen und Maßs 
nahmen der heutigen fozialen Hygiene und Gefundbeitspflege unter dem Gefidtswinke! der 
neueren Pfychologie zu betradhten. Er verfucht weiterhin darzutun, wie in Zukunft bei 
ven bisher vorwiegend von der Vernunft ber beftimmten fürforgerifhen Maßnahmen des 
Staates und der Gefellfcaft unbedingt aud geiftigen Gefidtspuntten aa sade Rech⸗ 
nung getragen werden muß. Erſt dann kann man hoffen, daß auch beim Einzelnen die heute 
vorwiegend auf die Erreichung eigenſuͤchtiger Nahziele gerichtete Denkweiſe abgeloͤſt wird 
durch eine verantwortungsbewußte, auf uͤberperſoͤnliche Lernziele gerichtete Gefinnung. 

In den vier Hauptteilen des Buches („Das geiftige Leben des Einzelnen”, „Das 
geiftige Leben der Bemeinichaft“, „Das geiftige Leben in der fozialen Hygiene’, „Bildung 
als ulung des Geiftes“) wird fowohl der Arzt, als auch der Erzieber, Dollewirt und 
jeder, deffen Arbeit der Allgemeinheit gilt, reihe Anregung finden. Daß bei einer Arbeit, 


1932, II Budbefpredungen. 121 
TT _______________i_._.|_________| 


die Ergebniffe der verfchiedenften Ben und theoretifden Wiffensgebiete miteinander 
zu vertnüpfen fucht, der einzelne Vertreter einer Spezialdifziplin Hier und da Einwaͤnde 
erheben kann, ift nicht verwunderlih. Das Bud mug als Ganzes gewertet werden und 
ift cin weiterer erfreulicher Schritt weg von einem einfeitig übertriebenen Nationalismus. 
Lothar Loeffler, Riel. 


_ Ridard Hennig: Geopolitib, die Lehre vom Staat als Lebewefen. Verl. Teubner, 
—— und Berlin, 1933. Zweite verm. Aufl., 390 S., 21 Rarten im Tert. Preis geb. 
ſ.—. 

Mit Recht weiſt der Verfaſſer in ſeinem Vorworte darauf hin, wie wichtig fuͤr eine 
gluͤctliche Politik, zumal fuͤr die deutſche der Gegenwart, die Kenntnis der weltpolitifchs 
erdkundlichen Zuſammenhaͤnge iſt, die er in dem vorliegenden Werke zuſammenfaſſen will. 

Von den neun Rapiteln iſt eins im weſentlichen den Grenzen gewidmet, in dem die 
verſchiedenen Grenztypen (ethnolog. wirtſchaftl., ſtrateg. uſw.) und ihre Vorausſetzungen 
unterſucht werden, ferner ihre Überjchneidungen, die dem mächtigen Staat immer Gründe 
zur Gebietsausdehnung geben. In diefem Zujammenbang wird auf Grund vieler gefchichts 
lidyer Beifpiele die wichtige politifche Erkenntnis zum Ausdrud gebracht, daß nämlich Uns 
duldfambleit pe n andersipradlide Minderheiten im Staate fat immer der falfche Weg 
ift, fremdvd bitte Elemente fur den Staat und die Spradhgemeinfdhaft 3u gewinnen. 


Jn einem weiteren Kapitel find die Bevdllerungsprobleme des Erdballs behandelt: 
das Anwadhfen der Bevölkerungszahl auf der Erde, der gegenwärtige Bevdllerungsdrud 
der in der Hauptfade ubervdllerten Lander: Deutfdland, Italien, Japan, China und Indien, 
ferner die Ronflittsftoffe in der Weltpolitit infolge dea Sungers nad) Raum. — Die bes 
— ce der farbigen Rolonialvditer, die wegen des meift fhrantenlofen weißen 

myperialismus 3. T. 3u Recht erfolge, werde bei richtiger kolonifatorifcher Einftellung der 
Befiger, fo wie fie die Deutfchen gehabt bätten, kein Ende des Rolonialzeitalters berbeis 
führen, weil die Sarbigen auf lange Zeit nicht aus fich felbft heraus die finanziellen, medis 
zinifhen und technifchen Mittel und Kräfte ftellen könnten, die für den aud von ihnen 
gewünfchten wirtfchaftlihen und zipilifatorifchen Aufftieg notwendig feien. 

In weiteren intereffanten Abfchnitten wird dem Lefer gezeigt, weldyer Masten fi 
die ftarten Staaten im Rampf gegen fchwächere bedienen, um den Schein zu wahren, daß 
überhaupt von einem Rechte im Rampf der Staaten, Völker und Raffen kaum irgendwo 
die Rede fein kann. — Diele Rärtchen und Tabellen madyen das Buch, das noch viele andere 
wertvolle UAbfdnitte aus dem Ringen der Staaten um die Macht bringt, anfchaulid. 


Shr die Behandlung einer fo umfaffenden Stage, wie die nad den Urfadhen des ftaats 
lichen Lebens, auf die fic vor allem die erften Rapitel der Arbeit beziehen, fehlt allerdings 
die genügende Breite und Tiefe der Grundlage. Cine ftarte Cinengung es Blidtreifes 
nach der geograpbifchen Seite tritt in ung. Überdies find das, was der Verfaffer 
„geograpbifche Klaturbedingtbeiten“ nennt, wie 3. B. die ,verbebrageographifden Bedingts 
beiten“, nur zum Teil folde, da fie ja durch die Entwidlung der Cednil einer dauernden 
Veränderung unterliegen. Der VDerfaffer bätte 3.3. die Beziehungen zwifchen Staat einers 
feite und Technik, Wirtfchaft, Ideen und Kaffe andererfeits, fchließlich zwifchen Raffe und 
Ideen, Raffe und Technik, Landfhaft und Kaffe ufw. unterfucdhen müffen. — Die überragende 
Bedeutung der Auslefe und Gegenauslefe innerhalb der Dölker ift kaum in Betracht gezogen 
worden, desgleichen die Cinflugweife von Jodeen und Utopien auf ftaatlihem Gebiete. 
(Ogl. die fehr tiefgebende Abhandlung von 4. St. Chamberlain: Politifde Ideale.) Der 
Raffebegriff ift Shwantend („Raffe ale etwas von Fatur Gegebenes” — „angelfädhfifche 
Raffe”). Schief ift auch die Begründung der Schäden durch Rajfenmifdung, wenn Hennig 
fagt „erfebrungenemdß werden bei der Raffenmifdhung die fchlechten Een der 
Eltern ungleich häufiger vererbt als die guten und edlen”. Der Llachteil im allgemeinen ents 
ftebt deshalb, weil die verfchiedenraffigen Erbanlagen eines Mifchlings bäufig in Diss 
barmonie zueinander fteben, was nicht ausfchließt, daß zwilhen nabejtebenden Raffen 
Mifchung gelegentli befonders günftige Kombination von Anlagen zeitigen kann. 

Die Bedeutung des vorliegenden Werkes wie überhaupt der Geopolitik beftebt darin, 
daß fie den Blid des deutfchen Volkes auf die politiichsgeograpbifchen Sragen auf dem Erds 
ball lenten, deren Kenntnis ein wefentlicher Beftandteil einer wirklich politifchen Bildung 
fein muß. ©. Sdelling, Wordenbam. 


Kurt Bielfcher, Dänemark, Schweden, Norwegen. Landfdhaft, Bautun(t, Dolksleben. 
Mit Geleitworten von Rarin Michaelis, Selma Lagerlöf und Sigrid Undfet. §. A. Brods 


122 Volt und Kaffe. 1932, II 








haus ven Leipzig 1932. 292 Bildertafeln, 26 Tertfeiten. Preis Banzleinen ME. 24.—, 
albleder We. 28.—. 


Mit dem ihm eigenen Blide für die Schönheit und dae Wejen von Landfdaft, Baus 
werten und Vollstum bringt uns Aurt „ielfcher, der durch feine prächtigen Bildwerte 
„Das unbelannte Spanien”, „Deutfchland”, „Ofterreih“ und „Italien“ belannt ift, auf 
293 Bildern die drei Standinavifchen Länder nahe. Diefe Aufnahmen, die während eines 
faft ae Aufenthaltes in den Tordlanden gefammelt wurden und nur die 
befte Auswahl der gefamten Ausbeute darftellen, geben — Einblicke in die land⸗ 
ſchaftliche und kulturelle Eigenart jedes dieſer Laͤnder. Erfreulicher weiſe hat chielſcher die 
alte baͤuerliche Rultur Skandinaviens mit beruͤckſichtigt und alte Stabkirchen und Bauern⸗ 
haͤuſer von außen und innen, Volkstrachten, ſowie einzelne baͤuerliche Volkstypen in ſeinen 
Bildern feſtgehalten. Mit groͤßter Spannung laͤßt man dieſe Bilder insgeſamt eines nach 
dem andern an ſich voruͤberziehen und iſt uͤberwaͤltigt von dem Gebotenen, das ſo einzig⸗ 
artig und abwechſlungsreich ausgewaͤhlt iſt. 

Das Bud, das in befter Ausfubrung mit Kupfertieforudtafeln in Grogoltavformat 
erfchien, ift beftens zu empfeblen. Es wird feinen Befigern ftets Sreude bereiten. 

Um das Bild des flandinapifchen Klordens volllommen abzurunden, feblt nur noch, 
daß Mielfcher audy Island und die Sdrdyar mit feiner Ramera auffudte, was vielleiht aud 
einmal mdglid fein wird. Bruno KR. S@hulg. 


Wilhelm Ulenk u. Walter Scheidt: Miederfähfiihe Bauern. I. Greeftbauern im lbs 
Wefermündungsgebiet. Deutice Raffentunde Bd. 3. Herausg. von Prof. Eugen Sifcher. 
Decl. ©. Sifcher, Jena 1929. 112 S., 19 Abb., s Taf. Preis geb. ME. s.—, geb. ME. 9.60. 


Aus der Bliederung der Arbeit ift die Grundlegung der Unterfucbung erfidtlid: der 
erfte Teil bebandelt Land und Wolk, der zweite die Kaffe, ein Anhang bringt Vorſchlaͤge 
Walter Scheidts zur raffentundliden Methooit. 

Die einzelnen Abfchnitte des erften Teiles fchildern die Landichaft mit ihren ins 
wirtungen auf die Befiedlung, die Gefchichte des Gebietes und der Bevölkerung, wirtfchafts 
liche Derbältniffe des Bauerntums in älterer und neuerer Zeit mit zablenmäßigen Unters 
lagen, Giedlungsweife und Bevdlterungsbewegung in den einzelnen Orten mit befonderer 
Beachtung der Gauss und Hofanlagen, einzelne Züge aus Sitte und Brauch, die für die 
Dollsart bezeichnend find. 

Im zweiten Teile wird die körperliche Erfcheinung der Bevölkerung auf Grund der 
Mertmalfeltftellung an 502 erwadfenen Mannern und 498 Srauen und Mädchen alts 
anfaffiger Samilien aus insgefamt 10 Gemeinden der Börde Lamftedt und einer Llachbars 
gemeinde befchrieben: Hauts, Haars und Augenfarbe, Haarform, Körpergröße und die wichs 
tigften Maßverbältniffe von Bopf, Geficht und MTafe werden variationsftatiftifch dargeftellt, 
auf Rorrelstionen geprüft und in Beziehung zu Vergleichsgruppen betrachtet. Auf die 
Deutung der Befunde, die befonders für die Beurteilung der nordifchen Raffe und ihrer 
Realität wichtig find, kann in einer kurzen Beſprechung nicht näher eingegangen werben, 
erwähnt fei nur, daß das von Scheidt angewandte Scheidungsverfabhren eine Gruppe (A) 
in der Bevdllerung ergibt, die dem breitgefichtigen nordifchen Schlag (dalifche Rule) 
Scheidt nennt ibn binnenflandinapifchen Schlag — entiprechen kann. Dazu ift eine Zweite 
dunllece, mebr langgefichtige Scheidungsgruppe feftgeftellt (B) und eine Mittelgruppe (M). 
Raffendafte Beurteilungsmöglichkeiten diefer Gruppen werden kritifch erörtert. 

Auslefevorgange ım raffifchen Aufbau der Seong werden in einem befonderen 
Abfehnitte geprüft nach SGiedlungss, Wirtfchaftes bzw. Berufsgruppen und nah der 
Paarungsfiebung. Auf Grund der Prüfung der Siedlungsgruppen (Zeitraum 1500—1662) 
fdeint die Scheidungsgruppe A der ältere Bevölkerungsbeftandteil zu fein. Mad der Wirts 
ſchafts⸗ bzw. Berufsauskefe erjcheint der Durchfchnittstypus, der Erbmaffen aller drei Scheis 
dungstypen in fich vereint, am erfolgreichften bzw. beftangepaßten. Die Paarungsfiebung 
ch Mleigung der Ehepartner zu Homotypie an. — Jm Anbang entwidelt Sceidt Sormeln 

e die Umgrenzung eines „Liäberungstypus“ zur Rennzeihnung ,anndbernd typifdec’’ 
Mertmalauspragungen, fir einen Inder der Typenabweidung (einzelner Beoölterungsteile 
vom Durdfdnittstppus), für das in der Arbeit angewandte Typenfheidungsverfabren (auss 
fibrlid) dargeftellt im Arc. f. Raffens u. Gefellfe.sBiol. Bd. 22, 1929) und für den gleich» 
falle in der Arbeit angewandten Inder dser AHeterotypie von Ebepartnern. 

— den beigegebenen Tafeln ſind 24 Perſonen in Vorder⸗ und Seitenanſicht ab⸗ 
gebildet. 

Die Arbeit iſt für die Bearbeitung der neuen anthropologiſchen Erhebungen in Deutſch⸗ 
land in mehrfacher Sinficht wichtig. M. Hei, Leipzig. 


1932, II Buchrbefprehungen. . 123 





Wilhelm Pegler: Deutihe Dolkstumsgeographie. Verl. &. VOeftermann. Brauns 
fhweig, Berlin, Hamburg 1931. 108 S., 21 Karten. Preis geb. MI. 7.—. 

Der Ausdrud , Vollstumsgeograpbhie’ ftammt von Peßler; er ift gegenwärtig, da die 
Arbeiten des Atlas der deutfchen Volkstunde in dem ganzen deutfchen Spracdhgebiete eins 
gefegt baben, zu einem feften woiffenfchaftlichen Begriffe geworden. Peßler unterziebt in 
der vorliegenden Veröffentlihung die deutfche geograpbifche Literatur der legten drei Jahr: 
zehnte einer Prüfung, um die meift wertvollen Erjcheinungen zu fichten. Es ift fo ein 
Fyandbud entitanden, das wohl niemand unberidfidtigt laffen wird, der fid mit dem 
deutfchen Doltstum wiffenfdaftlih beichäftigt. Es wird dabei Bar, daß eine bodengebundene 
Kulturftatiftit, wie fie in den etwa 800 lartographifden Arbeiten jegt vorliegt, eine 
groß: wertvolle Leiftung ift, und daß ohne fie heute eine wiffenfdaftlid gut unterbaute 

rebeit gar nicht mebr denkbar ift. Daneben aber ergibt fich die Seftftellung, daß fic die 
Methode der wiflenfchaftlichen Rartograpbie im Laufe von drei Jahrzehnten außerordentlich 
verfeinert bat, und daß diefe innerhalb einer wifjenfchaftlichen Difziplin vollzogene Entwids 
lung —— gezeitigt hat, die ſich als gleichberechtigt zeigen den Beſtrebungen in 
Geographie und Geſchichte, den beiden Nachbarwiſſenſchaften. Doch gibt Peßler noch etwas 
meht. Indem er die Forſchung zielbewußt der Wiſſenſchaft vom deutſchen Volke einreiht, 
erbringt er den Nachweis, daß die ernſte Beſchaͤftiguung mit der Geſchichte des deutſchen 
Volkes nicht nur eine der dringendſten Aufgaben der Zukunft iſt, ſondern daß ſie durch ihr 
Abergreiſfen in andere Wiſſensgebiete die Volkskunde zu einem vollwichtigen Lehrzweige 
macht, den man nicht mehr — wie fruͤher ſo oft — als eine Liebhaberei abtun kann. 


Robert Mielke. 


Hans &. Ried: Miesbader Candbevdikerung. Cine raffens und vollstundlide Unters 
— aus Oberbayern. Deutſche Raffentunde Bd. 3. Verl. ©. Sifcher, Jena 1930. 171 S. 
53 Abb., 9 Taf. Preis geb. ME. 14.—, geb. MI. 15.50. 

Die der Arbeit zugrunde liegenden Erhebungen wurden mit Unterftügung der Deuts 
feben Akademie in München im Winter und Srüubjabr 1936/27 durch den Verfaffer durchs 
geführt und erftreden fic neben pbyfifchsantbropologiichen Seftftellungen vor allem auf 
volletundliche Gebiete, deren Darftellung den größeren Teil der Arbeit einnimmt. Cinleitend 
wird der Betradhtung der Bevölkerung die Siedlungsgefchichte und erötundliche Befchreis 
bung des Gebietes vorausgefchidt. 

Die anthropologifden Erbebungen beziehen fih auf rund 500 erwachfene Männer 
und ebenfoviele Srauen der altanfäffigen Landbevdllerung des in der bayrifchen Hochebene 
am Nordrand des MangfallsGebirges gelegenen Ba Miesbah. An Rörpermaßen 
wurden beftimmt: Rörpergröße, Sitzhöhe, Arms und Beinlänge. Diefe Maße kennzeichnen 
die Bevdlterung im Durdhichnitt ale großwüchlig, die Srauen relativ größer als die Männer, 
langbeinig und langarmig. 

Ropfs, Gefidtss und Mafenmage und sindices ergeben im Durdfdnitte: fir die 
Manner maPige, fur die Srauen ftackere Breithdpfigteit; der Mannertopf ift nad sem 
BreitensAdbensVerbhdltnis niedrig und breit, der Srauentopf etwas bdber; beide Gefdledter 
find breitftirnig, die Gefichter der Männer in den Jochbeinen breeiter als die der Srauen, 
nad dem Gefidhtsinder die Manner mittelhodgefidtig, die Srauen breitgefichtig; über die 
Eyälfte beider Gefchlechter ift femalnafig, der Reft mittelbreitnafig. 

Die Haarfarbe ift bei den Männern in 2/, dunkel, 1/; blond; die Srauen find etwas 
bäufiger blond. ned. tommt nuc vereinzelt vor. — Schlichtbasrigleit ift vors 
berr d, $6,9% bei den Männern, 95,290 (durch die Tracht mit beeinflußt) bei den Srauen, 
der Reft wellig und feltener lodig. 

Die drei Gruppen der Augenfarbe (braun, meliert, blau) find bei den Männern etwa 

ich häufig, von den Srauen find etwa 1/5 meliert, ?/, braun und nur etwa 1/, blaudugig. 

ie Srauen find alfo in geringerem Maße braunbaarig und in höherem braundugig als die 
Männer. — Die Männer haben bäufiger bräunliche Haut (51,9 %) als die Srauen (30,4 %), 
umgelebrt ift das Derhiltnis der bellen Aautfarbe. Die Rombinationen der Sarbfattoren 
Bönnen bier nicht erörtert werden, die Raffenbeurteilung der Typen aber, die fich auf die 
Gefamtheit der Merkmale und auf korrelative Beziehungen derfelben ftügt, gibt einen Sins 
weis bierauf wie auf die Kombinationsverhältniffe der übrigen Merkmale: Die ftärkfte 
Gruppe ift bei beiden Gefchlechtern die dinarifce (40% bei den M., 25%0 bei den Sr.), an 
zweiter Stelle ftebt bei den Männern die dinarifchsnordifche (über 1/4), bei den Srauen die 
alpine Gruppe (14), ibr folgt in etwa gleicher Stärke die dinarifchsalpine. Bei beiden Ges 
fehlehtern betragen die genannten Gruppen mehr als 3/, dee Gefamtbcit. 


124 Doll und Raffe. 1932, II 





Die Pigmentierungsverbältniffe deuten weiter an, daß mit nordifchem und alpinem 
Einfhlag die Blondheit zunimmt. Weitere Einzelheiten der Rombinationsverhaltniffe 
werden tm Sinne der angenommenen Raffenmifchung erörtert. 

Der anfchließende Abfchnitt bebandelt den DWollscaralter, wie er fid in Um 
formen, Dollswig, Lied, Tanz und anderen künftlerifchen Meigungen und in der reli ‘Sten 
Aaltung der Bevdilerung dufert. Weitere Abfdnitte handeln über: Wirtfchaft, Roft, —— 
Hausgeräte, Tracht, Sitte und Brauch, uͤber die baͤuerliche Juſtiz, wie ſie im Aaberfelds 
treiben gebbt wird, und uͤber das Wildern. Die Darſtellung der Abſchnitte Haus und Hause 
geraͤte iſt durch rund bo gute Abbildungen ergaͤnzt. Auf den 9 Bildtafeln ſind 27 Perſonen 
in Vorder⸗ und Seitenanſicht abgebildet. 

Wenn der Verfaſſer die voltskundlichen Beittaͤge der Arbeit auch nur als „Bauſteine 
fie eine Bebandlung dieſer Fragen auf weiterer Grundlage“ bewertet wiſſen moͤchte, darf 
doch hervorgehoben werden, daß dieſe Beitraͤge das Werk im Rahmen der bisherigen Ver⸗ 
oͤffentlichungen der „Deutſchen Raſſenkunde“ beſonders auszeichnen. 

M. 5eſch, Leipzig. 


Juliana von —— Dom nordifdhen Geifte. Cin Reifebudh aus Standinavien 
mit Originalbeitragen von Sigrid Undfet. Verlag Röfel u. Puftet, Münden 1930. 262 6. 
Preis kart. ME. 4.50, geb. ME. 6.—. 


Mit innigem Klaturempfinden und in der fhönften Sprade dichtet und erzählt Juliana 
von Stodbaufen ihre Erlebniffe im nordifchen Lande der Schweden, Klorweger und Dänen, 
durchwoben von Sagen und Helden der germanifden Vorzeit. Und doch vermiffe ich in 
dem Buche „Dom nordifchen Beifte“ den nordifchen Geift. Troy Llordland und Llordraffe 
ftebt Juliana von Stodbaufen und Sigrid Undfet katholifches WDefen im Vordergrund. 
Llordifcher Beift findet feinen Ausdrud nicht in Erldöfungsfehnfucht, Sündenbewußtfein und 
Anlebnungebedürfnis an die Kirdhe, fondern in volllommener Unabhängigleit und Selb- 


ftändigkeit, in uneingefchräntter Bejabung des Lebens. Das Deer ene ae — ge⸗ 
e 


ſunden Germanen wenig. 


Der Auslanddeutihe Aalbmonatesfdrift 
für Auslanddeutfhtum und Auslandlunde, 
Mitteilungen des deutfchen Auslands Inftis 
tuts (DAJ.) Stuttgart, berausgegeben im 
Auftrage des BAZ. von Dr. ae Werts 
beimer, Scriftleitung Br. Hermann Rus 
diger. (Suc Mitglieder 6. DAZ. gegen Jabs 
resbeitrag von 20 M.). 

Der „Auslanddeutfche“ ift zweifellos das 
Organ, das am fchnellften, fadhlichften und 
ausführlichften alles Wichtige über das Ges 
famtgebiet des Auslanddeutfchtums in der 

nzen Welt bringt. €s ift fozufagen das 

edblatt des Auslanddeutfdtums. 193) ftebt 
es bereits im 14. Jabrgang. Geit Jahren 
bat das Blatt folgende —— Eintei⸗ 
lung: 1. Größere Auffätze über allgemeine 
oder regionale Sragen, 2. Briefe aus dem 
Ausland (mit kleineren Auffägen), 3. Bes 
richte vom Auslanddeutfchtum, wobei eine 
regelmäßige Rundfdau das Fleuefte aus dem 
Deutfhtum der ganzen Welt bringt, dazu 
folgen Berichte über Schulwefen und Kirche, 
Dereine, Runft, Wiffenfchaft und Sport, 
Bud und Zeitung im Ausland, Wirtfchaft 
und Wanderung. Le fließen fid) daran 
regelmäßige Berichte über die Auslandsdeuts 
fen im Reich, über Rulturpropaganda des 
Auslandes und Über die eigenen Arbeiten des 
DAI. Sehr wichtig und fiderlid) faft volls 
ftändig ift die Bibliographie über Auslands 
deutfchtum und Auslandlunde, wobei wichs 


tige Pleuerfcheinungen daneben noch befons 
ders befprocen werden. 

As Rennzeiden des Deutidtumse gilt für 
das DAT. und den „Auslanddeutichen“ in 
erfter Linie Sprade und Voltsbeienntnis, 
erft in zweiter die Abftammung, fo daß 
3. B. die Juden nur dort als eigenes Doll 
gewertet werden, wo fie fich felbft als fols 
des empfinden. 

Davon abgefeben behandelt der Auslands 
deutfche gleihmäßig Theorie und Praris des 
Auslanddeutfchtums von zentraler Sammels 
ftelle aus, alfo auch einſchlaͤgige wiſſenſchaft⸗ 
lide Sragen, und ift vor allem ein unents 
bebrliches vielfeitiges Mitteilungsblatt. 

Werner £ffen. 


Georg Bonne: Das Verbredhen als Krank: 
beit. Geine Entftebung, Heilung und Derhus 
tung. Minden 19237. Derl. Ernft Reins 
bardt. 208 GS. Preis Ml. 4.50. 

Der Derf. ift auf Grund feiner Erfahrung 
als Anftaltsarzt zu der Anfchauung geloms 
men, daß der Typ des rüdfälligen, fog. Bes 
rufsverbrecdhers eine pathologifde rfdeis 
nung fei. Dfycdifde Anomalien, Wutans 
fälle, Hleigung zu verbrecherifchen chandlun⸗ 
gen uſw. ſcheinen ihm Anzeichen einer krank⸗ 
haften Veraͤnderung des reagierenden Ge⸗ 
hirns. Es handle ſich zumeiſt um Wegfall 
gewiſſer Hemmungen. Solche Kaͤhmungs⸗ 
erſcheinungen aber waͤren hervorgerufen 


1932, II 


Buchbeſprechungen. 


125 








durch Rauſchgifte aller Art (Alkohol, Nikotin 
uſw.), durch Schaͤdelverletzungen und durch 
die in Paralyſe uͤbergehende Syphilis. Waͤre 
dieſe Erklaͤrung richtig, dann muͤßte nach der 
Anſicht des Verfaſſers eine Behandlung und 
Ausheilung der zugrunde liegenden organi⸗ 
ſchen Schädigung auch eine piychilche Ders 
änderung zur Solge baben, das Verbreders 
tum mußte beilbar fein! Die Auffeffung 
Bonnes folgt aus der einfeitig periftatifchen 
Begründung einer aber legten Endes 
Surh Erbanlage bedingten Erfcheinung. 
Es ift befannt, daß fich bei typifchen Ges 
wobhnbeitsverbredern außer angeborenen 
pirbifdden Anomalien auch allerlei körpers 
liche Degenerationsmertmale (3. B. Ataviss 
men, tranthafte Schädelformen ufw.) in ges 
bauftem Maße finden. Die genotypifde 
Minderwertigteit als Urfadhe des Berufss 
verbrechertums 3eigt fid vor allem in den 
durch Generationen hindurch zu verfolgenden 
Derbrecherfamilien, 3. B. den Claffifd gewors 
denen Samilien Rallitat und Zero. Die Auss 
mers der Branlten Erbmaffe, die in vors 
liegendem Duc überhaupt nicht erwähnt 
wird, ftellt fomit das wichtigfte und aus» 
fichtereichfte Bampfmittel gegen das Vers 
brechen dar. . Weber. 


Deutihe Hefte für Volks: und Kultur: 
bodenforſchung. Herausgeber Wilhelm 
Dols und Hans Schwalm. Stiftung 
für deutfhe Volles und Rulturbodenfors 
fhung in Leipzig. Verlag Julius Belg, 
KangenfalzasBerlins£eipzig. Jabrg. I (3930), 
Seft ı 56 + 16 SG. 2 Karten. Aeft 2 
S. 67—}28 + 17—40 und 2 Karten. 

Der nddftliegende Ausgangspuntt für 
diefe Zeitfchrift war die Ichon feit einer 
Reihe von Jahren geleiftete vorbereitende 
Arbeit der „Stift für deutfche Volles 
und Rulturbodenforf “. Aus ihr ift fie 
unmittelbar berausgewadfen, bat durd fie 
ihre Herausgeber und einen reichen Stab von 
Mitarbeitern aus den verfchiedenften Sors 
fhungsgebieten gewonnen. 

In größeren Auffägen wird von kundis 
gen Verfaffern u. a. die Volkskunde der 
deutfhen Stämme und Schläge (Emil 
Lehmann), die deutfche Befiedlung Schles 
fiens und die Rirde (Sranz Xaver Luppelt), 
die Erforfhung der Merrfchaften und Ges 
richte der Alpenländer und ihre Bedeutu 
für die flrdoftdeutide Rolonifation (ern 
Biebel), die Befiedlung der Sudeten (Jofeph 
Pfigner), der Rüdgang des Wendentums 
(Selig Burkhardt und Fans Schwalm) bes 
bandelt. Dazu kommen Berichte aus Ins 
ftituten und Sorfhungen, ein Literaturbes 
richt, Llachrichten, mit befonderer Seiten« 
3ablung eine Bibliographie der einfchlägie 


Erfdeinungen des Jabres 1928. Meine 
in Aeft 2 gebrachte ausfubrlide Befprechung 
von Jegorow, Die Rolonifation Medlens 
burgs im 13. Ib. Bd. I bat now 3u auss 
fhließlid unter dem Cindrud des damals 
allein erfchienenen erften Bandes geftanden. 

Bei vorziglider Ausftattung oder Hefte 
feblt es audy nidht an ausgezeichnetem Bars 
tenmaterial. Heft 1 bringt zwei fehmerz« 
lid Iebrreiche Karten über die Brenzzers 
reißungsfchäden im Often, Heft 2 die bochs 
interefjanten Bevdllerungstarten der Obers 
und Fliederlaufig auf Grund der Vollezähr 
lungen von 1910 und 1935, worin der ans 
baftende Rüdgang der wendifchen Spracde 
nah dservonWilbelm Dols für fprads 
lid) gemifdte Gebiete erfonnenen Methode 
deutlich zum Ausdrud gebracht iſt. 

% Witte. 


Wilhelm Gürge: Daneuropa und Mittel: 
europa. 2. Auflage. Berlin 3929, B. Staars 
Derl., 37 S. Preis Me 3.—. 

In Claren einleuchtenden Gedantengdngen 
wird bier eine politifhe Srage vom Ges 
fichtspuntt der Voltswirtfchaft aus bebans 
delt. Bewußt gebt der Derfaffer von der 
deuticden Wirtidaft aus und kommt in feis 
nen febr logifhen Schlüffen zu einer Ablebs 
nung eines paneuropäifchen Bebildes zuguns 
ften einer mitteleuropäifchen Zollunion, bes 
ftebend aus Deutfchland, Ofterreich, Ungarn, 
Sudflavien, Rumänien, Tfchehei und Pos 
ken. Abfichtlich ftellt der VDerfaffer wirts 
fhaftlihe Gedantenginge in den Vorders 
geund. Darum würde eine foldye Arbeit uns 
bedingt einer bevölkerungspolitifchen Ergäns 
zung bedürfen. Auf alle Salle ift diefes ins 

ve Bud jedem Peolititer und Wirts 
fchafter warm zu empfeblen. 
Werner €ffen. 


Beimat. Vorarlberger Monatshefte. AHeis 
matlundliche Mitteilungen des Vorarlberger 
Landesmufeums und dser Heimatmufeen. Hers 
ausgeber: Dorarlberger Landeamufeum, , eis 
mat“sDerlag, Innebrud. Jährlich 12 Hefte. 
Preis jabrlih Me. 4.50. 

Auch in den neuen, den 12. Jahr ang, bas 
ben die „Vorarlberger Wonatshefte” ihre 
Vielfeitigteit mit berübergenommen. Der 
Ausgangspunlt ift und bleibt natürlich das 
Vorarlberger Land, das dem Lejer nabe ges 
bracht wird fowohl in feinen botanifchen, 
s00logifdyen und geograpbifchen Ligenbeiten 
als aud in feiner Wirtfcdaft, Gefcdidte und 
Doltstunde (Gams, Die Waldgefdidte Dors 
arlbergs; Morfder: Der ebemalige Tabatbau 
in Sraftanz; Leuprecht: Die usmarten 
in Bludenz und Umgebung; Helbot: Ciniges 
zum Suntenfonntan): Darüber binaus wird 


126 


Doll und Kaffe. 


1932, II 





aber in anderen Arbeiten verfuct, den Zus | 


fammenbang mit den Miacbargebieten bers 
zuftellen, ja, Überblide über das ganze deuts 
fe Dollstum zu geben. ine foldye Arbeit 
feben wir fhon in der von Helbol (Ciniges 
zum Suntenfonntag), die die Verbreitung 
diefes Braudyes über ganz Weltdeutichland 
bin verfolgt. Mod tlarer tritt das Sinzielen 
aufs Gefamtdeut{dtum in dem Auffage von 
Helbot „Menſch und Doll” zutage, der dars 
auf binweift, wie ftar? 3. GB. fron die 
Spradgrenzen abhängig find von den fpäts 
mittelalterliden Territorien, daß alfo der 
Stammespartilularismus etwas Gewors 
denes ift und wohl der größeren Einheit 
„Volt“ Raum geben fann. A. Grau. 


Mein Heimatland. Badifde BI. f. Volkes 
kunde, berausg. von Eris Buffe, Sreiburg i. B. 
s. 9. jahrl. Preis einfcdlieflidh des Jabress 
beftes ME. 6.—. 

Das Sreiburger „Heimatland“ ift fo recht 
eine Zeitfehrift nach dem Herzen derer, die 
für die deutfche Heimat und fpeziell für dies 
fes, ibr fudweftlidhes Gebiet, Intereffe haben. 
Fichte nur den gebürtigen Badener, fondern 
auch die volles und beimattundlid Inters 
effierten aus den anderen deutichen Bauen 
geben folcdhe Auffäge an wie: Ebner, Zur 
Geſchichte ser Hogentradht; Runzig, Dom 
Dollstans; in Baden; Hoffmeiſter, Volks⸗ 
tundlides aus BammentalsReilsheim; Wals 
ter, Bauerntrieg und Dollsiberlieferung; 
Edftein, Uber die Oftereier, die vielgeplagte 
Gésttin Oftara und die Eier Überhaupt; oder 
auch: Herbiter, Galmenwdge am Hodrbein; 
Auffage, die oft Grundfaglides 3u volle» 
tundlichen Sragen zu fagen haben. „Lieues 
von Hebel“ und „I. P. Sebels Ahnen“ 
(Obfer), ,Aeidelbergs Mufitleben bis zur 
Gegenwart’ (Bafer) und andere find endlich 
Auffage, die die Renntnis von der Heimat 
in literar⸗ und kunſthiſtoriſcher Hinſicht er⸗ 
gaͤnzen wollen. Die eigentliche Geſchichte 
der Heimat komnit felbftverftandlid nicht zu 
kurz. Am Schluffe jedes Heftes findet dann 
aud nod der Samilienforfcher in dem Abs 
ſchnitt „Badiſche Samilienforfhung“ fein 
Arbeitsgebiet vertreten. BR. Grau. 


Alfred Karafek:Langer und Elfriede 
Stezugowfki: Sagen der Beskidendeutihen. 
Plauen i. D. 1930. Gimther Wolff Vers 
lag. 261 S., $ Sederzeichnungen, 3 Karte. 
Preis tart. Mt. 7.—, Leinen ME. 9.—. 

Die Bestidendeutfchen gehören dem fhles 
fifchen Doltsftamme an. Durcdy den Dergleich 
des Gagengutes der Spracinfeldeutiden mit 
dem ibrer fcdlefifhen Stammesbrider im 
ebemaligen Mutterland kommen die Pers 
faffer zu einem zweifachen Ergebniffe: Eins 


mal feblen den Bestidendeutfchen Gagens 
geftalten, die wohl der Deutfchfchlefier, nicht 
aber der benachbarte SiIawe kennt; andrers 
feits treten Sagenmotive, die beiden Völkern 
Be nom find und foldhe, die fich nach der 

pradgrenze bin baufen, in der Sprachinfel 
in breiter Schicht auf. 

Was Rarafelslanger und Str3ygowfti 
zur Sagengeograpbie ausführen, läßt fich 
fadlid und methodifdh aud auf die Sprach 
geograpbie im allgemeinen und die Munds 
attgeograpbie im befonderen obne weiteres 
anwenden, und fo ift von diefer Seite ber 
das Buch geeignet, die Ergebniffe der Miunds 
artforfhung zu ergänzen und zu ftüten. 

Diefe genfammlung der Bestioens 
deutfchen wendet fich fowohl an den RBreis 
der wiffenfchaftliden Sorfcher, wie an die 
vielen Sreunde des BDeutfchtums innerhalb 
und außerhalb der Reichsgrenzen und kann 
mit gutem Bewiffen beftens empfoblen wers 
ven. Sriesrihb Lüers, Münden. 


ans Krieg: Schleswig-Holfteinifche Dolks- 
kunde aus dem Anfang des 19. Jabrbuns 
derts. I. Tel: Landfdaftlide und wirts 
fhaftlihe Grundlagen. Lübel 3931. Sr. 
Weftpbal Derlag. 1327 S. Preis gebeftet 
me. 3.20. 

Es ift nicht nur reizvoll, fondern vom 
wiffenfchaftliden Standpunlt aus geradezu 
ein Erfordernis, daß man die Ergebniffe der 
Gegenwartevollstunde durch Arbeiten aus 
der biftorifhen Dollstunde ergdn3t. Das 
ftößt aber leider nur zu oft auf die cinfade 
Sewierigttit, daß aus früberen Jabrouns 
derten nur wenige Aufzeichnungen aus dies 
fem Gebiete vorhanden find. In einer vers 
bältnismäßig fehr günftigen Lage ift bier 
SdhleswigsHol(tein. Dort erfhienen in der 
erften Hälfte des 19. Jabrbunderts die 
„Schleswig⸗cholſteiniſchen Provinzialbe⸗ 
richte“, die in ihren Anfaͤngen die Zeit⸗ 
ſchrift der Schleswig⸗Holſteiniſchen patrio⸗ 
tiſchen Geſellſchaft waren, die 17280 gegrüns 
det worden iſt. Die Provinzialberichte rei⸗ 
hen bis 1834, wo ihnen die Beſchraͤnkung 
der Redefreiheit ein Ende bereitete. Bis da⸗ 
hin ſind ſie ein geradezu einzig daſtehendes 
Muſterbeiſpiel — Preſſefreiheit 
und Offenheit der Sprache. So iſt es nicht 
zu verwundern, daß ſie fuͤr den Volkskunde⸗ 
forſcher eine wahre — darſtellen. 
Das daraus gewonnene Material hat der 
Verfaſſer in zwei Hauptgruppen geteilt, da⸗ 
von die erſte die landwirtſchaftlichen und 
wirtſchaftlichen Grundlagen und die zweite 
die volkskundlichen Einzelerſcheinungen be⸗ 
handelt. 

Hans Krieg bat jedenfalls mit feinem 
Bud ein ganz ausgezeichnetes Beifpiel der 


1932, II 


biftorifchen Volletundeforihung geichaffen, 
das hoffentlich recht zahlreiche Lradhahmer 
finden möge. 

Stiedrih Lüers, München. 


Oberdeutihe Seit(hrift für Volkskunde. 
Ig. 3—5 (1929— 31). 2 Hefte jährl. (mins 
deftens 10 Bogen), zufammen Me. 4.—. 
Schriftleiter Prof. Dr. Eugen Sehrle, Heidels 
berg. Derlag RontordiaAG., Bühl (Baden). 

ie man aus den bisher vorliegenden 
Jabrgangen leicht erfeben kann, gibt der 
Titel „Oberdeutfche Ztichr. f. OD.“ nur die 
Bafis, den Ausgangspunlt, keineswegs aber 
den Rahmen der bier durchgeführten Unters 
fucdungen an. Widt nur Auffage über Volles 
tundliches aus anderen Bebieten Europas 
fuchen das Derftändnis für die deutfche Volles 
kunde zu fördern, — fo wenn Bofh über 
„Weihnachten in der Provence” (Ig. 4) bes 
richtet und Vergleiche zieht Zwifchen den ergs 
gebirgifchen Weibnadtslrippen und den pros 
vencalifchen, oder wenn Rarafels£anger über 
den Brauch der „Bindelweih“ in deutfchen 
Dérfern Wolbyniens fdreibt (Ig. 3) —, 
auch allgemeinen Sragen der Dollstunde 
wird in den Heften diefer Zeitfchrift mache 
gegangen. So gebt Sehrle im 2. Aeft des 
4. Jabrganges auf die Begriffe „aejuntenes 
Rulturgut” und ,primitive Gemeinfdafts: 
kultur“ (vgl. Hans Kaumenn) ein. Befons 
dere Aufmerkfamteit erlangt dabei ein Teils 
ebiet der Volkskunde, nämlid das Volles 
d. So wendet fid €&. 4. Meyer in feinem 
Artitel ,Gefuntenes Rulturgut” (Ig. 4) ges 
gen diefen Begriff gerade von der Seite des 
Volleliedes aus. BDasfelbe Gebiet wiederum 
ift der Ausgangspuntt für 10. Schubmacers 
Aufruf zu einer „Zeitgemäßen Volkskunde“. 
Die Derbindung mit der Völlertunde wird 
bergeftellt durch die Befchreibung der , Hands 
amulette der von PortbeimsStiftung“ (Ig. 5) 
von G. Großmann, die 3. B. reiches Mas 
terial auch aus Flordafrita verwertet. Übers 
baupt find Dollsglaube und Dollsmedizin in 
einer ganzen Reibe von Auffdgen vertreten, 
von denen nuc Rriegers ,Dolfsglaube im 
Rraidgau” (3g. 4), —“ „Beitraͤge 
zur Volksheilkunde“ und, Beitraͤge zur Zahn⸗ 
heilkunde im Mittelalter” (Jg. 5 u. 4) und 
endlich Rriß' „Volkskundliches aus den 
Mirakelbuͤchern von Maria Eck, Traunwal⸗ 
en, Rößlarn und Aalbmeile’ (Ig. 5) ers 
wähnt feien, weld legterer bier Material 
verwendet, das er bei feinen Studien an 
verfchiedenen Wallfabrtsorten Bayerns ges 
fammelt bat (vgl. Rrig, Dollstundlides aus 
altbayrifhen Gnadenftätten, 1931). In 
leicher Deife pflegt die „Oberdeutiche Ff. 
. Vollstunde“ auch die anderen Teilgebiete 
der Dollstunde, wie die Gagens, Marden: 


Budbefpredhungen. 


127 


und Legendenforfhung, Sitte und Braud 
befonders Oberdeutidlands, Dolktstunft und 
materielle Dollstunde, deren einzelne Aufs 
Kg bier aud nur auszugsweife zu ers 
nen mir der befchräntte Raum verbietet. 
Selbftverftändlich erfchöpfen auch die obens 
nannten Auffage keineswegs den in diefer 
Seitfehrift vertretenen Inhalt der betreffens 
den Teilgebiete. Endlich fei noch erwähnt, 
daß aud die Grengzgebiete die notwendige 
Beadhtung finden, daß alfo aud Germaniften 
und Rulturbiftoriter vor allem recht inters 
effante Beiträge vorfinden. 
R. Grau, Leipzig. 


Der Oberfchlefier. Monatsfdrift fir das 
beimatliche Rulturleben. Jg. 13 (3933). Ors 
gan der Arbeitsgemeinfchaft für hHeimats⸗ 
pflege und Dolltebildung. Iahrli 32 e. 
Dierteljäbrlid ME. 3.—. Perl. Rarl Sezos 
drodsOppeln. 

Es gibt bisher nur wenige AHeimatzeits 
fchriften, die fich inbaltlih für die Dauer 
auf einer folcdben Höhe halten können wie 
„Der Oberfchlefier“. — Der neue Jahrgang 
bringt wiederum eine redht beachtliche Reihe 
von Beiträgen zu dem wichtigen Kapitel 
der Sagenforfhung, fo u. a. Hoffmann, 
Sagen aus dem Rreuzburger Land; Karas 
fetsLanger, Sagen vom Bergwertegeift aus 
der RremnigsDeutfchsProbener Spradinfel; 
Slupit, Don Heren und dem Waffermann in 
Zalenze. Auffage wie Chrobok: Altes Berg» 
mannss und Handwerksgerdt, JanofdsRas 
tibor: Aultfchiner Volkslieder, Gnielczyk: 
Dollsbrduche bei der Taufe im Rreife Leobs 
(bug, Wilhelmi: Aberglaubensformeln in 
Oftoberfdlefien, und Perlid: Oberfchlefifche 
Grenszlandvoltstunde zeigen, daß kein Zwei 
der Volkskunde bier vernachläffigt wird. Beis 
träge zur Befchichte, Runfts und Literaturges 
fchichte, Wirtfchaftes und Heimattunde und 
Berichte aus dem beutigen Leben Oberfdles 
fiens führen dann weiter dem Kefer Land 
und Volt diefer Oftprovinz von allen Seiten 
vO 


r. 

Ein beſonderer hinweis ſei noch geſtattet 
auf das Heft 3 diefes Jabrganges, das Er⸗ 
kebnisberichten aus der Zeit der Oberfchlefis 
fyen Voltsabftimmung gewidmet ift. Auf 
70 Seiten ziehen nody einmal an uns das 
ftille und das tätige Heldentum all der AHeis 
mattreuen vorüber und das bittere Leid, das 
in jenen Tagen das „Land unterm Kreuz“ 
ertragen mußte, obne von den Brüdern im 
Reich Shug und Hilfe — koͤnnen. 

.Grau. 


Zeitſchrift für Ortsnamenforſchung, her⸗ 
en = Jofe See Band V, 
teft 3, Verlag von R. Oldenbourg, Mim⸗ 


128 


Volt und Raffe. 


1932, II 


hensBerlin 1929. — Das eft Mil. 5.50, 
der Band —= 3 Hefte Me. 13.—. 

Die ausgezeichnete Zeitfchrift bat fich unter 
der bewährten Leitung ihres Begründers in 
verhältnismäßig kurzer Zeit internationalen 
Auf erworben. Sie ift die erfte und einzige 
Ser. diefes Inbaltes in deutfcher Sprache. 
Sie führt in die reiche Sulle von Sragen 
ein, die bei einwandfreier Deutung von 
Ortsnamen ins Auge gefaßt werden müfien. 
Auch) das vorliegende Heft weift wieder eine 
Bunthbeit des Stoffes auf, die fowohl für 
den Sadımann als audy für den Außenftebens 
den böhft anregend und belehrend ift. 


Die erfte Abhandlung ftammt aus der Ses 
der von Th. Arlt, „Zur geograpbis 
fben Derbreitung verfdiedener 
Ortsnamengruppen in Sadfen“. 
Des weiteren handelt Georg Weiten» 
böR über den vielumftrittenen bairifchen 
Ortsnamen ‚Bafteig‘ und der Herausgeber 
felbft uber ,Tamenprobleme im Ges 
biete de8 altbairifhben Stammes’ 
und deutet u. a. die verfchiedenen , Kaps‘s 
Orte als fubftantivifche Ableitungen zum 
3eitwort ‚tapfen‘ = fchauen. 

£s folgt eine ausgezeichnete Abhandlung 
von Karl Sinfterwalder, „Über 
Tauernnamen“. Er befhräntt fich nicht 
auf deutfche Flamen, fondern beridfidtigt 
aud die Alpenwörter und Slawifdes und 
Romanifches in feinem Gebiet. Die uns 
gemein große Fabl der romanischen Llamen 
im Ralfer Gebiet überrajcht. Ihre Deutung 
fest tieffcbtirfende Renntniffe auf comaniftis 
fhem Gebiete voraus, die der Derf. voll und 
ganz innebat. 

Beiträge zur Slurnamenfors 
[bung aus dem Nachlaß R. Dolls 
Dollmanns zeugen für das feine Emps 
finden, das diefen baperifchen Sorfcher auf 
Grund genauer Beobachtungen zu zwingens 
den Deutungen führt. — Kine zufammens 
faffende Arbeit ftellt die „Bibliogra- 
phietoponomique de la Bour- 
go gne“ dar. Den Beichluß bilden eine 

eibe anregender Buchbefprechungen. 

Eberhard Rranzmeayer, 


MincensWien. 


Bolko Schr. v. Richthofen: Altfteinzeit- 
lihe Sunde aus der Provinz Obericlefien. 
Aus Öberfchlefiens Urzeit, Heft 7 (Sonder 
drud aus Kiszeit und re Wien, 
VII, 1930). 47 S. mit s Taf. und 14 Abb. 

Unter den in legter Zeit neu entdedten 
altfteinzeitlihen Sundplägen aus BDeutfchs 
land ıft ©berfchlefien mit einer bemerlenss 
werten Zabl von Sundftellen vertreten, die 
in erfter Linie der rührigen Gammeltatigheit 
des Derfaffers felbft verdankt werden. In 
der vorliegenden Arbeit wird der ganze bis« 
ber belannt gewordene Sundftoff eingehend 
befhrieben und überfichtlich geordnet. Sers 
ner wird der Derfud gemadt, die an tys 
pifchen Werkzeugen nod sziemlid armen 
Seuerfteinmengen innerhalb der Altfteinzeit 
zeitlich einzugliedern. Danady dürfte das LöB- 
gebiet im fudlichen Oberfchlefien während der 
AurignacsStufe vom Menfden des Jungs 
paldolithitums, der offenbar aus Mäbren 
ins Land gelangte, durchftreift worden fein. 
Die befonderen geologifden VDerbältniffe des 
in Srage tommenden Gebietes geftatten nur 
in feltenen Sällen auf Stratigrapbie berubens 
de Schlüffe und erfehweren fo die Beurteis 
lung der Sunde recht erbeblid, ein Mangel, 
der aud vom Verfaffer tlar erfannt worden 
ift. Als Ergänzung zu der angezeigten Arbeit 
wird der Spezialforfcher au einen in Alts 
fehlefien III, 2 erfcheinenden Auffag von F. 
Wiegers beranzieben müffen. 

€. Detecfen, Breslau. 


€. von Wedekind: Das Märden vom 
Menihen im Kriftall, eine efoterijdeftereos 
metrifhe Gefchidte fir politifche Rinder. 
Berlins Tempelbof 1933. Edwin Runge 
Werl. 46 S. | 

Man follte es nicht glauben, daß fich unter 
diefem Titel eine durchaus pofitiv zu wers 
tende Befchäftigung mit der Raffenfrage und 
eine Betonung der biologifchen Lebensträfte 
der Völker verbirgt. Es ift ein Zeichen uns 
ferer Zeit, daß diefe Sragen beute auch nach 
einer Bünftlerifchen wie politifhen Auswers 
tung drängen. BDiefe febr originelle Beine 
Schrift, die durch fymbolifche Aaumfiguren 
iNuftriert ift, entbält oft recht feine Gedanten 
in reizpoller Sorm. Werner Effen. 


Deutfche und Wiener Anthropologifde Gefellfdaft. 


| Auf der vom 20. bis 33. September 1932 in Wien ftattfindenden gemeinfamen 
Tagung der Deutichen und Wiener Anthropologifden Gefellidaft foll im Mittelpuntte der 
wiffenfchaftlichen Erdrterungen das Thema „Rultur und Kaffe“ fteben. An die Tagung 
fließt eine mebrtägige Autofahrt zu den Ban vorgefhichtliden Sammlungen und 


Runftplägen Ofterreihe an. Anmeldungen und 


nfragen find an die Wiener Anthropos 


logiſche Gefellfcaft, Wien I, Burgring 7 3u richten. 











































an eingeschicktem Blutstropfen. Einzelun 

RM. 5.—. Versanarährchen ra, Acoma 
Dr. med. Wilhelm Hilsinger, Berlin-Lankwitz 
Marienstr. 19. Fernruf: G. 3: 5572. 


Haltbares „Ballungs - Test“ »- Serum zur 
bestimmung: je I1ccm A, B und O RM. 10.—. 


Deutiche Köpfe nordischen Katie 
6.—8. Taujend. 50 Abb, mit Geleitworten 

= | v. Prof. Dr. E.Fiiheru. Prof. Dr. Hans 3.8. Günther. 

Kart. AM. 2.15. 

Diefe Köpfe find tatfählich eine Auslefe prächtiger, echt germanifch 

wirkenber deuticher Männer und Frauen, „Deutide Zeitung”, 


3 3 Lchmannd Berlag, Münden. 










Kommijjionderlag E. Stilgenbauer 
in Neujtadt a. Dd. 9. 3 Mark kartoniert 


und franko. 





AEAERERLULUDLERULLEREERERERERDRRERERE 





Raffentundlihe Werte von Prof. Dr. Günther, Jena: 
In 14. und 15. Auflage (45.—49. Taufend) liegt vor: 


Raflentunde des deutfchen Dolfes 


Mit 583 Abb. und Karten. Geh. RM. 10.80, Liwd. RM. 12.60, Halbleder RIN. 16.20. 
„Benn irgendein Zeig der neuen Korfchung fich feinen Wert erjt fchaffen mußte gegen alle 
Zotfchweigeverfuche der Pächter des „Kortfihritts”, fo ift es die Raffentunde, die ihren derzeit 
bedeutenijten Vertreter eben in Günther hat. Um zu überfehen, was er gefhaffen hat, braucht 
"man nur die erjte Auflage diefes Buches mit der, jest vorliegenden zu vergleichen, das zum 
Trog gegen den Boykott der fogenannten Weltpreffe eines der am meiften gelefenen und ver: 
breiteten Bücher des neuen deutfchen Gchrifttums gemworden it.”  (Deutfche Tageszeitung.) 


Raffenfunde Europas 
3, Aufl. 1929. Mit 600 Abb, und Karten. Geh. RIN. 9.—, Lwd. RI. 10,80. 
„Ber diefe „Raffenkunde Europas‘ gelefen hat, ift über den Stand der zahllofen, in unfer 
Bolksleben und unfere Zufunft tief einfchneidende Kragen genau unterrichtet und aud) befähigt, 
fi ein Urteil zu bilden und zugleich überzeugend zu wirken. Deshalb ift das Bud) aud) eine 
wichtige Grundlage für den nationalen PBolititer!“ (Nlin,: Rat, H. Konopath,) 


Kleine Raffentunde des deutfchen Doltes 


Mit roo Abb. und 13 Karten. 2. Aufl. Geh. RIM, 2.50, Liwd. RIN. 3.60. 


„Das Bud) heißt mit Recht ‚Boltsgünther‘. Es bringt alles wejentlide und ift fo gehalten, 
daß es jeder lefen und verjtehen kann,” (Die Heimat.) 


BRaflentunde des jüdifchen Doltes 


2. Aufl. 1930, 360 ©. mit 305 Abb. u. 6 Karten. Geh. RN, 9.80, Lwwd. RIM. 11.70. 
„SDier fchreibe ein Wahrheitfucher.‘‘ (Deutfdy: öfterr, Lehrergeitung.) 
„Bei der viel zu geringen Berbreitung wirflider Kenntnis der SJudenfrage Pann diefes vor: 
züglidy ausgeftattete Bud) tweiteften Kreifen nur dringend empfohlen tverden; zur Belehrung 
über die Gefchichte, die raffishe Zufammenfesung (förperlidy gefehen) des Judentums und über 
feine derzeitige politifche Bedeutung im Abendlande.‘ (Der Tag.) 
„Anfchaulichkeit, Gadhlichkeit, vornehmfte Gerechtigkeit in Ton und Denfart ; nidyt zum wenigſten 
aud) Kormenfchönheit und Reinheit der Sprade. Günther hat hier den Schlüffel zur 
Judenfrage gelicfert. (Die Gonne. ) 


SS $ ftebmannuns Derlag- Minben 

















Deutihe 7 
Landesfunde 


Umyrijje von Landichaft und Dolfstu 
in ibrer: jeclijchen Derbundenbeit 


Hon Gwald Banie | 


Teil I: Deutjihland als Ganzes, Nieder- und Mittteldeutichland, 
327 S. mit 60 Abb. Geh. RM. 10.—, £wd. RM. 12.—. Teil IE 
Süddeutichland und Alpendeutichland. 320 S. mit 59 Abb. u. 2 farb, 
Karten. Geh. RM. 10.—, Iwd. RM. 12.—. Beide Teile in einem 
Band gebd. RM. 20.—. Jeder Teil ijt auc einzeln fäufli. 












Wir meinen alle, Deutichland fei das bejtbefannte, bejtbejchriebene Land der Erde 
und wir jelbjt fennten es im großen und ganzen recht gründlich. Wenn man Banies 
Landeskunde gelejen hat, dann fieht man erjt, was alles dem naiven Reijenden 
entgebt und was nur einer darjtellen fan, der: in 25 Jahren der Dorbereitung 
und in unzähligen Reijen jein Wijjen und jeine Erfahrungen 3ujammengetragen” 
hat. Banje ijt der Bahnbrecher der modernen Geographie und jein Wert ijt etwas 
Neues im geographijchen Schrifttum. Neu ijt zunädjjt das Räumliche, Er behandelt 
das ganze deutjche Land, den von 92 Millionen deutihipradjiger Menichen bewohnten 
Raum Mitteleuropas einjchließli der Holländer und Damen, der Schweizer und 
Ungarjdwaben. Er zeigt die Deutichheit in Landidhaft und Dolfstum aud) dort, 
wo fie im Laufe der Jahrhunderte etwas verjchüttet wurde. Meu ijt aber aud) die 
Einteilung des deutihen Landes in |Raumjchaften, die aus den Gegebenheiten Der 
Stammestümlichteit und der Natur abgeleitet wurden. Sie heben jidy voneinander 
ab durch Eigenheiten der Landihaft und Mundart, des jeeliihen Ausdruds und der 
Wirtichaftsgebarung. Eine farbige Karte zeigt ihre Abgrenzung und bietet damiz 
einen wichtigen Beitrag zur viel bejprochenen Neugliederung. 


Banjes Werf leitet eine neue Art der Erdbejchreibung ein. Sein Werk; das tier 
aus dem Deritehen deutiden Landes und deutjder Doltheit heraus ermadjen ijt, Ht 
bis in die fleinjten Cinzelbeiten von deutihem Geist durdz0gen. Sum erjtenmal 
tritt hier das bedingungslos Nationale in die Geographie ein. Die deutiche Tandes= 
funde ijt jo reich mit Bildern und Karten ausgejtattet, daß fie zum Bud der 
Deutichen geworden ijt, das jeder bejiter jollte, dem es ernjt damit it, jein Cano 
und Dolf zu begreifen. 


Die aus fünjtleriicher Sicht erwachjende reine Landesbeidhreibung paart ji mit der 
Erfenntnis der jeelenformenden Kräfte der Landjchaft — eine Derinmmerlidung Der 
geographijden Betrachtungsweife, die vor allem den Sinn der Gegebenheiten im 
neues, zutunftweijendes Licht rüdt. Der Tag. 


3.8. Xe Zehmanng Derlas, Mü isschen 


Berantwortlich fi für die Schriftleitung von „Volk und Rajfe*: Brof. Dr. ©. Rede, Leipzig und Dr. Bruns ®. — Münden. 
Gerantwortlid fiir ben Anzeigenteil: Guido Haugg, Mündyen. — Berlag: 3. F. Lehmann, Diündien: 
Druk von Dr. F. B. Datterer & Cie, Freifing- Münden. 














- 





| Urifdhe Raffenhygiene in der Religion der alten Perfer. Gon Dr. Wolfgang 
— Schuls, Görlig. (Mit 1 Abbildungh. + DEE Re FR 
p Kriminalbiologie. Bon Dr. M. Riedl, Munchen Le, „ 145 
ists. 2; 7 0. 2 nee 
_ Die Gefdhidte der linfsrheinifden Germanen bis auf Cäfar. Von Dr. Gieg- 
| en utenbrunner, Wien. yh hye hee ON a ee 
5 Altnordiſche Bolfsmujif. Gon Ion Leifs, Island. (Mit 1 Abbildung) . . „ 163 
Deutjche Volkstrachten. (Mit 2 farbigen Tafeln und 1 Abbildung im Sert) . . * 170 
Ein verlorener deutſcher Vorpoſten in Polen. Von Eduard Schwertfeger — 
Aus der rafjenhygienifhen Bewegung ©... . . 2.02. 0m 174 
 Überfichtsberichte aus dem rafjenhygieniihen Schrifttum. (Fortjesung). 
ES ET LEE ae 


ee, 
NIMM ümnmuuuuuu— —D uD iil 


.“ 





„ 175- 
— „ 180 


Wege zur Familien, und Namenforfhung 


Deutfche Namentunde 


Unfere Familiennamen nad ihrer Entftehung und Bedeutung 
Don Studienrat M. Gottihald, Plauen 
Mit etwa 50000 -Samiliennamen. Geb. RM. 13.—, Cwd. RM. 15.— 


Gottjchalds — iſt anderen Ramenbüchern gegenüber etwas durchaus Eigenes. Zunãchſt 
diirfte fein Wert alle ahnlichen Werfe an Reichhaltigkeit weit übertreffen. Doch aud in 
Einzelheiten der Deutung bringt jein Bud; Dieles, was bisher nicht genügend ausgewertet. 
wurde: 3. B. die Ableitung vieler altdeuticher Namen aus altgermanijchen religiöjen 
Doritellungen; ferner die Behandlung der einjtämmigen Namen und der Miichformen. 
Auf die Kojenamen wie Hölderlin, Kreutel und Steudel, Blumenjhein und Maienthau 
ijt jeit ein paar längjt vergejjenen Bemertungen Grimms und Ublands niemand Hr 
eingegangen. Überaus wichtig ijt auch die Statiftit der heutigen Samiliennamen, die 
bislang niemand ee zum Zwede der Deutung benußt bat. Mittag 3. B. tommt 
als Samilienname in Köln und München nur je einmal, in Dresden aber 66 mal 
vor; bier ijt es aber aus Mittas entitanden, der wendiichen Sorm fiir Matthias. 
Das Bud; 3erfällt in zwei Hauptteile: Die Namentunde und das Mamenbud. Die 
Hamenftunde enthält u. a. folgende Abjchnitte:: Gejdhichte der Namenforfhung. Jndoe 
ermanijde Namen ; jemitijche Namen. Altdeutjche Taufnamen mit ihren Kurzformen, 

erfleinerungen und Mijdformen. Kirchliche und literariiche Namen. Entitehung der 

amiliennamen. Namen aus Wohnjtätten und Herkunftsort, von Stand -und Beruf. 

bernamen ; Sagnamen ; Judennamen ; Latinijierungen jlawijcher und anderer fremder 
Yamen. Dornamen. Uamenwandel und Mamendeutung. 


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Konfirmand aus Wietersheim bei Minden und Srau aus Lindhorft bei Stadthagen 


Kunjtbeilage zu „Volt und Kaffe“ Aus: Helm, Deutfibe Doltstradhten 
I. $. Lebmanns Verlag, Münden 











Dolf und Raffe 


Fluftrierte Vierteljahrsfchrift für deutfches Volfstum 
Herausgeber: Prof. Aichel (Kiel); Dr. Bactold (Bafel); Prof. Detbleffien (Rönigsberg 
i. Pr.); Prof. Sebrle (Heidelberg); Prof. €. Sifcer (Berlin); Prof. Sambrud (Samburg) ; 
Prof. Helbot (IJnnsbrud); Prof. O. £ebmann (Altona); Dr. Lüers (Münden); Prof. Mielke 
(Sermsdorf b. Bin); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Muh (Wien); Prof. Panzer 
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. I. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dorts 
mund); Prof. W. IM. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulges 
Ylaumburg (Gaaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof. 

Wrede (Rdin); Dr. Zaunert (Wilhelmshoͤhe); Dr. Zeiß (Frankfurt / M.). 
Schriftleitung der Zeitfchrift: Univerfitätsprofeffor Dr. Otto Rede, Gaugic 
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Rurt Shulg, Minden, Fleubauferftr. 51. 

Verlag: 3. §. Lehmann, Minden 2 SW., Paul HeyfesStrafe 26. 

Jährlich erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jäbrlihd M. s.—, Cingzelbeft M. 2.—. 
Poftfchedtonto des Verlags München 129. 
Poft{partaffe Wien 59594. — Konto bei der Baperifhen Vereinsbant Münden. — 
Ronto bei der Rreditanftalt der Deutfhen e. &. m. b. 6 Prag II, Realauerftrage 31 
(Doftfpartaffentonto der Rreditanftalt: Drag 62730). — Scweizerifdhe Poftidhedrednung 
Bern III 4845. Schwed. Poftidedtonto Srodbolm 4107. 


7. Jahrgang Heft 3 Juli (Heuert) 1932 


Der Verlag behaͤlt ſich das ausſchließliche Recht der Vervielfaͤltigung und Verbreitung der 
in diefer Zeitfehrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor. 


Arifche Raſſenhygiene 
in der Religion der alten Perfer. 


Don Dr. Wolfgang Schult, Görlig. 
Mit ı Abbildung. 


as Volk der Religion des Zarathuftra (Zoroafter), die Iranier, und ibe bes 

deutendfter Stamm, die Perfer, fteben uns Deutfchen in Dielem näber als 
die Griechen und näber als die Inder). Die raffenbygienifchen Erkenntniffe und 
Einftellungen, die fich in diefer Religion ausfpreden, find daher für uns außers 
ordentlich wichtig. Es gebt dabei um diefelbe Raffe, der auch die Germanen ans 
gebören und auf der unfer Deutfchtum rubt. Sie bat fich im Orient unter Ders 
bdltniffen, die nod fchwieriger waren als es die unferen find, rubmreich behauptet 
und nod dem beutigen Orient fein geiftiges Bepräge gegeben. Dom Altertume 
bis in die Gegenwart ift eine weltweite Wirkung von ihr ausgegangen, die in 
mebreren bedeutfamen Wellen aud uns im Laufe unferer Gefchichte erreicht bat. 

Hellas, das Land der Individualitäten, ift an feinem Jndividualismus ser: 
broden. In Iran bingegen galt, mindeftens zur Zeit feiner Blüte, Volkswohl 
mebr als Eigenwohl. „Der ein Opfer darbringt, darf nicht für fich allen um 











1) £ Shemann, Die Raffe in den Geifteswiffenfdaften II: Hauptepoden und 
Hauptvdlter in ibrer Stellung zur Raffe (J. §. Lebmanns Verlag, Munden 1930), S. 27 ff. 
Preis geb. Mi. 18.—. 


Dolf und Raffe. 1932. Juli. Q 





130 Volt und Raffe. 1932, III 


Seil beten, fondern er bittet für alle Perfer um Woblergeben und fur den Konig; 
denn in allen Perfern ift er felbft mit inbegriffen“ (Aerodot I 132). Die Religion 
des Zaratbuftra berubt auf einem der fittlichen Weltordönung verbundenen Pflidhts 
gefüble, das fic mit unferem deutfden Pflichtgefühle, wie es Rant formte, zu 
tiefft berührt. Bahnbredher unferes nationalen Gedantens baben daber von je 
den Blid nad Iran gerichtet, fo Arndt, fo und noch gründlicher, Lagarde. Diefer 
bewunderte dort ,,di¢ gigantifde Anfcauung von dem Rampfe des Guten und 
Bodfen, die beide zu Reichen gefchloffen einander gegenüberfteben, und die Sordes 
rung, in jedem Augenblide alles zu tun, was dem Reiche des Bofen Abbruch tun 
kann“. Das iranifchsperfifche Wefen wurde von den Griechen im Gefolge der Pers 
ferfriege ähnlich böswillig berabgefegt wie das deutfche im Gefolge des Welt: 
trieges von den Sranzofen. Vieles, was uns im Alten und Lleuen Teftament bes 
fonders anfpricht, ift Einfchlag iranifcher Dentart. Die Juden ftanden von der 
Zeit ihrer Derfchleppung nad Babylon an unter diefem Einfluffe und in das Chris 
ftentum ift iranifcher Beift in den verfchiedenften Abftufungen eingegangen. Go 
ift Iran viel ftärker als dies febon weiterhin bekannt ift, auch Quelle unferer relis 
gidfen Überzeugungen, und audy deshalb kommt es darauf an, das Raffenbygies 
nifde, das einft in der Religion Jrans einzigartige Bedeutung batte, im Cbriftens 
tume aber geächtet worden ift, wieder berauszuftellen. Auch wollen wir der 
iranifchen Heldenfage nicht vergeffen. Auf alter Stufe entfpricht fie ungefäbr 
der germanifden eyeldenfage der Ddllerwanderungsseit, auf jüngerer, bei Sirdoufi, 
dem deutfchen Rittertume, das im iranifchen fein Dorbild bat. In Heldentum und 
Rittertum leben und weben aber religids-fittlide Gedanken, und aud die fittliden 
Bedanten der Religion des Zaratbuftra find beldifchsritterliche. 

Wie anders hingegen berührt uns Indien. Das Heldifche der Srübzeit gebt 
dort nur zu rafch in der Völkermifchung unter, indifdes Wefen bat bis zulegt 
kaum überhaupt je nahdrüdlicher zu uns berüber gewirkt, Indiens Religionen der 
Weltfludt fteben weit ab von der wirllidteitsnaben und dod) fo durdgeiftigten 
Tatlraft, die die iranifcde Religion forderte. 

Die Raffe der Jranier und der Inder ift urfprünglich diefelbe wie die in une 
feren Stammgebieten vorberrfchende. Beide Brudervölker haben dafür fogar einen 
gemeinfamen Ausdrud. Sie nennen fich Arier, was etwa „die Derfippten‘‘, durch 
Blutsfreundfchaft Derbundenen bedeutet haben wird 2). Der Klame Iran felbft ent: 
balt diefe Bezeichnung, denn Jran ift (uber die Sorm Eran) aus Arjan, d. b. „Ariers 
land“ Iautgefeglich geworden. Jranier beißt alfo nichts anderes als Bewohner 
des Arierlandes, d. b. eben Arier. Diefer Ausdrud gilt für die Perfer wie für die 
Meder (Herodot VII 62), aber wabrfdeinlid aud für die Stytben und gewiß für 
ihre fpäten Miachfabren, die Alanen, deren Llame auf einem anderen Wege eben: 
falls lautgefeglid aus Arjan entwidelt ift. Mit arifch ift dabei nicht etwa die 
Sprache, fondern die Raffe gemeint. Ausdrüdlich reden die Inder von der bellen, 
„arifchen Sarbe im Gegenfage zur dunklen Sarbe der plattnafigen Urbewobner ihres 
Landes ?). Die Jranier verknüpfen den Ausdrud arifch mit der edlen Serkunft, der 
große Perfertonig Darejawofd (Dareios I.) nennt fich in feiner Grabinfcbrift 
einen Perfer, Sobn eines Perfers, einen Arier aus arifhbem Samen. Die Bildwerke, 
die ihn, feine Derwandten und Gefolgsleute darftellen, zeigen Perfer und Galen 


®) ©. Schrader, Realleriton ser indogermanifden Altertumstunde, Grundzige 
— Kulture und VölkersBefdhichte Alteuropas. 2. Aufl. (Berlin und Leipzig 1917— 1923), 
54. 
9) O. Schrader a. a. O. J, 538. 


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1932, III WW. SGdulg, Arifche Raflenbygiene in der Religion der alten Perfer. 131 
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(Stythen) als Dertreter der nordifchen Raffe, auch auf dem AlerandersSartopbag 
(Abb. 1) find die Perfer nod blond und blaudugig und gleiden Germanenjung: 
lingen, im Awefta wird das leuchtende, belle Auge als Merkmal geiftiger Schöns 
beit gepriefen. 

Miefo diefe Raffe nach Iran, ja bis nad Indien tam, ift beute, in den 
GOrundzügen wenigftens, bekannt. Inder und Jranier find der öftliche Zweig 
einer großen Völkergruppe, die man gewöhnlich als Indogermanen bezeichnet und 
zu der auch die Griechen, Thraker, Italiter, Relten und Germanen gehören. Die 
erfte Grundlage für die Zufammenfaffung diefer und noch etlicher anderer zuge: 
böriger Dölker unter den Aunftnamen Jndogermanen, war sie Gemeinfamleit 
der Sprade. Dazu fam die Gemeinfamleit vieler ältefter Rulturguter und endlich 
die der Raffe. Man denkt fi) das Stammovolf zuletzt, zu Ende des 3. und Anfang 
des 2. Jabrtaufends v. Chr., im Raume vom Baltitum bis zum Schwarzen Meere 
und mit ftarten Ausladungen nad dem Innern Mitteleuropas. Diejenigen, die 
feine erften Unfdge mebr im Torden fuchen, baben dem entfprechend feine Kaffe 
die nordifche genannt. An eine unbedingt einheitliche Raffe ganz ohne fremde Eins 
fhläge glaubt bei fo großer Erftredung natürlich Bein ernfter Sorfcher. Aber die 
älteften Zeugniffe der indogermanifchen Einzelvölker geben im wefentlichen dies 
felben betannten Raffenmertmale, zumindeft für die Oberfdicdt, an. Vlad ibnen 
beftimmt fid) das Sddnbeitsideal der dlteften Dichter diefer Völker und ihre Bilds 
werte ftellen es oft nod) bis in die Spätzeit fehr getreu dar. atten wir ficere 
Zeugniffe dafür, daß audy die Weftgruppen der indogermanifchen Völker fchon in 
alter Zeit den Ariernamen kannten, dann wäre er die gegebene Eigenbezeichnung 
für das Stammopolt. Leider läßt fich das nicht erweifen. 

Don der Oftgruppe der Jndogermanen ldfen fih, wenn wir von derzeit noch 
fhwer beftimmbaren älteren Zinfchlägen im Syetiterreiche und fonft im alten Drient 
abfeben, zuerft die Inder los und bredyen um 1500 v. Ebr. in den alten Orient ein. 
Etwa um 900 v. Chr. folgen die Jranier. Sie ftoßen auf die alten Kulturen und 
Reiche der Elamier und Babylonier, mit denen fie fic ähnlich auseinanderfegen 
müffen, wie es viel fpäter die Germanen taten, als fie vom römifchen Weltreiche 
Befig ergriffen. Aber im alten Orient erfolgte diefe Auseinanderfegung 3wifchen 
Ariern und ganz Andersraffigen (Dorderafiaten, Semiten ufw.), während im 
römifchen Reiche fon 3ablreide indogermanifdhe Einwanderungen erfolgt 
waren. Um 539 erftredt fi) das Weltreich des Perfertönigs Aurufch (Ayros) 
bereits von Indien bis Agypten und Hellas. Es folgt die Eroberung Agyptens 
durd Rambudfdija II. (Rambyfes), der Aufftand im Reiche und die Wieders 
berftellung der Ordnung durd Darejawofd (519 Infchrift von Bagiftan). 

Soweit die dugere Gefcidte. Geiftesge(didtlih widtig ift, daß dsiefe aris 
fcben Völker, und alfo auch die Jranier, eine alte, böchft durchgeiftigte Gätterlehre 
mitbringen, die eine Lichts und Seuerlebre ift 4). Aber in der neuen Umgebung wer: 
den fie mit an Tempel gebundenen Rulten bekannt und ihre Religion wird durd 
fremde Beimifhhungen getrübt. Die Lehre des Zaratbuftra ift eine läuternde Lieus 
geftaltung. Sie fucht den neuen Einfchlägen zu begegnen, ftellt die altererbte Rul- 
tur des indogermanifchen Aderbauers und Viebzuchters in die Mitte und baut 
. darauf eine folgerichtig durchdachte Sittenlebre auf. Ein rein begrifflicher oberfter 
@Bott, Ahura Mazda (Ora Mazda, Ormuyzd), ,,der denkende herr“, ordnet und ges 

4) Man vergleide LW. Schulg, Die Sittenlebre ses Zaratbuftra im Rahmen der 


Gefcdidte dser Gittlicleit. Jabrbud) dec Philofophifcden Gefellfchaft an der LUniverfität 
Wien (Leipzig 1913), 43 Seiten. 


9* 


132 Volk und Raffe. 1932, 111 
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bietet alles. Auf die Einzelbeiten diefer weiteren Rreife fo gut wie unbetannten 
Lehre und auf die ftark veränderten Züge, die fie in der fpäteren Entwidlung ans 
genommen bat, kann ich bier nicht eingeben ?); denn ich will bloß das raffen: 
bygienifchb Bemerkenswerte berausbeben, was bisber noch überhaupt nicht ges 
fcheben ift. Daber befchränte ich mich darauf, bloß die Abfchnitte und den Rabmen 
anzudeuten, in denen die Entwidlung verlief. 








Abb. 3. Kopf eines Perfers von dem Steinfarge in Sidon.*) 


Der Reformator Spitama, gewöbnlich zubenannt FZaratbuftra, was feine 
priefterlibe Würde bezeichnet, lebte in der Perfis am Hofe des Wifchtafpa 
(yyftafpes), des Daters des Daregawofch®). Die Religionsftiftung ift um 505 
v. Chr. anzufegzen (im 30. Jabre des Wifchtafpa). Darejawofch ift bereits Mazda- 
Derebrer. Man kann nicht fagen, daß die Mazda-Lebre unter ibm Reichsreligion 
wird. Eber ift fie Hausreligion des Rönigsgefchlechts und daber in den Derlaut: 
barungen nach außen, den großen Infchriften der Rönige und ibren Erläffen, nur 


*) Dal. aud Gunther, Raffentunde Europas. 3. Aufl. S. 189 ff. J. §. Lebmanns 
Verlag, Nunden. Preis geb. ME. 10.80. 

>) I. Hertel, Die arifche Seuerlebre I (Leipzig 1925). 

6) Dal. I. Hertel, Die Zeit Zoroafters, Leipzig 1924. 


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1932, 1II WW. Sculg, Ariſche Raffendygiene in der Religion der alten Derfer. 133 
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vorausgefetzt, aber nicht eigentlich entwidelt. Klidht einmal der Viame des Spitama 
wird ausgefproden. Unter den legten Rönigen diefes Serrfcherbaufes dringen die 
©otthbeiten des Volksglaubens wieder in das Lehrgebäude ein und die 3. T. fremds 
raffige Priefterfhaft der Magier tilgt aus den beiligen Schriften mit der Zeit 
alles, was auf die ältere Befchichte ihrer Religion Licht werfen könnte. Alerander 
der Broße fetzt dann dem Perferreiche, nachdem es über 200 Jahre beftanden bat, 
ein Ende; das Staatseremplar der heiligen Schriften, des Awefta, verbrennt in 
Perfepolis (331), Aleranders Seldberrn teilen fid) nad feinem Tode in die Herts 
fcaft, der Orient wird belleniftifdh. Erft zu Ende des 2. Jabrbunderts n. Chr. 
wird das AUwefta neu gefammelt, Statthalter der Derfis, die Gafaniden, die fic 
vom alten Rönigsftamme berleiten, reißen 226 n. Che. die Herrfcaft an fid) und 
e8 beginnt eine Renaiffence bis zum Einbruche der Araber (036 n. Chr.). Ders 
fprengte Refte der Maz3dasGläubigen retten fid) nad Bombay. So bleibt das 
Awelta in feiner heutigen, arg verftummelten und dod) Außerft wertvollen Saffun 

erbalten. 

Zwei Gruppen von Quellen tommen in Betracht, aus der Srübzeit die In: 
fchriften der Perferkönige ‘), unter ihnen befonders des Darejawofch, und daneben 
die Klachrichten griechifcher Schriftfteller, und aus der Spätzeit die einbeimifchen 
Religionsfchriften, allen voran das Awefta 8), von dem mandes nod bis in die 
Zeiten der Perfertönige des Altertums binaufreicht. 

Alteften und wertvollften Auffchluß über religidfe Dorftellungen pflegen bei 
den meiften Ddltern ibre alten Perfonennamen zu geben. Das trifft auch für die 
Perfer zu. Schon der Großvater des Darcjawofch beißt Arjaramna 32) und ähnliche, 
in ihrem erften Beftandteile auf das Ariertum binweifende LTamen find aud 
fpäter nody im königlichen Kaufe und bei den perfifchen Großen häufig. Darejas 
wofdy nennt fic, wie fon erwadbnt, einen Arier aus arifhem Samen, und fein 
dritter und vermutlich letgter Sohn von der Tochter des Bobryas hieß Arjamenes, 
was ganz nahe an den altehrwürdigen, den Jraniern und Jndern gemeinfamen 
©ott Arjaman anllingt, der fennzeichnender Weife urfprünglicdy Bott der Ehe war. 
In Indien bezeichnete man mit Arjaman auch den Bräutigam, in Jran aud den 
Sippengenoffen. Außerdem galt der Gott als heillundiger priefterlider Arzt, bei 
den Jndern noch in fpäterer Zeit als Anführer der Ahnen, fein Pfad fehon im 
Rigweda als der Weg der Gonne uber den Himmel 9). 

Die feierliche Wendung „Arier aus arifhen Samen“ bat viel Cigentumlicdes 
an fid. Das bier gebrauchte Wort für Samen bedeutet eigentlidy Lichtfunte, der 
Same ift nad) gemeinarifcher Auffaffung eine flüffige Sorm des Simmelsfeuers 1°). 
Darejawofd betont alfo nicht blog wie es fonft, auch bei den Griechen, üblich ift, 
lediglih die Abftammung, das Gefdledt, fondern der Ausdrud gebt auf das 


7) §. 5. Weißbadh, Die Reilinfcriften der Acdhyämeniden, Leipzig 1931. 

8) Avefta, die beiligen Bücher der Parjen, überfegt von $. Wolf, 2. Aufl. Berlin 
u. feipzig 1924. — Die Gatbas des Avcfta, Zaratbuftras Derspredigten, überfegt von Chr. 
Bartbolomae, Straßburg 1905. — Die Jasts des Avefta, uberfegt und eingeleitet 
von 4. Lommel, Gdttingen u. Leipzig 1927. 

84) Die neu gefundene Goldtafel aus Gamadan, von ser in legter Zeit vielfach die 
Rede war, ftammt nidt von Arjaramna, fondern etwa aus dem 4. Jb.; fie war vermuts 
lid Bildbeifchrift zu Ebren des Arjaramna als eines der Ahnen des Fyerrfcherbaufes und ift 
aus den bekannten Rönigsinfchriften, insbefondere des Darejawofd, geihöpft. Vgl. 9. 
— Schaeder, Uber die Inſchrift des Arjaramnes, Berliner Sigungsberidte 193), S. 635 

is 046. 
9) A. Hillebrandt, Vedifhe Mytbologie, 2. Aufl. (Breslau 1929), II 09— 81. 
10) 3. Hertel, Die acifche Seuerlebre I 54—063. 


134 Doll und Kaffe. 1932, III 





züuchterifch Wefentliche, aufs Reimplasma als Träger der Befchlechterfolge, deren 
Urfprung als bimmlifd angefeben wird. Die Auffaffung, daß der Same des 
Mannes durd das Rudenmarl aus dem Gebirn ftamme, ift vermutlid iranifce 
Kebre, die fid darin gefiel, die Beine Welt des Leibes der großen Welt des Alls zu 
vergleichen. Der Schädel mit den zabllofen Saaren follte dem Aimmelsdade mit 
den Sternen entfprechen, und man fab die alte Vorftellung, daß ein geiftiger, bes 
frudtender Simmelsftrom den Sternenglanz vom Aimmelsberge zur Erdenwelt 
berabbringt, in erften, nocdy ungenauen Beobachtungen am eigenen Leibe beftätigt. 
Mir wiffen, daß das falfhe Schlüffe waren, aber hinter ihnen ftebt eine ganz 
großartige Zielfegung. atte man frisber fic damit begnügt, das edle Befchledyt 
von einem bimmlifchen Ahnen berzuleiten, fo fuchte man das jegt in eine Art 
naturwiffenfchaftlicher Erkenntnis überzuführen. Etwas wie eine Dorabnung 
von der Kontinuität des Reimplasmas leuchtet bier auf. Im Samen liegt die 
Ewigkeit, der Leib ift bloß fein Auswuche, doch die ganze Welt, die im Samen 
ihrer Möglichkeit nad gefhlummert bat, wird fich in diefem Auswudfe als 
Wirklichkeit bewußt. Der Same gilt nicht ale etwas blog Stofflices, fondern 
als ein Gtofflid:Geiftiges, worin das Stofflidhe als Waffer, das Geiftige als 
Abglanz des Aimmelslichtes, als Seuer oder als Geifteshaud, aud, wie bei 
Räucherwert, als beigemifchter Woblgerudh aufgefaßt wird. Zahlreiche iranifche 
Theorien von der Zeugung und der Weltfhöpfung bauten fi auf foldyen Er: 
wägungen auf. Wir find uber fie wenigftens in Andeutungen unterrichtet durd 
die Mlachltlange aus dlteren griechifchen und fpätperfifchen Schriften, denen als 
teftes, fonft verlorenes aweftifches Gut zugrunde liegt (Bundabifchn), und aus den 
Oedantengängen etliher auf iranifcher Lehre berubender gnoftifcher Selten !!). 
Daß diefe Lehren in Grundzugen mindeftens in die Zeit des großen Perferkönige 
zurüdgeben, ift kein Zweifel und eine Klacdhricht bei Aerodot (I, 90) ftimmt gut 
dazu. Danach ließ Darejawofd, als er in Thralien zu den Quellen des Sluffes 
Tearos gelangt war, dort eine Infchrift errichten: „Des Tearos Quellen geben 
das befte und edelfte Waffer, und zu ihnen gelangte auf feinem Zuge gegen die 
Slythen der befte und edelfte von allen Menfden, Dareios (Darejawofd), des 
Hyftafpes (WWifdtafpa) Gobn, ser Perfer und der ganzen Erde Konig. Der 
Wortlaut ift gewif ftark vertirzt und aud etwas ungenau wiedergegeben. Aber 
wir kennen die entfprechenden Wendungen aus den Infchriften des Darejawofch. 
So fagt er in der Infchrift von Bagiftan: „Don alters ber find wir adelig, von 
alters ber war unfer Gefdledt königlich.“ Llur der Unterton eitler Anmaßung 
ftimmt nicht, den der Grieche in die Worte des Perfers bineinlegt, weil er feine 
Ginnbaltung nidt verftebt. Was er als Uberbebung des Tyrannen auffaßt, ift 
tiefergriffene Schau der Wefensgleichbeit des Maren, edlen Waffers, das dort 
aus 40 heißen und kalten Quellen zufammenftrömte, und der eigenen, edlen Her⸗ 
tunft. Und noch in einer fpäten Stelle des Awefta (Jasna 65, 11) lefen wir 
die Bitte an die Weaffer „um fegensreiche Nachkommenſchaft, der mand einer 
Huldigen und die feiner 3u fchdadigen wagen foll“. 

Eine ähnlich aufgeböbte Auffaffung vom Samen wie bei Darejawofch findet 
fid) nur nod im Alten Teftament, das Efra aus der babylonifden Gefangenfchaft, 
d. b. aus dem perfifhen Weltreiche, nach Paläftina gebradht bat. „Sieb gen 
Himmel, fagt Jabwe zu Abram (Abraham), „und zähle die Sterne! Rannft du 
fie zählen? Und er fprach zu ihm: Alfo foll dein Game werden’ (Genefis 15, 5). 

11) Man vergleiche zu diefen Sragen R. Reigenftein und 9. Schaeder, 
Studien zum antiten Synlretismus aus Iran und Griedhenland. Leipzig u. Berlin 1926. 


1932, 1II %. Scyulg, Arifdye Rasfenbygiene in der Religion der alten Perfer. 135 
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An anderer Stelle (Geneſis 22, 17) heißt es: „Daß ich Deinen Samen ſegnen 
und mehren will wie die Sterne am himmel und wie den Sand am Ufer des 
Meeres.“ Das iſt alles fuͤhlbar iraniſch. Die Ahnengeiſter, Frawurtis genannt, 
gelten bei den Iraniern als bimmlifche Heerfchar der Sterne. Sie umgeben hoch 
zu Roß, den Speer in der Hand, den Himmel zu feinem Schuge wie das Haar 
das Haupt (Bundahifhn 6). Jeder Lebendige ift die Verkörperung eines diefer 
fcbon vor der Schöpfung von Mazda vorausgedachten Ahnengeifter. Entfprechens 
des liegt auch der jüdifchen Vorftellung zugrunde. Auch bei Abram nimmt deffen 
Same, den Sternen verglichen, feine KTachtommenfcaft vorweg. Aber febr bald 
glitt man von den Weiten des Himmels und Meeres in den Staub binab, weil 
man das erbabene Bild nicht mebr verftand und bloß noch ein Gleidnis fur die 
Unzäblbarkeit übrig bebalten wollte. So beißt es (Genefis 13, 16): „Und ich 
will deinen Samen machen wie den Staub auf Erden. Rann ein Menfch den 
Staub auf Erden zählen, der wird auch deinen Samen zählen.“ In dem fonft an 
Scönbeiten reichen, ebenfalls in iranifchen Vorftellungen wurzelnden fpätjudis 
fen Bude von der Schöpfung des Kindes 1?) entftebt der Menfd fogar aus 
einem „übelriechenden Tropfen“. Die Lehre von der Süundhaftigkeit der Zeugung 
(Erbfünde) bat gefiegt. Es wäre aber ungerecht, fie den Juden als ihre Erfindung 
anzulreiden. Auch fie muß fehon in Jran vorhanden gewefen und von da in die 
®enefis entlebnt fein. Die Sünde des Jama foll nad einer Saffung im ,,Sleifd‘s 
€ffen beftanden haben, und wie das aufgefaßt wurde, lehrt Adams Upfels€ffen. 
Aber in der Religion des Zaratbuftra bafte das Eifern gegen das Sleifchliche keinen 
Plag, und auch das ungebrodene Jraniertum ältefter Zeit mußte folche Einfchläge 
als fremde Tropfen in feinem lebensfreudig podenden Blute empfinden. 
Hinter dem Worte vom arifchen Samen fteben auch lange und eindringliche 
3uchterifche Erfahrungen. Die Arier waren von alters ber Diebzuchter. Am Rinde 
und Pferde entfaltete fich ibre Mildywirtfchaft, und ganz befonders am Rinde ibr 
Aderbau. Dazu tam die Zucht des Hundes als HYausbund, Schäferhund, Jagds 
bund. GBewiß ftieß man fchon früb auf Sragen der Baftardierung. Ein glüdlicher 
Zufall bat uns eine darauf bezügliche Überlegung erbalten. Im Awefta (Wis 
dewdat 13, 41 f.) wird die Srage aufgeworfen: Welcher von den beiden Wolfs: 
baftarden verdient eber vertilgt zu werden, der des Hundes mit der WDdlfin oder der 
des Wolfes mit der Hündin? Ahura Mazda antwortet: Der des HYundes mit der 
Weolfin. Die Baftarde des Wolfes mit der 4Hundin nämlich feien, freilich verwils 
derte, Sunde, die des Hundes mit der Wölfin aber veredelte und daber defto ges 
fäbrlichere Wölfe. Der Aderbau führte auch zur Züchtung veredelter Nutzpflanzen. 
Der Perfertönig und feine Edlen wetteiferten in der Anlage von Garten, in denen 
fböne und fruchtbare Gewddfe gezogen wurden. Oder fie umbegten waffers 
reiche, anmutige Waldgebiete, legten darin Lufthaufer an und bielten allerband 
edle Tiere. Schöne Baume galten ibnen ale Sigg unfterblicder, gdottlidyer Wefen. 
Don Chfchejarfda (Xerres) erzabhlt eyerodot (VII 31), daG er auf dem Wege von 
Pbrygien nad Lydien einen Plantanenbaum fand, den er feiner Schönheit wegen 
mit goldenem Gdmude befdentte und dem er auf ewige Jeiten einen Wächter 
beftellte. Den Begenfat zwifchen iranifcher und bellenifcher Auffaffung vom Gars 
tenbau kennzeichnet die Erzählung (bei Xenophon, Oifon. IV 21—23, Cato 
major 17) von Rurufch dem Jüngeren, der feinen bellenifchen Gaftfreund Lyfan: 
dros voll Stolz in dem von ibm eigenhändig gepflegten Garten berumfübrte. 


12) Überfegung bei W. Schul, Dokumente der Gnofis (Jena 1910), S. 4—7. 


136 Doll und Kaffe. 1932, III 
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Der Syellene aber bemerkte dazu hodfabrend, dergleichen müßten bei ihm daheim die 
Sflaven tun. Eine bei Magnefis gefundene Infchrift (jet Louvre) gibt einen 
Erlaß wieder, den Darejawoich an feinen dortigen Beamten Badatas richtete. Der 
Konig fchreibt da: „Dein Dorgeben, daß du meine Erde bearbeiteft und Srucht= 
pflanzen jenfeits des Eupbrat in die entlegenen Teile Afiens einführft, lobe ich, 
und du haft dir dadurd) großen Dank von feiten des königlichen Kyaufes ges 
fichert.‘“ Dem Artachfchaffe II. (Artarerres) überreichte einer feiner Perfer einen 
Öranstapfel von außerordentlicher Schönbeit und erntete dafür des Königs Lob 
(Plutard, Urtar. 4). Die Ergebniffe iranifcher Pflanzenzucht eroberten fid die 
Welt. Man dente an den Ldftliden Pfirfich, den „perfifchen Apfel“ und an die 
veredelte, duftende Rofe. Ylun ift aber Pflanzenzucht, wie wir von Gregor Mens 
deb her wiffen, die hohe Schule der Dererbungslebre. Go werden wir die relis 
gids und fittlidh vertiefte Liebe zu allem Edlen, Schönen, Woblgeratenen an 
Pflanzen, Tieren und Menfchen als Wegbereiterin einer raffenbygienifcdy mitbes 
ftimmten Weltanfhauung zu würdigen haben. Es ift zugleich eine Ziele fetzende 
Weltanfdauung und fie ift nicht jenfeitig fondern diesfeitsfreudig. In einer fpäten 
mittelperfifchen Schrift (Joscht i Frijano II 1) wird die Srage aufgeworfen: ft 
das Paradies in diefer Welt das beffere oder das in der künftigen? Die Antwort 
ent{ceidet: Das in diefer Delt, denn das tunftige wird in ibr verdient. Das Wort 
Paradies, das fcdbon die Geptuaginta in ibrer Wberfegung des biblifchen Schoͤp⸗ 
fungsberichtes verwenden, ift perfifh. Es bezeichnet den umbegten, züchterifch 
gepflegten Tiergarten der perfifchen Großen. 

Auch der Menfd ftellt fidy unter die Gefegye der Zucht. Befchägt wird bober 
Wuds, Kraft, Sdhdnbeit und alle geiftige Tugend. Kyerodot (VII 117) erzablt, 
daB das ganze Meer des Chfdejarfda um den Tod eines Kriegers trauerte, weil er 
der größte und trdftigfte Mann war, 5 Ellen weniger 4 Singer bod. Srauen 
werden gepriefen, „die den fchönften Leib zur Zeugung baben, für das Hauswefen 
die trefflidften’ (Jafdt 5, 34). Oder man verehrt „die fhöngewachfenen Srauen, 
die fid guten Ebeglids und guter Abftammung erfreuen“ (Wifp. 2, 7). Die 
Mädchen beten beim Opfer, daß fie einen Kausberrn von fchöner Geftalt bes 
tommen, einen jungen, der fie in guter Pflege balte, fo daß beide lang am Leben 
bleiben, und daß er ihnen Kladhlommen 3:uge (Jafcht 15, 40). Der SHausberr bittet 
um „männliche, tuͤchtige Nachkommenſchaft, die mir fördern foll Gaus und Ges 
meinde und Bau und Land und des Landes Rubm (Jasna 68, 5). Dom Gotte 
des heiligen Seuers, das auch im Samen wirtt (f. o.), erbittet man fid als Did: 
tigftes zulegt Tapferkeit und „zur Vollreife gelangende, tücdhtige Kladhylommens 
fchaft, die dem Gau die Befetge vorfchreibt, der Derfammlung Rat erteilt, zus 
fammen aufwadfende, die emfig wirkend aus der Viot erlöft, einfichtige, die 
da fordern foll Haus und Gemeinde und Gau und Land und des Landes Rubm“ 
(Jasna 62, 5). Ganz folgerichtig werden auch die bimmlifcden Abnengeifter 
(Srawurtis), in denen, wie fcbon erdrtert, eben diefes Seuer waltet, verebrt, um 
teilbaftig zu werden „der Mladhtommenfdbeaft, der tundigen, beredten, ftrablens 
den, Helldugigen, aus LTot befreienden, wohlverftändigen‘“ (Iafcht 13, 134). Solde 
Nadlommenfchaft zu zeugen, ift ein: der ob:rften Pflichten, und die Stätte diefer 
Zeugung ift die Ehe. „Dir, dem beweibten, fpreche ich den Dorrang zu, 0 Spitama 
Zaratbuftra, vor dem, daß einer unverbeiratet altern follte; dem, der ein hHaus⸗ 
wefen bat, fpreche ich den böberen Wert zu als dem, der kein auswefen bat, dem 
mit Rindern einen boberen als dem Rinderlofen, dem Dermöglichen einen böberen 
als den Armen“ (Wdidewdat 4, 47). 


1932, III W. Schulg, Arifche Raffenbygiene in der Religion der alten Perfer. 137 








Die Kiadhlommenfchaft ift aus dem Samen verwirklichtes, geiftiges im: 
melsfeuer; fie, die belläugige, befitgt daber, wie wir eben vernabmen, aud die 
geiftige Einficht, in der Derfammlung Rat zu erteilen, Befetzge zu geben und das 
£and aus Seindesnot zu erretten. Golde Gedanten bat fcdon Darejawofd in 
einer feiner Infchriften in Perfepolis ganz abnlid) ausgefproden: ,,Diefes Land 
Perfien, das mic Ora Mazda verlieben bat, das {don ift, gute Roffe, gute Mens 
fen bat, nad dem Willen Ora Mazdas und meinem, des Ronigs Darejawofdh, 
fürdhtet es fich vor keinem Seinde“. Er fugte aber nod bingu: ,,Ora Mazda foll 
mir Hilfe bringen nebft allen Gdttern, und diefes Land foll Dra Mazda fchügen 
vor der Seindesfcbar, vor Migwacds, vor Lüge.“ Das Wort für Mißwadhes 
beißt genauer Mißjabr, und dabei ift mit „Jabr‘ jeglicher Ernteertrag gemeint, 
die Mlißernte der Ader ebenfo wie Seblgeburt und Mißgeburt bei Dieb und Weib. 
Alles Migraten, wo ein Beraten an Lebendigem, Erwachfenem erwartet war, 
fällt unter diefen Begriff. Der Mißwadhes wird auf eine Stufe geftellt mit 
Seindesfchar und Lüge. Was uns feblt, ift aber, daß wir erführen, wodurd) 
nad Meinung des Königs diefe drei fchredlichen Solgen eintreten. 

An Stelle des Mazda in feiner Eigenfchaft, das Land vor diefen drei Schäs 
den 3u fcugen, begegnen wir im Awefta dem Sterngotte Tifchtrija in faft ders 
felben Eigenfchaft. Aber da leuchtet noch der Grund durch, weshalb die Übel in 
die Welt einbrecdhen. Tifchtrija kann fo Gutjabr wie Mißjabr bringen (Jafcht $, 
36). Dächten die arifchen Länder an die ihm gebübrende Verehrung, „nicht würde 
bier in den arifchen Ländern Seindesbeer berantommen, nicht Überfhwenmmung“ 
(ebd. 56). Auf die Srage, worin diefe Derebrung beftebt, erfahren wir: Ein Schaf 
follen ibm die arifchen Länder kochen und nicht foll davon der Schurke etwas 
erbalten, nicht die Dirne, nicht der Glaubensfeind. Belämen Schurke, Dirne oder 
Olaubensfeind doch etwas davon, dann nahme Tifchtrija die Heilmittel mit fich 
fort und gleichzeitig würden Überfhwenmungen und Seindesfdar uber die aris 
fhen Lander hereinbrechen (ebd. 60 f.). Anteil am Opfer bedeutet Anteil am Hei⸗ 
ligften, an dem dußeren Sinnbilde des Sippenverbandes. Daher muß er den 
Sippenfremden, die zugleih Sittenfremde find und als Unfittlihe und Schaͤd⸗ 
linge aufgefaßt werden, verwehrt bleiben. Der „Schurke“ ift der Klichtarier, und 
wir werden ibn nod alsbald in der Geftalt des grimmen Sranrasjan, der unbefugt 
der arifchen Herrlichkeit nachftellt, kennenlernen. Auch die Dirne wird das Weib 
eines fremden Stammes fein follen. Sur alte Feit liegt es nabe, an die heilige 
Proftitution nidhtarifcher Völker des alten Orients, fo vor allem in Babylonien, 
zu denken. Und der Glaubensfeind ift erft recht der Llichtarier, denn die Religion 
des Zaratbuftra ift die arifche. Dabei wird deutlich, daß Mißjahr, Seindesheer, 
Lüge oder Überfhwenmung zugleich Strafen und Läuterungen find. 

Das ift aud einer zweiten Stelle zu entnehmen, die vom „Hyerrfcherglanze 
oder königlichen Blanze handelt, von der Glorie der königlichen Majeftät, die ine 
rein Religidfe umgedeutet uns als Heiligenfchein bekannt ift. Ein eigenes Preis» 
lied (Jafdt), das 19. des Awefta fcildert, wie diefe Glorie von der Gottheit 
ausgebt, wie die Helden und Könige der Dorzeit fie befitzen, wie fie den unges 
rechten Kyerrfcher verläßt, wie der Bott des Seuers und der Dämon der Sinfternis 
fie zu bafchen fucen und wie fie ihnen entgleitet und in die Tiefe des Sees fällt. 
Der Schurke Sranrasjan möchte fich gern diefes Rönigsglanzes bemädhtigen. Er 


taudt in den See oir Gier nach jenem Glange, der 


den arifden Gebietern ziemt, 
gebornen, ungeborenen. 


138 Volt und Kaffe. 1932, III 
Se EEE EEE EEE Sn u ee es LL eae Pa eee) 





Herzu zu jenem Glanz er ſchwamm, 
doch floß vor ihm der Glanz hinweg, 
doch wich vor ibm der Blanz zurüud 13). 


Bei jedem neuen Tauchen entfteht eine neue Bucht des Sees, in der er fic 
vor dem Derfolger birgt, im ganzen drei Male. Sluchend muß Sranrasjan abs 
laffen: 

Nicht konnte meiftern er den Glanz, 
der arifchen Gebietern ziemt, 
gebornen, ungeborenen. 

Man fieht, daß diefes Langen des Schurken nach dem Blanze fehr genau 
dem entfpricht, wie der Schurke in der vorhin befprochenen Stelle nicht nach dem 
Opfer langen darf, wenn nicht Unheil über die arifchen Länder bereinbrechen foll. 
Die Sortfegung des Preisliedes über den königlidhen Glanz ift noch deutlicher, 
denn da beißt es weiter: 

Den ftarten tonigliden Glanz, 
den Mazda (uf. verebren wir, 


der preislich über Hoͤhen ſchwebt, 
gewaltig, voll Geftaltungstraft, 


der da von dort ber walten wird, €s cint fid ibm des Roffes Kraft, 
wo Morgenrot den Berg umglübt, es eint fich ihm Rameeles Rraft, 

um den die vielen Waffer rings, es eint fih ihm des Mannes Kraft, 
die bergentitrömten, fließen bin !4): es eint fih ibm der Rönigsglans. 
‚Die Sutter gibt‘, ‚Die Roffe gibt‘, Und auf ibm, o Zaratbuftre, 

„die Herrliche‘, ‚die Labende‘, rubt alfo febr dec Ronigsglans, 

‚Die Stegen fpendet‘, ‚Sutterreich‘, daß er die Flichtarifchen all 

„die Treffliche‘, ‚die Boldreiche‘. wohl einft von bier vertreiben wird. 
Es läuft berzu, es fließt berzu Dann ziehen fie bindann bedrängt 
‚der Dammreiche‘, bell ftrablende, von Hunger, Durft, von Sroft und Glut. 
der weiße Wellentäimme wirft So leibt der königliche Glanz 

und oft aus feinen Ufern tritt. den Arierftammen feinen Schun. 


Der Berg Ufdidam, d. b. der Berg deffen, „der fein Haus bei der Morgens 
rote bat“, ift der Sig Bottes und der Seligen, die Sluffe, die von ibm berabs 
fommen, fließen nad Weften in den SamunsSee, der mindeftens gedanklich mit 
dem vorerwähnten See zufammenfällt, in dem der tdniglide Glanz ruht. Dom 
Hamun-SGee ging die Gage, daf fid) in ibm der Same des Zarathuftra befindet 
und daß von diefem Samen in jedem neuen Zeitalter eine dort badende Jungfrau 
befruchtet wird und den Heiland diefer Zeit gebiert. Lieuere Sorfcehung bat auch 
entdedt, daß an eben diefem See die Gralsburg lag, in der fi das Scidfal 
Parfivals, des Perferbelden, entfcheidet ($. v. Subtfchel). Der königliche Glanz 
und der Same des Zarathuftre, das Morgenrot und der erfte Abglanz der Sonne 
auf der fchneegekrönten Spige des böchften Berges und die Gewaffer, die ibn in 
die Tiefe des Sces mit fich nehmen und unterwegs alles Land befruchten, bilden 
eine wundervoll verbundene Einheit. Was für den Samen des Zarathuftre 
gilt, gilt felbftverftandlid) aud für den aller edelblütigen, arifchen Menfden. 
Wer ibn trantt, wer ibn vermifdt, bringt damit Unbeil auf das Arierland, der 
königliche Glan3, der an anderen Stellen fogar geradezu der arifche Glanz beißt, 


13) Die in Derfen wiedergegebenen Stüde find von mir, bin und wieder etwas freier, 
überfegt, und zwar auf Grund eigener Herftellung des durch allerhand Zufäge meift ent» 
ftellten, le metrifchben Tertes. 

14) Der nächfte Ders entbält 8 Slußnamen, deren Bedeutung 3um Teil unfider ift. 


1932, III W. Schulg, Arifdye Raffendygiene in der Religion der alten Perfer. 139 
Er FE RE Eu WI EEE EEE ER Eu EEE), 





räcdht es. Mad altem Glauben ift der große, von der einbrechenden, fremodraffigen 
Seindesfchar veranlaßte Krieg die Solge, und in anderer Ausprägung das Hers 
einbrechen der feindlichen, vernichtenden GBewäffer, die große, alles !WMißratene 
binwegtilgende Slut, oder der grofe Sroft oder der Weltenbrand. Diefer Glaube 
taucht, obne Zweifel aus fehr alten iranifden Quellen gendbrt, aud im Alten 
Teftament auf, wenn dort die Slut das fundbafte Gefdlecht binwegtilgt, das 
aus der Dermifchung der Rinder Gottes mit den Töchtern der Menfden bhervors 
gegangen war (Benedis VD). 

Daß die Siut, oder vielmehr der ihr entfprechende große Sroft, alles Brefts 
bafte binwegnimmt und nur die Cdelften zur neuen Zucht übrigbleiben, ift auch 
nod an einer anderen Stelle des Awefta (Midewdat 2) ausgefprochen. 


Der Scopfer Ahura Mazda Dod du mac einen Pferd zuredt, 
berief die Götter allefammt auf jeder Seite meilenlang, 

zur Ratsperfammlung in Wedfda, den Samen bringe dort binein 
wofelbft die Arier wohnbaft find. von Schafen, Rindern, Menfeben auch. 
Es tam zum Aate Jame aud, Nicht Breſthafte, nicht Hoͤckrige, 
der ftrablend jhöne, gute Hirt, nicht Taube, Stumme, Rafende, 
zufemmt der Menfden Eodeljten nicht Ausfagige, Haͤßliche, 

in Wedſcha, wo die Arier ſind. nicht irgendwie Mißratene — 

Zu Jama ſprach da Mazda dies: fondern die Schönften, Größeften 
Jama, Wiwabwa's fhöner Sproß! der Mienfchen, Rinder, Pflanzen aud 
Ein Sroft kommt über diefe Welt, und Tiere bring binein zur Zucht, 
die Wolken fenden Schnee berab. _ die allerwohlgeratenften ?). 


Ein Vergleich mit den entfprechhenden Stellen der biblifden Slutfage lohnt. 
Vlad dem Jabwiften (Genefis VII 2) fpridt Jabwe zu Lloab: „Aus allerlei 
reinem Dieb nimm zu dir je 7 und 7, das Mannlein und fein Weiblein; von dem 
unreinen Dieb aber je ı Paar, das Männlein und fein Weiblein. Desgleichen 
von den Dögeln unter dem Simmel je 7 und 7, das Männlein und das Weiblein, 
auf daß Same lebendig bleibe auf dem ganzen Erdboden.“ Vict unwefentlich ift 
die Abweichung des Elobiften (ebd. VI 19): „Und du follft in den Raften tun 
allerlei Tiere von allem Steifch, je ein Paar, Männlein und Weiblein, daß fie les 
bendig bleiben bei dir. 20. Don den Dögeln nach ihrer Art, von dem Dieb nad 
feiner Art und von allerli Gewürm nach feiner Art. Don denen allen foll 
je ein Paar zu, dir bineingeben, daß fie leben bleiben“. Drei wefentliche Unters 
fhiede der Auffaffung treten zwifchen diefen Stellen und dem Avefta bervor. 
1. Jama forgt fir den Menfden und fur alles, was mit feiner Viehzucht und 
feinem Aderbaue zufammenbängt, völlig im Sinne der zaratbuftrifchen Religion; 
die Pflanzen find felbftverftändlich die FTugpflanzen, insbefondere das Getreide 15). 
Vioah hingegen forgt für alle Tiere, aber obne irgendwelche züchterifche Rüdficht. 
Daß der Pflanzen, ähnlich wie der Sifche, nicht gedacht ift, wird darauf beruben, 


15) Die Wiedergabe ift gegenüber dem Terte und zum Teil audy für den gegenwärtigen 
Swed, ftart verkürzt, Einzelnes ift auch umgeftellt. Hab D. 26 foll Jama „Samen von 
allen Tiergattungen, die auf Erden die größten, beften und (cdnften find“, mitnehmen. Ic 
bebe blog dies heraus, um darauf binzuweifen, daß man fich foldhem ‚WDortlaute‘ nicht vers 
fbreiben kann. Le gibt fur die tMazda-Kebre leine „größten Gattungen“, fondern nur 
rößte, befte, fcbdnfte und daber zu bevorzugende Individuen. Wer den Tert mit allen 
Sufägen und Unglidsfallen auf fide wirken laffen will, Iefe Wolfe oder Lommels wort: 
lide Überfegung. 
16) Sujöge erwähnen aud Hunde, Ddgel, Seuer, Speife. Diefe Dögel find aber nicht, 
wie in der Bibel, die Befamtbeit der Dögel, fondern felbftverftändlidy das Geflügel, bes 
fonders die Hübner, die ebenfo wie die Hunde zum AHausftande gebdren. 


140 Volt und Raffe. 1932, III 





daß man annahm, 40 Tage Slut würden ihnen nicht fchaden, während der Simbuls 
winter des Jama auch den Pflanzenwuchs bedrohen mußte. 2. Jama fchließt alles 
„Mißjehr‘ aus und rettet bloß alles Woblgeratene, ein völlig züchterifcher Ge 
danke, während LIoab beim Jabwiften lediglich rituell zwifchen reinen und uns 
reinen Tieren unterfcheiden foll. &erettet werden aber fchlieglich doch alle, wie 
beim Elobiften. Der Gedante, daß auch die unreinen Tiere zur Vollftändigleit 
der Welt gebören, febeint bereinzufpielen. Der Jranier hingegen zieht die Grenze 
fo, daß alles nicht zum edlen Menfchen und fein:zm Unterbalte Gebdrige felbft 
feben mag, wie es forttommt. 3. Aud die Auffaffung vom !Menfchen ift eine 
verjchiedene, in Jran vdllig einbeitlich und Bar, die leibliche Erfcheinung und die 
geiftige Leiftung, der ftrablend (drone Mann und fein bocdhgezüchtetes Dieb be: 
gründen die Berufung. In der Bibel ift zwar Yloab der fromme Mann, der ein 
göttliches Leben führte und daber Gnade gefunden bat, aber feine leiblidye Erfcheis 
nung wird nicht berührt, der Inbalt des göttlichen Lebens fteht nicht vor uns, 
eine Einheit beider fhwebt nicht vor. Wird YToab den Böfen gegenübergeftellt, 
deren Wandel verderbt ift, weil ibr Sleifch feinen Wandel auf Erden verderbt bat 
(Elobift) oder weil die Rinder Gottes die Töchter der Menfcben 3u Weibern ge: 
nommen baben (Jabwift), fo könnte man daraus folgern, daß Lloab eines diefer 
Rinder Gottes ift, und zwar eine Ausnahme unter ibnen, weil er fich nicht mit 
iederraffigen („Wlenfcben“) vermifcht bat. Jedsod das ftebt eben nicht mehr deuts 
lid) da, fondern ift untergefunten. Jn der iranifchen Saffung bingegen ift der züdhs 
terifche Gedanke ganz Mar berausgeftellt, und zwar doppelt: Jama als Züchter 
und als Juchtergebnis. 

Der Sroft des Jama ift eine lduternde Strafe wie die Slut. Er gebt von 
Mazda aus, die Uberfdwemmung bingegen vom Rönigsglanze, der aber dod 
wieder von Mazda ftammt. Sur diefen fonnen aud andere Gottheiten eintreten, 
3. B. der Stern Tifctrija (f. o.). Zin andermal (Jafdt 8, 56f.) wird die arifche 
Fyerrlichkeit mit der Gottin Urtifd, der Befcugerin des weibliden Befchledhtss 
lebens, verknüpft. Ihr Came ließe fich fogar geradezu mit „Regel‘‘ wiedergeben 
und ift die weibliche Sorm des Wortes Urtam, das Recht, Befetz bedeutet. Ges 
fellt fie fich der arifcben Herrlichkeit, fo entftebt tüchtige Liadhlommenfchaft. Auch 
die Ahnengeifter müffen dazu belfen (f. 0.). „Die Heilträfte der Urtifch find fo breit 
wie die Erde, fo lang wie die Stüffe, fo body wie die Sonne. Mit Hilfe des Roms 
mens der Srawurtis bewirten fie, daß der Hausftand in den Befiz des Befferen 
übergebe‘‘ (usna 00, 4). Das ift eine fchone, weltumfpannende Sormel voll 
wahrer religidfer Ergriffenbeit. Urtifd ift bier Göttin des Wachstums und der 
Wiederbelebung in der Ylatur, und foll fie durch die Abnengeifter zum Beffern 
führen, fo beißt das, daß der Sohn beffer fein foll ale der Dater, worin urfprüngs 
lid) der Gedanke an ein Höberzüchten der Raffe gelegen baben wird. An anderer 
Stelle (Jafcht 13, 2 ff.) erzäblt Mazda, wie er durch die Pracht und Herrlichkeit der 
Stawurtis den Himmel geftügt bat und die Erde und die in den Mutterleibern 
empfangenen Söhne, daß fir nicht fterben. So find die Ahnengeifter gleichfam 
Schugengel, fie [hüten das Land, in dem ibre Kachlommen walten, fie [hüten 
aud den Mutterleib, aus dem diefe Kachlommen bervorgeben. Ihren Ausgang 
baben fie von Gajomartan genommen, dem erften Wenfchen, von dem die Samilien 
der arifchen Länder ftammen und der in mpyftifchen Sinne mit Zaratbuftra ver: 
felbigt wird (Jafcht 13, 87 ff); denn der Heiland iſt in ihm ſchon Aäbnlidy vorweg: 
genommen wie Jefus in Adam. Ein ganzes Preislied, das 13. des Awefte, dient 
der Anrufung ser Abnengeifter, der Geifter der großen Helden und Rönige der 


1932, III W. Sculg, Arifchye Raffenbygiene in der Religion der alten Perfer. 141 





Dorzeit und aller Glaubenshelden. Jedoch zeigt fich dabei bereits eine neue Wens 
dung ins Allgemeinere, die Ahnengeifter find da fchon eine Art Heilige, deren 
Derbältnis zur KHeilslehre ftärker betont wird als die arifche Blutsverbundenbeit. 
Aber für alte Zeit baben wir mit einem der Rlarbeit des suchterifchen Gedantens 
entfprechenden Abnenkulte zu rechnen, in dem gewiß auch die Böttin Urtifch noch 
eine größere Rolle fpielte als in den erhaltenen Reften. 

Wie der königlihe Glanz der Arier dreimal in die Buchten des Sees vor 
feinem fchurlifchen Derfolger entweicht, fo wird aud von einer Verfolgung der 
Urtifch erzäblt, bei der fie fidh dreimal verbirgt, und daneben ftebt eine Dichtung. 
von den drei großen Rräntungen, die man ihr zufügen kann und die wohl ebenfalls 
ibr Entweiden zur Solge baben (Jafdt 17, 57 ff.): 

Zum erften fubrte Rlage da 

Urtifd, die gute, ragende: . 
Web ob des Weibes, das nicht Zeugt, 
flieb du tbr Keim von ferne fdon; 
auf ibrem Pfuble cube mide. 

Was foll id ibretbalben tun? 

Slieg ib vor Scham zum Himmel auf, 

berg’ id) mich in der Erde Schoß? 

Die zweite Rlage lautet: 

"Web ob des argen Ebeweibe, 
das ihrem Gatten Sdbne bringt, 
die ihr cin fremder Wann gezeugt. 

Endlich die dritte Rlage: 

Die größte Schandtat tut mir an, 
wer mit Gewalt ein Mädchen zwingt, 
da wider Willen es gebiert. 

Eine andere Stelle (Widewdat ı8, 62ff.) fpricht von der Dirne, die den 
Gamen mifdht. Gemeint ift das VDermifchen des Gamens der Bemeinder und der 
Flichtgemeinder, und das ift urfpringlid) Raffenmifdung, denn der zaratbuftris 
{che Glaube ift immer im wefentlichen auf die Jranier befehräntt geblieben. Die 
Dirne bat, wie jedes Weib, nady iranifcher Auffaffung aud felbft Samen, und 
das ift der nichtarifche, und diefen mifcht fie mit dem arifchen 17). Das durch die 
Vermifhung mit unbeiligem GamensSeuer entheiligte arifche Seuer bricht aus 
ihren Augen als böfer Blid. Durd ibn ftaut fie die im Slugbette laufenden 
Waffer, hemmt die im Wadstume befindliden Pflanzen, raubt der Erde ibre 
Sarbenpradht und den rechtgläubigen Männern (ibre Mannestraft), fobald fie ihnen 
in den Weg tritt. Ihre Brut ift der Schlangenbrut, der Wolfsbrut oder dem 
Laiche des Srofchweibchens zu vergleichen (ebd. 65). Die rechtmäßige Ehefrau bins 
gegen wird mit der Erde verglichen, ihr Gatte mit dem Bauern (Oidewdat 3, 23): 

Der Erde fchafft Befriedigung, 

wer auf die Sluren Saaten fat 

und Waffer auf die Dürre bringt. 
Ungern nur liegt die Erde brad 

und ungepflügt, die Pflügung beifcht 
und Gutes will vom Bauersmann — 


wie eine fhöne Srau, die fon 
feit Langem keine Söhne bat 
und Gutes will vom Ehemann. 


1) J. Hertel, Die Sonne und Mithra im Avefta (Leipzig 1927), S. 40. 


142 Doll und Raffe. 1932, III 





Wer diefe Erde forglih pflegt 
mit feiner Sande Arbeitskraft, 
dem bringt fie reihlihen Ertrag — 


fo wie den lieben Hann die Srau, 
wenn ec bei ibe gerubet bat, 
zum Danke mit dem Sobn befdentt. 

Leider wiffen wir über die tatfächlicdhen Derbältniffe des iranifchen Ebelebens 
und Gefdledhtslebens nur wenig. Die Paderaftie war fdwer verpdnt (Wid. $, 
20f., 31 f), ähnlich der Beifchlaf zur Zeit der Regel (Wid. 15, 7; 16, 17; 18, 
67 ff.) und bet der Rindsbetterin (Wid. 15, 8). Abtreibung und Beihilfe dazu 
waren verboten (Did. 15, 9—14), der Mann war verpflictet, für fein auger: 
ebelides Rind zu forgen Mid. 15, 15f.). Die alte indogermanifde Gitte ließ 
zwar vereinzelte LTebenfrauen. zu, aber die iranifchen Großen batten bereits viele 
Weiber, rehtmäßige Hausfrauen, Fiebenfrauen und 3ablreide Rebfen. Viebens 
frauen und Rebfen ftammten gewiß bäufig von nidhtarifchen Völkern. BDiefes 
Maremswefen, in dem fidy der Einfluß vorindogermanifcher Herrfcderfitte aus- 
fpricht, bradhte viel Streit in die Erbfolge und es ift bekannt, wie in den herrſcher⸗ 
bäufern alsbald der Verwandtenmord wütete. Ebeverbote zur Abgrenzung der 
Stände gab es nicht. Die Erklärung liegt nabe. Die drei oder vier Stände Jrans, 
die Priefter, Rrieger, Bauern und Handwerler, fegen urfprünglich und wohl auc 
bis in die Spätzeit, nicht Raffengrenzen. Der Krieger ift im Srieden Bauer, ja 
auch die Prieftergefchledhter werden vorwiegend arıfdy gewefen fein, fo lange der 
Einfluß der Magier in ihnen nod nicht durchgedrungen war. Gegen die Unters 
worfenen, deren Rultur 3. T. eine fehr hobe war, übte man Duldfamtleit und glies 
derte fie in den eigenen, fidh alsbald bildenden Beamtenftaat ein, fofern fie fich 
durch Leiftungen empfablen. So werden auch die Anfäge, die Raffenmifhung ein= 
zudammen, bloß geringe Auswirkung gebabt baben. 

Bas Beftreben, folden Derbältniffen gegenüber die Bande der Verwandts 
fhaft um fo ftraffer zu handhaben, ift begreiflich, aber die befondere Ebheform, 
auf die man dabei fam, die durch dic Mazda: Religion gebotene (Jasna 12, 9), oder 
richtiger empfohlene und verberrlichte Sippenebe, war kaum ein angemeffenes 
Gegenmittel, und wenn man fie unter anderem vielleicht fogar audy aus zUchtes 
rifher Erfahrung rechtfertigen mochte, war fie doch eine urfprünglidh nicht 
arifche, von der Vorbevälterung, und zwar aus den elamifchen Sürftenbäufern 18) 
in Sufa übernommene Einrichtung. Daß die Perfer fich gern fremde Sitten ans 
eigneten, bat fcbon Kyerodot (I 135) gewußt, und er berichtet auch, daß erft Rams 
budfchija II. die erfte Sippenebe mit feiner Schwefter fhloß, während vorber ders 
gleichen bei den Perfern nod nicht vorgelommen fei. Die Tragddie von Rönig 
Oidipus, dser unwiffentlid feine Mutter heiratete, belegt, daß die Griechen die 
Sippenebe verabfcheuten, und das fpricht erneut dafür, daß fie keine altindogers 
manifche Einrichtung ift. 

Später finden wir die Sippenebe auch bei den Ptolemdern in Agypten und, 
was uns näher angebt, auch in germanifcher SHeldenfage, endlich in einem Vachs 
Mange felbft bei den Sinnen. Aber während fie in der finnifchen Dichtung Rale⸗ 
wala (36. Rune) fo mifbilligt wird, daG der Meld Rullerwo, der unwiffentlich 
feiner Gchwefter beigewobnt bat, fic das Leben nimmt, ift bei den Gers 
manen troy gewiffer Unzeiden einfegendec fittlider Entruftung das Bild ein gan3 


18) §. WD. Ronig, Mutterredhte und Thronfolge im alten Elam. Seftfdrift dec 
Yationalbibliothel, Wien 1926. S. 539 f. 





1932, III 0. Schulg, Ariſche Raffenbygiene in der Religion der alten Perfer. 143 


anderes. Helgi zeugt mit Prfa den rolf Rrali, einen der größten Helden der 
Liordlande, obne daß diefem durdy foldye Kerkunft ein Makel anbaftet. Sigfrids 
Urfprung aus einer Befchwifterebe ift durch Richard Wagners Schöpfung allge: 
mein befannt. Urgermanifd ift das nicht, obgleich die Germanen göttliche Ges 
fhwifterpaare, ehbdem wabrfceinlich Sreyr und Sreyja, Njoͤrdher und Nerthus, 
kannten, die das Vorbild für die irdifchen batten fein können. Denn aud) die 
Griechen und zahlreiche andere indogermanifche Doölker hatten foldye Bötterpaare, 
obne dod deshalb Geſchwiſterehe zu pflegen. Sindet fich diefe nun gerade bei den 
Germanen, und vielleicht bloß in der verklarenden Sage, fo ift eine Sonderurfache 
zu fuchen. Da Prfa kein nordifcher Klame und Sigfrid aud in anderen Zügen 
von Sudoften ber beeinflußt fcheint, wird man mit fremdem Cinfdlage rechnen 
müffen. 

In Jran hingegen wird die Sippenebe wirklich aus Dorgängen der Gotters 
fage begründet. Der Armenier Jesnik erzählt in feiner Schrift wider die Selten 
von Ormi3zd, daß er zwar fchöne Befchöpfe erfchaffen batte aber das Licht nicht 
zu fdhaffen wußte. Da kommt ibm zu Hilfe, wie einer feiner Boten ein Selbfts 
gefprad dea Bodfen erlaufdt: Wenn Ormizd weife ware, ndbme er Umgang 
mit feiner Mutter und die Sonne entftünde als Gobn, und er beginge die 
Schwefter und der Mond würde geboren. Danad) handelt Brmizd und die Yims 
melslichter entfteben. Im Bundabifchn (37) werden Jabreszeitenfeft, Opfer und 
Gippenebe vergliden. Die zwei erften kann der Bofe ftören, aber gegen die 
Sippenebe kann er nidhts unternehmen. Erinnert man fich der Störung des auf 
Outjabr gerichteten Opfers durch den Schurken, die Dirne, den Glaubensfeind, 
fo wirkt diefe Meinung von der Sonderftellung der Sippenebe faft fo als ob man 
gebofft hätte, auf diefem Wege durch Rüdkreuzung Solgen der Raffenmifchung 
aufbeben zu können. Belanntlich erzielt der Züchter durch Inzucht feine bedeutends 
ften Erfolge. Aber fie ift ein febr bedentlides Mittel, wenn bereits fchlechte Erb: 
anlagen bereinragen und durch fie gefeftigt werden können. Diefe Gefabr lag 
gerade bei begonnener Raffenmifhung gewiß auc in Jran vor, fo daß fchwerlich 
mebr Yiuten als Schaden aus diefer fremdartigen und übrigens kaum je durdhs 
gangig geubten Einridtung erwadfen fein dürfte. 

Abnlid bedenklid) wie die religiöfe Verklärung der SGippenebe war der 
©laube, durch Genuß des beraufchenden yomatrantes die Sruchtbarkeit fördern 
zu können. Spitama ift gegen den Homalult mit großer Entfchiedenbeit aufge: 
treten 19). Seine Religion war auf Klarheit und LTüchternheit gegründet und 
aller Raufdy famt der Gewalttdatigheit, die er zur Solge bat, war ibm verbaßt. 
Dennod drang der Homalult fpäter in breitem Strome in feine Religion ein. 
Alles mögliche Bute follte Yoma vermögen: „oma teilt den Helden, die ihr Ge: 
fpann zum Wettlampfe entfenden, Kraft und Starke zu. Soma verfchafft den 
Srauen Befitz herrlicher Söhne. ..... Homa teilt den Mädchen, die lang unvers 
beiratet geblieben find, einen Gatten und Sürforger zu, alsbald, wenn er darum 
gebeten wird, der einfichtsvolle‘‘ (Jasna 9, 22 ff.). Was freilich diefe unverbeiratet 
©ebliebenen wert fein mochten, die fich ihre Gatten auf dem Wege eines ange 
zechten Raufches erwarben, wird nicht hinzugefügt. Alle raffenbygienifche Ein 
ficht, die uns fonft aus dem Awefta entgegenleuchtet, ift bier dahin. Daß oma, 
weil er als Raufchtrant offenbar geichledhtlicdh erregend wirkte, den Befig berr- 
licher (?) Söhne herbeigeführt babe, berubte ficherlid) auf Selbfttdufdung. Das 


19) Chr. Bartbolomae, Die Gatbas, S. 33 f. (zu Jasna 32, 14 und 48, 10). 


144 Dolt und Raffe. 1932, 111 
EEE a Pe Tac rl ee SS SAT ASS A PS Se ER SP a —— 





Gegenteil wird der Sall gewefen und die Macdfommenfdhaft oft durd den Aomas 
genug der Eltern empfindlich gefchädigt worden fein. Ja man fdeint fogar der: 
gleichen beobachtet, aber ftatt auf feine wahren Urfachen, auf kultifche Verfeh⸗ 
lungen zurüdgeführt zu baben. Werden in einem Haufe weder Priefter noch 
Rrieger, no viebzüchtende Bauern geboren, fondern nur Dabalas, Murstas, 
vielartige Warfchnas, d. b. offenbar lauter mißgeftaltete, ddmonifcdbe Wefen, 
darın muß das die Strafe fein, daß man Hhoma feinen Anteil am Opfer vorent= 
balten bat (Jasna 31, 5f.). Welder Abftand trennt doch diefe traurige Solgerung 
von den Maren lichtvollen Gedanten der Mazdas£ehre, die gewiß nicht in den 
Syirnen von Trintern oder Trinterablömmlingen entftanden find! 


Im ganzen tommt aber raffenbygienifh Widerfinniges oder Bedentlices 
doc) nur vereinzelt und, wie fich zeigte, als fremder, fich deutlich abbebender Ein- 
fblag vor. Der Eindrud, daß bier zum erften Male und in Vielem in vorbild: 
liyer Weife unfere Raffe fic felbft weltanfdaulich bewußt geworden ift und 
ſich zugleich aud felbft als Siel erfannt und gefegt bat, bleibt in voller Kraft bes 
fteben. Durdy den Dergleich mit Indien können wir ibn fogar noch beftärken. 
Dort fönnen ftrenge Gefetze gegen die Raftenmifchung, die aber nur 3. T. auch 
Raffenmifhung wäre, nicht mehr durdhgreifend belfen, weil fie 3u fpät kommen. 
Sie führen bloß eine Erftarrung berbei. Diefe wäre unerträglich, wenn nicht felbft 
der Paria — freilih auch jedes Tier — boffen könnte, durch Derdienfte, deren 
fittlidber Wert uns oft fraglich erfcheint, als Brabmane wiedergeboren 3u wer: 
den. Der Blaube an die Wiedergeburt fchlägt jedoch aller Erkenntnis vom Wefen 
der Vererbung ins Beficht. Er ift bloß möglich, weil der Raffegedante und das 
Bewußtfein der Bedeutung der Abftammung nur mebr äußerlich nachwirlt, inners 
lid) aber, der weit fortgefchrittenen Rafjenmifhung entfpredyend, vSllig ausgeböblt 
ift. Auch Erfdeinungen, wie der nad) Tabiti verpflanzte indifche Bebeimbund der 
Urioi?°) zeigen, wie man den Raffegedanten nidt feftzubalten vermochte, und die 
von diefen Arioi geübte Beburtenbefchräntung durch Rindesmord wirkte erft recht 
als Ausmerze eben der Raffe, deren Mame diefen Bund adeln follte. Doc ift auch 
in Jran eine gewiffe Aushdblung des arifden Gedantens erfolgt, freilich in anderer 
Richtung und glüdlicherweife nicht fo durchgreifend. Die urfprüngliche Lehre, Relis 
gion wie Sittenlehre, war raffifch beftimmt. Aber die Religion erweiterte fidh von 
der Bemeinfchaft der Stammverwandten, am Opfer beteiligten Sippengenoffen zu 
der Bemeinfchaft der durch das Belenntnis miteinander Verbundenen, nah ibm 
£ebenden. Sie wurde führend im Staate und vorbildlich auch für andere. Go 
entjchied das Belenntnis als fittliche LTorm, wäbrend der Raffegedante, die Der: 
bundenbeit durd) das Blut, wenigftens grundfäglich zurüdtrat. Der Weg zur 
Meltreligion war damit freigelegt. Aber erft das Chriftentum bat ibn befdritten, 
indeß die Mazdalebre (dlieBlid faft völlig vertlang, als die fie tragende Schichte 
auch politifch durd) den Einfall der Araber sufammengebroden war. 


) W. £. Müblmann, Privilegien ale Inftrument der Ausmerze. Siebung und 
and im alten Tabiti. Archiv für Raffens und GefellfchaftssBiologie, Bd. 206, Heft 2, 
S.1—1B. 





1932, III M. Riedl, Rriminalbiologie. 145 


Ariminalbiologie. 
Don Dr. M. Riedl, München. 


8 bleibt das dauernde Derdienft Lombrofos, die fosiale bis in feine Zeit 

faft ausfchlieglid morslifcy gewertete Erfcheinung des Verbrechens einer 
andersartigen Betrachtung unterzogen zu haben. Die Rriminalantbropos 
bogie, der er das Leben und den Llamen gab, ftellte den Rechtsbrecher in eine 
biologifche Beleuchtung und brady in Sachs und Kaientreifen dem Bedanten Bahn, 
den Derbredher naturwiffenfkhaftlich zu verfteben. Wenn fich diefer Mes 
thodil ein Irrtum gefellte, nämlich die Auffaffung des Rriminellen als einer ftams 
mesgefchichtlichen Rüdsfchlagerfcheinung, als einer gewiffer Maßen von der les 
benden spezies homo abweichenden Art Menfd, fo war diefe SehImeinung 3u 
mindeften eine geiftreiche und durch den Widerfpruch, der fich gegen fie erbob, 
eine Außerft fruchtbare und neue Gedanten zeugende. Seit Lombrofo unterzog 
eine Reihe von Sorfchern Eriminell auffällige Menfchen pfychiatrifchen, pfychos 
logifdben, anthropologifden und foziologifchen Unterfuchungen, wiffenfchafts 
lichen Erfenntnisbemubungen, die man am beften mit dem Ausdrud Rriminals 
biologie zufammenfaßt. 

Mir müffen beim Recdhtsbrecher eine grundfägliche Lnterfcheidung treffen; 
diefe ift, fchon aus praltifchen Grinden, vornebmlid durch die Ronftanz des 
kriminellen Derbaltens gegeben. Wir ftellen den Gewobhnbheitsverbredhern 
Ausnabmeverbrecder gegenüber, Menfchen, die aus einer befonderen, viels 
leicht einmaligen Situation im Leben beraus, fei dies eine Sabrlaffigkeit, ein Affekt, 
ein außerordentlicher Llotzuftand, eine befondere Verführung ufw. einen Verftog 
gegen das Strafgefetz begeben. so bedarf keiner zu großen Cinfublungsgabe und 
Selbfterfenntnis, um fic) Mar zu werden, daß diefe Sünder Wienfchen find von 
nicht anderer Art als die allermeiften „Anderen“, die nie „vom Pfade der Tugend 
weichen“. Im Gegenfag biezu ift es durch triminalbiologifcde Seftftellungen uns 
zweifelhaft erwiefen, daß die gebäufte Rudfälligkeit, gleichgültig in welcher Des 
liftsPategorie, nicht nur aus Außeren Umftänden erfolgt, vornehmlich aus der 
üblen wirtfchaftlidhen und fozialen Lage, wie verftiegene und tendenzids gerichtete 
Umweltstbeoretiter es wabre baben wollen, fondern aus einer innern Artung. 
#8 war feinerzeit der delinquente nato £ombrofos das Ziet befonderer Angriffe. 
Man fand die von Lombrofo an den „geborenen Derbredhern‘“ bemerkten Börpers 
licen Merkmale, die „Degenerstionszeichen‘“ nur zu zahlreich auch an barmlofen 
und tidtigen Mitmenfden. Dies ift ficher richtig. Aber Lombrofo batte doch 
wieder aus der Sicherheit des intuitiven Blides heraus die Wahrheit auf feiner 
Site, indem fih beim Gewohnbeitsperbreder Defekte, „Degenerationss 
zeichen‘ pfpchifcher Art in befonderer Hdufung oder Schwere erweifen kaffen. Man 
kann fomit wohl in etwas geändertem Sinne von geborenen Derbredern 
reden, indem Menfdhen mit angeborenen ererbten Mängeln, die eine vermins 
derte foziale Anpaffungsfäbigkeit bedingen, in Verbindung mit bes 
ftimmten Umweltwirtungen immer wieder fich vergeben. Alle fpäterbin nach 
Lombrofo gewonnenen Sorfchungsergebniffe beftätigen, daß innere Saltoren in 
erfter Linie, daß eine ungünftig gefügte pfydhifche Ronftitution die foziale Eins 
ordnung erfchwert oder unmöglich macht. Llicht zu wenig, audy juriftifch gebildete 
und andere Laien auf triminalbiologifdhem Gebiete gibt es Heute nod, die aus 
der Liaturgegebenbeit des Bewohnbeitsverbrechens, der Unfähigkeit der gefells 

Doll und Haffe. 1982. Juli. }0 








146 Volt und Kaffe. 1932, 111 








fheftlichen Einfügung, die falfche Schlußfolgerung der ftrafremtlidmden Mins 
ders oder fogar Unverantwortlidleit oder beffer gefagt der fozialen 
Unangreifbarteit des Rriminellen ziehen. Die biologifche Auffaffung des 
fchweren fortgefetsten Rechtsbruches als eines determinierten Derbaltens, das 
nicht weniger und nicht mehr urfächlich beftimmt ift als ebenfalls das foziale Bes 
baren, führt überhaupt erft zu einer rationellen Rriminalpolitit, d. b. zu einer 
gefellfchaftlihen Reagenz, die allerdings logifchers und ethifderweife den Chas 
talter der Vergeltung verliert. Der völlige Bantlerott der beftebenden Cinricds 
tungen zur Belämpfung des Bewohnbeitsverbrechens beweift zur Benüge die 
Seblerbaftigteit der bisher gepflogenen nicdtbiologifden Erfaffung des Krimis 
nellen und der Llichtbeachtung biologischer Kinfichten und Maßnahmen. 

Meines Wiffens ftammt von dem Pbilofopben Bacon, der als Engländer 
auch recht praftifch bleibt, der Sat: „Alle Wiffenfchaft muß nüglich fein.“ Der 
bayerifche Strafanftaltsarzt Diernft ein batte fdyon vor 2 Jahrzehnten den Ges 
danken, Eriminalbiologifche Unterfudhungsmetboden dem praltifchen £eben in geeigs 
neter Sorm zur Verfügung zu ftellen. Dorfchläge, die an der fügen Bewohnbeit 
rührten, fanden damals bei den überkonferpativem GBeifte der Zeit keinen Anklang. 
lady den aufrüttelnden Erlebnis des Krieges und des Umfturzes änderte fich dies. 
Seit 1923 werden in Bayern nad dem Plane Diernfteins in Derbindung mit dem 
durch den feinerzeitigen fortfchrittsfreudigen Strafvollzugsreferenten Degen eins 
geführten Progreffivfpftem MTeuzugange in den Strafanftalten eingehend biologifcy 
unterfucht. Statt der früber üblichen, mehr als befcheidenen, auf Reinlichkeitss 
swede und Urbeitsfabigteit ihr Augenmerk richtenden Rörpervifitationen, die in 
wenigen Minuten erledigt war, unterzieht nady neuer Beftimmung in erfter Linie 
der Anftaltsarzt den Kriminellen einer „Erploration“, deren erheblichem Arbeitss 
und Zeitaufwand ein Briminalbiologifcher, menfchliches Schidfal tiefft ausfchürs 
fender Einblid entfpridt. Ticht nur der Unterfuchte felbft, fondern moglidft aud 
der ganze Derwandtentreis wird biograpbifd und caralterologifd 3u erfaffen 
gefudt. Vlad einer tlinifden und antbropologifden Unterfucdung erwddft dann 
ein die wichtigften Züge aus ererbter Anlage und gegebener Umwelt fefthaltendes 
pfychologifches Bemälde. Auf diefes Charalterbild baut fich eine fozialeWabrs 
fheinlihkeitsprognofe, welche biebei die perfönliche Artung in Verein mit 
den vermutbaren Lebensumftänden der Zukunft in Rechnung ftellt. 

Zu welchem praltifchen Sinn und Zwed ift nun diefe triminalbiologifde 
Perfdnlidhkeittlärung gedaht? Eine erfte Aufgabe erfüllt fie für die Bes 
lange des Strafvollzuges. Schon feit langem bat fic) der Bedanle Eingang 
verfchafft, dem Strafvollzug den Charakter einer ausschließlichen Dergeltungss 
maßnahme zu nehmen und erzieberifche Abfichten zu betonen. In vielen Ruls 
turftaaten bat diefe Auffaffung fchon greifbare Beftalt gewonnen und in Einrichs 
tungen verfchiedener Art fich ausgewirkt. Diefe fowohl humanitären als auch tats 
fachlich pfychologich begründeten und gerechtfertigten Umgeftaltungen haben 3weis 
fellos den „guten Ton“ in den Strafanftalten gehoben und die Anftaltsfübs 
rung febr vieler in der ftrafbäuslichen Enge zu recht robuften Auftreten neigender 
Brimineller auf eine höhere Stufe gebradyt. Aber die letzte und eigentliche Ab 
fiht, die Lebensführung, das fpätere Derbalten 3u beeinfluffen, wird durch 
folche am Außeren baftenden Derfuche nicht erreicht. Ein beftimmt durch üble Erbs 
momente gearteter und durch lange und verderblich einwirktende Ummweltseinflüffe 
gefchaffener Charakter eines meift längft erwachfenen, fertiggewordenen Menfchen 
kann auch durch Engelszungen und alle ,,.Dermenfdlidung’ des Strafvollzuges, 


1932, III M. Riedl, Rriminalbiologie. 147 








wie Theater, Rino, Ronzerte, Sportunterbaltungen, farbige Lampenfchirme und 
WOurftzufage nicht verändert werden. BDiefe Dergünftigungen und Erziehungs» 
bemübungen können nur einigermaßen ihrem Zwede gerecht werden unter einer 
beftimmten Dorausfegung, nämlich einer wefentlid vertieften Perföns 
lidmteitserlenntnis, die durd die kriminalbiologifche Unterfuchung ermögs 
licht wird. rft eine durch fie gewonnene Unterfdeidung kriminellgewors. 
dener YÜlenfchen erlaubt eine individualifierende ftrafbduslide Behandlung, eine 
rationelle Derteilung des erzieberifden KReaftaufwandes und verbindert eine nugs 
und erfolglofe Derpuffung von Bemubungen am ungeeigneten Objekt. 

Lieben den ftrafhäuslichen Zweden foll die praktifche Rriminalbiologie einer 
forenfifdhen Aufgabe gerecht werden. Die frim.sbiol. Berichte, die von dem 
unterfuchenden Arzt erftellt werden, follen zu diefem Zwede aus den Strafanftalten 
oder fonftigen Unterfuchungsftellen in Zweitfchriften an eine Sammelftelle fließen. 
(In Bayern ift diefe in der Deutfchen Sorfchungsanftalt für Pfychiatrie in München 
untergebradht.) Kyier werden unter Zuhilfenahme von Anftaltes und Gerichtsalten 
die krim.sbiol. Gutachten gefertigt. Zundchft ift in Bayern die Einrichtung ges 
troffen, daß der öffentliche Ankläger auf feine fakultative Anforderung im Rüds 
falle des Erim.sbiol, Unterfuchhten ein Gutachten von der Sammelftelle erbält. 
Es lagt fich verfteben, daß ein fhon nach den verfchiedenften Richtungen bin ges 
Märtes Charakters und Lebensbild des Angellagten eine wefentlich ftandfeftere 
Unterlage für eine nach Berechtigkeit fuchende und die gefellfchaftlichen Belange 
fcdugende Geridtspflege bietet als die bisherige Derfabrensweife. In Ser Sorts 
entwidelung des Diernfteinfchen Gedantens liegt die obligate Derwendung 
emer ftrim.sbiol. Beurteilung im ordentlichen Prozeßverfabren. Dies fhlöffe in 
Sulunft aud die trim.sbiol. Unalyfe der erftmalig vor Bericht ftehenden Unters 
fuchungsgefangenen in fich. 

Eine weitere dritte Aufgabe erfüllt die in die Strafrechtspflege eingeführte 
biologifche Unterfuchung der Rriminellen dadurch, daß ein Tatfachenmeaterial in 
einer Sorm und Ausdehnung für wiffenfchafttiche Verarbeitung und rs 
kenntnis erfteht, wie es bisber nicht entfernt der Sall war. ine rationelle Reform 
mit fühlbaren kriminalpolitifhen Auswirkungen, eine Strafrechtspflege, die fich 
sticht in einem Leerlauf bewegt, d.h. die das Strafrecht zwar pflegt, aber die Rrimis 
nalität nicht heilt und insbefondere verbütet, kann nur auf einer biologifchen 
Grundlage beruben. Anfänge einer wiffenfchaftlichen Auswertung des bayerifchen 
Materials unterftreichen aufs Lieue den Gedanten, Kriminalität biologifd ers 
faffen zu müffen, indem neben den unbeftreitbaren Ummweltefaltoren in der Ders 
brechensentftebung die Erbanlage, eine unglüdliche Kombination pfychifcher 
Ronftituenten die Dorausfegung if. 

Wenn man fidy freilich die Rriminalität nicht als Erbfaltor im eigentlichen 
Ginne, als Gen in der Sprache der Erblehre denken darf, fo führen zu diefem fos 
zialen „Erfcheinungsbild“ in Zufammenwirktung mit anderen Bedingungen, dod 
Saktoren, die zweifellos erblich find und deshalb eine erbgefundbeitlicdhe 
Stellungnahme erbeifcdhen. Ls feien einige die geiftigen Qualitäten und 
die Viachfommenfdaft Rrimineller belangende Erhebungen aus dem Material der 
bayerifhen Sammelftelle zur Sprache gebradht. Don 500 weibliden Krimis 
neHen aller UWlterstlaffen erwiefen fid) 33% als oligophren, d. b. geiftig minders 
wertig. Die Yiormalbegabten {deinen häufiger zu heiraten, es gelingt ihnen 
keichter, die erftrebenswerte Ehe (44%0) zu gewinnen. Don den Oligopbrenen ift 
rund nur ein Drittel verheiratet. Die oligopbrenen Ledigen werden im Unters 

10° 





148 Dolt und Kaffe. 1932, III 


fchiede zu den normalbegabten Ledigen öfter Mutter. Don den Schwadhfinnigen 
werden im ganzen gmommen, alfo von den Ledigen und den Derbeirateten, mebr 
Individuen Wütter als von den Fiormalbegabten. Cs ift dies allerdings baupts 
fadlicd durch die hohe Mutterfchaftsquote der oligophrenen Ledigen bedingt. Unter 
den Unterfuchten fand fich rund ein Diertel mit pfychopatbifchen Zügen bebaftet. 
Pfycdhopatbie ift gewiffermagen das Gegenftid zum Schwadhfinn. Beide Defekte 
beberrfchen den Perfönlichkeitstyp des Rriminellen. Don den Pfychopatben gelangt 
ebenfalls etwa 1/s zur Ehe. Sie heiraten feltener als die Klichtpfpchopatbinnen. 
Durdy ihre charalterlide Artung (deinen die Ebeausfichten doch beeinträchtigt zu 
fein. Wenn wir bei den Schwachfinnigen fchlechtere Syeiratsausfichten als bei 
den begabteren Mädchen fehen, aber keineswegs feltenere Gelegenbeit, an den Wann 
zu fommen, wie ja ihre Mutterfchaftsquote beweift, fo finden fich bei den Pfychos 
patbinnen weniger Mütter als bei den Llichtpfychopatbinnen. Cs fdeint die Lies 
gung zu befteben, daß Pfychopatbie fehtener zur Ehe führt und ebenfo weniger zur 
Mutterfchaft. 

Don den unterfuchten weiblichen Rriminellen ift ein Viertel endogen, d. b. fie 
gelangen aus vorwiegend inneren, anlagemäßig gegebenen Gründen mit einer 
gewiffen Zwangsläufigteit innerhalb ihrer Umwelt immer wieder 3um Redtss 
brud. 56% bievon find Mütter, während bei den erogenen 76% gefunden wurs 
den. Die in geringerer Zahl erfcheinende Mutterfchaft der endogenen Derbrecherin 
erklärt fich aus der gefteigerten pfychifchen Mangelbaftigleit der Endogenen, die 
aktiv und paffiv den generativen Vorgang zu hemmen geneigt ift. Sernerbin 
fpielen die längeren Internierungszeiten der Endogenen immerbin eine Rolle, die 
vornebmlid in das dritte Lebensjabrzehnt, der bauptfädhlichftien Generationss 
periode, fallen. Ein weiteres Moment bildet die Proftitution, die bei der Endos 
genen auffällig häufiger feftzuftellen ift und als fterilifierende Urfache zu gelten bat. 

Wenn wir die Proftitution in das Auge faffen, fo ift diefe bei den 500 Unters 
fuchten in einem Sünftel der Salle erwiefen, ebenfo ficher noch häufiger zu mut> 
maßen. Die Mutterfchaft wurde in erbeblidem MaKe feltener bei diefer Gruppe 
feftgeftellt, ebenfo ift die Rinderzahl geringer und die Heiratsbäufigkeit. Don den 
aud) wegen Bewerbsunzudht beftraften Ariminellen find 68 0/0 endogen, von den 
Klichtproftituierten bloß 120%0. Die Proftitution begründet alfo, wenn fie bei einer 
Kriminellen nod dazu gegeben ift, eine befonders üble fosiale Prognofe. Die 
Gründe der Proftitution Hegen viel weniger in Umweltsverbältniffen als in der 
Artung ser Perfdnlidleit. Don den Proftituierten fanden fi 45% als frübs 
kriminell, d. b. fhon unter 18 Jahren wegen verfdiedener Delikte als ftraffällig, 
von den nidtproftituierten Rriminellen nur 19%. 

Saft die Hälfte (470%/0) der triminellen Srauen weifen pfydifde Defelte auf; 
die Rinderzabl der defelten Ehefrau und Mutter ift größer als wie die der Unaufs 
falligen. 

Nach §. Lenz (Menfchlie Auslefe und Raffenbygiene, 1931) ift die zur 
Erhaltung des Beftandes ndtige Beburtenzahl auf eine Ehefrau im Leben zur Zeit 
etwa 3,1. Auf den Ropf unferer kriminellen Ehefrauen treffen 3,75 Geburten. 
Auf eine fruchtbare be beträgt nach Lenz die zur Erbaltung ausreichende 
Beburtenzahl 3,4, die Rriminelle fetzt aber je fruchtbare Ehe 4,46 Rinder in die 
Melt (einfchlieglich der außerebelichen) und 3,6 obne außerebeliche. Diefe Sätze ers 
bdoben fid nod, da von den Unterfuchten faft die Aalfte (47,2 %0) erft dem dritten 
Lebensjahrzehnt angehört und deshalb mit großer Wabrfcheinlichkeit ihre Sorts 
pflanzung nody nicht beendet bat. Wir regiftrieren die Tatfache, daß die Eriminelle 





1932, III M. Riedl, Kriminalbiologie. 149 


Ebefrau und smutter fic in einem Ausmaße fortpflanzt, das der wünfchenswerten 
Sufammenfegung des Voltsganzen abträglidh ift. 

Eine weitere Unterfudung erftredte fich auf 1000 männliche Verbrecher, 
die das 50. Lebensjahr überfchritten batten und in Anbetracht des Alters ibrer 
Ehefrauen wenigftens durchfchnittlich die Erwartung einer abgefchloffenen Zeus 
gungstätigleit boten. Die Aufmerkfamtleit richtete fich bei diefer Ausforfchung ebens 
falls auf beftimmte Eigenfhaften der Probanden und auf die Rinderzabl. Llacdh 
dem Urteil der ärztlichen Unterfucher waren bei diefen Altersklaffen von männs 
lichen Derbredhern über die Halfte (53,6%) als Endogene anzufprechen. Wenns 
gleich die Heiratshäufigkeit und die Kinderzabl der männlichen erbanlagigen Kris 
minellen binter der der Erogenen zurüdbleibt, fo ift doch entfcheidend, daß inss 
gefamt der kriminelle Eheoster aus dem vorliegenden Material 4,84 ebeliche Kins 
der, der kriminelle Dater 4,9 (ebeliche und außerebeliche) Rinder in die Welt fett, 
alfo wefentlid mebr als zur in diefem Salle überhaupt nicht wünfchenswerten 
Beftandserhaltung durch 3,4 Geburten ndtig ware. 

Saft 40%0 der über 50 jährigen Rriminellen find SGittlidleiteverbrecher. Bei 
den Männern wurden rund 34% Pfypcdhopathen und 28% intellettuell Defekte 
gefunden; bei den Männern finden wir häufiger Pfychopatben und feltener Oligos 
phrene, ao umgelebrt wie bei den Srauen. Wir können uns dies fo erklären, 
daß wir uns pfydopathifde Deranlagungen durd die beim Manne in boberem 
Brade gegebene Lebnsfhädigung aus ihrer Latenz gehoben denken, vorhandene 
Oligopbrenien aber durch eine beffere allgemeine Ausbildung und durch eine die 
Bewandtbeit bebende vermehrte außerbäusliche Lebensführung verdedt finden. Die 
umgelehrten Derbältniffe finden fich bei der Stau. Die Piychopatben werden ebenfo 
wie bei den Srauen feltener Elter als die Schwachfinnigen, wenn aber doch, fo 
weifen fie eine größere Rinderzahl auf. Tur die mit Schwadhfinn und Pfychos 
patbie doppelt Bebafteten heiraten feltener und haben weniger Rinder als die 
Linauffalligen. 

Hur Unterfuchungen in der von Diernftein vorgefchlagenen und in Bayern 
eingeführten Sorm find im Stande, uns über eine fozial und Stonomifch wie raffifch 
gleich hochwichtige Bevdllerungsgruppe biologifde Einfichten zu gewähren, aus 
denen fid neue Mittel und Wege für eine wirkungsvolle Rriminalpolitit ges 
winnen laffen. &s ift aber jetzt fchon mit größter Sicherheit anzunehmen, daß 
fich eine ebenfo humanitären Sorderungen wie gefellfchaftsfhügenden Belangen 
entfprechende Rriminalpolitit nur in den Bahnen der Raffenbygiene bewegen 
konn. Praltifch wirkt fid dies in den Maßnahmen der Dauerverwabrung 
oder Sterilifierung aus. VDorausfegung dazu ift, wie es der Zwed der Dar; 
legungen war, eine möglichft tiefgebende biologifche Erfaffung des Rechtsbrechere. 


Ein Urteil Bismards. 


Robert von Reudell, Surft und Sürftin Bismard, Leipzig 1901. 

Seite 176—178 erzählt R. von der Berufung Lothar Buchers ins Auswärtige Amt. 
Dabei beißt es Seite 176: Das alles trug ich dem Minifter vor. Er (d. b. Bismard) hörte 
ruhig zu und rief dann lebhaft: „Bucher ift eine ganz ungewöhnliche Kraft. Ich würde 
mich freuen, wenn wir ihn gewinnen könnten. Im Abgeordnetenbaufe babe ih mandmal 
feinen hoben fhmalen Schädel betrachtet und mir gefagt: Der Mann gebdrt ja gar nicht 
in die Gefellfhaft von Didtdpfen, bei denen er jetzt figt; der wird wohl einmal zu uns 
kommen.“ 


150 Volt und Kaffe. 1932, III 


Die Befchichte der linksrheinifchen Germanen 
bis auf Läfer. 
Don Dr. Siegfried Gutenbrunner, Wien. 


u nter den altgermanifchen Stämmen zeichnet fic neben den Sweben der Stamm 
der linksrheinifchen Germanen durch feine hohe Bedeutung für die Befchichte 
des Germanentums überhaupt aus. Dor dem Kingreifen der Sweben waren 
diefe Germanen, die Täfar nach der Lage ihrer Sige im ı. Ib. v. Chr. als 
Cisrhenani bezeichnet, unter den Weftgermanen der führende Stamm gegenüber 
den Belten. Diefe gefhichtlich bedeutfame Stellung wird durch die Ausdehnung 
ihres Klamens auf die germanifche Sprachgemeinfchaft feitens der Kelten bezeugt. 

Line foldhe Begriffserweiterung ift nur unter der Bedingung denkbar, daß 
fic) diefer Germanenftamm den Relten unter allen ihren germanifch redenden Lachs 
barn am ftärkften bemerkbar gemacht bat und die Kelten darum immer zuerft an 
ihn dachten, wenn von ihren Oftnadbarn die Rede war. Um die Stellung eines 
weniger belannten Stammes germanifcher Zunge zu bezeichnen, wurde offenbar 
die Betonung feiner Derwandtfchaft mit den woblbelannten Germanen notwens 
dig und der Llame Germanen erbielt fo allmählich feinen weiteren Sinn, in dem 
er uns noch heute durch die Vermittlung der römifchhen Schriftfteller geläufig ift. 

Obwohl der Rulturaustaufch und Handel von Doll’ 3u Volk fdyon in vors 
geidhichtlicher Zeit durchaus nicht unbedeutend waren, werden fich die linksrbeinifchen 
Germanen befonders durch triegerifche Leiftungen, die fic viel mehr berumfpraden 
als die nur Einzelne angehenden Handelabeziehungen, und durd ibre darauf bes 
rubende politifche Stellung ihren ausgezeichneten Play in der Dorftellungswelt 
der Kelten errungen haben. Darauf deutet aud ibe Dordringen nach Gallien, 
wo fie keineswegs bloß die wenig fruchtbaren Landftriche in den Ardennen bes 
fetten, wie einft Zeuß meinte, fondern in der beigifchen Provinz Limburg um 
Tongern und in den angrenzenden Teilen der Rölner Bucht wertvollen Aders 
und Weideboden bewohnten. 

Aus der Sülle der Beifpiele für gleichartige Schidfale von Stammesnamen 
verdient bier befonders der nordifche Klame Saxar für die Deutfchen unfere Aufs 
merkfamteit. Unter den deutfchen Stämmen, die fid) wabrend der Ddllerwandes 
tung berausgebildet batten, traten anfangs nur die Sriefen in engere Handelss 
beziehbungen mit den Flordleuten, wie fid aus manderlei Lebnwortern mit anglos 
friefifhem Lautcharalter (vgl. 3. B. germ. al>aä in an. klebe, Ried‘, (2 a) 
bdtr ‚Boot‘, neben dem einbeimifchen [derz) ergibt!). Die Gacdfen waren zus 
nahhft durch den Abzug ihrer Dollsgenoffen nad England gefhwächt und mit 
dem Aufbau ihres Stammesberzogtums befhäftigt. Bleihwohl finden wir 
nirgends auch nur einen Anfatg zur Verallgemeinerung des Lliamens Frisar, fons 
dern nur Saxar, den Llamen des allmählidh zum Staatsvoll des alten deutfchen 
Reiches auffteigenden Stammes. 

Die Übereinftimmung des Stammnamens auf belgifhem Boden mit dem 
Oefamtnamen unferer Vorfahren bei Belten und Römern bat feit jeber die Aufs 
merkfamteit der Sorfhung auf diefen Stamm in viel höherem Maße gelentt als 





1) €. Wadftein, Sriefifche Lebnwdrter im Flordifchen, 1922 (Strifter utgivna av 
Aumaniftista Ddtenflapsfamfundet i Upfala XXI) und Llorden od Väfteuropa i gammal 
tid, 1925 (Populärt vätenftapliga föreläfningar vid Gdteborgs Adgftola, My Sjold XXIT). 


1932, III Siegfr. Gutenbrunner, Die Gefchichte der linterbeinifdyen Germanen ufw. 151 
pt 


es fonft bei Stämmen des leltifhegermanifden Grenzgebiets der Sall ift. Go 
ware 3. B. die Srage, mit weldem Rechte fid die Mlervier und Treverer gers 
manifcher Abftammung rubmten, biftorifch ebenfo wichtig wie die nach dem 
Germanentum der linksrbeinifchen Germanen (Germani Cisrhenani). Don den 
Vierviern fennen wir die unleltifchen Llamen Geidumni und Vellango, Hal- 
davvo ?), von den Treverern Quigo und Fittio. Bei diefen Stämmen bandelt 
es fid) um eine insbefondere bei den Treverern dünne Überfchichtung Beltifcher Voͤl⸗ 
ker, worauf auch ardyäologifche Umftände deuten wie die Übernahme der fonft 
in der Latenezeit nur germanischen Leichenverbrennung durd die Treverer, wabs 
rend die linksrbeinifchen Bermanen fich in größeren Verbänden niederließen und 
daher ihre Eigenart viel zäber behaupten konnten. 


Dem Außeren Umftande, daß der Llame Germanen ein Volk von weltges 
fcdidtlider Bedeutung bezeichnet und daß ihn fchon Tacitus Germ. 2 im fog. 
Viamenfag auf dte linksrbeinifden, nadhmals Tungern genannten Germanen zus 
rudfubrte, verdantt die Srage nach ihrer Herkunft, daß fie immer wieder aufgerollt 
wurde. Don den zwei Tatfachen, die der unbelannte Gewährsmann des Tacitus 
vorausfetzt, wurde die Richtigkeit der einen, daß die Germani Cisrhenani in 
der Raiferzeit Tungri) hießen, niemals angezweifelt. Defto bartnädigerer Widers 
fpruch wurde aber gegen die zweite, daß die Tungern wirkliche Germanen waren, 
aud von den berufenften Dertretern der germanifden Altertumstunde erhoben. 
Man fuchte gewöhnlich diefe Angabe auf die Klachricht Cäfars zurüdzuführen, dag 
die meiften Belgen von den Germanen ftammten, und das fo als bloß literarifche 
Überlieferung zu entwerten. 

Diefen Weg bat zuerft Rafpar Zeuß in feinem für die biftorifche Völkers 
kunde Llordeuropas grundlegenden Werte „Die Deutfchen und die Krachbarftämme“ 
1837 eingefhlagen. Das Zeugnis Täfars, das bei der Ausfchaltung des Llamens 
fages übrigbleibt und befagt, daß die meiften Belgen von Germanen ftammten, 
die einft den Rhein überfchritten batten, betrachtete Zeuß als eine Sabel, die in 
Belgien wegen des guten Rufes der Bermanen aufgelommen wäre. Auf den Ums 
ftand, daß Täfar unmittelbar vorher, Bellum gall. 2, 3, die lintsrbeinifchen Gers 
manen von den Belgen ganz deutlich unterfcheidet, legte er fein Bewicht, fondern 
folgerte daraus nur, daß fie Cafar auf Grund jener Anficht der Belgen über ihre 
Abftammung und der Kliamensgleichheit irrtümlich für wirkliche Germanen bielt. 

Die Überzeugung, mit einer fo umftändlichen Deutung der gefchichtlichen 
Nachrichten die WDabrheit zu treffen, fchöpfte Zeug aus dem ungermanifchen, zum 
Teil fogar typifch keltifchen Ausfehen der damals bekannten tungrifchen Flamen. 
Die Tungern befanden fi jedoch in einer Lage, die zu ihrer Reltifierung 
führen mußte, und Beltifche Liamen beweifen daber nicht das mindefte für die urs 
fprünglicye Flationalität diefes Brenzvoltes, während ein einziger germanifcher 
Llame die Eeltifche Herkunft des Stammes ausfchließen würde. Go hatte auch 


2) Die Infdrift, welde diefe beiden Llamen bietet, ift in Röln, alfo im Lande der 
Ubier, gefunden worden und daber vielleicht nicht ganz beweisträftig, weil die Llamen aus 
der ubifden Umgebung ftammen könnten. Der einzige vermutlich keltifche Perfonenname 
bei den Lierviern Annaus ftebt auf einer Mainzer Injchrift. 

3) Der Flame Tungri bezeichnet einerfeits die Germani Cisrhenani in ihrer Ges 
famtbeit (fo im Llamenfag und ın der römischen Derwealtung; in der cohors II. Tung- 
rorum diente der pagus Condrustis = Cäfars Condrusi), anderfeits die Eburonen, 
wie in dem OF. Aduatuca Tungrorum, j. Tongern. Wir gebrauden den Flamen 
Qungern in jenem weiteren Sinne. 





152 Volt und Raffe. 1932, III 


Zeug die Mattiaci, Nemetes und Triboci troß ihrer teltifden Ulamen auf 
Grund der antiten Zeugniffe als Germanen anerkannt. 

Man mußte außerdem fon damals berüdfichtigen, daß die Römer unter Ums 
ftänden die Llamen nur in der bei den Relten üblichen Sorm lennenlernten, wie es 
3euß bei dem Außerlich ganz keltifchen Liamen Bojorir eines Rönigs der Rimbern 
angenommen batte. Gerade bei den linksrbeinifchen Germanen wird uns die von 
Zeuß aufgebradhte Bleichfegung von Paemans und pagus Famenna einen foldhen 
Sall liefern. VDollends Mar ift endlich, daß keltifhe Ortsnamen in einem urfprings 
lich Reltifchen Lande bei anders fprechenden Eroberern fortleben konnten. Das lehren 
3. B. die vielen Ortsnamen der Rheinlande vom Typus Andernach, Elvenidh, 
Jülich, die vor dem Kintritt der althoddeutiden Spradgefege von ihren ros 
manifchskeltifchen Grundformen nicht verfchieden waren. In den Urkunden des 
früben Mittelalters leben viele lateinifche KIamen nod in diefer Geftalt fort und 
gerade fo können aud die tungrifchen Ortfchaften, wenn fie einen germanifdhen 
Yiamen erbielten oder Außerlich germanifiert wurden, mit ihrer keltifchen Benens 
nung ins Lateinifde und Romanifche übergegangen fein, während die germanis 
fhen Sormen mit der germanifcdyen Sprache ausftarben. 

Dolitommen richtig beurteilte dagegen Jatob Grimm die etbnographifche 
Stellung der Tungern, obwohl er wie Zeuß den Llamen Germanen als keltifche 
Schöpfung betrachtete. Grimm verließ fidh auf die Anficht, die im Llamenfat 
der Germania zum Ausdrud kommt, verfäumte aber, die abweichende Meinung 
von Zeuß Puntt für Punlt zu widerlegen. 

Bei Müllenhoff kommen zu den von Zeuß vorgebradten Grinden nod 
einige neue hinzu, die freilich der Aritit ebenfowenig ftandhalten. Denn daß Täfar 
den Kinzelftamm durd den Zufat ‚lintsrbeinifch‘ (Cisrhenanı und qui cıs 
Rhenum colunt) von den übrigen, im weiteren Sinne des Wortes fo genannten 
Germanen unterfcheidet, ift auch für den ganz felbftverftändlich, der ibr Gers 
manentum anerfennt. Das war ja auch bei Cafar felbft der Sall, der fie, um 
Mipverftändniffen vorzubeugen, nie ‚gallifche‘ oder ‚belgifhe Germanen‘ nennt, 
und wurde {don von Zeus hervorgeboben. Vlad Müllenboffs Meinung foll 
Cafar die nadmaligen Tungern aber fur Relten gebalten und in feiner Darftels 
lung diefer Unfict aud) Ausdrud verliehen haben. Zeug und Müllenhoff, Ges 
lebrte, die das Bellum Gallicum dod grimndlid kannten, konnten zu fo vers 
fhiedenen Auffaffungen gelangen, weil Cäfar nirgends Elipp und Bar fagt, was die 
Cisrhenani feien, Germanen oder Kelten, fondern offenbar annahm, daß feine 
Lefer aud) obnedies uber deren Vollstum nicht im Zweifel fein würden. Aber 
Müllenboff überfab die Unterfcheidung der Belgen und Germanen bei Cäfar (die 
Zeuß als unwefentlich für die Beftimmung der wahren Klationalität des Stammes 
ausgefchieden hatte, wohl aber als Beweis für LAfars Meinung gelten ließ) offen 
bar deshalb, weil fie in dem folgenden ethnograpbhifden Bericht nicht mehr aufs 
genommen wird. „Hier ift zunächft von der germanifchen Herkunft der ‚meiften 
Belgen’ und dann von dem Anteile der Germani am Heere der Belgen die 
Rede; bei der Aufzählung der beigifchen Streitkräfte nad den einzelnen Völkers 
ſchaften ſchwebt Läfar alfo fhon wieder der weitere Begriff Gallia Belgica 
vor und das Verfeben Mullenboffs ift daber leicht begreiflich. 

Ebenfowenig ift Mullenboffs Bebauptung ftichhaltig, daß „auch nach den 
laut redenden, von Cäfar berichteten Tatfachen zwifchen ihnen (den Tungern) und 
den Transrbhenanen keinerlei SGtammesgemeinfdhaft nod ein Glaube daran bes 
ftand“. Damit meint Mullenboff, die rechtsrheinifchhen Germanen hatten den 


1932, III Siegfr. Butenbrunner, Die Befchichte der linterbeinifchen Germanen ufw. 153 
EEE SEE DEE a ar a me a ees ee eee ee a Pe 





Tungern Hilfe gegen Cafar leiften müffen, wie die Sweben unter MTafua und Cims 
berius Ariopift beizufteben fudten. Sue Mullenboff bewies nämlich der angeds 
lid) feltifcde Klame Cimbri, daß vor dem Rimbernzug Germanen aus dem inneren 
Deutidland in Ballien ganz unbelannt waren; die Tungern müßten alfo frübeftens 
um 100 v. Chr. in Gallien eingedrungen fein und daher fo wie Ariovift noch in 
viel engeren Beziehungen zu den recdhterheinifchen Stämmen geftanden baben, 
als es zur Zeit Läfars wirklich der Sall war. 

Wenn wir audy davon abfeben, daß die Tungern gar keine fo naben Ders 
wandten in der Heimat befaßen wie Ariovift und die Schlüffe aus dem Rimberns 
namen (der germanifch ift und *Himbroz lautete) aud 3u Mullenboffs Feit recht 
anfechtbar waren, wäre eine foldhe Schlußfolgerung alles eher als zwingend. 
Denn aud in der Raiferzeit, als die römifche Gefahr mit Händen zu greifen war, 
ftanden oft genug germanifdhe Stämme auf der Seite Roms und bildeten fid, 
wie bei den Cherustern zur Zeit Armins, felbft innerhalb der einzelnen Stämme 
eömerfreundliche Gruppen. Go fehr der Germane feine Sreibeit liebte und daber 
das Kömerreich haGte, gemeinfames Handeln gegen den LTationalfeind, ja felbft 
der Begriff eines foldden waren ihm fremd, weil er bis dahin mit der politifchen 
Organifation nah Stämmen zur Sicherung feiner Sreibeit eben volltommen das 
Auslangen gefunden hatte. 

Daß die Tungern für die wirkliden Germanen ftammfremde Gallier waren, 
fliegt Müllenboff befonders aus der Teilnahme von 2000 fugambrifchen Reitern 
Bellum gall. 6, 35—42, an der Plünderung des Landes der Eburonen, die unter 
Ambiorir im Rampfe gegen die Romer bei den linksrheinifchen Germanen die 
Subrung innebatten. Cafar ftellt die Gace fo dar, als ob die Sugambern auf 
feinen Aufruf zur allgemeinen Belämpfung der Cburonen gefolgt waren, denn 
wenn er mitteilte, daß die Sugambern als Verbündete des Ambiorir auf dem 
Briegefchauplat erfchienen, hätte er zugleich die Liuglofigkeit feines erften Rheins 
überganges zugeben müffen, der die Sugambern für die den Tenkterern gewährte 
Hilfe beftrafen follte. Der Angriff der Sugambern auf das Lager der Römer 
und nody mehr die dauernden Mißerfolge Täfars gegen Ambiorir laffen jedoch auf 
gute Beziehungen zu den germanifchen Nachbarn ſchließen. 

Das größte Bewicht legte Müllenboff wie Zeuß auf die keltifche Beftalt der 
Hamen: „Alle ihre Dolkss und Perfonennamen, fowie alle alten Slugs und Orts» 
namen ihres Bereiches find auch undeutfch und keltifch, fo daß jemand fhon weder 
vom Deutfchen (d. i. Germanifden) nod vom Reltifchen eine hiftorifche Aenntnis 
baben muß, um die cisrhenanifchen zu dem Stamm der transchenanifchen ers 
manen zu zählen‘. Bei diefer fcharfen, gegen Grimm gerichteten Auseinanders 
fegung fällt befonders auf, daß Müllenboff zu den von Zeuß berangezogenen 
Klamenarten die SIußnamen binzufügt, da er in feiner Abhandlung über die Llamen 
der norddeutfchen Stüffe ohne weiteres mit der Entlebnung der vielen Bezeichs 
nungen Heinerer Bewäffer durch das angeblich keltifche -ada im Gebiet zwifchen 
Rhein und Wefer rechnete. 

Wenn Müllenhoff den oben ausgebobenen Sat mit den Worten vollendet: 
„und (daß jemand) die heutigen WOallonen im weftliden Teil ihres Gebiets nicht 
für romanifierte Gallier, fondern für urfprüngliche Deutfche halten müßte‘, fo 
könnte fich das noch auf fpradhliche Derbadltniffe, auf die Cinbeitlidleit der wals 
lonifhen Mundart beziehen. Die Wallonen nehmen im Weften das Gebiet der 
Llervier ein, im Often das Land der Tungern, foweit es diefen nach den Derluften 
in den Rämpfen mit Cäfar verblieben war. Da die erhaltenen Liamen fdyon einen 


154 Doll und Raffe. 1932, III 
I 


keltiſchen Einſchlag erkennen laſſen und dann infolge der roͤmiſchen Verwaltung 
und Rultur die alten Stammesgrenzen immer bedeutungsloſer wurden, werden 
wir Spuren der erſten germaniſchen Beſiedlung in den heutigen Verhaͤltniſſen 
uͤberhaupt nicht erwarten duͤrfen. Wollte man ſich aber trotz allem zu dieſer 
Annahme Muͤllenhoffs verſtehen, dann muͤßte man ſich auch mit der Tatſache aus⸗ 
einanderſetzen, daß die Nervier im weſtwalloniſchen Gebiete in dem begruͤndeten 
Verdachte ſtehen, großenteils von Germanen zu ſtammen. 

Ebenſogut (oder vielleicht zugleich) kann Muͤllenhoff den einheitlich unger⸗ 
maniſchen anthropologiſchen Typus des Wallonen auf altnerviſchem wie auf 
altgermaniſchem Boden meinen. Einen ſolchen Beweisgrund anzufuͤhren, koͤnnte 
heute niemand mehr in den Sinn kommen, da die nordiſche Raſſe, der urſpruͤng⸗ 
lich auch die Relten angehoͤrten, gegenuͤber der dunklen weſteuropaͤiſchen Urbevoͤlke⸗ 
rung bei ſtaͤrkerer Miſchung ſchwer feſtſtellbar iſt. Muͤllenhoffs Einwand be⸗ 
ruht auf der ſeinerzeit allgemein uͤblichen Ubertragung der aͤußeren Zuͤge der Fran⸗ 
zoſen auf die Aelten®) und der Annahme, daß Raffengrenzen und smifchungen 
nur durch neue Zuwanderungen verändert würden. Aber felbft unter diefen Dors 
ausfegungen ware Mullenboffs Beweisfubrung nicht zwingend, da fie auf einer 
fehr undeutlichen Dorftellung von der Art der germanifchen Landnahme fußt. Die 
Einwanderer hatten gar kein Intereffe, die vorgefundene Bevslkerung auszurotten, 
die fie vielmehr als Anechte, börige Handwerker und Bauern recht gut brauchen 
konnten. In der Gefamtbevdllerung war daher der Hundertfatz der berrfchenden 
Germanen ftredenweife außerordentlich gering. Der Vernidhtungstrieg Cafars 
mußte ferner befonders die SHerrenfchicht treffen, da fie allein der Träger des Widers 
ftandsgeiftes fein konnte, und als dann die römifche Derwaltung die Germanen 
in eine niedrigere foziale Stellung berabdrüdte, ftand ihrem Aufgeben in der bodens 
ftandigen Bevdllerung kaum mehr ein Hindernis im Wege. 

Müllenbhoffs Entfcheidung für das Reltentum der Tungern wurde troß ihrer 
inneren Schwäche in der Wiffenfchaft allmählich berrfchend und ift auch beute 
noch nicht allgemein überwunden, weil das Anfeben ihres Urbebers auch feine Jrrs 
tumer gegen berechtigte Aritit gewiffermaßen immun machte. So kann fi T. €. 
Barften in feinem fonft wertvollen Buche über die Germanen 1928 G. 142 nod 
nicht entfchließen, die Stage in einem anderen Sinne zu beantworten. Müllens 
hoff hatte gemeint, daß die Ballier die Bermanen nach dem Rimbernzuge fo bes 
nannt bätten, obwohl einer ihrer eigenen Stämme an der Germanengrenze fdbon 
fo hieß. Der lame ware alfo von Anfang an zweideutig gewefen, wodurd den 
Relten, die doch bei der Benennung ihrer Tachbarn vollLommen freie Hand batten, 
eine ganz unmöglidhe Ungefhidlichkeit zugemutet würde. Wohl aus diefen 
Grunde hielt es aud) Mullenboff fur ndtig, einen Dergleihespuntt zwifchen dem 
Einzelftamme und den Germanen in unferem Sinne zu fuden, den er in dem 
für beide charakteriftifchen Seftbalten an der „niedrigen Urkultur‘ der Nordvoͤlker 
fand, worauf es aber bei der Benennung des fremden Sprachftammes gar nicht 
anfam. 

Daran nahm zuerft Much Anftoß und in feinen „Deutfchen Stammfigen“ 
(1892) fuchte er diefes eingewourzelte Dorurteil durch den Sinweis zu überwinden, 
daß die Übertragung des Llamens Germanen auf unfere Dorfahren nur möglidy 
war, wenn feine urfprünglichen Träger den Zelten als typifche Vertreter des 
Bermanentums erfchienen. Much verwertete damals auch fchon infchriftlich übers 


4) Dgl. 3.38. BaursSifher-£enz3° I, ı56f., II, 231 ff. 


1932, III Siegfr. Outenbrunner, Die Gefchichte der Iinterbeinifchen Bermanen ufw. 155 
EEE TENNESSEE EEE SE RO RT 





lieferte Perſonennamen der Tungern mit unkeltiſchem Lautſtand. Auf Grund der 
abſchließenden Behandlung dieſes Gegenſtandes, die Much 1920 in dem Werke 
uͤber den Namen Germanen geliefert hat, erkennen wir, daß die Tungern zaͤhe 
an ihren alten germaniſchen Namen feſtgehalten haben. 

Jn Fretoverus, Freio und Friatto, deren Stamm ſonſt nur bei den Ubiern 
(Freiatto, Friattius, Friannius, Friania) belegt iſt, iſt der Laut ei und ſein 
Wechſel mit i nur als germaniſche Eigentuͤmlichkeit moͤglich. Idg. ei iſt im 
Germaniſchen noch in der Raiſerzeit erhalten und verwandelte ſich damals in 1, 
während es im Reltifchen fchon langft5) E ergeben batte (vgl. germ. Alateivia 
= telt. *Ollodévia). Das Grundwort von Freioverus ift ebenfalls gut gers 
manifch, da es den Übergang von idg. Ü zu germ. é vor einem a der folgenden 
Silbe aufweift, den das Altkeltifche noch nicht kennt: alfo idg. *viro- = kelt. 
*yivo- = germ. *wera- ,Mann‘. 

Den Ulamen Leubasnus und Leubasna entfpridt Leubasnus bei den Bas 
tavern; leltifd mugte der Ulame Leubannus oder Lobannus mit nn für sn 
wie in Gobannio lauten (vgl. %. Pederfen, Dgl. Gramm. 9d. lelt. Spr. 1, 86). 
Gider germanifh ift ferner der Srauenname Lubainis, der mit der einzigen ges 
meingermanifchen Wortbildung diefer Art, mit got. lubains ‚Hoffnung‘, age. 
Jufn ‚Liebe‘, altn. Lofn ‚EbegSttin‘, vollfommen übereinftimmt. Auch die gers 
manifchen Llamen der von Qungern verehrten Gdttinnen Vihansa (germ. h: 
felt. &) und Alatervae (germ. ala-: kelt. ollo-, oder zumindeft *alo-) find zu 
berüdfichtigen.. Das a in der Rompofitionsfuge deutet auch in Rica-gambeda 
auf eine germanifde DWortbildung. 

An diefen Grundftod unzweifelbaft germanifcher Klamen fchließen fich folche 
an, die auf tungrifches oder niedergermanifches Bebiet befchräntt find und als 
germanifches Klamengut leicht gedeutet werden, während fie im Aeltifchen keine 
ErHlärung finden. Zu diefen gehören, um nur die zwei ficherften Sälle berauszus 
greifen, Haldacco neben den ubifhen Haldania, Haldavvo, Haldavvonius zu 
germ. *alda- ‚alt‘, felt. *alto- und fein Begenftüd Nevitto) neben ‚barbarifch‘ 
d. b. germanifh Nevitia bei Ammian, zu germ. *"newja- ‚neu‘, kelt. *novio-. 
Den Rurznamen Haldacco und Nevitto mtfpredyen die literarifch bezeugten, 
fhon wegen ihres Grundwortes germanifden VDollnamen Haldagastes und 
Neßioyaorıs (= lat. *Neviogastes.) 

Wenn die germanifchen Perfonennamen fo widerftandsfähig waren, müfs 
fen wir freilid auch germanifche Stammesnamen bei den Tungern erwarten und 
in der Tat befähigen uns die Sortfchritte der Sprahwiffenfchaft feit Mullenboff 
zu einer bejabenden Antwort auf diefe Srage. Der Lame Germanen felbft könnte 
als Stammesname ja an und für fic auch eine keltifche Wortprägung fein, wäre 
aber dann für die Erweiterung zum amen unferes Spradhftammes ungeeignet 
gewefen, weil er in diefem Salle nur von befonderen Wiertmalen des Stammes, 
die feinen den Relten bekannten germanifchen Bruderftämmen nicht zutamen, abs 
geleitet fein könnte und von vorneherein mit dem Begriffe des KEinzelftammes 


5) Rhénus bei Cäfar muß nah Auswris feines Anlauts Rh- [yon früher von einem 
— Schriftſteller in die antike Literatur eingefͤhrt worden ſein. Caͤſar kannte den 
amen wohl durch Poſidonius (vgl. Strabo S. 290), doch ſcheint der Rhein nach Strabo 
S. os ſchon bei Pytheas eine Rolle gefpielt zu haben. Der Beleg für germ. ei, Alateivia, 
fteht in einer Infchrift aus der Raiferzeit. 
6) berliefert it NEVTTO CIL 13, 3628; das erfte T ift zur Bezeichnung des bes 
nadbarten s etwas größer ausgemeißelt. Diefes Mittel ift bei anderen Budftaben ganz ges 
brdudlid, nur bei T etwas ungewöhnlich. 


156 | Volt und Kaffe. 1932, IIT 
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feft verbunden gewefen wäre. In allen vergleichbaren Sällen ähnlicher Bedeus 
tungsentwidlung war der Einzelname dem Volke, das ihm den weiteren Sinn 
beilegte, urfprünglich fremd und bei demjenigen Spradftamm, dem der urfprüngs 
lide Trager angebdrte, einbeimifdh. Sur diefen normalen Weg zur Bildung von 
umfaffenden Ddllernamen gibt es Dugende von Beifpielen, jedenfalls viel mehr, 
als man fonft zur Ableitung einer firengen Regel für nötig Halt. 

Dazu kommt nody der fcbwerwiegende Umftand, dag im Germanifchen ein 
dem Vollsnamen genau entfpredendes Wort vorhanden war. In Lanchefter bei 
Durham ließen fwebifde Goldaten (vexillarii Sueborum), wie die Infchrift 
befagt, der Bdttin Garmangabis und einem Raifer Gordianus ?) einen Altar 
errichten. Diefem Gdtternamen ftebt der ficher germanifche Liame einer Göttin 
Friagabis (Anlaut f und Mittelvokal a find unleltifch wie aud die übrigen 
Ulamen diefer Infchrift) am nächften. Außerdem gehören in diefe Liamengruppe 
germ. Alagabiae und fein keltifches Begenftüd Ollogabiae. Was erfte a von 
Garmangabis wäre als germanifeher Ablaut erllärbar; es ift jedoch wabrideins 
licher, daß der britifche Steinmeg Garman- nad) Analogie von Garmans 
fehrieb, wie nad Beda die Angelfachfen bei den einbeimifchen Briten bießen. 
Diefes Garmani verdant jedod fein a ftatt e vermutlich der oft belegten Lieis 
gung des KReltifchen, e in der Umgebung von g und r in a zu verwandeln (vgl. 
3. B. Tarvos trigaranos für -geranos, ‚Taroos mit den drei Rranidyen‘, weldye 
auf dem Stein aud dargeftellt find). 

Daf den Bermanen einmal ein Wort germana- geläufig war, können wir 
auch aus den weftfränlifchen Eigennamen Germenulf, Germentrada, Germen- 
berga, Germening ufw. entnehmen. Das zweite e diefer Lliamen kann nur auf 
Burzes germ. a zurüdgeben, alfo nicht aus dem galloromanifden Perfonennamen 
Germanus ftammen, wie aud I. Schnetz zugeben mußte, der in verfchiedenen 
Beitfchriften den Germanennamen als leltifh zu erweifen fuchte. Schnetz legte 
dabei großen Wert auf gallifche Klamen, wie Germillius, Germitius, die mit 
gallifchen Suffiren aus einem Stamme Germ- gebildet find. Da es aber biss 
ber keinem ernftzunehmenden Verfechter der entgegengefegten Meinung in den 
Sinn gelommen ift, die Möglichkeit eines foldden Wortftammes im Reltifden 
zu leugnen, haben diefe Liamen nicht viel zu bedeuten. Übrigens weift der Liame 
Germullius für den Sohn eines Germanus (CIL. 3, 6413) darauf bin, dag 
der als Cigenname in Gallien häufige Dollsname Germanus fidy vollftändig 
eingebürgert hatte und wie andere, auch Iateinifche Klamen variiert wurde. Etwas 
ganz ähnliches ift es, wenn die Llorweger den biblifdyen Vlamen David nad 
ihren Eigennamen porfinnr, Aupfinnr oder -fipr in Dafipr, Dafınnr ume 
änderten, weil das Llamenwort -finnr nur der urfprünglich ungermanifche Dolkss 
name der Sinnen ift, den die Bermanen vor oder während der Lautverfchiebung 
von einem norddftliden Lladhbarftamm entlebnt und erweitert haben wie die 
Relten den der Germanen. 

Wenn Zeuß und Müllenboff Germani für ein keltifches Wort hielten und 
als Stütze für das Reltentum des linksrbeinifcdyen Stammes betrachteten, fo wear 
für fie bauptfächhlich der Beiname Germani eines Teilftammes der iberifchen 
Oretanen maßgebend. Auch Schnet ift geneigt, den Llamen der Oretanen fo zu 
verwerten und fügt den Ortsnamen Forum Germanorum binzu, der urd 
zwei Infchriften aus den Seealpen — alfo auf ligurifchen Gebiet — bezeugt ift. 


1) Die Jnfcrift ftammt alfo aus den Jahren 236—244 n. Chr. 


1932, III Siegfr. Butenbrunner, Die Befdhichte der linkerheinifdden Germanen ufw. 157 


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#r müßte alfo auc den Slugnamen Germanasca, der bier vorfommt, mit feinem 
typifch ligurifchen Suffir für urfprünglich Eeltifch halten. An allen 3 Stellen, 
wo Germani als Stammname auftritt, in Belgien, Spanien (Reltiberer) und 
Ligurien find in der Liähe Relten nachweisbar und da der Liame doch nur aus 
ein und derfelben Sprache ftammen könne, müffe er, wie diefe Gelehrten meinen, 
feltifc fein. es ift wohl jedermann Bar, daß fie dabei mit zweierlei Maß meifen 
und einen Liamen nur dann als germanifch anerkennen wollen, wenn fidh auch 
nicht der fadenfdeinigfte Grund für feine keltifche Herkunft ausfindig machen 
läßt, während die Lläbe Eeltifcher Siedlungen ohne weiteres nach ibrer Meinung 
auf teltifdhes Wortgut fliegen läßt. Ebenfogut könnte man den ligurifchen und 
fpanifhen Klamen auf Refte der Rimbern oder Teutonen zurüdführen, die bes 
Banntlidh in diefe Begenden gelangt find. denn nicht Manner vom Anfeben 
eines Zeug und Müllenboff den oretanifchen Llamen vor vielen Jahrzehnten fo 
beurteilt hätten, würde beute wohl niemand mehr diefe oder ähnliche Beweife 
ernft nehmen. In Wirklichkeit ftebt die Sache fo, daß fowohl die Ligurer wegen 
Germanasca als die Jberer wegen der fpanifchen Pollsnamen auf -ans begrüns 
deten Anfprud haben, die betreffenden Llamen felbftändig gebildet zu haben. Da 
der Liame unferer Vorfahren in der Raiferzeit allbelannt war, könnte der iberifche 
Yiame auc urfpriinglic& etwas anders gelautet (Cermant, Garmani, Girmans ?) 
und erft im Munde der Römer die überlieferte Sorm angenommen haben. 

Der Vlame Germanen ift alfo zweifellos germanifcher Herkunft wie feine 
eigentlichen Träger, die in der Raiferzeit gewöhnlich Tungern genannt werden). 
Weniger wichtig als diefe Seftftellung ift die Scage nach feiner Bedeutung. Sie 
ift auch an fich fhwerer zu beantworten, weil an die Stelle der einfachen Alters 
native germanifch oder Eeltifch eine von vorneherein nicht feitftebende Zahl von 
Erflärungsmöglichkeiten tritt. Als außerordentlich förderlidh erweift fid aud 
bier der Böttername Garmangabis, weil er fo gut wie ficher eine ungünftige Des 
deutung des Grundwortes ausfchließt. Durch die anderen Liamen diefer Böttinnen 
Alagabiae (= Ollogabiae) und Friagabis fowie durdy den Sinn von gabis 
(plur. gabiae) ‚Beberin’ werden weiterhin die Bedeutungen ‚all, gefamt‘ oder 
‚reich, freundlich‘ nabegelegt. Denn Alagabiae beißt ‚die Allgebenden‘, Fria- 
gabis ‚die Sreigebige‘. Don diefen zwei Bedeutungen des Wortes * germana- 
erfcheint fofort die erfte, ‚all, gefamt‘ als die paffendfte, weil der Stamm der linkes 
rbeinifchen Germanen nach LTäfar wieder in mebrere Unterabteilungen zerfiel, 
die neben befonderen Llamen eine gewiffe politifche Selbftändigkeit befaßen. 

Auf denfelben Sinn führen auch fprachwiffenfchaftlidhe Erwägungen. Ger- 
mana- läßt ficb als Zufammenfegung der verftärkenden Dorfilbe ga- (= lat. 
co-) und *ermana- (= got. Ermana-reiks, mit Suffirablaut abd. trmin-, aisl. 
jörmun-) auffaffen. Diefes Wort bedeutete urfprünglich ‚was fic erhoben bat‘ 
wie das ablautende griech. vpuevos, weiterhin ‚groß, gefamt‘. Und wie neben 
den erwähnten weftfräntifchen Eigennamen mit Germen- foldye mit ermana- 
vorliegen, fo fommt neben unferem Germani das einfache ermana- (bzw. feine 
Ablautsformen ermuna-, ermina-) in den altertimliden Odllernamen Hermun- 
duri und Herminones vor, die ebenfalls höhere Einheiten, das ,Oefamtvolf& 
der Thüringer und den Rultverband der Erminonen bezeichnen. Die Ableitung 


8) Genau genommen dürfte Tungri der neue Llame der Eburonen gewefen fein, da 
Aduasuca Tungrorum nad Céfar im Gebiet diefes Teilvolles lag. Wir — bier 
(wie fon bemerkt) den Plamen wie Tacitus als gleichbedeutend mit Germani Cis- 
rhenani. : 


158 Volt und Kaffe. 1932, III 
NEBEN BE EEE ROIS 


von germana- aus ga-érmana- ift fprahli einwandfrei, fein fo erfchließbarer 
Ginn für den Bdtternamen und für den Dolfsnamen wie gefchaffen, fo Sa wir 
diefe Erklärung bei der Erfchließung der Alteren Befchichte des Germanenftammes 
getroft werden verwenden dürfen. 

Don den Klamen der tungrifchen Teilftämme nennt Cäfar, Bellum gall. 2,4, 
Condrusi, Eburones, Caeroess, Paemans und 6, 323 Segni; aus jüngeren 
Quellen lernen wir nody die Lliamen Tungri, Sunuces und Caruces kennen. 
Tungri ift nod unerllärt; die beiden legtgenannten find echt Reltifche Bildungen 
wie audy Condrusi, von dem der pagus Condrustis, franz. Condroz, den Flamen 
bat. Zu diefem Condrustis wurde der balbgermanifierte Matronenname Can- 
trusteihiae gebildet ?). Uleutral ift Eburones ‚Kibenleute‘ (kelt. eburo- = ir. 
tabhar, in Ylamen wie Eburovices, Eburodunum bäufig, nbd. Eberesche, cig. 
‚Kibenefche‘ wegen der roten Beeren). Er bietet dafür ulturbiftorifches Intereffe, 
weil fid der alte Catuvolcus, der Mitberrfcher des Ambiorir, vor dem Rriege 
mit den Römern mit Kibengift tötete (Bellum gall. 6, 31), wie nad der Egilss 
faga 3, 6 Herlaugr, der neben Hrollaugr über Kaumudalr berrfchte, vor dem Bons 
flitt mit Rönig Harald Selbftmord beging. Der Selbftmord eines Könige in 
diefer Lage trägt an fich fhon den Charakter eines Opfers, aber bei den Zburonen 
tommt noch die Wahl des KEibengiftes und der Hinweis des Klamens hinzu, fo 
daß wir daraus auf eine bedeutende Rolle der Cibe im Stammestult der Eburonen 
fhließen dürfen. In Caeroess ift das oe (zu Eäfars Feit ot gefproden) ungers 
manifch, -oeso- anderfeits aber auch als keltifche Ableitungsfilbe fonft nicht bes 
legt. Die mittelalterlihe Sorm Caroascus kommt neben Carascus nidht in 
Betracht, da audy Condorustis ein unberechtigtes o einfchiebt. 

Der widtigfte diefer Kamen ift jedoch Paemani, den man feit Zeuß mit 
Famene, im Mittelalter pagus Falmenna um Marde im belgifden Lurems 
burg zufammenbringt. Zeuß und Müllenboff wollten den Yiamen bei Cafar in 
Falmani verbeffern, wobei fie noch nicht wiffen konnten, daß der unteltifche, aber 
dafür gut germanifche Anlaut f ihrer Anficht vom Reltentum der linksrheinifchen 
Germanen widerfpradh. Diefe Solgerung 30g erft Mucdy in den ‚Deutfchen Stamms 
figen‘, wo er aud aus anderen Gründen ihr Germanentum verteidigte. Wuch ers 
kannte auch, daß das anlautende p bei Cafar als keltifcher Lauterfag fur germ. / 
gerechtfertigt fei. Da aber die Differenz im Jnlaut Paemani: Falmani befteben 
blieb, ließ fic) der Zufammenbang beider Klamen nicht mit Beftimmtbeit bes 
baupten. €r ift aber anderfeits fo überzeugend, daß ihn niemand rundweg abges 
lehnt bat, weit in der Provinz Germania inferior eine ganze Anzahl anderer 
Dollsnamen der Römerzeit in mittelalterliden Gaunamen erhalten find: von 
den lintsrbeinifchen Germanen Condrusi: pagus Condruscus, j. Condroz, Cae- 
roesi: d. Carascus,; ferner Menapii: p. Menapiscus, Mempiscus, Texuandn: 
Taxandria, Batavi: Betuwe, Cannenefates: Kennemerland, Marsaci: Marsum. 

Aus dem Derbältnis von Caeroesi zu Carascus ergibt fich, daß bier vors 
römifches ai zu romanifchen (vulgärlat.) & werden konnte wie 3. B. in lat. 
Sdpo < germ. *saipo. Wenn die Admer fpäter nicht wie Cafar eine gallifierte 
Sorm, fondern von der einheimifchen Bevdlkerung den Llamen in feiner germanis 
fchen Beftelt *Faimani übernahmen, mußte oder konnte wenigftens daraus *Fä- 
mani entfteben, das dem älteften wallonifchen Beleg Famenna aus dem J. 656 
genau entfpricht. Diefes wallonifche -a- ift unmdglid aue adlterem -al- abzus 


9) Wad R. Muds Vortrag über C. Schudbardts „Vorgefdichte von Deutfchland“. 


1932, III Giegfr. Gutenbrunner, Die Gefdidte der lintsrbeinifden Germanen ufw. 159 
A AE ema Pa EEE NEE EEE EEE LEE IE DE TSS 





leiten, weil die Straßburger Eide noch salvement, salverai, altresi bieten (zu 
franz. sauver, autre, bzw. wall. saver, atre). Die in den Urkunden von 800 
bis 1079 üblidhe Schreibung 19) mit -al- bat alfo nur orthographifche Bedeutung 
als fog. umgelehrte Schreibung. Im J. 1109 erfcheint wieder -a- in Übereins 
ftimmung mit der Bezeichnung von a < aldurdy einfaches a in den bei €. Schwan, 
Gramm. d. Altfranz. (12. Aufl.) abgedrudten Urkunden des 13. 3b.: atre, Wal- 
heame, Baduin. Da wir alfo keinen Anlaß haben, die von Cafar gebotene Sorm 
Paemani zu ändern, die vielmehr bis auf den Beltifierten Anlaut den germanifchen 
Llamen *Faimanös getreu wiedergibt und auf diefe Grundform audy pagus 
Famenna anftandslos zurüdgeführt werden kann, dürfen wir diefen Kamen als 
einen weiteren, volllommen eindeutigen Beweis für die germanifche Abftammung 
der Tungern buchen. 

Die Erflärung von Paemani, germ. *Faimanos, wird durch die Ableitung 
mit germ. -ana- auf zwei Möglichkeiten feftgelegt. Diefe Ableitungsfilbe bildet 
nämlich einerfeits Adjektiva von Zeitwörtern wie got. numans ‚genommen‘ oder 
abd. wesan ‚verweft‘, anderfeits aus Bezeichnungen menfchlicher Bemeinfchafs 
ten Llamen für deren Leiter wie got. Diudans ‚König‘ von Piuda ‚Vol. Im 
legteren Sall befigen wir in mndl. vesme, veme f., jest veem f. n. (germ. 
*faimö) ‚Dereinigung, Zunft‘ ein geeignetes Brundwort, zu dem wohl auch das 
niederdeutfch beeinflußte nbd. Fehme, mbd. veime ‚Derurteilung, Sreigericht‘ 
gehört. Die Grundbedeutung muß ‚Dereinigung, Benoffenfchaft‘ gewefen fein 
und fid) auf das zur Beftreitung gemeinfamer Auslagen (Belage, Sefte) zufams 
mengelegte Dermögen bezogen baben wie aisl. felagi ‚Benoffe‘ (zu fE ‚Vieh, 
Geld‘ und leggja ‚legen‘), da wir ein ablautendes Wort mit der finnlichen Bes 
deutung ‚das Zufammengelegte‘ in nbd. Feimen, mbd. vime ‚Miete, Trifte‘, 
ndl. vim ‚Haufe‘ (germ. *fimo < *feimo) vorfinden. Paemanı bedeutet nady 
diefer Ableitung alfo ,Dorfteber einer * farmo, Benoffenfchaft‘ 11). Der Sinn einer 
folden Benennung ift offenbar der, daß die führenden Samilien der Genoffenfdaft 
aud fonft nach außen und innen tonangebend waren. 

Wenn wir dagegen den Llamen als eine Adjektiobildung betrachten, bietet 
fidh uns zu feiner Deutung ein bis auf den regelrechten Suffirablaut vollfommen 
Wentifches Wort isl. ferminn ‚blöde, fcheu‘ (germ. * faimena-; die nordifchen 
Sprachen haben in den Verbaladjeftiven durchgebends die Ableitung -ena- gegen» 
über weftgerm. und got. -ana-). Wie der altisländifche Srauenname Feima!?) 
zeigt, dachte man dabei an das zurüdhaltende WDefen der Srauen, das dem Manne 
nicht ziemte; der Dollsname wäre dann ein Spottname und wenn das auch nicht 
fein urfpringlider Sinn gewefen fein wird, fo werden germanifch redende Lachs 
barn ihn gelegentlich fo gedeutet haben. Auf eine foldye Umdeutung gebt befannts 
lich die antike Sorm Gepidae ‚die Tragen‘ zurüd, während die germanifche Übers 
lieferung auf *Gebidae ‚die Geber, Sürften‘ binweift. 


10) Belege bei Müllenboff DA. 2, 196 Anm. 3. 
11) Obrigens wäre zu erwägen, ob nicht diefe Wortbildungen urfprünglich bloß die 
Mitglieder der betreffenden Gemeinfchaften bezeichnet und erft über eine Zwifchenftufe, in 
der man den Vorfteber als widhtigftes Mitglied fo nannte, die vorgetragene Bedeutung 
angenommen baben. Eine Spur diefes älteren Gebrauces haben wir wohl in agf. hina, 
erm. *hiwin-an- (Bluge, Kom. Stammb.? $ 21) ‚Anedht‘, eig. ‚Angeböriger des Aauss 
Hunden zu feben (vgl. got. heiwa- frauja ,Hausberr‘). Sur den Doltenamen Paemani 
ergäbe dies den Sinn ‚Mitglieder der Genoffenfdaft. 
18) ¢ germ.*Faimon-; das n-Suffir ift bier ein anderes, der deutfchen [hwoadhen Bie⸗ 
gung entfpredyendes, das im Vollsnamen *Faimanes lauten müßte. 


160 Volt und Kaffe. 1932, III 
EEE 


Der Liame Paemanen bezieht fic alfo urfpringlich auf eine genoffenfchafts 
lide Bliederung des Stammes. Genoffenfchaften oder Bilden müffen daher in 
feinem Leben eine befondere Rolle gefpielt haben. Daß es foldye Verbände bereits 
in altgermanifcher Zeit gegeben bat, ift fehr gut möglich, weil ihre Vorftufe, der 
Mannerbund, durd die Berichte des Tacitus über die Harier und Chatten bezeugt 
wird 13), Diefe Organifation mußte befonders für Roloniften, die Mitglieder 
eines ver sacrum wertvoll, ja geradu lebenswichtig fein, weil ihnen einers 
feits im Rechtsleben der fefte Rüdhalt der Sippe fehlte, anderfeits aber auf dem 
fremden Boden in feindlicher Klahbarfchaft eine ftraffe, militärifche Organifation 
(ogl. die Jomswilinger) für fie notwendig war. Wie die Condrusi nach diefer 
‚Befolgsgenofjen‘ hießen, fo wurden die Paemanen nady der Spitze ihrer Benoffens 
fchaften benannt. 

Die bisher befprochenen gefchichtlichen und fpracdhlichen Zeugniffe reichen volls 
fommen aus, um das urfpringlide Germanentum des Stammes zu fichern und 
die ältere Anficht zu widerlegen. Dolltommen verfebit ift G. Stumpels Verfud 
im DBeibeft 25 zur „Rlio“ 1932 die linksrbeinifden Germanen und überdies 
Ariopift mit feinen Leuten, die Ufipeter, Tenlterer, Baftarnen und Teruandern als 
Relten zu erweifen; er zeigt nur, wohin es führt, wenn ftammestundliche Sragen 
obne Spracdhlenntnis behandelt werden. Antbropologifche Beweismittel fteben uns 
nicht zur Verfügung, weil die modernen und mittelalterliden Derbältniffe nicht auf 
das Altertum übertragen werden dürfen und unmittelbare Erkenntniffe auf Grund 
von Stelettfunden wegen der in der Latenezeit bei den Germanen und Belgen fonft 
üblichen £eichenverbrennung nicht zu erwarten find. Die lateneseitlidbe Kultur 
des fraglichen Bebietes ift bisher noch fo gut wie unbelannt. Dies gilt befonders 
aud von der Mittellatenezeit 300—100 v. Cbr., in der die Einwanderung der 
Germanen vermutlidy ftattgefunden bat. Klur eine bei Brühl im Rheinland ges 
fundene germanifche Tonfchüffel diefer Zeitftellung (vgl. €. Rademacher Mannus 
14, 193f., Taf. 6, 8) darf vielleicht den Vorfahren der Tungern zugefchrieben 
werden. 

©. Roffinne vertrat in feinem Werte „Urfprung und Verbreitung der Gers 
manen (1928) allerdings eine ganz andere Anficht. Er meinte S. 24 (vgl. die 
Karte Ubb. 47), daß das Vordringen der germanifchen Kultur um 500 v. Chr. 
über Rhein und Maas bis zur Linie Bonn—Aadyen— Antwerpen das Werk der 
lintsrbeinifden Germanen fei, die im 3. Jb. v. Chr. nod den füdöftlichen Teil 
diefes Gebietes einnebmen, im übrigen aber weiter im Süden fteben. Roffinna 
kümmert fich dabei nicht um die Klachrichten und LIamen, die insbefondere für die 
Plervier einen ftärkeren Einfchlag germanifchen Blutes fo wahrfcheinlich machen, 
daß der vorläufige Mangel eines abfolut fideren Beweifes (wie wir ibn fur die 
Tungern befigen) nidt hindern kann, mit diefem Umftand bei der Zuteilung gers 
manifcher Bodenfunde in dem fraglichen Gebiet an die gefchichtlich bekannten 
Stämme zu rechnen. Das Sundmaterial, auf das fic) Roffinnas Angaben ftugen, 
ift auch viel zu fpärlidh, um auf einen fo ftarten Stamm wie die Tungern bezogen 
werden zu können. Wir werden daber diefe Sunde beffer mit dem germanifchen 
Element innerhalb der nervifden Stämme verbinden, wofür auch der Umftand 
fpricht, daß fie ebenfowenig wie die Tungern zu den eigentlichen Belgen (Belgium) 
gerechnet werden. . 


| 13) gl. hierüber £. Weifer, Altgermanifhe Jünglingsweiben und Männerbünde 
1927 (Baufteine zur d. VDollst. und Religionswiff., brsg. von €. Sebrie, 1). 


1932, III Siegfr. Gutenbrunner, Die Gefdyichte der linterbeinifdhen Germanen ufw. 161 
re rn u En Zur EEE PE 





Diefe ältere germanifche Einwanderung in Klordgallien von den lintsrbeinis 
fen Germanen ganz zu trennen, ift jedoch keineswegs notwendig. Wie fich 
weiter unten ergeben wird, faßen damals, zu Beginn der Latenezeit, die Tungern 
wabrideinlid im Gebiet der Lippe und oberen Ems; fie grenzten alfo gerade dort 
an den Rhein, wo nach Roffinna jener Vorftoß den Rhein überfchritten bat. Unter 
foldyen Umftänden ift es nabeliegend, eine Auswanderung von Teilen des Gers 
manenftammes anzunehmen, die dann in den Nerviern aufgingen. Die Angabe 
des Tacitus, daG die Tungern als erfte von allen Germanen den Rhein mit dauerns 
dem Erfolg uber{dritten, Connte alfo dod auf guter gefcicdtlider Uberlieferung 
beruben; irrig wäre es nur, diefe Tat als einzelnes Ereignis mit der Entwidlung 
ihres Klamens zu verknüpfen und fie auf den Mutterftamm zu bezieben, der den 
Bermanennamen woeiterfübrte. 

Sur die Beftimmung der Zeit des Rheinüberganges ergibt fich aus dem 
Namenſatz, daß die Einwanderung in Belgien vor dem Rimbernzug liegt, da die 
Qungern fonft nicht als ‚primi Rhenum transgressi‘ bezeichnet werden könns 
ten. Durdy den Vorftoß der Tungern wurde offenbar ein Teil der Belgen zur 
Auswanderung nach Britannien veranlaßt, denn feit dem 2. Ib. v. Chr. find 
die von Läfar Bellum gall. 5, 12 erwähnten belgifchen Anfiedler in Britannien 
ardhaologifch nachweisbar. Durch die Unterfuchung der Befchreibung Britanniens 
bei Cafar läßt fich feftftellen, daß die interpolierten Kapitel 12 und 13 (14 ift echt) 
auf Artemidor beruhen, der um 1009. Chr. fchrieb. Wenn fich aber diefer auf die 
lamengleichheit zwifchen den Belgen auf beiden Seiten des Kanals berief, muß 
die Wanderung fcehon weiter zurüdliegen. Die Germanen werden alfo in der 
erften Hälfte des 2. Ib. v. Chr. den Rhein überfchritten baben. 

Tacitus erklärt den Bedeutungswandel von Germani mit dem Pordringen 
de8 Stammes über den Rhein: durch diefe gefhichtliche Tat, meinte offenbar der 
Römer, deffen Meinung Tacitus im Klamenfat wiedergibt, babe fid der Stamm 
der Tungern den Balliern fo nahdrüdlich bemerkbar gemacht, daß fie in ibm von 
nun ab den Vertreter des Llachbarvolles erblidten. Er gebt dabei offenbar von 
der antifen, 3. B. Bellum gall. 6, 24 und Germ. 28, belegten Anficht aus, daß 
der Rhein die urfprüngliche Grenze keltifchen und germanifchen Voltstums vor: 
ftelle, die früher wenigftens im Süden von den Galliern überfchritten wurde, bis 
die Germanen erftarkten, die Ballier in ihrem Vordringen aufbielten und fchließs 
lid zum Rüdzug von der Abeinlinie ndtigten. Im Vorftoß des Germanenftam: 
mes fab der Römer einen gefchbichtlihen Wendepunkt von der Bedeutung ihres 
Sieges über Rartbago und ihrer Fliederlage in der Varusfchladht. 

Die moderne Wiffenfcbaft fucht im Gegenfage zur antiken Befchichtefchreis: 
bung die Urbeimat der Relten rechts des Rheins und damit verfchwindet auch der 
Anlaß, den Rheinüubergang der Germanen als das Ereignis binzuftellen, das die 
Aufmertfamteit der Kelten gerade auf fie lenkte. Wir haben auch vorläufig keine 
Sandbabe, die Klachrichten von einem Einfchlag germanifchen Blutes bei den Tres 
verern und noch weniger bei den Flerviern als Sabel beifeite zu fehieben und müffen 
daher mit älteren Einwanderungen in Gallien rechnen. Wir baben ferner feft- 
geftellt, daß die Tungern wahrfcheinlich erft 200— 150 v. Chr. über den Abein 
gingen, finden aber fhon 222 v. Chr. den Llamen Germanen in feinem weiteren 
Sinne bei den italifchen Relten in Gebraudh, was R. Much, Kintritt d. Germ. 
in die Weltgefhhichte S. 18 ff. unwiderleglich bewiefen bat. 

Auch allgemeine Erwägungen laffen vermuten, daß der Llame unter andern 
Derbaltniffen, als fie in der jüngeren Halfte der Latenezeit berrfchten, feine um: 

Dolf und Raffe. 1932. Juli. }3 


162 Dolt und Kaffe. 1932, HI 
EEE EEE — — —— 


faſſende Bedeutung erhielt. Je kuͤrzer die germaniſch⸗keltiſche Grenze war, deſto 
leichter mußte ſich der Name eines einzelnen Stammes durchſetzen. Die maͤchtigſte 
Verlaͤngerung hat dieſe Grenze um 400 erfahren, als die Relten den Illyrern die 
Sudetenlaͤnder entriſſen. Nicht lange vorher hatten die Germanen die Relten aus 
dem Gebiet zwiſchen Elbe und Saale verdraͤngt. Aus dieſen auch durch Funde 
nachgewieſenen Verſchiebungen ergibt ſich, daß die Germanen im b. Ih. v. Chr. 
ſich mit den Relten auf der Strecke zwiſchen Harz und Niederrhein (den die Ger⸗ 
manen an der Lippemuͤndung ſchon in der Sallftattzeit erreicht haben) berübrten. 
Späteftens im 5. Ib. waren alfo die Bedingungen für die Weiterentwidlung des 
Bermanennamens gegeben. 


Die Entlebnung des Viamens durch die Relten kann freilich noch einige Ib. 
älter fein, weil die Entwidlung von idg. A > germ.h > g und idg.ö > germ.ä 
in kelt. *Germ‘ino- <. germ. g(a)-Ermana- <. idg. ko-ermono- nad) Ausweis von 
Daliternt uno Tulingt {don im 6. Ib. v. Ehr. vollzogen war (vgl. biezu Wiuch, 
Eintritt >. G. in d. W. S. 51). Auf ein böberes Alter weift ja auch fhon die 
Wirkung der Lautverfdhiebung in dem Gegenftüd zu Germani, germ. * Walha- 
< felt. *Volco-, bin. 3m 6. Jb. folgte die germanifde Grenze im großen und 
ganzen zunähft dem Lliederrbein und der Lippe, ftrebte dann dem Harz zu und 
endete in der Begend der Vereinigung von Saale und Elbe (ogl. Roffinnas oben= 
genannte Schrift). Die damaligen Sitze des Germanenftammes werden wir dort 
zu fuchen baben, wo das Dordringen gegen.die Kelten am lebbafteften vor fic 
ging, weil eben der erfolgreihfte Stamm die Aufmerkfamteit der Kelten am 
ftärtften auf fich ziehen mußte. Diefer Stamm war nad) Ausweis der Bedeus 
tungsverfchiebung feines Llamens aber der germanifche und fein Gebiet muß das 
ber das Land an der Lippe und oberen Ems umfaßt haben. 


Auf diefelbe Gegend führen uns die weftfräntifchen Germenstfiamen. Das 
Rernvoll der Weftfranten waren die Chaulen, die in der Raiferzeit im Gebiet 
zwifchen der unteren Ems und der Elbe faßen. Sür die Annahme, daß fie in älterer 
Zeit andere Landftriche bewohnt bätten, feblen alle Unbaltspuntte. Die für ger- 
mana- erfchloffene Bedeutungsgleichbeit mit ermana- ließe die Verwendung des 
Wortes in Perfonennamen an und für fich leicht verfteben; aber jene befchräntte 
Verbreitung ift viel begreiflicher, wenn die Chaulen die Erinnerung an einen ihrer 
bedeutendften Flacdhbarftämme in ihren Eigennamen bewabrten, wie die weft: 
gotifchen Klamen Galindo und Galindus an die Kladhbarfchaft der Boten und 
baltifhen Galinden in Oftpreußen erinnern. 


Zum Stammvolt der Tungern zurüd leitet uns der beftechende Gedante 
Sr. Rluges, daß *Germanös, das fpradlid nach unferer Deutung nur eine durd 
ga- begrifflid) verftärkte Mebenform von * Ermanös ift, dem fo benannten 
Stamm erminonifche Abkunft zufpreche. Den Kern der Erminonen bildeten aber 
nad allem, was wir wiffen, die Gweben bzw. deren Stammopoll, die Scem- 
nonen. Bewährt fic alfo jene Dermutung, dann bildet die Befchichte der links- 
theinifchen Germanen nur einen früben Abfchnitt der fwebifchen und die eingangs 
als die beiden erfolgreichften Belämpfer des Eeltifchen LIachbarvolkes gegenüber: 
geftellten Stämme der Sweben und Germanen wären dann aus ein und der= 
felben Wurzel hervorgegangen. 


1932, III Ion Leifs, Altnordiſche Volksmuſit. 163 


Altnordiſche Volksmuſik. 


Von Jon Leifs, Island. 
Mit 1 Abbildung. 

Wern wir nach den Urquellen nordiſcher und germaniſcher Muſik forſchen 

wollen, ſo muͤſſen wir ſehr weit zuruͤckgreifen. Wohl das aͤlteſte Zeugnis 
der Muſik im Norden ſind die ſogenannten Luren, d. h. aus dem Ende der Bronze⸗ 
zeit ſtammende „Naturhoͤrner“, die man in den norddeutſchen und ſktandinavi⸗ 
ſchen Mooren in großer Zahl (im ganzen uͤber 30) gefunden hat. Ob die Fund⸗ 
ftellen als alte Grabſtaͤtten (Reſte von Einaͤſcherung?) zu betrachten find, wäre 
zu erwaͤgen. Dieſe Luren oder auch nur aͤhnliche Hoͤrner hat man nicht in an⸗ 
deren Gegenden gefunden, ſo daß wir wenigſtens annehmen duͤrfen, daß ſie be⸗ 
ſonders hier benuͤtzt wurden. Bemerkenswert iſt, daß man dieſe Luren faſt immer 
paarweiſe gefunden hat. Auch Felſenzeichnungen haben Lurenblaͤſer zu zweien 
und zu vieren gezeigt. Die Annahme liegt darum ſehr nahe, daß man zwei⸗ 
ſtimmig geblaſen hat. Es iſt ferner bemerkenswert, daß bei den Luren wohl ver⸗ 
ſchiedene Stimmungen vorkommen, aber daß die paarweiſe gefundenen Luren 
immer die gleiche Stimmung baben!). Auf den Luren kann man nun, wie auf allen 
Naturhoͤrnern, d. h. ventilloſen Hoͤrnern, Blechblasinſtrumenten ohne Zugvor⸗ 
richtung, zunaͤchſt nur beſtimmte Toͤne hervorbringen, die ſogenannten Naturtoͤne 
oder Obertoͤne, 3. B.: 











uſw. 

Bei den Luren ſprechen nun die erſten Obertoͤne, d. h. die tieferen Töne 
am leichteſten an. Es iſt alſo mit Beſtimmtheit anzunehmen, daß wenn man 
ſchon mehr als einen Ton angeblaſen hat und auch verſucht hat allmaͤhlich von 
Einſtimmigkeit zur Zweiſtimmigkeit uͤberzugehen, dann unweigerlich die am leich⸗ 
teſten anſprechenden Toͤne benuͤtzen mußte. Nun muͤſſen ſolche Blasverſuche ferner 
ganz unvermeidlich ſowohl in der Stimmfuͤhrung wie auch im Zuſammenklang 
genau das Tonbild ergeben, welches charakteriſtiſch fuͤr den islaͤndiſchen Zwiege⸗ 
ſang iſt, naͤmlich den Ubergang vom Einklang zur Quint. Das zweiſtimmige 
Lurenſignal muͤßte ungefaͤhr ſo ausfallen: 








| 4 eS oder . — 2 
I: - 8 — #—I— So — IF — — 5 —se= | - 2 - 
Pb} fp ae 
— —1 


Eine Parallele hierzu finden wir 3. B. in dem belannten isländifchen Zwic- 
gefangslied „Eg föng Par Ut oll jol“, deffen letzte Halfte mit dem weiter ver= 
folgten QuintensOrganum fo Hingt: 


fen 
+, £) Fel OY ei, er 
Soe Oe ee ee | 
Er ee epee, Oe, naeh ee 











Es ift nun ferner auffallend, daß die am leichteften anfprechenden Töne der 
£uren gerade in der „EMännerchorz£age“ liegen, d. b. genau in der Stimmlage der 


1) Jammericd, Sammelbände d. LMGeL. 1900. 
11° 


164 Doll und Kaffe. 1932, III 





isländifchen Zwiegefänge, die ausfchlieglich von Männerftimmen gefungen 
wurden. YFlicht nur das Llotenbild, fondern auch der langfame Vortrag mit Eres: 
zendierender, betonter und titardierender Quinte, dürfte ähnlich gewefen fein. Alle 
diefe fcheinbaren Zufammenhänge fin) meines Wiffens bisher nicht aufgededt 
worden. £s ift dies natürlich cine Hyppothefe, dic von der Wiffenfdaft nod weder 
beftätigt noch widerlegt wurde. — Man wird vielleicht einwenden, daß zwifchen 
dem Ende der Bronzezeit und der Wilingerzeit 2000 Jabre liegen, aber erftens 
wiffen wir nicht genau wann der Zwiegefang zuerft entftanden ift und dann ere 
fcheint die Feit von 2000 Jahren wirklich nicht zu lang für die Entwidlung von 
eins und zweiftimmigen Signalen bis zum ausgeprägten Quinten= und Organums 
Oefang, der feit etwa 1000 Jahren in Island im Vollsmunde lebend ohne große 
Anderungen erhalten ift. Die tbeoretifchen Schilderungen des Organums 
ftammen aus der Wilingerzeit?). Belanntlicy entftebt die Aunfttbeorie meift erft 
nach der Praris, weshalb wir vermuten dürfen, daß der Quinten: oder Orgas 
num=:Befang fhon lange vorber gepflegt wurde. In der Bronzezeit kann es fich 
wobl nur um Signale gehandelt haben, bei denen die Quint ſchon kuͤhn erfcheinen 
mußte und Terzen wohl als Disbarmonien empfunden wurden). — Ein Wars 
nungs=Signal beim Weltuntergang fchildert das berühmte Gedidt ,,Odluspa“ 


aus der Edda: 
In der Urfprache lauten diefe Zeilen: 


Des Gjallarborns, Keita Mimis fynir, 

de8 alten, Klang en mistude Eyndift 

fündet das Ende. at enu gamla 

Hell bat Heimdall. @jallarborni, 

Das Hornragt auf. bate blag Heimodallr, 
[Uberfegung von Benzmer.] borner a lopti. 


Nach der Urfprade mite es eigentlid beigen: Der Gott Heimodalle (der Bes 
figer des G@jallarborns), balt das Horn in der Luft und bläft aus £eibess 
kröften! (Die Anwendung von zwei AHdrnern hätte fich bier nicht mit der Rollen: 
verteilung der Bötter nach der Mythologie vertragen.) — Die verfchiedene Bes 
nennung „Horn“ und „Eure“ braucht uns nicht zu beirren, denn die Luren erhielten 
ibren LTamen erft in neuer Zeit nad den Sunden. Wenn wir den Zeugniffen eines 
Tacitus irgendeinen wiffenfcdaftliden Wert beimeffen wollen, der die Scdhlachts 
gefänge der alten Germanen fdildert und fie als fremdartig und barbarifch emps 
findet, indem er meint, daß es ihnen „mehr auf die Zinftimmigteit der Tapfers 
keit, als auf die Kinftimmigleit des Tones anlomme“, fo dürfen wir wenigftens 
annehmen, daß es fich dabei nicht um anmutig gefungene Melodien im füdlichen 
Sinne handelte. Flach dem füudlichen Wertmeffer bielt man die alten Deutfchen 
für unmufitalifche Barbaren, was fpäter durch das bekannte Zitat „Frisia non 
cantat* noch bervorgeboben wird. Etwas Abnliches fagte man bisher von den 
IJsländern und anderen Llordländern. Ihre Melodien waren eben anders als die 
füdlichen, — und im Empfindungsleben, alfo aud im befonderen in der Mufit, 
waren fie zurüdbaltender. Als betannt darf Solgendes porausgefegt werden: 

Island wurde vor über 1000 Jahren von nordifchen bzw. norwegifchen 
Milingern und Adelsbauern erftmalig befiedelt. Island fhuf und bewabrte die 
große, heute einzig daftebende beidnifchsgermanifche Literatur, die Sagas und 


2) Aucbald, ferner Riemann: „Belchichte der Muſiktheorie.“ 
3) Bei Organum-Gefang bat man beobadtet (aud heute nod) auf Island), dag Tere 
zen als Disharmonien 3ur Quint aufgeld(t werden. 


1932, III J6n Leifa, Altnordifche Voltsmufit. 165 
SS ESS a a a ee EE, EE TE) 


Eddas, die auch in guten deutfchen Überfegungen (im Diederids-Derlag, Jena) 
erfcbienen find. Jsland bat 1000 Jahre hindurch auch die alte Sprache bis heute 
lebend erbalten. Man lebrt fie an allen Univerfitäten und nennt fie Altnordifch, 
genauer Altweftnordifch. Jsland bat aber nicht nur die taufendjabrige Sprache 
und fiterstur bewabrt, fondern in gleicher Weife die wohl mindeftens ebenfo 
alte Dolfsmufil gerettet. 

Wenn wir von vereinzelten Beinen Laienfammlungen abfeben, fo fangt die 
wiffenfdaftlidbe Sorfcung islandifder 
Volkslieder erft um die letzte Jabrbundert: 
wende an, als Prof. Dr. Hammerich, 
Ropenbagen, feine Studien über islän: 
difce Mufil fchrieb. Gleichzeitig ſam— 
melte ein isländifcher Pfarrer, Bjarni 
borfteinffon, eine große Menge Lieder, 
teils aus alten Jandfchriften und Büchern, 
teils nach fremden und eigenen Aufzeich- 
nungen und gab fie in den Jabren 1906 
bis 1909 beraus, obne dabei die bekannte 
Gefabr der Viormalifierung und Entftel: 
lung ganz zu vermeiden. Seine Samm: 
lung bringt aber viele Zitate über den 
Voltsgefang in Jeland, bereits feit dem 
Jaber 1200, wodurch) manches bier Er: 
wäbnte beftätigt wird. Zuerft war cs der 
Zwiegefang oder Quintengefang, der be: 
fondere Aufmerkfamteit der Wifjenfchaft: 
ler auf fich lenkte. Seit meinen legten 
Studienjabren in Deutfchland babe auch 
id) mid eingebend mit der Dolfsunft 
meines VDaterlandes befaßt, zuerft durch 
den lebendigen Portrag aus dem Volle: 
munde und an Hand der in Büchern ge: 
fammelten Wlaterien und Studien, fpäter 
aud an Hand von pbonograpbifchen 
Aufnabmen, die ich in den legten Jabren 
in Island felbft beforgte. Im Ganzen 
nabm ich bisber 65 Phonogrammrollen 
dort auf, die jetzt im Pbonogrammardiv Die Lure von Dabertow. 
der Berliner Mufitbochichule im Schloß 
sufbewabrt find. Diefes Archiv unterfteht der Leitung des "Hyeren Prof. Dr. von 
HJornboftel, der nun auch die aufgenommenen Zwiegefänge einer wiffenfchaftlichen 
Sorfhung unterzogen bat. Jm legten Jabre veröffentlichte er bierüber eine Ar: 
beit in der Seftfehrift „Deutfche Jslandforfchung 1930 und kommt zu dem Schluß, 
daß die Zwiegefänge nicht kirchlichen oder tbeoretifcben fondern rein weltlichen 
und voltstümlichen Urfprungs fein müffen. 

Man kann nicht jagen, daß die Jsländer befonders viel fingen oder gefungen 
baben. Das bangt wohl mit ihrem verfchloffenen und zurüdbaltenden Wefen zu: 
fammen. £rft bei befonderen Anläffen oder bei Alkobol tauen fie recht auf. Die 
ursprünglichen d. b. wirklichen Volkslieder find beute in Jsland fo ftark im Aus: 





166 Volt und Raffe. 1932, III 





fterben begriffen, daß fie faft nur in den entlegenen Teilen der Infel und felbft da 
felten zu finden find. Erklärlicher Weife find auch die vorhandenen Lieder mebr oder 
weniger von ihrem urfprünglichen Rern entfernt und man muß das Urfprüng: 
liche, Schöpferifch-Kigenartige oder Viationale manchmal pbrafenweife berauss 
fuchen. Gewiß betrachte ich mich nicht als Wiffenfchaftler und bei meinen Ars 
beiten befchränte ih mich möglichft auf die künftlerifche Stilforfhung. Um zu 
beweifen wie febr id) mid) vor jeder LTormalifierung büte und mit welcher Achtung 
ich diefem Erbgut der Vorfahren gegenübertrete, möchte ich nicht unerwäbnt 
laffen, daß ich die erften Phonogrammaufnabhmen diefer Lieder jahrelang ftudiert 
babe, bevor ich mit meinen Aufzeihnungen fertig wurde und daß ich die Pbonos 
gramme faft täglich einen ganzen Winter bindurdy angebört babe, bevor idy auch 
nur den DVerfuch unternahm, irgendweldhe Aufzeihnungen zu machen. 

Es find befonders zwei Arten diefer taufendjäbrigen Wilingermufil, die 
bemerkenswert find, und zwar erftens die fogenannten Zwiegefänge, die urs 
alten Quintenlieder, und 3weitens die fogenannten Reimweifen oder „Nimur“, 
die altnordifchen „Staldenlieder“ 4), deklamatorifcher oder tanzmäßiger Art. Betrachs 
ten wir zunächft näher die Kigenart des Zwiegefanges. Der Jsländer gebrauct 
dafür den Ausdrud „Loiföngr“. Die Stimmen fingen abwechfelnd im Kin- 
Hang und in Quinten, wobei die tiefere Stimme (meift gegen den Schluß des 
Liedes) eine Quinte uber die andere in oft unbequemen Intervallen fpringt oder 
„bochgebt“. Dies bat namentlih im GBefang eine außerordentlich eindringliche 
Wirkung, etwa als ob „vom Speer die Sonne der Bötter ftrable‘, wie ein bez 
rubmtes Lied der Edda befagt. Die anfänglich untere Stimme, die fpäter bods 
gebt, wird dabei von Perfonen mit bober Stimmlage gefungen, alfo von einem 
Tenor, denn die Zwiegefänge werden wie gefagt nur von RNannerftimmen ges 
fungen. Als Beifpiel eines typifchen Zwiegefanges könnte am beften das bekannte 
Lied „Island forsaelda frön“ gelten: 

Sehr langsam. 





OPN ee Eg EN a de 
sets ge Mes — — — ⸗ en jo — 
3.2 -0-0-} -— - 274-8 * —f-- @—_- ⸗ oe 

a te — * Be f= i ee ee =}= — 

fs —— — * — 
Issland, berrslishes Keim! Du glüds lis dhe, glans zen-de Mut⸗ ter, 
, N #- 
Malz, 2 sy FaraN 2. 
9): — =e ne: — — v — 7 — > er Af — — —E he 4] 

ne ritard. —_ Cresc. riasa.. 

Retstenstat, ursal-ter Rubm, Sreisbeit, wo flo = ben fie bin. 


(Überfegung von Genzmer.) 


Bei diefem wie bei anderen Zwiegefangsbeifpielen darf aber nicht vergeffen 
werden, daß die ftärkfte Wirkung fich erft im Gefang von zwei oder mebreren 
Männerftimmen offenbart. 

Bemerkenswert ift der Regifterwechfel, welder durch die Stimmlreuzung 
bei dem betonten Wort „Ruhm“ bervorgerufen wird; auf eine dunkle Särbung 
folgt bei Überfchneidung der Stimmen eine belle Särbung. Zugleich tritt eine ver: 


4) Die Bezeichnung „Skaldenlieder“ wird hier nicht in ſtreng wiſſenſchaftlichem 
Sinne angewendet. Skalde — ſtald heißt einfach Dichter, Verſemacher, wie ſie bis heute 
unter dem Vollke in Island haͤufig zu finden find. 


1932, 111 Ion Leifs, Altnordifcdhe Voltsmufit. 167 





langfamte Betonung, eine Steigerung der Rlangftärke mit lang ausgebaltenem 
Pbhrafenfchluß ein. Als der Zwiegefang zuerft in Jsland entdedt wurde, da wollte 
man diefe als kunftwidrig angefebene „Barbarei“ damit entfchuldigen, daß man 
fogenannte „Begleitftimme“, die zuerft unterhalb und fpäter oberhalb der „Haupt; 
ftimme fingt, leifer (wie nach befannten alten tbeoretifchen und kirchlichen Vor: 
fchriften) gefungen bätte. Dies widerfpricht aber ganz den Tatfachen. Wenn es 
auch vorgelommen ift, daß ein einzelner die „Begleitftimme‘ fang, während mebs> 
rere die „yauptftimme“ fangen, fo war dies leicht dadurch verurfacht, daß die 
„DBegleitftimme‘ fhwieriger war und oft Mangel an geeigneten Sängern für 
diefe Stimme fein konnte. Indeffen find fowohl Stärkegrad wie Särbung bei 
diefem an fich einfachen Dollsgefang durch die Regifter der Stimme verurfacht 
und bedingen ein Anfchwellen des Stärkegrades befonders in der „Begleitftimme“ 
bei der Überfchneidung der Stimmen. Beide Stimmen find nicht voneinander zu 
trennen und find bei manchen !Wielodien offenbar von einander geformt worden. 
Auch findet man in Jsland Melodien, die wohl heute einftimmig gefungen werden, 
aber ein fo deutliches Bepräge eines Zwiegefanges zeigen, daß fich leicht eine 
„Begleitftimme‘ der üblichen Art dazu machen läßt. — Die in vereinzelte Quin= 
tengefänge bei neueren Aufzeichnungen eingefchobenen weicdheren und artfremden 
Terzen= und Sertenllänge dürften ebenfalls darauf zurudzufübhren fein, dag man 
die fogenannte „Unmufilalität‘ der verbotenen parallelen Quinten mildern wollte, 
obne dabei die wirkliche Eigenart diefer Melodien zu erfaffen’). Bei dem Bedicht zu 
der eben genannten !Melodie, das erft im legten Jahrbundert offenbar direkt zur 
Melodie gedichtet wurde, bringt auch der Tert eine inhaltliche Betonung an der 
Stelle der Stimmtireuzung, bier in der erften Strophe mit dem Wort „Ruhm“ 
Die ganze Melodie wird langfam und fchwerfällig, in keinem Salle mit merklich 
weniger betonten Unterabfchnitten oder leichten Taftteilen, vorgetragen ®). 


Wenden wir uns nunmehr der anderen charalteriftifchen Art isländifcher 
Volkslieder zu, nämlich den Reimworifen oder „Rimur“, die meift einftimmig find. 
Denn wir bei der Erklärung der Zwiegefänge bis auf die Luren zurüdgeben muß: 
ten, fo werden wir bei der Erörterung der Reimweifen bis auf die Sagas und Cddas 
zurüdgreifen müffen. Als Ausdrud für den mündlichen Vortrag benügt man im 
Iesländifchen und Altnordifchen erftens den Ausdrud Singen, 8. b. „at fpngja‘‘, zweis 
tens Sprechen oder Sagen, d.b. „at maela“ oder „at fegja‘‘, dann drittens eine Zwis 
fchenftufe zwifchen diefen beiden Arten, nämlich „at Eveda“, d.b. Dortragen oder 
Dichten. Diefer letzte Ausdrud wird in Saga und Edda allgemein für den Vor: 
trag der Staldenlieder und Einzelftropben der altnordifchen Erzählungen benügt 
und er wird nun ebenfo und ausfchließlich beute und feit Menfcbengedenten fur 
den Dortrag der Reimweifen, der anderen Hyauptgattung isländifcher Volkslieder, 
verwendet. Man fagt niemals Reimweifen fingen, fondern immer „attveda 
rimur“, d. b. Reimweifen vortragen. Es bandelt fich hier um meift balbge- 
fprodene und balbgefungene Melodien dellamatorifcher Art, die fih eng an den 
Tert anfchmiegen und in verhältnismäßig fehnellem Zeitmaß mit fehwerfälligen 


5) Wenn man fich in diefen Quintenftil jahrelang eingelebt bat, empfindet man Ters 
zen und Serten (die immer als Diffonanzen zur Quint aufgeldt werden) als füßlich, weich 
und artfremd, während die fid auch zur Quint auflöfenden Quarten und Selunden zum 
Stile beffer pafien. 

6) Als bemerkenswert ift mir aufgefallen, daß manche Zwiegefangsmelodien, zwei: 
mal bintereinander gefungen, leicht den achtzeiligen Eddasfiedern angepaßt werden können 
(3. B. der Odlufpa). Hier gibt es wohl weitere Zufammenbänge aufzufpüren. 


168 Volt und Kaffe. 1932, III 
EEE EEE ET Eu Eu Er EEE EEE EEE TE 





Betonungen vorgetragen werden. £s unterliegt für mich keinem Zweifel mebr, 
daß es fich bier um den VPortragsftil der alten Stalden aus der Wilingerzeit bans 
delt. Philologen vertraten zwar bisher vielfach die Anficht, daß der Ausdrud „at 
kveda“ lediglich Sprechen bedeute, aber fie kannten nicht die Vortragsart der Reims 
weifen. Unzählige Zitate aus Eddas und Sagas könnten als Beweismittel dafür 
angeführt werden, daß es fich bei den altnordifchen Liedern meift um diefelbe Dors 
tragsart handeln mußte wie bei den Reimweifen. Die Gedichte und Strophen der 
Sagas belommen erft den vollen lebendigen Sinn, wenn man fid dazu diefe Dors 
tragsart vorftellt. Die Gelegenbeiten, bei denen diefer Vortrag in gebobener Stim: 
mung, oder wenn Worte nicht ausreichten, angewendet wurde, unterftreicht mandhs 
mal geradezu den rythmifden und mufitalifden Gebalt einer foldyen Stropbe. 
Auch bis heute ift es in Jsland vorgefommen, daß die Volksdichter die manchmal 
aus dem Stegreif gedichteten Strophen fo vortrugen. Der Ausdrud „Singen“ 
tommt in den Gagas felten vor, aber fowohl in den jüngeren wie älteren Edda 
wird er für ein Gedidt und in einem Gedicht namens „Bröttsföngr“ angewendet 
und gerade bier werden beide Ausdrüde Singen und Vortragen, d. b. „at syngia“ 
und „at toeda“ in gleicher Weife von einer und derfelben Handlung angewendet. 
Die Reimweifen werden nod bis heute in Island ziemlich viel gefungen, viel mebr 
als die ftärker ausfterbenden Zwiegefänge, wenn die urfprüngliche Art auch mandh= 
mal etwas abgefhwädt ift. — 

Der melodifche Gehalt der Reimweifen ift ein befonders berber, um nicht zu 
fagen karger. Wie Beilbiebe fallen die Worte oft im unerbittlichen Tattwechfel. 
Das Hauptmerkmal diefer Lieder ift denn auch der wechfelnde rhptbmifche Akzent. 
Sie werden manchmal in wechfelndem Zeitmaß, leife oder laut vorgetragen. Der 
Tert ift oft eine balladenartige Erzählung in vielen Derfen über Rämpfe und Er: 
eigniffe, oder er ift der Ausdrud augenblidlider Laune in Sorm von Kinzel- 
ftropben. Auch als Trink: und Tanzlieder fanden die Reimweifen Verwendung. 
Traurigkeit erinnert in fpäteren Jahrhunderten bei einzelnen Liedern an die 600ejäh= 
rige Llacht der Hungersnot und Unterdridung Jelands. Als Probe von den 
Reimweifen könnte jedoch am beften ein Tanzlied dienen. Hier nur ein alltäg= 
liches Lied diefer Art: 

Bchnelr & ; , ; 
ere era Se ey ol epee ae eae Pg ee 
Gin, ae GE FA 


A 4 en 

Seele, 000 ee 093. Ellen ee er. non 

ea 
—— 

Tiadhdem wir nun diefe zwei cbaralteriftifchen Arten isländifcher bzw. alt= 
nordifcher Doltsmufik kurz erläutert haben, wollen wir eine allgemeine zufammens 
faffende Schilderung der gemeinfamen Merkmale folgen laffen. Wer fih an Bei: 
fpielen näher unterrichten will, findet neuerdings leichte Wiufik diefer Art in Sen 
Verlagen Rallmeyer, Wolfenbüttel, und Riftner & Siegel, Leipzig; (auch auf 
Fyomocordplatten find isländifche Volktstänze zu haben). 

Inftrumentalmufit foll aus Mangel an Holz und nftrumenten in Jeland 
wenig gepflegt worden fein, obwohl zwei Typen von isländifchen Seiteninftru= 
menten überliefert find. Die Beweglichkeit der Reimweifen bildet einen gewiffen 
Erjat für das Inftrumentale. Man kann fagen, daß alle echten isländifchen Volle: 
lieder entweder Reimweifen oder Zwiegefänge find oder mit ibnen in irgendeinem 


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1932, III Iön Leifs, Altnordifche Voltsmufil. 169 


Zufammenbang fteben. £s gibt au Mifchtypen. — Vielleicht ift der Zwiegefang 
in gewiffer Weife eddifchen Urfprungs, während die andersartigen „Rimur“ mebr 
von der alten Staldendichtung abzuleiten wären. 

Man darf alfo fagen, daß die alzentfchwere Tonfprache der Wilinger in Je: 
land mit allen melodifchen, rbytbmifchen und fogar barmonifchen Eigenbeiten ers 
balten blieb. Don der Befchmeidigkeit füdlicher Melodik ift gewiß nicht viel zu 
merken. Auffallend ift, daß Auftalte faft gar nicht vortommen. Die Akzente geben 
der Mufil deutlidbes Bepräge. Oft bewegen fich die Lieder in einem Beinen Tons 
raum und bringen viele wiederholte Kloten. Wenn dann die Kloten wechfeln, fo 
find Sprünge faft beliebter als Selundfortfchreitungen und es fommen dann auch 
fhwer fingbare Sprünge, befonders übermäßige oder verminderte Interoalle, bers 
vorgerufen durch den fogenannten Fa-Modus, zur Verwendung. Gan3 eigen: 
artig ift oft der Schluß der Melodien, indem er mandmal etwas Sremdes in die 
Melodie bringt, eigenartige Schnörkel oder ritardandi, auch zuweilen eine ganz 
neue melodifche Wendung, womit wieder oft eine Art gewichtige Betonung ges 
geben ift. Seftgeftellt ift ferner durch den norwegifchen Mufikforfcher Dr. Erik 
Eggen, daß Dreiviertelton.Schritte?) in der gefamten nordifchen Mufil regelmäßig 
wiedertehren, womit fih die Wiffenfchaft noch weiter befaffen wird. Diefe Mufit 
könnte dem modernen Gefchmad der Fleullaffit, der „neuen Sachlichkeit‘‘ oder wie 
man die modernen Runfttendenzen nennt, entfchieden entgegentommen. £s berrfcht 
in den Wielodien eine mebr in fic gekebrte Empfindung und oft eber eine bar: 
barifche Rargbeit oder Ausgelaffenbeit. Wer die Mufik als eine fpezififch fudliche 
Runftgettung empfindet, wird alfo bier nicht auf feine Roften fommen, — aber 
eine berbere, nordifchere und Eräftigere Mufit gibt es gewiß nicht. Man wird 
ts dem VDerfaffer als Jsländer nicht verdenten, wenn er in diefer Dollsmufil nicht 
nur eine biftorifch intereffante Überlieferung fiebt, fondern einen wenn auch zus 
nächft primären mufitalifchen Quell von tieffter nordifcher Eigenart, deren Er⸗ 
ihliegung auch in größeren Werten die Runftmufil er fowohl als feine pers 
fönlihe Aufgabe betrachtet, wie auch als Aufgabe der fommenden Gefdledter 
nordifch eingeftellter Tonkünftler betrachtet wiffen möchte. 


Don Jon Leife (deffen Haupticdaffen größere Örchefterwerke umfaßt) find folgende 

Meinere Arbeiten erjcbienen: 

„Tönliftsrbaettir“ (mufitalifche Sormenlehre in isländifcher Sprade). Verlag Breittopf 
& Martel, Leipzig. Preis 1. — MI. 

Isländifche Volkslieder (mit deutfchen Überfegungen von $. Genzmer). Verlag Georg Ralls 
meyer, Wolfenbüttel und Berlin. Preis 1.80 Me. 

Dier Ben (nah altisländifchen Volksliedern). Verlag Riftner & Siegel, Leipzig. 

reis 3.— 

Islaͤndiſche voltstanze für Mlavier. Verlag Riftner a Siegel, Leipzig. Preis 1.— Mte. 

Jeländifche Tänze für Salon:Örchefter, Verlag KRiſtner & Siegel. Preis komplett 2. - Mt. 
(auch für Rammermuſik beliebiger Beſetzung ſpielbar). 

Islaͤndiſche Taͤnze fuͤr kleines Orcheſter, Verlag Riſtner & Siegel (auch auf Homocord⸗ 
Platten). Preis fomplett 2.50 ME. 

Jeländifche Voltsmufiten fuer Sing: und Spieltreife, Barenreiter-Derlag, Raſſel-Wilhelms⸗ 
böbe. In Vorbereitung. 


*) Wie beim 1. Oberton der akuftifchen Tonreibe. 





170 Volk und Kaffe. 1932, III 


Deutfche Vol€stradten.” 


Fliederfachfen und Weftfalen. 
Tafel 1 und Abb. auf GS. 17). 


efonders farbenpradtig und foftbar ift die Srauentradht der fhaumburgifchen 

Lande. Die Tücher der Tracht find mit grogblumigen Muftern in Platt- 
ftiderei formlid) sugededt; die Halsketten befteben aus Bernfteinbroden bis zur 
Größe eines Mübnereis; die Spangen find bandtellergroß, die Handfdube eng 
befetgt mit bunten Glasperlen. Trotgdem wirkt die Tracht im Ganzen nicht über: 
laden und recht einbeitlich, denn ihre Sarben find fehr forgfältig gegeneinander 
abgeftimmt. Sie find kräftig, warm und tief; vorberrfchend ift Rot, nady den fich 
alles andere richtet. 

Don diefer Gegend abgefeben, nimmt der Gebrauch von Metallfhmud von 
der Rüfte ber nach Suden zu ab. Die braunfchweiger und barzer Trachten find 
recht befcheiden. 


Die allgemeine Regel, daß die Trachten der Ratholiten bunter find als die 
der Proteftanten, trifft auf Weftfalen nicht zu. 


Die Männertrachten haben den Schnitt des 18. Jahrhunderts, aber fie be= 
vorzugen Weig und Rot, und als dunkle Sarbe Schwarz; Blau, das fonft überall 
die Sarbe der nach militärifchem Vorbild entftandenen Mannertradten ift, tommt 
weniger vor. Die fchaumburger Männertrachten haben überdies die Entwidlung 
der Empirezeit mitgemacht und zwar in ertremfter Sorm, fo, daß die Taille bis 
unter die Adfeln hodgeridt ift. 


Sranten. 
Tafel 2. 


Naͤchſt den beffifchen haben die fräntifchen Wännertrachten noch am meiften 
vom Charakter des 18. Jabrbunderts, aber nicht mehr in derfelben ftrengen Sorm. 
Sie find etwas leichter und farbenfrober, und dem Einfluß des 19. Jahrhunderts 
mebr zugänglich. Bis in die 60 er Jahre war die Wefte durdy eine eigenartige, fich 
im Mufter niemals genau wiederbholende unfpmmetrifche Stiderei verziert. 

Die Srauentrachten des katbolifchen Unter: und Oberfrankens {ind von einem 
überrafchenden Sarbenreihtum, obne jemals unrubig oder aufdringlid bunt zu 
wirken. Sie entbalten alle Sarben, doch berrfchen Rot und Blau vor und vereinigen 
fich zu einem tiefen Violett, das nach Grün hinüber fpielt. Der berrfchende Sarb= 
charatter ift der des fpäten Barod. Die Yandarbeit fpielt gegen Ende des 19. Jahr: 
bunderts kaum noch eine Rolle; das Material — Seidendamaft, Brolat und Bäns 
der — liefert fertig die Sabrik, die fich allerdings ftreng nach dem Gefchmad des 
Volkes richtet. 


*) Wir bringen bier und in den folgenden eeften einzelne Abfchnitte famt farbigen 
und f[hwarzen Abbildungen aus dem foeben in Verlage I. §. £ebinann, Münden erfcheis 
nenden Werte von Rudolf Helm, Ronfervator amı Germanifchen Mufeum in Flürns 
berg, Deutfde Dollstradten aus der Sammlung des germanischen Mufeums (mit 
115 Tradıtenbildern auf 48 fhwarzen und 8 farbigen Tafeln, Preis .— ME.) und wollen 
damit unferen Kefern einen Zinblid in diefes fcbdne Werk bieten. 


2 


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Braut und Bräutigam aus GHefees im Miftelgau 


Kunftbeilage zu „Volt und KRaile“ Aus: Helm, Deutfcbe Voltstraditen 
I. 8. £ebmanns Verlag, Münden 





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Srauen aus Hleinfen bei Büdeburg 





172 -Dolt und Raffe. 1932, III 








Die proteftantifche Tracht im füdlichen Speffart wirkt daneben nüchtern und 
bart, fie ift da am reizpollften, wo fie fich, wie in der Abendmablstradht, auf 
Schwarz und Weiß befchräntt. Die mittelfräntifhen Trachten haben fi ganz 
dem Beinbürgerlichen Befhmad der Bicdermeierzeit angepaßt. 

Eine Sonderftellung nimmt die Männertradht im Miftelgau bei Bayreuth 
ein. Sie folgt nicht wie die übrigen fräntifchen Tradten dem militarifdben Dor: 
bild des 18. Jahrhunderts. Sie ift etwas älter und der altenburger und der eger= 
länder Tradıt verwandt; gleich diefen bevorzugt fie Schwarz, Grün und Rot, 
und kennt Blau überhaupt nicht. Ihre Sormen geben auf das 17. Jabrbundert 
zuruͤck. 


Kleine Beitraͤge. 
Ein verlorener deutſcher Vorpoſten in Polen. 


Don Eduard Schwertfeger. 


Deutider Unternebmungsgeift, der vorzeiten wie beute die Tatlraft beflügelte, batte 
im ı2. und 13. Jabrbundert mebrfah große Scharen deutfcher Anfiedler nah dem flawifchen 
Often gezogen. Als Einwanderungsgebiete wurden die Landftreifen an der Weichfel, an 
der Wartbe und an der Dder (MWeftpreußen, Pofen und Schlefien) bevorzugt. 

Da die Deutfchen eine böbere Rultur batten, waren ibnen die flawifchen Sürften wohl 
gewogen. Ja, fie begünftigten fogar die Einwanderung und ftatteten die Siedler mit 
Vorredten aus. 

Die Anfiedlung vollzog fid) meiftens fo, dag ein Unternebmer die Siedler anwarb 
und beranfllbrte. Er wurde dann gleichzeitig auch das böchfte Oberhaupt der neuen Gieds 
lung, der Dogt, dem die Rechtfpredhung oblag. 

Lim die Mitte des dreizebnten Aabrbunderts famen deutfche Roloniften nad der alten 
Stadt Pofen, die damals auf der rechten Seite der Wartbe lag. Bald gerieten fie jedoch 
mit dem polnifden Bifhof in Streit. Da wandten fie fi an den polnifchen Sürjten 
Prsemisiaus I. (1239-1257). Der Sürft wies ibrem Subrer, dem Lokator Thomas aus 
Guben, einen Pla links der Wartbe an und ftiftete 1253 die deutfche Stadt Pofen. In 
der Stiftungsurtunde wurde ibnen das deutfche {Nagdeburger Recht und eine auf Selbfts 
verwaltung beruben)e ftädtifche Verfaffung verlieben. 


In diefer Urkunde von 1253 beißt es an einer Stelle: 


„Den Sluß aber, der Wartbe beißt und neben der vorgenannten Stadt fließt, 
baben wir eine Meile aufs und abwärts mit allen MTugungen, namlid Sifdfang 
und Müblenbauen, den Bürgern der vorgenannten Stadt für alle Zeiten übertragen, 
mit der Kinfchräntung, daß wir in eben diefem Diftrikt cine Mirble nad unferm Gee 
fallen erbauen und erblidy befigen. Wir haben ferner die folgenden Dörfer der vors 
genannten Stadt übertragen: Rataj, Pietrowo, Zegrze, Starolenta, 
Minilowo, Apyttowo, Ober: und Unterwilda, Jerfig, Panclaw, 
Tieftatowo, Pantlow, Shidslow, beide Dörfer Winiarp mit 
Ausfhluß der Weinberge, das Dorf des Bogutba und Umultowo. 


In diefen baben wir dem vorgenannten Dogt und feinen Lladhlommen 30 Aufen als. 


Aderland und eben diefen Bürgern 20 Aufen als Viehweide zum ewigen Befig übers 

laffen. Wenn aber der Vogt zu der vorgenannten Stadt und den vorgenannten 

Dörfern Deutfche berbeirufen und anfiedeln wird, fo foll er nach Ablauf der Sreijabre 

die fünfte Kyufe in diefen Dörfern fteuerfrei befitgen, jedoch unter der Bedingung, daß 

er von den einzelnen Aufen eine balbe Markt Silber, ale Zehnten zur feftgefegten 

Zeit zahle.“ 

Die bierin genannten Dörfer gebörten der neugegründeten Stadt Pofen. Ein Teil 
von ibnen waren große und begüterte deutjche Vororte der Stadt, wie Jerfig, Wilde, 
oder fcbone Ausflugsorte der groPftddtifden Bevölkerung, wie Rataj, Zegrze, Luifenbain 
(Starolenta), als die Provinz Pofen 1919 an die Polen abgetreten werden mußte Fu 
diefen Dörfern famen nach und nid durch Fleugründung weitere binzu. 


> a ee, 0s. ee ee, A 


1932, III Rleine Beiträge. 173 








Unter dem nordifden Krieg, in den Auguft II. Polen verftridt batte, haben die 
deutide Stadt Pofen und die zu ibr gebdrigen Ddrfer febe zu leiden gebabt, weit mebr, 
als — Orte Großpolens. Dazu geſellte ſich die ſtaͤndige Begleiterin fruͤherer Kriege, 
die Peſt. 

Die Stadt ſchloß ſich, ſo gut es ging, vor ihr ab. Dafuͤr hauſte ſie unmittelbar vor 
den Toren in den Raͤmmereidoͤrfern, deren Bauern faſt ausnahmolos der graͤßlichen Rrank⸗ 
beit erlagen. Acker und Gaͤrten, die ehedem bluͤhend waren, blieben unbebaut liegen und 
veroͤdeten. 

Jn dem Dorfe Luban, in dem ſich vor dem Weltkriege eine großartige Induſtrie ent⸗ 
widelt batte, fanden damals neue Anfiedler überhaupt nur zwei lebende Menſchen, eine 
$rau und ein Rind, vor. Einige Orte follen gänzlich ausgeftorben gewejen fein, wenigftens 
bebauptet man dies mit Sicherheit von dem Dorf Dembfen. 

Als die Stadt mit einiger Sicherheit rubige Zeiten glaubte vorausfeben zu können, 
beabfichtigte man eine Fleubefiedlung und Wiederbebauung jener Ortichaften vorzunehmen. 
Die verlaffenen Ader follten neu vermeffen und nach deutichem Recht verteilt werden. 

In den Jahren 1719 und 1720 famen bereits die erften Anfiedler in die durch die Peft 
verwüfteten Dörfer, und, zwar nad Luban und Dembfen. Als Sauptbedingung war ibnen 
geftellt worden, daß fie „guter katbolifher Religion“ fein müßten. Die Jugewanderten 
waren in erfter Linie Bayern aus der Bamberger Gegend. 

Über die Deranlaffung, die gerade bayerifche Samilien nach dem, durch das Wüten der 
schlimmen Seude unwirtlid gewordenen, Öften 30g, berichtet die Überlieferung in zwei 
werfdiedenen Lesarten. 

Dor dem Ausbruch der Peft in Pofen, alfo vor 1709, foll ein deutfcher Raufmann, 
der Vertreter eines Pofener Jandelsbaufes, auf feinen Reifen nah Bamberg gelommen 
fein. Er fand dort eine foldye Sülle der Bevölkerung, infonderheit in einigen Dörfern, daß 
es ibm auffiel. . 

Vlad der Peft kebrte er wieder nad Pofen zurüd und börte nun, daß der Rat der 
Stadt einen Aufruf in deutfche Gegenden fenden wolle, um Roloniften berbeizurufen. Tun 
machte er der Stadt Mitteilung von dem auf der Reife nah Bamberg Gefebenen und riet 
tbr, fidh dorthin zu wenden. Daraufhin babe dann die Derwaltung nad Bayern ges 
fcrieben und gebeten, ibe SGiedlungsangebot in der fragliden Gegend belanntzumachen. 

Die andere Überlieferung fagt, daß der damalige Bifdof von Pofen nad der Peft 
den Bamberger Bifchof befudt babe. Bei einem Ausflug babe er das frudhtbare Land und 
die zahlreichen, dicht bevälkerten Dörfer gefeben. Da babe er feinem bifchöflihen Amtebruder 
erzählt, wie es bei ibm in und um Pofen jetzt leider fo ganz anders ausfebe. Der Krieg 
und die Peft batten die Ddrfer entvdilert. Die Rammereiverwaltung ginge mit dem Ges 
danten um, die zur Stadt gebdrigen Ortfchaften neu zu befiedeln. Er foll mit der Auf: 
forderung gefdloffen baben, von der Uberfille der Bamberger Dörfer etwas an die vers 
weiften Pojener Dörfer abzugeben. Die Leute würden es gut dort baben. 

Als er von feiner Reife zurüdlebrte, babe er dann durdy das Lob jener Gegend die 
Stadt veranlaßt, ihren Bedarf an Siedlern dort zu deden. 

In Dembfen und £uban wurden die erften deutjchen Roloniften aus Bamberg eins 

efegt. Später wurden dann aud Jerfig, Wilda, Gurscyn (jegt Stadtteile Pofens) und 
Katai, fowie die nicht zur Stadt gebörigen Dörfer Ezapurp und Wierek befiedelt. Allers 
dings ftammten die Siedler nicht alle aus der Bamberger Begend, doch wurden fie nad 
den erften Einwanderern „Bamberger“ oder von den Polen „Bamberkas‘ genannt. 

Sie batten fich ibre deutfche Sprache und ihre eigene Kultur zu erbalten gewußt und 
bildeten mit ihren blübenden Bemeinwefen einen deutichen Wall um die Stadt Pofen. So 

ingen andertbalb Jabrbunderte bin. Die deutfden Sma Dörfer ftadhen in erfreulicher 
eife von den übrigen polnifchen Börfern der Umgebung ab. 

Die Polen um Pofen baben ihnen in der Bewirticaftung ihrer Selder mandyes abs 

egudt und nadgemadt. Jedoch waren fie ihnen, ihres größeren Sleißes und ihrer böberen 
Kultur wegen, immer ein Dorn im Auge. Längft tracdhteten fie danach, die Bamberger zu 
polonifieren. 

Da boten, wie fo oft im Often, dic Deutfcen ibren Todfeinden felbft die Hand dazu. 

Yad dem mifglidten Aufftand von 1846 tam die Erhebung von 1848, die nur durd 
die unfaßbare Shwäde der Regierung möglich wurde. Der ideal veranlagte König 
winfdte fid mit den Polen auszujöbhnen. Er * — den General Williſen als Beauftragten 
nach Poſen. 

Dieſer bewilligte ihnen, was ſie irgendwie wuͤnſchten, naͤmlich: polniſche Verwaltung, 
polniſche Juſtiz, polniſche Geſchaͤftsſprache, polniſche Behoͤrden, ja ſogar ein polniſches 


174 Doll und Raffe. 1932, III 
—— a a aT a EEE ar) 





Armeekorps. Der Dank der Polen fuͤr dieſes Entgegenkommen beſtand in der Vertreibung 
und grauſamen Niedermetzelung der deutſchen Bauern und Buͤrger. 

Nun erſt griff der kommandierende General von Colomb durch. Der unfaͤhige Unter⸗ 
haͤndler wurde zwangsweiſe nach Berlin zurückgeſchict. In wenigen Wochen war dann 
auch die Ordnung wieder hergeſtellt. Allerdings blieben die Opfer ungeſuͤhnt. Die mehr 
als nachſichtige Regierung geſtattete es, daß die Polen tatkraͤftig an die Poloniſierung der 
Provinz gingen. 

Hierbei wurden nun auch die Siedler aus der Maingegend Opfer dieſer ſchwachen 
Regierungopolitik. Die polniſche Geiſtlichkeit ſetzte alles in Bewegung in den Schulen und 
Rirchen, dieſe deutſchen Ratholiken zu Polen zu machen. Sie predigten ihnen, daß nur das 
polniſche Gebet Gott wohlgefaͤllig ſei. 

Die Bamberger wehrten ſich heftig und baten dringend um deutſche katholiſche Geiſt⸗ 
liche. Aber alles war vergeblich. Sie fanden nirgends Hilfe, ja nicht einmal Verſtaͤndnis 
fuͤr ihre Wuͤnſche. 

So, von allen Seiten verlaſſen, vollzog ſich unter den Augen der eigenen deutſchen 
Regierung die voͤllige Poloniſierung der Bamberger, die in fruͤheren polniſchen Zeiten ſo 
tapfer ihr Deutſchtum bebauptet batten. 

Wie gruͤndlich die Polen ihr Werk verrichtet haben, erſieht man daraus, daß dieſe 
ehemals guten Deutſchen ſchon zu Beginn dieſes Jahrhunderts grimmige Deutſchenhaſſer 
waren. Viele ihrer kulturellen Eigenarten haben ſich die Bamberger trotz allem bis auf 
den heutigen Tag erhalten. 

chier ſei nur erwaͤhnt, daß die Frauen noch heutzutage faſt unveraͤndert die Reifrock⸗ 
mode aus dem Anfang des 17. Jabrhunderts tragen, dazu das Mieder und an Sonntagen 
vielfach jenen eigenartigen und goldgeſtickten Ropfputz. HSier und da iſt wohl auch noch bei 
den Maͤnnern die ſchoͤne Tracht aus der Maingegend vorhanden. Ihr Volkstum aber haben 
ſie leider fuür ewige Zeiten verloren, durch die unverzeibliche Schuld ihres eigenen Vollkes. 

Durch ihr Hinuübergleiten ins Polentum haben ſie dieſes aber auch wirtſchaftlich und 
vor allem raſſiſch ſehr geſtaͤrkt. 

Jn den letzten beiden Jahrhunderten ſind mehr als 20oo ooo Deutſche im Oſten 
oloniſiert worden. Man duͤrfte kaum zu weit gehen, wenn man annimmt, daß dieſe 
aſſenſtaͤrrung die weſentliche Urſache davon iſt, daß die Poſener Polen ihr Haupt ers 

heben konnten. 


Anmerkung der Schriftleitung: Die voͤllige Poloniſierung der Bamberger 
iſt wieder ein deutlicher Beweis, daß die Gleichheit des Bekenntniſſes zwiſchen deutſchen Ro⸗ 
loniften und der fremden umgebende Bevoͤlkerung die Gefahr des Aufgehens der Deut: 
ſchen in ihrer Umgebung bedeutend er/oht. Die beſondere Berückſichtigung von Leuten aus 
katholiſchen Gebieten bei der jetzigen Sun durch dic Regierung Brüning erweift fic 
damit, abgefeben von der damit begangenen Ungerectigteit gegenuber anderen Belennts 
niffen, vom SAtandpunlte des deutfchen Volkes aus betrachtet, als ein febr bedenkliches rs 
periment, das in der Zulunft von größter Gefabr fein kann. 


Aus der raffenhygienifchen Bewegung. 


Dererbungsberatungsftelle in München. Der betannte Raffenbygieniter Univ.s 
profeffor Dr. med. $. £enz und Dr. med. KR. Aftel, Leiter der fportarstliden Unters 
fucdbungeftelle der Liniverfität München baben in dantenswerter Weife die Dererbungs: 
beratungsftelle der Ninchner Gefellfdaft fur Raffenbygiene ubernommen. Die Haupt: 
aufgabe diefer Einrichtung beftebt in der Beratung auf Ebetauglidleit und Sortpflanzungs- 
würdigleit foldher Perfonen, welde cine Ebe einzugeben gedenten, doch können auch Derbeis 
tatete fich beraten laffen, ob fie vorausfichtlidh gefunde und gute Rinder zu erwarten baben 
oder ob etwa von der Erzeugung von Rindern abzuraten ift. 

Ärztlibe Bebandlung findet grundfäglich nicht ftatt. Sur Salle, in denen eine fpes 
zialärztlihe Llnterfuhung angezeigt ift, wurde die Zufammenarbeit mit Wiündyner Sach: 
ärzten vorgefeben. Spredhftunden finden jeden Sreitag vorm. 10— 1115 Ühr Muͤnchen, Lud⸗ 
wigftraße 24 (Bartengebäude) ftatt. 





1932, III ©&.!Mofer, Überfichtsberichte aus dem raffenbpgienifdhen Schrifttum. 175 
EEE 


Überfichtsberichte 
aus dem rafjenbygienifchen Schrifttum. 


Don Dr. ©. Mofer, Göttingen. 


(Sortfegung.) 


MM. Riedl1T) berichtet über 500 kriminelle Srauen aller Altersftufen und 1000 kris 
minelle Männer, welde das 50. Lebensjahr uberfdritten batten. Verglichen wurde die 
Geburtenbdufigteit der Srauen und sie Rinderzahl der Männer mit der allgemeinen Bes 
völterung unter Aufteilung der Unterfuchten nad Pfychopatbie, Proftitution, Kriminalität. 
Don den Dligopbrenen (= Schwadhfinn verfchiedener Grade, imbezill, debil, befchräntt) 
werden mebr !Mütter, fie gelangen aber feltener zur Syeirat als der Durdfchnitt. 

Pfiydopatbinnen (=: Erregbare, Haltlofe, Inftabile, Pfeudologen, KHpfterikerinnen) 
baben geringere Heiratsausfichten in Solge ihrer charafterliden Urtung und werden feltener 
Mutter. Endogene Verbrederinnen, weldye mit einer gewiffen Zwangsläufigleit aus inneren 
Gründen immer wieder Rechtabrecherinnen werden, werden feltener Mutter durch die pfys 
bifchen Mängel, Derbinderung während der Strafzeiten, Sterilität durch Proftitution. Die 
endogene Derbrecherin batte durchfdnittlid uber 17 Strafen verbüßt mit einer Inters 
neFungeseit von 5 Jahren 6 Monaten; die erogene Verbrederin nur 3,3 Strafen mit 
einer Strafzeit von I Jahr 4 Monaten. Die endogene Derbrederin ift früh Briminell vor 
dem 38. Lebensjahr in 54%0 zu 15% der erogenen. 

Bei Proftituierten ift SHeiratsbäufigkeit, tNutterfchaft, Rinderzahl geringer. Bei Zus 
fammenfaffung der Bligopbrenen und Piychopatben werden glei viel Mutter wie bei den 
Unauffälligen, pro Mutter und Typ ift die Rinderzahl faft gleich, pro Ehefrau und Mutter 
ift die Rinderzahl größer als die der Unauffalligen. 

Zur Beftandserbaltung ift erforderlih auf eine fruchtbare he eine Geburtenzabl 
von 3,4 Rindern, die triminelle verbeiratete Mutter bat aber 4,46 Rinder. 

In der II. Reibe tommen auf cinen triminellen Water 4,9 Rinder. Mehr als die 
Halfte der riminellen Probanden war endogen triminell; die endogenen Väter find tinder: 
ärmer als die erogenen. 

Die Sortpflanzung ift nicht fo gering, daß fich die Rriminellen von felbft ausmerzen 
würden. 

Line Einzelunterfuhung über die Lage der fr „erreichen Samilie in Hannover vers 
öffentliche OO. Schidenberg!?), die gleichzeitig auch die differenzierte Sortpflanzung 
zeigt. Der Unterfudung werden drei zeitlidy verfchieden beobachtete Gruppen von Linders 
teen Samilien aus den Jabren 1918—1926 3ugrunde gelegt. Werf. gibt eine Überficht 
über die Eltern, die Rinder und die Wobnungen diefer Samilien. Als kinderreich bezeichnet 
er Samilien mit mindeftens 5 Rindern unter 16 Jahren abweichend von dem Bund der 
Rinderreichen (nur 4 Rinder unter 21 Jahren). Rinderreichtum findet ficb rar bei 
Samilien, deren Eltern aus kinderreichen Samilien ftammen; ein nicht unerbeblicher Teil der 
tinderreichen Samilien ift mit außerebelihen Rindern oder aus früheren Eben ftammenden 
Rindern belaftet. Mebrlingsgeburten zeigen feine Saufung, der Beburtenabftand fhwantt 
zwifchen 5 Rindern in 30 jäbriger und 5 in vierjäbriger Ebe. Das Geburtenmarimum liegt 
bei der 15 jäbrigen be. Don den Dätern waren 756 ungelernte, 497 gelernte Arbeiter, 
114 Gewerbetreibende, 113 Beamte, Angeftellte und Angebörige freier Berufe. Die Anabens 
geburten mit 57,200 überfchreiten den Durcfdnitt; die durchichnittlichde Ropfzabl pro aus: 
balt betrug 7,18 Röpfe, welder 4,14 Räume zur Verfügung ftanden. 

R. Engelsmann!?) berichtet, daß die Reihswohnungszäblung vom 16. Mat 1927 
eritmalig die Samilien erfaßt bat, die mit mindeftens 4 Rindern unter 18 Jahren (einfchl. 
Adoptivs und Stieflindern) zufagimenwobhnen. In den preußifben Großftädten wurden 
203 755, in ganz Deutfchland 280 000 foldher Sumilien gezäblt, d. f. in den Großitädten 6,8, 





17) M. Riedl, Ein Beitrag zur Srage der Sortpflanzung von Verbredern. Arc. 
Raffenbiol. 25, 3. 

18) W. Schidenberg, Schriften des Wohlfahrtsamtes Hannover, 9. 1, Städt. 
Woblfabrtsamt. 
7 19) R. Engelsmann, Wobnungefirforge fir tinderreidbe Samilien, 3. Se(dh.verw. 
40. $6, 393). 


176 Volt und Kaffe. 1932, III 
ELITE EEE Er u EEE EEE TEE TEEN 





im Reich 6,6% aller Samilien (3 Mill.). 99% diefer Samilien gegenüber 90% im Durch⸗ 
f&hnitt batten cine eigene Wobnung, 86,6% diefer Samilien bewohnten ibre Wohnung 
allein (von allen Samilien: 74,9%). 

Fady der Wobngröße wohnten in Rleinwobnungen (1—3 Räume einfdhl. Küche) 
48,05%, in Mittelwohnungen (4—0 Räume einfchl. Rüdye) 44,57%, in Broßwohnungen 
7,38%. &s entfielen auf einen Wohnraum 2 Perfonen in 48,6% aller kinderreichben Samis 
lien, im Reidsdurdfanitt nur in 10% der gefamten Samilien. Der Staat, die Gemeinden 
oder genofieniaftlider Zufammenfchlug muffen es möglidd machen, daß aud der wirts 
fdaftlidh fdwache kinderreiche Vater eine geräumige Wobnung bezablen kann durd billige 
Erftellung von Serienwohnungen in billiger Ausführung, Kergabe billigen Baugeldes, 
Sentung der Laften durd Mierzufchüffe. In diefem Zufammenbung muß aud auf die 
„Richtlinien über die Wobhnungsfürforge für minderbemittelte 
finderreihe Samilien“?°), aufgeftellt vom Woblfabrtsausfhuß des Deutfchen Städtes 
tages, bingewiefen werden. 

R. Daftenacii?) gibt folgende Zufammenftellung: Volt obne Raum: Überbevöls 
terung im Weften; Einwobnerzablen auf ı qkm in SeflensFlaffau 152, Baden 153, Heilen 
376, Weltfalen 237, Abeinprovinz 296, Sadhfen 337 Menfden. Raum obne Voll: Ofts 
preußen 00, un obne Berlin 67, Pommern 63, Fliederfchlefien 136, Wedienburgs 
ee 52, Weltmarkt PofensWeftpreußen 43, Medlenburg-Strelig 38 Menfden auf 
§ qkm. 

Dolt obne Raum oder Raum obne Voll: Volt ohne organifh verteilten Raum. 
(Rußland bat geiealih Abwanderung vom Land in die Stadt verboten und ift beitrebt, 
Induftrien in ländlichen Gegenden anzufiedeln. Der Ref.) Die Bedrobung des leeren Raums 
und die Gefahr der Umpoltung an unferen Grenzen zeigen die Beburtenzablen nady den 
internationalen ftatiftifhen Erbebungen für 1930: auf 3000 Einwohner kamen Geburten: 
in Schweden 16,1, England 16,6, ©fterreich 16,8, Schweiz 17,2, Klorwegen 17,3, Efts 
land 17,4, Deutfchland 17,8, Srantreid 18,3. 

Der Beburtenüberfchuß betrug in Polen 17, Fliederlande 14, Portugal 13,9, Italien 
12,4, Spanien 11,7, Ungarn 0,4, Tfdedoflowalei 8,5, Deutidland 6,5, Großbritannien B, 
Srantreid) 2,4. Die ebung der Beburtenzablen in Srantreich ift im erften Vierteljahr 1933 
von einem erneuten Abfinten gefolgt. 

Den Aufammenbang zwilcdhen VDergroßftädterung und Serualethil erörtert der Präs 
fident des Stat. Landesamtes Zabn??), München. Die VWerftddterung bat zu einer Ums 
lagerung der nun vom Lande in die Stadt, von der Kleine in die Großftadt ges 
führt. Die Großftadtbevölterung in Deutfchland beträgt rund 3000. YIeben den Vorteilen 
der Broßftädte (Zentren des Sortfchritts, der geiftigen und wirtichaftlichen Leiftung, Höchfts 
leiftungen auf dem Gebiete der Technit, Wiffenfcaft, Runft, Woblfabrtapflege) machen fid 
die lacdhteile bemerkbar durch die übergroße Bevölterungsanbäufung, Wobnungsnot, Ers 
werbslofigteit und Enttäufchungen, Zerreißung überlieferter Bindungen, ferualetbiiche Rüds 
wirtungen auf die Unfcdhauungen uber Wefen und Wert der Samilie. Die Samiliengemeins 
Schaft zerfällt durch die außerbäusliche Erwerbsarbeit, befonders wenn auch die Srau er: 
werbstätig, wird die „Hauswirtjcbaft“ ein leerer Begriff. „Alle diefe Momente haben die 
urfprüngliche Uuffaffung von der Samilie als einer dauernden und verantwortungsvollen, 
in den Flachlommen über das eigene Dafein binausreihenden Lebensgemeinfchaft zerftört 
und an deren Stelle eine nur leichte Bindung von Cinzelperfdnticdleiten gefegt, bei welder 
der Gelcbledhtstrieb vielfadh von feinem generativen Zwed losgelöft ift. Die Wirkungen 
diefer geiftigen Umftellung dußern fib im fhwindenden Interetfe am Rinde, im Verzicht 
auf Kadlfommenfhaft überhaupt oder wenigitens auf größere Nachkommenſchaft, in ge⸗ 
wollter Rleinbaltung oder Rinderlofigkeit der Samilie, ferner in fid) mebrenden vorzeitigen 
Ebelöfungen durch Scheidung und Trennung. Qualitativ wirkt der Geburtenrüdgang bei 
den bdoberen Shidten nod weit fhwerer. Mit dem fehnellen Ausfterben der großftädtiichen 
Sührerfhhicht gebt auch das in ihr verkörperte Erbgut an geiftigen Werten verloren. Damit 
entftebt die Gefahr, daß an ibre Stelle. Bebelfatrafte, ftumpfere Elemente einrüden, woclde 
den ihnen geftellten Aufgaben nicht in erforderlichen tlaße gewachlen find. Da andererfeits 
folde Emportömmlinge in den unteren Schichten, denen ie entftammen, wiederum eine 
Auslefe von Tüchtigkeit und Aktivität bilden, findet eine fortlaufende „KEntedelung“ der 


20) Richtlinien über die Wobnungsfürforge für minderbemittelte tinderreide Samilien. 
Hefdh.verw. Fir. 16, 1931. 

21) R. Paftenacii, Bundesblatt der Rinderreichen, Kr. 7, 1931. 

22) Zahn, Vergroßftädterung und Serualetbit. M. m. WO. Mr. 8, 1931. 


1932, III &.!Mofer, Überfichteberichte aus dem raffenbygienifdhen Schrifttum. 177 
a _ — — ——— 3b 


Sreiten Maſſe ſtatt, ſo daß ſchließlich nur noch ein Bodenſatz, der keines Aufſtiegs mehr 
aͤbig ift, 3uridbleibt. Uuf diefe Act wirkt der Geburtenridgan zugleich raſſeverſchlech⸗ 
ternd, zumal als Erſatz der zu hoͤheren Berufen aufſteigenden Arbeitskraͤfte vollsfremde 
Elemente berangezogen werden müffen, wie das 3. B. in Srankreich fhon in großem Um» 
fange gefdiebt. 

Die feruckethifhen Auswirkungen der Vergroßftädterung wiegen um fo fdwerer, 
als die großftädtifche Lebensform richtunggebend für das übrige Land find. 

„In foldyen Endftadien der Dergroßftädterung erfcheinen die Broßftädte vorzugsweife 
als Derzebrer der Dolkstraft, als DollstraftsSriedhdfe. Ihre großen £eiftungen auf tuls 
turellem und wirtidaftlidem Gebiet verblaffen vor den Auswirkungen der in ihrem Milieu 
erwadfenen Serualetbit, verblaffen vor der elementaren Tatfade der Gefährdung von 
Dollsbeftand und Raffe. Grund genug, aus volllichen, wirtfchaftlichen, fozialen, etbifchen, 

emeinstulturellen Erwägungen das Rleinftadtse und Landleben angefichts feines feruals 
ethifch pofitiven Cigenwerts 3u feftigen und zu fördern!“ 

Den Umfang und die Auswirkungen des Beburtenrüdganges erörtert in einem viels 
beadteten Bude ©. Rabn?3). Die Deröffentlihungen von Burgdörfer als befannt vores 
ausgefegt, kommt Rahn zu ähnlichen Ergebniffen, glaubt aber andere Solgerungen daraus 
zieben zu müffen. Rahn gebt abweichend von der üblichen Art der Berechnung (ebeliche 
Sruchtbarkeit = Zahl der Geburten auf die gebärfäbigen Srauen berechnet) von der Zahl der 
©Geborenen auf die Ebefchließungen des Jahres aus, wobei die Kinder der fpäteren Ebejabre 
unberüdfichtigt bleiben. Kahn fommt zu rafcherem und ftärterem Abfall der Bevoͤlkerungs⸗ 
ziffer. Er erwartet, daß der Beburtenrüdgang in GBroßftädten und bei den Juden den 
weiteren Verlauf für das ganze Doll vorauszeigt. 

In den übrigen nordswefteuropäifchen Staaten ift überall mit Ausnahme von Holland 
ein ftarter ee nadhweisbar. R. nimmt an, daß auch bei den flawilchen Döls 
fern die Geburtenbefrantung fich einbürgere, während die meiften anderen Autoren ein 
Pordringen der Slawen in den deutfchen vollsarmen Often — den „Raum obne Doll” — 
befürdhten, zumal die babe Sterblichkeit der Slawen duch Einführung der Befundheitss 
fürforge en wird. Erft um 1970 fei mit einer Abnahme der Perjonen im erwerbss 
fähigen Alter zu rechnen; ob dann Arbeitermangel und Cinwanderung polnifder Arbeiter 
eintritt, hänge von der Rationalifierung der Betriebe, neuen Erfindungen, Zunahme der 
Srauenarbeit, Reduzierung des Beamtenitandes ab. Yon den bevdlerungspolitifden Res 
 formvorfdlägen, vorausgefett, daß fie überhaupt durchführbar feien, erwartet R. keine 
Anderung des KinsReinkinderfyftems; der Individualismus babe gefiegt. Lach feinen Crs 
fabrungen als Redalteur eines Voltsblattes glaubt R., daß bei einem Voltsentfcheid über 
die Stage: foll das Reid Maßnahmen treffen und Öffentliche Mittel zur Hebung der Ges 
burtenzabl aufwenden, eine nie gefebene Majorität mit „Llein“ antworten würde; bei ges 
trennter ee die weibliden „Jafager“ Seltenbeitswert. 

Eine künftige Bevölterungspolitit werde fi die Aufgabe ftellen müffen, die Men» 
fehenzahl auf einer gewiffen Hdbe zu halten, über die man wie Heute verfdiedener Meinung 
fein werde. Habe der Geburtenriidgang 3u lange atc feblten gentigend junge Eltern, 
feien alle Beftrebungen zum Scheitern verurteilt. Die deutiden Juden müßten heute ſchon 
zur Beftandserbaltung 7 Rinder pro Lhe haben. Trogdem au R., daß keine Gefahr 
drobt fir den Beftand unferes Volles, daß die Vorteile des Beburtenrüdgangs (Minderung 
der Arbeitslofigkeit) die Klachteile überwiegen. Die qualitativen Befabren der differenzierten 
Sortpflanzung werden nicht berudfidtigt. 

Das ftatiftifde Reidhsamet 24) 25) 26) hat einige Angaben über die Veränderungen 
im Altersaufbau der deutfchen Bevdllerung veröffentlicht. Seit 1914 läßt fih eine zunebs 
mende Anderung des Altersaufbaus der Bevslkerung nachweifen; die jüngeren Jahrgänge 
werden von Jahr zu Jaber fhwäder. Die Beftandserbaltung wird nur durd die Übers 
befegung der Jahrgänge mit geringerer Sterblichkeit vorgetäufcht. Die amtlichen Zahlen 
beftätigen, wie berechtigt die Sorge um unfere Zukunft ift. 

ie Heiratssiffern, der Alterstlaffenbefegung entiprechend bod, zeigen durch die Wirts 
fchaftstonjunttur bedingte Schwankungen. Die Zahl der Ebefchließungen jenfeits 30 Jabren 
fteigt ftart an und muß fic bevdlterungspolitifh unginftig auswirken. Die Befamtzahl der 


33) €. Rabn, Der Internationale Geburtenftreit. Umfang, Urfaden, Wirkungen 
— Gegenmaßnahmen? Stankfurter Sozietätsperlag 1930. 
34) Wirtfchaft und Staat. 10. Jahrg. 
35) Wirtfchaft und Staat. 33. Jabrg. 
26) Wirtfchaft und Staat. 10. Jahrg. 
Dolf und Raffe. 1932. Jull. 12 


178 Volt und Raffe. 1932, III 








Ebefchließungen 1930 war um 27 133 Meiner als im Jahr 1929, was um fo beacdhtlicher ers 
fdeint, als die Zahl der beiratsfähigen Männer zugenommen und eine Steigerung um 
9000 Ehefchließungen erwarten ließ. 3 ; 

Die Lebendgeborenensiffer liegt 1930 um 20000 niedriger als im Dorjabr und beträgt 
auf 1000 Linwobner nur now 17,5; die Zahl der gebärfähigen Srauen dagegen fteigt nocd 
von Jahr zu Jahr, um ſo beachtlicher iſt das ſtarke Sinken Pohl der allgemeinen Frucht» 
barkeit (verglichen mit 1913 ergibt fi Abnahme um 4290) als auc der ebeliden Sruchts 
barkeit, während die Zahl der verheirateten gebärfähigen Srauen ftark angeftiegen. Die Sterb« 
lipkeit finkt trog der wirtichaftlich fchlehten Lage weiter ab, nur Arebsertrantungen zei 
in Solge der abnormen Altersbefegung eine Zunahme. Der günftige Verlauf der Sterblichkeit 
täufcht troy Geburtencidgang cin Bevdllerungswadhstum vor; dies ift aber nur folange 
möglich, bis die ,Aypothel des Todes“ fih auszuwwirten beginnt, der Geburtenrüdgang 
durch den Sterblichleitsgewinn ausgegliden wird. Auf eine Er gänzung der Ges 
bredliden(tati til?) fei now bingewiefen. Die Blindenftatifti? wurde getrennt von 
der übrigen Auswertung durd das ftat. Amt. von Ganitdterat Dr. Seildenfeld bes 
arbeitet: auf 3000 Einwohner fommen in Paläftina 166,7, in Agypten 109,7, in Deutfdland 
1925 6,3 mannlide und 4,4 woeiblihe Blinde einfhließlih der Kriegeblinden. Don den 
33 192 Blinden befinden fidh 3850 in Anftalten; 5,5 waren evangelifd, 4,8 tatbolifh, 6,3 
ifraclitifh (Adufung der vererdbten Augentrantheiten und des Glauloms bei Juden). Ans 
pees Blindheit: mannlid) 13,2%, weiblid) 14,1%, gonorrboifde Augenentzündungen: 
493%. 

Doß die tiefgreifenden Veränderungen im Dollstdrper auch in den Selbftmordziffern 
fih auswirken, gebt aus den Unterfucungen von 4. Dornedden25) hervor. Sür die 
SGelbftmordbereitidaft erfceint beadtenswerter als die äußeren Motive, wie wirtfchaftlicdhe 
Hot, örperlidhe Leiden, Scheitern im Lebenstampf, die fubjettive Cinftellung des Einzels 
menfden 3u Lrlebniffen diefer Art; ein größerer Teil der Selbftmorde wird durch Geiftess 
trantheit oder geiftig abnorme Veranlagung verurfacht. Die Selbftmordbäufigleit der Stadt 
ift größer als auf dein Lande, durch den Derluft des Zufammengebörigleitsgefühle, Loderung 
der Samilienbande, Aufgeben von Dolkefitte und altbergebradhtem Rechtsempfinden. Abs 
gefeben von dem großftädtifchen Bezirt Hamburg ragen in Deutichland Sadıten und Thüs 
ringen beraus mit ihren Doltaftimmen, deren Lebenseinftellung mehr durdy veritandess 
mäßige Überlegungen beftimmt, während die Bayern auf Grund eines mehr gefüblemäßig 
abgeftimmten und von a he erfüllten Stammescharalters feit jeber eine fehr niedrige 
Selbftmordziffer befigen. Kine fcheinbare Zunahme ergibt fich aus der ftärkeren Befegung 
der höheren Alterstlaffen, die an fich eine höhere Sterbeziffer aufweifen. Daß heute raffens 
bygienifhe Reformen möglich, zeigen die Berichte aus Italien. Der Präfident des flat. 
Reihsamtes von Jtalien Prof. &. Bini2?) berichtet über ,Das Bevdlterungsproblem 
Italiens und die fafziftifche Bevslkerungspolitit“. Das ficherfte Mittel, das Wachstum der 
Bevölkerung zu fördern, beftebe darin, den fortpflanzungsfreudigen Gruppen zur Ausbreis 
tung zu verhelfen und nicht darin, die wenig fruchtbaren Individuen zu ftärkerer Sorts 
pflenzung zu 3zwingen. Begünftigung der finderreichen Samilien, Bekämpfung der bei ihnen 
nom boben Säuglingsfterblidhleit, Erhaltung oder Zurüdführung in eine geeignete Ums 
welt, Beldmpfung der Landflucht, Einfchränlung der Auswanderung, an der Cinderreicde 
> ftack beteiligt, Siedlung auf bisher unbefiedeltem oder dünnbefiedeltem Land. Die 

ablung von Unterffügung feheine von zweifelbafter Wirkung. Da es nicht möglich, daß 
die Rinderzulagen die Aufzuchtloften deden, beftebe die Gefahr, daß wirtfchaftliche Übers 
legungen, die mädhtigfte und unmittelbarfte Urfache der Gebustenbefchränktung, ftärter betont 
werden. Anders feien die einmaligen Prämien zu beurteilen, die nicht als Vergütung aufs 
zufaffen. Arbeitslofigleit und Wobhnungsnot würden oft zur Redhtfertigung einer fcon 
beftebenden Meigung zur Beburtenbefchräntung benugt. Die mächtigften Derbundeten gegen 
den zerfeenden rationaliftifchen Egoismus feien: Stärtung des Solidaritätsgefühls der 
Samilie zu der Klation. Die bauptlähhlicdhen Maßnahmen zur Durchführung der Bevdlles 
rungepolitit werden ausführlich erörtert und müffen im Original nadgefeben werden. 

M. Th. Laffens) weift nach, dag erbgleide Zwillinge in einer Reihe von Cigens 


37) Wirtidaft und Staat. 11. Jabrg. 

28) Dornedden, Der Selbfimord in Deutfchland. Def. m. Wir. Fir. 41, 1931. 

29) Gini, Das Bevdlterungsproblem Italiens und die fafziftifche Bevölkerungs- 
politit. Ardy. Raffenbiol. 25, 3. 

s0) £affen, Zur Srage der Vererbung fozialer und fittlicher Charalteranlagen, Ard. 
Raffenbiol. 25, 3. 


1932, III ©. Wiofer, Überfichtsberichte aus dem raflenbygienifdyen Schrifttum. 179 
EEE ea a I Ee I eae? 





beiten des fosialen und fittliden Charatters einander ähnlicher find als die Paarlinge erbs 
ungleider Llatur. 

_ , Diernfteins!) gibt eine Überficht über die Aufgaben und die Arbeitsweife der 
triminalbiologifhen Sammelftelle, welche von Straubing nad Münden in die Räume der 
Deutfchen Sorfhungsanftalt für Piydiatrie verlegt wurde. Die Strafbsuszugänge werden 
biokogifh nach einheitlichen Gefidtspuntten unterfucht, typifiert und fozial prognoftiziert 
nach dem objektiven pfydhologifchscdharalterologifdhen Unterfudhungsergebnis. Die caffens 
bygienifde Bedeutung biologifder Derbrecherunterfucungen liegt darin, dag eine nicht nur 
ftaatsstonomifh und gefellfdaftlich, fondern grogenteils auc blutsmäßigsraffifch febr wids 
tige Bevdlterungsfchicht erfaßt und in ihren gefamten £ebensbeziehungen und Lebensäußes 
rungen aufgededt wird. Der einzelne Rechtsbrecher ift durch feine Cinfperrung leicht zus 
gängig, von ibm aus fann der ganze Rreis feiner Verwandten erforfcht und in die erbs 
gtfunddeitlide Würdigung mit einbezogen werden. 

WO. Pleger?2) berichtet, daß fi von 75 Probanden zwifchen s—I8 Jahren bei 
einem fdhwadfinnigen Elter 58,1% Bligopbrene fanden, bei Schwadhfinn beider Eltern 
71,9% Oligophrene unter den GBefhwiftern. Zwillingegeburten waren bäufiger als dem 
Durdfdnitt entipcidt unter Eltern und Befhwiftern Schwadfinniger. 

G. Juftss) nimmt zur Srage des Einfluffes von Anlage und Umwelt Stellung. 
Aus den Seffeln des Dererbungsichidfals wird Rettung gefucht durch die Möglichkeit der 
Umweltbeeinfluffung der Erbanlagen; nicht entweder Umwelt oder Erbanlage darf die 
u lauten. Die relative Schidjalsgebundenheit, die mit der Erbveranlagung obne 

weifel gegeben, wird dur die Möglichkeit der Umwmeltbecinfluffung als folde nicht ges 
einger, denn die Umwelt im weiteften Sinne, in die der Menfch bineingeboren wird, ift 
nicht minder Schidfal als feine — Man kann die Schickſalsfrage umdrehen und 
ſagen, daß die Selbſtbehauptung und Entwicklung gegenuͤber den Umwelteinflüͤſſen, das 
Durchſetzen der ureigenſten Individualitaͤt nur durch den Grundſtock der Perſoͤnlichkeits⸗ 
entfaltung, die Erbanlage, moͤglich iſt. Von den Erbanlagen haͤngt das bei verſchiedenen 
Menſchen wechſelnde ſubjektive Beantworten objektiv gleicher Umwelteindruͤcke ab. Die 
Vetanlagung vermag ſich nur ſoweit auszuwirken, wie die Umwelt es zulaͤßt, die Umwelt 
kann nur ſoweit einwirken auf die Entwicklung, wie die Anlage dies zulaͤßt. Wie an 
Beiſpielen gezeigt wird, iſt bei den einzelnen Faltoren der Anteil von Anlage und Umwelt 
verſchieden. Es gibt Entwicklungsvorgaͤnge, deren Umweltbeeinflußbarkeit Null, andere, 
bei denen das Endergebnis des Pe — verſchieden ſein kann, je nach den 
Bedingungen, unter denen die Entwicklung ſich vollzog. 

Eine weitere Rlaͤrung des Verhaͤltniſſes von Anlage und Umwelt iſt durch die Unter⸗ 
uchungen eineiiger Zwillinge zu erwarten. Aus der zunehmenden Literatur nur einige 

richte; daneben ſei auf die Vortraͤge anlaͤßlich der Tagung der Deutſchen Geſellſchaft fuͤr 
Vererbungswiſſenſchaft in Muͤnchen hingewieſen. Erbleiden wurden als Schickſal hin⸗ 
enommen, die Feſtſtellung der Erblichkeit verbinde ſich bei vielen Arzten mit therapeutiſchem 
ibilismus. Demgegenüber weift ®. v. Derfchuer’t) darauf bin, daß jede Krankheit 
wie jede Eigenfchaft des Menfchen die Refultante vieler Urfachen (Anlage und Umwelt) if. 
Wenn Erblichkeit als überwiegende Urfade nachgewiefen, fei es Auge der Sorfehung, 
die Entwidlung des Prankhaften Prozeffes zurüdzuverfolgen bis zu den Stadien, auf welchen 
dur befondere SHeilmaßnabmen eingegriffen werden donne. Bei erbgleichen Zwillingen 
leide bieweilen nur der eine an Wolfsraden, SHafenfcharte, Springomyelie, während der 
andere gefund geblieben trot gleicher Erankbafter Deranlagung. Die Sammlung folder 
Sälle biete Aust, die Urfachen zu ermitteln, daß nur ein Swilling ertrantt. Sur den 
Arzt wichtige vererbungsbiologifhhe Gefidtspuntte werden anfchließend erörtert. 

%. Lottig 5) ift beftrebt, die zu berüdfichtigenden grundlegenden antbropologifchen 
und fomatifchspatbologifchen Brundlagen einerfeits, das pfychifche Derbalten andererfeite bei 
den Zwillingsunterfuhungen berauszuarbeiten. Auf die es Hape Sorderungen eins 
zugeben, würde den Rahmen des Referates überfchreiten. WDertvoll für die Methodik. 


s1) Diernftein, Biologifdhe Aufgaben in der Rriminalpolitit. Eug. Bd. I, 212. 
$3) MW. Pleger, Erblidkeitsunterfuchungen an [hwadfinnigen Rindern. 3. Fleur. 


. 32. 

£> ©. Juft, Das Umweltproblem, eg. Bo. I, 192. 

= 34) O. v. Derfduer, Menfcdlide Erbforfhung und ärztliche Praris. M. m. WD. 
re. 4, 193}. 

u 38) Lottig, Hamburger Zwillingeftudien. Beibefte 3. Feitfdr. f. angew. Pfyd. 
re. 61. 


y3° 


180 Dolt und Raffe. 1932, ILE 
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"m. Röhn3°) zeigt ebenfalls übereinftimmendes Verbalten der erbgleidhen Zwillinge. 
Mertvoll erfcheint feine Warnung vor einer Überfpigung der Unterfuchungsmetboden und 
fein Hinweis auf dharatterologifhe Beobachtungen. 

©. v. Derfduer®’) berichtet über Ergebniffe feiner Zwillingsunterfuchungen. Die 
Börpergröße zeigt die geringften Unterfchiede bei erbgleihen Zwillingen, die Erbanlage ift 
duch Umwelteinflüffe wenig beeinflußbar. Das Börpergewidt ift 3—4 ftärker veränderlich 
dur Umwmelteinfliffe als die anderen Rörpermaße. Ber vorgeburtlicdhe Unterfchied swifden 
erbgleihen Zwillingen in Solge der Raumbeengung, Swangslage, ver{fdiedenem Anteil am 
Blutkreislauf geist fih bald nah der Geburt aus. Die Schädellänge ft umweltftabil. 

©. v. Derfdhuer?2) betont, daß die Anlagen vererbt werden, nicht die fertigen 
Ligenfdhaften felbft. Die Eigenichaften des Mienfchyen entftehen aus dem Zufammenwirten 
von Erbanlage und Umwelt, allerdings ift im Einzelfalle der Anteil fehr verfchieden. An 
den erbgleichen, eineiigen Zwillingen läßt fi ermitteln, weldhen Anteil die Erbanlagen, 
welchen Anteil die Umwelt an der — einer Eigenſchaft hat. 

Gemeinfame Unterfucdungen mit KR. Dieb 159) an 75 tubertuldfen Zwillingspaaren, 
von denen 19 erbgleidy waren, zeigten, daß gleiche Erbanlagen zu vorwiegend gleichartigem 
Derbalten binfihtlid Sig, Ausdehnung und Art des Rrankbeitsprozeffes führte, während 

weieiige Zwillinge mit verfchiedener Erbanlage verfchiedenes Verbalten zeigen. Wenn die 
deutung der Erbanlage fiher nachgewiefen, muß dies die Tuberkulojebelämpfung berüds 
fichtigen, die Raffenbygiene muß aud bier ihren neuen Erkenntniffen Einfluß verichaffen. 

Vad) Slagel*) ift die umwmeltbedingte Tubertulofe durd die Belämpfungsmaßs 
nabmen foweit zuridgedrangt, da8 die erhöhte Erkrantungsziffer in Solge Unzivilifation und 
Unbygiene in der unbemittelten Bevölkerung, insbefondere dem Städteproletariat, dem die 
Belämpfungsmaßnabmen elektiv zugute kamen, prattifh verfhwunden ift, während die 
Tubertulofefterblichkeit der wohlhabenden Schichten gleichgeblieben, fo daß in beiden Schichten 
nur noch die Grundtubertulofe vorhanden. 

Bei einem von €. Stern“) unterfudten eineiigen Jwillingspear (timmte die geiftige 
Entwidlung weitgehend überein; binfichtlicd der motorifchen Begabung, der Energie, der 
Ausdauer der Leiftungen zeigten fich keine LUnterfchiede. (Sortfegung folgt.) 


Buchbeſprechungen. 


Konrad Hhahm: Deutſche Volkskunſt. Jedermanns Buücherei, Verlag F. Hirt, Breslau. 
1932. 120 S. 24 Tertbilder und 77 Abb. Preis geb. ME. 2.85. —— 
Verfaſſer gibt eine kurze, klare Betrachtung uͤber die Zeitſtroͤmungen, die die Vor⸗ 
ausſetzungen fuͤr ein Beſinnen auf volksſstuͤmliche Außerungen boten und uͤber die erſten 
Bahnbrecher und Erkenner des Wertes derſelben wie Herder, Arnim, Brentano uſw., vor 
allem aber die Bruͤder Grimm und den Begriff Vollstunde und Volkskunſt. Waͤhrend 
Volkslied, Sprache, Mundart, Glaube, Maͤrchen, Sage und Heldengeſchichte gepflegt und 
beachtet wurden, blieb die Volkskunſt noch unberuͤckſichtigt. Man hatte ſich noch nicht von 
der Auffaſſung: „Runſt iſt originelle Spitzenleiſtung eines Einzelnen“ losgemacht und bes 
trachtete die ſich an Überlieferung feſthaltende, ſich immer in denſelben Motiven bewegende 
und ſtark an Gebrauchsgegenſtaͤnde gebundene Volkskunſt als geſunkenes ſtaͤdtiſches Rultur⸗ 
ut. Volkskunſt wird nicht von einer beſtimmten Geſellſchaftsſchicht getragen, ſondern iſt 
usdruck der geſtaltungsfaͤhigen Geſamtſchicht, vor allem der Bauern, die Altes bewahren 
und Neues nicht ſo leicht aufnehmen. Wir hoͤren dann von den verſchiedenen Werkſtoffen, 
die dem volkstuͤmlichen Schaffen zur Derfügung fteben, wie fie behandelt werden, von den 
Motiven und der Art der Darftellung und der landfchaftlichen Abgrenzung der Vollstunft. 


86) W. Röhn, Vorfrüdte aus einer pfychologifchen Reibenunterfuhung an Zwils 
lingen. Arch. Raffenbiol. 25, 4. 

87) O. v. Derfduer, Verhdlg. d. Gef. f. Dbyf. Anthropologie, Bd. VI. 

88) O. v. Derfaduer, Fwillingsforfdung und Tubertulofe. Bug. Bod. I, 21, Med. 
Rl. 1930, Ur. 27. 

$9) O. v. De oe uers BR. Diehl, Brauers Beiträge zur Rlinik der Tb. Bd. 75, 5206. 

40) Slagel, Dom Rommen und Geben der Tuberkulofe. I. A. Barth, Leipzig, 1931. 
& 41) €. Stern, Beitrag zur Pfychologie der Begabung von Zwillingen. 3. f. Rderf. 

«4, 1931. 





1932, III Budbdefprechungen. 181 








Dann gebt der Werf. auf die verfchiedenen Techniken, ihre Ausführungen und Ausgeftaltungen 
im befonderen ein, die SHolzverarbeitung, Gewebe, VDollstradt, Reramit und Glas und 
Metall. Zum Schluffe zeigt er die Wege, die zur praltifcdhen Wiederbelebung voltstumliden 
Sdhaffens unternommen werden, 3. B. die fhwedifde Hausfleifvereinigung, durch die in 
Derbindung mit den Heimatmufeen eine leiftungsfäbige Heiminduftrie entitand; aud die 
Jugendbewegung verfolgt ähnliche Ziele. Die gut gewählten und wiedergegebenen Abs 
bildungen ergänzen den Lert aufs befte und machen ibn lebendig. Bruno BR. Sdhulg. 


Bans Barmen: Prabtifche Benälkerungspolitik. Verlag Junter & Dünnbaupt, Berlin 
1931. 94 ©. Preis ARME 4.—. : 

Das Bändchen ift im Rahmen der von HippelsRönigsberg berausgegebenen Sachs 
f&hriften zur Politik und ftastsbürgerlichen Erziehung erfchienen und dem Andenken Grots 
jabns gewidmet. Es ift wirklich verlodend, in einer Befprehung das ganze Inbaltss 
verzeichnis aufzuführen, weil es den Blaren Aufbau und Solgerichtigkeit der Brofchüre aufs 
zeigt; doch follen bier nur die einzelnen Rapitel angeführt werden: Anwadfen zum 95 Mils 
lionensDolt, Strutturwandlungen des Vollstörpers, Umfang und Bedeutung des Beburten« 
rüdgangs, Aufgaben und Ziele einer deutfchen Devdllerungspolitit, Mittel 3u quantitativer 
Bevdllerungspolitit, Beifpiele bevdllerungspolitifh orientierter Sozialpolitit, Maßnahmen 
und Sorderungen des wirtjchaftlichen Ausgleids in Deutfcdland, Mdglidteit eines wirts 
fdaftliden Ausgleidhs der Samilienlaften, Möglichkeiten der qualitativen Bevdlterungss 
politik, Untergang oder Wandlung. Wenn man audy über Cingzelbeiten, fo 3. B. uber den 
Wert des Reichsbundes der Rinderreichen, verfchiedener Anficht fein kann oder auch über 
den Wert der im einzelnen vorgeichlagenen Maßnahmen, wie Steuerausgleidh innerhalb 
an und für fich nicht iR maberehtiatet Eintommenstlaffen, fo tut dies doch der Brofchüre 
als folder keinen Abbrudy. Der Derfaffer will ja im Großen und Ganzen audy nur einen 
Oberblid uber die ganze Srage der Bevdllerungspolitit geben; es ift nur zu hoffen und zu 
wöünfcden, daß das Heft wegen feiner Kürze und eindrudsvollen Darftellung eine weits 
gebende Derbreitung findet. Th. Lang, Minden. 


Kurt Hed{dher: Die Dolkshunde der Proving Hannover. I. Teil: Die Dollstunde des 
Rreifes Fleuftadt a. an Deröffentlichung der Drovinsialftelle für Dollstunde, Drovins 
zialmufeum Hannover. Derlag Martin Riegel, Hamburg 1930. 853 S., 16 Tafeln. Preis 
geb. ARME. 82.—, geb. RM. 86.—. 

Die verfdiedenften vollstundliden Erideinungen find bier fehr gründlich gefams 
melt, umfichtig geordnet und dargeftellt. Das Bud ift für jeden VDollstundeforfder eine 
wertvolle, zuverläffige Quelle. Der Stoff ift nicht aus Büchern zufammengetragen, fon» 
dern zum allergrößten Teil durch perfönlidhes Sammeln gefunden worden und zwar durd) 
unmittelbares Befragen des Volles. 

Es ift fchwer, auf befchränttem Raume den Inhalt diefes reichhaltigen Buches ans 
zugeben. Denn das bieße fo ziemlich alle voltstundlichen Erfcheinungen aufzählen. Llur die 
Hauptabfchnitte feien genannt: Der voltstumlicye Glaube, die Sitte, die fprachlichen Volles 
giter, die vollstimliden Gadgiter. Ein ceidbaltigee Gadweifer wird dazu beitragen, 
daß dies Buch von der Volkskunde viel beigezogen wird. 

Man kann die Provinz Hannover beneiden um ein fo berporragendes Werl. Mögen 
recht viele Landesteile des Reiches Abnliches fchaffen! Dazu gebört allerdings Geld. 

Hoffentli feben unfere Behörden und die Stellen, die zu wiffenfchaftlichen Zwoeden 
Geldmittel zur Derfügung baben, ein, daß die Durdforfchung unferes eigenen Vollstums 
für uns zur Zeit eine dringendere Pflicht ift als wiffenfchaftliches Arbeiten in fremden Län» 
dern, dringend deshalb, weil wir endlich lang Derfäumtes nachholen müffen; dann darf doch 
aud ein anderer Gefidtspuntt bier ausgefprocen werden: nur durch die Kenntnis unferes 
Dollstums werden wir zum Verftändnis unferes Volles kommen. Daß dies eine der 
dringendften Pflichten ift, wird wohl kein Cinfidtiger verkennen. 

Aedicher bat fih durd fein Buch als ausgezeichneter Arbeiter auf dem Gebiet der 
Dollstunde erwiefen. Hoffentlihd wird es ibm ermdglidt, aud die anderen Landesteile 
feiner Heimat in dbnlider Weife zu bearbeiten. 

Dem Verlag fcduldet unfere Wiffenfchaft aufridtigen Dant fur die Nbernabme des 
Wertes. Eugen Sebcle, Heidelberg. 


Johannes, Martin, Otto: Adel verpflidtet ! Roman. AammersVerlag, Leipzig. Zweite 
Aufl. 3930. Preis: in Ganzleinen geb. MI. 4.50. 

Durd die Übernahme in den AammersVerlag war die nach dem rafchen Verkauf der 
erften notwendige zweite Auflage durchführbar. Der Derfaffer fhildert in fehr anfchaulicher 


182 Doll und Raffe. 1932, III 





Weife Derbältniffe und Menfden auf 12 deutfchen „Hegeböfen“, die in fremdraffiger Ums 
ebung in raffenbygienifhdem Sinn errichtet gedacht find. Die Samilien der Hegebof: 
tren zeigen das Jdealbild einer Subreraciftotratie. Zwei Hegebofiproffen geraten durd 
Aufteimen perfonlider Meigungen 3u Angehörigen einer vornehmen — aber raffifh ges 
mifchten einbeimifchen Samilie in Widerfprudh zu den ftrengen raffenbygienifchen Gefetzen 
der Hegebdfe, geben aber als Sieger aus diefem Kampf bervor, dank ihres ererbten ficheren 
Raffegefables und ihres Pflidhtbewußtfeins. Das „Geſetz“ der Hegebdfe enthält Grundfäge 
idealfter und adligfter Gefinnung und Marer Erkenntnis. Das Bud wird zablreidhen jungen 
Menfden germanifden Willen und Derantwortungsbewußtfein ftärten. ©. Ree. 


Oskar Juft: 8 Jungenbilder. Laffo-Derlag, Berlin 1933. 2 S. Tert. 4 farbige und 
4 fhwarze Tafeln. Preis Mi. 6.—. 

Die Mappe bringt s$ Jungentöpfe aus der Jugendbewegung in lebenswahrer Dar⸗ 
ftellung zum Teile fogar in Sarben. Es find die Widergaben von OÖlgemälden des fudetens 
deutichen Malers und vielfeitigen Rünftlers Ostar q uft. Daß der Künftler eine Auss 
lefe nordifcher, gefunder Jugend, die die Zukunft erfüllen foll, malt, gibt der Sammlung 
ihren befonderen Wert. Bruno KR. Sadulg. 


Manfred Langhans-Rageburg: Die Wolgadeutihen. Ihr Staates und Verwaltungs» 
recht in Dergangenbeit und Gegenwart, 3ugleid ein Beitrag zum bolfchewiftifdyen Llationas 
litätenrecht. (Deutiche Gefellfdhaft 3um Studium Ofteuropas). Berlin und Bönigsberg 
1929, OftsEuropasVerlag. VIII, 190 8. Preis geb. ARME. 6.50. 

Wie fhon der Titel fagt, bebandelt diefe fehr verdienftliche Darftellung der neuzeits 
licen, fo entlegenen deutfchen Infel zu beiden Seiten der mittleren Wolge um die Stadt 
Saratow berum in erfter Linie und febr eingehend das Staates und Verwaltungsrecht, nas 
mentlidy in feiner bolfchewiftifchen Ausgeftaltung nah dem Weltkrieg. Boch kommt befons 
ders in den einleitenden Rapiteln audy die Befchichte diefer eigenartigen Rolonialgründung 
und Entwidlung, die 3763 duch einen Aufruf der Raiferin Katharina II. eingeleitet 
wurde, zur Geltung. Sür die Befchichte der Befiedlung fei außerdem auf die im Anbang 
(G. 160 ff.) in Tabellenform gegebene Zufammenftellung der „urfprünglichen deutfchen 
Wolgatolonien” bingewiefen, die die Jahre 1704 bis 3767 umfaffend nıdt weniger als 
104 Rolonien aufführt und die Grimdungstage angibt. 

Im übrigen ift die Gefcdidte diehr deutfchen Spradinfel gekennzeichnet durdy eine 
bald nad ihrer Gründung einfegende Solge von Redtsbrücden, dur die ihr die Zuges 
fiherten Selbftverwaltungsrechte eines nad dem anderen wieder verloren gingen, bis Pit 
der Mitte des 19. Jabrhunderts unter dem fic immer mebr verftdrlenden panjlawiftifden 
Drud (G. 11) zur planmäßigen Auffifizierung übergegangen wurde. 187} mußte die 
deutfche Amts sund Geridtsfprade der ruffifdhen weichen (3. 35), 1874 fiel die Befreiung 
vom Militärdienft (3.37) und 3876 erfolgte nad ganslider Aufhebung des deutfchen Rons 
tors die Eingliederung der Rolonien in die Gouvernementsverwaltung (S. 11). 

Zur Abwehr des verftärkten Druds während des Weltkriegs, namentlidh der drobens 
den Enteignung, bildete fidb anfangs 1917 in Saratow „ein privater emule Auss 
fduB’ (S. 43), der fidh nach dem Gefey über die Selbfibeftiimmung der Völker Rußlands 
vom 20. Marz 1917 ,3u einem vorbereitenden Organifationsausfdus der Wolgadeutiden“ 
erweiterte. Seit 1918 beftebt das „autonome Gebiet“, feit 3928 der „autonome jozialiftifche 
Räteftaat der Wolgadeutfchen“. Sein Gebiet umfaßt unter Cinfdlug ruffifcher, ulrainifcher 
u. a. Beftandteile rund 26 800 qkm mit rund 571 800 Einwohnern (1926 GS. 185), von 
denen 66,5 v. %., alfo etwa 400 000 Deutfcdhe find. Die Amtssprache ift deutjch und ruffifch. 
Ift die deutiche Umtsfpradhe auch noch keineswegs durchgeführt (3. 138) und die „Autos 
nomie“ im Rahmen der Sowjetrepublil natürlid nur eine befchräntte, fo dürfen wir uns 
dod ,freuen ob der Rettung einer Beinen Infel deutfchen Dollstums vor dem Verfinten 
in dem um fie brandenden großen flawifchen Meere“ (S. 139). %. Witte. 


R. Lehmann: Gefdhidte des Wendentums in der Niederlaufig bis 1815 im Rahmen der 
Landesgeichichte. (Die WDenden. Sorf. 3. Gef. u. Vollstum der Wenden, brag. von 
R. Rögichke, Heft 2.) I. Bel, Langenfalza 1930. VI u. 140 S., 6 Tafeln, ı Karte mit 
3 Dedbl. Preis ARME. 5.—. 

Madden das laufigifche Wendentum nad jabrhundertelangem Blüben im Derborgenen 
eine Art Weltberuübmtbeit erlangt bat durch eine auf Cigenftaatlidleit drängende Agitation, 
die weniger im Kaufiger Lande Felber als in Tfchechien ‘bres Fauptfig bat; nachdem befons 
ders das Schidfal diefes allmählich im umgebenden Deutfchtum verfintenden, beute von 





1932, III Buchbefprehungen. 183 


ihm {don völlig wee ca und in eine Anzahl Spradinfeln aufgelöften Heinen Volkes 
fplitters in tendenzidfer Weife als eine ununterbrodene Solge fdwerer ERBE HERREN: 
als ein anhaltendes „Martyrium“ dargeftellt worden ift, muß dies Buch eines wirklich 
Berufenen mit befonderem Dank begrüßt werden. Alle gefliffentlich verbreiteten Marden 
ſchwinden jetzt wie Schnee vor der Sonne: das angebliche, auf die Laufiger Rultur ges 
ftügte Autochthonentum, dem die Tatfache gegenüberfteht, daß die erfte beftimmte Nachricht 
von flawifcher Befiedlung erft aus der zweiten Sälfte des 9. Jahrhunderts n. Chr. ftammt. 
Dor allem aber die Behauptung gewaltfamer Unterdrüdung, die £. mit dem Lladhweis 
widerlegt, daß es eine „Vernidhtungspolitit gegenüber den Wdendentum“ bier „zu keiner 
Zeit gegeben“ bat (S. 130). Seine allmablide Auffaugung ift lediglich die natürliche Auss 
wirtung der infularen Lage inmitten eines nach Zahl und Kultur übermädtigen Deutfds 
tums Sn Uladbilfe irgendwelder Gewalt. % Witte. 


Erna Lendvai-Diehfen: Das deutiche Dolksgeficht. Aulturelle Derlagsgefellfhaft Bers 
lin 3932. 240 Seiten, 140 Abb. in Rupfertiefdrud. Preis: ME. 9.50. 

In diefem Buche tritt die Vielgeftaltigkeit des deutfchen Volkes in feinen verfchiedenen 
Sormen, Ausdrudsmöglichleiten und feelifchen Verfaffungen Mar in Erfdheinung. Die Bils 
der, die mit befonderem Seingefühl und gutem Blid aufgenommen find, bringen uns die dars 
geftellten Menfchen nicht nur künftlerifch, fondern auch menfdlid nahe. Die Derfafferin bat 
es vor allem verftanden, den feelifhen Ausdrud des Befichtes zu erfaffen. Der begleitende 
Tert enthält zum großen Teile Beobachtungen der Derfalferin oder Ausfprüche der aus der 
betreffenden Gegend ftammenden Dichter. Er macht die Bilder noch belebter und erhöht 
ibren Stimmungsgebelt. Der Stoff ift febr forgfältig gefammelt. Das Buch zeigt dem, 
der das „deutfche Geficht“ kennen lernen will, diefes in all feiner Derfchiedenbeit und dem 
Raffenforfcher gibt es wichtige Anregungen und mandes Rätfel zu Iöfen. 

Bruno BR Schultz. 


Bans Luremburger: Digchiatrifche Heilkunde und Eugenik. (Das kommende Ges 
fhledt Band VI, Heft 6.) Serd. Dümmlers Derlag, Berlin und Bonn 1931. 

Nach kurzer Einleitung über die Pfydiatrie als Teil der Medizin und einer Inappen 
Bennzeidhnung der drei wichtigften Erbleiden diefes medizinifchen NS tommt Derf. 
zur Hauptfrageftellung der vorliegenden Arbeit: in wie weit fid alogewobhntes, auf das 
Wohl des Einzelnen gerichtetes ärztliches Denken mit der auf das gefunde Bedeiben des 
Ganzen, der Raffe und vieler Generationen binzielenden Arbeit des Raffenbygienilera 
kreuzt. Ein eingebender Bericht über den augenblidlichen woiffenfchaftlichen Stand von Vor⸗ 
beugung und Aeilbebandlung bei den Geiftestranten erweift, daß zum Teil fhon beute 
und vorausfidtlid nod in erweitertem Umfange in der Zukunft, erblidy bedingte Geiftess 
Erankheiten in einem gewiffen Hundertfage, gebeffert, gebeilt, „verhindert“ werden köns 
nen, obne daß — und das ift der Rernpuntt — aud bei woblwollendftem Linterjuchen aller 
Möglichkeiten, eine ebenfoldye, parallel gebende Wiederherftellung des Erbplasmas anges 
nommen werden lann. Der nur ,phanotypifd Gebeilte” wird fo Bie die Raffe, fie Staatss 
gemeinfdaft und Lladlommen in Solge erhöhter Gelegenbeit zur Sortpflanzung, und das 
mit zur uneingefchräntten Weitergabe feiner tranten Anlage an andere, gefdbrlider als 
der für jedermann Eenntliche nicht Gebeilte. Daraus folgert Luremburger mit aller wins 
fdyenswerten Deutlichleit, daß, folange nicht die Sortpflanzung aller Gebeilten oder vers 
binderten erblid Geiftestranten, fei es durd nadgebende Surforge, fei es durch Sterilifation 
eindeutig und wirkfam unterbunden würde, von feiten der Raffenbygiene ,der Propbys 
lage und Therapie der erbliden Geiftestrantheiten mit ernfteftem Bedenken entgegenzus 
treten“ fei, daß jedoch andererfeits in dem Augenblide, wo entfchiedene Maßnahmen im 
Sinne einer raffenbygienifh gerichteten Bevöllerungspolitiß ergriffen würden, ärztliches, 
menfdenfreundlides Gewiffen mit den Sorderungen der für das Volk der Zukunft verants 
wortlihen Raffenbygiene durchaus zu vereinbaren wäre. 

Lothar Stengel von Rutkowoki. 


Kurt Meike: Schwerttanz und Schwerttanzipiel im germanifchen Kulturkreis. 3. ©. 
Teubner Verlag, Leipzig und Berlin 193). VII u. 225 S., 4 Abb. und 3 Tafeln. Preis 
geb. ARME. 10.—, geb. R. 11.20. 

Schon Tacitus (Germania 24) bat den Schwerttanz Inapp, allzu Inapp, befchrieben. 
Dann tritt er erft wieder vom Ende des 14. Ihe. an bei den Tee nn der Zünfte 
auf und blüht im 15. und 16. Ib., bei den Bauern fpäter als in den Städten. Mefdle 
fammelt den Stoff für die deutfchen und englifchen bürgerlidden und bäuerifhen Schwert: 


184 Volt und Raffe. 1932, III 





tänze mit Ausbliden auf Außergermanifches, zeigt in Überfichten die Se der Zeugniffe 
und die Verbreitung und zergliedert die Klachrichten über die Tanzform. Er findet zu den 
DVerflingungen des Tanzreigens ein Begenftüd in den Tierverfchlingungen und Bandges 
flebten der Runft der Völlerwanderung. Aber diefer Dergleidh, fon an fic mit vielen 
Unficherbeiten bebaftet, reicht lange nidt bis an Tacitus heran, gefchweige denn bis an 
die nordifdhen Selsrigungen der Bronzezeit, in denen Mefdte ebenfalls fhon Spuren des 
Schwerttanzes fudht. Die Schwerttanzfpiele, in denen fo gewidtige Geftalten wie AHildes 
brand und Starlader nadllingen, werden als Sramatifhe Erweiterungen des reinen 
Schwerttanzes behandelt. Aultifches, die Entbauptung des Vegetationsgottes, tritt bier 
vielleiht nod urfprungnäber hervor. Beben die bäurifhen Gilden auf heidnifche Opfers 
verfammlungen zurüd, fo können audy die Zünfte der Handwerler in religidfen Dereinis 
gungen wurzeln und als foldye febr altes Gut vermittelt haben. Bei den Schwerttänzen 
wird man vor allem an den Schmied als hbandwerklien Träger und an die Schmiede als 
Mannerhaus denten müffen. Weiche bat das nicht fo entfchieden berausgeftellt und auss 

ewertet, wie fein Stoff es nabelegt. Am Anfange fceint doch der Eutin der 

lingenfchmiede zu Klürnberg (1386) zu fteben. £e folgt glei der der Schmiede zu Brauns 
fhwein (1446), und die Schmiede beberrfdhen das 15. und zum Teil noch das 16. Jb. 
Verehrung des Schwertgottes Ziu, der zugleidh der HAimmelsgott ift, durd die Schmiede 
wére aud von den rdmifden Galiern und dem Schmiede Mamurius Deturius ber recht 

ut denkbar. Meichles Derdienft liegt vor allem in der reichen und uberfidtliden Zufammens 
faffung des Stoffes und in deffen abwagender Durddringung, wodurd eine gute Unters 
lage für alle weiter ausbolenden Betradhtungen gefchaffen ift. . 

Wolfgang Shulg, Gdrlig. 


Karl Theodor Straffer: Sadfen und Angelfadhfen. SHanfeatifche Derlagsanftalt, Ham» 
— 1931. 190 S. mit 36 Bildern und Rarten im Tert und auf Tafeln. Preis 
geb. ME. 9.—. 

Der bereits durch fein Buch über die Wikinger und Liormannen betannte Derfaffer ver» 
fucht bier in einem neuen Bande zur Srübgefchichte der nordifchen Völker die niederfächfifche 
Dolkseinbeit und Art in ihrem Zufammenbange mit dem Florden und in ihrer Entfeltung 
über die ganze Erde zu fpiegeln. Die Darftellung reicht bis zum 11. Ib., wo die felbs 
ftdndige Stammesgefdidte mit dem Erlöfcyen des ottonifchen und des weftfadfifden Serre 
fderbaufes, dem Auffommen der Salier und der Eroberung Englands durd die Wor: 
mannen einen gewiffen Abfchluß findet. Straffer fchreibt aus guter, zufammenfaffender 
Benntnis feines Begenftandes, den er auch durch Bilder, Rarten, Stammbäume zu verdeuts 
lihen weiß. Dod madt ibn die Begeifterung nod mebr ala in feinem früheren Buche 
zur Sibplie, die, um mit Aeratleitos 3u fprechen, von ibrem Gotte getrieben mit rafendem 
Munde Ungeladtes, Ungefdminttes, Ungefalbtes redet, womit fic leider auc mance 
Ubertriebenbeit und Untlarbeit der Schau verbindet. Das Hildebrandlied ift „gebaucht, 
geftammelt, atemlos geftaltet“ (S. 99); „die ‚Edda‘ plärrt geradezu von dem Betrüger 
und Srauenfddnder” Odin (S. 46); „Llorthbumbrien zerfprang wie ein gläferner Ball von 
neuem (!) in feine Teile“ (3. 73); „ein Jabrtaufend lang blieb diefer fhmale Raum’ zwis 
ſchen Oder und Weidfel) „der Abzugstamin immer neu nadhftrömendem Völkergewölt, 
bis er“ (es?) „endlih ... gäanzlidd verdampfte” (5. 25). Ganze Abfdge (3. B. S. 26) 
traten, Blunds Sprache fi) näbernd, Wucht und Schwung in Vorgänge 3u tragen, die 
in fchlidhter, lagagemager Gacdlidteit weit gewaltiger, uberfidtlider, Enapper zur Gels 
tung kämen. Allzu oft wird, um mitzureißen, fo getan, als könne ein überreidhes Bild 
der Dinge, audy der Quellenlage, vorausgefegt, als könne darüber aus dem Pollen ges 
fprochen werden. Jedody nicht feiten verfagt diefes Witte! und die See err 
in gequältem indeuten, das den gewiffenbafteren Lefer in mancdes aufbaltende Ratfeleaten 
verwidelt. Der Ubfdnitt ber ,die Saga von Himmel und Erde“ (S. 40—46) zeigt befons 
ders Mar, wie fich religionswiffenfchaftlie Anwandlungen auf diefe Act eben doc weder 
zu dichterifcher Wirkung, no zu kulturgefdhichtlicher Wabrbeit aufpeitidhen laffen. Aber 
diefe Ausftellungen, vorwiegend am dußeren Gewande, follen nicht verdeden, daß aud 
fo aus Straffers Bude, in dem die rubigere, gefchichtliche Darftellung doch auf lange 
Streden, und gegen den Schluß zu immer mebr, ducdhbridt, eine Sulle wenig betannter 
und bodft eindrudsvoller Tatfachen an den Lefer herandraͤngt und daß dabei weltgeſchicht⸗ 
lich enticheidende Vorgänge von ihren Anfätzen ber erkennbar werden, die Grundlagen des 
englifden Weltreides und die Entftebung des deutichen Raiferreiches, ein Gegenftand von 
übervoältigender Bedeutung und geiftigsjittlicher Größe, und all das auf altgermanifdem, 
fih in unfere Gegenwart fortfegendem Grunde. Wolfgang Shulg, Börlis. 








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Brof. Dr. Mehlis: 


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Kommiſſionverlag E. Stilgenbauer 
in Neuſtadt a. d. H. 3 Mark kartoniert 


| 
Tacitus mit Karte. 2 | 
; 


Blufgruppenbestiimmung: 


an eingeschicktem Blutstropfen. Einzeluntersuchung 

RM. 5.—. Versandröhrchen und Auskunft: 
Dr. med. Wilhelm Hilsinger, Berlia-Lankwitz 
Marienstr. 19. Fernrul: G. 3: 5572, 


Haltbares „Ballungs - Test“ - Serum zur Gruppen- 
bestimmnne: je Ilccm A, B und O RM. 10,—. 


Bin Sportlehrerin, ferngejund, jchön, 25jährig, aus gejunder 
yamilie, treibe aus Liebhaberei Stammbaumforfhumg. und 
arbeite als Schriftftellerin, habe mehrjährige Lehrpraris aud) 
in Hausiwirtidaft, fann fdyneidern, majdinenidreiben” und 
vieles andere. Qc) wiirde mid freuen, ala Ehelameraden 
eine Berjönlichleit zu finden, mit der ich harmonieren lönnte, 
Briefe erbeten unter R. V-404 an Waibel & Co., UAnzeigen- 
Sejellidhaft, München 23, Leopolditraße 4. 


und franko. 





| 





Die Trachtentafeln in diefem Heft jind entnommen dem im Yuli erjcheinenden Buch 


Deutſche 
Volkstrachten 


ans dev Ganunluns des Germanifhen Rationalmufeums 
in Nürnbers. Hevansoes. &. KRonfervator Dv. Rud. Helm 


Mit 115 Trachtenbildern auf 48 jchwarzen u. 8 farb, Tafeln. Preis fart. AM. 4.— 





Mit der weitberühmten mundervollen Trachtenfammlung des Gernmanijden 
Miujeums wird der Allgemeinheit ein bejonders reizvolles Feld deutjcher Bolks- 
funjt erjchlojjen. Die Cinleitung des jachverjtandigen Herausgebers bringt diel 
Neues und Aufjchlußreiches über die Entjtehung und die jeeltjdhen Grundlagen 
der landichaftlich bejtimmten Trachten. 


Berüdfichtigt find u. a. folgende Gegenden : Holland / Wejtfriesland / Bier- 
landen bei Hamburg / Injel Föhr / Schleswig / Mönchgut, Rügen / Bonımern / 
Medlenburg-Strelig / Schlejien / Oberlaufig / Spreewald / Sacjen-Alten- 
burg / Braunjdweig / Harz / Hejjen / Wolfshaujen bei Marburg / Gießen / 
Speijart / Schweinfurt / Franken / Mijtelgau bei Bayreuth / Egerland / Aichach 
bei Sngoljtadt / Dachau / Schlierjee ; Allgäu / Schwaben / Chay / Schwarz- 
wald / Kanton Zürich / Vorarlberg / Norotirol | Südtirol. 


Beitellen Sie das pränhtige Buch mit beiliegender Karte! 


3: S. Lehmanns Verlasg, München 2 GW. 


Deuiſche 
Landeskunde 


Umriſſe von Candſchaft und Volkstum 
in ihrer ſeeliſchen Verbundenheit 


Don Ewald Banie 


Teil I: Deutjhland als Ganzes, Nieder und Mitteldeutihland, 
327 S. mit 60 Abb. Geh. RM. 10.—, Iwd. RM. 12.—. 

Teil II: Süddentfhland und Alpendeutichland. 320 S. mit 59 Abb. 
u. 2 farb. Karten. Geh. RM. 10.—, £wd. RM. 12.—. Beide Teile’ 
in einem Band gebd. RT. 20.—. 


Jeder Teil ijt au einzeln fäuflid. 


Wir meinen alle, Deutichland fei das. beitbetannte, bejtbejchriebene Land der Erbe 

und wir jelbjt fennten es im großen und ganzen recht gründlich. Wenn man Banies 

Candestunde gelefen hat, dann ficht man erft, was alles dem naiven Reilenden 

entgeht und was nur einer darjtellen fann, der in 25 Jabren der Dorbereitung 

und in unzähligen Reifen fein Wiljen und feine Erfahrungen zufammengetragen 

bat. Banje ijt der Babnbrecher der modernen Geographie und fein Wert ijt etwas: 
Neues im geographijchen Schrifttum. Neu ift zunächjit das Räumliche. Er bebandeik 

das ganze deutjche Land, den von 92 Millionen deutichiprachiger Menjchen bewohnten 

Raum Mitteleuropas einjchließlih der Holländer und Diamen, der Schweizer und 

Ungarjdwaben. Er zeigt die Deutjchheit in Landichaft und Dolfstum aud) Sort, 

wo fie im Laufe der Jahrhunderte etwas verjchüttet wurde. Meu ijt aber aud Die: 
Einteilung des deutichen Landes in Raumfchaften, die aus den Gegebenbeiten der 

Stammestümlichteit und der Natur abgeleitet wurden. Sie heben ji poneinander 

ab durch Eigenheiten der Landichaft und Mundart, des jeeliihen Ausdruds und Ser 

Wirtichaftsgebarung. Eine farbige Karte zeigt ihre Abgrenzung und bietet bamik 
einen wichtigen Beitrag 3ur viel beiprochenen Neugliederung. 


Banjes Werf leitet eine neue Art der Erdbeichreibung ein. Sein Werk, das tier 
aus dem Derjtehen deutjchen Landes und deutjcher Doltheit heraus erwachjen it, I 
bis in die fleinjten Einzelheiten von deutichem Geijt durchzogen. Zum erftenmeal 
tritt F das bedingungslos Nationale in die Geographie ein. Die deutiche Tandes= 
funde ijt jo reich mit Bildern und Karten ausgejtattet, daß jie zum Buch Ser 
Deutfchen geworden ilt, das jeder beißen follte, dem es ernit damit ift, fein Lane 
und Dolt zu begreifen. 


Die aus fünjtlerifcher Sicht erwachjende reine Candesbefdhreibung paart jich mit Ders 
Erkenntnis der feelenformenden Kräfte der Landichaft — eine Derinnerlichung Ber 
geographiichen Betrachtungsweile, die vor allem den Sinn der Gegebenheiten Im 
neues, zufunftweijendes Licht rüdt. Der Tag. 


3. $. Zebmanns Devlas, München 


ö— — — ———— — — ee 
~ Berantwortlid. für: die e Sdriftleitung von „Volk und Kaffe”: Brof. Dr, D. Rede, Leipzig und Dr. Bruno RK. Schul, Minden. 
Berantwortlid fiir den Anzeigenteil: Guido Haugg, Minn. — Verlag: 3. F. Lehmann, Münden. 
Druck von Dr. F. PB. Datterer tever aseteifing-Wiinden. 





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7. Jahrgang mee 4 ®ftober (Weinmond) 1932 
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rr — — — — — — 
SHriftleitung: Prof.dr.O. Rede, Leipzigu. Dr. Bruno K.Sdhulfs, Minden 
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EI. §.Zehmanns Verlag, München 


Bezugspreis jährlih M,8.—, Einzelheft M. 2.— 








Suhalt: 


Umjchlagbild: Mädchen aus Nordſchleswig.(Aus L. F. Clauß, Die nordiſche Seele. 2.Auft). 


Sotenjurdt und Aberglaube bei den Germanen der Bölterwanderungsgeit, 7 
Won Dr. Lothar F. 308, Breslau. (Mit 5 Abbildungen) . Seite 185 


Die Geburtentrajt im volfspolitijdhen Kampfe. Bon Otto Schelling, Nordenham » 194 
Einfluß der Rafje auf Fünjtlerifche — und — Von 
Dr. 9. Sandvoß. (Mit 4 Abbildungen) - - „ 1% 


Urflawenheimat und — — O. Von * — * 
a.d. Donau . . „ 203 


Deutihe Bolkstrachten (II). Bon R. Helm. (Mit 2 farb. Tafeln u. 1 Abbildg, im Tert) „ 215 


Chrijtentum und heidnifde Überlieferung im — Settabrent Bon | 
Dr. Richard Wolfram, Wien . . » 218 


— — aus dem cffenbygienen Sqhriſttum Gorse) 

Bon Dr. G. Mofer, Göttingen . . ; faa 
Wn die Lefer von ,BVolf und Raffe* . . . . . . m mn nn ne m 228 
Budbejprehungen ..., . 50 EUR Aas sep cea ean a „ 229 


Reue Arbeiten zur Dent] Gerdung dee des ens. Gon Archivdireftor Dr. Hans Witte „ 239 


Deutfche —— 


Volfksbücher deutſcher Kunſt: 


Altdeutſche Malerei 
Don Prof. Dr. A. Stange, 48 — mit 
Einführung. Kart. MI, 3.8 
Der Lejer und Bejchauer wird * die zwei 
Jahrhunderte umſpannende Geſchichte der alt— 
deutichen Malerei geführt. Don der Srübzeit des 
14. Jahrhunderts mit ihren zarten Werten aus» 
gehend, wird die Wandlung zur bürgerlichen Kunit 
er Spätgotif gewiejen. 


Kunjt der Romantif 
Don Dr. H. Jerchel. 48 Bildtafeln mit Einführung, 
Kart. MI. 3.80. 


Die deutihe Malerei im Zeitalter Goethes und 
der Befreiungstriege. Der außerordentliche Reich- 
tum und die Gefühlstiefe deutjcher Malerei im 
frühen 19. Jahrhundert wird veranihaulidht. 


Meijter gotijher Plajtit 
Don Dr. €. Th. Müller. 48 Bildtafeln mit 
Einführung. Kart. MI. 3.80. 
Diejer wundervolle Band veranjdaulidt die 
deutiche gotiiche Plaftit auf ihrem Gipfelpuntt. 





Deutihe Dolfstradhten 


aus der Sammlung des Germanijden National 
mujeums in Nürnberg. Herausgegeben von Dr. 
R. Helm, Mit 115 Trachtenbildern auf 48 jdwar- 
zen u. 8 farb. Tafeln. Kart. ME. 4.—. 


Mit der weitberühmten wundervollen Trachten 
jammlung des Germanijhen Mujeums wird ber 
Allgemeinheit ein bejonders reiznolles Seld deut- 
—* Voltsart erſchloſſen. Die aufetube Ein» 
eitung bringt viel Neues und Aufichlußreiches, 


Die Germanijde Gothit 
Aus — und mit einer Einführung von 
Prof. —— Bock. Mit 55 en auf 48 Kunjt- 
rudtafeln. Kart. 
Derf. hebt vor allem einige — heraus, 
die die Gotik nach Raſſe und Blut auc) bejonders 
als germaniſche Kunſt erweiſen. Der wundervolle 
Band wird jedem Sreund der Gothik ein dauernder 
Quell künſtleriſchen Genuſſes ſein. 


Altgermaniſche Kunſt 
— ae Bildtafeln mit Einführung von ve 


Dr. St. Behn. 2. erw. Aufl. Kart. ME 5 





OV" machen unfere ‘Sefer auf den dieſer Hemmer beiliegenden Projpeft „Ham, Deutiche 
Boltatunit“ der Firma Ferdinand Hirt & Sohn, Breslau bejonders aufmerkam. 





EEE a an en En 











Cafel 5 


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| 
| 
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Aus: Helm, Deutfche Doltstracten 
I. $. Lebmanns Verlag, Münden 


Stau und Rind aus KHBindelopen, Weftfriesland 


„Volt und Kalle” 


Runftbeilage zu 





Dolf und Raffe 


‘Slluftrierte Dierteljabrefdrift fiir deutfches Volkstum 


Herausgeber: Prof. Aidhel (Kiel); Or. Bachtold (Bafel); Prof. Dethlefffen (Rdnigsbecg 
i.Pr.); Prof. Sehrle (Heidelberg); Prof. €. Sifcer (Berlin); Prof. Sambruch (Hamburg); 
Prof. Helbot (Jnnsbrud); Prof. ©. £ebmann (Altona); Dr. Lüers (Münden); Prof. Mielke 
(Hermsdorf b. Bin); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Muh (Wien); Prof. Panzer 
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. 3. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dorts 
mund); Prof. W. MM. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulte, 
Naumburg (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof. 

Wrede (Röln); Dr. Zaunert (MWilbelmsbhöhe); Dr. Feif (Srantfurt/M.). 
Schriftleitung der Zeitfhrift: Univerfitätsprofeffor Dr. Otto Rede, Gaugfch 
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Rurt Shulg, München, Fleubauferftr. 51. 

Derlag: J. §. Lehmann, Münden 2 SW., Paul HeyfesStraGe 26. 

Jährlich erfceinen 4 Hefte. Bezugspreis jährlih M.s.—, Einzelheft M. 2.—. 
Poftfchedtonto des Verlags Münden 129. 


Poftfpartaffe Wien 59594. — Konto bei der Bayerifchen Vereinsbant Münden. — 

Ronto bei der Rreditanftalt der Deutfcdhen e. &. m. b. %. Prag II, Rrafauerftraße 33 

(Poftfpartaffentonto der Rreditan(talt: Prag 62730). — Schweizerifche Poſtſcheckrechnung 
Bern III 4845. Schwed. Poftichedtonto Stodbolm 4167. 





7. Jahrgang Heft 4 Oftober (CWeinmond) 1932 





Der Verlag bebalt fic) das ausfchließliche Recht der Dervielfältigung und Verbreitung der 
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor. 


Totenfucdht und Aberglaube bei den Bermanen 
der Völkerwanderungszeit. 
Don Dr. Lorbar §. 505, Breslau. 


Mit & Abbildungen. 


m Chrifti Geburt und in der römifchen Kaiferzeit war bei Oft:, Wefts und 

Flordgermanen, von Ausnahmen abgefeben !), die Seuerbeftattung üblich. Erft 
mit dem vierten nachehriftlichen Jabrbundert gingen die mitteleuropäifchen Ger: 
manenftämme, offenbar beeinflußt von den Römern, denen das Chriftentum den 
Scheiterhaufen für die Toten verbat, dazu über, ihre Toten unverbrannt der Der: 
wefung im Erdboden zu übergeben. Werfen nun dic im Boden erbaltenen Brands 
beftattungen, wie Urnengraber, Brand{cdhuttungsgraber oder Haͤufchen verbrannter 
Gebeine, auch manches Licht auf Totenkult und Totenglaube, wobei ih nur an 
die „Seelenlöcdher“ oder die Glasfenfterchen in den Urnen erinnern will), fo vers 
fchließen uns die Brandbeftattungen naturgemäß unmittelbare Erkenntniffe uber 
die individuelle Behandlung der Derftorbenen. Wir vermögen nichts anderes mebr 


1) Hierzu vgl. £. 308, Wandalifhe Rörpergräber der Spätlatenezeit. Altfchlefien 
IV. 9. 1. 1932. 

2) Hierzu vgl. $. Roeder, Die fähfifchen Senftergefäße der Völkerwanderungszeit. 
18. Bericht d. Röm. Berm. Rommiffion: 1928. 


Dolf und Bafle. 1932. Oftrober. 13 





186 Volt und Raffe. 1932, IV 


feftzuftellen, als daß der Tote eben verbrannt, und daß feine Afche auf die oder 
jene Weife beigefetzt worden ift. Was möglicher Weife mit der Leiche vor der 
Derbrennung gefdab, bleibt uns verfchloffen. Anders bei Rörperbeftattungen, wo 
die Bebandlung mander Leichen recht bemerkenswerte Ausblide auf jene relis 
gidfen Vorftellungen unferer Vorfahren wirft, die wir heute gemeinbin als Abers 
glauben bezeichnen, deren tiefes Derwurzeltfein in der Vorftellungswelt des Volkes 
aber Sudurdy bewiefen wird, daß fie bis auf unfere Tage teils offen, häufiger ver: 
ftedt und dann in einer von der urfprünglichen abgewandelten Sorm weiterleben. 
Dod wollen wir bierauf erft Zurüdtommen, nachdem wir von einigen fonders 
baren Beftattungefitten des vorgefchichtlihen Germanentums gefprodhen baben, 
deren finngebende und zweddienliche Urfachen wir überhaupt erft aus diefem 
Weiterleben zu erkennen vermögen. 

As Beauftragter des niederfchlefifchen Landesamts für vorgefdictlice 
Dentmalpflege grub ib im Sommer 1933 zu GroßsSürding, Rr. Breslau, einen 
größeren Stelettgräberfriedhof aus ?), der vor der Zerftörung durdy einen Sands 
fhachtungsbetrieb bewahrt werden mußte. Die Gräber gebören nach Art der den 
Toten mitgegebenen Beigaben an Waffen, Sdhmud und Jrdenware in den Ans 
fang des 5. Jahrhunderts und zwar müffen bier die Silingen, ein Teilftamm der 
Wandalen, denen Schlefien bekanntlich feinen Klamen verdantt‘), das Groß: 
Sürdinger Gräberfeld angelegt haben. In wie weit das Blut diefes Reftoslkchens, 
das nach der Abwanderung des Hauptteils des wandalifden Volkes, in der fchles 
fifchen Heimat verblieben war, durch gotifchegepidifche Zuwanderung aufgefrifcht 
worden war, ift eine Stage, die wir bier nicht beantworten wollen. 

Auf unferm Gräberfelde konnte man zweierlei Arten von Beerdigungen uns 
terfcheiden, und ich möchte von einer gewöhnlichen und einer ungewöhnlichen Bez 
ftattung fprechen. Im erfteren Salle lagen die Toten auf dem Rüden ausgeftredt 
(Abb. 1), manchmal waren die Hande über den Schoß gefaltet. Unter 52 fpftes 
matifch unterfuchten Gräbern konnte die Lage der Leiche bei 17 Beftattungen nicht 
mebr erlannt werden, weil die Anochen entweder febr feicht lagen und durch die 
Bodenbewirtfchhaftung geftört waren, weil fie tiefliegend den cemifden Der= 
witterungsprozeffen im Boden zu fehr zum Opfer gefallen waren oder [dhließ- 
lich, worauf wir zurüdtommen werden müffen, weil im Grab ein wirres Durch- 
einander von Steletteilen berrfchte. Unter den übrigen 35 Beftattungen zeigten 
13 die Rüdenlage (Abb. ı), 21 lagen mit wenig bis ftard angezogenen Beinen und 
Armen auf der Seite (Abb. 2), 7 lagen auf Baud) und Beficht (Abb. 3), und in 
einem Grabe lag der Tote mit angezogenen Anien auf dem Rüden. Der UÜberſchuß 
von 7 Beftattungen erNärt fi) daraus, daß fich unter den 35 Gräbern 3 Doppel: 
beftattungen (Abb. 4) und ein Maffengrab, in dem 5 Tote lagen, befinden. Don 
diefen fünf Steletten zeigten zwei die Bauch und drei die Seitenlage. Zu ers 
wabnen bliebe noch, daß in zwei Sällen eine ftodwerkabnlide Grabbelegung von 
übereinanderbeftatteten Toten beobachtet wurde. 

Die auffallende Lage einiger der Beerdigten wird obne Weiteres durch die zu 
tur3e Grabgrube erklärt, in die man die Toten geradezu bineinzwängen mußte. So 
erklärt fich vor allem die Hoderftellung. Bei ibe Connen wir faft fdon von der 
ungewdbnliden Beftattungsurt fprechen, deren Hauptlennzeiden auf unferem 


3) £. 308, Slelettgraber der Odllerwanderungsseit in Sdlefien. Sorfdungen und 
Sortfchritte VII Fir. 19, 1933 S. 262. Widtige Ausgrabungsergebniffe in Gr. Sürding 
Rr. Breslau, Altfchlefifche Blätter VI Fir. 4, 1931 ©. 50. 

+) &. Luftig, Der Siling. Altjchlef. Blätter Fir. 4, 1927. 


1932, 1V Sotbar $. 30g, Totenfurdht und Aberglaube bei den Germanen ufw. 187 





Gräberfeld darin beftand, daß die Leichen offenbar nicht „beftattet‘‘, fondern einfach 
ins Grab bineingeworfen worden waren. Dort lagen fie, die Unterfdentel dann, 
wenn die Brabgrube zu kurz ausgefchachtet worden war, nach oben geftredt, oder 
die Glieder feltfam verrentt, einfach fo liegen gelaffen, wie fie beim Hineinwerfen 
des Toten gerade fielen. Diefe Lage zeigte deutlich Grab 44 (Abb. 3), wo der linke 
Unterfchentel des auf dem Bauch Beftatteten in der rechten Kniekeble lag. Aber 





Abb. 3. Skelett in Rüdenlage. 





Abb. 2. Stelett in Seitenlage. 


nod etwas anderes Ungewöhnliches konnten wir bei diefem Grabe beobachten. 
Der Schädel war mit 3 Halswirbeln gegenüber der übrigen Wirbelfäule leicht 
verfegt und bing mit ibr nidt mebr zufammen. Daß das nicht, wie ich anfänglich 
annehmen wollte, auf fpätere Drudverlagerungen im Boden zurüudzufübhren war, 
darüber belebrten drei andere Graber, deren Stelette gleichfalls eine Schädel: 
abtrennung aufwiefen. ier aber lag diefer vom Rumpf getrennte Schädel nicht 
an der ibm zulommenden Stelle, fondern entweder in der Knickeble des feitlich 
auf dem Bauch liegenden Körpers oder zwifchen den Öberfchenkeln eines in ge 
ftredter Rüdenlage Beftatteten (Abb. 5). Ein Zweifel, daß der Kopf diefer Toten 
vor oder nach dem Ableben gewaltfam abgetrennt worden ift, Fann bei diefen Graz 
bern nicht befteben. Sur eine an der Leiche vorgenommene Abtrennung fpricht der 
13° 


188 Dolf und Raffe. 1932, IV 





Befund, den die Präparation eines anderen Schädels ergab. hier fanden fich die 
beiden erften Halswirbel (Atlas und Epiftropbeus) innerhalb der Schädelkapfel. 
Sie können dort binein nur durch das AHinterbauptsloch gelangt fein, das ein= 
geftoßen worden ift, fo, als bätte man den abgetrennten Schädel gleichfam wie auf 
eine Stange auf die Wirbelfäule geftedt. 

Die ande des auf dem Rüden liegenden Gelöpften waren unter dem Gefäß 
gekreuszt, und da auch die Süße fehräg übereinandergezogen, d. b. deutlich gefeffelt 
waren (Abb. 5), darf man von den Kyänden dasfelbe annehmen. Aber die Schädel: 
abtrennung ift nicht die größte Derunglimpfung, die wir an den bei Groß-Sürding 





Abb. 3. Skelett auf dem Baudhe liegend. 


beftatteten Leichen feftftellen konnten. So wies Grab 40 ein völliges Durchein: 
ander von Steletteilen auf. Kur die beiden Unterfchenkel lagen mit den Süßen in 
normaler, geftredter Lage. Zwifchen den Zeben fand fich eine Bronzefchnalle, die 
beweift, daß diefe, ebenfo wie in Grab 51, übereinandergezogenen Süße mit einem 
Riemen zufammengefchnürt gewefen find. Lin Teil eines ©berfchentellnochens 
lag in der Fläbe der Schulter, der Gaumenteil des Schädels lag obne Ralotte und 
Unterkiefer etwa in der Bedengegend. Es muß ausdrüdlich bemerkt werden, daß 
eine nachträgliche Störung des Grabes nicht in Srage fommt. Das Skelett lag 
in 1,10 m Tiefe, und die genau rechtedige Grabgrube (fie entbielt zablreiche 
Scherben) von 1,40 m : 0,80 m war völlig ungeftört und bob fich fcharf gegen 
den anftebenden gelben Sand ab. So kann man nur an eine abfichtliche Leichen: 
zerftüdelung denken. Und auch in diefem Salle fanden wir gleidfam die Beftati- 
gung für die Richtigkeit unferer Beobachtung bei Grab 45, wo das Rnochendurch- 
einander einer zerftüdelten Leiche in 0,70 m Ticfe lag. Leider waren aber bier die 
Einzelteile fo ftark zerfetzt, daß keine genauen Angaben über ibre Lage gemacht 
werden können. IJmmerbin fei als auffallend erwäbnt, daß Schädelteile in diefen 
Grab völlig feblten, wabrend fonft die Zähne am längften der Oerwitterung im 
Boden trogen. 

FTicht nur bei den ungewöbnlichen Beftattungen wurden fo auffallende Er: 
jbeinungen beobachtet. Selbft die in der gewöbnlichen ausgeftredten Rüdenlage 
eingeerdeten Toten wiefen 3. T. auf bemerkenswerte und ungewöbnliche Be: 
ftattungsbräuche bin. So fand fich auf dem Schädel eines mit dem Schwert be: 


—_e_———— — — — — — — un — — — — — — nn ee, 


1932, 1V otbar §. 50g, Totenfurdt und Aberglaube bei den Germanen ufw. 189 
EEE ni u Eu ru PE OS, eS Se! 





erdigten Kriegers ein gewaltiger Gefteinsblod von 65:50:40 cm, wäbrend 
zwifchen den Kiefern eines andern in geftredter Rüdenlage Rubenden, ein Tier: 
Enocben ftedte, der dem Toten tief in den Rachen geftoßen worden war. 

Der erfte Gedanke, der bei der Srage nach Urfache, Sinn und Bedeutung 
folden Brauchtums, äbnlich wie anfänglich mir, auch dem Lejer auftauchen wird, 
mag vielleicht auf die Annahme zielen, auf dem Groß-Sürdinger Gräberfeld 
feien Sreund und Seind, oder Herren und SHaven beerdigt worden. Im erfteren 
Sall mugte man an eine Schlacht denken, und daß mebrere der beftatteten Kampen 
an einer folchen teilgenommen baben, befagen deutliche, teilweife fcheinbar ver: 
beilte, alte Schädelverlegungen. Lin 
derartiger Rampf müßte wohl in der 
übe ftattgefunden baben und in 
feinem Gefolge müßte man die Ges 
fallenen des eigenen Volks gegebenen: 
falls zugleich mit den bingerichteten 
Gefangenen des Seindes beerdigt baz 
ben. Eine Seffelung, Tötung und 
jelbft Derftümmelung von kriege: 
gefangenen Sklaven würde ja durdy- 
aus nicht aus dem Rabmen der 
Eriegerifhben Gepflogenbeiten der 
beginnenden Völkerwanderungszeit 
fallen. Die Annabme eines mörderi: 
jchen Rampfes würde zugleich die 
Belegung einzelner Gräber mit zwei 
oder noch mebr Leichen erklären, wo: 
bingegen die große Anzahl von 
Srauengräbern keine Erklärung fände. 
Völlig unverftändlich aber würde 
unter diefer Annahme fein, daß die 
„in’s Grab Geworfenen“ in bunter 
Reibe zwifchen den ,,Beftatteten” 
liegen. Die Beftatteten wiefen ftets 
und ım allgemeinen auch beffere und 
zablreichere Beigaben auf, als die 
Dineingeworfenen oder Gekdpften, Abb. 4. 
bei denen fich 3. T. überhaupt nichts 
befand. Aber das ift keine Regel, denn in dem befchriebenen Grab 40, das 
eine Seffelung und Zerftüdelung des Toten bewies, fand fich beifpielsweife außer 
der jchönen Bronzefchnalle zwifchen den Zeben, eine eiferne Schnalle, eine große 
eiferne Sibel mit umgefchlagenem Suß, der Reft eines Kifenmeffers und mebrere, 
mit Stoffreften verbadene Kifenteile, die bewiefen, daß man die fterblichen Über: 
refte in Tücher eingebüllt, in die Grube verfenkte. Es find alfo auch die gut: 
ausgeftatteten Toten, wenn auch feltener, auf ungewöhnliche Weife bebandelt 
worden. 

£be wir uns nach einem andern Erklärungsverfuch umfeben, wollen wir 
einige wenige Beifpiele ähnlicher feltfamer Grabbrauche der vdlkerwanderungs- 
zeitlicden Germanen anfübren. Auf Einzelparallelen, deren mir aus dem Schrift: 
tum eine Reibe bekannt find, bier einzugeben, verbietet mir Raummangel. 





Doppelbeitattung. 


190 Volt und Rafie. 1932, IV 








Auf dem weftgotifchen Gräberfeld von Maroßzentanna in Siebenbürgen >) 
fommt neben der Beftattung in Rüdenlage auch die Bauchlage vor und Roväcs 
nennt eine Reibe von Gräbern, in denen, wie er fagt, fich eine „große Unordnung 
von Knochen“ fand, oder wo die Knochen „fchon geftört“ oder die Beftattung 
yentweibt war. Dabei darf man an natürliche Störungen kaum denken, liegen 
die betreffenden Gräber doch über 1,50 m oder fogar über 2 m tief. Aus Tbüs 
ringen nannte Schulz die Gräber von Fliemberg und Oldisleben®), wo die Bez 
ftatteten auf dem Bauche lagen. Weitere zablreiche Beifpiele bierfür nennt 
Wilke?). Die noch bemertenswerteren Derftümmelungen, Abfchlagen des Schäs 
dels und ähnliches wurde feftgeftellt auf dem völkerwanderungszeitlichen Gräber: 
feld von Rosdorf bei 
Gottingen’). Auch bei 
den oftpreußifcben Ge: 
pıden fcheinen äbnliche 
Bräuche bin und wieder 
geübt worden zu fein, 
wie aus den Sundberich- 
ten Bezzenbergers in der 
„Pruffie‘‘ zu entnebmen 
ift. Die ausgefprochene 
Hoderlage und die Be: 
dedung des Schädels mit 
großen Gefteinsblöden ift 
bei den Ylordgermanen 
des 4. Jabrbunderts be: 
legt und in Engelbardts 
Bericht?) ift befonders 
vielfagend ein feeländis 

Abb. 5. Skelett mit vom Rumpfe getrenntem Scyädel. ſches Grab, das nicht nur 

aͤußerſte Hockerlage zeigt, 

ſondern bei dem Schaͤdel und Beine außerdem noch mit je einem Geſteinsblock 
beſchwert waren. 

Aber es fehlt uns auch nicht an mittelalterlichen oder neuzeitlichen Ver— 
gleichen aus dem eigenen Volkstum und dieſen wollen wir uns nunmehr zuwen⸗ 
den 10). Chriſtian Gotthold Wiliſch berichtet in ſeiner Rirchenhiſtorie der Stadt 
Steyberg in Teil II S. 378: „Im Jahre 1552 hat in den Doͤrfern um Freyberg die 
Peſt graſſiert, ſonderlich ſtarb viel Volk zu Hermsdorf, Clauswitz und Dittersbach. 
Das Volk glaubte dabei, daß die toten Koͤrper in den Graͤbern anfingen zu eſſen 
und einer den anderen nachholete. Etliche, die auf den Graͤbern geſtanden, er—⸗ 


5) J. Rovacs, A marosszentannai né ppandorlaskori temetö. Dolgozatok 
III 1912. 

6) W. Schulz, Die Stelettgräber der fpätröm. Zeit in Mitteldeutfdland. Mannus- 
Bibl. Mr. 22, 1922 S. 102— 103. 

7) G. Wilke, Die Beftattung in Bauclage. Mannus 23, 1931 S. 202 ff. 

8) I. % Muller, Die Reibengraber 3u Rosdorf bei Göttingen. Hannover 1878. 

9) E. Engelbardt, Steletgrave paa Siaeland og i det dftlige Danmark. Arböger 
for nordist Dlökyndigbed og Miftorie 1877 S. 347. 

10) Herren Öbergeneralarzt Wilke bin ich für Literaturbinweife zu großem Dante 
verpflichtet. Da ich zwei der angeführten, jeltenen mittelalterlihen Werte trog langer Bes 
mübungen nicht in die Hand betommen konnte, muß ich teilweije wörtlid nach Wiltes Mit: 
teilung zitieren. 











— —— — — — 
= —— — — — — — — — ———— — 


1932, IV &otbar $. 30g, Totenfurdt und Aberglaube bei den Germanen ufw. 191 





zählten, daß fie gebdrt, wie die Toten unter der Erde fchmatten. Deswegen bat 
man den Derftorbenen die Köpfe mit einem GBrabfcheite abgeftoßen oder fie ganz 
verbrannt und dabei gemeint, fo das Unheil und Sterben abzuwenden.“ Und 
aus demfelben Jahre berichtet Larl Samuel Hoffmann in feiner biftorifchen Bes 
fbreibung von Ofdag Bd. I S. 182 von ganz Aähnlidyen Vorgängen. Der 
Leipziger Gelehrte Jobann Praetorius fchrieb 1662 in feiner „philosophia 
colus* S. 123: ,,Diefes ift bei vielen ratum fixumque, daß, wenn ein Rind 
3zweymal gewebnet werde, es bernadh im Grabe nicht faulen könne, fondern unvers 
weslich in der Erden etliche Jahre liege, fein vdlliges gute Geblite babe, und das 
nächfte von feinen Kleidern oder Sterbefittel verzebre; ja alfo die ganze Sreund- 
fhaft außs und abfterben made oder mortalitem inferire. "Es fep denn, daß 
folddem Sarcopbago der Hals mit Spaden oder Schauffel abgeftoßen werde.“ Um 
aud bier mit einem Beifpiel auf nordgermanifde Gebiete überzugreifen, nenne 
ich noch die für derartige volkstundliche Sragen außerordentlih auffdlugreiden 
Ausgrabungen, die auf einem, im beginnenden 16. Jabrbundert belegten chriftlichen 
Sriedbof bei Lund in Schweden durchgeführt wurden 1). Lieben Gräbern ges 
wdbnlid Derftorbener und Beerdigter wurden dort Maffengräber von Krieges 
Inecbten und Verbrechern feftgeftellt. Die letzteren waren offenbar entbauptet 
und die Schädel mit Kiägeln auf Pfäble gebeftet 12) und dann beigefegt worden. 
Suir unfere Sragen befonders wichtig ift eine Gruppe von fchädellofen Steletten, 
deren einem der Ropf zwifchen die Beine gelegt war. Hier wird man mit Sicher; 
beit auf Dampirs oder Mladszebrerglauben fchließen dürfen, wie er durch die obigen 
Angaben urkundlich belegt ift und dasfelbe gilt für zwei unmittelbar beieinander 
liegende Stelette, die, teilweife fhon abgefchachtet, 1925 von Dr. KR. Tadenberg 
in Broßs£abfe, Ar. Militfch, ausgegraben wurden und von denen das eine den 
Schädel zwifchen den Oberfdenteln liegen batte. 

Dod ift mit der Teuzeit diefe Totenfurdte und der auf fie gegründete Abers 
glaube keineswegs ausgeftorben. Was die Beftattung in Bauchlage betrifft, fo 
muß ich bier auf Wilke verweifen?). Brieflich teilte mir Herr Obergeneralarst 
Wille ferner mit, daß im Jahre 1750 der Leiche eines Sreiberrn v. Wollſchlaͤger 
auf Jacobsdorf in Weftpreugen wegen vermeintlidber DDiedergangerei der Kopf 
abgefdlagen wurde. Daß während der Choleraepidemien in den fechziger Jahren 
des vorigen Jahrhunderts aus Angft vor dem Maffenfterben, fur das man ja 
keine Erklaͤrung wußte, alle die alten Bräuche wieder auflebten, ift nicht vers 
wunderlich, daß man aber noch im Jabre 1873 (Mitteilung Wilke) in Oftpreugen 
einem verftorbenen Samilienvater nad ftattgefundenem Samilienrate den Kopf 
abfdlug, dirfte dod) ebenfo erftaunlich fein, wie die Tatfache, daß im Jabre 1913 
vor dem Amtsgericht Pugig ein gleicher Sall zur Verhandlung ftand. 

Die Sitte der Beftattung in Bauchlage und der Leichenverftümmelung 
berrfcht alfo, wie wir faben, von der germanifchen Odllerwanderungs3eit bis 
ins Mittelalter und bis auf unfere Cage. Aus der zwifchen der germanifchen und 
der Wiedereindeutjchungszeit Oftdeutjchlands liegenden flawifchen Periode kann 
man dabnlide Grabriten gelegentlid) nadweifen, und ebenfo ficer geben fie in 
Mitteleuropa auf die vorgermanifche Zeit zurüd. Wir baben es alfo bier mit cinem 
außerordentlich und erftaunlich tief im religiöfen Denken verwurzelten Glauben zu 
tun, den weder das Chriftentum, nod die neuzeitlide Juftiz völlig auszurotten 


11) .8.Sorffander, Utgräpningarna A domlapitelbufetse Tomt. Strifter utgiona 
av fdreningen det Gamla Lund. X, 1928. 
12) Vgl. M. Hellmid, Damppr oder Hingericdteter> Alefdlefien 3, 1931 S. 273 ff. 


192 Volt und Kaffe. 1932, IV 





vermodt bat. Wenn beifpielsweife noch beute in Schlefien bier und da der 
Blaube angetroffen wird, man müffe Mienfchen, die fich feruell vergangen bätten, 
bduclings in den Garg legen, weil fonft der Phallos durdy den Sargdedel ftoße, 
fo lebt in diefem Brauch gewiß altes Erinnern, wenn aud feine Begründung 
neuen Datums ift, weil die alte und urfprüngliche verboten und verloren wors 
den ift. 

Yun bat Beninger bei der Ausgrabung eines vdllermanderungsseitliden, 
langobardifcben Graberfeldes in Lliederöfterreich etwa zu gleicher Zeit binfichtlich 
der Beftattungsbraude adbnlide Beobachtungen gemacht, wie wir in Grogs 
Sürding. Wor allem wurde aud die fo harakteriftifche Lage des Kopfes zwifchen 
den Beinen feftgeftellt 13). In einem bemerkenswerten Auffagy verfucdht der um 
die Erforfhung der Germanenfrage in Ofterreich verdiente Wiener Sorfder, der 
eine Reibe von Parallelen fowobhl aus der germanifchen Ddllerwandcrungsseit, 
wie aus früheren vorgefchichtlichen Perioden beranziebt, mit großer Vorſicht zu 
einer Deutung zu gelangen. Beninger konnte bei den LleusRuppersdorfern Gräs 
bern aus dem 6. Jabrbundert eine Totenlade aus Holz nachweifen, auf der die 
zerftudelten Derftorbenen lagen und ftellt fich nun vor, daß die Leiche sunddft 
zwei Monate ausgeftellt war, und daß dann, nachdem fie im völligen Zuftand des 
Derfaulens war, rituelle Zerftüdelungen vorgenommen worden wären. Wie 
Beninger fagt, ift es nody außerordentlich fdwierig, aus den vielfeitigen und 
verfchiedenen, abwechslungsreichen Gebrdauchen der frubgefdidtlicen Leichenzers 
ftüdelung gemeinfame Züge zu erfennen, wesbalb in dem erwähnten Auffag von 
einer Deutung finngebender Urfaden folder Beftattungsriten abgefeben wird. Ls 
wird gewif aud nicht notwendig fein, diefelben Gründe für die Behandlung der 
Leichen auf dem einen, Srtlih und zeitlich von einem andern nicht unbedeutend 
entfernten Bräberfeld anzunehmen. Dennodbh möchten wir Beninger auch darin 
zuftimmen, daß mindeftens die gefamten völkerwanderungszeitlihen Germanen 
nach allgemein gültigen und grundlegenden Regeln gehandelt haben, wenn fie 
ihre Toten verftümmelten oder gar zerftüdelten. 

£s muß ausdrüdlich betont werden, daß an der Tatfache der Leichenverftüm: 
melung als folder nicht mehr gezweifelt werden kann. Durdy Argumente, wie fie 
mir gegenüber gelegentlich geäußert wurden, folches Brauchtum wäre germanifcher 
Anfhauung völlig fremd, find eindeutige Beobadhtungen nicht aus der Welt zu 
fhaffen. Wenn früber gelegentlid gemacdte Beobadhtungen nicht beachtet oder 
als Verlagerungen und nachträgliche Derwühlungen gedeutet wurden, fo erfcheint 
die Meinung eines fo gewiffenbaften Ausgräbers wie Bezzenberger von Wichtige 
keit, der aus Maffengrabern des 4.—5. Jahrhunderts, deren Steletten wefentliche 
Rörperteile feblten, auf ,,irgendeine Rataftropbe {clog 4). Wir wurden uns 
legten Endes felbft vor der Annabme Beningers nicht fträuben, die Langobarden 
batten itbre balbverweften Leichen zerlegt, wenn uns nicht gerade gegen diefe 
widerwärtige Annahme die von Beninger felbft angeführte Beobachtung zu 
fprechen fchien, daß „fi die Perlen des SHalsfhmuds in ungeftörter Lagerung 
befanden, auch wenn der Kopf abgetrennt war, und daß der Gurtel mit mebreren 
Gebangen fid nicht verfchob, auch wenn die Süße ausgelöft waren“. Daß das 
bei einer balbverfaulten und dann noch zerftüdelten Leiche möglich wäre, vermag 
ich mir nicht vorzuftellen, und ich fomme desbalb zu dem Schluß, daß die ver: 


13) £&. Beninger, Die feichenzerftüdelung als vors und frübgefchichtliche Beftat: 
tungsfitte. Antbropos XXVI. 1931 3. 769 ff. 
14) A. Bezzenberger, Sundberidte. Pruffia 21. 1896— 13900 S. 144. 





1932, IV fotbar §. 30g, Totenfurdht und Aberglaube bei den Germanen ufw. 193 


ftorbenen Germanen fofort nad dem erfolgten Tode, wabrfcheinlich bei der Brab- 
legung, verftummelt worden find, denn eine zweite Beerdigung nach einer denls 
baren, nach der erften erfolgten Wiederausfcharrung kommt weder nach Bes 
ningers, nod) nad) meinen eigenen Beobachtungen in Stage. Wenn Beninger 
etwa meint, eine faubere Trennung der Gliedmaffen ware erft möglich gewefen, 
naddem Musleln und Bander im Zuftand des Derfaulens waren, fo möchte ich 
glauben, daß von befonders Beübten eine Zerftüdelung der Gliedmagen aud an 
dem nod frifden Toten hätte vorgenommen werden können. Ich vermag mir das 
jedenfalls viel eher vorzuftellen, als die balbfaulen Leichen, bei denen felbft nach 
den Manipulationen Shmud und Gebange fic nicht verfchoben haben follen. 
Serner meine ich, daß uns ein Bräberfeld wie Broß-Sürding, wo wir von der 
Beftattung in Bauchlage über die Seffelung und Verftümmelung bis zur Leichen 
zerftüdelung fo zu fagen alle Übergänge beobachten konnten, wichtige Singer 
zeige auch für die Erklärung eines anderen GBräberfeldes, wo etwa nur die eine 
oder andere der ungewöhnlichen Leichenbebandlungen feftgeftellt werden konnte, 
gibt. Schließlich fcheint es mir, wenn es auch über den Wert etbnologifcher Der: 
gleiche nur ein Urteil gibt, dennoch, fofern dies möglich ift, wichtiger, voltstund- 
lide Vergleiche aus unferem eigenen Aulturkreis zwede Erklärung uns beute un: 
verftändlicher Bräuche ses vorgefdidtliden Germanentums beranzuzieben. 


Somit tomme ich nad den zahlreichen urkundlich belegten Vergleichen bin 
und wieder geübter mittelalterlicdher Beftattungsfitten zu dem mir zwingend er: 
fcheinenden Schluffe, daß die grundlegende Urfache, von der wir fprachen, auch bei 
den Germanen die Totenfurcdht war. Sur das Grdberfeld von Broß-Sürding im 
befonderen ftelle ih mir vor, daß, nachdem möglicher Weife im Gefolge eines 
Rampfes eine anftedende Krankheit aufgetreten war, die Toten zunddft in der 
üblichen Weife in forgfältig und tief ausgefchachteten Gräbern in geftredter 
Rüdenlage beigefetzt wurden. Das Sterben machte bald die Belegung einzelner 
Gräber mit mehreren Toten notwendig und vorfichtshalber wandte man jegt auch 
bin und wieder die Bauchlage oder andere Bräuche, wie das Bededen des Kopfes 
mit Gefteinsblöden an, um fid) vor der Ylachgängerei verdädhtiger Toter zu 
fhugen. Sclieglidh dürfte das Sterben fo arg geworden fein, daß man die 
Toten in eilig und viel zu Burz ausgefchachtete, wenig tiefe Brabgruben, möglichft 
mit dem Beficht nach unten, einfach bineinwarf. Das wäre eine ebenfoldhe völter: 
wenderungszeitliche Parallele zu mittelalterliden Peftzeit:Sitten, wie das Ab⸗ 
ftoßen der Köpfe. In der noch weitergebenderen Zerftüdelung aber wird man am 
beften eine Steigerung diefes letzteren Brauche feben, und in Groß-Sürding wäre 
es denkbar, daß der Tote, nachdem er ins Grab gelegt oder geworfen worden war, 
einfach mit einem Grabinftrument zerhadt worden ift. 


194 Dolt und Kaffe. 1932, IV 








Die Beburtenkraft im volkspolitifchen Aampfe. 


Don Gtto Scelling, Flordenbam. 


I)" franzöfifchen Ranadier haben fid in den legten 200 Jahren von einigen 
zebntaufend Siedlern auf beute nabezu 3 Millionen vermehrt, was etwa 
eine Derbundertfachung bedeutet. Das europäifche Stanzofentum, vor 200 Jabren 
unter allen Völkern Europas zahlenmäßig an erfter Stelle ftebend, ift beute auf 
die fünfte Stelle nach Italien berabgefunten. Biefe beiden Tatfachen geben eine 
praltifche Dorftellung davon, wie in verhältnismäßig kurzer Zeit urfprünglich 
Beine Volksfplitter durd großen Rinderreihtum — bei den Stanzofen Ranadas 
gebörten 10 Rinder zur Sitte — einen großen Umfang annebmen und urfprünglich 
große Völker durch geburtenträftigere Bleinere auf die Dauer verdrängt werden. 


Solche Erfcheinungen find aud gar nicht verwunderlich, wenn man fich 
einmal Beifpiele von Menfdengruppen mit verfcdiedenem Rinderreichtum durchs 
rechnet, wie es $. Lenz (Menfchlidye Erblichkeitslebre und Raffenbygiene Bd. 2, 
1931, S. 8) getan bat: Gruppe A babe 3 Rinder pro Ebe und außerdem 3 Ges 
{dblechterfolgen in 100 Jabren, Gruppe B 4 Rinder und 4 Gefchlechterfolgen aufs 

zuweifen!). Das Zablenverbältnis verfchiebt fih dann folgendermaßen: 


Gruppe A Gruppe B 
ned 0 Jabren 50% 50% 
» 100 4, 17,500 82,500 
„ 200 ” 0,9 %o 99,8 %0 


Sicderlid wären Flordamerita, Auftralien und andere überfeeifche Gebiete 
nicht für das Germanentum gewonnen worden, wenn die germanifchen Völker 
nur die Geburtentraft des heutigen Srankreidy befeffen batten. Don böberem Ges 
fichtspuntt gefeben erweift fic die Geburtentraft als ein politifcher Saktor allers 
erften Ranges. 


Das natuirlide Dadhstum eines Volkes ergibt fidh betanntlid aus dem Ges 
burtenüberfchuß (Beburtenziffer abzuglid Sterbeziffer). Man berechnet meift den 
jährlichen Gcburtenüberfchuß, der auf das Taufend der Bevdllerung entfällt. Wie 
ift heute das Wachstum der Völker, und wer find die Sieger im gegenwärtigen 
®eburtentampfe ? 

Soweit diefe Derbältniffe der Statiftit zugänglich find, haben den ftärkiten 
Beburtenüberfchuß einige mittclameritanifche Staaten (Roftarita 24,2 und Quas 
temala 23,9), ferner Chile, Sormofa (Japan) und Paläftina. Unter den euros 
päifchen Staaten weift Rußland die höchfte Zahl auf, nämlich 21,9. Ze folgen 
Griechenland (16,2 i. J. 1926), Bulgarien (15,6), Polen (15,3), Rumänien (15,3), 
Portugal (12,5), FTiederlande (12,1) — der legte Staat ragt auffallig aus der 
Bruppe germanifcher Klationen beraus —, und alsbald fchließen fih Spanien und 
Italien an. An den unterften Stellen fteben Deutfchland (8,4 i. J. 1929), Schweiz 
(4,7), Belgien (3,7), Großbritannien mit YTordirland (3,5), Schweden (2,9), Ofters 
reich (2,2), Srantreid) (— 0,3 1. 3. 1929) und €ftland (— 0,9) ”). 


1) Brößere Rinderzabl und fchnellere Generationsfolge fallen in der Regel zufammıen. 
2) Zahlen meift aus den Jabren 1928 oder 1929 nad der Aufftellung von A. Sifcer 
in der „Zeitfchrift für Beopolitit”, Sebruar 193). 





1932, IV_ Otto Scelling, Die Gebuctentrafe im voltspolitifden Rampfe. 195 


Fyieraus ift zu erfeben, daß im Vergleich zu Deutfchland die relative Ders 
mebrung Rußlands viermal, die Polens nabezu dreimal fo groß ift. Zufammens 
faffend läßt fich fagen, daß das Wachstum am intenfioften bei den Slawen und 
den Romanen Südeuropas ift und daß die Länder der germanifchen Gruppe und 
Srantreid) den europdifcben Gebuctentiefftand darftellen. 

Bemerlt fei nod die Tatfache, daß bis zur letzten Jahrhundertwende die gers 
manifchen Völker einen großen Rinderfegen batten und daß der germanifche Bes 
völkerungsanteil Europas im legten Jabrbundert trog der großen Auswanderer; 
ftröme, denen fowohl SlIawen als Romanen Beine ähnlichen an die Seite zu ftellen 
baben, nod um einige Prozente geftiegen war. 

Unterfudt man die Sruchtbarkeit des Deutfchen Reiches in den einzelnen Ges 
bieten, fo ergeben ficy bier zum Teile recht erbebliche Unterfchiede. Bringt man die 
Städte über 100. 000 Einwohner in Abrechnung, fo wird die höchfte ebeliche Sruchts 
barkeit (über 240 ebelid) Lebendgeborene auf 1000 verheiratete Srauen) — nad 
einer Aufftellung für die Jahre 1924—26 im Sonderheft 5 zu „Wirtfchaft und 
Statiftil‘ 1929 — von Reg. dez. Allenftein (Oftpreußen), Oberfchlefien, LTieder- 
bayern, Oberpfalz und Reg.:Bez. Trier erreicht. Über dem Reichsdurchſchnitt 
liegen vor allem Oftpreugen, Hinterpommern, Grenzmart, ©bers und Mittels 
feblefien, der weitaus größte Teil Suddeutfdlands, Weftfalen und einige weftlid 
liegende Teile vom Rheinland und von Hannover; Mitteldeutfchland und der 
größte Teil KFlorddeutfchlandse, vor allem Sreiftaat Gacdfen und die Provinz 
Brandenburg (ohne Großberlin) fteben an unterfter Stelle. 

Die 45 GroPftadte fur fich betrachtet weifen auch bemerkenswerte Unter; 
fhiede auf. In der Reihe der unfruchtbarften Städte folgen nach Berlin: München, 
Dresden, Leipzig, Srantfurt, Hamburg, Magdeburg, Hannover, Stuttgart, 
Plauen, FTürnberg; demgegenüber liegen einige Jnduftries und Bergarbeiterftädte 
des Weftens wie Samborn, Oberbaufen und Gelfentircden fogar uber dem Durchs 
fcdnitt des gefamten Reiches. 

Sufammenfaffend läßt fich über Deutfchland fagen, daß die verfchieden bobe 
Sruchtbarkeit der einzelnen Bebiete und Broßftädte auffällig ftar® durd die Vers 
teilung von Stadt und Land, die fozialen Schichten und — febre beachtlid — durch 
die konfeffionellen Derbältniffe bedingt ift. 

Das Gebiet des heutigen Deutfchäfterreiche befindet fich in einer noch 
ungünftigeren Lage ale das Reich, vor allem erklärlicherweife durch die Millionens 
ftadt Wien, deren Bevdllerung (1,8 Mill.) uber cin Viertel derjenigen der Republik 
ausmacht. Wien (1926: 12,2 Beburten pro 1000) fommt an Unfruchtbarkeit von 
den Gropftädten der Welt direlt hinter Berlin (1933: Wien 17,6 und Berlin 19,6). 
An der Spite der fruchtbaren Landesteile Ofterreiche ftebt Aärnten mit einer Ziffer 
von 29,89 (1922/24). Bemerkenswert hod ift die Beburtenzabl im Burgenlande, 
die zum felben Zeitpuntt 32,29 betrug. 

Der Geburtentampf in den deutfchen Grenzländern ift natürlich nur ein Auss 
fcbnitt aus dem gefamtdcutfchen Kampf, denn ob der deutfche Voltsboden gebalten 
wird, ift vor allem von dem Keen des deutfchen Volkstörpers abhängig. Solange 
Grogftädte wie Berlin, eine Stadt, die bekanntlich von allen Großftädten der Welt 
die niedrigfte Beburtenziffer (9,9 i. J. 1927) befigt, groBe Menfadenmaffen aus 
dern deutfchen Dften auffaugen, wird eine Gebuctentraft in den Grenggebieten für 
den Geenztampf mie voll zur Auswirkung kommen. 

Eine bevölkerungepolitifhe Gefabe beftebt nicht im Weften, aber um fo 
mebr im Often und Sudoften. 


196 Volt und Kaffe. 1932, IV 





Die Gebuctentraft des Deutfchtums außerbalb der Reihsgrenzen ijt fehr ver: 
fchieden. 

Bei den Deutfchen der Tihehoflowakei (3'/, Mill., !/, der Gefames 
bevdllerung) find durchfchnittlich etwa die gleichen Verbältniffe wie im Reich. 
Wenn auch bier die Beburtenziffer aufs Banze gefeben niedrig ift, fo bat doch das 
tfchechifche Staatsvolt in dem Hauptlande Böhmen kein Übergewicht (Geburten: 
überfhuß auf 1000 Einwohner 1925 bei den Deutfchen 6,28, den Tichechen 6,64). 
Die Deutfchen in Mähren haben mit 5,17 die nicdrigfte Ziffer von allen Sudeten= 
deutfchen, während die Tichechen bier ziemlich überlegen find (10,49). Im Gefamt: 
ftaatsverband fteben die Glowalen mit 16,17 an der Spige, wenn man von der 
febr geringen polnifden Minderbeit abfiebt. Sur die Deutfcen der Ticdhecdhoflowakei 
ift der große Rinderreichtum des Böhmerwaldgebietes widtig, aud) die Meinen 
deutfchen Gruppen in der Slowalei und im Bezirk Rarpatbenslitraine haben einen 
überrafchend hoben GBeburtenüberfchuß. 

Die GBeburtenlage des Deutfchtums in Polen ift äußerft bedentlid. Die 
Zahl der Deutfchen, die in größerer Dichte in Öberfchlefien, Pofen und Pommer: 
ellen und verftreut auch im ganzen übrigen polnifchen Staatsgebiet fiedeln, beträgt 
heute nach deutfcher Berechnung etwa ı,2 Millionen. Über eine Million Deutfche 
find feit 1919 vertrieben worden. Mit der Zwangsauswanderung gebt eine ganz 
geringe Geburtentraft einber. In Pofen und Pommerellen entfielen 1924 auf 
1000 Evangelifche (vorwiegend Deutfche) 16,8 Geburten (Beburtenüberfhuß 2,5), 
auf 1000 Ratboliten (überwiegend Polen) 36,0 (Beburtenüberfchuß 19,3). (Lach 
der Dollszcblung von 1923 waren 85,5% aller Evangelifchen deutfchiprachig 
und 89,200 aller RömifchsRatholifchen polnifch.) 

Das Deutfchtum im Südoften (Ungarn, Rumänien, Jugoflawien) ift in den 
meiften Sällen den betreffenden Staatsvältern an Sruchtbarkeit erheblich unters 
legen. Im Bezirt Siebenbürgen des alten Ungarn (1925: 235 000 Deutfcbe) 
waren 1909/11 folgende Geburtenzablen (auf das Taufend der Bevölkerung bes 
zogen): Deutfche 28,8, Magyaren 38,0, Rumänen 37,5. Clad dem Kriege i. J. 1925 
lauteten die Zablen für die Deutfchen 25,2, für die Rumänen 34,2. 

Im ungarifchen Staatsgebiet haben die Ungarn felbft in der Llachlriegss 
zeit Beinen erheblichen Geburtenrudgang erfahren, während bei den Deutfchen 
(800—600 000 Mienfchen) nad einer außergewöhnlich ftarten Sruchtbarteit uns 
mittelbar nach dem Kriege ein Abfall deutlich in Erfcheinung getreten ift. Die 
Beburtenziffer bzw. der Beburtenüberfhuß (in Rlammern) betrug: 


1920 1923 1925 
bei den Deutfchen: 39,2 24,4 (6,7) 23,4 
» „» Ungarn: 30,1 (6,4) 29,4 (8,9) 29,0 


Don den deutfchen Teilen find befonders die Siedlungen nördlich des Plattens 
fees durch bobe Sruchtbarkeit ausgezeichnet. 

Deutfh=: Südtirol (200— 250 000 Deutfche) bat fich auffälligerweife feit 
1879/81 auf ziemlich gleicher Geburtenbdbe (etwa 26—28 Geb. pro 3000 Einw.) 
gebalten. Im Jabre 1924 batten die drei deutfchfprachigen Bezirke Bozen, Briren 
und Meran eine Ziffer von 27,7 und einen GBeburtenüberfhuß von 10,8, womit 
fie dem italienifchen Staatsdurchfchnitt ziemlich gleichlommen. 

Die Deutfchen in Sowjet: Rußland haben fid eine febr erfreulich bobe 
Geburtentraft bewabrt. Yon den Wolgadeutfchen (1920: 442000) waren aus 


1932, IV Otto Schelling, Die Geburtentraft im voltepolitifhen Rampfe. 197 





der Dorkriegszeit Jablen in Höhe 72 (jäbrl. Geburten auf 1000 Bewobhner) bes 
fannt. Allerdings ift auch die Sterblichkeit diefer Gebiete febr hod, wie aus den 
Vortriegsftatiftilen der Gouvernements Gamara und Saratow hervorgeht (35,5 
und 31,7 Sterbefälle auf 1000 Bew.). Die heutige Geburtenzabl der Deutfchen 
an der Wolga dürfte mindeftens in der Höhe des ruffifchen Staatsdurchfchnittes 
liegen, diefer betrug 3927 42,4 (Geburtenzabl) bzw. 21,9 (Beburtenüberfchuß). 

Ganz im Gegenfat bierzu bietet das baltifehe Deutfhtum das ver- 
nichtendfte Bild. Die dortigen Deutfchen (Lettland 70 000, Eftland 18.000) wohnen 
überwiegend in Städten und leiden an Überalterung. In Zufammenbang damit 
find die Deutfchen in Riga, die den weitaus größten Teil des lettifchen Deutfchs 
tums ausmachen, 193) bei einem Geburtenunterfdug von rund 5 je Taufend, 
die Deutfchen in Eftland 1929 bereits bei einem folchen von 10,8 je Taufend ans 
gelangt. Lediglich die litauifchen Deutfchen (29 000 i. J. 1920) befigen nod einen 
Geburtenüberfchuß. 

Die Lage des deutfchen Volkes ift in Wirklichkeit noch viel ungünftiger, als 
fie in den meiften Statiftiten zum Ausdrud kommt. Man muß wiffen, daß 
Deutfchland einen unnormalen Altersaufbau mit einer übermäßig ftarten Be: 
fezung der mittleren, lebensträftigen, zeugungsfäbigen Altersllaffen, insbefondere 
der Jahrgänge 1870— 1890 bat. 

Bei der heutigen durchfchnittlichen Lebensdauer von 57,4 Jahren würde die 
Sterblichleitsziffer bei normalem Altersaufbau nicht 12,0, wie heute die Statiftil 
angibt, fondern 17,4 betragen, wie Sriedrih Burgddrfer?) nachgewiejen bat 
(= „bereinigte Sterbeziffer“); d. b. die jegige niedrige Sterblichkeit ift nur cine 
vorübergehende Erfcheinung. Flach zwei bis drei Jahrzehnten werden die bdberen 
Altersftufen verhältnismäßig am ftärkften fein und eine außerordentlich bobe 
Sterblichkeit wird darauf folgen. 

Das getreuefte Bild von der Sructbarkeit eines Volkes erhält man, wenn 
die Geburtenzahl nicht auf die Befamtbeit, einfchließlich der Greife und Rinder, 
fondern nur auf die zeugungsfäbige Schicht bezogen wird. Berechnet man in 
diefem Sinne die Zahl der einjährigen Rinder, die auf 1000 Srauen im Alter von 
15—45 abren entfallen, fo ftand fchon 1927/28 Deutfdland mit GÖfterreich in 
ganz Europa an niedrigfter Stelle, fogar erheblich hinter Srantreich. Burgdörfer 
tommt zu dem Ergebniffe: „Selbft wenn es gelingen würde, die Geburtenziffer 
auf ihrem beutigen Fiveau zu ftabilifieren, würde unfer Dolf — nad vorüber: 
gebendem Anftieg der Volktszabl um nody etwa 3 Millionen — etwa von 1955 ab 
von Jahr zu Jahr zufammenfchrumpfen.“ 

Der Geburtenrüdgang, der 3. B. in Schweden und in der Schweiz beinabe 
fo vernichtend wie in Deutfchland ift, ftellt eine internationale Erfcheinung dar 
und ift bei faft allen modernen Rulturvöltern zu beobachten. Öffenbar liegen feine 
Urfadhen in den fozialen, wirtfcdbaftliden und geiftigen Wandlungen der zivilis 
fierten Völker. 

Schon der verfchiedene Rinderreihtum innerbalb der oftdeutfchen Volles 
gruppen ließ erkennen, daß Verftädterung und foziale Höberftellung mit Geburten: 
rudgang einbergeben. Der foziale Aufftieg als moderne Erfcheinung ift nur mög: 
lih durch Kinderarmut der oberen Schichten. Solange der nötige Fachwuchs für 
die unteren Voltsfchichten aufgebracht wird, beftebt keine direkte Gefahr für den 


3) „Der Geburtenrüdgang und feine Bekämpfung.“ VWerdffentl. aus d. Gebiete 2. 
Medizinalverwalt. 28. Bd. 2. %. Berlin 1929; vgl. aud) „Volk u. Raffe” 1929, 9. 2, 3.80. 


198 Volt und Kaffe. 1932, IV 








deutfchen Dollsboden. Aber gerade bier fehlt es. Das Beifpiel Siebenbürgens 
zeigt, wie ebemals gefdloffene Dollstdrper den Weg zur fozialen Oberfdicht 
geben. Derfchwindet der deutfche Landarbeiter, entftebt automatifch eine fremds 
völkifche Unterwanderung. Begünftigt wird diefe Entwidlung durd die Ab⸗ 
wanderung vorwiegend der einfachen Bevölkerung in die Broßftädte. Wie uns 
die „Agrarreformen“ der neuen Sftlihen Randftasten beweifen, „fällt der Boden 
— die Grundlage des Lebensraumes eines jeden Volles — auf die Dauer jenem 
zu, der ihn mit der Hände Arbeit bebaut“ (SHarmfen). Die einzige Sicherheit, den 
deutfcden Dollsboden im Often zu halten, ift eine geburtenträftige Bauernbevöls 
ferung und vor allem die Wiederberftellung und Erhaltung eines deutjchen Lands 
arbeiterftandes. 

Schhwerlid wird jedoch eine Gefundung in den grenzs und auslandsdeutfchen 
Bebieten eintreten, wenn nicht eine allgemeine, die das deutfche Doltstum als Ges 
famtbeit umfaßt, erfolgt. 

Es ift wahr, daß wirtfchaftlide Schwierigkeiten befonders beute erbeblidy 
zur Beburtenbefchräntung beitragen. Wenn man jedoch die Tatfacdhe bedentt, daß 
der Beburtenrüdgang zuerft nicht bei den einfachen Schichten, fondern gerade bei 
den Woblbabenden einfetzte, wird man erkennen, daß das wichtigfte in diefer Srage 
der wirtfchaftliche Lebensftandard ift, d. b. das, was der einzelne für fich und feine 
Rinder als notwendig anfiebt. Der Ehrgeiz weiter Rreife, möglichft reich und 
vornebm aufzutreten, bat, wie befonders Rugleb bervorbebt, fehr verbeerend ges 
wirkt. Der Mut zur Einfachheit wird die Beburtenlage vor allem der oberen und 
mittleren Stände ganz wefentlidy beffern, befonders dann, wenn die bekannten 
Lenzſchen Vorfchläge zur ftärkeren Befteuerung der Ledigen und der kinderlofen 
und Binderarmen Ehepaare bzw. Steuernachlaß für Rinderreidhe zur Geltung 
tommen und den tonangebenden Lurus Einzelner eindämmen. 


Der Geburtenrüdgeng bat vor allem eine feelifche Wurzel: heute, wo die 
Technit dem Menfden eine weitgebende GBeburtenregelung ermöglicht, wird fo: 
lange keine Umwandlung kommen, wie Rinderreichtum als Opfer oder Laft emp» 
funden wird. Daran werden auch ftaatliche Maßnahmen nichts ändern können. 
Die Rinderarmut ift wefentlich die Solge einer die Maffen beberrfcyenden Ges 
danktenrichtung, die der Täufchung des Materialismus bingegeben ift und die 
fdrantenlofen Jndividualismus ale 3um Kebensglud erforderlid) wabhnt. DOenn 
das Volk in feiner Wiebrheit zu der Überzeugung gelangt, daß aller materieller 
&urus, alle ftädtifchen Benuffe, alles Sichausleben dem Menfchen doch nicht das 
£ebensglüd bringen, fondern allein barmonifde Lebensgeftaltung, daß eine Samilie 
mit zahlreichen Rindern bei richtiger Einftellung tatfächlicy erheblidh zur Lebenss 
freude beiträgt, dann find die geiftigen Dorausfegungen für eine neue Wachstums» 
energie vorhanden, die in einer zielbewußten biologifcy beftimmten Staatss und 
Wirtſchaftsfuͤhrung eine Ergänzung zu finden haben. 





1932, IV &. Sandvoß, Einfluß der Raffe auf künftlerifche Auffaffung u. Geftaltung. 199 


Finfluf der Kaffe 
auf Eünftlerifhe Auffeffung und Beftaltung. 
Don Dr. %. Sandvof. 


p>‘ Maler unferer Feit feben ibre Aufgabe nicht in einer möglichft genauen, 
pbotograpbifchstreuen Wiedergabe der darzuftellenden Gegenftande, fondern 
vielmebr darin, das Wefentlice ihres Eindrudes mit großer Lebendigkeit zu ge- 





Abb. }. Prof. €. Banfe nad dem Gemalde von Srig Slebbe. 


ftalten. Ficht Wirklichkeit, fondern deren Wirkung auf den Zrlebnistreis des 
Künftlers wird gefebägt. Die Art der erlebnisbaften Verarbeitung des Geſehenen 
ift aber aufs engfte an blutliche und damit raffifche Deranlagung gebunden. Der 
Maler vervielfacht feinen Eindrud, und fo muß in zwingender FTotwendigleit bei 
ftark verjchieden blutlicher Herkunft auch jeder ein vollig anderes Bild entfteben 


200 Volt und Kaffe. 1932, IV 
a u nr, 





laſſen. Vorausſetzung iſt jedoch, daß der Ruͤnſtler frei vom Banne ſeiner Schule 
und auftragsmaͤßiger Gebundenheit ſchaffen kann, „wie es ihm ums Herz iſt“. 

Dieſe Bedingungen ſind in den beiden Bildniſſen erfüllt, die den bekannten 
Schriftfteller und Geograpben Prof. Ewald Banfe darftellen. Dort gebt der Unter: 
jchied, in der Art zu feben, denn auch fo weit, daß man kaum glauben kann, es 





Abb. 2. 


bandle fich bei beiden Bildern um denfelben Menfchen. Fundchft deren Schöpfer: 
Der Maler des Ganzbildniffes !) ift Srig Slebbe, der in Harburg geboren wurde und 
bei Artur Jllies feine Ausbildung erbielt. Sein gefamtes Schaffen verrät meinem 
Empfinden nach den Flordifchen Menfchen. Der noch jugendliche Kunftler wurde 
ein fpätes Opfer des Krieges. — Der Maler des anderen Bildes ?) ift allemannifcher 
yerkunft, jedoch wohl, wie ich glaube, mit ftart Weftifchem Einſchlag. Es iſt 
der Rarlsruber Auguft Rumm, ein Schüler Trübneres. 

Bei Beiden übereinftimmend ging die Deranlaffung zu den Bildern von den 
Rünftlern felbft aus. Angeregt durch die auf fie außerordentlich anziebend wirkende 
Perfönlichkeit Prof. Banfes baten fie, ibn malen zu dürfen. Es bandelt fich alfo ın 
beiden Bildern nicht um beftellte Arbeiten, fondern um freies Bünftlerifches Wollen. 

Slebbe Fommt nur zögernd und nach jabrelanger Sreundfchaft zu diefem Bild: 
nis, an dem er febr arbeiten muß, viel länger als es Ort und Beleuchtung im 
Walde erlauben. Er malt innerlich gebemmt, und dennoch mit dem Aufwand 
aller feiner Kräfte. Rumm lernt, ganz im Gegenfag dazu, Prof. Banfe, als 
er fich zu einem Vortrag in Rarlsrube aufbielt, an einem Mittag kennen; und 
fcbon am nächften Morgen war eine zweiftündige Sigung ausreichend, das Bild: 
nis foweit zu fördern, daß es obne die Gegenwart des Darzuftellenden beendet 
werden konnte. hierin zeigt fich deutlich der Unterfchied in der Schöpfungsweife 
des vorwiegend Weftifcben gegenüber YTordifhbem Kunftlertum, das folche 
reibungslofe Glätte und Schnelligkeit nicht Eennt. 


1) Im Befig von Heren Ewald Banje. 
2) Erfcbienen in der Bildnismappe „Geficht der Zeit“ im Rairos-Verlag, Rarlsrube 
i, Baden. 








1932, IV %. Gandvof, Einfluß der Raffe auf künftlerifhe Auffaffung u. Geftaltung. 201 


Ganz eindeutig wird der KRaffenunterfchied beider Maler jedoch erft in der 
Art des Seelifchen, das fie an ein und demmfelben Hlenfchen fo verfchieden feben. 
Slebbe malt ibn als den barten, unbeugfamen, wobl aud von Leid gefurchten 
Mann, der Flug und trogig feinen Weg gebt. Die Rundung der Wangen, die 
milde und Gemüt ihres Trägers bezeugt, ift zwar gemalt, aber man wberfiebt 





Abb. 3. Prof. €. Banfe nab dem Gemälde von Auguft Rumm. 


fie völlig vor der Härte der Schatten, die über diefem Geficht liegen. Sür jebr 
geiprächig und allzu liebenswürdig Fann man Ewald Banfe danach nicht balten, 
wobl aber für einen tapferen Rämpfer, der, angegriffen, fic) aufs dugerfte webren 
würde. Die ganze Stellung des Menfchen ift ausrubend, um Kraft zu fammeln 
für fommendes Scidjal. Wer Ewald Banfe kennt, glaubt ibm auch in diefem 
Bilde anzufeben, daß feine Beine einen großen Teil der Wüfte durchquert baben, 
daß fie einen unabbängigen Mlenfchen tragen, deffen Wille und Weg durch ibn 
felbft beftimmt wird abfeits von jedem Anpaffen und fehwächlichen Ausweichen. 
So findet man auch deutlich wieder, daß der Dargeftellte ficb auf fein gefichertes 
Dafein ftügt, fondern vielmehr einer Jdee lebt, die feinem Leben Unabhängigkeit, 
Dolf und Kaffe. 1932. Oftober. 14 


202 Volk und Raffe. 1932. IV 
EZ En ur DET EEE EEE EEE nun EEE EEE nn, 


Inbalt und Schwungfraft gibt. Diefe Jdee ift — das fei ergänzend gefagt — 
die Dereinigung einer nur wifjenfchaftlich gerichteten Erdkunde mit Eünftlerifcbern 
Seben und Geftalten. 

Und nun der mebre im Sormfreis der weftifden Raffe fcaffende Rumm. Er 
fest Ewald Banfe vor einen weichgetönten intergrund und wäblt eine Be: 





Abb. 4. 


leuchtung, die. das berausbolt, was ibm wefentlich an diefem Menſchen ſcheint. 
Das tluge, harte Auge in Slebbes Darftellung wird geiftreich fentimental. Der 
unabbängige, trogigsfreie Menfch des Slebbefchen Bildes wandelt fic 3u einem 
liebenswürdigen, gut plaudernden herren, aufgebend in glattem, diplomatifch ge: 
{cbliffenem Gefprad. Die betonte Weichbeit aller Linien läßt Milde und welt: 
gewandte Anpaffungsfäbigkeit vermuten, ein ausgefprochenes Dermittlertum, dem 
Haͤrte und Schroffbeit zuwider find. Kein zäbes Seftbalten an einer einmal er: 
kannten dee ift in diefem Geficht. zu vermuten, das man wobl einem Rommerzien: 
rat oder einem Repräfentationsbeamten zurechnen möchte. 

Der Dargeftellte felbft war von dem Bilde überrafcht, und doc: der Schöpfer 
ift feft davon überzeugt, in feiner Darftellung wäre der ganze Menfd Ewald 
Banfe enthalten. Er bat von feinem Standpuntte aus recht, ibm ift das durchaus 
der Dargeftellte, allerdings mit den Augen der weftifchen Raffe gefeben, liebens: 
würdig, gefellig, temperamentvoll. 

Der betannte Raffenforfcber £. $. Clauß zeigt uns in der Photographie (Ubb 4), 
wie Ewald Banfe wirklich ausfiebt. En Aufnabme ift von auRerordentlicher Lebens: 
treue. Der feelifche Ausdrud liegt bier zwifchen denen der beiden Bildniffe, ift 
allerdings dem Slebbefchen Gemälde bei weitem verwandter als dem von Auguft 
Rumm. 

Das kann nicht verwundern, denn Ewald Banfe ift in feiner feelifchen 
Haltung „LTordifcher‘‘ Menfch, und in Solge deffen wird ibm auch der Mlaler FTor: 


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1932, IV Tb. Hoffmann, Ucflawenbeimat und Altflawenwandecungen. 203 
rn EEE EEE ES a ae 





difcher Herkunft gerechter, indem er feine Eigenart gefteigerter wiedergibt. Um: 
gekehrt würde der gleiche Maler allerdings einem Menfchen Weftifcher Kaffe 
gegenüber im Klachteil fein. Zweifellos würde die größere Wirklichkeit im feelifchen 
Ausdrud des Dargeftellten in diefem Salle von einem Maler Weftifder Kaffe 
wirklicher und lebensnäber berausgebradt *). 


Urflawenheimat und Altflawenwanderungen. 
OD. 
Don Tb. Hoffmann, Linz a. d. Donau. 


ie noch ungellärte Altflawenfrage wird für uns Deutfche je weiter, defto 

brennender. Auf feiten fo vieler flawifder Gelebrter wird nadmlid) das Bes 
ftreben immer offenfichtlicher, diefes Sorfdbungsgebiet auf Roften des rein Wiffens 
fbaftliyen zu einem nadten Polititum zu macden. Erinnert fei bier nur an 
das Werk des Ruffen Jegorov „Die Rolonifation Medlenburgs im 13. Jabrs 
bundert“ (Priebatfhe Buchhandlung, Breslau), das in einem Anbangbande (ebens 
da) von Witte fo trefflich zerpflüdt worden ift, an die Schrift des Tichechen 
Stedta „Don der Srübzeit bis zur Fleuzeit“ (Drag 1922/23), befonders aber an 
die verfchiedenen Bleineren Arbeiten der um die Pofener Univerfität gefcharten 
polnifden Wiffenfdaftler. Erklärlicher Weife find befonders die legteren emfig be⸗ 
mübt, Europa jegt fehon darauf aufmerkfam zu machen, daß der gegenwärtige 
polnifche Staat feine „natürlichen“ Grenzen noch lange nicht erreicht babe: weite 
Gebiete Deutfchlands — bis tief nady hannover binein — feien „uraltes“ Siawen= 
gebiet, nicht nur allgemein ein foldyes, fondern im befonderen ein „polnifches“, 
weil feinerzeit ein „lechifch‘‘!) gewefenes. Man geht bier fo weit, diefe rein ger: 
manifchen und nur vorübergehend von eingewanderten Slawen befiedelten Lands 
fireden ale „urflawifch“ binzuftellen, fie ale die „Urbeimat der Slawen“ 
anzufprechen: deren gegenwärtige Bevölkerung feien deutfchiprechende Slawen, 
von den Deutfchen f. 3t. mit Gewalt germanifiert, foweit fie nicht reftlos auss 
gerotter werden konnten. 

Es fei bier bervorgeboben, daß die ernften flawifden Gelebrten, wie 3. B. 
der Ruffe Miljulov), die Polen Brudner?) und Cselanowfli, fowie die 

*) Wir verweifen unfere Lefer auf das in J. §. Lehbmanns Werlag, Munden ers 
fhienene Werk von Sculgesflaumburg, Runft und Raffe. (Preis geb. ME. 0.75, 
geb. ME. s.—.) 

1) Insbefondere ift es der Pole Rudnidi, der diefe Lechentbeorie vertritt. In feiner 
Arbeit „Drogi osadnictwa lechickiego w Lechji przybaltickiej (na Zoadru)“ Slav. 
Occ. III/IV. („Siedlungswege der Lehen im baltifchen Lecdhenland (Oder-interland)) “ 
nennt er die Slawen ab Pommern und nah Welten zu „Lechici prapomorscy“ 
(Urpomoranifdhe Lehen) und diejenigen, welde das Weidfelland in Befig genommen 
batten und fid) von da aus längs der Rüfte nad Weiten ausgedehnt bätten „Lechici 
prapolscy“ (Urpolnifde Lehen). Wie weit diefe auf Sand gegründete Ledhentbeorie 
einer Rritit ftand bält, zeigen die Ausführungen diefes Auffatee. 

2) Miljulov bemerkt in feiner Arbeit: „Razselenije slawjan* — „Zerftreuung 
der Slawen“, Moslau 3901, „Das Gefühl des Mationalftolzes bewog viele Gelehrte bis 
in die KTeuzeit hinein anzunehmen und zu beweifen, daß die Weltflawen immer oder wenig> 
ftens feit urdenllihen Zeiten die Wohnpläge innegebabt batten, auf denen fie zwifcben dem 
VI. und IX. Jabrb. belannt geworden find oder fogar über noch weitere Landitreden zers 
ftreut gewefen waren. Es fcheint fogar im Gegenteil viel wabrjcheinlicher, daß nirgends in 
Europa die Slawen Urfiedler gewefen waren, fie nicht einmal zu den alten Einwohnern ges 
rechnet werden können“... Und nah Witte: „Medlenburg in der flawifden Forſchung“ 


14” 


204 | Volt und Raffe. 1932, IV 





Tidechen Schranil, Simel und Cervinka diefem durdfichtigen Vorgeben 
ihrer Landsleute ablebnend gegenüberfteben und fi bemühen, auf ftreng wiffen: 
fhaftliher Grundlage Licht in das Dunkel zu bringen. 


Über die Urflawen und die eigentlichen Anfänge der Altflawen ift uns bes 
kanntlich nichts überliefert worden. Die einzige, offen zutage liegende Spur, die 
fie binterlaffen haben, finden wir gegenwärtig nur noch auf der geograpbhifchen 
Rarte, bauptfählich in deren charatteriftifhen Mebrzabl- Ortsnamen. Und 
da muß es eigentlich mertwürdig erfcheinen, daß noch keiner der flawifchen Sorfcher 
eben diefen Spuren nachgegangen ift; fie eröffnen nämlich weitere bedeutfame und 
tlarende Ausblide. Der Grund könnte darin liegen, daß da ftets von einer bereits 
vorgefaßten Weinung ausgegangen wird, um fie dann mit allerlei wiffenfchafts 
lichen Mitteln zu verfechten. So will 3. Bd. nah Stojanowfli („Die Herkunft 
der SlIawen“, „Sonne“, VI. 4. 1929) auh Ezefanowfki die „weftliche‘‘ Hers 
tunft der Slawen beweifen und ift darum, wenigftens zum Teil, ein Nachbeter 
des Tidhedhen Pit, nad weldem die Laufiger Rultur als die urflawifde 
anzufeben fei. Diefe Annahme vertritt übrigens, fo bartnädig, wie erbittert, auch 
der Pole Roftrzewfli. Er fiebt in ihr „aller Webhrfcheinlichleit nach den Ur: 
anfang des Sliawentums“. Andererfeits will er mit fchwerftem wiffenfcbaftlichern 
Rüftzeug den Beweis führen, „daß die erften Slawen dftlich vom Laufe des Bug, 
des Buchenfluffes, wohnten, der ungefähr die Mitte des SluGgebietes der Weichfel 
durchzieht‘. Aus botanifchen Derbältniffen folgert er fhlieglich, ,,daB das Slug: 
gebiet des Bug und der Weichfel die Urbeimat der Slawen“ fei. 

Die Bemühungen der flawifchen Sorfcher machen geradezu den Eindrud „des 
Sperumgebens um den beißen Brei“. Die Sprachwiffenfchaft fucht die Urfige der 
Slawen meift um den Obers und Mittellauf des Bnjepr, die Dorge(didts- 
forfhung, damit im ganzen übereinftimmend, „im Gebiet des Pripjet bis zum 
mittleren Dnjepr, im Raume Pinft: Rijew“; Witte?) verlegt fie ın das 
gleiche Gebiet; (Miljukov) nimmt dafür das rechte Weichfelufer und den Fiords 
abbang der Rarpatben an), während endlib Schwarz), der die tfchedhifchen 
und polnifchen Behauptungen über den flawifchen Charakter der Laufitger Kultur 
glatt ablehnt, fie ebenfalls am Pripjet und am Mittellauf des Onjepr fudt, wo 
fidh das dltefte Ortsnamengebict befindet. Aud Dasmer „Die Urs 
beimat der Slawen“ (in: Dolz, „Der oftdeutfche Dolktsboden“, Serd. Hirt:Derlag, 
Breslau 1926) weift auf die alten Flamen im Pripjets®ebiet und deren Wande- 
rung bin. 

Yon diefem Ortsnamengebiet ausgebend und auch auf weiterem Gegebenen 
fugend, foll bier nun der Derfuch eines Beweifes unternommen werden, daß erftens 


(Medl.sStrelig. Heimatblatter, V, 2/VI. 1929) betont in der ,Slavia occidentalis“ 
der Slawift Brüdner, daß .... „an der Bernfteinküfte der Oftfee niemals Slawen ges 
feffen bätten“, fchon weil „ihnen ein eigener LTame des Bernfteins feble“. Und weiter: „nies 
mand rottete die Slawen aus oder fiedelte fie aus oder verbot ihre Sprade” ... «8 
„bätten fhon 100 Jahre genügt, um das Ausfeben des Landes bezüglidh der Nationalität 
bis zur Untenntnis zu verändern“. 

3) Witte, „Urbeimat und Weftausbreitung der Slawen.“ („Volt und Kaffe“, 
III, ı. 1928.) 

4) Miljuton, „Razselenije slawjan“ — „Zerftreuung der Slawen.“ (Mostau 
1903.) 

5) Hab Witte: „Yleue Arbeiten zur Deutfchwerdung des Oftens.” („Bolt und 
Raffe“, V, A 1930.) — £. Shwarz, „Die Srage der — Landnahmezeit in Oſt⸗ 
germanien.“ Mitteilungen des oͤſterr. Inſt. f. Geſchichtsforſch. Bd. 43. 1929. 


1932, IV Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Aleflawenwanderungen. 205 
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die flawifde Urbeimat tatfadlid in diefem Gebiete und nur da gewefen fein 
konnte, und daß zweitens die Ferftreuung der Glawen nur von da aus erfolgt war. 

Das Pripjet-Gumpfgebiet, in feinem Rern als Rolitno: Sumpfe 
und aud) Dolegje bekannt, vom Pripjet mit feinen zahlreichen Mebenfluffen in 
einer Länge von 615 km durdhfloffen und etwa 8,7 Millionen Hektar umfaffend, 
zieht fich faft ununterbrochen im Weften über den Bug bis zum Wiepr und 
von da weiter nad Florden bis zum Liwez. Im Florden reicht es ungefähr bis 
zur £inie Bialyftol:Slonim-Mogilewam Dnjepr; nad Often zu uber 
den Dinjepr bis zu deffen Frebenflüffen Jput, Snow und Sfupot, fowie 
Desna und nad Süden bis zur Linie Rremene3:Tfcdhernobpl. Demnad 
find davon betroffen die alten Gouvernements: faft ganz Minft, fodann 
Grodno und Mogilew in ihrem Südteil, Wolbynien, fowie Rijew in 
deren Frordteil und fchließlih Tidhernigow in feinem an den Dnjepr ftoßenden 
Oftteil. 

Als erfte Srage erfcheint bier nun: Konnte überhaupt diefes Gebiet die Ent 
widlung zu einem Dolte ermöglicht haben? Bei allen bisherigen Auftlärungss 
beftrebungen wird nämlich überall eine Sauptbedingung überfeben: Raffen, 
b3w. Dölker mitarteigener Sprahelönnenim £aufeungebeurer 
Zeiträume nur in ftreng abgefdloffenen Bebieten entfteben. 
Alle Gegenden, die gegenwärtig ser Urflawenheimat wegen fonft abgefucht 
werden, entfpreden diefer Bedingung kaum; fie waren mehr oder weniger zus 
ganglid, >. b. nit nur Siedlungss, fondern aud Durdhzugsland und 
fonnten fdon darum nidt als das Urfprungsland eines ,,cigensartigen’ Dolles 
angefeben werden. Diefe wichtige Bedingung trifft nun auf die Rolitnos 
Süumpfe vollauf zu: es ift ein Gebiet, das ebenfo als „Seftung“, aber audy ale 
ein „Befängnis“* angefprocdhen werden kann. 

Der Pripjet entfpringt in der Llähe des Bug (bei Ljuboml, gegenüber 
Cholm in Polen), fteigt hierauf in feinem Laufe leicht nordwärts an, um dann 
ab Pinft und bis Mofyr in einer faft geraden Linie nach Often zu fließen; von 
da ab fenlt er fid nad Südoft zum Dnjepr und mündet fchlieglich in diefen in 
der Fiähe von Tfchernobyl. Seine größeren Fiebenflüffe find: 

Redhts: WyrZwat) (jegt WyZewta) 

Turja (Auerodfenflug) 

Stocbhod 

Styemit Jiwa und Stublea 

*Horyn (Bergflug) mit Wilija, Staw, Sbytin (jegt Sbytints), Stu: 
bel, Glut II (Waldfdnepfe) mit Cbomora, Smola (Harz) (jegt 
Smolka), Zerem, Roret (jest Rork£it) 

T nia (Moorflug) und Bober (Biber) 

Stwa (jegt Stwiga) mit Moftwa und {we 

Ubort mit Perga und Swidwa (jegt Swidowle) 


Slowityn (Madhtigallenflug) (jegt Slawetna) 
UZ (Matternfluß) mit Zerew und Morin (Tierbdblenflug). 


6) Dor etwa 50 Jabren war man in einigen cuffifcen Sorjcherkreifen geneigt, die 
rdtfelbaften ruffifden und polniften Wa-Sluffe mit dem Urfinnentum in Zufams 
menbang zu bringen. Da diefe Mamen ab Weftpreugen (Wirwa 3. Weidfel) bis nad 
Zibirien hinein reichen, mußte danach das ebemalige urfinnifdhe Siedlungsgebiet eine gewals 
tige Släche umfpannt haben, was aber faum zutreffend fein tann. Dafmer (,Urbeimat 
der Slawen“) nimmt dagegen an, daß Sinnen Facbarn nur der Ruffen gewefen wären, 
da den Südflewen Lebnworter aus den Sinnifchen feblten; ob diefer Umftand einen ficeren 
Beweis ergibt, mag dabingeftellt bleiben. — Der fo ftarte oftbaltifde (finnifche) Bluts 
einfhlag in Polen, Litauen und Lettland, fowie die Tatfache, daß die Weiß: 


206 Volt und Kaffe. 1932, IV 


—— Gage PET SEE EEE EEE EEE ETE. 


Links: uns mit Pina und Jaffolda 
na 
Lafı (Hirfhkub) 
Slut 1. (Waldfdnepfe) mit Moros 
— (Dogelflug) (jegt Prit) mit Oreffa 
a 
Wit 
Bragin (jest Braginta). 

Die meiften PripjetsYtebenfluffe (ebenfo ein weiterer „Zolon = Spedt‘“) 
zeigen Blar den altbaltifchen Brauch, Stußnamen der Tiers und Dogelwelt 3u ent- 
lebnen. Derlei Mlamenformen find fonft in cuffifdben Gebieten felten, baufig da⸗ 
gegen in AltpreuGen und Altlitauen. Auch diefer Umftand wäre ein Beleg mebr 
dafür, daß wir im Pripjetgebiet einen uralten Siedlungsbereich cines altbaltifchen 
Volkes (eben der Urflawen) vor uns haben. 

Bildlich gefproden, ftellte in Urzeiten der Pripjet einen langen Hauptgang 
dar, zu dem rechts und linke in feinen LTebenflüffen Fiebengänge führten, und zwar 
durch ein völlig unwegfames Gelände, das aus undurdhdringlichen, mit Urwäldern 
bedcdten Sümpfen beftand. VDerftopfte man nun die Cine und Ausfahrt des 
Hauptganges, jowie diejenige der Llebengänge, dann waren eben die Einwohner 
von aller Außenwelt volllommen abgefperrt. 

Die Vorfahren der SIawen, der Altpreußen, der Litauer und der 
Letten bildeten urfprünglich eine Einheit, die man als die „baltifh=fla- 
wifche* bezeichnet. Chronologifd ift diefe, als 3u weit zurüdliegend, nicht zu 
beftimmen, das Urflawentum dagegen wird in die Zeit zwifchen 400 v. Chr. bis 
400 n. Chr. verlegt’). Einer der Zweige der baltifchsflawifchen Völkergruppe 
muß fi von dem Ganzen, wohl aus Plagmangel an der betreffenden Meeres 
füfte und in deren unmittelbarem Hinterland, fdon früb abgetrennt baben 
und längs der Slüffe fo weit nach Süden vorgedrungen fein, bis er auf ein damals 
unüberwindliches Kyindernis geftoßen war — eben die Rokitno-Sümpfe. 
Unter irgendeinem Zwang wurde diefes Dolt — die fpäteren Urflawen — bes 
wogen, fich da niederzulaffen und, fo gut es ging, einzurichten. An Beftandss 
möglichkeiten gebrach es ja nicht: die Sluffe waren fifchreih und die Urwälder 
wimmelten von Wild; fo weifen 3. 3. die Orte Tur, an einem Sce am oberen 
Pripjet, und Turow, an der Einmündung der Stwa, fowie der PripjetsfTeben= 
flug Turja auf „turi = Auerodfen“ bin. 

Die Abfperrung des nach den RokitnosSümpfen verfchlagenen Vollsftammes 
könnte man fich als in der Weife erfolgt denken, daß der Rüdweg nach Florden 
von den dafelbft figen gebliebenen baltifchen Stämmen (den nacberigen Alts 


ruffen faft insgefamt fich Rörperlich kaum mebr, 3. B. von den Mordwinern unters 
fdeiden, fprechen a... dagegen; eine fold ausgedehnte Ausbreitung der oftbaltifchen 
Raffe kann fcdbwerlich erft in neuerer Zeit erfolgt fein. Die Möglichkeit, diefes wa von dem 
Germ. ahwö abzuleiten, dürfte taum oft gegeben fein, da das „wa = Waffer“ aub bei 
finniſchen Völkern in Bebraud ift, fo bei den Permiern, 3. B. „Yb-wa (Obwa 3. Rama) 
= Wiefenflug’. Der Sinnologe KR. WH. Wiklund: Uppfala nimmet laut einer briefs 
lihen Mitteilung an, daß der ugrofinnifche Urfprung mancher ruffifcher Slußnamen „wabrs 
fcbeinlih“ fei; diefes wa fei fbon vielen Sorfchern aufgefallen, ob es aber mit fyrjän. va, 
wotjat. vu, tidberemif. viidem, mordw. ved und finn. vesi = Waffer tbereinftimme, 
fei mebr als unfider. In Sudrußland, unterbalb der bier fpäter ermdbnten Goro- 
difchkesLinie, bören die wa-Slüffe plöglih auf; auch unmittelbar oberhalb derfelben find fie 
Ausnahmen, da fie nur etwa viermal vortommen: Ruffewa (Dnietr), Roffewa 
(Dnjepr), Goltwa (Onjepr) und Ralitwa (Don); erftere zwei Hamen könnten ger; 
manifd fein — Roffen, Ruffen — Ruotfen (Ruderer) wurden ja die Wäringer 
gebeißen. 


1932, IV Th. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 207 
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preußen, Litauern und £etten) abgeriegelt worden war. Den Weg nab Süden 
verlegten wohl iranifche Völkerfchaften; anfänglih die Strtben (800 bis 
700 v. Cbr.), deren Gebiet zwifchen Don und Donau gelegen gewefen war, und 
bierauf die Sarmaten (400 v. Chr.), welche bis zur Donau reichten. Im 
3. bis 2. Jabrb. v. Chr. dagegen breiteten fich die Relten von den Rarpatben bis 
zum Schwarzen Meere aus?). Die Jranier und die Relten wurden bierauf 
von den Germanen abgelöft, von welchen die Baftarnen um 200 v. Chr. 
ebenfalls das Schwarze Meer erreichten. Diefe fiedelten in DDolbynien und bis 
tief nad) der Ukraine hinein (Gräberfunde bei Poltawa)?). Ihnen folgten fodann 
die Of{goten. Bei beiden war der Bug der Südweg, was die Urflawen ges 
bindert baben mag, fic uber diefen Slug hinaus nad Weften auszubreiten. Die 
Ausbreitung nah Often, uber den Onjepr binaus, unterbanden dagegen die 
Märinger, für die wiederum der Onjepr der Gudweg gewefen war und 
daber cbenfo bewadt und befchugt wurde. Die Waringer batten übrigens jdhon 
in vorgefchichtlichen Zeiten alle wichtigften Slüffe des europäifchen Rußlands zur 
Durchführung ihrer Kriegs» und Handelszuͤge beherrſcht. 

Nah dem Wegzug der Baftarnen und dem teilweifen Abwandern der 
O ft goten nad Weften ergog fid die awarifche Welle über Sudrußland, der 
darın eine turlostatarifche folgte. (Spätere Tataren, Chafaren, 
Polowzer und Petfdhenegen.) Der mächtige, unterhalb des Pripjet 
wobnende AltflawensStamm der DrewisDrewli (Drewljänen) lag 3. B. in 
ftändigen Rämpfen mit den Petfcbenegen. Doc auf legtgenannte Ainderniffe 
(Germanen, Awaren und Turkotataren) ftießen die Altflawen erft dann, als fie 
fic) fo weit vermehrt batten, daß fie die Tore ihres „Befängniffes“ zu fprengen 
gezwungen, aber auch im Stande waren. Der Zufammenftoß mit den Awaren 
brachte es dann mit fic, daß die nach Süden vorgedrungenen und unter oftgotifche 
Oberbobeit gelommenen Altflawen von den Awaren unterjodt und nad) Weften 
mitgeriffen wurden. — 

Die raube Umwelt begünftigte die Entwidlung der Urflawen zu einem pris 
mitiven, aber kräftigen Sifchers und Jagervolle, das aber, obwohl ficher zu einem 
guten Teil nordifcher Raffe, weder einen eigenen Stil, gefehweige denn im fpäteren 
eine eigene Rultur fchaffen konnte. Ebenfo vermochte es nicht nach dem Auszuge 
aus der Urbeimat felbftandig 3u bleiben, fondern tam faft fofort unter fremde Bots 
mößigleit. Dies läßt vermuten, daß fchon die Urflawen begonnen batten, fic mit 
der eng mit ihnen zufammengepferchten Urbevälkterung zu vermifchen. 

fyier im Sumpfgebiet lag auch der Geburtsort der fpäteren altflawijchen 
Affoziationsidee, die befonders in Rußland zu einer vielfeitigen Entfaltung 
gelangte. Allein auf fich geftellt, hätte nämlich da keiner befteben können, und 
nur engfter Zufammenfchluß bot Rettung und eine Gewähr für ein Sorttommen. 
Damit im Zufammenbange entftand bier aud) die minutidfe Splitterung bzw. 
Gliederung fowohl nah Yaus — kuta und Sippe — bratstwo, als aud 
nah Stamm — plemja, wie aud nad den verfciedenen Berufss und 
anderen Gemeinf{ dmaften — fpdtere ruffifhe mir, obschtina, watagi 
und arteli’). Diefe Gliederungen, insbefondere in bezug auf die Gemeins 


*) Tah Dafmer: ,Die Ucheimat der Slawen.” a. a. O. 

*) Tadenberg: „Die Baftarnen“, (Volt und Kaffe IV, 4. 1929). 

9) Miljuton unternabm in der Arbeit: „Die Urfitten se Slawen“ „Drew- 
nejschij byt slawjan“ ({Mostau 1901) den Verfuch, diefe gefellfchaftlichen Gliederungen, 
auf Grund er nod in Bosnien und der Herzegowina beftebenden, wieder berzu: 
ftellen. 


208 Volt und Raffe. 1932, IV 





fcaften, fteben einzig da: wir können etwas Abnliches bei keinem anderen Volke 
finden und miaffen fie als eine inftinftiv gefchaffene Schugmaßnabme werten 
gegen felbft empfundene Schwäche. Diefe Schugmaßnabme batte aber im weiteren 
eine unbeilvolle Solge — fie zertrennte die Altflawen fchon in allerfrübefter Zeit 
in zahlreide fic befebdende Teile und unterband fo jedweden ftaatliden Zus 
fammenfchluß; wo es aber zu foldyen fam, da batten fremde, d. b. außerbalb des 
Slawentums ftebende Rräfte eingegriffen. 

Den Vliederfchlag diefer Maßnahme finden wir nun in den noch erhaltenen 
urs bzw. altflawifhen Ortsnamen, die wohl einen Befig anzeigen, zugleich 
aber, und je nach dem, Stammes: oder Gippens oder aud Gemeinf{hafts: 
namen find. 

Auf die genaue Bildung diefer KFiamen aus dem Ableitungswort tann bier 
nicht eingegangen werden; erwähnt follen nur die widhtigften Endfilben fein, die 
die einzelnen Liamensarten ficdher unterfcheiden !9). 

Aausnamen laffen fid an den, dem germanifchen s entfprecdhenden Ends 
filben ow, ew und in ertennen (M;3.: owy, owi, ewy, ewi und iny, ini), 
3. B. Wolk-ow. 

Sippennamen wurden aus den Mebrzablformen der Hausnamen durch 
Sinzufügung eines £, fowie eines die Mebrzablform anzeigenden i gebildet, 3. B. 
Wolkowi-*-1 (€3. Wolkowi-). 

Stammesnamen. Hier ift die Urform die Mebrzablform des Ableitungs: 
worte, 3. Bd. Swenti (Swentla]-i) (&3. Swent). Die fpätere Sorm wurde aus 
der Urform genau wie bei den Sippennamen gebildet, 3. Bd. Swenti-C-i (#3. 
Swenti-L). 

Bemeinfhaftsnamen. Deren Bildung entfpricht genau derjenigen der 
Stammesnamen; es gibt daher darunter fowohl is, abs aud) itisSormen, 3. B. 
Comati (Steins ‚Örecder‘), Sarni (Rebe), Selili (Siedler), Sedlili (Gaffen), 
Sosedliti (Mitfaffen), Goriti (Gergler) ufw. Bemerkenswert ift, daß die auf 
landfchaftliche Befonderbeiten hinweifenden Bemeinfchaftsortsnamen noch gegen: 
wartig genau den Kigenarten der betreffenden Gegenden entfprechen; fo find 3. B. 
die in Deutfchland mehrfach vorkommenden lomali und gorili ftets in bigeligen 
oder bergigen Landftrichen gelegen. 

Eine Abart der Stammesnamensendungen bildet die gewiß unter wäringis 
fhem Einfluß entftandene Silbe ischki, die, obwohl fie nur in f. Zt. altpreußifch 
(Öftpreußen) und altlitauifch gewefenen Gebieten zu finden ift, ihrer Bildungsart 
wegen dennoch zu den altflawifchen gerechnet werden muß und als eine Nüds 
bildung des E in das flandinavifche sk zu betrachten ift, aber auch als Vorläufer 
der ruffifchen skijs und polnifchen skisGefcblechternamen gelten fann!!). Deren 
Anwendung ergibt fidh aus folgenden Beifpielen: 

Urftamm Pilwi — Pilwi — schk — i (bei Rowno), 
+i Swenti — Swenti — schk — i (als G@hwentifdten in Oftpr.). 
- Die itis und ischkisYiamen enthalten demnadh 3 wei Mebrzablformen und 
tommen als Gefdledternamen nur nod) in Rumänien vor: 3. B. Slavili, 
Stefanoviti ufw. Als Ortsnamen jedoch find fie weit verbreitet bauptfächlich 


10) Diefe Endfilben ftügen fi ausfchließlich auf Beifpiele gus cuffifdem Sprads 
gebraud, wo die alten Überlieferungen no ziemlich rein erhalten geblieben find. 

11) &in iscki-Tamen fcheint auf der Wanderung bis nad Medlienburg gelommen zu 
fein: Badrefch, A. Stargard (an. 1411 Boderefle), der möglidyerweife aus „Porlängs 
— BDriff(a) (Dina) — i-schk-i = Podriffifchli” gedeutet werden könnte. 


1932, IV Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Aleflawenwanderungen. 209 


auf dem Balkan, dann in Rußland und in geringem Maße in Polen. 
Deutfdland käme bier nur bedingt in Betracht, da es fich gegenwärtig kaum 
mebr feftftellen laffen wird, ob die bekannten igsÖrtsnamen f. Ft. iis oder its (€3.) 
Llamen gewefen waren. Einzahlnamen bat Rußland nur etwa acht aufzuweisen 
und Polen etwa fieben. 

Ergänzend fei bier nod erwähnt, daß neben den reinen SHerkunftsnamen als 
Ortsnamen nod foldye Ortsnamen zu nennen wären, die am Ende das den Befit 
anzeigende a = des tragen. In Deutfchland ift diefes a zum Schwinden gebracht 
worden, beftebt aber noch unverändert auf dem Ballen und nur noch einmal in 
Rußland in Chamil-a (des Ehamit) im Sumpf, zwifchen Pripjet und deffen 
Flebenflug Braginla. Ganz befonders find es Slüffe, die fehr häufig dicfes a 
tragen. Als Baffifche Beifpiele können dafür gelten: Mildenitz (Llebenfluß des 
Warnow) anno 1272 — Mildenizce = Mildinit-a — „des Sipplings der 
Mildiniti“ (von der Milde, zur Biefe, zur Elbe), deffen Spur noch in dem Sieden 
Mildenig, A. Stargard i. Medi. = Mildinid auffcheint; ferner der Tlemig: 
bad, zum Schwarzbadh, zur Pommerfdhen Bucht, mit dem gleichnamigen Ort 
Yiemig, (alfo Nemit-a = de3 Nemi&) und fdlieflid) der Slug Bobrigfd 
i. Sa. mit dem Ort Bobrigfd (Bobrit-a = ses Bobri?). 

Über den Onjepe hinaus, nad Often 3u, verwandelt fic diefes ita in 
ica!?), 3. B. Ssosnica ftatt Ssosnita; bier ift der fpradhliche Einfluß des 
Sinnentume bereits unverfennbar — diefes kann nämlich das E nicht auss 
fprechen und fett dafür c. Dafür fpricht auch die Entartung der Endung id und 
iti felbft, denn wir müffen als weitere foldye Endungen unterfcheiden: 

ec, 13. cy und ci, fowie ac, M3. ci 3. B. ftatt Kriwit — Kriwec, Mi3. 
Kriwcy (Yiord) und Kriwci (Gud), fodann ftatt Obrenowit — Obrenovac, 
3. Obrenovci. Das Auftommen des barten und breiten i, das bier mit y 
nur angedeutet werden kann, ift wiederum mongolifches Erbteil. | 

Die Unterfuchhung der in den Rolitno-Sümpfen auffcheinenden Ortsnamen 
ergibt folgendes: Bänzlich im Sumpf unterhalb des Pripjet und zwifchen deffen 
Flebenflüffen Lwa und Stwa liegt der Ort Staroje Sfelo (Altdorf), der 
eine der dlteften Giedlungen jener Gegend darftellen dürfte. Ebenfalls im Sumpf, 
in dem durch die Cinmundung de Slut II in den Horyn gebildeten Ed und 
durch einen diefe beiden Slüffe verbindenden Slugarm gegen Süden gededt, jcheint 
das alte berühmte Gorodischte der Drewi auf. &s bedeutet „große Burg 
(Stadt) und war in diefem Sall eine kunftgerecht angelegt gewefene „Waifers 
burg“, ein Bollwerk gegen vom Süden lommende Germanen: bzw. Mongolenz 
angriffe!3). Auf Wohnfitze fefterer Art weifen die Gorodjatili (Zdunler, Städt: 


12) Das c im Siewifchen ftets als unfer z. Des weiteren entfpridt das flaw. € 
dem englifden ch und das flaw. Z dem franzöfifchen j. 

13) Weitere Gorodifdee waren — faft in gleicher, fi nad Often ziebender Linie: 
in Balizien bei Brzezany und Sambor, eines in Podolien, zwei in Rijew, 
fowie je eines in Doltawa, Keraterinorla, Ebartow, WoroneZ, Penfa und 
Wjatla; legtere zwei waren gegen die Tataren und finnifche Voͤlkerſchaften (Mordwiner, 
Permier), die vorbergebenden gegen Mongolen (Awaren, Petfchenegen, Chafaren, Dolowser, 
Tataren), möglicher Weife aub gegen Germanen (Baftarnen, Oftgoten und wobl aud 
Wöringer) gerichtet. Die weiteren drei Borodifhle in Petersburg (ba Luga, 
am Woldow und am Peipus: See) dienten als Scug ebenfo gegen Rinne (Tidus 
den), als aud) gegen die Waringer. Sie follen famtlid) nocd aus vorge(didtlider Zeit 
ftammen, dürften im Süden 3. T. auf Germanen juridzufubren fein und können jedenfalls 
nicht für die „weftliche“ Herkunft der Slawen zeugen. Die Tatfache, daß es 15 große 
Slawenburgen gegeben batte, die zu ihrer Unterfcheidung keinerlei befonderer Llamen bedurft 


210 Dolt und Kaffe. 1932, IV 
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ler) und die Domanovili (Häusler) bin, während die Kolenkowili (am ko- 
lenko = Rnieden eines unbenannten Sluffes), di¢ Wystupowiti (wystup = 
Landvor{prung), die Ostariti (Geeanwobner) und Cholmié (Aiigler) auf lands 
fcbaftliche Befonderbeiten hindeuten. Über landwirtfchaftlihe Anfänge berichten 
die Kossaridi (Mäbher), die Stodolili (Heufchobler) und fchlieglich die Derno- 
witi (dern = Rafen); aud) die Kopatkowiti (Graber) und die Mjakalowiti 
(Einweicher) deuten darauf bin. Lettere fünf waren fdon eine Art „Berufs: 
gemeinfchaften‘“ gewefen, zu denen noch binzutämen die Ugrinili (Aclfänger) 
und, fchon außerhalb des eigentlichen Sumpfgebietes, die Smolewili (Kyarzler) 
und Ochotiti (Jager). Es ift dies gewiß eine fpärliche Auslefe, aber man muß 
dabei nicht vergeffen, daß die ruffifchen allgemein zugänglichen Rarten fehr mangels: 
baft find und daß ferner die Wobhnftätten der Urs und Altflawen von einer Be: 
fcaffenbeit gewefen waren, die einen längeren Beftand nicht gewäbrleiftete: ver: 
ließ ein folcdher Slawe feine armfelige Holzs oder gar Erd- (semljanka) Hutte, 
oder brannten fie aus, dann waren faft fofort die Dobnfpuren ausgetilgt; 3udem 
tann man nod annebmen, daß bei dem Auszug aus dem Sumpfgebiet nur der 
Beinere Teil der Einwohner zurüdgeblieben war. 


Daß die itisYTamen gerade in Rußland fo wenig zablreich vortommen, bat 
feinen Grund aud in waringifdem Einfluß; unter diefen wandelte fich ihr Grog- 
teil in skstTamen um. Schon gleich jenfeits des Dnjepr ift diefer ganz plögliche 
Wandel Mar zu ertennen; da werden die Snowi/Snowili an der Snowa zu 
Snowft, die G2ati/GZ2atili a. d. BZatj zu BZatft und im Florden die 
Poloti;/Polotili a. d. Polota zu Polotfl (Polosft). Andere dagegen ver: 
woandelten fich, wie bereits angedeutet, unter finnifchem Einfluß in cy,sfTamen. 
So tommt es, daß 3. B. das Gaftland Deutfdland gegen 2000 nur wenig 
veränderte id = itzsYiamen aufweifen kann, während das Urfprungsiand Ruß- 
land nur etwa 110 und Polen deren gar nur 7 zählen können !). 


Dantbarer ift das Durchforfchen der Rokitnofümpfe und der an diefe ftoßenden 
Gebiete in Bezug auf die Ältefte Stammesnamenbildung; fie tritt dafelbft fo Mar 
zutage, daß man das Pripjetgebiet eben nicht anders als die urflawifde Heimat 
anfpredhen kann, dies um fo mehr, als die Abwanderung der is fowie der iti- 
Yiamen gerade von bier aus unverkennbar ift. Dabei fällt einem fofort eine feltfame 
Tatfache auf, nämlich die, Da die alten flawifhen Stammesnamen, je 
Alter, defto fiderer, mit den alten Slugnamen auf das Engfte 
vertnüupft waren, und zwar fo weit, daß der Slußname felbftden 
eigentlihben Stammesnamen ergab, jedoh in der Mebrzabl: 
form. Das ift etwas, was bisher allerfeits uberfeben worden war und daber 
zu den unfinnigften Deutungen altflawifder Stammes: und Sippennamen ge: 
führt batte. UWls Beifpiele 5) feien hier angefubrt: 


batten, beftatigt übrigens, daß es fchbon in früheiter Zeit keinen Zufammenbang zwifcben den 
einzelnen großen Slawenftämmen mebr gab. 

14) An Polen, aber au in Böhmen, bat dies noch einen befonderen Grund. Im 
13. Jabrb. namlich wurde da der Tom.:Plur. iti durch den Alkufativ ice verdrängt 
(Schwarz: „Die Ortsnamen der Zudetenländer als Gefchichtsquelle”, S. 57, Oldenbourg: 
Verlag, Münden 1931). Bei Ubernabme der durch den Krieg gewonnenen Gebiete in 
Öberfchlefien und Rußland beeilten fid die Polen, famtlide darın auffcheinenden itz- und 
iti-Ortsnamen in foldye auf ice umzuwandeln; fo beißt 3. B. Myflowig und Baranos 
wilti nunmebr Myflowice und Baranowice. 

15) Die sk-YTamen de8 Pripjet-Gebiets, wie Dinfl, find in die alte i-Sorm zurüds 
geführt, auf Grund der reichlich gegebenen Gegenbeifpiele; möglich ijt dabei allerdings, dag 


1932, IV Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 211 
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Aus dem Pripjetgebiet felbft: die Dini a. d. Pina, die Moroti am 
Moros, die Slulia. Slut I, die Dy wi a. d. Wytwa, die Turji a. d. Turja, 
die Norini a. Norin. 

Aus dem Niemengebiet: die Swislodi ſa. Swisloe II, die Selwi 
a. d. Selwa, die Wiliji a. d. Wilija II, die Uſchi a. d. Uſcha, die Oſchmiani 
a. d. Ofcdbmiana, die Merelia. Meret, die Do = langs s newjazia.d. Tewjaza. 

Aus dem Gebiet der Rurlandifden Aa: die Dosniweffia.d. Miweffa. 

Aus dem Onjeprgebiet: dic Gwisloti a. GQwislot I, die Gnowi 
a. d. Snowa, die Sjewi a. d. Sjewa (fpätere Sjewari — Sewerjänen), die 
Timi a. Tim. 

Aus dem Dünagebiet: die Poloti a. d. Polota, die Ufwjeati a.®. 
Ufwjatj, die Oboli a. Obol, die Driffia. d. Driffa, die Difnia. d. Difna, 
die Luteffia. d. Luteffa I, die Drelia. d. Prela, die Teweli a. TewelsSee. 

Dann beginnt ein Landftrid, wo derlei Kamen fchon feltener vorfommen; 
immerbin können noch bemerkt werden die Pfltowi a. d. Pflowe, die Lugi 
a.d. Luga, die Oflujia.d. Oftuja, die WD jafmi a.d. Wijafma, dieO =umstmi 
(fpatere Otmivi) a. d. Tma, die GZ atia. d. Gzatj, die Mologil u. II a.d. Moz 
loga Iu. II, die Rufia. d. Rufa, die Taruffia. d. Taruffa. 

Überall dazwifchen fcheinen isOrtsnamen auf (auch litauifche), die entweder 
fern ibrer Sluffe liegen, wie 3. dB. Schirwinti (b. Rowno) zur Sherwinta 
(Scirwindt) und Witebeti (jegt Witebfl) zur DO yptebetj (Ola), oder 3u denen 
die betreffenden Sluffe nod) nicht ausfindig gemacht werden fonnten, 3. C. wobl, 
weil fie, als jüngerer Herkunft, nichts mit Siußnamen zu tun haben, wie 3. DB. 
Pruffi (Witebfk), die auf eingewanderte Altpreußen bindeuten. 

Ienfeits der Linie Bjeloofero: Jaroflawl kommen fie wieder häufiger 
vor, und zwar an den größeren Slüffen bzw. Fiebenflüffen der oberen und mittleren 
Wolga, Mördlihen Düna und Mefen. Die Slugwege gerade diefes Des 
biets bis an den Ural und wohl auch darüber hinaus waren fchon in vorgefchichts 
liben Seiten aud den Wäringern gut belannt, die mit dem Biarmifcden 
Reich (alte Permier) Handel trieben und dafelbft fogar befeftigte Stugpuntte 
unterbielten, deren Liamen nod gegenwärtig in einigen der dortigen Dorfnamen 
durchklingen 16). Es’fann angenommen werden, daß die Wäringer auch an der 
Benennung der dortigen zahlreichen Stüffe teilgebabt batten; fo fcdeinen 3. B. 
S wana (Mologa/Wolga), Moloma (WMjatla) und Malma(Jafwa) wearingis 
fben Urfprungs zu fein. Daß in fpäteren Zeiten aud Altflawen — gerade, 
um den Wäringern an den Seen JImen, Peipus, £adoga, Önega und 
Bieloje, fowie im Bereich des Wealdaj auszuweichen — fich wenigftens teils 
weife in die Landftriche bis zum Ural, wenn audy nur vorübergebend, zurüds 
zogen, unterliegt keinem Zweifel; das beftätigen die dafelbft auffcheinenden alten 
Ortsnamen, wie aud das GBorodifchke a. d. Wiatla, oberhalb des fpäteren 
Chanats von Rafan. Wie wir im Weiteren noch feben werden, traten fie gerade 
von bier aus ihre Wanderung nach Weften an. 


der eine oder der andere Ortsname neueren Urfprungs ift, was aber an der allgemeinen 
Regel nichts ändern kann. Dies gefchab ebenfo bei den asÖrten, wie WyZwa, und bei 
denjenigen, deren Ylamen mit den betreffenden Slugnamen genau ubereinftimmen, wie 
Obol. Ale fie waren zur Altflawenzeit beftimmt i-Örtsnamen. 

16) MelnitovsPekerftij, „DoroZnyja sapiski* — Reifeftizzen (Petersburg 
1909) nennt dafür das Dorf „Weldemanowo*, den Geburtsort des Patriarchen Fiton. 
Er leiter auch die „Biarmier — Permier“ aus dem wäringifdhen ab, nach beorg, 
bairg — Berg (Ural). 


212 Dolt und Kaffe. 1932, IV 





Die oben angeführte Auslefe von an Slüffen gelegenen, auf alte Stämme 
zurüdführbaren Ortsnamen genügt, um darzutun, wie eng die alten 
Stammesnamen mit den dazugebdorigen Slugnamen verknüpft 
gewefen waren. Der Grund hierzu liegt in der ausfchlaggebenden Bedeutung, 
die Ser Slug fur den Urs als auch fir den Altflawen in der Heimat gebabt baben 
mußte. 


Die Catfache an fic, daG famtliche Urs und Altflawenfiedlungen am Waffer 
gelegen waren, Bann anfänglich wenig bedeutungsvoll erfcheinen; fie wird es aber, 
wenn man dabinterlommt, daß deren Siedlungen wegen der mit Urwäldern bes 
dedten Sümpfe und Bebiete fo gelegen fein mußten, follten die Siedler befteben 
können. Anfänglich faft ausfchlieglid am Waffer figend, finden wir fie aud in 
Deutfchland vor; bier allerdings fämen nody andere Gründe dafür binzu. 
Einesteils wird zugegeben werden müffen, daß die einwandernden Altflawen, urs 
fprünglich vor allem ein ausgefprocdhenes Sifchers und kein Aderbauervolt, im 
Salle einer DMabl eber nach dem Slug und dem See, als nach einem fhon bebauten 
Landftid griffen; anderesteils wird man Salle annebmen miuffen, wo ein Zwang 
bierzu gegeben war — im Landmangel, verurfacht durd ungerodete DOdlder 
oder durch Germanenrefte, die ihre bebauten Landftreden verteidigten. Zu einem 
primitiven und befchräntten Aderbau fam es daher bei den Altflawen erft fpäter; 
fie waren im Roden der Walder nicht die Meifter wie die Germanen. 


Man kann daber annehmen, daß der Altflawe in der Sremde in erfter Linie 
danach trachtete, am Waffer zu figen; fo vermied er 3. B. angftlid gebirgige 
Gegenden oder ließ fich dafelbft nur unter bartem Zwang nieder, wie in Sadhfen, 
wohin Altflawen zuerft von Böhmen aus von den Awaren verfchleppt wurden 
(Rampfe der Awaren an der Elbe um 563 n. Chr.). Die noch ertennbaren fhwachen 
Altflawenwanderungen ab Gadfen über das Dogtland nad Ober: und 
Unterfranten und von Böhmen aus nad der Oberpfalz bis etwas über 
Nürnberg, könnten geradezu als „Sucden“ nach zufagenderen, alfo wafier: 
reicheren Begenden gewertet werden. 


Es war eben der See, noch vielmehr aber der Siuß dem Urs, wie dem Alt: 
flawen alles gewefen: fein But, aus dem er feinen Unterhalt bezog, fen Weg, 
dem er fich ficher anvertrauen konnte, und fchließlich fein Sch ug — auf dem Slug 
tonnte er fich leichter vor den Seinden retten, als auf dem Lande. Belannt ift je, 
daß Altflawen es vermodhten, lange Zeit unter Waffer zu verbringen; ein über 
die Wafferfläche binausragendes und im Wunde gebaltenes Rohr ermöglichte 
ibnen dabei das Atmen !'). Es kann daber audy nicht wundernchmen, daß ibnen 
der Sluß als etwas „Mäcdtiges“ und „Befeeltes“ erfchien, den fie fchließlich 
zu einer Bottbeit erhoben, welche fie anbeteten und der fie Opfer darbrachten 13). 
Sie bevdlferten den Sluß mit allerlei Beiftern, vor denen fie fich beugten und in 
acht nahmen. Im Slug und im Sumpf erfchien ihnen das gute bzw. das bdfe 
Prinzip: der Sluß war das gute, weil er ibn näbrte und fehüugte und mit deffen 
Beiftern er austommen konnte, nicht aber mit den Dämonen der tüdifdhen, völlig 
nuglofen Gumpfe, mit ibren taufenderlei drobenden Gefabren. Und fo beilig 
der Slug dem Ure und Altf{lawen erfcdien, ebenfo beilig war ibm 
auch deffen Fame, der nit verändert werden durfte und den cr, 


17) Miljulon, ,Urfitten der Slawen, — Drewnejschij byt slawjan“, !Mosfau 
190}. | 
Is) Derfelbe, „Religion der Slawen — Religija slawjan*, Moslau 1901. 


1932, IV Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 213 
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mußte er fortwandern, mitnabm — wo er den Slug felbft nidt 
mitnebmen Bönnte —, um ibn an der neuen Wobhnftätte in einem 
anderen Sluffe wieder aufleben zu laffen!?). „Hieraus erklärt fic) auch 
die fo mertwürdige, allem Anfchein nach allein daftebende Tatfache, daß die Slawen 
fo überaus viele gleidlautende Slugnamen aufweifen können. Dies kann 
übrigens ebenfo in allen denjenigen Gebieten beobachtet werden, die f. Zt. flawifch 
befiedelt gewefen waren oder dies nod find. Aus Plagmangel follen bier nur 
einige wenige DBeifpiele angeführt werden, die aber von jedermann leicht vermebrt 
werden können: 


Siut I und II (Pripjet), JEwa (Pripjet) und Jlwa (Bug II), Berefina 
(YTiemen) und Berefina (Onjepr), Swiflod (Tiemen) und Swiflot (Onjepr), Bug 
(Harew) und Bug (Shw. Meer), Ofter I und II (Onjepr), Rog (Onjepr) und Roß 
(Fliemen), Snowa I und II (Bnjepr) und Snowa (Don), Luga (Bug I) und Luga 
(Sinn. Reerbufen), Sfula (Onjepr), Sfula (Mefen) und Sfule (Petihora), Lus 
Eefa lI und II (Dina). 


In Rußland und in Deutfchland vorlommende gleicdlautende Slugnamen, 
fowie foldye in Deutfchland mebrmalig vorfommende: 


3na (Pripjet, hHajna, Twerza, Oka, Mokſcha), Zinna(©der), Fabna (Elbe), Fahne 
(Rudow), Bober (Pripjet), Bober (Vlarew) und Bober (Oder), Pina2) (Pripjet und 
Pina (Pofen), Rlodnica (Onjeftr), Rlodnig (Oder), Lob (Wolga) und Lopsau 
(€lbe), Cuga I und II und Lube, fowie Lube (Elbe), Fimen «See und Jlmensau 
(Elbe), Sjewea (Dnjepr) und Sceve (Elbe), Styr (Pripjet) und Stör (Elbe), fowie 
Stör (Schweriner See), Sfuda (Wolga) und Sude (Elbe) (anno 1167 — Judas), 
Sfule I, II, III und Suble (Werra), fowie SGuble (Hable), Ugra (Ola) und 
Uder (th. Haff), Udta (LatidasSee) und Udte (Elbe), Wi a (Bug I) und Wipper 
(Oftfee), Wipper (Unftrut), Wipper (Elbe), Wipper (Saale), Oder und Oder 
(Rhume), JIm (Donau), Jim (Saale), Jim (Keine), Of fa (Caulne) und Of fa Weidfel, 
Futbe (Elbe) und Wutbe (Havel) 24). 


Diefem auf religidfer Grundlage berubenden Derbadltnis zwifcden dem Slug 
und dem Urflawen entfprad auch das vermdgensredtlide, das wiederum ein Ges 
mifch der Begriffe „Religion“ und „Befig‘ darftellte: es geborte urfprung: 
lich der Urflawe dem Sluß, nicht umgelecehrt, und fubrte aud 
deffen reinen LFIamen; er füblte fich eins mit ibm, als deffen „Sohn“, was 
fid> in den fpäteren itisYIamen noch deutlicher ausdrüdte: der Sfulil 3.8. war 
ein „Ablömmling“ der Sfula. Dies alles "erklärt auch das, wenn man fich fo 
ausdrüden darf, fo merkwürdige, wie auffallende „Aleben‘“ an einem Slugnamen 
nicht nur des betreffenden Hauptftammes, fondern aud all der aus diefem bervors 
gegangenen Stämme, Stämmcdhen und Sippen. Lieben dem Urftamm, der, wie 


13) Diefe Annahme dürfte vorerft auf Widerfprud ftoßen. Laut einer brieflichen 
Mitteilung des Sinnologen R. W. WillundsUppfala, wäre eine Wanderung von 
Slugnamen ,unwabrfdeinlid’; Rulturnamen wanderten wobl, nicht aber Flaturnamen, 
die fehr „bodenftändig“ find. Immigranten bätten meift die Slugnamen der Dorbevdllerung 
angenommen, wenn nicht, tauften fie die Slüffe in ihrer Sprade um. Wenn Willund 
legteres zugibt, fo ift nicht einzufeben, warum die Altflawen fich bei dem Limtaufen nicht 
auch der ihnen gewiß doch nabeliegenderen beimatliden Slugnamen bedienten, um fo mebr, 
als diefe für „beilig” gebalten wurden. Wie ich aus der mir nach Fliederfchrift diefes 
Auffages zugelommenen Arbeit Dafmers: „Die Urheimat der Slawen“ in VDolz: „Der 
oftdeutiche Dollsboden’, irtsWerlag, Breslau 1926) erfeben kann, neigt Dafmer auf 
S. 137 diefer gleihen Annahme zu. 

%) Die Pina dürfte aub mit Pinnsau (Mlbe) und mit Dinns See (unterbalb 
Rageburger See) in Verbindung fteben. 

21) Daß es neben der Wefts, aud eine Oftwanderung ruffifcher Slüffe gibt, beweift 
auch die Ola (Wolga), die zuerft als Llebenfluß des Wi (Ufa) und dann als folder der 
Angara (Sibirien) auffceint. 


214 Dolt und Kaffe. 1932, IV 


bereits erwähnt, den reinen Slugnamen (in der 173.) führte, dem im fpäteren das 
C1 zugefügt wurde, treten deffen Whldmmlinge auf mit YTamen, die von dem- 
felben Slugnamen nad) Doranfegung der Gilben o, ob (vor einem Selbftlaut) 
= um, po = längs, pri??) = bei, pre??) = über, sa = hinter und do = bis ab: 
geleitet find. Denn eine allgemeine Syerkunftsbezeichnung erforderlich gewefen 
war, wurden die betreffenden Sluganwobner nad dem Slug (im zweiten Sall) 
unter Doranfegung eines s oder so (vor einem Zifchlaut) benannt. Bezeichnender 
Weife wird nod heute in RuGland eine an einen Sluganwobner geridtete Srage 
nach dem Herfunftsort anfänglich ftets mit: s-wolgi, s-oki, s-kamy, so- 
scheksny (von der Wolga, Ola, Rama, Sdelsna) beantwortet, erft bierauf 
erfolgt die nähere Ortsbezeicdhnung. Stammes: oder Sippennamen mit diefem s 
oder so find fehr felten; nur einen gelang es bisher ficher ausfindig zu machen, 
und zwar in dem polnifchen Ortsnamen Sofnowice, der wie folgt zufammens 
geftellt ift: „So-Snow(e)-i&i“ = „von der Snowa Stammende“. Die 
polnifche Ableitung von ,Ssosna“ =: Sdbre ift falfd; in dem Sall hätte der Ort 
„Sfosnice* beißen müffen, und foldye befteben auch tatfählih, ale Sfosnica 
(Cernigow) und Soßnit i. Ob.cGeblef., fie wären aber von Sfosnea Tu I 
(Don) abzuleiten. inter Soßnit könnte fi aber audy ein „Sosänla)-it“ = 
„vonder Zna (Pripjet) Stammender“ verbergen. 

Mit der Dermebrung der Urflawen und mit dem dadurdy bervorgerufenen 
Plagmangel wurde das Religidfe von dem Dermögensrechtlichen immer mebr in 
den Hintergrund gedrängt — der Siuß bildete fih zur „djedina = Altväter:s 
gut dcs HYauptftammes aus, der nun begann, um ibn zu fämpfen, d. b. von ibm 
zu verdrängen und deffen Befitz zu verteidigen, bis dann endlich das Band zwifchen 
Slug und Menfd geldft und nur die Überlieferung in der Art der Viamensgebung 
übriggeblieben war. Daß dies alles aber einen ftarten Fliederfchlag in der Voltes 
feele (ganz befonders in der ruffifchen) binterlaffen bat, dafür zeugen zablreiche 
Sagen, Lieder und Gebräuche. Eine geradezu zärtliche Liebe zum Slug Cann man 
auch noch gegenwärtig bei dem niederen Ruffentum beobadten; es fpricht mie 
anders vom Don und der Wolga, ale vom „Däterhen Don“ und vom 
„Mütterhben Wolge, unferer Fäbrmutter“, und genau fo, wie bei 
den Urabnen, fübren zablreiche Ruffennamen auf Stußnamen zurüd, 3.8. Wolzin 
(Wolga), Dunajew (Donau), Donzop (Done), Lugin (£uge), KRlewin 
(Rlewa). Auch in der bulgarifden Mationalbymne (,,Naufde, Mariza, fchwer 
leidend [unter dem türkifchen Joch!) die trüben Wogen mit Blut mifcbend“) tritt 
der befeelte Kyeimatsfluß und fein Derbundenfein mit den Volksfchidfalen Mar zu 
Tage. — 


2) pre und pri find in Deutfchland faum mebr zu unterfceiden. 


(Schluß folgt.) 


1932, IV Deutfche Voltstradten. 215 


Deutfche Volkstrachten. (ID” 


Die YTiederlande. 
Tafel 3. 


eit die Gefchichte der LTiederlande fich von der des Deutfchen Reiche getrennt 
bat, ift auch die Tracht ihre eigenen Wege gegangen. In der Sifcher: und 
Seemannstradht bat die Zeit der erften Selbftändigkeit zahlreiche Spuren binters 
laffen; belannt find die Pumphofe und die enganliegende Oberkleioung, die den 
Modeformen des 17. Jabrbunderts entfprechen. Aber die Modeform der Hoſe bat 
damals fchon eine befondere Prägung erhalten, indem fie einer von jeher getragenen 
weiten Schifferhofe angenähert wurde; im Ganzen bat die Silhouette der Tract 
fich feit dem 16. Jahrhundert, aus welchem wir die erften zuverläffigen Abbildungen 
baben, nur wenig geändert. Beftimmend find immer die gleichbleibenden Anfordes 
rungen des Seemannsberufes geblieben, der für einen großen Teil des bolländifchen 
Volkes der natürliche ift. — Die Sarbe der Männertrachten ift feit der Reformation 
vorwiegend dwar. 

Die Trachten des bäuerlichen Binnenlandes haben fic) fpateren Moden anz 
gepaßt und find verfhwunden. 

Unter den Srauentradten gibt es einige, die an Schlichtheit von Schnitt und 
Sarbe den Männertrachten gleich find. Die meiften aber, und vornebmlid die weit: 
friefifchen, find von einer zarten und fremdartigen Sarbigleit, die ficher in diefem 
Land urfprünglich nicht zu Haufe ift. Man darf für fie zum Teil das direkte Dors 
bild eingeführter indifcher Erzeugniffe annehmen; mebr nody fpricht aus ihnen der 
oftafiatifche, chinefifche und japanifche Gefdmad, der auf feinem Siegeszug über 
Europa von Holland ausging und in Holland felbft auf dem Weg über die 
Sayenceinduftrie tief in das Leben des Volkes eingedrungen ift. 

Eine andere Eigentumlichkeit der niederländifchen Trachten ift die reichliche 
Verwendung von Metall. Die Srauentradht bat es in Geftalt maffiver Gold: 
bauben, die unfichtbar unter einer Überhaube getragen werden, und von der nur 
dünne Drabtfpiralen zu beiden Seiten des Gefichtes bervorragen, die fogenannten 
Obreifen; die Männertrachten verwenden es in Sorm riefiger Jiertndpfe. Das ift 
friefifches Erbe. Rein Volk bat jemals feine Kleider derart mit gediegenem Metall 
beladen wie das friefifde; was davon in den weftfriefifden Trachten des 19. Jabr- 
bunderts noch zu finden ift, ift nur ein febwacher Abglanz von dem, was im fpäten 
Mittelalter üblich war. 





YTord- und Oftfeekufte. 
Abbildung auf S. 217. 


Wie in Weftfriesland wird nod an der nord: und oftfriefifden Rufte und 
im benadbarten niederfadfifden Hinterland ausgiebig Metalliehmud verwendet, 
in Oeftalt von Ketten, Kndpfen und Derfdnurungen und von großen flad- 


*) Stebe Doll und Raffe 1932, Heft 3, S. 170. Sortfegung des Abdruds aus dem 

im Derlage J. §. Lebmann, Munden, erfchienenen Werte von Rudolf Helm, Ger: 

manifdhes Mufeum in Murnberg, Deutfde Dollstradten aus der Sammlung des 

Se Mufeums (mit 115 Trachtenbildern auf 43 fhwarzen und 8 farbigen Tafeln, 
reis 4.—). 


216 Dolt und Kaffe. 1932, IV 





gewölbten Scheibenfibeln, die zweifellos bis auf die Dölkerwanderungszeit zurüd: 
geben. Die leuchtenden ungebrodhenen Sarben der altfriefifhen Trachten, die noch 
zu Anfang des 19. Jabrbunderts auf den Infeln berrfdten — Rot, Weiß und 
Blau —, find allerdings verfhwunden, wie auch alle wirklich alten Sormen; beffer 
find die feftländifchen Trachten erbalten, vor allem in den reihen Marfchen. Die 
betannte Dierländertracht, in unmittelbarer KIäbe Samburgs und unter ftandigem 
Einfluß der großen Stadt, bat fich am zäheften erwiefen: troy aller Anderungen, 
deren fie viele durchmachen mußte, ift ihr der Charalter des frübeften 18. Jahr⸗ 
bunderts nicht verlorengegangen. Die Männertracht ift befonders reich an Silbers 
ſchmuck. 


Die Trachten der Oſtſeeküſte ſind im ganzen ſchlichter. Schmuck aus Edel⸗ 
metall wird nur in beſcheidenem Maße angelegt. 

In der Männertracht ift, als zeitloſes Rleidungsſtuͤck, die weite Schifferhoſe 
nod im Gebrauch. Zu ibe erwartet man als Ergaͤnzung eine knappe Arbeitsjacke; 
ſie hat ſich aber auf Ruͤgen auch mit dem feierlichen Gehrock zur Tracht verbunden. 
Das Ideal iſt im 12. und 19. Jabrbundert langs der Rufte ausgefprochen bürgers 
lich, nicht militaͤriſch, wie in den meiſten Gegenden Deutſchlands. Das Vorbild 
iſt der Raufmann. Daher iſt auch die typiſche baͤuerliche Ropfbedeckung fuͤr die 
Ruͤſtenlaͤnder der Zylinder des fruͤhen 19. Jahrhunderts geworden, wie füͤr das 
Binnenland der Oreifpig des 18. Jahrhunderts. 


Das nord: und oftdeutfche Binnenland. 
Tafel 4. 


Die Männertrachten find bier früh verfehwunden. Es ift von ihnen nur zu 
fagen, daß fie vorwiegend militärifchen Charakter trugen. Der Soldatenrod Srieds 
riche des Großen ift das Votbild geworden; fpäter, zu Beginn des 19. Jahr⸗ 
bunderts, die Inappe Kleidung der Befreiungstriege. In beiden Sällen waren es 
die Briegerifchen Ereigniffe, die das Volk fo zufammenfcdhweißten, daß für Sonder: 
bildungen fein Plag mebr blieb. Ebenfo find die Srauentrachten faft erlofchen; am 
vielfältigften haben fie fi nod in Schlefien gebalten, doch find auch bier die 
älteren Beftandteile unter denen des 19. Jabrbunderts taum mebr zu erkennen. 

Line Ausnahme madt allein der pommerfde Waizader bei Pyrig. Die 
Stauentracht diefer Gegend ift kräftig bunt: Rot und Grün berrfchen vor, aber 
aud) Blau, Violett und Gelb werden reichlich gebraucht. Aber mebr noch als die 
Sarbe fallt die Maffigkeit der Tracht ins Auge. Unter dem kurzen Rod, der die 
diden buntgemufterten Strümpfe freiläßt, werden bis zu 10 Unterröde getragen, 
fo daß der Umfang der Geftalt recht anfehnlich wird; eine bäuerliche Überfegung 
der Rrinoline, die von einer urwidfigen Sreude am Stoffliden fpricht. 

Die Mannertradt im Waizader bat die militärifchen Sarben Blau und Rot, 
aber fon in den unangenebm branftigen Tönen, die in der zweiten AHalfte des 
19. Jahrhunderts in der deutfcben Militäruniform üblich werden. 


Cafel 4 





Mann und Srau aus dem Waizader bei Dyrig, Pommern 


Kunitbcitage zu „Volt und Raye“ Nus: elm, Deutfde Vollatradten 
I. $. £ebmanns Verlag, Münden 


1932, IV Deutfde Doltstradten. 


Mädchen von der Infel Söhr und Burfde aus Sdhleswig 
Dolf und Raffe. 1932. Oftober. 





218 Volt und Raffe. 1932, 1V 








Aleine Beiträge. 


„Chriftentum und beidnifche Überlieferung im deutfchen 
Volksbraudy.” 


Eine Betradtung zu dem Buche „Lritolaustult und Flitolausbraud im Abendlande“ von 
Rarl Meifen. | 


Don Dr. Ridard Wolfram, Wien. 


Die vorurteilslofe Erforfhung der Rultur unferer Dorfabren wird augenblidlich 
durd verfchiedene Strdmungen erfdwert, die mit großer Cindringlidfeit ibre Betrachtungs- 
weife den Tatfachen sufzuzwingen bemübt find. So ift es als Solge des Retionslismus 
dec Adtzigerjabre nod beliebt, uber Nythologifdes einfad die AUdfeln zu zuden und böchs 
ftens usglidleitsgefidtspuntte fur die Ertldrung eines Braudtums gelten zu laffen. Die 
fhweren Erfadutterungen feit 3914 baben uns aber dod) die Augen dafur geöffnet, daß audy 
nod ganz andere Rräfte in einem Volle lebendig find, und fie baben auc in Tiefen der Ges 
meinfcdaftsbilbung binabgeleudtet, durd welde aud die zweite, gegenwartig (tar? vers 
fochtene Richtung korrigiert wird, nämlich die Lehre vom gefuntenen Rulturgut und der 
alleinigen Schöpferkraft der bdberen Schichten). Wenn aud nicht direft aus diefer Schule 
fommend, aber doch von dbnlicher Wirkung ift eine Richtung, die am Elarften durch die im 
Titel angeführte Fleuerfcheinung gelennzeichnet wird. Die Hilolausmonograpbie, 558 Seiten 
ftac® und in groger Aufmadhung, fudt nämlid faft unfer gefamtes Braudhtum aus dem 
Chriftentum abzuleiten. Eine Auseinanderfegung ift unausweidlid, 3umal neue Arbeiten 
derfelben Einftellung angelündigt werden. 

Es wäre töricht, die Rulturfchaffende Macht von 31/2 Jabrtaufenden Chriftentum 
— oder die Bedeutung der katholiſchen Rirche für die Umformung alter Glaubensvor⸗ 
ſtellungen in Zweifel ziehen zu wollen. Trotz unerbittlicher Strenge gelang es der Rirche 
aber doch nicht, die alten Dorftellungen und ARultformen auszurotten, fo daß wobl oder 
übel der von Gregor dem Grogen in feinem Brief an den Abt Melittus von Canterbury 
empfoblene Weg eingefchlagen werden mußte, der das Doll durd) Umdeutung und Cbrifti- 
anifierung des alten Blaubens und der religiöfen Bräuche zu gewinnen fucte. Die alten, 
durchaus nicht geleugneten Götter wurden zu Dämonen und Ceufeln geftempelt, wie es ja 
auch ausdrüdlih aus der fächfifchen Taufformel (um 790) bervorgebt. An die Geftalt des 
Teufels beften fid) desbalb viele Fuge alten Hetdentums. Man braudt fich ja nur zu fragen, 
wober er feine Körner bat? ?). Der breite Strom magifchen Dentens und Handelns vollends 
konnte wohl teilweife etwas berabgedrüdt und in andere Bahnen gelenkt werden, bis beute 
bat er fic) aber durch alle Krifen und Umwälzungen fiegreich behauptet. Dody auch mandye 
andere Sorm, die nicht nur der niederen Magie angebdct, lebt in feftlidher Geftalt noc 
immer fort. 

Eine der wandelbarften und fdwierigften Geftalten unferer Dollsuberliefecung ift der 
beilige WTitolaus, deffen Seft zabllofe Bräude an fich gezogen bat. Don einer Unterfuchung 
der kirchlichen Verbältniffe ift bier manche Rlarftellung zu erboffen. Erwartungsvoll greift 
man deshalb zu !eifens gewaltiger Monograpbie 3). Jede Seite verrät Bienenfleig und 
große Literaturtenntnis. Das reiche und prächtige Abbildungsmaterial befchräntt fic aller: 
dings auf Darftellungen der “eiligenlegende und Safiliten; Voltstundliches fehlt bei den Bils 
dern ausnahmslos. Diefes Ausfchließen des wirklich Doltsmäßigen in einer voltstundliden 
Arbeit ftimmt fon bedentlih. Allzu leicht ftellen fidy Gedanken an vorgefaßte Meinungen 
ein. Wird bier wirklid) ernfthaft der Derfuch gemadt, die gewaltige Maffe des Braudz 
tums, die mit dem Sefte des Bifchofs von Myra in Zufammenbang ftebt, vorurteilsfrei zu 








1) Dazu vgl. RX. Wolfram, ,Voltstan; nur gefuntenes Rulturgut?“ Zfchr. für 
Volkskunde, Berlin 1933 und derf., ,Gefuntenes Rulturgut und gebobenes Primitivgut“, 
Seftfarift fur 3. Str3yqgowsti, Wien 1932. 

2) Dal. KX. Lowe Chompfon, ,The history of the Devil, the horned God of 
the West”, £ondon 1929. 

5) ,YTitolaustult und Flitolausbraud im Abendlande. Cine kulturgeograpbifchvoltss 
tundlide Unterfucung.” BDüffeldorf 1931. In: Sorfdungen zur Dollstunde, Oerausgeg. 
von Univ.-Prof. Dr. Georg Shreiber, Aeft g—12. 


1932, IV Rleine Beiträge. 219 





deuten? Ein Blid in die rein voltstundlichen Kapitel beftätigt denn aud die ärgften Bes 
furdtungen. 

Der Vorwurf Meifens (S. 16), daß die bisherigen Anfichten mytbologifcher Art auf 
einer allzufchnellen Rombination grundverfchiedener Dinge beruben, kann nämlich volls 
inbaltlid zur Charalterifierung von Meifens eigener Arbeit dienen. Mit großer Ronfequenz 
und Rombinationsgabe, aber von falfden Dorausfegungen ausgehend, wird ein Spftem 
aufgeitellt, in das einfach alles bineingeswungen wird. Dabei läßt die Ausdrudsweife 
Meitfens, wenn er die ack fo romantifcde Mythologie abfertigt, an Klahdrud nichts zu wüns 
fen übrig: „Eine Methode, wie fie in ser germanifden Mythologie beliebt war... .. 
ift nicht wiffenfchaftlih zu nennen“ (S. 18). ,Da eine Herleitung des Braudes aus gers 
manifd-beidnifder Feit... .. als unmöglich abgelehnt werden muß“ (3. 390). „Dinge 
.... die überhaupt niemals nadhzuweifen find“ (S. 10). „Sie (die Rute des LTikolaus) 
bat nichts mit etwas derartigen (Lebensrute) zu tun, ebenfowenig, wie irgendein anderer 
Zug des Braudes vom germanifden Heidentum ber bedingt ift“ (3. 402) ufw. Man 
böre und ftaune, was dagegen als einfache Löfung aller Rätfel mit dem Anfprudy auf Ends 

ültigleit behauptet wird: Alles, was an Damonenfiguren in unferem Braudtum bherums 
putt, ftammt aus der chriftlichen Teufelsvorftellung. AHabergais, Sdhimmelreiter, Rlappers 
bod, Rlaubauf, Erbfenbär, Rrampus, Ruprecht, Rlaus, Perdt, ja fogar DOodan und die 
Wilde Jagd! All das hat mit dem KHeidentum nicht die gering(te Beziebung, fondern ents 
widelt fid) im Mittelalter aus der fo lebendigen Teufelsvortellung, dem Cldfterlichen Jdeens 
kreis! Das ift das Ei des Rolumbus. Ylikolaus, der Dämonenbelämpfer, bat als Sinnbild 
einen gefeifelten Teufel bei fich, der zu feinem Begleiter und Diener wird und von dem alle 
die anderen Siguren abftammen, tberiomorpbe wie antbropomorpbe. Mit dem billigen “ins 
weis auf die Derwandlungsfäbigkeit des Teufels wird diefes metbodifdhe Runftftüd zus 
wege gebradıt. 

Ausgebend von einer Unterfucdung der Wege, auf denen fic) der Kult des bilfreichen 
Bifhofs von Myra im Abendlande verbreitete, begeht Meifen den alten Rardinalfebler, 
das zufällige erfte Auftauchen vollsreligidfer Dorftellungen in der fchriftlichen Lberlies 
ferung als Entftehbungszeit und Ort 3u betradten. Und nun wird geograpbifchsbiftorifch 
die Ausbreitung der angeblih in Llordfrantreidh entftandenen Vorftellung von der Wilden 
Jagd nahhzuweifen gefucht. Die naturlide Solge ift, daß — wo in der Welt fi etwas 
Abnliches findet — es von dort abgeleitet werden muß, was nidt wenige balsbreces 
rife Spriinge uber Abgrimde erfordert. Wir haben bier ein Schulbeifpiel für die Gefährs 
licykeit diefer Methode, wo es fid) um Allgemeinmenfchliches und ungefdidtlid) Aleartiges 
bandelt. Was 3. B. den Schimmelreiter betrifft, fo beweift feine Verbreitung bis China 
(immer in gleidhartigen Brauchen) und die zeitliche Tiefe bis ins frühefte Griechentum wohl, 
daß wir es bier nicht mit einer driftlihen AHeiligengeftalt 3u tun baben können *). Genau 
das gleiche ließe fih vom Bären fagen?). Und die Ziege, der Rlapperbod, der in Flords 
deutichland auch manchmal allein auftritt, ift als folcher feine Solgeerfheinung proteftantis 
fhen Einfluffes, der den unbequemen Heiligen bejeitigte, fo daß nur mehr das Begleittier 
übrig blieb, fondern die Beftalt ift weit Alter als der Heilige. Wenn die ganze Auffpals 
tung in verjchiedene Tiere erft dur den Einfluß der Reformation erfolgt wäre, wie 
könnte dann die Ziege in Rumänien auftreten oder felbft im gutlatbolifchen Gfterreich die 
Fyabergais, Weinberggais (bei der Weinlefe) ufw. febr felbftändig im Lande berums 

eiftern! Was mit diefer Bodefigur gemeint ift, gebt doc fdon aus dem YTamen bervor: 
Koagenbod, Saberbod, Rornbod, Arftenbud, KErbfenbod, Bobnenbod, Auftbod, Kyabers 
geiß, Weizengeiß, Rorngeiß, Mahdegeiß, Erntebod, Roggengeiß, Grasbod, Heugeiß uſw. 
und dem ganzen damit verbundenen Brauchtum der Erntezeit. Ebenfogut fönnte man je 
bebaupten, der Bok ftamme aus dem Rult des Heiligen Olaf, weil er in €ftland als 
Olafsbod am 29. Juli auftritt, dem Beginne eines alten Erntefeftes, das im ganzen ors 
den verbreitet war. Der Wadhstumsgeift tritt recht häufig aud als Rater auf. In 
Schlefien wird derjenige, der als letzter mit dem Schnitt fertig wird, in Roggenbalme und 
Zweige gebüllt und muß den , Rater” darftellen. Seine Hauptaufgabe ift es, den ibm Bes 
egnenden, namentlid Rindern, nadzulaufen und fie mit einer großen Rute zu bauen. 

iefelbe Sigur tritt dann wieder zu Weihnachten auf, abermals mit Birkenreifern verfeben, 


4) Dgl. R. Wolfram, „Robin 5008 und Hobby Horfe“, Seftfdrift für R. Much, 
Wien 1932. Über das Pferd als Totentier handelt u. a. £. Malten, „Das Pferd im 
Totenglauben“ 1914 und J. v. Vlegelein, „Das Pferd im arifchen Altertum“ 1903. 

) Dgl. R. Wolfram, „Safhinglaufen und Bärenjagen in der Pöllau“, Wiener 
Zeitfehrift für Volkskunde 1932. i 


15* 


220 Volt und Raffe. 1932, IV 








und fchlägt Mädchen und Knaben. Es dürfte fhwer fallen, bier den Schlag mit der 
Lebensrute wegzudifputieren. So ift es audy ganz felbftverftändlidh, daß der Bod nicht erft 
fpdt durd das Chriftentum nad Standinavien gefommen ift, wie Meifen bebauptet. Im 
Gegenteil, dort wo das Heidentum bis um das Jahr 1000 beftand, bat fi mandye Übers 
lieferung außerordentlih rein erbalten. Der Julbod ift nur ein Beweis dafür. Ls ijt uns 
möglich, das gefamte reiche Braudtum der Mittwinterzcit, in dem fid altgermanifche Sits 
ten, Sruchtbarleitsbräude, Seelentult, Jabresanfangszauber, römifche Ralendenbräude ufw. 
mit driftliden Dingen mifden, aus dem Flilolauskult zu erklären. Daß der eilige einen 
Pan Zug in die Aufzüge am 6. Dezember gebradıt bat, mag zugegeben werden. 

a8 dürfte wohl aus dem mittelalterliben Schulwefen ftammen. Andererfeits wurden alle 
mögliden Wadstumsdämonen zu jeder Jahreszeit ale Rinderfchred verwendet. Und was 
das Schenken betrifft, das vom Ylitolausbrauh in das Weibnadhtsfeft eingedrungen fein 
foll, fo müffen in diefem Jufammenbange doc auch Jahresanfangszauber der Ralendenz 
brauche, en ufw. in Redhnung gezogen werden, wie aud Sructbart:itsriten 
von der Art der „Werpelrot“ und ähnlicher Dinge). Die Quellen find ja mannigfad. Dag 
die Zeit des {Nittwinters die ärgfte Sputzeit ift, muß ein Erbe aus beidnifchen ee fein. 
Dom driftliden Standpuntt aus ift der Widerfprud, daß die wildeften Geftalten des 
an es während des größten Sreudenfeftes Macht und Sreibeit befigen, nidt zu 
erklären. 

Es mus mit aufridtigem Bedauern feftgeftellt werden, daß es fich bei Meifens 
Bud um eine der fcdlimmiten methodifden Entgleifungen handelt, die unfere Difziplin 
aufzuweiſen bat. Der Derfaffer fchaltet mit feinem Stoffe, als ob es keine Etbnologie gäbe, 
abgefeben von den germanitifden Bedenten. Wenn das Fyeidentum wirklich, wie Meiſen 
meint, ab 800 plöglidy und reftlos von der Bildfläde verfhwand, was fangen wir dann 
3. B. mit den vielen Derboten der Ronzilien an gegen Dinge, die nod) Jabrbunderte 
fpdter im Dolltsbraud nadzuweifen find? Eben erft bat das Bud von R. Rriß’) wieder 

ezeigt, wie unbelümmert frifchfröbliches Fyeidentum foger in außerordentlid tirdhliden 

ingen bis in unfere Tage weiterlebt. Ran muß fib uud wundern, daß Meifen, der 
do über firdliche Dinge fo wohl orientiert ift, die Erfabrungen der MNiffiondre fo ganzs 
lib außer at läßt. Wir können do die Methode Bregors des Großen noch in der Ges 
genwert ftudieren. Man denle etwa an Gebiete Südamerilas, wo die driftliden Pros 
zeffionen es fich gefallen laffen müffen, daß fidh die gefamten beidnifden Damonenmasten 
und Rulttänze an fie beften. Warum foll es denn bei uns anders gewefen fein? 

Tppifch für die Unbelümmertbeit des Verfaffers it fein Schalten mit etymologifcben 
Dingen. Aus dem Kamen „Beelzebub“ bat fid) nad) Meifen das Wort „Pelzbod“ entwidelt 
und diefe fpradlide Ableitung foll der Grund gewejen fein für die Schaffung unferer 
Braudtumoafiguren *abergais, Rlapperbod und aller gebörnten Dämonen, unbefchadet der 
ftereotypen Derbote gegen ,cervulum et vetulam facere“ in allen Ronzilienbefchlüffen 
vom Jabre 578 angefangen. Ebenfo fcdlimm ftebt es um Meifens Herleitung des Wuotan, 
Woobde, der als Sübrer des Wilden yeeres und Bott der Sruchtbarteit (!) bis in unfere Tage 
bineinreicht. Tac !Meifen bat er natürlich mit dem alten Bermanengott nichts zu fchaffen, 
fondern ift eine YTeubildung des Mittelalters ab 1300! Er foll aus der Bezeichnung des 
nLOutenden yeeres” ftammen, das aber nichts anderes ift, als eine fromme Daritellu 
des chriftliden Glaubens von der Strafe des Negfeuers. WDotan ift einfad der Teufel. 
Wie er zur Rolle als Sörderer der Aderfrucht kommt, bleibt allerdings ungellärt. !Meifen 
ftellt einfach feit: „Die oben für die Beweisfühbrung beigebradte ununterbrodene Reibe 
der Belege, die vom boben Mittelalter bis in die Gegenwart reicht, läßt für die von der 
mytbologifden Schule aufgeftellten Bebauptungen eines Zufammenbanges der Vorftellung 
mit Wodan überhaupt keinen Raum“ (S. 462). 

Die Bebandlung diefes enticheidenden Punktes zeigt die ganze Kinfeitigleit von 
Meifens Merboden. eil der normannifche Rleriter Ördericus Vitalis (11. Jabrbundert) 
die erfte Befchreibung der Wilden Jagd bietet, ftammt der ganze Vorftellungetreis natürs 
lid) aus KTordfrantreih und bat fib von bier aus durch die Kirche über das ganze Abends 
land verbreitet! Hdch(tens werden nod Zufammenbänge mit dem antifen : eelenglauben 
zugeftanden. Daß fo gut wie fämtlihe Völker der Erde dbnlicde Dorftellungen befigen ®), 


6) Dgl. £ Weifer, „Jul, Weibnachtsgefchente und Weibnadhtsbaum“ 1923. Über 
die Bedeutung der Kalendenbräude: E. Schneeweis, „Die Weibnachtsbräude der 
Serboßroaten“, Wien 1925. 

‘) ,Doltstundlices aus altbayerifcen GBnadenftätten”, Augsburg 1930. 

8) Dgl. 5. 3. Plifadle, ,Die Sagen vom Wilden Heer“ 1934. 


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1932, IV Rleine Beiträge. 221 
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kümmert Meifen nicht. Wit germanifchen Dingen bat das tobende Beifterbeer nach Meifen 
jedenfalls nidhts zu tun. Auch der von Tacitus gebraudhte Ausdrud „feralis exercitus“ 
ift ibm zufolge nichts anderes, als die belannte „interpretatio Romana“ für eine von 
dem germanifhen Stamme der KHarier angewandte Rriegslift. Arme Germanen! Won 
ihrer Welt bleibt aber auch tein Stidden übrig. Denn aud der Schimmelreiter ift nas 
türlich jung. „Denn daß der befonders in den Fliederlanden und Florddeutfchland, aber auch 
in Schwaben und Oberfdlefien als Reittier dea Gabenfpenders fo beliebte Schimmel nichts 
mit Wodans Roß, dem Sleipnir der nordifchen Sage, zu tun baben lann, wie fic die 
Mptbologen und ibre Anhänger fo gerne felbft glaubhaft madyen wollen, bedarf nach den 
Ergebniffen diefer Unterfuchung keines Beweifes mehr“ (S. 442). Und von der Perdt 
fcdreibt Meifen (S. 440): „So ftebt der Annabme nichts entgegen, daß die Geftalt der 
Berdta überhaupt erft durd den Filolausktult gefchaffen wurde (1) und daß fie von bier 
aus erft ihren Weg als Schredgeftalt und Rinderfcheudye in die allgemeine Sagenüberliefes 
rung gefunden bat.“ Und in der Anmertung wird binzugefügt: „Ich babe diefelbe Ders 
mutung übrigens bezüglich einer ganzen Anzahl anderer, 3. T. aber fchon genannter 
Schredgeftalten, über die ich demnädhft an anderer Stelle zufammenfaffend zu handeln ges 
dente.” Damit wäre glüdli unfer Doltstum reftlos befeitigt und alles als gefuntenes 
chriſtliches Rulturgut „nachgewieſen“. Ich babe abfichtlih einige Behauptungen Meifens 
im Wortlaut angeführt, damit man mein Referat nicht für eine böswillige Verdrebung 
oder einen üblen Scherz halte. Saft würde es ficy erübrigen, dagegen zu polemifieren, denn 
foldye Gewaltfamleiten richten fich eigentlich felbft. Boch feien wenigftens einige Puntte 
angeführt. 

Über die Perdht bätte fih Meifen aus Wafdnitius grimdlider Quellenfamm- 
lung?) Rat bolen können. Durd das dort beigebracdhte Material wird aud Meifens 
Einwand binfällig, diefe Siguren feien nur in Shddeutfdland bekannt, feblten aber in 
Mitteldeuticdland. In der Srage der weibliden Gottheiten wird man nicht an den auf 
über 400 Steinen infdriftlid) bezeugten matres, matronae voribergeben tdnnen 1°) und 
aud) an Bedas Bericht (7. Jahrhundert) denken müffen, daß bei den Angelfadfen die 
Heujabrenadht „WModranebt“ hieß. Weiters ift an das Speifeopfer für die im Gefolge 
der Percht ziebenden Seelen, den Berdhtentifh zu erinnern. Das erfte Zeugnis für einen 
derartigen Geiftertifd zu Lleujabr ftammt bereits aus dem 6. Jabrbundert !!) und das 
Ronzil von Rom fertigte 743 ein Derbot dagegen aus. Heute findet diefe Sitte zu Allers 
feelen ftatt, doc ift fie bereits 500 Jahre vor der Einführung des chriftlihen Allerfeelens 
feftes (1006) bezeugt. Aeidnifcder Urfprung ift nicht zu leugnen. 

Was Wodan und das Wilde Heer betrifft, fo find ausführliche Unterfuchungen über 
diefe Sragen in Vorbereitung 12). Bereits Lily Weifer bat aber die Schilderung des 
„feralis exercitus“ ins rechte Licht gerüdt!3). Es bandelt fic bier einfach um den 
Männerbund, der fowobl kriegerifhen wie kultifhen Charakter batte und in legterer 
Sunttion in elftatifhem Toben als Wilde Jagd durch das Land 30g. Die Vertnüpfung 
mit dem Sturm ift fetunddr, wesbalb alle bisberigen naturmytbologiichen Ertlarungsvers 
fuche am Wefen der Erfceinung vorüberzielten. !eifen erkennt wobl den Zufammens 
bang der Sage mit dem lebendigen Dollsbraud. Aber nach feiner vorgefagten Meinung 
vom driftliden Urfprunge alles Brauchtume leitet er die menfchliche Darftellung des Wils 
den Heeres von fetundären Dingen ab. Daß es fidh bier aber um eine foziologifche wie 
Bultifche Urform (Totentult) bandelt, wird durch die erdrüdende Gülle der etbnologifcdhen 
Parallelen über allen Zweifel erhoben !4). Kur bat man fie bisber in Europa mertwürdigers 
weife nicht in Rechnung gezogen. An chriftlichen Einfluß außer bei fpäten Außerlichkeiten 
ift da einfach nicht zu denken. Diefe Bünde, weldye zu gewiffen Seftzeiten die Toten res 
präfentierten, beftanden im Geheimen — und das ift allerdings eine groge Uberrafdung 
— an vielen Orcten bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts. Aus ihrem Braudtum, das 


)D. Wafbnitius, „Perdt, Moldau und verwandte Geftalten“, Wien 1914, 
Sigungsber. d. Akad. d. Wiffenfch. pbil. bift. Rlaffe 174 Bo. 2. Abbandlung. 

10) R. Mucd, in Zeitfehr. f. deutfches Altertum Bd. 35, S. 315 ff. 

11) 3n der pfeudoauguftinifchen Homilie 129 des Läfarius von Arles, geft. 542. 

12) Otto Höfler, „Totenbeer:Rultbunds Saftnadhtefpiel“ und R. Wolfram, 
„Schwerttanz und Männerbund“. 

13) „Altgermanifhe Jünglingsweiben und Männerbünde” 1927. 

4) Schurt, "Üterstlaffen und Männerbünde“ 1903; 5. Webfter, „Primi- 
tive secret Societies“; R. Lowie, „Primitive Religion“ 1924; RX. Thurnwald, 
„Die menfchlidye Befellfhaft in ihren foziologifhen Grundlagen”, Bd. 2, Berlin 1932. 


222 Doll und Kaffe. 1932, IV 
EEE EEE u SEE eS Ne ea —— 





dem der ſogenannten Tiefkulturvoͤlker ganz parallel laͤuft, und nicht aus dem Nikolauskult, 
erklaͤrt ſich eine große Reihe von Geſtalten, die Meiſen aus dem Teufel ableitet. Andere 
wieder haben ihren Standort in der Fruchtbarkeitsmagie. Natürlich hat man unter chriſt⸗ 
lichem Einfluß dieſe Dinge als teufliſch aufgefaßt, aber das ift dod nidt das Urfpringlicde. 
Bereits die Schilderung des Ordericus Vitalis zeigt den Aufzug durch eine chriſtliche 
Brille geſehen und im Sinne der Lehre von der Vergeltung ausgeſchmückt. Aber genauere 
Betrachtung zeigt Elemente, die nicht aus dem Mythos ſtammen, ſondern aus dem Brauch⸗ 
tum und ſtereotyp durch die Jahrhunderte wiederkehren. Auch der normanniſche Rirchen⸗ 
hiſtoriker iſt hier gutglaͤubig aufgeſeſſen, denn er nahm den Spuk ernſt, ebenſo wie die 
Rirche jahrhundertelang keine Ahnung hatte, um was es ſich da eigentlich handelte. Man 
denke ſich doch einmal in die Pſychologie der Darſteller des Wilden Heeres hinein. Wenn 
der ganze Brauch rein chriſtlich war, eine paͤdagogiſche Veranſchaulichung kirchlicher Lehren 
im Stile geiſtlicher Spiele und Prozeſſionen, was in aller Welt bewog dieſe Menſchen dann, 
das Heer der Verdammten naͤchtlicherweile und mit allem Grauen im Geheimen darzu⸗ 
ſtellen und ſich mit dem Antichriſtlichen voͤllig zu identifizieren? Das ſind mir nette 
Glaubenseifrige, die in ihrem Streben nach moͤglichſt guter Darſtellung der Unholden 
ſo weit gehen, daß ſie wochenlang vorher die Rirche meiden und nicht beichten gehen, ehe 
ſie ſich in die Daͤmonenmasken ſtecken. Denn ſolche Vorbereitungen exiſtieren auch heute 
noch. Daß die Erwaͤhnungen ſolcher Braͤuche verhaͤltnismaͤßig ſpaͤt ſind, erklaͤrt ſich eben 
daraus, daß es ſich hier um Geheimbuͤnde handelt, die ihr eſoteriſches Wiſſen und Tun 
ſtrenge hüteten ebenſo wie bei den antiken Myſterien. hinweiſe haben wir freilich genug 
bereits aus altgermaniſcher Jeit. Es zeigt ſich wieder einmal, daß das Weſent⸗ 
liche in Ser Überlieferung niht das Befchbriebene ift,fondernvielmebr 
das, was wir erf&hließen müffen. Man frage einmal einen modernen Sorjchungss 
reifenden über die Schwierigkeiten, in die Gebeimniffe foldder Bünde einzudringen. In 
den meiften Sällen ft dies ganz unmöglich und unfer Wiffen berubt auf irgendwelden glüds 
lichen Zufällen. 
mir diefem Kladhweis fällt alles von Meifen über WOuotan — den Bundesgott 
und das Wilde Heer Gefagte, wie aud die daran gelnüpften geograpbifchen Spelulstionen. 
Schließlich haben wir ja aub im Münchner Machtfegen (13. A abebundert) die Sorm , WA: 
tan“ und ,YOAtanes ber“ 3u einer Zeit, wo die deutfche Sprade die Faͤhigkeit der Namen⸗ 
bildung durdy das sans Zuffir fhon längft verloren batte! Es muß fic bier alfo um den 
alten Germanengott bandeln. Das Sortbefteben des Heidentums ift damit erwiefen und der 
alleinigen Urbeberfchaft des Teufels an den Geftalten unferes Brauchtums der Boden ents 
zogen. Die weiteren Solgerungen ergeben fi dann von felbft. Dag Meifen bei der Deus 
tung des KTamens Wode in Übereinftimmung mit vielen anderen an Wut antnüpft, dürfte 
allerdings das Richtige treffen. Irgendwie gebören die Begriffe wobl zufammen, wie denn 
auch der Schritt von der inneren Erregung zur Erregung der Klatur im Sturm nicht fo 
roß if. Wodan war eben der Gott des Mannerbundes, der bei feinen Rultaufzügen die 
oten darftellend ekftatifch durd die Lande tobte. Die Sruchtbarteit des Lommenden Jabres 
wird ja im Voltsglauben davon abbängig gemacht, daß die Wilde Jagd, der Bund, über 
die Selder rafte. So ertlaren fid zabllofe Brdude in den Zwölften und ım Safcbing. Trog: 
dem 3. B. das Laufen der Ebenfeer „Blödler“ lange Zeit verboten war und wenn fich einer 
zeigte, der Polizift fofort hinter ibm dreinlief, bielt das Volt doch unbeugfem an diefen 
Bräuden fell. Wenn man fragte warum, erbielt man direlt zur Antwort, daß fie die 
fommende Ernte nicht ristieren wollten. Das ift nur ein Beifpiel von taufenden. 


Ylodhmals, es ift fhade um die Mübe Meifens, mit der er das viele (Material in 
feinem Werte zufammengetragen bat. In mander Beziehung können wir freilich aud 
von ibm lernen und zwar nibt nur in negativer Weife.. Wir find 3. B. dankbar für die 
Rlarftellung der innertirdylichen Verbältniffe in bezug auf den YTifolaustult und die Niko⸗ 
lauslegende. Was aber als Erklärung des Brauchtums geboten wird, muß vom Standpuntt 
der Ethnologie, Religionswiffenfchaft, Volkstunde und der vielgefhmäbten Germaniftit 
auf das KEntichiedenfte abgelehnt werden. Don diefen Beweifen ift nicht ein einziger zu 
balten. 


un 


1932, IV Rleine Beiträge. 223 


Überfichtsberichte 
aus dem rafjenhygienifchen Schrifttum. 


Don Dr. G. Mofer, Gottingen. 


(Sortfegung.) 


Wie wenig dagegen bei uns raffenbpygienifches Denken medizinische Anfchauungen und 
die Einftellung der Behörden beeinflußt, zeigt die Schrift von St. Weftmann*2) „Srauens 
fport und Srauentörper“. In diefem Buche wie auch in anderen fonft wertvollen Beiträgen 
der fportärztlichen Literatur finden fich häufig biologifch nicht baltbare Vorftellungen, welche 
einer grundfäglichen Richtigftellung bedürfen. Die Sporttreife und aud die Sportärste 
werden beberrfht von überwundenen lamardiftifden VDorftellungen, daß das Leben des 
Einzelwefens von formender Beeinfluffung für die Gattung und das fommende Gefdledt, 
daß die Rultur des Körpers nicht nur sistem, fondern aud den Tlacdtommen von Fluten 
fet, daG die Mdglicdleit beftebe, die Artentwidlung in beftimmter, unferer Jdealvorftellung 
entfprechender Weife zu beeinfluffen. 

Die Dererbungswiffenfdaft bat in zablreichen Unterfuchungen nadgewiefen, da vom 
Einzelindividuum durch dugere Einfluffe im Laufe des Lebens erworbene Ligenfcaften 
nicht vererbt werden können. Die Ubung der Mustulatur des Körpers durh Sport und 
Gewöbnung fommt nur dem Einzelindividuum zugute; eine Beeinfluffung oder Anderung 
der weitgebend fonftanten Erbmaffe tft ausgefchloffen; weder die Ausbildung des Körpers 
nod des Geiftes (Intellelts und Energieausbildung) ift vererbbar. Vererbt werden kann 
nur an Anlagen, was aus der elterlichen Erblombination an Entwidlungsbereitfchaften dem 
Binde mitgegeben wurde. Etwas der Erbanlage hinzufügen oder befeitigen ift nicht möglich. 
Demnad kann die fportlidde Übung nur die Anlagen entwideln und die Sabigteiten auss 
bilden, weldye in dem Erbplasma vorhanden, bis zu der durdy die Anlage gezogenen Grenze. 
Das Rind eines Athleten bat nur die nach den ui EBEN. gegebenen Wabrfcheinlidhs 
keiten, die Anlagen vererbt zu erhalten zum atbletifhen Aörperbau, zur kräftigen Wustels 
entwidlung und Übbarkeit der Muskulatur, weldye es wie feine Vorfahren entwideln und 
üben muß. Wird die Anlage nicht entwidelt, tritt fie nicht im Erfdeinungsbilde auf, ift fie 
dod in der Erbanlage vorhanden und wird mit der Erbmajfe entfpredhend dem Erbgang 
an die Hadlommen weitergegeben. Einen Einfluß auf das tommende Gefdlecdt und feine 
Erbqualitäten bat der Sport nicht, no viel weniger beftebt die Möglichkeit, die Arts 
entwidlung in beftimmter Wdeife zu beeinfluffen. Der Sport könnte raffenbygienifch wirten, 
wenn er bei feiner weite Rreife des Doltes erfaffenden Werbearbeit die Raffenbygiene unters 
ftügen wollte bei ihrer Auftlärungsarbeit. Sport und Kaffenbygiene verfolgen dasfelbe 
Ziel, die körperliche und geiftige Tüchtigkeit des ganzen Volkes, nur find die Wege vers 
fbieden. Jede Art von funpbeitefürförge, will fie Dauererfolge erzielen, muß die rs 
gebniffe der Vererbungswiffenfchaft und der Raffenbygiene berüdfichtigen. Zu einer Er⸗ 
tüchtigung des ganzen Volkes kann die bisherige Einftellung der führenden Perfönlichkeiten 
des Sports nicht führen; die Anficht von Raup, als fei „die Pflege der Leibesübungen das 
widtigite Mittel zur Erbaltung und Wiedergewinnung alter Voltstüchtigkeit, oder wenn 
man will 3ur Erbaltung der deutfchen Kaffe“ muß wie in der Raffenbygiene auch in den 
Sporttreifen überwunden werden. Lieben das Beftreben der Ertüdhtigung des Kinzels 
indipiduums könnte die Erkenntnis von der Wichtigkeit der Erbanlage für die fportliche 
Leitung und für die Qualität der näditen Generation treten. Gerade in Sportlreifen, 
welde, mit guten Börperlichen und geiftigen Anlagen, der Raffenbygiene weniger ablebnend 
gegenüberfteben könnten wie fich perfönlich betroffen Süblende mit irgendwelden Mängeln 
au erbliher Grundlage, ließe fich leicht Verftändnis erweden für die Bedeutung Börperlichs 

eiftiger Erbgefundbeit und die Wichtigkeit der Gattenwabl. Neben die Hochſchaͤtzung der 
portlihen Tuchtigkeit des Ebepartners müßte die Wertung nad der Erbgefundbeit treten, 
welche allein die Bewäbr für gefunde und lebenstücdhtige Rinder bietet. Flur wenn die Erbs 
gefunden fich ftärker vermebren wie die WMinderwertigen, welde den Anforderungen des 
£ebens durdy körperlichegeiftige Mängel nicht gewadlen find, wäre eine Ertüdhtigung des 
Volkes und Hebung der Durdhfchnittsqualität möglich. 








62) St. Weftmann, Srauenfport und Srauentdrper. Monogr. 3. Srauentde. u. 
Ronftitutionsforfdg. Yr. 13. €. Rabigfd Verlag, 1930. 


224 Doll und Raffe. 1932, IV 
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Indirelt unterftügt die Sportbewegung raffenbygienifche Sorderungen durd den 
Rampf gegen die Reimgifte Altobol und Hikotin. Auf der anderen Seite beftebt die Gefabr, 
daß durdy Überbewertung der fportlichen Leiftung die beruflidhe Ausbildung leidet und damit 
die wirtfchaftliben Grundlagen für eine Samiliengrüundung binausgezögert werden mit den 
Gefabren der Spatebe (vorebelide Gefhlechtstrantheiten!, langfame Generationenfolge, ges 
einge Rinderzabl). Bei der Srau kann übertriebene, ungeeignete Sportausübung noch leichter 
zu Örganfhädigungen führen wie beim Manne und die Sortpflanzungsfäbigkeit befehränten 
oder völlig aufbeben. Soldye fontrafelettorifaen Solgen müffen vermieden werden und die 
Anforderungen der gefhledhtsfpezififchen Leiftungsfäbigkeit des weiblidden Rörpers angepaßt 
werden. Die für das Einzelindividuum wie für das Volktsganze widhtigfte Aufgabe der Sau 
bleibt die Erfüllung ibrer biologifden Sunttionen in der Mutterfchaft. Mit diefer biolos 

ifden Grundlage müffen alle anderen Sorderungen in Einklang gebradıt werden, foll tats 
Achlich nugbringende Arbeit geleiftet werden, weldye nicht gegen Llaturgefege verftößt. Zu 
welden kontrafelettorifhen Erfdeinungen der Sport, wenn er zum Selbftzwed wird, 
führen kann, zeigt traf der von Liepmann mitgeteilte Sall einer Sportlerin, welde die 
Sorderung der Schwangerfchaftsunterbredhung ftellte, um an einem Wettlampf teilnebmen 
zu lönnen und nach Ablehnung der Unterbredung abtrieb mit nadfolgender Eileiterentzüuns 
dung. Flidht nur bei Wettlämpferinnen läßt fi Schwangerfdaft, Wöochenbett und Rinders 
aufzucht mit den ſportlichen Wuͤnſchen nicht in — bringen. Wie manches 
Rind wird der Beſchaffung eines Autos und fportliden Autofabrten oder aͤhnlichem Sport⸗ 
betrieb geopfert! Ob das Doltsganze durch die Selbftausmerzung foldyer Srauen obne jedes 
weiblide und mütterlide Empfinden viel verliert, möchte ich bezweifeln. Beachtlich ers 
fcdeint in diefem Zufammenbang der von Weltmann mitgeteilte Standpunlt des Srauens 
fportwartes der deutfchen Sportbebdrde fir Leichtathletit, welder es ablebne, dabins 
ftreben 3u wollen, aus der Srau vor allem einen Menfden zu machen, dem als “dcbftes, viel= 
leicht nur im Unterbewußtfein fhlummerndes Ziel, die Mütterlichkeit, vorfdbwebe. Wie die 
£ebensbedingungen und die Betätigung des Einzelnen und des Vollsganzen in Übereins 
ftimmung gebradt werden miffen mit den biologifcben Lebensgefegen des Einzelnen und 
des Poltes, fo muß auch jede Rörperkultur der Srau mit den biologifden Aufgaben zu 
vereinbaren fein. Wenn eine führende Perfönlichkeit mit großem Einfluß auf die Einftellung 
der nddften Generation fo unbiologifh denkt und in diefem Sinne erzieht, erfcheint es an 
der Zeit, den Wert diefer Sportbewegung vom raffenbygienifchen Standpunfßte aus kritifch 
zu erörtern und die Srage zu ftellen, ob cs noch angebracht erfdeint, eine ,Bebdrde“ mit 
foldyer unbiologifhen und im raffenbygienifchen Sinne ftaatefeindlichen Cinftellung weiter 
zu unterftügen mit Mitteln des Staates und der Allgemeinheit. Das Wiffen von der Erbs 
anlage verpflichtet zum Dienft am Volle mit der Unterordnung der eigenen Perfon unter 
die hoben außerperfönlichen Aufgaben der Raffenbygiene, die das Sortleben der Wertvollen 
unferes Doltes und feiner Rultur zum Ziele bat. Daß eine „Behörde“ diefen Beftrebungen 
entgegenarbeitet und die verbangnisvoll fid) auswirtende Rontrafelettion unterftige, follte 
verbütet werden. 


Erfreulich ift, daß ein führender Pädagoge wie der Dresdner Oberfchulrat W. Harts 
nade‘3) feine Vorarbeiten zu einem größeren Buche zufammenfaßt und die entfpredenden 
Schlußfolgerungen ziebt, wenn diefe auch bei den offiziellen Landers und Reichsminiſterien 
nicht erwunfcht erfcheinen. Dem Buche möchte ich in Pädagogen: und Elternkreifen weitefte 
Derbreitung wünfcen. #. gebört zu den wenigen Pädagogen, weldye die Bedeutung der 
Erbanlage für die geiftige Entwidlung wie die in der Erbanlage gezogenen Flaturgrenzen 
erkannt baben und mung für die aus diefer Erkenntnis zu ziebenden Sclußfolgerungen eins 
treten. Die zahlreihen Lleuerungen in unferem Sculwefen geben von der irrigen Annabme 
aus, daß zahlreiche Hodbegabte nidt zur böberen Bildung gelangen, wäbrend in Wirklichs 
teit Hodbegabte in den unteren Doltsfhidhten verbältnismäßig felten find. Durd das übers 
fteigerte Berehtigungswefen werden zahlreiche Unberufene in die bdberen Schulen bineins 
gedrängt und kommen zum Studium, obne die entfpredhenden Entwidlungsmöglichteiten 
in ihrer Erbanlage zu befigen. Dielen Pädagogen ift die Einficht, daß die LUmmwelteinflüffe 
nicht allmächtig, unangenebm. Die Gefahr ift, daß durch das Hineingelangen lingeeigneter 
in die böbere Ausbildung der geiftige Durdfchnitt finten muß, wie die lebbaften Alagen 
der Hodhfchullebrer beweifen. Da 9. führend im Rampfe um die weitere Geftaltung des 
Schulwefens ftebt, ift zu hoffen, daß die erbbiologifdhen Erkenntniffe auc unter den Pddar 
gogen mebr Eingang finden. Don dem feffelnd gefchriebenen Buche ift ein nachhaltiger 


3) W.hartnade, MMaturgrenzen geiftiger Bildung. Quelle u. Meyer, Leipzig, 1930. 


1932, IV Rleine Beiträge. 225 
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Eindruck zu erwarten. Die bevoͤlkerungspolitiſchen Schlußbetrachtungen zwingen zum Nach⸗ 
denken und uͤberzeugen — hoffentlich auch die Paͤdagogen. 

Wie oft heißt es: der Junge ſoll, der Junge will auch, aber er kann nicht. Tragiſch 
kann ſich das Nichtverſtehen der Naturgrenzen auswirken im Einzelfalle, bedeutungsvoll 
ſind die Beziehungen zwiſchen durchſchnittlicher Begabung der einzelnen Berufsgruppen. 
„Schulurteile und Intelligenzpruͤfungen haben in der ganzen Welt dieſelben Ergebniſſe der 
durchſchnittlichen ————— zwiſchen Berufshoͤhe des Vaters und geiſtiger Leiſtung 
des Rindes gehabt.“ „Gerade die Einführung des Grundſchulzwanges hat ſtark dazu bei— 

etragen, den zwingenden Beweis der ungleichen Streuung der Schultuͤchtigen uͤber das 

olksganze zu ermoͤglichen, die ohne die gemeinſame Grundſchule und ohne durchſchnittlich 
med: Urteil durh Grundfcullebrer felbft weiterbin als Solge unpädagogifchen 

rille und einfeitig günftiger Beurteilung durch die Voltsjchullebrer bätte bingeftellt werden 
können.” ©. glaubte felbft früber, daß unfer Bildungswefen unfozial fei und daß aus der 
Seltenbeit von Arbeitertindern in den weiterfübrenden Schulen zu febließen fei, daß Scharen 
MHocdhbegabter nicht zur gebobenen Bildungsbabn gelangten, daß fie aus wirtjchaftlicdhen 
Gründen ungefördert in der Doltsfchule blieben. Seine Erfabrungen zeigten, daß bei weiten 
nicht fo viel für eine böbere Schule Geeignete in Voltefchulen waren, wie bei den Rlagen 
über Ylichtgeförderte zu erwarten war. Übereinftimmend mit den übrigen Linterfucdhern, 
deren Ergebniffe referiert werden, fand 9%, daß in der Befamtbeit der höheren Schule vers 
bältnismäßig nicht fo viele Arbeiterkinder erwartet werden können, wie Arbeiter in der 
Gefamtbeit der Bevdllerung vorhanden find. Cine Cinbeitsfdule im Sinne einer gleidhen 
Schulbahn kann weder den Shwaden nod den Sähigen geredht werden. „Wer glaubt, 
durch einförmige Schule Gemeinfcdaftsgeit erzieben zu Bönnen, der muß das tun um den 
Preis, daß durd lunftlides Semmen und Bremfen der Dorwärtsftrebenden die erftrebte 
Einbeit auf der unteren Adbenlage bergeftellt wird.“ „Sinn und Zwed meines Buches ift, 
das Augenmerk darauf zu richten, daß wir im Zuge find alles zu tun, um durd ein falfches 
und überfteigertes Schuls und Beredtigungswefen den geiftigen Erbbeftand unferes Volkes 
fhwer zu ae Wr und uns von innen beraus zugrunde zu richten. Mögen die Derants 
wortlidhen den Auf bören und tun, was ibnen das Gewiffen befieblt. Mögen fie handeln 
als Sührer, nicht als Abhängige von Maffen und Organifationen.“ 


Über befondere Begabungen bei WPunderlindern berichtet Sr. Baumgarten» 
Tramert!). Bis beute gibt es nur eine Zufallstafuiftit über DOundertinder. Die Medizin 
wird nod von der Meinung Lombrofos beberrfcdht, daß jede Srühreife pa’bologifch. Sur die 
Arzte betommt das Wunderlind erft Intereffe durd die pbyfifchen, bebandlungsbedürftigen 
Anomalien. Anders dsie Pfychologen. VDerfafferin berichtet über Intelligenz und Charalters 
prüfungen an neun Wunderlindern; bei einigen erbielt fie feine Erlaubnis zur Derdffents 
liyung der Befunde. Alle hatten große Luft an der Ausübung ibrer Runft, und waren fidy 
der Derantwortung bei ihrem Auftreten bewußt mit einem LErnft, der von ihrem fonft 
kindlihen Wehen auffällig abfticht. Sie find Muſterkinder, welche ſehr an den Eltern, den 
Sörderern ibrer Runft, bangen. Die Intelligenzprüfung wies meift überdurchjchnittliche 
Begabung auf obne einfeitige Begabung und erzielte Spigenleiftungen, wie fie die erperis 
mentelle Pfycbologie bisber nicht kannte. Andererfeits beftanden mertwürdige, unerwartete 
Ausfälle; fo konnte ein Beiner Beiger nicht aus cinem Stüd Drabt einfachite geometrifche 
Sormen bilden, eine 9 jährige Klaptervirtuofin zeichnete fchlimmer als ein 4 jäbriges Rind, 
ein $s jähriger Shadhwundertnabe, der im Simultanfpiel mit den 20 beiten Spielern des 
Berliner Schadllubs Sieger blieb, batte keine Vorftellung von der realen Wirklichkeit; 
kennt weder Pflanzen nod Tiere noch das Datum, unterfcheidet nicht die einfachen Münzen 
ufw. Manche Rinder entfalten fich in der eingefchlagenen Richtung weiter, andere fchlagen 
neue Wege ein und leiften auf dem neuen Gebiet aud Bedeutendes. zung die 
£ebensbabn der talentierten Rinder, fann man Auffchlüffe erhalten, inwiefern „Begabung“ 
eine fete einheitliche Dispofition bildet und es nur eine „generelle“ Begabung gibt, die fd) 
je nah Altersftufe oder Lmftänden in verfchiedener Weife manifeftiert, inwiefern es einzelne 
autonome Befäbigungen gibt, die nad: oder nebeneinander regellos und unbeftändig aufs 
fladern und verfdwinden. 


Die Bilder aus der Gefchichte der biologifchen Grundprobleme widmet W. Buddens 
brod*5) dem deutfchen Studenten. „Er möge daraus mebr lernen als wiffenfchaftlicdhe 


4) BaumgartensTramer, Wunsperlinder. D.m.W. Fir. 38, 1931. 
45) W. Buddenbrod, Bilder aus der Gefcdidte der biolog. Grundprobleme. 
Borntrager, Berlin, 1930. 


226 Volt und Kaffe. 1932, IV 








Tatfachen. In unferer Zeit nationaler Selbfterniedrigung und Verzagtbeit, fcheint es mir 
geboten, mit Hadhdrud auf den vielfach berrfchenden Anteil binzuweifen, den deutfcher Beift 
und deutfide Sorfcbung an der Entbüllung vieler der tiefften Lebensprobleme genommen 
baben.“ In den Hyauptlapiteln wird in Harer Sorm überfihtlidh abgebandelt: die Entftebung 
de8 Lebens (Ürzeugung, Befruchtung, Entwidlung des Individuums), die Organifation 
des Lebens (FelleKebre, Problem der organifden Zwedmäßigteit), die Stellung des Lebens 
zum Flaturganzen (Energieprinzip und Leben, Chemie des Lebens), die Erbaltung und Sorts 
entwidlung des Lebens — Stammesentwicklung). 

Alm quiſt6) ſchildert jedesmal einen Forſcher, auch bisher weniger bekannte, in 

einzelnen Rapiteln und faßt am Schluſſe in theoretiſcher Allgemeinbetrachtung ſeine An⸗ 
ſchauungen zuſammen. 
Bei der Pruͤfung der Berufsgebürtigkeit erbringt 5. Wolff ) den Nachweis, daß 
die Geburtenzahl bei den Selbſtaͤndigen beſonders ſtark zuruͤckgegangen, da dieſe am ſtaͤrkſten 
unter dem Ronjunkturruͤckgang zu leiden haben. Verf. ſchließt daraus, daß fuͤr die Geburten⸗ 
beſchraͤnkung mehr wirtſchaftliche als ſittliche Gruͤnde maßgebend ſeien. 

Die Einſtellung der katholiſchen und evangeliſchen Rirche zu eugeniſchen Fragen wird 
in einer gemeinſamen Veroͤffentlichung anlaͤßlich einer Ausſprache zum § 218 Mar beraus⸗ 
gearbeitet. Vor der Mitgliederverſammlung der Arbeitsgemeinſchaft für Volksgeſundung 4S) 
wies Harmſen nach, daß die voͤllige Freigabe der Abtreibung in Sowjetrußland ſich als 
unmöglich erwiefen und daß man verfucht, den Abort einzufhränten, die foziale KTotlage 
3u beheben, um eine Unterbredung überflüffig zu maden; oft müffen infolge des Bettens 
5 die Frauen zu lange warten, bis der zulaͤſſige Zeitpunkt der Unterbrechung uͤber⸗ 

ritten. 

Anſchließend behandelte der katholiſche Moraltheologe Prof. Mayer, Paderborn, die 
Einſtellung der katholiſchen Rirche und nahm auch zu eugeniſchen Forderungen Stellung. 
Zunaͤchſt werden eugeniſche und ſozialhygieniſche Gruͤnde anerkannt, welche einzelnen un⸗ 
gluͤcklichen Paaren nahelegen, aus der ungeheuren Verantwortung heraus eine Eheſchließung 
und den feruellen Verkehr zu unterlaſſen, welcher nach menſchlicher Wahrſcheinlichkeit doch 
nur ungluͤcklichen, erblich belaſteten oder verſeuchten Rindern das Leben — würde, doch 
lehnt die katbolifche Htoral jede foziale und eugenifche Indikation zu einer Schwangerjcaftes 
unterbrebhung ganz entfchieden ab, „da fie in der wirtjchaftlichsfozialen Indikation kein ges 
eignetes !Nittel einer wirktfamen Abbilfe, weder für das Doll nod für die Samilie, nod für 
einzelne in lot geratene Mütter fiebt.“ Die Rirche fiebt nicht in der gewaltfamen Ents 
fernung unerwünfchter oder vorausfichtlich minderwertiger keimender Rinder die Rettung. 
Die tircdlice Caritas biete Hilfe aller Art. Sie fei bereit, für fppbilitifche und andere Rinder 
neue Einrichtungen etwa abnlid den WWDelanderheimen der nordifchen Länder zu fchaffen. 
Sie fei bereit, zu irgendeinem Syftem der Sindelbäufer, felbftverftändlid in modernifierter 
Sorm, zurüdzulebhren, um Aufnabme und einen Lebensraum foldyen Rindern zu geben, weldye 
etwa aus Flotzucht, aus Derbrechen, aus illegalen Verbindungen oder ale Srucdte unge: 
eigneter Ebepartner, 3. B. als Jdioten, Imbezille ufw. zum Leben famen. Sie ift aud bereit, 
durch aktive Mitarbeit und durd sie Umitellung von Anftalten zur nn ecigs 
neter und gemeingefäbrlicher zeugungsfäbiger Di vbopatben ufw. der eugenifchen Not Rech⸗ 
nung 3u tragen; Pot madıt erfinderifd, und namentlich die Caritas weiß Mittel und Wege 
zu folder raffenbiologifcben Kyilfe, wenn die ftaatliche Gefeggebung die Derwabrung Minder⸗ 
wertiger ermöglicht; ich erinnere nur an die Anftalten von Bodelfhwings evangelifcher: 
feits und an XKingeifens Anftalten in Bayern katholifcherfeits, bei deren Gründung balbe 
Wunder gefdaben, wo es die Caritas verftand, ganze Dörfer für linderwertige aus dem 
Boden fhbießen zu laffen, Anftalten, weldye den Staat und die Wirtfchaft in keiner Weife 
belaften. Zu foldhen und Ääbnlichen eugenifchen ilfamagnabmen fei die Rirche ficher bereit. 
YTiemals ift fie aber dazu bereit, auf Grund eugenifcer Indikation, unfcbuldige Rinder im 
Entfteben töten zu laffen. So mertwürdig es Elingt, gerade der Papit muß ganz entfcbieden 
Stellung nebmen gegen einen Grundfag, der von der Rirdye immer wieder als unfittlich 
verworfen wurde, nämlich: der Zwed beiligt die Mittel. Pius XI. berufe fic ausdrcudlid 
auf die Verurteilung diefes Brundfages im Römerbrief 3, 8: „Man darf nicht Böfes tun, 
um damit Gutes zu ftiften.” Wan darf alfo nicht Rinder morden, um die Reinheit der Kaffe 
retten 3u wollen. Im übrigen fei ja die eugenifche Rontraindilstion wohl zu beachten. 


s Almquift, Große Biologen. I. F. Lehmann Verlag, Münden, 1931. 

$7) 5. Wolff, Berufsgebürtigleit. 3. Gefdh.verw. %. 17, 1931. 

18) Der kirdhlihe und juriftifdhe Standpuntt zur Srage des § 238. hed. Welt 
fr. 27, 1931. 


1932, IV Rleine Beiträge. 227 





Sind die Schranken einmal frei, fo werden zwar vielleicht ein paar minderwertige Rinder 
weniger geboren, ein teuer ertaufter Gewinn, der in gar keinem Verbältnis ftebe zu den 
ungebeueren Derluften an eugenifch vollwertigen Menjdentnofpen, welde dann beftimmt 
durch den Ärztlichen Eingriff vernichtet würden, wie die Erfahrung in Rußland zur Genüge 
beweift. Eine ernfte Eugenit muß vor allem mit pofitiven Ratjchlägen und Sorderungen 
an die Intellektuellen und Befigenden, aud an gefunde Arbeiterpaare berantreten, fie darf 
keinen Sreibrief für Shwangerfchaftsunterbredung den VDoltsmaffen ausftellen; denn diefer 
würde fich ganz beftimmt im böchften Grade raffeverderbend auswirten. 

Prof. £ütgert, Berlin, nahm vom evangelifhen Standpuntte Stellung, die völlige 
Sreigabe ablebnend, eine foziale Indikation nur anerfennend, wenn fie fic mit der medis 
zinifchen Indikation dedt; „unter dem Dorwande der fozialen Indikation kann jeder Willkür 
Tür und Tor geöffnet werden“. Die Hotzudtindilation erkennt er an mit Abderbalden. 
„Dagegen ift die eugenifche Indikation mit noch mebr Energie zu betämpfen wie die foziale 
Indikation, denn die Vorausficht der erblidyen Belaftung eines Rindes bat febr enge 
Scyranten, und aud bier muß die Willkür durch das Gefetg verbindert werden. Die Gefets 
aed bat 3u entideiden, in weldem Salle die Schwangerſchaftsunterbrechung zu einer 

Hddigung des Volkes wird.“ Die Schädigung liege nicht nur in der Störung der Volles 
vermebrung, fondern erft recht in der Störung des VDollsgewiffens. Eine Unterbredung 
Bönne kein individuelles Recht fein, zu entfcheiden babe die Gemeinfdaft, in der und für die 
der Einzelne da ift. | 

Geb.cRat Kahl duGerte fid vom juriftifhen Standpuntte als Dorfigender des Strafs 
redtsaus[ahuffes. ,Die eugenifche Indikation endlich ift ganz unmdglid. Die Dererbungss 
lebre ijt im entfernteften nod nidt fo fundiert, daß aus ibr eine Berechtigung des Arztes 
abgeleitet werden kann. Der Arztlihe Standpuntt kann nicht die Dorfebung für die Zukunft 
übernehmen. Unter die eugenifche Indikation laffen fidh abfolut unfichere Gründe der Unters 
brecbung einfhhmuggeln.“ 

Aud in dem Sammelbande von I. W. Hauer, $ 218, Eine fachlihe Ausfprace *) 
wird erfchredend deutlich, wie weit die Anfchauungen im Rampfe um den $ 218 auseinanders 
geben, wie durchaus verfchieden raffenbygienifches Denken bewertet wird. Befonders werts 
voll erfcheint das Buch dadurch, daß es einen Querfchnitt durch die Anfchauungen und Bes 
gründungen der verfchiedenen Lager gibt und auch eugenifche Erörterungen mit berans 
gezogen werden. Im einzelnen aut die Beiträge von Theologen, Arzten, Juriften ufw. eins 
zugeben, würde bier zu weit führen, doch möchte ich nidt verfeblen, empfeblend auf die 
Sammlung binzuweifen. 

In einer fleißigen, teilweife nicht tiefergebenden Arbeit beleuchtet S. Peller) das 
Abortproblem von den verfchiedenften Seiten unter Auswertung ftatiftifcher Unterlagen, 
bauptfähli aus den Wiener Anftalten. In diefem Referat erfcheint wichtig, daß der 
Eriminelle Saktor beim Abort bei weiten überwiegt und daß der Abort beim Geburtens 
ridgang im DVerbältnis zur Geburtenverbütung eine untergeordnete Rolle fpielt. P. jetzt 
fibh für die Sreigabe der Abtreibung ein. Der Gefahr weltanfhaulider Stellungnahme 
entgebt Derf. nicht, wenn er auch angeblich nach Objektivität ftrebt. Dor allem madt fid 
Diefe Einftellung bei der eugenifchen Wertung der Abortfrage bemerkbar; den vom eugenis 
fben Standpuntt zu ftellenden Anforderungen kann Werf. dsurd feine Bindungen nicht 
gerecht werden. Trotzdem erbebt fic das Bud über die reiche Abortliteratur der legten Zeit. 

Yleben der jetzt anertannten Reimſchaͤdigung durch Röntgenftrablen ift such 
A. Blubm 5) in großen Unterfuchungsreiben auch die viel umftrittene Srage der Alkohol⸗ 
fdddigung der Madhtommen geflart. An 32300 Tieren gelang der TTachweis, dah die 
Altobolfhädigung des Männdens der Ausgangsgeneration durch 7 Generationen vererbt 
wurde. Daß es fih um eine Reimfhädigung und nit um Modifikationen bandelt, gebt 
daraus bervor, daß die Männchen in den Rreuzungsverfucden die maßgeblichen Ubertrager 
der Schädigung find. Die Schädigung muß an den Gefhledhtschromofomen angreifen, wenn 
auch eine Mitbeteiligung des Plasma bei einigen Erfcheinungen wabrfceinlich ift. Die Über: 
tragung der grundfäglichen Derfuhsergebnifte auf den Menfden hält 3. für berechtigt und 


99) 3. WW. Hauer, § 218. Eine fahlicdhe Ausfprade. Der freie Dienft #5. 1. Leipzig, 
1931, €. €. Hirfchfeld. 

50) S. Peller Sehlgeburt und Bevdlterungsfrage. Hippolrates Verlag, Stuttgart, 
1930. 

51) A Blubm, Altobolismus fhädigt das Erbgut, Eug. Bd. I, 26. — Darf die 
Ecblidteit der Alloholfdaden als bewiefen gelten? Serw. u. Serpol. Bs. XVIII, %. 3, 
Arch. Raffenbiol. 


228 Doll und Raffe. 1932, IV 





betont, daß ein Cinbeiraten in Aloboliterfamilien zu widerraten, daß ausgedebnter Altos 
bolismus das Erbgut eines Volkes fchädigt. 

Über franzöfifche Befundbeitspäffe berichtet ©. Feuftädter!). Ein Entwurf ift 
im Abgeordnetenhaus angenommen und ftebt im Senat zur Derbandlung, der mit den Dors 
fdlagen einverftanden ift. Sür alle Rinder obne Unterfchied foll ein ärztlidhes Pflegebub von 
der Geburt an geführt werden, das über die Ergebniffe der periodifden Unterfudungen, 
deren Bindungen urd Verwaltungsverordnungen feftzufegen, Auskunft geben ES 
Zwangsmaßnabmen zur regelmäßigen VDorftellung der Rinder find vorgefeben. 

Don Vorteil werden die Hefte fein für die Berufswahl, die militärifche Ausbebung, 
frübzeitige Erfaffung chronifher Rrankbeiten, Aufnahme in Verfiderungen, ärztlidhe Ebes 
beratung. An Einwänden wurde vorgebradt, daß der Arzt teils aus Rüdficht auf die Bedenken 
des Patienten, teils aus Gründen fozialer und finanzieller Art nicht alles wahrbeitsgemäß 
eintragen würde, daß der Patient, wenn er einen Schaden dur die Aufzeidhnungen bes 
fürchte, den Paß „verlieren“ könnte. Gegenüber dem uneingefchräntten Berufsgebcimnis 
des Arztes feien Rompromiffe in der Hygiene unvermeidbar; der Widerftand des Bublitums 
werde nicht fo groß fein, wie man anzunehmen pflege. Ausfübrlide Angaben über die 
bisber in Srantreid vorbandenen verfchiedenen Päffe und Erörterung der Möglichkeiten 
zur Gebeimbaltung der Angaben. Durch den Zwang der Derbältniffe beftebe in Deutfchland 
wenin Ausficht, den Paß zu einem volltommenen Inftrument fir wiffenfdaftlide Sorfebung 
und Gefundbeitspflege zu madyen; viel erreicht wäre fbon, wenn es gelange, cine Gemeinde 
von Gefundbeitsbudhbefigern beranzuzieben und zur ftandigen Weiterfubrung der ins 
tragungen zu veranlaffen. (Pofitive Auslefe? Der Ref.) 

Auf 100 Seiten gibt 4%. Simmel 3) eine erfte Einführung in die Dererbungslebre, 
befonderen Wert auf die menfchliche Erbpatbologie legend. Wertvoll ift die Unterfdeidun 
der wirklichen und fcheinbaren Vererbung. Ob bei der gedrängten Kürze die Abficht, ae 
fhwierigere Sragen verftändlich zu machen, gelingt, babe ih noch nicht prüfen können. Pers 
fhiedene Sragen möchte man ausführlicher bebandelt feben im Interefje eines wirklichen 
Derftändniffes. Bei billigftem Preis werden gute Abbildungen gebradit. 

Zur Auftlärung beitragen kann die Samilientunde von W. Huffong**), welde als 
Doppelnummer aus Reclams UniverfalsBibliotbek allen erfhwingbar ift. Dom raffenbygienis 
fhen Standpuntte fei vor allem auf das IV. Kapitel: Zur biologifcyen Samilientunde vers 
wiefen. Daneben werden Genealogie, foziologifde Samilientunde abgebandelt, alles in leicht 
verftändlicher und anfpredyender Art. Ebenfalls in Reclams UniverjalsBibliotbek erfchienen 
von W. Scheidt5): „Raffentunde“ und „Rulturtunde“, welde bet aller Rürze dod die 
Grundlagen allgemeinverftändlidd abbandeln. Dem Verlag muß man Dant fagen, daß er 
auch diefe Gebiete in feiner Sammlung berüdfidhtigt, wird doc fo jedermann Gelegenbeit 
gegeben, fich mit den beute fo oft einfeitig erdrterten Sragen vertraut zu machen. 


(Sortfegung folgt.) 


An die Lefer von „Volt und Kaffe“. 


Als letzte Babe des „Werkbundes für deutfche Vollstumss und Raffenforfchung“ tft 
vor turzem das Bud) von Dr. Rudolf Helm, Deutfche Voltstrachten, mit 56 3. T. farbigen 
Bildertafeln aus der berühmten Sammlung des Bermanifchen Mufeums in Mürnberg ers 
fdienen. Jn diefem wie aud im vorigen Heft von ,, Volt und Kaffe“ wurden bereits einige 
Tafel: und Tertproben gebracht, fo daß jeder Lefer Gelegenbeit hatte, fic) eine Dorftellung 
uber Inbalt und Ausftattung des Werkes zu machen. Jedem, der am Scidfal unferer 
Voltstrachten Anteil nimmt, fei die Anfchaffung des Buches warm empfoblen. Mitglieder 
des „Wertbundes für deutfche Voltstumss und Raffenforfhung“ und fomit alle Bezieber 
von „Volk und Kaffe“ können das Bud zum Vorzugspreis von RM. 3.20 ftatt RM. 4.— 
beziehen. Wer bereits den vollen Preis bezablt bat, erbält eine Gutfdrift oder beLommt den 
Unterfchiedsbetrag zurüd. 

Wertbund für deutfche Dollstums: und Raffenforfdung. 


52) Teuftädter, Sranzöfifche Gefundbheitspaffe. 3. Gefb.verw. II, Fir. 20. 
53) 4. Simmel, Wirklie und fheinbare Vererbung von Rrantbeiten. Quelle und 
Meyer 1933, Leipzig. Wilfenfchaft und Bildung Fir. 271. 
51) Huffong, Samilientunde. Reclams Univerfalbibliothet. 
55) W. Scheidt, ebenda. 


—— 


1932, IV Buchbeſprechungen. 229 
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Buchbeſprechungen. 


Ewald Banſe: Deutſche Landeskunde. Teil II. Suͤd⸗ und Alpendeutſchland. Muͤnchen 
1932. J. §. Lebmanns ze: 063 S., 59 Abb., 2 Karten. Preis geb. Ml. 10.—, Leinwd. 
me. 12.—. Teil I/II in 3 . geb. ME. 20.—. 


Der zweite Band von EC. Banfes Deutfcher Landeskunde ift dem erften nun rafch 
arfoigt und fchließt das großangelegte Werk ab. Während im erften Bande Deutfchland 
als nz3es fowie FTieders und !Mitteldeutfchland dargeftellt wurden, find nun die nod 
feblenden beiden Raumfchaften Süddeutfchland und Alpendeutfdland Gegenftand der Bes 
bandlung. Aud in diefen Gebieten, denen der Verfafjer aus feinem Wefen beraus weniger 
unmittelbar verbunden ift, ift er überall gut belannt und ein erfahrener Sübrer. Befonders 
wertvoll an den Ausführungen Banfes ijt es, daß er das Land von feinen für uns wefents 
lien Seiten fo Har zu erfaffen und uns näber zu bringen weiß, einmal von den natürlichen 
are Begebenheiten ber, zum anderen von den Menfchen, die dasjelbe bewohnen. 

aber wird die Raffens und Stammeszugebödrigkeit der Bewohner befonders unterfucht 
und jede Raumfcaft in diefen wefentliden Hinfichten einer Betrachtung unterzogen. Dazu 
kommt noch die eigenartige Plaftit der Sprache des Verfaffers, die im Lefer ein lebendiges 
Bild all deffen, was ibm fein Süuhrer zeigen will, wacruft. Die zahlreichen fhönen, dem 
Bude beigegebenen Bilder unterftreihen dann riod den Eindrud des Gelefenen. 

Pyervorzubeben wäre auch, daß Banfe nicht an den deutfchen Reichsgrenzen Halt 
madıt, fondern all das Gebiet, in dem deutfches Vollstum lebt, in den Rreis feiner Ers 
Örterungen einbezieht. So ift diefes Buch dazu gefchaffen, die Cinbeit und Zufammens 

ebörigkeit des gefamten deutfchen Volkes darzulegen. Es it ein befonders anregender 
Sübrer durch die Mannigfaltigkeit deutfcher Landfchaft und deutfden Vollstums und eignet 
fic in feiner fchönen Ausftattung ganz ausgezeichnet als Seftgefchent. 


Bruno RK Schultz. 


A. Behmertnn: Das Atlantisrätfel. Befchichte und Erklärung der Atlantishypotbefen. 
Mit 29 Abb. im Tert und 9 Abb. auf 8 Tafeln. R. Doigtländers Verlag, Leipzig. 1932. 
Preis fart. RM. 5.50, Banzleinen RM. 6.50. 

Der Derf., der fich als „Einen, der kein ausgefprochener Spezialift irgendeines der (für 
die Löjung des Problems nötigen) Sachgebiete ift“ bezeichnet, gibt als „intereffierter Außens 
feiter“ einen febr eingebenden und kritifchen Überbli über dte wichtigften der zahlreichen 
bisher aufgeftellten Atlantisbypotbeien, wobei alles Sür und Wider ausführlich erörtert 
wird. KErbeblich ftärktere Rritit hätte die Theorie von Rarft vertragen, und febr viel kürzer 
und fchärfer batten die Phantafteceien der Anthropofopben und die „Ergebniffe“ fpiris 
tiftifher Sigungen abgetan werden können. Der Derfaffer bat eine febr umfangreide 
Literatur durdhgearbeitet, deren wichtigite Titel in einer Bibliographie zufammengeftellt 
find. 

Die eigene Meinung des Verfaffers ift: „Die Annahme, die Erzäblung Platos fei 
Mptbos, bat bei Einficht in die Platonifche Art, Pbilofopbie zu treiben, viel Wabrfcheins 
lichkeit für ficb.“ Diefe Nythologifierung bei Plato ,verfperct nidt den Flachweis, duf 
Plato tatfacdlicde Klacdhrichten feinem Atlentismytbos zugrunde gelegt“ babe. Bei der 
„Zude nad einer geograpbiich ertundbaren Atlantis“ hätte man allgemein „Atlantis alls 
zufebr als ifolierten Begriff bebandelt und die Voritellung der Infel aus dem Zufammens 
bang der Platonifden Dbilofopbie geriffen’. 

Dem Bude find folgende ,,Dotumente“ beigefügt: gute Überfegungen aus Platos 
„Timaios“ und „Rritias‘, aus des Diodor von Sizilien ,Gefdidtsbibliothel“, aus des 
Claudius Aclian „Dermifchten Erzählungen“, der Bericht der „Atlantifchen Studiengefells 
fchaft“ („Societe d’Etudes Atlanteennes“) und der angebliche an n Öts 
richt“. . Rede. 





- Eduard Beninger: Der weftgotifh:alaniihe Zug nad Mitteleuropa. Mannus= Biblio: 
thet (brag. von G. Roffinna) Fir. 51. €. Rabitfch, Leipzig 1931. 132 S. mit 50 Abb. 
Preis geb. ARME. 20.—, geb. ARME. 22.—. 

€. Beninger, der fih in verdienftlicher WDeife feit einiger Zeit mit dem reichen gers 
manifcden Sundftoff aus Teilen der ebemaligen Donaumonardie befchäftigt, behandelt in 
diefer anregenden Arbeit eine Anzabl füdofteuropäifcher Sunde, die in die frübe Völker: 
wenderungszeit gebören und gewiffe einbeitlidhe Charalterzüge tragen. it ibnen glaubt 


230 Volt und Kaffe. 1932, IV 
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der Derf. nachweifen zu können, daß, unbemerkt von der fpätrömifchen Geſchichtsſchreibung, 
an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert weftgotifdye Dolksteile im Verein mit alanifchen 
Gruppen nad Mitteleuropa gewandert feien, deren arddologifdhe Spuren man bis nadı 
Böhmen und Yliederöfterreich verfolgen könne. Zu diefem Zwed werden zahlreiche, teils 
alt bekannte, teils neu veröffentlichte Sunde einer eingebenden Betrachtung unterzogen, in 
der verfuchht wird, fie als weitgotifch feftzulegen und von anderem Sundftoff aus der Ddlters 
wanderung abzugrenzen. Trog mandher treffenden Einzelbeobadhtung befitzt jedoch die Bes 
weisfubrung in entfdeidenden Puntten erbeblide Schwächen und kann vor allem in metbos 
difcher Kinficht bäufig nicht befriedigen. So find die vom Perf. aufgeftellten Stilgruppen 
der aus Sudofteuropa jtammenden Rulturentwidlung fowobl nad der formentundliden, 
als aud) nad der hronologifhen Seite bin unzureichend unterbaut, fo daß die Abgrenzung 
der für die Beweisführung wefentlichen Stilgruppe III viclfady nicht überzeugt. Die mit 
coßem Sleiß zufammengeftellte Arbeit bleibt fomit bedauerlicherweife den Hauptbeweis 
duldig, um fo mebr als aud die vdltifde Beurteilung einzelner Sunde zu begründeten 
Sweifeln Anlag bietet. Weder der weftgotifde Charatter, nod die zeitliche Einordnung 
nidt weniger Altfachen, und ebenfowenig die Zuweifung einzelner Sundftüde an die uns 
nod ganz unzureichend bekannte Rultur der Alanen kann als Margeftellt gelten. se ware zu 
wünfcden, daß der trogdem bochverdiente Derf. zu gegebener Zeit auf die in feiner Arbeit 
angefchnittenen, zweifellos fehr wichtigen Sragen no einmal in anderem Rahmen zurüds 
ftommt und Gelegenbeit nimmt, feine Stellungnahme zu überprüfen. 
£. Peterfen, Breslau. 


Dienft am Deutichtum. Jabrweifer für das deutfche Haus. Münden 1933. I.$. Leb: 
meanns Verlag, Münden. 64 S. Preis Mi. 1.—. 

Aud fur das fommende Jahr 1933 bat der Verlag Lehmann einen reid) ausgeftatteten 
Wodenabreißtalender vorbereitet. Die vielen fchönen Bilder, die den neueften Derlagswerten 
über Raffentunde, Volkskunde, Architektur, Runft und vaterländifche Befchichte entnommen 
find, werden jeden erfreuen und anzieben. Diefem Jabeweifer ift weitefte Verbreitung zu 
winfden. Er follte in keinem deutichen Haufe feblen. 


Srig Dupre: Über die Berren „Aufartler“ und andere Hemmfchuhe der menichlihen 
Hodsiidtung. Sammerverlag, Leipzig 1931. 88 S. Preis MI. 2.50. 


Die flucdtig gefcdriebene Brofcdire ift als Ergänzung zu des Verf. fruberem Werke 
„Meltanihauung und Menfchenzudhtung”, das 1926 im felben Declage erfdien, gedadt. 
Sie enthält in der Hauptfacdhe nicht viel mehr als eine überaus fehnoddrige Polemik gegen 
verjchiedene Männer (darunter Prof. Sri Lenz), die fidh erlaubt haben, Bupres erfte Schrift 
einer Rritit zu unterzieben, und eine Reibe, von keiner Rudfidt auf Sorm und Ton ges 
trübter Angriffe auf Kifcher, Burgdörfer, Grotbjahn, His, Darre u. a., foweit fie fic über 
Stagen der Ebe oder der praktifchen Raffenbygiene geäußert baben. Ha Dupres Mleinung 
krankt die Solgerichtigkeit des Dentens all diefer Manner am Befurworten der Dauereinebe, 
die nad feiner Meinung der fcblimmi{te Semmfadub fowobl fur alle caffenbygienifaen Mag: 
nahmen als aud für jede gefunde Ethik bedeute. 

Zur Rennzeihnung von Dupres Wunfchbild von Srau und be fei erwähnt, daß er 
der Srau in der Ehe, „dern Lafttier mit 24 ftündigen Dienft im Tag“ als befonders „lieb» 
reizend“ „die berühmten AHetdren der großen Briedenzeit“ und die ,grandes amoureuses 
des Empire“ als Dertreterinnen des „fpezififh Weiblichen“ gegenüberftellt. 

£otbar Stengelsvon Rutlowjlti 


hans Harmfen: S 218 Sinn und Problematik des Abtreibungsparagraphen. Schriften 
sur Dolfsgefundung Heft 17, Arbeitsgemeinfchaft für Voltsgefundung, Berlin 1931. 32 S. 
Preis ME. —.50. 

Die Schrift umfaßt 4 Berichte, die vor der diesjährigen Mitgliederverfammlung der 
Arbeitsgemeinfchhaft über die Srage der Abtreibung gegeben wurden. Auf die einleitenden 
Ausführungen AHarmfens über die ruffifchen Erfahrungen mit der Sreigabe der Abtreibung 
und die Bewegung zur Befeitigung des Abtreibungsparagraphen in Deutfdland, folgt die 
Stellungnabme der katbolifhen Rirdye zu $ 218 durd Prof. Jofef Mayer, Paderborn, die 
der evangelifchen Rirdye durch Prof. Lütgert, Berlin, und ale Schlugwort „Der juriftifcbe 
Standpunkt“, zufammengefaßt von Geb. Rat W. Rabl, Berlin, als dem Vorfigenden des 
Strafrehtsausfchuffee. 

So erfreulid die Solgerungen Dr. Harmfens find, daß nämlich grundfäglich an der 
Strafbarkeit der Abtreibung feftzubalten fei, da die praßtifche Erfahrung in Rußland die ges 


1932, IV Budhbefpredungen. 231 





fabrlichen Spätfolgen und die ade ne Auslefe in Solge der außerordentlich ftarten Zunahme 
der Abtreibung bet den Erftgebäarenden und in den wirtfchaftlich beffer geftellten Kreiſen 
zeigt, fo erfcdutternd ift auf der anderen Seite der Mangel an Erkenntnis des durdy die 
Minderwertigen drobenden Unbeils, wie fie in der Stellungnahme der Rirdyen und des 
Strafrehtsausfchuffes zur „Eugenifchen Indikation” zum Ausdrud kommt. Die entfpredens 
den Zitate weifen eine mertwürdige Übereinftimmung auf. Sie gipfeln in dem Sat Kable: 
„Die eugenifhe Indikation ift ganz unmöglich, die Dererbungslebre ift im entfernteften 
nod nicht fo fundiert... .“ 

Jeder biologifh und erbgefundbeitlih Befchulte wird meinen, daß die Vererbungss 
Iebre feines Wiffens längft weit genug ift, und daß jedes weitere Zuwarten eine Zunahme 
der Winderwertigen bedeutet. enn allerdings das Gefes die Sterilifation der Minders 
wertigen zulaffen und von Staats wegen regeln würde, eribrigte fic cine Unterbrechung 
der Schwangerfchaft aus erbgefundbeitliden Gründen von felbft. Solange aber keine Ans 
fätze dazu vorhanden find, wird das Beltenlaffen der Eugenifchen Indikation zur Sorderung 
der Mlotwebr gegen überband nehmende Entartung. Harmfen felbft bat fiy jeder Stellung: 
nabme zur Eugenifchen Indikation enthalten. Als Bericht über den Stand der Dinge und 
den bebandelten Sragentompler ift die Schrift eine eindeutige und fachliche Quelle. 

Lotbar Stengelsvon Rutlowfelr 


Wilhelm Hartnake: ,,Bilbungswahn — Dolkstod.“ Munden 1932, I. $. Lehmann. 
304 Seiten. Preis geb. ME. 2.20. , 


In überaus gewandter, für jedermann verftändlicher Sorm wirft bier der durch fein 
Bub „Paturgrenzen geiftiger Bildung” bekannte Dresdner Stadtfchulrat ein mabnendes 
SAadlaglict auf die durd den Liberalismus auf biologifhen Gebiet und einen uberfdraubten 
Bildungswahn berbeigefubrte Uberfdhwemmung und Verftopfung oer Hdberen Schulen 
und fodfdulen durd beruflich nicht unterzudringenden, geiftig auch zum großen Teil 
ger nicht in diefer Richtung veranlagten Nahwuchs. Die nüchterne Tatfache, die fchon 
die Einbandzeichnung vor Augen bält: Abiturientenzahl im Jahre 1900 = 8000, im Jahre 
193) = 40 000, gegenüber der Beburtenzabl im Jahre 1900 = 2 Millionen, im Jahre 1931 
dagegen gleid 1 Million, fpricht eine Anklage aus, die kein Dentender überhören darf. 
Eine knappe, klare Erläuterung der erblundlichen Grundtatfaden zwingt auch den bios 
logifd nicdt Vorgebildeten zum rtennen des bedroblicden Umfanges, den die negative 
Auslefe durch die Kinderarmut der alademifchen Rreife angenommen. Da fich Hartnade 
nicht auf die Schilderung der Llot befchräntt, fondern audy praltifche Vorfchläge für die zu 
ergreifenden Maßnahmen auf dem Gebiete der Sculreform madıt, und der Verfaffer die 
Entwidlung des deutfden Schulwefens als leitender Sahmann aus eigener Erfahrung eins 
gebend kennt, ift feine Schrift von nicht zu unterfchäggender Bedeutung. Sie gebört in die 
Sand jedes Lehrers und jedes Univerfitätsdozenten, aber darüber binaus aud in die Hand 
jedes anderen Deutfden, oer, an dem Lchbenstampf feines Volkes Anteil nimmt. Die 
Schrift wird dort zur Waffe gegen den drobenden Doltstod werden, denn nod find — 
allerdings nur nod eine febr turze Jeitfpanne lang — die Urfachen des VDoltsfdwundes nidt 
ein unabwendbares Scidfal, fondern cine Scage der Erkenntnis, des Willens und des 
Saraus folgenden entfchiedenen Sandelns. Dazu aufzurufen ift die Hartnadefhe Schrift 
wie keine zweite geeignet. Lotbar Stengelsvon Rutltowfli. 


Hans Hauptmann: Erneuerung aus Blut und Boden. Die a der 
finnifden Bauernfchaft, ein Weg zur Befreiung vom Bolfdhewismus. J. §. Lebmanns 
Verkg. Münden 1932. Preis geb. ME. 1.80. 

Im Vorwort des Ayeftes heißt es: „Dom Schidfale eines fehr kleinen Volkes foll bier 
die Rede fein, im Hintergrunde aber werden die gigantifchen Schatten enticheidender Lez 
bensfragen auftauchen, die alle Ddller angeben.“ 

Über die fogenannte , Lappo: Bewegung” find in der ,Weltpreffe’ fo viele irrefubrende 
Nachrichten verbreitet worden, daß außerhalb Sinnlands nur wenige wilfen, um was es 
bier gebt. Das Heft gibt über die Urfachen und den Werdegang diefer Bewegung an der 
Hand von Dokumenten ausführlich Auskunft und zeigt, daß es fich einfach um eine Fots 
webr handelt, um eine aus den gefunden bodenitändigen Kräften des Landes bervorges 
wadfene Abwebrhandlung gegen den Bolfchewismus, den das Volk ja zur Genüge im 
Anfang des Jahres 1918 kennen gelernt hatte. Lach verhältnismäßig kurzer, aber blutiger 
Syerrichaft war diefer im finnifchen Sreiheitstrieg mit Unterftügung durd deutfche Truppen 
militärifh überwunden worden, aber er bebielt trogdem im Lande Anhänger, die den 
Kampf nicht aufgaben, vielmehr in immer neuen Organifationsformen und Gebeimbunden 


232 Volt und Kaffe. 1932, IV 





arbeiteten, wobei fie felbftverjtändlich in jeder Wkeife von der Moskauer Zentrale geftüutt 
wurden. Die finnijche Befeggebung erwies fi im Rampfe gegen den Rommunismus als 
völlig unzulänglid, zumal der Gegner in der „Demolratie“ und im ganzen Syitem des 
Parlamentarismus gefhidt ausgenügte Stügen fand und immer offener den Angriff. 
führen konnte; die Darteienpolit verbinderte jedes durdhgreifende Einjchreiten gegen ibn, 
und fo wurde die Gefabr einer neuen bolfhewiftifchen Revolution immer dringender. 

Da die ftaatlihen Inftanzen verjagten, griff das gefunde finnifche Bauerntum zur 
Selbfthilfe: der erfte Alt war eine gewaltjame (völlig unblutige und in der Sorm böfliche) 
Verhinderung einer geplanten fommuniftifchen Tagung im Städtchen Lappo in der 
Proving SudsOfterbotten im Scubling 1929. Sebr anidhaulidh werden die weiteren Er⸗ 
eigniffe, die von der ungebeuer fodnell anwadhfenden Bewegung veranlaßten Befchlüffe, 
die in der Preffe fenfationell aufgebaufdten ,Entfubrungen” — bei denen es auc febr 
böflih zuging — und fclieBlid) die Erfolge der Bewegung dargeitellt. Die tatunfäbige 
Regierung mußte zurüdtreten, und eine unter Leitung von Svinbufvud ftebende Regierung 
übernahm die Durdhfubrung der von der Lappo- Bewegung geforderten Waßnahmen gegen 
den Rommunismus. Als am 7. Juli 1930 der fur das vollsarme Land ungebeure Aufmarich 
von 30 000 Lappoleuten in Helfingfors ftattfand, wurden fie vom Minifterprafidenten feiers 
lid begrüßt: „Das Vorgeben der Regierung wird ebenfo wie das des Bauernzuges bes 
ftimmt durd den unerfdütterliden Willen, den landesverräterifehen Rommunismus aus 
unferm Staate und aus unferm Voltsleben auszurotten.“ 

Das ftarte Anfchwellen der Lappobewegung ift natirlid aud dadurd zu erklären, 
daß Sinnland fürchtet, durch einen Sieg des Rommunismus feine Sreibeit zu verlieren und 
wieder unter ruffifche Aerrfchaft zu geraten, gegen die es feit Jahrhunderten verzweifelt 
getampft bat. 

Die Deröffentlidung nimmt tein Blatt vor den Mund, und des Öfteren werden ins 
weife auf deutfche Derbältniffe und Möglichkeiten gegeben, die das Heft fur jeden deutfchen 
Politiker lefenswert madhen. ©. Rede 


Karafek:£ü&: Die deutfchen Siedlungen in Wolhnnien. Gefchichte, Volkskunde, Les 
bensfragen. (Deutfde Gaue im Often, brag. von Viktor Rauder. 3. Band.) Guntber Wolfs 
Derlag, Plauen 1931. VII, 130 3. mit 5 Rarte und 5 Abbildungen. Preis tart. RM. 5.—, 
£einen ARME. 7.—. | 


Wie weit fhon mit der mittelalterliden Rolonifationswelle deutfdes Vollstum 
nach Gften getragen wurde, erbellt deutlich aus der Tatjade, daß fogar Wolbynien von 
ibe in merklicyer Art befpült worden ift. Das bedeutet, daß diefe Rolonifationswelle über 
das ganze damalige Ausbreitungsgebiet des Polentums binweggeflutet if. Kurt Lid, 
dem wir in diefem fddnen Seimatbud fur das Deutfhtum Wolbpniens eine zufammenr 
faffende Darftellung der deutfchen Einwanderungsgefcdidte verdanten, bebt die gefdidts 
lihe Tatfache bervor: „Bevor polnifche Einwanderer nah Wolbpnien kamen, faßen dort 
bereits zahlreiche deutfche Bürger in den Städten” (S. 9). Schon feit der Liitte dea 22. Ib. 
baben fi» deutfhe Kaufleute in Kiew, Lust und Wladimir niedergelaffen. Fila dem 
Tatareneinfall 3240/41 wurden die Städte Lemberg und Cholm von deutfden Einwans 
derern aufgebaut. 

Leben der Gefchicdte der deutfchen Einwanderung, von der bier nur die alteften 
Daten widergegeben werden konnten, find mit befonderer Liebe bebandelt die „deutfchen 
Aufbauträfte“ (3. ı3 ff.), 8. b. einzelne Deutfche, die in Wirtfcbaft, Runft, befonders auch 
im Bauwefen dem Lande unvergänglide Spuren aufgedrüdt baben. Aud der deutfche 
Feld der polnifchen Tatarentämpfe des 16. Ib., Bernbard v. Prittwig, lommt zu 
feinem Recht. Llicht minder der deutfche Artilleries®berft v. Kyeyling, der 1072 nad tapferer 
aber erfolglofer Verteidigung gegen die Türken fidy mit der Seftung Podolifeh Ramieniez in 
die Luft fprengte. Sienktiewicz bat aus ibm einen Schotten Rettling gemacht! 

Das eigentliche Ziel des Buches ft aber, ein Gefamtbild von der Rultur der wolbynis 
fcben Spradinfeldeutfchen zu geben. Die Sprache, Volkslieder mit Koten, Spruddichtung, 
Doltsrdtfel und Sprichwörter, Schwänte und Spottgedichte, Sagen und arden, Kinders 
fprude und voltstümliche KHyeilltunde werden behandelt, wobei neben Lüd befonders Als 
feed Rarafets«Langec bervortritt. Ibm verdanten wir aud die befonders wills 
tommene Zufammenitellung des wichtigften Scrifttums über diefe trog mittelalterlider 
Vorläufer ziemlich jungen deutfchen Spradinfeln (3. 123 ff.). Außerdem bat nody Leopold 
Platenil einen Beitrag uber das seutfde Genoffenfdaftawefen (S. 42 ff.) un 
und Walter Rubn eine Statiftit der Voltsbildung (32 ff.). Unmittelbar in die Sorgen 
und Liöte der Gegenwart greift auc Luds einleitender Beitrag über die Lebensfragen diefer 


1932, IV Budde fpredungen. 233 
Td 


Spradinfeln, worin abweichend von der polnifchen Doltszählung von 192) auf Grund 
eigener Erbebungen die deutfchen Bewohner auf 48.000 Seelen gefhägt werden. 

Alles in allem ift das Buch ein bocherfreulicdyes Zeichen für das auch in diefem ents 
legenen und verftreuten Spradinfeldeutfchtum fid regende vdltifde Leben. 4. Witte. 


Bernhard Kummer: Die germanifche maus nah altnordifcher Über: 
lieferung. Leipzig, Adolf Rlein » Derlag. 40 S. Preis 1.20 Mi. 

Aauptfählid vom gläubigen Sagamenfchen ber unternimmt bier der Verfaffer, auf 
befannten Vorbildern Fußeno, eine neue Betrachtung der Auffaffungen des Germanen 
über Tod, Leben, Welt und Liebe fowie des Derbältniffes zu feinem Bott und gewinnt 
bierbei twertvolle Ergebniffe. Das recht anfpredyende Büchlein ift trog bisweilen etwas 
zu weitgebender Polemik gegen die feitherige mytbologifche Sorfhung aus feiner Tendenz 
beraus lebhaft zu begrüßen. Werner SIL 


a I Leng: Auf dem Dad der Welt. Mit Phonograph und Kamera bei vers 

geffenen Völkern des Pamir. Mit vielen Abbildungen. Verlag Deutide Bucd>Gemeinfdaft. 
tlin 1931. Preis: in Aalbleder geb. MI. 4.90. 

Der Derfaffer fchildert in böchft anfchaulicher, feffelnder, bumorvoller Weife feine 
Erlebniffe als Teilnebmer der deutfchsruffifchen PDamirsErpedition des Jabres 1928. Geine 
Sonderaufgabe war die Beichäftigung mit den merkwirdigen, indogermanifde Dialette 
fprechenden Reftvdllern diefes Gebietes, tuber die die Wiffenfchaft bis dahin recht wenig 
wußte. In Wort und Bild lernen wir die auf befehwerlidhen Wegen durcdhzogene großs 
artige Heimat diefer Stämme kennen, die riefenbafte, bis gen 4000 m fidh erbebende I 
fläche, umrahmt von Ketten gewaltiger, bis 7100 m anfteigender Schneeberge. In den an 
U enge reichen Hod(teppen leben Diebnomaden, in den Schludten und in 
frudhtbaren Tälern Aderbauer. Bie indogermanifche Bevölkerung, Tadfchiten genannt, bes 
faß früber das ganze Gebiet, wurde aber immer mehr durch einwandernde nomadifierende 
Tuetftämme verdrängt oder aufgefogen, wobei auch die indogermanifchen Dialekte litten; 
jetzt madt die Ruffifizierung Sortfchritte. 

Der Derfaffer bat verfucht, fich in die Seele diefer Leute einzufübhlen, und gibt eine 
lebensvolle Schilderung ihres Lebens, ihrer ge und Sitten, ihre Lieder und 
Tänze. WDollstundlicdes und Spradlidhes gebt auf uralte Zeiten zurüd. In ihrer Abges 
fdloffenbeit haben fic die Tadfchiten 3. T. aud den aus Europa mitgebradten Raffentypus 
verbaltnismagig gut erbalten: man fiebt viele fcmale, feine, gut profilierte Befichter von 
durchaus nordeuropäifhen Eindrud und gelegentlich auffallend belle Sarben. O. Rede. 


Wolter Matthes: Die nördlihen Elbgermanen in —— Zeit. Mannus⸗Biblio⸗ 
the? (brag. von G. Koffinna) Fir. 48. Curt Rabigfch, Derl. Leipzig 1931. 114 S. mit 
4 Tabelle, 9 Rarten und 27 Taf. Preis geb. ı2 ME., geb. 14 ME. 

Walter Matthes: Die Germanen in der Prignik zur Seit der Völkerwanderung. 
Wannussdibliothel (breg. von G. Koffinna) Fir. 49. Curt Rabigfch, Verl. Leipzig. 1931. 
138 ©. mit ı Porträt und 70 Taf. Preis geb. ME. 21.—, geb. Mi. 23.—. 

Die beiden fhönen, mit reihen Bildfhymud ausgeftatteten Werte des durch feine „Urs 
efhichte des Rreifes Oftprignig“ yon rübmlichft bekannten Derfaffers find der Nieder⸗ 
dhlag von umfaffenden Studien über die Rulturbinterlaffenfchaft eines der großen weft« 
germanijden Stammesverbande, der Elbgermanen. Bietet das zweite Werk in feiner forgs 
fältigen Beihreibung und Auswertung einen trefflihen Überblid über den Sormenvorrat 
großer elbgermanifcher Urnenfriedhöfe und ftellt fomit die unerläßliche Dorbedingung fur 
die weitere Bearbeitung des niederelbifhen Rulturgutes der fpäten Raiferzeit und begins 
nenden Ddllerwanderung dar, fo entbält das erfte Buch die zufammenfaffende Bebands 
lung des ergrabenen und in zahlreichen Sammlungen verftreuten Stoffes. Hier zeigt fid 
der Derfaffer als vorfidtiger und tundiger Bearbeiter des elbgermanifchen Sormentreifes. 
Er gliedert in überfichtlichfter Sorm die einzelnen Typen nach formenktundlichen und dronos 
loaikben Gefichtspuntten auf und gelangt zu zahlreichen bemertenswerten Einzels und Ger 
famtergebniffen. 

Die gleihmäßige Rulturentwidlung vom Beginn unferer Zeitrehnung bis zum 
Anfang der Völterwanderung findet an Hand des reichhaltigen Sundftoffes ihre Darftellung 
und mündet in einen Abrig der Befiedelungsgefchichte aus, der vor allem für den Hiftoriler 
von großem Wert fein wird. Schon zu Beginn des 3. Jahrhunderts entleert fich das Elbs 
gebiet 3. T., was mit dem Erfcheinen der Alamannen in Süöweftdeutfchland in Beziehung 


Dolf und Baffe. 1932. Oftober. 190 


234 Doll und Kaffe. 1932, IV 








fteben dürfte. Sreilich find größere Refte wohl als „Llordfhwaben“ noch eine Zeit lang 
in der alten Heimat verblieben, wofür eine Reibe fpdterer Sunde den Beweis liefert. Es 
ift zu hoffen, daß die Mattbesfhen Studien den Anlaß zu einer weiteren Erforfchung der 
übrigen weftgermanifdhen Rulturs und Stammesgefdidte bieten werden. 

€. Deterfen, Breslau. 


anz 27. Maner-Hans er: Ge(dhidte und Kulturleben Deuti@dfterreias ven 
1526-1798. Derl. En 9 S., 1 Stammtafel, ue pale 
geb. ME. 12.50, geb. ME. 35.—. 


Diefer dem Andenten an Raimund Sriedrih Raindl, den „Aarpatbendeutfchen“, 
idmete Band fetzt die bis 3526 geführte Mayer Raindlfche Geſchichte Deutſchoͤſterreichs 
vgl. Volk u. Raffe 1933 S. 126) fort. Daß es im Sinne Raindls gefchieht, daß die Rulturs 
und Sittengefhidhte durdy verhältnismäßig eingebende Bebandlung zu ihrem Redt kommt 
und af aud dem Reichsdeutfcden biermit in erwünfchter WWeife gebolfen wird, feine bisher 
überwiegend Beindeutfche Gefchidtsauffaffung im gefamtdeutidhen Sinne auszuweiten, ift 
bei der Derfönlichteit des Lleubearbeiters felbftverfiändlih. Die bedeutende Rolle, die Ofters 
reich als enge und Derbreiter deutider Kultur über das Völlergewimmel des Süöoftens 
efpieit bat, fommt — wenn aud in: der durch die Befchränttbeit des Raunies gebotenen 
nappbeit — deutlich genug 3ur Geltung. An intereffanteren Einzelheiten aus dem Liebens 
einander der Völler mag erwähnt werden, daß die Reformation zu den Südflawen übers 
art und daß die dadurch bervorgerufenen Überfegungen der biblifchen u. a. Schriften ins 
indifche in Deutfchland gedrudt und von deuticher Scite lebhaft gefördert wurden (S. 24 
u. 43). Underfeits bradte die Gegenreformation die deutfchen Bergftddte Oberungarns 
auf die Seite des ma Bon Adels gegen Wien (S. 63) und gab fie feit 1608 der 
Magyarifierung preis f . $3). GBkihwobhl. wurde fpäter (1675) fogar mit dem Gedanten 
der Kindeutfhung ser Magyaren gefpielt (S. 207). Die nationalen Sorderungen der 
Tichechen waren Ichon 3615 jebr weitgebend (3. 89). Klach der Schladht am Weißen Berge 
wurde das Deutfchtum wieder gefördert (3. 101). Je mehr die Zentralifation der Vers 
weltung durchgeführt wurde, defto mebr fette fic auch das Deutfhe als Derwaltungss 
fprade durch (GS. 138). Unter Maria Therefia berrfchte es und gewann fogar in Uingern 
obne jeden Zwang „immer mebr Boden als Umgangs» und Amtsiprade” (3. 3132 f.). Bob 
als Jofef II. es 1784 zur Gefegess und Amtajpracde in Ungarn madte, erboben fic die 
Ungarn „gegen den Zwang und es entwidelte fih der Haß gear die deutfde — 
Nachdenklich mag auch reichsdeutſche Leſer ſtimmen: Niemals haͤtten die Tſchechen 
zu ihrer heutigen Bedeutung aufſteigen koͤnnen, wenn das reiche deutſche Schleſien noch 
weiter das Gegengewicht gegen Böhmen gebildet haͤtte“ (S. 290). Wie waͤre weiter, wenn 
1726 der geplante Cauſch Bayerns gegen Belgien zuſtande gekommen waͤre, das Deutſchtum 
Oſterreichs „gekraͤftigt worden und haͤtte dem aufſtrebenden Slawentum Widerſtand leiſten 
koͤnnen!“ (S. 302). %. Witte. 


Wilhelm Rohmeder: Das Deutitum in Südtirol. Mit einer Rarte dee Umgangss 
— in Suͤdtirol. Muͤnchen 1932, J. S. Lehmann. 212 S. Geh. Mek. 5.—, geb. 

0.40. 

Das nachgelaſſene Werk des am 4. Oktober 1930 im 88. Lebensjabre verftordenen 
Verfaſſers, deſſen ganzes Leben der Arbeit fuͤr Suͤdtirols Deutſchtum geweiht war, iſt nun 
erſchienen. Schon zur Zeit der oͤſterreichiſchen Herrſchaft hat er ſeine Stimme wieder und 
wieder fuͤr die ſchon damals ſo oft vernachlaͤſſigten Rechte dieſes beſonders anziehenden 
Zweiges des Deutſchtums erhoben. Jetzt unter der italieniſchen Vergewaltigung war es 
ſeine letzte Sorge auf dem Sterbebett, daß dies Buch noch den Weg an die Offentlichkeit 
finden moͤchte. Wir danken es ſeinen Nachkommen und dem Verlag, da es nun geſchehen iſt. 

R. hat das Buch fuͤr weitere Rreife gefchrieben. Es iſt dringend zu wuͤnſchen, daß 
es den Weg zu ihnen findet und recht vielen Deutſchen in ſeiner eindringlichen Weiſe 
Runde gibt von der Einheit des uralten Paßſtaates Tirol in geographiſcher und geſchicht⸗ 
licher Hinſicht, von dem ebenfalls uralten Anrecht der Deutſchen daran, die gerade im 
Suͤden — mehr noch als im Norden — ſchon ſeit der Voͤlklerwanderung hier fig gefaßt 
und fid, wenn aud nicht in ununterbrodener — ausgebreitet haben bis gegen 
Verona, Vicenza und Baſſano; endlich von dem erſt ſpaͤteren Eindringen der Italiener, 
denen gegenüber die Deutfchen und die Ladiner, wenigftens im wberwiegenden Teil des 
Gebietes, das Recht der Erfigeburt beanfpruchen können. 

Die Quellenangaben find angefidts des Zweds der Arbeit nur allgemein tere 
Vieles über noch anhaltende Sprachentämpfe, namentlid auf den Sprachinfeln des Außerften 


1932, IV Buchbefpredhungen. 235 





Südens, bat AR. felber bei sablreidhen Befuden im Verkehr mit den Einwohnern gewonnen. 
Seine lebhaften Schilderungen diefer Dinge verleiben feinem Buc einen befonderen Reiz. 
Dem es allerdings um genaue quellenmäßige Unterlagen für die Einzelheiten zu tun ift, 
wird an Btto Stolz grundlegender Sorfhung über „Die Ausbreitung des Deutfchtums 
in Südtirol im Lichte der Urkunden“ (3927 ff.) nicht vorbeigeben dürfen. Er wird danach 
aud Robmeders Anfcdhyeuung von einer einftmals viel größeren Ausbreitung des Deutfchs 
tums im Süden bis tief in das eigentliche Italien hinein nacdprifen und auf das richtige 
Maß zurüdführen können. 9. Witte. 


Ernft Wable: Deutidhe Vorzeit. Curt Rabigfdh Derlag, Leipzig 1932. 338 S., 33 Abb., 
2 Seittafeln, 7 Karten. is geb. AME. 20.—, geb. ARME. 22.—. 

Das Buc ift die vollftändig umgearbeitete LTeuauflage der „Vorgefchichte des deutfchen 
Volles“ (1924). An Tert bietet es infolge wefentlidh dichteren Drudes etwa das Sünffache 
und inbaltliy überall fehr bemerkenswerte Sortfchritte. Die anfchaulichen, auf forgfältiger, 
neuefter Einzelforfchung berubenden Zeittafeln und Rarten find eine ebenfo notwendige wie 
erwünfchte Beigabe; auch die Abbildungen beleben, allerdings mit Abficht mehr von der 
Serne ber, die Darftellung vortrefflid. Im Rahmen des Landes und feiner Befiedlung 
(8. ı ff.) werden die Urkultur (S. 26 ff.), die Rultur der Hdberen Gammlervdlter (S. 34 ff.), 
der Bauern der jüngeren Steinzeit (3. 45 ff.) und der hauptfadliden indogermanifden 
Dölter Mordwefteuropas in frübgefchichtlicher Zeit (S. 100 ff.), nämlidy der Jliprer (in 
&. Roffinnes Sinne), der Kelten und der Germanen, nad Wirtfchaft, Gefellfdaft und 
geiftigem Leben erörtert. Das Werden von Doll und Staat des Mittelalters (3. 169 ff.) 
wird als groß — Schlußbild noch hinzugezeichnet, aber die unter fremdem Einfluſſe 
reich aufſpaltende Kultur dieſer Zeit wird nicht mehr in aͤhnlicher Weiſe wie bei den fruͤheren 
Zeitabſchnitten zuſammenfaſſend herausgeſtellt, obgleich zugehoͤrige Beobachtungen immer 
wieder eingeflochten ſind. Uberall ſieht fle der Lefer vor den Ergebniffen. Die Sunde, ibre 
Seitlage und Gruppierung, werden vorausgefett, die Unterlagen bloß angedeutet, insbefons 
dere in den reichen Anmerkungen (3. 232— 297). Cin a ce (3. 300—330) und je 
ein Verzeichnis der Sundorte (S. 331 —334) und Derfaffer (G. 334— 338) erleichtern den 
Dberblid und vervollftändigen den Eindrud von der großen Arbeit und den umfaffenden 
Sorfcdhungen, die hinter dem Buche fteben. 

Die Grundeinftellung ift die gefchichtliche. Das rein Stoffliche, das fonft im Dorders 
grunde der Betrachtungen fand, tritt zurüd und wird aus dem Selbftzwede, der es für 
die werdende Wiffenihaft fein mußte, nunmehr Mittel zum Zwed. Wit blog das 
Werden der dinglichen Kultur, fondern auc die Entwidlung des Llabrungserwerbe, der 
wWirtideftliden Gliederung, des Beifteslebens und, foweit es möglidy ift, auch die damit 
vertnipften Odlterfdidfale follen dargeftellt werden. Damit verfolgt Wable in vieler Hins 
ficht ein neues Ziel, und fein Buch bedeutet ohne Zweifel einen wichtigen Schritt zur Auss 
geftaltung der deutfchen Dorgefchichte zu einer im engeren Sinne biftorifhen Wiffenfcdyaft. 

ußerdem beftimmen zwei Brundzüge die Darftellung: Europa lange Zeit bloß Anbängfel 
an Afien und erft durd die von Often und Süden andringenden Döhker und Rulturwellen 
allmäbli zu immer böberer Rulturgeftaltung aufgerüttelt; fodann: Die Indogermanen 
nicht im Llorden Europas entftanden, fondern als Herrenfhichte über das neufteinzeitliche 
Bauerntum vom Often ber, aus Afien eingebrochen. Mit Beiden fiebt fid DOable im 
Gegenfage zu den ,LOunfdbildern” jener ,Keeife, die einer germanifchen Wiedergeburt das 
Wort reden“ (3. 25). Dody betont er zugleich, daß die Dorgejcdhichte mehr als einen wid 
tigen Gefidtspuntt fur den kulturpolitifchen aan zu geben vermag. Llur fagt er nicht, 
wes er nun feinerfeits in diefem Sinne berausftellen wurde. Und das Lieue, das er inss 
befondere an Stelle der berrfchenden Anfhauungen über die Jndogermanen fegen will, ift 
doch erft Derfudhstonftruttion und fchließt die triftigen Gründe für die nordeuropäifche 
Serkunft der Indogermanen nod lange nidt aus. 
Bei der Seftftellung der vorgefhichtliden Sitge der Indogermanen bat man von den 
efhichtlichen auszugeben, die nur ein vergrößertes Bild der erfteren darftellen (T. €. Rarften). 
ndien, Iran, Armenien, Rleinafien, Griechenland, Italien, Spanien, Britannien find erft 
[pat indogermanifd Polonifiert. Die Italiter find von jenfeits der Alpen, auch die Griechen 
vom Vlorden gelommen. In Rußland gebörten noch zu Herodots Feit blog der Weften und 
Süden den Indogermanen. Die Wanderungen der Teilvölter weifen ans en auf 
eine Ausbreitung von Llord nah Sud, von Flordweft nah Südoft. Und da die Germanen 
erft eine nordifche Sonderentwidlung find, bat man zunddft mit einer mittleren Linie vom 
Baltitum bis zum Schwarzen Meere zu rechnen. Die diteften Site find damit allerdings 
noch nicht gegeben, aber afiatifche Herkunft ift unter foldyen Lmftänden doch Außerft unwahrs 


16° 


236 Volt und Kaffe. 1932, IV 








ſcheinlich. Archaͤologiſche Belege für fie führt Wahle nicht an und dem Bedürfniffe nach 
großem Raume genügt die europäifche Tiefebene, die fi von Schonen und Dänemark über 

orddeutfhland und Polen durd das europäifche Rußland zum Schwarzen Meere, dem 
Rautafus und Ural erftredt, wobl in binreidendem Mae. Aber damit, die Wefensart der 
ene in £amards Sußftapfen aus der Steppe berzuleiten, Ltommt man nidt aus. 
Bei Germanen, Relten, Italitern und Brieden bieß „hundert“ kentom, „Pferd“ etwo, bei 
der Oftgruppe der Indogermanen bingegen „hundert“ fatem, „Pferd“ aswa, und die bis 
auf den Einzelfall der Tocharer inagefamt weftliden RentomsOdller verkörpern ſprachlich 
offenbar den älteren Beftand. Da ift doch kaum von der Hand zu weifen, daß diefe fFrübefte 
Spaltung der Mundarten damit zufammenbängt, daß nur die Oftindogermanen die „Steppe“ 
betreten Detten. Die Spradfpaltung der Weftindogermanen aber durch die Gubftratvdifer, 
auf die Wable folbes Gewidt a mußte fidy ganz ebenfo auch bei einer Ausbreitung des 
Stammvoltes von der Oftfee (G. Roffinna, O. Mengbin, ©. Wedel), von Jütland (I. Kern) 
oder von Thiringen (RK. Schucdbardt, €. Sprodhoff) vollzieben. 

Wie die Mordweftindogermanen Anreger und Tleugeftalter waren auf der Grundlage 
der bereits im Yliedergang begriffenen jungfteingeitliden Bauernvditer Europas, betont 
Wable felbft. Jedoch eine ganz dbnlide und weltgefhidhtlid mindeftens ebenfo durdys 
greifende Bedeutung batten die Süudoftindogermanen für die überalterten ftädtifchen Ruls 
turen des Orients, in die fie einbraden. Hätte Wable diefe Dorgänge wenigftens andeutend 
gewürdigt, dann ftünde von den Sernwirktungen „Afiens“ auf das „Ihlummernde” Europa 
ein doch noch wefentlidh anderes Bild vor uns als das jet von ihm entworfene, obne daß er 
darum auf die ihm wichtigen Grundzüge des feinen zu verzichten brauchte. Und endlich 
wäre das füdliche Skandinavien und Llorddeutfchland als germanifches Rerngebiet böber zu 
werten gewejen. Die Sunde find bier nicht nur reicher (zahlreicher, pruntoolkr) und eins 
drudsvoller verdffentlicht, wie Wable anmerlt, fondern fie find aud gebaltreider als alles 
in der Umgebung weithin, und deuten dadurch unmißverftändlich auf entfprechende innere 
Werte der zugehörigen Bevölkerung. 

Die nordifche Wiege aller Rultur ergäbe fich allerdings auch fo nicht, aber ein noch 
weiter gellärtes, wiffenfchaftlidhes Gefamtbild von dem ganz wefentliden und weltgefdidt: 
li wie geiftesgefhichtlich entfcheidenden Anteil der Indogermanen und dann der Germanen 
an der Rulturgeftaltung der Menfhhbeit; und die natürlidye Solge wäre, daß foldhe Erkennt⸗ 
niffe zu einem geficherten Rüftzeug für unferen tulturpolitifden Rampf werden und zugleich 
eine gefcdloffene Reibe von Richtlinien für ihn ergeben müßten. Baber bleibt es gerade nad) 
Wables wertvollem, den vorgefhichtlihen Stoff zu gefdhidtliden Derlaufen sufammens 
faffenden Buche erft recht saber, daß die deutfche Dorgeibichte eine hervorragend nationale 
Miffenfchaft oder, genauer gefagt, als Wiffenfdafe sugleidh eine bervorragend nationale 
Angelegenbeit ift. Wolfgang Shulg, Gérlig. 


Eri Weiffendborn: Quellen und Hilfsmittel der — Leitfaden fuͤr 
Freunde der Familienforſchung. 3. Ya ei bearb. von Rolf v. Rugfdenbady. Gotha 1930, 
Juftus Pertbes. VI u. 141 8°. Preis geb. MI. 9.—. 

Im Jahre 1908 erfhhien, als eine vom Derein „Roland“ in Dresden preisgebrönte 
Schrift, die erfte Auflage diefes Buches, 1912 — obne erhebliche Anderungen — die 
zweite Auflage; legthin bat der Schriftleiter der Botbhaifchen genealogifchen Tafjchenbücher 
die dritte Auflage herausgegeben, nachdem der Verlag Juftus Pertbes die Reftbeftande des 
früheren Derlags (Gebr. Vogt in Papiermüble S.-A.) und damit aud das Verlagsredt 
des Weiffenbornfhen Buches erworben batte. WWeiffenborn wear Offizier; er ftarb als 
Oberftleutnant a. D. 1919 in Dresden. Sein Bud mochte bei feinem erften Erfcheinen 
vielleicht die ihm gewordene Ehrung verdienen, wenn nicht allzu babe Anfprüche ee 
wurden; aber heute ift es veraltet, zumal der Bearbeiter der jetzt vorliegenden 3. Auflage 
den Tert von 190% bzw. 1912 großenteils unverändert übernommen bat. Das Bud 
gibt in Solge deffen kein Spiegelbild des jegigen, neuzeitlichen Standes der Samilienforfchung 
wieder, die doch wirklich feit 3932, beffer gejagt feit Ende des Weltkrieges, eine Entwid« 
lung genommen bat, die nicht unberüdfichtigt bätte bleiben dürfen; ich erinnere nur an die 
Bedeutung, die heute der naturwiffenfchaftlichen, biologifchen Samilientunde zulommt, die 
in dem Buche taum mit einem Worte berührt wird. Ausgangspunlt war für Weiffenborn 
— und ift unverändert für v. Rusfchenbah — die Stammtafel (auf der übrigens nad 
Weiffenbornsv. Rugfchhenbah „alle Ahnen“ vertreten fein müffen; ich glaubte, daß „alle 
Ahnen“ nur auf die AH nentafel gebdrten!); die fo ungemein wichtige Ahnentafel wird nur 
als Ergänzung der Stammtafel behandelt im Abfchnitt „Die Vorfahren der angebeirateten 
Stauen nebft Abnentafel und Verwandtichaftses und Sippfchaftstafeln”" (S. 10 ff.). 


1932, IV Buchbefprechungen. - 237 
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Einzelne, beſonders kraſſe Beanſtandungen, moͤchten doch an dieſer Stelle erwaͤhnt 
werden. v. Sackens heraldik wird S. 19 mit der 4. Aufl. (1885), erft auf S. 20 mit der 
dod heute allein maßgebenden 3. Aufl. (1920) erwähnt. SG. 22 werden obne Liennung 
der Zeitfehrift, in der erfchienen, Studien über Steinmetzeichen von Rziba aus dem Jahre 
1831 genannt; es handelt fi um Auffäge in den „Mitteilungen der E. E. Centrals Rommilfion 
zur Erforfhung und Erbaltung der Runfts und biftor. Denkmäler“ 3883 (1) und 1883. 
(Die übrigens viel wichtigeren Ausführungen Zappes über dies Thema in den Heraldifden 
Mitteilungen des VDereins RleeblattsHannover aus den Jahren 1924 und 1926 werden 
nicht erwähnt; fie find dem Lleubearbeiter, wie fo vieles anderes, entgangen.) S. 26 wird 
die Inhaltsangabe der inzwifchen zweimal (1) überbolten Ausgabe von DablmannsWaig 
„Qucllentunde“ von 1900 gegeben. Auf derfelben Seite: daß Wilhelm Wattenbadh kein 
Dictionaire des Abbréviatures und fein Lexicon Abbréviaturarum berausges 
geben bat, bat der Lieubearbeiter ebenfo überfeben, wie Weiffenborn felbft; es bandelt fid 
um Werte des Sranzofen Chaffant und des Jtalieners Capelli! Salfh ift S. 29 die allges 
meine Bemerkung, daß die Ordnung er Archive meiftenteils dhronologifd erfolge; nur 
eine völlige Unkenntnis neuzeitliher Ardhivordnung kann fo etwas fagen. Sebr mangels 
baft ift die Art der Zufammenftellung der Literatur über die Rirchenbüder (S. 35 ff.): 
G. 37 wird das Derzeichnis der fchlefifchen unmittelbar untereinander zweimal aufgeführt 
(wie das gefchiebt, läßt erkennen, daß weder Weiffenborn, noch der LTeubearbeiter die Ders 
Sffentlidung je in der Hand gebabt baben); G. 4) findet fid unter Anhalt der alte, wie 
fo mandyer andere aus den fruberen Auflagen ubernommene Drudfebler 1395 (ftatt 1898); 
in den Jahren 3860—68 dsadten weder Stubr (* 18671) nok Rrieg (* 3857!) daran, über 
Ritdhenbider in Medlenburg zu fdreiben (S. 40). Unter der Oberferift ,Strafvers 
fügungen...“ werden G. 55 die Alten des Staatsardive in Weglar genannt (legteres 
übrigens nochmals S. 63); es ift dem Lieubearbeiter, wie fo mandyes, entgangen, daß 
das Weglarer Archiv vor Jahr und Tag aufgelöft worden ift. Der Drudfehler „Allges 
meine Deutfche Bibliographie“ findet fidy ebenfalls fchon in der 2. Auflage. S. 92 wird 
der Zeitungstatalog der Poft als Lladhfchlagewert empfohlen; Sperlings weit brauds 
barere Derdffentlidbung tennen Weiffenbornsy. Rugfdenbad auf S. 93 nur in der längft 
überbolten 43. Auflage von 1906! Unter „Handfchriftenfammlungen“ werden S. 93 die 

edrudten VDerzeichniffe der gedrudten Sammlungen von Leidhenpredigten in Hannover 
von inte) und in Greifswald (von Lange) erwähnt, unter „Benealogifchsberaldifche 
Zeits und Monatsfchriften” auf S. 93 das Archiv für Raffens und Befellichaftsbiologie! 
GS. 113 ff. werden die GBenealogifchsberaldifchen Dereine mit den Antiquariaten zufammens 
efaßt; von den Ieteren werden 34 genannt, von denen nur eins (Stargardt:Berlin) die 
Bezeichnung als foldyes verdient. — Doch genug in der Aufzählung von Einzelheiten; das 
Gefamturteil möge der geneigte Lefer felbft fällen. 


Sriedrid Weden, Leipzig ögfch. 


Herman Wirth und die deutiche ee Unter Mitwirtung von §. Borks 
Rénigeberg, %. DS Den 8. R Schulg» Münden und £ Wolffs Göts 
tingen. Herausgegeben von §. iegerss Berlin. Münden, I. §. Lehmann, 1932. 
69 S. mit 3 Taf. Preis geb. MI. 2.50. 

Um die Arbeiten Profeffor Herman Wirtbs (Marburg), der vor allem durch fein 
Bud ,Ber Aufgang der Menfchbeit“ bekannt geworden ift, tobt feit einigen Jahren in 
der deutfchen Öffentlichkeit ein erbitterter Rampf. Die Wiffenfchaft im allgemeinen bat 
lange dazu gefhwiegen und das Seld Kräften überlaffen, die — faft ausnahmslos obne 
die genügende Sadlenntnis für den vielfeitigen von Wirtb bebandelten Sragentompler 
‚und bäufig nur durdy die Lleuartigkeit der vorgetragenen Anfichten angezogen — bes 
dauerlicher WDeife in einem von ihnen unverftandenen, weil von einem Wuft gelebrten 
Beiwerts verdedten Rosmopolitismus die Grundlage für eine geiftige Erneuerung unferes 
Doltes zu feben glauben. Aud Wirth felbft ift nidyt unfchuldig daran, daß auf diefe 
MDeife feine Anfhauungen in den politifchen und weltanfdauliden Tagestampf bineins 

ezogen worden find. Auf die in immer mebr marltfchreierifcher Art geübte Anpeeifung 
* Lehre und andererſeits nach verletzenden Anwürfen gegen die angeblich „verkalkte 
Wiſſenſchaft und ihre Diener haben in der vorliegenden Schrift fuͤnf anerkannte und ver⸗ 
diente Forſcher es unternommen, die im „Aufgang der Menſchheit“ niedergelegten Ergeb⸗ 
niſſe vom Standpunkt mehrerer Einzelgebiete, auf die ſich Wirth ſtuͤtzt, an Hand einiger 
traffer Beiſpiele kritiſch zu beleuchten. Es kann gar tein Zweifel darüber befteben, daß 
fie mit ihrer wohl begründeten, fehroffen Ablehnung der Wirtbidhen Gedanlengänge die 


238 Volt und Kaffe. 1932, IV 
ö — ———————— — ——— — — 


Zuſtimmung der uͤberwiegenden Mehrheit der deutſchen Wiſſenſchaft gefunden haben. 
Daran kann auch die Tatſache nichts aͤndern, daß eine kleine Minderheit von Forſchern, die 
3. T. ſogar gar nicht einmal ein Urteil auf ihrem Spezialgebiete abgegeben haben, in 
Zweifel zieht, ob die Mitarbeiter an der Schrift befugt waren, für die Seutfde Wiffens 
ſchaft im ganzen zu ſprechen. Das Echo, das die in Form und Inhalt gleich gute Wiegers⸗ 
ſche Schrift bei den Anhaͤngern Wirths gefunden hat, zeigt leider, daß auf der Betis 
bis beute geltender ertenntnistheoretifder Grundfage eine Auseinanderfegung mit dem 
WirthsKereife taum mehr modglid fein wird. Wo der Glaube anfängt, hört die Tatigs 
teit des Derftandes auf. Gleihwohl wird niemand, dem es an der Klärung von Wirtbs 
Arbeit gelegen ift, an der angezeigten Schrift verübergeben können. 


£. Deterfens Breslau. 


Theodor Sink: Die Pfalz. Deutfche Vollstunft, Bd. XII. DelphinsVerlag, Minden. 

DR 43 SG. und 231 Abb. Preis kartoniert ME. 7.50, Pappe ME. 3.50, Banzleinen 
09.50. 

Die Pfalz konnte in Solge ihrer wedfelvollen Gefdhidte, der vielen Kriege, die 
das Land beimfudten und der damit zufammenhängenden Zerftdrungen und der oft darauf 
folgenden Yleubefiedlungen Reine fo reiche und ungebinderte Dollstunft entwideln wie 
andere deutihe Lande. Dor allem die Bauten wurden in foldyen Sällen vernichtet, aber 
aud cin Broßteil der Rleinkunft ift für immer verloren gegangen. Dazu tommt nod die 
bewegliche, leicht auffaffende und allem Lleuen befonders zugängliche Art des Pfälzers, der 
altes Überliefertes leicht gegen Yleues, Vorteilbafteres vertaufht. Um fo überrafchender 
wirkt die Sülle fhöner und künftlerifcher Leiftungen, die diefer Band wiedergibt: Sachwerks 
bauten, Sadhwerkichnigereien, Saustore, Möbel, Rleinktunft, wunderbare fchmiedeeiferne Auss 
bängeichilder, Trachtenftüde, Rirdyen und Brabfteine. Auch eine Überfichtslarte und Grunds 


riffe der verfdiedenen Haustypen find beigegeben. Jeder der Bände der Sammlung 


deut⸗ 


ſcher Volkskunſt iſt begruͤßenswert und erfreulich, weil unſer Wiſſen vom Reichtume 


deutſcher Volkskunſt wieder um vieles bereichert wird. 


W. Siemens: Bedeutung und Methodik 
der Ahnentafelforihung. Ard. Raffenbiol. 
Bd. 24. Munden 1930, I. §. Lebmanns 
Derlag. S. 185 ff. 

Durd die Abnentafelforfdhung — früher 
diente fie bauptfdadlid der Hebung des fos 
zialen Unfebens der —— rigen — 
kommt der Forſcher zur Beſchaͤftigung mit 
der Hiftorie, Aulturs und a 
Sozialwiffenihaft und Liationalölonomie. 
Die beiden legten Wiffenfraften batten aus 
der Erforfehung des Schidfals einzelner Sas 
milien, der Erlenntnis des Zufammenbangs 
zwifchen fozialem und wirtjcheftlidem Aufs 
ftieg bsw. Lliedergang und ererbter Tih: 
tigteit und zufälligen Glüdszuftänden den 
größten Klugen, während die vererbungss 
biologifhen Ergebniffe meift überfchägt 
wurden. Die Dererbungswiffenfdaft kann, 
da das familienfundlide Material meift 
lüdenbaft oder unzuverläffig, mit Hilfe dec 
Gefhwiftermethode, wenn nod die Eltern 
betannt find, weitreichende Schlüffe ziehen. 
Der vererbungsbiologifhe Llugen der Sas 
milienforfhung beftebt darin, daß der Sas 
milienforfcher vom Sammeln aus Liebhabes 
rei zu raffenbygienifchen Einfichten geführt 
wird und daß fie ein Hauptweg raffens 
bygienifcher Propaganda wird. 

® Mofer. 


Bruno R Souls. 


Ridhard UWhden: Dölkertore. Weltpolis 
tifche Bücherei, brag. v. Adolf Grabowely, 
Band 13. Berlin 1929. ZentralsDerlag. 
63 S. 8 Rartenftizzen. Preis ME. 2.40. 


Diefes Meine Buch mit feinen nur 58 Seis 
ten bringt in geradezu meifterbaft Barer 
Sprache die felbftändige Behandlung eines 
Gegenftandes, der fo ziemlich obne literas 
rifhe Vorarbeiten daftebt. Die tnappe, faft 
anz fremdwortlofe deutfde Sprache ents 
pricht vollig dem Welen des Stoffes. Die 
bier zum erftenmal vorliegende Bebandlung 
der großen Völlertore der Erde ift Geos 
Ei im allerbeften Sinne. In einem erften 
apitel finden wir das Grundfaglice uber 
die Bedeutung der Ebenen, GBebirgsländer 
und Völkertore im Leben der Völker, Staas 
ten und Rulturen. Sünf weitere Rapitel 
behandeln die Völlertore der Monfunlans 
der, das turanifche Pfortenland, des naben 
Oftens, Europas und die Appalahhifche Vols 
terpforte. Eurafien wird alfo in allererfter 
Linie bebandelt, was ja der kulturellen und 
voltifchen Bedeutung diefes Gebietes ents 
fpricht. Die Darftellung felb(t zeugt von 
geundlicher Beberrfchung nicht nur der geos 
grapbifchen, fondern aud der biftorifchen, 
wie der vorgefdidtliden Dorausfegungen 
des Gegenftandes. Im ganzen liegt bier 
eine Arbeit vor, die duch ihre großzügige 


1932, IV 


Budbefprecdhungen. 


239 





zufammenfaffende Behandlung und durch die 
Beberrfhung des Stoffes, der biftorifch, 
geograpbifh und völkertundlich zugleidy ift, 
einen befonders hoben allgemeinen Bildungs» 
wert beanfpruden tann. 

Werner €ffen. 


3. Winthuis: Die Wahrheit Aber das 
Zweigeſchlechterweſen surd die Gegner be: 
ftätigt, noch fefter begründet von... Leips 
3ig 1930. Derl. €. £. Hirfcfeld. Preis 
AN 4.60. 

Die vorliegende Schrift ift gedadt als 
Erwiderung auf die in der Zeitfchrift 
Anthropos Bd. 26, SG. 1005—1073 ers 
fcdienene Gegenidrift gegen das in %. 2 
&e8 Ig. 4 (1939) von Doll und Raffe bes 
fprocdhene Wert von Wintbuis über das 
Sweigedhledterwejen bei den Auftraliern 
und anderen Ddltern. 

Die Schwäden des Winthuisfden 
Buches find an oben erwähnter Stelle von 
mir bereits — worden. Peekel 
geht in ſeiner Rritik des Winthuisſchen Bu⸗ 
ches, die er als „Miſſionaͤr“, nicht als „Wiſ⸗ 


ſenſchaftler“ abgefaßt hat, entſchieden viel 
3U weit, wenn er die Eriftens cines ,, Sweis 
geidlechterwefens” in der Gudfee überhaupt 
abftreitet. Vielmehr bat Winthuis recht, 
wenn er bebauptet, daG durd die Schrift 
von P. febr wider deffen Ubfidt die Wabrs 
fcdeinlicdteit der riftens folder Zweiges 
fchledhtersAnfchauungen in ser Gudfee nur 
nod mebr erbdrtet ift. 

Was an der Winthuisfden Theorie von 
dem Zweigefchledhterweien richtig ift, das 
wird nicht eine mebr oder weniger fubjels 
tive Ausdeutung fremden Materials ergeben, 
die den Kern des Wintbuisfchen Buches 
ausmacht, fondern genauere, unvoreinges 
nommene Sorfehung unter den Eingeborenen 
felbft. Vorerft aber wird man intbuis 
darin recht geben können, daß die Ausdeus 
tung etwa der auftralifchen Mythen im 
aftralmythologifdben Sinne (Schmidt) mins 
deftens genau foviel Untlarbeiten und Gubs 
jeltipismen zeigt wie der Wintbuisfche Ers 
HMärungsverfuh im Sinne einer Zweige 
fchlechtertbeorie. 

Güntber Spannaus, £eipsig. 


Lieue Arbeiten zur Deutfchwerdung des Oftens. 
Don Ardyivdireltor Dr. Yans Witte. 
(Sortfegung). Polen und. Pofen. 


Auch kulturs und wirtfchaftsgeihichtliche Werke enthalten bisweilen intereffante Mits 
teilungen zur Befchichte des Deutihtums. So Alefander DOG ycicli, Gefcidte der 
Jnduftricarbeiter in Polen (Warfdau 1929, polnif, nach Befpr. von Walter Maas in 
Dtſche. Wiſſenſch. Zeitſchr. f. Polen heft 18, 1930, S. 183 ff.). Der Verf. bebt den deutfchen 
Charalter des Handwerks in Polen während des ganzen Mittelalters und weit darüber 
binaus bervor. Noch 1770 waren in ganz Polen „nur 10—12000 gute Sandwerter, 
Deutfde, und man fonnte kaum 300 oder 400 Polen finden“. Auch die Gründer der erften 
Sabriten waren faft durdhweg BDeutfde. Die Schwierigleit, polnifche Arbeiter berans 
zuzicben, bewirkte die Einwanderung Deutfcher. Gerade jetzt (1838) führte die Errichtung 
der preußifchen Zollgrenze gegen Rongreßpolen „den —— der Poſener Tuchmacherei 
und die ſcharenweiſe Auswanderung der Tuchmacher nach Kongreßpolen herbei. Der Pro⸗ 
zentſatz der Deutſchen in den kleinen Staͤdten Poſens ſank dadurch bedeutſam“. Aber gegen 
250 000 Deutſche kamen zwiſchen 1212 und 3823 nach Rongreßpolen. Anderſeits werden 
durch die hoͤheren Loͤhne im oberſchleſiſchen Bergbau um 1220 viele polniſche Arbeiter zur 
Auswanderung nad dort veranlaßt. In den dreißiger Jahren beginnt Kodzs Aufſtieg. 
Deutſche Roloniſten der Umgegend bauten Flachs. Der Rohſtoff für Leinenerzeugung war 
alſo in naͤchſter Naͤhe vorhanden. Die Fabrikherren waren faſt ausſchließlich Deutſche, viel⸗ 
fach die Fabriken Filialen reichsdeutſcher Firmen. So auch in den Grenzſtaͤdten Czenſtochau 
und Gofnowig. Aber durch anhaltende Poloniſierung kommt ein polniſcher Fabrikanten⸗ 
ſtamm auf. Auch die Arbeiter waren überwiegend „auslaͤndiſcher Abſtammung, d. h. 
ee polonifierten fich aber erftaunlich rafch, wenn auch nicht fo rafch wie ihre deutfchen 

rbeitgeber“. 

Ze ift immer dasfelbe Lied! Wer fann die Deutfchen 3ablen, die ihr Beftes den Polen 
gegeben, ihr Land, ibre Rultur und Wirtfchaft aufgebaut haben und fdlieBlid, on. 
in ibren Yladtommen, felber 3u Polen geworden find?! Wann endlich werden die Deuts 
fen aufbören, der Dünger der Völter im ganzen Erdencund zu fein? 

Aud das ,Lodzer Jabrbud, der Gefchichte von Lod3 und Umgebung gewidmet. Bo. I. 
Hrsg. vom Ardiv der Stadt Lodz unter Leitung von J. Raciborsti“ ne 1083 1928. 
NHach Beſpr. in Dtiſche. Wiſſenſch. Seitidr. f. Polen Heft 18, 1930, S. ı82f.) ertennt es 


240 Doll und Kaffe. 1932, IV 
Sa a a rg Er GE EEE ——— 





an, daß noch 1860/70 im Induftriegebiet das Deutfhtum in jeder Hinfidt überragend und 
führend war. Damals berausgegebenes Flotgeld trug ausfchließlich deutfchen Tert! 

Und mit diefen polnifhen Zeugniffen ftimmen die deutfchen überein: Adolf Eichler, 
Andrespol. Ein Ausfchnitt aus der deutichen Anfiedlungsgefhichte in Aongreßpolen (Diſche. 
Wiſſenſch. Zeitfchr. f. Polen Heft 1, 1923, S. 49—55), der die erften Anfänge der zu Beginn 
des 39. Ib. bier geleifteten deutfchen Kulturarbeit f&hildert: „Ein Rranz deutſcher Bauern⸗ 
anfiedelungen umichließt den Lodzer Jnduftriebezirt, wo nahezu jeder Sußbreit Bodens mit 
deutfhenm Schweiß gedüngt ift.” Und bier in Andrespol wenigftens bat fid die Bevdls 
ferung deutfch erhalten. Buftav Schedler, Ebenskzer. Eine Jahrbundertgeichichte der 
evang. St. Trinitatisgemeinde zu £0d3 (£0d3 1929. lab Befpr. in Otide. Wiſſenſch. 
Zeitfehr. f. Polen Heft 18, 1930, S. 196), zeigt, daß „die Stadt Lodz einzig und allein 
durd die Kraft und den Sleig unferes Volles ihre Bröße und Bedeutung erbalten bat. Der 
Paftor batte sur Zeit des „ameritanifhen Wahstums“ der Stadt zeitweilig allein für 
50 000 Seelen zu forgen. Eduard Jeilner, Die Bieliger in Tomafhow (Diiche. Blätter 
in Polen 3g. V, 1928, GS. 334—340), fcildert nad mündlicher Überlieferung die Auss 
wanderung von Bieliger Tucmadern in das Lodzer Jnduftriegebiet. 182) war Tomas 
fchow etwa 50 Rilometer fuddftlid von £053 von Tudmadern aus Grinberg in SGdlefien 

egründet. 18068 fetzte weiterer deuticher Zuzug aus Bielig (Biala) ein. ,Hier fcien gleichs 
en ein neues Deutjchland entfteben zu wollen.“ 

Was fid in £0d3 und Umgebung in größten Ausmaßen abfpielte, läßt fi aud in 
unzähligen anderen Orten Polens troß zeitlidher und drtlider Abweidungen ziemlidy über; 
einftimmend beobachten. Sür Oftrowo bat Marjan Rofpent, Kurzer Abriß der Gefchichte 
der Stadt Oftrowo (Oftrowo 1928, polnifdh, nad Befpr. von Lattermann in Dtfdbe. 
Wiffenfchaftl. Zeitfchr. f. Polen Heft 38, 1930, S. 381), das Dorbandenfein eines ftarten 
Deutfchtums fchon zu altpolnifcher Zeit ancrfannt. Beim Anfall der Stadt an Preußen 
(1793) war es fogar weitaus überwiegend. „Dagegen unter der preußifchen Herrſchaft 
wuds die Zahl der polnifhen Bevdlterung auferordentlid!* Auf cin altes Deutichtum 
blidt audy nach Rarl to mm, Bobrownili an der Weichfel und feine Dergangenbeit (Difche. 
Blätter in Polen Jg. VI, 1939, S. 517—538), das mit dem Deutfcorden verknüpfte 
Dobrzyner Land mit feiner Ördensburg und Stadt „Beberen“ Zurüd. Paul Sreimut, 
Die deutfche evangelifhe Schulgemeinde O©borli, Rr. Rypin (ebd. S. 545 —548), führt uns 
einen zu Anfang des I8. Ib. gegründeten Reranz deutfdher Rolonien mit nod heute ers 
baltenem Deutfhtum vor. Und Walter Rubn, Leonberg (ebd. S. 189-197), ftellt die 
Entwidlung diefes 1801/02 von der preußifchen Verwaltung in der Provinz Sudpreußen 
etwas oberhalb Plocz angelegten Ortes dar. 1304/05 batte er 58 Samilien mit 307 Köpfen, 
darunter 48 Samilien aus Württemberg, 7 aus „Sranlreich”, was gewiß als Elfaß zu vers 
fteben ift. Um 1860 konnte er zwei Tochterfiedlungen in der Lläbe gründen: und bat trog 
induftricller Entwidlung bis beute feine fchwäbifche Mundart bewahrt wie die benachs 
barten „Lliederunger“ die plattdeutfche. Fin dritter in der Gegend vertretener, aus Pofen, 
Brandenburg, Pommern ufw. eingewanderter deutfcher Stamm wird „Rafhyuben” genannt 
und ift nicht fo felbftbewußt und ftandbaft. 


Aud im fernen Galizien zeugen Ortsnamen wie Laficut (früher Landeshut) und 
Marlowe (früber Martenbof) von altem untergegangenen Deutfchtum, deffen letztes literas 
rifches Lebenszeichen Sranz A. Doubel, Ein deutiches Spradhdentmal aus der Gegend von 
Lafcut (Difche. Wiffenfch. Zeitfchr. f. Polen Heft 13, 19238, GS. 66—87), uns in Geftalt 
eines deutfchen Oftergefanges nach der Aufzeichnung eines polnifdhen Geiftliden vom Ende 
des 18. 3b. überliefert. ‘Abnlid deutet auch der Lame der Stadt Sryf3tal (früber Sriftetb) 
in der Wojwodfchaft Lemberg auf verfuntenes Deutfhtum. Walter KRubn, Deutide Gieds 
lungen bei Brzoftol. Ein Beitrag zur Gef. der mittelalterl. dtfdy. Rolonifation in Galizien 
(Dtjde. Wiffenfd. Zeitfchr. f. Polen Heft 13, 1928, S. 58—65), grenzt bier ein altes 
Waldgebiet ab, das nach beigebracdhten weiteren Ortss und Bauernnamen i. J. 1488 von 
Deutfchen befiedelt war. 

Weit jüngere, aber gleihwohl in der Entdeutfhung fcdon weit vorgefdrittene Rolos 
nien bei Lemberg bebandelt ebenfalls der bewdbrte SGpradinfelforfder Walter Rubn, Die 
deutfchen Siedlungen bei Ramionta Strumifowa (Difche. Blätter in Polen 3g. V, 1938, 
S. 508—823). Don polnifhen Adligen angelegt und in ihren Anfängen nur bis 1803 
zurüdreichend, haben fie wohl unter einer weitgebenden Mifchung aller in Galizien fonft 
— auftretenden deutſchen Staͤmme und Ronfeſſionen, denen ſich ſogar ein betraͤcht⸗ 
icher Zuſatz von Tſchechen beigeſellte, gelitten. Ruhn bezeichnet die Egerlaͤnder und Boͤhmer⸗ 
waͤlder als das tuͤchtigſte Roloniſationsmaterial in Galizien ſeit der oͤſterreichiſchen Beſitz⸗ 


1932, IV Buchbefprechungen. 241 





ergreifung. Sie batten fidh als Spradinfelgründer und serhalter viel erfolgreicher gezeigt 
als die bedeutend weicheren Schlefier. 

Vleuere Giedlungsvorgange find es aud, die Johann Wa gner, sur Gefdidte der 
evangel.sdeutfchen Gemeinde Stryj, Galizien, mit befonderer Berudfidtigung der Geſchichte 
der ule anlaglid ibres 20 jdbrigen Beftebens 1909-1939 (Btfche. Blätter in Polen 
3g. VI, 1929, S. 549—553), bebandelt. Der Anfang der deutfchen Lliederlaffung wird 
auf 3739/99 angefegt im Sufammenbang mit der- weftdeutiden Auswandererwelle, die 
damals Galizien Gberflutete. Die Gemeinde beftebt noch beute mit 700 Seelen. 

Don einem Gebiete jabrbundertelangen und bis in die Gegenwart dauernden, ja in ihr 
foger verftärkten Ddlterringens kehren wir zurüd auf den Boden jabrbundertelanger uns 

tittener Herrfdaft des Deutfdtums. Die Ausbeute ift bier entfpredyend geringer. Sur 
Chiiringen bat uns Chriftoph Albredht, Die Slawen in Thüringen. Cin Beitrag zur 
Seftlegung der weftliden flawifden Rulturgrenze des früben Mittelalters (Jabhresfchrift f. 
d. Dor hey, der — Kander XII. Bd., Heft 2, 1925, S. I—72), eine auffchlußs 
teiche Unterfucdung befdert. Sie wird durch cine Karte über die Derbreitung der flawifden 
Ortsnamen und Wiftungen uber die Gaale binaus fowie tber die deutfchen Jufammens 
fegungen mit swind, swende, swenden wirtfam unterftugt. In legteren fiebt Albrecht Ans 
fiedlungen triegsgefangener oder fonft unfreier Slawen dur Deutfcdhe. Da überdauernde 
d&eutfhe Ortsnamen bis an die Saale vorhanden find, können die flawifchen Ortsnamen 
weftlid derfelben nicht von fiegreich vorgedrungenen Slawen berrübren. Und da dort 
die am OftsHodufer der Gaale abbrechenden Burgwälle völlig fehlen, müffen die Slawen 
bier „ohne jede politifche Selbftändigleit geblieben fein“ (5.30). Sie bewohnen vornehms 
lid Rundlinge, weswegen „wir jedoch keineswegs in jedem Rundling eine flawifde Ortss 
gründung zu feben haben“ (3.20). Leider find in der Siedlungstlarte (Lir. 2) die Rundlinge 
nidt berudfidtigt. 

Aus den zufammengeftellten biftorifden Klachrichten und aus dem Rultucnadlag wird 
der Schluß gezogen, daß die Stawenfiedlungen füdlich der Unftrut in der erften Hälfte des 
7. Ib. entitanden dur Überlaffung „des durch die Awarentämpfe ale Odland unbefiedelt 

ebliebenen Gebiets etwa zwifdhen Saale und Jim zum Dant für ihre Rriegebilfe gegen die 
Sranten“ (SG. 33). £s bandelt fich bier um flawifche Sifcherinfeln unter tbüringifcher Staates 
oberbobeit. Die Slawenfiedlungen ndrdlid der Unftrut feien dagegen erft um 800 entftanden 
und „auf Rarls des Großen Sadıfenpolitit zurüdzufübren“. Sie unterftanden larolingifden 
Orenzgrafen. In beiden Gebieten aber muß das flawifche Vollstum fdon im Laufe des 
10. 3b. im Deutfdtum aufgegangen fein (8. 13 u. 30). Die vereinzelten Slawens 
fiedlungen aber weftlidy der JIm und „der Linie Burgfcheidungen a. U., Querfurt, Eisleben, 
Afcbersieben, Staßfurt, Weubaldensleben find von unfreien Slawen (Briegsgefangenen?) 
angelegt“. Kine kulturelle Bedeutung für Thüringens Entwidlung bat das flawifche Sifchers 
volk nicht gehabt. Sein raffifher Einfluß ift nod nidt unterfudt. 

Mit häufiger Bezugnahme auf Albrecht bebandelt Martin Wachler, Die einftigen 
flawifchen Llebenfiedlungen in Thüringen (Seftidrift fir Otto Dobeneder, 1929, S. 17— 30), 
die Siedlungen weftlid der Saale, deren er eine beträchtlich größere Zahl in einem alpbas 
betifchen Verzeichnis zufammenftellt. Verftreut erftreden fie fi bis über das Werratal. 
Befondere Berüdfichtigung finden die Siedlungen, die „aus deutfchen Orten als flawifce 
Viebenfiedlungen berausgewachfen find“. WDenigen erfcheint ale mundartlide Sorm für 
wendifh, windifh. In mandıen Orten, wo Wenden nur in geringer Jabl vorhanden 
waren, batten fie in der Rirdye ihren befonderen Eingang, die „windifhe Tür“ (S. 29). 
Ein mertlider Cdrperlider LUnterfchied 3wifden deutiden und wendifden Bauern konnte 
nicht feftgeftellt werden. 


Im benachbarten Vogtland bat nach Vorarbeiten von Walter Dorf, Die vors 
& Hidtlide Befiedelung des Dogtlandes (Mlitteilg. d. Altert.»Der. zu Plauen 24. Ig., 1914, 
.3— 20), A. Fleupert fen., Werdegang der Stadt Plauen im Dogtlande von der Llieders 
laffung der GorbensDenden an der liter bis zum Beginn des 20. Ihe. (Beilagebeft zu 
Mitteilg. d. Der. f. vogtl. Gefd. u. Altertumstde., 27. Jabresfchr. 1917), Richard Mends 
ner, Die Hecrfdhaft Burge bis zu ihrer Angliederung an das Haus Reußs Greiz (Mitteilg. 
wie vorft. 27. J.sBeridt 3957, S. 1—96) und Ernft Pietfch, Die Entftehung der Städte 
des fächlifhen Dogtlandes (ebd. 32. I. Bericht 1932, S. I—VIII, 1— 123), die die Dors 
gtididte von der keltifchsillyrifdgen Urzeit über die in der LatEnezeit einrüdenden gers 
manifchen Hermunduren, die um 300 n. Chr. nacdhrüdenden Angeln und Warnen bis 3u den 
um 600 einziebenden Gorben bebandein und 3. TI. auc auf dte deutfde Wiederbeficdlun 
und den Anteil der Oftfranten, Thüringer und Bayern an dsiefem Werk eingeben, — na 
alledem bat Johannes Leipoldt, Die Gefhichte der oftdeutfchen Rolonifation im Vogt: 


242 Dolt und Kaffe. 1932, IV 








land auf der Brundlage der Siedlungsformenforfhung (Mitteilg. wie vorft. 36. Jahresſcht. 
1927/28. Plauen 1928, 8. I — 215), die deutfche Rolonifationsfrage mit einem großen Wurf 
zur Löfung zu führen verfudt. Dies wichtige Werk ift den Lefern diefer Zeitfchrift durch 
9%. Zeiß Befprehung (Volt u. Kaffe 3. Ig., 1928, S. ı89f.) fhon bekannt gemadıt 
worden. Bei im wefentlidyen gleidyer Beurteilung möchte ich nur einiges Brundjägliche 
antnüpfen. Die Benugbarteit der Slurkarten ift in letter Zeit verfdiedentlid angezweifelt 
worden mit dem Hinweis auf etwaige vor unferen älteften Karten liegende Deränderungen 
in der Slureinteilung, die es unmöglich machen, in unferm verhältnismäßig fpäten Rartens 
material ein unmittelbares Abbild der durch die deutfche WDiederbefiedlung gefhaffenen 3. TL 
fogar nod vor ibr liegenden Agrarverbältniffe zu feben. Leipoldt bat jogar mit einem 
belonbers fpäten Material gearbeitet: feine Slurtarten gebören weitaus überwiegend erft 
dem 19. Ib. an, 3. Ti. erft deffen Mitte! Bleihwohl meint er feftftellen zu fönnen, daß die 
„Siedlungen feit dem Abfchluß der oftdeutfchen Rolonifation im Vogtland bis in die Zeit 
des ... Siurkartenmateriale in ihrer Sorm nie grundlegend verändert worden“ find, das 
GSiedlungsbild des 19. Jb. entfpreche in den Grundgtigen nod dec urfpringliden Anlage 
(3.26). Und wenn nun auf feinen Überfichtstarten das Gebiet des flawifden Blodtypus 
mit dem der flawijchen Ortsnamen fowie dem des alteften waldfreien Giedlungslandes in 
einer geradezu fchlagenden WWeife übereinftimmt, fo feheint mir mit diefer nadgewiefenen 
dreifachen Übereinftimmung in der Tat die Probe auf das Erempel gemacht zu fein. 

Man darf aber deswegen nicht glauben, daß jetzt alle Slurkarten, auch die des 19. Ib., 
eine unbezweifelbare Widerfpiegelung des urd die deutide Rolonifation geidaffenen 
Siedlungszuftandes fein müßten. Im Gegenteil wird man ftets mit der Möglichkeit älterer 
Regulierungen, die das urfprimglide Bild mehr oder weniger verändert haben, rechnen 
müffen. Sicher befteben bierin von Landfchaft zu Landichaft große Derfdiedenbeiten. Cine 
ftrenge Prüfung diefer Srage ift in jedem Salle dringend erforderlich. Sie geihiebt am 
beften durch einen Vergleich der Verbreitung der verfchiedenen Slurtppen der Gegend mit der 
wiederbergeftellten Urlandfdaft und den snamen. Dies alles muß zufammenftimmen, 
wie es auch bei £eipoldt der Sall ift. 

Auf der fo gewonnenen, gefidyerten Grundlage bat Leipoldt die Slurtarten ausgenugt 
mit einer Rubnbeit, die die von Job. Sollers geübte Zurudbaltung (vgl oben S. 58) 
weit binter fic läßt. Licht allein daß er den flawifchen Blodtypus von den deutfden 
Gewanns oder Gelangeformen und den Waldbufen reinlich fcheidet, er ftellt uns unter feinen 
nicht weniger als ı8 Sormentypen aud eine Sülle von Sonders und Übergangsformen bin, 
die die Regulierung bzw. Durddringung altflawifcher Dörfer mit eingewanderten Deutichen 
oder auch das Sufammenioieten beider Völker auf neubefiedeltem Boden in verfchiedenen 
Abfchattierungen ertennbar madyen. lan wird biernad mit den Zweifeln an der Derwend: 
barkeit der Slurtarten fur Swede der Mationalitdtenforfdung zurüdfteden miffen. 

Ylaber auf diefe Dinge und auf die reichen Ergebniffe diefer Arbeit einzugeben, ift in 
diefem Zufammenbange leider nicht möglidy. Tur das fei nod gefagt, daG Leipoldt Runds 
ddrfer mit flawifder Blodflur fowie folde mit anfdeinend tolonialen Sluren feftgeftellt 
und demgemäß flawifde und deutfche Runddsrfer unterfdeidet, wobei die legteren regels 
mäßiger find und mebr an den „Llormalrundling“ erinnern. Er fiebt in diefen „eine fpätere, 
früblolonialdeutfche Sorm — vielleidht eine Weiterentwidlung jener“ (3.35). Hier, wo 
fchon feit den Zeiten der Dttonen das Dreutfchtum die Herrfcaft behauptete, obne fogleich zu 
einer großzügigen Befiedlung zu fchreiten, ift der Sn der Dinge denn auch ein wefentlidh 
anderer gewefen, als der war, den wir mebrfady in dftlideren Gegenden finden konnten: 
Flicht zuerft Rodung und Befiedlung der Waldgebiete und danach Eindringen in das alt» 
flawifche Rulturland, fondern umgekehrt! syier begann es mit einer leichten Überlagerung 
des altflawifden Siedlungsbodens mit einer dünnen deutfchen Adelsfchicht, der erft im 

3 Ib. eine ebenfalls zuerft nur leichte Durdydringung diefes alten Rulturgebiets mit deutfdyen 

auern und danach erft fcbrittweife die Rodungstätigleit folgte. Wie ich das im einzelnen 
abgefpielt bat, wie fidh Deutfche und Slawen fowie ferner die verfchiedenen deutfcdhen Stämme 
da hinein teilten und fich gegenfeitig durchdrangen, mag man bei £eipoldt felber nadhlefen. 

Im sftlicheren Sadıjen bat die tNeifener Jabrtaufendfeier auc der Erforfcung diefer 
Dinge einen kräftigen Anftoß gegeben. In der von Woldemar Lippert berauagegebenen 
Seftfcdrift ,MeiBnifd-facfifce Sorfchungen” (Dresden 1929) fett der Herausgeber die 
Gründung der Burg Meißen und damit auch die tatfächliche Begründung der dseutfden errs 
fdaft im Sorbenlande auf den Mai 929 an. Rudolf Röufchke fcdildert darin die „Ans 
fange der Martgraffchaft Meißen“, wobei der Ausbau des Landes, feine allmablice Übers 
führung in deutfche Derbältniffe, der gemifcht deutfchsflawifhhe Charakter des Burgwards 
fyftems und zablreidhe deutichsflawiiche Mifchbildungen von Ortsnamen zur Sprade 


1932, IV | Buchbefprehungen. 243 
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fommen. Alfred Meiche fchließt eine Behandlung der „Altmeißener Bürgernamen“ als 
„Quelle zur Befiedlungsgeichichte der Stadt“ an. Don 1200 bis 1500 bat er unter den 
Rufnamen keinen einzigen altflawifchen gefunden. Der deutfche und zwar rein mitteldeutfche 
Charakter der älteften Stadtbewobner, wie er auch durch die Samiliennamen bezeugt wird, 
ift dadurc feftgeftellt. 

Der ebenfalls in diefem Zufammenbang 3u nennende Helmuth De Taufend 
Jahre Meißen (Meißen 1929), fchildert fachlundig und befonders liebevoll die Rolonifationss 
zeit (vgl. Kleues Archiv f. Sächf. Geld. 1930, S. 289). 

Gc Meerane weift Ostar Philipp, Eine Spur des Sorbifdhen in Weftfadfen? 
(Ti. Ardhiv f. Sahf. Gefe. u. Altertlde. Bd. 48, 1927, 3.306 ff.) nad, daß dort noch um 
1570 ein in wendifcher Sprade abgefaßtes Gefhoßregifter vorhanden war und vom 
dortigen Stadtfchreiber oo Remnit ins Deutfche überfegt wurde. Außer der damit für 
den Stadtfchreiber bezeugten Benntnis der wendifhen Sprache deutet nichts darauf bin, daß 
diefe Sprache fich in Meerane langer erbalten bätte als anderswo in Welt: und Mittelfachfen. 

Jobannes Langer, Slurgeograpbifche Unterfuchung über die älteften Sreiberger Bes 
fiedlungsverbältniffe * S. 185 ff.), will auf Grund der vors und frübgefchichtlichen 
Unbewobntbeit der Waldgegend die in der Umgebung vorhandenen flawifchen Slurnamen 
nur als Örientierungsbezeichnungen gelten laffen, „die fogac fpäter zur flawifchen Bes 
nennung echt deutfcher WDaldbufendsrfer führten“, 3. 3B. Loßnitz, Rleinbobrigich, Colmnig. 
Die Anfänge der deutfchen Dorffiedlung geben bier bis in die Mitte des 12. Ib., die der 
ftädtifchsbergbaulichen Entwidlung bis 1185 zurüd. 

Wenn vom weftliden Sadfen aus, wo die Gründung deutfcher Dörfer fhon feit 
1080 berichtet wird, die Siedlungstätigleit den Elbleffel erreichte, ift die Srage, von der 
Otto Eduard Schmidt, Die Befiedlung des fächfifchen Elbleffels und die Anfänge von 
Dresden (M. Archiv f. Saͤchſ. Bei. u. Altertlde. Bd. 48, 1927, 3. 33 —00), ausgeht. Er 
weit nad, daB 1144 aud bier eine „Rolonifation großen Stils“ fchon im Gange, deutfche 
Roloniftendörfer fchon gegründet waren. Die Schilderung des Sortgangs der Rolonifation, 
für die neben den Reibendörfern auch die „deutfchen Rundlinge“ als Hharalteriftifd bebandelt 
werden, gebt nicht nur bis zu den beiderfeits der Elbfähre gelegenen Sorbenweilern Drezga, 
die etwa um 3350 in deutfche Koloniftendörfer umgewandelt die Reimzellen des um 1215/16 
zur Stadt erhobenen Dresdens waren. Sie dringt audy in den von Böhmen fceidenden 
Grenzwald und gibt aud ein Bild von der unter Markgraf Heinrih im 33. Ib. über die 
Fliederlaufig „bis an die Tore von Srantfuct a.O.% (S. 58) fortgefchrittenen Siedlungss 
bewegung. Die bier wiederholte Herleitung der forbifchen Witbafen von den germanifden 
Warnen (S. 39) hat Woldemar Lippert, Wendifdhes im Anfchluß an-®. €. Schmidts 
Wendenbud (ebd. S. 234 ff.) mit Rect abgelebnt. 

Dom fadfifeen Sorbenland aus ift die fräntifche Hufe als Waldtolonifationshufe dec 
fräntifhen Siedler von diefen und anderen Deutfchen weiter nad GDften getragen, nicht 
allein nah Schlefien, fondern aud nach Böhmen, Polen, Galizien. Sie ift au von flawis 
Then Roloniften übernommen worden. Aeinridh v. Loefd, Die frantifcde Hufe (Zeitfehr. 
d. Der. f. Gef. Schlefiens 61. B., 1927, S. sı ff.; 63. Bd., 1929, S. 33 ff.), bat uns 
darüber eine gründliche Studie befchert, worin er u.a. diefe Aufe mit der Meineren flämis 
fhen vergleicht, die im Gegenfag zu ibr, der eigentlichen Rodungsbufe, aan auf 
das offene Land befchräntt ıjt und ftets in Gewannen liegt. Eine eingebende Unterfuhung 
der fhwankenden Brößenverbältniffe und dee Unterteilungen ift angeſchloſſen. 

Schon zwifchen 550 und 500 v. Chr., wie E. Deterfen, Lieue Ergebniffe über die 
germanifde Kultur in Sdlefien (Altidlefien 1929 S. 196 ff.), darlegt, find „Srübgermanen“ 
in geringer Zahl in Schlefien eingedrungen und baben fi mit den dortigen „Illyriern“, 
den Trägern der Kaufiger Kultur, friedlich vermifcht. Die 500 bis 400 febr madtig Bes 
wordene Germaneneinwanderung bat das illyrifdhe Dollstum vernichtet. Klad 400 bis 
300 wandern diefe Germanen (Baftarner) weiter nad Often. 

3n die polnifdhe Dorzeit des Landes, in der jedoc) nordgermanifde Linfluffe nod 
eine bedeutende Rolle fpiclen, fubrt Sedor v. Heydebrandu. der Lafa, Peter Wilaft und 
die nordgermanifchen Beziehungen der Slawen (Zeitihr. 0. Der. f. Schlef. Gelb. 1927, 
&. 247— 278), zurüd. Im Gegenfag zu Sriedrih Reiche weift er die dänifche Ablunft des 
Peter Wlaft (¢ 1153) und feine Derwandtfcaft mit dem warägifchen Herricergeichledht 
Außlande nad. Wie fein Großvater Magnus wird auch Peter in den Quellen Graf von 
Breslau (comes Wratislawiensis) genannt. Mandes Kyypotbetifche wird angelmüpft 
über einen aus nordifhem Blut entfproffenen AHerrenftand Schlefiens, der 3. Ti. in den 
Bauernftand zurüdgefunten fei, und die Schnelligkeit, mit der fpäter die Derfehmelzung mit 
der deutfchen Bauerneinwanderung geichab, erllärlich machen foll. 


244 Voll und Raffe. 1933, IV 





Kine andere Cinwanderungsfdidt, die Wallonen, bebandelt Ronrad Wutle, Zur 
Geſchichte des Geidledts der Gallici (Wald) und ihres Grundbefiges in Schlefien im 
13./16. Ib. (ebd. S. 379—311). Das Gefchleht, das dem dlteften fchlefiichen Adel angebört, 
bat aud cine deutfche Siedlungstätigkeit entfaltet. 

Die ganze fchlefifhe Siedlungsfrage greift mutig, aber etwas gewagt Wolfgang 
Jungandreas, Beiträge zur Erforfhung der Befiedlung Sclefiens und zur Ents 
widlungsgefchichte der fchlefiihen Mundart (Mdort und Braudy, Heft 17, 1928), an, indem 
er fidh außer den gefdhichtlihen Materialien und den Llamen bauptfadlid auf die Hiunds 
erten ftütt. Bernhard Martin (Zeitfehr. d. Der. f. fehlef. Gelb. BB. 62, 1928, S. 389 ff.) 
bat die Arbeit wegen Seblens der nötigen Vorarbeiten auf mundartlidem Gebiete als vers 
frübt fcharf abgelehnt. Ernftt Shwarz, Die fchlefiihde Mundart (Der Oberſchleſier, 
11. Ig. 1929, 8.71 — 83), ertennt dagegen an, daß es Jungandreas gelungen fei, „UDeins 
bolds Ergebniffe in wefentliden Puntten 3u verbeffern, den überwiegenden Einfluß tbürins 
en ih Elemente Marzulegen, weiterhin die Beteiligung ifcher Elemente in den 

udeten und bayrifcher bauptfähhlih im Süden des fchlefifhen Raumes wahrfdeinlich zu 
machen, die niederdeutfchen und oftfränkifchen Befiedlerteile von der überragenden Stellung, 
die ihnen Weinhold eingeräumt hatte, berabzudrüden. Im einzelnen find aber viele Dors 
bebalte 3u machen’. 

Ober Bebiete geringeren Umfangs unterrichten Guftan Sdhoenaih, Die Befieds 
lungsgeſchichte des Kreiſes Jauer (Schleſ. Geſch.⸗Bl. ds, SG. 6—1}) und Adalbert Yoffs 
mann, Die Befiedlung dea Rreifes Striegau (ebd. S. 63—69). In beiden Rreifen bat die 
Deutfchbefiedlung erft mit dem 13. Ib. begonnen. 

Aud in ©berfhhlefien begann die Auslegung von Städten und Dörfern zu deutfchen 
Recht fhon im 13. Ib. I. Shwieder, Die fozisle Struktur der ländlichen Bevölterung 
des alten Rreifes Beutben um 1743 und die Auswirkung der friderizianifchen Agrarreforms 
gefeggebung im gleichen Gebiet (Mitteilgg. des Beutbener Geh. u. Muſ.⸗Ver. Heft 7 —10, 

927, 8. 7—97), berichtet außerdem von böbmifhem Zuzug und feit 1526 von weiterem 
uzug deutfcher Roloniften, befonders Bergleuten und Bewerbetreibenden aus Sranten. Die 
Urbarien der Herrfhaft B. von 1546 und 1603 enthalten „eine große Reibe deutfcher 
amen’. Der einziebende Proteftantismus ,ftartt ebenfalls das deutiche Element’ (SG. 11% 
Vlad den Derwüftungen des 30 jähr. Rrieges werden „billige Arbeitskräfte aus Polen“ 
angefiedelt. Um 1743 ift die Bevölkerung des Rreifes der Sprade nah „zum größten Teil 
niſch“. Die friderizianifche Rolonifation, die die Anfiedlung von Ausländern, in Obers 
Hlefien von Deutiden, forderte, wurde in diefem Puntte nur zum Meinen Teil durchgeführt. 
Eine nadhbaltige Ausbreitung det deutfhen Sprache bradte erft die mit dem Aufblüben 
der Induftrie feit Mitte 19. Ib. erfolgende „ausichlieglidh von deutfchem Geift und deutfcher 
Sprache getragene ganz außerordentliche wirtfchaftliche eng 

Die durdy eingewanderte Bergleute aus Sranten und Sadıfen im Laufe des 16. Ib. 
tafch verbreitete Reformation bat na Paul Sranzte, Beiträge zur Gefcdicdte der Res 
formation im Beutbener Lande (ebd. Heft 31/12, 3929, S. 75—82), nod im gleichen Jabrs 
hundert die Bberband gewonnen. Daß die fhon 1623 einfegende Gegenreformation, die 
nach Schwieder „ganze Arbeit getan“ hat (S. 13), „das Beuthener Land polonifiert babe“, 
foll nad Sranzte nicht beweisbar fein. Aber „viele Anzeichen fprechen für eine ftarte Polonis 
fierung in jenem Jabrbundert“ (S. 82). 

Eine deutfche Bürgerfchaft in der Stadt Beutben beftand nah VD. Immerwebr, 
Das Alter der Priv. Schügengilde in Beutben ©.,S. (ebd. Heft 11/12, 1929, S. 169— 165), 
fhon vor 1300. Eine ftädtifhe Urkunde von 1369 entbält, foweit rger genannt find, 
nur deutfche Llamen. 1400—1470 folgte eine „Periode des Unterganges des Deutihtums 
und des Entftebens und Erftartens flawifden Wefens” (SG. 160). 

Zu der oben berührten mangelbaften Durdhfibrung der friderizianifden Rolonifation 
bietet Walter Reraufe, Gefhidte von Pilzendorf, Areis Beuthen (ebd. S. 124—162), 
einen dSrtliden Beleg. Auf der Seldmack des urfpringlid Gr3ybowig, benannten Dorfes 
wurden die friderizianifden Rolonien Marienau und Dbilippedort gegründet. Die Rolos 
niften find nach den mitgeteilten Klamen weitaus überwiegend Polen. Ylur eine verfhwins 
dende Minderheit trägt deutfche Namen. 

Mieviel bier bis in die neuefte Zeit verfäumt worden ift, zeigt Alois M. Rosler, 
Die preußifche Dollsfdulpolitit in Oberfdlefien 1742 — 1848 (Einzelfchriften zur fchlef. Gefch. 
Bd. 3, 1929). Das Endurteil lautet, „daß die geeignetfte Zeit zur Cindeutfdhung Obers 
fhlefiens vorüber war, als man zu Beginn des 20. Ib. anfing, das Problem zugleich ents 
— i een in Angriff zu nehmen“ (Sorfchg. 3. Brand. u. Preuß. Gefd. 
43. Bd., ©. 440). 








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und Aufgaben der Gegenwart. Von Prof. Dr. 
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, clauk ijt ein vielgereijter Mann, dem die jeltene Gabe der Einfühlung in das Empfinden anderer 
Menicen hervorragend eignet und dem es gelingt, den.tiefiten Sragen des menjdlichen Herzens nad} 
dem Derjteben von Menſch zu Menſch, von Volt zu Volk, von Menſch zu Gott nächipürend, feinſinnige 
Löjungen zu finden“ (Sräntiicher Kurier). Die Neuauflage jeines Budyes „Die nordilche Seele“ bildet Zue 
jammen mit dem früber erjdienenen Wert „Don Seele und Antlit der Rajjen und Délfer” in neuer 
Sorm das alte Bud) , Rajje und Seele“, das nicht neu aufgelegt wird. Man lernt aus dem Bud 

„Menichen veritehen“ — eine für jedermann nüßliche und wichtige Kunjt. Das Bud) handelt haupr 
fächlich von der nordiichen Rajie, jchildert aber im Dergleidy auch die Wejensart der anderen in 
Deutichland lebenden Rajjen. Die Darjtellung ijt fern von aller trodenen Gelehrjamfeit, dem leben 
digen Leben zugewandt, lebhaft und zum eigenen Sorjhen anregend, fo recht ein Bud) fiir unjere 

Zeit, in der die Rajjenfrage als eine der Lebensfragen unjerer Zukunft erfannt ij. 


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Prof. Dr. O. Reche, Leipzig und Dr. Bruno ®. Shuls, meee 
Gerantwortlid) für den Anzeigenteil: Guido Haugg, München. — Berlag: J. GF. Lehmann, Diünden. 
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie, Freifing- Münden. 


Printed in Germany. 


Teil I: Deutihland als Ganzes, Nieder- und Mitte [dent TE 


a Mn Fiss, 


Banjes Wert leitet eine neue Art der. Erdbeichreibung ein. Sein Werf, das tief 
aus dem Derjtehen deutihen Landes und deutjicher Dolkheit heraus erwadhjen ijt, ie 
bis in -die Heinjten-Einzelheiten von deutichem Geijt durchzogen. Zum eritenmak 
tritt hier das bedingungslos Nationale in die Geographie ein. Die deutide Candes= 
funde ijt jo reid) mit Bildern und Karten ausgeftattet, dah fie zum Bud der 
Deutjchen geworden ijt, das jeder befiken follte, dem es. ernjtdamit ift, fem Cane 


Erfenntnis der jeelenformenden Kräfte der Landichaft — eine Derinnerlihung der 
geographijchen Betradhtungsweije, die vor allem den Sinn der Gegebenheiten tr 


Dolf und Ray e 


Illuſtrierte 
Monatsſchrift fuͤr deutſches Volkstum 
Raſſenkunde Raſſenpflege 


8. Jahrgang 1933 


J. S. Lehmanns Verlag, Muͤnchen 


Inhaltsverzeichnis 
des 8. Jahrganges, 1933. 


Heft 1S. 1-60; Heft 2S. 57— 112; Aeft 38. 113— 1303 heft 4. 137 100; 
Heft 5 SG. 161—184; Heft 6 SG. 126—202; Aeft 7 S. 209—232; weft 8 


G. 233—260. 
Derfafferverzeichnis. 
Seite 
Mel, Ry bi und Deelag, Un die Lefer von Doll und Kaffe . . 113 
ie Sippfchaftstafel und eine Anleitung zur Anfertigung. 
(} Ta 2 


45 
Blubm, m Erbbild deutfcher Dichterfamilien. (Mit 7 Abb. und 1 Tafel) 236 
Ebrbardt, e. „Die sal caaetemencn(eguig des en Dur L, II. 


(Mit 20 Abbildungen) . - $43, 190 
een ; ; 200, 230, 260 
rid eichsminifter des Innern, Anfprache auf der 1. Sigung des Saks 


verftändigenbeirates für Bevdllerungss und Raffenpolitil . 
—, Unfprache bei der DEETIDUNBEIAMENUNG des eiheausfhuffes für 
Pr aeg $ 
&, %., Ubnens und Stammtafeln in Rarteiform. (Mit 5 Abb.) . ‘ 126 
Sar, £eben oder Sterben der deutfchen Viation . ‘ 316 
Heidrich, W., Veraͤnderung deutſcher ere: in den Dereinigten 
Staaten . — 46 
Helm, R., Deutſche Doltstrachten IIL,, IV. (Mit 4 Tafeln) 200200. 45, 98 
Helmut, o., oe in Gefabr. (6 Tafeln) . x 173, 20) 
Hoffmann, ‚ Einführung in Erblebre und Erbpflege a ; 228 
Hof fh a ia Tb. Urjlavoenbeimet und STeTlamenieieeeun gen: “(Mit 
rte , 


19 
Krenn, €., Die Ortneyinger und die Shetlander ; 

A — a Eine Bauernhodzeit in Auelften bei aid im Münfterland 
tz A ‘ : 2 $2 
£ebmann, = Jofeph Gottlieb KRolreuter. Abb.) 186 

Meartgraf, D., Die Grenze zwifchen dem — und flamiſchen 
Rechts ebiete im Sreiftaate Gacbfen. daa 2 ee ‘ 57 
Mierke, R., Raffentunde und Voltefchule 198 
Raffenbilder: : 128, 149, en 185 

Raufdenbergec, D., ‚Baffenmertmake Goethes und fa nächften 

Derwansten. (Mit 12 Abb.) . 1 
—, Raffenmertmale Scopenbauers und feiner näberen Verwandten. 

(mit 3 Abb. und einer Sippfchaftstafel) . 209 
Reche, O in Deutfcher der europäifche Erfinder der Dattyloftopie ; 42 
—, Der Degriff „Raſſe“ von 237 
Schmidt: Ke bt, TEE einft und je t. (3 Abb.) 5. a 239 
Shmidt,Ww Unterfuchun en über die Auslefe bei Jugendbünden . 223 
Schultz, B B. KR, Die Bevd ferung des oberen Lechtales. (Mit 12 Abb. 

und 6 Tabellen) ; 32 
—, Raffentunde, Dererbungslebre “und "Raffenpflege als Gegenftand der 

„Seutfehen, Erziehung 122 
Schultz, W., Die —— der früben Eiſenzeit. (Mit 2 Abb.) . : 248 
Schulz, w Germanen zwiſchen Elbe und Weichſel vom 5. bis zum 

7. Fahrbundert. (Mit 3 Abb. und einer Rarte) . 74 


Schwertfeger, €., Dom deutfcdhen Voltstum in Polen nk 225 


Inbaltsverzeichnie. III 
GE — — 


Seite 
Stengel v. Rutkowſki, Winterſonnenwendee.... 233 
Stumpfl, §., Die triminelle Samilie . a 167 
—, Sippfchaftstafel eines Rudfallverbredhers. (3 Tafeln) . a & 22) 
Tirala , £., Die biologifche Erneuerung des deutfchen Dols. . . 14 
—, Die wirtfchaftlichen Solgen des Sterilifierungsgefeges . .  . 362 
v. Trotba, Die Dafas. (Mit 6 Abb.) es wes. & 150 
Das fagt an die Volkszählung vom 16. Juni 3 933? ‘ : 183 
Dellgutb, £., Was wird da groß? (Mit 2 Abb. an , Tabelk) . : 164 
—— x. S., £udwig Klages 60 Jabre . . ; 52 
Raffe und Volt 9 
Wiede rmann, §., Sind die oberfchlefifchen Holzkirchen Reſte germanis 
ſchen Rulturgutes? (Mit 5 Abb.) . ‘ 68 
Witte, %., Fleue Arbeiten zur Deutfchwerdung des Oſtens ee 48 
Zaunert, D., Die Entwidlung des KRacolingersTypus .  . .. s 
Budybefpredungen. 
Bie, R. Das tatholifde Europa (©. Rede) . ? ; : : ; . 304 
Bod, S., Die germanifde Gotit (§. W.) . ‘ 23} 
Bottder, R., Kunft und Runfterziebung im neuen Reich (S. Stengel) . : 233 
Clauß, £. g, Die nordiſche Seele (B. B. Schulg) . 105 


Deutſches Recht — Monatsſchrift des Bundes N.⸗“S. Deutſcher Zuriſten — W. v. 4) 108 
Dürre, R., Erbbiologifcher und eugenifcher MWegweifer für Jedermann “ =) 158 


£Effen, w, Die landliden Siedlungen in Litauen (R. Mielke) . ; 52 
Srazer, 3. G., Menfh, Gott und Unfterblidleit (O. Rede) . 105 
Oslitner, —* Volks⸗ und Raſſenkunde der en von Seieersdorf 
(B.R. Schul) . : 306 
Büntert, 4. Deutider Geiſt Eide) 107 
Sectlein, S., Paret,©, Gsgler, P., Die "Römer in °_ Württemberg 
(Sr. Wagner) ; : 133 
AHeuber, Samilie und Steuer (%. w. v. A.) ; : . , : ; : 102 
—, Hodfdule fir Politi® (4 OW. v. Auffeg) . : : : 134 
%drdt, Db., Der Durchbruch der VDollheit und die Seule (Se. Dolte) ; . 53 
Jabrbud des deutfchen Vereins für Samilientunde ite die € Uiceiofiowatifce 
Republit (Graefe) . ‘ : 207 
Jerel, 5. Malerei der Romantit (3. Se.) ; : : 53 
JIsbert, O. A, Das fudweftliche ungarifde Mittelgebirge (9. "Graefe) e 53 
Rleinfhmidt, ©., Burzgefaßte deutfche Raffentunde (£. v. Rutlowfli) . 184 
Rlofe, %., Über Waldbienenzuct in Litauen und einigen Nachbargebieten att 
mich) 208 
Rndbl, A, Unterſuchungen in drei nordmäbeifchen Dörfern (mn. Heſch) 108 
Roſſinna, G., Altgermaniſche Rulturhoͤhe (W. Schultz). 169 
Rrieck, E. Hationalpolitifce Erziehung (£. Stengel v. Rutfowfti) . : 54 
Reinner, £., Bevdllerungsftatitifde —— in —— iendgew inden 
und Pfarreien (%. Graefe) . : 54 
Kummer, &., Die deutfde Ehe (R. YD.) ‘ ; ; ; : . ; ; 109 
—, Gott in Waffen (R. WO). ; : 2 : : . 54 
Landmann, J. 4., Human Sterilization (€ Tirale) 5 : : : s 159 
£awin, X., Die Bevölkerung von Oftpreufen (4. Witte) . 54 
Sr. Wild. Pring 3. Lippe, Dom Raffenftil zur Staastegeftalt, Raffe und > Por 
liti® (Diergug) ‘ 55 
v. £Loefd, Das Antlig oer Grenslande. Der Nordoſten — BR. Seoul ‘ ; 134 
Mähler, P., Die Urmenfhen (Richter) . : : ; ; 207 
Müller, TH, Meifter gotifcher Plaftit (I. Sew.) . : ; : 56 


Wicolat, 5 Die raffengefeglihe Rectslebre (4. DO. v. 4.) = 103 


IV Inbaltsverzeichnis. 
je  _________ 


Seite 
Pfatſchbacher, 5. Eugeniſche Ebebinderniffe (£. ©. : : . : 232 
Raffe und Beift (A. Arnoldfen) . . : : ; : : 133 
Rig., Blatter für germanifches Weistum (Dr. £.) . . ; 309 
Ritter, O., Zur Anthropologie der Glawenszeit Schleſiens ©. Rede) ; : 160 
Salter, K., Die Sebmaraner (MN. Aefd) . : : . ; 56 
Sdheidt, W., Wiederfadfifde Bauern II (&. €brbarot) a : : ; ö 232 
Scheumann, $. R., Belämpfung der Unterwertigteit (§. Dittmar). . 206 
Schmidt, x, Die ftrafredhtliden Grundlagen der arena LG 
Tirala) : ; : 206 
Sdhwindrazbheim, ©., Deutfche Bauerntunft (Spannaus) : ; 2 : 307 
Staemmler, M. Raffenpflege im vdltifden Staat (B. R. Schule) . ; 10 
Tröge, W., Lucas Cranahy d. A. als genealogifhes Phänomen (MM. sete . 208 
Weinert, %., Urfprung der Menfdbeit (O. Rede) . : : 110 
Wolfram u. Oley, Elſaß⸗Lothringſcher Atlas (E. E. Stengel) 434 
Aus Raſſenhygiene und Bevoͤlkerungspolitik. 
Akademie fire aͤrztliche Fortbildung in Halle a. d. Saale 204 
Aufruf der Deutſchen Geſellſchaft fur Vererbungswiſſenſchaft 204 
Ausgaben für minderwertige Schüler . ‘ ; 156 
Ausftellung über Raffentunde, Erblunde und Bevdlterungspoliti? in Münden : 287 
Befhranttes Ebeverbot fir Gendarmeries, —— und Zollwachbeamte 
in Oſterreich 99 
Deutſche Geſellſchaft fuͤr Raffenbygiene 5 ; i ; 136 188 1% 208, 230 
Deutſche Hodfcule fir Poltti® . s : ; ; : 229 
Entweder — Oder (1 Abb.) . i $32 
Entwidlung der Doltesablen bei den germanifchen, romanifden und ‘flawwifen 
Vdlkern (2 Abb.) . . ‘ 155 
Sortbildungsturfe für Raffentunde und Raffenbygiene in Sachſen .2863 
Reichsinnenminiſter Dr. Frick fordert Raſſenkunde in der Schule 132 
Franzoͤſiſche Bevdlterungspolitit (Dr. Hans Rrauf) . ‘ ; ; ; ; 255 
Geburtenverbältniffe in Baden . s : ‘ ; : ; 355 
Gefek zur Verbitung erbtranten Clachwudfes ‘ ; : ; : i 13} 
Rinderzabl der Beamten . : ; : ; ae 230 
Landesamt für Raffewefen in Thüringen : : . . : . 165 
Kebensbhaltungstoften und Anftaltstoften (2 Abb.) . . ; ; . ; ; 2303 
Kchrkanzeln für Raffenbygiene in Berlin und Münden . > : : : 287 
Lettifcher Alarmruf. . : : : : 230 
Llorwegen fordert biologifche Überprüfung der Einwanderer & de x : $83 
Raffenbygienifhe Auflldrungsarbeit . 205 
Raffenbygienifcher Arzte-Schulungsturs des Landesamtes für "Raffewefen in 
Thüringen . ; $83, 267 
Raffens und perecbungstundlider — in den preußifcen Sule : ; 208 
Raffenpflege in der „Bamera” (Tr.) . : ‘ 25) 
Reihsausfhuß für Volksgefundheitsdienft . ; ; 136, 205, 259 
Sadcverftandigenbeirat far Bevditerungs: und Raffenpoitt ; , u’ 136 
Schaffung eines bäuerliden Erbrecdhtes in Preußen . : , : : 155 
Staatemedizinifche Alademie in Minden. 220 
Stellungnahme eines führenden ee Seiklicen ui Unfrudrtbarmadung 
Minderwertigerr . 100 
Sterilifierungsgefeg in Horwegen : Ss © a & & 97, 156 
Unfrudtbarmacdhung Minderwertiger in der Schweiz : : : ; . 97 
Unfrudtbarmadhung Minderwertiger in den Vereinigten Staaten : ; : 97 
Warum find Sıe nicht verheiratet? . | ‘ : : 258 


Wir wollen teine Halbbeiten in Raffefragent (%. Schröder) : : . : 258 








4 ; 
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Inhalt: 


ee Goethes und feiner nädjften Vermanbten. * a Water | 


| Raufchenberger. (Mit 12 Abbildungen) 
Die Entwidlung des Karolinger-Typus. Bon Dr. Paul Zaunert, Raffel 


— Urflawenheimat und Uliflawenmanderungen. (Sxptus Bon wt. * 


Linz a. d Donau 


Die Bevölkerung des oberen Lechtales. Von Dr. Bruno K. — aa 
(Mit 12 Abbildungen und 6 Tabellen) . 
1 


Ein Deuticher der — — — der — — Bon O. —— 
(Mit 1 Abbildung) 


Deutide Volfstradten (Ill). Bon R. Helm. (Mit 2 farb. Tafetn) . 


Veränderung deutjcher besuche um in den — Staaten. Von 
Dr. Wilhelm Heidrich . 


Nene Arbeiten zur Deutjchwerdung des Bee (Gortfepung Süden und 
Siidoften.) Gon Archivdireltor i. RN. Dr. Hans Witte hl 


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zeugen 19. Jahrhundert wird veranſchaulicht. bie die Gothit nad} Rafje und Blut auch bejonders 
Meijter gotijder Plaftit als germanijche Kunit erweijen. 
Don Dr. €. Th. Müller. 48 Bildtafeln mit Altgermanijhe Kunjft 


Einführung. - | 48 Bildtafeln mit Einführung von Prof. Dr. Sr. 
Seder fart. Band fiir Werfbundsmitglieder fiir | Bebn. 2. erw. Aufl. Sir erfbundsmitglieder 
RM. 3.—, jtatt RM. 3.80. \ I fart. RM. 2.90, jtatt 3.60. 


Jj. §. fehmanns Detlag /Mindben2 SW. 


Wir machen unjere Lejer auf die biefer — beiliegenden Brojpette der Firma Ferdinand Enke, 
Berlagsbudhandlung, Stuttgart, R. Voigtländer, Leipzig jowie auf Lchmannd Münchener Büderbrier 
bejonders aujmerfjam. 





Stau und Mann aus dem Sarntal, Südtirol 


Kunitbeilage zu „Volt und Rate" Aus: Helm, Deuticdhe Voltetrachten 
I: $. £ebmanns Verlag, Hiünden 








Dolf und Raffe 


Flluftrierte Vierteljahrsfchrift für deutfches Volkstum 


Herausgeber: Prof. Aidel (Riel); Dr. Bachtold (Gafel); Prof. Dethlefffen (Rdnigaberg 
1. Pr.); Prof. Sebrle (Heidelberg); Prof. €. Sifcer (Berlin); Prof. Hambeudh (Samburg); 
Prof. Helbot (Innsbrud) ; Prof. ©. Lehmann (Altona); Dr. £üers (Münden); Prof. Miele 
(Hermsdorf b. Bin.); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Mud (Wien); Prof. Panzer 
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. J. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dorts 
mund); Prof. W.IN. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Königsberg); Prof. Schulges 
— (Saaleck); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof. 
rede (Röln); Dr. Zaunert (Wilbelmabdbe); Dr. Zeiß (Frankfurt / M.). 
Scriftleitung der Zeitfchrift: Univerfitätsprofeffor Dr. Otto Rede, Gaugic 
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Rurt Sdhulg, Minden, Fleubauferftr. 51. 
Derlag: 3. §. Lehmann, Münden 2 SW., Paul HeyfesStrage 26. 
Jehrlich erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jabrlih M. s.—, Einzelheft M. 2.—. 
Poftichedlonto des Derlags Münden 129. . ::2::°. £ 
Poftfpartaffe Wien 59594. — Ronto bei der Bayerifcen Vereingbant’ Münden. — 
Ronto bei der Rreditanftalt der Deutfchen e. &. m. b. 9%. Prag :II, Rrafaugrftraße -11 | 
(Poftfpartaffentonto der Rreditanftalt: Prag 62 730). — Schweizerride Poftidtedtehuung — 
Bern III 4845. Schwed. Doftfehedtonto Stodbolm 4367. 





$. Jubrgang Heft 1 Januar (Wintermond) 1933 
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Der Verlag bebält fidh das ausfchließliche Recht der Dervielfältigung und Verbreitung der 
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor. 


Raffenmertmale Goethes 
und feiner nächften Derwandten. 
Don Dr. Walther Raufdenberger, 


Direltor der Gendenbergifden Bibliothel, Srantfurt a. M. 
Mit 12 Abbildungen. 


oethe hatte nach der Schilderung des Arztes David Deit eine „männliche, 

fehr braune Befictsfarbe!). Die Sarbe der Haare war gleichfalls braun, 
im Derbältnis zur GBefichtsfarbe ziemlich bell. Die Augen waren völlig braun. 
„Die Stirn ift außerordentlich fehön, fehdner als ich fie je gefeben“ (David Deit). 
Über die Sorm des Befichts find wir durd die am Lebenden abgenommene Maste 
von Shadow am ficberften unterrichtet (Abb. 9)12). Befonders charalteriftifdy ift 
die große, vorfpringende, gebogene Llafe. Boetbhes Geftalt war über Mittelgröße, 
der Oberkörper im Verhältnis etwas größer als der Unterfdrper, ähnlich wie 
Homer den Odpifeus jchildert. Der Schädelinder war fehr hoch; er betrug etwa 
35. Die im Goethebaufe in Weimar aufbewabrten Zylinderbüte laffen darüber 
keinen Zweifel. 


1) Dgl. Stahl, Srig: ,Wie fab Boetbe aus?“ Berlin 1904. — Schaeffer, Emil: 
Boetbes dußere Erfcheinung. Leipzig 1914. 
la) Erfter Ausguß aus Schadows Sorm 1810. 
Dolf und Raffe. 1933. Januar. } 








Abb. I. Gortbes Ururgroßvater Jobann 
Wolfgang Tertor, geb. 1638, geit. 170) 
Profefor der Redhte 


Abb. 3. Goctbes Großmutter Anna Marg. 
Tertor geb. £indbeimer; geb. 1711, geft. 1783 


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. 


Abb. 5. Goetbes Mutter Catharina Llifabeth 
geb. Tertor, geb. 1731, geft. 1808 








1933.1 





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4 


Abb. 2. Goetbes Großvater Jobann Wolf: 
gang Tertor, geb. 1693, geft- 1771 


Abb. 4. Bruder der Srau Rat Or. Jobann 
Joft Tertor, Ratsberr in Scantfurt a. Main 





Abb. 6. Goethbes Water Job. Cafpar Goethe, 
Wiirtl. Kaifecl. Kat, geb. s710, geft. 1782 


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Abb. 9. Jobann Wolfgang Goetbe, Abb. jo. Goethes Gobn Auguit Waltber 
geb. 3749, get. 1832, Maske v. Schadow v. Goethe, geb. 1780, geit. 18350 





Abb. . Goetbes Groß⸗Neffe Franz Nico— Abb. 12. Goethes Groß⸗Neffe Alfred Nico—⸗ 
lovius, Beneralproturator, geb. 1797, geit. 1878 lovıus, Prof. der Rechte, geb. 1800, get. 1800 
* 
} 


4 Volt und Kaffe. 1933, I 





Der Pater Goethes (Abb. 6) hatte blaue Augen und wabrfcheinlich belle 
Haare, ſchwach betonte Jochbeine, vorfpringende, hobe Miafe, ziemlid) fdmales Bes 
fidt und trug fid fteif. Man kann dSemnad annebmen, dag in ibm eine Reibe 
Kigenfchaften der nordifchen Raffe vertreten waren. Jn Übereinftimmung 
damit fteben feine feelifchen Eigenfchaften: feine Gründlichkeit, Gediegenbeit, Pes 
danterie, Kigenbrötelei, feine pädagogifhe Hartnädigkeit, fein fchwerfälliges 
Wefen und fein ftarter Sammekeifer. Ein neu aufgefundenes, von Tifdbein d. A. 
gemaltes Bild läßt in der Sorm der Flafe auch einen dinarifchen Cinfdlag ver: 
muten und zeigt eine fo große Abnlichkeit mit feinem Sohne, daß man es beinabe 
fur ein Bild von Goethe felbft halten könnte). 

Die Bilder der väterlichen Großeltern find leider verloren gegangen (fie 
waren, folange die Samilie am Hirfchgraben wohnte, vorhanden). Dody baben 
wir die Schilderung, die Goethe in „Dichtung und Wahrheit‘ von feiner Grogs 
mutter gibt („einer fehonen, bageren, immer weiß und reinlich gelleideten Srau. 
Sanft, freundlid), woblwollend ift fie mir im Gedächtnis geblieben“). Der väter: 
lihe Großvater, der aus dem nördlichen Thüringen (Boldene Aue) ftammte, 
zeichnete fich durch eine ungewöhnliche Aktivität aus; er erwarb durch eigenen 
Steig und durch Heirat ein großes Dermdgen, das die Grundlage des Aufftiegs 
der Samilie Goethe wurde. 

Goethes Schwefter, die überwiegend dem Vater nadhfchlug, zeigte in der 
Wefensart viel von ihm (Meigung zu Kigenbroötelei, pfychopatbifche Belaftung). 
Lieben nordraffifchen Merkmalen ift ein dinarifcher Einfchlag nach) der Größe und 
Sorm der Llafe anzunehmen (Abb. 7 u. 8) 23). 

Ein ganz mertwürdiger Typus tritt uns in Goethes Mutter entgegen. Das 
befannte Bild en face, das als fehr Ahnlich bezeichnet wird (Abb. 5), zeigt in 
den bodhgefbwungenen, ftarten Augenbrauen, der Sorm der Ylafenfpige, dem 
Mund, befonders aber in der Struktur und den Ausdrud der dunklen Augen neben 
einem nordraffifchen einen mediterranen und orientalifchen Einfhlag. Auch auf 
einem Jugendbildnis ift diefer Zug fichtbar. Auf feelifchem Gebiet fällt ihr uns 
verwüftlicher Optimismus, die bewußte Sernbaltung aller traurigen Zindrüde, 
ihre ungewöhnlich ftarke Lebensbejabung, eine geradezu altteftamentliche Srömmig: 
keit, eine große Einfühlungsgabe und Runft der Mienfchenbebandlung auf, Cigen: 
fchaften, die den Außeren der Srau Rat zum mindeften nicht widerfprechen. Haare 
und Augen waren duntel. 

Beim Water der Srau Rat ift bei der Breite des Befichts und der dunklen 
Pigmentierung alpiner Einfhlag zu vermuten. Auf alle Salle find bei ibm die 
Sarbe von Haar und Augen, fowie die Gefichtsbildung unnordifch (Abb. 2). In 
feelifher Richtung find feine ruhige, befchauliche Art und feine große Bewandts 
beit in der Behandlung von Mienfchen bervorzubeben. Bei der Großmutter Tertor 
geb. Lindbeimer (Abb. 3) treten nordifche Züge gemifcht mit mediterranen auf 
in dem ftrengen Befichtsausdrud, dem „Kerrfcherblid‘‘, der Schmalbheit und Lange 
des Gefichts, in den dunklen Haaren und Augen. Auch bei ihrem Gobn (Abb. 4) 
und ihrem Ururgroßvater Johannes Steuber, der in feiner Dielfeitigkert etwas an 
Boetbe erinnert, ift neben nordifchem mediterraner Einfchlag zu vermuten. 

Beim Sohn Goethes endlich treten wenigftens auf einem (bisher nicht vers 


2) Das Bild ift hier nicht wiedergegeben, da noch nicht ficher feftfteht, daß cs Goethes 
Dater darftellt. 

2a) Das neu aufgefundene von Morgenftern berrübrende Bild (Abb. 7) wird als das 
wertvollfte bezeichnet. 


1933, 1 WD. Raufdenberger, Raffenmertmale Goetbes u. feiner nächften Derwandten. 5 
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öffentlichten) Bild (Abb. 10) Züge auf, die an die vorderafiatifche Raffe gemabnen. 
Ausdrüdlich bemerkt fei an diefer Stelle, daß ein judifcher Einfchlag unter Goethes 
Vorfahren nirgends nachweisbar ift. Die Lliamen Lindbeimer, ODeilburger, von 
Marrbeim ufw., die in feiner Ahnentafel auftreten, bezeichnen die rperkunft dtefer 
Samilien von beftimmten Orten; fie beftanden nachweisbar lange, ebe die Juden 
auf das Editt Jofephs II. Samiliennamen annabmen. AHervorzubeben ift endlich 
noch, daß zwei Grogneffen Goethes, Alfred und befonders Sranz3 Wicolovius 
(Abb. 32 u. 31), Abnlichkeit mit Boetbe nachgeruhmt wurde. Auch ein Entel der 
Tante Melber, Georg Sriedrih Melber, zeigte eine entfernte Abnlichkeit mit 
Goethe. Bei allen diefen ift dinarifcher Einfchlag erkennbar. 

So feben wir alfo bei den nädhften Blutsverwandten Goethes Merkmale 
faft aller europäifchen Raffen vertreten. Damit baben wir den richtigen Auss 
gangspuntt für die Beurteilung Boetbes felbft gewonnen. Reineswegs darf er 
als ganz, kaum als überwiegend nordraffifch betrachtet werden, wie dies Chbams 
berlain tut. Vielmehr baben wir in ibm ein Außerft zufammengefegtes Ges 
bilde vor uns. Vorausgefchidt fei, daß in. Boetbe eine felten vollendete Mifchung 
von Merkmalen europäifcher Raffen vorliegt. Ganz wenige Geifter haben fid 
der Menfchheit fo tief eingeprägt wie er; dies gilt auch von feinen Befichtszügen. 
Flur wenige große Menfchen baben ihrem Keben und Schaffen die Dollendung 
geben können, woran allerdings Goethe felbft ein großes perfönliches Derdienft 
zuzufchreiben ift. Goethes Typus ift deshalb fo einheitlich, weil die Raffen, die 
in der Hauptfache feine Züge geprägt baben (die nordifche und die dinarifche), 
über die ausdrudsvollften Linien verfügen und von ihren Erbanlagen die zus 
einander paffenden auf Goethe vererbt haben; eine Reihe von großen Perfönlidhs 
keiten von Platon und Dante bis zu Schiller, Lifzt und Ridard 
Magner zeigen Züge diefer Raffen; bei Goethe kommt noch ein Einfchlag medis 
terraner Raffe hinzu. Goethes Zuge find nordifhsdinarifchsmediterran. 
Mit diefer Seftftellung ift zugleich Boetbes Wefen am kürzeften charalterifiert. 

Kordifch ift Boetbe in feiner Befamtlebensfübrung. Flordifch ift feine 
große Ordnungsliebe und fein ftarker Gamme\ltrieb, die beide vom Vater 
vererbt find. Man kennt Goethe erft dann ganz, wenn man feine ausgedehnten 
Sammlungen auf allen Gebieten betrachtet. Tordifd ift Goethe ganz bes 
fonders in feiner innigen Ainneigung zur Katur, feinem völligen Hingegebens 
fein an fie. Flordifch ift er in der tiefen Ehrfurcht, mit der er fich in die Klatur 
und jede einzelne ihrer Erfcheinungen verfentt, nicht minder in feinem Beftreben, 
fide ftets aus erfter Quelle durd eigene Beobachtung zu unterrichten. 
Diefes Streben geftattet ihm felbftändige Entdedungen auf dem Gebiet des Ors 
genifchen. Boethe lehnt die mechanifche Klaturauffaffung ab. Seine Auffaffung 
der Klatur darf als eine organifche bezeichnet werden. Die Bedeutung Goethes 
in diefer Richtung ift noch nicht in vollem Umfang erkannt. Sein Derbältnis zur 
Hatur ift das Tieffte und Broßartigfte feines Wefens; es trägt einen religidfen 
Charakter. Die Klatur ift ibm in allem die böchfte und letzte Inftanz. Sie kann 
nie irren, fie behält immer Recht; der Irrtum ift ftets bei den Menfchen, nie bei 
ihr. „Die Klatur betümmert fic nicht um irgendeinen Irrtum; fie felbft kann nicht 
anders als ewig recht handeln, unbetümmert, was daraus erfolgen möge‘ (Goethe). 
Diefe tiefe Derbundenbeit mit der Klatur bringt es mit fich, daß Boetbe felbft ein 
Stüd Viatur ift; daber feine Werke nie veralten werden, fondern immer jung 
bleiben. Der nordifche Raffeneinfchlag ift in diefem Punlte ganz befonders bes 
dseutjam für Goethes Befamtperfönlichkeit und Rünftlertum. — Nordiſch iſt 





6 Dolt und Kaffe. 1933, I 


®oethe ferner in feinem ausgefprodenen Indsividualismus. Ibm erfhdopft 
fid) alles Denfen und Didten im Einzelwefen und feinen Problemen. Sür 
ftaatliche Dinge bat er geringeres Jntereffe und Derftändnis, weil fie ibm zu 
fehr als Menfchenwerk erfcheinen. Aud die ungewöhnliche Keidlofigleit 
ift zu nennen, mit der er befonders den jüngeren Schiller neben fic auflommen 
läßt und feine dichterifche Entwidlung in unmittelbarfter Liähe erlebt und felbft 
fördert. — Liordifch ift weiter Goethes geiftiges Auge, die Art, wie er die Dinge 
fiebt, fein Derbalten zur Welt, das fein Zergliedern, fondern ein ununter= 
brodenee Schauen ift. Das Auge beberrfcht Boetbes ganzes Wellen; alle 
anderen Sinne treten dagegen in den Hintergrund. Alles, was er dichtet und 
fchreibt, ift anfhaulicdh. Lenz?) fehreibt über den nordifchen Menfden u. a.: 
„Der nordifche Menfch denkt anfchaulidh in Bildern, er ift ‚zum Seben geboren 
und Schauen beftellt‘ (Boetbe). Die böchfte Schönbeit findet er in der Geftale. 
Seine künftlerifche Begabung liegt dengemäß auf dem Gebiet der bildnerifcdyen 
Sormgeftaltung. Wir finden in diefer Charalterifierung wefentlice Fuge Goetbes 
wiedergegeben. Wir müffen deshalb die Rraftder Unfdauung und die Ge-= 
ftaltungstraft als einen vorwiegend nordifchen Zug Goethes bezeichnen. 

In dem ftark bildnerifchen Zug feines Wefens ift indes Goethe den Hellenen 
fo tief verwandt, daß man bei ibm an eine ähnliche Blutmifchung denten muß 
wie bei jenen und deshalb auc der mediterranen Raffe*) einen Anteil an 
Goethes Rünftlertum wird zugefteben müffen, worauf audy Boetbes entſchiedenes 
Ablebnen alles Abftratten hindeutet. Cur fo ift Goethes tiefe Liebe zu den Griechen 
verftändlich, fein Ausfpruch: „Ein jeder fei ein Grieche in feiner Art, doch er fei’s!““ 
Beide Raffen, die nordifche und mediterrane, find miteinander verwandt und baben 
ihren Bünftlerifchen Schwerpuntt in der Geftalt, dem Sinn für Sormen. 

Auch andere Kigenfchaften deuten (neben Goethes Befichtszügen) auf einen 
mediterranen Einfchlag bin, fo feine befonders in der Jugend auffallende, ftarke 
Erregbarkeit (Zornmütigleit), die er felbft an fid tadelt, und die mit anderen 
KEigenfchaften, wie feiner großen Ordnungss und Sriedensliebe, in merkwurdigem 
Rontraft fteben. 

Boetbe bat neben männlichen Eigenfchaften einen weiblichen Zug im Wellen. 
€r tann nur das als vollendetes Runftwerk fchaffen, was er menfchlich-perfönlich, 
in der Regel mit Srauen, feelifch erlebt bat. Er wird vom Erlebnis gleidh= 
fam befrudtet. Während männlich geartete Dichter aus der Idee heraus 
dichten, Jdeendichter find (Schiller, Shatefpeare), ift Boethe ganz an das Erz= 
lebnis gebunden. Goethe wurde ferner leicht zu Tränen gerührt. „Hermann 
und Dorothea kann er nicht vorlefen, obne zu weinen. Beim Llachdenten über 
„Wilhelm Meifter‘‘ weint er „bitterlich‘‘, zu Rarolinen Herder fagt er, er babe 
14 Tage vor feiner Abreife aus Rom täglich „wie ein Rind geweint“. +yierin 
liegt eine mertwürdige Abnlichkeit mit den Mediterranen, die leicht weinen. Die 
legte Bemerkung läßt daneben feine tiefe innere Verbundenheit mit dem Süden 
erkennen. Boetbe wird in Rom faft zum Romer. 

Aud) Goethes Liebesleben trägt einen von der LIordraffe abweichenden Zug. 
Es ift bier nicht nur die Vielfeitigkeit feines Liebeslebens zu nennen, fondern vor 
allem die Tatfache, daß er fo oft und fo heftig feelifch verliebt ift, ferner, 
daß feine Phantafie fo ftark erotifch gefärbt ift, und daß er in einer eigens 


8) Dal. BaursSifdersLen3: Menfdlide Erblichkeitsichre und Raffenbygiene, 
3. Aufl. 1927, 3. 551. 
4) Die Rheingebiete entbalten vielfach einen mediterranen Zinfchlag. 


1933, 1 WD. Raufchenberger, Raffenmertmale Boetbes u. feiner näcdhften Verwandten. 7 





artigen Einftellung zum Weiblichen als foldhem verbarrt. Er kann ohne ein weibs 
liches Wefen überhaupt nicht leben; er befindet fich fozufagen dauernd im Banns 
treis des Weibliden. Ken 35) nennt Goethes „brennende erotifche Pbantafie“ „uns 
mittelbar geiftesverwandt mit der des oben Liedes‘ und vergleicht feine Lyrik 
mit der Heines: er hält einen vorderafistifchen Kinfchlag für wahrfcein« 
lid. Goethes mütterlidhe Vorfahren ftammen großenteils aus der fruchtbaren 
Metterau, die 400 Jahre von Römern befiedelt war. Die römifchen Soldaten der 
Raiferzeit famen vorwiegend aus Vorderafien und waren ftets von Händlern 
vorderafiatifcher Raffe begleitet‘). Außerdem enthält das hoch: und fuddeutfche 
Sprachgebiet, dem Boetbes Ahnen entftammen, einen nicht unerbeblichen Zufat 
dinarifden Blutes. Auf einer Reihe von Bildern Goethes ift der von Lenz vers 
mutete Cinfdlag erfennbar, fo befonders auf dem Profilbildnis von G. MN. Rraugs 
(3775), den Bildern von Georg Oswald May (1779), dem Olbild von FJofeph 
Friedrich Darbes (1785) u. a. Die Catfade, daG mebrere KRunftler unabbangig 
voneinander diefen Zug feftgebalten haben, ift dabei zu berudfichtigen. 

Diefem Wefenszug entfpricht audy, Boetbes Sprache. Sie bat zumal in 
fpäteren Jahren mebr etwas Derbüllendes, Bebeimnisvolles als Bar 
Ausgefprochenes. Goethes Schreibweife wirkt befänftigend, nirgends aufs 
regend. Sie vermeidet fchbarf umriffene Ausdrüde, bat häufig etwas Magifches, 
Oratelbaftes. Das Gefagte gilt aud in fachlicher Sinficht. Goethe ver: 
fhliegt die Augen vor allen barten, vor allen fcarfen Wabrbeiten, worauf 
wieder Lenz?) binweift. Traurige und unangenehme Eindrüde bält er fic 
ängftlich fern, wie feine Mutter es tat. Aufs engfte hängt damit zufammen ein 
undramstifcher Zug zumal des Älteren Boetbe; noch Eennzeichnender ift fein Mangel 
an edhtem Humor. 

Im Einklang damit fteht Goethes Weltauffaffung. Gie ift untragifc. 
Der Grundton feines Wefens ift optimiftifch; er erinnert an die ähnliche Welts 
auffaffung gewiffer Teile des alten Teftaments. Im Grunde ift alles gut; 
das Bofe und Schlechte ift nur ein minder Gutes, das der Welt zur Süllung, 
nicht 3um Wefen dient. Goethes Weltanfheuung im engften Sinn bildet fidh 
im Anfchluß an Spinoza aus. Sie vermeidet jeden Dualismus. Einen Begenfat 
zwifchen Bott und Welt gibt es bei ibm nicht. Alles ift Gott: Matur. 

Zu nennen find in diefem Zufammenbang Goethes große Gabe der Eins 
füblung in fremde Menfcben und Rulturen, feine Dorliebe für die vorders 
afiatifchen Dichter, feine ftarte Lebensbejabung und feine tosmopolitifche 
®efinnung. . 

Sufammenfaffend muG gefagt werden, daß in Goethe eine der großartigften 
Gynthefen nordlicen und füdlichen Wefens vorliegt. Es bandelt fic um eine 
ähnliche Blutmifchung, wie bei den Hellenen zur Zeit ihrer Blüte. Die Tiefe und 
Schöpfertraft ift bet Goethe wie bei den Griechen vorwiegend nordifches, die 
Beweglichkeit und leicht entzundbare Phantafie vorwiegend mediterranes und 
vorderafistifches Erbgut. Eine Reihe von Wefenszügen wird dadurdy verftänds 
lich: feine tiefe Liebe zur Antike, befonders den Griechen, feine Hinneigung zu 
Viapoleon (die von Lapoleon erwidert wird), feine ganz ungewöhnliche Diels 
feitigkeit, feine kosmopolitifche Gefinnung ebenfo wie der Umftand, daß er uns 


5) Dgl. BaursSifders Lenz: Menfdblide Erblichleitsiehre und Raffenbygiene, 
3. Aufl. S. 579 f. 

6) aa. O. 

) a. a. O. 


Er pz agen Poms | 














Dolf und Raffe 


SMuftrierte Dierteljabrefchrift für Seutfdes Dolfstum 


Herausgeber: Prof. Aicel (Riel); Or. Bachtold (Bafel); Prof. Dethlefffen (Rdnigeberg 
1. Pr.); Prof. Sebrle (Heidelberg); Drof. £. Sifcher (Berlin); ‚Prof. Hanıbruh (Hamburg); 
Prof. Aelbot un, Prof. . Lehmann (Altona); Dr. £üers (Münden); Prof. Mielke 
(Hermsdorf b. Bln.); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Mud (Wien); Prof. Panzer 
(syeidelberg) ; Dr. DPeßler (Hannover); Prof. 3. een (Berlin); Prof. Sartori (Dorts 
mund); Prof. W.M. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulges 
ee (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof. 
rede (Röln); Dr. Zaunert (MWilbelmsböbe); Dr. Seif (Srantfurt/M.). 


Schriftleitung der Zeitfohrift: Univerfitätsprofeffor Dr. Otto Rede, Baugicdh 
bei Leipzig, Ring 35, und Or. phil. Bruno Rurt Shulg, Münden, Heubauferftr. BI. 


Derlag: I. 5. Lehmann, Münden 2 SW., Paul Hepfe-Straße 26. 
Jahrlich erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jährlih IM. s.—, Einzelheft M. 2.— 
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$. Jahrgang ryyeft ) Januar (LOintermond) 1933 
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in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrdge vor. 


Reffenmerkmele Goethes 
und feiner nächften Verwandten. 
Don Dr. Walther Raufchenberger, 


Direktor der Sendenbergifchen Bibliothek, Srantfurt a. M. 
Mit 12 Abbildungen. 


oethe hatte nach der Schilderung des Arztes David Deit eine „männliche, 

fehr braune Befichtsfarbe‘‘!). Die Sarbe der Haare war gleichfalls braun, 
im Derhältnis zur Gefidtsfarbe ziemlich bell. Die Augen waren völlig braun. 
„Die Stirn ift außerordentlich fehön, fehöner als ich fie je gefeben“ (David Veit). 
Über die Sorm des Befichts find wir durdy die am Lebenden abgenommene Maske 
von Shadow am ficherften unterrichtet (Abb. 9)12). Befonders charalteriftifch ıft 
die große, vorfpringende, gebogene Yafe. Goethes Geftalt war uber Wittelgroge, 
der Oberkörper im Verbältnis etwas größer als der Unterkörper, ähnlich wie 
Homer den Odyffeus fehildert. Der Schädelinder war febhr hoch; er betrug etwa 
85. Die im Goethehaufe in Weimar aufbewabrten Zplinderbüte laffen darüber 
keinen Zweifel. 


1) Dgl. Stabl, Srig: ,Wie fab Goetbe aus?“ Berlin 1904. — Schacffer, Emil: 
Goethes Außere Erſcheinung. Leipzig 1014. 
1a) Erſter Ausguß aus Schadows Form 1810. 


Dolf und Raffe. 1933. Januar. ! 





Abb. 1. Gortbes Ururgroßvater Jobann 
Wolfgang Tertor, geb. 1638, geft. 170) 
Profefor der Redhte 


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Abb. 5. Goethes Mutter Catharina Sliſabeth 
geb. Tertor, geb. 1731, geft. 1808 








1933, I 





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Abb. 2. Boetbes Großvater Jobann Wolf: 
gang Tertor, geb. 1693, geft- 1771 


Abb. 4. Bruder der Srau Rat Dr. Jobann 
Joft Tertor, Rateberr in Srantfurt a. Main 





MWirtl. Raiferl. Rat, geb. 1710, get. 1782 


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Abb, 8. 


Abb. 9. Jobann Wolfgang Goetbe, Abb. yo. Goethes Gobn Auguft Waltber 
geb. 1749, get. 1832, Maste v. Shadow v. Goetbe, geb. 1780, geit. 1830 





Abb. . Goethes Groß⸗Neffe Franz Nico⸗ Abb. 12. Goetbes Groß⸗Neffe Alfred Nico— 
lovius, Generalproturator, geb. 1797, geit- 1878 lovıus, Prof. der Rechte, geb. 1800, geft. 1800 
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4 Dolt und Kaffe. 1933, I 
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Der Vater Goethes (Abb. 6) hatte blaue Augen und wabrfdeinlid belle 
Syaare, [hwach betonte Jochbeine, vorfpringende, bobe Kiafe, ziemlich fchmales Ges 
fiht und trug fich ftäif. Man kann demnady annehmen, daß in ihm eine Reibe 
Kigenfchaften der nordifchen Kaffe vertreten waren. In Übereinftimmung 
damit ftehen feine feelifchen Eigenfchaften: feine Gründlichkeit, Bediegenbeit, Pes 
danterie, Ligenbrotelei, feine pddagogifcde Hartnädigkeit, fein fchwerfälliges 
Wefen und fein ftarter Gammeleifer. Cin neu aufgefundenes, von Tifdbein d. a. 
gemaltes Bild läßt in der Sorm der afe aud einen dinarifden Einfchlag vers 
muten und zeigt eine fo große Abnlichkeit mit feinem Sobne, daß man es beinabe 
für ein Bild von Goethe felbft halten könnte). 

Die Bilder der väterlichen Großeltern find leider verloren gegangen (fie 
waren, folange die Samilie am Hirfehgraben wohnte, vorbanden). Doch baben 
wir die Schilderung, die Boetbe in „Dichtung und Wabrbeit von feiner Grogs 
mutter gibt („einer fehönen, bageren, immer weiß und reinlich gekleideten Srau. 
Sanft, freundlich, wohlwollend ift fie mir im Gedächtnis geblieben“). Der väters 
lie Großvater, der aus dem ndrdlichen Thüringen (Boldene Aue) ftammte, 
zeichnete fich durch eine ungewöhnliche Aktivität aus; er erwarb durch eigenen 
Sleiß und durch Heirat ein großes Dermögen, das die Grundlage des Aufftiegs 
der Samilie Goethe wurde. 

Boetbes Schwefter, die überwiegend dem Vater nadfchlug, zeigte in der 
Mefensart viel von ihm (Feigung zu Zigenbrötelei, pfychopatbifche Belaftung). 
Lieben nordraffifchen Merkmalen ift ein dinarifcher Einfchlag nach der Größe und 
Sorm der Flafe anzunehmen (Abb. 7 u. $) 24). 

Ein ganz mertwürdiger Tppus tritt uns in Goethes Mutter entgegen. Das 
befannte Bild en face, das als febr ähnlich bezeichnet wird (Abb. 5), zeigt in 
den bochgefhwungenen, ftarten Augenbrauen, der Sorm oder Llafenfpige, dem 
Mund, befonders aber in der Strultur und dem Ausdrud der dunklen Augen neben 
einem nordraffifchen einen mediterranen und orientalifchen Einfchlag. Aud auf 
einem Jugendbildnis ift diefer Zug fichtbar. Auf feelifchem Gebiet fällt ihr une 
verwüftlicher Optimismus, die bewußte Sernbaltung aller traurigen Zindrüde, 
ihre ungewöhnlich ftarte Lebensbejabung, eine geradezu altteftamentliche Srömmigs 
keit, eine große Einfüblungsgabe und Runft der Mienfchenbebandlung auf, Kigen: 
jbaften, die den Außeren der Stau Rat zum mindeften nicht widerfprechen. Haste 
und Augen waren duntkel. 

Beim Water der Frau Rat ift bei der Breite des Geſichts und der dunklen 
Pigmentierung alpiner Zinfcblag zu vermuten. Auf alle Salle find bei ihm die 
Sarbe von Haar und Augen, fowie die Gefichtsbildung unnordifch (Abb. 2). In 
feelifeher Richtung find feine rubige, befebauliche Art und feine große Gewandts 
beit in der Bebandlung von Hlenfchen bervorzubeben. Bei der Großmutter Tertor 
geb. Lindbeimer (Abb. 3) treten nordifchbe Zuge gemifcbt mit mediterranen auf 
in dem ftrengen Gefichtenusdrud, dem „Kyerrfcberblid‘“‘, der Schmalbeit und Länge 
des Gefichte, in den dunklen Kyaaren und Augen. Auch bei ihrem Sobn (Abb. 4) 
und ibrem Ururgrogvater Jobannes Steuber, der in feiner Vielfeitigkeit etwas an 
Goethe erinnert, ift neben nordifcdem mediterraner Linfclag zu vermuten. 

Beim Sobn Goethes endlich treten wenigitens auf einem (bisher nicht vers 





) Das Bild ift hier nicht wiedergegeben, da noch nicht ſicher feſtſteht, daß es Goethes 
Mater derftellt. : 

2a) Daa neu cufgefundene von Morgenjtern berrübrende Bild (bb. 7) wird als das 
wertvollfte bezeichnet. 


1933, 1 X. Raufcyenberger, Raflenmertmale Boetbes u. feiner nächften Derwandten. 5 
BEER ee ae 





oͤffentlichten) Bild (Abb. 10) Zuͤge auf, die an die vorderaſiatiſche Raſſe gemahnen. 
Ausdruͤcklich bemerkt ſei an dieſer Stelle, daß ein juͤdiſcher Einſchlag unter Goethes 
Vorfahren nirgends nachweisbar iſt. Die Namen Lindheimer, Weilburger, von 
Marrheim ufw., die in feiner Ahnentafel auftreten, bezeichnen die Herkunft diefer 
Samilien von beftimmten Orten; fie beftanden nachweisbar lange, ebe die Juden 
auf das ditt Jofephs II. Samiliennamen annahmen. Hervorzuheben ift endlich 
noch, daß zwei Broßneffen Goethes, Alfred und befonders Stanz Hicolovius 
(Abb. ı2 u. 11), Abnlichkeit mit Goethe nachgeruhmt wurde. Auch ein Enkel der 
Tante Melber, Georg Sriedrid) Melber, zeigte eine entfernte Abnlichkeit mit 
Goethe. Bei allen diefen ift dinarifcher Einfchlag erkennbar. 

So feben wir alfo bei den nächften Blutsperwandten Goethes Merkmale 
faft aller europäifchen Raffen vertreten. Damit haben wir den richtigen Auss 
gangspunft für die Beurteilung Goethes felbft gewonnen. Reineswegs darf er 
als ganz, kaum als überwiegend nordraffifch betrachtet werden, wie dies Chams 
berlain tut. Vielmehr haben wir in ibm ein dußerft zufammengefetztes Ges 
bilde vor uns. Dorausgefchidt fei, daß in Goethe eine felten vollendete Mifchung 
von Merkmalen europäifcher Raffen vorliegt. Ganz wenige Geifter haben fic 
der Mienfchheit fo tief eingeprägt wie er; dies gilt auch von feinen Gefidtszugen. 
ur wenige große Menfchen baben ihrem Leben und Schaffen die Vollendung 
geben können, woran allerdings Goethe felbft ein großes perfönliches Verdienft 
zu3ufchreiben ift. Goethes Typus ift deshalb fo einheitlich, weil die Raffen, die 
in der Hauptfache feine Züge geprägt baben (die nordifdye und die dinarifche), 
über die ausdrudsvollften Linien verfügen und von ihren Erbanlagen die zus 
einander paffenden auf Goethe vererbt haben; eine Reihe von großen Perfönlidy 
keiten von Platon und Dante bis zu Schiller, Lifzt und Richard 
Wagner zeigen Züge diefer Raffen; bei Goethe fommt noch ein Einfchlag medis 
terraner Raffe hinzu. Goethes Züge find nordifchsdinarifhsmediterran. 
Mir diefer Seftftellung ift zugleich Boetbes Wefen am kürzeften charalterifiert. 

Hordifch ift Goethe in feiner Gefamtlebensfübrung. Flordifch ift feine 
große Ordönungsliebe und fein ftarter Sammeltrieb, die beide vom Vater 
vererbt find. Wan tennt Goethe erft dann ganz, wenn man feine ausgedehnten 
Sammlungen auf allen Gebieten betrachtet. Clordifd ift Goethe ganz bes 
fonders in feiner innigen SHinneigung zur Matur, feinem völligen Hingegebens 
fein an fie. Ylordifd ift er in der tiefen Ehrfurcht, mit der er fich in die Klatur 
und jede einzelne ihrer Erfcheinungen verfenkt, nicht minder in feinem Beftreben, 
fidy ftets aus erfter Quelle durh eigene Beobahbtung zu unterrichten. 
Diefes Streben geftattet ibm felbftändige Entdedungen auf dem Gebiet des Ors 
ganifchen. Goethe lehnt die mechanifche Kraturauffaeffung ab. Seine Auffaffung 
der Llatur darf als eine orgamifche bezeichnet werden. Die Bedeutung Goetbes 
in diefer Richtung ift noch nicht in vollem Umfang erkannt. Sein Derbältnis zur 
Natur ift das Tieffte und Broßartigite feines Wefens; es trägt einen religiöfen 
Charakter. Die Matur ift ibm in allem die Hdchfte und letzte Inftanz. Sie kann 
hie ieren, fie behält immer Recht; der Jrrtum ift ftets bei den Menfchen, nie bei 
ihr. „Die Klatur betümmert fich nicht um irgendeinen Irrtum; fie felbft kann nicht 
anders als ewig recht handeln, unbetümmert, was daraus erfolgen möge“ (Boetbe). 
Diefe tiefe Derbundenbeit mit der Katur bringt es mit fich, daß Goctbe felbft ein 
Stüd Hatur ift; daber feine Werke nie veralten werden, fondern immer jung 
bleiben. Der nordifhe Raffeneinfchlag ift in diefem Punkte ganz befonders bee 
deutjam für Goethes Befantperfönlichkeit und KRünftlertum. — Nordiſch iſt 


242 Volt und Kaffe. 1932, IV 
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land auf der Grundlage der Siedlungsformenforfhung (Mitteilg. wie vorft. 36. Jabresfdr. 
1927/28. Plauen 1928, S. 1 — 215), die deutfche Rolonifationsfrage mit einem großen DOurf 
zur Löfung zu führen verfudt. Dies wichtige Werk ift den Kefern diefer Zeitjchrift durch 
%. Seip’ Befprechung (Voll u. Raffe 3. Ig., 1928, S. ı89f.) fhon belannt gemadt 
worden. Bei im wefentliden gleider Beurteilung möchte ich nur einiges Grundjaglide 
antnüpfen. Die Benugbarteit dec Slurkacten ift in legter Zeit verfciedentlid angesweifelt 
worden mit dem Hinweis auf etwaige vor unferen dlteften Rarten liegende Deränderungen 
in der Slureinteilung, die es unmöglich machen, in unferm verbältnismäßig fpäten Rartens 
material ein unmittelbares Abbild der durch die deutfche Wiederbefiedlung gefchaffenen 3. TI. 
fogar nod vor ihr liegenden Agrarverbältniffe zu feben. Keipoldt bat jogar mit einem 
belonbers fpäten Material gearbeitet: feine Slurkarten gebdren weitaus überwiegend erft 
dem 19. Ib. an, 3. TI. erft deffen Mitte! Bleihwohl meint er feftftellen zu können, daß die 
„Siedlungen feit dem Abfchlug der oftdeutfchen Rolonifation im Vogtland bis in die Zeit 
8 ... Slurkartenmaterials in ihrer Sorm nie grundlegend verändert worden“ find, das 
Siedlungsbild des 19. Ib. entfpredhe in den Brundzügen noch der urfpringliden Anlage 
(S. 26). Und wenn nun auf feinen Überfichtstarten das Gebiet des flawifden Blodtypus 
mit dem der flawifchen Ortsnamen fowie dem des dlteften waldfreien Siedlungslandes in 
einer geradezu fcblagenden Weife übereinftimmt, fo feheint mir mit diefer nachgewielenen 
dreifachen Übereinftimmung in der Tat die Probe auf das Erempel gemadt zu fein. 
Man darf aber deswegen nicht glauben, daß jetzt alle Slurkarten, auch die des 19. Ib., 
eine unbezweifelbare Widerfpiegelung des durch die deutfche Rolonifation gefdaffenen 
Siedlungszuftandes fein müßten. Im Gegenteil wird man ftets mit der Möglichkeit Alterer 
Regulierungen, die das urfprüngliche Bild mehr oder weniger verändert haben, rechnen 
müffen. Sicher befteben bierin von Landfchaft zu Landfchaft große Verfchiedenbeiten. Cine 
ftrenge Prüfung diefer Srage ift in jedem Salle dringend erforderlih. Sie geihiebt am 
beften durch einen Vergleich der Verbreitung der verfdiedenen Slurtypen der Gegend mit der 
wiederbergeftellten Urlandfchaft und den Ortsnamen. Dies alles muß zufammenftimmen, 
wie es auch bei Leipoldt der Salt ift. 
Auf der fo gewonnenen, gejicherten Grundlage bat Leipoldt die Slurkarten ausgenugt 

mit einer Rühnbeit, die die von Job. Solkers geübte Zurüdbaltung (vgl. oben S. 58) 
weit binter fi läßt. Licht allein daß er den flawifchen Blodtypus von den deutichen 
Gewenns oder Belängeformen und den Waldbhufen reinlich fcheidet, er ftellt uns unter feinen 
nicht weniger als 38 Sormentypen aud eine Sille von Sonders und Übergangsformen bin, 
die die Regulierung bzw. Durddringung altflawifcher Dörfer mit eingewanderten Deutfchen 
oder auch das a beider Volker auf neubefiedeltem Boden in verfchiedenen 
Abfchattierungen erkennbar machen. Man wird biernach mit den Zweifeln an der Derwends 
barkeit der Slurkarten für Zwede der Hetionalitätenforfhung zurüditeden müffen. 

. Näber auf diefe Dinge und auf die reichen Ergebniffe diefer Arbeit einzugeben, ift in 
diefem Zufammenbange leider nidt moglid. Tur das fei noch gefagt, daß Leipoldt Rund» 
ddrfer mit flawijcher Blodflur fowie foldhe mit anfcheinend kolonialen Sturen feftgeftellt 
und demgemäß flawilche und deutfche Runddörfer unterfcheidet, wobei die legteren regels 
mäßiger find und mebr an den „LTormalrundling“ erinnern. Er fieht in diefen „eine fpätere, 
frubtolonialdeutide Sorm — vielleicht cine Weiterentwidlung jener“ (3.35). Hier, wo 
fcbon feit den Zeiten der Ottonen das Drutfchtum die Serrfcaft bebauptete, obne fogleid zu 
einer großzügigen Befiedlung 3u febreiten, ift der Gang der Dinge denn aud ein wefentlic 
anderer gewefen, als der war, den wir mebrfad in Irlicheren Gegenden finden konnten: 
Fichte zuerft Rodung und Befiedlung der Waldgebiete und danach Eindringen in das alts 
flawifde Rulturland, fondern umgetebrt! Hier begann es mit einer leichten Überlagerung 
des altflawifchen Siedlungsbodens mit einer dünnen deutfchen Adelsfchicht, der erft im 
3 Ib. eine ebenfalls zuerft nur leichte Durdydringung diefes alten Kulturgebiets mit deutfden 

auern und danady erft fchrittweife die Rodungstätigkeit folgte. Wie ficb das im einzelnen 
abgefpielt bat, wie fıch Deutfche und Slawen fowie ferner die verfchiedenen deutfhen Stämme 
da hinein teilten und fi gegenfeitig durchdrangen, mag man bei Leipoldt felber nachlefen. 

Im oͤſtlicheren Sachſen bat die Meifener Jabrtaufendfeier auch der Erforjchung diefer 
Dinge einen trdftigen Anitoß gegeben. Jn der von Woldemar Lippert berauagegebenen 
Neftidrift ,MeiGnifdy-fadfifde Norfdungen” (Dresden 1929) fegt der Herausgeber die 
Gründung der Burg Meißen und damit auch die tatfachlide Begrindung der deutfden errs 
Ihaft im Sorbenlande auf den Mai 929 an. Rudolf Rögfchke fehildert darin die „Ans 
fänge der Markgraffcbaft Meißen“, wobei der Ausbau des Landes, feine allmäbliche Übers 
führung in deutfche Derbältniffe, der gemifcht deutfchsflawifche Charakter des ae 
fyftems und zahlreiche deutfchsflawifche Mifchbildungen von Ortsnamen zur Sprade 


1932, IV | Buchbeſptechungen. 243 
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kommen. Alfred Meiche fehließt eine Behandlung der „Altmeißener Bürgernamen“ als 
„Quelle zur Befiedlungsgefchichte der Stadt“ an. Don 1200 bis 1500 bat er unter den 
Rufnamen keinen einzigen altflawifchen gefunden. Der deutfche und zwar rein mitteldeutfche 
Charakter der älteften Stadtbewohner, wie er aud) durch die Samiliennamen bezeugt wird, 
it dadurch feftgeftellt. 

Der ebenfalls in diefem Zufammenbang zu nennende Helmuth tl: Taufend 
Jahre Meißen (Meißen 1929), fcdildect factundig und befonders liebevoll die Rolonifations- 
zeit (ogl. Vieues Archiv f. Sähf. Bei. 1930, S. 289). 

Che Meerane weift Osler Philipp, Cine Spur des Gorbifden in Weftfadfen? 
(Ul. Archiv f. Sächf. Gefc. u. Altertlde. Bd. 48, 1927, S. 300 ff.) nady, daß dort noch um 
$570 cin in wendifcher Spracde abgefaßtes Beichoßregifter vorhanden war und vom 
dortigen Stadtfchreiber ood Remnig ins Deutide überfegt wurde. Außer der damit für 
den Stadtfchreiber bezeugten Renntnis der wendifchen Spradye deutet nichts darauf bin, daß 
diefe Sprache fid) in Meerane langer erhalten hätte als anderswo in Wefts und Mittelfachfen. 
_ _ Jobannes Langer, Slurgeograpbifche Unterfuhung über die älteften Sreiberger Bes 
fiedlungeverhältniffe (ebd. G. 185 ff.), will auf Grund der vors und frübgefchichtlichen 
Unbewobntbeit der Waldgegend die in der Umgebung vorbandenen flawifden Slurnamen 
nuc als Orientierungabezeidnungen gelten lafjen, ,die fogar fpdter zur flawifden Bes 
nennung echt deutfider DOaldbufenddrfer führten“, 3. B. Lognig, Rleinbobrigidh, Colmnig. 
Die Anfänge der deutfchen Dorffiedlung geben bier bis in die Mitte des 32. Ib., die der 
ftädtifchsbergbaulichen Entwidlung bis 1185 zurüd. 

Wann vom weftliden Gadfen aus, wo die Grindung deutfcher Dörfer fehon feit 
1080 berichtet wird, die Siedlungstätigleit den Clbleffel erreichte, ift die Srage, von der 
Otto Eduard Schmidt, Die Befiedlung des fächfifchen Eibkeffels und die Anfänge von 
Dresden (LT. Arhiv f. Sächf. Gef. u. Altertlde. Bd. 48, 1927, 3. 31—00), ausgeht. Er 
weift nach, daß 3344 auch bier eine „Rolonifation großen Stils“ fhon im Gange, deutfche 
Boloniftendörfer fhon gegründet waren. Die Schilderung des Sortgangs der Rolonifation, 
für die neben den Reibendörfern auch die „deutfehen Rundlinge“ als charakteriftifch bebandelt 
werden, gebt nicht nur bis zu den beiderfeits der Elbfähre gelegenen Sorbenweilern Dresge, 
die etwa um 1150 in deutfche Koloniftendsrfer umgewandelt die Reimzellen des um Bene 
zur Stadt erhobenen Dresdens waren. Sie dringt aud in den von Böhmen fcheidenden 
Örenzwald und gibt aud ein Bild von der unter Markgraf Seinridh im 13. 3b. über die 
Viederlaufig „bis an die Tore von Srantfurt a. ©.“ (3.58) fortgefchrittenen Siedlungss 

egung. Die bier wiederholte Serleitung der forbifchen Witbafen von den germanifchen 
Warnen (S. 39) bat Woldemar Lippert, Wendifches im Anfchluß an-O. E. Schmidts 
Mendenbuch (ebd. S. 284 ff.) mit Recht abgelehnt. 

Dom fähhfifchen Sorbenland aus ift die fräntifche Hufe als Waldtolonifationshufe der 
fräntifhen Siedler von diefen und anderen Deutfchen weiter nach Often getragen, nicht 
allein nach Schlefien, fondern auch nach Böhmen, Polen, Balizien. Sie ift auch von flawis 
chen Roloniften übernommen worden. Heintih v. Loefc, Die fräntifche Hufe (Zeitfchr. 
d. Der. f. Geſch. SGclefiens 61. Bd., 1927, S. 81 ff.; 63. Bd., 1929, 3.33 ff.), bat uns 
darüber eine gründliche Studie befchert, worin er u.a. diefe Hufe mit der Meineren flämis 
iden vergleidt, die im Gegenfay 3u ihr, der eigentlihen Rodungsbufe, — auf 
das offene Land beſchraͤnkt iſt und ſtets in Gewannen liegt. Eine eingehende Unterſuchung 
der ſchwankenden Groͤßenverhaͤltniſſe und der Unterteilungen iſt angeſchloſſen. 

Schon zwiſchen bbo und boo v. Chr., wie E. Peterſen, Neue Ergebniſſe uͤber die 
germanifche Rultur in Schlefien (Altfchlefien 1929 S. 196 ff.), darlegt, find „Srübgermanen“ 
im geringer Zahl in Schlefien eingedrungen und baben fic mit den dortigen „Illyriern“, 
den Trägern der Laufitzer Kultur, friedlich vermifcht. Die 800 bis 400 febr mächtig pts 
wordene Germaneneinwanderung bat das illyrifhe Vollstum vernichtet. Tad 400 bis 
500 wandern diefe Bermanen (Baftarner) weiter nach Often. 


‚In die polnifche Vorzeit des Landes, in der jedoch nordgermanifche infliffe nod 
eine bedeutende Rolle fpielen, führt Sedor v. Hepdebrand u. der Lafa, Peter Wlaft und 
die nordgermanifchen Beziehungen der Siawen (Zeitfchr. d. Der. f. Schlef. Bei. 1937, 
©. 247— 278), zurüd. Im Gegenfag zu Sriedrih Reiche weift er die dänische Abtunft des 
Peter Wlaft (+ 1153) und feine VDerwandtfchaft mit dem warägifchen Serrfchergefchlecht 
Außlande nad. Wie fein Großvater Magnus wird aud Peter in den Quellen Graf von 

teslau (comes Wratislawiensis) genannt. MWandyes hypotbetifche wird angelnüpft 
über einen aus nordifchem Blut entfproffenen SHerrenftand Schlefiens, der 3. TI. in den 
Bauernftand zurüdgefunten fei, und die Schnelligkeit, mit der fpäter die Derfehmelzung mit 
der deutfchen Bauerneinwanderung gefchab, erklärlich machen foll. 


244 Dolt und Raffe. 1933, IV 








Kine andere Cinwanderungsfdidt, die Wallonen, bebandelt Ronrad Wuttle, Zur 
Gefhichte des Gefdledts der Gallici (Walch) und ihres Grundbefiges in Sdlefien im 
13./36. Jb. (ebd. S. 279—311). Das Gefcdlecdht, das dem Alteften fcblefifcen Adel angebdrt, 
bat aud) eine deutfche Siedlungstätigleit entfaltet. 

Die ganze fchlefiihe Siedlungsfrage greift mutig, aber etwas gewagt Wolfgang 
Jungandreas, Beiträge zur Erforfhung der Befiedlung Sclefiens und zur Ents 
widlungsgefchichte der fchlefiichen Mundart (Wort und Braud, Heft 17, 1928), an, indem 
er fi außer den gefhichtliden Materialien und den Llamen bauptfddlid auf die Mlunds 
atten ftützt. Bernhard Martin (Zeitfehr. d. Der. f. fchlef. Bef. Bd. 62, 1928, S. 389 ff.) 
bat die Arbeit wegen Seblens der nötigen Vorarbeiten auf mundartlidyem Gebiete als vers 
frühe Scharf abgelehnt. Ernft Shwarz, Die fchlefifhe Mundart (Der Oberfchlefier, 
}1. Ig. 1929, S. 71— 83), ertennt dagegen an, daß es Jungandreas gelungen fei, „Weins 
bolds Ergebniffe in wefentlichen Puntten zu verbefjern, den überwiegenden Einfluß tbürins 

ifchsmeißnifcher Elemente Narzulegen, weiterbin die Beteiligung beflifher Elemente in den 

udeten und bayrifcher bauptfählih im Süden des fchlefifhen Raumes wahrfdeinlid zu 
madyen, die niederdeutfchen und oftfrantifaden Befiedlerteile von der überragenden Stellung, 
die ihnen Weinhold eingeräumt batte, berabzudrüden. Im einzelnen find aber viele Dore 
bebalte zu maden“. 

Über Gebiete geringeren Umfangs unterridten Guftav Schoenaih, Die Befieds 
lungsgefdidte des Rreifes Jauer (Schlef. Gefh.BI. 1926, S.0— 3) und Adalbert Hof fs 
mann, Die Befiedlung des Rreifes Striegau (ebd. S.63—069). In beiden Rreifen bat die 
Deutfchbefiedlung erft mit dem 33. Ib. begonnen. 

Aud in Oberfchlefien begann die Auslegung von Städten und Dörfern zu deutſchem 
Recht fhon im 13. Ib. I. Shwieder, Die foziale Strultur der ländlichen Bevölkerung 
des alten Rreifes Beutben um 1743 und die Auswirkung der friderizianifchen Agrarreforms 
gefeggebung im gleidhen Gebiet (Mitteilgg. des Beutbener Geich.s u. Muf.sDer. Aeft 7—10, 
1927, 8. 7—97), berichtet außerdem von böbmifchen Zuzug und feit 1526 von weiterem 
Suzgug deutfcher Roloniften, befonders Bergleuten und Gewerbetreibenden aus Sranten. Die 
Urbarien der Herrfhaft B. von 1546 und 1603 enthalten „eine große Reibe deutfcher 
Hamen“. Ber einziebende Proteftantismus ,ftartt ebenfalls das deutfche Element* (S. 11) 
Mad den Verwisftungen des 30 jähr. Krieges werden „billige Arbeitsträfte aus Polen“ 
N Um 1743 ift die Bevditerung des Rreifes der Sprache nah „zum größten Teil 
polnifeh“. Die friderizianifche Rolonifation, die die Anfiedlung von Ausländern, in Obers 
f&hlefien von Deutfchen, forderte, wurde in diefem Puntte nur zum Meinen Teil durchgeführt. 
Kine nachhaltige Ausbreitung der deutfchen Sprache brachte erft die mit dem Aufblühben 
der Induftrie feit Mitte 19. Ib. erfolgende „ausichließlich von deutfchen Beift und deutfcher 
Sprache getragene ganz außerordentliche wirtfchaftlide Belebung“. 

Die durd) eingewanderte Bergleute aus Sranten und Gadfen im Laufe des 16. Ib. 
raf&h verbreitete Reformation bat nach Paul Sranzke, Beiträge zur Gefchichte der Res 
formation im Beuthener Lande (ebd. Heft 11/12, 1929, S. 75—82), nod im gleiden Jabrs 
bundert die Oberhand gewonnen. Daß die fchon 1623 einfegende Gegenreformation, die 
nad Schwieder „ganze Arbeit getan“ hat (S. 13), „das Beuthener Land polonifiert habe“, 
foll nad Sranzte nicht beweisbar fein. Aber „viele Anzeichen fprechen für eine ftarte Polonis 
fierung in jenem Jahrhundert” (S. 82). 

Eine deutfche Bürgerfchaft in der Stadt Beutben beftand nah OD. Immerwabr, 
Das Alter der Priv. Schügengilde in Beutben ©.S. (ebd. Heft 11/12, 1929, S. 159—168), 
Ihon vor 1300. Eine ftädtifche Urkunde von 3369 enthält, foweit Bürger genannt find, 
nur deutfche Liamen. 1400—1470 folgte eine „Periode des Unterganges des Deutjchtume 
und des Eintitebens und Erftartens flawifchen Wefens“ (S. 160). 

_ — Fu der oben berührten mangelhaften Durchführung der friderizianifden Rolonifstion 
bietet Walter Rraufe, Gefdidte von Pilsendorf, Kreis Beuthen (ebd. S. 124—15}), 
einen drtliden Beleg. Auf der Selomart des urfpringlid Gr3ybowig benannten Dorfes 
wurden die friderizianifben Kolonien Marienau und Pbilippsdorf gegrimdet. Die Rolo⸗ 
niften find nad) den mitgeteilten KTamen weitaus überwiegend Polen. Kur eine verfhwins 
dende Minderheit trägt deutfche Mamen. 

_ Wieviel bier bis in die neuefte Zeit verfäumt worden ift, zeigt Alois M. Rosler, 
Die preußifche Doltsfchulpolitit in Oberfchlefien 1742— 1848 (Einzelfcriften zur fchlef. Gefch. 
Bo. 3, 1929). Das Enodurteil lautet, „daß die geeignetfte Zeit zur Cindeutfdhung Ober: 
fhlefiens vorüber war, als man zu Beginn des 20. Sb. anfing, das Problem zugleidh ents 
— un mel in Angriff zu nehmen“ (Sorfchg. 3. Brand. u. Preuß. Gel. 
43. Bd., S. 440). 








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Landeskunde 


Umriſſe von Candſchaft und Dol€stum 
in ihrer ſeeliſchen Verbundenheit 


Hon Gwald Barie 


Teil I: Deutjhland als Ganzes, Nieder- und Mitteldeutichland. 
327 S. mit 60 Abb. Geh. RM. 10.—, Cwd. RM. 12.—. 


Teil II: Siddeutidhland und Alpendeutidland. 3520S. mit 59 Abby 
u. 2 farb. Karten. Geh. RM. 10.—, Cwd. RM. 12.—. Beide Ceiley 
in einem Band gebd. RM. 20.—. » | 


Jeder Teil ijt aud einzeln fäuflid. 


Banjes Wert leitet eine neue Art der, Erdbejchreibung ein. Sein Werf, das tief 
aus dem Derjtehen deutichen Landes und deutjcher Dolkheit heraus ermadhjen ijt, it 
bis in -die -Heiniten-Einzelheiten von deutichern Geift durchzogen. Zum erjtenmal 
tritt hier-das bedingungslos Nationale in die Geographie ein. Die deutjdhe Tandesz 
funde ijt jo reich mit Bildern und Karten ausgejtattet, daß fie zum Budy der 
Deutjchen geworden ift, das jeder beligen follte, dem es, ernit,damit ijt, jem Land 
und Dolf 3u begreifen. 


Die aus fünftlicher Sicht erwadhjende reine Landesbejchreibung paart jich mit der. 
Erkenntnis der jeelenformenden Kräfte der Landichaft — eine Derinnerlicung der, 
geographijden Betradtungsweije, die vor allem den Sinn der Gegebenheiten im} 
neues, 3ufunftweijendes Licht riidt. Der Tag. 


3. $. Lehmanus Derlas, München 


Die nordifhe Seele & 
te n or t ¢ — ¢ ¢ ¢ Umichlagbild) 
Don Dr. Ludw. Serd. Clauß. 2. umgearb. Aufl. mit 16 Kunitdrudtafeln. 
Geh. RM. 3.50, Lwd. RM. 4.80. 
„lauf ijt ein vielgereijter Mann, dem die jeltene Gabe der Einfühlung in das Empfinden anderer 
Menichhen hervorragend eignet und dem es gelingt, den. tiefiten $ragen des menichlicyen Herzens nad 
dem Deritehen von Menic zu Menjch, von Dol€ 3u Dolf, von Menjdy zu Gott nachjpiirend, feinjinnige 
CSjungen 3u finden” (Srantijcher Kurier). Die Weuauflage feines Budjes „Die nordijche Seele“ bildet zur 
fammen mit dem früber erjchienenen Wert „Don Seele und Antlig der Rajjen und Dölter” in neuer 
Sorm das alte Buc) ,Rajje und Seele”, das nicht neu aufgelegt wird. Man lernt aus dem Bu 
„Menichen veritehen” — eine für jedermann niiglidje und wichtige Kunjt. Das Bud) handelt haupt⸗ 
ldchlid) pon der nordiſchen Raſſe, ſchildert aber im Dergleich auch die Weiensart der anderem in 
Deutichland lebenden Ralfen. Die Darjtellung ijt fern von aller trodenen Gelehrjamfeit, dem [eben 
digen Leben zugewandt, lebhaft und 3um eigenen Sorjden anregend, jo recht ein Bud) fiir unjere 
Zeit, in der die Rajjenfrage als cine der Cebensfragen unjerer Zufunft erfannt ijt. 


9%. f—. Lehmanns Oerlagy Minhen2 SW 






















a sk — 
Berantwortlic; für die Schriftleitung von „Volk und Kaffe“: Prof. Dr. O. Rede, Leipzig und Dr. Bruno K. Sdyuly, Minden 
Perantwortlid) für den Anzeigenteil: Guido Haugg, München. — Verlag: I. F. Lehmann, Diündyen, 

Pau Druck von Dr. F. DB. Datterer & Cie, Freifing- Münden. 1 


Printed in Germany. 


Dolf und Raff e 


Illuſtrierte 
Monatsſchrift fuͤr deutſches Volkstum 
Raſſenkunde Raſſenpflege 


8. Jahrgang 1933 


J.S. Lehmanns Verlag, Muͤnchen 


Inhaltsverzeichnis 
des 8. Jabrganges, 1933. 


Heft 1 S. 1—56; Heft 2 S. 67—112; Heft 3S. 113—136; Heft 4S. 137—160; 
Heft 5 S. 161—184; Heft 6 SG. 1865—208; Heft 7 S. 209—232; eft 8 


G. 233—2060. 
Derfafferverzeichnis. 
Seite 
Tel Be De Verlag, An die Lefer von Volt und Raffe . 133 
er ie Sippfchaftstafel und eine Anleitung zur Anfertigung. 
1 Ta 245 


BSlubm, m Erbbild deutfcher Dichterfamilien. (Mit 7 Abb. und ı Tafel) 236 
Ebrbardt, 'S., Die Salicnsureminen|cgung des aioe — L, II. 


(Mit 20 Abbildungen) 2 « . 143, 490 
Sa 5 : 206, 230, 260 

rid eichaminifter des Innern, Anfprache auf der 1. Sigung des Sachs 

verftandigenbeirates fur Bevdllerungss und Raffenpoltil . 137 
—, Unfprache bei der — ening des eiheausfhuffes für 

Dollsgefundbeitsdienft . 234 

©8, %., Ubnenz und Stammtafeln in Barteiform. (mie 5 Abb.) . : 126 
Gite, geben oder Sterben der deutfchen Uiation . 116 
Pye idrich, VD., Deränderung deutfcher ——— in den Vereinigien 

Staaten : 46 
Dem; R., Deutſche Doltstrachten IIL, IV. (Mit 4 Tafeln) . 0.245, 93 
Helmut, o., oe in Gefabr. (6 Tafein) i 04 173, 20) 
Hoffmann, ‚ Einführung in Erblebre und Erbpflege ; $ 228 
Hof t ma a Tb. Urflawenbeimat und Pelee nie 

arte ; : 19 
Rrenn, E., Die Ortneyinger und die Shetlander : : 94 
— — Eine Bauernbhods3eit in Huelften bei Haltern im Münfterlane. 

it 7 Abb.) ; : $2 
£ebmann, £., Joſeph Gottlieb Rolreuter. (3 Abb.) 486 
Martgraf, D., Die Grenze zwifchen dem d antivcpen und flamiſchen 

Rechts agb im Sreiftaate Gadfen. (Mit 2 si ; 57 
Mierte, K., Raffentunde und Wollsfdule . . 198 
Raffenbilder: . 125, 149) on 185 
Rauf henberger, m., Raffenmertmate "Goethes und feiner nächften 

Derwandten. (Mit 12 Abb.) . J 
—, Raffenmerfmale Schopenhauers und feiner naheren Verwandten. 

(mit é Abb. und einer Sippfchaftstafel) - 209 
Rede, ©., Ein Deutjcher der europäifche Erfinder der Dattyloftopie : 42 
—, Ber Begr tiff „Raffe . 0.0317 
Schmidt: a Srucptbarteitsdauer. einft und je t. (1 Abb.) S 4 339 
Schmidt, Unterfuchun en über die Auslefe bei Jugendbünden . . 223 
Schultz, B Ei 7 Bevd ome des oberen Lechtales. (Mit 12 Abb. 

und 6 Tabellen 32 
—, Raffentunde, und "Raffenpflege als Gegenftand der 

„Seutfihen Erziehung ; , 122 
Schul, W., Die Germanen der früben Kifenzeit. (Mit 2 Abb.) .  . 348 
Schulz, W., Germanen zwifchen Elbe und Weichfel vom 5. bis — 

7: Jahrhundert. (Mit 3 Abb. und einer Rarte) . 74 


Shwertfeger, &., Dom deutfchen Voltstum in Polen 226 


Inbaltsverzeichnie. 





Stengel v. Rutlowfli, Winterfonnenwende 

Stumpf, §., Die triminelle Samilie . 

—, Sippfchaftstafel eines Rüdfallverbredhere. (3 Tafeln) . 

Tirala, £., Die biologifche Erneuerung des deutfchen Doltes . 

—, Die wirtfehaftlichen Solgen des Sterilifierungsgefetzes 

v. Trotba, Die Vafas. (Mit 6 Abb.) . we 

Was fagt i die Volkszählung vom 16. Juni 3 933? : 

Dellgutb, £., Was wird da groß? (Mit 2 Abb. ans j Tabet 

Viergutz, R. S., Lubwig Klages 60 Jahre . . 

—, Raffe und Wolk 

Wiede rmann, Fa Sind die oberfenkfifchen Holztirchen Reſte germanir 
{den Rulturgutes? (Mit 5 Abb.) . ; 

Witte, %., Uleue Urbeiten zur Deutfchwerdung des Oſtens 

Zaunert, D., Die Entwidtung des Rarolinger-Typus . 


Buchbefpredhungen. 


Bie, R., Das katbolifhe Europa (©. Rede) 

Bod, S., Die germanifcdhe Gotik ($. WD.) . 

Böttcher, R., Kunft und Runfterziebung im neuen Reich (S. Stengel) . 

Claug, £. §., Die nordifche Seele (B. R. Schulg) . 

BDeutides Recht — Monatafdrift des Bundes 11.-S. Deutfcder Suriften (2.00. v. 4) 

Dürre, R., Erbbiologifcher und eugenifcher Wegweifer für Jedermann - *) 

Effen, w,, Die ländlichen Siedlungen in Litauen (R. Mielke) . 

Srazer, 3. G., Menfh, Gott und Unfterblidteit (O. Rede) . : 

Gdliner, 4, Wollss und Raffentunde der es von Sriedersdorf 
(B. R. Schyulg) : 

Büntert, 9, Deutfder Geiſt Eicke 

Sertlein, S., Paret, O, Goͤßler, P., Die "Römer in ) Württemberg 
(Sr. Wagner) . 

Aeuber, Samilie und Steuer (2. w. v. A.) ; 

—, Hodfadule fir Politi (4. W. v. Aufſeß) ö 

Hdrdt, Pb., Der Durcdbeucd der Dollheit und die Schule (Se. Dolte) ‘ : 

Jahrbuch des deutfchen Vereins für Samilientunde ve die € Tidpthoflowatif 
Republit (Graefe) . : ; 

Jerdhel, %., Malerei der Romantit (3. Se.) . 

Isbert, ©. A, Das füdweftliche ungarifde Mittelgebirge (9. Gracfe) 

Rleinf hmidt, ©., Rurzgefaßte deutſche Raſſenkunde (£. v. Ruttowfti) . 

Rlofe, . 9, Über Weldbienenzucht in Litauen und einigen Klachbargebieten (et 
mid) 

Rnöbl, A, Unterfucungen in orei nordmäbrifchen Dörfern (m. Heſch) 

Roffinne, G., Altgermanifdhe Kulturbdbe (OO. Schult) . ‘ . 

Rrieck, E. Hationalpolitifce Erziehung (£. Stengel v. Ruttowfti) . . 

Rrinner, '£, Bevölterungsftatiftifche —— in ee Landgemeinden 
und Pfarreien (9. Graefe) ; 

Rummer, B., Die dseutide Ebe (R. D.) ‘ 

—, Gott in Waffen (R. MW.) . .» . 

Landmann, I. %., Human Sterilization (& Tirale) ; 

£swin, R., Die Bevölkerung von Oftpreugen (%. Witte) . 

Se. Wilb. Dring 3. Lippe, Dom Raffenftil zur Staatesgeftalt, Raffe und > Pos 
litit (Viergutz) 

v. Loeſch, Das Antlitz der Grenzlande. Der Nordoſten B. Seu) 

Mabler, P., Die Urmenfden (Ridter) ; : 

Müller, TH., Meifter gotifcher Pleftit (J. Sw.) . 

Nicolai, 9, Die raffengefegliche Rechtsiehre (5. OO. v. 4.) 


IV Inbaltsverzeichnis. 
EEE —— 


Seite 
Pfatſchbacher, 5. Eugenifhe Ebehinderniffe (£. ©. rae : ; : : 232 
Raffe und Geift (A. Arnoldfen) . ‘ ; ; ; . : 132 
Rig., Blatter fie germanifdes Weistum (Dr. £.) 20 109 
Ritter, ©., Zur Anthropologie der — Schleſiens ©. Rede) ; ; 160 
Saller, R., Die Sehmaraner (M. Add) . ; ; ; 56 
Sheidt, w., Fliederfähfifhe Bauern II (S. €brbardt) ; ; : : ‘ 333 
Sheumann, §. B., Belémpfung der Unterwertigteit (§. Dittmar). . 206 
Schmidt, R., Die firafredtlichen Grundlagen der Unfeubtbarmesung ( “6 
Tirale) : i ; 206 
Shwindrazbeim, ©., Deutfche Bauerntunft (Gpannaus) ‘ d ; 207 
Staemmler, M., Raffenpflege im völtifchen Staat (B. R. Shulg) . 2 ; 110 
Tröge, W.,, Lucas Cranadh d. A. als genealogifdhes Phanomen (M7. eid) : 208 
Weinert, %., Urfprung der Menfdbeit (O. Rede) . : : 110 
Wolfram u. Oley, Elſaßz⸗ Lothringſcher Atlas (E. E. Stengel) 134 
Aus Raſſenhygiene und Bevoͤlkerungspolitik. 
Akademie fuͤr aͤrztliche Fortbildung in hHalle a. d. Saale 204 
Aufruf der Deutſchen Geſellſchaft für Vererbungswiſſenſchaft 204 
Ausgaben für minderwertige Schüler . : : 156 


Ausftellung über Raffentunde, Erblunde und Bevdlterungspolitit in Minden ; 287 
Befranttes Ebeverbot fir Gendarmeries, ean und Jollwadhbeamte 


in Ofterreid . 99 
Deutſche Geſellſchaft für Raffenbygiene aa 136 188 1% 208 230 
Deutide Hocfcule fir Polttit . ; ; ; ; ; 329 
Entweder — Oder (1 Abb.) . : 131 
Entwidlung der VDollszablen bei den germanifchen, romanifchen und ſiawiſcer 

Voͤlkern (2 Abb.). 166 
Sortbildungsturfe für Raffentunde und Raffenbygiene in Sachſen ..26338 
Reichsinnenminiſter Dr. Frick fordert Raſſenkunde in der Schule 132 
Franzoͤſiſche Bevoͤlkerungspolitik (Dr. Sans Brauf) . : : ; 258 
Geburtenverhaltniffe in Baden. ; ; : : 255 
Gefen 3uc Verbitung erbtranten Nachwuchſes 133 
Rinderzabl der Beamten . . ’ : , — 230 
Landesamt fuͤr Raſſeweſen in Thüringen ‘ : , ; : 155 
Lebensbaltungstoften und Anftaltstoften (2 Abb.) . : : : ; 203 
LeHrtangeln für Raffenbygiene in Berlin und Münden . ’ 357 
Lettifher Alarmıuf. . ; : : ; 330 
Norwegen fordert biologifche Überprüfung der Einwanderer ; wu 4 183 
Raffenbygienifche Aufllärungsarbiit . 205 
Raffenbygienifdher Arste-Schulungsturs des Landesamtes für "Raffewoefen in 

Thüringen . : 183, 267 
Raffens und vererbungstundlicher Unteridoe in den preußifcen Sule ; i 205 
Raffenpflege in der „Ramere“ (Tr.) . : ‘ 259 
Reihsausfhuß für Vollsgefundbeitsdienft . : , 130, 205, 259 
Sadverftändigenbeirat für Bevölterungss und Raffenpolitit ; : 336 
Schaffung eines bäuerlihen Erbrechtes in Preußen . : i y 5 . 155 
Staatsmedizinifche Akademie in Münden . 229 
Stellungnahme eines führenden nn Seilicen zur Unfructbarmasung 

Minderwertigerr . 100 
Sterilifierungsgefeg in Horwegen Fe er —— 97, 256 
Unfrudtbarmadhung Minderwertiger in der Schweiz eo we. ; 97 
Unfrudtbarmadung Minderwertiger in den Vereinigten Stasten : . ; 97 
Warum find Sıe nicht verheiratet? . ‘ ; 258 


Wir wollen keine Halbbeiten in Raffefragen! (2. Schröder) ; . ; 253 





ee nl 


Inhalt: 


Raffenmerfmale Goethes und feiner nächſten Verwandten. Von Dr. Walther 





Rauſchenberger. (Mit 12 Abbildungen) Seite 1 
Die Entwicklung des Karolinger-Typus. Bon Dr. Paul Saunert, Raffel . . m 8 
Urflawenheimat und Altflawenwanderungen. (Schluß. Von. Th. Hoffmann, 

Pins aD. Donau u u a ee en me „ 19 
Die Bevölkerung des oberen Ledhtales. Bon Dr. Bruno RK. Schulg, München. 

(Mit 12 Abbildungen und 6 Tabellen) . > >: mc m „ 32 

f 
Cin Dentider der enropaifde Erfinder der Datktyloffopie. Bon DO. Rede. 

(Mit 1 Abbildung.. „42 
Deutfche Boltstrachten (III). Bon R. Helm. (Mit 2farb. Tafeln) . - - - : „ 8» 
Beränderung deutfher Familiennamen in den Bereinigten Staaten. Bon | 

Dr. Wilhelm Heidriihc. 7 46 
Nene Arbeiten zur Deutfchwerdung des Oftens. (Fortfegung: Süden und 

Südoften.) Gon Arcivdirettor i. RN. Dr. Hans Witte . . . . . . . - , 48 
Ludwig Klages 60 Jahrrrrrr... » D2! 
Budbefprehungen . 2 2 2 2. = Oe 

A ‘ 
Deutjche Kunſtbücher 

Dolfsbiidher deutider Kunſt: Deutiche De BR 
. ational⸗ 
Altdeutihe Malerei ann Mh ılera, herausgegeben san De 
Don Prof. Dr. A. Stange. 48 Bildtafeln mit R. helm. Mit 115 Trachtenbildern auf 48 ſchwat⸗ 
Einführung. zen u. 8 farb. Tafeln. Für Werkbundsmitglieder 

Der Leſer und Beſchauer wird durch die zwei fart. RIM. 3.20, jtatt RIM. 4.—. 


Jahrhunderte umjpannende Gefdidjte der alts Mit der weitberühmten wundervollen Trachten. 
deutichen Malerei geführt. Don der Srühzeit des fammlung des Germanifden Mufeums wird der 
14. Jahrhunderts mit ihren zarten Werfen aus Allgemeinheit ein bejonders reizvolles Geld deut? 
ee wird die Wandlung Zur bürgerlichen Kunit her Doltsart erjchlojfen. Die intereljante ‚Ein: | 
er Spätgotif gewiejen. leitung bringt viel Neues und Aufſchlußreichez 


| Die Germanifhe Gothit | 
| Don Prof. Dr. $t.‘Bod. Mit 55 Bildern auf] 
| 48 Kunjtdrudtafeln. $ür Wertbundmitglieder 
tart. RM. 3.20, Statt RM. 4.—. 

' Derf. hebt vor allem einige Hauptzüge heraus, 
die die Gothit nad) Ralje und Blut auͤch beſonders 
| 

i 


Kunft der Romantit | 

Don Dr.H. Jerchel. 48 Bildtafeln mit Einführung. | 

Die deutihe Malerei im Zeitalter Goethes und 
der Befreiungsfriege. Der außerordentliche Reid)- 
tum und die Gefüblstiefe deutjcher Malerei im 

frühen 19. Jahrhundert wird veranschaulicht. | 

| 

| 

| 

! 

| 


Meiſter gotiſcher Plaſtik 
Don Dr. C. Th. Müller. 48 Bildtafeln mit 
Einführung. 
Jeder kart. Band für Werkbundsmitglieder für 


als germaniſche Kunſt erweiſen. 


| Altgermanifhe Kunft nu 
| 48 Bildtafeln mit Einführung von Prof. Dr. sv. , 
| Bebn. 2. erw. Aufl. Sur Wertbundsmitaliedet 

RIM. 3.—, ftatt RM. 3.80. | tart. RN. 2.90, ftatt 3.60. | 
I 

3.§. Cehmanns Derlag / Miinhen 2 SW. | 

u a IE N hee Sie et aa Sic ee Se ne 
Wir maden uniere Xejer auf die dicier Nummer beilicgenden Projpctte der Firma Ferdinand Ene, 


Verlagsbudhandlung, Stuttgart, R. Voigtländer, Keipzig jowie auf Lehmanns Miindyener BAderoric’ 
bejonderd aufmertiam. 





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TESTEN 


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Srau und Wann aus dem Sarntal, Südtirol 
Runjtbeilage zu „Volt uns Rave“ 


Aus: Helm, Deutfcbe Voltetradten 
3. §. £ebmanns Verlag, Münden 








Dolf und Raffe 


Slluftrierte Vierteljabrsfchrift für deutfches Volkstum 


Herausgeber: Prof. Aichel (Kiel); Or. Bactold (Bafel); Prof. Detblefffen (Rönigsberg 
i.Pr.); Prof. Sebrle (Syeidelberg); Prof. €. Sifcher (Berlin); Prof. Yambrud (Hamburg); 
Prof. Helbot (Innsbrud); Prof. ©. Lehmann (Altona); Or. Chers (Minden); Prof. Mielke 
(Aermsdorf 6. Bin.); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Muh (Wien); Prof. Panzer 
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. J. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dorts 
mund); Prof. W.IM. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulges 
RAMSAU T. (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof. 

rede (Röln); Dr. Jaunert (Wilbelmabdbhe); Oc. Seif (Srantfurt;M.). 
Scriftleitung der Feitfarift: Univerfitatsprofeffor Dr. Otto Redhe, Gaugfd 
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Kurt Shulg, Münden, Fleubauferftr. 51. 

Derlag: 3. §. Lehmann, Münden 2 SW., Paul HepfesStraße 20. 

Jährlich erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jährlih M. s.—, Einzelheft M. 2.—. 


Poftfchedtonto des Derlags Münden 129. : 222. 2 


Poftfpartaffe Wien 59594. — Konto bei der Bapyerifchen Derejngbant’ Mindert. — 


Ronto bei der Rreditanftalt der Deutfden ¢. G. m. b. 4. Prag sll, Arkaugrftrche -p) - 


(Poftfpartaffentonto der Rreditanftalt: ae 62730). — Gdweisertide Poktidedtehuyng 2 0 


Bern III 48345. Schwed. Poftfchedlonto Stodbolm 4167. 








$. Jahrgang Heft ı Januar (Mintermond) 1933 





Der Derlag bebält fich das ausfchließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der 
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrdge vor. 


Reffenmertmale Goethes 
und feiner nächften Verwandten, 
Don Dr. Waltber Raufchenberger, 


Direltor der Sendenbergifchen Bibliothek, Srantfurt a. 1. 
Mir 12 Abbildungen. 


oethe hatte nad der Schilderung des Arztes Davıd Deit eine „männliche, 

fehr braune GBefichtsfarbe‘ !). Die Sarbe der Haare war gleichfalls braun, 
im Derbältnis zur Befichtsfarbe ziemlich bell. Die Augen waren völlig braun. 
„Die Stien ift außerordentlich fcbön, fehöner als ich fie je gefeben“ (David Deit). 
Über die Sorm des Gefichts find wir durch die am Lebenden abgenommene !laste 
von Shadow am ficherften unterrichtet (Abb. 9)'?). Befonders charalteriftifd ift 
die große, vorfpringende, gebogene Mafe. Goethes Beftalt war über Mittelgröße, 
der Oberkörper im Verbältnis etwas größer als der Unterkörper, ähnlich wie 
omer den Döyffeus fehildert. Der Schädelinder war fehr hoch; er betrug etwa 
$5. Die im Goethehaufe in Weimar aufbewabrten Zplinderhüte laffen darüber 
keinen Zweifel. 





1) Dgl. Stabil, Srig: „Wie fab Bverbe aus?“ Berlin 1904. — AAHaeffer, Emil: 
Goethes äußere Ericheinung. Leipzig 1014. 
1a) Erfter Ausguß aus Shadows Jorm 1810. 


Dolf und Raffe. 1933. Januar. J 





Abb. ı. Gortbes Ururgrofvater Jobann 
Wolfgang Tertor, geb. 1058, geft. 1701 
Profefor der Reddte 


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Abb. 3. Goetbes Großmutter Anna Marg. 
Tertor geb. £indbeimer; geb. 1711, get. 1783 





Abb. 5. Boetbes Mutter Larbarina Elifaberb 
geb. Tertor, geb. 3731, geft. 1808 





1933, I 





Abb. 2. GBoetbes Großvater Jobann Wolf: 
gang Tertor, geb. 1693, geft- 1771 


Abb. 4. Bruder der Srau Rat Dr. Jobann 
Jot Tertor, Ratebere in Srantfurt a. Main 





Wirtl. Raiferl. Rat, geb. 1710, geft. 1782 


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Boetbes Schhweiter Cornelia, geb. 1780, geit. 1777 Abb. 8. 





x . a , “dl 
Abb. 9. Jobann Wolfgang Goetbe, Abb. yo. Goethes Gobn Auguit Walther 
geb. 1749, geft. 18352, Masle v. Sdhadow v. Goethe, geb. 1780, geit. 1830 





Abb. 1. Goetbes GrogelTefFe Franz LTicor Abb. 12. Goetbes GroßstTeffe Alfred Micos 
lovius, Generalproturator, geb. 1707, geit. 1878 lovıus, Prof. der Rechte, geb. 1800, geft. 1800 


1* 


4 Volt und Raffe. 1933, I 
rn EEE u ET aE a SE a eS ED 





Der Water Goethes (Abb. 6) hatte blaue Augen und wabrfdeinlid belle 
Haare, ſchwach betonte Jochbeine, vorſpringende, hohe Naſe, ziemlich ſchmales Ge: 
ſicht und trug ſich ſteif. Man kann demnach annehmen, daß in ihm eine Reihe 
Eigenſchaften der nordiſchen Raſſe vertreten waren. In Ubereinſtimmung 
damit ſtehen ſeine ſeeliſchen Eigenſchaften: ſeine Gruͤndlichkeit, Gediegenheit, Pe⸗ 
danterie, Eigenbroͤtelei, ſeine paͤdagogiſche artnaͤckigkeit, fein ſchwerfaͤlliges 
Weſen und ſein ſtarker Sammeleifer. Ein neu aufgefundenes, von Tiſchbein d. A. 
gemaltes Bild laͤßt in der Form der Naſe auch einen dinariſchen Einſchlag ver⸗ 
muten und zeigt eine ſo große Ahnlichkeit mit ſeinem Sohne, daß man es beinahe 
fuͤr ein Bild von Goethe ſelbſt halten koͤnnte?). 

Die Bilder der vaͤterlichen Großeltern ſind leider verloren gegangen (ſie 
waren, ſolange die Familie am Hirfchgraben wohnte, vorhanden). Doch haben 
wir die Schilderung, die Goethe in „Dichtung und WPabhrbeit‘“ von feiner Groß: 
mutter gibt („einer ſchoͤnen, hageren, immer weiß und reinlich gekleideten Frau. 
Sanft, freundlich, wohlwollend iſt ſie mir im Gedächtnis geblieben‘). Der väter: 
liche Großvater, der aus dem noͤrdlichen Thuͤringen (Goldene Aue) ſtammte, 
zeichnete ſich durch eine ungewoͤhnliche Aktivitaͤt aus; er erwarb durch eigenen 
Fleiß und durch Heirat ein großes Vermoͤgen, das die Grundlage des Aufſtiegs 
der Familie Goethe wurde. 

Goethes Schweſter, die uͤberwiegend dem Vater nachſchlug, zeigte in der 
Weſensart viel von ihm (Meigung zu Eigenbroͤtelei, pſychopathiſche Belaſtung). 
Neben nordraſſiſchen Merkmalen iſt ein dinariſcher Einſchlag nach der Groͤße und 
Form der Naſe anzunehmen (Abb. 7 u. 8)22). 

Ein ganz merkwuͤrdiger Typus tritt uns in Goethes Mutter entgegen. Das 
bekannte Bild en face, das als ſehr aͤhnlich bezeichnet wird (Abb. 5), zeigt in 
den hochgeſchwungenen, ſtarken Augenbrauen, der Form der Naſenſpitze, dem 
Mund, beſonders aber in der Struktur und dem Ausdruck der dunklen Augen neben 
einem nordraſſiſchen einen mediterranen und orientaliſchen Einſchlag. Auch auf 
einem Jugendbildnis iſt dieſer Zug ſichtbar. Auf ſeeliſchem Gebiet faͤllt ihr un⸗ 
verwuͤſtlicher Optimismus, die bewußte Fernhaltung aller traurigen Eindruͤcke, 
ihre ungewoͤhnlich ſtarke Lebensbejahung, eine geradezu altteſtamentliche Froͤmmig⸗ 
keit, eine große Einfuͤhlungsgabe und Runſt der Menſchenbehandlung auf, Eigen⸗ 
ſchaften, die dem Außeren der Frau Rat zum mindeſten nicht widerſprechen. Haare 
und Augen waren dunkel. 

Beim Vater der Frau Rat iſt bei der Breite des Geſichts und der dunklen 
Pigmentierung alpiner Einſchlag zu vermuten. Auf alle Salle find bei ihm die 
Farbe von Haar und Augen, ſowie die Geſichtsbildung unnordiſch (Abb. 2). In 
ſeeliſcher Richtung ſind ſeine ruhige, beſchauliche Art und ſeine große Gewandt⸗ 
beit in der Bebandlung von Hlenfcben bervorzubeben. Bei der Großmutter Tertor 
geb. Lindbeimer (Abb. 3) treten nordifcbe Zuge gemifcht mit mediterranen auf 
in dem ftrengen Gefichtsausdrud, dem „„herrfcherblid‘, der Schmalheit und Länge 
dc8 Gefichts, in den dunklen caaren und Augen. Auch bei ibrem Sohn (Abb. 4) 
und ibrem Ururgrogvater Jobannes Steuber, der in feiner Dielfeitigkeit etwas an 
Hoetbe erinnert, ift neben nordifcben mediterraner Einfchlag zu vermuten. 

Beim Sohn Goethes endlich treten wenigftens auf einem (bisher nicht vers 


“) Das Bild ift bier nicht wiedergegeben, da noch nicht ficher feitftebt, daß es Goethes 
Vater darſtellt. 

2a) Das neu aufgefundene von MNorgenſtern herruͤhrende Bild (Abb. 7) wird als das 
wertvollſte bezeichnet. 





1933, I WD. Raufchenberger, Raffenmertmale Boetbes u. feiner näcdhften Verwandten. 5 
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Offentlichten) Bild (Abb. 10) Fuge auf, die an sie vorderafiatifade Raffe gemabhnen. 
Ausdrüdlicy bemerkt fei an diefer Stelle, daß ein jüdifcher Einfchlag unter Goethes 
Vorfahren nirgends nachweisbar ift. Die Klamen Lindheimer, Weilburger, von 
Marrheim ufw., die in feiner Abnentafel auftreten, bezeichnen die Herkunft diefer 
Samilien von beftimmten Orten; fie beftanden nachweisbar lange, ebe die Juden 
auf das Edikt Jofephs II. Samiliennamen annabmen. Aeroorzubeben ift endlich 
nod, daß zwei Broßneffen Goethes, Alfred und befonders Stanz Micolovius 
(Abb. 12 u. 13), Ahnlichkeit mit Boetbe nachgeruhmt wurde. Auch ein Enkel der 
Cante Melber, Georg Sriedrid) Melber, zeigte eine entfernte Ahnlichleit mit 
Goethe. Bei allen diefen ift dinarifcher Einfchlag erkennbar. 

Go feben wir alfo bei den nädhften Blutsverwandten Goethes Merkmale 
faft aller europäifchen Raffen vertreten. Damit haben wir den richtigen Auss 
gangspuntt fir die Beurteilung Goethes felbft gewonnen. Reineswegs darf er 
als ganz, faum als überwiegend nordraffifch betrachtet werden, wie dies Cham: 
berlain tut. Vielmehr baben wir in ibm ein dußerft zufammengefettes Gee 
bilde vor uns. Dorausgefchidt fei, daß in Goethe eine felten vollendete Mifchung 
von Merkmalen europäifcher Raffen vorliegt. Ganz wenige Geifter baben fid 
der Mienfchheit fo tief eingeprägt wie er; dies gilt auch von feinen Befichtszügen. 
Fur wenige große Wenfchen baben ihrem Leben und Schaffen die Vollendung 
geben können, woran allerdings Goethe felbft ein großes perfönliches Verdienft 
zuzufchreiben ift. Goethes Typus ift deshalb fo einheitlich, weil die Raffen, die 
in der Ayauptfache feine Züge geprägt haben (die nordifche und die dinarifde), 
über die ausdrudsvollften Linien verfügen und von ihren Erbanlagen die zus 
einander paffenden auf Goethe vererbt haben; eine Reibe von großen Perfönlidys 
keiten von Platon und Dante bis zu Schiller, Lifzt und Ridard 
Wagner zeigen Züge diefer Raffen; bei Goethe tommt nod ein Einfchlag medis 
terraner Raffe hinzu. Goetbes Züge find nordsifd-dinarifd-meditercan. 
Mir diefer Seftftellung ift zugleich Boetbes Wefen am kürzeften charatterifiert. 

Hordifch ift Goethe in feiner Befamtlebensfühbrung. Flordifch ift feine 
große Drönungsliebe und fein ftarter Sammeltrieb, die beide vom Vater 
vererbt find. Wan kennt Goethe erft dann ganz, wenn man feine ausgedehnten 
Sammlungen auf allen Gebieten betrachtet. Mordifd ift Goethe ganz bes 
fonders in feiner innigen Sinneigung zur Natur, feinem volligen Hingegebens 
fein an fie. Klordifch ift er in der tiefen Ehrfurcht, mit der er fich in die Flatur 
und jede einzelne ihrer Erfcheinungen verfentt, nicht minder in feinem Beftreben, 
fid) ftets aus erfter Quelle durh eigene Beobahtung zu unterrichten. 
Diefes Streben geftattet ihm felbftändige Entdedungen auf dem Gebiet des Ors 
ganifchen. Goethe lehnt die mechanifche Katurauffaffung ab. Seine Auffaffung 
der Viatur darf als eine organifche bezeichnet werden. Die Bedeutung Goethes 
in diefer Richtung ift noch nicht in vollem Umfang erkannt. Sein Verhältnis zur 
Hatur ift das Tieffte und Großartigite feines Wefens; es trägt einen religidfen 
Charakter. Die Hatur ift ihm in allem die böchfte und letzte Inftanz. Sie kann 
nie irren, fie behält immer Recht; der Jrrtum ift ftets bei den Mlenfchen, nie bei 
ihr. „Die Klatur betümmert fich nicht um irgendeinen Irrtum; fie felbft kann nicht 
anders als ewig recht handeln, unbelümmert, was daraus erfolgen möge“ (Goethe). 
Diefe tiefe Derbundenbeit mit der Matur bringt es mit fich, daß Boetbe felbft ein 
Stud Natur ift; daber feine Werke nie veralten werden, fondern immer jung 
bleiben. Der nordifche Raffeneinfchlag ift in diefem Punkte ganz befonders be: 
deutfam für Goetbes Befamtperfönlichkeit und Kuͤnſtlertum. — Nordiſch ift 


nN 


Volk und Raffe. 1933, I 
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Goethe ferner in feinem ausgefprodenen Individualismus. Jhm erfdopft 
fi) alles Denken und Dichten im Einzelwefen und feinen Problemen. Suc 
ftaatliche Dinge bat er geringeres Jntereffe und Verftändnis, weil fie ibm zu 
fehr als Mienfchenwerk erfcheinen. Auch die ungewöhnliche LTeidlofigkeit 
ift zu nennen, mit der er befonders den jüngeren Schiller neben fidh auflommen 
laßt und feine dichterifche Entwidlung in unmittelbarfter Krähe erlebt und felbft 
fördert. — Nlordifch ift weiter Goetbes geiftiges Auge, die Art, wie er die Dinge 
fiebt, fein Derbalten sur Welt, das kein Zergliedern, fondern ein ununters 
brodencs Schauen ift. Das Auge beberrfcht Goethes ganzes Wefen; alle 
anderen Sinne treten dagegen in den Hintergrund. Alles, was er dichtet und 
fchreibt, ift anfdaulid. Len 33) fchreibt uber den nordifchen Menfchen u. «a.: 
„Der nordifche Menfch denkt anfchaulich in Bildern, er ift ‚zum Seben geboren 
und Schauen beftellt‘ (Goethe). Die böchfte Schönheit findet er in der Geftalt. 
Seine künftlerifche Begabung liegt demgemäß auf dem Gebiet der bildnerifchen 
Sormgeftaltung. Wir finden in diefer Charalterifierung wefentlide Fuge Goethes 
wicdergegeben. Wir müffen deshalb dic Kraft der Anfdhauung und die Ges 
ftaltungstraft als einen vorwiegend nordifchen Zug Goethes bezeichnen. 

In dem ftark bildnerifchen Zug feines Wefens ift indes Goethe den Fyellenen 
fo tief verwandt, daß man bei ibm an eine ähnliche Blutmifchung denten muß 
wie bei jenen und deshalb audy der mediterranen XRaffe!) einen Anteil an 
Goethes Rünftlertum wird zugefteben müffen, worauf auch Goethes entjchiedenes 
Ablehnen alles Ubftralten bindeutet. Kur fo ift Boetbes tiefe Liebe zu den Griechen 
verftändlich, fein Ausfpruch: „Ein jeder fei ein Brieche in feiner Art, doch er fei’s!“ 
Beide Raffen, die nordifche und mediterrane, find miteinander verwandt und haben 
ihren künftlerifchen Schwerpuntt in der Geftalt, dem Sinn für Sormen. 

Auch andere Eigenfchaften deuten (neben Goethes Gefichtszügen) auf einen 
mediterranen Zinfchlag bin, fo feine befonders in der Jugend auffallende, ftarke 
Erregbarleit (Sornmutigleit), die er felbft an fich tadelt, und die mit anderen 
KEigenfchaften, wie feiner grogen Ordnungs- und Sriedensliebe, in merfwurdigem 
Kontraft fteben. 

Goethe hat neben mannliden Ligen{caften einen weiblichen Fug im Ween. 
Er tann nur das als vollendetes Kunftwerk fcdaffen, was er menf{clic-perfonlid), 
in der Regel mit Stauen, feelifch erlebt bat. Er wird vom Erlebnis gleich» 
fam befruchtet. Wäbrend männlih geartete Dichter aus der Idee beraus 
dichten, Jdeendichter find (Schiller, Shatefpeare), ift Goethe ganz an das Er⸗ 
lebnis gebunden. Boetbe wurde ferner leicht zu Tränen gerührt. „Hermann 
und Dorothea kann er nicht vorlefen, obne zu weinen. Beim Frachdenten über 
„Wilhelm Meifter“ weint er „bitterlich“, zu Aarolinen Herder fagt er, er babe 
14 Tage vor feiner Abreife aus Rom täglich „wie ein Rind geweint“. Hierin 
liegt cine mertwurdige Abnlichteit mit den Mediterranen, die leicht weinen. Die 
legte Bemerkung läßt daneben feine tiefe innere Verbundenbeit mit dem Süden 
erkennen. Goetbe wird in Rom faft zum Römer. 

Auch Boetbes Liebesleben trägt einen von der KTordraffe abweichenden Zug. 
Es iſt bier nicht nur die Diclfeitigkeit feines Licbeslcbens zu nennen, fondern vor 
allem die Tatfache, daß er fo oft und fo beftiq feelifd verliebt ift, ferner, 
daß feine Phantafie fo ftart erotifch gefärbt ift, und duß er in einer eigen: 


3) Dal. Baur:Sifhber:- Lenz: Menfblide Erblichkeitslebre und Raffenbygiene, 
3. Aufl. 1927, 3. 551. 
4) Die Rbeingebicte entbalten vielfach einen mediterranen Zinfehlag. 


1933, I WO. Raufchenberger, Raffenmertmale Boetbes u. feiner nächften Verwandten. 7 





artigen Kinftellung zum Weiblichen als foldyem verbarrt. Er tann obne ein weibs 
lidyes Wefen überhaupt nicht leben; er befindet fich fozufagen dauernd im Bann: 
kreis des Weiblichen. £en 35) nennt Goethes „brennende erotifche Pbantafie“ „uns 
mittelbar geiftesverwandt mit der des oben Liedes“ und vergleicht feine Lyrik 
mit der Heines: er hält einen vorderafistifchen Kinfchlag für wahrſchein⸗ 
lid. Goethes mütterliye Vorfahren ftammen großenteils aus der fruchtbaren 
Metterau, die 400 Jahre von Römern befiedelt wer. Die römifchen Soldaten der 
Reiferzeit kamen vorwiegend aus Vorderafien und waren ftets von Händlern 
vorderafiatifcher Raffe begleitet‘). Außerdem enthält das boch- und fuddeutfdye 
Sprachgebiet, dem Boetbes Ahnen entftammen, einen nicht unerbeblichen Zufag 
dinarifchen Blutes. Auf einer Reibe von Bildern Goethes ift der von Lenz vers 
mutete Einfchlag erkennbar, fo befonders auf dem Profilbildnis von d.M.Rrauß 
-(1775), den Bildern von Georg Oswald May (1779), dem Olbild von Jofeph 
Sriedrih Darbes (1785) u. a. Die Tatfache, daß mehrere Rünftler unabhängig 
voneinander diefen Zug feftgebalten haben, ift dabei zu berüdfichtigen. 

Diefem Wefenszug entfprichyt auch Goethes Sprache. Sie bat zumal in 
fpäteren Jahren mebr etwas Derbüullendes, Bebeimnisvpolles als Her 
Ausgefprochenes. Boetbes Schreibweife wirkt befänftigend, nirgends aufs 
regend. Ste vermeidet fcharf umriffene Ausdrüde, bat baufig etwas Magifches, 
Oratelbaftes. Das Gefagte gilt au in fachlicher Hinfidt. Goethe vers 
Ihliegt die Augen vor allen bacten, vor allen fcharfen Wabrbeiten, worauf 
wieder Lenz?) hinweift. Traurige und unangenehme Zindrüde halt er fic 
ängftlich fern, wie feine Mutter es tat. Aufs engfte hängt damit zufammen ein 
undramstifcher Zug zumal des älteren Boetbe; noch Bennzeichnender ift fein Mangel 
an echtem Humor. 

Im Einklang damit ftebt Goethes Weltauffaffung. Gie ift untragifc. 
Der Brundton feines Wefens ift optimiftifch; er erinnert an die ähnliche Welts 
auffaffung gewiffer Teile des alten Teftaments. Im Grunde ift alles gut; 
das Bdfe und Schlechte ift nur ein minder Butes, das der Welt zur Süllung, 
nicht zum Wefen dient. Goethes Weltanfdauung im engften Sinn bildet fidh 
im Anfdlug an Spinoza aus. Gie vermeidet jeden Dualismus. Einen Gegenfat 
zwifchen Bott und Welt gibt es bei ihm nicht. Alles ift Gott-Matur. 

Zu nennen find in diefem Zufammenhang Goethes große Gabe der Kins 
füblung in fremde Menfchen und Kulturen, feine Vorliebe für die vorders 
afistifchen Dichter, feine ftarte Lebensbejabung und feine Losmopolitifde 
OGefinnung. . 

Sufammenfaffend muß gefagt werden, daß in Goethe eine der großartigften 
Spntbefen nördlichen und füdlichen Wefens vorliegt. Ze bandelt fid) um eine 
ähnliche Blutmifchung, wie bei den SHellenen zur Zeit ihrer Blüte. Die Tiefe und 
Scöpfertraft ift bei Goethe wie bei den Griechen vorwiegend nordifches, die 
Beweglichkeit und leicht entzundbare Pbantafie vorwiegend mediterranes und 
vorderafiatifches Erbgut. Kine Reibe von Wefenszügen wird dadurdy verftänd: 
lich: feine tiefe Liebe zur Antike, befonders den Griechen, feine Hinneigung 3u 
Hapoleon (die von Klapoleon erwidert wird), feine ganz ungewöhnliche Diels 
feitigeit, feine Bosmopolitifche Gefinnung ebenfo wie der Umftand, daß er uns 


5) Ogl. Baur-Sifher- Lenz: Menfcliche Erblichkeitslehre und Raffenbygiene, 
3. Aufl. S. 579 f. 

8) aa. O. 
‘) aa. O. 


8 Dolt und Raffe. 1933, I 





als der am meiften antik geartete Menfd erfcbeint, der nördlich der Alpen geboren 
wurde. Derftändlich wird auch, daß Boetbe bis zu einem gewiffen Grad aus der 
Reibe der deutfchen Benies berausfällt, daß er unter allen am wenigften die 
deutfchen Schwächen in fich trägt und daß er (neben der deutfchen Mufit) der 
ftärkfte Träger deutfcher Weltgeltung ift. 


Die Entwidlung des Rerolinger-Typus. 
Don Dr. Paul Zaunert, Raffel. 


as Gefchledht der Rarolinger oder Arnulfinger wandert gut dreibundert 

Jahre, beinahe doppelt folange als beifpielsweife das der Aobenftaufen, im 
Kichtlegel der Befchichte. Aufs und Fliedergang diefes Haufes, in Wechfelwirtung 
mit den gefchichtlichen Mächten und Begebenheiten, zeigen eine lange Reibe von 
Subrerprofilen, von Surftengeftalten. Ein Derfuch, fie auf ihre Samilienähnlichkeit 
bin anzufeben, in den Zügen des Einzelnen die der Sippe zu erkennen, dies Ges 
fchlecht als ein Ganzes zu faffen, als cin Wefen, das wird und wddft und ftirbt, 
tann nad) mebrerer Richtung bin Auffchlüffe geben. Indem wir verfolgen, wie 
fidy der Charakter des Befchlechtes mebr und mehr berausarbeitet — und gerade 
dies Gefcledht hat inmitten einer Welt ringender und widerftrebender Gewalten 
eine ungewöhnliche Aktivität und zunehmende Selbftficherbeit entwidelt —, wird 
uns zugleich deutlich, wie weit diefe Entwidlung in der Grundridtung gers 
manifchen Wefens lief; und da fid das Rarolingerbaus aus der Mitte des 
fräntifchen Adels erbob, alfo eine Art Auslefe der Auslefe darftellt, fällt von daber 
außerdem ein Licht auf Art und Rolle des Sranlentums. 

Dae erfte gefchichtliche Auftreten des ArnulfingifchPippinifchen Haufes und 
die Stellung, die es dabei einnimmt, fetzen fchon einige Vorgefchichte voraus. Zu 
der Sührerfchaft des frondierenden auftrafifchen Adels, die es da, zu Beginn des 
7. Jahrhunderte, inne bat, oder mindeftens zu großem Anfeben muß es fich fhon 
im Laufe des 6. Jahrhunderts emporgearbeitet haben — in jenem felben Jabrs 
bundert alfo, in welches die erfte Blüte des AHeldentiedes bet den Sranten — nach 
der berrfchenden Anfiht — fallt. Wenn — was zum mindeften nicht ausges 
fchloffen ft — die Geftalt der auftrafifchen Aönigin Brunhild in Verbindung zu 
bringen ift mit der Entftehbung des Liedes von Siegfrieds Tod, fo würde die Auss 
bildung diefer Dichtung, eines Rernftüdes fränkifcher Aeldenpoefie, ja noch fpäter 
anzufegen fein. Man fommt übrigens etwas in Derlegenbeit, an weldyem fränlis 
fen Surftenbofe man fid) dann die Sänger diefes und andrer gleichaltriger Helden: 
lieder denten foll. In die Umgebung der entartenden Merowinger paffen fie 
fchledht; Ehbilperich, der Enkel Chlodwigs und Partner der Sredegunde, in der 
zweiten hälfte des 6. Jahrhunderts, madıt fchon Iateinifche Derfe (die ficher fchlecht 
waren), und VDenantius Sortunatus, der Iateinifche Hofpoet, tann fic {don 
fpöttifche Bemerkungen über diefe Lieder der „Barbaren“ leiften. 

In dem auftrafifchen, Öftlichen, überwiegend germanifchen Reichsteil haben 
die Sänger der Lieder vom Untergang der burgundifchen Bibicheföhne und Grim: 
bilde Rache, von Brunbild und Siegfried und vom fränlifchen Dietrich ihren 
natürlichen Plat; aber wir haben keine Zeugniffe, die fie uns etwa neben die 
erften Dertreter des Rarolingergefchlechts, neben die Sausmeier Arnulf, Grimoald, 
Pippin, Karl WMartell ftellen. 


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1933, I Paul Zaunert, Die Entwidlung des RarolingersTypus. 9 





Garnichts von Heldenwerk und heldifder Haltung bat die erfte Cat, mit 
der die erften uns gefchichtlich bezeugten Dorfabren des großen Karl hervortreten, 
mit der die Laufbahn der Rarolinger beginnt: der Sturz der Brunichilde, der 
gewaltigen Dortämpferin des Rönigtums. Männlicher als die Manner der königs 
lichen Sippe bat fie ein Leben lang um Wiederaufrichtung einer ftarten Monarchie 
gerungen, ficherlicy dabei auch den Adel ihres Reiches nicht gefehont. Deffen ganzer 
Grimm und Haß richtet fich auf fie. Die Sührer diefer ariftoßratifchen Begnerfchaft, 
die Vollftreder diefes MHaffes und Dernichtungswillens find Arnulf von Meg 
und Pippin, die Häupter der beiden mächtigften Sippen im auftrafifchen Adel; fie 
nehmen die günftigfte Belegenbeit wahr. Eben treibt die Rivalität zwifchen 
Brunidild und dem Rönig des Wieftreiche, dem Sohn ihrer Todfeindin Sredes 
gunde, zur Entfcheidung. Was wird gefcheben, wenn Brunidild fiegt? Dann 
wird der Adel berbalten müffen. Lieber läßt man es fich einen Treubruch Eoften; 
angefichts der Seinde verweigern fie der Königin den Beborfam, liefern fie dem 
Gegner aus, fie wird auf graufame Art hingerichtet. 

Alfo Derrat, Selonie, in der Heldendichtung böchftens die unrubhmlide Rolle 
des Gegenfpielers, des Gegenpols vom KYeldentum, damit beginnen die karolingis 
fen Stammvater — wenn man die Sadye von der germanifchen, beldifchen Ethil 
ber betrachten will. Auch jene verwilderte Feit kennt noch den Begriff der Ebre, 
der Standesehre; aber das germanifche Hcldentum verblaßt, und diefe Aktion liegt 
im wefentlichen überhaupt fehon im Araftfelde ganz anderer Motive; die beiden, 
Arnulf und Pippin, vertreten eine Rlaffe, find einftweilen nichts als Alaffe, 
Standesegoismus. Man fiebt es auch an dem, was folgt: der auftrafifche Adel 
war durch jenen wohlberechneten Treubruch nicht nur der alten Gewaltherrin auf 
immer ledig geworden, er taufchte dafür auch einen König — eben jenen des Wefts 
reiches — ein, der fein Regiment mit Zugeftändniffen beginnen mußte. 

Ja er mußte fogar den Auftrafiern in feinem jungen Sobne Dagobert einen 
eigenen Rönig bewilligen, und zwar — bier beginnt der neue entfdeidende Anfag 
in der Rarolinger-Befhichte — mit Arnulf und Pippin als Ratgebern; Arnulf 
als Bifchof von Metz zugleich erfter geiftlicher Würdenträger, Pippin als Haus» 
meier — „nicht aber wuchs deffen Macht erft durch dies Amt, fondern umgelehrt 
das Amt dadurch, daß folde Manner, die erften an Kraft und DBefit, es inne 
batten“. Aber doch begann damit die Sonderftellung, die Loslöfung von den 
Standesgenoffen. Im übrigen ift ganz richtig, es tam darauf an, was man aus 
diefer Stellung zu madyen wußte. Der junge Merowinger bat feinen beiden Ziebs 
pätern Arnulf und Pippin alle Ehre gemacht, es wurde aus ibm der ,,gute Konig 
Dagobert‘ der Dolksfage, der letzte tatträftige Wierowinger. Er wurde fogar fo 
tuchtig und ftart, daß ihm des Rates feiner beiden Ratgeber zu viel wurde und 
er auf ihre ftarke ftugende und leitende Hand verzichtete. Pippin wurde aus 
Auftrafien verwiefen, Arnulf ging in ein Rlofter. 

Wir haben uns diefe Srublarolinger, diefe Arnulfe und Pippine und Gris 
moalde und wie fie fonft beißen, als Männer zu denken, die um die Handel und 
Großen diefer Welt gut Befcheid wußten — eben wie wir es von dem Hausmeier 
Hagen am Burgundenbofe hören —, dazu ficherlich als gute Reiter und Jäger, 
als fcharfe und ausdauernde Sechter, rafche und beredte Leute — fonft wären fie 
nicht die erften im Srantenadel geworden. Auch waren fie Huge Wirte und Mebrer 
ihrer Güter, von Arnulf wird ausdrüdlidy gejagt, daß er fich in der Derwaltung 
der Domänen bewährte. denn bei ihrem Typus auf das Hausmeiertum Hagens 
in der Llibelungenfage bingewiefen wurde, müffen wir uns darüber Bar fein, daß 


10 Doll und Kaffe. 1933, I 





fie mit ibm, außer der Stellung, im Charalter nur die Klugheit, Araft und 
Sherrfchfucht gemein haben; es feblt bei ihnen ein Wefentlides, was den Haus⸗ 
bofmeifter Hagen adelt, das lebendig=perfönliche Derbältnis zu den Rönigen, die 
Treue des Gefolgsmannes zum Gefolgsberrn und zur Königsfippe, für deren 
Ebre und Anfeben er mit feinem ganzen Leben einftebt. In den Händen der Karos 
linger werden die fränkifchen Könige zu Schadhfiguren, das Rönigtum zu einer 
Ruliffe. | 

Arnulf ftarb in der Rlofterftille, die Sippe wuchs weiter. Die beiden Männer 
und Samilien batten fid) nod fefter verbunden und ihre Stellung dadurdy vers 
ftärkt, daß Arnalfe Sohn Anfegifil eine Tochter Pippins heiratete; es war reines 
Srantenblut, das bier 3ufammentam. Zwar diefes Paar felbft erfcheint nur als 
Durdgang der Entwidlung. Als Anfegifil in Auftrafien für das Unterfonigtum, 
das dort nur Dauerdeforation wurde, die Subrung der Gefchafte ubernabm, war 
es wohl nur die Sippe, die ibn emportrug; von fonftigen Taten und Derdienften 
wenigftens wird bei ihm nichts berichtet. Aber dann wird in dem Gefchlecht der 
Auftrieb fchon fo ftart und jäab, das Planen fo kühn und weit, daß ein einzelner 
tattrdaftiger Mann vorwegnebmen will, was erft nad) einer Arbeit von drei Ges 
Ihlechterfolgen gelang. Anfegifils Schwäber, Pippins Sohn Grimoald, nad Bes 
feitigung eines Rivalen Hausmeier geworden, durch alle auftrafifchen Lande bin 
gewaltig, läßt den Enkel des guten Dagobert zum Mönch fcheren und in ein 
irifches Rlofter fcbaffen, und ruft feinen eigenen Sohn zum Könige aus. Dafür 
aber reicht, wie wir beute fagen würden, die auctoritas feines Haufes und feiner 
Stellung nody nicht aus, dafür empfindet ihn die Ariftokratie noch zu febr als einen 
ibresgleiden. Er wird mit feinem Sobne an Fleuftrien ausgeliefert und in Paris 
hingerichtet. 

Man findet es Sfter bei einer aufftrebenden Sippe, daß eine Linie in zu 
ftciler Rurve binsufwill, worauf dann jäber Abfturz folgt. Grimoalds Sall 
brachte zunächft einen fchweren Rüdichlag für die ArnulfingersPippiniden. Zudem 
kam gerade damals im Weftreiche Meuftrien ein Hausmeier von großer Tatlraft, 
angeblich niederer Herkunft, empor, deffen fid) aud) das Oftland nur mit Mie 
erwebren konnte. Uber eben diefe Gefabr brachte die Arnulfinge wieder in die 
Subrung; ihr befter Mann ift jegt der „mittlere“ Pippin, Unfegifils Gobn, der 
Blut und Befig Arnulfs und des alten Pippin in feiner Perfon verband. Zum 
Zeichen, daß bier eine neue Feit anhebt, befcaftigt fic aud) die Gage lebbaft mit 
ibm: faft noch ein Rnabe, beißt es, überfällt und erfchlägt er Bundowin, den 
Mörder feines Vaters; da eilen die Edeln des Landes herbei, jubeln ihm zu, küren 
ihn zum Sübrer. Die Gefcbichte weiß nichts anderes, als daß fein Dater Anfegifil 
eines natürlichen Todes geftorben fei. Aber fon Paulus Diaconus vernabm am 
Syofe Karls des Großen die Sage über diefen Altervater Pippin, daß er einft, nur 
mit einem einzigen Anappen, über den Rhein gezogen fei und dort feinen Seind 
mitfamt Gefolge im Bette getötet babe. Das alfo ift ein Mann nad dem Herzen 
dec Sranten. Sdnell zufabrende, den Gegner überrafchende Rühnbeit, fo will die 
Sage lehren, befaß er wie nur je einer. 

Zugleich befaß er Befonnenheit, das unbeugfame Bebarren, welche, nachft der 
Rübnbeit, das Glüd anzieben. Go wberftebt er anfanglide Migerfolge, paktiert 
zum Schein, wartet ab, nugt tlug Samilienzwift bei den feindlichen Machthabern, 
führt zur rechten Zeit den entfcheidenden Schlag. Zeigt aber auch im Erfolg nod 
EHuge Mäßigung, läßt denen im Weftreiche ihren eigenen Hausmeier und ihren 
merowingifchen Scheintönig, einftweilen. 


1933, I Paul Zaunert, Die Entwidlung des Rarolinger-Tppus. 11 
nee —— 


Sier beginnen nun die Srauenrollen im Rarolingerbaufe. UAnsfled, aus einer 
vornebmen Samilie im Geinegebiet, die Witwe des neuftrifchen Hausmeiers 
Waratto, tlug und männlich=bart, dabei kirchlich gefinnt, bat die Lriederlage ihrer 
Sippe erlebt, die ihr eigener Schwiegerfohn Berchar, als Hachfolger ihres Mannes, 
durch Leichtfinn und Unfähigkeit verfchuldete. Kun näbert fich der fiegreiche Pippin. 
Rurz entfchloffen läßt fie den untüchtigen Zidam fallen, forgt felbft dafür, daß er 
aus dem Wege gerdumt wird; und Pippin findet es vorteilbaft, diefe Schwiegers 
mutter zu übernehmen und einen Sohn in die Samilie einbeiraten 3u laffen. Aber 
nicht dies ift die Hauptlinie, die die Entwidlung des Pippinifch: Arnulfingifchen 
Gefchlecdhtes weiterträgt. 

Die Mutter diefes und eines zweiten legitimen Erben, Plettrudis, mußte den 
Batten eine Zeitlang mit einer Flebenfrau teilen, der fchönen und edelgeborenen 
Chalpaida. Polygamie kam nicht nur im Aönigsbaufe, auch beim Adel von alters 
ber vor. ft alfo zunädft nicht als befondere Ausfchweifung zu werten, in der 
etwa die Rarolinger den Merowingern gefolgt wären. Eine ftarte Sinnlichkeit 
allerdings ift auch bei ihnen unverkennbar. Doc finten fie bei der Wahl ihrer 
Srauen im ganzen nicht fo herab wie die Merowinger, zeigen größere Inftinkts 
ficherbeit. Bei alledem trugen die balblegitimen oder unebelichen Liebenverbins 
dungen und deren Sprößlinge immer wieder Urfachen zu Streit in das Rarolingers 
baus, die felbft in den Zeiten der größten Befeftigung der ausmacht, unter Karl 
dem Großen und vorber unter feinem Vater Pippin noch zu Derfhwörungen und 
Unruben führten. Jn diefem Salle bier, bei der Chalpaida, freilid) erwuchs daraus 
für das Haus eine große Zeit. 

ine fpätere Sage erzählt: „Als aber Alpaidis [Chalpaida] geboren batte, 
eilte ein Bote zum Aönige [d. b. Pippin], ibm die Mär zu bringen. Da er ihn 
aber mitten unter den deln und bei feiner Gemablin [Plektrudis] figen fand, 
fprady er: ‚Seil dem Rönige, denn er [es] ift ein Karl!‘ und gab ibm unter foldyen 
Worten verbüllt zu verfteben, daß Alpaidis ihm einen fchönen Sohn geboren habe. 
Denn in der Sprache des Volkes bedeutet Rarl einen kraftvollen Mann, ftart an 
Bliedern. Und es antwortete der Rönig: „Kin guter Llame ift Rarl!“ 1) 

Ein Zug, der ganz gut in einer altfranzöfifchen Sable fteben könnte. 

Diefe Chalpaide ift die Stammutter der nun folgenden großen Rarolinger. 
Ihr Sohn ift Rarl Martell. Jn ibm lebt Pippin fort, nur gefteigert. 

Plektrudis fetzte durch, daß er bei der Erbfolge übergangen wurde, obwohl 
die beiden ehelichen Söhne vor dem Vater ftarben. Aber die Llatur hatte ja ges 
rade ihn, den „Larolus“, den fchonen Eraftoollen Mann, zum Klacdhfolger ausge: 
rüftet. Lladh Pippins Tode von der Pleltrudis gefangen gefett, entjpringt er der 
aft, fammelt Anhänger, die erften Sehlichläge machen ihn nicht irre, er überfällt 
die fiegreich heimlehrenden Fleuftrier, ftebt im nächften Jahre wieder fampfbereit, 
macht gleichwoblerft ein Sriedensangebot, dann aber fchlägt er zu, macht Auftrafien 
wieder frei, wirft die Kleuftrier nieder; deren königlichen Schatz nebft Rönig aber 
bat ein Derbündeter, der Syerzog von Aquitanien mitgenommen; Karl rubt nicht, 
bis er beides bat. Den Konig fest er auf den Chron, aud von Auftrafien, wo 
gerade der eigene mit Tode abging; und als auch der neue ibm wegftirbt, nimmt 
er deffen Sohn zum Konig. — 


1) Das Derftedfpiel in den lateinifcben Worten des Boten: ,quia est Carolus“ 
läßt fich deutfch nicht vollftändig wicdergeben; für den uneingeweibten Zubörer befagen fie: 
„denn er ift ein Rarl”, alfo eine SHuldigung fur Pippin. Diefer allein verftebt den wabren 
Sinn, fängt den Ball auf und gibt ibn zurud, indem er für das Rind zugleich den Llamen 
mitgibt. 


12 Doll und Kaffe. 1933, I 





Auch das eigene Haus, die aus den Sugen geratene Pippiniden:Samilie, ham: 
mert er wieder zufammen. Pleftrudis, deren Machtgelüfte das ganze bisherige 
Rarolingerwert noch einmal in Srage geftellt batten, muG den vaterliden Schag 
ausliefern, und endgültig abdanten. Zwei ihrer Enkel „wurden eingelerkert, einer 
ftarb“, notiert die Chronik. Ein dritter, der nur geiftlichstirchliche Meigungen 
zeigte, wurde mebrfadher Bifchof und Abt. 

Alles was dem fräntifchen Reiche, oder — was desfelbe ift — Rönigtum 
einft in der erften KHöhezeit angehörte, forderte er zurüd, die Reichseinheit, die 
Piebenlande, Thüringen, Alemannien, Bayern; die Sacdıfen und zumal die Sriefen 
betommen feine Hand fchwer zu fühlen. Seine auptarbeit leiftete er doch in der 
Zufammenfügung der galloromanifchen Lande um Seine, Loire und Rhone. Jm 
ryerzen Srantreichs, in St. Denis, ift fein Grab. Und dem franzöfifchen Rernlande 
galt auch feine berühmtefte Tat, die große Araberfchlacht. Sie bat ibm den Ebrens 
namen eines Dorkampfers und Erretters der Chriftenbeit eingetragen. Aber er bat 
aud) wobl bier vor allem einfad fein AHausredht gewahrt und die Cindringlinge, 
modten fie berfommen, wo fie wollten, binausgeworfen. Bei der Kirche feiner 
Zeit war er eber in Ungnade, denn er nabm vom Rirchenvermögen zur Ausftattung 
feiner Rriegsleute, übte diefe „Zwangsanleiben‘“ großzügig, weit mebr als früber 
je gefcheben war; er brauchte ja auch weit mehr Ariegsleute. Gegen lirchliche 
Reformwünfche verbielt er fih kühl. Dem „ilferufe des Papftes gegen den tats 
kräftigen Langobardentonig Liutprand leiftete er nicht Solge. Er will nicht das 
in langer Rriegsarbeit Errungene für ein fo ungewiffes Unternehmen aufs Spiel 
fegen. Er ftebt in gutem Einvernehmen mit dem Langobardenkönig. Nicht etwa 
aus irgendwelchen germanifchen Bemeinfchaftsgefüble heraus, fondern weil ibm 
der tüchtige Klachbar gegen die Mauren helfen konnte. 

Wie tommt es, daß von diefer gewaltigen Sübrerperfönlichkeit, in der das 
Gefdhledt einen Hohepuntt der Entwidlung erreicht zu haben fchien, fo wenig im 
Bewußtfein der germanifchen Volker haften blieb? Man fagt, die Erinnerung des 
Volkes, die Sage verfhmolz ihn mit feinem Entel gleichen Klamens, Rarl dem 
Großen. Aber auch in diefer Derfdmelzung und Typifierung, in der alfo das fur 
das Dollsbewuftfein Wefentlide des Rarolingertums und feiner Caten gefaßt ift, 
lebte er faft nur auf franzöfifchem Boden fort. Auch uns Heutigen feblen völlig die 
inneren Beziehungen zu diefer Geftalt, es webt uns etwas Sremdes, merkwürdig 
Rubles bei ihr an. Ylicht der zeitliche Abftand macht das; fondern der räumliches 
voltbeitlide. Diefe Rarolinger find uns zu weit nach Welten gerüdt. 

In diefer weftlichen Welt, in die fie bineingingen, konnten fie, trot ihres uns 
zweifelhaft germanifchen Blutes, nicht bleiben, was fie von Haus aus waren. Dies 
£and von den Pyrenden 3um Ranal batte, fehon damals, fein eigenes Lebenss und 
Bildungsgefeg. Cin Mifdvoll, eine Mifchkultur gewiß, die verfchiedenften les 
mente finden fich darin. Da ift die bildungsftolze gallordmifche Ariftoßratie der 
„fenatorifchen“ Samilien mit alten Traditionen, fie bat fich erftaunlich 3&b-lebenss 
fähig, verjungungsfabig erwiefen, fich mit der chriftlichen Syierarchie verfilzt. Und 
neben Brichifch Römischen begegnet Örientalifcbes; Armenier, Juden, Sprer nefters 
weife, namentlich die legtgenannten, die nicht nur als Bleine und große Gefcbaftss 
leute, auch als Gelehrte vortommen, ja bis in die bifchöflichen Amter dringen; und 
mit dem Möndhtum fam aud) wieder neuer Orient. — Bei allem aber fchlägt 
doch immer wieder der alte gallifde Boden und Vollsgrundftod durd), fogar eine 
alte Bildungsgefchichte druidifcher Herkunft läßt fich erkennen, erbält fich irgendwie, 
in Anpaffung an Römifches, Chriftliches, Sränkifches, in der Schulung des Dens 


1933, I Paul Zaunert, Die Entwidlung des RarolingersTypue. 13 
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tens und der Rede, getragen von der Viaturanlage des redefreudigen Galliers. in 
elaftifches, ftark formal begabtes Dolfstum bildete fic. Auch germanifches Blut 
fog diefer alte Dollss und Kulturboden reichlich auf. Die Merowinger bradıten 
militärifch, politifch, fozial, rechtlich viel Sräntifch-Bermanifches binein, auch das 
verfhmolz mit dem Cinbeimifden. Im Ylorden und Often des Reiches bereitete 
fic, in engerer Berührung mit dem chriftlichen Angelfadfentum, eine neue, mebr 
nordifch beftimmte Weife in Bauen und Denten vor, damals aber noch an übers 
kommene Sorm gebunden, noch nidyt eigener Sormgebung mädtig. 

In diefe Welt treten die Rarolinger, berufen, fie neu zu ordnen, zu regieren. 
Sie bringen ein ausgefprodhenes SHerrenbewußtfein, große Serrfchergaben mit. 
Aber zu fehr müffen fie dabei den Boden beimifchen angeftammten Vollstums 
verlaffen, zuviel innerhalb eines andersartigen Dollstums, einer anderen Rulturs 
welt arbeiten. Je weiter fie fic von ihrer altfräntifchen rbeinifchen Grundlage ents 
fernen, je weiter fie nach Weften, nach Lleuftrien, Aquitanien geben, um fo weniger 
begleitet fie angeborene germanifche Art und Rede, germanifde Luft. Ihe Res 
gieren, ihr politifches Denken kann fidy nicht mehr in ftändiger Berührung, in 
ftändiger Wechfelwirtung mit dem „diutisten‘“, „völkifchen“‘ DWefen und Leben 
vollziehen, fie können aus dem frantifden Reichsbeamtentum nicht mebr in ein 
germanifches Dolkslönigtum bineinwacdfen. Ihr Tun und Denten wird, weil 
es ja zweifpradhig werden muß, immer wieder überfegen muß, febr fcharf ges 
fcliffen, febe wad, aber aud) — weil es foviel in fremden Element fich bewegt, 
daG es fich aneignen, benutzen, beberrfchen will — 3u abgefondert, 3u bewuft, be- 
rechnet, einfeitig verftandesmäßig; ihre Politik wird Technik, Sdhulung im Macht⸗ 
tampfe. €e erbt und fteigert fid) im Befchlechte der Arnulfinger diefe Übung, dies 
Bönnen im politifchen Spiel; bei aller ftürmifchen Tatkraft der Bli für den richs 
tigen Zeitpuntt, die Sähbigkeit, die Dinge reifen zu laffen, die Mächte, Kräfte, Realis 
täten, mit denen man zu tun bat, abzufchägen und zu nuten, nicht nur Domänen, 
Zinsleute, Schaglammern, Zahl der Pferde, Lanzen und Säufte, aud geiftige 
Mächte, Gewicht der Rede, moralifhe Wirkungen. Aber man arbeitet nicht ans 
dauernd in einem fremden Element, obne nad und nady febr viel davon in fidh 
aufzunehmen. 

Syaben wir fo den Standort des Rarolingertums in der Dölkergruppierung 
des Uhendlandes, den befonderen Sührer: und Regierertypus und feine Ausrichtung 
und Ausrüftung, die fih von da aus ergaben, erlannt, fo werden wir auch die 
Leiftungen und Perfönlichkeiten der nun folgenden Gefdledter richtig einfchäten. 

Rarl Martells Söhne, Rarlmann und Pippin, unter die der Vater das Reich 
wie einen Privatbefitz geteilt batte, geben wic fertige Männer ans Werl. Kein 
Bruderzwift beim Regierungswedfel, wie fonft fo oft in der Srantengefcdidte. 
Eintradtig tampft man Unrubeftifter und triegsluftiges Grenzvoll, die bei folder 
Oelegenbeit fich regen, nieder. 

Aber fcdbon nad fechs Jahren wurde dem älteren der beiden Brüder, Rarl: 
mann, die Rüftung des Rarolingers zu fhwer; er befchloß in ein Rlofter zu geben. 
Die einen fagen, er fei von jeber geiftlidem Wefen febr geneigt gewefen, die 
anderen, die Reue über die Braufamtleit bei der Lliederwerfung des legten Ales 
mannenaufftandes babe ihn zu dem Entjchluß gebracht. Er ließ fi in Rom zum 
Mond fcheren, und erbaute fich ein Rlofter auf dem Monte Goratte; da er aber 
aud) hier noch von fräntifchen Pilgern aufgefucht und an fein früberes Herrſcher⸗ 
tum erinnert vourde, verließ er feine fromme Stiftung und fam unerlannt nad 
Monte Taffino. Alles wollte er hinter fich laffen, Welt und Reich und Rarolinger: 


14 Volt und Kaffe. 1933, I 





tum. Sogar feinen Klamen foll er verfehwiegen haben, niedrige Dienfte getan, 
Prügel vom Rloftertoch für ein Derfeben geduldig bingenommen baben. 

Fyier zeigt fich, daß in der feeclifchen Struktur der Rarolinger etwas nicht 
ftimmt. Der Machtwille bat fid fein Organ in einer einfeitig nach außen ges 
wandten harten und burtigen beweglichen Intelligenz und Aktivität gefchaffen. 
Etbifchereligids dagegen feblt es an cigner Entwidlung. Wo die große Klaturkraft 
verbraucht ift, die Lierven verfagen, bleibt, völlig ungermanifch, nur die Slucdht vor 
dem Selbft in ein Afyl, das orientalifche Weltverneinung erfand. 

Pippin, AlleinsSyerr im Reiche, fieht, die Zeit ift reif für den Schritt zum 
Rönigtum, die Herrfcherftellung feines AHaufes bedarf noch des ficheren rechtlichen 
Unterbaues. Das Mittel und der Verbündete dafür, die Weibe durch die 
apoftolifche Gewalt Roms, find in Sinblid auf pfpychologifche Wirkung, für den 
nädıften Zwed, richtig gewählt. Daß die Begenleiftung, die Hilfe, die man dem 
Papft gegen den Langobardentönig gewäbrte, die fräntifche Politik in die italifchen 
Dinge verflodht, und wozu das führte, das glaubte man der Zeit überlaffen zu 
können. Yiod weniger naturlid) madte man fid) Gedanten daruber, daG die Ere 
richtung des Rirchenftaates, zu der man dem römifchen Bifchof verhalf, die Bes 
gründung des italienifchen Klationalftaates vereitelte, zu der fic eben damals die 
£angobarden anfcidten. 

Ein Warner Comme, den man nidt erwartet: der Möndy Rarlmann, von 
feinem Abte, der alfo gegen den Papft für den italienifchen Rönig arbeitet, gefandt, 
den Langobardentrieg 3u widerraten; wobl aud in Sorge um das Erbredt feiner 
Söhne kam er. Pippin gebt über den Bruder binweg; läßt ibn zu Vienne im 
Klofter in feftem Gewabhrfam balten, die Söhne zu Mönchen fcheren. Während 
der Rönig nad) Ftalien aufbricdt, ftirbt der Mdnd in Vienne. 

Pippin leiftet dem Apoftelfürften zu Rom fo viel, als nötig, fein Wort eins 
zuldfen. Den weiteren Streitigkeiten zwifchen Papft und Langobardentdnig fiebt 
er mit Oelaffenbeit zu. Die Lleuordnung des tirdliden Lebens im Stantenreiche 
felbft führte er, obne Mitwirkung des Papftes, energifch weiter. Die Synode frans 
kifcher Bifchöfe tagt unter Vorfig des Aönigs Pippin. Go batten ja fehon die 
erften Wlerowinger begonnen, die gallifhe Provinzlirdhe in ihren Staat einzus 
bauen — wie fhon in beidnifch germanifcher Zeit der Bau: und Stammesbäupt- 
ling und Konig zugleidy Leiter des Kultes gewefen war. Pippin nimmt bier alfo 
altes Herfommen wieder auf; verfäbrt nach alter germanifcher Recdhtsanfchauung. 
Aber das betraf nur eine Stage der Sorm, der BOrganifation, der Herrſchaft. 

Im Übrigen gebt er, der Zögling des Rlofters St. Denis, anders als der 
nody halb heidnifch gezeugte fils naturel Karl Martell, religids mit dem criftlid: 
fircylichen Zuge der Zeit, Bug, wachfam dabei; eiferfüchtig fein neues Rönigtum 
butend. 

Gonft gilt die HYauptmübe feiner Rönigszeit — act reerfabrten — dem 
fudweftlichen Reichsteil, Aquitanien; bier wird der Sonderwille gebrochen — und 
damit dem fpäteren franzöfifchen Staat weientlich vorgearbeitet. 

Pippin gab den Rarolingern das Rönigtum, und das dhriftlichskirchliche Dors 
zeichen; die Umriffe des „christianissimus rex“ fpäterer Zeit, „der allerchrifts 
lichen Majeftät‘‘ der Sranzofenkönige, deuten fich an. Wobei der Ton zundchft auf 
dem Rer, der Majeftät, liegt. 

Und nun endlich der große Karl, der zweite „carolus“ des Gefchlechts. Wie 
er die ererbte Rarolingifche Politik folgerichtig weiterführt, bis an die Grenzen des 
Moöglichen führt und fo vollendet, vollendet er auch den Rarolingifchen Typus. 


1933, I Paul Zaunert, Die Entwidlung des Rarolinger-Typus. 15 
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Schon bei feiner erften großen Aktion zeigen fich die ererbten Sähigkeiten und 
aud die Grenzen, wie er die vom Vater angefponnene Auseinanderfegung mit den 
Kangobarden durdfidt. Erft Stiedensangebot — gerade fo fing {don Pippin, 
ſchon Karl Martell folde Handel an — dann aber, als das nicht angenommen 
wird, Dorgeben mit aller Madt (gerüftet war man fdon); überlegene Rriegs 
fubrung er3wingt den Eingang nach Italien, das langobardifche Aödnigtum wird 
zertrümmert, ohne daß es gelungen wäre, an die Stelle des Zerftörten etwas 
Befferes, den organifden Fleubau Gefamtitaliens, zu fetgen; rechtzeitig aber auch 
ift man in Rom, um 3u verbindern, daß der Papft die Trümmer für feinen Rirchens 
ftaat zum Ausbau benutt. 

Während der Water fid mebr auf der Weftfront des Rarolingertums bes 
wegte, von uns aus gefeben, mebr draußen, wächft Karl wieder mebr ins deutfche 
Dollsbewuftfein hinein, bält fid mebr an die germanifde Bafis feiner Haus: 
madt, verbreitert fie nod) nad) Deutfdland binein. Aber es war das Tragifche, 
808 Verhängnis, daß das einzige Befetz feines Handelns aud nach diefer Seite bin 
fur ibn aus der ererbten Macht und ibrer Dollendung fich ergab; daß der Raros 
linger, der nun inftinttiv germanifdes Dollstum fuchte, um feine Macht fefter 
wurzeln zu laffen, nur in der Rüftung des Eroberers fommen konnte, daß er gegen 
das Deutfchland, auf das es ibm vor allem antam, Fliederdeutfchland, Alteftes 
Deutfchland, nun jene Technik der Politik, jene Methoden fpielen laffen mußte, die 
fic der Srante in der Sremde, bei der Aufrichtung feines Broßreichs auf ehemals 
römifchen Boden in der Bemeifterung von Widerfachern und überhaupt polis 
tifchem Stoff aller Art angeüubt und angewöhnt hatte. Die Unterwerfung Sadıfens 
ift Adchftleiftung diefer karolingifchen Politik, ein Außerftes an folgerichtigem 
Madhtwillen, der nie um Mittel verlegen ift und vor furdhtbarfter Brutalität nicht 
zurüdichredt. Diefe Politi? ift getennzeichnet durch die graufige Schlächterei bei 
Derden, und in ihrem letzten Abfchnitte durch die Maffenverfchleppungen; ganze 
Gaubevdllerungen werden aus einem Boden berausgeriffen, mit dem fie in mebr 
als zweitaufend Jahren verwurzelt waren. Man bat zur Rechtfertigung deffen, 
was bei Derden gefhab, wohl gefagt, „für den mittelalterlichen Menfchen fei der 
Rampf gegen die Heidenfchaft ein Rampf der chriftlicden Obrigkeit gegen das Reich 
des Teufels‘ — und die Götter, um derenwillen die Sachen fic fchlugen, werden 
ja in dem altfächfifchen Taufgelöbnis in einem Atem mit dem _ ,,diobole“, dem 
diabolus genannt. 

Aber das zeigt ja nur noch deutlicher, wie fehr fich diefes Srankentum fchon 
der germanifchen Wefensrichtung entfremdet batte. Eine unter ganz anderem 
Himmel, auf ganz anderem Boden entftandene Denkweife wird bier von ibm 
übernommen und in die organifche Entwidlung des germanifchen Denkens bineins 
geteilt: das dualiftifche Prinzip, das die eine Welt in zwei feindliche Lager aus» 
einanderllaffen läßt, in ein Reich Chrifti und ein Reich des Bofen, und legterem 
alle heidnifchen Bättergeftaltungen zuteilt als Trugbilder Satans, Machinationen 
diefes Begenfpielers Gottes. Banz entgegen sem Weltbilde, wie es fic dem 
Germanen geftalten wollte, dem alles ein Wachfen und Werden war, die Götter 
und Gottesvorftellungen organifde Bildungen, an ibrem Ort und in ibrer Zeit 
wirtli und wefenbaft, und für eine Zeit dafeinsberedtigt; Bsttergefchlechter 
und Religionen Pbafen des WDeltwerdens, für deren jede, wenn neuer Glaube 
weacfen foll, erft Same geftreut, eine Saat geduldig gepflegt fein will. Wie 
weit ftebt die heutige Jwangs: und Maffentaufe, die Karl an den Gacfen ver: 
übte, ab von dem gelaffensftaatstlugen Befchluß der isländifchen Boden auf dem 


16 Doll und Raffe. 1933, I 
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berubmten Althing vom Jabre 1000, wonad dem Chriftentum Eingang gewährt 
wurde. Weil man es um foldye Sragen nicht zu Blutvergießen und Bürgerkrieg 
kommen laffen wollte, und man eine Zeitwende in den Glaubensdingen fpürte. 

Rübn und großartig fhien das Planen des Sranken fur Jahrhunderte, im 
Gefühl gewaltiger Kraft greift er nach dem Größten, was die abendländifche 
Tradition ibm entgegentrug, dem rdomifden Cafarentum und der dhriftlichen Hiers 
ardie; beides will er mit feiner fräntifchen Ronigsmadt 3u einem criftliden 
Imperium, einem Gottesftaat 3ufammenfugen. Aber es find von vornberein Kons 
ftruftionsfebler in feinem Bau. ict nur zwifchen dem Chriftentum und dem 
Staat, der feiner Herkunft und Klatur nad ein Seide ift, tut fich ein Rig auf; 
auch zwifchen Imperium und Voltstum. Zwifchen der Spige diefes Weltreiche 
und dem Sonderleben in Landfchaft und Gau, das allerorten fid jugendfrifd und 
naturbaft regte, entftand leerer Raum; das Jnftitut der missi dominici, der 
zwifchen Regierungsmittelpuntt und Landfchaft pendelnden Rönigsboten, ift ein 
Erzeugnis des Baiferlichen Mißtrauens, ficheres Zeichen der mangelnden Sublung, 
vergeblicher Derfudy, die Leere auszufüllen: es fehoben fich bereits Papier, Schreibs 
wert und Kontrollbebdorden an die Stelle des lebendigen Wortes und des eins 
fachen natürlichen Treueverbältniffes. 

Und weiter: der Kirche wird in Rarls Plan die Rolle zugeteilt, die Völker, 
die im Imperium vereinigt find, zu erziehen. Die Beiftlichen werden Staatsdiener, 
Beamte in feinem Gottesreiche. Diefe Kirche aber ift auf nicht germanifchen Boden 
entftanden, fie fpricht eine dem Germanen fremde Sprache, der Geiftlidhe gers 
manifcher Sertunft muß fie erft mübfelig erlernen. Alle die böfifche Poefie, Ges 
lehrſamkeit, Alaffiterleftüre und fchöngeiftige Unterhaltung der Tafelrunde und 
Akademie Rarls, der Pflanzfchule und geiftigen Zentrale des Reiches, war ja 
lateinifches Ererzitium für diefen Zwed, in die Lebrfchriften der chriftlichen Kirche 
einzudringen. Auch bier, im rein Beiftigen, bewegt fich das Rarolingertum über: 
wiegend in einem außerpolkheitlichen, übervolkheitlichen Clement, in einer inters 
nstionalen Sphäre, beftrebt, fie fich anzueignen, zu bemeiftern. Karls reger Wifs 
fenstrieb ift befannt, und fo treibt fein gewaltiger Wille auch die unter feiner 
Ayerrfchaft vereinigten Völker auf diefem Wege weiter, der für die germanischen 
ein mübfeliger Umweg wurde. Am unmittelbarften gewannen die Romanen 
davon. 

Rarl lernte das Lateinifche fo gut, daß er es wie feine Wiutterfprache bes 
berrfchte, fagt Einhard. Die Zweifrontenftellung des Rarolingers ift damit trefs 
fend bezeichnet, der Janustopf, deffen eines Beficht den WDelfchen, deffen andres 
den Deutfchen anficht. Die Heftighkeit und Britifche Schärfe, mit der franzöfifche 
Hiftoriter die Glaubwürdigkeit deutfcher Quellen über Rarl den Großen anges 
griffen haben, ift durchaus begreiflih. Wir gefteben ihnen, den Sranzofen, ihr 
Rarolingertum zu; tun es gern; jene Qualitäten, die der fränkifche Eroberer und 
Örganifstor vorzüglich auf gallo-römifhem Boden ausbildete, die politifche 
Routine und Brapour, die Virtuofität der Logit. Denn ihren intellektuellen Elan 
verdankt die franzöfifche Klationalität ja zu einem Teil dem romanifierten Srantens 
tum. Einen Rarl Martell alfo und König Pippin, die ja auch in St. Denis bes 
graben liegen, treten wir ihnen ab. Aber Karls des Großen Grab liegt in rheinifchs 
deutfcher Erde; und es ift kein Zufall; man weiß, Rarl felbft bat diefen Ort, diefes 
Aachen, als Aufenthalt bevorzugt. 

Fier alfo wird die Auseinanderfegung fehwieriger. Rarl ift mit der deutfchen 
Überlieferung bis in die Gegenwart verflodhten. Mit adht Jahren fchon in den 


1933, I Paul Zaunert, Die Entwidlung des KarolingersTypus. 17 
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erften £efebüchern fanden wir die Befchichte von Raifer Rarls Schulvifitation, 
und ein paar Rlaffen weiter lernte man Ublande Balladen von Karls Meerfabrt 
und von Rlein Roland und feinem großen Ohm. Aber die Rarls-Überlieferung 
ift in Deutichland von allem Anfange an zwiefpältig. Der Fliederfachfe mußte 
ibm mit bitterften Empfindungen gegeniiberfteben, die rheinifchefränkifche Aufs 
faffung von entgegengefegten Stammesgefüblen, von Stolz und Anbänglichkeit, 
beftimmt fein. Jn diefer legteren Linie fteht Zinbard. Als er fein Lebensbild Rarle 
zeichnete — dody wohl erft etwa zwei Jahrzehnte nach des Raifers Tode —, bat 
ibm aber nicht nur perfönliche Dankbarkeit und Verehrung für den angeftammten 
Ayerrfcher und nicht nur verklärende Erinnerung die Hand geführt und ihn über 
Sahwidhen und heille Stellen hinweggleiten laffen — er bat fich in der ganzen 
Anlage feiner Darftellung nach den Lebensbefchreibungen der Römifcyen Raifer 
des Gueton gerichtet, dergeftalt, daß er für die Charakteriftid deffen Typen nachs 
abmet und faft nur foldye Züge mitteilt, foldye Seiten der Perfönlichkeit ins Auge 
gefaßt, auf die er durch fein Dorbild aufmerlfam geworden ift; ja er übernimmt 
von ihm und andern römifchen und frübehriftlichsrömifchen Befchichtefchreibern 
auc) die Ausdrüde, und baut feine Sätze nach dem Vorbild Ciceros. ; 

Es ift danad fdwer einzufeben, wiefo man Einhards Darftellung immer 
noch als cin Haupts und Wertſtuͤck deutſcher Biographik mitfubrt. Sie tann 
nur noch als tritifd zu fichtendes Material gelten und Einzelzüge liefern. So 
erfcheint 3. B. durchaus glaubhaft, was Einhard von gelegentlich überrafchender 
Oefühlsweichheit bei Karl berichtet, von beftigem Weinen beim Tode feiner Söhne 
und feiner Tochter und des befreundeten Papftes Hadrian; von übergroßer Nach⸗ 
giebigleit gegen die berrifche Aödnigin Saftrada; von der väterlichen Zärtlichkeit, 
mit der er an feinen fchonen Töchtern hing; er konnte ohne fie nicht leben, und 
fih nicht dazu entfchließen, fie unter die Haube zu bringen; ftatt deffen ließ er 
lieber ftillfchweigend zu, daß fie unebeliche Verbindungen mit Herren des Hofes 
eingingen. ©erade bei ibm, der fic nach außen bin in den politifchen Unternebs 
mungen zu fo furdhtbarer Härte und Eältefter Berechnung fteigerte, wird eine 
derartige, gleichfalls übermäßige Reaktion im Privatleben nach der Gefublofeite 
bin verftändlich. 

Uber gerade das Gefamtbild, wie es Cinhard gab, ift für die Solgezeit febr 
maßgebend gewefen. Die voltsmäßige fagenbafte Überlieferung im fräntifchen 
Stammlande brachte es nicht zu einer gefchloffenen Geftaltung, beftete fich mit 
Dorliebe an Einzelzüge der Perfönlichkeit, wie fie fich in der Heimat in Sriedenss 
zeiten gegeben hatte, und an drtliche Erinnerungen. Im Gefamtgedächtnis und 
sbewußtfein des deutfchen Mittelalters aber trat der biftorifche WOefenszug mebr 
und mebr binter die dee zurud, die fid) mit ibm verband. Den Regierenden ift 
er der Erneuerer des römifchen Aaifertums mit chriftlicher Blorie, der große Bes 
gründer des abendländifchen Gefamtreiches (dem entfpricht ja die chriftlichsrömifche 
Stilifierung bei Cinbard); Barbaroffa, dem das gleiche Ziel vorfchwebt, läßt 
ibn beilig fprechen. 

Und die Regierten, die Gedanken und Wiunfcde des Volkes tnupfen an feinen 
Kamen und feine Geftalt, vor allem die Fee des Rechts. Als deffen Schöpfer 
und Hüter denkt man ihn, als „den beften Richter, den je ein Auge fab, das 
Dorbild und Urbild aller Raifer, von denen man ja immer wieder erwartet, daß 
fie ein Reich des Sriedens und der Gerechtigheit aufrichten. Mit dem gefchichts 
lichen Rarl bat diefe Geftaltung der deutfchen Sage nur noch ihren Anfagpuntt 
gemein, die Tatfachye, daß die zahlreichen Rapitularien Rarle, die Reichsgefetze, 

Dolf und Raffe. 1933. Januar. 2 


18 Volt und Kaffe. 1933, I 
REDE TE IE EEE ELEKTR SETS HEERES Br a — 





Verordnungen und Ausführungsbeftimmungen, die er während feiner langen Res 
gierung ergeben ließ, dem Volke in feinem Llamen verkefen worden waren, fo daß 
fi) im Gedächtnis des gemeinen Mannes mit ihm die Begriffe von Gefeggebung 
und Recht verbanden. Sür Inhalt und Befchebhniffe diefer Sagengruppe felbft aber 
bat die Einbildungstraft des Volles nicht etwa die Motive aus Karls Leben ents 
nommen, fie gibt nicht etwa Beifpiele der Gerechtigteitsliebe und richterlicdyen 
Meifterfchaft des gefchichtlichen Rarolingers, wenn audy in dichterifcher Umbils 
dung, fondern diefe Erzählungen entftammen in ihrem Berne dem reichen allges 
meinen Sagenfcdhate des Mittelalters, der fich zudem noch ftändig durch Fuflug 
aus dem Morgenlande mebrte; wie denn gerade eine der belannteften und eindruds 
vollften Sagen, die von der Blode, die für die Rechtfuchenden aufgebängt wird, 
und von dem Raifer und der Schlange, aus Elementen indifchen Urfprungs ges 
bildet ift. In einem Meiftergefang wird fogar der uns durch Shalefpeare geläufige 
Richterfpruc uber den Juden von Denedig auf Karl übertragen. Man könnte alſo 
in diefer deutfchen Gagengruppe, die den „beften Richter‘ darftellen will, den 
Kamen „Barl‘“ ebenfogut weglaffen und einfach fagen: „der Raifer‘‘ — oder „Srieds 
rich“ oder „Otto“. Ebenfo wie ja auch in der Gage von dem Kaifer, der im Berge 
ſchlaͤft, dieſe Namen abwechſeln. 

Wir werden alſo gut tun, ſcharf zu ſcheiden zwiſchen dem Karl, den der 
Deutſche ſich dichtete, auf den er im Mittelalter ein Wunſchbild vom Raiſertum 
uͤbertrug, den er aus ſeinem Maͤrchen⸗ und Sagenſchatze liebevoll ausſtattete — 
und dem geſchichtlichen, dem Erben Rarl Martells und Pippins, den wir folge⸗ 
richtig zu dieſen beiden ſtellen, zu einem Typus des Franken alſo, der auf gallo⸗ 
romanifdem Boden unferm Vollstum fremde Zuͤge anahm, fo daß er uns weder 
als deutſcher noch germaniſcher Menſch mehr gelten kann. 

Die Reihe der Rarolinger nach ihm, den Abſtieg des Geſchlechts zu verfolgen, 
koͤnnen wir uns erſparen. Wirklich neue Zuͤge wuͤrden dabei nicht zum Vorſchein 
kommen; auch was zum Verfall des hHauſes fuͤhren mußte, ſobald einmal die Hoͤhe 
überfchritten war, ift fehon angedeutet: die ungebemmte Sinnlichkeit, von der auch 
Bari der Große keine Ausnahme machte, wie er ja auch anderfeits feinen famtlicd 
unverbeirateten Töchtern eine Bewegungefreibeit gewährte, die der Auflöfung der 
Gitte bedenklich nabe tam. Und in Solge der vielen Srauen, deren die Rarolinger 
nicht entbebren modten, viel Stiefmütter und Stiefgefchwifter, viel uneheliche 
Rinder, viel Ciferfudt und Erbftreitigteiten; auch leiblidye Brüder aus echter Ehe 
geraten leicht aneinander, denn jedem ftebt ein gleicher Anteil zu, und der Sinn 
fteht bei den meiften nad Macht und Befig. Und endlich, was in dem Selle 
Rarlmanne, des älteren Bruders vom Rönig Pippin, fich fehon vorzeichnet: der 
Machtlultus fchlägt bei fchwächeren Llaturen dann in Mudertum, Zerknirfdhung 
oder völlige Weltflucht um. 


1933, 1 Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Aleflawenwanderungen. 19 
A EEE LP mM DG ee PO SR cD ee TR CR SETS ER 





Urflawenheimat und Altflawenweanderungen. 
Yon Th. Hoffmann, Linz a. d. Donau. 


Mit ciner fHematifden Karte. 
(Schluß). 

Der Augenblid der Abwanderung der Siawen aus ihrem Entftehungsgebiet 
wird fid taum mebr genau feftftellen laffen. Diefe kann auch nicht plöglich und in 
Maffen erfolgt fein, fondern ging gewiffermagen ,,fcleidend vor fic, indem 
anfänglich einige und fodann immer mehr Stämme abwanderten, und zwar, wie 
aud fonft überall, in der Richtung des fhwächften Widerftandes. 

Mit der Abwanderungsrichtung der isUrftammesnamen haben wir uns nad 
ven angeführten Ortsnamen bereits belannt gemadt; ibe folgte, gewif erft im 
zweiten Treffen, diejenige der „Ablömmlinge‘ — der itisYTamen, welde aus fols 
gender fchematifierter Karte 23) zu erfeben ift, und die zugleich ein Verzeichnis ders 
jenigen Ortsnamen enthält, die ebenfalls in Deut{dland vorkommen. 


In Deutfhland (als itzsÖrte) vortommende ruffifhe und 
polmifde altzeitlide it und itisOrte. 
Minft Baranowiti — Baranowig, Oberfdlefien 
" Domanowili— Domnowig, Pofen 

Ljuboniti — Lubnig, a) 
Mallowili — Mallowig, Sdlefien 
Darili — Paris, Schlefien 
SGintewili — Singwig, Sadfen 
Smilowili — Smilowig, Oberfdlefien. 
oo Wollowiti — Woltwig, Pommern. 
Wolbynien Brelewili — Rretfhwits, SadhfensAltenburg. 
Polen Wardau) Latowit — Latowit, Pofen 

w  (Warfdau) Lowit — Lowig, Pommern, £öwig, Pommern, Ldwig, 

Oberfdlefien. 

»  (Petrifau) Ravit — Rawitfh, Pofen. 
Wilna Berefewit — Brefewig, Medlenbucg, Brefewig, Pommecn 

" Kriwiti — Crivig, Medlenburg. 
Witebfe — — Bortowig, Oberfdlefien, Roflowiti — Rofelwig, Obers 

efien. 

Smolenft Ferfhiti — Jerfig, Pofen. 
Twer Otmiti — Ottmüß, Oberfclefien. 
Perm Schabuniti — Schoppinig, Oberfdlefien (mdgliderweife). 


Bei beiden Ortsnamensarten ift die anfängliche Richtung die gleiche — dies 
jenige genau nach dem Florden. Das Urflawengebiet mußte nämlich zu damaliger 
Zeit nad rei Seiten bin (Weft, Sud und Oft) abgefchnürt gewefen fein, was 
wohl mit den bereits angedeuteten Machtverbältniffen in Zufammenbang gebradt 
werden kann. Ebenfo, wie ein gut Teil der Urftämme bierauf weiter nach Liorden 
und Llordweften, längs des Fiiemen und bis zur Windau, alfo fhon in rein 
Iitauifche Gebiete und fogar bis nach Altpreußen binein einfidern konnte, genau 
fo gelang es den „Ablömmlingen“, diefe Landftriche teilweife zu erreichen (ischkis 
Kamen). Das läßt zweierlei vermuten: eine gewiffe, trog der getrennt zurüds 
gelegten Entwidlungswege dsennod erhalten gebliebene Übereinftimmung in Art 
und Sitte und daß die gegenwärtigen £itauer zu einem Teil litauifierte Slawen find. 


28) Diefe Karte umreißt nebenbei auch das Gebiet der Urflawenbeimat. (Die gefperrt 
gedrudten find unmittelbar im Sumpfgebiet gelegen.) 


2* 


20 Volt und Kaffe. 1933, I 





£s ift möglich, daß ein Teil der isYTamen fid) aud) von Litauen aus weiter 
nad Often 3u ausbreitete; der andere Teil dagegen zweigte im Minfker Gebiet 
nach Flordoft und Oft ab und erfüllte fodann die angedeuteten Landftreden bis 


Sch ematische Karte 
Unslavenheimat- 


2 und der 
°ict-Ortsnamen-Wanderung 









r Südiweg DEF) \I 


Oni 
Wähihger 


Lage und Zchlderil-undili-Örte. 


Rotitnos-Gumpfgebiet: 

1. Minfe 43 Orte 

2. Mogilew 10 

3. Wolbynien 10 

4. Rijew 3 

5. Polen 7 

6. Tidhernigow j 

7. Grodno 5 85 Orte. 
Angrenzende Gebiete: 

8. Wilna 4 Orte 

9. Witebjt 7 

10. Smolenft 3 

11. Podolien I 15 Orte. 

Weitere Gebiete: 
12. Pftow 3 Orte 


13. Petersburg 
14. Howgorod 
15. u. 

10. Raluga 
17. Orel 

18. Jaroflawl 
19. Roftroma 
20. Wjatka 
21. Perm 


— — — — be by oe fe oe 


17 Orte. 
Zufammen: 117 Orte. 


— — — 


—— — — 
— N — — u, — 


1933, I Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Aleflawenwenderungen. 21 





zu den Abbangen des Ural. Die itisYiamen nabmen denfelben Weg, bogen 
aber im Gmolenfler Gebiet teilweife nach Süden ab; das Entſtehen der Sje⸗ 
waria.d. Sjewa und dser Sfulitia. d. Sfula auf diefe Weife und ab des Zuges 
nad Often ift nämlich viel wahrfcheinlicher, denn das Übergreifen von deren Dors 
fahren oftwärts über den Dnjepr. Flach Flordoft gelangte der Hauptzug über 
die Rolas Halbinfel bis zu den Geftaden des Td rdl. Eismeeres ÖrtAriwec 
a. d. Woronja) und nad Oft, längs der alten wäringifchen Sandelsftraße bis 
zum Ural und wohl auch darüber hinaus bis 3um Ob (Orte Rriwcy a.d. Kama 
und dftlid davon Sdhabuniti bei Perm). 


II. 


Nach Abwanderung wohl des größten Teiles der Urflawen aus ihrem Ent: 
ftebungsgebiet entftand in bezug auf die größeren Stämme im fpäteren folgende, 
auf die erften gefchichtlichen Berichte gegründete Lage: Die Dre wi (Drewli) faßen 
am oberen Bug I und unterhalb des Pripjet; die Polani am mittleren 
Bnjepr; nordweftlid der Drewi am Bug I die BuZani (Bugani); unterhalb 
der Drewi, in Wolbynien die Dulebi; die Sjewi/Sjewari an der Sjewa 
und weftwärts bis zum unteren SfoZ; darunter die Sfuliti an und zZwifchen 
den Stüffen Sfulea und Sfem; die Rriwili an den Quellgebieten der Dina, 
des Dnjepe und der Wolga (WaldajsGebiet) und fchließlih die Wijatiki 
am Oberlauf der Ola. 

Über die Ableitung obgenannter Stammesnamen find meift irrige Meinungen 
verbreitet. Die Drewi/Drewli werden in Rußland von „drewo — Baum“ 
oder von „drewli — bölzern“ und „drewli — uralt“, die Polani dagegen von 
„polje — Seld“ abgeleitet. Dies widerfpricht jedoch vSllig der bei den Urflawen 
üblich gewefenen Flamensbildungsart. Die Uranfänge der Drewi müffen an einem 
unbelannten Fiebenfluffe des Pripjet begonnen haben (etwa Drwa), deffen Liame 
vielleicht noch vorhanden oder aber verfchollen ift; auch die fpäterhin fudweftlich 
der Drewi auffcheinenden Tiwercy könnten damit in Zufammenbang gebradht 
werden. Ebenfo unfinnig erfcheint es, die Polani von „Geld“ abzuleiten, da es zu 
der Zeit, zumal in jener Sumpfgegend, auf keinen Sall Selder in fo auffallenden 
Ausmaßen gegeben haben konnte, daß fie einem großen Stamm den Liamen bers 
zugeben vermodhten. Jn diefem Salle ift die Löfung leicht: Die Polani waren 
beftimmt die „poslängssdes Lan-(Flebenfluß des Pripjet)Sigen:» 
den“ — „Po-Lan-i* und hatten fic) dann bis zum mittleren Drnjepr ausgebreitet. 
Die Sjewi/Sjewari und die Sfulikti find ficher auf die Sluffe Sjewa und 
Sfula zurüdzuführen, während bei den Rriwiti%4), den Wjatiti und den 
Dulebi wiederum die bezüglichen Stüffe fehlen, die unbedingt vorhanden ges 
wefen fein mußten. denn fie nicht im Pripjets®ebiet felbft auffindbar find, was 
immerbin möglich ift (man könnte 3. B. den PripjetstTebenflug Wit als mit den 
m jatiti verbunden denlen — Wititi), fo müffen fie eben an den neuen Wohns 
ftätten gefucht werden; fo liegt 3. B. der auf die Rriwili zurüdführende Ort 
Rriwec (Pflow) an einem nicht benannten Fiebenfluffe der Schelonj, der mög» 
licher WDeife „Rrwa oder Rriwa — Rrumme“ beißt. Aus der Tatfade, a8 Sluffe 
folden Mamens in jungflawifchen Gebieten befteben (Rriva, 3. Ptinja, 3. Dardar; 
ReivaskLatavica, 3. Bregalnica, 3. Vardar; Rrivaja, 3. Bosna, 3. Gave; 


24) Eine Unterabteilung der Rriwidi, die Poloti / Polotifi, fpätere Polot; 
Zani, faßen an der Polota (Düna). 


22 Volt und Kaffe. 1933, I 
SE gE TS 


Rriwaja, 3. Stanzenslanal, Ungarn) könnte man annehmen, daß wenigftens 
ein folder in altflawifchen Gebiet beftanden bat (oder noch befteht), deffen Kiame 
fodann mit auf die Wanderung genommen worden ift; der Stu Rriwa aus dem 
gleichnamigen See auf der Infel Rolgujew dürfte ebenfalls dafür fprechen. 
Um das Jahr 1000 dagegen batte fich die vorbefchriebene Lage der alten 
flawifchen Stämme fdyon merklich verändert: Die bereits von den Wäringern 
unterjodten Drewi batten ficb von ihren urfprünglichen Sigen aus bis zum 
Dnjepr ausgebreitet; am Oberlauf der Weichfel faßen die Chrobati (Kros 
aten), längs des Dnjeftr die Tiwercy. Die BuZani und die ebenfalls von 
den Wäringern unterworfenen Polani müffen nad Welten abgezogen fein 
(Polen), denn fie werden nicht mehr erwähnt, ebenfo die Wijatiti nicht, die 
nad Öften abgezogen fein mußten 5). Die Sjewari und Sſulidi hielten noch 
ihre alten Wohnpläte, und unterhalb Smolenft, zwifchen den Bnjepr und 
den Öberläufen des SfoZ und der Defna, tauchen sie Radsimiti®®) auf, 
während die Rriwiki fih ab Smolenft und Pftow bis weit nad Flordoft 
und Oft (im Gebiet der fpäteren Republit Groß-LTowgorod, das über den 
Ural reichte) ausgebreitet batten. Don diefer Zeit ab verfhwinden deren Llamen 
aus der Befchichte, und die endgültige SHerrfchaft der Wäringer begann (ab 
$62). Die Kriwili waren die erften, die ihnen unterlagen, die übrigen Stämme 
folgten nach und nach und bis zum Jabr 1015, dem Todesjahr Wiedimire 
8. Heiligen, war deren reftlofe Unterwerfung gelungen. 
Die andauernden Zufammenftöße der Altflawen mit den Wäringern, fchon in 
vorgefchichtlichen Zeiten, Lonnten es gewefen fein, welde die Abwanderung eines 
beträchtlichen — und beftimmt des beften — Teiles des Altflawentums nad Weften 
bewirkt batten. Mit dem Augenblid nämlich, da das Smolenfter Land (der 
alte Rriegszugss und Handelsweg der Wäringer nach dem Süden — Byzanz) 
von den Altflawen erreicht bzw. überquert worden war, belamen es diefe fofort 
mit den Wäringern zu tun. Dies muß auch der Grund gewefen fein des Abs 
biegens eines Teiles von da nach Süden (Sjewari und Sfuliti) und des Weiters 
wanderns eines anderen nach Llordoft und Oft; was dablieb, mußte fich unters 
werfen und tributpflichtig werden (Radimiti). Dod die mächtige Sauft des 
Wäringertums ließ ihnen auch in den neuen Siedlungsländern keine Rube, wozu 
nod die auf der feindfeligen Haltung der Sinnen und Mongolen (Tataren) 
berubende Unficherbeit binzugelommen fein mag. Dies alles zufammengenommen 
dürfte den Anftog zur Rüdwanderung gegeben haben. Daß fie aber gerade 
aus diefen Landftreden erfolgt ift, dafür zeugen uns viele in 
Deutfhbland vortommende itz»Örtsnamen, die auf Slüffe jener 
®Gebiete hinweifen, auf die Slugfyfteme der Rama, der Mefen, der 
Wordl. Dina, der Det{dhora, in einigen Sällen fogar auf dies 
jenigen der Rara und des Ob. Unterwegs muffen fid diefem Wans 
serzuge aud grogere Splitter anderer, in der alten Heimat vers 
bliebener Altflawenftdamme angefdloffen haben; dies be; 


25) Anzunehmen ift, daß die Wijatilinadh dem gegenwärtigen Goup. Wijatle ges 
zogen find; die Stadt Wiatla am gleihnamigen Stuß Önnte darauf binweifen. Spuren 
der Duelebi fand Shwarz (in der erwähnten Arbeit: „Die Ortsnamen der Sudetens 
lander....% auf SG. 51) in Böhmen, im Flamen der Gauburg Doudleby, „wo 
fbon 3375 ein Präfelt Dudeleb genannt wird“. 

36) Die Radimili (nak sem Llamen des Oberhaupts Aadbhelm, flawifiert in 
Radim) waren eigentlich tein Stamm mebr, fofern eine von den Wiaringern erzroungene 
und beberrfdte ,Staatsgemeinfdaft’ innerhalb des wiaringifden Suhdweggebiets. 


1933, I Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 23 








weifen weitere deutfche, auf SIußnamen diefer Landftreden bes 
rubende itzsÖrtsnamen. Kicht ausgefchloffen ift, ag fidaudh Wäringers 
und Litauectrupps dem Zuge angefchloffen hatten, wozu noch ein nicht uns 
beträchtlihes StIavengefolge binzuzudenten wäre. Diefe Lage betrifft jedoch 
nur die Altflawen Ofts, Mordofts, Klords, Mittels und Weftrußlands; diejenigen 
Sudrußlands, zum größten Teil von einer gotifchen Oberfchicht beberrfcht gewefen, 
waren von den Awaren nad Welten mitgeriffen worden. Dod find Abwandes 
rungen aus dem Pripjets Gebiet und dseffen Umgebung längs des Onjeftr, 
Pruth und Sereth, alfo nicht unter awarifchem Zwang, ebenfo feftftellbar. 

Soentftand fhlieglih einnah Welt und Sudweft drängen» 
des „Bemengfel“ von Angehörigen wohl aller altflawifhen 
Stämme, Stämmden und Sippen, das fih erft in den neuen 
Mobhngebieten zu neuen Stämmen zufammenfdhloß und deren 
Mamen erft dort entftanden waren. Es ergibt fidh daraus, daß man fo 
mandıen, in Deutfchland bekannt gewordenen altflawifchen Stammesnamen von 
einem deutſchen Flußnamen ſicher ableiten kann; wo dies nicht zutrifft, deutet 
der Name auf einen Fluß in der alten Heimat oder aber auf einen der jüngft vers 
laffenen Gebiete bin. 


Zur Beweisführung fei bier ein ftark gelürztes Verzeichnis deutfcher itz- 
Ortsnamen angeführt, welche von SIußnamen der angedeuteten Bebiete abgeleitet 
werden können; mebrmalig vortommende gleichlautende Liamen werden nur eins 
mal erwähnt. 


Altmart: 
Javenig — Javon ((JlmensSee) — Javonit 
Polvig — po-Lwea (Pripjet) — Polwit 
Porig — Por (Wiepr) — Porik 
Anbalt: 
Lobnig — Loban (Rama) — Lobanit 
Pdtnig — po-T nia (Pripjet) — Potnié. 
Bayern: 
Rddvig — Rojda (Mefener Bucdht) — Rojdit 
Lamig — Lama (Wolga) — Lamit 
Mitwig — Mitwa (Lliemen) — Mit wit. 
Brandenburg: 
Danewig — Tanew (Weidfel) — Tanewit 
Jérig — Jura (Memel), Jura (Flördl. Düne) — Juri 
Orion. — 0sBolwa (Bnnjepr) — Obolwit oder 0o-:Pilwa (Rama) — 


Do — Pole —— — Polit 
Donig — Ponos Gee (Waldaj) — Ponit 
Straupig — Strypa (Onjeftr) — Strypit 
Weprig — Wiepre (Vugl) — Wieprit. 


Hannover: 
Timmeig — Tim (Don) — Timit. 
Laufig, Tieders: 


Stöbrig — Stober (Oder) — Stoberit 

Jinnig — Zna (Pripjet), 3na (Ola), dinne (Oder) — Znid oder Fini’. 
Medlenburg: 

Prillwig — pri-£ wa (Pripjet)) — Prilwit 

Roffewig — Roffawa —— — Roffawit 

Banig — San (Wedfel) — Sanit 

Uclig — Ulla (Dina) — Whe. 


24 Doll und Kaffe. 1933, I 
—— 


Pommern: 
Loͤcknitz — Loknja (Ilmen⸗See) — Lotnit 
Uemig 27) — Njem Moͤrdl. Duͤna) — Njemiẽ 
ce oe Pyra (Sadfen) — ic 
oſchutz — Roß (Onjepr), a — — Roffit 
Rufhig — Ruz (Marew) — Ruzil. 
Dofen: 
Moſchuͤtz — Moſcha (Gnega) — Mofdi 
Oſchuͤtz — yl fa (Arge), Of fa en — Offit 
Schulig — Sfula (Dnjepe, Mefen, Petfhora) — Sjulit 
Seewig — Sjewa (Onjepr) — Sjewit. 
Preugen, Wefts: 
Lobig — Lob ( olga) — Kobit 
Oftrig — Ofter I u. II (Onjepr) — Ofterit= 
Polnig — pos £afi (Dripjet) oder Polon« (IlmensSee) Dolanit oder Polonit 
Wallig — Wala (Rama) — Walit 
Waplig — Wablja (Dnjepr) — Wablit 
werfie — WoZa (Ole) — Work. 
Dreußen, Ofts: 
Drdtelwig — pre-Rolwa (Rama) — Pretolwil. 
Rigen: 
Rubig — Kuba (Wolga) — Kubit 
erence — Profnea atthe) — Profnit 
Gnig — sa-Zna (Pripjet ufw.) — Saznit 
— — Selwa (Miemen) — Selwit 
Gilvig — Gylwa (Rama) — Sylwit 
Tegig — Tetfha (Ob) — Teil. 
Sahfen und Thüringifhbe Staaten: 
Baſchuͤtz — Baſja (Onjepr) — Bafjit 
Coldig — Roloda (OnegasGee) — Rolodit 
Demig — Dema (Rama) — Bemit 
Amnitz — Almen⸗See — Ilmenie 
Rotterig — Rotra (Fliemen) — Rotrid 
Rulig — Rula (Hördl. Dina) — Rulit 
Rürbig — Rorba (OnegasSee) — Rorbit 
Maltig — Malta (LubansSee, Witebft) — Meltit 
DPolbig — po-£ob (Wolga), po-Laba (= Elbe) — Polobit oder Polabit 
Poftwig — po-Stwa (Dripiet) — Poftwit 
Salbig — sa-£ob (Wolga) — Salobit 
Weblig — Wel(Hördl. Duna) — Wellié. 
SGadfen, Proving: 
Brottewig — Protwa (Wolga) — Protwit 
Bülig — Bula (olga) — Bulit 
Teud'y — Tawda (Ob) — Tawdit. 


27) Die mögliche Ableit vom Sluffe jem 3. B. der Ortsnamen: Wemig, Re. 
Kammin, und Temi, K Re. Sek awe, in Pommern, Wiemigd, UT. Laufig, Niemtſch, 
Schlefien, fowie des Mebmin: s Sees, Brandenburg, ift für die Sorfdung febr wichtig. 
Bisher galten allgemein alle an das Wort „njemec = Deutfdher* antlingenden Orts» 
namen als Zeugen von deutfchen Siedlungen innerhalb des alten Slawengebiets, fo uns 
wabrfcheinlich fie in mandem Sall gewefen fein mochten. Man ftuote fic hierbei vielfady 
auf das Rirchenflawifhe — „njemici = Deutfce”, ohne zu bedenken, daß diefe Sprache 
den Elbeflawen unbelannt gewefen fein mußte, weil etwa im 9. Jahrhundert entftanden, 
während die Elbflawen {don im 6. Jahrh. in Deutſchland fiedelten. Und tatfadlid war 
ihnen das Wort „njemici“ unbelannt, fie fetten dafür das nod gegenwärtig bei allen 
Slawen geltende „njemec“. Das beweift die anno 1257 urkundlich erwähnte „villa 
Nemezow“ (Roftoder Seldmart in Medlenburg), welde, fiebt man von der etwas unges 
nauen Schreibweife ab, genau nad der nod jegt gültigen Kegel abgeleitet ift: Hausname 
— njem(e)c-ow, SGippenname — njem(e)cow-it en efhledhtername no in 
Polen beftebend) und ammesname — njem(e)t-it (als Ortsnamen Hiemtfhig 


1933, I Th. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 25 
SR — a a ——— 





Schleſien: 
Baldowig — Baldowa (Wartbe) — Baldowit 
Ramig — Rama — Ramil 
Blodnig — Rlodnica (Onjeftr), Rlodnig (Oder) — Rlodnié 
Malmig — Malma (Rama) — Malmit 
Perig — Para (Ola) — Parit 
Pofelwig — po-Selwa (Miemen) — Pofelwit 
Priffelwig — pri-Gelwa (Miemen) — Prifelwit . 
Romnig — Romen (Onjepr) — Romenié 
Ufdhig — UZ (Pripjet) oder Uf da (Onjepr, MWiemen, Wilija, Pripjet) — UZiE 
oder Ufdit 
Wirrwig — Wirwa (Weidfel) — Wirwit 
Wifdisg — Wyfdha (Ota) — Wyfdit. 
S@hlefien, Obers: 
Rofmig — Rofma (Petidora) — Rofmit 
Oberwig — obs Jrwa (Mefen) — Obirwit 
Ottmig — o-Tma (Wolga) — Otmit 
Pofnowig — po-Gnowa (Dnjepr) — Pofnowit 
— mr der Zinna!) — po-Zna (Pripjet) Ina (Ola), Jinna (Oder) — 
om 
Sebfhüg — Sapfba (Düne) — Sapfei 
Saurwig — sa-Irwa (Mefen) — Sairwil. 
SHleswigsHolftein: 
Herig — Her (Wartbe) — Merit 
Pdlig — Pola (WmensSGee) — Polik. 

Mie bereits betont, führten die in Deutfchland neugebildeten altflawifchen 
Stämme Viamen, welche 3. T. auf deutfche Stüffe, 3. T. auf außerdeutfche zurüds 
führten; möglidy ift dabei auch eine Benennung eines deutfchen Sluffes durch die 
Altflawen felbft. 

Eserfheintnämlih als fiber, daß die Altflawen, genau wie 
die Urflawen, das Heiligbalten der Stußnamen (wie überhaupt 
eines jeden Ylamens) aud bei anderen Ddllern vorausfegten 
und fid danadh aud richteten. Als Beleg bierfür kann die einfache Übers 
nahme ihnen fremder Slußnamen in ihrer Heimat und auch anderwärts gelten, die 
fie dann aud auf fich felbft bezogen; alfo von Klamen, die ihnen nicht anders, als 
von anderen übermittelt gewefen fein konnten. Hierzu kommt noch, daß fie auf 
ihrer Weftwanderung den angetroffenn Silinger-!Flamen als Glagis 
Slongi ebenfalls befteben ließen. Traf demnach der wandernde Altflawe auf 
den neuen Wobnplagen eine Dorbevdllerung an, fo fand er fic) mit diefen bereits 
beftebenden Klamen ab, d. b. er ließ fie unverändert, benannte fic fogar felbft 
danad. Erft wenn die neun DOobnplage von den Erftbewobhnern gänzlich vers 
loffen angetroffen wurden und er demnadh keine Llamen in Erfahrung bringen 
konnte, erft dann trat einer feiner heimatlichen Klamen auf den Plan, oder aber er 
madte in folden Sallen, aus vorerft noch nicht erforfchten Gründen, von den heimats 
lichen Llamen überhaupt keinen Gebraud) und bezeichnete in feiner Sprache dies 
oder jenes als eben nur das, was es vorftellte; es könnten fonft nicht — und dies 
nicht nur in Deutfchland — fo uberaus baufig Slugs und Ortsnamen vorlommen, 


[Bremfier] uno GroßsFTiemtfchig [Aufpig] im Mähren). Man vergißt dabei ferner, 
daß urfprünglid mit dem Wort „njemic / njemec“ nit nur die Germanen (und 
fpäter die Deutfcdhen) allein, fondern fämtlibe Sremdnälker gemeint worden waren — 
als „Stumme“, d. 6. die flawifche Sprade nit Sprecdhende. Es gibt in Beutichland 
eigentlih nur 3wei Ortsnamen, die auf deutfche Siedlungen innerhalb der Slawens 
gebiete ficher binweifen: das obige „Llemezow“ und „Liemtfhin“ (Pofen), in 


weld legterem fid) aud die altrufftiche Sorm für „Deutfcher” findet. 


26 Volt und Kaffe. 1933, I 








die von ,rjeka — lu“ abgeleitet werden müffen. Auch find, ebenfo überall, 
genug Sälle zu beobachten, wo der Altflawe (wie bereits erläutert) einem namen: 
lofen Siuffe bei der Inbefignahme den eigenen (Stammess oder Sippens) amen 
beigelegt batte. 

Die Art der urs und altflawifchen Klamensbildung, fowie das Mitnehmen 
auf die Wanderung der als heilig gehaltenen beimatliden Slugnamen erlaubt uns 
nun gewiffe Schlüffe zu ziehen. Go kann unter Umftänden das mebrmalige Dors 
kommen eines und desfelben SIußnamens in einem verhältnismäßig engen Gebiete 
auf frühere Slawenanwefenbeit hindeuten. Serner Bann aus der fpradhlichen Aer: 
tunft deutider Slugnamen in feinerzeit altflawifch befiedelt gewoefenen Landftreden 
ficher gefchloffen werden, ob die Altflawen eine Dorbevdllerung — in unferem 
Salle eine germanifche — antrafen oder nicht. 

Lieben den Silingern, deren teilweifes Sigenbleiben auf den alten Dobns 
plägen audy in der Altflawenzeit keines Beweifes mehr bedarf, find es vornehmlich 
die Warnen, bei denen ein gleicher Sall einerfeits angenommen, andererfeits bes 
ftritten wird. Auf Grund des bisher Erforfchten Bann nun mit Beftimmtbeit bes 
bauptet werden, daß wenigftens ein Warnenreft von den Altflawen angetroffen 
worden war und diefe, nach ihrem beimatlidben Brauch, deffen Klamen auf den 
befegten Slug (Warn-ow = der Warnen) und fodann auf fich felbft übers 
trugen. 

Daf es fid mit dem Warnennamen fo, und nidt anders verbalt, beweift 
allem Anfcheine nady die Liamensgebungsart der Altflawengruppe, die uns nebft 
ihren Unterabteilungen als Obotriten (Obodriten) und Wilzen belannt ges 
worden ift. &s foll bier daber der unverbindliche Verfucdh einer Deutung von 
deren verfdiedenen Stammesnamen unternommen werden. 

Diefe Gruppe 30g, wie wohl manche andere, ab Oberfchlefien die Öder 
binunter und befetzte anfänglich, weil der Stug weiterhin fhon in feften Aanden 
gewefen fein mußte, das Slußed, welches durch die Zufammenflüffe der Welfe 
und der Rörike mit der Dder gebildet wird. Diefer Gegend nach benannten fie 
fi insgefamt „Ob-Odr(a)-i-&i = UmsdiesOdersGiggende“. Und bier muß auch 
die erfte Spaltung erfolgt fein, denn die links der Oder Giedelnden, die vermutlich 
die beimatlichen Kamen Wolcy und Welcy führten, trennten fid) von den 
Obodriti und breiteten fic hierauf über die obere Elde bis zum Warnow 
aus. Aud die Dbodrici verließen ihre erften DOobnplage und wanderten zu 
den neuen, in denen fie famt ihren Unterabteilungen belannt geworden find. Lieben 
ihrem Hauptnamen führten fie als Llebennamen den der „Rereger‘ (alt übers 
liefert: Reric, Rerih, Reregi)22). Diefer Mame kann leidht von dem erwähnten 
Uiebenflug der Oder — Rorile abgeleitet werden — Rerili. 

Unterabteilungen der Obodrifti: 

Die Wagrier (alt uberliefert: Waari, Wari, Waigri, WDagri, Wa giri) 
nad dem Slug Maga (Mdrdl. Dina), alfo Wageari*). 

Die Polaben (alt uberliefert: Palobi, Dolabi) gleid ,po — langs: 
ders£aba (Elbe)s Sigende™. 


38) Die Stammesnamen und die Stammeseinteilung find der Rübhnelfchen Acbeit: 
„Die flawifdyen Ortsnamen in Medienburg” (Lleubrandenburg 1382) entnommen. 

29) Die alte Stammesnamenendung ar, 3. ari wird in Nußland noch bei den 
Wolgaanwohnern angewandt — „wolgari“, neben der neuzeitlihen Sorm „wolZani“. 
Der alte Ylame der Bulgaren — ,bolgari* ift gleider Hertunft. 


1933, I Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 27 
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Deren Unterabteilungen: 

Die Bytiner oder Betbenzer (alt überliefert: Betbenze, Bechelenzi, 
Bethenici). Anzuncehmen ift bier, daß es filh um 3 wei Beine Stämme handelt; 
darauf deutet „Bechelenzi“ bin, das „Dokolenci‘“ bedeuten fann — ,,po- 
kolenc(e)-i = längssdessRniehensseinessSluffes“ (fiehe Rolentos 
wiki des Pripjets@ebiets). Zum anderen Kamen fehlt ein ndberliegender Slug; 
dod könnte man bier an But (altflaw.: „Steingeröll“‘) zum Tagliamento in 
den Rarnifchen Alpen, einer alten WPindengegend, denken. Ein Zufammenbang 
zwifchen den Reihe Samos und den Winden ift gefchichtlich belegt, was ein 
Her und Hin anzunehmen erlaubt. Möglich ift auch ein Zufammenbang mit dem 
Stuß Bytina (des Bytin) mit dem gleichnamigen Ort in einer ftark altflawiich 
geweienen Gegend der Peleponnefos. Sie wären alfo die Butiniki oder 
Bytini~i gewefen. Die Smeldinger (alt überliefert: Smeldingi, Semels 
dine, Smeldingon). Dies waren die „sa-Mild(e)-i = Hintersders Mildes 
Sigende, in einer Gegend alfo, die ganz nahe ihrer fpäteren Wobnfige lag; 
fügt man den Samildi das germanifde ,,ing an, fo erhält man faft genau 
das überlieferte ,Gemeldinc’. Wie bereits erwähnt, fcheint die Milde noch 
in dem Ortsnamen Mildsenig auf, wie auc in dem Liebenfluß de Warnow— 
Mildenig (Mildinikse). 

Der zweite Hauptftlamm: 

Die Wilzen ift uns unter den Kamen: Wilgi, Build, Wilzi, Weles 
tabi, Delatabi, Duclitabi, fowie Lutiti, Liutiti, Leutiti alt überliefert worden. 
Auch bier läßt fich annehmen, daG es fidh in dem Sall um Brudteile von deei 
verfchiedenen beimatliden Stammen handelt. Wie bereits angedeutet, mußten die 
Wilzi anfänglich in jener Gegend gefeffen haben, welche im Often von der Oder 
und im Llorden und Welten von der Welfe, als Ausfluß aus dem Wolle3s 
See, begrenzt wird. Und bier Bönnte auch deren Flamensurfprung liegen. Die 
Klamen des Sees „MWollez3“ und des Sluffes ,WOel fe deuten auf Wool und 
Mel (beide Fiördl. Dünc) bin. Es ldnnte diefe Altflawengruppe demnach aus 
dem Gebiet der Mdrdl. Dana berftammen. lah Dol und Wel benannte fie 
fih „Wolcy“ und „Welcy“, welde Kamen fi auf den See — „ofero 
Molec“ („See der Wolzen“) und den Slug ,ojela Welca („Sluß der Wels 
zen“) übertrugen. Der Klame Weletaben und Weleten, wie diefe Gruppe 
noch benannt wird, deutet wiederum auf das Gebiet der Td rdl. Dina bin, auf 
den Slug Wiled (sue Waga, sur FIördl. Düne). Die Betreffenden wären dems 
nad die „Wiledi“ oder „Miledowi‘ gewefen. Kliimmt man nod die bereits 
behandelten Wagrier von der Wage (Lidrdl. Düne) hinzu, dann bat es den 
Anfchein, als ob der Broßteil der Altflawen Medienburgs gerade aus diefer Ges 
gend bergewandert war). 

Anders verhält es fic wieder mit den Ljutiti. Cin Slug Ljuta ift in 
Außland vorerft nicht auffindbar; wohl aber befteht bei Ragufa ein Slug des 
Clamens Ljuta (von liti — gießen), der möglicher Weife dabin verpflanzt fein 
könnte. Jedenfalls tommt der Stammesname Ljutiti im Gandfdal ovis 
Pafar, zwifhen Plevlje und Sjenica, als Ortsname vor. Und da ift es 


30) Hier könnte man noch des medlenburgifdhen Ortsnamens ,Beferig” (A. Stars 

ard) gedenten, deffen erfolglofe Deutung fo viel —— verurfadt bat (Rübnel, 

ead ner); er d F vom Slug Biffert (Ufa, Bjelaja, Rama) ftammen. Un diefem 

slug wer der Ort Biffertfl, der, in die alte Sorm jurhdgefabet, Biffereils ges 
autet Dat. ; 


28 Doll und Raffe. 1933, I 


nidt von der Hand 3u weifen, daß der Viame aus diefer Gegend ftammt, d. b. daß 
Kjutiti von bier aus nad Viordweften gewandert find. 

Die Unterabteilungen der Wilzen find: 

Die Warner (alt überliefert: Wearnabi), benannt nad dem Sluffe 
Warnow, semnadh ,Warnow i". 

Die Mürizer (alt überliefert: Morizani, Murizzi, Morizi, Murig, 
Morig). Der Klame ftammt von Morje — Meer, dsemnad ,Moriti* und 
„Moritani* — „Meeranwohner“. 

Die Linonen (alt überliefert: Lanai) vom Slugnamen Linsau (Elbe) — 
„Linjani“. Die alte Sorm „Lanai“ läßt jedoch die Srage auflommen, ob fid 
nicht binter Linsau der Pripjetsfiebenflug Lah verbirgt. 

Die Chizziner von ,,chizZa — Hütte“, alfo „Chizani“. 

Die Tircipener (alt überliefert: Zerezepani, Zirzipani). Der Llame fett 
fih zufammen aus: „Zres-pre = uber“ und dem Slug Deene, alfo,crefpeni®. 
Es ift dies der ecinzige Sall, wo an Stelle des pre das Zres tritt; hieraus könnte 
man auf Sprachunterfchiede, wie auch aus anderen Bründen, fchließen, das einen 
weiteren Beweis für das „Zufammengewürfelte“ der in Deutfchland ans 
faffig gewordenen Altflawen ergäbe. 

Die Tolenfaner (alt überliefert: Tolonfeni, Tolenfane, Tolenci, 
Dolenz, Tolenze). Diefer Liame fommt von ,dol — LFliederung“, „dolenta 
ziemia — {Tiederland, alfo ,Dolenti* und ,Dolentani. 

Die Redarier (alt überliefert: Riaderi, Riedere, Rederi, Rederarii, Res 
theri, Retharii, Riaduri). Hier liegt wieder ein fdwieriger Sall vor. Die erfte 
Sorm „Riaderi“ könnte auf den Slug Rjedja (IJlmensSGee) binweifen; ,,ARjpeds 
jari“; ein dbnlid) Clingender Slug ware (als Ubertragung) Rheda (Dugiger 
Wie) — „Rhedari“. Salle dies zuträfe, müßte diefe Gruppe die Weichfel 
binunter gelommen fein. Wabrfideinlider ift jedod Rata (Bug D, alfo: „Ras 
tari; aud in diefem Salle wäre die Weichfel der Wanderweg geworfen. 

Die Rezener oder Riazaner (alt überliefert: Riaciani, Riezani), abgeleitet 
von „rjeka — SIuß“, alfo: „Rijekani* — „Flußanwohner“. — 

Die altflawifhen Hauptwanderzüuge können bier nur in großen Stridhen 
umriffen werden. 

In Rußland felbft find erlärlicher WDeife ausgefprochen darauf bindeutende 
Spuren nicht ausfindig 3u machen. Es könnten bloß die Parici (Minft) von 
ver Para (Ola), die Sfilowiti (Molbynien) von der Sfilowa (RarasSGee) 
und die Pilwifchki (Sfuwalli) von der Pilwa (Rama) von einer Rüdbewes 
gung zeugen. 

Im BDurdzugsland Polen find dagegen auf Grund des Zuges der ices 
Ortsnamen folgende nad Weften führende drei Sauptwege zu ertennen. Der 
eine zieht ab Grodno im Gebiet oberhalb der Linie Weichfel bis Harews 
einmündung, Flarew bis Bugeinmündung und Bug bis Nurez⸗ 
einmündung; dafelbft find wiederum zwei gefonderte Wege zu erkennen, obers 
balb LomZa nah Oftpreugen ins Mafurenland und darüber hinaus und 
ununterbroden nad) Weftpreugen, Dommern, Medlenburg und Hols 
ftein. Der andere unterbalb LomZa weft nah Pofen. Der zweite Hauptweg 
tann im Gebiet oberhalb der Linie Breft»Litowft— Lenczyca— Ralifch 
erfaßt werden; er fübrt nah Pofen, Brandenburg und der Provinz 
Gadfen. Diefer Weg wird duch einen Querzug ab Weichfel (idloclawel) 
über Lenczpca, Laft, Bendzin, Oberfchlefien gefchnitten. Der Dritte 


1933, I To. Hoffmann, Ucflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 29 
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endlich führt ab Wolbynien im Gebiet unterbalb der Linie Lublin, Rielees 
Bendzin wiederum nah Oberfchlefien. 

Diefes Land bildete daher geradezu ein „AltflawensStaubeden“; dats 
über ift jedenfalls der SHauptftrom nah Deutfhland und Mähren gelangt. 
Genau, wie im Minfler Land, erkennt man bier die Überlagerung der alten ifis 
Llamen durdy mehr neuzeitliche, wie 3. B. Petrowit und Pawlowigß, von 
kirchlichen Liamen abgeleitet, und Biflupig (biskup — Bifchof) ein neueres 
Abhängigkeitsverhältnis anzeigend. Unter den alten Klamen find bier befonders 
bemerkenswert: Bttmüß, das auf den Ort Otimiti (CTwer) — „Umsdies 
Tma (Wolga)s Sigende hinweift, und zwar zweifellos, und Schoppinit, 
binter welchem fi die Schabuniti (Perm) verbergen könnten. Daß die Zn« 
(Pripjet) bier als Zinna auffcheint, wurde bereits erwähnt. 

Betrachtet man nun die Züge innerhalb Oberfdlefiens felbft, fo kommt 
man zu der Überzeugung, daß dafelbft an ein Haltmachen anfänglich nicht gedacht 
worden war. Mit Ungeftüm trieb der WDanderzug nad Weft und ftieß dabei auf 
die Oder; dies dürfte der erfte Grund neuer Rictungsnabmen gewefen fein, denn 
man erkennt deutlich, daß nun ein Teil längs der Oder im Bogen in Richtung 
Breslau weiterwanderte, ein anderer wohl die Oder felbft als Weg erwählte, 
der dritte endlich über die O Ser fegte und wiederum geradeaus nad) Weften trieb, 
um bald darauf an den Wall des Reichenfteiners und Altvater-Gebirges 
anzuprallen. Hier erfolgte wiederum eine zweifache Richtungsänderung; ein Zug 
folgte den Abbängen obiger Gebirge nach Llordweft und gelangte fo nad 
Sakfen®!) und in die Laufig, wohin aud der gegen Breslau ziebende 
Teil zufteuerte. Der zweite Zug wandte fich fudweftlich, umbog das Gebirge und 
ergoß fich fodann nah Mähren und darüber binaus über Böhmen bis in die 
Gegend um Fürnberg, um oa 3u verfidern. Ob dser JImensSee bi 
Pfullendorf in Baden, mit gleidnamigem Ort, mit Altflawenfiedlungen in 
Sufammenbang gebracht werden kann, muß eine offene Stage bleiben; flawifch ans 
Elingende Ortsnamen führen allerdings dahin. Der Ort Scharnit3?) (der fads 
lidfte und vdllig vereinzelt daftebende itzs®rt) am Paß gleichen Liamens könnte 
darauf binweifen, daß bier möglicherweife ein Altflawenzug den Weg nah Süden 
genommen batte. 

Viedh dem Balkan find zwei Hauptwege zu erkennen. Der eine und 
fhwäcdyere führt über die Ofts Beskiden in fudweftlich abfteigender Richtung 
(itz-, icz- und ocz-Örte) oberhalb Budapeft nah Steiermart, fowie nad 
Slowenien, Rrostien und Slawonien. Der ftärkere zieht längs der Stüffe 
Dnjeftr, Prutb und Seretb in das Sumpfland der Walachei. Daß nad 
Sudrußland vorgedrungene Altflawen von den Awaren gezwungen wurden, 
deren Zug nach Welten mitzumachen, ift befannt; auch da ging der Weg über die 
Waladhei. Diefes Land ift nun mit altflawifchen Ortsnamen derart erfüllt, 
SB man vermuten darf, der Großteil der Rumänen beftebe eigentlich aus romanis 
fierten Slawen; auch die rumänifchen Gefchlecdhternamen deuten darauf bin. Chas 
rakteriftifch für diefe Liamen, wie auch für Ortsnamen, ift die Umwandlung des 


31) Yad Sadıfen gelangten bekanntlich Altflawen aud mit dem Awarenzuge ab Böhs 
men zu Mitte des 6. Jahrhunderts. Das erklärt die einft, aber nur burze Zeit ziemlich dicht 
—— ge Befiedelung diefes Landes. 

Ber Sharnig = Sarnit dürfte aus Wolbynien ftammen, wo deffen Urs 
ftamm — als Ortsname vorkommt und auf einen noch nicht feſtgeſtellten Fluß 
Sarna (Reh) — Gegenſtück zu Lan (Hirſchkuh) — hinweiſt. 


30 Doll und Kaffe. 1933, I 





flawifchen ow in u; erfegt man bei den belannten rumänifchen usLiamen diefes 
u durd ein ow, fo erhält man rein ruffifche Gefchlechternamen, 3.8. Brateanu 
= Bratjanov. Auch bei den i&sÖrtsnamen ift diefe Wandlung zu vermerken: 
Toporoug ftatt Toporowit (Sippe der Beile); unverändert find, wie bereits 
erwähnt, die ilis®efchlechternamen geblieben (Slaviki). Die cysFliamen belamen 
an Stelle des cy ein sci (fchti gefprocden), 3. B.: Bul (Bude) — Bulari — 
Bulerowi— Bularowcy= Bulurefci (Bulurefdti). Urflawifdhe Stam: 
mesnamen find dafelbft ebenfalls zu finden, 3. B. „Hufi“, das Begenftüd zu 
yOu fi (Banfe) am Gufj (Ola), ,Onifeani = UmsdiesFiederung-Sigende“, 
„Popeni = LängssdersBaumftümpfesSigende“ und „Prifacani= Beisdens 
Diehhürden Sitgende“. 

Was ur- bzw. altflawifhe Ortsnamen, zugleich Stammess und Sippen= 
namen anbetrifft, fo ftebt bierin von allen nod beftebenden flawifchen Ländern 
Bosnien und die Herzegowina an der Spige; die alten Baffifchen Sormen 
find dafelbft völlig rein erhalten geblieben. Ebenfo gut erbaltene oder nur wenig 
veränderte ziehen in Griechenland bis in die Gegend des alten Sparta bin. 

Don den nordifchen Ländern ift Dänemark wohl das einzige, welches Alts 
. flavoenbefuce erhalten haben mag. „Rorfelitge“ (Rorzeliäi) auf Salfter mit 
der gleichnamigen gegenüberliegenden Bant, „Tillige* (Djelili) auf Laaland 
und die in der Lläbe befindliche „Rramnitfe Bab“ (Rrommidi zu Rromp-Rromi 
[Orel]) könnten darauf hindeuten. — 

Angefichts diefer durchmeffenen Sernen, die doch gewiß eine ungebeure Leiftung 
an Rraft, Ausdauer und WPagemut darftellen, muß man fich, halt man dem allem 
die nachherige, wenig bedeutende Befchichte all der flawifchen Staaten entgegen, 
immer und immer wieder fragen, ob das Geleiftete auch wirklich von „Slawen“ 
vollbracht worden fei. Man mu bier zu einem Fein gelangen, und wäre es nur 
aus dem einen Brunde, daß das echte, alfo nordifche Altflawentum ja gar nicht 
fo zahlreich gewefen fein Eonnte, um teils in der überweiten Heimat 3u wirken, 
teils all diefe Wanderzüge, faft nach allen Gimmelsridtungen bin, anzuführen; 
denn gewiß fchon vom Betreten des Pripjetgebietes an fegte bei ibm die durch Vers 
mifchung mit der urfinnifchen und wobl auc mit einer paldoafiatifden 
Urbevdlferung bedingte Entartung ein, mit all ihren verbangnisvollen, nur 3u 
gut belannten Solgen. Überall, wo wir auf altflawifche Staaten ftoßen, ftellt es 
fih heraus, daß deren berrfchende Oberfchichten nicht „altflawifch‘“ gewefen 
waren, fondern entweder ofts oder weftgermanifch, die fich dazu noch, wenigs 
ftens anfänglich, ihrer eigenen Sprachen bedienten; fo ift 3. B. Medienburg 
auf das gotifche „mikilin = groß“ (große Burg) zurüdzuführen; auch mand 
„ſtawiſcher“ Ortsname in Medlenburg dürfte gotifchen Urfprungs fein. Die nicht 
altflawifche Abftammung damaliger Herrfcherhäufer bat Haufer3) auf Grund 
der Durdhforfdung der betreffenden Sürftennamen woabhrfcheinlich zu machen ges 
fuchht; daß der Gründer des erften Altflawenftaates — bezeichnender Weife in der 
Sremde — der Sranke Samo (Samwig) gewefen wer, ift ja betannt. €s mugs 
daher gewagt erfcheinen, die nordifchen Schädel der Altflawengräber ausschließlich 
Altflawenedlen zuzufchreiben; mandyer Schädel darunter Eönnte ebenfogut auc 
germanifcher Herkunft fein. Einen ganz ficheren Hinweis in bezug auf die Volles 
zugebörigkeit bieten fie jedenfalls nicht, zumal ja die Beigaben „unklar“ find, 
d. b. auf Entlehnungen anderen Stilen beruhen — einen ausgefprocdhen flawifden 


33) Haufer, „Die Germanen in Europa.“ (Al. Dunder, Weimer.) 


1933, 1 TH. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 31 
Re ae 


Stil gibt es belanntlid nidt. Wenn die Beftattungsart des niederen Altflawens 
tums wie audy der mitgeführten Sklaven forgfältiger gewefen wäre, könnten wir 
die Vollsunterfchiede wohl erkennen; fo aber wurden die Leiden der Adrigen 
— smerdi, smerdeli (Stintenden) — und der Sklaven — rabi — einfach auss 
gefett, ein Vorgang, den man noch in den 50 er Jahren des vorigen Jahrhunderts 
in Budara und Ehbiwa beobachten konnte; auch dort wurden die Radaver der 
aus Rußland fteammenden Sklaven einfach in der Wüfte ausgefett. 

Und fo mdgen vornebmlid bei dem Wanderzug nad Deutfchland übers 
wiegend artfremde Oberfdhidten die treibende Kraft gewefen fein. Aus den 
wäringifch beeinflugten Gebieten gelangten die DOanderfcdaren wiederum in 
germanifch — mehr oder weniger gotifch — beeinflußte; in den von Goten bes 
berrfcht gewefenen Gebieten müffen noch Gotenfippen gefeffen haben — die nors 
difchen Raffeninfeln an der Weichfel und in Wolbynien 3. B. könnte man 
vorwiegend auf Boten zurüdführen, und der polnifche Uradel wurde vielfach 
nod im Mittelalter als „gotifch‘ bezeichnet. Was da aber unter dem Llamen 
„Slawen“ willenlos in die Weite getrieben wurde, war wohl nur teilweife tats 
fachlich ,,flawifd; der Reft, und gewiß ein nicht unbeträchtlicher, waren Ddllers 
fchaften anderer Art und Raffe. Allein fchon die Tatfache der Geerduberei an 
den einft altflawifch befiedelt gewefenen deutfchen Küften ift ein Beleg mehr dafür, 
daß da nit „Slawen“ die Treibenden gewefen fein konnten, fondern neben 
fändigen Zuzüglern aus Standinapien und figengebliebenen Germanens 
reften die führende germanifde Ober{didt, die fic gleich den anderen flawis 
fierte — als Mietel sum Fwed — zur Beberridung und Ausnugung eines willens 
lofen und geduldigen Dolles 54). Das wird, mit oder ohne Abficht, von allen 
flawifchen Sorfchern überfeben. Die SIawen waren nämlich nie Seefahrer gewefen 
und find es auch heute nicht; fie waren ausgefprochene „Süußwaffermänner“, 
deren Element von jeber Binnengewäffer gewefen waren und wo fie es zu einer 
Dolltommenbeit gebracht batten, wie kaum ein anderes Doll. 

Sufammenfaffend kann gefagt werden: Der neueingefchlagene Weg, audy die 
euffifhen SIußnamen in das Sorfhungsrüftzeug bineinzunebhmen, weift 
anderes, als von den flawifchen Sorfhern geglaubt und von deren chauvis 
niftifchen Landsleuten gefordert wird. Da wird no viel umzulernen fein. 
Mag diefer Weg den Slawiften — anfänglich nur vielleicht — als ein Jrrweg 
erfcheinen, er führt dennod zum Ziel — zu zeigen, daß die Urbeimat der Slawen 
im Often gelegen war, und nicht im Weften, und da§ die nad Deutfchland ger 
triebenen Völker: und Raffenfplitter, welche wir ale „Slawen“ anfpredyen, eben 
nur Splitter gewefen find, ein Gemengfel aus den verfchiedenften Gebieten 
des gewaltigen ofteuropäifchen Raumes, das daher audy nicht „lechifch‘‘ gewefen 
fein konnte, mögen dabei audy Lechen mitgewandert fein. — 


Drudfeblers Beridtigung aus Heft 4 (1932). 
I. Teil. 
G. 203. Sußnote I, 5. Zeile von oben: „Zoadru, foll heißen „Zaodru“. 


84) Der belannte Ausruf des wilden Swijatoflaw (Swentisfslaf, Swentisjskif = 

ot. „Kraft s Sproffe — Sohn“) des Entels des erften Ruffenfürften Rjurik (Hrorelr — 

Koserih): Wasift mirdiefes Land, wasliefertesmirdennaußer Wade, 

Honig und Sklaven“ ift von fpmbolifcher Bedeutung geworden für das Verhältnis 

zwifchen den Serrfchenden und Beberrfchten in allen nadhberigen flawifchen Staaten; 
das Sowjetregime in Rußland ift ein Beleg mehr dafür. 


32 Doll und Kaffe. 1933, I 





G. 204. 16. Zeile von oben. Der Sat: „Diefe Annahme vertritt foren; fo barts 
nädig, wie re aud der Pole Koftrzevofti“, rt eingetlammert. 

GS. 205. 6. Zeike von unten: ,Roret’, foll heißen „Rorec“. 

8. 208. 38. Zeile von unten: „Comati«“ » foll heißen ,Lomati* 

8. 210. 3. eile von oben: „Ostarili“, foll beißen „Osariti®. 


Die Bevölkerung des oberen Lechtales. 


Eine raffentundlide Unterfudung. 
Mit 12 Abbilbungen und 6 Tabellen. 


Don Dr. Bruno R. Schulg, München. 


sw feinem Unterlaufe bildet der Led befanntlid) die Grenze zwifchen altbayrifdem 
und fchwäbifchem Stammesgebiete. Das Tal des oberen Lechs dagegen ift zu 
beiden Seiten von einer Bevölkerung befiedelt, die in ihrem Rerne zum bajus 
verifchen Stamme zu rechnen ift. Im Welten, jenfeits der Berge, fchließt fich das 
obere Allgäu an, das nod) ausgefproden alemannifdes Stammesgebiet ift. Das 
obere £echtal wurde urfprünglich zweifellos von Angehörigen diefer beiden Stämme 
befiedelt, heute berrfcht aber der bajuvarifche Stammescharalter fowohl nady der 
Sprache wie aud im Dollstume vor. Gelegentli einer größeren, raffentunds 
lihen £andesaufnahme im füdlichen Allgdu machte ich auch für kurze Zeit eine 
Rundfahrt ins obere Lechtal und hielt mich vor allem im Dorfe Elbigenalp auf. 
Hier machte ic) Unterfucdungen an der alteingefeffenen Bevdllerung und konnte 
dabei Dergleiche mit dem vorber unterfucdten Llachbargebiete im oberen Allgaͤu, 
Bezirt Sonthofen, anftellen. 

Landichaftlich unterfcheidet fich das obere Lechtal fehr ftart vom oberen Jliers 
tale; der Led Hat als wilder Gebirgeflug febr tief in das Gebirge eingefchnitten 
und rechts und links nur verbdaltnismagig fcbmale Terraffen aufgebaut, die nun 
der menfchlichen Befiedlung dienen. Im Bezirke Sonthofen haben wir es dagegen 
mit einem großen, weiten Beden zu tun, das an feinen Rändern weite Hocflachen 
befigt, die fic) flr Befiedlung und befonders für die Viebwirtfchaft ganz auss 
gezeichnet eignen. Mit einer Befiedlung, wenn auch einer recht fchwachen, haben 
wir im oberen £echtale auch ficherlich recht früh zu rechnen. Bekanntlich benügten 
fcdbon die Römer diefes Tal als Zugang nach Florden und es führte die alte Römers 
ftraße über den Sernpaß hinunter gegen Reutte und weiter hinaus gegen Suffen 
nad) Augsburg. Diefer Handelsweg, der bis in die allerjüngfte Zeit, vor allem 
für die Beförderung von Salz und Wein aus Tirol im Betriebe war, wird vers 
mutlich auch auf die Raffenzufammenfegung der Bevölkerung nicht ohne Einfluß 
gewefen fein. Durd das Klofter Suffen, zu deffen Einflußgebiet das obere Lechtal 
geborte, wurde die Befiedlung durd Menfden bajuvarifden Stammes befonders 
gefördert. 

Das Bild, das fidh dem Unterfucher bei diefer verbältnismäßig Heinen Stichys 
probe von der Bevölkerung ergab, es bandelt fi um inegefamt 50 Perfonen 
(Manner und Srauen), fei im Solgenden dargelegt. Die Unterfucdhten ftammten 
zum größten Teile aus den Gemeinden AHAfelgebr, Fuge, Bach, Holzgau 
und Steg. 


1933, I 





Abb. 3. 





Abb. 5. 


Bruno K. Sdhulg, Die Bevölkerung des oberen Ledtales. 


Vorwirgend dinarifcher Mifchtypus mit fhwadem mediterranem Einfdlage. 


Vorwiegend dinariſch⸗nordiſcher Miſchtypus. 
Dolf und Raffe. 1933. Januar. 


Abb. 4. 


Abb. 6. 


33 


34 . Dolt und Raffe. 1933, I 





Die Bewohner des oberen Ledhtales find durchfchnittlich mittelgroße Leute, 
alfo die Männer rund 168 cm, die Srauen 160 cm groß. Der Anteil großer und 
fehr großer Männer über 174 cm ift verbältnismäßig gering, faum mebr ale 
ein Zehntel, während im Oberbaprifchen nach der Unterfuchung von #5. A. Ried!) 
doppelt fo viel und im Allgäu ebenfalls ein Sünftel aller Unterfuchten diefer Gruppe 
angebören. Auffallend ift auch die recht große Zahl Heinwüchfiger Männer unter 
163 cm, die ein Sunftel der Befamtzabl beträgt. Diefer Anteil ift im füdlichen 
Allgäu freilich faft genau fo bod, in Oberbayern dagegen viel niedriger, weniger 
als ein Zehntel. Bei den Srauen dagegen beftebt eine recht deutliche Kleigung zu 
Hodwudfigteit; mebr als die Ahälfte ift Uber 1,60 cm groß, während Kleine 
widfige unter 151 cm überbaupt nicht vorhanden find. Die Derbältniffe im 
fudlicen Allgau waren dhnlih. Don anderen Alpengebieten feblen leider genaue 
Zablenangaben. Daß es aber auch in deutfchen Bebieten ganz anders fein kann, 
zeigen die Unterfuchungen R. Sallers?) an der mittelfräntifchen Bevdlkerung in 
der Reuperbucht bei KTürnberg, wo genau ein Drittel aller Srauen die Kyöbe von 
151 cm nicht erreichte. Die Lechtaler find auch faft durcgebend von fchlantem 
Rörperbau; unterfetzte, ftämmige Leute findet man felten. Sie fdheinen audy gegens 
über Oberbayern und Allgäuern etwas zartinochiger. 

Betrachten wir die Särbung von Augen und Aaaren, fo bemerken wir, daß 
unter den Männern mebr als die Halfte blaue und kaum ein Zehntel ausgefprochen 
braune Augen befigt (vgl. Cab. 1), während bei den Srauen nur ein Sünftel blaue 





Tabelle 1. 
Augenfarbe 
mifchfarbige | braundugige 
Auf 100 Perfonen fommen eee ſchwach⸗mittel ſtark 
pig pigmentierte | pigmentierte 
Männer: | 
fedtal . . . 2... — 56 36 8 
Gr. Walſertal (Wacker) ll 62 27 
Miesbah (Rı®) . . . . . 37 33 30 
Florwegen (Opland) (Bryn). 68 31 1 
Stauen: 
Re@tal = %- 3... 2 3% ae 22 65 13 
Miesbahh (Ried) > > 2: 2 2 vol 27 34 39 
Llorwegen (A. Schreiner) . | 41 56 3 


und mebr als ein Zehntel braune Augen baben. Diefes feltene Dorktommen blauer 
Augenfarbe bei den Srauen und der bäufigere Befig brauner Särbung im Gegens 
fatze zu den Männern ift für uns nichts Teucs. Jm oberen Allgäu beftand ein 
äbnlichee Verbältnis zwifchen beiden Befchlechtern. Es ergab fih aber auch fehon 
bei Unterfuchungen an anderen Bevdllerungsgruppen, 3. B. bei Forwegern: 
und wurde zum erften Male von $. Lenz?) auf Grund von Unterfuchungen an 
Schweden feftgeftellt. Offenbar ift mit der das weibliche Befchlecht bedingenden 


1) Ried, G A, Miesbader Landbevdllerung. Berl. Sifcber, Jena. 1930. 

2) Galler, R., Die Reuperfranten. Werl. Sifeber, Jena. 1930. 

3) Lenz, $., Über gefcbledhtsgebundene Erbanlage für Augenfarbe. Ard. f. Raflen: u. 
Hefellf(d.sBiologie Bd. 13, S. 298. 1921. 


1933, I Bruno R. Schulg, Die Bevölkerung des oberen Ledhtales. 35 
Se eee ee er eee ee eee ee eae 





Erbanlage bäufig eine Anlage zur Sarbftoffbildung gekoppelt: wir fprechen in 
folchen Sällen, deren es noch andere gibt, von gefchlechtsgebundener Vererbung. 
Im Vergleiche zu Unterfuchungen, die an oberbayerifcher Bauernbevdllerung im 
Bezirke Miesbach von H. A. Ried gemacht wurden, neigen die Lechtaler aber in 
beiden Befchlechtern mebr zu bellerer Särbung und ftimmen eber mit den oberen 
Allgäuern überein. Seben wir dagegen die Bewohner des großen Weljertales +) 
in Vorarlberg an, bei denen ein ftärkerer Anteil 
mittelländifcher (weftifcher) und alpiner (ofti: Fre 
fcher) Raffe anzunehmen ift, fo finden wir bier ee SORA 
nur febr wenig Blaudugige und verbdltnis: 9 J 
maͤßig viel, faſt ein Drittel, Braunaͤugige. 
Die Haarfarbe der oberen Lechtaler iſt 
bei beiden Geſchlechtern vorwiegend dunkel— 
braun (Tab. 2), wie das auch bei den Allgaͤuern 
und den Oberbayern der Fall war. Auf Ta— 
belle 2 ſind Norweger, die aus einem vorwie— 
gend nordraſſigen Gebiete, der Landſchaft Op⸗ 
land, ftammen, den Alpenbewohnern gegen⸗ 
übergeftellt. Bei diefen KTorwegern umfaßten 
die bellblonden ſchon ein Diertel aller Unter: 
fuchten, während „yellblonde bei den erwad: 
jenen Lechtalern volllommen feblen. 
Die Ro pfform ift bei beiden Gejchledy: Abb, 7. Ledtaler mit auegefproden 
tern überwiegend kurz bis fehr kurz. Lange, dinarifben Zügen. 
fchmale Köpfe find in den Alpengegenden hodft 
jelten und kommen überhaupt in Suddeutfchland wenig vor. Auch bei den Ober: 
bayern, Walfern und Tirolern 5), treffen wir keine an (Tab. 3). Wie fich ein 
Gebict von vorwiegend nordifcher Kaffe dagegen verbält, deuten wieder die 
Zablen der norwegifchen Landfadaft Opland®) an, wo ein Drittel der ganzen 























Tabelle 2. 
Haarfarbe. 
Auf 100 Perfonen tommen bellblonde | duntelblonde | rotbaarige | braunfdhwarze 

Männer: 
Lechtal . — 24 — 76 
Gr. Walfertal (Wader) — 17 — 83 
Miesbah (Ried) . . 2 30 | 1 67 
Viorwegen (Opland) (Bryn) 24 28 | 1 47 

Grauen: | 
Lechtal . . a hae — 35 — 65 
Miesbach (Ried) . ; 3 34 1 62 
!Torwegen (A. Schreiner) . 7 37 15 41 


4) Wader, X., Zur —— der Walſer des großen Walſertals in Vorarl— 
berg. 3tſchr. Ethnol. Bo. 44 9. 437. 1912. 
5) Sriz3zi, £., £in Beitrag zur Anthropologie des „Homo alpinus Tirolensis“. 
Mitt. —— Geſ. Wien Bo. 39. 1909. 
6) Bryn, u. Schreiner, R. £., Die Somatologie der Morweger, Oslo. 1929. 
3* 


36 Dolf und Raffe. 1933, 1 





Bevölkerung ausgefproden langldpfig ift und nur ein Zebntel breite bis febr 
breite Köpfe bat. Diefer Unterfchied ift febr auffallend und wichtig. Die Neigung 
zu fehr kurzen Röpfen, bei denen der Breitendurchmeffer dem Längendurchmeifer 





Abb. 8. Vorwiegend dinarifdealpiner Mifdtypus. Abb. o. 


nabefommt, ift auch bei den Lechtalern recht bäufig. Sie wird uns ein guter 
Fyinweis bei der raffifchen Beurteilung fein. 











Tabelle 3. 
Ropfform nah dem Längen-dreiteninder 
Auf 100 Perfonen tommen ſchmale mittelbreite breite | febr breite 

Männer: 
Ichtal . . . — 8 71 21 
Gr. Walfertal . — 20 48 32 
iseebads oT ws — 8 45 47 
Tirol (Vintfchgauer) . — 5: % 46 49 
Viorwegen (Opland) . 32 58 — — 

Frauen: 
Redital «os. kes! & — 21 46 33 
Gr. Walfertal . — 19 55 26 
Miesbach — 6 42 52 
Norwegen 4 51 40 5 


Wie man ſich ſchon beim aͤußeren Augenſchein uͤberzeugen kann, iſt die Ge— 
fidtsform beim grogten Teile der Lechtaler Maͤnner lang bzw. ſchmal, bei den 
Frauen aber mehr breit. Auch die genaue Meſſung und Gegenüberſtellung der 
Jochbogenbreite zur morphologiſchen Gefictabdbe (Entfernung vom Inddernen 
Kinn 3ur Vafenwursel) ergibt zur Halfte Schmalgefictige und 3u einem Drittel 
Mittelbreitgefichtige. Bei den Srauen überwiegen dagegen die Breitgefichter 
vocfentlich. Diefen Unterfchied zwifcben den beiden Gefchlechtern finden wir aber 
nicht etwa nur bei der Alpenbevdlkerung, fondern bei febr vielen Gruppen, ja die 
Verteilung der einzelnen Typen der Gefichtsform ift bei norwegifchen Männern 


1933, I Bruno R. Schulg, Die Bevölkerung des oberen Lechtales. 37 





aus Opland und Srauen aus ganz Liorwegen?) der bei den Lechtalern recht ähnlich 
(Tab. 4). Auch im oberen Allgau fanden fich gleichartige Derbältniffe. Unter den 
Oberbayern aus Miesbach fällt dagegen ein recht erheblicher Anteil von breits 
gelichtigen Männern auf, was für ftärkere Beimifchung alpiner Raffe in diefem 
Bebiete fprechen dürfte. 








Tabelle 4. 
Gefidtsform nad dem morph. Befidhteinder 
Auf 100 Perfonen tommen breite mittelbreite fymale 

Männer: 
Rebtal . 2. 2. 1 we eee 16 32 52 
Miesbad . 2 2... we 33 29 38 
Florwegen (Opland) . . . . 2... 10 23 67 

Srauen: | 
een 58 33 | 9 
Miesbah . . ...... eae 52 27 | 21 
Foorwegn . >» 2 2 0 .... 53 30 | 17 





Das Derbältnis von Tafenbdobe zur Hafenbreite zeigt befonders bei | 
den Kechtaler Männern ftartes Dorberrfcben der fchmalen Sormen, während bei 
den Srauen fchmale und mittelbreite Sormen faft zu gleichen Anteilen vertreten 
find. Die Zahl der fchmelnafigen Männer ift bier wefentlich größer als in Obers 
bayern und im oberen Allgäu und ftimmt mit den von Srizczi gefundenen Zablen 
aus dem Vintfchgau recht gut überein. Bei den Srauen dagegen ift die Verteilung 
eine mit den Oberbayern und den Allgäuern recht ähnliche (Tab. 5). 








Tabelle 5. 
UTafenform nad dem Ulafeninder 
Auf 100 Perfonen tommen | ſchmale mittelbreite breite 

Maͤnner: | 
fedtal . . 2 on 80 20 — 
Miesbach . .......... 59 40 l 
GilGl geese we Se we Re HH 86 14 — 

Frauen: 
fedtal 2. 2 ww ww ee 54 46 | — 
Miesbach . . . . . . rn 59 39 | 2 


Als Raffenmectmal febr widtig ift aud) die Geftalt des Llafenrüdens. Die 
Kechtaler Manner haben meift tonvere Viafen (Cab. 6). Damit geben febr häufig 
etwas bangende Viafenfpige und fchwach geblabte, body anfegende MTafenflugel, 
die die Llafenfcheidewand deutlich feben laffen, einber (Ubb. 7). Rontave Viafens 
rüden, alfo Stupsnafen, finden fich dugerft felten bei den Mannern, dagegen bei 
einem Viertel der Srauen, ähnlich wie im Allgäu. Die Bildung konverer Naſen⸗ 


) Schreiner, A, Antbropologifhe Studien an norwegifden Srauen. Videns⸗ 
tapsfelstapets Strift. I. Ri. Tr. 9. Rriftiana 1924. 


38 Dolf und Raffe. 1933, I 
SS a EEE EN TT — 


ruͤcken iſt bei den Frauen auch in anderen Unterſuchungsgebieten immer ſeltener als 
bei den Männern. Demnad ıft das Dorktommen von 21% konverer Kafenrüden 
bei den Lechtalerinnen recht erbeblich. 

Bei den Pfälzern ?), die bier noch zum Vergleiche gegenübergeftellt find, feben 
wir eine recht andere Derteilung der Sormen des Klafenrüdens. Jm männlichen 
Gefcdledte berrfcht die gerade bis wellige Sorm vor, wenn audy ein Drittel kon- 





Abb. 10. Demaltes Haus in Elbigenalp. 


vere Naſen zeigt; bei den Srauen dagegen find die konktaven Flafenrüden bei mebr 
als der Hälfte der Unterfuchten gefunden worden, während Srauen mit konveren 
ofenrüden recht felten find. 

Die norwegifchen Männer baben dagegen unter den bier verglichenen drei 
Gruppen den relativ größten Anteil konverer Mafen. 


Tabelle 6. 
Sorm des Flafenrüdens 








gerade bis 

Auf 100 Perfonen tommen | fonver wellig tontav 
Männer: 

REREAD) eee Rae oh eh Oe? 2 Bee 58 38 4 

EIIBEE KINDER + Ge a = 31 50 19 

TRORROORGN Ss. SSK a Sok ee 17 55 28 
Srauen: 

SOA! se > ae 8 ee he a 21 54 25 

ag oe SD ee) &, Ag 16 32 52 


Aus dem unmittelbaren Eindrud beim Betrachten der Bevölkerung und den 
Ergebniffen der genauen Meffung ergibt fich, daß wir es, wie zu erwarten, deut: 
lid) mit einem Raffengemifd zu tun haben, bei dem das Hervortreten reinerer 


8) Roth, K. %., Beitrage zur Anthropologie der Pfalz, Raiferslautern 1928. 


1933, I Bruno R. Schulg, Die Bevdilerung drs oberen Lectales. 39 





Typen nicht bäufig ift. Es muß nun unfere Aufgabe fein, zu beftimmen, welche 
Raffen an dem Gemifch beteiligt find und wie groß etwa der Anteil der einzelnen 
Raffen dabei ift. Das bäufigere Dorkommen blauer Augen, befonders bei den 
Männern, weift wobl mit Sicherbeit auf einen nicht unbeträchtlichen Teil nor: 
difcher Kaffe, zumal, wenn man bedenkt, daß blaue Augen in einer Mijchlinge: 
bevölterung gegenüber braunen zahlenmäßig nur febr fchwach vertreten fein 





Abb. 3. Altes Bauernbaus bei Steg 


können, da die Anlage für braune Augenfarbe die für blaue überdedt. Mit nor: 
difcher Raffe (Abb. 1) in Einklang ftünde auch die Haufigkeit fcmaler Gefichter, 
fhmaler Fafen mit geradem bis welligem Fafenrüden, bober Flafenwurzel und 
tiefliegenden Augen, wenn aud) diefe MWerkmale des GBefichtes teils bei mittel: 
ländifcher, teils bei dinarifcher Raffe zu treffen find. Daß jedenfalls auch ein ziem: 
liber Schuß dinarifchen Blutes in diefer Bevölkerung ftedt, zeigen gewoiffe, diefer 
Raffe eigene Merkmale, wie der konvere Klafenrüden mit bängender Spitze (Abb. 7) 
und bochgezogenen Klafenflügeln (Abb. 3—6 u. 7), von denen eine tiefe Surche 
gegen die Mundwintel binziebt, fchweres, derbes Rinn und ftarte Böbenentwid: 
lung des Ropfes mit flachen, oder nur wenig gewölbtem Hinterhaupt, das febr 
fteil in den Viaden übergebt. Diefe Merkmale finden fic nun recht baufig, bez 
fonders bei den Lechtaler Männern (Abb. 8 u. 9). Don der Zumifchung dinarifcher 
Raffe könnte auch die häufig vorkommende bräunliche Hautfarbe ftammen; fie 
könnte aber auch mittelländifches oder alpines Erbteil fein. Die letztere ift ganz 
beftimmt, wenn aud fcbwac, in den Lechtalern vertreten. Die nicht jelten vor: 
ktommenden breiten Gefichter (Abb. 8) mit etwas ftarfer entwidelten Wangen: 
beinen und die befonders bei Srauen baufig auftretende Ponkave Sorm des Naſen— 
rudens find ryinweife dafir, aud) die grogere Anzabl Kleinwudhfiger unter den 


40 Volk und Raffe. 1933, 1 
a a ED 





Männern wäre damit zu erklären, wenn diefe Erfcheinung auch unter Umftanden 
eine Solge mittelländifchen Einfchlages fein könnte. ine Beimifchung mittel: 
ländifcher Raffe in fehr fhwachen Ausmaß ift wabrfcheinlidd gemacht, durch das 
gelegentliche Vorkommen mandelförmiger Augenfpalte, boben Oberlids, ftark ge- 
fhwungener Lippen mit amorbogenformigem Oberlippenrand und welligen Haares 
(Abb. 3—4), alles Merkmale, die für mittelländifche Raffe Cennzeidnend find. Die 
Spuren diefes Einfchlages find vielleicht auf alte Refte einer romanischen Bevöls 
kerung, die weit verbreitet in 
den Alpen gefeffen bat, zurüd: 
zuführen. Der im £echtale febr 
bäufige Samilienname Wald 
weift auch darauf bin. Er ıft 
die Bezeichnung, welcde die 
Germanen bei der Landnabme 
den Romanen gaben. Selbft: 
verftändlich können aber auch 
Spritger mittelländifchen Blu: 
tes in jüngerer Zeit in die Bes 
völkerung gelangt fein. 

Bei den Bewohnern des 
oberen Lechtales baben wir es 
alfo mit einem Gemifche aus 
nordifcher, dinarifcher und als 
piner Kaffe zu tun, das aud) 
einen fchwachen Einjchlag mit: 
telländifcher Kaffe vermuten 
läßt. Der Anteil der nordifchen 
Raffe berrfdt offenbar vor, 
doch ift auch der Gebalt an 


x 2% dinarifcbem KErbgute beträcht: 
Bew. lid. Die Zumifchung alpiner 
—— Elemente iſt wohl nicht ſehr 
Fay “groß. In typifchen Merkmale: 
I >. verbindungen berrfcht jedenfalls 


Bos ahs das nordifde und dinarifche 
—— oh Se — Bild, wie es unfere Abbil- 
ee =. dungen auch zeigen, ftark vor, 
Abb. 12. Lechtaler Bäuerin in alter Sefttracht. wäbrend alpine Typen viel fel- 

tener find. 

Sur denjenigen, der vom Weften aus dem oberen Allgau ins Lechtal kommt, 
bietet fich bier auf den erften Blie ein kulturell ganz anderes Bild. Wäbrend der 
Allgäuer in feinem ftattlichen Bolzbaufe meift in Einzelböfen fiedelt, fommen wir 
bier im Lechtale durch lange Orticdaften, die ein ganz anderes Geprage baben, das 
fid) am unmittelbarften in den reich bemalten und mit Stud verzierten Käufern 
Außert (vgl. Abb. 10). In ihrem Wefen find die Leute febr zugänglich und gewedt. 
Der Sinn für die Bedeutung von Herkunft und Sippe ift wach und für den Sorfder 
befonders erfreulich. Es war mir fogar möglich, bei einem Bauern eine bis ins 
17. Jahrhundert reichende Abnentafel vorzufinden. In Eünftlerifcher Beziebung 
war das Lechtal feit jeber febr fruchtbar, und eine Reibe von Rünftlern, deren Viame 





a. cg — 


1933, I Bruno R. Schulg, Die Bevölkerung des oberen £echtalee. 41 





auch über die engere Grenze ihrer Heimat gedrungen ift, ift bier zu Haufe, fo 
die Brüder Rärle aus Hinterbornbach, der bekannte Landfchaftsmaler Jofef Anton 
Rod aus Obergiblen, der Baumeifter Georg Salger (geft. 1704) und der Graveur 
Anton Salger (1791—1876) aus Elbigenalp, der die Ausfdmudung der Rirdye 
in €lbigenalp vornabm und 3wei Totentänze malte, einen in Elbigenalp und 
einen in Elmen. 

Durd die verhältnismäßig recht große Abgefchiedenbeit vom modernen Ders 
tebr und durch das Seblen einer größeren Jnduftrie bat fic bier auch fonft mand 
altertimlider Zug in Handwerk und Brauchtum erbalten, befonders dort, wo es 
fih um Arbeiten aus olz und Metall handelt, feien es nun ganze Haufer (Abb. 13), 
Bruden oder gefdnigte Mdbel, Ubren und dergleichen. Aud die Schnivgtunft 
wird feit alter Zeit im Lechtale betrieben und hat jegt durch eine Schnitfchule in 
Elbigenalp eine ftarke Sörderung erfahren. 

Befondere Erwdbnung wegen ibrer Cigenart verdient nod die fddne, alte 
Srauentract, die beute freilich nur mebr an ein oder zwei Sefttagen des Jahres 
angelegt wird, während als gewöhnliche Sonntagstradht der Srauen ein fchwarzer 
Seidenrod mit einer Armeljade aus fchwarzem Tuch und einem großen vwoeißen 
oder bellgelben Ropftuche dient. Zur alten Sefttracht (Abb. 12) gebört ein fchwarzer 
QTudrod, darüber eine fhwarzfeidene Schürze, ein Miederjädchen mit Baufds 
ärmeln aus duntelblauem Samt und mit Silber oder Gold beftidtem Bruftlag, 
ein blaufeidenes, geblumtes Schultertuh mit Seidenfranfen, das von einer 
Sdhmuedneadel zufammengebalten wird und ein breittrampiger, sylinderartiger Aut. 
Die pracdtige Wirktung wird nocd geboben durch alten Gdhmud wie AUrmbander, 
Ringe, Ketten und Öbrgebänge. Das Aaar wird dazu in zwei auf den Rüden 
berabbangenden Zopfen getragen. Die Manner Eleiden fic an Sefttagen in die 
Sadhugentradt, beftehbend aus blauer Tuchjoppe, roter Wefte, unter dem Rnie 
geichloffener Bundhofe, weigen Wollftrampfen und fdmallrempigem Spigbut 
mit Spielhabnfeder. Sie ift eng verwandt mit der Tracht anderer Tiroler und 
oberbayerifcher Täker. 


Eine in den Alpen und Doralpen, befonders dem bajuvarifcen Teile, bäufig 
vortommende Sitte ift die Anlage von Rnochentapellen. Die Schädels und großen 
Robrentnoden, die beim Umgraben des Rirchbofes beraustommen, find da in 
großer Menge aufgeftapelt. Auch in Elbigenalp und Holzgau befinden fich ders 
artige eigentüumliche Aultftätten. 

Zufammenfaffend kann man fagen, daß im oberen £ecdhtale ein Volksſchlag 
wobnt, der nad) Dollsdharafter und Brauchtum wefentlich bajuparifch beftimmt 
ift. Die geograpbifche Lage und die dauernde Zugebdrigkeit 3um Lande Tirol 
bradhten es ferner mit fich, daß fi) da eine gewiffe Eigenart gegenüber den ftamms 
verwandten KTadhbarn entwideln konnte. Am Aufbaue der Bevdllerung find dies 
felben Raffenelemente beteiligt wie in weiten Teilen Süuddeutfchlands. Jhe gegen: 
feitiges zahlenmäßiges Derbältnis ift aber doch etwas anders als bei den Allgäuern 
im Welten und den Oberbayern im Often, 3u denen von vorneberein die nächften 
Beziehungen anzunehmen waren. 


42 Volt und Raffe. 1933, I 


Ein Deutfcher 
der europäifche Erfinder der Daktyloſkopie. 
Don ©. Reche. 


mmer wieder lernt man Beifpiele fur den 

tragifchen Erfabrungsfag kennen, daß der 
Prophet im eigenen Daterlande nichts gilt, daß 
eine Erfindung, daß neue Gedanken „weit ber‘ 
fein müffen, um Beachtung und Anerkennung 
zu erlangen. Ganz befonders baben deutjche 
Entdeder unter diefem Schidfal zu leiden ge- 
babt; von zahlreichen geiftigen Großtaten ıft 
befannt geworden, daß fie eigentlich Deutfchen 
zu verdanken find, daß fie fic) aber erft durch— 
jeten, als Angebörige anderer Völker die deut: 
fcben Gedanken aufnabmen oder — mandmal 
febr viel fpäter als der Deutfche — von felbft 
auf die gleichen Gedankengange kamen. 


Bei der Daltyloffopie, alfo der Derwen: 
dung von Abdrüden der Hautleiften menjch: 
Prof. Pr. WD. €ber. lider Singerbeeren im Dienfte des polizei: 
lichen Ertennungsdienftes (zur Jdentifizierung 
von Derbredern, die fehon ihrer Vorftrafen wegen oft genug gern „inkognito“ 
bleiben wollen, und zur Seftftellung des Täters aus am Tatorte fich findenden 
Singerabdrüden), baben wir einen weiteren derartigen Sall, wo das Derdienft der 
Entdedung eigentlich einem Deutfchen gebührt, deffen Leiftung aber bis vor Kurzem 
völlig unbefannt geblieben war. Seit Jabrbunderten zwar ift die Herftellung 
und — wenn auch befchräntte — Verwendung derartiger Abdrüde in Oftafien 
befannt gewefen, nad Europa drang aber keine fidbere Runde von diefer Methode, 
und fo mußte diefe Entdedung in Europa felbftändig gemacht werden. Als diefer 
europäifche Entdeder des Verfahrens galt bisber der berühmte englifche KTatur: 
forfder Sir Sranzis Galton, der am 25. Mai 1888 zum erften Mal in der Offent- 
lichkeit feine Entdedung und feine fich daran anfchließenden Dorfdlage erwähnte !), 
feine wichtigften diefes Thema bebandelnden Derdffentlidungen ftammen fogar 
erft aus den Jabren 1392 (Finger prints), 1893 und 1895. 

Eber als Galton aber ift, wie wir feit Rurzem wiffen, der damalige Berliner 
Tierarzt und fpätere Profeffor an der Tierärztlichen Yochfchule in Berlin, Wilbelm 
Eber’), auf die gleichen Gedanken getlommen und bat auch in einer ausführlichen 
Dentfchrift, die „im Mai 1888 datiert war, dem vorgefegten Minifterium über 
feine Derfuche, Gedankengange und Vorfchläge berichtet. Die Dentfjchrift muß 
bon Anfang Mai abgegangen fein, denn der daraufbin ergangene Mlinifterial: 
erlaß ift bereits vom 26. Mai 1888 datiert; außerdem gebt die Eingabe W. Ebers 
auf ein Wanuftript zurüd, das der Entdeder im Srübjabr 1888 ausgearbeitet batte 








) Archiv f. Rriminologie, Bd. $5, %. 1/2. 1929, SF. 30—69. 
2) Geb. 24. Oktober 1863 in Hannover; geft. 22. Juni 1898 in Berlin als Profeffor 
der Pbarmalologie an der Tierärztlichen Hochſchule. 


1933, I O. Reche, Ein Deuticher der europdifche Erfinder der Dattyloftopie. 43 





und das den Titel trug: „Möglichkeiten der direkten Belaftung einer Perfon auf 
Grund von Handfpuren.“ Cine Gammlung von Material, ,,Rafuiftil übers 
fcrieben, ift nocd alter; in diefer ,,Rafuiftil erwähnt Eber, dag er im Stande fei, 
„die Hand, welde den Abdrud erzeugt bat, aus einer Reihe verdächtiger berauss 
zufinden“. 

Das Derdienft, auf diefe Catfachen aufmertfam gemacht 3u baben, gebubrt 
R.Heindl, der suerft in feinem Lebrbuche ,,Syftem und Praris der Daltyloffopies 
die Entdedung WO. Ebers erwähnte und dann in einem ausführlicheren Auffage 
im „Archiv für Ariminologie“!) wichtige Einzelheiten und den Liachweis brachte, 
daß Eber völlig unabbängig — und ohne von der in Öftafien üblichen Derwen: 
dung von Abdrüden zu wiffen — zu feiner wichtigen Entdedung gelommen ift. 

Die Deröffentlihungen Yeindls find aber faft ausfchließlich nur im engen Rreife 
der eigentlichen Sachleute belannt geworden und haben in der breiteren Öffentlich» 
Reit nicht das Echo gefunden, das fie verdienten, und fo möchte ich die böchft inters 
effanten mit der Entöedung zufammenbängenden Tatfadhen und Dorgange für 
einen größeren £eferkreis fchildern, um dem Andenken und der gerechten WPürdis 
gung des genialen Mannes zu dienen. ch ftütze mich dabei auf die oben erwähnten 
Derdffentlidungen R. Heindls und auf mündliche Angaben, die mir liebenss 
würdigerweife der Bruder des Entdeders, Profeffor Dr. A. Eber, 3. Ft. o. Pros 
feffor an der Univerfität Leipzig und Direltor des „Lierfeucheninftitutes‘‘ und des 
„Inftitutes für animalifche Kabrungsmittellunde‘, gemacht bat. 

Die Tierärzte des Berliner Schlachtbofes find damals mit den Büchern, in 
die fie ihre Eintragungen zu machen batten, nicht febr fauberlich umgegangen; oft 
genug fanden fich auf den Seiten Abdrüde der blutbefchmugten Singer der Eins 
tragenden, mit denen fie, obne fie vorber zu reinigen, Bücher und Seiten angefaßt 
batten. Derartige Dinge werden fi obne Zweifel au auf vielen anderen 
Schlachthoͤfen abgefpielt haben, aber niemand ift auf den fdeinbar dod nabes 
liegenden Gedanken gefommen, fic diefe blutigen Abdrüde mit den Augen des 
Britifchen und überlegenden, des „ich wundernden“ Klaturforfchers anzufeben. In 
Eber zeigte fich aber fehon bier der künftige Gelehrte: er unterfuchte forgfältig 
alle Einzelheiten der Abdrüde, entdedte ihre großen Unterfchiede im Mufter und in 
vielen Einzelmertmalen, verglich fie mit einander und mit den eigenen, ftellte feft, 
zu welchem Rollegen jeder einzelne Singerabdrud gebörte, merkte fich genau die 
Eigentümlichkeiten jedes Abdrudes und war auf diefe Weife fchließlich im Stande, 
am ,,Singerabdrud den „Täter“ zu erkennen. Alfo auch die praltifche Derwends 
barkeit war ibm flar. 

Als ibm das in zwei Jahren gefammelte Material ausreichend erfchien, 
unterbreitete er in der oben erwähnten Eingabe den damaligen Preußifchen Innens 
minifter feine Beobachtungen und praltifchen Vorfchläge. Im Beleitfchreiben fayon 
wurde das Wefentliche gefagt; dort beißt es 3. B.: „Mrabte Vergleiche ergaben 
nun nicht nur die befannte Tatfache, daß zwei Hände in ihrer Sorm einander nie 
voliftandig gleichen, fondern legten auch überrafchend dar, daß nicht einmal 1 qcm 
der inneren handoberfläce fein Analogon bei derfelben oder anderen Perfon findet. 
Hierin liegt aber nicht allein die Möglichkeit, aus dem Gefamtlinienfyftem der 
Hand einen Menfchen wiederzuertennen, deffen Handporträt urjprünglidh firiert 
wurde, fondern [bon Bruchftüde werden für den gedachten Zwed vollftändig auss 
reichend fein. Mitbin wird dann, wenn an dem Tatorte eines Verbrechens Spuren, 


1) ag. a. O. f. 0.! 


44 Volt und Kaffe. 1933, I 





ARudimente im obigen Sinne entdedt werden“ — für ihre Dorktommen fprechen in 
der Arbeit näher ausgeführte Webhrfcheinlichleitsgründe —, „die gleiche Möglidykeit 
befteben, unter einer Reibe verdächtiger Perfonen diejenige zu ermitteln, welche 
am Catorte mit beftimmten Gegenftanden in Berührung gelommen. Die ganze 
Art der erforderlichen Unterfuhung würde im wefentlidhen darin tulminieren, 
geeignete Bilder von Händen verdäcdhtiger Perfonen darzuftellen und darunter ein 
ganz beftimmtes Eremplar als dasjenige zu bezeichnen, woeldhem die vorgefundenen 
Rudimente angehören.“ Beigefügt waren der Eingabe ein Raften „enthaltend die 
für die Herftellung künftlicher und die Unterfuchung natürlicher Bilder erforders 
lien Gegenftände“, eine Anzahl für die Demonftration notwendiger Yandbilder 
und cine ,,Kafuiftil und febr eingehende Ausführungen über die Struktur der 
volaren Sandfläche, uber deren „Säbigkeit, gewiffen Gegenftänden bei der Bes 
tubrung cin natürliches Bild aufzuprägen“, über die eperftellung von Handbildern 
durch Joddämpfe, über fpeziell anatomifche Eigentümlichleiten einzelner Regionen 
der volaren Yandfläche ?), über den verändernden Einfluß von LTarben und fonftiger 
erworbener Defekte, über „akzidentielle Bedingungen für die Bildung von Hands 
abdrüden an Bebrauchsgegenftänden“; er befchreibt einen von ibm fonftruierten 
„Vergleichsapparat für Bilder auf ebenen Sladen’ und befdaftigt fich mit der 
„Methodik der Unterfuhung und Sortfegung der Charakteriftit natürlicher Bils 
der“ ufw. 

Wir feben alfo in der Denkfchrift das Prodult febr eingebender und zeits 
raubender Unterfuhungen und finden in ihr alle Hauptgefichtspuntte der beute 
in Gebrauch befindlichen Daltploftopie bereits vor. Kur zur Herftellung künfts 
liher Hands und Singerabdrude bediente fidh Eber mertwürdigerweife nicht der 
heute üblichen und feit Jahrzehnten bewährten Druderfhwärze, fondern batte ein 
Derfabren ausgearbeitet, die Papillarlinien durch Joddämpfe fihtbar zu machen. 

Jeder, der diefe außerordentlich gründliche und überzeugende Denkichrift lieft 
und nur einigermaßen naturwiffenfchaftlich zu denken gelernt bat, wird von den 
Ausführungen gefangen und erkennt den außergewöhnlichen Wert der Entdedung. 
Anders die damaligen „Inftanzen“. Das Innenminifterium gab j3unddft die Cine 
gabe fhon am 26. Mai an das Polizeipräfidium von Berlin weiter, und diefes 
batte bereits nad ganz wenigen Tagen, innerbalb derer eine forgfältige Prüfung 
fur den £aien unmdglicd war, — in vdlliger Derftdndnis: und wobl aud Intereffe- 
lofigteit — berausgefunden, daß die Vorfchläge „praktifch nicht verwertbar ere 
fheinen und davon abgefeben wird, auf diefelben näher einzugeben“. Schon am 
s. Juni 1888 gab alfo das Polizeipräfidium diefes „Butachten“ an das Minis 
fterium, ein Beweis dafür, daß man es nicht für nötig befunden hatte, fic die 
Sadje gründlich durchzudenten — das Thema lag ja wohl den damals vorberrs 
fehenden rein verwaltungstednifden und juriftifchen Gedanktengängen der beguts 
achtenden Khyerren weltenfern. — 

Am 19. Juni 1888 bereits erbiclt OO. ber feine Eingabe mit dem abs 
fchlagigen Befceid zurüd. Wenn die Bebdrden damals nur einiges Verftändnis 
gebabt bätten, bätte Preußen, wie Heindl febr richtig bervorbebt, der erfte Staat 
mit ausgebautem Erlennungsdienft werden können! 


3) Eber bezeicbnet hier fcbon die Siguren als „Wirbel“, ,Bdgen’, fpridt vom 
„Radius“, vom „Zentrum“ und erdrtert auch fhon Größe und Zahl der Drüfen; Heindl 
weift darauf bin, daß Eber alfo bier durd) Berudfidtigung der Drufen aud fhon die fpäter 
von dem Stanzofen Locard 1932 (24 Jahre fpäter!) eingeführte „Poroftopie“ in den 
Grundlagen vorweggenommen bat! 


o 


Stau in Sefttracht und Dorreiter des Rammerwagens aus der Schwalm, #yeffen 


Kunftbeilage zu „Volt und Rafe” Aus: Helm, Deutfche Voltstrachten 
I. $. £ebmanns Verlag, München 











— —— — — — — — 


1933, 1 Deutfde Doltstradten. 45 








YD. Eber war uber diefe Derftändnislofigkeit gründlich verärgert und gab «8 
gan3 auf, fid mit diefem Sorfhungsgebict zu befchäftigen. Aber fein Material 
wurde in der Samilie aufbewahrt und tft auf diefe Weife dod) nod bekannt 
geworden. 

Immerhin batte der beilige Burofratius einen genialen Mann um die Srüchte 
feiner Arbeit gebracht und einen großen — eines Liobelpreifes würdigen — Ge 
Santen erft einmal totgefchlagen, zum Schaden auch des deutfchen Anfebens. 


Deutfche Volkstracdhten. (IID” 


Tirol und Oberbayern. 


Tafel 5. 


Die alpenländifchen Trachten machen den Cindrud größter Urfprünglichkeit. 
Ihr Material ift Leder und der derbe felbftgewebte Loden. Die Sarben find einfach 
und kräftig, aber nicht aufdringlich: Rot und Grin, gedämpft und zufammens 
gebalten durch die natürlichen Wollfarben Schwarz, Weiß und Braun, und was 
fih aus ihrer Mifchung ergibt. Die Sormen find durchweg alt, viel ift aus dem 
16. und 17. Jahrhundert, fo der Hut der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die 
Hausfrauenkette der Renaiffancezeit, der radförmige Aragen und anderes; aus dem 
18. Jahrhundert kaum etwas. Das Meifte aber ift zeitlos, den ftets gleichblei- 
benden Derhältniffen des Bebirgslandes angepaßt, die ftärker find als alle Modes 
ftrömungen. Dabei find die Trachten aber in den Einzelheiten von einer unerfchöpf: 
lichen Dielfeitigleit, weil jedes Tal für fic) ziemlich abgefchloffen ift und feine eigene 
Entwidlung nimmt. Der Einfluß von Weiten, der in der Schweiz fo ftark zu 
fpüren ift, fehlt durchaus. Wie häufig bei primitiven Trachten, haben Männer: 
und Srauentracdhten in Sorm und Sarbe vieles gemeinfam. 


Heſſen. 
Tafel 6. 


Die Srauentrachten entbalten auffallend viel Sormen verfchiedener Zeiten reins 
lid) nebeneinanderftebend. Die älteren, die in vielem auf das 16. Jahrhundert 
zurüdgeben, baben den ftrengen Ernft der Reformationszeit auch in der Sarbe; fie 
find vorwiegend fhwarz, mit etwas Weig und Blau, und aud) fpatere Zeiten 
baben diefe Zufammenftellung nur wenig gemildert und durd) andere Sarben belebt. 
Daneben ift eine Reibe jungerer Tracten in den zarten zurüdbaltenden Tönen des 
Rokolo und der Empirezeit entftanden; augerdem beftebt nod ein Kleines Latho-z 
lifches Gebiet von traftigerer Buntheit. 

Die Mannertract ift die er friderizianifchen Zeit, in fauberer und charalters 
voller Sorm. So wie fie bis auf den heutigen Tag in der Schwalm getragen wird, 


*) Siehe Volt und Kaffe 1932, Heft 3, S. 170 und Heft 4 S. 215. Sortfegung des 
Abdruds aus dem im Verlage I. 5. Lehmann, Munchen, erfcienenen Werke von Rudolf 
Helm, Germanifches Mufeum in Klürnberg, Deutfdbe Dollstradten aus der 
Sammlung des germanifben Mufeums (mit 115 Tradtenbildern auf 43 fdbwarzen und 
3 farbigen Tafeln, Preis RM. 4.—). 


46 Dolt und Kaffe. 1933, I 








ift fie mit geringen Abweichungen im 18. Jahrhundert in ganz Klorddeutichland, 
außer der Rüfte, und in einem großen Teil Süusddeutfchlands anzunehmen, ebe die 
Zeit der Revolution und der Befreiungstkriege fie umgeformt hat. Es ift bemers 
kenswert, daß fich in SHeffen gerade die reinfte Sorm der Männertracht am beiten 
gebalten bat, während diejenigen, die fi zu Beginn des 19. Jahrhunderts der 
Mode näberten, inzwifchen gänzlich untergegangen find. Einen befonderen Reiz 
gibt fowobl der Manners wie der Srauentradt die reiche und geichmadvolle 
Stiderei. Darin werden die beffifchen Trachten von keiner anderen erreicht. Metall: 
Ihmud fehlt dagegen faft ganz. 


Deränderung deutfcher Samiliennamen in den 
Vereinigten Stasten. 
Don Dr. Wilhelm Heidrich. 


Alle in Amerika veränderten deutfhen Samiliennamen wiederzuertennen, wird der 
wiffenfchaftlihen Sorfhung nie gelingen. Allzu ftark ift die Wandlung durh Zufall und 
Willkür beftimmt. Mandyer Deutfche, der nach Amerika auswanderte, warf mit der Erinne- 
rung an die Heimat aud feinen Viamen fort und nannte fi Iefferfon, Watfon, Aamil: 
ton. Der Weltlrieg veranlaßte Angitliche, Kamen wie Schneider und Zimmermann über 
Nacht in Tailor oder Larpenter umzuwandeln. Eine rein theoretifce, etymologifde Sors 
ſchung kann in zablreiden Sällen nicht den LTachweis erbringen, daß die Träger eines 
Flamens aus Deutfchhland ftammen oder nicht. Wer kennt alle in Deutidland vorfommenden 
Samiliennamen, aud die nichtdeutfchen Urfprungse, um fie nach ihrer Amerikaniſierung 
wiederzuertennen? XWDieviel deutfche oder deutfd Rlingende Llamen kommen andererfeits 
in Skandinavien, Holland, Rußland vor und find von dort aus nah Amerika gebradıt 
worden. Sebr viele der alteingefeffenen ameritanifden Samilien wiffen beute das Hers 
tunftsland ibrer Abnen nicht mebr; auc führt der Vantee feinen fagenbaften Stammbaum 
gern nad Britannien zurüd, felbft wo ibm die Tatfadıen keinen Anlag dazu geben. Flur 
wenn fich die Tlamenforfdung mit dec Samilientunde verbindet, kann fie zu nabezu ficheren 
Ergebniffen gelangen. — Die Rüdverfolgung der Abnenlinie entbüllt oft eine allmäbliche 
Wandlung, ein langfames SichsEntfernen von der deutfchen Urfprungsform, das Suden 
nad einem YTamen, der dem bereits angliſierten Menſchen ſprachecht klingen moͤchte. Die 
Redtidreibung wird fcdhwantend, da das deutfche Lautbild durch angelfadfifde Schrift: 
zeichen reproduziert werden foll. Mit dem VWerluft der deutfchen Sprache ift aud DVerftänds 
nis und Kenntnis fpezififch deutfcher Laute wie der reinen Dolale, der klaren Scheidung 
zwiſchen Rurz⸗ und Lang:Volalen, des Debnungs:h verfdwunden. Verfchiedene Schreibe 
weifen ein und desfelben Ziamens laufen nebeneinander, bezeugen die ſprachliche Auseinander⸗ 
fegung des Deutfchen mit dem Englifden als Anpaffung des Sremden an das Gefeg des 
Bodens. Das Bild der Kamen wird nod farbiger, fchattenreicher durch die verfchiedene 
Ausfprace des Englifden etwa bei sem Southerner und dem Boftoner, oder bei dem 
Mann aus Jerfey im Begenfag zu dem aus Ralifornien. Sodann bat auch der Unterfdied 
zwifchen Hoddeutid und tNundart die VDariationamesglichkeit in der KTamensperänderung 
vergrößert. Wo Deutfche gefchloffen auf dem Lande fiedelten und ihre Mundart wahrten 
— wie 3. B. das Pfälzifhe in Bftpennfplvanien und einigen anderen Staaten — find 
Viamensverdanderungen nidt nur vom Hoddeutfcben, fondern auch von mundartliden 
Lauttlang ausgegangen. Schliegßlih ift nod zu berüdfichtigen, daß ein Heiner Prozentjag 
der deutichen Einwanderer des fiebzebnten und achtzebnten Iahrbunderts nicht Tefen und 
fchreiben konnte. Jbr Llame, ibnen felber nur im Gebör, nicht ale Schriftbild gegenwärtig, 
mußte fich fcbon beim Betreten des ameritanifchen Seftlandes verändern, wenn der angels 
fächfifhe Schreiber den vorgeiprodhenen Mamen in englifde Örtbograpbie übertrug oder 
einen beliebigen, englifch ausfebenden Mamenbieroglvpben fchuf. — Aus all diefen Gründen 
bewegt fich die Sorfdbung nach den urfprünglichen deutfchen amen oft auf dem Boden der 
ypotbefe. Es foll bier keine fyftematifche Überficht über die Wiöglichleiten der YTamenss 
änderung gegeben werden, fondern nur eine Meine Auswahl von Klamensreiben, wie ich fie 


1933,1 Milbelm Heidrich, Veränderung deutfcher Samiliennamen ufw. 47 








gefammelt und, wenn irgend möglich, durdy Dergleich und durdy Llacdhfrage in den Samilien 
zurüdverfolgt babe. Eine Rethe von amen und Flamensänderungen find Rubns „German 
and Swiss Settlements of Colonial Pennsylvania“ (1900) entnommen. 

| Abgefeben vom Annebmen eines ganz neuen Llamens in Amerila, wie das in einigen 
Sällen bezeugt ift, bleibt die einfachfte Sam der Veränderung die unmittelbare Überfegung. 
Subs > Sor, Schneider > Tailor, Shuhbmader > Shoemaler, Steinbrenner > 
Stoneburner, Seidenftider > Silttnitter, König > Ring, Müller > Miller, 
Perl > Pearl. Zuweilen begnügt man fich mit halber Peery. Steinweg > Steins 
way, Grünberg > Greenberg. Halbe Uberfegung ift aud SGlaymater fuc Sdleiers 
mader. Das erjte Wort des deutfden LTamens ift pbonetifch geändert und verlürzt. — Der 
reinen Überfegung find Grenzen gefetzt, da nur eine Meine Anzabl Kamen fich überjetzen läßt. 

Größer ift das Held der Angleichung deutfcher Laute und Silben. Das Allzudeutfche 
mußte fallen; fowobl Ausfpradhe wie Schriftbild wurden angeglichen. Zuerft werden aus 
deutfchen Klamen gewöhnlich die Umlaute befeitigt, da das Englifche keine Zeichen für ä, 
ö, ü kennt. Wo nicht der Umlaut durch Linfigung eines e fchriftfpradhlidh bewahrt wird, 
erfcheint Lüders als Luders, Bühler als Bubler, Müller ale Muller. Das nicht 
mebr gefdriebene i verfdwindet allmablid auch aus der Ausfprade des Klamens; und ift 
„Lüders“ audy in der Ausfprade zu „Lüders“ geworden, folgt febriftfpradhlich die zweite 
Stufe der Derwandlung: ü wird gewöhnlich oo gefchrieben, aus Luders ift Looders ents 
ftanden. In gleicher Weife tann Booler eather at „Bueler” fib im Scriftbild 
aber feinen Umlaut erhalten, fo wird man den Kamen durchweg etwa „Bjuler“ ausfpreden. 
Selten find deutfhes Schriftbild und deutfche Ausfprache zugleih zu retten. — Da dus 
deutfche ü dem i nabeftcht, und in einigen deutfchen WMundarten wie i gefprochen wird, ift 
nod eine andere Entwidlung des Umlauts möglich: Der als „Riebne“ ausgefprocdhene Plame 
„Rübne“ wird nad angelfächfifcher Orthographie Reeney gefdrieben; Ruble wird 3u 
Beeley. — Deutjcdhes ü gebt gewöhnlich zu i über. (Müller > Miller, Büttner > 
Bittner) In Sheets für Shüg ift es wieder gelängt worden. Ö nimmt gern den 
Weg zu e. (Rölliter > Relter, Dörr > Derr.) Zuweilen bleibt der Umlaut ganslie 
unbeachtet, fo in Stover für Stöver, Shroder für Schröder, Sbober für Scöber. 

Rurzes u, im Englifhen ungebräudjlich, wurde gelängt. Rug > Root, Zug > 
3008; in gleiher Weife wurde langes u erfegt: Hoover (Huber), Soon (Aubn), 
o in Holg verwandelt fibh in u: Hulfe. 

Der Dipbtong au wird erfegt durh ou oder ow: Bowman, Mowrer, 
Brown, Souft. 

Sir ei tritt gewöhnlich i mit Derlängerung der Silbe um ein e ein, oder aber y: 
Heim > Hime, in: > Hines, Reinhardt > Rinebart, Weigel > Wbitefel, 
Theis > Tice; Schneider > Snyder, Streidher > Stryler, Hedrih > Hydrid, 
£eiendeder > Lyendeder, Rel > Ryle; vgl. Sry, Yyman. — Die deutfchen Bauern 
Pennfylvaniens fprecdhen ei dipbtongifch aus (ei), dbnlid) der Ausfprache des englifhen a 
in langen Silben. Das ergibt Anderungen wie Graty für Rreidig, Efpenfbade für 
Eipenfcheid (vgl.: Sailor < Seiler). 

In ähnlicher WDeife bat in Pennfplvanien die dialektifch breite Ausfprache des deutfchen 
a — etwa gleid englifd aw — — von hochdeutſcher Ausſprache her unerwartete 
Veränderungen bedingt: Shwab > Swope, Alt > Ault, Ade > Augbey, Graff > 
Grove, aud Groff. Die pennfylvanifdhe Dipbtongierung des deutfchen € bewirkt Ders 
wandlungen wie Gebel in Gable, Stebli in Staley, Ausweg in Ausweatle. 

Deutfdhes i wird durd ee erfegt: Rith > Reed, Schillig > Sbheeleigb (aber 
aud: Sbelley). 

Aud in der Veränderung der Ronfonanten laffen fic) einige Gefegmagigtciten beob- 
achten: Zundächft der Austaufd von k, c und g, desgl. von d undt. Raufmann > Coffs 
man, Gebbardt > Capebart, Rreidig > Braty, Rotb > Road, Sig > Seides. 

Daß der Ausfpracde dea deutfchen sch englifh sh entjpricht, ergibt Dereinfadungen 
wie Sbnepf, Sbred, Shurman, Sifber. 

Unenglifd tft die deutfche Doppeltonfonanz nad kurzen Dolalen. Die englifchen Dotale 
find durdhweg weder fo kurz wie die deutfchen nody fo lang wie unfere langen Votale. Es 
beftebt fomit tein Grund fur Doppeltonfonang, desgleiden aud) nidt fir Debnungs=h. 
Sennig wird alfo Aenig, Heimann > Hyman, Lebmann > Leman (desgl. Umer= 
man, Tanenbaum, Hofman), Soebner — Sener, Srdblish > Sraley (vgl. 
Rob! > Cole). 

J wird zu y: Jung > Poung, Jobft > Pot. 


48 Volt und Kaffe. 1933, I 





B im Wortinnern wurde oft 3u v erweidt: Suber > Hoover, Eberle > Everly, 
Gerber > Garver oder Carver, Weifgerber> Whitefcarver, Sdnaebele >> 
Snavely, Bieber > Beaver. 

Pf wird zu f vereinfaht: Pfaug > Soup. 

Ch gebt in Gh oder ck über: Hambright, Albright (Hambrecht, Albrecht) 

Die Endung e wird bäufig zu y oder ey: Schwerdte > Swertley; vgl.: 
Reeney, Doffley, Everly. 

Die Endfilbe ig verwandelt fi in y oder ey: Hennig > Heney, Leidig > Leidy, 
Sailig > Sbelley. 

iele Kamen auf -baugh endeten urfprünglih auf sbah. Harbaugh < Herbad, 
Brigbtenbaugb < Breitenbah, Cridsdslebaugh < (wabrideinlidh) Rriddelbad, 
Rodsenbaugh < Rotenbad, Deffenbaugh < Dieffenbad. 

Gelegentlid wird aus phonetifden Grunden ein neuer Budftabe oder cine neue 
Silbe eingefugt: Jor! > Perrid, Waidner > Widener. 

Groß ift die Zahl der Veränderungen aus einfacher Analogie: für den deutfchen 
Hamen wird ein ähnlich Bingender englifcher eingefegt: Wallfmith für Waldfdmidt, 
Budingbam für Bodenbeim, More für Mobr, Swineford für Schweinfurt, 
Pennypader, Pennepader für Pannebeder, Rofeberry für Rofenberger. Der 
lame Sbhud lagt fowobl auf Schub wie auf Scbad fcdliefen. ine lebrreiche Ders 
wandlungsge(didte bat der Llame Lehmann. Die Doppeltonfonanz der zweiten Silbe 
wurde vereinfacht, das h des erften, deffen etymologifden Sinn man nicht kannte, fiel 
qleidfalls als überflüffig. In der fo verkürzten Sorm ,Leman” wird der erfte Dokal 
wit i gefproden, was wiederum eine andere Screibweife ermdglidt: Leaman, aud 
Leeman. Das lange e des urfprungliden deutfden Flamens wird andererfeits von 
englifhem Munde als ei ausgefproden und fodann a gefchrieben. So leitet fih auch der 
lame Laman nod von deutfch „Lebmann“ ab. 


Kleine Beiträge. 
FTeue Arbeiten zur Deutfchwerdung des Gftens. 
Don Ardivdireltor i. R. Dr. Hans Witte. 


(Sortfegung: Süden und Südoften.) 


Wir geben jegt zum füdlichen Teil des deutfchen Rolonifationsgebiets über. In 
Bayern nimmt die Erörterung der Marlomanneneinwanderung ihren Sortgang. Yad 
Ludwig Schmidt (Das Bayernland 1927 Fir. 19 S. 588—595; vgl. Hıft. Zeitfchr. 
Bd. 137, 1928, 3. 580) follen etwa um 508 die Bayern urd) Theoderid d. Gr. als ofts 
gotifche Köderaten Zur Grenzverteidigung in das nad) ihnen benannte Land gezogen, vorber 
aber fhon aus Böhmen in die Oberpfalz gelommen fein. Jbe von N. Heuwiefer (Aus 
Regensburgs Vergangenheit 1925 3. 90 f.) erft auf 535 angefegter Abzug fcdeint fic dems 
nad nicht durdhaufegen, zumal aud Kelmut Preidel, „Die Abwanderung der Marlos 
mannen“ (Präbift. Zeitfchr. Bd. XIX, 1928, 3. 250— 208), ibn nach einem erften größeren 
Vorläufer um 400 als endgültige Räumung Böhmens auf 508—510 anfegt. 

An Margarete Badhmanns Differtation über „Die Verbreitung der flawifcdhen 
Siedlungen in Hlordbayern“ (Erlangen 1920) bat eingebender namentlid Paul Reinede, 
Die Slawen in Mordoftbayern (Der Bayerifhe Dorgefhichtsfreund 1927/28 S. 17 ff.) 
angetnupft. Bei allgemeiner Anerkennung ibrer ehauptergebniffe bat er befonders nad: 
drudlich den fpezififch flawifchen Ebaralter der Schläfenringe und des Wellenornaments 
in der Keramik angefochten. Seine Rritit der Behandlung der Ortsnamen führt aud ibn 
dahin, in den Winden-Orten deutfche Brüundungen mit Derwendung von Slawen zu 
feben. Diefe feien in Nlordojtbayern erft im 7. Jabrb. eingedrungen, obne in der nur 
Ihbwahbewohnten Waldgegend „erheblichen Widerftand zu finden“. Auch die Zahl der 
bier landnebmenden Slawen dürfte nicht allzugroß angenommen werden. Das Bistum 
Bamberg babe keineswegs ihre Bermanifierung bezwedt, weil bei feiner Gründung (1007) 
„das Land feines vorwiegend flawifchen Charakters längft entlleidet war“ (3. 31). 

Dem Hin und Her zwifchen Bayern und Bdbmen, wie es fehon in ser Marko: 
mannenwanderung und in der Slawenniederlaffung am Main und in der Labs Regen: 


1933, I Bleine Beiträge. 49 
a eS 


Gegend zum Ausdrud kommt, begegnen wir auc fpäter, nur in veränderter oder gar ins 
Grgenteil vertehrter Ridhtung. Hans Muggentbaler, fhon durch eine Arbeit über 
die Rolonifation des Rlofters Waldfaffen (3924) betannt, befcerte uns nun „Die Befiedlung 
des Böhmerwaldes. Cin Beitrag zur bayrifhen Rolonifationsgefchichte* (Inftit. für oft« 
bayr. Meimatforfchg. 1929), wobei er beide Seiten des Bebirges zufammenfaßt und na« 
mentlich das Übergreifen bayrifcher Adelsgefchlechter ins Bdhmifde fdhildert. 

Sir Böhmen und die Sudetenländer bedeutet die foeben fhon berührte Abwanderung 
der Marlomannen nicht in dem Maße den entfcheidenden Einfchnitt. Die ihnen um 8500 
bzw. 510 folgenden Langobatden haben dem Gebiet weiter feinen germanifden Stempel 
erbalten. ert. ihr Abzug (568) fchuf der Glaweneinwanderung freien Raum, die ,eintge 
Jabrzehnte vor 623%, wo erftmalige Mennung bei Sredegar, ftattgefunden haben mug. Ernft 
Schwarzi, ———— (Sudeta IV, 1928, Heft 3—4) fiebt bier in Böhmen das 
eigentliche Rerngebiet von Samos Reich und läßt von da aus die Slawen, die 630 fehon 
als bis an die e figend erwähnt werden, „nach dem mißglüdten Aufftande der thürins 
Warnen im Jabre 595° mit Bewilligung der Sranten bis an diefen Grenzfluß 
en. 


Sür die befondere Art des tfchehifchen Siawensweriges, der bier feine endgültige 
Heimat gefunden Hatte, ift die Beobachtung eines arabifhen Reifenden aus der 
zweiten hälfte des 10. Jabrh. von Intereffe, „daß Böhmens Bewohner meift braun und 
Suntelbaarig und nur vereinzelt blond feien“ 2). Das deutet nicht gerade auf einen bes 
fonders merfliden Beifag germanifcher Überdaurer, wie ibn in Anlehnung an Brets 
Holz, befonders Anton Mayer, Die deutfche Befiedlung der Gudetenlander im Lichte der 
Sprachforfdung (Feitfcr. d. tfc. Wer. f. d. Gefd. Mabrens u. Schlefins XXX, Heft 3, 
1928) immer nod in bigigem Bampfe, namentlih gegen €. Schwarz, aufrecht zu 
ethalten fudt. Wenn Mayer dabei foweit gebt, eine bedeutendere fpätmittelalterdiche 
Einwanderung in Srage zu ziehen und das „plöglidhe Erftarten” des Deut(dhtums feit dem 
13. Ib. in der Aauptfache auf die „erhaltenen Bermanennefter“ zurüdzuführen (3. 48 
des G.5%.), fo bringt er anderfeits doch eine Sille intereffanten Materials. In einer Heineren 
Arbeit „Ein altes Germanennet im Herzen Mährens” (ebd. 1928 S. 18—24) weit er 
in der nördlih von Brünn gelegenen Herrfchaft Holenftein nach einer Urkunde von 1349 
fieben mit dem Grundwort — flag gebildete Ortsnamen nad. Bis in die Auffitenzeit 
fcheint fic bier die deutfche Sprache erhalten zu haben. Eine Rüddatierung des Deutichr 
tums bis ins s. Jb. Ht aber mebr als gewagt. : 

Der urtundliche PTadweis drtlid bis 1440 erbaltenen Deutfchtums wird erbradyt von 
Hans Rur, Zur Ortsgefhidhte von Starnow bei Sternberg (ebd. 3928 GS. 13—17). 
Aud bier ging das Deutichtum im Huffitentturm unter. Jn dem mit 1710 beginnenden 
Gemeindes@edenlbud des Ortes findet fich kein Hinweis auf früberes Deutfchtum mebr. 

Befonders wedfelvoll war die Befchichte des Deutfchtums in der Landeshauptftadt 
Prag. dor Mayer, Zur Befchichte der nationalen Verbältniffe in Prag (Aus Sozials 
und Wirtfh.sefch., Gedächtnisichrift für Georg v. Below. Stuttgart 1928, ©. 254— 278) 
nennt ihren „ausfchließlidy oder vorwiegend deutfchen Charakter bis zum Ende des 34. Ibs. 
fidher“. Wie dann die Stadt durch die Huffitenfturme gewaltfam ibres deutfchen Charalters 
enttleidet wurde, feit dem 17. Ib. aber, befonders nach der Scladht am Weifen Berge, 
wieder einen „mindeftens vorwiegend deutiden Charalter wenigitens in der Oberfadidt” 
gewann, bis feit Mitte des 19. Ihe. „nicht zum wenigften von Deutfchen eingeleitet“, 
das Wiedererwaden des Tihedhentums die Deutfchen in die Rolle „einer allerdings wirt» 
fbaftlid und tulturell unverbältnismäßig bedeutenden Minderheit” zurüuddrängte —, 
alles dies wird an der Hand der Prager Bürgerbücher gefchildert und zu erklären verfucht. 
Nachdruͤcklich wird hervorgehoben, „daß und wie die Bulturellen und politifchen Momente 
neben der Zuwanderung auf die Entwidlung des nationalen Charakters einwirlten“. 
Dberrafcend ift auch die Seftftellung, daß Prag im 17. Ib. der Herkunft feiner deutjchen 

lkerung nad, weniger eine Sfterreichifche als eine fids und mitteldeutfche Stadt war, 
die aber feit Mitte des 18. Ths. befonders durch —— des Zuzugs aus dem Reich 
(rescriptum inhibitorium von 3744) mehr und mehr veroͤſterreichert wurde. 


giſchen 
vorrid 


1) Gein neues großes Wert „Die Ortsnamen der Sudetenländer als Gefdhidtes 
Ile” konnte bier noch nicht behandelt werden, weil diefe Sammelbefprehung mit dem 
Sabre 1929 abfehliet. | 
3) Mah Befprehung von Hans Untersweyg in Ztfchr.-d. shift. Der. für Steiers 
mart. XXV. Ig., 1929, S. 261. gl. unten ©. 51. 


Dolt und Raffe. 1933. Januar. 4 





50 Volt und Kaffe. 1933, [ 
Se PS SEE IE 


Im Sftlid anfdliefenden Karpathenland führt uns Erih Gierad, Konig Wans 
nius (Karpathbenland, Jg. 1, 1928, G. 16—19) zurüd in die Srübzeit, die noch ganz. 
Ungarn als „ebemaligen deutfchen Siedlungsboden“, bewohnt von VDandalen, Goten,. 
Gepiden ufw., ertennen läßt. Im nördlichen Rarpatbenland, der fpäteren Slowalei, fiedelten 
die den Marfomannen nahe verwandten Quaden, die aud Mähren innebatten. Llady 
Marbods Sturz erfhheint bier zwifchen Mark (Marus) und Eufus (= Waag) um 19 
n. Chr. das Quadenreich des Wannius, dem audy vertriebene Markomannen neben illyrifchen: 
Ofen und leltifden Rotinern untertänig waren. Wannius ift der „erfte deutfche Fuͤrſt, 
SiG in Ungarn kennen“. Tod im 2. 3b. laffen fih Quaden an Gran und Eipel nach⸗ 
weifen. 

. In wefentlich fpätere, aber immer nod recht frühe Zeiten, dringt Emft Shwarz, 

Die Llamen Preßburgs (ebd. 19238 S. 19—25, dazu auch S. 80— 84), zurüd durch Unters 
fudung des Ortsnamens, der erftimalig im Jahre 907 in der Sorm „ad Brezalauspurc* 
erfcheint. Seine aud in der flowalifchen Sprache bis beute erhaltene deutfche Bildungsart 
(Presporot) ift für Schwarz „ein Zeichen deutfchen Lebens an der Grenze des einftigen 
großmäbrifchen Reiches vor 1000 Jahren“. Vielleicht fei es eine bayrifche Grenzburg yes 
wefen. Der Bampf zwifdhen Bayern und Ungarn, der 3. Zt. der erften Liamensnennung 
bier ftattfand, bedeutet immerbin eine Möglichkeit. 

Die zufammenfaffende Behandlung, die Rurt Edert, Die deutfhen Siedlungen in 
der Slowalei (ebd. 1928 S. 5— 15) bietet, ergibt eine einftmals weit größere Ausbreitung 
diefer Siedlungen. Als Hauptgruppen werden unterfchieden: 1. in und um Preßburg zus 
fammenbängend mit dem gefdloffenen deutfhen Spradgebiet. Weiter infular 2. eine 
mittlere um DeutfchysProben und 3. eine dftlide um Rasmart ufw. 

Über die Spradinfelgruppe Bielig-Biala gibt eine ganze Reihe von Arbeiten des 
bewährten Spracinfelforfdhers Walter Rubn 5) ergiebige Austunft. Schon in der 
zweiten Hdlfte des 13. Jahrhunderts entitanden, ift fie einft viel ausgedehnter gewefen und 
bat bis Rralau gereicht. Don befonderer Bedeutung ift bier das Zunftwefen, das aus 
Heinen Bauernftädten über das Tuchmaderbandwert wichtige Induftriepläge hat entfteben 
laffen und dabei ihren deutfchen Charakter bis heute gewahrt bat. 

„Das Zipfer Deutfhtum. Beihichte und Gefdide einer deutfchen Spradinfel im 
deitalter des Llationalismus” bat durch Erih Saufel in Heft 6 der „Schriften des 
Inftituts für Brenzs und Auslandsdeutfchtum an der Univerfität Marburg“ (Jena 1927) 
eine wenigftens für die newere Zeit feit Jofepb II. eingebende Bearbeitung gefunden. 
Damals begann die Sinneigung zum Magyarentum und die geiftige Entfremdung vom 
deutfchen Hiuttervoll. Walter Rubn bat in einer Beiprehung (Dtiſche. Wiſſenſch. Itſchr. 
f. Polen 1929 S. 172—174) die befonders heute überwiegende Gefahr der Slowalifierung 
gegenüber der der Magparifierung ftärker unterftrichen, gewinnt aber fchließlich doch ein 
günftigeres Bild als das von Saufel gezeichnete. 

Die Eingemeindung benachbarter deutfcher Dörfer in die durch ihre Boldbergwerte 
aufgeblübte Stadt Rremnig behandelt Jofef Ernyey, Zur Befchichte der Kremniter 
Hduergemeinden (Rarpathbenland 1929 SG. 97—99). Ein Teil der bäuerlichen Einwohner: 
fhaft entzog fidh den Bedrüdungen, die ihnen von der deutichen Stadt drobten, durd Auss 
wenderung in vorber flawifche Gegenden. Sie zeigten bier im ausgebenden 35. Iabhrb. 
nod eine 0 ftarke Affimilationstraft, „daß innerhalb kurzer Srift nurmebe der Llame der 
Gemeinden flawifcdh, die Einwobnerfchaft felbft aber deutfcy geworden war”. 

In Bayerns Hauptaus(trablungsgebiet, Ofterreich, bebauptet immer nod Rarl £¢ hs 
net, Gefhidte der Befiedlung und see urfprungliden Brundbefigverteilung des Walds 
viertels (Ib. f. Landestunde von Miederdfterreidy 1924 S. 10—210) feine grundlegende 
und zielweifende Stellung. Eine lLinterfuchung der Dors und Srübgefchichte, bei der allers 


8) Walter KRubn, Aus dem Oftfchlefifchen Zunftleben .... Ein Bild des Zunftlebens 
der alten Zeit in BieligsBiala. Pofen 3926. 
— * re der Dieliger Spradinfel und in Galizien (Rarpatbenland 1928 
. 49 ff.). 
— —, Die innere Entwidlung von Bielig im Mittelalter (Def. Wiffenfh. Ztfche. f. 
Polen. 3928, S. 5—73). 
— — = oo der DBieliger Spradinfelgruppe (Rarpathenland 1929 
. 100—108). 
Obgleich Bielig jegt zu Polen gebört, bebandle ich es hier. Es ift auch in diefen Dingen 
nicht leicht, fid mit dem linfug abzufinden, den die fog. Sriedensfchlüffe von 1919 in 
Mitteleuropa angerichtet haben. 


1933, I Bleine Beiträge. 51 





dings Bretbolz auch nicht „in großen Zügen“ bätte Recht gegeben werden follen (S. 15), 
führt zur Annahme frübgefchichtlicdher Siawenanfiedlung im aufgefchloffeneren Mühlviertel, 
Im fiedlungsfeindlichen Waldviertel dagegen, wo eine Slaweneinwanderung nur von FI., 
alfo von den Tichechen gelommen fein kann, bat es von ihr nur ftellenweife Meine Einzals 
fiedlungen gegeben. „Don einer gefchloffenen flawifchen Siedlung im Waldviertel, von 
einer flawifden Aerrfdaft bis ins 10. Jahrh. kann abfolut keine Rede fein.” Die Rodungen 
Yaben bier „erft die BDeutfchen vorgenommen. ... Die wenigen flawifchen Siedler 
verfhwanden in der Menge der neuen Roloniften“ (S. 33). Die deutfche Befiedlung diefes 
großen Waldgebiets, die fhon zur Rarolingerzeit im 9. Jabrb. begonnen bat, wird in ges 
naueft auf den Urkunden aufgebauter Sorfhung Schritt für Schritt verfolgt. Tach dem 
Rüdichlag der Magparenzeit macht fich im legten Drittel des 10. Jabrb. ein neuer Impuls 
bemerkbar, der in rafhem Dorfdreiten die deutjche Siedlung gegen Ende des 12. Jabhrb. 
bis tief ins Tichechengebiet Böhmens und Mäbrens, in die Gegenden von Landftein, Biftrig, 
Lleubaus und Budweis vortreibt. Die Hauptträger diefer Rolonifation find bayerifce 
Adelsgefdhlechter und eine Menge Eleiner Sreibauern. Die Srantentheorie wird mit eins 
leudtender Begründung abgelehnt. Die Siedlungsformen und Ortsnamen finden eins 
gehende Behandlung. 

Nach Reften der Dorzet fpürt Heinrich WeigT, Dordeutfche an in Llieders 
Sfterreich (iionatsbl. des Der. f. Landeskunde und Heimatfchut von Fliederöfterr. und Wien 
1936 S. 20 ff.). Fady Quellennachrichten und den Waldnamen ftellt er die Romanenrefte 
zufammen. Darunter werden u. a. noch im Jabre 1316 in einem abgegangenen Ort füdlich 
von Ulmerfeld „duo coloni latini* genannt. Auch an der unteren Enns „muß romanifde 
Bevölkerung die Völkerwanderung überdauert haben“. Mandes ift natürlich zweifelhaft, 
namentlich die Derfuche, aparifhe und magyarifche Refte feftzuftellen. 

Sufammenfaffend im Rahmen der Landesgefchichte behandelt der 3u fray verftorbene 
Raimund Sriedrih Raindl{, Gefchidte und Rulturkben Deutfchöfterreichs (1929, vgl. 
Dole und Raffe 1933 Heft 2) auch den völkifchen Aufbau des deutfchen Süudoftene. 

In großen Zügen zufammenfaffend ift auch die Siedlungsgefhichte, die nach der 
Literatur, namentlih nah Schünemann, Die Deutfchen in Ungarn bis zum 32. Jabeb. 
(Berlin 1923), Gottfried Sranz Litfehauer, Zur Gefchichte der deutfchen Befiedlung des 
DBurgenlandes (Burgenland 2. Jg. 3929 S. 184—191) darbietet. Das Burgenland 
aft deutfd geworden durd die Larolingifde Rolonifation, die die ganze um 800 bier errichtete 
Oſtmark einſchließlich Weſtungarn bis 3um Plattenfee umfaßte, alfo weit über das gegens 
wärtige deutfche Spracdhgebiet binausging. Zwei weitere große Siedlungsperioden find im 
11. bis 13. Jahrh. und im 16. bis 17. Jabrb. noch gefolgt. Die viel umftrittenen Hienzen 

ehören der erften karolingifchen Siedlungsperiode an, find alfo bayrifhsöfterreichifchen 
tammes, aber zur Zeit der —— und der Tuͤrkenkriege durch ſchwaͤbiſche Ein⸗ 
wanderung beſonders aus der Bodenſeegegend überdedt worden. 

Im Hocalpengebiet Rarantaniens dringen einige Forſchungen tief in die Fruͤh⸗ 
dichte ein. Eberbard Rranzmayer, Etymologifche Beiträge zur Entftebung des 
rantanifchen AHerzogtums (Carinthia I 3925 S. 65—72) weift auf die Romanenrefte 

bin, die die einwandernden Slawen in Rärnten vorfanden und die fidh „in den — 
um das Zollfeld“ herum, wo vorher ſchon Illyrier und Relten nachweisbar ſind, erhalten 
haͤtten. Von Samo ſei dann, nach Befreiung der Slawen von den Avaren, ein deutſches 
Hye um Rarantanien über den Slawen gegründet worden. Ernft Rlebel, Zur Ges 
fchichte der Pfarren und Kirchen Rärntens (ebd. 1926 SG. 1—63) fpürt ebenfalls altrömifchen 
Zufammenbängen nady. Die „Bauern, die flawifierte Romanen waren“, bätten „fidy fchneller 
betebrt als der Adel“. Man müffe fich „die Alteften aquilejifchen Pfarren als Romanen 
vorpoften im Slawenland vorftellen“. Grundlegend fur die Ausdehnung des flawifden 
Miffionsgebiets von Aquileja fei das Reichsgebiet gewefen, deffen Grenze um 860 nach urs 
tundlicher Beftätigung „etwa eine Linie von Raab an das Llordoftende des Plattenfees und 
von bier nach Sinftirden darftellte”. 

R. Egger, Ausgrabungen in Seiftrig ad. Drau, Obertdenten (Iber. d. Ofterr. 
Ardyaol. Inft. 1939 Sp. 161— 215) bat hier fpdtantile Raftelke im Zuge des anfangs 5. JW. 
errichteten Limes von Binnennoritum aufgededt, deren „germanifche Befagung, langobars 
difche Grenzer (arimanni)“ er als Ausgangspunkt der yelegentlidh auch als arimanni 
bezeichneten Cdelinger des Mittelalters anfpreden möchte; wogegen £. Hauptmann, 
Sertunft der Rärntner Edlinger (Vifehr. f. S03., u. Wirtfhgefh. Bd. 21 S. 245— 279) fie 
auch im Gegenfag zu Jakſch von einer kroatiſchen Oberſchicht herleitet. 

Manches bedarf hier gewiß noch eingehenderer Unterſuchung. Intereſſant iſt auch 
Branzmayers Hinweis auf das befondera mongoloide Ausfeben der Tidechen (vgl. oben 


4* 


— de: gi eg: ake alt Fe 


52 Vol und Kaffe. 1933, I 





&. 49), wogegen die Sudflawen die nordifchen Raffenmertmale viel reiner erhalten batten. 
Aber daß die Tſchechen eine ftdctere Mongolenmifdung fdon aus ihrer Urbeimat, aus „ihren 
afiatifden [1] Gigen” mitgebradht baben follen, durfte nidt tommen. 

Daß das Märdyen von der Uinterdrüdung des Siawentums durdy die Deutfchen immer 
wieder von Deutfchen weitergetragen wird, dafür ift aud Hermann Wendel, Der Rampf 
der Südflawen um Sreibeit und Cinbeit (Scantfuct a. M. 1925) eine traurige Beftätigung. 
A. Klein hat fid in einer Befprehung (Zeitfchr. d. Hift. Der. f. Steiermart 1929 S. 264 
bis 208), geftügt auf ein reiches Tatfadyenmaterial gegen WDendels Entftellungen gewandt 
und dargetan, daß aud bei den Südflawen von folder Unterdrüdung keine Rede fein kann: 
„Die Siowenen erlagen tampflos der höheren deutfchen Kultur“ (S. 305). Immer wieder 
das gleiche Bild! Das „merkwürdige Zufammenfließen deutfchen und flowenifden Wefens” 
zeige das am Plarften. 

Eine Beftätigung findet das auch in der Darftellung des neuzeitlihen Rampfes der 
flowenifden Sprache um Einbürgerung bei den Berichten Arains, Unterfteiermarts und 
Börntens feit Mitte des 19. Jabrb., gefhildert von Auguft Pitreih, Slowenifb und 
Deutfch in der Sfterreihifchen Juftiz (Zeitfchr. d. bift. Der. f. Steiermarl, XXII. Jahrg. 
1920 &. 31 ff.). Die fhonungsvolle Langmut, mit der Ofterreich diefen flawifden Bes 
ftrebungen entgegentam, ftebt ebenbürtig neben der geradezu felbfimörderifchen Duldfamteit 
und wade, die nur zu lange Preußen gegenüber dem berausfordernden Pocyen der Polen 
an den Tag legte (vgl. oben). (Sortfegung folgt.) 


Ludwig Klages 60 Jahre. 


Am 10. Dezember 1932 vollendete Ludwig Klages, der Philofoph des Lebene, fein 
60. Kebensjabr. Er wurde in Hannover als bn eines Raufmanns geboren, ftudierte 
Chemie, Phyfit, Pbilofopbie in Leipzig, Hannover und München und wandte fidh dann zur 
Pfydhologie und Pbilofopbie. Um 1905 begründete er die „Ausdrudstunde“, der ein 
Seminar in Münden mit der Zweigftelle in Rildhberg b. Zürich dient. Weiteren Rreifen 
wurde Rlages zuerft als Brapbologe bekannt, fowie als Eharalterologe. Seine Arbeiten 
auf diefen Gebieten, mit bandwertsmäßiger Gründlichkeit ausgeführt, Find aber nur Dors 
ftufen feiner bereits in jungen Jahren konzipierten Pbilofopbie des Lebens, welde in 
dem Hauptwerk „Der Geift als Widerfacher der Seele“ (3 Bände) ihre ausführliche Bars 
legung fand. Ber Titel kennzeichnet (chon Klages Grundhaltung: Er führt den Schnitt des 
Dualismus nidt zwifchen Körper einers, Seele = Geift andrerfeits, fondern ibm ift 
„Börper“ eine Abftraktion der Lebenszelle, deren „Leib die Erfcdeinungsform der Seele“, deren 
Seele „der Sinn des lebendigen LKeibes“ ift. Widerfacdher des Lebens ift der im menfdlicden 
Bewußtfein Wirklichkeit gewordene Geift. a verftebt fic, dag Rlages alles Gewadfene 
bdéber wertet als das Erdacdhte, und a8 er auc auf die gewadfenen Gemeinfdeaften, die 
Raffen, aufmertfam ift. ,Der Kebensforfder fiebt im Sittlichleitsphänomen nur eines: 
den geiftigen Ausdrud fcdlehten Blutes.“ Damit tritt er in die Lläbe Lliegfches und gegen 
das Sbantatiebild der ,Menfdbeit’: ,s eriftiert fo wenig cin gemeinmenfdliches Ges 
wiffen, daß die Bewiffensabbängigleit vielmehr das Stigma derer bildet, die Llietzfche 
,Stlavenmenfden’ nannte... Er (der Stlavenmenfd) entftand und entftebt immer und 
überall durch Raffenmifhung und Blutverfehledhterung; und feine notwendige Ergänzung 
ift der Verbrecher.” — Diele Anführung möge genügen, die Leferfchaft von „Doll und 
Raffe” darauf binzumeifen, daß diefer Doilofopk gerade ihr fehr en er en bat. 

. §. Diergus. 


Suchbefprechungen. 


Werner Effen: Die ländlihen Siedlungen in Litauen mit befonderer Berudfichtigun 
ibrer Bevdllerungsverhaltniffe. Terts und Rartenband. DWerdff. d. Staatl. Sorfd.»Inft. f. 
Wolter’. AHerausgeg. von O. Rede. Bd. Vollskl. We. 3. Leipzig 3933. R. Voigtländers 
Verlag. 135 Seiten, 40 Rarten, 17 Diagramme. Preis geb. Mi. 23.—, geb. ME. 20.—. 

Es ift befannt, daß die ofteuropäifchen Dölter erft auf Grund der Sorfchungen deuticher 
Gelehrter ihren nationalen Willen befundet haben. Dank haben wir nidht erhalten, mußten 
aber erleben, daß viele Gelebrte mit dem auf deutfchen Hodfaulen erworbenen Willen 
mandymal in wenig fchöner Weife an den ihnen unbequemen Ergebniffen gewaltfam lors 
rigiert haben. Hoffentlich madt der Derfaffer nicht die gleiche Erfahrung! Die Ergeb 


1933, I Budhbefprechungen. 53 
EEE 


niffe des umfangreichen zweibändigen Wertes find freilid für Litauen nur vorteilhaft; 
es ift aber für die deutfche Dorurteilslofigkeit bezeichnend, daß das gründliche, für die 
QAufbellung des Landes jo wertvolle Wert mit Unterftügung „der Stiftung für deutfche 
Dolts: und Rulturbodenforfdung” herausgegeben wurde. 

Welde Schwierigkeiten der Derfaffer zu überwinden batte bei dem Mangel an zus 
verläffigen alten Rarten, befonders bei der Ermittelung der Bodengüte, fagt er felbft. Der 
Derfaffer unterfucht zunächft die geograpbifchenaturwiffenfchaftliden Grundlagen des Sieds 
Iungsraumes und das darüberliegende Lietz der kulturellen Veränderungen der Oberflade 
mit Einfchluß der Siedlungen, Gebäude, Straßen, der Kulturflädhen und der Bewohner. 
Kitauen zeigt keineswegs eine bunt zufammengewürfelte Bepöllerung, wie man es bisher 
angenommen bat; fein Dollstum ift mit Ausnahme der Grenzgebiete — in der Haupts 
ſache einheitlich. Das etwa doppelt fo große Gebiet wie Oftpreußen mit etwas mebr ale 
3 Millionen Einwohnern umfdließt ländliche und frädtifche Siedlungen, die nicht immer 
zu trennen find. Weld eine große Veränderung der Siedlungen in dem letzten Jahrhundert 
vor fic gegangen ift, zeigt die vor hundert Jahren eingeleitete Umfiedlung aus dem 
typifdhen Straßendorf in die Zinzelfiedlung. Die Entftehung des erfteren aus dem älteren 
Adelshofe b3w. der Sippenfiedlung wird nachgewiefen. Ls gebt diefe Umwandlung 
parallel der Entitehung auch des ruffifchen Straßendorfes, ohne daß aber daraus ein 
anderer als zeitlicher Zufammenbang gefolgert werden kann. Unvertennbar ift der deutfche 
Einfluß nur im Anfhluß an politifchsfoziale Veränderungen in der Struktur des Wirts 
fchaftsraumes. Die vielfady fehr verworrenen Derbältniffe find von Effen mit fcharfem 
Blid und umfaffendem Wiffen zu Hären verfucht worden. Die von ibm im Anfdlug an 
Schlüter ausgebildete Methode, die ihre Vorzüge in den Karten und Tabellen ausweift, 
dürfte in der Siedlungsliteratur Anwendung finden. Robert Mielke, Berlin. 


Philipp Bördt, Der Durchbruch der Dolkheit und die Schule. Armanenverlag Leipzig 
19323. 98 ©. Preis ME. 1.80. 

Aördt fucht den Begriff Volk als in fih organisch gegliederte Ganzbeit herauszuges 
ftalten und gelangt über die entjchiedene „Wendung zum totalen Staat“ zur <inheit von 
Volt und Staat. Doll ift nicht die Summe von Individuen und fein Wille ift nicht die 
Summe von Kinzelwünfden. Dem demolratifchen uniformierenden Jdeal des Weftens 
ftelle Hdrdt den bimdifd, korporativ aufgebauten Volkeftaat als das deutfche Jodeal gegen: 
über. Don bier aus fucht der Derfaffer die wirkliche Volktsfcyule einzubauen, die nicht wie 
bisher eine niedere Stufe und auch nicht die Einbeitsfchule fein foll, fondern in fic eine 
GBanzbeit und zugleidh organifches Blied der ganzen Volkheit. 

Grundfäglich Meues bringt Hördt nicht. Es ift ein Stüd aus dem großen Suchen nad 
Fleugeftaltung, aber keine Ldfung. Leider Halt fic Hordt nicht frei von Gedanten wie 
„Zwiſcheneuropa“ und aͤhnlichen Petite in der Luft liegenden. Gerade vom raffifchen Denten 
ber muß man mit dußerfter Dorficht und Sicherheit an diefe oft verfhwommenen und ges 
fäbrlichen Gedanken berangeben, befonders wenn fie im Glauben an eine befondere „Sens 
dung” Deutfdlands fir das friedlofe Europa gipfeln. ntfdiedenes raffifhes Benten ift 
aber leider zu vermiffen. Sonft würde der Derfaffer nicht das Schlagwort von der „mas 
terigliftifchen lan ee Raffebegriffs“ aufgreifen und würde auch im ARaffifchen zur 
theoretifch fo betonten Ganzbeit und Einheit von Körper und Seele gelangen und nicht ab» 
wägen wollen, ob 3. B. Rörper sder Geift wichtiger fei. Srig Polte. 


Beinrih Jerchel: Malerei der Romantik (Band III der Doltsbüdher deutfcher Kunft). 
Mit 15 S. und 43 Bildtafeln. I. §. Lebmanns Verlag, Münden 1932. Preis geb. 
Mel. 3.80. (Preis für Wertbundmitglieder ME. 3.—.) 

Diefes Buch bringt in fehr gefchidtter und erfreuliher Auswahl Wiedergaben von Bils 
dern der Meifter der Romantil. Die gute und leihtverftandlide Einführung erhöht das 
Derftändnis für die Bilder und läßt den Befchauer engere Sühlung mit den Meiftern und 
ihrer Runft gewinnen. Es find bier die Maler Philipp Otto Runge, ner David Srieds 
ri, OD. v. Robell, R. Pb. Sehr, 3. §. Overbed, I. Snore v. Carolsfeld, DP. Cornelius, 
WD. §. Oliver, Rarl Rottmann, J. A. Row, Ludwig Richter, Serdinand G. Waldmilke, 
§. Waffermann, J. A Rambour und Morig v. SGhwind vertreten und ihre Richtung, 
ihre Zeit gefchildert. Auch als Gefchentwerk wird diefer Band viel Sreude Rn 


Otto Albreht Isbert: Das füdweftlihe ungariihe Mittelgebirge. Bauernfiedlung 
und Deutfhtum. Deutfde Hefte für Volles und Se: Abhandlungen 
fir. 1. Kangenfalza 1931. 240 Seiten, I Grundlarte, 10 Dedblätter, 2 Tafeln. 

Im erften Teil: Das Mittelgebirge als Landfchaftseinheit, fhildert Jebert nach einer 


54 Volk und Raſſe. 1933, I 








allgemeingeograpbifden infibrung in das Gebiet die SGiedlungstunde, obne Berüds 
fidtigung der Doltsgruppen, d. b. die Giedlungen (Städte, Dörfer, Pußten, Straßen) in 
ihrer geograpbifchen Bedingtbeit. Sehr gut ift der Abfchnitt über die Ortsnamen im Mittels 
gebirge, wobei f ftellt wird, daß es außer gefchichtlich bedingten Landfchafts» und Städtes 
namen älteren Urfprungs, wie Ofen, Plattenfee, Raab (Stuhl), Weißenburg u. a. amts 
liche deutfche Liamen nidt gibt und auch kaum gegeben bat. Im zweiten Teil wird das 
Mittelgebirge als £ebensraum verfchiedener Doltsgruppen bebandelt, wobei der Abfchnitt: 
Grundfaglides uber , Doll, Klation und Staat” fehr beachtenswert ift. „. . . . man fceut 
fi in der Sffentliden (ungarifden) Distuffion fortgefegt, den Unterfchied zwifchen Lias 
tion und Dolt anzuerkennen.“ Jede Dollsgruppe bat in ihrem Kampfe mit einer anderen 
drei Möglichkeiten einer Wandlung: politifch, fprachlich, voltlih. Das Mittelgebirge ift 
ein volklides Mifchgebiet, in dem Magyaren, Deutfdhe, Glowaten und Serben Einem, 
was Jsbert an Hand von zablreidhen vergleidenden Tabellen nady den amtlichen Statis 
ftiten von 1830—1920 darlegt. Im dritten Teile werden endlidh bei der Siedlungss 
tunde aud die Volksgruppen berüdfichtigt. Ausgebend von der Befchichte der Befiedlung 
ebt der Derfaffer über auf die Stedlungsform. Die Dörfer find Reihendörfer, die Yauss 
orm tft die mitteldeutfchsfräntifhe Sorm, der Hof der (mitteldeutfche) Schmalbof, der 
übrigens aud in anderen deutfchen Gegenden Ungarns (Tolnau, Baranya) vorberrfcht, 
ebenfo wie der Laubengang am “yaufe, der, wie Jebert richtig bemerkt, bier eine febr 
junge Sorm ift: denn die älteren Käufer weifen ibn nod nidt auf. Eine Anzahl Rartenr 
und Skizzen find dem Buche beigegeben, die die Überficht febr erleichtern. 
Hanns Gracefe. 

Ernft Kriek: Wationalpolitijhe Erziehung. Leipsig 3932. 2. Auflage. Armanens 

ie 186 S. Preis ME. 3.60. 
affe ift heute über den Rahmen eines Arbeitsgebietes anthropologifder und raffens 
bygienifder Inftitute binausgewadfen. Cs gibt ja kaum ein Lebensgebiet, das fie als 
Saftor nidt wefentlid mitbeftimmt; und feit fich diefe Erkenntnis Babn zu brechen bes 
innt, regen fid) immer mebe Geifter in den verfchiedenften Sakultäten, die von der Grund» 
ge raffifh ausgerichteten Denkens die bisherige Bebandlungseart ihres Tätigleitsfeldes 
einer eingebenden Prüfung unterzicben. 

Auch das vorliegende Buch des Srankfurter Philofopben und Pädagogen Ernft Rried 
betennt fich zu diefer Grundlage. Sein Bapitel „Raffe” beginnt mit den Worten: „An 
der Schwelle des neuen Zeitalters ftebt die Raffenfrage: mit der führenden nordiſchen Raffe 
ft Grundlage und Aufriß künftiger deutfcher Dollsordnungen vorgegeben, mit AHeraus: 
gefteltung der Raffe wird der Boden des Fleubaues bereitet”. Aber das Wilfen von 
raffifcher Beftimmtbeit jedes organifden Lebens beftimmt nidht nur diefes Rapitel, fons 
dern fdbwingt durd das ganze Buc, das in feiner Fleuwertung von Rultur und Bildung, 
Erziehung und Weltanfdauung nidt nur Rritik übt, fondern den Lleuaufbau mutig ums 
reißt. Minen Aufbau, der fi in Erziebung ourd Jugendbund, Samilie, Beruf, t 
folgerichtig fortfetzt und eine umwälzende Reform von Bildungsperfahren, Lehrerbildung, 
Saul und Hochſchule zur Dorausfegung Hat. 

In wohltuend fhöner Sprache geichrieben, gehört das Kriediche Buch zu den beften 
und fruchtbarften Büchern, die in fegter Feit uber die Lleuordnung unferes Volkslebens 
in Verbundenheit mit Volt und Kaffe gefchrieben find und verdient deshalb allergrößter 
Aufmerkſamkeit. Lothar Stengelsvon Rutkowſki. 


Leopold Krinner: Bevdlkerungsftatiftiihe Erhebungen in baneriihen Landgemeinden 

en Pfarreien. Anleitung zur Bearbeitung der Pfarrers und Gemeindeardhive. Raufs 
uren 1928. 

Ein Meines Schriftchen, das an Hand ausgewählter Beifpiele von Fablen und 
Rurvenvergleichen aus bayrifhen Gemeinden Anleitungen geben will für die Aufftellung 
von Bevdllerungsftatiftiten. Der Abfchnitt II entbält einen kurzen gefchichtlichen Überblid 
über die ftaatlihen und kirdlichen Erhebungen zu ftatiftifden Sweden feit dem Ende des 
88. Jabrbunderts. Aanns Öraefe. 


Bernhard Kummer: Gott in Waffen. Erinnerung und Belenntnis am Grabmal 
des unbelannten Soldaten. Leipzig 1931. Adolf Akin, Derlag. 62 S. Geb. Me 2.—. 

Ein Büchlein, in seffen Gedantengangen man lange finnend weiterfchreitet. Es bringt 
Skizzen und Zwiegefpräcde über den großen Krieg, in dem chriftlicher Glaube dem Dect. 
zur Srage wird und zerbricht, weil diefer Glaube Heimat und Sront secrbrict, für die nur 
ein „Bott in Waffen“ taugt (S. 26: „Wer tat wie Jefus, war ein Deferteur‘‘). Ls ift 
binfichtliy feines Stiles ein Buch fir junge Menfden, denen Didtung und Wabrbeit now 
fo ineinanderfließen wie in diefen Stimmungsbildern. RD. 





1933, I Bucdbefpredhungen. . 55 
Sa a a a ER RE ee Pe ee ee oe Se ee ee 





Rudolf Lawin: Die Bevölkerung von Oftpreugen (Schriften des Inftituts Ge ofts 
deutfche Wirtfchaft an der Univerfität Rönigsberg. II. $. Bd. 2). Berlin und igs⸗ 
berg 1930. Oſteuropa⸗Verlag. VIII, 228 S. Preis ME. 4.80. 

Dieſer Auswertung der Volkszaͤhlungen von 1930 und 1928 wird durch die ſtarke 
Weſtabwanderung, namentlich in die Induſtriegebiete, und durch die Folgen der Zerſtuͤcke⸗ 
lung der preußiſchen Oſtprovinzen der charakteriftifche Stempel aufgedrüdt. Der dadurdy 
bedingten Dunne einer fi nur nod fdhwad vermehrenden Bevölkerung ftebt drobend 
die beträchtlich größere Bevölterungsdichte der die oftpreußifche Infel oder „Rolonie“ ums 
tlammernden polnifdhen Gebietsteile gegenüber. Ein gefährliches Mißverbältnis, das fich 
dazu nod unaufbaltfam urd die —2** polniſche Volksvermehrung ſteigert. Hierin 
mit allen Mitteln der Siedlung uſw. Abhilfe zu ſchaffen, iſt eine der dringendſten Aufgaben 
unſerer Oſtpolitik. 

Ein Lichtblick in dieſem truͤben Gemaͤlde, das uns Lawin bis in die Cingzelbeiten 

au mit Tabellen uſw. vorfuͤhrt, iſt wenigſtens der außerordentlich raſche und ſtarke 
bergang der fremdſprachigen Einwohner der Provinz zu deutſchem Weſen. „Wir finden 
heute keine geſchloſſenen Gebietsteile mit litauiſcher, polniſcher und maſuriſcher Sprache in 
der Provinz, ſelbſt Gemeinden mit einer fremdfpradigen Mehrheit Lommen nur vereingelt 
vor’ (SG. 49). Tamentlid it „die litauifche Bevölkerung .... faft gänzlich im Deutfchtum 
aufgegangen“ (3.51) und in zwei nordösftliden Landtreifen von 23 bzw. 21 v. %. in der 
angegebenen kurzen Zeit auf I v. 9%. gefunten! Die Mafuren fanten in den gleichen 
15 Jahren in der ganzen Provinz von 30 auf 7 v. %., die Dolen im Stadtbreis Allenftein 
von 16 auf 0,6, im Landkreis Allenftein von 63 auf 1% und im Landkreis Röffel von 14 
auf 2 v. 4. Dies alles ohne „irgendwelche Eindeutfhungsmaßnahmen”, lediglich „durch 
die enge jabrbundertelange Rulturgemeinfchaft mit der deutichen Klation“ = . 
i itte. 


riedrih Wilhelm Prinz zur Lippe: Vom Raffenftil jur Staatsgeftalt, Raffle und 
penis Dertin-Peegintentecg 1938. Hermann Peetel, Verlag ® m. b. 4%. 13468, 
107 Abb. auf 43 Tafeln. Preis: geb. ME. 10.—, B3lwd. ME. 12.—. 

Derfaffer verfucht nichts weniger als eine neue Staatstheorie, und Zwar vom raffens 
pirdologifhen Standpunlt. Ihre Grundbegriffe faßt er wie folgt: Kultur ift einerfeits 
ren Ausdrud des fcauenden Beiftes“ und andrerfeits „Stil der gearteten Seele‘ 
(S. 63); „Beginn jeder Dollwerdung’ ift ,caffifdhe Schichtung” (S. 73), Volt felber 
„einartig beftimmte Gefittungsgemeinfdaft” (nah Hermann Meyer) (G. 33); Staat 
— iſt das „Ausdrucksfeld“ des Volkes, und Ziel der Staatsgeſtaltung iſt „ein Volk, 
in dem alle teilhaben an der vorherrſchenden Raſſe, deſſen Geſittung beſtimmt iſt von deren 
Stile und deſſen Staat die verwirklichte innere Landſchaft dieſer Raſſe iſt“ (S. 27). Grund⸗ 
lage der Raſſenpſychologie des Verfaffers ift, wie der Renner bereits aus diefen Ausfübhs 
rungen erfiebt, die von £. $. Elauß, als deffen Schüler er fi auc bekennt. Go wie 
Elauß die Kaffe anfiebt, möchte der Werf. alles angefeben wiffen: Kulturen, Völter, 
Staaten. Was bei Elauß berechtigte Methode ift zur Löfung beftimmter Sragen — 
die „Ausdrudsforfhung“ — wird vom Perf. auf Gebiete angewendet, auf denen fie nicht 
zureicht; fie foll Sragen Iöfen, die offenbar unter ganz anderen Gefidtspuntten geftellt und 
verftanden wurden. Schon die angeführten Definitionen von Rultur, Volt und Staat 
laffen ertennen, daß fie irgendwie einfeitig find, daß Hiertmale diefer Begriffe, die man 

emeinbin für wefentlich bielt, darin keinen Plat finden. So muß bier die Rritiß eins 
Kom: es get nit an, kulturelle, politifche, überhaupt alle geiftigen Gebilde mit der 
Ausdrudsforfhung erfchöpfen zu wollen, weil für diefe das Geiftige als Selbftwert 
gar nidht da ift! Das zeigt ſich denn aud allentbalben in diefem Bude (z. B. S. 80: 
„geihichtlihe Begebenbeiten (find) Ausdrud für feelifhe Dorgänge“ — gewiß, aber fie 
find doch nicht nur dies!), das fih fomit als Pfydhologifierung der Staatslehre 
ibt. Derfaffer geftebt jelbft zu (S. 58), daß er die Lehre vom Staat pfpchologifh „unters 
ven“ will, wobei er dies Verfahren für pbilofopbifch ausgibt, alfo reinem Pfydologismus 
verfällt. Dabei Erantt die Pirdologie des Derfaffers felbit an Untlarbeit uber das Wefen 
der ~Seele” und de3 ,Geiftes”, fo S. 97: ,Lin Standpuntt bat doch eine feelifche Brunds 
I ift feelifcher Ausdrud, Ausdrud eines fhauenden Geiftes.” Wenn das Sinn baben 
fo I, dann muß dem Worte „Ausdrud“ jeweils ein anderer Sinn beigelegt werden! — 
iefe Mängel felbft in feinem eigenen ciftigen Sandwerlszeug — u. a. — beeintraͤch⸗ 
tigen den Wert diefes Budes, obwobl oeifen nfag fruchtbar genug-ift: Kultur und Staat 
aud einmal daraufhin zu unterfucdhen, was aus ihrem Ausdrudswert für ihren Raffen: 
charalter folgt. Diergug. 


56 Volt und Kaffe. 1933, I 
{a a FE PE SENSI 


€. Theodor Müller: Meifter gotiiher Plaftik. (Band I der Vollsbicher deutfcher 
Bunt.) Mit ıs S. und 48 Bildtafeln. I. §. Lebmanns Verlag, Minden 1952. Preis 
geb. ME. 3.80. (Preis für Wertbundmitglieder ME. 3.—.) 

Welt wunderbare Werte die deutiche Gotik gerade auf dem Gebiete der Plaftit 
gefcbaffen bat, kommt einem beim Betrachten diefer Ihönen Bilderfammlung fo wieder 
recht 3um Bewußtfein. Cine unglaublidye Geftaltungstraft, Tiefe der Empfindung und 
Sormvollendung ift diefen Meiftern wie Michael Pacer, Tilman Riemenfchneider, Veit 
Stos — um nur die belannteften Kamen zu nennen — eigen. Die bier vorgelegte Zufams» 
menftellung von Werten der verfchiedenften Meifter ift ganz befonders geglüdt und wird 
ficd ficher viele Sreunde erwerben. Das Buch eignet fic befondere gut als is 4 


Karl Saller: Die Sehmaraner. Eine anthropologifde Unterfudung aus Oftholftein. 
Mit 45 Abb. im Tert und 48 Tafeln. (VIII, 236 S.) 4° = Deutfce Raffenlunde. Bo. 4. 
Jena 1930, ©. Sifher. Preis ME. 26.—, Lwd. MI. 28.—. 

Don den (1919) 10 184 Bewohnern der Infel Schmarn wurden 1225 Perfonen männs 
lihen, 11349 weiblidyen Befchlechtes, davon 773 Rnaben und 663 Mädchen unter 16 Jahren 
unterfuht. Das Material befteht aus einzelnen Samilien und famtliden Sdultinderm 
Die Bevdlterung fdeidet fid in zwei Syeiratsgemeinfchaften, Bauern und Arbeiter, die 
leggteren faft ausfchlieglih Landwirtfchaftsarbeiter. Die unterfuchten Samilien gehören dem 
alteingefeffenen Bauerntum an, von der Arbeiterfchaft wurden nur Scullinder erfaßt. 

on den Seftftellungen an Rörpermaßen fei vermerkt, daß die Körpergröße, ebenfo 
die relativen Werte für Schulterhöhe und »breite, Armlänge und Spannweite zu den größten 
unter den zum Vergkich berangezogenen nordwefteuropaifden Gruppen gebdren; die celas 
tive Stammlänge if im aleiden Rahmen am niedrigften. Die Altersgruppierung der rs 
wacdfenen: 20—24, 25—60, 63—69 und 70 und darüber ift für die Beurteilung des Ents 
widlungsganges der Merkmale infoferne unginftig, als die Gruppe der 25—060 jährigen 
Rüdbildungsjahre einfchließt, wodurdh die Erfaffung gerade des ftabilen Reifesuftandes 
unmdglid wird. Die Werte der 25—60sJAhrigen erfcheinen gegenüber denen der 20 bis 
24° Jäbrigen faft durchwegs verringert, was mindeftens bis in die 40 er Jabre phyfiologifH 
nicht begründet fein tann. Hier drüden die höheren Jahrgänge. An Ropfmaßen wurden bes 
ftimmt Lange, Breite, Obrhdhe, Stirnbreite, Rapazitdt, weiter Hdbens und Breitenmaße 
am Gefidt, an der Klafe, am Auge, am Obr, dazu formbefdhreibende Merkmale, Pigmens 
tierung und Blutgruppen. In Tab. 34, die die relativen Werte der Ropflänge der Alters 
Haffen enthalt, ift der Dezimalpunte um eine Stelle zu weit nach rechts gefett, die Werte 
erfcheinen zebnfach vergrößert. Dasfelbe ift bei den „Reuperfranten“ (Bd. 2 der „Deutichen 
Raffentunde”) in Tab. ı und Tab. 50 bezüglich der Werte für die relative Ropflange der 
SaH, wobei in Tab. 1 aud Vergleichsmaße anderer Autoren in diefer Weife verjchrieben 
find. Bezüglich der BYlutgruppenverteilung weift der Verfaffer darauf bin, daß bei den alts 
eingefeffenen Bauernfamilien B feltener ift als bei der mebr flultuierenden Arbeiterbevölkes 
tung, was mit Gundels umfaffenden Seftftellungen in SdleswigeHolftein im Einklange 


ftebt. 

Auf Grund der Korrelationsbeziebungen von Kérpers und Ropfmagen 3u der Rorpers 
größe in verfchiedenen Altersgruppen gelangt Verf. 3ur Annabme von 3 Gruppen von 
Erbfattoren: felbftändige oder wenig miteinander forrelierte, mit dem Gefchledht enger 
verbundene und mit dem Körpergrößentompler zufammenbängende Saltoren. Auch famis 
liäre Vererbung wird für verfchiedene Merkmale an Tafeln von Eltern Rinders Rombis 
nationen geprüft. Es ergeben fich dabei, nach des Derfaffers eigener Seftftellung, keine wes 
fentli neuen Auffchlüffe. Aus den Betrachtungen über Tppenbildung und Raffenfragen 
foll nur die zufammenfaffende Bewertung der metrifchen Merkmale berausgegriffen werden, 
nach der angeblich „die oftbaltifche Kaffe, neben der Cromagnonraffe (Dalraffe) den Hauptteil 
der Sebmaraner ausmadk, während die fogenannte nordifche Raffe den Rurztopfraffen 
gegenüber in ihrer Bedeutung auf Sehmarn zurüdtritt“. — Bei den Schultindern konnte 
der Dergleih zwifchen Bauerns und Arbeiterbevölterung durdhgeführt werden. Hiernach 
find die Arbeitertinder etwas Heiner, relativ fdmalkdpfiger, breitftieniger, fdmalgefids 
tiger und fdmalnafiger als die Baverntinder. In den Abweichungen näbert fich die Aes 
beiterf&hichte — die lUinterfchiede beziehen fich, wie erwähnt, nur auf Schullinder — der 
Bevslterung des fchleswigsholfteinifchen Seftlandes. Die Abweichungen werden saber auf 
Einſchlag von diefer Seite zurüdgeführt. 

Eine wertvolle Ergänzung erfährt die ftatiftifch fehr breit angelegte Barftellung durch 
48 Tafeln mit Tppenbildern. m. Held. 





_ Rudolf Kjelléns 


Die Grofmadte vor und 
nad dem Weltfriege 


2, Aufl. der Meubearbeitung von 8. Haus: 
hofer, Miet ı Bildnis Kjellens und 80 Lert: 
ffizzen. Geb. RIM 10.80 


„SKiellen, viel zu früh für die junge Wiffenfchaft 

durch den Tod aus dem Gchaffen herausgeriffen, 

das Glüd gehabt, in dem Herausgeber feines 

rfes und feinen Mlitarbeitern, alles bedeutende 

Gelehrte und Gorf er, Eongeniale Überarbeiter zu 

den. Das Werk follte Eigentum und geiftiger 
fig jedes politifdy SYntece,fierten fein.” 

| (Bolt umd Raum.) 













































W. Vogel 


Beutfche Reichsgliederung 
und Reidsreform 


in Dergangenheit und Gegenwart, 
Mit 22 Kartenflizzen. - Geh. RIM 5.40, 
geb. RN 6.80 


„&s wäre zu mwünfchen, daß es der Gdrift ge- 
lange, redjt große Lefermaffen darüber aufzuPlären, 
was die nod) heute vielerfeits für unantajtbar ge: 
haltenen deut{djen Staaten in ihrer ge/dhidtliden 
@ewordenheit eigentlich find. Gerade über diefe 
Dinge ift Ausgezeichnetes gefagt.” 

(Borfburgen 4. Preufi. u, Brandenburg. Gefdicdte.) 


G. Neckel 


Liebe und Ehe bei den vor- 
chriftlichen Germanen 


Kart, RIN 1.20 


Die Darftellung wendet fih an Hand von Quellen 
gegen die weitverbreitete Anfchauung, daß die alt: 
germanifche Frau nur das redytlofe Objekt männ: 
licher Willfir gewefen fei, und daf erft durd) das 
Chriftentum Cinehe und ehelihe Gittlihkeit ent: 
ftanden find. Es wird im Gegenteil beiviefen, daß 


Die Ginehe fchon feit unvordenklichen Zeiten beſtand 


und Ehebrud) hart beftraft wurde. 








Berantwortlich für die Schriftleitung von „Volk und Rafje“: Prof. Dr. O. Rede, Leipzig und Dr, Brino 8, Schutz, Münden. | 
Verantwortlid) fiir den Anzeigenteil: Guido Haugg, Münden. — Berlag: 9. ’ 
Druck von Dr. F. G. Datterer & Cie, Freifing- Münden. 


_ Die 23. Auflage der „Großmächte“ 






Leipzig , B. G. Ceubner 7 Berlin 


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§ war 7a 2 io fd oe - 4 57 
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Hrsg. von K. Haushofer, Mit 100 $ te 
. fkizzen und graphifhen Darftellungen 
Geh. RM 11.70, geb. RA 13.50 


„Der Wunfd, ‚das Großvolf Mitteleuropas wieder 


auf einen feiner würdigen Wege zu führen und es 
darauf weiter emporfchreiten zu fehen‘, lebte fchon‘ 
in Kjellen, Aus diefem Wunfd) ertouds das vor- 
liegende Werk. Denn nur aus folder Fahlen : 
lid)Feit, die allen heißen nationalen Willen J 
dringt und leitet, Fann unfer Wiederanfitieq er — 
möglicht werden, Diefe beiden Bande geben die 
geopolitifhe Grundlage für eine deutfche Außen: 
politif, die feft in der deutfchen Erde gründet.” 
(Hamburger Tagblatt.) " 





R. Hennig 
Geopolitif, 


Die Achre vom Staat als Achewefen. 
3, Aufl. Mit 8ı Kart. i, Tert, Geb. RN 16.20 : 
Der 2. Auflage ift das. ausführliche Schluß: 
Fapitel ,„Raffe, Nationalität und Bolkstum“ | 
beigegeben. i 


„Hennigs Weiß ift ein ftarfer und mutiger Sammel 
ruf zu neuen Zeichen: der Einigung unferes Volkes 
auf gewiffe naturgegebene, bodenbeftimmte Grund 
[agen feines Lebensraumes, der Zufammenführung 
der Menfchheit gegenüber Gefahren, die ihr Ge: 
famtdafein auf dem Rüden ihres Planeten be- 
drohen, Gie zeichnen fi) fhon am Gehfreis des 
Wiffenden ab, müßten jedenfalls fchon im Blidfeld 
zielbervußter Wufenpoliti? ftehen.” 
(Dentfthe Rundfchau,) 


E. Fehrle 


Deutfche Fefte und 
Volksbräuche 


3. Aufl. Mit 29 Abbild. (ANUG, Bd, 518.) 
Geb, RM 1.80 | 


„Die fchwere Aufgabe, die Unmenge von Bräucen 
anfpredjend darzujtellen, herausgubeben, twas ein 
zelnen @egenden, was dem ganzen Bolfe gemein: 
fam und was uns fchließlidy mit anderen Pattern 
verbindet, ift hier ausgezeichnet gelöft, 


(Zeitfehrift für Deutfhtunde) 7 





| 


SF. Lehmann, Münden. 3 


















Heft 2 April (Oftermond) 1933 


⸗ dee raed Ge 


burtenzahl in einer Ehe 
beträgt...3# 


| Auf eme 
kriminellefhe 
treffen heute _%4 Kinder 
Na 


Die deutsche Familie hat 
im Durchschnité nur 


\ > |d Jn einer Familie der ge- 
N bildeten Schicht sind nur.......... 19 Kinder 





Soll das unfere Zukunft fein?! 


H 
| Shhriftleitung: Prof.dr.©. Reche, Leipzig u. Dr. Bruno K-Schuls, München 


3.5. Lehmanns Verlag, München 


Bezugspreis jährlih M.8.—, Einzelheft M. 2.— 





ate Sadhjen. Bon D. Dr. Markgraf, Leipzig. (Mit 2 Landkarten) . .  Geite 97 


Inhalt: 
| Sie yeahs zwifhen dem fräntifchen und flamifden Rechtsgebiete im ' 
Sind die oberfchlefiihen Holzkirchen Reſte — ee | 


Bon Frig Wiedermann. (Mit 5 Abbildungen) . - „ 68 
Germanen zwijchen Elbe und Weichjel vom 5. bis zum 7. Jahrhundert. | 
Bon Dr. Waltyer Schulz, Halle a. S. (Mit 3 Abbildungen und 1 Karte)" . . „74 \ 
Eine Banernhochzeit in Hülften bei dauern i. eee: Yon Dr. Hubert 
Kroll. (Mit 7 Abbildungen) . . » 82 | 

„Rane“ und „Boll“. Gon RGF Biergug . . » 89 
Deutſche BVolfstradten (IV). Gon R. Helm. (Mit 2farb. Tafeln)... . . . > OS , 
Die Drkneyinger und die Shetländer. Gon Ernft Krenn, AWllentfteig . - . » 94 | 
Wus Rajjenhygiene und Bevblferungspolitié . . . . 2 2 2 200. a | 

a) A ar A „104 





Rafienpifege im oöfffichen. Sia 


Von Prof. Or. M. Staemmier, Chemnis. 
Geh. AM. 2.20, Lwd. AM. 3.20 | 


Prof. Staemmler, dem völkiichen Deutichland buch feine ausgezeichneten Vorträge rühmlichit 
befannt, zeigt in feiner Schrift, was jofort und in fpäterer Zeit zu tun nötig ijt. Yörberung 

des Hochwertigen, Unſchädlichmachung des Minderwertigen, das ift die Forderung biejer Schrift. | 
Sie verdient mweitefte Verbreitung. | 


Aus einem Streifzug: Warum müfjen wir Rafjenpflege treiben? / Das | 
Geje der Fruchtbarkeit / Der anormale Alterdauibau unferes Volles / Wie fann | 
man raffenhygienifch arbeiten ? / Rajjenpflege oder ,Cugenif’? / Reinhaltung der , 
Naife / Die jüdischen Anlagen / Unjer Ziel ift: Scheidung ber Rajien / Strafen , 
für NRaffenfchänder / Die Einwanderung Frembraffiger / Was das Elternhaus für 

die Kinder bedeutet / Die Ummandlung der „Gejchlechtsmoral” / 40000 Eheichei- | 
dungen im Jahre 1930 in Deutjchland / Bewahrt die Jugend vor Schmußliteratur / 

Säubert Theater und Film / Wir brauchen die 4-Rinder-Ehe / Gegen den biolo» | 
gischen Bazifismus / Gegen Marcufe und Hirichfeld / Schuß den inderreichen / | 
Die verichiedenen Erbgruppen / Wer barf wen heiraten? / Der GefundbheitspaR / . 
Und die unehelichen Kinder? / Frau und Beruf / Bevdiferungspolitif ijt Raums 4 
politit / Ausgleich der Familienlaften / Kinderzulagen und Kinderabzüge / Schule | 
und Sinderzahl / Schafft neuen LXebensraum / Wer foll jiedeln? / Einige Zahlen | 
von der Nahfommenjcaft Minderwertiger / Wie hindert man bie Mindermwertigen 

an ber Fortpflanzung? / Rafjenpflege und Strafrecht / Kajtration von Serualvere 

bredjern / Sit Schwangerichaftsunterbrechung gulafjig? / Wie die voltijde Schule 

ausjehen joll / Die Feftlequng beö Erbwertes / Bolldgemeinjchaft. | 


S. $. Lebmanns Verlag / Miinuhen 2 GS, | 





ir machen unfere Lefer auf die diefer Nummer beiliegenden Projpefte von J. F Vehmanns Verlag, 
Münden, aufmerkjam. 





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Burſch aus dem Schleital bei Weißenburg und Maͤdchen aus Hausbergen im Elſaß 


Aus: Helm, Deutſche Doltstradten 


Runftbalage zu „Volt und Katie“ 
3. §. Lebmanns Verlag, Münden 








Dolf und Raffe 


Fluftrierte Vierteljabrsfchrift für deutfches Volkstum 


Herausgeber: Prof. Atchel (Kiel); Dr. Bachtold (Bafel); Prof. Dethlefffen (Kdnigeberg 
i. Pr.); Prof. Sebele (Heidelberg); Prof. €. Sifcer (Berlin); Prof. Sambruc (hamburg); 
Prof. AHelbo? (Jnnsbrud); Prof. O. Lebmann (Altona); Or. Chers (Minden); Prof. Mielke 
(Hermsdorf b. Bln.); Prof. Molliſon (Muͤnchen); Prof. Much (Wien); Prof. Panzer 
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. I. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori Dort⸗ 
mund); Prof. W.M. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulges 
FAUL. (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof. 

rede (Röln); Dr. Zaunert (Wilbelmeböhe); Dr. Zeig (Srankfurt/!M.). 
Schriftleitung der Zeitfchrift: Univerfitätsprofeffer Dr. Otto Rede, Baugich 
ber Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Rurt Shulg, Münden, Fleubauferftr. 51. 

Derlag: I. $. Lebmann, Münden 2 SW., Paul HepfesStraße 26. 

Jabrlidh erfcdeinen 4 Hefte. Bezugspreis jäbrlih M. s.—, Einzelbeft M. 2.—. 


Poftfdedtonto des Derlags München 129. 


Poitfparkaffe Wien 59594. — Konto bei der Bayerifchen VDereinsbant Münden. — 

Ronto bei der Rreditanftalt der Deutfhen e. G. m. b. % Prag II, Rralauerftraße 11 

(Poftfpartaffentonto der Rreditanftalt: Prag 62 730). — Schweizerifche Poftichedrechnung 
Bern III 4845. Sdweod. Doftfcedtonto Stodbolm 4107. 





8. Jubrgang et 2 Aprit (Örtermond) 1933 





Der Derlag bebält fic das ausidlieBlide Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der 
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor. 


Die Örenze 
zwifchen dem fräntifchen und flämifchen Rechts: 
gebiete im Steiftaate Scchfen. 
Von D. Dr. Markgraf, Leipzig. 


Mit 2 Landkarten. 


m 1100 war der Llorden des jegigen Sreiftaates Gadfen nad langer Un: 
ficberbeit in den unumftrittenen Befig der Deutfchen gelangt; aber das Land 
wer weitbin entoölkert durch die verheerenden Rriegszüge der Polen, Böhmen 
und Ungarn, in denen eine große Anzahl Dörfer verwüftet, die Bewohner in die 
Gefangenfhaft gefchleppt worden waren. Dom Bdbmentdnig Wratislaus be- 
richten die Pegauer Annalen zu 1086 (10802), er fei vom Often ber ploglic 
vordringend über Wurzen bis Leipzig gezogen und babe alles entvölkert 
(transiens per Worzin usque Libiz.. cuncta depopulatus est). Erft feit 
Ende des 11. Jabrbunderts war unfer Gebiet als deutfcher Reichsbefig gefichert. 
Dann aber regt fich überall ein ftarter Rolonifationsdrang nad) dem Often 
in unfer Gebiet hinein. Schon vorber, etwa feit Otto L., war ein Meg von Eleinen 
Seftungen über das gefährdete Grenzland gelegt, namentlih an den Sluguber- 
gangen: Zweimen, £eipzig und Magdeborn, an der unteren Mulde Löbnig und 
Dolf und Raffe. 1933. April. 5 


98 Volt und Kaffe. 1933, II 





Düben; weiter aufwärts Eilenburg (Julburt), Pudau, Wurzen, Merdau, Ddben 
bei Grimma, Coldig und Rodlig. Sie hielten mit ihrer tleinen Befagung waffen: 
tüchtiger Bauern die wenigen ftellenweife zurüdgebliebenen flawifchen Umwobner 
in Schach und boten dem etwa von außen ber eindringenden Seinde Halt, konnten 
jedoch dem Unfturme größerer SGeeresmaffen gegenüber fich nicht lange balten. 
An eine Rolonifation großen Stils war aber vor etwa 1100 wegen der Unfichers 
beit der politifchen und militärifchen Lage nicht zu denken. Viur ein Meiner Teil, 
der am meiften weftlidy gelegene, des bier zu behandelnden Gebietes war fdhon 
löngft an das Deutfche Reich angefchloffen, der Abfchnitt zwifchen Leipzig und 
Merfeburg, nördlich anfcheinend bis zur weißen Elfter. Gundorf wird unter 
Kaifer Otto II. (973—983), Lindennaundorf (1050), Altranftädt (1091) genannt; 
Beweis genug, daß diefe Gegend mit deutfchen Dörfern fchon im 10. Jahrhundert 
durcdhfegt war. Hier konnte keine Lleufiedlung erfolgen; bier war kein Rodeland 
mebr vorhanden, als etwa feit der Mitte des 12. Jahrhunderts die Einwanderung 
vom Uitederrbein ber begann. 


In diefer Gegend war das tbüringifhsfränktifche Erbrecht zu Haufe. 
Auf fräntifche Siedlung deutet der Ortsname Srantenbeim bin. Die Roloniften 
der anderen Brtfchaften mögen Thüringer gewefen fein. Jch nenne für jene Gegend 
als Orte mit thucingifd-frantifdem Rechte: Lindenau, Leugfch, Laufen, Barned, 
Boblig, Burghaufen, Grogdölzig; im Preußifdhen: Mörigfch, Zichöchergen, 
Broß:-Schkorlopp; in Sachfen weiter füdlih: Großzfchocher, Anautbain, Anauts 
tleeberg und Bdsdorf. Diefe Begend zwifchen Elfter und Saale bat anfcheinend 
eine etwa 200 Jahre ältere deutfche Aultur als die Gegend Hftlih. Sie unterfchted 
fid) auch fonft von der Sftlichen Gegend Jahrhunderte lang. Sie hatte im 18. Jahr: 
hundert nody andere Maße, 3. DB. cin anderes Rutenmaß bei Landvermeffungen; 
fie maß nach der Mlerfeburger, nicht nach der Leipziger Elle. Die wirtfchaftliche 
Einheit des bäuerlichen Grundbefiges, die Hufe, batte eine andere Größe als die 
in der öftlihen Umgebung £eipzigs, wo 24 und 30 fähfifhe Ader (13,28 und 
10,60 „yeltar) die typifche Größe waren; 30 Ader 3. B. in Reudnig, Hirfdfeld 
und MNdllau, 24 Ader in Goblis bei Leipzig, in der wisften Marck Gorbuz (zwifchen 
Tonnewit und Probftheid«) und in Viaunbof und Umgebung, 3. B. in Erd: 
mannsbain und Seifertsbain, Rleinpdßna, Rlinga und Röhra. Kurz, die Gegend 
von Merfeburg bis dicht vor die Tore von Leipzig ift Jahrhunderte lang in mehr 
als einem Puntte ein Rulturgebiet fur fid) gewefen, fcarf getrennt von der öfts 
lihen Gegend, nicht bloß durch das Erbrecht. 


Im angrenzenden Gebiete weftlid der Saale Tag der Haffegau. Geufa bei 
Merfeburg wird zu Anfang des 11. Jahrhunderts bezeichnet als villa in pago 
Hassaga sita (ein Dorf im Haffegau). Don dort ber mögen die Siedler ges 
kommen fein, die das verfügbare Rodeland befegten, aus der Gegend der Ortss 
namen mit der Endung =ftedt und sleben. Diefe Endung finden wir fonft im 
Sreiftaate Gadfen nicht, wohl aber bei (Alt:)Ranftedt. Jch vermute, daß die wüfte 
MWilleber Mark bei Altranftedt auf ein Dorf Willeben zurüdgebt. Dann baben 
wir dort das typifche räumliche Liebeneinander von Orten mit der Endung sftedt 
und sleben, das fi von Welten ber bis an die Suale erftredt. Diefe Gegend ift 
alfo nach meiner Überzeugung dur Miabfiedlung befegt worden. 

Wir tommen zu den Gebieten, die im 12. Jahrhundert befiedelt wurden. 


Zunähft nördlich der Eifter. Dort baben Sranten gefiedelt, dort galt nod in 
fpäteren Jahrhunderten das fräntifche Erbredt. 


1933, II Markgraf, Die Grenze zwifcben d. fräntifchen u. flämifchen Rechtegebiete ufm. 59 





Wober wiffen wir das? Jd habe eine neue Methode angewandt und 
neue Quellen ausgefchöpft zur Rlärung der Srage, wo fich in unferer Gegend 
Sranten oder SIamen niedergelaffen haben und wo die Grenze zwifchen ihnen lag. 
Bis zum Anfang unferes Jahrhunderts bhielt fic die Sorfdung nur an die vors 
bandenen urfundliden Angaben oder an uralte gefdictlide Kladhrichten. Auf 
Grund diefer Quellen wußte man nicht viel mehr, als daß Wiprecdht von Broich 
die Gegend zwijchen Wybhra und Mulde mit Sranten aus der Würzburger Gegend 
befiedelt und daß 1154 der Bifchof Gerung von Meißen den verfallenen Ort 
Eborin, fpäter Rühren, mit Slandrern befetzt bat; ferner daß die Meißner Rirche 
1360 den „feit vielen Jahrhunderten unangebauten“ Ort Bulowig, fpäter Buch- 
wig (fehon längft wieder wüft) mit Slamen befiedelt bat. Im übrigen ließ man 
Slemmingen bei Aartha wegen des Llamens als flämifche Siedlung gelten und 
bei Stemsdorf (bei Deligfch) vermutete man flamifde Gründung. Weiter kam 
die Sorfdung nicht; und die Srage blieb unbeantwortet, woher die Siedler unferer 
Gegend im 12. Jahrhundert fonft ftammten. 

Die Mundartforfdung bat in groben Umriffen mit den Mitteln der Dialelts 
forfhung das flamifcde Siedlungsgebiet abzugrenzen verfudt. Mit mandem 
guten Erfolge. Sie redet bis jegt von einer Linie Pegau:BrimmasRiefa. Die 
fhwade Seite diefer Methode ift, daß fich munsdertliche Grenzen im Laufe von 
adt Jahrhunderten zu verfchieben pflegen. 

Ic habe nach unterfcheidenden Merkmalen zwifchen Slamen und Sranlen ge: 
fuhht. Die Ergebniffe der voltstundlidemundartlichen Sorfehung, fo febr ich fie 
zu fchäggen weiß, genügten mir nicht. Ortsnamen als fiedlungsgefchichtlicdhe Quelle 
führen oft in die Irre. Reudnig bei Leipzig hieß urfprünglicy Dutfchendorf und 
Ditfchendorf — der Slame fagt für deutfch entweder dutfch oder ditfd — und ift 
ficher flämifhe Gründung. Der Llacdhbarort Anger bieß urfprüunglih Reudnig, 
dann Altreudnig, dann Reudnig aufn Anger, fchliegli Anger. Anger ift alfo 
troß feines gut deutfchen Lliamens urfprünglich ein Wendendorf gewefen. Suds: 
bain bieß früher Sorbole und Sorbal; Ober: und Fliederfrantenhain hatte früber 
die Endung -heim, nicht «hain. Alfo die Seftftellung auf Grund alter Ortsnamen 
führt oft in die Jrre, zumal wenn man nicht die altefte Sorm des Ortsnamens 
berüdfichtigt. Schließlich bin ich zu dem Ergebniffe gelangt, daß einzig und allein 
das Erbrecht ein untrügliches unterfcheidendes Merkmal bildet. Klach flämifchen 
Rechte erbten Mann und Srau unterfchicdslos die Hälfte der gefamten Hinter- 
laffenfchaft (ebeliche Bütergemeinfchaft), die andere AHälfte fiel den Rindern in 
gleichen Teilen zu. Flach tbüringifch-fräntifchen Rechte dagegen erbte der Mann 
2/;, die Rinder !/, der SByinterlaffenfchaft der Stau; beim Tode des ilannes aber 
erbten die Witwe nur !/, und die Rinder ?/, der Hinterlaſſenſchaft des Mannes. 
3d fagte mir weiter, daß das Bauernrecht ein fehr beftändiger Saktor im Volle: 
leben war, daß man alfo vom Bauernredt fpdterer Zeiten müffe Rüdfchlüffe 
ziehen können auf das der älteren Zeiten, febließlich auch auf das zur Zeit der Be: 
fiedelung; und darin babe id) mid) nicht getäufcht. 

Fun galt es, das bäuerliche Erbrecht in den einzelnen Dörfern zu ermitteln. 
Ich babe es aus den bandfchriftlichen Berichtsbüchern und anderen einfchlägigen 
bandfchriftliden Quellen, zum geringften Teile aus gedrudten Quellen, zu ere 
mitteln gefucht und für eine große Anzahl Orte im Laufe von Jahren feftftellen 
können. Das ift die neue, freilich mübevolle Methode, die ich und unabhängig 
von mit Sriedrid) Rofenthal angewandt haben. Sie bat aber zu einem übers 
rafdenden Erfolge geführt. Die Ergebniffe follen bier weiter mitgeteilt werden. 

5* 





60 Dolt und Kaffe. 1933, II 


Um 1108 erließen die für unfer Bebiet in Betradt tommenden Bifcddfe von 
Merfeburg und Meigen einen Aufruf an die deutſchen Staͤmme im Weften, unter 
ihnen audy an die Fliederländer, daß fie kommen möchten zum Zuge gegen die 
beidnifchen Slawen. Sie find gelommen. Aber wo haben fie fich niedergelaffen ? 
Das feftzuftellen ift fehr fchwierig. Bald fcheint in unferer Gegend das Bewußt: 
fein um die Herkunft der Siedler bei den Viadfommen gefdwunden 3u fein, 3um 





eo. 
Landsberg © Cpelitzsc 
DO + 












Erdmannshain 
Asp j ONaunhof 


Grimma 







} 0 
ao \) Mittweida © 


Umgebung vonLeipzig. O Orte deren Erbrecht unbekannt odergemischt; 
„—.— Landesgrenze, +Orte mit flam., OD Orte mit frank. Erbrecht 









Abb. }. 


Unterfchiede vom Rulmer Land im Often, wo man nod nach Jabrbhunderten in 
den Stadtrechten, wenn man das Halbteilsrecht mit ebelicher Bütergemeinfchaft 
anfubrt, gern binzufügt „und das ift flamifd Recht“. Llirgends finden wir in 
unferer Gegend cinen Hinweis auf flämifches Stammesbewußtfein bei den Nach⸗ 
tommen der flämifchen Siedler. 

Wobl aber haben gerade fie 3ab an ibrer alten Dorfsgewobhnbeit feftgebalten. 
Gerade die Dörfer mit flämifhben Recht bedienen fic der Ausdrüde „Dorfes: 
brauch“, „Dorfsgewohnbeit“, „lungwicriger Dorfsbraudh‘“ ufw. mit Vorliebe. 
Die ältefte Quelle für das flämifche Erbrecht in unferer Gegend fagt darin typifch 
1383, daß die Halbteilung erfolgte „nach der Gewohnheit, die fie vor alters auf 


1933, II Markgraf, Die Grenze zwifchen d. fräntifchen u. flämifchen Rechtogebiete ufw. 61 





dem Lande dafelbft zu Holsbaufen bisher gehabt haben“. Abnlich betont die „Stadt: 
willtür‘“ von Eoldig (1404— 31), daß die Halbteilung dort alte Bewohnbeit fei. 
Holshaufen hatte nod) nad 1712 das flämifche Dalbteilungsredt, Coldig, dasfelbe 
nod) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das beweift, daß das flämifche 
Halbteilungsredht von Jahrhundert zu Jabrbundert 34b erbalten geblieben ift, 
obwohl das Bewußtfein, daß das alte Örtsrecdht flämifch war, gefehwunden war. 


© Umgebung u.Großenhain 
Elsterwerda Umgebur und 
2 +Orte mit Flam. Erbrecht, 
A Ow « frank, 4 
8 (7 S S O Pa u — ghee 
~ E N ann£ oder gemischt. 


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+Adelsdorf 
Weifig = — +? 
Medep See me „Lunnersdorf 





Abb. 2. 


Anders haben es darin die Gemeinden mit fränktifchen Erbrecht gehalten. Lin 
Teil von ihnen ift febr bald nad Derdffentlidung des kurfürftlichsfächfifchen 
Landesrechtes (3572) zu diefem neuen Rechte übergegangen. In Mörigfch konnte 
fhon 1601 erklärt werden, daß der Ort ,,feine beftandige Gewobhnbeit babe; das 
alte Dorfredht war alfo gefhbwunden. Etwas Abnliches ift mir aus den Dörfern 
mit flämifchem Erbrecdhte nicht bekannt. Der einzige mir belannte Sall, daß ein 
foldyes offiziell vom uralten dörflichen mündlich überlieferten Bewohnbeitsredht 
zum Landesrecht überging, bat fi in Boblis bei feipzig zugetragen. Dort ift 
das erft 1720 gefchbeben. Andere Dörfer mit flämifchem Lrbrechte haben diefes 
noch viel länger bebalten. Es war zwar in einer Reibe von Orten einer Der: 
Anderung unterworfen: die eheliche Gutergemeinfcaft fdwand, feit der erften 
Dalfte des 17. Jahrhunderts nachweisbar, aus dem Bewußtfein; und es bürgerte 
fi ein, daß nad fähhfifchem Rechte Fyeergeräte und Berade (gewiffe örtlich ver: 
fciedene Mobilien, die als Doraus gegeben und nicht bei der Erbteilung ange: 
rechnet wurden), bei der Erbteilung gegeben ward. Aber an der halbteilung 
ift bis gegen das Ende des 18. Jabrbunderts 346 feftgebalten worden. 

Man hat beobadtet, 5aB gerade die Slamen befonders an ihren beimifchen 
Brauchen und Gewobhnbeiten fefthielten. Meine Erfabrungen mit den Machridten 


62 Volt und Kaffe. 1933, II 





in den Berichtsbüchern beftätigen diefe Beobachtung. Kurz, ich balte mich durch⸗ 
aus für berechtigt, aus dem Erbrechte des 16. bis 18. Jahrhunderts, insbefondere 
bei den SIamendörfern, einen Rüdfchlug zu ziehen auf das anfängliche Recht im 
Dorfe und d. b. auch auf die Herkunft der Siedler. 

Ic wende mich zu der Gegend nördlich der Elfter. Dort war das Drit- 
teilsrecht weit verbreitet. Ich konnte es feftftellen für Aabnicen, Klep3ig, Queis, 
Kleinwiedemar, Wiefenena, Kleintyhna, Selben, Jwodau, Slemsdorf; ferner in 
den im Weichbilde von Deligfch gelegenen Geridbtegemeinden ,,uffm Sand“ (auf 
dem Gand) und Grinftrag. Die Oftgrenze diefes fräntifchen Rechtsgebietes läßt 
fih auf Grund der Klachrichten in den Gerichtsbüchern ziemlich genau beftimmen. 
Drittelsreht finden wir in Aayna, Radwit, Beuden, Yliederroffig, Alein= 
woͤlkau. Auch in Brinniß, öftlih von Deligfch, wo dem Pfarrer vor dem Dorf: 
gerichte nach dem Tode feiner Srau erklärt wurde, er fei von den 100 Bulden, die 
ibm die Srau zugebradht, feinen Rindern nicht mehr als ein Drittel zu geben 
fhuldig. Dagegen ließ fich aus den Berichtsbüchern das HBalbteilsrecht feftftellen 
für die öftlih benachbarten Brte: Hobenoffig, Proöttig, Priefter, Lehelig, Rödgen, 
Rupfal (Copstal“) und Rrippehne. Das Halbteilsreht kann ich dann weiter feft- 
ftellen fiir Landsberg und Brebna weftlid und nordweftlid von Deligfd. Weiter 
Oftlid an der unteren Mulde hatte der alte Burgwart Löbnig, der fih 1183 vom 
Magdeburger Erzbifhof Wichmann das Sallifche Recht erbeten bat, Dritteils: 
recht; und im benachbarten Döbern beftanden zwei getrennte Rechtsgebiete; in 
dem einen wurde nad Halbteilse, in dem anderen nach Dritteilsrechte geerbt. (Die 
Siedler um Löbnit hatten fic) 1183 das Recht von Burg erbeten, und das war 
flämifch.) 

Oftlich der Linie Hoben-OffigsRrippebna ift mir aus den Gerichtsbüchern 
faft nur das Halbteilsredht belannt; in der Stadt und in den Dörfern des ebe- 
maligen Amtes Eilenburg gelt es ausfchließlidh. Ich kenne in jener Gegend nur 
Priefteblich bei Düben als Ort mit Dritteilsrecdte. 

Am ordrande des Sreiftaates Sadfen konnte ich in dftlider Rid: 
tung von Wabren, Lindenthal und RKleinwiederigfdh an nur Halbteilsrecht feft= 
ſtellen. Nur bei wenigen Ddrfern babe ich nichts finden können; wo ein drtlicdes 
Erbrecht vorhanden war, war es faft nur das flämifche Halbteilsredt. Meine 
Sorfcbungen erftreden fic) im wefentlicden bis nad Saltenbain und Sachſendorf, 
für die ich das Halbteilsrecht fand. Sur Rubren ftebt Befiedelung durch Slandrer 
(1154) urkundlich feit. Kür die Städte Dablen und Ofdag ift das Halbteilsredt 
im 15. Jahrhundert nachgewiefen. Ich nenne ferner als Dörfer mit Halbteilsrecht 
an der Straße Leipzig-Wurzen: Reudnig, Anger, Vollmarsdorf, Sommerfeld, 
Borsdorf, Geridsbhain, Machern, Altenbach und das benachbarte Zeitig, Deuben, 
Bennewig und Grubnig. Kur für Sellerbaufen, Stünz und Paunsdorf fehlt bier 
der Llachweis. 

Inmitten dicfes flämifcben Rechtsgebietes finden fich jedoch auch eine Anzahl 
Dörfer mit Dritteilsredht. Es ftebt — im 18. Jahrhundert — feft für Leulis, 
Rleinfteinberg, Erdmannebain und Sudsbhain. Die alte Oberreitfche Rarte ver: 
zeichnet zwifchen Leulig und Rleinfteinberg einen Wald „das Srantenbolz“. Den 
Yiamen baben offenbar die Bewohner der nördlich angrenzenden Slamendörfer 
gegeben. Dermutlicd ift die Zahl diefer Dörfer mit fräntifhem Recht inmitten 
des flämifchen Recdhtsgebietes noch größer. 

Während die Gegend fränkifchen Erbrechts zwifchen Werfeburg und Leipzig 
füdlich der Elfter, wie ich bemerkte, fcdhon im 10. Jabrbundert von Deutfchen be= 


1933, II Markgraf, Die Grenze zwifchen d. fränkifchen u. flämifchen Redytegebiete ufm. 63 
Er ee a a Te re a ee eee eee) 





fiedelt gewefen ift, ift die Begend fränlifchen Erbrechtes nördlich der Elfter erft 
im 13. Jahrhundert erfchloffen worden. 

Wir wiffen, daß Rattersnaundorf von einem gewiffen XRotlin gegründet 
worden ift, der 1158 ftarb. Der Miachbarort Grabfdug ift nad Rattersnaundorf 
entftanden. Der alte Burgort Löbnig an der Mulde bat zwar fchon 981 beftanden, 
aber das umliegende flache Land ift erft in der Zeit bis 1183 mit Dörfern befetzt 
worden. Wenn Landsberg und Brehna flämifches Erbrecht hatten, fo ergibt fich 
daraus, daß diefe Drte erft etwa feit Mitte des 12. Jahrhunderts ausgebaut fein 
können. Damals war die Siedlung in unferer Gegend im Gange. Budwit, bei 
Caucha ift 1160 und Rühren, wie erwähnt, 1154 mit Slandrern befetst worden. 

Eine Bemerkung über den Wert der Ortsnamen für die fiedlungsgefchicht: 
lihe Sorfhung fei bier eingefügt. Die landläufige Meinung ift bis jest, daß die 
Orte mit der Endung «ig, «igfd, -ig, [hu ufw. flawifch feien, foweit nicht eine 
Beifugung von Groß: oder Deutfchs diefe Orte wendifchen Kiamene als deutfche 
Gründungen kennzeichnet. Die Anficht trifft ficher in Einzelfällen zu, in vielen 
aber auh nicht. Wir faben, daß unfere Gegend um 1100 arg verwüftet gewefen 
ift. Das wird beftätigt durch folgende Tatfacdhen. Wir kennen nur zwei Ans 
fiedlungsverträge, die für Buhwit und Rühren. Beide flawifche Orte waren 
ftark in Derfall bei der Lleubefiedlung durch die Slamen. Budwig wird in sem 
UAnficdlungsvertrage fogar bezeichnet als multis a natura saeculis incultum. 
£s war alfo 1360 feit undenklichen Zeiten wüft. Der Schluß ift gewiß erlaubt, 
Daß auch eine größere" Anzahl andere Ortfchaften damals ganz oder halb verfallen 
war. Die deutfchen Siedler batten die Gewohnbeit, daß fie bei der Befegung wift 
gewordener Wendendörfer dem Brt nicht einen neuen deutfchen Llamen gaben, 
fondern den alten flawifchen beibebielten. Wir müffen alfo annehmen, daß eine 
gewiffe Anzabl Örtfhaften mit flawifchen Flamen wohl vor der 
Rolonifationsperiode des 12. Jahrhunderts ale Wendendörfer 
beftanden batten, aber dann im 12. Jabrbundert von Deutfchen neu be: 
fegt worden ift. 

Dazu fommt ein weiterer Grund: Mande Orte baben von den deutfchen 
Siedlern zunächft einen deutfchen Klamen erhalten, ihn dann aber zu Bunften des 
alten flawifchen Flamens wieder abgelegt; andere haben den anfänglichen deutfchen 
Flamen balbflawifiert. Deutfchendorf bei Leipzig bat fpäter den Liamen des flaz 
wifcdhen Llachbardorfes „Reudnit‘“ übernommen. Löbnig am Petersberg bei 
alle kann im 12. Jahrhundert bezeichnet werden als „Sranktendorp, que et 
Liubanuwig und heißt fpäter wieder Lobnig. Anfcheinend ift auch dort ein 
Slawendorf mit Sranten befetzt und nach ihnen benannt worden: dann gab es 
eine Zeit, in der der Viame [chwäntte; und fchlieglich fiegte der alte flawifche Klamıe. 
Ein Det beißt anfangs Ronradsdorf und fpäter Ronradig. Kurz, wir werden 
im allgemeinen bei Rüdichlüffen aus Ortsnamen auf die Vollszugebörigleit der 
älteften Einwohner des Dorfes feit dem ı2. Jabrbundert fehr vorfichtig 
fein müffen. Eine größere Anzabl Drte flawifchben Tlamens find 
fiber deutfcbe Feugründungen des 12. Jabrhunderts. 

Jedenfalls ift Genaueres im Einzelfalle nur durch eingehende ortsgefchidhts 
lihe Unterfuchung feftzuftellen. Jch führe zwei Beifpiele an, Voltmarsdorf bei 
Leipzig und Mufcdau bei Keisnig. Dolfmarsdorf ware, wenn man den Flamen, 
auch den alteften (Wollalsdorf, Dollwartisdorf) beridfidtigt, als flaͤmiſche Sied⸗ 
lung anzufeben. Eine genauere ortsgefdhichtliche Unterfuchung zeigt aber, daß es 
cin Glawendorf gewefen fein muß. Die Ortsflur war fo Bein und die Aus⸗ 





64 Dolt und Kaffe. 1933, II 


dehnung der Hufen (Bauerngüter) fo gering, daß flämifhe Siedlung nidht in 
Stage fommen kann. Bei Mufchau ergibt die Örtsgefchichte Solgendes: Während 
fonft an der Spige der flämifchen Roloniftendörfer von Anfang an der „Schulze“ 
ftand, batte Mufdau noch 1307 an der Spite einen „Supan“, Dorfälteften. Es 
war alfo zweifellos wendifch. Wenn ich dort 1668 das flämifche Erbrecht nach- 
weifen kann, fo bedeutet das in diefem Salle nicht, daß Mufchau flämifche Yieu- 
gründung des 12. Jahrhunderts ift, fondern nur, daß es bei der Eindeutfchung, 
beim Übergang zum deutfchen Rechte, aus einem Slamendorfe in der Liäbe das 
flamifcde Erbrecht übernommen bat. 

Go liegen die Dinge gewiß audy bei einer Reihe anderer Dörfer. Wir dürfen 
nidht ohne Weiteres bei jedem Orte, der in fpdterer Zeit nad flamifchem 
Rechte erbte, auf flamifdhe Siedlung fchließen, nur der Schluß ift bei Slawen: 
dörfern erlaubt, daß deutfche Dörfer in der Hahbarfhaft nad flämifchen 
Bewohnbeitsrechte erbten und die Wenden von diefen das Erbredht übernommen 
haben bei der Eindeutfchung. 

Die Grenze fudlih von Leipzig fällt zufammen mit den Waffer: 
laufen. Wafferläufe find betanntlich auch fonft zuweilen Stammesgrenzen, wie 
3. B. der Lech in der Augsburger Gegend die Grenze zwifchen Schwaben und 
Bayern bildet. Sudlih von Leipzig konnte ih weftlidh der Pleiße nur das 
Dritteilsredt finden; in Rleinftädteln, Safhwig und Böhlen. Don der 
Mündung des Bdfelbakhhes in die Pleiße an bildet dann der Gdfelbach 
die Stammesgrenze. Zwifchen Pleiße und Böfel konnte* ih für Ruben und 
Gefhwig das Dritteilsrecht feftftellen; dagegen nur das Halbteilsrecht öjtlich 
der Gdfel: in Markleeberg, Gölgfchen, Dreistau und Rlein-Pößfchau; ebenfo in 
den weiter Sftlich gelegenen Orten Odfen, Guldengoffa und? Wadau. Südlich 
der Böfel hört dann das flämifche Recht fofort auf: Groß: Pogfhau und 
Mslbis batten Dritteilsrect. 

Weiter fudlid) tommen wir in das Gebiet zwifhen Wybra und 
Mulde, das, wie wir wiffen, durh Wipredht von Groigfdh mit Sranten feit 
1305 befiedelt worden ift. Dort ift von vornherein ohne Kenntnis der Quellen 
das fränkifche Dritteilsrecht anzunehmen. Die Berichtsbücher beftätigen die Rich- 
tigkeit der Annahme. Ich konnte das Dritteilsrecht feftftellen für Areudnig, 
Rothiden, Breunsdorf, Regis, Breitingen und die zum ebemaligen Amte 
Breitingen gebörigen Orte; für Wybra und Altftadt Borna, Benndorf, Fienlerss 
dorf, die Stadt Srohburg, Rüdigedorf („Rüdigersdorf‘‘) und Jabnebain. Der 
Befund der Gerichtsbücher ergibt alfo, dag fudlih der Gdfel nur franki- 
[bes Dritteilsredht bis jegt zu finden ift. 

Geben wir von Leipzig aus in füuüdsftlihber Richtung, fo finden 
wir nur Orte mit Halbteilsredht: Probftheida, Liebertwoltwig, Threna, Röhre, 
Belgershain und Robrbad. Hier find wir von Llorden ber an die Böfel beran: 
getommen. Dort erftredt fic) aber das Halbteilerecht noch viel weiter füudäftlich. 
Aud Laufid und Ebersbach und das Flieder- und Öberfranktenbain be 
nadbarte Tautenbain teilten zur Hälfte, wo das Dorfgericht 1530 entjchieden 
bat, daß dem Witwer folle „nach gebrauch des ampte“ die "yälfte und den Rindern 
die andere Hälfte zugeftellt werden. Bei Tautenbain und Srantenbain ftößt offens 
bar das flämifche Siedlungsgebiet mit dem fräntifcehen zufammen. Bis Tauten: 
bain reicht das Sicdlungsgebiet des Wipreht von Groigfd! Wir konnten ferner 
das HBalbteilsrecht feftftellen fur Schwarzbach und Leupahn und Seupabn an 
der Mulde; Sftlich der Mulde für Rür, Laftau und Aobnsdorf; dagegen 


1933, II Markgraf, Die Grenze zwifchen d. fräntifchen u. flämifchen Rechtsgebiete ufw. 65 
TEE EEE a a ee we erm eg ne Ee een ee 


Dritteilsrecht für Langenau, Seifersdorf, Schönerftedt, Aartha, Afchersbain. 
Rofenthal will fogar für Slemmingen Dritteilsrecht ermittelt haben. Das ift febr 
auffällig. Slemmingen ift nad meiner Überzeugung flämifche Siedlung. Ich 
jchließe das aus dem Liamen, verweife aber ferner auf die Tatfache, daß die Be: 
wobhner der Hachbardörfer den Ort Slemmingen bis zur Gegenwart als „Die 
Dlämige“ bezeichnen. syier müßte man auf jeden Sall obne Kenntnis der Gerichts: 
bücher das flämifche Erbrecht annehmen. Weitere Auftlärung durch ortsgefchicht: 
liche Unterfuchung tut bier not. Einftweilen darf ich die Vermutung ausfprechen, 
Daß gerade dort, wo das flämifche Recht zufammenftieß mit dem fräntifchen in 
den Llachbardörfern, fih Reibungen in Solge der Rechtsungleichheit leicht er- 
geben konnten und daß die flämifchen Bewohner fchlieglich fidh dazu verftanden 
baben mögen, ihr flämifches Recht gegen das fränkifche Recht der LFlachbarorte 
einzutaufchen, entgegen aller fonftigen flamifden Art. 

Wir finden weiter das Halbteilsredt in Gersdorf, Minkwig, Klaunbof 
bei Altenbof und Bodrtewit. Vlad Often und Südoften dürften diefe Brte die 
Grenze bilden oder fie liegen ficher der Grenze fehr nahe. Im angrenzenden ebe: 
maligen Amt Döbeln ift (nach Rofentbal) das Dritteilsrecht Amtsrecht ges 
wefen, wie im Amt Leisnig das AHalbteilaredht Amtsrecht gewefen ift. 

Syaben wir bisher die Grenze zwifchen flämifchem und fräntifchen Recht 
ziemlich deutlich im Liorden, Welten und Süden feftftellen können, fo verfagen 
nun meine Quellen für die weitere Oftgrenze, die nach den Ergebniffen der 
voltstundlid-mundartliden Sorfdhung in der Richtung auf Riefa zu fuchen ift. 
Rofenthal bat feftgeftellt, „daß fi) die Halbteilung mit eergerdte und Gerade 
von Dabhlen aus weiter füdlich in die Amter Sornzig und Mügeln erftredt.. 

Um Sornzig und Mügeln ift alfo nod zur Syälfte geteilt worden. Genaueres 
vermag ich dort Über die Grenze nicht anzugeben. 

Die Begend um Meißen weift nach den Gerichtsbüchern nur das Drit:= 
teilsredt auf. Ich führe, um zu zeigen, wie dort das Dritteilsrecht überall ges 
berrfcht bat, als Örte mit fränktifchen Rechte weftlih und nördlich von Meißen 
an: Canig, Lötbain, Ylimtig, AleineRagen, Prieffa (,,priffau), Seebſchuͤtz, 
Schieritz, Pistowitz, Ickowitz, Zſcheilitz, Ober⸗Muſchuͤtz. Auch Babra, Borig 
und Althirſchſtein teilten nach Dritteln, waͤhrend (nach Roſenthal) das benachbarte 
Fyeyda als Dorf mit Halbteilung vereinzelt liegt. Sur Riefa bat Pfarrer Dr. Benz 
das Fyalbteilungsrecht ermittelt. Angefichts der Ludenbaftigteit der Kladhrichten 
für diefe Gegend ift die eine Seftftellung, die ich noch machen kann, um fo gewidhs 
tiger: Jbanig und Gleina nordweftlid von Lommatfch erbten nah Drit: 
teilsredht. Die Brenze zwifchen flämifchem und frantifhem Rechte ift dort alfo 
weftlid von Jbanig und Gleina zu fuchen. Zu unterfuchen wäre zunädhft, ob der 
Jahnabach ale Stammesgrenze zu gelten bat, äbnlich wie im Süden von Leipzig 
die Wafferläufe der Pleiße und Bdfel die Stammesgrenze gebildet haben. Jen: 
feits der Landesgrenze wurde das halbteilsrecht für die Grenzorte PDausnig und 
Schirmenig gefunden. 

Das ift es, was fich bisher auf Grund von Angaben in den GBerichtebüchern 
feftftellen ließ für das weftelbifche Sachen. Die Gerichtsbücher werden ficher 
noch manches Fleue zu Tage fördern, wenn fie ausgefchöpft werden. 

Über das oſtelbiſche Gebiet können wir uns wefentlich kürzer faffen. 
Dort ift das flämifche Element viel fchwächer vertreten ale im woeftelbifchen 
Sachſen. Beim Überblid über die Ergebniffe aus den Berichtsbüchern fällt bald 
ein wichtiger Unterfchied ins Auge. Während wir im weitelbifeben Sachfen, von 


66 Volt und Kaffe. 1933, II 
—— ———————————————————— 


den Staͤdten abgeſehen, in der Regel entweder Gebiete mit nur oder faſt nur flaͤmi⸗ 
ſchem Erbrecht fanden, liegen die Dinge im oſtelbiſchen Gebiete ganz anders. Dort 
ſcheint nirgends ein groͤßeres geſchloſſenes Gebiet mit flaͤmiſchem Erbrecht be⸗ 
ſtanden zu haben. 

Dort finden wir vorwiegend fraͤnkiſche Siedelungen mit wenigen einge⸗ 
ſtreuten Doͤrfern des Halbteilungsrechtes. Das zeigt ein Blick auf die beigegebene 
Rarte. Porſchütz, der ſuͤdlichſt gelegene Ort, fuͤr den ſich bis jetzt das Halb⸗ 
teilsrecht (1596) bat ermitteln laffen, liegt bei Wiftaude, einem Orte mit Dritteils⸗ 
recht (1597). Medseffen hatte Halbteilsrecht, aber das nahegelegene Striefen 
wieder Dritteilsreht; Weißig (weitlid von Großenhain) weift 4albteilss 
recht auf, während der Kladhbarort Wildenbain (1760) nah Dritteln teilte. 
Bei Tiefenau möchte man Dritteilsrecht vermuten, weil der Ort fehon vor der 
Zeit der flämifchen Einwanderung erwähnt wird. Dagegen batten Klauwalde 
und jenfeits der Landesgrenze Sichtenberg und Reidenhain KHalbteilsredht. Sonft 
können wir noch als Örte mit Halbteilsrecht feftftellen: Streumen, Zabeltig, Adels 
dorf (1590) und Cunnersdorf (1616), und dict an der Pulsnig Lüttichau. Wenn 
in Solbern der Gohn 40 Gulden zu feinem Teil und die Witwe die gleiche Summe 
erhielt, fo feheint auch dort AHalbteilsrecht gegolten zu haben. Das Gleiche gilt von 
Wüllnig, wo ein Dater von 31 Schod die Halfte erbielt, die andere yälfte an 
die Kinder tam. Die Örte in der nädhften Umgebung von Großenhain fdheinen 
alle das Dritteilsrecht gehabt zu haben. Es konnte nadhgewiefen werden für Weßs 
nitz, Muͤlbitz, Zſchieſchen, Rlein⸗Raſchuͤtz, Naundorf und das fchon genannte Wil: 
denbain. Serner kann man feftftellen, daß fich das fräntifche Recht bis bart an die 
Grenze oder bis unmittelbar zur Grenze erftredt bat. LTiegeroda, Weßig am 
Rafig, Bobla und Linz hatten Dritteilsrecht, während in dem unmittelbar an 
der Lundesgrenze liegenden preußifchen Dorfe Groß-Thiemig das Halbteilsrecdht 
geübt wurde. Jn der Broßenhainer Gegend tritt alfo das flämifche Erbrecht in 
den Kintergrund und das fränkifche berrfcht ftart vor bis zur nördlichen Lan: 
desgrenze. 

Jenfeits der Pulsnig finden wir dann faft nur fräntifches Recht. Das Drit- 
teilsrecht ließ fich dort nachweifen in der Gegend um Rönigsbrüd und Ramenz in 
folgenden Orten: Rohns, Zeißbolz und Tofel („Aubfel‘“) an der Grenze, weiter 
fudlid) in Quosdorf, Bobra, Sdmortau, Rönigsbrüd, Stenz, Laußnitz, Hoͤcken⸗ 

dorf, Biſchheim, Bulleritz; oͤſtlich von Ramenz in Wendiſch⸗ Baſelitz, Kaͤckelwitz, 
Graͤnze und Schmerlitz, waͤhrend ſich Spuren von qhalbteilung zeigen in Graͤfen⸗ 
hain, Reichenbach bei Roͤnigsbruͤck und in Gelenau bei Ramenz. 

Aus Graͤfenhain berichtet das Gemeindebuch (nach 1004): „in erbegelde teilen 
ſich Mutter und Rind in gleiche Teile‘. In Reichenbach erhielt 1713 bei der Erb⸗ 
teilung die Mutter die eine haͤlfte, die andere fiel an die zeyn Rinder. Dod kann 
ich nicht ſagen, ob das nach Dorfrecht geſchehen iſt. In Gelenau wird um 
1700 geſagt, die Mutter ſolle mit den Rindern zu gleich teilen. Dieſer Ausdruck 
kommt in der baͤuerlichen Gerichtsſprache auch ſonſt haͤufig vor und bedeutet: zur 
Hälfte teilen. 

Gegen mein wiffenfchaftliches Derfabren werden vielleicht Bedenken geltend 
gemadt werden. Man wird fragen, ob nicht etwa im Laufe der Jabrbunderte 
Oerichtsberrfchaften „von oben ber“ einen Einfluß auf das Örtliche Erbrecht aus: 
geübt und es verändert baben können. Ic bemerkte deshalb, daß die Gerichts: 
berrfchaften in der Regel keinen Einfluß im Sinne einer Umgeftaltung des Erb: 
rechts ausgeübt baben. Wir ift bet der Menge des Stoffes, der mir zur Derfa- 


1933, II Wartgraf, Die Grenze zwifchen d. fräntifhen u. flämifcben Rechtsgebieteufm. 67 





gung ftebt, nur ein einziger foldyer Sall in Erinnerung. Im Jabre 1684 bat der 
Leipziger Jurift Barth, ein Spezialift für Sorfyung über das deutfche Erbrecht, 
als Vertreter der Stadt Leipzig ale Berichtsberrfchaft in einem Leipziger Rates 
dorfe feine Bedenken gegen die dortigen erbrechtlichen Brundfäge geäußert. Das 
ift aber, wie gefagt, der einzige mir belannte Sall. 

Sodann bemerkte ich: Im 16. Jabrhundert haben in verfchiedenen Gegenden, 
3. B. in £eisnig, Coldig und Rodlitz, die furfürftlichen „Amter“ eine gewiffe Sefts 
legung des in der betreffenden Gegend bherrf{denden Erbrechts durchgeführt. Die 
Amter fchufen aber dabei nicht ein neues Recht, fie änderten nicht das berrs 
fhende Bewohnbeitsrecht, fie übten keinen Zwang aus für eine Veränderung 
des Erbrechts, fondern fie beriefen Vertreter der Gemeinden zufammen und unters 
richteten fich über das in den einzelnen Dörfern berrfchende Erbrecht. War allges 
meine Übereinftimmung vorhanden, berrfchte dasfelbe Erbrecht in allen Amtes 
ddrfern, fo wurde diefes Recht feftgelegt, an die Landesherrfchaft Bericht gefcide 
und diefes allgemein berrfchende Gewobnbeitsredt als Amtsrecht oder „Amtes 
brauch“ redhtlichsformell von der Kandesberrfchaft beftätigt, nach der Derwals 
tungsfprache jener Zeit ,fonfirmiert’. Es wurde alfo das längft beftebende uns 
geichricbene Bewohnbeitsredht fchriftlih, rechtlich-formell feftgelegt, mebr nicht. 
Das Landeserbredt, das 1572 durch die Eurfürftlich=fächfifchen Landestonftitutionen 
belanntgegeben worden ift, trat nur ergänzend in Araft und ift nur dugerft felten 
tatfächlich wirkfam geworden. Es wurde praltifch von Bedeutung nur infofern, 
als eine Reihe von Gemeinden, bis etwa 1720 nur im fränlifchen Rechtsgebiete, 
freiwillig diefes Landeserbredht gegen ihr altes Örtliches ungefchriebenes Gewobhn: 
beitsrecht eintaufchten, wie wir das befonders deutlich bei Broß-Schlorlopp vers 
folgen können. Dort finden wir vor 1672 das fräntlifche Dritteilsrecht, fpäter das 
fähhfifche Landeserbredht. 

Auch in anderer Hinfidt halte ich von vornherein eine Aufllärung für ans 
gezeigt. Jede Samilie konnte unter fich erben, nach weldhem Rechte fie wollte. Sie 
konnte in einem Dorfe mit frantifcbem Rechte nach flämifchenm Rechte und ums 
gekehrt unbebindert erben. Rein Dorfgericht fragte in foldem Salle darnad. 
Wenn aber die Erben uneinig wurden, dann wandten fie fidh an das zuftändige 
Geridt. Das war das Dorfgericht, beftebend aus den von der Gemeinde ges 
waäblten und in der Gemeinde anfäffigen Dorffchöppen und dem „Schulzen‘“, 
„Aichter‘‘ oder wie der mit der Ausübung der niederen GDeridtsbarteit bzw. 
Polizeigewalt betraute Bemeindevorfteber fonft Srtlich genannt wurde. Das Ge- 
richt entfchied nun grundfäglich nur nach dem Srtlichen, ungefchriebenen Gewohn: 
beitsrecht; ein anderes Recht kannte es nicht und wollte es grundfäglich nicht 
kennen. Dem mußten fich die ftreitenden Parteien fügen. 

Die Geridtsbucer laffen erkennen, daß meift gütliche Vergleiche zuftandes 
getommen find, oft nach den Flormen des Örtlichen Bewohnbeitsrechtes. Es scheint 
alfo, daß die Dorffchsppen darauf binarbeiteten, daß nach deffen Grundfagen 
möglichft auch bei einer gutlidmen Einigung verfahren wurde. Wurden die 
Parteien aber nicht einig, fo wurde nach „Dorfsbrauch‘‘ oder „Dorfsgewobnbeit“ 
bzw. nah „Amtsbrauch‘ der Wittib die Halfte oer Guter „vorfället‘‘ nady 
flämifchem Rechte, oder nach fränkifchem Rechte erklärt, daß der Wittib ein Drittel 
oder dem Pater zwei Dritteile „gebübren“. 

Solche Entfcheidungen wurden im Gerichtsbuch eingetragen, und diefe 
Lliederfchriften in den GBerichtsbüchern, Gerictshandelsbudern, Gemeindebucern 
oder wie fie fonft Srtlich genannt wurden, find für mich die wertvolle Sundgrube 


68 Volt und Kaffe. 1933, II 
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meiner Sorfchungen gewefen. Das ift der Rebhtsgang beider Erbteilung 
in früheren Jabrbunderten auf dem flachen Lande gewefen. Licht wejent- 
lidy anders ift man in den Städten verfabren. 

Auch die Fliederfchriften über getätigte „Erbkäufe“ dienten manchmal als 
Quelle. Da wird 3. Bd. gefagt, daß eine Witwe ihr halbes Gaus oder ihre halben 
Güter vertauft. Das ift ein deutlicher Hinweis darauf, daß in foldhen Salle nach 
SJalbteilungsredht geerbt worden war. Die Witwe verlaufte den an fie durch 
Erbgang gefallenen Teil der Erbfchaft. Beifpielsweife berichtet das Gericdtsbud 
für Altfeuslig, daß eine Witwe die ihr zuftcbende Sälfte der Schiffsmüble an 
ihren älteften Sohn für 120 Gulden verkauft babe. Diefe Klachricht ergibt, daß 
in der Samilie nach dem Halbteilungsrechte geerbt worden war. 

Uberbliden wir das Ergebnis, fo erkennen wir leicht, daß die Abgrenzung 
des flämifchen und fräntifchen Sicdlungsgebietes — foweit es überhaupt eine 
Grenze gibt — jegt auf Grund der rehtsgefchichtlichen Sorfhung viel fchärfer 
gezogen ift als das die mundartlicdhe Sorfehung mit ihren Mitteln erreichen konnte. 
Unfer neues Ergebnis ift nicht cine Linie Degau-Grimma:Riefa, fondern eber, 
wenn man es auf eine Rurze Sormel bringen will: £eipzig-RodligsRiefa. Die 
Grenze führt alfo wefentlih mehr füudlich als das die Mundartforfcbung certennen 
konnte. Zwiſchen Rodlig und Grimma bat anfcheinend das fränlifche Element 
von Süden ber die flämifche Mundart zurüdgedrängt. 

Die beigefügten Rarten geben ein Bild der meiften Drte, für die frantifdes 
bzw. flämifches Erbrecht bisher in den betreffenden Gegenden feftgeftellt werden 
tonnte. 


— — 


Sind die oberſchleſiſchen Holzkirchen Reſte 
germaniſchen Rulturgutes? 


Von Fritz Wiedermann. 
Mit 5 Abbildungen. 


berfchlefien, jener ungludlide Gudoftzipfel deutfchen Landes, verdient als 

Dorpoften gegen die flawifde Stut unfere doppelte Aufmerkfamteit. cpier 
ift die Schnittlinie zweier Landfchaften, zugleich aber auch ein Rulturgefälle von 
außerordentlihem Ausmaße. Der nordeuropäifche Siedlungsbogen ftreift das 
Land in voller Breite. Die deutfche Mittelgebirgslandfchaft fendet ihre Ausläufer 
bis ins Ddecrtal, der oberfchlefifche Landrüden ift der legte Damm gegen die nun 
beginnende oftifche Weite. Einft fegten die Steppenwinde aus Rußlands Ebenen 
uber Schlefiens Sluren hinweg. Und die Lößfelder find nicht die einzigen Zeugen 
aus jener Zeit. Mit dem Einbruch der flawifchen Stämme überflutete eine öftliche 
Rultur diefes Gebiet und begrub unter fich die Refte einer jahrhundertelangen, gers 
manifchen Arbeit. Daß einzelne Sippen hängen blieben, wiffen wir, daß mandhes 
aus ihrer Rultur von den Klachfolgern übernommen wurde, ift anzunehmen. Aber 
es fehlt noch immer für die Sicdlungstunde der lüdenlofe Beweis, daß der Hols: 
bau das Erbe der germanifchen Rultur ift. Einen Beitrag zur Löfung diefer 
Stagen, einen Hinweis auf tonftruftive Zufammenbänge liefern die eigenartigen 
Holztirchen Öberfchlefiens, deren Eingliederung in die biftorifche Solge noch nicht 


1933, II $rig Wiedermann, Sind die oberfchlef. SHolztirchen Refte germ. Rulturgutees 69 
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reftlos gelungen ift. Auch diefer Beitrag will nur den VDerfuch einer Löfung 
wegen. Er ift ein weiteres Blied in einer Kette, die zu fliegen der Zukunft über: 
laffen bleibt. 

Seltfame Rirchenbauten weifen die Heinen Dörfer Öberfchlefiens auf. Einft 
mögen fie noch zahlreicher und vor allem in den Städten zu finden gewefen fein, 
beute ıft ihre Zahl im deutfchen Anteil Oberfchlefiens auf 83 zurüdgegangen. Die 
alteften diefer Bauten ftammen aus dem 15. Jahrhundert. Wir dürfen aber an: 
nehmen, daß die Holzbauten aus der erften Zeit der Belehrung nicht wefentlich 
anders gewefen fein mögen. Denn erfahrungsgemäß ift die olzbautunft fo ftart 
konfervativ wie keine andere. Mit peinlicher Treue entfprach der jeweilige Fleus 
bau den alten Sormen, weil fefte handwerkliche und traditionelle Bindungen vor: 
lagen, die abzuÄändern keiner der dörflichen MHandwerler wagte. Als Vorläufer 
aller Steinbauten, deren Gründung erft ins 13. Jahrhundert fiel, find diefe Holz: 
tirden anzufeben. 

Jm Sdhuge der madtigen Walder, am ange der kleinen Kyügelwellen 
finden wir nod) 3ablreidbe der alten Blodbolstirdhen. Ihre Dächer werden von 
den Wipfeln der Eichen und Buchen überragt, die Meinen Türme felbft fchauen 
faum aus dem grünen Wieere hervor. Röftlich in feiner kraftvollen Stärke ift das 
Balltenwert der Wände. Das Alter gab ibnen eine wiuirdige Patina, Moofe und 
Slechten wudbern auf fturmsernagten dlzern. Gräfer und Seldblumen umranten 
die balbverfallenen Schwellen, rantendes Grün verziert die Ballen der Tur: 
rahmen. Dis faft zum Boden reichen die fteilen Dächer und ihrer Scindeln 
filbriger ©lanz ftebt im barmonifchen Gegenfage zum faftigen Grün der Blätter 
und Zweige. In dämmrige Stille getaucht ift das Innere. Duntle Schatten liegen 
Ihwer überm Rirdhenraum. Die bunten Reflere der Blasfenfter zittern über weiß 
geicheuertes GBeftübl, der ewigen Lampe glubendes Slämmden wirft gligernde 
Rringel über grob gefchnigte Heiligenfiguren, und aus goldenen Rahmen leuchten 
Ölasbilder mit grellem Schein. Buntfarbige Ranken zieren das Bretterwerk der 
Deden, aus den Emporen fpricht die lichtlofe Enge eines gedrüdten Raumes. Und 
im Rniftern der Ballen fpürt man den lebendigen Bdem der Wälder. 

„Bermanifdhe Rinder im flawifchen Kleid“ bat fie fehon vor Jahrzehnten 
ein Renner ihrer Arcdhiteltur genannt. Aber man bat das Wort vergeffen. Die 
Polen haben vor allem Wert darauf gelegt, daß ihnen diefe eigenartige Kon: 
ftruttion zugefchrieben wird und wollen gerne an der Hand diefer malerischen 
Beifpiele die Dorzüge einer polnifchen Architektur beweifen. Einen Schein des 
Rechtes gibt ihnen die Tatfache, daß fich diefe HBolzkirchen im polnifden Sprad- 
gebiete am zablreichften erhalten haben. Aus der Tatfache, daß die deutfche Sorjchung 
diefe Holzkirchen völlig unbeachtet ließ, haben die Polen in ge{didter Weife Mugen 
gezogen. Es ift bodfte Zeit, daß wir den deutfchen Anteil an diefen Bauten 
tlarftellen. 

Beginnen wir mit der zulegt genannten Tatfache, daß die Mehrzahl der Holz: 
tirchen im polnifdhen Sprachgebiete zu finden ift. Damit ift durchaus nichts er: 
wiefen. Denn aus Urkunden und Berichten, zum Teil find fogar nod Lidtbilder 
erhalten, ift 3u beweifen, daß im deutfchen Sprachgebiete mindeftens die gleiche 
Zahl an Holzkirchen vorhanden wear. FTur baben die aufftrebenden woblbabenden 
deutfchen Bauerndörfer bereits im ausgebenden Mittelalter ihre Holzkirchen ab: 
gebrodhen und fie durch maffive Bauten erfegt. Befonders häufig tam diefe Um: 
wendlung im 19. Jabebundert vor. Die felbft in Fiederfchlefien oft an: 
zutreffenden Holztürme find immer Refte der alten Jolzkirchen aus früberer Zeit. 


70 Dolt und Kaffe. 1933, II 





Diefe Jolztürme fielen zuerft den Heimatforfadern auf und find eingebend 
unterfucht und befchrieben worden. Ihre Konftruttion bat die Siftoriker ſchon 
immer befchäftigt und fie veranlaßt, Schlüffe auf ihre Herkunft zu zieben. Aber 
die Dermutungen gingen bisher fehl, fie wurden als mertwürdige Launen der 
Doltstunft betrachtet. Erft ein eingebendes Studium der oberfchlefifehen Schrot= 
bolztirchen zeigt Zufammenbänge, die bisher unerltannt geblieben find. 

Daf im deutfden Often die Holzbauten überwiegen, ift kein Zufall. Die 
Viaturfteine aus Brüchen fehlen gänzlich, die runden Gefdiebe der Grundmordnen 


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Abb. }. Schnitt und Aufriß des Tucmes Abb. 2. Schnitt dur Choranbau und Umgange der 
der Mlodholsticde in AltsNofenberg (O.sS.). Blodbolstirhe in Brinnig (O..S.). 


eignen fic) weniger zum Bau, für Wobnbäufer find fie völlig ungeeignet. Es 
bleibt nur der Holzbau, da Lchmziegel erft fehr fpat befannt wurden. Das Ordens: 
land wird von diefer Betrachtung nicht berührt, weil deffen Baukultur von den 
Ördensrittern aus füdlichen Ländern übertragen worden ift. 

Die Holzbautunft ift von den germanifchen Völkern zu einer vorbildlichen 
£eiftung entwidelt worden. Das Holz war für fie tein toter Stoff, fondern fie 
fpürten in jedem Baum das organifche Werden, jeder Ballen felbft war ein Wert 
der Schöpfung, deffen gebeime Kräfte auf dem Wege der Klaturreligion übertragen 
wurde. Darum baben fie als erfte die Dynamik des Holzes erfaßt, fie haben an 
die Stelle der Anhaufung von Baumftämmen die lebendige Sunktion der tragenden 
und laftenden Zeile gefezt. Bis weit in die Zeit vor Chrifti Geburt reicht der 


1933, II Srig Wiedermann, Sind die oberf&hlef. Holzkirchen Refte germ. Rulturqutes ® 71 
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Hallenbau zurüd, das Dorlaubenbaus und das Sparrendad find ihre 
ichöpferifchen Leiftungen. 

Im Gegenfate dazu baut der flawifche Menfch ftumpf und obne organifchen 
Gedanten. Er bäuft die runden Baumftämme zur Mauer an und baut darüber 
ein Pyramidendad aus dünneren Stämmen, wenn er fich nicht überhaupt mit 
einem Slechtwert als Dach begnügt. Seine Baukunft weiß nichts von den Lebens- 
gefetzen des "Holzes, fie ift dumpf und kraftlos, wie die Dhyfiognomie des Landes. 
Rein ftolzes Reden, kein organifcher Verband, blindlings find die Balken über: 
einander getürmt, fie kennen 
keine Rultur und keine Span: 
nung. 

Ganz anders aber find die 
Bauteile der oberfchlefifchen 
Blockwerkkirchen konſtruiert. 
Beginnen wir unſere Betrach— 
tung bei den Türmen. Sıe 
find oft felbftändig und fteben 
mit der Rirche in keinem Zu: 
fammenbange. Aber auch dort, 
wo Gottesbaus und Turm 
eine inbeit bilden, find die 
Türme felbftändig konſtruiert 
und nur durch eine Äußere 
Scale mit der Rirche verbun: 
den. Daraus ift zu fcliegen, 
daß der Baugedante fich immer 
fcbon felbftandig entwidelt bat. 
Das Qurmgerüft beitebt aus 
einem Ständerbau von 
4 Ballen, die urfprünglich ins Abb. 3. Lzarnowanı, ©.:5. Die breiten lImgänge weifen auf 
Erdreich eingegraben, fpater cine Wallfabrtsticde bin. 
auf Schwellenbölzer aufgebaut 
worden find. Diefe Bauweife weift uns auf den Bau der Maftenkirhben Mor: 
wegens bin. Auch fie zeigen eine gleiche Bauweife, die erwiefenermaßen auf die 
Schiffsbaukunft der Wikinger zurüdgebt. Auch die Schrägftellung (die 
beim felbftändigen Turmbau unerlaglich ift) ift beim Rirchenbau YTorwegens zu 
finden. Wenn wir die Standorte der Fyolztürme kartenmäßig feitlegen, dann zei: 
gen fie uns eine Straße, die von KTorwegen ausgebt, über Dänemark nach Mord: 
deutjchland reicht und dort im breiten Zuge über Brandenburg und Provinz 
Pojen fic fortfegt über Schlefien nach den Rarpatben und erft in Sudrugland 
verloren gebt. Diefer Weg der Turmbauten ift derfelbe wie der der germanifchen 
Wanderſtraße. 

Aber noch ein anderer Bauteil ſtammt geraden Weges von den Maſtenkirchen 
Norwegens. Das ſind die Umgaͤnge, jene ſchmalen verbretterten Verkleidungen, 
die aus klimatiſchen Gruͤnden bei den Maſtenkirchen berechtigt find. Wir finden 
fie in ©berfchlefien wieder, obgleich bier das mildere Klima durchaus nicht nach 
diefem Schutze verlangt. Sie umgeben den Chor, oft aud) den Turm, meift fogar 
den Bau von allen Seiten und baben bei den Wallfabrtstirchen eine befondere 
Ausdehnung erreicht. Auch die Kleinen Slugdächer, zum Schuß der Holzwände oft 








12 Volt und Raffe. 1933, II 


mebrfach übereinander angeordnet, geben auf nordifche Vorbilder zurüd. Das 
Beftreben, durch Dächer und dachartige Bauteile das empfindliche Holz vor 
Schlagregen zu febügen, gibt dem oberfchlefifchen Rirchenbau ein befonderes Ge: 
präge. Aber auch die norwegifchen Kirchen tragen als auptmertmal diefe An: 
baufung von Däcdern und dachartigen Dorbauten. 

£s gibt aber noch einen anderen Zufammenbang zwifchen nordifchgermaniz 
jchen Bauformen und diefen Spätlingen aus chriftlicher Feit. Die Dorgefcdicts- 
forfbung bat zu wiederboltem Male Wobnbautengrundriffe aus germanifcher 
Zeit freigelegt, die eine Ligen: 
tümlichkeit zeigen, die uns aus 
dem germanischen Hausbau be- 
reits befannt war: die Vor: 
Iaube. Diefe Bauform fpielt 
eine fo wefentliche Rolle, daß 
wir ihre umfaffende Bedeutung 
nod nicht überbliden können. 
Aus Schlefien wifjen wir, daß 
der reizpoll entwidelte Lau= 
benbausbau, der den Gee 
birgsftädten in Schlefien, wie 
in Böhmen und Wlähren, ein 
malerifches Geficht gibt, aus 
diefen Dorlauben entwidelt 
worden ift. Wir finden aber 
auch bei den oberfchlefifchen 
Blodwerktirhen die Lauben- 
formen wieder und = erfennen 
auch die Fonftruktiven Zufam: 
menbänge auf dem Wege über 
dem Pfettenbau. Es wäre 
noch zu beweijen, ob die Um: 
gange allein aus dem Kultbau 
ftammen und auf dem Wege 
über die Rirchen auch dem Bauernbaufe angefügt worden find, oder ob nicht viel: 
mebr die Sormen des Kultbaues aus dem Wobnbau allmäblich entwidelt worden 
jind. Dann wäre zugleich auch die Quelle für jene charakteriftifchen Umgänge 
der Waftenkirchen KTorwegens entdedt. Jedenfalls dürfte uns der Grundriß des 
germanifchen KJaufes noch manche Überrafchungen bringen. 

Der grundlegende Unterfchied zwifchen der Bauweife der Türme und den 
jpäter aufgefegten esauben tritt aud) dem Laien deutlich fichbtbar entgegen. Als 
ltefte Dächer find die vierfeitigen Pyramiden anzufprechen, die nur jelten noch 
erbalten find. Die malerifchen Kyauben aus der Renaiffancezeit und aus dem Barod 
figen unvermittelt auf den anders gearteten Türmen. Den alten Baumeiftern war 
dicfer Unterfcbied auch voll bewußt. Sie baben darum die Glocdenftube als 
Zwifchenglied eingebaut und fie befonders aufwendig geftaltet. tNeift find ibre 
Miände über die Turmböfchbungen vorgezogen, fo daß der Charakter des Turmes 
wefentlich geändert wird. Die oft recht malerifch geformten Kyelme mit Durc= 
bruch und Zwiebelbaube fteben in keinem Zufammenbange mit der Strenge der 
Turmform. 


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Abb. 4. Midelodorf. Choranfidr. 


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1933, II $rig Wiedermann, Sind die oberfchlef. Holzkirchen Refte germ. Rulturqutee®s 73 


Ein anderer Beweis, für den Belege zwar weientlich feltener zu finden find, lage 
fib auf dem Wege über die Pfettenktonftruftion des Dachgebältes führen. 
Bei keinem flawifchen Bauwerk aus gleicher Zeit ift auch nur eine ähnliche Bauweife 
nachgewiefen worden. Völlig fremd ftebt der flawifche Mlenfch diefem Gedanken 
der tektonifchen Derbindung gegenüber. Allein aus germanifchen Baugedanten 
ift die Anwendung des Dachftubles in der erwähnten Sorm verftändlich. Wie un: 
beeinflußt der Bau oberfchlefifcher Blodwerkkirchen vor fich ging, zeigt das Seblen 
des überall in Deutfchland verbreiteten Raiferftiles beim Aufbau der Türme 





Abb. 5. Kofenberg, ©.:3. Holztırde als Zentralbau mit 8 Rapellenanbauten. 


und ihrer Kyauben. Kur in wenigen Sällen (die aus der Spätzeit ftammen und 
als Ropien anderer Türme anzufprechen find) ift ein Raiferftil nachweisbar. 

Die wenigen Beweife, die uns erbalten blieben, deuten einwandfrei auf die 
Derwandtfchaft unferer HBolztirchen mit germanifchen Baugedanten bin. Um aber 
die Beweistette zu fchließen, feblen noch die Zwifchenglieder aus dem erften Jabr: 
taufend. Ob fie überhaupt gefunden werden, erfcheint heute noch fraglich. Sicher 
ift aber eines gewiß, niemals darf Polen ein Anrecht erbeben, diefe oberfchlefifchen 
Holzkirchen für feine flawifche Kultur in Anfpruch zu nehmen. Wenn es noch 
eines Beweifes bedurfte, dann zeugen fie vielmehr für das Anrecht der Deutjchen 
auf diefes Land. 


Dolf und Raffe. 1933. April. 0 





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14 Dolt und Kaffe. 1933, II 


Germanen zwifchen Elbe und Weichfel 
vom 5. bis zum 7. Jahrhundert. 
Don Dr. Walther Schulz, Hallé a. S. 

Mit 3 Abbildungen und ı Karte. 


4 ie der Zeit um 400 n. Chr. lam die vom 2. Jabrhundert an einfetzende 
Abwanderungsbewegung ser in Oftdeutfdland fiedelnden Germanen zum 
Abfadlug, durdy die das Land von der Elbe bis zur Weichfel den größten Teil 
feiner angeftammten Bevölkerung verloren bat. Don Tatendrang getrieben zogen 
die Germanen in die verlodenderen Länder des verfallenden Römerreiches. Boten, 
Burgunden, Wandalen, um nur die bedeutendften Stamme Oftdeutfchlands zu 
nennen, Inüpften an ihren guten Kamen fern der Kyeimat neuen Ruhm. Die weft: 
licher fiedelnden Swebenftämme, unter ibnen die Semnonen, die Hüter des Bundes: 
beiligtums im Havelland, verließen die Heimat und fanden unter dem alten Liamen 
oder dem der Alemannen neue eimftatten. Auch nod weftlid) von dser Elbe 
wirkten fich diefe Bewegungen aus. So find die Langobarden größtenteils ab: 
gewandert. Im Llordbarzland und im Saalegebiet haben Umfiedelungen ftatt- 
gefunden; bier bildete das Thüringer Reich eine neue Einheit, das im 5. Jahr: 
hundert und zu Beginn des 6. kulturelle und politifche Bedeutung gewann. Und 
ahnlich erlebte in diefer Zeit Sftlich der unteren Wdeichfel die germanifche Kultur 
noch eine fpäte Llachblüte, bis fie im Laufe des 7. und 8. Jahrhunderts in der balti: 
feben Rultur und im baltifchen Vollstum aufgebt. 

In dem Lande zwifchen Elbe und Weichfel, ferner über die Elbe binaus in 
den bannoverfhhen Wendland und in der Altmark wie auch bis zur Saale bin 
haben fich in den verlaffenen Gebieten wohl erft feit Ausgang des 6. Jahrhunderts 
die Slawen eingeniftet. Flicht unter Rampf und Widerftand; fondern diefer genüg: 
famen, von ihrer Yyeimat am Pripet und Onjepr ber an Wald, Sumpf und 
Binnengewäffer gewohnten Bevölkerung !) war das oftdeutfde Waldland, sas 
die Germanen vielleicht auch wegen einer zunehmenden VWerfeudhtung geräumt 
baben, gerade recht. An Siedeln im feuchten Gebiete waren die Slawen gewohnt 
und haben eine für diefe Siedelungsweife geeignete Bautechnik ausgebildet. Die 
£ebensbedingungen müffen fogar für fie recht günftig gewefen fein, wie ihre all: 
maäblich fich verdichtende Befiedelung erkennen läßt. 

Dod liegen genügend Anbaltspuntte dafür vor, daß die Siawen nod bier 
und da gefchloffener fiedelnde germanifche Volksteile antrafen; mit diefen Ger- 
manen, foweit wir fie in der überlieferungslofen Zeit aus Bodenfunden fefts 
ftellen können, werden wir uns bier befchäftigen. Im Begenfage zu der Hinter: 
laffenfchaft der folgenden flawifchen Periode fehlt der Llachweis von Wohn: 
ftätten und Siedelungsftellen faft vollftändig, dagegen fommen häufiger Gräber 
vor, die jedenfalls die Llähe einer Siedelung vorausfegen. Dazu treten Schat: 
funde mit Schmud oder Münzen; meift handelt cs fic dabei um Boldfunde, 
durd) die aud) auf das dsamals bevdllcrungsarme GOftdeutfchland ein Abglanz 
des Boldreichtumes Standinaviens in diefem Abfdnitte der Odllerwanderungs: 
zeit fallt. 


1) Dgl. dazu Th. Hoffmann: Urflawenheimat und Altflawenwanderungen. Teill. 
Volt und Raffe VII, 1932 S. 203 ff. 





1933, II W. Schulz, Germanen zwifchen Elbe und Weichfel vom 5. bie zum7. Jabrb. 75 








Betrachten wir nun die Sundverteilung in Oftdeutfchland (auf der Karte 
Abb. 1), fo feben wir, daB die Sunde auf beftimmte Gebiete befchräntt find, aber 
auch, daß der vorberrfchende Charalter der Sunde in den einzelnen Landesteilen 
verjchieden ift. 

Eine deutlich gefchloffene Gruppe liegt weit abgefondert von den übrigen 
im oberen Odergebiete Mittel{(alefiens; es handelt fich bier zweifellos um 





Abb. 1. Sunde dee 5. bis 7. Jabrbunderts zwifchen Elbe-Saale und Weichfel. 
Entnabme von Walıber Schulz 1935. 


O Begräbnisplag 

x XRömifdhe Goldmünze unterfiriben —: mebrere 
* Stüde ftandinavifher Herkunft im Rreife O: ın Grabfund 
+ Einzelfunde anderer Art. 


feßbaft gebliebene Refte der wandalifchen Silingen, die fich noch bis in die flawifche 
Zeit gebalten haben müffen, denn der Stammnmame der Slenzane im Gau Silenfi 
mit dem Vorort FTemci (beute KTimptfch = Deutfchenftadt) gebt auf fie zurüd, 
das alte Gilingenbeiligtum auf dem Silingberg, dem Zobten, bleibt weiter be: 
fteben. Die germanifchen Sunde der Dölkerwanderungszeit find allerdings bisber 
auf das 6. Jabrbundert befchräntt, und zwar find es bauptjächlich Einzelfunde: 
eine Goldmingze, cine Sibel, der berühmte Goldring oftgermanifcher Arbeit von 
Ranfern bei Breslau, dazu nicht weit von diefer Sundftelle einige typifde wan- 
dalifche, 3. T. mit Wellenlinien verzierte Gefäße des beginnenden 5. Jabrbunderts, 
die wohl auf eine Siedlung deuten. Ein Grab diefer Zeit mit reichen Beigaben 
6* 


716 _ Doll und Kaffe. 1933, II 








aber wurde vor bereits 100 Jahren bi Hödricht im Rreife Oblau geborgen, das 
aber nach dem beigegebenen Beffel afistifcher Syerkunft und nad) verwandten Grabs 
funden in Ungarn als Zeugnis eines Sunneneinfalls angefprocen worden ift. Jm 
übrigen tft das oftdeutfche Binnenland, befonders auc das einft von Burgunden 
befiedelte Bebiet, fehr arm an Sunden; es handelt fic um einige wenige Linszel- 
funde, ferner um angeblidye Brandgrubengräber diefer Zeit aus der Gegend von 
Bautzen in der ©berlaufitz, die aber noch der Beftätigung bedürfen (in der Karte 
daher nicht eingetragen). 

Es häufen fich dagegen die Sunde nach der Öftfeelüfte zu, und zwar bez 
fonders an der Rüfte zwifhen Oder und Weichfel, bier wieder an den 
Mimndungen der Slüffe, befonders aber im Wündungsgebiete der beiden großen 
Ströme. Jn diefem Rüftenftriche berrfchen Boldfchatfunde von Münzen, Einzel: 
münzen und goldene Einzelgegenftände vor, die über die Oftfee in das Land ge- 
tommen find und meift wohl im 6. Jahrhundert niedergelegt wurden. Wieder: 
. holt wurden in diefer Feit flandinavifche Halsringe aus Gold hier im Erdboden 
niedergelegt, es find die Ringe von Peterfig bei Rolberg, von Fleus 
Meritow bei Stargard und von einem unbeftimmten Sundorte Dorpommerns; 
aber aud in das Binnenland ift ein foldyes Stud gelangt, das bei Radofiew 
Kr. Czarnilau in der ebemaligen Provinz Pofen gefunden wurde; auf dem> 
felben Wege mag der nordifdye Goldbralteat mit Runenfdrift, der mit zwei Golds 
ringen bi Wapno im Rr. Wongrowig gefunden wurde, in das Megegebiet 
gelangt fein. MNebrfad find im Ruftengebiete diefe nordifchen Boldbralteaten 
zutage getreten, befonders ift hier der Schafund aus einem Moore von Rörlin, 
Rr. Rolberg: Rörlin zu nennen mit 6 Goldbratteaten, einem goldenen Singers 
ring mit Runeninfchrift ; einem weiteren Boldring und dem Bruchftüd eines folchen, 
einer Boldperle und 2 römifchen Goldmünzen. Wie die Sunde nordifcher Serkunft 
zweifellos nad Skandinavien weifen, fo darf man nun weiter fchließen, daß auch 
die zahlreichen römischen Boldmünzen, die fich an verfchiedenen Stellen der Küfte 
baufen — man febe nur den Reichtum in der Begend von Elbing, im 
Rreife Dirfhau, an der Halbinfel Hela, oder an der Südoftede der 
Infel Ufedom (Rafeburg) — der Flordverbindung ihre Fliederlegung vers 
danken. Es find die Vorläufer der zahlreichen Silberfunde mit Arbeiten 3. T. 
ftandinapifcher Herkunft, 3. T. orientalifcher Art und mit Münzen weit entfernter 
Länder, die gleichfalls von der Rüfte aus in das inzwifchen flawifch gewordene 
Land gelangt find. — Wie find nun diefe Schagfunde längs der Meeresküfte zu 
erklären? Sie find jedenfalls Zeugen dafür, daß bier ein lebbafter Handel bes 
trieben wurde, vielleicht wurden auch nach der Landung Weibegaben für die Gotts 
beiten niedergelegt. In diefem Zufanımenbange ift noch befonders der Schatgfund 
von Relpin bei Danzig zu nennen, prachtoolle Sibeln aus dem Beginne des 
5. Jahrhunderts aus Silber, ferner Perlen aus Silber, Bernftein, AHyalbedelfteine 
und Glas; es ift cin Moorfund, der fic), wie auch der oben fhon genannte Moor; 
fund von Rörlin, in der Zufammenfegung an die oftgermanifden im freien Ges 
lande niedergelegten oder im Waffer verfentten Schmudopfer der römifchen Zeit 
wohl an die Woblftand verleibenden Wanengottbeiten anfchließt. Grabfunde 
dagegen treten im Rüftengebiete zurüd, wenn aber der Sriedhbof von Sdhons 
warling, Ar. Danziger Adobe, mit dem Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. 
einfegt und bis zum 7. Jahrhundert beftand, fo deutet diefe Jahrhunderte währende 
Belegung dod auf eine recht bodengebundene germanifde Bevdllerung an der 
Mecfelmündung. Drei fhöne Sibeln, verwandt denen von Kelpin, aber etwas 


1933, II VD. Schulz, Germanen zwifchen Elbe und Weichfel vom 5. biszum 7. Jabrb. 77 
FE EEG EEE Er Er SEES ET EEE FF EE: Se OE ZEEZERZSEN 





älter, etwa aus der Zeit um 400, ftammen von Treptow an der Rega; aud 
fie geboren vielleicht zu einem Grabe. Weiter in das 5. Jahrhundert binein 
führen die Stelettgräber von Blowitg im Rreife Stolp. Bei Sriedefeld 
an der unteren Oder wurde ein Grabfund aus dem 5. Jahrhundert gemadht, der 
uns wieder gemahnt, daß wir auch mit Zuwanderungen aus dem Norden rechnen 
müffen als Vorläufer der Wilingerbefiedelung deutfcher Rüften, denn die 3 Sibeln 
„mit kreuzsförmigem Ropf“ des Doppelgrabes, von denen mindeftens das eine eine 
Srauenbeftattung barg, weifen nach Gudfdweden. Vielleicht ftammten alfo die 
Siedler bier aus Skandinavien, wenn audy nicht ausgefchloffen ift, duß ins 
beimifche den eingeführten Schmud trugen. | 

Mit diefem legtgenannten Sunde gelangen wir bereits zu den Gruppen 
weftlih der unteren Bder. Lieben vereinzelten Münzfunden treten bier 
Gräber hervor. In Medlenburg find anfdeinend zwei Siedelungsgruppen zu 
unter{deiden, foweit neben den Einzelfunden die 8 Sundftellen von Gräbern der- 
artige Schlüffe zulaffen. Eine Sftlihe Gruppe mit Rittendorf und befonders 
Teterow führt verhältnismäßig gut ausgeftattete Stelettgräber, bauptfäcdhlich 
de8 5. Jahrhunderts, die jedenfalls erkennen laffen, daß wir es bier nicht mit einer 
binterwäldlerifchen Bepsdlkerung zu tun haben. Schwert, Lanze, Streitart, Pfeil 
und Schild find dem Manne mitgegeben. Sür Rittendorf ift bervorzubeben, daß in 
den Mund eines männlichen Toten ein Solidus des Zeno als Obolus gelegt war, 
eine Sitte, die aus dem Bereiche der griechifchen Rultur in der Ddllerwanderungs: 
zeit nach dem Ylorden gewandert ift; von dem Doppelgrab zweier Wiänner in 
Teterow führt das eine Spielfteine und Würfel, das andere ein Glasgefag rbein- 
landifcher Herkunft. Die pruntvollfte Sibel wurde aus einem Srauengrab von 
Seplow bei Röbeln geborgen; 4 Topafe fhmüden Kopf und SuG diefes 
filbernen mit vergoldeten Blechen belegten Schmudftüdes. Diefe oftmedlienburs 
gifche Sundgruppe ift für den Germanenftamm er Warnen in Anfprudy ges 
nommen worden; vielleicht mochten diefe Warnen erft kurz vorber von ihren 
Gigen auf den dänifchen Infeln über die Oftfee zujewandert fein, wobei 
an einen Zufammenhang mit dem Vordringen der Dänen über die von 
Warnen bewohnten Infeln gedacht werden könnte; möglicher WDeife aber baben 
Warnen fhon Jahrhunderte vorber bier in Medlenburg gefeffen. Jedenfalls 
glaube auch ich, daG der Slugname Warnow, wie der Stammesname der (lawi- 
fhen Warnaber auf die germanifde Bevdllerung zurüdführt, doch fei erwähnt, 
daß die Kliamen wohl auch flawifchen Urfprungs fein könnten. Jm Zufammen: 
bange mit diefer Klamensfrage fei auch des in der flawifchen Zeit auf der Infel 
Rügen fiedelnden Stammes der Rugianen gedacht, die nicht nur ale Fyüter es 
weitberühmten Syeiligtums des Spantevit von Arktona, fondern auch wegen ihrer 
Tapferkeit, Baftfreundfchaft und der bei ihnen berrfchenden geordneten Zuftände 
unter einer Rönigeherrfchaft geruhmt werden. Diefe Schilderung von Helmold, 
die an germanifche Sitten erinnert, läßt es im Zufammenbange mit dem Anklang 
ihres Llamens an den der oftgermanifchen Rugier als wabrfcheinlich erfcheinen, 
daß auch auf diefer Infel noch altes Germanentum lebendig geblieben ift, trogden 
fichere Sunde aus der Zwifchenzeit bisher feblen2). Und wenn die SGeetudtig: 
Reit der Küftenflawen überliefert wird, fo werden wir im Ainblide auf die Ans 
baufung germanifcher Sunde längs der Oftküfte aus der Zeit nach 400 n. Ehr. zu 


2) YIadh freundlicher Auskunft des Herrn Or. Pegi ch in Greifswald liegen 2 Gefäße 
vielleiht aus dem 5. Jabrbundert vor; die Sunde find wegen ibrer Unficherbeit auf der 
Rarte nidt eingetragen. 


78 Ä Doll und Kaffe. 1933, II 








der Überzeugung gelangen, daß diefe Oftfeeflawen wenigftens in ihren berrfdyen= 
den Schichten zu einem guten Teile germanifcher Abkunft waren, erfcheint es doc 
fhlebtbin unmöglich, daß ein Jahrtaufende lang binnenländifch orientiertes Volt 
innerhalb weniger Befchledhterfolgen angefichte des Meeres zu Secbeberrfchern 
werden konnte; die verwandten Balten find es nie geworden. 

Wenden wir uns nun dem Elbgebiete zu. Die Meine Gruppe im weſt⸗ 
lihen Nedlenburg, die die fwebifche Sitte der Leichenbrandurnenbeftattung nod 
im 5. Jahrhundert fortführt, wie die Sunde von Yagenow und die von Pos 
greß-Dreilügow zeigen, ift wohl den Liordfweben zuzuweifen, die als 
Myrginge im Widfithliede erfcheinen, während die Graber von Aammoor 
im Rreife Stormacn (augerbalb der Kartengrenze) fdyon in den Bereich des 
fächfifchen Rreifes führen. Die im Widfitbliede genannte Grenze zwifchen Angeln 
und Sweben am Siveldor, die der Angeltönig Offe im 4. Jahrhundert durch feinen 
Sieg über die Myrginge erfochten bat, dürfte im Zwifchengebiete zwifchen der 
genannten fwebifchen und fächfifchen Sundgruppe zu fuchen fein; es ift dasfelbe 
Grenzland, das aud (pater den Derlauf des limes Saxonicus gegen die Slawen 
beftimmte. Die Flordfweben aber lieBen fic) nad biftorifcber Uberlieferung nod 
in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts zwifchen Harz und Saale in dem nach 
ihnen benannten Schwabengau nieder. — Refte der alten Semnonen waren im 
Szavellande verblieben. Hier bat fih unter germanifchen Einfluffe der Flame der 
Syavel in die flawifche Periode binübergerettet, nach der der Stamm der Haveller 
benannt wurde. Und follte fich nicht etwa auch in einem der bedeutenden flawi- 
fhen Rultplage diefes Gebietes noch das alte Semnonenbeiligtum verbergen ? 
Jedenfalls tommt aber der flawifde Burgwall von Loffow bei Srantfurt a.d.O. 
nicht dafür in Betracht, wie vermutet, da das Heiligtum jedenfalls im Zentrals 
gebiete der Semnonen zu fuchen fein wird. Das große fwebifche Graberfeld von 
Barlig in Weftbavelland wurde bis in das 5. Jabrbundert binein mit 
Leichenbrandurnen belegt wie eine Sibel vom Typus der Voölkerwandcerungszeit 
zweifelsfrei erweift, fur weitere Grabeifelder ift es wabrfceinlid) (dicfe find nicht 
auf der Rarte eingetragen). Andere Gräber wieder treten vereinzelt auf und mit 
der Sitte der jet im weiten Umtreife berrfchenden SEelettbeftattungen. In Groß: 
Berlin und näherer Umgebung find mebrere Stelettgräber einzeln und in Beinen 
Gruppen aufgededt worden, fo das Reitergrab von FTeukslin und der Keine 
Begräabnisplag von Rofentbal; bier war in einem Grabe ein Bratteat nor: 
difcher Hyerkunft aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts mit einer Sibel vom 
thbüringifchen Typus vereint. Ein nordifcher Boldbralteat ftammt aud von 
Großlüben bei Wilsnad in der Weftprignig als Einzelfund. Bis in die Zweite 
yälfte des 6. Jahrhunderts liegen die Zeugniffe germanifcher Befiedelung nod 
verhältnismäßig reichlich vor, es find $ Grabfunde und eine Anzahl Einzelgegens 
ftände. Aus dem 7. Jabrbunderte verrät nur nod eine Riemenzunge vom 
Michaelisbruc im Rreife Ruppin wohl germanifchen Einfluß. Dann brechen 
die Beziehungen zum germanifchen Rreife ab. 

Die Elbe entlang haben mebrere Meinere Befiedelungsgruppen beftanden, fo 
an der mittleren &lbe in der Gegend der Öbrenmündung und bei Magdeburg, 
doch das Schwergewicht diefer Gruppe liegt weftlid von sem Elblauf, im Flords 
thiringgau und Schwabengau, au in flawifcher Zeit unbeftrittene germanifche 
Landesteile, die zundchft zum Reich der Thüringer gehörten. — Dann folgt eine 
Gruppe an der Elbe swifhen Saale und Muldeniederung, ein Gebiet, 
das nod bis um 400 eine reiche Befiedelung aufzuweifen batte, aber nicht 


1933, II W, Schulz, Germanen zwifchen Elbe unb Weichfel vom 5. bis zum 7. Jabrb. 79 
—— ————— —— —— — — — — 


mit der elbländifchefwebifchen Beftattungsfitte der Leichenbrandurnengräber, fon: 
dern mit Stelettgräbern, die wohl darauf bindeuten, daß bier ein nichtfwebifcher 
Stamm fib um 300 n. Chr. niederließ. Zu Beginn des 5. Jabrbunderts tauchen 
aber bier vereinzelte Brandgräber wieder auf, die in verfchiedener Beziebung an 
die Swebengräber des norddeutfchen Elblandes fich anfchliegen und wobl cine 
Teilzugrichbtung der Abwanderung diefer norddeutfchen Sweben bezeichnen. Jn 
derfelben Landfchaft treten bier in der zweiten „yälfte des 6. Jabrbunderts 
einige  bochnordifch = germanifche 
Sunde auf, die auf Verbindungen 
mit dem Sftlicden Oftfeegebiete bin- 
weifen, fo eine gleicharmige Sibel 
von Aken, Kr. Kalbe, und ver: 
wandte Sibeln aus Grabfunden 
von Wulfen in Anbalt. Jn 
das 7. Jahrhundert gebört fchließ- 
lich eine Scheibenbrofche von Su: 
figke bei Aken, die mit Tierköpfen 
des fog. zweiten Stils germani: 
jeher Tierornamentik geziert ift. — 
Elbaufwarts liegt eine gefcloffene 
Gruppe meift von Grabfunden 
de3 5. Jabrbunderts in der Um: 
gebung der Städte Riefa und 
Muüblberg a. d. Elbe. Auch diefe 
Gruppe wird im Zufammenbange 
mit der fcbon erwäbnten fwebi: 
jeben Bewegung fteben, die weiter 
bis nach Böhmen binein zu ver: 
folgen ift. Dagegen find die zwei 
Gräber bei Dresden: Hidern 
aus dem 6. Jabrbundert eber von 
Böhmen aus zu erklären und dürf: 
ten dem langobardifchen Kreife in 
Böhmen zuzuweifen fein, wo die 
germanifche Kultur bis zum Ende Abb.2. Helm aus cinem germanifden Sürftengrabe dee 
des 6. Jahrhunderts herrſchend ge⸗ 6. Jabebunderts im fpateren Sorbengebiete. ' 
blieben ift. £in £eichenbrandgrab Sundort: Deegan für 
von Dresden:Stegfch mit dreiflüs TE, 

geliger Pfeilfpige ift für die Avaren, in deren Gefolge die Slawen in das Land 
kamen, in Anfpruch genommen worden, doch ift diefe etbnifche Zuweifung nicht 
gefichert. 

Es iſt aber auch noch das Land zwifchben Elbe und Saale febließlich zu 
betrachten, da bier forbifche Stämme über Böhmen eingedrungen waren. Um 
die mittlere Saale bis zur liter liegen rechtsfaalifc eine ganze Anzabl von 
Grabfunden der Merowingerseit vor, die den Zufammenbang mit den linke: 
fachifcen Sunden fchon Eartograpbifch erkennen laffen. Sie bilden den Bft: 
teil des thuringifcben Rulturgebietes und find von ibm nicht zu trennen. 
Don den Sundplägen, die 3. T. hervorragend ausgeftattete Gräber führen, fei nur 
der Begräbnisplag von Reuden a.d. Elfter, im KRreife Zeig, alfo bart an der 








80 Doll und Raffe. . 1933, 11 


Oftgrenze des Siedelungsgebietes, aus dem 5. Jabrhundert n. Chr. erwähnt, ferner 
das große Gräberfeld des 5. und 6. Jabrhunderts von Stößen im Rreife Weigen: 
fels, das unter anderem eine fürftliche Beftattung mit Helm, dem einzigen des 
Thüringer Gebietes, geliefert hat (Abb. 2). Ein Gräberfeld im Stadtgebiete von 
Lugen enthielt Beigaben aus dem 5. und 7. Jahrhundert und ferner aus der 
fIawifchen Periode (Abb. 3). Cine Kontinuität der Benugung ift im unterfuchten 
Teile des Plages nicht feftgeftellt, es ift daher mit der Möglichkeit Zu rechnen, daß 
das Seld von neuem und mit Unterbredyung belegt wurde. Immerbin dürfte ein 
Zufammenbang zunädhft der germanifchen Belegung des 5. und 7. Jahrhunderts 
wabrfideinlid fein. Das Srauengrab mit einer Sibel des 5. Jabrbunderts (Abb. 3, 2) 
ift zudem wegen der in der Völkerwanderungszeit in Mitteldeutfchland nun fehon 
wiederholt feftgeftellten Schädeldeformation antbropologifch und volterfundlid von 
Bedeutung, dürfte es fich doch um eine Srau alanifcer oder Hunnifder herkunft 
bandeln (Abb. 3, 1)3). Die flache, in zwei Tierköpfe auslaufende Bronzefibel 
(Abb. 3, 3) ift das einzige fichere Zeugnis germanifcher Rulturbeziebungen in 
diefem Gebiete noch im 7. Jahrhundert; fie führt eine Zeit, in der fchon flawifche 
Bevölkerung in das oftfaalifche Bebiet eingedrungen fein dürfte. Schließlich 
zeugen Schläfens und Singerring (Abb. 3, 4 und 5) in einem der zeitlich folgenden 
Gräber von der flawifchen Rultur, die nun allmäblich das Land beberrfcht. Trotz: 
dem wir jetzt woiffen, daß diefe Schläfenringe, eine bei den Slawen beliebte 
Sdhmudform, nicht auf die flawifche Bevölkerung befchräntt wer, fo find fie 
doch bei uns mindeftens ein Beweis flawifchen Zinfluffes. Vielleicht bietet aber 
diefe Sundfolge auf dem Gräberfeld in Lügen einen Ainweis dafür, daß auch bier 
germanifche Beftandteile in der flawifchen Bevölkerung aufgegangen find. 

Die Sunde germanifchen Charakters reichen alfo in einzelnen Landfchaften 
etwa bis an die Zeit heran, in der das Auftreten der Sliawen in Oftdeutfchland 
angenommen wird. Das Abllingen der germanifchen Kultur mit den wenigen 
Sundftüden germanifchen Charalters aus dem 7. Jabrbundert im Grenzgebiet an 
Elbe und Saale zeigt deutlich, wie allmäblich die Verbindungen mit der deutfdh- 
germanifchen Rultur abriffen. Die dünn verteilte germanifche Bevölkerung Oft- 
elbiens war der Siawifierung verfallen infofern, als fie dem flawifchen Volks⸗ 
tum zugerechnet wurde. Dod abgefeben davon, daß für GOftdeutfchland aud 
damals die germanifche Periode wenigftens längs der Oftfeeküfte nicht abgefchloffen 
war, da bier in weiterem Umfange nod ale die Befchichtsfchreibung es er= 
kennen läßt, Wilinger zu vorübergebendem oder längerem Aufenthalte fidh feft- 
fegten 4), ferner daß der Wilingerhandel fi in ganz Oftdeutfchland bemerkbar 
macht, ift auch in den Sübrerfchichten befonders einzelner flawifcher Stämme noc 
das Germanenblut lebendig geblieben. Auch die fortfchreitende ardhäologifche 
Sorfehung bat bier Beiträge geliefert, die wohl in diefem Sinne gedeutet werden 
konnen; fo haben die flawifchen Herren in germanifder Weife Burgen ange: 
legt, deren Refte als Rundwälle maffenbaft in Oftdeutfdland verbreitet find; 
die Wobnbaufer in diefen Anlagen wie in den offenen Siedelungen baben 
deutfchgermanifche Bauüberlieferungen bewahrt: die frübflawifche Siedelung von 
Syafenfelde, Ar. Lebus, bat die in der Mark Brandenburg altbeimifche Bauweife, 
das Dorballenbaus mit fentrechten Wandpfoften, fortgefet; felbft die flawifche 


8) Pgl. meine Ausführungen: Sremdes Blut im germanischen Adel der gefhichtlichen 
Srubseit. Doll und Raffe 1928 S. 207. 

4) Dgl. Wolfgang [a Baume, Die Wikinger in Oftdeutichland, Volt und 
Raffe I, 1926, 8. 20 ff., g1 ff. 


1933, II W.Scyulz, Germanen zwifchen Elbe und Weichfel vom 5. bis zum 7. Jabrb. 8l 
A en 





2 + 5 
Abb. 3. Sunde aus einem Begräbnisplag von Lügen, Kr. !Merfeburg. 
J. Deformierter Srauenfdadel aus einem Grabe des 5. Jabrbunderte. 
2. Germanifcbe Sibel aus demfelben Grabe des 5. Jabrbunderte. 
3. Germanifde Sibel aus einem Grabe des 7. Jabrbunderts. 
4. Singerring und 5. Scleifenting aus einem Grabe der flawifchen Zeit. 
Nach Jabresfcrift fur die Vorgefhicdhte der fähfifchstbüringifchen Länder 17, 1929- 
Landesanftalt für Vorgefhichte. Halle. 


82 Doll und Raffe. 1933, II 








mit Wellenlinien verzierte Reramit dftlid-provinzialrémifden Urfprungs tdnnte 
nad neueren Sorfchungen 3. T. wenigftens von den Germanen den Slawen über: 
mittelt worden fein. 


x 


Scdhlugbemertung: Der vorliegende Beitrag ift eine archdaologifade Erganzung 
zu Hinweifen, die in diefer Zeitfchrift wiederholt gebracht wurden. So fei befonders 
auf die Ausführungen von Yans Witte: „Urbeimat und Weftausbreitung der 
Slawen, Doll und Kaffe 3. Jahrg. 1928 SG. 17 verwiefen. Cine Zufammens 
ftellung der fpätgermanifchen Sunde Gftdeutfchlands findet fic bereits bei 
Georg Rrüger: „Die Siedelung der Altflawen in Klorddeutfchland“ Anhang I. 
Mannusbibliothe® Fir. 22 „25 Jahre Siedelungsardhäologie“ 19232 vor, deffen 
Aufzeihnungen aber bereits vor 1934 abgefchloffen waren. Die weiteren Sort: 
fchritte in der Sorfehung find bisher nur in Einzelveröffentlihungen und Juz 
fammenftellungen fir Teilgebiete niedergelegt. Die bierber gebdrenden Sunde rd: 
mifcher Münzen find Sure Bolin: Fynden av romerska mynt i det fria 
Germanien. 1926, Verzeichnisbeilage entnommen. 


ine Bauernhodhzeit 
in Sülften bei Haltern i. Münfterland. 


Von Dr. Yubert Kroll. 
Mit 7 Abbildungen. 


“gm Oftober 1928 nabm der Derfaffer im Auftrage des Mufeums der Stadt 
I Eſſen an einer Bauernhodhzeit in Hülften teil, um die dort geubten ryoch3eits- 
brauche in Wort und Bild feftzubalten. 

Über die Vorbereitungen zu einer Hochzeit war durch die Gewäbhrsleute des 
Derfaffers, die Befhwifter Marie und Toni D., folgendes in Erfahrung zu 
bringen: 

Drei Sonntage vor der geplanten odseit erfolgen die Auflündigungen in 
der Rirche, „damit alle Leute es bören können“. Am erften Sonntag treffen fich 
die jungen Männer und Mädchen aus der Klachbarfchaft abends im Elternbaufe 
der Braut, wo getanzt und getrunken wird. Diefes Zufammenfein bezeichnet man 
als „Sangen“. Am zweiten Sonntag findet das Sangen im Haufe des Bräutigams 
ftatt. Um dritten Sonntag, alfo am Tage vor Beginn der eigentlichen hochzeits⸗ 
feierlichkeiten, fchmüden die jungen Leute die Leiterwagen zur HYochzeit mit Birken: 
zweigen und bunten Papierblumen. Jn der Woche vor der Hochzeit begibt fich 
der Gäftebitter !) zu den einzulatenden Flachbarn und trägt folgenden Spruch vor 2): 


1) Der Gaftebitter wird für feine Mübe entlohnt. In der Regel bat er aud bei der 
Hochzeit die Bedienung der Bäfte zu übernehmen. 

2) Das Solgende ift der Reft eines urfprünglicy längeren Bedichtes, das 3. T. bereite 
in Dergeffenbeit geraten ift. Es ift hier nach der Schreibweife der Bewährsmännin Marie 
D. wiedergegeben. 


1933, II Hubert Kroll, Eine Bauernbodseit in Halften bei Haltern i. Münfterland. 83 
EEE — — ——— — 





Abb. j. Aufbtuch vom Haufe des Vräutigams zum Hofe der Brauteltern. 


Godden Dag! 

Mier fett id minen Stod un Staff. 

Je fell u feggen un wet nid wat. 

Id fell u ndgen un wet nid) wo to. 

YTo be id fomm bi Ydftand 

Ylemm id min Räppcben in de Hand. 

Do fcidt mi M. 9%. als Brut 

Un %. £. als Brüdigam. 

Ik fol u nögen to de annere Wele 

Dingstag un Gustag up de Sodio. 

Do follen ib eten Supp un Gemds. 

Dod wenn ih Supp un Gemsds willt eten, 
Dann métt ib de Sort un de Leppel nicht vdgeten. 
Yio Prumen un Rofinen 

Sall u de Mund nich fcbrienen. 

En Stud van den balven Kopp 

Geibt of nod mit up. 

En Stid van den Schinken 

Do könnt ib got no trinken. 

Dann föllen ib u malen fin — 

Vid all te fin — 

Denn Brut un Bridiqam wollen gern de Sinjte fin. 
fxebb ib mi of recht vdjtobn, 

eB ib nid up denn vdkebrten Dag Fommt to gobn. 
Alfo annere Wele Dingstag un Gustag. 

Tu gobt u got. 


Bevor der Gäftebitter feinen Gang antritt, wird er und fein Sabrrad von 
der Braut mit bunten Bändern gefchmüdt. 


Der 3. Hochzeitstag. Am Miontagmorgen verfammelten fidy die Plot: 


84 Volt und Kaffe. 1933, II 








nadbarn*) und Sreunde des Bräutigams in feinem Haufe, wo fie mit Kaffee, 
Rucen, Schinkenbroten und viel Miunfterlander Korn bewirtet wurden. Die erfte 
YTotnachbarin brachte die Brautfabne mit. Diefe Brautfabne beftebt aus einem 
weißen Tuch, auf dem mit rotem Band die Anfangsbuchftaben der Kamen von 
Braut und Bräutigam und cin Kreuz mit dem IH S aufgenäht find. Die 
Sabnenftange ift mit bunten Papierblumen gefhmüdt. Flach dem Srübftüd unter: 
nabm die Gefellfchaft auf zwei Leiterwagen die Sahrt zum Hofe der Braut. Die 
Yiotnadbbarin mit der Brautfabne erbielt ibren Plat neben dem Kutfcher des 
erften Dagens (Ubb. 1). Jn luftiger Sabrt ging es mit Gefang und Gefcrei durch 


Ir ' . J 
~ all u; et, Ze 





Abb. 2. Die $reunde des Bräutigams vor dem Hoftor der Braut. 


das Dorf, auf beiden Wagen Ereifte lebbaft das Schnapsglas. Das oftor der 
Brauteltern war verfchloffen. Hinter dem Tor ftand der Sreundeskreis der Braut 
und begrüßte die Antömmlinge mit folgenden Worten: „Der feid ihr, wo kommt 
ibr ber und was wollt ihr?“ Antwort: „Wir find die Sreunde des #. £. und 
wollen bier für ihn eine Braut abholen. Macht uns nur das Tor auf.“ „Jier gibt 
8 keine Braut, und wir kennen keinen 9. £. Macht, daß ihr forttlommt!“ „Aber 
der 9. L£. ift ein reicher Bauer, und er will die Wt. %., die bier wohnen foll, 
heiraten!“ „syier wobnt keine M. 9%. und ihr febt nicht wie reiche Bauern aus. 
Und für euch machen wir noch lange nicht das Tor auf!“ Darauf zogen fich die 
Brautwerber zur Beratung zurüd (Abb. 2) und kamen zu dem Entfchluß, mit 
Gewalt in den Hof einzudringen. Das Tor wurde gefprengt, und die Partei der 
Braut flüchtete ins Haus und verfchloß das Aaustor von innen. Die Verband: 
lungen begannen von neuem. Schließlih wurde auch das Haustor erbroden 
(Abb. 3). Der Bräutigam ftürzte mit feinen Sreunden in das Innere des Haufes, 
um die Braut zu bolen, wurde jedoch von der Begenpartei ergriffen und zu einem 


3) Ylotnachbarn find die beiden nächften KTachbarn. Sie erledigen bei Todesfällen, 
Rindtaufen, Hochzeiten und anderen Anläffen alles Gefdaftliche, ftellen Wagen ufw. 


1933, II Subert Kroll, Eine Bauernbodzeit in Hülften bei Haltern i. Münfterland. 85 





Bett gezerrt, das auf der Tenne ftand, und das mit Holzfcheiten ausgepolftert 
war, um ibn auf diefes unbequeme Lager zu werfen und fo auf die Härten des 
Ebelebens aufmerktfam zu machen. Flach diefem derben Scherz wurden die neuen 
Gafte willfommen gebeißen und zu Kaffee und Schinkenbroten eingeladen. Danach 
erfolgte auf der Tenne das „Verfteigern der Brautlifte‘. Auf einer großen Rifte, 
in der fich die Leinenausfteuer der Braut befand, nabmen deren KTotnachbarinnen 
Plag, um die Rifte dem Bräutigam zu verkaufen. Fur diefer durfte durch einen 
fhmalen Spalt einen kurzen Bli in die Rifte tun. Seine Sreunde führten die 
Derbandlungen. Klach langen fcherzbaften Reden und Gegenreden und nad reich: 





Abb. 3. Die $reunde des Bräutigams vor dem Haustor der Braut. 


lihen Schnapsgenuß kam fchlieglich der Kauf zuftande. Die Kifte wurde für 
25 ME. dem Bräutigam überlaffen. Den vereinbarten Betrag mußte er tatfächlich 
und zwar fofort bezahlen. Das Geld follte am Sonntag nach der Hochzeit von 
den jungen Ebeleuten und den Klotnachbarn der Braut vertrunten werden. Diefe 
Sitte nennt man „den filbernen Boden vertrinten“, da der Boden der Rifte aus 
Silber fei. 

Nach dem Verkauf der Rifte wurde auf der Tenne das Mittageffen einge: 
nommen, an dem etwa fünfzig Perfonen teilnabmen. Flach dem Mittageffen fubr 
das Brautpaar zur ftandesamtlichen Trauung. Es ift ganz auffällig, wie wenig 
von den beiden Sormen der bebördlichen Ebefchließung Flotiz genommen wurde. 
Sowohl an der ftandesamtlichen wie an der kirchlichen Trauung beteiligen fich 
nur die notwendigen Trauzeugen, nicht einmal die nächften Angebdrigen. Man 
empfindet deutlich, daß diefe beiden Dorgänge in der KReibe der Zeremonien etwas 
Sremdes und fpäter Eingefügtes find. 

Am Viadhmittag begann man, die Mitgift der Braut auf zwei Leiterwagen 
zu verladen. Um die Mitgift zu vergrößern, verfuchten die Sreunde des Bräuti- 
gams die im Hofe berumlaufenden Hübner zu fteblen, die von den Angehörigen 


86 Volk und Raffe. 1933, II 





der Braut den Dieben immer wieder entriffen und freigelaffen wurden. Ein Teil 
der ABübnerfchar war fchon vorber bei den FTachbarn in Siderbeit gebracht worden. 
Zur Mitgift gebörte auch ein riefenbafter Schinken, der auch erft „geftoblen“ 
werden mußte — er wurde fpäter im Kaufe des Bräutigams über dem Herd 
aufgehängt (Abb. 4) —, ferner einige Pfund Butter, die in eine Schäfchenform 
gepreßt und auf einem großen Teller aufgebaut wurden (Abb. 5), fchlieglich eine 


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Abb. 4. Der Brauticdinten an feinem Plug über dem Herd im Haufe des Öräutigame, dabinter die Brautfabne. 


Kub, die ,,Brauttub’, die den ganzen Tag mit Blätterfchmud an den Hörnern 
zur Schau und zur Begutachtung im Stalle ftand. 

Als alles fertig gepadt war, fetzte fic) der Weagenzug, „Riftenwagen“ ge: 
nannt, nach dem Haufe des Bräutigams in Bewegung. Die Braut blieb noch in 
ihrem Elternbaufe. Auf dem erften Wagen wurde ein abn mitgeführt, dem 
man Schnaps eingeflößt batte, und der auf einem Befen feftgebunden war (Abb. 6). 
Der Hahn war den ganzen Tag verftedt gebalten worden, bis er fchlieglich von 
den Sreunden des Brautigams gefunden wurde. Auch der abn ift ein Stud der 
Mitgift. Srüber wurde auch noch der Spinnroden mitgeführt. Der erfte Wagen 
wurde von dem erften Flotnachbarn des Brautigams Futfdiert. Er erbielt für 
feine Mübewaltung von der Braut ein Hemd gefcenkt. Der Kutfcher des zweiten 


1933, II Hubert Kroll, Eine Bauernbocdhzeit in Hilften bei Haltern i. Munfterland. 87 








Abb. 8. 
Die Br.urbutter. 





Magens, der zweite KTotnachbar des Bräutigame, erbält ein Tajchentuh. Die 
Brautfabne trug jet zwei rote Tafchentücher, ein Gefchent der Braut an die 
Stifterin der Sabne. Tach diefer Sabrt wird die Sabne über dem Herd im Haufe 
de3 Brautigams aufgebangt (Abb. 4). Die HBochzeitsgefellfchaft fang auf dem 
Riftenwagen: 
„Vipat, e8 lebe Braut und Bräutigam, 
Braut und Bräutigam follen leben, 
?yaben uns manden Schnaps gegeben. 
Vivat, e3 lebe Braut und Bräutigam! 
Sebt den fbönen Bräutigam 
Und die Braut, was feblt daran! 
Vivat, es lebe Braut und Bräutigam.“ 


Unterwegs wurde oft 
Halt gemadbt, um den 
Schnapgporrat, der in einem 
Steintrifg mitgeführt wur: 
de, zu verringern. Jeder, dem 
der Zug begegnete, batte das 
Recht, feinen Tribut an 
Schnaps zu fordern. 

Am Abend diefes Tages 
richteten die verbeirateten 
Ylachbarinnen des Bräuti: 
gams das Brautgemad ber. 
Yiur der Brautigam durfte 
und mußte daran teilneb- 
men. Sein Bett wurde mit 
Folsftuden gepolftert, dann 
wurde er von den Srauen 
bineingelegt. In das Bett 


Abb. 6. 
Der Sabn auf dem BWefen. 





88 Dolt und Kaffe. 1933, II 
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der Braut, die ja nod) im Haufe ihrer Eltern weilte, tam eine als Srau an: 
gezogene Strobpuppe. 

Der 2. Hochzeitstag. Morgens um 6 Ubr fubr das Brautpaar auf ges 
fhmüdten £eiterwagen in den mebrere Kilometer entfernt liegenden Rircdhort zur 
kirchlichen Trauung, die Braut in Begleitung zweier Brautjungfern, der Bräuti: 
gam mit zwei Brautfübrern. 

Die Männer trugen Gebrod und Zylinder, die Mädchen fchwarze Kleider, 
die Braut außerdem einen Kleinen weißen Schleier und den Myctenfran3z. Don 
den Angehörigen nahm niemand an der Trauung teil. Beide Gruppen fubren 
gefondert und trafen fich erft in der Kirche, wo nach der Weffe die Trauung voll: 





Abb. 7. Das Hodhzeitseilen. 


zogen wurde. Da das Brautpaar nicht vor Mittag nach Haufe zurüdkehren follte, 
frübftüdte die Eleine Gefellfchaft im Gaftbaufe und wartete, bis fie von einer 
Eleinen Mufikkapelle (vier Mann) abgebolt wurde und, nunmehr gemeinfam, auf 
einem Leiterwagen nach dem HYeimatdorf zurüdfubr. Auf balbem Wege wurde 
der Wagen von einigen Reitern empfangen, die ihn feierlich ins Dorf geleiteten. 
£3 wurde viel auf dem Wagen getrunken; allen, denen der Zug begegnete, bot 
man ein Glasden an. 

Auf dem Hofe des Bräutigams wurde der Wagen mit Slintenfchüffen be: 
grüßt. Die junge Stau betam beim Betreten des Hauſes von ihrer Schwieger: 
mutter einen Löffel überreicht. Darauf trank das junge Paar mit den Eltern, 
Brautfubrern und Brautjungfern in der guten Stube Raffee. Inzwifchen trug 
man die Speifen zum KYochzeitseffen auf, an den fämtliche Anwefenden als Gäfte 
teilnabmen (Abb. 7). Abends gegen 11 Ubr fcbloffen fic) die verbeirateten 
Stauen mit der jungen Srau im Brautgemach ein, wo ihr die „Brautbaube‘, eine 
aus weißem und rotem Leinenzeug genäbte Kappe, aufgefegzt wurde. An diefer 


1933, II R. §. VDierquyg, ~Raffe’ und _Voll. 89 
ee ———————— 


Zeremonie durfte fein Mann teilnehmen. Als etwa um Mitternacht die Braut 
mit der Haube in der KHochzeitsgefellfchaft erfchien, ftürzten die jungen Männer 
berbei, nahmen ihr die Haube ab und riffen diefe in Setzen. 

* Sur felben Zeit, als das Auffegen der Brauthaube vor fich ging, nahmen 
die Manner das „Beichlagen‘‘ des Brautigams vor. Don feinen beiden Not⸗ 
nadbarn wurde der Brautigam 3um Herd in der Riche gefubrt, wobei er fid 
Mühe geben mußte, das fdwere Stampfen eines Pferdes nachzuabmen. Man 
entnabm dem Herd eine Roblenfdaufel voll Blut, 30g dem Bräutigam ein Bein 
bod und fdlug nun abwedfelnd mit einem Sammer auf den Schuhabfatg und auf 
die Roblenfdaufel, da8 ein gewaltiger Suntenregen umberfprigte. Cin Mann 30g 
auf dem SHerdrohr eine Bette auf und nieder, um den Blafebalg anzudeuten. 
Miederholt wurde diefe Tätigkeit unterbrochen, um am Bierfag Roß, Schmied 
und Rutfcher zu tränten®). Viad dem Befclagen des Bräutigame, alfo fchon 
fpat in der lacht, 30g die ganze SBochzeitsgefellfchaft mit Mufit in das Haus des 
erften Kliotnachbarn und führte in einem Rorbe mit: einen gelochten Schweinstopf, 
eine Welle Butter, ein Brot und ein Liter Schnaps. Alles wurde dort verzehrt, 
darauf einmal getanzt, dann kehrte die Gefellfchaft ins Sochzeitshaus zurüd, wo 
der Aeft der Llacdht tanzend verbracht wurde. 

Der 3. Hochzeitstag. Am Morgen verfammelten fich die jungen Männer 
und Mädchen im SBochzeitshbaus und fuhren von dort aus auf einem Leiterwagen 
mit Mufit zu den übrigen Sochzeitsgäften, wo fie in Rammern, Rücdhen und 
Ställe eindrangen, um für das junge Ehepaar Kier und Wurft zu fteblen. Damit 
war das Hochzeitsfelt beendet. 

Vad der Derfiderung des alten Müllers D. bat in HYulften die letzte Sochzeit, 
die mit allen bier beobachteten Brauchen gefeiert wourde, vor etwa fünfundzwanzig 
Jahren ftattgefunden. 


„Raſſe“ und „Volk“. 
Von R. F. Viergutz. 
Voͤlker vergehen, Raſſen beſtehen. 


ie Frage nach dem Derbältnis von „Doll“ und „Raſſe“ gehoͤrt zu den 

ſchwierigſten und beſtverwirrten, iſt aber auch eine der dankbarſten — fuͤhrt 
ſie doch in groͤßere Tiefen und letztlich zur Frage nach dem Sinn des Vollkes wie 
der Raſſe. 

Zwar, die landlaͤufigen Anſichten begnuͤgen ſich mit einer naheliegenden 
Aypotbefe: Zur Zeit der Menſchwerdung — ob vor oder mit ihr, kann dahin⸗ 
geſtellt bleiben — bildeten ſich an verſchiedenen Stellen der Erde verſchiedene 
Raſſen heraus, und als dieſe ſich ausbreiteten, bildeten die, die zufaͤllig in einem 
irgendwie umgrenzten Raume zuſammenwohnten, ein Volk — gewiſſermaßen 
in Fortſetzung des Raſſebildungsprozeſſes. Volk und Raſſe fielen alſo zunaͤchſt 
zuſammen, bis verſchiedene Voͤlker in einer Landſchaft aufeinander trafen, friedlich 
oder kriegeriſch: dann war es mit der „Raſſereinheit“ vorbei. Und heute finden 


4) Als der Derfaffer nach der Bedeutung diefer Sitte fragte, wurde ihm die Anwort 
— der Braͤutigam ſolle für die Ehe „recht beſchlagen“ Rin, eine offentundig junge 
utung. 


Dolt und Haffe. 1933. April. 7 


90 Yok und Raffe. 1933, II 





. wir „reine Raffen“ nur noch felten, in Europas (von unzugänglichen Rändern abs 
gejeben) überhaupt nicht mehr. „Raffen waren, Völker find (Moeller van den 
Brud). 

Bei genauerem Fufeben lot diefe Theorie aber unfere Stage nicht, da fie die 
Begriffe „Doll“ und „Raffe bereits vorausfegt und uber ibe Derhaltnis gar 
nichts ausfagt. Wir erfabren nur, daß ,,Ddlker’ Menfchen verfdiedener Raffen 
umfaffen können, die felber anfcheinend etwas nur biologifch Unterfchiedenes fein 
follen. Aber wiefo follten fid aus Raffen Völker bilden? Die angeführte Theorie 
nennt ale Merkmal des Volkes das JZufammenwohnen von Menfden im ums 
grenzten Raum. Aber das trifft durchaus nichts Wefentlides (man vergleide 
das jüdifche Dolki). Sragen wir, was — wenigftens heute — zum Begriff des 
Volkes gehört, fo wäre vor allem dreierlei zu nennen: Erftens das lebendige Ges 
fühl der Zufammengebörigkeit, gegründet auf gemeinfame Befchichte; zweitens 
cine gewiffe Gemeinfamleit der Rultur und drittens eine gemeinfame Spradhe, 
die aber, wie das Beifpiel des Schweizer Volkes bezeugt, auch nicht unerläßlidh 
ft. Wefentlich ift allein die gemeinfame Gefchichte, das Geworfenfein in eine 
ganz beftimmte, einzigartige Lage, die bedingt ift durch die Landfchaft, die Lads 
barn, vor allem das in der Dergangenbeit Gefdebene — eine Lage, der fidh wohl 
Einzelne, nimmer aber das ganze Volk entziehen kann. Wollen wir eine zus 
fammenfaffende Bezeichnung für dies alles, fo müffen wir es Scidfal nennen. 
Dollsgemeinfheaft it Shidfalsgemeinfhaft!). Lrft aus dem ges 
meinfam verlebten Schidfal verfteben wir ein Dolk: feinen Staat, feine Wirts 
fchaft, Reichtum oder Armut, feine freundfchaftliche oder feindfelige Einftellung 
zu den Viadbarn; verfteben wir auch gewiffe Gemeinfamteiten feiner Rultur: 
Sitten und Gebräuche, Runft und Wiffenfchaftspflege. 

Das Schidfal der Völker erforfcht und ftellt die Befchichte dar. Aber mag 
fie nod fo genau die Begebenheiten verfolgen und in ihre Züge, Teile und „Urs 
fachen‘‘ auflöfen — was fie regiftriert, erfchöpft nicht ihr Wdelen. Zwar gibt es 
Ge(dhidtsforfder, die der Meinung find, mit der genauen Aufzählung deflen, was 
wer, fei ihre Aufgabe getan. Tiefer Dentenden drängt fic die Srage nad dem 
Sinn diefes Befchebens auf: Schidfal ift etwas, das einer Ginns 
erfüllung bedarf. Die Sinnfrage aber ift nur zu [dfen, wenn man zuvor 
die andere Stage Elärt nach dem, was denn eigentlich das Schidfal bat? Völker 
können es nicht fein, denn Volker find ja felber Erzeugniffe des Schidfals! 

Mitgeftaltend für das Schidfal ift ohne Zweifel auch die Landfchaft, der 
Boden, das Klima. Aber fie find nicht entfcheidend. Fhnen ftebt der Menfch gegen» 
über, und wichtig ift allein, was er aus den „gegebenen Derbältniffen‘ macht. 
Aber auch am Menfchen fanden die Befchichtsforfcher aller Zeiten gewiffe Cigens 
beiten, die nicht felbft Ergebnis ihrer Gefcdide 3u fein fdienen. Ob ein Voll 
angriffsluftig war oder lediglich abwehrend, feetüchtig oder wafferfcheu, tunfts 
liebend oder bandeltreibend — das ließ fih nur zum Teil auf eine Erziehung 
oder Prägung durch Landfchaft und Scidfal zurüudführen, das mußte zum 
anderen Teile fhon „von Ylatur“ in dem betreffenden Volt liegen. So tam 
die Gefdhidte zu einem gewiffen Dualismus: $a war ein naturgegebener 
nerobftoff mit feinen Bedingungen und Möglichkeiten — Land und Menſch 
—, md in bzw. an ibm vollzog fih ein Gchidfal, das rcidwirkend aud 


1) Selbftverftandlid laffen fid noch mehr Merkmale des Volkes angeben, doch fcheint 
mir dies das Wichtigfte. Auf die Lnterfchiede diefer Schidfalsgemeinichaft zu anderen 
(Stamm, Stand, Klaffe, Gemeinde u. a.) kann bier nicht eingegangen werden. 


1933, II R. §. Dierqug, „Rafle* und „Volt“. 91 
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„feinen Robftoff‘ teilweife veränderte, woraus fich neue Bedingungen des weiteren 
Gefchebens ergaben. Diefen menfchlidden „Robftoff“ nannte die Gefchichte 
„Raſſen“. Es war eben das, was nicht felbft Erzeugnis eines Schidfals war, 
fondern diefes Schidfal Hatte. „Völker vergeben, Raffen befteben.“ 

Man fiebt auf den erften Blid, daß fich in jenem Dualismus der Gefdhidte 
der allgemeine „Llatur‘‘ und „Beift‘“ fpiegelt. Die fich ergebenden Sragen werden 
ficy weitgehend Hären, wenn wir nun erft fragen, was denn eigentlich „Raffen‘ 
find? Die Gefdicdte tonnte mit ihren Hilfsmitteln zu feiner eindeutigen Begriffes 
beftimmung und demgemäß zu keinen Maren Abgrenzungen der Raffen gelangen. 
Schwierig, ja fehier unldsbar blieb immer das Verhältnis der gefchichtlichen 
(geiftigen) zu den raffifchen (naturgegebenen) Bedingungen des Gefdidtsablaufs, 
ja es wäre in keinem Salle unmöglich, ein gefchichtliches Gefdheben rein aus fich 
felber zu verfteben, ohne Rüdgriff auf außergeiftige Zufammenbänge! 

Inzwifchen fam die Klaturwiffenfchaft, in deren Bereich die Raffenforfchung 
gedrängt worden war, zu einigermaßen Elaren und beftimmten Raffenbildern. 
Aber diefe verhältnismäßige Rlarheit war gewonnen auf rein naturwiffenfchafts 
lihem Wege, d. b. unter Abfehung des Erlebnismäßigen, des Beiftigen und 
Setlifchen, indem der Menfch lediglid als Klaturgegenftand genommen wurde. 
Den fo gewonnenen Raffebildern fehlte die Seele. Um diefe zu erforfchen, mußte 
die Raffenkunde die Seelenwiffenfchaft und die Befchichte befragen. Das Ere 
gebnis folder Bemühungen blieb unbefriedigend, weil umgelehrt aus der Dents 
ebene der Beifteswiffenfchaften das Raffifche herausfällt, und weil man das Ganze 
der Kaffe nicht aus der Zufammenfügung neturwiffenfchaftlicher, körperlicher 
Miertmale und (naturwiffenfchaftlich aufgefaßter) feelifcher Kigenfchaften erfennen 
konn. Der Menfch ift keine Summe aus Leib und Seck; um das Banze 3u ers 
faffen, bedarf es eines neuen, eigenen Anfagpunttes der Sorfchung, näms 
li der erlebten Raffenbaftigkeit?). 

Das Raffenhafte erfchöpft fich nicht im Ausfehen der Wienfchen, wiewohl dies 
dazu gehört. Es beftebt auch nicht etwon in den Gedanken der Menfchen: ob einer 
„Peslift‘, gottlos, ehrlich oder gemein ift, das bat mit feinem Raffenbaften nichts 
unmittelbar zu tun. Das Raffenbafte, dies Cigenartige, was einer Mienfchens 
gruppe gemeinfam ift, was uns an mandyen von ihnen befonders Bar entgegens 
tritt, an anderen weniger, wie getrübt oder unterbrochen, das fpürbar ift troß 
verfchiedener Berufe, Geiftesrichtungen und Gewohnheiten — diefes Raffenbafte 
liegt tiefer als das Geiftige, als die Bildung, fie fei Lebenss oder Schul: 
bildung, tiefer auch als die Prägung durch gemeinfame Schidfale, durch den 
„Beift der Zeit‘, wiewohl das alles zufammenbängen möge. Moden, Bildungss 
güter, Schidfale wechfeln — das dauernde, alles durchwirtende Raffifche verbindet 
Einzelne unter fich und mit ihren Ahnen. Tiefere Schichten der Seele find zugleich 
die Sauerbafteren. Sie durchwalten, wie die Erfahrung zeigt, mehrere Befchlechter, 
wie fie den Einzelnen übergreifen und zum Gliede machen eines größeren Ganzen 
— eben der Raffe. 

So ift denn das Raffenbafte ein lebendig Wirkendes, das uns in allem 
entgegentritt, was ein Menfch tut und denkt, das all fein Gebaren, fein Ringen 
und Ruben, fein Sorfden und Seiern durchwirkt, fo daß wir es antreffen, wo 
immer wir auf Menfchliches uns befinnen — fei es am lebenden Hienfchen felber, 
fet es an feinem Werte. Im Werk verwirklicht fich ja der Menfch am eindrude: 
vollften (wenigftens folange es feines ift). 


2) Dgl. „Über Raffe und Seele” von mir im 7. Jahrg. S. 32 ff. diefer Zeitfchrift. 
7 





92 Volt und Kaffe. | 1933, II 


Die Stage nach dem Derbältnis zwifchen Doll und Raffe hatte fidh uns 
zugefpigt auf die Stage nach dem Derbältnis zwifchen Viatur und Beift. Fun 
find wir in der Lage, einen Schritt weiter zu geben. Im reinen Geift als foldbem 
(Logos, Llous) findet fidh nichts Raffifches; reiner Geift ift unabbangig aud vom 
Dollstum — es gibt keine deutfche, ruffifche oder ameriktanifche Wdiffenfchaft, die 
unter fich wefentlich, als Wiffenfdaft, verfcbieden waren, wie es denn auc nur 
eine Wahrheit fur alle dentenden Wefen geben kann. Aber ser reine Geift bedarf, 
um 3u witlen, des Lebens, er wirkt im und durch das Leben, ift uberbaupt nur in 
der Abftraktion vom Leben trennbar: fo haben denn alle geiftigen Gebilde teil an 
einem Wefenszug alles Lebendigen: fie haben ein Geficht, einen Ausdrud, eine 
Stimmung. Im Ausdrud aber wird £ebendiges unmittelbar erfaßt, in der 
„Stimmung“ begegnen fich die Seelen, und in der Befinnung bierauf werden wir 
aud des Raffenhaften inne. 

yolk entftebt mit dem Erwaden einer Wenfdengruppe zum geiftigen 
Dafein. Darum verfchlingen fih im „Doll“ in eigenartiger, vielfältiger WDeife 
mannigfache £ebenszüge: das urfprüngliche Leben wird überprägt von Geiftigern, 
das zwar nie feine Herkunft verleugnen kann, fic) aber doch von ibr 3u [dfen 
tradhtet. 

So ift dens auch das Tun des Menfchen in verfchiedenem Maße geeignet, 
Raffenbaftes auszudrüden. Es tritt uns greifbar deutlich dort entgegen, wo der 
Beift der Menfchen ganz im Dienfte ihres Lebens ftebt. Darum verfpüren wir 
es bei jedem Schritte, den wir in die Lebensformen fog. primitiver Völker tun. 
Sagt uns der mittelbare und darum übertragbare Sinngebalt ihrer Bauten, 
Oeräte, Zierate ufw. etwas vom geiftigen Gebalt ibrer Rultur, fo läßt uns der 
nur aufweisbare, nicht nachzuahbmende Ausdrudsgebalt all ihrer Werle etwas 
von der bewirkenden Raffenfeele ahnen, die in ihnen lebendig ift. Je mehr ein 
Werk dagegen „fachlich“ fein, nur dem „Befetz der Sadye‘ entfprechen will, defto 
mebr verliert es vom Ligenrbythmus des Lebens und damit vom Raffenbaften 
in feinem Ausdrud. Ganz allgemein kann, was der Menfch fchafft, um fo weniger 
von feiner Raffenbaftigkeit enthalten, je mebr er dabei fremder Gefetzlichkeit, ftatt 
eigener Liotwendigleit folgt. Allmählich weicht, wie in unferer Zivilifation, die 
lebendige Derbundenbeit des Volles, die aus der Raffenfeele ftammt, der fachlich» 
verftändigen, die aus dem Geifte ftammt. Goldes Dolfstum wird dann feelenlos 
und unbrdftig. 

Die Dieldeutigteit dea Wortes ,,Ausdrud weift uns wiederum auf die vers 
fehiedenen Prägungen des Kebendigen hin. Bei genauerem Zufeben müffen wir 
am Ausdrud verfchiedene Schichten unterfcheiden: mehr Außerliche, entftammend 
der Prdgetraft geiftiger Setzungen, erftarrter, leblos gewordener Sormen, wills 
kuͤrlicher Ordnungen — und tiefere aus feelifdher Geftaltungstraft, die wiederum 
in der Begegnung mit der Welt fich befonderte und fchidfalhafte Bedeutung bat 
(Ausdrud des Dollstums, des Standes u. dgl.) — bis zu den tiefften, der Des 
finnung und Deutung nicht mehr zugängliche Schichten, die die Seele mit größeren 
Lebensfhwüngen verbinden. Hier das Raffenhafte zu finden, ja überhaupt zu 
feben, bedarf es der einfühlenden Dergleichung der Menfden und Werke. — 

Was nod jenfeits der Schidfalspragung liegt, nannten wir das Raffens 
bafte. Schidfal felbft bedarf nod der Ginndeutung, ift nicht felber finnbaft. Aber 
in ihm erfcheint und wirkt fich aus das Raffenbafte, das ift das Lebendige, fofern 
es menfchentümliche Sorm gewann. Mit dem Erwachen des Geiftes wird aud 
das Wolf geboren, die Menfchengemeinfchaft, die ihr Leben nunmehr bewoußt felbft 


Wann aus der Graffcbaft Hyauenftein und Srau aus dem Oberprechtal im Schwarzwald 


Kunstbeilage zu „Volt und Kalle” Aus: Selm, Deutfche Voltstrachten 
I: §. Lehmanns Verlag, München 





1933, II Deutfcdhe Voltstrachten. 93 





geftaltet (in immer zunehmendem Maße und Umfange). Sie gewinnt aus ihrer 
Raffenfeele beftimmte Antriebe, fich felbft zu verwirklichen und legt ihre Lebens» 
linie in ihren Werten feft. Rraft der Beftimmung alles Geiftes durch fic) felbft 
kann nun im Bulturellen £eben ein Doll immer nod einbellig fein, wenn auc {don 
langft andere Raffen in es eindrangen: das gemeinfame Schidfal prägt immer 
wieder gemeinfame Haltungen auf. Diefes ift allein unmittelbar bewußt, während 
das Kaffifche erft auf dem Umweg über die Selbftbefinnung dem Bewußtfein 
zugänglich wird. Es ift aber eben darum dem Urgrund des Lebens näher. Das 
Lebendige bedarf nicht des Erfaßtwerdens, um zu wirlten, während das Geiftige 
nichts ift ohne das Leben. Zum Schidfal wird ein Befcheben erft im Spiegel des 
Beiftes. Dahinter oder darunter (all foldye Worte find nur uneigentlich zu vers 
fteben) fließt der Strom des Lebens. Er ift der Sinn des Schidfals. Und wie aus 
der „Broßen Mutter“, dem unbegreiflichen Strome des Alls£ebens, die Raffens 
feele fic) befondert, fo aus diefer als ihrer Mutter die Seele des Kinzelnen, drei 
und dod cine... Damit mündet unfere Betrachtung ein in metapbpfifche Bes 
finnung als ihrer Vollendung und Rechtfertigung. Doc muß uns bier diefer 
Ausbli@ genügen. 


Deutfche Volkstrachten. (IV)” (sau. 
Elfag. 
Tafel 7. | 


In der elfäffifchen Männertracht bat die Tode aus der Zeit der franzöfifchen 
Revolution fehr ftark gewirkt, aber doch nicht fo, daß die Altere Tracht des 18. Jahrs 
bunderts gänzlich verfchwunden wäre. Die Jugend nahm die neuen Sormen an, die 
lange feitlid gelnüpfte Hofe und die militärisch kurz gefchnittene Jade; die dltere 
Generation blieb bei langem £eibrod und Dreifpig: fo haben Männers und Burs 
fchentracht als Moden zweier Zeiten nebeneinander geftanden, und als Seiertagss 
und Rirdentradt bebielt die dltere nod) lange die Oberband. 

In den Srauentrachten bat fich Alteres wohl da am meiften gebalten, wo ein 
tonfeffioneller Gegenfatz durch die Rleidung betont wurde. Jm übrigen ift befons 
ders die Sarbe durch den franzsfifchen Einfluß gelodert und dem perjönlichen Ges 
fdhmad anbeimgeftellt. Die weitauslandende Faubenfchleife, die allgemein als das 
Bennzeichen der elfäffifchen Trachten gilt, ift erft in den 40er Jahren zu ihrer 
jegigen Größe gewadfen. 


Schwarzwald und Rbeinebene. 
Tafel 8. 


Eine böcft altertümliche Männertraht bat ziemlich lange im füdlichen 
Schwarzwald in der Braffchaft HYauenftein beftanden, deren einzelne Stüde zwar 


*) Giebe Dolt und Kaffe 1932, Heft 3 und 4, 1933, Heft 1. Schluß des Abdrudes 
aus dem im Derlage I. 5. Lehmann, Minden, erfdienenen Werke von Rudolf Helm, 
Deut{he Dollstradten aus der Sammlung des germanifden Mufeums (mit 
115 Tracdtendildern auf 43 fcdwarzen und 8 farbigen Tafeln, Preis Mi. 4.—). 


94 Vol und Raffe. | 1933, II 





nicht alle der gleichen Zeit entftammen, deren jedes aber den Charalter feiner Ents 
ftebungszeit in einer fonft nirgends zu findenden Reinheit erhalten bat. Der 
ältefte Beftandteil ift das Brufttuch, ein primitives Obergewand, mindeftens bis 
ins 14. Jahrhundert zurüd zu verfolgen; dann die in Hunderte von Salten gelegte 
Pluderbhofe, ein erftarrtes Erbftüd aus der Zeit der Landelnechtszüge; der Mübhls 
fteintragen des frühen 17. Jahrhunderts und der Rod des 30 jährigen Rrieges. Die 
Sarben find fchlicht und kräftig: Schwarz und ein leuchtendes WDeinrot, dazu der 
weiße Rragen und weiße Strümpfe. Das 18. Jabrbundert ift fpurlos an diefer 
Tracht vorübergegangen, erft das 19. bat fie verändert und vernichtet. Die ans 
deren fchwarzwälder MWiänmertrachten find moderner, haben aber im Charalter fo 
viel mit der bauenfteiner Tracht gemeinfam, vor allem in der Sarbe, daß man auf 
eine ähnliche Dorgefchichte fchließen darf. 

Auch die Srauentrachten zeichnen fich durch babe Altertümlichkeit aus. Sie find 
fchlicht und ernft in Sorm und Sarbe, fteben den febwAbifden in der Sarbenauswahl 
febr nabe, find aber im allgemeinen duntler; einige nur auf fhwarz und weiß ges 
ftellt. In den Sormen lebt viel altes But aus der Renaiffancezeit. Sehr häufig ift die 
Übereinftimmung mit der Männertracdht: in Schuhen, Hemden und am auffallend» 
ften in den Hobten. Der Zylinder ift eine für den Schwarzwald charalteriftifche 
Ropfbededung. Er bat die Sormen des früben 19. Jahrhunderts; aber vielleicht 
bat aud er ein febr bobes Alter. 


Die OrkEneyinger und die Shetländer. 


Don Ernft Brenn, Allentfteig. 


Soweit es die heutige gefchichtliche Sorfehung zuläßt, kann man mit Sicherheit ans 
nehmen, daß die erften Bewohner dser Orkneys und Shetlandinfeln Pitten (ein Doll von 
nichtkeltifcher Abftammung) waren. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts mehrten fich die 
Sabrten irifcher und fehottifcher Miffionare und Cinfiedler nad den genannten Cilanden. 
Diele diefer Kelten, vielleiht auch Reltinnen !), zogen fic auf die einfam gelegenen Eilande 
und Holme surid, um dort ein Alausnerleben zu führen. Die Reifen der Cinfiedler ers 
ftredten fic aber nod viel weiter gegen Llorden; der um 825 lebende irofhottifche Mänd 
Dicuil erzäbhle®), daß fhon um 725 keltifche infiedler auf den Infeln ndrdlid von 
Schottland anzutreffen waren: auf den Hebriden, Orkneys, Sbetlandinfeln fowie auf 
Söroyar und Jsland. Viele Klamen gemabnen noc heute an die Rlausner, 3. GB. „Papa“ 
(Geiftlider) auf den Ortneys, Baglabölmur (Rrummftabbolm) auf den Schafinfeln und 
Papös, Paper in Island. 

Als im $. Jahrhundert die Wilingerzüge der Llorweger begannen, fette eine Hleus 
kolonifation der Eilande ein: „Es beißt, daß die Orkneys in den Tagen Harald Schönbaars 
tolonifiert wurden; aber fhon vorber waren fie Aufentbaltsftätten der Wikinger“ (Anfang 
der Ortneyingafaga 24)). Die Einfiedler verließen die Infeln wieder und die vielleicht mit der 
af igen feltifcen Bevdlterung Zurudbleibenden durften das Chriftentum nidt mebe Sffente 
id belennen. 

Den Infelnamen , The Orkneys“ verfudt man von dem wabhrfcheinlich vorkeltifchen 
Worte „ork“ abzuleiten. Die eingewanderten Liorweger fetten das für fie unverftändliche 


1) Auf Eeltifche Alausnerinnen deutet vielleicht der LIame des fagenbaften (fuoweftlid 
von Söroyar gelegenen) Eilandes „Semo“ bin. EClapus überfegt den Liamen mit „Femi- 
narum insula® (= Sraueninfel, vielleicht das föroyiihe „Moyggjaland" = Mädchens, 
Jungfrauenland). 

2) Dicuil, De mensura orbis terrae. Ausg. Waldenaer 1807 und Parthey 3870. 

2a) Ausg. Anderfon, Transl. by Hjaltalin og Goudie. dinburgh 3873. 


u — 


1933, II Ernft Brenn, Die Orknepinger und die Sbetlander. 95 





Wort mit ihrem „orkn“ (= Didbaud, dann Seefhwein, Robbe, Rlappmüte) in Bes 
ziehung, deuteten es fdlieflid um und figten ey (= Infel) daran. Don den 90 Eilanden 
der Ortneys find 38 bewohnt. Auf der größten Infel liegen die bedeutendften Orte: die 
Syauptftadt Rirkwall und Stromneß. Wie der nordfchottifche Boden beftebt auch die 
Ortneyg e aus rotem, deponifhem Sandftein. Wiefen, Heidelraut, Sumpfe und Moore 
bilden die Bodenbededung. Die Weftküfte weift berrlihe Klippen auf. Bis in das vorige 
Jahrhundert lebten auf joldhen Rlippen, fowohl auf den Hebriden, ale auch auf den Orkneys 
Einfiedler. Ich erinnere nur an John O’Groot, der in der Llähe von Duncanfby Head als 
Blausner fein Leben friftete. 

Aud die Shetlandinfeln haben etwa 30000 Einwohner. Don den ungefähr 
100 Infeln find 29 befiedelt. Sie befteben aus Urgeftein, Granit und Porpbyr, fowie Sands 
ftein und find ziemlih bügelig. Auf der Hauptinfel Mainland ift die böchfte Erhebung 
(Roenis bill). Die alte Hauptitadt Gcalloway (aus altnorwegifh Stalavdgr) und die 
newe, Lerwid, liegen auf demjelben Eilande. Die alten Llorweger nannten die Infelgruppe 
Ajaltland und Ip ter Hetlands). Der Liame rührt gewiß von der Sorm der Sauptinfel ber, 
die an einen Halt mit Quergriff (Halte) eines Wilingerfehwertes erinnert. Übrigens tommt 
der Llame Shetland erft feit 1289 vor. Die Infelgeuppe bat ein typifches Infelllima, das 
durdh den Golfftrom beeinflußt ift. Cs ift bier viel milder als in Schottland und regnet 
weniger. 

Die beiden genannten Infelreiche wurden alfo aufs Lleue durch norwegifche eae 
befiedelt. Im 9. Jahrhunderte berrfdten Jarle (= Ze a eine ziemlich 

roße Selbftändigkeit befaßen. Die Llachlommen Torf Einer Rögnvaldfons waren fehr 
A reitbar und führten nocdy ein reines Wilingerleben. Davon erzählt die febr unterbaltfame, 
bereits erwähnte Orkneyingafaga. Sie bebandelt die Heldengefdidte von den Alteften Zeiten 
bis auf Jarl Adgnvald Kale Rolsfon. Befonders intereffant find die Abfchnitte über den 
1064 geftorbenen Jarl Torfin, uber Magnus den Heiligen (F 3316) und Jarl Rögnvald. 
Die Rleintönige der Orineys beberrfchten lange Zeit hindurh Shetland, Caithnes und 
SGutberland in Klordfchottland. 

Schon vor dem Jahre 1000 batten die Ortneyinger und Sbhetlander den lLatholifaden 
Glauben angenommen, obne freilid deswegen ihre beidnifhen Gebräuche abzulegen. 
Ayeute betennen fich die meiften Infelbewohner zur evangelifchen Lebre. 

Bald nady 1000 gingen die Infelgruppen allmählich in den Befitg des alten Mutter: 
landes Llorwegen über. Lange Zeit waren fie auch unter einem „logmadur“ (= Ober 
richter, Vorfigender des Gefegesdinges und viell. Lebenshberren) mit den Schafinfeln 
(= $öroyar) vereinigt. Aber Pen die Zugehörigkeit zu Llorwegen war nur von kurzer 
Dauer. Llachden legteres kurz nach dem „Ihwarzen Tode” (134950) die eigene Selbs 
ftändigleit verlor, Bamen auch feine Beilande (Grönland, Island, Söroyar, Shetland und 
die Orkneys) im Jabre 1380 zu Dänemark. 3469 wurden Shetland und die Ortneys von 
Rénig Chriftian I. von Danemar? an James III von Schottland verpfändet. Als fice im 
Jabre 3390 Jalob IV. von Schottland mit der dänifchen Prinzeffin Anna verbeiratete, 
ging die dänifche Bberbobeit ganz verloren. 

In der erften Zeit berrfchten die Rleintönige unumfchräntt und fchafften das vom 
Volle gewählte Gefetzesding *) ab. Die meiften uern beraubte man ihres Grund und 
Bodens und machte fie zu Zinss bzw. Pacdtbauern. Flur ganz Iangfem befjerten fich die 
Derbältniffe, fo befonders nah der Hinridhtung des Jarls Patril Stewart. Boch die _ 
früheren Rechte waren und blieben verloren. Erit nah Inkrafttreten der Landbaugefege 5) 
begann eine fcddnere Zeit für die Orkneyinger und Shetländer. 

Dienordifhe Sprade (Mundarten des Llorwegifchen), welche feit dem 15. Jabes 
bundert von armen und unterjocdhten Bauern gefprochen wurde, konnte fid nicht ungeftört 
weiterentwideln. &s gelang nicht, das Altnorwegifche mit feinen neuen Veränderungen in 
eine neue Schriftfpracdhe überzuleiten, wie dies auf Söroyar) und Island gefdab, wenn 
fih auch dort dänifcher Einfluß ftark geltend machte. Die fhetlandifden und ortneyifden 
Mundarten mußten dem Liiederfchottifchen, der Sprache der Macdthaber, weiden. Aber 


3) So beißt fie noch heute bei den Söroyingern. 
4) = felbftändiger (autonomer) Landtag. 
ht 2 Diefe wurden von der von Gladftone eingefetsten „Crofters commission“ vors 
en. 
a 6) Erft gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gründete dort der Liacdhlomme eines 
Öfterreichifchen — GVenſil Ulrik Hammershaimb) aus den foͤroyiſchen Mund⸗ 
arten die neufoͤroyiſche Schriftſprache. 


96 Volt und Raffe. 1933, II 








nod lange bielt die unterdrüdte und gefhwächte Kraft des bodenftändigen Sifchers und 
Bauernvolles ftand, begann doch erft im 37. Jahrhundert die eigentliche Auflöfung der 
altnorwegifhen Mundarten. In der langen Zeit der Unterwerfung und Bedrüdung wear 
das Selbftbewußtfein der Infelbewohner gefhbwädht worden. Llah und nad drangen 
fremde Worte in die weftnordifden Mundacten ein, bis die Gprache felbft ein fchottifches 
Geprage annahm. Offizielle Sprache wurde Tiederfdottifh, das Amtsfprade in Lords 
fdottland war, und Rirdhenfpradhe Reidsenglifd. 

Außerdem tat die puritanifche Geiftlidteit alles, um nordifches Vollstum, 3. DB. die 
fhönen alten und eigenartigen Rettens fowie Reigentänze famt den dazugehörigen Weifen ?) 
auszurotten. Als Walter Scott 1814 die Kilande bereifte, hörte er nod ein norwegifches 
Gedicht. Selbft heute find noch in Rinderreimen und Wiegenliedern Spuren des Alts 
norwegifden enthalten. 

Der fdroyifhe Spradforfder Jakob Jatobfen unternahm 1909, 1930 und 3912 
Sorfdhungsreifen nad den Orfneys und 1893—96 fowie 1905 nach Shetland. In feinen 
Arbeiten „Shetländifhe Ortsnamen“ 8), „Shetland und die Shetländer“ ?), , Die Gefcicdte 
und Sprache der Ortneyinfeln’ 1°) und ,Die norwegifhen Mundarten in Shetland und auf 
den Ortneys” 11) teilt Jatobfen mit, daß auch die Sprache der genannten Infelgruppen wie 
diejenige Islands und der Schafinfeln eine Gonderentwidlung durhmadte. Das ift daraus 
gu erfennen, was nod bis heute bzw. bis vor wenigen Jahrzehnten an Llorwegifdhem 
bewahrt wurde. Unter dem Llamen „Llorn“ waren die altnorwegifchen Hlundarten auf 
den Eilanden und in Eaitbneß allgemein bekannt. Mit diefem wurde audy der uralte Plame 
„Dasta tung“ für Altnordifh oder Hier im befonderen für Altnorwegifdh überliefert. 

Noch jet bat die Spradye der Shetländer und Orkneyinger im boben Grade nors 
wegifches Geprage. Jatobfen konnte im Wiederfchottifden der BevdMerung eine fehr große 
Zahl norwegifhher Wörter nahweifen: auf den Shetlandinfeln über 10000 und auf den 
Ortneys etwas weniger. Wenn man bedentt, daß der Wortihag der Sifcher und ins« 
befondere der Bauern nicht fehr groß zu fein pflegt, fo erfcheint die Zahl der bewahrten 
norwegifdhen Wörter erftaunlich fod). 

Die norwegifoen Mundarten der ShHetlander und Orlneyinger 
find verloren gegangen und damit das innigfte Band swifden Wor: 
wegen und den Cilanden! 

Yad I. Jatobjen und D. Bruun war das norwegifche Stammesbewußtfein der 
Ortneyinger vor dem Welttriege nod fehr ftart. Shetländer und Ortneyinger legten 
viel Wert auf ihre ftandinapifche Abftammung und verneinten aufs entfchiedenfte, daß fie 
Schotten feien. Aus Intereffe für ihre norwegifche Dergangenbeit befchäftigten fich mandye 
junge Bauern mit dem Studium des Llordiichen 12). Aber audy heute ift die Zuneigung 
und das Intereffe für die nordifchen Bruderpölter auf den Ortneyinfeln und auf Shetland 
fowie auf der fchottifchen Halbinfel Eaithnneß nody fehr groß !?). Jährlich gibt es Zufammens 
tinfte in Térshavn (Sdroyar), Bergen, Trondheim ufw. (Llorwegen) jowie in Rirkwall 
(Ortneys) und Lerwid (Shetland). ngcebriiderlide, voltstundlide, fportlide und andere 

egenfeitige Einladungen find an der Tagesordnung und diefe fordern das Erlernen und 
Studium der nordifhen Spraden. 

Die nordifdhen Volksrefte, welche ficher keitifhen und wabrideinlid aud piltifden 
Bluteinfdlag aufweifen, find jegt der Sprache nad wohl ,rotwelfde* Scotten (wenn ich 
fo fagen darf), dem Blute und der Gefinnung naw aber zum weitaus größten Teil Llors 
weger! — 


1) Auch auf Island gingen die Reigentänze im 17. bzw. 18. Jahrhundert 3u Grunde, 
u. zw. auf Betreiben der evang. Geiftlichkeit, die Unfittlides in ihnen feftftellte. — Auf 
Söroyar bewahrte man bis auf unfere Tage die Rettens und Reigentanze und as kindliche 
Dergnigen beim Tange. 

8) Sbetlandsoernes Stednavne. Ropenh. 1903. — The dialekt and place-names 
of Shetland. f£erwid 1397. 

9, Shetland og Shetlaenderne. Ropenf. 3896. 

10) Om Ortnoernes Hiftorie og Sprog. Ropenb. 1913. 

11) Mornfprogene paa Shetland og Orknoerne, faerlig i deres Sorbold til Safters 
fprogene Jslandst og Saerast og Moderfproget Norst. 

12) Giebe meine Arbeiten: Relten und Clormannen auf den Infeln ndrdlid von 
Schottland. Jena 1929. — Das Meinfte germ. Doll: Das Brudervoll der Söroyinger. 
Doll u. Raffe 6. Ihrg. S. 105. Münden 1931. 

13) Tingatroffur. Söroyifcdhes Wochenblatt. Törshanpn. 


1933, II Aus Raffenbygiene und Bevditerungepolitit. 97 
EL DZ u a a a arm a a a 





‚Einem Soroyinger, dem Spradforfder Jatob Jatobfen, verbleibt das große 
Derdienft, die Refte der See Mundacten auf sen Sbetlandinfeln (und Ortneys) 
in feinem Lebenswerke ,Etymologifces Wdeterbud der norwegifhen Sprache auf Sets 
land“ 14) der Zukunft bewahrt zu haben. — 

Der ortneyifce Rleinbauer mit einem Boot und der fbetländifche Sifcher mit einem 
Heinen Brundftüd, wie John RX. Tudor in „The Orkneys and Shetland“ treffend den 
Erwerbsunterfchied zwifchen Orkneyinger und Shetländer kennzeichnet, find alfo noch heute 
Llorweger, wenn auch) ihre Sprache einem anderen Stamme, dem leltifden, angebört. 


Aus Raffenhygiene und Bevölkerungspolitif. 


Bayern. Mad den vorläufigen Zufammenftellungen des Bayer. ftatiftifchen Landesamtes 
ergaben fic) fir das Jahr 1932 folgende wichtige Zahlen für die Bevälterungsbewegung: 
Zbeichließungen Geburten Geftorbene GBeburtenüberfchuß 


im Jabre 1913 48 438 207 487 126 136 $332} 
"nn 199 55 240 140 356 96 796 43 660 
» nn 1982 53 976 156 085 93 656 42 427. 


Die Geburtensiffer ift alfo weiter gefunten! 


Stalien befigt nach den Sefttellungen des italienifden Sorfders §. Srafetto 1532 206 Sas 
milien von mindeftens 7 Rindern. 

Gelegentlid der Seier der Gründung Roms wurden vom Gouverneur 6 Preife an 
foldye römifche Ehepaare verteilt, die im Zeitraume der 4 vier Jabre 3 Rinder ges 
zeugt haben. Jeder Preis beftand in der Verleihung eines Wobnbaufes. 


Südafrilanifche Union. In einem neuen Belege der Südafritanifchen Union wird die 
Reinhaltung und Verteidigung der weißen Kaffe gegen Dermifhung mit Schwarzen ges 
fordert. Der freiwillige Gefdledhtevertebr zwifdhen TDeißen und Schwarzen, auch die 
Vorfehubleiftung wird mit Gefängnis bis zu 5 Jahren beftraft. 


Unfrudtbarmadhung Minderwertiger in den Vereinigten Staaten von 


ordamerile. Wie die von %. 9. Lau gblin in Eugenical Mews Band 17, Fir. 5 
veröffentlichte Zufammenftellung ergibt, wurden in den Vereinigten Staaten bis zum 
J. Dezember 1931 insgefamt 15 156 Perfonen fterilifiert, davon durch Unterbindung des 
Gamenftranges 6206, dur Raftration 372 Manner, durch Unterbindung der Kileiter 
a durch Entfernung der Kierftdde 382 Srauen, 230 Perfonen durch Radiumfterilis 
ation. 


Unfrudtbarmadhung Minderwertiger in der Schweiz, Ranton Waadt. Auf 
Grund des feit September 1938 beftebenden Sterilifierungsgefeges wurden 4) 
Anträge auf Unfrudtbarmadhung an den Gefundbeitsrat geftellt, 25 wurden genebmigt 
und 2) Unfrudtbarmadungen, vorwiegend an Sdhwadfinnigen, an Seit 
VWovember 193) tann durch den Befundbeitsrat die Zuftimmung zu Schwangerfcdhafts» 
unterbrechung aus erbgefundbeitliden Gründen erteilt werden. 


Sterilifierungsgejet in Llorwegen. In Verbindung mit einer allgemeinen Strafs 
cedhtsreform in Klorwegen bat ein Ausfhuß von Raffenbygienitern, Aczten, Juriften 
und Soziologen die geieglice Regelung der Sterilifierung in Angriff genommen und als 
Ergebnis folgendes Sondergeje entworfen: » 
§ 3. fern eine Operation, deren Ziel die Unterbindung der Sortpflanzunges 
fäbigleit einer Perfon oder die Beeinträchtigung ibrer Gefdhlecdhtafunttionen ift (Geruals 
ration), nicht zweifelsfrei aus mediziniihen Gründen erforderlich wird, darf diefe 
—** nur gemaͤß den Beſtimmungen dieſes Geſetzes vorgenommen werden. 
6 2. Eine Serualoperation fann an einer Perſon auf deren eigenes Anſuchen hin 
vorgenommen werden, fofern diefes Befuch hinreichend begründet werden kann. Fit die 


14) £tymolo Ordbog over det norrone Sprog paa Shetland. Ropenh. 393). 
= An — dictionary of the Norn language in Shetland. £ondon u. 


Bopenb. 1928 f. 


98 Volt und Kaffe. 1933, II 








betreffende Perfon no nicht 23 Jahre alt oder geiftestrant oder geiftesfihwad, fo ift die 
Genehmigung des Dormunds beizubringen. 

§ 3. Geiftestrante Perfonen oder Perfonen mit mangelbaft entwidelten Geiftes- 
und Seelenträften können fih auf Anfuchen ihres Dormunds einer Serualoperstion unters 
ziehen, fofern Grund vorhanden ift für die Annahme, daß die Betreffenden nicht fähig 
fein werden, durdy eigene Rraft für fi und ibre Madhtommen 3u forgen, oder daß ein 
tranthafter Gemütszuftand oder ein beträcdhtlicher körperliher Schaden jid) auf die Flacdh- 
tommenfchaft vererben, oder daß die betreffende Perfon auf Grund eines abnormen Ges 
fhlechtstriebes Sittlichleitsperbrechen begeben könnte. 


von Hilfsschul- 
indern haben durch- 
chnittlich 


Die deutsche Familie hat 
im Durchschnitt nur 


Jn einer Familie der ge- 
bildeten Schicht sind nur......... „19 Kınder 





LF. 


Wer pflanste fidy im deutfdyen Volke bisher bhinreidyend fort? 
Goll das unfere Zukunft fein} 


Line geiftestranke Perfon kann ohne ihren eigenen Wunfd oder ihre perfönliche 
£inwilligung gemäß den Beftimmungen diefes Gefetzes nicht ferual operiert werden, 
fofern Hoffnung auf Heilung oder wefentlide Befferung beftebt. 

Line geiftesihwade Perfon foll in der Regel einer derartigen Operation nidht 
unterworfen werden, obne daß fie es felbft wünfcht oder fic damit einverftanden erklärt, 
es fei denn, daß fie die geiftige Reife eines Meunjabrigen nod nicht erreicht bat oder 
anzunehmen ift, daß fie nicht erreicht werden wird. 

Das Gefuh um Dornahme einer Serualoperation an einer geiftestranten oder geiftig 
fhwad entwidelten Perfon fann audh von dem Polizeivorftand des Diftritts, in dem 
die betreffende Perjon wohnt, eingereicht werden. Aat ie betreffende Perfon keinen feften 
Wobnfig, fo tann die Polizeidirettion des Diftritts, in dem fich die betreffende Perfon aufs 
bält, das Gefuch einreichen. Fit die betreffende Perfon im ocean Swangsarbeitshaus, 
in Pflege oder in einer Erziehbungsanftalt, die unter öffentlicher Aufficht ftebt, jo kann das 


1933, II Aus Raffenbygiene und Bevdllerungspolitit. 99 
Se aaa ea ag Na oP a eS aD 





Gefud gleidfalls von dem Vorfteber der Anftalt eingereicht werden. In den beiden bier 
angeführten Sällen muß außerdem die Genehmigung des Dormunds beigebracht werden. 

§ 4. Gemäß den Beftimmungen diefes Gelee foll eine Serualoperation nicht ohne 
Genehmigung eines Sacdverftändigenrates vorgenommen werden. Diefer Rat beftebt aus 
dem Eher des Medizinalweiens als Vorfigenden und vier anderen Mitgliedern, nämlich 
einer Stau, einem Richter, einem Pfydiater und einem Arzt, der befonders Sachmann in 
Dererbungslebre ift. Diefe 4 Mitglieder werden vom Rönig auf 5 Jahre ernannt. Der 
Rönig ernennt au die Stellvertreter für jedes einzelne Mitglied und kann unter lims 
ftänden beftimmen, daß ein anderer Arzt für kürzere oder längere Zeit das Amt des Dors 
figenden (Chef des Medizinalwefens) übernimmt. 

Der Sachpverftändigenrat beftimmt auch die Art des vorzunebmenden Kingriffs. 
Er fdreibt aud vor, wann und wo die Operation vorgenommen werden, eo 
wer fie ausführen foll. In der Regel foll die Operation in einem ftaatliden oder fommus 
nalen Rrantenbaus vorgenommen werden, oder in einem Privattrantenbaus, das dem 
Sadhpverftändigenrat für diefen Swed als gut belannt ift. 

§ 5. In dem Sall, in dem zur Dornahme einer Serualoperation die Genehmigung 
des Dormundes erforderlich ift und die betreffende Perfon nicht fhon einen Dormund bat, 
foll der Chef des Medizinalwefens die Übernahme der Dormundfchaft regeln. 

IR der Sachverftändigenrat der Anficht, daß der natürliche oder eingefegte Dors 
mund nicht fähig ift, die notwendigen Erklärungen betreffs einer folden Operation abzus 
geben, fo foll der Leiter des Medizinalwefens tge tragen dafür, daß für diefen Zwed 
ein befonderer Dormund ernannt wird. 

§ 6. be die Einwilligung zur Vornahme einer Serualoperation an einer verbeis 
rateten Perfon gegeben wird, at dem anderen Ehegatten, wenn irgend möglid, Ges 
legenbeit gegeben werden, fi über das Gefuh zu Außern. 

§ 7. Der Rönig erläßt die näberen Beftimmungen, welche zur Durchführung diefes 
Gefeges nod fie ndtig gebalten werden. 

Der Abtreibungsparagraph foll folgenden Zufag erbalten: 

„Die Tat wird nit als rechtswidrig angefeben, fofern fie von einem Arzt in Übers 
cinftimmung mit der vom Rönig erlaffenen Verordnung ausgeführt wird.” 

(Wad €. Suerfen, Archiv f. Go3. Hyg. u. Demogr. 1932, %. 5.) 


Bejdhranttes Eheverbot fir Gendarmeries, Siderheitswacds und Zollwads 


beamte in Öfterreich. Seit drei Jahrzehnten ftebt das ———— des Geburten⸗ 
rüdgange und des Dollstodes uber der gefamten germanifchen Welt. Don verfchiedenften 
Verbänden und Gefelifdaften, von Regierungss und Staatsftellen, die den dauernden Wert 
eines zablreihen und gefunden Klahwudfes für Doll und Raffe erkannten, wurden die 
Tatfadhen des Geburtenrüdganges und feinen Solgen zu BDenkichriften zufammengefaßt. 
Die Durdfibrung der vorgefhhlagenen Maßnahmen fcbeiterte allzuoft an Mangel bios 
logifher Bildung der „Politiker“, denen ‚die Entfcheidung über die Vorfchläge zufiel. 

Wie fehr notwendig die Ausbreitung lebensgefeglidhen Dentens vor allem in polis 
tifhen RKreifen ift, wird tlar, wenn man den Gefegentwurf der öfterreichifchen Regierung 
über ein befhränttes Ebeverbot für verfchiedene Staatsbeamte betrachtet. Der 
wefentlihe Wortlaut des Entwurfes fei ungelürst wiedergegeben: 

§ 3. Sür die Aufnahme als Beamtenanwärter der Dicwnswesk Gendarmericdienft, 
SGiderbeitswadhdienft und Jollwacddienft ift außer den fonftigen für die Aufnahme in den 
Bundesdienft und den für diefe Dienftzweige in befonderen Vorfchriften feltgefegten Dors 
ausfegungen lediger Stand oder finderlofer Witwerftand erforderlich. 

§ 2. (,) Angebdrige der im § 3 genannten BDienftzweige dürfen fi) während des 
Dorbereitungsdienftes und während eines Zeitraumes von vier Jahren nad ibree Anftels 
lung als Beamte nit verebeliden. Ä 

(3) Ehemaligen Heeresangebdrigen, die unmittelbar in einen der genannten Dienfts 
zwweige aufgenommen werden, wird die Dienftzeit als MHeeresangeböriger, foweit fie drei 
Jahre Uberiteigt, in den im Abjag I angeführten Zeitraum von vier Jahren eingerechnet. 

6 3. Das Dienftverbältnis eines Beamten (Beamtenenwärters), der fi dem in 
§ 2 fetgelenten Verbote zuwiderlaufend verebelicht, ift von der Dienftbebdrde aufzuldfen. 

§ 4 Die am wage des JIntrafttretens diefes Bundesgefeges bereits im Dienfte 
ftebenden Beamten und Beamtenanwärter der im $ I genannten Dienftzweige fallen mit 
der Maßgabe unter die Beftimmungen diefes Bundesgefeges, daß der zuftändige Bundess 
minifter Beamten nad Ablauf von zwei Jahren der im $ 2, Abfag 1, feftgefetgten Stift 
ausnahmsweife die Bewilligung zur Derebelidhung erteilen kann. 


100 Volt und Kaffe. 1933, II 





$ 5. Derebelidt fid ein Beamter der im $ I genannten Dienftzweige nach Ablauf 

des im $ 2, Abjag I, feitgefegten Zeitraumes, fo bat er dies binnen 14 Tagen der Dienft- 
bebörde anzuzeigen. 

: $ 6. Mit der Vollziehung diefes Bundesgefetzes ift die Bundesregierung betraut. 

Don der biologifhen Tragweite eines derartigen Gefetzes haben die verantwort: 
lien Stellen fcheinbar keine Ahnung. Das Gefetz bedeutet nicht weniger als ein bes 
Ihränttes Ebeverbot für eine mittlere — ibe fir die cine Befdrantung der Mad 
tommenfadaft — denn das ift die Solge der Derordnung — vom raffenbygienifden Stand- 
puntt auf feine Weife zu begründen ift. Das Heiratsalter diefer Beamtengruppen wird 
danad im Durdjdnitte Baum vor dem 30. Lebensjahre liegen, was an den heutigen Derbält: 
niffen gemeffen, eine durchfcdhnittlicdhe Rinderzabl von 1,8 in einer Ebe erwarten läßt. Durdı 
serene des Dienftverbaltniffes bereits Verbeirateter, werden die Samilienväter u. U. 
brotlos. 


Anftatt der Uberdurdhfdnittliden Dermebrung der Minderwertigen wirkfam Einhalt 
zu gebieten, erläßt man Gejetge, die die obnebin ftarke Gegenauslefe in geradezu ftraflider 
Meife unterftügt. 


Stellungnahme eines führenden katbolifhen Geiftlichen zur Unfruchtbar: 


machung Minderwertiger. Kardinal Saulhaber, Münden, wählte „Die fittlihe Ord» 
nung der Ebe als Wiedergeburt unferes Volkes“ zum Gegenftande feiner Predigt zum 
Papftionntage am 12. Sebruar 1933. Ein 

Bildung- großer Teil feiner Ausführungen, befon= 
Kunst-Forschung ders der über den Geburtenrüdgang und 
feine Gründe, lehnt ſich an die Seftitels 
lungen und Sorderungen der Raffenbygi- 
enifer an. Wie febr aber trogdem auch 
beute nod bobe kirchliche Stellen in wirt: 
lidbteitsfremden und individualiftifden Ge- 
dantengangen eingefabren find, gebt aus 
dem dritten Gebot von Abfdnitt 2 ber- 
vor, das wir bier nach dem Wortlaute des 
Bayriihen Ruriers vom 13. Sebr. 1933 
Vir. 44 wértlid wiedergeben. 


nbdas dritte Gebot der fittliden Ord- 


Verkehrswesen 


Wirtschaftspflege 


muti, bey 


Erziehung normaler 
Fürsorgezöglinge 


SR Ergiohung 
a Minderwertiger 


Geschlossene 
Fürsorge 


nung richtet fid gegen die fogenannte 
eugenifdhe Raffenpflege. 

Es ijt erlaubt, fagt der bl. Vater, Rats 
idlage für eine gefunde Madhtommenfdaft 
zu geben. £s ift aber nidt erlaubt, folden 
Menfden, die nur eine erblidy belaftete 
Nachkommenſchaft baben könnten, ent- 
weder die KEbe allgemein zu verbieten 
oder durch operativen Eingriff die natürs 
lide Rraft zur Vaterfchaft oder Mutter: 
fhaft zu nehmen, um dem Staate erblicdh 
belaftete Rinder und Sürforgelaften zu er: 
fparen. Hier fteben fib ein Recht 
des Staates und die perfönlide 





Sreibeit des Einzelnen gegen: 
i über. In diefem Salle gilt das Recht des 
Die Verteilung der Ausgaben der Provinz «Einzelnen, nicht durd den Staat vers 
Niederjhlefien im Jahre 1929. 42,5% wuts ftümmelt zu werden. Man kann nicht fas 
den für die „wirtichaftlid Toten“ ausgegeben. en, der Staat befinde fich in einer Art 

otwebr gegen kommende Derbredyer und 
unerfchwingliche Sürforgelaften. So lange andere Mittel vorhanden find, eine Lot abs 
zuwebren und fie find vorhanden, fo lange darf der Staat nit zum Mittel der Der: 
ftümmelung greifen. Die fittlide Ordnung verbietet die eugenifche Raffen> 
pflege in diefem Sinne. Die Männer der eugenifchen Wiftenfchaft find ernfte 
Männer und wollen aus einer großen Liebe beraus ihr Volk in vorbeugender Weife vor 


1933, II Rleine Beiträge. 101 





einer Überzahl von —— Geſchoͤpfen bewahren und alle Rinder als „wohl⸗ 
gebotrene“ in die menſchliche Geſellſchaft eintreten laſſen. 

Wer den Standpunkt der Rirche gegenuͤber der Eugenik nicht verſteht, moͤge an die 
ſogenannte Euthanaſie denken, die durch ſchmerzloſe Toͤtung die Volksgemeinſchaft von un⸗ 
belibar tranten und minderwertigen Gefddpfen befreien will. Auch der Minderwertige bat 
ein Recht zu leben bis feine Stunde lommt. Und wem follte das Urteil zufteben, zu ente 
{deiden, wer durch Eutbanafie vorzeitig aus dem Leben verabjdiedet werden foll.“ 


Wir erwidern nur: Gemeinwohl geht vor Einzelwohl! Gemeinnug geht vor Cigennug! 


Bleine Beitrdge. . N 5 


Deutfches Recht und Raffenbygiene. a 


Deutihes Bet. Monatsichrift des Bundes (15S. Deutfder Juriften. Herausgeber: 
RA. Dr. Hans Srant II, M. d. R., München. 

Die Zeitichrift befaßt fich in einer Reibe von Auffägen mit Raffenfragen im Rahmen 
cechtepolitiicher Erörterungen. Bei der Cinftellung, die man in diefen Dingen vom Llatios 
nalfozialismus erwartet, erwedt die Zeitfchrift leider den Eindrud, daß fie in der Haupts 
fadye von Außenfeitern und nur von wenigen Juriften von Sormat getragen wird. Es feblt 
eine einbeitlidhe Richtung und der Aufbau auf einem tatfädhlihen Wiffen um die Dinge der 
Raffenbygiene, Erbgefundbeitsiehre und Bevdllerungspolitit. 

Das Heft ir. 6/7, Juni/Juli 1932 Penn! mit einem Auffag von Dr. rer. 
pol. Gerhard Tifcher, Leipzig Über „Ebereht und Kaffe’. Er thet leider feine Ausfübhs 
rungen einfeitig auf die Werte von £ §. Claus und unterfceidet daber mit diefem die. 
Kaffen nad dem ihnen eigenen Stil des Erlebens. Obne die geiftreihen und anregenden 
GBedanten Elauß’ im geringften angreifen zu wollen, muß dod bezweifelt werden, ob ges 
trade von bier allein aus eine fruchtbare Bafis für eine raffenbewußte Rechtsgeftaltung ges 
geben ift. Der Auffetg von Tifcher ift lediglich eine Wiedergabe Llaußfchen ee 
vom „Eberedht“ ift bezeichnender Weile kaum die Rede. : 

Bedentlich erfcheint im legten Abfatze die Sorderung der Ehefcheidung wegen Wefenss 
iertum nad § 1333 BOGB., , wenn aus dem bloßen Lrlebenaftil der Ehegatten bervorgebt, 
daß fie notwendig an einander vorbeileben müffen“. £s zeigt, daß alle Rechtsficherbeit 
verlorengebt, wenn man in diefer Weile den Raffengedanten allein im Llaußfchen Sinn 
in das Recht einbaut. 

Demgegenüber ftebt der Auffatz von Dr. Serd. Mößmer, München, über „Dorichläge 
zur Umgeftaltung der gejeglichen Unterbaltspflicht“ auf febr realer Grundlage und bringt 
brauchbare und anertennenswerte Vorfchläge. Grundlegend für die Fleugeftaltung der 
Unterbaltspflicht foll der Begriff der altgermanifchen Sippe fein, weshalb die Pflicht, 
für einen zu feinem eigenen Unterhalt unfäbigen Dollsgenofjen zu forgen, weitgebender als 
bisher die Biutspverwandtfchaft treffen foll. lack einigen Gedanten uber das Unterbaltss 
recht der Ebegatten, werden Vorfchläge zur Gleidhberecdhtigung des unehelichen Kindes ges 
madt. Beactenswert ift insbef. der Dorfchlag, die Harte der exceptio plurii dadurdh 3u 
befeitigen, daß mebrere als Dater in Srage kommende Männer als Gejamtfduldner für 
den Unterbalt des Rindes zu jorgen baben. 

Auch der Auffag von Dr. Ebbardt, Stettin, fett mit feiner Britil an einem wunden 
Puntt unferes Samilienrechtes ein: dem Verkehrsrecht des gefchiedenen Ehegatten mit feinem 
Rinde, wenn ibm die Sorge für die Perfon des Rindes nicht zZuftebt. 

Das Heft Wr. 8/9, Auguft/Geptember 1932 enthält in der Aauptface 
einen Auffatz von Rupert Schumacher, Wien, über „Das Recht der Perfönlichkeit.” Im 
Eingang wird eine kurze Überficht über die Aufgaben eines „Raffenredhts” gegeben und 
„als Ziel und Zwed einer dem nordifchen Bedanten entfpringenden Raffenpolitit Sörderung 
der Aufnordung und Hemmung der Entartung“ bezeichnet. Der Hauptteil enthält jodann 
in Gefegesform einen umfaffenden Dorfdlag 3u einem Recht der Perfönlichkeit, der an 
die auf diefem Gebiet bereits aus nat.sfoz. Kreifen vorliegenden Dorfdlage antnupfen will. 

Während in der Theorie der heutigen Rechtswiffenfchaft ein Streit um die Criftens 
von Perfönlichkeitsrechten, ihre WOefen und ihren Begriff ausgetragen wird, wird bier der 
fhöpferifche Verfuch einer Zufammenfaffung und Lieugeftaltung diefer ganzen Rechts» 
materie gemadht. Das ift das anertennenswerte und wertvolle an der vorliegenden ausführs 


102 Dolt und Raffe. 1933, II 





liden Arbeit. Daß an Stelle der „Sadye“ wieder die „Perjönlichkeit“ in den Atittelpuntt 
unferes Rechtslebens rüden muß, wird vom Verfaffer richtig bervorgeboben. Mande 
wertvollen Dorfchläge bat er in feinen Entwurf übernommen, 3. B. die Erridtung von 
Samilienämtern, bei denen alle Zuftändigkeiten auf dem Bebiet des Perfonenregifterwefens, 
des Eberechts, der Dormundfdaft und Perfonenaufficht, des Staateangebdrigtcits wefens, 
der Adelsverleibung ufw. zufammenlaufen; fodann die Beftimmungen über die Derleibun 
eines mit der Scholle verbundenen und auf dem Raffengedanten Fußenden Erbadels ah 
den Gedanten Darrés. 

£eider muß aber gerade die Art und Weife, wie der Derfaffer die Raffenfrage in Ans 


get nimmt, f&bärffte Britit herausfordern, denn einzelne Stellen der Schrift zeigen von 


dffsperwirtung, geringer Sadlenntnis und mangelndem Verftändnis für dte Mdgs 
lipkerten :eiuen raffifchen Aechtsgeftaltung. Die „Aufnordung“ unferes Volles kann nur 
die Aufgabg non Benerationen fein, die auf dem Weg bewußter Siedlungspolitit erreicht 


„nr. pi, pher nithe Durch ein Befe, das von heute auf morgen den nidtnordifden Teil uns 
127722 jenes Volteb geradezu als minderwertig bezeichnet und bebandelt. Auf die Einzelheiten 


einzugeben, führt bier zu weit. 

Mervorgeboben muß nur nody das eine werden, daß eine unnötige Verwirrung ent: 
fteben kann durdy völlig falihe Anwendung von allgemein üblidyen Begriffen. So vers 
wendet der Derfaffer insbef. dauernd den Ausdrud „arifh” als gleichbedeutend mit „nors 
difh“ („Die Merkmale der Zugehörigkeit zur arifchen Kaffe find blonde Haarfarbe, belle 
Augenfarbe, Kangiäligteit!*) 

Banz befonders bedentlih feheint noch der ee. einer legalifierten „Lebenss 
gefäbrtenfchaft“ neben der Ebegemeinfdyaft. Die dafür gegebene Begründung vermag die 
großen Bedenken dagegen nicht zu bejeitigen. 

Go ift leider der Auffag und Gefegesvorfdlag, den man an fic mit Sreude begrüßen 
müßte, mit recht gemifdten Gefiblen aufzunebmen. Der Derfaffer bemübt fi auf raffis 
fdhen Gedanken aufzubauen, verfagt dabei aber weitgebend. Jedenfalls follte der Auffat 
— wie der Derfaffer felbft winfdt — anregen zu weiterer Arbeit auf diefem Gebiet. Er 
m gerade in nat.sfo3. Reeifen VDeranlafjung fein zu Britifcher Beurteilung und Lms 
arbeitung. 

Seft go/y11, Dltober/Llovember 1932. In einem kurzen Auffat verfudht 
Dr. rer. pol. Gerhard Tifcders£eipsig die Rernpuntte des fddpferifden Geiftes nationals 
fozialiftifher Recdhtsgeftaltung zufammenzufaffen. Er fiebt die Lot unferes Dolles und 
unferer Zeit in dem „Mißverbältnis zwifchen der Überfülle unferer fhöpferifchen Faͤhig⸗ 
keiten und der Einge der Rechtsformen, die berufen wären, diefen Säbigleiten Richtung zu 
geben“. Vielleicht fiebt Tifher damit nur ein Teilproblem und nod nicht die größte Not 
und Gefahr unjeres Volkes, die auch eine Redytsnot ift und in der Loslöfung des Rechtes 
lebens aus den Lebensgefetzlichkeiten unferer Dollsgemeinfdaft beftebt. Das, was Tifcher 
im Auge bat, ift dann wohl ein Teil davon. 


Werbeihriften des Bundes Nationalfozialiftiiher Deuticher Juriften. Heft Wir. 3: § ae 
milie und Steuer von Pollswirt Dr. Heuber. 

Es ift dies das erfte Heft, mit dem der BAISDI. im Herbft 1933 die Reibe feiner 
Schriften dber rehtlide und vollswirt{dhaftlide Sragen und Aufgaben des deutichen Volles 
eröffnete. Es ift bedauerlid, daß diefes Heft nicht dem entfpricht, was man fid aus nat.s 
fo3. Seder erwartet. Es läßt jedes, gerade in diefen Sragen unumgänglid notwendige 
biologifhe Denken vermiffen; von einer Steuerpolitit im Sinn einer bewußt raffifchen 
Auslefepolitit ift darin kaum die Rede. Ber Derfaffer lebt ganz in liberaliftifchskapitaliftis 
fen Gedantengangen. Er fiebt den Menfden als Cinzelindividuum, dem durdy eine beffere 
fteuerredtlide Gefeggebung gebolfen werden foll, nidt als Trager von Erbwerten, für 
rt —— — rot fie wertvoll find — es die wirtidaftliden Dorausfegungen zu 

affen gilt. 

Die an und fir fid nur 34 Tertfeiten umfaffende Schrift enthält auf den erften Seiten 
ledighidh durch Zablen belegte Angaben über den öffentlichen Sinanzbedarf in VDors und 
Klachlriegsjabren, tiber die Höhe der Steuerlaft u. a. Im weiteren Verlauf wird zwar die 
Wirkung der Steuerlaft auf die Kamilie bebandelt; das Rechnen mit Durdfchnittsziffern 
durch fänıtlihe EZintommensftufen ift aber ein Sebler, der zu Irrtümern und Trugfchlüffen 
führt. — Sür den Derfaffer ftebt trog mancher gegenteiliger Beteuerung ftatt der Samilie 
doc immer wieder der Staatehaushalt und der Sistus im tiittelpuntt feines Dentene. 
Er glaubt einen ausreidenden Laftenausgleich durch eine tNinderung der indirekten zus 
guns der direlten Steuern zu erreichen. Daß dies allein einen Anreiz zur Erböbung der 


1933, II Bleine Beiträge. 103 





Rinderzabl, insbef. in den böberen Eintommensftufen nicht zu bieten vermag, dürfte eins 
leuchtend fein. — Indem er die Samilienzulagen in der Beamtenbefoldung nur folange 
billigt, als die Beiferung der mittleren und unteren Gruppen durch die Llotlage des Staates 
nicht möglich ift, fehreibt er den typifhen Sag: „An fidh ift es aber eine Lingerechtigteit, 
bei gleider en Schulung und £eiftung, den einen Beamten nur deshalb in feinen 
Bezugen beffer zu ftellen, weil er Rinder bat.” Durd folde Sormulierung entftebt ein 
falfher Eindrud, denn gerade in einem nat.sfoz. Staat follte doc der Gefidtspuntt der 
Zeugung eines lebenstüdhtigen, raffiihd wertvollen Kahhwuchfes neben dem der genoffenen 
Dorbildung und der geleifteten Sacharbeit im Beruf eine Berüdfichtigung erfahren. — 
„Unverbeiratete und kinderlofe Dolksgenoffen find nicht deshalb höher zu belaften, weil fie 
unverbeiratet und kinderlos find. Das mag auch weiterhin Privatangelegenbeit des eins 
zelnen bleiben. Verzichtet er freiwillig auf das fchönfte Recht feines Menfchentums, fo ber 
raubt er fic felbft unerfeglicher ideeller WDerte....“ Die Vertretung folder Anfichten 
würde man in einer nat.sfoz. Werbefchrift lieber nicht finden. 

Was in dem Heft volllommen fehlt, ift eine Auseinanderfegung mit den feit Jahren 
emadten Vorfchlägen bekannter Raffenbygieniter auf dem Gebiete der Steuerreform, inss 
ef. mit dem fic ganz auf dem Boden eines nationalen Sozialismus des Blutes bewegenden 

Vorfhlag von Prof. Lenz. Diefen und andere wertvolle Vorfchläge zugrunde zu legen 
und darauf fußend Vorarbeit für eine Steuergefeggebung im as taat zu leiften, 
wäre die eigentliche Aufgabe des VDerfalfers gewejen, der dem Problem „Samilie und 
Steuer” in keiner Weife gerecht wurde. 

Heft Vir. 2, Eberedt von RA. Dr. Serdinand Mößmer, Münden. Diefes 
Heft, das von einem belannten Juriften und Dorlämpfer des Eberedhts in der LISDAD. 
gefchrieben ift, zeigt, daß in Wabrbeit im Liationaljozialismus Kräfte am Werte find, 
die ihre Arbeit auf aa pen Denten aufzubauen verfteben. Die kurze Schrift kann 
3wer nur als Überblid über die nat.sjoz. Grundgedanken auf dem Gebiete des Lberedts 
und „als Anregung zu eigener Tätigkeit, zur Kritik und zu praktifher Mitarbeit” gewertet 
werden. Was an the aber erfreulich ift, ift die Tatfache, daß fie getragen ift von biologifcher 
Linfidt. — Der Derfaffer gebt aus von den raffifhen und erbgefdidtliden Vorauss 
fegungen für die Ehefchliegung und ftellt Grundfage für die Rechtsgeftaltung auf, ohne 
fih jedoch auf Einzelheiten einzulaffen. Dies muß Aufgabe umfafjenderer Sonderarbeiten 
fein, die der Jurift nur in Zufammenarbeit mit dem erbbiologifch gefhulten Mediziner zu 
Iöfen vermag. — Der VDorfdlag, die Wicdtigteit der Ehe dann für gegeben zu erachten, 
wenn Sffentlide Intereffen, bloße Anfechtbarteit, wenn lediglich ein privates Intereffe 
vorliegt, ift beachtlich. — Der zweite Teil des Heftes befagt fic mit einer Reform des Eher 
fheidungsredhtes. Der marriftifhsjtdifhe Dorfdlag einer fog. ,cinverftdndliden“ hes 
fdeidung liegt dem Mationalfozialismus fern; er bat im Gegenteil ,an einer weitgebenden 
Derbinderung der Ebefcheidung ein erbheblides Intereffe’. 

Man könnte nur wünfchen, daß der Bund nat.sfoz. Deutfcher Juriften in dem Sinne 
diefer Abhandlung weitere Unterlagen und Vorarbeit für die Rechtageftaltung im nat.s 
fo3. Staat leiftete! 


Dr. Belmut Nicolai: Die raffengeleglide Redtslehre. Grundzüge einer nationals 
fosialiftifen Rechtspbilofopbie. Llat.sfoz. Bibliothe® Heft 39. 

Diefes vom ebem. Leiter der innenpolitifchen Abteilung der Reichsleitung der NS.⸗ 
DAP. verfaßte Heft ift eine ausgezeichnete Abhandlung, die die weltsnfchaulichen Grunds 
lagen nationalfozialiftifher Rechtslehre aufzeigt. Man erkennt, daß es der ISDAP. als 
Bewegung und „Rämpferin für die Durdjjegung der völtifchen Veltanfchauung” nicht um 
die Anderung einzelner Gefege und Rechtsmaterien zu tun ift, fondern daß das gefamte 
Recht, „das geltende Rechtsfyftem und die berrfchende Rechtsauffaffung“ einer Umwälzung 
im Sinne einer neuen, einer taffengefetzlihen Rechtslehre barrt. In dem Elar und gemeins 
verftändlich gefchriebenen Heft wird das deutfche Recht dem beute gebräuchlichen, auf 
römifchsorientalifhen Redhtseinridtungen fugenden Recht gegenübergeftellt. Es wird die 
Unridtigteit der berrfchenden und die Nichtigkeit der deutte redbtli en Rechtslehre nadys 
gewiefen und dabei mit eingebürgerten, blutleeren Redtevorurteilen aufgeräumt. Cine 
taffengefeglide Rechtstbeorie für Staates, Strafs, Döllers und Bewohnbeitsredht ftellt 
das pofitive Ergebnis der Auseinanderfegungen dar. Am Schluß werden die „praltifchen 
Sol erungen“ kurz zufammengefaßt, die ausklingen in den Worten: „...So wird das 
Rect wieder [eben im Dolte und das Volk leben im Nechte.... Unfer Kampf aber aft 
ein Rampf für das deutfche Recht. In ihm fei uns Zeitftern das Wort des Preußenlönige: 
‚Menn die Gerechtigkeit untergebt, bat es keinen Zwed, das Menfden leben‘ .“ 


104 Doll und Raffe. 1933, II 








An diefem mit tiefem Wiffen und grofer Gadtunde gefdhriebenen Heft follte tein 
Jurift völkifcher Weltanfhauung voribergeben. Uber aud dem Laien ift fein Studium 
wärmftens zu empfeblen. %. TH. v. A. 


Buchbeſprechungen. 


R. Bie: Das katkoliihe Europa. R. Voigtlaͤnders Verlag, Leipzig 1931. 340 S. 
Preis Bart. ME. 2. bo, in Ganzleinen Mk. 9.50. 


Gemeint iſt der roͤmiſch⸗katholiſche Teil Europas, nicht etwa ein rekatholiſiertes, unter 
roͤmiſches Szepter gebeugtes Ganzeuropa. Der Verf., als Ratholik getauft und erzogen, 
gibt einen außerordentlich intereffanten Überblid über die Grundlagen und das Werden der 
römifchen Rirche, von Jefus bis zur Fleuzeit. Er betont, daß vor allem der germanifcdhe 
Menih es war, der dur zwei Jahrtaufende gerungen bat um Gott und Religion, um 
Chriftus und das Heil der Seele. Er weift darauf bin, daß der römische Bürger jüdifcher 
Abftammung Paulus durdy feinen Sündenbegriff und durdy feine demotratifde Lehre, das 
Ehriftus für alle Menfcdhen gleidherweife die ewige Seligteit errungen babe, fofern fie nur 
ihre fündige Uiatur ertennten und durd Reue und Buße der Gnade teilbaftig werden 
wollten, einen Reim gelegt babe zu dem fhweren Zwielpalt, der unfere Kultur und bes 
fonders Deutfchland feitdem zerriffen babe. Ganz im Gegenfage dazu babe Chriftus, der 
beroifche, adelig fublende, in feiner Gnadenwabl den AHerdenmenfaen, den feelif und 
geiftig ftumpfen Haufen, aber auch die rein „Intellektuellen“, aus feinem Himmelreih und 
aus der Gemeinfdhaft mit Gott ausgefdloffen. — Bie fpridt von dem „ungebeuren Mißs 
verftändnis, Jefus Ehriftus fei für die Sünden der Welt geftorben und auferftanden“ und 
von dem Irrtum „vom Opfertod des Heilands”, von der „jüdifchen Werkgeredhtigkeit” 
und lagt, der „alte verbobrte und radfidtige Gundenbegriff” fei bei Paulus ein „untilgs 
barer Reftbeftand feines Blutes“. Der Verf. betrachtet aud die Dogmen und Auffaffungen 
der römischen Rirche nicht ohne Kritik, tadelt die Derweltlidung der Kirche, betont die 
„Schwäche und Befhrantung der Kirche: die bloße Vergebung der Sünden gebt an dem 
eigentlichen Weltverbängnis vorbei. Es ift keineswegs alles in Ordnung, wenn die Rirdye 
durch ihre Satramente die Wenfchen bindet und Iöft. Denn es bleibt — auch vom Stands 
puntte des Ratholiten — das Geheimnis jedes Hienfchen, jener von außen völlig unzugäng» 
liche Bezirk feiner Seele, wie weit er vor Bott und fich felber beftebt. Weiß die Rirde 
überhaupt ,ob ihre Bindes und Löfegewalt auh vor Bott gilt?“ — Mertwürdiger 
Weife bezeichnet Bie die „adeligen Geftalten der Gotesftreiter” als ,Meifter ses romanifaen 
Stiles“, die Chriften aber, die in Selbfterniedrigung, Elftafe und Abtdtung des ,,fisndigen 
Steifches“ der Seligkeit teilbaftig zu werden offen, als Geftalten des ,gotifden Stiles”; 
mic fdeint bier ein vdlliges Hligveriteben des feelifchen GBebaltes beider Aunftitile vors 
zuliegen! — Bie glaubt, daß mit dem Schlußftein der Dogmentlirdye, nämlich der Unfehlbar⸗ 
keitserllärung, „Rom formal vollendet, geiftig abgeichloffen, dogmatifh erftarrt und ers 
Baltet“ fei; es werde „durch den neuen jungen Wuds der Llation abgelöft“ werden, wie 
ja das medyaniftifche Zeitalter abgelöft werden müffe von einem Zeitalter deutfcher Myftik, 
deutfcher Seele. Der politifche Ratbolizismus babe „viel von dem deutfden Vertrauen 
verfcherzt“. Verf. weift auf zahlreiche gefährliche Worte bin, die politifehen römifchs 
Batbolifhden Schriftftelleen zur Laft fallen, wie Außerungen von Moenius (einem Geifts 
lien!) „Der Ratholizismus bricht jedem Ylationalisums das Rüdgrat”“ oder „Das Dents 
mal der Teutoburg ift das Wahrzeichen unferer Derneinung der Rultur“ ufw. Verf. glaubt 
derartige Außerungen, obgleich fie in zablreihen Schriften und Reden nadhzuweifen find, 
als recht harmlos abtun zu können, meint: „Diefer literarifche Ultramontanismus im Bunde 
mit der Romanitas und im Bunde mit der Action frangaise darf nicht allzu ernft ges 
nommen werden“ und das „Papfttum babe aud den Mut zum Eingriff in das politifche 
Schidjal der Erde verloren“, fei „zum Schatten des Mittelalters geworden“ und jebe „mit 
nn Geduld und wehmütiger Obnmadt zu, welden Untergang fih das criftlide 

bendland fchwört“. Ich glaube, bier ift Derf. gründlih im Irrtum: man braudt nur 
die Politik des Zentrums unter die Lupe zu nehmen, die Tätigkeit der „Batholifchen Aktion“ 
und das fpftematifche Vortreiben römifcher Intereffen in proteftantifche Länder zu vers 
folgen, um die politifchen Gefahren zu ertennen, die von Bie überfeben werden. 

Daf Shlugergebnis des Buches ift, daß Bie — in Solge feiner optimiftifchen 
Zinftellung — die Stage feiner Einleitung: „Wird es einen nationalen Ratbolis> 


1933, II Buchbefprechungen. 105 
nn ——— 


zismus geben, der im Stande ift, (das verlorene Dertrauen) wieders 
sugewinnen?”, eine Stage, von der er felbft fagt, daß von diefer „entfcheidenden 
Stage nit nur der innere Sriede Deutfidlands, fondern der Beftand des latholifden 
Europas überhaupt” abbänge, daß Bie diefe bejaben zu müffen glaubt. Zur Begründung 
diefer Hoffnung weit er auf zahlreiche in der deutfchen Gefdhidte wirtfam gewordene 
Deutide bin, die zugleich gute Ratboliten und obne jeden Zweifel gute Deutfche geworfen 
feien. Er beruft fich weiter auf Außerungen von Männern, wie Moeller van den Brud, 
Ludwig Klages. Uber wenn aud nod fo viele Einzelne durch die Stimme ihres Blutes 
ftärter in ihrem Süblen und Aandeln beeinflußt werden, als durch tonfeffionelle Bindungen, 
fo lange nicht der politifche, erobern wollende Ultramontanismus ausgefpielt bat, wird es 
3u der feeliihen von Bie erbofften GBanzbeit des deutfchen Dolkes nicht Commen. 

Die meint, man müffe fi mit Geduld und Hoffnung wappnen; und er bofft, in 
engem Unjdlug an die Ectenntniffe Luthers, auf eine Lduterung des Chriftentumes zu 
feinem urfprüngliden Sinn und zitiert Luther: ,Denn das Reih Gottes wird nicht 
bereitet, fondern ift bereitet, die Rinder des Reiches aber werden bereitet, bereiten nicht das 
Reich, das beißt, das Reich verdient die Söhne, nicht verdienen die Söhne das Reid.” 
Damit fei der Rirche der legte Grund genommen, „die Seelen zu bereiten, die Sünden durch 
Gnaden und Derdienfte abzulöfen, dur Opfer und Werke, durch Buße und Saften, durch 
Revue und Gebet”; jede ,Lobnfudt und jeder Ne acer tee jede Werlgerechtigteit und 
jedes Saltrament“ würden dann Gberwunden. Derf. fchließt fidh alfo an die Auffatfum von 
der eee ay an: ,Ltiemand tann 3u mic tommen, es fei ibm denn von meinem Dater 

egeben.“ 
. Ulur geftreift hat Bie eine wichtige Tatfadhe: daß im vslkifchen Gedankengut, in 
der vdltifden Sebnfudt cin Außerft aktives religidfes Moment enthalten ift: das Wits 
einbesieben des Bedirfniffes zum Dienft am eigenen Volle, 3um Dienft am Erbgut in die 
Religion bat einen Weg aufgetan, der auch den Hoffnungen des Perf. Se” 
. Rede. 


£udwig Serdinaud Tlaub: Die nordifhe Seele. München 3932, I. S. Lehmanns Ders 
lag. 2. umgearbeitete Auflage. Mit 16 Runftdrudtaf. Geh. ME. 3.50, in Leinen ME. 4.80. 

Die Erfaffung der feelifchen Struktur der verfchiedenen Raffen gebört zu dem 
Schwerften und andererfeits Wichtigften der ganzen Raffentunde. Claug ift bier bekanntlich 
ein bedeutender Wegbereiter geworden. In dem — Buche ſucht er außer grund⸗ 
ſaͤtzlichen Klarſtellungen uͤber die Verſchiedenheiten im Ausdrucke und Stil der Raſſenſeele 
die ſeeliſchen Weſenszuͤge der nordiſchen Raſſe herauszuarbeiten. Dieſe iſt vor allem ge⸗ 
kennzeichnet durch „Abſtand“ und „Ausgriff“. Unter „Abſtand“ verſteht Clauß die ſtete 
Zuructhaltung, die der nordiſche Menſch egenuͤber Anderen zeigt und die er nie ablegt. Sie 
aͤußert ſich in ſtarkem Einſamkeitsbeduͤrfniſſe, langſamem Ausſichherausgehen, ſcheinbarer 
Ralte im Verkehr von Menſch zu Menſch. Mit „Ausgriff“ meint der Verfaſſer die Faͤhig⸗ 
keit, die Welt zum Gegenſtande ſachlicher Betrachtungen zu machen. Kriegeriſche und fried⸗ 
liche Entdeckungen, politiſche und geiſtige Erdumfaſſung ſind die Auswitkungen dieſes 
Weſens. Um dieſen Typus klarer herauszuarbeiten, zeigt Clauß zum Gegenſatze an Hand 
einer Reihe von Beiſpielen die Weſenszuüge der oſtiſchen und mittellaͤndiſchen Raſſe. Wenn 
man von der Naturwiſſenſchaft herlommt, wird man zwar einen methodiſch etwas anders 
aufbereiteten Stoff erwarten, als er hier geboten wird, trotzdem glaube ich aber, daß 
Elauß in den meiften Sällen richtig gefeben und befonders das Wefen der nordifchen Kaffe 
gut erfaßt bat. Jedenfalls gibt er wieder eine Sülle von Anregungen, die neben zahlreichen 
ausgezeichneten Bildern das Buch fehr anziebend madyen. 

Bruno RK. ShHulg, Minden. 


3. 6. Grazer: Menfh, Gott und Unfterblihkeit. Gedanten uber den menfdliden 
Sortidritt. Autorifierte Nberfegung aus dem Englifden von Dr. H. Scant und Dr. A. Thals 
beimer, Anmertungen von Dr. 9. Sant. Mit e. Bildnis d. Derfaffers. Verlag €. £. Hirfdhs 
feld, Leipzig 1931. XVI u. 364 S. Preis Bart. Mi. 6.80, Leinenband MI. 8.50. 

Der Verlag, der vor einigen Jahren fon eine verkürzte deutiche Überfegung des 
Sraser{hen Monumentalwertes „The golden bough“ berausgebradt bat (Beiprehung 
in „Volt u. Raffe* 3. III, 1928, S. 187), bat fic aud mit der Oberfegung diefes Werkes 
ein Derdienft erworben. Der weit über feine Heimat betannte Gelebrte gibt bier gewiffers 
maßen die Quinteffenz feiner bee finfsigidbrigen vdllertundliden Sorfderarbeit, das 
Wictigfte aus feinen wiffenfchaftliden Werten. Abfichtlich wird die ungebeure Sülle des 
in langer Arbeit gefammelten Tatfachenmateriales bier Ubergangen und der Lefer, der die 


Dolf und Raffe. 1983. April. $ 


106 Volt und Raffe. 1933, II 








Grundlagen kennen lernen will, auf die Originalabbandlungen verwiefen; und fo enthalt 
das vorliegende Wert nur die Schlußfolgerungen und Theorien, die der Derf. für die 
wichtigften balt und denen er ein Belanntwerden in möglichft weiten Rreifen außerhalb 
der Sahwelt wünjdt. In eindringliden Worten weift 5. zunädhft darauf bin, wie fid 
die Dölkertunde, das Studium der früber fo mißacdhteten „Wilden“ und ihrer Gedantenwelt 
zu einer überaus intereffanten Wiffenfdaft entwidelt bat, die allein uns Auffchluß geben 
kann über die Entftebung der menfdliden Aulturen. Im erften Gaupttapitel werden die 
Arbeitsmethoden und die widhtigften bisher geficherten Grundlagen der Völkerkunde ges 
fbildert. Der zweite große Abjchnitt bebandelt die ungeheure anni faltigteit fozialer 
Organifationen bei Völkern aller WDeltteile, wobei befonders auf den Tetmiamus und 
feine vielgeftaltigen, oft Höhft mertwürdigen Auswirkungen eingegangen wird. Der dritte 
und vierte Teil endlich beichäftigt fidh mit dem Derbhdltnis des primitiveren Menfden zum 
Übernatürlichen, zu Bott und Göttern und Linfterblichleit; auch bier wird dem Lejer eine 
ungebeure Sülle intereffanter Tatfacdhen, Deutungen und Schlußfolgerungen geboten. Alles 
ift bier zu finden: Urfprung des Gottesbegriffes, alle Arten der Zauberei und ihre Ders 
bindung mit der Wilfenfhaft, Weltiddpfun emytben, beilige dramatifche Darftellungen 
und religidfe Tänze, Religion und Mufit, Cinfluffe orientalifder Religionen auf euros 
pdifdes Chriftentum, Sortbefteben „beidnifcher“ Gebrduce und VDorftellungen, Ifiss und 
Madonnentult, die Kraft des Tabu, Primitive Theorien vom Tode und von der Seele, Ders 
ebrung und Dergdttlidung des Toten, Sterblichkeit der Götter, Opferung eines Gottes 
zum Sei der Welt; kurz alles Widhtige, was fic tiber die Dorftellungswelt des primis 
tiveren Menfden, über fein Derbältnis zum Ratfelbaftubernaturlicden fagen läßt. Wandes 
in den Theorien Srazers ift heute in gewiffem Sinne überbolt — fo feine Ablehnung der 
Anfcyauung, daß es felundär primitiv gewordene Völker gibt. Aber abgefeben von foldyen 
Einzelheiten: bier gibt ein erfahrener Gelehrter, der die Kulturen und Völker der Erde 
und ihr Werden durd die Jahrtaufende überblidt wie Wenige fonft, und der audy fdhon 
den innigen Zufammenbang von Raffenfeele und Rulturart erkannt bat, in feifelnder 
Sprade ein Gemälde von impofanter Größe; das Werk wird fid einen grofen Lefertreis 
fihern und der idealen Wiffenfchaft der Völkerkunde zahllofe neue verftändnispolle Sreunde 
gewinnen. ©. Rede. 


Herbert GSNner: Dolks: und Raffenkunde der Bevölkerung von Sriedersdorf (Areis 
Lauban, Schlefien). Deutfche Raffentunde, Bd. 9. Jena 1932, Guftav Sifder Verlag. 
$3 G., 18 Abb., 17 Tafeln. Preis geb. ME. 9.—, geb. ME. 10.50. 

Derf. fucht, von den verfchiedenften Seiten ber, fo von der Giedlungsgefdidte, 
Tlamensforfdung, Bevdllerungsftatiftit und Raffentunde ber, ein möglidhft umfaffendes 
Bild der von ibm unterfudhten Bevdllerung oes fdlefifdhen Ortes Sriedersdorf (Reeis 
Kauban) 3u geben. Sriedersdorf wurde von deutfchen Roloniften, die vermutlih aus 
Thüringen und Sranten kamen, Ende des 12. Jabrh. gegrimdet. Die Einwohner waren 
urfprünglid Bauern, zu denen fid allmablid) Sausler, Gartner und felbitändige Hands 
werter, vor allem Weber, gefellten. Heute haben wir nok eine dbnlide Schidtung der 
Stände, nur find die Hausweber nun meift Arbeiter in sen Mafdinenwebereien. Die 
familientundlide Unterfucdung seigte, a8 in den meiften Sallen innerhalb des Dorfes 
gebeirater wird und fo ein erbeblider Grad von Blutsverwandtidaft swifden den eins 
zelnen Bewobnern beftebt. BDiefe Inzucht führte zur Herausziehtung gewiffer Samiliens 
typen. Degenerative Erfcdeinungen wurden nidt feftge(telle. 

Die Bevdlterung ift ibren körperlichen Cigenfdaften nad fdlan’ und mittelhoch⸗ 
widfig — der Anteil Rleinwüchfiger (Männer unter 164 cm, Srauen unter 153 cm) 
beträgt aber bei beiden Beidhledhtern etwas mehr als 1/5 (1) —, febr turztdpfig, befonders 
im weiblichen Befdhledte, rundem „Hinterbaupte, ausgefprodhen breitgefichtig, mittelbreits 
bis breitnafig, mit meift geradem Ylafenrüden. Braunes Haar und belle Augen berriden 
bei beiden Guidledtern vor. Hdufigeres Dorfommen von dunkler Augenfarbe bei den 
Scauen wurde im Gegenfage 3u einer Reibe anderer Bevdllerungsunterfudungen in Standis 
napien, Klords und Suddeutihland nidt feftgeftellt. Leider verwandte Derf. zur Bes 
ftimmung der Augenfarbe keine Augenfarbentafel, fo daß bier wabhrfceinlidh ein Beobs 
adtungsfebler vorliegen dürfte. Unter den bisher in Deutfchland unterfucdhten Gruppen 
tommen die Sranten in der Reuperbucht den Sriedersdorfern in den Mittelwerten der Maße 
am nddften. Es bandelt fi offenbar um ein ähnliches Raffengemifh wie dort. Verf. 
möchte es als vorwiegend alpin (oftifh) mit deutliden nordifchen und vermutlidem 
dinarifhem Einfdhlage bezeichnen. Auf ie ndbere Unterfucdung der einzelnen Weidteils 
mertmale gebt Derf. fo gut wie gar nicht ein. Flady den beigegebenen Typenbildern, die 


1933, II Buchbefprechungen. 107 








leider technifch nicht befriedigen (fie find zu Bein, oft unfcharf, felten in: gleicher Kiorm), 
läßt fich befonders bei den nnern ein deutlicher dinarifher Einfhlag an Ropf, Gefidtss 
und Llafenform feftftellen. 

Die Angabe von Indices in mm (3.8. S. 6), 62, 63, 65), fowie die Bezeichnung 
AHeinrid I. als Befieger der „Hunnen“ find Unadtfamteiten, die in einer wiffenfchaftlichen 
Derdffentlidung nidt vorfommen dürften. Bruno R. Schulg, Münden. 


ermann Güntert: Deuticher Geift. (Acft 4 der „Baufteine 3. Volkstunde u. Religiones 
wiffenfdaft; berausgegeb. von Eugen Sebrle.) 

Ein Aufruf ,dsucid sue Matur’ in geiftigem und völkifchem Sinne, in drei Dors 
tragen, die tulturs und fpradgefdhidtlid 3um Teil Kleues und Selbftändiges bringen und 
zugleid als Dorfpiel zu einer größeren Arbeit des VDerfaffers „Der Urfprung der Gers 
manen” gedadt find. 

3. Dortrag: „Die Rache der Klatur.” Die fchöpferifche Arbeit des Sorfchers und Ers 
finders bat zur fortfchreitenden Tehnifierung von Arbeit, Arbeiter, Lebensführung, zum 
Benten in ,tonfervativen Rulturwerten“, in „ismen“ und Schlagworten („entleerten 
Wortbülfen“) geführt. Sernab ift die Klatur gedrängt. Aber fie beberrfcht uns: fie rächt 
fidh, da wir fie nicht anertennen. Doch wenn wir fie achten und fuchen, wird fie uns belfen, 
den erkrankten Doltstörper zu retten. Ibm fchaden die internationalen und „allgemeins 

ültigen” Schablonen. Das erftarrte abgeftumpfte Denten und Süblen muß wieder in den 
Deimatlien Boden eigenen Vollstums verfegt werden — lebendiger deutfcher Beift ift not. 


2. Vortrag: „Das Wefen des deutfchen Beiftes als Solge feiner Erbanlage”“ entwidelt 
die Entftebung des Volles der Germanen; Perf. nimmt zwei Romponenten an: JZunddft 
fei die anfäffige Jägers und Sifcherbepälterung (u. a. Rödenmöddinger) in den weftliden 
Oftfeeländern durch die „Hünengräberleute“ unterworfen worden, die von Süds 
fhweden getommen („Beine Stuben“gräber) und ibrecfeits ein Ableger des weiteuropäifchen 
BRulturkreifes (Südfrantreih, „Menbir“sDentmäler) gewefen feien. Urfprünglich kuͤhne Er⸗ 
oberer, verwudfen fie eng mit ihrer Scholle. Diefer „Bauernadel“, fdwer, 34b, arbeitfam, 
mit muttertümlidem Rult und erdgebundenem, diesfeitig bezogenem Denten fei in der 
jüngeren Steinzeit von einem nordindogermanifchen Stamm („Streitart“gräber) 
unterworfen worden, tampfluftigen, in die Weite ftrebenden „Diebzüchtern“, mit Gefühl 
für das Unendliche, für eine lichte Jimmelswelt, Derebrer eines gewaltigen Rampfgottes. 
Die beiden Adelsididten Hatten fid in gedeiblidem Mebeneinanderleben und in inniger 
Verſchmelzung zu einem feßbaften Wolf mit der Sprache der Aerrenfchicht ergänzt. Die 
Gegenfage batten fic nidt ganz ausgleichen laffen, und dies erkläre den eigenartigen Volles 
&aralter der Germanen, die außerordentlide innere Spannung, den Kebensdrang als 
„dauerndes Spiel entgegengefetter Rräfte“. Der alte Rämpfergeift äußerte fich in langs 
famem ftetigem Rolonifieren, und glüdlicherweife fei das Vordringen nah Süden ducdy 
den „Reltengürtel”, das blutsverwandte Volt, gebemmt gewefen, das an der fudländifchen 
Rultur faft reftlos verpufft fei. So fei die Annäherung der Germanen an den Süden nur 
langfam geiheben, doch die Fleigung, im Sremden das Beahnte erfüllt zu feben, blieb als 
unbegreifliche, martoverderbende Sehnfucht nad dem Süden im Blute des Germanen. — 

Diefe Theorie des Verf. ftebt nody durchaus unter dem Einfluß der beute nicht mebr 
anertannten Annahme einer Einwanderung der „Indogermanen“ aus Alien; ırgendein 
fpradlider oder raffifher Begenfag zwiichen Rijötenmöddingers, Himnengrdbers und 
„Menbir"s£euten ift nicht nachweisbar; es bandelt fi alfo nur um Völlerverfchiebungen 
innerbalb desfelben Raffens und Rulturkreifes. 


3. Vortrag: „Die deutfche Sprache ale Ausdrud deutfcher Art und Gefhidte.” Das 
Wort (die engfte Verbindung einer Vorftellung mit einem Lautzeidhen) ift nicht bloß 
ere Sergetnee fondern — und Vorbedingung fuͤr hoͤheres Denken. Be⸗ 

riffsworte ändern die Grenzen ihres Umfangs dauernd, find kaum bei den einzelnen 
Äitenfcben, gefebweige denn Völkern gleich, haben verfchiedene Sonderbedeutungen, löfen 
Flebenvorftellungen perjönlicher Art aus: der Hörer muß aus eigenem Seelenbefig binzus 
tun, um 3u — Die böchften Begriffe find nidt oder nur unzulänglid ausdrüdbar 
und fordern des Dolksgenoffen tätiges Entgegentommen. Wie es keinen allgemein 
leihen Wenfchengeift gibt, ift Reine „eine Sprache” möglid, fondern viele, ganz vers 
Fipiedene Sprachen find lebendige Ausdrudsformen des Geiftes ebenfovieler Voller. Die 
deutfche (Schrifte)Sprade wird als ein Werk dargeftellt, an dem im Kaufe der Gefhidte 
alle deutiden Einzelftämme mit ihrer Eigenart zufammengewirtt haben. Die dseutide 
Mutterfprade ift alfo lebendiger Ausdrud deutfchen Geiftee. Eide. 

3° 


108 Vol und Aaffe. 1933, II 
Sp A TI — 


Adolf Knöbl: Unterfuhungen in drei nordmähriihen Dörfern (Benke, Liebesdorf, 
Steupfein). Antbropologifche Unterfuchungen in den Sudetenländern, herausgegeben von 
3B. Brandt und O. Broffer. Bd. I. Derlag Deutfd. Gef. Wiff. u. Rünfte f. d. tſchecho⸗ 
flowatifde Republit. Rommiffionsverl. Sifdher, Jena 1933. 69S. 13 Taf. Preis ME. 16.—. 

Die Unterfucdung erftredt fid auf drei Ddrfer des mabrifden Dorlandes der Ofte 
fudeten, gutsberridaftlide Grimdungen, zuerft genannt am Ende des 34. Jahrhunderte. 
Der 1. Teil gibt Hinweife auf die Lebensverbaltniffe, der 2. enthält die anthropologifde 
Darftellung. 

Die Bevölkerung ift überwiegend bäuerlich, angefeffen. Bente hat den bödhften Anteil 
an Dauern, dazu Hausweber, neuerdings aud Sabritarbeiter. Steupfdein beherbergt 
Zwergbauern und Arbeiter. In LKiebesdorf bat die Serfegung des Dorfbildes durdy Llieders 
ee Stadtbe(haftigter begonnen. Liebesdorf und Bente waren nod vor kurzem Webers 

er. 


Die Lebenslage ift mübevoll und anfprudelos. Die Wohnverhaltniffe find nur bei 
den Bauern räumlih und gefundbeitlid zZureichend, den Webern dient meift eine einzige 
niedrige Stube als Arbeitss, Wohns und Schlafraum für die ganze Samilie. Sehr einfach 
ift auch die Ernährung, beim Bauern etwas beffer als bei den anderen Berufen. Die uns 
gleiche berufliche Umweltwirtung bei Bauern und Webern tommt deutlih in der Rörpers 
entwidlung zum Ausdrude. Ein trauriges Rennzeichen ift aud die Tubertulofeftecblidteit : 
bei den Webern beträgt fie etwa 1/, aller Todesfälle, fonft bedeutend weniger. Seltene 
Rrantheiten find Gicht, Zuderkrantheit, Merventrantheiten, Gefdledtstrantheiten, baufig 
Magentrantheiten. BDiefe DVerbältniffe erklären fi wefentlih aus der Lebenss und cs 
naͤhrungsweiſe. 

In den letzten 30 Jahren iſt ein ſtarkes Abſinken der Beburtenziffer zu verzeichnen. 
Die mittlere Rinderzahl ift 2,37. Benke und Liebesdorf find faſt rein deutſch (6,1 bzw. 
1,90/0 Tſchechen), Strupſchein iſt faſt rein tſchechiſch (1,00/0 Deutſche). Familiennamen 
seigen a der Nationalitaͤt an, Deutſche haben Namen tſchechiſchen Urſprungs und 
umgetebrt. 

Unterfucht wurden zufammen 157 Manner und 147 Srauen im Alter über 18 Jahren. 
Das Mittel der Rörpergröße ift für die Männer 166,8 cm, die Srauen 153,8 cm. Die 
Bevölkerung gehört zu den Meinften unterfuchten deutfchen Gruppen. Die Sculterbreite 
der Männer if 22,0%, der Srauen 22,9% der Rörperhöbe. In der Ropflänge, Mittel der 
Männer 187,5 mm, der Srauen 178,2 mm, näbert fidy die Bevöllerung den Miesbacdern 
Rieds. Die Breite ift beträchtlich, Männer 159,5 mm, Srauen 153,2 mm, der Inder dems 
entfprechend bod, 85,9 mm. Die Gefidtsform ift mittels bis breitförmig, die Llafe der 
Männer in hoberem MaKe breitförmig als die der Srauen. Der Durdhfdnitt it mittelbreits 
nalig. Das Obr ift unter den europäifchen See groß. Helle Haut, ebenfo belle Augen 
find bei Srauen feltener als bei den Männern (Auge: 52 3u 75%), dunkle Augen find in 
17 bzw. 50% vorhanden. Die Haarfarbe ift vorberrichend dunkel, die Srauen duntler als die 
Männer. Schwarzs und Kotbaarigleit fommt nidt vor. 

In der Rörperbhöbe, den Ropfs und Gefichtsemaßen haben die Weber niedrigere Werte 
als die Bauern, au im allgemeinen Ernäbrungszuftande ftellen fie gegenüber den Bauern 
eine Minusvariante dar. 

Auf Grund der Verbindung einer Reibe von Merkmalen unterfcheidet Anöbl drei 
Kolaltypen: der eine im wefentlihen fehlant» und fchmalwüchfig, heller als der Durdfchnitt; 
der zweite Bleiner, breitwücdfig; der dritte Meiner als der erfte, [malwidfig, oft mit 
fladhem Hinterbaupte. Die Beurteilung diefer Typen im Sinne der Ronftitutionsfrage 
wird einer anderen Arbeit vorbehalten. Die drei Typen machen zufammen 56%, alfo nur 
einen Bruchteil der Unterfucdten aus. 

Erdrtert werden fiir alle Meckmale die Unterfdhiede zwifchen den drei Dörfern, die 
meift beträchtlich find. 

Die Arbeit zeichnet filh durch fachliche Darftellung aus. Die Deutfche Gefellfdaft 8. 
wiff. u. Rünfte f. d. Tichedh. Republik plant eine antbropologifche Aufnahme des ganzen 
fudetendeutfchen Gebietes, die vorliegende Unterfuhung ift der erfte Beitrag dazu. Die 
Beigabe der Originalmage ift unter diefem Gefidtepuntte befonders zu begrüßen, da durch 
fpätere Beiträge angeregte neue Srageftellungen auch an dem bereits veröffentlichten 
Material überprüft werden können und damit die Beurteilung des Gefamtmateriale auf 
einbeitlicher Brundlage erfolgen fann. Aus dem gleihen Grunde ift aud die reihe Auss 
ftattung mit Typenbildecn fehr erfreulich. Miöge der Buchführung des großen Planes im 
nterefte der antbropologifden Sorfdhung Erfolg befdieden fein. Mm. Hef 


1933, II Budbefprechungen. 109 





Bernhard Kummer: „Die deutfche Ehe. Begegnungen und Befpräcde über dem Chaos 
der Zeit.” Leipzig 1930. Adolf Rlein, Verlag. 304 5. Geb. Wet. 3.—. 

Derfaffer hätte das Buch vielleicht beifer „deutfche Liebe“ genannt, denn es ift darin 
zwar aud von Ebe, mehr aber nod, wie er felbft zugibt, von Liebe und Leben die Rede. 
Derfaffer entwirft in erzäblender Sorm Züge einer fehr idealifierten Licbe und be, die man 
etwa deutfchsproteftantifhd nennen möchte. Sie ftrablt und mahnt um fo mebr, als 
fie auf dem Hintergrunde des Rriegsendes gezeichnet wird, als die Todgewohnten in eine 
Heimat tamen, die fidh in Ausfchweifungen nicht genug tun konnte. Wenn alfo auch nicht 
gerade „die“ deutfche Ehe, fo doch für unfere Jugend ein ganz vortrefflides Bud. A.V. 


Big: Blätter für germanifhes Weistum, mit Beilage „Llordungenblätter”. rag. 
von Georg Grob, Rig Verlag, weinfurt. 6. Jabrg. 1933. — 7. Jabrg. 1932. 

Die Zweimonatfdrift wirkt für artgemäße —— von Geiſt und Seele, fuͤr 
das ſeit uͤber zooo Jahren dem Deutſchen mißgoͤnnte artechte Glaubenstum, und wehrt ſich 
dagegen, daß fremde Reiſer auf dem Stamm unſeres Volkstums bluͤhen ſollen. 


In den vorliegenden zwei Jahrgaͤngen ſieht man unverdroſſene Weggenoſſen und 
Führer ein ehrliches Stuͤck deutſcher Arbeit leiſten, der entwurzelten deutſchen Seele „den 
Mutterboden zu finden, den Schutt wegzuraͤumen, den klaren Quell zuzuleiten“, Feindliches 
aufzuzeigen und abzuwehren: der Glaube muß „aus der tieferen Beſinnung auf das, was 
in uns Religion iſt“, leben. Auf „gelehrte Rekonſtruktionen“ und Lehrgebaͤude wird ver⸗ 
zichtet. Selbſt die Abhandlung „Welches iſt die neugermaniſche Glaubenslehre?“ (Groh) 
belehrt vorwiegend durch Eroͤrterung und —— chriſtlich⸗, unentbehrlicher“ Be⸗ 
griffe, wie Suͤnde, Erloͤſung, Tod, vom Germaniſch⸗Geſchauten her. Daß „der Urquell 
germaniſchen Seins verſandet iſt (Sterling)“, daß „das Germanentum in den Bannkreis 
der Ideen von Naturverderbnis, Suͤndhaftigkeit, Erloͤſungsbedürftigkeit“ geraten mußte, 
wird von Groh immer wieder als Grundurſache des ſchweren deutſchen —* bins 

eftellt: In „SHerbft über den Abendland“, wie dem on Germanentum der Weg 
Binab zur Unterwürfigleit „gewiejen“ wurde, zur Loslöfung des Einzelnen von der Stams 
mesgemeinfchaft, in „Aube vor dem Sturm”, daß die Lage des Volles unter dem Drud eines 
fremden Wirtichaftslebens zum Zerreißen gefpannt ift — der Ruf nah dem Seutfden 
Staat: „Jedes Wirtfchaftsleben ift Ausdrud eines Seelenlebens (Spengler)“. — Den vers 
I&hlagenen „Tyrannen‘Bängler, der das Zermürben des Volles begann, zeigt Grob bei feiner 
unbeimlich geieäftigen beutigen Tätigkeit in den ungemein reichhaltigen und ftatiftifch 
wertvollen Artiteln: „Die katbolifche Aktion“, „Rircye und Preffe”, „Ratbolifche Preffe und 
Jugenderziebung”, „Der Sreibeit eine Gaffe“. Auch mit den Stimmen aus dem bunten 
evangelifhen Lager fett er fich auseinander, 3. DB. in „Bottferne Gottesgelehrte”. Bes 
mertenswert find die vielen temperamentvollen Bucdbefpredhungen, aud von kaum alls 
gemein gelefenen Werten). 

Aus der Sülle der Mitarbeiterbeiträge feien genannt: A. Drews „Lobengrin” (von 
gewohnter Tiefe: Lobengrin oder Elia erlöfungsbedürftig? Der einfame Wagner) und 
„Mithraismus und Chriftentum’, ferner A. Bonus „Zur altisland. Kiteratuc’, Stecling 
„Aaffe, Raffenfeele und Rultur“, B. Rummer „Sturmreife Rirdye“, Burtert „Heinrich der 
Löwe“ (müßte in Scullefebücer!) u.a. m. 

Mit den Auffägen „Religionen des fernen Oftens” und „Muttertümliche Welts 
anfdauung“ (zu Bergmanns Buch) leitet der Herausgeber zur Arbeit auf eigenem Gebiet 
über, und hier treten ürfehüt, Diergug, Wachler u. a. an feine Seite zur SGerausarbeitung 
des Germanifden in Voltsfeele, Doltstum, Doltsemund. Ein wefentlider Schritt ift bier 
Stürfhüug’ Arbeit: „Urreligion als Lebensgrundlage“, die aud als Gonderdrud erfcdienen 
ift und etwa die Reibe „Mutter Klatur — Mutter Germania — Mutterfeele des Einzelnen” 
entwidelt. Draltifde Wege babnt Piergug an in „Derbältnis von Rirdye und Schule in 
der deutichen Befchichte” und „Heimatglaube und Schule”. Hier ift der Weg, den auc das 

lante WMonatsbeiblatt des Rig ,3ur Wehr und Werbung“ fördern möge, zum Zus 

ammen wirlsn aller, die unfer Abnengut im Volle weden und vermitteln wollen: den 

Müttern für die Rleinen, den Lehrern die Acranwadfenden — es ift bobe Zeit! Die . 

jet beranwadfende Generation überlommt es nody immer nidt von —— an. 
r. E. 


1) Aus einem großen tatholiſchen Werk uͤber die Preſſe wird folgender Satz Prof. 
Dopifats zitiert: Die katholiſche Preffe fei „eines der ftärkften Mittel gegen (sic!) die Ders 
maffung des Menfchen und die Rlifchierung der Seele”. 


110 Volt und Kaffe. 1933, II 








Martin Staemmier: Raffenpflege im völkifhen Staat. Münden 1933, I. S. Lebmanns 
Derlag. 126 S., ı Taf. Preis geb. ME. 2.20, geb. ME. 3.20. 

Unter Zugrundelegung der widhtigften Ergebniffe von Vererbungslebre, Lebenstunde, 
DBevdlterungspolitit und Raffentunde gibt Staemmler in kurzen Inappen Zügen einen Aufs 
iG der dringendften Maßnahmen, die für die Erbaltung des deutfchen Volkes in der Rids 
tung auf tidtige Erbmaffe und gute raffifche Beichaffenbeit feiner Dollsangebdrigen nots 
ae find. Seine Maßnahmen find kurz gelagt: Ainausdrängung alles Dollsfremden, 
Unterftügung der Vermehrung und Lebensfabigteit der Erbtüdtigen, Unterbindung der 
DVermebrung der Erbtranten. In diefer Richtung baben famelide Einrichtungen des Staates 
fowohl Redtswefen wie Schule, Bildungswejen und Wirtfchaft und ferner Außens und 
Innenpolitik zu treten. Die Dorfchläge, die zum größten Teile au fon von anderen 
maßgebenden Raffenbygienitern aufgeftellt wurden, find oft bart, werden aber im Hinblide 
auf ihre un Widıtigleit und Klotwendigleit nit zu umgeben fein. Sebr erfreulich 
ift es, daß Staemmler in der Raffenfrage eine ausgefproden pofitive Stellung einnimmt 
und eine befondere Unterftügung jener Raffenteile, die für den Beftand und Aufftieg unferes 
Doltes befonders widtig find, fordert. Seinem Vorfchlage, Judenmifchlinge, deren einer 
Großvater Aalbjude war, in die deutfche Doltsgemeinfchaft aufzunehmen, tann man aus 
vererbungswiffen(daftlidben und grundfägliden Gründen nidt zuftimmen. Abgefeben 
von diefem Mangel an Solgerichtigkeit, die gegenüber anderen fremdraffigen Cinfdlagen 
aud von St. gefordert wird, ift das Buch in feiner Rürze und Rlarbeit und durch den 
Sreimut des Belenntniffes eine wertvolle und erfreuliche Bereicherung unferes Schrifttums 
auf diefem Gebiete. Bruno RK. Schulg, Münden. 


B. Weinert: Urfprung der Wenfhheit. Ober den engeren Anfdlug des Menfdens 

gene an die Mienfcdhenaffen. Stuttgart 1932, Verlag Serdinand Ente. 322 Abb. 
II und 380 S. Geb. Mi. 23.—. 

Ber Verf. verfuct bier in flüffigem, audy dem gebildeten Kaien verftändliddem Stil 
auf fehr breiter Bafis den Beweis für feine Abftammungstbeorie zu erbringen. Die Beweis 
führung befchräntt fidh nicht nur auf paläontologifches Material — wobei auc die neueften 
Sunde ausreidend gewürdigt werden —, fondern verwendet au zablreiche anatomifche 
und pbyfiologifche Tatfadhen, 3. B. Interorbitalbreite, Stirnböblen, Derbältnis von Ges 
birns und Gefichtsfhädel, Umbildung der Zähne und Kiefer, Os centrale der Hands 
wurzel, Buumenfalten, dugeres Obr, Geftaltung des Aortenbogens, Cigentumlidteiten im 
Bau der Mustulatur, SerumsDiagnoftit; auc die geiftigen Ligenfdaften dec tNenfdens 
affen werden mit ecinander vergliden. Die Merkmale werden ausführlid erörtert und 
daraufhin geprüft, in wie weit fie Schlußfolgerungen auf die Derwandtfchaft des Menfden 
mit Menſchenaffen ergeben, wobei aud ibe ontogenetifder und phylogenctifder Ents 
widelungsgang berüdlicdhtigt wird. Zablreihe gute Abbildungen zeigen die wichtigften 
Tatfaden, befonders finnfallig und gut verftändlich find viele grapbifche Darftellungen. 
Der Derf. tommt 3u dem Ergebniffe, daB fid vom Stamme der niedrigen Affen im Dlis 

o3an der damals nody einheitliche Stamm der Antbropoiden abgetrennt babe; von dieſem 
Babe fi febr bald der Gibbon, etwas fpdter der Orang gefondert, um ihre eigene Ents 
widelung cingufdlagen; erft im Pliocan fei es dann 3ur Trennung von Gorilla, Schimpanfe 
und Menfd getommen; Menfd und Sdhimpanfe ftinden fid verwandtidbaftlid am 
nédften. Als Zeit der Menfawerdung — alfo als die Periode, in der fic der tNenfd aus 
dem mit dem Schimpanfen gemeinfamen Vorfabren entwidelt babe — fegt VD. mit Recht 
das frübe Dilupium an; nidts fprade — fur einen Tertidemenfden. Und bes 
suglid des Ortes der Menfdwerdung betont W., dag man fidh den Raum nidt zu Mein 
vorftellen dürfe; die Menjchbeit fei natürlich nicht aus einem Paar gezeugt, fondern aus 
der Dormenfdenbevdlterung cines ganzen Gebietes allmäblich entwidelt worden. Und 
was den Erdteil anlange, 5 dürfe man Europa als Urbeimat de3 Menfden durdaue 
nidt ausidliefen, im Gegenteil fprdachen die Sunde am ebeften für diefen Erdteil. 

Den Ausfabrungen und SdhluGfolgerungen ftimme ich in der Hauptiade durdhaus 3u, 
aber einige Einzelheiten fheinen mir anfechtbar zu fein; es fei davon nur Solgendes erwähnt: 
W. baut feine Anfdauung, daß der Drang fih verbältnismäßig früh abgetrennt babe und 
daher dem Utenichen weniger nabe ftebe, bauptfädhlidh auf der Behauptung auf, daß dem 
Orang edhte Stirnbdblen Feblten, die für die Gorilla⸗Schimpanſe⸗Menſch⸗Gruppe typiſch 
feien. Kun bat aber ©. Rleinfhmidt (Sig.sBericht Fir. 3, 1932, I des REES For 
f. Weltanfchauungstunde in Wittenberg“) mitgeteilt, daß er s Brangfchädel durdjagt und 
bei allen at „Siebbeinzellen und echte Stirnböblenbildungen“ gefunden babe; der Lats 
beftand muß alfo zweifellos an einem größeren Material nadhgeprüft werden. — In den 


1933, II Buchbefprechungen. 111 





Retonftrultionszeichnungen des Pithecantbropuss (Abb. 59) und des SinantbropussSchäs 
dels (Abb. 64) ift der Torus occipitalis viel zu fpig und damit die Abbiegung des 
Planum nuchale viel zu f&harf gezeichnet; eine derartig fcharfe Ede ift unnatürlidh, jchon 
aus ftatifden Grinden unmdglid und findet fic bei teinem Anthropoidens oder Menfcens 
ſchaͤdel. In der Weinertſchen Zeichnung Abb. 58 ift die betreffende Rontur viel richtiger, 
voller gewdlbt. — Zum Vergleiche hatte auc der außerordentlid menfchenäbnlidhe Ober» 
armtnoden des Sdimpanjen herangezogen werden können. — Der Derf. bätte ftärker bes 
tonen können, daß bei allen beute lebenden Menfadenaffen eine größere (am ftärtften wohl 
beim Gorilla) oder geringere Entwidlungsrichtung zurüd ins Fierifche feftzuftellen ift; fie 
find tierähnlicher, als ihre Dorfabren, 3. B. in der Entwidelung der Edzähne, in der über: 
mäßigen Entfaltung der Schädellämme und der Gebißmuskulatur. — Llicht übergeben 
möchte ich, daß Weinert mit erfreulicher Offenbeit auch eine Stage anfdneidet, die fid bei 
der beftebenden naben Derwandtichaft zwifchen Menfh und Schimpanfe von felbft ergibt, 
namlidy die Srage nach der Möglichkeit einer Baftardierung zwifchen beiden; WD. halt diefe 
durchaus nicht für ausgeichloffen und tritt dafür ein, daß von wiffenfchaftlicher Seite ent» 
fpredyende Derfudhe gemadt werden, wobei natürlidd der Schimpanfe den weiblichen Teil 
3u ftellen und die Befrudtung auf fünftlihem Wege zu erfolgen hätte. Derartige Baftars 
dierungsverfudhe wären zwar für die Abftammungsfrage nicht entfcheidend, aber obne 
Zweifel fehr intereffant und außerdem für die Vererbungsforfhung von grofem Wert. 
W. betont, daß fich alle bisherigen Berichte über das Dortommen gelegentlicher Baftarde 
im afritanifchen Walde als Sabel erwiefen batten, mindeftens batte fid troy sablreider 
von Negern ftammender Erzählungen kein Sall nacdhweifen laffen. ©. Rede. 


Raffle und Geift. 4 Vorträge von Sranz Weidenreid, Srantfurt a. M.; OO. Peters, 
Jena; Ecenft Keetidmer, Marburg; Walter Goek, Leipzig. Verlag J. A. Barth, Leipsig 19332. 
78 &. mit 36 Abb. im Tert. Preis kart. ME. 3.75. 

Man begegnet mitunter der Erideinung, daß Rinder oder einfache, in Mienfchens 
betradhtung nicht geichulte Leute plöglidh unerwartete Abnlichleiten zwifchen Mienfchen bes 
baupten. Wenn man dann dem Grund der Behauptung nadgebt, berubt der Abnlidteitss 
eindrud meift auf dem oberflddlicben Aufgreifen eines einzigen Außerlichen Miertmals, 3. 3. 
eines gleidhben utes oder einer Barttradt, kurz irgendeiner Llebenfächlichkeit, die dem 
Britifchen und forfchenden Blid in Solge ihrer offenfidhtlichen Zufälligkeit und Unwefentlichs 
keit als „ahnlich“ gar nicht bewußt geworden wäre. An diefe Erfdeinung wird man uns 
willtürlid durdy die Umfchlagfeite der vorliegenden Schrift erinnert, auf der groß die 
Profile Sriedrihe des Großen und Ramfes von Agypten prangen. Daß auf dich Weife 
der Eindrud weitgebender Abnlichkeit beider Rdpfe vor dee Offentlicdleit erwedt werden 
foll, wird gleich zu Anfang des Auffages von Weidenreich beftätigt, der erklärt, die beiden 
Aöpfe „verblüfften durch ihre Übereinftimmung in Bebirnfchädels, Gefidtss und Llafens 
form”. Vergleicht man jedoch die dem Tert beigegebenen Abbildungen derſelben Roͤpfe, ſo 
iſt die Abereinſtimmung weniger „verbluͤffend“ als Bluff, denn die einzige „Ahnlichkeit“ 
beruht darauf, daß beide Roͤpfe, wie das bei Mumie und Totenmaske nicht anders zu er⸗ 
warten, uͤber der knoͤchernen Unterlage ſtark eingeſunkene Weichteile und daraus folgend 
beſonders ſtark vorſpringend erſcheinende, im Ganzen gebogene Naſen zeigen. Im Ubrigen 
aber weiſen Schaͤdelform, wie Woͤlbung des Schaͤdeldaches, Bau des Ohres, der Mund⸗ 
ſpalte, der Stirn⸗Naſenlinie, des Unterkiefers, kurz alle Einzelheiten, wie auch die Geſamt⸗ 
verhaͤltniſſe die groͤßte Verſchiedenheit auf, die auch jeder halbwegs urteilsfaͤhige Laie be⸗ 
merkt. Wir müffen diefe Tatfache deshalb fo eingebend hervorheben, weil fie für Methode 
und Beweisführung der Brofchüre im Ganzen, wie des Auffages von Weidenteich kenn⸗ 
zeichnend ift! 
| In dem erften Dortrage ,Die phyfifden Grundlagen der Raffenlehre” 
verfucht 3unddft §. Weidenreich die Raffen mehr als „geograpbifche Varietäten“ zu 
begründen. Er führt als Sinweis auf die Sraglidteit dea wiffenfdaftliden Raffendegriffes 
uw. a. das Dortommen leptofomer und euryfomer Ronftitutionstypen bei Mongolen und 
Auftraliern an. Und fpridt von allmablidh fic entwidelnden ,Jwifdhenraffen® swifden 
Lang» und Rurzidädeln, die nidt etwa auf Grund von Raffentreuzung, fondern einer forts 
laufenden Entwidlung von der primitiven Ropfform des Vieandertalers zur Bradylephalie 
entftanden feien. Die dazu auffteigende intereffante Srage, warum fic die mebr kurzkoͤpfigen 
mongoloiden Raſſen ſchneller zu dieſer „fortgeſchrittenen“ Form entwickelt, dagegen die an 
der abendlaͤndiſchen Rultur ſtark beteiligte nordiſche Raſſe ſich laͤnger auf dem „primitiven“ 
Zuſtand erhalten habe, laͤßt Weidenreich allerdings offen. Die Auffaſſung, daß Langſchaͤdel 
gleich Langſchaͤdel und Friedrich gleich Ramſes ſei, ſcheint bei ihm ebenſo feſt vorausgeſetzt 





112 VOR und Kaffe. 1933, II 





zu werden, wie das Llichtbefteben einer fozialen Auslefe in der raffifhen Zufammenfegung 
eines Doltes. Ein felbitändiges Hiendeln der Gene und die daraus folgende Kombination 
von Rurzihädel mit beller Haars und Augenpigmentierung fceint ibm ebenfo neu, wie 
ibm das Aeranszieben der AHunderaffe des Dobermann einmal als Beifpiel fur die Uns 
beftdndigtcit, das andere Mal für die Beftandigteit dea Raffebegriffes keine Schwierige 
keiten madıt. 

Daß W. Peters, Jena, im darauffolgenden Auffay über „Raffenpfydbos 
logie“ die von ihm aufgeworfenen Sragen „ob es pfydifche Raffenunterfchiede gibt“ und 
„ob etwa beftebende Linterfchiede, angeborene, auf dem Erbwege woeitergegebene find“, 
wie er felbit eingangs feftftellt, weder mit Ja nod mit Ylein beantworten kann, berubt 
wohl darauf, daß Peters troß Anziebens zahlreicher ameritanifher Autoren weder die 
immerbin von einem Pfiycologen erwähnenewerten Bücher von Ludwig Serdinand Elauß 
nod die fur diefes Gebiet einfabh nicht zu überfebenden Zwillingsunterfucdhungen von 
Jobannes Lange 3u kennen fcheint. 

Im dritten Dortrage „Benie und Raffe* behauptet €. Rretfchmer zunädıft, 
daß in Arbeiten über Kaffe der „Autor die Derberrlidung feiner eigenen Raffe ... mit 
fheinbar wiffenfchaftliden Mitteln anftrebe”, und tritt dann fehr lebendig für die Anficht 
ein, da8 die ,nordifd-alpine Raffenmifdung’ der eigentlid tulturfddpferifcde Sattor und 
daß das langfame „Llordwärtsporrüden der deutfchen Rultur .... mit der... . ftärkeren 
alpinen Durdmifdung Florddeutfchlands verbunden fei.“ (Was einer gewiffen Romit nicht 
entbebrt.) Da der Derf. fic dabei auf die ,Stammesbertunft* der verfchiedenen großen 
Denter und Dichter beruft, offenbar aber deren Raffenzugebdrigteit erdrtern mödhte — alfo 
leider Dollstumsbegriff und Raffe verwedfelt —, vor allem aber — was bei dem Perf. 
von „Rörperbau und Ebaralter“ erftaunt — kein einziges Bild der genannten Männer 
beigibt, bangen aud die Solgerungen diefes Auffatzes einigermaßen in der Luft. 

Der Rern des Schlußauffages von W. Goeg, Leipzig, ift der vom Verf. zitierte 
Sat eines „verdienten Raffenforfdhers Pater Schmidt aus Wien“: „Die Seele als foldye 
bat keine Kaffe.“ lun fteben ja Dinge als foldye immer jenfeits von Zeit und Raum, ebenfo 
wie ,die Dferdbeit als Begriff“ — wie man ein modernes Gemälde hieß — wenig GBemeins 
famteit mit dem Bild eines echten Pferdes bat. KHatürlih bat „Seele an fih” ebenfowenig 
eine Kaffe wie „Rörper an fih“. Und do würden alle Autoren von GBoeg, Leipzig, bis 
Weidenreih, Srantfurt a. M., beobadten, daß 3. B. Vertreter des auftraloiden oder nes 
groiden oder vorderafiatifdben Raffentreifes, felbft wenn fie feit Generationen in einer 
anderen Umwelt, meinetwegen Deutichland, aufwüdfen und fih vor Einbeirat ins Wirtes 
volt bewabrten, ebenfo wie fie körperlich troß aller Anpaffung ihre raffifche Herkunft nicht 
verleugnen könnten, audy von ihrer feelifchen Wefensart, ihrer Art zu denken und die Dinge 
3u beurteilen von der Beiftigkeit ihrer Raffe nicht lostämen. 

Sufammenfaffend ware zu fagen, daß trotz gleicher Zielfegung — nah Bor: „die 
Befeitigung der unbaltbaren Vorurteile” „völkifcher Raffentheoretiter”, nad Weidenreih: 
„an Stelle von Raffenfpiclereien und Zerklitterungen mebr den Menfden als folden 38 
werten“ — die Arbeiten der Einzelnen, abgefeben von logifden Widerfprischen in fic felbft, 
fid auc gegenfeitig widerfprehen. So wenn Rretfchmer und Peters den Raffenbegriff 
felbft grundfäglidh anerkennen, während Weidenreich und Gorey ibn als bereits überwunden 
binftellen. Im Übrigen ift man ebenfo wie in der Schlußziebung, fo aud im Austeilen 
von Werturteilen allgemein redht großzügig. Man fpridt etwas mitleidig von dem 
„franzsfifhden Literaten“ Graf Gobineau und dem ,badifden Journaliften” Ammon, fagt 
gelegentlich fhliht „Hans Günther“ und führt als Aronzeugen „fo unantaftbare Sorfcher 
wie Sri Rern in Bonn“ und noch einmal „den Ausiprud eines durchaus wiffenfchaftlichen 
Raffenforfders (1) Prof. Srig Bern” ins Seld, ohne fidy zu erinnern, daß Kern, der nur 
Prof. für Gefhichte ift und als „Dilettant“ ein Bud über „Stammbaum und Artbild 
des Deutfchen fhrieb. in diefen Dingen nicht mehr und nicht weniger Sadımann ift ale der 
„Literat“ Bobineau und der „Zahnarzt“ Röfe. Übrigens ift Bor keineswegs Antbropologe, 
fondern ebenfalls Aiftoriter; alfo auf raffentundlidden Gebiete Laie! 


A. Arnoldfen. 


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PRRERERORTERERRS 


UTOPIA 


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an eingeschicktem Blu ofen. Einzelun 
RM. 5.—. Versan chen und 


Dr. med. Wilhelm Hilsinger, Berlin-Lankwitz 
Dillgesstr, 20, Fernruf: G. 3: 5572, 


bestimmung: je 





| NN 


Die nordifche Geele 


Bon Dr. Ludw, Ferdinand Clan} 


2. umgearbeitete Auflage. Mit 16 Kunjtdoructafeln. 
Geh. AM. 3.50, Lrvd. AM. 4.80 


lauf unterfucht den Stil der nordiichen Seele in allen Bezirken ihrer Leidenjchaft, im feujchen 
WUbjtand der Scham, im Gejtändnis der Liebe, im Zweilampf der Schwerter, im Schweigen der 
Rede, im Scherz und Wik. Die Unterjchiede und Grenzen des feeliihen Verjtehens aus dem 
Geijt der Rajfen, ihre Verbindung zum germanifchen Typus, der aus nordiichen und daliſchen 
Anlagen gleichmäßig gemiſcht iſt, ihre Trennung vom mittelländiſchen und oſtiſchen Typus möge 
man in diefem Buch der Beiſpiele und der lebendigen Anſchauung nachleſen, das ein Deuter 
und Geher geichrieben hat, aber auch ein Philofoph der Kamera, dem der Blid für die 
norbiiche Gejtalt aufgegangen it — jei es im Schwarzwald oder art der Nordjeeküjte oder tm 
tdanlande, unter frtefi}cjen Fifchern oder Beduinen. Die Weite diejes Blids hat unter den 
lebenden Rafjeforjdern feiner jo wie Ludwig Ferdinand Claus. Deutjche Zeitung. 


Mufif und Kaffe 


Bon Richard Cidenaner 


Mit 40 Bildniffen und 90 Notenbeifpielen. 
Geh. AM. 7.50, Lwd. AM. 9.— 


Eine Mufikgeichichte, die die Tonfunjt Europas, vor allem aber die deutjche Mufif unter dem 
Sejichtspunft der Rajjenfunde zu betrachten unternimmt. Dank einer ſehr guten Kenntnis der 
dorhandenen einjchlägigen Literatur und einer lebendigen Darjtellungsgabe entjtand ein Tejens- 
wettes Buch, das in der Gleichjegung ‚‚nordifcher‘‘ Komponijten mit tiefjchürfender Gedanfen- 
mufif und „dinarischer” Tonfeger mit fröhlihem Mufifantentum einen einleuchtenden und frucht- 
baren Gedanken zur Erörterung jtellt. 

Brof. Hans Joahim Mojer, Dir. d. ftaatl. Akad. f. Kirchen- und Schulmufif in Berlin, 


Eihenauer ift durchaus tein Nafjenfanatifer, er ift viel zu jehr SKünftler, der auch jene Kunft 
anerkennt, die feinem eigenen Empfinden vielleicht gelegentlich fremd ift. Gein Buch gibt uns 
biele Auffchlüffe und ijt ein feinjinniger empfehlenwerter Führer durd) die Geheimnijje des 
Schaffens unjerer Meijter. Die Mufit. 


Eichenauer fteht ja jdon als Erforfcher der Zufjammenhänge zwijhen Najje und Mujif am erjter 
Stelle. Nun hat er fein reiches Wijjen in einem prächtigen Werf zufammengefaßt. Cr ftellt alle 
unfere großen deutſchen Tontiinjtler in ihrem Schaffen vom rafjijchen Gejichtspunfte aus bar. 
Wher aud) Mujif, die aus ander3 rafjischem Gefüge erjproß, wird aufgezeigt und in Vergleich 
geftellt. Richt nur befte Abbildungen unjer größten deutjhen Tonfünftler, jondern aud) zahlreiche 
Motenterte zieren da3 Buch. Möge e3 in die Hände vieler deutjcher Mufikfreunde fommen; jie 
werden aus ihm jo manche wertvolle ganz neue Auffajjung gewinnen. Deutiche Zeitung. 





SOCRUEEEREECAECHESTENOCRHURGHCORERETRCCTRCRARR RETRO ERT RE REDE AR ERED SOHRE RE RRRRGER DRO R EERE ARERR CREE EER EERE ERE CERESENECERSEREERERECHEEDR TEETER SESEEREEE TENOR ERE REE E® 


3.9 Zcebmanns Derlas / Münben 2 SB 





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Haltbares „Ballungs - Test“ - Serum zur Gruppen- | 
m je Iccm A, B und O RM. 10.—. | 





























































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FU 2 I — 


— Im 
Ein Buch von Abenteurern, Entdedern und Gelehrten 
Soeben erjdien unfer Dfterbud: 


Große Forjchungsreifende 


Vor Swald Banfe 


Profeffor für Geographie an ber Tedin. Hocdichule Braunfchmeig. 
Mit 62 Abbildungen. Geh. AM. 7.50., Lrvd. AM. 9.40 


Diejes Buch Handelt von Tatmenjdjen, die Großes gewagt und für die Menjchheit — 
jelten für fic) — Großes gewonnen haben. Ein ihnen geiftesverwandter Foricyer hat 
e3 gejchrieben, ein Mann, defjen Forjchungstrieb ihn jelbit in bie fremden Länder und 
Erdteile geführt hat, Ewald Banje, der „Seograph von Geblüt, ber Dann, der das Unglaub- 
liche fertig gebracht hat, die Geographie interejjant zu machen.“ (Dr. Stapel im Deutfchen Bolkstum.) 


Gs find feine gewöhnlichen Lebensbefchreibungen, bie uns hier geboten werben. EB 
find fachlich richtige, felfelnde Darjtellungen einer Anzahl von bunten Lebensläufen unter 
Dem bejonberen Gejichtspunft jeeliicher Aufhellung der Charaltere, Dies Iebtere erjdeint 
um jo mehr von bejonderem Wert, einmal weil das bei Reijenden noch nie getan worden 
ijt, und dann, weil uns Menjchen von heute die Bereiche des Seelijchen immer wichtiger 
werden. Banje dringt tief in das Wejen der von ihm dargeftellten Forjcher ein, mit 
großen Freude Täßt er die Lichtfeiten glänzen, die er an feinen Helden entbedt, er 
berichweigt aber auch nicht ihre Fehler. Darum wweichen feine Ergebnijje auch hie und 
da bon ben Borftellungen ab, die at3 landläufig gelten ; mandher, 3. B. Kolumbus, verliert 
erheblich von feinem Glorienfdein, in bem ihn wohl die meilten bisher gejehen haben. 
Dad ganze mit prächtigen Bildern geihmüdte Buch ift wieder ein echter Banje, 
farbenreid) und eigenmwillig in der Sprache, neu und eigenartig in ber Behandlung 
des Stoffes, e3 ijt ein begeiftertes Lied auf Wagemut und Tatfraft, Forichergröße und 


Mannestum. 
Ein Streifzug Dur den Inhalt: 


Der Entdeder. Die Macht der großen Perfönlichkeit / Ähnliche Jugendentwidlung großer 
Männer / Die geborenen und die zufälligen Entdeder / Der Mbenteurer und ber 
Stromer / Die Jagd nah Glüd und Reihtum / Der Stubdienreifende / Der Tod 
Eduard Vogels. 

Entitehung und Entwidlung der Forjdhungsreijen. Das Weltbild der Levantehanbels- 
und ber Welthandelszeit / Antife und altarabiihe Reifen / Mittelalter / Die Wilinger / 
Die Oftfahrten im Banne bes Lepantehandel3 / Zeitalter der Entdedungen und Beginn 
der mwiljenjchaftlichen Forfchungsreifen / Das 19. Jahrhundert. 

Marto Polos tragiiches Forfcherjcdhidjal / Bartolomeo Dias und Vasfo ba Gama / 
Was Kolumbus wirklich geleijtet hat / Mtagellans Tod bei feiner tollfiihnen Erdumfeg- 
lung / Die Rußland: Fahrten des Freiherrn von Herberjtain / Wie James Cook das 
britifche Weltreich begründen half / Die beiden Foriters / Kariten Niebuhr / Pallas, 
der Erforicher Ruffofibiriens / Seefen und Burchard, die ,Mohammedaner” unter 
Mohammedanern / Humboldt, der Neifende, Gelehrte und Künjtler / Hornemann 
Gaillie, die erjten Saharareijenden / Die drei aroßen eifejcdhrijftiteller Fallmerayer, 
Kohl und Gregorovius / Eduard Pöppig / Der Abenteurer und Foricher Franz Junge 
huhn / Wie Livingjtones Schidjal die Welt in Atem hielt / Heinrich Barths Afrika» 
reifen / Gerhard Rohlis: Offizier, Arzt, Frembenlegiondr, Gliidsjager — Entdedungs- 
reifender / Nacdhtigal und der. Sudan / Wie bas bdeutiche Volk feinen Hermann von 
Wihmann nicht verftand / Ferdinand von Nichthofen und China / Georg Schweinfurth / 
Stanley3 Lebendgang vom Armenhausfnaben bis zum Kriegs- und Senjationsbericht- 
erjtatter, mirtjchaftspolitiichen WUgent und ForjchungSreijenden / Die Emin-Pajfcha- 
Grote3te / Friedrich Rabel / Nanjen, der nordiiche Wiling und gütige Menjchenfreund / 
Die Anziehungskraft der Polargebiete / Roald Amundjen, ber legte Forjdhungsreijenve, 
fein Glüd und tragijches Ende. 


S. $. Lebmanns Vevlas / Minden 2 GB, 





























Berantwortlih für die Säriftleitung von „Volk und Kaffe” : Prof. Dr. O. Reche, Leipzig und Dr. Bruno 8. Schulg, Diünken: 


Berantwortlid fiir ben Anzeigenteil: Guido Haugg, Münden. IE Verlag: 3. F. Lehmann, Münden: 
Druk von Dr. F. P. Datterer & Cie Dlünden. 








of. Kaffe 


SIahegang Heft 3 om —Geft3 Juli (Heumond) 1933 (Heumond) 1933 


Entweder— Oder 


Wachsendesgi, Volk 1910 


uber 65. Greise 
45-65 IR SA Allereleute 


8 © & 
15-45 J. ION (xen Frwachsene 
oXxox®) © OO 


6-15 5, ki ae Me Jugend 
is 6 JfaYaYaYaYa) aYaYaYaYaı 
Männlich 7430000 Kinder Weiblich 


Schrumptendes Absterbendes 
VoIK 3 1980, 


Kriegsverluste exe) 
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1914-18 
























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ll un un neue mm ee ee den 


BARAT | —— 
Männlich 7070000 Kinder Weiblich Männlich BO DOD Kader "Weiblich 


Bevölkerungs-Aufbau Deutschlands 





Sriftleitung: Dr. Bruno K. Schul&, Mündyen 


© 9.§.Lehmanns Verlag, München 





DEE — — 


Volk und Raſſe 


Illuſtrierte Monatsſchrift fuͤr deutſches Volkstum 
Raſſenkunde Raffenpflege 


Heitfchrift des Reichsausfchuffes für Voltsgefundbeitsdienft und 
der Deutfchen Gefellfchaft für Rafjenbygiene. 


yer a usgeber: Prof. Aichel (Kiel), Dr. Atel (Minden), Prof. Baur (Nindeberg), Reiche: | 
minifter R.W. Darr& (Berlin), Min»Rat$ebrie (Heidelberg), Med.:Rat Gütt (Berlin), Kultus: | 
; 





minift, Hartna de (Dresden), Reidhsfiibrer SS. Him ml er (Minden), Prof. UtoLlifon (Minden), 
Prof. Mud (Wien), Prof. Red) e (Leipzig), Prof. Rudin (Münden), Dr. Ruttke (Berlin), 
prof. A Schulg (Königsberg), Dr. W. Schulg (Görlig), Prof. Shulge: MTaumburg 
(Weimar), Prof. StaemmIer(Chemnig), Dr. Tir ala (Brin), Dir. De. Zei ($rantfurt a. ML.) 


Schriftleiter: Dr. Bruno KR. Shulv, Minden 
Meubauferftraße 51/3. 


8. Jahrgang Heft 3 Zuli (Heumond) 1933 





Inhalt: | 
Yn die Lefer von „Bolk und Rafle“ . . . — Seite 113 
Die biologijde — des — Volkes. Bon Dr. — Gottlieb 
Tirala, Brünn. . . als 
Reben oder Sterben der deutfchen Ration. Bevölferungepoltit, — Ge 
bot der Stunde! Yon Medizinalrat Dr, Gütt, Berlin . . » 1163 
Rafjenkunde, Bererbungslehre und Rafjenpflege als EEE * Deuter | 
Erziehung. Von Dr. Bruno K. Schulg, Münden . „ 122} 
Fiafjenbild: Deutjches Ehepaar -. . . . noe „ 125 | 
Whnen- und Stammtafeln in BEENDEN: Gon Mintiterialrat Dr. Hans Sores | 
München. Mit 5 Abbildungen . . „ 126 
Aus Rafjenhygiene und Bevilterungspolitit, Reicsinnenminiter Dr. . Grit | 
fordert Rafjenfunde in der Schule . . . „ 132 ı 
engen: eS el ye et se ye ee » 133 
NC eg ig Serge Tan bc. eh pe aunts a „ 136 


Be uttspreis vierteljährlich RUN. 2.—, Einzelbeft RI. —.70, Poftfcheditonto des VDerlages Minden 129; 
ugepteis Poftfpartaffentonto Wien 595.04; Pofticedtonto Bern rir. Ill 445; Keeditanftalt der 


Deutfchen in Prag, Krakauer Gaſſ⸗ sı (Poftfchedtonto Prag 627 30). 


I. 5 Lebmanns Verlag / Münden 2 SW. / Paul Heyſe⸗Str 26 


ir machen unſere Lefer auf den diefer Nummer beiligenden Profipelt , Nene Grundlagen | 
Der Raſſenſorſchung“ des Adolf Klein Berlageds, Leipzig S 3 befonders aufmerfjam. 





Dolf und Raffe, 3. Fabry. 1933, Deft 3 


I. $. £ebmanns Verlag, Minden 





Der Derlag behält fidy das ausfchließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der 
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor. 





An die Lefer von „Volk und Kaffe". 


olf und Raffe wurde im Jahre 1926 gegründet, um der ungeftüm vors 
— waͤrts draͤngenden jungen Wiſſenſchaft der Raffens und Vollstumstunde 
ein Stuͤtzpunkt zu ſein, fs nad beftem Ronnen und Wollen zu fördern, ihr neue 
Anregungen zu ernfter Sorfhung und zielbewußter Aufllärung zu bieten. 

Pyeute find unfere tubnften Hoffnungen übertroffen, Wünfche, die man kaum 
zu Außern wagte, erfüllt. Mit der fiegreichen nationalen Revolution hat fic aud 
der Raffegedante durchgefegt. Ein weitaus unermeßliches Seld der Betätigung 
eröffnet fic der Raffentunde und der Raffenpflege. Alle, die fehon bisher troy 
nie Hiachteile und Anfeindungen mit heißem Herzen und unerfchrodenen 

utes fur diefe Gedanken eingetreten find, haben nun freie Bahn vor fidh. Huns 
derte werden fich ihnen freudig anfchließen und mithelfen, die Bewegung macht: 
voll vorwärts zu treiben. 

Der Weg ift bereitet, die Anmarfchftraßen gefchaffen, nun beißt es aufzus 
bauen und praltifche Arbeit zu leiften, zum Wohle unferes Dolles und zur Sides 
rung feiner Zukunft. 

„Volt und Kaffe“, fchon bisher in vorderfter Reihe unter den Wegbereitern 
raffifchen Erwachene, betrachtet es mebr denn je als feine Sendung, den überall 
bervorbrechenden, nach Betätigung und Erfüllung trachtenden Aräften Sinn 
en diel zu geben, fie in fefte Bahnen zu Ienten, ihnen den richtigen Weg zu 
weifen. 

Mir wollen und wir müffen nun, nachdem das Kis gebrochen ift und die 
Begriffe Raffe und Raffenpflege in ihrer Bedeutung erlannt und aus unferem 
Stastsleben nicht mehr binwegzudenten find, praßtifche Arbeit leiften. 

Fyierzu bedarf es vor allem eines Organs, das frei von bemmenden, in alten 
Anfdhauungen verharrenden Anfichten, unterftügt von den Dorkämpfern der Bes 
wegung, ztelbewußt feinen Weg gebt. Cs muG in der Lage fein, zu den Zeits 
ereigniffen Stellung zu nehmen, wichtige Entjcheidungen zu beeinfluffen und 
vorzubereiten. 

Wir haben uns daher entfchloffen, „Bolt und Kaffe‘ von diefem Hefte ab 
monatlich erfcheinen zu laffen, das Serausgeberkollegium umzugeftalten bzw. zu 
ergänzen und den Inhalt den Bedürfniffen der Zeit anzugleichen. 

An der bisherigen bewährten Zufammenarbeit zwıfchen den verfchiedenen 
Mitfensgebieten, die mit Raffentunde und Raffenpflege in Beziehung fteben, foll 
aud in Zukunft feftgebalten werden. Die uns erwartenden Aufgaben erfordern 
aber eine ftärkere Berudfichtigung von Arbeiten über Raffentunde, Raffenpflege 
und Erblichkeitsforfchung. 

Die Umgeftaltung des Blattes, die im allfeitigen Einvernehmen zwifchen 
Schriftleitern und Verlag erfolgte, veranlaßte leider Herrn Prof. Dr. Rede in 
Leipzig, mit Rudfict auf die Örtliche Entfernung feines Wobnfitzes und die zabl« 
reihen Aufgaben, die dort feiner barren, von der Schriftleitung zurüdzutreten 
und die Alleinverantwortung Seren Dr. Bruno RB. Schulg zu überlaffen. 

Wir fprechen Aerrn Prof. Rede für feine aufopferungsvolle, erfolgreiche 
Tätigkeit für das Blatt unferen tief empfundenen berzlichen Dank aus. inen 
Rüdtritt bat uns Herr Prof. Reche dadurdy tragbar gemacht, daß er fich bereit 

Dol! und Naffe, 1955. Juli. 9 


114 Dolt und Raffe. 1933, II 





erklärte, den Blatte aud in Zukunft als Mitherausgeber und Mitarbeiter mit 
Ret und Tat zur Seite zu fteben. 

Unfere Lefer aber bitten wir, der Zeitfchrift in ihrer neuen Geftalt die befts 
mögliche Sörderung zuteil werden zu laffen. Weifen Gie in Ihrem Belanntens 
kreife immer wieder darauf bin; unterftügen Sie unfer Bemüben, dem Blatte, 
feiner großen Aufgabe entfprechend, auch eine. ftattliche Anbängerzabl zu vers 
chaffen, damit es fich in weiten Rreifen auswirten kann. 

Um der Zußunft unferes Volkes willen, müffen die in „Volt und Kaffe“ 
aufgeworfenen Dorfdlage und Anregungen in allen deutfhen Bauen woeitefte 
Verbreitung finden. Möge jeder nach feinen Rräften mithelfen, das Geplante in 
die Wirklichkeit umzufegzen. Hier findet jeder einzelne einen Wirktungstteis, in dem 
er tatkräftig und erfolgreich mitfchaffen kann. 


Scriftleitung und Verlag. 


Die biologifche Erneuerung des deutfchen Volkes. 
Don Dr. phil. et med. Lothar Gottlieb Tirala, Brünn. 


De politifche Rettung des deutfchen Volkes im Reiche ift geglüdt, die biolos 
gifche Rettung ift noch nicht einmal begonnen worden. Laffen wir uns durdy 
die wunderbaren Erfolge der IISDAP. nicht darüber täufchen, daß wir biologifch 
ein fterbendes Doll find. Der Rudgang der Geburten als foldyer ift eine rs 
fceinung der Zivilifation und es ift felbftverftändlich, daß es niemandem von uns 
einfallen wird, den beute lebenden Stauen in der Stadt 16 oder 18 Geburten als 
Form zuzumuten. Genau fo wenig aber darf man geftatten, daß unfere Srauen, 
und gerade die der wertoollen, kulturbildenden Schicht, fich felbft auf den Aus» 
fterbeftand fegen, indem fie in ihren Eben entweder gar keine Rinder gebären oder 
böchftens ein bis zwei Rinder in die Welt fetzgen. DOenn man noch immer darauf 
binweift, daß wir einen Meinen Überfhuß der Geborenen über die DVerftorbenen 
baben, rund 180—200 000, fo ift diefer Geburtenüberfchuß nicht etwa gleiche 
mäßig auf alle Stände unferes Polkes verteilt, fondern 80% davon ftellen die 
Rinder der geiftig Minderwertigen, Rranten, Bewohnbeitsverbredher und uns 
gelernten ilfearbeiter dar. Das Unglüd ift eigentlich viel größer, als es nad 
den Zahlen erfcheinen kann, da die Statiftiler lediglich die Anzahl der Geburten 
angeben, aber nicht die Anzahl der erbgefunden und wertvollen Geburten. Gos 
lange unfer Dolf von der marriftifchen JIrriehre ausging, daß Menfdh gleich 
Menfb, Geburt gleich Geburt wäre, fchien es ziemlich gleichgültig, aus weldyen 
Schichten des Volkes die neugeborenen Bürger ftammten. Llun wiffen wir aber, 
daß die Rulturbildenden Schichten auch die fozial höherftebenden Schichten find. 
Selbftverftändlich werden audy in den fozial tieferftebenden Schichten des Volkes 
immer wieder wertvolle und wertoollfte Mienfchen geboren, aber die verbältniss 
mäßige Anzahl derfelben ift viel zu gering, um auch nur die Erhaltung und Bes 
wabrung unferer derzeitigen tulturellen und zivilifatorifchen Adbe 3u gewaͤhr⸗ 
leiften. Wir begrüßen mit Sreuden jeden tulturell wertvollen Dollsgenoffen in 
jeder Schicht, aber wir dürfen die Augen vor der Tatjache nicht verfchließen, daß 
die Infaffen der Hilfsfchulen und der Sdwadfinnigenbeime zu 800% oder nod 
mebr aus den fozial niederen Stufen und aus afozialen Kreifen der Gewobnbeitss 
verbrecher ftammen. Subren wir die Unfrudtbarmadung der erblid) Minders 
wertigen durch, fo müffen wir uns darüber Mar fein, daß wir mit einem Sdhlage 
einen Ausfall von febr viel Geburten haben werden, fo daß dann auch den 
Zweiflern und Befferwiffern der von uns Raffenbygienikern längft ertannte bios 
logifde Lliedergang unferes Volkes offenbar werden wird. Dann wird eben 


1933, II £. G. Tirala, Die biologifdhe Erneuerung des deutfchen Voltes. 115 








plögli auch der Beine Geburtenüberfhuß aufhören und der Schrumpfungss 
vorgang in unferem Volle deutlich werden. Jest ift er ja noch immer, leider 
©ottes muß man faft fagen, für die Allgemeinheit getarnt und nur wenigen 
tommt in voller Schredlichleit der biologifche Fliedergang unferes Volkes zum 
Bewußtfein. Die Statiftiter haben ja längft nachgewiefen, daß auch der derzeitige 
Geburtenüberfhuß nur ein fceinbarer ift, weil unfer Doll einen biologifch uns 
natürlichen Aufbau zeigt, dadurch nämlich, daß gerade jetzt durch die gefteigerte 
Hygiene das dSurchfchnittliche Lebensalter um 20 Jahre länger geworden ift (fruber 
40, jetzt 60 Jahre), während nad) etwa 10 Jahren derzeit fortpflanzungsfabige 
Schidten dann erft in ihrer ganzen Geburtenarmut dafteben werden, wenn die 
heute 60, 70 und 80 jährigen Menfchen ausgefchieden find. In einem VDolte, deffen 
biologifder Aufbau richtig und naturgemäß ift, kann man diefen Alterss 
aufbau durch eine Pyramide darftellen, welche eine quadratifche Bafıs bat 
und je nach dem durchfchnittlichen Alter der Bevölkerung in eine Spite auss 
läuft, deren Höhe dem böchften erreichbaren Lebensalter entfpricht, vgl. Ums 
fhlagbild und Seite 131. Die Seitenfläcdhen diefer Pyramide können alfo unter 
einem größeren oder geringeren Winkel zur Bafis geneigt fein, find aber immer 
eine gerade Släcye. Die Pyramide unferes Dolles ift aber fo geftaltet, daß die 
Bafis bereits fdmaler ift als ein parallel zur Bafis gelegter Schnitt, das beißt 
die breitefte Slache diefes geometrifchen Körpers ift nicht mebr die BGrundflace, 
diefe Dyramide bat daher keine normale Bafis mebr, fondern die Grundfläche ift 
angenagt. Mit anderen Worten: die Sortdauer unferes Volkes felbft ift in Srage 
geftellt. Da handelt es fidy gewiß nicht um eine nationaliftifche Hege, um mög» 
lihft viel Ranonenfutter für künftige Kriege zu erzielen, wie es uns unfere polis 
tifhen Gegner immer andichteten, fondern um die Lebensfrage der Ylation. 
rade die Schaffung und Erhaltung der wahren AHumanität, der Bildung, der 
Bünfte, turz der Kultur ift durch diefen unnstürlichen Altersaufbau, diefen 
— an der Baſis, durch dieſes Abſterben der Wurzeln, um ein 
anderes Bild zu gebrauchen, auf das allerſchwerſte gefaͤhrdet. Wer daher gerade 
die Ruͤnſte des Friedens, der Rultur liebt, gerade der muß den raſſenhygieniſchen 
Gedanken der biologiſchen Geſundung und Erneuerung unſeres Volkes auf das 
Waͤrmſte begruͤßen und dieſen Rampf mit allen Kraͤften unterſtuͤzen. In Bezug 
auf die Wichtigkeit dieſer Frage, welche nicht eine von vielen, mit Unrecht ſoge⸗ 
nannten Lebensfragen iſt, ſondern welche die, und zwar die einzige Lebensfrage 
iſt, verblaſſen alle uͤbrigen Aufgaben, nicht nur alle innenpolitiſchen und kul⸗ 
turellen, ſondern ſelbſt alle Probleme der Außenpolitik. Erinnert ſei nur daran, 
daß die Polen 1b0 Jahre unter fremder Herrſchaft gelebt haben, unter drei Reiche 
aufgeteilt, und heute mit ihren 30 Millionen Menſchen, die verſprechen, ſich in 
weiteren bo Jahren auf 60 Millionen zu vermehren, unſer Volkl trotz aller feiner 
kulturellen Großtaten nach einem biologiſchen Geſetz wegdraͤngen werden und 
müſſen, da wir in bo Jahren, wenn es ſo weiter geht, ein Volk mit zwar 
bo Millionen Menſchen, aber davon 20 Millionen geiſtig Minderwertigen und 
ſolchen, welche auf Grund ihrer Erbanlagen nicht mehr als hoͤchſtens Volksſchul⸗ 
bildung erwerben koͤnnen, ſein werden. 
Ceterum censeo: Der beruͤhmte Staatsmann Cato im alten Rom beendete 
jede ſeiner Reden im Senat mit den Worten: Ceterum censeo, Carthaginem 
esse delendam — uͤbrigens bin id der Anſicht, daß man Rarthago zerſtoͤren 


uß. | 
Wenn das deutfche Doll in feinen tulturtragenden und fubrenden Sdidten 
in den nächften Jahren nicht genügend Rinder zeugt und aufsiebt, geben wir trog 
aller außens und innenpolitifchen Erfolge und trog alles Sdeins von tulturellem 
@Glanz unweigerlid 3u Grunde. 





116 VoR und Kaffe. 1933, III 


Leben oder Sterben der deutfchen Ylation. 


Bevdllecungspolitil, das Gebot der Stunde! 
Don Medisinalrat Dr. Gutt, Berlin. 


YD « wenig die Bedeutung einer ftaatliden Bevdllerungss oder Raffenpolitif 
von den Völkern der alten Welt und des jeigen europäifchen Rulturs 
treifes erfannt worden ift, beweift uns die Jabrtaufende alte Gefchichte. Mit Auss 
nahme des chinefifchen Volkes find alle Rulturvdller der vorcriftliden Geſchichts⸗ 
epode fcbon nach recht kurzer Zeit der Blüte dem Lliedergang und dem Untergang 
anbeimgefallen. Das Uuffteigen und Liiedergeben foldyer Dölker betrachten die 
meiften Hiftorifer und Gelehrten als die unvermeidliche Solge bober Kultur und 
Sivilifation, indem fie den kulturellen und politifchen Aufftieg eines Volkes mit 
dem AHeranceifen eines Mienfchen zum Jüngling und Mann, den Lliedergang eines 
Volles aber mit den Greifenalter eines Einzelwefens vergleichen. Llichts ift aber 
binfälliger als diefer Vergleich, da die Bevölkerung eines Staates, zur Llation 
geworden, fich dauernd unter einander mifcht. Dadurch ift fie nicht, wie das Leben 
oder das Uhrwerk des einzelnen Organismus mit begrenzter Laufzeit dem Tode 

eweibt, fondern nach menfchlidem Lrmeffen müßte ein foldes Doll folange 

ben können, wie die Erde nur irgendwie Bedingungen dazu bietet. Wenn troßs 
dem Völker fterben, ß ift diefer Ddllertod kein Alterstod, fondern ftets durch 
äußere beeinflußbare Bedingungen verurfacdht. Außer Rriegen und Geuden oder 
gar Anderungen Bimatifcher Derbältniffe tommen in erfter Linie foziale und tuls 
turelle Wandlungen als Grund in Betracht, die die Sortpflanzungsverbältniffe 
eines Dolles nacteilig und zerftörend beeinfluffen. Der Lliedergang der alten 
Inder, Perfer, Griechen und Römer, die Übernahme ihrer Sitten und Gebräuche, 
wie die Auswirkungen unferer Zivilifation zeigen uns den Weg, den wir Deutfchen 
zu geben im Begriff find. | 

Sorfden wir mit bevdllerungspolitifdem Derftandnis fir die biologifden 
Grundlagen eines VDolles nad der Urfache diefes Untergangs, fo treten uns beute 
im deutfchen Dolte diefelben Erfcheinungen und Schädigungen entgegen, die im 
alten Rom und Griechenland wirkfam waren. Lieben allmäblicher Entartung von 
Kinzelwefen und ganzen Samilien, wie Sittenlofigkeit, war es die verbeerend 
wirkende abfichtliche Sruchtbarkeitsbefchräntung, 8. b. Srauen wie Männer des 
alten Griechenlands wie Roms wünfchten keine Rinder und keinen Lladhwucdhs 
mebr! Damals wie beute begannen zunächft gerade die tüchtigften und werts 
pollften Gefellfchaftsfchichten mit der nabezu völligen Befchräntung der Rinders 
zahl, denen dann die breiten Maffen der Bevslkerung folgten, fodaß ein raf von 
Oenerstion zu Generation anfchwellender Rüdgang der Ropfzahl eintrat. Go 
berichtet der griechifche Gefchichtsfchreiber Polybios im 2. Jahrhundert v. Chr.: 

„au meiner Zeit litt ganz Hellas an Rinderlofigkeit und überhaupt an 
Menfdhenmangel, wodurch die Städte fich entleerten, das Land keine Srüchte mebr 
trug, obgleich weder ununterbrocdhene Rriege nod) Seuchen uns betroffen batten; 
denn die Menfchen batten fid) dem OUbermut, der Geldgier und der Traͤgheit zu⸗ 
gewendet, fie wollten nidt mebr heiraten oder wenn fie es taten, doch nicht alle 
ihre Rinder aufziehen.“ 

Genau diefelben Erfcheinungen zeigten fich vor dem Verfall bei den Römern. 
Sittenlofigkeit, Belds und Vergnuͤgungsſucht, Surcht vor den Rinde zundchft bei 
MWoblbabenden, dann auch im niederen Dolte ließen die Sortpflanzung immer uns 
Bender werden. Aud) der Bauernftand verfdwand nad und nad. Das 

inten der Getreidepreife in Italien in Solge der Cinfubr aus den Rolonien, wie 
die Anfammlung von Kapitalien in den Handen von wenigen ließen die Lands 
bevditerung immer mebr verfchulden und brachten fchlieglich ein Ausfterben der 





1933, III Gütt, Leben oder Sterben der deutfdhen Klation. 117 


Kandbevdllerung mit fid. Hand in Hand mit diefem Rüdgang der Zahl ging 
aud cine Derfdledterung der Raffe vor fic, indem faft nur nod Sklaven und 
Mifclinge im alten Römerreidh eine mebe und mehr baftardierte und minders 
wertige Dladhlommenfchaft bervorbrachten. Die notwendige Solge waren dann 
ein allgemeiner Rüdgang und Verfall der Kultur wie eine Derfchlechterung des 
Vlachwudfes an Charalteranlage, Begabung und Sührertalent, fodaß das ges 
waltige Romerreih unter dem Anfturm der zahlenmäßig fhwaden, aber trafts 
io Dollsftamme wie ein Rartenbaus zufammenbrad. 
ie fiebt es nun bei uns damit aus? Unfer Doll lebt in feiner Maffe noch 
in der Dorftellung des Dorkriegsdeutfchhlands und glaubt, daß wir ein kraftvolles 
und aufftrebendes junges Doll find. Wir feben heute die Maffen von Erwerbss 
lofen und nach Arbeit fich fehnenden Millionen deutfcher Menfchen und befinden 
uns in dem optimiftifchen Blauben, daß alles fich zum Beften wenden wird, wenn 
diefe Maffen von Arbeitslofen wieder Arbeit erhalten werden und wenn die Wirts 
fhaft wieder einen Aufftieg erlebt. 
®ewig, die Erndbrungsgrundlage unferes Volles muß 3us 
erft wieder gefidert, Ordnung und Gauberleit, wie cine weits 
fdhauende nationale Derwaltung müffenerft wieder die Dorauss 
fegung fbr den Wiederaufftieg fdaffen! Was aber durch Reichtum 
und ftaatliche, wie militärifche Rraft vor dem Kriege verfchleiert wurde, das trat 
nad den Weltkrieg nach der Revolte von 1918 und bei der 14 jährigen Migwirt- 
fchaft der Klachkriegszeit in verftärktem Maße in Erfcheinung, nämlich die Tat» 
fache, daß der völkifche, kulturelle und wirtfchaftliche Aufbau unferes Volkes bes 
reits lange vor dem Rriege ftark angefault und morfch waren. Flur fo erllärt fich 
auch der ungebeuer fchnelle und politifche Zufammenbrud im Liopvember 1918. 
Das deutfche Volk war feinem Urfprung nach ein durchaus genoffenfcheftlich, 
fippenmäßig ul Vollstum, in dem es nur ary gab. Weil die Bers 
manen in ihren Stämmen urwüdhfig und traftvoll die Beften als Sührer gewäblt, 
fittenrein, wurzelnd in einer heilig gebaltenen be, die Rinderaufzucht und Samis 
lienreinbeit für das beiligfte Gut hielten, waren fie auch berufen, die Erbichaft 
des fittlid verlommenen römifchen Reiches anzutreten. Zwar beberrichten diefe 
nifchen Stämme ganze Teile des Imperiums, doch ihr Vollstum ging durch 
ermifhung und Übernahme der Sitten und Gebräuche der Römer zu Grunde. 
Kur in Suds und Llorddeutfchland, den flandinavifden Staaten und England 
konnte fich das germanifche Blut und die germanifche Weltanfdauung erbalten. 
Nach einer langen Blütezeit des alten römifchen Raiferreichs deutfcher Flation 
kam zwar ein Zufammenbrucdh diefes Reiches, aber es war nody kein Lliedergang 
des deutfchen Volkes, fondern es handelte fich um ein Derfagen der dynaftifchen 
Reichsverfaffung, eine Solge der Duodesfurftentumer. Was wir aber feit der 
Revolution von 1918 nah dem Welttriege erlebt haben, ift ein 
Derfagen und der Lliedergang unferes Volkes felbft! Die marris 
fifhe Migwirtfchaft und die internationale individualiftifde Weltanfdauung 
baben weite Teile unferes Dolles durch ihre falfchen Lehren und Derbetzung derart 
feelifh vertümmern laffen, daß fie noch nicht fähig find, zu ihrem Vollstum 
zurüdsufinden. Das Ergebnis feben wir vor uns: Millionen folgten marriftifchen 
und bolfchewiftifchen Irrlebren, andere haben kein Derftändnis dafür und wollen 
nicht zugeben, daß das chriftliche Zentrum durdy a diefes Marrismus 
mit verantwortlich für den wirt{daftlicdben und feelifden JSufammenbrud unferes 
Volkes zu maden ift! Die Solgen find diefelben wiein Griehenland 
undimalten Rom, indem als unweigerlicdhe Solge diefes Flieders 
gangs {bon heute ein Abfterben pees Volles eingefegt bat. 
ezogen auf 1000 Deutfche nahmen die Geburten des Jahres 1872 von etwa 
41 a.T. auf 15,9 a.T. im Jahre 1931 ab. Wie gewaltig der Geburtenfturz in 
den letzten Jahren ift, erfiebt man daraus, daß wir bereits Srankreich mit 13,1 Ges 
burten auf Taufend unterfchritten baben. So wurden bei uns im Jahre 


— — ein ern 





118 Volt und Raffe. 1933, III 


193! nuc 1030000 Rinder geboren (vor dem Kriege noch etwa die 
doppelte Zahl), während in Polen beute etwa 1 010 000 Rinder, alfo 
faft genau fo viele Säuglinge wie in Deutfhland jährlidh ges 
boren werden, obgleih es nur 30 Millionen, alfo die „älfte 
der Deutfhhen Einwohner zählt. 

Was bedeutet das nun? Der Raffenbygieniler Lenz, Münden, 
bat ausgerechnet, daß unter Berudfihtigung des Altersaufs 
baues unferes Volkes heute fbom !/,, alfo rund 300000 Rinder 
zu eng geboren werden, um unfeer deutfdes Dolt als Doll im 
Herzen Luropas zu erbalten! — Wabrend Deutfchland 1910 bei 65 Mils 
lionen Einwohnern noh 22 Millionen Rinder unter ı5 Jahren hatte, find es 
193! nur noch 15,8 Millionen; ja, am natürlichen Aufbau unferer Bevölkerung, 
8. b. zur augenblidlichen Zahl von erwerbsfähigen Menfchen und gebärfähigen 
Srauen feblen uns beute bereits $ bis s1/, Willionen Rinder, die in Solge des 
Brieges und in den Flachlriegsjabren überhaupt nicht mehr geboren find. Das 
Sweilinderfyftem des Jahrzehnts nacdy dem Kriege ift bereits überholt und der 
Weg in der Richtung zum Kinkinderfpftem befchritten. Cinftweilen find ben 
mit 2 Rindern nocy am bäufigften, aber Rinderlofe und Cintindeben find jede für 
fic) bereits baufiger als Eben mit 3 Rindern. Das Wort Burgdörfers muß 
unterftrichen werden: „Das deutfche Doll treibt ce dem Abs 
grund zu!“ Die um 1960 im Sortpflanzungsalter ftebende eration wird, 
wenn die Beburtenziffer fich nicht wieder hebt, — und dafür beftebt einftweilen 
keine Ausficht — einen Vlachwuds binterlaffen, der nad Lenz nur 44% der um 
1930 beiratenden Generation ausmacht. Gegen Ende diefes Jahrhunderts wird 
das deutfche Volt auf 40 9.9. feines gegenwärtigen biologifchen Beftandes zus 
rüdgegangen fein. Damit wird es auch feine Grenzen im Herzen Europas nicht 
verteidigen können. 

Hand in Hand damit gebt eine Überalterung und Vergreifung unferes Volkes, 
8. b. die Zahl der über 65 Jahre alten Leute nimmt prozentual im Derbältnis zur 
Zahl der Rinder und erwerbstätigen Wienfchen dauernd zu, was zu einer immer 
mebr anfteigenden Zunahme der Soziallaften führen muß. Andererfeits find zwar 
Rinder im Haushalt eines Samilienvaters eine Belaftung, fie bedeuten aber als 
Ronfumenten im Wirtfchaftsbaushalt eines Staates Arbeit und Brot und eine 
Belebung des inneren Wirtfchaftsmarktes, der bei Seblen von s Millionen Rindern 
um deren Derbraud eingeengt ift, 8. b. Vollswirtfchaftler haben ausgerechnet, 
daß nahezu 1/, der deutfcben Arbeitslofigkeit fich allein durch die Einfchräntung 
diefes inneren Warltes erklärt, alfo der Gegenwert ihres Unterbalts nun doch in 
sorm von Arbeitslofenunterftügung gezahlt werden muß. So grape alfo die 
individualiftifcbe 0 mearriftifhe Theorie fi 
felbft, dem Dolle und der Wirt{haftdsas Grab! Mit der prozentualen 
Sunabme der alten Leute und Abnahme der zuwachfenden jungen Generation 
fteigern fic) aber aud die Roften für Rrantbeit und Invalidität, die dann auf 
immer weniger erwerbstatige Menfden umgelegt werden miuffen, fodag fic 
ein Rreislauf entwidelt, der fchließlich zum Zufammenbrucdh unferer ganzen fos 
zialen Gefeggebung führen wird. 

Ubgefeben von diefer innerpolitifchen Auswirkung bedingt diefe Entwids 
lung aber auch eine unaufbaltfame von Jahr zu Jahr fic verringernde Dollstraft. 
Die fommende Generation wird fic) weder auf dem Gebiet der Wirtfchaft, was 
den nur Wirtichaftspolititern gefagt fein mag, noch auf dem Gebiet der Wehr: 
fabigteit, Webrtraft oder Rolonifation behaupten können. Linfere Oftgebiete find 
dann nicht nur nicht zurudzugewinnen, fondern aud nicht einmal deutfch zu ers 
balten, wenn es nicht gelingt, einen Umfdwung berbeizufubren. 

Dody ee ift ja nicht nur die Zabl, die fehlende Quantität, die zu Befürchtung 
Anleg gibt, fondern im gleichen Maße die Qualität, d. b. die Befchaffenbeit unferer 
deutfchen Bevdlkerung. Während wir eine dauernde Befchräntung und Abnahme 


1933, III Git, Leben oder Sterben der deutfchen Mation. 119 





der Rinder der hochwertigen Menfden und Samilien in allen Bevdllerungss 
fhichten, fowohl bei Bauern wie bei Arbeitern feftftellen können, feben wir auf 
der andern Seite die dauernd anfteigende Zahl von minderwertigen, afozialen 
Menfchen mit geiftig oder körperlich Eranthaften Erbanlagen, die von der Offents 
lichkeit unterhalten werden müffen. So {hätt S. Lenz fowohl die geiftig Minders 
wertigen und Entarteten, wie die Börperlih Schwachen und Rranlen auf je etwa 
6000000 Menfden, von denen die meiften diefe ihre Erantbafte Anlage immer 
wieder weiter fortpflanzen und auf Rinder vererben dürfen. 

Bei diefer engen ln £age, in der wir uns 
beute fhon in Deutfchland befinden, Bann es für uns und für die 
Se eee Bewegung nur einen Weg und einen 
Willen geben! — Diefer Entwidlung muß genau fo Einhalt ges 
boten werden, wie dem politifhen und kulturellen Zerfall 
unferes Dolles,dasvondermarriftifbden Nigwirtfhaftpeällig 
an den Rand des Abgrundes gebradt ift. 

&s ift aber ein großer Irrtum, wenn wir glauben, der deutfche Staat und 
die deutfche Wirtfchaft müffen erft in Ordnung gebracht werden, dann kommt 
alles andere ganz von felbft, dann wird auch die Sabı der Rinder wieder anfteigen, 
die Zahl der AHochwertigen zunehmen, die Zahl der Afozialen und Minderwertigen 
aber wieder abnehmen. Es ift die Pflicht aller Bevdllerungspolitiler, in erfter 
Linie der Öffentlichen GBefundbeitsbeamten, daß fie unferen politifchen Sübrern 
und unferm Dolle fagen: „Der Aufbau Deutfhlands und unferes 
Dolles kann nur gelingen, wenn eine entf&hloffene Bevdls 
kerungspolitit ale Grundlage für alle unfere weiteren Maßs» 
nabmen auf dem Gebiet der Politil, der Wirt{haft, unferes ges 
famten fulturellenundftactliden Lebensangefeben wird! Mur 
wenn es gelingt, eine quantitative und qualitative Bevdls 
kerungspolitilt in unferer ganzen GOefeggebung, in Wirt{(Haft 
und Sozialpolititzu verankern, [haffen wir die Dorausfegung 
für die feelifbe Strulturwandlung unferer Hation, die legten 
Endes ausfhlaggebend ift!* — 

Bei der überaus bedroblichen Schrumpfung des erbgefunden Vlachwudfes 
und der ungerechten Belaftung str nod wertvollen kinderreichen Samilien ift eine 
Umftellung der bisherigen individucliftifchen Staates und Wirtfchaftsauffeffung 
zu einer das Samilienleben bejabenden Gefeggebung und Lebensanfdauung 
dringendes und fofort in Angriff zu nebmendes Bebot. 

Die Sicherung, Dermebrung und Veredelung der deutfchen artgleidyen 
Menichen haben als höchften Zwed des deutfchen Staates zu gelten, da die Sörs 
derung der erbgefunden Samilien allein ausfchlaggebend für die Erhaltung unferes 
Staates und Vollstums ift. Daber find unfere ftaatlichen und gefellfchaftlichen 
Einrichtungen, die Staatsperwaltung, Wirtfchaftsordnung, Steuerwefen, das 
Rechts: und Gefundheitswefen, wie Schule, Samilienordnung und Webrorganifas 
tion raffenbygienifchen Gefichtspuntten unterzuordnen. Bis dsabin fcdpfte die 
Wirtfchaft aus dem vollen Brunnen der Vollstraft, obne 3u fragen, wober das 
Menfchenmaterial, das fie verbrauchte, fomme, was aber in abfebbarer Zeit aufs 
hören wird, obgleich das heute noch unwabhrfcheinlich Bingen mag. Darum müßten 
aud die deutfche Wirtfchaft und ihre Vertreter in ihrem eigenften Intereffe darauf 
bedacht fein, nicht nur den augenblidlichen Zuftand der Arbeitslofigkeit zu feben, 
fondern an die Zulunft zu denten und dabei mitzuwirlten, um fich die jegt auss 
en wertvollen deutfchen Samilien als ihre natürlichen Kräfte zu erbalten. 

er innere Wirtfhaftsmarkt ift darum durch Ausgleich der Samilienlaften zu 
erneuern und zu ftärten. Das Steuerwefen ift nach raffenbygienifchen Gefidhtes 
punkten umzuftellen, da die bisher betriebene Steuerpolitit, wie die bisherige Bes 
völkerungspolitit der Samiliengründung und — geradezu entgegen: 
gefetzt wirken und den £ebenswillen des deutfchen Volles nahezu ertöten. Bei der 


120 Volt und Kaffe. 1933, III 





heutigen ungebeuren indirekten Steuerbelaftung, die den Samilienpster mit jedem 
Rinde vervielfältigt trifft, wirken fidh die gleidymadende Lobns und Sozial⸗ 

olitit als ein Privileg der Unverbeirateten und Rinderarmen aus, fodaß jeder 

amilienfinn durch diefe Ungerechtigkeit von vornherein zum Abfterben verurteilt 
ift. Hand in Hand mit einer günftigen Cintommensverfdiebung innerhalb des 
Gefamtvolles 3u Bunften der kinderreidhen Samilien, wodurd eine außerordents 
lice Belebung des Binnenmarltes zu erwarten wäre, muß geben die Achtung 
vor dem Begriff Mutter, als der Trägerin der deutfchen Zukunft. Es gebt nicht 
an, daß Srauen und Mutter im Berufsleben vergeben, nur weil wir nicht den 
Mut baben, den Mann in das Berufsleben wieder einzugliedern und der Srau 
und Mutter es wieder zu ermöglichen, fich ihren Rindern zu widmen. Wo wir 
audy binfeben, überall tut eine Umftellung not. So müffen das Rect, das Bil 
dungswefen und unfere Rulturpolitit nach raffenbygienifchen Gefichtspuntten um= 
geftaltet werden. Die unbaltbaren, zum Teil überbolten und veralteten Zuftände 
unferer gefamten fozialen Befeggebung und Derfiderungen drängen zu durdhs 
greifenden Reformen, die nad bevdllerungspolitifden Gefidtspuntten 3u_ bes 
arbeiten wären. So fehr die Derforgung aller Rranten und Surforgebedurftigen 
als Pflicht anerlannt wird, fo dürfen doch das Öffentliche Befundbeitswefen und 
die fommunal betriebene Sürforge fih nicht erfhöpfen in falfch verftandener 
Llächftenliebe zu jedem afozialen Gelhöpf, fondern es muß wieder Aufgabe des 
Öffentlichen Gefundbeitewefens und der gefamten Arztefchaft fein, neben der Hilfe 
für das Einzelindividuum an die Maffe der noch erbtüchtigen Samilien zu denten, 
denen durd übertriebene allzu bobe afoziale LKaften die Möglichkeit zur Lebenss 
entfaltung genommen wird. So wie es das Streben der gefamten 
Arztefhaftundder dffentliden Gefundsheitsbeamten fein mugG, 
der bedrobliden Sdhrumpfung des erbgefunden Uahwudfes 
entgegen 3u wirken, foiftesandererfeits ibre Dflimt, dafur zu 
tampfen, dag die Sortpflanzung und dauernde Funahme der 
fbwererblid Belafteten verhindert werden. Bei ftreng wiffenfchafts 
lider Rlarftellung der VDorausfegungen muß eine gefegliche Regelung der Lins 
— —— (Steriliſierung) und Schwangerſchaftsunterbrechung erreicht 
werden. 

Schließlich iſt eine baͤuerliche SGiedlung nath den Vorfchlägen von Darre 
mit allen verfuͤgbaren Mitteln zu foͤrdern, da nur die Erhaltung und Mehrung 
des Bauernſtandes eine Aufartung und Mehrung unſeres deutſchen Erbgutes ver⸗ 
buͤrgen. Es geht nicht an, daß in Zukunft Geſetze und Notverordnungen nur nach 
wirtſchaftlichen und finanztechniſchen Geſichtspunkten herausgegeben und aus⸗ 

earbeitet werden, ſondern ſie muͤſſen vorher auf ihre bevoͤlkerungspolitiſche, die 
Samilien fördernde oder bemmende Wirkung geprüft werden. So find Bes 
oölterungspolitit und eine praltifhhe Raffenbygiene als eine 
Orundlage des neuen Staatswefens anzufeben, die bei allen 
neuen ftaatliden Maßnahmen Berüdfihbtigung finden muß. 
Geſchieht das nicht, wartet man den weiteren Derlauf der Bevdllerungsbewegung 
ab, geben wertvolle Zeit und Erbmaffe verloren, wie vor allen Dingen dann 
nicht mebr die Stimmung im Dolte zu erzeugen ift, die heute nach einem fo uns 

ebeuren Derfall und dem nunmehr einfegenden Wiederaufbrud der deutfchen 

ation vorhanden ift. 

Es find ungeheure Aufgaben, die unfern politifhen Sübrern 
bevorfteben und doh müffen fie von diefem großen Gefidtss 
cs — in Angriff genommen werden, follen fie Erfolg 

aben 

Go febr wir aud davon überzeugt find, daß die wirtidaftliden Grimde 
und das übertriebene Streben nach fozialem Aufftieg mit die Haupturfacde des 
Geburtenrüdgangs, der Abtreibung und der Geburtenverbinderung find, fo wollen 
wir doch keineswegs vertennen, daß der GBeburtenrüdgang und die Beburtenvers 


1933, III Gitt, Leben oder Sterben der deutfchen Nation. 121 
EEE EEE EEE EEE EEE Eu u EEE a) 





binderung außer der befprochenen wirtfchaftlichen und medizinifch-biologifchen 
auch eine pfychologifche und ethifche Srage ift. Ze kann keinem Zweifel unterliegen, 
daß die Einftellung dem keimenden Leben gegenüber von der Weltanfchauung des 
deutfden Volkes, in Sonderbeit der deutfchen Stau und Mutter abbangig ift. 
Wir erleben heute cine unerbörte Emanzipation der Srau, an der unfere bisherigen 
Regierungen, die Öffentlichkeit und unfer Volk insgefamt mitfchuldig find. — Die 
Stau nimmt teil am fozialen Aufftieg, fie verdrängt den Mann aus Derdienft und 
Brot, wie der Mann andererfeits durch eigene Schuld, durch eine falfche Eins 
ftellung der Srau gegenüber, diefe Entwidlung fördert und auf Ebefchließung 
verzichtet! Die Öffentlichkeit verberrlicht das Wiannweib in Sport und Beruf, 
auf allen Gebieten, veracdhtet und verfpottet aber gewiffermagen die dumme Srau, 
die beute nody Rinder betommt. So bat fih eine ganz falfche Lebensauffaffung 
unferer Srauens und Wiännerwelt gebildet und das Seben bat bei uns feinen Ginn 
verloren. Das Gefühl der Derantwortung fur Samilie, Dol! und Staat ift ers 
ftorben! Jeder fiebt es als feine Aufgabe an, fein Leben zu genießen und der 
individualiftifchen Weltanfchauung zu buldigen. 

Esift das große Derdienft unferes Subrers Adolf Hitler und 
der nationalfozialiftifhden Bewegung, dem deutfhhen Volke 
und der Deutfchen Jugend wieder Jdeale und Liebe zu Doll und 
Daterland gegeben zu haben! Der beffere Teil der deutfchen Jugend ift 
wieder bereit, für den Schuß des deutfchen Volkes und Vaterlandes zu kämpfen 
und wenn es fein muß, zu fterben. Unfere Aufgabe nah dem 5. März 
1933 tft es, nun aud dem deutfchen VDolle und der deutfhben Ju: 
gend beizubringen, daß es ebenfofebr ihre Aufgabe ift, für 
Deutfhland zu leben! Die Reinbaltung der Jugend für Ebe und Lebens: 
glud muß wieder oberftes Gebot der Jugenderziebung fein! Befonders die ge⸗ 
bildete Jugend wird fi) des Wertes ihrer Erbverfaffung bewußt werden a 
daß es gilt, fie zu bewabren und nad Erreichung einer Zebensftellung diefes rb: 
gut wieder durch geeignete Battenwabhl auf gefunde Klachlommen fortzupflanzen. 
Kine Übertreibung des Sports und das Streben nady weltbeglüdenden Theorien 
und fozialem Aufftieg find wertlos für Dolt und Staat, wenn fie die Samilien: 
gründung bindern. Kür Wiänner muß wieder der Bauernberuf, für Srauen der 
Mutterberuf als erftrebenswertes Ziel angefeben werden. Mifcheben mit Sremds 
raffigen find zu widerraten, da dadurch außer körperlichen Gründen widerfprechende 
Charaktere und feelifch zerriffene, unglüdliche Menfchen entfteben. Eine raffen:= 
bygienifdhe Erziebung unferer Rinder muß fie gewöhnen an 
Pflibt zur Arbeit, aber aub an Pflihbtbewußtfein und Ebr: 
furdt vor dem großen £ebensftrom des Volkes! Dann wird aud 
wieder eine Veredelung des Sortpflanzungefinns und eine Verankerung der Seele 
im Ewigen und Gottlichen die Solge fein. Sür die deutfchen Eben aber muß wieder 
das Bluben der Samilie bis in fernere Befchlechter als ein böberes Gut angefeben 
werden, als Reichtum und perfönliche Bequemlichkeit. 

So wie der Flationalfozialismus unfer Doll vor dem Hinabrollen in den 
Abgrund des Bolfchewismus bisher bewahrt bat, fo muß er es nunmehr als feine 
Aufgabe anfeben, das deutfche Volt vor dem drobenden Raffentod zu bewahren. 
Dies aber ift nur möglich, wenn wir alle wieder das eigene kurze Dafein dem 
langen gemeinfamen £eben der Samilie und Raffe unterordnen. Mit allen Mitteln 
und mit allen Safern unferes Seins müffen wir uns dem rollenden Linbeil ent: 
gegenftemmen. Raffenbygiene und Bevdlkerungspolitit müffen im neuen deutfchen 
Staatsweien Hand in Hand geben und bei jeder ftaatlichen Wiaßnabme werden 
die Ziele beider ins Auge gefaßt werden müffen! Wiaßnabmen, die einfeitig nur 
auf Dermebrung des Voltes binzielen, können rafjeverfchlechternd wirkten und 
umgelebrt könnten Maßnahmen, die einfeitig nur auf die Tüchtigleit der Erbs 
verfaffung binarbeiten, wieder das Maß der Dollsvermebrung unzuläffig fehmälern. 
Diefes Ziel tann nuc erreidt werden, wenn der neve Staat, 


Dolf und Baffe. 1933. Juli. 40 


122 Volt und Kaffe. 1933, III 
EEE EEE a EEE EEE ae 


famtlide Minifterien und Berufsftände alle ibre Maßnahmen 
vom Befihtspunktt der qualitativen und quantitativen Bez 
vollerungspolitit in Angriff nebmen! Fur wenn alle wert: 
vollen Bevdllerungsfdhidten unferes Volkes diefes Ziel er- 
tennen, wird es unfern politifhen Sühbrern gelingen, das or⸗ 
ganifdhe Erbgut unferes VDolles und Deutfdland als felbftan: 
sige Mation im Herzen Europas zu erhalten! 


Raffenfunde, Dererbungslehre und Raffenpflege 
als Begenftand der deutfchen Erziehung. 
Don Dr. Bruno RK. Schulg, München. 


rien Sculunterrichte baftete bisher der große Mangel an, daß er beladen 
mit Gedantengangen, die legten Endes im Humanismus wurzeln, eine 
gründliche Erfaffung der großen und wichtigen Erfcheinungen des Lebens an fich 
vernadhläffigte. Die Ergebniffe der Klaturwiffenfchaften, vor allem die der Lebens- 
kunde (Biologie) wurden uns als Schülern im naturktundlicdhen Unterrichte in mebr 
als durftigen Ausmaße vermittelt. Diefer Wangel macht fich beute für unfer Volt 
fehr empfindlich bemerkbar. Das Verftändnis für gewiffe Lebensgefege, die dem 
mit einfachem, gefunden Wienfchenverftande Ausgeftatteten inftinttmäßig lar 
liegen, werden von der Mebrzabl unferer Dolktsgenoffen überfeben und mißachtet. 
So kam es, daß das Wiffen von den Dererbungsgefegen und von der Derfcdhieden: 
beit der Menfcenraffen von Dielen als etwas geradezu alle Grundlagen Um: 
ftoßendes empfunden wurde. Die nationalfozialifche Bewegung bat diefe Mängel 
richtig ertannt und die Erkenntniffe von der Verfchiedenbeit der !enfchenraffen 
in weitefte Rreife unferes Dolkes getragen. Yun, da die nationale Bewegung zu 
voller Entfaltung gelangt ift, müffen wir auf eine Vertiefung diefer Erkenntniffe 
in unferem ganzen Doltstörper und zwar von frühefter Jugend an dringen. Wie 
wichtig die Kenntnis der VDererbungsgefege ift, wird fofort Bar, wenn wir auf 
die Srage der Dererbung geiftiger und körperlicher Säbigkeiten oder Mängel ein: 
geben und feben, wieviel Unglüd zu verhindern gewefen wäre, wenn die Ge: 
fehlechter vor uns die Befetze der Dererbung gelannt und beachtet hätten und all 
dic Eben erblidy Belafteter nicht zuftande getommen wären bzw. die Belafteten 
freiwillig oder unfreiwillig auf die Erzeugung von Hachlommen verzichtet hätten; 
und umpgeltebrt, welchen Aufftieg es für unfer Volk bedeutet hatte, wenn aus: 
fhließliy begabte und erblih hochwertige Menfchen Eltern deutfcher Rinder ge: 
wefen wären. 

Dasfelbe gilt von der Raffentunde. Wenn die Erkenntnis von der Bedeutung 
der Raffen für die Tüchtigkeit und Aulturleiftung eines Volkes und der verfchie: 
denen Gefabren, die mit Raffenmifchungen, vor allem einer Mifhung mit febr 
fernftebenden Raffen verbunden ift, in unferem Wolke entfprechend verbreitet ges 
wefen wäre, dann wären fo und fo viele unglüdliche Baftarde und Zwitterwefen 
nicht in die Welt gefegt worden, dann wären die feit der Judenbefreiung immer 
ftärker um fic) greifenden Mifdeben zwifchen Deutfchen und Juden bintan= 
gebalten worden. Die Kenntnis der Raffentunde und befonders der geiftigen Ders 
fbiedenbeiten zwifchen den Raffen ift auch für sie Behandlung und den VWerkebr 
mit Raffefremden von großer Wichtigkeit. Ein Lehrer, ein Richter oder ein Priefter 
werden Angebörige anderer Raffen viel leichter verfteben und beurteilen können, 
wenn fie die feclifdyen Derfcbiedens und Ligenbeiten der betreffenden Raffen kennen. 

Unfere nationale Regierung bat aus diefer Maren Erkenntnis heraus wieder: 
bolt durch ihren Sübrer felbft und durch feine bervorragenden Mitarbeiter auf die 


1933, III Bruno R. Schulg, Raffentunde, Vererbungslebre und Raffenpflege ufw. 123 
EEE FE Enz BD EEE DEE EEE EEE EA nn FE, OR TE TEE EHER) 


Notwendigkeit und Wichtigkeit der Raffentunde, Vererbungslehre und Raffens 
pflege bingewiefen und die Sorderung ausgefprochen, daß in den deutfchen Schulen 
von den einfachften bis zu den Hochfchulen die Sragen um das Befteben und die 
Bedeutung der Raffen in unferem Volke lebendig gemacht werden müffen. Diefe 
Aufgabe erfordert aber einen ausreichenden Stab von Lehrkräften, der wirklich 
zu einem Unterrichte in Raffentunde, Dererbungslebre und Raffenpflege vorge: 
bildet und befähigt ift. Es tritt darum an die Erzieber des neuen Deutfchland die 
dringende Aufgabe beran, fich diefes notwendige Wiffen, fei es durch Schulungss 
turfe, fei es auf den Univerfitaten oder durch Selbftftudsium anzueignen und Sache 
der vorgefegten Schulbehdrden wird es fein, der Lehrerfchaft diefe Möglichkeiten 
in ausreichendftem Maße zu verfchaffen und die Ausbildung der künftigen Lehrer 
nad diefer Richtung bin zu geftalten. 

Es ift grundfäglich notwendig, daß famtlide £ebrer, ganz gleichgültig, 
weldes Sad fie 3u lehren baben, über Dererbungslebre, Raffentunde und Aaffen: 
pflege unterrichtet find und darüber Auskunft geben können, denn es bandelt fic 
nicht um ein Einzelfachwiffen, fondern um das Wiffen von Lebensfragen. 
Selbftverftändlih wird man aber von den verfehiedenen Sachlebrern nicht gleich 
viel verlangen, fondern von Volksfchullehrern und den Lebrern insgefamt an allen 
Mittel: und böberen Schulen aber felbftverftändlih auch von Hochfchullebrern, 
daß fie über die einfachften Tatfachen und Begriffe der Raffenktunde, Vererbungs: 
lebre und Raffenpflege Befceid wiffen, denn fie find ftets Sührer eines Teiles 
unferes Volkes und fie müffen bei allen Sragen, die fie mit ihren Schülern be: 
bandeln, auch die der Kaffe und deffen, was mit ihr zufammenbängt, berüd: 
engen Kine befonders gründliche Ausbildung in Raffentunde, Dererbungslebre 
und Naffenpflege wird man aber von jenen Lehrern erwarten müffen, die die naturs 
wiffenfchaftlidhen Sacher vortragen. Es wird kein vernünftiger Wienfch bezweifeln 
können, daß das Wiffen vom Menfchen, feinen Raffen und Lebensgefegen ungleich 
wichtiger ift als irgend ein Abfchnitt aus Zoologie, Botanik oder einem anderen 
naturwiffenfchaftlichen Sache. Es ift febr zu begrüßen, daß aus dem Munde der 
beute verantwortlichen Manner wiederbolt Außerungen gefallen find, daß jede 
deutfche ocbfcbule eine Eebrkanzel für Raffentunde und Raffenpflege erbalten foll. 
Es wird wobl niemand anzweifeln, daß es dann auch notwendig ift, diefe Sächer 
entfprechend in den Lehrplan der Ausbildung der deutfchen Erzieher, der deutfchen 
Arzte und Juriften und deutfchen Priefter einzubauen und eine Prüfung aus ihnen 
3u fordern. 

Der Einbau des raffentundliden und vererbungstundliden Lebrftoffes in 
den Eebrplan der Volkes und höheren Schulen läßt fich bier natürlich nur andeuten. 
Es wird Aufgabe der £chrerfcbaft und der Unterrichtsminifterien der deutfchen 
Länder fein, den ganzen Entwurf bis in die legten ingelbeiten auszuarbeiten. 
In den unteren Rlaffen der Polksfchulen wird man fchon in ganz einfacher Weife 
auf die Derfchiedenartigkeit der Sormen im Pflanzen: und Tierreiche und an Hand 
finnvoller Beifpiele auch auf die großen Raffenftamme der Menfchheit eingeben 
können. Man wird ferner die Unterfchiede zwifchen Art, Raffe und Unterraffe 
durch Beifpiele an Tieren und Pflanzen dem Rinde nabebringen können und im 
Laufe eines Dergleiches zwifchen den verfchiedenen Tierraffen (3. B. beim Gunde, 
Pferde, Geflügel ufw.) auf die raffifchen Linterfchiede, die auch beim Menfchen 
befteben, aufmerktfam machen können. Ebenfo kann man fcbon für die Grund: 
begriffe der Vererbung die erften Dorausfegungen durch Befprechung der Tat: 
fachen fchaffen, daß bei Tieren und Pflanzen immer nur Gleidbwertiges von den 
Eltern gezeugt wird. In den böberen Rlaffen der Dolksfchulen und den gleichs 
altrigen der böberen Schulen fann dann auf die menfdlicdhe Raffentunde und in 
den letzten Rlaffen auf die Grundfätge der Vererbung, auf Auslefe, Baftardierung, 
Inzucht ufw. eingegangen werden, ebenfo müßte das Wichtigfte uber Bevdls 
kerungslebre, wie Geburtenrüdgang, differenzierte Sortpflanzung ufw. den Schülern 
eingeprägt werden. Um das 14. Jahr, da die Befchlechtsreife erreicht ift, wird es 

10° 


124 Volt und Raffe. ‘ 1933, 111 
EEE — —— 





auch notwendig und ſelbſtverſtaͤndlich ſein, in klarer und vernuͤnftiger Weiſe die 
Schuͤler auf den Unterſchied zwiſchen den Geſchlechtern, auf die —— 
und auf die Gefahren der Geſchlechtskrankheiten aufmerkſam zu machen. Es iſt da 
natuͤrlich an das Caltgefubl und die Feinheit der Empfindung der betreffenden 
Lehrperſonen eine beſondere Anforderung geſtellt. Dies waͤre am beſten zu ver⸗ 
binden mit einem Unterrichte in Geſundheitslehre. Jn den legten Klaſſen der 
hoͤheren Schulen koͤnnte eine beſondere Vertiefung in die Raſſenkunde, die Ver⸗ 
erbungs⸗ und Bevoͤlkerungslehre erfolgen. 

Aber nicht allein der naturkundliche Unterricht ſoll ſich mit den Fragen der 
Tr ae des Menfchen befchäftigen, fondern au nady Möglichkeit alle anderen 

er. 

Rein Sragengebiet, auger dem Bogen, ift für die Bildung vaterländifcher 
Gefinnung von fo ausfchlaggebender Bedeutung wie der Gefbihtsunter- 
richt. Der Befchichtsunterricht wäre aber eine bedeutungslofe Aneinanderreibung 
von Jabreszablen und von Berichten über politifche Creigniffe, wenn er nicht 
gleichzeitig immer wieder die Stage ftellte, warum das eine oder andere Volk. cine 
bobe oder niedere Rultur befaß, warum es zu foldyer Höhe emporftieg und warum 
ein anderes, fulturell und politifh, vom Schauplag der Weltgefchichte ver: 
dhwunden ift, obwohl es noch 100 oder 200 Jahre vorber in der einen oder anderen 

ichtung führend bervorgetreten war. Die Antwort auf diefe Sragen kann uns 
in allerweiteftem Mage die Raffentunde geben. Sie bat ja zur VDorausfegung die 
Renntnis von Vererbung und Auslefe. Damit ift aber aud die Gefcicte und 
fei es die der entfernteften Völker viel enger mit den wichtigften Sragen unferes 
eigenen Gcidfales verknüpft und ift uns immer wieder cin Beifpiel fur uns felbft 
und dafür, wie wir unfere Zukunft geftalten müffen, gegeben. Als notwendige 
Solgerung aus diefen Renntniffen ergibt fich felbftverftändlich das Eingeben auf 
Stagen der Raffenpflege. Der erdfundliche Unterricht hätte einzugeben auf 
die Derbreitung der Mienfchenraffen und Raffengemifce, auf die Züchtung be: 
fonderer, an die Umwelt beffer angepaßter Sormen (Estimo, Fleger ufw.), auf die 
Stage des Lebensraumes, Auslandsdeutfchtum ufw. Im geologifchen und pa= 
ldontologifden LUinterridhte müßte felbftverftändlidh fein, daß die frubften 
Dertreter menfchlicher Sormen, die uns bisher bekannt find, wie Pithecantropus, 
Pleandertaler und der foffile Homo sapiens befprochben werden. Der fprad: 
liche Linterricht, befonders der Deutfchunterricht, bietet ebenfo eine Sülle von Mög: 
lichkeiten, auf die Raffe und auf die geiftigen Cigenfcdaften der Raffen einzugeben. 
Etwas, was unferer Bildung bisher volllommen feblte, war die Rulturkfunde. 
Hier könnten ganz befonders die Rulturleiftungen verfchiedener Völker, Raffen 
und Raffengemifche auseinandergefegt und der Sage von Raffe und Beift nad: 
gegangen werden. Uber felbft ein fcheinbar fo trodener Begenftand wie die Mutbe: 
matill liege fic in unferem Sinne in der Weife nugbar machen, daß die Aedyen= 
beifpiele in der einfachen und höberen Mathematik teilweife auch fo geftellt werden, 
> fie Sragen der Dererbungslebre und Bevdlkerungslebre zum Gegenftande 
aben. 

Eine folhe Schulung würde eine Stärkung des gefunden, natürlichen Jn- 
ftinttes zur Solge haben und gegen die Derfdledterung unferer Raffe und das 
Abfterben unferes Dolkes dsurd den heute immer mebr um fich greifenden Ge⸗ 
burtenridgang ein legtes Bollwerk werden. 


Nidt der Staat ift der fozialfte und befte, der die meilten Siechenhäufer, 
Kriippelhetme, Tubertulofeheimitatten und Jrrenhäufer hat, fondern der- 
jenige, der Dant feiner Dolts: und Erbgefundheitspflege die wenigiten folder 
Anftalten braudıt. Oberit Bierl, 1932. 


125 





Deutfches Ebepaar. 


Der Mann ausgefproden nordifch, die $rau vorwiegend nordifc. 


Der Mann ftammt vom FTiederrbein, die Srau ift von pommerfchem, aus dem Eichafeld 
eingewandertem Uradel. Beide Dargeftellten find blaudaugig und blond, die Srau 
etwas duntler. 


Wir bringen in Sintunfe an diefer Stelle gute, fir beftimmte Gegenden typifde Naffen- 
bilder und fordern unfere Lefer auf, uns durd) Einfendungen zu unterftügen. 


126 Dolf und Kaffe. 1933, III 








Ahnen: und Stammtafeln in Rerteiform. 


Don Dr.sIng. Hans Goes, Minifterialrat, München. 
Mit 5 Abbildungen. 


a Samilienforfcher, der fid) mit der Fufammenftellung feiner Dorfabren in 
einer Ubnentafel oder der Liachlommen einer Perfon in einer Stammtafel 
(Hahhlommen männlichen Stammes) oder Machfabrentafel (fämtliche Fradhlommen) 
befaßt, ftößt dabei alsbald auf erhebliche formale Niglicleiten. WDenn er bei: 
fpielsweife verfucht, für jede in der Abnentafel vortommende Perfon ein gleich 
großes Seld, fagen wir von 4 cm Breite und 3 cm adhe zu zeichnen, fo fiebt er 
fid), wenn er einigermaßen in. frübere Generationen kommt, febr rafch vor raum: 
lichen Unmöglichkeiten. In der 6. Beneration muß er bereits 25 = 32, in der 10. 
aber fhon 2? - 1024 Selder nebeneinander anordnen. Mit einer Seldbreite von 
4 cm gebt das nun einmal nidht mebr. Denn dann würde feine Tafel ſchon 
40 Meter breit, ganz abgefeben davon, daß dann die Selder der jüngeren Genera- 
tionen fo weit aus einander rüden, daß jeder bildliche Zufammenbang verloren gebt. 

Man muß fich alfo, bei einigermaßen umfangreihbem Stoff, nicht nur dazu 
entfchließen, die Abnentafel in Einzceltafeln wie einen Atlas zu unterteilen, fondern 
darüber hinaus auch noch die Selder nach oben zu immer fehmäler zu machen. So 
tommt man zu der bekannten Sorm der Ahnentafel. Sie bat den unvermeidlichen 
Hachteil, daß man bei den oberen Seldern von der normalen wagredhten Zeilen 
. lage zur fentrechten übergeben und auf dic Beifugung von Lebensdaten, für die 
unten reichlih Raum vorbanden ift, verzichten muß. 

at man bei der Ahnentafel immerbin nod ein fur alle Salle gleiches regel: 
mäßiges und fymmetrifces Schema des Aufbaues, fo fpaltet fic der Stamm: 
baum oder die Tlacdhfabrentafel je nad) der Zabl der Llachlommen der einzelnen 
Blieder in ein immer verfchiedenes, ganz unregelmäßiges Gebilde. Will man, 
wie bei der Ahnentafel, bei der genau fentrechten Untereinandergruppierung der 
Yiadtommen bleiben, fo debnt fic die Tafel mit großen Raumlüden unüber: 
fichtlich endlos in die Breite. Sucht man diefe Lüden durch feitliche Derfchiebungen 
auszugleichen und dadurch aud) die Tafel zu verfehmälern, fo gebt meift die Rlar: 
beit verloren. ft es aber doch gelungen, einmal eine befriedigende räumliche An: 
ordnung auszutüufteln, fo wird fie, wenn bei der Sorfcehung neue Kladhlommen 
auftauchen, wieder ganz über den Haufen geworfen. 

Gan3 fcdlimm ftebt es mit den Sippfchaftstafeln!). Hier tft mit den bis- 
berigen Mitteln eine einigermaßen eingebende und überfichtliche Darftellung über: 
baupt nicht möglich, weil ficb in Solge der Eigentümlichkeit diefer Tafeln als Der: 
cinigung von Abnenz und Stammtafeln, die oben aufgeführten Schwierigkeiten 
gewiffermaßen verviclfacen. 

Line ideale Samilientafel (Ahnen, Nachfahren: oder Sippfchaftstafel) müßte 
folgenden fünf Sorderungen genügen. Sie müßte: 

1. alle Zufammenbänge in einer Gefamtdarftellung überfichtlich zeigen; 

2. nad cinem durchwegs geltenden eindeutigen Schema aufzuftellen fein, das 
von Kinzelverbältniffen unabbängig ift und auf jede Willtürlichkeit und 
Zufälligkeit der räumlichen Anordnung verzichtet; 

3. neue Sorfehbungszugänge obne Störung und Anderung der bisherigen An= 
ordnung einfügen laffen; 

4. in ibren Ausmaßen obne Beeinträchtigung der Deutlichkeit handlich und 
womdglid auch am Screibtifch verwendbar fein; 

5. für jeden Kamen meglichft ein gleich großes und gleich geformtes Seld 
mit genügendem Pla für £ebensdaten und fonftige für Speszialunter: 
fucbungen (Dererbung ufw.) erforderliche Angaben entbalten. 


1) Dgl. ‘ B. Devrient, Samilienforfcbung. feipzig 1911, S. 102 ff. 


1933, III Hans Goeg, Abnens und Stammitafeln in Rarteiform. 127 


Don diefen Sorderungen find bei der bisherigen Art der Tafeldarftellung 
überhaupt nur einzelne und dann nur auf Roften der übrigen zu verwirklichen. 

Mit dem im Solgenden befchriebenen Verfahren wird es nun aber möglich, 
allen diefen Sorderungen gleid seitig in vollem Umfang zu ge 
nugen, und zwar mit Hilfe eines neuen Rarteifyfteme. 

Rarteien find in der Samilienforfchung feit langem üblidy. Aber fie wurden 
bisher nur im Sinne eines Zettellataloges wie etwa bei Büchereien verwendet. 
Ein ſolcher Zettellatalog ift feinem Wefen nach nichts anderes als ein Verzeichnis 
oder eine Lifte, deren Zeilen gewiffermaßen felbftändig geworden, auf einzelne 
Zettel verteilt und damit beweglich, umftellbar und beliebig erweiterungsfäbig 
find. Aber der Zetteltatalog bat trog diefer Vorzüge mit dem Inbaltsverzeichnis 
immer noch das gemein, daß er, fo wie er nun aufgeftellt ift, feinen Stoff immer 
nur nach einem Ördnungsgefichtspunft, zumeift dem Abc, einteilt und anordnet. 
Der Sinn und Derwendungszwed einer modernen Rartei gebt jedoch, was vielen 
nicht belannt ift, bei aller dugeren Abnlichteit wefentlih und grundfäglich über 
den des Fettellaftens hinaus. Er beftebt darin, daß die moderne Rartei ihren Stoff 
nicht nad einem Schema, etwa dem Abe, ordnet, fondern gleichzeitig nach 
mebreren Befichtspuntten, beifpielsweife neben dem Abe auc nad) Gadhgruppen 
oder Ortsbezirken. Sie erreicht das durch einige zufägliche Hilfsmittel, wie ver: 
fhiedene Sarben und insbefondere durch Anbringung fog. Sabnen am oberen 
Rartenrand (vgl. Abb. 2). eben den feft angefcdnittenen Sabnen, die in ver- 
fehiedener Breite, Höhe und Sorm verwendet werden, fpiclen dann nod eine Rolle 
die fog. Reiter, Heine auffetzbare, ebenfalls verfchieden gefärbte und geformte 
Bledhftreifen. SGie können nachträglich zur Rennzeichnung befonderer Merkmale 
an den einzelnen Karten angebracht werden. 


⸗ — MEcenerationen —i — 


| ——— [Uy-GroB! GroB- !Eltern !Proband 
| (Eltern [Eltern | | | 
| ' | | 


| | 





Abb. 3. 


Unter Zubilfenabme diefer Mittel ift es nun möglich, die bisherige Sorm der 
gezeichneten Ahnen: und Vladfabrentafel durd eine Aufftellung in Rarteiform 
3u erfegen und damit alle bisherigen Kachteile mit einem Schlage auszufchalten. 
Man kann fo, bei mindeftens gleicher Überfichtlichkeit, auf Beinftem Raume ein 
Dielfades an Stoff handlich unterbringen, ja fogar Ahnen: und Klachfabrentafeln 
in einer Rartei vereinigen und damit auch das Problem der Sippfchaftstafel 
uͤberraſchend loͤſen. 

Die Sache geht in folgender Weiſe: 








128 Volt und Kaffe. 1933, III 


1. Sür jede Perfon wird eine Rarte ausgefertigt und zwar werden Rartei: 
karten in zwei verfchiedenen Sarben verwendet, beifpielsweife gelblich für männ: 
liche und rötlich für weibliche Glieder. Müffen (bei Llachfabrentafeln) audy Per: 
fonen 3unddft unbelannten GBefchlecdhts eingefügt werden, fo nimmt man biefür 
noch eine dritte Sarbe. 





Abb. 2. 


2. Die Rarten tragen an ihrem oberen Rande Sabnen (f. Abb. 1). Diefe 
Sabnen find je nach der Generation, der der Inhaber der Rarte angebört, an ver: 
fhiedenen Stellen des oberen Randes angebradht und zwar fo, daß fie in der 
Breite jeweils ein wenig übereinandergreifen. 


Abb. 3. 


Auf der Släche der Karte wird, genau wie bei den bisher gebrdudlichen 
Samilientarteitarten alles eingetragen, was für die Sorfehung in brane tommt. 
Auf der Sahne wird der Mame wicderbolt. 

Die Rarten werden nun in folgender Weife (Abb. 2) eingeordnet: 

Vorne die Rarte des Vaters (gelb), dahinter die Rarte der Mutter (rot), 
3wifchen beide die Karte des Kindes (mit feitlich nach rechts verfebobener Sabne). 
Die Rartenfabnen der Eltern umfchließen alfo wie eine Zange von vorne und 
binten die Rartenfabne des Hadhlommen. Diefes grundfaglide Verfahren wird 





1933, III Hans Gor, Ahnen: und Stammtafeln in Rarteiform. 129 


für alle Generationen fortgefetgt. Unmittelbar vor den Vater (d. b. die Karte des 
Daters) fommt die Karte des väterlichen Großvaters (Sahne weiter links), uns 
mittelbar dahinter die der väterlichen Großmutter. Jn gleicher WDeife bei der 
Mutter. Set man das Verfahren nun für alle Generationen fort, fo erbält 
man eine Anordnung der Karten, wie fie Abb. 3 von oben zeigt. Die Sahnen find 
bier durch didere Striche gekennzeichnet. 

Vergleichen wir diefe Abbildung mit der Ublicden Ahnentafel, fo feben wir, 
daB nunmebr die Rartenfabnen ein getreues Bild der Ahnentafel geben, nur mit 
dem Unterfchiede, daß deren Seldbreite auf die Rartendide zufammengefchrumpft 
ift. Sieht man in Richtung der Vorderfeite der Karten, fo kann man, namentlich 





Abb. 4. 


wenn diefe etwas fchräg und loder fteben, die Liamen ausgezeichnet überbliden. 
In Abb. 4 babe ich beifpielsweife meine eigene Abnenkartei auf 5 Generationen 
vereinfacht wiedergegeben. In Wirklichkeit ift die Überfichtlichkeit natürlich wefent: 
lid größer, als dies zeichnerifch darftellbar ift, zumal noch der Wechfel der Sarben 
zwifchen Männern und Srauen dazu kommt. 
Wir haben alfo durch diefe Anordnung bei gleicher Überfichtlichkeit für jeden 
Ahnen ein gleidy großes Rartenfeld gewonnen, das jedem Bedürfnis genügt, und 
leichzeitig im ganzen eine außerordentliche Raumerfparnis erzielt. Llimmt man 
Rarte Karten, alfo etwa von 1/, mm, fo fommen wir bei 10 Generationen, wenn 
alle Abnen belannt find, auf 2047 Rarten, alfo auf eine Tiefe der Rartei 
von 68 cm. Wir baben aber dabei den großen Vorteil, daß wir unbelannte 
Ahnen zunädhft einfach auslaffen können, fodaß fich die HMiaße noch verringern. 
Bei der gezeichneten Tafel können wir das nicht. Dort müffen wir auf alle Salle 
von vorneberein den Raum freilaffen. WDollten wir alfo eine Abhnentafel alter 


130 Dolt und Kaffe. 1933, III 





Art machen, die gleid große Selder bat und ebenfoviele Angaben in gleicher Schrifts 
größe enthalten foll, fo wurde fie, wenn man mit einem Rartenformat von 
11 x 20 cm (obne Sahne) rechnet, wie ich es vorläufig benügt babe, bei einer Hoͤhe 
von 310 cm nicht weniger als 200 Meter breit fein. 

Genau dasfelbe Verfahren der Rarteneinordnung: Water vorne, Mutter 
binten, Rinder dazwifchen, kann man nun zur Herftellung einer karteiförmigen 
Uladfabrentafel anwenden. Kiur kommt bier als neue Regel hinzu, daß auch 
die Batten der Rinder unmittelbar bei diefen eingereibt werden. 
Um fie von den Rindern felber zu unterfcheiden, werden ihre Sabnen befonders 

elennzeichnet, fei es durch Schrägabfchneiden einer Ede oder durch eine fcywarze 
tle oder dbnlich. Zwifchen den jeweiligen Ehegatten werden dann immer 
wieder die Rinder eingefetzt. Abb. 5 gibt dies unter Befchräntung auf die Dars 
ftellung der Rartenfabnen anfdaulid wieder. Auch mebrfacdhe Eben können ganz 
analog untergebracht werden. Die zweite Srau kommt beifpielsweife unmittelbar 
binter die erfte. Zwoifchen beiden fteben dann die Rinder aus zweiter Ebe ufw. 


CMutter |] 
Locher ver.) 
ul) 
| —— 
—8 
CCC 
VXXCC.C | 


Add. 5. 


Und nun nod einen Schritt weiter. Wir können die Abnenlartei mit der 
Viadfabrenfartei in einem Raften unter einander verbinden. Damit nun die 
Sabnen fich nicht gegenfeitig ftören und damit insbefondere das Bare Schema der 
Abhnenkartei nicht verwirrt wird, ift ein weiterer Runftgriff nötig. Man ftuft 
die Rartenfabnen nad der Adbe ab, dserart, daß die nicht zur Abnenreibe 
elbft gehörenden Klachfahren eine niedrigere Sabne beLommen. Dann können foldhe 

tten beliebig dazwifchengereibt werden, obne die Überficht der Abnenkartei zu 
beeinträchtigen, deren Sabnen immer wie ein £etfchema über das Banze berauss 
ragen. 

Auch beliebige weitere Ergänzungen der Sippe durdy Einfügung der Ahnen 
Lingebeirateter find möglich, wenn man noch zu weiteren Abftufungen in der 
Sabnenbobe greift. Würde man, was praltifch ja wohl nie in Stage kommt, 
ebenfo viele Abftufungen in der Sabnenhdbe vorfeben, als die Kartei Generationen 
umfchließt, fo Bönnte man damit tbeoretifch fo weit geben, daß die Kartei die 
Kine Afzendenz und Defzendenz jedweder darın vortlommenden Perfon enthält. 

as ift felbftverftändlich eine Utopie. Aber auf alle Sälle kann man nach diefem 
Derfabren Sippfchaftstafeln beliebigen Grades verwirklichen. 

Auf Rarten von 20 cm Breite laffen fich bequem die Sabnen von 10 bis 
12 OÖenerationen unterbringen. Das wird für die meiften Samilienforfdungss 
swede durchaus genügen. Soll im einzelnen Sall weiter gegangen werden, fo 
braudt man nur, wenn man die Rarten nicht allgemein vergrößern will, den 
Baften fo einzurichten, daß man mit Hilfe von Leitfchienen, die in Ausfchnitte am 
unteren Rartenrand paffen, die Rarten aud feitlich verfehoben einbringen kann. 
Oder man ftellt einen zweiten Raften daneben. 


1933, III Fans Goeg, Abnens und Stammteafeln in Rarteiform. 131 








Weiter foll hierauf nicht eingegangen werden. Jedenfalls ftellt die neue 
Rartei ein febr bequemes Univerfalinftrument der Samiliens und Dererbungs- 
forfehung dar, weil fie zugleich geneslogifche Überficht und Materialfammilung ift. 


Die Dordrude für diefe durch Gebraudsmufterfhug gefbüsgte Kartei — Spftem 
an — find von J. $. Lehmann Verlag in Minden 2 3u bezieben. Naͤheres 
auf Anfrage. 


Entweder— Oder 
Wachsendes# Volk 1910 





über65J, Greise 


45-65 J. 5S BON Ältere Leute 





6 ME EEE Jugend 


— — — Kinder 
Männlich 7430000 Kinder Weiblich 


Schrumpfendes Absterbendes 
Volk Aa 7730 pa Volk £ 1960 


Ausfall 





un um am al 
Männlich 7070000 Kinder Weiblich 780 000 Kinder Weiblich 


Bevölkerungs-Aufbau Deutschlands 


Umgezeichnet nach Burgdörfer. „Volk ohne Jugend“. 


Der Bevdlterungsaufbau im Jabre 1910 zeigt ein wachjendes und in der Verteilung 
der Alterstlaffen ausgeglichenes Doll. — Im Jabre 1930 fällt vor allem der Geburten 
ausfall der Rriegsjabrgänge auf, die jet das 11.—15. Lebensjahr erreicht baben. Außer: 
dem ift die Grundfläche, die Rinder, erjchredlich verringert. Der Geburtenrüdaang 
ift Bar zu feben. Gegenüber 1910 find 360 000 Rinder weniger geboren worden! Auf der 
Seite der Hiänner unterbricht eine deutliche Rerbe zwifchen dem 35. und 45. Lebensjabre 
den geraden Anftieg der Pyramide — die Rriegsperlufte 1914— 19181 — Wie wird 
aber der Altersaufbau im Jahre 1960 ausfeben?! Wenn der Geburtenrüdgang weiter ans 
bält wie bisher, dann ift der legte Teil unferer Darftellung keine bloße Ronftrultion! Dann 
ift die Grundlage, nämlich die Schicht der Rinder, balb jo groß als im Jabre 1910 und 
ihr gegenüber die Zabl der Älteren Leute und Greife 3. T. Hiller der befjeren bygienifchen 
Derbältniffe unverbältnismäßig mädtig. Die Jugend bat für Sosiallaften (Altersrente 
ujw.) von erdrüdender Höhe aufzutommen. Das Volk ift überaltert? 


132 Vol und Kaffe. 1933, III 








Aus Raffenhygiene und Bevdlterungspolitit. 


Reidsinnenminifter Dr. Srid fordert Raffentunde in der Schule. 


Bei der Beiprehung der Minifter der deutfchen Länder am 9. Mai 1933 ging Reiches 
innenminifter Dr. Srid in einer längeren Ausfpradye auf die Srage der Meugeftaltung der 
Erziehung unferes Dolles ein und forderte befondere Vertiefung des Unterrichtes in unferer 
Mutterfprache, in vaterlandifdher Gefdidte und Dorgefdhidte, in Raffentunde, Erbgefunds 
beitslebre und Samilientunde. Geine Ausführungen über die Bedeutung der lebenslunds 
lichen Sacer find fo wichtig, daß wir fie bier im Wortlaute wiedergeben. 

„Fleben der fo geforderten ftärkeren Betonung deutfcher Rulturwerte im Gefdhidtss 
unterrit und in den ihm verwandten Säcdern bedarf auch der Iebenstundlicde 
(biologifhe) Unterriht nah zwei Seiten bin des Ausbaues. Zunädft fei die 
Raffentunde genannt, und zwar als Behandlung der europäifchen Hauptraffen, die an 
der Zufammenfegung des deutfchen Volkes Teil haben. Immer mehr bridt fib die Er⸗ 
tenntnis Bahn, daß die Wefensart eines Volles und die Grundträfte feiner gefchichtlichen 
Entwidlung gar nicht begriffen werden tönnen, ohne genügende Kenntnis feiner raffifcden 
Befonderheit. Daber ift der Raffenfunde auf allen Stufen der Schule genügend Raum zu 
widmen, damit die Grundeigenfchaften der wichtigften Raffen dem Schüler vertraut und der 
Bli für felbftändige Beobabtung der Raffenunterfchiede geichärft wird. Dabei ift zu beachten, 
daß die Belehrung nicht bei Außerlichen Uinterfchieden fteben bleibt, fondern daß, dem wachlens 
den Derfteben angepaßt, gerade auch die feelifhen Linterfchiede, wenigftens in den Grunds 
zügen aufgezeigt werden. Das ift nicht nur für das Verftändnis der Kigenart der deutichen 
Stämme widtig, fondern beinabe nod mebr fiir das Verftändnis der Völker, zu denen wir 
unmittelbare Beziehungen baben. Dabei ift von einer gebäffigen Beihimpfung fremder 
Raffen grundfäglich abzufehen. Klotwendig ift vor allem der Llacdhweis der Ichädlichen 

olgen der Raffenverfchledhterung und die fete Betonung der Sorderung unferer vdltifden 

ulunft, daß die Überfremdung deutfchen Blutes mit fremdraffigem, vor allem judifdem 
und farbigem Blut unbedingt verhindert werden muß. Andrerjeits aber verlangt die 
Wiederberitellung der en Gerechtigkeit, daß der Den der nordifchen Raffe 
in der Entwidlung Europas und der übrigen Erdteile genügend Raum gewährt wird. 
Denn nicht nur find gut 50 v. %. der Blutmenge des Seutfden Volkes nordifcher Hers 
tunft, fondern die nordifde Raffe it auch fir die Geftaltung der Gefdide Eurafiens feit 
der Urzeit von entfcheidender Bedeutung gewefen. Gerade unter diefem Gefidtspuntte mugs 
der Beginn der europäifchen Gefdhidte mit dem Auftauden der aus dem mitteleuropäifchen 
Raume ftammenden Griedhen und Römer in Südeuropa und über die Grenzen Europas 
binaus die Rulturleiftung der Inder und Perfer als eine Tat der nordifhen Raffe ertannt 
werden. Weiterhin ift die Bedeutung der germanifcdhen Völkerwanderung, die den Grund 
zur gefamten europäifchen Staatenentwidlung gelegt bat, nur unter diefem taffifchen Ges 
fihtepuntt richtig zu würdigen. Und das geiftige oder ar Übergewicht, der 
in der Lleuzeit weltbeberrfchenden Völker, der Deutfchen, der Engländer und dee Words 
amerilaner findet wiederum feine letzte Erklärung darin, daß in ihnen nordifche Tatkcaft 
fid Geltung verfchaft bat. 

Diefe raffentundlide Aufllärung aber ift durch eine nicht weniger widtige erbs 
gefundbeitlidhe zu ergänzen. Schon bei der Jugend kann und muß das Verftändnis 

r gewedt werden, daß ein Doll auc in feinem raffifchen Gefüge keine unabänderliche 
Größe ift, fondern daß fein raffenmäßiger und gefundbeitlicher Aufbau beftändigen Andes 
rungen unterworfen ift, je nachdem beftimmte unge fic ftärker, andere 
Ihwäder vermehren, fo daß zum Beifpiel unter gewiffen Dorausfegungen die Nach⸗ 
kommen der heute lebenden Deutfiden in 300 Jahren völlig verfhwunden und durch fremds 
ftämmige erfet fein könnten. Daneben ift auf die Erblichkeit Rörperlicher Mißbildungen, 
tranthafter Anlagen und geiftiger Schwächen fo nadhdrüudlich binzuweifen, daß diefe Dinge 
den beranwachjenden Gefdledte als felbftperftändlich erfcheinen und dann bei der Battens 
wahl fein Derantwortlichleitsgefühl beeinfluffen. Dazu tritt der große Gedanke dec Erb⸗ 
gefundbeitslebre, daß alle Aufwärtsbewegung eines Volles im legten Grunde von der 
Erhaltung und Mebrung feiner erbtüdhtigen Gefchlechter abhängig ift. 

Im Zufemmenbange mit Raffentunde und Erbgefundbeitsiehre vermag die Schule 
auch dur Einführung in die Grundbegriffe der Samilienforfhung und duch Ans 
leitung zu Aufzeichnungen über die eigenen Voreltern wertvolle Anregungen zu geben. 
Raum eine Wiffenfchaft ift derart geeignet, das Verftändnis für raffifche und erbliche Zus 
fammenbange einerfeits und für die blutsmäßige Derbundenbeit aller Dollsgenoffen andrers 


1933, III Buchbeſprechungen. 133 
EEE DET SER EEE IIE De MD RSI TI DPSS OE me — 





ſeits zu foͤrdern wie gerade die Familienforſchung. Die Familie als kleinſte ſoziale Gemein⸗ 
ſchaft arbeitet der Schule in der Begruͤndung des ſozialen Gedankens vor, dem dieſe in der 
Rlaſſengemeinſchaft und in der Schulgemeinde ein erweitertes Betaͤtigungsfeld bietet. Er 
findet ſeine tiefſte Begruͤndung und zugleich ſein ſchoͤnſtes Ziel in der Zuſammengeboͤrig⸗ 
keit aller Volksgenoſſen, in der Volksgemeinſchaft, die nicht nur politiſch und wirtſchaftlich 
geſehen eine Schickſalsgemeinſchaft und vom Standpunkte der Rultur aus eine Wertge⸗ 
meinſchaft, ſondern auch in Folge der umfaſſenden verwandtſchaftlichen Verflochtenheit 
aller Volksgenoſſen eine Blutsgemeinſchaft darſtellt, deren innere Verbundenheit gerade 
durch raſſen⸗ und familienkundliche Betrachtungen leicht zu erweiſen iſt.“ 


Buchbeſprechungen. 


Sriedrig Kertlein, Oskar Paret, Peter Göhler, Die Römer in Württenberg. W. Robl⸗ 
bammer, Stuttgart 1928— 3932. (I. & fyettlein, Die Gefchicdte der Befegung des römifchen 
Württemberg. XVI u. 200 &., 14 Tafeln, 5 Tertfig. — II. ¢ §. Hertlein und P. Ggke, 
unter Mitwirtung von ©. Paret, Die Straßen und Webranlagen des roͤmiſchen Wuͤrttem⸗ 
berg. XXVII u. 313 ©., ı ardhäologifche Rarte, 43 Tertabb., 33 Tafeln. — III. ©. Petet, 
Die Siedlungen. XVI u. 419 S., ı arcdhäologifche Karte, 137 Tertabb., 16 Tafeln.) Preis 
geb. ME. 33.30, geb. ME. 36.—. 

Das vorliegende Werk gereicht dem als Herausgeber zeichnenden WPürttembergifchen 
Landesamt für Denkmalpflege wie überhaupt der württembergifhen Landesforfhung zur 
größten £bre. Es ift erftaunlih, welche Sille an biftorifcher und kultureller Erkenntnis 

diglich die Jahrzehnte lang unermüdlich fortgefetzte Beobachtung und Durdforfdung des 
Bodens geliefert bat. Dabei ftanden die von den Römern eingenommenen Gebiete je nad) 
dem Zeitpunkt der Befigergreifung nur etwa 230, 170 oder gar nur 310 Jahre unter deren 
Serrichhaft, fomit ganz bedeutend kürzer als am Abein oder in den dftlidh anfdliefenden 
Donauléndern. Auch Scriftftellernadhrichten kommen nur ausnahmsweife der Deutung des 
Bodenbefunde 3u Hilfe. 

Die Derfaffer baben bei der Darftellung der römifchen Derbältniffe ebenfo den Anfchluß 
zur Dorgefdidte wie zur alamannifchsfräntifchen Zeit bin berisdfidtigt und dsadurdh den 
Sinn und die Abfidt mander rdmifden Cinridtung Margelegt, insbefondere die tieferen 
Urfadhen fir die Siedlungsverbältniffe und die Straßenführungen ergründet. 

Me die Römer das heute württermbergifche Bebiet befetsten, war das Land von einer 
für die damaligen Derhaleniffe anfehnlichen keltifhen Bevölterung befiedelt und gehörte 
keineswegs, wie häufig nody angenommen wird, zur der von dem Geograpben Ptoles 
maeus genannten „Eindde der MHelvetier”. Siedlungsleer war dagegen das heute nod 
dünn bevälterte Waldgebiet Sftlid vom mittleren Lledar und ndrd id der Alb, alfo das 
hwoäabifchsbayerifche Reuperbergland, das in den römifhen Machtbereih nie einbezogen 
war. Die einbeimifde rung blieb auch nach der Unterwerfung im Lande figen. 
Daraus ertlare fic das Weiterdefteben fowobl der größeren keltifhen Siedlungen wie 
mander Einzelgeböfte, das Sortleben von Ortes, Slußs und Bergnamen fowie der Bels 
tifhe Einfchlag, der in der Rultur zu bemerken tft. Wenn dem gegenüber $. Hertlein (38. I 
&. 30 uw. $3) den Verſuch macht, die Engefeffenen als Germanen (Sueben) zu bezeichnen, 
fo feheint mir feiner Aufftellung —“ der vorſtehenden widerſprechenden Tatſachen 
die ee oat zu feblen, zumal wir auf den an Zahl nicht geringen Infchriftfteinen 
germanifche Llamen vermiffen und auch bier wiederum faft nur keltifche Llamen antreffen. 

Die Siedelungsdichte war durch geologiſche Derbhaltniffe, Bodenart, Rlima, Ders 
tebrslage, durch die Dauer der Befegung des betreffenden Landftrihes ww. beeinflußt. 
Daber rübrt zum Teil die beffere Befiedlung des obergermanifden Landteiles, 3u dem 
u. a. das Lledarland gehörte, im Begenjag zum rätifchen Gebiete. Gegen 850 Siedlungen 
find bis jegt ermittelt worden. In dem am beften betannten und am didte(ten befiedelten 
mittleren LIedarland zwifchen Cannftatt und Heilbronn und den angrenzenden Lands 
fcdaften wurde das Gebiet eines einzelnen Gutes mit 2—4 qkm errechnet. Die gefamte 
Bevölkerung des römifchen Württemberg fchätt ©. Paret (bei der Linficherbeit fat aller 
Sattoren natürlid nur verfuchsweife) auf 32 000 Einwohner, eine Zahl, die durdyaus im 
Bereich des Wahrfcheinlichen liegt und die geeignet ift, den oft übertriebenen Dorftellungen 
von der DBevöllerungsziffer in jener Zeit zu begegnen. 

Ausführlihd wird im 3. Teil „das Schdfal der römifhen Siedlungen in nads 
rémifcder Zeit und ihre Bedeutung für das fpätere Siedlungss und Landfdaftsbild” bes 


134 Volt und Kaffe. 1933, III 





bandek und nad den verfhiedenften Seiten hin unterfudt. Wo romifde Siedlungen forts 
lebten, war dies entweder durd ibre Derkebrslage, die Bodenverdaltniffe oder dre Zurüds 
gebliebene Se veranlaßt; des Öfteren, namentlich bei der Erridtung von Rirden, 
wurde an römifdhe Siedlungen wieder angelnüpft. In den meiften Sällen verddeten 
indes die römifhen Stedlungspläge, da die Alemannen eine völlige Lleuverteilung des 
Bodens vornahmen, ohne daß jedoch das roͤmiſche Siedlungsweſen deswegen gegenitandas 
los geworden wäre. Das Straßenneg wahrte fogar in falt volkm limfang feine Bes 
deutung. 

Sahlreihe Tafels und Tertbilder veranfdauliden den Tert, der ftrenge iffens 
fcdaftlidteit und Bemeinverftändlichkeit aufs befte verbindet. Als befonders wertvolle Beis 
lage muß die im MaGftab 1:200000 gebaltene (auf 2 Blatter verteilte) Rarte Württems 
bergs zur Römerzeit hervorgeboben werden, die alle einfclagigen arcdologifden Cintrage 
(mit Ausnahme der einzeln gefundenen Münzen) nah dem Stande vom Januar 1928 
(ndrdliches Blatt) bzw. He 1934 (füdlicdhes Blatt) enthält. 

Sriesrihd Wegner, Münden. 


Bohihule für Politik der Liationalfozialiftifden Deutfchen Arbeiterpartei. Cin Leits 
faden herausgegeben unter Mitarbeit der Doxentenfdaft von Jofef Wagner, M. d. R. 
und Dr. Alferd Bed. Verlag I. 5. Lehmann, Mündyen 1933. Preis geb. ME. 4.50, 
geb. ME. 8.50. 

Die Hodfdule fir Politif foll eine geiftige Schulung im Sinn der nationalfozialiftis 
jden Bewegung bieten und für den Kampf der Bewegung eine Reentruppe fdaffen, die 
nidt nur mit den Klotwendigleiten der Alltagspolitit vertraut ift, fondern darüber hinaus 
in den weltanfchauliden Brundfägen der Bewegung gefhult und zu eigener Urteilsfäbhigs 
keit erzogen ift, wobei nad mdglidft ftreng wiffenfdaftliden Gefidtspuntten gearbeitet 
werden foll. Was die Wegbereiter und Dorkampfer des Mationalfozialismus erfannt, durds 
dacht und begonnen baben, foll bier weitergebildet und immer wieder einem neuen jungen 
Geſchlecht uhermittelt werden. 

Das vorliegende Buc ftellt einen Grundrif des Lebrplans der Hodfdule fur Politi 
dar und bebandelt in einzelnen Auffägen der Dortragenden in tnapper Sorm famtlice 
Scagen und Teilgebiete des Lebrplans: Junddft werden die Sragen der Gegenwartspoliti 
grundfdglid bebandelt; einige UAbfdnitte geben fodann auf die weltanfdauliden Grunds 
gefetze des Klationalfozialiemus ein. Weiterbin wird in 2 Ubfdnitten die , Raffentunde des 
deutiden Volkes“ und ,Die Dererbungslebre” bebandelt. Der erftere Auffatg lebnt fid in 
den wiffenfdaftliden Ergebniffen an 4%. §. KR. Güntbers „Raffentunde des deutfchen Volles“ 
an, ftellt kurz die Merkmale der europdifaen Raffen zufammen und betont die ots 
wendigtcit einer bewußten, nordifhen ARaffenauslefe. Der zweite Auffag vermittelt die 
Grundtenntnijfe der Erbbiologie. Einen breiten Raum nimmt fchließlih die Beiprebung 
einer neuen deutfchen Rectsgeftaltung und der wirtfchaftlidden Aufgaben ein. Den Abs 
fhluß bildet ein „Abriß der großgermanifchen Srühgefhichte“. 

Das Buc ift in der Tat das nationalfozieliftifche Handbuch der Politit und dürfte 
in der hand keines Raͤmpfers der nationalfosialiftifden Bewegung feblen. — 


%. TH .v. Auffeg. 


Karl €. von Loefh, Das Antlig der Grenzlande, Der Wordoften. Verlag §. Bruds 
mann, Minden 1932. 100 Seiten, 150 Abb., mit 1 Überfichtslarte. Preis IN. 8.50. 

Fichte kann eindringlicdyer und erfchütternder wirkten als der Anblid der Zerreißung 
der deutiden Aulturlandfchaft und der Zerftörung von Deutfchen gefchaffener Rulturwerte. 
Abgeriffene Brüden, aufgelaffene Eifenbabhnlinien, gefperrte Straßen, find die Wahrzeichen 
der fremden Machthaber. 2 

Diefe Sammlung von 150 ausgewählten Bildern mit begleitendem Tert bat die Bes 
ftimmung, dem Binnendeutfdhen die Schönheit und Kigenart des deutfchen Grenzlandes 
in Hlordoften, vor allem der durd das Verfailler Dittat entriffenen Gebiete nabe zu bringen 
und Teilnahme für diefelben zu erweden. Das Buch erfüllt nicht nur diefe Aufgabe in 
vorbildlider Weife, fondern ift aud eine laute unabweisbare Anklage gegen die finns und 
rudfidtslofe Grenzziebung von Verfailles. Bruno RK. Sbhulg. 


Georg Wolfram und Werner Glen, Eliak-Lothringiiher Atlas. Landestunde, Ges 
fdidte, Rultur und Wirtſchaft ElfaßsLotbringens, dargeftellt auf 45 Rartenblättern mit 


1933, III Budbefprechungen. 135 
Ft a Nae Ee ew Ea a Ig RE —— 





115 Haupts und Liebenlarten. elduterungsband, VIII und 167 S. Selbftverlag des 
Elfaß-Lotbringen- Inftitutes. Srankfurt a. 1933. Preis ME. 30.—. 

Das Srantfurter ElfagsLothringens Inftitut, das nad dem Zufammenbrud von 1918 
der beimatlos gewordenen deutfchen wiffenfchaftlidden Sorfchung über das alte Reichsland 
außerhalb feiner Grenzen als eine neue Heimatitatte gefchaffen worden ift, bat in den 
12 Jahren feines Beftebens fein Dafeinsredht durch eine erftaunliche Sülle wertvoller Ders 
Offentlidungen erwiefen. Sue das vorliegende Wert aber gebührt den erausgebern und 
ihren Mitarbeitern ganz befonderer Dank: aller Alteren, die wiffen und aller Jungen, die 
wiffen follen, „was wir verloren haben“. 

Die Herausgeber haben von vornherein nicht daran gedacht, ein billiges, aber von der 
gegnerifhen Propaganda aud leicht zu belämpfendes Tendenzwert zu Abäffen, fondern 
nuc daran, wiffenfchaftlihe Arbeit zu leiften. Das gibt diefem Atlas fein Gefidt. Er 
fpriht febr nüchtern eine ftumme Sprade. Man wird in ibm nirgends etwas finden, 
das nad Tendenz fchmedt. Ja, es find dem ARezenfenten fogar ein paar Stellen aufges 
fallen, an denen das Rartenbild dem deutfhen Standpunlt nicht fo zugute kommt, wie 
es in Wirklichkeit bier vermddte; als Belege dafür, wie wichtig es ift, beim Zeichnen 
folder Karten die pfychologifhe Wirkung bis ins £etzte abzufchägen, merten wir fie an, 
damit fie bei einer Lleuauflage des Werkes, die boffentlid bald kommen wird, um fo 
fiderer geändert werden. Das eine Mal handelt es fih um ein Zuwenig, das andere Mal 
um ein Suviel Daß die Rarte 42 3ue Deranfdaulidung des Zuftandes der Induftrie im 
Sabre 1914 auc das franzsfifche Grenzgebiet berudfichtigt, würde man an fidh begrüßen; 
aber doc nur unter der VDorausfegung, daß aud die deutfche Llahbarjchaft, das Guars 

ebiet, die Pfalz und Baden als Gegengewicht mit dargeftellt würden, was leider nicht ges 
eben ift. — Der andere Sall gebdet nicht der jüngften Dergangenbeit, fondern einem älteren 
Abfchnitt der deutfchen Beidhichte an. Auf Karte 9, die das territoriale Bild um 1450 gibt, ift im 
Südweften gegen die Sreigraffcaft Burgund ein Stud ,Reidsgrensze“ eineseihnet. Das 
ift für diefe Sat nidt mebr richtig. Denn das alte Burgund, deffen Flordftüd eben die Sreis 
ga wer, batte zwar früber (vgl. die Rarte sb mit den Territorien um 1250) ein 

eich für fich außerhalb des deutfhen Regnums, allerdings innerhalb des weiteren Ims 
periums des deutfchsrömifchen Raifers, gebildet, galt damals aber längft, foweit es nicht 
zerfallen und Srantreid anbeimgefallen war, als Beftandteil des Deutfchen Reiches (ogl. 
des Rezenfenten Schrift „Regnum und Imperium“ 3930, S. 19 ff., 36 ff.); dte „Stande 
Comté ift belanntlidy erft 1679 vom Reice an Sranktreidh abgetreten worden (vgl. die 
Barten 10 und 11), während andere burgundifche Gebietsteile von ibm gar faft bis zu 
feinem Ende 1806 feftgebalten wurden. Jenes Stüd „Reidhsgrenze“ muß alfo aus der Karte 
geitrichen werden. 

Die Rarten der politifchen Entwidlung, um deren eine es fid bier handelt, dürfen 
wir im übrigen an diefer Stelle nur ftreifen; um fie bat fich befonders der Mitherausgeber 
Gley verdient gemadt (nur dag man den faft völligen Ausfall diefer grundwichtigen Mas 
terie im Erläuterungsband beklagen muß). Ebenfo feien nur notiert die wiffenjchaftlich 
3. T. befonders wertvollen und felbftändigen Rarten der Rirdlichen Entwidlung (von 
Claug, Wolfram, Gley und Anrid) und 3uc Spradens und DialeltsDerteilung 
(namentlid von O. Stoedidt), wie aud das, was ber Wirtfchaft und Derkebr f 
boten wird (fehr wenig erfahren wir über die Entwidlung des Straßenneges, deffen rs 
forfehung in diefer Landfchaft, wie faft überall, noch in den Rinderfchuben ftedt). 

Am ndeften gebt die LKefer diefer Zeitfchrift der fiedlungstundliche Gehalt des Werkes 
an. Man findet fn an zwei weit auseinanderliegenden Stellen. Die vores und frübs 
— Beſiedelung hat KR. M. B. Gutmann auf drei Rarten dargeftellt. Cine 

lotarte gibt O. Sdhliter, der befte Renner diefes Stoffes im deutfchen Gefamtgebiet, 
für den Beginn des Mittelalters; fehr fchade, daß nicht audy eine zweite, die den Walds 
ftand des ausgebenden Mittelalters enthalten müßte, geboten werden konnte. Schön ift 
ferner die Rarte 34, auf der 9. Ammann das mittelalterlide Stddtewefen fdildert. Don 
den beiden Beiträgen E. Langenbeds ift weit eindringlicher und wirkfamer als die 
etwas Außerliche Zufammenftellung der Wüftungen (33) die Rarte der Ortsnamen (29), auf 
der der intereffante Derfuch gemacht ift, die Verbreitung der verfchiedenen Llamentypen durd 
ein nicht nur die Ortspuntte, fondern die ganzen Gemarltungsräume erfafiendes Slädyens 
kolorit zu veranfhauliden. Ganz obne Vereinfachungen war dabei freilid nidt auszus 
kommen, wie denn auch das Bewäfferneg, um das Bild nid zu überfüllen, bier ftart 
befhräntt werden mußte. Aber gerade dadurd ift dod ein BHd gelungen, das das bes 
ruhmte am Ende der Völterwanderung ftebende Problem der beims und ingensOrte Eljaß» 
Kotbringens fehr eindrudspoHl verdeutlicht; £. hält zu der alten Thefe Wolframs, 


136 Vol und Kaffe. 1933, III 





daß die in Lothringen fo maffenbaften ingensDrte gutenteils alamannifden Urfp 8 
feien, die vorwiegend im Elfag zufammengedrängten Wamen bingegen frantifde Bes 
nennungen, die jedoch, nur zum Teil frankifce Meugeimdungen, auc dort zumei(t alte alas 
mannifde ingensYTamen verdradngt batten. | 

Wer die ungebeuren Schwierigleiten kennt, die zufammenfaffenden Arbeiten gerade auf 
diefem Gebiete entgegenfteben, wird das elfaßslothringifche Inftitut und feinen unermüds 
lien Leiter zu dem Mut und zu der Tatkraft beglüdwünfden, mit denen fie ihre Aufgabe 
durchgeführt haben. Mögen in anderen deutfchen Landen die gefchichtlichsgeograpbiichen 
Unternehmungen weiterausbolend in langfamerem Tempo ausreifen —, an feinen Grenzen 
bedarf unfer Dokstum vor allem fdneller Arbeit; der EIN DEI Atlas bat fie 
in vorbildlicher Weife geleiftet. €. €. Stengel. 


Mitteilungen. 


Reigsausihuß für Dolksgefundheitsdienft. Bei der erften Sigung des Gacver: 
ae fis Bevdllerungss und Raffenpolitit am 28. Juni ds. Js. bat der Herr 

eidhsminifter des Innern u. a. folgendes ausgeführt: 

„Die Auftlärung über Erbgefundheitspflege und Raffentunde mus sur caffe ns 
bygienifben Erziehung der Jugend und des gefamten Volles ausgebaut 
werden, um fie für die Ebefchliegung vorzubereiten. Um diefe Ertenntniffe weiten Breis 
fen zu vermitteln und geeignetes Lehrmaterial den für die Aufllärung zuftändigen Stellen 
und Erziebern der Jugend zu vermitteln, babe idy die Umbildung des Reihsauss 
I&huffes für bygienifdhe VDollsbelebrung in einen folhen fur Doltsgefundbeitss 
dienft angeordnet.“ 

Ylah Vereinbarung mit der Schriftleitung der Seitidrift ,Dol€ und Kaffe“ wird 
diefe in den Dienft des KReihsausfchuffes für VDollsgefundheitsdienft geftellt werden. Lrbs 
fone wird künftig bei den Arbeiten des Reichsausfduljes im Vordergrund 

eben. Reihsausfhuß für bygienifche Voltsbelchrung. 
Ber Kommiffar: Dr. Rutttle. 


Sadverftindigendeirat fir Bevdtherungs: und Raffenpolitik. Dec Sadverftandigens 
beirat fir Bevdllerungss und Raffenpolitif wurde in drei Arbeitsgemeinfdhaften geteilt und 
zwar: 

I. Arbeitsgemeinfchaft für Sinanzs und — Statiftit, 
foziale Politi? und Siedlung. Obmann: Staatsminifter a. DB. Dr. 4. Müller. 
ee Reidhsminifter R. OO. Darré, Direttor Or. §. Burgddefer, M. d. R. Borger, 
Medizinalrat Dr. Gutt, Dr. Rutele und Srau Sieber. 


3. Urbeitsgemeinfdaft fir Raffenbygiene und Raffenpolitit. Obmann: 
Prof. Dr. €. Rudin. Mitglieder: Dr. A. Ploeg, Prof. H. §. B. Ghnther, Medizinalrat 
Dr. Bütt, Dr. A. Gerde, Staatstlommiffaer Dr. ®. Wagner, Prof. Dr. Schulgeliaums 
burg und Dr. Ruttte. 

3. Urbeitegemeinfdhaft fir Erziebung — Srtauen — Mütterfragen und 
Sürforge Obmann: Major Bud. Mitglieder: Dr. Bartels, Medizinalrat Dr. 


Gütt, 
Senator Dr. v. Aoff, Dr. XKuttle, Reichsjugendführer v. Schirady, Prof. Dr. Schultes 
Yiaumburg, Srau Gieber, Dr. Usadel, Staatstommiffar Dr. G. Wagner. 


Deutiche eee Nd Raffenhagiene. Mit Sdreiben vom 3. Juni 19353 wurde 
Here Prof. Dr. Ernft din, Direttor der genealogifhen Abteilung der Sorfhungss 
anftalt fir Pfyciatrie, zum Beauftragten des Reicdhsminifteriums des Innern für die 
deutfhe Befellfhaft für Raffenbygiene berufen. Der bisherige Vorftand in 
Berlin ift in allen feinen Gliedern zurüdgetreten. Serr Prof. Rüdin bat Sührung und 
Dorfig der deutfchen Gefellfhaft für Raffenbygiene übernommen und den neuen Vorſtand 
nah Münden verlegt. 


Einfübenns in 
die Geopolitit 


Von Prof. Dr. R. Hennig und Studien- 
rat Dr. L. Körholz. Mit 52 Karten i. T. 
[VI u. 128 ©.] 8. 1933. Kart. AM. 2.60 
[Best.-Nr. 5240] 





Die reizvolle junge Wifjenichaft der Geopolitik 
hat feit dem Sriege einen feften Blak und 
bejondere Bedeutung neben Staatenfunde 

Urfache palit — * ineinigteit or 1870. und Geographie gewonnen. Bedeutende 

| Namen wie Rahel, Kiellen, Haushofer, Obit, 
Lautenjach, Maull tiipfen fic) an die Gejdichte ihfer Entjtehung und Entwicklung. 





Die nationale Politik fordert das Studium von 
Raum und Boden, an die die politischen Vor- 
gänge gebunden sind. 


Sn diefem Heinen, hübfch ausgeftatteten Buch findet der politifch interejjierte Sefer eine 
Mapp gefapte, billige und volfstümliche Einführung im die geopolitifdjen ®edanfengange. 
Das Wejen des Staates und die Gejege, nach denen er fich entwidelt, der Einfluß der 
Natur, der Bodenformation, de3 Meeres auf die Staatenbildung werden an einer Fülle bon 
geichichtlichen Beijpielen und vielen guten Kartenjkizzen erläutert. In einem Teßten Ab- 
jchnitt find die bisher vergeblichen modernen Bentühungen, zum Überftaat zu gelangen, 
einer kritiihen Betrachtung unterzogen, und aus der Betrachtung ergibt fic) die Folgerung, 


daß die Völker in der Welt am weitesten 
kommen, die am entschlossensten und laufesten 
den Staatsgedanken bejahen. 


Das Buch ftellt feine Voraus— 
jegungen an umfajjendes politijches 
und geichichtliches Wilfen, und die 
darin gebotenen Sdeen werden darum 
aud) bon Anfängern verfolgt werden 
fönnen, denen e3 


eine lebendige politische 
Gegenwartsbildung 
vermitteln kann. 

Dod) auch der mit dem Stoff Ver- 
fraute wird die eigenartige Behand- 
fung des Gegenjtandes mit Nuben 
und Genuß verfolgen. 


Prospekt mit Abbildungs- und Textproben 
kostenlos und postfrei erhältlich. 


5.6. Teubner, Leipzig / Berlin * Arktiſche Fluglinien der Zukunft auf dem größten Mreisbogen. 





— — ——— — — — ———— Um — _ ——————— — — —— — —— 








ae und Dorkänpier fi 
dag neue Deutidland 

Herausgegeben von 3, Sreiberen v. Müfflins. Mit 168 Bildnifjen. Kart. RM.1, 

Bu Zeil der Bilder wurde eigens für dicjes Bud von dem 


Bildnis-Photographen Geich Heslaff, Dütfeldorf u. a. — 


Das Buch iſt in folgen ende Wbjchnitte eingeteilt, denen immer eine fnappe Charakterijierung der betre 
ts 


Gruppe vorangeh iSregierung / Organifatoren der NSDAP. / Erweder und Hüter rafjiichen — 
— der Länderregierungen und Mitarbeiter der Reichsregierung / Juriſten, Zeugen für 


beit / Landwirte / ap / Bolitiihe Schriftiteller / Wiffenjchaftler und. Künitler / Wicehaftler / — 
itglieder des Kapp⸗-Putſches / Wegbereiter der Vorkriegszeit. 


Im Abſchnitt Erwecker und Hüter raſſiſchen Empfindens“ ſind u a. aufgenommen; 


Prof Ploetz, Prof. Schemann, Prof. Baur, Prof. Lenz, ae Günther, Prof. 
Staemmler, Dr. Witel, Dr. 8. 8. Schul 


3.9. Schbmannus Derlas- Münben2 SE, 


Bolt und Staat in ihrer Stellung zu Bererbung und Ausleſe 
Don Prof. Dr. Hans §. K. Günther. Geh. RM. 1.20, 


Günther fordert, dab der Staat mehr als bisher Lehrmeilter und Suchtmeifter wird, wobei an die A 
Härung über richtige Gattenwahl, andrerjeits an die Unfruchtbarmahung Minderwertiger gedacht wird. 
Dieje tleine Schrift verdient weitejte Derbreitung. 


39% Zebmanns Deelas /’ Münden ?2 SH, 










4 




















Archiv 
für Rassen- und Gesellschafts-Biologie 


Einschließlich Rassen- und Gesellschafts-Hygiene 
Herausgegeben von Dr. med., Dr. phil.h.c. A. Ploetz, in Verbindung mit Dr. Agnes 





Bluhm, Prof. Dr. Eugen Fischer, Prof. Dr. F. Lenz, Dr. jur. A. Nordenholz, 
Prof. Dr. L. Plate und Prof. Dr. E. Rüdin. 


Schriftleitung: Dr. A. Ploetz und Prof. Dr. Fritz Lenz . | 


Das Archiv wendet sich an alle, die für das biologische Schicksal unseres Volkes Interesse haben, ganz 
besonders ag die zur geistigen Führung berufenen Kreise, an Ärzte, Biologen, Volkswirtschaftler, 
Politiker, Geistliche, Pädagogen. Die allgemeine Biologie (Erblichkeit, Variabilität, Auslese, Anpassung) 
wird soweit berücksichtigt, als sie für die menschliche Rassenbiologie von wesentlicher Bedeutung ist. 
Im Mittelpunkt des pr: aktischen Interesses stehen die Fragen der Gesellschaftsbiologie (soziale Auslese, 
Aufstieg und Verfall der Völker und Kulturen) und der Bevölkerungspolitik, zumal der qualitativen, 


J 


Das Archiv erscheint in Banden zu je 4 Heften. Preis jedes Heftes RM. 6.— 


Probeheft auf Wunsch zur Einsichtnahme. 


j.F.LehmannsVerlagyMinchen2 SW 




















Berantwortlid fiir bie Swhriftteitung von „Bolk und Kaffe”: Dr. Bruno R. Schulg, Münden, 
Verantwortlich fiir den Anzeigenteil: Guido Haugg, Münden. — Verlag: I. F. Lehmann, Münden: 
Druck von Dr. F. PB. Datterer & Cie, Freifing- München. 








Volt und Kaffe 


Sllufirierte Wonatsfdrift für deutfches Volfstum 
Raffenfunde Raffenpflege 


Heitfehrift des Reidsausfcduffes für Dolfsgefundbeitsdienft und | 
der Deutfchen Gefellfhaft für Rafjenbygiene. | 


Herausgeber: Prof. Aichel (Kiel), Präf. Dr. Aftel (Meimar), Prof. Baur (Müncheberg), Reiche: 
miniftee R.W. Darr& (Berlin), Min.sRat $ebrie (Heidelberg), Med.-Rat G ütt (Berlin), Kultus: 
minift. Sartna de (Dresden), Reidsfibrer SS. Himmler (Minden), Prof. Mollifon (Minden), 
Prof. Mud (Wien), Prof. Rede (Leipzig), Prof. Rudin (Mimcben), Dr. Ruttke (Berlin), 
Prof. 4. Schulg (Königsberg), Dr. W. Schulg (Görlig), Prof. Sdulge-Maumburg 
(Meimar), Prof. Staemmler(Chemnig), Dr. Tirala (Brünn), Dir, Dr. Zei (Srankfurt a. Mt.) 


| 


Smriftleiter: Dr. Bruno R.Schulg, München 








Meubauferftraße 51/3. | 
8. Jahrgang Heft 4 Auguft (Ernting) 1933) 
Inhalt: | 
Anjiprade des Herrn Reichsminifters des Innern Dr, Frid auf der erften 
Sigung des Sachverftindigenbeirats fiir Bevilterungs- und Raffenpolitit . . Geite 137 | 
Die Rafjenzufammenfegung des eftnijden Volkes. I. Teil. Von Dr. Sophie | 
Ehrhardt, München. Mit 3 Abbildungen. - . . . 2 2 nn — » aa 
Riajfenbild: Griefin von der Infel Föhr >: 2 22 m nn rn » 149 | 
Die Bajas. Bon Thilo v. Trotha. Mit 6 Abbildungen . . > 22 m nen „ 150 
Was jagt uns die Bollszählung vom 16. Juni 19338? . ....... ' » Ss | 
Aus Rafjienhygiene und Bevölferungspolitif Mit 3 Abbildungen . . . . 4» 151 
Deutihe Gejellihaft für Raffenbygiene .......... — aA 
ENGEN. do BE ewe: ee ee „ 158 | 


Be uttspreis vierteljäbrlih RA. 2.—, Einzelbeft RM: —.70, Poftfchedtonto dea Verlags Minden 129; 4 
Awugspreis Poſtſparkaſſenkonto Wien 505 04; Doftfchedtonto Bern Fir. III 4845; Kreditanftalt der 
Deutjchen in Prag, Kratauer Gate 11 (Poftfdedtonto Prag 627 30). : 





1 


3. §. Lebmanns Verlag 7 Winden 2 SO. / Paul HepferStr. 26 





Volk und Kafle, 8. Jahrg. 1933, Heft 4 


3. §. £ebmanns Derlag, Minden 


Der Derlag bebält fiy das ausfchließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der 
in diefer Zeitfhrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor. 


Anſprache 


des Herrn Reichsminiſters des Innern Dr. Sci 


auf der erſten Sitzung des Sachverſtaͤndigenbeirats fuͤr Bevoͤllerungs⸗ und 
Raſſenpolitik am 28. Juni 1933. 


Heute Manner und Srauen! Indem ich Ihnen für Ihre Bereitwilligteit zur 
Mitarbeit danke, geftatte ich mir, Ihnen heute einen Überblid über die Aufs 
gaben zu geben, die wir uns gefegt haben, und das Ziel zu umreißen, das wir 
erreichen wollen. 

Die nationalfozigliftifche Bewegung darf das Derdienft für fic in Anfprud) 
nebmen, unter Subrung Adolf Hitlers das deutfche Volk vor dem völligen po = 
litifben Zerfall und das Reich vor feiner Aufldfung bewahrt zu baben. 
€s wire ein fchwerer Sebler zu glauben, daß damit die Aauptaufgabe geloft fei. 
Wer die Dinge tiefer zu feben verftebt, weiß, daß die fehwierigfte Leiftung nod 
zu vollbringen ift, namlich den Bulturellen und vslktifchen Fliedergang 
aufzuhalten. Deutfchland gehört zu denjenigen Ländern, die nicht nur die Haupts 
laft des Weltkrieges und ungeheure Derlufte der beften Männer und Raffens 
beftandteile zu tragen batten, fondern es ift auch das Land, das fowohl während 
des Krieges wie nach dem Kriege den beörohlichften Ausfallan Geburten 
zu verzeichnen gebabt bat. Während wir um die Jahrhundertwende noch etwa 
zwei Millionen Geburten im Jabre batten, find es beute nur nod rund 975.000. 
Don etwa 36 Lebendgeborenen auf Taufend um das Jabr 1900 ift diefe Zahl auf 
etwa 15 im Jabre 1932 abgefunten. Die Zahl der Rinder nimmt alfo in bedrob> 
lichem Maße ab, das neun der Flachkriegszeit ift überbolt, das 
deutfche Volk ift zum Kinz, ja zum Aeinktindfyftem übergegangen. 

Troß der großen Erfolge der allgemeinen Hygiene, der Belämpfung der 
anftedenden Krankheiten, der fozialen Hygiene und der medizinifchen ee 
fcbaften uberbaupt, die binfidtlic der Belampfung der Sterblicleit und der Vers 
längerung des menfchlichen Lebens gemadht worden find, reicht der Rudgang 
der Sterblichkeit im voltsbiologifchen Gefamthaushalt unferes Volkes nicht 
mebr aus, um die Erhaltung des Bevöllerungsbeftandes zu fichern. Meute ges 
nügen zur Beurteilung nicht mehr die rohen Geburten: und Sterbezablen, fondern 
wir müffen eine Bereinigung der Lebensbilanz unter Berüdfichtigung 
der verfehiedenen Alterstlaffenbefegung vornehmen, um die wabre bes 
vdllerungspolitifde Lage zu erkennen. Kia den Berechnungen des Statiftifchen 
Reidsamts ift das deutfche Volk bei feiner heutigen Beburtenziffer nicht mehr im 
Stande, fich aus eigener Kraft zu erhalten, fondern bei 15 Geburten auf Caufend 
der Bevölkerung feblten uns fhon etwa 30% an Gebdrleiftungen der deutjchen 
Srauen, um den Dolksbeftand in der Zukunft zu fichern. Weber Berlin 
nod die anderen deutfchen Gropftädte, noch felbft die Mittel: und Kleinftädte find 
bei der heutigen Beburtenziffer in der Lage, ibren Bevdllerungsftand zu erhalten. 
Flur die ländlichen Gemeinden haben noch einen geringen GBeburtenüberfchuß, der 
aber nicht mehr ausreicht, um den Derluft in den deutfchen Städten 3u erfegen. 
Wir fteben damit vor einer grundfäglichen Wende der Zeit. Unfer Volk gebt 
unweigerlich einer ftarten Überalterung und Dergreifung entgegen. 

Dod es ift ja nicht nur die Zabl, die zu Bedenken Anlaß gibt, fondern in 
gleihem Maße die Gite und Befchaffenbeit unferer deut(hen Bes 
voltecung. Da wir bisher noch Beine erbbiologifche Beftandsaufnabme haben, 

Dolf und Raffe. 1933. Ungnft. 3} 


138 Volt und Raffe. 1933, IV 








find wir auf Schägungen angewiefen. Während man die Salle von fdweren 
örperlichen oder geiftigen Erbleiden mit 500 000 etwoa annehmen kann, find die 
Sablen der leichteren Sälle erheblich höher. Es gibt Autoren, die bereits 20%0 der 
deutfchen Bevölkerung als erbbiologifd gefdadigt anfeben, von denen dann alfo 
Uiadhwuds nidt mebr erwinfdt fei. Es fommt binzu, daß gerade oft fd wads 
finnige und minderwertige Perfonen eine überdurchfchnittlich große Sorts 
pflanzung aufweifen. Während die gefunde deutfche Samilie heute nicht mebr 
3 Rinder im DBurchfchnitt dem Staate zur Verfügung ftellt, findet man gerade bei 
Schwadhfinnigen und Minderwertigen, fo bedauerlich das aud Elingen mag, 
durchfchnittlich die doppelte, oft fogar die dreifache Zahl. Das bedeutet aber, daß 
die begabtere wertvolle Schicht von Generation zu Generation abnimmt und in 
wenigen Generationen nahezu vollig ausgeftorben fein wird, damit aber auc 
Keiftung und deutfche Kultur. 

Das düftere Bild, das ich vor Ihnen entrollen muß, ift jedoch noch nicht 
zu Ende! Während wir durch diefen Rüdgang an Zahl und Befchaffenbeit unferes 
Volkes unfere Bebauptungsmöglidhkeit Ar den Bebiete der Wirtfchaft, der Soziale 
politik, der Webrfabigtcit dauernd verringern, baben unfere Tladbarn im 
Oſt en etwa die doppelte Gebärkraft und Lebendgeborenenzahl. Die Abwandes 
rung vondem Lande in die Städte, aus dem Öften nach den Welten bat 
bereits in einigen Landlreifen des Oftens zu einem merkliden Bevdllerungsrics 
gang geführt, fo daß troß der vorbandenen Arbeitslofigkeit die Befahr der Zus 
wanderung von Sremdftämmigen im Öften beftebt. In Berlin allein 
find im Jahre 1930 etwa 4000 Zugewanderte aus dem Gften eingebürgert, von 
denen die meiften fremöftämmig, zum großen Teil Oftjuden waren. — Lieben der 
bedrohlich zunehmenden erbbiologifeben Minderwertigkeit muffen wir in gleidem 
Mae die fortidreitende Raffenmifdhung und Aaffenentartung unferes 
Dolles mit Gorge verfolgen, da der deutfce Mann und die deutfche Srau es 
verlernt baben, fich ihres Blutes und ihrer Raffe bewußt zu fein. — 

In großen Zügen gefeben, bat die jegige Regierung außer der überaus 
traurigen wirtfcheftlichen, inners und außenpolitifchen Lage auch einen befonders 
bedrobliden bevdllerungspolitifmen Zuftand des deutfchen Volles 
vorgefunden. Die früheren Regierungen haben den Mut nicht aufgebracht, einen 

rundfätzlichen Wandel berbeizufübren und das Steuer der gefamten Innens und 
irtfchaftspolitit berumzuwerfen. 
evor ich Ihnen die Maßnahmen kurz erläutere, die wir in Angriff zu 
nehmen baben, müffen wir uns über die Urfachen diefes vslkifhen Ders 
falle kurz Rlarheit verfchaffen. 

Wir feben heute die große Zahl von Erwerbslofen, und unfer Volt befindet 
fid in dem Glauben, daß fic alles zum Guten wenden wird, wenn fie wieder 
Arbeit erhalten. Gerade die Gebildeten find der Auffaffung, daß man nur die 
Wirtfchaft in Bang zu bringen brauche, dann kommt alles andere von felbft. 
Gewif miaffen die Wirtfchaft und die Erndbrungsgrundlage wieder bergeftellt 
werden! €e ift aber irrig, zu glauben, daß damit allein unfer deutfches Doll im 
Herzen Europas zu retten iftl Werfen wir einen Blid in die deutfche Gefchichte, 
fo ertennen wir, daß wir von einem Agrarftaat zu einem Jndsuftrievoll ges 
worden find. Hardenberg bat nach 1807 in Preußen die Entwidlung zum Ins 
duftrieftaat eingeleitet. Dadurch, daß er den Boden als Privateigentum freigab, 
bat er in Deutfchland den Weg zum libersliftifhen Wirtfhaftsfyftem 
geebnet. Die Solge der geldwirtfchaftlichen Entwidlung war die Derftädtes 
tung und die Jnduftriclifierung Deutfdlands. Die natürlide Entwidlung 
unferes Dolles, der bäuerliche Samilienfinn und die Wirkfamtleit der Lebensauslefe 
auf dem Lande hörten damit auf. Unfere Rechtsverbältniffe, das geldwirtfchafts 
liche Spftem und die Derficherungsgefeggebung bradıten eine Umlebr der Aufs 
faffung über Sitte, Gefchlecht, Samilie und Rinder mit fid. Damit begann die 
Entwidlung zum Jndividualismus, zum Rlaffentampf, 3um Marrismus 


1933, IV Anfprache des Seren Reichsminifters des Innern Dr. Srid. 139 
Ee ee oe eee eT ER ee 





und Rommunismus. Die Mechaniſierung der Arbeit, die wirtſchaftliche Ver⸗ 
ſtlavung und die marrxiſtiſche Wirtſchaft nach dem Kriege vollendeten den Zer⸗ 
ſtoͤrungsprozeß, der unſer Volk an den Rand des Abgrundes gebracht hat. Hand 
in Hand damit ging der fittliche Derfall unferes Dolles. Der liberaliftifche 
Geift hat feine Seele vergiftet, den Sinn für das Samilienleben und den 
Millen zum Rinde ertster. Mit diefer feelifchen Strutturwandlung volls 
30g fich die ae häuslichen Samilienlebens. Mann und Stau geben 
zur Arbeit und in ihren Beruf, fie erftreben beide einerfeits geiftige Bildung und 
andererfeits Arbeit und Teilnahme am Wirtfchaftsleben. — Go wurden Mann 
und Srau dem Samilienleben entfremdet und glaubten in ungebundener Ges 
fhledterfreibeit einen Ausgleich gefunden zu haben. Die Öffentlichkeit vers 
berrlidt das Mannweib in Sport und Beruf, bat aber nichts übrig für die 
Mutter, die heute noch eine ausreichende Rinderfchar ihr eigen nennt. So fiebt 
der Mann heute in feiner * nur den Lebenskameraden, aber nicht mehr die 
Mutter ſeiner Rinder. In Folge deſſen iſt es kein Wunder, daß Abtreibung 
und Geburtenverhinderung unſer Volk zum Abſterben bringen. Was 
iſt zu tun, um hierin Wandel zu ſchaffen? 

Bei der uͤberaus ſtarken Belaſtung unſeres Volkes mit Steuern, Sozial⸗ 
abgaben und Zinſen duͤrfen wir uns der Erkenntnis nicht verſchließen, daß der 
Staat an einen Umbau der geſamten Gefeggedung und eine Derminderung 
der £aften für Mindserwertige und Afoziale beranzugeben haben wird. 
Wie fehr die Ausgaben für Minderwertige, Aſoziale, Rranke, Schwachſinnige, 
Okiftestrante, Rrüppel und Verbrecher heute das Maß deffen Uberfdreiten, was 
wir unferer fhwer um ibre Eriftens ringenden Bevdllerung zumuten dürften, 
erfeben wir aus den Roften, die heute vom Reich, von den Ländern und den Roms 
munen 3u ibrer Derforgung aufgebracht werden müffen. Dafür nur einige Beis 
fpiele: es foftet der GBeiftestrante etwa 4 2H den Tag, der Verbrecher 3,50 At, 
der Rrüppel und Taubftumme 5—6 An den Tag, während der ungelernte Arbeiter 
nur etwa 3,51 AM, der Angeftellte 3,60 RX, der untere Beamte etwa 4 RH den 
Tag zur Verfügung haben. Das find Solgen einer übertriebenen Sürforge 
far das Kinzelindividuum, die den Arbeitswillen der Befunden ertöten 
und das Volk zu KRentenempfängern erziehen muß. Andererfeits belaften fie die 
wertvollen Samilien derart, daß Abtreibung und Geburtenverhutung die Solge 
davon find. Was wir bisher ausgebaut haben, ift alfo eine übertriebene Perfonens 
bygiene und Sürforge für das Kinzelindividuum ohne Rüdficht auf die Erkennts 
miffe der Dererbungslebre, der Lebensauslefe und der Raffenbygiene. Diefe 
Art moderne ,Humanitat und fosialer Sürforge für das kranke, (dwade und 
ne. Individuum muß fic fue das Doll im großen gefeben als größte 
Oraufamleit auswirken und f&hließlich zu feinem Untergang führen. 

Um das drohende Unheil abzuwenden, ift eine Umftellung des gefamten 
öffentlihen Befundhbeitswefens, des Denkens der Arztefchaft und eine 
Wandlung der Aufgaben unter dem Gefichtspuntt der Raffenbygiene, der Bes 
vdllerungss und Raffenpolitit von nöten. Erft wenn der Staat und das Gefunds 
beitswefen als Kern ibrer Uufgaben die Dorforge fur die nod nidht Ges 
borenen anftreben, fönnen wir von einer neuen Zeit und von einer aufbauenden 
Bevdllerungss und Raffenpolitit reden. 

dur Erhöhung der Zahl eee Ulachtommen baben wir zunddhft die 
Pflicht, die Ausgaben für Afoziale, Minderwertige und hoffnungslofe Erbirante 
berabzufetzen und die Sortpflanzung der fhwer erblidh belafteten 
Derfonen zu verbindern. 

Die wiffenfchaftli begründete Dererbungslebre gibt uns nach der Ents 
widlung im letzten Jahrzehnt die Möglichkeit, die Zufammenbänge der Vererbung 
und der Auslefe und ihre Bedeutung für Doll und Staat Mar zu erkennen. Sie 

ibt uns damit aber aud) das Recht und die fittliche Pflicht, die fchwer erbiranten 
erfonen von der Sortpflanzung auszufcalten. Don diefer Pflicht können 


11° 





140 Voll und Kaffe. 1933, IV 


wir uns auch nicht durch eine falfchy verftandene Frächftenliebe und kirchliche Be: 
denken, die auf Dogmen vergangener Jabrbunderte beruben, abhalten laffen, im 
Oegenteil, wir müffen es als eine Verlegung der hriftlihen und fozialen 
Wadftenliebe anfeben, wenn wir tro der gewonnenen Erlenntniffe es weiter 
zulaffen, daß Erblrante einen Viadhwuds bervorbringen, der unendlicdyes Leid für 
fie felbft und die Angehörigen in diefer und den kommenden Generationen bedeutet. 
In Solge deffen babe ih micdy entfchloffen, einen Entwurf eines Geſetzes 
zur Verhütung erblranten Hahwuchfes vorzulegen, den ich im Ans 
flug an Ihre heutige Gigung zu prüfen bitte. 

Doc feien wir uns deffen bewußt, daß mit der Ausmerze und Auslefe, 
die durd unfere raffenhygienifche und raffenpolitifche Gefeggebung eingeleitet 
werden, noch nichts erreicht ift, wenn wir nicht duch pofitive bevdls 
terungspolitifhe Maßnahmen die Samiliengründung und die ausreichende 

ortpflanzung der wertvollen erbgefunden deutfchen Hienfchen erreichen. Der 
etitel 139 der Reichsverfaffung, nad dem die Samilie als die Grundlage 
des Staates anerkannt und ausgleichende Gerechtigkeit für fie gefordert wird, 
it bisher nicht zur Wirklichkeit geworden. Bei Prüfung der gegebenen Ders 
baltniffe müffen wir zugeben, daß die bisherige Befegebung und Praris zu einer 
Bevorzugung der Rinderlofen und Rinderarmen geführt bat. Die 
Oefetsgebung bat eine Entwidlung genommen, die bei der überaus traurigen 
Wirtfchaftslage, in der wir uns befinden, nicht von heute auf morgen zu ändern 
if. Während man dem Samilienvater auf der einen Seite einen, wenn aud uns 
genugenden Teil der Eintommenfteuer erläßt, find die Samilien vorber bereits je 
nach ihrer Rinderzabl durch die indirelten Verbrauchafteuern, die auf allen Lebenss 
mittel und dem täglichen Bedarf ruben, um das Mebrfache vorbelaftet. Die bis 
berigen Steuerermäßigungen, die für die heute fhon geringe Rinderzahl 
der überhaupt Eintommenfteuerpflichtigen in Stage tommen, machen nur einen 
Bruchteil, etwa 1/,, der gefamten Steuernachläffe überhaupt aus. Der Fiadhlaß 
beträgt zur Zeit nur ungefähr ein Drittel des Betrages, der den Unverbeirateten 
durch das fogenannte Eriftenzminimum mit einer gewiffen Selbftverftändlichkeit 
gewährt wird. Man behandelt alfo fteuertechnifch gefeben das Rind fchlechter als 
diejenigen, die mit ihrem Kintommen nur fich felber zu unterhalten haben. In 
Solge deffen haben Unverbeirstete und Rinderlofe die mebrfadhe Konfumbreite je 
Dollperfon zur Verfügung wie die kinderreiche Samilie, die dem Vaterlande den 
Vlachwudhs erziebt. Yur die dugerfte Cinfdrantung in der Ernährung, in rs 
bolung, Bildung, Rérperpflege, Kleidung und Wohnung kann es dem Cinders 
reihen Samilienvater le ermöglichen, feinen Haushalt aufrecht zu ers 
balten. Daß dadurch aber ungeheure Schäden für den noch gefunden Kladhwucdhs 
entfteben, kann niemand bezweifeln. Schulfpeifungen, Almofen und die Übers 
ung des Sports können den Samilienfinn nicht wiederbringen. 
enn beute nod) Millionen von Wüttern, oft gerade Linderreide Mütter 
neben ihren häuslichen Pflichten im Arbeitsprozeß fteben, nur weil fie den es 
näbhrungsfpielraum vergrößern müffen, während unverbeiratete männliche Urbeitss 
lofe aus Sffentlihen Mitteln unterhalten werden, fo ift es böchfte Zeit, daß wir 
an die Löfung diefes Problems mit Energie herangeben und durd Samiliens 
loftenausgleich Wandel fchaffen. Es muß gelingen, die Stau wieder dem 
Ebes und Samilienleben und den häuslichen Pflichten, den Hlann aber aus dem 
Suftand der Arbeitslofigkeit dem Beruf zuzuführen. Gerade der erhöhte Vers 
brauch, der durch diefen Ausgleich erreicht werden wourde, wäre geeignet, den 
inneren Wirtfchaftsmarlt zu ftärken und die Produktion von Werten anzuregen, 
die im Inland erzeugt werden. Ls tann gar keinem Zweifel unterliegen, daß 
gerade die niedrige Zahl der Rinder unter 15 Jahren heute einen großen Teil der 
rbeitslofigteit und des Darniederliegens des inneren Wirtfchaftsmarltes bedingt. 

Wollen wir alfo ernftbaft an den bevölkerungspolitifchen Aufbau berans 

geben, müffen wir je nach wirtfchaftlicher Stellung und Höhe des Einkommens 


1933, 1V Anfpracye des Herrn Reichsminiftere des Innern Dr. Srid. 141 
Sa ee eee) 





verſchieden geartete, die Familie foͤrdernde Maßnahmen in Angriff 
nehmen. Es gibt dazu die verſchiedenſten Moͤglichkeiten, die ich Sie mit meinem 
Miniſterium gemeinſam vorzubereiten bitte. Die vorhandenen geſetzlichen Be⸗ 
ſtimmungen ſind auf ihre familienfeindliche Wirkſamkeit hin nachzupruͤfen und 
eine familienfreundliche Geſetzgebung iſt in Angriff zu nehmen. Es muß ermoͤg⸗ 
licht werden, fuͤr Kintommenfteuerpflichtige durch ftärker geftaffelten Steuers 
nadlaf in Prozenten der Steuer einen fublbaren Ausgleih zu fchaffen. benfo 
müßte die Befoldung der Beamten nady dem Samilienftand und der Rinders 
zahl noch wirkfamer abgeftuft werden, da ja das GBebalt des Beamten nicht nur 
eine Entlohnung ift, fondern ihm einen ausreichenden Unterhalt der Samilie ges 
währen foll. &s müßte etwa ausgegangen werden von dem Gehalt, das ein 
Beamter zur Unterhaltung von 3—4 Rindern bendtigt, um es je nach der Rinders 
zahl nady unten und oben zu ftaffeln. Während die freien Berufe und der ges 
werblide Mittelftand wie alle Unternehmerkreife durch einen wirkfamen Steuer; 
nadlag erfagt werden könnten, gibt es bei Angeftellten und Lobns 
empfängern nur die Möglichkeit, den Ausgleih durch Ausgleidstaffen 
zu fchaffen, in die alle nady Maßgabe ihres Eintommens Beiträge zu zahlen oder 
je nad) der Hobe der Rinderzahl einen Ausgleich zu erhalten hätten. Dies braucht 
keine Mebrbelaftung für den Staat und die Betriebe zu bedeuten, fondern es muß 
verfucht werden, eine Verlagerung des Eintommens zur Sicherung der Lebens 
baltung der erbgefunden Samilie zu bewirten. Um das qualitative Prinzip zu 
gewäbrleiften, wird es allerdings erforderlich fein, eine Aufbefferung nur in Pros 
zenten des Einlommens zu gewähren, um afozialen Menfchen nicht gleiche Rechte 
wie der arbeitenden Beodlkerung zu geben. Bei der fchwierigen Sinanzlage des 
Reiche, der Länder, der Kommunen und der Wirtfchaft erfcheint die Durchführung 
aller diefer familienfördernden Maßnahmen allerdings nur möglich, wenn eine 
Entlaftung auf anderen Gebieten, 3. B. durch VDereinbeitlihung und geeignete 
Sparmaßnahmen im Soszialverficherungswegen eintritt. 

Aus der Gefdidte wiffen wir, dag unfer Dolf im Bauernftande vers 
wurzelt und daß die Erbaltung der erbgefunden deutfdhen Bauerns 
ee legten Endes ausfchlaggebend für den Volksbeftand ift. Der deutfche 

uernbof ift zu allen Zeiten die Stelle gewefen, wo fic das deutfche Doll troy 
Brieg und Seuchen immer wieder bebauptet und nad einem Fliedergang wieder 
aufgerichtet bat. Die Roppelung des beften deutfhhen Blutes mit dem 
deutfhhen Brund und Boden muß darum mit allen Mitteln verfucht wers 
den. Der Boden muß wieder Teil eines Samilienrechts und unter ftaatlichen Schuß 
geftellt werden. Als Begengabe aber muß der nationalfozialiftifche Staat von den 
Herren diefes Bodens verlangen, daß fie ihm eine ausreichende Zahl gefunder Flachs 
tommen zur Verfügung ftellen. Es gilt daher, die Siedlung fo zu geftalten, daß 
eine ausreichende Rinderzabl durch fteuerliche und erbredhtliche Beftimmungen ges 
fichert wird. 

Reid, Länder und Gemeinden müffen im Fleuen Deutfchland ihre gefamte 
Derwaltung unter bevdllerungspolitifhben Gefidtspuntten 
ncchprüfen, und, foweit notwendig, neu geftalten. Auger der wirtfdaftliden und 
finanztechnifchen Umftellung wird das Sffentlihe Befundheitswefen zu 
pereinbeitlichen und für raffebygienifche und aufbauende Maßnahmen frei zu 
machen fein. Lieben den bisherigen fanitätspolizeilichen und gefundbeitsfördernden 
Einrichtungen wird es notwendig fein, in Erkenntnis der VDererbungslebre und 
Raffenbygiene die Gefabren der erblichen Belaftung zu bannen und dadurdy die 
Sortpflanzungerbgefunder undtühtiger Menfchen wieder zu vers 
bürgen. 

Go febr aud) wirtfcaftliche Gründe und das übertriebene Streben nad 
fozialem Aufftieg eine wefentliche Urfache des Geburtenrudgangs, der Abs 
treibung und der Geburtenverbinderung find, jo dürfen wir doch keineswegs vers 
kennen, daß es fich dabei in erfter Linie um ein erzieberifches, ein pfydhos 

Dolf und Haffe, 1933. AUnguſt. 12 


142 Dolf und Kaffe. 1933, IV 








logifdhes und etbifcdhes Problem bandelt. Die Einftellung dem feimenden 
£cben gegenüber ift von der Weltanfbauung nicht nur der deutfcben Stau 
und Rutter, fondern auch des Mannes abbängig. Durch Gefege und wirtfchaft: 
liche Maßnabmen allein läßt fib der Wille zum Rinde in einem Volt und vor 
allen Dingen in der Stau nicht erweden, es muß vielmebr die Seele der rau zum 
Rinde zurüdfinden. Das ift nur möglich durdy Erneuerung des Denkens der Srau 
und durd Lofung der Srauenfrage. Wir müffen die Srau aus ibrer wirts 
fbaftlichen Flot befreien und ihr wie den Rindern ausreichenden Schug gewäbren, 
aber im gleihen Maße den Mann zur Pflicht der Samiliengründung erzieben. 

Hier bietet fib der Mationalfozialitifben Srauenfhaft can 
weites Seld der Betätigung, die fie unter Sübrung von Müttern und in enger An: 
lebnung an die Einderreiche Wutter in Angriff nebmen muß. 

Die Aufklärung über Mrbgefundbeitspflege und XRaffentunde muß zur 
raffenbygienifben Erziehung der Jugend und des gefamten Volles 
ausgebaut werden, um fie für die Ebefchließung vorzubereiten. Um diefe Erkennt⸗ 
niffe weiten Rreifen zu vermitteln und geeignetes £ebrmaterial den für die Auf: 
klaͤrung alae Stellen und Erziebern der Jugend zu vermitteln, babe ich die 
Umbildung des Reihbsausfchuffes für bygienifche Dollsbelebrung in einen 
folden für Dollsgefundbeitsdienft angeordnet. Eine übertriebene allzu 
lange wiffenfdaftlide Ausbildung ift der rebtzeitigen Samiliengrüns 
dung ebenfo binderlidh wie die Übertreibung des Sports. Gerade die gebildete 
Schicht ift am meiften gefährdet, da die fpäte Samiliengründung der Grund fir 
Ebelofigteit, Krantheit und eine mißratene be ift. Es muß wieder als Pflicht 
der gebildeten Jugend angefeben werden, fich des Wertes der deutfchen Erbver: 
faffung bewußt zu fein, Raffenreinbeit zu bewabren und durch geeignete 
Oattenwahl eine höhere Entwidlung der eigenen Art und Samilie anzuftreben. 
Mifdhdeben mit Sremdraffigen muffen als das gelennzeichnet werden, 
was fie find, ndmlid der Grund fur geiftige und feelifbe Entartung wie für 
die Entfremdung dem eigenen Wolke gegenuber. Samiliens und Aaffen-= 
Bunde müffen fo gepflegt werden, daß das Blüben der Samilie als ein hoͤheres 
But erfcbeint als Reihbtum und Bequemlichkeit. Wir müffen wieder den Mut 
baben, unferen Doltstdorper nach feinem Erbwert zu gliedern, um dem Staat 
geeignete Sührer zur Verfügung zu ftellen. Wdenn andere Völker und vollsfremde 
Elemente uns auf diefem Wege nicht folgen wollen, fo ift das ihre Sade. Ich 
febe es als die größte Aufgabe und Pflicht der Regierung der nationalen Revo: 
Iution an, die Aufartung und Beftandserbaltung unferes deutfdben 
Dolkes im Herzen Europas zu gewäbrleiften. Uns bei diefer Aufgabe zu unter 
ftügen, darum bitte ih Sie. 


Einft bat germanifder Rinderfegen dazu geführt, daß die alten Völker des Abends 
landes überrannt wurden und die Siedlungen bis Afrika gingen. Das war der Beginn der 
deutfchen Gefchichte. Wird der beutige Tiefftand unferer Geburtenzabl ibe Ende bedeuten? 
Schon find die Grenzen Afiens bis zur Weichfel vorgefhoben, und Afrika reidht bis zum 
Rhein. Dazwifhen liegt Deutfchland mit feinem biologifden Tief, das wie ein baros 
metrifdes den Unrat von allen Seiten anfaugt. 

Und wie ftebt es im Innern? Die Beziecbung 3um landwirtichaftliden Denten 
wird ausgenugt: Wir nebmen ja immer das fchledhte Rorn zur Saat, das gute [hidden 
Wir in die {Nihle, in die Rnochenmuble der Großftadt, die das Leben tötet. Und was gibt 
uns die Gro®ftadt dafür wieder? Die Lehre vom „Ib“ und die Rameradfchaftsebe und 
Joealebe und Reformebe und Wocenendebe und Bauftile und Innenarditeltur — alles, 
nur feine Rinder. 

Aus: Med.sRat Dr. £. Vellgutb, Rreisarzt in Meldorf, „Eugenifche Erfahrungen 
in einem fchleswigsbolfteinifhen Landtreife (Dithmarfden).” Verlagsbuhb. Ricard 
Schoct, Berlin 1933. 


1933, IV Sopbie Ebrbardt, Die Raflenzufammenfegung des eftnifden Voltes. 143 


Die 
Raffenzufammenfegung des eftnifchen Volkes. 
Don Dr. Sopbie Ebrbardt, München. 

(Aus dem Anthropologifden Inftitut der Univerfität Mundyen.) 

1. Teil. 

(Mit 3 Abbildungen.) 


a Winter 1917/18 befreiten die deutfchen Truppen die Oftfeeprovingen von 
der Syerrfchaft der Rommuniften. Und dann fam der 9. Liovember. Die 
Deutfchen mußten das Land wieder preisgeben. Hunderte deutfcher Slüchtlinge 
zogen damals mit nach Deutfchland, wo fie Hilfe fuchten und fanden. Seit 
diefer Zeit Enüpft wieder ein enges Band die Baltenlande an das Deutfche 
Rech, denn fhon fehr viel früher beftanden enge Beziebungen zwifchen Deutfch- 
land und den Oftfeeländern. Durdy den Krieg ift nun abermals das Intereffe der 
Inlanddeutfchen für ihre deutfchen Brüder an der Oftfee gewedt worden. Don 
den wahren Derbältnifjen, wie die Deutfchen dort leben und wer nod dort oben 
zu Haufe ift, wiffen viele in Deutfdland recht wenn: Deshalb ift es nicht uns 
widtig, auch etwas über. die übrigen Bewohner Eiftlands, das. eftnifde Volk 
und feine raffifche Zufammenfegung zu erfabren. 

Es war mir vergönnt, im Auguft 1932 felbft eine anthropologifde Unter: 
fucung in €ftland 3u maden. Jc danke an diefer Stelle Herrn Prof. Tb. 
Mollifon, meinem Chef und febr verehbrten Lebrer und meinem Rollegen Herren 
Dr. B. R. Schultz für ihre Unterftügung und ihren Rat. Serner danke ich Herren 
Prof. I. Piiper, Herrn Prof. £. Aunap, fowie Herrn Direttor $. Leinbod aus 
Dorpat für ibr freundliches Entgegentommen. Beftens mddte id) aud Srl. He⸗ 
lene Braun, die mir bei der ganzen Unterfudung treu gebolfen bat, danten. 


Meine Unterfuhung umfaßt 300 erwachfene Perfonen eftnifder Bauern- 
bevdlferung (149 Wanner, 151 Srauen) aus einem eng begrenzten Gebiet. Ic 
babe faft ausschließlich nur folcbe Leute gemeffen und photograpbiert, deren Eltern 
und Großeltern jchon aus der Gegend ftammten und hoffte dadurch von vorns 
berein eine gewiffe Einbeitlichleit des Materials gefichert zu haben. Bearbeitet 
babe id bier nur Perfonen im Alter von 20— 60 Jahren (104 Manner, 122 Srauen). 

Um die raffifce Zufammenfegung des eftnifchen Volles ganz zu verftehen, 
ift es unbedingt notwendig, die frübeften Fliederlaffungen in den Oftfeeprovinzen 
aus vorbiftorifcher Zeit zu betrachten. Die älteften ardhäologifchen Sunde ftammen 
in €Eftland aus der jüngften Altfteinzeit, nach de Geer 7. Jabrtaufend 
v. Ehr., der Ancyluszeit. (Zeitlich gleichbedeutend mit der Maglemofelultur.) Zu 
diefer Zeit waren faft alle Infeln und der Klordweiten des Seftlandes noch unter 
Meffer; die Oftfee war ein Süßwafferfee. Die erften Sunde, die bei Runde und 
bauptfächlidh Pernau gemadyt wurden, waren Seuerfteins und Snot 
die einer Bevdllerung von nicht feßbaften Sifchern und Jägern angebört haben 
mußten. Aus der Abnlichkeit diefer Geräte mit denen aus Oftpreugen, Polen und 
Rußland kann man auf eine erfte Einwanderung aus diefen Gegenden fadliegen; 
die Altefte Rulturfchicht, die der Rammtleramil, zeigt engfte Derwandtfchaft mit 
dem Often. Trager diefer Kultur waren moglicder Werfe lappoide Elemente (% e f cd). 
Tallgren nennt die Bewohner der Steinzeit Kftlande finnifchzugrifche Völker. 
Die erften Herdftellen und Tongefäße, die auf ftändigen Wobnfig deuten, findet 
man im dritten und zweiten Jabrt. v. Chr. 

Im 2. Jabrtaufend v. Chr. tam von Suöweften eine neue Kulturwelle, die 
der Bootärte, Schnurteramit und Sladgrdber, die bis hinauf in die Oftfee- 

12° 








144 Volt und Kaffe. 1933, IV 





provinzen vordrang. Auch der Aderbau war im Zufammenbang mit der Bootarts 
kultur befannt geworden, fpielte aber als Erwerbszweig noch eine untergeordnete 
Rolle. Die Starke der eftländifchen fteinzeitlichen Rultur ift wohl darauf zurüds 
zuführen, daß Eftland als Dermittler zwifchen dem damals verhältnismäßig ftark 
befiedelten Sinnland und dem Süden, andrerfeits auch zwifchen den dftlicben und 
weftlichen Rulturgebieten ftand. 

Die Bronzezeit (1500—500 v. Chr.) ift für Eftland außerordentlich arm 
an Sunden. Seine Bewohner waren vielleicht Sifcher und Jager, die nod) Stein: 
und Anocdhenwerkzeuge benütten. Die bronzezeitlichen Stüde wurden wahrſchein⸗ 
lid) durd ftandinavifche und oftpreugifche Handler ins Land gebradt. Die neve 
Art der Leichenbeftattung, Steinbugelgraber mit Steintiften, die man Ende der 
Bronzezeit in Eftland trifft, laffen gotländifchen Einfluß vermuten. Mit Sichers 
beit weiß man von einer gotländifchen Kolonie in Rurland aus diefer Zeit. 

Don der vorrömifchen Kifenzeit, La-Tenes-Zeit (500 v. Chr. — Chr. 
Geb.) ware das gleiche zu fagen wie über die Bronzezeit. Alles find Einzelfunde, 
die nicht ausreichen, um die Entwidlung der vorrdmifchen Kifenzeit innerhalb der 
Oftfeeprovinzen fcharf zu umfaffen. Die legte Periode vor Chr. bleibt fo ziemlich 
allen Dermutungen preisgegeben. Jedenfalls war das Land damals fehr arm und 
lag abfeits von den großen Sandelswegen. Llacdh den Dermutungen von Tall: 
oven find damals in den legten vordhriftlidden Jabrhunderten die Eften aus dem 

ften nad Eftland eingewandert. 

Die Eften gebdren fpradlid 3u den finnifd-ugrifcden Völkern (und diefe 
zur uralaltaiifden Odllergruppe). Diefe Völker wohnen heute an der Oftfee, i 
Ungarn und in Rußland bis weit über den Ural; in vorgefchichtlicher Zeit bes 
fchräntte fich aber ihr Gebiet auf engere Grenzen: im Öften der Ural, im Fiorden 
das Cismeer, im Weften der bottnifche Meerbufen, im Süden die Linie von Libau, 
über Kiafan, Saratow nach Jelaterinburg. Wann und wo die Trennung der 
Weftfinnen von den den Oftfinnen fpradverwandten Ugriern (den Dorfabren der 
Turlvdlter) vor fic ging, ift gefbichtlich nicht erwiefen. Tallgren fchreibt, 
daß zu gleicher Zeit verfchiedene Volker in die Oftfeeländer ftrömten: finnifche 
Völker (Sinnen, Zften u. a.) von Often und indsogermanifde Völker (£etten, 
Litauer, Altpreugen und Slawen) von Welten und Südweften. Flur wenige der 
nad) Weften gedrangten finnifdben Stämme haben Dollstum und Sprade er: 
balten. Außer Sinnen und Eften waren es die Meinen Reftvdller der MDepfen (firds 
lid) vom Onegafee), Ingern (füdlich vom Ladogafee und um Petersburg berum), 
Woten (im Flordoften von Eftland und an der Rüfte des Deipusfees zerftreut) und 
£iven (heute nur noch an der Llordweftfpige von Rurland feßbaft). Der größte 
Teil der weftfinnifchen Stämme erlag der Verflawung, aus der das Großruſſen⸗ 
tum bervorging. Die Dorfabren der Ketten, Litauer, Altpreußen und au Slawen 
werden in der Literatur baufig baltifce refp. baltifd-flawifde Gruppe genannt. 
Yiaedh Much gebt das Wort ,, Balte auf eine Bezeichnung der Oftfee zurüd, die 
ja den Yiamen das ,,Baltifcde’ Meer, mare balticum, führt, zuerft belegt bei 
Adam von Bremen im 31. Jabrbundert. Um das Jabr 400 n. Chr. nannte fich 
ein weftgotifches hHerrſchergeſchlecht die „Balthen“, das bedeutet die ,,Rubnen“. 
Es ift nicht ausgefchloffen, daß Träger diefes Liamens felbft in die Oftfeelander 
tamen, bier blieben und ihren Yiamen binterlieBen. Das Wort Balte gilt beute 
nur für die Deutfchen aus den Öftfeeprovinzen. Das Wort ,,€fte gebt zurüd 
auf den Viamen Aiften, Aeftii bei Tacitus, urfprünglih ein altpreußifcher 
Stamm (Aeftier oder Pruzzen). Es ift denkbar, daß Träger diefes Liamene, alfo ein 
indogermanifcher Stamm, nach Florden kamen, fich bier verbreiteten und daß die 
Unterworfenen ihren Liamen annabmen, ihre finnifdbe Sprache jedoch beibebielten. 

Die fogenannte ältere Kifenzeit, römifche Kifenzeit (Chr. Geb. —400 
n. Chr.) bringt reiche Sunde und zahlreiche Graberfelder. Die baltifchen Lander 
geraten unter den Kinfluß einer Kulturwelle, die von den Oftgermanen bzw. 
von den Boten ausging und fid) weit nad) Often verbreitete. Silberne Schmuds 


1933, IV Gopbie Ebrbardt, Die Raffenzufammenfegung des eftnifdhen Voltes. 145 
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ftüde aus Eftland, wie fie aus einem oftpreußifchgotifchem Graberfeld bekannt 
find, fprechen dafür, daß die Boten audy im Baltitum länger gewobnt haben. Zu 
diefer Zeit entfteben auch Sibeln und Schmudfachen, die in Eftland felbft gefertigt 
wurden. Der Aufftieg des wirtfchaftlichen und kulturellen Lebens der Oftjeeländer 
ift auf die Ausbreitung der germanifchen Stämme und legten Endes auc auf das 
Aufblüben des römifchen Weltreiches zurudzuführen. 


Innerhalb der Oftfeeprovinzen konnte man fcyon zu der Zeit zwei Rultur⸗ 
Breife erkennen, einen fudlichen und einen nördlichen, die fich durch verfchiedene 
Beftattungsbräuche und Eennzeichnende Sunde von einander unterfcheiden und die 
nad Ebert mit verfchiedenen Völkergruppen in Zufammenbang zu bringen find. 
Im Süden waren es Völker, aus denen die Litauersfetten beroorgingen, im Florden 
waren es weftfinnifche Stämme. Diefe finnifchen Stämme find feıt jener Zeit im 
Lande geblieben und haben nur noch fremde Elemente in fih aufgenommen. Wet: 
und Llordeftland war wegen der großen Sümpfe noch wenig befiedelt; alle Sunde 
ftammen aus dem Often und Suden des Landes. Jn diefe Zeit fällt die durchs 
greifendfte Umgeftaltung in den Siedelungsverbältniffen. ftland bat von nun 
an eine feßbafte Aderbau treibende Bevdllerung. Die Befiedelung zerfiel damals 
in Gruppen, die noch heute durch die wichtigften Landfchaften Eftlands zu ers 
kennen find. 


Ulad einer unbedeutenden Periode der mittleren Eifenzeit (Zerfall des 
römifchen Reiches, Rüdzug der germanifchen Stämme) kommt es inder jüngeren 
Eifenzeit (800—1200 n. Chr.) wieder zu einem bedeutenden Auffchwung durch 
die grofen Handelaverbindungen, die vom fernen Weften (britifche Infeln, friefifche 
Rufte) bis 3um fernen Often (arabifche Welt, Turkeftan, Dorderafien) reichte. Die 
Dermittler des Handels waren die Wilinger. Eine Wilingerkolonie aus Jsborft, 
im dußerften Südoften Eftlands, ift bekannt. Auch die Aandelsbesziechungen der 
baltifchen Lander untereinander blübten. 

Seit der biftorifchen Zeit find die baltifchen Provinzen ganz nady Welten 
gewandt. Dur die außerordentlid günftige bandelsgeograpbifche Lage ges 
wannen die Öftfceländer politifche Bedeutung. Darum finden wir fie aud im 
Befig von Deutfchen, Dänen, Schweden, Polen und Ruffen. Seit dem 13. Jabrb. 
baben die Deut{dyen die Oftfeelander als Herrenfchicht bewohnt und deutfche Kultur 
bineingetragen. Aud) die Oberberrfcaft eines fremden Staates wie Rußland 
(200 Jahre) baben das deutfche Aulturleben im Baltitum wohl hemmen, aber nie 
ganz unterdrüden können. 

Die Öftfeeprovinzen, die feit der ruffifchen Zeit als Eft:, Live und Kurland 
befannt find, gibt es beute nicht mehr, fondern es gibt beute im Llorden eine 
Republit Eftland, im Süden eine Republik Lettland. Die Grenze beider läuft 
mitten durch das fribere Livland. 


Eftland bat etwa 1 117000 Kinwobner. Deutfche, Schweden, Ruffen leben 
in der Minderheit in Eftland und zwar nach den legten amtlichen Zahlungen aus 
dem Jahre 1932 (die mit denen aus Sem Jahr 1922 ziemlich übereinftimmen) !): 
87,6% Zeiten, 8,200 Ruffen, 1,7% BDeutfche, 200 Schweden, Ketten, Zigeuner 
u. a. Völker und 0,4% Juden. Die Deutfcben (etwa 24000, vor dem Rriege 
37000) leben im Baltenlande als Adelsftand in der Stadt und auf dem Lande, 
zum großen Teil mit Grundbefig (beute find fie enteignet), als Literaten, Raufs 
leute und freie Bürger. Die Schweden (etwa 6000) wohnen in der Stadt, 
bäufiger als Bauernbevdllerung an der Weftlufte Eftlands oder auf den Infeln; 
Rund und Rund find heute rein fdywedifd. Don den Ruffen (etwa 656000) wohnt 
ein Heiner Teil in den Städten, die meiften find in den Dörfern feßbaft. Befonders 
zu erwähnen find die ruffifchen Sifcher und Holzbändler, die meift an der ruffifchen 
Grenze ihre Wobnfige baben. Der Südoften, das fog. Sctulefien, ift von Ruffen 


1) Nach: v. Winkler, 9%: Heimatlunde Eſtlands. Reval 1923. 


146 Volt und Kaffe. 1933, IV 
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fcbon 700 n. Chr. ftark befiedelt gewefen. ier liegt eines der letzten ruffifchen 
Rlöfter, Petfchur. 

£s muß betont werden, daß während der legten 700 Jabre nie eine große 
fremde Befiedelung ftattgefunden bat, fo daß der Zufluß von fremdem Blut in 
das eftnifche Volk zu diefer Zeit, wenn auch nicht unwefentlich, fo doch nicht aus: 
fdlaggebend fur die raffifcde Zufammenfegung des eftnifcben Volkes war. Dieje 
muß fcbon febr viel früber erfolgt fein. Die erften Schädel, die wir aus dem 
Feolitbitum, der Jungfteinzeit Eennen (Woifek, Kreis Sellin und Rölljall, Infel 
Ofel) find typifche Langfchädel. Die Stelettfunde der Bronzezeit find nach Srie= 
dentbal bobwüchfig, die Schädel — bis auf einen unter 32 — lang, jcbmal 





Abb. 1. Karte von Kitland (der Kreis umfaßt das linterfuhungsgebiet). 


und bod. Die frübeften Kulturkreife aus der Steinzeit Eftlands geboren aber 
verfchiedenen Dölkern an, finnifchzugrifcben und indogermanifden. Es dürften 
alfo 3u der Zeit verfchiedene Völker nach Eftland vorgeftoßen fein. Weitere Sunde 
aus dem Baltitum bzw. feiner nächften Umgebung deuten auch darauf bin. So 
find neolitbifhe Schädel vom Ladogafee teils lang, teils mittellangfchädelig 
(Saller nach einer Veröffentlihbung nab Bogdanow). Bei Schwarzort auf 
der Kurifcben Mebrung wurden Bernfteinfigurden gefunden, die die Wiedergabe 
zweier verfchiedener Raffen zeigen, in einem Salle cin fcbmales langes Geficht, im 
anderen Salle cin breites niedriges. Man wird fomit eine fribe Raffenmifcdung 
im Baltitum, vielleicht febon im Meolitbitum, annebmen dürfen. 

Bevor ib nun auf die Raffenzufammenfegzung näber eingebe, möchte ich 
einige Worte über das Leben des eftnifchen Bauern im allgemeinen fagen. Kit: 
land ıft ein flaches Land, das gegen orden fteil abfällt. Der Suden und Often 
ift von WMoränenbügeln bededt, der Welten und KTordweften ift flach. Ze ift ein 
Land für Aderbau und Piebzuct. Die Mebrzabl der eftnifcben Bevölkerung ift 
eine Bauernbevölkerung. Jnduftrie ift im Lande ganz wenig. Kin Teil des eft- 
nifeben Bodens ift noch Wald, 15% ift Moorland. Somit war für die Be: 
fiedelung des Landes nur die Fugbarteit des Bodens ausschlaggebend. Die Gegend 
zwifchen Sellin und Pernau, die mein Unterfuchungsgebiet war (f. Abb. 1), ift 
reid) an Sumpfen. Die Bevdlkerung wird bierber wobl erft in biftorifcher Zeit 
gefommen fein. Deutfche Güter gab es in diefer Gegend fehr wenige und die 


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1933. IV. Sopbie Ehrhardt. Die Raſſenzuſammenſetzung des eſtniſchen Volkes. 147 
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Bevoͤlkerung genoß ſchon ſehr fruͤh eine gewiſſe Selbſtaͤndigkeit und gewiſſe Vor⸗ 
rechte und lebte ſehr abgeſchloſſen. 

Der Hauptverkebr fpielte fih auf Wagen bzw. Schlitten und zum großen 
Teil auf dem Wafferwege ab. Das Sabrzeug war ein Einbaum, der nod beute in 
diefer Gegend benügt wird, namentlich im Srubling, wenn weite Gebiete unter 
Waffer liegen. Das Waffer fteigt oft bis an die Wobnbäufer, die meift nabe am 
Sluffe fteben. Das Dieb wird dann auf ein mit Retten an das Haus befeftigtes 
Sloß getrieben und bleibt dort, bis der Wafferftand finkt (etwa s—ı4 Tage). Die 
Geböfte, die man bier Gefinde (talu) nennt, liegen einzeln, oft weit auseinander. 
Wo fie näber beifammen liegen, bilden fie ein typifches Haufendorf. Die Wege 





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Abb. 2. Eſtniſches Bauerngeboͤft. Geſinde Ratuokoſe. 


ſind im Sommer gangbar. Mit dem Fahrrad iſt aber ein Weiterkommen oft 
ſehr ſchwer. 

3m lmtreis von etwa 20 km befindet fich nur eine Schule, ein Paftorat, ein 
Doktorat. Die Bauern pflegen unter einander febr wenig Verkebr, was wobl mit 
der großen Entfernung der Geböfte zufammenbängt. Die jungen Leute beiraten 
aus dem Flachbargefinde. Yan konnte in der Gegend deutlich verfolgen, wie die 
Samiliennamen feit vielen Gefchlechterfolgen an eine Gegend gebunden find. Die 
Rinderzabl ift für eine Landbevölterung nicht groß, fie beträgt im Mittel 2,8. 
Die Samiliennamen, die zu einem großen Teil deutfch waren (Rofenberg, Riifen: 
berg, Wildflug, Glüd u. a.) baben mit deutfcher Herkunft nichts zu tun, da die 
Bauern bei der Aufbebung der Leibeigenfchaft (1816) den YTamen von ibren 
deutichen Butsberren bekamen. 

Die älteften Bauten in Eftland find faft alle aus Holz. Das gewöhnliche 
Bauernbaus ift cin Blodbaus mit winzig Beinen Senftern. Das primitivfte Haus 
der Lften ift das fog. Stangenzelt, das noch in einigen Gegenden als Sommer: 
küche benützt wird. Dis Dach des eftnifcben Bauernbaufes ift mit Strob, Binfen 
oder Schindeln gededt (Abb. 2 und 3). Blumenfchbmud am Haus findet man ın 
einzelnen Gegenden recht bäufig. Das typifche Wobnbaus beftebt aus der Riegen:z 
ftube (rehetuba), wo das Korn gedörrt wird und die man auch als Wobnftube 


148 Volt und Kaffe. 1933, IV 
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benützt, ferner der Tenne, wo das Korn gedrofchen wird und die auch als Stall 
dient und zulegt der Rammer. Zu erwähnen ift noch eigens die Badeltube, die 
jedes Gefinde bat, cine Badeftube, wie fie in Rußland und in den flandinavifchen 
Landern 3u finden ift. Die Eften baden jeden Gonnabend, wobei fie fic) mit einem 
Quaft aus Birkenzweigen fdlagen; es tommt mebr auf den beißen Dampf als 
auf das Wafchen felbft an. 

Außer diefer körperlichen Pflege läßt die Reinlichkeit des eftnifchen Bauern 
recht viel zu wünfchen übrig. Die Rleidung der Bauern ift einfach; baufig 


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Abb. 3. Eftnifdher Bauernbof; im Vordergrunde der Ziebbrunnen. Gefinde Valma. 


tragen fie felbftgewebte Sachen. Zerriffene Kleidung findet man nicht felten, 
was mit der Armut bier ficher nichts zu tun bat. An den Süßen tragen die 
Bauern Pafteln!); auch Schube aus Rinde find im Gebraud. Line Vational- 
tracht trägt das Volk beute nicht mebr. Yiur in Setufefien und auf den Jnfeln 
bei der fchwedifchen Bevölkerung bat fich noch eine eigene Tract erbalten. Der 
Eſte ift im Eſſen meift febr gaftfrei. Roggenbrot, Lier, Butter und Milch bes 
kamen wir faft überall. Meffen ließen fich die Leute meift nach kurzer Überredung. 
Die Fleugierde und die Hoffnung auf das verfprodene Bild haben ibre Surcht 
faft ftets überwunden. Wir mußten in der Landesfprache verfebren, denn deutfcd 
verftanden nur einige ältere Bauern. In der ganzen Gegend ift uns nur ein Dorf 
begegnet, wo die Leute gegen uns febr mißtrauifch und unfreundlich waren. 


1) Lederfchube, die aus einem Stüd gefdnitten find. 


(Sortfegung folgt.) 





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(Aufnahme Lendvai-Dirck»sen) 


Sriefin von der Jnfel Sdbr. 
Gefidtszige, Haltung und Ausdrud ausgefprocden nordifd. 


Wir Isden nochmals zur Einjendung guter Raffenbilder ein. 


150 Volt und Kaffe. 1933, IV 


Die Dafas. 


Yon Chilo v. Crotha. 


Mit 6 Abbildungen. 


1520 batte Chriftian II. von Dänematrl, „der Tprann“, fi ganz Schweden 
unterworfen. Sein Plan war eine Erneuerung des großftandinapifchen Reiches, 
das 120 Jahre zuvor von der großen Margareta von Dänemark gefchaffen wor: 
den war, unter ihrem Flachfolger aber wieder auseinanderfiel. Im Gegenfag zu 
Margaretas ftaatstluger Milde behandelte Ehriftian die Schweden mit unver: 
nünftiger Härte. Wie immer zeugte der Drud Gegendrud, und in der ärgften 
Hot entftand dem fdhwedifchen Doll in dem jungen Buftav Dafa der Retter 
und Rächer. 

Selbft aus „Bauernadel“ ftammend, fühlte er mit dem Volke wie taum ciner. 
Stets auf der Slucht, in ftändiger Lebensgefahr, fhürt und fdurt er, bis das 
gen 3e Land in Slammen ftebt und die Dänen weichen müffen. Das Volt wählt den 

ieger zum Rönig. Er berrfcht, ganz germanifcher Herzog und Bauernkoͤnig, ge⸗ 
ftügt auf den Willen und das Vertrauen der Stände. Er baut ein Heer auf, er 
führt mit unendlicher Staatsklugbeit unfichtbar die Reformation durd, er befreit 
Schweden von der außenpolitifehen Dormundfchaft der Hanfe. Doch aud an ibm 
geben die Strömungen feiner Zeit, der Renaiffance, nicht fpurlos vorüber. Lr bez 
ginnt, fidy ausländifche Berater zu bol:n, er regiert über den Ropf des Volles 
binweg, entfernt ficb mebr und mebr von feinen Bauern. Da fteben die Bauern 
gegen ibn auf. Er bleibt Sieger. Aber — und das ift das Zeichen einer wabrbaften 
Charaltergroge Guftav Vafas — er lernt aus dem, was er erlebt und kebrt zu 
der früheren, einem nordifchen Bauernvolt angemeffenen Regierungsweife zurüd. 
Und nun feben wir, wie der „alte Rönig Gdfta’ fein Land verwaltet wie ein 
Großbauer feinen Hof, fparfam, 34b, und dod) mit berrenbafter Großzügigkeit. 
Als er 1560 ftirbt, ift aus dem verfllanten, verelendeten Land cine Großmadht 
geworden. 

Unter feinen Söhnen entftebt ein Bruderftreit, der erft 1640 mit der Ards 
nung Rarls IX, ein Ende findet. Rarl IX., ein echter Dolls: und Bauerntdnig, 
jedoch beftiger,’derber und minder begabt als der Vater, verwidelt fich in Rämpfe 
mit Dänemark und Rußland. Als er 1013 ftirbt, binterläßt er dem 17 jährigen 
Buftav Adolf ein aufs Außerfte bedrobtes Reich. 

Guftav Adolf, geboren am 9. Dezember 1594, feblug zuerft Dänemarlt, 
dann Rußland und Polen. Die römifche Politik der Habsburger zwang ibn, den 
Rrieg auf deutfchen Boden berüberzutragen und die Rolle eines Schügers des 
proteftantifchen Belenntniffes zu übernehmen. In einem Siegeszug obnegleicen 
vernichtete er die im MWienfchenmaterial nicht allzu hochwertigen Waffenarmeen der 
Jabsburger, unterwarf fich faft ganz Deutfchland und fdlug nod im Tode am 
6. Fiovember 1632 Wallenftein bei Lützen entfcheidend aufs Haupt. 

Schweden befaß damals bereits Sinnland, die Oftfeeprovinzen und einen Teil 
von Florwegen. Wir wiffen beute, daß Guftav Adolf ein proteftantifches groß: 
germanifches Reich vom Flordtap bis nach Sranten vorfchwebte. 

Buftep Adolf war einer der größten Seldberrn aller Zeiten, ein Politiker 
und Organifator erften Ranges. In den Wefenszugen feinem Großvater Guftav 
Dafa dhnlich, übertraf er diefen durch den Glanz feiner Perfönlichkeit und. den 
Pyobenflug feiner Gedanten. Wie fein Broßvater war auc er ein echter Volles 
fönig und »fübrer. Alle feine Unternehmungen wurden bis zum legten vom Volles 
willen getragen. Sein Heldenleben bedeutet den Gipfel der fhwedifchen und einen 
der Hoͤhepunkte der nordifchegermanifchen Gefdichte. 

Viadhdem Guftav Adolfs einziges Rind, die gemütstrante Chriftine, ab: 
gedankt batte, beftieg ibr pfälzifcher Detter Kals Guftav, deffen Mutter eine Dafa 





151 


Tbilo v. Trotba, Die VDafas. 


1933, 1V 





Guftav Dafa. 





Karl X 


Buftav Adolf. 








(Photo Bruckmann) 


Rarl XII. 


Karl XI 


152 Volt und Raffe. 1933, IV 
—————— —————— — —————— —— 


war, als Rarl X. den Thron. Ein gewaltiger Feldherr, ſchlug er die Daͤnen und 
Polen vernichtend. Sein jaͤher Tod traf Schweden aͤhnlich ſchwer wie der Guſtav 
Adolfs. Aber diesmal fanden ſich keine großen Unterfuͤhrer, die das Werk des 
Koͤnigs fortfuͤhrten, wie das einſt nach dem Tode Guſtav Adolfs der Ranzler 
Orenftjerna und die großen Generale Banér und Torftenfon getan batten. Als 
der junge Racl XI. zur erefdaft tam, ubernabm er ein von den Dormündern 
arg verwirtfchaftetes Reid. Rarl XI. fauberte fchonungslos fein fand von 
dugeren und inneren Seinden, brad den Ubermut des Adels durch eine ausgedehnte 
und febr barte Gutereinziebung, fubrte die einheitliche Uniform ein, reformierte 
Rirdye, Heer und Beamtenfchaft und fanierte die Sinanzen. Das Werk Sriedrid 
Wilhelm I. von Preußen batte in ibm fein Vorbild gefunden. Er war wie 
Guftav Dafa und Karl IX. ein echter Bauecrntönig, führte aber den vollsfremden 
Abfolutismus in Schweden ein. Die Arbeitstraft diefes Rönigs wear ungeheuer, 
aber er mutete fidy zuviel zu, überanftrengte fi und ftarb 1697, 41 Jahre alt, 
während fein ältefter Sohn Rarl XII. nody unmündig war. 

1682 geboren, „erbte‘‘ Rarl XII. von feinem Dater die Gegnerfdaft Danes 
marls, Polens und RuPlands. Diefe bielten die Zeit für gelommen, fich an 
Schweden fchadlos zu halten. Aber fie batten fi in Rarl getäufcht. Ein Seld« 
berrngenie wie Guftav Adolf, 3wang der ıs jährige in der Schlacht bei Hlarpa 

Peter den Großen in die Rnie. In einem unvergleidliden Siegeszuge (lug er 
Polen, Gacfen und Danemarl, um dann den Krieg nad) Rußland felbft bineins 
zutragen. Spier fdeiterte er an demfelben Problem, das 100 Fabre fpater KTapoleon 
zu Sall bradte. Der endlofe ruffifhe Raum vernichtete ibn. Die Schladt von 
Poltawa, am 28. Juni 1709 zerftörte mit einem Schlage das fehwedifche Grog: 
reich. Während Rarl, in die Türkei geflohen, verfuchte, den Sultan gegen Peter 
aufzuftacheln und durch ukrainifche und tatarifche Winderbeitenpolitit das ruffifche 
Reid) 3u unterhöblen, gingen Sinnland, das Baltitum und der größte Teil der 
deutfchen Befigungen Schwedens verloren. 1714 ritt er in nicht zwei Woden von 
der Türkei nad Stralfund, fetzte filh an die Spitze feines Volles — aber es war 
fhon zu fpät. Es gab nur nody eins für Schweden und feinen König: ein chrens 
volles Ende. Er fand es 1718 zu Sredritshald in Klorwegen. Mit letzter Kraft 
wehrte das Doll nod die Ruffen ab, dann brad alles sufammen. | 

Wollte man die Größe einer Perfönlichteit nur nach dem Erfolg beurteilen, 
fo täte man Rarl XII. beftimmt unrecht. Er war in vieler Beziehung eine frides 
tizianifche latur, wenn auch unftet und überaus ftarrfinnig. Aber felten in der 
en Gefdicdte ift ein Volk feinem Sührer fo unbedingt gefolgt, wie die 

chweden diefem ihrem legten großen Rönig. Er bat fein Volt nidyt zum Sieg 
führen können, aber er bat die Ehre gewabrt. 

So ift die Gefchhichte der Vaſas ein Heldenlied, wie wir wenige kennen. 
Drei Genies find diefem Befchledht entfproffen. Allen dreien war eines eigentüms 
lid): Sie waren nicht „Monarchen“, fondern Sührer ihres Volles. Sie bewiefen, 
daß der große Dolksführer immer mit dem Volke regieren muß, zum mindeften 
in germanifchen Landen. 

Das fhwedifche Reich ging an jenem Problem zugrunde, das alle Wilinger: 
reiche zufammenbrechen ließ: an Menfhenmangel. Dem Rrieger folgte nicht 
der fiedelnde Bauer. Bei Karls XII. Tode gab es nur noch Greife und Anaben 
in Schweden. Das fand zerbrah an feinem zu großen Blutverluft, wie einige 
Jahrhunderte vorher Klorwegen durch die Peft zerbrochen war. 

Das geiftige Erbe der Dafas trat Preußen an, das Erbe Preußens wiederum 
die Bewegung Adolf Hitlers. Aber die große Unrube, die heute durch das ganze 
Germanentum gebt, bat fid) auch des beutigen Schwedens wieder bemädhtigt; 
bewußt greift das gärende junge Schweden auf die vergeffene beldifche Übers 
lieferung der Dafas zurüd, die ın der Geftalt Guftav Adolfs, ser aud im Pan: 
theon der deutfchen Gefdidte feinen Plag beanfpruchen tann, ibren leuchtenden 
Gipfel fand. 


1933, 1V Was fagt uns die Volkszählung vom 16. Juni 19337 153 
Se aa ea ee a Ea eR — 


Was 
fagt uns die Volkszählung vom 16. Juni 1933? 
Aus dem Reihhsausfhuß für Volksgefundbeitsdienft. 


R aum drei Woden nad dem Tage der Volkszählung konnte das Statiftifche 
Reicdbsamt bereits das vorläufige Ergebnis der Zählung veröffentlichen. 

Die Zählung der ortsanwefenden Bevölkerung des Deutfchen Reiches obne 
Saargebiet ergab 65,53 Millionen. Jn den act Jahren, die feit der letzten 
Volkszählung am 16. Juni 1925 verftrichen find, ift die Bevölkerungszahl fomit 
um 2,7 Willionen oder 4,4% geftiegen. 

Ja und da hört und lieft man doch immer von „drobendem Dolkstod“, von 
den „verheerenden Solgen des GBeburtenrüdganges“ ufw. Stimmen alfo diefe 
Untenrufe gar nicht? Die Bevslterungszahl bat ja zugenommen! 

Gewig, die Bevölkerungszahl ift in den legten acht Jahren geftiegen und 
wird, wenn nicht unvorbergefebene Kreigniffe eintreten, auch in den nächiten acht 
Jabren noc fteigen. Dod was bedeuten fo kurze Zeitfpannen für das Leben eines 
Poltes! Und haben wir wenigftens Beredhtigung zu der Annahme, daß in fpds 
teren Jahrzehnten, fagen wir gegen Ende des 20. Jahrbunderts, Deutfchlands 
Bevdllerung nod wachfen wird? 

Wenn wir diefer Stage näbertreten wollen, fo ift die erfte Dorausfegung, 
daß wir uns Rlarbeit verfchaffen uber die verfchiedenen Urfachen, die die Bevdltes 
rungszabl beeinfluffen. Es find dies: Zunahme durch Geburten und Einwandes 
rung, Abnahme durdy Todesfälle und Auswandcrung. Wir wollen zunächft eins 
mal den Zinfluß durch Ein» und Auswanderung außer acht laffen. Wir können 
dann, wie dies Lote in feinem febr lefenswerten Büchlein: „Vollstod‘ (Kosmos: 
Derlag) getan bat, das Volk mit einem See vergleichen. See und Volt bieten uns 
ftets den gleichen Anblid, obwohl ein dauernder & ubftanzwechfelerfolgt, beim 
See Surd das zufließende und abfließende WDaffer, beim Volk durch die neu 
ins Leben Lintretenden und die aus dem Leben Ausfcheidenden. Der Seefpiegel 
balt feinen gleihen Weafferftand dann, wenn ebenfo viel WPaffer zu: wie abfließt. 
Das Moment der Wafferverdunftung möge vernachläffigt werden. Ebenfo bleibt 
die Bevdllerungszabl gleich, wenn die Zabl der lebendgeborenen Rinder gleich 
der Zahl der Sterbefälle ift. Und wie der Seefpiegel nur dann fteigt, wenn mebr 
Meffer zugeführt wird als abfließt, fo nimmt die Bevölkerungszahl nur dann 
zu, wenn die Beburtenziffern böber find als die Sterbeziffern, wenn alfo ein 
Geburtenüberfchuß beftebt. 

Beim See kann ein Zufluß-Überfchuß auf zwei verfchiedenen Urfachen be= 
ruben. €s tann — fei es durch Schneefchmelze, fei es durch heftige Fliederfchläge — 
. der Zufluß ungewöhnlich verftärkt werden, während der Abflug zunddhft gleich 
bleibt. Der Wafferfpiegel hebt fih dann durch die reichlich zugeführte „friſche 
Bubftanz“. €s tann aber zweitens durch irgendein Klaturereignis, fagen wir einen 
Erörutich, der Abflug vermindert werden, während der Zufluß feine durchfchnitt- 
liche Stärte beibebält. Auch dann beftebt ein Zufluß:Überfchug. Der Wafferfpiegel 
fteigt dadurch, daß die „alte Subftanz‘* länger im See verweilt. Ja felbft, wenn 
jetzt der Zufluß fchwächer wird, wird trogden durch die Stauung der Waffer: 
ftand noch höher werden. 

Ganz ebenfo tann bei einem Volt der Beburtenuberfchuß entweder darauf 
zurüdzufübren fein, daß bei mittlerer Sterblichkeit die Geburtenzabl febr bod 
ft, oder darauf, daß zwar der Zufluß durch die Lebendgeborenen nicht befonders 
groß, aber die Sterbeziffer unnatüurlich niedrig ift. Im erften Salle baben wir 
ein Wachstum der Bevölkerungszahl durch Zufuhr frifcher lebenstüchtiger „Subs 
ftanz“, im zweiten Salle ein Wachstum durch längere Erhaltung vorhandener 





154 Volt und Kaffe. 1933, 1V 





„Subftanz“. Ein Wadstum? ein. Eine Vergrößerung durch Gtauung ıft 
nidt Wadstum, ift böchftens Zunahme. 

Wie ftebt es nun mit der Bevdllerungsbewegung im Deutfden Reid > 
Wedstum oder Funahme? 

Die Bevdlterungszabl Deutfchlande ift, feit wir über eine lüdenlofe ſtati⸗ 
ftifche Erfaffung verfügen — das ift feit 1840 — dauernd geftiegen, wenn wir 
von den Rriegsjabren und den Menfchenverluften in den abgetretenen Gebictsteilen 
abfeben. 1840 betrug fie 33 Millionen, im Jahre 1870 war fie auf 40 Millionen 
geimegen, im Jahre 1900 auf 54 Millionen, 1915 erreichte fie mit ungefäbr 07,8 

illionen ibren bodften Stand. Yiad dem Rriege bob fie fich von 89,6 Millionen 
im Jabre 1919 uber 62,6 Millionen im Jabre 1925 auf 65,3 Millionen von beute. 

Alfo ftändiger Anftieg, wenn auch in recht wedfelndem Steigungsgrad. 
In den Jahren 1900 bis 1915 betrug 3. B. der jabrlide prozentuale FJuwads 
1,70, in den Jabren 1925 bis 1933 Sagegen nur 0,55%. 

Stellen wir das erfte Jabcfunft des 20. Jabrbunderts und das Jahr 1932 
einander gegenüber. In den Jahren 190) bis 1905 war die jährliche Beburtens 
ziffer 34,3 auf 1000 lebende Einwohner, die Sterbeziffer 19,9 auf 1000, fomit der 
jäbrliche Beburtenüberfchuß 14,4 auf 1000. Im Jabre 1932 war die Geburten- 
ziffer 15,3 auf 1000, die Sterbeziffer 10,8 auf 1000, der Beburtenüberfhuß 4,3 
auf 1000. 

Wir feben alfo im Jahre 1932 einen weit geringeren „Subftanzwechfel“ 
als in den erften 5 Jahren des Jahrbunderts, wo einer Sterbeziffer, die wir als 
etwas überdurdhfchnittlich bezeichnen müffen, ein verhältnismäßig febr großer 
Zufluß dur Geburten gegenüberftand. 1932 dagegen konnte die fehr niedrige 
Beburtenziffer nur dadurch noch zu einem „Überfcehuß‘“ führen, daß die unnatürs 
li geringe Sterblichkeit zu einer Stauung gefübrt bat. 

Und was beredhtigt uns dazu, die Sterbeziffer 19,9 ale „etwas überdurch- 
fehnittlich“, die Sterbeziffer 10,8 als „unnatürlich niedrig“ zu bezeichnen? Fiebmen 
wir der Einfachheit halber an, die Sterbeziffer bätte 10 auf 1000 betragen; wenn 
von 1000 Menfchen jährlih 10 fterben, dann müßten 100 Jahre vergeben, bis 
alle 3000 Ülenfchen geftorben find, oder mit anderen Worten: Die durdichnitts 
liche Lebensdauer diefer Wienfchen würde 1000 : 10 = 100 Jabre betragen. Nach⸗ 
dem gegenwärtig aber die mittlere Lebensdauer in Deutfchland 57,4 Jahre beträgt, 
muß die jährliche Sterbeziffer 1000 : 57,4 = 17,4 fein. Die Sterbesiffer 19,9 aus 
den Jahren 190) bis 1905 ift alfo auf heutige Verbältniffe bezogen etwas über: 
durchfchnittlich Hoch, die Sterbeziffer 10,8 dcs Jahres 1932 abnorm niedrig. 

Und wie ift diefe unnatürlich niedrige Sterblichkeit zu erklären? Sie berubt 
auf dem eigenartigen Altersaufbau des deutfchen Volkes. Llicht jedes Lebenss 
alter ift in glei bobem Grade vom Tode gefährdet. Am ftärkften bedroht ift 
neben dem Säuglingsalter das Greifenalter, am wenigften gefährdet find die 
etwa 20: bis 45jäbrigen. Gerade diefe Jahrgänge find aber im deutfchen Volke 
befonders ftark befetzt, da dic Jahre 1890 bis 1910 befonders geburtenreich waren... 
Das Greifenalter ift sablenmagig — beute nod) — relativ fhwach vertreten. 

Unfere Unterfuchung bat uns gezeigt, dak wir beute im Begenfage zum 
Beginn diefes Jahrhunderts in Deutfchland eine Zunahme, aber nicht mehr 
ein Wachstum unferer Bevölkerung baben. Der Seefpiegel fteigt alfo durch 
Stauung. Und die Solgen? Die „alte Subftanz‘* verweilt länger und nimmt, 
weil zu wenig „neue Subftanz‘“ zugeführt wird, einen verbältnismäßig viel 
zu großen Teil ein — unfer Doll vergreift. Und die weitere Solge: Das 
Stauwebr wird nidt ewig balten ténnen. Wenn in etwa 20 Jabren die heute 
fo ungewdbnlich ftart befegten Jabrgange in das vom Tode viel ftarker bedrobte 
OGreifenalter eingutreten beginnen, dann wird das Waffer aus dem geftauten See 
mit um fo grogerer Gefchwindigheit abfliegen, und der Gee wird fallen; d. b. dte 
Sterbeziffern muffen unbedingt gewaltig in die Höhe fchnellen, und dann wird 
die Bevöllerungszahblnaturnotwendig abfallen. B. 


1933, IV Aus Raffenbygiene und Bevdlterungspolitit. 155 








Aus Kaffenbygiene und Devdlterungspolitit. 


Erridtung des Landesamtes für Raffewejen in Thüringen. 


Die Tbüringifche Regierung bat im Einvernehmen mit der Reichsregierung und unter 
Einbeltung von deren Richtlinien am 15. Juli ein Landesamt ja Raffewefen errichtet, welches 
unmittelbar dem Innens und Voltsbildungsminifter Wächtler unterfteht. Zum Prdfidenten 
diefes Landesamtes wurde Dr. med. Rerl Aftel, München, Leiter der fportärztlichen Unter: 
fuchungs: und Beratungaftelle der Münchener Hodfaulen, Leiter des Raffebygieneamtes der 
Reicsfibrerfcule der SA. und Raffenbygieniter des Kaffe: und Siedlungsamtes S=. berufen. 
In Anbetracht der bedrobliden bevdltcrungspolitifden Lage, die durdy die legte Doltszablung 
wieder fdlagartiqg vor uns aufgebellt wurde und der ftarten Sunabme Erblranter gegen- 
über den Erbgefunden bat das Amt die Aufgabe alle Maßnahmen vorzubereiten und durds 
zufübren, die bevölterungspolitiihd unumgänglich find. Die ausreichende Kortpflanzung der 
erbgejunden deutfchen tNenfden mug gefichert und der Lebensftrom unferes Volles von 
tcanten und fremden Erbanlagen befreit werden. Die Ausfdaltung der Erbtranten von 
der — — (Sterilifierung) ift darum unbedingt nötig. Serner wird eine großzügige 
Auftlörung und Schulung aller seri earupuen, die mit dem Raſſeweſen Berührung haben, 
wie der Arzte, Lebrer, Beamten des Sürforges und Woblfabrtswefens, Richter, Standess 
beamten ufw. einfegen, um ihre Kraft im biologifchen Entfcheidungstampfe des deutjchen 
Volkes cinzufegen. Aufllärung und Schulung eritreden fih auf Erkennung unferer lebens» 

efäbrlichen Lage und ibrer Urfadhen, auf Unterridt in erbbiologifchen und raffebygienifchen 

afnabmen mit befonderer Berudfidtigung ser Methoden der erblundlicen Beſtands⸗ 
aufnabme der Bevdllerung und der Seftftellung Erbiranter ufw. Das Landesamt für 
Raffewefen unterhält in Weimar eine ftändige Vererbungsberatungsftelle, in der jeder 
toftenlofe ra über feine wabrjcheinliche erbliche Befdaftenbeit und die feiner künftigen 
Rinder erbält. 


Entwidlung der Bes 
völterungszablen bei 
den drei Hauptvdltern 
Europas, den germas 
nifden, rcomanifden 
und flawifhen vom 
Jahre 18350— 1932. 
Dear Rüdgang de 
germanifden Völter 
von 1950—1933 ift 
deutlich fichtbar ; um fo 
bedrohlicher erfcheint 
das Anwadhfen der 
Slaven. 





Schaffung eines bauerlidjen Erbredtes in Preußen. 


Die Preußifche Regierung bat ein Gefe befcloffen, das eine volltommene Fleurege: 
lung des bäuerlihen Erbbofredhtes, des Bodenrechtes, bedeutet. Der Bauer, der deuticher 
Staatsbürger fein muß und bis zu feinen fämtlichen Urgroßeltern keinen jüdifchen oder 
farbigen Einfhhlag baben darf, vererbt darnady feinen gefamten Lands und Sorftbefig nur 
an eines feiner Rinder (Sobn oder Tochter), den Anerben. Die Miterben werden bis 
zur wirtfchaftlihen Selbftändigkeit vom Hofe verforgt und baben auch fpäter im Salle 
der lot auf dem Hofe Heimatzufludt. Der Erbbof muß mindeftens zur Ernährung 
und Erbaltung einer bäuerlichen Samilie ausreichen, darf aber auc nidt fo groß fein, daß 
feine Bewirtfhaftung nicht mehr von einer Hofftelle oder Vorwerte erfolgen kann. Das 
Grefe bat den Zwed, die Bauernhöfe vor Überfchuldung und Zerfplitterung im Erbgange 


156 Volt und Kaffe. 1933, IV 





zu bewabren und eine Rlaffe von gleihmäßig großen Bauernböfen zu fchaffen. Damit ift 
einer der wichtigiten Doridläge R. WO. Darrés, wie er fie in feinem „FTeuadel“ madt, der 
Derwirtlibung zugeführt. 





1810 


Anteile der germanifden, romanifdhen und flawifchen Völker an der Bevölterungs- 

zahl Europas in den Jahren 1810, 1910, 1932. Während 1810 die Slawen nod ein 

Drittel der Gefamtbevdlterung Luropas ausmadten, nebmen fie beute faft ſchon die 
Hälfte ein. 


Der preußische Staaf gibt jährlich an RM.aus 
fur einen: Blind- oder taub- 
LTE (Te 
— — Pe Geisteskranken yay 


Mormalen — a Cia 
TL ee * 


schüler 





Sterilijationsgejeg in Norwegen. 


Dor mebreren Jahren erfuchte das Ratgebende Morwegifdbe Romitee für 
Raffenbygiene!) die Morwegifche Regierung, ein Sterilifierungsgefeg ausarbeiten zu 
lajfen und durchzuführen. Kinige Leit darauf wurde in Dänemark ein abnlidhes Gefetz ver: 
abjchiedet und vor kurzem fchidte cin norwegifdes Komitee ebenfalls einen Geſetzes⸗ 
vorjchlag ein. 

Das Ratgebende Morwegifde Komitee für Raffenbygiene war 
aber weder mit dem dänischen Gefegy nod mit dem norwegifden VDorfdlage einverftanden 


1) Das Norwegiſche Ratgebende Komitee fiir Raffenbygiene beftebt aus Hedizinern, 
Juriften und Erblidteitsforjdern: Dr. Jon Alfred Myjoen, Leiter des Vinderen Biol. 
Labor. (Dorfigender); Dr. Wilbelm Reilbau, Dozent der Sozialdtonomie, Univ. Oslo (Se: 
Eretär); Dr.med. Jorgen Berner, Generalfetretar des KTorwegifcben Arzteverbandes; Dr. 
Halfoan Bryn tT, Vorjigender der Akademic der Wiffenfcdaften, Trondbeim; Dr. Alf Guld- 
berg, Profeffor der tWatbematil, Univ. Oslo; Dr. med. Klaus Hanfen, Profeffor der Mee 
dizin, Univ. Oslo; Dr. med Sridtjof Mijoen, Affiftent am Winderen Biol. Laboratorium; 
Advolat des Hddjten Gerichts Harald Morreqaard, Oslo. 


1933, IV Aus Raffenbygiene und Bevdllerungspolitit. 157 
VEN a a Se ea SE 





und bat jegt dem Storting feine Gefegesvorlage mit ausführlicher Begründung überreicht, 
deren PDaragraphen nadftebend in deutider Uberfegung folgen. 

Das Ratgebende Llorwegifhe Romitee will die Cinwilligung nidt von der Dors 
mundfchaftsinftitution abhängig machen und bat aud fonft Berimmungen getroffen, die 
die Durdführung und Handhabung leichter geftalten. Das Romitee findet, daß frühere 
Gefegentwürfe nicht genügend swifdhen Raftration und Sterilifation unterfcheiden. Und 
gegen das dänifche Befetz ift befonders einzuwenden, daß es zu viele Sormalitäten benötigt 
und daß das neue Befetz die Durchführung der Sterilifation faft fhwerer madt als Zuvor. 


Entwurf 
| zum 
Gefe über Zugang zur Sterilifiertung ufw. 


§ 3. Unter Sterilifierung verfteht diefes Gefeg eine Operation, welde die Sorts 
pflanzsungsfabigteit einer Perfon aufbebt. 

Unter Raftration verfteht diefes Befetz eine Operation, deren Zwoed es ift, den Bes 
fchlechtstrieb einer Perfon aufzuheben. 


Der Zugang 3u Serualeingriffen aus medizinifden Gründen wird von den nads 
folgenden Beftimmungen nicht berührt. 

2. Die Erlaubnis zu Serualeingriffen nad diefem Gefey wird vom Chef des 
Medisinalwefens erteilt. 

3. Eine Perfon, die aller Wahrfcheinlichkeit nach erblich belaftet ift mit Geiftestrants 
beit, Geiftesfchwäche, Epilepfie oder einer ähnlichen, erheblichen, feelifhen Erkrankung oder 
Mangelhaftigteit, kann fterilifiert werden 

}. wenn fie in einer Irrenanftalt, einem Gefängnis oder Zwangsarbeitshaus oder in 
einer Pflege oder Erziebungsanftalt untergebracht ift, die unter Öffentlicher Aufs 
fiht ftebt, und das Gefuh von dem Leiter der Anftalt oder deren leitenden Arzt 
tingebradt ift; 

2. wenn fie von der Sürforge unterftügt wird und außer Stande ift, durch eigene 
Arbeit fur fic und ibre Wachtommenfdaft zu forgen, und das Gefud von dem 
zuftändigen Öffentlichen Arzt eingebradht wird. 

& 4. Auf eigenes Befuch können andere Perfonen nach vollendeten 18. Lebensjahr fterilis 
fiect werden, wenn die Operation fidh als eugenifch oder fozialsmedizinifch begründet erweift. 
Das Gefud ift zu begleiten von ärztlicher Beftätigung dafür, daß die betreffende Perfon 
Verftändnis für den zu nebmenden Schritt befitt. 

$ 5. Wer mit Rindern unter 14 Jahren unzüdhtigen Umgang gepflegt bat, ann Baftriert 
werden, wenn das Gefud vom Gerichtshof oder dem zuftändigen Gefängnis oder Afyls 
vorfteber eingebradt ift. 

66. Auf eigenes Geſuch kann eine Perfon nach vollendetem 23. Lebensjahr kaftriert wers 
den, wenn fie Bs je Stande ift, ihren Gefchlechtstrieb zu beberrfchen, und die Wabrfideinlids 
keit befteht, daß er dadurch zu einer Gefabr feiner Umgebung wird. Das Gefud ift zu 
begleiten von ärztlider Beftätigung dafür, daß die betreffende Perfon Verftändnis für 
ven zu nehmenden Schritt befigt. 

$ 7. Mt ein Befuhh um Serusleingriff nach diefem Befetz eingebracht worden, fo follen 
gegebenen Salles der Ehepartner der betreffenden Perfon und deren Dormund tunlichft von 
dem Gefuch in Kenntnis gefegt werden. Gebt die Enticheidung des Medizinaldefs dahin, 
daß der Eingriff zuläffig ift, fo tann der Dormund den Befdlug vor einen Gadverftans 
digenrat bringen. Diefer foll aus drei Mitgliedern befteben, und zwar einem Ridter, 
einem pfychiatrifh ausgebildeten Arzt und einem eugenifden Sahverftändigen. Die Mits 
glieder fungieren fünf Jahre. 

§ 3. Der Rönig (d. b. die Regierung) beftimmt, welches Htinifterium die näheren Regeln 
für die Durchführung diefes Oefenes auszufertigen bat. Diefe Regeln follen Dorfdriften 
fie dae Verfahren bei den operativen Eingriffen enthalten. - 


158 Volt und Kaffe. 1933, IV 


Deutfche Gefellfrhaft fir Raffenhysiene. 


Die bisherigen Ortsgruppenvorftände wurden aufgefordert 3urhdsutreten, um einer 
Neubildung der Örtsführerfchaft, die das Vertrauen der Regierung und des Vorftandes 
genießt, zu ermdgliden. Manner mit politifder Dergangenbeit oder —— welche 
der — der nationalen Erneuerung entgegenlaͤuft, koͤnnen kmftighin in der Deutſchen 
Geſellſchaft fur Raſſenhygiene nicht an leitender Stelle taͤtig ſein. Der alte Name „Deutſche 
Geſellſchaft fur Raſſenhygiene“ wurde wieder hergeſtellt. fer dSufay Cugenit falle weg.) 

Die deitidrift ,Kugenit’, 3u deren Bezug jedes Mitglied verpflichtet war, sft 
nun nicht mehr Zeitfehrift der Gefellfhaft. Als offizielle Zeitfchriften der Gefellfchaft, 
jesoh ohne Zwang zum Bezug werden in Hinkunft das „Arhiv für Raffens und Gefells 
fdaftsbiologie” und ,Dolt und Kaffe“ dienen. 

Die wefentliden Aufgaben der Deutfchen Befellfhaft und ihrer Ortsgruppen find: 

1. Ausbau der Befellihaft im Sinne einer Dermebrung der Zahl der Mitglieder, 
inebefondere aud folder, welde gewillt und im Stande find, aktiv an der Verbreitung 
von Kenntniffen über Raffenbygiene einf&hließlih Llationaler Raffentunde und an der Bes 
tatung und Verwirtlidung all jener zablreidhen raffenbygienifchen Einzelreformen mitzus 
arbeiten, welde im Sinn und Geifte der Claffifdhen unverfälfhten Raffenbygiene auch 
Sorderung der Regierung der nationalen Erneuerung find. 

3. Sörderung von Lehre und Untecridt in Raffenbygiene und Raffentunde in allen 
Berufen und Schichten des Volles. 

3. Unterftügung der Regierung in der fofortigen Derwirklidung der bereits fpruds 
reifen und durdhführbaren rafjenbygienifchen Reformen. 

4. Unterftügung der raffenbygienifhen und erbbiologifhen Sorfhung im Hinblid 
auf foldhe notwendigen raffenhygienifhen Reformen, fir welde die wiffenfdaftliden 
Unterlagen nod nit ausreichend befcafft find. 

Vachdem die bisherigen Ortsgruppenvorftände fämtlic) — ſind, wurden 





mit der Neubildung der Vorſtaͤnde und oͤrtlichen Fuͤhrerraͤte bereits betraut: 
Berlin: Prof. Dr. E. Fiſcher, Minden: Prof. Dr. E. Ruͤdin, 
Greifswald: Prof. Dr. R. Hey, Niederſchleſiſche Geſellſchaft: Landesrat 
Halle: Priv.sDo3. Dr. . KRuͤrten, Matthias, 
Riel: Prof. Dr. O. Aicdel, Stuttgart: Prof. Dr. DO. Weig, 
Leipzig: Prof. Dr. ©. Rede, Tübingen: Prof. Dr. Hoffmann. 


Buchbeſprechungen. 


Konrad Dürre: Erbbiologifher und eugenifher Wegweiler für Jedermann. Berlins 
Münden 1932, A. MetznerDerlag. 95 S. Preis geb. Mil. 2.20, geb. 3.30. 

Die Meine Schrift kann den Anfprudy madyen, ein lebensgefetglicher und erbgefundbeits 
lider Wegweifer für jedermann zu fein. Sie feffelt den Lefer durdy die Erläuterung der 
Dererbungsgefe e am Menfden felbft anftatt an unbelannten Pflanzen und Tieren. Cine 
Giedlergemeinfdaft dient zur avn der Lebensgefege ganzer Völker. Überfichtliche 
deichnungen erböben die Anfhauung. Am Schluffe bringt der Derfaffer eine Zufammen» 
ftellung der jüngften Beftrebungen zur Aufartung unferes Volkes. Er ftellt die fteuerlichen 
Dorfdlage von Brotjahn und Burgdörfer denen von Lenz gegenüber und entjcheidet ficdh 
für Kenz, weil er als einziger nicht nur die Vermehrung des Volles, fondern auch feine Erbs 
a cone verfolgt. Er erwähnt anertennend die Sorderung von Lenz nach bäuerlichen 
Leben und in diefem Zufammenbange aud Darres Sorderung nad der Meufdhaffung eines 
Adels. Eine große Bedeutung mist er mit Recht den Standesdmtern bei, die er zu Ehe⸗ 
und Samilienamtecn umwmandeln mddte. Sie follen dber alle Samilien Erhebungen ans 
ftellen und das Erbgefüge jeder Samilie weiteftgebend Ularen, fo daß fich jeder vor der Ders 
ng bei den angegliederten Ebeberatungsftellen Rat bolen kann. Die Sorderung nad) 
Sterilifierung Minderwertiger ift für ihn eine Selbftverftändlichkeit. 

Die Schrift würde an Doltstümlichleit gewinnen, wenn der Perf. ftatt der Sremds 
wörter deutfche Bezeichnungen verwendet bätte. Am Anfange wendet er fic gegen die 
Derfechter der Raffereinbeit und unterftellt ihnen, daß fie vor Sauter Raffeverberrlihung 
die Sorderung der Eugenik überfeben. Hier liegt wohl eine Derwedflung der Sronten vor. 
Die Raffenbygieniter lebnen die Erbgefundbeitspflege teineswegs ab, — das liegt bereits 


1933, IV Buchbefprehungen. 159 
BEE ——— — — 


in dem Wort Hygiene inbegriffen, — aber die Eugeniker moͤchten gern die Raſſe uͤbergehen. 
Dagegen wenden ſich die RKaſſehygieniker mit Recht. Abgeſehen von einigen kleinen Un⸗ 
genauigkeiten iſt auf S. bo ein ler unterlaufen, wo die Dererbung mebrerer Sattorens 
paare erklärt werden foll. Die Ergebniffe find nidt 9 verfchiedene Sortpflanzungszellen 
und 83 Sattorentombinationen, fondern $ und 64. %. R. 


Gujftaf Koffinna: Altgermani(he Kulturhdhe. Eine Einführung in die deutiche Dors 
und Srübgeichichte. 2. Aufl. Leipzig 1930, Curt Rabigfch. 30 S. Preis brofy. ME. 2.70, 
geb. MI. 2.90. 

Aus einem Briegsvortrage des Jahres 1917 hervorgegangen bat fich diefe volle» 
timlide Schrift im Laufe der Jahre wie keine zweite geeignet erwiefen, unferer Dors 
Adel ftets von neuem Sreunde zu werben, ja fie bat zufammen mit der Übrigen raft« 

fen Tätigteit Roffinnas dem Sade in den Laienkreifen geradezu Bahn gebroden. Ihre 
Aufgabe, — ſie nicht durch ein Ausbreiten des Stoffes, wie es etwa in 
Roſſinnas Deutſcher Vorgeſchichte als hervorragend nationaler Wiſſenſchaft geſchah; denn 
der Raum reicht nicht dazu und auf Bilder iſt verzichtet; ſondern es iſt eine Verteidigung 
der Germanen, ein Preislied auf ſie und in manchen Teilen ſogar ein Trutzlied geworden, 
mit bildhafter Rraft hinausgerufen und durchſetzt und getragen von den tiefgreifenden 
eben erſt erarbeiteten Erkenntniſſen ſeines Verfaſſers. Mit vollem Bewußtſein und hoͤchſt 
packend ſind ſie in den Dienſt der Erneuerung unſeres nationalen Gedankens geſtellt. Un⸗ 
erwartet fließt dem Leſer cine Fuͤlle uͤberraſchender Eindruͤcke zu und die aufklaͤrende, ja 
bildende Wirkung des Buͤchleins war bedeutend. Die alten Vorurteile und Fehlurteile von 
der Rulturarmut unſerer Ahnen ſind begruͤndetem Wiſſen um die ganz anders geartete 
und in Vielem hoͤchſt ruͤhmliche Wahrheit gewichen. Nicht bloß Roſſinnas neue ſiedlungs⸗ 
archaͤologiſche Methode, ſondern auch ſeine aufrechte, unbeugſame Perſoͤnlichkeit hat ſich 
richtunggebend durchgeſetzt — freilich um den Preis ſeiner Geſundheit, die der großen, 
ſchonungslos verfolgten Aufgabe und den von außen erwachſenden Widerſtaͤnden gegenuͤber 
ſo weit verſagte, daß es Roſſinna nicht gegoͤnnt war, den Ertrag ſeines Lebens in einem 
in ſich ausgeglichenen, zuſammenfaſſenden und abſchließenden Werke einzuheimſen. Es iſt 
bei verſchiedenen, groß angelegten und Ehrfurcht gebietenden Anſaͤtzen geblieben, dafuͤr 
haben die zahlreichen Schüler und Sreunde die Funken weitergetragen und zu lichtſpendender 
Lobe gefteigert. Wer aber in Rurze etwas von dem Pulsſchlage des ungeſtuͤm vorwaͤrts⸗ 
drängenden, Begeifterung wedenden Wollens des Meifters erfüblen und wer die Germanen 
fo feben will, wie Roffinna fie im Geifte Jacob Grimms aus dem von ihm zu tiefft ers 
fdloffenen Stoffe der germanifchen Altertümer darftellte, der greife zu der Beinen, vom 
Derlage in bandlicher, anfprechender Sorm berausgebradhten Schrift, die für alle Zeiten und 
über alle fpäteren Sortfchritte des Sades hinaus zu den wenigen allgemein verftändlichen, 
Haffifchen und zugleich binreigenden Schriften der deutfchen Wifjenfchaft gebört. 

Wolfgang Shulg, Géorlig. 


3. §. Landman: Human Sterilization. The History of the Sexual Sterili- 
zation Movement. (Sterilifation beim Menfden.) The Macmillan Company, New⸗ 
Rort. XVITI/34: ©. 

Diefes Buch gibt eine gute Überficht uber die Sterilifationsfrage in MordsAmerita. 
Der Autor ift Jurift und berichtet daher vor allem von diefem Standpuntte aus. Wenn 
er vom Biologifchen fpricht, merkt man deutlich, daß ihm jeder tiefere Blid Fehlt. Doch ents 
bale das Buch viel ftatiftifches Material, das ficherlid manchem willlommen fein wird, 
ebenfo wie eine kurze Befchichte der Sterilifierung des Menfden in den verfchiedenen 
Staaten von Flordamerila. 

An einem wobl recht minderwertigen, zum Teil fogar falfhen Schema des männs 
lichen Genitalapparates — die sage der Samenblafe und ihre Mündung find falfh ges 
zeichnet — trägt Landman die Stelle, an welcher die VDafeotomie, bezw. die Unterbindun 
des Samenftranges vorgenommen wird, aud falfch ein. Ebenjo minder und feblerbaft if 
das Diagramm, das er vom weiblichen Genitalapparat entwirft. Intereffant find die Fabs 
fen, welcbe er über die Ausgaben für Sdhwadfinnige und Epileptiter anfubrt. In Mart 
umgerechnet find es rund 100 Millionen Mark, fue eine Perfon rund 1200 Merk im 
Jahre 1928. 

Denn man weiß, wieviel wertvolles Dollstum zugrunde geht und abftirbt, weil ibm 
keinerlei Hilfe zuteil wird, fo muß jedem normal Empfindenden die Schamröte ins Gefidt 
fteigen. Intereifant ift es, daß das 3. Sterilifierungsgefeg in Amerita im Jahre 1907 ers 


160 Volk und Kaffe. 1933, IV 
SEE Fee ERSTE EEE EEE EEE EEE ER 





laffen wurde — zu einer Zeit, wo unfereiner in Europa no als Klarr angefeben wurde, 
wenn er dergleidhen Sorderungen ftellte. 

Was Landman über den Einfluß der Umwelt auf die Erbmaffe und über das Der 
bältnis der Piydofen zum Wiendelerbgang fdreibt, find einfache Außerungen eines Laien. 
So will Landman denn im Vorbeigeben nadhweifen, daß die Erbmaffe der betannten Ders 
bredyerfamilien gar nicht fo minder fei. Da fällt es ibm im Begenfage zu feiner fonftigen 
bebaglidhen Breite gar nicht ein, auch nur einen Meinen Beweis zu verfucdhen. Schließlich 
verfteigt er fich zu der Behauptung, man könne bei der Dererbung überhaupt nichts vorauss 
fagen, alles fet Zufall. Als richtiger Jurift möchte er 3. B. auch die beterospgoten Spröß» 
linge von Shwadjinnigen ftudieren, ebe er fih zum Handeln gegen die Shwadfinnigen 
entichließen würde. Wer den Blid des Klaturforfchers nicht bat, der foll die Hand davon 
laffen und feine Statiftiten weitere 200 Jahre vergleichen. Mit was für Sragen aber die 
Leute die Zeit totichlagen, gebt aus einigen dort angeführten Arbeiten hervor. Seit 50 Jahr 
ten wilfen die Bynälologen, daß die Tubens, d. b. Kileiterunterbindung, keinerlei Derändes 
rung im Gefdledteleben der Srau 3ur Solge bat. P. Popenoe aber bat eine ftatiftifche 
oe. im Jahre 1928 darüber publiziert und Landman muß fich darüber wieder gründlich 

ern. 

Schlieglid kommt Landman, nahdem er nod die gefeglichen Beitimmungen der 
Sterilifierung und die verfhiedenen Methoden in den Cingzelftaaten der Union befprocen, 
zu den inbaltsfhweren und dur fein Buch wahrbaftig nicht begründeten Behauptung: 
Die Sterilifierung des Menfcen fei durchaus keine Löfung des Problemes der Schwadhs 
finnigteit und der Geiftestrantheit. Die ameritanifden Gefeggeber und Klaturforfeher aber 
vertreten die gegenteilige Anficht. Lotbar Bottlieb Tirala, Brünn. 


Odo Ritter: Sur Anthropologie der Slawenzeit Schleens. In „Oftdeutfcher Klaturs - 


wart”. 4. Jahrg. 4%. 6, 1931/32, S. 236—249. 


Die verdienftoolle Arbeit verdankt ihr Entfteben einer Anregung des Direltors des 
Antbropologifchen Inftitutes der Univerfität Breslau, Dr. Schr. v. Cidftedt. Hier werden 
endlich einmal die wichtigen Sragen angejdnitten, was fid nad dem vorbandenen Material 
über die Anthropologie der in Oftdeutfdland nach Abzug der germanifchen Bewohner eins 
fidernden Slawen ausfagen läßt, und zweitens, ob aus Stelettreften ein Sortleben gers 
manifcher Bevölkerung nadhzuweifen ift. Da die Befiedelung Oftdeutfchlands vor Einfegen 
der Wiedereindeutfhung ganz außerordentlid dünn gewefen ift (vgl. Aellmid: Die Bes 
et Sclefiens in vors und frübgefhichtlidher Zeit. 1923, und Rede: „Volt und 
Raffe~ Bd. 4, 1929, S. 13) und da zunädft Brandbeftattung geberrfdht bat, ift das für 
diefe Sragen zur Verfügung ftebende Stelettmaterial fehr gering. Verf. bat das in Breslau 
befindliche Material aus dem Rreife Himptfc unterfuht; man nimmt ja wohl allgemein 
an, daß fih in diefem Kreiſe Refte der Dandalen bis in die Slawenzeit binein gebalten 
baben. Das Ergebnis der Arbeit ift, daß fich febr deutlich zwei Raffetpypen feftftellen Iaffen, 
die fic ftart von einander unterfcheiden: ein vorwiegend oder typite „nordifdher“ und 
ein „ofteuropider“, weld legterer fic befonders durch feine kurze und breite Schädelform, 
fein breites niedriges Beficht, feine fehr breite Llafe und feine LTeigung zur Prognatbie auss 
zeichnet und deutliche Anklänge an „mongolide“ Sormen zeigt. Der Derf. gibt der Vers 
mutung Raum, daß der nordifche Typ den vermuteten Germanenreften, der ofteuropide 
den eingefiderten Slawen gleichzufegen fei, fügt aber fehr richtig binzu, daß eine Ents 
fheidung erft bei Unterfuchung eines weit größeren Moateriales gefallt werden kann. Licht 
zutreffend ift die Bemertung des Derf., daß der fhon unter den Bandleramilern von mir 
nadgewiefene „ofteuropide“ Typus (Homo sudeticus) und die Slawen „aus denfelben 
- Gebietstompleren“ nah Schlefien eingewandert feien; denn die Bandkeramiter tamen aus 
dem Süden und Süödoften, die Slawen aus dem Often, aus ibrer Urheimat im Pripets 
Gebiet (vgl. Hoffmann: „Dolt und Kaffe”, Bd. 8, 1933, S. 19 ff.). ©. Rede, 




















i.’ 


A £CL LEY WW TLE DEANMTN I 
Hochfchule für Dohtifder NEDAPI 
R Ein Leitfaden. Herausgegeben unter Mitarbeit der Dozentenihaft von dem I : 
politijdjen Leiter der Hochjchule für Politit der NSDAP in Bodum, Gauleiter ‘ers 
Joseph 


Josep Wagner, M.d. R. und dem wiffenfchaftlichen Leiter der Hodjdule, ft 
Dr. F. Alfred Beck. 2. Auflage. Geh. RM. 4.50, £wd. RN. 5.50. 


Ly: dem Inhalt: Aufgabe einer nat. fo3. Hoch{chule fiir Politit / Die Jdee einer nat. fo3. —8 
Br = Boule fiir Politif ; IIgemeine und aftuelle Politif. 1. Begriff und JR) 
gr dee der nat. joz. Politit. 2. Die deutiche Jdee der Sch, 3. Die ‘i 
deutſche Lebensfrage als politiiches Problem. 4. Attuelle politijdje Probleme / FR 
1. Die philojophijhhen Grundlagen politijdher Weltanjdauung und Lebens- 
eftaltung. 2. Die padagogijde Problematit der Gegenwart. 3. Jdee und | 
Srundlinien einer deutjchen Nationaltultur / Rajjentunde des deutjchen 
Doltes / Dererbungslehre / Das Recht und der Nationaljozialismus / Staat 
und Dolt / Don den germanijchen Doltsheeren bis zum Reidsheer / Der 
Wirtichaftsbegriff und jeine Problematit / Bredyung der Zinstnechtichaft als 
wirtichaftspolitiihes Grundproblem / Organijation als Derwirflihung der x 
Jdee. 1. Klajjijde Giconnivitionstoenatt in Gejdhicte und. Gegenwart / | 
2. Moderne Organijationsformen, mit bejonderer Berüdjichtigung der national- 
jozialiftiichen Bewegung / Seelijche Dorausfegungen und Anwendungen der 
Werbung / Dom Germanen zum Deutichen. Derjuch einer Sfizze der groß— 
germaniſchen Srühgeſchichte. 


* Reſes Buch gibt ein umfaſſendes Bild des Rationalfozialismus! | 


—=.8ebmanng Derlas / Münhben?2 SW 


Fr 
2 
Ps 


z Ar 













Prof. Dr. Rich. Suchenwirth 


Dole und Staat 

in ihrer Stelluns 
su Dererbung und 
Ausleie 


Don Prof. Dr. Hans $.K. Günther 
Geh. RM. 1.20 


Zwölf 
ESthillſalsgeſtalten 
Jder deutſchen Geſchichte 


80 Seiten, Steifdeckel RM. 1.40 


Karl der Groge, Dito der Große, Heine 
Tid) IV., Friedrich Barbarojja, Rudolf 
Pon Habsburg, Martin Luther, Prinz 
Eugen von Savoyen, Friedrid) der 
| Groge, Maria Therejia, Metternid, 
- Biämard und Hitler. 


Le‘ a find bie Gejchidjte ihres Volfed geivorden, 
> be n, erfennen wir Deutjchen von heute 

an einem Gewaltigften umter ihnen, den ivir Lebenden 
als den Führer bejigen, an Adolf Hitler. Mit ihren 






Günther fordert, dab der 
Staat mehr als bisher Lehr- 
meijter und Zuchtmeilter wird, 
wobei an die Aufklärung über 
richtige Gattenwahl, andrer- 











a und deren Gefolge umfpannen wir die deutide jeits an die Unfrudtbar- 
3 Su ihnem verkörpert jid) leidend und , : 
- ring bedrängt und. umitritten, fiegend und macung Mindermertiger ge- 





I friumphierend, das Heilige „ers des Voites”, 
das dentiche Daterland! 


R. Boigtländers Verlag / Leipzig 







dacht wird. Dieje HeineSchrift 
verdient weitejteDerbreitung. 


3. §.Lehmanns Derlag, Münden 2 SW. = 







































Grundleaende Werke 
von Reichsbauernführer u. Reichsminijter R. Walther Ya té5 


Das Bauerntum als a 
Cebensquell der Wordijchen Rajje — 


ir 


480 Seiten. 2. Auflage 1933. Geh. ME. 8.—, Lwd. ME. 10. 7 


Darrés Bud) vom Bauerntum ijt Weihnachten 1928 zum erjtenmal erichienen. 

Damals war fein Derfajjer nod ein unbefannter Sorjder, der Derlag des um- 
angreichen Buches ein pn asc Wagnis. oP ote den hat Darré bewiejen, 
& er weit mebr ijt als ein Gelehrter, er hat die Solgerungen aus j 

— ezogen und die Einigung der deutſchen DEREN unter jeiner 
eitun durdgefährt, Dem jo geeinigten Bauernitand gibt er nun die Ge» 

jebe, die ihm auf Grund der Kenntnis der ar te als — die 
ettung nicht nur des Bauernſtandes, ſondern des nordiſch beſtimmten deut- 

iden Doltstums erjcheinen. Sein Anerbengejeß ijt der erjte Schritt auf diejem 
eg gewejen, weitere werden folgen. 


Die Grundlagen für dieje — für die deutſche Bauernſchaft 


ſind im Buch vom Bauerntum enthalten. hier zeigt er, daß die Indogermanen 
nicht ein herumziehendes nomadiſches hirtenvolk waren, jondern da ſie als 
Bauern lebten und ihre völkiſche Kraft aus der Scholle 3ogen. Darre ijt als 
Tierzüchter ein treffliher Kenner der Gejdichte unjerer —— und er hat 
aus i wertvolle Schlüſſe für die herkunft unſerer Ahnen gezogen. Bejon- 
deren Nachdruck legt das Buch auf die Dinge, die auch uns —— von 
von beſonderer Bedeutung ſein müſſen, auf die Grundtatſache Wirtj de 
bab nur. ein Ieiftungstäbiges, landgebundenes Bauerntum der unerjchö 
Lebensquell für das Dolfstum jein fann, dak wir aljo aud) die Mabnahmen, 
mit denen unjere Ahnen diejes Bauerntum gejichert und gejhübt haben, in 
neue $ormen für die heutige Zeit umbilden müfjen, wenn anders wir den 
Untergang durd) Derjtadterung, Proletarijierung und Entordnung überhaupt 
aufhalten, wenn wir dem Schidjal Spartas und Roms entgeben wollen. Das 
Bud) fand in der politiihen und wiljenjchaftlihen Prejfe gleichermeije An- 
erfennung und das zu einer Zeit, als es noch gefährlid und anjtößig war, 
ji zum nordilhen Bauertum zu befennen. 


Die große Bedeutung des Darréjchen Buches liegt darin, da es nicht — wie 
bei vielen gutgemeinten Werfen — in der Theorie eig bleibt, jondern praf- 
tiihe Wege weilt. Nicht der Sorjcher und Sachgelebrte wird allein reiche An- 
tegung in ihm finden; aud) der Deutidhe im weitejten Sinne Tann, falls er 
mitarbeiten will, an der Erhaltung feines Doltstums, bejonders jeiner bauer 
lihen Grundidicht, Mut und Hoffnung für fein Wirfen ar; An unferem 
Dolte ijt es, zu zeigen, daß es reif für die Wahrheit und willig zur Tat ilt. 
(Prof. Rob. Mielte in „Dolt und Rajje”.) 


Geh. ME. 5.20, 
Neuadel aus Blut und Boden, I TE 320 


Das Bud) ftellt eine Tat im ‚wahriten Sinne des Wortes dar, da es dem 
Derjajjer gelungen ijt, mitten im Derfall der jittliden und fulturellen Welt © 
neue Wege für die Wiedereritarfung des deutichen Dolfes zu zeigen, Wege, 
die wirflid) gangbar find. Alte Überlieferung und flares Derjtandnis für 
Cebensnotwendiagteiten unferes Dolfes haben den Derfajjer zu diefem Wert 
geleitet, das denfenden und fampfenden Deutichen bald ein guter Kamerad 
jein wird. (Der Angriff, Berlin.) 


3.$S.£Lehmanns Derlag / Münden2Sm. 











* 


Verantwortlich für die Schriftleitung von „Volk und Kaffe”: Dr. Bruno K. Schulk, Münden. 5 
m Berantwortlicy für den Anzeigenteil: Guido Haugg, München. — Verlag: 3. F. Lehmann, Dünen 
' Druck von Dr. F. B. Datterer & Eie, Freifing- Münden. u 






































ore . 
oem — 


volk und Raff — 


AIlluſtrierte Monatsſchrift fuͤr deutſches — 
Beratientunde | Raffenpflege 


Zeitſchrift des Reichsausſchuſſes für Peges— und 
der Deutſchen Geſellſchaft fuͤr Raſſenhygiene. — 


usgeber: Prof. Aichel (Kieh), Praͤſ. Dr. Aſt el (Weimar), Prof. Baur (muͤnd et tg) ),2 
mee RW. Darr é (Berlin), Min.-Rat § eb cle (Heidelberg), Min.-Rat Gatr(: 
ft. Hartnacde (Dresden), Xeidsfibrer 6S. Himmler (Minden), Prof. Mollifo 
Much (Wien), Prof. Rede (Keipsig), Prof. Rudin (Minden), Dr. Rutt 
Prof. A. Schulg (Königsberg), De. WD. Sd ulg (Gorlig), Prof. Shulg 
/ (Deimar), Prof. Staemmler(Cbemnig), Dr. Tir ala (Brim), Dir. Dr, Beißß Se 


Smriftleiter: Dr. Bruno R. Schultz, München a a 
Teubauferftrage 51/5. Ta 















6 — Heft 5 September (Gd ibing) 1 





Inhalt: — 





F Die wirtſchaftlichen Folgen des S———— Bon Dr. ont et med. aa 
Lothar Gottlieb Sirala . . . . Geite 162 
Bas wird da groß? Bon WE Dr. 2. — Door a 2Ub- 
bildungen) . . „ 164 
Die friminelle Familie, Bon Dr. Friedrih Stumpfl, Münden. » » 2... >» 187 
Der Rüdgang der ehelichen Fruchtbarkeit . . . . „ 173% 
Die Entwidlung von iit a Geburten und  Sterbeällen in den | 
Jahren 1871—1930 . =. 108 
Der trügerijche Geburteniiberigub . po a Ne nts a » eis | 
Die Bergreifung des deutjchen Bolles . . . „ 176, 
Das deutiche Bolt hat in Wirklichkeit feinen Sehurtenüber fan — — 60 \ 
Aus Raſſenhygiene und Bevölkerungspoliti . . . * „ 181 
ungenn a 000 1883 





B ezuttspreis vierteljabrlidy) RM. 2.—, Einzelbeft RM. —.70, Poftfdedtonto des Derlage Minden 129; 
3 pt Poftfpartaffentonto Wien 595 94; Poftfchedtonto Bern Lr. III 4845; ditanftalt der i 
Deutfchen in Prag, Rrakauer Gaffe 11 (Poftfdhedtonto Prag 627 30). 





3. $. Lebmanns Derlag / Münden 2 SW. / Paul Aeyfe:-Str. 26° 
nn 


i 


Dolt und Kaffe, 8. Jahrg. 1933, Heft 5 


3. §. Lebmanns Verlag, Minden 





Ber Verlag bebalt fid) das ausfdlieBlice Redt der Vervielfältigung und Verbreitung der 
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor. 





(Aufnahme Otto Ubbelohde) 


Yeffifdher Bauer im blauen Kittel aus der Gegend um Hlarburg a. Labn. 


Dorwiegend nordifd. 


Dolf und Kaffe. 1935. September. 13 





162 Dolt und Kaffe. 1933, V 


Die wirtfihaftlichen Solgen des Sterilifierungs- 


gefetzes.” 
Don Dr. phil. et med. Lothar Gottlieb Cirala. 


Ly rend die bisherigen Regierungen in Deutfchland unfäbigen Bärtnern 
glichen, die das Unkraut von der wertvollen Pflanze nicht zu trennen 
vermodten, ift nun heute endlich eine Regierung da, die nicht Gärtner fpielen, 
fondern wabrbaft Gärtner fein will. Wir baben das Gefeg zur Verhinderung 
erbfranten Liadywuchfes befommen, weldes in jeder Ayinficht auf der Hoͤhe mo⸗ 
derner Se ene Gee ftebt und von allen Einfichtigen mit Begeifterung begrüßt 
worden ift elhe Segnungen und Heilwirkungen diefes Gefeg nah fich 
ziehen wird, können natürlich erft unfere Rinder und Rindestinder verfpüren, 
denn ¢s handelt fid nicht um billige Augenblidserfolge, fondern um gründliche 
Bärtnerarbeit an den Erbftämmen unferes Volkes. Aber auch fchon in den nädhften 
Jahren wird diefes Befetz eine Reihe von wirtfchaftlichen Solgen haben, die bier 
kurz dargelegt feien: 

In den Vereinigten Staaten von Liordamerita haben 25 Staaten ein abn: 
liches Befetz, die meiften feit 1909. Wenn wir den Staat Ralifornien, in dem 
mit der Verhinderung des tranten Kiahwuchfes Ernft gemadt wurde und in 
den legten 20 Jabren 8500 Wenfchen fterilifiert wurden, zum Vorbild nehmen, 
fo müßten wir entfprechend der Größe des Deutfchen Reiches mit etwa 140000 
Sterilifierungsoperationen rechnen. Diefe Zahl ift aber noch ficher zu niedrig, denn 
das Befetz in Deutfchland gebt weiter und unter{deidet 9 Gruppen von Menfden, 
die der Sterilifierung unterworfen werden follen und zwar: 


I ®Gruppe: Angeborener Shwadfinn etwa . . . 200000 Menfcen 


» Schizophrenie etwa =. . $0000 ” 
5 » Birkuläres (manifch: depreffives) Jereſein 
etwa . . 20000 es 
4. »  Erbliche Sallfucht(€pilepfie) etwa . . 60000 . 
B. » MErblicher Deitstanz etwa . . . . . 000 a 
6. »  Srblide Blindheit twa . 2... 4000 i 
1; » Erblice Taubbeit etwa . 18000 pr 
8. „Schwere erbliche torperliche Migbil- 
nn etwa . . - 20000 a 
Q- 5 Schwerer Altobolismus etwa . 2 6 «$0000 <5 
432 600. 


Wenn wir die Mindeftzabl der 3u Sterilifierenden auf 300 000 anfegen, fo 
tamen etwa 150000 Manner und 150000 Srauen 3ur Operation. Die Sterilis 
fierung der 150000 Manner durfte 2250000 ME. koften, wenn wir die Auslagen 
fir eine Operation auf rund :o—15 ME. fcagen. Rechnen wir nod mit einem 
Krantheitstage a 3 Mark, fo fteigt die Aus an um etwa 450000 ME., alfo 
dürften die Auslagen für die Männer 2,7—3 Millionen Mark betragen. 

Bei den Srauen müffen wir, in Solge des Mangels an Operateuren, die 
vaginal operieren können, mit größeren Auslagen und längerer Pflege rechnen. 
Die Operationsauslagen felbft veranfchlagen wir mit etwa 25 ME. und die Aus 
lagen fur ein $ tagiges Rrankenlager und Verpflegung mit weiteren 25 ME, sus 
fammen 50 IME., das find im ganzen 7,5 Millionen Mark. Die reinen Operations 
und Rrantenbaustoften werden alfo fur alle Sterilifierungsoperationen 10 bis 
12 Millionen Mark betragen. Die Durdfubrung aller Operationen ift in etwa 


*) Eine ausführlihe Behandlung diefer Srage erfhien vom felben Verfaffer im 
Scptemberbeft von Deutjchlands Erneuerung. 


a 


Str. 2 


1933, V £otb. Bottl. Tirala, Die wirtfchaftl. Solgen des Sterilifierungsgefegee. 163 
RE EEE EEE EISEN 





2 Jahren ſicherlich ohne beſondere Schwierigkeiten moͤglich, ſo daß wir in 20 
bis 30 Jahren eine Reibe von Rrankheiten nur mehr als Seltenheit ſehen werden. 

Das Deutſche Reich gab im Jahre 1928/29 für Geiſteskranke und Geiſtes⸗ 
ſchwache allein durch die Landesfuͤrſorgeverbaͤnde rund 108 Millionen Mark aus. 
Wenn wir die Leiſtungen des Staates und der Staͤdte mit ebenfalls rund z00 Mil⸗ 
lionen Mark einſetzen, ſo kommen wir zur Ausgabe von 200 Millionen Mark 
jaͤhrlich. Doch muͤſſen wir neben den direkten Roſten und Auslagen der in Kranken⸗ 
haͤuſern befindlichen Geiſteskranken auch die Auslagen der in privater Pflege be⸗ 
findlichen Geiſtesſchwachen und Gebrechlichen, d. h. fuͤr rund 200 ooo Menſchen, 
noch hinzurechnen. Bei le Roftenberechnung für jede diefer Perfonen 
mit 500 Mark, ergeben fihb 100 Millionen ME. jährlich. Die öffentlichen und pris 
vater Ausgaben machen alfo 300 Millionen ME. aus. Wenn wir den Derdräns 
gungswert und Derdienftverluft, den die Geiftestranten und -fdbwaden durch ihre 
bloge Anwefenheit der Befamtbeit zufügen, mit einer Wark täglich für die Perfon 
vorfichtig und niedrigft anfetzen, fo ergibt das bei 500 000 Rranten, Sdwaden 
und Minderwertigen etwa 500 000 Mark täglich, und im Jahre eine Summe von 
ss0 Millionen Mark. Wenn wir dann nod für die Derwaltungstoften der 
Ierenanftalten, Abnütgung und Wertverminderung der Gebäude ufw. mit min: 
deftens 200—220 Millionen ME. veranfchlagen, fo kommen wir zufammen zu 
einer jährlichen Befamtfumme von 790 Millionen Mark, welde den Verluft und 
die Auslagen der Allgemeinheit in Solge der Pflege und Anwefenbeit der Geiftes- 
tranten und =fchwachen darftellt. Durch die Verminderung der Geiftestranten 
auf etwa 60% des Jetftandes können wir alfo mit einem an der unteren Grenze 
liegenden Annäberungswert von 420 Millionen Mark ale eine Mindeftzabl rec: 
nen, eine Summe, welde das Reid) nad) etwa 33—40 Jahren jährlich ers 
fparen wird. Diefe Summe entfpridht einem Rapital von rund 
20 Milliarden Mark. 

Diefe Berechnungen find mit den amerikanifchen verglichen, um die Aalfte 

niedriger, ftellen alfo ficherlid Wliindeftzablen dar. 

don nad 6 Jabren, wenn der erfte Jahrgang der fchwachfinnigen Kinder 
ausfällt, werden wir die wirtfchaftliche Erleichterung angenehm empfinden, wenn 
wir bedenten, daß der preußifche Staat für einen normalen Voltsfchüler 125 ME., 
für einen Hilfsfchüler aber 573 ME. und für einen bildungsfäbigen Geiſtes⸗ 
franten gar 950 ME. jährlich ausgibt. In 30 Jahren wird fomit das Reich aber: 
mals nach diefer Richtung bin etwa 11; Milliarden Mark erfparen. 

Weiter werden die Llachlommen ausfallen: Don 4000 erblich Blinden, von 
18.000 erblich Tauben und von 21.000 mit fdyweren erblichen, körperlichen Miß- 
bildungen bebafteten Menfden. Don diefen 50000 Wienfchen, welde fich nicht 
fortpflanzen werden, fehlen dann 600 Schüler, die durchfchnittlich 800 ME. koften, 
zufammen alfo rund eine balbe Million. So dürften wir fdon im Jahre 1940 © 
rund 10— 11 Millionen Markt an Erziebungsgeldern für Minderwertige erfparen. 

Wenn wir dann noch die Verbrecher mit in Rechnung zieben, die zwar von 
dern vorliegenden GBefetge mit gutem Grunde nicht erfaßt wurden, fo erbält unfere 
Ausführung noch ein ganz anderes Beficht. Im Jabre 1926 fanden im Deutfchen 
Reiche 570 Morde, 810 Raubtaten, 6800 Unzucht: und Klotzuchtverbrechen ftatt. 
Was den Staat, die fich fortpflanzenden Verbrecher koften, baben die Amerikaner 
in einigen Verbrecherfamilien forgfältig nachgerechnet. So konnten von den 834 
Viadtommen der amerilanifhhen Dagantin und Schwadfinnigen Ada Pukes 
709 Hadhlommen genau erforfcht werden, 20% mußten von ihren Gemeinden 
erhalten werden. 77 wurden wegen Derbredyen verurteilt, darunter 13 wegen 
Mordes. Diefe 200 Leute koften dem Staat in 75 Jahren 5 Millionen Marl. Bei 
geringer Schägung baben wir in Deutfchland 10000 Schwerverbrecdyer, welche 
dem Staat jährlich mehr als 19 Millionen Mark koften. Durch die Ausfchaltung 
ihrer -Sortpflanzung, wobei fidher nod) weitere 10000 Verbrecher dazu kämen, 
fo daß man von 20000 Schwerverbrechern fprechen kann, würde der Staat un: 

13" 


164 Volt und Kaffe. 1933, V 








gefabr 25 Millionen Mark jabrlic) erfparen, von den ethifden und moralifden 
Griinden ganz 3u fdbweigen. Dod bandelt es fich natürlidy trog aller Güter und 
Gelder, die von den Minderwertigen verfchlungen und von den Wertvollen immer 
wieder erzeugt werden, um viel mebr als Geld und Gut, denn das Leben und die 
wertvollen Erbftämme, mithin auch Seele und Geift der lation find bereits 
durch die Überwucherung der Kranken und VDerbredyer bedroht. Wir wollen, 
daß das deutfche Doll gefunde und wir werden es durcfegen. 


Was wird da groß? 
Don Medizinalrat Dr. £. Pellgutb, Meldorf. 
Mit 2 Abbildungen und ı Tabelle. 


I: gleichbleibender Rinderzabl in jeder be und bei gleicher Gefhwindigkeit 
der Generationsfolge vollzieht fich die Ausbreitung einer Bevölkerung oder 
einer Gruppe nad den matbematifchen Gefegen einer geometrifchen Reibe. Daber 
baben auch geringe Sruchtbarkeitsunterfchiede nach einiger Zeit gewaltige Wir: 
kungen binfichtlid) der Zufammenfegung eines Volkes. Es ift bekannt, daß bei 
























































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Kreıs- Durchschnitt 


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Unterfchieden von 3:4 Rindern je Ebe und 3:4 Generationen je Jabrbundert ein 
Bevölkerungsteil, der beute 50%0 beträgt, nach 300 Jabren nicht mebr 190 aus: 
macht. 
Wir baben fomit allen Anlaß, überall da, wo wir eine überdurchfchnittliche 
Sruchtbarkeit wabrnebmen, fei es in einzelnen Samilien oder in einer Gemeinde 
oder beim Anblid einer übervollen Schule — bevor wir uns dem bei unjerer 
Kinderarmut nabeliegenden Gefühl der Sreude bingeben — die Stage zu ftellen: 
was wird da groß? 

Im Kreife Ditbmarfcen in Schleswig: Holftein befteben in den einzelnen 
Standesamtsbezirkten auffallende Sruchtbarkeitsunterfchiede. In Brunsbiuttelfoog, 
diefer am Weftausgang des FTordoftfeetanals rafch entftandenen „Landgemeinde 





Giburtenzabl und Sdwadfinn in sen Standesamtebesicten Dithmarfdens. 


165 


£. Dellgueb, Was wird da groß? 


1933, V 


























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166 Dolt und Kaffe. 1933, V 








von faft 6000 Einwohnern, baben wir in Wirklichkeit eine Eleine Großftadt vor uns, 
mit allen Werfmalen der Bevdllerungsftrultur, wie Mietskafernen, Proletariat 
und flutender Bevölkerung. Die Lebendgeburtenziffer betrug bier im Durdfdnitt 
des fünfjäbrigen Zeitraums von 1928 bis 1932 jährlich 13,3 auf taufend Kin: 
wobner. Dagegen baben wir in der gleichen Zeit im Sriedrichskoog, einer febr 
weitläufig befiedelten Landgemeinde, deren Bewobner aus Landwirten, landwirt: 
fhaftlichen Arbeitern und Sifchern befteben, genau die doppelte Zabl, 26,6. Zwi⸗ 
chen diefen ertremen Werten liegen die Lebendgeburtenziffern der übrigen Bezirke, 
der Durchfchnitt des Kreifes beträgt 18,8. Diefe Werte find errechnet aus den 
ftandesamtlichen Jabresmeldungen, unter entfprechender Verrechnung der in den 
Rrantenbäufern der Städte erfolgten Lebendgeburten. 


Ditbmarfcben 








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Geburtenziffern nad fünfjäbrigem Durch fadnitt Schwadfinnigen:Ziffern bei den J0— 185 Jabre alten 
928 — 1932). Schultindern. 
In beiden Ratten bezeichnet die duntlete Schattierung die Bezirke, deren Ziffern über dem Durchſchnitte 
deo Rreifes liegen. 


Mas wird in den überdurchfchnittlichen Gemeinden groß? Der fchulärztliche 
allgemeine Eindrud, den die Kreisfcbulbebörde beipflichtet, legte die Dermutung 
nabe, daß in manchen diefer Gemeinden auffallend zablreihe minderbegabte 
Rinder den Lebrern zu fcbaffen machen. Es mußte fomit von Beachtung fein, durch 
eine Befragung der Schulen FTäberes über die Ausbreitung des Schwachſinns 
in den einzelnen Gemeinden zu erfabren. 

Die den Lebrern vorzulegende Srageformulierung wurde mit erfabrenen Leb- 
tern beraten. Bei diefer Beratung fowie bei der fpäteren Befragung wurde es 
vermieden, von Geburtenziffern zu fprechen, fo daß die Lebrer alfo völlig unvor: 
eingenommen waren. Wir einigten uns auf folgende Gefichtspunfte: Line einiger: 
maßen fichbere Beurteilung ift vor dem vollendeten zebnten Lebensjabre kaum mög: 
lich. Bis zu diefem Alter find die Kinder in der Grundjfebule, in welder das Lefen 
und Schreiben im wefentlichen Selbftzwed ift. Spater ift es Mittel fur den wei: 
teren Unterricht. Rinder, die nach dem Aufrüden aus der Hrundfchule noch erbeb: 
libe Schwierigkeiten im Sefen und Schreiben machen, fallen auf und ftören die 
Rlaffe. Diefe Kinder zu zäblen, dürfte verbältnismäßig leicht fein. Die Srage 


1933, V Stiedridy) Stumpfl, Die kriminelle Samilie. 167 





lautete alfo: Wieviele Rinder, die vor dem 1. Januar 1923 geboren find, befinden 
fi überhaupt in der Schule, und wieviele von diefen haben nach Pollendung des 
a: £ebensjahres noch erbeblihe Schwierigkeiten im £efen und Schreiben 
gemadht ? 

Kine befondere Beurteilung erforderte die SHilfsfchule in Heide, die einzige im 
Rreife. In Solge der befonderen en können bier nämlich die meiften 
Rinder gut lefen und fchreiben. Trogdem müffen fie natürlich alle als minder: 
begebt gelten. 

Zu der Befamtfchülerzabl wurden die in höheren Schulen eingefchulten Rin- 
der innerhalb der angegebenen Altersgrenzen (10. bis 15. Lebensjahr) für ihren 
Meimatort zugefchlagen. 

Auf diefe Weife wurden 0,4% minderbegabte Schullinder im Durdfchnitt 
des Rreifes ermittelt. Die Außerften Werte in den einzelnen Bezirken liegen 3wis 
feben 0,0 und 8,00. 

Wie das Diagramm zeigt, haben von den 23 Bezirken 11 eine unterdurdhs 
fehnittliche, 13 eine überdurdhfchnittliche Lebendgeburtenziffer. Hinſichtlich es 
Sdhwadfinnigenanteils an der Schülerzabl fteben 15 Bezirke unter dem Kreis: 
durchfchnitt von 4,1%, $ über demfelben. Diefe 8 finden fid) nun famtlich bei den 
überfruchtbaren Bezirken. In allen unterfruchtbaren Bezirken bleiben auch die 
Schwadfinnigen unter dem Rreisdurchfchnitt. Die Dermutung, daß es in den 
überfruchtbaren Bezirken eben die Schwacfinnigen felbft find, die fich ftärker 
vermebren, liegt fo nabe, daß fie bis zum Beweis des Gegenteils wobl als richtig 
angenommen werden darf. 

£s foll nicht unerwäbhnt bleiben, daß die den Kebrern geftellte Srage nod 
dseutungsfabig war. Das Ergebnis würde ficherer werden, wenn man einen ers 
fabrenen £ebrer die Schulen bereifen und die Leiftungen der in Stage kommenden 
Rinder prüfen ließe. Aber auch das nach vorliegender Methode gewonnene Mas 
terial ift für die angegebene Schlußfolgerung ausreichend, weil nicht einzufeben 
ift, weshalb die Lehrer gerade in den überfruchtbaren Bezirken einen fchärferen 
Mapftab angelegt baben follten. Eber darf man annehmen, daß mit Zunahme der 
Minderbegabten der Mapftab finkt. 

Die beigegebene Doppellarte macht die De ung zwifchen Geburtenzahl und 
Scdhwadfinn nod finnfälliger. Aus vorftehender Tabelle find die einzelnen Werte 
zu erfeben. 


Aus der Sorfhungsanftalt für Pfydhiatrie. 


Die Eriminelle Samilie. 
Von Dr. Sriedrih Stumpfl, Münden. 


YD man fic gegen irgendeine Erfcheinung, 3. B. gegen Krantheit, jdugen 

will, fodarf man fich nicht damit begnugen, das 3u unterfuden, was offen 
zutage liegt, fondern man muß auch die meift verborgenen Urfachen genau kennen. 
Und da kann man wohl fagen, daß keine andere Stage von allgemeiner Bedeu: 
tung bisher von der Wiffenfchaft fo ftiefmütterlich behandelt worden ift, wie das 
Derbrecherproblem. Daber kommt es, daß trog beftändiger Zunahme der Der: 
bredyen ihre Belämpfung fich bisber immer nur gegen die Wirkungen wenden 
konnte, und nicht gegen die eigentlichen Urfachen, von deren Ausfchaltung allein 
ein endgultiger Erfolg abbangt. 

Die Mlotwendighkeit bier Ubbilfe 3u fcbafffen und wenigftens die Grund: 
fragen zu löfen, bat dazu geführt, daß in den legten Jahren an verfchiedenen deut: 
ſchen Inftituten, insbefondere an der deutfchen Sorfehungsanftalt für Pfydhiatrie 
in München eine Reibe wiffenfcbaftlider Unterfuchungen an kriminellen Samilien 
in Angriff genommen wurden. 


168 Doll und Kaffe. 1933, V 








Um den Sinn und die Tragweite folcher Sorfehungen verftändlich zu madhen, 
werde ich zuerft ganz kurz die Schidfale einiger kriminellen Samilien fcildern, 
dann auseinanderfegen, warum die Allgemeinbeit an einer gründlidyen Kenntnis 
frimineller Perfönlichkeiten fo ftark intereffiert ift, um endlich die widhtigften vor: 
läufigen Ergebniffe diefer neuen Sorfcyungen über Derbrechensurfachen in wenigen 
Strichen zu flissieren. 

Beginnen wir mit der Samilie des Schwindlers und Hochſtaplers Jenner. 
Schon in der Schule hatte er ein gewandtes und ficheres Auftreten gegenüber 
Steunden und fremden Perfonen. Im Betragen batte er immer die befte Tote. 
Mit 22 Jahren wurde er zum erftenmal wegen Betrug beftraft. Er rift lebbaft, 
gern in Befellfchaft, bat eine gute Auffaffung und ift eine gefällige Erfcheinung, 
der e8 jederzeit leicht gelingt, den Cindrud cines Direttors zu erweden. Sur cine 
gediegene Arbeit taugt er aber nicht. Selbftüberfhägung und grenzenlofe Gel: 
tungsfucht veranlaßten ibn immer wieder 3u Dorfpiegelungen falfcher Tatfachen. 
Syeute ift er fhon ungefähr über 20 mal wegen Betrug vorbeftraft, darunter 4 mal 
mit fdhweren Zucdhtbausftrafen. 

Jenner hatte 13 Gefdwifter, von denen 10 heute nody am Leben find. Sein 
Pater war Schmied in einem Beinen Dorf, ordentlid, rubig, allgemein beliebt 
und in der Erziehung feiner Kinder febr ftreng. Er ließ fie 3. B. nie ins Kino 
geben. Auch die Mutter ftammte vom Lande. Sie war eine beitere, rubige und 
baushälterifhe Srau. Man fagt ibr allerdings nach, daß fie viele Meine und 
größere Schler ibrer Rinder vor dem Vater verbeimlicht bat. Daß fie ihre Kinder 
oft unbeauffichtigt ließ, ift wohl am Lande nichts ungewöhnliches, ebenfowenig, 
daß fie über ihre 7 Söhne und 6 Töchter nicht Herr werden konnte, wie es beißt. 

Jenner war der zweitältefte unter feinen Gefchwiftern. Sein älterer Bruder 
ift ein tüchtiger Mafchinift und wurde nur einmal in früberen Jahren wegen Dieb: 
ftabl beftraft. Der ältefte Sobn diefes Bruders ift fcbon oft wegen Betrug bes 
ftraft worden. Er wohnt in einem übelberücdhtigten Stadtviertel, fpielt gerne den 
vornehmen Mann und verftebt es gut, feine Betrügereien unter dem Dedmantel 
einer Geflugelfarm oder einer fonftigen Unternehmung zu verbergen. Zwei jün- 
gere Brüder von Jenner find gleichfalls triminell: Der eine ift ein gewandter, 
fhon ı5 mal wegen Betrug und Unterfchlagung beftrafter Zeitungsredalteur in 
Berlin, der andere, ein Rentenbpfteriter, bewohnt mit feiner Samilie eine Dadhs 
wohnung in einer Rleinftadt und ift febon wiederbolt wegen Betrug und aud 
wegen Diebftabl beftraft. Er bat fi nach dem Krieg viele Jahre lang cine 
100 %= Rente berausgefhwindelt und jabrlid) auf Roften der Derforgungsamter 
eine Badelur gemadıt, bis man allmäblih darauf kam, daß fich feine Klagen 
immer nach den Zweden richteten, die er gerade verfolgte. Ein dritter Bruder 
ift zwar laut Strafregifter nicht beftraft, genießt aber keinen guten Ruf. Er bes 
findet fich meift in Gefellfchaft von Weibern oder jungen Mädchen und ift verläß: 
lichen Angaben zufolge bisber immer nody am Rriminal vorbeigerutfcht. Auch cine 
von den Schweftern genießt einen febr fchlechten Ruf. 

Die übrigen Gefcbwifter find nicht vorbeftraft und haben als Cleine Unters 
nehmer oder mittlere Beamte ein gutes Austommen. Ein Zug ift ihnen allen 

emeinfam: Das Streben, auf andere Menfchen Eindrud 3u machen und damit im 
Sufammenbang die Lleigung, etwas über die eigenen Verbältniffe zu leben. Sie 
find eber uberdurchfdnittlid intelligent und baben ein gutes Benehmen. Alle, 
auch die fpäter Betrüger geworden find, batten in der Schule im Betragen die 
Note: ſehr lobenswert. 

Auch unter den Vettern und Baſen und deren Kindern ſind mehrere Kri⸗ 
minelle. Auffallenderweiſe immer als einzige ihrer Art mitten unter lauter un⸗ 
beſcholtenen Geſchwiſtern und als Rinder unbeſcholtener Eltern. Einer zog ſchon 
als kleiner Junge mit anderen Burſchen herum und erbeutete auf ſeinen Diebes⸗ 
zuͤgen Geld und Wertgegenſtaͤnde. Mit 19 Jahren beging er einen Raubuͤber⸗ 
fall. Er hatte mit einem Rameraden mehrere Gaftwirtfchaften befucht. Am Heim: 


1933, V Sriedrih Stumpfl, Die kriminelle Samilie. 169 
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weg überbolten fie auf einer Waldftraße einen — wandernden Lederhaͤndler 
und raubten ihm ſeine Brieftaſche und ſeine Uhr. Sie warfen ihn zu Boden und 
ſtreiften ihm auch mehrere Ringe von ſeinen Fingern. Ein Vetter iſt der Trunk⸗ 
ſucht ergeben und erwerbslos. Sein Arbeitsloſengeld ſetzt er in Alkohol um, fo 
daß man ihn in ſeiner Heimatgemeinde unter Alkoholverbot ſtellen mußte. Wegen 
Gewalttaͤtigkeiten iſt er ſchon o mal im Gefaͤngnis geweſen. 

— wuͤrde zu weit fuͤhren, auch die uͤbrigen kriminellen Verwandten an⸗ 
zufuͤhren. 

In mehrfacher Sinficht ein Gegenftüd zu Jenners, bildet die Familie Gelber. 
Gelber war der einzige Sohn einer Hutmachersfamilie, die in einem armen Brenz» 
dorf lebte. Er ift ein alter, vielfach wegen Diebftabl und Bettel beftrafter Zins 
bredyer. Erzogen wurde er bei feinen £ltern, die damals im Armenbaus lebten. 
Der Vater war ein rubiger, freundlicher ann, die Mutter fehr ftreitfüchtig und 
aufgeregt, beide Eltern wegen Bettel wiederholt vorbeftraft. Gelber blieb ın der 
Schule mebrfad figen. Seine Sprache war polternd und deshalb fchwer vers 
ftändlih. Er begann feine kriminelle Laufbahn mit 17 Jahren und wurde meift 
‚wegen Diebftabl, wiederholt auch wegen Bettel und Landftreichen beftraft. Mit 
27 Jahren fam er zum erftenmal in eine Jerenanftalt. Wie fic fpdter berausftellte, 
bat er Geiftestrantbheit nur vorgetäufcht. Er kam nämlich fpäter noch dreimal in 
Irrenanftalten, auffallenderweife immer gerade dann, wenn er wegen einer Dies 
berei ins Gefängnis oder ins Zuchthaus eingeliefert wurde. Er heiratete im Alter 
von 46 Jahren und lebte dann einige Jahre lang unbebelligt. Die Leute begannen 
fich allmählich zu wundern, wovon er, ohne zu arbeiten, eigentlich lebe, bis nach 
einigen Jahren eine Reihe von Diebftählen auflam, die er in der weiteren Ums 
gebung feines Wobnortes verübt hatte. Er hatte fich damals mit 2 Stiefföhnen 
und einem Schwiegerfohn verbunden und mit ihnen gemeinfam Diebftähle verübt. 
Dabei trieb er fich zeitweife fcheinbar taglöhnernd oder mit Seife bandelnd in 
Ofterreih und Böhmen herum. Seine Stau war auch kriminell. Sie ift wegen 
Sehlerei und Diebftabl mehrfach beftraft. Die beiden vorebeliden Söhne feiner 
Stau find alte Einbrecher und feine Stieftöchter find mit Dieben verbeiratet. 

Die fchon vor dem Krieg verftorbene Schwefter von Belbers Dater wer eine 
ledige Fläberin, die zeitlebens nichts tat, als betteln und fteblen. Meift ftabl fie 

anz einfache Sacen, 3. B. Dugende von Uiudelfehauferin. Einem verwabrloften 
Sndwviduum das nur in Derbrechertreifen verkehrte, gebar fie 6 unebeliche Kinder, 
darunter 5 Söhne. Dier von diefen Söhnen waren kriminell und die Bendarmen 
der Waldgegend, in der fie lebten, wiffen heute noch zu erzählen von den Kämpfen, 
die fie mit diefen Außerft gewalttätigen und gefährlichen Einbrechern ausgefochten 
baben. Einer von ihnen war Epileptifer und erftidte, als er in einem Anfall mit 
dem Geficht in loderes Erdreich fturzte. Der fünfte von diefen Söhnen, der nie 
triminell geworden ift, war hochgradig fchwachfinnig. 

Derartige DBeifpiele ließen fic beliebig vermehren. Bevor ich dazu übers 
gebe, auseinanderzufetzen, warum die Allgemeinheit an einer wiffenfchaftlichen 
Ertenntnis des Wefens trimineller Derfonlichteiten fo febr intereffiert ift, fei noc 
erwähnt, daß es alte altenmäßige Darftellungen von Derbrecherbanden gibt, die 
ausgezeichnete Schilderungen von £ebensläufen trimineller Samilien enthalten. 

Als Beifpiel, das zeigen foll, wie genau uns fogar die Charalterzüge diefer 
Menfcben wberliefert find, wähle ich die altenmagigen Llachrichten über Jofepb 
Streitmatter, den Sohn eines wohlhabenden Müllers, der vor mehr als hundert 
ehren in Deutichland lebte. 

Jofeph Streitmatter verbeiratete fic fchon mit 16 Jabren mit einer artigen, 
jungen Schweizerin. Die erften Monate diefer Ehe waren frob und glüdlich, bis 
ein Buch, gebeimnisvoll mit Siegeln verfeben, wie es im Bericht beißt, die erfte 
Deranlaffung feines Unglüds wurde €s enthielt eine Anweifung Geifter zu 
zitieren, Schätze zu graben und Bold zu machen. Streitmatter, überzeugt, daß 
es @eifter und Zauberer gäbe, batte nur mebr den einen Gedanten, die weife 

Dolt und Bafle. 1935. September. 14 


170 Volt und Kaffe. 1933, V 
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Magie zu erlernen. Seine mitternädhtlichen Beobachtungen der Geftirne, fein tiefes 
Schweigen gegen jedermann verbunden mit I aund Giger re allen £ebenss 
freuden führten dazu, daß fein vernachläffigtes junges Weib bei einem Wann 

und Troft fuchte, der verfprach, alles zu tun, um die jungen Zheleute wieder zu 
verföhnen. Bald aber zeigte fich, daß er bei den nadtliden Zufammenkünften 
mit der jungen Stau zu viele Vorteile für fich felbft fand, als daß es ihm ernft 
gewefen wäre zu verföhnen. Damals belam Streitmatter Dorfchüffe von 50 und 
100 Gulden und das fo oft er wollte, von einem Raufmann, der ibn in allerlei. 
dunkle Lieferungsgefchäfte verwidelte. 

Als dann Derwirrung in die dfonomifden Angelegenheiten des Hauſes 
tam und die Srau ibe und der Rinder Dermögen retten wollte, da verwandelte fich 
der freundfchaftlidhe Kaufmann auf einmal in den bartberzigften Olaubiger und 
verftand es durch Prozeffe, das ganze Dermödgen Streitmatters an fidy zu reißen. 

Streitmatter verließ feinen häuslichen Herd, wurde Spion, und als man ibm 
die vor der Ausführung einer verwegenen Unternebmung gemadten Verfpres 
dungen nicht hielt, Dieb und Räuber. Wiederholt verhaftet und einmal durdy 
einen Streiffchugß verletst, entlam er immer wieder auf die kühnfte Weife. Dieb 
ftähle, Rirchenräubereien, nächtliche Überfälle von Mühlen und Höfen machten 
ihn zum Schreden der ganzen Gegend. Einmal ertlomm er mit feiner Bande, 
deren Sührer er war, auf mebreren aneinander gebundenen Leitern und Balken 
die eisglatten Wälle einer Stadt, 10 Schritte weit von einer Schildwacdhe. Hatte 
er Geld, fo verfehwendete er es in wenigen Tagen an Spielbänten, in Wirts« 
baufern und mit Srauen. Dar er einmal erwifcht, fo gelang es ihm doch immer 
— zu entkommen, indem er 3. B. mit einem Nagel die Schloͤſſer ſeines Rerkers 

ete. 

In dem Bericht wird geſchildert, wie er zweimal ſeine Raͤuberlaufbahn ver⸗ 
laſſen wollte und wie er beide Male durch einen Zufall daran gehindert wurde. 
Das erſte Mal fchnitt ihm ein Zigeuner feinen Gurt mit 300 Louisdors ab, das 
zweite Mal wollte er angeblich in einer Sabrit Arbeit nehmen, mußte «ber auf 
der Reife dorthin wegen fchlechten Wetters in einem Wirtshaufe liegen bleiben, 
wo er mit einem alten, ibm belannten Dieb zufammentraf und feine Vorfäge 
wieder aufgab. Als er endlich am Schaffott ftarb, erklärte er noch kurz vor feiner 
Aainrihtung mit fefter Stimme, fein Tod fei verdient, aber feine Hande feien rein 
von Blut. 

Die beldifche Gefinnung diefes alten Raubers, der nie Gewalt angewendet, 
der nicht einmal einem Tier das geringfte Leid angetan und wiederholt in aufs 
opferungsvollfter Weife für einen bedrangten Rameraden fein Leben aufs Spiel 

efetzt bat, gebt aus den Schilderungen eindeutig hervor, dennoch wird man ibn 
Betste in mander Beziehung anders beurteilen, als fein wohlwollender Gewährss 
mann. Es waren obne Zweifel tieferliegende Gründe, die ihn immer wieder gu 
einem Abenteurerleben binführten, als die vermeintlichen in den altenmäßigen 
Nachrichten wiedergegebenen „Zufälle“. 

Kann man nun aus den Geſchichten krimineller Familien irgendwelche all⸗ 
gemeinen Schluͤſſe ziehen? 

Daß es kriminelle Familien gibt, hat man immer ſchon gewußt. Wir wollen 
nicht allzuweit zuruͤckgreifen. Wenn man die 1211 in Mainz erſchienenen, hoͤchſt 
leſenswerten aktenmaͤßigen Nachrichten von Rebmann aufſchlaͤgt, die von gefaͤhr⸗ 
lichen Diebesbanden handeln, welche damals die ganze Mittelrheinlandſchaft und 
halb Frankreich unſicher machten, ſo findet man unter den Bemerkungen uͤber 
einige Maßregeln, die bei Verfolgung von Raͤuberbanden nuͤtzlich ſein moͤchten, 
als letzte Folgende: „Man erforſche die Genealogie und Verwandtſchaft der Raͤuber 
und ihrer Beiſchlaͤferinnen, faſt alle dieſe Diebe heiraten untereinander und wenn 
man die Mutter im Gefaͤngnis geſtorben, die Bruͤder guillotiniert, die Vaͤter ge⸗ 
hangen, die Schwaͤger ſteckbrieflich verfolgt findet, ſo wird man nicht fehlgreifen, 
wenn man das Handwerk der Verwandten bei den Inquiſiten vorausſetzt. Eine 


1933, V Sriedrihd Stumpfl, Die kriminelle Samilie. 171 
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Judenfamilie in Holland war das Stammhaus einer Menge Diebe, und Rrum⸗ 
borach in Lyon, angeblicher Parfuͤmeur, hatte keinen Verwandten, der nicht in 
den Archiven eines peinlichen Gerichtshofes figurierte.˖ Dieſe Forderung iſt oft 
erhoben worden, aber ſyſtematiſch in Angriff genommen hat man ſie in den 
letzten Jahren. 

Was ſoll man ſich nun auf Grund neuer Forſchungen unter einer kriminellen 
Samilie vorftellen? _ 

Man fpriht oft von Offiziersfamilien, von Beamtenfamilien, oder von 
Mufiterfamilien. Wir wiffen heute, dag in Mufilerfamilien befondere mufis 
Ralifdhe Begabungen erblicd) find und vielfach auch folcde Samilienmitglieder auss 
zeichnen, die nicht als Mufiler beruflich tätig waren. Abnliches gilt für Offizieres 
und Beamtenfamilien. Ein ftartes Überwiegen des Pflichtgefühls über den rs 
werbsfinn 3. B. ift ein Charalterzug, dem man in alten Beamtens und Offiszierss 
familien immer wieder begegnet, auch bei foldhen, die felbft nicht Beamte oder 
Offiziere geworden find. Yun tann man wobl durd Erziehung die Derbals 
tungsweifen der Menfchen innerhalb gewiffer Grenzen abändern, man kann 
3. B. aus einem vollftändig unmufilalifchen Menfchen, der zum Segen feiner Ums 
gebung niemals ein Rlavier berührt bat, einen gewandten Rlavierfpieler machen, 
aber was man damit nicht geändert bat, ift fein inneres Wefen. So wäre es 
denn ein verbangnisvoller Jertum zu glauben, daß finnvolle erzieberifche Maß 
nahmen fi damit begnügen können, von den Derbaltungsweifen des Mienfchen 
auszugeben, obne die echten und dauernden, die wurzelftändigen Züge feines Chas 
cafters, das ift feinen Grundcharalter, erfannt zu baben. 

Ebenfo wie in Mufiterfamilien ift es auch in Offizierss und Beamtenfamilien 
nicht bloß die Tradition, nicht allein das Vorbild der Eltern und Ahnen, das 
immer wieder pflichtbewußte Mienfchen aus ihren Reiben bervorgeben läßt, fons 
dern ebenfowohl die ihnen eigene, eingeborene Gefühlsbereitfchaft ihres anges 
borenen Brundcharaltere, ihrer blutmäßigen Anlage. - 

Wie verhält es fich nun bei triminellen Samilien? Es gibt Kriminelle, die 
unter den denkbar günftigften Umweltsverbältniffen aufgewachfen find, die weder 
unter ihren Gefchwiftern, noch unter den Lltern, nod unter den Onkleln und 
Tanten kriminelle Derwandte haben und es gibt umgelebrt auch Menfden, die 
unter lauter triminellen Gefdhwiftern aufgewacfen find, von ihren Eltern zum 
Betteln angebalten wurden und niemals eine richtige Erziehung genoffen baben, 
die aber trogdem nie friminell, fondern im Gegenteil zu pflichtbewußten und aufs 
opferungsbereiten Wenfchen geworden find. Das läßt fidh nur fo erklären, daß 
es Erbanlagen gibt, die uber die Charalterentwidlung ftärter beftimmen, als die 
erzieberifchen Maßnahmen, die man beutzutage anwendet. Man braucht die Ers 
ziebungsmangel und die Gewalt fittlicher Schäden gar nicht zu unterfchägen, ja 
man muß foger wiffen, daß ihr Ausmaß in vielen Sallen alles weit übertrifft, 
was man als Sernftebender fich vorftellt oder erwartet, aber gerade aus diefer 
Ertenntnis ergibt fich die zwingende Sorderung, zu ergründen, inwiefern und bei 
weldyen Derbrecherarten die Derbrechensurfachen in derartigen Schädigungen ges 
legen find und bei weldyen nicht. 

Ba es Derbrederarten gibt, die untereinander febr verfchieden find, man 
dente einmal an einen diebifchen Bettler und Landftreicher und vergleiche ihn mit 
einem vornebm ausfebenden Schwindler und Hochftapler, verftebt es fich von 
felbft, daß es untereinander fehr verfchiedene nor ıı müffen, die am Zus 
ftandefommen des Verbrechens entfcheidend mitwirken. Worauf es bier befonders 
ankommt, ift endlich zu erfennen, dag die Dererbungsforfdung in der Lage ift, 
nicht nur den Raffenbygienitern, fondern auch den Erziebern unentbebrliche Brimds 
lagen für ihr Handeln zu übermitteln. Denn die Aufgaben der Erziehung fordern 
beute diefe Grundlagen dringender als je, nachdem die Lehre von der Allgewalt 
der Umwelt und der erzieberifchen Maßnahmen endgültig widerlegt ift, eine Jers 
lehre, die das Beine Rind einer glatten DOacdstafel glaubte gleichfetzen zu können 

14° 


172 Volk und Raffe. 1933, V 








und damit den damaligen Bedürfniffen des Feitgeiftes gefdidt Rechnung trug. 
Darüber muß man ficy allerdings im Maren fein, daß immer nody genug Sälle 
übrig bleiben werden, die jeder erzieberifchen Beeinfluffung unzugänglid find. 
Boldye Wienfhen rechtzeitig unfdhyädlicy zu machen, und im gegebenen Sall zu 
verhindern, daß fie ihre Anlage weiter fortpflanzen, ift He Aufgabe raffenbygienis 
fcyer Maßnahmen im Sinne der VDollsaufartung. 

Woraus kann man nun beute mit binreichender Sicherheit den Schluß ab» 
leiten, daß erblicye Anlagen au das Schhidfal des Menfden, wenn nidt auss 
fchlieglich, fo doch entfcheidend beftimmen? Es gibt cine wiffenfdaftlide Methode, 
die es ermöglicht zu entfcheiden, ob irgendeine Kigenfchaft, irgendeine Brankbeit 
oder fonftige Erfcdheinung vorwiegend von der Umwelt oder vorwiegend von der 
Erbanlage abhängig ift. Es ift das die Zwillingsmetbode. 

Durd die Anwendung diefer Wietbode auf die Probleme der Kriminalität 
bat vor vier Jahren der Dieciater Profeffor Lange den Llacdyweis erbradht, daß 
der Einfluß der Erbanlagen bei der Derbrecdhensentftebung viel weiter reicht, ale 
man bis dahin angenommen batte. Seine fehr eingehenden Unterfuchungen der 

efamten £ebensläufe von dreißig Zwillingspaaren mit je einem kriminellen 
Partie baben ergeben, daß bei den eineiigen, alfo erbgleichen Zwillingen immer 
auch der zweite —** kriminell geworden iſt. 

Man muß die Lebenslaͤufe ſelbſt geleſen haben, um zu ermeſſen, wie erſchuͤt⸗ 
ternd ſich Charakter und kriminelle Laufbahn bei dieſen Zwillingen gleichen. 

Die Ergebniſſe der kriminalbiologiſchen Zwillingsforſchungen bedeuten, daß 
gerade da, wo es ſich um Ruͤckfallskriminalitaͤt handelt, nicht die ſoziale Stel⸗ 
lung, die Erziehung, mit einem Wort die Umwelt allein, ſondern in hohem 
Maße irgendwelche Erbanlagen dafuͤr age find, ob ein Menfd trimis 
nell wird, oder nicht, fie bedeuten, daß diefe Wenfden aus ibrer Deranlagung 
beraus zum Verbrecdyen kommen und daß diefe ihre Entwidlung in der unvolls 
— Welt, in der wir nun einmal leben, mit ſchickſalhafter Notwendigkeit 
erfolgt. 

Wuͤßten wir genau, was fuͤr Erbanlagen es ſind, die bei den verſchiedenen 
Verbrecherarten eine Rolle ſpielen und woran man dieſe Anlagen rechtzeitig er⸗ 
kennen kann, fo wäre es moͤglich einerſeits die erzieheriſchen und die ftrafredts 
lichen, andererſeits die raſſenhygieniſchen Maßnahmen dementſprechend zu geſtalten. 
Dieſe Frage nach der Art der Erbanlagen, die hier eine Rolle ſpielen, kann nur ge⸗ 
loͤſt werden auf Grund von Forſchungen an kriminellen Familien, wie ſie der⸗ 
zeit z. B. an der Deutſchen Forſchungsanſtalt fuͤr pie durchgeführt werden. 

Bei derartigen Unterfuchungen muß jede Perfönlichkeit nach mehreren Rids 
tungen („mebrdimenfional‘‘) erfaßt werden. Es genügt beifpielsweife nicht, zu 
wiffen, daß jemand ftumpf und gemütstalt fei, fondern man muß audy feine fons 

er aa Geter kennen, fo feine Intelligenz und vor allem feine 
riebfedern. 

Unterfucht man die Samilien von Menfchen, die wiederholt fdwer beftraft 
worden find, und wenigftens einmal eine Zuchtbauss bzw. fhwere Berkerftrafe 
verbüßt haben, fo findet man in ungefähr 40% der Salle aud unter den Ders 
wandten Kriminelle In der Mehrzahl diefer Sälle kann man von kriminellen 
Samilien fpreden, d. b. es find Eltern, Befchwifter, oder beide gleichfalls tris 
minell. In den Samilien von Menfchen, die nur einmal in ihrem Leben triminelf 
geworden find und fich fpäter 15 Jahre lang ftraffrei gehalten haben, findet man 
nur in 6%0 der Sälle Kriminelle unter den Derwandten. 

Wichtiger als diefer Befund ift die Tatfade, dag man aud unter entferns 
teren Derwandten von Rüdfallsverbrechern, 3. B. bei ihren Dettern und deren 
Rindern, die an ganz anderen Wobnorten leben und den Ausgangsfallen pers 
fonlich gar nidt befannt find, abfolut und relativ mehr Rüdfallsverbredyer — 
als unter den entfernteren Verwandten gleichen Grades von ne echts⸗ 
brechern. Entſprechende Unterſchiede ergeben ſich auch hinſichtlich der Verbrechens⸗ 


1933, V Der Rüdgang der ehelichen Scudytbarteit. 173 
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arten, d. b. man findet 3. B. unter den entfernteren Derwandten von Rüdfallss 
verbredyern fchwerere Derbrechensarten, als bei den gleichen Derwandtfchaftes 
graden von einmalig Beftraften. Klacdhdem man nody heute in weiten Rreifen in 
der foszialen Lage und in der Flot die ausfchließlichen Derbrechensurfaden :zu 
finden glaubt, find diefe Befunde keineswegs felbftverftändlich, wie man etwa 
. meinen könnte. Im Gegenteil, fie wären mit Hilfe der berrfchenden LUmwelts 
tbeorien überhaupt nicht zu erklären. 

Feuerdings haben die Sorfhungen an kriminellen Samilien gezeigt, daß es 
unter Hienfchen, die wiederholt kriminell geworden find, Derfonlidleitstypen gibt, 
in deren Derwandtfchaft regelmäßig kriminelle Perfonen gehäuft zu finden find 
Fe andere Perfönlichkeitstypen, unter deren Derwandten man keine Rriminellen 

indet. 


Die praltifche Bedeutung diefer Ergebniffe für die Raffenbygiene liegt auf 
der Hand. Schutmaßnahmen gegenüber Kriminellen der erfteren Art werden 
anders ausfeben muffen, als Schugmaßnahmen gegenüber Rriminellen der legteren 
Art. Die Mittel, beide Arten voneinander zu unterfcheiden, liefert die dharalteros 
logiſche und pſychopathologiſche Erforſchung krimineller Samilien. 

Auch fuͤr eine in den Dienſt der richtig verſtandenen Willens⸗ und Cha⸗ 
rakterbildung geſtellte Erziehung ergeben ſich aus ſolchen Familienforſchungen 
neue Moͤglichkeiten und neue Aufgaben. Iſt es doch eine der vornehmſten Auf⸗ 
gaben des Erziehers zu beobachten, wo die Anlagen ruhen, damit er bei den 
echten Rräften anpaden kann, um die Charalterbildung des jungen Menfden 
feinen Möglichkeiten anzugleichen. 


Kiteraturnadhweis: Meindl, Robert: Der Berufsverbredher. Jabrbud 
der Charalterologie 2/3, Berlin 1926. — Lange, Johannes: Verbrechen als Schidfal 
(1929). — Rebmann: Damian Heffel und feine Raubgenoffen. Altenmagige Mads 
ridten, Mains 183}. 


Der Rirdgang der ehelichen Srudtbarkeit.” 


(Tafel 3.) 


JE; Volk, deffen Srauen keine Rinder mehr gebären wollen, muß untergeben. 
Aus nadhfolgendem Bild gebt mit furdhtbarer Deutlichkeit hervor, daß wir 
ein fterbendes Doll find, wenn die Entwidlung in der bisherigen Weife ihren Lauf 
nimmt. Liocy im Jahre 1900 brachte jede dritte verheiratete Stau im gebärs 
fähigen Alter von 15—45 Jahren ein Rind zur Welt, im Jahre 1910 nur nody 
jede vierte, im Jahre 1925 jede fiebte und heute trifft nur noch auf jede achte, in 
Berlin gar nur noch auf jede fiebzehnte Srau eine glüdliche Geburt (Burgdörfer.) 
— Während im Jahre 18830 auf 1000 verheiratete Srauen im Alter von 15 bis 
45 Jabren nod 307 Rinder trafen, fant diefe Zahl auf 386 im Jabre 1900 und 
dann weiter unaufbaltfam auf 146 im Jahre 1925 um im Jahre 1930 einen 
Tiefftand von 119 zu erreichen. 

Im Schoße der Stau liegt die Fulunft des Dolles. Webe dem Lande, deffen 
Srauen {don fo entartet find, daß in ihnen der natiurlide DOunf{d nach dem Rinde 
verloren gegangen ift, daß ihnen an überfeinerten Sitten, £ebensgenuß und perföns 
lider Bequemlichkeit mebr liegt, als an einer Schar beranwachfender Rinder! 


*) Aus dem in Rürze in 3. §. Lebmanns Verlag erfdeinenden Werte: , Volk in 
Gefahr”, 24 Tafeln mit Tert. Preis etwa Mt. 1.—. 


174 Dok und Kaffe. 1933, V 
a 


Cafel 3. 
Der Ridgang der eheliden Fruchtbarkeit: 
Don verbeirateten Srauen im Alter von 15—45 Jahren hatte: 


1890 jede 3.Frau ein lebendgeborenes Kind 





— 


1933, V Die Entwidlung von Ebefcdhließungen, Geburten und Sterbefälle ufw. 175 
Eu u EEE En LEE AE POO ——— 





Tafel 2. 


Burve der Ehefhließungen, Geburten und Sterbefälle des deutfchen 
Poltes 1871—1930. 


Auf 1000 Einwohner 
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Die Entwidlung von EhefhlieRungen, Geburten 
und Sterbefälle in den Jahren 1871—1930.” 
(Tafel 2.) | 


Seit dem Jahre 1875 mit über 40 Lebendgeborenen auf 1000 Einwohner ift 
die Zahl der Geburten unferes Volkes in ftetem Sinten begriffen. Bis zur Jahr: 
bundertwende machte fich der Rüdgang der Sruchtbarkeit langfam, dann immer 


*) Aus dem in Kürze in J. $. Lebmanns Derlag erfcheinenden Werte: „Volt in 
Gefahr“, 24 Tafeln mit Tert. Preis etwa ME. 1.—. 


0 
7880 7890 7900 7370 7320 7330 


— — — 








176 Volt und Kaffe. 1933, V 
— — — — —— — — — 


ſchneller bemerkbar. In ſteiler Rurve ſtuͤrzte die Jahl bis 1934, um waͤhrend des 
Weltkrieges einen begreiflichen Tiefſtand zu erreichen. Nach voruͤbergehender Er⸗ 
holung in den Jahren 1919 — 1920 ging ſie in beaͤngſtigender Weiſe weiter bergab. 
Es iſt zu befuͤrchten, daß dieſe Entwicklung auch heute noch nicht Halt gemacht bat. 

Waͤre feit dem Jahre 1871 nicht auch die Sterblichkeit gefunten, fo bätten 
bereits im Jabre 1930 die Beburten nicht mebr ausgereicht, um den Beftand unferes 
Volkes zu erbalten, denn die Beburtenzahl des Jahres 1910 entfprady der Zahl 
der Todesfälle des Jabres 18713. Viur auf das ftarte Ginken der Todesturve ift es 
zurüdzufübhren, daß wir auch heute noch, trotg der befehämend geringen Beburtens 
zahl einen Bleinen Beburtenüberfchug zu verzeichnen haben. Wie reich die Ernte des 
Todes in früheren Jahren gewefen ift, gebt daraus bervor, daß felbft die Derlufte 
an Menfdenleben in den blutigften Jahren des Weltkrieges nicht höher waren 
als um das Jahr 1885 und fogar geringer als in den vorbergebenden Jahren. 

Aus der ftets gleichbleibenden Zahl der Ebhefchließungen, die nur durch den 
Brieg eine ftärkere Veränderung erfahren bat, gebt deutlidy hervor, daß der Ges 
burtenfchwund nicht etwoa auf wirtfchaftliche Grunde, Verzicht auf Ehefchließung 
und dergleichen, fondern auf die veränderte Lebensauffaffung des deutfchen Volkes 
zurüdgeführt werden muß. 


Der truͤgeriſche Geburtenuͤberſchuß. 


(Tafel 3.) 

Wir haben gefeben, daG mit Ausnahme der Rriegsjabre Deutfchland noch 
einen Meinen fich allerdings dauernd vermindernden Geburtenüberfchuß befigt. 
Ulebenftebendes Bild (Taf. 3) zeigt, daß er im Jabre 1932 auf 1000 Einwohner!) 
nur noch 4,3 beträgt, was einer ae von 281 000 entfpricht. Denn man bedentt, 
daß wir nod vor wenigen Jahrzehnten, troß einer weit größeren Sterblidpkeit, 
einen GBeburtenuberfhuß von annähernd ı Million batten, fo wird erft richtig 
Mor, wie furchtbar der Schwund unferes Volkes ift. 

Yiod viel fchlimmer ift die Entwidlung in den GBroßftädten, allen voraus 
Berlin, das den traurigen Ruhm für fich in Anfpruch nehmen kann, die unfruchts 
barfte Stadt der Welt zu fein. Die Geburten in Berlin reichen fchon heute nicht 
mebr aus, um die Todesfälle zu erfetzen. 30—40 000 Menfchen fterben jährlich 
in Deut{dlands SJauptftadt mehr als geboren werden. 

So erfihütternd diefe Zablen fhon jest wirten, fo geben fie doc nur ein 
trügerifches Bild, da die Sterblichkeit von jabrlid) 10,8 auf 1000 Einwohner uns 
normal niedrig ift, was auf den eigenartigen Altersaufbau unferes Volkes zurüds 
geführt werden muß. 

Das folgende Bild bringt diefen Altersaufbau zur Barftellung. Es gibt 
biermit die Möglichkeit, die heutige viel 3u ginftige Lebensturve unferes Volles 
a berichtigen und fie fo zu bemeffen, wie fie vorausfidtlid fdbon in Ruͤrze 
ein wird. 


Die Vergreifung des deutfchen Volkes.” 


(Tafel 4.) 
Flimmt man an, daß die Sterblichkeitsperbältniffe gleich bleiben und die Ges 
burten (auf 1000 gebärfäbige Srauen) im Laufe der nächften Jahre um Surdhfchnitts 
lich s v. 9. weiter zurüdgeben werden, fo würde fich nach Berechnungen des Stas 
tiftifchen Reichsamte der Aufbau des deutfchen Volkes nach nebenftebender bildlichen 


*) Aus dem in Rürze in I. $. Lehmanns Derlag erfcheinenden Werte: „Doll in 
Gefahr“, 24 Tafeln mit Tert. Preis etwa ME. 1.—. 

1) Das Bild zeigt die Verbältniffe der befferen Darftellung wegen auf 500 ins 
wobner. 


1933, V Der trügerifche Beburtenüberfchuß. 177 


Tafel 3. 
Der trügerifhe Beburtenüberfhuß Deutfchlands. 
Auf 500 der Bevdllerung trafen im Jahre 1932 


in Deutfdhland 










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Todesfälle 


178 Volt und Kaffe. 1933, V 
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Tafel 4. 
Die Bergreifung des deutfhen Boltes. 
Zunahme der Greife — Ridgang der Rinder. 


Jahr: 1910 1930 1945 1975 2000 











65 jährig . Millienen 
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1945 


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Millionen ——n wer k 


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" 3.8 


1933, V Bas deutfche Doll bat in Wirklichkeit feinen Beburtenüberfhuß mebr. 


Tafel 5. 
Das deutfche Bolt hat in Wirtlichteit Teinen Geburtenüberfhuß 
Auf 500 der Bevölkerung trafen im Jabre 1931 
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179 


mehr. 


in Deutfhland 


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Geburten 


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Todesfälle 


in Berlin 


Geburten 


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Todesfälle 


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180 Volt und Kaffe. 1933, V 
EEE a Pa a a SO a ES RE —— — — 





Darftellung auf Tafel 4 entwideln: Die Gefamtbevdlterung wird vermutlid) noc 
bis 1945 eine geringe Sunabme erfabren, dann ftark zurüdgeben und im Jabre 2000 
nuc nod rund 47 Millionen betragen, d. b. foviel wie um das Jabr 1880. Gollte 
die Entwidlung in diefer Weife weitergeben, fo werden wir (nad) Burgddrfer) um 
das Jahr 2050 wieder ein 25 Millionen-Dolk fein, wie wir es nad Beendigung 
der Liapoleonifchen Rriege um 1816 gewefen find. Befonders beforgniserregend 
ift ferner die Derfchiebung des zablenmäßigen Stärkeverbältniffes zwifchen den 
einzelnen Altersllaffen. Die Zahl der unter ı5jäbrigen, die im Jahre 1910 noch 
19,6 Millionen betrug, fällt, trotg des vorübergebenden Bevöllerungszuwachfes bis 
1945, ununterbrochen und wird ums Jahr 2000 vorausfichtlidh auf 7,6 Millionen 
berabgefunten fein. — Gerade entgegengefegt entwidelt fich die Zabl der über 
68 jährigen, meift nicht mebr arbeitsfäbigen Bevdlkerung. Während fie 1930 nur 
2,8 Millionen betrug, wächft fie bis 1975 auf 9,2 Millionen an und wird im Jahre 
2000 immer noch 7,8 Millionen betragen. Im Jabre 1910 traf auf 7 Rinder unter 
15 Jahren ı Erwachfener über 65 Jahren, um das Jahr 2000 wird das Verbaltnis 
ungefäbr 1 : 1 fein, da dann 7,8 Millionen Greifen nur 7,6 Millionen Rinder ges 
genüberfteben. Auf eine über 60 Jahre alte Perfon kommt fchon beute nur nod 
ı Rind unter 6 Jahren, während es 1910 noch zwei gewefen find. Sinnfälliger 
kann de drohende Dergreifung des deutfchen Volkes nicht zum Ausdrud gebracht 
werden! 


Das deutfche Wolf hat in Wirklichkeit feinen 
Beburtenüberfhuß mehr.” 


(Tafel 5.) 


Wir baben auf Grund des vorbergebenden Bildes gefeben, daß die Zahl 
dee Sterbefälle unferes Volkes nur deshalb fo gering ift, weil 3. Ft. die gegen 
Rrantheit und Giechtum widerftandsfabigften Altersklaffen befonders ftark vers 
treten find, während die dem Tode am meiften ausgefegten Altersflaffen (LTeus 
geborene, Säuglinge, Rleinktinder einerfeits und Greife andererfeits) zahlenmäßig 
weit zurüdfteben. Da die gegenwärtig ftark befetzten Jahrgänge allmählich ins 
Greifenalter eintreten werden, fo muß in verhältnismäßig kurzer Zeit eine grund: 
legende Derfchiebung des Altersaufbaues ftattfinden. Die Solge Savon wird ein 
ftarfes Anfteigen der Sterbefälle fein, ohne daß durch die fhwach befegten ins 
beiratsfähige Alter aufrüdenden jungen Jahrgänge auf der Geburtenfeite cin Aus- 
gleidy gefchaffen werden kann. 

Tafel 5 zeigt, wie die Derbältniffe in Wirklichkeit liegen und daß Deutichs 
land nicht mebr in der Lage ift, feinen Bevölterungsbeftand aus eigener Rraft 
zu erhalten. lach den bereinigten Zablen betrug der Beburtenverluft auf das 
Taufend **) der Bevölkerung im Jabre 1926 = (—) 0,4; 1928 = (—) 1,6; 1930 
= (—) 2,6; 1931 = (—) 4. Statt mindeftens 17,4 a. T., wie es nach Berechnungen 
von Burgdörfer zur Erhaltung des Volktsbeftandes erforderlich wäre, werden nur 
nod) 13,4 Rinder auf 1000 Einwohner in Deutfchland geboren. 

Das ift der Anfang eines rubmlofen Endes. Wir find ein fdhrumpfendes 
Volt geworden, das weder dem friedlichen Anfturm durch Unterwanderung, noch 
einem gewalttätigen Angriff feiner geburtsftarten Klachbarvölter auf die Dauer 
ftandbalten wird, wenn nicht eine Wendung zum Befferen, die wir alle erftreben 
müffen, eintritt. 


*) Aus dem in Rürze in I. $. £ebmanns Verlag erfdeinenden Werke: „Volt in 
Gefahr”, 24 Tafeln mit Tert. Preis etwa Mi. 1.—. 

**) Das Bild zeigt die Derbältniffe der befferen Darftellung wegen auf 500 Eins 
wobner. 





1933, V Aus Raffenbygiene und Bevdlterungspolitit. 181 
A aa a a — 





Aus Raſſenhygiene und Bevoͤlkerungspolitik. 


Geſetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchſes. 


Wenn man zurückdenkt, welch umftändliches Sin und Her von Erwägungen und Eins 
wänden die bisherigen Entwürfe von Sterilifierungsgefegen in Deutichland i i baben, 
ift man wieder über alle Maen erftaunt, mit welder Jiclfiderbeit und Entfciedenbeit 
dte nationale Regierung an die Verwirllidung einer außerordentlich widtigen rcaffens 
bygieniihen Maßnabme urd den Erlaß eines Gefeges zur Derbütung erb> 
tranten Tahwudfes gegangen ift. Bewußt wurde die ganze Verfügung nur auf eine 
beftimmte Gruppe von Erbtrantheiten beichräntt und Verbrecher und Serualverbreder nicht 
miteingefchloffen, was für die foziale Wertung der betroffenen rbtranten pirdologiie 
zweifellos von großer Bedeutung ift. Eine Regelung diefer zweiten Srage wird aber Aufs 
a weiterer gefeglicher Dorfdriften fein. Wir geben im Solgenden den Wortlaut des 
efeges: 

, J. (1) Wer erbtrant ift, tann durch dhirurgifhhen Eingriff unfrudtbar gemadt 
(fterüilfiert) werden, wenn nad den Erfahrungen der Arztlidhen Wiffenfchaft mit großer 
Wabrfceinlichkeit zu erwarten ift, daß feine Llachlommen an fchweren körperlichen oder 
geiftigen Erbfhäden leiden werden. 

(2) Erbtrant im Sinne diefes Gefeges ift, wer an einer der folgenden Krankheiten 
eidet: 

I. angeborenem Schwadfinn, 

2. Schizophrenie, 

3. 3irtulärem (manifdsdepreffivem) Irrefein, 

4. erblider Sallfudt, 

5. erblidem Deitstan; (Suntington{de Chorea), 

6. erblicher Blindbeit, 

7. erblidder Taubbeit 

8. fcdbwerer erblider körperlicher Mißbildung. 

(3) Serner kann unfructbar gemadt werden, wer an fdwerem Alkoholismus leidet. 

§ 2. (1) Untragsberedtigt ift derjenige, der unfrudtbar gemadht werden foll. If 
diefer gefchäftsunfähig oder wegen Geiftesfdbwade entmündigt oder bat er das adhtzebnte 
Lebensjahr noch nicht vollendet, fo ift der gefegliche Vertreter antragsberedhtigt; er bedarf 
dazu der Genehmigung des VDormundfdaftsgeridts. In den übrigen Sällen befchräntter 
Geichäftsfähigkeit bedarf der Antrag der Zuftimmung des gefeglichen Vertreters. Hat ein 
DVolljähriger einen Pfleger für eine Perfon erbalten, es ift deffen Zuftimmung erforderlich. 

(2) Dem Antrag ift eine Befceinigung eines fir das Deutfche Reich approbierten 
Arztes beizufügen, daß der Infruchtbarzumadhende über das Wefen und die Solgen der 
Unfrudtbarmadung aufgetlart worden ift. 

(3) Der Untrag tann 3urtddgenommen werden. 

§ 3. Die Unfrucdtbarmadhung tdnnen aud beantragen 

J. der beamtete Arzt, . 

2. für die Infaffen einer Krantens, ceils oder Pflegeanftalt oder einer Strafanftalt 

der Anftaltsleiter. 

$ 4. Der Antrag ift fcdriftlid oder zur Miederfchrift der Gefdaftaftelle des Erbs 
gefundbeitsgerichts zu ftellen. Die den Antrag zugrunde liegenden Tatfaden find dur 
ein ärztliches Butadıten oder auf andere Weife glaubhaft zu machen. Die Gefdäftsftelk 
bat dem beamteten Arzt von dem Antrag Kenntnis zu geben. 

$ 5. Zuftändig für die Entfcheidung ift das Erbgefundbeitsgericht, in deffen Bezirk 
der Unfruhtbarzumadyende feinen allgemeinen Berichteftand bat. 

$ 6. (1) Das Erbgefundbeitsgericht ift einem Amtsgericht anzugliedern. Es beftebt 
aus einem Amtsrichter als Vorfitzenden, einem beamteten Arzt und einem weiteren für 
das Deutfche Reich approbierten Arzt. der mit der Erbgefundbeitslehre befonders vertraut 
ift. Kür jedes Mitglied ift ein Vertreter zu beftellen. 

(2) Als VDorfitender ift ausgefchloffen, wer über einen Antrag auf vormundſchafts⸗ 
gerichtliche Genebmigung nad $ 2 Abf. 3 entfchieden bat. Hat ein beamteter Arzt den Ans 
trag geftellt, fo kann er bei der Entfcbeidung nicht mitwirten. 

7. (3) Das Verfahren vor dem Erbgefundbeitsgericht ift nicht Sffentlich. 

(2) Das Erbgefundbeitsgericht bat die notwendigen Ermittelungen anzuftellen; es 
kann Zeugen und Sachverftändige vernehmen fowie das perfönlidhe Erfcheinen und die Arzts 
lice Unterfucdung des Unfrudtbarzumadenden anordnen und ihn bei unentjchuldigtem 


182 Dolt und Raffe. 1933, V 
a EEE u EEE EEE EEE SE 





Ausbleiben vorführen laffen. Auf die Dernebmung und Beeidigung der Zeugen und Sac: 
verftändigen fowie auf die Ausfchliegung und Ablehnung der Geridtsperfonen finden die 
Vorfchriften der Zivilprozegordnung finngemäße Anwendung. Arzte, die als Zeugen oder 
Sadrverftändige vernommen werden, find obne Rüdfidht auf das Berufsgebeimnis zur 
a. verpflichtet. Geridtss und Derwaltungsbebdrden fowie Rrantenanftalten baben 
dem Erbgejundbeitsgeridht auf Erfudhen Auskunft zu erteilen. 

$ 3. Das Gericht bat unter Beridfidtigung des gefamten Ergebniffes der Ders 
handlung und Beweisaufnahme nad freier Überzeugung zu entfcdheiden. Die Beichlußfafs 
fung erfolgt auf Grund mündlidher Beratung mit Stimmenmebrbeit. Der Befdlug ift 
fhriftlidh abzufaffen und von den an der Befchlußfaffung beteiligten Mitgliedern zu unters 
fchreiben. Er muß die Gründe angeben, aus denen die Unfrudhtbarmadhung befchloffen oder 
abgelehnt worden ift. Der Beichluß ift dem Antragfteller, dem beamteten Arzt fowie dems 
jenigen zuzuftellen, deifen Unfrudtbarmadhung beantragt worden ift, oder, falls diefer 
nidht antragsberedhtigt ift, feinem gefeglichen Vertreter. 

§ 9. Gegen den Beihluß können die im $ s Sag 5 bezeichneten Perfonen binnen 
einer Vlotfrift von einem Monat nad der Fuftellung fadriftlid oder zur Fliederfchrift der 
Geichhäftsftelle des Erbgefundbeitsgerichts Befchwerde einlegen. Die Beſchwerde bat auf: 
fhiebende Wirkung. Über die Trefhwerde entfcheidet das Erbgefundhbeitsobergeridht. Gegen 
die Derfäumung der Befchwerdefrift ift Wiedereinfegung in den vorigen Stand in ents 
fprechender Anwendung der DVorfchriften der Zipilprozeßordnung zuläffig. 

$ 10. (1) Das Erbgefundbeitsobergericht wird einem Oberlandesgericht angegliedert 
und umfaßt deffen Bezirk. Es beftebt aus einem Mitglied de3 Oberlandesgeridts, einem 
beamteten Arzt und einem weiteren für das Deutiche Reich approbierten Arzt, der mit der 
Erbgefundbeitslebre befonders vertraut ift. Sür jedes Mitglied ift ein Vertreter zu beftellen. 
§ 6 Abf. 2 gilt entfpredend. 

(2) Auf das Derfabren vor dem Erbgefundbeitsobergericht finden $$ 7, 8 entfprecdhende 
Anwendung. 

(3) Das Erbgefundbeitsobergeridt entfcheidet endgültig. 

§ 33. (1) Der zur Unfrudtbarmacdhung notwendige cdirurgifdhe Eingriff darf nur 
in einer Rrantenanftalt von einem für das Deutfebe Reich approbierten Arzt ausgeführt 
werden. Diefer darf den Eingriff erft vornehmen, wenn der die Unfruhtbarmadhung 
anordnende Befdlug endgültig geworden ift. Die oberfte Landesbebdrde beftimmt die 
Krantenanftalten und Arzte, denen die Ausführung der Unfrucdtbarmacdhung überlaffen 
werden darf. Der Eingriff darf nicht durch einen Arzt vorgenommen werden, der den 
Antrag geftellt oder in dem Verfahren als Beifiger mitgewirkt bat. 

C2) Der ausführende. Arzt bat dem beamteten Arzt einen fchriftlidden Bericht über 
die Ausführung der Unfrucdtbarmadhung unter Angabe des angewendeten Verfabrens 
einzureichen. 

$ 12. (1) Hat das Geriht die Unfrudhtbarmahung endgültig beichloffen, fo ift fie 
aud gegen den Willen des Unfruchtbarzumadhenden auszuführen, fofern nicht diefer allein 
den Antrag geftellt bat. Der beamtete Arzt bat bei der Polizeibehbärde die erforderlichen 
Maßnahmen zu beantragen. Soweit andere Maßnahmen nicht ausreichen, ift die Ans 
wendung unmittelbaren Zwanges zuläffig. 

(2) Ergeben fic Umftände, die cine nochmalige Prüfung des Sachverhalts erfordern, 
fo bat dae Erbgefundbeitsgericht das Verfahren wieder aufzunehmen und die Ausführung 
der Unfrudtbarmadung coe zu unterfagen. War der Antrag abgelehnt worden, fo 
ift die Wiederaufnahme nur zuläffig, wenn neue Tatfacdhen eingetreten find, welde die 
Unfrudtbarmadhung redtfertigen. 

§ 13. (1) Die Roften des gerichtlidhen Verfahrens tragt die Staatslaffe. 

(2) Die Roften des ärztlichen Eingriffs trägt bei den der Rrantenverfiderung ans 
gebörenden Perfonen die Rrantentaffe, bei anderen Perfonen im Salle der Hilfsbedürftigkeit 
der Sürforgeverband. In allen anderen Sallen trägt die Roften bis zur Hdbe der Mindeft: 
fätze der ärztlichen Gebübrenordnung und der durdhfchnittlihen Pflegefäge in den sffent: 
lien Krantenanftalten die Staatskajfe, darüber hinaus der Unfruchtbargemadhte. 

§ 14. Eine Unfruhtbarmabung, die nicht nach den Vorfchriften diefes Gefeges 
erfolgt, jowie eine Entfernung der Reimdrüfen find nur dann zuläffig, wenn ein Arzt fie 
nah den Regeln der ärztlichen Runft zur Abwendung einer ernften Gtiabr für das Leben 
a die Gefundbeit desjenigen, an dem er fie vornimmt, und mit deffen Einwilligung 
vollziebt. 

$ 15. (1) Die an dem Verfahren oder an der Ausführung des hirurgifchen Eingriffe 
beteiligten Perfonen find zur Verfhwiegenbeit verpflichtet. 


1933, V Budbefpredungen. 183 





(2) Wer der SGahweigepflidt unbefugt zuwiderbandelt, wird mit Gefangnis bis 3u 
einem Jabre oder mit Geldftrafe beftraft. Sie Derfolgung tritt nur auf Antrag ein. Den 
Antrag fann audy der Vorfitzende ftellen. 

§ 36. (1) Der Vollzug diefes Gefeges liegt den Landesregierungen ob. 

(2) Die oberften Landesbehörden beftimmen, vorbebaltlidh der Dorfdriften des 4 6 
Abf. ı Sat ı und des $ 10 Abf. ı Sat ı, Sitz und Bezirk der entfcheidenden Geridte. 
Sie ernennen die Mitglieder und deren Vertreter. 


§ 17. Der Reicheminifter des Innern erläßt im Einvernehmen mit dem Aeiches 
minifter der Juftiz die zur Durdfubrung diefes Gefeges erforderliden Redtss und Vers 
weltungsvorfcdhriften. 


$ ı8. Diefes Gefeg tritt am ı. Januar 1934 in Kraft. 


Raffenhygienifdher Arzte-Schulungsturs des Landesamtes für Rafjewefen 
in Thüringen. 


Bas tbüringifche Landesamt für Raffewefen bat den erften raffebygienijchen 
Sculungsturs für Amtaärzte, SA.» und SS.sArzte vom 1).—14. Aug. in der Staatss 
führerfchule zu Egendorf erfolgreih zur Durdhführung gebracht. 84 deutfche Arzte, die in 
der vorderften Sront für die Doltsgefundbeit kämpfen, wurden mit dem widhtigften Rufts 
zeug für die zur Rettung der gefunden Erbftämme unferes Volles notwendigen Maßs 
nehmen verfeben. Die Rursteilnehmer follten damit befähigt werden, Dererbungen und 
Ebeberatungen aller Art durdhzufübren, Erbgefundbeitszeugniffe zur Erlangung des Ehe⸗ 
ftandsdarlebens auszuftellen, bevölterungsbiologifche Erbebungen anzubabnen, begründete 
Anträge für Sterilifierung an das Landesamt zu richten und bei jeder Gelegenbeit mit Rat 
und Tat für die raffifchen und bevälterungsbiologifhen Belange kraftvoll einzutreten. Der 
ganze Lehrplan des Schulungskurfes zielte ftreng auf die Berdbigung der Teilnebnier zu 
den rettenden Sofortmaßnahmen ab. Desbalb wirkten außer eigenen Thüringer Rräften 
bervorragende Sachvertreter von auswärts mit. Die Tagungsfolge war folgende: 

Dicettor Or. Burgdörfer, Berlin: Die bevölkerungspolitifche Lage. Med. Rat Dr. 
Sung, Stadtroda: Die Grundlagen der Dererbungslebre und der Raffenbygiene. Priv.sDo3. 
Dr. Rürten, Halle: Die Bedeutung der nordifcen Kaffe für das deutfche Voltstum. Staates 
minifter «.D. Dr. Müller, Darmftadt: Der Sachperftändigenbeirat des KReichsminijters 
des Innern für Bevslterungss und Raffenpolitit. Obermedizinalrat Dr. Boening, Stadts 
roda: Befidtigung mit diagnoftifden und erbprognoftifden Übungen an Geiftestranten, 
Pſychopathen, Shwadfinnigen und Surforgesdglingen in der Landesbeilanftalt Stadtroda. 
Präfident Dr. Aftel, Weimar: Methoden der erbbiologifden Samilientunde. Prdfident Dr. 
Aftel, Weimar: Seminar für Ausftellung der eigenen Abnens und Sippfchaftetafel. Obers 
arzt Dr. von Gavel: Bejidtigung mit Siagneitifihen und erbprognoftifchen Demonftras 
tionen und Übungen an Rrüppeln im Marienftift zu Arnftadt. Dr. Schulz, Münden: 
Metboden der erbbiologifden Lrbebungen. Priv.sHo3. Dr. Lurenburger, München: 
Empicifdhe Erbprognofe und ihre bisberigen Ergebniffe. Direktor Dr. Burgdörfer: Über 
Bevditerungspoliti® mit befonderer Berucdfidtigung des Ausgleichs der Samilienlaften. 
Präfident Dr. Aftel, Weimar: Seminar für Dererbungss und ebeberatund, Ronftitutionss 
en non Organifation des XRaffewefens in Thüringen und weitere praltifche 

bungen. 

Weitere dbnlihe Rurfe find vom Landesamt für Raffeweien geplant. 


Norwegen fordert biologifhe Überprüfung der Einwanderer. 


Eine Reihe von norwegifden Srauenverbanden baben in diefem Srübling größere 
Derfammlungen abgehalten, und Adreffen an Regierung und Storting gefandt, mit der 
Aufforderung, das Land gegen fremde minderwertige Raffenelemente zu fehügen. In 
Oslo wurde nady einem Vortrag von Dr. Jon Alfred Mioen, Vorfigender des Eugenifchen 
Komitees folgender Beichluß verfaßt: „Der Verband befchließt die dringlidhe Auffordes 
rung an die Regierung zu fchiden, dem Storting unverzüglich eine Vorlage zu unterbreiten 
zu einem Befeg zur biologifchen Kontrolle der Einwanderung und zur Unfrudtbarmadung 
minderwoertiger Bevdlterungselemente unter Hinweis auf die bereits vorliegenden Dors 
fchlage des Ratgebenden Morwegifden Romitees für Raffenbygiene und der norwegifden 
Strafgeſetzkomitees.“ 


184 Volt und Kaffe. 1933, V 








Deutſche Gefellihaft für Raffenhygiene. 


Mir der Sübrung der Drtsgruppen, Fleubildung des Vorftandes und dSrtliden Subrer: 
rates wurden weiterhin folgende syerren betraut: 


reer g. Geb. MNed.sRat Or. Gerlad, 
Münfter i. Weſtf. Profeffor Dr. Befferer, 
Solingen: Dr. Bidenbad. 


Buchbefprechungen. 


an Kleinfhmidt: „Kurzgefaßte deutfche Raffenkunde.“ Armanenverlag Leipzig 1933. 
289. NE. —.90. 


Schon der Titel ift eine einzige grobe Irrefübrung. Die Schrift ift nicht „tursgefaßt 
fondern bietet auf ihren 28 Seiten ein beillofes Durcheinander wirrer Begriffe, aus Dogels, 
Infeltens und Menfchenwelt bunt zufammengewürfelt. Die Schrift ift auc keine , Raffens 
funde“, denn der VDerfaffer vermag nicht einmal den Begriff der Raffe Elar zu umreißen, 
ganz davon zu fchweigen, daß er die in Deutfchland vertretenen Aaffen aud nicht einmal 
andeutungsweije zu befchreiben verfuht. err Aleinfhmidt macht es fic bequemer: er 
tennt nur eine deutjche Kaffe. Seine Rechnung ift dabei febr einfadh: „deutiche“ Schnedens 
raffen find nicht einheitlid —, ftandinapifche find es noch weniger. „Der Einwand, die 
deutfche Kaffe fei nicht einheitlich, befagt alfo nichts gegen ihren Kaffenwert“ folgert Serr 
Rleinfhmidt. „Genau fo kann man“, fagt weiter Herr Rleinfhmidt, „auch alle deutjchen 
Menfchen, die nicht dirett (!) fremöblütig find, als eine einheitliche Raffe, homo sapiens 
germanicus (J. B. Sifcber) (der Mann lebte 1829) auffaffen. Man wird zugeben müffen, 
daß, mit dem !Millimetermaß gemeffen, fid) nod weitere Bliederungen vornebmen 
laffen...” Gewiß, mit dem Rilometermaß gemeffen find ja für Herrn Rleinfhmidt ein 
Slob und ein Elefant vielleicht auch eine Ratfe. Und wir bören denn ja aud in diefem 
Ginne: ,Ganz genaue Raffenunterfdiede tann man bei Tier und tNenfd nur an Leiden 
mit hilfe des anatomischen Meffers maden.“ Aber nun vom Aumoriftifchen abgefeben! 
Wir erinnern uns nod der Zeit, da ein Herr Jitis eine ,vollstimlide” Raffentunde mit 
bewußt Iamardiftifcher und marriftifcher Tendenz berausgab. Wir erinnern une, daß von 
Herrn Weidenreich⸗Frankfurt a. M. und Herrn Peters (früber Pereles), Jena, 
in gleidem Sinne über „Raffe und Geift” geferieben wurde, und man Raffe als „geos 
grapbiiche Varietät“ binzuftellen beliebte. Wir feben keinen Unterfchied, wenn nun ein 
Herr Rleinfhmidt mit eiferner Seder binfchreibt: „daß es aber in der yauptfache 
dod) (!) das Klima war, das die Raffenunterfcbiede bedingte“. Und wenn er unter mit 
„ein Schotte”, „ein Schwede” und „ein Deuticher” bezeichnete Bilder die Unterfcrift fest: 
„die drei germanischen Raffen“. Wir fragen nicht, ob das Unfähigkeit oder Unwiffenbeit 
oder Boswilligteit ift. Uns intereffiert nur der Erfolg einer foldben Schrift, und der ift 
bodenlofe Irreführung der Lefer. Wir wiffen nicht, wie der Armanenverlag, in dem 
fonft die von Dr. Rulz herausgegebene „Sonne“ erfcheint, dazu fommt, eine foldhe Schrift 
auf den Markt zu werfen, in der jeder dritte Sag eine Läherlibmadhung der ernitbaften 
Raffentunde bedeutet, wie 3. B. der folgende: „Es ift wohl nody nicht unterfucht, ob 
warme Ropfbüllen die Entwidlung von Blondbaar begünjtigen.“ Wir fragen nur, was 
eine ftaatlih geförderte Bevölkerungspolitit dazu fagt, wenn Vollsgenoffen in einer fur 
90 Pfennig in jedem Laden gu bhabenden Slugfcrift, die mit einem Zitat Hitlers beginnt, 
lefen: „... man muß wiffen, daß man eine Nenfcenraffe nice Punftlicd Hdber zuchten 
fann wie cine “auatierraffe, daR e8 vielmebr gerade die Domeftilationsgefabr, fozufagen 
die Treibbausluft ift, was die Raffe gefabroet... Raffe tann erbalten werden oder auss 
fterben, wie der fdlefifde Apollo ausgeftorben ift und fid) nie wieder durd now fo forg: 
faltige tege (!) neu ausgefegter Tiere neu beranzüdten läßt... Cine berednende 
Raffenwabl pakt dazu ebenfowenig, wie eine berechnende Geldbeirat... Man darf die 
Juden der Dergangenbeit nicht mit denen der Gegenwart gleidfegen. Man darf die beute 
beftebenden Tatjadhen nicht ubertreiben.” Gewig, Herr RKleinfcdmidt, man dsarf aud in 
feinem Eifer nicht zu weit geben! Und das baben Sie in einer Weife getan, die fich die 
deutiche ARaffentunde und die deutfche Raffenbygiene nicht bieten laffen wird. 
£otbar Stengel:svon Rutlowfti. 


ole in Gefaby 


Rafienhygiene und Bevslterungapolitit 
als widtigite Aujgaben des neuen Staates. 





Mit 24 ganzjeitigen Bildtajeln. Preis etwa RM. 1.—. 


Ausdem Snhalt: Riidgang ber ehelichen Fruchtbarkeit, ber Geburten, 
der Sterblichkeit / Der trügerifche Geburtenüberjchuß / Altersaufbau des 
‚deutihen Bolfes 1910 und 1925 / Die Großjtadt al3 Mafjengrab des 
Bolfes / Kinderarmut erhöht die jozialen Lajten / Beruf, foziale Stel- 
fung und Sinderzahl / Die Drohung des Untermenjchen Riidgang der 
Volliwartigen, Zunahme der Mindermwertigen / Konfejfion und Sinder- 
zahl / Rafje und Kinderzahl / Ausgaben für geiftig und förperlich Ge- 
brechliche / Die Fruchtbarkeit europäifcher Völker / Geburten und Tode3- 
fälle Deutjchlands im Vergleich zu den umliegenden Ländern / Die 
boraugjichtlihe Bevölferungsentwidlung Deutjchlands im Vergleich zu 
den umliegenden Ländern, in 30 Jahren. 


3. 8. Zebmanns Derlas / Miinwhen 2 SB, 


all 
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5 
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= 





Hole und Staat 
in ihrer Stelluns 
zu Dererbung und 
Ausleie 


Don Prof. Dr. Hans $. K. Günther 
Geh. AM. 1.20 


Das kommende Geschlecht 


Zelischrift fir Eugenik 
Ergebnisse der Forschung 
Herausgegeben von Eugen Fischer, Hermann 
Muckermann und Otmar Frh. v. Verschuer 





Wesen der Eugenik 
und Au — der Gegenwart. In Prof. Dr. 
Herm. Muckermann. (V!j). M.2 
Bevölkerungsfrage 
und Steuerreform. Von Dr. fr. Burgdörfer, 
Dir. i. Statist. Reichsamt. (V4/s). M. 3.35 


Erbschädigung beim Menschen 
Von Prof. Dr. Eugen Fischer (V/6). M. 1.80 


| 
| 
J Eugenische Eheberatung 
Von Prof. Dr. Herm. Muckermann u, Prof. 
| Dr. O. Frh. v. Verschuer (VI?/;). M. 2.50 


Der Ausgleich der Familienlasten 
\ Von Prof. Dr. Fritz Lenz (VI/3). M. 2.25 


Die Ehe- und Familiengesetzgebung 
in SowjetruBland und die Eugenik. Von Dr, A. 
Niedermeyer (VI4/,). M. 3.40. 


Erzichungsprobleme 
im Lichte von Erblehre oe pages Von Prof. 
Dr. G. Just (VII/1). M. 2 

Die neuropathische — 
Mit Vorschlägen zum Ausbau d. Familienfor- ccusesccenscccusnsocncscusussnsscenssscccssssencsosass 
schung. Von Priv.-Doz. Dr. F. Curtius, (VII/2). Minden 2 Sw. 


M. 2.80 3.5. Schmanns Serie: 
Ferd. Diimmlers Verlag, Berlin SW 68 u. Bonn ; 


Günther fordert, daß der 
Staat mebr als bisher Lehr. 
meijter und Zuchtmeijter wird, 
wobei an die Aufklärung über 
richtige Gattenwahl,. andrer- 
jeits an die Unfrudtbar- 
madung Windermertiger ge 
dacht wird. Diefe fleine Schrift 
verdient weitejteDerbreitung. 








Die neue 
Rartei für Familienforfchung 


nad Syjtem Dr.-Ing. Hans Göb, DD]. 
(D.R.6.M. Nr. 1 258 328) 


foftet 15 Mart 


Wir verweijen auf den Aufjak des Derfafjers im Juli-Heft von ,Dolf und Rajje* über 
„Ahnen= und Stammtafeln in Karteiform”. 


Zwei Urteile: 
„Wir beglüdwünfchen Sie zu Ihrem Syjten, das eine außerordentlich praftiihe Zöjung 
daritellt.“ „Roland“, Dresden. 
„Ihr Dorfchlag und die Art, wie er ausgearbeitet ijt, bedeutet nichts anderes als die 
Lölung eines Problems, das alle Samilienforjher — aud midy — eit je er nicht bloß 
— nein geradezu gequält hat. Ich beglückwünſche Sie zu Ihrer öſung und ver⸗ 
fihere Ihnen, daß ich fie nicht allein jelbjt benußen, jondern aud allen würfoiern aufs 
nchen. 


wärmijte empfehlen werde.“ Archivdireftor Prof. Dr. Striedinger, 
3.5 CehmannsDerlagry Mind en2 SW. 


— “> 


Pr 


Verantwortlid für die Schriftleitung von „Volk und Raffe“: Dr. Bruno R. Schuls, — — — 


Verantwortlich für den Anzeigenteil: Guido Haugg, München. — —— J. J. Lehinann, 
Druck von Dr. F. DB. Datterer & Cie, Freifing- Münden. 


si 
. 
J 














Dort one Kaffe nr 


| Fluftrierte Monatsfchrift für-deutfches Volkstum 
| = Raffenfunde Raffenpflege 


Zeitfchrift des Reichsausfchuffes für Volksgefundbeitsdienft und 
der Deutfchen Gefellfehaft für Raffenbygiene. 












£ Zu |) 
— ee ee ER . 





Prof. Schul g e⸗Naumburg (Weimar), Prof. Staemmler (Cyemnig), Dr. ran B 
Dir. Zei (Srankfurt a. M.) ¥ > 


Sariftleiter: Dr. Bruno Kk. Shuls, Münden | 
!eubauferftraße 51/3. 


* 














8. Jahrgang Heft 6 Oftober Gubbharh 1933 
Inhalt: | F 
Rafjenbild: Deutiches Madden . . . . . — Seite 185 
Sojeph Gottlieb Kölreuter zum 200. Geburtstag Bon ——— Dr. ern 
Lehmann, Tübingen. (Mit I Abbildung) - - „1883 
Die Raffenzufammenfehung des ejtnijchen Volkes. ai ) Bon Dr. — — 3 
hardt, München. (Mit 17 Abbildungen). . . - —— 190 
Raſſenkunde und Volksſchule. Von Dr. Karl Mierke, Göttinge 41198 
Riidgang der Bollwertigen — Zunahme der Minderwertigen . . . . » 201 
Aus Rafjenhygiene und Bevöllerungspolitit . . . . .... . | 5 204, 
Deutjhe Gejellfdaft für Raffenhygine . . . . . . . 2. 222 2 „a 
Reihsausihur für Volfsgefundheitsdienft . . . . 2 2 2. mn un „ 205 | 
en... re a PTE „ 206, 
mumperpredungen =. www wk ee ee » 206 


ee | eS | 






Besu spreis vierteljabrlid) RUM. 2.—, Einzelbeft RA. —.70, Poftfchedtonto des Derlags Minden 129; 
Doftfpartaffentonto Wien 595 04; Poftfhedttonto Bern Fir. III 4845; Rreditanftalt der ' 
Deutiden in Prag, Rratauer Gaffe 11 (Doftidedtonto Prag 627 30). 


I. $. Lebmanns Verlag 7 Münden 2 SW. / Paul Heyſe⸗Str. 26 


er 


Dolt und Kaffe, 8. Sabra. 1933, Seft 6 


3. §. Lebmanns Verlag, Minden 


Ber Verlag bebält fidy das ausfchließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der 
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor. 





| Deutfches Mädchen 


| Ausdrud und Sormen vorwiegend nordild. 


Dolf und Raffe. 1933. Oftober. 15 


186 Volt und Kaffe. 1933, VI 








Sofeph Gottlieb Adlreuter 
zum 200. Geburtstag. 
Don Prof. Dr. Ernft Lebmann-Cubingen. 


Unter allgemeiner Beteiligung der Bevölkerung fand auf Einladung des 
deutichen Biologenverbandes, zablreidher Vereine wie der Univerfität Tu- 
bingen in dem reichbeflaggten Shwarzwaldftädtcdhen Sulz a. IT. am 27. April 
die Seier des 200. Geburtstages von Jofepb Gottlieb Rölreuter ftatt. 
Die unten wiedergegebene Sejtrede bielt Profeffor Dr. Lebmann, Direftor 
des Botanifcden Inftituts Tubingen. 


De tiefinnere Bewegung, welche unſer 
deutſches Volk ergriffen hat, die Idee 
der völkifchen Derbundenbeit, die alles Deut: 
fhe immer ftürmifcher eroberte, drängt im 
Innern und Außern bin zur Erfaffung des 
Volkes als organifdhes Ganze. 

Aus tieffter Intuition beraus find uns 
die Wege aufgezeigt worden, weldye zur 
Erfüllung der volkifchen Sebnfucht führen 
follen. 

Gewaltige Schritte wurden, wabrbaft 
begeifternd, vor allem in den legten Wochen 
und Monaten zurüdgelegt, das äußere Ziel 
zu erreichen. 

Uns allen aber, denen die Pflege der 
Geiftesguter des deutfchen Volkes obliegt, 
erwächft die Pflicht, im Rabmen der großen 

Jofepb Gotlich Roireuter. Voltsbewegung eine Grundlage im Innern 

zu fcaffen, eine Erfaffung der deutfchen völ- 

Eifhen Banzbeit. Die Wiffenfchaft auf allen Gebieten bat bier an die Arbeit zu 

geben in fefter unerfchütterlicher Überzeugung, daß nur auf dem Boden unantaft: 

barer wiffenfchaftlicher Wabrbeit die großen Ziele unverrüdt erreicht werden können. 

- Die Welle begeifternder Tage und Wochen verebbt; die Grundfeften des 
neuen Gebäudes find von innen ber feft und ficher zu gründen. 

Yiun baben wir uns verfammelt, am 200. Geburtstage eines Mannes, deffen 
Ideen von diefer Schwarzwaldftadt Sulz binaus in die Welt gegangen find. In 
der Apotheke am Markt wurde am 27. April 1733 Jofepb Gottlieb Aolreuter 
geboren. 

Wenn der Sulzer Bürger bislang über feinen Markt wanderte, fo dachte 
er wobl kaum daran, daß da drüben ein Mann betanwuche, deffen Geiftestaten 
weitbin über die Welt betannt wurden. Auch außerbalb der Mauern von Sulz, 
in ganz Deutfchland, ift der KTame Aolreuter jenfeits der Gelebrtentreife nur wenig 
betannt geworden. Die Gelebrten aber bielten und balten große Stüde auf Köl: 
reuter. Im Jabre 1893 erfcbienen in Oftwalds Alaffitern der erakten KTaturwiffen: 
fcbaften, neu berausgegeben von einem meiner Vorgänger auf dem Tübinger £chr: 
ftubl für Botanik, Wilbelm Pfeffer, die Hhauptwerte Rölreuters. So ging die 
Geiftesarbeit des Sulzer Rindes erneut binaus in alle Welt. Jenfeits des Ozeans, 
wo die Dererbungslebre befondere Beachtung fand, da fhmüdt das Bild Röl: 
reuters die Werke der Gelebrten. Droben in Ranada ift Rölreuter erft vor kurzem 
ein neuer Apoftel erftanden, der die HBauptwerte des Sulzer Sorfcders aud zum 
großen Teile ins Englifche überfegt bat. Und in diefen Tagen, anläßlich des 





1933, VI Ernſt £ebmann, Jofepb Gottlieb Aölreuter zum 200. Geburtstag. 187 
— —— — — a a — —————— ee EEE 





200. Geburtstages, feiern gelehrte Geſellſchaften allerorten die Taten Joſeph 
Gottlieb Rölreutere. 

Wenn aber eines Mannes Tat über zwei Jabrbunderte immer neufdaffend 
fortlebt, follte da nicht fchon deshalb die Heimat feiner dankbar gedenten? Doppelt 
angebracht aber erfcheint diefes Bedenken, da die Bedeutung der Ergebniffe von 
Rölreuters Arbeit heute weit über den Kreis der Gelehrten binauswuchs und das, 
was er entdedte und erarbeitete, uns bell voranleuchtet auf dem Wege in eine 
Zukunft, den wir zu befchreiten begannen. 

£affen Gie mid Ihnen die lage tMarftellen. | 

Wenn wir beute draußen im Schwarzwald auf fonniger Adobe oder im 
Garten am Haufe die Bienen und Salter von Blume zu Blume fi tummeln 
feben, dann wiffen wir, was die geflugelten Gafte da vollbringen; fie holen nicht 
nur den Honig aus den Blüten, ibn beimzutragen; fie pudern ficb auch ein mit 
dem DBlütenftaub, den fie dann auf anderen Bluten wieder abfegen. Left fo ers 
weden fie die Samen der Pflanzen zum Leben. 

Als Rölreuter en wurde, da wußte man das noch nicht; er war der 
erfte, der uns davon Runde brachte. Dielerlei Dinge wurden nun auf einmal Har. 

Bislang hatte man fich beifpielsweife gewundert, daß die Burken unter dicht 
verfchloffenen Srübbeetfenftern nicht gerieten; jetst wurde das fehr einfach vers 
ftändlich. Die Infelten hatten den Blütenftaub nicht weitertragen können und die 
Anregung zu Srudhts und Samenbildung blieb aus. 

Fyeute beruht die ganze pflanzenzüchterifche Tätigkeit auf diefer von Rölreuter 
gewonnenen Erkenntnis; eine ganze Wiffenfchaft von der Blütenbiologie ift aus 
diefen anfänglichen Arbeiten Rölreuters geworden. 

Wie aber hätte man auch auf die Bedeutung der Übertragung des Blutens 
ftaubs durch die Infelten kommen können, wenn man noch gar nichts davon 
wußte oder doch den anfänglichen Mitteilungen des Tübinger Profeffore Tames 
tarius nicht glaubte, daß die Pflanzen zweigefchlechtig, wie Mienfchen und Tiere 
find, und daß der Blütenftaub famt den männlichen Befchlechtszellen zu dem die 
weiblihen Samenanlagen bergenden Sruchtlnoten getragen werden muß, wenn 
eine Befruchtung zuftande kommen foll? 

Da ftebt nun Rölreuter als der WOundermann, der fand, was niemand vor 
ibm wußte; ja, er konnte die Befchlechtlichkeit der Pflanzen fchlieglich fo Klar ers 
weifen, daß er mit Recht fagen durfte: Jeder, der nach meinen Derfuchsergebniffen 
an die Befchlechtlichkeit der Pflanzen nicht glaubt, tann ebenfo meinen, es fei tiefe 
Yacht, wenn am Mittag die belle Sonne fcheint. 

Was gab ihm diefe Kraft der Erkenntnis? 

KRölreuter verließ bewußt den bis dabin fo allgemein befchrittenen Weg der 
einfachen Flaturbeobachtung und wandte fich zur Alärung durch den Verfud. 
Rölreuter ftebt, wie vor kurzem einmal gejagt wurde, zum erften Wale als der 
Biologe im weißen Laboratoriumetittel bei der Aidrung diefer Sragen. 

Rlaffifd aber nennen wir Rölreuters Arbeiten nicht nur deshalb, weil er 
bisher undurchfichtige, wichtige Dorgänge etwa halb zufällig oder nebenher Härte. 
Darum gebört Rölreuter zu den Rlaffitern der Klaturwiffenfchaften, weil er alles 
Sur und Wider mit unendlicher Sorgfalt erwog und jede Kinzelfrage durdy bes 
fonders gerichtete Derfuche beantwortete. 

Fun war Rölreuter als tief religidfer Mann feiner Tage von der weifen 
Ordnung der Klatur aufs innigfte überzeugt. So nahm er auch mit Sicherheit 
an, daß zwifchen verfchiedenen Pflanzen und Tierarten in der freien Flatur keine 
Mifchlinge oder Baftarde entftünden; aber andererfeits, überzeugt von der Ges 
fchlechtlichkeit der Pflanzen, glaubte er -ebenfo ficher, daß fich „botanifche Maul: 
efel‘‘, wie er es nannte, alfo Baftarde zwifchen verfchiedenen Pflanzenarten, bunft: 
lich durch den Mienfchen würden erftellen laffen. So ging er an die Arbeit. Heim: 
gekehrt von feiner Tätigkeit an der Raiferlichen Akademie der Wiffenfchaften in 
Petersburg entftand bier in Sulz 1761 in der Tat unter Aölreuters Haͤnden der 

ye” 


188 Volt und Raffe. 1933, VI 








erfte folche pflanzliche Maulefel. Er übertrug den Blütenftaub einer Cabalact 
auf die Blüten einer anderen Art diefer Gattung und erhielt fo einen Baftard 
swifden den beiden Tabalarten. Der Baftard aber vereinigte die Merkmale beider 
Eltern in fich und bielt die Mitte zwifchen ihnen. 

Immer weiter wurden diefe Unterfuchungen von Kölreuter dann in Calw 
bei feinem Sreunde Gärtner und nach feiner Berufung durdy den Markgrafen von 
BadensDurlad nad Rarlsrube als Profeffor der Kraturgefchichte, fpäter Bebeimer 
Hofrat, fortgeſetzt. 

Und ſo war erwieſen, daß von beiden Geſchlechtern das Erbgut auf den 
Baſtard uͤbertragen war und daß die Pflanzen ſich in ihrer Geſchlechtlichkeit im 
Prinzip durchaus ſo verhielten wie Tiere und Menſchen. 

Was aber, werden Sie fagen, bat das alles zu tun mit den großen voͤlkiſchen 
Stagen, die uns beute bewegen? Gewiß, für die Stagen der Pflanzenzüchtung, 
für Landwirtfchaft und Gärtnerei mochte allerlei gewonnen fein; niemand kann 
heute bezweifeln, daß Rölreuter bier richtunggebende Erkenntniffe erbrachte, obne 
welche die Pflanzenzüchtung und pflanzliche Baftardierungstunde der Gegenwart 
undenkbar wären. 

Was aber bedeuten die Ergebniffe darüber hinaus? 

Unmsdglidh konnte Rölreuter alles zur Vollendung bringen, als er die erften 
Schritte tat. Ein ganzes Jabrbundert verging nod, bis Gregor Mendel die 
Waffen, die Aedlreuter zuerft gefchmiedet hatte, wieder aufnahm. 

Im ftillen Rloftergarten zu Brünn, nach dem heute die Gelebrten aller Welt 
pilgern, bat Mendel erneut Baftardierungsverfuce an Pflanzen angeftelkt. Er 
bat, wie Adlreuter, Blutenftaub von einer Blüte auf die andere übertragen 
— Erbfen waren feine Hauptverfucspflanzen — und 1865 erfcdien die berühmte 
Arbeit Mendels: VDerfuche uber Pflanzenbybriden. Mier wurden die Gefeymagig: 
teiten der Dererbung, uber die Jabrbhunderte und Jabrtaufende gegrübelt und 
philofopbiert batten, entfdbleiert. 

Syatte Rölreuter wobl die Madlommenfdaft feiner Baftarde auf ibre Cigen: 
fcaften eingebend unterfucht und diefe mit den Eigenfchaften der Eltern wie der 
Baftarde verglichen, wobei er höchftwichtige Ergebniffe erzielte, fo konnte Miendel 
darüber hinaus die Stage beantworten, warum die Liadhlommen die oder jene 
Merkmale aufweifen und ficb in der oder jener Weife von den Eltern und dem 
Baftard unterfcheiden. Er konnte zudem das Auftreten der einzelnen in der Llacdhs 
u auftretenden Sormen auf beftimmte zahlenmäßige Grundlagen zus 
rudfubren. 

Go tberrafchend waren die Ergebniffe von Mendel, daß auch bedeutendfte 
Botaniker feiner Zeit, mit denen er in Schriftwechfel ftand, die Tragweite der 
Unterfuchungen nod nicht ermeffen konnten. Die Zeit war nod nicht reif. 

Erft 1900 wurden die bis dahin unbeachtet gebliebenen Mendelfchen Gefege, 
wiederum auf fehwäbifchenm Boden, im Botanifchen Garten der Univerfität Tu: 
bingen durd) Carl Correns neu entdedt und dem allgemeinen Verftandnis neu 
erfdloffen. 

Jett folgte eine wiffenfchaftliche Erplofion auf die andere. Die Mendelſchen 
Befetze konnten aus dem Verfuchsgarten auf die Verbältniffe bei Tieren und 
Menfchen übertragen werden. Es zeigte fich, daß diefelben Gefege an für die 
Erbfen, die Pflanzen der Selder und Garten, die Bewohner unferer Viebftälle und 
dic Surften unferer Welt. 

Mendels Flame tam in aller Mund. Dentmaler wurden ihm gefegt und man 
fpricht von der Dererbungslebre ale vom Mendelismus. 

Aber wenn auch Mendel siefe feften Grundlagen fur alle weitere Dererbungs: 
forfchung legte und feine Bedeutung eine außerordentliche ift — am Anfang ftand 
nicht Mendel; Kdlreuter bat die Tur in die neue Welt aufgeftoßen und den Arbeiten 
uber Dererbungslebre die Bahn frei gemacht. Miendel felbft gründet feine Arbeit 
auf Kolreuters Unterfudbungen. | 


1933, VI Ernft £ebmann, Iofepb Gottlieb Rölreuter zum 200. Beburtstag. 189 
——— ————— Er EEE Dr DES ——— 





Je groͤßere Rlarheit man uͤber die Bedeutung des Vererbungsgeſchehens 
beim Menſchen gewann, um ſo deutlicher traten alle Schlußfolgerungen hervor, 
welche aus dieſen Erkenntniſſen abzuleiten waren. 

Die allerverſchiedenſten Eigenſchaften des Roͤrpers und des Geiſtes zeigten ſich 
erbbedingt. Geſundes und Krankes wird beim Menſchen von den Eltern auf die 
Rinder nach den gleichen Geſetzen uͤbertragen, die an Pflanzen feſtgeſtellt wurden. 

Mit dieſer Erkenntnis gewann man erſt die noͤtige Sicherheit und Alarbeit 
zur Grundlegung zweier großer Arbeitsgebiete, welche als Fundament jedes voͤl⸗ 
kiſchen Staates und jeder voͤlliſchen Politik unerlaͤßlich ſind: der Eugenik und 
Raffenbygiene. 

Erbgefundbeitspflege und Raffenbygiene find heute in aller Munde. FJeders 
mann ift überzeugt davon, daß die Erziehung des WMinderwertigenbeeres, welcdes 
in der Gegenwart in Solge vieler, immer wieder erörterter Gründe ins Unges 
meffene wächt, unbedingt aufhören muß. Eine Aufartung der unfer Doll aufs 
bauenden Raffen ift im Gegenfay zu diefen heute fo bedrobliden Erfcheinungen 
erfte Pflicht aller in die Zukunft blidtenden Subrer unferes Volkes. Wir können 
von Herzen dankbar fein, daß diefe zielfegende Politik jet in die Tat umgefett 
werden foll. 

Das Kine aber muß ftets im Auge bebalten werden: Erbgefundbeitspflege 
und Raffenbygiene können als fefte Säulen eines völkifchen Staates nur dann 
unerfchütterlihe Bedeutung gewinnen, obne daß wir Sorge baben müffen, auf 
pbantaftifche Jrewege zu geraten, wenn fie ftets auf gefunder erperimentell biolos 
gifcher Arbeit gründen. 

Barint, der Sührer des Bundes zur Abwehr des Meaterialismus, des Bundes, 
der den Viamen des großen Schwaben Repler führt, fagte vor kurzem: „Die 
ganze völkifche Bewegung wird entweder biologifch, das heißt erbwiffenfchaftlich 
und ganzbeitsdentend unterbaut fein, oder fie wird nicht fein.“ 

Am Menfchen können wir nicht erperimentieren, wir Bönnen die Dererbungss 
erfcbeinungen nur nachträglich an ftatiftifchen Aufzeichnungen ablefen. Der Ders 
fud an Pflanze und Tier muß einen, ftets mit aller Dorfict auszuwertenden 
Erfatz bieten. 

So muß bier der Biologe am Eingang völkifcher Gedankenwelten fteben. 

Zum andern aber: man kann erbgefundbeitlide und raffenbygienifde Ges 
danfen und Handlungen niemals dem Volke verordnen. Das Volt muß zum Vers 
ftändnis diefer Dinge erzogen werden. Die Schule und Hochfchule hat diefe rs 
ziebung zu liefern und das VDolk biologifch denken zu lebren. 

Sie bat den jungen Menfchen unmerklich dabin zu führen, wie er erbgebunden 
auf dem biologifden Robftoff feines Blutes aus fich felbft feine eigene Perfönlichs 
keit auszubilden bat; fie bat ibm aber zugleich zu zeigen, wie der Wienfch aus der 
Gefamtbeit feiner Raffe und feines Dolles geboren, nur auf diefem Boden fic 
und fein Doll gedeiblich entwideln kann. Jeder einzelne, von Flatur verfchieden, 
aber doc) im Rabmen des ganzen Volles ein natürliches Glied — sie Raffen, in 
Yiord und Gud, die unfer deutfches Volk aufbauen, im organifchen Zufammens 
wirten zum ganzen Dolk, allen Stürmen von Innen und Außen zum Trog! 

So entbält die Erinnerungsfeier an den Geburtstag I. ©. Rölreuters eine 
ernfte Mabnung. obe Kulturguter bat uns die biologifde Sorfhung gefchaffen; 
als einer der bedeutendften Wegbereiter ftebt am Anfang I. ©. Rölreuter. Die 
legten Jahrzehnte haben die Biologie zu ungebeurer Blüte gebracht. Diefe Er: 
gebniffe zu pflegen und auszubilden und für das Volk nugbringend zu verwenden, 
fei das Geldbnis, das wir an diefer Stelle ablegen. 


Dolf und Kaffe. 1933. Dftober. }0 


190 Volt und Kaffe. 1933, VI 


Die 
Raffenzufammenfegung des eftnifchen Volkes. 
Don Dr. Sopbie Ebhrbardt, Münden. 

Mit 37 Abbildungen. 

(Aus dem Anthropologifden Juftitut dec Univerfitde tNundyen.) 

II. Teil. 


(Sortfegung.) 


Die erfte Arbeit, die den Derfuch macht, eine Befchreibung der Lften in 
antbropologifcher Hinfict 3u geben, ift die von KR. €. v. Baer aus dem Jabre 
1818. Im Jahre 1926 erfchien im Manuftript eine anthropologifde Arbeit von 
Dilleme, die Beachtung verdient. Er unterfuchte 13500 Webrpflichtige aus 








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LE RR MMS 





Abb. 4. 


ganz ftland. Geine Ergebniffe find fpäter von Reiman bearbeitet und vers 
Offentlidt worden. In den letzten Jahren wurden antbropologifcdhe Unterfuchhuns 
gen auch über die eftnifche Srau von Aul (früber Rlein) vorgenommen. Die 

rbeit von Reiman, die fid) bauptfadlid auf das von Dillems gefammelte 
Material ftügt, ergab gewiffe regionale Unterfchiede im eftnifcdhen Doll, die fic 
auf wichtige Raffenmertmale, wie Rörperhöbe, Ropf: und Befichtsmaße bezogen. 
Da die Unterfchiede von Weft und Oft derart ertennbar find, saG die Bevdls 
terung im Weften von Eftland mebr nordifde Merkmale zeigt und die im Often 
größere Ahnlichkeit mit der Kachbarbevälterung des Oftens bat, lagt fic natürs 
lid eine entfprebende Beimifhung nicht leugnen. Die Unterfchiede find allers 
dings nicht derart groß, daß man keine allgemein kennzeichnenden Züge es efts 
nifchen Volkes finden könnte. Diefes ift immerbin noch möglich. Ls fei bier auss 
Sridlich gefagt, daß das eftnifhe Volk ein Raffengemifch ift, an dejfen Zuftandes 
kommen mebrere Raffen mebr oder weniger ftark beteiligt waren. Wir müffen 
nun die Einzelmertmale näber betrachten, nur fie geben uns Auffcdlug über die 
Zumifchung einer beftimmten Raffe. Eine Raffe als folcdhe, als Summe beftimmter 
Erbanlagen, wird ja nicht vererbt, fondern immer nur die einzelnen Erbanlagen 
(Erbmertmale). 


1933, VI Sopbie Ehrhardt, Die Raffenzufammenfegung des eftnifchen Volkes. 191 





Abb. 4 zeigt die Rörperhöbe der Eiten verglichen mit der finnifcher Stämme 
und anderer europäifcher Dölkergruppen, links die Rörperböbe der Männer, rechts 
die der Srauen. Don weftfinnifchen Stämmen (auf diefer Zeichnung wie auf den 
folgenden ftark umrandet gezeichnet) tamen in Betracht außer den Eften (meine 
Ergebniffe auf der Zeichnung fchraffiert und die von Dilleme bzw. Reiman 
und Aul), die Sinnen (Regius), das Reftvoll der Liven (Waldbhauer, Vilde) 
und Wepfen (Charufin), vom oftfinnifehen Stamm die Wotjaten (Ma lijew) 
und zulegt die Lappen (Bryn, Beyer), die auch zu den finnifden Stämmen 
gerechnet werden fdonnen. Weitere Vergleichsgruppen waren die Llorweger 
(Schreiner, Bryn), zwei Gruppen aus Deutfchland, die Schleswig-Holfteiner 
(Reiter) aus dem Florden und die Allgäuer (B. KR. Schul) aus dem Süden 
und zulegt die Litauer (Brennfobhn, Hefcd) und Ketten (Badman, Jerums 
und Ditols, Hefch) im Süden und Südweften und die Grogruffen (Deniler, 
Tfdhepurfowfly) im Often von Eftland. 

Die Abb. 4 zeigt den größten Mittelwert der Rörperböbe bei Llorwegern, Liven 
und den Eften von der Infel Ofel und den geringften bei Kitauern, Großruffen, 


Go" Sitzhöhe, Schulterdreite Armlänge im Verhältn. zur Körperhöhe 
Körperhöhe 00 
%| Worweger Liven EstenE. Schkesm-Holt. Allgäuer Woljaken Lapg 





it | 


eseBsBeesesee se SX 


Abb. 8. 


Wortjaten und Lappen; die weftfinnifchen Stämme zeigen eine große Rörperböbe 
und fteben faft alle beifammen; meine unterfuchten Eften mn die Mleinwüchfigfte 
Gruppe der weftfinnifchen Stämme, befonders die Srauen. Dod kann man immer: 
bin den eftnifdben Mann hodwidfig nennen (Manner 1. MM. 169, cm, Srauen 
145,5 cm). Bei den Sinnen und Großruffen find zwei Werte angegeben, die fidh 
auf verfchiedene Dolkstypen bezieben?). Die Varistionsbreite meiner unterjuchten 
Gruppe ift recht bedeutend und zeigt eine Anbäufung von Perfonen mit bobem 
und eine für Perfonen mit niedrigem Wuchs. Die Zahlen weifen darauf bin, daß 
eine großwüchfige und eine Heinwüchfige Bevölkerung am Raffenaufbau der £ften 
beteiligt fein müffen. 

Der Rörperbau ift im allgemeinen kräftig und grob. Eine nicht geringe Zahl 
eftnifcher Srauen neigt zur Settleibigtkeit, ein Merkmal, das oft mit breiten kurzen 
Sormen 3ufammenbangt und wobl nach dem Often woeift. 

In Abb. 5 find die Rörperproportionen der Eften mit denen anderer Völker 
verglichen. Berüdfichtigt wurden: Rörperhöbe, Sighöbe, Schulterbreite, Arms 


2) In Sinnland findet man im Sudwelten und im Südoften zwei verfdhiedene Volles 
typen, die Tapaftländer und die Rarelier. Beide Gruppen find blond und belläugig. Der 
apaftländer ift aber von Mleinerem Wuds und zeigt einen runderen Kopf, ein breiteres, 
kürzeres Geficht als der Rarelier. In Broßrußland bat man zwei Vollstypen unterfdieden, 


10° 


192 Volt und Raffe. 1933, VI 








lange. Die Rérperbdbe ift immer gleid 100 gefegt. Die übrigen Maße find in 
Prozenten der Rörperhöbe ausgedrüdt. Da die Schulterböhe nicht gemeffen wurde, 
nabm ich für alle Gruppen eine Schulterböbe von 800% der gefamten Rörperböbe 
an. Die Gruppen babe ich nach ihrer Rörperböhe geordnet. Mein Mittelwert für 
Sitzhöhe, Schulterbreite und Armlänge ift jeweils durch die geftrichelte Linie eins 
gezeichnet. Es zeigt fich die befonders geringe Gigbobe der hodgewadfenen Liven, 
das etwas größere Meg für die fehr hoben Liorweger und die bedeutende Sitzhöhe 
der Beinen Lappen. Die Schulterbreite ift bei den bochgewachfenen Voltern fdhmal, 
bei den kleinen Völkern breiter; befonders breit ift fie auch bei den Allgäuern. Die 
Urmlange ift befonders kurz bei den Llorwegern, befonders lang bei den Lappen. 


Koptbreite in % der Kopflänge (Längen-Breiten-Index) 

Schmale- Schmale- 
wilfelange Köpfe breite runde Hape milfellange Köpfe breite runde Köpfe 

Sy 1 4 5 123 4 § 6? 
Narweger ! 
Liven erweger 
Esten,ösel Esten, Use 
Esten Esten E. TY 
Esten,E. Esten 
Finnen 
Letten 
Lifauer 
Woljaken 
Schlesue-Nebl. 


? 


Grofrussen 
Allgäuer 
Lappen 
%78 90123 4 5 7898012345672 





Abb. 6. 


Die allgemeine frisbere Beobachtung, die Eften feien unterfetzt und batten eine 
große Sitzhöhe, feien breitfchulterig und langarmig, ftimmt nicht und liegt an 
einem Beobadhtungsfebler, der durdy das Maß richtiggeftellt werden konnte. Die 
Mittelwerte von Sigböbe, Schulterbreite und Armlänge der von mir unterfuchten 
Männer waren 87,7, 38,4 bzw. 76,6. Die Maße von Dillems an Eften und die 
an Ketten ftimmen mit meinen ziemlich überein, im ganzen find fie etwas größer. 

Wie gering auch die Unterfchiede in den Körperproportionen find, fo find fie 
dod) im Bilde deutlidy zu erkennen. Wenn auch diefe Merkmale von der Umwelt 
beeinflußt werden, fo ann man ihnen andrerfeits einen raffendiagnoftifden Wert 
keineswegs abfprecdhen. Weit größere Bedeutung baben jedoch die Maße für Kopf 
und Geficdt, die von der Umwelt nabezu unabhängig und vorwiegend erblidh 
bedingt find. 

Abb. 6 zeigt die Ropfbreite in Prozenten der Ropflänge. Je größer diefe 
Derbältniszabl, der fog. Ropfinder ift, defto breiter ift der Kopf im VDerbältnie 
zur Länge. Der Mittelwert meiner Unterfuchungsgruppe ift, wie auch auf Abb. s, 
durch die geftrichelte Linie angegeben. Befonders niedrig ift die Verbältniszchl 


den Waldaitypus und den Rjafantppus, erfterer ift kurztöpfig und belläugig. Aud in 
Horwegen fand man (in der Landjchaft Jaederen) einen kurztöpfigen bellen Menſchen⸗ 
Ds a tomme auf diefen !itenfchentypus: kurztöpfig und belläugig, zum Schluß noch 
zu fprechen. 


1933, VI Sopbie Ebrbardt, Die Raflenzufammenfegung des eftnifdhen Volkes. 193 
SI ei i SNe RF ae en a a le We See es Le rer) 





für die Llorweger, Liven (Manner) und Eften von Ofel, befonders hod ift fie 
für die Großruffen, Allgäuer und Kappen; alle weftfinnifden Stdamme zeigen 
fhbwac breitsrunde Röpfe. Der Längen: Breiten Inder meiner unterfuchten Gruppe 
beträgt für die Männer i. IM. 80,9, für die Srauen 81,8. 

In Abb. 7 find die abfoluten Waße von Ropflänge, Ropfbreite und Obrs 
bobe >) eingezeichnet. Um die Linterfchiede deutlich hervorzuheben, babe ich alle 
Abweichungen von meinen Mittelwerten (für die Männer ı. M.: Ropflänge 19,3, 
Ropfbreite 15,6, Obrbdbe 12,5 cm) mit der Zahl 5 multipliüzert. Die Rechtede 
find nach der Bröße der Ropflänge geordnet. Bei der Zeichnung bin ich von einer 
GBrundlinie (durchgezogene Horizontale in der Zeichnung!) ausgegangen. Die 


Kopflönge, Kopföreite, Ohrhöhe 


Abweichung von den Esten mal 5 


Löngen- ~ 
Breiten: 


J: To 


Allgäuer Finnen Wotjaken Lappen 





abb. 7. 


Mittelwerte für Ropflänge und -breite der Eften find durd die geftrichelte Linie 
eingezeichnet. Die Florweger zeigen einen febr langen fchmalen Kopf, die Lappen 
einen febr kurzen breiten. Auffallend find die großen Ropfmage, die man bei den 
Eften (Männern und Stauen) trifft. Ausgefprochen ſchmale Röpfe kommen felten 
vor, bei den unterfuchten Männern 2,9% (Srauen 3,300). 53,8 b3w. 44,30% 
der Köpfe waren mittellang, 43,2 bzw. 52,5% breitsrund. Abnliche Ropfmaße 
findet man bei den £iven (Kopflänge der Männer 19,3, Ropfbreite 15,5 cm) und 
£etten (19,3 b3w. 15,7 cm). Die Allgäuer fteben wegen ibrer relativ großen 
Ropflänge (im Mittel 18,9 cm) weiter vor den Lappen als in Abb. 6, denn der 
Ropfinder bat ja nicht immer einen abfolut kurzen Schädel zur Dorausfegung. 
Auffallend ift der fchmale und kurze Kopf der Sinnen und befonders der Wotjalen. 

Die Sorm des GBefichts wird durch das Derhältnis von Gefichtslänge zu 
Gefidtsbreite, den fog. morphologifden Gefidtsinder ausgedrüdt. Die boben 
Werte zeigen ein fdmales bzw. langes Beficht, die niedrigen Werte ein breitsnieds 
riges, f. Abb. 8. Die drei böchften WDerte baben wir bei Florwegern, Letten und 
Eften von Ofel; diefe drei Gruppen zeigen alfo das langfte Geficdt im Derbältnis 
zu feiner Breite; den niedrigften Wert haben die Lappen; die finnifchen Stämme 
liegen zerftreut; die Zahlenwerte meiner unterfuchten Gruppe fteben an der Grenze 
der breiten und mittelbreiten Befichter (morph. Gefidhtainder der Manner 3,4, der 


3) Den Maßen für die Obrhdbe (Obrhdbe — projettivifdhe Entfernung des Obes 
punttes, Tragion vom Scheitel) meffe id bier Ceinen Wert bei, da fie auf febr verfchiedene 
Weife gewonnen find und viele Seblerquellen entbhalten. 


194 Volt und Kaffe. 1933, VI 








ae 32,7), was durdy die abfolut niedrige Gefictshdobe (Manner i. MN. 11,0, 
tauen 11,3 cm) bedingt ift. 

In Abb. 9 babe ich die abfoluten Befichtsmaße der Eften mit denen anderer 
Völker verglidden. Das Geficht des Eſten (durcdhgezogene Linie) ift in jede Der: 


ohtshöhe 1% dl Jochbogenbreite (Morph.Gesichts-/ndex 
breite besichler miltelor — ne ee miltelor — 















besichler ____-» besichter —___» 








%% 8 8 2% 6 8 WM 2 %% 8 MW 24 6 8 W2 





Esten 
Allgäuer 
Esten.€. 
Finnen 
Lappen 


%*% 8 824% 6 8 M2 





%% 8 82% 6 8 W2 


Abb. s. 


GesichtsmaBe bei Esten£._ 
und anderen Volkern 
Abweichung von den Esten mal 5 


- E Schleswe En — ed £sten,ösel 
Nase: 2 AA 


mp D D V 





Morph Gesichts Index: 834 Ho 68) 
a v — fn = Liven — — 


D D D v V D 


Qabb. 9. 





gleihegruppe (geftrichelte £inie) mit eingezeichnet. Die Abweichungen von meinen 
Mittelwerten find auch bier wie in Abb. 7 mit der Zabl 5 multipliziert. Die Ge: 
fichter find nad der Gefichtslänge geordnet. Die Mittelwerte der Gefichtsmage 
der von mir unterfuchten WMiänner waren folgende: Meinfte Stirnbreite 10,6 cm, 
Jodbogenbreite 14,3 cm, Unterticferwintelbreite 10,8 cm, morpbologifebe Ge: 
fichtsböbe (Entfernung von der Kiafenwurzel bis zum tiefften Puntt des Indchernen 
Rinnes) 11,9 cm, Llafenböbe 5,2 cm, Ylafenbreite 3,5 cm (in der Zeichnung über 


1933, VI Sopbie Ebrbardt, Die Raffenzufammenfegung des eftnifchen Voltes. 195 





dem Beficht!). Stirn:, Jochbogen: und Unterkieferwintelbreite find auf der Ab: 
bildung gleich weit von einander gezeichnet, die KTafenwurzel ftebt genau zwifchen 
Fleinfter Stirnbreite und Jochbogenbreite. Befonders lang und fcmal ift das 
Geficht bei den KTorwegern, befonders kurz bei den Wotjaken und Lappen. YTor: 
weger, Letten und Zften von Ofel, die im Derbältnis zur Breite das langfte Gefiche 
baben, fteben bier nicht an erfter Stelle, ein abfolut längeres Geficht baben die 
Schleswig: HJolfteiner und auch die Allgäuer. Bei den Eſten von Ofel und den 
Schleswig: Holfteinern ift das Geficht befonders groß, lang und breit. Die Joch: 
bogenbreite ift auffallend groß bei den Liven. Die Unterkieferwintelbreite ift bei 
allen Dergleichsvdltern bis auf die KForweger und Wotjalen größer als bei den 


Augenfarbe Haarfarbe 


. pigmenlarm: bau D hell-u. dunkelblond O 
schwachpigm.-mittelpıgm = meliert braun u. braunschwarz 
pigmentreih =» braun @ rot 


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Abb. Jo. 


£iten. Die Unterfdiede von KTafenböbe und =breite find aus der Zeichnung leicht 
zu erfeben. 

Die MaKe von Gefichtslänge und breite der Lften zeigte eine größere Un: 
einbeitlichkeit im Material als das Maß für Ropflänge und breite. Bei den 
Männern fand ich 57,7% niedrige Befichter, 25,0% mittelbreite, aber auch 17,3% 
fchmale (Srauen 57,9, 32,2 bzw. 9,9). Dillems gibt eine böbere Zahl für die 
fdmalen, eine Bleinere für die niedrigen Gefichter an. 

Die Unterfuchung über Haut:, Augen: und Haarfarbe der Eiten ergab vor: 
wiegend belle Töne. Die Hautfarbe war ftets bell. Dunkelbraune Augen und 
fhwarze Kyaaret) Bommen bei den Eften nicht bäufig vor. Diefe Tatfache ift im 
HJinblid auf die mongolifche Zumifchung zum eftnifchen Blut, eine Srage, die fcbon 
beiße Auseinanderfegungen bervorgerufen bat, von febr großer Bedeutung und 
wird im dritten Teil meiner Arbeit noch befprochen werden. Abb. 10 bringt die 
Augen: und Haarfarbe der Eften, Letten, Litauer, FTorweger, Allgäuer und Lap- 
pen 5) und zeigt das Vorberrfchen der bellen Sarbe bei meiner unterfuchten Gruppe. 
Auch in meinem Material findet man die blaue Augenfarbe viel bäufiger beim 
Mann als bei der Stau, eine Erfcheinung, die fich fehon bei einer Reibe Bevölte: 


4) Zur Unterfubung der Augenfarbe benügte ich die Sarbentafel von Martin: 
Schult, zu der der Haarfarbe die Sifher:Sallerfhbe Haarfarbentafel. 

5) Da bei den meiften Uinterfuchbern genaue Angaben über die Verteilung der einzelnen 
Sarben auf einer Sarbtafel feblen, mußte ich fie bier fortlaffen. 


196 Volt und Kaffe. 1933, VI 





Abb. 11. 





Abb. 12. 


ne 


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Abb. 34. 


— — — — — — — — 


a — — — — — 


1933. VI Sopbie Ehrhbardt, Die Raſſenzuſammenſetzung des eſtniſchen Volkes. 197 








Abb. 14. 


rungsunterſuchungen gezeigt hat und die auf eine gewiſſe Geſchlechtsgebundenheit 
der Erbanlage für Pigmentbildung hinweiſt. 

An Hand der graphiſchen 
Darſtellungen babe ich cine 
Reibe von MerFmalen bervor- 
geboben, die vorwiegend beim 
eftnifchen Dolk gefunden wer: 
den: mittelbober Wuchs, lans 
ger breiter Kopf, breites ver: 
baltnismäfig niedriges Ge: 
ficht, belle Augen und Haare. 
Die Tatfache, daß die einzelnen 
Unterfuchungen in wKitland 
nicht ganz übereinftimmen, 
bat in der Derfchiedenbeit des 
Materials feinen Grund. Wie 
ich fchon auf S. 190 erwäbnt 
babe, bat der Weiten und 
Yiordweften des Landes mebr 
nordifden, der Often und Sud: 
often mebr Einfchlag der Oft: 
raffe. Die Zften von fel 
zeigen daber den viel böberen 
Wuchs, den längeren fchmä= 
leren Kopf, das längere [hmä= 
lere Geficht. 

Aud das Unterfuchungs- 
material von Dillems 
(Webrpflichtige) mugs als in 
einer beftimmten Kichtung 
gefiebt betrachtet werden. Leis 
der feblen bis jest Einzel⸗ 
unterfuchungen  gefcbloffener 
Bevdllerungsgqruppen aus den 
verfchiedenen Gegenden £ft- 
lands. Abb. 16. 








198 Volt und Kaffe. 1933, VI 





£in kurzer Überblid auf die übrigen Dergleichsgruppen zeigt für die Nor— 
weger (cin Dolf, das zum größten Teil nordifhe Raffenmertmale entbält) einen 
boben Rörperwuches, eine relativ mittelbobe Sigböbe, fhmalen langen Kopf, ein 
bobes fhmales Geficht und belle Haar: und Augenfarbe. Die Lıven fteben den For: 
wegern in Rörperböbe, Ropflänge und =breite ziemlich nabe, fie baben jedoch cın 
ganz bedeutend breiteres niedrigeres Geficht. Die Sinnen baben äbnliche Nae wie 
die Eften, nur ift ibr Ropf kürzer und fdhmäler, ibr Unterkiefer breiter. Beachtens: 
wert ift die Einbeitlichkeit aller weitfinnifchen Stämme. Fur in den Gefichtsmaßen 
zeigen fie größere Unterfchiede. Die Letten fchließen ficb den Weftfinnen an; fie 
baben einen etwas breiteren Ropf als die Eſten, ibr Geficht ift länger, der Unter: 
tiefer breiter. Die Schleswig-yolfteiner fteben in der Rörperböbe meiner Gruppe 
ziemlich nabe, fie baben jedoch einen breiteren längeren Ropf und ein viel größeres 
Geficht. Bei den Allgauern, die ziemlich viel dinarifchen Einfcblag baben, fällt der 
breitere kürzere Ropf und das längere Geficht gegenüber den Eiten auf. Die Litauer 
und Großruffen fließen fic) mebr dem Often an. Ganz befonders gilt diefes fur 
die Wotjaken (Oftfinnen) und Lappen, die überall einen fchönen Gegenfag zu den 
Forwegern bilden. 

Die Gefcdicdte lebrt, daß vorwiegend nordifche und finnifche Völker nach 
Eftland gefommen find. Und aud die Körpermaße, foweit fie bier berüdfichtigt 
wurden, zeigen vorwiegend Merkmale der nordifchen Raffe und der Oftraffe. Line 
Reibe von widhtigen Xaffenmertmalen, die fich auf das Geficht bezieben, wie Sorm 
des Kafenrüdens, der KTafenfpige, des YWlundes u.a. find bier nod nicht befproden. 
£s find zum Teil befchreibende Werkmale, deren Bedeutung ganz befonders von 
der Wiener Schule bervorgeboben worden ift. Die Srage, wie weit fic bier die 
einzelnen Raffeneinfchläge im eftnifcben Doll zeigen, fowie die Srage, welche 
Raffen auger der nordifden und der Oftraffe noch am Raffenaufbau des eftnijchen 
Volkes beteiligt find, bleibt dem dritten Teil meiner Arbeit vorbebalten. Als 
Abfdlug bringe ich einige Typenbilder aus meinem Unterfuchungsmaterial, die 
vorwiegend nordifchen Einfchlag zeigen, f. Abb. 11— 16. Die drei Schweitern 
auf Abb. 15 und 16 zeigen deutlich das Zufammentreffen von nordifcher Raffe und 
Oftraffe. 


are. | & | 55/98) ES | #3 |Se 53|5|35 | $|€e Es | Es 

a |aS|0*| 32 | 42 |02|03| 89|9|55 | € | ee] 54 
11 24 |ıb|B | 1738| 93,1 |20,2|15,9| 10.5 | 14,5|10,2/13,0} 5,9 | 3,5 
12 s7|6 |M | 168,5| 85,1 19,0! 15,4 | 10,7 |14,5/10,8|12,2| 55 | 3,5 
13 30 |2a|M | ı651| 87,2 | 19,2'15,1| 9,5 |13,8/10,1!11,9| 5,3 | 3,6 
14 29 | 3 J | 158.5| 84.4 |19.1|14.8|10.6 | 13.1! 9.7111.5| 50) 3.5 
15.16 ,129 |2b |G | 146,2| 76.5 | 17.3] 14,5! 10,0 | 13,2) 9,5|10,5| 4,6 3,3 
vontintel | 23 [4a E | 155.0! 79.1 |17.3/15.2) 9.9 13.3) 91/115] 43 34 
nab || 91 4b D | 154.0 78.2 | 17,2) 14,9! 10,3 13,3! 92/112! 4,8 3,3 


rechte ! 


RafjfenEunde und Volksfchule. 
Don Dr. Karl Mierke, Göttingen. 


De die neue deutſche Staatsform tragende nat.ſoz. Weltanſchauung hat auch 
unſeren Rampf zum Sieg geführt — und wird beſtimmt dafuͤr ſorgen, daß 
die raſſenkundlichen Belange in der deutſchen Schule nicht mehr zu kurz kommen 
(vgl. die Ausfuͤhrungen des Reichsinnenminiſters Dr. Frick im Heft 3/1933 diefer 


1933, VI Rarl Mierte, Raffentunde und Voltsfchule. 199 
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Zeitfhrift). Es erübrigt fidh, nach dem auf tiefe Gadtenntnis gegründeten 
Auffag von Dr. Br. R. Schul (Seft 3/33 diefer Zeitfchrift) noch im einzelnen 
auf die Stoffrage einzugeben — und feftzuftellen, „was“ nun eigentlich in den 
Scdulen gelehrt werden foll. Auch werden dazu wobl demnädhft Richtlinien 
der Rultusminifterien zu erwarten fein, die den Lehrer beraten über die Einzel; 

ebiete, die für eine völkifche Unterrichtsgeftaltung unumgänglich notwendig find. 

dh möchte mich im folgenden lediglich darauf befchränten, aus Studium und Praris 
geborene Dorfchläge zu machen über Art und * der von der deutſchen Volks⸗ 
ſchullehrerſchaft zu erhoffenden raſſenkundlichen Arbeit — und gleichzeitig dadurch 
zum Sammeln weiterer Erfahrungen anregen. 

Raſſiſche Erziehung des Volkes iſt endlich Tatſache geworden. Das bringt 
fuͤr die Erzieher und Lehrer des Volkes 3 Aufgaben mit ſich: 1. Selbſtſchulung, 
2. paͤdagogiſche Formung, 3. Feldforſchung. 

1. Selbſtſchulung iſt dabei die zunaͤchſtliegende, die dringend und ohne 
Zoͤgern in Angriff genommen werden muß. Raſſiſches Denken iſt heute „modern“. 
Die damit verbundene Breitenausdehnung birgt die Gefahr eines engſtirnigen 
Dilettantismus in ſich, zumal auf raſſenkundlichem Gebiet, das leider ſo lange 
und kuͤnſtlich volksfremd gehalten worden iſt, in Kaientreifen eine heilloſe Be⸗ 
griffsunklarheit und Verwirrung zu herrſchen ſcheint. Ein Ergaͤnzungsſtudium 
an den Univerſitaͤten kommt fuͤr dienſtlich gebundene Lehrer praktiſch nicht in 
Frage. Es bleibt dieſen entweder der Weg des Selbſtſtudiums oder der der Schu⸗ 
lung in beſonderen Lehrgaͤngen. In der Frage der Literaturauswahl fuͤr das 
Eigenſtudium beraͤt ſicherlich gern und gut der ruͤhrige Verlag dieſer Zeitſchrift. 
Schulungskurſe, die allerdings auch auf die Eigenarbeit hinausfuͤhren werden, 
haben den Vorzug, daß ſie manche Um⸗ und Irrwege erſparen helfen und 
zur kritiſchen Stellungnahme erziehen koͤnnen. Notwendige Vorausſetzung iſt 
aber, daß die Leiter ſolcher Rurſe raſſenwiſſenſchaftlich unbedingt durchgebildet 
ſind, — und das kann eigentlich nur in jahrelanger Arbeit und am beſten in den 
entſprechenden akademiſchen Inſtituten und Univerſitaͤtsſeminaren erfolgt ſein. 
Der bloße Beſuch irgendeines Serienturfus oder dergl. kann an ſich noch keine 
Leitungsberechtigung erbringen. Große Vorſicht in der Auswahl der Rurſus⸗ 
leiter iſt deswegen am Platze, wenn nicht die Reinheit vorliegender wiſſenſchaft⸗ 
licher Erkenntnis getruͤbt und eine aufgeblaſene Halbbildung gezuͤchtet werden ſoll. 

Zur Einrichtung derartiger Rurſe koͤnnen die Schulverwaltungsbehoͤrden 
verpflichtet werden. Ebenſo empfehlenswert erſcheint es, die fuͤhrenden Stellen 
im N.S. L. B. (nat.⸗ſoz. Lehrer⸗Bund) damit zu beauftragen. Fuͤr den Fall, daß 
fih der 7.9.8.3. ſelbſtaͤndig oder in engſter Fuͤhlungnahme mit den Behörden 
mit der a der raffentundlichen, raffenpfiegerifchen und vererbungswiffens 
fhaftlihden Schulung der Lebrerfchaft befaffen follte, empfieblt fich zunächft die 
Einrichtung von BezirtssZentralftellen. Deren Aufgabe ıft dann eine organis 
fatorifche: Sie richten Rurfe und Teilkurfe ein, ordnen deren Befuch und Sinanzies 
rung, bemuben fic um geeignete Dozenten, beraten Örtliche Lebrerbuchereten, vers 
anlaffen das Halten einfchlägiger Zeitfchriften, ftellen Lichtbilderreiben bereit, 
fucben Süblung mit den alademifchen Inftituten und den überwachenden Behörden 
fowie mit foldyen privaten Vereinigungen, die fich mit Raffentunde und Raffens 
pflege befaffen; fie unterbinden Überbeblichkeiten, verderbliche Auswüchfe, Elcinliche 
Gehäffigkeiten u. dgl., wirkten mit bei dem Ausbau von Lebrplanen und £ebrs 
mittelfammlungen (vgl. 2.) und organifieren gleichzeitig auch die von Schule 
und £chrerfchaft zu erwartende raffentundlice geldforfhung (vgl. 3.). Dabei ift 
es nun durchaus unnötig, daß jede Schulgattung und jede £ehrergruppe unbedingt 
ihre eigene Zentralftelle baben muß. Sur die oben gelennzeidnete Arbeit kann 
tatfacdlid aud einmal ein Studienrat die Belange der Dollsfdullebrer oder die 
der Mittelfcullebrer erfennen. Das alte Erbubel der ftdandifden Klungelet muf auf 
alle Salle unterbleiben. Aber Leben muß ausftrablen von einer foldyen zentralen 
Keitung; Arbeitsanftöße muß fie geben können, die die Maffenträgbeit übers 


200 Volt und Kaffe. 1933, VI 








winden. Gonft bleibt womdglid) — wie leider fo mandes Gute — die ganse 
Angelegenbeit im bloßen Organifieren fteden, und endlicer Sieger ift wieder 
einmal der alleserftidende Burotratismus. 

Sür den erften Flotbehelf läßt fi zunächft der Aufgabenkreis der Jung: 
lehrersArbeitsgemeinfchaften und der örtlichen Kebrervereine nad oer caffens 
tundlichen Seite erweitern. Jd) babe in diefer Sorm fchon einen Derfud eins 
geleitet. Er umfaßt folgende Einzelarbeitsgebiete: a) Raffenforfhung und Raffen: 
probleme, b) Raffen und Raffenmertmale, c) die raffenmäßige Zufammenfegung 
des deutfchen Volkes, d) Dererbung und Variabilität, e) Erblichkeit feelifcher 
Merlmalspragung, f) Raffe und Seele, g) Raffens und Vollstumepflege, h) Raffens 
tunde in der Dollsfcule. Jedoch find derartige im engen Rabmen eingerichtete 
Rurfe nur ein vorläufiger Klotbehelf. Eine wirkliche und gediegene Vorfchulung 
muß großzügig und gleichmäßig alle £ebrer erfaffen (vgl. Schulg a. a. ©.) — 
dazu ift dem Sührungsprinzip entfprechend Bräftigfter Anftog „von oben (Bez 
borde oder Organifationsleitung) unerlaglic. 

2. Sur die pddagogifde Sormung des Raffegedantens, d. i. für feine 
fdbulprattifde Derwertung, tonnen nicht von beute auf morgen eindeutig-fefte 
Bahnen und Richtlinien aufgezeigt werden. Cine raffentundlich gut vorgefchulte 
Dolts(dullebrerfchaft wird bei ibrer einzigartigen pddagogifden Leiftunges 
fabigtcit fcbon bald nah kurzem Erfabrungsaustaufdh die richtigen Methoden 
finden. Dabei bleibt zielfichere Sührung durdy die Unterrichtsbebörden trogdem 
nötig, und diefes Ziel beißt „bewußte Erziehung der deutfchen Jugend zum Raſſen⸗ 
denken“. Rann cs erfüllt werden, dann werden fich bereits in der übernächften 
Gefclechterfolge die Wünfche der Raffenbvgieniter zu verwirklichen beginnen. 
Es ift aber wichtig, daß ganz befonders die Dolksfchule in den Dienft einer foldyen 
volkifchen Erziehung geftellt wird und daß (bei ihrem auf Perfönlichkeitswirktung 
abgeftimmten Unterricht) zunächft die Lebrperfonen ganz von diefem Ziel erfaßt 
und durchödrungen werden. 

Aber eine Vorarbeit muß die Voltsfchule von den Sacwiffenichaftlern 
unbedingt fordern: Die Sachausdrüde müffen gleihmäßig, eindeutig und in 
deutfcher Sprache feftgelegt fein, wenn nicht die beftebende Derwirrung noch 
größer werden foll. Damit fällt dann au die Gefabr, daß Überbeblichkeit von 
der Doltsfcule ,,weife Befdrantung und dadurch mittelbaren Verzicht auf die 
beften und wichtigften £chren fordern kann. In guter Derdeutfhung und in 
findesgemäßer, anfchaulicher Darftellung vertragen auch die Schüler einer Volles 
fhulsÖberftufe (8. und 9. Jabrgang) beftimmt Belebrungen über „Variation, 
Mutation, Inderwerte u. dgl.“. Einen gefonderten Unterricht über Raffenktunde, 
Raffenpflege und Vererbung möchte ich allerdings nur für die beiden legten Schul: 
jahre fordern. Dorber aber muß Raffendenten alle Unterrichtsfächer durchdringen 
(vgl. Schulg a. a. O.), fei es, daß im Gefchichtsunterricht die raffifche Veran: 
lagung als geftaltend für die Dölkerfchicfale betont wird, oder duß im Erdkunde: 
unterricht die Antbropograpbie ihre gebübrende Stellung erhält, oder daß in der 
Biologie die Bedeutung erblicher Merkmalsprägung genügend berausgeftellt wird. 
Sd fann auf Grund meiner perfönlichen Erfahrungen aus der cintlaffigen Lands 
fhule, aus vollausgebauter Stadt{dule und aus der Sortbildungsfdule bez 
baupten, daß cine folche Unterrichtsgeftaltung durchaus möglich ift und daß fie 
die begeifterte Zuftimmung der Rinder findet. Es ift ja vielerorts unter anderer 
Bezeihnung (Volkskunde, Deutfchlunde, SHeimatlebre, Srübgefchichte ufw.) bes 
reits viel Raffentundliches im Lebrgut unferer Schulen verftedt gewefen, und es 
wird darum an Beftätigungen meiner Bebauptung wohl nicht feblen. 

Sur die Außerliche Seite möchte ich noch folgende Sorderungen aufftellen: 
Die Lehr: und Lernbücher müffen entfprecdhend überarbeitet und vervollftändigt 
werden; vielleicht werden dadurch befondere rafjentundliche Lehrbücher für Volles 
fhulen überhaupt unndtig. Die Lehrmittelfammlungen (Rarten, Bilder, Licht: 
bilderreiben ufw.) enthalten mancherlei Salfhdarftellungen; fie müffen darum peins 


1933, VI Rudgang der Vollwertigen, Zunahme der Minderwertigen. 201 
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lichft überprüft und ergänzt werden. In die Lchrerbüchereien gehören die —— 
werke raſſen⸗ und vererbungswiſſenſchaftlicher Forſchung. Außerdem waͤre zu 
wuͤnſchen, daß ſich mindeſtens jede groͤßere Lehrergemeinſchaft eine Zeitſchrift wie 
„Volk und Raſſe“ haͤlt, um uͤber Neuforſchungen, Neuerſcheinungen uſw. auf 
den £aufenden zu bleiben. Allgemein verftändliches raffentundliches Schrifttum 
gebört auch in die Schulbüchereien. 

3. Unter raffen= und vollstundlider Seldforfdhung verftebe ich 
das flr die Sachwiffenfcheft fo wichtige Zufammentragen von Einzels und Rlein- 
beobachtungen. Sür die wiffenfchaftliche Völkerkunde ıft ungeheuer wertvoll ges 
worden alles das, was ihre „Seldforfcher‘‘ (Miffionare, Sarmer, Rolonialbeamte) 
zufammengetragen baben. Um die beimatliche Seldforfchung in Geograpbie, Geos 
logie, Biologie, Befchichte und Vorgefchichte baben fi Hunderte von deutfchen 
Dolls(dullebrern verdient gemacht. Yun bietet fich bier dem raffentundlich ges 
fhulten und von der Sahwiffenfchaft (wielleicht über die Zentralftellen) geleiteten 
£ehrer ein neues und danktbares Betätigungefeld. Er fammle 3. B. antbropolos 

ifche, pbyfiognomifche und insbefondere pfvchologifche Beobachtungen, bearbeite 

tammbäume und Ahnentafeln, zeichne, mefje und pbotograpbiere typifche Raffens 
vertreter und Mifchlinge in feiner ARlaffe, berichte über Sitten und Bräuche, über 
mundartliche Befonderbeiten, uber charakterologifche Kigentümlichleiten (die fich 
in ganz befonders guter Stammesausprägung an jugendlichen und vom Alltag 
noch nicht gleichgefchliffenen Menfden beobachten laffen). Die Sahwiffenfchaft 
wird ibm fdon Arbeitsziele zeigen und ibm die nötige Ausrüftung zulommen 
laffen. 

Dazu wirke der Lehrer neben feinem Pfarrer, feinen Gemeindebeborden, den 
1.S.D.A.p.sAmtewaltern u.a. fur cine gefunde und vernünftige Raffenpflege. Er 
wird jedenfalls bei unferer bodenftandigen Bevdllerung volles Derftandnis finden. 
(So verdante ich 3. B. meine Begeifterung fur raffens und vdllerkundlice 
Stagen meinem früheren Paftor.) Wenn alle deutfchen Gaue fo reich find an 
SDeimatforfchern, an Sreunden der Wundert, an volkifchsempfindenden Menſchen 
wie 3. Bd. unfer Fliederfachfen, dann kann es nicht fchwer fallen, überall Beine Ges 
meinden um den Gedanken der Raffenpflege zu fammeln, — und dann braudht uns 
trot, Spengler fchließlich doch nicht bange zu fein um die Zukunft unferes VDolles. 


Rüdgeng der Vollwertigen, 
Sunahme der Winderwertigen.” 


n Deutfchland treffen im Durchfchnitt auf eine kriminelle Ebe doppelt fo viele 

Kinder als auf die deutfche Samilie. Verbrecher pflanzen fich alfo uͤberdurch⸗ 
fhnittlihy fort, während in der deutfchen Samilie im allgemeinen das Zweis 
tinderfyftem berrfdt. Die bildliche Daritellung auf S. 202 zeigt, wie fidy unter 
diefen Lmftänden die Zahl der Liachlommen von 50 wertvollen Menſchen im 
Dergleih zu jenen von 50 Verbredhern von Generation zu Generation ents 
wideln wird. Bei anfangs gleichem Beftand von 50:50 wird das Unter: 
menfdentum nad 30 Jabren auf 670% angewacfen, die hochwertigen deutfchen 
Samilien auf 3300 der Gefamtnachlommenzabl zufammengefchmolzen fein. In 
60 Jahren ift das Derbältnis 80% : 2000; in 90 Jahren 89% :19%0. Schon in 
der 5. Generation, alfo nad 120 Jahren, werden die Ururentel der Dollwertigen 
nur noch 6%, jene der Verbrecher dagegen 9490 der Befamtnachlommenfchaft ein= 


*) Aus dem foeben in I. $. Lehmanns Verlag, Munden, erfcienenen Werke: , Voll 
in Gefahr“. Preis einzeln Nel. 1.—, 10 Stic je Nl. —.s0. 


202 Volt und Raffe. 1933, VI 








Derfchlehterung der Bevdiferung bei zu feywacher Fortpflanzung der 
wertvollen Familien. 


= DPDollwertige (2 Rinder je Ebe) 
—= Kriminelle (4 Rinder je £be) 


WER. 


nach nach nach , 
90 Jahren 720Jahren 


30 Jahren 60 Jahren 





1933, VI 


£ebensbaltungetoften. 


203 








An Lebenshaltungskosten stehen für Kopf und Tag zur Verfügung 
ur einen: 


Kruppel Taubstummen 
6,00 RM. 6,00RM. 








Beamten 
Je Vollperson 
Angestellten 4.00 RM, 
‚je Volpersson 

3RM. WM 4 \ 





Zur Bestreitung des Lebensunter- u 


halfes haf zur Verfügung tägl. 8 


Tägliche Anstaltskosten 
für einen: 


Zusammen 
73000 RM. 


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Kruppel 
600 RM. 


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Zablen nach 5. Schemel. 






204 Dolt und Raffe. 1933, VI 








nehmen. Diefe bier draftifch dargeftellte Entwidlung gebt heute in Deutfchland lang: 
fanı aber unentwegt Schritt für Schritt vor fidh. Die gute deutfche Samilie ift mit 
ihrer durchfchnittlichen Rinderzabl von 2,2 zum Untergange verdammt und muß 
den fich ftark vermebhrenden Schichten, feien es nun Verbrecher, geiftig Minder: 
wertige oder artfremde Dertreter anderer Völker und Raffen, Plag macden. Dor 
der Befabr des Uberbandnebmens verbrecherifd) veranlagter Menſchen ſchützt uns 
bis zu einem gewiffen Grade das von der neuen Regierung erlaffene Sterilis 
fierungsgefeg. Dor Uberwucherung durd) minder wertvolle Beftandteile inner: 
balb unferer Bevölkerung und vor Unterwanderung durch Angebörige fremder, 
fruchtbarerer Raffen können wir uns nur fehütgen, indem wir für eine ausreichende 
Zahl wertvoller Hachlommen forgen. 


Aus Raffenbygiene und Bevslkerungspolitik. 


Aufruf der Deutihen Gejellihaft für Dererbungswillenidhaft. 


Die deutfche Gefellfhaft für VDererbungswiffenfchaft begrüßt freudig den Durdbrucdh 
der Erkenntnis, daß biologifdh erblundlicdhes Wiffen und Denten Allgemeingut der deutfcyen 
Bildung werden muß und erklärt fich bereit, an diefer feit Jahren erfebnten und leider bisher 
immer wieder vergeblich erftrebten Aufgabe mit allen Rräften mitzuwirken. Ls gilt jest, 
das Wilfen der Dererbungsforfcher den weiteren Rreifen der naturwiffenfchaftliden und 
medizinifchen Rollegen zu vermitteln, damit fie den Anforderungen, die befonders auf dem 
Gebiet der Raffenbygiene in fteigendem Maß an jeden Lehrer und Arzt geftellt werden, 

ewadfen find. — Darüber hinaus ftellen wir uns für Schulungsarbeit aller Art zur Ders 
füsung, denn gerade derjenige, dern eine eingebende Durdhbildung in erbtundliden Scagen 
zuteil geworden ift, ift in erfter Linte berufen, auf eugenifcbem Gebiet 3u wirten. Dilettan: 
tismus und Halbwiffen mu aber ausgefdaltet bleiben auf einem Gebiete, das an dem Urs 
grund unferes vdltifden Dafeins rubrt. 

Zu den widhtigften und ureigen(ten Aufgaben unferer Gefellfchaft gebdrt zunächft die 
Übermittlung erbtundlichen Wiffens an die atademifde Jugend. Tur aut einer ausreichend 
erbbiologifchen Grundlage tann fic die raffenbygienifche Belehrung des werdenden Arztes, 
Kchrers, Juriften, Theologen aufbauen. 

Kine weitgebende Yleugeftaltung, vor allem der naturwilfenfchaftlichen und medizinis 
{den Lehrpläne, wird notwendig fein, damit die allgemeine Erbbiologie und die menfchliche 
Erblebre den bisherigen Charakter als Liebenfächer verlieren und diejenige zentrale Stelle 
in Unterridt und Prüfung erbalten, die ein Erfordernis der Zeit geworden ift. Der Aufs 
geabentreis der Biologie, der Gebiete wie Zellens, Zeugungs: und Abftammungelebre, Ents 
widlungspbyfiologie, erperimenteller Mendelismus, Grundlagen der Tiers und Pflanzens 
zudt, Kinfübrung in die ftatiftifden Grundlagen der menfdlicden Ecblebre und Bevoͤl⸗ 
terungslebre umfaßt, ift fo umfangreich und vielfeitig, daB eine Dermebrung der Lebrs und 
Sorfhungsftätten unbedingt notwendig ift, zumal in den vergangenen Jabren bedauerlider: 
weije gerade bier ftarte Einfchräntungen ftattfanden. 

Unfere Wiffenfchaft ift von jeber eine lebendige Wilfenfchaft gewefen, die Verbindung 
gejucht und gefunden bat mit den praftifchen und fozialen Sragen der Zeit. Die Jugend wird 
gern bereit fein, ihre Kräfte in den Dienft diefer Wiffenfchaft zu ftellen. Möge ihr bald die 
Gelegenbeit oon werden, fid an allen deutfcden ocdbfdulen und Univerfitéten das 
notwendige Auftzeug zu erarbeiten! Göttingen, im September 1933. 


Raffenhygientjder Cehrgang der Afademie für ärztlihde Sortbildung in 
Balle a. d. Saale. 


Um der Arztefhaft für eine raffifche Erneuerung unferes Volkes die notwendigften 
Unterlagen zu verjchaffen, bat die Alademie für ärztlidhe Sortbildung in Halle vom ı. bis 
3. Auguft d. I. einen Raffenbygienifcben Lebrgang veranftaltet, an dem über 500 deutjche 
Arzte und Arztinnen teilgenommen baben. Die Tagungspunlte waren folgende: 

Staatstommiffar Dr. Samann: Der deutfche Arzt im neuen Staate; Privatdozent 
Dr. Rürten: Menfdlicdhe Erblicteitsicehre I.; Univ.:Prof. Habne: Vdller und Raffen 
unferer Vorzeit, Sührungen in der Landesanftalt für Dorgefchichte und im Stadtgefunds 


1933, VI Deutfche Befellfehaft für Raffenbygiene. 205 





beitsamte; Priv.-Doz. Dr. Rürten: Menfchhliche Erblichkeitslehre II., und anfchließend: 
Raffenbygiene I.; Leiter des Aufllärungsamtes für Bevölkerungspolitit Dr. Groß: Der 
Sinn der deutfchen Revolution; Priv.:Doz3. Dr. Rürten: Kelfenbygiene II.; Staatss 
tommiffar Dr. jur. Kload: Deutfhe Reidhsgeftaltung. 

Der nächfte derartige Lehrgang wird mit Zuftimmung des Reichsinnenminifteriums 
im März des nädhften Jahres ftattfinden. 


Raffen= und vererbungstundlicher Unterricht in den preußifchen Schulen. 


Der preußifhe Rultusminifter bat eine Verfügung über die Pflege der Dererbungss 
lebre und der Raffentunde in den Schulen erlajfen, die am ı. Oktober in Rraft tritt. Dis 
zur endgültigen Regelung der LKebraufgaben wird angeordnet, daß in den Abfclugelaffen 
famtlidher Schulen unverzüglich VDererbungslebre, Raffentunde, Raffenbygiene, Samiliens 
tunde und Bevdlterungspolitit in den Unterrichtsftoff aufgenommen werden. Die Grunds 
lage wird im wefentliden die Biolo gis geben müffen, der nach der Verfügung eine auss 
reichende Stundenzahl, zwei bis drei Wodenftunden, nötigenfalls auf Roften der Mlatbes 
matit und Sremdfpraden, fofort einzur&umen ift. Uber aud alle übrigen Sächer außer der 
Biologie wie Deutfch, Gefdidte, Erdkunde find in den Dienft diefer Aufgabe zu ftellen. 
In fämtliden Abfhlußprüfungen find diefe Stoffe für jeden Schüler pflibtmäßiges 
Prüfungsgebiet, von dem niemand befreit werden darf. Der preußifche Rultuss 
minifter bat jich vorbehalten, durdy befondere Beauftragte bei den Reifeprüfungen die Ers 
reichung des gewunfdten £chrzieles feftftellen zu laffen. 


Raffenhygienifhe Aufflarungsarbeit. 


Lin alter Dortdmpfer der Raffenbygiene, Prof. Dr. Rubn, Gießen, bringt im Verlag 
Theodor Steintopf eine Rede heraus, die er im Jahre 1920 in Dresden gebalten bat. Die 
Sorderungen, die er fchon damals erhob, beginnen Heute Wirklichkeit zu werden. Befonders 
begrüßenswert ift feine Sorderung nad) der Srübebe und Aerabfegung der beruflichen Auss 
bildungsseit. 

Als gute Aufllärungsfchriften, die der Verbreitung des biologifchsraffifchen Denkens 
gute Dienfte leiften werden, find in Sriedrih Manns Pädagogifhem Magazin in der Reibe 
„Raffe“ die Rede des Reichsinnenminifters Dr. Srid uber , Bevdllerungs: und Raffens 
politit“ und eine Schrift Staemmiers „Raffenpflege und Schule“ berausgelommen. Beide 
geben gute Anregungen und bejonders die Schrift Staemmlers wird fur manden Erzieber 
von Wert fein können. Don Rleinigleiten abgefeben kann man Staemmilers praltifchen 
Vorfehlägen für die Erziehung der Schuljugend zum biologifhhen Denken durdyaus zus 
ftimmen. 


Deutfche Befellfchaft für Kaffenhygiene. 


In Hamburg wurde eine Ortsgruppe der deutfchen Befellfchaft für Raffenbygiene 
gegründet und Herr Dr. med. Willy Holzmann, Flervenarzt, Hamburg, An der 
Alfter 63, zum 3. Dorfigenden ernannt. 

In Danzig wurde eine Ortsgruppe der deutfchen Gefellfehaft für Raffenbvgiene 
gegründet und Serr Reg.s und MedsRat Hellmuth Rlud, £eiter des Gefundbeits- 
weiens, Danzig, Raffubifcher Markt ı, zum 1. Vorfigenden ernannt. 


Reichsausfchuß fir Volksgefundheitsdienft. 


Der Reihsausfhuß für Dollsgefundbeitsdienft läßt auf Anordnung 
des Heren Reichsminifters des Innern eine Sdbciftenceibe erſcheinen. 

eft 3 enthalt die AUnfprace dea Geren Reichsminifters des Jnnern Dr. Frick auf der 
erften Gigung des SGachver(tandigenbeirats fir Bevdllerungs: und Raffenpolitit (vgl. Dol 
u. Raffe Heft 4, Seite 137). In Jett 3, das als nächites erfchienen ift, wurde ein Dortrag 
von Prof. Dr. €. Baur, „Die Bedeutung der natürlichen Zuchtwahl bei Tieren und 
Pflanzen“, veröffentlicht. Die Hefte find zum Preife von ME. —.10 je Stüd, ME. —.os 


206 Volt und Kaffe. 1933, VI 
Se 


bei 25, ME. —.06 bei 50, ME. —.o5 bei über 100 Stud vom Keichsausfhuß für Volke» 
gefundbeitsdienft, Berlin NW 7, RobertsRodsPlag 7 zu beziehen. Die Hefte verdienen 
weitefte Verbreitung. 


Sragekaften. 

I. Aaben die Tedger von Geiftestrantheiten im 20. Jahrhundert zugenommen? 

2. Wie groß ift die Zahl der Eben mit 4, 3, 2 und I Rind auf 100 Eben? Wieviel 
kinderlofe Eben find unter diefen? 

3. — hoch iſt die Zahl der die Hilfsſchüler unterrichtenden und betrauenden Lehr⸗ 
raͤfte? 

4. Treten abklingende Erbaͤnderungen (Modifikationen) im Zuſammenhange mit Um⸗ 
weltsſchaͤdigungen oder Infektionskrankheiten auf oder werden erſtere durch dieſe 
verurſacht oder zumindeſt beguͤnſtigt? £. §. 


Budhbefpredungen. 


§. K. Sheumann: Bekämpfung der Unterwertigkeit. Planmäßige Dorforge für die 
deutiche Samilie. Alfred MegnersVerlag, Berlin 1933. 92 S. 

Das Bidlein vermittelt in tucszefter Marer Saffung den beutigen Stand erbbiologis 
fder Ertenntniffe und legt an Hand erfbutternder Beifpiele aus den Alten der Wobl- 
—— die vernichtenden Einflüſſe menſchlicher Unterwertigkeit auf die ſoziale Struk⸗ 
tur unferes Dollstérpers dar. 

Als befonders fructbar ift der Dorfdlag des Verfaffers hervorzubeben, ftatt einer 
Sürforge, die bloß der Belämpfung fhon vorbandener erbbiologifher Schäden dient, eine 
Samilienvorforge mit raffenpflegerifcher Einftellung zu fchaffen, die in Zufammenarbeit mit 
den Standesämtern eine nad) raffenbygienifepen Gefidtspuntten getroffene Dorbeugung der 
Entftebung von Sirforgebedurftigteit dberbaupt gewabrleiftet. Srig Dittmer. 


Kurt Schmidt: Die ſtrafrechtlichen Grundlagen der Unfruchtbarmachung. Eine Dar⸗ 
ſtellung nach geltendem und zukuͤnftigem deutſchen Strafrecht unter Berudfihtigung oer. 
auslandifcden einfdlagigen Gefeggebung. C. Boyfen, Hamburg. Preis Mit. 20.—. 

Diefes Budlein enthalt die Gedantengange der Juriften zu dem Problem der Steris 
lifierung. Der Klaturforfcher ftebt ftaunend vor den Definitions(hwierigkeiten der Juriften 
und merkt, daß ihm bier ein anderer Geift entgegenwebt, der Jabrbunderte lang unfer Dolt 
in römifchsfholaftifhen Banden bielt. Die & le von UNDELUNG ER, einfeitiger nicht durch 
Heturtenntnis belafteter Denterarbeit legt fi wie ein Alp auf jeden, der gewohnt ift, 
nad fadliden und nidt nach formalen Gründen zu entfcheiden. 

Ganz Mar wird es: Niemals batten fic die Juriften 3u dem Sterilifierungegefege, das 
Deutidland beute befigt, entfdloffen. Und all diefe ungebeuere geiftige Arbeit, die einem 
Biologen wie ein Flebelmeer von Worten erfcheint, wird Gottlob weggeblafen und zus 
nichte gemadt durch unfer neues Sterilifierungsgefeg. Baber find die erften zwei Abs 
fhnitte des Buches, die fic mit den Verbältniffen de lege lata und de lege ferenda 
befchäftigen, [bon veraltet. 

So ift diefe Arbeit vor allem als biftorifcher Rüdblid zu werten. 

Berühmte Juriften werden genannt, die aus der Rulturgefchichte der Ieten 20 Jahre 
woblbetannt find und ibre Gedantengange und Sormulierungen entwidelt, die uns Bios 
logen — gelinde ausgedrüdt — unverftändlich find. So 3. B. bat der befannte Jurift Graf 
Dobna nodh im Jahre 1929 verlangt, es fei zuläffig, den gefunden Ehemann zu fterilis 
fieren, wenn die erblich belaftete Ebefrau die Sterilifierung lieber ibm zufchiebt. Spiegels 
bildlich glei wollen jegt nod) mance Gyndlologen die ——— Ehefrau ſteriliſieren, wenn 
der Ehemann ein Trunkenbold iſt und ihr fleißig minderwertige Rinder zeugt. 

Wer denkt da nicht an Mephiſtos: „Vernunft wird Unſinn, Wohltat Plage!“ 

All dieſen Juriſten und Arzten ſei geſagt, daß die deutſchen Raſſenhygieniker niemals 
zugeben werden, daß der geſunde Ehepartner unfruchtbar gemacht werden darf, um den 
Erblranten aus irgendeinem Grunde zu ſchonen. 

Sehr dankenswert empfunden wird im 3. Teil der Zuſammenſtellung alle außer⸗ 
deutſchen Geſetze uͤber die Unfruchtbarmachung. Lothar Gottlieb Tirala. 


1933, VI Buchbefprehungen. 207 
EEE 


Jahrbuch des Deutihen Dereins für Samilienkunde für die Tihehoflowakifche 
Republik. Geleitet von Dr. Aans Selir Zimmermann. I. Jahrgang 1930. Prag 1931. 
Als Einführung bringt diefer I. Jahrgang einen groß angelegten Auffag von Prof. 
Tfdermat, Prag, über „Samilientunde und Vererbung“, in dem er — ausgebend von den 
Mendeliben Belegen — an Hand von zahlreichen Abbildungen die ganze Dererbungsfrage 
vorführt, fo u. a. das Problem der Baftardierung, die Vererbung erfcheinungsbildlicher 
Ligenidaften, von Blutgruppen, Abnormitäten und Rrantbeiten. Cin Verzeichnis des 
widtigften Schrifttums über Vererbung befonders beim Wienfchen ift diefem Auffatze beis 
geaeben. — Prof. Brandt, Prag, jpricht über die neuen Ziele der Raffentunde an %yand von 
ildern, die von den Unterfuchungen Adolf Knöbels aus drei nordmährifhen Dörfern 
ftammen. Er wirft dabei die Srage auf, in wie weit man bei antbropologifchen Unters 
fudungen in den Sudetenländern die bisher gebräuchlichen Raffenbezeichnungen auch bei 
diefer Bevölkerung verwenden kann. — Zeitgemäß ift ein Aufjag von Prof. Breinl, Prag: 
~ yDie Grundlagen der Cugenit.“ Hier wird in Inapper Sorm das Widhtigfte der Raffens 
bygiene gezeigt, fo die Gefahr der Geburtenbefchräntung bei den fozial böber ftebenden 
Schichten und der Sebler des Zslibats, dagegen wird die B orberung erhoben, erbuntüchtige 
lieder, und fei es auf dem Wege der Sterilifierung, von der Sortpflanzung auszufdalten. 
— Bemertenswert find nod die Auffäge von Roerting: „Arzt und Samilienforfchung“, 
Zibora: ,Samilientundlider Lichtbilddienft” und fchließlih drei febr wertvolle Arbeiten über 
Ardive von Prag und Eger, die zeigen, weldy großen Wert gerade das Vorbandenfein von 
Arcdiven fur eine fyftematifde Samilienforfdung bat. — Ks ift jedenfalls erfreulich, daß 
der im Jahre 1929 gegründete Deuticde Verein für Samilientunde in der Tichehoflowalei 
durch Herausgabe diefes Jabrbuche die für das gefamte Deutfchtum fo on Sragen 
aud an die breitere Offentlidteit bringt. Hanns Graefe. 


Paul Mähler: Die Urmenihen. Roman. 3 Teile in einem Band: Steinfauft, der 
Affenmenfd. — Die Menfhbeitsmorgenrdte. — Die wilden Klasbornjäger von Weimar. 
Steinfauft-Derlag. Leipzig 1932. 8°. 201 SG. Preis geb. ME. 3.—, karton. ME. 2.40. 

Durd einen befonders intelligenten tertiären „Affenmenfcdhen“ wird in diefem Ros 
man die Benutgung von Steinen und Rnüppeln als Waffen, treibender Stämme als 
MWafferfabrzeuge und dabei fogar die Handhabung der Ruderftange erfunden. Die „Morgens 
rötemenfchen“ vervolllommnen ihre Geräte, lernen das Seuer gebrauden und beginnen 
die Geftirne 3u verebren. Träume geben Anlaß zu einem Seelentult. Tote werden bes 
ftattet und ihnen geopfert. Die Wintertälte zwingt zur Selltleidung. Im legten Teil feben 
“ wir den „Urmenfchen“ von Weimar als Bezwinger von Mammut, Mlasborn und anderen 
Großtieren. Er benutzt Sallgruben und Angelfchnüre. 

Das Buch bezeichnet fih als Roman. Es ift mit recht reger Phantafie gefchrieben 
und wirkt durdy die eingefchalteten Gefprdce der Tiere uber den Wienfchen ftellenweife 
wie Reinele Voß. Daß die Menfchen des zweiten Teils (es ift damit die Zeit von 
Chelles und St. Acheul gemeint) ji nod mit den Tieren unterhalten können, erfceint 
febr mertwürdig. Ls mag einer pddagogifden Abfidt zugute gebalten werden. Mebrs 
fac ift die Bebaarung des Urmenfden cect genau befdrieben, von der wir dod gar nidts 
wiffen. Daf die MMeanderthalraffe nur 3irta 1200 ccm Gebirn gebabt hätte, möchte bei 
einer Lleubearbeitung verbeifert werden. Der woblerbaltene Schädel von La Chapelle aur 
Saints 3. B. bat 1626 ccm. Aud die Anfertigung von Rnochengeräten war im lts 
paldolithitum nicht üblih. Sie treten erft im Aurignacien auf. Dies und anderes find 
aber Rleinigkeiten, welche die Wirkung des Buches nicht beeinträchtigen werden. Seine 
etwas bandfeften und oft reichlich breiten Schilderungen wenden fich ficher mit Erfolg an 
Leute mit geringer DVorbildung und an Jugendliche. Diefen mögen fie eine Vorftellung 
von oem ungefabren Gang der Entwidlung des Menfden und feiner frübeften Kultur 
geben. Ob das Buch aud — wie der Verlag meint — für Menfchen wertvoll ift, 
„die nad den legten Erkenntniffen ringen“, mag dabingeftellt bleiben. Ridter. 


©. Shwindrazheim: Deutfche Bauernkunft. Zweite umgearbeitete und erweiterte 
Auflage. Wiensfeipzig 1933, Deutfcher Verlag für Jugend und Vol’ G.m.b.%4. Mit 
12 Sarbentafeln und 202 Tertabb. Gr. 8°. Preis Alw. Mi. 25.—. 

Gegenüber der erften, im Auftrage der „Lebrervereinigung für die Pflege der künfts 
lerifcen Bildung (in Jamburg)” herausgegebenen Auflage von 1903 ift die gegenwärtige 
Fleuauflage bedeutend erweitert, mandye Teile umgcarbeitet. 

Der Wert des Wertes, das fic die ,Erwedung der Sreude an deutfcher Bauernkunft“ 
zum diel gefegt bat, beruht vor allem darauf, daß der Verf. faft ausfdlieflid Selbſt⸗ 


208 Dolt und Raffe. 1933, VI 





gefebenes und dabei Empfundenes bietet. So kommt eine FTote unmittelbaren perfönlichen 
Erlebens hinein, die mandyen anderen Arbeiten über dbnlicye Gebiete feblt. 

aablreide gute Photos und Zeichnungen geben einen lebendigen Überblid über bäuers 
lide Runftäußerungen in Hausbau und Hausrat, in UArbeitsgerdten und Gebraudsgegen: 
ftanden und fdlieflid aud in der Dollstradt. | 

Das durchaus voltstümlich und anfchaulich gefchriebene Werk verdiente in Laiens 
kreifen, insbefondere in der ldndlicben Bevölkerung, weite Verbreitung. Sue den Wiffens 
Ihaftler bat ein Teil der Abbildungen und Zeichnungen Quellenwert. 


Gunther Spannaus, Keipzig. 


W. Erdge: Lucas Cranad 3.4. als genealogifhes Phainomen. Cine genealogifcde 
Studie. Weimar 1930, Verlag Hermann Bdblaus Madf. 16. S. 

Die Studie ftellt einen Beitrag dar zur Seftfchrift für den um die Genealogie ver: 
dienten Urdivdirefttor Armin Tille. Es werden hinweiſe und Belege gegeben für die Abs 
ftammungsgemeinfdaft zahlreicher fchöpferifcher Perfönlichkeiten und Gelchlechter mit dem 
großen Maler der Reformationszeit. Goethe, die Schlegel, Ernft Haedel, das Theologen: 

ejchlecht der Keyfer, das Juriftengefchleht der Larpzow, Adelsfamilien wie Blücher, 
Ba, Ridthofen fteben in Abftammungsbeziehbung zu Cranad. Auch Ahnen des Perf. 
gebören in diefen Kreis. Sur die Ahnenreibe Goethes, die 3u Lucas Cranach o. A. fubre, ift 
die Haufung tonformec Eben bezeichnend, als deren Solge ein Zufammenftrömen bochs 
wertiger Anlagen zuftande fam, die in Goethe ibre glüdlichfte Dereinigung fanden. Heinrich 
Reidel, Wien, bat auf die große Abnlicdteit in körperlichen und geiftigen Zügen binges 
wiefen, die Goethe mit feiner Mutters Mutter Anna Margaretba LindheimsTertor verbindet, 
die eine Madhfahrin der Cranadye ift. — Mit feiner Studie will Tröge eine Anregung geben 
zur planmäßigen Erforfhung der Cranadfden Kiadhtommenfdaft, die no in vielen Linien 
fortlebt. Die Vorarbeiten, auf die fic der Verf. bezieht, zeigen, daß bier eine fehr wichtige 
Aufgabe liegt, deren Durdführung einen überzeugenden Beitrag 3ur deutiden Rulturs 
biologie darftellen würde. | mM. Heid. 


B. Klofe: Über Waldbienenzudt in Lithauen und einigen Nachbargebieten. 9 Tafeln, 
12 Tertabb. In: Beiträge zur Klaturs und Rulturgefchichte Lithauens und angrenzender Ges 
biete; Abhandlungen der matb.snaturw. Abteilung der Bayer. Akademie der Wiffenichaften. 
Suppl.sBand 6.—9. Abhandlung. Münden 1925. 

Der Derfaffer bringt über altes und neues Imlergerdt, uber Urbeitsmethoden und bes 
fonders über den Zufammenichluß der Imter zu Verbänden eine Sülle von Lladyrichten aus 
den einzelnen behandelten Bebieten, die eine Erweiterung auf bisber nicht fo eingebend 
behandelte Länder dringend fordern. Sreilich gebört der Takt und das ganze Gefdid eines 
erfahrenen PDoltstundlers dazu, die alten Imker zum Reden zu bringen. 

Aus eigener Unfchauung mddte id) nod ergänzend anmerken, daß in dem alten 
tuffifdspolnifden Bebiet überall die Rlogbeuten reichlich vertreten find; fie fteben anges 
lehnt an Scheunens, Schuppens und Hduswande oder unter einem primitiven Bienenfchauer 
und find oben mit einem fteinbefhwerten Brett noch befonders gefhügt. Ebenjo findet 
man fie heute noch bin und wieder, aber immer feltener werdend, in Schlefien, der Heimat 
des Bienenvaters und mlerreformators, des Pfarrers Dzierzon, deffen Raftenbeuten mit 
der inneren Einrictung des Mobilbaus die alten ungefugigen Rlogbeuten verdrängen 
und ibr Ausfterben in abfebbarer Zeit verurfacdhen werden. | 

Auf einen von mir fhon in diefer Zeitfchrift angemerkten Irrtum auf S. 405 betr. 
Rlogbeuten mit aufgenagelten Tongefichtern aus YliedersBielan, Breis Reidhenbady, bei 
dem die Örtsangabe nicht richtig fein kann, möchte ich nur deswegen binweifen, weil es 
mir inzwifchen gelungen ift, in Schlefien drei ähnlich ausgeftattete Beuten zu finden: zwei 
drehrunde Beuten mit den Gefichtern eines bärtigen Sultans und feines weiblidden Gegen» 
ftüds und eine Raftenbeute mit JIndianergeficht. Die aufgelegten Gefichter erfcheinen mir 
aber in allen Sällen aus Holz gefchnigt zu fein. > Aelimid. 


Druckfehler in Heft 5: In dem Auffag von Medizinalrat Or. Vellgutb „Geburtens 
zahl und Schwadhjlinn“ muß es auf Seite 167 Zeile 10 4,0% und nicht 0,49% beißen und 
auf Seite 179 Zeile 3 bereinigte Zablen ftatt unbereinigte Zeblen. 


— 


Ley 





nachdriicklich zur Verbreitung des rassenhygienischen Gedankens aus 
der Reihe DAS KOMMENDE GESCHLECHT besonders die 
Schriften von Rüdin und Lenz. Damit haben die Bestrebungen 
der von Eugen Fischer, Hermann Muckermann und O. v. Verschuer 
herausgegebenen Reihe nach ı3 jähriger Pionierarbeit Anerkennung 
von amtlicher Seite gefunden. Wer sich für die eugenische Reihe, 
die wichtige Ergebnisse der Forschung vermittelt, interessiert, ver- 
lange Prospekt über ds KOMMENDE GESCHLECHT. 





Soeben erfdienen: 


Erblehre und 
Raſſenkunde 


Von Dr. Werner Dittrich, Leip— 
zig und Dr. Erich Mey er, Leipzig. 


Mit etwa 50 Abbildungen. 1933. Etwa 
100 Seiten. Steif geheftet 2.50 NM. 


Da das Reichspropagandaminiſterium einen 
roßzügigen Plan zur bevölkerungspolitiſchen 
ufklärung vorbereitet, erſcheint dieſes Buch 

ziir rechten Stunde. Es führt, von der Ver— 

Sehe ausgehend, in die Rafjenfunde 

etn und bejchränkt jich auf die grundjäglich 

wichtigen Gedanken, die mwijjenjchaftlich ein- 
wendfret und allgemeinverjtändlich darge- 
fteltis werden. Ülteren Schülern farın e3 
unbetyenflidy in die Hand gegeben werden. 

Für YW oltShodjdhulen, Amtsrwalter-, SU- 

und ©G--Rurje, Bellen- und Ortägruppen- 

abende tft e3 gleichermaßen geeignet. 


R 


Serdinaud Hirt, Breslau 


heit“ de3 Berlages j 





weltpolitiichen 


In dem vom _ Reichs- 
minister des Innern ein- 
berufenen Sachverstän- 
digenbeirat für Bevölke- 
rungs- und Rassenpolitik 
waren Gegenstand der 
Verhandlung die Vor- 
schläge von Prof. Lenz 
über „Ausgleich der Fa- 
milienlasten“ und von Dr. 
Burgdörfer über „Be— 
völkerungsfrage u. Steuer- 
reform’ (Das Kommende 
Geschlecht V 4-5, M. 3.35). 









Deutjchland 





Geſchehen 


Dr. Otto Leibrock 
XX, 436 Seiten Text 














Broſchiert RM. 10.—, Ganzl. RM. 12.50 


Deutſchlands Erneuerung: 
Mit dieſem, ſtrengſte Wiſſenſchaftlichkeit und 
tlare allgemein verſtändliche Darſtellungsweiſe 
aufs glücklichſte verbindenden Werke hat der 
Derfaſſer eine dankenswerte nationale Auf— 
tlarungsarbeit geleijtet. . 

Deutſche Rundſchau: 
Ein ausgezeichneter Kennet der national⸗ und 
weltötonomifhen Zufammenhänge beipricht in 
fluger, feifelnder Daritellung nad} einem Rüd> 
blit auf die Gefahrenlage der Dorfriegszeit 
alle erdentlihhen Stagen der gegenwärtigen Mot. 

Der Jungdeutihe: 
Der Wert diejer Arbeit für die politifhe Schu: 
lung it außerordentlich, der ungemein feffelnde 
und gedantenteiche Inhalt führt zu den Wurzeln 
der neuzeitlidhen Weltgefchichte. 


Deutſche Wiſſenſchaftliche Buch— 
handlung, G. m. b. h., Leipzig. 






a“ u u EEE a u 
ir machen unfere Lefer /befonders auf den diefer Nummer beiltegenden Profpeft „Raffentunde und Raffenge te der Menich- 
Aerdinand Ente, Etuttgart aufmerfjam. Henge (hic ſch 





- in * 


Wir kauſen zurück 


zum Preije von je AM. 1.50 x 


Heft 1 und 2 


des laufenden 


TmmmmmmmmmTt — + 
’ eee 
7 | | | 


Jahrgangs von Doll und Rafe 


J ſſ —— 


J. F. Lehmanns Yerlag, Mindhen 2 SW. 


ANAITELIUEIRUDDERRBRLERDEHTRRE 


Wandtafeln 


für den raflen- und vererbungsfundlichen Unterricht 


I. Reihe: Bon Dr. Bruno K. Schult. 10 Tafeln, von denen 1 un, ? je 110x140 cm 
3 88x123 cm, 4-7 je etwa 70x110 cm groß find. Preis der einzelnen, te,Tweije farhigen 
Tafeln zwilchen AM. 1.20 und AM. 4.50. j 


II. Reihe: Bon Stud.-Rat Dr. 3. Graf. 10 farbige Tafeln in der Größe 84 x104 Me 
Preis jeder Tafel AM. 3.—. | 


Mit der Herausgabe diejer Tafeln füllt unjer Verlag, der bisher bahnbrechend in der Schaffung eines 
fundliden Schrifttums twar, eine bejonders im Schulunterricht zutage getretene Lücke aus. 

Die einzelnen Bilder und Darftellungen find in größter Deutlidfeit und Überfichtlichleit wiedergege 
dab jie auch auf weitere Entfernung gut erfennbar jind. Gie jind Ergebniß jahrelanger Unterrichtserf 
und bilden in ihrem von pädagogijhem Empfinden geleiteten Aufbau ein einpragjames Wnjdauungss 
Sie eignen fich nicht nur für den Unterricht in Schulen aller Gattungen, SA. -Lehrgängen, Wrbeitsni; 
ujiw., fondern lafjen jich auch vorzüglic, al3 aufflärender Wandihmud in Verbandsheimen, behörblic j 
zimmern, Kajernen und dergleichen verwenden. m 


Ausfühbrlider Brojpet t teht gern foftenloS zur Berfüf 


S$ Lebma uns 2 evlag/ Miumdbe 


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Berantwortlic für bie Schriftle itung von „Volk und Kaffe“: Dr. Bruno K. ulg, 
Berantwortlid fiir ben WAngeigenteil: Guido Haugg, Miinden. — Gerlag: 3. F. Lehma 
Druck von Dr. F. G. Datterer & Cie, Freifing- Münden. 












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so” ’ 7 — 


Dolt und Rare * 









Illuſtrierte Monatsſchrift fuͤr deutſches Volkstum 
Raſſenkunde Raffenpflege 


Zeitfchrift des Reichsausfchuffes für VDolksgefundbeitsdienft und 
der Deutfchen Gefellfhaft für Raffenbygiene. 


> Werausgeber: Prof. Aichel (Kiel), Präf. Aftel (Weimar), Prof. Baur (Mündyeberg), Reichs 
miniſter RX. W. Darr é GBerlin), Min.⸗Rat Fehrlhe (Heidelberg), Min.⸗Kat Güͤtt (Berlin), — 
miniſt. Hartnacke (Dresden), Prof. Helbot (Innsbruck), Reichsführer SS. Himmler (München), 
Prof. Mollifon (Münden), Prof. Much (Wien), Prof. Rede (Leipzig), Prof. Radin | 
- (Atünden), Dr. Ruttke (Berlin), Prof. A. Schulg (Königsberg), Dr. ®, Schulg (Görlig), 
Prof. Shulg e⸗ Naumbutg (Weimar), Prof. Staemmler (Chemnig), Dr.Tirala (Brünn), 
Dir. Zei ($rankfurt a. 1.) 


Säeiftleiter: Dr. Bruno RK. Schulg, Münden 
Heubauferftraße 51/3. 
















— — — 





8. Jahrgang tee ER November (Nebelung) 1933% 








¢ | 
Umjdlag: Die vier Sane — Grapes. Aus BR. Schulg, Erbtunde, Raffen- | 


funde, Raffenpflege) A h 


Rafjenmertmale « Sho} penbauers und feiner näheren Verwandten. Bon Dr. } 
Walther Rauſch penbe rget, , Fra antfu rt a.‘ — — und einer ar Seite 209% 


Der Begeiff „Rafie“. Bon Drof. . D 9. ¥ ete a “2 — — 3 > | 
Grudjtbarteitsdauer einft und jest. Bon Drof. Di.£ 










(Mit 1 Abbildung) - RE: aa —* WE » 219: 
Sippichaftstafel eines Rück fallverbred) „2211 
Unterfudjungen über bie af ‘Sst Von Wit —* 

Magdeburg A ae AR Ca (CR — * „ 223: 
Bom Deutjcen 3 Boltstun m in Polen. Bor Guard Schwertfeger : . 225: 
Einführung in Erblehre u Erbpflege. * epee Soffmann-Eefurt „ 228 | 
Aus Raffenhygiene giene und 5 Beaten — 220/ 
Deut the Geſellſchaft * —— Be = one » 230; 
Fragetaſten Mega Lie ET — = . » 230) 

| Bir: , » 231) 


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3 Ei vierteljährlich RE. 2.—, Einzelbeft RT. —.70, Po nave tonté ——— — 20; | 
_ 48 prei 8 gap o Wien BOBO 2 Poftfcyedtto ito Bern Kr. TIT 4845; re = 
Deutfchen in Drag, Kratauer Gaffe 11 (Doft{dedttor nto Prag. 627 50). | 


5 g. dem nanns Verlag / iünden- 2 om.) Paul — 26 


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Volt und Raffe, 8. Sabrg. 1933, Seft 7 


3. §. Lebmanns Verlag, Minden 


Der Derlag behält fidh das ausfchließliche Recht der Dervielfältigung und Verbreitung der 
in diefer Zeitfehrift zum Abdrud gelangenden Originalbeiträge vor. 


Raffenmertmale Schopenhauers und feiner 
näheren Verwandten. 
Von Dr. Walther Raufchenberger, 


Direttor der SGendenbergifden Bibliothek in Srantfurt a. IM. 
Mit 7 Abbildungen und einer Sippfchaftstafel. 


&tor:n bauer batte afhblonde Haare, blaue Sart oh und belle, rofige Haut. 
Seine GBeftalt war Hein, nicht zierlich, fondern ftämmig, ähnlich derjenigen 
Beethovens, mit dem er eine entfernte Abnlichleit batte!). Der Ropf war im 
Derbältnis zum Körper groß und maffig, die Stirn ftark entwidelt; nod) mads 
tiger war die Breitenausdebnung des Schädels. Die größte Länge des Kopfes 
war 20,6 cm, die größte Breite ıs cm; demnach der RopfsInder etwa 87. 
Die Scädelform wurde von Bildhauer Prof. Zwerger mittels Gipsabdruds 
von der Leiche genommen. Die ungewöhnliche Breite des unregelmäßig gebils 
deten Schädels ift an diefem erfichtlich ?2). Breit wie der Schädel war auch das 
Beficht. Die Flafe war gleichfalls breit, der Mund groß, das Rinn ftark ents 
widelt. In ibm, wie in den zufammengelniffenen Mund prägten fich Seftigkeit 
und Willensftärke, aber audy eine gewiffe Härte und LUnerbittlichleit aus. Die 
Augen batten etwas Grelles; fie zeigten einen weltfchmerzlicyen Ausdrud, hinter 
dem aber nicht felten ein gewiffer fchaltbafter Yumor dSurchblidte (Abb. 1). 

Der Water, Heinrid Sloris Schopenhauer, Groglaufmann in Danzig, 
fpäter in Hamburg, hatte belle Haare und Augen und langen Schädel. Die 
Merkmale deuten auf nordraffifden Linfcdblag; das breite Beficht mehr 
auf Falifden oder oftbaltifden. Er war ein fefter, ftrenger Charats 
ter, von Wabrbeitss und Gerechtigheitsliebe durddrungen, aber auch zum Jabs 
30rn neigend und leicht reizbar. Geine warme Sreibeitsliebe, feine grogen taufs 
möännifchen Säbigkeiten und ein ungewöhnliches Maß von geiftiger Bildung und 
Spracdfenntniffen find zu nennen (er fprad englifd, franzofifh und bolländifch 
fließend). Befonders auffallend war fein zeitweife bervortretender unbeugfamer 
Starrfinn. Dem preußifchen General, der ibm bei einer Blodade Danzigs Sutter 
für feine Pferde anbietet, läßt er fagen, er habe noch genug Sutter; wenn er keines 
mebr babe, laffe er feine Pferde totftechen. Als Preußen 1793 zur Kinverleibung 
Danzigs fchritt, verläßt er feine VDaterftadt wenige Stunden vor der Befegung 
fluchtartig unter großen Dermdgensverluften und fiebt fie niemals wieder. Die 
feelifchen Zigenfchaften des Daters laffen nordifden und wobl aud faͤliſchen 
Einfhlag ecfennen (Abb. 4). 

Der vaterlide Grogvater, Undsreas Sdb., war ein febr vermdgender Grog: 
taufmann und Sabrifant in Danzig. Er war bervorragend begabt, befonders auf 
kaufmännifchen Gebiet, raftlog tätig, ein energifcher, fefter Charatter. Zeitweife 
neigte er zum Starrfinn wie fein Sohn. Er war kunftfinnig und befaß eine 
größere Bemäldegalerie. Seine Stau, Anna Renata geb. Soermans, war 
die Tochter des bolländifchen Minifterrefidenten bei der Sreien Stadt Danzig, 
Hendrit Soermans, eines angefebenen wohlhabenden Raufmanns, der einer 


1) Dgl. Bwinner, Wilbelmvon, Schopenbauers Leben. 3. Aufl. 1910, 38.398: 
Scywieg er, ſo ſah er Beethoven aͤhnlich.“ 
2) Abbildung a. a. O. S. 400. 


Dolf und Rafſſe. 1933. November. 47 


210 Volt und Raffe. 1933, VII 
SS — ——— 


hollaͤndiſchen Predigerfamilie entſtammte 8). Anna Renata war von ſehr heftigem 
Charakter und wurde nach dem Tode ihres Mannes (1794) fuͤr geiſteskrank er⸗ 
klaͤrt und unter Vormundſchaft geſtellt. Ein juͤngerer Sohn von ihr, Michael 
Andreas, war von Jugend auf bloͤdſinnig, ein anderer Sohn gleichfalls nicht 
vollia normal. Auch der Vater Schopenhauers ſcheint in ſeinen letzten Lebens⸗ 
jahren nicht frei von geiſtigen Stoͤrungen geweſen zu ſein und endete ſein Leben 
— —— freiwillig. Leider beſitzen wir von den Großeltern Sch. keine 
r. 


Die Mutter, Johanna Sch. geb. Troſiener, war von zierlicher und 
kleiner Geſtalt, ſie hatte blaue Augen und hellbraune Haare. In ſeeliſcher Richtung 
if ihre Aeiterkeit, DDabrbeitsliebe, ibe Sreimut, groge Derftandesgaben und ein 
stemlidy ftartes Beltungsbedürfnis zu nennen. Bemüt batte fie weniger; fie war 
eine kühle Klatur. Ihr Schriftftellertalent, das fie in Weimar entdedte, war ziems 
lich grog; ibr Roman „Gabriele“ wurde von Boetbe gelobt. Tordraffis 
{der Einfchlag ift bei ihr ficher anzunehmen. Unnordifch ift ihre kleine Beftalt 
und das etwas breite Beficht. Schopenhauer glich feiner Mutter in erheblich mebr 
Kigenfchaften, als man gewöhnlich annimmt. Er batte die großen blauen Augen 
und die Eleine Geftalt, vor allem aber feine große fchriftftellerifche Begabung von 
der Mutter, überwiegend auch feinen Sinn für Wit und Humor und die Leis 

ung, die eigene Perfönlichkeit zu gebührender Geltung zu bringen. Die gefunden 
eiten feines Wefens batte er vor allem der Mutter zu danten (Abb. 3). 

Der Dater der Mutter, Chriftian Heinrich Trofiener, errang durch 
eigene QTüchtigleit eine angefebene Stellung als Raufmann und Ratsherr in 
Danzig. Seine Tochter befchreibt ihn *) als großen, ftattlichen, beiteren, lebhaften 
und Eugen Mann von unbeftechlider Redlichleit und unbeugfamem, republilas 
nifhem Sinn, der aber zum Jabzorn neigte. Das erbaltene Bild (Abb. 5) zeigt 
einen Außerft energifchen Ausdrud. Fordraffifdher Cinfdlag ift ficher anzus 
nebmen. Die Mutter der Mutter (Elifabeth geb. Lehmann) hatte eine febr 
Beine, zierliche Beftalt, große bellblaue Augen und langes braunes Aaar. Ylach 
der Schilderung ihrer Tochter war fie fanftmütig, freundlich und reich an Mutter 
wig. Das erbaltene Bild (Abb. 6) zeigt neben nordraffifdem einen ofts 
baltifden Einfchlag (Sorm der Ylafe, betonte WPangenbeine, belle Sarben und 
Bleine GBeftalt). Don den weiteren Vorfahren ift nichts Lläberes in raffifcher Sins 
ſicht bekannt. 

Die Schwefter, Adele Sch., war groß, wie ihr Dater, hatte große, bellblaue 
Augen —— Fyaare; die Llafe war ziemlich breit (Abb. 2). Sie war intelligent, 
nabm das Leben fchwer und blieb wie ihr Bruder unvermäblt. Sie war (drifts 
ftellerifch tätig wie ihre Mutter 5). Wan kann bei ihr einen ziemlich ftarten nords 
raffifden Kinfchlag annehmen. Deater, Sohn und Tochter waren baglich. 

Wenn wir Schopenbauers belle Sarben betrachten, fo wird jeder fofort 
an die nordifche Kaffe erinnert. Schopenhauer gebört zu den bellfarbigften 
Benies, die Deutfchland hervorgebracht bat. Er batte tiefblaue Augen und 
rofige Gefictsfarbe, wie fie fur diefe Raffe kennzeichnend find. Unnordifch ift 
dagegen die geringe Korperbdbe, die Gedrungenbeit der Geftalt und die Breite 
des Geficdts und Schädels. Ls muß alfo neben dem nordifchen ein weiterer 
Raffeeinfchlag vorliegen. Die alpine Raffe, an die man denken könnte, kommt 
kaum in Srage. Sie bat nicht breite, fondern runde Ropfs und Befichtsformen, 
tommt auch in der Gegend, aus der Schopenbauers Ahnen ftammen, kaum vor (die 
meiften Abnen waren Klordoftdeutfche). Schopenhauer weift vielmehr deutliche 
Merkmale einer Meinen, bellpigmentierten Raffe auf: der oftbaltifchen, die in 


8) Eine im SchopenbauersArdiv in Srankfurt a. M. vorhandene Büfte (vgl. Abb. 7) 
ftellt möglidyerweife ibn dar (vgl. Grifebah E., Schopenhauer, Befchichte feines Lebens, 
1897, 8. 276). Diefe Büfte zeigt nordraffifde und wobl aud falifde Cinfdlage. 

1) Jobanna Shopenbauer: Jugendleben und Wanderbilder, Bd. 3, S. 10 ff. 

5) „Tagebücher“, ,Tagebud einer infamen“, ,AHauss, Walds und Seldömärden“. 





1933, VII 


Abb. 3. Schopenhauers Mutter Johanna 
geb. Trofiener. 





Abb. 5. Schopenhauers Großvater mütter!l. 
Chriftian Heinrich Trofiener. 





211 


Abb. 4. Schopenhauers Dater 
beinrich Sloris Schopenhauer. 





Abb. 6. Schopenhauers Großmutter mütterl. 
lifabeth geb. Cehmann. ? 
17 


212 Dolt und Kaffe. 1933, VII 
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der Gegend feines Geburtsortes Danzig neben der nordifchen vertreten ift. Ein im 
Derbältnis zum Rörper großer maffiger Ropf mit breiten ?*) edigen Sormen, breitem 
Geficht und afchblonden Kyaaren find die oftbaltifche Raffe auszeichnende Merk: 
male. Rennzeichnend ift auch die fich nach unten verbreiternde Flafe. Auch die 
verhältnismäßig fehmale Lidfpalte des Auges, die oft finfter zufammengezogenen 
Augenbrauen find bei der oftbaltifchen Raffe baufig. Dazu ftimmt die Rleinbeit 
und Unterfetztbeit des Wuchfes. 

Auf feelifchsgeiftigem Gebiet treten zunächft nordifche Kigenfchaften be= 
berrfchend in Erfdeinung. Mordifh ift an en die plaftıfcbe 
Rraft und geradezu Elaffifchbe Rlarbeit feiner Gedanken. Flicht minder die 
Monumentalität feines Stiles. Die 
Schriftfteller der Antike find nicht nur fein Dor: 
bild, fie find ihm im tiefften Grunde weſens— 
verwandt. Wenn Schopenhauer die Anfcha u: 
ung als Urquell aller Erkenntnis preift, fo ıft 
er auch darin nordifch. „Der nordifche Menfch 
denkt anfchaulich in Bildern‘). Jn der Anz 
fchaulichkeit des Stils übertrifft Schopenbauer 
fein großes Vorbild Goetbe; er Bann obne Über: 
treibung der anfchaulichfte aller pbilofopbifchen 
Schriftftelleer genannt werden. Schopenhauer 
bat nicht nur gegenüber oft abftrufen Gedantens 
gängen feiner Vorgänger fichb zur Rlarbeit und 
Einfachbeit des Denkens zurüdgefunden; er bat 
gegenüber der Verfchnörteltbeit des deutfchen 
Mefens die große, Elare Linie der Darftellung 
feben und würdigen gelernt. Die Shönbeit 
ee feiner Gedanten ift fo groß wie ibre Rlarbeit. 
(oder Shopenhauers Großvater Chriftian N allen diefen Eigenfchaften ift Schopenhauer 

heintid) Trofiener?) nordifch, ebenbürtig den großen Werten 
bellenifcber Runft, die alle nordifchen Heift atmen. 

Auch andere Eigenfchaften Schopenbauers laffen nordifchen Geift erkennen, 
fo fein außerordentlich ftartes Selbftbewußtfein und fein ausgeprägter In = 
divıdualismus, feine Kleigung ficb abzufondern und die Einfamteit auf: 
zufuchen. KTordifch ift ferner fein ftarkes Selbftdenkertum und fein großes 
metapbyfifdhes Bedürfnis, nicht minder die Entfchbiedenbeit, mit 
der er für feine Anfichten eintritt, und die Solgerichtigkßeit, mit der er 
in der felbftgewäblten £ebensaufgabe aufgebt. Als nordifch wird 
man ferner feine ariftofratifbe Weltanfbauung, feine Derberrli: 
bungdes Genies und feine KTeigung anfeben dürfen, fernab der großen Hlenge 
feine Wege zu geben. Bei einem Denter, der fich in feiner Weltanfdauung 
fo weit von feinen Zeitgenoffen, ja dem ganzen Abendlande entfernt, der den Mut 
bat, der Welt fo unverblümt die Wabrbeit ins Geficht zu fagen, wird man von 
vornherein einen ftarken nordraffifchen Einfchlag annebmen müffen. LTordifch ift 
an Schopenhauer auch die ftarke fubjektive Überzeugung von der Wabrbeit 
feiner £ebre, die bei Philofopben bäufig auftretende, ibnen eigentümliche Über: 
zeugung. daß fie allein und zuerft in den Befig der vollen Wabrbeit gelangt 
find, eine Erfcheinung, die wir fcbon bei den nordifchen Hellenen, bei Heraklit 
und Parmenides, antreffen. Man wird die Wabrbeitsliebe — die Voraus: 
fegung aller Pbilofopbie überbaupt — als ein Merkmal betrachten dürfen, das bei 





5a) Es fei darauf bingewiefen, daß faft alle Bilder der Derwandten Schopenbauers 
breite Gefichteformen zeigen. 

8) Dgl. Baur-Sifdher-Lenz, Menfadlide Erblichkeitslehre und Raffenbygiene, 
3. Aufl. 1927, ©. 551. 


213 


Walther Raufchenberger, Raffenmertmale Scopenbauers uw. 


1933, VII 


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214 ‚Volk und Kaffe. 1933, VII 
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- der Ylordraffe ftarler entwidelt ift als bei anderen Raffen, und wird desbalb bei 
allen wirklich großen Dentern indogermanifcher Sprache einen ftarten nordraffis 
fen Einfdylag annehmen dürfen. Llordifch ift endlich Schopenhauer ganz befons 
ders in der Grundsfaglidleit, Härte, Strenge und der Unerbittlids 
keit feines Denkens. Sür ihn gibt es keine AHalbbeiten, Beine feigen Rompromiffe, 
fondern nur ein Entweders®der. Alles Beichönigen der Welt und der Wahr; 
beit, alles unredliche Sichfelbftsbelügen ift ihm im Innerften zuwider. 

Licht fo eindeutig liegen die Dinge, wenn wir in die irrationalen Tiefen 
feiner Perfönlichkeit eindringen, wenn wir mit ibm binter der „Welt ale Dors 
ftetlung’ eine ,, Delt als Wille finden. Zwar kann in der Statuierung des Wils 
lens als innerften Bernes der delt kein unnordifcher Zug erblidt werden. Auch 
andere nordifche Dichter — Rant, Sidte, Wieg {de — find Doluntas 
riften gewefen, im befonderen diejenigen, dieaus O ftel bien bervorgegangen find 
und in diefer ihrer Lebre der Tatface einen legten Ausdrud gegeben baben, daß 
fie die Kiachlommen eines Gefcdledtes von Kroberern und Rolonifatoren ges 
wefen find. — Aud in der Tatfadye, daß Schopenhauer die dunteln und düfteren. 
Seiten der Welt mebr als andere Denter bervorbebt, liegt kein unnordifcher Zug. 
Dielmebr ift gerade die nordifche Seele geneigt, in die Tiefen des Seins zu bliden 
und zu künden, was fie dort gefchaut bat. 

Anders verhält es fich mit der Tönung und vor allem der Wertung, 
die er dem Weltwillen gibt. Der Wille ift nady ihm nicht mit Vernunft gepaart, 
er bringt keine finnvollen Werte bervor, fondern fein Wefen ift fchlechthin finn » 
los, rubelos, blindwütend und unfelig. Ehe wir bierauf näber eins 

eben, müffen wir darüber Rlarheit erlangen, daß alle Wertungen — die der 

bilofopbie Schopenbauers die entfcheidende LTote geben — Willensentfceis 
dungen find, aus Quellen entfpringen, die nicht oder nicht rein rationaler Mature 
ind. Bei der Entfcheidung fir oder gegen beftimmte Werte fpielen Art und 
Beſchaffenheit der Perſoͤnlichkeit die entfcheidende Rolle, nicht logifche re 

wagungen. €s kann 3. Bd. niemals auf logifchen Weg entfchieden werden, ob das 
£eben lebenswert ift oder nicht. - Die Artung einer Perfönlichkeit ift aber in allers 
erfter Linie durch Vererbung und damit durch die Raffe beftimmt. Daß Schopen» 
bauer das Rubelofe, Shweifende und Unfelige des Willens in fo ftars 
tem Maße betont, daß er dem Weltwillen fo ausgefproden irrationale Fuge 
verleiht, daß feine Stellung zur Welt in fo bobem Mage den Charalter der 
Unzufriedenbeit trägt, daran dürfte der oftbaltifche Linfdlag in nod 
boberem MaKe beteiligt fein als der nordifche. Der oftbaltifche Wenfch verbirgt 
nicht felten unter gleichmütiger Oberfläche eine grenzenlofe Unzufriedenbeit, 
er ift erbeblih irrationaler geartet als der nordifche; in derfelben Dfyce find 
Gegenfäte vereinigt, die anderwärts kaum vortlommen. Die Gefühle fchlagen oft 
unvermittelt in ihr Gegenteil um; fo kann eine wirre iN nit in blinde 
Serftörungswut umfchlagen. GOftbaltifche Schilderungen haben ferner oft etwas 
Wirres, weifendes. „Die unbefriedigten Gefühle fhweifen unftät umber‘‘ 7). 
Wer wird bier nicht an den unftäten Weltwillen Schopenbauers erinnert, deffen 
Mefen es ift, nie befriedigt zu werden? Der oftbaltifche Menfch ift weiter ein 
guter Menfchentenner, aber feine Schilderungen und Stimmungen geraten 

icht ins Düftere. Man denke an die düfteren Schilderungen ruffifcher Romane, 
an Doftojewfti und Tolftoil Die Ruffen find wefentlid oftbaltifcher Kaffe, 
und die genannten Cigenfdaften find auc bet Gdopenbauer vorbanden. Die 
oftbaltifche Raffe ift weiter durch eine eigentimlide Entfchl ugunfabige 
keit gelennzeichnet, und auch diefe finden wir gelegentlich bei Schopenhauer °). 
Der oftbaltifche Menfchy neigt endlich dazu, feine Gefühle zu verbergen mit Aus. 


7) Ober die körperlichen und feelifden Merlmale der oftbaltifden Raffe vgl. Hans 
Büntber, ARaffentunde des deutfchen Volkes, 32. Aufl, S. 130ff., 233 ff. 

8) Dgl. Schopenbauers eigene Augerung: ,Obwobl id fonft an icgendweldhe Wabls 
entfdeidungen nur mit unendlichem Zögern berantrat.“ 


1933, VII Walther Raufcyenberger, Raflenmertmale Schopenbauers ufw. 218 
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nabme des Haffes und der Bereiztbheit?). Auch hierin ift Schopenhauer ofts 
beltifh. Während er Bea) in Gefühlsäußerungen febr zurüdbaltend ift, 
bricht fein Haß und feine Gereiztheit gegen die nachlantifchen „Sopbiften“ (Sichte, 
Schelling, Hegel) und gegen die Philofopbieprofefforen in geradezu elementarer 
Wudt bervor. 

Jn nod ftarkerem MaG tritt der oftbaltifche und der dftlide Zug überhaupt 
in der Stellung bervor, die Schopenhauer gegenüber dem rubelofen Weltwillen 
einnimmt. €r fegt der brutalen Lebensbejabung des Willens eine ebenfo brutale 
Lebensverneinung entgegen. Diefe Derneinung trägt nicht nur einen quietis 
ftifehen, fondern auch einen nihiliftifchen Charakter. In beiden kommt wieder die 
Seele der oftbaltifchen Raffe zum Porfchein 19). Llirgends find nibiliftifche Bes 
ftrebungen fo verbreitet wie in den wefentlicy oftbeltifhen Rußland. Die fer 
bensverneinung Gchopenbauers bat etwas derartig Lnerbittliches, daß fie mit 
diefen Erfcheinungen ın biologifhen Zufammenbang gefest werden mug. Aud 
bei Cduardvon Hartmann ift ein oftbaltifdher Einfchlag anzunehmen (Außes 
ces und geiftige Struktur). Bezeichnend ift, daß die beiden großen peffimiftifchen 
Pbilofopben aus Oftelbien hervorgegangen find, und daß beide oftbaltifchen Eins 
fchlag zeigen. Bei beiden ift das Erldfungsbedürfnis in ungewöhnlich 
ftartem Maße entwidelt, eine Erfcheinung, die gleichfalls der oftbaltijden Kaffe 
eigentümlih ift!!). Im Befonderen ift die Grundeinftellung Schopenbauers, die 

Itendmahung des Leidens („Alles Leben ift Leiden“), die Bemeffung 
aller Dafeinswerte an der Tatfache des Leidens ein weichlicher und unnordifcher 
sug. Ebenfo unnordifch ift die daraus hervorgebende Solgerung der Weltfludt 
als oberfter Tugend. Würde eine foldye Wertung innerhalb eines Volles alls 
gemein fich durchfetzen, fo würde das betreffende Dolk innerhalb weniger Bes 
fhledhterfolgen ausfterben, fich felbft vernichten. Klicht minder unnordifch ift die 
Bezeihnung des Mitleids als alleiniger Quelle der Erbil. Wenn die großen 
Männer der Weltgefchichte in ihrem Handeln von Mitleid fich hätten leiten laffen, 
fie wären nicht fehr weit gelommen! Die Realtion, die die Dbhilofophie Srieds 
rich Liegfches gegenüber der Philofophie Schopenbauers darftellt, ift im wes 
fentlichen eine nordifche Erfcheinung, eine Ablehnung des nordifchen Mienfchen 

egenüber öftlichen Lehren der Weltentfagung. Schopenbauers Pbilofopbie ift eine 
Sortfezung der Kebre Buddhas; er hat fid) buddbhiftifdhe Gedanken und Ans 
een zu eigen gemacht. Auch feine Geringfchägung der Srauen 
ift unnordifch. 

Auf eine an der Raffenmifchung und auf eine Mifchlinges 
natur überhaupt deutet bei Schopenhauer auch der merkwürdige Umftand, daß er 
das Begenteil feiner felbft zu feinem ethifden und philofopbifden 
Joeal erbebt. Er war bart — und erklärte das Mitleid als die alleinige Grunds 
lage der Moral. Er verwirklichte in feinem Leben den bodften Grad der Treue 
3u fidy felbft — und erfannte nur die felbftlofe, bingebende Lrächftenliebe als 
etbifch wertvoll an. Er pries die Entfagung und die Weltfluct als legtes Ziel — 
und tlammerte fic felbft mit allen Safern feines Defensa an diefe Welt. Er fab 
nur im Kichtfein die endliche Beruhigung und Erldfung — dabei wohnte er 
ftets zu ebener Erde, um im Sall eines Brandes fofort ins Sreie gelangen zu fönnen. 
Seinen Hals vertraute er niemals dem Meffer eines Barbiers an; die Spitzen 
feiner Pfeifen bielt er ftets unter Derfchluß aus Angft vor Vergiftung. 

Lieben den nordifchen und oftbaltifchen Zügen, die zweifellos vorliegen, ift 
ein dritter Raffeneinfchlag weniger in die Augen fallend, aber doch fehr wahrs 


2 Ogl. Hans Ginther a. a O. GS. 223. 

10) Die oftbaltifhde Raffe ftebt den innerafiatifchen Raffen nahe. Sie ift bdchftwabrs 
fheinlih dur Aufbellung aus den breitgefichtigen, kurztöpfigen, Beinen Hienfchen Inners 
afiens bervorgegangen. 

11) Dgl. Hans Günther a. a ©. ©. 234: „Ber oftbaltifhe Mienfch fucht immer 
nad irgendeiner Erldfung.“ 

18” 


216 Volt und Raffe. 1933, VII 
— EE 


ſcheinlich. Ein kennzeichnender Zug der Schopenhauerſchen Philoſophie iſt ihre 
Entwidlungsloſigkeit, die voöllig ahiſt or i ſche Betrachtung der Welt. 
Schopenhauer will nur wiſſen, was die Welt iſt; wie ſie geworden iſt, das zu 
unterſuchen iſt nach ihm nicht Sache des Denkers. Schopenhauer hat mit einer 
Feſtigkeit, ja, mit einem Starrſinn ohnegleichen auch jede Anderung und Weiter⸗ 
bildung ſeines Syſtems abgelehnt. Waͤhrend faſt alle großen Denker und Rünftler 
mehrere (meiſt drei) Perioden der Entwicklung haben, gibt es bei Schopenhauer 
nur eine einzige: ſein Syſtem ſpringt fertig aus ſeinem Ropfe wie Pallas 
Athene aus dem Haupte des Zeus. Dieſer Weſenszug iſt weder ausgeſprochen nor⸗ 
diſch noch oſtbaltiſch. Die nordiſche Raſſe iſt weſentlich flüſſiger, als es 
Schopenhauer war. Der oſtbaltiſche Menſch kann ſich zwar gelegentlich in eine 
Aufgabe verbeißen, aber das unerbittliche Feſthalten einer Lehrmeinung durch ein 
langes Leben iſt nicht oſtbaltiſch, noch weniger das bleibende Gerichtetſein des Be⸗ 
-sußtfeins auf wenige Grundsgedanten, wie es bei Schopenbauers Spyftem 
Eennzeichnend ift. Vielmehr dürfte bier neben dem nordifchen ein fälifcher2) 
Einſchlag vorliegen, wie er wohl auch bei Luther und Beethoven vorbans 
war!3). Beide, fo verfchieden fie fonft von ibm find, gleichen Schopenhauer in 
einem ftarten Maß von Starrfinn (und gelegentlicher Heftigheit). Wud in 
SSopenbauers Lebensführung tritt diefe vom Vater und Grogvater ererbte Cigens 
fchaft ftar® bervor, fo bei dem belannten Zufammenbrudy des Danziger Banks 
baufes und bei zabllofen anderen Belegenbeiten. Ermnert fei aud an die Uns 
erbittlichkeit, mit der er einmal getroffene Entfcheidungen im £eben durchführt 
(Brudy mit der Mutter, die er nie mebr im Leben wiederfieht!). Wir müffen 
dennach Schopenbauers Abftammung als nordifchsfalifhsoftbaltifch bes 
zeichnen, wobei der nordifche Anteil überwiegt. Rennzeicdhnend ift auch das Viegas 
tive: die Abwefenbeit dinarifcher, mediterraner und vorderafistifcher Elemente, 
was von größter Bedeutung ift. Wenn wir die wefensverfchiedenen Raffenbes 
ftandteile in Schopenbauers Derföntichteit berüdfichtigen, fo werden die fidh gegens 
feitig widerfprecdhenden Beftandteile des Schopenbauerfchen Spyftems bis zu 
einem gewiffen Grade pfychologifch verftändlidy, fo wenn er die Feit, alles DOerden 
und alle Entwidlung als wefenlofen Schein betrachtet und unverwandt den 
Bil auf das Ewige gerichtet halt (ein fälifchsnordifcher Zug) — wenn er im 
Miderfpruch damit dem Ding an fic den Charakter des ruhelos Schweifenden 
erteilt (ein oftbaltifcher Zug) — wenn er gar diefes Ding an fich, diefes Ewige 
aufheben, vernichten will (ein oftbaltifdsmongolider Fug) —, endlid, wenn er 
nad Aufbebung des Ewigen gleidwobl das Llidhts nicht für erreicht Halt, fons: 
dern an ein „relatives Lichtes“, an eine Welt mit umgelebrten Vorzeichen glaubt 
(wieder ein nordifcher Zug). GBleihwie nach Mufpilli, dem allgemeinen Welts 
brand der Bötterdämmerung, nach nordifcher Sage eine neue, fledenloje Welt 
aus der Afche fich erbebt, fo fteht bei Schopenhauer hinter der vernichteten Welt 
„der Sonnen und Mildftragen das in einem ganz anderen Sinn Pofitive, die 
fhledhtbhin tranfzendente Welt. 

Wenn wir in Boetbe — dem Manne, an dem Schopenhauer das Wefen 
de8 Genies aufgegangen ift — im Wefentlicden eine nordfudliche (nordifch- 
dinarifchsmediterrane) Mifchung feftftellen müffen, fo feben wir in Schopenhauer 
eine nordsöftliche (nordifchfälifchsoftbaltifche) Mifchung. Diefen Mifchunges 
verbältniffen entfprechen in beiden Sällen ihre Weltbilder. Aus diefem Grunde 
ift diefe Erörterung von fo grundlegender Bedeutung. Licht mit den vergängs 
lichen Perfönlichkeiten haben wir es zu tun, fondern mit ihrer Weltanfhaus 
a auf Diele aufs Tieffte eingewirkt bat, ein Teil ihres Selbft gewors 
den ift. 

12) Derfelbe Einfehlag wurde oben bei mehreren Vorfahren erwähnt. 


18) Auh Hans Büuntber bezeichnet Schopenhauer als „nordifh mit fälifchen 
oder oftbaltifhen Einfchlag“, a. a. ©. S. 384. 


1933, VII O. Rede, Der Beariff „ARaffe*. 217 
GE — —— 


Der Begriff „Raſſe“. 
Von Prof. Dr. O. Reche, Leipzig. 


LF: find fdbon viele Derfuche gemacht worden, den Begriff ,,Aaffe einwands 
frei und unmißverftändlich zu beftimmen. ine uberfidtlide Zufammens 
ftellung der wichtigften diefer Derfuche bat vor einiger Zeit ©. Aichel, Riel, in 
Tic. 3 der Zeitfhrift , Lugenit gegeben; er bat zugleich die Britifche Sonde an die 
Saffung gelegt und auf ihre Unzulänglichleit bingewiefen. Die Definition aber, 
die er bh vorfchlägt, ift meiner Meinung nach ebenfalls nicht ausreichend; er 
formuliert: „Eine Raffe tt eine Sortpflanzungsgemeinfdaft (Gruppe von Mens 
fdyen), die fi von anderen durd den Befig gleicher tdrpeclicher und geiftiger 
ne unterfcheidet und ein Blied in der Aette phylogenetifchen Belchebens 

Diefe Begriffabeftimmung paßt vor allem auch auf den „Arts Begriff, ift 
alfo nicht eindeutig. Außerdem fehlen meinem Empfinden nad Dinge, die für 
ea — des „Raſſe“⸗Begriffes unerlaͤßlich ſind, und ſo ſchlage ich folgende 

aſſung vor: 

„Raſſe“ iſt ein Begriff der naturwiſſenſchaftlichen Syſtema⸗ 
til; ,Rafje” ift cine Gruppe von KLebewefen, welde in Iſolation und 
durd natirlide Zudtwahl aus einer gemeinfamen Wurzel und ohne 
Beimifhung fremöftämmiger Elemente entftanden ift und fid 
daher durch eine größere Anzabl wichtiger Lorperlider und geiftiger, 
ihrer Dereinigung cine ,Ganzheit” bildender Erbanlagen und ebenfo 
aud durdh ibr Erfdeinungsbild wefentli®@ von anderen derartigen 
Gruppen unterfheidetundftetsnur Ihbresgleihenzeugt. „Ralle“ 
ift Hamit zugleich , Harmonie”, „Lebensftil“ und „Charalier”, „Raffe“ 
ift eine Untergruppe der „Art“. 

Zur Begründung einiger Einzelheiten folgendes: 

Es empfiehlt fic, die an fic felbftverftändliche Tatfache, daß es fich um 
einen Begriff der naturwiffenfdaftlicben Spftematit handelt, doch zu betonen, 
um damit von vornherein auch für den Llichtfachmann die Möglichkeit einer 
Derwedhflung mit Begriffen wie „Doll“, „Sprachgemeinfchaft“, „Aulturgemeins 
{daft u. dgl. zu verbüten. 

Durdy die Erwähnung der für die Raffenbildung die Dorbedingung bildens 
den „Jfolation‘“ und „natürlichen Zuchtwahl“ gewinnt der —— er⸗ 
heblich an Plaſtik, ebenſo auch durch die Betonung der „gemeinſamen rzel‘ 
umd der fehlenden Beimifhung fremder Elemente. 

„Baber“, alfo als biologifche Solge der erwähnten Fudtvorgange und der 
gemeinfamen Wurzel. 

Die „größere Zahl foll den Raffebegriff von dem der „Sippe‘‘ oder „Sas 
milie‘ trennen, welche fich durdy eine geringere Zahl von Erbeinbeiten von raffifch 
verwandten derartigen Bleineren Gruppen unterfcheidet. Den im Spftem nädıfts 
höheren „Art“sBegriff könnte man durch den Zufat „große Zahl“ vom Raffes 
begeiff trennen; die Grenzen find natürlich, wie alles in der Biologie, fließend. 

Unmertungsweife möchte ich bier hinzufügen, daß die großen menfchlichen 
Gruppen fidy nady meiner Meinung durch fo viele Merkmale des Erb und 
des Erfcheinungsbildes unterfcheiden, daß kein Zoologe oder Botanifer in einem 
derartigen Salle zögern würde, von „guten Arten“ zu fprechen. Weiner Übers 
ze ugung nad müffen 3. B. die in Europa alteinbeimifchen langtöpfigen Gruppen 
als eine „Art“, die europäifche, zufammengefaßt werden; diefe „Art“ zerfällt im 
„Kaſſen“, in die „Llordifche*, die „MOeftifche‘ (Mediterrane) und die „Sälifche”, 
weld legtere man aber meiner Meinung nady beffer als ,,Darietas der Liordifchen 
aufzufaffen bat. Ebenfo wird man von eimer innerafiatifcen Menfcens,, Art 


218 Dokl und Kaffe. 1933, VII 





ee möffen, oder von einer Bufchmanns „Art“, einer Auftraliers,, Art“ ufw. 
ie Menfchbeit ift eben ganz und gar nicht fo „einheitlich“, wie es die liberaliftifche 
MWeltanfhauung gern baben mödtel Schon die „Urmenfcdhbeit“, wabhrfcheinlich 
fogar die „Dormenfchbeit“, bat fich (in Zufammenbang mit der große Räume bes 
anfprudenden Wirtfchaftsftufe des primitiven „Sammlers“ bzw. „Wildbeuters“) 
allmäbhli über alle ihr erreichbaren Teile der Erdoberfläcdye ausgebreitet, fo daß 
fi in fehr verfchiedener Umwelt und unter febr verfchiedenen Auslefebeöingungen 
fhon in fehbr alter Zeit Tocdhterborden gebildet haben, aus denen die Hienfchens 
„Arten“ fich entwidelten, die fich erft fpäter in „Raffen“ teilten. — Die Derwandts 
fchaft der Mienfchens, ‚Arten‘ liegt alfo febr weit zurüd und ift demgemäß vers 
bältnismäßig fehr gering! 

Sehr wichtig ft die Einfügung des modernen pbilofopbifchen Begriffes der 
„Banzbeit“; denn eine „Aaffe“ ift eben mebr, als die „Summe“ beftimmter 
körperlicher und geiftiger Erbmertmale; diefe Merkmale bilden vielmehr eine bats 
monifde Gemeinfhaft. Tur die alte faft nur von Anatomen betriebene Anthros 
pologie konnte mit dem Begriff der „Summe“ von Merkmalen zufrieden fein, mit 
diefer rein mecdhaniftifchen, materigliftifchen Dorftellung, und diefer Beift der „anas 
tomifchen“ Anthropologie fpult ja auch heute immer noc in unferer Wiffenfchaft. 

Das Er(cdeinungsbild foll man rubig mit in die Definition bineinnebmen; 
peri doch der Spftematiter — mit Recht — in erbeblidem Maße auch nad 

iefem. 

Selbftverftändlich ift, daß nur „worfentliche‘‘ Merkmale bei der Beurteilung 
und Unterfdeidung von Raffen in Betracht tommen, fdon weil fonft dig Zahl 
der aufzuzäblenden Merkmale größer würde, als es zur ficheren Sirierung einer 
a notwendig ift. 

nd endlich: „„Kebensftil“‘ und „Charakter“; auch Dinge, die dem Nur⸗Ana⸗ 
tomen nie aufgegangen find, aber mit dem Begriff der „Banzbeit“ untrennbar 
zufammenbängen. , 

Line ,Mifdraffe entftebt als Ergebnis einer Baftardierung von 
„Aaffen“ und durch darauf folgende Auslefe gewiffer körperlicher und geiftiger 
Erbmertmale. 

Line Mifchraffe unterfcheidet fich von einer anderen Mifchraffe entweder 
durd die der Mifchung zugrunde liegenden Raffen, oder durd die verfchiedens 
artigen Mengen der in die Mifchung einbezogenen Raffenelemente oder durch 
abweidende Auslefe oder endlich durd verfdhiedene Dereinigung diefer 
drei Vorgänge. £s kann bei entfprechender folgerichtiger Auslefe zu Mifchraffen 
mit verhältnismäßig einbeitlidem Erbs und Erfdeinungsbild lommen (man 
dente an die Zucdhtraffen der Kaustiere und Hauspflanzen). 

“Burd Auslefewirtungen fetundär verhältnismäßig einbeitlidd gewordene 
„Mifchraffen“ find meiner Meinung nah auch die „GÖftifche“, die ,, Oftbaltifde” 
und die „Dinarifche Raffe; fie alle baben im Laufe der Jahrtaufende eine zweifels 
1os nicht geringe Wienge Frordifchen Raffenblutes in fid) aufgenommen und fic 
in Solge diefer Beimifchung, in Solge daraufhin einfegender Auslefe erheblich von 
ihren afiatifchen Derwandten entfernt; fie find alfo in fpftematifdher Hinficht den 
alteuropäifchen, echten, unvermifchten „Raffen“ nit gleihwertig. 

Eine „Mifchraffe‘ ift auch die ,, Judifde’; bei ihr ift durch ftarte Auslefe 
beftimmter geiftiger Kigenfcdhaften die Cinbeitlicdleit der geiftigen Erbanlagen, 
ee des Lebensftiles und des Charalters, nod groger als auf körperlichen 

iete. 

Ih babe mich bemüht, die Definition des ,,RaffesBegriffes fo 3u faffen, 
daß fie auch auf tierifche und pflanzliche Raffen anwendbar ift, damit endlich 
einmal eine von jedem Biologen als notwendig empfundene Cinbeitlidteit und 
Eindeutigleit des Begriffes gefchaffen wird. 


1933, VII Ludwig SdmidteRebl, Sruchtbarteitedauer einft und jest. 219 
ae TE 


Stuchtberkeitsdauer einft und jetzt. 


Von Prof. Dr. Ludwig SchmidtsKebl, Würzburg. 
Mit einer Abbildung. 


Biebsiſo dauert die Empfaͤngnisfaͤhigkeit der Frau etwa 30 Jahre, vom 
16. — 46. Lebensjahr. Nach dem 36. Lebensjahr allerdings iſt die Wabr⸗ 
ſcheinlichkeit der Befruchtung ſchon normalerweiſe verringert; immerhin ſehen 
wir bei den Srauen früherer Jabrbunderte aud) nach 15— 20 jähriger Ehe nicht 
felten Schwangerfchaften und Geburten. Jc greife zwei Beifpiele heraus: eines 
aus einer bürgerlichen und eines aus einer fürftlichen Samilie. 

Scdillers Urgroßvater, der Bäder und fpätere GBerichtsverwandte Rafpar 
‚Schiller 1), heiratete 1646 die 23 jährige Anna Hegelin. Diefes £bepaar hatte je 
ein Rind im 2., 4, B., 7, 8, 9, 12. 13, 14, 15, 17, 18., 23. Ebejabr; bei der 
®eburt des legten Rindes war die Srau 44, beim Tode 68 Jahre alt. Cine now 
rafchere Beburtenfolge zeigte die Gemablin des 1638—61 regierenden Sürften 
Meinrad von Hobenzollern?) (rafcher wohl deshalb, weil fie ihre Rinder nicht 
felbft ftillte und weil aus diefem Grund die Befruchtung immer wieder febr bald 
nad) der Viiederfunft eintrat). Sie hatte in jedem ihrer erften 13 Ebejabre ı Rind, 
dann wieder im 15., 16., 17., 20., 23. und 23. Ebejabr; nach der Geburt des 
legten Rindes lebte fie noch 24 Jahre. 

Die legten Rinder kamen demnach bei diefen Srauen nach 215 bzw. 33sjähriger 
he zur Welt. Bis vor etwa 100 Jahren waren diefe Derbältniffe in Deutfchland 
wohl allgemein, zahlreiche Samiliengefchichten beftätigen fie immer wieder; fie 
Bar die Benerstionsleiftung gefunder Eben dar, die keine Empfängnisverhütung 
trieben. 

Suc die Mitte des 19. Jahrhunderts befigen wir nun aus der Seder des 
Tübinger Univerfitätstanslers Rümelin) eine eralte Unterfuchung über die Dauer 
der Srudtbarkeit von 500 Tübinger Eben, die Über 25 Jahre gedauert batten. 
Aümelin berechnete den Abftand zwifchen der Ebefchließung und der Geburt des 
legten Rindes. Diefer Abftand ift die Sruchtbarkeitsdauer, fie betrug: 

bis 5 Jahre in 15% der Eben, 
5—10 ” „ 26% 4, ” 
10— 15 ” 99 27%0 455 ” 
§5—20 „ „ 24% 4, ” 
über 0 „ » 3% u m 
bei einer durchfchnittlichen Sruchtbarkeit von 6 Rindern je fruchtbare Ehe. Bei 
verhältnismäßig wenig Eben lam demnad nad dem I. Jabhrfünft kein Rind 
mebr; ein Teil diefer Salle dürfte auf Einkindfterilität infolge von Tripperinfeltion 
der Srau zu beziehen fein. Im allgemeinen war aber die Sruchtbarkeit der Eben 
eine viel länger dauernde und in faft einem Drittel der Ehen wurden nod nad 
mebr als ı5 jähriger Ehedauer Rinder geboren. 

Seitdem haben fich die Derbältniffe grundlegend geändert. Im Herbft 1932 
ftellte ich die Sruchtbarkeit der kurz nach dem Arseg gefchloffenen Eben mebrerer 
deutfcher Städte feit (erfcheint im Archiv für Raffens und Gefellfchaftsbiologie). 
Das gewonnene Material geftattete num (über das im Archiv KErfcheinende 
binaus) die Sruchtbarfeitsdauer feftzuftellen und fie mit den Tübinger Fablen 
QRümelins zu vergleichen. 


1) Difh. Gefchlehterbuh Band 55 (1927) S. 129. 

3) Großmann, Berner, Schufter, Zingeler, Genealogie des Gefamtbaufes Aobens 
zollern. Berlin 1905. ©. 90. 

8) Reden und Auffäge. Sreiburg und Tübingen 1875 ©. 293. 


220 Doll und Raffe. 1933, VII 
ES SE DE I — ——nön 





_ Derüdfichtigt wurden nur Eben zwifchen bisher Unverbeirateten, von denen die Srau 
bei der yocdhzeit nicht Alter als 35 Jahre war. Die Ebedauer betrug allerdings nie länger 
als 35 Jabre (bei den Eben, die etwas kürzer dauerten, erfolgte eine rechnerifche Ermitts 
lung der in den fehlenden Jahren zu erwartenden Rinder). 

Ih gebe im Solgenden aus 2 deutfchen Städten die Zablen, die fid) auf uber 
2000 Eben ftüten: 
J. aus Würzburg, vorwiegend katholifch, mit etwa 100000 Einwohnern, 
wenig Jnöuftrie: 913 unterfuchte Eben; 
2. aus Plauen i. D., vorwiegend evangelifch, mit etwa 110 000 Einwohnern, 
viel Tertilinduftrie: 1283 unterfuchte Eben. 
Gondert man nod die Paare nad ihrer fozialen Zugehörigkeit zum Mittel: 
ftand bzw. zu den unteren Doltsfchichten, fo ergibt fich als Abftand zwifchen der 
Ebefchließung und der Geburt des letzten Kindes folgende Sruchtbarkeitsdauer: 





Würzburg Plauen 


Mirchtand | poirsfaiae | Mitteinand | Yoirsfaicr 


bis 5 Jabre. . . . . 44,8 °/, | 47,9 °/, 53,1 °/, 55,7 °/9 
5—10 Jabre 2... 40,0 °/, 38,1 %/, 28,9 °/, 34,2 /, 
10—15 Jabre . . . . 15,2 %/, 14,0 °/, 18,0 °/, 10,1 °/, 


Studtbarteitsdauer in ftddtifdhen Uadlriegseben. 

In Tübingen war um 1850 die Sruchtbarkeitsdauer von 10—15 Jahren die 
am béufigften vorfommende; nur in 15% war die Sruchtbarkeit [yon nach 5 oder 
weniger Jahren abgefchloffen. Heute ift diefe kurze Sruchtbarkeit bei weiten die 
überwiegende. Liehmen wir die 2196 Eben zufammen, fo dauert in mebr als der 
Syälfte der Sälle (52,1%) die Sruchtbarkeit höchftens 5 Jahre. Die Sruchtbarleitss 
dauer von 5—10 Jahren ift fchon wefentlich feltener und die Sruchtbarkeitsdauer 
von 10—15 Jahren fo felten, daß bei den unterfuchten Paaren im 4. Jabrfunft ser 
Ebe béchftens in 3% der Sälle und im 5. Jabrfünft fo gut wie keine Rinder mebr 
zu erwarten find. Jm 4. und 5. Jabrfünft der Ehedauer wurden in Tübingen um 
1850 noch in 24% der Samilien Rinder geboren! 


Rurz zufammengefaßt ftellt fich dies folgendermaßen dar: 
Jn 100 fruchtbaren Ehen dauerte de Fruchtbarkeit 


weniger als 1 Jahrzehnt mehr als 1Jahrzehnt 
* 

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1933, VII S. Stumpfl, Sippfchaftstafel eines Rüdfallverbredyers. 221 
Ge Er Lt PSE IT TTD 


Sehr bemerkenswert ift die Tatfache, daß die Sruchtbarkeit in den beobachteten 
modernen Eben zu einem erfchredlichen Teil fhon nach einem Lbejabr abges 
{dloffen war: Jn Wurzburg beim Mittelftand in 9,3%, bei der unteren Dolkss 
{dict in 10,6%; in Dlauen beim Mittelftand in 25% und bei der unteren Volles 
{ict gar in 28,7% der Eben! In Plauen lam demnach nach Ablauf des erften 
Ebejabres bei mebr als 1/4 der Paare kein Kind mehr zur Welt (ja ein Teil diefer 
Rinder war fdon vor der Ebefdliefung geboren oder wenigftens gezeugt). 

Außer Betracht gelaffen ift bier die Tatfache, daß die Zahl der unfrudts 
baren Eben außerordentlich zugenommen bat. Unter biologifchen Derbaltniffen 
erreicht die Zahl der unfrudtbaren Eben nicht 10%. Bei dem gewollten gänzlichen 
Verzicht vieler moderner Eben auf das Rind find heute !/, bis mehr als die Halfte 
der Eben unfrucdtbar. 

£s foll nicht vertannt werden, daß in früheren Jabrhunderten durch die febr 
großen Geburtenzablen oft Raubbau mit den Rräften der Srauen getrieben wurde 
und daß trotden der Ertragswert diefer Eben nicht dem Aufwand an Srauentraft 
entfprach: in den beiden mitgeteilten Beifpielen aus dem 17. Jabrbundert erreichten 
nur 5 bzw. $ Rinder das Alter von 20 N abren, Flicht minder wahr ift aber, daß 
wir mit unferem Sparen an Srauentraft weit, bedngftigend weit uber das ers 
trägliche Maß binausgefchoffen find. Die Durdfchnittslinderzahl je Ehe ift in 
den beiden Städten (wie wohl in den meiften Städten Deutfchlande) auf unter 2 

funten und reicht bei weiten nicht mebr aus, die Surdy den Cod entftandenen 

erlufte zu deden. Die Betrachtung der Sruchtbarleitsdauer in der gegenwärtigen 
Ehe weiſt ae Erlöfchen des Willens zum Rinde bin, in einem Ausmaß, das zu 
den gregten forgniffen Unlag gibt. Diefen Willen im deutfcden Dolke wieder 
zu ftärken, ift unfere brennendfte FJulunftsfrage. Mit allen Mitteln mug dabin ges 
ftrebt werden, daf die unnaturlid turze Sruchtbarteitsdauer in der erbgefunden 
Samilie verlängert wird und daß fich die erbgefunde Samilte nicht {yon nach ganz 
wenigen Jahren ihrer biologifchen Leiftung für das Vaterland entzieht. 


Sippſchaftstafel eines Ruͤckfallverbrechers. 
Von Dr. S. Stumpfl. 


Bemertene wert iſt, daß der Vater aus einer Gemeinde ſtammt, die noch vor 
130 Jabren der Mehrheit nach aus Geſindel (Raͤuberbanden) beſtand, welches 
icher war da geduldet zu werden. Die Mutter ſtammt aus derſelben Gegend; 
fi felbft und ein Drittel ihrer Ders 

wandten waren fhweadfinnig und Tafel I. 
gemütsarm, die übrigen Verwandten 
gleichfalls gemütsarm und {dhwad 

begabt. 


é 
gab DO K 
Der Vater und {eine Ge(hwifter 
waren Pfychopathen. Unter deren QOOOOO 


Kladhlommen tauchen vereinzelt immer 
wieder Pfypdhopathben und Rrimineile 





«oO 
6n0gme 
6 7? 8 


ur Die Vereinigung des mit a DO — männlich B@- schwach degast 
wedfinn bebafteten mütterlichen = . 
Stammes mit diefer Pfychopatbens O = weibics DI O- pyciopattisch 


fippe führt in der Befhwifterfhaft MW @-sctwacsing [kK X=kniminell 
des Ausgangefalls zu einer Haͤufung 

fhwerer Kriminalität bei ausgefprochen pfychopatbifchen und Außerft fchwach: 
begabten Perfönlichkeiten. 


222 Dolk und Aaffe. 1933, VII 
EAE RE ANP Ie TI cE FT IS oa eS ERED 





du Tafel I. Samilie des Ausgangefalles. 


Zu 1. Ausgangefall: In der Schule figen geblieben. Schulidywänzer. 
Ram oft 14 Tage nicht beim, fhlief im Sreien. Erlernte Schlofferbandwerft, fpäter 
in einer Mafchinenfabrit, aber wegen Blaumadyens entlaffen. Seither zeitweife 
als Tapeszierer tang. 23 mal vorbeftraft, meift wegen Rorperverlegung, Aauss 
friedensbruh und Diebftabl, aud) wegen Meuterei, Landftreichens und Bettelns 
(3 Zuchthausftrafen). Stets voll inneren Widerftandes gegen jede Brönung, „zu 
allem fähig“. Bei feinen Taten vollftändig fkrupellos: ftabl 3. B. einen Knabens 
anzug von der Ladentüre eines Warenbaufes, brach in unverfchloffene Ställe ein, 
entwoendete Schafe, fogar Rübe. Mit Gendarmen oft fchwere Raufereien. Waͤh⸗ 
rend des Rrieges Lues. 2 Jahre fpäter Anfall von BewuFtlofigkeit. 1929 ftarb 
er an progreffiver Daralyfe. — Ausgefprochene „Derbredernatur‘: brutal und 

emütlos, wecdfelwarmes Derbalten gegenüber Ummwelteinflüffen, dabei betriebs 
me, dauernd auf äußere Betätigung gerichtete Perfönlichkeit. „Han konnte neben- 
dran fteben, er ftabl trogdem“. Sozial uneinfügbar. 

Zu 2. Mutter: Hatte viel unter der Truntfuht und den Schlägen ihres Mannes zu 
leiden. Sie bandelte mit Silberfand. Über RBriminalität nichts bekannt, doc ift fie 
fhon früb, wohl zum Teil in Solge der Mißbandlung durch ibren Mann, geftorben. 

Zu 3. Dater: Sdirmmader und Pfannenflider, 30g in einem Wohnwagen berum. 
Leidtiinnig, im Geldausgeben febr fdnell, an keine folide Arbeit gewohnt. Schnapss 
trinter, Rracmader, Raufbold. Wiederbolt wegen unerlaubten Sifdens beftraft, 
cet oe wurden von feinem Gobn geftoblene Gegenftdnde bei ibm verftedt 
aufgefunden. 

Zu 4. Bruder: 15 mal vorbeftraft, meift wegen Rörperverlegung, Widerftand, Hauss 
friedensbruc, auc wegen Diebftabls und Bettels, zulegt wegen Blutfchande. Gee 
nußfüchtig, arbeitsfcheu, ftrupellos und gemitlid ftumpf, in der Schule fdlect 

elernt. Im Alter von 39 Jahren fhwängerte er während der Erkrankung feiner 
rau feine eigene Tochter. Uusgefprodene , Derbrechernatur”. 

Zu 5. Shwefter: Wegen Unterfihlagung geringfügig vorbeftraft. In fittlider Bes 
ziebung baltlos, fhon die zweite be ift durch ihr Verfchulden gefchieden worden. 
Wear jcbon der Proftitution nabe. 


Zu 6. 
a 7. | Fleffen: mebrfah in der Schule figengeblieben. 
us. 


Tafel II. 
O 


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@¢@ at 878707 
OOD OBDE 990 O 


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& 


du Cafel IT. 
Derwandtfhaft des Daters. 
Zu 9. Ontel: Selbftmord durch Lridiefen aus Kiferfucht. 


= . Dettern und Bafen: Leben im Ausland, nicht vorbeftraft. linbelannt, ob 

3u 13. | pſychopathiſch. 

du 14. 

Zu ı5. 0 — er: Wegen Rörperverlegung vorbeftraft. Stand längere Zeit unter Polizei⸗ 
auflicht. 


1933, VII Wilh. Schmidt, Unterfuhungen über die Auslefe bei Jugendbünden. 223 
EEE 


du 16. 


du 17. 
Zu 18. 
Zu A. 
3u B. 


Detter Brutale und gemütlofe pfydhopatbifche Perfönlichkeit. Bekannt als arbeits» 
fcheuer Saulenzer. 36 mal vorbeftraft (Höchftfirafe 3 Jaber 7 Monate Zudtbaus 
wegen Bedrohung, Betrug, Diebftabl, Meineidsverleitung, Rörperverlegung und 
Gittlidleitaverbrechen). Er ift fchnell bereit, mit Erftechen zu droben und bat aud 
fhon wiederholt anderen Stidverlegungen beigebracht. In feiner Heimatftadt als 
Erbibitionift betannt und gefürdtet. Schamlofe Brutalität gegenüber feinen eigenen 
Arbeitstameraden und fittlide Derlommenbeit, die ibn 3u einer Gefahr für die 
Jugend maden, kennzeichnen ibn als unverbefferlide Derbredyernatur. Llachdem er 
in einer gediegenen Samilie aufgewadfen ift und eine gute Erziehung genoffen bat, 
kann feine Ebaralterart nur als anlagemäßig abnorm aufgefaßt werden. 

Sohn von Detter: 4mal vorbeftraft wegen Sorftfrevels, Sachbeihädigung, 
Récperverlegung und Diebftabl. Beftabl feine Wobnungsgeber. 

Sohn von Vetter: Belam einmal wegen Rérperverlegung und Diebftabl 
1 Jahr s Monate Gefängnis. Lebbaftes, fanguinifdhes Temperament. 
Angebeirateter Derwandter: Sehr angeleben, hatte fehr darunter zu leiden, 
daß einer feiner Söhne fo ein rechter Stromer war. 

Angebeiratete Derwandte: Lügenbaft. 





au Tafel III. 


Derwandtfhaft der Mutter. 


Zu 19. Tante: Verbeiratet mit einem Gänfebüter; lebte in armfeligen Derbältniffen. 
Su 20. Onkel: Aadernfammler; 30g mit einem fel tber Land. 

Su 23. Detter: Im Krieg Mervenzufammenbrud, litt an byfterifehen Anfällen. 
Zu 23. Detter: Trinter; zur Arbeit nicht recht zu verwenden. 


Zu 23. 
Zu 24. 
Su 25. 
Zu 26. 
ou 27. 
Zu 28. 


- Bafen: mebrfad in der Schule fitgengeblieben. 


Su 29. Todter von Wetter: Mebrfawh in der Schule figengeblieben. 

Zu 50. Gobn von Vetter: In der Schule immer geftreunt. 

Zu 31. Sobn von Detter: ,Lin leihter Bruder.“ 

Zu 32. Sohn von Vetter: Als Junge viel geftreunt, mebrfadh figengeblieben. 


YD 


Unterfuchungen über die Auslefe 
bei Sugendbünden. 
Don Wilbelm Schmidt, Magdeburg. 


ie wir in einem Regelllub einen anderen Menfchenfchlag erwarten als etwa 
in einem Gegelflub, fo fönnen wir vorausfagen, daß fich in den Gruppen 


der Jugendbewegung ein ganz beftimmter Teil der Jugend gefammelt bat. ft 
nun diefe Auslefe zahlenmäßig belegbar ? 


224 Dolt und Kaffe. 1933, VII 
a EEE 


Seelifhe und geiftige Auslefe läßt fic nicht durch Dermeffung feftftellen. 
VDohl aber können wir fagen, die Haltung und Gedantenwelt eines Bundes zieht 
Menfden an, die auf Grund ihrer Erbanlagen eine verwandte Haltung einnehmen 
oder ausbilden können. Und da die feelifhen Anlagen an Raffen gelnüpft find, 
kann die raffifche Auswahl duch Meffungen zahlenmäßig feftgeftellt werden. 

Pfingften 1933 babe ich verfucht, mit Tafters und Gleitzirkel diefe Aufgabe 
auf einem Zeltlager der Adler und Salten zu ldfen. Jd möchte zuerft betonen, daß 
die Auslefe bei dem genannten Bunde eine mehr unbewußgte aber wirkfame ift. 
Die Haltung des Bundes war in den legten Jahren eine preußifchsfoldatifche. Die 
Grundlage bildete der Wandervogel. Lieben der wehrfportlichen Ausbildung wurs 
den weite Sahrten unternommen, politifche und kulturelle Arbeit geleiftet. Wir 
werden alfo einen Menfchenfhlag erwarten, der nicht gern an einem Ort figen 
bleibt, den es treibt fhöpferifh tätig zu fen und in die Dinge einzugreifen. 
Wir können Menfchen mit ftärkerem nordifchem Kinfchlag erwarten. 

Bemeffen wurden 78 Jungen aus dem nördlichen Harzvorland, etwa in dem 
Dreied Magdeburg, Braunfhweig, Gandersheim. Der größte Teil der Jungen 
wer vorwiegend nordifh mit oftifdem Kinfdlag. Eine noch zu befprechende 
Gruppe zeigte auch oftbaltifchen Kinfchlag. Bemerkenswert waren unter den 
Alteren drei vorwiegend dinarifche Jungen. Es war nadhhzumweifen, daß fie felbft 
oder ihre Vorfahren aus dinarifch untermifchten Gegenden Deutfchlande ftammten. 

Ih batte die Jungen in drei Bruppen eingeteilt. Zuerft die Gruppe der 
Bundesmitglieder über 15 Jahren. 

Blauäugige!) mit blonden?) Haan . . . . 52% 
Gemifchte (braune Haare mit blauen oder ges 
mifchten Augen), blonde Haare mit gemifchten 
oder dunklen Augen . » 2 2 2 0 2. 323% 
Braundugige mit duntlen Haaren. . 2. . . 16% 
Kopfinder - i ee we Oe Se ee we we ONG 
@efidtsinder 2. > 2 2 0 ernennen 364 
£s wäre wertvoll, diefe Zahlen mit denen der Bevdllerung derfelben Gegend zu 
vergleichen. Leider fehlen genauere Unterfuchungen, fo daß ich mich nur auf uns 
fichere eee ftugen kann. Reinblonde in der Bevölkerung find es nur 30 bis 
40%, der Bopfinder fcyeint höher zu liegen, der Befichtsinder derfelbe zu fein. 

Die zweite Gruppe war die der Bundesmitglieder von 12—15 Jahren. 

An ihr kommt die gefteigerte Auslefe der legten Jahre deutlich zum Ausdrud. 


Blaudugige mit blonden Haaren. . 2 . . 80% 


Gemiſchtte. 15% 
Braundugige mit duntlen Haaren. . . . . 5% 
Ropfinder . ne eee ee ee $3 


Gefichteindet > 1 1 ww ele $7,%. 

Beddoe fand an Sdulkindern derfelben Gegend Reinblonde 40—44%, alfo 
wefentlid weniger. Der Kopfinder fceint niedriger als der der Bevdllerung 
zu fein. Der Gefichtsinder ift höher, befonders in Hinficht auf die jetzt jugendlicy 
gerundeten Gefichter, die fih mit zunehmenden Alter nod betrdchtlid ftreden 
werden. 

Auffallend find die Ergebniffe bei der dritten Gruppe. Ls find die foges 
nannten Probefabhrer, Jungen, die nicht in den Bund aufgenommen find. Yicdh 
längerer Probezeit bleiben von diefen nur die Beften über, die anderen werden abs 
geftoßen. £s find faft nur Jungen im Alter von 10 bis 15 Jahren. 


1) blau = 1—3 (Augenfarbentafel von Martins: Schul), gemifht = 4 a—6, braun 
—1}6. 
2) blond = A—L (Haarfarbentafel Sifcher-Saller), braun = M—X. 


1933, VII Rleine Beiträge. 225 
— — —— — —— —— 


Blauaͤugige mit blonden Haaren. . . $4,3% 


Gemiſchte. 2123233 00 
Braunäugige mit dunllen Haarn . . . . 3,3% 
Ropfinder er ee en BAR 


@efidtsindee 2. > 2 2 een. 32. 

Mir feben mehr Reinblonde, rundere Ropfs und Befichtsformen. Schon der 
äußere Anblid läßt ertennen, daß ein ftärkerer oftifcher und vor allem oftbaltifder 
Cinfdlag vorhanden ift. Auf diefen find auch die belleren Sarben zurüdzufübren. 

Die Ergebniffe beftätigen alfo die Erwartungen. Je fchärfer die Auslefe 
nad den oben genannten feelifchen Eigenfchaften ift, defto mebr wird die nors 
difde Raffe in den Vordergrund treten. 


Aleine Beiträge. 


Dom Deutfchen Poltstum in Polen. 
Ein kurzer Gefamtüberblid von Eduard Schwertfeger. 


Wer will bezweifeln, daß jedes Dolk in fi ein Ewigleitsmaß von Pflichten zu ers 
füllen bat? Klimmt jemand dem deutfchen Volle die zwingende Pflicht ab, feine gefchicht: 
lide Geltung im Often wiederberzuftellen? Kliemand! 

Da die Gefchichte auf die Dauer keinen Widerfinn geftattet, find wir fchidfalserwählt, 
danach zu tradhten, die durch das Verfaillee Zwangsgebot im Often gefchaffene Lage fos 
bald als möglid wieder abzuändern. Es ift deshalb notwendig, uns über die Lage unferes 
Vollstums außerhalb unferer Sftlihen Grenzen immer wieder Mar zu fein. 

Im polnifdyen Flationalitätenftaat leben unter ungefähr 20 Millionen Polen mebr 
als ı1/ Millionen Deutjche, eine große Htinderbeit, die nur von den 31, Millionen im 


tihehhoflowalifdhen Staat übertroffen wird. Das Deutfchtum in der Lichechei bat trog 


aller Bedrüdungen einen mächtigen Rüdbalt durch feine Lage am deutfchen VDoltstörper, 
an den es fid, von den größeren und Eleineren Dollstumsinfeln abgefeben, in feiner Haupts 
maffe anlebnt. 

Ganz anders ift die Lage des Deutihtums im polnifhen Raubftaat. Die Gefamtbeit 
der Deutfchen wohnt größtenteils nicht in gefchloffenen Siedlungen, fondern eingeftreut im 
polnifchen Dollsmeer, deffen wüblende und ftürmende Siuten es mit Untergang bedroben. 

Man kann im jetigen Polen fünf deutfdhe Siedlungss und KEinflußgebiete unters 
fcciden: Weftpreugen und Pofen mit ungefähr 2 390 000 BDeutfchen, 

Oberidlefien und Bielig mit ungefabre . . 2 2.430000 = 


das ebemalige Rénigreih Polen mit rund . . . . 600000 — 
Wolbynien mit ungefabr . 2. 2. 2. 1 1 ew we) «200000 a 
und Galizien mit ungefdbr . . . . 2 6 «~~ (8B 000 5 


Siervon find etwas über eine Million evangelifcher und der Aeft tatholifder Bons 
feffion. Don beiden Ronfelfionen find die Batbolifchen Deutfchen, deren Hauptmaffe in 
Oberfchlefien und im ebemaligen Rönigreih Polen wohnt, ftärker der Entdeutfchung auss 
geiest, weil das gemeinfame Glaubensbelenntnis polnifden Cinfliffen die DOege ebnet. Das 

eutfchtum diefer verfchiedenen Strablungsgebiete Ht von einander febr verfdieden. 

Pofen und Weftpreugen find alter deutfcder Rulturboden. Hier bildeten die Deuts 
fhen von Anbeginn die führende Bevdllerungsfdidt. Seine ftärkfte Stüge fand fie im 
preußifchen Beamtentum und im Militär. In Oberfchlefien ift der Charakter der Deutfchen 
anders geartet. Llicht Beamte und Militär, fondern Raufleute und Techniter, die aus 
allen Teilen Deutfdlands in das reiche Induftriegebiet geeilt waren, bildeten bier das 
Rüdgrat der deutichen Bevdlterung. Auch konfelftonell unterfhieden fic beide Gebiete. 
In Boten und Weltpreußen waren die Deutfchen überwiegend evangelifch, in Oberfchlefien 
katholiſch. Nicht unerwähnt foll bleiben, daß der fogenannte Dölterbund den Deutfchen 
Oberfchlefiens einen befonderen Minderbeitenfchut zubilligte, auf den der polnifde Raubs 
ftaat allerdings pfeift! 

Die Deutiden im ebemaligen Adnigreih Polen, audy RongreßsPolen genannt, weren 
Jahrhunderte lang Untertanen der ruffiichen Zaren. Sur fie waren deshalb andere Ents 


226 Volk und Kaffe. 1933, VII 
a ESE 


widlungsftufen vorgezeichnet, ale für die Deutfdhen in den Sftliden Reichsgebieten, die 
jegt zu Polen gebören. 

In Wolbynien gruppieren fic die deutfchen Siedlungen bauptfädhlid um die Städte 
Cholm, Lust und Rronau. Die Siedler find durhweg evangelifhy. WVolbynien bildete zu 
Zeiten des ruffifchen Reiches ein eigenes Gouvernement, das nicht zu den polnifden Gous 
vernements gehörte. Deshalb waren für die Deutfchen bier wefentlich andere Verbältniffe 
maßgebend, als in ae en 

Aus dem ebemaligen öfterreihifchen Staat wurden die neuen Provinzen Rralau und 
Galizien zum polnifchen Staat zugefteuert, außerdem das Jnduftriegebiet von Bielig, das 
dem geraubten Oberfdlefien angegliedert wurde. Auch bier unterfcheidet fid das Deutfds 
tum von dem anderer Gebiete durch feinen gefhichtlicdhen und kulturellen Entwidlungsgang. 

Dem dseutfden Vollstum in Pofen und Weftpreußen ift durch die Abtrens 
— vom Deutſchen Reiche ſchwerer und unerſetzlicher Schaden zugefügt worden. Auss 
pr efen und unter bebdrdlidem Drud „freiwillig“ er find uber eine Wtillion 

eutider. Da der Befig von Grund und Boden der vdltifhe Rudbalt für die Erhaltung 
jeden Dollstums ift, fo gingen die Polen unter fic immer wiederbolenden Redtsbriden 
fofort daran, die deutichen Broßgrundbefiger und Bauern zu enteignen. 

Saft eine Million Hektar deutfchen Rulturbodens find gewaltfam Polen in die Sand 
gefpielt worden. Allein 219 Bomänenpädhter wurden mtfhädigungelos beraubt. in 
anderer Teil der Befiger erhielt kaum 150 Mark für den Heltar, die fie nod oft eintlagen 
mußten, wäbrend feinerzeit die viel geläfterte deutfde Anfiedlungstommiffion in Pofen 
surdfdnittlid 2320 Mark, alfo das dreizebnfacdhe an gutem deutfchen Belde bezahlt batte. 

Der Minderbeitenfhugvertrag gewährt den Beutfiden zwar ARedtsanfpruh auf 
eigene deutfche Rultur, Body wird faum ein Vertrag in der Welt fo baarfträubend verlegt 
wie diefer. Immer wieder fommen Flachridhten über das Schließen deutfcher Dollses und 
böberer Schulen aus Polen, fo daß von ungefähr 55 000 deutfchen Rindern nur noch eine 
verfhwindend Beine Zahl deutfche Sffentliche oder private Schulen befuchen kann. 

Einen fhweren Rampf zu führen bat das deutfche Dolkstum Pofens au in feinen 
tirhliden Dingen. Die evangelifhen Rircdhen find bis auf wenige geraubt, die nur nod 
fpärlid vorhandenen Pfarrer überlaftet und die Gemeindemitglieder auseinandergeriffen, 
zerftreut und verarmt. Noch trauriger ift es um die katholifchen Deutfchen Pofens und 
Weltpreußens beftellt. Meift handelt es fich nur noch um Bleine deutfche Minderheiten in 
großen polniſchen Bemeinden, die fchnell der Derpolung verfallen. Gelegentlid ift unter 
den noch vorhandenen deutichstatbolifchen Pfarrern ein tapferer Dorkämpfer des Deutfds 
tums, deren befter, der deutfche Domberr Rlinte in Pofen, feinem Dolltum durdy den Tod 
entriffen worden ift. 

3m polnifoden Oberfadhlefien wird der nationale Begenfatz zwifchen Deutfchen 
und Polen nod tonfeffionell beftatigt. Bei 300000 Ratholiten find 100 000 Evangelifche 
vorhanden. Zur Ehre der oberfchlefiidhen Bevdllerung fei es gefagt, daß nur ein Teil im 
Staatss und Voltsbewußtfein fhwantend ift. Die katbolifhen Deutfden bilden auc bier 
das Kinfallstor für das Polentum. Dabei ift es bemerkenswert, daß der größte Teil der 
Hever der pofener polnifchen Intelligenz entftammt. Ständig ift £eben und Eigentum der 
tapferen deutfchen Sührer in PolnifdsGOberfchlefien bedrobt. Mebr als hundert Bombens 
und fonftige Anfchläge fanden in den legten Jahren auf führende Deutfche ftatt, von vielen 
blutigen Wablunruben und brutalen Gewaltatten abgefeben. 

Der Minderbeitenfhus wird trog des fid große Mübe gebenden neutralen Übers 
wedhungstommiffars rüdfidhtslos zugunften der Polen ausgelegt, die Deutfchen entrechtet 
und ibre Rinder des deutichen Unterrichts beraubt. Gleichzeitig läßt eine milde und nadhe 
fichtige deutfde Derwaltung im deutiden Teil Oberfdlefiens empdrende Srechdeiten polnis 
fcer Hever uber fic ergeben und erfüllt obendrein mit peinlidder Gewiffenbaftigteit das 
Minderbeitenablommen. 

Wie fdadlid fidh die fogenannte Option für das Deutfhtum ausgewirkt hat, bes 
weift die deutfche Tertilinduftrieftadt Bielig. Hier bat niemand für Deutfchland optiert. 
Die Stadt bat deshalb feine deutfche Mehrheit bebalten und wird noch heute deutfch vers 
waltet. Dies ift für das gefamte Deutfhtum Polens von bober Bedeutung, da fid dort 
ein deutfches Lehrerfeminar befindet, das dem fhwer ringenden deutfchen Schulwefen wenigs 
ſtens den Nachwuchs ſichert. 

Sür die Deutſchen des ehemaligen Ronigreichs Polen, die in mehr oder weniger 
geſchloſſenen Siedlungen das ganze Gebiet uͤberziehen, iſt der Rrieg ebenfalls Veranlaſſung 
geweſen, ſich auf ihr Volkstum zu beſinnen. Vor dem Kriege beſtand die Gefahr, daß ſie 
als Bauern im Polentum, oder als Beamte im Auffentum untergingen. Flur unfere Dolls» 


1933, VII Rleine Beiträge. 227 
EEE EEE 


genoffen im Lodzer Jnduftriegebiet befaßen fhon früber eigene deutfche Schulen fowie tuls 
turelle und gefellige Vereine, da fie dort in dichten Maffen beheimatet waren. Dank des 
Wirtens des deutiden Gejmabgeordneten Utta ift jegt auc ein wirtfchaftlidyer und tuls 
tureller Zufammenfhluß der deutfchen Bauern zuftandegelommen. 

Leider ift die evangelifche Kirche Rongreß-Polens fo gut wie keine Stütze des Deutfchr 
tums, da ibr Generalfuperintendent ein Pole ift und für die kulturellen Beftrebungen der 
Deutiden nidts übrig bat. Llody fhwieriger liegt es bei den katholiſchen Deutfchen, etwa 
100 000, die im Lande zerftreut wohnen und bei ihren durchweg polnifchen Seelforgern 
erft recht keine Stütze für ihr Deutichtum finden. 

Am fchredlichften hatten die Deutfhen Wolbyniens unter den Rriegsverhälts 
niffen zu leiden gebabt. Ihre Söhne dienten zwar treu im ruffifchen Heere und erfüllten 
ihre Pflicht im Briege, aber die Väter wurden dennody vom panflawiftifchen Haß verfolgt, 
als Spione verdädhtigt und nah Sibirien verbannt. In die verlaffenen Höfe fchleppte 
man rutbenifche Bauern ein. Zum Teil wurden die Hdfe durch den Krieg und fpäter durch 
den ruffifchspolnifden Rrieg zerftört. Dann kamen Teile der Derbannten nad unendlichen 
Strapazen und vielen Todesopfern wieder aus Sibirien zurüd. Sie konnten aber ihre 
Ihönen Höfe nicht wieder beziehen, da ja Rutbenen darin faßen, alfo mußten fie neu ans 
De gu fiedeln. Scließlid wurde das ebemalige Gouvernement Wolbynien zwifcdhen 

en und Sowjetrußland geteilt. Zu Polen fielen ungefähr 100 000 BDeutfche. 

Einige wenige evangelifdhe Pfarrer und Rirdhenfchulen forgen notdürftig dafür, daß 
defen guten und fleißigen deutfchen Wienfhen nicht nod mebr Voltstumsverlufte ents 
fteben. Dod polnifder Haß und polnifche Dernidhtungswut findet Möglichkeiten das zu 
gerftdren, was nad den entfegliden Rriegsleiden übriggeblieben ift. Unter den fadenfcheinigs 
fien Dorwänden werden alte ruffifche Barve angewendet oder gebroden, gerade wie es dem 
— Zerſtoͤrungsſinn in den Rahmen paßt, um die noch vorhandenen deutſchen 

ernguͤter zu enteignen und polniſche Bauern an ihre Stelle zu ſetzen. 

Im ehemals oͤſterreichiſchen Rronland Galizien war ein wohlhabendes und 
Blabendes deutides Vollstum anfaffig. SGeit der Obernabme in polnifdhe Derwaltung 1867 
baben die Polen durch taufend Bedrüdungen dem galizifhen Deutfhtum viel Abbrud 
getan. €s ans in einem balben Jahrhundert auf 85 000 Menfhen zurüd. Hier hat fid 
die evangeliiche Geiftlichkeit, insbefondere der in Stanislau wirkende tapfere Paftor Zödler, 
febe um die Erhaltung des Deutfchtums bemüht. Trog aller Llot und Leiden find noch 
40 rein deutfche und 47 mit Rutbenen gemifchte deutfche Dörfer vorhanden. In gleicher 
Zahl befteben audy noch deutfchstatbolifche Dörfer und zwar 42 und 43 mit Rutbenen ger 
mifchte Dörfer. Hier finden endlich die deutfchen Rathboliten für ibre völkifhen Wünfde 
Derftändnis und zwar beim deutfchstatbolifchen Volksteil Oberfchlefiens. Ein großes Ders» 
dienft um die Erhaltung des Deutfchtums bat fidy der 1907 gegründete „Bund der chrifts 
lichen Deuticyen“, der bis Ende des Rrieges fegensreich wirkte, erworben. Er forgte dafür, 
daß wenigftens die großen Ratbolifchen Gemeinden deutfche Schulen und Pfarrer erbielten 
und nicht auf die polnifche Seelforge angewiefen waren. Seine finite Schöpfung ift die 
deutfche Rofegger- Schule in dem großen Dorfe Mariasdilf bei Rolomea. 

Mit edler Schaffenstraft baben die Deutfchen Galiziens die entfegliden KRriegs⸗ 
verlufte wieder gutzumaden verfudt. Dod zeigen fich jet andere Liotftände, die den 
Beftand unferes Dolltstums bedrohen. In öfterreihifchen Zeiten dienten die jüngeren Söhne 
vielfad als Unteroffiziere im Heere, während fie jegt auf dem elterlichen Aofe verbleiben. 
Go kommt bier von den polnifden und rutbenifhen Lladhbarn übernommen, allmählich 
die Erbteilung auf, die die Bauern in wenigen Generationen verproletarifieren wird. Dann 
verfallen fie der flawifden Slut eber, als enftandiges Bauerntum. 

In diefem kurzen Überblid fonnten wir die grofen bewegenden Probleme des Deutfds 
tums in Polen nur andeutend erfennen. Ungebeure Derlufte find ibm dur den Acie 
erwadfen. Was fdlieBlid dur den Rrieg verfdont wurde, ift in feinem Beftand ur 
den alles überfteigenden polnifden Dernidtungswillen fdwer bedrobt. Aud hier in Polen, 
wie überall find die Deutfcdhen pflichtbewußte und willige Burger des fremden Staates. 
Sie haben aber den Wunfd, ibre nationalen und kulturellen Güter zu erbalten. Statt 
an find fie überall der rüdfichtslofelten Verfolgung und der traurigften Derarmung 
ausgefetzt. 

Unfer einziges Unrecht, das wir, troy aller Mot glidliden Deutiden im Reiche gut» 
zumachen baben, ift, daß wir uns felbft verloren baben. Mit dem es zu uns felbft 

wir zu den Deutfchen in den unendlichen Weiten Polens zurüd. Dann wird die 
eae weiden und uns die Ertenntnis fommen, dah es der gen und 
fdcedlidfte Angriff auf ein Volk ift, den das balbafistifche Polen auf die Deutichen unter- 


228 Vol und Kaffe. 1933, VII 
ae EE I 


nimmt, ihm feinen Grund und Boden zu nehmen und es zu entwurzeln. Mit dem Verluft 
der Millionen Deutfcdhen im Often und Südoften, die die Dorpoften unferes Volles bilden, 
wäre unfer bereits ftark eingeengtes Siedlungsgebiet bereits unmittelbar fdhwer bedroht. 

Das deutfche Dolk bat fremdes Recht nie gelräntt und nie fremdes Voltstum bedroht! 
Wer es behauptet, verläumdet uns abfichtlicy, oder kennt unfere Gefdyichte nicht. An allen 
Grenzen haben wir nur zu viel Derftändnis für das Sremde aufgebradhyt und uns deshalb 
nur mühfam gegen Haß und Vernidtung gewebrt. In Zeiten ftarker Betonung nationaler 
Unterfchiede bringt gutberzige Klachgiebigteit nur Untergang des eigenen Dollstums. 

Aller innerer und dußerer Sortfchritt in Dfteuropa ging vom Deutfhtum aus! 
Hätten die Deutfchen nicht dort Pflug und Schwert feit taufend Jahren geführt, dann fäbe 
Ofteuropa heute anders aus. Taufendjährige deutfche Rulturarbeit foll im Klamen von 
„Sreibeit und Zivilifation” vernichtet werden, um durdh mit Germanenblut geftdrtte Slar 
wenvölter angeblid eine neue „Wienfchbeitsblüte” (eine Wahnvorftellung!) beraufzus 
führen, wenn erft der größte Rulturträger der Erde, der Deutfche, vernichtet tft. 

Stügen wir das Deutfhtum in Boten nicht, fo wird die „Pogromgrenze gegen die 
deutfche Kultur“ immer weiter an das uns nody verbliebene Siedlungsgebiet beran pane 
Sallen die deutfden Dorpoften, fo wird der Tideche und der Pole germanifches Kerniand 
berennen und mit feinen afiatifdhen Derbiindeten Aunger und Peft mitbringen. 

Wer rettet uns? Tue wir felbft durdh Befinnung auf unfer eigenes deutfches Volles 
tum und durh Stigung unferer Dollsgenoffen in Ofteuropa. Wir bauen am Welt⸗ 
deutfchtum nur von der Heimat aus. Erziehung und Befinnung 3u unferm VDollstum ift 
die größte Rulturaufgabe, die wir zu Iöfen haben. 


Einführung in Erblebre und Erbpflege. 


Zur didattifhsmetbodifhen Erfhließung des Aufgabenkreifes der 
raffenbygienifhen Erziehung. 


Don Profeffor Dr. Artbur Aoffmanns Erfurt 1). 


Die Doltserziebung bat in en ihre raffenbygienifchen Aufgaben in aller Deuts 
lidteit und Beftimmebeit sen neuen Ridtpunlt erhalten. Aber die Wege zu diefem 
Ziele find für die Praris nod nidht fo gebabnt, daß jede, aud die einfadfte Arbeitss 
ruppe, fie befchreiten könnte. Es fehlt Zwar nicht an guten „einführenden Barftellungen“. 
ber wer etwa beim zebnjährigen Voltsichultinde oder in einer Rlaffe bandwerflider 
Lebrlinge, in einem Lebrgange der Bauernbodfchule oder an Schulungsabenden in einem 
Arbeitslager Verftändnis fchaffen und Derantwortungsgefühl weden foll für die volle 
biologischen Klotwendigleiten, der wird es immer wieder merken, daß die planvolle Subs 
rung folder Arbeitsgemeinfchaften erbebliche metbodifhe Schwierigkeiten bereitet. Die 
meiften „Einführungen“ find noch zu tbeoretifh und zu fyftematifch, als daß fie ganz 
einfache Menſchen nachhaltig anfpreden könnten. Und gerade davon, daß 
ohne weiteren Zeitverluft alle Rreife gewedt und ftark aufgerüttelt werden, bangt im ins 
a io die raffenbygienifden Mafnabmen der Staatsfubrung Mod fo 
el ab. — 
Die meiften Bücher „für Anfänger“ glauben am anfchaulichften zu fein, wenn fie 

dem Gange der geihichtlihen Entwidlung folgen. Die erften Seiten bringen alfo — oft 
mit ernftem Bemüben um Barfte Überfichtlichleit — den Bericht über die grundlegens 
den Mendselfaoen Sorfdungen. Es tann aber nicht ausbleiben, daß die troß des 
empirifchen infages bier vorliegenden vielfachen Abftrattionen doch gefpürt werden. 
Schon beim zweiten und dritten DBeifpiel finten Sähigkeit und Kleigung, Schritt zu balten, 
ftart ab. Vict anders ftebt es um die Berichte aus der Zellforfhung, die au 
febr oft in Eingangserdrterungen bebandelt werden. Man follte doc) die Schwierigkeit 
nicht unterfhäten, die den nicht begrifflich dentenden Menfden mit der Vorftellung der 
Elemente belebter Subftanz und ihres Seinaufbaus zugemutet find, und die entfteben, 


1) Hoffmann, Arthur: Raffenbygiene, Erblebre, Samilientunde. 
Ein Arbeitsheft mit neuen Hilfsmitteln. 11. —ı5. Taufend (40 Seiten; 0.75 AM). — Hierzu 
ein Schülerheft: Dom Erbgut und von der Erbgefundbeit unferes Volles 
(16 Seiten) und ein Übungsbogen. 18.—29. Taufend (3 Seiten mit Dordruden 0.25 AM). 
Verlag Rurt Stengers Erfurt 1933. 


1933, VII Aus Raffenbygiene und Bevdlterungspolitit. 229 
CE ea era a a a a ea a Sa ES ESS] 





wenn von bier aus die Bride sum Verftändnis der DVDererbungserfeheinungen im tagliden 
Erfabrungsbereich gtidlagen werden foll. 

In einem erbbiologiihen Schulungsturfus, der in der pädagogifchen Abteilung der 
Alademie gemeinnügiger Wiffenfchaften zu Erfurt feit Oftern 1932 ftattfand, wurden diefe 
didaltifchsmetbodifchen Dorbedenten gellärt. ier reifte der Plan für einen „[hulgered> 
ten“ Arbeitsbehelf (fchulgereht eben nicht im Sinne einer fyftematifchsabftratten 
Stoffanordnung, fondern in der Schaffung gewedter Arbeitsftiimmung). Als der einzige 
Zugeng, der die Dererbungsfragen rajch in möglichft konkreter Prägung in Sicht kommen 
läßt, wurde die Samilientunde erlannt. Die Betrachtungen fegen mit dem in einer 
Plauderei nachgezeichneten Erbbild einer Samilie ein. Dann folgen Anleitungen über „die 
Seichenfprache der Samilientunde“, die fhon von Fleunjäbrigen gut verftanden und in eins 
fachften Aufzeichnungen gern a worden find. Damit ift die Anregung gegeben, 
an Beobadtungen uber Vererbung berbeizutragen, was faft überall in alltäg» 
lichen Erfahrungen bereitliegt. Eine ausführliche Anleitung zur Einridhtung einer 
Erblartei in der Sculllaffe oder in dem Arbeitstreife Erwachfener will für die Ord⸗ 
nung jorgen, die den rafchen Einfat der eigenen Materitalfammlung bei allen auftauchens 
den Einzelfragen ermöglicht. Cine Priche Rartei verfpricdht zudem widtige Hilfen für die 
erziebliche Erfaffun der Rinder und bei künftigen raffenbygienifchen Beratungen. Man 
ift meiftens überrafdht, wie gern fich alle Samilienmitglieder etwa von den Rindern in 
foldye Erhebungen mit einfpannen laffen, und wie cafd die oft ganz brauchbaren, durch 
Vadhprufungen bäufig leicht weiterzuentwidelnden Befunde fi vermebren. Auf einem 
Übungsbogen find grapbifche Darftellungen in den Sauptumriffen zum Nachzeichnen 
vorbereitet. Bier können mit gutem rfolge aud fdwierigere Überlegungen an der 
Abnentafel (Srage der Erbbäufung) geübt werden. Buntftifteintragungen unterftügen 
und beleben das Durddenten diefer Zufammenbänge. Sur andere Arbeitsfunden legt der 
Obungsbogen den Stammbaum der Samilie Bady vor. Im nädften Abfchnitt find eins 
facdjte Tatfadhen der Bevdllerungspolitil? aus Dordruden, die wieder ducdy eigene 
Einzeihnungen „Ipredend“ gemadt werden, berauszubeben. Das Bild einer erbtranten 
Samilie führt zwingend auf die PTotwendigteit der verbitenden Erbpflege bin. 
Fun erft mag auch ein „Einblid in die Werkftatt des Erbforfchers“ folgen (Einfuhrung 
in das Verftändnis eines Züchtungsverfuches). Die Aufgabe, auch verdedte Erbzufammens 
bänge aufzuzeigen, wird wieder an einem konkreten Samilienbilde durchgeführt. Zulegt 
mag mit Sortgefdrittenen aud die Srage nad der Vererbung erworbener Eigenfchaften 
geftellt werden. Auch bier wurde für die Erläuterung der „ Rontinuität des Reimplasmas“ 
ein ganz einfacher Zeichenbebelf entwidelt, der wieder die Buntftifte zum FTacdhzeichnen und 
damit Zur eigentätigen Unterftügung des Verftändniffes berauslodt. Go fdreiten die Bes 
trachtungen von Anfang an unter ftarter Beteiligung der zu Schulenden aus einfadften 
Beobadtungen im eigenen Lebenstreife über die Erörterung konkreter SGadverbalte im 
weiteren Samiliens und Voltsverbande zu den bdberen immer nocd beifpielbaft verdeuts 
lichen Einfichten auf, die zulegt in den Leitgedanten einmünden: „Auch die Erblebre 
alas das Kebensgefeg: Vollsgemeinfhaft gebt vor Einzel⸗ 

idfal. 


Mus Raffenbygiene und Bevdlterungspoliti€. 
Erridtung der Staatsmedizinifden Afademie in Minden. am 3. Mos 


vember 1933 wird in Minden vom bayr. Staatsminifterium des Innern eine Staats» 
medizinifche Akademie errichtet, die die Aufgabe hat, die vordringlid wichtige, allfeitige 
und gründliche Ausbildung der Arzte, befonders der Amtsarztanwärter, der Amtes und 
Sürforgeärzte auf den Gebieten der Raffenbiologie, Erbgefundbeitsichre und Erbgefundbeitss 
pflege, ferner in der fozialen und gewerblichen Hygiene und in den übrigen Zweigen der 
wiffenfdeftliden und prattifben Staatemedizin durchzuführen. Der £ebrplan umfaßt jabrs 
lech zwei je dreimonatige Lebrgange. Die Teilnabme an den Dorlefungen und Rurfen ift 
in der Regel erft nach einer mindeftens zweijdbrigen prattijden Tatigheit nad erfolgter 
Approbation als Arzt möglich. 


Deutidhe Hodjdule fir Politil. An der Deutfchen Sochfchule für Politik in 
Berlin hat die Leitung der Abteilung Raffentunde und Raffenpflege Or. Groß, Leiter des 
Aufllärungsamtes für Bevölterungspolitit und Raffenpflege übernommen. 





230 Volt und Kaffe. 1933, VII 


Kinderzahl der Beamten. Das Reidsfinanzminifterium gibt folgende Statiftit 
über die einzelnen Beamtengruppen und deren Rinderzahl heraus, die wieder die verbängs 
nisvolle Rinderarmut gerade Me wertvollen Teile unferes Volles ertennen läßt. 


Zahl der 
Beamten: Rinder: 
ObersReg.sRate und en ren... 1283 1 304 1.13 %0 
Regierungsräte . ~ ew wee) 3740 4004 1.07% 
m nifterialamtmänner ‘ 220202 0.2.1390 948 0.08% 
Reg. sObersInfp. u. Derw. ObersInfp. g »- « « 6384 6 462 1.05 % 
Minift.» RanzleisDorfteber und Obers Keg. Sete. ~ . « 8034 4773 0.95 % 
Selretäre . . 20.185004 16 570 1.10 %0 
Minift. sKanzleiafüiftenten ; . .1212323929 24 850 1-31 %0 
Oberbotenmeifter und Amtagedilfen eo Nik ne re ar BST 3135 3-13 9/0 
Roftellane, Botenmeifter, Amtsgbilfen . . . . . 82342 4233 1.31% 


Auf den einzelnen Ehegatten entfallen dsemnadh zwifden 0.6 und 0.3 Rinder! 


Lettifher Alarmruf: „Wir gehen zugrunde, wir fterben aus!“ 
pm. Riga, ıı. Ottober. , Bald feiern wir das I5sjährige Befteben unferes Staates. Der: 
jhiedene Minifterien mobilifieren bereits Redner, Sänger und Ordefter. OOdre es aber 
nicht richtiger, wenn die Regierung am 18. Movember d. 3.1) in allen Schulen, Truppen» 
teilen, Dereinen ufw. den Auf ertönen ließe: „Wir geben zugrunde, wir fterben aus“. 
Juden und Ruffen in Lettland mebren fich ftart, Seiten aber nicht. Hur in £ettgallen 2) 
gibt es einen Zuwachs an £etten?), aber er macht den Ausfall in Livland und Semgallen 
nicht wett. £s foll keine Beleidigung Lettgallens fein, aber es ift furdhtbare Wabrbeit, daß 
die im Schnapsraufh gezeugten Rinder Lettgallens tein vollwertiges Material fir die 
Zufunft unferes Volkes find. Die Zahl der Geiftestranten in £ettgallen und in ganz Letts 
land wädht, die Derbredden mebren fich und das geiftig fo begabte lettifce Bott fintt 
immer tiefer. Die Gefamtzahl lettifcher Rinder verringert fid, die Zahl defelter Rinder 
waͤchſt. — Land bleibt unbearbeitet, aber in den Staͤdten mehren ſich Arbeitsloſe 
und Obdachloſe“. „Latvis“ Nr. 3672. 


Deitfibe Gefellfdhafe fir Rafjfenhygiene. 


Mit der Sührung der Örtsgruppen, Fleubildung des Vorftandes und drtliden Sabre: 
rates wurden weiterhin folgende Herren betraut: 

Bremen: Senator Dr. von Hoff, 

Bielefeld: Chefarzt, Prof. Dr. 9. Löhr, Betbel, 

Dresden: Obermedizinalrat, Prof. Dr. Flitfche, Heilanftalt Sonnenftein bei Pirna. 

Göttingen: Profeffor Dr. Wehefrig, nee an der Srauentlinit. 

Wuppertal: Studienrat Dr. R. Schulz 

In Celle und on. wurde eine newe Ortsgruppe gegründet und nachftebend ans 
gegebene Herren als 3. Dorlitgende ernannt: Sür: 

Celle: Dr. Srig Dinthaufer, Celle, Italienifder Garten 5, 

Chemnig: Prof. Dr. Martin Staemmier, Chemnig, Am Zauptbabnbof 1, 


Fragekaſten. 
5. Sind die mit ſchweren Geiſteskrankheiten behafteten Menſchen ausſchließlich in 
N untergebracht oder fonftwie von der Allgemeinheit abgefondert? 
. In wie weit darf man den Gutachten und Vorausfagen von Charalterol en 
Afrologen Pbrenologen ufw. Glauben fchenten. Werden die Unterlagen für die 


1) Tag der politifden Staatsvertindung. D. Sch. 

2) Die ee oe tatholifde, balb analpbabete, Bulturell überaus rüdftändige Oft: 
proving des Landes 

3) Lies: Lettgallern. 5 Sd. 


1933, VII Buchbefprechungen. 231 








gutadtungen nur von Kinzelperfonen oder von einer erblid zufammenbängenden Gruppe 
von Menden gewonnen? 

7. Dererben fid erworbene Flervens und Geiftestrantheiten, 3. B. der durch 
Derfdhuttung im Rriege bervorgerufene Wervenfdod, anormale Reizbarteit ufw.? 

s. Berubt das Jodeln auf Erziebung (Angewohnbeit) oder Vererbung? 

9. Sür eine Sippfchaftsbiologie ift die Renntnis der Todesurfachen aller verftorbenen 
Derfonen der Sippe von bödfter Wichtigkeit. Können diefe außer den Aufzeichnungen 
oder mündlichen Überlieferungen der Samilienmitglieder ficher feftgeftellt werden? Ge 
Pfarrs und Standesämter darüber Auskunft? E. 

Beamwortung der Fragen in Heft 6 erfolgt in Heft 2. 


Buchbeſprechungen. 


Dr. Franz Boch: Die GSermaniſche Gothik. J. F. Lehmanns Verlag, Munchen. Preis 


kart. ME. 4.—. 


Es ift ein fühner Derfuch, in einem Inappen Tertteil und mit einer Anzahl lug auss 
gewäblter Bilder den Kliachweis zu führen, daß die Gotik ihrem Wefen und Urfprung nad 
ermanifch ift. Aber diefer Derfuch ift als durchaus gelungen zu bezeichnen, weil der Ders 
fer fi in tnappefter Sorm an die Sauptelemente gotifder Runft bielt und mit feftumrifs 
fenen Striden das Bild ihrer Wandlung durch die Stilentwidlungen begleitete. Die 
großen ftatiihen Gedanken germanifcher Baulunft, Geriftbau, Strebefyftem, Holzgewölbe 
und Raumformung in aller Rlarbeit und Kürze berausgearbeitet zu haben ift fein großes 
Derdienft. Auch die Darftellung der Ralfengegentage im Baufchaffen des Llordens und 
des Südens ift mit überzeugenden Beifpielen belegt. Das Buch will nicht mebr fein als ein 
Sübrer, aber es eröffnet uns weite Ausblide in das Schaffen germanifcher Vorzeit und 
zieht zugleich verbindende Linien zur ringenden Runft unferer Gegenwart. S. WD. 


Robert Bdtther: Kunft und Kunfterzichung im menuen Reih. Breslau 1933. 
Serdinand Hirt. Mit 38 Bildern, 160 Seiten. Preis MI. 3.80. 


Das gut gemeinte, aus ebrlider Liebe 3u unferem Vollstum entftandene Buc 3ers 
fälle in vier Abfchnitte, von denen die beiden legten durdyaus ernft 3u nebmen find. Ains 
gegen kann man den ehr willtürlid angenommenen geiftigen Zufammenbängen, den 
mancherlei Unklarheiten und der leicht fpieBigen, fentimentalen Tonart der erften Rapitel 
(„Woran die deutfche Runft, woran Deutfdland zerbrah* und „Die Sendung des 
Rünftlers im neuen Reich“) nicht obne weiteres zuftimmen. Es dürfte — um ein Beifpiel 
3u nennen — für das Verftändnis eines fo ausgefprochen nordifcyen Rünftlers wie Cafpar 
David Sriedrich wohl das wichtigfte fein, von ibm zu wiffen, daß er als erfter die lands 
ſchaftliche Schönheit deuticher Heimat erfchloß. Daß er zuerft es wagte, einen einfachen 
„Sturzader“ mit en paar nebelumfchleierten Birken oder ein Riefernwäldden in weiter 
Ebene zu malen und uns diefe Dinge [eben lehrte, bedeutet viel mebr als die Annahme 
des Derfaffers, er babe „den Traum Erwins von Steinbach geträumt“ und „dem Sebnen 
nad der Einheit des Reiches in allen Schöpfungen feiner Hand Ausdrud gegeben”. — 

Auch ift der anertennenswerte Zorn des Verfaffers bei der Behandlung der „os 
dernen“ (SchmidtsRottluff, Pechftein, Klee u. a.) zu geiftigsmoraliihd angebaudt. Daß 
jene Rünftler „den deutichen Menfden berabwürdigen, wenn fie fein Antlig zur blöden 
Grimaffe verfälfchen und feinem Rörper die Mißgeftalt geben, in die ibre eigene verderbte 
Seele gebüllt fein mag’ „zeugt“ nit — moralifch gefeben — „von ihrer fhmugigen 
Seele”, fondern soc vielmehr davon, daß bier von artfremden Elementen ganz bewußte 
Arbeit im Dienfte macdtpolitifcer Ziele geleiftet wurde. Es bätte gefagt werden müffen, 
daß es zur Derwirklidung jener Ziele nötig war, im deutfchen Volle das raffifde Schöns 
beitabild nordifcher Prägung gründlich zu zerftören und daß zu diefem Zwed Runft, Runft: 
tritit und Runftwiffenfchaft judifcher Herkunft Hand in Hand arbeiteten. 

Stilblüten wie diefe: „fo rüttele die Morgenrdte des Mafchinenzeitalters gewaltig 
an den Sundamenten des Staates...“ entbebren nicht der Romil. Aber um der laren 
und guten Gedanken über „Runfterziebung im neuen Bildungswefen’ und „das Hands 
wert in feiner Bedeutung für Schule, Volt und Staat“ (Rap. 3 und 4) fiebt man gerne 
darüber hinweg. §. Stengel. 








232 Volt und Kaffe. 1933, VII 
EEE EEE EEE EEE SEES EEE ES EEE —————— —— 


Dr. h. Pfatſchbacher: Eugeniſche Ehehinderniſſe? Eine kirchenrechtliche Stu⸗ 
die!) Verlag Mayer u. Cie, Wien 1933. 

Wenn der Hlaturforfcher nur mit Mübe imftande ift, rein juriftifche Gedanten über bios 
logifhe Probleme nadyzudenten, fo ift er bei tbeologifchsjuriftifchen Gedantengängen und 
Beweifen nur mebr in der Lage des Pfychiaters gegenüber dem Bedantenablauf feiner Pas 
tienten. Der Berichterftatter empfiehlt daher das Buchlein allen Arzten und Maturforfdern, 
um 3u lernen und zu wiederbolen, weldye Mächte 15 Jabrbunderte unfer Dolt beberrfcht 
und durd ibre tranthafte Lebensauffaffung an den Rand des AUbgrundes gebradt haben. 

Die Abnungslofigtcit, mit der Here Pfatfcdbacer die Afplierung der Minderwertigen 
verlangt, wird nur übertroffen von feiner Renntnisarmut auf dem Gebiete der Sterilis 
fierungsfrage. Die Unfrudtbarmadung fiebt er als gegen das 4., 5. und 6. Gebot gerichtet 
an! Durdy jogenannte logifche Argumente will er beweifen, daß die Unaufldslichkeit der Ebe 
aus dem Begriffe der Cinebe folgt. Er meint Cinebe, fagt aber Einheit der Ebe, logifch ift 
838 natürlich ganz etwas anderes. 

Die moralifhe Grundlage fir die Einheit und Unauflöslichkeit der Ebe ift für ibn, 
wie für alle Theologen, die Thefe des Apoftels Paulus in dem 1. Briefe an die Rorintber 7. 2. 
„Aber um der Hurerei willen babe ein jeglicher fein eigen Weib und eine jegliche babe ihren 
eigenen Mann.“ Paulus jagt: Propter fornicationem autem unusquisque suam 
uxorem habeat, et unaquaeque suum virum habeat. (fornix = Borbell.) 


Alfo auf diefem Grunde ftebt beim Apoftel und bei den Theologen der Gegenwart 
die Ehe. Pfetichbacher zitiert ausdrüdlich fogar diefe Stelle aus dem Rorintber- Brief, um ja 
keinen Zweifel darüber auftommen zu laffen, daß die Auffaffung der Theologen unvers 
ändert fei. — Wir wiffen, daß bei den Germanen 2000 Jahre vor Chrifti Geburt die 
Einebe geberricht bat und beiliggebalten worden fei und 3war gerade nidt ,propter 
fornicationem“, weil es nämlid Bordelle im alten Germanien gar nidt gab. 

Im übrigen gibt das Buch gerade fehr wenig auf dem Gebiete, das der Titel 
umgrenst. 

Schlieglih wird als oberfte Autorität Thomas v. Aquin zitiert, wie er fidh die 
Ebe und ebelicen Pflidten bei Ausfag eines der beiden ee vorftellt. Pfatfchs 
bader verfuht durch eine Erweiterung des Standpunltes des bi. Thomas, des „Doctor 
invincibilis* aud modernen Problemen gereht 3u werden. 

Wir danten dem Verfaffer, der uns gezeigt bat, daß die Scholaftik in feinen Rreifen 
nod lebendig tft und daß man alfo dort die Entwidlung der Wiffenfhaft 1000, ja 
2000 Jahre verfdlafen bat. £otbar Gottlieb Tirala. 


Walter Scheidt: Niederfähfiihe Bauern II. Bevdlterungsbiologie der Elbinjel Sins 
tenwärder. Deutide Raffentunde Bo. 10. 98 S. 25 Abb. 2 Tafeln. Jena 1932, Guftav 
Sifher Verlag. Preis geb. ME. 9.—, geb. ME. 10.50. 

Wie Perf. in feinem Vorwort fchreibt, bat diefe Arbeit hauptfadlid den Zwed, 
die Gangbarteit des von ihm eingefchlagenen Weges zu erweifen und die bepölterungs» 
biologische Mietbodit zu erläutern. Jm Einzelnen bebandelt Derf. die Bevdlkerungsbewes 
gung, das generative Leben der Bevölkerung (Paarungsfiebung, Sortpflanzungsftärte, Ders 
wendteneben u. a.) und Auslefe und Erblichkeit, wobei er auf die Umfchidhtung der Bes 
vdllerungserbmaffe und die Srage der Erbanlagen zur Zeugung vorwiegend eines Ger 
fhlehts näher eingeht. Die Arbeit ift von einer Reibe Tabellen begleitet, die wegen der 
eigenen Bezeichnungsart Scheidts fhwer verftändlidh und unüberfichtlich find. Als Ends 
ziel derartiger Arbeiten fiebt Sch. eine Raffens und Rulturbiologie, wie er fie in feinen 
früheren Schriften aufgezeichnet bat. S. Ehrhardt, Münden. 


Rihtigftelung: Der Preis des in Heft 6 von Volt und Raffe befprodenen Buches: 
Schmidt, Strafredhtlidhe Grundlagen der Unfruhtbarmadung beträgt 4.20 AN. 


1) Theologifhe Studien der GOfterreihifchen LeosGefellichaft. Herausgegeben von 
Dr. Leopold Krebs und Or. Fofef Lebner, Profefforen an der Univerfität Wien. 


Deutjchland 


weltpolitifcben 
Hejchehen 


Dr. Otto Leibrod 


XX, 456 Seiten Tert 
Brojdhiert AM. 10.—, Ganzl. RM. 12.50 










Vei der Abteilung fiir Gejundheitswejen und VBevdlferungs- 
politit (Senator Dr. med. 9. Rilud) ijt die Stelle des 


Neferenten für 
 Erbgejundheitspflege 


mit einem biologifh und foziologifch afademijch vorge- 
bildeten Herrn zu bejegen. 
LZehrbefähigung nötig, da die Erteilung eines Lehrauf- 
traged für Bevölferungspolitif an der Technifchen Hod)- 
Aule in Frage fommt. 

nftellung als Wngeftellter, Beamtengruppe 2b Preußen 
(Danzig 2a), Wohnungsgeldaufhur nad Ortsgruppe A, 
3.83. 6°/, veränderlicher Ausgleihszufhlag zur Grund» 
vergütung. Bewerbungen mit zen Angabe über die 
bisherige Tatigfeit find an den Senat der freien Stadt 
Danzig, Abt. für .Gefumdheitöweien und Bevdlle- 
rungspolitif, Wallgajje 14b, 2 Treppen zu richten. 






Deutihlands Erneuerung: 
mit diefem, ftrengite Wilfenfchaftlichteit und 
eae allgemein verftändliche Daritellungsweije 
aufs glüdlichfte verbindenden Werte hat der 
Derfajfer eine dantenswerte nationale Auf- 

Härungsarbeit geleiitet. 


Deutihe Rundihau: 
Ein ausgezeichneter Kenner der national» und 
weltötonomiihen Zufammenhänge beipricdt in 
fluger, feffelnder Darftellung nad einem Riid- 
blid auf die Gefahrenlage der Dortriegszeit 
alle erdentlichen Stagen der gegenwärtigen Not. 
Der Jungdeutiche: 
Der Wert diefer Arbeit fiir die politiiche Schu=- 
lung ijt — der ungemein feſſelnde 
und gedanlkenreiche Inhalt führt zu den Wurzeln 
der neuzeitlichen Weltgeſchichte. 


deutſche Wiſſenſchaftliche Buch— 
handlung, 6.m.b.H., Leipzig. 









Biologie 
im Leben der Gegenwart 


Bon Prof. Dr. E. Lehmann, Tübingen. 
Geh. AM. 4.—, Lvd. MRM. 5.—. 
Die Biologie ift zum Kernftüd der nativnaliftiihen Welt- 
anjchauung geworden. Dad Bud von Prof. Lehmann 
willalle reife des Volkes für biologische Fragen gewinnen 


und ihnen Har machen, was die Biologie für dad Leben jedes 
einzelnen in der deutjchen Gegenwart u. Zukunft bedeutet. 


J. 5. Vehmanns Verlag / Münden 2 SW. 













Dr. Schlüter & Dr. Ma, Naturwifjenfchaftliche Lehrmittel-Anjtalt, Halle a. ©. 
Sämtlide Xehrmittel für den biologijhen Unterricht. 


tchrmittel zur Vererbungdälehre: Lichtbilder. Tafeln. Umripbilder. Natürlie Beijpiele. 





Jn Sorbereitung: Lichtbilderreibe über Raffenhogiene von Dr. med. Kürten, Univerjität Halle. / Brofpeft fojtento3. 


y 


Wandtafeln 


fir den raffen- und vererbungsfundlidhen Unterricht 


1 Reibe: Von Dr. Bruno K. Schul. 10 Tafeln, von denen 1 und 2 je 105x140 cm, 
“8x 123 cm, 4—7 je etwa 70x105 cm groß find. Preis der einzelnen, teilmweije farbigen 
Tafeln zwijchen AM. 1.20 und AM. 4.50. 


Reihe: Bon Stud.-Rat Dr. J. Graf. 10 farbige Tafeln in der Größe 84x 104 cm. 
Preis jeder Tafel AM. 3.—. 


t der Herausgabe diejer Tafeln jüllt unjer Verlag, der bisher bahnbrechend in der N eines rajjen- 
keitgen Schrifttums war, eine bejonders im Schulunterricht zutage getretene Yüde aus 

— enzelnen Bilder und Larftellungen jind in grépter Deutlichfeit und ÜÜberfichtlichteit wiedergegeben, jo 
5 jie auch auf weitere Entfernung gut erfennbar find. Sie jind Ergebnis jahrelanger Unterrichtserfahrung 
= bilder in item von pädagogiihem Empfinden geleiteten Aufbau ein einprägjames Anjchauungsmaterial. 
Ze eignen fich nicht nur für den Unterricht in Echulen aller Gattungen, SA.-Lehrgängen, WArbeitsdienftfurjen 
o., ordern lajjen jich auch vorzüglich al3 aufflärender Wandihmud in Verbandsheimen, behördlichen Warte - 
Immer ‚ Kajernen und dergleichen verwenden. 


Ausithriiäer PBrojpeft fteht gern Foftenlos zur Berjfügung. 
BG Lebmanns Devrlass Minwhen 2 SW. 
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Dolt und Raffe 


‘SMuftrierte Wonatsfdrift fir deutfdes Volkstum 
Raffenfunde Raffenpflege 


Zeitfchrift des Reichsausfchuffes fir Dolfsgefundbheitsdienft und 
der Deutfchen Gefellfchaft für Raffenbygiene. 


Herausgeber: Prof. Aichel (Kiel), Präf. Aftel (Weimar), Prof. Baur (Müncheberg), Reichs: 

minifter R.W. Darre (Berlin), Mins»Rat $ebrie (Heidelberg), Min.-Rat Bütt (Berlin), Kultus: 

minift. Aartnade (Dresden), Prof. Helbok(Innsbrud), Reidsfibrer SS. Simm ec (Mtdindyen), 

Prof. Mollifon (Minden), Prof. Mud (Wien), Prof. Rede (Leipzig), Prof. Rodin 

(Münden), Dr. Ruttke (Berlin), Prof. A. Schulg (Königsberg), Dr. WO. Sch uly (Gorlis), 

Prof. Schulte: MTaumburg (Weimar), Prof. Staemmiler (Chemnig), Prof. Tirala 
(Atünden), Prof. Wrede (Köln), Dir. Zei (Srantfurt a. MM.) 


Sdriftleiter: Dr. Bruno R.Schulg, Münden 
Meubauferftraße 51/3. 








8. Jahrgang Heft 8 Dezember (Sulmond) 1933 


Inhalt: 


Winterfonnenwende. Bon Lothar Stengel- von Rutfowffi . . . . . . . Geite 233 
Anfprade des Herrn Reidsminifters Or. Frick bei der Gründungsverfammlung 
des Reidhsausfduffes für — am 20. November 1933 im 
Reichsminiſterium des Innern .. „ 234 


Erbbilder deutfcher Dichterfamilien. Die era der Didhterin Ina 
Seidel. Bon Dr. Agnes Bluhm, Kaijfer-Wilhelm-Inftitut für ant Berlin⸗ 





Dahlem. (Mit 7 Abbildungen und einer Sippfchaftstafel) - . . . „ 2306 
Die Sippjchaftstafel und eine Anleitung au ur PRED Bon Dr.med 

RK. AUftel. (Mit einer Muftertafel) . - „ 245 
Die Germanen der früheren Eijenzeit. (800 v. en —200 n. ER ). Bon Dr. Wetfgn 

Schulg, Görlig. (Mit 2 Abbildungen) . - „ 248 
Aus Raffenhygiene und Bevdlterungspolitit is tage ids ieee ee „ 255 
Reihsausihuh für eer FE EEE „ 259 
Fragekaſten. 3 u oa oe a a re Era » 260 
auuean. a ar a PER » 260 


GE 
vierteljäbrlih RM. 3.—, Einzelbeft RM. —.70, Poftfcheditonto des Verlags Mündyen 129; 


Bezu Spreis Poftfpartaffentonto Wien 595 94; Poftfchedtonto Bern ir. Ill 4845; Rreditanftalt d 
Deutfchen in Prag, Rratauer Gaffe sı (Poftfchedtonto Prag 027 30). 


5. §. Lebmanns Verlag / Munden 2 SW. / Paul Heyfe:Str. 26 


\ 





Dolf und Kaffe, 8. Jahrg. 1933, Heft 8 


3. §. Lebmanns Verlag, Minden 


Der Derlag bebalt fid das ausfchließlihe Recht der Dervielfältigung und Verbreitung der 


in diefer Zeitfchrift zum Abdcud gelangenden Originalbeitrdge vor. 


Winterfonnenwende. 
Kun lieget auf den Landen So zünden wir mit Singen 
des Winters weißes Kleid. des bellen Seuers Macht, 
£s rollt in ftarren Banden das Duntlel zu bezwingen 
von Eis und Schnee die Zeit. der Winterfonnwendnadt. 
Al Leben fceint verglommen Was ftarb und was erfroren, 
in Ralter, langer Nacht gibt jungem £eben Raum. 
und aus der Welt gelommen Zu neuer Braft geboren 
der Hellen Sonne Madıt. wird Menfdh und Tier und Baum. 
Dod barrt fcdbon in der Stille Kat bell die Scheite loben 
des neuen Kebens Beim. als Ruf in zage Welt: 
Des Wacjfens ftarter Wille Durd Kampf und rot und Droben 
fprengt bald fein bergend yeim. gebt feften Sinns der Held. 
Am Baum die Rnofpen fdwellen, Wenn alles bingefunten, — 
Blut ftrömt zu junger Brut, Zukunft erfchließt die Tat! 
und unter’m Eis die Quellen Selbft Steine geben Sunten 
tuften 3u neuer Slut. dem, der den Willen bat. 


Uns lag der Sinn gefangen, 
verirrt war Doltes Pfad. — 
Fun ift die Vladht vergangen, 
und gläubig keimt die Saat. 


Uns Elingt im Rreis der Erde 
des ganzen Lebens Lied, 

wo immer Stirb und Werde 
im Kampf das All durchzieht. 
Uns gilt ein heilig Seiden 

fur Glauben, Dolf und Staat, 
dem Tact und Sremde weiden: 
des Llordens Sonnenrad. 


Lotbar Stengelsvon Rutlowflti. 


* 


234 " Volt und Raffe. 1933, VII 





Anfprache des Serrn Reidsminifters Dr. Srik 


bei der Gründungsverfammlung des Reichsausfchuffes für Dollsgefundheitsdienft 
am 20. Liovember 1933 im Reicheminifterium des Innern. 


Seurfce Manner! Deutfhhe Srauen! Indem ich Sie zur heutigen Grün: 
Sungsverfammlung des Reihsausfchuffes für Dolls: 
Be et begrüße, danke ich Ihnen für das Intereffe, das Sie der 

rbeit diefes Reichenusfchuffes entgegenbringen. Den meiften von Ihnen dürfte 
es bekannt fein, daß diefer Reichsausfchug aus dem früheren am 5. Sebruar 1921 
gegründeten Reihsausfhuß für bygienifdhe Dolksbelebrung bervors 
gegangen ift. £s war feine Aufgabe, die Renntniffe der Hygiene und einer gefunden 
ebensweije zu verbreiten. In erfter Linie bat er Mitarbeiter befonders in der 
Kchrerfchaft gefudt, um diefe zu befäbigen, Befundbeitslehre in den Schulen zu 
erteilen und die gefunde Lebensführung der Jugend zu fördern. Ausgebend 
von dem Wobl des Einzelwefens bat man fi im liberaliftifchen Zeitalter 
in erfter Linie mit dem Zinzelwefen befdäftigt und vergaß dabei den Urs 
fprung des Einzelwefens: die Samilie und Kaffe. Anders die national: 
fosialiftifde Weltanfdhauung, die im Gegenfag dazu die erbgefunde Sas 
milie in den Mittelpuntt des Denkens und des Gejdebens ftellt und die Gefamts 
beit des deutfchen Volkes als eine übergeordnete Einheit betradhtet. Ls war 
daher nur folgerichtig, wenn ich die Umwandlung des Reichsausfchuffes für 
bygienifde Dollsbelebrung in einen foldben fur Dolksgefundbheitsdienft anordnete 
und zu diefem Zwed nach der Wachtübernahme einen Reihstommiffar beftellte. 
Dies babe id bereits in meiner Ausfprace auf der erften Gigung des Sachver⸗ 
ftandigenbeirats fir Bevdllerungss und Raffenpolitit am 28. Juni 1933, etwa 
wie folgt begründet: „Die Aufklärung über Erbgefundbeitspflege und Raffens 
kunde muß zur raffenbygienifden Erziebung der natn’ und des 
gefamten Dolkes ausgebaut werden, um unfere Jugend fur die Ebeichließung 
vorzubereiten. Um diefe Renntniffe weiten Rreifen nutgbar zu machen und geeignetes 
Lehrmaterial den für die Aufllärung zuftändigen Stellen und Erziebern der Jus 
gend zu vermitteln, babe ich die Umbildung des bisherigen Reichsausfchuffes in 
einen folchen für ee eee angeordnet.“ Inzwifchen find die Dors 
bereitungen foweit getroffen, daß der Reichsausfhuß für Voltsgefundheitsdienft 
nunmebr als eingetragener Derein an eine Erweiterung feiner Aufgaben in großem 
eher berangeben kann. Sie werden von meinem Sachbearbeiter näheres über 
die Aufgaben und den Ausbau des Reichsausfchuffes hören, während ich Ihnen 
beute nur kurz meine Auffaffung von der Bedeutung des Volksgefundbeitsdienftes 
überhaupt darlegen mödhte. 

Es ift allgemein befannt und ich brauche es daber nicht erneut zu betonen, 
daß der Viationalfosialismus bei der Machtübernahme eine überaus traurige Erbs 
{daft angetreten bat. Ze war die tragifche Solge liberaliftifhen und marriftifchen 
Denkens, daß der Lebenswille des deutfchen Dolles mebr und mebr erlofh. Man 
erfüllte die unerträglichen Bedingungen des Vertrages von Verfailles, die Wirts 
fhaft zerbrach, die wachfende Arbeitslofigkeit und die vaterlandsfeindliche Lins 
ra mußten fchließlich zur VDerleugnung von Staat, Volt, Samilie und Art 
übren. 

Stolz können wir heute fehon feftftellen, daß es unferem Sübrer gelungen 
ift, den Kebenswillen unferes Dolles neu zu beleben und es wieder mit neuer 
Hoffnung zu erfüllen! Es ift in der Gedichte des deutfchen Volles noch niemals 
dagewefen und es kann wohl auch kein Volk der Welt von fich behaupten, daß c8 
jemals in einer folchen Gefcdloffenbeit hinter einem Sührer geftanden bätte, wie 
das deutfde Doll nach dem 12. Viovember 1933. Das deutfche Volk ift heute {chon 
zu einer derart gefchloffenen Einheit zufammengefchmiedet, daß keine Macht der 


1933, VIII Anfpradye des Herrn Reiheminiftere Dr. Srid. 235 
—— ——— ————— ——— 





Welt dieſe ſeeliſche Verbundenheit jemals wieder beſeitigen kann! Auch das Aus⸗ 

land, inſonderheit die weſteuropaͤiſchen Staaten, werden ſich dieſer unumſtoͤßlichen 

Tatſache nicht verſchließen und unſerem Volk als Nation den notwendigen Lebens⸗ 

Anerkennung ſeiner Leiſtung und die Gleichberechtigung nicht verſagen 
nnen. 

Vor allen Dingen iſt es erreicht — und ich ſehe dies als einen Erfolg von 
ungeahnter Tragweite an —, einem großen Teil unſeres Volkes das Selbſtbewußt⸗ 
fein und das Gefuͤhl fuͤr Raſſereinheit wiederzugeben. Iſt es uns allen in unſerem 
Leben nicht wie Schuppen von den Augen gefallen, als wir den raſſiſchen Wert 
eines Menſchen erkennen lernten? Iſt es nicht ein erhebendes Gefuͤhl in dem 
deutſchbluͤtigen Arbeiter wieder den Bruder ſehen zu koͤnnen und ihn, ganz gleich 
in welcher Stellung er ſich befindet, allen anderen vorzuziehen? 

Es iſt nicht zu erwarten, daß dieſe Ziele des Fuͤhrers ſchon allgemein erkannt 
werden, aber es iſt zu hoffen, daß die ſchon bisher getroffenen geſetzlichen Be⸗ 
————— und die noch folgenden dieſes Verſtaͤndnis immer mehr verbreiten 
werden 

Volkskraft wird auch heute noch leider vorwiegend wirtſchaftlich gewertet, 
waͤhrend ſie doch in der Tat die Quelle alles Wirkens, jeder Rultur und unſeres 
Wohlſtandes iſt. Dieſe Kraft droht zu verſiegen, unterzugehen fuͤr immer, wenn 
wir nicht in abſehbarer Zeit mit Energie und Mut an den Wiederaufbau der 
deutſchen Familie als der Lebensgrundlage unſeres Volkes herangehen! So 
wie die nationalſozialiſtiſche Bewegung unter Fuͤhrung Adolf Hitlers fidh dem 
politiſchen Zerfall entgegenſtemmte, ſo wie Mut und Tapferkeit des Einzelnen 
den neuen Staat begrimdeten, ſo iſt es jetzt Aufgabe der nationalſozialiſtiſchen 
Bewegung und ihrer Fuͤhrer, am voͤlliſchen Wiederaufbau Deutſchlands ſelbſtlos 
mitzuarbeiten. Jetzt genuͤgt es nicht, ſih mit Worten für dieſes Ziel 
einzuſetzen, ſondern man muß auch bereit ſein, ſelbſt für Dol? 
und Staat zu leben! Der Sieg der erbgeſunden kinderreichen 
Familie entſcheidet über das Leben und die Erhaltung des deut⸗ 
ſchen Volkes im Herzen Europasl! Ich erinnere an die Worte Muſſolinis, 
der an hervorragender Stelle ſchonungslos die Wahrheit ſagte, indem er bittere 
Anklage erhob: „Wo ſind die Wuͤrdentraͤger des Faſchismus, die eine kinderreiche 
Familie, d. h. nicht weniger als fuͤnf Rinder, haben? Wo ſind die Praͤfekten und 
Verbandsſekretaͤre, die Oberbuͤrgermeiſter, die Praͤſidenten, die Organiſationen und 
Abgeordneten? Wo ſind ſie und wieviele ſind ihrer? Schaut einmal in die erſte 
Reihe der Theaterſitze! Eheloſigkeit und Unfruchtbarkeit auf der ganzen Linie!“ 
Er ſagt ſeinen Faſchiſten ins Geſicht, daß ſie ſelbſt nicht den geringſten Grund 
haben, auf die demographiſche italieniſche Stellung ſtolz zu ſein, da Italien in 
dieſer Beziehung eine Nation zweiten Ranges ſei, obgleich Italien noch heute eine 
Geburtenzahl wie Deutſchland vor dem Rriege aufzuweifen bat. Unfer Sübrer, 
der ſich ſelbſt fuͤr unſer Volk bis zur Verleugnung ſeiner eigenen Perſon einſetzt, 
braucht Manner, die die von ihm als richtig erkannten Gedanken und Ziele auch 
durchfuͤhren! Dazu iſt in erſter Linie Wiſſen und berufliche Schulung Vor⸗ 
bedingung, aber es kommt hinzu, daß dieſe Maͤnner auch bereit ſein muͤſſen, 
unſerem Volk in jeder Beziehung mit gutem Beiſpiel voranzugehen. Wir wollen 
nicht Bevoͤlkerungswiſſenſchaft treiben, ſondern wir wollen uͤberall, in Politik 
und im Staatsleben Maͤnner an der Spitze ſehen, die nicht nur ihr Arbeitsgebiet 
beherrſchen, ſondern auch in ihrem eigenen Leben als Vorbild und Fuͤhrer der 
Nation angeſehen werden koͤnnen! Es gilt darum, nicht nur Bevoͤlkerungspolitik, 
ſondern Volkstumspflege zu treiben, mit der Zielſetzung, den Nordiſchen Gedanken 
und die Erinnerung an unfere Dorfabren 3u pflegen! Dabei ift es gleidgultig, 
ob der einzelne Menfch in feinem Außeren mebr oder minder der Liordifden Raffe 
angehört, bedeutungsvoll und wichtig ift es, daß jeder deutfche Mann und jede 
deutfche Srau fid ihres — Wertes und ihrer Verpflichtung gegenuͤber 
Volk und Raſſe bewußt werden! Denken wir an die Worte des Fuͤhrers in ſeinem 





236 Volt und Kaffe. 1933, VIII 


Wert „Mein Rampf“, in dem er fagt: „in Staat, der im Zeitalter der Raffens 
vergiftung fich der Pflege feiner beften raffifchen Elemente widmet, muß eines 
Tages zum Herrn der Erde werden!“ Das dürfen die Anhänger unferer Bewes 
gung nie vergeffen! 

Auch auf dem legten Liürnberger Parteitag gab der Sührer das Stichwort, 
wonad) fich der Raffegedante, d. b. Erbgefundheitss und Raffepflege, wie ein roter 
Saden durch alle Vorträge 309. Bei allen unferen Maßnahmen muß uns immer 
wieder das Ziel vor Augen fteben, unfer gefamtes deutfches Volk erbgefund zu 
machen und raffifh wieder aufzurichten! Dies ift das Ziel, das fic) aud) ser 
Reihsausfhuß für Dolksgefundheitsdienft zu ftellen bat, obne dabei die gefund- 
beitliche Belehrung und die Lebensführung des Einzelnen zu vergeffen! 

In diefem Sinne wünfche ich dem Reichsausfhuß und feinen Mitarbeitern 
den beften Erfolg für die begonnene Arbeit! 


Erbbilder deutfcher Didterfamilien. 
Die Sippfchaftstafel der Dichterin Ina Seidel. 


Don Dr. Agnes Blubm, 
(RaifersWilbelm:Inftitut for Biologie, BerlinsDablem). 


Mit 7 Abbildungen und einer Sippfchaftstafel. 


SF: beftebt fur den Dererbungsforfcer beute kein Zweifel mebr, daß geiftige und 
feelifhe Merkmale fich in gleicher WDeife vererben wie die körperlichen. Don 
einigen kranktbaften pfychifchen Deranlagungen kennen wir bereits den ungefähren 
Erbgang. Wir wiffen auch, daß bobe geiftige Begabung, wie fie in wiffenfchaft- 
liden und künftlerifchen Leiftungen ihren Ausdrud findet, nicht ganz felten famis 
lienweife auftritt. Beim Rompler der mufitslifhen Begabung find wir (tiljoen) 
bis zur Zerlegung in Teilbegabungen vorgedrungen, über deren Dererbungsweife 
wir freilidd noch nichts ausfagen können. Dollig im Dunteln befinden wir uns 
bezüglich der Erblichkeit der dichterifch-fchriftftellerifehen Deranlagung. Und doc 
ift an ihr nicht zu zweifeln, und es ift zu vermuten, daß die Begabung nidht ale 
Banzes vererbt wird, fondern beim Übergang auf die Flacdhlommen in einzelne 
Teilbegabungen auffpaltet. Dafür fpricht fehon die Tatfache, daß fich unter den 
Rindern cines Genies kaum jemals ein Genie findet. 

Ich möchte im Solgenden einen der Wege aufzeigen — und an einem Beis 
fpiel verbildlichen —, die uns bier vielleicht der Erkenntnis näber führen können. 
&8 erfcheint mir geboten, an die lebenden Künftler beranzutreten; denn nur fie 
find in der Lage, uns die nötigen Auskünfte uber die Begabung ihrer Sippfchaft 
und über die Umwelt zu geben, in welcher fich deren, fowie ihre eigene Begabung 
entwidelt bat. Auch der Rünftler, wie er uns in feinem Werke entgegentritt, 
ift ein Ergebnis aus Anlage und Umwelt. 

Wenn ich beute über die Sippfchaft der Dichterin Ina Seidel zu berichten 
verfuche, fo waren für diefe Wahl mehrere Umftände beftimmend. Die Begabung 
diefer in ibrem Werk urdeutfchen ARünftlerfamilie läßt fich etliche Gefchlechter 
zurüdverfolgen; die Zahl der Begabten ift verbältnismäßig groß, die Steigerung 
der Begabung im Laufe der Generationen bis zur ausgefprodenen Genialitat 
in Ina Seidel felbft auffallend. Auch läßt die künftlerifche Perfönlichkeit diefer 
feltenen Srau ein Streiflicht fallen auf die immer noch wenig geklärte Stage des 
weiblichen Genies. 

Die Samilie Seidel leitet ihren Urfprung von einem alten Schweizerifchen 
Gefcledht ab. Ein Sproß desfelben foll wegen irgendeines Vergebene nad) 


1933, VIII Agnes Blubm, Erbbilder deutfcher Dichterfamilien. 237 
EEE 





Abb. 1. Heinrich Alerander Seidel, Pfarrer Abb. 2. Heinridy Seidel, — von 
zu Perlin, Ina Seidels Großvater. „Leberecht hühnden 





Abb.3. Willy Seidel, Abb. 4. Heinrich Wolfgang Seidel, 
Jna Seidels Bruder. Ina Seidels Gatte. 





Abb. 5 und 6. Ina Seidel. 


238 Volt und Kaffe. 1933, VIII 








Deutidland gefloben und bier der Stammovater einer zunddft bäuerlichen Sippe 
geworden fein. Dod ift diefe Uberlieferung nicht ficher verbirgt. Der erfte greif- 
bare UAbne ift Matthias Seidel, As uales in Meinsberg im fadficen 
Erzgebirge; fein Sobn Job. Chriftopbh S. lebte ebenda als Häusler und 
Sifder 1088 bis 1739. Mit deffen Sohn Job. Gottlieb, der Buchhalter in 
Dresden war, fand ein fozialer Aufftieg der Samilie ftatt. Er konnte feinen Sobn 

cinrid GBottbelf (15)!) ftudieren laffen. Über diefen berichtet Seinric 

. (1 a) in feiner Autobiograpbie „Don Perlin nad Berlin“: „Don meinem Ur= 

roßvater beißt es in einer Fliederfchrift feines jüngften Sohnes ‚Der Dater wer 
Daftor 2), ein Eleiner, aber rübriger und wiffenfchaftlich fehr gebildeter Mann mit 
dichterifchen Anlagen‘.... Die Eleine Sigur bat fid nun in Medlenburg, dem 





Abb. 7. Jna Seidel, Yjährig, Willy Seydel, 7 jährig, 
mit ihren Eltern Profeffor Hermann Seidel und Emmy S., geb. Coefewit-Ebers. 


Lande der großen Leute, allmählich verloren, indem unausgefetzt durch drei Ge: 
nerationen bindurd die Söhne über ihre Väter binauswuchfen, die dichterifchen 
Anlagen haben fic) aber in den älteften Söhnen der Samilie ftändig fortgeerbt; 
denn auch von meinem Großvater?) (7) find mir poetifche VDerfuche bekannt: 
geworden, und mein Vater (3) bat fid) auf dem Gebiete des religiöfen Liedes, des 
Epos und der Voltserzählung ausgezeichnet.“ Diefer Großvater Ina S.s Hein= 
rich Alerander ©. (3), Pfarrer zu Perlin und Schwerin in Medlbg. (Abb. ı) 
ift der erfte „gedrudte‘‘ des Dichtergefchlechtes Seidel. Zum väterlichen kam bei ibm 
vermutlich noch mütterliches dichterifches Erbteil hinzu. Seine Mutter Sriede- 
rife Amalie Hermes (8) entftammte der gleichen Samilie wie der fruchtbare 
Schriftftellee Jobann Timotbeus Hermes (8x), der fich als Derfaffer des 
vielbandigen Romanes „Sopbiens Reife von Hlemel nah Sachfen‘ einen Kamen 


1) Die Zahlen und Budftaben in Klammern bedeuten die Bezeichnungen in der Sipp: 
Ihaftstafel Abb. 1. 

2) Jn Pardim in Medlenburg. 

3) Heinridh Auguft S., Arzt im Medlenburgijcen. 


1933, VIII Agnes Blubm, Erbbilder deutfeyer Dichterfamilien. 239 





gemacht bat. Ihre Tochter Therefe (3a) genoß als Erzäblerin felbfterfundener 
Märchen bei der Samilienjugend Liebe und Bewunderung. Heinrich Aler. ©. 
wer verheiratet mit Johanna Römer (4), einer Landwirtstochter, in deren Stamms 
baum aber die Paftoren vorberrfchen. Aus feiner be gingen 6 Rinder hervor: 
der in der Seele des deutfchen Volkes als Dichter des Romanes ,,Leberecht Huͤhn⸗ 
chen lebende Ingenieur und Schriftftellee Heinrich Seidel (1a) (Abb. 2), 
Werner S. (1b), der zur See ging und früh ftarb, Profeffor Hermann 
Seidel. Jna S.s Water (1) (Abb. 7), der als angefebener Chirurg und Direktor 
der chirurgifchen Abteilung des Herzogl. Krantenhaufes in Braunfhweig tätig 
war, Gebeimrat Profeffor Dr. Paul ©. (1e), Direktor des Hohenzollern: Hu= 
feums und der Kunftfammlungen in den Raiferlihen Schlöffern und Senator der 


a 
& 
x 


menn 


dichterische Begabung 
nicht hervorgetreten a 


7 
ute Brief-u. Tagebuchschrer- 
Ser gelegentlich dichtend 


= 


mit Dichtwerken an die 
Offentlichkeit getreten 





= 
— 





Stufenleiter der dichterischen Begabun 


J 
u genial begabf 


zer andersartige künstier- 


34 ische Begabung, (rezep- 
ey — — 





= 
— 
—— 
— 





Berliner Akademie der Künfte, und 2 Töchter (1 c und 1d). Bei der Nachkommen⸗ 
haft der letzteren drei ift, um dies gleich vorwegzunehmen, keine dichterifche Bez 
gabung in die Erfcheinung getreten. 

Aeinrih S. bat 3 Söhne binterlaffen, den Pfarrer und Schriftfteller 
Aeinrib Wolfgang ©. (1aa) (Abb. 4), Ina S.s Gatte, den Baumeifter 
Werner S. (1 af), und den Ingenieur Helmuth S. (lay). Aus Sermann 
S.s £Ebe find 6 Rinder hervorgegangen. Am Leben find die Dichterin Ina ©. 
(J.S.Z.), der Romandidter Milly S. (Za) (Abb. 3) und die ehemalige, wie 
id) bore, febr begabte Schaufpielerin Annemarie S. (Zb); drei Knaben ftarben 
Hein. Don befonderem Intereffe für den Erbforfcher wäre die Detternebe Ina S.s, 
wenn fie Einderreicher wäre. Jhre ältere Tochter (J.S.a) ift Schaufpielerin mit 
gelegentlicher aktiver dichterifcher Lleigung; ein zweites Bleines Mädchen (J.S. 4) 
ftarb 4 Wochen alt, aus unbelannter Urfache, ein Rnabe (J.S.y) ift zur Zeit vier- 
sehnjäbrig; er feheint mebr praktifch begabt zu fein. 

Jd) habe verfucht, in der umftebenden Sippfchaftstafel, die eine Erweiterung 
des Lzelligerfchen Schemas darftellt, durch abgeftufte Schwarzfärbung die 


Dolf und Kaffe. 1933. Dezember. 20 


240 | Dolt und Raffe. 1933, VIII 








Stufenleiter der Begabung innerhalb diefes feltenen Didterge{(dlecdtes auszus 
drüden. Dabei babe ich Ina S. als die zweifellos HBöchftbegabte (Stufe 5) Zur 
Sentralperfon gewablt (J.S.Z.)4). Gelbftverftandlid tann die Rlaffifizierung 
nur eine ungefähre fein. Es bat aber fichberlid) von ibrer urgrogelterliden Benes 
tation bis 3u ibrer eigenen ein deutlicher ftufenweifer Unftieg ftattgefunden und 
fie felbft ftellt nicht nur innerhalb der legteren, 8. b. gegenüber ibrem Bruder 
und Detter, fondern auc einen abfoluten künftlerifchen Gipfel dar. 

Bevor wir uns der Beantwortung der Stage zuwenden, wie diefer Auf: 
ftieg erbbiologifch zu erklären ift, empfieblt es fich vielleicht, nad Gemeinfams 
keiten der Veranlagung zu forfchen. Da dürfen wir fagen, daß das Wert fämts 
licher dichterifch produltiver Samilienmitglieder auf eine gleiche, nämlich die 3ytlos 
tbyme Gemütslage binweift, auf jenes Temperament, bei weldyem Heiterkeit und 
Beweglichkeit mit fdhwermütiger Stimmung periodifch wechfelt5). Dabei ftebt 
bei dem einen die beitere, bei dem anderen die fhwerblütige Komponente im Dors 
dergrund. Der ausgefprodenfte Charalter in diefer Hinficht ift der weithin als 
liebenswürdiger, bumoriftifcher Erzähler betannte Yeinrih S., dem es aber 
auch, nad) Schilderung feines Sohnes 9%. W. G., nicht an depreffiven Tagen 
gefeblt bat. Und bi Willy ©. tritt das bypomanifche Moment bervor. Darauf 
deuten fehon feine bevorzugten Stoffe — fremde Länder und Raffen, Jronifies 
rung okkultiftifher Phänomene u. a. — bin. Nennt HYeinrih S. den eigenen 
Humor „burlest“, fo können wir denjenigen W. S.s vielleicht als barod und 
gelegentlicy grotest bezeichnen. Heine. Wolfg. S. (1 aa) bat einen ähnlichen Aus 
mor wie fein Dater, aber der Unterton feiner Dichtung weift auf Schwerblütigs 
keit. Trog offenbaren und erfolgreichen Strebens nad Harmonie bat man von 
ihm den Kindrud eines in den Humor fluctenden Melancholilers. Seine Zyklos 
tbymie ift nicht ganz rein, fondern anfcheinend mit fdizothymen Elementen ges 
mifcht. Auch bei Ina Seidel ift die depreffive Seite der Zyklotbymie die stacker 
betonte. Wenn fie auch gelegentlich einen fchaltbaften HJumor zeigt), fo ift ihr 
doch wefentlich jener urgründige HYumor eigen, der unmittelbar neben dem Tragi= 
on wächft und diefes lianenbaft umfchlingt. Befonders deutlich kommt er zum 

usdrud in der „Befchichte von Sachen allein mit einem Hund und einer Kinder 
ftimme am Schluß“. 

Entfprechend der Rretfchmerfchen CharaltersKdrperbaulebre find die Seidels 
ausgefprodene Dytnifer, d. b. von rundlich gedrungener Statur (vgl. die Bilder). 
Eine Ausnahme madht nur Heiner. Wolfg. S., in weldem vermutlich der 
englifche Einfchlag feiner mütterlidhen Samilie (die Großmutter mütterlicherfeits 
war Engländerin) zum Durchbruch gefommen ift. Das Bild läßt deutlich feinen 
leptofomen (fdhmalwidfigen) Typ erfennen. Mit der zyllotbymen Gemutslage 
ftebt es im Einklang, daß keiner der Seidels mit einem Drama an die Öffentlichs 
keit getreten ift. Ina ©. bat einmal ein Drama gefchrieben, das fie felbft als 
„Lefedrama‘ kennzeichnet. WDeiteren Rreifen find fie eigentlich nur als Erzähler 
befannt. 

Lin bedeutfamer familidter Charatterzug, der fid) im Werke widerfpiegelt, 
ift auch die große Liebe zur lebenden und toten Schöpfung. Ihr verdanten die 
Einzelnen wohl die fcharfen und wachen Sinne, denen auch das Unfcheinbarfte 
nicht entgeht und den Hang zu ernfter Befchäftigung mit Miaturwiffenfdaft. Der 
Ingenieur Heinr. S. und der Chirurg Hermann S. waren ausgezeichnete Renner 


4) Dgl. die Bemerkungen zur Sippfchaftstafel und die Erklärung der Zeichen. 

5) Ina S. bat, ohne von pfpchifcher Typenlebre etwas zu abnen, das ausgefprocen 
zyllotbyme Temperament ihrer Schweiter, der ehemaligen Schaufpielerin Annemarie S., 
in dem Gedicht „Silhouette“ der en „Weltinnigkeit“ trefflich geichildert. 

6) Ich erinnere an ihr Gedicht „Der Menſchenfreſſer“ und an den Schluß des Ge⸗ 
dichtes „Erde und ich“, ſowie an ihre gelegentlich luſtige Namengebung 3. B. in „Haus zum 
— er die Mutter der Eljabe, einen Typ aus Berlin N, eine geborene „Schmedes 

er“ fein läßt. 


1933, VII Agnes Blubm, Erbbilder deutfcher Didterfamilien. 241 | 
——————— ———————— — — — —— 


der Pflanzen⸗ und namentlich der Vogelwelt und Willy S. hat voruͤbergehend 
Naturwiſſenſchaften ſtudiert. 

Rehren wir zu der Frage nach den Urſachen der Begabungsſteigerung im 
Kaufe der Generationen zuruͤck. Die hoͤhere Sproſſe auf der dichteriſchen Stufen⸗ 
leiter, die H. Alex. S. im Vergleich zu ſeinem Vater Heinrich Auguſt S. ein⸗ 
nimmt, duͤrfte in der ihm auch von muͤtterlicher Seite en erblichen Ders 
anlagung ns fein. Schwieriger ift die höhere Rangftufe feines Sohnes 
Heinrich SG. zu erklären. Wie ftark bei diefem die Luft zu fabulieren war, gebt 
aus der Tatfache hervor, daß er, der bochbegabte Ingenieur, den Beruf aufgab, 
um fi), troß ungeficherter wirtfchaftlicher VDerbältniffe, ganz der Schriftftellerei 
zu widmen. Als echter Dichter offenbart er fich in feinen — leider viel zu wenig 
gelannten — Märchen. Hier ift feine Sprache audy reicher, als in feinen Erzäbs 
lungen, in welchen er fichy in der bürgerlichen Welt bewegt, deren Seele er mit alls 
verftebender Liebe gegenüberftebt. Aus diefer Liebe erwähft auch fein Humor. 
Acinr. Wolfg. & ift unverfennbar der künftlerifche Erbe feines Vaters; aber 
der Schwingungstteis feiner Seele ift weiter und tiefer. Er weiß um Dinge, 
die dem Pater anfcheinend fernliegen. Dementfprechend wachen feine Ausdrudes 
mittel. Sprachlich zeichnen fich feine Erzählungen — was auc dem literarifchen 
Kaien auffällt — nicht nur durch befonderen Wobllaut, fondern dur Einfachheit 
bei großem Reichtum aus. Es fehlt jedes uberfluffige Beiwort; Menfd und Ding 
werden mit einem einzigen vollerfaßt. Ich möchte es für wabrfcheinlich halten, 
daß bei der unleugbaren künftlerifchen Steigerung im Werk Heint. Wolf S.s 
die Umwelt mitgewirkt bat. Aeinr. S. verlor feinen Vater, und damit dus 
geiftige Elternhaus bereits im Alter von 19 Jahren. Und wenn er auch bewußt 
feinen Umgang in künftlerifch intereffierten Rreifen fuchte, fo fehlte ihm doch in 
entfcheidenden Jahren jene häusliche geiftige Atmofpbäre, in welce fein Gobn 
bereits bineingeboren wurde, und mit welcher diefer bis ins Mannesalter binein 
in enger Sublung blieb. Auch ftand Aeinr. S.s chaffen unter der Gorge ums 
taglide Brot und der Rahmen der Samilienblätter, die fich feinem Schrifttum 
Sffneten, ftedte der Auswirkung feiner ann künftliche Grenzen. 4. S.s 
Begabung war ficher größer, als fie in feinem Werk erfdeint; doch ift ebenfo ficher 
bei der höheren Runft feines Sohnes nidht nur das günftigere Milieu, zu dem 
aud das innige geiftige Zufammenleben mit der genialen Gattin zu rechnen ift, 
fondern auch eine ftärkere Veranlagung mit am Werke. SGegt doch die Manifeftas 
tion von Umwelteinflüffen eine gewiffe eingeborene fpezififche Empfänglichkeit 
voraus. In der mitterlicden Samilie 4. WO. S.s ift dichterifche Begabung nicht 
nachweisbar, wohl aber eine mufilalifche. Vielleicht bat die diefer Zugrunde liegende 
allgemeinstünftlerifche Veranlagung fein vom Vater ererbtes Runftlertum ges 
fteigert? Möglicherweife dankt er auch die ftarkere Konzentration, das ftraffere 
Erfaffen des Wefentlichen dem englifchen (nordifchen) Einfchlag der mütterlicdhen 
£inie. Als inneres Milieu, das zur Verfeinerung feines feelifchen Wliterlebens beis 
getragen bat, darf man vielleicht feine gewiffe Schwerblütigleit mit ihrem ftärs 
keren Leiderleben bewerten. 

Die altivsheitere Komponente der Seidelfchen Zpklotbymie-ift, wie gefagt, 
außer in 9. S. in feinem Fieffen Willy S. verkörpert, wenn aud — abges 
feben vom Humor — in anderer Sorm. Er ift eine „durchaus lebensoffene‘ Llatur, 
ein guter Oefellfdafter und Genießer, aber nicht im Sinne feines Ontels, deffen 
OBlüdsbedürfnis in der Samilie und im Sceundestreis, im felbftgepflanzten und 
‚gepflegten Warten, in der Wanderung über beimatliche Siur Benüge findet. Sein 

ebensraum ift die große Welt. Ihn lodt die erotifche Serne mit ihrem wechfels 

vollen Leben, den fremden Raffen, der bunt durcheinander gewürfelten Gefells 

fchaft. Vielleicht hängt es mit feiner Herkunft von den Klaturwiffenfchaften, oder 

richtiger gefagt, mit feinem kurzen Durchgang durd ein naturwiffenfchaftliches 

Studium zufammen, vielleicht ift es ein Erbteil von feiten des Vaters, der eine 

ernfte Fieigung zu Runft und Wiffenfchaft in fich vereinigte, das fich in feinem 
20 


242 Volt und Kaffe. 1933, VIII 





Werke neben einem ftart ausgeprägten Rünftlertum der Jntellett geltend madht. 
Er ertennt dur Beobachtung und Überlegung, wo feine Schweiter intuitiv 
erfublt. Aud Ina Seidel verfügt über einen hoben Intellett. Aber fie gebraucht 
ihn bei ihrem Schaffen nicht bewußt. Er wirlt fic bei ibr rein automatifd aus 
als unmerklicyher Rontrolleur des in Phantafie und Intuition Erfchauten. Wie 
%. ID. S., fo ftebt auh W. 3. dichterifch auf böberer Stufe als 5. S. Trog 
offenbaren Wobhlbebagens im umtreibenden Wirbel des Lebens fcheinen ihm die 
tieferen Dinge nicht fremd zu fein; aber er wagt fih nicht recht an fie beran, 
fei es aus Surcht vor Ratlofigkeit gegenüber unmöglicher letter Erkenntnis, fei es 
aus Bangigkeit vor dem inneren Erfchauern. Er fühlt fic felbft als auf die 
Sonnenfeite des Lebens gebörend. Seine Sprade entfpridht feinem Stoff. Sie 
ift reich an Beiwerl. Daf feine künftlerifche Perfönlichkeit ficy über diejenige des 
Ontels erbebt, dürfte darin begründet fein, daß ihm auc mit der mutterliden 
Erbmaffe dichterifche Begabung zugefloffen ift. Seine große WDefensverfcdicdens 
beit gegenüber der Schweiter erklärt fi aus dem qualitativ verfdiedenen 
Anteil der beiden an der Zyklothymie. 

Don entfcheidenderer Bedeutung als für den Bruder ift das mütterliche gei- 
ftig-feelifce Erbteil fur Ina Seidel geworden. Man darf wohl fagen, daß fie 
ihm ihre eigenartige Größe verdankt. Die Rritit bat ihre Lyrik wiederholt 
unmittelbar binter diejenige einer Annette v. DrofteshYülsboff geftellt. Ich 
möchte fie mindeftens neben diefe ftellen. Gewiß fließt bei jener der Strom 
reicher. Bei J. S. zeigt fidh verhältnismäßig früh ein Zurüuddrängen der lyrifden 
durch die epifche Runt. Wenn es aber als ein Maßftab erfterer gilt, reichen Gee 
fublss und Gedanteninbalt in tnappe Sorm zu bannen, fo ftebt I. S. über der 
großen Weftfalin, die die Wirkung ihrer Dichtung nicht felten durch eine zu 
große Breite abjhwäidt. Audy ihr Verhältnis zur Llatur ift großzügiger und 
tiefer eindringend. A. D. ift auf der Erde beheimatet, der roten Erde Weftfalens, 
3. S. im Kosmos. „Wollen und Sterne find wie Gefhwifter mir.“ Die Erde 
ift ihr ein Stüd des Alls. Sie empfindet fich nicht nur als erögeboren, fondern 
gleid) der Erde als Lebensfchöpferin. Diefe tosmifde Erdverbundenheit, diefes 
Finausheben men{dliden Sublens und Denkens ins Ewige, Urgründige ift das, 
was ihr einen Sonderplat unter den Sichtenden Srauen gefchaffen bat, und worin 
fi das Stud nordifder Raffe, das fie in fic trägt, am ftärlften offenbart. 

£. Bretfchmer bat die Sormel geprägt: „Große Srauen waren groß, weil 
fie große Männer waren.“ Ls ift unbeitreitbar, daß die Zahl der genialen Srauen 
im Dergleih zu derjenigen der Wiänner eine febr geringe ift, und es ift cbenfo 
zweifellos, daß diefe auffällige Erfcheinung eine biologifdhe Urfache haben muß. 
Hobe Begabung kann erfahrungsgemäß wohl durch äußere Umftände an der. Ent 
faltung gebemmt, aber niemals durch Übung erworben werden. Sie wird mit 
zur Welt gebracht; und es läßt fich leicht nachweifen, daß nicht der Wiangel an 
Betätigungsgelegenbeit auf künftlerifhen Gebiete die Schuld an der Seltenheit 
weiblicher Genies trägt. Da Srauen gelegentlich auch in folchen Sällen mebr oder 
minder geniale Söhne geboren haben, in denen nur in ihrer eigenen, nicht aber in 
der väterlichen Samilie bobe Begabungen nachweisbar waren, fo müffen fie in 
ihrer Erbmaffe die Anlage für Geniclität beberbergt haben. Warum bat fie fic 
in ihnen felbft nicht manifeftiert? Dem Erbbiologen liegt cs nahe, zunaͤchſt an 
die fog. gefhblehtsgebundenzrezeffive Dererbung zu denken, wie wir 
fie für die Hamophilie (die Blutertrankheit) kennen, bei der aus vererbungsmeche: 
niftifch leicht verftändlichen Gründen das Leiden nur beim Manne manifeft, aber 
durch die Tochter vererbt wird. Schon die tägliche Beobachtung zeigt, daß diefer 
Erbgang für die geiftig-feclifche Begabung im allgemeinen und damit wohl auch 
für die Geniclität nit in Betradht tommt. Eine beffere Erklärungsmöglichkeit 
bietet die fog. gefblebhtstontrollierte Dererbung, bei welcher die Ans 
lage nicht wie bei der gefclechtsgebundenen im Gefdledtsdromofom gegen tft, 
aber böchftwahrfcheinlich durch fpezififche Produkte der Gcichledhtsdrufen (Serual: 


1933, VIII Annes Blubm, Erbbilder deutfcher Dichterfamilien. 243 
ESTER IT IT ae STIS SS SS I I SE TR RE TEE 





bormone) an der Manifeftation in dem einen Gefdledt gebindert wird. Es könnte 
febr wobl fein — man {pridt ja fogar von dem geiftigsfeelifchen Derbalten von 
Mann und Srau als von ihren „tertiären Befchlechtscharatteren‘‘ — daß die Manis 
feftation genialer Begabung im weiblichen Organismus gehemmt wird durch 
feine fpezififche innere Sekretion, ebenfo wie es bei ibm im Sortpflanzungsalter 
normalerweife nicht, fpäter aber gelegentlich zum Bartwuchs kommt, und wie fich 
umgelebrt beim Manne die Milchörufen trog vorhandener Anlage nicht entwideln. 
Demnach wäre — und fo ift wohl auch das Rretfchmerfche WDort gemeint — bei 
den „großen Srauen“ die Produltion der fpezififchen Gerualbormone, fofern diefe 
fir das geiftigsfeclifde Derbalten in Betracht kommen, irgendwie geftdrt; fie 
wären infolgedeffen keine Dollfrauen, fondern zeigten männliche geiftige Charaltere. 
Der Derfuhh Rretfchmers diefe fich aufdrängende Hypothefe an Annette 

v. Drofte aufzuzeigen, ift m. €. nicht einwandfrei gelungen. Denn er zum Bes 
weife ihrer männlichen Seele die Derfe aus dem Gedicht „Am Turme’ anfubrt: 

„Mär ich ein Jager auf weiter Slur, 

Ein Stud nur von einem Soldaten, 

Wär ich ein Mann zum mindeften nur,“ 


fo vergißt er die anfchließenden Zeilen, aus denen deutlich berporgebt, daß es nicht 
mannlides Sublen, fondern der begreiflide DOunfc einer temperamentvollen, 
naturverbundenen Srau, nur einmal fich frei zu fühlen von den künftlichen Seffeln 
ihrer Gefellfchaftsfpbäre, ift, der bier zum Ausdrud kommt. Und wenn Rretfchs 
mer in dem Ders des „Hünenftein“: „Und ‚Serr, es regnet‘ — fagte mein Lalei“ 
einen febr daralkteriftifden dug fiebt, der verrdat, daG U.D., „um in die Stimmung 
3u kommen, in der fie ihre ftarkften und echteften Cone findet‘, „fich felbft als 
Mann verkleidet denken“ muß, fo fpricht bier mehr der Pfychiater als der Pfivchos 
loge, der aus ihrer ftarten Runft fehr wohl die Srawenfeele erklingen bört. 

Aber auch, wenn man für Annette Drofte eine gewiffe geiftigzfeelifde 
Interferualität zugeben wollte — bei einer Reihe „großer Srauen‘‘ beftebt fie zweis 
fellos —, auf eine Ina Seidel paßt das Rretfchmerfce Wort nidt. Wir 
müffen im Gegenteil fagen: „Ina S. ift eine große Didterin, weilfie 
eine große Beau ift.“ Man kann fie geradezu die Didterin der elemens 
taren Mütterlichkeit nennen, nicht nur im Sinblid auf ihren Roman „Das 
Wunfchkind“, fondern namentlid beziglid des gedantliden Inbaltes ihrer 
Lyrik. Die Begriffe „Mutter“ und „Erde find identifch für fie. Wir fagten, dag 
fie ihre eigenartige Größe dem mutterliden Erbteil verdankt. Sie felbft 
chreibt über die Mutter, die einer deutfchsbaltifchen Samilie mit fdywedifdem Lins 
fhlag entftammt, daß fie ein außerordentlich fenfibles, vielfeitig — vor allem didys 
terifch — begabtes Rind gewefen fei. Schon als Meines Mädchen babe fie reizende 
Derfe gemadt und aud Marden gefdrieben. Später famen nody ein paar es 
zaͤhlungen hinzu, die audy gedrudt wurden. Bei ihrer Begabung war, namentlich 
in der Jugend, der Wille zur Sorm, zur Geftalt ftark ausgefprochen. Docdy konnte 
ihr künftlerifches Temperament nicht voll zur Entfaltung fommen, „de ihr natür: 
licher Srauen= und Mutterberuf febr frub Befig, von ibe ergriff, und die feche 
Rinder, die fie in ihrer dreizehnjaͤhrigen Che hatte, alle ibre Rrafte beanfpruchten. 
Ihre literarifche Begabung ftrömte nun ganz in ihre entzüdenden Briefe. Übrigens 
war aud ihre Mutter‘), eine große Brieffchreiberin und dseren Mutter — meine 
Urgroßmutter8) — ebenfalls.“ „Wenn Sie mich fragen, wober die ftarke mütters 
liche und erdgebundene Liote meiner Dichtung käme, fo weiß ich keine andere Ants 
wort als die, daß ich von fo guten ftarten Müttern berftamme. Jene Urgroßs 
mutter Bed batte, glaube ich, acht Rinder; meine Großmutter Loefevigsbers, 
geb. Bed, ebenfalls acht, meine eigene Mutter fechs. Mir wurde eine Grenze 


1) We. © der Tafel. 
8) Vir. 14 der Tafel. 


244 Volt und Kaffe. 1933, VIII 
ESSERE 


durch meine fhwere Erkrankung im erften Dodcenbett gefetgt; aber diefe Kräfte 
{dlugen fid dann in meiner Dichtung nieder.“ 

Die Erklärung der Seltenbeit weiblicher Genies aus gefchlechtetontrollierter 
Dererbung erleidet alfo Ausnahmen. Es ift aud nidt im phyfiologifden 
Sinne zu verfteben, wenn I. S. auf Grund eigener Beobadhtung die Anficht ver: 
tritt, Daß das Muttertum die Entfaltung künftlerifcher Anlagen bemmt. Denn fie 
felbft gehört nicht zu jenen Srauen, die filh während der Schwangerfchaft „geiftig 
wie ausgepumpt“ fühlen. Sie ift im Gegenteil in foldyer Zeit gebobener Stims 
mung und geiftig durchaus leiftungsfähig. „So jung war Deine Mutter nie, als 
in dem Lenz, da fie Dich trug... .“ 

Es ift nad ibrer Meinung wohl die völlige feelifhe Jnanfprucdnabme der 
Srau durd die Mutterfcdaft, welde ibe etwaiges Kunftlertum zur fatenz zwingt. 
Wir fagten, daß I. S. im Gegenfag zu ihrem mebr intellettuell eingeftellten 
Bruder intuitiv fcbafft. Dabei find ibre Geftalten gleidseitig Gymbole und soc 
von unmittelbarfter Lebensnäbe. Sie ift ungemein fparfam in der Charalterfchildes 
rung. Sie läßt die Wienfchen vor uns leben und handeln und damit ihre Secle 
felbft entbüllen. Sie ift Weifterin der Erpofition. Die Größe ihrer Bedantens 
und Gefühlswelt, die Zeitlihes mit Ewigem, Urgrimdigem vertettet, greifbares 
£eben zum Symbol werden läßt, entfpricht ihre fouperäne, fchöpferifche Beband: 
lung des Ausdrudsmittels. Aber der Lefer merkt nichts von „Behandlung“; die 
Sprache fließt ihr aus eigener Quelle zu. 

Wenn wir den Schwerpuntt der die übrigen Dichter der Sippe weit übers 
tragenden Runft 3. S.s in ihrer ftarten intuitiven Begabung feben, fo kommen 
wir 3u dem Ergebnis, daß es das Zufammentreffen väterlichen und müttcerlichen 
künftlerifhen Erbgutes gewefen ift, das ibr den Stempel der Genialitdt auf: 
gedrüdt bat. Mag der Anteil von väterlicher Seite nicht unerbeblich größer ge: 
vwefen fein, ausfchlaggebend war das Hinzulommen des Stüdes Intuition 
und Senfibilität, das die Wiutter ale bochbegabte Srau beigefteuert bat. Diefes 
Plus, nicht ein verfchiedenes Temperament der Eltern, das nady Aretfchmer häufig 
die ererbte künftlerifche Begabung zur Genialitdt fteigert, bat in ihr die Sadel 
des Eros kosmogonicus (im Sinne von Ludwig Rlages) entzündet. Es ift eine 
Baum beftrittene Anfchauung, daß die Leben fchaffende Srau der Klatur enger ver- 
bunden und damit intuitiver ift, als der Mann, und daß fie wiederum mit diefer 
ftärkeren Intuition dem Aünftler näberftebt als jener. Da erfcheint es nur folge- 
richtig, anzunehmen, daß befonders ftarke Mütter, d. b. Srauen, denen die Mutter: 
fchaft reftlofe Lebenserfüllung bedeutet, wie 3. S.s mütterliche Samilie fie mebrs 
fad hervorgebracht bat, befonders intuitiv veranlagt find. 

Zu diefer günftigen Erbtonftellation find nun bei ibe nod ftark fördernde 
Umwwelteinfluffe binzugelommen. Das ihrer Entwidlung förderliche geiftige und 
künftlerifche Milieu des elterlichen und großelterlihen Haufes — der Agvptologe 
und Schriftfteller Georg Ebers (©. €.) war ihr Stiefgroßpater — fowie 
die künftlerifche Atmofpbäre Münchens bat auf Schwefter und Bruder in Rind: 
beit und Jugend gleichermaßen eingewirkt. Aber ihre feelifchen Erlebniffe waren 
verfchiedene. Der frübe, tief in das häusliche Leben einfchneidende Tod des Vaters 
wurde von dem achtjährigen Rnnaben natürlich nicht entfernt fo tief empfunden 
wie von dem zebnjährigen, Außerft fenfiblen Heinen Mädchen, für welches er gee 
radezu ein pfychifches Trauma bedeutete, das in der reifen Srau beute noch nach⸗ 
wirkt. Im erften Wochenbett erkrankte fie an einer Huftgelententzundung, die fie 
monatelang 3wifchen Tod und Leben fcbweben ließ, zu einer dauernden leichten Bes 
binderung des Ganges fubrte und — was das Schmerzlichfte für fie war — ihr 
auf lange Jahre hinaus die Wutterfchaft verbot. Ein Meines Mädchen, das 3zebn 
Jahre nad dem erften, völlig gefund geboren wurde, ftarb, vier Wocen alt, 
binnen weniger Tage an unaufgellärter Krantheit. Drei fdhwere Leiderlebniffe! 
Seelenleid führt zwangsläufig zur Innenfchau und vertieft jo Sühlen und Denten; 
indem es die pfpchifche Reizfchwelle berabdrudt, madıt es bellbörig und hell: 


1933, VIII R. Aftel, Die Sippfchaftetafel und eine Anleitung zu ibrer Anfertigung. 248 
EEE EEE 


fihtig. I. S. felbft fagt darüber: „Ich möchte diefe Erlebniffe nicht miffen, fie 
haben mid in jedem Sinne ‚zubereitet‘. &s beftebt kein Zweifel, daß an J. S..8 
- Größe das Leiderlebnis mitgewirkt bat; aber es darf nicht vergeffen werden, daß 
nur derjenige durch Leid wädhft, der durch feine Veranlagung dazu befähigt ift. 

Das Befchlebt Seidel verbildlicht aufs Fleue die Bedeutung der aus dem 
Bauerntum bervorgegangenen Pfarrerfamilien als Quelle deutfchen Dichters 
tums. £s verbildlicht ferner die Erblichkeit geiftigsfeelifcher WMerkmale und bes 
ftätigt dabei die Lehre Rretfchmers von dem Handsinsbandgeben eines bes 
ftimmten Temperamentes mit einem beftimmten Rörperbau. Wie weit dabei im 
vorliegenden Sall die Raffe beteiligt ift, läßt fich fhwer entfcheiden, da die Geidels, 
namentlid I. S., Repräfentanten des zum deutfchen Volk verfchmolzenen Raffens 
gemifches find. Der Schwerpuntt ihrer Begabung liegt, wenn man von J. S. 
abfieht, die eine ebenfo große £yrikerin ift, in der Erzablungstunft; fie find Realiften 
und Humoriften, was nach Rretfchmer charalteriftifd fur die zpllothbymen Dichter 
ift. Die dichterifche Begabung wird anfdeinend nicht als Rompler und keines» 
falls rein dominant (überdedend) oder rein rezeffio (Uberdedt) vererbt. WDahrs 
ſcheinlich zeigen die einzelnen Romponenten einen verſchiedenen Erbgang. Die 
Hobe des Ruͤnſtlertums duͤrfte von dem richtigen Maßverhaͤltnis der einzelnen 
Komponenten zueinander, von der richtigen „Weſensmiſchung“ abhaͤngen. Daß 
bei ihrer Manifeſtation das aͤußere und innere geiſtig⸗ſeeliſche Milieu (ſeeliſche 
Erlebniſſe) mitwirkt, duͤrfte ſchon unſer unvollkommener Verſuch wahrſchein⸗ 
lich machen. 


Die Sippſchaftstafel 


und eine Anleitung zu ihrer Anfertigung. 
Von Dr. med. R. Aſtel, 


Praͤſident des Thuͤr. Landesamtes fir Raffewefen. 


pr Derein mit dem eigenen Unterfuchungsbefund ergibt die Sippfchaftstafel 
den beften Auffchlug über die erbliche Befchaffenbeit eines Mienfchen. 

Die Sippfchaft des Probanden, d. i. der Ausgangsperfon, weldye die Tafel 
für fih aufftellt, beftebt aus den 4 Broßeltern und deren fämtliden 
Uiadhtommen, mit Ausnabme der Kladhlommen der Dettern und Bafen. 

Die Sippfchaft erftredt fich alfo (3. B. im Salle eines 20 jährigen Probanden) 
meiftens über drei bis vier Generationen, nämlich die Beneration der Grogs 
eltern (I), der €Eltern, Ontel und Tanten (II), des Probanden felbft, feiner Bes 
fhwifter, Dettern und Bafen (III) und unter Umftänden noch der Rinder, Fleffen 
und Llichten (IV) des Probanden. 

Diefe 3 oder 4 Generationen werden in der Sippfchaftstafel unter einander 
dargeftellt und die Abftammung durch entfprechende Derbindungslinien gefenns 
zeichnet. Männliche Perfonen werden mit einem Kreis und einem Pfeil aufs 
wärts (0’), weibliche mit einem Rreis und einem Rreuz abwärts gelennzeichnet (2). 
Angebeiratete Perfonen, d. b. die Ehegatten der echten Derwandten, werden ebens 
falls entfprechend eingetragen. Sie find durch Beine Derbindungslinien mit der 
vorbergebenden Generation verbunden, da fie nicht von ihr abftammen. Auch alle 
fhon früh verftorbenen Rinder md Srübgeburten find zu vermerten. 


Sür jede einzelne Perfon ift anzugeben: 


1. Dors und Zuname, 2. genaue Standess bzw. Tätigleitsbezeic- 
nung (genauer Titel!), 3. jegiges oder überhaupt erreichtes Lebens» 


246 Dokl und Kaffe. 1933, VIII 


Sippidaftstafel von 
Hellmut Huber, ftud. med. 


Minden, Ludwigftr. 152/111 1. | Wis 














1. ©g. Huber . Anaft. Schulz 
2. Bauer . 73 Jahre 
3. 78 Jahre mittelgroß, 
5. kräftig, febr träftig. 
rüftig 6. gefund, Krebs: 
6. gefund, humor operation mit 
voll, w 60 Jahren, 
; Rheurmat. jelt 
dem 53. Jahre. 


Seblgeburt 





1 K. 1. du 
3. 40 Jahre 2. Tierarzt 
5 t, 3. 46 Jahre 
gute Sigur 5. groß, 
6. gefund, ⸗ 
Ap t= Itrig 
lofigteit, ngse 
Magen- fa | 
operation . gefund, 
mit 35 3. feit Krieg 
Rheum. 
o> 
1. Karl 1. Anna 1. Elia 1. Olga 5. 1. Klara H. 1. Jolef H. 1. Paula Hh. Proband 
Müller Müller müller 2. Budbal- 2. Derfaus 2. Reals 3. tm. 6). 1. Belmar 
2. Gaftwirt 3. tm. 163 3. 21 Jahre terin ferin {chiller 4. an Dipt- 1. ut 
3. 25 Jahre 4. Unfall an 5 ftig 3. 21 Jahre 3. 19 Jahre 3. 13 Jahre theritis uber 1. 
6. fehrträft.,.. der Ma- 6. gefund, 5. 3art, grok, 5. traftig, 5. hager, 5. traftig 2. ftud. med. 7 
.. f mutters aſtheniſch etwas did groß, gut. 6. vorher 5. 19 Jahre 5 
Meifter- 5. jehr fräft lich. 6. neigt 3u 6. gefund, Sportler  immerge- 5. lehrt groß 6 
{haft im 6. gefund, Bronchitis ehr ge: 6. gefund, fund. u. ’ 
Stemmen abt, und Ka- mwedt und geiſtig un⸗ 97 Kg. 
6. gefund, etwas tarrhen, Hug. ters [dywer, 
mit 10 3.  nervds fehr ner« effiert. Borer und 
Mafern pos, gut 6 cites 
begabt ef 
nerds, 
— 
. gereist, 
febr in: 
telligent, 
Abitur m. 
17 Jahren ‘ 
gemadtt. 


An 


1933, VIII R. Aftel, Die Sippfdaftetafel und eine Anleitung zu ibrer Anfertigung. 247 








Mer. 


1. Ridhard Mayer 
2. Oberftudtenrat 
3. t mit 53 Jabren 
a an Herzichlag 


. in der Jugend Ihwädhlih und 
trantlih, feit 31 Jahren fett 


und didbaudi 


9. 
6. in der Jugend ſtarke a ed 
gabt, in feinem 


hochbe 
jahr geiftestrant. 









Syb. M., 1. Seid. Uhl 
Ciebest 2. Dr. phil, 2. Dr. med. 
Unter: 3. 37 Jahre 3. 37 Jahre 
ewicht. 9- it 5. große 
6. forperl.. 6. Übe., Körper- 
gefund empfind- Ile, 
dod)2 mal ‘fam, un: efund, 
Newens weiblid, etwas ex: 
rudy lich 
2 
Sehlgeburt 
1. Sophie h. 
1. Schülerin 
3. 16 Jahre 
. Sri Hol; 5. 3art, 
3 3. . Leutnant aithen. 
tüftig (Reids- 6. Bronditis, 
jejund webr) Herztlopf. 
1 Ane 13. 29 Jahre bei leicht. 
»iker.” 16. Ba: ge: Anftreng 
ei 3. t feu: 
serheir. #6. gefund, ſchnupfen 
Bruchop. 
(25 Jahr.) 
vor 1 3. 
Sub gebr., 
eiftig 
hiteh. 


: 1. Traudel f. 
rote 3. 1 Monat 
träfti 5. träftig 
Stun 6. gefundes 


Mädel 












odes: 


1. 
3. 
5. 
6. 


ic 


Sre 

60 Jahre 
äußerft fchlant, mittelgroß, 
t dem 30. Jahre magen- 
idend, Wanderniere, Zu- 


Sippſchaftstafel nach Karl Aftel. 


> 
> 






tin von Staufenberg 


ftand bat fid) vom 41. 3. 


2 Se 


— — 
Diohaithenifc. 


Shwade 


ebeffert. — 
Nerven. 


Tillo 
Mayer 
2. Rund» 
an engl. 1. Hede MM. 71. Artur S. funt: 
Kra it 3. 32 Jabre | 2. Direttor pianift 
von Ge- 5. fchlant u. | 3. 46 Jahre 3. 28 Jahre 
urt an zart 5. leiftungs- 5. aftbeniich 
Ihwad u. 6. gefund, fähig 6. gefund 
tränflidh. 1. Geburt | 6. gefund, engen: 
im Welt. triſch, 
geburt. Irieg Morpbi- 
einen Sup nift. 
verloren. 
3 3 
1. Karl Sander 1. Cubw. Sander 
2. Schüler Sciler 
3. 11 Jahre 3. 9 Jahre 
5. ſchwächlich 5. ſchlank, 
7⸗Mon.⸗Xind gefund, hoch⸗ 
6. febr viel gradi kurz⸗ 
Kkopfweh u. ſichtig. 
herzbe⸗ 6. Phantaſt, 
ſchwerden, intelligent. 


mäßig begabt 


248 Dolt und Kaffe. 1933, VIII 
ee ——————————— ————— —— —— — — ——— 


alter (keine Jabressablen und Daten!), 4. Todesurfade, 5. Rörperbau, 
6. wefentlide Gefundsbheitsverhdaltniffe byw. Rrantbeiten des 
Körpers, des Geiftes, dea Gemits, andere auffällige Erfheinungen, wie 
befondere Leiftungen, Wefenszüge ufw. Anzugeben find 3. B. Untergewidhtigs 
keit, Shwädhlichkeit, überdurchfchnittliche Aörperfülle; Rrantbeiten und Befonders 
beiten von Flervenfpftem, Herz, Blutgefagen, Derdauungsorganen, Stoffwedfel, 
Sinnesorganen (Augen!), Stelett, Muskulatur; Infettionstrantheiten, Citerungen ; 
Sebler, Migbildungen; fowie überhaupt alle Befdwerden. — 

Line gewiffenbaft aufgeftellte Sippfchaftstafel gibt den beften Auffchluß über 
das Wefen eines Menfhen. Mit ihrer Hilfe ift er eber in der Lage, feine wahr: 
{Heinlide erblide Befchaffenbeit und damit gewiffermagen feine mutmaglicde Zus 
tunft zu erfennen. Die fur die Zukunft des Gefhlechts wicdtigften Schlüffe raffes 
bygienifcher Vlatur find aus der Sippfchaftstafel zu zieben. 

£8 verftebt fic) von felbft, daß ärztliche Schweigepflicht beftebt und ftreng 
gebalten wird. Auch eine nur unvolltommene, lüdenbafte Sippfchaftstafel kann 
nody wertvoll fein und ift dann anzuftreben, wenn die Aufftellung einer lüdenlofen 
Tafel unmöglich oder zu fhwer ift. 

Zum Schluß fei nody darauf bingewiefen, daß vor allem Angaben über das 
Vortommen eigener Eigenfcdhaften und Merkmale und folcher, die mit ihnen erblich 
zufammenbängen könnten, bei den Derwandtfchaften erwünfdt find. 

Zur Anlegung der Sippfchaftstafel bedient man fich nebeneinander geklebter 
Bogen, quadriertes Papier. Die gewünfchten Angaben find unbedingt 
in die Tafel unmittelbar unterbalb der zugebörigen Perfon 
einzufchreiben. (Lit auf Beiblättern bringen!) 

In der Regel wird eine Reihe von Gefhwiftern dem Alter nach dargeftellt, 
lints beginnend. Doc ftellt man zwedmäßig obne Rüdficht auf die Altersfolge 
den Pater des Probanden an das rechte Ende der Befchwifterreibe, die Mutter an 
das linke Ende derfelben, fo daß Pater und Mutter des Probanden nebeneinander 
fteben (fiebe Mufter?). 

Der Proband felbft kennzeichnet fi durch einen größeren Kreis. 

Zum Zwede einer guten Plageinteilung auf der Sippicattetafel ftellt man 
die zablreichfte Generation der Sippfchaft, d. i. die Eltern — oder Probandens 
generationen einfdlieBlid) der Ehegatten feft und verteilt die einzelnen Rreife auf 
eine folche Breite, daß für jede Perfon mindeftens 4 cm Breite bzw. s Quadrate 
3u Angaben zur Derfügung fteben. Den Abftand zwifchen den Generationen der 
Großeltern, Eltern, des Probanden ufw. wählt man 10 cm tief (20 Quadrate) 
bei drei Benerationen, 7—8 cm (14—16 Quadrate) bei vier Generationen. 

Die Perfonentreife baben ungefähr die Größe eines Quadrate. 

(In das linke obere Ed der Sippfchaftstafel ift die Zeit der Aufftellung und 
genaue Anfchrift des Aufftellers zu fegen.) 


Die Germanen Ser fruben Lifenzeit.” 
(800 v. Chr.—200 n. Cbr.) 
Yon Dr. Wolfgang Sdhulg, Gorlig. 
Mit 2 Abbildungen. 


Ir veg des Rlimaſturzes wird der Norden unwirtlich. Die Staͤmme geraten 
ins Wandern. Gen Oſten hin geben zwar die Illyrer Raum, aber im Weſten 
und Suͤden erſtarken die Relten. Sie und ſpaͤter die Roͤmer erlangen ihr wirt⸗ 


*) Aus dem Buche „Altgermanifhe Kultur in Wort und Bild“ von Dr. Wolf⸗ 
gang Schulg (118 S., 160 Bilder auf so Tafeln und ı Rarte) in 3. §. £ebmanns Der: 


1933, VIII Wolfgang Sdulg, Die Germanen der früben Kifengeit. 249 
Eu EEE aap EEE EEE Kr RE Pe a ee eee Se 





f&haftliches und kriegerifches Übergewicht im Zeichen eines neuen Metalles, des 
Eifens. Und da man auswärts an den Schmud verfeinerte Anfprüche ftellt, vers 
liert der Bernftein der Germanen an Wert. Das Voll verarmt und muß, um ficd 
3u behaupten, das Kifen für feine Waffen von feinen Seinden teuer erlaufen. Aber 
lieber gibt ibm der römifche Stlavenbandler Wein. 

on nur dringt das Kifen ein, erft als Roftbarleit und dann mit Grauen 
ebegt. Einen Auftrieb der Runft, wie die Bronze, bringt es nicht. Zu weichlicher 
Sier eignet e8 fich wenig, und man bat für dergleichen auch nicht fo viel übrig 
wie früber. Der Reichtum an Gold ift gefhwunden, das Silber Comme auf, aber 
der meifte Schmud ift wohlfeile Ware, für die das Ausland Abfag fudt. So 
bringt das Kifen eine ftarfe Welle der Uberfremdung. Es ftebt auch fonft in 
fdlecdhtem Rufe. Bei heiligen Yandlungen darf nur das altbergebrachte funtelnde 
tr; oder der urtümliche Stein gebraudt werden. Die Schmiede find labme 
Rrüppel, landfremdes Gefindel, wie die Zigeuner voll tüdifchen Zaubers. Selbft 
auf den Bott der Schmiede färbt etwas dapon ab, und nie baben die Germanen 
thm bei fi SHeimatrecdht gewährt; es gibt keinen germanifhhen Schmiedegott. 
Wieland ift nicht altgermanifch und ein arger Fleiding. Der Rede Starkad vers 
fegt mit Wonne einem bublerifhen Schmied den Schandbieb. an muß den 
Mime abtun. Aber zulegt, am Ende der Zifenzeit, dringt in der Dichtung von 
Srodi, dem zum Bedrüder entarteten Konig des goldenen Zeitalters, auch in den 
Yiorden etwas von der tieffinnigen iranifden Sage, nach der „der Schmied des 
Reiches‘ die Entrechteten um fich fammelt und zur Sreibeit führt. Das Kifen kann 
fhüten, das Eifen kann auch befreien. Und fo lernt der Germane es bearbeiten, 
mit der Zeit aud es in befcheidenem Ausmaße aus Rafenerz felbft gewinnen, und 
vor allem es innig lieben. 

Die Germanen haben das Wort fur ifen und lange aud) das Lifen felbjt 
von den Relten bezogen, und diefe wieder lernten es wabr(deinlicd von den Illyrern 
kennen und graben. lad Italien batten es die Etruster gebracht, und zwar aus 
Rleinafien, von wo es aud die Phrpger nach dem Klorden den Tbralern und 
Sllyrern, und diefe außer den Kelten den Litauern und Slawen weitergaben. Aber 
feine Heimat war der Raulafus und das Land am Schwarzen Meer. Don da 
Drang es dDurdy Dermittlung der Hetiter fehon in der Bogbazköizeit felbft bis zu 
den Agyptern, und auch die Inder müjfen es damals bereits kennen gelernt haben. 
Die Stytben und verwandte iranifche Volker brachten es den Oftfinnen, wabrend 
die Weftfinnen es bereits von den Germanen erbielten. So feben wir, wie das 
Eifen fi nad allen Seiten ausbreitet und auf verfchiedenen Wegen und Ums 
wegen nad) dem Florden dringt, durch die zugleich die weltgefchichtliche Lage der 
Germanen in der Eifenzeit andeutend umriffen ift. Der eiferne Wall nabe vers 
wendter indogermanifcher Völker fehließt fich befonders im Welten und Süden 
ums fie, und dem Auswandererfcidfal und der Armut verfallen, können fie ihren 
Seinden bloß eine fic) immer fteigernde, verzweifelte Tapferkeit entgegenfegen. 
Aber das Kifen bleibt bis zur Zeitenwende in Bermanien ein allzu feltenes und 
oft vergeblich begebrtes But. 

Solgende Vorgänge erfüllen das Jabrtaufend: Da die Relten im Welten den 
Meg verlegen, dringen die Germanen zunädhft in der Richtung des geringeren 
Widerftandes im Öften und dann nach dem Südoften vor. Das gibt dem ganzen 
Zeitabfchnitte fein Geprage und entfcheidet auch über den nächften, da fie zuletzt 
vom Südoften ber griedhifchsftptbifche (farmatifche) Anregungen empfangen und 
Rom überwinden und durchdringen — beides die Vorgänge, die ihre neue Blüte 


log, Münden (Preis brofd. Mel. 6.—, geb. INE. 7.50). Diefes Wert gliedert den Stoff 
nad drei TJabrtaufenden: Bronzezeit, frübe Eifenzeit, fpäte Cifenzeit (Odkerwanderung und 
MWilingerzeit). Wir geben den Beginn der Darftellung des zweiten Jabrtaufends und zwei 
der Ihönften Bilder aus anderen Zeilen des Werkes mit freundlicher Erlaubnis des Ders 
fages wieder. 


Volt und Kaffe. 1933, VIII 


250 





Selsrigung von Lökeberg, Bobuslän 
Die von den Gletidern der Eiszeit blankgefcheuerten, meift faft wagrechten Granitfläcdhen in Bobuslän, e etger ne und anderen Landichaften 


Sudfchwedens find, wo fie alte Seldflur umbegen, mit den gebeimnisvollen Selsrigungen oft geradezu überfät. Häufig wurden fie im Laufe 
der Jabrtaufende von Rafen und Bufchwerk überwuchert und traten erft wieder zutage, wenn diefe jchügende Dede entfernt wurde. Damit 
die in den Sels gerigten Bilder gut erfichtlich werden, pflegt man fie vor der Aufnabme mit Kreide zu füllen. 





1933, VIII Wolfgang Schulg, Die Germanen der früben Eifenzeit. 251 





Germanifder Surft mit Gefolge 

Ausfchnitt aus einem Bilde der Trajansfäule (Rom). Der Sürft bat die Linke fprecdhend 
erhoben. Er und der Mann, deffen Kopf rechts über ihm bervorragt, tragen das Haar zu 
einem Knoten gedrebt. Alle baben Mäntel, die über der rechten Schulter mit Schmud: 
ftüden zufammengebalten find. Der Rinftler war fictlid mit Erfolg beftrebt, die Köpfe 
porträtäbnlich wiederzugeben, und brachte zugleich die überrafchende Übereinftimmung raffe- 
reiner Abftammung zum Ausdrude. Der edelfte Kopf ift der oberfte. An den Meiften find 
| leider die KTafen befhädigt. Man pflegt diefe Gruppe, die mit Raifer Trajan verbandelt, 
als- Baftarnen zu bezeichnen. Aber eine Baftardbevälkerung fiebt kaum fo einheitlich aus. 
| Eber werden es Siren fein, d. b. cin Teil diefes germanifchen, nach dem Südoften vor: 

| gedrungenen Stammes, der fich rein erbalten bat. 


a — — 
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252 Volt und Kaffe. 1933. VIII 





im néddften Jabrtaufend vorbereiteten. Jedod aud in der Richtung des größeren 

Widerftandes ernten fie Ehre. Sie erweifen fic den Relten troß allem bald übers 

legen und gewinnen gegen fie Raum. Endlich breitet fi vom Süden das römifche 
eltreich aus. Der Kelten wird es leicht Herr, der Germanen nicht. 

Der zweite und unvergleichlich größere Seind, mit dem fich die Germanen 
gegen das Ende der früben und den Anfang der fpäten Cifenzeit auseinanders 
zufegen haben, find die ibrer italifchen Grundlage nach den Kelten und den Gers 
manen felbft aufs nächfte verwandten Römer. Aber eine ftark entfremdende 
Gonderentwidlung, das Einftrömen des Ltrustifden, dann von Suoditalien des 
OGriecdhifchen, die Entfaltung des Stadtftaates zum Weltreiche, ift dazwifchens 
getreten. Die Sublung der griechifcden und rdmifden Welt mit den Germanen 
erfolgt zunädhft durch den Handel. Die griedbifchsrömifche Induftrie fudt Ahfag 
für ihre Waren, Reifende taften ficb donauaufwärts durchs feytbifche und fpäter 
im Weften durchs Beltifche Gebiet in die nebelbafte Serne des YTordlandes. So 
kommt es, daß man zunächft nur Stytben und Relten kennt, wenn auch der Grieche 
Pytbeas gegen Ende d°s 4. Jabrbunderts von Maffilia aus zu Schiffe fo weit 
vordringt, daß er die Sonne bald nach ihrem Untergang wieder aufgeben fiebt, 
das Wattenmeer und Helgoland mit feinem Bernfteine fennenlernt und bereits 
einzelne germanifche Flamen nennt. 

Dann kommen die Germanen felbft zu den Römern: Rimbern, Teutonen, 
Ambronen, am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. Sie fuchen in Oberitalien Land, 
wie es einft die Relten erlangt baben. Tro überlegener Bewaffnung und Taltil? 
vermag Rom die durch die lange Wanderung und die Dermifchung mit fremden 
Zuftrom verwilderten Scharen erft zu vernichten, als fie bereits durch den Einfluß 
des Südens verderbt und dem Trunke verfallen find. Eine Reibe kennzeichnender 
Züge werden berichtet. Die Rimbern fahren im Schnee von den Bergen auf ihren 
Scilden herab. Eine römifche Befagung, die fich tapfer gebalten bat, laffen fie 
nad Abfchluß eines Vertrages abzieben, den fie bei einem ebernen Stiere bes 
fhwören, den fie mit fich führen. Zum Angriffe geben die Ambronen vor, indem 
fie die Waffen im Takte zufammenfcdlagen, alle zu gleicher Zeit Sprünge auss 
führen und ihren Flamen rufen. Die Rimbern baben, bereits redyt ungermanifch, 

länzende eiferne Rüftungen mit Selmen, die geöffneten Tierrachen gleichen, Seders 
üfche, weiße Schilde, zweifpigige Speere, fhwere Schwerter. Rönig Teutobad, 
ein Mann von ungewöhnlicher RScperareae: fpringt uber vier Roffe, der junge 
Bojorir (d. b. Konig dser Bojer) zwingt einen gefangenen römifchen Legaten zum 
Sweitampfe und tötet ibn. Die Rriegsbeute foll niemandem Fluten bringen, 
fondern ift den Böttern geweibt. Die Bewänder werden zerriffen und in den Rot 
getreten, Gold und Silber wird in den Strom geworfen, Panzer und Pferdes 
gefchire werden zerbauen, die Pferde ertränkt, die Gefangenen an den Baumen 
erbängt. Die graubaarigen Priefterinnen tragen weiße £innengewänder, auf der 
Schulter mit Spangen befeftigt, einen cbernen Gürtel, und find barfug. Sie 
opfern die Gefangenen in einem riefigen ebernen Mifchkeffel, indem fie ibnen die 
Beble durcdhfchneiden und aus ihrem Blute wabrfagen. Bei der Schlacht fhlagen 
die Weiber auf Rindsbäute, die auf das Slechtwerk der Reifewagen gefpannt find. 
Slieben die Manner, fo treten die Weiber ihnen entgegen, bauen fie nieder, greifen 
felbft die Seinde an und ergeben fich nicht, fondern töten, wenn ihnen nicht zugefagt 
wird, daß fie unberührt bleiben, ihre Kinder und fih. In allen Berichten zittert 
nod) der Gchreden nad, den diefe gewaltigen, in ibrem WDollen und Tun den 
Römern ganz unverftändlichen Seinde ausgelöft haben. 

Später werden fid) die Romer Clar, daß diefe Völker von der Nordſpitze 
Jütlande kamen, aber der weltgefdhichtliche Ginn des Vorgangs lag außerhalb 
ihrer Blidweite. Erft vorgefhichtliche Sorfehung konnte bier Licht fchaffen. Mit 
dem Zuge der Rimbern ift der VDorftoß der Langobarden zur Elbe, die Befiedlung 
Sclefiens surd die ebenfalls von Jutland und Süudnorwegen nach ser Oders 
mündung vordringenden Wandalen und eine Reihe ähnlicher ftandinavifcher Zus 


1933, VIII Wolfgang Sdulg, Die Germanen der früben Cifenseit. 253 
a DECKE ZEN a a ea Ba Tot dS 





zuge zur Weichfel verfnuspft, die erfte Dorftufe der fpater vom Often ber eins 
fetzenden germanifchen Völkerwanderung. Die Wandalen bleiben im Lande, die 
Rimbern, Teutonen, Ambronen aber ziehen oderaufwärts, reißen bei Breslau 
Teile der keltifchen Bojer mit fich und eilen dann in getrennten SHeerzugen, von 
Weften und Often nach Italien einbredhend, dem Untergange 3u. 

Der Eindrud, den die Römer in den nächften Jabrbunderten ergreifender 
Rampfe mit dem oft befiegten, aber nicht bewältigten, unfaßbaren Seinde erbalten, 
wird freundlicher, obgleich fie als Volk des Fliedergangs die Bermanen nie wirklidy 
verfteben konnten, während der unfere von den Römern der Solgezeit ein immer 
— wird, obgleich wir uns bis zur Selbſtaufgabe in ſie hineingedacht 
haben. Als Rulturbringer zu den Germanen zu kommen, ſie im guten Sinne des 
Wortes zu koloniſieren, war nicht ihre Abſicht. Sie wollten ausnuͤtzen und 
herrſchen und, ſoweit das nicht ging, fic fichern. Jedes Mittel war ihnen dazu 
recht. Das war gut fo, denn es löfte den Widerftand aus. Aber die romifde 
Rultur batte auch nicht die inmeren Kräfte, den Germanen etwas zu fein, denn fie 
war bereits eine Rultur des Derfalls und bloßer Schrein. Was die Römer den 
Germanen bracdıten, war wenig Gutes, wenig für das andere Land und die ans 
deren Menfchen Geeignetes. Der germanifche Seerbann berubte auf den Banden 
des Blutes, auf freier Gefolgfdaft und thhnem Cinfag; die römifcye Unterords 
nung, Bewaffnung, Berehnung wollte man nicht nacdhabmen. Mas, Gewidt, 
Münze ftanden im Dienfte des ausfaugenden römifchen Handels. Die Einfuhr des 
Weines haben germanifhe Stämme mit Redht Sfter verboten, leider erfolglos. 
Den Gartenbau, den die Römer felbft erft frifhb aus Griechenland und Rleinafien 
übernommen batten, brauchte man nicht. Der Steinbau bat fpäter auf lange Zeit 
die Kunft des germanifchen Holzbaues erdrüdt. Das römifche Recht war nur für 
die Römer und artete meift in Unrecht aus. Llichts 1Aßt fich den Breueln des Zirkus 
und der Ausbeutung und Entwürdigung der Sklaven in Rom vergleichen. Die 
römifche Religion war ein Hägliches Gemifch von Aberglaube und Unglaube ges 
worden. Den böberen geiftigen Werten, die man den Griechen verdantte und in 
volltönenden Brundfägen verkündete, widerfpradhen Leben und Taten. Runfts 
werte verftand man zu rauben und zu taufen, aber nur felten nachzuabmen. Durch 
die Befchräntung des Klachwuchfes gerade der Beften verfiel das römifche Volles 
tum. Jene germanifdhen Stämme, die in diefen Derderb hineingerieten, wurden 
den andern zum wearnenden Beifpiel. Erft als Rom den Germanen zugefallen 
ift, wird ihnen fein Klachlaß zur Gefabr. Einzelnes haben auch die Römer von 
den Germanen übernommen, 3. B. die Seife, Hafer und Roggen und den ins 
zwifchen aufgelommenen Räderpflug. Wichtiger war der geiftigsfittliche Lins 
flug. Die germanifche Leibwache der Raifer zeigte den Römern, was Treue ift, 
und Rom wäre viel rafcher zerfallen, wenn es fich nicht zweier fo großer und 
edler Seinde zu erwebren gebabt bätte wie der Germanen im Floröweften und 
der Partber im Südoften. 

Die innere Größe des Germanentums bat um 98 n. Chr. in einem blendenden 
Schriftwerte Beftalt gewonnen, an dem fich feit dem 16. Jahrhundert deutfdes 
Selbftbewußtfein immer wieder mit Recht entzündete: in der Germania des Tas 
citus. Durch fie ift ein Morgenrot in unfere Srübgefdhichte gefegt, um das uns 
andere Völker beneiden können (I. Grimm). Infolge des Derluftes vieler anderer 
und wabrfcheinlich weit bedeutenderer Quellen ift fie das Ältefte zufammenfaffende 
Werk über die Germanen. Eine ganze Reihe wichtiger Angaben ift uns nur durch 
fie erbalten, und fo war fie lange Kern und Ausgangspunft der germanifden 
Ultertumstunde. Darin ift nun ein gewiffer Wandel eingetreten. Man bat die 
Abhängigkeit des Tacitus von feinen Quellen und die Mängel feiner Dars 
ftellung beurteilen und man bat dem Boden der Heimat eine Sulle fur fic 
fprecbender Dentmäler entnehmen gelernt. So ift die Germania nicht mehr bloß 
ein böchft wertvolles Zeugnis für die Germanen, fondern fie ift auch immer mehr 
ein Zeugnis über den Römer Tacitus geworden. BDiefer Schriftfteller, der Ge= 


254 Volt und Raffe. 1933, VIII 








fhichtfchreiber wurde, weil ihm die Zeit für den Rednerberuf nicht mebr günftig 
fhien, und der doch immer bloßer Redner blieb, diefer Realpolitifer, dee fic) unter 
Domitian dudte, um unter Nerva Bonful zu werden, der nuglofe Opfer für Jdeale 
mißbilligte, aber zarte Bilder des altrömifchen Samilienlebens zur Rübrung der 
Zeitgenoffen zu entwerfen wußte, diefer düftere und deladente Artift, dem es mebr 
auf fdillernde und pathetifde Gentenzen anfam als auf die Wahrheit — wie 
hätte es fich diefer Mann entgeben laffen follen, eine Monographie über die Ger- 
manen in dem Augenblid berauszubringen, in dem diefes Volk erneut die ernfte 
Gorge aller Römer war! Vielleicht meldete fid in Roms Damen, wenn fie gern 
blondes Saar trugen, das man in Menge aus Germanien bezog, etwas wie ein 
verlorenes Raffeideal, und vielleicht regte fich auch in Tacitus, als er den blonden 
Braftnaturen des Llordens fein journaliftifches Intereffe zumwandte, etwas wie die 
Sehnfucht nach altrdömifcher Größe. Aber das reichte bloß mehr dazu, die Kultur 
der Germanen als rübrenden Urzuftand etwas berablajfend, ihre Schwächen mit 
dem kalten Blidte des unbedentlichen Seindes, ihre beängftigende Araft mit der wohl: 
feilen Haltung des Moraliften binzuftellen. Lieft man diefe Germania aus beißer 
Sehnfuht nach Vorzeitlunde, dann ift es ein binreißendes, begeifterndes Buch; 
denn es 3eugt troy allem von der ungebeuren Macht und Hoheit der Germanen. 
Kieft man fie als Erzeugnis der römifchen Literatur, dann finkt fie freilich um etliche 
Stufen herab. Tacitus fhildert nichts aus eigener Anfchauung. Er fhwelgt in 
den völkertundlichen Gemeinplägen feiner Zeit, die er, wo es paßt und nicht paßt, 
auf die Bermanen anwendet. Und was ihm am meiften feblt, die eigene, Klare 
MWeltanfhauung, erfegt ihm die ibm auf verfchiedenen Wegen und zumeift aus 
den Schriften des Sprers Pofeidonios zugefloffene Lehre der Stoiler, daß die 
Menfden vom Klima abbangen und von der Kultur verderbt werden. Sein Urteil, 
aud) fein Lob, wiegt daher gering, und wir find glüdlicherweife fchon lang nicht 
mebr darauf angewiefen. ichtiger ift der Wert feiner zum Teil recht guten 
Quellen. Am widtigften ift dies: die germanifche Vorgeſchichte ſetzt ſchon faſt 
zwei Jabrtaufende vor Tacitus mit reichem Stoffe ein, und was uns der Römer 
berichtet, fügt fich daber als Elar umgrenzter und gut überprüfbarer Beitrag in 
den Rahmen eines unvergleichlich reicheren Bildes. 

Nicht der Relte, nicht der Römer gibt dem Germanentum der Cifenzeit die 
entfcheidende Präge, fondern der Aufbrud nach dem Often. Hier kommen die Ger: 
manen mit Völkern in Berührung, die ihnen in ihrer geiftigen Haltung näber- 
fteben als die von den Hochlulturen des Südens fehon früh angelräntelten Zelten 
und die fie ausbeutenden Römer. Dom Often fommt, die jüngere Bronzezeit ein: 
leitend, die Brandbeftattung. Die Germanen halten an ihr bis zuletzt ziemlich ein- 
beitlich feft und entwideln aus diefem Brauche eine tieffinnige Glaubenswelt. 
Dermittler waren vermutlich die Jllprer, die famt Balten, Sliawen, Tbralern, 
felbft fchon einer gewiffen Schicht der Jtaliker, bomerifchen Griechen und Inder 
von diefer Welle erfaßt wurden, und auch die Aelten vermögen, dem Ion 
und fpäter germanifchhen Einfluffe unterworfen, nicht Surchwegs an ihrer Aörpers 
beftattung feftzubalten. Wuf den Often weift der Werwolfglaube. Herodot be⸗ 
richtet ihn von den Lleurern im Liorden der Skythen. Dod gebdrt die eigenartige 
Vorftellung aud bereits dem frbgriedhifchen und indifehen Altertum. Zu Beginn 
der Kifenzeit oder bei der durch den Zuzug aus dem Liorden erfolgten Umfdicdtung 
der germanifhen Stämme an der Oftfee wird fie eingedrungen fein und den fdyon 
im indogermanifchen Altertum vorgebildeten Altersklaffen und Junglingsweiben 
der Germanen die befondere Wendung ins Leidenfchaftliche gegeben haben. Und 
gegen Ende der früben Kifenzeit tommen im Südoften die Kumen auf, mit ge: 
beimnisvollem Brauchtum umwoben. 


1933, VIII Aus Raffenbygiene und Bevdlterungspolitit. 255 





Aus Rafjenhygiene und Bevdlterungspolitit. 


Geburtenverhaltnifje in Baden. rad oen neueften tNitteilungen des badifden 
ftatiftifchen Landesamtes zeigt das Land Baden eine Geburtenziffer von 10,0 auf 1000 ins 
wobner. Der Vergleich ergibt, daß die Bevälterung vor 50 Jahren beinahe um ein Drittel ges 
ringer war, aber faft einem Drittel Kinder mebr das Leben fcentte als jene von 3932. 
Aud uber Baden ift der Geburtenridgang in derfelben Weife bereingebroden wie über 
das übrige Deutfchland. Im VDergleihe zu den anderen deutfchen Ländern ftebt Baden in 
der Beburtenzabl an 4. Stelle. Höhere Ziffern zeigen Oberfchlefien (23,1), Oftpreugen (20,8), 
Medlenburg: Schwerin (16,4), Oldenburg (138,4) und Bayern (174). 

Die Spanne zwifchen den Geburtens und Sterbeziffern, der Beburtenüberfchuß, nimmt 
immer mebr ab. Im Jabre 1932 betrug er nur noch 5,2 auf 1000 Einwohner, während 
er noch im Jahre 1933 11,3 betragen bat. 

Trog der großen Heiratsfreudigheit, die nach dem Ariege auch in Baden einfegte, ift 
der Geburtenausfall des Weltkrieges (ungefähr 122 000 Rinder) nicht eingeholt worden. 

Wenn man die mittlere Geburtenziffer zwifhen den beiden legten Voltszäblungen 
vom Jabre 1925 und vom Jahre 1933 zZugrunde legt, fo wurden während diefer 8 Jahre 
in Baden durchfchnittlidh 43 746 Rinder geboren, das find 38,9 Geburten auf 1000 ins 
wobner. Im Solgenden find die Zablen der Geburten zwifchen diefen beiden legten Volles 
zablungen errechnet und verglichen. . 

Die niedrigften Beburtenziffern (unter 16,0 auf 1000 Einwohner) haben in Baden 
nicht die Amtebezirke, in denen die ae überwiegt, wie 3. B. Lörrad, 
Weldlirh oder Wiesloch, fondern die faft ausfchlieglih Iandwirtichaftlichen Bezirke Müll 
beim (15,2) und Rebl (15,4). Mit dem nächftniedrigen Geburtenftand folgen die lands 
wWirtidhaftliden Bezirke Stauffen (10,2), Adelsbeim (16,5) und Überlingen (16,6). Die 
me mit GroFftddten Mannbeim und Rarlsrube weifen die Ziffern 17,3 und 
17,8 auf. 

Don 16 Amtsbezirten, deren Geburtenziffer über 18,9 liegt, find 9 überwiegend 
landwirtfchaftlid, befonders Iandwirtfchaftlihsinduftriell gemifcht und einer überwiegend 
imduftriell. Der legtere, nämlich Wiesloch, bat die böchfte Geburtenziffer Badens (21, 8), 
aud 3 andere Amtabezirke mit ftarter Induftriebevdllerung: Ettlingen (21,3), Brudfal 
(20,8) und Waldtird (20,2) baben mebr als 20 Geburten auf 1000 Einwobner. Der eins 
gebende Dergleic zeigt, daß die Beburtens@bbe audy in den landwirtfchaftlihen Gebieten 
einzutreten beginnt. 

Beim VWergleice zwifchen latholifden und proteftantifden Gebieten zeigt ficdh, daß 
von den 20 Ratbolifchen Bezirken 11, alfo etwas über die Hälfte höhere Geburtenziffern 
ats der Landesdurdfchnitt (18,9), während 9 eine niedrigere Ziffer haben. Die 3 Amtss 
bezirke mit überwiegend evangelifcher Bevölkerung bleiben erbeblid unter der Landesziffer 
nämlich Bretten (17,6), Pforzbeim (16,8), Rebl oN 


Sur franzdfifhen Bevdlkerungspolitil. 


Srantreich gilt heute noch als das Land des Jweitinderfyftems, als das Land, in dem 
der Geburtenfhwund am deutlidften in feinen verbangnisvollen Solgen für Doll, Staat, 
und Raffe beobachtet und erforfet werden lann. 

Das ift auch richtig. Aber falfch wäre es, wenn wir Deutfcdhen uns über diefe frans 
3öfifche Lebensverneinung weit erbaben dünten wollten. Es ift eine nicht zu widerlegende 
Tatfache, daß die deutfche Geburtenziffer auf das Taufend der Bevölkerung niedriger ift 
als die franzöfifche! 

*s können verfchiedene Gründe dafür ins Geld geführt werden, daß die franzöfifche 
©eburtenziffer nicht weiter gefunten ift. Der widhtigfte ift wohl die dauernde dort zu beobs 
adtende Unterwanderung feitens der Ungebdrigen der verfchiedenften anderen Völker und 
Aaffen. Polen und Italiener, Belgier und Spanier, Meger und Siamefen wandern in ftets 
gunebmender Zahl in diefen „Raum obne Dolt“ ll pro ze Und diefe fremden 
Dolksiplitter find noch nicht wie die bodenftändige Bevölkerung angelräntelt von der Surcht 
wor dem Rinde. Vlatürlich wird dadurd der Staat Srantreih immer medr zu einem 


256 Volt und Raffe. 1933, VIII 








Sammelfurium aller möglicher Raffenmifchlinge, er verbaftardiert zufebends. Schon beute 
finden fic in Srantreid) febwarze Richter, Offiziere und Geiftlide. 

Uber Srantreich firblt doc) 3u deutlich die große Gefahr, die in foldy einer Umvoltung 
u um nicht mit allen Mitteln der fteuerlichen und beruflichen Beiferftellung, mit Geld: 
beibilfen und patristifchen Ehrungen den Rinderreidhen für die Erfüllung diefer Staats» 
bürgerpflidht zu belohnen. 

Die Bedingungen, unter denen eine ftaatliche Unterftügung erlangt werden kann, 
find in einem WMiertblatte zufammengefaßt, das vom Burgermeifter bei der Anmeldung 
einer Geburt den Eltern übergeben werden muß. 

Das erfte Gejeg zur Unterftigung kinderreicher Samilien wurde am 14. Juli 1933 
erlaffen. Dasfelbe fiebt cine monatliche Unterftügung von 22,5—25 Sr. vor und 3war 
wom 4. ebelihen oder uncheliden Rinde unter I3 Jahren ab, wenn beide Eltern leben, 
vom 3. ab, wenn die Mutter geftorben, vom 2. ab, wenn der Dater geftorben, vom I}. ab, 
wenn beide Eltern geftorben. Auch das Gefetg über die WöchnerinsUnterftügung 4 Wochen 
vor und 4 Worden nad der Entbindung ftammt aus den Jahre 1913. Der täglidye Unter» 
ftügungsfatg fhwantt zwifchen 2,50 und 7,50 Sr. 

Im Jahre 1919 erfchien das Gefe über Stillgelder. Es werden in den erften feds 
Monaten nad der Fliedertunft je 45 Sr., in den folgenden 6 Monaten je 15 Sr. gewäbrt, 
aber nur an joldye Srauen, die fhon die Wöchnerinslinterftügung erbalten batten. 

Roftenlofe Aufnahme in einem Entbindungsbeime ift vorgefeben für arme Srauen 
vom 8. Monat der Schwangerfchaft ab und bis zu 3 Monaten nad der Entbindung. 

1923 und 1930 erfchienen die Gefege über nationale Beihilfe an kinderreiche Sas 
milien. Die Unterftügung wird nur foldhen Eltern gewäbrt, die nicht zur allgemeinen 
Eintommenfteuer veranlagt find. Der monatlidye Zufchuß beträgt, wenn beide Eltern leben, 
10 Sr. für das 3. Rind unter 13 Jabren, 30 Sr. für das 4., 45 Sr. für das 5. und jedes 
folgende; 

Wenn die Mutter geftorben ift, erbält fhon das 3., wenn der Dater geftorben, jchon 
das 2. und wenn beide Eltern geftorben find, das 1. Rind 30 Sr. 

Ale Samilienmütter franzöfifcher Klationalität, ohne Beridfidtigung des Eintoms 
mens, erbalten Geburtenprämien. Dieje betragen im Departement Bas Abin für das 4. 
lebende, ebeliche oder legitimierte Rind 300 Sr. und mit jedem weiteren Rinde 100 Sr. 
mebr. Die Geldfumme wird zur Hälfte bei der Geburt, zur andern nadydem das Rind 
1 Jabr alt geworden, ausgezahlt. 

Die 5 Stiftungen der Academie francaife find: 

Stiftung Saulnier: 5 Preife von je 6000 Sr., die jabrlid an Samilien mit 5 lebenden, 
gefunden Rindern verteilt werden. 

Stiftung Etienne Lamp: 2 Preife von jährlid 30000 Sr. für zwei arme, tinders 
reiche fatholifde Bauernfamilien. 

Stiftung CognadsJay: 100 Preife von 30000 Sr. für franzöfifhe Samilien mit 
fünf ebelichen Rindern bei einem Alter der Eltern unter 35 Jahren. 

Stiftung CognadsJap: 103 Preife von 10 000 Sr. an Samilien mit 5 Rindern, wenn 
der Dater nicht uber 35 Jahre alt. 

Stiftung Cognad: Jay: 90 Preife von 25 000 Sr. für Samilien mit 9 Rindern; odcfts 
alter der Eltern 45 Fabre. 

Mütter mit 5 Rindern erhalten die Medaille de la famille francaise. Es werden 
weitgebende fteuerliche Entlaftungen fowie Erleichterungen des Militärdienftes, Bauloftens 
zufchüffe, Sabrpreisermäßigungen und Samilienzulagen an Rinderreiche gewäbtt. 

£s wird mit Recht immer wieder darauf bingewiefen, daß durch eine ganz gleichartige 
Unterftügung obne Berüdjichtigung der Lebenaftellung und Erziebungstoften der einzelnen 
Samilien wobl nur ein rein zablenmäßiger Erfolg erzielt werden kann, daß aber gerade die 
bodhwertigen Erbftämme auf diefe Weife Baum zur Vermehrung der Rinderzabl vers 
anlagt werden. 

Aber müffen wir nicht aus dem franzöfifchen Dorgeben dod die Tatface ents 
nebmen, daß Srantreich es fic große Mübe und viel Geld koften läßt, der immer weiter um 
fich greifenden Entvdlterung Einhalt zu gebieten? BDeutfchland ftebt heute nod (sablen: 
mäßig) ganz anders da; unfere Beburtenziffer ift aber bereits niedriger als die Srantreids! 

Echt diefer weftlide Kladybar nicht wie ein Mienetelel vor uns, damit wir nod, fo 
lange es Zeit ift, von ihm lernen, was wir tun und was wir nidt tun follen? 

Dr. Hans Rrauß, Ansbach. 


1933, VIII Aus Raffenbygiene und Bevdllerungepolitit. 257 





Grindung von Lehrkangeln für Raffenbygiene in Berlin und 
Munchen. 


Die Univerfität Berlin bat eine ordentlide Profeffur für Raffenbygiene einges 
richtet und dahin den bisherigen Vertreter diefes Sades in München, Profeffor $. Lenz, 
berufen, der gleichzeitig auch Abteilungsleiter im Raifer Wilhelm: Inftitut für Antbropos 
logie, menfblide Erblebre und Eugenil geworden ift. 

In Münden wurde eine ordentlide Profeffur und ein eigenes Inftitut für Raffens 
bygiene errichtet, das dem bekannten Raffenbygieniter Or. £. G. Tirala, Brünn, übers 
tragen wurde. Das Münchner Inftitut ftellt das erfte felbftändige raffenbygienifde Ins 
ftitut ganz Deutfchlands dar. 


Ausftellung über Raffentunde, Erbkunde und Bevodlkerungs- 
politif in Wiünchen. 


Der Münchner Lebrerverein bat in feiner pddagogifden Ausftellung, die im Bibs 
liothelsbau des Deutfchen Mufeums in tNunden untergebracht ift, auch zwei große Räume 
den Sragen Raffe, Erbgut, Volk gewidmet, die unter Sühbrung von Dr. Bruno 
R. Shulg, Münden, zufammen mit mebreren Herren des !Wünchner Lebrerpereines 
aufgebaut wurde. In der Abteilung Kaffe werden die wichtigften europäifchen und außers 
europäifchen Raffentypen teils in farbigen, teils in fhwarzen Bildern gezeigt und eins 
zelne dußere Raffenmertmale, 3. 3. Schadelbau, Haarform, Sorm der einzelnen Weichteile 
des Befichtes ufw. an Bildern und odellen veranfhaulicht. Plaftifhe FTadhbildungen von 
Raffentypen aus Deutfchland und eine große Karte mit der Verteilung der einzelnen Raffen 
ae geben einen guten Gefamtüberblid über die wichtigften Ergebniffe der Raffens 
orfchung. 

Der zweite, der Erblunde gewidmete Raum bringt an Hand von Tafeln zundchft 
die wichtigften Dererbungsporgänge bei Pflanze, Tier und Menfh. Außerdem wird now 
an Hand von milroftopifchen Dräparaten der Vorgang der Zellteilung und an einer Reibe 
von intereffanten Abgüffen die Srage der eineiigen und der zweieiigen Zwillinge dem Bes 
fuder vor Augen gefubrt. 

Befonders binzuweifen ift noch auf die Reibe „Dolt”, die an “and eindrudsvoller 
Darftellungen die gefabrvolle bevädlterungspolitifche Lage unferes Volkes erkennen läßt. 


Thüringifches Landesamt für Raffewefen. 


Das Thüringifhe Landesamt für Raffewefen bat in 14 Lehrgängen 
der Staatsfehule für Kübrertum und Politik zu Egendorf über 985 Lebrer, Umtswalter und 
Polizeibeamte in je viermal zwei Dortrags: und Unterrichtsftunden mit den Grundzügen 
der Dererbungslebre, Raffenbygiene und Bevölterungspolitit vertraut gemadıt. Diefe Schus 
lungsarbeit wurde vom Präfidenten des Amtes, Dr. Karl Aftel, allein beftritten. 


In vier raffebygienifchen Arztefhulungsturfen wurden unter Mitwirkung erfter 
Sadjleute Deutfchlands bisber 375 Arzte gefchult. Damit find nun fämtliche beamtete Arzte 
Thüringens, fowie 51 35. und 89 SA.-Arzte und eine Jabl anderer arifcher Arzte foweit 
ausgebildet, daß fie ärztlichsraffebygienifeben Aufgaben gewachfen find. Weitere Schulungss 
Curfe fir Richter, Standesbeamte, Derwaltungsbeamte, Vertreter des Woblfabrtswefens 
uf. werden fid nun anfchließen. 


Die gefamte tbüringifche Genealogenfhaft wurde durch das Landesamt in einem ges 
nealogifchen Beirat erfaßt und ift nun daran, Sippfchaftstafeln und Abnentafeln bis zu 
den 10 Urslirgroßeltern für alle lebenden Thüringer zufammensuftellen. 

Sir die Saudel:Marfchlerftiftung werden die in Srage fommenden Cinderreiden Sas 
milien, rund 3020 Perfonen, mit Hilfe der raffebygienifd gefculten Arzte Thüringens 
nach dem Gefidtspuntte der Erbgefundbeit ausgewäblt. Es wurde außerdem ein erbs 
biologiſches Archiv geichaffen, das gegen 1000 Sippfchaftss und Abnentafeln bereits enthält. 

Fady einer Verfügung des tbüringifcehen Innenminifteriums müffen famtliche Bes 
werber um Einbürgerung einen Unbedentlidteitavermert des Landesamtes fur Raffewefen 
beibringen. Die Betreffenden werden auf Raffetypus, perfönliche und Erbgefundbeit, Bes 
rufstidtigteit, Samilienftand und Rinderzabl gepruft. Bisher wurden 130 Cinbirgerungss 
fälle bearbeitet. 


258 Volt und Kaffe. 1933, VIII 








Sortbildungsturfe fur Raffentunde und Raffenbygiene fur Arste 
des Landes Sadıfen. 


Im Auftrage der „Alademie für ärztliche Sortbildung“ in Dresden fanden bereits 
zwei mebrtägige Sortbildungsturfe für fähfifhe Arzte in Dresden flatt, die zu befuchen für 
alle fadfifcdhen Urczte Pflidt war. Der erfte wurde vom 14. bis einfchließlih 19. Auguft, 
der Zweite vom 22. bis 24. Oltober durdgefuibrt; die Raume dazu ftellte das Aygienes 
Mufeum in Dresden zur Derfügung. Herr Prof. Reche (prac aber die widhtigften Sragen 
der Raffenfunde, der Staatetommiftar fir das Sddfifhe Gefundheitsewefen Or. Wegener 
über allgemeine Gefichtspuntte, und Herr Prof. Staemmler/Chemnig über Vererbungs⸗ 
lebre und Raffenpflege. An den Kurfen nahmen bisher rund 1500 Arzte teil, die ihre Bes 
tetligung durch ein Zeugnis befcheinigt erhielten. Weitere Rurfe folgen. 


Sortbildungsturfe fir Raffenfunde und Raffenbygiene fur Lebrer 
aller Stufen in Sadıfen. 


Auf Anordnung des Minifteriums fir Dollsbildung des Landes Sadıfen fanden vom 
I. bis einfcdlieBlid 32. Oltober in Dresden in den Räumen es HygienestNufeums Sorts 
bildungskurfe für Lehrer ftatt. Herr Prof. Rede fprach kber die für den nationalfozialiftis 
fben Staat vordringlichen Sragen der Raffentunde, Sere Staatstommiffar Or. Wegener 
über allgemeine Probleme der Bevdllerungspolitit, die Gerren Prof. Staemmler und 
Dr. Dellguth über Dererbungsfragen und Raffenbygiene und außerdem, um gleichzeitig auch 
für die Körderung der deutfchen Borgefchichte zu werben, Herr Dr. Hülle von der Landes 
anftalt für Vorgefchichte in Halle/Saale über das Thema „Die Eigenftändigleit der gers 
maniſchen Rultur“. 

Weitere Lehrgaͤnge ſollen folgen, der naͤchſte iſt bereits für die erſten Tage des De⸗ 
zember in Dresden angeſetzt. 


Warum ſind Sie nicht verheiratet? 


Der Öberbürgermeifter der Stadt Srantfurt a. M. hat angeordnet, daß ſaͤmt⸗ 
lide 1600 in Srantfurt tätigen ledigen Beamten, Angeftellten und Arbeiter fich innerhalb 
einer beftimmten Srift äußern, aus weldyen Gründen fie nicht bereits verbeiratet find und 
weldye Gründe ihrer Derbeiratung im Wege fteben. Gleidsecitig erging die Aufforderung 
an alle Ledigen, dem Gedantlen einer Derbeirstung ernftbaft näberzutreten. 


Wir wollen keine Halbbeiten in Raffefcagen! 


“eute wird über Kaffe und Vererbung viel gefchrieben und bäufig wäre es beffer, 
es würde nicht gefchrieben. Die Raffentunde ftebt nun einmal body im Kurs und da glaubt 
mancher, er fei Bick gum Runder neuer Dinge berufen. Auch das von €. Meyer und WD. 
Dittrih im HirtsDerlag berausgebradte Buch „Erbs und Raffentunde” fällt unter die 
Schriften, die beffer nicht gefchrieben waren. Abgefeben von den meift fehledhten Bildern, 
beifpielsweife der eine Dinarier, ferner der fogenannte typifche Deutfche, oder die beiden 
oſtiſchen Menſchen, enthält das Büchlein mandye grobe Oberflädlichteiten. Man follte nicht 
tubig behaupten, daß cs in Deutfchland faft keine reinraffigen Menfchen mehr gibt. Wober 
follten wir fie denn kennen? Und wir feben fie doch noch faft täglidh. Daß unfere Vorfahren 
nicht als SHerrenraffe an der Rüfte des Atlantifhen Ozeans gebauft und keine wilden Ers 
oberungszüge gemacht baben, um den Befiegten ibre Sprage aufzuzwingen, weiß beute 
faft fcbon jeder in Raffefragen bewanderte Deutfche dank der Maren Bücher von RX. Walther 
Darre. Daß wir die Juden vor allem wegen ihrer zerfegenden Wirkung auf allen Lebens⸗ 
gebieten ablehnen, follte den beiden Derfatfern eigentlich geläufig fein. Das Bud ift im 
ganzen dSurdaus unerfreulid. Die Dererbungslebre ift wenig überfichtlidh, die Raffentunde 
Oberfladlid, mandhes Medizinifcde 3u ausfibrlich und das Bevdllerungspolitifde zu knapp 
bebandelt. Wie gefagt, folde Bucher blieben am beften ungefchrieben. 

Das Oltoberbeft ,Gefundbeit und Erziehung“ bringt eine Reibe von Beiträgen 
zu dem Thema „Raffenpflege ale Erziebungsaufgabe*. Mande Außerung dazu bringt ts 
Pleues und nur wenige können anregend wirken, wie vor allem der Beitrag von Le Claug. 


1933, VIII Reichsausſchuß fur Voltegefundbeitsdientt. 259 





Uleben wiffenswerten taffenbygienifchen und bevölterungspolitifchen Liadyrichten bringt das 
Fyeft auc nod eine kurze Einfuhrung in das Schrifttum der Raffentunde und spflege. Der 
Derfaffer, Sranz Schüg, fcheint fic bei der Menge des Scrifttums über die einzelnen 
Werte kein Mares Bild machen zu können. So erfcheint es als ein Unding, ein Buch von 
Galler vor dem Gintherfden Werk als Einführung in die Raffentunde zu empfehlen, wie 
aud Rerns „Artbild“ zu empfeblen, dem das „Bauerntum“ von Darre weit überlegen ift. 
Fyrr Schütz hätte auch beffer daran getan, die Bücher und Schriften von 4. Mudermann 
unerwähnt zu laffen. Cine Einführung in das Schrifttum der Raffenfrage follte fid mit 
Bea! guten Saden begnügen und nidt viel Buntes und lneinbeitlidhes durdyeinans 
der bringen. 

Einen Derfud, auch der DVollsfduljugend die Bedanten der Raffe, Dererbung und 
Raffenzudht nabe zu bringen, ftellt die von Jörne und Dr. Schwab im Verlag Megner 
berausgebrachte „Raffenbygienifche Sibel” dar. Es Ht, wie gefagt, ein Derfuc, der nod 
weitgebende Derbefferungen ndtig baben wird. Einzelne Teile der Sibel find zu fehr medis 
zinifch gebalten, während andere Dinge wieder recht wirtfam und rein fadlid, von wes 
nigen Rleinigleiten abgefeben, durchaus brauchbar dargeftellt find. hr 

s roder. 


Raffenpflege in der ,, Kamera”. 


Die Berliner ,KRamera“sAusftellung fur Photographie, Drud und Reprodultion weift 
aud cine Roje fir Raffenpflege auf, getragen vom a sungen fir Bes 
vdllerungspolititund Raffenpflege”. Der noch unerfabrene Befchauer kann bier 
fein raffifdesMunfdbild anTypen aus Helfen, KTorddeutfchland, Niederſachſen, Ber⸗ 
lin, Oberöfterreih und dem Shwarzwald fhärfen und Bären. Daneben fiebt man einen mas 
rollanifchen Juden als Dertreter der orientalifchen, eine Estimofrau als Vertreterin der mons 

oliden und ein Aereromddden als Wertreterin der FlegersRaffe. Befremdet und zurüdges 

oßen wird man dsurd die dargeftellen Mifchlinge aus Hollandern und Hottentotten, 
Aber ein wahrer Zug des Brauens find die Abbildungen von Minderwertigen, 
von Scharen ihrer Rinder, die in Deutfchland nah Abertaufenden zäblen! ier fteben die 
Menfcden und finnen.... Gewißlich nicht bloß deshalb, weil diefer Mienfchenbrud uns jährs 
lic 300—400 Millionen Boftet, fondern zweifellos au angefichts der Seftftellung, daß 
zwar nidt der ungefunde, tranke und untauglicdhe, wohl aber der gefunde Habhwuds 
mebr und mebr zu feblen beginnt. tr. 


Deutfche Gefellfcdhaft fur Raffenbygiene. 


Marburg a. d. Labn: Die in Marburg a. d. Labn unter engen Profeffor 
Dr. Pfannenf tel neu gegründete Ortsgruppe bat fi in erfreulicher Weife entwidelt 
und ihre Mitgliederzahl auf uber 100 gebracht. ; 


Reihsausfihuß fire Dolksgefundheitsdienft. 


Am 20. Mebelung bielt der Reichsausfhuß für Vollsgefundbeitsdienft feine Grim: 
dungsfigung in Berlin ab. Es fpradh als erfter Reichsminifter dea Innern Dr. Srid, 
deffen Rede wir am Anfang diefes Heftes veröffentlicht haben; im Anfchluß an ihn Minis 
fterialrat Dr. Gütt, der Leiter des Reichsausfchuffes für Volktsgefundbeitsdienft e. D. und 
fodann Herr Dr. Ruttle, der bisherige Rommifjar des Reichsausfchuffes. Herr Minifterials 
rat Gutt wies auf die Wichtigkeit raffenbygienifcher Auftlärung bin. Der Reihsausfhuß 
für Dollsgefundbeitsdienft ift vor allem eine Derbindungaftelle zwifden Reichsregierung, 
insbefondere dem Reichsminifter des Innern und der Offentlichleit. Der Reichsausichuß fur 
Dollsgefundbheitsdienft wird die Wünfche der nationalfozialiftifhen Bewegung und aller 
in diefer Richtung arbeitenden Dereinigungen zufammenfaffen müffen, 3. B. die des Reiches 
bundes der Kinderreichen, der deutſchen Gefellfchaft für Raffenbygiene und andere anges 
— erbgeſundheitlich und familienkundlich arbeitende Vereine. Sein Aufgabengebiet 
iſt folgendes: 

Mitarbeit im Sachverſtaͤndigenbeirat fur Bevoͤllerungs⸗ und Raſſenpolitik beim 
Reichsminiſter des Innern, Sammlung und Bearbeitung der wiſſenſchaftlichen Forſchungs⸗ 
ergebniſſe auf dem Gebiete der geſamten Bevoͤllerungspolitik, insbeſondere Erb⸗ und Raſſen⸗ 


260 Volt und Kaffe. 1933, VIII 
TEE EEE EEE 





tunde fowie Raffens und Erbgefundbeitspflege, Überprüfung der bevälkerungspolitifchen, 
wiffenfdaftliden Sorfcdhungsergebniffe vom Standpuntte der nationalfozialiftifhen Welts 
anfdauung aus, in Sublungnabme mit dem Reidsminifterium fir Vollsauftlarung und 
Propaganda und der deutfchen Arztefhaft fowie der Reichsleitung der W.S.D.AP.; Bes 
forgung des notwendigen bevälkerungspolitifchen Auftlärungsftoffes in guter Sorm und 
mit wiffenfchaftliher Grundlage; Zufammenarbeit mit dem Deutfhen SHygienemufeum und 
den Lehrmittel berftellenden Sirmen zwede Anfertigung wertvoller Lichtfilme; Heranziehung 
der Runft als Erzichungsmittel zum deutfchen Schönbeitsideal. 

Here De. Ruttle fegte dann die Gliederung des Reichsausfchuffes für Voltsgefunds 
beitsdienft auseinander; fie beftebt aus der Leitung, dem Gefchäftsführer, Verwaltungs» 
tat, Mitgliedern und Untergruppen. Leiter, Stellvertreter und Befchäftsführer werden vom 
Reichsminifter des Innern beftellt. Grundfäglihd foll Leiter der für Sragen der Bes 
völkerungspolitit zuftändige Sacdberater im Reihsminifterium des Innern fein, fein Stells 
vertreter der Leiter der Medizinalabteilung im preußifchen Minifterium des Innern. Leiter 
ift daher Herr Minifterialrat Dr. Bütt, fein Stellvertreter Minifterialdicettor Dr. Srey. 
Dem Verwaltungsrat follen angebören: je ein Vertreter der Reichsminifterien, je ein Vers 
treter der Länder und der preußifchen Provinzen, ein Vertreter des Reichsgefundbeitsamtes, 
ein Vertreter der Arztefchaft, ein Vertreter des Deutfchen Hygienemufeums, ein Vertreter 
der Samilientunde, ein Vertreter des KReihsführerse SS., ein Vertreter der oberften SA.s 
Sabrung, ein Vertreter der Reichsjugendführung, eine Vertretung des Srauenwertes, ein 
Dertreter der Rrantentaffen-Spigenverbande, ein Vertreter des deutfchen Bemeindetages 
und ein Vertreter der NS.⸗Wohlfahrt. 

Mit Hilfe dieſer Vereinigungen ſoll allmaͤhlich eine großzuͤgige planmaͤßige Er⸗ 
ziehung der erbgeſunden, kinderreichen Familien erfolgen. 

ere Ninifterialrat Dr. Gutt dankte ſchließlich Herrn Dr. Ruttke fuͤr ſeine bis⸗ 
herige Taͤtigkeit als Rommiſſar des Reichsausſchuſſes und ſchloß die Sitzung mit einem drei⸗ 
fachen Siege⸗cheil auf den Subrer. 


Fragekaſten. 


Antwort auf Frage 3: Wie hoch iſt die Zahl der Hilfsſchuͤler unterrichtenden und be⸗ 
trauenden Lehrkraͤfte? 

Nach der letzten Zaͤhlung der Hilfsſchulen Deutſchlands durch den Verband der Hilfes 
ſchulen im Jahre 1927 ergaben ſich 3900 «5ilfsſchulllaſſen mit 7319,02 Rindern im volks⸗ 
ſchulpflichtigen Alter. Dieſe Rinder wurden von 4030 Lehrkraͤften (2900 Lehrern und 1007 
Lehrerinnen) betraut. (Durch dieſe Statiſtik find nur so Cleine Sun 

r. Leſch. 


Mitteilung. 


Auf Anordnung des Herrn Reichsminiſters des Innern laͤßt der Reichsausſchuß für 
Voltsgefundbeitsdientt eine Schriftenreihe erfcheinen. Bisher find folgende Aefte erfcienen: 

Fyeft 3: Anfprache des Seren Reichsminifters des Innern Dr. Srid auf der erften 
Situng > Sacdverftandigenbeirats fir Bevdllerungss und Raffenpolitit am 28. Juni 
1933 in Berlin. 

Heft 3: Die Bedeutung der natürliden Zucdhtwahl bei Tieren und Pflanzen. Don 
Profeffor Dr. €. Baur, Müncheberg. 

eft 4: Die Bedeutung von rt und Boden für das deutfhe Voll. Don Minis 
fterialrat Dr. Gütt, Berlin, Reicheminifterium des Innern. 

eft 5: Die UWufgaben der Srau für die Aufartung. Won Elifabeth von Barfewifd. 

Hoeft O: Rinderreihtum — Wolksreihtum. Von Dr. Sriedrihd Burgddrfer, Direttor 
beim Statiftifchen Reichsamt, Berlin. 

Die eyefte der Schriftenreihe find zum Preife von ME. 0.10 für ı Stüd, ME. 0.08 bei 
25 Eremplaren, ME. 0.06 bei 50 Eremplaren, ME. 0.05 bei über 100 remplaren beim 
Reihsausfhuß für Voltsgefundbeitsdienft, Berlin LTO. 7, Roberts KodsPlag 7, 3u besieben. 


Diefen Aeften ift weite(te Derbreitung 3u wunfden. 





XR zur Erblehre und Raffenhygiene 





eratur der Rassenkunde seit 
Jahren mit kurzen Angaben, 
a pfehlungen usw. 


‚chtverständliche u. grundlegende 
wführung, ministeriell empfohlen 


konders geeignet für den Unter- 

Li, für Lehrer und Erzieher. 
»derholt von W.S.-Lehrerbünden 
Yfohlen 

vr Jedermann, besonders für die 
end und für den Schulunterricht 


führung in die Voraussetzungen 
Grundlagen des Sterilisierungs- 
zes. 


| 
| 


Die AN im Schrifttum 
bon Dr. Achim Gerde 
Leinen 3.50 AM. 


Erbbiologifher und  raffenhygienifdher 
für Jedermann 

bon Dr. Konrad Dürre 

Leinen 3.30 AM. 


Erziehung zu eugenifher Lebensführung 
bon Emil Yörn 
Karton. 1. ap RM. 


Raffenhygienifche Fibel 
bon E. Jörns / Dr. med. 
Halbleinen 2.20 RM. 


Bekämpfung der Unterwertigfecit 
bon Dr. med. %. 8. Scheumann 
Leinen 3.30 RM. 


Wegweifer 


%. Schwab 


Berlin SW. 61 


Alfred Metzner W Verlag 

















Das neue Wert von Prof. Dr. Gans $. K. Gite 
| Die noröifche Raffe bei den Indogermanen Afiens 


Zugleich ein Beitrag zur Stage nach der Urbeimat und Raffenberkunft 
der Jndogermanen. 


| | Mit 100 Abbildungen. Geb. ME. 6.—, Lwd. ME. 7.50. 


| Das neue Werk des bekannten XKafjenforfcbers darf als grundlegend für die Gefchichte der 
\ nordifcehen Raffen angefproden werden. Ein lebendiges Bild von den Menfden der jungen 
| Steinzeit, ihrer Urbeimat, ibrem Leben und Treiben und ibren Wanderungen entftebt vor 
ı unferen Augen und wird zur überzeugenden Beftätigung des Darrejchen Sages von der Bäuer: 
lichkeit der nordifchen Kaffe. Güntber dringt tief in die Gefchichte der afiatifchen Stämme, 
ihre Rulturen, Religionen, Gefege, Sitten und Gebräude ein. Er bringt den Nachweis, daß 
\ bei verfehiedenen Völkern Afiens fcbon in frisbeften Zeiten, wie auch noch beute eine nordifche 
Oberschicht feftzuftellen ift. Wiffenfchaftlibe Gründlichkeit verbindet fih mit lebendiger Ge: 
ftaltungstraft und Rlarbeit der Darftellung. Die 3zablreichen Abbildungen erböben nod die 
Anfchaulichkeit der Ausführungen und machen es auch dem Laien leicht dem Verfaffer zu folgen. 








Le made Deierla + Marni den 


J. x. 


e mechen unjere Lejer bejonders auf die beigefügten Projpette des YJnfel-Verlages G. m. 6. H., Leipzig, und der Fa 
| ee Amelang, Leipzig, aufmerkſam. 


ow acre q I . a TUT. ae = ee a 
> a a 8 » J te 3 5 = J —8 * * * — +? m... 
a ee. Eee 3 
ine . Su sf” b ye 2 * oC >" 2 Ri > T r 
Sige SE ger ae ee BF ISEN 
‘» . vee —— ” BR =”) GE R 
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7 4 


Soeben erschienen: 


Raffentunde und. 


Raſſengeſchichte 
der Menſchheit 


on 


Egon Freiherr v. Eickſtedt 


Univerſitätsprofeſſor u. Direktor des ae ene 
und des Ethnologijden Inititutes zu Breslau 


Etwa 944 Seiten, 615 Abbildungen, 5 Tafeln und 8 farbige Karten, 1954, 


Geh. RM. 72.50, in Leinen ‚gebunden RT. 76.50. 


Urteile aus den erjften Bejprehungen: 


Das im Erjcheinen begriffene große Werk veripricht, eine gewiß von jehr vielen oft und fj | 
lid) empfundene Lüde auszufüllen, Don Rafjenfragen wird gerade in unjerer Zeit jehr viel ger) 
j eh Aber wie wenige von den laut geäußerten Meinungen und Urteilen haben eine gejidyerte) 
rundlage von Kenntnifjen! Diejer Mangel beruht nicht allein auf Oberflaclidteit, jondern zum F 
guten Teil auf dem Umitand, daß es recht jchwer ilt, troß oder vielleicht gerade wegen des über) 
aus reichen Schrifttums jich eine wiljenjchaftlichen eg Reg Meinung über ne F 
u bilden. Hier verjpricht endlich das vorliegende Wert Abhilfe zu jchaffen, dem fein Ghnlides in) 
de her Spradye aus neuerer Zeit zur Seite zu ftellen ijt. Die vieljeitige Ausbildung des Derf., 
Ele reichen perjönlichen Erfahrungen, die er auf langen Reijen im Dertehr mit fremden Dolterny 
und Rajjen erworben hat, geben ihm in bejonderem Mage das Recht und die Befähigung zur Abe) 
fajjung eines Wertes wie des vorliegenden. Außerordentlid reich ijt die Beigabe ſchöner, gre | 
teils neuer ees und Karten. Die feijelnde, im bejten Sinne populäre Darftellung € 
möglidyt das Derftändnis des Wertes au dem Nidhtfahhmann. So wird das Bud; Zwar in eriter) 
Linie dem Anthropologen und Ethnologen eine auf den neuejten Sorjhungen fußende, önlich 
durchgearbeitete, überaus anregende zufammenfaljende Darjtellung geben, aber aud; weiteren rei 
von Gelehrten und Laien bald unentbehrlid jein. Die Ausjtattung des Buches ee nad t 
Rihtung vorzüglich, fein Preis gewiß nicht hod). (v. Eggeling in: Anatomijdyer Anzeiger). 


Das Werk bedeutet einen Martitein in der wiljenjdaftlid-anthropologijden Weltliteratur. Meuel 
wejentliche, noch niemals aufgeitellte Gejichtspunfte, eigene Jahrzehnte lang durchgeführte aie | 
Ihungen verbunden mit reichitem umfaljendem Wijjen haben hier eine Rafjentunde und Bajjen:; 
geihichte geichaffen, welche, in lebendigen, flüfjigem Stil gejchrieben, einzig ift. Ausgejtattell 
mit vorzüglihen Bildern von Menjchen und Landichaft lebt jidy der Lejer zugleich in die D lun 
binein. In der Sülle der geiltvoll entwidelten neuen Probleme, in der eigenen Lebendigtett un 
iichen Art des von Eidjtedtichen Stils wird das Werf nicht nur Belehrung bringen, jondern Zugleid 
ruchtbringend weitere Sorjchungen anregen. (W. Brandt, Köln in: Biologilches Zentralblatt. 


Serdinand Ente, Verlag, Stuttgart-W 3 


Leo Berantwortlid für die Schriftleitung von „Volk und Kafje": Dr, Bruno K. Sautg, Diun 
Veranund * Verantwortlich für den Anzeigenteil: Guido Haugg, München. — Berlag: 3. $. Lehmann, nden. ; 
Druck von Dr. F. G. Datterer & Cie., Freijing-Wiiinden. 
Printed in Germany. 





ers 
gen 
te, 
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en; 


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