Volt und Raff ¢
Illuſtrierte —
Vvierteljahrsſchrift fuͤr deutſches volkstum
7. Jahrgang 1932
J. S. Lehmanns Verlag, Muͤnchen
(,
9
its} nbaltsverzeidhnis
ed — des 7. Jahrganges, 1932.
"ae. cn O5—128; Heft 35S. 129—184; Heft 4 S. 185—244.
Derfafferverzeichnis.
Seite
Banfe, €., Über den Zufammenbang von ne und Menfch. Mit
4 Abb. und 3 Strichzeihnungen . z $
Baur, €., Der Untergang der Kulturvdller im Lichte der Biologie ; 65
Burkhardt, 9, Raffenforjdung und Pfychiatrie . ‘ 4
Capelle, w., Bildnis eines em? der Völkerwandes
rungszeit 129
Gintbher, 4. §. B. ‚Wie fah Chriftus aus? ; 118 |
Gutenbrunner, S., Die Olea der lintsrheiniſchen Germanen
bis auf Cafar : 150
Hanila, 3., Egerländer Art. ine voltetundliche Unterfudbung. Mit
Abb.
I 24
ae R., Deutfche voikstrachten. mit farbigen Tafeln und Abb.
m Tert s 170, 218 |
Roteuana: Tp., Urflawenbeimat und Aleflowenwanderungen | I. Teil. 203
£eifs, J., Altnordifche Dollsmufil. Mit ı Abb. . 163 \
Liters, 5. Die Runen. Mit ı Abb. ; 97 |
Mofer, © ., Überfichtsberichte aus dem raſſenbygieniſchen Schrifttum |
53, 175 u. 223 |
Ulippert, O., Einiges über Rants Anfichten von Viaturgaben, Derers
bung und dem Zufammenbang 3wifden Rörper und Seele. Mit
ı Bilde Rants ; $0
Deterfen, £., Die Burgunden in Sehefen und bre Seidel mit
6 Abb. $6
Aus der raffenbygieni{den Bewegung : ; 52, 114 u. 174 |
Rede, ©., Zum 25 jährigen en des Vinderens£aboratoriums in
Oslo. ‘Mit ı Abb. . B
Riedl, M., Rriminalbiologie : 145
Sandvoß, en ., Kinfluß der Raffe auf künftlerifche Auffaffung und Ge:
ftaltung. Mit 4 Abb. . 199 |
Sartori, P., Erbliche Samilientennzeichen im Voltsglauben : ; 106
Shelling, ©., Die Geburtentraft im voltspolitifden Kampfe . ‘ 194
Schulg, W ., Börlig, Arifche Raffenbygiene in der Religion der alten
Derfer. Mit : Abb. . 129 :
Schwertfeger, £., Zin verlorener deutfcher Dorpofte in Doten : 172
Spebr, 5 + „Der Stuch der Arbeit“ . 2 44
Tirala, £. G., Ebevermittlung. ‘ : : ’ ‘ : 110
Ein Urteil Bismards ; : ; : : ‘ 149
Diergug, R. $., über Kaffe und Sele. ; 32
Mitte, A, Lleue Arbeiten zur Pula nr ote Often. (Sorte
fegung) 47 u. 239
Inbalteverzeichnis. III
Seit
Wolfram, R., „Chriftentum und beidnifche Überlieferung im deutfchen
Dollsbraud“ 218
308,£.$., Totenfurcht und Aberglaube bei den Germanen der Voller,
wanderungszeit. Mit 5 Abb. 186
Buchbefprechungen.
Der Auslandsdeutiche. (OO. Effen) : ‘ 124
Baafen, €., Yliederfächfifche Siedlungstunde. (R. Miete) ‘ : 119
Banſe, E. , Deutfche Landeskunde. I. Teil. (Schulg) . 119
—, Deutfche £andestunde. II. Teil. Suds und Alpendeutfchland. Schultz) 229
Beninger, &., Der weftgotifchsalanifcdye Zug nach ua =
Deterfen) : : 229
BeFmertny, A, Das Atlantisrätfel. (©. Reche) ; : ; ‘ 229
Boje, M., Die letzten Gylter Riefen. (€.S.) . ‘ ‘ : 57
Bonne, G., Das Verbrechen ale RKrantbeit. (€. Weber) . : 124
Deutfche Zuefte fur Dollss und Rulturbodenforfdung. (4. Witte) ; 125
| Dinft am Deutfcdhtum. Jahrweifer für das deutfche Haus . 230
| Dupré, §., Aber die Herren ,,Aufartler und andere oem due der
| menf{dliden Hodsicdhtung. (v. Rutlowfti) . i 230
Erdmann, £., Die Glodenfagen. (§. £üere) . : : ; : 87
Aus: The Eugenics Review. (£. Zoeffler) . 116
Bandert, ©.S., Sorfhungen 3. Befchichte d. Zaushundes. (©. Evedardi 67
Gottſchald, M., Deutfche Liamentunde. (%. Zeiß) : 120
Guͤrge, W., Daneuropa und Mitteleuropa. (OO. Eilen) . 125
| Haag, §. £, Die geiftige Gefundbheit des Volkes und eur Pfige «.
| Loeffler) ; 120
| Habm, im Deutfche Voltstunft. Schuitz 180
Harmfen, H., Praltifhe Bevslkerungspolitil. (Tb. fang) 3 13}
— —, $298 Ginn u. Droblematil d. Ubtreibungsparagrapben. (v. Ruttowfti) 230
Hartnade, W., „Bildungswahn—Volkstod.“ (v. Rutlowfli) . ; 231
Hauptmann, 5, Erneuerung aus Blut und Boden. (©. Rede). 231
Aedfcher, R., Die Dollstunde der Pronins Hannover. (|. ya : 33}
>eimat. Dorarlberger Monatshefte. (R. Glau) ‘ ; 125
Mein Heimatland. Badifche Blätter für Volkskunde. (R. Grau) . ; 126
Hennig, R., Beopolitit. (©. Schelling) ‘ i ; 32}
Hielſcher, R., Dänemark, Schweden, Klorwegen. Schultz 121
Jahn, M., Die Relten in Sehlefien. (€. Deterfen) . ; ; 53
Johannes, Martin, Otto, Adel Belle Rede) : 5 181
Juft, ©., $ Jungenbilder. (Schulg) ; 182
| Rarafets£anger, A. und Straygowfti, £:; Sagen der Bes:
kidendeutfchen. ($. Lüere) ‘ 326
—sL£üd, Die deutfchen Siedlungen in Wolbynien. (%. Witte) . : 232
Reiter, S, Schwanfen und die Schlei. (S. Ehrhardt) . ; 58
Rlend, m. und Sdeidt, WO., Fliederfächlifche Bauern. (M. Heid) . 122
Rlofe, O., Die Samilienverbäftniffe auf Island vor der Belehrung zum
Chriftentum auf Grund der Joalendingafogur. (4%. Zei) - x 59
Rloß, #., Das Grundbud der Stadt Dirfchau. (©. Rede) . : 59
Rrieg, 9, SchleewigsSHolfteinifche Vollstunde. I. Teil. ($.£üere) . 120
82885319
JJ er un
IV Inbaltsverzeichnis.
Kummer, B., Die germanifde Weltanfdauung nad a er
Überlieferung. (YO. Hyll) ;
LangbanssRageburg, M., Die Wolgadeutfchen. (%. Witte)
Lehmann, R., Gefhicted. Wendentums i ind. Lliederlaufig. (9. Witte)
LendsvaisDi rd fen, &., Das deutfche Dollsgefidt. (Gdulg) .
Lentz, W., Auf dem Dad der Welt. (©. Rede) .
Lurembue a et, %., Piychiatrifche SHeillunde und Eugenil. (v. Ruttows ti)
Mattbes, MD , Die nördlichen Elbgermanen in a a (€.
Peterfen)
—, Die Germanen in der Prignig. E. Peterfen) .
Mayer, SM. u Hans Pirdegger, Geſchichte und Kulturleben
Deut(dhdfterreis von 1526—1792. (%. Witte) ;
Mefchle, R., Schwerttanz und Schwerttanzfpiel. (Od. Schulg, Görlie)
Müller-Guttenbrunn, R., Der brennende Men. (©. oe
Oberdeutfche Zeitfchrift für Voltetunde. (R. Grau) ;
Der Öberfchlefier. (R. Grau)
Peßler, W. Deutſche Voitotumsgeogtaphie. (2. Mielke) .
Plifmte, 5, Chriftoph Rolumbus. (©. Rede) ;
Reglaff, €., Die von der Scholle. (S. Ehrhardt) :
Ridthofen, B., Sebr. v., Altfteingeitlide Sunde aus der Provin
Öberfchlefien. (€. Deterfen) ;
Ried, %. A, Miesbacer Landbevditerung. m. Hei) ‘ ;
Robmeder, D., Das Deutfhtum in Südtirol. (9. Witte) .
Robrbad, P.u. Roloff, G., a Volksgeſchichte. den
Scheidt, W., Rulturbiologie. (£. ©. Tirala) :
— Raſfentunde. E. Suchsland)
—, Die raffifchen Derbhaltniffe in Clordeuropa. (©. Rede) .
Sdhemann, £., Die Raffe in den Beifteswiffenfchaften, Band Ill. Die
Raffenfeagen im Schrifttum der Neuzeit. (.. ®. Tirala)
Schulze, R., Die jüngere Steinzeit im Rötbener Lande. (Id. Schulz)
Schwalm, %. und Burlbhardt, §., Bevdllerungstacten ser Obers
und Fliederlaufig auf Grund der Doltszählungen. (©. Redhe)
Siemens, WD., run und Miethodil der A
(©. Mofe) .
Stodbaufen, 3. von, Dom nordiſchen Geiſte. (©. Uftel) :
Strager, K. Tb., Gacdfen und Angelfadfen. (00. Sols oe
Ubden, R., Völkertore. (YO. Effen) .
Wable, £., Deutſche Vorzeit. (W. Schultz, Görlig) ;
Wedetind, €. en Das Märchen vom Hienfchen im Briftall. (00.
Eſſen)
Weiſſenborn, E., Quellen und Hilfsmittel der Samiliengefcichte.
($. Weden) .
Mintbuis, J., Die Wabrbeit über das Zweigeſchiechterweſen durch) |
die Begner beftätigt, nod) fefter begründet von ... (®. Spannaus)
Herman Wirth und die deutfche Wiffenfchaft. (€. Deterfen)
Seitferift fur Ortsnamenforfdung. (€. —
Zink, Th. Die Pfalz. (Schultz).
Zimmer, N., Deutſchlands Srenzentwicklung. (00. Eſſen)
233
182
258
124
184
258%
255
128
236
239
237
127
238
64
—
m 25 jährigen Beftehen des Binderen-Laboratoriums | in Oslo. don
. Prof. Dr. O. Rede, (Mit 1 Wbitoung) - - - Seite
Re -afenforiung und Pinsbiatrie. Bon Dr. med. Sans Burtharde, Hambirg-
” OS ee ne: —
den Zuſamnienhang von Banbfihnt und Meute) Yon Ewald —
— “3 Punineishipety: | (Mit'4 Abbildungen und 2 Strichzeichnungen . - . —
— ‘ildnis eines Wejtgotentinigs der — Von Aniv. —
J Dr. W. Gapelle, Hamburg . - %
ss gerlainber Art. Eine noltstundlidhe Unterfudung. Bon Dr. Sofef *
Prag. (Mit 1 Abbildung) - - ”
ber Raffe und Seele. Bon RG. Biergug . 2 - se ee eee sw
| j Der Flud) der Arbeit“. Bon Dr. Harald Spehr, Leipzig » + + nn. * *
INN
MDege zur Ffamiliens und Namenforfhung
Deutfche Namentunde
Unfere Familiennamen nad ihrer Entftehung und Bedeutung
Don Studienrat M. Gottihald, Plauen
Mit etwa 50000 Namen. Geh. RIM. 15.—, Cwd. RM, 15.—
Gottihalds Bud) ilt anderen Namenbücdyern gegenüber etwas durchaus Eigenes. Zunädjit
dürfte jein Wert alle ähnlihen Werte an Reichhaltigteit weit übertreffen. Dot auch in
Einzelheiten der Dede bringt jein Bud; Dieles, was bisher ae genügend ausgewertet
wurde: 3. B. die Ableitung vieler altdeutiher Namen aus altgermanijchen religiöjen
Dorftellungen; ferner die Behandlung der einjtämmigen Namen und der Miidhformen.
Auf die ojenamen wie Hölderlin, Kreutel und Steudel, Blumenjhein und Maienthau
if jeit ein pact langft vergefjenen Bemerfungen Grimms und Uhlands niemand mehr
— ———— Überaus wichtig ijt aud) die Statijtif der heutigen —— die
islang niemand — zum Zwede der Deutung benußt Pr ittag 3. B. fommt
* Familienname in Köln und München nur je einmal, in Dresden aber 66 mal
por; bier ijt es aber aus Mittas entſtanden, der wendifden Sorm fiir Watthias.
Das Bud; zerfällt in zwei Hauptteile: Die Namentunde und das Namenbudy. Die
Namenftunde enthält u. a, folgende Abjchnitte : — ichte der Namenforſchung. Indo—⸗
* er manijde Namen ; jemitijche Namen. Altdeutiche Taufnamen mit ihren Kurzformen,
erfleinerungen und Mifchformen. Kirchliche und literarijhe Namen. Entftehung der
ee ee Namen aus Wohnjtätten und Herfunftsort, von Stand und Beruf.
bernamen ; Sagnamen ; Judennamen ; Latinijierungen jlawijcher und anderer fremder
Namen. Dornamen. Namenwandel und Namendeutung.
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"Dolt und Raffe
Illuſtrierte Viertehjahrsfchrift für deutfches Volkstum..
» Herausgeber: Prof. Aichel (Riel); Dr. Bachtold (Bafel); Prof. Derbleffren. (Röpıgabiry-
li. Pr.); Prof. Sebrle (Heidelberg); Prof. E. Sifcher (Berlin); Prof. Yambrud (Hamburg);
Prof. Helbot (Innsbrud) ; Prof. O. Lebmann (Altona); Dr. Lhers (Minden); Prof. Mielke
‚(Hermsdorf b. Bin); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Muh (Wien); Prof. Panzer
(Heidelberg); Dr. PeBler (Hannover); Prof. I. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dort:
mund); Prof. W. N. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Königsberg); Prof. Schulges
INsumburg (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof.
. Wrede (Röln); Dr. Zaunert (Wilbelmsböbe); Dr. Zeif (Srankfurt/!M.).
Schriftleitung der Zeitfchrift: Univerfitätsprofeifor Dr. Ötto Rebe, Gausich
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Kurt Schulg, München, FTeubauferftr. 51.
5 Derlag: J. $. Lehmann, Münden 2 SW., Paul Heyje-Straße 206.
| Jabrlid) erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jährlih MT. $.—, Einzelheft MM. 2.—.
: Poftfcdedfonto des Verlags München 129.
; poſtſparkaſſe Wien 59594. — Ronto bei der Bayeriſchen Vereinsbank Muͤnchen. —
‘Ronto bei der Rreditanftalt der Deutiden e. G. m. b. . Prag II, Krafauerftraße 11
np (Poft{partafjenfonto der Rreditanftalt: Prag 62 730). — Schweizerifche Doftidedrechnung
I Bern III 4845. Schwed. Poftichedtonto Stodbolm 41067.
17. Jahrgang yeft) Ianuar (Eismond) 1932
Der Derlag bebält fi das ausfchließlihe Recht der Vervielfältigung und Derbreitung der
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor.
Zum 25 jährigen Befteben
| des Dinderen-Laboratoriums in Oslo.
Don Prof. Dr. O. Rede.
Mir ı Abbildung.
DI“ Dinderen-Laboratorium wurde am 28. De:
zember 1905 urd Or, Fon Alfe. Mpoen gee
gründet; zunächft als private Schöpfung, bald
aber befam es Unterftügung aus öffentlichen
Mitteln und 1916 bewilligte die norwegifche
Dolksvertretung dem Leiter des Inftitutes eine
beftimmte Dergütung, als Anerkennung und Ge:
genleiftung für feine im öffentlichen ntereffe
durchgeführten Arbeiten.
Die Aufgaben des Laboratoriums liegen auf
dem Gebiet der Erbbiologie und Raffen-
Sw J. bygiene. Gchon 1908 verdffentlichte Mjoͤen
ein forgfaltig ausgearbeitetes Programm zur
| Durchführung caffenbygienijder Maßnabmen,
Dorfchläge, die auf dem internationalen Ron:
Dr. Jon Alfred Misen. greß für Lugeme in Paris im Jabre 1913 in
Pol und Baffe. 1932. Januar. }
2 Dolt und Kaffe. 1932, 1
ven Hauptpuntten angenommen wurden. Diefes „Llorwegifche Programm für
Raffenbygiene‘ befteht aus folgenden chauptforderungen:
..... Ir Yteg stäve Raffenbygiene (Maßnahmen zur Verringerung minders
*.* wertiger Kaffenelgmente):
oes oti Fwnngstosfe Zufammenfaffung gewiffer Verbrecher in Arbeitstolonien,
222.2 Steräliftering minderwertiger Raffenelemente.
II. Pofitive Raffenbygiene (Maßnahmen zur Dermebrung der wert:
vollen Raffenelemente):
1. Innere Rolonifation unter Befichtspuntten der Auslefe. Maßnahmen ge:
gen die Landfluht. Landwirtfchaftlihe Organifationen in Unabhängigleit von
den Städten. Abftufung der Löhne und Steuern nach dem Samilienftand.
2. Mutterfchaftsverficherung. Einführung der Biologie des Menſchen in
Schule und Univerfität, Kampf gegen die heutige vermannlidende Erziehung der
Mädchen und deren Vorbereitung bauptfächlich für die Wutterfchaft.
3. Zentrals und Rontroliftelle für Vervollftändigung und Verbreitung der
Renntniffe über Erneuerung, Befundheit, Ernährung der Bevölkerung, in Der:
bindung mit einem beratenden Ausfhuß für raffenbygienifche Sragen.
III. Propbplattifhe Raffenbygiene (Schug des ungeborenen
Rindes):
1. Rampf gegen die Raffengifte (Gefdledtstrantheiten, Marfotita ufw.),
2. Dorbeugungsmagnabmen gegen Raffenz und Dollstrantheiten, als Pflicht
des Staates,
3. Befundheitszeugniffe vor der Ehe (Rreuzung mit fernftebenden [primi-
tiveren] Raffen ift zu widerraten bzw. zu verhindern),
4. Aufzeichnung biologifcher Daten über die ganze Viation. Einführung
eines Geſundheitspaſſes („Kjennbok“),
5. Einwanderungskontrolle unter biologiſchen Geſichtspunkten. Auswei⸗
ſungsamt.
Dieſes Programm wurde — trotz ſeiner ſorgfaͤltigen Faſſung und trotz ſeiner
Maͤßigung — ſelbſtverſtaͤndlich verſchiedentlich angegriffen, aber J. A. Mjoͤen
konnte den großen Erfolg buchen, daß die wichtigſten Punkte in Norwegen be⸗
reits Geſetz geworden ſind und daß die anderen Ausſicht haben, ebenfalls einge⸗
führt zu werden. Norwegen verdankt dieſen Rulturfortſchritt auch der Unter⸗
ftugung der Gefegesvorlagen dsurd die Minifter Lars Abrabamfen, Johan Caft-
berg und Sriis Peterfen.
Aud im Kampfe gegen den Mißbrauch des Altobols und bei der Sormue
lierung der betreffenden Gefege ift Miden mit Erfolg tätig gewefen.
Unterftügt wurden die raffenbygienifchen Beftrebungen I. A. Midens durch
ein im Laufe der Jahre gebildetes „Llorwegifches beratendes Romite für Raffen-
bygienc“‘, das der „International Federation of Eugenic Organisations“
(Vorfigender Major Dr. Leonard Darwin) angehört.
Der Rampf für raffenbygienifche Ziele wurde von Wijden und feinen Mit:
arbeitern am Vinderens£faboratorium durch eine ganze Anzahl wiffenfchaftlicher
und populärer Schriften geführt und nicht zulegt mit chilfe der von Claͤre Mjoͤen
geleiteten Zeitfchrift „Den Nordiske Race“. Gefchhidt verwertet wurden außers
dem Ergebniffe von Rundfragen, bei denen zablreiche in= und ausländifche Bes
lehrte ihre Anfichten über raffenbygienifche Sragen Außerten; die Ergebniffe wurden
in „Kommentarer til det Norske Program for Racehygiene“ (Mitarbeiter
u. a. Kindfay, Sorel, Darwin, Davenport, Brotjahn, 5. Virchow, £. Sifcher,
1932, 1 ©. Rede, Zum 235 jäbr. Belteben des Oinderens Laboratoriums in Oslo. 3
de Lapouge, Schreiber, £enz, Tollin, Rrobhne) und in „Er den nordiske race
domt til undergang* (Mitarbeiter u. a.: Davenport, €. Baur, Sahlbed, €.
Sifcher, Wille, Madifon Grant, Siemens, Bsborn, Sorel, Heiberg, Lenz, 9%. Pirs
how, Darwin, Ezelliger) zufammengefaßt.
In das raffenbygienifche Bebiet gehört auch die von J. A. Miden kräftig
in Angriff genommene Stage nach den antbropologifchen, gefundbeitlichen und
tulturellen Solgen von Raffentreuzungen beim Hlenjchen; ich erwähne nur
den vor der Berliner Anthropologifchen Befellfhaft gehaltenen Vortrag I. X.
Midens „Harmonifche und unbarmonifche Rreuzungen“, den in „Bolt und Kaffe“
erfchienenen Auffag „Raffentreuzung beim Menfchen“ (Jahrgang 1928, S. 104
und Jahrgang 1929, S. 72) und den Auffat „Norden for de nordiske. Et
forslag fra den norske komité for racehygiene.“ 1925. I. A. Mijden zeigt
an der HYand eigener Unterfuchungen, wie gefäbrlich Raffentreuzungen werden
können, da es bei ihnen immer wieder zu unbarmonifchen Vereinigungen fehr ver-
fchiedenartiger Erbanlagen fommt.
Aud die rein erbbiologifchen Sragen wurden nicht vernadhläffigt, und je
mebr Mitarbeiter das Vinderensfaboratorium im Laufe der Fabre erbielt, sefto
zahlreicher wurden die Unterfuchungen und Veröffentlihungen auf diefem Ges
biete; befonders gepflegt wurden dabei erbpfychologifche Sragen. Don den Ders
Öffentlihungen will ich nur die folgenden erwähnen: J. A. Mypoen ,Hvordan
opstaar geniet (Genius as a biological problem). Review.“ „Den Nor-
diske Race“ 1920; „Zur Erbanalyfe der Begabung. Hereditas. Bd. 7, 1925;
„Analysis of the Component Faculties of Musical Ability, and their
Inheritance“. Eugenics Review. Jan. 1926; „Zur pfpchologifchen Beftims
mung der Mufikalität‘‘. Zeitfch. f. Pfychologie. 388. 27. 1926; „Die Bedeutung
der Rollateralen für den Begabungsgrad der Rinder“. In „Derbandl. 8. V. Ins
ternat. Rongr. f. Dererbungswiffenfchaft“. Berlin 1927. Guppl. II 9. Zeit:
fr. f. induttive Abftammungs: und Pererbungslebre 1928; „Geniet og for-
bryderen som biologisk problem“. In: Religion och Kultur. Jahrg. II.
1931. — Sridtjof Mijsden: „Zur Vererbung pfychifder Eigenfchaften“. Dif:
fertation 1923; „Die Bedeutung der Tonhöbenunterfchiedsempfindlichkeit für die
Mufikalität und ihr VDerbalten bei der Vererbung“. „hereditas, Bd. 7. 9. 2.
1925; — Sridtjof Mijden und Jans Roc: „Vergleichende geneoftatiftifche
Unterfuchungen zu der Abhandlung von Haeder und Ziehen ‚Die Vererbung und
Entwidelung der mufitalifchen Begabung‘. Zeitfchr. f. Pfychologie, Bo. go.
1926; „Die Erblichleit der Mufitalitat, Teil II“. Zeitfchr. f. Pfychologie.
121. %. 1—4. SG. 104— 136. — Hans Rod: „Die Ewaldfche SHörtheorie. Line
Unterfuchung der matbematifchpbpyfitalifchen Grundlagen der Ew. Hörtbeorie...“
Differtation 1927.
Durd die unermudlide Tattraft J. A. Midens bat das VWinderen: Labora:
torium eine außerordentlich reiche und fruchtbringende Tätigkeit entfaltet, die nicht
nur für fein Vaterland Llorwegen von grdgtem Mugen war, fondern aud für
die Entwidelung und Derbreitung erbbiologifcher und raffenbygienifcher Ideen in
anderen Rulturländern.
Und fo entbieten wir, zufammen mit den Raffenbygienitern der ganzen Welt,
dem Dinderen:£aboratorium und feinem verdienftvollen Gründer und Keiter Dr.
Jon Alfred Miden zum 25 jährigen Jubiläum unfern berzlichften Gruß, verbuns
den mit dem WOunfde, daß diefen Sorfchern eine noch recht lange und erfolgreiche
Arbeit vergönnt fein möge!
1*
4 | Dolt und Naffe. 1932, I
Rafjenforfdhung und Yfydiatrie.
Don Dr. med. Hans Burkhardt, Hamburg:Sriedrichsberg.
De pſychiatriſche Forſchung ſieht ſich in beſonderem Maße genoͤtigt, ihre Gren⸗
zen nach verſchiedenſten Richtungen hin zu erweitern. Daß ſolche Beſtrebun⸗
gen Gefahren haben — allzuweites Zuruͤckbleiben des kritiſch⸗empiriſchen Den⸗
kens gegenuͤber dem ſpekulativen — darf nicht verkannt werden. Aber der große
Gewinn, der uns in lockender Ausſicht ſteht, kann nicht erkauft werden ohne viele
Irrtuͤmer: naͤmlich eine Sammlung der ehedem nur nebeneinanderfließenden Stroͤ⸗
mungen wie Raſſenlehre, Ronſtitutionslehre, Charakterkunde und damit eine ver⸗
tiefte und vereinheitlichte „Biologie der Perſon“. In weiteren Kreiſen am be⸗
kannteſten ſind die Verſuche Rretſchmers geworden. Beſondere Beachtung
verdient die Auseinanderſetzung Rretſchmers mit den Raſſenfragen, wie er
ſie neuerdings in „Geniale Menſchen“ gibt.
Solcher Forſchungsrichtung kommt die Anthropologie felber entgegen. Sie
ſtrebt nach immer engerer Fuͤhlungnahme mit den biologiſchen Grundproblemen
wie Vererbung und Ausleſe und ſucht den Begriff Raſſe lockerer und lebensvoller
zu geſtalten. Es genuͤgt nicht mehr Raſſe zu definieren als eine Gruppe von Men⸗
ſchen mit moͤglichſt viel gleichen erblichen Merkmalen, ſondern das Weſen einer
Raſſe iſt, daß ſie als beſondere Anpaſſungsform unter beſtimmten Ausleſever⸗
haͤltniſſen entſtanden iſt und ſomit irgendwelche beſonderen biologiſchen Vorteile
haben muß). Die eine Raſſe hat ſich etwa durch beſondere Geſelligkeitsinſtinkte,
die andere durch Individualismus und Roloniſatoreneigenſchaften bewaͤhrt. Man
koͤnnte die Raſſen als verſchiedene Ronſtruktionsmodelle, mit denen es die Natur
verſucht hat, bezeichnen. Der Anthropologe Scheidt laͤßt deshalb die Trennung
von Ronſtitution und Raſſe, die man fruͤher verſucht hat, nicht gelten. Fuͤr Raſ⸗
ſenforſchung iſt jedes erbliche Merkmal wichtig, alfo vom Mediziner feftgeftellte
Anfaͤlligkeit gegen irgendeine Rrankheit ebenſo wie Schaͤdelform oder Haarfarbe.
Da der Mediziner auf eine ganz beſtimmte Betrachtungsweiſe eingeſtellt iſt (naͤm⸗
lich Anfaͤlligkeit gegen Krankheit), iſt es von vornherein nicht wahrſcheinlich,
daß von ihm herausgeſtellte RKonſtitutionstypen ſich mit Raſſentypen decken. Da
aber in den großen Geſichtspunkten die Einſtellung des Anthropologen von der
des Mediziners nicht grundſaͤtzlich verſchieden ſein ſoll, da auch er, ſogar von noch
breiterer Baſis aus, die biologiſchen Reaktionsweiſen, die Frage der Angepaßtheit
verſchiedener Menſchentypen zum Gegenſtande hat, muͤßte es ſeltſam zugehen,
wenn ſich keine Beziehungen zwiſchen ſeinen Raſſentypen und der Typenlehre des
Mediziners finden laſſen ſollten.
Die Pſychiatrie hat nun im Unterſchiede zur uͤbrigen Medizin mit der Anthro⸗
pologie ein beſonders breites Beruͤhrungsfeld, weil ſie die ſeeliſchen Eigenſchaften
in den Rreis der Betrachtung zieht (daß für die Raſſenforſchung ſeeliſche Eigen⸗
ſchaften von mindeſtens gleicher Bedeutung ſind wie rein koͤrperliche, da ſie ja
fuͤr die biologiſche Angepaßtheit und Leiſtungsfaͤhigkeit eines Menſchentyps aus⸗
ſchlaggebend ſind, iſt uns heute wohl ſelbſtverſtaͤndlich). Eine Darſtellung der
Zuſammenhaͤnge von Geiſteskrankheit und Charakter iſt freilich im Rahmen die⸗
ſer Arbeit nicht moͤglich. Der Nichtfachmann weiß durch Rretſchmer viel⸗
1) Vgl. uͤber dieſe Fragen das Buch des Verfaſſers: „Der raſſenhygieniſche Gedanke
und ſeine Grundlagen.“ Reinhardt⸗Verlag 1930.
— =, ,, SAU ——— —
a ee
— A Te uni. cn. a eS, Es. Re - =e
1932, I Hans Burkbardt, KRaffenforfhung und Pfydyiatrie. 5
leicht, daß man Beziehungen annimmt einerfeits zwifchen dem manifchsdepref:
fiven Jerefein (periodifche Geiftestrantheit mit beiterer oder trauriger Derftims
mung) und dem zyllotbymen (untomplizierten, warmen) Charalter, andererfeits
zwifchen Ler Schizophrenie (affektive Derblodung) und dem fchizotbymen (nicht
unmittelbar fich gebenden, kühlen) Charakter. Die Art diefer Beziehungen ift noch
ftrittig und verknüpft mit vielen nur dem Sadmann vertrauten Srageftellungen
bezüglich der Ylatur der genannten Pfychofen. Angedeutet fei bier nur, daß bei
febr vielen Geiftesftörungen, auch bei foldhen, die durch Außere Einwirkungen
ausgelöft werden, es fi nur um eine Auslöfung von angeborenen Mechanismen,
d. b. von Verbaltungsweifen, die in dem Charakter des betreffenden Wenfchen bes
reitliegen, handelt. Bei einer großen Gruppe von Beiftesftörungen ift der Einfluß
diefer angeborenen Mechanismen, fagen wir alfo des Charalters, fo groß, daß
die Geftaltung der Krankheit und fogar die Srage des guten oder fhlechten Der:
laufes wefentlid von ihnen abhängt. Mit dem Studium diefer Mechanismen
bofft man die Wurzeln des Charalters, die biologifehen Radikale, wie Aretfchs
mer fagt, erfaffen zu können.
So kann man heute fehon einen, wie mir fcheint, befonders wichtigen Charals
terbeftandteil mit dem von Bleuler eingeführten (wenn auch in feiner Bedeus
tung inzwifchen erweiterten) Ausdrude Autismus berausheben. Diefer Begriff
meint etwas Abnliches wie der Rretfchmerfche Begriff Schizotbymie, fcheint
mir aber noch treffender zu fein. Autiftifch wäre ein Wenfch zu nennen, der nicht
in unmittelbarem Uustaufd mit der Umwelt lebt, fondern feine eigene Welt für
fih bat. Autiftifch in krankhafter Steigerung ift vor allem der Schizophrene.
Welches find nun die Beziehungen zur Raffenfrage? Stern=:Piper bat
zuerft die Meinung geäußert, daß die Rretfchmerfchen Charakter: und Kors
perbautypen fich mit den europäifchen Raffen dedten. Die nordifche Raffe entjpräche
dem _ fdhmalwidfigen und fcdizothymen, die ,,dinarifde’ Raffe dem atbletifchen
und fcdizothymen, die ,,alpine Raffe dem breitwüchfigen und zyflothymen Typus.
Ber Gedante war anregend, war aber in diefer Sorm unbaltbar. Es find inzwis
fcen viele Urbeiten, meift ftatiftifcher Art mit oft recht widerfprechenden Lrgebs
niffen über das dadurch aufgerührte Problem erfchienen. Eine Rlärung ift nod
lange nicht erreicht, die Srageftellung an fich aber erwies fich als fruchtbar.
1. Über die Beziehungen von Raffe und Charalter können wir ganz ficher
fagen, daß die nordifche Raffe eine ftarke Kleigung zur fhizotbymen Wefensart,
ich würde lieber fagen zum Autismus zeigt. Befonders fcheint dies für die (chwere
blonde Raffe, die man auc dalifche Raffe genannt bat (ich halte fie nicht für eine
felbftändige Raffe, fondern nur für einen älteren Zweig der nordifchen Kaffe), zu
gelten. Gut getroffen bat diefen Jug, wie id meine, Bryn (Der nordifche Menfch,
£chmann 1929), wenn er von dem nordnorwegifden Menfden fcreibt: ,,MNan
weiß nie leicht, wo man ibn bat, er liefert fich nie ganz aus, fondern bebält immer
noch etwas bei fich zurüd.‘“ Autiftifh könnte man die Siedlungsart des Welt:
falen nennen, der in Einzelböfen lebt. Eine gewiffe Sremdbeit zwifchen Menfch
und WMenfd ıft ein bedeutfamer nordifcher Zug. Flichts feheint mir verkebrter
als eine Wertung, die jeden Zug von Autismus für frankbaft anzufeben geneigt
ift. Die nordifche Raffe ift urfprünglich wobl weniger auf gefelliges Dafein als
auf fachliche und felbftändige Leiftung gezüchtet und ibr Autismus ift ihre bios
logifcbe Stärke und Wurzel ihrer Sübrereigenfchaften. In Mitteleuropa sages
gen fommt eine andere, Beinere, emfig-gefchäftige, aber feßbafte, gefellige, warm:
berzige und febr anpaffungefäbige, offenbar alfo mebr zytlotbvme Wienfchenart
6 Volt und Kaffe. 1932, I
(die fog. „oftifche Raffe‘‘) vor. Die mittellandifde (weftifde) Menfcbenart dagegen
ift wohl wieder mehr fchizotbym geartet (Spanier) und Aretfchmer vermutet
wohl richtig, daß manche Züge der fog. romanifchen (3. B. füdfranzöfifchen) Leb⸗
baftigteit durch Beimifchung „alpinen“ Blutes zu erklären find. Befonders betont
fei aber noch, daß für Südeuropa wie auch für viele andere außereuropäifche Erd:
teile mit dem Vorkommen eines befonderen grazilen Rörperbautppus gerechnet
werden muß, der fih in das Rretfchmerfcdhe Schema nicht obne weiteres eins
ordnen läßt. Einer foldyen Einordnung widerftreben audy vorläufig die dinarifche
vorderafigtifchen Raffenclemente.
2. Was nun die Rörperbautppen betrifft, fo ift, im großen gerechnet, die fol:
gende Übereinftimmung deutlih: Der fcdlantwudfige Aörperbautyp, der dem
fhizotbymen Charakter entfprecdhen foll, ift von jeber für ein Raffenmertmal der
(im übrigen mebr grazilen) mittelländifchen und (im übrigen mebr Rräftiggroßen)
nordifchen Raffe, der breitwüchfige (pylnifche), dem zptlotbymen Charakter ent:
fprechende Typ fur ein foldhes der bypotbetifch angenommenen oftifchen Raffe ges
balten worden. Bewegungsraffen, wie es die nordifche vorwiegend ift, fcheinen,
was biologifh verftandlid ift, allgemein einem fdlantwudfigen und vom bes
babig-gefelligen, sytlothymen Lebenstempo abweichenden Typus anzugebören. In
Deutfchland fcheint nach einer Statiftit Derfchuers breitwücdhfiger Rörperbau
im Süden bei weiten häufiger (3590) als im Florden (1290) zu fein. Saft ebenfo
groß ift der Unterfchied zwifchen Beiftestranten aus München und aus Schweden.
Yiun zeigten freilid) Unterfuchungen diefer Art an Geiftestranten in Munchen,
Schweden (Henkel), der Schweiz (MW yrfc), daß die Shmalwüdhfigsfchizopbhrene
Gruppe in Merkmalen wie Größe, Schädelmaß, Sarbe nicht nordifcher ift als die
breitwüchfige derfelben Landfhaft. Das berechtigt aber nicht zu dem Schluffe,
daß die Rretfchmerfchen Körperbautypen mit der Raffe nichts zu tun haben,
fondern nur, daß fie fih nicht in Roppelung mit den bisher in der Raffentunde
maßgebenden Merkmalen vererben. Ob fie in höherem Maße als diefe bei der
einzelnen Raffe variieren können als diefe, muß erft noch unterfucht werden. Den
Begriff einer ftreng erbgleichen Raffe erkennt man heute fowiefo mebr und mebr
als eine unwirkliche UWhftraftion an. Bemerlt fei auch, daß der Rretfchmerfce
„Idealtyp des fhmalwüchfigen Menfchen der Aftbeniker ift, ein Ertremtyp, der
der biologifchen Florm keiner Raffe entiprechen kann, möglicherweife nur durch
Mifhung zu ftande kommt und vielleicht durch größere Kleigung zu kurzer, wenn
auch dabei fchmaler Ropfform und Duntelbaarigkeit als andere mebr im Bereiche
gefunder Llorm liegende fhmalwüchfige Aörperbautppen die Statiftit beeinflußt.
Dafür fprechen die Unterfucdhungen Sagemanns an Rieler Geiftestranten. Er
nabm bei einer Statiftit von Geiftestranten die aftbenifde Gruppe fur fic und
konnte zeigen, daß keineswegs diefe Gruppe, wohl aber der aftbenifch-atbletifche
Mifchtyp an Ropfform und Sarbe weitaus am ausgefprodenften nordifde Mert:
male aufwies.
3. Endlich bat man felbftverftändlich die Haͤufigkeit der verſchiedenen Geiſtes⸗
ftörungen in verfchiedenraffigen Gebieten geprüft. Zundchft wieder ift nach
enkel die fhizopbrene Gruppe in Schweden wefentlich größer als in Munchen.
Sur Deutfchland tann es heute als gefichert gelten, daß das maniſch⸗depreſſive
Jerefein überhaupt, befonders aber die „ftilreine‘ Verlaufsform diefer Krantbeit,
von Süden nach Klorden zu wefentlich feltener wird. In Hamburg ift diefe Aranl:
beit eine außerordentliche Seltenbeit. Rittersbaus konnte zeigen, daß von 11
einwandsfreien Rranktbeitsfällen in Jamburg=Sriedrichsberg nur 3 Arante nieder:
oc: I ga A I ig, SO A, og, Ne — — —
—- A ee, ee | ee, ee ER, ... ee, <n, SR...
=]
1932, I Fans Burkbardt, Raffenforfhung und Pfychiatrie.
fächfifcher Abftammung waren. Den nordifchen Raffetyp fieht man zweifellos
am bäufigften unter den ftillverlaufenden Scizopbrenieformen und allenfalls bei
gewiffen depreffiven Erkrankungen, deren Zugehörigkeit zu größeren Pfychofes
gruppen oft fchwer zu beftimmen ift. Auffallend ift die große prozentuale
Szaufigkeit der Schizophrenie in der Schweiz. syier entfprechen die Schizophrenen
nad Wyrfds Unterfuhungen keineswegs dem nordifchen Typ. Mandes fprict
dafür, daß in der deutfchen Schweiz das fchizotbyme Element ftärter vertreten ift
als im übrigen Süddeutfchland. Vielleicht ift auch ihre Zugehörigkeit zur protes
ftantifhen Glaubensform in diefem Sinne deutbar. Daß fchizotbym und nordifch
Beine fich dedenden Begriffe find, ift felbftverftandlid. Mande fdhizotbyme
Sonderart könnte ähnlich wie auf körperlichem Gebiet der aftbenifche Habitus
als Ergebnis befonderer WMifchungsverbältniffe erklärt werden. Hier find nod
viele Srageftellungen verborgen.
Sonftige raffenpfycbiatrifche Beobachtungen weniger fpftematifcher Art follen
im folgenden noch Erwähnung finden. Mehrfach ift vermerkt worden, daß Rrant:
beitsbilder depreffiver Särbung im Unterfchied zu den manifchen bei den gers
manifden Völkern viel bäufiger feien als bei den romanifchen und flawifchen.
Das gleiche gilt fur die Selbftmordneigung. Don allen europäifchen Ländern ftebt
bier Dänemark an der Spige. In Baden und in der Rheinpfalz follen manifche
Bilder wieder häufiger fein als etwa in Württemberg. Flab Runge zeigt
Syolftein dagegen ausgefprochenes Dorwiegen der Depreffionen. Wlan wird alfo
feftftellen, daß wohl eine Beziehung beftebt zwoifchen ftillerer und rubigerer Volkes
art und Lleigung zu gemütlicher Depreifion. Rofenfeld erwähnt von den
medlenburgifden Aranten, daß fie im Vergleiche zu elfäffifchen ein viel felteneres
Vorkommen hyfterifchen Bewegungsdranges und lebhafter Erregungszuftände
zeigen. Rraepelin betonte die größere Fleigung zu Gewalttatigteit bei Geiftes-
kranten aus ©bers und Lliederbayern verglichen mit folden aus Gacdfen. In
Thüringen und Stanten foll die Kleigung zu byfterifcher Reaktionsart bäufig fein.
Binswanger wies auf die häufig gefteigerte Affektlabilität und die damit in
Zufammenbang ftebende Kyäufigkeit von „Mifchpfychofen“ in Thüringen bin.
Don großem JIntereffe ift auch die Unterfucung judifder Geiftesftorungen,
fiir die vielfad) Abnlihe Erwägungen gelten wie fie Binswanger fir die
Pſychoſen der Thüringer anftellt. Verfaffer glaubt in einer Arbeit zeigen zu
können, daß die geringe Fleigung der Juden zu autiftifcher Lebenshaltung auf der
einen Seite, auf der andern Seite aber eine gewiffe feelifehe Rompliziertbeit und
Unrube, die fie von dem zpllotbymen Charakter ebenfoweit abrüden läßt, einen ge:
wiffen Einfluß auf die Beftaltung der judifchen Pfychofen bat.
Atypifdhes GBeprage zeigen nad Gaupp aud verhältnismäßig bäufig
Geiftesftdrungen ser wirtfdaftlid gehobenen Sdidten. Man wird dies zum
Teil mit den vielfeitigen geiftigen Säbigkeiten, zum Teil mit geringerer Bodens
ftändigkeit und dadurch ftärkerer „Mifchblütigkeit‘‘ im weiteften Sinne bei diefen
Schichten in Zufammenbang bringen. Umgelebrt ift die Epilepfie ganz deutlich
(Ausnabmen gibt es natürlich) mebr eine Krantheit geiftig primitiverer Bevdlle-
rungsteile. Dazu ftimmt es, daß fie bei Juden auffallend felten vortommt und
wie Lange anfübhrt bei Klegern viel häufiger als bei Weißen.
Im übrigen ift unfer Wiffen über Pfychofen bei außereuropäifchen, vor
allem primitiven Völkern ein febr dürftiges. Das Studium folder Pfycofen
wäre eine fehr wichtige und dantbare Aufgabe, ftellt aber fehwierigfte Anforde:
rungen. Dor allem müßte eine genaue Renntnis der Sprache und Gebräuche des
8 Volt und Raffe. 1932, I
EEE VE EEE ——
Landes vorausgeſetzt werden, um uͤberhaupt Weſentliches von Unweſentlichem
unterſcheiden zu koͤnnen. Von den Negern heißt es, daß ſie zu maniſchen Krank⸗
heitsbildern neigen, was zu ihrer naiv⸗lebhaften Natur auch gut paſſen wuͤrde.
Eine gewiſſe Beruͤhmtheit hat eine Studie Rraepelins über Pſychoſen bei
Malayen auf Java erlangt. Er glaubt ein faſt voͤlliges Fehlen der depreſſiven ge⸗
genuͤber den maniſchen Krankheitsbildern und einen inhaltlich ſehr armen Ver⸗
lauf (faſt keine Wahnideen) der ſchweren Geiſtesſtoͤrungen feſtſtellen zu koͤnnen.
Ahnliches ſoll auch fuͤr andere primitive Voͤlker gelten. Endlich wurde die
Rretſchmerſche Lehre uͤber die Zuſammenhaͤnge von Kérperbau und Geiftess
ſtoͤrung bei verſchiedenen Voͤlkern (Agyptern, Tartaren) nachgepruͤft und bei diefen
im ſelben Sinne wie in Europa beſtaͤtigt gefunden. Zu Unrecht hat man auch
hieraus zu ſchließen verſucht, daß dieſe Roͤrperbautypen, weil ſie faſt uͤberall vor⸗
zulommen fcheinen, mit Raffe nichts zu tun haben koͤnnten. Wir wuͤrden aber
aud) lang: und kurzköpfige Wienfchen unter allen heutigen Völkern finden. Es
gibt kein Landgebiet, wo nicht verfchiedene Raffen fich überfchichtet haben, febr
haufig wohl in der Weife, daß eine mehr feßbafte Stammbevslkerung von einer
oder mehreren Bewegungsraffen überfpült und durchfetzt wourde.
Der Lefer diefer Arbeit wird bemerkt haben, daG alle unfere Annahmen auf
nod lange nicht geficherten Boden fteben, vielleicht ift es aber gelungen, ibm zu
zeigen, daß die Bearbeitung diefer Probleme von weittragendfter Bedeutung ift und
daß bier verfchiedene Gebiete der Wiffenfchaft fich überfchneiden, auf deren engfte
Sufammenarbeit es ganz und gar antommt. Dor allem aber ift die teilweife
allerdings felbft noch im Werden begriffene pfpchiatrifch begründete Charalters
funde fdhon beute keinem mebr entbehrlich, der fich mit Sragen der Raffenforfdung
oder Stammestunde auseinanderfegen will.
Über den Zufammenbang von Lanöfchaft
und Weenfd).
Yon Ewald Banfe.
Mit 4 Abbildungen und 2 Stridseicnungen.
A feit Herder fteben fic in der Beurteilung der Beziebungen zwifchen
Landſchaft und Menfd zwei Anfichten gegenüber. Die ältere glaubt nicht
an einen Zufammenbang, entweder weil fie gar nicht darüber nachdentt oder weil
fie den Menfchen für einmalig nimmt und erdlicher Bindung entzogen. Die neuere
behauptet eine Abhängigkeit des Mienfchen von der Landesnatur. Jede diefer beiden
Meinungen enthält allerlei Wabres, aber keine trifft den Kern der Stage. Ls ift
don richtig, daß ein menfchlicher Leib bei der Derfegung in ein anderes lature
gebiet nicht verändert wird, obwohl das oft und oft vorgegeben und nun gar für
das nddfte, dort fdyon geborene Befchlecht nachzumeifen verfucht wird. Und es
ift fehon richtig, daß die wirtfchaftliche und fiedlerifche Tätigkeit von der Landess
natur in beftimmte Bahnen geleitet wird. Aber hierin liegt ja gar nicht das "Jauptz
tüd der Aufgabe, fondern diefes ift mehr feelifcher Art. Das ift in der Richtung
zu verftehen, daß die Landfchaft nicht durch ihre Landformen oder ihr Pflanzen
Heid, fondern durch ihre Luft und deren Erfcheinungen auf das Flervenneg des
1932, I Ewald Banfe, Über den Fufammenbang von Landfdaft und Menfd. 9
Rörpers und damit auf das feelifche Verhalten des Htenfchen Einwirkung nimmt.
£uftundLlierven finddie Brüudezwifhen Landfhaft uns Menfc,
und diefe Bride ift fo feft gefügt und es findet über fie ein fo ftarker und ein fo
ununterbrochener Verkehr ftatt, daß man fich wundern muß, daß dies bislang nie
cecht erlannt worden ift, von Beograpben nicht und von Anthropologen nicht und,
ich vermute, von Pfiydhologen fdhon gar nicht.
&s wäre nun falfch zu vermeinen, diefe Brüde wäre als Verbindung zwi⸗
Idyen zwei einander völlig entgegengefegten, wohl gar feindlichen Elementen ges
jdlagen worden und fie fei nur ein Mittel, nur Derfuch zu einer Verftändigung
zwifchen beiden. Weit gefeblt! Dielmebr ift fie der letgte Reft einer vor Zeiten viel
engeren Bindung, ja der letzte Strang eines vormaligen Einsfeins. Alles Leben
ft irgendwann einmal dem Boden und der Luft entfproffen und hat fic in den
verfchiedenen Alimabreiten von Ur an verfchieden entwidelt; foweit es aber durch
Wanderungen in andere Rlimagürtel gelangt ift, trägt es die Prägeform des
urfprünglichen Heimatllimas äußerlich verändert, aber doch unverlierbar und uns
verfennbar an fid. Bleiben wir beim Menfchen, fo ftebt zu vermuten, daß feine
dlteften Entwidlungsformen der Klatur noch eng verhaftet waren, daß er ihr —
wie es beim wilden Tiere noch heute der Sall ift — willenlofer gegenüberftand oder,
beffer bemerkt, felbftverftändlicher angehörte. Er trug damals die Kinflüffe feiner
Eandfchaft ganz offenkundig zur Schau, er war wie weiches Wache, in dem fich
die Landfchaft abdrüudte und reliefartig ausprägte. Seine fchlummernde Seele,
ihrer felbft nocdy nicht bewußt, ruhte in der Landfchaft und zeichnete echoartig auf
deren Rufe und Klänge.
Die auffallendfte Kenntlidmadhung diefer in ihren Einzelheiten uns unbes
kannten Tatfache ift der Sarb:, Sorm: und Charalterunterfdied zwifchen dem
Weifen und Schwarzen. Die Sarbftoffeinlagerung in der fhwarzen Haut konnte
nur in einem beißen und fonniggrellen Rlima entfteben, da das weiche Wachs des
Plervenneges zum Werden ihrer bedurfte und nur unter ihrem Schutze lebens»
fabig war. Aber eine feinere Ausbildung der Klerven vermochte fie nicht zu ers
reichen, die wurde durch die brutale Araft der Sonne trotden behindert. So vers
blieb der Schwarze auf niedriger Stufe, und feine ganze Art blieb der bloßen
Sriftung der mehr tierifchen, wenn man fo will, vegetativen Aufgaben verbaftet.
Seine kräftigen Riefer und feine Meinere Gebirntapfel und fein dumpfer, umfanges
ner Blid, die Sorglofigkeit und fchrantenlofe Hingabe an Augenblidsftimmuns
gen find die Solgen diefer Elimagetrennten Entwidlung. Jm Gegenfatze dazu
vermodte fid) die Sarbftoffarmut der weißen Haut lediglich unter einem kühlen
und bededten Himmel auszubilden, da das weiche Wachs des Llervenbaues bier
des Sonnenfchuges einer Sarbftoffeinlagerung bedurfte und fich trogdem auf das
allerfeinfte ausbilden konnte. Deshalb vermochte fich der Weiße verftandesmäßig
über die einfachfte Lebensaufgabe der Primitiven, das Leben fchlecht und recht zu
friften, zu erheben und Iöfte fich damit auch feelifch mehr von der Umgebung ab.
Seine f[höngewälbte Ropfform und feine gebaltenere Rieferausbildung und fein
bewußterer Blid, feine beforgte Art der Lebensauffaffung und feine Überlegenbeit
in allem Denten und Trachten und yandeln — das alles find Ausflüffe einer
Himageförderten Entwidlung.
Wichtig ift, zu verfteben, daß diefe Entwidlungen und Entwidlungsunters
fchiede zeitlihh unendlich weit zurüdliegen und nur auf Stufen feelifcher Linges
wedtbeit fich begeben konnten. Daß aber die auf diefe Weife einmal erzielten Ers
gebniffe einigermaßen unabänderlich und, wenn man dies Wort vorfichtig aus»
10 Volt und Kaffe. 1932, I
jprechen darf, ewig bleiben dürften. Sür fämtlihe Mifchfarben — ein Zigarrens
macher würde fie Seblfarben nennen — gilt das Gefagte nicht, denn fie find Solgen
eingetretener Dermifhung von Hell und Duntel. Sie haben mit der Landfchaft
an fich nichts zu tun und find bodftens als Anpaffungen an verfdiedene Lands
Ichaften zu verfteben. Wie wenig die jeweilige Landfchaft auf fie von Einfluß
ift, erfennt man leicht daraus, daß alle braunen Blendlingspölter ungefähr (und
nur ganz roh gejagt) die gleiden Charattereigenfcaften befigen, gleihgültig ob
fie in Afrika oder Amerika oder Afien oder der Südfee oder am ewigen Life wohnen.
£8 ergibt ficy weiter, daß man bei der Beurteilung des inneren Verbältniffes
swifden Landfcdaft und Menfd genau unterfceiden muß zwifchen Raffetum,
das in der Landfchaft feiner Raffewerdung lebt, und foldyem, das in fremde Lands
(haft ausgewandert ift. Erfteres trägt die innere, jabrzehntaufendealte Derbundens
beit arer zur Schau als letzteres. Ja in diefem wird fid) fogar ein Gegenfat
zwifchen Landfchaft und Seele ergeben, der nicht überbrüdt ift und wohl auch nie
überbrüdt werden kann. Denn eine Raffe trägt die Projektion ihrer Urlandfchaft
in ihrem feelifchen Lichtbilde unverlierbar und unverwifchbar mit fich berum,
wobin aud immer fie auf ihren Wanderungen geraten mag. Die braunen Hirten:
ftämme der innerafritanifden Gavanne verbalten fic) ganz anders zu ihrer Yyeimat,
die fie 3. T. doch fchon etliche Jabrtaufende innehaben, als die fhwarzen Aderbauer
am Gaume der Galeriewdlder der gleichen Umgebung. Diefer Unterfchied ents
fpringt nicht der verfchiedenen Befchäftigung (die zudem auch die gleiche fein ann),
fondern diefe Beichäftigung gebt aus andersartiger Einftellung zur glutbeißen
Gavanne und ihren Lebensbedingungen hervor. Die Abftämmlinge der bellen
mittelländifchen Raffe, als welche jene feit der Jungfteinzeit fudwärts gewander:
ten Hirten aufzufaffen find, konnten oder mochten fidh ibrer unter küblerem (nicht
kaltem) Himmel geprägten Befeeltheit balber nicht anders in die drüdende Glut
der Tropen einzufügen denn in Geftalt des Wanderbirtentums, das dem Lande
weniger eng verbaftet ift als das Pflanzertum mit feiner mitleidlos engen Derz
Inchtung an den Boden und feiner berrifchen, ja dort geradezu brutalen Gefte.
Wanderbirtentum ift dortzulande die einzige Möglichkeit, einigermaßen ledig zu
bleiben des Sllavenfinnes und der Abhängigkeit von Sron= oder Derdummungs-
arbeit.
Die Raftengefege der indifden Arier, die als eines der hervorragendften Renn:
male Dorderindiens gelten, baben mit Jndiens Klatur nicht das geringfte zu tun,
fondern gingen aus der Beforgnis ser bellen Oberfdidt vor Dermifdung mit
der „nafenlofen dunklen Haut hervor, entfprangen alfo einem Geifte, der im
Abendlande feine Entwidlung erfuhr. Außerdem famen fie erft in den Jabrbunders
ten furs vor unferer Zeitrechnung auf, fo daß alfo das frühere Indien diefer heute
fo bezeicdhnenden Einrichtung entriet.
Blidt man in diefer Weife genau zu, fo laffen fich bei den meiften Völkern
der Erde zablreihe Eigenfchaften und Einrichtungen nadhweifen, die mit sen Bez
öingungen ihrer gegenwärtigen Umwelt in offenbarftem Widerfpruce fteben
und die Meinung der üblichen Geographie von der volllommenen und unbedingten
Abhängigkeit des Menfchen von feinem Wohnraume nur zu oft Lügen ftrafen,
wenn nicht einfach lächerlich machen. Tieferes Eindringen ift freilich nur dent:
bar, wenn man nicht allein die Außerlichkeiten des Völkerlebens betrachtet, fondern
die Unterfudung auch auf die feelifche Struktur ausdebnt. Der Sat der Geoz
grapben ift falfch, wenn fie fagen: Diefes Dolk ift fo und fo, alfo mug das in
der Landesnatur begründet fein. Sie follten vielmebr fagen: Diefes Volt ift fo
1931, I "Ewald Banfe, Uber den Zufammenbang von Landfdaft und Menfd. 11
und fo, wie kommt es, daß es troßdem in einem folchen, ihm vielfach offenbar zu:
wideren Lande wobnt ?
Um nun nicht weiter bloß Lebrfätze vorzubringen, foll an zwei Beifpielen die
Meinung ausgeführt und geftaltet werden. Gewählt feien das Germanifche Abend:
land und das Morgenland. Leider ift es wegen der Anappbeit des dem Schreiber
diefer Zeilen zur Verfügung ftebenden Raumes nicht möglich, den Gedankengang
an den beiden Beifpielen lüdenlos durchzuführen. Der Kefer muß fich mit einem
bloßen Umriffe zufrieden geben. Im Abendlande ift feelifche Bindung eng und
organifch, deshalb auch folgerichtig und ftarke Elemente des Aufbaus enthaltend.
Im Morgenlande aber ift fie eng und unorganifch, deshalb nicht folgerichtig und
obne Syinleitung zu Auf= und Weiterbau.
J andfdaft und Menfh im Germanifdhen Abendlande. Diefer
Raum umfaßt den nördlich der Alpen gelegenen Teil Europas, der fich rund
um YTord: und Bftfee fehließt. Lr beftebt in der Mitte aus den genannten Meeres⸗
Germanisches Abendland
Nord: u. Ostsee
Tief-u. Hügelland
Bergland
Oo
—— —
flächen, in einem darum gelagerten Ringe aus Tieflandſtücken, die vor der Ent—
ſtehung der beiden Meere eine Einheit gebildet haben, und in einem aͤußeren Ringe,
wenn man von der Oſtſeite abfiebt, aus Bergland. Der Raum ift alfo ein auf fic
angewiefenes Ganzes, deffen einzelne Länder durch die See verknüpft und defjen
einzelne Landesteile durch Slußniederungen, die von rundum zur See binftreben,
untereinander und mit der See verflochten werden. Die Gejamtbeit fiebt fic
12 Dolf und Raffe. 1932, I
rein topograpbifd als eine gefchloffene Einbeit von rundlicher Geftalt an, ift es
aber aud) morpbologifh. Tro der grundfägzlichen Derfchiedenbeit des Sormen=
fchatzes, der von Meer und Ebene über Hügelei und Bergland bis zum KHocge:
birge wechfelt, tritt nämlich als berrfchende Sorm fat überall die Ebene auf, fei
diefe nun tifchflach oder fei fie, wie dod allermeift, leicht gewellt. Beim Meere
ift dies felbftverftändlich. Die platten Ebenen und die niedrigen Hugellander ere
Haren fich durch Auffebüttung loderer Gebirgsabfhbwennmungen oder Gletjcher:
ablagerungen. Die welligen Gebirgsplatos aber find Teile des eingerumpften
Abb. }. Standinaviſche Schrotbolztirde in Borgund, Hardanger.
Dariszifcen Altgebirges, das fpater zerbrocen und in feinen Scollentrummern
ungleich geboben wurde. Wenn die daraus entftandenen Zinzelgebirge nun auch
an den Rändern tiefzertalte Bergwände bilden, fo näbern fie ficb doch in ihrem
noch wenig angefreffenen Innern der Sorm welliger Ebenen. Selbft in manchen
Teilen der Alpen, in Sonderbeit in dem öftlichen Teile, und noch mebr in More
wegen ift dies Ser Sall. Die deutfchen Mittelgebirge befteben geradezu aus zwei
verfchieden boben, in fich aber flachen Stodwerken: den breiten Talboden unten
und den KHochplatos oben.
Das Germanifche Abendland erfcbeint uns alfo als ein zumeift flacher, aber
reichgegliederter, ftark bewegter und gut aufgefchloffener Raum von ftraffem Juz
fammenbalte des Ganzen. yierzu kommt nun noch ein anderer, nämlich Elimati=
fber Dorzug. Der Erdteil ift im Winter ganz bedeutend wärmer, im Sommer
aber nur wenig wärmer, als es der Sonnenerwärmung in unferen Breiten ent=
fpricht. Während die geringe fommerliche Überwärmung nichts fcbadet, ift die
bobe winterlicdbe Überwärmung ein gar nicht genug zu preifender Vorzug, der
nirgends auf Erden wiederkebrt. Sie beträgt nämlich im YTordweften um 20°
und vermindert fich fUdoftwärts, und zwar erft an der unteren Donau, auf 0°. Die
1932, I «Ewald Bänfe, Über den Zufammenbang von Landfdaft und Menfch. 13
EEE FREE Du as Er Er Er rt rn Br ee EEE En u nn ru ze WIDE SEGA —— —
Urfache liegt im Fordwärtsdringen des Golfftromes aus dem Atlant ins Lis-
meer und in der Überwebung des Germanifchen Abendlandes mit milder, feuchter
Seeluft, die es bewirkt, daß die Winterwarme von Weft nach Gft, nicht von
Hord nah Süd abnimmt. Die Weftküfte KTorwegens bis zu den Lofoten binauf
bat im Januar Temperaturen, die weiter öftlich erft wieder am Schwarzen Meer
und unweit von Tokio auftauchen, während das in gleicher Breite mit den Lofoten
gelegene Klordoftfibirien den Rältepol mit —50° bat. Die Bedeutung diefer Eli:
matifdhen Bevorzugung beruht darin, daß der Gürtel kühlen oder gemäßigten
Abb. 2. Llorwegifhe Landfhaft (Budbrandedal).
Klimas bier und nur bier um ungefähr zwanzig, im Winter fogar um dreißig
Breitengrade polwärts vorftößt, alfo viel breiter ift als fonftwo auf Erden. So
Öffnet fich bier ein ungemein geräumiges Seld, in dem der Alenfch nicht durch über:
ftrenge Winter abgefchredt oder ein halbes Jahr lang aus der KTatur ausgefchlof:
fen wird — ein Seld, in dem der Winter vielmebr nur wenige ITonde dauert und
oft nur für Wochen die Tätigkeit im Sceien unmöglich macht — ein Seld, das
Getreides, Gemüfe:, Rartoffelbau bis in ziemlich bobe Breiten binauf gewäbrt
und bier entwideltere Lebensweife verftattet als nur Sifcherei, Jagd und Ren:
tierzucht — ein Seld, das damit alfo auch dauerndes Siedeln an fefter Stätte an
Stelle von KTomadentum erlaubt. „yierdurch entftebt die AMiöglichkeit, daß der
Menfd zu boberen Entwidlungsformen gelangt und nicht unbedingt von der
Vatur verfnedhtet wird. Sur Landfdaftsbild und Wirtfchaftsart ergibt fich aus
dem von der Seeluft fo ftark beeinflußten Klima, weldbes Regen zu allen Jabres:
zeiten befchert, ferner, daß, wo nicht febr durchläffige Böden entgegen find, reicher
Pflanzenwuchs überall und in zufammenbängendem Teppich ergrünt, und zwar
Wald und Heide, Wiefe und Moor. Dies ermöglicht für den Menfeben den fiche-
ren Betrieb der Landwirtfchaft allerorten, da der LTiederfchlag zur Ernäbrung
14 Volt und Kaffe. , 1932, I
EEE Tr a EN a a ee ED)
aller Pflanzen ausreicht, und es läßt die Befiedlung des Raumes in gleichmäßiger
Dichte zu, die eigentlihe Wohnwüften nur im SGochgebirge kennt.
In foldyer Landfchaft von grüner Bewachfenbeit und blauer Sernenfülle, von
tublgrauer Bededtheit oder blauweißer Wollengeziertbeit des Himmels, von fols
her Trächtigkeit der Pflanze und Weider, der Siedlungs: und Entwidlungsmögs
lichteiten bat fich die weiße Raffe gebildet. In einer Ylatur alfo, die durch
Arbeit erft ihre Gaben erfchließt, die Aufgaben fett, die fich erft einer geiftigen Ans
firengung ergibt, die ein feelifches Ringen um fich verlangt. Es wird nicht bes
bauptet, daß die fchöpferifchfte Kaffe der Erde nur und allein im diefem bevors
zugteften Raum der Erde entfteben Bonnte — aber fie ift bier entftanden, und
ver in Faturwerden und Menfchengefcheben mebr als blinden Zufall erblidt, der
wird dod) ftugig.
Wenn wir von der oftifchen und oftbaltifden Raffe, von den Mongolen und
Dinariern und aud von der mittelländifchen Raffe als von Zumwanderern aus Sremd=
land und von Anpaffungen an unfern Raum abfeben, fo handelt es ficy für uns nur
noch um die nordifche und fälifche Kaffe, die bier entftanden find und die wir kurz:
voeg als Weiße zufammenfaffen. Ihr Verbältnis zum Raume und feiner Sands
fhaft und feinem Rlima und feiner Bewachfung und feinen Möglichkeiten ift eng
und fachlich. In erfter Linie beruht es auf der Problematik der KTatur. Diefe ftellte
von vornherein Aufgaben, die zu löfen und zu bewältigen waren und an denen
jedes andere Raffentum, foweit wir von deffen heutigen Erfcheinungsformen wiſ⸗
fen, geſcheitert waͤre. Nur ein erfinderiſch veranlagter Raſſengeiſt konnte ſich dieſer
Natur gegenuͤber als eine eigne Macht behaupten, jeder andere waͤre ihr Sklave ge⸗
worden. Nur ein ſolcher vermochte die landwirtſchaftlich notwendigen Geraͤte zu
erſinnen, voran den wirkſamen Raͤderpflug und den Wagen, nur ein ſolcher die
Tiere zu Arbeitsgefaͤhrten umzuzaͤhmen, beſonders Pferd und Rind. So bildete
ſich eine ausgeſprochene Schoͤpferkraft heraus, da das Gewebe des Nervennetzes durch
Beſtrahlung nicht geſtoͤrt, durch Bedecktheit vielmehr beruhigt wurde, da weiter
der Geiſt immerwaͤhrend angeregt und beſchaͤftigt wurde, da er geſtuͤtzt auf aus⸗
reichende Hilfsmittel der Natur die Moͤglichkeit dauernder Verbeſſerung finden
konnte und da die Durchgängigkeit des Raumes ftetigen Austaufch von Erfahruns
gen ermöglichte und damit zu ewiger Derbefferung und Vollendung anregte.
Bewiß, dies alles mußte vielleicht nicht fein und fommen, aber es ift nun
einmal fo gewefen und ift fo gelommen. Alles was fonft über die weiße Kaffe
gefagt wird, alles was darin über ihr Fliezufriedenfein mit dem Beftebenden und
ibr ftetes Beffermadenwollen — und das ift doh Schöpfertraft — binausgebt,
das feheint uns nicht ihr ureigentumlich zu fein und ift nicht aus der Befumtlands
fchaft des Raumes zu erklären. Wegen des Seblens von Pla kann an diefer
Stelle nicht darauf eingegangen werden.
andfdaft und Menfdh im Morgenlande. Diefer Raum umgreift
Yordafrita und Vorderafien. Er ift in entfcheidenden Dingen dem vorigen
durchaus entgegengefetzt. Er erftredt fi über feine Ausdebnung bin als Sefts
landsmaffe, Neer aber tritt nur an feinen Rändern, und nicht einmal an allen auf.
Damit fehlt den Erdteile ein feine Teile vereinendes, ein von allfeits zugängliches
und cin bequem verbindendes KZlement, denn eine große Seftlandsmaffe zerfällt, zus
mindeft in Voreifenbabngzeiten, in eine Anzabl Räume, deren jeder feine Beziehuns
gen in fich bat und Verkehr böchftens noch mit feinen LTachbarräumen pflegt,
von deren Llachbarräumen aber durch zu weite und zu fehwierig überwindbare
- in _ „BER.
— — — — — PU N — =
1932, 1 Ewald Banfe, Über den Zufammenbang von Landfdaft und Menfd. 15
Entfernungen getrennt wird. Diefe im Seftlandscharalter an fich begründete FTei:
gung zum Zerfall des Ganzen in Teile wird beim Morgenlande im befondern
durch Erfcheinungen des Bodenbaus und des Klimas verftärkt.
Der Aufbau des Raumes beftebt vorwiegend aus Tafelland, d. b. jöblig ge:
lagerten Gefteinstafeln, welche die Meigung baben auf weite Slächen bin fich
nicht zu verändern; nur gelegentlich bildet eine Stufe oder aber ein Tal eine Unter:
Morgenland
JiedelleereWiste [_1 SiedelanrmeWüste IM Wich£igsteStedelgebiete
ee Grenze des.Erdteils Morgenlaod
brecbung, und es kommt nur felten vor, daß Infelberge auftragen. Richtige Ges
birge, die durch Auffaltung oder Schollenbruch entftanden find, gibt es zwar,
allein fie liegen in den nördlichen Teilen gefondert und umjchließen ftets weite Auf:
fbuttungshodflachen. Es wiederholt fich alfo eine Erfcheinung, äbnlich jener
des Abendlandes, daß die Landform der Ebene allerwärts beftimmend ift, gleich:
gültig um welche Wieeresböbe es fich handelt; die Ebenen des Wlorgenlandes find
weniger gegliedert und machen eber einen tifchplatten Eindrud.
Das Rlima ift ein heißes Trodenklima, da der Wind zumeift von Viorden
ftebt und deshalb nur an den Klordfeiten der Gebirge größere Regenmengen nieder:
fcblagen kann. Im weitaus größten Teile des Raumes ift es fo regenarm, daß
der Boden nicht zufammenbängend bewachfen ift, ja vielfach vollig kahl bleibt.
MWüfte und Steppe berrfchen vor, Wald tritt nur auf etlichen Gebirgen infel:
formig auf. In Solge deffen wird der Zerfall des Erdteils in Einzelräumenament:
lich durch die Verteilung der gewaltigen Wüften, die unbewobnbar und nur fchwer
überfchreitbar find, verftärkt. Aber auch die nicht weniger Eleinen Steppen ver:
nichten ibrerfeits die Reime größerer Zufammenbänge, trennen die vereinzelten
und febr Heinen Gebiete möglichen Aderbaus und legen den Grund zu der großen
Spaltung orientalifcher Alenfchbeit in Seßbafte und Schweifende, swifcben denen
3 keine Brüde der Verftändigung gibt und die wie fremde Welten nebeneinander
berleben auch da, wo fie die gleiche Sprache fprechen und in friedlichen oder Eriege-
rifchem Austaufchverkebr fteben.
Der Schauplatz fefter Siedlungen ift von Yiatur aus ganz Bein, denn er
det fich böchftens mit dem freien Waldwuchje, wo allein der Fiederfchlag für
16 Volt und Raffe. 1932, I
befcbeidenere Rulturgewächfe ausreicht. Der Menfd bat ibn aber 3u vergrogern
verftanden dadurch, daß er lodere Böden durch künftliche Bewäfferung, alfodurdh
Regenerfag, fruchtbar machte. Dies find die Oafengebiete, in denen freilich nur
durch angeftrengtefte Seld- und Beriefelungsarbeit Lrgebniffe zu erzielen find.
Die morgenländifche Landfadaft fegt fich alfo aus drei ftreng voneinander ge:
fhiedenen Sormen zufammen: aus der Wüfte, die auf die Ebaralterprägung der
ortentalifdben Nenfadbeit an fic obne Einfluß ift — aus der Steppe, die den
Wanderbirten gezüchtet bat — aus der Bafe, die den Sellachen berangebildet bat.
Abb. 3. Sandwöülte.
Die Steppe ift dürftiges Gras: und Rrautland mit heißer, aber gefunder Luft.
Wegen ibrer kurzen Srüblingsregenzeit und ibrer langen Trodenzeit fowie wegen
ihrer wenigen Wafferftellen müffen die Herden das ganze Jabr bindurch in Be-
wegung fein und immer neue Weidepläge auffuchen. Die Hirtenbevölterung tft
deshalb rubelos und feclifch auf ununterbrochenes Erwerben und Verteidigen neuen
Raumes eingeftellt. Sie ift, obwobl fie keinen Seren anerkennt, durchaus nicht
gefeglos, denn jeder Stamm wandert auf einer beftimmten Linie, die er vor ande:
ren Stämmen zu verteidigen fucht. Einzig gegenüber den Sellachen der Bafen:
gebiete gilt unbedingt das Recht des Stärkeren. Der bervorftechende Charalterzug
der Wanderbirten ift Herrengefübl, das des Raumes nicht achtet und fich in der
ungreifbaren Weite ficher füblt.
Den graden Gegenfat dazu bildet die Bafe. Eine Oafe oder cin Oafengebiet
ift üppig bepflanztes, in febwerer Sron beriefeltes und mübfam von Sandver:
webung freigebaltenes Sruchtland mit Seld, Obftgarten und Palmbain auf dem
gleichen, ftets Eleinen Stud Land. Bewäfferungsarbeit kann oft, Verteidigung
gegen die Steppenbirten nur durch Gemeinfchaftsarbeit erreicht werden, und der
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1932, 1 Ewald Banfe, Uber den Sufammenbang von Landfdaft und Menfd. 17
verfügbare Platz ift ftets Bein und muß in ausgellügelter Weife 3uc Mugung fom:
men. Desbalb boden die Sellachen dicht beieinander, und ihr Bli ift nicht in die
Weite, fondern in die Enge gerichtet. Die Beforgnis um den mübfam errungenen
Befig und das Seblen eines natürlichen Schutzes macht fie ängftlich und unfrei.
Und außerdem, wie das fo gebt, wo viele Wienfchen auf einem Haufen fiten,
bat fih früb Großkapital gebildet, das die breite Maffe verftlapt und in Schuld:
Enechtichaft bringt. Deshalb ift der grundlegende Charakter der Sellachen Knechts-
gefühl, das am engften Raume baftet und in ewiger Unficherbeit lebt.
Abb. 4. Pflügen mit Srauen in der algerifben Sabara.
Dies find obne Rüdficht auf raffifche und volklide Grundlinien die wich:
tigften Beziebungen zwifchen Landfchaft und Wienfch in den beiden hHauptnatur⸗
gebieten des Morgenlandes. Darüber binaus aber läßt fich noch eine Beziehung
erkennen, die beiden gemeinfam ift. Die Schwierigkeit der Lebensmöglichkeiten
und dic Hitze des endlos langen Sommers, die Gedrüdtheit der weiten Slächen
und die mitleidlofe Unabänderlichkeit des feuerblauen immels — alle vier wire
fen auf den Hlenfchen läbmend cin und fegen feine Unternebmungsluft berab. In
Solge deffen Fann er nicht auf grundfaglicbe Derbefferung übertommener Kultur:
werte eingeftellt fein, fondern ift nur im Stande, fie zu erbalten foweit fie unbe:
dingt notwendig oder eindrudsvoll find, ja es beftebt die FTeigung febwicrigere
Rulturformen in Verfall geraten zu laffen. Diefe Sragen find 3. T. folche der Zu:
fubr fremden Blutes: abendländifchen Blutes für den KTeubau, negerifchen Blutes
für den Derfall.
Ts der Rürze und daraus fich berleitender Lüdenbaftigkeit der Darlegung
mag als Ergebnis dafteben, daß die feclifche Bindung zwifchen Landichaft
und Wienfch im Abendlande enger verkettet ift und förderfamer als ım Morgen:
lande. Der abendländifche Charakter leitet ficb unmittelbar aus der YTatur ab, er
Dolf und Raffe. 1932. Januar. 2
18 Volt und Raffe. 1932, 1
Ln SR a RE ur es Ne oe ee ee
fpiegelt ibre beften Wiöglichkeiten, die anfcheinend unerfchöpflich find und zu ewig
erneuter Selbftbeweifung des Menfchen führen. Der morgenlandifde Charatter
dagegen tritt zu der Klatur in Widerfprud, er vermag fich nur dadurdh in ihr zu
behaupten, daß er fie überliftet, ihre ,,Sebler’’ verbeffert und ihre Allgewalt unter:
läuft. Während der Abendländer Zujammenfaffung und Spite feiner landfchaft:
lichen Eigenart bildet, ıft der Worgenländer Widerpart und Widerfinn zu der
feinen. Der Europäer lebt mit und wegen feiner Landfchaft, der Drientale ihr
zum Trog und zum Hohne. Die weiße Kaffe ift in ihrem Raume entftanden und
ohne ihn nicht denkbar, die braunen Wifchraffen des Südens entbalten Blutes:
elemente, die anderswoher ftammen und in das Morgenland eingerüdt find, fie müf:
fen nicht unbedingt grade Orientalen fein. Go gibt es feine fcblecthin morgen:
landifdbe Raffe, die für den ganzen Raum bezeichnend wäre, fondern es finden fid
nur Anpaffungsformen verfchiedenfter Särbung zwifchen Weg und Schwarz,
deren ganzes Sinnen und Tradıten darauf binausläuft, fich in der feindfeligen
Yiatur 3u behaupten, die alfo durchaus materiell eingeftellt find und dumpfböbe:
ren Schwung böchftens dann erhalten, wenn es fich um die Derfechtung religidfer
- Vorftellungen banbdelt.
Bildnis eines
Weftgotenfonigs Ser Dolferwanderungszeit.
Don Univ.-Prof. Dr. YW. Capelle, Samburg.
De bedeutſame Tatſache, daß die uns erhaltene antike Literatur noch manchen
ungehobenen Schatz an koſtbarſter Runde von den Germanen in der erſten
großen Periode ihrer Geſchichte birgt, iſt leider immer noch viel zu wenig be⸗
kannt!). Das gilt insbeſondere von der ſpaͤtantiken Literatur fuͤr die Zeit ſeit Be⸗
ginn der Voͤllerwanderung. Davon ſoll hier dem Leſer dieſer Zeitſchrift ein Bei⸗
ſpiel vor Augen gefuͤhrt werden, das, ſchon an ſich ein Rabinettſtuͤck von Schilde⸗
rungskunſt, ein wahres Rleinod der Germanenkunde iſt. Es iſt ein Brief des
roͤmiſchen Gallies Sidonius Apollinaris, der uns auf Grund eigener, ge⸗
nauer Renntnis die Perſon und Lebensfuͤhrung des Weſtgotenkönigs Theo—⸗
dor ich II. mit ganz intimen Einzelheiten ſchildert, die er nur bei wiederholten Be⸗
ſuchen am chofe des Koͤnigs ſelber beobachtet und erfahren haben kann. Dieſer
Sidonius Apollinaris, von dem uns eine große Anzahl von Briefen und auch Ge⸗
dichten, leider in ſehr geſchraubten und durchwegs rhetorifch ftilifiertem Latein,
erhalten ſind, das ſelbſt dem Philologen im einzelnen oft ſchwer verſtaͤndlich iſt,
wurde etwa 430 n. Chr. im ſuͤdlichen Gallien, in Lugdunum, dem heutigen Lyon,
als Sohn einer altadligen Familie des Landes geboren. Etwa im Jahre 470
wurde er Biſchof von Arverni, dem heutigen Clermont. Sidonius Apollinaris ge⸗
hoͤrt, wie ſein Schwager Ecdicius, zu jenen vornehmen und hochgebildeten Maͤn⸗
nern, die in Gallien die roͤmiſche Macht, auch noch nachdem die wilde Hunnen⸗
1) Vgl. hieruͤber meine Ausfuͤhrungen in meiner Schrift „Die Germanen im Fruͤh⸗
licht der Geſchichte“ (Leipzig 1928) S. baff. Sür die Germanen bis zur Völkerwanderung
kann davon jetzt der Inbatı meines Buches „Das alte Bermanien”“ (Die Clacdhridten der
Griehen und Römer) — Srübgermanentum Bd. I, Jena, Eugen Diederiche, 1929 einen
wirklichen Begriff geben.
— —— — un.
1932, 1 DO. Capelle, Bildnis eines Weftgotentdnigs der Ddlterwanderungsszeit. 19
woge unter Attila auf den Catalaunifcen Seldern zerfchellt war, gegenüber den im
Lande als Eroberer figenden Weftgoten nah Möglichkeit aufrechtzuerbalten fuch-
ten. Um fo wertvoller ift für uns feine Schilderung ihres Rönigs Theodorich II.,
da er von Haufe aus von jeder Doreingenommenbeit für diefen durchaus frei ift
und ibm trogdem — vielleicht halb wider Willen — in feinem Brief, der offen
bar noch zu Lebzeiten des Rönigs gefchrieben ift, ein unvergängliches Dentmal
gefegt bat, das von mir im folgenden in eigener Überfetzung des fchwierigen Dri=-
ginals vorgeführt werden foll.
Theodorich II., der im Jahre 453 nad) Ermordung feines Bruders Thoriss
mund König der Weftgoten wurde, bat auch in der Befchichte eine erhebliche Rolle
geipielt. Insbefondere bat er den Arverner Epardhius Avitus, einen der vors
nebmften Ballier damals, der nicht nur im Befitz böchfter römifcher Bildung, fons
dern auch ein tapferer Arieger war, im Jabre 455 zum weftrömifchen Aaifer ges
macht und ift im folgenden Jabr in deffen Auftrag mit feinen Boten über die Pyres
nden gegen die im nordöftlichen Spanien plündernden Sueben des Rönigs Recdiar
gezogen. Flacdy mehreren Siegen uber dic Gueben 30g er in die Stadt Bracara
(nordlid) der Dueromindung) ein; Ronig Recdiar wurde bald darauf gefangen
und dann bingeridtet. Cheodorid aber drang mit feinen Goten weiter (udwarts,
bis tief nad Lufitanien (Portugal) binein, wo er fogar die Stadt Augufta Emerita
(das beutige Merida am Guadiana, auf der Breite von Kiffabon) einnabm. Das
gefchichtlich bedeutfame Ergebnis diefes Zuges ift die Seftfegung der Weltgoten in
Spanien, wo dann ihr Reich bis zum Einbruch der Araber beftanden hat (71) n.
Ebr.). Im Jahre 466 wird Theodorid in feiner HBauptftadt Tolofa (Touloufe)
durch einen jüngeren Bruder (Zurich) ermordet.
Um fic aber angefichte des bier folgenden Briefes, der ein für jene Zeit eins
zigartiges Bild von der Perfönlichkeit eines Germanentonigs gibt, deffen Vater,
Theodorih I., im Jabre 451 in der Schlacht gegen Attila gefallen war, eine biftorifch
richtige Vorftellung von der geiftigen und überhaupt kulturellen Bildung des
Rönigs und feiner Brüder zu machen, ift es nicht unwichtig, zu wiffen, daß jener
vorbin genannte Avitus, der fpätere Raifer, noch unter der Regierung des Rönigs
Theodorich I., alfo vor dem Jahre 451, bei feinen regelmäßigen Befuchen am Fyofe
des Könige deffen Sdbne (alfo aud den fpdteren Theodoridy IL.) in das Romifae
Recht und die lateinifche Literatur eingefubrt bat, und daß — ficher mit infolge
biervon — Theodorids II. jüngerer Bruder und Flachfolger, der fpätere Konig
Zurich, der erfte germanifche Surft ift, der feinem Doll ein — in lateinifcher
Sprade — gefchriebenes Befegbuch gegeben bat, wie er auch als erfter Germanens
törig Steuern nach römifchen Mufter von feinen Untertanen bat einzieben laffen.
Was aber die Glaubwürdigkeit des folgenden Briefes anlangt, fo trägt troß
der rbetorifchen Sorm, die fich insbefondere in den ftändigen Antithefen zeigt, jeder
Sat fozufagen den Stempel der Wahrheit der Schilderung, die — wie auch der
Inbalt an mebr als einer Stelle zeigt — auf unmittelbarer perfönlicher Aenntnis
des Derfaffers berubt, der ganz offenbar den Rönig genau gelannt und beobachtet
und ficher mebr als einmal an feinem Aofe geweilt bat. Übrigens bat möglichers,
wenn nicht wabrfcheinlicherweife daneben der genannte Avitus, deffen Tochter fpä=
ter Gidonius Apollinaris gebeiratet hat, dem Verfaffer des Briefes diefe oder jene
Einzelbeit mitgeteilt, da er ja, wie wir faben, früber ein häufiger Gaft am Hofe
Rönig Theodoricdhe I. gewefen ift.
Dod nun folge der Brief felbft, in möglichft getreuer Überfezung.
2*
20 Dolt und Kaffe. 1932, I
EEE EEE —
Sidonius grüßt ſeinen Agricola.
Weil der Ruf des Gotenkoͤnigs Theodorich den Voͤlkern ſeine Leutſeligkeit
ruͤhmt, haſt Du mich oft gebeten, Dir einmal im Briefe zu ſchildern, wie er aus⸗
ſieht und was fuͤr ein Leben er fuͤhrt. Ich komme gern Deinem Wunſche nach,
ſoweit es der Umfang eines Briefes geſtattet, und freue mich dabei uͤber die Offen⸗
heit, mit der Du mir eine ſo waͤhleriſche Neugierde verraͤtſt.
Alſo, er iſt ein Mann, der verdient, auch von denen gekannt zu werden, die
ihn mit weniger freundlichen Blicken betrachten; ſo ſehr hat Gott bei ſeiner Ent⸗
ſcheidung und das Walten einer ihr Hoͤchſtes leiſtenden Natur im Verein mit den
Gaben des Gluͤckes ſeine Perſon auf den Gipfel der Vollendung gebracht. Sein
Weſen aber iſt ſolcher Art, daß ſein Ruhm nicht einmal durch den Neid auf ſein
Koͤnigtum beeintraͤchtigt werden kann.
Wenn Du nach ſeiner Geſtalt fragſt: er iſt ein Mann von volllommenem
Koͤrperbau, an Leibesgroͤße unter dem Hoͤchſtmaß, doch ſchlanker und ſtattlicher
als Maͤnner von mittlerer Groͤße. Die Ruppe ſeines Ropfes iſt wohlgerundet, an
ihr lockt ſich das Haar, das von der Stirn nach dem Scheitel zu etwas zurückweicht.
Sein Nacken iſt nicht etwa von Fettpolſtern verdidt ?), fondern von Sehnen geftrafft.
Seine beiden Augen uͤberwoͤlbt ein buſchiger Bogen von Brauen. Wenn er aber die
Augenlider ſenkt, reicht der Rand ſeiner Wimpern faſt bis zur Mitte ſeiner Wangen.
Seine Ohrlaͤppchen werden, wie es bei ſeinem Volk Sitte iſt, durch Buͤſchel daruͤber⸗
bangender Haare verdedt. Die Klafe ift in anmutigfter Weife gefbwungen). Die
Lippen find fhmal und nicht durch verbreiterte Winkel des Wiundes vergrößert.
Die Haare, die unterhalb der Kiafenböble bufhig wachen, läßt er täglich ſchnei⸗
den4). Gein Bart ift an den Schläfenmulden raub; da, wo er in der unteren Partie
des Befichtes bervorfproßt, nimmt ihn der Scherer beftändig mit Stumpf und Stiel
von den noch jugendfrifchen Wangen fort. Die Haut von Kinn, Reble und Yale,
der nicht mager ift, fondern von Kraft ftrogt, ift weiß wie Wilh; wenn man
fie aus der Lläbe betrachtet, fieht man, daß fie durch jugendliche Röte unterftrömt
ift, denn diefe Sarbe gibt ihm oft nicht etwa der Zorn, fondern fhambafte Sittfam-
keit. Seine Schultern find rund, wie gedrechfelt, feine Oberarmmusteln ftar, feine
Unterarme bart, feine Fyände breit, feine Bruft gewoölbt, während der Leib zurüd:
tritt. Die Släche des Rüdens fcheidet das KRüdgrat, das zwifchen den Erböbungen
der Rippen tiefer liegt. Beide Seiten find voll von Ballen, da die Yluskeln bervor-
treten. In den gedrungenen Weichen berrfcht Spanntraft. Die Oberfchentel find
bart wie Korn, die Belentzwifchenräume der Rnieleblen find durchaus männlich;
die größte Pracht aber zeigt fich in den Anien (felber), die keine Spur von Runzeln
aufweifen. Die Unterfchentel ftügen fih auf fehwellende Waden, und die Süße
find, wenn man bedentt, daß fie diefe ftattlihen Glieder zu tragen baben, von
mäßiger Größe.
Wenn Du nad feiner täglichen Befchäftigung fragft, die für den Blid von
außen offen daliegt, fo wiffe: die Derfammlungen feiner Priefter >) vor Tagesan:
2) Der Tert der drei vorbergebenden Worte berubt nur auf Vermutung.
3) Nasus venustissime incurvus beißt es im Original; was bier m. €. nur auf
leicht gebogene Adlernafe geben kann.
4) Alfo im Gegenfag zur keltifchen Sitte des ungelürzten Schnurrbartes.
5) D. b. die von feinen Prieftern geleiteten Gottesdienfte. „Seiner Prieiter” fagt
der Batbolifche Bifhaf Sidonius von den hriftlichen Geiftlicben des Weftgotentdnigs, da
diefer mit feinem Dolke arianifader Reger (nach katbolifher Auffaffung) war. „Ver:
fammlungen (coetus) nennt er daber die in feinen Augen illegalen Bottesdienfte (bier die
Srübmefje) der Weftgoten.
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1932, 1 XD. Lapelle, Bildnis eines Weſtaotenkoͤnigs der Voͤllerwanderungszeit. 21
bruch beſucht er mit ganz kleinem Gefolge; mit großer Befliſſenheit bezeugt er
ſeine Ehrfurcht, wenn man auch, unter uns geſagt, bemerken kann, daß er jene
fromme Sitte mehr aus Gewohnheit als aus innerer Überzeugung beobachtet. Den
uͤbrigen Teil des Morgens nehmen Regierungsgeſchaͤfte in Anſpruch. Um des
RKoͤnigs Stuhl ſtellt ſich ſein bewaffnetes Gefolge; damit die Schar ſeiner Mannen
in ibren Pelzen nicht feblt, wird fie zugelaffen; damit fie xaber> nicht durch ihren
£ärm ftört, wird fie über die Schwelle verwiefen, und fo murmelt fie draußen vor
der Tür, außerhalb der Vorhänge), doch innerhalb des Gebeges. Unterdeffen hort
er, nadhdem die Befandtfchaften anderer Völker vorgelaffen find, gar Vieles, ant-
wortet Weniges. Wenn etwas weiterer Behandlung bedarf, vertagt er es; wenn
etwas erledigt werden muß, befchleunigt er es.
Die zweite Stunde des Tages’): dann ftebt er von feinem Sitz auf, um der
Befichtigung der Schaglammern oder der Ställe) eine Weile zu widmen. Denn
er 3ut Jagd aufbridt (die vorher angefagt ift), bält er es für unter feiner Lönig:
lichen Würde, einen Bogen an feiner Seite zu gürten; doch gibt ihm fein Anappe,
wenn ibm der Zufall auf der Jagd oder fonft unterwegs einen Dogel oder fonft
ein Stud Wild in Schußbereich bringt, diefen in feine hinter den Rüden ausge:
ftredte Fand, während noch die Sehne oder die Lederfchnur daran lofe herunter:
hängt; wie er es für Inabenhaft hält, ihn in einem Sutteral zu tragen, fo balt er
für Weiberart, fic ihn fchon gefpannt reichen zu laffen. Bald fpannt er ibn dann,
nachdem er feine Enden gegeneinander gebogen bat, bald folgt er, nachdem der
Teil des Anotens nach der in der Schwebe befindlichen Serfe zugetebrt ift?), der
fhlaffen Schlinge der hin und ber baumelnden Sehne mit darüberhin gleitendem
Singer, und bald nimmt er Pfeile, legt fie auf die Sehne!) und fchnellt fie ab.
Oder er läßt Dich vorber fagen, was Du getroffen feben mödhteft; Du wäblft
aus, was er treffen foll: was Du gewählt haft, trifft er, und, falls einer von
Euch beiden irren foll: feltener gebt der Pfeil des Schützen fehl als das Auge des
Sielbeftimmere.
Wenn es 3um Mable gebt, das freilid) am Alltag dem eines einfachen Mannes
ähnlich ift, fo fegt Sort nidt etwa ein keuchender Truchfeß einen ungepugten
f,0ufen blauangelaufenen Gilbergefcdirrs auf einen fic) biegenden Cifd: das grogte
Gewidt liegt dann in der Unterbaltung, da dort entweder gar nidt oder Ernftes
gefproden wird. An getriebenem Gefdire und an Deden wird bald purpurfarbe-
ner, bald leinener Hausrat auf den Tifch gebracht 11). Die Speifen gefallen durd)
Runft !?), nicht durch Roftbarkeit; die <einzelnen» Gerichte durch ihr verlodendes
Ausfeben, nicht durd) ibre Menge. Le kommt eher vor, daß der Durft <des
Baftes> uber zu feltenes Anbieten von Bechern und Trintfchalen Magt als daß die
6) Die des Rénigs Gemad von dem Porraum fdhieden.
7) Man begann damals den Tag morgens, nach Sonnenaufgang.
8) Sreude an feinen Pferden ift fur einen Germanentdnig, der felber zuerft und vor
allem Krieger und Heerfisbrer ift, etwas ganz YTatürliches.
9) Im Original lautet die Stelle: ad talum pendulum nodi parte conversa.
Syier verftebe ich unter dem „Teil des Rnotens“ dasjenige Ende des Bogens, an dem die
Schne feftgelnotet ift, unter „talum pendulum“ den etwas vom Boden erhobenen Fuß
des Königs, gegen den er das eine Ende des Bogens ftemmt, um von unten (da wo die
Sehne angelnotet ift) anfangend mit den Singern die Sehne — auf etwaige Schäden —-
abzutaften.
10) Im Original ftebt bier implet, wofür ich imponit vermute.
11) Der erfte Teil des Satzes (torennatum peripetasmatumque) ftimmt nicht ganz
zum zweiten. “hier fcheint der Tert des Originals nidt ganz in Ordnung.
12) Des Rochs.
22 Volt und Raffe. 1932, I
Truntenbeit ein Zuviel ablehnt. Kurz, feben kannft Du dort der Griechen feinen
Gefdhmad, gallifhen Reichtum, italifhe Gefdwindigkeit, Prunt von Staats
wegen, die aufmertfame Bedienung eines Privatbaufes und die Dienerzucht eines
Konigshofs. Don jener Pradt aber am Sabbat kann meine Schilderung abs
feben, da fie nicht einmal verborgenen Perfonen verborgen bleiben kann.
Dod zurüd zu meiner Schilderung! Wenn er gegeifen bat, folgt oft gar
kein Mittagsfchlaf, ftets aber nur ganz kurz. Um diefe Zeit des Tages bat der
Mann fein Dergnügen am Brettfpiel; dann greift er rafch die Würfel, betrachtet
fie mit Spannung, f&hüttelt fie mit Routine, läßt fie mit viel Temperament fal:
len, feuert fie fcherzend an und wartet dann in Geduld. Bei guten Dürfen
fhweigt, bei fhlecdhten lacht er; bei keinem von beiden regt er fich auf; in beiden
Sällen gibt er fic) wie ein Pbilofopb 13). — Würfe zweiten Ranges verfchmäbt
er zu fürchten oder zu tun; bietet fic) ibm günftige Gelegenheit zu folchen, läßt
er fie unbeachtet; find fie ibm entgegen, übergeht er fie. Obne Erregung gebt das
Spiel aus; ohne Scherz (mit feinem Partner) ftebt er auf. Man könnte glauben,
daß er auch beim DBrettfpiel die Waffen führe: nur auf den Sieg ift fein Sinn
gerichtet.
Wenn er ans Spiel gebt, legt er fo lange die königliche Strenge ab und ruft
zum Spiele zwanglofes Wefen und Rameradfchaft herbei. Ih will Dir fagen,
was ich denke: er fürchtet, gefürchtet zu werden. Und zum Schluß bat er fein Bee
bagen an dem Arger des Befiegten, und erft dann glaubt er, daß ihn fein Mit-
fpieler nicht bat <abfidtlic&> gewinnen laffen, wenn ibn der Arger des anderen
von der Wirklichkeit feines Sieges überzeugt. Und — worüber man fich wundern
tonnte — oft führt jene Sreude <des Aönige> , die aus fo geringfügigen Anlaß
entfpringt, wichtige Unterbandlungen zu glidlidem Ausgang. Dann tut fic
für Befuche, die vorher lange durd) Schiffbriche ihrer Sürfprecher bin und ber
geworfen find, der Hafen plöglicher Erfüllung auf, dann werde auch id), der ich
vorbabe, ibm eine Bitte vorzutragen, zu meinem Glud befiegt, weil ich zu dem
Ende das Spiel verliere, daß ich in meiner Sache gewinne.
Um die neunte Stunde !t) wird die Mübfal der Regierungsgefchäfte wieder
wad: es fommen wieder Leute, die <beim Ronige anflopfen wollen; es fommen
aber auch die Trabanten wieder, die fie zurüddrängen; überall lärmt der Andrang
der DBittfteller unter Zant und Streit, der fic bis zum Abende binziebt und erft
abflaut, wenn das Mahl des Rönigs dem ein Ende madt; dann werden fie durch
die Hofbeamten der Reibe nad, entfprechend den verfchiedenen Rang ihrer Sürs
fprecher, zerftreut, um bis zu nadhtfchlafender Zeit draußen zu lagern !>).
Möhrend der Mahlzeit <des Rönigs> werden freilih, wenn aud) felten,
Spaßmadher und Witbolde eingelaffen 6), dod) mit dem Beding, daß kein Gaft
durd) die Galle einer biffigen Zunge verlegt wird. Doc läßt man <diefe Art
13) D. b. zeigt er vollendeten Gleichmut.
14) Begen 2 Uhr nachmittags, wenn der Tag um 6 Uhr morgens begann, was [ich
aber mit der Jahreszeit änderte.
15) Manche hofften offenbar immer nod, an dem Tage (nad der Abendmablzeit des
Königs) vorgelaffen zu werden. Möglich audy, daß mandye, die von weit ber getommen
waren, tein Obdadh batten und daber im Sreien ubernacteten, vermutlich in nächfter Yiäbe
des königlichen Palaftes, um womdglih am andern Morgen gleich „daranzukommen“.
16) Eine ungermanifche, aus Rom bzw. Byzanz ftammende Sitte, worüber zundchft
auf die anfchauliche Skizze von Buftav Sreytag, Bilder aus deutfcher Dergangenbeit II ı,
445 ff. verwiefen fei. Dgl. aud die treffenden Bemerkungen von Guftav Filedel, Germanen
und Relten ©. 83.
1932, 1 WW. Capelle, Bildnis eines Weftgotentdnigs der Ddllerwanderungsseit. 23
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£eute gelegentlich ein), weil dort am Hofe weder Wafferorgeln ertönen noch unter
£citung eines Gefangmeifters ein Chor von Sängern ein eingeübtes Stüd zum
PVortrage bringt; dort lagt fic) tein Leierfpieler, Stdotenblafer, Chormeifter, aud
keine Pautenfchlägerin oder Zitberfpielerin horen, da der Konig nur durch jenes
Saitenfpiel erbaut wird, durch das Wlännertugend das Gemüt ebenfo ergögt wie
der Gefang das Gebdr.
Wenn er vom Tifche aufgeftanden ift, treten die Mannen des Hof(duges 3uc
nächtlichen Wade an; Bewaffnete treten an die Zugänge zum Haufe des Rönige,
durch die die Stunden des erften Schlafes bebütet werden.
Dod was gebt das mein Unternehmen an! Jc babe Dir ja nicht viel von
der Herrfdaft des Ronigs, fondern nur etwas über feine Perfon mitteilen wollen.
Es ift auch Zeit, mein Schreiben abzufchließen, zumal aud Du nur die Befchäftis
gungen und die Perfon des Mannes kennenlernen wollteft, und ich bier nicht Bes
fehichte, fondern einen Brief habe fchreiben wollen. Lebe wohl.
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Flur ein ganz turses Viadwort fei dem ,, Bildnis diefes Weftgotentdnigs
beigegeben, um deffen Wirtung auf den Lefer nicht abzufchwächen. Denn es kann
bier nicht meine Abficht fein, den Brief des Sidonius Apollinaris im einzelnen zu
tommientteren.
Dom Standpuntte der antiten Anthropologie aus gefeben, die wir dank der
Sorfdung des legten Menfdenalters dod) recht genau tennen, vermiffen wir in
der Befchreibung der dugeren Erfceinung des Kdnigs eine Angabe über die Sarbe
feiner Augen und feines Ayaares. Das erklärt fich vielleicht mit daraus, daß Si:
donius Apollinaris nicht raffentundlid ,,eingeftellt ift; wohl daber fallen ibm
unter den vielen Weftgoten in Gallien deren Augen: und Syaarfarbe kaum noch
auf. Und auch unter den Galliern jener Zeit waren ficher noch blaue oder graue
Augen und blonde Haare die Regel. Wunder nimmt dagegen, daß er gar
nichts über den Befichtsausdrud des Königs, insbefondere den feiner Augen, fagt.
Don „truces et caerulei oculi* (Tacitus’ Germania) béren wir daber nichts.
Wir erfahren leider auch nichts von der Tracht und Bewaffnung des Aönigs,
obgleich dies ein Gebiet ift, das durchaus im Blidfelde des Verfaffers liegt, wie
ein anderer Brief von ihm über den Aufzug eines jungen Germanenfürften zeigt,
der vielleicht fpäter einmal in diefer Zeitfchrift veröffentlicht werden kann. —
Bei cer Beichreibung der Beftalt des Rönigs gebt der Verfaffer fpftematifch all:
mäblidy vom Ropf bis zu den Süßen binab.
Banz weniges fei noch zu dem zweiten Teile des Briefes, der Schilderung
des gewöhnlichen Tageslaufs des Könige, bemerkt. Da ift u. a. von befonderem
Intereffe die Haltung des Königs beim Brettfpiel, das offenbar fein befonderes
Dergnügen war. Wenn man diefe Haltung recht würdigen will, mag man eins
mal die bekannte Stelle in der Germania 24 vergleichen, wo Tacitus von der
Spielleidenfchaft der Germanen beim Warfeln fpricht, die fie manchmal dabin
treibt, die eigene Perfon zu verfpielen und fo für Zeitlebens der Sklaverei zu vers
fallen. ®der man erinnere fic einmal daran, daß laut Angabe des Paulus Diacos
nus der Herulertönig Rodulfus und laut der des Sredegar ein frantifcder Maus:
meier wabrend einer GSchladt wie gebannt bei ihrem Brettfpiel figen bleiben.
Cheodorids Haltung dagegen zeigt bei all feiner Sreude am Spiel eine fchöne
Scebftbeberrfchung, wie andrerfeits die ganze Art, wie er fic beim Spiele, aud
24 Dolt und Kaffe. 1932, I
den Mitfpieler gegenüber, gibt, einen Zug von Fyumanität zeigt, der vielleicht mit
eine Srucht antiter Bildungseinflüffe ift. Hervorgeboben fei dann nody die böchft
bezeichnende Tatfache, daß beim Mable des Königs nicht nur auffallende Mäßig-
keit berrfchte, fondern daß dabei nur von ernften Dingen gefprochen wurde oder
gar nicht. Das erfcheint mir freilich echt germanifch, wie denn der Rönig an gries
Hifdh-rdmifden Poffenreigern und Gaullern offenbar wenig Gefhmad findet und
etwaige bosbafte Anzüuglichkeiten diefer „fahrenden Leute‘ auf feine Gafte von
vornherein ausschließt. Klacy all diefem mag der Lefer felber ermeffen, wie unges
recht und verkehrt das Urteil von Otto Seed uber den Rönig ift, wenn er ihn
als Zwar gutmütig, „aber noch ganz barbarifch‘‘ bezeichnet 17).
Das Gegenteil erfcheint richtig, und gerade dies Bildnis eines Germanen:
tonigs aus der Odllerwanderungs3eit ann jedem Unbefangenen aufs neue zeigen,
daß die noch immer bier und da berrfchende Anfchauung von den Germanen zu
Beginn ihrer Gefchichte als wilden Barbaren — von einzelnen Sällen, die überall
vorfommen, abgefeben — der biftorifhen Wahrheit durchaus widerfpricht.
Egerlaͤnder Art.
Eine voltstundliche Unterfuchung.
Don Dr. Jofef Hanifa, Prag.
Wit 1 Abbildung.
„Es ift ein waderes, abgefchloffenes Völtchen.
Id babe die Egerländer wegen ihrer beibebals
tenen Rleidertracht, die ich in früberen Jabren
wabrnabm, lieb gewonnen. 3. WD. Goethe.
a" der Llordweftede des bdbmifcden Bedens ftoßen vier Gebirgszüge aufeinans
der: der Böhmerwald und das Erzgebirge, der Raiferwald und das Sichtel-
gebirge. Wir treffen aber an diefer Stelle keinen gewaltigen Gebirgstnoten. In
uralten Zeiten bat fid) dort das Land geſenkt und fo einen weiten Talteffel ge:
bildet. Wenn wir auf den Rammerbühl binauffteigen, einen Beinen verlofchenen
Dullan, auf den Goethe des öfteren feine Vorliebe für geologifche Studien führte,
können wir diefes Ländchen trefflich überfchauen.
Rings umrabmen den Talkeffel mit dunklem Sichtenwald bededte Berge, die
einander ihre Ausläufer zufchiden. Dazwifchen breitet fih das Land aus: Grime
Wiefenflädhen, brdunlice Moorftreden, weite Slächen Aderbodens, gligernde
Teiche, Ortjchaften und Einzelböfe darüber hingeftreut. Der Blid auf die Eger:
ftadt ift uns bier verwehrt, aber aus den fchattigen Parkanlagen leuchten die
vornehmen SHäufer von Sranzensbad herauf. Don Weft nad) Oft wird diefes
„engere“ Lgerland von der Eger durdfloffen, die ihr braunliches Waffer in uns
zähligen Rrümmungen durch die Wiefenftreden fchlingt, die ihre flachen Lfer
bekleiden. Don allen Gebirgen, die den Bau wallförmig umgeben, nimmt fie
Sufluffe auf, die den Grund des Keffels in eine Anzahl langgezogener Rüden
teilen. Zu den Kigentümlichkeiten des Egerlandes gebdren die deutlichen Spuren
einer vullanifchen Tätigkeit: die Heinen erlofchenen Dullane, die zahlreichen Säuers
17) Gefdidte des Untergangs der antilten Welt, Bd. VI S. 363.
1932, I Jofef Hanika, Egerländer Art. 25
linge, die den gegen die fumpfigen Lliederungen gelegenen Dörfern wohlfchmedens
dea und gefundes Trintwaffer liefern und vor allem die Mineralquellen der Rurs
orte und in Zufammenbang damit die WMineralmoore von Sranzensbad.
Den Mittelpunkt des Gebietes bildet die feit der Mitte des 11. Jahrhunderts
urkundlich erwähnte Reichsftadt Eger. Sie wurde zum ARnotenpuntt von feche
Babnlinien: zwei böhmifchen, drei bayrifdben und einer fadfifden. Hier ift das
weftlide ,infallstor in die böhmifche Seftung“.
Diefe Landfchaft ift die Rernlandfchaft des Egerländer Stammesgebietes, das
„engere“, „biftorifche‘ Egerland. Daran fchließt fid) das in jabrhundertelanger
Siedlertätigleit durch den Stamm erworbene fogenannte „weitere Lgerland.
Zunähft das Lgertal weiter mit Elbogen und Karlsbad bis dorthin, wo das
Duppauer Gebirge die Eger an das Krzgebirge preßt. Kinen großen Raum
nimmt dann eine breite, nach Llorden und Weften fteiler abfallende, nach Süden
und GÖften gemady verflacdhende Hodebene ein, deren aufgeworfener Liordrand als
Raiferwald und Rarlsbader Gebirge bekannt find, während der übrige Teil als
Cepler Hochland bezeichnet wird, das nach orden von der Tepl, nah Süden von
der Schnella und dem Lieumarlter Bach durdfurdht wird. Die Hochfläche ift
raub und eintönig. Heide, Moore, Wealdftreden und dürftiger Aderboden wechfeln
ab. In den gebirgigen Teilen berrfcht der Wald vor und auch über den größten
Teil des füdlichen Abfalles des Hochlandes breiten fich ausgedehnte Waldungen
aus, immer wieder von Aderflächen durchbrochen. Im Weften diefes weiteren
Egerlandes erhebt fidh der nördliche Böhmerwald zwifchen den ftärker bervors
tretenden Bergen der Schwarztoppe und des Tillen. Auch diefes Waldgebirge
dacht fich gegen Often zu in eine Hocfldde ab und erfceint daber von dortber
als niedriger Bergwall mit welligen Umriffen der fanft gewölbten Ruppen und
Rämme. Im Innern des Gebirges find faft nur Sdrfters und Hegerbaufer zu
finden, doch längs der Slüffe und Bäche hat fic eine ftärkere Befiedlung ents
widelt in Ortfchaften, Mühlen, Einfchichten, hie und da aud Glashuͤtten, Kifen-
bammern, Holzinduftrie u. a. Die Wiefen und Saatfelder bringen Abwehflung
in die Einförmigleit des Waldmantels, der vorwiegend aus Sichten, teilweife
vermengt mit Tannen, beftebt.
Das VDorland diefes nördlichen Bdhmerwaldes und das Tepler Hochland
laufen in eine wellige, bügelige, ftellenweife auch bergige Slache aus, die fich
nad) Often 3u immer mebr verfladt und 3um Pilfener Been hin fentt. Sie wird
von der Miefa, Radbufa und Angel durchfchnitten, die Talmulden in ihren Boden
gegraben haben, an deren Bebängen ftellenweife in Selspartien das GBeftein zutage
tritt, das fie aufbaut. Auch in diefem dictbevdllerten Gebiete wechfeln Ader:
boden und Wald.
Das Gebiet war in vorgefhhichtlicher Zeit ftellenweife befiedelt, wie die neuen
Sunde bei Sranzensbad wiederum erweifen, es faßen Relten bier, aus deren Sprache
der Llame Eger ftammt, dann Germanen, von denen Refte bis zur Wiederkehr
deutfcher Siedler fitzen blieben, wie wir ebenfalls aus der Kamenktunde fchließen
können, Slawen drangen feit dem 6. Jahrhundert die Slußtäler entlang vor und
binterlicfen ibre Spuren in Ortsnamen. Teile des Egerländer Stammgebietes
find alfo alter Rulturboden, der größte Teil aber wurde durch Rodung aus wilder
Wurzel durch die mittelalterliche Rolonifation der menfdhlichen Siedlung erz
{cdloffen. Don Welten ber drangen baprıfhe Siedler vor, zunächft ins engere
Egerland, dann weiter gegen Often, wo fie auf eine flawifche Siedlerwelle ftiegen,
die daran war, von den Slußniederungen aus ibr Siedlungsgebiet aud) in die
26 Volt und Raffe. 1932, 1
Hochflächen hinein und an die Berge beran auszubauen. Uber das fiedlungsge-
fchichtliche Werden der oberpfälzifchzegerländer Stammesbeimat, über die Aus:
bildung der oberpfälzifchzegerländer Mundart unterrichten uns neueftens die Arz
beiten #%. Muggentbalers und 9%. Hafmanns. Um den alten Kern des engeren
Egerlandes wurden gegen Often 3u im Laufe der Jahrhunderte immer neue Scyhich-
ten angefchloffen. So reicht heute das Egerländer Stammesgebiet auf dem Boden
Bauernpaar in alter Tradt aus dem deutfchen Teile des Pilfener Bedens.
Böhmens gegen Öften zu einer Linie ungefähr von Kifenftein im Böhmerwald
an, die tfchechifche Sprachgrenze entlang (Staab— Dobrzan—Pilfen—lanetin)
und weiter bis Scheles, Duppau, Schladenwertb, MTeudsed, Graslig, jenfeits
welcher Brte fich eine egerländifchzoberfächfifche Mifchmundart und im LTorden das
Oberfächfifche anfchließt. Kah Welten reicht das Gebiet unferes nordbayrifchen
Stammes bis gegen MTürnberg und Regensburg. Breite Senken ermöglichen einen
leichten Zugang dorthin und der Zug nach Flürnberg fpielte im geiftigen Leben
der Egerländer, namentlich in der ftädtifchen Rultur Lgers immer eine Rolle.
Das ganze Gebiet ift zum überwiegenden Teile Bauernland: Jm engeren
Egerland, auf der Planer und Tepler KJochebene, im Miefer Bezirke, im Böhmer:
waldvorland. Dazwifchen baben die Bodenfchäge die Weltkurorte entfteben laf-
fen: Rarlsbad, Marienbad, Sranzensbad, Rönigswart; Bergbau auf Roblen wird
noch betrieben im Salktenauer Beden, im Pilfner Beden. Der Bergbau auf Erze
1932, I Jofef Sanita, Egerlander Ace. 27
ift verfiegt. Raolinwerke, Por3zellaninduftrie finden wir im Rarlsbader Gebiet,
solzinduftrie in den waldreichen Gegenden, Cleinere Glashitten. Auch andere
JInduftrie bat fic entwidelt (namentlid in Eger, Afd). Dod ift diefe Entwid:
lung in mdigen Grenzen geblieben, feine Städteungebeuer find entftanden.
Rleinere Landftädtchen und größere Rreisftädte bilden die natürlichen Mittel-
puntte ihrer Bezirke und Rreife. Wir finden dort noch das Rübbürgertum, fo
daß auch die Landftädtcdhen von der Landwirtfchaft mitbeftimmt werden. Das
Bauerntum beftimmt daher die Eigenart des Stammes.
Dazu kommt, daß einen bedeutenden Teil der Angebörigen der höheren und
alademifden Berufe die jüngeren Bauernföhne ftellen.
„Es ift ein ftämmig robuftes Volk von gefundem Außeren. Soviel ich febe
baben die Egerländer weiße, gefunde Zähne, dunlelbraune syaare, doch wenig
Waden.“* Go fab Goethe das äußere Erfcheinungsbild diefes Stammes. Diefe ftäm:
mige, derbe Rörperlichkeit wird von allen Beobachtern bervorgeboben. Wir baben
es eben mit einem Bauernvolle 3u tun, das auf einem Boden fitt, der feine
Srücdhte nicht von felbft hergibt. Sie müffen ihm in barter unermüdlicher Arbeit
abgerungen werden. Er gibt dann aber auch fo viel ber, daß er feine Bewohner
kräftig ernährt. Stellenweife, wieder befonders im engeren gerlande oder im
deutfchen Anteile am Pilfner Beden, tonnte fic fogar ein breiter DDoblftand ents
wideln, der fid) aud in Tract und Hausrat des Bauern auswirlte.
Leider liegen einwandfreie raffentundliche Unterfuchungen über den Stamm
nod nicht vor. Er ift in diefer Hinſicht natürlich ebenfowenig einheitlich, wie
andere Giedlerftamme. Wir find bier auf allgemeinere Beobachtungen anges
wiefen. Da bat fhon 1880 Bradl zwei fcharf ausgeprägte Typen aufgeftellt,
zwifchen denen er aber hunderte von Übergängen gelten läßt. Den einen fcildert
er: unterfegte, nicht eben fhön gebaute Beftalten mit dunklem, fchütterem Haare
und breitem Befichte. Diefer Typus liefert den Hauptteil der Anechte, Taglöbner
oder niedrigeren Hilfsarbeiter der Stadt. Ihnen gegenüber als dugerfter Gegen:
fa fchreitet ein langer, bagerer Typus einher, zwar felten mit blondem, aber
dod mit bellerem yaare, fleifchlofem Gefidte, Fleifchlofer Wade, tnodig, wobl
breitfpurig aber edler gebaut, ein Typus, der meiftenteils unter den Hofbauern
zu finden ift. Bradl fügt hinzu: Selbftverftändlich gibt es auch unterfetzte, ja
oft recht bebäbig breite Aofbauern (dank der Sruchtbarkeit unferes Ländchene),
wie es anderwärts auch langaufgefchoffene, felbft bellbaarige Rnedte gibt —
die fozialen Derbaltniffe wedfeln ja dod in Jahren, gefbweige gar in Jabrs
bunderten — aber im ganzen find, abgefeben von den zabllofen Übergängen des
einen Typus in den andern, diefe beiden Beftaltformen doch in der oben anges
führten Weife beute noch erkennbar auf die beiden Stände, Herr und Anecht,
verteilt.
Diefer lange bagere Typus fcheint nun als der eigentliche Typus des ger:
länders empfunden zu werden. Dies drüdt fich vor allem in der Runft aus. Unfere
Egerländer Maler und Griffeltünftler ftellen ihre Landleute gern fo dar, mit
wenig Waden, wie Boethe fagt und Gradl nach ihm wieder beobachtet.
&. ©. Rolbenheyer, deffen Mutter eine Egerländerin ift und der feine Jugend
in Rarlsbad und Eger verbrachte, fchildert uns in feinem Roman „Meifter Joadbim
Paufewang“ einen Egerländer in dem Lgerer Schuftergefellen Engelbert, alfo
einen Vertreter des ftädtifchen Ahandwerts. Don ibm beißt es: „Er blidet fcheel
auf mich nieder, denn er war ein baumlanger Rerl‘‘ oder „er ftund auf, redet feine
beilige Lang mit gefpreigten Ellenbogen“.
28 Dolt und Kaffe. 1932, I
Diefer Typus ift es auc, der im Wolksliede, in der „Egerländer Rirchweih“
feine Derberrlibung findet: Die ftädtifchen Befucher der Rirchweih haben die
Bauernburfchen berausgefordert. Da gibt ein Burfche das Zeichen zur Rauferei,
von dem es beißt: „Däu kinnt da Birch mit’n länge Rragn, a Kerl wei a Ries,“
alfo ein Kerl wie ein Riefe, und „langer Rragen“‘, das bedeutet „langer Hals,
drudt alfo das Lange, Hagere aus. Es fcheint ein ähnlicher Typus zu fein, wie
ihn Rirchhoff unter den bayrifchen Alplern findet.
Das weibliche Schönheitsideal ift, fo wie wir es aus der Volksdichtung ers
fchließen, ein anderes. Da beißt es in einem Dierzeiler: „Schödin rund in B’ficht,
fdydin did in da Mitt, fun mou ma Mäidel fan“. Die Mädchen felber fingen von
fih: „Gräuß bin i niat g’wäcdhfn, gräuß mogb i niat wer(d)n, [hin rund und
fhsin ftumpfat bobm 8°’ Bdiwala fua gern“. „Stumpfats Ratberl, ftumpfats
Ratberl, gäib mit mir in ’Schläia" (Schleben) fordert ein Burfd ſein Maͤd⸗
chen auf. Der Bauer braucht fein Weib zur Arbeit und zum Rindergebdren, und
da beißt ein Sprichwort: „Rurz ba da Er(d)n, owa latta (lauter) Kern“.
Das Mädchen, das der Egerländer befingt, ift nicht fo fehr blond und blaus
éugig, als braun und fehwarzäugig, wie auch fonft im Baprifchen: „Belt du
fhwoazaugbata, gelt diga taughata’. „Schwärza Tauben, braung Tauben, di
ftehn mir in d8’Augn, wenn i amäl a Jagba wir(d), d6i fdoig i mir’.
„Gaͤih her du ſchoͤins Schaͤtzerl, Schwaͤrzaughat moͤins (muͤſſen ſie)
ho(b)ma oins ſ'ana gern. g'wiß wer(d)yn,
Ja da'n all deina Rinna grod woͤi du ſchoͤina Schaͤtz.
ſchoͤin ſchwaͤrzaughat wer(d)n. Jaͤ gaͤih her herzats Maͤiderl
u gi(b)ma an Schmotz.
Und ſo in vielen andern Beiſpielen. Die blauaͤugigen treten demgegenuͤber
zuruͤck, obgleich auch ſie beſungen werden: „Du herzats ſchoͤin's Schaͤtzerl, woͤi
läng is en ber, daß i daina Aigla, ddi bläulb)m nimma bo g’feab“. Dieſes Lied
ift zugleich viel inniger und treuberziger in Wort und Weife als die in denen
die Schwarzäugigen befungen werden, in denen mebr die derbere Sinnenfreudige
keit zum Ausdrud kommt: „Belt du fdwarzaugbats Ding, du bift was imma
q’ftiegn, ba(b)m f’ da oins affezwedt, g’fdiat di fdbo recht“. Ein lang aufges
fchoffenes Mädchen wird mit Ausdrüden bedacht, die eher Mißfallen als Gefallen
ausdriden, 3. B. langa Hagaign (Heugeige), längs Elend, 8’Stodtläng van)
Eger u.a.
Die derbe urwücdfige Araft kommt wie im körperlichen au) im ganzen
Wefen des Egerländers zum Ausdrude. Derb, ja raub ift feine Redeweife, im
Klang und in den Ausdriden. Welder Unterfdied beftehbt da 3u dem böflichen
Oberfadfen. Gie felber nennen ibre Art ,,grod oa(n) (gerade an).
Das Wefen des Egerlanders pragt fid) aud in feiner Mundart aus. Sie ift
cine Teilmundart des Bayrifchen. Aber ftatt der „feineren‘“, gemütlicheren ia,
ua, a, Fwielauten, in denen der erfte Teil den Hochton trägt, dem kurz das a
nad(dlagt, an der Stelle, wo der Öberfachfe die nüchternen Englaute i, u, ufw.
hören läßt, bat der Egerländer breite, derbe Zwielaute: di, ou, äu ufw. Die Eger:
länder Mundart Clingt dadurd) nicht nur breiter und derber, fondern auch ernfter
als ibre Viachbarmundarten.
Die Egerländer find ein Stud bayrifchen Vollstums. Wir finden darum
bier auch noch den Jodler. Sreilich, der richtige Jodler wird im Hochgebirge ge:
boren. Jn der nördlicheren MWittelgebirgslandfchaft aber, auf Hochflaͤchen, da
1932, I Jofef Hanika, Egerländer Art. 29
Klingt diefes Jauchzen und Jodeln nidt mebr fo elementar, wie von den Sels-
wänden über tiefen Abgründen. Da wird es gedämpft, wird flacher, breiter, und
ger in cinem Wunde, der an die breiten, groben Zwielaute gewöhnt ift: da wird
der Jodler eben zum „Droudi‘“, wie er ım Egerlande beißt. 3, ou / du ou ou /
ou a ou / öu a ron / du a ufw., oder 3, bolla / dlou dldu dlöu / did lai di,
"und dbnlid. An Stelle des elementar Jauchzenden tritt dann im Droudi des
öfteren eine innige yerzlichkeit, befonders wenn ibn die Mädchen zweiftimmig
fingen, wie man das binter dem Pfraumberge nod bdren kann.
Abnliche Beobachtungen können wir auch bei einem Dergleih des Eger:
lander Dolksliedes mit dem Alplerifchen machen. Auch bier finden wir beide Male
bayrıfches WDefen, befonders in dem reichen Schag an primitiven Vierzeilern:
„Denkſt lat i bo di gern, zammödrahta Miftlatern, rinnaugbats Odlfog (Jauchen-
faß), th pfeif da wos“. Derber Spott, der in „anfchaulichen“ Ausdrüden nicht
weöblerifch ift. Aber in den Liebesliedern, da klingt wieder beim Lgerlander etwas
tief Inniges, eine verbaltene, berbe Serzlichkeit an, wo der Alpler frei und Eraft-
voll feine Befüble äußert. LTiemals aber wird das echte Egerlander Lied füßlich
oder fentimental.
Wiederum echt bayrifdes Wefen mit £B-, Sauf: und Raufluft bricht in
anderen Liedern und Wierzeilern durd: ,,Rinn, Boierl, rinn!“ „Schauts ner, woi
888 Boierl (Bierlein) fchmedt u wi der Wirt fai(n) Zahn berbledt, u bledt a’s
bin und bledt a’s ber, dö8 Bodierl kröigt a nimma mehr!“ „WMät, gaib febent a,
ma Mau haut a Luadh...!“ Oder in der fchon genannten „Kgerländer Rirdys
weib“ beißt es freilich mit Übertreibung: „ächtmäl g’freffn u naimäl g’fpeit, dd8
is für uns a B’fpaß“. Und diefe Egerländer Rirchweib ift eine echt bayrifche
Rirchweib, die mit einer Rauferei enden muß: „WDdi d’Rafarei zu End is g’weft,
warn ällzamm frumm und 1di. ©ba 8’Bauan fogn: Rraizfalrament, di Rirwa,
dor war fcdi(n). Go finden wir beim Egerländer auch die bayrifcbe Sreude an
großen Doltsfeften, bei denen das Bier eine große Rolle fpielt.
Wenn Will Defper von den oberbayrifchen Dichtern fagt, ibre Heimatliebe
fet von einer merfwurdig biffigen Urt, ibre Dichtung etwa bervorgegangen aus
der derben fpdttifcden alten Dolksliteratur der Schnaderbupfl, Marterlfprüce ufw.,
fo Mlagte Habermann 1886 in dbnlidber Weife über Egerländer Dichter, daß fie
nur die derbe Seite des Dialeftes, das Drollige und Draftifce kultivieren, fo daß
es den Anfchein madıt, als ob fie fich uber das Volkstum felbft luftig machten.
€s tommt bier eben die echt bayrifche Lleigung zu Parodie und Satire zur Gels
tung, die bis zur Selbftironie gebt. Zu einer ernften, bedeutenderen Kyeimatdichtung
in der Mundart ift es im Egerlande bis heute eigentlich noch nicht gelommen. Krft
in allerjüngfter Zeit finden wir verheißungsvolle Anfäge dazu.
Daneben muß immer wieder darauf bingewiefen werden, daß wir im ger:
länder Wefen auch andere Züge finden: Ernft und Verfchloffenbeit, und dicfes
Innige, Herzliche, das ganz befonders dem weiblichen Befchlechte sutommt. Don
feinem Engelbert fagt Rolbenbeyer: .,,Aus feinem fauren Beficht blinzelten sween
gansgraue Auglein voll weichen Gemüts“. Und aus dem Gebaben diefes Lgerer
Scuftergefellen fchließt der junge Paufewang: „Muß ein ftilles und ernftbaftiges
Dolf fein dort zu Land, jedannoch mit einem zäben Durft begabet“.
Die Egerlönder find der am weiteften nach Morden vorgefchobene Zweig des
bayrifehen Stammes. Sräntifcher und vielleiht noch anderer infdlag baben
wobl mitgewirkt an diefer Abtönung bayrifchber Wefensart. Gegen die Sprach:
grenze zu fpielt ficher auch flawifcher Einfchlag eine Rolle.
30 | Volt und Raffe. 1932, I
Durcdaus nuchtern und praktifd ift der Egerländer auf die reale Wirklichs
keit eingeftellt. Wiyftizismus, religiöfe Seltirerei und Schwärmerei, wie wir fie
etwa im Schlefifchen finden, bat im gerlande keinen Boden. Bäuerlich primitiv
ift die Einftellung zu Bott. Diefer beberrfcht vor allem das Wetter und kann Gee
deiben oder Derderb bringen. Der Bauer fteht mit ibm in einer Art Vertrags:
verhältnis. Er führt einen rechtfchaffenen Lebenswandel, gibt Gott, was Gottes |
ift, indem er den Sonntag beiligt, Opfergaben bringt, an Prozeffionen teil=
nimmt und was fonft die Rirdye von ibm fordert. Dafür verlangt er aber Ge⸗
deiben in feiner Wirtfchaft. Kommt Gott dem nicht nach, fo zurnt er über den
Vertragsbrud. Jn traffer Sormulterung drudt fid) diefe Dentungsart in der
Sagenbildung aus: „In der Vidbe von Eger batte ein Sreibauer einen großen
Hof, zu weldyen viele Selder gebörten. Die Erntezeit ging langfam vorüber und
et hatte noch viel Getreide auf dem Selde, als Regen drobte. Er trieb feine Leute
zu größtem Sleiße an, um das letzte Getreide noch troden in die Scheuer zu brins
gen. Schon fuhr der legte Wagen dem Sofe zu, als es anfing zu regnen. Darüber
geriet der Bauer in Wut und fdlug mit der Peitfche auf ein Kreuz, das am
Wege ftand, und fchrie: „Haft du uns das Getreide nicht troden einführen laffen
können >“
Yiad) einer anderen Gage bat der Hofbauer von Reichersdorf, als einft fein
Getreide mißriet, den am Wege ftebenden Rreuzbilde mit einem Büfchel Abren
freventlid) um das GBeficht gefdlagen mit den Worten: „Da fcbau an, ift das
ein Creid fur einen Edelmann?“ Beide Srevler wurden von Gott natürlich dafür
geftraft.
Uber gerade in bezug auf die Selder denkt der Bauer fehr realiftifch. Prozefs
fionen und Gebete allein tun’s nicht. Sie find eber dazu da, fchädliche Einflüffe
fernzubalten. Anfonften beißt es: „Do kein Miftus, da kein Ehriftus“. In einem
Schwan bittet ein Bauer während einer Bittprozeffion den Pfarrer, er möge auch
bei feinem Selde etwas fteben bleiben. Der Pfarrer aber antwortet: „Wenn da
etwas wadfen foll, muß zuerft Mift bertommen“.
Müchtern, fachlich denkt der Egerländer über Liebe und Lhe. Wir finden
£iebeslieder voll inniger Hyerzlichkeit, aber nie find fie überfchwenglich, fdmad:
tend und verfchmachtend. Immer fteben fie auf dem Boden der Wirklichkeit,
{ind einfad, fagen alles unverblümt beraus, find „gerade an“, wie eben der Eger:
lander felbft: „Und nu Mäidl, wennft mi gern bäft, fo fag’s kirzagrod“ heißt es
recht bezeichnend in einem Liede.
Oft muß dem Ayofe zuliebe eine innige Fleigung geopfert werden.
Der Bauer gebt nicht auf äußeren Pflanz und Prunt, bei dem nichts dahinter:
ftedt. Don folden Keuten fagt er: Oben hui, unten pfui! Er felbft denkt fich:
Beffer ein Stud! Brot in ser Tafcben als a Sedern am ut. Oder: Bettels
mannifd gefabren ift beffer als edlmännifch gegangen.
Schwärmereien gibt er fih audy da nicht bin: „Was nügt mir KTürnberg,
wenn ich kein Haus drinnen hab“. |
Uber die Mlatur und die Urt feiner Befchäftigung bat ibn gelehrt, daß man
es nur mit zäber, ausdauernder Arbeit weiterbringen kann: „Baling (jäbe) Spring
toun feltn gout! Wer flöign will, mou(ß) vandıb (zuerft) 8’Stügel wadfen
laͤua (laſſen)“.
Die Rede des Bauern iſt nicht voreilig, überſtuͤrzt, denn: „Hitzig is neat
witzig“. Gegen einen Vielredner iſt er mißtrauiſch: „Wer viel red't, mou(ß) viel
1932, I Jofef Sanita, Egerlander Art. 31
Nm a a eB OE ew Sy 8 ES EEE EEE SEE EEE
wiffen oder viel ldign’. Uberbaupt gilt, befonders Sremden gegenuber die Regel:
„Wer niat traut, wird niat oag’fchmiert“.
Seine Jandlungen überlegt er fidh vorher gut, befonders, wenn er irgendwo
mittun foll: „Der z’erft in God einfclupft, timmt zuletzt affe (hinaus) !“ Solche
Einftellungen haben 3. B. die Einführung bäuerlicher genoffenfchaftlicher Organis
fationen {cbr erfdwert.
St ser Egerlander fo neuen Gedanten fdwer zugänglich, fo vertritt er ihn
aber, bat er ihn einmal erfaßt und als ridtig erfannt, mit der ganzen Wucht feines
Wefens und hält daran feft, wenn bei andern die leichter erregbare Begeifterung
längft wieder vorbei ift. Das bat natürlich feine guten und fchlechten Seiten.
Tiirgends baben fic 3. B. politifche und weltanfdaulide Einftellungen und Bes
wegungen, die vor ein oder zwei Menfchenaltern eine Rolle fpielten, fo 3ab ers
halten, wie im Lgerland.
Seinen als richtig erfannten Weg gebt der Egerländer, obne fib um das
Berede der Leute zu kümmern: „UÜDenn man af all Gund fdmeign wollt, doi
ain oaballn (die einen anbellen), mOi~t ma viel Stoi(n) afhiabm (Steine aufbeben)“.
So gebt das Leben in den Bauernböfen in fchwerer, ernfter Arbeit dabin. Die
neuzeitlichen landwirtfchaftliden Mafchinen fcdaffen auc bier große KErleichtes
rungen. Dem jungen Gefdledt Klingen aus der Zeit ausfchließlicher fehwerer
Handarbeit Arbeitsreime fhon faft wie eine Sage berüber, wie etwa der Reim
im Dreitalt der Drefchflegel, der das Rubebedurfnis nad diefer bärteften bäuers
lihen Winterarbeit ausdrüdt: „Wenn Bott ga, daß Llächt wa, wenn Gott ga,
daß iadt wa... (Wenn Gott gabe, dag Llacht wäre). Auf den Gute Macht:
Gruß dachte man fid: ,Die Macht ware fchon gut, wenn nur der Tag beffer
wäre“.
Aber an Sefttagen, beim Tanz, da gebt’s dann bocdhber, da wird „aufges
baut“: „Spielleut fpielt’s af und läut’s (laßt) ’Säitn Elinga .... fingt der
Bauernburfche die Mufifanten an, den fcdaumenden DBiertrug hodbebend. Und
die Mufitanten echeben fid) von ibren erhöhten Sigen und fpielen mit ernften
Gefichtern oder felbft felig vertieft in ibre Weifen dem Burfchen mit feinem
Lieblingsftüdl „s’Bsia eine‘ (das Bier hinein): „Beign, Dudlfad, Klarine(t)n,
808 is a luftigs Leben!“
Don früher ber bat der Egerländer auch Sagen ererbt. Naturerſcheinungen
feiner Heimat regten feine Phantafie an. In dem abgründigen, einft unbeims
licben Moore von Sranzensbad hauft der Hdimoan (Hyebsmann), der durch feinen
peinlichen Adib! Aaib:Ruf, der wie der HSilferuf eines Verfintenden Elingt, den
Wanderer vom fdymalen Weg ablodt, fo daß er im Moor verfinkt. In den ers
lofchenen Bullanen treiben Zwerge ibr Wefen, in den großen Wäldern verfolgen
Molzbetzer die Holzdiebe, HBolze oder Moosfräulein flüchten vor der Wilden Jagd,
der Bilmisfdnitter fchädigt die Selder, in den erzbältigen Bergen baufen Denedis
germännlein, an die verfallenen Burgen Inüpfen fih Schagfagen, im Tillenberg
liegt die verfuntene Tillenftadt, die nach dem Untergange Egers wiedererfteben
wird ufw. Diefe Dinge find beute freilich mebr literarifch geworden, als daß fie
im Volke wirklich noch lebendig find. Das Sranzensbader Moor ift längft „zivilis
fiert und induftrialifiert und der gefurdtete Adimoa(n) bat fid) in eine barmlofe
Redensart geflicdtet.....
Go bat fic bier in der Vlordweftede Bdbmens ein ganz eigenartiger Stamm
gebildet. ,,Unfer gerlander erfcheint uns als ein einbeitlidhbes, ungebrocenes
Mefen, ganz und immer derfelbe, fo daß er eber zerbricht, als fich im geringften
32 Volt und Raffe. 1932, I
zu ändern“ (Emil Lehmann). Der Egerländer ift fich feiner Eigenart aud be:
wußt und ift ftolz darauf, er befigt ein ausgefprochenes StammesgefühlL Diefes
Selbftgefühl förderte namentlich im engeren Egerlande die politifche Dergangen:
beit. Die ebemals freie Reichsftadt Eger mit einer Raiferpfalz der Hobenftaufen
ift Mittelpunkt eines Ländchens, das im 14. Jahrhundert an Böhmen bloß ver-
pfändet, innerhalb des neuen ftaatlichen Verbandes ftets eine rechtliche Sonder:
ftellung einnahm, fogar feinen eigenen Jandtag hatte. Das Egerer Wappen, der
durch ein Bitter zur Hälfte verdedte Reichsadler, ift da fymbolifcher Ausdrud.
Aus dem Heimats⸗ und Stammesgefühl entfpringt dann in der Serne das
Fycimweb. Aber wiederum ift diefes HBeimweb nicht fo elementar wie beim Alpler,
von dem Kirchhoff fagt, daß es ihn wie „eine wahre Seelentrankbeit befällt‘“‘.
Es ift gemäßigter und fehr bezeichnend ift da, daß ein Lgerlander in einem Auf:
fag über die „Egerländer Bmoin‘ den Ausdrud gebraucht, der Egerländer in
der Sremde „Eränkelt“ an der Gebnfucht nach der Heimat. „Überall ift gut Brot
effen, wo man eines bat‘, tröften fich die Egerländer, die in die Sremde muffen,
weil die Heimat nicht alle ihre Söhne ernähren kann. Sie fhließen fich zu Eger:
länder Gemeinden (Egbalanda Bmoin) zufammen, die ihnen ein Stud Heimat
bedeuten.
Stagen wir nun nach der Begabung diefes Stammes !), fo fcheint er weniger
für Höchftleiflungen in Wiffenfchaft, Dichtlunft, politifcher und wirtfchaftlicher
Örganifstion befähigt zu fein, als vielmehr für tüchtiges, gediegenes Mittelgut.
Ein abfchließendes Urteil in diefer Richtung wird nach Beendigung der von
E. Bitrach b:rausgegebenen „Sudetendeutfchen Lebensbilder‘‘ möglich fein. Starter
treten Egerländer bildende Rünftler hervor. Wenn mande Beobachter beim
jüngeren Rünftlergefchlecht eine befondere malerifche Begabung bervorbeben, fo
empfinden wir diefe als ftammesgebunden bei der Betrachtung der herrlichen,
farbenpradtigen Egerländer Stidereien aus der Mitte des vorigen Jabrbunderts ?).
Die ganze erdfchwere Rraft und Wucht des Stammes ballt fid gegen Often zu,
fhon hart an der Sprachgrenze, noch einmal zufammen in den Schöpfungen des
Bildhauers Stanz Metzner, wobei wir ganz befonders an feine „Erde denken.
Über Kaffe und Seele.
Don R. §. Viergug.
affentunde, Anthropologie, wurde bisher haupt(adlid von Ylaturwiffen:
fchaftlern betrieben und daber nad diefer Richtung bin ausgebaut. Wo
man nun die Llotwendigkeit erfannte, auger den körperlichen auch feelifche und
geiftige Züge der Raffen zu befchreiben, fam man zu keinen wirklich befriedigenden
Ergebniffen. Die Antbropologen waren zu wenig Pfychologen, die meiften ftam=
men zudem nody aus einer Zeit, in der eine „naturwiffenfchaftliche‘ Pſychologie
1) Durd fein Siedlungswerk in Weftbdbmen bat der Stamm feine ganz befondere
Eignung für bäuerliche Rolonifation zu fehr erwiefen, als daß dieje Sabigkeit fic nicht in
vollem Maße geltend machte bei jungen Siedlungen weiter im Often, worauf verfdiedene
Beobachter in der Bulowina und Galizien bingewiefen haben. Seber auffadlugreic ift
befonders das inzwifchen erfhienene Buch von W. Rubn, Die jungen deutichen Sprach⸗
infeln in Galizien, Münfter i. OD. 1930.
2) Eine reichhaltige Sammlung ift im Anfdluffe an das Egerer Mufeum ausgeftellt.
1932, I R.$. Diergug, Über Raffe und Seele. 33
vorberrfchte, durch die fie leicht in die Jere gefubrt wurden — und fuchten fie Syilfe
bei den Piychologen, fo ergab fich, daß diefe zu wenig Unthropologen waren.
Will man hier weiterlommen, fo ift zunächft eine Befinnung auf den
Ausgangspunkt nötig. „Aaffe‘ ift eine Tatfache, die der aufgefchloffene
Mienfcy tagtäglich mehr oder weniger erlebt, von der es, wie von jedem Lebendis
gen, keinen Sinn bätte, fie in Rörperliches und Seelifches zu zerteilen. In bezug
auf Kaustiere 3. B. befteht hierüber nirgends der geringfte Zweifel; jedermann
weiß, daß fie fich nicht nur nach Sormen und Sarben, fondern aud) nad) Verbalten
und Wefen unterfdeiden: von einem Zwergpintfcdyer erwartet niemand das gleiche
wie von einem Schäferhund, und diefer leiftet wiederum anderes als ein Dadel.
Ein Lebewefen ift nie ein bloßer „Körper“, ein bloßes Raumpding, fondern
ftets befeelter Leib, wie auch umgelebrt die Seele nichte Liurpfychifches ift, fons
dern zu ihrer Darftellung immer des Leibes und Leibhaftigen bedarf. Wie wäre
Denten möglid ohne Sprache, alfo ohne Sprechen!
Sind Einzelwefen, Einzelmenfchen immer „Leib-Seeles®anzheiten‘, fomuß
auch ihre Raffenbaftigteit etwas fein, was den ganzen Menfchen, Leib wie Seele,
beftimmt. „Raſſe“ ift alfo nicht nur eine biologifche, fondern auch eine pfychos
logifde Tatfache, und obwohl die nambafteften Sorfcher das auch erkennen, ift
man doch zu einer befriedigenden Raffenpfpchologie noch nicht gelangt. Ls fei
dabei ganz abgefeben von Schwierigkeiten nicht wiffenfchaftlicher Art, von relis
gidfen, politifchen oder pfeudowiffenfchaftlichen Vorurteilen, die ihr Zuftandes
kommen bemmen. Sie alle könnten ja nicht befteben, bätte eine echte Raffenpfycos
logie nicht vor allem erhebliche metbhodifche Schwierigkeiten zu überwinden. Hiers
über wird noch zu reden fein (f. S. 34).
Jedermann verfpürt ohne weiteres, wenn er unbefangen Menfchen verfchiedes
ner Raffen gegenüberftebt, daß dsiefe Menfden verfchieden find, und er findet
diefe Verfchiedenartigleit dann wieder bei anderen Mienfchen derfelben Raffe. Und
diefes unmittelbare Erleben der Raffenbaftigkeit befchräntt fich nicht
auf Seftftellung der törperlichen, erfcheinungsmäßigen Unterfchiede allein (meift,
bei Laien, ftommt es gar nicht zu einer „Seftftellung“). Wan bat irgendwie aud
die Wefenbeit des betr. Menfchen mit, vermag wohl audy einige Charalterzuge
anzugeben — meift bleibt freilich diefe Seite des rlebens eines Du unter der
Schwelle Elarbewußter Wahrnehmung. Wir verfügen in verfchiedenem Grade
über die Sähigleit, uns in andere „einfübhlend“, deren Wdefensart gleichfam von
innen ber 3u erfaffen. Alles Derfteben beruht letzten Endes auf diefer Möglichkeit
des Miterlebens deflen, was der andere „ausdrüdt“.
Go ,, bat aud der Sorfcer bei Beginn feiner Arbeit ein ungefdbres Raffens
bild, und damit find ihm beftimmte Richtungen gegeben, in denen er nun mit
wiffenfhaftlichen Methoden weitergeben kann, an deren Ende das geläuterte und
nach allen Seiten fefter begründete Raffenbild ftebt. An diefen Puntte, wo die
wiffenfchaftliche, und das beißt immer: abftrabierende Methode einfegt, beftebt die
große Gefahr, daß man dem, wopon man zundädhft abftrabieren mußte, binterber
mit derfelben Methode beizulommen verfucht, vermöge deren man es anfangs beis
feitegefhoben bat. Sieht man alfo zunadhft vom Lebendigen der Raffe ab und bes
tradtet man fie auch nicht etwa biologifch, fondern matbematifchsnaturwiffens
fdaftlih, dann wäre es finnlos, zu dem fo gewonnenen mecaniftifchen Raffens
bilde dann noch eine „Seele“ fügen und fo die urfprüngliche Banzbeit wieder bers
ftellen zu wollen. Das Seelifche läßt fih auf Wegen, die zu Mengenbaftem
führen, nun und nimmer erfaffen.
Dolf und Baffe. 1952. Januar, 3
8
Volk und Raſſe. 1932, I
Dielmebhr muß der Ausgangspunlt, der vor aller Abftraltion liegt, Har ers
tannt und ftets feftgebalten werden. Auf die ertenntnistbeoretifchen Sragen, die
er aufgibt, namentlich binfidtlid des Ausdrudsverftebens, kann bier nicht eins
gegangen werden; man vergleiche hierzu in Sonderbeit die Arbeiten von Ludwig
Rlages. Ganz verfdiedene philofopbifche Richtungen kommen aber bier zu Ars
gebniffen, die mit den feinen im Grunde übereinftimmen: „Der Leib ift die Crs
fcheinung der Seele, die Seele der Sinn des lebendigen £eibes“ (Klages, Auss
drudsbewegung und Geftaltungstraft, 3. Aufl. Leipzig 1923, SG. 16); „So if
auch die mimifche Bewegung eine unmittelbare Einheit des ‚Inmern‘ und ‚Außes
ren‘, des ‚Beiftigen‘ und des ‚Keiblichen‘, fofern fie gerade in dem, was fie direkt
und finnlich ift, ein anderes, aber in ihr felbft Begenwärtiges, bedeutet und ‚bes
fagt‘“1). Man wird dies gelten laffen und auch folgenden Sat als Ariom anfeben
müffen: „Wie einer fich befindet, fo benimmt er fic) auch“ ?).
Hier alfo fegt nun die fahwiffenfhaftlide Sorfhung ein, die
allerdings einerfeits vom Seelifhen abftrabieren muß, um zu dem zu ges
langen, was an der Raffe biologifd widtig ift. Dies ift das Arbeitsfeld der
naturwiffenfchaftliden Antbropologen, die indes nie verfäumen follten, die
Augen fürdas Banze offen zu behalten und zugleich immer aud pfydos
logifch zu denken. Ihre Arbeit muß begleitet und ergänzt werden von foldyen Sors
fern, die ihr Augenmerk vornehmlich auf Beiftiges und Seelifches richten, aus
deren Methoden das Rörperliche beräusfällt. Es ift aber nötig bei allen Sors
{cdungen, die es mit dem Menfden und feinen Werken 3u tun haben, alfo naments
lid aud fir Aiftoriter und Pfpcdologen, aud immer auf das Banze zu fchauen
und 3ugleicd aud) anthbropologifdh 3u denten.
Lin Antbropologe, der fich diefer Sorderung bewußt ift, der um die Grenzen
der meffenden Derfahrensweifen weiß, ift 3. DB. Stig Lenz. Durcdhaus im Sinne
des Gefagten liegt es, wenn er fchreibt: „So fann man Individuen, die aud nur
einen geringen Anteil negrider Raffe haben, bei einiger Übung mit großer Sicher;
beit erkennen. Ja fogar die Zugehörigkeit zu einer Mifchraffe wie der judifchen
tann man in den meiften Sällen mit einer an Sicherheit grenzenden Wabrfcheins
lichkeit ertennen.... Wenn das mit beftimmten Waßmethoden nicht gelingt, fo
fpricht ase alfo eber gegen diefe Methoden als gegen die Möglichkeit der Erlens
nung“).
Der eingangs erwähnte Mangel einer befriedigenden Raffenpfychologie bes
ruht aber vor allem darauf, daß die meiften von Anthropologen unternommenen
Derfuche, ein Bild vom Ganzen einer Raffe zu erlangen, additiv vorgingen,
ja teilweife im mehbaniftifhen Dentfchema verblieben, das zwar für große
Teilgebiete der Klaturwiffenfchaft feine volle Berechtigung bat, mit dem man aber
nun und nimmer Seelifches erfaffen kann.
Beifpiele für folche Sehlverfuche finden fih vielfah bei W. Scheidt. Sür
ibn fallen „die Methoden der allgemeinen Raffentunde“ „natürlich“ „mit den
Methoden der Erblicdleitss, Dariationss und Auslefeforfehung“, in denen er rein
mechaniftifch vorgeht, zufammen *), und ganz im Sinne diefer Dentweife liegt es,
wenn er a.a. ©. (S. 5f.) unterfcheidet Zwifchen unmittelbar feftftellbaren Werts
1) Eaffirer, Philof. der fymbol. Sormen, I, Berlin 1923 ae
2) v. ornboftel, Kaut und Sinn, Seftfchrift Meinhof
3) BaursSifherskenz, Grundriß dec menfdlicden Erblichteitelehre I, 2. Aufl.
unden, ©. 4
4) ’ Kaffenforfung“, Leipzig 1927.
1932, I R. $. Diergug, Über Raffe und Seele. 35
malen und folden ,,(bef. feelifchen) Merkmalen, die nur mehr oder minder
mittelbar, auf dem Wege über follettiv erfcheinende Außerungen, erfchloffen wers
den können“. Ja, Scheidt verfuht fogar eine Befhreibung des Seelis
{den auf medhaniftifher Abftrattionsebene: „feelifche Lebenserfcheis
nungen“ find ibm „LebeweienstimweltsRealtionen im Gefolge der finnliden
MWebhrnehbmung. Seele ift die felunddre DOabrnebmungswelt oder die durch Eins
. flüffe finnlicher Wahrnehmung gemodelte fetundäre lebendige Subftanz‘‘ 5) (unter
„felundärer leb. Subftanz‘“ verfteht er bier das Soma). So „eralt naturwiffens
fcaftlicd das auc Plingt, fo febr bier verfucht wird, den Anfchein zu wahren,
als bandbabe man nur Begriffe, die durch Betrachtung des Gegenftandes von
außen ber gewonnen find — fo erweift fich doch gerade an diefem Beifpiele das
Derfagen diefes Bemibhens: Lebenserfcheinungen, nun gar „feelifche‘‘, find gar
nicht zu befchreiben ohne Begriffe, die aus der Erfahrung des eigenen Innern ftams
men. Denn wie könnte fonft von „finnliden Wahrnehmungen“ gefprodhen wers
den?! Ic weiß von ihnen nur auf Grund meiner Selbftbefinnung. Die Pros
jettion der Lebenserfdeinungen auf die Wbftraktionsebene der mathematifden
Ulaturwiffenfdaft gelingt nicht nur nicht ohne erhebliche Derzerrungen und Ums
ftändlichkeiten, fondern auch nicht obne Derluft gerade der wefentliden Züge des
Kebendigen. Werden diefe dennod anzubringen verfudt, fo gefdiebt das auf
Roften der Reinheit des Prinzips, der Methode und damit audy der Ergebniffe.
Ein weiteres Beifpiel für den Verfuch, Seelifches medhaniftifch zu erfaffen,
ift der Sat Scheidts (a. a. ©. &. 31): „Die Pfychologie könnte fidy nun auch,
einen entfprechenden Stand der Phyfiologie vorausgefetst, fo ausdrüden, daß fie
etwa fagen würde: ein Menfc, der die und die Veränderungen der und der Rörs
perzellen im Gehirn, Rleinhirn, Rüdenmarl, in Llervenbahnen, innerfelretorifchen
Drüfen ufw. aufweift, wird diefer Befhmadswahrnebmung, diefen Schlüffen
aus dem Wege geben, jenen Unfall erleiden...“
Wichtiger noch als diefe Derfuche, Seelifches auf mechaniftifche Art zu er-
faffen, die ja fhon daran fcheitern, daß der vorauszufetzende „entfprecdhende Stand
der Dbyfiologie’ nicht erreicht ift — wichtiger ift das bei faft allen Antbropologen
zu beobadtende additive Derfabren als Ablömmling einer medhaniftifchs
naturwiffenfchaftlichen Denkweife. Gie dugert fid vor allem darin, daß man
verfucht, feinen Gegenftand, in unferem Salle alfo die Raffe, von feinen Teilen,
p&lementen“ ber zu begreifen und aus ihnen aufzubauen. So fprah Scheidt
oben von „feelifhen Merkmalen“. Lab ihm wird der Raffentypus „zufammens
gefügt‘‘ aus den „typifchen Werten jedes einzelnen Merktmals‘ 6), wobei er unter
„typifchen Werten“ Zahlen verfteht, die er aus den Maßangaben eines „Werks
mals“ für eine größere Anzahl Hienfchen berausrechnet. „Seelifche Merkmale‘,
„auf dem Wege über follettiv erfcheinende Außerungen erfchloffen“, woürde er zu
diefen unmittelbar, durd Meffung ufw. gewonnenen hinzufügen: binfidtlid
widhtigfter Raffenunterfchiede komme es ja „letzten Endes darauf an, die drtliden
Unterfciede beftimmter ldorperlider Raffenmertmale mit denen beftimmter volles
tümlicher und allgemein kultureller Außerungen zu vergleichen“ („Raffenforfhung“
SG. 7) und (SG. 15) ,,in Zufammenbang zu bringen“. Cine Welt von Sragen tut
fiy auf hinter diefer fo einfach Elingenden Sorderung, tulturelle Augerungen und
körperliche Mertmale in Zufammenbang zu bringen. Was befagen folde Zus
6) „Rulturbiologie”, an — S. 38.
) „Raffenforfhung“ &
3*
36 Volt und Kaffe. 1932, 1.
fammenbänge, gefett, fie könnten aus dem Banzen der Rultur einer Landfchaft,
eines Volles oder Stammes, berauspräpariert werden, für die feelifche Eigenart
der betreffenden Bewohner? Wie find diefe Zufammenbänge kulturpbilofophifch,
wie find fie gefchichtlich zu verfteben? Wie und wo fcheidet fic der Anteil des
taffenmäßigen, ererbten Eigenwertes von dem der Überlieferungen? die liege fib
der Anteil einer (gar mebrerer!) Beimifchungen berausfchälen, der im Aulturellen
einen ganz anderen Umfang baben tann als im Gomatifden? Ufw. ufw. Mit
diefen Bedenken foll beileibe nicht gefagt fein, daß fid vom Kulturellen ber übers
baupt nichts über das Raffenfeelifche ausmachen ließe, hiervon wird noch zu reden
fein; aber auf diefem additiven Wege, wie ihn Scheidt bier verfucht, läßt fich die
Banzbeit einer Raffe nicht erfaffen.
Abnlich fucht auch Lenz („Brundrig“ I) die „feelifchen Unterfchiede der
großen Raffen zu beftimmen: „In ähnlicher Weife‘ (wie die erblichen Anlagen,
welche in der körperlichen Erfcheinung des Mienjchen zum Ausdrud kommen)
„find auch die feelifhen Erbanlagen über die verfchiedenen Länder verteilt‘
(GS. 406). £enz will nun aus den feelifchen Unterfchieden der Bevdllerungen auf
die feelifhen Anlagen der fie zufammenfetzenden Raffen zurüudichliegen. Wie das
im einzelnen zu machen fei, ohne groben Seblern aus „Überprägungen“ u. &. zu
verfallen, führt er freilich nicht aus. Eine große Rolle fpielt bei ibm die Srage
der geiftigen Begabung. Jhrer Erforfhung legt er Schulleiftungen zu
Grunde (3. 412). Die Unterfchiede der Begabungsböbe namentlich europäifcher
Raffen belegt er durch eine amerikanifche Heeresunterfuchung”?). Die Seelenbilder
der „großen Raffen“ fucht er an Hand der einbeimifchben Rulturen zu ges
winnen und befchreitet damit einen Weg, der unter gewiffen Dorausfegungen
zu brauchbaren Ergebniffen führen fann. So betrachtet er die Rultur der „Lieger‘“
in Afrika, der „Mongolen“ in China und Japan. Sür letztere ift ibm 3. B. lenns
zeichnend ihre Lleigung zur Befchichte, trodene Lrüchternbeit und die Tatfache des
Seblens von Religionstriegen. Es fei noch erwähnt, daß Lenz an der vorders
‚afiatifchen Raffe Gewandtheit in Handel und Verkehr, wohl mit auf ihrer Mens
fehentenntnis berubend, feftftellt und eine gewiffe weltflüchtige @eiftigleit ans
deutet. Die nordifche Seele befchreibt er mit Willensfreibeit und Dorausfidt.
Der mechaniftifch anmutende Ausgangspunlt, den wir bier bei Lenz fefts
ftellen mußten, findet fih auch bei Büntber. Er fiebt zwar das Wefentlice
einer Kaffe in einer „Menfchengruppe‘, als ihr Rennzeichen aber dod, additiv,
die „Vereinigung körperlicher Merkmale und feelifcher Eigenfchaften“ (Rafs
fentunde des dt. D., 32. Aufl. S. 15). Diefen Zwiefpalt vermeidet Sifcher,
wenn er die Definition der Raffe von Große übernimmt, welche das die Raffe
Beftimmende in dem „bereditären GBemeinbefi eines beftimmten angeborenen
körperlichen und geiftigen Habitus erkennt (zit. nady Büntber a. a. O. S. 15).
Aber Büuntber verläßt dann doch diefen additiven Weg und fucht die Seele
als eine Ganzheit zu befchreiben, die durch das Dorwiegen beftimmter „Berns
eigenfchaften“ eine gewiffe Struttur erhält. So betont er die Liotwendigkeit, den
Wefenstern eines Menfchen zu erkennen, auf den — und bier erweift fich, daß
er im Grunde doch vom Ganzen ber blidt — „das Leiblihe wie das Seelifche
in wechfelfeitiger Bedingtheit und KEntfprechung binweifen“ (a. a. ©. ©. 2).
Damit ftellt er fich auf den Ausgangspuntt, den wir oben (GS. 2) als unerläglich
erfannt batten.
1) Yiah PYertes, Psychological Examining in the U.S. Army, Wafbington
192}.
1932, I R.$. Diergun, Über Raffe und Seele. 37
Aber wie fucht er nun diefen „WDefenstern“ zu erfaffen? Er gebt dabei
grundfaglid& denfelben Weg wie Lenz. Zwar befchäftigt er fich Zuerft mit den
poewegungseigenbeiten der Raffen. Aber ftatt diefe Bride zum Seelifchen zu
Ende zu geben, faßt er doch zum anderen „feelifche Eigenfchaften“ zufammen und
fudt fie dann zu gliedern nady Rerneigenfchaften, denen die anderen als Neben⸗
eigen(daften und Solgerungen, Derivate, angegliedert werden. Diefe Gliederung
erfolgt aus der richtigen Einficht heraus, daß die Seele ein ftrulturiertes Ganges
ift; die Glieder aber fucht er doch auch vereinzelt zu erfaffen: durch unmittelbare
charalterologifche Beobachtung vieler Einzelner (unterftügt durch verfchiedene
Sorfcher), zumal wo fie in gefchloffenen Siedelungen eine Aulturform entwidelt
baben, von der man auf Grund von Vergleichen annehmen darf, daß fie Züge
vom Seelifchen der betreffenden Raffe aufweift; — diefe an fich ganzheitliche Bes
tradtung ergänzt er duch Erforfchung jener Rulturformen felbft, namentlich
ihrer vollstümlichen Seite (denn die „höheren“ find ja zu fehr vom gemein
europäifchen Bildungsgut beftimmt); — daneben betrachtet er tppifche Vertreter,
die irgendwie für die Kultur bedeutfam find (was freilich erft gefcheben kann,
wenn Dergleichsftoff vorhanden ift); — und fchließlich fügt er hierzu die Ber
obadtungen uber Art und Häufigkeit von Verbrechen in Gebieten des Dorwiegens
einer Raffe. Auf Mifcherfcheinungen und „Überprägungen“ gebt Gunther ein
in „Raffe und Stil“ (München 1926).
Kenz und Gunther ftügen fich in ihrer feelifchen Rennzeichnung der
Raſſen ſonach vornehmlich — neben unmittelbarer Beobachtung der lebendigen
Menfhen — auf die Leiftungen, die Rultur der Raffen. Wach dem,
was wir über den Zufammenbang Seele —Leiib— Ausdrud— Derfteben wiffen,
ift diefer Weg durchaus gangbar. Denn die Tat, das Wert ift ein befonders wichs
tiger „Ausdrud“ des Wienfchen, wenn auch kein unmittelbarer, wie etwa die
Mimi, fondern ein auf beftimmte Zwede gerichteter. Aber gerade darin Außert
fic) der Geift einer Raffe, der fih in Werken zu verwirklichen trachtet.
Kur muß fich, wer diefen Weg befchreitet, über die Schwierigleiten und
Oefabren im Maren fein, denen er da begegnen muß. Allen kulturellen Außeruns
gen liegen Wertungen zum Grunde. Aber Raffen (und Kulturen) tonnen
nicht gegeneinander gewertet werden; es gibt feine an fich „böber‘‘ oder „tiefer“
ftebende Raffen. Eine Wertung ift nur von beftimmten Gefidtspuntten aus
möglich, die man als foldhe kennen muß. Als folche bieten fich etwa an: die
Widerftandsfabigteit gegen beftimmte Rrankheiten, die Anpafjungsfäbigkeit an
die verfchiedenften Rlimate — fchlieglih auch die Cignung fur eine beftimmte
Rultur. Diefe, nicht die „Begabung“ fcledthin (eine folcdhe gibt es nicht), ers
fährt man in bezug auf im wefentlichen nordifche Kultur, wo man im Umtteis
europäifcher Zivilifation Schulzeugniffe oder die meiften pfychologifchen Tefts
befragt. „Begabung“ gibt es nur zu beftimmten Leiftungen. Sind das Leiftuns
gen, für die der nordifche Menfch begabt ift und auf denen feine Kultur beruht,
fo müffen gegen fie andere Raffen natürlich minder begabt erfcheinen — wie ums
gelehrt der nordifche Menfch unbegabt ift für Leiftungen etwa der Liegers oder
Estimotulturen.
Eine Ausnahme bierpon leidet böchftens das reine Denken. Auch zu ihm
mug man begabt fein, aber ihm ift doch kein befonderer Stil eigen: den Pytbas
gordifdhen Lehrfat kann man nur „auf matbematifch‘‘ beweifen, nicht „auf nors
dich‘ oder „auf hinefifch“‘. In diefem Sinne bat Konfuzius recht, wenn er
fagt: „Zwifchen gebildeten Wienfchen gibt es keine Raffenunterfchiede“. In be:
38 Volt und Raffe. 1932, I
a ———
zug auf die Wiffenfchaft als folder tann man wobl von verfdiedener Bes
gabungebdbe der Raffen fprechen, je nachdem, zu welcher Höhe der Abftraktion
der Durchſchnitt oder die Beften einer Raffe fähig find. Cs gäbe aber ein völlig
foffches Bild, wollte man von bier aus die Seele einer Raffe ergründen, denn
— und dies gilt in gleicher WDeife für alle irgendwie feftgeftellten einzelnen
Sunttionen und £eiftungen — nun lommt es darauf an, was eine foldye Begabung
für das Banze diefer Seele bedeutet.
Go weit fic diefe Derfuche, an die Raffenfeelen beranzutommen, nady der
Weife matbematifcher Kiaturwiffenfchaft vollzieben, tonnen fie 3u keinen befriedis
genden Ergebniffen führen. Brundverfchieden ift die pfychologifche Denktweife
von diefer, die von großen Zahlen ausgebt, durdhfchnittliche Leiftungen und
Unterfchiede feftftellt, fie auf ,€igenfdaften’ als eine Art feelifcher Elemente
surüdführen will und aus ihnen auf Grund einer populären Charalterologie ein
Bild der betreffenden Raffenfeele zufammenzuftellen trachtet. Aber auc dort,
wo die Raffe als Banzheit ins Auge gefaßt wird — wie namentlidh bei Gunther
— ift es Baum in einem Salle möglich, danach und damit die Raffenhaftigleit eines
Einzelnen zu beftimmen, das zu erfaffen und zu gliedern, was man unmittelbar
erlebt, wenn man Mienfchen verfchiedener Raffen oder gar Baftarden gegenüberftebt.
Hinzulommen müßte die Beobadtung und Bewertung des unmittelbaren Auss
druds: der Mimik und der Beten. An diefem Puntte vor allem können wir auch
den Einzelnen faffen. Hieran fehlt es noch trotg wertvoller Anfäge, die nun der
pfychologifchen Ausarbeitung barren.
Um bier weiter zu kommen, ift die Befinnung auf den Ausgangspuntt, von
dem oben die Rede war, erforderlich. Hier fegt die pfychologifhe Dentweife
cin, fir welche gilt, daß ein Ganzes (auch „Raſſe“ ift ja ein Ganzes) mehr
ift als die Summe feiner Teile. ft diefe Erkenntnis auch der biologifchen
Haturwiffenfchaft nicht fremd, fo gebt doch die pfychologifche Betrachtung noch
entfchiedener vom Banzen aus, deffen Befet fie in den Teilen und Gliedern
wiederfindet, die fie von da ber verftehbt. Das gilt namentlich von der Banzbeit
der Seele, aber auch von jeglichem Erleben, fofern man es nicht objeltiviert, fons
dern eben pfychologifch betrachtet 8). „Das wirkliche pfychifche Befcheben vertnupft
nicht ftüdtweife Einzels,Dorftellungen‘ mit anderen ebenfoldyen, fondern urfprüngs
lich und regelmäßig verläuft der Strom des Erlebens ganzbeitsbeftimmt von Eins
ftellung 3u inftellung, in heterogenen, ganz oder teilweife ungegliederten Roms
pleren.“
Yun bat aber der Strom des Erlebens im Gegenfage etwa zum WWDaffers
ftrom keine glatte Oberfläche, fondern fdhon im bewußten und bemerkten Erleben
wird eine Bliederung erkennbar, am deutlichften im Erleben einer Tiefe. In ibe
namentlich wird etwas ertennbar, was allem Erleben als zugrundeliegend gedacht
werden muß: eine Strultur. In ihr, erfceheinungsmäßig im Werterleben, ers
faffen wir den Rern der Perfönlichkeiten: „Eine wabrbaft wiffenfchaftliche, ges
netifh und fozialpfychologifch durchgeführte Theorie der menfchlichen Lebenss
formen, für welche das ‚Zentrum unferer Struktur‘ fehr viel mebr ift als ‚ein
Bündel von Gefühlen und Trieben‘, erkennt in den Wertungsdispofitionen, nicht
aber in den ‚Zwedzufammenbängen‘ den Rern fowohl der Perfönlichkeiten als
des Rulturlebens“ (Rruegera.a. ©. ©. 51).
8) Siehe Rrueger, Über pfydiiche Banzbeit. Lleue pfychol. Studien, I, 1, S. 27.
1932, I R. $. Diergug, Über Raffe und Seele. 39
u EEE SEE EEE Pe Ee
iermit ift die Richtung gewiefen, in der eine Raffenpfychologie vorzus
geben hatte; denn wo anders follte ,,Raffe zu erfaffen fein, wenn nicht im Bern
der Derfönlichkeit? Raffe it das Befeyg der Banzbeit, erkennbar in übers
greifenden Strulturqualitäten, die, „pfychopbyfifch neutral (Stern), fowobl
den befeelten Leib wie die leibbaftig erfcheinende Seele durchberrfchen, die Weife
ihres Erlebens und Außerns beftimmen.
Sreilich ftellen fic der praktifchen Sorfchung erhebliche Schwierigkeiten ents
gegen. Ks ift ja bekannt, wie fehr der Kern und die Anlage eines Menfchen durch
Erziehung und andere Kinflüffe gemodelt werden können. Dor allem wiffen wir
aud das Inhaltliche in Denken, Werten und Handeln eines Menſchen als ab⸗
bangig von vielen Außeren LUmftänden, zumal dem jeweiligen „Zeitgeift“. Auf
808 Inbaltlidhe an fich, etwa die Zugehörigkeit zu einer Weltanfdauung oder
einer Partei, kommt es darum im einzelnen Salle nicht an, wo es um das Raffifde
der Seele gebt, fondern darauf, was aus der Umwelt und dem Schidfal einer
Seele gerade diefen und keinen anderen Inhalt madht — die Dispofitionen.
Yiun gibt es aber auch keine Dispofitionen fchlechthin; ftets muß angegeben wers
den, worauf und wodurd fie gerichtet find. Wir dürfen auch nicht in den Sehler
der alten pfychologifchen Schule verfallen, die Seele als eine Summe von Diss
pofitionen erklären zu wollen. Diefe fteben vielmehr zueinander in ganz beftimms
ten Derbältniffen und bilden zufammen ein „woblftrutturiertes Banzes“®).
Diefes Ganze wird nun ebenfo vererbt wie fein „Entwidlungsmodue, d. b.
die Art und Reihenfolge des ganzen pfychifchspbyfifchen Ablaufs von der Wiege
bis zum Grabe (Sommer ©. 20).
In diefem Gefey der Ganzheit, das die Weifedes Erlebens
und Außerns wie die Art und Sorm des ganzen organifch>
pfyhifchen Ablaufs beftimmt, ecfaffen wir die Raffenbhaftigs
beit des Menfchen. Ls ift einerfeits ficher ererbt, andrerfeits aber auch der
Betrachtung unmittelbar und in jedem Augenblid zugänglich, fofern man feinen
Blil dafür gefchärft bat.
Es ift nun erfreulich, zu feben, daß die Antbropologen vielfah in
diefer Richtung gearbeitet haben, auch wo fie fich über ihre Erkenntniss
grundlage nicht im Elaren find. So betont u. a. Scheidt, obwohl er fonft ganz
mechaniftifch denkt, in der Raffenpfychologie werde „mit der Befchreibung von
Außerungsunterfcdieden Befferes erreicht als mit ... Kigenicheftsunters
fcheidungen“ (Raffenforfhung S. 15). Damit zielt er ja auf tonftante Auges
rungsridtungen, alfo auf Strutturqualitaten.
Betrachten wir aber auch die auf anderen Wegen gewonnenen Lrgebniffe,
fo feben wir, daß die aufgeftellten „Rerneigenfchaften“ gar mande Abns
lichkeit mit feelifhem Stil haben, zum mindeften läßt fi aus ihnen ein
folder Stil ableiten. Man vergleiche 3. B. die angedeutete Beſchreibung der
„mongoliſchen“ Seele durch Lenz: ift „trodene Hüdternbeit“ nicht in der Tat ein
Zug, der — mit unferen Augen betrachtet! — in allen Außerungen mongolifcher
Gefittung wiederzulehren fceint? in Stil, der felbft ihre Glaubens» und Sittens
leben durchberrfcht? Wir kommen auf das Verhältnis „Stil“ und „Berneigens
{daft nody einmal zurüd.
Jedenfalls dürfen die Ergebniffe der bisherigen Verfuche, die feelifche Kigens
art der Raffen zu befchreiben, nicht nur bei allen künftigen Verfuchen in diefer
) So Sommer, Geift. Deranlagg. u. Dererbg., 2. Aufl., Leipzig 1939, S. 23, der
fi darin ganz mit Rruegers Auffaffung dedt.
40 Dolt und Kaffe. 1932, I
$e ren RP ann 0 0
Ridtung beadhtet werden, fondern fie müffen es auch, und wo ihr Bild geändert
wird, bedarf dies in jedem Salle eingehender Begründung. Trog des Mangels
an pfychologifcher Schulung haben die Anthropologen doch Wertvolles — wenn
aud) nod nicht Legtgultiges — für eine Raffenpfpchologie geleiftet; und es ftebt
zu hoffen, daß aus der Zufammenarbeit der Antbropologen, Pfydhos
logen und AHiftoriler wirllidh Befriedigendes hervorgehen wird — allen
Vorurteilen zum Troß, die dem namentlich auf geifteswiffenfchaftlicher Seite
immer noch entgegenfteben.
Es fei nun nod der Derfud eines Philofophen und Pfydologen betrachtet,
der aud) vom unmittelbaren Erleben der Raffenbaftigteit ausging, nun aber zus
nahft vom Rörperlichen abftrabierte.
Ihm ift alles Leibliche nur Ausdrudsmittel für Seelifches und erbält von
diefem feinen Sinn. Es ift Ludwig Serdinand Elauß, deffen Werte „Raffe
und Seele“ und „Don Seele und Antlig der Raffen und Völker“
wir im folgenden zugrunde legen.
Ihm ift Raffenpfychologie ausfhlieglihb Stilforfhung. Er betreibt fie
am unmittelbaren, lebendigen Ausdrude der Menfhhen. „Raffe“ faßt er als Jdee
im platonifchen Sinne auf, die fic in den Menfden in verfchiedenem Grade der
Polllommenbeit verwirklicht. Darum zeichnet er von jeder Raffe jeweils das
feelifehe Bild ihres volllommenen Vertreters, ihres „Edelings“, nicht ihres Durdys
fehnittes. Diefer metapbyfifche Standpuntt ift als foldher weder zu beweifen noch
zu widerlegen, wobl aber feine wiffenfchaftliden Auswirkungen. Wir haben
zu fragen, ob die Wege, weldbe Clauß befchreitet, wiffenfchaftlih, d. b. für
alle entfprechend Dorgebildeten begebbar find, und von bier aus feine Ergeb>
niffe zu prüfen, wobei wir fie mit denen anderer vergleichen müjfen.
€s erfdeint uns als einfeitig, wenn Claug nur den phanomenologifden
Meg zur Raffenpfychologie für möglich hält. Aber wir können ihm doch in vielem
zuftimmen. Go, wenn er ,,Raffe nidt als eine Summe von Kigenfchaften ber
ftimmt, fondern als ein „inneres Befetz‘‘ — eben den Stil der betreffenden feelis
ſchen Banzheit. Er werde erforfcht vom Erleben und feinem Ausdrud aus. Wir
weren zu einem ähnlichen Ergebnis bereits gelangt und wollen nun zunädft
Elauß’ Thefen über „Grundfragen ser feelentundliden Anthropologie (Don
Seele u. Antlig S. 57 ff.) wiedergeben, welche feine Auffaffung der Bedeutung
und der Grenzen diefer „mimifchen Methode‘, wie er fie nennt, zeigen. „Auss
drud verfteben, beißt: das Krlebnis miterleben, das der Ausdrud ausdrudt‘“
(8. 58). Derfelbe Menfch bat teil an verfchiedenen „Beftaltideen‘ (er handelt eins
mal als ,,Bauer“, dann als ,,@atte oder ,,@Gemeindevorfteber’ ufw.). Aber fein
Erleben bat immer eine Weife, einen Stil, der alles beftimmt und durcdhwirkt.
Der ,,Stiltypus wird „im Mitleben“ verftanden (S. 62). Durdy vergleichende
Abgrenzung wird das fo Verftandene begrifflid geflart und „ertannt‘“. Wichtig
ift es nun, die für eine Raffe typifchen Vertreter zu finden. Das gefchieht durdy
Derfentung in die „Gefetzlichleit der Beftaltidee‘, durch „Erfahren einer Sülle
von Einzelmenfcdhen und ihrer Welten“ (S. 64). Ift fo der Blid für den Stil
(der für Clauß eben die „Befetzlichkeit der Geftaltiee’ ift) einer Raffe gefchärft,
dann erkennt man fie felbft aus Teilen (3. B. einer Gefte) des Menfden.
Über Stil und Ausdrud Außert er fich deutlicher in „Raffe und Seele“:
„Artung‘ (fo nennt er bier das Stilgefeg im Erleben einer Seele) wird ertenns
bar am Ausdrud, diefem „deutet‘‘ der andere fein eigenes Erleben „ein‘‘ und „pers
ftebt‘‘ fie fo. Dom Ausdrudsftil unterfcheidet Claug den Ausdrudsinbalt, das
1932, I R. $. Diergug, Über Raffe und Seele. 41
Erlebnis. Bei Raffengemifchten wechfelt der Stil bisweilen mit dem Inhalt. Der
„LKeibs Bauftil“ „umgrenzt ... den Umfang feiner (feelens) ftilhaften Mögs
lichkeiten“ (S. 74 in „Seele u. Antlig). Wo verfudt wird, einen anderen Stil
als den in Leibesbabnen vorgezeidneten auszudriden, entftebt ,,Dofe. Je Marer
der Bauftil eines Leibes, defto deutlicher verlangt er eine beftimmte Weife feelis
fben Ausdruds (GS. 74). Entfpridt ibm der Erlebnisftil der Seele, dann ift
„volllommener“ Ausdrud möglich, andernfalls nur „gebrochener“ (S. 76). Züge
des Antliges können „leer“ bleiben, wenn kein artechter Ausdrud fie belebt (S. 77).
Derwidelt wird die Ausdrudsforfhung dadurch, daß der ftiltypifche Auss
drud durd ation, Dolt, Stamm, Stand, Beruf und Einzelfchidfal vielfhichtig
geprägt wird, doch ift durch alle Prägung, die Menfchen verfchiedener Raffe,
aber 3. B. eines Berufes, einander angleichen kann, doch der Raffenftil erkennbar.
Bwifchen den raffifchen Stiltypen einerfeits, den Prägungen, feelifchen Ans
lagen und Kigenfchaften andrerfeits befteht das Verhältnis, daß fie zwar an fich
(gemeint ift: begrifflich) von einander unabhängig find, daß aber jedes Stils
gefeg gewiffe Prägungen, Anlagen und Kigenfchaften bes
günftigt. Bei der Wichtigkeit gerade des letsteren Derbältniffes mögen Clauß’
eigene Worte bier fteben: „Jedes Stilgefetz begünftigt feinem Sinne nach ges
wiffe Anlagen von Eigenfchaften, und zwar fo, daß gewiffe Eigenfchaften, wenn
fie in einer Seele vom Stiltypus A auftreten, dort eher Zur berrfchenden Kigens
fhaft innerhalb einer einzelmenfchlichen Anlage beftimmt fein können als in einer
Seele vom Stiltypus B, ufw." (S. 99).
Selbftverftändlich lonnen aud) nad) ClaugG die Raffen nicht gegeneinander
gewertet werden. Dielmebr trägt jeder Stiltypus feine Wertmöglichleiten und
ihre Ordnung in fich (S. 15). So fann man audy nicht, wie „Raffe und Seele“
ausführt, von „Seblern“ einer Raffe reden, das wäre genau fo unwiffenfchaftlich
wie die Bezeihnung „nügliche“ und „schädliche“ Tiere.
Unfere Bedenken gegen diefe Methode richten fich vor allem auf den Ans
teil des Gubjettiven, der ibr bei ClaugQ anbaftet und fich im VDerfteben des
Stiltypus durd Miterleben, dem Angelpuntt des Banzen, verdichtet. Die Grunds
frage der mimifchen Methode ift überhaupt die: wie ift das unmittelbare Auss
drudsverftcehen möglih? Daß es möglich ift, darüber kann kein Zweifel bes
fteben, wenn auch die Menfchen in verfchiedenem Grade zu foldyer „Schau“ bes
gabt find. Elauß nennt diefe Art des Verftebens „Mitleben‘‘ und befchreibt es
als ein inneres Spielen der Rolle des anderen, auf diefe Wdeife könne man feine
Welt und ihre Möglichkeiten in fich felbft erleben und abfchreiten. Es fei nicht
beftritten, daß diefer Weg gangbar ift. Sceilich fpielt Gubjettives hierbei eine
beträchtliche Rolle: man muß zu foldem „Syineinverfegzen‘‘ in den anderen fähig
fein, irrationale Saltoren treten dabei ins Spiel, es ift unauflösbar verbunden mit
der eigenen Erlebnisbreite, der perfönlichen Erfahrung u. &. ClaugG ift fich diefer
Grenzen feiner Methode auch bewußt: über fie hinaus fei nur noch Schließen
möglich.
Ertennt man aud den Weg, in der Augerung Seelifcdhes zu erfaffen und
mit ibm die Geftaltgefeglicdteit, als legitim, fo bleibt dod 3unddh(t und 3umal
bei Elauß der Machteil des verhältnismäßig großen Anteils des Subjeltiven bes
fteben. Er könnte ausgeglichen werden, wenn möglichft viele Sorfcher auf diefem
Gebiete arbeiten und fi dabei tunlichft nachprüfbarer Mittel bedienen (3. B.
tinemstograpbifdhe Aufnahmen mimifcher Reiben), die freilich durch die Llatur
des GBegenftandes ziemlich eingefchräntt find — verbalten fid dod) die meiften
42 Volt und Raffe. 1932, I
eS SS SS SP
anders, wenn fie merken, daß man fie beobachtet. Cin weiterer Ausgleich beftände
in der Dergleihung mit Ergebniffen, die auf anderem, etbnograpbis
fem oder biftorifhen Wege gefunden wurden. rft die innige Zufammens
arbeit naturwiffenfchaftlicher und pfychologifcher Antbropologen liefert vertiefte
und fichere Ergebniffe.
£s bleibt uns nody übrig, kurz auf Elauß’ Ergebniffe einzugeben, wos
bei audy Streiflichter auf das Verhältnis Stil und Eigenfchaft fallen werden.
Die nordifde Raffe nennt Elauß „£eiftungstypus“, eigentlih „Auss
griffstppus“. Jbr ift die Welt Gegenftand, objectum, nach dem fie ausgreift,
den fie geftaltet. Das fetzt ein Abftandserleben voraus und erfordert Herrenart
und Pflichtbewußtfein. In „Raffe und Seele“ wird diefes Welterleben fdylags
wortartig zufammengefaßt als: „Der Abftand als Seld des Ausgriffs“.
Die weftifche (mediterrane) Raffe beißt „Darbietungstypus“, ihre „zuges
hoͤrige“ Landfchaft „mittelländifch“. Kine foldhe Seele erlebt die Welt als Tris
bine und fic als Spieler, wie denn diefes Erleben in „Raffe und Seele“ getenns
zeichnet wird durd: „Der Abftand als Seld des Spieles“, „Anmut im Spiele
macht den Wert diefer Mienfchen aus“ (daf. S. $5).
Die orientalifche Kaffe nennt er „Berufungstypus“ (bzw. „wöüftenläns
dif). Ihre feelifche Grundhaltung ift ein ,,inborden“ auf das im Krleben
Mechfelnde, häufig bingegeben an den Augenblid und die Stimmung, daber uns |
bereyenbar und von „fließendem Umrig’ swifden Derfuntenbeit und auffprins
gender Leidenfchaft. Ihre Adelsform ift der von Bott Berufene, der Prophet.
Die vorderafistifche Raffe gipfelt im „Erlöfungstypus“. Sie kenns
zeichnet ein „Hang“ aller (leiblichen) Sormen, ihr Bauftil habe Ahnlichkeit mit
dem des Ramels (S. u. A. S. 29). Sie ift weltabgewandt oder gleichgültig
gegen die Welt, das „Außere‘“, und dem Inneren, dem Geiftigen zugelebrt. So
ift ihr nichts einfach felbftverftändlich, fondern alles erft zu ergründen, und darum
erfüllt fie Mißtrauen und Wißbegier, die von anderen leicht als „zudringlich“
empfunden werden kann. Im Grunde erlebt fie ftändig einen WWiderftreit des
„Sleifches“ mit den „Geift“. Der „Erlöfte‘‘, der Heilige, ift die Vollendung nach
diefer Seite, während die Derleugnung des Beiftes zu Stoffs und Mactgier
führt, die alt, aber erfolgreich ift — eine „verzerrte‘ Sorm.
Die dinarifde Raffe fapt Clauß ale Mifchung des Leiftungss mit dem
Erldfungstypus auf.
Als letzte befchreibt Elauß den „Entbebungstppus“ („turanifch‘‘) und faßt
darunter die oftifche (alpine), oftbaltifche und fudetifche Raffe zufammen. Diefer
Menfch nimmt an allem gleich großen oder Beinen Anteil, ift mit allem im Grunde
irgendwie unzufrieden. Diefe Seele traut fich nicht recht, FÖBt nicht vor bei Bes
rubrung mit Sremdem, fondern fchrumpft in fich zurud (in Raffe und Seele: in
ihre „dumpfe Rugel“, ein Bild, das viel mehr befagt, als durch Begriffe zu ums
fhreiben wäre). Sie erlebt ohne Abftand, fucht vielmehr nach warmer Fiäbe.
Darum ift ihr das Herrentümliche fremd, fie fucht ihren Wert im Dienen. Ihre
Vollendung findet fie als „Weifer‘, der, allem Streit „entboben“, in „fchmels
zender Ausgeglichenbeit‘‘, mit gleicher Kiebe das Größte wie das Rleinfte ums
faffend, befhaulich mit allem und vertraulich Iebt.
Im erften Buche, „Raffe und Seele“, unterfcheidet Clauß biervon noch die
oftbaltifche Raffe und befchreibt fie andeutungsweife als ein Erleben, das immer
ganz ausgefüllt ift von einem Du oder — von außen betrachtet — jeweils der
1932, I %.$. Diergug, Über Raffe und Seele. 43
—ñ— ññ———— —— ———
Spiegel des anderen iſt. Ganz kurz kommt Clauß im zweiten, „Seele und
Antlitz, dann auch auf die faͤliſche (daliſche) Raſſe zu ſprechen, die er als „Be⸗
harrungstypus“ kennzeichnet. —
Obwohl wir uns hier immer der Clauß ſchen Sprache bedienten und in
feinem Sinne den Stil, zu befchreiben fuchten, fällt doch die Derwandtfchaft diefer
Bennzeichnungen mit den „Rerneigenfchaften“ auf, die andere Sorfder den
Raffen zufchrieben — fowohl inbaltlid als aud formal. Das ift angeficts der
obenerwähnten Zufammenbänge zwifcdhen Stil und Kigenfhhaft nicht verwuns
derlih. Aber wir bemerken doch auch bei diefen Stilbefchreibungen, daß fich
eigenfchaftliche Wendungen nicht ganz umgeben laffen. Clauß fcheint fich diefes
Umftandes nicht bewußt geworden zu fein. Unterfuchen wir feine Gründe, fo
finden wir fie darin, daß man einen Stil nur mit Ausdrüden befchreiben kann,
die formal „Kigenfchaftswörter‘‘ find, pfychologifch freilid Romplerqualitäten
bezeichnen.
Das fei an einem Beifpiel verdeutlicht, welches Elauß felber zur Erläutes
rung des Verbältniffes Stils@igenfhaft bringt. Er ftellt nämlich im Bilderteil
den Sreiburger Dom und die Eheopsppramide gegenüber: beide haben die gleiche ©
Eigenfcdhaft „body“ (etwa 145 m), feien dies aber auf verfchiedene Weife. Ja —
will man aber nun diefe Weife, diefen Stil des AHodfeins befdreiben, fo ift man
genötigt, zu Rennzeichnungen zu greifen wie: „fchlant, ftrebend, loder, lebhaft‘
auf der einen Seite, „did, laftend, fchwer, gerubig‘“ auf der anderen.
Andererfeits ift in den Eigenfchaftswörtern, mit denen wir die Seele unferer
Mitmenfchen belegen, zugleich auch etwas von Stilempfindungen vorhanden,
man vergleiche „fteif — bölzern — tölpelbaft‘“ oder „EHugsgeicheit — ſcharfſinnig“
ufw. Und wo Elauß die Kigenfhaft „Derfchlagenbeit“ in mebreren Stilen
zeigt, würde man auch diefen mit Cigenfdaftswortern befchreiben können: „vers
ſchlagen — liſtig — verfhmigt“. Sreilidd dürfte es fewer halten, in Deutfchs
land nidt häufig vorkommende Raffen auf diefe Weife zu treffen, da unfere
Wörter eben an Beobachtungen in unferer Umgebung gebildet find. —
Elauß’ zweites Wert, „Don Seele und Antlitz der Raffen und Völker“,
war als 3. Auflage des 1926 erfchienenen „Kaffe und Seele“ gedacht. In diefem
ift manches weiter ausgeführt, aber die 2. Auflage ift beffer gegliedert und im
Ganzen dsurcdadter. Er befchreibt bier Stiltypen als LeibsSGeelesinbeiten, mit
jenem beginnend, und gibt nur ab und zu Zuge aus dem (wie er meint: gleichen)
Stil der einer Raffe (ftilmäßig) zugehörigen Landfchaft an, während er in Kaffe
und Seele von der Landfchaft auszugeben fuchte. Dies ift wohl der fdhwächfte
Puntt feines Wertes, zumal eine Begründung des Zufammenhanges zwifchen
Kandihaft und Kaffe wiffenfchaftlih fchwer auf befriedigende Weife möglidy
fein dürfte (außer Prägungen, die eine Landfchaft Abnlich einem Berufe ihren
Menfden aufdridt — aber die meint Elauß nicht, er behauptet Stilverwandts
fdaften). Trotgdem kann nicht geleugnet werden, daß im unmittelbaren Erleben
eine foldye Kinhelligkeit empfunden wird.
Alles in allem genommen ift Claug’ £eiftung nicht nur beacdhtenswert,
fondern in hohem Grade aud adhtenswert, man mag fid 3u den einzelnen Ers
gebniffen ftellen, wie man will. Uns fcdeint, als bedurfe die oftbaltifche und die
dinarifche Raffe noch einer befonderen, eingebenderen Behandlung und als müßte
auch die Stilbefchreibung der vorderafiatifden Raffe in manchen Zügen berichtigt
werden (ein unverbildetes Wefen, das fein Dafein von vornherein als Zwiefpalt
44 Dolt und Kaffe. 1932, I
empfindet, erfcheint uns fragwürdig), zum mindeften bedarf die bier vorhandene
Abweidhung von anderen Beichreibungen (bei Lenz, Gunther u. a.) einer Bes
gründung. Aber Elauß betrachtet ja felbft feine Arbeit als eine vorläufige, die
zur Klachprüfung und zum Ausbau anregen foll.
Der Slud) der Arbeit."
Don Dr. Harald SGpebr, Leipzig.
ED" verbreitet und aud von Wiffenfchaftlern vertreten ift die Anficht, daß
nach der urfprünglichen Auffaffung des Germanen Arbeit etwas fei, was
des freien Mannes unwürdig ift, was er Srauen und Anedhten überläßt. Das
Joeal des freien Mannes fei, andere für fich arbeiten laffen und felber nichts
zu tun.
Daß es das wirklich gewefen fei, behauptet eine Reihe nambafter Sorfcher,
von denen ich nur Karl Weinhold, Sriedrih Kauffmann, Otto Schrader und
Sriedrih Aluge nenne. Leider babe die zunehmende Ausbildung der Technik des
Aderbaues den Mann mit der Zeit gezwungen, felber mit Hand anzulegen. Urs
fprünglich aber babe er, auf der Barenbhaut liegend, Srau, Rinder und Gefinde zur
Arbeit tommandiert, „denn der Mann auf diefer Stufe wehrt feine Serrfchaft durch
grundfätzliches Llichtzugreifen bei allem, was er für fic tun laffen tann und will
(Eduard Herd).
Den gefund fühlenden und dentenden Deutfchen kommen bei diefen Ausfühs
rungen, wenn fie auch noch fo beftimmt vorgebracht werden, Zweifel an, und er
fragt, mit welchem Rechte die Wiffenfchaft diefes Bild von der Stellung des gers
manifchen Mannes zur Arbeit zeichnet.
Da balt man ihm als Rronzeugen den Römer Tacitus entgegen, der im
14. Stüd feiner „Bermania“ (nach der Ausgabe und Überfezung von Eugen Sebrle,
Münden, I. S.£ehmann 3929, S. 19) folgendes berichtet: „Man kann fie leichter
dazu bringen, den Seind berauszufordern und fih Wunden zu bolen als die Erde
3u bebauen und mit einer Ernte zu rechnen‘, und bald darauf im 15. Stud (Sebrle
Seite 21): „Die Sorge um Haus, Herd und Seld ift den Srauen, den alten Leuten
und fhwächlicheren Mitgliedern der Samilie überlaffen; fie felber regen fic nicht“.
Das ift freilich deutlich genug, und wir baben auch gar keinen Grund, an der
Richtigkeit deffen, was Tacitus berichtet, zu Zweifeln, zeigt fich doch immer wieder,
wie zuverläffig die Quellen find, die er für feinen völkertundlichen Bericht benutzt
bat, wie fcharf und genau die Römer fremde Völker zu beobachten verftanden
haben. Tacitus Worte find volllommen richtig. Und dod ift es vollfommen
falf{d, wenn man bebauptet, die Germanen batten die Arbeit fur etwas Sdmab=
lides gebalten und fic als freie Männer nicht damit abgegeben.
Die Sorfhung bat bier einen Sehler begangen, wie er ungezäblte Mal vors
kommt: Man reißt ein Stüd, einen Satz aus dem Zufammenbange, weil er einem
gerade in den Kram paßt — in diefem Salle in das auf Grund von Berichten über
andere Völker konftruierte Schema —, und gibt ibm damit einen ganz anderen
Sinn, als wie der Derfaffer ihn gemeint bat.
Lieft man den bier in Stage fommenden Abfchnitt, die Stüde 13—15, bei
Tacitus im Zufammenbang, fo fiebt man, daß bier überall nur von der germanis
1932, I Sarald Spebr, „Der Study der Arbeit”. 45
fhben Befolgfhaft die Rede ift. Erft fpricht Tacitus über die Webrbafts
machung des Junglings, dann uber das Wefen der auf einem gegenfeitigen Treues
verhältnis berubenden, von den Römern ftark beachteten Befolgfchaft. Die Schils
derung der Gefolgfdaft im Rampfe führt zu der Srage, woraus der Gold und
Unterhalt diefer Leute beftritten wird. Tacitus erklärt: „Die Verpflegung mit
einem zwar einfachen, aber doch reichlichen Aufwand gilt als Sold. Die Mittel
zu Bejchenten werden duch Rrieg und Raubzüge erworben‘. Daran fchließt fich
die erfte der oben ausgebobenen Stellen. Daß zwanzigjährige Jünglinge lieber in
Rrieg und Abenteuer ziehen, als friedlich den Ader bebauen, ift fo natürlich wie
möglidy und wohl zu allen Zeiten bei den Germanen fo gewefen. Über die ins
ftellung des reifen Mannes zur Arbeit ift damit nichts gefagt.
Auf die Schilderung der Befolgfchaft im Rriege folgt bei Tacitus fo logifch
wie möglich ihr Leben im Srieden. Da ift die einzige Befchäftigung der Gefolges
leute die Jagd; fonft tun fie nichts. „Berade die Tapferften und Rriegstüchtigften
verrichten keine Arbeit.“ „in merktwürdiger Widerfpruch in ibrem Wefen; da
diefelben Wenfchen fo den Müßiggang lieben und die Rube baffen.“ Zwifchen dies
fen beiden Sägen ftebt die zweite der oben angeführten Stellen. Auch bier ift die
Beziehung allein auf die Befolgsmannen Mar. In den Ausdriden ,,Srauen, alte
£eute und Schwaͤchlinge“ glauben wir nod den Hochmut zu hören, mit dem der
germanifhe Bewährsmann diefes römifchen Berichtes, ficher ein junger ftolzer
®efolgsmann, auf die ruhig dabeim SGigenden berabgefeben bat. Ein paar Jahre
fpäter ift auch er ficher auf den väterlichen Hof beimgetebrt.
Denn diefe Verachtung der bäuerlichen Arbeit ift, wenn fie überhaupt vors
banden gewefen ift, nur eine ganz vorübergehende Einftellung der Jugend.
Jslands Gagaliteratur, diefer reiche Schaß, aus dem wir wahre Kenntnis
germanifden Wefens gewinnen können, zeigt viele Flordleute aus Bauernges
fclechtern, die in jungen Jahren auf Wilingfabrt ausziehen, um dann bald, wenn
fie fic die Hörner abgeftoßen und Beute und Ehre errungen haben, auf den beimats
lihen Hof zurüdzulehren und dort die Wirtfchaft zu übernehmen, wobei fie fich
nicht fcheuen, auch felber, wo es not tut, Hand anzulegen.
Damit fcheint die Thefe von der Verachtung der Arbeit bei den Germanen als
ein Mißverftändnis erwiefen und erledigt zu fein. Aber die Verteidiger diefer Bes
bauptung baben noch einen zweiten Beweis, diesmal einen fprachlicher Art: Das
Wort ,, Arbeit felbft.
Arbeit ift nämlich ein in allen germanifden Sprachen verbreitetes Wort,
und überall bat es die Bedeutung des Mühevolien, Befchwerlichen, Läftigen. Llocdh
in neubochdeutfcher Zeit fonnte man fagen „Arbeit leiden“. Sur das Mittelalter
genügt es, auf den belannten Anfangsvers des Flibelungenliedes binzuweifen:
„Uns ift in alten maeren wunders vil gefeit,
von beleden lobebaeren, von grözer arebeit.‘“
Aud das dazugehörige Zeitwort „arbeiten“ bat zunächft die Bedeutung
„ſich abmuͤhen“. Llody bei Rlopftod beißt es: „Sein Auge arbeitete mit fcharfem
unterfuchendem Blid, die ftolze Stadt zu erkennen“. Daber mug dem Worte
Arbeit dod) von Anfang an die Bedeutung des Schweren, Laftigen, gern Bes
miedenen angebdrt haben und die Arbeit als etwas angefeben worden fein, dem
man fich gerne entzog. Don einer erniedrigenden Bedeutung des Wortes Arbeit,
die zeigt, daß man diefe als Schande, als des freien Hannes nicht würdig emps
findet, ift freilich hier nichts zu finden. Etwas Befchwerliches entehrt noch nicht.
46 Dolt und Kaffe. 1932, I
Diefe Bedeutung kommt erft durd die außergermanifche Derwandtfchaft des Wors
tes hinzu.
Zu dem neuhochdeutfchen Worte Arbeit gehört nämlich zweifellos das alts
flawifdhe rabota ,,Dienerarbeit (das feinerfeits wieder in fpäterer Zeit als Ros
bot ,,Srondienft ins Deut{de übernommen worden ift), das zu altflawifcy rabu,
robu „f£eibeigener, Bnnedht‘‘ gebört. ft im Deutfchen eine entfprecyende Deutung
von „Arbeit‘‘ nicht nachweisbar, fo zeigt das verwandte flawifche Wort doch, daß
eine berabfetzende Bedeutung zum mindeften nabelag.
Alle Siefe fprachlicden Beziehungen und Deutungen befteben zu Recht. Und
dod beweifen auch fie nicht das, was fie beweifen follen. Denn das deutfche Ars
beit, altnordifch erfidi und ihre Derwandten in den anderen germanifcdhen Spras
chen bedeuten urfprünglihd nur „Mübe, Befchwerde“ und haben die Bedeutung
unferes heutigen „Arbeit‘ erft fpäter auf gleich zu erdrternde Weife erhalten. Das
eigentliche germanifche Wort für das, was wir heute mit Arbeit bezeichnen, ift
„Merk mit dem dazugehörigen Zeitwort „wirken“, zu dem auch das mit „jchöps
fen“ zufammenbängende „fchaffen“ tritt. Heute noch überwiegt vert im Jess
ländifchen bei weitem die Derwendung von erfidi, wie feine vielen Ableituns
gen und Zufammenfegungen beweifen. Diefes Wort, das im Hochdeutſchen ſtark
an Geltung verloren bat, bedeutet urfprünglich jede Tätigkeit, jede fchaffende Ars
beit, und „wirken“ ift das Tätigfein und Arbeiten fchlechtbin.
Damit fcheidet auch diefer „Beweis“ für die altgermanifche Zeit aus,
und es bleibt noch die Srage zu beantworten, wie der Bedeutungswandel des Wors
tes Arbeit aus „Mühe, Befchwerde“ zu „zwedmäßiger Beichäftigung‘ und deren
Prodult zu erllären ift.
Da zeigen die nordifchen. Quellen unzweideutig, daß die Umdeutung von
„ruhe“ in „Arbeit“ ein Werk der hriftlicden Miffion ift. Die Beiftlidhen gingen
von dem altteftamentlichen Begriff der Arbeit aus. Sie war für fie, entfprechend
1. Mofe 3, 17—19, eine Strafe Gottes, ein Stuch, den Bott wegen des Sündens
falls auf die Menfchen gelegt batte. Daher wählten fie, wenn es fi um die Übers
fegung biblifcher Ausfprüce handelte und danach auch in ihren eigenen Reden
und Schriften ftatt des üblichen verk das in diefer Anwendung noch nicht ges
brdudlide erfidi. Damit wurde den Lleubelehrten die im fruben Chriftentum
fortlebende judifche Auffaffung der Arbeit hHöchft deutlich vor Augen geführt,
denn fir fie hatte das Mdort natürlich noch die alte Bedeutung. Wie ftark aber
dem Germanen eine andere Schätzung der Arbeit eigen ift, bezeugt kein geringerer
als Martin Luther, wenn er bei der Oberfegung von Jefus Girad 13, 20—21
bewußt an die Stelle des in dem Urtert wie in den vorlutberifchen Bibeluberfetguns
gen ftebenden Ausdruds ,mubevolle Arbeit’ das Wort „Beruf“ fett: „Bleibe
in Bottes Wort und übe dich drinnen und bebarre in deinem Beruf; und laß dich
nicht irren, wie die Gottlofen nah But trachten. VDertraue du Gott und bleibe
in deinem Beruf. Rlarer konnte er es nicht ausdrüden, daß für ihn und für den
Deutfchen überhaupt Arbeit etwas ift, wozu der Mienfch berufen ift, was zu feinem
Menfchfein gebört.
Auf deutfchen Boden läßt fich diefer Bedeutungswandel nicht gut verfolgen,
weil bier die literarifche Tätigkeit von Anfang an in den Händen der Geiftlicdleit
liegt. Aber man achte einmal darauf, wie wenig beimifch das Wort „arbeiten“ in
den meiften unferer Mundarten ift. Sie brauchen ftatt feiner alle möglichen andes
ren Ausdrüde: fchaffen, wirken, tun, machen — das von der Rirche geprägte ars
1932, I Rleine Beiträge. 47
beiten ift ihnen meift fremd geblieben oder erft in neuerer Zeit aus der AHocfprade
eingedrungen. —
Welde Auffaffung der Arbeit ift nun die dem germanifden Menfden ges
mäßere? Die von der Arbeit als einem Sluch, der auf dem Menfden rubt, die ges
boren ift auf afiatifdem Boden, unter der Blut einer erfchlaffenden Sonne, die
Flichtstun als den Jdealzuftand erfcheinen laffen muGte? Oder die von der Arbeit
als einem wertefchaffenden Wirken, die unter den kühlen Rlima eines nördlichen
Himmels dem energifchen, zur Tätigkeit drängenden nordifchen Menfden eine
Selbftverftändlichkeit war? ch denke, die Antwort verfteht fich von felbft. Das,
was die Llatur uns in unfer Blut gelegt bat, ift das uns Bemäße, das wir gegen»
über allen fremden Einflüffen zur Geltung bringen müffen. Die Befinnung auf
die nordifden Grundlagen unferes OOefens tut unferem Doll gerade heute befons
ders not.
Alleine Beiträge.
Pieue Arbeiten zur Deutfhwerdung ses Oftens.
Don Ardivdirettor Dr. Hans Witte.
(Sortfegung.)
Das ganz von Deutfchen umgebene Ermland aber bat fich trog Rekatholifierung, trog
polnifcher Bifchöfe und Domberren fein Deutfchtum erhalten. Die Befchichte der Rolonifas
tion des Ermlands auf Grund einer überaus reichen urtundlichen Überlieferung, Ort für Ort
mit fid immer gleichbleibender Benauigleit und Treue zu fdreiben, ift das Lebenswert
Victor Roͤhrichs gewefen. Erft nach jeinem Tode erfchien noch unter feinem Llamen das
Werk, das zufammenfaffend die Summa aus feiner Lebensarbeit zieht, „Die Befiedlung
des Ermlandes mit befonderer Berüdjichtigung der Herkunft der Siedler” (Zeitfchr. f. d.
Geſch. u. Alterttde. Ermlands, 22. Bd., 1925, G. 256—297). Es zeigt, wie troß der
ungebeuren Rriegsverwüftungen der 11/3 Jahrhunderte währende und gegen 1400 im großen
und ganzen abgefchloffene Wiederaufbau überwiegend mit Stammpreußen durchgeführt
wurde. „Unfer Blut ift febr viel ftacter, als wir glauben, mit ftammespreußifchem Blut
durchfetgt“ (5. 264). Lieben den Stammpreußen treten bei der Wiederbeftedlung befonders
die Lliederdeutfchen und nähft ihnen die Schlefier hervor. Die Mationalitat und Sprade
der nad) Süden zu immer ftärter überwiegenden Stammpreußen „blieben ihnen unangetaftet“
(G. 279). Die Ermländifchen Bifhöfe dachten nicht an LUnterdrüdung oder gar Auss
rottung. Obne jeden Zwang ging die alte Bevölkerung im Deutfhtum auf. Ihre legten
Refte cafften die Kriege des 15. und 16. Ib. hinweg.
Die polnifche Einwanderung, wie fie danach u. a. von polnifchen Bifchöfen namentlich
in die füdlichen Landesteile geleitet wurde, fhhildert Leo Witfchell, Die völkifdhen Ders
baltniffe in Mafuren und dem füdlichen Ermland (Deröffentl. d. Geogr. Inftit. der
Albertussliniverfität zu Rönigsberg, Heft V, 1926), zurüdgreifend auf ihre älteren Dors
läufer und mit ihren Auswirkungen bis in die neuefte Zeit nebft ftatiftifchen Angaben über
den Aid gang, dec Mafuren.
Hans Sdhmaud, Zur Srage der mafurifchspolnifchen Bevölkerung im fudliden
Ermland (Zeitfehr. f. 8. Gelb. u. Alde. Ermlands 1927 S. Is3—190) greift Witfchells
Behauptung an, daß ins füdliche Ermland die polnifdhen Roloniften aus Weftpreußen und
über Domefanien eingewandert wären, während im fonftigen Süden Oftpreugens Mafuren
angefiedelt feien. Er ftellt ergänzend feft, daß fich fhon 1502 im Liordoften des Rreifes
Altenftein Mafovier — haben, ja daß fogar fon feit 1484 gelegentlid Mafuren
unter den Anfiedlern im „Domtlapitulären Amt Allenftein? genannt werden. Don befons
derer Wichtigkeit ift feine Seftftellung, daß man fchon um die Wende des 15. zum 16. Ib.
„bewußt 3zwifhen Mafowiern und Polen unterfhieden” bat (S. 133f.).
ine Tabelle über die Slaweneinwanderung feit 1484 zeigt deren Möbepunlt von 18520
48 Dolt und Raffe. 1932, I
La a ae aa aa SR En Ea ma a IA Ee ee ————
bis 1529 mit 29 v.%. Go beginnt in Ermangelung anderer Siedler im 16. Ib. die Übers
fremdung des füdlichen Ermiands, „das bis dabin im wefentliden eine preußifchsdeutfche
Mifhbevälkerung aufzuweifen batte“.
Eingebend bebandelt Hans Shmaud die gefdidtlide Bedingtbeit diefer Dor:
gänge in Feiner Unterfuhung „Die Wiederbefiedlung des Ermlandes im 16. Jabrhundert“
(ebd. 1929 5. 537—732). Er fcildert die Derwiftung des Landes nad einem Jahrhundert
voller Rriege (1410— 1525). Saft die Halfte der Hufen war wüft geworden, das Land nicht
mebr in der Lage, die entftandenen Lüden aus eigener Rraft auszufüllen. Die Heranziebung
von Ausländern, namentlid Mafowiern, wurde dadurd — wie aud im benadbarten
Ordensftaat — unvermeidlid. Der Menfcenmangel bewirlte aud, daß „eine ganze Reibe
von friiberen Décfern ... ganz oder teilweife in adlige Güter verwandelt“ wurden (3. 594).
Saft erfcheint es wie ein Wunder, daf trog alledem das Ermland feinen deutfchen
Charalter zu erhalten vermochte und daß fogar das bedeutend weniger tolonifierte Wefts
preußen, mit dem es einer 300 jäbrigen polnifchen Herricdhaft unterworfen war, im Jabre
1772 nod mit einer zur guten Halfte deutfchen Bewobhnerichaft unter deutfche SHerrichaft
konnte. Welcher Unterfchied gegen heute — nicht viel mehr als zehn Jahre
nad 1919!
fteben wir mitten im deutfchspolnifchen Ringen um den Boden. Weiter
udlich in
Dofen und Polen
ift es mit nicht geringerer Zäbigleit durdhgelämpft worden. Die waldfreien Räume, an die
bier wie überall die menfchliche See bis in mittelalterliche Zeiten gebunden war, fucht
Walter Maas, Beziehungen zwifchen ältefter Befiedlung, Pflanzenverbreitung und Böden
in Oftdeutfchland und Polen (Defde. Wiffenfd. Zeitfchr. f. Polen, Heft 13, 1928, S.5—31),
mit Hilfe der alte Steppenbdden und fdbwarze Erde kennzeichnenden pontifchen Pflanzen
feftzuftellen. Er findet fie in dem Schwarzerdgebiet Cujaviens, das alfo aud fur Pofen den
Mauptfiedlungstern darftellt. Vorber fhon hatte er „Die Entftebung der Pofener Rulturs
landfchaft. Beiträge zur Siedlungsgeograpbie“ (Pofen 1927, aud) Heft 30 obiger Zeitfchrift)
bebandelt, obne den Entfchluß 3u finden, im Streit um die Laufiger Rultur eindeutig
Stellung zu nehmen. Er erflact ibren flawifden Charatter nur ,fuc febr wenig wabre
fcdeinlid”, nicht aber fir ,vdllig ausgefdloffen’ (S. 13). Sein Verſuch, aus der Maffe
der deutfchrechtlicdhen Dörfer die auch der Volkszugebörigteit nach deutichen auszufondern,
endet auf etwas fchematifche Art damit, daß er die Klationalität des Schulzen, Lolatore,
entfcheidend madt. Dantenswerter ift das Bild, das von den für die deutjche Siedlung
fennzeicbnenden Angers und Waldbufenddrfern mit ibren didten Anfammlungen gegen die
möärlifche und fchlefiiche Grenze mit Hilfe einer Rarte geboten wird.
In erfter Linie aktuelle Sragen bebandelt Sriedrih Heideld, Die Stellung des
Deutfchtums in Polen (Dtfche. Blätter in Polen Ig. VI, 1929, S. 49— 104), gibt aber eins
leitend eine kurze, aber brauchbare Überficht über die deutſche Beſiedlungsgeſchichte und den
Sprachenkampf in Polen. W. Ruhn, Die deutſchen Siedlungsformen in Polen (Dtiſche.
Blätter in Polen Ig. VI, 1929, S. 309—324) gibt an der Hand der Siedlungsformen ein
zufammenfaffendes Gefamtbild der deutfchen Siedlungstätigkeit. StraBens, Angers und
Waldbufenddérfer fteben aud ibm im Vordergrund. Aber diefe Sormen wurden aud von
Polen und Rafchuben übernommen. Die Waldbufendörfer, die im Süden und Often bes
fonders in Hügelland und Mittelgebirge von Deutjchen eingeführt wurden, find beute nur
nod deutfd in der LKiffaer Gegend und auf der BieligsBialaer Spradinfel. Im übrigen
find fie heute überwiegend polnifh durh Auswanderung, Sprahwechjel oder Übernahme
der Sorm durch die polnifche Innenkolonifation. Als legter Ausläufer diefer deutjchen Bes
wegung erfdeint das litauifche Waldhufendorf bis ins 17. 3b. Lingebend wird auch die
Holldndereinwanderung bebandelt, die um 1560 mit Einzelbof und Marfchbufendorf im
Danziger Werder einfegt und über die Lictes und Wartbeniederung im 17. und 38. Jb.
weidhjelaufwärts Plocz und Warfchau erreicht, bei den fpäteren Siedlungsporgängen nur
nod 3um Teil oder nur noch dem Kamen nad Holländer (Sauländer). Auch ganz neuzeits
lie Siedlungsporgänge mit ihren Ausftrablungen nad Wolbynien in’s innere Rußland
und nad Sibirien finden Berudfichtigung.
Welle auf Welle feben wir bier Deutiche in Polen einftrömen, das polnifhe Land zu
höherer Rultur bringen und fchlieglich, wenigftens zum febr großen Teile, ihrer angeborenen
Voltsart ree geben. Sur Zeit der großen Rampfe mit dem Deutiden Ritterorden
lebten „im Dolenlande nod zablreihe Refte der deutfchen Rolonifation der früberen Jahr⸗
hunderte”. Sie wurden von den Polen des Einverftändniffes mit dem Seinde verdächtigt.
In der Stadt Pofen beftand damals, wie Adolf Warfchauer, Aus der Befchichte des
1932, 1 Rleine Beiträge. 49
EEE
Kletionalitätenlampfes im 35. Jabrbundert (Bifhe. Willen. Zeitfchr. f. Polen Heft 3,
1923, S. I—4) zeigt, zur Zeit der böchften Spannung des Rampfes (1454) der Rat faft
ausfhhlieglih aus Bürgern deutfcher Abftammung. Trog Befduldigung des Hodverrats
zeigte auc der neugewablte Rat faft nur deutfche Liamen. „Es muß damals das Patriziat
der Stadt nod fait volltommen deutfcher Abkunft gewefen fein, fo daß es keine andere
Moͤglichkeit gab, als Deutfche zu wählen.“
Wie fih der Sprach und Mationalitatentampf in neuefter Zeit abgefpielt bat, darüber
unterrichtet uns fortlaufend Manfred Laubert in nie raftender Arbeitsfreude. Seine
„Studien zur Gefdhichte der Provinz Pofen“ (Difche. Wilfenfch. Zeitichr. f. Polen Heft 13,
927) find in der Hauptfache Derwaltungsgeidichte. Doc fchildern fie im Abfdnitt I , Das
fener Deutidtum im Herzogtum Warfdhau“ nad einer Eingabe von 1815 die Leiden
der Deutfchen im Herzogtum und die Schwäche der preußifchen Regierung, die in diefer
Übergangszeit mehr auf den feindlihen polnifhen Adel hörte anftatt fich der berechtigten
deutfchen Beichwerden anzunehmen. Unter „Polentum und Minderbeitenfdug nad) 1815“
wird weiter die Anmaßung der Polen dargeftellt, die trog woeiteftgebenden Entgegen»
tommens der preußifhen Aegierung diefe mit unbegründeten Befchwerden über Benadhs
teiligung der polnifchen Klationalität überfchütteten, obne jemals die gebubrende Antwort
zu erbalten. Auch dein berausfordernden Pochen der Polen auf Anwendung ihrer Sprache
im Derclehbe mit der preußifchen Regierung woußte diefe nah Laubert, Epifoden aus dem
deutfchspolnifhen Spradentampf um 3830 (Brenzmärtifche MHeimatblätter, Schneidemühl,
2. 3g. 1920, SG. 9—23) nur eine unverändert fdhonungsvoll entgegentommende altung
entgegenzufegen.
aß tatfählih „in Pofen Schule, Rirdye und Derwaltung nach 1835 größtenteils in
den Mäanden der Polen verblieben“ und daß 75 Jahre fpdter nokh Bürgermeifter geduldet
wurden, „die fein Wort deutfch konnten“, erfahren wir ebenfalls durh Laubert, Beis
träge zum Spradhs und Llationalitätenverbältnis in der Provinz Pofen um 1830 (Dtiche.
Blätter in Polen Ig. 5, 1928, SG. 415—427). Er ftugt fid dabei auf Alten der Pojfener
Regierung u. a. eine auf den Oberpräfidenten Slottwell zurüdgeführte Dentfchrift v. I. 1831,
worin aud das Verbältnis der Sprade zur Ronfeflion erörtert wird. Llamentlih im
Weften der Proving und in den Städten wird auc bei den Ratboliten eine ftarte Ders
breitung der dSeutfden Sprache hervorgeboben. Anderfeits find die fieben reformierten
Unitätsgemeinden nach Abftammung polnifd, aber „größtenteils der Sprache und Ges
finnung nad germanifiert“ duch Anlehnung an die deutfchen Evangelifhen. Das Zahlens
verhältnis in der Provinz war damals 4306577 Deutfde gegen 659 264 Polen.
Seit 1830 bot die Anlegung einer Rittergutsmatritel wenigftens die Möglichkeit, „dem
Deutfdtum bier innerbalb see Seveentuen verftärkten politifchen Einfluß zu verfchaffen“.
Es wurde aud in amtliden Berichten manches darüber gefchrieben. Aber vor lauter „ges
rechter Abwägung“, die der Deutfche ja mit Vorliebe dem Sremden zugute kommen i t,
wurde nah Laubert, Die Rittergutsmatrilel in der Provinz Pofen bis 1847 (Dtiche.
Wiffenfh. Zeitfchr. f. Polen Heft 38, 1930, S. 97—14)), auch diefe Gelegenbeit ,teiness
wegs fonfequent“ benugt.
1833 endlich gelang es Slottwell, einen Giterbetriebsfonds fur feine Provinz zu ers
richten. Er bat eine — allerdings nur entfernte — Abnlidhleit mit dem Bismardfden Ans
fiedlungsunternebmen, wollte gelegentlich angelaufte größere polnifde Befigungen nad
erfolgter Bauernregulierung in orm Heiner Rittergüter an Deutfche weiterveräußern. Cine
angefidts der Iandesverräterifchen Betätigung eines großen Teils des pofenichen Adels im
Polenaufftand 1830/33 überaus milde Maßregel! Flur als Ausnahme war eine Zerfchlagung
in bduerlide Unwefen vorgefeben. Die Sarai entfaltete Tätigkeit war nah Laubert, Der
Siottwellfhe Giterbetriebsfonds in der Provinz Pofen (Breslau 1929), berzlih unbes
deutend. Im ganzen wurden 19 Büter erworben, zum größeren Teil fogar aus deutfcher
Ayand. Bas polnifde Bauerntum wurde dabei nicht nur gefchont, fondern fogar gefördert.
Und fdon vor 1841 tommen Dertdufe folder Rittergüter an Polen vor. Das trogdem
erhobene polnifche Bejchrei bewirkte, daß nah Sriedrih Wilhelms IV. Regierungsantritt
der Sonds fie Chauffeebauten in der Provinz verwandt und fchließlid (1845) aufgeboben
wurde. Wenn beute polnifcherfeits in der Berufung auf diefen Guterbetriebsfonds eine
Rechtfertigung der im neuen polnifchen Staat betriebenen gewaltfamen Verdrängung des
deutfchen Grundbefiges gefucht wird, fo ift er dazu denkbar ungeeignet. Je mehr man die
dem preußifchen Staat vorgeworfene planmäßige Unterdrüdung des Polentums an der
Hand der Quellen nadhprift, defto mehr fchwindet fie in ein Flichts zufammen. Mit viel
größerer Beredhtigung kann man von Preußen fagen, daß es in feiner Polenpolitik jede
zielbewugte Stetigleit vermiffen ließ und den deutfchen Belangen feiner Oftprovinzen
Dolf und Baffe. 1932. Januar. 4
50 Volt und Raffe. 1932, I
I —————
beftenfalle nur eine laue, faft immer nur auf Einzelheiten eingeftellte, niemals aber das
Gefamtgebiet vdltifcen Lebens gleihmäßig und planvoll umfaffende Sorderung geliehen bat.
Hab den friderizianifchen Beftrebungen, die ja weniger dem Deutfdtum als ser
bung der Landeskultur dienen wollten, gibt es bis zur Bismardfchen Anfiedlung nur
einige ſchwache VDerfuce auf dem Bebiete des Siedlungswefens. Auguft Müller, Die
preußifche Rolonifation in Klordpolen und Litauen 1795— 1807 (Studien 3. Gef. d. Wirtfch.
u. Geiftestultur. Srag. von Rud. Haple, B. IV, Berlin 1928; aud Otfehe. Blätter in
Polen Ig. V, 1928, ©. 334— 333), hat gezeigt, daß auch bei diefem raf vorübergegangenen
neuoftpreußifchen Siedlungsunternebmen keineswegs germanifatorifde, fondern lediglich
wirtfidaftlidstulturelle Ziele verfolgt wurden. In der Gegend von Ploc3, Wyfzogrod,
Plonft, Lomza und Bialyftol fowie im duGerften WTordzipfel dee Proving wurden 32 Rolos
nien gefchaffen und rund 600 Samilien mit gegen 3500 Perfonen angefiedelt. Davon waren
$2 Samilien aus der Provinz und polnifcher Herkunft, die übrigen aus den anderen preußis
fhen Provinzen und dem Reich, namentlidy aus Württemberg und Medlenburg. Liebenber
lief in den Städten eine Anfiedlung von 798 Handwerlerfamilien mit etwa 2050 Röpfen.
Die gleichzeitig in der Llachbarprovinz Südpreußen durchgeführte Rolonifation belief
fi, wie derfelbe 4. Müller, Dom Deutfhtum Bongreßpolens und feiner “Herkunft
(Dtfdhe. Blatter in Polen Ig. VI, 1929, S. 278—293), nad einer Differtation von
A. Pytlat (1937) und eigenen Sorfhungen darlegt, bis 1806 auf 2133 Samilien mit
10 285 Röpfen. Den deutfchen Gefamtzuzug in die beiden preußifchen Provinzen auf fpäter
tongreßpolnifhem Gebiet fchätzt er einfchließlich der Arbeiter, Handwerker und Gewerbes
treibenden in den Städten für die Zeit von 1793—1806 auf 5500 Samilien mit 26 000
Röpfen. Unter ibnen waren die Schwaben am ftärtften, daneben aber auch Baden, Heffen,
Pfalz, Elfoß, Medlenburg und preußifdhe Provinzen vertreten.
Wenn Preußen bier auf altpolnifhem Boden deutfche Anfiedlung betrieb, fo bat es
damit nur fortgefegt, was vorber unter polnifder SHerrfchaft fhon in größerem Umfang
begonnen war. Die Polen felber batten bewirkt, da8 fon vor den Teilungen das Land mit
einem „Lie deutfcher Siedlungen überzogen war”, fo daß befonders im Dobriner Land,
in der Weichfelniederung, in Rujavien, der WartbesProsnagegend fdhon nad dem Toleranzs
edilt von 1767 mlutberstebe Rirdfpiele wie Pilze aus dem Boden fchoffen“. Und nach der
en. Zeit bat die polnifche Regierung des Herzogtums Warfchau, fpäter audy nod
ongreßpolen die deutfche Rolonifation wieder aufgenommen und fortgeführt. Ber Deutfche
war eben feit Jahrhunderten bis tief ins 19. Ib. der gefucte Siedler in diefen Gegenden,
aud unter polnifder Herrichaft.
SH(t Haralteriftifd für die fpäteren preußifchen Verbältniffe ift, was Manfred
Laubert, Lin Verfud zur Überführung württembergifcher Auswanderer nad der Proving
Pofen 1839 (Wirtthg. Vierteljabrafdrift f. Landesgefd. VI. §. XXXII, 1927, S. 273
bis 284; nad Befpr. in Difche. Wiffenich. Zeitfchr. f. Polen Heft 18, 1930, SG. 195 f.), zu
berichten weiß. Der Oberpräfident Slottwell empfabl die Anfiedlung in der Herrfdaft
Rosmin. Die Landrdte aber waren nicht geneigt, „Ausländer“ aufzunehmen. „Liur einer,
ein Pole, war bereit dazu“! Bei lauer Vertretung, fogar dur Slottwell, den „angeblich
fo rüdfichtslofen Germanifator, ... fiel die ganze Angelegenbeit ins Waffer und wurde
wieder einmal eine Möglichkeit, das Deutfchtum im Dofenfchen zu ftärken, verfäumt“.
Wie ftart diefe Dinge von Dorgängen auf konfelfionellem Gebiet beeinflußt werden,
zeigt wieder Walter KRubn, Gefchidte der Mennoniten in Rleinpolen (DOtfce. Blatter in
Polen 3g. V, 1928, S. 397 ff.). Die Mennoniten wandern von den Fliederlanden, wo fie
im 16. Ib. gegründet wurden, über das Danziger Gebiet (vgl. oben Hollaͤndereinwande⸗
rung), Welts und Oftpreußen nach Rongreßpolen, in die Polefie und vor allem nah Rugs
land. Schon in Preußen nehmen fie die deutfche Schriftfprache an und werden in ftändiger
Schidfalsgemeinfdyaft mit den deutfchen Roloniften überall Subrer der Auslandedeutfchen.
Ein zweiter Stamm ließ fi 1784 mit 28 Samilien in der Gegend von Lemberg (Galizien)
nieder. Er lam wie andere jofefinifche Siedler aus der Pfalz, wohin er aber aus der Schweiz
eingewandert war. Seine ftarlte Dermebrung duch boben Beburtenüberfhuß führte 3830
bis 1875 zu einer Blütezeit und Grundung 3ablreiher Todterfiedlungen trog betradtlider
Derlufte duch Auswanderung nad Rußland und Amerika und feit 1875 aud dur Ans
nahme der polnifcben Sprache in den zerftreuten Pädhterfamilien.
Georg Schulz, Unionss und Verfaffungsbeftrebungen der proteftantifchen Kirchen
im Großherzogtum Warfhau (Diiche. Wiffenfchaftl. Zeitfchr. f. Polen Heft 38, 1930,
&. 5—51), zeigt, daß diefe Beftrebungen der Jahre 1808—1810 auch den Derfuc einer
Sufammenfaffung der deutfiden Bevdllerung bedeutete, foweit fie Iutberifchen und refors
1932, I Rleine Beiträge. 51
aaa RTI NP Pe I EES
mierten Betenntniffes war. Sie f&heiterten am Widerfpruc einer Gruppe der Lutheraner
und an der Aaltung des preußifchen Staates.
Groffert, Evangelium und Deutfchtum im Silehner Gebiet unter polnifcher Grund»
berrfhaft 91 2— 1789 (Schönlante 1929) behandelt ausführlich die Degsunsung der deutſch⸗
evangelifchen Gemeinden feit 1593, wo die deutfchsevang. Befiedlung des Bebiets nördlich
der Liege begann (vgl. Sorfch. 3. Brand. u. Preuß. Gelb. 43. Bd., 1930, S. 223).
Das tonfeffionelle Derbältnis fpielt auch bei Walter Maas, Wandlungen im Pofener
Kandfchaftsbild zur preußifhen Zeit (Sorfch. 3. dtich. Landess u. Vollstde. Bd. XXVI,
Speft }, Stuttgart 1928) in der Art eine unglüdlidhe Rolle, daß die beigegebene große Rarte
vom Flegediftrilt 1774 zu Ungunften des Deutfchtums gefärbt erfcheint, weil fie im Gegen»
fa zu Ausführungen des Tertes für Verbreitung und Stärke der Deutichen zu fehr die der
Evangelifhen grundlegend madt. Die Wirkjamteit der Anfiedlungstommilfion bat nach
Maas den Rüdgang des Deutfchtums nur aufgehalten, nicht aber — abgefeben von drts
tihhen Kinzelheiten — ein erneutes Vordringen herbeizuführen vermocht.
(Sortfegung folgt.)
Die jüngere Steinzeit im Köthener Lande.*)
In der Erforfhung der vorgefhhichtlichen Wurzeln des deutfchen Voltstums nimmt
die deutfche vorgeihichtliche Archäologie einen hervorragenden Play ein, doch das fchuls
iblide vorgefhichtlichsardhäologifhe Schrifttum wird vielleiht manchen, der nicht von
antiquarifchem Intereffe an den Gegenftänden ausgeht, nicht fo ganz befriedigen, fteben doch
immer wieder diefelben Rategorien von KEinzelgegenftänden im Vordergrund der Betradhs
tung, die auf ihr gegenfeitiges Verbältnis unterfudht werden; tritt dagegen aber das ges
fhichtlih Wefentlidhe zurüd. Und dennody ift diefe ordnende Bearbeitung der Bodenfunde,
die die unmittelbarften Quellen der Dorgefchichte find, die notwendige, grundlegende Vors
bedingung für jede weitere gefchichtliche Aufbauarbeit, die bei dem Seblen des feften Unters
gtundes trog Anwendung allen Sdharffinns und Geiftes gar leicht zu Truggebilden führt,
wie fid in der Gefdidte der Sorfdhung oft genug gezeigt bat. Die entfagungavolle Rleins
arbeit an den Sunden bat fid dann immer nod als ftärter und verdienftvoller erwiefen.
Diefe Vorarbeiten find je gründlicher zu leiften, je mebe der Bearbeiter fide in der
Umgrenzung 3eitlid und räumlidy befchräntt. Zur Zeit fteben 3.3. in Mitteldeutfchland
Probleme der jüngeren Steinzeit, das Derbältnis der einzelnen Rulturen zueinander, in dem
Vordergrund der Erörterung. Hier wieder wird entweder eine der Rulturen berausgeboben
oder es wird ein Bebiet zur Bearbeitung ausgewählt. Diefe Gedietsauswabhl ift aber leider
zu oft nur ein willlürlicher Uusfdnitt aus dem Siedlungss und Rulturgebiete der bes
bandelten Zeit, wenn nämlich heutige politifche Umgrenzungen ale Grundlage genommen
werden. Bei der vorliegenden Bearbeitung ift der biftorifche Gau Serimunt, der über die
Grenzen des heutigen Breifes Rötben in Anhalt binausreicht, zugrunde gelegt. Diefer Gau
it von natürlichen Kinien umfdloffen, nämlich von Elbe, Wulde, Subnegraben und Saale.
Es wird allerdings aud hier nuc ein Ausfchnitt aus einer Siedlungslandfchaft berauss
genommen, da Slußläufe im allgemeinen fir die Befiedlung nidt ale Grenzen wirken.
Sur die en Kultur im heutigen Mitteldeutihland war von der jüngeren
Steinzeit an die ittellage innerhalb des nordmitteleuropäifchen Rulturgebietes beftimmend.
Und ein eines Abbild diefer allgemeinen mitteldeutfchen Dechaltniffe um die mittlere Elbe
und Saale gibt das Mundungsgebiet der Saale, an das der Rreis Röthen angrenzt. Die
erftaunlide Materialfülle des jungen Köthener Mufeums bietet dafür ein beredtes Zeugnis.
Aus der Arbeit von Schulze erfehben wir, daß faft fämtliche fteinzeitlichen Kulturen, die auf
deutfchem Boden feitgeftellt find, wenigftens in Ausläufern fid bis in diefes enge Gebiet
erftceden. Weiter aber laffen ſchon die in der Sahwilfenichaft gebräuchlichen Rulturs
bezeihnungen, die von mitteldeutfchen Sundplägen entnommen find, erkennen, daß Mittels
deutfchland eine ganze Anzahl Sondererfchheinungen bervorgebradt bat. Es fällt daber in
der Bearbeitung direkt ein Abfchnitt über „Jordansmühler Reramit” auf, ift soc diefe nach
der Sundftelle Jordansmühl in Sdlefien benannt. Eine Auseinanderfegung über Einzel⸗
beiten der Arbeit gehört m. €. nicht in diefe Zeitfchrift, doch muß fo viel bier gejagt werden,
daß der Derfudy von Schulze, audy die Jordansmühler Keramik aus Mitteldeutfchland, und
*) Robert Schulze: Die jüngere Steinzeit im Rötbener Lande. Rötben (Anhalt)
1930. Selbftverlag, 124 Seiten, 60 Tafeln, 6 Rartenbeilagen. MI. 25.—.
4°
52 Dolt und Raffe. 1932, I
zwar aus dem Rötbener Lande, abzuleiten, gewiß nicht genügend begründet ift. Herauss
gearbeitet bat der Derfaffer weiter zum erften Male die Gruppe: „der mitteldeutfchen
UAmpboren“ mit Begleitgefagen, die im Adthener Lande befonders haufig find. Manche
weiteren Ergebniffe, die bei einer forgfaltigen Bearbeitung fid ja einftelfen müjffen, find
zunächft für die mitteldeutfde Lotalforfdung von Bedeutung. Der Menfchenforfcher wird
für die Berüdfichtigung und Wiedergabe von Menfchenreften (befonders Schädeln) dankbar
fein. Denn wenn thm auch Abbildungen und Angaben für feine Spezialforfchungen nicht
genügen, wird er doch fhon daraus ein Bild von dem Material gewinnen, das bier für
weitere Unterfuchungen bereit liegt. Der zweite Teil gibt in Sundberidten und Befdreis
bungen das der Arbeit zugrunde Iiegende Sundmaterial; an Abbildungen ift nicht gefpart. —
Um wieder an das oben Gefagte anzultnüpfen: der Verfaffer bat einen foliden Bauftein für
den Unterbau der deutficden Vorgeichichte geliefert.
Dr. Waltber Schulz, Halle.
Aus der raffenhygienifden Bewegung. |
Die Sortpflanzung von Derbrecdhern. Die Stage, in welder Zahl fi die Vers
bredyer fortpflanzen, ift von außerordentlicher Bedeutung, da wir annehmen müffen, deß für
die Kriminalität mit ihren afozialen Solgeerfcheinungen mebr erbbedingte als äußere Saltoren
verantwortlich zu machen find. Hieruber gibt die wertvolle Unterfudung von Dr. med.
Martin Riedl im „Archiv für Raffens und Befellihaftsbiologie”, Heft 3, 1931, Aufichluß.
An einem Material, das 500 kriminelle Srauen und 100 kriminelle Männer umfaßte, wurde
in erfter Linie die Beburtenhäufigkeit diefer Srauen bzw. die Zahl der von den Männern
erzeugten Rinder im Vergleich zur Sortpflanzung der anderen Bevölkerung geftellt. Serner
wurde die Art der Briminalität fowie die verfchiedenen geiftigen Deranlagungen, Pfydo-
patbien, Schwadhfinnsgrade mit der Rinderzahl verglichen.
Don den 500 Srauen waren 202 verbeiratet, davon 170 verheiratete Mütter,
32 verbeirstete Rinderlofe; die Zahl der erzeugten Rinder betrug 758. Die 298
Kedigen, davon ledige Mütter 1837, ledige Rinderlofe 1 3 1, gaben 293 Rins
dern das Leben. Die zur Erhaltung des Beftandes notwendige Beburtenzahl beträgt nad)
£enz für eine fruchtbare Ehe 3,4 Rinder; nach den Unterfuchungen Riedls treffen auf eine
Eriminelle be beute bereits 4,46 Binder, wobei die außerebelich geborenen mit einges
fdloffen find, während durdfdnittlid® auf eine deutfche Stau beute 2,2 Rinder kommen
(£enz). Unter den 3000 unterfuchten männlichen Derbrechern baben fih 838 verbeiratet;
von diefen Eben blieben nur 15,600 obne Uadhtommen. Auf einen Rriminellen fallen _
durhfchnittlich 3,5 lebendgeborene Rinder, auf einen Vater 4,9 Rinder. Die Liettozahl der
Rinder, das find jene, die das 230. Jahr überleben, beträgt je Vater 3,72 bzw. 2,39. Bei
den 1000 verheirateten und ledigen VDerbrechern konnten 170 unebelidye Rinder gezählt
werden. Die wirkliche Zabl ift aber ficher größer.
Nach diefen Darlegungen, die eine böbere Geburtenziffer der Kriminellen De
über der Allgemeinheit ae ift die Sterilifierung der einzige Weg, um die ment iche
Befellichaft vor den wertiofen und gefäbrliden Hachlommen diefer Afozialen zu fidhern.
Sterilifierung. Eine Sterilifationss Gefegesvorlage wurde dur Major Church
im vorigen Juli im englifchen Unterbaufe eingebracht. Die Befegesporlage wurde aber mit
107 gegen s9 Stimmen abgelehnt. Eine foldhe Stellungnahme ift auf die bisherige Uns
kenntnis über biologifche Dorgänge in weiten Rreifen der Bevölkerung, auf die rein mates
eialiftifch eingeftellte Denkungsart und Surdht, für eine bisher unbelannte Sade eintreten
zu müffen, zurüdzuführen. Der Antrag wird ja aber nicht zum letzten Male eingebradt fein!
Bei dem Ende Juni 193) in Ropenbagen abgebaltenen Hordifben Rongreßfür
Sonderfürforge, (Blinde, Taube, Stumme und Geiftesfawadhe ufw.), der von etwa
700 Vertretern der vier nordifchen Länder beihidt war, trat der dänische Sozialminifter
Steinde für eine Derfehärfung der beftebenden Sterilifierungsmaßnabmen ein.
Ein Sterilifierungsantrag erfordert nämlich in Dänemark Begutachtung durdy eine gerichtes
&rztlihe und Gefundheitstommiffion und Genebmigung durd den Juftizminifter. Mans
gelnde Renntnis der Rafjenbygiene bei den juriftiichen Stellen erfcwert bier offenbar
das Handeln. ’
Serner forderte Steinde verfchärfte Beftimmungen über Anmeldepflidt von Beiftess
tranten und Shwadfinnigen.
1932, 1 _&. Mofer, Überfichtsberidhte aus dem rafienbygienifchen Schrifttum. 53
EEE |
Ein Antrag auf Sterilifierung von Geiftestranten und Gewohns
beitsverbredhern wurde vom fähfiichen Landesgefundheitsamt (Leiter: Gebeimrat
Dr. Weber) beim Strafredhtsausfhuffle eingebracht. |
Amtsärztliche Unterfuhung von Ebefchließenden. Die Türkei bat mit einer
Sea UNA EDT DDN beftimmt, daß von nun ab Ebeichließende fih von einem Amtsarste
unterfucen laffen muffen. Das Zeugnis, das fie dann der Behörde vorlegen müffen,
befagt, daß fie mit keinem Gebrechen bebaftet find, das fiir die Wadhtommenfdaft üble
Solgen baben ténnte.
Überfichtsberichte
aus dem raflenhygienifchen Schrifttum.
Don Dr. ©. Mofer, Göttingen.
Was ift Eugenit? Unter diefem Titel gibt £. Darwin), der Sohn von Charles
Darwin, eine allgemein verftändlice Einführung, in einigem von den deutfden Aufs
faffungen abweichend, d0c¢ im ganzen die wichtigen Sragen durch die Rürze befonders
unterftreichend, wie: Wietboden der Eugenil, Menfden die wir brauchen, Mehr Rinder der
Tüchtigen, Auslefe bei der Ehefchließung, Wer zahlt die Zeche?
ber Ebeberatung liegt eine Anzahl von Fleuerfcheinungen vor, daneben werden in
vielen Beiträgen des pri ttums Kinzelfragen erörtert. Eine zufammenfaffende Überficht
mit einem faft vollzäbligen Literaturverzeihnis gibt H. Llevermann?) in feiner Monos
grapbie, welche zu den letzten Deröffentlihungen nicht mehr Stellung nehmen kann.
Sehr wichtig für alle an den Sragen der Ebeberatung beteiligten Reeife ift die auf
zahlreichen Kinzelarbeiten fußende Mötterfbaftefürtor e von M. Airfa ),
weldyer die Ebeberatung und Sortpflanzungsregelung, bei deren Behandlung die rubig abs
wöägende Art angenehm berührt, dem Leitgedanten der Mutterfchaftsfürforge unterordnen
will. Diefem Gedanten foll das ganze Leben der Srau, die Aufzucht und Erziehung des
Rindes, die Hygiene der Reifezeit, die Erwerbstätigkeit der Srau untergeordnet werden.
Don diefem umfaffenden Gefidtspuntte aus tann allerdings die reinlide Trennung von
Ebheberatung und Mutterfchaftsfürjorge fewer durchgeführt werden. Die Zeugungsfürforge
foll beraten in Hygiene der Zeugung, Gattenwahl, Beburtenregelung: d. b. Belämpfung der
Unterfrüdtigteit und der Überfrüchtigkeit. Leben die Mutterfchaftsfürforge vor der Geburt
foll die Schwangerenfürforge treten und die Sürforge nach der Geburt. ift ein großs
3bgiger Plan, der den ganzen Lebenslauf der Srau dem Mlutterfchaftsgedanten von einem
ee Gefihtspuntte aus untecordnet, der aud in der Ebeberatung ftets Leitgedante
fein follte.
§. BR. Sheumann‘) will — von dem Perfonalismus von §. Rraus ausgebend —
die Ebeberatungaftellen zu einer Samilienfürforge erweitern; in diefen neuen Sürforgeftellen
foll der Ebes und Serualberatung eine zentrale Stellung eingeräumt werden.
Über die Entwidlung der Dresdener Beratungsftelle berichtet Setfcherd). Die Zahl
der. Beratungen von Brautleuten bleibt nod hinter den Beratungen von Serualsbes
beratungen zurüd. Die Heiratsberatungen, d.b. Beratung von Brautleuten vor der Eher
fhließung, machten 45,3 v. %., die Ehes und Serualberatungen 20,2 und 34,7 v. 9. aus in
den Jabren 1927 bis 1929. Die Anzahl der Cbheberatungen ift im Steigen, ebenfo die
Serualberatungen; auch bei der Heiratsberatung miffen in etwea der Hdlfte der Salle Geruals
fragen mit erörtert werden. Dies wird befonders verftändlich, wenn §. ausdrudlid darauf
1) £. Darwin, Was ift Eugenit? Aus dem Englifden überfegt von §. Tiege.
A. Metner Derlag, Berlin 193).
2) m Tevermann, Ober Cheberatung. Monogr. 3. Srauentunde u. Ronftitutionss
forfhung. €. Rabigfdh, Leipzig 1931.
8) M. Hirfd, Mutterſchaftsfuͤrſorge. Ebenda 1931.
4) §. B. Sheumann, Ztidr. f. Serw. u. Serpol. BW. XVII, 3; Ard. fo3. Hyg.
u. Dem. Bd. VI, 3.
5) Serfcher, Die Entwidlung der Ebeberatung in Deutichland. D. m. OO. 56, Vie. 50.
54 Doll und Kaffe. 1932, I
binweift, daß 98 v. 9. der Heiratswilligen aus allen Schichten der Bevölkerung fchon
Gefchkehtsbeziehungen aufgenommen baben und biologisch verbeiratet find. Ofters kann bei
ftärkerer Bindung der beiden Partner der Ebeberater von der AHeirat nicht mebr abraten und
muß fich auf Geburtenverbütung oder Sterilifierung befchränten. Schwangerichaftsver,
bütungsfälle tommen Sfters zur Beratung, doch meine erft dann, wenn eigene Derfuche
mißlungen oder künftlihe Seblgeburten eine zwedmäßigere Regelung der Gefdlectss
beziebungen verlangen. Zur Unterbindung der auch auf diefem Gebiete fich ausdehnenden
Burpfufcherei wird die Ronzeffionspflicht für Ebeberatungsftellen gefordert. Damit die
raffenbygienifche Beratung zur Aauptfade wird, mus nod viel Aufllärungsarbeit ges
leiftet werden, wie aud e die Zeit fir einen gefegliden Zwang zum Austaufe der
Feiratszeugniffe noch nicht gelommen fei.
Wichtiger als die verfrühte Regelung des zwangsweifen Feugnisaustaufdes fei die
Blärung der Rechtslage für die Sterilifierung. Setfder®) beridtet auch über das Er⸗
gebnis einer Umfrage an 93 Städte mit über 50 000 Einwohnern bezüglich der Stellung
zur Roftenübernahme bei Sterilifationen. 53 Städte lehnen ab, 17 übernehmen die
Roften. In den ı7 Städten wurden aus medizinifchem Anlaß 33 Srauen, aus caffens
bygienifchen und fozialen Gründen 18 Srauen und Manner fterilifiert, darunter 6 Minders
jabrige oder Entmindigte mit Zuftimmung des Dormundfchaftsgerichts. Einige Städte
lebnen die Genebmigung und Roftendedung mit Rüdficht auf die unfidere Rectelage ab.
Es bleibt das dauernde Derdienft von §., die Sorderung der Sterilifierung in einer
ganzen Anzahl von Sällen in die Tat umgefegt 3u haben und Öffentlich für fein Handeln eins
zutreten.
Uber Salle aus feiner Ebeberatungsftelle berichtet Setfcher?), bei denen Sterilis
fation nad den mitgeteilten Stammbäumen angexigt war und ausgeführt wurde. Bei
Otofllerofe (erblicyer Ertaubung) wurde der VOunfdh vom Patienten felbft geäußert, die Roften
von der Ortstrantentaffe ubernommen. Ein Taubftummer ging auf den Dorfdblag der St.
ein, die Roften wurden ebenfalls von einer Ortstrantentaffe getragen. Bei einer Detternebe
erften Grades in einer Samilie mit Taubftummbeit wurde die Unfrudtbarmadhung der Srau
mit einer Blinddarmoperation verbunden. Ein reisbarer Pipchopath mit Ertaubung nach
Scharladh, der die Lhe mit einer taubftummen Srau eingeben wollte, wurde auf Koſten
eines Bezirksfürforgeverbandes fterilifiert. Einige Arante bezahlten den Zingriff felbft. In
einem Salle wurde die Entichließung vom Dormundfchaftsgericht dem Lrmeffen des Dors
mundes überlaffen. In anderen Sällen, fo bei Schizophrenie im Remiffionsftadium, ließ fich
der Brante freiwillig fterilifieren, bei einem fhwachfinnigen Jungen mit ftarten feruellen
Regungen wurde der Eingriff auf Wunfch der Eltern ausgeführt. Auf Veranlaffung eines
Jugendamtes wurde bei einem 24 jährigen f[hwadfinnigen Mädchen mit drei unebelichen
Rindern von verfcdiedenen Pätern die Sterilifation vorgenommen. In zwei Sällen von
Epilepfie, einmal Schizophrenie, zweimal Shwahfinn, wurde dem Dorfchlag der operas
tiven Unfrudtbarmadhung nidt entfproden. In einem Jahre wurde Sterilifierung aus
rafjenbygienifchen Gründen 21 mal vorgeichlagen und 15 mal aud ausgeführt; „ein Beweis,
daß es nur darauf anlommt, es zu wollen.“
A. Mayer) berichtet, daß in Tübingen in der Srauentlinit in 32 Jabren 219 Tubens
fterilifierungen vorgenommen wurden, aus medizinifchseugenifcher Indikation (Mpilepfie,
Pſychoſen) in 25 Sällen. Auch er bält die Sterilifierung aus rein raffenbygienifchen Gründen
für erwünfdht zur Verhütung der Bevölterungsverpöbelung, doc feien die Grundlagen noch
unficher, da die Dererbungsgefetze noch nicht in allen Sällen genügend belannt (I) und die
Rechtsgrundlagen zweifelhaft.
In einem Beitrag Über Ebeberstung in der SYandbücherei für Staatsmedizin befepräntt
fid Gerlach?) auf die Befährdung der Kladhlommen durd geiftige Erbkrankheiten. ©.
benugt die Zahlen der deutfchen Sorfehungsanftalt für Pfiyciatrie in München und verfucht
die Prozentzablen der Ertrantungswahrjcheinlichkeit der gefährdeten Rinder, mit welden
der Laie nidts anfangen kann, verftändlicher zu machen durch die Gegenüberftelfung mit der
Ertrantungewabhrideinlidteit der Durchfchnittebenölterung. Erfreulich ift, daß die Sragen
der Ebeberatung, wenn zundächft auch nur für ein eines Gebiet, auch von der Staatsmedizin
berüdfichtigt werden.
6) Setfcher, Der Stand oer Sterilifierung im Deutiden Reid. D. m. W. 57, 2.
) Setfaerc, Die Praris der Sul lemg Arch. fos. 8. VI, 32}.
8) A. Mayer, Fur Srage der operativen Sterilifierung. Rl. Ue. 42, 193}.
9%) Gerladw, Handbicderei f. Staatamed. BW. XVIII.
1932, I G. Moſer, Überfiytsberichte aus dem raflenbygienifchen Schrifttum. 55
Unter weitgebender Heranziebung der Originalberichte aus Rußland und kritifcher
Derwertung des übrigen Scrifttums gibt Kiedermeyer!!) eine ausfibrlide rs
örterung der Auswirkungen des ruffifchen Rampfes genen die Samilie und der Ebegefet-
gebung. Wenn auch einige eugenifche Gedanken zu finden find, wie der Tadhweis, da die
tautleute fid ber ibren GBefundbeitszuftend unterrichtet haben, ift der Sinn und die
Wirkung der Gefeggebung familienfeindlich. IT. tampft gegen die Sreigabe der Schwangers
fcdafteunterbrechung, arbeitet die Gegenfage zu deutfchen Derbältniffen Kar heraus und zeigt,
daß das, was in Rußland guter Fladhlommenfchaft entgegenwirkt, trotg aller Propaganda
für deutfche Derbältniffe untragbar fei.
Aus einem Aufruf der Dereinigung Sffentlider Ebeberatungss
ftellen!!): Die vom Reich, den Ländern, den Gemeinden und den fozialen Derficherungss
trägern dauernd in zunehmendem Umfange aufgewendeten Mittel zur Belämpfung der
Dolltsfeuchen und zur Hebung der Dollsgejundheit finden jest ihre natürliche Begrenzung
cefp. Einjchräntung durd die Sinanznot. Die dazu berufenen Stellen find gendtigt, Wege
ausfindig 3u machen, auf denen mit weit weniger Mitteln ein gefundes leiftungsfabiges Doll
ffen und erbalten werden kann. Die Hocdwertigteit unferes Tach wuddfes ift zu fördern.
ies ift nur méglid, wenn fid mit dem Ebewillen auc das VDerantwortlichkeitsgefühl für
die Sortpflanzungseignung verbindet. Als Lladhlommen ungeeigneter Eltern fallen unferer
Öffentlihen Sürforge dauernd zur Laft: mindeftens 100000 fcbwere erblid Geiftestrante,
60000 Sallfücdhtige, 200 000 Trinker, 52 000 Geburtatrüppel, 35000 Taubftumme, 13000
Blinde, I 300 000 Minifh Tuberkulöfe, 400 000 Pfiychopatben und Sürforgesöglinge, 60 000
erblich Schwachſinnige. Das find s—j0% aller Deutfchen zwifchen 16 und 45 Jahren.
Hier beitebt eine fchwere en unferer Ausgaben, die durch die Cheberatung in Ders
bindung mit raffenbygienifchen MaGnabmen eine gewilfe Einfchräntung erfahren kann.
Die Sruchtbarkeit der geiftig Minderwertigen prüfte Popenoel2): Als Lebrfa gilt
in der Raffenbygiene, daß die raffenbygienifch Minderwertigen fich fchneller fortpflanzen und
die Yodwertigen bedroben. Die meiften bisherigen Unterfuhungen geben von einem Rinde
aus und ermitteln die Wechſelbeziehung zwiſchen Intelligenzquotienten und Geſchwiſterzahl.
Unterſuchungen uͤber die Wechſelbeziebung zwiſchen Intelligenzquotienten der Eltrn und
der Rinderzahl ſind ſchwieriger und ſeltener. Die Unterſuchungen ergaben eine Beziehung
zwifchen mütterlihem Intelligenzquotienten und Rinderzabl von — 13 + 06 und zwischen
päterlihem Intelligensquotienten und Rinderzabl von + 06+ 07. — In Sonoma (Balis
fornien) führte „The Horman Betterment Foundation“ an wegen Geiftesfdhwaide
Sterilifierten Unterfuchungen dur und fand, daß der geiftesfhwache Mann feruell nidt
aktiv, wabrfcheinlid pbyfiologifh ferucll unterwertig fei; er war nie verheiratet oder uns
ebeliher Dater. Wenn feruelle Belaftung in der Vorgefchichte vorhanden, handelt es fi
meift um paffive Dergeben als Godomift, dronifde Mafturbation, paffiv Gomoferuelle
oder Erbibitioniften. Die geiftig minderwertige Srau dagegen ift beiratsluftig, zur Rinders
produftion bereit in und außer der Ehe. Drei Diertel diefer Srauen batten einen Relord an
Serualvergeben in der eae Die verbeiratete geiftig minderwertige Srau batte
surdfanittlid sur seit der Sterilifation 2,32 Rinder, eine Erwartung von 3—4 Rindern
der vollendeten Samilie entfpredhend. Lliormale Mütter fterilifierter Datienten batten dies
felbe Samiliengröße wie geiftesidwadhe Mutter. Fwifdhen mütterlidder Intelligenz und
BRinderzabl beftebt eine negative Wechfelbeziebung, infofern die Minderwertigiten die meiften
Rinder haben. Die bier unterfuchten Samilien waren mebr als um die Sälfte fructbarer als
die falifornifhen Studentenfamilien. Das Mißlingen einer Sruchtbarteitsbeidhräntung
ee laßt das ftandige Abfinten der Bucdfchnittsintelligenz der Lommens
den Gefchlechter befürchten.
Die Auswertung der Hocfchullebrerftatiftit von Mudermann!?) ergab, daß von
3370 vollendeten Eben von Univerfitätsprofefforen 173 (= 15%) kinderlos waren. Auf
eine be überhaupt entfielen 2,8 Rinder, Überlebende Rinder 2,33. Wie die Mberficht über
die früheren Jahre zeigt, begann der Geburtenridgang in Aocdfdullebrerfamilien fdon zu
einer Zeit, in der er in anderen Bevdllerungstreifen noch relativ gering war.
10) A. Wiedermeyer, Die Eugenit und die bes und Samiliengefeggebung in
SGowjetrufland. §. Dimmlers Verlag, Berlin 1931.
11) Aufruf der Vereinigung öffentlicher Ebeberatungstftellen. Lug. Bo. I, 182.
13) Dopenoe, The Fecundity of the Feebleminded. Urd. Raffenbiol. 24, 291.
13) Mudermann, Differenzierte Sortpflanzung, eine Unterfuchung über 3847 Sas
milien von Profefforen deutfcher Univerfitäten und Aodfdulen. Arc. Rajfenbiol. 24, 269.
56 Dolt und Kaffe. 1932, I
Die Dereinigung der VDorfigenden der cheinifden Wobhlfabrtss und Jus
endämter bat Richtlinien!) über Sparmöglidleiten angenommen, wie fie ähnlich
ir andere Bezirke ausgearbeitet wurden. Darin wird geplant: Soweit befondere, mit
eigenen Mitteln ausgeftattete Eher bzw. Serualberatungsftellen befteben, find keine Bedenken
dagegen zu erheben, wenn fie eingefchräntt oder die Aufgaben anderen Beratungeftellen
übertragen werden.
Trog aller Warnungen werden immer neue, oe Nachwuchs gefaͤhrdende Notmaß⸗
nahmen getroffen: Die Arbeitsgruppe I des vom Keichsminifterium des Innern berufenen
Reihsausfhuffes für Bepvöllerungsfragen!?) veranftaltete am 10. Juli eine
Ausfpracde über die bevölterungspolitifchen Auswirkungen der zweiten Derordnung des Reichs
präfidenten zur Giderung von Wirtidaft und Sinanzen vom 5. Juni 1931. Solgende Ents
foheBung wurde Seo lenin „Der vom Reihsminifterium des Innern eins
geſetzte Reichsausſchuß fuͤr Bevoͤllerungsfragen bat fidy in feiner Sigung am yo. Juli 1933
mit der Prüfung der bevölterungspolitifchen Auswirkungen der zweiten Verordnung des
Reidhsprafidenten zur Siderung von Wirtfdyaft und Sinanzen, vom 5. Juni 1931, befaßt.
Er vertennt in keiner Weife die zwingende Llotwendigleit, den öffentlichen Haushalt von
Reich, Ländern und Gemeinden, aud aus bevdllerungspolitifden Grimden, 3u fidern. Er
ftellt mit Bedauern feft, daß über die ftarke Belaftung binaus, die durch die neue Llotverords
nung der gefamten Bevölkerung auferlegt worden ift und die die Lebenshaltung des ger
famten Volles auf das fhwerfte bedroht, die Samilie nob in befonderem Maße
betroffen worden ift.
Lieben der allgemeinen Gebaltss und Lohnkürzung der Beamten, Angeftellten und
Arbeiter des Sffentlichen Dienftes ift den Samilienpätern durch die Halbierung der Zulage
für das erfte Rind bei den Beamten und Angeftellten bzw. durch den völligen Wegfall diefer
Zulage bei den Arbeitern und Briegsbefhädigten nobh eine Sonderfteuer auferlegt
worden. Ihre wirtfchaftlihe und piychologifche Auswirkung ift um fo fhlimmer, als von
ihr in erfter Linie die Samilien mit geringerem Eintommen betroffen werden. Bei der
Rrifenfteuer feblt jede Rüdficht auf die Bröße der Samilie. Umgekehrt wirkt fic die
Suderfteuer und die Ausfchaltung der jugendlichen Arbeiter aus der Arbeitslofenverforgung
als weitere fhwere Belaftung der Samilte, insbefondere der kinderreichen Samilie, aus. Die
gefegliden und freiwilligen Aufwendungen der Bezirksfürforgeverbände find erjchüttert
worden. Den meiften deutfchen Samilien ıft fchon feit Jahren durch die Solgen von Krieg,
Inflation und fteigender Wirtfchaftsnot und Arbeitslofigteit nur mebr cin Lebenan der
Grenze des Eriftenzminimums ermöglicht; die fchweren Kaften, die ihnen durch
die Derordnungen des Jahres 1933 auferlegt worden find, haben das Maß des Erträgs
lien überfdritten. Der Reihsausfhuß für Bevölkerungsfragen ift daber der Übers
zeugung, daß die Eingriffe der Zweiten Kotverordnung nur no familienzerftörend
wirken und fomit den Lebenswillen des deutfchen Volkes vernichten können. Sie werden
nidt nur den Beburtenrüdgang noch weiter befchleunigen, fondern insbefondere die
gefundbeitlide und feelitde Erbaltung der Lebenden unterbinden.
Der Reihsausfhuß fordert eine möglidhft baldige Rüdgängigmadung aller familiens
feindlih wirkenden Sonderbelaftungen der Zweiten Vlotverordnung. Insbefondere fordert
er, daß wenigftens für die Samilien mit mebr ale zwei Rindern feine Rurzung der
früheren Rinderzulage eintritt und daß bei der Erhebung der Rrifenfteuer der Samiliens
ftand und die Samiliengröße berüdfichtigt werden.
Der Reihsausfhuß erwartet, daß die MTotverordn fpesiell unter bev dllerung ss
politifden Gefidtspuntten einer grundlegenden Revifion unterzogen wird, und daß
er binfichtlich der Regelung der Einzelheiten gutadtlid gebdrt wird.“
£en315) fragt daber mit Redt: Warum keine Entlaftung der Samilie? Die Bes
ftimmungen des § 119 der Derfaffung über den Schut der Samilie und befonders der
kinderreihen Samilie find auf dem Papier fteben geblieben obne Auswirkung in der Praris,
weil die zur Durchführung berufenen Abgeordneten fi vorwiegend aus Leuten zufammen«
fetgen, weldye nidt oder nur fhwad an eine Samilie gebunden, joweit fie verheiratet Cinders
los oder kinderarm find. Verftändnis für die Bedeutung der Samilie und fir Rinders
ceiddtum tann man von Lnderlofen oder Linderarmen Politikern nicht erwarten, vor allem
14) Sifcher, Sparmöglichleiten der kommunalen Befundheitsfürforge. 3. Schuls
gefundbpfl. u. foz. Ayg. Air. 20, 1931.
15) Reihsausfhuß f. Bepslkerungsfragen, Gefdb.verw. ir. 16, 193}.
16) §. £en3, Warum keine Entleftung der Samilie? ug. Bo. I, 25}.
1932, I
Buchbefpredhungen. 57
nicht, wenn fie unglüdlid verheiratet find. Aud die weiblichen Abgeordneten ftellen in
diefer Hinficht eine inftige 2
wie die Öffentliche Si
uskefe dar. Durdy nichts wird die Zukunft des Staates
rheit fo bedroht wie durd den Zerfall der Samilie.
(Sortfegung folgt.)
Buchbeſprechungen.
Margarete Boie: Die letzten Sylter Rie⸗
fen. Gtuttgart 1930, Derlag 3. §. Steins
topf. 136 SG. Geb. Mk. 3.—.
Margarete Boie bringt im Rahmen ihrer
Sylter Reihe als Niederfehrift perfönlicher
Erlebnifje eines Sylter Lebrers eine tnappe
Jufammenfaffung der Gefcidte der Rämpfe
SadHleswigeAolftein um feine Verfaſſungs⸗
rechte in den Jabren von 1800— 18585.
In fcddsnem einfadhem Stil werden uns
die Derbdltniffe und Zuftände einer Zeit
nabe gebracht, die nicht weit zurüdliegt und
sod 6 wenig betannt ift. Wer unter der
beutigen Jugend tennt die VIamen Lornfen,
Bau, Rolding, Edernförde? Ls ift auf den
136 Rleinottavfeiten erftaunlich viel erzäblt,
und die baftenden Zeitgenofien, die Split
bdd(tens ale Badeort kennen, können fidh
über die Urgründe in fpannender Sorm uns
terrichten, die in unferen Tagen 3u dem nad
unferer Anfidt nur vorläufigen Verluft
et geführt haben.
Das Büdlein kann nur warm empfobs
len werden. E.S.
Dr. €. Erdmann: Die Glockenfagen.
Heft 6 der Beitrdge zur rhein. und weftf.
Dollstunde in Einzeldarftellungen. DOuppers
tals@iberfeld 3930. Martini u. Grittefien,
G. m. b. 9, Derlag. 94 S. Preis geb.
mi. 3.—. ;
Das Grundergebnis, 3u dem Erdmann
kommt, ift, daß nabezu allen Glodenfagen
die perfonifizierte Glode als Rerns
puntt zugrundeliegt. Ob dabei das Abfons
derliche der Sorm oder des Tones, das Duns
Rel über ihre Herkunft, ihr Alter, das Ges
beimnisvolle ihrer Wirkung zur Sage Ans
laß gegeben bat, ftebt zunädhft nicht im uns
mittelbaren Dordergrunde, vielmehr wird die
Sandlung immer beftimmt durch Taten, die
nur der perfonifizierten Blode möglidy find.
Der Derfaffer bleibt jedoch nicht bei diefer
Tatfachenfeftftellung fteben, fondern verfucht
auch die Stage zu löfen, auf weldhe Weife
diefe perfonifizierte Blode diefe verfdiedenen
Sagentypen bat bilden können, alfo Ants
wort zu geben auf die Sragen: Wie vers
mag die Glode fo zu handeln und nicht
anders.
Die Meine, aber inbaltreihe Abhandlung
ift für die Vollelunde und ganz befonders
für die vergleichende Sagenforfhung eine
wertvolle Bereicherung.
Sriedrih Lüers, München.
Otto Sriedrih Gandert: Sorfchungen zur
Gefdhidte des Haushundes. Die Steinzeit»
raffen in Llordofteuropa. MannussBiblios
tbet Fir. 46. Leipzig 1930. Verlag Curt Ras
bigfd. 93 S. 34 Abb. Preis brofd. M2. 7.—,
gebunden ME. 9.—.
Zur Kenntnis der Rultur und fomit der
Wirtfhaftsformen einer Zeitperiode gebdrt
auch die Renntnis der Haustierbaltung. Kur
durch gleichzeitige gefchichtlihe Rulturfors
bung erbält die ustierforfhung ihren
Wert. Andrerfeits dient die Stammesger
fdidte der Haustiere der Archäologie, fo
3. B. für die Abgrenzung von Kulturctreis
fen, für die Herkunft von Völtergruppen.
AHaustierreften kommt der Wert von „Leits
foffilien“ zu. Verf. hat fic der Aufgabe uns
terzogen, den MHaustierbeftand des Aulturs
Breifes der Grübdyens und Rammleramil der
jüngeren Steinzeit 3u unterfuden, insbefons
dere die wirtfdaftlide und z00logifde Bes
deutung der Hunderaffen. Aus einem reichen
Kiteraturmaterial bat er die Ausgrabungss
berichte einer eingebenden Rritik unterworfen,
wobei 20 Sunditellen in Rußland, Sinnland
und Lettland betrachtet werden. Selbft uns
terfuchtes neolitbifches Waterial aus den
Res. Querfurt und Lleubaldensleben werden
vergleidbeweife herangezogen. Der erfte Teil
der Arbeit ift der Beichreibung fteinzeitlicher
Wobnplage und ihrer Sauna gewidmet. Das
Derbreitungsgebiet der Rammleramil reicht
nad) den neuen Unterfucdungen im Weften
bis nah Oftdeutfdland binein und erftredt
fi dann in breiter Släcdye über Klords und
Mittelrußland bis nah Sibirien. Die als
tefte Tonware findet man in Mittelrußland,
im Ofatale. Es ift möglich, daß die Ramms
teramit mit der „arktifchen“ oder Wohn⸗
plattultur Standinaviens in Jufammenbang
3u bringen ift. Gemeinfame Urbeimat ift das
weftliche Oftfeegebiet. Sür diefen Zufammens
bang fpreden aud gleidhe Wirtfchaftsfors
men, gleiche Steins und Rnodyengeräte beider
Rulturtreife. Der zweite Teil der Arbeit bes
bandelt den Hund als Haustier, feine wirts
fhaftlihe Bedeutung, feine Aafienzugebörig:
keit und feine Herkunft. Zur Zeit der Grübs
58 Volt und Kaffe.
1932, I
dens und Kammteramil ift der Hund als
einziges AHaustier einwandfrei feftgeftellt.
Da der Hund bon im Fleolitbitum in Rafs
fen zerfällt, Bann der fammleramifcdhe Rul⸗
turtreis Llordofteuropas nicht feine Heimat
gewefen fein. Bie Dorfabren ftammen aus
dem Weftbaltitum. Aus einer eingebenden
Unterfuchung des Stelettmaterials, wobei eine
Reibe von Maßen am Schädel und an den
Ertremitäten betrachtet werden, unterfcheis
det man verfchiedene Raffen des feinzeit-
lihen Hundes in Llordofteurope.
8. Ehrhardt, Münden.
M. Jahn: Die Kelten in Schlefien.
Quellenfchriften zur oftdeutfhen Dore und
Srübgefhihte (breg. von % Seger),
Band 1. Leipzig 1933. C. Rabigfd. 160 S.,
76 Abb., 12 Taf. Preis geb. ME. 13.—.
Mm. Jahn legt bier in feiner Habilitationss
fehrift den gefamten Stoff in überfichtlichfter
Sorm mit reihen Abbildungen und unter der
bei ihm belannten Beberrfchung der Metbode
bis in die Beinften Einzelheiten vor, und eine
reiche Ernte ift es, die er einbringen fann. Sind
fhon die Abfchnitte über die formentundlice
und zeitliche Gliederung der fchlefiichen Sunde
im Derbältnis zur gefamtleltifhen Rultur
ein großer Gewinn, fd bietet die Arbeit weis
teren Rreifen noch mebr in den fiedlunges
gefcbichtlichen Ergebniffen, die aus der rein
arddologifden Betradtung erwadfen. Dems
nach wanderten die Beltifhen Bojer und Vols
ker etwa um 400 vor Ebr. aus Böhmen und
Mähren in Mittels und Oberfchlefien ein, wo
fie fich in den fruchtbaren Lößgegenden nies
derließen. Auf den Trümmern des von ihnen
endgültig vernichteten „illyeifhen“ Urnens
feldervoltes befeftigten fie ihre Herrfdaft um
den Zobtenberg und den oberen Bderlauf, bis
fie um 100 vor Chr. ihr nördliches und etwa
100 Jabre fpäter ihr füdliches Gebiet räumen
mußten, nicht obne daß wefentliche Doltsteile
den neu eingewanderten Wandalen bdrig ger
worden wären. Alle diefe Schidfale aus dem
— Rulturgut abgeleſen und zur
Darſtellung gebracht zu haben, bleibt ein
dauerndes Verdienſt des Verfaſſers um die
deutſche Vorgeſchichtsforſchung.
E. Peterſen, Breslau.
riedrich Keiter, Schwanſen und die Schlei,
Schleswigſche Bauern und Fiſcher. Deutſche
Raſſenkunde Bd. 2. Jena 1931, Guſt. Fiſcher
Derlan. 134 8. 1 Abb. i T., ı5 Taf. Preis
geb. ME. 15.—, geb. Mi. 17.—.
Reiters Linterfuchung ift ein wefentlidyer
Bauftein zur Anthropologie SchleswigsHols
fteins. Der erfte Abfchnitt, insgefamt 39 S.,
gibt eine Überficht über Landfchaft und Doll,
der zweite, 53 &., behandelt die Kaffe, das
cein Methodifde, Ergebniffe der Meffungen
und fchließt mit einer raffentundliden Zus
fammenfaffung und mit Dergleicen anderer
Sorfcdhungsergebniffe.
Die Urgefdhidte SdhleswigsAolfteins bes
ginnt mit dem Scluffe der Eiszeit. Schon
das Neolithikum iſt nicht einheitlich. Wich⸗
tige Markſteine in der Bevoͤlkerungsentwick⸗
lung ſind die Auswanderung der Angeln
und Sachſen um das 5. und o. Jahrhun⸗
dert n. Ehr., die Einwanderung der Jüten
(das fudlichfte nordgermanifche Doll) um das
Jahr 1000, das Kinftrömen von Ylieders
deutfchen im Jahre 1260. Sür Schwanfen
ft die Anfiedlung zahlreicher Bauernfamis
lin aus Angeln von Bedeutung. Unters
fucht wurde die Bauerns und Sifherbenöl:
terung, insgefamt ein Material von 1353
(701 0°, 652 2) Erwadfenen und 552 (630 0"
3229) Rindern, wobei Rinder unter 14 Jabs
ten im allgemeinen nicht mitbearbeitet wurs
den. Aufgenommen wurden nur die Pers
fonen, deren 4 Großeltern aus Schleswig
Holftein gebürtig waren.
Die Rörpergröße ift mit 169,6 cm für die
Männer und 159,} cm für die Srauen nicht
febr bedeutend. Beinlänge, Spannweite und
Sculterbreitefindrelativgroß. Die Ropflänge
ift mit dem Wert von 194,83 mm febr lang,
die Bewohner von Angeln erreichen mit
197, mm das Marimum der in der Lites
ratur angegebenen Ropflängens!Mittelwerte,
die Ropfbreite beträgt für die Männer im
Mittel 159,0 mm, die Bopfbdbe ift dabei
fehr niedrig. Das Gefidt ift febr boc und
dabei breit und zeigt dadurch einen geringen
Gefidtsinder. Die afe ift bäufig gerade.
Die Augen liegen tief, die Lidfpalte ıft oft
eng. Die Augenfarbe ift mit 49% rein bell
und ift dadurdh den bellen Augen flandis
navifder Bevdllerung taum unterlegen. Das
ar ift 54% blond oder belibraun. Die
Srauen find unbedeutend blonder. Aud in
diefem Merkmal fließt fib Schwanfen
Skandinavien weitgebend an. Schleswigs
Holftein ift raffifch nicht einbeitlih. Es it
euch eine Ddllerbride swifden Mord und
Ghd. Befonders abweidend von flandis
napifchen Gruppen find die Breite von
Ropf und Gefidt.
Auf Grund feiner Unterfuchungen will
Reiter in der Bevdllerung des leiges
bietes ein Bemenge aus „dalifcher” und „nors
difcher“ Raffe mit Schwachen Anteil der als
inen, dinarifhen und oftbaltifden Raffe
ben. Don einem Teil der führenden Ans
tbropologen wird das Befteben einer Dal⸗
taffe fir Standinavien in Zweifel gefett.
Esdarf nicht vergeffen werden, daß Paudler
der die Dalraffe aufgefteli bat, fid nur auf
das Material von Regius und Surft ftüßte.
ce ais —
1932, I
Buchbefpredpungen. 59
Derf. fchließt fich in einer fcharfen Trennung
von dalifcher und nordifcher Kaffe Paudler
nicht an, enthält fich aber leider einer ges
nauen Stellungnahme. Leider gibt Keiter
keine Abbildung von einem ausgefprochenen
Daltypus. Seine Untlarbeit auf diefem Ges
biet fommt fchon in folgenden Sägen zum
Ausdrud. Auf S. 103 fehreibt Derf.: „Odenn
ftarke alpine, dinarifche oder oftbaltifche Beis
men in unferer Bevöllerung vorhanden
wäre, ließe fich das Seblen abfolut ſehr kurzer
Böpfe nicht verfteben.“ Weiter unten beißt
es: „Sehr ausgeprägte ‚Sinarifche‘ und auch
mebt rundliche ‚alpine‘ Rurztöpfe finden
316 Stammbaume mit einer Reibe photos
grapbifcher Belege und insgefamt 135 gute
pbotograpbifche Bilder vervollftändigen diefe
offenbar gründliche Arbeit.
S. Ehrhardt, Münden.
Olaf Klofe: Die Samilienverhaltniffe auf
Island vor der Belehrung zum Ebriftentum
auf Grund ser Jslendingafogur. Flordifche
Studien X. Braune Dein
1929. — Gg. Weſtermann. 123 ©.
Preis geb. Mil. s.—.
Der Derfaffer bemüht fich, ein möglichft
Hares Bild der Sippens und Samilienvers
bältniffe zu entwerfen, und nimmt dabei ent«
fcieden fir die Auffaflung von Wilhelm
Grdnbed und gegen gewiffe ältere Anfichten
Dartei, die beute faum nod foviel Beads
tung genießen, als man nach Rlofe meinen
möchte. Die Sammlung der Belegitellen aus
den Sagas ift fehr wertvoll; fie würde ges
wif aud über den engften Sadtreis hinaus
intereffieren, wenn fic der Derfaffer ents
ſchloſſen batte, in Anmerkungen oder in
einem Anbange die altnordifchen Belege zu
überfetzen. Die Saltbarkeit der Schlüffe aus
den einzelnen Belegen ift nicht immer die
leihe. Die bobe etbifhe Bedeutung des
&ippenzufammenbange wird mit Recht (wie
überhaupt in neuerer Sorfehung) betont. Bei
den Samilienverbältniffen hätte ftärker zum
Ausdrud kommen follen, daß bierin die iss
ländifchen Zuftände keine Befonderbeit ges
enüber dem zeigen, was innerhalb des eng»
N Rreifes auc anderswo die Regel ift.
Srantfurt a. M. %. Zeiß.
Elifabeih Kloh: Das Grundbuch; der Stadt
Ditfhau. Quellen und Darftellungen zur Ges
fcicdte Weftpreugens, herausgegeben vom
Weftpreug. Gefcidteverein. 14. Danzig
1929.
Schon ale um das Jahr 1252 Herz0g
Gambor II von Pomerellen Burg und Aes
fidenz erbaute, z0g er deutfche Aitter und
Siedler heran und verlieh der Stadt lbs
bifches Recht. Auch als Dirfchau im Jahre
1457 durch Verrat böbmifcher Söldner in
die Sand des Polentdnigs tam, bebielt es
durchaus feinen deutfchen Charatter bei, es
„wurde polnifh nur nach feiner politifchen
dugebörigleit, niemals nad feiner nationas
len Gefinnung oder fpradlicen Abgrens
zung“, felbft die deutfche Amtsfpracdhe des
Rates wurde während der ganzen Zeit pols
nifcher Syerrfchaft beibehalten, und fo Find
aud alle erhalten gebliebenen Urkunden in
deutfeher Sprache gefchrieben. Wie übers
tafchend deutich die Stadt geblicben war,
gebt befonders aus dem nad dem Brande
von 1577 angelegten „Brunds und Wies
fenbucy“ der Stadt bervor, weldes die vors
liegende Derdffentlidung ins rechte Licht
rüdt. Das Grundbuch reicht bis ins 19.
Jahrhundert hinein. — Das Intereffantefte
ift, daß während der ganzen Zeit die Llamen
aller GHausbefiger deutfc find; die ganz wes
nigen polnifden amen finden fid) nur bei
Befigern einiger Handwerkerbuden am Rats
baus und auf dem „Muͤnchenberge“. Die
Arbeit bringt am Sdlug ein nad den Ans
gaben des Grundbuches zufammengeftelltes
&ronologifches Bürgerverzeichnis, eine Lifte
der Bürgermeifter, Rateherren und Schoͤf⸗
fen von Dirfchau (bier finden fi) nur 6 flas
wifd tlingende MTamen) und endlich ein als
pbabetifehes Ortes, Perfonens und Sachs
regifter.
Das Wert beweift fehlagend, welche Vers
waltigung man der ftets echt deutiden
tadt angetan bat, als man fie im Dittat
von Verfailles „unter Berufung auf die
Gefcdidte” febr gegen ibren Willen unter
polnifdye Herrſchaft bradte! Ke ift nie fo
Gefchichte gefälfcht worden, wie in Vers
failles! ©. Rede.
RB. Müller-Guttenbrunn: Der brennende
Menih. Das geiftige Vermächtnis von Ars
thur Trebitfch. 368 Seiten, 4 Bilder. Uns
taios:Derlag, Leipzig. C. 3. 1930. In Gangs
leinen ME. 5.—.
Go lange er lebte, ift Trebitfd von vies
len nict verftanden worden, er war für
fie eine Erfcheinung voller Ratfel: ein Wann
aus febr wohlhabender jüdifcher Samilie, uns
abhängig, durchaus in der Lage feinen Yleis
nungen und vielfeitigen Begabungen in vols
er Sorgkfigkeit zu leben, folgt er einem
inneren Swange und betritt den dormens
vollen Weg des Kampfes gegen feine eigene
Kaffe, wird er zu einem der leidenjchafts
lichften Beldmpfer des Judentumes, von
dem er fich feehich abgeftoßen füblt, dem er
auch in feiner dugeren Erfcheinung rect
fern ftebt.
Diefem ,liebenden, leidenden, ewig miß⸗
60 Volt und Kaffe.
1932, I
verftandenen und verneinten Rämpfer für
deutfhen Geiſt“ verfudht im vorliegenden
Bud Steundesband ein Denkmal zu fegen;
MB. ift fi dabei der Schwierigleiten
durchaus bewußt, die einer umfaffenden und
objektiven Darftellung diefer problematifchen
Perfonlidleit entgegenfteben, zumal er bei
vielen Sclußfolgerungn von Trebitfch
„das Mitgeben verweigern“ muß.
Das Buch bringt umfangreiche Proben
aus dem Schaffen von Trebitfh als Dids
ter und Pbilofopb, als „Belenner“ und
Rämpfer, nicht nur aus den zahlreichen Ders
Öffentlihungen, fondern aud aus Tages
bicern und Briefen, und vermittelt auf
diefe Weife einen tiefen. und intereffanten
Einblid in Geift und Seele diefes im Grunde
tief unglüdliden und tragifh endenden
Wannes, der fi in feinem Kampf, am es
folg verzweifelnd, felbft aufrieb. Beiges
eben find dem Buche einige Bildbeilagen:
orträts von Trebitfch, eine Handfchrifte
probe, Zeichnungen, das Grabmal.
O. Rede.
H. Plifhke: Chriftoph Molumbus. Die
Entdehung Amerikas. Mach zeitgenöffiichen
Quellen bearbeitet. 160 Geiten, 29 Abb.,
5 Karten. Derlag $. A. Brodbaus. Leips
zig 1930. 3. Auflage. In Halbl. ME. 2.80,
in Gansl. Mtl. 3.50.
Das in der verdienftvollen Reihe „Alte
Reifen und Abenteuer“ berausgelommene
Büchlein ift jetzt bereits in dritter Auflage
erfchienen! ine Einleitung madt den Les
fer mit den biftorifchen und geograpbilien
Grundlagen der Sabrten des Kolumbus bes
kannt. Die Reifen werden bauptfädhlich nach
feinen eigenen Tagebidern, aber aud nad
fonftigen zeitgensffifhen Quellen darges
ftellt, die Rärtchen zeigen in guter Überficht
die Reifewege der vier Unternehmungen, die
meift alten Reifewerten entnommenen Abs
bildungen geben Ayinweife zur Völkerkunde
der damaligen Indianer.
Das Werkchen ift geeignet, woeitefte Rreife
mit den Abenteuern und dem tragifchen Ger
{did diefes berubmteften aller Entdeder bes
© Rede
Erih Reglaff: Die von der Scholle.
56 photograpbiiche Bildniffe bodenftändiger
Menfchen. Mit einem Geleitwort von Hans
Sr. Blund. (Deutfhe Menfden 3. Solge.)
Menfhen am Werk. 856 pbotograpbilche
Bildniffe aus deutfchen Induftrieftädten. Mit
einem Geleitwort von Heinrich Lerfd.
(Deutfhe Menfden 2. Solge) Göttingen
1933. Verlag der Deuerlihihen Buchband»
lung. 56 ©. 4°. Rart. je ME. 3.80.
ilderfammlungen in Buchform mit kurs
kannt zu machen.
gem Begleittert find heute häufige und vom
Publitum gerne beadtete Derlagswertke. In
den bier vorliegenden beiden Banden foll
an and von je 56 photograpbifden Ders
größerungen, die von €. Reglaff ftammen,
das Gefidt des dseutiden Bauern und des
deutfchen Arbeiters dargeftellt werden. Einige
der beften Bilder des Bandes „Die von der
Scholle“ find unferen Lejern bereits durch
die Deröffentlihung des Preisausfchreibens
im Oftoberbefte 1931 in Doll und Raffe,
Geite 202—207, belannt. Auch eine Reibe
anderer guter Typen ftellt Reglaff vor allem
aus Feilen dem Betradter dar. Bei einem
Teile der Bilder beider Bände ift freilich
die Vergrößerung oder der Lichteffelt in fols
her Weife übertrieben, daß bier nicht mebr
ganz die Wirklichkeit fpricht. Leider gelang
es den Pbotograpben nur in einzelnen Säls
len, raffentundlich wertvolle Typen in kenn»
zeichnender Weife vor die Ramera zu bes
tommen. Die beiden Se find ins
foferne wertvoll, als fie wirklich ein ges
wiffes Burdfchnittsbild der den dseutiden
Bauern und deutfcben Arbeiter befeelenden
Zuge gibt und damit gewiffe Vergleiche ers
möglidht. 8. Ehrhardt, Münden.
Paul Rohrbad und Guftav Roloff: Deut:
ihe Dolksge(hidte. Berlin 1930. Verlag
von Reimar Hobbing. 92 S., 30 Abb. Preis
geb. ME. 5.60.
Es ift zweifellos Bein leichtes Unternebs
men, auf verbältniemäßig begrenztem Raume
die Befchichte des deutjchen Volles — nicht
der deutfchen Staaten — darzuftellen. Das
ift um fo fchwerer, wenn man bedentt, daß
das deutfche Volk allein fchon in Europa auf
15 verfchiedene Staaten verteilt ift, von des
nen aber nur 3 deutfh find. Ber große
Überblid über das gefchichtlichspolitifche
Scidfal des deutfchen Volkes ift den beis
den Derfaffern gut gelungen. Ein Abfchnitt
nad) dem andern führt Srübzeit, Döllerwans
derung, Entftehbung der weltpolitifchen Macht
zur Zeit der FHobenftauffen, den nationalen
Serfall und 30 jährigen Krieg, Bedrangung
durd> Srantreih, Untergang des Reiches,
das Ringen um den deutichen Klationalftaat
und Erneuerung des Deutfchen Reiches vor
zn Auf die Bedeutung der deutfchen
Rolonifation des Oftens und des Auslandss
deutfchtums wird in diefem Zufammenbange
befonders eingegangen.
Die Darftellung der Germanen der Döls
ferwanderungszeit ift freilich teilweife Thief
und nicht fo gebalten, wie man nad den
neueren Sorfchungen es in einem folden
Buche erwarten müßte. Den Germanen das
Bauerntum absufprehen und ihre Kultur
als eine bloße Kriegertultur binzuftellen,
1932, I
Buchbefprechungen. 61
derzufolge fie nur den Aderbau oberflächlich
betrieben, die Seldarbeit Srauen und Unfreien
überließen und es fic in einem berrenmäßigen
Leben woblergeben ließen, ift ein Sebler.
Wenn die VWerfaffer sabei gelegentlid fid
auf Gidonius Apollinaris, einen verfeinerten,
nur das römifche Rulturideal [hätgenden Bals
tier berufen, fo gibt das ein ganz faliches
Bild. Es wäre beffer gewefen, wenn fie ihr
Urteil an den Berichten der isländifchen Gas
gas gebildet hätten, die ein Kulturbild ent»
werfen, das fid von dem der Ddlterwans
derungszeit wenig unterfcheiden dürfte.
Jene Flordgermanen find Bauern mit dem
Schwerte an der Seite! Die Behandlung der
iftigen und tulturellen Kräfte, 3. B. des
heitenconie, die in pofitivem, wie negas
tivem Sinne am deutfchen Dolfstum wits
ten, verdiente eingebendere Behandlung.
BrunoR. Schul.
W. Sheidt: Die raffifhen Derhaltni e in
Hordeuropa. E. weizerbart'fhe Ders
lagsbuchh. Stuttgart 1930. Preis brofd.
Me. 43.—, geb. We. 45.—.
Die vorliegende Arbeit ftellt aus der Lites
ratur die bisher vorbandenen Unterfucuns
an lebenden, frübs und vorbiftorifchen
Iterungen Großbritaniens, Islands und
Standinaviens zufammen, verarbeitet das
Material ftark kritifch (wobei der Verf. bes
fonders an Beddoe Kritik übt), erwähnt und
tritifiert die bisberigen Sypotbefen über das
raffifche Werden Lordeuropas und ftellt dies
fen die Unfcauungen und Dermutungen des
Derf. gegeniber, die bauptfadlid auf torres
lationsftatiftifden Unterfudungen beruben.
Derf. tritifiert auch die berrfdenden Ans
fhauungen über das Erjdeinungsbild der
bauptfächlichften europäifchen Rafien und ift
der Meinung, daß mande in Wirklicpkeit
nicht vorhanden find; fo wendet er fidh
onders gegen die „DalsRafje” Paudlers;
et fagt, diele fei bisher „in keinem nordeuros
päifyen Unterfuchungsgebiet nadgewiefen
worden. Die von Paudler in UAnfprud ger
nommenen Befunde und Gelegenbeitebeobs
adtungen feien zu diefem Zwede unbrauds
er”. Auch an das Vorbandenfein einer
„oftbaltifchen Kaffe“ glaubt er nicht, mins
deftens nicht für das unterfuchte LTordeurope.
Bezüglich der „nordifchen Kaffe“ meint er:
„Wir müffen aljo mindeftens mit der Mög:
lichkeit rechnen, daß das bisher angenommene
Erfdeinungebild einer nordifehen Raffe
mander Rorrefturen bedarcf, wenn es in
einer Erbgefdhidte nordeucopäifcher Bevoͤl⸗
terungen 3wedmagig fein, d. 6. Deutungss
wert baben foll*. Werfaffer gibt. dems
entfprechend der ,nordifden Rajfe” etwas
veränderte Züge: „Anlage für hoben Wuchs,
langen, mittelbreiten, mäßig rundförmi
(bis mittellangférmigen) Kopf, belle Aus
ens und aarfarbe und fdlidte Aaars
orm”; das Geficdt diefer Raffe fei niche tys
pifd nlangförmig die Klafe nicht typiich
ſchmalfoͤrmig“. ieſe Auffaſſung beruͤhrt
ſich mit der meinigen, die ich verſchiedent⸗
lich ausgeſprochen habe: der Umſtand, daß
heute nordeuropaͤiſche Bevoͤllerungen — bei
erheblicher Ropflaͤnge — zugleich eine recht
bedeutende Ropfbreite aufweiſen, braucht
nicht eine Folge von Raſſenmiſchung zu ſein.
Nicht in das Bild zu paſſen ſcheint mir die
„ſchlichte“ hHaarform. Verf. iſt weiterhin
der Anſicht, dieſe nordiſche Raſſe zerfalle in
zwei „Schlaͤge“: der eine habe ausgeſprochen
blondes haar und moͤglicherweiſe eine etwas
rundlichere Ropfform und (obgleich beide
Tppen großwüchfig feien) vielleicht etwas
geringere Rörpergröße; der zweite babe
duntleres Maar, eine möglicherweife etwas
längere und fehmälere Ropfform und fei viels
leicht etwas größer; den erftgenannten
Schlag bezeichnet er ale „binnenflandines
vif“, den zweiten als „atlantiih“. Trog
des Linterfchiedes in der Haarfarbe feien Uns
terfehiede in Augens und Hautfarbe nicht
vorbanden. £s fei wahrfcheinlich, daß „beide
Schläge im ganzen nordeuropäifchen Gebiet,
alfo aud da vortommen, wo der eine oder
der andere überwiegt“.
Man wird vieles bei den Theorien
SGeeidts ftart mit Sragezeichen verfeben
miffen, denn es gibt viele Meffuns
gen und Beobachtungen, die durchaus ges
gen feine Auffaffungen fprechen; aber ©.
madt fic die Beweisfibrung leicht und ers
tlart alles, was nicht zu feiner Theorie paßt
(darunter auch Angaben von Lundborg!) fur
wahrſcheinlich fehlerhaft.
Stoͤrend ſind die zahlreichen Druckfehler.
Der in der Einleitung ſich findende An⸗
griff gegen die „vielen marktgaͤngigen Buͤ⸗
der und Schriften uͤber Raſſenkunde“: ihr
„Gehalt an mehr oder minder geiſtreichen
Ideen“ ſei „meiſt ebenſo groß, wie der Ges
balt an Arbeit ourcftig’, fdieGt in diefer
Derallgemeinerung über das Ziel binaus; er
trifft Pit viele, aber nicht für alle zu, bes
fonders nicht fiir die Sauptwerke Jans. R.
Guͤnthers. O. Reche.
Walter Scheidt: Kulturbiologie. Jena
1930. Guſt. Fiſcher Verlag. 127 S. Preis
brof. ME. 6.—, geb. MI. 7.60.
Ein intereffantes Buch, das dennoch ins
folge einer gewiffen Scwerfalligteit im
Ausdrude und in der Geftaltung der Pros
bleme und einer eigenartigen Srageftellung
fih keine Sreunde erwerben wird. Schon
62 Volt und Raffe.
1932, I
die Überfchriften der Rapitel weifen auf diefe
befondere 3. T. auch weit abjchweifende Art
bin. Sypotbefenbildung in der Biologie, Bes
fhreibung, Erklärung, Geleg, Rörper und
Seele, Umwelt, Typus, Anpaffung, Lebens»
baltung, GBeiellihaft, Adoption, Tradition
— feine beiden Lieblingsworte —, Entwids
lung, Aiftorie und Gefhidte, Ronftitution
und Rultur.
Sceidt vertritt dabei aber eine Auffafs
fung der Biologie, wie fie vor 30 Jahren
zur Zeit der Aocfonjunttur ses Mechanis⸗
mus möglich gewefen war, aber beute nad
den Arbeiten eines Driefh und v. Vertill,
um nur zwei der Bedeutendften zu nennen,
nicht mebr angängig ift.
Wie plagt fid doc Scheidt mit den Bes
griffen Umwelt und Biologie, wo sod v.
ertüll in feiner fhönen „Umwelt und
Innenwelt der Tiere” und feiner ausgezeichs
neten „ÜLbeoretifchen Biologie“ mit aller
Deutlichkeit einen beträcdhtliden Teil der
Sragen gelöft bat, an denen fich Scheidt vers
geblih verfudht.
Er wirft 3. DB. allen Ernftes die Stage
auf: „Soll man bei der bells ai der
typifchen Srofhummelt von den Sröfchen
oder von den limwelten ausgeben“ und bes
weift damit, daß er fiy mit moderner Bios
logie nicht befchäftigt bat.
Wenn er aber über Runft fpridht, fo
fpricht er au da m. E. am Entfcheidenden
vorbei. „Die Runftwerte als Einzelleiftuns
pen find nicht Beftandteil der Rultur eines
oltes.“ Id kann diefen Sat nidht bils
ligen, fondern mödte ihn fo ergänzen: Die
Runftwerfe find febr oft nit Beftanodteil
der Kultur eines Volles. Kur dann find fie
es, wenn die Einzelleiftung aus den Mars
den, Mytben, Sagen, Dorftellungen und
Gefühlen des Volles, furzum aus dem Volles
tum berauswädft. Ein Beifpiel für Diele:
Goethes Sauft gebört nad diefer veränderten
Beftimmung tro der genialen und einzigs
artigen Kinzelleiftung zur Rultur unferes
Dolles, weil es die Erfüllung deffen ift, was
unfer Dolt duch Jahrhunderte gefungen
und gejagt bat. So ift jedes Runſtwerk
mehr oder weniger Beftandteil der Volles
kultur, je nachdem es der obigen Bedingung
mebr oder weniger entfpridt. —
Lothar Gottlieb Tirala, Brimn.
Walter Scheidt: Raffenkunde. Reclams
Univerfalbibliothe? MWe. 7076. Leipzig 1930.
Verlag Philipp Reclam jun. Me. 0.40.
Wenn man fic fragt, ob dies Meine
Wert balt, was es verfpridt, fo mug man
fagen ,ttein’. Daran ift der Titel fchuld.
Denn die gebildete Maffe, für die das Buch
doch gedacht ift, erwartet von einer „Raffens
kunde“ eine Aufllärung, eben Runde über die
Raffen. Die erbält der Lefer nicht. Dafür
werden bebandelt, der Raffenbegriff in
Sceidtfher Auffaffung, Crblicteitalebre,
Anpaffung, Gefundbeit und Rrantheit, Sies
bung und Auslefe, Raffendildung, smis
fhung und sforfhung, Raffenbygiene und
im Anbang ein Wegweifer 3um Studium
der Raffentunde in Geftalt eines Literaturs
nadhweifes mit Befprecdhung.
Die Aufzählung der Abfchnitte zeigt, daß
bier eine groge Menge wilfenswerter Dinge
den Lefer geboten werden, und zwar meift
in einer recht Baren Sorm. Sicherlih ift
es für viele raffentundlid Intereffiecte rect
wertvoll zu erfahren, weldye Rräfte an dem
raffifhen Bilde eines Menfaeen oder einer
Bevölkerung mitwirken, und daß es nicht
angebt, fid mit der Seftftellung einiger dupes
rer Merkmale zu begnügen, um einen Mens
fhen oder eine Bevälkerung raffifh abzus
ftempeln, oder aus feinem Erfdcinungss
bilde Rüdfchlüffe wertender Art zu zichen.
Im Abfdnite „Raffenbildung“ gebt
Scheidt auf die Siebungsporgänge in „Spals
tungen in Teilumwelten“ bei böber zivilis
fierten Gemeinwefen ein, berudfidtigt aber
ar nicht, daß die langfte Feit in der Wrens
hengeihichte die Zeit war, in dser das lands
liche Hauswefen die Wirtidaftseinheit war,
und die Spaltung in verfchiedene Berufe,
damit neue Leilumwelten eine relativ junge
Erfcheinung ift.
Im Wegweifer zum Studium der Rafs
fentunde ift weder Martin no Güntber
erwähnt. Das ift eine Tatface, uber die
man fic wundert. Martin ift fir die moderne
Anthropologie fubrend geworden und war
Seceidts Lehrer. Und Gunther? Gintber ift
trog oder vielleicht gerade wegen der Abs
lebnung der Bahnbredyer der Raffentunde
in die breiten Maffen unferes Volkes gewors
den. E.Sudsland.
Ludwig Sdhemann: Die Raffe in den
Geifteswiffenfdhaften, Band III: Die Raffen:
fragen im Schrifttum der Neuzeit. München
1931. I. $. Lehmann’s Derlag. 441 ©. Preis
geb. ME. 20.—, geb. ME. 22.—.
Mit diefem 3. Bande bat Schemann den
Schlußftein zu feinem Aauptwerte: Die
Raffe in den Geifteswiffenfchaften gelegt.
Der Eindrud der Leiftung ift geradezu
überwältigend. Stolze Sreude darf nicht nur
den Derfaffer erfüllen, fondern auch uns, daß
uns fold ein großartiges Werk gefchentt
worden ift — nit zulegt fhließlidh den
Verleger I. $. Lehmann, der im Vertrauen
auf den germanifchen Geift in deutfchen Lans
den die Herausgabe diefes Werkes auch ohne
1932, I
Budbefpredhungen. 63
oe der Wotgemeinfdaft gewagt
Vornehm und rubig fegt fid Sdhemann
mit den Geleheten und Sorfchern der letzten
150 Jahre auseinander, feien es nun Sreunde
oder Seinde der Raffenidee, mit überlegener
Beberrfhung des gefamten Stoffes gebt er
3u Werte, unbeirrt durch den Lärm des Tas
ges, aber unerbittlid in entjcheidenden Sras
n. So ziehen an unferem geiftigen Auge
ilofopben, Rechtes und Volkswirtſchafts⸗
lebrer, Gefcdidtes und Raffenforfder, die
„BDeutfchdenter”, Sprachforfcher und Dich⸗
ter vorüber.
Wir erleben es noch einmal, wie fidy der
Raffengedante ihrer bemädhtigt, wie fie fidy
diefem gewaltigen Gedanlenftrom anvers
trauen dder trogig entgegenftreben und in
dem Rampfe ecft recht die Urgewalt diefer
Idee bezeugen. (Siebe die Worte über Wis
lamowig und Momfen.)
Die tnappe Rennzeihnung und Würdis
ung Fliegfches auf 4 Seiten ift ein wahr;
Baftiaes Meifterfiüd. Go fest er fi aud
freundlid cubig mit 00. Aentidel auseins
ander. Um aber die Gedanten Aentfchels
naddenten 3u können, darf man allerdings
kein Deffimift fein; denn für den ift die Welt
und auch unfere Rultur doch finnlos, alfo
wozu fie erhalten? Wenn aber Schemann
fürdhtet, daß durch MHentfchels Gedanten das
Chriftentum einen fdhweren Schlag erlitten
bätte, fo muß man es einem Raffenforfder
fhon zugute balten, wenn er im Chriftens
tum nicht eine legte Inftanz fiebt. Oben»
drein gab es nad dem 30 jährigen Kriege
in Deutfdland fogar kirhlih erlaubte —
Polygamie und doch ift dem Chriftentum
daraus kein Schaden erwacdfen. Und das
moralifche Entfetzen über Hentſchels Dors
fhlag kann id mit Shemann nidt teilen.
Die Welt und aud das Chriftentum aller
Belenntniffe bleibt rubig und obne moralis
fhes Entfegen, obwohl 35 Millionen frieds
licher Bürger in Rußland von den Bolfdes
wilen in den legten Jahren graufam ermordet
worden find. Jt das Eorinentun geſchaͤdigt
worden, weil verſchiedene Paͤpſte in vielen
Jahrhunderten ihre Rinder aus polygamen
Verbindungen in Rom als ihre Nepoten er⸗
ziehen ließen? Nein! —
Will Schemann die verſchiedenen „Ba⸗
ſtarde“, alſo unehelichen Rinder unſerer
Großen aus irgendwelchen Gruͤnden ab⸗
ſchaffen? Alſo 3. B. die verſchiedenen poly⸗
gam und unehelich entſproſſenen Soͤhne der
dseutfden Raifer im 120., 23., 92. und 13.
Jahrhundert? Darf ih nur 2 _ ,natirlide“
Sdbne Raifer Sriedrids II. nennen? Rönig
Manfred und Konig Einzio, zwei berrlide
germanifde Erfdeinungen der Weltges
fhichte, um zu erinnern, daß die „natürs
lichen“ Söhne gar häufig echter waren als
die „ehelichen“, in Wirklichkeit irgendeiner
Konventionsebe entfproffenen, wie 3. B. der
ebeliche Sohn Sriedrih II. Heinrich, der als
Rönig Heinrich in Deutfchland feinen Vater
Sriedrid II. an Rom verriet.
Auffallen muß, daß Schemann in feinem
Bude an zwei verfwiedenen Stellen auss
führlich und durchaus verfchieden über 9.
St. Chamberlain urteilt. An der erften
Stelle eine geradezu vernichtende Kritik,
100 Seiten fpater begeiftertes Lob.
Man kann es ja verfteben, daß Chambers
lain, der Gobineau abgelebnt bat, von Gos
bineaus Sreunden nicht geliebt wird. Aber
wenn felbft Schemann Gobineau auf S. 23
„einen wiffenichaftliden Wildling“ nennt, i
es Chamberlain, der von der naturwiffens
fhaftlihen Seite bertam, zu verargen, wenn
er fich in ähnlihen Sinne geäußert bat? Über
Theorien läßt fich ftreiten, ob die reine Raffe
im Anfang der Entwidelung ftebe oder nicht
vielmebr in der Mitte, wird fich fewer ents
fcheiden laffen. Aber man lann Chamberlain
nicht tadeln, daß er die germanifde Raffe im
SlawosKRelto:®ermanentum zu finden meinte
und GBüntber loben, daß er die nordifde,
d. b. germanifde Raffe in allen europäifchen
Völkern als wertvollen Beftandteil aufweift —
weil es eben dann nur ein Streit um Worteift.
Der wahre Grund aber, warum Chams
berlain den Grafen Gobineau ablehnte, ift
der: Hat Gobineau recht, ift die urfpriinglid
reine Raffe durch Dermifhung zu einer Bas
ftardpopulation geworden, welde im Laufe
der weiteren Generationen notwendiger
Weife nur nod verfdledtert und nod
mebr gemifht wird, dann gibt es für
Chamberlain — und ich erkläre, daß ich da
volllommen feine Meinung teile — nur
Eines: fo rafh als möglich durdy eine wohls
gezielte Rugel ein Ende madhen. Gobineau
und feine Anhänger aber müßten fidy als
Peffimiften folgerichtigerweife von diefer
Melt zurüdziehen. Wenn fie es in Wirk
lichkeit nicht tun, fondern im Gegenteil, for
wie Schemann beroifch den Rampf aufnebs
men und fortfegen, fo danten wir diefen
Mangel an Solgericdtigheit dem heroiſchen
Charakter ihrer germanifchen Raffe. Uns
aber befreit von dem Peffimismus die mos
derne Llaturwiffenfchaft, vor allem die ers
perimentelle Dererbungslebre, welche eben des
vielverläfterten Chamberlains feberifche Ans
fidt beftätigt bat, daß Raffe eine plaftifce
Größe ift, daß man Raffe züchten und gotts
fob eine Kaffe auch wieder rein züchten
kann, wenn fie durch Kreuzung mit anderen
Raffen vermifht und fogar verfchlecdhtert
worden ift. Serner daß Gobineaus Meinung
64 Doll und Raffe.
1932, I
ierig ift, daß die Raffenverderbnis bei jeder
weiteren Generation fich vertiefe, weil eine
Population — alfo in diefem Salle cin Doll
— weldes fi panmiltijd vermebrt, cet.
paribus immer die gleice raffifee Zufams
menfegung zeigt, d. 6. alfo fir unfer Doll,
daG die germanifden Raffenwerte fich nicht
dauernd verringern und zunehmend vers
fdlechtern miffen und daß wir mit der
Reinzucht jederzeit beginnen können, daß es
daber auch im Leben unferes Volkes nicht zu
fpat ift. In diefem Sinne dürfen wir auch
emann fagen, daß fein fhönes Wert
nicht nur einen boben literarifchen Wert bat,
fondern daß es geeignet ift, die Beten uns
feres Volles auf den Weg zu einer germanis
fen Wiedererftebung zu führen.
Lothar Gottlieb Tirala, Brünn.
5. Schwalm m. 3; Burkhardt: Bevölkes
rungskarten der Obers und Niederlaufig
auf Grund der Volktszählungen der Jahre
1930 und 1925. Stiftung für Deutſche
Doltss und Kulturbodenforjdung in Leips
3ig. Gonderdrud aus Deutfche Hefte fur
Volles u. Rulturbod.»Sorfhung. Jahrg. 3.
Heft 2, 1933/31. Brofd. Me. 2.—.
Flah der außerordentlih überfichtlicdhen
und für fpradhliche Mifchgebiete einzig mög: -
liden von Wilhelm Dolz erdadhten Mes
thode — fie wird bier nochmals ausführs
Ich befhrieben — find auf zwei Karten
die Ergebniffe der Doltszählungen von 1910
und 1925 dargeftellt und zwar bezüglich der
Mutterfpradye der Bevölkerung. Man fiebt
deutlih, daß es Heute cin „wendifches
Spracgebiet“ überhaupt nicht mebr gibt:
es ift durd das Lindringen der deutlichen
Sprache vollftändig zerfett, zu einem typis
fen „Mifchgebiet“ geworden, oder rich«
tiger zu zwei Mifchgebieten, einem in der
Obers und einem in der Fliederlaufitz, beide
dur einen „Bürtel dichtfitgender deutfchs
fprechender Bevölkerung, der faft frei von
Wendifchiprechenden ift“, getrennt. Im Süs
den der Öberlaufig wohnt dann in breiter
Zone eine rein deutfche Bevölkerung, die
fic bis jenfeits der böhmischen Grenze forte
fegt. Die Wenden der Obers und der Lies
derlaufitg unterfcheiden fich übrigens ziemlich
ftart voneinander, vor allem durch einen
ftart abweichenden Dialelt, aber aud durch
die Ronfeffion: die der Kiederlaufig find
evangelifch, die der Gberlaufig meift fas
tholifd.
Der Vergleid) der beiden Außerft inter
effanten und auffchlußreichen Karten zeigt
auf den erften Blid den außerordentlichen
Rüdgang der Wendifchiprechenden in dies
fem kurzen Zeitraum. Es bat fich eine Ents
widelung fortgefett, die fdhon vor Fabre
zehnten begann; nach der erften amtlichen
Seftftellung der Sabl der Wenden waren im
preußifchen Staatsgebiet im Fabre 1843
insgefamt 90667 Wendifdipredende vors
banden, im Jabre 19265 waren es nur now
33 $20, $984 batten deutfche und wendifche
Mutterfprade. Im fadfifeden Wendens -
gebiet zählte man im Jabre 3832 noc
40483, im Jabre 3925 nur nod 27646
mit wendifder und 626 mit deutfcher und
wendifcher Mutterfprade. Die Abnahme
der Wendifchfprecdhenden ift nicht gleichmäßig
erfolgt, es bat dazwifdhen auch eine kurze
Periode mit geringer Zunahme gegeben, in
der Lleuzeit ıft fie aber am fchnellften ers
folgt. Als Gründe für die Verminderung
der Wenden werden von Burkhardt ve
fahlich drei angegeben: die zunehmende
duftrialifierung, die Abwanderung vom
Lande in die Städte und endlich der Um:
ftand, daß „die Wenden ganz offenkundig
die deutfche Rulturgemeinfchaft fuchen“; die
fhulftatiftifchen Erhebungen baben ergeben,
daß im fählifchen Gebiet im Jahre 3925
von wendifdftémmigen Doltsfdulltindern
14 Prozent, und af im Jahre 1927
19 Prozent auf Wunfh ibrer ltern
nidt am wendifden Unterricht teilnahmen;
in sunebmendem Maße wird alfo felbjt von
rein wendifhfpredhenden Eltern Wert dars
auf gelegt, daß die Kinder deutid lernen.
Bedeutfam ift übrigens, daß fich die wendifche
Sprade im katbolifchen Gebiete fehr viel
zaber bält, als im evangelifchen.
©O. Ree.
Norbert Zimmer: Deutichlands Grensent:
wiklung. Eine Rartenreibe. Verlag Hoc:
fcbule und Ausland, BerlinsCharlottenburg
1928.
Auf 13 Rarten wird bier in Schwarz-
weiß, Manier die Grenzentwidlung Deutfch-
lands gezeigt. Allerdings bleibt ‘es frage
lid, wie weit man ous Reid oer Sranten
(846), Barls des Großen (814) und das Ofts
fräntifhe Acie (888) obne weiteres als
Vorgänger des beutigen Deutidlands ber
trachten darf. Außerdem wird BDeutfchland
um 1000, 1400, 1547, 1648, 1763, 1772/93,
1800/12, 1815/06, 1871/1914 umd 1979 dari
geftellt, dazu als 14. Rarte das gefchloffene
deutfche Siedlungsgebiet in Mitteleurope.
Ein kurzer Tert ergänzt Sie Karten und
fdildert die Gebietsentwidlung zwifchen
zwei Karten. Im ganzen zeigt die Gefamts
darftellung augenfällig, wie Ihwantend die
Orenzen Deutichlands von jeher waren.
Werner £ffen.
&
Biufgruppenbestimmung:
ar clgeeckicktesit:Wictsroplen. Fldieeteateresstces
Dr. —— — Hilsinger, Berlin-Lankwitz
an
vermittelt unauffällig, nicht gewerbsmäßig, der | |] „, aitares „Ba ——
> „Ballungs Test“ ° Serum zur
Böltifche Freia-Bund, Neuruppin 36. Nah. 1 RW. : je Iccm A, B und O RM. 10.
Senten Sie an unjeren Abreiffalender
Dienit am Deutſchtum
Ein Jahrweijer für das deutihe Haus 1932.
55 Bilöblätter mit prächtigen Bildern aus Dolftstum, Ralfe,
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3. 3. Lehmanns Berlag, München.
=== SS
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Don Seele und Antlik
der Raffen und Wolter
Pon Dr. Ludwig Ferd. Clauf.
A
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|
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| Teh
I
Mit 231 Abbildungen auf 86 Kunjtörudtafeln. Geh.
RM. 10.—, Leinwand RI. 13.—.
Es ijt nur fchwer möglich, von der Neuartigteit und Eigenartigfeit diejes
neueften Buches des Begründers der rajjenpiychologiihen Soridung
mit wenigen Säßen ein auch nur annähernd erihöpfendes Bild zu
zeichnen. Die 231 zu „mimijchen Reihen“ zujammengeitellten Auf-
nahmen von Dolts- und Rafjentypen jind vom Derfafjer nad) eingehenden
Studium der Abgebildeten aufgenommen, aus einem größeren Schaße
mit vortrefflichem Gejchid ausgewählt, und lajjen durd) ihre enge inner-
liche Derbundenheit mit dem ebenjo jtraffen wie lebendigen und durch
feine Klarheit allgemein verjtändlichen Tert den feelijden Erlebens-
und den leiblichen Ausdrudsitil der einzelnen Gejtalten vor dem nad)
etlebenden Lejer einleuchtend jchaubar werden. „Bolt und Raffe“.
GE Achmanns Derliag / Münhen2 SW.
sill
eee eee ee
Hil}
3. §. Cehmanns Derlaa - wMindhen 2 s2
Die acijtiae Gejundheit : 4
des Volkes und ihre Pflege
Don Dr. med. Sriedrih Erhard Haag, Dozent a. d. Med. Akademie Düffeldorf.
Preis geh. Mt, 7.—, £wd. Mt. 9.—.
Der Derfaljer hat in feiner langjährigen Praris als Schul» und Bezirksarzt immer mehr die Über
eugung gewonnen, da die angewandte Gejundheitspflege id) nicht nur mit dem Leib zu befaljen
* im ern den ganzen Menjden, aljo aud) das, was man gemeinhin Seele nennt, betrachten
I muß. Nur die Erhöhung der fittlichen Wideritandstraft des einzelnen, die Wiederverwu elung
unjeres Doltes im Boden und in gejunder Gemeinjchaft fann — Dolte Gejundung bringen.
jm erjten Teil werden die jeelenfundliden Grundlagen gelegt! wie läßt jich das geijtige Leben
gejund erhalten? Hierzu it eritens eine gejunde Doltsgemeinjhaft nötig, darum muß das
geiltige Leben in der Gemeinjchaft unterjucht werden; es wird (im zweiten Teile) nadıge
a ie geijtige Gejundheit nur moglid ijt, wenn die ftaatlide Ordnung die Kulturgemein]
(als Gegenjak er Zwedgemeinichaft und Herdengemeinjcdhaft) Zar Ziele bet Don —— B
ijt ferner die Sozialpolitif. Der dritte Hauptteil behandelt daher die Grundfragen der jozialen
giene: unjere heutige Sozialpolitit ift am Ende ihrer Leijtung, weil fie jid) nicht nad wiffentchafte
lichen, jondern nad; politiihen Grundjäßen entwidelt hat. An die Stelle der Sozialverjicherung muß
notwendig eine — treten, die nicht ae e, jondern Dorjorge bedeutet, die
dem einzelnen jein Selbitvertrauen läßt, ibn in den Stand jest, fiir fich felbjt wirtſchaftliche Dor⸗
jorge 3u treiben und ihn dadurch zwingt, ſich wirtſchaftlich richtig zu verhalten. Auch die beſonderen
Aufgaben der ſozialen hugiene müſſen dem Ziele dienen, eine möglichſt hohe Cebensarbeitstraft
der ganzen Volksgemeinſchaft zu erreichen.
Schließlich ift die Bildung der geijtigen ae aD en nötig. Die Lernjchule vermag jie
nicht zu geben, die bisherige Prüfungsauslefe wird diejer Aufgabe nicht — Einerſeits handelt
es ſich darum, nur Tauglichen zum For age 3u verhelfen, andererjeits
gedeihlihen Entwidlung fommen zu lafjen.
Die Rajjenfraaen
im Schrifttum der Neuzeit
Don Prof. Dr. £udwig Schemann=Sreiburg.
Preis geh. ME. 20.—, Lwd. ME. 22. —.
Der dritte Band des großen Rajjfenwerfes zeigt, wie i die gtoken Denfer der Meuzeit mit
diejem immer flarer 3utage tretenden Problem auseinanderjegten. Zweifellos ijt diejer Band
der interejjantejte; wer médte nicht auc) wijjen, wie ein Leibniz oder Kant,, Doltaire oder
Roujjeau, Goethe oder Humboldt, Schopenhauer oder uch je: Rante oder Mommien, Jatob
Grimm und viele andere jich zu Rafjefragen geäußert haben. Die Entwidlung wird bis in die neuejte
Zeit hinein verfolgt; von Männern der Gegenwart oder leßten Dergangenbeit find behandelt (die
Namen jind in der Reihenfolge aufgeführt, in der ie im Buche Cat Eh Drews, Graf de Lapouge,
Ammon, R. W. Darre, 5.5.K. er Kern, ©. Haujer, Erbt, €. Sijder, H. Wagner, Kojjinna,
Sdhudbardt, K. Breyjig, Cartellieri, Wilamowik, Eduard Weyer, Moeller van den Brud, Medel und
andere, So wird diejer Band 3u einem Querjchnitt durd) das geiltige Leben unjerer Zeit und wir 7
jeben mit Staunen, welche Siille von Geijt und Wifjen von den verjchiedenjten Seiten her Zur
Löjung diejer Stagen aufgewendet worden ijt.
Schemanns Wert „Die Rafje in den Geiteswifjenfchaften” ift mit diefem 5. Band abgejchloffen.
we
ieje Cauglichen 3u einer
re
Verantwortlich für die Schriftleitung von „Bolk und Raffer: Prof. Dr. D. Rede, Leipzig und Dr. Bruno K. Schulk,
Berantwortlid) fiir den Anzeigenteil: Guido Haugg, Münden. — Gerlag: I. F. Lehmann, Münden,
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‚7. Jahrgang Heft 2 April (Oftermond) 1932
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t FE EN ; Mit Erlaubnis des Kunstverlags Hermes, Dresden,
Immanuel Rant
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— Prof. Or.O. Reche, Leipzig u. Dr. Bruno K. Schultz, München
—— — — — — —
+ 6. Lehmanns Verlag Minden
Bezugspreis jährlih M.8.—, Einzelheft M. 2.—
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— — ——
Der Untergang ber Aulturvölter im Lichte der Biologie. Bon Prof
Dr. Erwin Baur (Miindeberg) - = 2220 7 —
Die Burgunden in Schleſien und ihre Schicſale. on Dr. Ernft Peterfen,
GErblide Familientenngeidjen im Volfsglauben. Bon Paul Sartori, Dortmund » 106
|
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—— | *
Einiges über Kants Anfichten von Naturgaben, Vererbung und dem Zu-
| i zwifchen Körper und Seele. Gon Dr. Olga Nippert, Liegnig.
(Mit einem Bilde Rants) RER . IE ; .
Di Breslau. (Mit 6 Abbildungen) . . . . „ 86
Die Runen. Bon Dr. Friedrich Lüers, Münden. (Mit 1 Abbildung) . . . . » 97
Chevermittlung. Bon Dr. phil. et med. Lothar Gottlieb Tirala, Vriinn . . . . „ 110
Aus der rafjenhygienifhen Bewegung : 2 2: 2 2 mr nen „114
Bene Eußenice Review . ı.. . .D.. Sa 5 116
AL re
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LUNGEN
Wege zur Familien, und Namenforfhung
Deutfche Namentunde
Unfere Familiennamen nad) ihrer Entftehung und Bedeutung =
Don Studienrat M. Gottihald, Plauen
Mit etwa 50000 Samiliennamen. Geh. AM. 15.—, Cwd. RM. 15.—
Gottſchalds ns ijt anderen Namenbüchern gegenüber etwas durchaus Eigenes. Zunädjt
dürfte jein Wert alle ähnlichen Werte an Reichhaltigteit weit übertreffen. Doc auch in
Einzelbeiten der Deutung bringt jein Buch Dieles, was bisher nicht genügend ausgewertet
wurde: 3. B. die Ableitung vieler altdeuticher Namen aus altgermanijchen religiöfen
Doritellungen; ferner die Behandlung der einjtämmigen Namen und der Mijchformen.
Auf die Kojenamen wie Hölderlin, Kreutel und Steudel, Blumenjdein und Maienthau
ijt jeit ein paar längjt vergejjenen Bemertungen Grimms und Uhlands niemand mehr
eingegangen. Überaus wichtig ijt auch die Statiftit der heutigen Samiliennamen, die
bislang niemand ernitlih zum Zwede der Deutung benußt bat. Mittag 3. B. tommt
als Samilienname in Köln und München nur je einmal, in Dresden aber 66 mal
vor; hier ijt es. aber aus Mittas entjtanden, der wendijden Sorm fiir Matthias.
Das Bud) zerfällt in zwei Hauptteile: Die Mamentunde und das Namenbud. Die
Namentunde enthält u. a. folgende Abjchnitte : Gejchichte der Mamenforjdung. Jndo-
— Namen; ſemitiſche Namen. Altdeutſche Taufnamen mit ihren Kurzformen,
erkleinerungen und Miſchformen. Kirchliche und literariſche Namen. Entftehung der
amiliennamen. Namen aus Wohnjtätten und Herfunftsort, von Stand und Beruf.
bernamen ; Sagnamen ; Judennamen ; Latinijierungen jlawijcher und anderer fremder
Namen. Dornamen. Namenwandel und Namendeutung.
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Dolt und Reffe
Flluftrierte Viertejahrsfchrift für deutfches Volkstum
Herausgeber: Prof. Aidel (Kiel; Or. Baidtold (Bafel); Prof. Derblefffen CBonigebera
i.Pr.); Prof. Sehrle (Heidelberg); Prof. €. Sifher (Berlin); Prof. HAambrud) (Samburg);
Prof. Helbot (Innsbrud) ; Prof. ©. Lehmann (Altona); Dr. Lüers (Münden); Prof. Mielke
Hermsdorf b. Bin); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Muh (Wien); Prof. Danzer
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. I. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dorts
mund); Prof. W. M. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulges
Klaumburg (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof.
Wrede (Böln); Dr. Zaunert (Wilhelmsboͤhe); Or. Seif (Frankfurt / M.).
Sriftleitung der Feit{Hrift: Univerfitatsprofeffor Dr. Otto Rehe, Gaugid
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Kurt Sdhulg, Minden, Meubauferftr. 5).
Verlag: J. §. Lehmann, Minden 2 SWDO., Paul HeyferStrage 26.
Jadhrlid erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jährlih M.s.—, Einzelheft M. 2.—.
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—
7. Jubrgang Heft 2 April (Öftermond) 1932
Der — behaͤlt ſich das ausſchließliche Recht der Vervielfaͤltigung und Verbreitung der
n diefer Seitferift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor.
Der Untergang
der Aulturvölker im Lichte der Biologie.
(Zwei Vorträge, gebalten an der Univerfität Uppfala (Schweden) am 8. und 9. Sehruar 1932).
Don Prof. Dr. Erwin Baur (Müncheberg).
enn wir die Menfchheitsgefchichte uberbliden, feben wir, daß alle Aulturs
kreife, nachdem ein gewiffer Höhepunkt der geiftigen Aultur, ein Adbhepuntt
der Drganifation des Staatswefens und der ganzen Wirtfchaftsführung erreicht
wer, zufammengebrochen find. Oft ift diefer Zufammenbrucy mit einer geradezu
dramatifchen Schnelligkeit erfolgt, Affyrien, Agypten, Hellas, Rom, überall haben
wir das gleiche Bild. Und mit den Rulturen find auch immer die Völker, die
Träger diefer Kulturen waren, oft auch ihre Sprache untergegangen.
Wir feben audy — befonders Spengler bat in feinem Buch „Der Untergang
des Abendlandes das Bar berausgearbeitet —, daß diefer Zufammenbruch fich
ftets in ganz ähnlicher WDeife abgefpielt bat, daß die Einzelheiten des Verfalls
in Wiffenfchaft, Aunft, Religion, in Politit und Dollswirtfchaft immer wieder
die gleichen waren.
Wir alle fehen auch, daß in unferem heutigen Rulturkeeife die Dinge wieder
den gleichen Weg geben.
£s ift nur die Stage, ob wir das alles als unabwendbares Befchid fataliftifch
binnebmen follen, fo, wie man im Mittelalter die Poden oder eine Peftepidemie
Dolf und Baffe. 1932. April. 5
66 Volt und Raffe. 1932, II
(EEE EEE a a ae Eee eS Oe nd Oe TER,
aud eben einfach als ein unvermeidliches Ereignis oder als eine Gottesftrafe bins
nabm — oder ob wir dagegen anlämpfen follen.
Ich betone von vornherein, daß ich mid nicht auf den rein fataliftifchen
Standpuntt ftelle, daß ich aber einen Kampf fur febr fcbwer balte, und daß alles,
was wir bisher getan haben, um den völligen Verfall aud der heutigen Kultur
zu verhindern, nichts bedeutet. Andererfeits zeigen aber die Arankheitsprozeffe,
die Degenerstionsporgänge der heutigen Rulturvoͤlker wefentliche Unterfchiede
gegenüber dem Verlauf im alten Rom, und vor allem fie zeigen eine gewoiffe
Tendenz zur Selbftheilung. Das einzige, was uns zu tun übrig bleibt,
ift, daß wir diefe fhon vorhandenen Heilungstendenzen unter ftügen.
Wenn wir gegen die heute offen zutage liegenden Derfallserfcheinungen
unferer Kultur und unferes Dollstdrpers antampfen wollen, muffen wie uns tlar
fein über die Urfachen. Wir dürfen bier fo wenig wie bei einer Rrantbeit des
Einzelmenfchen die Symptome der Aranktheit betämpfen, wir müffen verfuchen,
die Urfache der Rranktheit zu bebeben.
Die Haupturfachen der Degeneration der Kulturen und Rulturvdller find
aber nach meiner feften Überzeugung biologifcher Hatur, und leider find
faft alle Hiftoriker, Wirtfchaftspolititer, Soziologen ufw. biologifch hoffnungslos
ungebildet und fommen mit allen ihren Unterfuchungen nie recht an den Kern
der Gace heran. Begabung und Verftdndnis fur das eine Gebiet fcheinen faft
Begabung und Verftändnis für das andere auszufchließen. Ls ift deshalb auc
fur mid als Biologen ein gewiffes Wagnis, zu diefem Problem Stellung zu
nehmen, weil mir ja die biftorifchen Speziallenntniffe fehlen, aber gerade dess
balb betrachte ich auch abfichtlich diefe ganze Stage betont einfeitig, rein
vom Standpuntt der Biologie aus.
Träger einer beftimmten Rultur ift immer ein ganz beftimmtes Voltstum
gewefen, und dem Untergang der Kultur ift bisher immer ein Untergang, ein faft
vdlliges Derfdwinden ses Dollstums vorbergegangen, das diefe Kultur ges
fhaffen und getragen batte.
Je fage abfidtlid Dollstum und nidt Kaffe. Rein Rulturvoll, weder
die alten AUgypter, nod die alten Grieden, nod die alten Römer waren eine eins
beitliche Raffe. Sie waren ein Mifdvoll, wie auc die heutigen Rulturvdlter
es find. Völlig reinraffige Ddller bat es feit vielen Jabrtaufenden nirgends mebr
gegeben, reinraffige große Völker ficher überhaupt nie, böchftens Beine Stämme
und Horden. Kin Doll, das eine Kultur zu entwideln beginnt, ift immer ſchon
eine Mifchung von fehr verfchiedenartigen Raffenelementen.
Aber genau fo, wie eine beftimmte Mifdung oder, wie man in der Technit
fagt, eine beftimmte Legierung von Metallen auch ganz beftimmte andere Ligens
fchaften bat, oft febr viel beffere als die hemifch reinen Metalle, fo bat auch jedes
Raffengemifh als Ganzes betrachtet, d. b. jedes einzelne Volktstum
feine ganz beftimmten Kigenfchaften.
Bewiffe ChromstTidel-Stahl-Legierungen find ausgezeichnete harte Metalle.
Andern wir die Zufammenfetung, holen wir etwa das Chrom oder das Flidel
ganz oder teilweife aus der Legierung beraus, fo wird das Metall als Ganzes
fchlechter. Entfprechende Vorgänge, d.h. Anderungen der raffenmäßigen
Zufammenfegung, vollziehen fich aber dauernd in allen Ddllern. Und dsiefe
Anderungen find nah meiner Überzeugung die Haupturfaden
des Derfalls der Rulturvdiler.
1932, 1I €rwin Baur, Der Untergang der Rulturvölter im Lichte der Biologie. 67
EEE Fa a EEE eS I EEE EEE EEE EIER EN
Um diefe Anderungen in der Zufammenfetgung der Völker, diefe, wie man
in der Biologie fagt, Dariationsvorgange verfteben zu können, müffen wir einen
ganz kurzen Abftecher in die VDererbungslehre machen.
Mir können künftlich ohne große Mühe von allen Organismen völlig reine
Raffen berftellen. Wir haben folcde reine, erblich einheitliche Raffen in großer
Sabl in unferen Laboratorien (3. B. viele Taufende von Weizen), und wir können
damit erperimentieren. Jede derartig reine Kaffe zeigt uns, daß fie erblich
außerordentlich tonftant ift und ihre erblichen Kigenfchaften behält,
aud wenn wir fie unter fehr verfchiedenartigen Bedingungen balten. Denn wir
3. BD. von zwei Samenlörnern einer foldhen einheitlichen WDeizenraffe das eine auf
guten Boden, das andere in fehr fchlechtem Boden ausfäen, fo betlommen wir
davon zwei äußerlich fehr verfehieden ausfehende Pflanzen, aber die Nach⸗
kommen der gut ernäbrten Pflanze find erblich in keiner Weife von denen der
fhlecht genährten Pflanze verfchieden. Die erblihen Eigenfchaften einer
Raffe werden durch die Außeneinflüffe, denen ein einzelnes Individuum ausgefetzt
ift, nicht verändert. Zbenfowenig vererbt aud ein gar nicht mufilalifch vers
anlagter Menfch, dem man durch forgfältige Erziehung ein gewiffes Mufitvers
ftandnis und auc eine gewiffe Mufittednil anerzogen bat, nun diefe ihm dußerlich
beigebrachte Sertigteit auf feine Kinder. Ebenfowenig wird aud ein Stamm von
HYottentotten, den man durd viele Generationen hindurd in englifchen Schulen
erziebt, und den man in allem fo hält, wie heute eine bochkultivierte Samilie in
England lebt, dadurch in feiner erbliden Deranlagung irgendwie verändert. Lr
bleibt, was er ift, und auch nach vielen Benerationen werden die von ihm ges
borenen Rinder eben Sottentottenkinder fein mit genau den gleichen Kigenfchaften
und genau den gleichen Deranlagungen wie fonft die AHottentottentinder aud.
Durd Erziehung, durch Dreffur, durch die Art der Lebensweife fann man
zwar ein einzelnes Individuum verändern, aber nicht feine erbliche
Deranlagung, fie wird weder beffer noch fchlechter.
Das ift das erfte, was jeder Soziologe fich heute von der Dererbungslebre
einprägen muß.
Die Völker find aber gar keine „Raffen“, fondern Raffengemifde. Denn
ein Dutzend Hottentotten und Hottentottinnen und Engländer und Engländerinnen
untereinander heiraten und fo ein Mifchoold erzeugen, fo feben wir, daß inners
halb diefes Mifdvolles die einzelnen Raffenunterfchiede unabhängig voneinander
nad den Mendelfchen Regeln vererbt werden. Kreuzen wir zwei reine, nur in
zwei Ligenfdaften verfchiedene Raninchenraffen, etwa eine kurzbaarige weiße
Raffe und eine langbaarige fdwarze, fo beLommen wir kurzbaarige fhwarze
Junge, und wenn wir diefe fich untereinander paaren laffen, fo betommen wir
eine Entelgeneration, die 3u 9/,s aus kurzhaarigen fehwarzen Ranindyen, zu 3/,,
aus kurzbaarigen weißen, °/,; aus langbaarigen fchwarzen und 1/,, aus lang»
baarigen weißen beftebt. Wenn wir diefe ganze Enkelgeneration auf einer Infet
ausfetzen, wo es feine anderen Raninchen gibt, und fic dort ganz in freier Paarung
beliebig vermehren laffen, dann befommen wir ein Ranindhenvoll, in dem daus
ernd immer ?/,; der Tiere kurzbaarig fchwarz, 3/,; kurzbaarig weiß, ?/,; langs
baarig fhwarz, 1/,, langbaarig weiß find. Dabei werden 3. B. weiße Tiere von
ſchwarzen Eltern oder langbaarige von kurzbaarigen geboren werden können, aber
es bleibt das Haͤufigkeits verhaͤltnis der einzelnen Kategorien von Tieren
gleich. Warum das fo ift, ift bier nicht auseinanderzufetzen, jedes beliebige Kchr«
buch der Dererbungswiffenfchaft tann darüber Auskunft geben.
5*
68 Volt und Raffe. 1932, II
Breuzen wir zwei Raffen, die fi in drei Eigenfchaften unterfcheiden, fo
betommen wir in der Enlelgeneration achterlei verfchiedene Typen, die unters
einander im AHäufigkeitsperbältnis 27:9:9:9:3:3:3:1 auftreten. Auch ein
fo zufammengefetztes, künftlich bergeftelltes Raninchenvolt bleibt, wenn nicht
Auslefevorgänge erfolgen, in feiner bunten Zufammenfegung und in der
relativen Ayäufigkeit der einzelnen Typen durch beliebige Generationsreiben bins
durch völlig konftant.
Denn wir ein Mifchvolß berftellen aus zwei Raninchenraffen, die 10 Einzels
unterfchiede aufweifen, dann befommen wir in der Enkelgeneration 21° = 1024
verfchiedenerlei Tiere, auch wieder in einem ganz beftimmten Haufigteitsverbaltnis.
Wir können ein Mifchoolk auch berftellen, indem wir erft zwei Ranindens
raffen Ereuzen, die untereinander etwa fechs Unterfchiede aufweifen und dann diefe
Baftarde wieder kreuzen mit einer Kaffe, die vier neue Kigenfchaften mithereins
bringt. Auch dann belommen wir ein Mifchvolt, in dem 1024 verfchiedene Typen
möglich find und in einem beftimmten Syäufigkeitsverbältnis auftreten, das dann
auch weiterhin ftets erhalten bleibt.
Ein foldyes Mifdvoll, in dem aber nicht bloß 4 oder 10 oder 20, fondern
viele Hunderte von felbftandig vererbten Einzelunterfchieden mitfprecdhen, ift
jedes MWienfchenvoll. Schon 100 felbftändig vererbte Einzelunterfchiede geben
2100, 8. b. eine „aftronomifche" Zahl von verfchiedenen, möglichen Typen. Und
wenn wir feben, daß, abgefeben von eineiigen, d. b. identifchen Zwillingen, auc
in einem HundertsMillionensDolk keine zwei einander erblich völlig gleiche Indis
viduen gefunden werden, fo liegt das nur an der ungeheuer großen Zahl von
Möglichkeiten, die es für die Kombination der vielen Hundert Cinzelunterfdiede
gibt. Uber auch fur ein folches, febr kompliziertes Mifchvolk gilt der Gay, daß
esinfeiner hbaraktteriftifhen Buntbeit auch durch alle weiteren Generas
tionen gleich bleibt — wenn nidt Seleltionsvorgange einfegen.
Es wird alfo der Prozentfag der Blonden und der Duntelbaarigen, der Klugen
und der Dummen, der Mufikalifchen und der Unmufilalifchen, der Beradenafigen
und Krummnefigen, der Leute mit barnfaurer Diathefe, mit Settfucht, mit Zuders
trantheit, der Leute mit perverfen Serualneigungen, der Leute mit Cigenfdaften
eines Volksführers, der Leute mit bober künftlerifcher Begabung ufw., turzum,
es wird das ganze Doll in feiner bunten Zufammenfegung gleich bleiben. Auch
diefe heute jedem Benetiter felbftverftändliche Gefegmäßigleit muß jeder Soziologe
kennen, wenn er über Zugenit und über Sozialbygiene oder Benölkerungspolitit
mitreden will.
Alle heutigen europäifchen Völker unterfcheiden fi nur in der relativen
Häufigkeit der einzelnen Typen, die in ibnen auf Grund der eben gefchilderten
Mendelfchen Gefey auftreten. In Holftein findet fi ganz felten auch einmal ein
Menfd, dunteldugig und dunkelbaarig, wie ein „reiner Spanier“, und in Granada
auch ganz felten einmal ein Menfch wie ein typifcher „Holfteiner“. Die Volles
grenzen find meift auch antbropologifch [ehr unfcharf, man fiebt nur, wenn man
3. B. von Deutfchland durch Srankreich nach Spanien reift, wie der Prozentfat
der Blonden, der Broßen, der Kleinen ufw. fib allmählich verfchiebt.
Die einzelnen europäifchen Völker enthalten zwar im wefentlichen diefelben
Raffenbeftandteile, aber fie find entfprechend dem [ehr verfhiedenen Mengens
verhältnis, in dem die Raffenelemente in ihnen enthalten find, fehr verfchieden
im VDollsdurchfchnitt ihrer körperlichen und geiftigen Zigenfchaften.
1932, II «Erwin Baur, Der Untergang der Rulturvditer im Lichte der Biologie. 69
Ganz offenfidtlid find aud) wie bei den MetallsKegierungen gewiffe
Mifdhungen und gewiffe beftimmte Mengenverbaltniffe ,beffer als andere.
Es ift aber ganz ficher, nicht etwoa immer gerade ein ganz beftimmtes Raffen:
element, das ein Volt dazu befähigt, eine höhere Rultur bervorzubringen, wir
können jedoch trotzdem fagen, daß 3. DB. ein Doll von der raffenmäßigen Zus
fammenfegung der Auftralneger niemals eine höhere Aultur ausbilden kann, und
daß ferner ein Volk wie die alten Griechen niemals genau die gleiche Kultur wie
die alten Agypter, fondern eben nur feine ganze fpezififche eigene Art der Rultur
bervorbringen konnte.
Daraus ergibt fih ohne weiteres, daß, wenn ein Rultur-=
voltfibh im Laufe der Zeit in feiner raffenmäßigen Zufammens
fegung ändert, fihb aud die Sorm und Hobe der Rultur dement:
fprehend ändern muß, und daß, wenn ein Rulturvoll fid
raffenmäßigftartverfhlechtert, feine Rulturzufammenbreden
muß.
Wenn unfere Srauen eines Tages nicht mehr gebären wollten, wenn fie es
bequemer fänden, daß wir Beine Säuglinge aus Ehina importierten, und wir
diefe Adoptivkinder dann in unferer Sprache und unferer Kultur wie unfere eigenen
Rinder erzieben würden, dann würde fo ein Volk entfteben, das unfere Sprache
fpricht, das alle unfere gefhichtlichen und kulturellen Überlieferungen, alle unfere
Renntniffe hätte, aber es wäre ein völlig anderes Volk und wäre nicht imftande,
unfere Kultur zu behaupten, und erft recht nicht, weiter zu entwideln. Es wurde
im Laufe von wenigen Jahrzehnten die ihm entfprechende Rulturftufe und Rultur:
art befommen.
Tatfächlich fpielte und fpielt fich in allen Rulturvditern ein Prozeß ab, der
im Endergebnis auf das gleiche beraustommt.
Wenn in einem Ranindenvoll unferes erften Beifpieles, das aus der
Rreuzung von langhaarigen fehwarzen und kurzbaarigen weißen Tieren entftanden
ift, aus irgendeinem Grunde die langbaarigen weißen Tiere feine Junge mebr bez
kommen, fo würde das zundächft nicht viel ändern, weil langbaarige weiße Tiere
ja aud) von ganz anders befchaffenen Eltern geboren werden können. Aber wenn
eine Reihe von Generationen hindurd immer die langbaarigen weißen Ticre
keine, die übrigen aber viele Junge betommen, dann werden von Jahr zu
Jahr immer weniger langbaarige weiße Tiere geboren werden und fdhlieglich
nad etwa 100 Generationen nur noch ganz ausnabmeweife.
So ift es aber auch, wenn die Verbdltniffe verwidelter liegen. Auch bei
einem Menfdenvoll werden bochbegabte Rinder von wenig: oder mäßigbegabten
Eltern geboren, große Talente und Subrernaturen werden immer wieder aus der
Maffe des Volkes auftauchen, und fie felbft werden auch durchaus nicht immer
überdurchfchnittlich begabte Rinder betommen, audy nicht, wenn beide Ehepartner
zufällig in gleicher Richtung bochbegabt find. Wenn aber Sur viele
®enerationen hindurd in einem Doll gerade die bervorragen:
den Menfaen keine oder unter Durbhfchnitt wenig Kinder bes
tommen, dann wird im Laufe der Benerationen diefes DPollaud
prozentualimmer weniger Talente und Sübrerperfönlidhleiten
bervorbringen und fhlieglih fo wenige, daß niht mehr genug
Trager der Kultur vorhanden find. Die Rulturhbdbhe des VDolles
muß dann finten.
70 Volk und Kaffe. 1932, II
Änderungen in der Zufammenfetsung eines Volles brauchen indeffen keines=
wegs immer cin Sinten der Kultur zu fein. Wenn in einem Volk die fchlechteften
Elemente wenig oder keine Rinder betommen, dann wird das Voll fic in der
anderen Richtung ändern, oder wenn in einem Mifchoolt aus orientalifchen,
mongolifchen und nordeuropäifchen Raffen, die Menfchen mit „nordeuropäifcher
Scelenverfaffung“ fich wenig fortpflanzen, dann wird die Rulturhdbe, die ganze
Dents und Süblart des Volles vielleicht nicht fchlechter, aber ganz beftimmt
weniger nordeuropäifch, fondern mehr und mehr orientalifchsmongolifcy werden.
Da die einzelnen igenfdaften im großen und ganzen unabhängig vons
einander vererbt werden, und bei jeder Zeugung fic laleidoflopifd neu verbinden,
ift durdhaus nicht gefagt, daß in einem folden Mifchoolk jeder koͤrperlich
nordeuropäifch ausfehende Menfch immer auch nordeuropäifche Denks und Sühls
art bat und umgekehrt. In der neueren populären eugenifchen Literatur wird
diefe falfdhe Dorausfegung oft gemadt. Es ift der gleiche Sebler, den die Tiers
züchter begeben, wenn fie glauben, dag eine beftimmte Aautfarbe oder Hornform
ufw. ein wefentlides Rriterium einer Leiftungscaffe fei. Man beißt das
in der Tierzucht „Sormalismus“. Diefer Sormalismus bat fchweren Schaden ges
ftiftet und fangt jegt aud an, in der Eugenit fhAdlih zu werden!
Alle diefe Anderungen in einem Mifchvolt geben febr langfam vor fid,
aber 5 bis 10 Benerationen genügen fchon, um die Solgen deutlich ertennen zu
laffen, und man kann in Derfuchen mit Raffengemifchen von Tieren oder Pflanzen
zeigen, daß die tbeoretifch zu erwartenden und im voraus genau tbeoretifch bes
cechenbaren Anderungen fich tatfächlich fo vollziehen, wie man fie berechnet bat.
Wenn innerhalb eines Volkes fchon eine gewiffe foziale Schichtung, eine
„Kaftenbildung‘‘ befteht, oder wenn von vornherein die Mifchung nur teilvoeife
erfolgte, etwa wenn eine Serrenfchicht ein unterworfenes Dollstum überlagerte,
dann wirkt eine ungleiche Dermebrungsgefdwindigteit febr viel rafcer als in
einem Mifchvolt ohne Raften und ohne foziale Schichtung. Wenn, um ein ein=
faches Beifpiel zu nehmen, ein Volt aus zwei Raften beftebt, etwon Ratboliten und
Proteftanten, die felten Mifchehen eingeben, und von denen die eine, die Katholiken,
ein durchfchnittliches Seiratsalter von 20 Jahren und eine durchfchnittlicye Rinders
zahl von 4 bat, während die andere Kafte, die Droteftanten, im Burdhfchnitt ein
Feiratsalter von 30 Jahren und eine dundfchnittliche Ainderzahl von 3 bat,
dann bedeutet diefer Eleine Unterfchhied in der Dermebrungsges
[hwindigleit, daß im Laufe von wenigen Benerstionen die
eine Rafte die andere faft vSllig verdrängt.
Befteht bei Beginn des Derfuches das Volk zu je 50% aus den beiden Raften,
dann haben wir folgenden weiteren Derlauf:
Rate I (Meiratsalter 20, Bafte Il (Heiratsalter 30,
Rinderzabl 4) Kinderzabl 3)
Bei Beginn 50% 50%
Nach 100 Jahren 32,50% 17,5 %
Flach 300 Jahren 99,1 %0 0,9%
£s ift alfo nach 300 Jahren die eine Kafte faft volltommen vers
ſchwunden.
Ahnliche und noch groͤßere Unterſchiede in der Vermehrungsgeſchwindigkeit
beobachten wir aber tatſaͤchlich in jedem Volk, und daß alle Voͤlker im Laufe
der Jahrhunderte und Jahrtauſende ſich aͤndern und vor allem, daß ſie ſich ſehr
1932, II «rwin Baur, Der Untergang der Rulturvölter im Lichte der Biologie. 71
u ee ee SE SLE EEN ee TET
tafe 3um fdlechten dndern, fowie eine gewiffe Rulturbobe erreicht ift, rührt
von foldben Unterfdicden in der Sortpflanzungsgefhwindig:
keit der einzelnen Dollsbeftandteile ber.
Kine höhere geiftige und technifche Rultur fett immer erft ein, nachdem ficdh
Städte gebildet haben. Jede Stadtbildung bat zundchft immer eine ftarkte Auss
prägung von KRaftenunterfchieden zur Solge. Sobald die ftädtifche Aultur eine
gewiffe mdbe erreicht bat, finden wir zuerft in der ftädtifchen Oberfchicht das
Beftreben, die Rinderzabl einzufchränten. Das ift für das alte Hellas
und das alte Rom mit aller Sicherheit ertennbar und ift auch damals von den
Griechen und Römern Mar erfannt und ausgefprochen worden. Sur die heutigen
Rulturvditer ift es ftatiftifch einwandfrei erwiefen.
Schon im Jahre 19123 batten wir in Preußen in den verfchiedenen fozialen
Schichten folgende durchfchnittliche Rinderzablen je Samilie:
Eyöbere Beamte, freie Berufe (Arzte, Rechtsanwälte, Offiziere) . 2,0
Ungefielite » . = 2: 0 en 2,5
Gehbilfen, Geſellenn.. 2,9
Sabritarbeite - 2. © : 2 2 0 2 0. ee a 4,1
Togllöbne 2. > 2 2 Er nn. 5,3
Diefe Unterfchiede in der Sortpflanzungsgefchwindigleit wären an fic) nict
bedrohlich, aber wir feben in diefem Entwidlungsftadium, daß in allen Schichten
des Volkes gerade die erblich zweifellos am [hlechteften Deranlagten mebr
Rinder betommen als die erblich Befferen.
Aus dem ungebeuer großen Material, dae Uber diefe Sragen im Laufe der
Jahrzehnte in Europa, in Amerika gefammelt worden ift, nur einige wenige Beis
fpiele. So bat man in Deutfchland in großen Statiftiten feftgeftellt, daß Mütter,
die Rinder in Hilfsfchulen!) haben, faft doppelt fo viel Rinder haben als der
Burchfchnitt der Mütter des gleichen Stadtviertels. Zbenfo bat fich gezeigt, daß
überhaupt in den Schulen immer die Schüler mit der fchlecdhteften Durdfchnittes
note faft dreimal fo viele Gefchwifter haben als die Schüler mit der Durdh-
fchnittsnote „gut“. Ebenfo ift fehr auffällig, daß die Säufer eine überdurchichnitts
lid) bobe Rinderzabl aufweifen.
Alles das bedeutet zwar zundcdhft noch keine ernfte Gefabr fur die Dolls:
vermebrung überhaupt, wenigftens nicht folange die übergroße Mehrzahl des
Volkes noch auf dem Lande wohnt, aber es bedeutet eine Gefahr für die Bes
fdaffenbeit des Volkes. In einem Zuftand, wie er bei uns etwa um die
achtziger Jahre einfetzte, und wie er im alten Rom etwa zu Anfang der Raiferzeit
gegeben war, baben wir folgendes Bild:
Dom Lande ber wandert Jahr für Jahr ein Strom von WMenfchen in die
Stadt. Die Landbevditerung nimmt zwar 3zunddft nod nidt ab oder dod) nur
in einzelnen „Landfluchtgebieten‘‘, aber fchon bei diefer Abwanderung in die Stadt
findet eine gewiffe Auslefe ftatt. Es find im allgemeinen überducdhfchnittlid)
intelligente und unternebmungsluftige Menfchen, die in die Stadt zieben. In der
Stadt fteigen wiederum die höher Begabten im Laufe von einigen Generstionen
in die oberften fozialen Schichten auf, und in diefer Oberfchicht finden wir eine
fo geringe Rinderzahl, daß faft alle diefe Samilien langfam ausfterben. Eine
1) Sfsfchulen nennt man in Deutichland befondere Schulen für fehr Ihwachbegabte
Rinder, die in gewöhnlichen Schulen nicht mitlommen.
12 Volt und Kaffe. 1932, 11
a |
Sabl von mehr als zwei Rindern im Durh{hnitt dec Samilie
wird in diefer Shit in allen Rulturvdllern heute fon nidt
mebr erreicht. Zum größeren Teil ift diefe Befchrantung der Rinderzahl ges
wollt, zum Teil ift fie ungewollt, eine Solge des in diefer Schicht fehr fpäten
Fyeiratsalters und der größeren Infeltionsgefahr für Gefchlechtetrantheiten, denen
gerade wegen des fpäten HHeiratsalters diefe Schicht befonders ftark ausgefetst ift.
In den Städten ift in diefem Entwidlungsftadium die Beburtenbäufigkeit über»
baupt fchon fo gering, daß fie nicht annähernd mehr zur Erhaltung der ftädtifchen
Bevölkerung ausreicht.
In Berlin haben wir 3. B. 1930 auf 1000 Menfchen nur nody 9,5 Geburten
und in allen deutfchen Grogftadten über 100 000 Einwohner zufammen 13 Ges
burten. Auf die Dauer ift jedoch mindeftens eine Geburtenbäufigleit von ı8 bis 20
aufs Taufend notwendig, um ein Doll lebensträftig zu erhalten. Die Städte
wirken gewiffermaßen als Sallen, in denen die beftveranlagten Mienfchen ges
fangen und an einer genügenden Sortpflanzung verhindert werden. Es find alfo
alle Dorausfegungen dafür erfüllt, Daß durch diefe Auslefevors
gängeeine ftarte Deränderung, und zwar DerfHlehterung des
Volkes erfolgt.
Selbftverftändlich ift durchaus nicht alles, was fozial auffteigt, überdurdhs
fhnittlich gut erblicdy und veranlagt und noch weniger wandert jeder überdurdys
fehnittlid gut veranlagte Bauer in die Stadt, aber im großen ganzen bat
zweifellos die Rinderarmut der ftädtifchen Öberfchichten und der ftädtifchen Bes
völkerung überhaupt und die dauernde Abwanderung vom Lande ber eine langfame
Derfchlechterung des Volkes zur Solge. Je leichter es Derfonen aus niederen fozialen
Schichten gemadt ift, „aufzufteigen“, defto rafcher gebt diefe fchadliche Aus:
merzung der Beften, diefe „negative Selektion“ vor fid. Sceier „Aufftieg der
Tiüschtigen‘‘ bedeutet leider eben auch „tafche Ausmerzung“ der Tüchtigen.
Es fommt aber noch etwas anderes hinzu. Wie bei allen Organismen, bei
Pflanzen und Tieren, fo findet auch in jedem Volk eine gewiffe natürliche
„pofitive‘* Zuchtwahl ftatt, durch welche lebensunfäbige, ftart minderwertige Indi⸗
viduen ausgemerzt werden. Je primitiver ein Volk lebt, defto fchärfer arbeitet
diefe natürliche Zuchtwahl.
Bei einem Primitivvoll von Jagern, Hirten oder Aderbauern wird jede Srau,
die ein zu enges Beden bat, bei der erften Geburt fterben, die Rinder von Srauen,
die nicht ftillen können, werden mindeftens zu einem größeren Prozentfat fterben
als die Kinder normal ftillender Srauen. Jeder nicht rafch entfchloffene und fcharfs
finnige und kräftige Mann wird eine befonders große Wabhrfcheinlichkeit haben,
bei den vielen Rämpfen der einzelnen Horden totgefchlagen zu werden, und in
gleicher Weife wird durch natürliche Zuchtwahl auf Widerftandsfähigleit gegen
Infeltionstrantheiten, auf Sreifein von konftitutionellen Rrantheiten gezüchtet.
Ducdh diefe natürliche Zuchtwahl werden alle wilden Pflanzen: und Tierarten
dauernd auf das fchärffte gefiebt. Alles Winderwertige wird rafch ausgefchieden,
e8 bleibt nur der an die gegebenen Bedingungen beftangepaßte Cyp erbalten. Tur
daher rührt die außerordentlich große Einbeitlichkeit des ganzen Typus, durch
den fich jede Wildart von ihren Rulturformen unterfdeidet. Man dente
an Wolf und Scatlal auf der einen Seite und an das zabllofe Acer der Aundes
taffen auf der anderen, oder an den WOildtobl und die zabllofen Roblraffen wie
— 4 >
1932, II «Erwin Baur, Der Untergang der Rulturoditer im Lichte der Biologie. 13
ee
Blumentobt, Kohlrabi, Rofentohl, Ropftohl, die alle aus diefem Wildtobl hers
vorgegangen find.
Aud bei allen wild lebenden Pflanzens und Tierarten treten dauernd neue
Mutanten?) auf, nach allem, was wir heute wiffen, wohl ebenfo häufig wie bei
den tultivierten Organismen, aber in der Rultur Halt man künftlid
alle die zabllofen fo entftebenden erblimen Migbildungen am
Leben, in der UWatur fterben fie rafch wieder aus. Der Unterfchied
zwifchen einem primitiven Menfchenvolt und einem Rulturvolt ift in allem wefents
lichen der gleiche wie zwifchen einer Wildart und ihren Rulturraffen. Bei den
Aunden Halt man die einzelnen mißbildeten Typen, d. b. beftimmte uns gerade
gefallende Rombinationen von Kigenfchaften, als Möpfe, Dadel, Windhunde,
Bulldoggen, Pinfcher, d. b. als „reine Raffen“ getrennt. Bei den Menfden
find alle diefe Linzelmißbildungen in jedem Rulturvolt auch enthalten. Rönnte
man nach Belieben mit den Menfden züchten wie mit den Aunden, dann ware
es eine Kleinigkeit, aus der heutigen Rulturmenfchbeit, ja aus den Einwohnern
jeder einzelnen Stadt fich alle die entfprechenden menfdliden Rarifaturen,
Möpfe, Dadel ufw. auch als reine Raffen berauszuzüchten. DOenn man unfere
beutigen Hunderaſſen fich kunterbunt durcheinander paaren ließe, dann käme fo
ein Aundevoll beraus, das etwa einem ARulturvolt entfpräche. Liur wäre wahr;
fheinlih in dem AHundevolk die Zahl der mitgefchleppten, ganz ausgefprocdhen
tranthaften Eigenfchaften (Geiftestrantheit, Epilepfie, Gicht, Settfucht, Zuders
trantheit ufw.) wefentlich Peiner.
In einem Rulturvolt ermöglicht der hohe Stand der Medizin und der Hygiene
auch Srauen mit zu engem Beden und Müttern, die nicht ftillen, aud) Diabetitern,
Rurzfichtigen, Settfüchtigen fich ebenfogut fortzupflanzen wie gefunden Mienfchen
und alle ibre Sebler auf die Kacdhlommen zu vererben. Da dauernd durch Mutation
einzelne Üenfchen entfteben, welche derartige neue erblicdye Sehler aufweifen, mug
die Zahl der Lorperlich oder geiftig mißbildeten Menfchen zunehmen, wenn in dem
Ausmaße, wie es heute der Sall ift, die natürliche Zuchtwahl ausgefdaltet aft.
Unfere Jdiotenanftalten, unfere milde Juftiz tun ein weiteres in diefer Richtung.
Catfadlicd ift heute fchon in unferer Rulturmenfchheit die Zahl der mitgefchleppten
Erbanlagen für folde Defette ganz ungeheuer groß, nur ein ganz Bleiner Prozents
fag aller Rulturmenfchen ift überhaupt völlig frei davon. Die meiften Erbkrank⸗
beiten und Migbildbungen werden ja verdedt (rezeffiv) vererbt, auch zwei dugers
lid normal befchaffene Menfchen können albinotifche Rinder beLommen, wenn
zufällig fie beide beterozpgotifch (ungleicherbig) die albinotifche Deranlagung ents
balten. Ulur weil gewöhnlich Mann und Srau nicht gerade die gleichen Migs
bildungsanlagen enthalten, belommen fie normale Kinder. Daß bei enger Ders
wandtenebe febr of t Mißbildungen beraustommen, hängt nur damit zufammen,
daß bei nahe blutsverwandten Eltern die Wabrfcheinlichkeit fehr groß ift, daß
von Pater und Mutter ber die gleichen Mißbildungsanlagen zufammentommen.
£s ift aber audy wahrfcheinlich, mehr läßt fich heute noch nicht fagen, daß
Mutationen, durch welche folche Mißbildunganlagen neu entftehen, bei Aulturs
völkern etwas häufiger vorkommen als bei Primitivraffen. Allerhand Gifte,
Altohol 3. B., ferner aber auch Beftrablung mit Röntgenftrablen ohne genügenden
Shut der GBefchlechtsdrufen oder erft recht Cingriffe wie zeitweilige Uns
2) Unter einer ,Mutation’ verftebt man das erftmalige Auftreten eines Individuums,
das fich in einer ganz neuen Kigenihaft von der Ausgangsftelle unterfcheidet.
74 | Dolt und Kaffe. 1932, II
frudtbarmadung 5) (tempordre Sterilifation) durdh Beftrablung der
Kierftdode erhbdben die Häufigkeit von Mutationen. Ganz ficdere Scdlisffe
aus Beobactungen an Menfden laffen fih nok nicht ziehen, aber alle Tiers
und Pflanzenverfude geben vdllig eindeutige Refultate.
Bei den einzelnen KRulturvdllern im ungleidhen Ausmage kommt noch hinzu,
daß durh Zuwanderung fremder Raffenbeftandteile das ganze Dollstum fic
ändern fann. 3. B. im alten Rom hat die Cinfubr von Stlaven (dwerwiegende
Solgen gehabt. WPabhrfcheinlich beftand fchon gegen Ende der Raiferzeit der größere
Teil der Einwohner von Rom und ein fehr großer Teil der Bevölkerung dee
Kandes aus Klacdhlommen von Sklaven und Sreigelaffenen uberwiegend orientalis
fcher Herkunft.
Einwanderung taffefremder Clemente fpielt auch heute in mandyen Ländern
3. B. in Sranltreich und in den Dereinigten Staaten eine fehr große Rolle. In
Deutfchland bat die ftarte Zuwanderung von O ft juden in den Nachkriegsjahren
fidh unginftig ausgewirkt. Allerdings gleicht fich das wieder aus, weil die emansis
pierten Juden eine ganz befonders kleine Rinderzabl aufweifen.
Ebenfo verhangnisvoll tann aud eine ftarke überfeeifche Auswanderung ein
Dolfstum verdndern, da im allgemeinen die nach Überfee auswandernden Mienfchen
örperlich und geiftig über dem Durdhfchnitt fteben *), wirkt diefe Auswanderung
im gleihen Sinne wie die Abwanderung vom Lande in die Stadt. Daß die
Mutterländer großer Rolonialgebiete befonders gefährdet find, zeigt die Ges
fchichte und auch die heutige Beobachtung.
Alle diefe Vorgänge führen in ihrer Befamtheit mit unbedingter Sicherheit
zu einer Verfchlechterung des Volles, zwar nicht in einigen Jahren, aber im Laufe
von 1—2 Jahrhunderten. Diefe Degeneration erfolgt erft langfam und dann mit
zunehmender Gefdhwindigkeit. Wir fteben heute da, wo das Tempo der Vers
fhlechterung anfängt, rafch zuzunehmen.
ou diefer verbangnisvollen negativen Seleltion, zu diefem Raffenfelbftmord,
wie man es auch genannt bat, kommt nun noch eine andere Störung der fozialen
Strußtur der Aulturvölter. Wir finden überall in diefem Entwidlungsftadium,
in dem wir Mitteleuropäer uns etwa feit 1900 befinden, eine ganz befonders
ftarte Befhleunigung der Landfludht und eine ganz befonders bes
droblihe Zufammenballung der Ddlker in den Grogftädten und
eine rafc) zunehmende Derddung des Landes. Diefe verftärkte Landflucht bat im
wefentlichen wirtfchaftspolitifche Urfachen:
Mit einer gewiffen Aulturböbe, in der, wie eben fchon gefagt, wir Mittels
europäer etwa feit der Jahrhundertwende uns befinden, nimmt der Außenhandel
und nimmt der politifche Einfluß von Broßlapital, Handel und Jnduftrie fehr
ftart zu. Der Außenbandel wird quafi Selbftzwed, anftatt als „nots
wendiges Übel“ betrachtet zu werden. Während früber die einzelnen
VSlker und noch früher fogar die einzelnen Landfchaften innerhalb eines Volkes
im wefentlichen autart waren, fangen in diefer jet erreichten Aulturftufe die
einzelnen VSlker an, fich für beftimmte Jnduftrien zu fpezialifieren. Die Ents
widlung gebt immer dahin, daß die bochkultivierten induftrialifierten Stadtoöälker
einen von Jahr zu Jahr größer werdenden Teil ihrer Lebensmittel vom Auslande
beziehen. &s wird dabei an Lebensmitteln nicht bloß das eingeführt, was
5) Yack den heutigen Erfahrungen der Genetifer dürfte ein gewiffenbafter Arzt
diefe Operation nidt mebr ausführen, leider gefchiebt das immer nod!
4) n weil Jdioten, Rrüppel und Geiftestrante im allgemeinen nicht auswandern.
— |
1932, II «rwin Baur, Der Untergang der Rulturvölter im Lichte der Biologie. 75
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die eigene Landwirtfehaft nicht erzeugen tann, fondern febr
viel mebr, einfach weil irgendwober aus dem Auslande, bald aus Lieufeelans,
bald aus Ranada diefe Dinge ,,billiger bezogen werden tonnen. Daf das Auss
land billiger liefert, braucht durchaus nicht daran zu liegen, daß es beffer und
rationeller arbeitet, fondern es liegt tatfächlich meift daran, daß es klimatifch bes
günftigt ift (für Srifchgemüfe 3. B. Italien) oder daß es Raubbau treibt (für Solz
3. DB. heute Rußland und Polen), oder daß feine Landarbeiter außerordentlich ans
fpruchslos find, für Löhne und unter Derbältniffen arbeiten, für die kein beimifcher
Arbeiter zu baben ift (Soja in China).
Dadurch kommt aber rafch die beimifche Landwirtfchaft in eine ganz boff-
nungslofe £age. Mit den zunehmenden Getreideeinfubren Roms aus Spanien,
Ulordafrita, Rleinafien und anderen Rolonialgebieten fhwanden die Bauern im
Lande. Latifundienbildung, Menfdenarmut auf dem Lande waren die Solgen.
Dies warder Anfang vom Endse Roms. Der vielsitierte Gag „latifundia
perdidere Romam* ift nidt rid@tig: Die Bildung der Latifundien war
felbft fcdbon eine Solge des Derfalls, eine Solge der Bauernvernidtung
durch die verkehrte Agrarpolitik.
Bei den beutigen Rulturpöltern ift diefer Prozeß gebemmt durch Zollmaß⸗
nahmen. Ulur in wenigen Ländern, 3.3. in England, bat die Vernichtung der
Bauernbevdlterung fchon einen bedroblichen, ja faft boffnungslofen Grad erreicht.
Bberall fonft tampfen die Bauern heute noc um ihre Eriftenz. Solange wir eine
völlig freie, privatlapitaliftifche Wirtfchaft baben, folange Aandelsvertrage als
das Ergebnis eines langen, 34ben Handelns und Feilſchens zwiſchen den
Intereffentengruppen der Jnduftrie, dea Handels und der ftädtifchen Aons
fumenten auf der einen Seite und der Landwirtfchaft auf der anderen zuftande
kommen, wird beftenfalls erreicht, daß die heimische Landwirtfchaft etwas lang s
famer zugrunde gebt als fonft ihr Gefhid wäre Aber unterliegen muß
fie auf die Dauer beftimmt in diefem ungleimen Rampfe. In
allen Induftrieländern, auch in jungen, wie den Vereinigten Staaten, wandern die
Bauern deshalb in großem Umfange ab. Das Derbältnis von Stadts und Lands
bevdllerung verfciebt fich immer rafcher zuungunften der Tetteren. Da aber in
allen Rulturftasten, wie wir vorhin fehon gebört haben, die Städte viel weniger
Binder erzeugen als nötig find, um die Bevölkerung zu erhalten, ift das Land und
im wefentliden dic Bauernbevdllerung das Element, auf weldhem
Gberbaupt nod die Dollsvermebrung berubt. Je groger der Prozents
fat der Bevölkerung ift, der in den Stadt: und Jnduftriesentren wohnt, defto ges
tinger ift die Dollsvermebrung. Die meiften beutigen Kulturlander find nabe an
dem Punlt, wo die Bevdllerungszabl nicht mehr zunimmt, fondern abnimmt.
In Luropa finden wir pro 1000 inwobner in den legten Jabren folgende Ges
burtenüberfchüffe 5):
Dautihland . . > 2 2 2 22. 6,5 (1930)
Schwein. 2. » 2 2 2 2 2. 3,0 (1929)
England und Weile . . . 2... 4,9 (1930)
Schottland 2. 2. 2. 2 2 2 nen 6,3 (1930)
HordsIrhend -. - > 2 2 2 2 en 7,0 (1930)
Ilm. 2 2 2 2 ren 5,7 (1930)
Scantreih mit Elfaßsfotbringen . . 2,4 (1930)
5) D. b. mehr Geburten ale Todesfälle.
16 Volt und Kaffe. 1932, IL
A PS EEE
Elfaßslotbringen . . » 1... 7,5 (1930)
BDanemare . ww www et 7,6 (1929)
Shwi3 . . 2: 2 2 2 2 2 2. 5,6 (1930)
Spanin 2. » 2 2 2 22.20.20. .1857 (1930)
Italien . . - 6 6 $3,4 (1930)
europäifches Sowwjet-RuBland ~ « « 23,9 (1929)
Meißrußlend. . . ... 424,6 (1929)
Ukraine.. 17,0 (1929)
Diefe Zahlen fprechen eine ganz Hare Sprache — na deutlicher wird die Bee
fahr, wenn man fiebt, in weldyem Ausmaße im Laufe der letzten Jahrzehnte die
Beburtenüberfchüffe in den einzelnen Ländern abgenommen haben. Bisher ift
nod jedes Volk, das überwiegend ein Stadtpolk wurde, in diefer Weife
refh zugrunde gegangen.
Aber auch fonft bedeutet es für jedes Volk immer eine fchwere Gefahr, wenn
es in der Kebensmittelverforgung vom Auslande abhängig ift. Ganz abgefeben
davon, daß es dann im Kriegefall ftets früher oder fpäter, fo wie Deutfchland im
Meltkriege, ausgebungert und niedergeswungen wird, bedeutet jede große
Mirtfchaftskrife eine Befahr. Wenn das Ausland wegen der Rrife die
Erportwaren nist mebr aufnimmt, beftebt auch keine Möglichkeit mehr, den
£ebensmittelimport zu bezablen. In diefe Lage fommt vorausficdhtlich
Deutfhland fhon im Jahre 1932.
Safjen wir zufammen: Zwei eng ineinander greifende Rranktheitsprogeffe bes
drohen alle heutigen Rulturvdller und haben wabhrfcheinlidy auch die alten Ruls
turen vernichtet. Mindeftens für das alte Rom kann daran heute kein Zweifel
mebr befteben. Diefe Arantbeitsprozeffe find:
1. Die negative Selektion, d. b. das allmablide Ausfterben der beft-
veranlagten Dollselemente und die ftarfe Zunahme der minderwertig erblicdy vers
anlagten.
2. Die überhaupt ungenüuügende Bevdlkerungspvermebrung, ja
fogar Bevdllerungsabnabme.
Was kann man gegen diefe Rrantheitsproseffe tun?
Ganz offenfichtlih trägt die erfte Arankheit, die Ausmerzung der Befts
veranlagten, gewiffe Selbftheilungstendenzen in fid.
Das Beftreben, die Geburtenzabl ftark einzufchränten, fegt Zwar immer 3u
erft in den oberen fozialen Schichten ein, aber nad) einigen Jahren handelt das
ganze Dolknad diefen Prinzipien. Die Renntnis der Technik der Empfängniss
verhütung wird allgemein, die Induftrie liefert empfängnisverbütende Mittel billig
und in großen Maffen. Das hat zur Solge, daß von „Buten‘“ wie von „Schlecdys
ten“ gleidh wenig Rinder erzeugt werden, ja, wabrfcheinlidh ift fogar heute
fcbon bei den pfychifd oder körperlich zweifellos ftart minderwertigen Volles
beftandteilen der Beburtenüberfchuß geringer als beim Voltsdurdhfchnitt!
Bei einem großen Teil der ganz ausgefproden Minderwertigen, befonders
bet dem Heer der leicht fchwachfinnigen und mehr oder weniger kriminellen Mens
fhen beftebt ja gar fein Wunfh nah Rindern. Die Rinder kommen
bei ihnen als eine fehr unerwünfchte Solge der Befriedigung ihres Gefchlechtss
triebes, fo wie ein Ratgenjammer nach dem Raufd. Daß die Technik der Emp:
1932, II erwin Baur, Der Untergang der Rulturpälter im Lichte der Biologie. 77
EEE TEE EEE ED DE ur EEE —
fängnisverbütung auch in diefen Rreifen bekannt wird und daß die erforders
lichen Mittel billig und einfach anzuwenden find, ift alfo durchaus kein Unglüd.
Die Dinge liegen heute alfo wefentlich anders als vor 10 bis 20 Jabren, und
die Entwidlung gebt ganz offenbar in diefer Richtung weiter.
£3 fommt fpeziell in Deutfchland hinzu, daß bier heute der größte Teil
des gebildeten Bürgertums befilos geworden, in einem gewiffen Sinne „pros
letarifiert“ ift. Damit im Zufammenbang ftebt in diefen Rreifen ein wefentlich
früberes Heirstsalter als etwa vor zwei Jahrzehnten üblich war, und es fällt
außerdem ein fehr wejentlicher Grund für Rleinhaltung der Rinderzahl, die Rüds
ficht auf die Erbteilung, weg. Rinderarm find natürlich unter dem Drud der
Liot audy alle diefe Samilien, aber, und das ift das wefentliche, fie find nicht kinder:
&rmer als die Volksfchichten, deren Sortpflanzung unerwünfcht ift.
Ebenfo ift die Befahr der fchweren Reimfchädigung durch Alkohol, Rokain
ufw. bei den fehon obnebin erblid) Minderwertigen größer als bei den Befts
veranlagten. Trotgdem muß bier auf dem von der Lugenil lar vorgeszeichneten
Wege weiter vorgefdritten werden. Wir müffen 3. GB. die Sortpflanzung aller
{wer Minderwertigen, vor allem aller pfycdifh Minderwertigen, mit allen
überhaupt anwendbaren Mitteln zurüdbalten. Sreilich ift die Arbeit auf diefem
Webiet fehr fchwierig, der Sortfchritt langfam wegen zabllofer Vorurteile und
vor allem wegen der biologifchen Unbildung und Derftdndnislofigkeit der Mebrs
zahl unferer Politiker und vor allem unferer Juriften.
Line fehr wichtige, vielleicht die wichtigfte Aufgabe in diefer Richtung bat
unfere Rechtspflege. Daß wir noch von „Straf"sRecht, daß wir von „Schuld
und Sühne“ reden, zeigt allein fchon, daß unfere Rechtspflege fich noch auf mittels
alterlichen Jdeen aufbaut. Unfere Rechtspflege follte durch humane, aber dauernde
Afylierung und dadurch Unfdadslidmadung aller afosialer Elemente uns
andere fcbugen und follte — am beften durch gefeglid vorgefdriebene Sterilifas
tion — die offenfichtlich triminell veranlagten Mienfchen an der Sortpflanzung
verhindern. Das ift alles ohne Schwierigkeit durch fehr einfache chirurgifche Eins
griffe zu erreichen.
Dag wir heute nod fdpwere Serualverbrecher und zahllofe andere ganz offens
fidtlid pathologifde Verbredher „beftrafen‘‘ und fie dann wieder auf die Wienfchs
beit loslaffen, a8 wir 3zabllofe andere als ,,unzuredhnungsfabig’ erklären und
weiterbin fich frei austoben laffen, ift beller DOabnfinn 6).
Was man von Argumenten gegen die Afylierung und Sterilifierung vors
bringt, ift lächerlich. denn man aus religisfen Bedenten nicht fterilifieren will,
wie fann man dann Todesftrafe und Zuchthaus und andere fchwerfte Mißhands
lungen gutbeißen?
Unfer beutiges Strafredht ift ein Stud Mittelalter und ein
Skhandfled unferer Kultur.
Jh unterfchreibe Wort für Wort den Gag von Siemens?), der vers
langt, „Daß die ‚Beftrafung‘ endlich aufhört der Zwed des ‚Straf'sRecdhtes zu fein.
Wir brauchen eine Rechtfprechung, die den Schuß der Befellfchaft und den Schutz
©) Saft alle Verbrecher find tatfadlid patbologifch. Wenn doch unfere Juriften jich
einmal der Mühe unterziehen wollten, die neuen Arbeiten über das Schidfal alle
— ſtudieren, aus denen klar hervorgeht, wie weit aſoziale Neigungen erb
t ſind
my Prof. Dr. 5. W. Siemens, vee (Raffenbygiene und Bevdllerungs:
politif), Münden, Derlag Lehmann, 4. Auflage, S. 115.
78 Volt und Kaffe. 1932, II
der Raffe zum Ziel hat. Die dauernde Unfdadlidbmadhung tranlhaft oder minders
wertig Deranlagter und ihre Verhinderung an der Erzeugung neuer Elender muß
das eigentliche Ziel der Rechtfprechung werden.“
Die Hauptarbeit der Cugeniter wird deshalb auf Jahre hinaus auf dem Ges
biete der Werbung und Aufllärung liegen müffen. Leider find bier von
übereifrigen Apofteln fehr viele Sehler begangen worden, Eugenil darf nicht
formaliftifdh werden, darf nicht in das Beftreben ausarten, ein beftimmtes
térperlides Raffeidseak rein zu züchten.
*
Aber ich ſehe zur Zeit die groͤßte Gefahr nicht in der Raffens
verſchlechterung ſondern in der gaͤnzlichen Verſtaͤdterung der
europäifchen Rulturvölker, der ftarten Landfludt und dee das
dsurd bedingten Bewißbeit des allmabliden Ausfterbens. Aud
diefer Rrankheitsprozeß zeigt aber, mindeftens in manden Ländern, eine gewiffe
Tendenz zur Gel bftheilung s). Das gilt ganz ficber auc für Deutfchland.
Wir haben fdhon in Deutfchland vor dem Kriege und noch mehr nad) dem
BRriege wie bypnotifiert auf den Außenbandelgefeben. Wir waren ftolz auf die
anfteigenden Erports und Jmportsziffern und freuten uns in den letzten Jahren über
das Altivfaldo unferer Aandelsbilanz. Das ift jet anders geworden. Infolge der
Meltwirtfchaftstrife fhrumpft der Erport tro verzweifelter Begenwehr
und obwohl wir zum Teil fogar unter Produltionskoften erportieren. Schon
im laufenden Jahr wird unfer Erport Baum mehr genügen, um unferen unbes
dingt notwendigen Import von Robftoffen (Metalle, Kautfchul, Saferftoffe ufw.)
und dazu nod die Zinfen unferer Schulden zu bezahlen.
&s wird aber diefer gefchrumpfte Erport beftimmt nit ausreichen, um
den Agrarimport im heutigen Umfang (über 3 Milliarden Mark) zu bezahlen.
Wir werden alfo bungern oder aber mindeftens zwei Drittel des heutigen
Agrarimports im Inlande erzeugen mällen. Daraus wird fich unter allen Ums
ftänden eine ganz neue, beffere Lage fur die beimifche Landwirtfchaft ergeben.
Jench dem Brad der Urteilslofigkleit der gerade am Ruder
befindlimen Regierungen wird diefe Anderung der Lage
trafder oder langfamer und mit mebe oder weniger grogen
Reibungen und Schwierigkeiten fib vollziehen. Aber fie wird
fi vollziehen.
Sür die Dauer wird freilidy alles darauf anlommen, ob diefe Anderung
der Wirtfchaftspolitil, vor welcher wir heute in Deutfchland ganz beftimmt fteben,
von Leuten durchgeführt wird, welche Mar die bevslkterungspolitifche und
eugenifche Bedeutung der Agrarpolitik erkennen und danady zielbewußt handeln.
Es tommt nicht darauf an, die Landwirtfchaft etwa in Sorm von Latis
fundien zu erhalten und alle Lebensmittel möglihft rationell und billig
im Inlande zu erzeugen, fondern es fommt alles darauf an, daß ein lebens;
Präftiger Bauernftand (teils ale Bauern, teils als Gartner) erhalten wird,
fo daß wenigftens ein Drittel des Volles aus felbftändigen Bauern und Bärtnern
beftebt, und es kommt ferner darauf an, daß der größte Teil unferer Heute in den
8) Diefe ganz andere Entwidlung, die wir heute im Vergleich mit dem Verlauf der
Dinge im alten Rom feben, rührt wabrfcheinlich daher, daß es damals nur ein Kultur»,
Induftries und Militärzentrum und dazu ein großes Rolonialgebiet gab, heute aber viele
Rulturs, Induftries und Militärzentren gibt, die einander betämpfen.
1932, II rwin Baur, Der Untergang der Rulturvölter im Lichte der Biologie. 19
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Mietslafernen der GBroßftädte vertümmernden Induftriearbeiter auf dem
Zande oder am Rande der Stadt und Jnduftriezentren als „Llebenerwerbes
fiedler“ wohnt und einen Teil ihrer Arbeitskräfte auf diefen eigenen Befitg vers
wenden. Hur auf eine Bauernbevdllerung allein kann heute
eine erfolgreidhe Bepsöllerungspolitit niht mehr aufgebaut
werden. Bauern und Arbeiter, aber felbftändige, menfbhenwürs
dig wohnende und mit dem Land durhihr Eigenheim und ihre
Gärten in Derbindung bleibende Arbeiter müffen den Lebens»
quellunferes Volkes bilden?).
Daß das alles wohl nicht ohne fchwere Erfchütterung politifcher und wirt:
fcyaftlicher Art möglich ift, brauche ich nicht zu betonen, aber dDiefer Rampf
wird vielleiht für unfer Dollstum die HAeilung slrife dars
ftellen. Die Aeilung von Krantheitsproszeffen, an denen bisher alle Kulturen und
Rulturoölter zugrunde gegangen find.
Deutfchhland wird das erfte Land fein, in welchem diefe Entfcheidung reift.
JI glaube, es gibt von einer gewiffen Dollsgrdge und von einer gewiffen
Rulturhdbe an nur zwei Möglichkeiten:
Entweder
man verfudt den Staat unter Vernichtung jeder Individualität fo abfolut for
ztaliftifch Surchzuorganifieren, wie etwa cin Ameifenftaat oder ein Termitenftaat
organifiert ift. Diefen Weg verfuht SowjetsRußland zu geben. Ich nehme an,
daß diefer Derfuch, wenn auch nicht fofort, doch auf die Dauer fcheitern wird,
weil eben der Menfdh keine Termite und überhaupt von Haus
aus fein ftaatenbildendes Tier ift. Er it individualiftifch einge
ftellt und in diefer Richtung von der Klatur im Laufe feiner ganzen ftammesge
fehichtlichen Entwidlung durchgesüchtet, alle feine Inftinkte weifen diefen Weg.
Oder
man verfucht, eben weil der Menfch individualiftifch denkt und fühlt, den von
mir kurz umriffenen Wdeg einer Autarkie und nationalen Planwirtfchaft zu geben,
und wir bleiben dabei felbftändige freie Einzelmenfchen und behalten den Zufams
menbang mit dem Land und mit dem Bauerntum, aus dem wir hervorgegangen
find, und immer bervorgeben werden.
9) Wie baben in den legten Jahrzehnten vieles verfucht, um die Entvdlterung des
Landes 3u befdmpfen. Wir haben vor allem febe bobe Beträge auf Iandwirtfchaftliche
„Siedlungen“ verwandt. Erreiht ift aber dadurh wenig. Es nigt nidts, tinftlid
neve Bauernitellen 3u fhaffen, wenn fdon den alten durch eine falfhe Agrar»
politit die Grundlage ihres Beftebens entzogen wird!
Bauern wahfenvon felbfi, wenn die landwirtfhaftliden Vers
bältniffe für das Bauerntum güunftig und beffer find als für den
Grogbefig.
80 Doll und Kaffe. 1932, II
Einiges über Rants Unfidten von Ylaturgaben,
Vererbung und dem Zufammenhang swifden
e
Aörper und Seele,
Don Dr. Olga Flippert, Liegnit.
Mit einem Bilde Rants.
Au Rante „Anthropologie in pragmatifcher Sinficht‘“ möchte ich im folgenden
Gedanken über angeborene Gaben, deren Vererbung und die wechfelweife Ab»
bängigkeit von Rörper und Seele berausftellen.
Dor 159 Jahren fchon bat Rant feine Dorlefungen über Mienfchentunde bes
gonnen. Gein erftes Rolleg über Anthropologie bielt er im Winterfemefter
1772/73. Saft 23 Jabre bindurd bat er vor 30 bis 70 AHdrern aus allen gebils
deten Rreifen 4 Stunden wöchentlich uber Menfdbentunde gelefen und dabei Sragen
der Raffentunde und Abftammung berührt. Abnliche Sragen kamen auch in feinen
Dorlefungen über „Pbpyfifche Geographie‘ zur Sprade. Wenn man -bedentt,
daß Rant diefe Art Vorlefungen über Erdlunde und Menfchentunde in Deutfch-
land erft einführte, fo erkennt man, was Rant als Antbropologe bedeutet. Er,
der in allen Zweigen der Biologie Bewanderte, war dazu berufen.
Er bat die Anthropologie in pragmatifcher Hinficht im DDinterfemefter
1796/96 zum letzten Male gelefen und gab fie auf Anraten feiner Sceunde im Jabre
1798 in Buchform beraus.
Wie Rant in der Vorrede fagt, will er das Somatifche nicht behandeln, fon
dern verweift es in feine „Pbyfilalifche Geographie“. In der Tat finden fic
Bemerkungen über das rein Körperliche des Mienfchen nur vereinzelt. So erwähnt
ec am menfdliden Schädel den Gefchlechtsunterfchied im Bau der Stirn. Die
männliche Stirn nennt er flach, die weibliche Eugelig. Loch heute wird die größere
Steilbeit der weiblichen Stirn von Antbropologen als ein Unterfcheidungsmerkmal
der Gefclechter erachtet. Diefe Seftftellung über die menfchlidye Stirn bringt er
deshalb mit in die pragmatifche Anthropologie, weil ihm diefe Tatfache ein Merks
mal auf der Mitte zwifchen Rörperlichem und Seelifchem zu fein fcheint. Vers
mutlich denkt er dabei an Zufammenbänge zwifchen Sirnbildung und Geiftess
gaben.
Streng unterfcheidet Kant zwifchen angeborenen und erworbenen Außeruns
gen der Seele. Sur angeboren erklärt er Affelte und die Leidenfchaften des Sreis
beitsdranges und des Befchlechtstriebes. Obwohl er im Laufe der fittlichen Ente
widlung Affekte und Leidenfchaften überwunden wiffen will, preift er doch die
Weisheit der Klatur, in uns die Anlage zum Affelt gepflanzt zu haben. Der Affekt
führe die Zügel als finnlicher Anreiz zum Guten, bevor noch die Dernunft zur
gebdrigen Stärke erwacht fei. Der Affekt wurde der menfchlichen Seele zur Bes
lebung beigefügt. Der Mut als Affekt gebdre unter die angeborenen Anlagen.
Mut könne aber auch durch die Vernunft erwedt fein und gelte dann als erwors
ben. Kigenartig berührt es, wenn Rant von Affelten, durch welche Sie Viatur
die Gefundheit medanifd befdordere, fpridbt und meint: ,,.Dabin gebdrt vornebm:
li) das Lachen und das Weinen‘. Die beilfame Bewegung des Zwerdhfells beim
Laden ftarke das Gefühl der Lebenskraft. Das Weinen als fehmerzlinderndes
Mittel gibt Rant als Vorforge der Kletur für die Gefundbeit an. SGeltfam ift
die Meinung, es müffen Rinder — vornebmlid Mädchen — früb zum unges
———————— ee ———— Senn Sa en
es - —— aa Ba
1932, II Olga Flippert, Einiges über Rants Anfichten von Klaturgaben ufw. 8l
zwungenen freimütigen Lächeln gewöhnt werden, „denn die Erbeiterung der Ge-
jichtszüge biebei drüdt fich nach und nach auch im Innern ab und begründet eine
Dispofition zur Sröblichkeit, Sreundlichkeit und Gefelligkeit, welche die Annäbe:
rung der Tugend des Woblwollens frübzeitig vorbereitet‘. Hier vertritt Kant die
Auffaffung, daß Korperliches riidwirkend feelifche Außerungen zeitigen kann.
Immanuel Kant (1724— 1804). Radierung v. Pedhe nad dem Gemälde von Döbler 1791.
Mit Erlaubnis des Kunitverlags Hermes, Dresden.
Mit befonderem VDerftändnis lieft man Rants Ausführungen über die ange:
borene Sreibeitsneigung als Leidenfchaft. Er bält fie für die beftigfte unter allen
im !Taturmenfchen in einem Zuftande, „da er es nicht vermeiden kann, mit andern
in wechjelfeitige Anfprüche zu kommen“. Was die Sreibeitsneigung für die fitt-
liche Entwidlung bedeutet, zeigt Kant am Beifpiel der Tungufen. Sie veredelten
fich, weil fie fib von ibnen verwandten Stämmen trennten. YTebenbei fei bez
merkt, daß Kant meint, die Leidenfchaft fei im Gegenfag zum Affekt jederzeit mit
Dernunft des Subjelts verbunden und bloßen Tieren könne man Eeine Leiden:
jchaften beimeffen, ebenfowenig aber auch reinen Dernunftwefen. Ebrfucht, Rach:
fucht, Khyerrjchfucht nennt er unter den erworbenen Leidenfcaften; doch will es
Dolf und Raffe. 1932. April. 6
82 Dolt und Raffe. 1932, II
mir fcheinen, als ob diefe drei letztgenannten doch manifeft und fomit vererbbar
geworden feien.
Sehr feffelnde Darftellungen enthält der Abfchnitt von der Fleigung des
Wabhns als £eidenfhaft. Ich will nur die Spiele der Knaben im Ballfchlagen,
Ringen, Wettftreiten, Soldatenfpielen anführen. Die Spieler werden „unwiffent-
lih von der weifen Flatur zu Wagftüden, ihre Rräfte im Streit mit anderen zu
verfuchen, angefpornt, eigentlich damit die Lebenskraft überhaupt vor dem Er:
matten bewahrt und rege erhalten werde. Zwei folche Streiter glauben, fie fpielen
unter fich; in der Tat aber fpielt die Klatur mit beiden —“. Ein Naturgeſchenk
fei!) auch die Sagazität oder Erforfchungsgabe, „fich darauf zu verfteben, wie
man gut (mit Glüd) fuchen (die Klatur oder andere Ülenfchen befragen) foll. Ein
Talent, vorläufig zu urteilen, wo die Wabhrbeit wobl mödte zu finden
fein und ihr auf die Spur zu kommen“. Unbedingt angeboren fei die Genialitac.
Rant nennt das Genie die Originalität in der Erzeugung der Produlte des Er:
kenntnisvermögens; das Vermögen, unabhängig von einem anderen Mufter und
felbft d0d) mufterbaft 3u denten.
Nicht allein von wertvollen Erbgütern der Wienfchen weiß Kant, fondern
auch von erblichen Anlagen, die den Betroffenen zum Unfegen werden können. Er
befpricht die Erblichkeit der Beiftestranten eingehend und gibt die erbgefundbeitliche
Wefung, nicht in Samilien 3u beiraten, in denen Geiftestrantheiten vorkamen.
Sogar die rezeffive Vererbung wird von ihm erwähnt. &s könne ein Gefdlede
verfchont bleiben und dennoch die Beiftestranktheit verdedt weitergeben. Aber auch
aus diefen unbefallenen Samilien follen keine Ehegatten gewählt werden, um das
Weitertragen der Rrankheit zu vermeiden.
Wie Rörper und Seele wedfelfeitig zufammenbängen, entwidelt Rant im
zweiten Teil feiner Anthropologie, in der „Charalteriftil“.
Im Abfchnitt über das Temperament unterfcheidet er, wie üblich, zwifchen
einer phyfiologifden und einer pfychologifhen Temperamentsanlage. Suc une
ift bemerkenswert, daß bier der Pbilofopb ausfpricht: „Da ergibt fid nun, daß
die Temperamente, die wir bloß der Seele beilegen, doch wohl insgebeim das
Rörperliche im Mienfchen auch zur mitwirkenden Urfade haben“. Rant nimmt
alfo eine Wechfelwirtung zwifchen Körper und Seele an. Wenn die Ausdrudes
weife fo vorfichtig ift, liegt das in Kante Klatur begründet. ft im Dorangeben-
den das Körperliche ale Urfache der Seele erwähnt, fo im weiteren Verlauf, daß
jede Temperamentsäußerung mit Erregbarleit der Lebenskraft (intensio) oder Ab⸗
fpannung (remissio) derfelben verbunden werden kann. Wie in der Chemie zwei
verfchiedenartige Stoffe fich vereinigen, um ein Drittes zu bilden, fo verfchwiftern
fid) Derftand und Sinnlichkeit trog ihrer Verfchiedenheit und bewirken unfere
Erfenntnis, als ob eine von der andern oder beide von einem gemeinfchaftlichen
Stamme ihren Urfprung bätten. Kants zufammenfaffende Worte lauten: „Das
Spiel der Kräfte in der leblofen KTatur fowohl als der lebenden, in der Seele eben
fowohl als des Körpers, berubt auf Zerfegungen und Vereinigungen des Un:
gleichartigen. Wir gelangen zwar zur Erkenntnis derfelben dur Krfabrung
ihrer Wirkung; die oberfte Urfache aber und die einfachen Beftandteile, darin ibr
Stoff aufgeldft werden kann, find für uns unerreicdhbar“. Weiter führt er aus,
was jeder an fich erfährt, die Empfindung der Wärme und Kälte tonne auch
durch Gemüt erregt werden (Sreude, AUngft). Wahrnehmungen erweden den
1) Der KRonjunttiv wurde überall eingetragen, wo es fih um Wiedergabe der
Meinung Rants handelt.
1932, II Olga Flippert, Einiges über Rants Anfidten von Klaturgaben ufw. 83
EEE BE WET EEE EEE SE ER ————
Glauben, daß die Seele, das Gemut als befondere im Menfchen wohnende Sub:
ftanz vorhanden fei. Er hält es für verlorene Mübe, bier den Abftamm ergrün:
den oder audy nur erraten zu wollen.
Don den allgemeinen menfdhlidyen Klaturgaben geht Kant auf die über, die
den Menfchen als Gefchlechtswefien zuerteilt find, um die Erhaltung und Ent:
widlung der Art zu regeln. Rant führt aus, daß die Seele von Mann und Stau
verfchieden fich dugern müffe, um beide zueinander zu führen und dauernd zu
binden. Wcchfelfeitig müffe der eine dem andern in irgend etwas überlegen fein,
denn bei völliger Gleichheit ware der häusliche Sriede gefährdet, wodurdy aber
die Abficht der Llatur vereitelt wourde. Aus der eingehenden Darlegung bebe ich
nur nod beraus: der Mann regiert durch Derftand, die Srau berrfeht durch Leis
gung. sKhyalb entfchuldigend meint Kant am Schluffe der Beweisführung, er
babe fic bei dem Charalter der Gefchlecter länger aufgebalten als bei den anderen
Abfchnitten, doch findet er ,,die CTatur Hat auch in diefe ibre Olonomie einen fo
reihen Schag von Veranftaltungen 3u ibrem Jwede, der nidts Geringeres ift
als die Erhaltung der Art, hineingelegt, daß bei Belegenbeit näherer Miacdforfdung
es noch lange Stoff genug zu Problemen geben wird, die Weisheit der fich nach
und nach entwidelnden Llaturanlagen zu bewundern und praltifch zu gebrauchen‘.
Gerade die Eugenik bleibt nicht bei der Bewunderung diefer Weisheit fteben,
fondern fdidt fid) an, zu ihrem praßtifchen Gebrauch vorzudringen.
Hat Kant vom Kinzelmenfchen behauptet, er babe keinen angeborenen Charal:
ter, fondern müffe zu einer beftimmten Denltungsart erzogen werden, fpricht er
vom angeborenen Ylationalcharalter mancher Völker. Llachdem er die Begriffe
Wolf, Flation, Pöbel geklärt bat, beginnt er, die Gegenfage im Mationaldaralter
der Engländer und Stanzofen aus ihrer Abftammung berzuleiten. Der Mational-
&haralter beider Völker babe fich erft entwidelt. Trotdem feien Engländer und
Sranzofen vielleicht die einzigen Völker, von denen man einen unveränderlichen
Charakter annehmen könne. Das Flaturell der Sranzofen mit ihrem Ronverfations:
bedürfnis, ihrer £ebbaftigkeit rübre vom angeborenen Charalter des Urvolts ihrer
Abftammung ber. Rant fucht alfo den Urfprung diefer und anderer Charalterzüge
zeitlich weit rüdwärts und bekennt fomit feine Überzeugung von der Erblichkeit
feelifher Anlagen ganzer Völker bzw. Raffen.
3m englifden Doll fei das alte Original des tüchtigen Stammes der Briten
(eines teltifden Dolles) durch die Einwanderung der Deutfchen und des franzdfi-
fhen Stammes verlöfcht worden. Der Engländer babe feinen Dollsdaratter fid
felbft angefchafft, da er von Ylatur aus nach den genannten Einwanderungen
keinen mebr batte. „Mithin dürfte der Eharalter des Engländers wohl nichts
anderes bedeuten als den durch frühe Lehre und Beifpiel erlernten Grundfat, er
muffe fid einen folden machen, 8. i. einen zu haben affektieren; indem ein fteifer
Sinn, auf einem freiwillig angenommenen Prinzip zu bebarren und von einer
gewiffen Regel (gleihgut welcher) nicht abzuweichen, einem Manne die Wich:
tigkeit gibt, daß man ficher weiß, weffen man fidh von ihm und er fich von anderen
zu gewärtigen bat.‘ So babe fich der Aandelsgeift, der wie der Adelsgeift unge:
fellig fei, entwidelt. Beide — Engländer und Stanzofen — laffen ibren Volke:
dharalter aus der Eigenart ihrer Rultur ableiten. Sür uns taucht die Srage auf,
ob diefer angefchaffte Krationaldharalter erblich werden kann, oder ob er nur immer
wieder durch frübe Lebre und PDorbild erlernt werden muß. Man dürfte im leg:
teren Salle nicht vom Vollscharalter in dem von Rant zuerft gebrauchten Sinne
reden, trogdem er den Urgrund in die Stammopöllter verlegt.
o*
84 Dolt und Raffe. 1932, II
Was Kant von anderen Völkern fagt, will id) nur foweit zur Spradye brin=
gen, wie es feine Stellung 3ur Vererbung erfordert. inleitend fchidt er voraus,
daß die Flationaleigentümlichkeit der übrigen Völker aus der Anlage ihrer Llatur
durch Vermifhung ihrer urfpringlid) verfchiedenen Stämme abzuleiten fein
modte. „Der aus der Mifchung des europdifden mit arabifcdem Blute ent:
fprungene Spanier zeigt in feinem Sffentliden und Privatbetragen eine gewiffe
Seierlichkeit —“ und in feinem Gefhmad zum Teil außereuropäifche Abftammung.
Am Italiener hebt er hervor, daß das Temperament ungemifcht fei und eine Stim=
mung der Sinnlichkeit zum Gefühle des Erhabenen, fofern es zugleich mit dem
des Schönen vereinbart fei, zeitige. Die übrige Charakteriftit gibt die Züge des
Italieners an, die allgemein betannt find.
Den Deutfchen zeigt er 3unddft im günftigen Urteil des Englanders von
Hordamerila. Obwohl diefe und Rants perfonlide Wleinung über den deutfchen
Voltscharalter feffelnd genug ift, um fie bierber 3u fegen, will id nur cine Aus:
wabl bringen. ,,SGein Charalter ift mit Derftand verbundenes Pblegma, das
Pblegma (im guten Sinne genommen) das Temperament der falten Oberlegung
und Ausdauerung in Verfolgung feines Zwedes, im gleichen des Ausbaltens der
damit verbundenen Befdwerlidleiten.“ Man könne von feiner tiefnachdentenden
Dernunft foviel wie von jedem anderen der größten Rultur fähigen Doll er:
warten. Der Deutfche fei Großhändler der Belebrfamkeit, lerne mehr Spracden ale
andere, fomme im Selde der Wiffenfchaften zuerft auf mande Spur. Er babe einen
Vationalftols und bange ale Weltbürger auch nicht an feiner “seimat. Tadelns:
wert findet er feinen ang zum Llachabmen und die geringe Wieinung von fid,
orginal fein zu können. Rant felber vertritt leider auch die Anficht, daß die Bes
nialität der Deutfchen binter der anderer Völker gleicher Rulturböbe zurüdftebe.
Mit Spottluft geißelt Kant die Sucht der Deutfchen — und wie er meint ger:
manifchen Doölter überhaupt — nad Titeln und Rangordnung. Auch bier fpricht
er den Vererbungsgedanten aus. ss laffe fich dabei die Bemerkung nicht bergen,
daß doch das Entfteben der pedantifchen Sorm felber aus dem natürlichen Hange
der Deutfchen bervorgebe: „zwifchen dern, der berrfchen, bie zu dem, der gebordhen
foll, eine Leiter anzulegen, woran jede Sproffe mit dem Grade des Anfebens bes
zeichnet wird, der ihr gebührt“. Andern Völkern müffe das lächerlich vortommen.
Diefe Peinlichkeit und das Bedürfnis der metbodifchen Einteilung um ein Ganzes
unter einen Begriff zu faffen, verrate die Befdrantung des angeborenen Talents.
Von den Ruffen fagt er, fie feien das noch nicht, was zu einem beftimmten
Begriff der natürlichen Anlagen, welche fid zu entwideln bereit liegen, erfor:
dert wird.
Bevor er noch von Griechen und Armeniern fpricht, rät er zur Bebutfamleit
im Charalterifieren, da bier immer vom angeborenen natürlichen Ebaralter, der
fozufagen in der Blutmifhung der Wienfchen liege, die Rede fei, nicht vom ers
worbenen, künftlichen oder verktünftelten.
Wie dauerbaft fib Rant Eörperliches und geiftiges Raffenerbe vorftellt,
erbellt aus feinem Urteil über die Griechen. Er vermutet, daß ihre cbemalige
Sinnesart (Lebbaftigkeit und Leichtfinn) wie die Bildung ihres Leibes, ibrer Bes
ftalt und ihrer Befichtszüge nicht verloren gingen, fondern fich wieder heraus:
ftellen würden, wenn fie unter andere Lebensbedingungen kämen.
Unter den Armeniern berrfche ein Kyandelsgeift befonderer Art, der auf einen
befonderen Abftamm diefes Volkes binweife, deffen erfte Bildung wir nicht mebr
erforfehen können.
1932, II Olga Flippert, Einiges über Rants Anfidhten von Klaturgaben ufw. 85
———— ———— er Te er re u u BE re]
Ebenſo wie die geniale Veranlagung des Einzelweſens eroͤrtert Rant die
Genialitaͤt der Nationen. Nach Rant ſcheint das Genie auch nach der Verſchieden⸗
beit des Bodens, dem es angeboren iſt, verſchiedene urſpruͤngliche Reime in fich
zu haben und ſie verſchiedenartig zu entwickeln. „Es ſchlaͤgt bei den Deutſchen
mebr in die Wurzel, bei den Italienern in die Rrone, bei den Franzoſen in die
Bluͤte, und bei den Englaͤndern in die Frucht.˖ Wenn es ſich in der Tat fo vers:
haͤlt, wie Rant in dem unvergleichlich ſchoͤnen Bilde andeutet, dann waͤre es ver⸗
ftandlid, daß ein Univerfalgenie vielfach Züge körperlicher und geiftiger Art vers
fhiedener, aber auf gleicher Entwidlungsftufe ftebender Stämme trägt. Diefe
Erfabrungstatfadhe fchließt erft recht die Reintultur edler Raffen im übrigen in
fih. Auch dafür fest fid Kant ein: ,,foviel ift wohl mit Wabrfcheinlichkeit zu
urteilen, daß die Dermifchung der Stämme (bei großen Eroberungen), welche
nach und nach die Charaktere auslöfcht, dem Wienfchengefchlechte alles vergeblichen
Pbilentbropismus ungeachtet nicht zuträglich fei“.
Zum Charakter der Raffe nimmt Kant ebenfalls das Wort. Er bezieht fich
dabei anfanglid auf die Schrift Girtanners, der Rants Grundfage uber Raffen
erläutert und erweitert bat. ier aber will Rant nod) etwas von Darietdten oder
Spielarten anmerten, die fic in ein und derfelben Raffe beobacten laffen. Wenn
man anndbme, die Klatur babe in der Zufammenfchmelzung verfchiedener Raffen
eine Deräbnlichung beabfichtigt, fo irre man fid. Gerade das Gegenteil fcheine
fie fib zum Befesy gemacht zu haben; denn fie laffe die Charaktere in einem Volke
gleicher Raffe nicht fortgefetgt fich näbern, bis endlich nur ein und dasfelbe Abbild
beraustomme, vielmehr vervielfältige fie in demfelben Stamme und gar in der
nämlichen Samilie im Rörperlichen und Geiftigen bis ins Unendliche. Zwar faßt
Rant den Begriff Raffe weiter, als es gegenwärtig gefchiebt, und wir wiffen
beute, daß mandye Vielfältigkeit des Korperliden und Geiftigen in einer Samilie
dern Auffpalten verfchiedener Raffenelemente zuzufchreiben ift, andrerfeits müffen
wir ibm darin beipflichten, daß alle Sormen der Wenfchenzeugung erfchöpft fein
würden, wenn die Rinder nur eine Wiederholung der Eltern waren. Kant fiebt
in der Verfchiedenbeit der Einzelwefen ein Mittel zur Auffrifcbung der Srucht-
barkeit in Paarungen, wodurch die Klatur die Sortpflanzung davor bewahre, ins
Stoden zu geraten. Als Beweis für die Sormenfülle der Wienfchengattung er-
waͤhnt Rant das afdblonde “yaar, wie es von Anthropologen, die cine oftbaltifcbe
Raffe annehmen, für diefe angegeben wird. Rant fpricht gegen die Anficht, als
ob es fich bier um ein Ergebnis der Mifchung bandele. Im felben Abfchnitt
bringt Rant Wichtiges über Weltanfcbauungsfragen in ihrer Bedeutung für die
Raffenbygiene. Jm Plane der Katur wirkte böchfte und unerforfchliche Weisheit
durch das Mittel der Zwietracht zur VDervolllommnung der WMenfchen in fort:
fchreitender Kultur mit mancher Aufopferung der Lebensfreuden desfelben. Eine
idealiftifhe Weltanfchauung, die Opfer bringen kann, gilt auch gegenwärtig zur
Sörderung und Erreichung raffenbygienifcher Ziele für erforderlich.
Welde Erbguter halt nun Rant für ausfchlaggebend in der Gattung
Menſch? „Unter allen Erdbewohnern ift der Menfch durch feine technifche (mit
Bemwußtfein verbundene mechanifche) zur ABandbabung der Saucen, durdy feine
pragmatifche (andere Wienfchen zu feinen Sadyen gefchidt zu gebrauchen) und die
moralifche Anlage in feinem Wefen (nach dem Sreibeitsprinzip unter Gefegen
gegen fich und andere zu handeln) von allen Mlaturwefen kenntlich unterfchieden,
und eine jede diefer drei Stufen kann für fichb allein febon den !Wenfchen zum
Unterfchiede von anderen Erdbewohnern charakterifieren. Dank diefer Anlagen
86 Volt und Kaffe. 1932, II
kann fi das menfchliche Befchledht nur durch Sortfchreiten unabfeblich vieler
Benerationen zu feiner Beftimmung emporarbeiten.“ Cin hdberes Ziel werde ihm
natürlich immer nody vorfchweben, öfter werde er auch auf feinem Wege gebemmt,
aber nie ganz rüdläufig werden. Diefe boffnungsfrobe Ausfidt, die uns Rant
damit eröffnet, Bann nach 150 Jahren noch heute jedem zum Anreiz werden, wenn
es fcheint, als ob vielfach eine rüdläufige Bewegung im Lmporarbeiten im
Gange fei. Denn erbtüdhtige Stämme fterben aus, Straftaten bäufen fi in
allen Doltskreifen, die Jrrenbäufer find überfüllt. Die Menfchengattung könne
felbft Schöpferin ihres Blüdes fein, wenn fic aud nicht mit Beftimmtbeit aus
ibren Ulaturanlagen fagen laffe, daß fie es unbedingt fein wird. Doc Erfahrung
und Befchichte deuten darauf bin. Alle Erkenntnis bleibt nur das Dorfpiel in der
Zielftrebigkeit. Wenn der Einficht die Tat folgen foll, müffen ftärkere Antriebe
mithelfen, als fie vom VDerftande ausgeben: der Opferwille, dec fic beim Art
gefunden in der Gründung einer Samilie zeigt und in der Aufzucht einer genügend
großen Rinderfchar und der Öpferwille zum Verzicht auf Ehe und Kinder von
feiten der Mitglieder erblid) belafteter Samilien dürfen nicht fehlen, wenn nicht
alles Wiffen um die Erbgefundbeit obne Erfolg bleiben foll. Auf die enge Der:
tnupfung der Weltanfdauung mit Sragen der Rafjenbygiene gebt übrigens auch
der betannte Raffenbygieniler Prof. Dr. Sritg Lenz, München, ein in feinem Hand⸗
budy über „Wenfchliche Auslefe und Raffenbygiene“. Und Kant gebört unter die
Vorläufer der Rafjenbygieniter.
Die Burgunden in Schlefien und ihre Schidfale.
Don Dr. Ernft Peterfen, Breslau. |
Mit 6 Abbildungen.
au: fid) im erften vordriftliden Jahrhundert ganz Oftdeutfchland und weite
Teile Polens nach den Abzuge der als Baftarnen und Stiren erkannten älteften
oftgermanifchen Bevdllerung!) 3um zweiten Male mit germanifchen Siedlern
füllten, die diesmal vom Tlorden ber über die Gftfee einwanderten, brad für
Schlefien die wohl glanzvollfte Epoche im Verlaufe feiner ganzen vor: und
frübgefhichtlichen Entwidlung an. Gefchichtliche Quellen und eine Unzabl von
1) Tadenberg, Die Baftarnen, Doll und Kaffe IV (1929), 3. 232 ff. Es ift febr
bedauerlich, daß der in diefer Zeitjchrift fchon mebrfach genannte Profeffor der Vorgeicichte
an der Univerfität Pofen, I. Roftrzewfti, fidh immer no nicht bat entfchließen können,
die jabrhundertelange Befiedelung Oftdeutichlande und Polens mit oftgermanifchen Stämmen
zuzugeben, obwohl die bier berangezogenen neueren Arbeiten Bar erwiefen baben, daß feine
nody niemals wifjenjchaftlich ausreichend begründete Annahme einer urflawifchen Bevöls
ferung in den genannten Bebieten auf Seblfchlüffen berubt. Auch in feinen jüngften Außes
tungen zu den — Fragen nimmt er fuͤr die oſtdeutſch⸗polniſche Geſichtsurnen⸗
Steintiſtenkultur — von Tackenberg als baſtarniſch⸗ſkiriſch erwieſen — ein baltiſches Volks⸗
tum an, waͤhrend er die ſeit dem 3. Jahrh. vor Chr. auftretende Rultur germaniſchen
Charakters ſogar an die von ihm fuͤr ſlawiſch gehaltene „lauſitziſche“ Rultur anſchließt.
Der einhellige Widerſpruch, den jedoch ſeine Anſchauungen vor allem auch von ſkandina⸗
viſcher Seite gefunden haben, berechtigt uns, auf eine erneute Auseinanderſetzung mit
Roſtrzewſki zu verzichten, ehe nicht eine wiſſenſchaftliche Begrundung ſeiner Anſchauungen
im Druck erſchienen iſt und eine Eroͤrterung erfolgverſprechend macht.
1932, II enft Deterfen, Die Burgunden in Sdlefien und ihre Scidfale. 87
aL a a a a ETI TR TE LIL EES
Bodenfunden betunden übereinftimmend, daß das Land damals zum Rerngebiet
de8 mächtigen oftgermanifchen Wandalenvolles wurde und damit fünf Jahr:
bunderte rubiger tultureller und politifcher Aufwärtsentwidlung erlebte, deren
legte Erinnerung fich noch in dem heutigen Klamen „Schlefien‘“ widerfpiegelt 2).
Fleuere Sorfchungen 3) haben es wahrfcheinlich gemacht, daß die Wandalen aus
ordjütland und angrenzenden Teilen Dänemarks und der flandinavifcben Halb⸗
infel gelommen find und mit ihrer alten Heimat noch eine Zeitlang Beziebungen
unterbalten haben. Seit Chr. Geb. im unbefdrantten Befige des größten Teiles
von Ober: und Fliederfchlefien und des füdlichen Polens feftigten fie dann ihr
Reich, in dem eine lennzeidnende wandalifde Kultur erwuche, deren wichtige Der:
mittlerrolle unter den umwmobnenden Germanen vielfeitige Ausftrablungen und
felbftändig verarbeitete Anregungen von außen in gleichem Mage erweifen.
Als jedod) nach Beginn der fpätrömifchen Raiferzeit alle germanifchen Völker
ibre zeitweife etwas zur Rube geLommene Wanderbewegung wieder aufnahmen,
muß ficdh ein weiteres oftgermanifches Dolkt mit beträchtlichen Teilen im ndrd-
lichen Abfchnitte Lliederfchlefiens anfäffig gemacht haben. Die antiken Schriftfteller
baben uns von diefem Dorgange keinen Bericht binterlaffen, blieb ihnen doch im
wefentlichen der Einblid in die verwidelten Befiedlungsverhaltniffe Oftgermaniens
verwehrt; jedoch können wir in großen Zügen heute die ebenfo eindringliche
Sprache der Bodenbefunde deuten und auf diefe Weife erfahren, „wes iam’ und
Art die neuen Bewohner diefer Gegend waren.
Zu Beginn der eigentlichen germanifchen Völkerwanderung, im Anfang des
erften vordriftliden Jahrhunderte, als die Wandalen in der Gegend der Oder:
mündung ibren Schiffen entftiegen, um nunmebr ibre Hofe auf dem neuen Rolo:
nialboden zu errichten und fich bier eine neue Heimat zu gründen, folgten ihnen
noch mebrere andere Völker reifiger Germanen, deren altes Siedlungsgebiet gleich:
falls die anwadfenden Menfchenmajffen nicht mehr zu ernähren vermochte. Unter
ibnen ragten die Burgunden bervor, von Plinius „Burgundiones“ genannt,
die auf der Karte des Prolemäus als „bourgountes“ etwas füdlich der Oftfeeküfte
zwijdhen Öder und Weichfel fizend angegeben werden. Der Hauptteil des Volles
ftammte, was fowohl der fpracdhlide Gleihllang „Burgundensdurgundar:
bolmt“ ?), als auch vor allem die archäologifchen Sunde bekräftigen, von der Oft:
feeinfel Bornholm. Daneben dürften jedod) aud) Bevdllerungsteile aus dem
fcbwedifden Seftlande an der Wanderung beteiligt gewefen fein, die dann fpäter
mit dem KHaupt(tamme verfehmolzen find. Raum batten die neuen Siedler im
nördlichen Teile KHBinterpommerns und Weftpreußens feften Suß gefaßt, als fie
ibren Siedlungsraum bereits beträchtlich nad Süden und Südoften ausdebnten.
Sie trafen dabei bald auf die nördliche Gruppe der Wandalen, deren Gebiet fie
in zwei Teile trennten, wobei fie fib durch das weftpreußifche Weichfelland, den
nördlichen Teil von Pofen und das nordweftliche RongreBpolen vorfdoben, wab-
rend fie weiter weftlich die KTeumart gewannen. Überall in diefen Gegenden finden
wir zu diefer Zeit die Bennzeichnenden burgundifchen Sriedbhöfe, die faft ausſchließ⸗
lih aus „Brandgrubengräbern‘ befteben, jener Beftattungsart, bei der die ver:
brannten Rnodyen des Toten nebft feinen Waffen, Geräten, Schmudfacdhen und
2) Peterfen, Die Wandalen im Spiegel der oftdeutfchen Bodenfunde, Volt und
Kaffe IV (1929), S. 34 ff.
3) pon Ridtbofen, Jur Herkunft der Wandalen, Altfblefien III, 3. 21 ff.
I) alter Klame far Bornholm, nod im 13. Jabrbundert zulegt nachgewicfen.
88 Dolt und Kaffe. 1932, II
den Reften des Scheiterhaufens in einer Umbüllung aus vergänglichem Stoffe,
jedoch ohne die fehütende Urne aus Ton, beigefegt werden. Zwar ift die Brand:
grubenbeftattung, wie wir wiffen, auch den Wandalen nicht fremd, ein gewich-
tiges Zeugnis für die engen verwandtfchaftlichen Beziebungen zwifchen beiden
Völkern, doch tritt fie bei ihnen nicht fo vorberrfchend auf, fondern wird zeit-
weife fogar von der Urnens und Körperbeftattung faft völlig verdrängt.
Den weiteren Schidfalen des Burgundenvolles leuchtete nicht der glüdliche
Stern, der den füudlich benachbarten Wandalen zu ftändig wachfender Bedeutung
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Abb. 1. Cifenbeigaben von Gr.sReichenau, Ar. Sagan. */, (nad) Tadenberg, Wandalen).
auf immer ausgedebnterem Siedlungsraume verbalf. Denn nur etwea bundert Jabre
lang konnten fich die Burgunden der neu eroberten Kyeimat erfreuen. In den um
Chr. Geb. über See im Weichfelmündungsgebiet eindringenden Goten und Ge:
piden erwuchfen ihnen mächtige Gegner. Jbrem Anfturme mußten die Burgunden
in ibrem nordöftlichen Teile weichen, ja ibr im Weichfellnie wobnender Volks:
teil beugte fichb wabrfcheinlich der gotifchen Herrfchaft. So auf ein ftark verengtes
Gebiet befchränkt, wandte fich das Burgundenvolt nach Weften, zunächft im öft:
lichen „yinterpommern und dem Oftteil ser KTeumark und des eigentlichen Bran=
denburg zufammengedrängt. Eingekeilt zwifchen den mächtigen Staatswefen der
Boten und Gepiden im FTorden und der Wandalen im Süden mußte ces danach
trachten, vor allem gegen Welten zu, wo die verfchiedenen weftgermanifchen
Stämme feit Jahrhunderten fiedelten, Raum zu gewinnen. Diefe Möglichkeit
ergab fich fcbon an der Wende vom 2. zum 3. Jabrbundert nach Chr., als die
fuebifchen Semnonen den größten Teil Brandenburgs räumten und nach Süd:
1932, II Ernit Peterfen, Die Burqunden in Schlefien und ibre Scidfale. 89
——— — EEE ESSIG FESTER RL Ee
deutfchland zogen, wo fie bald als Alamannen den Römern entgegentraten?).
Ob es kriegerifcher Ausdehnungsdrang der Burgunden war, der den Anlaß zu
diefer Wanderung bot, oder ob fie nur in die freiwerdenden Gebiete einrüdten,
wiffen wir nicht, jedenfalls finden wir die burgundifche Weftgrenze im 3. Jahr:
bundert in der Höhe von Berlin wieder und begegnen audy zahlreichen burgundis
- {chen Grabfunden in der Lieder: und Oberlaufig, dem Oftteile des Staates Sachſen
und in der Gegend von Torgau an der Elbe®). Dod) audy jegt mug der Land-
bunger der Burgunden nody groß gewefen fein, denn nur fo ift es zu erklären, daß
|
Abb. 3. Cifendcigaben aus der burgundifden Brandgrube von Saltenberg, Ar. Boltenbain. */;.
—
—
ſie verſuchten, ſich vom Ende des 3. Jahrhunderts ab auch in ſchwach oder gar
nidt befiedelte Ceile Gchlefiens einzufchieben. Maier treten uns 3u der Feit, in der
im übrigen Schlefien die wandalifche Rultur in den Sürftengräbern von Sacrau
ibren Hshepunlt erreicht bat, eine ganze Anzahl von Brabfunden entgegen, die
swear mit dem Sormentreis der wandalifden Altertumer den allgemeinzoftgers
manifden Charalter teilen, in den Cingelbeiten jedoch mit demjenigen Rulturgut
übereinftimmen, das die Sorfcehung feit geraumer Zeit den Burgunden zufchreibt.
Die am längften belannten von diefen Sunden ftammen aus der preußifchen Ober:
laufit, und zwar aus der Gegend um Gorlig; andererfeits findaud aus den Kreifen
Sagen, Bunzlau und Löwenberg, den nordweftlichen Teilen des eigentlichen FTieder:
fchlefien einige Altfachen burgundifchen Charalters bekannt, die fich der Gruppe der
niederlaufigifchen Burgundenfriedhöfe zugefellen. Alte hierher gebörigen Sundftüde
befchränten fic auf einen Beinen Sormenvorrat eiferner Waffen und Gerate, der
5) Vgl. hierzu Matthes, Die ndrölihen Elbgermanen in fpätrömifcher Zeit (Leipzig
1933), 3. 6) ff.
6) 3.3. Rranichau, Ar. Torgau; nad fröl. Mitteilung von Dr. ©. $. Gandert in
Goͤrlitz.
90 Volt und Kaffe. 1932, U
troß engfter Derwandtfchaft mit gleichzeitigem wandalifchem Sundftoff feine kenn=
zeichnende burgundifche Eigenart befigt. Zwar ift bei keinem diefer Sunde eine
wiffenfchaftlicdde Beobachtung bei feiner Auffindung gemacht worden, doch darf
man annehmen, daß cs fic bei allen um Beigaben aus Brandgrubengräbern bans
delt, um fo mehr, als in keinem Salle Befäßrefte erhalten geblieben find. Unter
den Begenftänden felbft fallen vor allem fünf eiferne Schaftlodhärte”), Abnlich
dem Stüd in Abb. 3 unten, ins Auge. Sie ftammen aus Jauernid, „yennersdorf
und Z0del, Ar. Börlig, fowie aus Alt Rleppen, Rr. Gagan. Mit geringen Abs
weichungen vertreten fie einen einheitlichen Typus; fie find einfchneidig bei leicht
verbreiterter und wenig gewölbter Schneide, verbreiten fich nach rüdwärts und
tragen dort ein ziemlich langes, fhmales Schaftloh. Die Art von Alt Rleppen
befigt am Uladen nod cinen fdmalen Sortfag, der auc in unferer Abb. 3 wieders
kehrt. Im Zufammenbange mit diefen Waffen fteben Lanzenfpitgen, ein Schilds
budel, ein Sporn, ferner eine Schere, Meffer und einige eiferne Sibeln ale Schmud:
ſachen. Mehrere der erwähnten Beigaben ftammen aus einem leider aud uns
fahgemäß gehobenen Grabfunde von Grog Reichenau, Kr. Sagan, wo fie in
einem — wobl aud burgundifchen — Mannergrabe zufammengelegen baben
werden (Abb. 1). Mute man fron mit Rüdficht auf diefe Eifengegenftände für
das Ende der römifchen Raiferzeit mit einer burgundifchen Befiedelung der an
die fächfifche Oberlaufitz und die brandenburgifche Fiederlaufig angrenzenden Ge:
biete rechnen, fo war es von nod größerer Bedeutung, daß auch fehr viel tiefer
im Innern Schlefiens ein burgundifches Brandgrubengrab nachgewiefen werden
konnte. &s kam bei Saltenberg, Ar. Bolkenbain zutage und enthielt wiederum eine
größere Anzahl eiferner Begenftände (Abb. 2), die nach den Auskünften der Sinder
zufammen in einer f[hwarzen, bolztohlebaltigen Grube beigefegt waren. Die reiche
Ausftattung mit Waffen beweift, daß wir ein Rriegergrab vor uns haben; drei
mehr oder minder gut erhaltene, fchlante Lanzenfpigen liegen vor, ferner Schere,
Meffer, Scildfeffel, Gürtelfehnalle und eine Anzahl Befchlagftüde, die böchft:
woabhrfcheinlih zu einem der in germanifchen Gräbern häufigen Holzeimer ge=
hören. Ein fpäter gefundener Seuerftabl (nicht mit abgebildet), der mit einer Ofe
am Gürtel des Mannes befeftigt war, vervollftändigt die in ihren wichtigften
Stüden offenbar gerettete Ausrüftung des Toten.
Worin unterfcheidet fid nun der Brabinhalt von dem gleichzeitigen wans
dalifchen Rulturgute? Sehen wir von der Art der Beftattung in einer Brandgrube
einmal ab, fo ift vor allem die Lanzenfpige mit langem und fdmalem, fcdarfgratis
gem Blatte bier zu beachten, die in gleichzeitigen wandalifchen Sunden ungewöhns
lich wäre. Serner ift das aus Meinen albbdogen beftebende Rüdenornament an dem
Meffer (Abb. 2, links) zwar für die fpäte römische Raiferzeit allgemein Eennzeichs
nend, bei den Burgunden jedoch befonders oft anzutreffen. Auch die ovale Lifen:
fehnalle mit treuzformigem Dorn (Abb. 2, rechts unten) wirkt unwandalifch.
An letzter Stelle verdienen die Eimerbefchlagteile befondere Beachtung. Sie
unterfcheiden fih von den wandalifcben einmal durch die Sorm (vgl. Volt und
Raffe 1929, S. 42, Abb. 16), fodann aber durch das für fie zur Verwendung
tommende Kifen, das bei den Wandalen in der Zeit um 300, in welche unfer Grab
*) Zwar glaubte KIeedon auf Grund diefer und dbnlicher Arte aus der Oberlaufig
langobardifhe Stammeszugebörigkeit der zugebörigen Rultur annehmen zu müffen, doc
dürfte diefer Derfuch durch M. Ichns Ausführungen in der GdgesSeftidrift (Leipzig 1925)
S. 194 ff. ein für alle Male als erledigt betrachtet werden, auch trog fpäterer Entgegnung
von !FTeedon.
1932,1I €renft Peterfen, Die Burqunden in Schlefien und ibre Sdidfale. 91
a aaa a a a
gehoͤrt, bereits von der anſehnlicheren Bronze abgeloͤſt worden war. Die uͤbrigen
Beigaben koͤnnten, was bei der engen kulturellen Gemeinſchaft der Oſtgermanen
aber nicht verwunderlich iſt, gut aus einem wandaliſchen Grabe ſtammen.
Wenn auch die bisher erwaͤhnten Funde als Außenpoſten des geſchloſſenen
burgundiſchen Siedlungsgebietes für deffen Abgrenzung von genügender Bedeus
tung find und der Sallenberger Sund, weit vorgefchoben in das Randgebiet der
Sudeten, Har erweift, daß fich die landhungrigen Burgunden in jede freigebliebene
Siedlungslüde einzwängten, fo handelt es fid) bei ibnen dod) immer um einzelne
Gräber, die den ausgedehnten wandalifchen Sriedhdfen aus Schlefien nicht recht
die Waage zu halten vermögen. &s wäre jedoch irrig, annehmen zu wollen, daß
nur Bleine burgundifche Volksfplitter in Schlefien gewohnt haben. „yierfür ift eine
widtige Entdedung aus dem Jahre 1930 ein befonders beredtes Zeugnis, der:
zufolge der erfte burgundifche Sriedbof Schlefins 3. T. unterfucht werden
tonnte 8).
Der Sundort, Schertendorf, Rr. Grünberg, nordweftlich der belann:
ten jchlefifchen Weinftadt gelegen, reibt fich wiederum dem feit langem belannten
Siedlungsraume der Burgunden in der brandenburgifchen Lliederlaufig an, läßt
jedoh daneben fhon jet Mar erkennen, daß größere burgundifche Anfiedlungen
auch auf fchlefifchenm Boden beftanden haben müffen. Die bisher vorgenommenen
Grabungen auf einem Meinen Gelände baben fhon zur Sreilegung von einem
Dugend Gräbern geführt, und es fteht außer Zweifel, daß der ganze Sriedhof noch
keineswegs erfchöpft ift. Auf dem Schertendorfer Graberfeld wird nun die tule
turelle Scheidung zwifchen Burgunden und Wandalen befonders deutlich; ge:
lang es doch im Begenfatge zu den vorber erwähnten Sunden, diesmal nicht nur
reiche Metallbeigaben, fondern auch eine reiche Auswahl an Tongefäßen zu ber:
gen, eine Sundgattung, die infolge ihrer bodenftändigen Herftellung in allen vor:
gefbichtlichen Zeitftufen den GBefchmadsrichtungen engbegrenzter Bevdllerungs:-
teile befonders ftart unterworfen ift und fic daber zur Abgrenzung ftammlich
gebundener Rulturen in bervorragendem Maße eignet.
Das Schertendorfer Graberfeld zeigt bei weiten überwiegend die den Bur:
gunden eigentümliche Beftattung in Brandgruben. Die meiften diefer Gräber
enthalten die Refte von Mannern, wie die zahlreichen Waffen erweifen, zu denen
noch weiteres Gerät des Mannes, wie Seuerftable, Scheren und ein Rafiermeffer
(Abb. 3) tritt. Den wenigen inmitten des Sriedbofes beftatteten Srauen batte man
Eennzeichnende Srauengeräte, wie Krähnadeln und Spinnwirtel mit ins Grab ges
geben. Die Eifenbeigaben find infolge des Ausglübens auf dem Sceiterbaufen
meift trefflich erbalten, während die wenigen Refte aus Bronze und anderen Stoffen,
wie Rnoden, nur in Brudftuden auf uns gefommen find. Don den Waffen des
Mannes find vor allem zwei eiferne Arte bervorzubeben, von denen die eine (Abb. 3)
befonders gut erbalten ift. Weiterhin find Pfeilfpigen, Scheren (Abb. 3 Mitte),
Seuerftable (Abb. 3, rechts), ein Rafiermeffer (Abb. 3, rechts), fowie mebrere andere
Meffer für Wöännergräber Eennzeichnend. Auch ein eiferner Pfriemen dürfte zum
Handwerkszeug eines Mannes gebört haben. Unklar ift die Derwendung eiferner
Yladeln, an deren oberem Scyaftende eine Drabtöfe nebft darin hängenden Beichlag:
ftüd bäufig zu gewabren ift. Jentfch ?) barg ähnliche Geräte mehrfach in dem Sricd:
5) Peterfen, Das erfte burgundifche Bräberfeld aus Schlefien. Sorfchungen und
Sorticritte VII (1933) S. 382.
*) Das Gräberfeld bei Sadersdorf im Rreife Buben. Yliederlaufiger Mitteilungen IV
(1395), Taf. IV, 1—2.
92 Volt und Kaffe. 1932, II
bof von Sadersdorf, Ar. Guben Y7.:£.; man findet fie 3. T. als ,,Catauter-
nadeln“ erklärt, doch kennen wir fonft nichts, das auf diefen Brauch bei den Ger:
manen fcbließen ließe. Auf jeden Sall aber kommen äbnliche Geräte befonders
baufig auf burgundifden Sriedböfen vor, wenn fie auch in Schlefien und
Böhmen innerhalb anderer germanifcher Kulturen nicht gänzlich feblen. Wen:
den wir uns der Grabausftattung der Srau zu, fo finden wir bier YTäbnadeln
und Spinnwirtel, fraglos weibliche Geräte, mebrfach vertreten; dagegen bat
man Gürtelfchnallen einfacher Art, von welchen aus Schertendorf auch mebrere
vorliegen (Abb. 3, links), ficher ebenfogut für die männliche, als die weibliche
Abb. 3. Cifenbeigaben aus burgundifhhen Gräbern von Scertendorf, Kr. Grünberg. */>.-
Kleidung gebraucht. Die Gräber von Srauen pflegen in den meiften Sriedböfen
der Vorzeit durch reihe Schmudbeigaben ausgezeichnet zu fein, und auch bei den
Germanen ift diefe Beobachtung oft gemacht worden. In Schertendorf berrfchen
andere Derbaltniffe; denn felbft, wenn man die im Seuer arg mitgenommenen Refte
von Glasperlen und Knocentammen als weiblicdhen Schmud anfiebt, ift der
Mangel an größeren Schmudftüden in den Srauengräbern auffällig genug. Dor
allem vermiffen wir Sibeln vollftändig, die in einfacherer Ausführung in senners-
dorf, Ar. Görlitz, vertreten find, wabrend das burgundifce Graberfeld von Litten
bei Baugen in der Oberlaufi, fogar eine prachtvolle Silberfibel im Stile der
ibönen Shmudftüde aus den wandalifchen Rönigsgräbern von Sacrau bei Bres-
lau geliefert bat. Überhaupt tritt uns an den Beigaben unferes Sriedbofs weniger
Schmud oder Derzierung entgegen, als wir es fonft gewobnt find, doch werden
wir durch eine Külle gefcbmadvoller Erzeugnifje burgundifcher Keramik reich»
lih belobnt. Troßgdem, wie eingangs betont, die Sitte der Brandgrubenbeftat:
—— Vu. Zu eee Naar en
——
1932, II Ernft Peterfen, Die Burgunden in Sdlefien und ibre Scyidfale. 93
tung der Erbaltung von Tongefäßen dußerft verderblicy ift, liegt aus Scherten-
dorf eine ganze Reibe guterbaltener und reich verzierter Gefäße und größerer
Gefäßrefte vor, die uns einen guten Einblid in die burgundifche Töpferei und ihre
bejonderen Merkmale bietet. Drei Hauptgruppen von Gefäßen vermögen wir auf
den erften Blid zu unterfcheiden: Zunächft einige robe Töpfe oder Eleine Mapfe
obne jegliche Verzierung (Abb. 4, binten links), ferner Schalen mit fteilem, leicht
getebltem Hals, die auf der Schulter eine einfache, 3. T. plaftifche Verzierung
tragen (Abb. 4, vorn), beide Arten aus freier Mand geformt. An dritter Stelle
ftebt fodann eine größere Anzabl auf der Töpferfcheibe gearbeitete Schalen,
> DEE “ - -
Abb. 4. Gefäße aus burgundifchen Gräbern von Schertendorf, Kr. Grünberg. */,.
deren Verzierung aus waagerecht umlaufenden Leiften und bisweilen einer Art
Saltung der Wandung beftebt (Abb. 4, rechts und links). Bänzlich aus dem Rab:
men des Üblichen fällt die große bandgearbeitete Sußfchale mit drei Henkeln auf
Abb. 4, Mitte, die in ıbrem Aufbau und ibrer aus Strichen und Dellen beftebenden
Verzierung auffallende Abnlichkeit mit den drei großen Prachtgefäßen aus den
Rönigsgräbern von Sacrau zeigt. Legtere find gleichfalls aus freier Hand gez
formt, obwobl fonft auch in Sacrau die gedrebte Tonware überwiegt.
Gerade die gedrebte Keramik ift es nun, die uns im Verein mit einer Reibe
von Beigabenformen wertvolle Singerzeige für die Ermittelung der Zeitftellung
unferes Schertendorfer Sriedhofes an die and gibt. Gleich den Wandslen baben
auch die Burgunden im Laufe des 4. Jahrhunderts nach Chr. von den Töpfer:
wertftätten der römifchen Provinzen die fcbon etwas früber bekannte Herſtellung
ibrer feinen Töpferware auf der Drebfcheibe völlig übernommen und ficb nun
daran gemadt, — ein Vorgang, der in der germanifchen Kultur immer von
neuem deutlich wird —, die von Süden gelommenen Dorbilder dem eigenen Sor:
menfchag einzugliedern. Wäbrend die Wandalen vorzugsweife den bellgrauen
und fchwarzen Ton für ihre gedrebten Gefäßformen verwandten und außer Suß:
fchalen befonders große eiförmige Töpfe mit flachem Rande, die fogenannten
„Araufen“ verfertigten, feben wir, wie bei den Burgunden in erfter Linie eine
weitmündige Schalenform in der neuen Technik bergeftellt wird, zu der dann meift
ein feiner bellgelber Ton benugt wird. Pflegen die Wandalen ibre Gefäße gern
mit Stempel» und eingeglätteten Surchenmuftern zu fehmüden, jo gewinnen bei
der burgundifchen Keramik die waagrecht umlaufenden Leiften eine befondere Be:
deutung, und lediglich die Wellenlinie ift beiden Völkern gemeinfam. in
Blid auf unfere Abbildung 6 zeigt, daß auch in der ©berlaufig gefundene bur:
94 Dolt und Raffe. 1932, II
gundifche Gefäße mit dem aus dem Schertendorfer Sriedbofe ftammenden kerami:
fchen Material weitgebend übereinftimmen, und ein Heiner, gedrebter Becher mit
waagrecht umlaufenden Leiften wie Abb. 4 zeigt uns eine ebenfalls aus Sdyer-
tendorf befannte Gefäßform aus dem Gräberfelde von Wilbelmsau Kr. YTieder:
barnim in Brandenburg und mag bier als Zeugnis für den einbeitlichen Charakter
der burgundifchen Altfachengruppe Platz finden. Das Vorberrfchen der gedrebten
Tonware in Verbindung mit der Sorm der Metallbeigaben ergibt die für weitere
Schlüffe fo wichtige Zeitftellung unferer fchlefifchen und der bier behandelten Bur-
Abb. 8. Gefäßrefte und Eıfenbeigaben aus einem burgundifchen Grabe von Luppa (Überlaufig).
(Nah Seftfcbrift zur 25: Jabrfeier der Gef. f. Vorgefbichte und Gefdhidte d. Oberiaufig 1926.) 4/5.
gundenfunde. Sie alle können kaum vor 300 nach Chr. in die Erde gelangt fein
und ftellen dengemäß die Kyinterlaffenfchaft von Bevdlkerungsteilen dar, die noc
im 4. Jahrhundert die genannten Gegenden befiedelt haben. Sämtliche Gebiete,
in welchen die Burgunden in der jüngeren Raiferzeit Zuß gefaßt haben, nämlich
der größte Teil Brandenburgs, der Sreiftaat Sachfen — insbefondere die fäch-
fifche Oberlaufig, aus der der Grabfund auf Abb. 5 als Beispiel vorgeführt
fet — und die preugifce Oberlaufig nebft den angrenzenden feblefifchen Kreifen,
baben nun Grabfunde aus dem 4. Jabrbundert geliefert, ja in Schlefien, das
wir bier in erfter Linie bebandeln, kennt man burgundifche Altertümer über:
baupt nur aus diefer Zeit, denn der ältefte fchlefifche Burgundenfund, das Grab
aus Salkenberg, ift, wie erwäbnt, um 300 anzufegzen. Daraus ergibt fi eine
wichtige biftorifche Solgerung, die mit der Abwanderung des Burgundenvoltes
aus feinen oftdeutfchzmitteldeutfchen Wobnfigen zufammenbängt. Wie erft vor
kurzem £. Schmidt 19) wieder betonte, nimmt die Gefchbichtswiffenfchaft febon für
10) Gefchichte der germanischen Srübzeit (Bonn 1925), S. 2063.
— —
2
1932, II «rnit Peterfen, Die Burgunden in Schlefien und ibre Scidfale. 95
EEE ZT u eee ee eS u En EEE un Er Fr EEE ZEN,
die Mitte des 3. Jahrhunderts die Räumung der burgundifchen Gebiete in Branz
denburg und der Laufit an, während andererfeits eine ganze Reibe archäologifcher
Zeugniffe erkennen laffen, daß es fich zu fo früber Feit nur um eine Teilwande-
rung gebandelt haben kann, wogegen ein beträchtlicher Teil des Volkes noch bis
in das 4. Jahrhundert hinein in der alten Heimat verblieben ift, fogar in den ge-
nannten Teilen Schlefiens noch FTeuland binzugewonnen bat. Der Grund für die
Annahme einer früberen Abwanderung nah Suödweften ift darin zu fuchen, daß
fhon gegen Ende des 3. Jahrhunderts Burgunden in der Meingegend auftreten.
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Abb. 6. Burgundifche Gefäße aus der Oberlaufig.
(Ka Setfchrife zur 25: Jabrfeier der Gef. f. Dorgefdicdte und Gefdidte d. Oberlaufig I926.) twa !/,.
Dies mögen, wie es ja auch dem Vorgang der Wanderung anderer germanifcher
Stämme entfpricht, die Vortrupps des ganzen Volkes gewefen fein, die ibre
Landsleute nach gelungener Landnabme zum Aufgeben ibres alten Gebietes zu
beftimmen vermodten.
Don dem gleichen wechfelvollen Schidfal, das den Burgunden nach Aus:
weis der archäologischen Sunde in Oftdeutfchland befchieden gewefen ift, berichten
uns auch für die Solgezeit die gefchichtlichen Quellen, die fich erft vom Ende des
4. Jabrbunderts an in ftarkerem Wiaße mit unferen oftdeutfchen Auswanderern
zu befchäftigen beginnen. Aus der Zeit um 370 vermelden fie einen beftigen Rampf
zwifchen Alamannen und Burgunden um die Salzquellen in der Umgebung von
Schwäbifchzyall. Im Jabre 406 feben wir dann Wandalen und Burgunden,
die einftigen Grenznachbarn, Schulter an Schulter den Rhein überfchreiten und
in Gallien einfallen. Es folgt die Eroberung der Städte Mainz und Worms,
deren Befitz fich die nun zu römischen „Söderaten“ gewordenen Burgunden von
Raifer Ronftantin III. beftätigen lafjen. Doch bald fchliegen fie fich defjen Gegen:
Baifer Jovinus an und erneuern dann 413 den Vertrag mit Raifer SHonorius. Aus
diefer Feit ift uns als erfter Burgundentönig Gundabar überliefert, der aus
den Gefchlechte der Gibikunge bervorgegangen war. ach einem mißglüdten
Vorftoß gegen die nördlich angrenzende Provinz Belgica wurden die Burgunden
96 Volt und Kaffe. 1932, 1I
EEE a a —
dann im Jahre 430 von einem hunniſchen Heere vernichtend geſchlagen, das der
roͤmiſche Heermeiſter Aetius gegen ſie ausgeſandt hatte. Die Erinnerung an dieſes
Ereignis, bei dem der Roͤnig mit ſeiner ganzen Sippe und dem groͤßten Teile ſeines
Volkes den Tod finden, hat ſich in dem uͤbriggebliebenen Volksteile noch lange er⸗
halten und bildet den geſchichtlichen Rern des Nibelungenliedes. Der Reſt des Bur⸗
gundervolkes wird ſpaͤter von Aetius am Rande der Weſtalpen zwiſchen Genf
und Grenoble erneut angeſiedelt und ſchließt ſich unter einem neuen Roͤnigsge⸗
ſchlecht zu einem Reich zuſammen, deſſen Heerbann unter Gundovech auf weft:
gotiſch⸗roͤmiſcher Seite im Jahre 451 in der Voͤlkerſchlacht auf den Ratalauni⸗
ſchen Gefilden bei Troyes gegen Attilas Hunnenſcharen im Rampfe ſteht. Zwi⸗
ſchen 470 und 420 befindet ſich das wieder erſtarkte Reich auf der Hoͤhe feiner
Macht und erſtreckt ſich von der mittleren Schweiz bis an das Mittellaͤndiſche
Meer, im Oſten von den Alpen, im Weſten von der Rhone begrenzt. Doch bald
entfteben innerbalb des regierenden Befchlechtes Erbftreitigkeiten; 501 kämpfen die
Burgunden gegen den Srantentönig Cblodevcdh, treten jedoch dann auf feine Seite,
um mit ibm zufammen das mächtige Oftgotenreich Theoderiche d. Gr. anzufallen.
Im Sticdy gelaffen von den Sranten miffen fic die Burgunden endgültig von der
Rüfte des Mittelmeeres abdrängen laffen, bis fie dann etwas fpäter im Verbande
de8 immer mächtiger gewordenen Srankenreiches Aufnahme finden
Die legten Ereigniffe haben nur noch wenig mit denjenigen Burgunden zu
tun, die wir auf den vorbergebenden Seiten als Bewohner beträchtlicher Teile des
heutigen Oftdeutfchlands kennengelernt haben. Don der Einwanderung in Öft:
deutfchland bis an die Grenze des Römifchen Reiches hin erkennt man die gleich
mäßige Sortentwidlung einer bodenftändigen germanifcben Rultur in enger Be:
ziehbung zu den benachbarten oftgermanifchen Stämmen, infonderbeit den Wan:
dalen; doch feit dem Betreten des heutigen Srantreich ändert fi) das Bild vollig,
wie es die Altertümer aus dem Burgundenreiche feit dem 5. Jabrbundert, fo 3. B.
die fogenannten „Propbetenfchnallen“, zur Genüge erweifen. Gleid allen ans
deren nach dem Süden gewanderten Germanenvodllern bradte aud) den Burgunden
die Berührung mit dem weiten Einflußgebiet römifcher Kultur zwar eine reiche
Entfaltung eigenen Rönnens und einc zeitweilige politifche Machtftellung unge:
abnten Umfanges, doch folgte der Derfall auf dem Suge, und aud das Burgunden-
volf, das fid) immerbin nod der alten ecimat am nddften angefiedelt hatte, teilte
das Los der Ubrigen untergegangenen oftgermanifden Völker, den fpurlofen Unter:
gang.
Widtigtes Shrifttum uber die Burgunden.
J. Allgemein:
Blume, Die germanifden Stamme und die Kulturen 3wifdhen Oder und Paffarge zur
römifchen Raiferzeit I, Würzburg 1912 (befonders S. 197 ff.).
Buffe, Das Brandgräberfeld bei Wilhelmsau, Kreis !Tiedersdarnim, Ztichr. f. Erbno=
logie XXXVII (1905) S. 569 ff.
Jahn, Fleue fpätkaiferzeitliche Sunde aus der Laufig. Studien zur vorgeidhichtlidhen
Archäologie (Gögesfcitfchrift), Leipzig 1925, S. 190 ff.
Roffinna, Über verzierte Eifenlanzenfpigen ale Kennzeichen der Oftgermanen. Ztichr.
f. Etbnologie XXXVII (1905), S. 300 ff. (befonders S. 390 f.).
— — ir ala ein uralter eimatboden der Germanen, Danzig 1919 (befonders
. 17 ff.).
— Die deutfhe Vorgefchichte cine bervorragend nationale Wiffenfcaft. 4. Aufl., Leipzig
1925 (befondera S. 148 ff.).
— Germanifce Kultur im ı. Iabrtaufend nach Chriftus, Leipzig 1932, befonders S. 209 ff.
1932, II Sriedrich Lüers, Die Runen. 97
ET EEE Ei ————— TE EEE)
Roſtrzewſki, Die oftgermanifche Kultur der Spätlatenezeit, Leipzig u. Würzburg 1919.
Weedon, Das Brandgraberfeld von Kitten bei Bauten und verwandte Sundftätten aus
der fpäteren römiichen Raiferzeit. Jabreshefte d. Befellfchaft f. Anthropologie und
Urgeſchichte 8. Oberlaufig III, ı (1920), S. 3 ff.
— Das Brandgräberfeld von Kitten bei Bauten II. Seftfehrift 3. 25° Jabrfeier d. Gefells
fhaft f. Dorgeichichte u. Gelchichte d. Oberlaufig zu Baugen (3926), S. 89 ff.
Nerman, Die Aerkunft und die frübeften Auswanderungen der Germanen. Rgl. vitterhets
a antikvitets alademiens bandlingar 34:5, Stodbolm 1925 (befonders
. 37 ff.).
Schmidt, Befchichte der deutichen Stämme I, Berlin 1910, S. 367 ff.
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Stjerna, Bidrag till Bornbolms befoltningsbiftoria under järnälderen, Antitverift
Tioftrift for Sverige XVIII (1908), S. 3 ff.
2. Sdlefien:
Taenberg, Die Wandalen in Miederfdlefien (Worgeſchichtliche Forſchungen I, 2), Berlin
1925 (befonders S. 129 und Taf. 38).
— Die Burgunden in Schkefien. Sclefifche Monatsbefte (1926), S. 77 ff.
Die Runen.
Don Dr. Stiedrihh Lüers, München.
Mit ı Abbildung.
ie Stage nach der erbunft der Runen und ihrer Stellung den anderen Alphas
beten gegenüber ift von jeber eines der fchwierigften Probleme fowohl der
wiffenfchaftlihen Sprahforfchung, als auch der Rulturgefchichte gewefen; ser
Sprachforſchung deswegen, weil die Alteften unmittelbaren und eigenen Sprachs
dentmäler des germanifchen Volkes in Runen, fei es nun auf Steinen oder auf
verfchiedenen Begenftänden eingeritt auf uns gelommen find. Ob die Srage nach
der Herkunft der germanifchen Runen jemals einwandfrei und gefeit gegen jede
Widerlegung gelöft werden kann, erfcheint mir mehr als zweifelhaft; denn für
eine unbeftreitbare Behauptung fehlen bier die nötigen Beweife. Das Derbältnis
der Runen zu den anderen Alpbabeten fcheint mir indefjen weit Marer und eins
deutiger beurteilt werden zu können. Was die Entftebung der Runen betrifft, fo
werden wir einen gan3 wefentliden Gefidtspuntt dabei immer in unfere ganze
Rechnung mit einftellen müffen: Die Tatfache, daß bei jedem Volke, fobald es auf
einer beftimmten Eultürlichen dhe angelangt ift, das Bedürfnis fich einftellt,
beftimmte Begriffe durch Zeichen, die wir fpäter in ihrer Verbindung Schrift
nennen, dauernd feftzubalten. Llach dem, was die vergleichende Sorfhung auf
dem Gebiete der Sprache, der Dollstunde, der Runft, vor allem aber was die
Entftebung von Sage und Märchen betrifft, an Ergebniffen gerade in den legten
Jahren erzielt bat, kann man mit voller Berechtigung annehmen, daß auch die
Anwendung beftimmter Zeichen ein Teil deffen ift, was Sans Klaumann mit dem
Wort „primitive Bemeinfchaftstultur‘‘ bezeichnet! Es ift alfo durchaus nicht nots
wendig, daß das germanifche Runenalphabet aus dem Griechifchen oder Lateinis
(ben Alphabet übernommen fein muß, wie das vielfach auch heute noch anges
nommen wird.
Doll und Baffe. 1932. April. 7
98 Volt und Kaffe. 1932, II
EDER
Zunädhft muß es für den Sorfcher allein fhon hinreichend verdächtig fein,
daß die germanifchen Sprachen für das Schriftzeichen ein eigenes, jedesfalls ganz
anderes Wort haben, als die Griechen und die Römer, von denen aber die Gers
manen die Schrift entlehnt haben follen. Die Zahl der Gegenbeweife, die bier ans
geführt werden kann, daß bei den Germanen, wo es fich tatfächlid um Übers
nahme von Kulturgütern von jenen Völkern handelt, das fremde Wort mit der
fremden Sadye übernommen worden ift, ift beinahe unüberfehbar. Ich erinnere
nur an £ebngut fachlicher und fprachlicher Viatur wie Keller, Mauer, Senfter,
Pforte, Münze u.v. a.
Unfer beutiges Wort Rune ift im ı3. Jahrhundert aus den nordifchen
Sprachen in die neubochdeutfche Schriftfprache wieder eingeführt worden; das.
Wort felbft ift eines der Alteften der germanifchen Spraden. Im Altnordifden
bezeichnet rüner Buchftaben, Runen, Benntnis, Belebrfamtleit, magifches Sors
mular; gotifch bedeutet rüna Geheimnis. Daß der Wortftamm außer bei den
Clordgermanen aud bei den übrigen germanifchen Stämmen belannt und ger
braucht war, beweift unfer beutiges audy fchriftdeutfches Zeitwort raunen, das
fich in ununterbrochener Entwidlungsreihe über die mbd. Sorm rünen und das
abd. rinén in der Bedeutung flüftern, heimlich und leife reden zum gleiden
Stamm wie das Hauptwort Rune zurüdverfolgen läßt.
Sür die Beurteilung der ganzen Runenfrage erfcheinen mir zwei Dinge als
befonders wefentlich: Einmal die geograpbifche Verteilung der Sunde mit Runens
infchriften und zum andern die Cinftellung dec wiffenfdaftliden Runenforfdhung
diefem gegebenen Material gegenüber. Ich gebe zunddft eine gedrängte Überficdht
der Runenfunde: 3. dee ,,Bularefter Ring von Pietroaffa in der Walachei;
2. eine taufchierte Speerfpige von Rovel in Wolbynien; 3. eine filbertaufchierte
Speerfpige von Müncheberg in Brandenburg; 4. ein goldener Ring von
Röslin in Pommern; 5. eine Rnopfbibel von Sreilaubersbeim in Rheins
beffen; 6. eine Sibel mit Tierkdpfen von Charnay im Departement Cdte
d'Or; 7. und 8. 2 Sibeln von Mordendorf in Bayern; g. eine Sibel von Engers
in der Rheinproving; 10. und 11. 2 Sibeln von Bezenye in Ungarn; 12. eine
Sibel von Ems in Waffau; 13. eine Spange von Ofthofen in Rheinbeffen;
14. eine Gpange von Sriedberg in Oberbeffen; 15. eine SGpange von Balingen
in Murttemberg; 16. 3 Mameninfdriften aus Gräbern bei Weimar in
Thüringen. Zu diefen Seftlandfunden kommen dann die zablreiden Sunde der
fltandinavifden AHalbinfel, fowie aus England. Wohl der dltefte nordifde Runens
fund ift die in TWorwegen, Dore Stabu in Rriftiansamt gefundene Speerfpige
aus der Zeit um 250. Befonders widtig ift ein Depotfund im dänifchen
Moor, deffen Begenftände in die Zeit 2350—400 gehören dürften. Überaus werts
voll ift der Einangerftein aus Horwegen, der Stein von Rylver auf Bots
land in Schweden und der fogenannte Bralteat von Dadftena in Schweden
deshalb, weil fie uns das ganze 24typige gemeingermanifche Runenalphabet,
den ,,Sutbark, in feiner Reihenfolge überliefern. Die bedeutendften englifchen
Runenfunde find: das fogenannte Themfemeffer aus der Zeit von etwa 700 mit
einer angelfächfifchen Runenreibe von 28 Zeichen und der Srankiche Runenfchrein
aus Elfenbein aus der Zeit von 6850.
Was das Alter der Runeninfchriften im allgemeinen betrifft, fo find fich die
Sorfcher darüber einig, daß die nordifchen und die gotifchen Infchriften wefentlid
älter find (ungefähr 200—300 Jahre), ale die füdweftdeutfchen, zu denen Zeits
lich auch die englifchen zu rechnen find. Der zeitlidhe Zufammenfall der gotifchen
1932, II Sriedriy Luers, Die Runen. 99
ee
Infchriften mit denen der dänifchen WMoorfunde gegenüber den etwa 200—300
Jahre fpäter anzufetzenden weftgermanifchen Runeninfchriften bot der Sorfchung
zu Anfang diefes Jahrhunderts wefentliche Anhaltspunkte zur Märung der Urs
fprungsfrage der Runenfchrift und ihrer Ausbreitung in Europa. Nach Anſicht
des fchwedifchen Archäologen Bernhard Salin hätten die Germanen im 2. oder
3. Jahrhundert n. Chr. die Buchftabenfchrift in der Gegend nördlich vom Schwars
zen Meer unter dem Einfluß Maffifcher, vorwiegend griechifcher Bildung tennens
gelernt. Zu folge der Ergebniffe der Gefchidtsforfdung der Odllerwanderungs:
zeit wiffen wir beftimmt, daß um 150 die Boten ihre alte Heimat an der unteren
Weichſel verlaffen und um 200 am Schwarzen Meere fteben; denn im Jahre
214 erfolgte ihr erfter Zufammenftoß mit den Römern. Wir geben alfo nicht
fehl in der Annahme, daß die Boten jener Germanenftamm waren, der im 2. und
3. Jahrhundert unter den Rultureinfluß der Baffifchen Dölker gelommen war.
Salin weift ferner darauf hin, daß zu folge archäologifcher Zeugniffe die Beziehun:
gen der Boten zu ihrer alten Heimat an der Öftfee keineswegs abgebrochen waren,
und daß mit diefem ganzen von Südoften nady Llordwelten fließenden Rulturs
ftrome auch die von den Boten gefchaffene gotifche Runenfchrift nach dem Llorden
getommen fei. Diefer Rulturftrom, der zunädhft der WDeichfel folgte, fetzte fich
nad Weften durd Torddeutidland bis nad) Danemarl und Skandinavien fort.
Die dlteften Runendentmäler wurden im Bereich diefes Kulturftromes gefunden,
fodag es für Salin „eine an Bewißbeit grenzende Wabrfcheinlichkeit ift, daß es
gerade diefer von Südoften berauflommende Rulturftrom ift, der die Kenntnis der
Runen in unfere nördlichen Gegenden beraufgebracdht bat, weshalb wir, wenn
wir ihrem Urfprung nachforfchen wollen, unfer Auge auf die Länder des Schwars
zen Meeres richten müffen“ (Salin, Altgermanifde Cierromantil, Stodbolm 1904,
S. 147).
Eine wefentlide Stuge erfubren Galins Oberlegungen und Schlußfolgeruns
gen durd die Unterfudung von Otto von Sriefen ,Om runornas bärkomft“
(Upfala 1904). Vlad Stiefens Anficht follen von den 24 Runenzeichen 16 beftimmet
oder fehr weabhrfcheinlih aus dem griechifchen Alphabet, 3 entweder aus dem
Grichhifchen oder Lateinifchen, 4 vielleicht auch noch eine 5. ficher aus dem lateinis
fchen Alphabet ftammen. Weiterhin befchäftigt er fich in diefem Zufammenbange
aud mit der Srage, welcher Dolteftamm als Vermittler vom Sudoften nach dem
Forden in Betracht käme und nennt bier zu folge gefchichtlicher, archäologifcher,
runologifder und namentundlider Grunde die Syeruler. Die Vermittlung ftellt
er fich fo vor: Die Dänen befiegten und unterwarfen die Seruler, worauf Teile
des Merulerftammes in die Schwarze Meergegend auswanderten und dort um
die Wende des dritten, vierten Jahrhunderts mit den Boten in Verbindung
kamen. BDiefe Serulertolonien feien ftandig mit dem unterworfenen Hauptteil
ihres Stammes in Schleswig und auf Sünen in Verbindung geftanden und auf
diefem nordwärts gehenden Rulturftrome feien die Runen auf die dänifchen Infeln
getommen. BDiefe Gegend faßt er gleichfam als ein nordifcdyes Zentrum der Runen
auf, von wo aus die Schriftlunft nad Wefteuropa gedrungen fei. Sur das nords
weftliche Deutfchland fei diefe nordländifche Kultur befonders in der Gegend von
Hannover weitergebildet worden und zu Anfang des 5. Jahrhunderts fowohl
nach England hinüber als auch rbeinaufwärts nad Süden getragen worden.
Gegen diefe Anficht muß ein fchweres Bedenken erhoben werden: Ift es wabrs
fheinlich, daß mehr oder weniger gewaltfam abgefprengte oder durch politifchen
Drud aus der Heimat verdrangte Dolksteile, die dem AHauptftamme gegenüber
7*
100 Volt und Raffe. 1932, II
immer eine Minderheit darftellen, aus weit entlegenen neuen Wobnfigen eine fo
rege Verbindung mit dem Mutterftiamme aufrecht erhalten, daß eine Rulturvers
mittlung durch fie möglich ift? Die Beobachtungen abnlider Erfchyeinungen im
DVoölkerleben der jungften Zeit beweifen das Gegenteil. Dabei muß nody bedacht
werden, daß für die damalige Zeit die Entfernung vom Schwarzen Meere bis
zu den dänifchen Infeln ale weit größer zu werten ift, als das beute etwa der
Salt wäre. Serner darf auch nicht außer acht gelaffen werden, daß gerade in der
Zeit, nachdem fich die yerulerteile am Schwarzen Meer niedergelaffen batten,
in den Gebiete zwifchen ihnen und ihrer Heimat fich gewaltige Völkerverfchies
bungen abgefpielt haben, die eine Verbindung nur hemmen oder gar verhindern
konnten, wie fie angenommen werden muß für die Vermittlung einer Schrift.
Die Ergebniffe von Sriefen erfuhren durcy den Sorfcher des Aeltifchen, fowie der
Sprachvergleidung Holger Pederfen in Ropenbagen eine ganz erhebliche Er:
fhütterung. Er kehrt zunächft zu der fhon von $. AU. Wimmer vertretenen Ans
fhauung zurüd, wonach die Runenfchrift lateinifchen Urfprungs fei und bringt
als neuen Hinweis den auf das irifche Ogamalphabet. Runen und Ogam ftünden
3war nicht unmittelbar im Zufammenbange, fondern bätten lediglich eine ges
meinfame Quelle. Als Lehrmeifter der Jren und Germanen in diefer Beziehung
nennt er die Gallier und betont den allgemein befannten Kultureinflug der Kelten
auf die Germanen, der mebr als ein Jabrtaufend lang wirkfam war.
Stanz Rolf Schröder fchreibt dazu in feinem Buche „Altgermanifche Auls
turprobleme‘ (Berlin 1929): „Mit der LUnterfuchung Pederfens ift die Runens
forfehung in ein neues Stadium getreten, und es wird fid jegt vor allem darum
bandeln, feftzuftellen und zu Mären, wie und wo die Übernahme und Bildung der
Runen aus dem lateinifden Alphabet erfolgt ift. Einmal: hat das Iateinifche
Alphabet die unmittelbare Vorlage abgegeben oder müffen wir, was vielleicht
wabrfcheinlicher ift, eine keltifchslateinifche Zwoifchenftufe anfegen, und ift wenigs
ftens für einige Zeichen Entlehnung aus einem griechifchen Alphabet anzunebs
men? Und zum andern: find die Runen in den ARbeinlanden entftanden oder um
die Wende unferer Zeitrechnung im Gebiete der Marlomannen und Quaden, in
Vioricum oder den dftliden Alpengegenden“.
Dann aber fommt auch Schröder auf das alte, fdwerwiegende Bedenten:
„Woher ftammt die von den lateinifchen und griechifchen Alpbabeten völlig abs
weichende Reihenfolge des germanifchen Sutbart und die Llamen der einzelnen
Runen?“
Doch nun bringt Schröder einen ganz neuen Gefidtspuntt, indem er meint,
daß für die Entftehbung der RunensReibenfolge und der Viamen Porftellungen
des Mithratultes wirkfam gewefen feien.
In überaus fcharffinniger Überlegung vergleicht Schröder den von Garo
Orammaticus (1200 n. Chr.) berichteten nordifden Mythos von ,,Odins erfter
Verbannung“ mit der iranifchen Überlieferung der Manichder. Hier wie dort
ftebt dem Botte Mithra beziechungsweife Odin ein Sämonenbafter Widerfacher
gegenüber: der „falfche Mithra“, beziebungsweife „falfhe Bdin“. Schröder fagt
dazu: „Inhaltlich berührt fich dies manichäifche Sragment nahe mit dem nordis
fchen Mytbus; und follte etwa in der erften Silbe des dunklen Fiamens „Mitotbyn“
(fo beißt nah Saro Grammaticus dser Gegner Odins) ,nod ein unverftandener
Reft des Mamens des perfifchen Gottes und feines Widerfachers, des „falfchen
Mithra‘ fteden?“* Im Anfchluffe daran weit er dann auf Sigurd Agrell bin,
der den Verſuch machte, die Reihenfolge der 24 Runenzeichen aus der Zablens
1932, II Sriedrih Lüers, Die Runen. 101
Ree eS
Myftit der Mithraslebre abzuleiten. Jedem Zeichen des germanifchen Suthark hatte,
wie im antiten Alphabet, ein beftimmter Jablenwert entfproden. Was nun
weiter von den Überlegungen Sigurd Agrells angeführt wird, ift kaum einzus
feben. So fehlt vollftändig die Begründung für feine Behauptung, der Runens
meifter babe abfichtlidy die Reihenfolge der Zeichen verändert, um den Laien den
magifchen Sinn zu verdeden. So erkläre fidy die Anfangsftellung der SsRune,
die eigentlich ganz ans Ende gehöre; ich frage bier warum? Dann beißt es weiter:
„Urfprünglich ift alfo u die erfte Rune und fie befigt nad Agrell auds den Zahblens .-.
wert 1. Mit ihrem Llamen ur „Auerochfe‘‘ vergleicht er den mytbifchen "Urftier, -
der nad) perfifchem Glauben als das erfte Lebewefen am Anfange dar Schöpfung -
ftebt“. In diefer Art werden die 5 erften Runen dem Mithrasmpfteriumund feinem
Spmbol gegenübergeftellt. Diefe Beweisführung Agrells bat, wie Schröder fagt,
heftigen Widerfprud erfahren, trogdem hält Schröder den von Agrell befchrittes
nen Weg für den richtigen, da nach feiner Überzeugung der Mithrastult wie übers
haupt die iranifche Religion für sas Germanentum der Völlerwanderungszeit
eine große Bedeutung batte.
Go fteben denn auch heute noch völlig ungellärt und gegenfeitig unabges
glichen 3 beziebungsweife 4 AHauptmeinungen uber die Entftehung der Runen
einander gegenüber: ı. Übernahme aus dem griechifchen Alphabet durch) die Boten
am Schwarzen Meer; Dermittlung durch den Aulturftrom weichfelabwärts nach
Lorden; 2. Gadblid das Gleide nur an Stelle der Boten die Aeruler; 3. Ents
lebnung aus dem rémifden Alphabet durdy Vermittlung der Relten; 4. Einfluß
des MNithrastultes.
Daneben gibt es nod 3u diefen Aauptanfidten zahlreiche Viebenformen, die
vielfad nicht wert find, eigens genannt zu werden. Kliochmals befonders binweifen
muß ich allerdings auf die oben fhon wörtlich angeführten Stagen $. R. Schrös
ders im Anfchluffe an Pederfens Unterfuchungen, wobei er die Markomannen und
Quaden in VMoricum und den Oftalpen nennt. ft es da nicht mehr als auffallend,
daß von allen deutfchen Stämmen nur die heutigen MarkomannensBaiern von
der nördlichen Oberpfalz und dem Egerand bis Südtirol, vom Ledrain bis in
die Ungarnmark für Dienstag: Ertag (nad §. Kluge aus griedy. äriös he-
merä), für Donnerstag: Pfinztag (aus griech. pempte), für Yemd: Pfeit
(aus griech. beite, got. paida) kennen und wie Kluge annimmt, diefes Sprach
gut durch got. Vermittlung donauaufwärts erhalten hätten. Wir bätten alfo
demnach 3 große Rulturftröme: Einen früberen vom Schwarzen Meere weicdhfels
abwärts zur Oftfee nad Klorden und einen fpäteren donauaufwarts vom
Schwarzen Meere nah Weften. Diefer letzte fällt nun zufammen mit der bes
kannten alten Völkerftraße, auf der die Boten, HYunnen, Wandalen, Ungarn und
Slawen nah Wefteuropa vordrangen. Diefe gefhichtliche Tatfache bat ja in der
Rulturgefchichte lange Zeit dazu geführt, dem Grundfage 3u huldigen: „ex
oriente lux“. 3Jndeffen ift es aber ebenfo erftaunlich wie bezeichnend, daß gerade
die Verfechter diefer Anficht in der Runenfrage die orientalifche Entftehung, vor
allem aber die phönikifche Erfindung einmütig ablehnen. WPD. von Landau fchreibt
in der von Windler herausgegebenen Zeitfchrift „Ex oriente Lux“ 1905 in
einem Auffag: „Die Bedeutung ser Pbdnitier im Völkerleben‘ fehr energifch:
„Die zahlreichen Urkunden in einer Buchftabenfchrift“ (wie fie auf Kreta ufw.
gefunden wurden) „werden hoffentlich endlich die Arämer von Tprus und Sidon
von dem Flachruf befreien, der Mienfchheit eine der größten Taten gefchenkt zu
baben, welde die Geiftesentwidlung kennt“.
102 Dolt und Raffe. 1932, II
——————————————————————————————
Nun bedarf es den verſchiedenen Entſtehungstheorien gegenuͤber noch einiger
Uberlegung, die durch ſchwere ſachliche und logiſche Bedenken veranlaßt ſind:
Es kann billiger⸗ und vernuͤnftigerweiſe nicht angenommen werden, daß ein fuͤh⸗
render Mann eines Volkes die Bibel aus dem Griechiſchen in die Volksſprache
uͤberſetzt und gleichzeitig damit ſein Volk nun erſt auch die Schrift lehrt. ine
ſolche Ubertragung in die eigene Volksſprache kann die beabſichtigte Wirkung nur
haben, wenn die Einfuͤhrung der Schrift laͤngſt vorangegangen war und, wenn
“+3 vielleicht oad inzwiſchen veraͤndert, doch den Grundcharakter der alten Schrift⸗
zeichen beibehriten hat. Vergleicht man die alten 24 Runenzeichen ſowohl mit
er. dem gtirchtſchen Wphabet, als auch mit dem lateiniſchen ABC, ſo erkennt ſelbſt
:*: Rin ˖ Nichtſchriftgeſehrter, daß teilweiſe Formenuͤbereinſtimmung oder doch ⸗ahn⸗
lichkeit ſowohl mit verſchiedenen Zeichen der einen, wie des anderen zu beobachten
ſind. Iſt es denkbar, daß eine Schrift in 2 Etappen zur Einfuͤhrung kommt, etwa
ſo, daß zunaͤchſt 2 oder 12 Zeichen aus der griechiſchen Zeichenreihe entnommen
werden und dann ſpaͤter weitere 10 oder 12 aus der roͤmiſchen? Das iſt praktiſch
unmoͤglich und uͤberhaupt ſinnwidrig. Gegen eine geſamte, einheitliche Uber⸗
nahme der roͤmiſchen Zeichen ſprechen aber wieder die kultuͤrlichen, runologiſchen
und hiſtoriſchen Tatſachen.
Obendrein berichtet nun Tacitus in ſeiner Germania von ſogenannten
„notae“: „virgam frugiferae arbori decisam in succulos amputant
eosque notis quibusdam discretos super candidam vestem temere
ac fortuito spargunt“; d. b. (nad) €. Sebries Obertragung in ,,®ermania“,
Verlag Lehmann Münden 1929): ,,einen Fweig, den fie von einem fruchtbrins
genden Baum abgefchnitten haben, zerteilen fie in Stäblein, diefe unterfcheiden fie
durch gewiffe Zeichen und ftreuen fie auf Beratewohl und wie der Zufall es
will über eine weiße Dede“. Sehrle ift zwar der Anficht, daß mit den „notae
quaedam“ wohl keine Runen gemeint feien, da diefe nicht vor dem dritten Jabhrs
hundert erfcheinen, fagt aber dazu: „Die Zeichen werden irgendwelche Vorftelluns
gen und Begriffe erwedt haben, aus denen man Gutes oder Schlimmes bervors
fagte‘‘. Die notwendige Dorausfegung biefür aber ift doch, daß diefe Zeichen
untereinander verfchieden waren, und damit fteben wir doch jedenfalls am Anfang
deffen, was man Schrift, wenn auch Zeichenfchrift zu nennen pflegt. Eine ganz
bervorragende Stüte bietet bier die Sprache, genauer die Wortlunde. Die gers
manifchen Spradyen bezeichnen die einzelnen Zeichen des fogenannten Alphabets
mit „Buchftabe“, abd. buodftap, altfächf. bofftaf, ags. bocftaef, an. bolftafr,
fhwed. bokftaf. Alle etymologifden Wörterbücher geben im Sinn die einbeits
lide Erfläörung: „Kigendlih Buchenftab, der zum Kinritgen von Runen bes
ftimmt war“ (Rluge), oder eigentlich von den fogenannten Runenftäben oder
Aunenlettern (vergleiche altnord. ftafr, angelf. ftzef) (Salt und Torp). Hierzu
kommt die fchon eingangs erwähnte Bedeutung des Wortes „Runa“ fowohl bei
Wulfile, wie in der altgermanifchen Literatur im Sinne von „Geheimnis, mas
gifches Zeichen und Sormel“. Im heutigen Klorwegifchen bedeutet das Feitwort
rung „Wabrfages bzw. Zauberkunft ausüben“.
Rarften weift in feinem Buch „die Germanen“ (Pauls Grundriß dee gers
manifchen Philologie Seite 167) darauf bin, daß zablreihe Runeninfchriften auf
Orabfteinen nicht über dem Erdboden, fondern vielfach unter der Erde gefunden
wurden, wo fie gar niemand feben und lefen konnte. „Es waren Befhwörungss
infchriften, die für übernatürliche Mächte, mit denen der Tote verkehrte, beftimmt
waren. Rarften fchließt diefes Rapitel mit dem Sage: ,,Die Weisfagungstunft
1932, II Seiedrich Lüers, Die Runen. 103
war im Volksleben der Germanen offenbar tief eingewurzelt und wenn fie ihrer
näheren Befchaffenbeit nach uns auch unbelannt ift, dürfte man doch fagen können,
daß fie der gotifchen Runenfchrift den Boden bereitet bat“.
Nicht auger act darf in diefem Zufammenbange gelaffen werden, worauf
G. Steinbaufen („Bermanifche Rultur der Urzeit“, Kat. u. Geifteswelt
Vir. 1005. Teubner 1927 Seite 114) mit Recht ausdrüdlich auch binweift, daß
gewiffe, den Runen ähnliche Zeichen als Hausmarlen fpäter, vielleicht fehon wie
in der Urzeit, Derwendung bebielten. In wie weit diefen Sausmarlen zauberifche
Rraft im Sinne der Schugzeichen zulam und heute noch zulommt, ift von der
Voltstundeforfhung mehrfach unterfucht worden. Ich möchte da nur auf einen
Meinen Beitrag von Albert Beder in den bayrifchen Heften fur Dollstunde Jg. VII
(1920 Seite 110) binweifen, wo er die „Pfälzer Ravelftäbchen‘‘ behandelt. In
fämtlichen Gemeinden des pfälzifchspreußifchen Grenzgebietes, unweit Kufel, wird
alle 6 Jahre das Bemeindeland neu ausgeloft, dazu verwendet man Kichens oder
Budenbolsftabe im Ausmaß 1,5:1:1 cm, auf deren Längsfläche jeweils die
Marke eines Haufes eingefchnitten ift. Aus der dem Auffatz beigegebenen Tafel
ift zu erfeben, dag unter den aufgeführten 43 Losftäbchen nicht weniger als 38
gerade oder gebrochene Sormen aufweifen, dagegen nur 3 runde, während 2 fos
genannte Augenmarlen find. Einige von den 38 ftimmen mit den alten Runens
zeichen genau überein. €. ®. Johbmayer bat in feinem Bud „Die Hauss und
Spofmarten“ (Berlin 1907) diefen uralten Brauch des Lofens mit Losftabden aud
für Tirol, Steiermark, Schweiz und die Rheinprovinz nachgewiefen, während er
früber nur für den Llorden Deutfchlands und für Skandinavien angenommen
wurde.
Yiebmen wir alle diefe unbeftreitbaren Tatfachen fprachlicher, kulturgefchichts
licher und vollstundlider Art zufammen, fo müffen wir eigentlih zum nabes
liegendften Ergebnis in der ganzen Runenfrage von felbft kommen. Die Runen
brauchen weder von den Griechen, noch von den Römern entlehnt und durch die
Boten, Seruler oder Kelten vermittelt zu fein, fondern die Runen können längft
vor der Berührung der Germanen mit den antifen Rulturvölkern mehr oder wenis
ger volllommen entwidelt gewefen fein, wobei fidy die bei manchen Zeichen immers
bin auffallende Abnlichkeit mit den antiken Schriftzeichen auf zweierlei Art ers
Mären ließe: entwoeder, daß beide, die Runen wie die antiten Zeichen aus einer ges
meinfamen Vorftufe, gleichfam einer Urfdrift, entftanden waren und fic felbs
ftandig weiterentwidelt batten; oder wir geben vom Begriff des ,,primitiven Ges
meinfchaftsgutes“‘ aus und müffen dann annehmen, daß den Schrift» bzw. Runen:
zeichen anfangs eine beftimmte bildömäßige Bedeutung zulam, wobei es ganz uns
zworifelbaft ift, daß die Gleichheit der Sorm des Dinges, das mit dem betreffenden
Zeichen dargeftellt fein follte auch eine gewiffe Bleichbeit der Sorm diefes Zeis
&ens bedingt haben kann. Auf diefe Bild-Grundlage für die Runen bat fdon
Ludwig Wilfer „Deutfche Vorzeit“ (Leipzig 1923) ausführlich bingewiefen.
Wenn man ibm auch nicht in allen Einzelheiten reftlos folgen und beipflichten
kann, fo ift an feiner geundfäglich bier zum Ausdrud gebrachten Auffeffung uns
gemein viel Braucdhbares.
Damit tomme id 3u einem fchon in anderem Zufammenbange kurz erwähns
ten GBefichtspuntt, der die zulegt bier ausgeführte Meinung vom Standpunkt des
„primitiven Bemeinfchaftsgutes“ aus rechtfertigt. Warum bat man denn, wenn
man fchon die Zeichen eines fremden Volkes übernahm, nicht aud die fremden
104 Volt und Raffe. 1932, II
EEE
Llamen diefer Zeichen und die fremde Reihenfolge übernommen? Die Anordnung
des alten Runenalphabetes war folgende:
PNPRR< XPNE AL
UHA RW @wru aig @®
NASTBMMTSRM
STBENnLNMOD
PDPRRCNN GASP PITS PP
M S WwW
Die erften fechs Runen, nad) deren Anordnung das ganze Runenalphabet
mit Sutback bezeichnet wird, haben im einzelnen folgende Llamen:
1. fe(h); das Wort erfcheint im Altnordifden als fé in der Bedeutung
»ieh, Gut, Geld“; got. faibu „Dieb, Dermögen, Geld“; es liegt indogerm. pecu,
lateinifch pecu und pecus zugrunde ebenfalls in der Bedeutung ,,rperdentier“,
davon abgeleitet pecunia das „Beld“. Es ift bezeichnend genug, daß die Rune
nfe(h)“ in der germ. Schriftzeichenreihe am Anfange ftebt, war ja doch das durdh
fie bezeichnete Dieb das Vermögen und die gefamte Dafeinsgrundlage Pich bals
tender germanifcher Bauern.
2. ur; der Auerochfe altnord. Arr Gen. Arar, angelfacdf. Ar, althodd. dro.
Im £ateinifchen ift das Wort Lehnwort, die Römer lernten das Tier erft durch
Cäfars Befchreibung fennen (wie fann man alfo ernftlid annehmen, die gers
manifden Runen feien aus dem rdomifden Alphabet entlebnt 2).
3. thorn; der Dorn, altnord. thorn, gotifh thaurnus, angelfacf. thorn, englifch
thorn, althodd. Dorn. Das Wort gebt zurüd auf indogermanifd trno — fanftr.
trna — in der Bedeutung ,,@rashalm, Gras. es fei hier befonders auf den
bildbaften Charalter diefer ,DornsRune hingewiefen und ferner darauf, daß in
der germanifden Mythologie dies die Rune des mächtigften unter den Afen, des
Donnergottes DonarsThor gewefen ift.
4.ask; die Lice, altnord. aftr ,,Z(che, Spief, tleines Sabrzeug, tleines Sag“;
angelfadf. zeflt „Eiche, Spieß, Boot“, althochd. aff. Die Grundwurgzel ift indoc
germ. 08 vgl. lateinifch ornus „Bergefche, Spieß“.
5. reda (reida); Wegen, zugrunde liegt die indogerm. Wurzel reth
„laufen“, damit verwandt ift fanftr. ratha „Wagen“ und die germanifche Brunds
form ratha, althodd. rad.
6. chan; der Kahn, altnord. kaena „eine Art Boot“, im Schwebdifchen bes
zeichnet tana einen „Schlitten“, im Liorwegifchen kane eine Schale mit Hentel
auf beiden Seiten, einen Beinen fchwanenförmigen Schöpfnapf, der im Biergefäß
fhwimmt, im älteren Dänifchen bedeutet fane „Boot“, ebenfo mittelniederdeutfch
kane „Boot“.
———— 0 die ~_
1932, II Sriedrih Lüers, Die Runen. 105
Schon aus diefen 6 Beifpielen ift ohne weiteres zu erfeben, daß es fich bier
um die Bezeichnung von Dingen handelt, die dem Leben und der Umwelt des Miens
fcben, bier des germanifchen, entftammen, die felbft auf einer noch primitiven Ruls
turftufe von hervorragender Bedeutung für fein ganzes Dafein waren.
Die Auffaffung der Runen als zum „primitiven Bemeinfchaftsgut‘‘ gehörig,
findet noch 2 kräftige Stüten:
Die vergleichende Sorfhung bat erwiefen, daß der Glaube vom göttlichen
Urfprunge der Schrift ungemein weit verbreitet ift. Die Babylonier nannten als
Gott der die Schrift erfunden und den Menfchen gegeben bat den abu, die Ars
menier den Tiur, die Agypter den Thot. Die Germanen kennen als Erfinder der
Runen Odin. Im Runenliede der Edda berichtet Odin felbft wie er fie mübevoli
erfann. &s beißt dort „Runen wirft du finden und Ratftäbe, fehr ftarte Stäbe,
febr mädhtige Stäbe, Erzredner erfann fie, fie ritge der berfte der SHerrfcher‘. Dann
zahle Odin in 18 Derfen den Zauber auf, den er durch die Runen bewirlen Tann.
Mertwürdig im böchften Grade ift, worauf $. R. Schröder in „Altgers
manifcye Rulturprobleme“ (S. 49) binweift. Durdy Dermittlung der türkifchs
tartarifchen Völker fei die Vorftellung vom göttlidhen Urfprunge der Schrift bis
zu den Oftjaten im nördlichen Sibirien gelommen. „Diefe kennen eine Bottbeit,
die fie den ‚Schreibermann‘ nennen; er gilt als der erfte Bebilfe des Himmelsgottes,
und man glaubt, daß er im Himmel nur wenig tiefer als der Obergott felbft
wohnt. Seine Aufgabe foll fein nad der Beftimmung des Obergottes in das
Schickſalsbuch 3u fcreiben, wielange und unter welden Verbaltniffen ein Menfd
auf Erden leben darf‘. Und beim Tode eines Mienfchen pflegen die Oftjaten zu
fagen: ‚Seine vom Schreibermann aufgefchriebenen Tage find zu Ende. Ks ift
Mar, daß diefer Bott aus der Sremde ftammt, da ein fchreibender Gott nicht unter
einem Volk entfteben konnte, das felbft nicht fchriftlundig war.“
Ih babe fowohl in meiner „Volkstumstunde im Unterricht‘ (Srankfurt
1934, Seite 25 und 31), als aud in „Sitte und Braud im Mienfchenleben“
(München 1927, Seite 230, 22 und 86), auf die böchft auffallende Abnlichkeit, je
vielfah Übereinftimmung des oftjalifchen Brauchtums mit unferm eigenen bins
gewiefen; id kann mich bier darüber nicht weiter verbreiten, docdy gibt es im Zus
fammenbange mit der Schriftfrage und der Auffaffung von der göttlichen Hers
tunft der Schrift zu denken.
Schröder erwähnt in dem genannten Bude ausfubrlid aud die An:
fdhauungen, wie fie bei den Relten und den Griechen über einen Bott der Schrift
beftanden haben.
Die andere Stüge bietet uns die Archäologie: In Megalithgräbern, die ins
4. Jahrtaufend vor Chriftus gehören, fand man Beine Steindyen mit Zeichen, die
mit Sicherheit als eine Buchftabenfchrift aufgefaßt werden müffen. Diefe Zeichen
baben auffallende Abnlichkeit fowohl mit dem auf Rreta feftgeftellten ägadifchen
Schriftipftem wie aud mit den germanifchen Runen. Die Erbauung von Mes
galithgrabern ift ein ausgefprochen indogermanifcher Braud. Ls ift demnach
anzunehmen, und zwar mit der gleichen Sicherheit, daß diefe iberifchen Schrifts
fteinchen ebenfalls indogermanifchen Urfprungs find. Aus diefen unbeftreitbaren
Tatfachen kann füglich weitergefchloffen werden, daß die Indogermanen eine Buchs
ftabenfchrift zu einer Feit befagen, wo der Orient erft feine Bilderfchrift zu ges
ftalten begann. M. Schufter fagt dazu in „Altertum und deutfche Rultuc’ (Wien
1926, Seite 4233) „ift diefer Schluß richtig, fo läßt er die weitere Solgerung zu,
daß die Runen nicht unter dem Einfluß des griehifchsrömifchen Alphabets ents
106 Doll und Kaffe. 1932, II
ftanden find (die Ahnlichkeit der Zeichen läßt fich aus der indogermanifden Gemein;
famteit erklären), fondern „ein weit höheres Alter befitzen, ale man bisher meinte“.
Damit find wir wieder beim „primitiven Gemeinfchaftsgut‘‘, diesmal von der
archäologischen Seite ber, auch für die Runen angelangt.
Zufammenfaffend läßt fi demnadh fagen: Die Germanen wie die anderen
indogermanifchen Stämme befaßen offenbar vor ihrer Trennung die Grundlagen
für Schriftzeichen und deren Kenntnis und baben fie felbftändig, ganz ihrer
Mefensart entfprechend, weitergebildet und ausgebaut. Die kennzeichnenden Merks
male des vollftändigen jüngeren Runenalphabets find die geraden und gebroches
nen £inien gegenüber den runden Sormen etwa des lateinifdben Alphabets. Diefe
germanifche Eigenart ift nicht durch eine fpätere romantifche, teutonifierende
Schwärmere in die Runen bineingelegt worden, fondern fie ift als primitives
Gemeinfdhaftsgut, oder wie ic es lieber bezeichnen möchte, alenaturgegebenes
VDollsgut von Anfang an vorhanden gewefen. Es ift darum nicht zu ver:
wundern, daß in der weiteren Entwidlung der Schrift in den fpäteren Jabrs
hunderten die Kigenart des „Gebrochenen‘ in der Schriftform immer wieder zum
BDucdhbruch kommt; bezeichnet man ja die deutfche Schrift der neueren Zeit nicht
obne innerer und dußerer Berechtigung gegenüber der lateinifden Antiqua als
deutfche Sraktur. Ks ift pfychologifch ungemein bezeichnend, daß in der
. deutfden Sprache zum Ausdrude deffen, daß man einem andern gebörig die
Meinung fagen will, die Redensart gebraudht: „Mit dem muß ich einmal Fraktur
reden“.
Die Antiqua mag für beftimmte befondere Sälle ihre Berechtigung auch zur
gedrudten Wiedergabe der deutfchen Sprache haben, die Preisgabe der deutfchen
Schrift aber wäre gleichbedeutend mit der Preisgabe einer deutfhen Eigen
art, was dem deutfchen Volke unter allen Umftänden vom Auslande als Schwäche
susgelegt würde, namentlich in einer Zeit, wo fogar das uns nicht freundlich
gefinnte Ausland die deutfche Scakturfchrift in ausgedehntem MaKe verwendet.
Erblidhe Samilientennzeiden im Dol€sglauben.
Yon Paul Sartori, Dortmund.
er Vollsmund weiß bier und da von beftimmten Samilien zu erzählen, deren
Mitglieder ein Ldrperliches Rennzeichen aufzuweifen baben, das fie von allen
andern ihrer Umgebung unterfcheidet. Befonders gewiffe vornebme Bes
{dhledhter find auf diefe Weife ausgezeichnet. Dem RKonigsftamme der Meros
winger (fie follten von einem tiergeftaltigen Wleerungebeuer abftammen) wuchfen
Schweinsborften auf dem Rüden!). Der Samilie Rarls des Großen legte man
ein befonderes Merkmal auf der rechten Schulter bei?). Kliady Marco Polo wurden
in alten Zeiten alle Rönigsföhne eines nordindifchen Volkes mit einem Adlerbilde
auf der rechten Schulter geboren. Die Jaitwas von Rajputäna leiten ihre Hers
tunft von dem Affengott Hanuman ab; daher ift das Rüdgrat ihrer Sürften wie
ein Schwanz verlängert?). Eine fpanifche Dame in Galicien wurde von einem
1) Grimm, Deutfdhe Mythol.* 3, 324 f.
2) Studien zur ven! Kiteraturgefchichte 5 (1905) 339.
8) Croote, Popular religion and folklore of Northern India 285.
1932, II Paul Sartori, Erblicdhe Samilientennzeichen im Voltsglauben. 107
Meermann überrafcht und gebar einen außerordentlich ftarten Sohn. Seine Llachs
tommen nannten fid) Marinos und follten an gewiffen Teilen des Körpers Schups
pen wie Sifche haben). Ob ſolche Erfcheinungen irgend etwas mit Totemiss
mus zu tun haben, wird wohl kaum zu entfcheiden fein.
Dom Raifer Tiberius erzählt Sueton (Tib. 68), er Habe am Hinterkopf ziems
lich berabbangendes Haar gebabt, fo daß es auch den Lladen bededte, „quod
gentile in illo videbatur“. Der fdottifden Samilie der Campbells wird Sciefs
mauligteit 3ugefcdrieben. Der bl. Syacinthus verfdaffte einmal durch fein Ges
bet zwei blindgeborenen Zwillingsbrüdern des Gefdlecdtes VDitoslaweli in Polen
Augen von Engeln, und feitdem follen alle ihre Llachlommen wunderfchöne Augen
baben 5). Dem berühmten Gefdlechte der Wolfungen war ein fcharfer und durdhs
dringender Blid eigen. Sigmund führt davon den Beinamen ,,Scdlangimauge
(ormr i auga). In allen weftlichen Gemeinden Cornwalls bherrfdt feit undents
lichen Zeiten eine große Abneigung gegen gewiffe rotbaarige Samilien, die für
die Llachlommen von Dänen gelten®). Blondes Saar fchreibt Euripides’) als
eine Samilieneigentumlichkeit den Mitgliedern des Atridenhaufes zu. Belegents
lid verwendet auc die neuere Literatur derartige Züge. In dem Roman „Die
Heilige und ihr Llarr‘‘ von Agnes Gunther ift in dem Gefchlecdte der Sürften von
Brauned ein roter Streifen an den Händen erblidh. Die Heblmanns in Hermann
£öns’ Roman „Der letzte Hansbur“ haben überzäblige Singer und zwei Haar⸗
wirbel. Die Rinder auf dem Gute Rosmersholm in Ibſens Drama ſchreien nie,
und die Erwachſenen lachen nie.
Auch außergewoͤhnliche koͤrperliche Faͤhigkeiten und Begabungen
werden auf Vererbung zuruͤckgefuͤhrt. Die Wuͤrde des oberſten Rultbeamten von
Eleuſis, des Hierophanten, erbte im Hauſe der Eumolpiden fort. Die ſchoͤne
Stimme, die von ihm verlangt wurde, druͤckt ſich im Geſchlechtsnamen aus. Im
Gebiete der Falisker gab es einige Familien der Hirpi, die bei dem jährlichen
Apolloopfer uͤber einen brennenden Scheiterhaufen wandelten, ohne ſich zu ver⸗
letzen 8). Auch auf Raiatea (Neu⸗Seeland) kannte man eine Familie von erblichen
Feuerdurchſchreitern 9).
Vor allem war in aͤlteren Zeiten der Glaube verbreitet, daß gewiſſen Fa⸗
milien eine beſondere Heilkraft fuͤr beſtimmte Krankheiten innewohne. Die
engliſchen Koͤnige heilten ſeit Eduard dem Bekenner durch ihre Beruͤhrung Skro⸗
feln 10), die franzoͤſiſchen Kroͤpfe, die ungariſchen Gelbſucht, die ſpaniſchen Bes
ſeſſenheit 11). HSier haftet freilich die magiſche Rraft wohl mehr an der koͤnig⸗
lichen Wuͤrde und Weihe. Aber auch die Grafen von Habsburg heilten ſtam⸗
melnde Kinder durch einen Ruß, die von Alt⸗Rappersweil auf dieſelbe Weiſe
ſolche, die in Gefahr ſtanden ſtumm oder blind zu werden 12), und in Italien gibt
4) Menzel, Odin 131.
5) Menzel, Chriftliche SGymbolit 3, 94.
6 Courtney, Cornish feasts and folklore 14.
") Iphigenia Taurica 52.
8) Plinius, Natural. hist. 7,2. De Jong, D. antite Myfterienwefen? S. 325;
vgl. S. 337.
9) De Jong, ©. 347
2 cy ha The vation bough 3, G. 368 ff. Abnlides außerhalb Europas:
ebenda
11) Ro hols, Alemann. Rinderlied, S. 323. Mitteil. d. fdlefifcen Gefellichaft
far Dolkstunde 29 (192%) GS. 76.
12) Rochholz a. g. O. 8 321. Vgl. auch Ztfchr. f. Dollstunde (Berlin) 7, S. 212.
108 Volt und Kaffe. 1932, II
es Samilien, denen die Sähigkeit zugefchrieben wird, beftimmte je nach dem Sas
miliennamen wechfelnde Krankheiten zu beilen 13).
Nicht immer ift das eigentumliche Kennzeichen allen Mitgliedern der Samilie
eigen, fondern mandmal nur einem Teil oder einem einzigen. Die Mehr:
zahl derer von der Samilie Warfufee bat ein Obr fo durdftocden, daß eine Lladel
bindurddringen kann, ohne es zu verlegen. Dies Zeichen tragen fie feit dem
Ritter Raes mit dem DBartelt). Als Mörder der „drei Angelfachfen“ (frommer
Manner, deren Gebeine in dem Aauptaltar der Sarmensdorfer Pfarrkirche beiges
fegt worden find) gelten Leute aus Boswil vom Gefdlechte der Viotter. Jeder
Erftling, der in den hen diefer Derwandtfchaft geboren wird, foll mit einem
roten Striemen um den Hales auf die Welt kommen (den drei Wärtyrern war der
Ropf abgeſchlagen worden)15). Don der Samilie, die feit langen Jahren den
Bauernhof Plüdesburg bei Hedingbaufen befigt, ift immer ein Glied einäugig
geboren. Die Stammutter war eine Here, und ein Burfde ftadh ibr einft, als
fie fih in eine Ratge verwandelt hatte, ein Auge aus 16). Cin Bauer fcdlug wider
das Derbot feine Srau, eine Salige. Sie verließ ihn daher. Der Bauer aber bes
tam feitdem das Stottern, und das ging auf alle fpäteren Befigerdes Haufes
über 17),
Golde Samilienmale — faft immer bandelt es fic ja um Mißbildungen oder
Bebrecdhen — werden alfo oft als Solgen eines von einem Vorfahren begangenen
Unredtes, vor allem gegen die Religion, erklärt. Die oft auf aberglaubifden
Vorftellungen beruhenden Gefchichten, die man fich darüber erzählt, gehören in
das umfangreiche Gebiet der Atiologifhen Sagen. Sie fegen im allgemeinen
wohl voraus, daß die behauptete Erbeigentümlichkeit der betreffenden Samilie
irgendeinen Anhalt in der Wirklichkeit bat. In Sriesland gibt es viele Leute,
die am Ainterbaupte dide, greife Haare haben. Sie follen von den Mördern des
Bonifatius abftammen 18). Dodon, der Mörder des bi. Lambert, hatte feds Sins
ger an einer Hand, und Gott ftrafte fein ganzes Befchledht mit diefer Mißform 19).
Dagegen den Flachlommen eines Ausbundes von Bosbeit namens Bürgel, der
auf dem Suchsberge im Riefengebirge lebte, fehlten, wie der Vollsmund fagt,
ein oder zwei Singer der rechten Hand 20). Die Peiniger des bi. Othmar, die
Herren von Bodmann, follen in der Mehrzahl ihres Befchlechtes Ihadhafte Schens
fel und Süße baben 21). Ein Jude in Würzburg fpie vor der vorübergetragenen
Softie fluchend aus; da blieb der Speichel in feinem Barte hängen, und das ges
{hab künftig jedesmal, wenn er ausfpudte. Das foll auch bei allen feinen Flachs
kommen noch beute der Sall fein?2). Die Vorfahren der Einwohner des unteren
Teiles des Dorfes Zeitun auf Malta lehnten einft die Belehrung durch den bi.
13) Ztfchr. für Pollstunde 6, S. 337.
14) Wolf, Hiederländ. Sagen S. 441 (369). |
15) Zeitfchr. f. deutfche Mythol. 2, S. 236 (Aargau). Vgl. Handweörterbud des
deutfchen Aberglaubens 2, Sp. 979.
16) Schell, Bergifhe Sagen ©. 188 (119).
17) Dernaleten, Mptben ufw. des Volles in Ofterreih 247. gl. aud ebenda
245. Zingerle, Sagen ufw. aus Tirol 7.
18) Wolf, Fliederländ. Sagen 4385.
19) €benda 93.
20) Ribnau, Sdhlefifhe Gagen 2, 610.
21) Birlinger, Aus Schwaben 3, 38 f.
22) Seitfer. f. deutice Mythologie 3, 67.
Km ‘hp. ee —
1932, II Paul Sartori, Erblidhe Samilientennzeichen im Volteglauben. 109
GEBPESE FRE ee ee
Paulus ab und ftampften dabei zornig auf. Da triegten fie Plattfüße und ver:
erbten diefe an Rinder und Rindestinder ?3).
In Deutichland kommt es öfters vor, 88 Tierquäler in ihren Klachs
"kommen auf folche Wdeife geftraft werden. in Meyger fchnitt den Rälbern gern
die Augen aus oder verletzte fie daran. Da wurden er und feine Liachlommen
fchielig. Die eines Mannes, der Odgeln die Zunge ausriß oder durchftieß, wurden
alle tumm 2%).
In vielen Sällen ift der Börperliche Samilienfchaden die Solge eines ausdruds
liden Sludes oder einer Derwuinfdung 25). Doc ift die Wirkung eines
foldyen Stucyes mitunter zeitlich begrenzt. Kine angellagte Stau ſchwoͤrt:
„Gott firafe mich und meine Llachlommen bis ins dritte und vierte Glied, wenn
id) falfd geweift babe“. lady Jahresfrift ift ihre rechte Gand ganz krumm
gezogen. Fhren Rindern fehlte an jeder Hand das letzte Blied, ebenfo den Enteln.
€rft dem Urentel ward ein Gobn mit ganz wohlgebildeten Sänden geboren ?6).
Line von der fhwangeren Bäuerin abgewiefene Bettlerin verwünfcht den Eins
Sohof Schwendt im Thierfee: „Bis auf den neunten Stum (Stamm) labm und
krumm 7). Auch Japan liefert ein paar Beifpiele diefer Einzelheit. Ein Soldat
bieb einem Priefter das rechte Bein ab. Im Sterben rief diefer, er werde an dem
Goldaten und an feinen Klachlommen bis ins fiebente Blied Rache üben. Der
Soldat wird infolgedeffen am rechten Suge lahm, und den folgenden Befchlechs
tern ging es ebenfo28), Herr Afai tötet im Zorn feine Llebenfrau, nachdem er
tbe vorber ihr linkes Auge ausgefchlagen bat. Infolge ihrer Derwünfdhung vers
liert auch er fein linkes Auge und ftirbt bald darauf. Seitdem find durch feds
Generationen hindurd alle Adupter feines Befchlechtes, fobald fie das Alter von
vierzig Jahren erreicht batten, — fo alt war ihr Ahnberr zur Zeit jener Bes
gebenbeit — erft erblindet und dann febr bald geftorben 2%).
Aud will man wohl einmal eine Abfh wächung des Samilientennzeichens
wahrgenommen baben. lac einer maltefifchen Legende erhielten Wienfchen, die
nad dem Kern fpudten, als er den Ralvarienberg binanftieg, diigefchwollene
Lippen; ibre Klacdhlommen erkennt man noch beute, obwohl die fippen etwas
Meiner geworden find30). Es wird audy von Sällen erzählt, in denen das Renns
zeichen einige Benerationen überfpringt. Plutard>1) macht darauf aufmerts
fan, daß öfters Warzen, fchwarze Stellen und £eberfleden von Vätern, die bei
Söhnen verfhwunden waren, bei Enteln wieder auftauchten. Don den Rindern
des Thebaners Python, der mit dem Gefchlechte der Sparten verwandt fein follte
und zu Plutarchs Zeiten ftarb, zeigte eines das Bild einer Lanze an feinem Kors
per. Die Sparten aber — der Sage nad ftammten fie von den Dradenzabnen
ber, die Radmos gefäet hatte — follten als Muttermal eine Lanze tragen 52).
3) Dabnbardt, Maturfagen 2, 194.
24) Birlinger U, Schwaben ı, 77. Abnlib: Shambabhs Müller, Flieders
: a 243. Bander, VDollsfagen aus dem Lande Baden 184.
35) 5. B. Mitteil. d. fchlef. Gefellih. f. Woltsk. 30, 98. Rugwurm, SGagen aus
apfel 141. Dgl. Handwörterbuch d. deutichen Aberglaubens 2, 1646.
26) Rübnau, Sclef. Sagen 3, 400.
27) Alpenburg, Deutide Alpenfagen 25.
%) Brauns Japanifhe Marden und Sagen 426.
29) £bd. 425 f.
5°) Débnbardt, — — 2, 196.
31) De sera numinis vindicta 2].
32) Roſcher, Lexikon der griech. u. roͤm Mythologie 2, 240.
110 Doll und Kaffe. . 1932, II
LE
Gewöhnlich ift es der Vater, von dem das Kennzeichen vererbt wird, nicht
felten aber aud die Mutter. Allen fonft tüchtigen Rindern des Blüds- Anders
im norwegifden Marden fehlt das oberfte Glied am linken Beinen Singer. Ihre
Mutter war als Rind in den Berg zu den Robolden verzaubert, wo ihr nichts
gefchehen war, als daß fie jenes Glied verloren hatte 53). Alle Heren find triefs
Augig und haben rote, entzüundete Augenlider; fie haben das von ihren Müttern
ererbt und pflanzen es ebenfo wieder auf ihre Kinder fort 54). Jn Wurzburg
erfchoß fid ein verfchmähter Anbeter vor den Augen feiner der erften Entbindung
entgegenfebenden ®eliebten. Die Erfchrodene griff nady ihrem Hinterbaupt, und
die berührte Lode wurde plöglich grau. Ihre Tochter hatte fchon bei ibrer Ges
burt eine graue Aaarlode, und das ift feitdem bei allen Gliedern der Samilie der
Sall. Der Derfhmähte hatte der Geliebten, ebe er fi) das Leben nabm, mit einem
ewigen Dentmal feiner Todesftunde gedrobht 35). Aier bat fic die betannte Dolls:
anfdauung vom ,,Derfeben der Schwangeren eingemifcht, nach der am Kore
per dea Rindes fidh ein Mal an derfelben Stelle zeigt, nach der die Mutter an
ihrem eigenen Körper im Schreden gegriffen bat.
Auf die etwaige Richtigkeit oder Unrichtigkeit der angeführten Erfcheinums
gen foll bier nicht eingegangen werden. &s war nur die Abficht, die Anfchauungen
des Volles, und was feine Aufmerkfamteit erregt und es zu Deutungen verans
laßt bat, an einigen Beifpielen vorzuführen.
Ehevermittlung.
Don Dr. phil. et med. Lothar Gottlieb Tirala, Brünn.
n der Bevölkerung des Deutfchen Reiches lebten Mitte 1927 etwa 16,4 Mils
lionen gebarfabige Srauen, d. b. folche im Alter von 15—45 Jahren. Das
find 3 Millionen Srauen mebr, als es bei einer gleidhgroßen, normalen Bevdller
rung von 631/, Millionen eigentlich der Sall fein dürfte.
Im Jahre 1930 waren von 100 Srauen diefes Alters 51,700 verheiratet,
jetzt find es nur 48,300. &s find mithin 1,3 Millionen Srauen prattifd von der
Che und nach unferen derzeit gultigen Moralgrundfagen von der Sortpflanzung
susgefchaltet.
Dürfen wir auf die Sortpflanzung diefer Srauen verzichten? Streichen wir
fie aus dem Leben unferes Volkes? In dem Augenblid, da alle Einfichtigen rufen:
das deutfche Volk erhält nicht mehr feinen Bevdllerungsbefigftand, es fchrumpft
ein, es ftirbti Denn es werden rund 250000 Rinder jährlich Zu wenig geboren,
um auch nur den derzeitigen Befigftand unferes Volkes zu erhalten.
Zur Erläuterung mögen einige Zahlen dienen:
Im Jahre 1933 kamen auf 1000 Stauen im Alter von 15—45 Jahren überhaupt
120 Geburten
„ „ 1923 en ee ee ee ae en OR os
” „ 1924 Be ea lan Kal re ee ne 79 u
” „ 38927 se ° 70 „
auf 1000 verheiratete Scauen ‘aber fonmen gleichzeitig — 1850 Geburten.
83) Stroebe, wege Volksmaͤrchen 2, 263.
34) Rohhols, Schweizerfagen 3, $2.
85) Zeitſchr. ſ. deutſche —— 3, 62 f.
1932, II Lotbar Gottlieb Tirala, Ebevermittlung. 111
Po a Ee ee a EEE re lg Se ee er Ge ee oe eee)
Wenn es uns alfo gelänge, auch nur ein Drittel des fogenannten Srauens
überfchuffes zu verbeiraten, fo könnten wir unfer biologifdes GeburtensGoll
wieder auf die normale Adbe bringen.
Flicht die Junggefellenfteuer, Clternverfiderung, Stills und Geburtenprds
mien, Ecbrecht und Vollbürgerrecht für Rinderreiche, kurz all die Maßnahmen, die
fdon im alten Rom fich als vergeblich berausgeftellt haben, werden uns weiter
bringen, fondern nur die biologifche Erfaffung des Srauenüberfchuffes und der
Junggefellen in den mittleren und böberen Befellfchaftsfchichten.
Während bei den unteren und mittleren Beamten 3. B. rund 1/19 unvers
beiratet ift, find bei den böberen Beamten rund 16% unverbeiratet. Der Grund
ift offenfichtlih. Je fpäter einer heiraten kann, defto fchwerer entfchließt er fich
dazu. Prüfungen, lange Studien, viel geiftige Arbeit, gleihfam unter erhöhten
Drud, ProjeltsTerminsBilanzsArbeiten laffen die Luft zu heiraten erlalten und
nehmen auch die Möglichkeit, fich in der be anzupaffen, tursum Glud zu fpens
den und Blüd zu empfangen, felbft wenn der Betreffende fchon eine entfprechende
Stau gefunden bat. Wenn dann die Paare mit 35 Jahren oder noch fpäter
beiraten, baben fie alle möglichen Ausreden vor ihrem eigenen GBewiffen, keine
Rinder mehr in die Welt zu fegen und aufzuziehen — zu ihrem Troft könnte man
ihnen allerdings fagen, daß 3. B. Darwin und Lamard aus dem 44. Jahre der
Mutter und dem 42. des Vaters ftammen, Siegfried Wagner fogar aus dem
56. des Daters ufw. Die inneren Hemmungen derartig uberderanewoortliger
könnte man wirklich mit Erfolg betämpfen.
£s drängt fi daber einem jeden normal denkenden Menfden im AHinblid
auf diefe Tatfachen der Bedankte auf: fo verbeiraten wir doch diefe Millionen
Stauen. Dazu braudht man — allerdings nur bei einer monogamen Gefellfchaftes
Sorm — die entfprechende Anzahl Männer. Werden diefe aber nicht die Ehever⸗
mittlung in jeder Sorm ablehnen? Die Erfahrung beweift das Gegenteil. Nach
R. Setfcher find unter 3243 Ehebewerbern durch die Zeitung 16% Akademiker
und 70%0 in den Berufen des gebildeten Mittelftandes, Kaufleute, Beamte und
$% felbftändige Gewerbetreibende. In der Monatsfchrift „Die Sonne“, weldye
ein nordifches Anzeigeblatt mit herausgibt, fand ich unter den ebefuchenden Mans
nern gar 70% mittlerer und höherer Berufe, darunter 5800 mit Hocdfdulbildung.
Der befte Beweis für meine Behauptung, daß in diefen Schichten, wo es mehr
Junggefellen als unter den niedrigeren Schichten gibt, auch mehr Verlangen nach
Syeiratspermittlung beftebt, daß alfo unfere Beftrebungen auf fruchtbaren Boden
fallen werden.
Ic) erinnere nochmals, daß 3. B. 20% der höheren Beamten ledig ift. Man
kann nicht behaupten, daß diefe Männer aus innerem Antrieb oder Veranlagung
ledig bleiben, fondern es find dafür meiftens die Außeren Umftände maßgebend.
Gehen wir von der allgemeinen Statiftit in die eigene Umwelt, fo find da
etwa 20—250/0 aller männlichen Belannten unverhbeiratet; mebr als die AHAlfte
von ihnen find folche, die gern heiraten würden, oder gebeiratet batten und nur
weil fie keine richtige Ebegefponfin gefunden haben, ledig geblieben find. Gerade
unter der aufftrebenden aber überlafteten Sührerfchaft gibt es fo viele, die die Übers
fahrt verfäumen.
Diefe, gewöhnlich an Charakter und Intelligenz hochwertigen Wiänner, welche
in den Laboratorien, Inftituten, Arbeitezimmern, Adrfalen, Büros ufw. bis zum
fpäten Abend arbeiten, kommen fo baufig gar nidt dazu, wertvolle Srauen kennen
zu lernen. Leidtfinnige Weiber wollen fie nicht heiraten, die fie im Kaffeehaus
112 Volt und Raffe. 1932, II
———— ee ee
oder auf einer Tanzdiele ohne Schwierigkeiten kennen lernen koͤnnen, — mit denen
kann man im beſten Fall einen Flirt, ein kurzes Verhaͤltnis haben —, aber die
heiratet man nicht. Auf der anderen Seite gibt es ſo viele wertvolle, ſchoͤne und
geſunde Frauen, die in der Pflege ihrer kranken Eltern oder Verwandten, oder
verſchanzt hinter der Schreibmaſchine eines Buͤros gar niemals Gelegenheit haben,
gleichwertige Maͤnner kennen zu lernen. Iſt doch 3. B. geradezu eine koͤrperliche
und geiſtige Ausleſe von Frauen — Poſt⸗, Telegraphs und Telephonbeamtinnen —
in Deutſchland zum Zoͤlibat verurteilt und in vielen anderen Gruppen iſt es aͤhnlich.
Wir muͤſſen uns auch uͤberlegen, wie in normalen Verhaͤltniſſen das Rennen⸗
lernen und die Brautwerbung vor ſich geht. Am Dorf, in der Rleinſtadt kennt
einer den andern. Je mehr Leute aber in einer Großſtadt beiſammen wohnen,
deſto einſamer iſt der Einzelne. Wenn heutzutage jemand wirklich einſam ſein will,
dann taucht er in der Großſtadt unter. Niemand kuͤmmert ſich um ihn, einſam und
allein iſt er in dem Gewuͤhle der Millionen. Der Bauernburſch aber, der kennt von
den verſchiedenen Dorftanzereien und aus der „Freundſchaft“ ſelbſt auf kleinen
Dörfern 40—50 Mädchen, unter denen er fich feine Zukünftige ausfuchen kann.
Melcer frädtifche Mann kennt 40—50 Mädchen, unter denen er wählen kann?
£r fiebt natürlich viel mehr als der Dorfbewohner oder der Rleinftädter, aber der
Strom des großftädtifchen Lebens führt fie an ibm fo rafch vorbei, daß er keine
Möglichkeit findet, eine größere Anzabl wirklich kennen zu lernen. Ich erinnere
ferner daran, daß es noch in den fiebenbürgifchen Dörfern geradezu einen Aeirats:
marlt gibt. Die Mädchen fommen mit ihrer Ausfteuer angefahren, mit Riften
oder Truben voll Wäfche und fonftigen SHausrates. Die Trube wird auf dem
Platz abgeladen, das Mädchen fetzt fich darauf und wartet den Vormittag mit
ihren gleichgefinnten Rameradinnen,- bis ein Sreier tommt. Reine wird dadurch
entwertet, aber bei unferen bürgerlichen Mädchen gilt es als Schande, wenn eine
merken läßt, daß fie beiraten will.
Wenn wir es aud nicht fo primitiv geftalten wollen, wir müffen doch
wenigftens wiffen, wer beiraten will und kann.
Hun befteben ja in Wirklichkeit, der allgemeinen Zwangslage entfprecdyend,
einige moderne Arten der Ebevermittlung. Doran die AHeiratsgefuche und Heirates
anzeigen in den gelefenen Tageszeitungen der bürgerlichen Preffe. In den fozias
liftifcben Blättern fehlen diefe, weil Aeiratsgefuche nach fozialiftifcher Doltrine
— fiehe Bebel: Die Stau und der Sozialismus — unfittlich feien. Ich weiß aus
Erfahrung (Wien 1907), daß ein normales KYeiratsgefuch eines 28 jährigen Mans
nes in einer gelefenen Wiener Zeitung mit ungefähr 20—30 Briefen verfchiedener
Mädchen, Srauen und Witwen beantwortet wurde. Die Srauen ftammten alle aus
den unteren Schichten der Bevölkerung, weil die intelligenten und wertvollen das
Wagnis einer folben Ehevermittlung fdeuen. Wenn man die Heiratsgefuche aus
den Zeitungen zufammenftellt, findet man bedeutend mehr Manner als Srauen
unter den Gefucftellern; fo find nah AR. Setfcher unter 2963 folder Befuche
50,30,0 von Männern und 43,7% von Srauen, nach Werner unter 1302 Heiratss
anzeigen 727 von Mannern (rund 56%) und nur 457 von Srauen (0. f. 35%),
der Reft ftammt von Heiratsvermittlern.
Lieben den Heiratsgefuchen in den Tageszeitungen gibt es aud eigene Heirate-
zeitungen. In Deutfchland gibt es ungefähr 1/; Dutzend foldyer Zeitungen, dars
unter ein „Beamtenbeiratsblatt“, in welchem lediglich Anzeigen deutfcher Staates,
Bemeindes und Privatbeamten Aufnahme finden. Die Gefuche machen fehr häufig
einen recht guten Eindrud; die Bewerber fuchen einen begefährten mit ganz
1932, II | Lothar Gottlieb Tirala, Ebevermittlung. 113
eam a EEE RTE eS ELE SN SE TEE)
—— ſeeliſchen Eigenſchaften. Auslanddeutſche ſuchen dort nicht ſelten nach
einer Frau. —
Dieſe Heiratszeitungen werden ſich halten und ſicherlich noch an Bedeutung
zunehmen, weil wirklich Gruͤnde fuͤr ihr Beſtehen gegeben ſind, die ich ja zum
Teil vorher eroͤrtert habe.
Es gibt drittens in den großen Staͤdten Deutſchlands Hunderte konzeſſionierte
Ebevermittlungsbüros — in Stuttgart allein 36 —.
Kin kurzer Hinweis auf die „Schadchen“ bei den Juden, die gewerbsmäßigen
£bevermittler, welche in den beften und reichften Samilien auss und eingeben,
möge genügen.
Schließlich haben wir bereits einige Verfuche einer amtlichen Ehevermittlung.
Löwenfeld!) forderte als erfter eine ehrenamtliche Dermittlung in Ebeangelegens
beiten. Ibm fchloffen fid Thewalt, Stighr, Rubn und Spinner an.
Zwei wichtige Derfuche diefer Art find bereits unternommen worden: der
Srauenbund der deutfchen Rolonialgefellfchaft beförderte 2253 Mädchen in die
Rolonien, die dort bei den Mangel an Srauen rafch geheiratet wurden. Die Mä&ds
den waren durd) Dertrauensmanner und «frauen forgfältig ausgewählt worden.
Ebenſo bewährte fich die Magdeburger Rriegerwitwenberatungsftelle als
amtliche Ehevermittlungsftelle. Der Leiter des Amtes fab ein, daß er den Krieger:
witwen am beften dann helfe, wenn er ihre Wiederverebelichung fördere. Er vers
mittelte erfolgreich Belanntfchaften und war bald von Srauen aus ganz Deutfchs
land fo überlaufen, daß er feine Tätigkeit einftellte — anftatt fie unter dem Beifall
aller Einfichtigen fortzufetzen.
Mährend faft alle ficb eine amtliche Ebevermittlung als ein ftaatlicdes
Inftitut vorftellen, fchlage ich vor, nadhdem ich jahrelang mit allen möglichen
Stellen und Perfönlichkeiten über die Gründung folcher Inftitute verhandelt habe,
Daß die verfchiedenen GBefellichaften für Raffenbygiene, Eugenit, Dollsgefundbeit,
Aufartung, Samilienforfhung und ähnliche fich zu einer Arbeitsgemeinfchaft zu:
fammenfcdliegen mögen und in jeder deutfchen Stadt, wo eine oder die andere
GSefellfchaft vorhanden ift, eine Abteilung für Chevermittlung eröffneten.
Ein angefebener Mann und eine ebenfolde Srau follen die Dorfigenden fein,
im Ausfchuß zwei Arzte, zwei Juriften und einige Manner und Srauen aus allen
Sdhidten, womdglid auch ein wiffenfdaftlidy gebildeter Graphologe.
Der Bewerber oder die Bewerberin legen ihrem Syeiratsanfuchen zwei Photos
grapbien und zwei Schriftproben bei nebft einer kurzen Lebensbefchreibung, in
der auch körperliche und geiftige Kigenfchaften, Anlagen, Liebbabereien und Sor:
derungen an den Ehegefährten geftellt werden, natürlich auch ein Gefundbeits:
zeugnis; — als faft noch wichtiger balte id die Belanntgabe der Samilientrant:
1) £öwenfeld, Ehrenamtliche Vermittlung in Ebeangelegenbeiten, neue Generation
1918, & 9. — Mataja, Heiratspermittlung u. Heiratsanzeigen, Dunder u. Aumblot,
Münden u. Keipsig 1920. — Thewalt, Archiv für Raffens u. Gef. Biol. 1916. —
Stigler, Die vollsgefundheitliche Bedeutung einer ftaatl. Ebevermittlung, Wien. med.
W. 1918. — Ebevermittlung, Die neue Generation 1920, S. 186. — Rubn, Ebeförderung
u. Raffenbygiene i. d. Rolonien. Offentl. Befundheitspflege 1919, S. 162. Uber ametl. €hes
vermittlung, Offentl. Befundbeitspflege 1919, GS. 221. — Briegerwitwenberatungsftelle:
1. 5. Harmen, Die amtl. Magdeburg. Heiratspermittlung für Rriegerwitwen. Vers
Öff. Mediz. Derw. 22, 257, 1926. — Ebegefuche von R. Setfaer in dem Sammelwert:
Die €bhe, von M. Marcufe, Berlin 1927. — B. Sdhulgestlaumburg Das Lbes
problem der nordifchen Rafte in der Monatsfchrift „Die Sonne“ Januar 1932.
Doff und Baffe. 1932. April. 8
114 Volt und Kaffe. 1932, II
beiten, 3. 8. Schizophrenie, Melancholie, Selbftvernichtungstrieb, gebäuftes Vor:
tommen von Krebs, Tubertulofe ufw.
Der Vorftand fieht die Befuche durch, ordnet fie und fann fdon da naturlid
eine gewiffe raffenbygienifche Auswahl vornehmen und [ddt 3. B. die betreffende
Stau ein, in die von ibm als paffend erachteten Befuce Einblid zu nehmen.
Außerdem verftändigt er die dem Befuche entfprechenden Männer, fie mögen in
das Anfuchen der betreffenden Srau Einblid nehmen. Ylatürlich muß das unter
firenger Wabrung des Taltes und der Derfchwiegenbeit gefcheben. Ehrenwörts
lie Schweigepfliht! Die Manner follen ebenfo wie die Srauen nicht wiffen,
wer diefes oder jenes Befuch bereits gefeben bat. Wollen Mann und Srau nad
Einblid in das Befuch fich kennen lernen, fo kann die perfönliche Belanntichaft
vermittelt werden. Damit ift die Aufgabe der Anbabnungaftelle beendet.
Aus der raffenhygienifden Bewegung.
Kine großzügige Durdführung raffenbygienifcher Maßnahmen in der Praris bat zum
erften Male die Reiheführung der Schutftaffel SS der 11.9.D.A.P. begonnen, wie aus
dem im folgenden wiedergegebenen Befehle der Reihefübrung bervorgebt. Biefer Maßs
nahme fommt darum befondere Bedeutung zu, weil die SS heute ein Derband von 25.000
im Ainblide auf ihre Tüchtigleit eigens ausgelefenen jungen Männern ift.
Der Reicheführer SS. Münden, den 31. Dezember 1931.
SS — Befehl — A — Fir. 68.
1. Die SS ift ein nach befonderen Befichtspuntten ausgewählter Verband deutfcher
nordifchsbeftimmter Männer.
2. Entfpredhend der nationalfozialiftifichen Weltanfhauung und in der Erkenntnis,
daß die Zukunft unferes Volles in der Auslefe und Erhaltung des raffifch und erbs
fundheitli guten Blutes berubt, führe ih mit Wirkung vom 1. Januar 1932
für alle unverbeirateten Angehörigen der SS die „Heiratsgenehmigung“ ein.
3. Das erftrebte Ziel ift die erbgefundheitlid wertvolle Sippe deutfcher nordifchs
beftimmter Art.
4. Die Seiratsgenehmigung wird einzig und allein nad raffiichen und erbgefundheits
lihen Gefichtspuntten erteilt oder verweigert.
b. Jeder SSsMann, der zu heiraten beabfichtigt, bat hierzu die Aeciratsgenebmigung
des Reichsführere»sSS einzuholen.
6. SSsAngebörige, die bei BE BL Und der Aeiratsgenehmigung trogdem heiraten,
werden aus der SS geftrichen; der Austritt wird ihnen freigeftellt.
7. Die gomacmate Bearbeitung der Aeiratagefude ift Aufgabe des „Aaffeamtes“
der ;
2. Das Raffeamt der SS führt das „Sippenbuch der SS“, in das die Samilien der
SSsAngebörigen nach Erteilung der Feiratsgenebmigung oder Bejabung des Lins
tragungsgefudes eingetragen werden.
9. Der ReichesführersSS, der Leiter des Raffeamtes und die Referenten diefes Amtes
find ebrenwörtlid zur Verfchwiegenbeit verpflichtet.
10. Die SS ift fich darüber Mar, daß fie mit diefem Befehl einen Schritt von großer
Bedeutung getan bat. Spott, Hohn und Mißverfteben berühren uns nicht; die
Sulunft gebort uns!
Der ReicheführersSS. ge. 9. Himmler.
Anlagen:
Ausführungebeftimmungen.
Mufter einer Abftammungstafel.
Mufter des Befuches um Heirstsgenehmigung.
1932, II Aus der caffenbygienifdhen Bewegung. 115
EEE)
Ausfühbrungsbeftimmungen
zum SSs Befehl — A — Fir. 65 vom 31. Dezember 1931.
§. SSsAngehdrige, die zu heiraten beabfichtigen, haben diefe Abficht mindeftens drei
Mionate vorher an den ReichsführersSS zu melden.
2. Vlad Eingang diefer Meldung werden dem Hteldenden die Unterlagen, die für
das Gefud um AHeirategenebmigung notwendig find, zugefandt.
3. Die Unterlagen beftehen aus den Abftammungstafeln und dem Mufter eines Erb»
u
e Gefuchfteller hat dem Gefuh um AHeiratsgenehbmigung beizulegen:
die Abftammungstafeln von fih und feiner Braut,
die Erbgefundheitszeugniffe von fid und feiner Braut,
die lidenlofen Leumundszeugniffe von fic und feiner Braut,
die ludenlofen, ausfibrliden Lebensläufe von fich und feiner Braut.
Gefude um “eiratsgenebmigung und Anlage given in gefdloffenen verfiegelten
Briefumfchlägen auf den Dienftwege an den AReidsfihrersSS.
. Der — ührer⸗SS gibt Geſuch und Anlagen an das Raſſeamt zur Bearbeitung
und Prufung.
. lad erfolgter Bearbeitung und Prüfung wird das Gefuch dem ReicheführersSS
zur Entfcheidung vorgelegt.
. Mad erfolgter Zuftimmung wird der Gefuchfteller und feine Samilie in das
„Bippenbuch der SS“ eingetragen.
3. Allen anderen Angehörigen der SS (verheiratet oder nicht verheiratet) ftebt es frei,
unter Einreichung derfelben Unterlagen die Eintragung in das Sippenbucdh der
SS zu beantragen.
Der Reicheführen-: SS. ges. 9. Himmler.
“a © oa
Ein ergänzender Befehl befagt:
}. SSsManner, die vor dem 8. Januar 1932, dem Tag der Belanntgabe des SS Bes
feblessA sFr. 65 (Siratsgenebmigung), bereits verlobt waren, brauchen nicht um
Fyeiratsgenebmigung einzugeben, da grundfäglich in beftebende Rechtaverhaltniffe
nidt cingegriffen wird.
2. Zu den Ausführungsbeftimmungen, Ziffer 1: Der SSsAngebörige, der zu beis
raten beabfichtigt, bat diefe Abfiht mindeftens 3 Monate vor der Derlobung
an den Reichsführer SS zu melden, da die Verlobung bereits ein Rectsalt ift. Die
Genehmigung ift alfo vor diefem Rechtsalte einzuholen.
*
Raſſenbygieniſche Maßnabmen in Indien. Um dem Geburtenruͤckgange zu ſteuern,
ſoll auf Verfuͤgung des Maharadſcha von Raſchmir von nun ab jeder Vater eines neugeborenen
Rindes ein Hektar Land erhalten. Die Bevölkerung wird gleichzeitig durch Flugſchriften
und Plakate auf die Gefahr der Rinderloſigkeit hingewieſen.
Oeburtenrüdgang im ı. Halbjahr 1931. Mak dem vorlaͤufigen Berichte des ſtatiſti⸗
feben Reihsamtes wurden im 3. Aalbjabre 193) im Deutfchen Reiche 30 000 Eben weniger
efdloffen, gemeffen an der gleichen Zeit des Dorjabres. Diefe im wefentliden surdh die
Reigende Wirtfchaftstrife bedingte Ericheinung bat im Gefolge, daß rund 45 000 Rinder in
dem vergangenen AHalbjabre nidt zur Welt tamen im Gegenfage zur gleichen Zeit des Dors
jahres. Da die Heiratsziffer der gefamten Broßftädte noch um 4090 binter dem Reichee
durdfdnitte liegt, mus man fdliefen, daß diefes „Defizit“ an Geburten im ganzen Reiches
gebiet (1930, 3. Halbjabr: 214658; 1933, 3. Halbjahr: 143704) faft ausfchließlich vom
Kande und der Rleinftadt getragen werden muß.
32 Mill. for Geiftestrante. Auf oer Te nq des Breifes Schwaben wurde auch über
die SHeils und Pflegeanftalten des Kreifes berichtet. Die 28500 Beiftestranten Bayerns
koften den baperifhen Staat jährlih gs Mill. Reihsmart. Der Anteil des Rreifee Schwaben
an der Gefamtzahl der Geiftestranten ift fehr body.
Ob die fog. „offene Sürforge“, die zu einer Derminderung des Rrantenitandes geführt
bat, das Übel an der WOurzel und ein Zurudgeben der I der Geiftestranten bewirtt,
ift ftark anzuzweifeln, wenn nit vor Entlaffung aus der Anftalt die betreffenden Aranten
fterilifiert werden.
3*
116 Volt und Kaffe. 1932, II
Internationaler Raffenbygieniter-Bongreß 1932. In diefem Jabre findet in
nung I dem 6. Dererbungss Rongreß, der in Itbaca, im Staate Lieuyork abgehalten
wird, ein Rongreß der Raffenbygieniter aller Weltteile ftatt. Der Tagungsplan zeigt an,
daß die Raffenbygiene in zwei Gruppen geteilt wird; die gefellfhaftlidde und praktifche
ARiühtung wird in Lleuyork befproden; die Abteilung für mentehliche Dererbungslebre wird
ihre Sragen auf dem gleichzeitig ftattfindenden Rongreß der GBenetiler in Ithaca behandeln.
£ine forgfältig angelegte Ausitellung foll befonders die erblichen und patbologifhen Zus
fammenbhänge umfalfen, damit die Arztefchaft die bisher den rafjenbygienifchen Beftreb
nod etwas fern ftand, auf die Wichtigkeit diefer Sragen bingewiefen werde. Daneben foll
ein Tag in Goldfpring Marbour verbradht werden, um das dortige raffenbygieniide Urs
tundenamt und die vielen beadhtenswerten Unterfudungen des CarnegiesInftituts far Ders
erbungslehre unter dem Direttor Prof. Davenport 3u bejidtigen. Der Gekretdr des 3.$.2.0.
Dr. 9. 9. Laugbin, Eugenifches Urkundenamt, Goldfpring Harbour, Long Island, Fleus
york, U.S.4., bittet um Nachrichten über Sortfchritte der raffenbygienifchen Bewegung in-
den verfehiedenen Ländern, um diefe auf die Tagesordnung des Rongreffes fetzen zu können.
Aus: The Eugenics Review.
In Band 23 ©. 117—1236 berihtet Eldon Moore („Unfere nationalen
Laften“) über die Erbebung des Mental Deficiency Committee, eines ges
mifchten Ausfchuffes er Board of Education and Board of Control. Die
Unterfuchung, die fih auf 6 Bezirke mit etwa 300000 Einwohnern beziebt, geftattet fich
ein annäberndes Bild der Verbreitung des Schwachlfinns in England zu machen. Danach
feheint der Shwahjfinn in England auf dem Lande verbreiteter zu fein als in der Stadt.
Die Zahl der eee betrug in den unterfuchten ländlichen Bezirken faft 10,679/o0,
in den ftädtifchen annähernd 6,489/o,. Im Durdhfanitt der Bevdllerung wird man etwea
8% oo in Rechnung ftellen Lonnen, was auf ganz England tbertragen 314 000 geiftig Minders
wertige jeden Alters und Grades ausmadt. Dabei find Gerftestrante, Cpileptiter und
Pfycdopathen nidt einberechnet. Da nad einem Bericht der Böniglichen KRommiffion vom
Jahre 3906 in England etwa 40/0 der Bevölkerung fhwadhfinnig waren, fo ift in den
23 Jabren eine Zunahme der Shwadhfinnigen von 100% feftzuftellen, die nach dem Bericht
der Bommiffion nicht auf andere Unterfuhungstechnit oder Abgrenzung des Begriffs
„Schwadfinn“ zurüdzuführen ift. Als bedeutfam für diefe Entwidlung wird aber anges
feben, daß beute die Shwahfinnigen günftigere Ausfichten haben am Leben 3u bleiben, als
früher.
Die Kommiffion fpricht fich für einen Ausbau der Sürforge aus, da neben den Minders
wertigen auch die normalen Rinder durch fie am Leben erhalten würden. €. Moore fagt
dagegen febr Mar, daß eine Sürforge, durch die auch nur ein minderwertiges Rind mehr am
Leben erhalten würde, von Schaden fei, felbft wenn gleichzeitig die Zahl der normalen
Rinder verdoppelt würde. Das Mißverbältnis tritt jedoch befonders ftark bervor, wenn die
Geburtenzahl der normalen Rinder fällt, die der Minderwertigen aber gleich hoch bleibt.
In: „Baffenmifhung in verfhiedenen Gegenden der Erde" (Band 21 S. 57—063)
wendet fid Rachel, M. Fleming gegen den „raffifhen Brößenwahn“ der Weißen. Auch
fremde Raffen batten groBe Kulturen hervorgebracht. Es könnten doch vielleicht von beiden
Seiten die „guten“ KLigenfchaften vererbt werden. Man wiffe nicht, welche Rolle die
Umwelt fpiele, 3. B. bei Mifchlingen in Hafenftädten. Es fei beifer, das Kliveau der Mifchs
linge durch weitere Mifchungen urd Weiße zu beben, als fie fozial zu Achten.
Diefer Anfiht SIemings tritt €. Moore im felben Heft S. 273 —76 auf Grund
der Erfahrungen mit Raffentreuzungen bei Tieren entgegen. Rafjenmifchung fei ein Glüdes
fpiel, deffen Ergebnis man nicht vorberfeben kann. Sur den biologifh Dentenden — wenn
er fein eigenes Raffenvorurteil vergeffen kann — ift ng in Menfeoen nur
ein ——— Experiment, das unſere Beobachtungen an anderen Organismen beſtaͤtigt.
Wichtiger als der Baſtardierung das Wort zu reden, iſt, die guten cbftämme bei uns
— die uns ein Erperimentieren im Dunteln erfparen — 3u erhalten und zu ftärlen.
Wie wichtig diefe Sorderung Moores ift, zeigt ein Auffatz über „Die Derwandtiaft
bedeutender Männer, III. Die Größe ihrer eigenen Samilie und die ihrer Eltern“ von
W. T. 3. Gun und M. €. Buer mit einem Hahwort von E. Moore (Bo. 23, SG. 253
ap
1932, II Aus: The Eugenics Review. 117
EEE
bis 262). Don 200 beroorragenden Männern des Öffentlichen Lebens, der Wiffenfchaft und
der Runft, die in England zwifchen 1500 und 1900 lebten, befaßen 4 Rinder und mebr 54,
I—4 Rinder 59; 42 waren kinderlos, 45 unverbeiratet. Llur die ehelichen Rinder wurden
Ka deren Zahl aber wohl etwas größer fein dürfte, weil wohl nicht immer alle
Rinder, befonders die Srübgeftorbenen, erfaßt werden konnten. Kur etwa die Sälfte aller
grote Männer bat überhaupt Klahlommen, und die Rinderzahl der Übrigen ift böchftens
i den bedeutenden Männern des Öffentlichen Lebens groß genug, um den Sortbeftand der
Sührerfchicht aus fih heraus zu gewäbrleiften. Das zeigt deutlich folgende Tabelle.
Sruhtbarkeit bedeutender Männer in England.
Samiliengröße
Bedeutende Männer Zeit Zahl der Sruchtb. Iberbaupt
des öffentlichen Lebens vor 1800 37 5,13 3,32
nad 1800 58 4,14 3,37
der Wiffenfchaft vor 1800 26 5,37 2,38
nad 1800 27 4,82 3,96
der Runt vor 1800 38 4,45 2,34
nad 3800 34 4,2} 2,38
alle bedeutenden Manner vor 1800 303 4,89 2,71
nad 1800 99 4,85 2,064
Rinder der Eltern bed. Männer vor 1800 — 6,33 —
nach 1800 — 6,05 —
Durdfdnittebevditerung 3775—99 Taufzablen je Ehe 3,05
1800—34 3,7
um 3830 nah Taufzablen gefhägt 4,3
1876— 84 4,5
Um die Rinderzahl bedeutender Männer mit denen der Ducchfchnittebepälterung zu
vergleichen (die Taufzahlen für die Durchfchnittsbevälterung müffen nah IM. €. Buer um
dal: vermehrt werden, um die Geburtenzabl 3u erhalten), bat €. Moore aus dem als
le angefügten Urmaterial des Autors die Rinderzahl je Ehe der bedeutenden Männer
errechnet. Sie beträgt vor 1800 3,8, nach 1800 3,34, während die Beburtenzahl der Durds
fdnittebenditerung nach 1800 4,2 je Ehe beträgt.
„Die Intelligenz von Swillingen” (Wd. 22 S. 183—186) wurde von Aler H.
Wingfield an der Univerfitat Toronto auf Grund von Tefte bei 1023 Zwillingspaaren
und 29 Waifen unterfudt, welde mindeftens 3 Jabre und mindeftens 25% ibres Lebens im
felben Waifenbaus verbradt batten. Diefe Unterfuchungen, vergliden mit den gleicen
Teftprüfungen bei verfchiedenen Derwandtideftsgraden und nicht verwandten Perfonen,
ergaben überwiegende Gleichheit der Prüfungsergebniffe bei erbgleihen Zwillingen. Der
BRortrelationstoeffizient für die Intelligenz beträgt bei: identifchen Zwillingen + 0,90; bei
gleidge(dlecdtliden Zw. -+- 0,82; bei zweieiigen Zw. (fraternal twins) -+ 0,70; bei uns
en 3w. + 0,59; bei Gefchwiftern (siblings) +- 0,50; 3wifden ltern
und Rindern + 0,30; bei Befchwifterlindern + 0,27; zwifdhen Großeltern und Entel
+ 0,35; bei Waifen + 0,00; bei nicht verwandten Rindern + 0,00. „JIe näber die genetifche
Derwandtfchaft zwifchen Individuen ift, um fo größer ift der Brad, in dem fie fich bezüglich
der Intelligenz gleichen. Alfo ift die Intelligenz eine erbliche Eigenſchaft.“
In einem Auffeg „Natürliche Selektion beim Menfhen und die Entwidlung der
menfdliden Intelligenz“ führt S. 4. Holmes (Bd. 223 SG. 7—16) fir unfere heutigen
Derbältniffe aus: Die Sterblichkeit in gewiffen Berufsgruppen ift viel bdber als in wieder
anderen. Andererfeits beftebt ein Sulammaban zwifchen dem Berufsniveau und dem
ftigen Kliveau. Srisber waren die Todesurfaden in allen Gruppen viel einheitlicher.
t bringt die Wirtfchaftsordnung viel mehr Gelegenbeit 3u fterben, fur weniger begabte
Menfdhen. Cine Auslefe gefdhiedt alfo nicht nur nah phyfifden Momenten, fondern aud
nad) der Begabung. Leider wirkt aber diefer günftigen Auslefe heute noch der dyseugenifche
Einfluß der differenzierten Geburtenzabl entgegen. Holmes bofft, daß in Zukunft darin
nod eine Befferung eintreten könne.
In Bd. 23 SG. 15— 18 finden fich intereffante Mitteilungen über die nad eugenifchen
Gefidhtspuntten aufgezogene Gartenftadt „Les Jardins, Ungemady“ bei Straßburg. Der
118 Volt und Kaffe. 1932, II
Reiter diefer Gartenftadt Alfred Dachert berichtet, daß nur junge Ehepaare aufger
nommen werden, die fich viele Rinder wünfchen, denn „wir wollen nicht kinderreichen
Samilin Obdah gewähren, fondern weldbe fhaffen“. Tur Ehepaare, die einer
febr forgfaltigen Auswahl in jeder Beziehung genügen, werden aufgenommen, foldye, die
keine Rinder belommen, müffen wieder ausziehen. Die Siedlung umfaßte 1929 132 Hauler
und 692 Einwohner. Lotbar Loeffler, Riel.
Aleine Beiträge.
Wie fab Ehriftus aus?
In einer in dem Runftverlage Hugo Schmidt, Münden, erfhienenen Schrift mit
obigem Titel behandelt Sranz Wolter!) unter Beigabe von 12 Abbildungen den Sund eines
Ropfes aus paläftinifchem oder Agyptiichem Alabafter, der vor etwa 25 Jahren in Jerus
falem gemacht wurde und der dann von einem griechifchen Runftbändler mit anderen Runfts
gegenftänden nad) Minden zum Verkaufe gebracht worden ift. Der Ropf ftellt eine künfts
rifche, und wie man fagen muß, bedeutende künftlerifche Arbeit eines in belleniftifcher
Kunftüberlieferung erzogenen unbelannten Rünftlers aus dem ı. Drittel des I. Jahrhun⸗
derts n. Chr. dar. Erwiefen ift, daß es Jefusbüften gab, zwar kaum bei ftrenggläubigen
Chriften, wohl aber in Käufern mit belleniftifcher Bildung und riftliden Meigungen oder
Überzeugungen mebr oder minder tiefgebender Art. Mit einer gewiffen Wabrideinlids
keit, daß ein fo auffallender Menſch wie Jefus einmal zu feinen Lebzeiten einen der aud in
SyriensPaldftina nicht feltenen belleniftifch gefdulten oder gar aus Griechenland ftammens
den Rünftler zu einer Bildnisbüfte angeregt babe, ift zu rechnen, ebenfo mit Madhbildungen
eines folhen Runftwerts für den Bedarf der oben gelennzeichneten belleniftifchschriftlihden
Syaufer. Auch Raifer Alerander Severus (222— 235) bejaß eine Jefusbüfte.
Der Kopf zeigt Bert und in der Mitte gefcheiteltes Hauptbaar, wie es bei Jefus
entfprechend feinen Beziehungen zur Sekte der Klazirder anzunehmen ift. Das Haar fällt
bis auf die Schultern, wie dies KIonnus Ende des 4. Jahrhunderts für die Galilder als Gitte
bezeugt und wie es wohl auch allgemeinsjüdifch war. Auch für den unten zwiegeteilten Bart
des Wlabaftertopfes Iaffen fid Weabrideinlidleitabelege aus Zeit und Umwelt Jeju ers
nen. So darf Wolter als Kunftwiffenfchafter den Schluß zieben: „Diefer Jes
rufakemsChriftus ift entftanden aus porträtbafter Llaturnäbe, im Gefühl, fidh des gebotenen
Stoffes zu bemächtigen.”
Darin kann, ja muß man Wolter durchaus recht geben. Ob der fünftlerifch und ges
Shichtlih wertvolle Kopf aber Jefus widergibt? (Die Stage der Beichichtlichkeit Jefu fei
bier einmal ganz bei Seite gelafjen). — izupflichten it Wolter aud darin, daß,
wenn nicht ,jeder”, wie Wolter fdreibt, fo doc febr viele Abendländer, befonders Abends
länder mit germanifcher Prägung ihrer Empfindungen, wenn fie diefen Kopf betrachtet
baben, auf die Srage, wer der Dargeftellte fei, fo antworten werden, wie Wolter das
nad feinen Erfahrungen an "Atenfiben der verfchiedenartigften Bildungsftufen“ mitteilt,
nämlich mit der Ausfage: „Das ift Chriftus’. Dabei ift aber zu bedenken, daß diefer Ropf
mit den (vielen Menfchen geläufigen) Iefusdarftellungen eines Dürer, eines Lionardo da
Vinci oder aud eines Thorvaldfen und anderer immerbin fo viel Abnlichleit bat, daß
auch daraus eine foldhe Ausfage fich erflären könnte. Dod) wird man Wolter recht geben,
daß Iefus fo ausgefeben haben kanıı und daß andere als diefe Züge dem abendländifchen
Betrachter eben nicht oder nur unter Zwang feiner Vorftellungen als die Züge Jeju ers
fheinen würden. Wolter tann aud für feine Annahme die Urteile anderer Aunfts
wiffenfchafter anführen, und es muß ihm ficherlich zugeftanden werden, daß diefem Sunde
und feiner Deutung eine außerordentliche Wichtigkeit zulommt.
Sollte wirklich diefer Kopf ein Zeugnis über die Züge Jefu bedeuten? — Dann wäre
er eine Betätigung der Sfters fchon en Vermutung, daß man fich Jefus nicht als
bezeichnend judifch vorftellen dürfe. olter fagt mit Recht, daß diefer Kopf „keine Vors
ftellung eines rein jüdifchen Typs“ vermittle. Dem raffentundlidyen Betrachter wird fid
fofort für die Sormen diefes Ropfes — über feine Sarben läßt fidh je nichts fagen —
1, Wolter, Sranz, Wie fab Chriftus aus? 1930. Hugo Schmidt, Verlag, Mins
den. Gebeftet 2,50 ME.
1932, II Bucbbefpredhungen. 119
pi _____________t.___t
die Annabme vorwiegend nordifder Züge ergeben. Bas ganslide Sehlen vorders
aſiatiſcher Züge wird ihm im Ainblid auf Ort und Zeit auffallen, und in der Anficht mit
dem nach vorn geneigten Ropf (Abb. 13) wird er nad der Bildung der Unterlippe die Moͤglich⸗
keit eines Einfchlags der orientalifchen Raffezugeben. Haar und Bart ericheinen von der
Besen Weichheit wie bei den Bildnisbüften vorwiegend nordifcher HeHenen; dod) daran
Önnte auch die belleniftifche Runftüberlieferung beteiligt fein, obfehon man bei der Bes
gabung des Rinftlers auc die Erreichung einer „Porträtähnlichkeit” vorausfegen darf.
Ein Einfhlag nordifdher Raffe läßt fi) auch für das damalige Syrien und Pas
läftina mebr als wabhrfcheinlid machen. Wäre ein folcher Einfchlag, der gerade auch für
Oaliläa anzunehmen ift, durch Erbhäufung innerhalb des Befchledhtes Ihn und bei ibm
felbft fo ftark bervorgetreten, fo müßte man ibn aud in leiblider Sinficht als eine der
Randerfcheinungen (und aljo nicht Rernerfcheinungen) des damaligen Judentums auffaffen,
als die er ja in feelifcher Hinsicht auch erjcheint.
Sür die gefamte hriftliche Welt, vor allem aud fur die hriftliche Runſt, kommt nach
all dem dieſem Funde beſondere Bedeutung zu. —Hans F. R. Guͤnther.
Buchbeſprechungen.
Carl Baafen: Niederfächlifche Siedlungskunde. Verl. Ad. Littmann, Oldenburg i. ©.
1930. 387 S. 77 Abb. und Pläne.
Die Deröffentlihung eines folden Buches lag gewilfermaßen in der Luft, nachdem
£Einzelunterfuhungen von Rotbert, Swart, Martiny, Pröwe, Oftermann
und neuerdings Hunte ein Clareres Bild über die Anfänge des Siedlungsurjprungs und
des Aderbaus im nordweftliden Deutfchland ermöglicht haben, als es die Torfpungen von
HAansfen und Meigen julieBen. Ls zeigt fidh wieder einmal, daß die verhältnismäßig
fpäten Berichte der Urkunden oder der Römer nur zeitliche Bilder einer Entwidlung find,
die bereits Jahrtaufende vorher eingejegt batte, daß fie für die vorgefchichtlidhe Zeit wenig
fagen und erft durch Bodentatfachen zu verfteben find. Es bäufen fich die Beobachtungen,
daß die Germanen fon in der Steinzeit einen geregelten Plaggenbau, in der Bronzezeit
mindeftens einen technifdh bodftebenden Aders und Wiejenbau kannten, ja daß fie in einer
planvollen Bewirtfchaftung des Waldes (was bisher nie fo recht 3um Bewußtfein ges
fommen war) fich als verftändnispolle Verwalter ihres AHeimatbodens ausweifen. Der
frühe Übergang zur planmäßigen Bodenkultur infolge der fteigenden Dollszabl fcbuf die
erfte Brundlage für einen genoſſenſchaftlichen Zuſammenhang. Aber für diefe engen Bes
ziebungen, über die fich der Derfaffer nur im Zufammenbange mit der Siedlungstunde
dußert, fpricht die Verbindung von Aderflur und Siedlung, bei der die erftere unbedingt
beftimmend ift und der Siedlungsform eine von ihr abhängige Stellung zuweilt. Dabei
beftebt, woas angefichts neuerer Erörterungen von Wert ift, durchaus kein Gegenfag swifden
Einzelbof und SHaufendorf. Der Derfaffer faßt, m. €. mit Recht, die Dreifelderwirtichaft
als ein räumliches, nicht als ein zeitliches Llebeneinander auf; er rüdt fie dadurch in
ein weit höheres Alter binauf als in die bisher dafür in Anfprudy genommene Rarolingers
zeit. Auch die Wiefentultur ift altgermanifch und durch Keden und Wälle fchon in der Lirzeit
frftematifch gepflegt worden. Als ein wichtiges Ergebnis, auf das der Verfaffer anfceinend
nicht befonderen Wert legt, falle ich die Seftitellung auf, daß bei dem unleugbar boben Alter
des Eihes bzw. der Gewannflur die Anfänge fih aus dem Privatbefitz gebildet haben,
daß alle Behauptungen, den Germanen ein urfprünglich genoffenfchaftliches Bodeneigentum
zuzufprechen, den Tatfachen gegenüber nicht ftandbalten. — Auf einen Irrtum binzuweifen,
geftatte ih mir zum Schluffe: Der Pflug von Dabergog ift nicht fteinzeitlih, fondern ents
ftammt dem Mittelalter (Zeitfehr. f. Ethnologie, Berlin, 1924 S. aye 1926 = —
obert Mmielke
Ewald Banſe, Deutſche CLandeskunde, Teil J: Nieder⸗ und Mitteldeutſchland. J. F.
— Verlag, Muͤnchen 1932. 327 Seiten, oo Abbildungen. Preis geb. ME. 10.—,
eb. .12.—.
— Banſes deutſche Landeskunde ſtellt etwas ganz Neues und Einzigartiges im geogra⸗
phiſchen Schrifttum dar. Man glaubt beim Leſen auf einem großen Rreuz⸗ und Querfluge
uͤber Deutſchland zu ſein und den uͤber Geologie, Land, Geſchichte und raſſiſche Juſammen⸗
ſetzung der einzelnen Gebiete kundigen Verfaſſer neben ſich zu hoͤren, der die großen Zus
120 7 Volt und Raffe. | 1932, II
fammenbänge zwifchen Menfh und Scholle, Doll und Raffe in feiner bildhaften Sprache
erklärt. In dem vorliegenden erften Bande behandelt der Derfaffer zunächft Deutihland als
Ganzes: Beobgifhen Aufbau, Sorm, Klima, Pflanzenwelt, Raffenfunde, Rultur, Bes
fiedlung und Wirtichaft und gebt dann auf die erften zwei der vier „Landformgebiete”, die
er unterfcheidet, auf Lliederdeutfchland und Miitteldeutfchland, ein. Sur Banfe find weder
die politifche, noch die rein geograpbifche Abgrenzung maßgebend, es ift dies in viel größerem
Mage die Sremmessumeböcigteit der Bewohner. Mit Fliederdeutfhland umfaßt er die
Lliedverlande, Weftfalen, Niederſachſen, Schleswig⸗Holſtein, Mecklenburg. Vorpommern,
Uckermark, Mark Brandenburg, Hinterpommern, Altpreußen und Oftmart, mit Mittels
dseutfdland Sdlefien, Oberlauf, Sadjen, Thüringen, Hefien und das Rheinland. Auf
Grund feiner reihen Erfahrungen und Studien, die der Verfaffer im Laufe von 25 Jahren
gewonnen bat, ift es ihm möglid geworden, jedem der einzelnen deutfchen Stammesgebiete
in der Weife gerecht zu werden, daß der Lefer ein in jeder Richtung plaftifhes Bild von
£and und Voll gewinnt.
Das Bud, das aud in der ganzen Ausftattung vorzüglich ift, kann beftens empfohlen
werden. Der zweite Teil, der Süds und Alpendeutfchland behandelt, ift inzwifchen auch
erfchienen. Bruno RK. SHulg.
Mag Gottihald: Deutihe Namenkunde. Linfere Samiliennamen nach ihrer Entftehbung
- Bedeutung. — F. Lehmanns Verlag, Muͤnchen 1932. VII, 428 S. Preis geh.
. 13.—, geb. ML 16.—.
Das reidbaltige Bud beftebt aus zwei Aauptteilen: einer Clamentunde und einem
Vamenbud, weldes an die 50000 verfdledene Samiliennamen verzeichnet und naw Mdgs
lidhfeit deutet. Die Liamenkunde behandelt den ganzen Stoff vom fpradhgeidhidtliden wie
vom tulturgefdidtliden Standpuntte aus, eingebend genug, um aud oem Lehrer an
bdberen Schulen und dem Studierenden als ficherer Sührer zu dienen und dabei fo übers
ficdtlid und gut verftändlidh, daß fich jeder Gebildete obne befondere Dortenntniffe leicht
einlefen und an dem vielfeitigen Stoff Intereffe gewinnen kann. Befonders fei darauf bins
gewiefen, daß die Perfonennamen altdeutfcher Herkunft in beiden Teilen ausführlid bes
thdfidhtigt find, da fie ja in ungemein zahlreichen Sällen heute (oft in kaum ertennbarer
Geftalt) zu Samiliennamen geworden find. Daß über die Liamenbildung in den wichtigften
Stremödfprachen das Kotwendigfte gefagt ift, erfcheint fehr zwedmäßig. Abgefeben von dem
Bulturgefchichtlichen Reiz des Stoffes (man denke etwa an die Llamen, welde an uralte
religiöfe Vorftellungen anknüpfen, oder welde die Erinnerung an längft abgelommene
DBerufsbezeichnungen forterbalten) ift befonders erwähnenswert, daß der Derfaffer auch
der Klamenftatiftit gebührende Aufmerkfamtleit zugewandt bat; dieje liefert wertvolle Aufs
fhlüffe über Hertunftsfragen, welde fir Ortss und Samiliengefchicdhte widtig und aud
für die raffentundliche De LTE EHER) beachtenswert find. Die
befonnene Art, in der fic der Derfaffer über die Schwierigkeiten des Gegen(tandes aus
fpricht, erwedt das Vertrauen, daß er fein Beftes getan bat, um die Aufgabe zu bewältigen.
Der Preis erfcheint in Anbetracht des Bebotenen außerordentlich niedrig, was die zablreidhen
Intereffenten gewiß dankbar begrüßen werden. %. Zei, Srankfurt a. M.
Sriedr. Ehrhardt Haag: Die geiftige Gefundheit des Volkes und ihre Pflege. Verl.
J. §. Lehmann, Minden 1931. 243 S. Geb. MI. 7.—, geb. ME. 9.—.
„Die Unterfudung der verfdiedenften Sragen in der Gefundbeitslebre (Arbeit und
Erholung, Wohnung, Surforge, Woblfabrtapflege, Geburtenzabl und andere Gebiete) ergibt
nur balbe Antworten, wenn nidt neben dem Rérperliden aud geiftige Gefidtspuntte
fteben.“ Diefe Erfabrung, die der Derfaffer während feiner ns Hr als Schuls und Bes
sirtsarzt machte, veranlaßte ibn, in dem vorliegenden Buche die Beftrebungen und Maßs
nahmen der heutigen fozialen Hygiene und Gefundbeitspflege unter dem Gefidtswinke! der
neueren Pfychologie zu betradhten. Er verfucht weiterhin darzutun, wie in Zukunft bei
ven bisher vorwiegend von der Vernunft ber beftimmten fürforgerifhen Maßnahmen des
Staates und der Gefellfcaft unbedingt aud geiftigen Gefidtspuntten aa sade Rech⸗
nung getragen werden muß. Erſt dann kann man hoffen, daß auch beim Einzelnen die heute
vorwiegend auf die Erreichung eigenſuͤchtiger Nahziele gerichtete Denkweiſe abgeloͤſt wird
durch eine verantwortungsbewußte, auf uͤberperſoͤnliche Lernziele gerichtete Gefinnung.
In den vier Hauptteilen des Buches („Das geiftige Leben des Einzelnen”, „Das
geiftige Leben der Bemeinichaft“, „Das geiftige Leben in der fozialen Hygiene’, „Bildung
als ulung des Geiftes“) wird fowohl der Arzt, als auch der Erzieber, Dollewirt und
jeder, deffen Arbeit der Allgemeinheit gilt, reihe Anregung finden. Daß bei einer Arbeit,
1932, II Budbefpredungen. 121
TT _______________i_._.|_________|
die Ergebniffe der verfchiedenften Ben und theoretifden Wiffensgebiete miteinander
zu vertnüpfen fucht, der einzelne Vertreter einer Spezialdifziplin Hier und da Einwaͤnde
erheben kann, ift nicht verwunderlih. Das Bud mug als Ganzes gewertet werden und
ift cin weiterer erfreulicher Schritt weg von einem einfeitig übertriebenen Nationalismus.
Lothar Loeffler, Riel.
_ Ridard Hennig: Geopolitib, die Lehre vom Staat als Lebewefen. Verl. Teubner,
—— und Berlin, 1933. Zweite verm. Aufl., 390 S., 21 Rarten im Tert. Preis geb.
ſ.—.
Mit Recht weiſt der Verfaſſer in ſeinem Vorworte darauf hin, wie wichtig fuͤr eine
gluͤctliche Politik, zumal fuͤr die deutſche der Gegenwart, die Kenntnis der weltpolitifchs
erdkundlichen Zuſammenhaͤnge iſt, die er in dem vorliegenden Werke zuſammenfaſſen will.
Von den neun Rapiteln iſt eins im weſentlichen den Grenzen gewidmet, in dem die
verſchiedenen Grenztypen (ethnolog. wirtſchaftl., ſtrateg. uſw.) und ihre Vorausſetzungen
unterſucht werden, ferner ihre Überjchneidungen, die dem mächtigen Staat immer Gründe
zur Gebietsausdehnung geben. In diefem Zujammenbang wird auf Grund vieler gefchichts
lidyer Beifpiele die wichtige politifche Erkenntnis zum Ausdrud gebracht, daß nämlich Uns
duldfambleit pe n andersipradlide Minderheiten im Staate fat immer der falfche Weg
ift, fremdvd bitte Elemente fur den Staat und die Spradhgemeinfdhaft 3u gewinnen.
Jn einem weiteren Kapitel find die Bevdllerungsprobleme des Erdballs behandelt:
das Anwadhfen der Bevölkerungszahl auf der Erde, der gegenwärtige Bevdllerungsdrud
der in der Hauptfade ubervdllerten Lander: Deutfdland, Italien, Japan, China und Indien,
ferner die Ronflittsftoffe in der Weltpolitit infolge dea Sungers nad) Raum. — Die bes
— ce der farbigen Rolonialvditer, die wegen des meift fhrantenlofen weißen
myperialismus 3. T. 3u Recht erfolge, werde bei richtiger kolonifatorifcher Einftellung der
Befiger, fo wie fie die Deutfchen gehabt bätten, kein Ende des Rolonialzeitalters berbeis
führen, weil die Sarbigen auf lange Zeit nicht aus fich felbft heraus die finanziellen, medis
zinifhen und technifchen Mittel und Kräfte ftellen könnten, die für den aud von ihnen
gewünfchten wirtfchaftlihen und zipilifatorifchen Aufftieg notwendig feien.
In weiteren intereffanten Abfchnitten wird dem Lefer gezeigt, weldyer Masten fi
die ftarten Staaten im Rampf gegen fchwächere bedienen, um den Schein zu wahren, daß
überhaupt von einem Rechte im Rampf der Staaten, Völker und Raffen kaum irgendwo
die Rede fein kann. — Diele Rärtchen und Tabellen madyen das Buch, das noch viele andere
wertvolle UAbfdnitte aus dem Ringen der Staaten um die Macht bringt, anfchaulid.
Shr die Behandlung einer fo umfaffenden Stage, wie die nad den Urfadhen des ftaats
lichen Lebens, auf die fic vor allem die erften Rapitel der Arbeit beziehen, fehlt allerdings
die genügende Breite und Tiefe der Grundlage. Cine ftarte Cinengung es Blidtreifes
nach der geograpbifchen Seite tritt in ung. Überdies find das, was der Verfaffer
„geograpbifche Klaturbedingtbeiten“ nennt, wie 3. B. die ,verbebrageographifden Bedingts
beiten“, nur zum Teil folde, da fie ja durch die Entwidlung der Cednil einer dauernden
Veränderung unterliegen. Der VDerfaffer bätte 3.3. die Beziehungen zwifchen Staat einers
feite und Technik, Wirtfchaft, Ideen und Kaffe andererfeits, fchließlich zwifchen Raffe und
Ideen, Raffe und Technik, Landfhaft und Kaffe ufw. unterfucdhen müffen. — Die überragende
Bedeutung der Auslefe und Gegenauslefe innerhalb der Dölker ift kaum in Betracht gezogen
worden, desgleichen die Cinflugweife von Jodeen und Utopien auf ftaatlihem Gebiete.
(Ogl. die fehr tiefgebende Abhandlung von 4. St. Chamberlain: Politifde Ideale.) Der
Raffebegriff ift Shwantend („Raffe ale etwas von Fatur Gegebenes” — „angelfädhfifche
Raffe”). Schief ift auch die Begründung der Schäden durch Rajfenmifdung, wenn Hennig
fagt „erfebrungenemdß werden bei der Raffenmifdhung die fchlechten Een der
Eltern ungleich häufiger vererbt als die guten und edlen”. Der Llachteil im allgemeinen ents
ftebt deshalb, weil die verfchiedenraffigen Erbanlagen eines Mifchlings bäufig in Diss
barmonie zueinander fteben, was nicht ausfchließt, daß zwilhen nabejtebenden Raffen
Mifchung gelegentli befonders günftige Kombination von Anlagen zeitigen kann.
Die Bedeutung des vorliegenden Werkes wie überhaupt der Geopolitik beftebt darin,
daß fie den Blid des deutfchen Volkes auf die politiichsgeograpbifchen Sragen auf dem Erds
ball lenten, deren Kenntnis ein wefentlicher Beftandteil einer wirklich politifchen Bildung
fein muß. ©. Sdelling, Wordenbam.
Kurt Bielfcher, Dänemark, Schweden, Norwegen. Landfdhaft, Bautun(t, Dolksleben.
Mit Geleitworten von Rarin Michaelis, Selma Lagerlöf und Sigrid Undfet. §. A. Brods
122 Volt und Kaffe. 1932, II
haus ven Leipzig 1932. 292 Bildertafeln, 26 Tertfeiten. Preis Banzleinen ME. 24.—,
albleder We. 28.—.
Mit dem ihm eigenen Blide für die Schönheit und dae Wejen von Landfdaft, Baus
werten und Vollstum bringt uns Aurt „ielfcher, der durch feine prächtigen Bildwerte
„Das unbelannte Spanien”, „Deutfchland”, „Ofterreih“ und „Italien“ belannt ift, auf
293 Bildern die drei Standinavifchen Länder nahe. Diefe Aufnahmen, die während eines
faft ae Aufenthaltes in den Tordlanden gefammelt wurden und nur die
befte Auswahl der gefamten Ausbeute darftellen, geben — Einblicke in die land⸗
ſchaftliche und kulturelle Eigenart jedes dieſer Laͤnder. Erfreulicher weiſe hat chielſcher die
alte baͤuerliche Rultur Skandinaviens mit beruͤckſichtigt und alte Stabkirchen und Bauern⸗
haͤuſer von außen und innen, Volkstrachten, ſowie einzelne baͤuerliche Volkstypen in ſeinen
Bildern feſtgehalten. Mit groͤßter Spannung laͤßt man dieſe Bilder insgeſamt eines nach
dem andern an ſich voruͤberziehen und iſt uͤberwaͤltigt von dem Gebotenen, das ſo einzig⸗
artig und abwechſlungsreich ausgewaͤhlt iſt.
Das Bud, das in befter Ausfubrung mit Kupfertieforudtafeln in Grogoltavformat
erfchien, ift beftens zu empfeblen. Es wird feinen Befigern ftets Sreude bereiten.
Um das Bild des flandinapifchen Klordens volllommen abzurunden, feblt nur noch,
daß Mielfcher audy Island und die Sdrdyar mit feiner Ramera auffudte, was vielleiht aud
einmal mdglid fein wird. Bruno KR. S@hulg.
Wilhelm Ulenk u. Walter Scheidt: Miederfähfiihe Bauern. I. Greeftbauern im lbs
Wefermündungsgebiet. Deutice Raffentunde Bd. 3. Herausg. von Prof. Eugen Sifcher.
Decl. ©. Sifcher, Jena 1929. 112 S., 19 Abb., s Taf. Preis geb. ME. s.—, geb. ME. 9.60.
Aus der Bliederung der Arbeit ift die Grundlegung der Unterfucbung erfidtlid: der
erfte Teil bebandelt Land und Wolk, der zweite die Kaffe, ein Anhang bringt Vorſchlaͤge
Walter Scheidts zur raffentundliden Methooit.
Die einzelnen Abfchnitte des erften Teiles fchildern die Landichaft mit ihren ins
wirtungen auf die Befiedlung, die Gefchichte des Gebietes und der Bevölkerung, wirtfchafts
liche Derbältniffe des Bauerntums in älterer und neuerer Zeit mit zablenmäßigen Unters
lagen, Giedlungsweife und Bevdlterungsbewegung in den einzelnen Orten mit befonderer
Beachtung der Gauss und Hofanlagen, einzelne Züge aus Sitte und Brauch, die für die
Dollsart bezeichnend find.
Im zweiten Teile wird die körperliche Erfcheinung der Bevölkerung auf Grund der
Mertmalfeltftellung an 502 erwadfenen Mannern und 498 Srauen und Mädchen alts
anfaffiger Samilien aus insgefamt 10 Gemeinden der Börde Lamftedt und einer Llachbars
gemeinde befchrieben: Hauts, Haars und Augenfarbe, Haarform, Körpergröße und die wichs
tigften Maßverbältniffe von Bopf, Geficht und MTafe werden variationsftatiftifch dargeftellt,
auf Rorrelstionen geprüft und in Beziehung zu Vergleichsgruppen betrachtet. Auf die
Deutung der Befunde, die befonders für die Beurteilung der nordifchen Raffe und ihrer
Realität wichtig find, kann in einer kurzen Beſprechung nicht näher eingegangen werben,
erwähnt fei nur, daß das von Scheidt angewandte Scheidungsverfabhren eine Gruppe (A)
in der Bevdllerung ergibt, die dem breitgefichtigen nordifchen Schlag (dalifche Rule)
Scheidt nennt ibn binnenflandinapifchen Schlag — entiprechen kann. Dazu ift eine Zweite
dunllece, mebr langgefichtige Scheidungsgruppe feftgeftellt (B) und eine Mittelgruppe (M).
Raffendafte Beurteilungsmöglichkeiten diefer Gruppen werden kritifch erörtert.
Auslefevorgange ım raffifchen Aufbau der Seong werden in einem befonderen
Abfehnitte geprüft nach SGiedlungss, Wirtfchaftes bzw. Berufsgruppen und nah der
Paarungsfiebung. Auf Grund der Prüfung der Siedlungsgruppen (Zeitraum 1500—1662)
fdeint die Scheidungsgruppe A der ältere Bevölkerungsbeftandteil zu fein. Mad der Wirts
ſchafts⸗ bzw. Berufsauskefe erjcheint der Durchfchnittstypus, der Erbmaffen aller drei Scheis
dungstypen in fich vereint, am erfolgreichften bzw. beftangepaßten. Die Paarungsfiebung
ch Mleigung der Ehepartner zu Homotypie an. — Jm Anbang entwidelt Sceidt Sormeln
e die Umgrenzung eines „Liäberungstypus“ zur Rennzeihnung ,anndbernd typifdec’’
Mertmalauspragungen, fir einen Inder der Typenabweidung (einzelner Beoölterungsteile
vom Durdfdnittstppus), für das in der Arbeit angewandte Typenfheidungsverfabren (auss
fibrlid) dargeftellt im Arc. f. Raffens u. Gefellfe.sBiol. Bd. 22, 1929) und für den gleich»
falle in der Arbeit angewandten Inder dser AHeterotypie von Ebepartnern.
— den beigegebenen Tafeln ſind 24 Perſonen in Vorder⸗ und Seitenanſicht ab⸗
gebildet.
Die Arbeit iſt für die Bearbeitung der neuen anthropologiſchen Erhebungen in Deutſch⸗
land in mehrfacher Sinficht wichtig. M. Hei, Leipzig.
1932, II Buchrbefprehungen. . 123
Wilhelm Pegler: Deutihe Dolkstumsgeographie. Verl. &. VOeftermann. Brauns
fhweig, Berlin, Hamburg 1931. 108 S., 21 Karten. Preis geb. MI. 7.—.
Der Ausdrud , Vollstumsgeograpbhie’ ftammt von Peßler; er ift gegenwärtig, da die
Arbeiten des Atlas der deutfchen Volkstunde in dem ganzen deutfchen Spracdhgebiete eins
gefegt baben, zu einem feften woiffenfchaftlichen Begriffe geworden. Peßler unterziebt in
der vorliegenden Veröffentlihung die deutfche geograpbifche Literatur der legten drei Jahr:
zehnte einer Prüfung, um die meift wertvollen Erjcheinungen zu fichten. Es ift fo ein
Fyandbud entitanden, das wohl niemand unberidfidtigt laffen wird, der fid mit dem
deutfchen Doltstum wiffenfdaftlih beichäftigt. Es wird dabei Bar, daß eine bodengebundene
Kulturftatiftit, wie fie in den etwa 800 lartographifden Arbeiten jegt vorliegt, eine
groß: wertvolle Leiftung ift, und daß ohne fie heute eine wiffenfdaftlid gut unterbaute
rebeit gar nicht mebr denkbar ift. Daneben aber ergibt fich die Seftftellung, daß fic die
Methode der wiflenfchaftlichen Rartograpbie im Laufe von drei Jahrzehnten außerordentlich
verfeinert bat, und daß diefe innerhalb einer wifjenfchaftlichen Difziplin vollzogene Entwids
lung —— gezeitigt hat, die ſich als gleichberechtigt zeigen den Beſtrebungen in
Geographie und Geſchichte, den beiden Nachbarwiſſenſchaften. Doch gibt Peßler noch etwas
meht. Indem er die Forſchung zielbewußt der Wiſſenſchaft vom deutſchen Volke einreiht,
erbringt er den Nachweis, daß die ernſte Beſchaͤftiguung mit der Geſchichte des deutſchen
Volkes nicht nur eine der dringendſten Aufgaben der Zukunft iſt, ſondern daß ſie durch ihr
Abergreiſfen in andere Wiſſensgebiete die Volkskunde zu einem vollwichtigen Lehrzweige
macht, den man nicht mehr — wie fruͤher ſo oft — als eine Liebhaberei abtun kann.
Robert Mielke.
Hans &. Ried: Miesbader Candbevdikerung. Cine raffens und vollstundlide Unters
— aus Oberbayern. Deutſche Raffentunde Bd. 3. Verl. ©. Sifcher, Jena 1930. 171 S.
53 Abb., 9 Taf. Preis geb. ME. 14.—, geb. MI. 15.50.
Die der Arbeit zugrunde liegenden Erhebungen wurden mit Unterftügung der Deuts
feben Akademie in München im Winter und Srüubjabr 1936/27 durch den Verfaffer durchs
geführt und erftreden fic neben pbyfifchsantbropologiichen Seftftellungen vor allem auf
volletundliche Gebiete, deren Darftellung den größeren Teil der Arbeit einnimmt. Cinleitend
wird der Betradhtung der Bevölkerung die Siedlungsgefchichte und erötundliche Befchreis
bung des Gebietes vorausgefchidt.
Die anthropologifden Erbebungen beziehen fih auf rund 500 erwachfene Männer
und ebenfoviele Srauen der altanfäffigen Landbevdllerung des in der bayrifchen Hochebene
am Nordrand des MangfallsGebirges gelegenen Ba Miesbah. An Rörpermaßen
wurden beftimmt: Rörpergröße, Sitzhöhe, Arms und Beinlänge. Diefe Maße kennzeichnen
die Bevdlterung im Durdhichnitt ale großwüchlig, die Srauen relativ größer als die Männer,
langbeinig und langarmig.
Ropfs, Gefidtss und Mafenmage und sindices ergeben im Durdfdnitte: fir die
Manner maPige, fur die Srauen ftackere Breithdpfigteit; der Mannertopf ift nad sem
BreitensAdbensVerbhdltnis niedrig und breit, der Srauentopf etwas bdber; beide Gefdledter
find breitftirnig, die Gefichter der Männer in den Jochbeinen breeiter als die der Srauen,
nad dem Gefidhtsinder die Manner mittelhodgefidtig, die Srauen breitgefichtig; über die
Eyälfte beider Gefchlechter ift femalnafig, der Reft mittelbreitnafig.
Die Haarfarbe ift bei den Männern in 2/, dunkel, 1/; blond; die Srauen find etwas
bäufiger blond. ned. tommt nuc vereinzelt vor. — Schlichtbasrigleit ift vors
berr d, $6,9% bei den Männern, 95,290 (durch die Tracht mit beeinflußt) bei den Srauen,
der Reft wellig und feltener lodig.
Die drei Gruppen der Augenfarbe (braun, meliert, blau) find bei den Männern etwa
ich häufig, von den Srauen find etwa 1/5 meliert, ?/, braun und nur etwa 1/, blaudugig.
ie Srauen find alfo in geringerem Maße braunbaarig und in höherem braundugig als die
Männer. — Die Männer haben bäufiger bräunliche Haut (51,9 %) als die Srauen (30,4 %),
umgelebrt ift das Derhiltnis der bellen Aautfarbe. Die Rombinationen der Sarbfattoren
Bönnen bier nicht erörtert werden, die Raffenbeurteilung der Typen aber, die fich auf die
Gefamtheit der Merkmale und auf korrelative Beziehungen derfelben ftügt, gibt einen Sins
weis bierauf wie auf die Kombinationsverhältniffe der übrigen Merkmale: Die ftärkfte
Gruppe ift bei beiden Gefchlechtern die dinarifce (40% bei den M., 25%0 bei den Sr.), an
zweiter Stelle ftebt bei den Männern die dinarifchsnordifche (über 1/4), bei den Srauen die
alpine Gruppe (14), ibr folgt in etwa gleicher Stärke die dinarifchsalpine. Bei beiden Ges
fehlehtern betragen die genannten Gruppen mehr als 3/, dee Gefamtbcit.
124 Doll und Raffe. 1932, II
Die Pigmentierungsverbältniffe deuten weiter an, daß mit nordifchem und alpinem
Einfhlag die Blondheit zunimmt. Weitere Einzelheiten der Rombinationsverhaltniffe
werden tm Sinne der angenommenen Raffenmifchung erörtert.
Der anfchließende Abfchnitt bebandelt den DWollscaralter, wie er fid in Um
formen, Dollswig, Lied, Tanz und anderen künftlerifchen Meigungen und in der reli ‘Sten
Aaltung der Bevdilerung dufert. Weitere Abfdnitte handeln über: Wirtfchaft, Roft, ——
Hausgeräte, Tracht, Sitte und Brauch, uͤber die baͤuerliche Juſtiz, wie ſie im Aaberfelds
treiben gebbt wird, und uͤber das Wildern. Die Darſtellung der Abſchnitte Haus und Hause
geraͤte iſt durch rund bo gute Abbildungen ergaͤnzt. Auf den 9 Bildtafeln ſind 27 Perſonen
in Vorder⸗ und Seitenanſicht abgebildet.
Wenn der Verfaſſer die voltskundlichen Beittaͤge der Arbeit auch nur als „Bauſteine
fie eine Bebandlung dieſer Fragen auf weiterer Grundlage“ bewertet wiſſen moͤchte, darf
doch hervorgehoben werden, daß dieſe Beitraͤge das Werk im Rahmen der bisherigen Ver⸗
oͤffentlichungen der „Deutſchen Raſſenkunde“ beſonders auszeichnen.
M. 5eſch, Leipzig.
Juliana von —— Dom nordifdhen Geifte. Cin Reifebudh aus Standinavien
mit Originalbeitragen von Sigrid Undfet. Verlag Röfel u. Puftet, Münden 1930. 262 6.
Preis kart. ME. 4.50, geb. ME. 6.—.
Mit innigem Klaturempfinden und in der fhönften Sprade dichtet und erzählt Juliana
von Stodbaufen ihre Erlebniffe im nordifchen Lande der Schweden, Klorweger und Dänen,
durchwoben von Sagen und Helden der germanifden Vorzeit. Und doch vermiffe ich in
dem Buche „Dom nordifchen Beifte“ den nordifchen Geift. Troy Llordland und Llordraffe
ftebt Juliana von Stodbaufen und Sigrid Undfet katholifches WDefen im Vordergrund.
Llordifcher Beift findet feinen Ausdrud nicht in Erldöfungsfehnfucht, Sündenbewußtfein und
Anlebnungebedürfnis an die Kirdhe, fondern in volllommener Unabhängigleit und Selb-
ftändigkeit, in uneingefchräntter Bejabung des Lebens. Das Deer ene ae — ge⸗
e
ſunden Germanen wenig.
Der Auslanddeutihe Aalbmonatesfdrift
für Auslanddeutfhtum und Auslandlunde,
Mitteilungen des deutfchen Auslands Inftis
tuts (DAJ.) Stuttgart, berausgegeben im
Auftrage des BAZ. von Dr. ae Werts
beimer, Scriftleitung Br. Hermann Rus
diger. (Suc Mitglieder 6. DAZ. gegen Jabs
resbeitrag von 20 M.).
Der „Auslanddeutfche“ ift zweifellos das
Organ, das am fchnellften, fadhlichften und
ausführlichften alles Wichtige über das Ges
famtgebiet des Auslanddeutfchtums in der
nzen Welt bringt. €s ift fozufagen das
edblatt des Auslanddeutfdtums. 193) ftebt
es bereits im 14. Jabrgang. Geit Jahren
bat das Blatt folgende —— Eintei⸗
lung: 1. Größere Auffätze über allgemeine
oder regionale Sragen, 2. Briefe aus dem
Ausland (mit kleineren Auffägen), 3. Bes
richte vom Auslanddeutfchtum, wobei eine
regelmäßige Rundfdau das Fleuefte aus dem
Deutfhtum der ganzen Welt bringt, dazu
folgen Berichte über Schulwefen und Kirche,
Dereine, Runft, Wiffenfchaft und Sport,
Bud und Zeitung im Ausland, Wirtfchaft
und Wanderung. Le fließen fid) daran
regelmäßige Berichte über die Auslandsdeuts
fen im Reich, über Rulturpropaganda des
Auslandes und Über die eigenen Arbeiten des
DAI. Sehr wichtig und fiderlid) faft volls
ftändig ift die Bibliographie über Auslands
deutfchtum und Auslandlunde, wobei wichs
tige Pleuerfcheinungen daneben noch befons
ders befprocen werden.
As Rennzeiden des Deutidtumse gilt für
das DAT. und den „Auslanddeutichen“ in
erfter Linie Sprade und Voltsbeienntnis,
erft in zweiter die Abftammung, fo daß
3. B. die Juden nur dort als eigenes Doll
gewertet werden, wo fie fich felbft als fols
des empfinden.
Davon abgefeben behandelt der Auslands
deutfche gleihmäßig Theorie und Praris des
Auslanddeutfchtums von zentraler Sammels
ftelle aus, alfo auch einſchlaͤgige wiſſenſchaft⸗
lide Sragen, und ift vor allem ein unents
bebrliches vielfeitiges Mitteilungsblatt.
Werner £ffen.
Georg Bonne: Das Verbredhen als Krank:
beit. Geine Entftebung, Heilung und Derhus
tung. Minden 19237. Derl. Ernft Reins
bardt. 208 GS. Preis Ml. 4.50.
Der Derf. ift auf Grund feiner Erfahrung
als Anftaltsarzt zu der Anfchauung geloms
men, daß der Typ des rüdfälligen, fog. Bes
rufsverbrecdhers eine pathologifde rfdeis
nung fei. Dfycdifde Anomalien, Wutans
fälle, Hleigung zu verbrecherifchen chandlun⸗
gen uſw. ſcheinen ihm Anzeichen einer krank⸗
haften Veraͤnderung des reagierenden Ge⸗
hirns. Es handle ſich zumeiſt um Wegfall
gewiſſer Hemmungen. Solche Kaͤhmungs⸗
erſcheinungen aber waͤren hervorgerufen
1932, II
Buchbeſprechungen.
125
durch Rauſchgifte aller Art (Alkohol, Nikotin
uſw.), durch Schaͤdelverletzungen und durch
die in Paralyſe uͤbergehende Syphilis. Waͤre
dieſe Erklaͤrung richtig, dann muͤßte nach der
Anſicht des Verfaſſers eine Behandlung und
Ausheilung der zugrunde liegenden organi⸗
ſchen Schädigung auch eine piychilche Ders
änderung zur Solge baben, das Verbreders
tum mußte beilbar fein! Die Auffeffung
Bonnes folgt aus der einfeitig periftatifchen
Begründung einer aber legten Endes
Surh Erbanlage bedingten Erfcheinung.
Es ift befannt, daß fich bei typifchen Ges
wobhnbeitsverbredern außer angeborenen
pirbifdden Anomalien auch allerlei körpers
liche Degenerationsmertmale (3. B. Ataviss
men, tranthafte Schädelformen ufw.) in ges
bauftem Maße finden. Die genotypifde
Minderwertigteit als Urfadhe des Berufss
verbrechertums 3eigt fid vor allem in den
durch Generationen hindurch zu verfolgenden
Derbrecherfamilien, 3. B. den Claffifd gewors
denen Samilien Rallitat und Zero. Die Auss
mers der Branlten Erbmaffe, die in vors
liegendem Duc überhaupt nicht erwähnt
wird, ftellt fomit das wichtigfte und aus»
fichtereichfte Bampfmittel gegen das Vers
brechen dar. . Weber.
Deutihe Hefte für Volks: und Kultur:
bodenforſchung. Herausgeber Wilhelm
Dols und Hans Schwalm. Stiftung
für deutfhe Volles und Rulturbodenfors
fhung in Leipzig. Verlag Julius Belg,
KangenfalzasBerlins£eipzig. Jabrg. I (3930),
Seft ı 56 + 16 SG. 2 Karten. Aeft 2
S. 67—}28 + 17—40 und 2 Karten.
Der nddftliegende Ausgangspuntt für
diefe Zeitfchrift war die Ichon feit einer
Reihe von Jahren geleiftete vorbereitende
Arbeit der „Stift für deutfche Volles
und Rulturbodenforf “. Aus ihr ift fie
unmittelbar berausgewadfen, bat durd fie
ihre Herausgeber und einen reichen Stab von
Mitarbeitern aus den verfchiedenften Sors
fhungsgebieten gewonnen.
In größeren Auffägen wird von kundis
gen Verfaffern u. a. die Volkskunde der
deutfhen Stämme und Schläge (Emil
Lehmann), die deutfche Befiedlung Schles
fiens und die Rirde (Sranz Xaver Luppelt),
die Erforfhung der Merrfchaften und Ges
richte der Alpenländer und ihre Bedeutu
für die flrdoftdeutide Rolonifation (ern
Biebel), die Befiedlung der Sudeten (Jofeph
Pfigner), der Rüdgang des Wendentums
(Selig Burkhardt und Fans Schwalm) bes
bandelt. Dazu kommen Berichte aus Ins
ftituten und Sorfhungen, ein Literaturbes
richt, Llachrichten, mit befonderer Seiten«
3ablung eine Bibliographie der einfchlägie
Erfdeinungen des Jabres 1928. Meine
in Aeft 2 gebrachte ausfubrlide Befprechung
von Jegorow, Die Rolonifation Medlens
burgs im 13. Ib. Bd. I bat now 3u auss
fhließlid unter dem Cindrud des damals
allein erfchienenen erften Bandes geftanden.
Bei vorziglider Ausftattung oder Hefte
feblt es audy nidht an ausgezeichnetem Bars
tenmaterial. Heft 1 bringt zwei fehmerz«
lid Iebrreiche Karten über die Brenzzers
reißungsfchäden im Often, Heft 2 die bochs
interefjanten Bevdllerungstarten der Obers
und Fliederlaufig auf Grund der Vollezähr
lungen von 1910 und 1935, worin der ans
baftende Rüdgang der wendifchen Spracde
nah dservonWilbelm Dols für fprads
lid) gemifdte Gebiete erfonnenen Methode
deutlich zum Ausdrud gebracht iſt.
% Witte.
Wilhelm Gürge: Daneuropa und Mittel:
europa. 2. Auflage. Berlin 3929, B. Staars
Derl., 37 S. Preis Me 3.—.
In Claren einleuchtenden Gedantengdngen
wird bier eine politifhe Srage vom Ges
fichtspuntt der Voltswirtfchaft aus bebans
delt. Bewußt gebt der Derfaffer von der
deuticden Wirtidaft aus und kommt in feis
nen febr logifhen Schlüffen zu einer Ablebs
nung eines paneuropäifchen Bebildes zuguns
ften einer mitteleuropäifchen Zollunion, bes
ftebend aus Deutfchland, Ofterreich, Ungarn,
Sudflavien, Rumänien, Tfchehei und Pos
ken. Abfichtlich ftellt der VDerfaffer wirts
fhaftlihe Gedantenginge in den Vorders
geund. Darum würde eine foldye Arbeit uns
bedingt einer bevölkerungspolitifchen Ergäns
zung bedürfen. Auf alle Salle ift diefes ins
ve Bud jedem Peolititer und Wirts
fchafter warm zu empfeblen.
Werner €ffen.
Beimat. Vorarlberger Monatshefte. AHeis
matlundliche Mitteilungen des Vorarlberger
Landesmufeums und dser Heimatmufeen. Hers
ausgeber: Dorarlberger Landeamufeum, , eis
mat“sDerlag, Innebrud. Jährlich 12 Hefte.
Preis jabrlih Me. 4.50.
Auch in den neuen, den 12. Jahr ang, bas
ben die „Vorarlberger Wonatshefte” ihre
Vielfeitigteit mit berübergenommen. Der
Ausgangspunlt ift und bleibt natürlich das
Vorarlberger Land, das dem Lejer nabe ges
bracht wird fowohl in feinen botanifchen,
s00logifdyen und geograpbifchen Ligenbeiten
als aud in feiner Wirtfcdaft, Gefcdidte und
Doltstunde (Gams, Die Waldgefdidte Dors
arlbergs; Morfder: Der ebemalige Tabatbau
in Sraftanz; Leuprecht: Die usmarten
in Bludenz und Umgebung; Helbot: Ciniges
zum Suntenfonntan): Darüber binaus wird
126
Doll und Kaffe.
1932, II
aber in anderen Arbeiten verfuct, den Zus |
fammenbang mit den Miacbargebieten bers
zuftellen, ja, Überblide über das ganze deuts
fe Dollstum zu geben. ine foldye Arbeit
feben wir fhon in der von Helbol (Ciniges
zum Suntenfonntag), die die Verbreitung
diefes Braudyes über ganz Weltdeutichland
bin verfolgt. Mod tlarer tritt das Sinzielen
aufs Gefamtdeut{dtum in dem Auffage von
Helbot „Menſch und Doll” zutage, der dars
auf binweift, wie ftar? 3. GB. fron die
Spradgrenzen abhängig find von den fpäts
mittelalterliden Territorien, daß alfo der
Stammespartilularismus etwas Gewors
denes ift und wohl der größeren Einheit
„Volt“ Raum geben fann. A. Grau.
Mein Heimatland. Badifde BI. f. Volkes
kunde, berausg. von Eris Buffe, Sreiburg i. B.
s. 9. jahrl. Preis einfcdlieflidh des Jabress
beftes ME. 6.—.
Das Sreiburger „Heimatland“ ift fo recht
eine Zeitfehrift nach dem Herzen derer, die
für die deutfche Heimat und fpeziell für dies
fes, ibr fudweftlidhes Gebiet, Intereffe haben.
Fichte nur den gebürtigen Badener, fondern
auch die volles und beimattundlid Inters
effierten aus den anderen deutichen Bauen
geben folcdhe Auffäge an wie: Ebner, Zur
Geſchichte ser Hogentradht; Runzig, Dom
Dollstans; in Baden; Hoffmeiſter, Volks⸗
tundlides aus BammentalsReilsheim; Wals
ter, Bauerntrieg und Dollsiberlieferung;
Edftein, Uber die Oftereier, die vielgeplagte
Gésttin Oftara und die Eier Überhaupt; oder
auch: Herbiter, Galmenwdge am Hodrbein;
Auffage, die oft Grundfaglides 3u volle»
tundlichen Sragen zu fagen haben. „Lieues
von Hebel“ und „I. P. Sebels Ahnen“
(Obfer), ,Aeidelbergs Mufitleben bis zur
Gegenwart’ (Bafer) und andere find endlich
Auffage, die die Renntnis von der Heimat
in literar⸗ und kunſthiſtoriſcher Hinſicht er⸗
gaͤnzen wollen. Die eigentliche Geſchichte
der Heimat komnit felbftverftandlid nicht zu
kurz. Am Schluffe jedes Heftes findet dann
aud nod der Samilienforfcher in dem Abs
ſchnitt „Badiſche Samilienforfhung“ fein
Arbeitsgebiet vertreten. BR. Grau.
Alfred Karafek:Langer und Elfriede
Stezugowfki: Sagen der Beskidendeutihen.
Plauen i. D. 1930. Gimther Wolff Vers
lag. 261 S., $ Sederzeichnungen, 3 Karte.
Preis tart. Mt. 7.—, Leinen ME. 9.—.
Die Bestidendeutfchen gehören dem fhles
fifchen Doltsftamme an. Durcdy den Dergleich
des Gagengutes der Spracinfeldeutiden mit
dem ibrer fcdlefifhen Stammesbrider im
ebemaligen Mutterland kommen die Pers
faffer zu einem zweifachen Ergebniffe: Eins
mal feblen den Bestidendeutfchen Gagens
geftalten, die wohl der Deutfchfchlefier, nicht
aber der benachbarte SiIawe kennt; andrers
feits treten Sagenmotive, die beiden Völkern
Be nom find und foldhe, die fich nach der
pradgrenze bin baufen, in der Sprachinfel
in breiter Schicht auf.
Was Rarafelslanger und Str3ygowfti
zur Sagengeograpbie ausführen, läßt fich
fadlid und methodifdh aud auf die Sprach
geograpbie im allgemeinen und die Munds
attgeograpbie im befonderen obne weiteres
anwenden, und fo ift von diefer Seite ber
das Buch geeignet, die Ergebniffe der Miunds
artforfhung zu ergänzen und zu ftüten.
Diefe genfammlung der Bestioens
deutfchen wendet fich fowohl an den RBreis
der wiffenfchaftliden Sorfcher, wie an die
vielen Sreunde des BDeutfchtums innerhalb
und außerhalb der Reichsgrenzen und kann
mit gutem Bewiffen beftens empfoblen wers
ven. Sriesrihb Lüers, Münden.
ans Krieg: Schleswig-Holfteinifche Dolks-
kunde aus dem Anfang des 19. Jabrbuns
derts. I. Tel: Landfdaftlide und wirts
fhaftlihe Grundlagen. Lübel 3931. Sr.
Weftpbal Derlag. 1327 S. Preis gebeftet
me. 3.20.
Es ift nicht nur reizvoll, fondern vom
wiffenfchaftliden Standpunlt aus geradezu
ein Erfordernis, daß man die Ergebniffe der
Gegenwartevollstunde durch Arbeiten aus
der biftorifhen Dollstunde ergdn3t. Das
ftößt aber leider nur zu oft auf die cinfade
Sewierigttit, daß aus früberen Jabrouns
derten nur wenige Aufzeichnungen aus dies
fem Gebiete vorhanden find. In einer vers
bältnismäßig fehr günftigen Lage ift bier
SdhleswigsHol(tein. Dort erfhienen in der
erften Hälfte des 19. Jabrbunderts die
„Schleswig⸗cholſteiniſchen Provinzialbe⸗
richte“, die in ihren Anfaͤngen die Zeit⸗
ſchrift der Schleswig⸗Holſteiniſchen patrio⸗
tiſchen Geſellſchaft waren, die 17280 gegrüns
det worden iſt. Die Provinzialberichte rei⸗
hen bis 1834, wo ihnen die Beſchraͤnkung
der Redefreiheit ein Ende bereitete. Bis da⸗
hin ſind ſie ein geradezu einzig daſtehendes
Muſterbeiſpiel — Preſſefreiheit
und Offenheit der Sprache. So iſt es nicht
zu verwundern, daß ſie fuͤr den Volkskunde⸗
forſcher eine wahre — darſtellen.
Das daraus gewonnene Material hat der
Verfaſſer in zwei Hauptgruppen geteilt, da⸗
von die erſte die landwirtſchaftlichen und
wirtſchaftlichen Grundlagen und die zweite
die volkskundlichen Einzelerſcheinungen be⸗
handelt.
Hans Krieg bat jedenfalls mit feinem
Bud ein ganz ausgezeichnetes Beifpiel der
1932, II
biftorifchen Volletundeforihung geichaffen,
das hoffentlich recht zahlreiche Lradhahmer
finden möge.
Stiedrih Lüers, München.
Oberdeutihe Seit(hrift für Volkskunde.
Ig. 3—5 (1929— 31). 2 Hefte jährl. (mins
deftens 10 Bogen), zufammen Me. 4.—.
Schriftleiter Prof. Dr. Eugen Sehrle, Heidels
berg. Derlag RontordiaAG., Bühl (Baden).
ie man aus den bisher vorliegenden
Jabrgangen leicht erfeben kann, gibt der
Titel „Oberdeutfche Ztichr. f. OD.“ nur die
Bafis, den Ausgangspunlt, keineswegs aber
den Rahmen der bier durchgeführten Unters
fucdungen an. Widt nur Auffage über Volles
tundliches aus anderen Bebieten Europas
fuchen das Derftändnis für die deutfche Volles
kunde zu fördern, — fo wenn Bofh über
„Weihnachten in der Provence” (Ig. 4) bes
richtet und Vergleiche zieht Zwifchen den ergs
gebirgifchen Weibnadtslrippen und den pros
vencalifchen, oder wenn Rarafels£anger über
den Brauch der „Bindelweih“ in deutfchen
Dérfern Wolbyniens fdreibt (Ig. 3) —,
auch allgemeinen Sragen der Dollstunde
wird in den Heften diefer Zeitfchrift mache
gegangen. So gebt Sehrle im 2. Aeft des
4. Jabrganges auf die Begriffe „aejuntenes
Rulturgut” und ,primitive Gemeinfdafts:
kultur“ (vgl. Hans Kaumenn) ein. Befons
dere Aufmerkfamteit erlangt dabei ein Teils
ebiet der Volkskunde, nämlid das Volles
d. So wendet fid €&. 4. Meyer in feinem
Artitel ,Gefuntenes Rulturgut” (Ig. 4) ges
gen diefen Begriff gerade von der Seite des
Volleliedes aus. BDasfelbe Gebiet wiederum
ift der Ausgangspuntt für 10. Schubmacers
Aufruf zu einer „Zeitgemäßen Volkskunde“.
Die Derbindung mit der Völlertunde wird
bergeftellt durch die Befchreibung der , Hands
amulette der von PortbeimsStiftung“ (Ig. 5)
von G. Großmann, die 3. B. reiches Mas
terial auch aus Flordafrita verwertet. Übers
baupt find Dollsglaube und Dollsmedizin in
einer ganzen Reibe von Auffdgen vertreten,
von denen nuc Rriegers ,Dolfsglaube im
Rraidgau” (3g. 4), —“ „Beitraͤge
zur Volksheilkunde“ und, Beitraͤge zur Zahn⸗
heilkunde im Mittelalter” (Jg. 5 u. 4) und
endlich Rriß' „Volkskundliches aus den
Mirakelbuͤchern von Maria Eck, Traunwal⸗
en, Rößlarn und Aalbmeile’ (Ig. 5) ers
wähnt feien, weld legterer bier Material
verwendet, das er bei feinen Studien an
verfchiedenen Wallfabrtsorten Bayerns ges
fammelt bat (vgl. Rrig, Dollstundlides aus
altbayrifhen Gnadenftätten, 1931). In
leicher Deife pflegt die „Oberdeutiche Ff.
. Vollstunde“ auch die anderen Teilgebiete
der Dollstunde, wie die Gagens, Marden:
Budbefpredhungen.
127
und Legendenforfhung, Sitte und Braud
befonders Oberdeutidlands, Dolktstunft und
materielle Dollstunde, deren einzelne Aufs
Kg bier aud nur auszugsweife zu ers
nen mir der befchräntte Raum verbietet.
Selbftverftändlich erfchöpfen auch die obens
nannten Auffage keineswegs den in diefer
Seitfehrift vertretenen Inhalt der betreffens
den Teilgebiete. Endlich fei noch erwähnt,
daß aud die Grengzgebiete die notwendige
Beadhtung finden, daß alfo aud Germaniften
und Rulturbiftoriter vor allem recht inters
effante Beiträge vorfinden.
R. Grau, Leipzig.
Der Oberfchlefier. Monatsfdrift fir das
beimatliche Rulturleben. Jg. 13 (3933). Ors
gan der Arbeitsgemeinfchaft für hHeimats⸗
pflege und Dolltebildung. Iahrli 32 e.
Dierteljäbrlid ME. 3.—. Perl. Rarl Sezos
drodsOppeln.
Es gibt bisher nur wenige AHeimatzeits
fchriften, die fich inbaltlih für die Dauer
auf einer folcdben Höhe halten können wie
„Der Oberfchlefier“. — Der neue Jahrgang
bringt wiederum eine redht beachtliche Reihe
von Beiträgen zu dem wichtigen Kapitel
der Sagenforfhung, fo u. a. Hoffmann,
Sagen aus dem Rreuzburger Land; Karas
fetsLanger, Sagen vom Bergwertegeift aus
der RremnigsDeutfchsProbener Spradinfel;
Slupit, Don Heren und dem Waffermann in
Zalenze. Auffage wie Chrobok: Altes Berg»
mannss und Handwerksgerdt, JanofdsRas
tibor: Aultfchiner Volkslieder, Gnielczyk:
Dollsbrduche bei der Taufe im Rreife Leobs
(bug, Wilhelmi: Aberglaubensformeln in
Oftoberfdlefien, und Perlid: Oberfchlefifche
Grenszlandvoltstunde zeigen, daß kein Zwei
der Volkskunde bier vernachläffigt wird. Beis
träge zur Befchichte, Runfts und Literaturges
fchichte, Wirtfchaftes und Heimattunde und
Berichte aus dem beutigen Leben Oberfdles
fiens führen dann weiter dem Kefer Land
und Volt diefer Oftprovinz von allen Seiten
vO
r.
Ein beſonderer hinweis ſei noch geſtattet
auf das Heft 3 diefes Jabrganges, das Er⸗
kebnisberichten aus der Zeit der Oberfchlefis
fyen Voltsabftimmung gewidmet ift. Auf
70 Seiten ziehen nody einmal an uns das
ftille und das tätige Heldentum all der AHeis
mattreuen vorüber und das bittere Leid, das
in jenen Tagen das „Land unterm Kreuz“
ertragen mußte, obne von den Brüdern im
Reich Shug und Hilfe — koͤnnen.
.Grau.
Zeitſchrift für Ortsnamenforſchung, her⸗
en = Jofe See Band V,
teft 3, Verlag von R. Oldenbourg, Mim⸗
128
Volt und Raffe.
1932, II
hensBerlin 1929. — Das eft Mil. 5.50,
der Band —= 3 Hefte Me. 13.—.
Die ausgezeichnete Zeitfchrift bat fich unter
der bewährten Leitung ihres Begründers in
verhältnismäßig kurzer Zeit internationalen
Auf erworben. Sie ift die erfte und einzige
Ser. diefes Inbaltes in deutfcher Sprache.
Sie führt in die reiche Sulle von Sragen
ein, die bei einwandfreier Deutung von
Ortsnamen ins Auge gefaßt werden müfien.
Auch) das vorliegende Heft weift wieder eine
Bunthbeit des Stoffes auf, die fowohl für
den Sadımann als audy für den Außenftebens
den böhft anregend und belehrend ift.
Die erfte Abhandlung ftammt aus der Ses
der von Th. Arlt, „Zur geograpbis
fben Derbreitung verfdiedener
Ortsnamengruppen in Sadfen“.
Des weiteren handelt Georg Weiten»
böR über den vielumftrittenen bairifchen
Ortsnamen ‚Bafteig‘ und der Herausgeber
felbft uber ,Tamenprobleme im Ges
biete de8 altbairifhben Stammes’
und deutet u. a. die verfchiedenen , Kaps‘s
Orte als fubftantivifche Ableitungen zum
3eitwort ‚tapfen‘ = fchauen.
£s folgt eine ausgezeichnete Abhandlung
von Karl Sinfterwalder, „Über
Tauernnamen“. Er befhräntt fich nicht
auf deutfche Flamen, fondern beridfidtigt
aud die Alpenwörter und Slawifdes und
Romanifches in feinem Gebiet. Die uns
gemein große Fabl der romanischen Llamen
im Ralfer Gebiet überrajcht. Ihre Deutung
fest tieffcbtirfende Renntniffe auf comaniftis
fhem Gebiete voraus, die der Derf. voll und
ganz innebat.
Beiträge zur Slurnamenfors
[bung aus dem Nachlaß R. Dolls
Dollmanns zeugen für das feine Emps
finden, das diefen baperifchen Sorfcher auf
Grund genauer Beobachtungen zu zwingens
den Deutungen führt. — Kine zufammens
faffende Arbeit ftellt die „Bibliogra-
phietoponomique de la Bour-
go gne“ dar. Den Beichluß bilden eine
eibe anregender Buchbefprechungen.
Eberhard Rranzmeayer,
MincensWien.
Bolko Schr. v. Richthofen: Altfteinzeit-
lihe Sunde aus der Provinz Obericlefien.
Aus Öberfchlefiens Urzeit, Heft 7 (Sonder
drud aus Kiszeit und re Wien,
VII, 1930). 47 S. mit s Taf. und 14 Abb.
Unter den in legter Zeit neu entdedten
altfteinzeitlihen Sundplägen aus BDeutfchs
land ıft ©berfchlefien mit einer bemerlenss
werten Zabl von Sundftellen vertreten, die
in erfter Linie der rührigen Gammeltatigheit
des Derfaffers felbft verdankt werden. In
der vorliegenden Arbeit wird der ganze bis«
ber belannt gewordene Sundftoff eingehend
befhrieben und überfichtlich geordnet. Sers
ner wird der Derfud gemadt, die an tys
pifchen Werkzeugen nod sziemlid armen
Seuerfteinmengen innerhalb der Altfteinzeit
zeitlich einzugliedern. Danady dürfte das LöB-
gebiet im fudlichen Oberfchlefien während der
AurignacsStufe vom Menfden des Jungs
paldolithitums, der offenbar aus Mäbren
ins Land gelangte, durchftreift worden fein.
Die befonderen geologifden VDerbältniffe des
in Srage tommenden Gebietes geftatten nur
in feltenen Sällen auf Stratigrapbie berubens
de Schlüffe und erfehweren fo die Beurteis
lung der Sunde recht erbeblid, ein Mangel,
der aud vom Verfaffer tlar erfannt worden
ift. Als Ergänzung zu der angezeigten Arbeit
wird der Spezialforfcher au einen in Alts
fehlefien III, 2 erfcheinenden Auffag von F.
Wiegers beranzieben müffen.
€. Detecfen, Breslau.
€. von Wedekind: Das Märden vom
Menihen im Kriftall, eine efoterijdeftereos
metrifhe Gefchidte fir politifche Rinder.
Berlins Tempelbof 1933. Edwin Runge
Werl. 46 S. |
Man follte es nicht glauben, daß fich unter
diefem Titel eine durchaus pofitiv zu wers
tende Befchäftigung mit der Raffenfrage und
eine Betonung der biologifchen Lebensträfte
der Völker verbirgt. Es ift ein Zeichen uns
ferer Zeit, daß diefe Sragen beute auch nach
einer Bünftlerifchen wie politifhen Auswers
tung drängen. BDiefe febr originelle Beine
Schrift, die durch fymbolifche Aaumfiguren
iNuftriert ift, entbält oft recht feine Gedanten
in reizpoller Sorm. Werner Effen.
Deutfche und Wiener Anthropologifde Gefellfdaft.
| Auf der vom 20. bis 33. September 1932 in Wien ftattfindenden gemeinfamen
Tagung der Deutichen und Wiener Anthropologifden Gefellidaft foll im Mittelpuntte der
wiffenfchaftlichen Erdrterungen das Thema „Rultur und Kaffe“ fteben. An die Tagung
fließt eine mebrtägige Autofahrt zu den Ban vorgefhichtliden Sammlungen und
Runftplägen Ofterreihe an. Anmeldungen und
nfragen find an die Wiener Anthropos
logiſche Gefellfcaft, Wien I, Burgring 7 3u richten.
an eingeschicktem Blutstropfen. Einzelun
RM. 5.—. Versanarährchen ra, Acoma
Dr. med. Wilhelm Hilsinger, Berlin-Lankwitz
Marienstr. 19. Fernruf: G. 3: 5572.
Haltbares „Ballungs - Test“ »- Serum zur
bestimmung: je I1ccm A, B und O RM. 10.—.
Deutiche Köpfe nordischen Katie
6.—8. Taujend. 50 Abb, mit Geleitworten
= | v. Prof. Dr. E.Fiiheru. Prof. Dr. Hans 3.8. Günther.
Kart. AM. 2.15.
Diefe Köpfe find tatfählich eine Auslefe prächtiger, echt germanifch
wirkenber deuticher Männer und Frauen, „Deutide Zeitung”,
3 3 Lchmannd Berlag, Münden.
Kommijjionderlag E. Stilgenbauer
in Neujtadt a. Dd. 9. 3 Mark kartoniert
und franko.
AEAERERLULUDLERULLEREERERERERDRRERERE
Raffentundlihe Werte von Prof. Dr. Günther, Jena:
In 14. und 15. Auflage (45.—49. Taufend) liegt vor:
Raflentunde des deutfchen Dolfes
Mit 583 Abb. und Karten. Geh. RM. 10.80, Liwd. RM. 12.60, Halbleder RIN. 16.20.
„Benn irgendein Zeig der neuen Korfchung fich feinen Wert erjt fchaffen mußte gegen alle
Zotfchweigeverfuche der Pächter des „Kortfihritts”, fo ift es die Raffentunde, die ihren derzeit
bedeutenijten Vertreter eben in Günther hat. Um zu überfehen, was er gefhaffen hat, braucht
"man nur die erjte Auflage diefes Buches mit der, jest vorliegenden zu vergleichen, das zum
Trog gegen den Boykott der fogenannten Weltpreffe eines der am meiften gelefenen und ver:
breiteten Bücher des neuen deutfchen Gchrifttums gemworden it.” (Deutfche Tageszeitung.)
Raffenfunde Europas
3, Aufl. 1929. Mit 600 Abb, und Karten. Geh. RIN. 9.—, Lwd. RI. 10,80.
„Ber diefe „Raffenkunde Europas‘ gelefen hat, ift über den Stand der zahllofen, in unfer
Bolksleben und unfere Zufunft tief einfchneidende Kragen genau unterrichtet und aud) befähigt,
fi ein Urteil zu bilden und zugleich überzeugend zu wirken. Deshalb ift das Bud) aud) eine
wichtige Grundlage für den nationalen PBolititer!“ (Nlin,: Rat, H. Konopath,)
Kleine Raffentunde des deutfchen Doltes
Mit roo Abb. und 13 Karten. 2. Aufl. Geh. RIM, 2.50, Liwd. RIN. 3.60.
„Das Bud) heißt mit Recht ‚Boltsgünther‘. Es bringt alles wejentlide und ift fo gehalten,
daß es jeder lefen und verjtehen kann,” (Die Heimat.)
BRaflentunde des jüdifchen Doltes
2. Aufl. 1930, 360 ©. mit 305 Abb. u. 6 Karten. Geh. RN, 9.80, Lwwd. RIM. 11.70.
„SDier fchreibe ein Wahrheitfucher.‘‘ (Deutfdy: öfterr, Lehrergeitung.)
„Bei der viel zu geringen Berbreitung wirflider Kenntnis der SJudenfrage Pann diefes vor:
züglidy ausgeftattete Bud) tweiteften Kreifen nur dringend empfohlen tverden; zur Belehrung
über die Gefchichte, die raffishe Zufammenfesung (förperlidy gefehen) des Judentums und über
feine derzeitige politifche Bedeutung im Abendlande.‘ (Der Tag.)
„Anfchaulichkeit, Gadhlichkeit, vornehmfte Gerechtigkeit in Ton und Denfart ; nidyt zum wenigſten
aud) Kormenfchönheit und Reinheit der Sprade. Günther hat hier den Schlüffel zur
Judenfrage gelicfert. (Die Gonne. )
SS $ ftebmannuns Derlag- Minben
Deutihe 7
Landesfunde
Umyrijje von Landichaft und Dolfstu
in ibrer: jeclijchen Derbundenbeit
Hon Gwald Banie |
Teil I: Deutjihland als Ganzes, Nieder- und Mittteldeutichland,
327 S. mit 60 Abb. Geh. RM. 10.—, £wd. RM. 12.—. Teil IE
Süddeutichland und Alpendeutichland. 320 S. mit 59 Abb. u. 2 farb,
Karten. Geh. RM. 10.—, Iwd. RM. 12.—. Beide Teile in einem
Band gebd. RM. 20.—. Jeder Teil ijt auc einzeln fäufli.
Wir meinen alle, Deutichland fei das bejtbefannte, bejtbejchriebene Land der Erde
und wir jelbjt fennten es im großen und ganzen recht gründlich. Wenn man Banies
Landeskunde gelejen hat, dann fieht man erjt, was alles dem naiven Reijenden
entgebt und was nur einer darjtellen fan, der: in 25 Jahren der Dorbereitung
und in unzähligen Reijen jein Wijjen und jeine Erfahrungen 3ujammengetragen”
hat. Banje ijt der Bahnbrecher der modernen Geographie und jein Wert ijt etwas
Neues im geographijchen Schrifttum. Neu ijt zunädjjt das Räumliche, Er behandelt
das ganze deutjche Land, den von 92 Millionen deutihipradjiger Menichen bewohnten
Raum Mitteleuropas einjchließli der Holländer und Damen, der Schweizer und
Ungarjdwaben. Er zeigt die Deutichheit in Landidhaft und Dolfstum aud) dort,
wo fie im Laufe der Jahrhunderte etwas verjchüttet wurde. Meu ijt aber aud) die
Einteilung des deutihen Landes in |Raumjchaften, die aus den Gegebenheiten Der
Stammestümlichteit und der Natur abgeleitet wurden. Sie heben jidy voneinander
ab durch Eigenheiten der Landihaft und Mundart, des jeeliihen Ausdruds und der
Wirtichaftsgebarung. Eine farbige Karte zeigt ihre Abgrenzung und bietet damiz
einen wichtigen Beitrag zur viel bejprochenen Neugliederung.
Banjes Werf leitet eine neue Art der Erdbejchreibung ein. Sein Werk; das tier
aus dem Deritehen deutiden Landes und deutjder Doltheit heraus ermadjen ijt, Ht
bis in die fleinjten Cinzelbeiten von deutihem Geist durdz0gen. Sum erjtenmal
tritt hier das bedingungslos Nationale in die Geographie ein. Die deutiche Tandes=
funde ijt jo reich mit Bildern und Karten ausgejtattet, daß fie zum Bud der
Deutichen geworden ijt, das jeder bejiter jollte, dem es ernjt damit it, jein Cano
und Dolf zu begreifen.
Die aus fünjtleriicher Sicht erwachjende reine Landesbeidhreibung paart ji mit der
Erfenntnis der jeelenformenden Kräfte der Landjchaft — eine Derinmmerlidung Der
geographijden Betrachtungsweife, die vor allem den Sinn der Gegebenheiten im
neues, zutunftweijendes Licht rüdt. Der Tag.
3.8. Xe Zehmanng Derlas, Mü isschen
Berantwortlich fi für die Schriftleitung von „Volk und Rajfe*: Brof. Dr. ©. Rede, Leipzig und Dr. Bruns ®. — Münden.
Gerantwortlid fiir ben Anzeigenteil: Guido Haugg, Mündyen. — Berlag: 3. F. Lehmann, Diündien:
Druk von Dr. F. B. Datterer & Cie, Freifing- Münden.
-
| Urifdhe Raffenhygiene in der Religion der alten Perfer. Gon Dr. Wolfgang
— Schuls, Görlig. (Mit 1 Abbildungh. + DEE Re FR
p Kriminalbiologie. Bon Dr. M. Riedl, Munchen Le, „ 145
ists. 2; 7 0. 2 nee
_ Die Gefdhidte der linfsrheinifden Germanen bis auf Cäfar. Von Dr. Gieg-
| en utenbrunner, Wien. yh hye hee ON a ee
5 Altnordiſche Bolfsmujif. Gon Ion Leifs, Island. (Mit 1 Abbildung) . . „ 163
Deutjche Volkstrachten. (Mit 2 farbigen Tafeln und 1 Abbildung im Sert) . . * 170
Ein verlorener deutſcher Vorpoſten in Polen. Von Eduard Schwertfeger —
Aus der rafjenhygienifhen Bewegung ©... . . 2.02. 0m 174
Überfichtsberichte aus dem rafjenhygieniihen Schrifttum. (Fortjesung).
ES ET LEE ae
ee,
NIMM ümnmuuuuuu— —D uD iil
.“
„ 175-
— „ 180
Wege zur Familien, und Namenforfhung
Deutfche Namentunde
Unfere Familiennamen nad ihrer Entftehung und Bedeutung
Don Studienrat M. Gottihald, Plauen
Mit etwa 50000 -Samiliennamen. Geb. RM. 13.—, Cwd. RM. 15.—
Gottjchalds — iſt anderen Ramenbüchern gegenüber etwas durchaus Eigenes. Zunãchſt
diirfte fein Wert alle ahnlichen Werfe an Reichhaltigkeit weit übertreffen. Doch aud in
Einzelheiten der Deutung bringt jein Bud; Dieles, was bisher nicht genügend ausgewertet.
wurde: 3. B. die Ableitung vieler altdeuticher Namen aus altgermanijchen religiöjen
Doritellungen; ferner die Behandlung der einjtämmigen Namen und der Miichformen.
Auf die Kojenamen wie Hölderlin, Kreutel und Steudel, Blumenjhein und Maienthau
ijt jeit ein paar längjt vergejjenen Bemertungen Grimms und Ublands niemand Hr
eingegangen. Überaus wichtig ijt auch die Statiftit der heutigen Samiliennamen, die
bislang niemand ee zum Zwede der Deutung benußt bat. Mittag 3. B. tommt
als Samilienname in Köln und München nur je einmal, in Dresden aber 66 mal
vor; bier ijt es aber aus Mittas entitanden, der wendiichen Sorm fiir Matthias.
Das Bud; 3erfällt in zwei Hauptteile: Die Namentunde und das Mamenbud. Die
Hamenftunde enthält u. a. folgende Abjchnitte:: Gejdhichte der Namenforfhung. Jndoe
ermanijde Namen ; jemitijche Namen. Altdeutjche Taufnamen mit ihren Kurzformen,
erfleinerungen und Mijdformen. Kirchliche und literariiche Namen. Entitehung der
amiliennamen. Namen aus Wohnjtätten und Herkunftsort, von Stand -und Beruf.
bernamen ; Sagnamen ; Judennamen ; Latinijierungen jlawijcher und anderer fremder
Yamen. Dornamen. Uamenwandel und Mamendeutung.
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Konfirmand aus Wietersheim bei Minden und Srau aus Lindhorft bei Stadthagen
Kunjtbeilage zu „Volt und Kaffe“ Aus: Helm, Deutfibe Doltstradhten
I. $. Lebmanns Verlag, Münden
Dolf und Raffe
Fluftrierte Vierteljahrsfchrift für deutfches Volfstum
Herausgeber: Prof. Aichel (Kiel); Dr. Bactold (Bafel); Prof. Detbleffien (Rönigsberg
i. Pr.); Prof. Sebrle (Heidelberg); Prof. €. Sifcer (Berlin); Prof. Sambrud (Samburg) ;
Prof. Helbot (IJnnsbrud); Prof. O. £ebmann (Altona); Dr. Lüers (Münden); Prof. Mielke
(Sermsdorf b. Bin); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Muh (Wien); Prof. Panzer
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. I. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dorts
mund); Prof. W. IM. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulges
Ylaumburg (Gaaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof.
Wrede (Rdin); Dr. Zaunert (Wilhelmshoͤhe); Dr. Zeiß (Frankfurt / M.).
Schriftleitung der Zeitfchrift: Univerfitätsprofeffor Dr. Otto Rede, Gaugic
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Rurt Shulg, Minden, Fleubauferftr. 51.
Verlag: 3. §. Lehmann, Minden 2 SW., Paul HeyfesStrafe 26.
Jährlich erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jäbrlihd M. s.—, Cingzelbeft M. 2.—.
Poftfchedtonto des Verlags München 129.
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Ronto bei der Rreditanftalt der Deutfhen e. &. m. b. 6 Prag II, Realauerftrage 31
(Doftfpartaffentonto der Rreditanftalt: Drag 62730). — Scweizerifdhe Poftidhedrednung
Bern III 4845. Schwed. Poftidedtonto Srodbolm 4107.
7. Jahrgang Heft 3 Juli (Heuert) 1932
Der Verlag behaͤlt ſich das ausſchließliche Recht der Vervielfaͤltigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfehrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor.
Arifche Raſſenhygiene
in der Religion der alten Perfer.
Don Dr. Wolfgang Schult, Görlig.
Mit ı Abbildung.
as Volk der Religion des Zarathuftra (Zoroafter), die Iranier, und ibe bes
deutendfter Stamm, die Perfer, fteben uns Deutfchen in Dielem näber als
die Griechen und näber als die Inder). Die raffenbygienifchen Erkenntniffe und
Einftellungen, die fich in diefer Religion ausfpreden, find daher für uns außers
ordentlich wichtig. Es gebt dabei um diefelbe Raffe, der auch die Germanen ans
gebören und auf der unfer Deutfchtum rubt. Sie bat fich im Orient unter Ders
bdltniffen, die nod fchwieriger waren als es die unferen find, rubmreich behauptet
und nod dem beutigen Orient fein geiftiges Bepräge gegeben. Dom Altertume
bis in die Gegenwart ift eine weltweite Wirkung von ihr ausgegangen, die in
mebreren bedeutfamen Wellen aud uns im Laufe unferer Gefchichte erreicht bat.
Hellas, das Land der Individualitäten, ift an feinem Jndividualismus ser:
broden. In Iran bingegen galt, mindeftens zur Zeit feiner Blüte, Volkswohl
mebr als Eigenwohl. „Der ein Opfer darbringt, darf nicht für fich allen um
1) £ Shemann, Die Raffe in den Geifteswiffenfdaften II: Hauptepoden und
Hauptvdlter in ibrer Stellung zur Raffe (J. §. Lebmanns Verlag, Munden 1930), S. 27 ff.
Preis geb. Mi. 18.—.
Dolf und Raffe. 1932. Juli. Q
130 Volt und Raffe. 1932, III
Seil beten, fondern er bittet für alle Perfer um Woblergeben und fur den Konig;
denn in allen Perfern ift er felbft mit inbegriffen“ (Aerodot I 132). Die Religion
des Zaratbuftra berubt auf einem der fittlichen Weltordönung verbundenen Pflidhts
gefüble, das fic mit unferem deutfden Pflichtgefühle, wie es Rant formte, zu
tiefft berührt. Bahnbredher unferes nationalen Gedantens baben daber von je
den Blid nad Iran gerichtet, fo Arndt, fo und noch gründlicher, Lagarde. Diefer
bewunderte dort ,,di¢ gigantifde Anfcauung von dem Rampfe des Guten und
Bodfen, die beide zu Reichen gefchloffen einander gegenüberfteben, und die Sordes
rung, in jedem Augenblide alles zu tun, was dem Reiche des Bofen Abbruch tun
kann“. Das iranifchsperfifche Wefen wurde von den Griechen im Gefolge der Pers
ferfriege ähnlich böswillig berabgefegt wie das deutfche im Gefolge des Welt:
trieges von den Sranzofen. Vieles, was uns im Alten und Lleuen Teftament bes
fonders anfpricht, ift Einfchlag iranifcher Dentart. Die Juden ftanden von der
Zeit ihrer Derfchleppung nad Babylon an unter diefem Einfluffe und in das Chris
ftentum ift iranifcher Beift in den verfchiedenften Abftufungen eingegangen. Go
ift Iran viel ftärker als dies febon weiterhin bekannt ift, auch Quelle unferer relis
gidfen Überzeugungen, und audy deshalb kommt es darauf an, das Raffenbygies
nifde, das einft in der Religion Jrans einzigartige Bedeutung batte, im Cbriftens
tume aber geächtet worden ift, wieder berauszuftellen. Auch wollen wir der
iranifchen Heldenfage nicht vergeffen. Auf alter Stufe entfpricht fie ungefäbr
der germanifden eyeldenfage der Ddllerwanderungsseit, auf jüngerer, bei Sirdoufi,
dem deutfchen Rittertume, das im iranifchen fein Dorbild bat. In Heldentum und
Rittertum leben und weben aber religids-fittlide Gedanken, und aud die fittliden
Bedanten der Religion des Zaratbuftra find beldifchsritterliche.
Wie anders hingegen berührt uns Indien. Das Heldifche der Srübzeit gebt
dort nur zu rafch in der Völkermifchung unter, indifdes Wefen bat bis zulegt
kaum überhaupt je nahdrüdlicher zu uns berüber gewirkt, Indiens Religionen der
Weltfludt fteben weit ab von der wirllidteitsnaben und dod) fo durdgeiftigten
Tatlraft, die die iranifcde Religion forderte.
Die Raffe der Jranier und der Inder ift urfprünglich diefelbe wie die in une
feren Stammgebieten vorberrfchende. Beide Brudervölker haben dafür fogar einen
gemeinfamen Ausdrud. Sie nennen fich Arier, was etwa „die Derfippten‘‘, durch
Blutsfreundfchaft Derbundenen bedeutet haben wird 2). Der Klame Iran felbft ent:
balt diefe Bezeichnung, denn Jran ift (uber die Sorm Eran) aus Arjan, d. b. „Ariers
land“ Iautgefeglich geworden. Jranier beißt alfo nichts anderes als Bewohner
des Arierlandes, d. b. eben Arier. Diefer Ausdrud gilt für die Perfer wie für die
Meder (Herodot VII 62), aber wabrfdeinlid aud für die Stytben und gewiß für
ihre fpäten Miachfabren, die Alanen, deren Llame auf einem anderen Wege eben:
falls lautgefeglid aus Arjan entwidelt ift. Mit arifch ift dabei nicht etwa die
Sprache, fondern die Raffe gemeint. Ausdrüdlich reden die Inder von der bellen,
„arifchen Sarbe im Gegenfage zur dunklen Sarbe der plattnafigen Urbewobner ihres
Landes ?). Die Jranier verknüpfen den Ausdrud arifch mit der edlen Serkunft, der
große Perfertonig Darejawofd (Dareios I.) nennt fich in feiner Grabinfcbrift
einen Perfer, Sobn eines Perfers, einen Arier aus arifhbem Samen. Die Bildwerke,
die ihn, feine Derwandten und Gefolgsleute darftellen, zeigen Perfer und Galen
®) ©. Schrader, Realleriton ser indogermanifden Altertumstunde, Grundzige
— Kulture und VölkersBefdhichte Alteuropas. 2. Aufl. (Berlin und Leipzig 1917— 1923),
54.
9) O. Schrader a. a. O. J, 538.
— 12 4 fed, SE
1932, III WW. SGdulg, Arifche Raflenbygiene in der Religion der alten Perfer. 131
EEE a a |
(Stythen) als Dertreter der nordifchen Raffe, auch auf dem AlerandersSartopbag
(Abb. 1) find die Perfer nod blond und blaudugig und gleiden Germanenjung:
lingen, im Awefta wird das leuchtende, belle Auge als Merkmal geiftiger Schöns
beit gepriefen.
Miefo diefe Raffe nach Iran, ja bis nad Indien tam, ift beute, in den
GOrundzügen wenigftens, bekannt. Inder und Jranier find der öftliche Zweig
einer großen Völkergruppe, die man gewöhnlich als Indogermanen bezeichnet und
zu der auch die Griechen, Thraker, Italiter, Relten und Germanen gehören. Die
erfte Grundlage für die Zufammenfaffung diefer und noch etlicher anderer zuge:
böriger Dölker unter den Aunftnamen Jndogermanen, war sie Gemeinfamleit
der Sprade. Dazu fam die Gemeinfamleit vieler ältefter Rulturguter und endlich
die der Raffe. Man denkt fi) das Stammovolf zuletzt, zu Ende des 3. und Anfang
des 2. Jabrtaufends v. Chr., im Raume vom Baltitum bis zum Schwarzen Meere
und mit ftarten Ausladungen nad dem Innern Mitteleuropas. Diejenigen, die
feine erften Unfdge mebr im Torden fuchen, baben dem entfprechend feine Kaffe
die nordifche genannt. An eine unbedingt einheitliche Raffe ganz ohne fremde Eins
fhläge glaubt bei fo großer Erftredung natürlich Bein ernfter Sorfcher. Aber die
älteften Zeugniffe der indogermanifchen Einzelvölker geben im wefentlichen dies
felben betannten Raffenmertmale, zumindeft für die Oberfdicdt, an. Vlad ibnen
beftimmt fid) das Sddnbeitsideal der dlteften Dichter diefer Völker und ihre Bilds
werte ftellen es oft nod) bis in die Spätzeit fehr getreu dar. atten wir ficere
Zeugniffe dafür, daß audy die Weftgruppen der indogermanifchen Völker fchon in
alter Zeit den Ariernamen kannten, dann wäre er die gegebene Eigenbezeichnung
für das Stammopolt. Leider läßt fich das nicht erweifen.
Don der Oftgruppe der Jndogermanen ldfen fih, wenn wir von derzeit noch
fhwer beftimmbaren älteren Zinfchlägen im Syetiterreiche und fonft im alten Drient
abfeben, zuerft die Inder los und bredyen um 1500 v. Ebr. in den alten Orient ein.
Etwa um 900 v. Chr. folgen die Jranier. Sie ftoßen auf die alten Kulturen und
Reiche der Elamier und Babylonier, mit denen fie fic ähnlich auseinanderfegen
müffen, wie es viel fpäter die Germanen taten, als fie vom römifchen Weltreiche
Befig ergriffen. Aber im alten Orient erfolgte diefe Auseinanderfegung 3wifchen
Ariern und ganz Andersraffigen (Dorderafiaten, Semiten ufw.), während im
römifchen Reiche fon 3ablreide indogermanifdhe Einwanderungen erfolgt
waren. Um 539 erftredt fi) das Weltreich des Perfertönigs Aurufch (Ayros)
bereits von Indien bis Agypten und Hellas. Es folgt die Eroberung Agyptens
durd Rambudfdija II. (Rambyfes), der Aufftand im Reiche und die Wieders
berftellung der Ordnung durd Darejawofd (519 Infchrift von Bagiftan).
Soweit die dugere Gefcidte. Geiftesge(didtlih widtig ift, daß dsiefe aris
fcben Völker, und alfo auch die Jranier, eine alte, böchft durchgeiftigte Gätterlehre
mitbringen, die eine Lichts und Seuerlebre ift 4). Aber in der neuen Umgebung wer:
den fie mit an Tempel gebundenen Rulten bekannt und ihre Religion wird durd
fremde Beimifhhungen getrübt. Die Lehre des Zaratbuftra ift eine läuternde Lieus
geftaltung. Sie fucht den neuen Einfchlägen zu begegnen, ftellt die altererbte Rul-
tur des indogermanifchen Aderbauers und Viebzuchters in die Mitte und baut
. darauf eine folgerichtig durchdachte Sittenlebre auf. Ein rein begrifflicher oberfter
@Bott, Ahura Mazda (Ora Mazda, Ormuyzd), ,,der denkende herr“, ordnet und ges
4) Man vergleide LW. Schulg, Die Sittenlebre ses Zaratbuftra im Rahmen der
Gefcdidte dser Gittlicleit. Jabrbud) dec Philofophifcden Gefellfchaft an der LUniverfität
Wien (Leipzig 1913), 43 Seiten.
9*
132 Volk und Raffe. 1932, 111
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bietet alles. Auf die Einzelbeiten diefer weiteren Rreife fo gut wie unbetannten
Lehre und auf die ftark veränderten Züge, die fie in der fpäteren Entwidlung ans
genommen bat, kann ich bier nicht eingeben ?); denn ich will bloß das raffen:
bygienifchb Bemerkenswerte berausbeben, was bisber noch überhaupt nicht ges
fcheben ift. Daber befchränte ich mich darauf, bloß die Abfchnitte und den Rabmen
anzudeuten, in denen die Entwidlung verlief.
Abb. 3. Kopf eines Perfers von dem Steinfarge in Sidon.*)
Der Reformator Spitama, gewöbnlich zubenannt FZaratbuftra, was feine
priefterlibe Würde bezeichnet, lebte in der Perfis am Hofe des Wifchtafpa
(yyftafpes), des Daters des Daregawofch®). Die Religionsftiftung ift um 505
v. Chr. anzufegzen (im 30. Jabre des Wifchtafpa). Darejawofch ift bereits Mazda-
Derebrer. Man kann nicht fagen, daß die Mazda-Lebre unter ibm Reichsreligion
wird. Eber ift fie Hausreligion des Rönigsgefchlechts und daber in den Derlaut:
barungen nach außen, den großen Infchriften der Rönige und ibren Erläffen, nur
*) Dal. aud Gunther, Raffentunde Europas. 3. Aufl. S. 189 ff. J. §. Lebmanns
Verlag, Nunden. Preis geb. ME. 10.80.
>) I. Hertel, Die arifche Seuerlebre I (Leipzig 1925).
6) Dal. I. Hertel, Die Zeit Zoroafters, Leipzig 1924.
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1932, 1II WW. Sculg, Ariſche Raffendygiene in der Religion der alten Derfer. 133
Re eh ge a ET RN ar Re Ee ED
vorausgefetzt, aber nicht eigentlich entwidelt. Klidht einmal der Viame des Spitama
wird ausgefproden. Unter den legten Rönigen diefes Serrfcherbaufes dringen die
©otthbeiten des Volksglaubens wieder in das Lehrgebäude ein und die 3. T. fremds
raffige Priefterfhaft der Magier tilgt aus den beiligen Schriften mit der Zeit
alles, was auf die ältere Befchichte ihrer Religion Licht werfen könnte. Alerander
der Broße fetzt dann dem Perferreiche, nachdem es über 200 Jahre beftanden bat,
ein Ende; das Staatseremplar der heiligen Schriften, des Awefta, verbrennt in
Perfepolis (331), Aleranders Seldberrn teilen fid) nad feinem Tode in die Herts
fcaft, der Orient wird belleniftifdh. Erft zu Ende des 2. Jabrbunderts n. Chr.
wird das AUwefta neu gefammelt, Statthalter der Derfis, die Gafaniden, die fic
vom alten Rönigsftamme berleiten, reißen 226 n. Che. die Herrfcaft an fid) und
e8 beginnt eine Renaiffence bis zum Einbruche der Araber (036 n. Chr.). Ders
fprengte Refte der Maz3dasGläubigen retten fid) nad Bombay. So bleibt das
Awelta in feiner heutigen, arg verftummelten und dod) Außerft wertvollen Saffun
erbalten.
Zwei Gruppen von Quellen tommen in Betracht, aus der Srübzeit die In:
fchriften der Perferkönige ‘), unter ihnen befonders des Darejawofch, und daneben
die Klachrichten griechifcher Schriftfteller, und aus der Spätzeit die einbeimifchen
Religionsfchriften, allen voran das Awefta 8), von dem mandes nod bis in die
Zeiten der Perfertönige des Altertums binaufreicht.
Alteften und wertvollften Auffchluß über religidfe Dorftellungen pflegen bei
den meiften Ddltern ibre alten Perfonennamen zu geben. Das trifft auch für die
Perfer zu. Schon der Großvater des Darcjawofch beißt Arjaramna 32) und ähnliche,
in ihrem erften Beftandteile auf das Ariertum binweifende LTamen find aud
fpäter nody im königlichen Kaufe und bei den perfifchen Großen häufig. Darejas
wofdy nennt fic, wie fon erwadbnt, einen Arier aus arifhem Samen, und fein
dritter und vermutlich letgter Sohn von der Tochter des Bobryas hieß Arjamenes,
was ganz nahe an den altehrwürdigen, den Jraniern und Jndern gemeinfamen
©ott Arjaman anllingt, der fennzeichnender Weife urfprünglicdy Bott der Ehe war.
In Indien bezeichnete man mit Arjaman auch den Bräutigam, in Jran aud den
Sippengenoffen. Außerdem galt der Gott als heillundiger priefterlider Arzt, bei
den Jndern noch in fpäterer Zeit als Anführer der Ahnen, fein Pfad fehon im
Rigweda als der Weg der Gonne uber den Himmel 9).
Die feierliche Wendung „Arier aus arifhen Samen“ bat viel Cigentumlicdes
an fid. Das bier gebrauchte Wort für Samen bedeutet eigentlidy Lichtfunte, der
Same ift nad) gemeinarifcher Auffaffung eine flüffige Sorm des Simmelsfeuers 1°).
Darejawofd betont alfo nicht blog wie es fonft, auch bei den Griechen, üblich ift,
lediglih die Abftammung, das Gefdledt, fondern der Ausdrud gebt auf das
7) §. 5. Weißbadh, Die Reilinfcriften der Acdhyämeniden, Leipzig 1931.
8) Avefta, die beiligen Bücher der Parjen, überfegt von $. Wolf, 2. Aufl. Berlin
u. feipzig 1924. — Die Gatbas des Avcfta, Zaratbuftras Derspredigten, überfegt von Chr.
Bartbolomae, Straßburg 1905. — Die Jasts des Avefta, uberfegt und eingeleitet
von 4. Lommel, Gdttingen u. Leipzig 1927.
84) Die neu gefundene Goldtafel aus Gamadan, von ser in legter Zeit vielfach die
Rede war, ftammt nidt von Arjaramna, fondern etwa aus dem 4. Jb.; fie war vermuts
lid Bildbeifchrift zu Ebren des Arjaramna als eines der Ahnen des Fyerrfcherbaufes und ift
aus den bekannten Rönigsinfchriften, insbefondere des Darejawofd, geihöpft. Vgl. 9.
— Schaeder, Uber die Inſchrift des Arjaramnes, Berliner Sigungsberidte 193), S. 635
is 046.
9) A. Hillebrandt, Vedifhe Mytbologie, 2. Aufl. (Breslau 1929), II 09— 81.
10) 3. Hertel, Die acifche Seuerlebre I 54—063.
134 Doll und Kaffe. 1932, III
züuchterifch Wefentliche, aufs Reimplasma als Träger der Befchlechterfolge, deren
Urfprung als bimmlifd angefeben wird. Die Auffaffung, daß der Same des
Mannes durd das Rudenmarl aus dem Gebirn ftamme, ift vermutlid iranifce
Kebre, die fid darin gefiel, die Beine Welt des Leibes der großen Welt des Alls zu
vergleichen. Der Schädel mit den zabllofen Saaren follte dem Aimmelsdade mit
den Sternen entfprechen, und man fab die alte Vorftellung, daß ein geiftiger, bes
frudtender Simmelsftrom den Sternenglanz vom Aimmelsberge zur Erdenwelt
berabbringt, in erften, nocdy ungenauen Beobachtungen am eigenen Leibe beftätigt.
Mir wiffen, daß das falfhe Schlüffe waren, aber hinter ihnen ftebt eine ganz
großartige Zielfegung. atte man frisber fic damit begnügt, das edle Befchledyt
von einem bimmlifchen Ahnen berzuleiten, fo fuchte man das jegt in eine Art
naturwiffenfchaftlicher Erkenntnis überzuführen. Etwas wie eine Dorabnung
von der Kontinuität des Reimplasmas leuchtet bier auf. Im Samen liegt die
Ewigkeit, der Leib ift bloß fein Auswuche, doch die ganze Welt, die im Samen
ihrer Möglichkeit nad gefhlummert bat, wird fich in diefem Auswudfe als
Wirklichkeit bewußt. Der Same gilt nicht ale etwas blog Stofflices, fondern
als ein Gtofflid:Geiftiges, worin das Stofflidhe als Waffer, das Geiftige als
Abglanz des Aimmelslichtes, als Seuer oder als Geifteshaud, aud, wie bei
Räucherwert, als beigemifchter Woblgerudh aufgefaßt wird. Zahlreiche iranifche
Theorien von der Zeugung und der Weltfhöpfung bauten fi auf foldyen Er:
wägungen auf. Wir find uber fie wenigftens in Andeutungen unterrichtet durd
die Mlachltlange aus dlteren griechifchen und fpätperfifchen Schriften, denen als
teftes, fonft verlorenes aweftifches Gut zugrunde liegt (Bundabifchn), und aus den
Oedantengängen etliher auf iranifcher Lehre berubender gnoftifcher Selten !!).
Daß diefe Lehren in Grundzugen mindeftens in die Zeit des großen Perferkönige
zurüdgeben, ift kein Zweifel und eine Klacdhricht bei Aerodot (I, 90) ftimmt gut
dazu. Danach ließ Darejawofd, als er in Thralien zu den Quellen des Sluffes
Tearos gelangt war, dort eine Infchrift errichten: „Des Tearos Quellen geben
das befte und edelfte Waffer, und zu ihnen gelangte auf feinem Zuge gegen die
Slythen der befte und edelfte von allen Menfden, Dareios (Darejawofd), des
Hyftafpes (WWifdtafpa) Gobn, ser Perfer und der ganzen Erde Konig. Der
Wortlaut ift gewif ftark vertirzt und aud etwas ungenau wiedergegeben. Aber
wir kennen die entfprechenden Wendungen aus den Infchriften des Darejawofch.
So fagt er in der Infchrift von Bagiftan: „Don alters ber find wir adelig, von
alters ber war unfer Gefdledt königlich.“ Llur der Unterton eitler Anmaßung
ftimmt nicht, den der Grieche in die Worte des Perfers bineinlegt, weil er feine
Ginnbaltung nidt verftebt. Was er als Uberbebung des Tyrannen auffaßt, ift
tiefergriffene Schau der Wefensgleichbeit des Maren, edlen Waffers, das dort
aus 40 heißen und kalten Quellen zufammenftrömte, und der eigenen, edlen Her⸗
tunft. Und noch in einer fpäten Stelle des Awefta (Jasna 65, 11) lefen wir
die Bitte an die Weaffer „um fegensreiche Nachkommenſchaft, der mand einer
Huldigen und die feiner 3u fchdadigen wagen foll“.
Eine ähnlich aufgeböbte Auffaffung vom Samen wie bei Darejawofch findet
fid) nur nod im Alten Teftament, das Efra aus der babylonifden Gefangenfchaft,
d. b. aus dem perfifhen Weltreiche, nach Paläftina gebradht bat. „Sieb gen
Himmel, fagt Jabwe zu Abram (Abraham), „und zähle die Sterne! Rannft du
fie zählen? Und er fprach zu ihm: Alfo foll dein Game werden’ (Genefis 15, 5).
11) Man vergleiche zu diefen Sragen R. Reigenftein und 9. Schaeder,
Studien zum antiten Synlretismus aus Iran und Griedhenland. Leipzig u. Berlin 1926.
1932, 1II %. Scyulg, Arifdye Rasfenbygiene in der Religion der alten Perfer. 135
EEE —— — ——
An anderer Stelle (Geneſis 22, 17) heißt es: „Daß ich Deinen Samen ſegnen
und mehren will wie die Sterne am himmel und wie den Sand am Ufer des
Meeres.“ Das iſt alles fuͤhlbar iraniſch. Die Ahnengeiſter, Frawurtis genannt,
gelten bei den Iraniern als bimmlifche Heerfchar der Sterne. Sie umgeben hoch
zu Roß, den Speer in der Hand, den Himmel zu feinem Schuge wie das Haar
das Haupt (Bundahifhn 6). Jeder Lebendige ift die Verkörperung eines diefer
fcbon vor der Schöpfung von Mazda vorausgedachten Ahnengeifter. Entfprechens
des liegt auch der jüdifchen Vorftellung zugrunde. Auch bei Abram nimmt deffen
Same, den Sternen verglichen, feine KTachtommenfcaft vorweg. Aber febr bald
glitt man von den Weiten des Himmels und Meeres in den Staub binab, weil
man das erbabene Bild nicht mebr verftand und bloß noch ein Gleidnis fur die
Unzäblbarkeit übrig bebalten wollte. So beißt es (Genefis 13, 16): „Und ich
will deinen Samen machen wie den Staub auf Erden. Rann ein Menfch den
Staub auf Erden zählen, der wird auch deinen Samen zählen.“ In dem fonft an
Scönbeiten reichen, ebenfalls in iranifchen Vorftellungen wurzelnden fpätjudis
fen Bude von der Schöpfung des Kindes 1?) entftebt der Menfd fogar aus
einem „übelriechenden Tropfen“. Die Lehre von der Süundhaftigkeit der Zeugung
(Erbfünde) bat gefiegt. Es wäre aber ungerecht, fie den Juden als ihre Erfindung
anzulreiden. Auch fie muß fehon in Jran vorhanden gewefen und von da in die
®enefis entlebnt fein. Die Sünde des Jama foll nad einer Saffung im ,,Sleifd‘s
€ffen beftanden haben, und wie das aufgefaßt wurde, lehrt Adams Upfels€ffen.
Aber in der Religion des Zaratbuftra bafte das Eifern gegen das Sleifchliche keinen
Plag, und auch das ungebrodene Jraniertum ältefter Zeit mußte folche Einfchläge
als fremde Tropfen in feinem lebensfreudig podenden Blute empfinden.
Hinter dem Worte vom arifchen Samen fteben auch lange und eindringliche
3uchterifche Erfahrungen. Die Arier waren von alters ber Diebzuchter. Am Rinde
und Pferde entfaltete fich ibre Mildywirtfchaft, und ganz befonders am Rinde ibr
Aderbau. Dazu tam die Zucht des Hundes als HYausbund, Schäferhund, Jagds
bund. GBewiß ftieß man fchon früb auf Sragen der Baftardierung. Ein glüdlicher
Zufall bat uns eine darauf bezügliche Überlegung erbalten. Im Awefta (Wis
dewdat 13, 41 f.) wird die Srage aufgeworfen: Welcher von den beiden Wolfs:
baftarden verdient eber vertilgt zu werden, der des Hundes mit der WDdlfin oder der
des Wolfes mit der Hündin? Ahura Mazda antwortet: Der des HYundes mit der
Weolfin. Die Baftarde des Wolfes mit der 4Hundin nämlich feien, freilich verwils
derte, Sunde, die des Hundes mit der Wölfin aber veredelte und daber defto ges
fäbrlichere Wölfe. Der Aderbau führte auch zur Züchtung veredelter Nutzpflanzen.
Der Perfertönig und feine Edlen wetteiferten in der Anlage von Garten, in denen
fböne und fruchtbare Gewddfe gezogen wurden. Oder fie umbegten waffers
reiche, anmutige Waldgebiete, legten darin Lufthaufer an und bielten allerband
edle Tiere. Schöne Baume galten ibnen ale Sigg unfterblicder, gdottlidyer Wefen.
Don Chfchejarfda (Xerres) erzabhlt eyerodot (VII 31), daG er auf dem Wege von
Pbrygien nad Lydien einen Plantanenbaum fand, den er feiner Schönheit wegen
mit goldenem Gdmude befdentte und dem er auf ewige Jeiten einen Wächter
beftellte. Den Begenfat zwifchen iranifcher und bellenifcher Auffaffung vom Gars
tenbau kennzeichnet die Erzählung (bei Xenophon, Oifon. IV 21—23, Cato
major 17) von Rurufch dem Jüngeren, der feinen bellenifchen Gaftfreund Lyfan:
dros voll Stolz in dem von ibm eigenhändig gepflegten Garten berumfübrte.
12) Überfegung bei W. Schul, Dokumente der Gnofis (Jena 1910), S. 4—7.
136 Doll und Kaffe. 1932, III
EEE
Der Syellene aber bemerkte dazu hodfabrend, dergleichen müßten bei ihm daheim die
Sflaven tun. Eine bei Magnefis gefundene Infchrift (jet Louvre) gibt einen
Erlaß wieder, den Darejawoich an feinen dortigen Beamten Badatas richtete. Der
Konig fchreibt da: „Dein Dorgeben, daß du meine Erde bearbeiteft und Srucht=
pflanzen jenfeits des Eupbrat in die entlegenen Teile Afiens einführft, lobe ich,
und du haft dir dadurd) großen Dank von feiten des königlichen Kyaufes ges
fichert.‘“ Dem Artachfchaffe II. (Artarerres) überreichte einer feiner Perfer einen
Öranstapfel von außerordentlicher Schönbeit und erntete dafür des Königs Lob
(Plutard, Urtar. 4). Die Ergebniffe iranifcher Pflanzenzucht eroberten fid die
Welt. Man dente an den Ldftliden Pfirfich, den „perfifchen Apfel“ und an die
veredelte, duftende Rofe. Ylun ift aber Pflanzenzucht, wie wir von Gregor Mens
deb her wiffen, die hohe Schule der Dererbungslebre. Go werden wir die relis
gids und fittlidh vertiefte Liebe zu allem Edlen, Schönen, Woblgeratenen an
Pflanzen, Tieren und Menfchen als Wegbereiterin einer raffenbygienifcdy mitbes
ftimmten Weltanfhauung zu würdigen haben. Es ift zugleich eine Ziele fetzende
Weltanfdauung und fie ift nicht jenfeitig fondern diesfeitsfreudig. In einer fpäten
mittelperfifchen Schrift (Joscht i Frijano II 1) wird die Srage aufgeworfen: ft
das Paradies in diefer Welt das beffere oder das in der künftigen? Die Antwort
ent{ceidet: Das in diefer Delt, denn das tunftige wird in ibr verdient. Das Wort
Paradies, das fcdbon die Geptuaginta in ibrer Wberfegung des biblifchen Schoͤp⸗
fungsberichtes verwenden, ift perfifh. Es bezeichnet den umbegten, züchterifch
gepflegten Tiergarten der perfifchen Großen.
Auch der Menfd ftellt fidy unter die Gefegye der Zucht. Befchägt wird bober
Wuds, Kraft, Sdhdnbeit und alle geiftige Tugend. Kyerodot (VII 117) erzablt,
daB das ganze Meer des Chfdejarfda um den Tod eines Kriegers trauerte, weil er
der größte und trdftigfte Mann war, 5 Ellen weniger 4 Singer bod. Srauen
werden gepriefen, „die den fchönften Leib zur Zeugung baben, für das Hauswefen
die trefflidften’ (Jafdt 5, 34). Oder man verehrt „die fhöngewachfenen Srauen,
die fid guten Ebeglids und guter Abftammung erfreuen“ (Wifp. 2, 7). Die
Mädchen beten beim Opfer, daß fie einen Kausberrn von fchöner Geftalt bes
tommen, einen jungen, der fie in guter Pflege balte, fo daß beide lang am Leben
bleiben, und daß er ihnen Kladhlommen 3:uge (Jafcht 15, 40). Der SHausberr bittet
um „männliche, tuͤchtige Nachkommenſchaft, die mir fördern foll Gaus und Ges
meinde und Bau und Land und des Landes Rubm (Jasna 68, 5). Dom Gotte
des heiligen Seuers, das auch im Samen wirtt (f. o.), erbittet man fid als Did:
tigftes zulegt Tapferkeit und „zur Vollreife gelangende, tücdhtige Kladhylommens
fchaft, die dem Gau die Befetge vorfchreibt, der Derfammlung Rat erteilt, zus
fammen aufwadfende, die emfig wirkend aus der Viot erlöft, einfichtige, die
da fordern foll Haus und Gemeinde und Gau und Land und des Landes Rubm“
(Jasna 62, 5). Ganz folgerichtig werden auch die bimmlifcden Abnengeifter
(Srawurtis), in denen, wie fcbon erdrtert, eben diefes Seuer waltet, verebrt, um
teilbaftig zu werden „der Mladhtommenfdbeaft, der tundigen, beredten, ftrablens
den, Helldugigen, aus LTot befreienden, wohlverftändigen‘“ (Iafcht 13, 134). Solde
Nadlommenfchaft zu zeugen, ift ein: der ob:rften Pflichten, und die Stätte diefer
Zeugung ift die Ehe. „Dir, dem beweibten, fpreche ich den Dorrang zu, 0 Spitama
Zaratbuftra, vor dem, daß einer unverbeiratet altern follte; dem, der ein hHaus⸗
wefen bat, fpreche ich den böberen Wert zu als dem, der kein auswefen bat, dem
mit Rindern einen boberen als dem Rinderlofen, dem Dermöglichen einen böberen
als den Armen“ (Wdidewdat 4, 47).
1932, III W. Schulg, Arifche Raffenbygiene in der Religion der alten Perfer. 137
Die Kiadhlommenfchaft ift aus dem Samen verwirklichtes, geiftiges im:
melsfeuer; fie, die belläugige, befitgt daber, wie wir eben vernabmen, aud die
geiftige Einficht, in der Derfammlung Rat zu erteilen, Befetzge zu geben und das
£and aus Seindesnot zu erretten. Golde Gedanten bat fcdon Darejawofd in
einer feiner Infchriften in Perfepolis ganz abnlid) ausgefproden: ,,Diefes Land
Perfien, das mic Ora Mazda verlieben bat, das {don ift, gute Roffe, gute Mens
fen bat, nad dem Willen Ora Mazdas und meinem, des Ronigs Darejawofdh,
fürdhtet es fich vor keinem Seinde“. Er fugte aber nod bingu: ,,Ora Mazda foll
mir Hilfe bringen nebft allen Gdttern, und diefes Land foll Dra Mazda fchügen
vor der Seindesfcbar, vor Migwacds, vor Lüge.“ Das Wort für Mißwadhes
beißt genauer Mißjabr, und dabei ift mit „Jabr‘ jeglicher Ernteertrag gemeint,
die Mlißernte der Ader ebenfo wie Seblgeburt und Mißgeburt bei Dieb und Weib.
Alles Migraten, wo ein Beraten an Lebendigem, Erwachfenem erwartet war,
fällt unter diefen Begriff. Der Mißwadhes wird auf eine Stufe geftellt mit
Seindesfchar und Lüge. Was uns feblt, ift aber, daß wir erführen, wodurd)
nad Meinung des Königs diefe drei fchredlichen Solgen eintreten.
An Stelle des Mazda in feiner Eigenfchaft, das Land vor diefen drei Schäs
den 3u fcugen, begegnen wir im Awefta dem Sterngotte Tifchtrija in faft ders
felben Eigenfchaft. Aber da leuchtet noch der Grund durch, weshalb die Übel in
die Welt einbrecdhen. Tifchtrija kann fo Gutjabr wie Mißjabr bringen (Jafcht $,
36). Dächten die arifchen Länder an die ihm gebübrende Verehrung, „nicht würde
bier in den arifchen Ländern Seindesbeer berantommen, nicht Überfhwenmmung“
(ebd. 56). Auf die Srage, worin diefe Derebrung beftebt, erfahren wir: Ein Schaf
follen ibm die arifchen Länder kochen und nicht foll davon der Schurke etwas
erbalten, nicht die Dirne, nicht der Glaubensfeind. Belämen Schurke, Dirne oder
Olaubensfeind doch etwas davon, dann nahme Tifchtrija die Heilmittel mit fich
fort und gleichzeitig würden Überfhwenmungen und Seindesfdar uber die aris
fhen Lander hereinbrechen (ebd. 60 f.). Anteil am Opfer bedeutet Anteil am Hei⸗
ligften, an dem dußeren Sinnbilde des Sippenverbandes. Daher muß er den
Sippenfremden, die zugleih Sittenfremde find und als Unfittlihe und Schaͤd⸗
linge aufgefaßt werden, verwehrt bleiben. Der „Schurke“ ift der Klichtarier, und
wir werden ibn nod alsbald in der Geftalt des grimmen Sranrasjan, der unbefugt
der arifchen Herrlichkeit nachftellt, kennenlernen. Auch die Dirne wird das Weib
eines fremden Stammes fein follen. Sur alte Feit liegt es nabe, an die heilige
Proftitution nidhtarifcher Völker des alten Orients, fo vor allem in Babylonien,
zu denken. Und der Glaubensfeind ift erft recht der Llichtarier, denn die Religion
des Zaratbuftra ift die arifche. Dabei wird deutlich, daß Mißjahr, Seindesheer,
Lüge oder Überfhwenmung zugleich Strafen und Läuterungen find.
Das ift aud einer zweiten Stelle zu entnehmen, die vom „Hyerrfcherglanze
oder königlichen Blanze handelt, von der Glorie der königlichen Majeftät, die ine
rein Religidfe umgedeutet uns als Heiligenfchein bekannt ift. Ein eigenes Preis»
lied (Jafdt), das 19. des Awefta fcildert, wie diefe Glorie von der Gottheit
ausgebt, wie die Helden und Könige der Dorzeit fie befitzen, wie fie den unges
rechten Kyerrfcher verläßt, wie der Bott des Seuers und der Dämon der Sinfternis
fie zu bafchen fucen und wie fie ihnen entgleitet und in die Tiefe des Sees fällt.
Der Schurke Sranrasjan möchte fich gern diefes Rönigsglanzes bemädhtigen. Er
taudt in den See oir Gier nach jenem Glange, der
den arifden Gebietern ziemt,
gebornen, ungeborenen.
138 Volt und Kaffe. 1932, III
Se EEE EEE EEE Sn u ee es LL eae Pa eee)
Herzu zu jenem Glanz er ſchwamm,
doch floß vor ihm der Glanz hinweg,
doch wich vor ibm der Blanz zurüud 13).
Bei jedem neuen Tauchen entfteht eine neue Bucht des Sees, in der er fic
vor dem Derfolger birgt, im ganzen drei Male. Sluchend muß Sranrasjan abs
laffen:
Nicht konnte meiftern er den Glanz,
der arifchen Gebietern ziemt,
gebornen, ungeborenen.
Man fieht, daß diefes Langen des Schurken nach dem Blanze fehr genau
dem entfpricht, wie der Schurke in der vorhin befprochenen Stelle nicht nach dem
Opfer langen darf, wenn nicht Unheil über die arifchen Länder bereinbrechen foll.
Die Sortfegung des Preisliedes über den königlidhen Glanz ift noch deutlicher,
denn da beißt es weiter:
Den ftarten tonigliden Glanz,
den Mazda (uf. verebren wir,
der preislich über Hoͤhen ſchwebt,
gewaltig, voll Geftaltungstraft,
der da von dort ber walten wird, €s cint fid ibm des Roffes Kraft,
wo Morgenrot den Berg umglübt, es eint fich ihm Rameeles Rraft,
um den die vielen Waffer rings, es eint fih ihm des Mannes Kraft,
die bergentitrömten, fließen bin !4): es eint fih ibm der Rönigsglans.
‚Die Sutter gibt‘, ‚Die Roffe gibt‘, Und auf ibm, o Zaratbuftre,
„die Herrliche‘, ‚die Labende‘, rubt alfo febr dec Ronigsglans,
‚Die Stegen fpendet‘, ‚Sutterreich‘, daß er die Flichtarifchen all
„die Treffliche‘, ‚die Boldreiche‘. wohl einft von bier vertreiben wird.
Es läuft berzu, es fließt berzu Dann ziehen fie bindann bedrängt
‚der Dammreiche‘, bell ftrablende, von Hunger, Durft, von Sroft und Glut.
der weiße Wellentäimme wirft So leibt der königliche Glanz
und oft aus feinen Ufern tritt. den Arierftammen feinen Schun.
Der Berg Ufdidam, d. b. der Berg deffen, „der fein Haus bei der Morgens
rote bat“, ift der Sig Bottes und der Seligen, die Sluffe, die von ibm berabs
fommen, fließen nad Weften in den SamunsSee, der mindeftens gedanklich mit
dem vorerwähnten See zufammenfällt, in dem der tdniglide Glanz ruht. Dom
Hamun-SGee ging die Gage, daf fid) in ibm der Same des Zarathuftra befindet
und daß von diefem Samen in jedem neuen Zeitalter eine dort badende Jungfrau
befruchtet wird und den Heiland diefer Zeit gebiert. Lieuere Sorfcehung bat auch
entdedt, daß an eben diefem See die Gralsburg lag, in der fi das Scidfal
Parfivals, des Perferbelden, entfcheidet ($. v. Subtfchel). Der königliche Glanz
und der Same des Zarathuftre, das Morgenrot und der erfte Abglanz der Sonne
auf der fchneegekrönten Spige des böchften Berges und die Gewaffer, die ibn in
die Tiefe des Sces mit fich nehmen und unterwegs alles Land befruchten, bilden
eine wundervoll verbundene Einheit. Was für den Samen des Zarathuftre
gilt, gilt felbftverftandlid) aud für den aller edelblütigen, arifchen Menfden.
Wer ibn trantt, wer ibn vermifdt, bringt damit Unbeil auf das Arierland, der
königliche Glan3, der an anderen Stellen fogar geradezu der arifche Glanz beißt,
13) Die in Derfen wiedergegebenen Stüde find von mir, bin und wieder etwas freier,
überfegt, und zwar auf Grund eigener Herftellung des durch allerhand Zufäge meift ent»
ftellten, le metrifchben Tertes.
14) Der nächfte Ders entbält 8 Slußnamen, deren Bedeutung 3um Teil unfider ift.
1932, III W. Schulg, Arifdye Raffendygiene in der Religion der alten Perfer. 139
Er FE RE Eu WI EEE EEE ER Eu EEE),
räcdht es. Mad altem Glauben ift der große, von der einbrechenden, fremodraffigen
Seindesfchar veranlaßte Krieg die Solge, und in anderer Ausprägung das Hers
einbrechen der feindlichen, vernichtenden GBewäffer, die große, alles !WMißratene
binwegtilgende Slut, oder der grofe Sroft oder der Weltenbrand. Diefer Glaube
taucht, obne Zweifel aus fehr alten iranifden Quellen gendbrt, aud im Alten
Teftament auf, wenn dort die Slut das fundbafte Gefdlecht binwegtilgt, das
aus der Dermifchung der Rinder Gottes mit den Töchtern der Menfden bhervors
gegangen war (Benedis VD).
Daß die Siut, oder vielmehr der ihr entfprechende große Sroft, alles Brefts
bafte binwegnimmt und nur die Cdelften zur neuen Zucht übrigbleiben, ift auch
nod an einer anderen Stelle des Awefta (Midewdat 2) ausgefprochen.
Der Scopfer Ahura Mazda Dod du mac einen Pferd zuredt,
berief die Götter allefammt auf jeder Seite meilenlang,
zur Ratsperfammlung in Wedfda, den Samen bringe dort binein
wofelbft die Arier wohnbaft find. von Schafen, Rindern, Menfeben auch.
Es tam zum Aate Jame aud, Nicht Breſthafte, nicht Hoͤckrige,
der ftrablend jhöne, gute Hirt, nicht Taube, Stumme, Rafende,
zufemmt der Menfden Eodeljten nicht Ausfagige, Haͤßliche,
in Wedſcha, wo die Arier ſind. nicht irgendwie Mißratene —
Zu Jama ſprach da Mazda dies: fondern die Schönften, Größeften
Jama, Wiwabwa's fhöner Sproß! der Mienfchen, Rinder, Pflanzen aud
Ein Sroft kommt über diefe Welt, und Tiere bring binein zur Zucht,
die Wolken fenden Schnee berab. _ die allerwohlgeratenften ?).
Ein Vergleich mit den entfprechhenden Stellen der biblifden Slutfage lohnt.
Vlad dem Jabwiften (Genefis VII 2) fpridt Jabwe zu Lloab: „Aus allerlei
reinem Dieb nimm zu dir je 7 und 7, das Mannlein und fein Weiblein; von dem
unreinen Dieb aber je ı Paar, das Männlein und fein Weiblein. Desgleichen
von den Dögeln unter dem Simmel je 7 und 7, das Männlein und das Weiblein,
auf daß Same lebendig bleibe auf dem ganzen Erdboden.“ Vict unwefentlich ift
die Abweichung des Elobiften (ebd. VI 19): „Und du follft in den Raften tun
allerlei Tiere von allem Steifch, je ein Paar, Männlein und Weiblein, daß fie les
bendig bleiben bei dir. 20. Don den Dögeln nach ihrer Art, von dem Dieb nad
feiner Art und von allerli Gewürm nach feiner Art. Don denen allen foll
je ein Paar zu, dir bineingeben, daß fie leben bleiben“. Drei wefentliche Unters
fhiede der Auffaffung treten zwifchen diefen Stellen und dem Avefta bervor.
1. Jama forgt fir den Menfden und fur alles, was mit feiner Viehzucht und
feinem Aderbaue zufammenbängt, völlig im Sinne der zaratbuftrifchen Religion;
die Pflanzen find felbftverftändlich die FTugpflanzen, insbefondere das Getreide 15).
Vioah hingegen forgt für alle Tiere, aber obne irgendwelche züchterifche Rüdficht.
Daß der Pflanzen, ähnlich wie der Sifche, nicht gedacht ift, wird darauf beruben,
15) Die Wiedergabe ift gegenüber dem Terte und zum Teil audy für den gegenwärtigen
Swed, ftart verkürzt, Einzelnes ift auch umgeftellt. Hab D. 26 foll Jama „Samen von
allen Tiergattungen, die auf Erden die größten, beften und (cdnften find“, mitnehmen. Ic
bebe blog dies heraus, um darauf binzuweifen, daß man fich foldhem ‚WDortlaute‘ nicht vers
fbreiben kann. Le gibt fur die tMazda-Kebre leine „größten Gattungen“, fondern nur
rößte, befte, fcbdnfte und daber zu bevorzugende Individuen. Wer den Tert mit allen
Sufägen und Unglidsfallen auf fide wirken laffen will, Iefe Wolfe oder Lommels wort:
lide Überfegung.
16) Sujöge erwähnen aud Hunde, Ddgel, Seuer, Speife. Diefe Dögel find aber nicht,
wie in der Bibel, die Befamtbeit der Dögel, fondern felbftverftändlidy das Geflügel, bes
fonders die Hübner, die ebenfo wie die Hunde zum AHausftande gebdren.
140 Volt und Raffe. 1932, III
daß man annahm, 40 Tage Slut würden ihnen nicht fchaden, während der Simbuls
winter des Jama auch den Pflanzenwuchs bedrohen mußte. 2. Jama fchließt alles
„Mißjehr‘ aus und rettet bloß alles Woblgeratene, ein völlig züchterifcher Ge
danke, während LIoab beim Jabwiften lediglich rituell zwifchen reinen und uns
reinen Tieren unterfcheiden foll. &erettet werden aber fchlieglich doch alle, wie
beim Elobiften. Der Gedante, daß auch die unreinen Tiere zur Vollftändigleit
der Welt gebören, febeint bereinzufpielen. Der Jranier hingegen zieht die Grenze
fo, daß alles nicht zum edlen Menfchen und fein:zm Unterbalte Gebdrige felbft
feben mag, wie es forttommt. 3. Aud die Auffaffung vom !Menfchen ift eine
verjchiedene, in Jran vdllig einbeitlich und Bar, die leibliche Erfcheinung und die
geiftige Leiftung, der ftrablend (drone Mann und fein bocdhgezüchtetes Dieb be:
gründen die Berufung. In der Bibel ift zwar Yloab der fromme Mann, der ein
göttliches Leben führte und daber Gnade gefunden bat, aber feine leiblidye Erfcheis
nung wird nicht berührt, der Inbalt des göttlichen Lebens fteht nicht vor uns,
eine Einheit beider fhwebt nicht vor. Wird YToab den Böfen gegenübergeftellt,
deren Wandel verderbt ift, weil ibr Sleifch feinen Wandel auf Erden verderbt bat
(Elobift) oder weil die Rinder Gottes die Töchter der Menfcben 3u Weibern ge:
nommen baben (Jabwift), fo könnte man daraus folgern, daß Lloab eines diefer
Rinder Gottes ift, und zwar eine Ausnahme unter ibnen, weil er fich nicht mit
iederraffigen („Wlenfcben“) vermifcht bat. Jedsod das ftebt eben nicht mehr deuts
lid) da, fondern ift untergefunten. Jn der iranifchen Saffung bingegen ift der züdhs
terifche Gedanke ganz Mar berausgeftellt, und zwar doppelt: Jama als Züchter
und als Juchtergebnis.
Der Sroft des Jama ift eine lduternde Strafe wie die Slut. Er gebt von
Mazda aus, die Uberfdwemmung bingegen vom Rönigsglanze, der aber dod
wieder von Mazda ftammt. Sur diefen fonnen aud andere Gottheiten eintreten,
3. B. der Stern Tifctrija (f. o.). Zin andermal (Jafdt 8, 56f.) wird die arifche
Fyerrlichkeit mit der Gottin Urtifd, der Befcugerin des weibliden Befchledhtss
lebens, verknüpft. Ihr Came ließe fich fogar geradezu mit „Regel‘‘ wiedergeben
und ift die weibliche Sorm des Wortes Urtam, das Recht, Befetz bedeutet. Ges
fellt fie fich der arifcben Herrlichkeit, fo entftebt tüchtige Liadhlommenfchaft. Auch
die Ahnengeifter müffen dazu belfen (f. 0.). „Die Heilträfte der Urtifch find fo breit
wie die Erde, fo lang wie die Stüffe, fo body wie die Sonne. Mit Hilfe des Roms
mens der Srawurtis bewirten fie, daß der Hausftand in den Befiz des Befferen
übergebe‘‘ (usna 00, 4). Das ift eine fchone, weltumfpannende Sormel voll
wahrer religidfer Ergriffenbeit. Urtifd ift bier Göttin des Wachstums und der
Wiederbelebung in der Ylatur, und foll fie durch die Abnengeifter zum Beffern
führen, fo beißt das, daß der Sohn beffer fein foll ale der Dater, worin urfprüngs
lid) der Gedanke an ein Höberzüchten der Raffe gelegen baben wird. An anderer
Stelle (Jafcht 13, 2 ff.) erzäblt Mazda, wie er durch die Pracht und Herrlichkeit der
Stawurtis den Himmel geftügt bat und die Erde und die in den Mutterleibern
empfangenen Söhne, daß fir nicht fterben. So find die Ahnengeifter gleichfam
Schugengel, fie [hüten das Land, in dem ibre Kachlommen walten, fie [hüten
aud den Mutterleib, aus dem diefe Kachlommen bervorgeben. Ihren Ausgang
baben fie von Gajomartan genommen, dem erften Wenfchen, von dem die Samilien
der arifchen Länder ftammen und der in mpyftifchen Sinne mit Zaratbuftra ver:
felbigt wird (Jafcht 13, 87 ff); denn der Heiland iſt in ihm ſchon Aäbnlidy vorweg:
genommen wie Jefus in Adam. Ein ganzes Preislied, das 13. des Awefte, dient
der Anrufung ser Abnengeifter, der Geifter der großen Helden und Rönige der
1932, III W. Sculg, Arifchye Raffenbygiene in der Religion der alten Perfer. 141
Dorzeit und aller Glaubenshelden. Jedoch zeigt fich dabei bereits eine neue Wens
dung ins Allgemeinere, die Ahnengeifter find da fchon eine Art Heilige, deren
Derbältnis zur KHeilslehre ftärker betont wird als die arifche Blutsverbundenbeit.
Aber für alte Zeit baben wir mit einem der Rlarbeit des suchterifchen Gedantens
entfprechenden Abnenkulte zu rechnen, in dem gewiß auch die Böttin Urtifch noch
eine größere Rolle fpielte als in den erhaltenen Reften.
Wie der königlihe Glanz der Arier dreimal in die Buchten des Sees vor
feinem fchurlifchen Derfolger entweicht, fo wird aud von einer Verfolgung der
Urtifch erzäblt, bei der fie fidh dreimal verbirgt, und daneben ftebt eine Dichtung.
von den drei großen Rräntungen, die man ihr zufügen kann und die wohl ebenfalls
ibr Entweiden zur Solge baben (Jafdt 17, 57 ff.):
Zum erften fubrte Rlage da
Urtifd, die gute, ragende: .
Web ob des Weibes, das nicht Zeugt,
flieb du tbr Keim von ferne fdon;
auf ibrem Pfuble cube mide.
Was foll id ibretbalben tun?
Slieg ib vor Scham zum Himmel auf,
berg’ id) mich in der Erde Schoß?
Die zweite Rlage lautet:
"Web ob des argen Ebeweibe,
das ihrem Gatten Sdbne bringt,
die ihr cin fremder Wann gezeugt.
Endlich die dritte Rlage:
Die größte Schandtat tut mir an,
wer mit Gewalt ein Mädchen zwingt,
da wider Willen es gebiert.
Eine andere Stelle (Widewdat ı8, 62ff.) fpricht von der Dirne, die den
Gamen mifdht. Gemeint ift das VDermifchen des Gamens der Bemeinder und der
Flichtgemeinder, und das ift urfpringlid) Raffenmifdung, denn der zaratbuftris
{che Glaube ift immer im wefentlichen auf die Jranier befehräntt geblieben. Die
Dirne bat, wie jedes Weib, nady iranifcher Auffaffung aud felbft Samen, und
das ift der nichtarifche, und diefen mifcht fie mit dem arifchen 17). Das durch die
Vermifhung mit unbeiligem GamensSeuer entheiligte arifche Seuer bricht aus
ihren Augen als böfer Blid. Durd ibn ftaut fie die im Slugbette laufenden
Waffer, hemmt die im Wadstume befindliden Pflanzen, raubt der Erde ibre
Sarbenpradht und den rechtgläubigen Männern (ibre Mannestraft), fobald fie ihnen
in den Weg tritt. Ihre Brut ift der Schlangenbrut, der Wolfsbrut oder dem
Laiche des Srofchweibchens zu vergleichen (ebd. 65). Die rechtmäßige Ehefrau bins
gegen wird mit der Erde verglichen, ihr Gatte mit dem Bauern (Oidewdat 3, 23):
Der Erde fchafft Befriedigung,
wer auf die Sluren Saaten fat
und Waffer auf die Dürre bringt.
Ungern nur liegt die Erde brad
und ungepflügt, die Pflügung beifcht
und Gutes will vom Bauersmann —
wie eine fhöne Srau, die fon
feit Langem keine Söhne bat
und Gutes will vom Ehemann.
1) J. Hertel, Die Sonne und Mithra im Avefta (Leipzig 1927), S. 40.
142 Doll und Raffe. 1932, III
Wer diefe Erde forglih pflegt
mit feiner Sande Arbeitskraft,
dem bringt fie reihlihen Ertrag —
fo wie den lieben Hann die Srau,
wenn ec bei ibe gerubet bat,
zum Danke mit dem Sobn befdentt.
Leider wiffen wir über die tatfächlicdhen Derbältniffe des iranifchen Ebelebens
und Gefdledhtslebens nur wenig. Die Paderaftie war fdwer verpdnt (Wid. $,
20f., 31 f), ähnlich der Beifchlaf zur Zeit der Regel (Wid. 15, 7; 16, 17; 18,
67 ff.) und bet der Rindsbetterin (Wid. 15, 8). Abtreibung und Beihilfe dazu
waren verboten (Did. 15, 9—14), der Mann war verpflictet, für fein auger:
ebelides Rind zu forgen Mid. 15, 15f.). Die alte indogermanifde Gitte ließ
zwar vereinzelte LTebenfrauen. zu, aber die iranifchen Großen batten bereits viele
Weiber, rehtmäßige Hausfrauen, Fiebenfrauen und 3ablreide Rebfen. Viebens
frauen und Rebfen ftammten gewiß bäufig von nidhtarifchen Völkern. BDiefes
Maremswefen, in dem fidy der Einfluß vorindogermanifcher Herrfcderfitte aus-
fpricht, bradhte viel Streit in die Erbfolge und es ift bekannt, wie in den herrſcher⸗
bäufern alsbald der Verwandtenmord wütete. Ebeverbote zur Abgrenzung der
Stände gab es nicht. Die Erklärung liegt nabe. Die drei oder vier Stände Jrans,
die Priefter, Rrieger, Bauern und Handwerler, fegen urfprünglich und wohl auc
bis in die Spätzeit, nicht Raffengrenzen. Der Krieger ift im Srieden Bauer, ja
auch die Prieftergefchledhter werden vorwiegend arıfdy gewefen fein, fo lange der
Einfluß der Magier in ihnen nod nicht durchgedrungen war. Gegen die Unters
worfenen, deren Rultur 3. T. eine fehr hobe war, übte man Duldfamtleit und glies
derte fie in den eigenen, fidh alsbald bildenden Beamtenftaat ein, fofern fie fich
durch Leiftungen empfablen. So werden auch die Anfäge, die Raffenmifhung ein=
zudammen, bloß geringe Auswirkung gebabt baben.
Bas Beftreben, folden Derbältniffen gegenüber die Bande der Verwandts
fhaft um fo ftraffer zu handhaben, ift begreiflich, aber die befondere Ebheform,
auf die man dabei fam, die durch dic Mazda: Religion gebotene (Jasna 12, 9), oder
richtiger empfohlene und verberrlichte Sippenebe, war kaum ein angemeffenes
Gegenmittel, und wenn man fie unter anderem vielleicht fogar audy aus zUchtes
rifher Erfahrung rechtfertigen mochte, war fie doch eine urfprünglidh nicht
arifche, von der Vorbevälterung, und zwar aus den elamifchen Sürftenbäufern 18)
in Sufa übernommene Einrichtung. Daß die Perfer fich gern fremde Sitten ans
eigneten, bat fcbon Kyerodot (I 135) gewußt, und er berichtet auch, daß erft Rams
budfchija II. die erfte Sippenebe mit feiner Schwefter fhloß, während vorber ders
gleichen bei den Perfern nod nicht vorgelommen fei. Die Tragddie von Rönig
Oidipus, dser unwiffentlid feine Mutter heiratete, belegt, daß die Griechen die
Sippenebe verabfcheuten, und das fpricht erneut dafür, daß fie keine altindogers
manifche Einrichtung ift.
Später finden wir die Sippenebe auch bei den Ptolemdern in Agypten und,
was uns näher angebt, auch in germanifcher SHeldenfage, endlich in einem Vachs
Mange felbft bei den Sinnen. Aber während fie in der finnifchen Dichtung Rale⸗
wala (36. Rune) fo mifbilligt wird, daG der Meld Rullerwo, der unwiffentlich
feiner Gchwefter beigewobnt bat, fic das Leben nimmt, ift bei den Gers
manen troy gewiffer Unzeiden einfegendec fittlider Entruftung das Bild ein gan3
18) §. WD. Ronig, Mutterredhte und Thronfolge im alten Elam. Seftfdrift dec
Yationalbibliothel, Wien 1926. S. 539 f.
1932, III 0. Schulg, Ariſche Raffenbygiene in der Religion der alten Perfer. 143
anderes. Helgi zeugt mit Prfa den rolf Rrali, einen der größten Helden der
Liordlande, obne daß diefem durdy foldye Kerkunft ein Makel anbaftet. Sigfrids
Urfprung aus einer Befchwifterebe ift durch Richard Wagners Schöpfung allge:
mein befannt. Urgermanifd ift das nicht, obgleich die Germanen göttliche Ges
fhwifterpaare, ehbdem wabrfceinlich Sreyr und Sreyja, Njoͤrdher und Nerthus,
kannten, die das Vorbild für die irdifchen batten fein können. Denn aud) die
Griechen und zahlreiche andere indogermanifche Doölker hatten foldye Bötterpaare,
obne dod deshalb Geſchwiſterehe zu pflegen. Sindet fich diefe nun gerade bei den
Germanen, und vielleicht bloß in der verklarenden Sage, fo ift eine Sonderurfache
zu fuchen. Da Prfa kein nordifcher Klame und Sigfrid aud in anderen Zügen
von Sudoften ber beeinflußt fcheint, wird man mit fremdem Cinfdlage rechnen
müffen.
In Jran hingegen wird die Sippenebe wirklich aus Dorgängen der Gotters
fage begründet. Der Armenier Jesnik erzählt in feiner Schrift wider die Selten
von Ormi3zd, daß er zwar fchöne Befchöpfe erfchaffen batte aber das Licht nicht
zu fdhaffen wußte. Da kommt ibm zu Hilfe, wie einer feiner Boten ein Selbfts
gefprad dea Bodfen erlaufdt: Wenn Ormizd weife ware, ndbme er Umgang
mit feiner Mutter und die Sonne entftünde als Gobn, und er beginge die
Schwefter und der Mond würde geboren. Danad) handelt Brmizd und die Yims
melslichter entfteben. Im Bundabifchn (37) werden Jabreszeitenfeft, Opfer und
Gippenebe vergliden. Die zwei erften kann der Bofe ftören, aber gegen die
Sippenebe kann er nidhts unternehmen. Erinnert man fich der Störung des auf
Outjabr gerichteten Opfers durch den Schurken, die Dirne, den Glaubensfeind,
fo wirkt diefe Meinung von der Sonderftellung der Sippenebe faft fo als ob man
gebofft hätte, auf diefem Wege durch Rüdkreuzung Solgen der Raffenmifchung
aufbeben zu können. Belanntlich erzielt der Züchter durch Inzucht feine bedeutends
ften Erfolge. Aber fie ift ein febr bedentlides Mittel, wenn bereits fchlechte Erb:
anlagen bereinragen und durch fie gefeftigt werden können. Diefe Gefabr lag
gerade bei begonnener Raffenmifhung gewiß auc in Jran vor, fo daß fchwerlich
mebr Yiuten als Schaden aus diefer fremdartigen und übrigens kaum je durdhs
gangig geubten Einridtung erwadfen fein dürfte.
Abnlid bedenklid) wie die religiöfe Verklärung der SGippenebe war der
©laube, durch Genuß des beraufchenden yomatrantes die Sruchtbarkeit fördern
zu können. Spitama ift gegen den Homalult mit großer Entfchiedenbeit aufge:
treten 19). Seine Religion war auf Klarheit und LTüchternheit gegründet und
aller Raufdy famt der Gewalttdatigheit, die er zur Solge bat, war ibm verbaßt.
Dennod drang der Homalult fpäter in breitem Strome in feine Religion ein.
Alles mögliche Bute follte Yoma vermögen: „oma teilt den Helden, die ihr Ge:
fpann zum Wettlampfe entfenden, Kraft und Starke zu. Soma verfchafft den
Srauen Befitz herrlicher Söhne. ..... Homa teilt den Mädchen, die lang unvers
beiratet geblieben find, einen Gatten und Sürforger zu, alsbald, wenn er darum
gebeten wird, der einfichtsvolle‘‘ (Jasna 9, 22 ff.). Was freilich diefe unverbeiratet
©ebliebenen wert fein mochten, die fich ihre Gatten auf dem Wege eines ange
zechten Raufches erwarben, wird nicht hinzugefügt. Alle raffenbygienifche Ein
ficht, die uns fonft aus dem Awefta entgegenleuchtet, ift bier dahin. Daß oma,
weil er als Raufchtrant offenbar geichledhtlicdh erregend wirkte, den Befig berr-
licher (?) Söhne herbeigeführt babe, berubte ficherlid) auf Selbfttdufdung. Das
19) Chr. Bartbolomae, Die Gatbas, S. 33 f. (zu Jasna 32, 14 und 48, 10).
144 Dolt und Raffe. 1932, 111
EEE a Pe Tac rl ee SS SAT ASS A PS Se ER SP a ——
Gegenteil wird der Sall gewefen und die Macdfommenfdhaft oft durd den Aomas
genug der Eltern empfindlich gefchädigt worden fein. Ja man fdeint fogar der:
gleichen beobachtet, aber ftatt auf feine wahren Urfachen, auf kultifche Verfeh⸗
lungen zurüdgeführt zu baben. Werden in einem Haufe weder Priefter noch
Rrieger, no viebzüchtende Bauern geboren, fondern nur Dabalas, Murstas,
vielartige Warfchnas, d. b. offenbar lauter mißgeftaltete, ddmonifcdbe Wefen,
darın muß das die Strafe fein, daß man Hhoma feinen Anteil am Opfer vorent=
balten bat (Jasna 31, 5f.). Welder Abftand trennt doch diefe traurige Solgerung
von den Maren lichtvollen Gedanten der Mazdas£ehre, die gewiß nicht in den
Syirnen von Trintern oder Trinterablömmlingen entftanden find!
Im ganzen tommt aber raffenbygienifh Widerfinniges oder Bedentlices
doc) nur vereinzelt und, wie fich zeigte, als fremder, fich deutlich abbebender Ein-
fblag vor. Der Eindrud, daß bier zum erften Male und in Vielem in vorbild:
liyer Weife unfere Raffe fic felbft weltanfdaulich bewußt geworden ift und
ſich zugleich aud felbft als Siel erfannt und gefegt bat, bleibt in voller Kraft bes
fteben. Durdy den Dergleich mit Indien können wir ibn fogar noch beftärken.
Dort fönnen ftrenge Gefetze gegen die Raftenmifchung, die aber nur 3. T. auch
Raffenmifhung wäre, nicht mehr durdhgreifend belfen, weil fie 3u fpät kommen.
Sie führen bloß eine Erftarrung berbei. Diefe wäre unerträglich, wenn nicht felbft
der Paria — freilih auch jedes Tier — boffen könnte, durch Derdienfte, deren
fittlidber Wert uns oft fraglich erfcheint, als Brabmane wiedergeboren 3u wer:
den. Der Blaube an die Wiedergeburt fchlägt jedoch aller Erkenntnis vom Wefen
der Vererbung ins Beficht. Er ift bloß möglich, weil der Raffegedante und das
Bewußtfein der Bedeutung der Abftammung nur mebr äußerlich nachwirlt, inners
lid) aber, der weit fortgefchrittenen Rafjenmifhung entfpredyend, vSllig ausgeböblt
ift. Auch Erfdeinungen, wie der nad) Tabiti verpflanzte indifche Bebeimbund der
Urioi?°) zeigen, wie man den Raffegedanten nidt feftzubalten vermochte, und die
von diefen Arioi geübte Beburtenbefchräntung durch Rindesmord wirkte erft recht
als Ausmerze eben der Raffe, deren Mame diefen Bund adeln follte. Doc ift auch
in Jran eine gewiffe Aushdblung des arifden Gedantens erfolgt, freilich in anderer
Richtung und glüdlicherweife nicht fo durchgreifend. Die urfprüngliche Lehre, Relis
gion wie Sittenlehre, war raffifch beftimmt. Aber die Religion erweiterte fidh von
der Bemeinfchaft der Stammverwandten, am Opfer beteiligten Sippengenoffen zu
der Bemeinfchaft der durch das Belenntnis miteinander Verbundenen, nah ibm
£ebenden. Sie wurde führend im Staate und vorbildlich auch für andere. Go
entjchied das Belenntnis als fittliche LTorm, wäbrend der Raffegedante, die Der:
bundenbeit durd) das Blut, wenigftens grundfäglich zurüdtrat. Der Weg zur
Meltreligion war damit freigelegt. Aber erft das Chriftentum bat ibn befdritten,
indeß die Mazdalebre (dlieBlid faft völlig vertlang, als die fie tragende Schichte
auch politifch durd) den Einfall der Araber sufammengebroden war.
) W. £. Müblmann, Privilegien ale Inftrument der Ausmerze. Siebung und
and im alten Tabiti. Archiv für Raffens und GefellfchaftssBiologie, Bd. 206, Heft 2,
S.1—1B.
1932, III M. Riedl, Rriminalbiologie. 145
Ariminalbiologie.
Don Dr. M. Riedl, München.
8 bleibt das dauernde Derdienft Lombrofos, die fosiale bis in feine Zeit
faft ausfchlieglid morslifcy gewertete Erfcheinung des Verbrechens einer
andersartigen Betrachtung unterzogen zu haben. Die Rriminalantbropos
bogie, der er das Leben und den Llamen gab, ftellte den Rechtsbrecher in eine
biologifche Beleuchtung und brady in Sachs und Kaientreifen dem Bedanten Bahn,
den Derbredher naturwiffenfkhaftlich zu verfteben. Wenn fich diefer Mes
thodil ein Irrtum gefellte, nämlich die Auffaffung des Rriminellen als einer ftams
mesgefchichtlichen Rüdsfchlagerfcheinung, als einer gewiffer Maßen von der les
benden spezies homo abweichenden Art Menfd, fo war diefe SehImeinung 3u
mindeften eine geiftreiche und durch den Widerfpruch, der fich gegen fie erbob,
eine Außerft fruchtbare und neue Gedanten zeugende. Seit Lombrofo unterzog
eine Reihe von Sorfchern Eriminell auffällige Menfchen pfychiatrifchen, pfychos
logifdben, anthropologifden und foziologifchen Unterfuchungen, wiffenfchafts
lichen Erfenntnisbemubungen, die man am beften mit dem Ausdrud Rriminals
biologie zufammenfaßt.
Mir müffen beim Recdhtsbrecher eine grundfägliche Lnterfcheidung treffen;
diefe ift, fchon aus praltifchen Grinden, vornebmlid durch die Ronftanz des
kriminellen Derbaltens gegeben. Wir ftellen den Gewobhnbheitsverbredhern
Ausnabmeverbrecder gegenüber, Menfchen, die aus einer befonderen, viels
leicht einmaligen Situation im Leben beraus, fei dies eine Sabrlaffigkeit, ein Affekt,
ein außerordentlicher Llotzuftand, eine befondere Verführung ufw. einen Verftog
gegen das Strafgefetz begeben. so bedarf keiner zu großen Cinfublungsgabe und
Selbfterfenntnis, um fic) Mar zu werden, daß diefe Sünder Wienfchen find von
nicht anderer Art als die allermeiften „Anderen“, die nie „vom Pfade der Tugend
weichen“. Im Gegenfag biezu ift es durch triminalbiologifcde Seftftellungen uns
zweifelhaft erwiefen, daß die gebäufte Rudfälligkeit, gleichgültig in welcher Des
liftsPategorie, nicht nur aus Außeren Umftänden erfolgt, vornehmlich aus der
üblen wirtfchaftlidhen und fozialen Lage, wie verftiegene und tendenzids gerichtete
Umweltstbeoretiter es wabre baben wollen, fondern aus einer innern Artung.
#8 war feinerzeit der delinquente nato £ombrofos das Ziet befonderer Angriffe.
Man fand die von Lombrofo an den „geborenen Derbredhern‘“ bemerkten Börpers
licen Merkmale, die „Degenerstionszeichen‘“ nur zu zahlreich auch an barmlofen
und tidtigen Mitmenfden. Dies ift ficher richtig. Aber Lombrofo batte doch
wieder aus der Sicherheit des intuitiven Blides heraus die Wahrheit auf feiner
Site, indem fih beim Gewohnbeitsperbreder Defekte, „Degenerationss
zeichen‘ pfpchifcher Art in befonderer Hdufung oder Schwere erweifen kaffen. Man
kann fomit wohl in etwas geändertem Sinne von geborenen Derbredern
reden, indem Menfdhen mit angeborenen ererbten Mängeln, die eine vermins
derte foziale Anpaffungsfäbigkeit bedingen, in Verbindung mit bes
ftimmten Umweltwirtungen immer wieder fich vergeben. Alle fpäterbin nach
Lombrofo gewonnenen Sorfchungsergebniffe beftätigen, daß innere Saltoren in
erfter Linie, daß eine ungünftig gefügte pfydhifche Ronftitution die foziale Eins
ordnung erfchwert oder unmöglich macht. Llicht zu wenig, audy juriftifch gebildete
und andere Laien auf triminalbiologifdhem Gebiete gibt es Heute nod, die aus
der Liaturgegebenbeit des Bewohnbeitsverbrechens, der Unfähigkeit der gefells
Doll und Haffe. 1982. Juli. }0
146 Volt und Kaffe. 1932, 111
fheftlichen Einfügung, die falfche Schlußfolgerung der ftrafremtlidmden Mins
ders oder fogar Unverantwortlidleit oder beffer gefagt der fozialen
Unangreifbarteit des Rriminellen ziehen. Die biologifche Auffaffung des
fchweren fortgefetsten Rechtsbruches als eines determinierten Derbaltens, das
nicht weniger und nicht mehr urfächlich beftimmt ift als ebenfalls das foziale Bes
baren, führt überhaupt erft zu einer rationellen Rriminalpolitit, d. b. zu einer
gefellfchaftlihen Reagenz, die allerdings logifchers und ethifderweife den Chas
talter der Vergeltung verliert. Der völlige Bantlerott der beftebenden Cinricds
tungen zur Belämpfung des Bewohnbeitsverbrechens beweift zur Benüge die
Seblerbaftigteit der bisher gepflogenen nicdtbiologifden Erfaffung des Krimis
nellen und der Llichtbeachtung biologischer Kinfichten und Maßnahmen.
Meines Wiffens ftammt von dem Pbilofopben Bacon, der als Engländer
auch recht praftifch bleibt, der Sat: „Alle Wiffenfchaft muß nüglich fein.“ Der
bayerifche Strafanftaltsarzt Diernft ein batte fdyon vor 2 Jahrzehnten den Ges
danken, Eriminalbiologifche Unterfudhungsmetboden dem praltifchen £eben in geeigs
neter Sorm zur Verfügung zu ftellen. Dorfchläge, die an der fügen Bewohnbeit
rührten, fanden damals bei den überkonferpativem GBeifte der Zeit keinen Anklang.
lady den aufrüttelnden Erlebnis des Krieges und des Umfturzes änderte fich dies.
Seit 1923 werden in Bayern nad dem Plane Diernfteins in Derbindung mit dem
durch den feinerzeitigen fortfchrittsfreudigen Strafvollzugsreferenten Degen eins
geführten Progreffivfpftem MTeuzugange in den Strafanftalten eingehend biologifcy
unterfucht. Statt der früber üblichen, mehr als befcheidenen, auf Reinlichkeitss
swede und Urbeitsfabigteit ihr Augenmerk richtenden Rörpervifitationen, die in
wenigen Minuten erledigt war, unterzieht nady neuer Beftimmung in erfter Linie
der Anftaltsarzt den Kriminellen einer „Erploration“, deren erheblichem Arbeitss
und Zeitaufwand ein Briminalbiologifcher, menfchliches Schidfal tiefft ausfchürs
fender Einblid entfpridt. Ticht nur der Unterfuchte felbft, fondern moglidft aud
der ganze Derwandtentreis wird biograpbifd und caralterologifd 3u erfaffen
gefudt. Vlad einer tlinifden und antbropologifden Unterfucdung erwddft dann
ein die wichtigften Züge aus ererbter Anlage und gegebener Umwelt fefthaltendes
pfychologifches Bemälde. Auf diefes Charalterbild baut fich eine fozialeWabrs
fheinlihkeitsprognofe, welche biebei die perfönliche Artung in Verein mit
den vermutbaren Lebensumftänden der Zukunft in Rechnung ftellt.
Zu welchem praltifchen Sinn und Zwed ift nun diefe triminalbiologifde
Perfdnlidhkeittlärung gedaht? Eine erfte Aufgabe erfüllt fie für die Bes
lange des Strafvollzuges. Schon feit langem bat fic) der Bedanle Eingang
verfchafft, dem Strafvollzug den Charakter einer ausschließlichen Dergeltungss
maßnahme zu nehmen und erzieberifche Abfichten zu betonen. In vielen Ruls
turftaaten bat diefe Auffaffung fchon greifbare Beftalt gewonnen und in Einrichs
tungen verfchiedener Art fich ausgewirkt. Diefe fowohl humanitären als auch tats
fachlich pfychologich begründeten und gerechtfertigten Umgeftaltungen haben 3weis
fellos den „guten Ton“ in den Strafanftalten gehoben und die Anftaltsfübs
rung febr vieler in der ftrafbäuslichen Enge zu recht robuften Auftreten neigender
Brimineller auf eine höhere Stufe gebradyt. Aber die letzte und eigentliche Ab
fiht, die Lebensführung, das fpätere Derbalten 3u beeinfluffen, wird durch
folche am Außeren baftenden Derfuche nicht erreicht. Ein beftimmt durch üble Erbs
momente gearteter und durch lange und verderblich einwirktende Ummweltseinflüffe
gefchaffener Charakter eines meift längft erwachfenen, fertiggewordenen Menfchen
kann auch durch Engelszungen und alle ,,.Dermenfdlidung’ des Strafvollzuges,
1932, III M. Riedl, Rriminalbiologie. 147
wie Theater, Rino, Ronzerte, Sportunterbaltungen, farbige Lampenfchirme und
WOurftzufage nicht verändert werden. BDiefe Dergünftigungen und Erziehungs»
bemübungen können nur einigermaßen ihrem Zwede gerecht werden unter einer
beftimmten Dorausfegung, nämlich einer wefentlid vertieften Perföns
lidmteitserlenntnis, die durd die kriminalbiologifche Unterfuchung ermögs
licht wird. rft eine durch fie gewonnene Unterfdeidung kriminellgewors.
dener YÜlenfchen erlaubt eine individualifierende ftrafbduslide Behandlung, eine
rationelle Derteilung des erzieberifden KReaftaufwandes und verbindert eine nugs
und erfolglofe Derpuffung von Bemubungen am ungeeigneten Objekt.
Lieben den ftrafhäuslichen Zweden foll die praktifche Rriminalbiologie einer
forenfifdhen Aufgabe gerecht werden. Die frim.sbiol. Berichte, die von dem
unterfuchenden Arzt erftellt werden, follen zu diefem Zwede aus den Strafanftalten
oder fonftigen Unterfuchungsftellen in Zweitfchriften an eine Sammelftelle fließen.
(In Bayern ift diefe in der Deutfchen Sorfchungsanftalt für Pfychiatrie in München
untergebradht.) Kyier werden unter Zuhilfenahme von Anftaltes und Gerichtsalten
die krim.sbiol. Gutachten gefertigt. Zundchft ift in Bayern die Einrichtung ges
troffen, daß der öffentliche Ankläger auf feine fakultative Anforderung im Rüds
falle des Erim.sbiol, Unterfuchhten ein Gutachten von der Sammelftelle erbält.
Es lagt fich verfteben, daß ein fhon nach den verfchiedenften Richtungen bin ges
Märtes Charakters und Lebensbild des Angellagten eine wefentlich ftandfeftere
Unterlage für eine nach Berechtigkeit fuchende und die gefellfchaftlichen Belange
fcdugende Geridtspflege bietet als die bisherige Derfabrensweife. In Ser Sorts
entwidelung des Diernfteinfchen Gedantens liegt die obligate Derwendung
emer ftrim.sbiol. Beurteilung im ordentlichen Prozeßverfabren. Dies fhlöffe in
Sulunft aud die trim.sbiol. Unalyfe der erftmalig vor Bericht ftehenden Unters
fuchungsgefangenen in fich.
Eine weitere dritte Aufgabe erfüllt die in die Strafrechtspflege eingeführte
biologifche Unterfuchung der Rriminellen dadurch, daß ein Tatfachenmeaterial in
einer Sorm und Ausdehnung für wiffenfchafttiche Verarbeitung und rs
kenntnis erfteht, wie es bisber nicht entfernt der Sall war. ine rationelle Reform
mit fühlbaren kriminalpolitifhen Auswirkungen, eine Strafrechtspflege, die fich
sticht in einem Leerlauf bewegt, d.h. die das Strafrecht zwar pflegt, aber die Rrimis
nalität nicht heilt und insbefondere verbütet, kann nur auf einer biologifchen
Grundlage beruben. Anfänge einer wiffenfchaftlichen Auswertung des bayerifchen
Materials unterftreichen aufs Lieue den Gedanten, Kriminalität biologifd ers
faffen zu müffen, indem neben den unbeftreitbaren Ummweltefaltoren in der Ders
brechensentftebung die Erbanlage, eine unglüdliche Kombination pfychifcher
Ronftituenten die Dorausfegung if.
Wenn man fidy freilich die Rriminalität nicht als Erbfaltor im eigentlichen
Ginne, als Gen in der Sprache der Erblehre denken darf, fo führen zu diefem fos
zialen „Erfcheinungsbild“ in Zufammenwirktung mit anderen Bedingungen, dod
Saktoren, die zweifellos erblich find und deshalb eine erbgefundbeitlicdhe
Stellungnahme erbeifcdhen. Ls feien einige die geiftigen Qualitäten und
die Viachfommenfdaft Rrimineller belangende Erhebungen aus dem Material der
bayerifhen Sammelftelle zur Sprache gebradht. Don 500 weibliden Krimis
neHen aller UWlterstlaffen erwiefen fid) 33% als oligophren, d. b. geiftig minders
wertig. Die Yiormalbegabten {deinen häufiger zu heiraten, es gelingt ihnen
keichter, die erftrebenswerte Ehe (44%0) zu gewinnen. Don den Oligopbrenen ift
rund nur ein Drittel verheiratet. Die oligopbrenen Ledigen werden im Unters
10°
148 Dolt und Kaffe. 1932, III
fchiede zu den normalbegabten Ledigen öfter Mutter. Don den Schwadhfinnigen
werden im ganzen gmommen, alfo von den Ledigen und den Derbeirateten, mebr
Individuen Wütter als von den Fiormalbegabten. Cs ift dies allerdings baupts
fadlicd durch die hohe Mutterfchaftsquote der oligophrenen Ledigen bedingt. Unter
den Unterfuchten fand fich rund ein Diertel mit pfychopatbifchen Zügen bebaftet.
Pfycdhopatbie ift gewiffermagen das Gegenftid zum Schwadhfinn. Beide Defekte
beberrfchen den Perfönlichkeitstyp des Rriminellen. Don den Pfychopatben gelangt
ebenfalls etwa 1/s zur Ehe. Sie heiraten feltener als die Klichtpfpchopatbinnen.
Durdy ihre charalterlide Artung (deinen die Ebeausfichten doch beeinträchtigt zu
fein. Wenn wir bei den Schwachfinnigen fchlechtere Syeiratsausfichten als bei
den begabteren Mädchen fehen, aber keineswegs feltenere Gelegenbeit, an den Wann
zu fommen, wie ja ihre Mutterfchaftsquote beweift, fo finden fich bei den Pfychos
patbinnen weniger Mütter als bei den Llichtpfychopatbinnen. Cs fdeint die Lies
gung zu befteben, daß Pfychopatbie fehtener zur Ehe führt und ebenfo weniger zur
Mutterfchaft.
Don den unterfuchten weiblichen Rriminellen ift ein Viertel endogen, d. b. fie
gelangen aus vorwiegend inneren, anlagemäßig gegebenen Gründen mit einer
gewiffen Zwangsläufigteit innerhalb ihrer Umwelt immer wieder 3um Redtss
brud. 56% bievon find Mütter, während bei den erogenen 76% gefunden wurs
den. Die in geringerer Zahl erfcheinende Mutterfchaft der endogenen Derbrecherin
erklärt fich aus der gefteigerten pfychifchen Mangelbaftigleit der Endogenen, die
aktiv und paffiv den generativen Vorgang zu hemmen geneigt ift. Sernerbin
fpielen die längeren Internierungszeiten der Endogenen immerbin eine Rolle, die
vornebmlid in das dritte Lebensjabrzehnt, der bauptfädhlichftien Generationss
periode, fallen. Ein weiteres Moment bildet die Proftitution, die bei der Endos
genen auffällig häufiger feftzuftellen ift und als fterilifierende Urfache zu gelten bat.
Wenn wir die Proftitution in das Auge faffen, fo ift diefe bei den 500 Unters
fuchten in einem Sünftel der Salle erwiefen, ebenfo ficher noch häufiger zu mut>
maßen. Die Mutterfchaft wurde in erbeblidem MaKe feltener bei diefer Gruppe
feftgeftellt, ebenfo ift die Rinderzahl geringer und die Heiratsbäufigkeit. Don den
aud) wegen Bewerbsunzudht beftraften Ariminellen find 68 0/0 endogen, von den
Klichtproftituierten bloß 120%0. Die Proftitution begründet alfo, wenn fie bei einer
Kriminellen nod dazu gegeben ift, eine befonders üble fosiale Prognofe. Die
Gründe der Proftitution Hegen viel weniger in Umweltsverbältniffen als in der
Artung ser Perfdnlidleit. Don den Proftituierten fanden fi 45% als frübs
kriminell, d. b. fhon unter 18 Jahren wegen verfdiedener Delikte als ftraffällig,
von den nidtproftituierten Rriminellen nur 19%.
Saft die Hälfte (470%/0) der triminellen Srauen weifen pfydifde Defelte auf;
die Rinderzabl der defelten Ehefrau und Mutter ift größer als wie die der Unaufs
falligen.
Nach §. Lenz (Menfchlie Auslefe und Raffenbygiene, 1931) ift die zur
Erhaltung des Beftandes ndtige Beburtenzahl auf eine Ehefrau im Leben zur Zeit
etwa 3,1. Auf den Ropf unferer kriminellen Ehefrauen treffen 3,75 Geburten.
Auf eine fruchtbare be beträgt nach Lenz die zur Erbaltung ausreichende
Beburtenzahl 3,4, die Rriminelle fetzt aber je fruchtbare Ehe 4,46 Rinder in die
Melt (einfchlieglich der außerebelichen) und 3,6 obne außerebeliche. Diefe Sätze ers
bdoben fid nod, da von den Unterfuchten faft die Aalfte (47,2 %0) erft dem dritten
Lebensjahrzehnt angehört und deshalb mit großer Wabrfcheinlichkeit ihre Sorts
pflanzung nody nicht beendet bat. Wir regiftrieren die Tatfache, daß die Eriminelle
1932, III M. Riedl, Kriminalbiologie. 149
Ebefrau und smutter fic in einem Ausmaße fortpflanzt, das der wünfchenswerten
Sufammenfegung des Voltsganzen abträglidh ift.
Eine weitere Unterfudung erftredte fich auf 1000 männliche Verbrecher,
die das 50. Lebensjahr überfchritten batten und in Anbetracht des Alters ibrer
Ehefrauen wenigftens durchfchnittlich die Erwartung einer abgefchloffenen Zeus
gungstätigleit boten. Die Aufmerkfamtleit richtete fich bei diefer Ausforfchung ebens
falls auf beftimmte Eigenfhaften der Probanden und auf die Rinderzabl. Llacdh
dem Urteil der ärztlichen Unterfucher waren bei diefen Altersklaffen von männs
lichen Derbredhern über die Halfte (53,6%) als Endogene anzufprechen. Wenns
gleich die Heiratshäufigkeit und die Kinderzabl der männlichen erbanlagigen Kris
minellen binter der der Erogenen zurüdbleibt, fo ift doch entfcheidend, daß inss
gefamt der kriminelle Eheoster aus dem vorliegenden Material 4,84 ebeliche Kins
der, der kriminelle Dater 4,9 (ebeliche und außerebeliche) Rinder in die Welt fett,
alfo wefentlid mebr als zur in diefem Salle überhaupt nicht wünfchenswerten
Beftandserhaltung durch 3,4 Geburten ndtig ware.
Saft 40%0 der über 50 jährigen Rriminellen find SGittlidleiteverbrecher. Bei
den Männern wurden rund 34% Pfypcdhopathen und 28% intellettuell Defekte
gefunden; bei den Männern finden wir häufiger Pfychopatben und feltener Oligos
phrene, ao umgelebrt wie bei den Srauen. Wir können uns dies fo erklären,
daß wir uns pfydopathifde Deranlagungen durd die beim Manne in boberem
Brade gegebene Lebnsfhädigung aus ihrer Latenz gehoben denken, vorhandene
Oligopbrenien aber durch eine beffere allgemeine Ausbildung und durch eine die
Bewandtbeit bebende vermehrte außerbäusliche Lebensführung verdedt finden. Die
umgelehrten Derbältniffe finden fich bei der Stau. Die Piychopatben werden ebenfo
wie bei den Srauen feltener Elter als die Schwachfinnigen, wenn aber doch, fo
weifen fie eine größere Rinderzahl auf. Tur die mit Schwadhfinn und Pfychos
patbie doppelt Bebafteten heiraten feltener und haben weniger Rinder als die
Linauffalligen.
Hur Unterfuchungen in der von Diernftein vorgefchlagenen und in Bayern
eingeführten Sorm find im Stande, uns über eine fozial und Stonomifch wie raffifch
gleich hochwichtige Bevdllerungsgruppe biologifde Einfichten zu gewähren, aus
denen fid neue Mittel und Wege für eine wirkungsvolle Rriminalpolitit ges
winnen laffen. &s ift aber jetzt fchon mit größter Sicherheit anzunehmen, daß
fich eine ebenfo humanitären Sorderungen wie gefellfchaftsfhügenden Belangen
entfprechende Rriminalpolitit nur in den Bahnen der Raffenbygiene bewegen
konn. Praltifch wirkt fid dies in den Maßnahmen der Dauerverwabrung
oder Sterilifierung aus. VDorausfegung dazu ift, wie es der Zwed der Dar;
legungen war, eine möglichft tiefgebende biologifche Erfaffung des Rechtsbrechere.
Ein Urteil Bismards.
Robert von Reudell, Surft und Sürftin Bismard, Leipzig 1901.
Seite 176—178 erzählt R. von der Berufung Lothar Buchers ins Auswärtige Amt.
Dabei beißt es Seite 176: Das alles trug ich dem Minifter vor. Er (d. b. Bismard) hörte
ruhig zu und rief dann lebhaft: „Bucher ift eine ganz ungewöhnliche Kraft. Ich würde
mich freuen, wenn wir ihn gewinnen könnten. Im Abgeordnetenbaufe babe ih mandmal
feinen hoben fhmalen Schädel betrachtet und mir gefagt: Der Mann gebdrt ja gar nicht
in die Gefellfhaft von Didtdpfen, bei denen er jetzt figt; der wird wohl einmal zu uns
kommen.“
150 Volt und Kaffe. 1932, III
Die Befchichte der linksrheinifchen Germanen
bis auf Läfer.
Don Dr. Siegfried Gutenbrunner, Wien.
u nter den altgermanifchen Stämmen zeichnet fic neben den Sweben der Stamm
der linksrheinifchen Germanen durch feine hohe Bedeutung für die Befchichte
des Germanentums überhaupt aus. Dor dem Kingreifen der Sweben waren
diefe Germanen, die Täfar nach der Lage ihrer Sige im ı. Ib. v. Chr. als
Cisrhenani bezeichnet, unter den Weftgermanen der führende Stamm gegenüber
den Belten. Diefe gefhichtlich bedeutfame Stellung wird durch die Ausdehnung
ihres Klamens auf die germanifche Sprachgemeinfchaft feitens der Kelten bezeugt.
Line foldhe Begriffserweiterung ift nur unter der Bedingung denkbar, daß
fic) diefer Germanenftamm den Relten unter allen ihren germanifch redenden Lachs
barn am ftärkften bemerkbar gemacht bat und die Kelten darum immer zuerft an
ihn dachten, wenn von ihren Oftnadbarn die Rede war. Um die Stellung eines
weniger belannten Stammes germanifcher Zunge zu bezeichnen, wurde offenbar
die Betonung feiner Derwandtfchaft mit den woblbelannten Germanen notwens
dig und der Llame Germanen erbielt fo allmählich feinen weiteren Sinn, in dem
er uns noch heute durch die Vermittlung der römifchhen Schriftfteller geläufig ift.
Obwohl der Rulturaustaufch und Handel von Doll’ 3u Volk fdyon in vors
geidhichtlicher Zeit durchaus nicht unbedeutend waren, werden fich die linksrbeinifchen
Germanen befonders durch triegerifche Leiftungen, die fic viel mehr berumfpraden
als die nur Einzelne angehenden Handelabeziehungen, und durd ibre darauf bes
rubende politifche Stellung ihren ausgezeichneten Play in der Dorftellungswelt
der Kelten errungen haben. Darauf deutet aud ibe Dordringen nach Gallien,
wo fie keineswegs bloß die wenig fruchtbaren Landftriche in den Ardennen bes
fetten, wie einft Zeuß meinte, fondern in der beigifchen Provinz Limburg um
Tongern und in den angrenzenden Teilen der Rölner Bucht wertvollen Aders
und Weideboden bewohnten.
Aus der Sülle der Beifpiele für gleichartige Schidfale von Stammesnamen
verdient bier befonders der nordifche Klame Saxar für die Deutfchen unfere Aufs
merkfamteit. Unter den deutfchen Stämmen, die fid) wabrend der Ddllerwandes
tung berausgebildet batten, traten anfangs nur die Sriefen in engere Handelss
beziehbungen mit den Flordleuten, wie fid aus manderlei Lebnwortern mit anglos
friefifhem Lautcharalter (vgl. 3. B. germ. al>aä in an. klebe, Ried‘, (2 a)
bdtr ‚Boot‘, neben dem einbeimifchen [derz) ergibt!). Die Gacdfen waren zus
nahhft durch den Abzug ihrer Dollsgenoffen nad England gefhwächt und mit
dem Aufbau ihres Stammesberzogtums befhäftigt. Bleihwohl finden wir
nirgends auch nur einen Anfatg zur Verallgemeinerung des Lliamens Frisar, fons
dern nur Saxar, den Llamen des allmählidh zum Staatsvoll des alten deutfchen
Reiches auffteigenden Stammes.
Die Übereinftimmung des Stammnamens auf belgifhem Boden mit dem
Oefamtnamen unferer Vorfahren bei Belten und Römern bat feit jeber die Aufs
merkfamteit der Sorfhung auf diefen Stamm in viel höherem Maße gelentt als
1) €. Wadftein, Sriefifche Lebnwdrter im Flordifchen, 1922 (Strifter utgivna av
Aumaniftista Ddtenflapsfamfundet i Upfala XXI) und Llorden od Väfteuropa i gammal
tid, 1925 (Populärt vätenftapliga föreläfningar vid Gdteborgs Adgftola, My Sjold XXIT).
1932, III Siegfr. Gutenbrunner, Die Gefchichte der linterbeinifdyen Germanen ufw. 151
pt
es fonft bei Stämmen des leltifhegermanifden Grenzgebiets der Sall ift. Go
ware 3. B. die Srage, mit weldem Rechte fid die Mlervier und Treverer gers
manifcher Abftammung rubmten, biftorifch ebenfo wichtig wie die nach dem
Germanentum der linksrbeinifchen Germanen (Germani Cisrhenani). Don den
Vierviern fennen wir die unleltifchen Llamen Geidumni und Vellango, Hal-
davvo ?), von den Treverern Quigo und Fittio. Bei diefen Stämmen bandelt
es fid) um eine insbefondere bei den Treverern dünne Überfchichtung Beltifcher Voͤl⸗
ker, worauf auch ardyäologifche Umftände deuten wie die Übernahme der fonft
in der Latenezeit nur germanischen Leichenverbrennung durd die Treverer, wabs
rend die linksrbeinifchen Bermanen fich in größeren Verbänden niederließen und
daher ihre Eigenart viel zäber behaupten konnten.
Dem Außeren Umftande, daß der Llame Germanen ein Volk von weltges
fcdidtlider Bedeutung bezeichnet und daß ihn fchon Tacitus Germ. 2 im fog.
Viamenfag auf dte linksrbeinifden, nadhmals Tungern genannten Germanen zus
rudfubrte, verdantt die Srage nach ihrer Herkunft, daß fie immer wieder aufgerollt
wurde. Don den zwei Tatfachen, die der unbelannte Gewährsmann des Tacitus
vorausfetzt, wurde die Richtigkeit der einen, daß die Germani Cisrhenani in
der Raiferzeit Tungri) hießen, niemals angezweifelt. Defto bartnädigerer Widers
fpruch wurde aber gegen die zweite, daß die Tungern wirkliche Germanen waren,
aud von den berufenften Dertretern der germanifden Altertumstunde erhoben.
Man fuchte gewöhnlich diefe Angabe auf die Klachricht Cäfars zurüdzuführen, dag
die meiften Belgen von den Germanen ftammten, und das fo als bloß literarifche
Überlieferung zu entwerten.
Diefen Weg bat zuerft Rafpar Zeuß in feinem für die biftorifche Völkers
kunde Llordeuropas grundlegenden Werte „Die Deutfchen und die Krachbarftämme“
1837 eingefhlagen. Das Zeugnis Täfars, das bei der Ausfchaltung des Llamens
fages übrigbleibt und befagt, daß die meiften Belgen von Germanen ftammten,
die einft den Rhein überfchritten batten, betrachtete Zeuß als eine Sabel, die in
Belgien wegen des guten Rufes der Bermanen aufgelommen wäre. Auf den Ums
ftand, daß Täfar unmittelbar vorher, Bellum gall. 2, 3, die lintsrbeinifchen Gers
manen von den Belgen ganz deutlich unterfcheidet, legte er fein Bewicht, fondern
folgerte daraus nur, daß fie Cafar auf Grund jener Anficht der Belgen über ihre
Abftammung und der Kliamensgleichheit irrtümlich für wirkliche Germanen bielt.
Die Überzeugung, mit einer fo umftändlichen Deutung der gefchichtlichen
Nachrichten die WDabrheit zu treffen, fchöpfte Zeug aus dem ungermanifchen, zum
Teil fogar typifch keltifchen Ausfehen der damals bekannten tungrifchen Flamen.
Die Tungern befanden fi jedoch in einer Lage, die zu ihrer Reltifierung
führen mußte, und Beltifche Liamen beweifen daber nicht das mindefte für die urs
fprünglicye Flationalität diefes Brenzvoltes, während ein einziger germanifcher
Llame die Eeltifche Herkunft des Stammes ausfchließen würde. Go hatte auch
2) Die Infdrift, welde diefe beiden Llamen bietet, ift in Röln, alfo im Lande der
Ubier, gefunden worden und daber vielleicht nicht ganz beweisträftig, weil die Llamen aus
der ubifden Umgebung ftammen könnten. Der einzige vermutlich keltifche Perfonenname
bei den Lierviern Annaus ftebt auf einer Mainzer Injchrift.
3) Der Flame Tungri bezeichnet einerfeits die Germani Cisrhenani in ihrer Ges
famtbeit (fo im Llamenfag und ın der römischen Derwealtung; in der cohors II. Tung-
rorum diente der pagus Condrustis = Cäfars Condrusi), anderfeits die Eburonen,
wie in dem OF. Aduatuca Tungrorum, j. Tongern. Wir gebrauden den Flamen
Qungern in jenem weiteren Sinne.
152 Volt und Raffe. 1932, III
Zeug die Mattiaci, Nemetes und Triboci troß ihrer teltifden Ulamen auf
Grund der antiten Zeugniffe als Germanen anerkannt.
Man mußte außerdem fon damals berüdfichtigen, daß die Römer unter Ums
ftänden die Llamen nur in der bei den Relten üblichen Sorm lennenlernten, wie es
3euß bei dem Außerlich ganz keltifchen Liamen Bojorir eines Rönigs der Rimbern
angenommen batte. Gerade bei den linksrbeinifchen Germanen wird uns die von
Zeuß aufgebradhte Bleichfegung von Paemans und pagus Famenna einen foldhen
Sall liefern. VDollends Mar ift endlich, daß keltifhe Ortsnamen in einem urfprings
lich Reltifchen Lande bei anders fprechenden Eroberern fortleben konnten. Das lehren
3. B. die vielen Ortsnamen der Rheinlande vom Typus Andernach, Elvenidh,
Jülich, die vor dem Kintritt der althoddeutiden Spradgefege von ihren ros
manifchskeltifchen Grundformen nicht verfchieden waren. In den Urkunden des
früben Mittelalters leben viele lateinifche KIamen nod in diefer Geftalt fort und
gerade fo können aud die tungrifchen Ortfchaften, wenn fie einen germanifdhen
Yiamen erbielten oder Außerlich germanifiert wurden, mit ihrer keltifchen Benens
nung ins Lateinifde und Romanifche übergegangen fein, während die germanis
fhen Sormen mit der germanifcdyen Sprache ausftarben.
Dolitommen richtig beurteilte dagegen Jatob Grimm die etbnographifche
Stellung der Tungern, obwohl er wie Zeuß den Llamen Germanen als keltifche
Schöpfung betrachtete. Grimm verließ fidh auf die Anficht, die im Llamenfat
der Germania zum Ausdrud kommt, verfäumte aber, die abweichende Meinung
von Zeuß Puntt für Punlt zu widerlegen.
Bei Müllenhoff kommen zu den von Zeuß vorgebradten Grinden nod
einige neue hinzu, die freilich der Aritit ebenfowenig ftandhalten. Denn daß Täfar
den Kinzelftamm durd den Zufat ‚lintsrbeinifch‘ (Cisrhenanı und qui cıs
Rhenum colunt) von den übrigen, im weiteren Sinne des Wortes fo genannten
Germanen unterfcheidet, ift auch für den ganz felbftverftändlich, der ibr Gers
manentum anerfennt. Das war ja auch bei Cafar felbft der Sall, der fie, um
Mipverftändniffen vorzubeugen, nie ‚gallifche‘ oder ‚belgifhe Germanen‘ nennt,
und wurde {don von Zeus hervorgeboben. Vlad Müllenboffs Meinung foll
Cafar die nadmaligen Tungern aber fur Relten gebalten und in feiner Darftels
lung diefer Unfict aud) Ausdrud verliehen haben. Zeug und Müllenhoff, Ges
lebrte, die das Bellum Gallicum dod grimndlid kannten, konnten zu fo vers
fhiedenen Auffaffungen gelangen, weil Cäfar nirgends Elipp und Bar fagt, was die
Cisrhenani feien, Germanen oder Kelten, fondern offenbar annahm, daß feine
Lefer aud) obnedies uber deren Vollstum nicht im Zweifel fein würden. Aber
Müllenboff überfab die Unterfcheidung der Belgen und Germanen bei Cäfar (die
Zeuß als unwefentlich für die Beftimmung der wahren Klationalität des Stammes
ausgefchieden hatte, wohl aber als Beweis für LAfars Meinung gelten ließ) offen
bar deshalb, weil fie in dem folgenden ethnograpbhifden Bericht nicht mehr aufs
genommen wird. „Hier ift zunächft von der germanifchen Herkunft der ‚meiften
Belgen’ und dann von dem Anteile der Germani am Heere der Belgen die
Rede; bei der Aufzählung der beigifchen Streitkräfte nad den einzelnen Völkers
ſchaften ſchwebt Läfar alfo fhon wieder der weitere Begriff Gallia Belgica
vor und das Verfeben Mullenboffs ift daber leicht begreiflich.
Ebenfowenig ift Mullenboffs Bebauptung ftichhaltig, daß „auch nach den
laut redenden, von Cäfar berichteten Tatfachen zwifchen ihnen (den Tungern) und
den Transrbhenanen keinerlei SGtammesgemeinfdhaft nod ein Glaube daran bes
ftand“. Damit meint Mullenboff, die rechtsrheinifchhen Germanen hatten den
1932, III Siegfr. Butenbrunner, Die Befchichte der linterbeinifchen Germanen ufw. 153
EEE SEE DEE a ar a me a ees ee eee ee a Pe
Tungern Hilfe gegen Cafar leiften müffen, wie die Sweben unter MTafua und Cims
berius Ariopift beizufteben fudten. Sue Mullenboff bewies nämlich der angeds
lid) feltifcde Klame Cimbri, daß vor dem Rimbernzug Germanen aus dem inneren
Deutidland in Ballien ganz unbelannt waren; die Tungern müßten alfo frübeftens
um 100 v. Chr. in Gallien eingedrungen fein und daher fo wie Ariovift noch in
viel engeren Beziehungen zu den recdhterheinifchen Stämmen geftanden baben,
als es zur Zeit Läfars wirklich der Sall war.
Wenn wir audy davon abfeben, daß die Tungern gar keine fo naben Ders
wandten in der Heimat befaßen wie Ariovift und die Schlüffe aus dem Rimberns
namen (der germanifch ift und *Himbroz lautete) aud 3u Mullenboffs Feit recht
anfechtbar waren, wäre eine foldhe Schlußfolgerung alles eher als zwingend.
Denn aud in der Raiferzeit, als die römifche Gefahr mit Händen zu greifen war,
ftanden oft genug germanifdhe Stämme auf der Seite Roms und bildeten fid,
wie bei den Cherustern zur Zeit Armins, felbft innerhalb der einzelnen Stämme
eömerfreundliche Gruppen. Go fehr der Germane feine Sreibeit liebte und daber
das Kömerreich haGte, gemeinfames Handeln gegen den LTationalfeind, ja felbft
der Begriff eines foldden waren ihm fremd, weil er bis dahin mit der politifchen
Organifation nah Stämmen zur Sicherung feiner Sreibeit eben volltommen das
Auslangen gefunden hatte.
Daß die Tungern für die wirkliden Germanen ftammfremde Gallier waren,
fliegt Müllenboff befonders aus der Teilnahme von 2000 fugambrifchen Reitern
Bellum gall. 6, 35—42, an der Plünderung des Landes der Eburonen, die unter
Ambiorir im Rampfe gegen die Romer bei den linksrheinifchen Germanen die
Subrung innebatten. Cafar ftellt die Gace fo dar, als ob die Sugambern auf
feinen Aufruf zur allgemeinen Belämpfung der Cburonen gefolgt waren, denn
wenn er mitteilte, daß die Sugambern als Verbündete des Ambiorir auf dem
Briegefchauplat erfchienen, hätte er zugleich die Liuglofigkeit feines erften Rheins
überganges zugeben müffen, der die Sugambern für die den Tenkterern gewährte
Hilfe beftrafen follte. Der Angriff der Sugambern auf das Lager der Römer
und nody mehr die dauernden Mißerfolge Täfars gegen Ambiorir laffen jedoch auf
gute Beziehungen zu den germanifchen Nachbarn ſchließen.
Das größte Bewicht legte Müllenboff wie Zeuß auf die keltifche Beftalt der
Hamen: „Alle ihre Dolkss und Perfonennamen, fowie alle alten Slugs und Orts»
namen ihres Bereiches find auch undeutfch und keltifch, fo daß jemand fhon weder
vom Deutfchen (d. i. Germanifden) nod vom Reltifchen eine hiftorifche Aenntnis
baben muß, um die cisrhenanifchen zu dem Stamm der transchenanifchen ers
manen zu zählen‘. Bei diefer fcharfen, gegen Grimm gerichteten Auseinanders
fegung fällt befonders auf, daß Müllenboff zu den von Zeuß berangezogenen
Klamenarten die SIußnamen binzufügt, da er in feiner Abhandlung über die Llamen
der norddeutfchen Stüffe ohne weiteres mit der Entlebnung der vielen Bezeichs
nungen Heinerer Bewäffer durch das angeblich keltifche -ada im Gebiet zwifchen
Rhein und Wefer rechnete.
Wenn Müllenhoff den oben ausgebobenen Sat mit den Worten vollendet:
„und (daß jemand) die heutigen WOallonen im weftliden Teil ihres Gebiets nicht
für romanifierte Gallier, fondern für urfprüngliche Deutfche halten müßte‘, fo
könnte fich das noch auf fpradhliche Derbadltniffe, auf die Cinbeitlidleit der wals
lonifhen Mundart beziehen. Die Wallonen nehmen im Weften das Gebiet der
Llervier ein, im Often das Land der Tungern, foweit es diefen nach den Derluften
in den Rämpfen mit Cäfar verblieben war. Da die erhaltenen Liamen fdyon einen
154 Doll und Raffe. 1932, III
I
keltiſchen Einſchlag erkennen laſſen und dann infolge der roͤmiſchen Verwaltung
und Rultur die alten Stammesgrenzen immer bedeutungsloſer wurden, werden
wir Spuren der erſten germaniſchen Beſiedlung in den heutigen Verhaͤltniſſen
uͤberhaupt nicht erwarten duͤrfen. Wollte man ſich aber trotz allem zu dieſer
Annahme Muͤllenhoffs verſtehen, dann muͤßte man ſich auch mit der Tatſache aus⸗
einanderſetzen, daß die Nervier im weſtwalloniſchen Gebiete in dem begruͤndeten
Verdachte ſtehen, großenteils von Germanen zu ſtammen.
Ebenſogut (oder vielleicht zugleich) kann Muͤllenhoff den einheitlich unger⸗
maniſchen anthropologiſchen Typus des Wallonen auf altnerviſchem wie auf
altgermaniſchem Boden meinen. Einen ſolchen Beweisgrund anzufuͤhren, koͤnnte
heute niemand mehr in den Sinn kommen, da die nordiſche Raſſe, der urſpruͤng⸗
lich auch die Relten angehoͤrten, gegenuͤber der dunklen weſteuropaͤiſchen Urbevoͤlke⸗
rung bei ſtaͤrkerer Miſchung ſchwer feſtſtellbar iſt. Muͤllenhoffs Einwand be⸗
ruht auf der ſeinerzeit allgemein uͤblichen Ubertragung der aͤußeren Zuͤge der Fran⸗
zoſen auf die Aelten®) und der Annahme, daß Raffengrenzen und smifchungen
nur durch neue Zuwanderungen verändert würden. Aber felbft unter diefen Dors
ausfegungen ware Mullenboffs Beweisfubrung nicht zwingend, da fie auf einer
fehr undeutlichen Dorftellung von der Art der germanifchen Landnahme fußt. Die
Einwanderer hatten gar kein Intereffe, die vorgefundene Bevslkerung auszurotten,
die fie vielmehr als Anechte, börige Handwerker und Bauern recht gut brauchen
konnten. In der Gefamtbevdllerung war daher der Hundertfatz der berrfchenden
Germanen ftredenweife außerordentlich gering. Der Vernidhtungstrieg Cafars
mußte ferner befonders die SHerrenfchicht treffen, da fie allein der Träger des Widers
ftandsgeiftes fein konnte, und als dann die römifche Derwaltung die Germanen
in eine niedrigere foziale Stellung berabdrüdte, ftand ihrem Aufgeben in der bodens
ftandigen Bevdllerung kaum mehr ein Hindernis im Wege.
Müllenbhoffs Entfcheidung für das Reltentum der Tungern wurde troß ihrer
inneren Schwäche in der Wiffenfchaft allmählich berrfchend und ift auch beute
noch nicht allgemein überwunden, weil das Anfeben ihres Urbebers auch feine Jrrs
tumer gegen berechtigte Aritit gewiffermaßen immun machte. So kann fi T. €.
Barften in feinem fonft wertvollen Buche über die Germanen 1928 G. 142 nod
nicht entfchließen, die Stage in einem anderen Sinne zu beantworten. Müllens
hoff hatte gemeint, daß die Ballier die Bermanen nach dem Rimbernzuge fo bes
nannt bätten, obwohl einer ihrer eigenen Stämme an der Germanengrenze fdbon
fo hieß. Der lame ware alfo von Anfang an zweideutig gewefen, wodurd den
Relten, die doch bei der Benennung ihrer Tachbarn vollLommen freie Hand batten,
eine ganz unmöglidhe Ungefhidlichkeit zugemutet würde. Wohl aus diefen
Grunde hielt es aud) Mullenboff fur ndtig, einen Dergleihespuntt zwifchen dem
Einzelftamme und den Germanen in unferem Sinne zu fuden, den er in dem
für beide charakteriftifchen Seftbalten an der „niedrigen Urkultur‘ der Nordvoͤlker
fand, worauf es aber bei der Benennung des fremden Sprachftammes gar nicht
anfam.
Daran nahm zuerft Much Anftoß und in feinen „Deutfchen Stammfigen“
(1892) fuchte er diefes eingewourzelte Dorurteil durch den Sinweis zu überwinden,
daß die Übertragung des Llamens Germanen auf unfere Dorfahren nur möglidy
war, wenn feine urfprünglichen Träger den Zelten als typifche Vertreter des
Bermanentums erfchienen. Much verwertete damals auch fchon infchriftlich übers
4) Dgl. 3.38. BaursSifher-£enz3° I, ı56f., II, 231 ff.
1932, III Siegfr. Outenbrunner, Die Gefchichte der Iinterbeinifchen Bermanen ufw. 155
EEE TENNESSEE EEE SE RO RT
lieferte Perſonennamen der Tungern mit unkeltiſchem Lautſtand. Auf Grund der
abſchließenden Behandlung dieſes Gegenſtandes, die Much 1920 in dem Werke
uͤber den Namen Germanen geliefert hat, erkennen wir, daß die Tungern zaͤhe
an ihren alten germaniſchen Namen feſtgehalten haben.
Jn Fretoverus, Freio und Friatto, deren Stamm ſonſt nur bei den Ubiern
(Freiatto, Friattius, Friannius, Friania) belegt iſt, iſt der Laut ei und ſein
Wechſel mit i nur als germaniſche Eigentuͤmlichkeit moͤglich. Idg. ei iſt im
Germaniſchen noch in der Raiſerzeit erhalten und verwandelte ſich damals in 1,
während es im Reltifchen fchon langft5) E ergeben batte (vgl. germ. Alateivia
= telt. *Ollodévia). Das Grundwort von Freioverus ift ebenfalls gut gers
manifch, da es den Übergang von idg. Ü zu germ. é vor einem a der folgenden
Silbe aufweift, den das Altkeltifche noch nicht kennt: alfo idg. *viro- = kelt.
*yivo- = germ. *wera- ,Mann‘.
Den Ulamen Leubasnus und Leubasna entfpridt Leubasnus bei den Bas
tavern; leltifd mugte der Ulame Leubannus oder Lobannus mit nn für sn
wie in Gobannio lauten (vgl. %. Pederfen, Dgl. Gramm. 9d. lelt. Spr. 1, 86).
Gider germanifh ift ferner der Srauenname Lubainis, der mit der einzigen ges
meingermanifchen Wortbildung diefer Art, mit got. lubains ‚Hoffnung‘, age.
Jufn ‚Liebe‘, altn. Lofn ‚EbegSttin‘, vollfommen übereinftimmt. Auch die gers
manifchen Llamen der von Qungern verehrten Gdttinnen Vihansa (germ. h:
felt. &) und Alatervae (germ. ala-: kelt. ollo-, oder zumindeft *alo-) find zu
berüdfichtigen.. Das a in der Rompofitionsfuge deutet auch in Rica-gambeda
auf eine germanifde DWortbildung.
An diefen Grundftod unzweifelbaft germanifcher Klamen fchließen fich folche
an, die auf tungrifches oder niedergermanifches Bebiet befchräntt find und als
germanifches Klamengut leicht gedeutet werden, während fie im Aeltifchen keine
ErHlärung finden. Zu diefen gehören, um nur die zwei ficherften Sälle berauszus
greifen, Haldacco neben den ubifhen Haldania, Haldavvo, Haldavvonius zu
germ. *alda- ‚alt‘, felt. *alto- und fein Begenftüd Nevitto) neben ‚barbarifch‘
d. b. germanifh Nevitia bei Ammian, zu germ. *"newja- ‚neu‘, kelt. *novio-.
Den Rurznamen Haldacco und Nevitto mtfpredyen die literarifch bezeugten,
fhon wegen ihres Grundwortes germanifden VDollnamen Haldagastes und
Neßioyaorıs (= lat. *Neviogastes.)
Wenn die germanifchen Perfonennamen fo widerftandsfähig waren, müfs
fen wir freilid auch germanifche Stammesnamen bei den Tungern erwarten und
in der Tat befähigen uns die Sortfchritte der Sprahwiffenfchaft feit Mullenboff
zu einer bejabenden Antwort auf diefe Srage. Der Lame Germanen felbft könnte
als Stammesname ja an und für fic auch eine keltifche Wortprägung fein, wäre
aber dann für die Erweiterung zum amen unferes Spradhftammes ungeeignet
gewefen, weil er in diefem Salle nur von befonderen Wiertmalen des Stammes,
die feinen den Relten bekannten germanifchen Bruderftämmen nicht zutamen, abs
geleitet fein könnte und von vorneherein mit dem Begriffe des KEinzelftammes
5) Rhénus bei Cäfar muß nah Auswris feines Anlauts Rh- [yon früher von einem
— Schriftſteller in die antike Literatur eingefͤhrt worden ſein. Caͤſar kannte den
amen wohl durch Poſidonius (vgl. Strabo S. 290), doch ſcheint der Rhein nach Strabo
S. os ſchon bei Pytheas eine Rolle gefpielt zu haben. Der Beleg für germ. ei, Alateivia,
fteht in einer Infchrift aus der Raiferzeit.
6) berliefert it NEVTTO CIL 13, 3628; das erfte T ift zur Bezeichnung des bes
nadbarten s etwas größer ausgemeißelt. Diefes Mittel ift bei anderen Budftaben ganz ges
brdudlid, nur bei T etwas ungewöhnlich.
156 | Volt und Kaffe. 1932, IIT
ae EE
feft verbunden gewefen wäre. In allen vergleichbaren Sällen ähnlicher Bedeus
tungsentwidlung war der Einzelname dem Volke, das ihm den weiteren Sinn
beilegte, urfprünglich fremd und bei demjenigen Spradftamm, dem der urfprüngs
lide Trager angebdrte, einbeimifdh. Sur diefen normalen Weg zur Bildung von
umfaffenden Ddllernamen gibt es Dugende von Beifpielen, jedenfalls viel mehr,
als man fonft zur Ableitung einer firengen Regel für nötig Halt.
Dazu kommt nody der fcbwerwiegende Umftand, dag im Germanifchen ein
dem Vollsnamen genau entfpredendes Wort vorhanden war. In Lanchefter bei
Durham ließen fwebifde Goldaten (vexillarii Sueborum), wie die Infchrift
befagt, der Bdttin Garmangabis und einem Raifer Gordianus ?) einen Altar
errichten. Diefem Gdtternamen ftebt der ficher germanifche Liame einer Göttin
Friagabis (Anlaut f und Mittelvokal a find unleltifch wie aud die übrigen
Ulamen diefer Infchrift) am nächften. Außerdem gehören in diefe Liamengruppe
germ. Alagabiae und fein keltifches Begenftüd Ollogabiae. Was erfte a von
Garmangabis wäre als germanifeher Ablaut erllärbar; es ift jedoch wabrideins
licher, daß der britifche Steinmeg Garman- nad) Analogie von Garmans
fehrieb, wie nad Beda die Angelfachfen bei den einbeimifchen Briten bießen.
Diefes Garmani verdant jedod fein a ftatt e vermutlich der oft belegten Lieis
gung des KReltifchen, e in der Umgebung von g und r in a zu verwandeln (vgl.
3. B. Tarvos trigaranos für -geranos, ‚Taroos mit den drei Rranidyen‘, weldye
auf dem Stein aud dargeftellt find).
Daf den Bermanen einmal ein Wort germana- geläufig war, können wir
auch aus den weftfränlifchen Eigennamen Germenulf, Germentrada, Germen-
berga, Germening ufw. entnehmen. Das zweite e diefer Lliamen kann nur auf
Burzes germ. a zurüdgeben, alfo nicht aus dem galloromanifden Perfonennamen
Germanus ftammen, wie aud I. Schnetz zugeben mußte, der in verfchiedenen
Beitfchriften den Germanennamen als leltifh zu erweifen fuchte. Schnetz legte
dabei großen Wert auf gallifche Klamen, wie Germillius, Germitius, die mit
gallifchen Suffiren aus einem Stamme Germ- gebildet find. Da es aber biss
ber keinem ernftzunehmenden Verfechter der entgegengefegten Meinung in den
Sinn gelommen ift, die Möglichkeit eines foldden Wortftammes im Reltifden
zu leugnen, haben diefe Liamen nicht viel zu bedeuten. Übrigens weift der Liame
Germullius für den Sohn eines Germanus (CIL. 3, 6413) darauf bin, dag
der als Cigenname in Gallien häufige Dollsname Germanus fidy vollftändig
eingebürgert hatte und wie andere, auch Iateinifche Klamen variiert wurde. Etwas
ganz ähnliches ift es, wenn die Llorweger den biblifdyen Vlamen David nad
ihren Eigennamen porfinnr, Aupfinnr oder -fipr in Dafipr, Dafınnr ume
änderten, weil das Llamenwort -finnr nur der urfprünglich ungermanifche Dolkss
name der Sinnen ift, den die Bermanen vor oder während der Lautverfchiebung
von einem norddftliden Lladhbarftamm entlebnt und erweitert haben wie die
Relten den der Germanen.
Wenn Zeuß und Müllenboff Germani für ein keltifches Wort hielten und
als Stütze für das Reltentum des linksrbeinifcdyen Stammes betrachteten, fo wear
für fie bauptfächhlich der Beiname Germani eines Teilftammes der iberifchen
Oretanen maßgebend. Auch Schnet ift geneigt, den Llamen der Oretanen fo zu
verwerten und fügt den Ortsnamen Forum Germanorum binzu, der urd
zwei Infchriften aus den Seealpen — alfo auf ligurifchen Gebiet — bezeugt ift.
1) Die Jnfcrift ftammt alfo aus den Jahren 236—244 n. Chr.
1932, III Siegfr. Butenbrunner, Die Befdhichte der linkerheinifdden Germanen ufw. 157
é
#r müßte alfo auc den Slugnamen Germanasca, der bier vorfommt, mit feinem
typifch ligurifchen Suffir für urfprünglich Eeltifch halten. An allen 3 Stellen,
wo Germani als Stammname auftritt, in Belgien, Spanien (Reltiberer) und
Ligurien find in der Liähe Relten nachweisbar und da der Liame doch nur aus
ein und derfelben Sprache ftammen könne, müffe er, wie diefe Gelehrten meinen,
feltifc fein. es ift wohl jedermann Bar, daß fie dabei mit zweierlei Maß meifen
und einen Liamen nur dann als germanifch anerkennen wollen, wenn fidh auch
nicht der fadenfdeinigfte Grund für feine keltifche Herkunft ausfindig machen
läßt, während die Lläbe Eeltifcher Siedlungen ohne weiteres nach ibrer Meinung
auf teltifdhes Wortgut fliegen läßt. Ebenfogut könnte man den ligurifchen und
fpanifhen Klamen auf Refte der Rimbern oder Teutonen zurüdführen, die bes
Banntlidh in diefe Begenden gelangt find. denn nicht Manner vom Anfeben
eines Zeug und Müllenboff den oretanifchen Llamen vor vielen Jahrzehnten fo
beurteilt hätten, würde beute wohl niemand mehr diefe oder ähnliche Beweife
ernft nehmen. In Wirklichkeit ftebt die Sache fo, daß fowohl die Ligurer wegen
Germanasca als die Jberer wegen der fpanifchen Pollsnamen auf -ans begrüns
deten Anfprud haben, die betreffenden Llamen felbftändig gebildet zu haben. Da
der Liame unferer Vorfahren in der Raiferzeit allbelannt war, könnte der iberifche
Yiame auc urfpriinglic& etwas anders gelautet (Cermant, Garmani, Girmans ?)
und erft im Munde der Römer die überlieferte Sorm angenommen haben.
Der Vlame Germanen ift alfo zweifellos germanifcher Herkunft wie feine
eigentlichen Träger, die in der Raiferzeit gewöhnlich Tungern genannt werden).
Weniger wichtig als diefe Seftftellung ift die Scage nach feiner Bedeutung. Sie
ift auch an fich fhwerer zu beantworten, weil an die Stelle der einfachen Alters
native germanifch oder Eeltifch eine von vorneherein nicht feitftebende Zahl von
Erflärungsmöglichkeiten tritt. Als außerordentlich förderlidh erweift fid aud
bier der Böttername Garmangabis, weil er fo gut wie ficher eine ungünftige Des
deutung des Grundwortes ausfchließt. Durch die anderen Liamen diefer Böttinnen
Alagabiae (= Ollogabiae) und Friagabis fowie durdy den Sinn von gabis
(plur. gabiae) ‚Beberin’ werden weiterhin die Bedeutungen ‚all, gefamt‘ oder
‚reich, freundlich‘ nabegelegt. Denn Alagabiae beißt ‚die Allgebenden‘, Fria-
gabis ‚die Sreigebige‘. Don diefen zwei Bedeutungen des Wortes * germana-
erfcheint fofort die erfte, ‚all, gefamt‘ als die paffendfte, weil der Stamm der linkes
rbeinifchen Germanen nach LTäfar wieder in mebrere Unterabteilungen zerfiel,
die neben befonderen Llamen eine gewiffe politifche Selbftändigkeit befaßen.
Auf denfelben Sinn führen auch fprachwiffenfchaftlidhe Erwägungen. Ger-
mana- läßt ficb als Zufammenfegung der verftärkenden Dorfilbe ga- (= lat.
co-) und *ermana- (= got. Ermana-reiks, mit Suffirablaut abd. trmin-, aisl.
jörmun-) auffaffen. Diefes Wort bedeutete urfprünglich ‚was fic erhoben bat‘
wie das ablautende griech. vpuevos, weiterhin ‚groß, gefamt‘. Und wie neben
den erwähnten weftfräntifchen Eigennamen mit Germen- foldye mit ermana-
vorliegen, fo fommt neben unferem Germani das einfache ermana- (bzw. feine
Ablautsformen ermuna-, ermina-) in den altertimliden Odllernamen Hermun-
duri und Herminones vor, die ebenfalls höhere Einheiten, das ,Oefamtvolf&
der Thüringer und den Rultverband der Erminonen bezeichnen. Die Ableitung
8) Genau genommen dürfte Tungri der neue Llame der Eburonen gewefen fein, da
Aduasuca Tungrorum nad Céfar im Gebiet diefes Teilvolles lag. Wir — bier
(wie fon bemerkt) den Plamen wie Tacitus als gleichbedeutend mit Germani Cis-
rhenani. :
158 Volt und Kaffe. 1932, III
NEBEN BE EEE ROIS
von germana- aus ga-érmana- ift fprahli einwandfrei, fein fo erfchließbarer
Ginn für den Bdtternamen und für den Dolfsnamen wie gefchaffen, fo Sa wir
diefe Erklärung bei der Erfchließung der Alteren Befchichte des Germanenftammes
getroft werden verwenden dürfen.
Don den Klamen der tungrifchen Teilftämme nennt Cäfar, Bellum gall. 2,4,
Condrusi, Eburones, Caeroess, Paemans und 6, 323 Segni; aus jüngeren
Quellen lernen wir nody die Lliamen Tungri, Sunuces und Caruces kennen.
Tungri ift nod unerllärt; die beiden legtgenannten find echt Reltifche Bildungen
wie audy Condrusi, von dem der pagus Condrustis, franz. Condroz, den Flamen
bat. Zu diefem Condrustis wurde der balbgermanifierte Matronenname Can-
trusteihiae gebildet ?). Uleutral ift Eburones ‚Kibenleute‘ (kelt. eburo- = ir.
tabhar, in Ylamen wie Eburovices, Eburodunum bäufig, nbd. Eberesche, cig.
‚Kibenefche‘ wegen der roten Beeren). Er bietet dafür ulturbiftorifches Intereffe,
weil fid der alte Catuvolcus, der Mitberrfcher des Ambiorir, vor dem Rriege
mit den Römern mit Kibengift tötete (Bellum gall. 6, 31), wie nad der Egilss
faga 3, 6 Herlaugr, der neben Hrollaugr über Kaumudalr berrfchte, vor dem Bons
flitt mit Rönig Harald Selbftmord beging. Der Selbftmord eines Könige in
diefer Lage trägt an fich fhon den Charakter eines Opfers, aber bei den Zburonen
tommt noch die Wahl des KEibengiftes und der Hinweis des Klamens hinzu, fo
daß wir daraus auf eine bedeutende Rolle der Cibe im Stammestult der Eburonen
fhließen dürfen. In Caeroess ift das oe (zu Eäfars Feit ot gefproden) ungers
manifch, -oeso- anderfeits aber auch als keltifche Ableitungsfilbe fonft nicht bes
legt. Die mittelalterlihe Sorm Caroascus kommt neben Carascus nidht in
Betracht, da audy Condorustis ein unberechtigtes o einfchiebt.
Der widtigfte diefer Kamen ift jedoch Paemani, den man feit Zeuß mit
Famene, im Mittelalter pagus Falmenna um Marde im belgifden Lurems
burg zufammenbringt. Zeuß und Müllenboff wollten den Yiamen bei Cafar in
Falmani verbeffern, wobei fie noch nicht wiffen konnten, daß der unteltifche, aber
dafür gut germanifche Anlaut f ihrer Anficht vom Reltentum der linksrheinifchen
Germanen widerfpradh. Diefe Solgerung 30g erft Mucdy in den ‚Deutfchen Stamms
figen‘, wo er aud aus anderen Gründen ihr Germanentum verteidigte. Wuch ers
kannte auch, daß das anlautende p bei Cafar als keltifcher Lauterfag fur germ. /
gerechtfertigt fei. Da aber die Differenz im Jnlaut Paemani: Falmani befteben
blieb, ließ fic) der Zufammenbang beider Klamen nicht mit Beftimmtbeit bes
baupten. €r ift aber anderfeits fo überzeugend, daß ihn niemand rundweg abges
lehnt bat, weit in der Provinz Germania inferior eine ganze Anzahl anderer
Dollsnamen der Römerzeit in mittelalterliden Gaunamen erhalten find: von
den lintsrbeinifchen Germanen Condrusi: pagus Condruscus, j. Condroz, Cae-
roesi: d. Carascus,; ferner Menapii: p. Menapiscus, Mempiscus, Texuandn:
Taxandria, Batavi: Betuwe, Cannenefates: Kennemerland, Marsaci: Marsum.
Aus dem Derbältnis von Caeroesi zu Carascus ergibt fich, daß bier vors
römifches ai zu romanifchen (vulgärlat.) & werden konnte wie 3. B. in lat.
Sdpo < germ. *saipo. Wenn die Admer fpäter nicht wie Cafar eine gallifierte
Sorm, fondern von der einheimifchen Bevdlkerung den Llamen in feiner germanis
fchen Beftelt *Faimani übernahmen, mußte oder konnte wenigftens daraus *Fä-
mani entfteben, das dem älteften wallonifchen Beleg Famenna aus dem J. 656
genau entfpricht. Diefes wallonifche -a- ift unmdglid aue adlterem -al- abzus
9) Wad R. Muds Vortrag über C. Schudbardts „Vorgefdichte von Deutfchland“.
1932, III Giegfr. Gutenbrunner, Die Gefdidte der lintsrbeinifden Germanen ufw. 159
A AE ema Pa EEE NEE EEE EEE LEE IE DE TSS
leiten, weil die Straßburger Eide noch salvement, salverai, altresi bieten (zu
franz. sauver, autre, bzw. wall. saver, atre). Die in den Urkunden von 800
bis 1079 üblidhe Schreibung 19) mit -al- bat alfo nur orthographifche Bedeutung
als fog. umgelehrte Schreibung. Im J. 1109 erfcheint wieder -a- in Übereins
ftimmung mit der Bezeichnung von a < aldurdy einfaches a in den bei €. Schwan,
Gramm. d. Altfranz. (12. Aufl.) abgedrudten Urkunden des 13. 3b.: atre, Wal-
heame, Baduin. Da wir alfo keinen Anlaß haben, die von Cafar gebotene Sorm
Paemani zu ändern, die vielmehr bis auf den Beltifierten Anlaut den germanifchen
Llamen *Faimanös getreu wiedergibt und auf diefe Grundform audy pagus
Famenna anftandslos zurüdgeführt werden kann, dürfen wir diefen Kamen als
einen weiteren, volllommen eindeutigen Beweis für die germanifche Abftammung
der Tungern buchen.
Die Erflärung von Paemani, germ. *Faimanos, wird durch die Ableitung
mit germ. -ana- auf zwei Möglichkeiten feftgelegt. Diefe Ableitungsfilbe bildet
nämlich einerfeits Adjektiva von Zeitwörtern wie got. numans ‚genommen‘ oder
abd. wesan ‚verweft‘, anderfeits aus Bezeichnungen menfchlicher Bemeinfchafs
ten Llamen für deren Leiter wie got. Diudans ‚König‘ von Piuda ‚Vol. Im
legteren Sall befigen wir in mndl. vesme, veme f., jest veem f. n. (germ.
*faimö) ‚Dereinigung, Zunft‘ ein geeignetes Brundwort, zu dem wohl auch das
niederdeutfch beeinflußte nbd. Fehme, mbd. veime ‚Derurteilung, Sreigericht‘
gehört. Die Grundbedeutung muß ‚Dereinigung, Benoffenfchaft‘ gewefen fein
und fid) auf das zur Beftreitung gemeinfamer Auslagen (Belage, Sefte) zufams
mengelegte Dermögen bezogen baben wie aisl. felagi ‚Benoffe‘ (zu fE ‚Vieh,
Geld‘ und leggja ‚legen‘), da wir ein ablautendes Wort mit der finnlichen Bes
deutung ‚das Zufammengelegte‘ in nbd. Feimen, mbd. vime ‚Miete, Trifte‘,
ndl. vim ‚Haufe‘ (germ. *fimo < *feimo) vorfinden. Paemanı bedeutet nady
diefer Ableitung alfo ,Dorfteber einer * farmo, Benoffenfchaft‘ 11). Der Sinn einer
folden Benennung ift offenbar der, daß die führenden Samilien der Genoffenfdaft
aud fonft nach außen und innen tonangebend waren.
Wenn wir dagegen den Llamen als eine Adjektiobildung betrachten, bietet
fidh uns zu feiner Deutung ein bis auf den regelrechten Suffirablaut vollfommen
Wentifches Wort isl. ferminn ‚blöde, fcheu‘ (germ. * faimena-; die nordifchen
Sprachen haben in den Verbaladjeftiven durchgebends die Ableitung -ena- gegen»
über weftgerm. und got. -ana-). Wie der altisländifche Srauenname Feima!?)
zeigt, dachte man dabei an das zurüdhaltende WDefen der Srauen, das dem Manne
nicht ziemte; der Dollsname wäre dann ein Spottname und wenn das auch nicht
fein urfpringlider Sinn gewefen fein wird, fo werden germanifch redende Lachs
barn ihn gelegentlich fo gedeutet haben. Auf eine foldye Umdeutung gebt befannts
lich die antike Sorm Gepidae ‚die Tragen‘ zurüd, während die germanifche Übers
lieferung auf *Gebidae ‚die Geber, Sürften‘ binweift.
10) Belege bei Müllenboff DA. 2, 196 Anm. 3.
11) Obrigens wäre zu erwägen, ob nicht diefe Wortbildungen urfprünglich bloß die
Mitglieder der betreffenden Gemeinfchaften bezeichnet und erft über eine Zwifchenftufe, in
der man den Vorfteber als widhtigftes Mitglied fo nannte, die vorgetragene Bedeutung
angenommen baben. Eine Spur diefes älteren Gebrauces haben wir wohl in agf. hina,
erm. *hiwin-an- (Bluge, Kom. Stammb.? $ 21) ‚Anedht‘, eig. ‚Angeböriger des Aauss
Hunden zu feben (vgl. got. heiwa- frauja ,Hausberr‘). Sur den Doltenamen Paemani
ergäbe dies den Sinn ‚Mitglieder der Genoffenfdaft.
18) ¢ germ.*Faimon-; das n-Suffir ift bier ein anderes, der deutfchen [hwoadhen Bie⸗
gung entfpredyendes, das im Vollsnamen *Faimanes lauten müßte.
160 Volt und Kaffe. 1932, III
EEE
Der Liame Paemanen bezieht fic alfo urfpringlich auf eine genoffenfchafts
lide Bliederung des Stammes. Genoffenfchaften oder Bilden müffen daher in
feinem Leben eine befondere Rolle gefpielt haben. Daß es foldye Verbände bereits
in altgermanifcher Zeit gegeben bat, ift fehr gut möglich, weil ihre Vorftufe, der
Mannerbund, durd die Berichte des Tacitus über die Harier und Chatten bezeugt
wird 13), Diefe Organifation mußte befonders für Roloniften, die Mitglieder
eines ver sacrum wertvoll, ja geradu lebenswichtig fein, weil ihnen einers
feits im Rechtsleben der fefte Rüdhalt der Sippe fehlte, anderfeits aber auf dem
fremden Boden in feindlicher Klahbarfchaft eine ftraffe, militärifche Organifation
(ogl. die Jomswilinger) für fie notwendig war. Wie die Condrusi nach diefer
‚Befolgsgenofjen‘ hießen, fo wurden die Paemanen nady der Spitze ihrer Benoffens
fchaften benannt.
Die bisher befprochenen gefchichtlichen und fpracdhlichen Zeugniffe reichen volls
fommen aus, um das urfpringlide Germanentum des Stammes zu fichern und
die ältere Anficht zu widerlegen. Dolltommen verfebit ift G. Stumpels Verfud
im DBeibeft 25 zur „Rlio“ 1932 die linksrbeinifden Germanen und überdies
Ariopift mit feinen Leuten, die Ufipeter, Tenlterer, Baftarnen und Teruandern als
Relten zu erweifen; er zeigt nur, wohin es führt, wenn ftammestundliche Sragen
obne Spracdhlenntnis behandelt werden. Antbropologifche Beweismittel fteben uns
nicht zur Verfügung, weil die modernen und mittelalterliden Derbältniffe nicht auf
das Altertum übertragen werden dürfen und unmittelbare Erkenntniffe auf Grund
von Stelettfunden wegen der in der Latenezeit bei den Germanen und Belgen fonft
üblichen £eichenverbrennung nicht zu erwarten find. Die lateneseitlidbe Kultur
des fraglichen Bebietes ift bisher noch fo gut wie unbelannt. Dies gilt befonders
aud von der Mittellatenezeit 300—100 v. Cbr., in der die Einwanderung der
Germanen vermutlidy ftattgefunden bat. Klur eine bei Brühl im Rheinland ges
fundene germanifche Tonfchüffel diefer Zeitftellung (vgl. €. Rademacher Mannus
14, 193f., Taf. 6, 8) darf vielleicht den Vorfahren der Tungern zugefchrieben
werden.
©. Roffinne vertrat in feinem Werte „Urfprung und Verbreitung der Gers
manen (1928) allerdings eine ganz andere Anficht. Er meinte S. 24 (vgl. die
Karte Ubb. 47), daß das Vordringen der germanifchen Kultur um 500 v. Chr.
über Rhein und Maas bis zur Linie Bonn—Aadyen— Antwerpen das Werk der
lintsrbeinifden Germanen fei, die im 3. Jb. v. Chr. nod den füdöftlichen Teil
diefes Gebietes einnebmen, im übrigen aber weiter im Süden fteben. Roffinna
kümmert fich dabei nicht um die Klachrichten und LIamen, die insbefondere für die
Plervier einen ftärkeren Einfchlag germanifchen Blutes fo wahrfcheinlich machen,
daß der vorläufige Mangel eines abfolut fideren Beweifes (wie wir ibn fur die
Tungern befigen) nidt hindern kann, mit diefem Umftand bei der Zuteilung gers
manifcher Bodenfunde in dem fraglichen Gebiet an die gefchichtlich bekannten
Stämme zu rechnen. Das Sundmaterial, auf das fic) Roffinnas Angaben ftugen,
ift auch viel zu fpärlidh, um auf einen fo ftarten Stamm wie die Tungern bezogen
werden zu können. Wir werden daber diefe Sunde beffer mit dem germanifchen
Element innerhalb der nervifden Stämme verbinden, wofür auch der Umftand
fpricht, daß fie ebenfowenig wie die Tungern zu den eigentlichen Belgen (Belgium)
gerechnet werden. .
| 13) gl. hierüber £. Weifer, Altgermanifhe Jünglingsweiben und Männerbünde
1927 (Baufteine zur d. VDollst. und Religionswiff., brsg. von €. Sebrie, 1).
1932, III Siegfr. Gutenbrunner, Die Gefdyichte der linterbeinifdhen Germanen ufw. 161
re rn u En Zur EEE PE
Diefe ältere germanifche Einwanderung in Klordgallien von den lintsrbeinis
fen Germanen ganz zu trennen, ift jedoch keineswegs notwendig. Wie fich
weiter unten ergeben wird, faßen damals, zu Beginn der Latenezeit, die Tungern
wabrideinlid im Gebiet der Lippe und oberen Ems; fie grenzten alfo gerade dort
an den Rhein, wo nach Roffinna jener Vorftoß den Rhein überfchritten bat. Unter
foldyen Umftänden ift es nabeliegend, eine Auswanderung von Teilen des Gers
manenftammes anzunehmen, die dann in den Nerviern aufgingen. Die Angabe
des Tacitus, daG die Tungern als erfte von allen Germanen den Rhein mit dauerns
dem Erfolg uber{dritten, Connte alfo dod auf guter gefcicdtlider Uberlieferung
beruben; irrig wäre es nur, diefe Tat als einzelnes Ereignis mit der Entwidlung
ihres Klamens zu verknüpfen und fie auf den Mutterftamm zu bezieben, der den
Bermanennamen woeiterfübrte.
Sur die Beftimmung der Zeit des Rheinüberganges ergibt fich aus dem
Namenſatz, daß die Einwanderung in Belgien vor dem Rimbernzug liegt, da die
Qungern fonft nicht als ‚primi Rhenum transgressi‘ bezeichnet werden könns
ten. Durdy den Vorftoß der Tungern wurde offenbar ein Teil der Belgen zur
Auswanderung nach Britannien veranlaßt, denn feit dem 2. Ib. v. Chr. find
die von Läfar Bellum gall. 5, 12 erwähnten belgifchen Anfiedler in Britannien
ardhaologifch nachweisbar. Durch die Unterfuchung der Befchreibung Britanniens
bei Cafar läßt fich feftftellen, daß die interpolierten Kapitel 12 und 13 (14 ift echt)
auf Artemidor beruhen, der um 1009. Chr. fchrieb. Wenn fich aber diefer auf die
lamengleichheit zwifchen den Belgen auf beiden Seiten des Kanals berief, muß
die Wanderung fcehon weiter zurüdliegen. Die Germanen werden alfo in der
erften Hälfte des 2. Ib. v. Chr. den Rhein überfchritten baben.
Tacitus erklärt den Bedeutungswandel von Germani mit dem Pordringen
de8 Stammes über den Rhein: durch diefe gefhichtliche Tat, meinte offenbar der
Römer, deffen Meinung Tacitus im Klamenfat wiedergibt, babe fid der Stamm
der Tungern den Balliern fo nahdrüdlich bemerkbar gemacht, daß fie in ibm von
nun ab den Vertreter des Llachbarvolles erblidten. Er gebt dabei offenbar von
der antifen, 3. B. Bellum gall. 6, 24 und Germ. 28, belegten Anficht aus, daß
der Rhein die urfprüngliche Grenze keltifchen und germanifchen Voltstums vor:
ftelle, die früher wenigftens im Süden von den Galliern überfchritten wurde, bis
die Germanen erftarkten, die Ballier in ihrem Vordringen aufbielten und fchließs
lid zum Rüdzug von der Abeinlinie ndtigten. Im Vorftoß des Germanenftam:
mes fab der Römer einen gefchbichtlihen Wendepunkt von der Bedeutung ihres
Sieges über Rartbago und ihrer Fliederlage in der Varusfchladht.
Die moderne Wiffenfcbaft fucht im Gegenfage zur antiken Befchichtefchreis:
bung die Urbeimat der Relten rechts des Rheins und damit verfchwindet auch der
Anlaß, den Rheinüubergang der Germanen als das Ereignis binzuftellen, das die
Aufmertfamteit der Kelten gerade auf fie lenkte. Wir haben auch vorläufig keine
Sandbabe, die Klachrichten von einem Einfchlag germanifchen Blutes bei den Tres
verern und noch weniger bei den Flerviern als Sabel beifeite zu fehieben und müffen
daher mit älteren Einwanderungen in Gallien rechnen. Wir baben ferner feft-
geftellt, daß die Tungern wahrfcheinlich erft 200— 150 v. Chr. über den Abein
gingen, finden aber fhon 222 v. Chr. den Llamen Germanen in feinem weiteren
Sinne bei den italifchen Relten in Gebraudh, was R. Much, Kintritt d. Germ.
in die Weltgefhhichte S. 18 ff. unwiderleglich bewiefen bat.
Auch allgemeine Erwägungen laffen vermuten, daß der Llame unter andern
Derbaltniffen, als fie in der jüngeren Halfte der Latenezeit berrfchten, feine um:
Dolf und Raffe. 1932. Juli. }3
162 Dolt und Kaffe. 1932, HI
EEE EEE — — ——
faſſende Bedeutung erhielt. Je kuͤrzer die germaniſch⸗keltiſche Grenze war, deſto
leichter mußte ſich der Name eines einzelnen Stammes durchſetzen. Die maͤchtigſte
Verlaͤngerung hat dieſe Grenze um 400 erfahren, als die Relten den Illyrern die
Sudetenlaͤnder entriſſen. Nicht lange vorher hatten die Germanen die Relten aus
dem Gebiet zwiſchen Elbe und Saale verdraͤngt. Aus dieſen auch durch Funde
nachgewieſenen Verſchiebungen ergibt ſich, daß die Germanen im b. Ih. v. Chr.
ſich mit den Relten auf der Strecke zwiſchen Harz und Niederrhein (den die Ger⸗
manen an der Lippemuͤndung ſchon in der Sallftattzeit erreicht haben) berübrten.
Späteftens im 5. Ib. waren alfo die Bedingungen für die Weiterentwidlung des
Bermanennamens gegeben.
Die Entlebnung des Viamens durch die Relten kann freilich noch einige Ib.
älter fein, weil die Entwidlung von idg. A > germ.h > g und idg.ö > germ.ä
in kelt. *Germ‘ino- <. germ. g(a)-Ermana- <. idg. ko-ermono- nad) Ausweis von
Daliternt uno Tulingt {don im 6. Ib. v. Ehr. vollzogen war (vgl. biezu Wiuch,
Eintritt >. G. in d. W. S. 51). Auf ein böberes Alter weift ja auch fhon die
Wirkung der Lautverfdhiebung in dem Gegenftüd zu Germani, germ. * Walha-
< felt. *Volco-, bin. 3m 6. Jb. folgte die germanifde Grenze im großen und
ganzen zunähft dem Lliederrbein und der Lippe, ftrebte dann dem Harz zu und
endete in der Begend der Vereinigung von Saale und Elbe (ogl. Roffinnas oben=
genannte Schrift). Die damaligen Sitze des Germanenftammes werden wir dort
zu fuchen baben, wo das Dordringen gegen.die Kelten am lebbafteften vor fic
ging, weil eben der erfolgreihfte Stamm die Aufmerkfamteit der Kelten am
ftärtften auf fich ziehen mußte. Diefer Stamm war nad) Ausweis der Bedeus
tungsverfchiebung feines Llamens aber der germanifche und fein Gebiet muß das
ber das Land an der Lippe und oberen Ems umfaßt haben.
Auf diefelbe Gegend führen uns die weftfräntifchen Germenstfiamen. Das
Rernvoll der Weftfranten waren die Chaulen, die in der Raiferzeit im Gebiet
zwifchen der unteren Ems und der Elbe faßen. Sür die Annahme, daß fie in älterer
Zeit andere Landftriche bewohnt bätten, feblen alle Unbaltspuntte. Die für ger-
mana- erfchloffene Bedeutungsgleichbeit mit ermana- ließe die Verwendung des
Wortes in Perfonennamen an und für fich leicht verfteben; aber jene befchräntte
Verbreitung ift viel begreiflicher, wenn die Chaulen die Erinnerung an einen ihrer
bedeutendften Flacdhbarftämme in ihren Eigennamen bewabrten, wie die weft:
gotifchen Klamen Galindo und Galindus an die Kladhbarfchaft der Boten und
baltifhen Galinden in Oftpreußen erinnern.
Zum Stammvolt der Tungern zurüd leitet uns der beftechende Gedante
Sr. Rluges, daß *Germanös, das fpradlid nach unferer Deutung nur eine durd
ga- begrifflid) verftärkte Mebenform von * Ermanös ift, dem fo benannten
Stamm erminonifche Abkunft zufpreche. Den Kern der Erminonen bildeten aber
nad allem, was wir wiffen, die Gweben bzw. deren Stammopoll, die Scem-
nonen. Bewährt fic alfo jene Dermutung, dann bildet die Befchichte der links-
theinifchen Germanen nur einen früben Abfchnitt der fwebifchen und die eingangs
als die beiden erfolgreichften Belämpfer des Eeltifchen LIachbarvolkes gegenüber:
geftellten Stämme der Sweben und Germanen wären dann aus ein und der=
felben Wurzel hervorgegangen.
1932, III Ion Leifs, Altnordiſche Volksmuſit. 163
Altnordiſche Volksmuſik.
Von Jon Leifs, Island.
Mit 1 Abbildung.
Wern wir nach den Urquellen nordiſcher und germaniſcher Muſik forſchen
wollen, ſo muͤſſen wir ſehr weit zuruͤckgreifen. Wohl das aͤlteſte Zeugnis
der Muſik im Norden ſind die ſogenannten Luren, d. h. aus dem Ende der Bronze⸗
zeit ſtammende „Naturhoͤrner“, die man in den norddeutſchen und ſktandinavi⸗
ſchen Mooren in großer Zahl (im ganzen uͤber 30) gefunden hat. Ob die Fund⸗
ftellen als alte Grabſtaͤtten (Reſte von Einaͤſcherung?) zu betrachten find, wäre
zu erwaͤgen. Dieſe Luren oder auch nur aͤhnliche Hoͤrner hat man nicht in an⸗
deren Gegenden gefunden, ſo daß wir wenigſtens annehmen duͤrfen, daß ſie be⸗
ſonders hier benuͤtzt wurden. Bemerkenswert iſt, daß man dieſe Luren faſt immer
paarweiſe gefunden hat. Auch Felſenzeichnungen haben Lurenblaͤſer zu zweien
und zu vieren gezeigt. Die Annahme liegt darum ſehr nahe, daß man zwei⸗
ſtimmig geblaſen hat. Es iſt ferner bemerkenswert, daß bei den Luren wohl ver⸗
ſchiedene Stimmungen vorkommen, aber daß die paarweiſe gefundenen Luren
immer die gleiche Stimmung baben!). Auf den Luren kann man nun, wie auf allen
Naturhoͤrnern, d. h. ventilloſen Hoͤrnern, Blechblasinſtrumenten ohne Zugvor⸗
richtung, zunaͤchſt nur beſtimmte Toͤne hervorbringen, die ſogenannten Naturtoͤne
oder Obertoͤne, 3. B.:
uſw.
Bei den Luren ſprechen nun die erſten Obertoͤne, d. h. die tieferen Töne
am leichteſten an. Es iſt alſo mit Beſtimmtheit anzunehmen, daß wenn man
ſchon mehr als einen Ton angeblaſen hat und auch verſucht hat allmaͤhlich von
Einſtimmigkeit zur Zweiſtimmigkeit uͤberzugehen, dann unweigerlich die am leich⸗
teſten anſprechenden Toͤne benuͤtzen mußte. Nun muͤſſen ſolche Blasverſuche ferner
ganz unvermeidlich ſowohl in der Stimmfuͤhrung wie auch im Zuſammenklang
genau das Tonbild ergeben, welches charakteriſtiſch fuͤr den islaͤndiſchen Zwiege⸗
ſang iſt, naͤmlich den Ubergang vom Einklang zur Quint. Das zweiſtimmige
Lurenſignal muͤßte ungefaͤhr ſo ausfallen:
| 4 eS oder . — 2
I: - 8 — #—I— So — IF — — 5 —se= | - 2 -
Pb} fp ae
— —1
Eine Parallele hierzu finden wir 3. B. in dem belannten isländifchen Zwic-
gefangslied „Eg föng Par Ut oll jol“, deffen letzte Halfte mit dem weiter ver=
folgten QuintensOrganum fo Hingt:
fen
+, £) Fel OY ei, er
Soe Oe ee ee |
Er ee epee, Oe, naeh ee
Es ift nun ferner auffallend, daß die am leichteften anfprechenden Töne der
£uren gerade in der „EMännerchorz£age“ liegen, d. b. genau in der Stimmlage der
1) Jammericd, Sammelbände d. LMGeL. 1900.
11°
164 Doll und Kaffe. 1932, III
isländifchen Zwiegefänge, die ausfchlieglich von Männerftimmen gefungen
wurden. YFlicht nur das Llotenbild, fondern auch der langfame Vortrag mit Eres:
zendierender, betonter und titardierender Quinte, dürfte ähnlich gewefen fein. Alle
diefe fcheinbaren Zufammenhänge fin) meines Wiffens bisher nicht aufgededt
worden. £s ift dies natürlich cine Hyppothefe, dic von der Wiffenfdaft nod weder
beftätigt noch widerlegt wurde. — Man wird vielleicht einwenden, daß zwifchen
dem Ende der Bronzezeit und der Wilingerzeit 2000 Jabre liegen, aber erftens
wiffen wir nicht genau wann der Zwiegefang zuerft entftanden ift und dann ere
fcheint die Feit von 2000 Jahren wirklich nicht zu lang für die Entwidlung von
eins und zweiftimmigen Signalen bis zum ausgeprägten Quinten= und Organums
Oefang, der feit etwa 1000 Jahren in Island im Vollsmunde lebend ohne große
Anderungen erhalten ift. Die tbeoretifchen Schilderungen des Organums
ftammen aus der Wilingerzeit?). Belanntlicy entftebt die Aunfttbeorie meift erft
nach der Praris, weshalb wir vermuten dürfen, daß der Quinten: oder Orgas
num=:Befang fhon lange vorber gepflegt wurde. In der Bronzezeit kann es fich
wobl nur um Signale gehandelt haben, bei denen die Quint ſchon kuͤhn erfcheinen
mußte und Terzen wohl als Disbarmonien empfunden wurden). — Ein Wars
nungs=Signal beim Weltuntergang fchildert das berühmte Gedidt ,,Odluspa“
aus der Edda:
In der Urfprache lauten diefe Zeilen:
Des Gjallarborns, Keita Mimis fynir,
de8 alten, Klang en mistude Eyndift
fündet das Ende. at enu gamla
Hell bat Heimdall. @jallarborni,
Das Hornragt auf. bate blag Heimodallr,
[Uberfegung von Benzmer.] borner a lopti.
Nach der Urfprade mite es eigentlid beigen: Der Gott Heimodalle (der Bes
figer des G@jallarborns), balt das Horn in der Luft und bläft aus £eibess
kröften! (Die Anwendung von zwei AHdrnern hätte fich bier nicht mit der Rollen:
verteilung der Bötter nach der Mythologie vertragen.) — Die verfchiedene Bes
nennung „Horn“ und „Eure“ braucht uns nicht zu beirren, denn die Luren erhielten
ibren LTamen erft in neuer Zeit nad den Sunden. Wenn wir den Zeugniffen eines
Tacitus irgendeinen wiffenfcdaftliden Wert beimeffen wollen, der die Scdhlachts
gefänge der alten Germanen fdildert und fie als fremdartig und barbarifch emps
findet, indem er meint, daß es ihnen „mehr auf die Zinftimmigteit der Tapfers
keit, als auf die Kinftimmigleit des Tones anlomme“, fo dürfen wir wenigftens
annehmen, daß es fich dabei nicht um anmutig gefungene Melodien im füdlichen
Sinne handelte. Flach dem füudlichen Wertmeffer bielt man die alten Deutfchen
für unmufitalifche Barbaren, was fpäter durch das bekannte Zitat „Frisia non
cantat* noch bervorgeboben wird. Etwas Abnliches fagte man bisher von den
IJsländern und anderen Llordländern. Ihre Melodien waren eben anders als die
füdlichen, — und im Empfindungsleben, alfo aud im befonderen in der Mufit,
waren fie zurüdbaltender. Als betannt darf Solgendes porausgefegt werden:
Island wurde vor über 1000 Jahren von nordifchen bzw. norwegifchen
Milingern und Adelsbauern erftmalig befiedelt. Island fhuf und bewabrte die
große, heute einzig daftebende beidnifchsgermanifche Literatur, die Sagas und
2) Aucbald, ferner Riemann: „Belchichte der Muſiktheorie.“
3) Bei Organum-Gefang bat man beobadtet (aud heute nod) auf Island), dag Tere
zen als Disharmonien 3ur Quint aufgeld(t werden.
1932, III J6n Leifa, Altnordifche Voltsmufit. 165
SS ESS a a a ee EE, EE TE)
Eddas, die auch in guten deutfchen Überfegungen (im Diederids-Derlag, Jena)
erfcbienen find. Jsland bat 1000 Jahre hindurch auch die alte Sprache bis heute
lebend erbalten. Man lebrt fie an allen Univerfitäten und nennt fie Altnordifch,
genauer Altweftnordifch. Jsland bat aber nicht nur die taufendjabrige Sprache
und fiterstur bewabrt, fondern in gleicher Weife die wohl mindeftens ebenfo
alte Dolfsmufil gerettet.
Wenn wir von vereinzelten Beinen Laienfammlungen abfeben, fo fangt die
wiffenfdaftlidbe Sorfcung islandifder
Volkslieder erft um die letzte Jabrbundert:
wende an, als Prof. Dr. Hammerich,
Ropenbagen, feine Studien über islän:
difce Mufil fchrieb. Gleichzeitig ſam—
melte ein isländifcher Pfarrer, Bjarni
borfteinffon, eine große Menge Lieder,
teils aus alten Jandfchriften und Büchern,
teils nach fremden und eigenen Aufzeich-
nungen und gab fie in den Jabren 1906
bis 1909 beraus, obne dabei die bekannte
Gefabr der Viormalifierung und Entftel:
lung ganz zu vermeiden. Seine Samm:
lung bringt aber viele Zitate über den
Voltsgefang in Jeland, bereits feit dem
Jaber 1200, wodurch) manches bier Er:
wäbnte beftätigt wird. Zuerft war cs der
Zwiegefang oder Quintengefang, der be:
fondere Aufmerkfamteit der Wifjenfchaft:
ler auf fich lenkte. Seit meinen legten
Studienjabren in Deutfchland babe auch
id) mid eingebend mit der Dolfsunft
meines VDaterlandes befaßt, zuerft durch
den lebendigen Portrag aus dem Volle:
munde und an Hand der in Büchern ge:
fammelten Wlaterien und Studien, fpäter
aud an Hand von pbonograpbifchen
Aufnabmen, die ich in den legten Jabren
in Island felbft beforgte. Im Ganzen
nabm ich bisber 65 Phonogrammrollen
dort auf, die jetzt im Pbonogrammardiv Die Lure von Dabertow.
der Berliner Mufitbochichule im Schloß
sufbewabrt find. Diefes Archiv unterfteht der Leitung des "Hyeren Prof. Dr. von
HJornboftel, der nun auch die aufgenommenen Zwiegefänge einer wiffenfchaftlichen
Sorfhung unterzogen bat. Jm legten Jabre veröffentlichte er bierüber eine Ar:
beit in der Seftfehrift „Deutfche Jslandforfchung 1930 und kommt zu dem Schluß,
daß die Zwiegefänge nicht kirchlichen oder tbeoretifcben fondern rein weltlichen
und voltstümlichen Urfprungs fein müffen.
Man kann nicht jagen, daß die Jsländer befonders viel fingen oder gefungen
baben. Das bangt wohl mit ihrem verfchloffenen und zurüdbaltenden Wefen zu:
fammen. £rft bei befonderen Anläffen oder bei Alkobol tauen fie recht auf. Die
ursprünglichen d. b. wirklichen Volkslieder find beute in Jsland fo ftark im Aus:
166 Volt und Raffe. 1932, III
fterben begriffen, daß fie faft nur in den entlegenen Teilen der Infel und felbft da
felten zu finden find. Erklärlicher Weife find auch die vorhandenen Lieder mebr oder
weniger von ihrem urfprünglichen Rern entfernt und man muß das Urfprüng:
liche, Schöpferifch-Kigenartige oder Viationale manchmal pbrafenweife berauss
fuchen. Gewiß betrachte ich mich nicht als Wiffenfchaftler und bei meinen Ars
beiten befchränte ih mich möglichft auf die künftlerifche Stilforfhung. Um zu
beweifen wie febr id) mid) vor jeder LTormalifierung büte und mit welcher Achtung
ich diefem Erbgut der Vorfahren gegenübertrete, möchte ich nicht unerwäbnt
laffen, daß ich die erften Phonogrammaufnabhmen diefer Lieder jahrelang ftudiert
babe, bevor ich mit meinen Aufzeihnungen fertig wurde und daß ich die Pbonos
gramme faft täglich einen ganzen Winter bindurdy angebört babe, bevor idy auch
nur den DVerfuch unternahm, irgendweldhe Aufzeihnungen zu machen.
Es find befonders zwei Arten diefer taufendjäbrigen Wilingermufil, die
bemerkenswert find, und zwar erftens die fogenannten Zwiegefänge, die urs
alten Quintenlieder, und 3weitens die fogenannten Reimweifen oder „Nimur“,
die altnordifchen „Staldenlieder“ 4), deklamatorifcher oder tanzmäßiger Art. Betrachs
ten wir zunächft näher die Kigenart des Zwiegefanges. Der Jsländer gebrauct
dafür den Ausdrud „Loiföngr“. Die Stimmen fingen abwechfelnd im Kin-
Hang und in Quinten, wobei die tiefere Stimme (meift gegen den Schluß des
Liedes) eine Quinte uber die andere in oft unbequemen Intervallen fpringt oder
„bochgebt“. Dies bat namentlih im GBefang eine außerordentlich eindringliche
Wirkung, etwa als ob „vom Speer die Sonne der Bötter ftrable‘, wie ein bez
rubmtes Lied der Edda befagt. Die anfänglich untere Stimme, die fpäter bods
gebt, wird dabei von Perfonen mit bober Stimmlage gefungen, alfo von einem
Tenor, denn die Zwiegefänge werden wie gefagt nur von RNannerftimmen ges
fungen. Als Beifpiel eines typifchen Zwiegefanges könnte am beften das bekannte
Lied „Island forsaelda frön“ gelten:
Sehr langsam.
OPN ee Eg EN a de
sets ge Mes — — — ⸗ en jo —
3.2 -0-0-} -— - 274-8 * —f-- @—_- ⸗ oe
a te — * Be f= i ee ee =}= —
fs —— — * —
Issland, berrslishes Keim! Du glüds lis dhe, glans zen-de Mut⸗ ter,
, N #-
Malz, 2 sy FaraN 2.
9): — =e ne: — — v — 7 — > er Af — — —E he 4]
ne ritard. —_ Cresc. riasa..
Retstenstat, ursal-ter Rubm, Sreisbeit, wo flo = ben fie bin.
(Überfegung von Genzmer.)
Bei diefem wie bei anderen Zwiegefangsbeifpielen darf aber nicht vergeffen
werden, daß die ftärkfte Wirkung fich erft im Gefang von zwei oder mebreren
Männerftimmen offenbart.
Bemerkenswert ift der Regifterwechfel, welder durch die Stimmlreuzung
bei dem betonten Wort „Ruhm“ bervorgerufen wird; auf eine dunkle Särbung
folgt bei Überfchneidung der Stimmen eine belle Särbung. Zugleich tritt eine ver:
4) Die Bezeichnung „Skaldenlieder“ wird hier nicht in ſtreng wiſſenſchaftlichem
Sinne angewendet. Skalde — ſtald heißt einfach Dichter, Verſemacher, wie ſie bis heute
unter dem Vollke in Island haͤufig zu finden find.
1932, 111 Ion Leifs, Altnordifcdhe Voltsmufit. 167
langfamte Betonung, eine Steigerung der Rlangftärke mit lang ausgebaltenem
Pbhrafenfchluß ein. Als der Zwiegefang zuerft in Jsland entdedt wurde, da wollte
man diefe als kunftwidrig angefebene „Barbarei“ damit entfchuldigen, daß man
fogenannte „Begleitftimme“, die zuerft unterhalb und fpäter oberhalb der „Haupt;
ftimme fingt, leifer (wie nach befannten alten tbeoretifchen und kirchlichen Vor:
fchriften) gefungen bätte. Dies widerfpricht aber ganz den Tatfachen. Wenn es
auch vorgelommen ift, daß ein einzelner die „Begleitftimme‘ fang, während mebs>
rere die „yauptftimme“ fangen, fo war dies leicht dadurch verurfacht, daß die
„DBegleitftimme‘ fhwieriger war und oft Mangel an geeigneten Sängern für
diefe Stimme fein konnte. Indeffen find fowohl Stärkegrad wie Särbung bei
diefem an fich einfachen Dollsgefang durch die Regifter der Stimme verurfacht
und bedingen ein Anfchwellen des Stärkegrades befonders in der „Begleitftimme“
bei der Überfchneidung der Stimmen. Beide Stimmen find nicht voneinander zu
trennen und find bei manchen !Wielodien offenbar von einander geformt worden.
Auch findet man in Jsland Melodien, die wohl heute einftimmig gefungen werden,
aber ein fo deutliches Bepräge eines Zwiegefanges zeigen, daß fich leicht eine
„Begleitftimme‘ der üblichen Art dazu machen läßt. — Die in vereinzelte Quin=
tengefänge bei neueren Aufzeichnungen eingefchobenen weicdheren und artfremden
Terzen= und Sertenllänge dürften ebenfalls darauf zurudzufübhren fein, dag man
die fogenannte „Unmufilalität‘ der verbotenen parallelen Quinten mildern wollte,
obne dabei die wirkliche Eigenart diefer Melodien zu erfaffen’). Bei dem Bedicht zu
der eben genannten !Melodie, das erft im legten Jahrbundert offenbar direkt zur
Melodie gedichtet wurde, bringt auch der Tert eine inhaltliche Betonung an der
Stelle der Stimmtireuzung, bier in der erften Strophe mit dem Wort „Ruhm“
Die ganze Melodie wird langfam und fchwerfällig, in keinem Salle mit merklich
weniger betonten Unterabfchnitten oder leichten Taftteilen, vorgetragen ®).
Wenden wir uns nunmehr der anderen charalteriftifchen Art isländifcher
Volkslieder zu, nämlich den Reimworifen oder „Rimur“, die meift einftimmig find.
Denn wir bei der Erklärung der Zwiegefänge bis auf die Luren zurüdgeben muß:
ten, fo werden wir bei der Erörterung der Reimweifen bis auf die Sagas und Cddas
zurüdgreifen müffen. Als Ausdrud für den mündlichen Vortrag benügt man im
Iesländifchen und Altnordifchen erftens den Ausdrud Singen, 8. b. „at fpngja‘‘, zweis
tens Sprechen oder Sagen, d.b. „at maela“ oder „at fegja‘‘, dann drittens eine Zwis
fchenftufe zwifchen diefen beiden Arten, nämlich „at Eveda“, d.b. Dortragen oder
Dichten. Diefer letzte Ausdrud wird in Saga und Edda allgemein für den Vor:
trag der Staldenlieder und Einzelftropben der altnordifchen Erzählungen benügt
und er wird nun ebenfo und ausfchließlich beute und feit Menfcbengedenten fur
den Dortrag der Reimweifen, der anderen Hyauptgattung isländifcher Volkslieder,
verwendet. Man fagt niemals Reimweifen fingen, fondern immer „attveda
rimur“, d. b. Reimweifen vortragen. Es bandelt fich hier um meift balbge-
fprodene und balbgefungene Melodien dellamatorifcher Art, die fih eng an den
Tert anfchmiegen und in verhältnismäßig fehnellem Zeitmaß mit fehwerfälligen
5) Wenn man fich in diefen Quintenftil jahrelang eingelebt bat, empfindet man Ters
zen und Serten (die immer als Diffonanzen zur Quint aufgeldt werden) als füßlich, weich
und artfremd, während die fid auch zur Quint auflöfenden Quarten und Selunden zum
Stile beffer pafien.
6) Als bemerkenswert ift mir aufgefallen, daß manche Zwiegefangsmelodien, zwei:
mal bintereinander gefungen, leicht den achtzeiligen Eddasfiedern angepaßt werden können
(3. B. der Odlufpa). Hier gibt es wohl weitere Zufammenbänge aufzufpüren.
168 Volt und Kaffe. 1932, III
EEE EEE ET Eu Eu Er EEE EEE EEE TE
Betonungen vorgetragen werden. £s unterliegt für mich keinem Zweifel mebr,
daß es fich bier um den VPortragsftil der alten Stalden aus der Wilingerzeit bans
delt. Philologen vertraten zwar bisher vielfach die Anficht, daß der Ausdrud „at
kveda“ lediglich Sprechen bedeute, aber fie kannten nicht die Vortragsart der Reims
weifen. Unzählige Zitate aus Eddas und Sagas könnten als Beweismittel dafür
angeführt werden, daß es fich bei den altnordifchen Liedern meift um diefelbe Dors
tragsart handeln mußte wie bei den Reimweifen. Die Gedichte und Strophen der
Sagas belommen erft den vollen lebendigen Sinn, wenn man fid dazu diefe Dors
tragsart vorftellt. Die Gelegenbeiten, bei denen diefer Vortrag in gebobener Stim:
mung, oder wenn Worte nicht ausreichten, angewendet wurde, unterftreicht mandhs
mal geradezu den rythmifden und mufitalifden Gebalt einer foldyen Stropbe.
Auch bis heute ift es in Jsland vorgefommen, daß die Volksdichter die manchmal
aus dem Stegreif gedichteten Strophen fo vortrugen. Der Ausdrud „Singen“
tommt in den Gagas felten vor, aber fowohl in den jüngeren wie älteren Edda
wird er für ein Gedidt und in einem Gedicht namens „Bröttsföngr“ angewendet
und gerade bier werden beide Ausdrüde Singen und Vortragen, d. b. „at syngia“
und „at toeda“ in gleicher Weife von einer und derfelben Handlung angewendet.
Die Reimweifen werden nod bis heute in Island ziemlich viel gefungen, viel mebr
als die ftärker ausfterbenden Zwiegefänge, wenn die urfprüngliche Art auch mandh=
mal etwas abgefhwädt ift. —
Der melodifche Gehalt der Reimweifen ift ein befonders berber, um nicht zu
fagen karger. Wie Beilbiebe fallen die Worte oft im unerbittlichen Tattwechfel.
Das Hauptmerkmal diefer Lieder ift denn auch der wechfelnde rhptbmifche Akzent.
Sie werden manchmal in wechfelndem Zeitmaß, leife oder laut vorgetragen. Der
Tert ift oft eine balladenartige Erzählung in vielen Derfen über Rämpfe und Er:
eigniffe, oder er ift der Ausdrud augenblidlider Laune in Sorm von Kinzel-
ftropben. Auch als Trink: und Tanzlieder fanden die Reimweifen Verwendung.
Traurigkeit erinnert in fpäteren Jahrhunderten bei einzelnen Liedern an die 600ejäh=
rige Llacht der Hungersnot und Unterdridung Jelands. Als Probe von den
Reimweifen könnte jedoch am beften ein Tanzlied dienen. Hier nur ein alltäg=
liches Lied diefer Art:
Bchnelr & ; , ;
ere era Se ey ol epee ae eae Pg ee
Gin, ae GE FA
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Seele, 000 ee 093. Ellen ee er. non
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——
Tiadhdem wir nun diefe zwei cbaralteriftifchen Arten isländifcher bzw. alt=
nordifcher Doltsmufik kurz erläutert haben, wollen wir eine allgemeine zufammens
faffende Schilderung der gemeinfamen Merkmale folgen laffen. Wer fih an Bei:
fpielen näher unterrichten will, findet neuerdings leichte Wiufik diefer Art in Sen
Verlagen Rallmeyer, Wolfenbüttel, und Riftner & Siegel, Leipzig; (auch auf
Fyomocordplatten find isländifche Volktstänze zu haben).
Inftrumentalmufit foll aus Mangel an Holz und nftrumenten in Jeland
wenig gepflegt worden fein, obwohl zwei Typen von isländifchen Seiteninftru=
menten überliefert find. Die Beweglichkeit der Reimweifen bildet einen gewiffen
Erjat für das Inftrumentale. Man kann fagen, daß alle echten isländifchen Volle:
lieder entweder Reimweifen oder Zwiegefänge find oder mit ibnen in irgendeinem
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m 2 «ee a — — ~~ wa
1932, III Iön Leifs, Altnordifche Voltsmufil. 169
Zufammenbang fteben. £s gibt au Mifchtypen. — Vielleicht ift der Zwiegefang
in gewiffer Weife eddifchen Urfprungs, während die andersartigen „Rimur“ mebr
von der alten Staldendichtung abzuleiten wären.
Man darf alfo fagen, daß die alzentfchwere Tonfprache der Wilinger in Je:
land mit allen melodifchen, rbytbmifchen und fogar barmonifchen Eigenbeiten ers
balten blieb. Don der Befchmeidigkeit füdlicher Melodik ift gewiß nicht viel zu
merken. Auffallend ift, daß Auftalte faft gar nicht vortommen. Die Akzente geben
der Mufil deutlidbes Bepräge. Oft bewegen fich die Lieder in einem Beinen Tons
raum und bringen viele wiederholte Kloten. Wenn dann die Kloten wechfeln, fo
find Sprünge faft beliebter als Selundfortfchreitungen und es fommen dann auch
fhwer fingbare Sprünge, befonders übermäßige oder verminderte Interoalle, bers
vorgerufen durch den fogenannten Fa-Modus, zur Verwendung. Gan3 eigen:
artig ift oft der Schluß der Melodien, indem er mandmal etwas Sremdes in die
Melodie bringt, eigenartige Schnörkel oder ritardandi, auch zuweilen eine ganz
neue melodifche Wendung, womit wieder oft eine Art gewichtige Betonung ges
geben ift. Seftgeftellt ift ferner durch den norwegifchen Mufikforfcher Dr. Erik
Eggen, daß Dreiviertelton.Schritte?) in der gefamten nordifchen Mufil regelmäßig
wiedertehren, womit fih die Wiffenfchaft noch weiter befaffen wird. Diefe Mufit
könnte dem modernen Gefchmad der Fleullaffit, der „neuen Sachlichkeit‘‘ oder wie
man die modernen Runfttendenzen nennt, entfchieden entgegentommen. £s berrfcht
in den Wielodien eine mebr in fic gekebrte Empfindung und oft eber eine bar:
barifche Rargbeit oder Ausgelaffenbeit. Wer die Mufik als eine fpezififch fudliche
Runftgettung empfindet, wird alfo bier nicht auf feine Roften fommen, — aber
eine berbere, nordifchere und Eräftigere Mufit gibt es gewiß nicht. Man wird
ts dem VDerfaffer als Jsländer nicht verdenten, wenn er in diefer Dollsmufil nicht
nur eine biftorifch intereffante Überlieferung fiebt, fondern einen wenn auch zus
nächft primären mufitalifchen Quell von tieffter nordifcher Eigenart, deren Er⸗
ihliegung auch in größeren Werten die Runftmufil er fowohl als feine pers
fönlihe Aufgabe betrachtet, wie auch als Aufgabe der fommenden Gefdledter
nordifch eingeftellter Tonkünftler betrachtet wiffen möchte.
Don Jon Leife (deffen Haupticdaffen größere Örchefterwerke umfaßt) find folgende
Meinere Arbeiten erjcbienen:
„Tönliftsrbaettir“ (mufitalifche Sormenlehre in isländifcher Sprade). Verlag Breittopf
& Martel, Leipzig. Preis 1. — MI.
Isländifche Volkslieder (mit deutfchen Überfegungen von $. Genzmer). Verlag Georg Ralls
meyer, Wolfenbüttel und Berlin. Preis 1.80 Me.
Dier Ben (nah altisländifchen Volksliedern). Verlag Riftner & Siegel, Leipzig.
reis 3.—
Islaͤndiſche voltstanze für Mlavier. Verlag Riftner a Siegel, Leipzig. Preis 1.— Mte.
Jeländifche Tänze für Salon:Örchefter, Verlag KRiſtner & Siegel. Preis komplett 2. - Mt.
(auch für Rammermuſik beliebiger Beſetzung ſpielbar).
Islaͤndiſche Taͤnze fuͤr kleines Orcheſter, Verlag Riſtner & Siegel (auch auf Homocord⸗
Platten). Preis fomplett 2.50 ME.
Jeländifche Voltsmufiten fuer Sing: und Spieltreife, Barenreiter-Derlag, Raſſel-Wilhelms⸗
böbe. In Vorbereitung.
*) Wie beim 1. Oberton der akuftifchen Tonreibe.
170 Volk und Kaffe. 1932, III
Deutfche Vol€stradten.”
Fliederfachfen und Weftfalen.
Tafel 1 und Abb. auf GS. 17).
efonders farbenpradtig und foftbar ift die Srauentradht der fhaumburgifchen
Lande. Die Tücher der Tracht find mit grogblumigen Muftern in Platt-
ftiderei formlid) sugededt; die Halsketten befteben aus Bernfteinbroden bis zur
Größe eines Mübnereis; die Spangen find bandtellergroß, die Handfdube eng
befetgt mit bunten Glasperlen. Trotgdem wirkt die Tracht im Ganzen nicht über:
laden und recht einbeitlich, denn ihre Sarben find fehr forgfältig gegeneinander
abgeftimmt. Sie find kräftig, warm und tief; vorberrfchend ift Rot, nady den fich
alles andere richtet.
Don diefer Gegend abgefeben, nimmt der Gebrauch von Metallfhmud von
der Rüfte ber nach Suden zu ab. Die braunfchweiger und barzer Trachten find
recht befcheiden.
Die allgemeine Regel, daß die Trachten der Ratholiten bunter find als die
der Proteftanten, trifft auf Weftfalen nicht zu.
Die Männertrachten haben den Schnitt des 18. Jahrhunderts, aber fie be=
vorzugen Weig und Rot, und als dunkle Sarbe Schwarz; Blau, das fonft überall
die Sarbe der nach militärifchem Vorbild entftandenen Mannertradten ift, tommt
weniger vor. Die fchaumburger Männertrachten haben überdies die Entwidlung
der Empirezeit mitgemacht und zwar in ertremfter Sorm, fo, daß die Taille bis
unter die Adfeln hodgeridt ift.
Sranten.
Tafel 2.
Naͤchſt den beffifchen haben die fräntifchen Wännertrachten noch am meiften
vom Charakter des 18. Jabrbunderts, aber nicht mehr in derfelben ftrengen Sorm.
Sie find etwas leichter und farbenfrober, und dem Einfluß des 19. Jahrhunderts
mebr zugänglich. Bis in die 60 er Jahre war die Wefte durdy eine eigenartige, fich
im Mufter niemals genau wiederbholende unfpmmetrifche Stiderei verziert.
Die Srauentrachten des katbolifchen Unter: und Oberfrankens {ind von einem
überrafchenden Sarbenreihtum, obne jemals unrubig oder aufdringlid bunt zu
wirken. Sie entbalten alle Sarben, doch berrfchen Rot und Blau vor und vereinigen
fich zu einem tiefen Violett, das nach Grün hinüber fpielt. Der berrfchende Sarb=
charatter ift der des fpäten Barod. Die Yandarbeit fpielt gegen Ende des 19. Jahr:
bunderts kaum noch eine Rolle; das Material — Seidendamaft, Brolat und Bäns
der — liefert fertig die Sabrik, die fich allerdings ftreng nach dem Gefchmad des
Volkes richtet.
*) Wir bringen bier und in den folgenden eeften einzelne Abfchnitte famt farbigen
und f[hwarzen Abbildungen aus dem foeben in Verlage I. §. £ebinann, Münden erfcheis
nenden Werte von Rudolf Helm, Ronfervator amı Germanifchen Mufeum in Flürns
berg, Deutfde Dollstradten aus der Sammlung des germanischen Mufeums (mit
115 Tradıtenbildern auf 48 fhwarzen und 8 farbigen Tafeln, Preis .— ME.) und wollen
damit unferen Kefern einen Zinblid in diefes fcbdne Werk bieten.
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Braut und Bräutigam aus GHefees im Miftelgau
Kunftbeilage zu „Volt und KRaile“ Aus: Helm, Deutfcbe Voltstraditen
I. 8. £ebmanns Verlag, Münden
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Srauen aus Hleinfen bei Büdeburg
172 -Dolt und Raffe. 1932, III
Die proteftantifche Tracht im füdlichen Speffart wirkt daneben nüchtern und
bart, fie ift da am reizpollften, wo fie fich, wie in der Abendmablstradht, auf
Schwarz und Weiß befchräntt. Die mittelfräntifhen Trachten haben fi ganz
dem Beinbürgerlichen Befhmad der Bicdermeierzeit angepaßt.
Eine Sonderftellung nimmt die Männertradht im Miftelgau bei Bayreuth
ein. Sie folgt nicht wie die übrigen fräntifchen Tradten dem militarifdben Dor:
bild des 18. Jahrhunderts. Sie ift etwas älter und der altenburger und der eger=
länder Tradıt verwandt; gleich diefen bevorzugt fie Schwarz, Grün und Rot,
und kennt Blau überhaupt nicht. Ihre Sormen geben auf das 17. Jabrbundert
zuruͤck.
Kleine Beitraͤge.
Ein verlorener deutſcher Vorpoſten in Polen.
Don Eduard Schwertfeger.
Deutider Unternebmungsgeift, der vorzeiten wie beute die Tatlraft beflügelte, batte
im ı2. und 13. Jabrbundert mebrfah große Scharen deutfcher Anfiedler nah dem flawifchen
Often gezogen. Als Einwanderungsgebiete wurden die Landftreifen an der Weichfel, an
der Wartbe und an der Dder (MWeftpreußen, Pofen und Schlefien) bevorzugt.
Da die Deutfchen eine böbere Rultur batten, waren ibnen die flawifchen Sürften wohl
gewogen. Ja, fie begünftigten fogar die Einwanderung und ftatteten die Siedler mit
Vorredten aus.
Die Anfiedlung vollzog fid) meiftens fo, dag ein Unternebmer die Siedler anwarb
und beranfllbrte. Er wurde dann gleichzeitig auch das böchfte Oberhaupt der neuen Gieds
lung, der Dogt, dem die Rechtfpredhung oblag.
Lim die Mitte des dreizebnten Aabrbunderts famen deutfche Roloniften nad der alten
Stadt Pofen, die damals auf der rechten Seite der Wartbe lag. Bald gerieten fie jedoch
mit dem polnifden Bifhof in Streit. Da wandten fie fi an den polnifchen Sürjten
Prsemisiaus I. (1239-1257). Der Sürft wies ibrem Subrer, dem Lokator Thomas aus
Guben, einen Pla links der Wartbe an und ftiftete 1253 die deutfche Stadt Pofen. In
der Stiftungsurtunde wurde ibnen das deutfche {Nagdeburger Recht und eine auf Selbfts
verwaltung beruben)e ftädtifche Verfaffung verlieben.
In diefer Urkunde von 1253 beißt es an einer Stelle:
„Den Sluß aber, der Wartbe beißt und neben der vorgenannten Stadt fließt,
baben wir eine Meile aufs und abwärts mit allen MTugungen, namlid Sifdfang
und Müblenbauen, den Bürgern der vorgenannten Stadt für alle Zeiten übertragen,
mit der Kinfchräntung, daß wir in eben diefem Diftrikt cine Mirble nad unferm Gee
fallen erbauen und erblidy befigen. Wir haben ferner die folgenden Dörfer der vors
genannten Stadt übertragen: Rataj, Pietrowo, Zegrze, Starolenta,
Minilowo, Apyttowo, Ober: und Unterwilda, Jerfig, Panclaw,
Tieftatowo, Pantlow, Shidslow, beide Dörfer Winiarp mit
Ausfhluß der Weinberge, das Dorf des Bogutba und Umultowo.
In diefen baben wir dem vorgenannten Dogt und feinen Lladhlommen 30 Aufen als.
Aderland und eben diefen Bürgern 20 Aufen als Viehweide zum ewigen Befig übers
laffen. Wenn aber der Vogt zu der vorgenannten Stadt und den vorgenannten
Dörfern Deutfche berbeirufen und anfiedeln wird, fo foll er nach Ablauf der Sreijabre
die fünfte Kyufe in diefen Dörfern fteuerfrei befitgen, jedoch unter der Bedingung, daß
er von den einzelnen Aufen eine balbe Markt Silber, ale Zehnten zur feftgefegten
Zeit zahle.“
Die bierin genannten Dörfer gebörten der neugegründeten Stadt Pofen. Ein Teil
von ibnen waren große und begüterte deutjche Vororte der Stadt, wie Jerfig, Wilde,
oder fcbone Ausflugsorte der groPftddtifden Bevölkerung, wie Rataj, Zegrze, Luifenbain
(Starolenta), als die Provinz Pofen 1919 an die Polen abgetreten werden mußte Fu
diefen Dörfern famen nach und nid durch Fleugründung weitere binzu.
> a ee, 0s. ee ee, A
1932, III Rleine Beiträge. 173
Unter dem nordifden Krieg, in den Auguft II. Polen verftridt batte, haben die
deutide Stadt Pofen und die zu ibr gebdrigen Ddrfer febe zu leiden gebabt, weit mebr,
als — Orte Großpolens. Dazu geſellte ſich die ſtaͤndige Begleiterin fruͤherer Kriege,
die Peſt.
Die Stadt ſchloß ſich, ſo gut es ging, vor ihr ab. Dafuͤr hauſte ſie unmittelbar vor
den Toren in den Raͤmmereidoͤrfern, deren Bauern faſt ausnahmolos der graͤßlichen Rrank⸗
beit erlagen. Acker und Gaͤrten, die ehedem bluͤhend waren, blieben unbebaut liegen und
veroͤdeten.
Jn dem Dorfe Luban, in dem ſich vor dem Weltkriege eine großartige Induſtrie ent⸗
widelt batte, fanden damals neue Anfiedler überhaupt nur zwei lebende Menſchen, eine
$rau und ein Rind, vor. Einige Orte follen gänzlich ausgeftorben gewejen fein, wenigftens
bebauptet man dies mit Sicherheit von dem Dorf Dembfen.
Als die Stadt mit einiger Sicherheit rubige Zeiten glaubte vorausfeben zu können,
beabfichtigte man eine Fleubefiedlung und Wiederbebauung jener Ortichaften vorzunehmen.
Die verlaffenen Ader follten neu vermeffen und nach deutichem Recht verteilt werden.
In den Jahren 1719 und 1720 famen bereits die erften Anfiedler in die durch die Peft
verwüfteten Dörfer, und, zwar nad Luban und Dembfen. Als Sauptbedingung war ibnen
geftellt worden, daß fie „guter katbolifher Religion“ fein müßten. Die Jugewanderten
waren in erfter Linie Bayern aus der Bamberger Gegend.
Über die Deranlaffung, die gerade bayerifche Samilien nach dem, durch das Wüten der
schlimmen Seude unwirtlid gewordenen, Öften 30g, berichtet die Überlieferung in zwei
werfdiedenen Lesarten.
Dor dem Ausbruch der Peft in Pofen, alfo vor 1709, foll ein deutfcher Raufmann,
der Vertreter eines Pofener Jandelsbaufes, auf feinen Reifen nah Bamberg gelommen
fein. Er fand dort eine foldye Sülle der Bevölkerung, infonderheit in einigen Dörfern, daß
es ibm auffiel. .
Vlad der Peft kebrte er wieder nad Pofen zurüd und börte nun, daß der Rat der
Stadt einen Aufruf in deutfche Gegenden fenden wolle, um Roloniften berbeizurufen. Tun
machte er der Stadt Mitteilung von dem auf der Reife nah Bamberg Gefebenen und riet
tbr, fidh dorthin zu wenden. Daraufhin babe dann die Derwaltung nad Bayern ges
fcrieben und gebeten, ibe SGiedlungsangebot in der fragliden Gegend belanntzumachen.
Die andere Überlieferung fagt, daß der damalige Bifdof von Pofen nad der Peft
den Bamberger Bifchof befudt babe. Bei einem Ausflug babe er das frudhtbare Land und
die zahlreichen, dicht bevälkerten Dörfer gefeben. Da babe er feinem bifchöflihen Amtebruder
erzählt, wie es bei ibm in und um Pofen jetzt leider fo ganz anders ausfebe. Der Krieg
und die Peft batten die Ddrfer entvdilert. Die Rammereiverwaltung ginge mit dem Ges
danten um, die zur Stadt gebdrigen Ortfchaften neu zu befiedeln. Er foll mit der Auf:
forderung gefdloffen baben, von der Uberfille der Bamberger Dörfer etwas an die vers
weiften Pojener Dörfer abzugeben. Die Leute würden es gut dort baben.
Als er von feiner Reife zurüdlebrte, babe er dann durdy das Lob jener Gegend die
Stadt veranlaßt, ihren Bedarf an Siedlern dort zu deden.
In Dembfen und £uban wurden die erften deutjchen Roloniften aus Bamberg eins
efegt. Später wurden dann aud Jerfig, Wilda, Gurscyn (jegt Stadtteile Pofens) und
Katai, fowie die nicht zur Stadt gebörigen Dörfer Ezapurp und Wierek befiedelt. Allers
dings ftammten die Siedler nicht alle aus der Bamberger Begend, doch wurden fie nad
den erften Einwanderern „Bamberger“ oder von den Polen „Bamberkas‘ genannt.
Sie batten fich ibre deutfche Sprache und ihre eigene Kultur zu erbalten gewußt und
bildeten mit ihren blübenden Bemeinwefen einen deutichen Wall um die Stadt Pofen. So
ingen andertbalb Jabrbunderte bin. Die deutfden Sma Dörfer ftadhen in erfreulicher
eife von den übrigen polnifchen Börfern der Umgebung ab.
Die Polen um Pofen baben ihnen in der Bewirticaftung ihrer Selder mandyes abs
egudt und nadgemadt. Jedoch waren fie ihnen, ihres größeren Sleißes und ihrer böberen
Kultur wegen, immer ein Dorn im Auge. Längft tracdhteten fie danach, die Bamberger zu
polonifieren.
Da boten, wie fo oft im Often, dic Deutfcen ibren Todfeinden felbft die Hand dazu.
Yad dem mifglidten Aufftand von 1846 tam die Erhebung von 1848, die nur durd
die unfaßbare Shwäde der Regierung möglich wurde. Der ideal veranlagte König
winfdte fid mit den Polen auszujöbhnen. Er * — den General Williſen als Beauftragten
nach Poſen.
Dieſer bewilligte ihnen, was ſie irgendwie wuͤnſchten, naͤmlich: polniſche Verwaltung,
polniſche Juſtiz, polniſche Geſchaͤftsſprache, polniſche Behoͤrden, ja ſogar ein polniſches
174 Doll und Raffe. 1932, III
—— a a aT a EEE ar)
Armeekorps. Der Dank der Polen fuͤr dieſes Entgegenkommen beſtand in der Vertreibung
und grauſamen Niedermetzelung der deutſchen Bauern und Buͤrger.
Nun erſt griff der kommandierende General von Colomb durch. Der unfaͤhige Unter⸗
haͤndler wurde zwangsweiſe nach Berlin zurückgeſchict. In wenigen Wochen war dann
auch die Ordnung wieder hergeſtellt. Allerdings blieben die Opfer ungeſuͤhnt. Die mehr
als nachſichtige Regierung geſtattete es, daß die Polen tatkraͤftig an die Poloniſierung der
Provinz gingen.
Hierbei wurden nun auch die Siedler aus der Maingegend Opfer dieſer ſchwachen
Regierungopolitik. Die polniſche Geiſtlichkeit ſetzte alles in Bewegung in den Schulen und
Rirchen, dieſe deutſchen Ratholiken zu Polen zu machen. Sie predigten ihnen, daß nur das
polniſche Gebet Gott wohlgefaͤllig ſei.
Die Bamberger wehrten ſich heftig und baten dringend um deutſche katholiſche Geiſt⸗
liche. Aber alles war vergeblich. Sie fanden nirgends Hilfe, ja nicht einmal Verſtaͤndnis
fuͤr ihre Wuͤnſche.
So, von allen Seiten verlaſſen, vollzog ſich unter den Augen der eigenen deutſchen
Regierung die voͤllige Poloniſierung der Bamberger, die in fruͤheren polniſchen Zeiten ſo
tapfer ihr Deutſchtum bebauptet batten.
Wie gruͤndlich die Polen ihr Werk verrichtet haben, erſieht man daraus, daß dieſe
ehemals guten Deutſchen ſchon zu Beginn dieſes Jahrhunderts grimmige Deutſchenhaſſer
waren. Viele ihrer kulturellen Eigenarten haben ſich die Bamberger trotz allem bis auf
den heutigen Tag erhalten.
chier ſei nur erwaͤhnt, daß die Frauen noch heutzutage faſt unveraͤndert die Reifrock⸗
mode aus dem Anfang des 17. Jabrhunderts tragen, dazu das Mieder und an Sonntagen
vielfach jenen eigenartigen und goldgeſtickten Ropfputz. HSier und da iſt wohl auch noch bei
den Maͤnnern die ſchoͤne Tracht aus der Maingegend vorhanden. Ihr Volkstum aber haben
ſie leider fuür ewige Zeiten verloren, durch die unverzeibliche Schuld ihres eigenen Vollkes.
Durch ihr Hinuübergleiten ins Polentum haben ſie dieſes aber auch wirtſchaftlich und
vor allem raſſiſch ſehr geſtaͤrkt.
Jn den letzten beiden Jahrhunderten ſind mehr als 20oo ooo Deutſche im Oſten
oloniſiert worden. Man duͤrfte kaum zu weit gehen, wenn man annimmt, daß dieſe
aſſenſtaͤrrung die weſentliche Urſache davon iſt, daß die Poſener Polen ihr Haupt ers
heben konnten.
Anmerkung der Schriftleitung: Die voͤllige Poloniſierung der Bamberger
iſt wieder ein deutlicher Beweis, daß die Gleichheit des Bekenntniſſes zwiſchen deutſchen Ro⸗
loniften und der fremden umgebende Bevoͤlkerung die Gefahr des Aufgehens der Deut:
ſchen in ihrer Umgebung bedeutend er/oht. Die beſondere Berückſichtigung von Leuten aus
katholiſchen Gebieten bei der jetzigen Sun durch dic Regierung Brüning erweift fic
damit, abgefeben von der damit begangenen Ungerectigteit gegenuber anderen Belennts
niffen, vom SAtandpunlte des deutfchen Volkes aus betrachtet, als ein febr bedenkliches rs
periment, das in der Zulunft von größter Gefabr fein kann.
Aus der raffenhygienifchen Bewegung.
Dererbungsberatungsftelle in München. Der betannte Raffenbygieniter Univ.s
profeffor Dr. med. $. £enz und Dr. med. KR. Aftel, Leiter der fportarstliden Unters
fucdbungeftelle der Liniverfität München baben in dantenswerter Weife die Dererbungs:
beratungsftelle der Ninchner Gefellfdaft fur Raffenbygiene ubernommen. Die Haupt:
aufgabe diefer Einrichtung beftebt in der Beratung auf Ebetauglidleit und Sortpflanzungs-
würdigleit foldher Perfonen, welde cine Ebe einzugeben gedenten, doch können auch Derbeis
tatete fich beraten laffen, ob fie vorausfichtlidh gefunde und gute Rinder zu erwarten baben
oder ob etwa von der Erzeugung von Rindern abzuraten ift.
Ärztlibe Bebandlung findet grundfäglich nicht ftatt. Sur Salle, in denen eine fpes
zialärztlihe Llnterfuhung angezeigt ift, wurde die Zufammenarbeit mit Wiündyner Sach:
ärzten vorgefeben. Spredhftunden finden jeden Sreitag vorm. 10— 1115 Ühr Muͤnchen, Lud⸗
wigftraße 24 (Bartengebäude) ftatt.
1932, III ©&.!Mofer, Überfichtsberichte aus dem raffenbpgienifdhen Schrifttum. 175
EEE
Überfichtsberichte
aus dem rafjenbygienifchen Schrifttum.
Don Dr. ©. Mofer, Göttingen.
(Sortfegung.)
MM. Riedl1T) berichtet über 500 kriminelle Srauen aller Altersftufen und 1000 kris
minelle Männer, welde das 50. Lebensjahr uberfdritten batten. Verglichen wurde die
Geburtenbdufigteit der Srauen und sie Rinderzahl der Männer mit der allgemeinen Bes
völterung unter Aufteilung der Unterfuchten nad Pfychopatbie, Proftitution, Kriminalität.
Don den Dligopbrenen (= Schwadhfinn verfchiedener Grade, imbezill, debil, befchräntt)
werden mebr !Mütter, fie gelangen aber feltener zur Syeirat als der Durdfchnitt.
Pfiydopatbinnen (=: Erregbare, Haltlofe, Inftabile, Pfeudologen, KHpfterikerinnen)
baben geringere Heiratsausfichten in Solge ihrer charafterliden Urtung und werden feltener
Mutter. Endogene Verbrederinnen, weldye mit einer gewiffen Zwangsläufigleit aus inneren
Gründen immer wieder Rechtabrecherinnen werden, werden feltener Mutter durch die pfys
bifchen Mängel, Derbinderung während der Strafzeiten, Sterilität durch Proftitution. Die
endogene Derbrecherin batte durchfdnittlid uber 17 Strafen verbüßt mit einer Inters
neFungeseit von 5 Jahren 6 Monaten; die erogene Verbrederin nur 3,3 Strafen mit
einer Strafzeit von I Jahr 4 Monaten. Die endogene Derbrederin ift früh Briminell vor
dem 38. Lebensjahr in 54%0 zu 15% der erogenen.
Bei Proftituierten ift SHeiratsbäufigkeit, tNutterfchaft, Rinderzahl geringer. Bei Zus
fammenfaffung der Bligopbrenen und Piychopatben werden glei viel Mutter wie bei den
Unauffälligen, pro Mutter und Typ ift die Rinderzahl faft gleich, pro Ehefrau und Mutter
ift die Rinderzahl größer als die der Unauffalligen.
Zur Beftandserbaltung ift erforderlih auf eine fruchtbare he eine Geburtenzabl
von 3,4 Rindern, die triminelle verbeiratete Mutter bat aber 4,46 Rinder.
In der II. Reibe tommen auf cinen triminellen Water 4,9 Rinder. Mehr als die
Halfte der riminellen Probanden war endogen triminell; die endogenen Väter find tinder:
ärmer als die erogenen.
Die Sortpflanzung ift nicht fo gering, daß fich die Rriminellen von felbft ausmerzen
würden.
Line Einzelunterfuhung über die Lage der fr „erreichen Samilie in Hannover vers
öffentliche OO. Schidenberg!?), die gleichzeitig auch die differenzierte Sortpflanzung
zeigt. Der Unterfudung werden drei zeitlidy verfchieden beobachtete Gruppen von Linders
teen Samilien aus den Jabren 1918—1926 3ugrunde gelegt. Werf. gibt eine Überficht
über die Eltern, die Rinder und die Wobnungen diefer Samilien. Als kinderreich bezeichnet
er Samilien mit mindeftens 5 Rindern unter 16 Jahren abweichend von dem Bund der
Rinderreichen (nur 4 Rinder unter 21 Jahren). Rinderreichtum findet ficb rar bei
Samilien, deren Eltern aus kinderreichen Samilien ftammen; ein nicht unerbeblicher Teil der
tinderreichen Samilien ift mit außerebelihen Rindern oder aus früheren Eben ftammenden
Rindern belaftet. Mebrlingsgeburten zeigen feine Saufung, der Beburtenabftand fhwantt
zwifchen 5 Rindern in 30 jäbriger und 5 in vierjäbriger Ebe. Das Geburtenmarimum liegt
bei der 15 jäbrigen be. Don den Dätern waren 756 ungelernte, 497 gelernte Arbeiter,
114 Gewerbetreibende, 113 Beamte, Angeftellte und Angebörige freier Berufe. Die Anabens
geburten mit 57,200 überfchreiten den Durcfdnitt; die durchichnittlichde Ropfzabl pro aus:
balt betrug 7,18 Röpfe, welder 4,14 Räume zur Verfügung ftanden.
R. Engelsmann!?) berichtet, daß die Reihswohnungszäblung vom 16. Mat 1927
eritmalig die Samilien erfaßt bat, die mit mindeftens 4 Rindern unter 18 Jahren (einfchl.
Adoptivs und Stieflindern) zufagimenwobhnen. In den preußifben Großftädten wurden
203 755, in ganz Deutfchland 280 000 foldher Sumilien gezäblt, d. f. in den Großitädten 6,8,
17) M. Riedl, Ein Beitrag zur Srage der Sortpflanzung von Verbredern. Arc.
Raffenbiol. 25, 3.
18) W. Schidenberg, Schriften des Wohlfahrtsamtes Hannover, 9. 1, Städt.
Woblfabrtsamt.
7 19) R. Engelsmann, Wobnungefirforge fir tinderreidbe Samilien, 3. Se(dh.verw.
40. $6, 393).
176 Volt und Kaffe. 1932, III
ELITE EEE Er u EEE EEE TEE TEEN
im Reich 6,6% aller Samilien (3 Mill.). 99% diefer Samilien gegenüber 90% im Durch⸗
f&hnitt batten cine eigene Wobnung, 86,6% diefer Samilien bewohnten ibre Wohnung
allein (von allen Samilien: 74,9%).
Fady der Wobngröße wohnten in Rleinwobnungen (1—3 Räume einfdhl. Küche)
48,05%, in Mittelwohnungen (4—0 Räume einfchl. Rüdye) 44,57%, in Broßwohnungen
7,38%. &s entfielen auf einen Wohnraum 2 Perfonen in 48,6% aller kinderreichben Samis
lien, im Reidsdurdfanitt nur in 10% der gefamten Samilien. Der Staat, die Gemeinden
oder genofieniaftlider Zufammenfchlug muffen es möglidd machen, daß aud der wirts
fdaftlidh fdwache kinderreiche Vater eine geräumige Wobnung bezablen kann durd billige
Erftellung von Serienwohnungen in billiger Ausführung, Kergabe billigen Baugeldes,
Sentung der Laften durd Mierzufchüffe. In diefem Zufammenbung muß aud auf die
„Richtlinien über die Wobhnungsfürforge für minderbemittelte
finderreihe Samilien“?°), aufgeftellt vom Woblfabrtsausfhuß des Deutfchen Städtes
tages, bingewiefen werden.
R. Daftenacii?) gibt folgende Zufammenftellung: Volt obne Raum: Überbevöls
terung im Weften; Einwobnerzablen auf ı qkm in SeflensFlaffau 152, Baden 153, Heilen
376, Weltfalen 237, Abeinprovinz 296, Sadhfen 337 Menfden. Raum obne Voll: Ofts
preußen 00, un obne Berlin 67, Pommern 63, Fliederfchlefien 136, Wedienburgs
ee 52, Weltmarkt PofensWeftpreußen 43, Medlenburg-Strelig 38 Menfden auf
§ qkm.
Dolt obne Raum oder Raum obne Voll: Volt ohne organifh verteilten Raum.
(Rußland bat geiealih Abwanderung vom Land in die Stadt verboten und ift beitrebt,
Induftrien in ländlichen Gegenden anzufiedeln. Der Ref.) Die Bedrobung des leeren Raums
und die Gefahr der Umpoltung an unferen Grenzen zeigen die Beburtenzablen nady den
internationalen ftatiftifhen Erbebungen für 1930: auf 3000 Einwohner kamen Geburten:
in Schweden 16,1, England 16,6, ©fterreich 16,8, Schweiz 17,2, Klorwegen 17,3, Efts
land 17,4, Deutfchland 17,8, Srantreid 18,3.
Der Beburtenüberfchuß betrug in Polen 17, Fliederlande 14, Portugal 13,9, Italien
12,4, Spanien 11,7, Ungarn 0,4, Tfdedoflowalei 8,5, Deutidland 6,5, Großbritannien B,
Srantreid) 2,4. Die ebung der Beburtenzablen in Srantreich ift im erften Vierteljahr 1933
von einem erneuten Abfinten gefolgt.
Den Aufammenbang zwilcdhen VDergroßftädterung und Serualethil erörtert der Präs
fident des Stat. Landesamtes Zabn??), München. Die VWerftddterung bat zu einer Ums
lagerung der nun vom Lande in die Stadt, von der Kleine in die Großftadt ges
führt. Die Großftadtbevölterung in Deutfchland beträgt rund 3000. YIeben den Vorteilen
der Broßftädte (Zentren des Sortfchritts, der geiftigen und wirtichaftlichen Leiftung, Höchfts
leiftungen auf dem Gebiete der Technit, Wiffenfcaft, Runft, Woblfabrtapflege) machen fid
die lacdhteile bemerkbar durch die übergroße Bevölterungsanbäufung, Wobnungsnot, Ers
werbslofigteit und Enttäufchungen, Zerreißung überlieferter Bindungen, ferualetbiiche Rüds
wirtungen auf die Unfcdhauungen uber Wefen und Wert der Samilie. Die Samiliengemeins
Schaft zerfällt durch die außerbäusliche Erwerbsarbeit, befonders wenn auch die Srau er:
werbstätig, wird die „Hauswirtjcbaft“ ein leerer Begriff. „Alle diefe Momente haben die
urfprüngliche Uuffaffung von der Samilie als einer dauernden und verantwortungsvollen,
in den Flachlommen über das eigene Dafein binausreihenden Lebensgemeinfchaft zerftört
und an deren Stelle eine nur leichte Bindung von Cinzelperfdnticdleiten gefegt, bei welder
der Gelcbledhtstrieb vielfadh von feinem generativen Zwed losgelöft ift. Die Wirkungen
diefer geiftigen Umftellung dußern fib im fhwindenden Interetfe am Rinde, im Verzicht
auf Kadlfommenfhaft überhaupt oder wenigitens auf größere Nachkommenſchaft, in ge⸗
wollter Rleinbaltung oder Rinderlofigkeit der Samilie, ferner in fid) mebrenden vorzeitigen
Ebelöfungen durch Scheidung und Trennung. Qualitativ wirkt der Geburtenrüdgang bei
den bdoberen Shidten nod weit fhwerer. Mit dem fehnellen Ausfterben der großftädtiichen
Sührerfhhicht gebt auch das in ihr verkörperte Erbgut an geiftigen Werten verloren. Damit
entftebt die Gefahr, daß an ibre Stelle. Bebelfatrafte, ftumpfere Elemente einrüden, woclde
den ihnen geftellten Aufgaben nicht in erforderlichen tlaße gewachlen find. Da andererfeits
folde Emportömmlinge in den unteren Schichten, denen ie entftammen, wiederum eine
Auslefe von Tüchtigkeit und Aktivität bilden, findet eine fortlaufende „KEntedelung“ der
20) Richtlinien über die Wobnungsfürforge für minderbemittelte tinderreide Samilien.
Hefdh.verw. Fir. 16, 1931.
21) R. Paftenacii, Bundesblatt der Rinderreichen, Kr. 7, 1931.
22) Zahn, Vergroßftädterung und Serualetbit. M. m. WO. Mr. 8, 1931.
1932, III &.!Mofer, Überfichteberichte aus dem raffenbygienifdhen Schrifttum. 177
a _ — — ——— 3b
Sreiten Maſſe ſtatt, ſo daß ſchließlich nur noch ein Bodenſatz, der keines Aufſtiegs mehr
aͤbig ift, 3uridbleibt. Uuf diefe Act wirkt der Geburtenridgan zugleich raſſeverſchlech⸗
ternd, zumal als Erſatz der zu hoͤheren Berufen aufſteigenden Arbeitskraͤfte vollsfremde
Elemente berangezogen werden müffen, wie das 3. B. in Srankreich fhon in großem Um»
fange gefdiebt.
Die feruckethifhen Auswirkungen der Vergroßftädterung wiegen um fo fdwerer,
als die großftädtifche Lebensform richtunggebend für das übrige Land find.
„In foldyen Endftadien der Dergroßftädterung erfcheinen die Broßftädte vorzugsweife
als Derzebrer der Dolkstraft, als DollstraftsSriedhdfe. Ihre großen £eiftungen auf tuls
turellem und wirtidaftlidem Gebiet verblaffen vor den Auswirkungen der in ihrem Milieu
erwadfenen Serualetbit, verblaffen vor der elementaren Tatfade der Gefährdung von
Dollsbeftand und Raffe. Grund genug, aus volllichen, wirtfchaftlichen, fozialen, etbifchen,
emeinstulturellen Erwägungen das Rleinftadtse und Landleben angefichts feines feruals
ethifch pofitiven Cigenwerts 3u feftigen und zu fördern!“
Den Umfang und die Auswirkungen des Beburtenrüdganges erörtert in einem viels
beadteten Bude ©. Rabn?3). Die Deröffentlihungen von Burgdörfer als befannt vores
ausgefegt, kommt Rahn zu ähnlichen Ergebniffen, glaubt aber andere Solgerungen daraus
zieben zu müffen. Rahn gebt abweichend von der üblichen Art der Berechnung (ebeliche
Sruchtbarkeit = Zahl der Geburten auf die gebärfäbigen Srauen berechnet) von der Zahl der
©Geborenen auf die Ebefchließungen des Jahres aus, wobei die Kinder der fpäteren Ebejabre
unberüdfichtigt bleiben. Kahn fommt zu rafcherem und ftärterem Abfall der Bevoͤlkerungs⸗
ziffer. Er erwartet, daß der Beburtenrüdgang in GBroßftädten und bei den Juden den
weiteren Verlauf für das ganze Doll vorauszeigt.
In den übrigen nordswefteuropäifchen Staaten ift überall mit Ausnahme von Holland
ein ftarter ee nadhweisbar. R. nimmt an, daß auch bei den flawilchen Döls
fern die Geburtenbefrantung fich einbürgere, während die meiften anderen Autoren ein
Pordringen der Slawen in den deutfchen vollsarmen Often — den „Raum obne Doll” —
befürdhten, zumal die babe Sterblichkeit der Slawen duch Einführung der Befundheitss
fürforge en wird. Erft um 1970 fei mit einer Abnahme der Perjonen im erwerbss
fähigen Alter zu rechnen; ob dann Arbeitermangel und Cinwanderung polnifder Arbeiter
eintritt, hänge von der Rationalifierung der Betriebe, neuen Erfindungen, Zunahme der
Srauenarbeit, Reduzierung des Beamtenitandes ab. Yon den bevdlerungspolitifden Res
formvorfdlägen, vorausgefett, daß fie überhaupt durchführbar feien, erwartet R. keine
Anderung des KinsReinkinderfyftems; der Individualismus babe gefiegt. Lach feinen Crs
fabrungen als Redalteur eines Voltsblattes glaubt R., daß bei einem Voltsentfcheid über
die Stage: foll das Reid Maßnahmen treffen und Öffentliche Mittel zur Hebung der Ges
burtenzabl aufwenden, eine nie gefebene Majorität mit „Llein“ antworten würde; bei ges
trennter ee die weibliden „Jafager“ Seltenbeitswert.
Eine künftige Bevölterungspolitit werde fi die Aufgabe ftellen müffen, die Men»
fehenzahl auf einer gewiffen Hdbe zu halten, über die man wie Heute verfdiedener Meinung
fein werde. Habe der Geburtenriidgang 3u lange atc feblten gentigend junge Eltern,
feien alle Beftrebungen zum Scheitern verurteilt. Die deutiden Juden müßten heute ſchon
zur Beftandserbaltung 7 Rinder pro Lhe haben. Trogdem au R., daß keine Gefahr
drobt fir den Beftand unferes Volles, daß die Vorteile des Beburtenrüdgangs (Minderung
der Arbeitslofigkeit) die Klachteile überwiegen. Die qualitativen Befabren der differenzierten
Sortpflanzung werden nicht berudfidtigt.
Das ftatiftifde Reidhsamet 24) 25) 26) hat einige Angaben über die Veränderungen
im Altersaufbau der deutfchen Bevdllerung veröffentlicht. Seit 1914 läßt fih eine zunebs
mende Anderung des Altersaufbaus der Bevslkerung nachweifen; die jüngeren Jahrgänge
werden von Jahr zu Jaber fhwäder. Die Beftandserbaltung wird nur durd die Übers
befegung der Jahrgänge mit geringerer Sterblichkeit vorgetäufcht. Die amtlichen Zahlen
beftätigen, wie berechtigt die Sorge um unfere Zukunft ift.
ie Heiratssiffern, der Alterstlaffenbefegung entiprechend bod, zeigen durch die Wirts
fchaftstonjunttur bedingte Schwankungen. Die Zahl der Ebefchließungen jenfeits 30 Jabren
fteigt ftart an und muß fic bevdlterungspolitifh unginftig auswirken. Die Befamtzahl der
33) €. Rabn, Der Internationale Geburtenftreit. Umfang, Urfaden, Wirkungen
— Gegenmaßnahmen? Stankfurter Sozietätsperlag 1930.
34) Wirtfchaft und Staat. 10. Jahrg.
35) Wirtfchaft und Staat. 33. Jabrg.
26) Wirtfchaft und Staat. 10. Jahrg.
Dolf und Raffe. 1932. Jull. 12
178 Volt und Raffe. 1932, III
Ebefchließungen 1930 war um 27 133 Meiner als im Jahr 1929, was um fo beacdhtlicher ers
fdeint, als die Zahl der beiratsfähigen Männer zugenommen und eine Steigerung um
9000 Ehefchließungen erwarten ließ. 3 ;
Die Lebendgeborenensiffer liegt 1930 um 20000 niedriger als im Dorjabr und beträgt
auf 1000 Linwobner nur now 17,5; die Zahl der gebärfähigen Srauen dagegen fteigt nocd
von Jahr zu Jahr, um ſo beachtlicher iſt das ſtarke Sinken Pohl der allgemeinen Frucht»
barkeit (verglichen mit 1913 ergibt fi Abnahme um 4290) als auc der ebeliden Sruchts
barkeit, während die Zahl der verheirateten gebärfähigen Srauen ftark angeftiegen. Die Sterb«
lipkeit finkt trog der wirtichaftlich fchlehten Lage weiter ab, nur Arebsertrantungen zei
in Solge der abnormen Altersbefegung eine Zunahme. Der günftige Verlauf der Sterblichkeit
täufcht troy Geburtencidgang cin Bevdllerungswadhstum vor; dies ift aber nur folange
möglich, bis die ,Aypothel des Todes“ fih auszuwwirten beginnt, der Geburtenrüdgang
durch den Sterblichleitsgewinn ausgegliden wird. Auf eine Er gänzung der Ges
bredliden(tati til?) fei now bingewiefen. Die Blindenftatifti? wurde getrennt von
der übrigen Auswertung durd das ftat. Amt. von Ganitdterat Dr. Seildenfeld bes
arbeitet: auf 3000 Einwohner fommen in Paläftina 166,7, in Agypten 109,7, in Deutfdland
1925 6,3 mannlide und 4,4 woeiblihe Blinde einfhließlih der Kriegeblinden. Don den
33 192 Blinden befinden fidh 3850 in Anftalten; 5,5 waren evangelifd, 4,8 tatbolifh, 6,3
ifraclitifh (Adufung der vererdbten Augentrantheiten und des Glauloms bei Juden). Ans
pees Blindheit: mannlid) 13,2%, weiblid) 14,1%, gonorrboifde Augenentzündungen:
493%.
Doß die tiefgreifenden Veränderungen im Dollstdrper auch in den Selbftmordziffern
fih auswirken, gebt aus den Unterfucungen von 4. Dornedden25) hervor. Sür die
SGelbftmordbereitidaft erfceint beadtenswerter als die äußeren Motive, wie wirtfchaftlicdhe
Hot, örperlidhe Leiden, Scheitern im Lebenstampf, die fubjettive Cinftellung des Einzels
menfden 3u Lrlebniffen diefer Art; ein größerer Teil der Selbftmorde wird durch Geiftess
trantheit oder geiftig abnorme Veranlagung verurfacht. Die Selbftmordbäufigleit der Stadt
ift größer als auf dein Lande, durch den Derluft des Zufammengebörigleitsgefühle, Loderung
der Samilienbande, Aufgeben von Dolkefitte und altbergebradhtem Rechtsempfinden. Abs
gefeben von dem großftädtifchen Bezirt Hamburg ragen in Deutichland Sadıten und Thüs
ringen beraus mit ihren Doltaftimmen, deren Lebenseinftellung mehr durdy veritandess
mäßige Überlegungen beftimmt, während die Bayern auf Grund eines mehr gefüblemäßig
abgeftimmten und von a he erfüllten Stammescharalters feit jeber eine fehr niedrige
Selbftmordziffer befigen. Kine fcheinbare Zunahme ergibt fich aus der ftärkeren Befegung
der höheren Alterstlaffen, die an fich eine höhere Sterbeziffer aufweifen. Daß heute raffens
bygienifhe Reformen möglich, zeigen die Berichte aus Italien. Der Präfident des flat.
Reihsamtes von Jtalien Prof. &. Bini2?) berichtet über ,Das Bevdlterungsproblem
Italiens und die fafziftifche Bevslkerungspolitit“. Das ficherfte Mittel, das Wachstum der
Bevölkerung zu fördern, beftebe darin, den fortpflanzungsfreudigen Gruppen zur Ausbreis
tung zu verhelfen und nicht darin, die wenig fruchtbaren Individuen zu ftärkerer Sorts
pflenzung zu 3zwingen. Begünftigung der finderreichen Samilien, Bekämpfung der bei ihnen
nom boben Säuglingsfterblidhleit, Erhaltung oder Zurüdführung in eine geeignete Ums
welt, Beldmpfung der Landflucht, Einfchränlung der Auswanderung, an der Cinderreicde
> ftack beteiligt, Siedlung auf bisher unbefiedeltem oder dünnbefiedeltem Land. Die
ablung von Unterffügung feheine von zweifelbafter Wirkung. Da es nicht möglich, daß
die Rinderzulagen die Aufzuchtloften deden, beftebe die Gefahr, daß wirtfchaftliche Übers
legungen, die mädhtigfte und unmittelbarfte Urfache der Gebustenbefchränktung, ftärter betont
werden. Anders feien die einmaligen Prämien zu beurteilen, die nicht als Vergütung aufs
zufaffen. Arbeitslofigleit und Wobhnungsnot würden oft zur Redhtfertigung einer fcon
beftebenden Meigung zur Beburtenbefchräntung benugt. Die mächtigften Derbundeten gegen
den zerfeenden rationaliftifchen Egoismus feien: Stärtung des Solidaritätsgefühls der
Samilie zu der Klation. Die bauptlähhlicdhen Maßnahmen zur Durchführung der Bevdlles
rungepolitit werden ausführlich erörtert und müffen im Original nadgefeben werden.
M. Th. Laffens) weift nach, dag erbgleide Zwillinge in einer Reihe von Cigens
37) Wirtidaft und Staat. 11. Jabrg.
28) Dornedden, Der Selbfimord in Deutfchland. Def. m. Wir. Fir. 41, 1931.
29) Gini, Das Bevdlterungsproblem Italiens und die fafziftifche Bevölkerungs-
politit. Ardy. Raffenbiol. 25, 3.
s0) £affen, Zur Srage der Vererbung fozialer und fittlicher Charalteranlagen, Ard.
Raffenbiol. 25, 3.
1932, III ©. Wiofer, Überfichtsberichte aus dem raflenbygienifdyen Schrifttum. 179
EEE ea a I Ee I eae?
beiten des fosialen und fittliden Charatters einander ähnlicher find als die Paarlinge erbs
ungleider Llatur.
_ , Diernfteins!) gibt eine Überficht über die Aufgaben und die Arbeitsweife der
triminalbiologifhen Sammelftelle, welche von Straubing nad Münden in die Räume der
Deutfchen Sorfhungsanftalt für Piydiatrie verlegt wurde. Die Strafbsuszugänge werden
biokogifh nach einheitlichen Gefidtspuntten unterfucht, typifiert und fozial prognoftiziert
nach dem objektiven pfydhologifchscdharalterologifdhen Unterfudhungsergebnis. Die caffens
bygienifde Bedeutung biologifder Derbrecherunterfucungen liegt darin, dag eine nicht nur
ftaatsstonomifh und gefellfdaftlich, fondern grogenteils auc blutsmäßigsraffifch febr wids
tige Bevdlterungsfchicht erfaßt und in ihren gefamten £ebensbeziehungen und Lebensäußes
rungen aufgededt wird. Der einzelne Rechtsbrecher ift durch feine Cinfperrung leicht zus
gängig, von ibm aus fann der ganze Rreis feiner Verwandten erforfcht und in die erbs
gtfunddeitlide Würdigung mit einbezogen werden.
WO. Pleger?2) berichtet, daß fi von 75 Probanden zwifchen s—I8 Jahren bei
einem fdhwadfinnigen Elter 58,1% Bligopbrene fanden, bei Schwadhfinn beider Eltern
71,9% Oligophrene unter den GBefhwiftern. Zwillingegeburten waren bäufiger als dem
Durdfdnitt entipcidt unter Eltern und Befhwiftern Schwadfinniger.
G. Juftss) nimmt zur Srage des Einfluffes von Anlage und Umwelt Stellung.
Aus den Seffeln des Dererbungsichidfals wird Rettung gefucht durch die Möglichkeit der
Umweltbeeinfluffung der Erbanlagen; nicht entweder Umwelt oder Erbanlage darf die
u lauten. Die relative Schidjalsgebundenheit, die mit der Erbveranlagung obne
weifel gegeben, wird dur die Möglichkeit der Umwmeltbecinfluffung als folde nicht ges
einger, denn die Umwelt im weiteften Sinne, in die der Menfch bineingeboren wird, ift
nicht minder Schidfal als feine — Man kann die Schickſalsfrage umdrehen und
ſagen, daß die Selbſtbehauptung und Entwicklung gegenuͤber den Umwelteinflüͤſſen, das
Durchſetzen der ureigenſten Individualitaͤt nur durch den Grundſtock der Perſoͤnlichkeits⸗
entfaltung, die Erbanlage, moͤglich iſt. Von den Erbanlagen haͤngt das bei verſchiedenen
Menſchen wechſelnde ſubjektive Beantworten objektiv gleicher Umwelteindruͤcke ab. Die
Vetanlagung vermag ſich nur ſoweit auszuwirken, wie die Umwelt es zulaͤßt, die Umwelt
kann nur ſoweit einwirken auf die Entwicklung, wie die Anlage dies zulaͤßt. Wie an
Beiſpielen gezeigt wird, iſt bei den einzelnen Faltoren der Anteil von Anlage und Umwelt
verſchieden. Es gibt Entwicklungsvorgaͤnge, deren Umweltbeeinflußbarkeit Null, andere,
bei denen das Endergebnis des Pe — verſchieden ſein kann, je nach den
Bedingungen, unter denen die Entwicklung ſich vollzog.
Eine weitere Rlaͤrung des Verhaͤltniſſes von Anlage und Umwelt iſt durch die Unter⸗
uchungen eineiiger Zwillinge zu erwarten. Aus der zunehmenden Literatur nur einige
richte; daneben ſei auf die Vortraͤge anlaͤßlich der Tagung der Deutſchen Geſellſchaft fuͤr
Vererbungswiſſenſchaft in Muͤnchen hingewieſen. Erbleiden wurden als Schickſal hin⸗
enommen, die Feſtſtellung der Erblichkeit verbinde ſich bei vielen Arzten mit therapeutiſchem
ibilismus. Demgegenüber weift ®. v. Derfchuer’t) darauf bin, daß jede Krankheit
wie jede Eigenfchaft des Menfchen die Refultante vieler Urfachen (Anlage und Umwelt) if.
Wenn Erblichkeit als überwiegende Urfade nachgewiefen, fei es Auge der Sorfehung,
die Entwidlung des Prankhaften Prozeffes zurüdzuverfolgen bis zu den Stadien, auf welchen
dur befondere SHeilmaßnabmen eingegriffen werden donne. Bei erbgleichen Zwillingen
leide bieweilen nur der eine an Wolfsraden, SHafenfcharte, Springomyelie, während der
andere gefund geblieben trot gleicher Erankbafter Deranlagung. Die Sammlung folder
Sälle biete Aust, die Urfachen zu ermitteln, daß nur ein Swilling ertrantt. Sur den
Arzt wichtige vererbungsbiologifhhe Gefidtspuntte werden anfchließend erörtert.
%. Lottig 5) ift beftrebt, die zu berüdfichtigenden grundlegenden antbropologifchen
und fomatifchspatbologifchen Brundlagen einerfeits, das pfychifche Derbalten andererfeite bei
den Zwillingsunterfuhungen berauszuarbeiten. Auf die es Hape Sorderungen eins
zugeben, würde den Rahmen des Referates überfchreiten. WDertvoll für die Methodik.
s1) Diernftein, Biologifdhe Aufgaben in der Rriminalpolitit. Eug. Bd. I, 212.
$3) MW. Pleger, Erblidkeitsunterfuchungen an [hwadfinnigen Rindern. 3. Fleur.
. 32.
£> ©. Juft, Das Umweltproblem, eg. Bo. I, 192.
= 34) O. v. Derfduer, Menfcdlide Erbforfhung und ärztliche Praris. M. m. WD.
re. 4, 193}.
u 38) Lottig, Hamburger Zwillingeftudien. Beibefte 3. Feitfdr. f. angew. Pfyd.
re. 61.
y3°
180 Dolt und Raffe. 1932, ILE
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"m. Röhn3°) zeigt ebenfalls übereinftimmendes Verbalten der erbgleidhen Zwillinge.
Mertvoll erfcheint feine Warnung vor einer Überfpigung der Unterfuchungsmetboden und
fein Hinweis auf dharatterologifhe Beobachtungen.
©. v. Derfduer®’) berichtet über Ergebniffe feiner Zwillingsunterfuchungen. Die
Börpergröße zeigt die geringften Unterfchiede bei erbgleihen Zwillingen, die Erbanlage ift
duch Umwelteinflüffe wenig beeinflußbar. Das Börpergewidt ift 3—4 ftärker veränderlich
dur Umwmelteinfliffe als die anderen Rörpermaße. Ber vorgeburtlicdhe Unterfchied swifden
erbgleihen Zwillingen in Solge der Raumbeengung, Swangslage, ver{fdiedenem Anteil am
Blutkreislauf geist fih bald nah der Geburt aus. Die Schädellänge ft umweltftabil.
©. v. Derfdhuer?2) betont, daß die Anlagen vererbt werden, nicht die fertigen
Ligenfdhaften felbft. Die Eigenichaften des Mienfchyen entftehen aus dem Zufammenwirten
von Erbanlage und Umwelt, allerdings ift im Einzelfalle der Anteil fehr verfchieden. An
den erbgleichen, eineiigen Zwillingen läßt fi ermitteln, weldhen Anteil die Erbanlagen,
welchen Anteil die Umwelt an der — einer Eigenſchaft hat.
Gemeinfame Unterfucdungen mit KR. Dieb 159) an 75 tubertuldfen Zwillingspaaren,
von denen 19 erbgleidy waren, zeigten, daß gleiche Erbanlagen zu vorwiegend gleichartigem
Derbalten binfihtlid Sig, Ausdehnung und Art des Rrankbeitsprozeffes führte, während
weieiige Zwillinge mit verfchiedener Erbanlage verfchiedenes Verbalten zeigen. Wenn die
deutung der Erbanlage fiher nachgewiefen, muß dies die Tuberkulojebelämpfung berüds
fichtigen, die Raffenbygiene muß aud bier ihren neuen Erkenntniffen Einfluß verichaffen.
Vad) Slagel*) ift die umwmeltbedingte Tubertulofe durd die Belämpfungsmaßs
nabmen foweit zuridgedrangt, da8 die erhöhte Erkrantungsziffer in Solge Unzivilifation und
Unbygiene in der unbemittelten Bevölkerung, insbefondere dem Städteproletariat, dem die
Belämpfungsmaßnabmen elektiv zugute kamen, prattifh verfhwunden ift, während die
Tubertulofefterblichkeit der wohlhabenden Schichten gleichgeblieben, fo daß in beiden Schichten
nur noch die Grundtubertulofe vorhanden.
Bei einem von €. Stern“) unterfudten eineiigen Jwillingspear (timmte die geiftige
Entwidlung weitgehend überein; binfichtlicd der motorifchen Begabung, der Energie, der
Ausdauer der Leiftungen zeigten fich keine LUnterfchiede. (Sortfegung folgt.)
Buchbeſprechungen.
Konrad Hhahm: Deutſche Volkskunſt. Jedermanns Buücherei, Verlag F. Hirt, Breslau.
1932. 120 S. 24 Tertbilder und 77 Abb. Preis geb. ME. 2.85. ——
Verfaſſer gibt eine kurze, klare Betrachtung uͤber die Zeitſtroͤmungen, die die Vor⸗
ausſetzungen fuͤr ein Beſinnen auf volksſstuͤmliche Außerungen boten und uͤber die erſten
Bahnbrecher und Erkenner des Wertes derſelben wie Herder, Arnim, Brentano uſw., vor
allem aber die Bruͤder Grimm und den Begriff Vollstunde und Volkskunſt. Waͤhrend
Volkslied, Sprache, Mundart, Glaube, Maͤrchen, Sage und Heldengeſchichte gepflegt und
beachtet wurden, blieb die Volkskunſt noch unberuͤckſichtigt. Man hatte ſich noch nicht von
der Auffaſſung: „Runſt iſt originelle Spitzenleiſtung eines Einzelnen“ losgemacht und bes
trachtete die ſich an Überlieferung feſthaltende, ſich immer in denſelben Motiven bewegende
und ſtark an Gebrauchsgegenſtaͤnde gebundene Volkskunſt als geſunkenes ſtaͤdtiſches Rultur⸗
ut. Volkskunſt wird nicht von einer beſtimmten Geſellſchaftsſchicht getragen, ſondern iſt
usdruck der geſtaltungsfaͤhigen Geſamtſchicht, vor allem der Bauern, die Altes bewahren
und Neues nicht ſo leicht aufnehmen. Wir hoͤren dann von den verſchiedenen Werkſtoffen,
die dem volkstuͤmlichen Schaffen zur Derfügung fteben, wie fie behandelt werden, von den
Motiven und der Art der Darftellung und der landfchaftlichen Abgrenzung der Vollstunft.
86) W. Röhn, Vorfrüdte aus einer pfychologifchen Reibenunterfuhung an Zwils
lingen. Arch. Raffenbiol. 25, 4.
87) O. v. Derfduer, Verhdlg. d. Gef. f. Dbyf. Anthropologie, Bd. VI.
88) O. v. Derfaduer, Fwillingsforfdung und Tubertulofe. Bug. Bod. I, 21, Med.
Rl. 1930, Ur. 27.
$9) O. v. De oe uers BR. Diehl, Brauers Beiträge zur Rlinik der Tb. Bd. 75, 5206.
40) Slagel, Dom Rommen und Geben der Tuberkulofe. I. A. Barth, Leipzig, 1931.
& 41) €. Stern, Beitrag zur Pfychologie der Begabung von Zwillingen. 3. f. Rderf.
«4, 1931.
1932, III Budbdefprechungen. 181
Dann gebt der Werf. auf die verfchiedenen Techniken, ihre Ausführungen und Ausgeftaltungen
im befonderen ein, die SHolzverarbeitung, Gewebe, VDollstradt, Reramit und Glas und
Metall. Zum Schluffe zeigt er die Wege, die zur praltifcdhen Wiederbelebung voltstumliden
Sdhaffens unternommen werden, 3. B. die fhwedifde Hausfleifvereinigung, durch die in
Derbindung mit den Heimatmufeen eine leiftungsfäbige Heiminduftrie entitand; aud die
Jugendbewegung verfolgt ähnliche Ziele. Die gut gewählten und wiedergegebenen Abs
bildungen ergänzen den Lert aufs befte und machen ibn lebendig. Bruno BR. Sdhulg.
Bans Barmen: Prabtifche Benälkerungspolitik. Verlag Junter & Dünnbaupt, Berlin
1931. 94 ©. Preis ARME 4.—. :
Das Bändchen ift im Rahmen der von HippelsRönigsberg berausgegebenen Sachs
f&hriften zur Politik und ftastsbürgerlichen Erziehung erfchienen und dem Andenken Grots
jabns gewidmet. Es ift wirklich verlodend, in einer Befprehung das ganze Inbaltss
verzeichnis aufzuführen, weil es den Blaren Aufbau und Solgerichtigkeit der Brofchüre aufs
zeigt; doch follen bier nur die einzelnen Rapitel angeführt werden: Anwadfen zum 95 Mils
lionensDolt, Strutturwandlungen des Vollstörpers, Umfang und Bedeutung des Beburten«
rüdgangs, Aufgaben und Ziele einer deutfchen Devdllerungspolitit, Mittel 3u quantitativer
Bevdllerungspolitit, Beifpiele bevdllerungspolitifh orientierter Sozialpolitit, Maßnahmen
und Sorderungen des wirtjchaftlichen Ausgleids in Deutfcdland, Mdglidteit eines wirts
fdaftliden Ausgleidhs der Samilienlaften, Möglichkeiten der qualitativen Bevdlterungss
politik, Untergang oder Wandlung. Wenn man audy über Cingzelbeiten, fo 3. B. uber den
Wert des Reichsbundes der Rinderreichen, verfchiedener Anficht fein kann oder auch über
den Wert der im einzelnen vorgeichlagenen Maßnahmen, wie Steuerausgleidh innerhalb
an und für fich nicht iR maberehtiatet Eintommenstlaffen, fo tut dies doch der Brofchüre
als folder keinen Abbrudy. Der Derfaffer will ja im Großen und Ganzen audy nur einen
Oberblid uber die ganze Srage der Bevdllerungspolitit geben; es ift nur zu hoffen und zu
wöünfcden, daß das Heft wegen feiner Kürze und eindrudsvollen Darftellung eine weits
gebende Derbreitung findet. Th. Lang, Minden.
Kurt Hed{dher: Die Dolkshunde der Proving Hannover. I. Teil: Die Dollstunde des
Rreifes Fleuftadt a. an Deröffentlichung der Drovinsialftelle für Dollstunde, Drovins
zialmufeum Hannover. Derlag Martin Riegel, Hamburg 1930. 853 S., 16 Tafeln. Preis
geb. ARME. 82.—, geb. RM. 86.—.
Die verfdiedenften vollstundliden Erideinungen find bier fehr gründlich gefams
melt, umfichtig geordnet und dargeftellt. Das Bud ift für jeden VDollstundeforfder eine
wertvolle, zuverläffige Quelle. Der Stoff ift nicht aus Büchern zufammengetragen, fon»
dern zum allergrößten Teil durch perfönlidhes Sammeln gefunden worden und zwar durd)
unmittelbares Befragen des Volles.
Es ift fchwer, auf befchränttem Raume den Inhalt diefes reichhaltigen Buches ans
zugeben. Denn das bieße fo ziemlich alle voltstundlichen Erfcheinungen aufzählen. Llur die
Hauptabfchnitte feien genannt: Der voltstumlicye Glaube, die Sitte, die fprachlichen Volles
giter, die vollstimliden Gadgiter. Ein ceidbaltigee Gadweifer wird dazu beitragen,
daß dies Buch von der Volkskunde viel beigezogen wird.
Man kann die Provinz Hannover beneiden um ein fo berporragendes Werl. Mögen
recht viele Landesteile des Reiches Abnliches fchaffen! Dazu gebört allerdings Geld.
Hoffentli feben unfere Behörden und die Stellen, die zu wiffenfchaftlichen Zwoeden
Geldmittel zur Derfügung baben, ein, daß die Durdforfchung unferes eigenen Vollstums
für uns zur Zeit eine dringendere Pflicht ift als wiffenfchaftliches Arbeiten in fremden Län»
dern, dringend deshalb, weil wir endlich lang Derfäumtes nachholen müffen; dann darf doch
aud ein anderer Gefidtspuntt bier ausgefprocen werden: nur durch die Kenntnis unferes
Dollstums werden wir zum Verftändnis unferes Volles kommen. Daß dies eine der
dringendften Pflichten ift, wird wohl kein Cinfidtiger verkennen.
Aedicher bat fih durd fein Buch als ausgezeichneter Arbeiter auf dem Gebiet der
Dollstunde erwiefen. Hoffentlihd wird es ibm ermdglidt, aud die anderen Landesteile
feiner Heimat in dbnlider Weife zu bearbeiten.
Dem Verlag fcduldet unfere Wiffenfchaft aufridtigen Dant fur die Nbernabme des
Wertes. Eugen Sebcle, Heidelberg.
Johannes, Martin, Otto: Adel verpflidtet ! Roman. AammersVerlag, Leipzig. Zweite
Aufl. 3930. Preis: in Ganzleinen geb. MI. 4.50.
Durd die Übernahme in den AammersVerlag war die nach dem rafchen Verkauf der
erften notwendige zweite Auflage durchführbar. Der Derfaffer fhildert in fehr anfchaulicher
182 Doll und Raffe. 1932, III
Weife Derbältniffe und Menfden auf 12 deutfchen „Hegeböfen“, die in fremdraffiger Ums
ebung in raffenbygienifhdem Sinn errichtet gedacht find. Die Samilien der Hegebof:
tren zeigen das Jdealbild einer Subreraciftotratie. Zwei Hegebofiproffen geraten durd
Aufteimen perfonlider Meigungen 3u Angehörigen einer vornehmen — aber raffifh ges
mifchten einbeimifchen Samilie in Widerfprudh zu den ftrengen raffenbygienifchen Gefetzen
der Hegebdfe, geben aber als Sieger aus diefem Kampf bervor, dank ihres ererbten ficheren
Raffegefables und ihres Pflidhtbewußtfeins. Das „Geſetz“ der Hegebdfe enthält Grundfäge
idealfter und adligfter Gefinnung und Marer Erkenntnis. Das Bud wird zablreidhen jungen
Menfden germanifden Willen und Derantwortungsbewußtfein ftärten. ©. Ree.
Oskar Juft: 8 Jungenbilder. Laffo-Derlag, Berlin 1933. 2 S. Tert. 4 farbige und
4 fhwarze Tafeln. Preis Mi. 6.—.
Die Mappe bringt s$ Jungentöpfe aus der Jugendbewegung in lebenswahrer Dar⸗
ftellung zum Teile fogar in Sarben. Es find die Widergaben von OÖlgemälden des fudetens
deutichen Malers und vielfeitigen Rünftlers Ostar q uft. Daß der Künftler eine Auss
lefe nordifcher, gefunder Jugend, die die Zukunft erfüllen foll, malt, gibt der Sammlung
ihren befonderen Wert. Bruno KR. Sadulg.
Manfred Langhans-Rageburg: Die Wolgadeutihen. Ihr Staates und Verwaltungs»
recht in Dergangenbeit und Gegenwart, 3ugleid ein Beitrag zum bolfchewiftifdyen Llationas
litätenrecht. (Deutiche Gefellfdhaft 3um Studium Ofteuropas). Berlin und Bönigsberg
1929, OftsEuropasVerlag. VIII, 190 8. Preis geb. ARME. 6.50.
Wie fhon der Titel fagt, bebandelt diefe fehr verdienftliche Darftellung der neuzeits
licen, fo entlegenen deutfchen Infel zu beiden Seiten der mittleren Wolge um die Stadt
Saratow berum in erfter Linie und febr eingehend das Staates und Verwaltungsrecht, nas
mentlidy in feiner bolfchewiftifchen Ausgeftaltung nah dem Weltkrieg. Boch kommt befons
ders in den einleitenden Rapiteln audy die Befchichte diefer eigenartigen Rolonialgründung
und Entwidlung, die 3763 duch einen Aufruf der Raiferin Katharina II. eingeleitet
wurde, zur Geltung. Sür die Befchichte der Befiedlung fei außerdem auf die im Anbang
(G. 160 ff.) in Tabellenform gegebene Zufammenftellung der „urfprünglichen deutfchen
Wolgatolonien” bingewiefen, die die Jahre 1704 bis 3767 umfaffend nıdt weniger als
104 Rolonien aufführt und die Grimdungstage angibt.
Im übrigen ift die Gefcdidte diehr deutfchen Spradinfel gekennzeichnet durdy eine
bald nad ihrer Gründung einfegende Solge von Redtsbrücden, dur die ihr die Zuges
fiherten Selbftverwaltungsrechte eines nad dem anderen wieder verloren gingen, bis Pit
der Mitte des 19. Jabrhunderts unter dem fic immer mebr verftdrlenden panjlawiftifden
Drud (G. 11) zur planmäßigen Auffifizierung übergegangen wurde. 187} mußte die
deutfche Amts sund Geridtsfprade der ruffifdhen weichen (3. 35), 1874 fiel die Befreiung
vom Militärdienft (3.37) und 3876 erfolgte nad ganslider Aufhebung des deutfchen Rons
tors die Eingliederung der Rolonien in die Gouvernementsverwaltung (S. 11).
Zur Abwehr des verftärkten Druds während des Weltkriegs, namentlidh der drobens
den Enteignung, bildete fidb anfangs 1917 in Saratow „ein privater emule Auss
fduB’ (S. 43), der fidh nach dem Gefey über die Selbfibeftiimmung der Völker Rußlands
vom 20. Marz 1917 ,3u einem vorbereitenden Organifationsausfdus der Wolgadeutiden“
erweiterte. Seit 1918 beftebt das „autonome Gebiet“, feit 3928 der „autonome jozialiftifche
Räteftaat der Wolgadeutfchen“. Sein Gebiet umfaßt unter Cinfdlug ruffifcher, ulrainifcher
u. a. Beftandteile rund 26 800 qkm mit rund 571 800 Einwohnern (1926 GS. 185), von
denen 66,5 v. %., alfo etwa 400 000 Deutfcdhe find. Die Amtssprache ift deutjch und ruffifch.
Ift die deutiche Umtsfpradhe auch noch keineswegs durchgeführt (3. 138) und die „Autos
nomie“ im Rahmen der Sowjetrepublil natürlid nur eine befchräntte, fo dürfen wir uns
dod ,freuen ob der Rettung einer Beinen Infel deutfchen Dollstums vor dem Verfinten
in dem um fie brandenden großen flawifchen Meere“ (S. 139). %. Witte.
R. Lehmann: Gefdhidte des Wendentums in der Niederlaufig bis 1815 im Rahmen der
Landesgeichichte. (Die WDenden. Sorf. 3. Gef. u. Vollstum der Wenden, brag. von
R. Rögichke, Heft 2.) I. Bel, Langenfalza 1930. VI u. 140 S., 6 Tafeln, ı Karte mit
3 Dedbl. Preis ARME. 5.—.
Madden das laufigifche Wendentum nad jabrhundertelangem Blüben im Derborgenen
eine Art Weltberuübmtbeit erlangt bat durch eine auf Cigenftaatlidleit drängende Agitation,
die weniger im Kaufiger Lande Felber als in Tfchechien ‘bres Fauptfig bat; nachdem befons
ders das Schidfal diefes allmählich im umgebenden Deutfchtum verfintenden, beute von
1932, III Buchbefprehungen. 183
ihm {don völlig wee ca und in eine Anzahl Spradinfeln aufgelöften Heinen Volkes
fplitters in tendenzidfer Weife als eine ununterbrodene Solge fdwerer ERBE HERREN:
als ein anhaltendes „Martyrium“ dargeftellt worden ift, muß dies Buch eines wirklich
Berufenen mit befonderem Dank begrüßt werden. Alle gefliffentlich verbreiteten Marden
ſchwinden jetzt wie Schnee vor der Sonne: das angebliche, auf die Laufiger Rultur ges
ftügte Autochthonentum, dem die Tatfache gegenüberfteht, daß die erfte beftimmte Nachricht
von flawifcher Befiedlung erft aus der zweiten Sälfte des 9. Jahrhunderts n. Chr. ftammt.
Dor allem aber die Behauptung gewaltfamer Unterdrüdung, die £. mit dem Lladhweis
widerlegt, daß es eine „Vernidhtungspolitit gegenüber den Wdendentum“ bier „zu keiner
Zeit gegeben“ bat (S. 130). Seine allmablide Auffaugung ift lediglich die natürliche Auss
wirtung der infularen Lage inmitten eines nach Zahl und Kultur übermädtigen Deutfds
tums Sn Uladbilfe irgendwelder Gewalt. % Witte.
Erna Lendvai-Diehfen: Das deutiche Dolksgeficht. Aulturelle Derlagsgefellfhaft Bers
lin 3932. 240 Seiten, 140 Abb. in Rupfertiefdrud. Preis: ME. 9.50.
In diefem Buche tritt die Vielgeftaltigkeit des deutfchen Volkes in feinen verfchiedenen
Sormen, Ausdrudsmöglichleiten und feelifchen Verfaffungen Mar in Erfdheinung. Die Bils
der, die mit befonderem Seingefühl und gutem Blid aufgenommen find, bringen uns die dars
geftellten Menfchen nicht nur künftlerifch, fondern auch menfdlid nahe. Die Derfafferin bat
es vor allem verftanden, den feelifhen Ausdrud des Befichtes zu erfaffen. Der begleitende
Tert enthält zum großen Teile Beobachtungen der Derfalferin oder Ausfprüche der aus der
betreffenden Gegend ftammenden Dichter. Er macht die Bilder noch belebter und erhöht
ibren Stimmungsgebelt. Der Stoff ift febr forgfältig gefammelt. Das Buch zeigt dem,
der das „deutfche Geficht“ kennen lernen will, diefes in all feiner Derfchiedenbeit und dem
Raffenforfcher gibt es wichtige Anregungen und mandes Rätfel zu Iöfen.
Bruno BR Schultz.
Bans Luremburger: Digchiatrifche Heilkunde und Eugenik. (Das kommende Ges
fhledt Band VI, Heft 6.) Serd. Dümmlers Derlag, Berlin und Bonn 1931.
Nach kurzer Einleitung über die Pfydiatrie als Teil der Medizin und einer Inappen
Bennzeidhnung der drei wichtigften Erbleiden diefes medizinifchen NS tommt Derf.
zur Hauptfrageftellung der vorliegenden Arbeit: in wie weit fid alogewobhntes, auf das
Wohl des Einzelnen gerichtetes ärztliches Denken mit der auf das gefunde Bedeiben des
Ganzen, der Raffe und vieler Generationen binzielenden Arbeit des Raffenbygienilera
kreuzt. Ein eingebender Bericht über den augenblidlichen woiffenfchaftlichen Stand von Vor⸗
beugung und Aeilbebandlung bei den Geiftestranten erweift, daß zum Teil fhon beute
und vorausfidtlid nod in erweitertem Umfange in der Zukunft, erblidy bedingte Geiftess
Erankheiten in einem gewiffen Hundertfage, gebeffert, gebeilt, „verhindert“ werden köns
nen, obne daß — und das ift der Rernpuntt — aud bei woblwollendftem Linterjuchen aller
Möglichkeiten, eine ebenfoldye, parallel gebende Wiederherftellung des Erbplasmas anges
nommen werden lann. Der nur ,phanotypifd Gebeilte” wird fo Bie die Raffe, fie Staatss
gemeinfdaft und Lladlommen in Solge erhöhter Gelegenbeit zur Sortpflanzung, und das
mit zur uneingefchräntten Weitergabe feiner tranten Anlage an andere, gefdbrlider als
der für jedermann Eenntliche nicht Gebeilte. Daraus folgert Luremburger mit aller wins
fdyenswerten Deutlichleit, daß, folange nicht die Sortpflanzung aller Gebeilten oder vers
binderten erblid Geiftestranten, fei es durd nadgebende Surforge, fei es durch Sterilifation
eindeutig und wirkfam unterbunden würde, von feiten der Raffenbygiene ,der Propbys
lage und Therapie der erbliden Geiftestrantheiten mit ernfteftem Bedenken entgegenzus
treten“ fei, daß jedoch andererfeits in dem Augenblide, wo entfchiedene Maßnahmen im
Sinne einer raffenbygienifh gerichteten Bevöllerungspolitiß ergriffen würden, ärztliches,
menfdenfreundlides Gewiffen mit den Sorderungen der für das Volk der Zukunft verants
wortlihen Raffenbygiene durchaus zu vereinbaren wäre.
Lothar Stengel von Rutkowoki.
Kurt Meike: Schwerttanz und Schwerttanzipiel im germanifchen Kulturkreis. 3. ©.
Teubner Verlag, Leipzig und Berlin 193). VII u. 225 S., 4 Abb. und 3 Tafeln. Preis
geb. ARME. 10.—, geb. R. 11.20.
Schon Tacitus (Germania 24) bat den Schwerttanz Inapp, allzu Inapp, befchrieben.
Dann tritt er erft wieder vom Ende des 14. Ihe. an bei den Tee nn der Zünfte
auf und blüht im 15. und 16. Ib., bei den Bauern fpäter als in den Städten. Mefdle
fammelt den Stoff für die deutfchen und englifchen bürgerlidden und bäuerifhen Schwert:
184 Volt und Raffe. 1932, III
tänze mit Ausbliden auf Außergermanifches, zeigt in Überfichten die Se der Zeugniffe
und die Verbreitung und zergliedert die Klachrichten über die Tanzform. Er findet zu den
DVerflingungen des Tanzreigens ein Begenftüd in den Tierverfchlingungen und Bandges
flebten der Runft der Völlerwanderung. Aber diefer Dergleidh, fon an fic mit vielen
Unficherbeiten bebaftet, reicht lange nidt bis an Tacitus heran, gefchweige denn bis an
die nordifdhen Selsrigungen der Bronzezeit, in denen Mefdte ebenfalls fhon Spuren des
Schwerttanzes fudht. Die Schwerttanzfpiele, in denen fo gewidtige Geftalten wie AHildes
brand und Starlader nadllingen, werden als Sramatifhe Erweiterungen des reinen
Schwerttanzes behandelt. Aultifches, die Entbauptung des Vegetationsgottes, tritt bier
vielleiht nod urfprungnäber hervor. Beben die bäurifhen Gilden auf heidnifche Opfers
verfammlungen zurüd, fo können audy die Zünfte der Handwerler in religidfen Dereinis
gungen wurzeln und als foldye febr altes Gut vermittelt haben. Bei den Schwerttänzen
wird man vor allem an den Schmied als hbandwerklien Träger und an die Schmiede als
Mannerhaus denten müffen. Weiche bat das nicht fo entfchieden berausgeftellt und auss
ewertet, wie fein Stoff es nabelegt. Am Anfange fceint doch der Eutin der
lingenfchmiede zu Klürnberg (1386) zu fteben. £e folgt glei der der Schmiede zu Brauns
fhwein (1446), und die Schmiede beberrfdhen das 15. und zum Teil noch das 16. Jb.
Verehrung des Schwertgottes Ziu, der zugleidh der HAimmelsgott ift, durd die Schmiede
wére aud von den rdmifden Galiern und dem Schmiede Mamurius Deturius ber recht
ut denkbar. Meichles Derdienft liegt vor allem in der reichen und uberfidtliden Zufammens
faffung des Stoffes und in deffen abwagender Durddringung, wodurd eine gute Unters
lage für alle weiter ausbolenden Betradhtungen gefchaffen ift. .
Wolfgang Shulg, Gdrlig.
Karl Theodor Straffer: Sadfen und Angelfadhfen. SHanfeatifche Derlagsanftalt, Ham»
— 1931. 190 S. mit 36 Bildern und Rarten im Tert und auf Tafeln. Preis
geb. ME. 9.—.
Der bereits durch fein Buch über die Wikinger und Liormannen betannte Derfaffer ver»
fucht bier in einem neuen Bande zur Srübgefchichte der nordifchen Völker die niederfächfifche
Dolkseinbeit und Art in ihrem Zufammenbange mit dem Florden und in ihrer Entfeltung
über die ganze Erde zu fpiegeln. Die Darftellung reicht bis zum 11. Ib., wo die felbs
ftdndige Stammesgefdidte mit dem Erlöfcyen des ottonifchen und des weftfadfifden Serre
fderbaufes, dem Auffommen der Salier und der Eroberung Englands durd die Wor:
mannen einen gewiffen Abfchluß findet. Straffer fchreibt aus guter, zufammenfaffender
Benntnis feines Begenftandes, den er auch durch Bilder, Rarten, Stammbäume zu verdeuts
lihen weiß. Dod madt ibn die Begeifterung nod mebr ala in feinem früheren Buche
zur Sibplie, die, um mit Aeratleitos 3u fprechen, von ibrem Gotte getrieben mit rafendem
Munde Ungeladtes, Ungefdminttes, Ungefalbtes redet, womit fic leider auc mance
Ubertriebenbeit und Untlarbeit der Schau verbindet. Das Hildebrandlied ift „gebaucht,
geftammelt, atemlos geftaltet“ (S. 99); „die ‚Edda‘ plärrt geradezu von dem Betrüger
und Srauenfddnder” Odin (S. 46); „Llorthbumbrien zerfprang wie ein gläferner Ball von
neuem (!) in feine Teile“ (3. 73); „ein Jabrtaufend lang blieb diefer fhmale Raum’ zwis
ſchen Oder und Weidfel) „der Abzugstamin immer neu nadhftrömendem Völkergewölt,
bis er“ (es?) „endlih ... gäanzlidd verdampfte” (5. 25). Ganze Abfdge (3. B. S. 26)
traten, Blunds Sprache fi) näbernd, Wucht und Schwung in Vorgänge 3u tragen, die
in fchlidhter, lagagemager Gacdlidteit weit gewaltiger, uberfidtlider, Enapper zur Gels
tung kämen. Allzu oft wird, um mitzureißen, fo getan, als könne ein überreidhes Bild
der Dinge, audy der Quellenlage, vorausgefegt, als könne darüber aus dem Pollen ges
fprochen werden. Jedody nicht feiten verfagt diefes Witte! und die See err
in gequältem indeuten, das den gewiffenbafteren Lefer in mancdes aufbaltende Ratfeleaten
verwidelt. Der Ubfdnitt ber ,die Saga von Himmel und Erde“ (S. 40—46) zeigt befons
ders Mar, wie fich religionswiffenfchaftlie Anwandlungen auf diefe Act eben doc weder
zu dichterifcher Wirkung, no zu kulturgefdhichtlicher Wabrbeit aufpeitidhen laffen. Aber
diefe Ausftellungen, vorwiegend am dußeren Gewande, follen nicht verdeden, daß aud
fo aus Straffers Bude, in dem die rubigere, gefchichtliche Darftellung doch auf lange
Streden, und gegen den Schluß zu immer mebr, ducdhbridt, eine Sulle wenig betannter
und bodft eindrudsvoller Tatfachen an den Lefer herandraͤngt und daß dabei weltgeſchicht⸗
lich enticheidende Vorgänge von ihren Anfätzen ber erkennbar werden, die Grundlagen des
englifden Weltreides und die Entftebung des deutichen Raiferreiches, ein Gegenftand von
übervoältigender Bedeutung und geiftigsjittlicher Größe, und all das auf altgermanifdem,
fih in unfere Gegenwart fortfegendem Grunde. Wolfgang Shulg, Börlis.
N
Brof. Dr. Mehlis:
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Bin Sportlehrerin, ferngejund, jchön, 25jährig, aus gejunder
yamilie, treibe aus Liebhaberei Stammbaumforfhumg. und
arbeite als Schriftftellerin, habe mehrjährige Lehrpraris aud)
in Hausiwirtidaft, fann fdyneidern, majdinenidreiben” und
vieles andere. Qc) wiirde mid freuen, ala Ehelameraden
eine Berjönlichleit zu finden, mit der ich harmonieren lönnte,
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Deutſche
Volkstrachten
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funjt erjchlojjen. Die Cinleitung des jachverjtandigen Herausgebers bringt diel
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in einem Band gebd. RT. 20.—.
Jeder Teil ijt au einzeln fäuflid.
Wir meinen alle, Deutichland fei das. beitbetannte, bejtbejchriebene Land der Erbe
und wir jelbjt fennten es im großen und ganzen recht gründlich. Wenn man Banies
Candestunde gelefen hat, dann ficht man erft, was alles dem naiven Reilenden
entgeht und was nur einer darjtellen fann, der in 25 Jabren der Dorbereitung
und in unzähligen Reifen fein Wiljen und feine Erfahrungen zufammengetragen
bat. Banje ijt der Babnbrecher der modernen Geographie und fein Wert ijt etwas:
Neues im geographijchen Schrifttum. Neu ift zunächjit das Räumliche. Er bebandeik
das ganze deutjche Land, den von 92 Millionen deutichiprachiger Menjchen bewohnten
Raum Mitteleuropas einjchließlih der Holländer und Diamen, der Schweizer und
Ungarjdwaben. Er zeigt die Deutjchheit in Landichaft und Dolfstum aud) Sort,
wo fie im Laufe der Jahrhunderte etwas verjchüttet wurde. Meu ijt aber aud Die:
Einteilung des deutichen Landes in Raumfchaften, die aus den Gegebenbeiten der
Stammestümlichteit und der Natur abgeleitet wurden. Sie heben ji poneinander
ab durch Eigenheiten der Landichaft und Mundart, des jeeliihen Ausdruds und Ser
Wirtichaftsgebarung. Eine farbige Karte zeigt ihre Abgrenzung und bietet bamik
einen wichtigen Beitrag 3ur viel beiprochenen Neugliederung.
Banjes Werf leitet eine neue Art der Erdbeichreibung ein. Sein Werk, das tier
aus dem Derjtehen deutjchen Landes und deutjcher Doltheit heraus erwachjen it, I
bis in die fleinjten Einzelheiten von deutichem Geijt durchzogen. Zum erftenmeal
tritt F das bedingungslos Nationale in die Geographie ein. Die deutiche Tandes=
funde ijt jo reich mit Bildern und Karten ausgejtattet, daß jie zum Buch Ser
Deutfchen geworden ilt, das jeder beißen follte, dem es ernit damit ift, fein Lane
und Dolt zu begreifen.
Die aus fünjtlerifcher Sicht erwachjende reine Candesbefdhreibung paart jich mit Ders
Erkenntnis der feelenformenden Kräfte der Landichaft — eine Derinnerlichung Ber
geographiichen Betrachtungsweile, die vor allem den Sinn der Gegebenheiten Im
neues, zufunftweijendes Licht rüdt. Der Tag.
3. $. Zebmanns Devlas, München
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~ Berantwortlid. für: die e Sdriftleitung von „Volk und Kaffe”: Brof. Dr, D. Rede, Leipzig und Dr. Bruno RK. Schul, Minden.
Berantwortlid fiir den Anzeigenteil: Guido Haugg, Minn. — Verlag: 3. F. Lehmann, Münden.
Druck von Dr. F. PB. Datterer tever aseteifing-Wiinden.
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7. Jahrgang mee 4 ®ftober (Weinmond) 1932
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SHriftleitung: Prof.dr.O. Rede, Leipzigu. Dr. Bruno K.Sdhulfs, Minden
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EI. §.Zehmanns Verlag, München
Bezugspreis jährlih M,8.—, Einzelheft M. 2.—
Suhalt:
Umjchlagbild: Mädchen aus Nordſchleswig.(Aus L. F. Clauß, Die nordiſche Seele. 2.Auft).
Sotenjurdt und Aberglaube bei den Germanen der Bölterwanderungsgeit, 7
Won Dr. Lothar F. 308, Breslau. (Mit 5 Abbildungen) . Seite 185
Die Geburtentrajt im volfspolitijdhen Kampfe. Bon Otto Schelling, Nordenham » 194
Einfluß der Rafje auf Fünjtlerifche — und — Von
Dr. 9. Sandvoß. (Mit 4 Abbildungen) - - „ 1%
Urflawenheimat und — — O. Von * — *
a.d. Donau . . „ 203
Deutihe Bolkstrachten (II). Bon R. Helm. (Mit 2 farb. Tafeln u. 1 Abbildg, im Tert) „ 215
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Dr. Richard Wolfram, Wien . . » 218
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Don Prof. Dr. A. Stange, 48 — mit
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Jahrhunderte umſpannende Geſchichte der alt—
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Boltatunit“ der Firma Ferdinand Hirt & Sohn, Breslau bejonders aufmerkam.
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Aus: Helm, Deutfche Doltstracten
I. $. Lebmanns Verlag, Münden
Stau und Rind aus KHBindelopen, Weftfriesland
„Volt und Kalle”
Runftbeilage zu
Dolf und Raffe
‘Slluftrierte Dierteljabrefdrift fiir deutfches Volkstum
Herausgeber: Prof. Aidhel (Kiel); Or. Bachtold (Bafel); Prof. Dethlefffen (Rdnigsbecg
i.Pr.); Prof. Sehrle (Heidelberg); Prof. €. Sifcer (Berlin); Prof. Sambruch (Hamburg);
Prof. Helbot (Jnnsbrud); Prof. ©. £ebmann (Altona); Dr. Lüers (Münden); Prof. Mielke
(Hermsdorf b. Bin); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Muh (Wien); Prof. Panzer
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. 3. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dorts
mund); Prof. W. MM. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulte,
Naumburg (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof.
Wrede (Röln); Dr. Zaunert (MWilbelmsbhöhe); Dr. Feif (Srantfurt/M.).
Schriftleitung der Zeitfhrift: Univerfitätsprofeffor Dr. Otto Rede, Gaugfch
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Rurt Shulg, München, Fleubauferftr. 51.
Derlag: J. §. Lehmann, Münden 2 SW., Paul HeyfesStraGe 26.
Jährlich erfceinen 4 Hefte. Bezugspreis jährlih M.s.—, Einzelheft M. 2.—.
Poftfchedtonto des Verlags Münden 129.
Poftfpartaffe Wien 59594. — Konto bei der Bayerifchen Vereinsbant Münden. —
Ronto bei der Rreditanftalt der Deutfcdhen e. &. m. b. %. Prag II, Rrafauerftraße 33
(Poftfpartaffentonto der Rreditan(talt: Prag 62730). — Schweizerifche Poſtſcheckrechnung
Bern III 4845. Schwed. Poftichedtonto Stodbolm 4167.
7. Jahrgang Heft 4 Oftober (CWeinmond) 1932
Der Verlag bebalt fic) das ausfchließliche Recht der Dervielfältigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor.
Totenfucdht und Aberglaube bei den Bermanen
der Völkerwanderungszeit.
Don Dr. Lorbar §. 505, Breslau.
Mit & Abbildungen.
m Chrifti Geburt und in der römifchen Kaiferzeit war bei Oft:, Wefts und
Flordgermanen, von Ausnahmen abgefeben !), die Seuerbeftattung üblich. Erft
mit dem vierten nachehriftlichen Jabrbundert gingen die mitteleuropäifchen Ger:
manenftämme, offenbar beeinflußt von den Römern, denen das Chriftentum den
Scheiterhaufen für die Toten verbat, dazu über, ihre Toten unverbrannt der Der:
wefung im Erdboden zu übergeben. Werfen nun dic im Boden erbaltenen Brands
beftattungen, wie Urnengraber, Brand{cdhuttungsgraber oder Haͤufchen verbrannter
Gebeine, auch manches Licht auf Totenkult und Totenglaube, wobei ih nur an
die „Seelenlöcdher“ oder die Glasfenfterchen in den Urnen erinnern will), fo vers
fchließen uns die Brandbeftattungen naturgemäß unmittelbare Erkenntniffe uber
die individuelle Behandlung der Derftorbenen. Wir vermögen nichts anderes mebr
1) Hierzu vgl. £. 308, Wandalifhe Rörpergräber der Spätlatenezeit. Altfchlefien
IV. 9. 1. 1932.
2) Hierzu vgl. $. Roeder, Die fähfifchen Senftergefäße der Völkerwanderungszeit.
18. Bericht d. Röm. Berm. Rommiffion: 1928.
Dolf und Bafle. 1932. Oftrober. 13
186 Volt und Raffe. 1932, IV
feftzuftellen, als daß der Tote eben verbrannt, und daß feine Afche auf die oder
jene Weife beigefetzt worden ift. Was möglicher Weife mit der Leiche vor der
Derbrennung gefdab, bleibt uns verfchloffen. Anders bei Rörperbeftattungen, wo
die Bebandlung mander Leichen recht bemerkenswerte Ausblide auf jene relis
gidfen Vorftellungen unferer Vorfahren wirft, die wir heute gemeinbin als Abers
glauben bezeichnen, deren tiefes Derwurzeltfein in der Vorftellungswelt des Volkes
aber Sudurdy bewiefen wird, daß fie bis auf unfere Tage teils offen, häufiger ver:
ftedt und dann in einer von der urfprünglichen abgewandelten Sorm weiterleben.
Dod wollen wir bierauf erft Zurüdtommen, nachdem wir von einigen fonders
baren Beftattungefitten des vorgefchichtlihen Germanentums gefprodhen baben,
deren finngebende und zweddienliche Urfachen wir überhaupt erft aus diefem
Weiterleben zu erkennen vermögen.
As Beauftragter des niederfchlefifchen Landesamts für vorgefdictlice
Dentmalpflege grub ib im Sommer 1933 zu GroßsSürding, Rr. Breslau, einen
größeren Stelettgräberfriedhof aus ?), der vor der Zerftörung durdy einen Sands
fhachtungsbetrieb bewahrt werden mußte. Die Gräber gebören nach Art der den
Toten mitgegebenen Beigaben an Waffen, Sdhmud und Jrdenware in den Ans
fang des 5. Jahrhunderts und zwar müffen bier die Silingen, ein Teilftamm der
Wandalen, denen Schlefien bekanntlich feinen Klamen verdantt‘), das Groß:
Sürdinger Gräberfeld angelegt haben. In wie weit das Blut diefes Reftoslkchens,
das nach der Abwanderung des Hauptteils des wandalifden Volkes, in der fchles
fifchen Heimat verblieben war, durch gotifchegepidifche Zuwanderung aufgefrifcht
worden war, ift eine Stage, die wir bier nicht beantworten wollen.
Auf unferm Gräberfelde konnte man zweierlei Arten von Beerdigungen uns
terfcheiden, und ich möchte von einer gewöhnlichen und einer ungewöhnlichen Bez
ftattung fprechen. Im erfteren Salle lagen die Toten auf dem Rüden ausgeftredt
(Abb. 1), manchmal waren die Hande über den Schoß gefaltet. Unter 52 fpftes
matifch unterfuchten Gräbern konnte die Lage der Leiche bei 17 Beftattungen nicht
mebr erlannt werden, weil die Anochen entweder febr feicht lagen und durch die
Bodenbewirtfchhaftung geftört waren, weil fie tiefliegend den cemifden Der=
witterungsprozeffen im Boden zu fehr zum Opfer gefallen waren oder [dhließ-
lich, worauf wir zurüdtommen werden müffen, weil im Grab ein wirres Durch-
einander von Steletteilen berrfchte. Unter den übrigen 35 Beftattungen zeigten
13 die Rüdenlage (Abb. ı), 21 lagen mit wenig bis ftard angezogenen Beinen und
Armen auf der Seite (Abb. 2), 7 lagen auf Baud) und Beficht (Abb. 3), und in
einem Grabe lag der Tote mit angezogenen Anien auf dem Rüden. Der UÜberſchuß
von 7 Beftattungen erNärt fi) daraus, daß fich unter den 35 Gräbern 3 Doppel:
beftattungen (Abb. 4) und ein Maffengrab, in dem 5 Tote lagen, befinden. Don
diefen fünf Steletten zeigten zwei die Bauch und drei die Seitenlage. Zu ers
wabnen bliebe noch, daß in zwei Sällen eine ftodwerkabnlide Grabbelegung von
übereinanderbeftatteten Toten beobachtet wurde.
Die auffallende Lage einiger der Beerdigten wird obne Weiteres durch die zu
tur3e Grabgrube erklärt, in die man die Toten geradezu bineinzwängen mußte. So
erklärt fich vor allem die Hoderftellung. Bei ibe Connen wir faft fdon von der
ungewdbnliden Beftattungsurt fprechen, deren Hauptlennzeiden auf unferem
3) £. 308, Slelettgraber der Odllerwanderungsseit in Sdlefien. Sorfdungen und
Sortfchritte VII Fir. 19, 1933 S. 262. Widtige Ausgrabungsergebniffe in Gr. Sürding
Rr. Breslau, Altfchlefifche Blätter VI Fir. 4, 1931 ©. 50.
+) &. Luftig, Der Siling. Altjchlef. Blätter Fir. 4, 1927.
1932, 1V Sotbar $. 30g, Totenfurdht und Aberglaube bei den Germanen ufw. 187
Gräberfeld darin beftand, daß die Leichen offenbar nicht „beftattet‘‘, fondern einfach
ins Grab bineingeworfen worden waren. Dort lagen fie, die Unterfdentel dann,
wenn die Brabgrube zu kurz ausgefchachtet worden war, nach oben geftredt, oder
die Glieder feltfam verrentt, einfach fo liegen gelaffen, wie fie beim Hineinwerfen
des Toten gerade fielen. Diefe Lage zeigte deutlich Grab 44 (Abb. 3), wo der linke
Unterfchentel des auf dem Bauch Beftatteten in der rechten Kniekeble lag. Aber
Abb. 3. Skelett in Rüdenlage.
Abb. 2. Stelett in Seitenlage.
nod etwas anderes Ungewöhnliches konnten wir bei diefem Grabe beobachten.
Der Schädel war mit 3 Halswirbeln gegenüber der übrigen Wirbelfäule leicht
verfegt und bing mit ibr nidt mebr zufammen. Daß das nicht, wie ich anfänglich
annehmen wollte, auf fpätere Drudverlagerungen im Boden zurüudzufübhren war,
darüber belebrten drei andere Graber, deren Stelette gleichfalls eine Schädel:
abtrennung aufwiefen. ier aber lag diefer vom Rumpf getrennte Schädel nicht
an der ibm zulommenden Stelle, fondern entweder in der Knickeble des feitlich
auf dem Bauch liegenden Körpers oder zwifchen den Öberfchenkeln eines in ge
ftredter Rüdenlage Beftatteten (Abb. 5). Ein Zweifel, daß der Kopf diefer Toten
vor oder nach dem Ableben gewaltfam abgetrennt worden ift, Fann bei diefen Graz
bern nicht befteben. Sur eine an der Leiche vorgenommene Abtrennung fpricht der
13°
188 Dolf und Raffe. 1932, IV
Befund, den die Präparation eines anderen Schädels ergab. hier fanden fich die
beiden erften Halswirbel (Atlas und Epiftropbeus) innerhalb der Schädelkapfel.
Sie können dort binein nur durch das AHinterbauptsloch gelangt fein, das ein=
geftoßen worden ift, fo, als bätte man den abgetrennten Schädel gleichfam wie auf
eine Stange auf die Wirbelfäule geftedt.
Die ande des auf dem Rüden liegenden Gelöpften waren unter dem Gefäß
gekreuszt, und da auch die Süße fehräg übereinandergezogen, d. b. deutlich gefeffelt
waren (Abb. 5), darf man von den Kyänden dasfelbe annehmen. Aber die Schädel:
abtrennung ift nicht die größte Derunglimpfung, die wir an den bei Groß-Sürding
Abb. 3. Skelett auf dem Baudhe liegend.
beftatteten Leichen feftftellen konnten. So wies Grab 40 ein völliges Durchein:
ander von Steletteilen auf. Kur die beiden Unterfchenkel lagen mit den Süßen in
normaler, geftredter Lage. Zwifchen den Zeben fand fich eine Bronzefchnalle, die
beweift, daß diefe, ebenfo wie in Grab 51, übereinandergezogenen Süße mit einem
Riemen zufammengefchnürt gewefen find. Lin Teil eines ©berfchentellnochens
lag in der Fläbe der Schulter, der Gaumenteil des Schädels lag obne Ralotte und
Unterkiefer etwa in der Bedengegend. Es muß ausdrüdlich bemerkt werden, daß
eine nachträgliche Störung des Grabes nicht in Srage fommt. Das Skelett lag
in 1,10 m Tiefe, und die genau rechtedige Grabgrube (fie entbielt zablreiche
Scherben) von 1,40 m : 0,80 m war völlig ungeftört und bob fich fcharf gegen
den anftebenden gelben Sand ab. So kann man nur an eine abfichtliche Leichen:
zerftüdelung denken. Und auch in diefem Salle fanden wir gleidfam die Beftati-
gung für die Richtigkeit unferer Beobachtung bei Grab 45, wo das Rnochendurch-
einander einer zerftüdelten Leiche in 0,70 m Ticfe lag. Leider waren aber bier die
Einzelteile fo ftark zerfetzt, daß keine genauen Angaben über ibre Lage gemacht
werden können. IJmmerbin fei als auffallend erwäbnt, daß Schädelteile in diefen
Grab völlig feblten, wabrend fonft die Zähne am längften der Oerwitterung im
Boden trogen.
FTicht nur bei den ungewöbnlichen Beftattungen wurden fo auffallende Er:
jbeinungen beobachtet. Selbft die in der gewöbnlichen ausgeftredten Rüdenlage
eingeerdeten Toten wiefen 3. T. auf bemerkenswerte und ungewöbnliche Be:
ftattungsbräuche bin. So fand fich auf dem Schädel eines mit dem Schwert be:
—_e_———— — — — — — — un — — — — — — nn ee,
1932, 1V otbar §. 50g, Totenfurdt und Aberglaube bei den Germanen ufw. 189
EEE ni u Eu ru PE OS, eS Se!
erdigten Kriegers ein gewaltiger Gefteinsblod von 65:50:40 cm, wäbrend
zwifchen den Kiefern eines andern in geftredter Rüdenlage Rubenden, ein Tier:
Enocben ftedte, der dem Toten tief in den Rachen geftoßen worden war.
Der erfte Gedanke, der bei der Srage nach Urfache, Sinn und Bedeutung
folden Brauchtums, äbnlich wie anfänglich mir, auch dem Lejer auftauchen wird,
mag vielleicht auf die Annahme zielen, auf dem Groß-Sürdinger Gräberfeld
feien Sreund und Seind, oder Herren und SHaven beerdigt worden. Im erfteren
Sall mugte man an eine Schlacht denken, und daß mebrere der beftatteten Kampen
an einer folchen teilgenommen baben, befagen deutliche, teilweife fcheinbar ver:
beilte, alte Schädelverlegungen. Lin
derartiger Rampf müßte wohl in der
übe ftattgefunden baben und in
feinem Gefolge müßte man die Ges
fallenen des eigenen Volks gegebenen:
falls zugleich mit den bingerichteten
Gefangenen des Seindes beerdigt baz
ben. Eine Seffelung, Tötung und
jelbft Derftümmelung von kriege:
gefangenen Sklaven würde ja durdy-
aus nicht aus dem Rabmen der
Eriegerifhben Gepflogenbeiten der
beginnenden Völkerwanderungszeit
fallen. Die Annabme eines mörderi:
jchen Rampfes würde zugleich die
Belegung einzelner Gräber mit zwei
oder noch mebr Leichen erklären, wo:
bingegen die große Anzahl von
Srauengräbern keine Erklärung fände.
Völlig unverftändlich aber würde
unter diefer Annahme fein, daß die
„in’s Grab Geworfenen“ in bunter
Reibe zwifchen den ,,Beftatteten”
liegen. Die Beftatteten wiefen ftets
und ım allgemeinen auch beffere und
zablreichere Beigaben auf, als die
Dineingeworfenen oder Gekdpften, Abb. 4.
bei denen fich 3. T. überhaupt nichts
befand. Aber das ift keine Regel, denn in dem befchriebenen Grab 40, das
eine Seffelung und Zerftüdelung des Toten bewies, fand fich beifpielsweife außer
der jchönen Bronzefchnalle zwifchen den Zeben, eine eiferne Schnalle, eine große
eiferne Sibel mit umgefchlagenem Suß, der Reft eines Kifenmeffers und mebrere,
mit Stoffreften verbadene Kifenteile, die bewiefen, daß man die fterblichen Über:
refte in Tücher eingebüllt, in die Grube verfenkte. Es find alfo auch die gut:
ausgeftatteten Toten, wenn auch feltener, auf ungewöhnliche Weife bebandelt
worden.
£be wir uns nach einem andern Erklärungsverfuch umfeben, wollen wir
einige wenige Beifpiele ähnlicher feltfamer Grabbrauche der vdlkerwanderungs-
zeitlicden Germanen anfübren. Auf Einzelparallelen, deren mir aus dem Schrift:
tum eine Reibe bekannt find, bier einzugeben, verbietet mir Raummangel.
Doppelbeitattung.
190 Volt und Rafie. 1932, IV
Auf dem weftgotifchen Gräberfeld von Maroßzentanna in Siebenbürgen >)
fommt neben der Beftattung in Rüdenlage auch die Bauchlage vor und Roväcs
nennt eine Reibe von Gräbern, in denen, wie er fagt, fich eine „große Unordnung
von Knochen“ fand, oder wo die Knochen „fchon geftört“ oder die Beftattung
yentweibt war. Dabei darf man an natürliche Störungen kaum denken, liegen
die betreffenden Gräber doch über 1,50 m oder fogar über 2 m tief. Aus Tbüs
ringen nannte Schulz die Gräber von Fliemberg und Oldisleben®), wo die Bez
ftatteten auf dem Bauche lagen. Weitere zablreiche Beifpiele bierfür nennt
Wilke?). Die noch bemertenswerteren Derftümmelungen, Abfchlagen des Schäs
dels und ähnliches wurde feftgeftellt auf dem völkerwanderungszeitlichen Gräber:
feld von Rosdorf bei
Gottingen’). Auch bei
den oftpreußifcben Ge:
pıden fcheinen äbnliche
Bräuche bin und wieder
geübt worden zu fein,
wie aus den Sundberich-
ten Bezzenbergers in der
„Pruffie‘‘ zu entnebmen
ift. Die ausgefprochene
Hoderlage und die Be:
dedung des Schädels mit
großen Gefteinsblöden ift
bei den Ylordgermanen
des 4. Jabrbunderts be:
legt und in Engelbardts
Bericht?) ift befonders
vielfagend ein feeländis
Abb. 5. Skelett mit vom Rumpfe getrenntem Scyädel. ſches Grab, das nicht nur
aͤußerſte Hockerlage zeigt,
ſondern bei dem Schaͤdel und Beine außerdem noch mit je einem Geſteinsblock
beſchwert waren.
Aber es fehlt uns auch nicht an mittelalterlichen oder neuzeitlichen Ver—
gleichen aus dem eigenen Volkstum und dieſen wollen wir uns nunmehr zuwen⸗
den 10). Chriſtian Gotthold Wiliſch berichtet in ſeiner Rirchenhiſtorie der Stadt
Steyberg in Teil II S. 378: „Im Jahre 1552 hat in den Doͤrfern um Freyberg die
Peſt graſſiert, ſonderlich ſtarb viel Volk zu Hermsdorf, Clauswitz und Dittersbach.
Das Volk glaubte dabei, daß die toten Koͤrper in den Graͤbern anfingen zu eſſen
und einer den anderen nachholete. Etliche, die auf den Graͤbern geſtanden, er—⸗
5) J. Rovacs, A marosszentannai né ppandorlaskori temetö. Dolgozatok
III 1912.
6) W. Schulz, Die Stelettgräber der fpätröm. Zeit in Mitteldeutfdland. Mannus-
Bibl. Mr. 22, 1922 S. 102— 103.
7) G. Wilke, Die Beftattung in Bauclage. Mannus 23, 1931 S. 202 ff.
8) I. % Muller, Die Reibengraber 3u Rosdorf bei Göttingen. Hannover 1878.
9) E. Engelbardt, Steletgrave paa Siaeland og i det dftlige Danmark. Arböger
for nordist Dlökyndigbed og Miftorie 1877 S. 347.
10) Herren Öbergeneralarzt Wilke bin ich für Literaturbinweife zu großem Dante
verpflichtet. Da ich zwei der angeführten, jeltenen mittelalterlihen Werte trog langer Bes
mübungen nicht in die Hand betommen konnte, muß ich teilweije wörtlid nach Wiltes Mit:
teilung zitieren.
— —— — — —
= —— — — — — — — — ———— —
1932, IV &otbar $. 30g, Totenfurdt und Aberglaube bei den Germanen ufw. 191
zählten, daß fie gebdrt, wie die Toten unter der Erde fchmatten. Deswegen bat
man den Derftorbenen die Köpfe mit einem GBrabfcheite abgeftoßen oder fie ganz
verbrannt und dabei gemeint, fo das Unheil und Sterben abzuwenden.“ Und
aus demfelben Jahre berichtet Larl Samuel Hoffmann in feiner biftorifchen Bes
fbreibung von Ofdag Bd. I S. 182 von ganz Aähnlidyen Vorgängen. Der
Leipziger Gelehrte Jobann Praetorius fchrieb 1662 in feiner „philosophia
colus* S. 123: ,,Diefes ift bei vielen ratum fixumque, daß, wenn ein Rind
3zweymal gewebnet werde, es bernadh im Grabe nicht faulen könne, fondern unvers
weslich in der Erden etliche Jahre liege, fein vdlliges gute Geblite babe, und das
nächfte von feinen Kleidern oder Sterbefittel verzebre; ja alfo die ganze Sreund-
fhaft außs und abfterben made oder mortalitem inferire. "Es fep denn, daß
folddem Sarcopbago der Hals mit Spaden oder Schauffel abgeftoßen werde.“ Um
aud bier mit einem Beifpiel auf nordgermanifde Gebiete überzugreifen, nenne
ich noch die für derartige volkstundliche Sragen außerordentlih auffdlugreiden
Ausgrabungen, die auf einem, im beginnenden 16. Jabrbundert belegten chriftlichen
Sriedbof bei Lund in Schweden durchgeführt wurden 1). Lieben Gräbern ges
wdbnlid Derftorbener und Beerdigter wurden dort Maffengräber von Krieges
Inecbten und Verbrechern feftgeftellt. Die letzteren waren offenbar entbauptet
und die Schädel mit Kiägeln auf Pfäble gebeftet 12) und dann beigefegt worden.
Suir unfere Sragen befonders wichtig ift eine Gruppe von fchädellofen Steletten,
deren einem der Ropf zwifchen die Beine gelegt war. Hier wird man mit Sicher;
beit auf Dampirs oder Mladszebrerglauben fchließen dürfen, wie er durch die obigen
Angaben urkundlich belegt ift und dasfelbe gilt für zwei unmittelbar beieinander
liegende Stelette, die, teilweife fhon abgefchachtet, 1925 von Dr. KR. Tadenberg
in Broßs£abfe, Ar. Militfch, ausgegraben wurden und von denen das eine den
Schädel zwifchen den Oberfdenteln liegen batte.
Dod ift mit der Teuzeit diefe Totenfurdte und der auf fie gegründete Abers
glaube keineswegs ausgeftorben. Was die Beftattung in Bauchlage betrifft, fo
muß ich bier auf Wilke verweifen?). Brieflich teilte mir Herr Obergeneralarst
Wille ferner mit, daß im Jahre 1750 der Leiche eines Sreiberrn v. Wollſchlaͤger
auf Jacobsdorf in Weftpreugen wegen vermeintlidber DDiedergangerei der Kopf
abgefdlagen wurde. Daß während der Choleraepidemien in den fechziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts aus Angft vor dem Maffenfterben, fur das man ja
keine Erklaͤrung wußte, alle die alten Bräuche wieder auflebten, ift nicht vers
wunderlich, daß man aber noch im Jabre 1873 (Mitteilung Wilke) in Oftpreugen
einem verftorbenen Samilienvater nad ftattgefundenem Samilienrate den Kopf
abfdlug, dirfte dod) ebenfo erftaunlich fein, wie die Tatfache, daß im Jabre 1913
vor dem Amtsgericht Pugig ein gleicher Sall zur Verhandlung ftand.
Die Sitte der Beftattung in Bauchlage und der Leichenverftümmelung
berrfcht alfo, wie wir faben, von der germanifchen Odllerwanderungs3eit bis
ins Mittelalter und bis auf unfere Cage. Aus der zwifchen der germanifchen und
der Wiedereindeutjchungszeit Oftdeutjchlands liegenden flawifchen Periode kann
man dabnlide Grabriten gelegentlid) nadweifen, und ebenfo ficer geben fie in
Mitteleuropa auf die vorgermanifche Zeit zurüd. Wir baben es alfo bier mit cinem
außerordentlich und erftaunlich tief im religiöfen Denken verwurzelten Glauben zu
tun, den weder das Chriftentum, nod die neuzeitlide Juftiz völlig auszurotten
11) .8.Sorffander, Utgräpningarna A domlapitelbufetse Tomt. Strifter utgiona
av fdreningen det Gamla Lund. X, 1928.
12) Vgl. M. Hellmid, Damppr oder Hingericdteter> Alefdlefien 3, 1931 S. 273 ff.
192 Volt und Kaffe. 1932, IV
vermodt bat. Wenn beifpielsweife noch beute in Schlefien bier und da der
Blaube angetroffen wird, man müffe Mienfchen, die fich feruell vergangen bätten,
bduclings in den Garg legen, weil fonft der Phallos durdy den Sargdedel ftoße,
fo lebt in diefem Brauch gewiß altes Erinnern, wenn aud feine Begründung
neuen Datums ift, weil die alte und urfprüngliche verboten und verloren wors
den ift.
Yun bat Beninger bei der Ausgrabung eines vdllermanderungsseitliden,
langobardifcben Graberfeldes in Lliederöfterreich etwa zu gleicher Zeit binfichtlich
der Beftattungsbraude adbnlide Beobachtungen gemacht, wie wir in Grogs
Sürding. Wor allem wurde aud die fo harakteriftifche Lage des Kopfes zwifchen
den Beinen feftgeftellt 13). In einem bemerkenswerten Auffagy verfucdht der um
die Erforfhung der Germanenfrage in Ofterreich verdiente Wiener Sorfder, der
eine Reibe von Parallelen fowobhl aus der germanifchen Ddllerwandcrungsseit,
wie aus früheren vorgefchichtlichen Perioden beranziebt, mit großer Vorſicht zu
einer Deutung zu gelangen. Beninger konnte bei den LleusRuppersdorfern Gräs
bern aus dem 6. Jabrbundert eine Totenlade aus Holz nachweifen, auf der die
zerftudelten Derftorbenen lagen und ftellt fich nun vor, daß die Leiche sunddft
zwei Monate ausgeftellt war, und daß dann, nachdem fie im völligen Zuftand des
Derfaulens war, rituelle Zerftüdelungen vorgenommen worden wären. Wie
Beninger fagt, ift es nody außerordentlich fdwierig, aus den vielfeitigen und
verfchiedenen, abwechslungsreichen Gebrdauchen der frubgefdidtlicen Leichenzers
ftüdelung gemeinfame Züge zu erfennen, wesbalb in dem erwähnten Auffag von
einer Deutung finngebender Urfaden folder Beftattungsriten abgefeben wird. Ls
wird gewif aud nicht notwendig fein, diefelben Gründe für die Behandlung der
Leichen auf dem einen, Srtlih und zeitlich von einem andern nicht unbedeutend
entfernten Bräberfeld anzunehmen. Dennodbh möchten wir Beninger auch darin
zuftimmen, daß mindeftens die gefamten völkerwanderungszeitlihen Germanen
nach allgemein gültigen und grundlegenden Regeln gehandelt haben, wenn fie
ihre Toten verftümmelten oder gar zerftüdelten.
£s muß ausdrüdlich betont werden, daß an der Tatfache der Leichenverftüm:
melung als folder nicht mehr gezweifelt werden kann. Durdy Argumente, wie fie
mir gegenüber gelegentlich geäußert wurden, folches Brauchtum wäre germanifcher
Anfhauung völlig fremd, find eindeutige Beobadhtungen nicht aus der Welt zu
fhaffen. Wenn früber gelegentlid gemacdte Beobadhtungen nicht beachtet oder
als Verlagerungen und nachträgliche Derwühlungen gedeutet wurden, fo erfcheint
die Meinung eines fo gewiffenbaften Ausgräbers wie Bezzenberger von Wichtige
keit, der aus Maffengrabern des 4.—5. Jahrhunderts, deren Steletten wefentliche
Rörperteile feblten, auf ,,irgendeine Rataftropbe {clog 4). Wir wurden uns
legten Endes felbft vor der Annabme Beningers nicht fträuben, die Langobarden
batten itbre balbverweften Leichen zerlegt, wenn uns nicht gerade gegen diefe
widerwärtige Annahme die von Beninger felbft angeführte Beobachtung zu
fprechen fchien, daß „fi die Perlen des SHalsfhmuds in ungeftörter Lagerung
befanden, auch wenn der Kopf abgetrennt war, und daß der Gurtel mit mebreren
Gebangen fid nicht verfchob, auch wenn die Süße ausgelöft waren“. Daß das
bei einer balbverfaulten und dann noch zerftüdelten Leiche möglich wäre, vermag
ich mir nicht vorzuftellen, und ich fomme desbalb zu dem Schluß, daß die ver:
13) £&. Beninger, Die feichenzerftüdelung als vors und frübgefchichtliche Beftat:
tungsfitte. Antbropos XXVI. 1931 3. 769 ff.
14) A. Bezzenberger, Sundberidte. Pruffia 21. 1896— 13900 S. 144.
1932, IV fotbar §. 30g, Totenfurdht und Aberglaube bei den Germanen ufw. 193
ftorbenen Germanen fofort nad dem erfolgten Tode, wabrfcheinlich bei der Brab-
legung, verftummelt worden find, denn eine zweite Beerdigung nach einer denls
baren, nach der erften erfolgten Wiederausfcharrung kommt weder nach Bes
ningers, nod) nad) meinen eigenen Beobachtungen in Stage. Wenn Beninger
etwa meint, eine faubere Trennung der Gliedmaffen ware erft möglich gewefen,
naddem Musleln und Bander im Zuftand des Derfaulens waren, fo möchte ich
glauben, daß von befonders Beübten eine Zerftüdelung der Gliedmagen aud an
dem nod frifden Toten hätte vorgenommen werden können. Ich vermag mir das
jedenfalls viel eher vorzuftellen, als die balbfaulen Leichen, bei denen felbft nach
den Manipulationen Shmud und Gebange fic nicht verfchoben haben follen.
Serner meine ich, daß uns ein Bräberfeld wie Broß-Sürding, wo wir von der
Beftattung in Bauchlage über die Seffelung und Verftümmelung bis zur Leichen
zerftüdelung fo zu fagen alle Übergänge beobachten konnten, wichtige Singer
zeige auch für die Erklärung eines anderen GBräberfeldes, wo etwa nur die eine
oder andere der ungewöhnlichen Leichenbebandlungen feftgeftellt werden konnte,
gibt. Schließlich fcheint es mir, wenn es auch über den Wert etbnologifcher Der:
gleiche nur ein Urteil gibt, dennoch, fofern dies möglich ift, wichtiger, voltstund-
lide Vergleiche aus unferem eigenen Aulturkreis zwede Erklärung uns beute un:
verftändlicher Bräuche ses vorgefdidtliden Germanentums beranzuzieben.
Somit tomme ich nad den zahlreichen urkundlich belegten Vergleichen bin
und wieder geübter mittelalterlicdher Beftattungsfitten zu dem mir zwingend er:
fcheinenden Schluffe, daß die grundlegende Urfache, von der wir fprachen, auch bei
den Germanen die Totenfurcdht war. Sur das Grdberfeld von Broß-Sürding im
befonderen ftelle ih mir vor, daß, nachdem möglicher Weife im Gefolge eines
Rampfes eine anftedende Krankheit aufgetreten war, die Toten zunddft in der
üblichen Weife in forgfältig und tief ausgefchachteten Gräbern in geftredter
Rüdenlage beigefetzt wurden. Das Sterben machte bald die Belegung einzelner
Gräber mit mehreren Toten notwendig und vorfichtshalber wandte man jegt auch
bin und wieder die Bauchlage oder andere Bräuche, wie das Bededen des Kopfes
mit Gefteinsblöden an, um fid) vor der Ylachgängerei verdädhtiger Toter zu
fhugen. Sclieglidh dürfte das Sterben fo arg geworden fein, daß man die
Toten in eilig und viel zu Burz ausgefchachtete, wenig tiefe Brabgruben, möglichft
mit dem Beficht nach unten, einfach bineinwarf. Das wäre eine ebenfoldhe völter:
wenderungszeitliche Parallele zu mittelalterliden Peftzeit:Sitten, wie das Ab⸗
ftoßen der Köpfe. In der noch weitergebenderen Zerftüdelung aber wird man am
beften eine Steigerung diefes letzteren Brauche feben, und in Groß-Sürding wäre
es denkbar, daß der Tote, nachdem er ins Grab gelegt oder geworfen worden war,
einfach mit einem Grabinftrument zerhadt worden ift.
194 Dolt und Kaffe. 1932, IV
Die Beburtenkraft im volkspolitifchen Aampfe.
Don Gtto Scelling, Flordenbam.
I)" franzöfifchen Ranadier haben fid in den legten 200 Jahren von einigen
zebntaufend Siedlern auf beute nabezu 3 Millionen vermehrt, was etwa
eine Derbundertfachung bedeutet. Das europäifche Stanzofentum, vor 200 Jabren
unter allen Völkern Europas zahlenmäßig an erfter Stelle ftebend, ift beute auf
die fünfte Stelle nach Italien berabgefunten. Biefe beiden Tatfachen geben eine
praltifche Dorftellung davon, wie in verhältnismäßig kurzer Zeit urfprünglich
Beine Volksfplitter durd großen Rinderreihtum — bei den Stanzofen Ranadas
gebörten 10 Rinder zur Sitte — einen großen Umfang annebmen und urfprünglich
große Völker durch geburtenträftigere Bleinere auf die Dauer verdrängt werden.
Solche Erfcheinungen find aud gar nicht verwunderlich, wenn man fich
einmal Beifpiele von Menfdengruppen mit verfcdiedenem Rinderreichtum durchs
rechnet, wie es $. Lenz (Menfchlidye Erblichkeitslebre und Raffenbygiene Bd. 2,
1931, S. 8) getan bat: Gruppe A babe 3 Rinder pro Ebe und außerdem 3 Ges
{dblechterfolgen in 100 Jabren, Gruppe B 4 Rinder und 4 Gefchlechterfolgen aufs
zuweifen!). Das Zablenverbältnis verfchiebt fih dann folgendermaßen:
Gruppe A Gruppe B
ned 0 Jabren 50% 50%
» 100 4, 17,500 82,500
„ 200 ” 0,9 %o 99,8 %0
Sicderlid wären Flordamerita, Auftralien und andere überfeeifche Gebiete
nicht für das Germanentum gewonnen worden, wenn die germanifchen Völker
nur die Geburtentraft des heutigen Srankreidy befeffen batten. Don böberem Ges
fichtspuntt gefeben erweift fic die Geburtentraft als ein politifcher Saktor allers
erften Ranges.
Das natuirlide Dadhstum eines Volkes ergibt fidh betanntlid aus dem Ges
burtenüberfchuß (Beburtenziffer abzuglid Sterbeziffer). Man berechnet meift den
jährlichen Gcburtenüberfchuß, der auf das Taufend der Bevdllerung entfällt. Wie
ift heute das Wachstum der Völker, und wer find die Sieger im gegenwärtigen
®eburtentampfe ?
Soweit diefe Derbältniffe der Statiftit zugänglich find, haben den ftärkiten
Beburtenüberfchuß einige mittclameritanifche Staaten (Roftarita 24,2 und Quas
temala 23,9), ferner Chile, Sormofa (Japan) und Paläftina. Unter den euros
päifchen Staaten weift Rußland die höchfte Zahl auf, nämlich 21,9. Ze folgen
Griechenland (16,2 i. J. 1926), Bulgarien (15,6), Polen (15,3), Rumänien (15,3),
Portugal (12,5), FTiederlande (12,1) — der legte Staat ragt auffallig aus der
Bruppe germanifcher Klationen beraus —, und alsbald fchließen fih Spanien und
Italien an. An den unterften Stellen fteben Deutfchland (8,4 i. J. 1929), Schweiz
(4,7), Belgien (3,7), Großbritannien mit YTordirland (3,5), Schweden (2,9), Ofters
reich (2,2), Srantreid) (— 0,3 1. 3. 1929) und €ftland (— 0,9) ”).
1) Brößere Rinderzabl und fchnellere Generationsfolge fallen in der Regel zufammıen.
2) Zahlen meift aus den Jabren 1928 oder 1929 nad der Aufftellung von A. Sifcer
in der „Zeitfchrift für Beopolitit”, Sebruar 193).
1932, IV_ Otto Scelling, Die Gebuctentrafe im voltspolitifden Rampfe. 195
Fyieraus ift zu erfeben, daß im Vergleich zu Deutfchland die relative Ders
mebrung Rußlands viermal, die Polens nabezu dreimal fo groß ift. Zufammens
faffend läßt fich fagen, daß das Wachstum am intenfioften bei den Slawen und
den Romanen Südeuropas ift und daß die Länder der germanifchen Gruppe und
Srantreid) den europdifcben Gebuctentiefftand darftellen.
Bemerlt fei nod die Tatfache, daß bis zur letzten Jahrhundertwende die gers
manifchen Völker einen großen Rinderfegen batten und daß der germanifche Bes
völkerungsanteil Europas im legten Jabrbundert trog der großen Auswanderer;
ftröme, denen fowohl SlIawen als Romanen Beine ähnlichen an die Seite zu ftellen
baben, nod um einige Prozente geftiegen war.
Unterfudt man die Sruchtbarkeit des Deutfchen Reiches in den einzelnen Ges
bieten, fo ergeben ficy bier zum Teile recht erbebliche Unterfchiede. Bringt man die
Städte über 100. 000 Einwohner in Abrechnung, fo wird die höchfte ebeliche Sruchts
barkeit (über 240 ebelid) Lebendgeborene auf 1000 verheiratete Srauen) — nad
einer Aufftellung für die Jahre 1924—26 im Sonderheft 5 zu „Wirtfchaft und
Statiftil‘ 1929 — von Reg. dez. Allenftein (Oftpreußen), Oberfchlefien, LTieder-
bayern, Oberpfalz und Reg.:Bez. Trier erreicht. Über dem Reichsdurchſchnitt
liegen vor allem Oftpreugen, Hinterpommern, Grenzmart, ©bers und Mittels
feblefien, der weitaus größte Teil Suddeutfdlands, Weftfalen und einige weftlid
liegende Teile vom Rheinland und von Hannover; Mitteldeutfchland und der
größte Teil KFlorddeutfchlandse, vor allem Sreiftaat Gacdfen und die Provinz
Brandenburg (ohne Großberlin) fteben an unterfter Stelle.
Die 45 GroPftadte fur fich betrachtet weifen auch bemerkenswerte Unter;
fhiede auf. In der Reihe der unfruchtbarften Städte folgen nach Berlin: München,
Dresden, Leipzig, Srantfurt, Hamburg, Magdeburg, Hannover, Stuttgart,
Plauen, FTürnberg; demgegenüber liegen einige Jnduftries und Bergarbeiterftädte
des Weftens wie Samborn, Oberbaufen und Gelfentircden fogar uber dem Durchs
fcdnitt des gefamten Reiches.
Sufammenfaffend läßt fich über Deutfchland fagen, daß die verfchieden bobe
Sruchtbarkeit der einzelnen Bebiete und Broßftädte auffällig ftar® durd die Vers
teilung von Stadt und Land, die fozialen Schichten und — febre beachtlid — durch
die konfeffionellen Derbältniffe bedingt ift.
Das Gebiet des heutigen Deutfchäfterreiche befindet fich in einer noch
ungünftigeren Lage ale das Reich, vor allem erklärlicherweife durch die Millionens
ftadt Wien, deren Bevdllerung (1,8 Mill.) uber cin Viertel derjenigen der Republik
ausmacht. Wien (1926: 12,2 Beburten pro 1000) fommt an Unfruchtbarkeit von
den Gropftädten der Welt direlt hinter Berlin (1933: Wien 17,6 und Berlin 19,6).
An der Spite der fruchtbaren Landesteile Ofterreiche ftebt Aärnten mit einer Ziffer
von 29,89 (1922/24). Bemerkenswert hod ift die Beburtenzabl im Burgenlande,
die zum felben Zeitpuntt 32,29 betrug.
Der Geburtentampf in den deutfchen Grenzländern ift natürlich nur ein Auss
fcbnitt aus dem gefamtdcutfchen Kampf, denn ob der deutfche Voltsboden gebalten
wird, ift vor allem von dem Keen des deutfchen Volkstörpers abhängig. Solange
Grogftädte wie Berlin, eine Stadt, die bekanntlich von allen Großftädten der Welt
die niedrigfte Beburtenziffer (9,9 i. J. 1927) befigt, groBe Menfadenmaffen aus
dern deutfchen Dften auffaugen, wird eine Gebuctentraft in den Grenggebieten für
den Geenztampf mie voll zur Auswirkung kommen.
Eine bevölkerungepolitifhe Gefabe beftebt nicht im Weften, aber um fo
mebr im Often und Sudoften.
196 Volt und Kaffe. 1932, IV
Die Gebuctentraft des Deutfchtums außerbalb der Reihsgrenzen ijt fehr ver:
fchieden.
Bei den Deutfchen der Tihehoflowakei (3'/, Mill., !/, der Gefames
bevdllerung) find durchfchnittlich etwa die gleichen Verbältniffe wie im Reich.
Wenn auch bier die Beburtenziffer aufs Banze gefeben niedrig ift, fo bat doch das
tfchechifche Staatsvolt in dem Hauptlande Böhmen kein Übergewicht (Geburten:
überfhuß auf 1000 Einwohner 1925 bei den Deutfchen 6,28, den Tichechen 6,64).
Die Deutfchen in Mähren haben mit 5,17 die nicdrigfte Ziffer von allen Sudeten=
deutfchen, während die Tichechen bier ziemlich überlegen find (10,49). Im Gefamt:
ftaatsverband fteben die Glowalen mit 16,17 an der Spige, wenn man von der
febr geringen polnifden Minderbeit abfiebt. Sur die Deutfcen der Ticdhecdhoflowakei
ift der große Rinderreichtum des Böhmerwaldgebietes widtig, aud) die Meinen
deutfchen Gruppen in der Slowalei und im Bezirk Rarpatbenslitraine haben einen
überrafchend hoben GBeburtenüberfchuß.
Die GBeburtenlage des Deutfchtums in Polen ift äußerft bedentlid. Die
Zahl der Deutfchen, die in größerer Dichte in Öberfchlefien, Pofen und Pommer:
ellen und verftreut auch im ganzen übrigen polnifchen Staatsgebiet fiedeln, beträgt
heute nach deutfcher Berechnung etwa ı,2 Millionen. Über eine Million Deutfche
find feit 1919 vertrieben worden. Mit der Zwangsauswanderung gebt eine ganz
geringe Geburtentraft einber. In Pofen und Pommerellen entfielen 1924 auf
1000 Evangelifche (vorwiegend Deutfche) 16,8 Geburten (Beburtenüberfhuß 2,5),
auf 1000 Ratboliten (überwiegend Polen) 36,0 (Beburtenüberfchuß 19,3). (Lach
der Dollszcblung von 1923 waren 85,5% aller Evangelifchen deutfchiprachig
und 89,200 aller RömifchsRatholifchen polnifch.)
Das Deutfchtum im Südoften (Ungarn, Rumänien, Jugoflawien) ift in den
meiften Sällen den betreffenden Staatsvältern an Sruchtbarkeit erheblich unters
legen. Im Bezirt Siebenbürgen des alten Ungarn (1925: 235 000 Deutfcbe)
waren 1909/11 folgende Geburtenzablen (auf das Taufend der Bevölkerung bes
zogen): Deutfche 28,8, Magyaren 38,0, Rumänen 37,5. Clad dem Kriege i. J. 1925
lauteten die Zablen für die Deutfchen 25,2, für die Rumänen 34,2.
Im ungarifchen Staatsgebiet haben die Ungarn felbft in der Llachlriegss
zeit Beinen erheblichen Geburtenrudgang erfahren, während bei den Deutfchen
(800—600 000 Mienfchen) nad einer außergewöhnlich ftarten Sruchtbarteit uns
mittelbar nach dem Kriege ein Abfall deutlich in Erfcheinung getreten ift. Die
Beburtenziffer bzw. der Beburtenüberfhuß (in Rlammern) betrug:
1920 1923 1925
bei den Deutfchen: 39,2 24,4 (6,7) 23,4
» „» Ungarn: 30,1 (6,4) 29,4 (8,9) 29,0
Don den deutfchen Teilen find befonders die Siedlungen nördlich des Plattens
fees durch bobe Sruchtbarkeit ausgezeichnet.
Deutfh=: Südtirol (200— 250 000 Deutfche) bat fich auffälligerweife feit
1879/81 auf ziemlich gleicher Geburtenbdbe (etwa 26—28 Geb. pro 3000 Einw.)
gebalten. Im Jabre 1924 batten die drei deutfchfprachigen Bezirke Bozen, Briren
und Meran eine Ziffer von 27,7 und einen GBeburtenüberfhuß von 10,8, womit
fie dem italienifchen Staatsdurchfchnitt ziemlich gleichlommen.
Die Deutfchen in Sowjet: Rußland haben fid eine febr erfreulich bobe
Geburtentraft bewabrt. Yon den Wolgadeutfchen (1920: 442000) waren aus
1932, IV Otto Schelling, Die Geburtentraft im voltepolitifhen Rampfe. 197
der Dorkriegszeit Jablen in Höhe 72 (jäbrl. Geburten auf 1000 Bewobhner) bes
fannt. Allerdings ift auch die Sterblichkeit diefer Gebiete febr hod, wie aus den
Vortriegsftatiftilen der Gouvernements Gamara und Saratow hervorgeht (35,5
und 31,7 Sterbefälle auf 1000 Bew.). Die heutige Geburtenzabl der Deutfchen
an der Wolga dürfte mindeftens in der Höhe des ruffifchen Staatsdurchfchnittes
liegen, diefer betrug 3927 42,4 (Geburtenzabl) bzw. 21,9 (Beburtenüberfchuß).
Ganz im Gegenfat bierzu bietet das baltifehe Deutfhtum das ver-
nichtendfte Bild. Die dortigen Deutfchen (Lettland 70 000, Eftland 18.000) wohnen
überwiegend in Städten und leiden an Überalterung. In Zufammenbang damit
find die Deutfchen in Riga, die den weitaus größten Teil des lettifchen Deutfchs
tums ausmachen, 193) bei einem Geburtenunterfdug von rund 5 je Taufend,
die Deutfchen in Eftland 1929 bereits bei einem folchen von 10,8 je Taufend ans
gelangt. Lediglich die litauifchen Deutfchen (29 000 i. J. 1920) befigen nod einen
Geburtenüberfchuß.
Die Lage des deutfchen Volkes ift in Wirklichkeit noch viel ungünftiger, als
fie in den meiften Statiftiten zum Ausdrud kommt. Man muß wiffen, daß
Deutfchland einen unnormalen Altersaufbau mit einer übermäßig ftarten Be:
fezung der mittleren, lebensträftigen, zeugungsfäbigen Altersllaffen, insbefondere
der Jahrgänge 1870— 1890 bat.
Bei der heutigen durchfchnittlichen Lebensdauer von 57,4 Jahren würde die
Sterblichleitsziffer bei normalem Altersaufbau nicht 12,0, wie heute die Statiftil
angibt, fondern 17,4 betragen, wie Sriedrih Burgddrfer?) nachgewiejen bat
(= „bereinigte Sterbeziffer“); d. b. die jegige niedrige Sterblichkeit ift nur cine
vorübergehende Erfcheinung. Flach zwei bis drei Jahrzehnten werden die bdberen
Altersftufen verhältnismäßig am ftärkften fein und eine außerordentlich bobe
Sterblichkeit wird darauf folgen.
Das getreuefte Bild von der Sructbarkeit eines Volkes erhält man, wenn
die Geburtenzahl nicht auf die Befamtbeit, einfchließlich der Greife und Rinder,
fondern nur auf die zeugungsfäbige Schicht bezogen wird. Berechnet man in
diefem Sinne die Zahl der einjährigen Rinder, die auf 1000 Srauen im Alter von
15—45 abren entfallen, fo ftand fchon 1927/28 Deutfdland mit GÖfterreich in
ganz Europa an niedrigfter Stelle, fogar erheblich hinter Srantreich. Burgdörfer
tommt zu dem Ergebniffe: „Selbft wenn es gelingen würde, die Geburtenziffer
auf ihrem beutigen Fiveau zu ftabilifieren, würde unfer Dolf — nad vorüber:
gebendem Anftieg der Volktszabl um nody etwa 3 Millionen — etwa von 1955 ab
von Jahr zu Jahr zufammenfchrumpfen.“
Der Geburtenrüdgang, der 3. B. in Schweden und in der Schweiz beinabe
fo vernichtend wie in Deutfchland ift, ftellt eine internationale Erfcheinung dar
und ift bei faft allen modernen Rulturvöltern zu beobachten. Öffenbar liegen feine
Urfadhen in den fozialen, wirtfcdbaftliden und geiftigen Wandlungen der zivilis
fierten Völker.
Schon der verfchiedene Rinderreihtum innerbalb der oftdeutfchen Volles
gruppen ließ erkennen, daß Verftädterung und foziale Höberftellung mit Geburten:
rudgang einbergeben. Der foziale Aufftieg als moderne Erfcheinung ift nur mög:
lih durch Kinderarmut der oberen Schichten. Solange der nötige Fachwuchs für
die unteren Voltsfchichten aufgebracht wird, beftebt keine direkte Gefahr für den
3) „Der Geburtenrüdgang und feine Bekämpfung.“ VWerdffentl. aus d. Gebiete 2.
Medizinalverwalt. 28. Bd. 2. %. Berlin 1929; vgl. aud) „Volk u. Raffe” 1929, 9. 2, 3.80.
198 Volt und Kaffe. 1932, IV
deutfchen Dollsboden. Aber gerade bier fehlt es. Das Beifpiel Siebenbürgens
zeigt, wie ebemals gefdloffene Dollstdrper den Weg zur fozialen Oberfdicht
geben. Derfchwindet der deutfche Landarbeiter, entftebt automatifch eine fremds
völkifche Unterwanderung. Begünftigt wird diefe Entwidlung durd die Ab⸗
wanderung vorwiegend der einfachen Bevölkerung in die Broßftädte. Wie uns
die „Agrarreformen“ der neuen Sftlihen Randftasten beweifen, „fällt der Boden
— die Grundlage des Lebensraumes eines jeden Volles — auf die Dauer jenem
zu, der ihn mit der Hände Arbeit bebaut“ (SHarmfen). Die einzige Sicherheit, den
deutfcden Dollsboden im Often zu halten, ift eine geburtenträftige Bauernbevöls
ferung und vor allem die Wiederberftellung und Erhaltung eines deutjchen Lands
arbeiterftandes.
Schhwerlid wird jedoch eine Gefundung in den grenzs und auslandsdeutfchen
Bebieten eintreten, wenn nicht eine allgemeine, die das deutfche Doltstum als Ges
famtbeit umfaßt, erfolgt.
Es ift wahr, daß wirtfchaftlide Schwierigkeiten befonders beute erbeblidy
zur Beburtenbefchräntung beitragen. Wenn man jedoch die Tatfacdhe bedentt, daß
der Beburtenrüdgang zuerft nicht bei den einfachen Schichten, fondern gerade bei
den Woblbabenden einfetzte, wird man erkennen, daß das wichtigfte in diefer Srage
der wirtfchaftliche Lebensftandard ift, d. b. das, was der einzelne für fich und feine
Rinder als notwendig anfiebt. Der Ehrgeiz weiter Rreife, möglichft reich und
vornebm aufzutreten, bat, wie befonders Rugleb bervorbebt, fehr verbeerend ges
wirkt. Der Mut zur Einfachheit wird die Beburtenlage vor allem der oberen und
mittleren Stände ganz wefentlidy beffern, befonders dann, wenn die bekannten
Lenzſchen Vorfchläge zur ftärkeren Befteuerung der Ledigen und der kinderlofen
und Binderarmen Ehepaare bzw. Steuernachlaß für Rinderreidhe zur Geltung
tommen und den tonangebenden Lurus Einzelner eindämmen.
Der Geburtenrüdgeng bat vor allem eine feelifche Wurzel: heute, wo die
Technit dem Menfden eine weitgebende GBeburtenregelung ermöglicht, wird fo:
lange keine Umwandlung kommen, wie Rinderreichtum als Opfer oder Laft emp»
funden wird. Daran werden auch ftaatliche Maßnahmen nichts ändern können.
Die Rinderarmut ift wefentlich die Solge einer die Maffen beberrfcyenden Ges
danktenrichtung, die der Täufchung des Materialismus bingegeben ift und die
fdrantenlofen Jndividualismus ale 3um Kebensglud erforderlid) wabhnt. DOenn
das Volk in feiner Wiebrheit zu der Überzeugung gelangt, daß aller materieller
&urus, alle ftädtifchen Benuffe, alles Sichausleben dem Menfchen doch nicht das
£ebensglüd bringen, fondern allein barmonifde Lebensgeftaltung, daß eine Samilie
mit zahlreichen Rindern bei richtiger Einftellung tatfächlicy erheblidh zur Lebenss
freude beiträgt, dann find die geiftigen Dorausfegungen für eine neue Wachstums»
energie vorhanden, die in einer zielbewußten biologifcy beftimmten Staatss und
Wirtſchaftsfuͤhrung eine Ergänzung zu finden haben.
1932, IV &. Sandvoß, Einfluß der Raffe auf künftlerifche Auffaffung u. Geftaltung. 199
Finfluf der Kaffe
auf Eünftlerifhe Auffeffung und Beftaltung.
Don Dr. %. Sandvof.
p>‘ Maler unferer Feit feben ibre Aufgabe nicht in einer möglichft genauen,
pbotograpbifchstreuen Wiedergabe der darzuftellenden Gegenftande, fondern
vielmebr darin, das Wefentlice ihres Eindrudes mit großer Lebendigkeit zu ge-
Abb. }. Prof. €. Banfe nad dem Gemalde von Srig Slebbe.
ftalten. Ficht Wirklichkeit, fondern deren Wirkung auf den Zrlebnistreis des
Künftlers wird gefebägt. Die Art der erlebnisbaften Verarbeitung des Geſehenen
ift aber aufs engfte an blutliche und damit raffifche Deranlagung gebunden. Der
Maler vervielfacht feinen Eindrud, und fo muß in zwingender FTotwendigleit bei
ftark verjchieden blutlicher Herkunft auch jeder ein vollig anderes Bild entfteben
200 Volt und Kaffe. 1932, IV
a u nr,
laſſen. Vorausſetzung iſt jedoch, daß der Ruͤnſtler frei vom Banne ſeiner Schule
und auftragsmaͤßiger Gebundenheit ſchaffen kann, „wie es ihm ums Herz iſt“.
Dieſe Bedingungen ſind in den beiden Bildniſſen erfüllt, die den bekannten
Schriftfteller und Geograpben Prof. Ewald Banfe darftellen. Dort gebt der Unter:
jchied, in der Art zu feben, denn auch fo weit, daß man kaum glauben kann, es
Abb. 2.
bandle fich bei beiden Bildern um denfelben Menfchen. Fundchft deren Schöpfer:
Der Maler des Ganzbildniffes !) ift Srig Slebbe, der in Harburg geboren wurde und
bei Artur Jllies feine Ausbildung erbielt. Sein gefamtes Schaffen verrät meinem
Empfinden nach den Flordifchen Menfchen. Der noch jugendliche Kunftler wurde
ein fpätes Opfer des Krieges. — Der Maler des anderen Bildes ?) ift allemannifcher
yerkunft, jedoch wohl, wie ich glaube, mit ftart Weftifchem Einſchlag. Es iſt
der Rarlsruber Auguft Rumm, ein Schüler Trübneres.
Bei Beiden übereinftimmend ging die Deranlaffung zu den Bildern von den
Rünftlern felbft aus. Angeregt durch die auf fie außerordentlich anziebend wirkende
Perfönlichkeit Prof. Banfes baten fie, ibn malen zu dürfen. Es bandelt fich alfo ın
beiden Bildern nicht um beftellte Arbeiten, fondern um freies Bünftlerifches Wollen.
Slebbe Fommt nur zögernd und nach jabrelanger Sreundfchaft zu diefem Bild:
nis, an dem er febr arbeiten muß, viel länger als es Ort und Beleuchtung im
Walde erlauben. Er malt innerlich gebemmt, und dennoch mit dem Aufwand
aller feiner Kräfte. Rumm lernt, ganz im Gegenfag dazu, Prof. Banfe, als
er fich zu einem Vortrag in Rarlsrube aufbielt, an einem Mittag kennen; und
fcbon am nächften Morgen war eine zweiftündige Sigung ausreichend, das Bild:
nis foweit zu fördern, daß es obne die Gegenwart des Darzuftellenden beendet
werden konnte. hierin zeigt fich deutlich der Unterfchied in der Schöpfungsweife
des vorwiegend Weftifcben gegenüber YTordifhbem Kunftlertum, das folche
reibungslofe Glätte und Schnelligkeit nicht Eennt.
1) Im Befig von Heren Ewald Banje.
2) Erfcbienen in der Bildnismappe „Geficht der Zeit“ im Rairos-Verlag, Rarlsrube
i, Baden.
1932, IV %. Gandvof, Einfluß der Raffe auf künftlerifhe Auffaffung u. Geftaltung. 201
Ganz eindeutig wird der KRaffenunterfchied beider Maler jedoch erft in der
Art des Seelifchen, das fie an ein und demmfelben Hlenfchen fo verfchieden feben.
Slebbe malt ibn als den barten, unbeugfamen, wobl aud von Leid gefurchten
Mann, der Flug und trogig feinen Weg gebt. Die Rundung der Wangen, die
milde und Gemüt ihres Trägers bezeugt, ift zwar gemalt, aber man wberfiebt
Abb. 3. Prof. €. Banfe nab dem Gemälde von Auguft Rumm.
fie völlig vor der Härte der Schatten, die über diefem Geficht liegen. Sür jebr
geiprächig und allzu liebenswürdig Fann man Ewald Banfe danach nicht balten,
wobl aber für einen tapferen Rämpfer, der, angegriffen, fic) aufs dugerfte webren
würde. Die ganze Stellung des Menfchen ift ausrubend, um Kraft zu fammeln
für fommendes Scidjal. Wer Ewald Banfe kennt, glaubt ibm auch in diefem
Bilde anzufeben, daß feine Beine einen großen Teil der Wüfte durchquert baben,
daß fie einen unabbängigen Mlenfchen tragen, deffen Wille und Weg durch ibn
felbft beftimmt wird abfeits von jedem Anpaffen und fehwächlichen Ausweichen.
So findet man auch deutlich wieder, daß der Dargeftellte ficb auf fein gefichertes
Dafein ftügt, fondern vielmehr einer Jdee lebt, die feinem Leben Unabhängigkeit,
Dolf und Kaffe. 1932. Oftober. 14
202 Volk und Raffe. 1932. IV
EZ En ur DET EEE EEE EEE nun EEE EEE nn,
Inbalt und Schwungfraft gibt. Diefe Jdee ift — das fei ergänzend gefagt —
die Dereinigung einer nur wifjenfchaftlich gerichteten Erdkunde mit Eünftlerifcbern
Seben und Geftalten.
Und nun der mebre im Sormfreis der weftifden Raffe fcaffende Rumm. Er
fest Ewald Banfe vor einen weichgetönten intergrund und wäblt eine Be:
Abb. 4.
leuchtung, die. das berausbolt, was ibm wefentlich an diefem Menſchen ſcheint.
Das tluge, harte Auge in Slebbes Darftellung wird geiftreich fentimental. Der
unabbängige, trogigsfreie Menfch des Slebbefchen Bildes wandelt fic 3u einem
liebenswürdigen, gut plaudernden herren, aufgebend in glattem, diplomatifch ge:
{cbliffenem Gefprad. Die betonte Weichbeit aller Linien läßt Milde und welt:
gewandte Anpaffungsfäbigkeit vermuten, ein ausgefprochenes Dermittlertum, dem
Haͤrte und Schroffbeit zuwider find. Kein zäbes Seftbalten an einer einmal er:
kannten dee ift in diefem Geficht. zu vermuten, das man wobl einem Rommerzien:
rat oder einem Repräfentationsbeamten zurechnen möchte.
Der Dargeftellte felbft war von dem Bilde überrafcht, und doc: der Schöpfer
ift feft davon überzeugt, in feiner Darftellung wäre der ganze Menfd Ewald
Banfe enthalten. Er bat von feinem Standpuntte aus recht, ibm ift das durchaus
der Dargeftellte, allerdings mit den Augen der weftifchen Raffe gefeben, liebens:
würdig, gefellig, temperamentvoll.
Der betannte Raffenforfcber £. $. Clauß zeigt uns in der Photographie (Ubb 4),
wie Ewald Banfe wirklich ausfiebt. En Aufnabme ift von auRerordentlicher Lebens:
treue. Der feelifche Ausdrud liegt bier zwifchen denen der beiden Bildniffe, ift
allerdings dem Slebbefchen Gemälde bei weitem verwandter als dem von Auguft
Rumm.
Das kann nicht verwundern, denn Ewald Banfe ift in feiner feelifchen
Haltung „LTordifcher‘‘ Menfch, und in Solge deffen wird ibm auch der Mlaler FTor:
|
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1932, IV Tb. Hoffmann, Ucflawenbeimat und Altflawenwandecungen. 203
rn EEE EEE ES a ae
difcher Herkunft gerechter, indem er feine Eigenart gefteigerter wiedergibt. Um:
gekehrt würde der gleiche Maler allerdings einem Menfchen Weftifcher Kaffe
gegenüber im Klachteil fein. Zweifellos würde die größere Wirklichkeit im feelifchen
Ausdrud des Dargeftellten in diefem Salle von einem Maler Weftifder Kaffe
wirklicher und lebensnäber berausgebradt *).
Urflawenheimat und Altflawenwanderungen.
OD.
Don Tb. Hoffmann, Linz a. d. Donau.
ie noch ungellärte Altflawenfrage wird für uns Deutfche je weiter, defto
brennender. Auf feiten fo vieler flawifder Gelebrter wird nadmlid) das Bes
ftreben immer offenfichtlicher, diefes Sorfdbungsgebiet auf Roften des rein Wiffens
fbaftliyen zu einem nadten Polititum zu macden. Erinnert fei bier nur an
das Werk des Ruffen Jegorov „Die Rolonifation Medlenburgs im 13. Jabrs
bundert“ (Priebatfhe Buchhandlung, Breslau), das in einem Anbangbande (ebens
da) von Witte fo trefflich zerpflüdt worden ift, an die Schrift des Tichechen
Stedta „Don der Srübzeit bis zur Fleuzeit“ (Drag 1922/23), befonders aber an
die verfchiedenen Bleineren Arbeiten der um die Pofener Univerfität gefcharten
polnifden Wiffenfdaftler. Erklärlicher Weife find befonders die legteren emfig be⸗
mübt, Europa jegt fehon darauf aufmerkfam zu machen, daß der gegenwärtige
polnifche Staat feine „natürlichen“ Grenzen noch lange nicht erreicht babe: weite
Gebiete Deutfchlands — bis tief nady hannover binein — feien „uraltes“ Siawen=
gebiet, nicht nur allgemein ein foldyes, fondern im befonderen ein „polnifches“,
weil feinerzeit ein „lechifch‘‘!) gewefenes. Man geht bier fo weit, diefe rein ger:
manifchen und nur vorübergehend von eingewanderten Slawen befiedelten Lands
fireden ale „urflawifch“ binzuftellen, fie ale die „Urbeimat der Slawen“
anzufprechen: deren gegenwärtige Bevölkerung feien deutfchiprechende Slawen,
von den Deutfchen f. 3t. mit Gewalt germanifiert, foweit fie nicht reftlos auss
gerotter werden konnten.
Es fei bier bervorgeboben, daß die ernften flawifden Gelebrten, wie 3. B.
der Ruffe Miljulov), die Polen Brudner?) und Cselanowfli, fowie die
*) Wir verweifen unfere Lefer auf das in J. §. Lehbmanns Werlag, Munden ers
fhienene Werk von Sculgesflaumburg, Runft und Raffe. (Preis geb. ME. 0.75,
geb. ME. s.—.)
1) Insbefondere ift es der Pole Rudnidi, der diefe Lechentbeorie vertritt. In feiner
Arbeit „Drogi osadnictwa lechickiego w Lechji przybaltickiej (na Zoadru)“ Slav.
Occ. III/IV. („Siedlungswege der Lehen im baltifchen Lecdhenland (Oder-interland)) “
nennt er die Slawen ab Pommern und nah Welten zu „Lechici prapomorscy“
(Urpomoranifdhe Lehen) und diejenigen, welde das Weidfelland in Befig genommen
batten und fid) von da aus längs der Rüfte nad Weiten ausgedehnt bätten „Lechici
prapolscy“ (Urpolnifde Lehen). Wie weit diefe auf Sand gegründete Ledhentbeorie
einer Rritit ftand bält, zeigen die Ausführungen diefes Auffatee.
2) Miljulov bemerkt in feiner Arbeit: „Razselenije slawjan* — „Zerftreuung
der Slawen“, Moslau 3901, „Das Gefühl des Mationalftolzes bewog viele Gelehrte bis
in die KTeuzeit hinein anzunehmen und zu beweifen, daß die Weltflawen immer oder wenig>
ftens feit urdenllihen Zeiten die Wohnpläge innegebabt batten, auf denen fie zwifcben dem
VI. und IX. Jabrb. belannt geworden find oder fogar über noch weitere Landitreden zers
ftreut gewefen waren. Es fcheint fogar im Gegenteil viel wabrjcheinlicher, daß nirgends in
Europa die Slawen Urfiedler gewefen waren, fie nicht einmal zu den alten Einwohnern ges
rechnet werden können“... Und nah Witte: „Medlenburg in der flawifden Forſchung“
14”
204 | Volt und Raffe. 1932, IV
Tidechen Schranil, Simel und Cervinka diefem durdfichtigen Vorgeben
ihrer Landsleute ablebnend gegenüberfteben und fi bemühen, auf ftreng wiffen:
fhaftliher Grundlage Licht in das Dunkel zu bringen.
Über die Urflawen und die eigentlichen Anfänge der Altflawen ift uns bes
kanntlich nichts überliefert worden. Die einzige, offen zutage liegende Spur, die
fie binterlaffen haben, finden wir gegenwärtig nur noch auf der geograpbhifchen
Rarte, bauptfählich in deren charatteriftifhen Mebrzabl- Ortsnamen. Und
da muß es eigentlich mertwürdig erfcheinen, daß noch keiner der flawifchen Sorfcher
eben diefen Spuren nachgegangen ift; fie eröffnen nämlich weitere bedeutfame und
tlarende Ausblide. Der Grund könnte darin liegen, daß da ftets von einer bereits
vorgefaßten Weinung ausgegangen wird, um fie dann mit allerlei wiffenfchafts
lichen Mitteln zu verfechten. So will 3. Bd. nah Stojanowfli („Die Herkunft
der SlIawen“, „Sonne“, VI. 4. 1929) auh Ezefanowfki die „weftliche‘‘ Hers
tunft der Slawen beweifen und ift darum, wenigftens zum Teil, ein Nachbeter
des Tidhedhen Pit, nad weldem die Laufiger Rultur als die urflawifde
anzufeben fei. Diefe Annahme vertritt übrigens, fo bartnädig, wie erbittert, auch
der Pole Roftrzewfli. Er fiebt in ihr „aller Webhrfcheinlichleit nach den Ur:
anfang des Sliawentums“. Andererfeits will er mit fchwerftem wiffenfcbaftlichern
Rüftzeug den Beweis führen, „daß die erften Slawen dftlich vom Laufe des Bug,
des Buchenfluffes, wohnten, der ungefähr die Mitte des SluGgebietes der Weichfel
durchzieht‘. Aus botanifchen Derbältniffen folgert er fhlieglich, ,,daB das Slug:
gebiet des Bug und der Weichfel die Urbeimat der Slawen“ fei.
Die Bemühungen der flawifchen Sorfcher machen geradezu den Eindrud „des
Sperumgebens um den beißen Brei“. Die Sprachwiffenfchaft fucht die Urfige der
Slawen meift um den Obers und Mittellauf des Bnjepr, die Dorge(didts-
forfhung, damit im ganzen übereinftimmend, „im Gebiet des Pripjet bis zum
mittleren Dnjepr, im Raume Pinft: Rijew“; Witte?) verlegt fie ın das
gleiche Gebiet; (Miljukov) nimmt dafür das rechte Weichfelufer und den Fiords
abbang der Rarpatben an), während endlib Schwarz), der die tfchedhifchen
und polnifchen Behauptungen über den flawifchen Charakter der Laufitger Kultur
glatt ablehnt, fie ebenfalls am Pripjet und am Mittellauf des Onjepr fudt, wo
fidh das dltefte Ortsnamengebict befindet. Aud Dasmer „Die Urs
beimat der Slawen“ (in: Dolz, „Der oftdeutfche Dolktsboden“, Serd. Hirt:Derlag,
Breslau 1926) weift auf die alten Flamen im Pripjets®ebiet und deren Wande-
rung bin.
Yon diefem Ortsnamengebiet ausgebend und auch auf weiterem Gegebenen
fugend, foll bier nun der Derfuch eines Beweifes unternommen werden, daß erftens
(Medl.sStrelig. Heimatblatter, V, 2/VI. 1929) betont in der ,Slavia occidentalis“
der Slawift Brüdner, daß .... „an der Bernfteinküfte der Oftfee niemals Slawen ges
feffen bätten“, fchon weil „ihnen ein eigener LTame des Bernfteins feble“. Und weiter: „nies
mand rottete die Slawen aus oder fiedelte fie aus oder verbot ihre Sprade” ... «8
„bätten fhon 100 Jahre genügt, um das Ausfeben des Landes bezüglidh der Nationalität
bis zur Untenntnis zu verändern“.
3) Witte, „Urbeimat und Weftausbreitung der Slawen.“ („Volt und Kaffe“,
III, ı. 1928.)
4) Miljuton, „Razselenije slawjan“ — „Zerftreuung der Slawen.“ (Mostau
1903.)
5) Hab Witte: „Yleue Arbeiten zur Deutfchwerdung des Oftens.” („Bolt und
Raffe“, V, A 1930.) — £. Shwarz, „Die Srage der — Landnahmezeit in Oſt⸗
germanien.“ Mitteilungen des oͤſterr. Inſt. f. Geſchichtsforſch. Bd. 43. 1929.
1932, IV Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Aleflawenwanderungen. 205
EEE
die flawifde Urbeimat tatfadlid in diefem Gebiete und nur da gewefen fein
konnte, und daß zweitens die Ferftreuung der Glawen nur von da aus erfolgt war.
Das Pripjet-Gumpfgebiet, in feinem Rern als Rolitno: Sumpfe
und aud) Dolegje bekannt, vom Pripjet mit feinen zahlreichen Mebenfluffen in
einer Länge von 615 km durdhfloffen und etwa 8,7 Millionen Hektar umfaffend,
zieht fich faft ununterbrochen im Weften über den Bug bis zum Wiepr und
von da weiter nad Florden bis zum Liwez. Im Florden reicht es ungefähr bis
zur £inie Bialyftol:Slonim-Mogilewam Dnjepr; nad Often zu uber
den Dinjepr bis zu deffen Frebenflüffen Jput, Snow und Sfupot, fowie
Desna und nad Süden bis zur Linie Rremene3:Tfcdhernobpl. Demnad
find davon betroffen die alten Gouvernements: faft ganz Minft, fodann
Grodno und Mogilew in ihrem Südteil, Wolbynien, fowie Rijew in
deren Frordteil und fchließlih Tidhernigow in feinem an den Dnjepr ftoßenden
Oftteil.
Als erfte Srage erfcheint bier nun: Konnte überhaupt diefes Gebiet die Ent
widlung zu einem Dolte ermöglicht haben? Bei allen bisherigen Auftlärungss
beftrebungen wird nämlich überall eine Sauptbedingung überfeben: Raffen,
b3w. Dölker mitarteigener Sprahelönnenim £aufeungebeurer
Zeiträume nur in ftreng abgefdloffenen Bebieten entfteben.
Alle Gegenden, die gegenwärtig ser Urflawenheimat wegen fonft abgefucht
werden, entfpreden diefer Bedingung kaum; fie waren mehr oder weniger zus
ganglid, >. b. nit nur Siedlungss, fondern aud Durdhzugsland und
fonnten fdon darum nidt als das Urfprungsland eines ,,cigensartigen’ Dolles
angefeben werden. Diefe wichtige Bedingung trifft nun auf die Rolitnos
Süumpfe vollauf zu: es ift ein Gebiet, das ebenfo als „Seftung“, aber audy ale
ein „Befängnis“* angefprocdhen werden kann.
Der Pripjet entfpringt in der Llähe des Bug (bei Ljuboml, gegenüber
Cholm in Polen), fteigt hierauf in feinem Laufe leicht nordwärts an, um dann
ab Pinft und bis Mofyr in einer faft geraden Linie nach Often zu fließen; von
da ab fenlt er fid nad Südoft zum Dnjepr und mündet fchlieglich in diefen in
der Fiähe von Tfchernobyl. Seine größeren Fiebenflüffe find:
Redhts: WyrZwat) (jegt WyZewta)
Turja (Auerodfenflug)
Stocbhod
Styemit Jiwa und Stublea
*Horyn (Bergflug) mit Wilija, Staw, Sbytin (jegt Sbytints), Stu:
bel, Glut II (Waldfdnepfe) mit Cbomora, Smola (Harz) (jegt
Smolka), Zerem, Roret (jest Rork£it)
T nia (Moorflug) und Bober (Biber)
Stwa (jegt Stwiga) mit Moftwa und {we
Ubort mit Perga und Swidwa (jegt Swidowle)
Slowityn (Madhtigallenflug) (jegt Slawetna)
UZ (Matternfluß) mit Zerew und Morin (Tierbdblenflug).
6) Dor etwa 50 Jabren war man in einigen cuffifcen Sorjcherkreifen geneigt, die
rdtfelbaften ruffifden und polniften Wa-Sluffe mit dem Urfinnentum in Zufams
menbang zu bringen. Da diefe Mamen ab Weftpreugen (Wirwa 3. Weidfel) bis nad
Zibirien hinein reichen, mußte danach das ebemalige urfinnifdhe Siedlungsgebiet eine gewals
tige Släche umfpannt haben, was aber faum zutreffend fein tann. Dafmer (,Urbeimat
der Slawen“) nimmt dagegen an, daß Sinnen Facbarn nur der Ruffen gewefen wären,
da den Südflewen Lebnworter aus den Sinnifchen feblten; ob diefer Umftand einen ficeren
Beweis ergibt, mag dabingeftellt bleiben. — Der fo ftarte oftbaltifde (finnifche) Bluts
einfhlag in Polen, Litauen und Lettland, fowie die Tatfache, daß die Weiß:
206 Volt und Kaffe. 1932, IV
—— Gage PET SEE EEE EEE EEE ETE.
Links: uns mit Pina und Jaffolda
na
Lafı (Hirfhkub)
Slut 1. (Waldfdnepfe) mit Moros
— (Dogelflug) (jegt Prit) mit Oreffa
a
Wit
Bragin (jest Braginta).
Die meiften PripjetsYtebenfluffe (ebenfo ein weiterer „Zolon = Spedt‘“)
zeigen Blar den altbaltifchen Brauch, Stußnamen der Tiers und Dogelwelt 3u ent-
lebnen. Derlei Mlamenformen find fonft in cuffifdben Gebieten felten, baufig da⸗
gegen in AltpreuGen und Altlitauen. Auch diefer Umftand wäre ein Beleg mebr
dafür, daß wir im Pripjetgebiet einen uralten Siedlungsbereich cines altbaltifchen
Volkes (eben der Urflawen) vor uns haben.
Bildlich gefproden, ftellte in Urzeiten der Pripjet einen langen Hauptgang
dar, zu dem rechts und linke in feinen LTebenflüffen Fiebengänge führten, und zwar
durch ein völlig unwegfames Gelände, das aus undurdhdringlichen, mit Urwäldern
bedcdten Sümpfen beftand. VDerftopfte man nun die Cine und Ausfahrt des
Hauptganges, jowie diejenige der Llebengänge, dann waren eben die Einwohner
von aller Außenwelt volllommen abgefperrt.
Die Vorfahren der SIawen, der Altpreußen, der Litauer und der
Letten bildeten urfprünglich eine Einheit, die man als die „baltifh=fla-
wifche* bezeichnet. Chronologifd ift diefe, als 3u weit zurüdliegend, nicht zu
beftimmen, das Urflawentum dagegen wird in die Zeit zwifchen 400 v. Chr. bis
400 n. Chr. verlegt’). Einer der Zweige der baltifchsflawifchen Völkergruppe
muß fi von dem Ganzen, wohl aus Plagmangel an der betreffenden Meeres
füfte und in deren unmittelbarem Hinterland, fdon früb abgetrennt baben
und längs der Slüffe fo weit nach Süden vorgedrungen fein, bis er auf ein damals
unüberwindliches Kyindernis geftoßen war — eben die Rokitno-Sümpfe.
Unter irgendeinem Zwang wurde diefes Dolt — die fpäteren Urflawen — bes
wogen, fich da niederzulaffen und, fo gut es ging, einzurichten. An Beftandss
möglichkeiten gebrach es ja nicht: die Sluffe waren fifchreih und die Urwälder
wimmelten von Wild; fo weifen 3. 3. die Orte Tur, an einem Sce am oberen
Pripjet, und Turow, an der Einmündung der Stwa, fowie der PripjetsfTeben=
flug Turja auf „turi = Auerodfen“ bin.
Die Abfperrung des nach den RokitnosSümpfen verfchlagenen Vollsftammes
könnte man fich als in der Weife erfolgt denken, daß der Rüdweg nach Florden
von den dafelbft figen gebliebenen baltifchen Stämmen (den nacberigen Alts
ruffen faft insgefamt fich Rörperlich kaum mebr, 3. B. von den Mordwinern unters
fdeiden, fprechen a... dagegen; eine fold ausgedehnte Ausbreitung der oftbaltifchen
Raffe kann fcdbwerlich erft in neuerer Zeit erfolgt fein. Die Möglichkeit, diefes wa von dem
Germ. ahwö abzuleiten, dürfte taum oft gegeben fein, da das „wa = Waffer“ aub bei
finniſchen Völkern in Bebraud ift, fo bei den Permiern, 3. B. „Yb-wa (Obwa 3. Rama)
= Wiefenflug’. Der Sinnologe KR. WH. Wiklund: Uppfala nimmet laut einer briefs
lihen Mitteilung an, daß der ugrofinnifche Urfprung mancher ruffifcher Slußnamen „wabrs
fcbeinlih“ fei; diefes wa fei fbon vielen Sorfchern aufgefallen, ob es aber mit fyrjän. va,
wotjat. vu, tidberemif. viidem, mordw. ved und finn. vesi = Waffer tbereinftimme,
fei mebr als unfider. In Sudrußland, unterbalb der bier fpäter ermdbnten Goro-
difchkesLinie, bören die wa-Slüffe plöglih auf; auch unmittelbar oberhalb derfelben find fie
Ausnahmen, da fie nur etwa viermal vortommen: Ruffewa (Dnietr), Roffewa
(Dnjepr), Goltwa (Onjepr) und Ralitwa (Don); erftere zwei Hamen könnten ger;
manifd fein — Roffen, Ruffen — Ruotfen (Ruderer) wurden ja die Wäringer
gebeißen.
1932, IV Th. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 207
EEE EEE EEE a a Cl
preußen, Litauern und £etten) abgeriegelt worden war. Den Weg nab Süden
verlegten wohl iranifche Völkerfchaften; anfänglih die Strtben (800 bis
700 v. Cbr.), deren Gebiet zwifchen Don und Donau gelegen gewefen war, und
bierauf die Sarmaten (400 v. Chr.), welche bis zur Donau reichten. Im
3. bis 2. Jabrb. v. Chr. dagegen breiteten fich die Relten von den Rarpatben bis
zum Schwarzen Meere aus?). Die Jranier und die Relten wurden bierauf
von den Germanen abgelöft, von welchen die Baftarnen um 200 v. Chr.
ebenfalls das Schwarze Meer erreichten. Diefe fiedelten in DDolbynien und bis
tief nad) der Ukraine hinein (Gräberfunde bei Poltawa)?). Ihnen folgten fodann
die Of{goten. Bei beiden war der Bug der Südweg, was die Urflawen ges
bindert baben mag, fic uber diefen Slug hinaus nad Weften auszubreiten. Die
Ausbreitung nah Often, uber den Onjepr binaus, unterbanden dagegen die
Märinger, für die wiederum der Onjepr der Gudweg gewefen war und
daber cbenfo bewadt und befchugt wurde. Die Waringer batten übrigens jdhon
in vorgefchichtlichen Zeiten alle wichtigften Slüffe des europäifchen Rußlands zur
Durchführung ihrer Kriegs» und Handelszuͤge beherrſcht.
Nah dem Wegzug der Baftarnen und dem teilweifen Abwandern der
O ft goten nad Weften ergog fid die awarifche Welle über Sudrußland, der
darın eine turlostatarifche folgte. (Spätere Tataren, Chafaren,
Polowzer und Petfdhenegen.) Der mächtige, unterhalb des Pripjet
wobnende AltflawensStamm der DrewisDrewli (Drewljänen) lag 3. B. in
ftändigen Rämpfen mit den Petfcbenegen. Doc auf legtgenannte Ainderniffe
(Germanen, Awaren und Turkotataren) ftießen die Altflawen erft dann, als fie
fic) fo weit vermehrt batten, daß fie die Tore ihres „Befängniffes“ zu fprengen
gezwungen, aber auch im Stande waren. Der Zufammenftoß mit den Awaren
brachte es dann mit fic, daß die nach Süden vorgedrungenen und unter oftgotifche
Oberbobeit gelommenen Altflawen von den Awaren unterjodt und nad) Weften
mitgeriffen wurden. —
Die raube Umwelt begünftigte die Entwidlung der Urflawen zu einem pris
mitiven, aber kräftigen Sifchers und Jagervolle, das aber, obwohl ficher zu einem
guten Teil nordifcher Raffe, weder einen eigenen Stil, gefehweige denn im fpäteren
eine eigene Rultur fchaffen konnte. Ebenfo vermochte es nicht nach dem Auszuge
aus der Urbeimat felbftandig 3u bleiben, fondern tam faft fofort unter fremde Bots
mößigleit. Dies läßt vermuten, daß fchon die Urflawen begonnen batten, fic mit
der eng mit ihnen zufammengepferchten Urbevälkterung zu vermifchen.
fyier im Sumpfgebiet lag auch der Geburtsort der fpäteren altflawijchen
Affoziationsidee, die befonders in Rußland zu einer vielfeitigen Entfaltung
gelangte. Allein auf fich geftellt, hätte nämlich da keiner befteben können, und
nur engfter Zufammenfchluß bot Rettung und eine Gewähr für ein Sorttommen.
Damit im Zufammenbange entftand bier aud) die minutidfe Splitterung bzw.
Gliederung fowohl nah Yaus — kuta und Sippe — bratstwo, als aud
nah Stamm — plemja, wie aud nad den verfciedenen Berufss und
anderen Gemeinf{ dmaften — fpdtere ruffifhe mir, obschtina, watagi
und arteli’). Diefe Gliederungen, insbefondere in bezug auf die Gemeins
*) Tah Dafmer: ,Die Ucheimat der Slawen.” a. a. O.
*) Tadenberg: „Die Baftarnen“, (Volt und Kaffe IV, 4. 1929).
9) Miljuton unternabm in der Arbeit: „Die Urfitten se Slawen“ „Drew-
nejschij byt slawjan“ ({Mostau 1901) den Verfuch, diefe gefellfchaftlichen Gliederungen,
auf Grund er nod in Bosnien und der Herzegowina beftebenden, wieder berzu:
ftellen.
208 Volt und Raffe. 1932, IV
fcaften, fteben einzig da: wir können etwas Abnliches bei keinem anderen Volke
finden und miaffen fie als eine inftinftiv gefchaffene Schugmaßnabme werten
gegen felbft empfundene Schwäche. Diefe Schugmaßnabme batte aber im weiteren
eine unbeilvolle Solge — fie zertrennte die Altflawen fchon in allerfrübefter Zeit
in zahlreide fic befebdende Teile und unterband fo jedweden ftaatliden Zus
fammenfchluß; wo es aber zu foldyen fam, da batten fremde, d. b. außerbalb des
Slawentums ftebende Rräfte eingegriffen.
Den Vliederfchlag diefer Maßnahme finden wir nun in den noch erhaltenen
urs bzw. altflawifhen Ortsnamen, die wohl einen Befig anzeigen, zugleich
aber, und je nach dem, Stammes: oder Gippens oder aud Gemeinf{hafts:
namen find.
Auf die genaue Bildung diefer KFiamen aus dem Ableitungswort tann bier
nicht eingegangen werden; erwähnt follen nur die widhtigften Endfilben fein, die
die einzelnen Liamensarten ficdher unterfcheiden !9).
Aausnamen laffen fid an den, dem germanifchen s entfprecdhenden Ends
filben ow, ew und in ertennen (M;3.: owy, owi, ewy, ewi und iny, ini),
3. B. Wolk-ow.
Sippennamen wurden aus den Mebrzablformen der Hausnamen durch
Sinzufügung eines £, fowie eines die Mebrzablform anzeigenden i gebildet, 3. B.
Wolkowi-*-1 (€3. Wolkowi-).
Stammesnamen. Hier ift die Urform die Mebrzablform des Ableitungs:
worte, 3. Bd. Swenti (Swentla]-i) (&3. Swent). Die fpätere Sorm wurde aus
der Urform genau wie bei den Sippennamen gebildet, 3. Bd. Swenti-C-i (#3.
Swenti-L).
Bemeinfhaftsnamen. Deren Bildung entfpricht genau derjenigen der
Stammesnamen; es gibt daher darunter fowohl is, abs aud) itisSormen, 3. B.
Comati (Steins ‚Örecder‘), Sarni (Rebe), Selili (Siedler), Sedlili (Gaffen),
Sosedliti (Mitfaffen), Goriti (Gergler) ufw. Bemerkenswert ift, daß die auf
landfchaftliche Befonderbeiten hinweifenden Bemeinfchaftsortsnamen noch gegen:
wartig genau den Kigenarten der betreffenden Gegenden entfprechen; fo find 3. B.
die in Deutfchland mehrfach vorkommenden lomali und gorili ftets in bigeligen
oder bergigen Landftrichen gelegen.
Eine Abart der Stammesnamensendungen bildet die gewiß unter wäringis
fhem Einfluß entftandene Silbe ischki, die, obwohl fie nur in f. Zt. altpreußifch
(Öftpreußen) und altlitauifch gewefenen Gebieten zu finden ift, ihrer Bildungsart
wegen dennoch zu den altflawifchen gerechnet werden muß und als eine Nüds
bildung des E in das flandinavifche sk zu betrachten ift, aber auch als Vorläufer
der ruffifchen skijs und polnifchen skisGefcblechternamen gelten fann!!). Deren
Anwendung ergibt fidh aus folgenden Beifpielen:
Urftamm Pilwi — Pilwi — schk — i (bei Rowno),
+i Swenti — Swenti — schk — i (als G@hwentifdten in Oftpr.).
- Die itis und ischkisYiamen enthalten demnadh 3 wei Mebrzablformen und
tommen als Gefdledternamen nur nod) in Rumänien vor: 3. B. Slavili,
Stefanoviti ufw. Als Ortsnamen jedoch find fie weit verbreitet bauptfächlich
10) Diefe Endfilben ftügen fi ausfchließlich auf Beifpiele gus cuffifdem Sprads
gebraud, wo die alten Überlieferungen no ziemlich rein erhalten geblieben find.
11) &in iscki-Tamen fcheint auf der Wanderung bis nad Medlienburg gelommen zu
fein: Badrefch, A. Stargard (an. 1411 Boderefle), der möglidyerweife aus „Porlängs
— BDriff(a) (Dina) — i-schk-i = Podriffifchli” gedeutet werden könnte.
1932, IV Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Aleflawenwanderungen. 209
auf dem Balkan, dann in Rußland und in geringem Maße in Polen.
Deutfdland käme bier nur bedingt in Betracht, da es fich gegenwärtig kaum
mebr feftftellen laffen wird, ob die bekannten igsÖrtsnamen f. Ft. iis oder its (€3.)
Llamen gewefen waren. Einzahlnamen bat Rußland nur etwa acht aufzuweisen
und Polen etwa fieben.
Ergänzend fei bier nod erwähnt, daß neben den reinen SHerkunftsnamen als
Ortsnamen nod foldye Ortsnamen zu nennen wären, die am Ende das den Befit
anzeigende a = des tragen. In Deutfchland ift diefes a zum Schwinden gebracht
worden, beftebt aber noch unverändert auf dem Ballen und nur noch einmal in
Rußland in Chamil-a (des Ehamit) im Sumpf, zwifchen Pripjet und deffen
Flebenflug Braginla. Ganz befonders find es Slüffe, die fehr häufig dicfes a
tragen. Als Baffifche Beifpiele können dafür gelten: Mildenitz (Llebenfluß des
Warnow) anno 1272 — Mildenizce = Mildinit-a — „des Sipplings der
Mildiniti“ (von der Milde, zur Biefe, zur Elbe), deffen Spur noch in dem Sieden
Mildenig, A. Stargard i. Medi. = Mildinid auffcheint; ferner der Tlemig:
bad, zum Schwarzbadh, zur Pommerfdhen Bucht, mit dem gleichnamigen Ort
Yiemig, (alfo Nemit-a = de3 Nemi&) und fdlieflid) der Slug Bobrigfd
i. Sa. mit dem Ort Bobrigfd (Bobrit-a = ses Bobri?).
Über den Onjepe hinaus, nad Often 3u, verwandelt fic diefes ita in
ica!?), 3. B. Ssosnica ftatt Ssosnita; bier ift der fpradhliche Einfluß des
Sinnentume bereits unverfennbar — diefes kann nämlich das E nicht auss
fprechen und fett dafür c. Dafür fpricht auch die Entartung der Endung id und
iti felbft, denn wir müffen als weitere foldye Endungen unterfcheiden:
ec, 13. cy und ci, fowie ac, M3. ci 3. B. ftatt Kriwit — Kriwec, Mi3.
Kriwcy (Yiord) und Kriwci (Gud), fodann ftatt Obrenowit — Obrenovac,
3. Obrenovci. Das Auftommen des barten und breiten i, das bier mit y
nur angedeutet werden kann, ift wiederum mongolifches Erbteil. |
Die Unterfuchhung der in den Rolitno-Sümpfen auffcheinenden Ortsnamen
ergibt folgendes: Bänzlich im Sumpf unterhalb des Pripjet und zwifchen deffen
Flebenflüffen Lwa und Stwa liegt der Ort Staroje Sfelo (Altdorf), der
eine der dlteften Giedlungen jener Gegend darftellen dürfte. Ebenfalls im Sumpf,
in dem durch die Cinmundung de Slut II in den Horyn gebildeten Ed und
durch einen diefe beiden Slüffe verbindenden Slugarm gegen Süden gededt, jcheint
das alte berühmte Gorodischte der Drewi auf. &s bedeutet „große Burg
(Stadt) und war in diefem Sall eine kunftgerecht angelegt gewefene „Waifers
burg“, ein Bollwerk gegen vom Süden lommende Germanen: bzw. Mongolenz
angriffe!3). Auf Wohnfitze fefterer Art weifen die Gorodjatili (Zdunler, Städt:
12) Das c im Siewifchen ftets als unfer z. Des weiteren entfpridt das flaw. €
dem englifden ch und das flaw. Z dem franzöfifchen j.
13) Weitere Gorodifdee waren — faft in gleicher, fi nad Often ziebender Linie:
in Balizien bei Brzezany und Sambor, eines in Podolien, zwei in Rijew,
fowie je eines in Doltawa, Keraterinorla, Ebartow, WoroneZ, Penfa und
Wjatla; legtere zwei waren gegen die Tataren und finnifche Voͤlkerſchaften (Mordwiner,
Permier), die vorbergebenden gegen Mongolen (Awaren, Petfchenegen, Chafaren, Dolowser,
Tataren), möglicher Weife aub gegen Germanen (Baftarnen, Oftgoten und wobl aud
Wöringer) gerichtet. Die weiteren drei Borodifhle in Petersburg (ba Luga,
am Woldow und am Peipus: See) dienten als Scug ebenfo gegen Rinne (Tidus
den), als aud) gegen die Waringer. Sie follen famtlid) nocd aus vorge(didtlider Zeit
ftammen, dürften im Süden 3. T. auf Germanen juridzufubren fein und können jedenfalls
nicht für die „weftliche“ Herkunft der Slawen zeugen. Die Tatfache, daß es 15 große
Slawenburgen gegeben batte, die zu ihrer Unterfcheidung keinerlei befonderer Llamen bedurft
210 Dolt und Kaffe. 1932, IV
Er EEE ES EEE SE SEE a a a a a
ler) und die Domanovili (Häusler) bin, während die Kolenkowili (am ko-
lenko = Rnieden eines unbenannten Sluffes), di¢ Wystupowiti (wystup =
Landvor{prung), die Ostariti (Geeanwobner) und Cholmié (Aiigler) auf lands
fcbaftliche Befonderbeiten hindeuten. Über landwirtfchaftlihe Anfänge berichten
die Kossaridi (Mäbher), die Stodolili (Heufchobler) und fchlieglich die Derno-
witi (dern = Rafen); aud) die Kopatkowiti (Graber) und die Mjakalowiti
(Einweicher) deuten darauf bin. Lettere fünf waren fdon eine Art „Berufs:
gemeinfchaften‘“ gewefen, zu denen noch binzutämen die Ugrinili (Aclfänger)
und, fchon außerhalb des eigentlichen Sumpfgebietes, die Smolewili (Kyarzler)
und Ochotiti (Jager). Es ift dies gewiß eine fpärliche Auslefe, aber man muß
dabei nicht vergeffen, daß die ruffifchen allgemein zugänglichen Rarten fehr mangels:
baft find und daß ferner die Wobhnftätten der Urs und Altflawen von einer Be:
fcaffenbeit gewefen waren, die einen längeren Beftand nicht gewäbrleiftete: ver:
ließ ein folcdher Slawe feine armfelige Holzs oder gar Erd- (semljanka) Hutte,
oder brannten fie aus, dann waren faft fofort die Dobnfpuren ausgetilgt; 3udem
tann man nod annebmen, daß bei dem Auszug aus dem Sumpfgebiet nur der
Beinere Teil der Einwohner zurüdgeblieben war.
Daß die itisYTamen gerade in Rußland fo wenig zablreich vortommen, bat
feinen Grund aud in waringifdem Einfluß; unter diefen wandelte fich ihr Grog-
teil in skstTamen um. Schon gleich jenfeits des Dnjepr ift diefer ganz plögliche
Wandel Mar zu ertennen; da werden die Snowi/Snowili an der Snowa zu
Snowft, die G2ati/GZ2atili a. d. BZatj zu BZatft und im Florden die
Poloti;/Polotili a. d. Polota zu Polotfl (Polosft). Andere dagegen ver:
woandelten fich, wie bereits angedeutet, unter finnifchem Einfluß in cy,sfTamen.
So tommt es, daß 3. B. das Gaftland Deutfdland gegen 2000 nur wenig
veränderte id = itzsYiamen aufweifen kann, während das Urfprungsiand Ruß-
land nur etwa 110 und Polen deren gar nur 7 zählen können !).
Dantbarer ift das Durchforfchen der Rokitnofümpfe und der an diefe ftoßenden
Gebiete in Bezug auf die Ältefte Stammesnamenbildung; fie tritt dafelbft fo Mar
zutage, daß man das Pripjetgebiet eben nicht anders als die urflawifde Heimat
anfpredhen kann, dies um fo mehr, als die Abwanderung der is fowie der iti-
Yiamen gerade von bier aus unverkennbar ift. Dabei fällt einem fofort eine feltfame
Tatfache auf, nämlich die, Da die alten flawifhen Stammesnamen, je
Alter, defto fiderer, mit den alten Slugnamen auf das Engfte
vertnüupft waren, und zwar fo weit, daß der Slußname felbftden
eigentlihben Stammesnamen ergab, jedoh in der Mebrzabl:
form. Das ift etwas, was bisher allerfeits uberfeben worden war und daber
zu den unfinnigften Deutungen altflawifder Stammes: und Sippennamen ge:
führt batte. UWls Beifpiele 5) feien hier angefubrt:
batten, beftatigt übrigens, daß es fchbon in früheiter Zeit keinen Zufammenbang zwifcben den
einzelnen großen Slawenftämmen mebr gab.
14) An Polen, aber au in Böhmen, bat dies noch einen befonderen Grund. Im
13. Jabrb. namlich wurde da der Tom.:Plur. iti durch den Alkufativ ice verdrängt
(Schwarz: „Die Ortsnamen der Zudetenländer als Gefchichtsquelle”, S. 57, Oldenbourg:
Verlag, Münden 1931). Bei Ubernabme der durch den Krieg gewonnenen Gebiete in
Öberfchlefien und Rußland beeilten fid die Polen, famtlide darın auffcheinenden itz- und
iti-Ortsnamen in foldye auf ice umzuwandeln; fo beißt 3. B. Myflowig und Baranos
wilti nunmebr Myflowice und Baranowice.
15) Die sk-YTamen de8 Pripjet-Gebiets, wie Dinfl, find in die alte i-Sorm zurüds
geführt, auf Grund der reichlich gegebenen Gegenbeifpiele; möglich ijt dabei allerdings, dag
1932, IV Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 211
EEE ae en a a a ea aa DIESE)
Aus dem Pripjetgebiet felbft: die Dini a. d. Pina, die Moroti am
Moros, die Slulia. Slut I, die Dy wi a. d. Wytwa, die Turji a. d. Turja,
die Norini a. Norin.
Aus dem Niemengebiet: die Swislodi ſa. Swisloe II, die Selwi
a. d. Selwa, die Wiliji a. d. Wilija II, die Uſchi a. d. Uſcha, die Oſchmiani
a. d. Ofcdbmiana, die Merelia. Meret, die Do = langs s newjazia.d. Tewjaza.
Aus dem Gebiet der Rurlandifden Aa: die Dosniweffia.d. Miweffa.
Aus dem Onjeprgebiet: dic Gwisloti a. GQwislot I, die Gnowi
a. d. Snowa, die Sjewi a. d. Sjewa (fpätere Sjewari — Sewerjänen), die
Timi a. Tim.
Aus dem Dünagebiet: die Poloti a. d. Polota, die Ufwjeati a.®.
Ufwjatj, die Oboli a. Obol, die Driffia. d. Driffa, die Difnia. d. Difna,
die Luteffia. d. Luteffa I, die Drelia. d. Prela, die Teweli a. TewelsSee.
Dann beginnt ein Landftrid, wo derlei Kamen fchon feltener vorfommen;
immerbin können noch bemerkt werden die Pfltowi a. d. Pflowe, die Lugi
a.d. Luga, die Oflujia.d. Oftuja, die WD jafmi a.d. Wijafma, dieO =umstmi
(fpatere Otmivi) a. d. Tma, die GZ atia. d. Gzatj, die Mologil u. II a.d. Moz
loga Iu. II, die Rufia. d. Rufa, die Taruffia. d. Taruffa.
Überall dazwifchen fcheinen isOrtsnamen auf (auch litauifche), die entweder
fern ibrer Sluffe liegen, wie 3. dB. Schirwinti (b. Rowno) zur Sherwinta
(Scirwindt) und Witebeti (jegt Witebfl) zur DO yptebetj (Ola), oder 3u denen
die betreffenden Sluffe nod) nicht ausfindig gemacht werden fonnten, 3. C. wobl,
weil fie, als jüngerer Herkunft, nichts mit Siußnamen zu tun haben, wie 3. DB.
Pruffi (Witebfk), die auf eingewanderte Altpreußen bindeuten.
Ienfeits der Linie Bjeloofero: Jaroflawl kommen fie wieder häufiger
vor, und zwar an den größeren Slüffen bzw. Fiebenflüffen der oberen und mittleren
Wolga, Mördlihen Düna und Mefen. Die Slugwege gerade diefes Des
biets bis an den Ural und wohl auch darüber hinaus waren fchon in vorgefchichts
liben Seiten aud den Wäringern gut belannt, die mit dem Biarmifcden
Reich (alte Permier) Handel trieben und dafelbft fogar befeftigte Stugpuntte
unterbielten, deren Liamen nod gegenwärtig in einigen der dortigen Dorfnamen
durchklingen 16). Es’fann angenommen werden, daß die Wäringer auch an der
Benennung der dortigen zahlreichen Stüffe teilgebabt batten; fo fcdeinen 3. B.
S wana (Mologa/Wolga), Moloma (WMjatla) und Malma(Jafwa) wearingis
fben Urfprungs zu fein. Daß in fpäteren Zeiten aud Altflawen — gerade,
um den Wäringern an den Seen JImen, Peipus, £adoga, Önega und
Bieloje, fowie im Bereich des Wealdaj auszuweichen — fich wenigftens teils
weife in die Landftriche bis zum Ural, wenn audy nur vorübergebend, zurüds
zogen, unterliegt keinem Zweifel; das beftätigen die dafelbft auffcheinenden alten
Ortsnamen, wie aud das GBorodifchke a. d. Wiatla, oberhalb des fpäteren
Chanats von Rafan. Wie wir im Weiteren noch feben werden, traten fie gerade
von bier aus ihre Wanderung nach Weften an.
der eine oder der andere Ortsname neueren Urfprungs ift, was aber an der allgemeinen
Regel nichts ändern kann. Dies gefchab ebenfo bei den asÖrten, wie WyZwa, und bei
denjenigen, deren Ylamen mit den betreffenden Slugnamen genau ubereinftimmen, wie
Obol. Ale fie waren zur Altflawenzeit beftimmt i-Örtsnamen.
16) MelnitovsPekerftij, „DoroZnyja sapiski* — Reifeftizzen (Petersburg
1909) nennt dafür das Dorf „Weldemanowo*, den Geburtsort des Patriarchen Fiton.
Er leiter auch die „Biarmier — Permier“ aus dem wäringifdhen ab, nach beorg,
bairg — Berg (Ural).
212 Dolt und Kaffe. 1932, IV
Die oben angeführte Auslefe von an Slüffen gelegenen, auf alte Stämme
zurüdführbaren Ortsnamen genügt, um darzutun, wie eng die alten
Stammesnamen mit den dazugebdorigen Slugnamen verknüpft
gewefen waren. Der Grund hierzu liegt in der ausfchlaggebenden Bedeutung,
die Ser Slug fur den Urs als auch fir den Altflawen in der Heimat gebabt baben
mußte.
Die Catfache an fic, daG famtliche Urs und Altflawenfiedlungen am Waffer
gelegen waren, Bann anfänglich wenig bedeutungsvoll erfcheinen; fie wird es aber,
wenn man dabinterlommt, daß deren Siedlungen wegen der mit Urwäldern bes
dedten Sümpfe und Bebiete fo gelegen fein mußten, follten die Siedler befteben
können. Anfänglich faft ausfchlieglid am Waffer figend, finden wir fie aud in
Deutfchland vor; bier allerdings fämen nody andere Gründe dafür binzu.
Einesteils wird zugegeben werden müffen, daß die einwandernden Altflawen, urs
fprünglich vor allem ein ausgefprocdhenes Sifchers und kein Aderbauervolt, im
Salle einer DMabl eber nach dem Slug und dem See, als nach einem fhon bebauten
Landftid griffen; anderesteils wird man Salle annebmen miuffen, wo ein Zwang
bierzu gegeben war — im Landmangel, verurfacht durd ungerodete DOdlder
oder durch Germanenrefte, die ihre bebauten Landftreden verteidigten. Zu einem
primitiven und befchräntten Aderbau fam es daher bei den Altflawen erft fpäter;
fie waren im Roden der Walder nicht die Meifter wie die Germanen.
Man kann daber annehmen, daß der Altflawe in der Sremde in erfter Linie
danach trachtete, am Waffer zu figen; fo vermied er 3. B. angftlid gebirgige
Gegenden oder ließ fich dafelbft nur unter bartem Zwang nieder, wie in Sadhfen,
wohin Altflawen zuerft von Böhmen aus von den Awaren verfchleppt wurden
(Rampfe der Awaren an der Elbe um 563 n. Chr.). Die noch ertennbaren fhwachen
Altflawenwanderungen ab Gadfen über das Dogtland nad Ober: und
Unterfranten und von Böhmen aus nad der Oberpfalz bis etwas über
Nürnberg, könnten geradezu als „Sucden“ nach zufagenderen, alfo wafier:
reicheren Begenden gewertet werden.
Es war eben der See, noch vielmehr aber der Siuß dem Urs, wie dem Alt:
flawen alles gewefen: fein But, aus dem er feinen Unterhalt bezog, fen Weg,
dem er fich ficher anvertrauen konnte, und fchließlich fein Sch ug — auf dem Slug
tonnte er fich leichter vor den Seinden retten, als auf dem Lande. Belannt ift je,
daß Altflawen es vermodhten, lange Zeit unter Waffer zu verbringen; ein über
die Wafferfläche binausragendes und im Wunde gebaltenes Rohr ermöglichte
ibnen dabei das Atmen !'). Es kann daber audy nicht wundernchmen, daß ibnen
der Sluß als etwas „Mäcdtiges“ und „Befeeltes“ erfchien, den fie fchließlich
zu einer Bottbeit erhoben, welche fie anbeteten und der fie Opfer darbrachten 13).
Sie bevdlferten den Sluß mit allerlei Beiftern, vor denen fie fich beugten und in
acht nahmen. Im Slug und im Sumpf erfchien ihnen das gute bzw. das bdfe
Prinzip: der Sluß war das gute, weil er ibn näbrte und fehüugte und mit deffen
Beiftern er austommen konnte, nicht aber mit den Dämonen der tüdifdhen, völlig
nuglofen Gumpfe, mit ibren taufenderlei drobenden Gefabren. Und fo beilig
der Slug dem Ure und Altf{lawen erfcdien, ebenfo beilig war ibm
auch deffen Fame, der nit verändert werden durfte und den cr,
17) Miljulon, ,Urfitten der Slawen, — Drewnejschij byt slawjan“, !Mosfau
190}. |
Is) Derfelbe, „Religion der Slawen — Religija slawjan*, Moslau 1901.
1932, IV Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 213
EEE EEE ce eS PETS LD ee EEE)
mußte er fortwandern, mitnabm — wo er den Slug felbft nidt
mitnebmen Bönnte —, um ibn an der neuen Wobhnftätte in einem
anderen Sluffe wieder aufleben zu laffen!?). „Hieraus erklärt fic) auch
die fo mertwürdige, allem Anfchein nach allein daftebende Tatfache, daß die Slawen
fo überaus viele gleidlautende Slugnamen aufweifen können. Dies kann
übrigens ebenfo in allen denjenigen Gebieten beobachtet werden, die f. Zt. flawifch
befiedelt gewefen waren oder dies nod find. Aus Plagmangel follen bier nur
einige wenige DBeifpiele angeführt werden, die aber von jedermann leicht vermebrt
werden können:
Siut I und II (Pripjet), JEwa (Pripjet) und Jlwa (Bug II), Berefina
(YTiemen) und Berefina (Onjepr), Swiflod (Tiemen) und Swiflot (Onjepr), Bug
(Harew) und Bug (Shw. Meer), Ofter I und II (Onjepr), Rog (Onjepr) und Roß
(Fliemen), Snowa I und II (Bnjepr) und Snowa (Don), Luga (Bug I) und Luga
(Sinn. Reerbufen), Sfula (Onjepr), Sfula (Mefen) und Sfule (Petihora), Lus
Eefa lI und II (Dina).
In Rußland und in Deutfchland vorlommende gleicdlautende Slugnamen,
fowie foldye in Deutfchland mebrmalig vorfommende:
3na (Pripjet, hHajna, Twerza, Oka, Mokſcha), Zinna(©der), Fabna (Elbe), Fahne
(Rudow), Bober (Pripjet), Bober (Vlarew) und Bober (Oder), Pina2) (Pripjet und
Pina (Pofen), Rlodnica (Onjeftr), Rlodnig (Oder), Lob (Wolga) und Lopsau
(€lbe), Cuga I und II und Lube, fowie Lube (Elbe), Fimen «See und Jlmensau
(Elbe), Sjewea (Dnjepr) und Sceve (Elbe), Styr (Pripjet) und Stör (Elbe), fowie
Stör (Schweriner See), Sfuda (Wolga) und Sude (Elbe) (anno 1167 — Judas),
Sfule I, II, III und Suble (Werra), fowie SGuble (Hable), Ugra (Ola) und
Uder (th. Haff), Udta (LatidasSee) und Udte (Elbe), Wi a (Bug I) und Wipper
(Oftfee), Wipper (Unftrut), Wipper (Elbe), Wipper (Saale), Oder und Oder
(Rhume), JIm (Donau), Jim (Saale), Jim (Keine), Of fa (Caulne) und Of fa Weidfel,
Futbe (Elbe) und Wutbe (Havel) 24).
Diefem auf religidfer Grundlage berubenden Derbadltnis zwifcden dem Slug
und dem Urflawen entfprad auch das vermdgensredtlide, das wiederum ein Ges
mifch der Begriffe „Religion“ und „Befig‘ darftellte: es geborte urfprung:
lich der Urflawe dem Sluß, nicht umgelecehrt, und fubrte aud
deffen reinen LFIamen; er füblte fich eins mit ibm, als deffen „Sohn“, was
fid> in den fpäteren itisYIamen noch deutlicher ausdrüdte: der Sfulil 3.8. war
ein „Ablömmling“ der Sfula. Dies alles "erklärt auch das, wenn man fich fo
ausdrüden darf, fo merkwürdige, wie auffallende „Aleben‘“ an einem Slugnamen
nicht nur des betreffenden Hauptftammes, fondern aud all der aus diefem bervors
gegangenen Stämme, Stämmcdhen und Sippen. Lieben dem Urftamm, der, wie
13) Diefe Annahme dürfte vorerft auf Widerfprud ftoßen. Laut einer brieflichen
Mitteilung des Sinnologen R. W. WillundsUppfala, wäre eine Wanderung von
Slugnamen ,unwabrfdeinlid’; Rulturnamen wanderten wobl, nicht aber Flaturnamen,
die fehr „bodenftändig“ find. Immigranten bätten meift die Slugnamen der Dorbevdllerung
angenommen, wenn nicht, tauften fie die Slüffe in ihrer Sprade um. Wenn Willund
legteres zugibt, fo ift nicht einzufeben, warum die Altflawen fich bei dem Limtaufen nicht
auch der ihnen gewiß doch nabeliegenderen beimatliden Slugnamen bedienten, um fo mebr,
als diefe für „beilig” gebalten wurden. Wie ich aus der mir nach Fliederfchrift diefes
Auffages zugelommenen Arbeit Dafmers: „Die Urheimat der Slawen“ in VDolz: „Der
oftdeutiche Dollsboden’, irtsWerlag, Breslau 1926) erfeben kann, neigt Dafmer auf
S. 137 diefer gleihen Annahme zu.
%) Die Pina dürfte aub mit Pinnsau (Mlbe) und mit Dinns See (unterbalb
Rageburger See) in Verbindung fteben.
21) Daß es neben der Wefts, aud eine Oftwanderung ruffifcher Slüffe gibt, beweift
auch die Ola (Wolga), die zuerft als Llebenfluß des Wi (Ufa) und dann als folder der
Angara (Sibirien) auffceint.
214 Dolt und Kaffe. 1932, IV
bereits erwähnt, den reinen Slugnamen (in der 173.) führte, dem im fpäteren das
C1 zugefügt wurde, treten deffen Whldmmlinge auf mit YTamen, die von dem-
felben Slugnamen nad) Doranfegung der Gilben o, ob (vor einem Selbftlaut)
= um, po = längs, pri??) = bei, pre??) = über, sa = hinter und do = bis ab:
geleitet find. Denn eine allgemeine Syerkunftsbezeichnung erforderlich gewefen
war, wurden die betreffenden Sluganwobner nad dem Slug (im zweiten Sall)
unter Doranfegung eines s oder so (vor einem Zifchlaut) benannt. Bezeichnender
Weife wird nod heute in RuGland eine an einen Sluganwobner geridtete Srage
nach dem Herfunftsort anfänglich ftets mit: s-wolgi, s-oki, s-kamy, so-
scheksny (von der Wolga, Ola, Rama, Sdelsna) beantwortet, erft bierauf
erfolgt die nähere Ortsbezeicdhnung. Stammes: oder Sippennamen mit diefem s
oder so find fehr felten; nur einen gelang es bisher ficher ausfindig zu machen,
und zwar in dem polnifchen Ortsnamen Sofnowice, der wie folgt zufammens
geftellt ift: „So-Snow(e)-i&i“ = „von der Snowa Stammende“. Die
polnifche Ableitung von ,Ssosna“ =: Sdbre ift falfd; in dem Sall hätte der Ort
„Sfosnice* beißen müffen, und foldye befteben auch tatfählih, ale Sfosnica
(Cernigow) und Soßnit i. Ob.cGeblef., fie wären aber von Sfosnea Tu I
(Don) abzuleiten. inter Soßnit könnte fi aber audy ein „Sosänla)-it“ =
„vonder Zna (Pripjet) Stammender“ verbergen.
Mit der Dermebrung der Urflawen und mit dem dadurdy bervorgerufenen
Plagmangel wurde das Religidfe von dem Dermögensrechtlichen immer mebr in
den Hintergrund gedrängt — der Siuß bildete fih zur „djedina = Altväter:s
gut dcs HYauptftammes aus, der nun begann, um ibn zu fämpfen, d. b. von ibm
zu verdrängen und deffen Befitz zu verteidigen, bis dann endlich das Band zwifchen
Slug und Menfd geldft und nur die Überlieferung in der Art der Viamensgebung
übriggeblieben war. Daß dies alles aber einen ftarten Fliederfchlag in der Voltes
feele (ganz befonders in der ruffifchen) binterlaffen bat, dafür zeugen zablreiche
Sagen, Lieder und Gebräuche. Eine geradezu zärtliche Liebe zum Slug Cann man
auch noch gegenwärtig bei dem niederen Ruffentum beobadten; es fpricht mie
anders vom Don und der Wolga, ale vom „Däterhen Don“ und vom
„Mütterhben Wolge, unferer Fäbrmutter“, und genau fo, wie bei
den Urabnen, fübren zablreiche Ruffennamen auf Stußnamen zurüd, 3.8. Wolzin
(Wolga), Dunajew (Donau), Donzop (Done), Lugin (£uge), KRlewin
(Rlewa). Auch in der bulgarifden Mationalbymne (,,Naufde, Mariza, fchwer
leidend [unter dem türkifchen Joch!) die trüben Wogen mit Blut mifcbend“) tritt
der befeelte Kyeimatsfluß und fein Derbundenfein mit den Volksfchidfalen Mar zu
Tage. —
2) pre und pri find in Deutfchland faum mebr zu unterfceiden.
(Schluß folgt.)
1932, IV Deutfche Voltstradten. 215
Deutfche Volkstrachten. (ID”
Die YTiederlande.
Tafel 3.
eit die Gefchichte der LTiederlande fich von der des Deutfchen Reiche getrennt
bat, ift auch die Tracht ihre eigenen Wege gegangen. In der Sifcher: und
Seemannstradht bat die Zeit der erften Selbftändigkeit zahlreiche Spuren binters
laffen; belannt find die Pumphofe und die enganliegende Oberkleioung, die den
Modeformen des 17. Jabrbunderts entfprechen. Aber die Modeform der Hoſe bat
damals fchon eine befondere Prägung erhalten, indem fie einer von jeher getragenen
weiten Schifferhofe angenähert wurde; im Ganzen bat die Silhouette der Tract
fich feit dem 16. Jahrhundert, aus welchem wir die erften zuverläffigen Abbildungen
baben, nur wenig geändert. Beftimmend find immer die gleichbleibenden Anfordes
rungen des Seemannsberufes geblieben, der für einen großen Teil des bolländifchen
Volkes der natürliche ift. — Die Sarbe der Männertrachten ift feit der Reformation
vorwiegend dwar.
Die Trachten des bäuerlichen Binnenlandes haben fic) fpateren Moden anz
gepaßt und find verfhwunden.
Unter den Srauentradten gibt es einige, die an Schlichtheit von Schnitt und
Sarbe den Männertrachten gleich find. Die meiften aber, und vornebmlid die weit:
friefifchen, find von einer zarten und fremdartigen Sarbigleit, die ficher in diefem
Land urfprünglich nicht zu Haufe ift. Man darf für fie zum Teil das direkte Dors
bild eingeführter indifcher Erzeugniffe annehmen; mebr nody fpricht aus ihnen der
oftafiatifche, chinefifche und japanifche Gefdmad, der auf feinem Siegeszug über
Europa von Holland ausging und in Holland felbft auf dem Weg über die
Sayenceinduftrie tief in das Leben des Volkes eingedrungen ift.
Eine andere Eigentumlichkeit der niederländifchen Trachten ift die reichliche
Verwendung von Metall. Die Srauentradht bat es in Geftalt maffiver Gold:
bauben, die unfichtbar unter einer Überhaube getragen werden, und von der nur
dünne Drabtfpiralen zu beiden Seiten des Gefichtes bervorragen, die fogenannten
Obreifen; die Männertrachten verwenden es in Sorm riefiger Jiertndpfe. Das ift
friefifches Erbe. Rein Volk bat jemals feine Kleider derart mit gediegenem Metall
beladen wie das friefifde; was davon in den weftfriefifden Trachten des 19. Jabr-
bunderts noch zu finden ift, ift nur ein febwacher Abglanz von dem, was im fpäten
Mittelalter üblich war.
YTord- und Oftfeekufte.
Abbildung auf S. 217.
Wie in Weftfriesland wird nod an der nord: und oftfriefifden Rufte und
im benadbarten niederfadfifden Hinterland ausgiebig Metalliehmud verwendet,
in Oeftalt von Ketten, Kndpfen und Derfdnurungen und von großen flad-
*) Stebe Doll und Raffe 1932, Heft 3, S. 170. Sortfegung des Abdruds aus dem
im Derlage J. §. Lebmann, Munden, erfchienenen Werte von Rudolf Helm, Ger:
manifdhes Mufeum in Murnberg, Deutfde Dollstradten aus der Sammlung des
Se Mufeums (mit 115 Trachtenbildern auf 43 fhwarzen und 8 farbigen Tafeln,
reis 4.—).
216 Dolt und Kaffe. 1932, IV
gewölbten Scheibenfibeln, die zweifellos bis auf die Dölkerwanderungszeit zurüd:
geben. Die leuchtenden ungebrodhenen Sarben der altfriefifhen Trachten, die noch
zu Anfang des 19. Jabrbunderts auf den Infeln berrfdten — Rot, Weiß und
Blau —, find allerdings verfhwunden, wie auch alle wirklich alten Sormen; beffer
find die feftländifchen Trachten erbalten, vor allem in den reihen Marfchen. Die
betannte Dierländertracht, in unmittelbarer KIäbe Samburgs und unter ftandigem
Einfluß der großen Stadt, bat fich am zäheften erwiefen: troy aller Anderungen,
deren fie viele durchmachen mußte, ift ihr der Charalter des frübeften 18. Jahr⸗
bunderts nicht verlorengegangen. Die Männertracht ift befonders reich an Silbers
ſchmuck.
Die Trachten der Oſtſeeküſte ſind im ganzen ſchlichter. Schmuck aus Edel⸗
metall wird nur in beſcheidenem Maße angelegt.
In der Männertracht ift, als zeitloſes Rleidungsſtuͤck, die weite Schifferhoſe
nod im Gebrauch. Zu ibe erwartet man als Ergaͤnzung eine knappe Arbeitsjacke;
ſie hat ſich aber auf Ruͤgen auch mit dem feierlichen Gehrock zur Tracht verbunden.
Das Ideal iſt im 12. und 19. Jabrbundert langs der Rufte ausgefprochen bürgers
lich, nicht militaͤriſch, wie in den meiſten Gegenden Deutſchlands. Das Vorbild
iſt der Raufmann. Daher iſt auch die typiſche baͤuerliche Ropfbedeckung fuͤr die
Ruͤſtenlaͤnder der Zylinder des fruͤhen 19. Jahrhunderts geworden, wie füͤr das
Binnenland der Oreifpig des 18. Jahrhunderts.
Das nord: und oftdeutfche Binnenland.
Tafel 4.
Die Männertrachten find bier früh verfehwunden. Es ift von ihnen nur zu
fagen, daß fie vorwiegend militärifchen Charakter trugen. Der Soldatenrod Srieds
riche des Großen ift das Votbild geworden; fpäter, zu Beginn des 19. Jahr⸗
bunderts, die Inappe Kleidung der Befreiungstriege. In beiden Sällen waren es
die Briegerifchen Ereigniffe, die das Volk fo zufammenfcdhweißten, daß für Sonder:
bildungen fein Plag mebr blieb. Ebenfo find die Srauentrachten faft erlofchen; am
vielfältigften haben fie fi nod in Schlefien gebalten, doch find auch bier die
älteren Beftandteile unter denen des 19. Jabrbunderts taum mebr zu erkennen.
Line Ausnahme madt allein der pommerfde Waizader bei Pyrig. Die
Stauentracht diefer Gegend ift kräftig bunt: Rot und Grün berrfchen vor, aber
aud) Blau, Violett und Gelb werden reichlich gebraucht. Aber mebr noch als die
Sarbe fallt die Maffigkeit der Tracht ins Auge. Unter dem kurzen Rod, der die
diden buntgemufterten Strümpfe freiläßt, werden bis zu 10 Unterröde getragen,
fo daß der Umfang der Geftalt recht anfehnlich wird; eine bäuerliche Überfegung
der Rrinoline, die von einer urwidfigen Sreude am Stoffliden fpricht.
Die Mannertradt im Waizader bat die militärifchen Sarben Blau und Rot,
aber fon in den unangenebm branftigen Tönen, die in der zweiten AHalfte des
19. Jahrhunderts in der deutfcben Militäruniform üblich werden.
Cafel 4
Mann und Srau aus dem Waizader bei Dyrig, Pommern
Kunitbcitage zu „Volt und Raye“ Nus: elm, Deutfde Vollatradten
I. $. £ebmanns Verlag, Münden
1932, IV Deutfde Doltstradten.
Mädchen von der Infel Söhr und Burfde aus Sdhleswig
Dolf und Raffe. 1932. Oftober.
218 Volt und Raffe. 1932, 1V
Aleine Beiträge.
„Chriftentum und beidnifche Überlieferung im deutfchen
Volksbraudy.”
Eine Betradtung zu dem Buche „Lritolaustult und Flitolausbraud im Abendlande“ von
Rarl Meifen. |
Don Dr. Ridard Wolfram, Wien.
Die vorurteilslofe Erforfhung der Rultur unferer Dorfabren wird augenblidlich
durd verfchiedene Strdmungen erfdwert, die mit großer Cindringlidfeit ibre Betrachtungs-
weife den Tatfachen sufzuzwingen bemübt find. So ift es als Solge des Retionslismus
dec Adtzigerjabre nod beliebt, uber Nythologifdes einfad die AUdfeln zu zuden und böchs
ftens usglidleitsgefidtspuntte fur die Ertldrung eines Braudtums gelten zu laffen. Die
fhweren Erfadutterungen feit 3914 baben uns aber dod) die Augen dafur geöffnet, daß audy
nod ganz andere Rräfte in einem Volle lebendig find, und fie baben auc in Tiefen der Ges
meinfcdaftsbilbung binabgeleudtet, durd welde aud die zweite, gegenwartig (tar? vers
fochtene Richtung korrigiert wird, nämlich die Lehre vom gefuntenen Rulturgut und der
alleinigen Schöpferkraft der bdberen Schichten). Wenn aud nicht direft aus diefer Schule
fommend, aber doch von dbnlicher Wirkung ift eine Richtung, die am Elarften durch die im
Titel angeführte Fleuerfcheinung gelennzeichnet wird. Die Hilolausmonograpbie, 558 Seiten
ftac® und in groger Aufmadhung, fudt nämlid faft unfer gefamtes Braudhtum aus dem
Chriftentum abzuleiten. Eine Auseinanderfegung ift unausweidlid, 3umal neue Arbeiten
derfelben Einftellung angelündigt werden.
Es wäre töricht, die Rulturfchaffende Macht von 31/2 Jabrtaufenden Chriftentum
— oder die Bedeutung der katholiſchen Rirche für die Umformung alter Glaubensvor⸗
ſtellungen in Zweifel ziehen zu wollen. Trotz unerbittlicher Strenge gelang es der Rirche
aber doch nicht, die alten Dorftellungen und ARultformen auszurotten, fo daß wobl oder
übel der von Gregor dem Grogen in feinem Brief an den Abt Melittus von Canterbury
empfoblene Weg eingefchlagen werden mußte, der das Doll durd) Umdeutung und Cbrifti-
anifierung des alten Blaubens und der religiöfen Bräuche zu gewinnen fucte. Die alten,
durchaus nicht geleugneten Götter wurden zu Dämonen und Ceufeln geftempelt, wie es ja
auch ausdrüdlih aus der fächfifchen Taufformel (um 790) bervorgebt. An die Geftalt des
Teufels beften fid) desbalb viele Fuge alten Hetdentums. Man braudt fich ja nur zu fragen,
wober er feine Körner bat? ?). Der breite Strom magifchen Dentens und Handelns vollends
konnte wohl teilweife etwas berabgedrüdt und in andere Bahnen gelenkt werden, bis beute
bat er fic) aber durch alle Krifen und Umwälzungen fiegreich behauptet. Dody auch mandye
andere Sorm, die nicht nur der niederen Magie angebdct, lebt in feftlidher Geftalt noc
immer fort.
Eine der wandelbarften und fdwierigften Geftalten unferer Dollsuberliefecung ift der
beilige WTitolaus, deffen Seft zabllofe Bräude an fich gezogen bat. Don einer Unterfuchung
der kirchlichen Verbältniffe ift bier manche Rlarftellung zu erboffen. Erwartungsvoll greift
man deshalb zu !eifens gewaltiger Monograpbie 3). Jede Seite verrät Bienenfleig und
große Literaturtenntnis. Das reiche und prächtige Abbildungsmaterial befchräntt fic aller:
dings auf Darftellungen der “eiligenlegende und Safiliten; Voltstundliches fehlt bei den Bils
dern ausnahmslos. Diefes Ausfchließen des wirklich Doltsmäßigen in einer voltstundliden
Arbeit ftimmt fon bedentlih. Allzu leicht ftellen fidy Gedanken an vorgefaßte Meinungen
ein. Wird bier wirklid) ernfthaft der Derfuch gemadt, die gewaltige Maffe des Braudz
tums, die mit dem Sefte des Bifchofs von Myra in Zufammenbang ftebt, vorurteilsfrei zu
1) Dazu vgl. RX. Wolfram, ,Voltstan; nur gefuntenes Rulturgut?“ Zfchr. für
Volkskunde, Berlin 1933 und derf., ,Gefuntenes Rulturgut und gebobenes Primitivgut“,
Seftfarift fur 3. Str3yqgowsti, Wien 1932.
2) Dal. KX. Lowe Chompfon, ,The history of the Devil, the horned God of
the West”, £ondon 1929.
5) ,YTitolaustult und Flitolausbraud im Abendlande. Cine kulturgeograpbifchvoltss
tundlide Unterfucung.” BDüffeldorf 1931. In: Sorfdungen zur Dollstunde, Oerausgeg.
von Univ.-Prof. Dr. Georg Shreiber, Aeft g—12.
1932, IV Rleine Beiträge. 219
deuten? Ein Blid in die rein voltstundlichen Kapitel beftätigt denn aud die ärgften Bes
furdtungen.
Der Vorwurf Meifens (S. 16), daß die bisherigen Anfichten mytbologifcher Art auf
einer allzufchnellen Rombination grundverfchiedener Dinge beruben, kann nämlich volls
inbaltlid zur Charalterifierung von Meifens eigener Arbeit dienen. Mit großer Ronfequenz
und Rombinationsgabe, aber von falfden Dorausfegungen ausgehend, wird ein Spftem
aufgeitellt, in das einfach alles bineingeswungen wird. Dabei läßt die Ausdrudsweife
Meitfens, wenn er die ack fo romantifcde Mythologie abfertigt, an Klahdrud nichts zu wüns
fen übrig: „Eine Methode, wie fie in ser germanifden Mythologie beliebt war... ..
ift nicht wiffenfchaftlih zu nennen“ (S. 18). ,Da eine Herleitung des Braudes aus gers
manifd-beidnifder Feit... .. als unmöglich abgelehnt werden muß“ (3. 390). „Dinge
.... die überhaupt niemals nadhzuweifen find“ (S. 10). „Sie (die Rute des LTikolaus)
bat nichts mit etwas derartigen (Lebensrute) zu tun, ebenfowenig, wie irgendein anderer
Zug des Braudes vom germanifden Heidentum ber bedingt ift“ (3. 402) ufw. Man
böre und ftaune, was dagegen als einfache Löfung aller Rätfel mit dem Anfprudy auf Ends
ültigleit behauptet wird: Alles, was an Damonenfiguren in unferem Braudtum bherums
putt, ftammt aus der chriftlichen Teufelsvorftellung. AHabergais, Sdhimmelreiter, Rlappers
bod, Rlaubauf, Erbfenbär, Rrampus, Ruprecht, Rlaus, Perdt, ja fogar DOodan und die
Wilde Jagd! All das hat mit dem KHeidentum nicht die gering(te Beziebung, fondern ents
widelt fid) im Mittelalter aus der fo lebendigen Teufelsvortellung, dem Cldfterlichen Jdeens
kreis! Das ift das Ei des Rolumbus. Ylikolaus, der Dämonenbelämpfer, bat als Sinnbild
einen gefeifelten Teufel bei fich, der zu feinem Begleiter und Diener wird und von dem alle
die anderen Siguren abftammen, tberiomorpbe wie antbropomorpbe. Mit dem billigen “ins
weis auf die Derwandlungsfäbigkeit des Teufels wird diefes metbodifdhe Runftftüd zus
wege gebradıt.
Ausgebend von einer Unterfucdung der Wege, auf denen fic) der Kult des bilfreichen
Bifhofs von Myra im Abendlande verbreitete, begeht Meifen den alten Rardinalfebler,
das zufällige erfte Auftauchen vollsreligidfer Dorftellungen in der fchriftlichen Lberlies
ferung als Entftehbungszeit und Ort 3u betradten. Und nun wird geograpbifchsbiftorifch
die Ausbreitung der angeblih in Llordfrantreidh entftandenen Vorftellung von der Wilden
Jagd nahhzuweifen gefucht. Die naturlide Solge ift, daß — wo in der Welt fi etwas
Abnliches findet — es von dort abgeleitet werden muß, was nidt wenige balsbreces
rife Spriinge uber Abgrimde erfordert. Wir haben bier ein Schulbeifpiel für die Gefährs
licykeit diefer Methode, wo es fid) um Allgemeinmenfchliches und ungefdidtlid) Aleartiges
bandelt. Was 3. B. den Schimmelreiter betrifft, fo beweift feine Verbreitung bis China
(immer in gleidhartigen Brauchen) und die zeitliche Tiefe bis ins frühefte Griechentum wohl,
daß wir es bier nicht mit einer driftlihen AHeiligengeftalt 3u tun baben können *). Genau
das gleiche ließe fih vom Bären fagen?). Und die Ziege, der Rlapperbod, der in Flords
deutichland auch manchmal allein auftritt, ift als folcher feine Solgeerfheinung proteftantis
fhen Einfluffes, der den unbequemen Heiligen bejeitigte, fo daß nur mehr das Begleittier
übrig blieb, fondern die Beftalt ift weit Alter als der Heilige. Wenn die ganze Auffpals
tung in verjchiedene Tiere erft dur den Einfluß der Reformation erfolgt wäre, wie
könnte dann die Ziege in Rumänien auftreten oder felbft im gutlatbolifchen Gfterreich die
Fyabergais, Weinberggais (bei der Weinlefe) ufw. febr felbftändig im Lande berums
eiftern! Was mit diefer Bodefigur gemeint ift, gebt doc fdon aus dem YTamen bervor:
Koagenbod, Saberbod, Rornbod, Arftenbud, KErbfenbod, Bobnenbod, Auftbod, Kyabers
geiß, Weizengeiß, Rorngeiß, Mahdegeiß, Erntebod, Roggengeiß, Grasbod, Heugeiß uſw.
und dem ganzen damit verbundenen Brauchtum der Erntezeit. Ebenfogut fönnte man je
bebaupten, der Bok ftamme aus dem Rult des Heiligen Olaf, weil er in €ftland als
Olafsbod am 29. Juli auftritt, dem Beginne eines alten Erntefeftes, das im ganzen ors
den verbreitet war. Der Wadhstumsgeift tritt recht häufig aud als Rater auf. In
Schlefien wird derjenige, der als letzter mit dem Schnitt fertig wird, in Roggenbalme und
Zweige gebüllt und muß den , Rater” darftellen. Seine Hauptaufgabe ift es, den ibm Bes
egnenden, namentlid Rindern, nadzulaufen und fie mit einer großen Rute zu bauen.
iefelbe Sigur tritt dann wieder zu Weihnachten auf, abermals mit Birkenreifern verfeben,
4) Dgl. R. Wolfram, „Robin 5008 und Hobby Horfe“, Seftfdrift für R. Much,
Wien 1932. Über das Pferd als Totentier handelt u. a. £. Malten, „Das Pferd im
Totenglauben“ 1914 und J. v. Vlegelein, „Das Pferd im arifchen Altertum“ 1903.
) Dgl. R. Wolfram, „Safhinglaufen und Bärenjagen in der Pöllau“, Wiener
Zeitfehrift für Volkskunde 1932. i
15*
220 Volt und Raffe. 1932, IV
und fchlägt Mädchen und Knaben. Es dürfte fhwer fallen, bier den Schlag mit der
Lebensrute wegzudifputieren. So ift es audy ganz felbftverftändlidh, daß der Bod nicht erft
fpdt durd das Chriftentum nad Standinavien gefommen ift, wie Meifen bebauptet. Im
Gegenteil, dort wo das Heidentum bis um das Jahr 1000 beftand, bat fi mandye Übers
lieferung außerordentlih rein erbalten. Der Julbod ift nur ein Beweis dafür. Ls ijt uns
möglich, das gefamte reiche Braudtum der Mittwinterzcit, in dem fid altgermanifche Sits
ten, Sruchtbarleitsbräude, Seelentult, Jabresanfangszauber, römifche Ralendenbräude ufw.
mit driftliden Dingen mifden, aus dem Flilolauskult zu erklären. Daß der eilige einen
Pan Zug in die Aufzüge am 6. Dezember gebradıt bat, mag zugegeben werden.
a8 dürfte wohl aus dem mittelalterliben Schulwefen ftammen. Andererfeits wurden alle
mögliden Wadstumsdämonen zu jeder Jahreszeit ale Rinderfchred verwendet. Und was
das Schenken betrifft, das vom Ylitolausbrauh in das Weibnadhtsfeft eingedrungen fein
foll, fo müffen in diefem Jufammenbange doc auch Jahresanfangszauber der Ralendenz
brauche, en ufw. in Redhnung gezogen werden, wie aud Sructbart:itsriten
von der Art der „Werpelrot“ und ähnlicher Dinge). Die Quellen find ja mannigfad. Dag
die Zeit des {Nittwinters die ärgfte Sputzeit ift, muß ein Erbe aus beidnifchen ee fein.
Dom driftliden Standpuntt aus ift der Widerfprud, daß die wildeften Geftalten des
an es während des größten Sreudenfeftes Macht und Sreibeit befigen, nidt zu
erklären.
Es mus mit aufridtigem Bedauern feftgeftellt werden, daß es fich bei Meifens
Bud um eine der fcdlimmiten methodifden Entgleifungen handelt, die unfere Difziplin
aufzuweiſen bat. Der Derfaffer fchaltet mit feinem Stoffe, als ob es keine Etbnologie gäbe,
abgefeben von den germanitifden Bedenten. Wenn das Fyeidentum wirklich, wie Meiſen
meint, ab 800 plöglidy und reftlos von der Bildfläde verfhwand, was fangen wir dann
3. B. mit den vielen Derboten der Ronzilien an gegen Dinge, die nod) Jabrbunderte
fpdter im Dolltsbraud nadzuweifen find? Eben erft bat das Bud von R. Rriß’) wieder
ezeigt, wie unbelümmert frifchfröbliches Fyeidentum foger in außerordentlid tirdhliden
ingen bis in unfere Tage weiterlebt. Ran muß fib uud wundern, daß Meifen, der
do über firdliche Dinge fo wohl orientiert ift, die Erfabrungen der MNiffiondre fo ganzs
lib außer at läßt. Wir können do die Methode Bregors des Großen noch in der Ges
genwert ftudieren. Man denle etwa an Gebiete Südamerilas, wo die driftliden Pros
zeffionen es fich gefallen laffen müffen, daß fidh die gefamten beidnifden Damonenmasten
und Rulttänze an fie beften. Warum foll es denn bei uns anders gewefen fein?
Tppifch für die Unbelümmertbeit des Verfaffers it fein Schalten mit etymologifcben
Dingen. Aus dem Kamen „Beelzebub“ bat fid) nad) Meifen das Wort „Pelzbod“ entwidelt
und diefe fpradlide Ableitung foll der Grund gewejen fein für die Schaffung unferer
Braudtumoafiguren *abergais, Rlapperbod und aller gebörnten Dämonen, unbefchadet der
ftereotypen Derbote gegen ,cervulum et vetulam facere“ in allen Ronzilienbefchlüffen
vom Jabre 578 angefangen. Ebenfo fcdlimm ftebt es um Meifens Herleitung des Wuotan,
Woobde, der als Sübrer des Wilden yeeres und Bott der Sruchtbarteit (!) bis in unfere Tage
bineinreicht. Tac !Meifen bat er natürlich mit dem alten Bermanengott nichts zu fchaffen,
fondern ift eine YTeubildung des Mittelalters ab 1300! Er foll aus der Bezeichnung des
nLOutenden yeeres” ftammen, das aber nichts anderes ift, als eine fromme Daritellu
des chriftliden Glaubens von der Strafe des Negfeuers. WDotan ift einfad der Teufel.
Wie er zur Rolle als Sörderer der Aderfrucht kommt, bleibt allerdings ungellärt. !Meifen
ftellt einfach feit: „Die oben für die Beweisfühbrung beigebradte ununterbrodene Reibe
der Belege, die vom boben Mittelalter bis in die Gegenwart reicht, läßt für die von der
mytbologifden Schule aufgeftellten Bebauptungen eines Zufammenbanges der Vorftellung
mit Wodan überhaupt keinen Raum“ (S. 462).
Die Bebandlung diefes enticheidenden Punktes zeigt die ganze Kinfeitigleit von
Meifens Merboden. eil der normannifche Rleriter Ördericus Vitalis (11. Jabrbundert)
die erfte Befchreibung der Wilden Jagd bietet, ftammt der ganze Vorftellungetreis natürs
lid) aus KTordfrantreih und bat fib von bier aus durch die Kirche über das ganze Abends
land verbreitet! Hdch(tens werden nod Zufammenbänge mit dem antifen : eelenglauben
zugeftanden. Daß fo gut wie fämtlihe Völker der Erde dbnlicde Dorftellungen befigen ®),
6) Dgl. £ Weifer, „Jul, Weibnachtsgefchente und Weibnadhtsbaum“ 1923. Über
die Bedeutung der Kalendenbräude: E. Schneeweis, „Die Weibnachtsbräude der
Serboßroaten“, Wien 1925.
‘) ,Doltstundlices aus altbayerifcen GBnadenftätten”, Augsburg 1930.
8) Dgl. 5. 3. Plifadle, ,Die Sagen vom Wilden Heer“ 1934.
aS ee ee — —— — ⸗ a oo eee — eee
1932, IV Rleine Beiträge. 221
En ZT Er EEE EEE EEE EEE EEE
kümmert Meifen nicht. Wit germanifchen Dingen bat das tobende Beifterbeer nach Meifen
jedenfalls nidhts zu tun. Auch der von Tacitus gebraudhte Ausdrud „feralis exercitus“
ift ibm zufolge nichts anderes, als die belannte „interpretatio Romana“ für eine von
dem germanifhen Stamme der KHarier angewandte Rriegslift. Arme Germanen! Won
ihrer Welt bleibt aber auch tein Stidden übrig. Denn aud der Schimmelreiter ift nas
türlich jung. „Denn daß der befonders in den Fliederlanden und Florddeutfchland, aber auch
in Schwaben und Oberfdlefien als Reittier dea Gabenfpenders fo beliebte Schimmel nichts
mit Wodans Roß, dem Sleipnir der nordifchen Sage, zu tun baben lann, wie fic die
Mptbologen und ibre Anhänger fo gerne felbft glaubhaft madyen wollen, bedarf nach den
Ergebniffen diefer Unterfuchung keines Beweifes mehr“ (S. 442). Und von der Perdt
fcdreibt Meifen (S. 440): „So ftebt der Annabme nichts entgegen, daß die Geftalt der
Berdta überhaupt erft durd den Filolausktult gefchaffen wurde (1) und daß fie von bier
aus erft ihren Weg als Schredgeftalt und Rinderfcheudye in die allgemeine Sagenüberliefes
rung gefunden bat.“ Und in der Anmertung wird binzugefügt: „Ich babe diefelbe Ders
mutung übrigens bezüglich einer ganzen Anzahl anderer, 3. T. aber fchon genannter
Schredgeftalten, über die ich demnädhft an anderer Stelle zufammenfaffend zu handeln ges
dente.” Damit wäre glüdli unfer Doltstum reftlos befeitigt und alles als gefuntenes
chriſtliches Rulturgut „nachgewieſen“. Ich babe abfichtlih einige Behauptungen Meifens
im Wortlaut angeführt, damit man mein Referat nicht für eine böswillige Verdrebung
oder einen üblen Scherz halte. Saft würde es ficy erübrigen, dagegen zu polemifieren, denn
foldye Gewaltfamleiten richten fich eigentlich felbft. Boch feien wenigftens einige Puntte
angeführt.
Über die Perdht bätte fih Meifen aus Wafdnitius grimdlider Quellenfamm-
lung?) Rat bolen können. Durd das dort beigebracdhte Material wird aud Meifens
Einwand binfällig, diefe Siguren feien nur in Shddeutfdland bekannt, feblten aber in
Mitteldeuticdland. In der Srage der weibliden Gottheiten wird man nicht an den auf
über 400 Steinen infdriftlid) bezeugten matres, matronae voribergeben tdnnen 1°) und
aud) an Bedas Bericht (7. Jahrhundert) denken müffen, daß bei den Angelfadfen die
Heujabrenadht „WModranebt“ hieß. Weiters ift an das Speifeopfer für die im Gefolge
der Percht ziebenden Seelen, den Berdhtentifh zu erinnern. Das erfte Zeugnis für einen
derartigen Geiftertifd zu Lleujabr ftammt bereits aus dem 6. Jabrbundert !!) und das
Ronzil von Rom fertigte 743 ein Derbot dagegen aus. Heute findet diefe Sitte zu Allers
feelen ftatt, doc ift fie bereits 500 Jahre vor der Einführung des chriftlihen Allerfeelens
feftes (1006) bezeugt. Aeidnifcder Urfprung ift nicht zu leugnen.
Was Wodan und das Wilde Heer betrifft, fo find ausführliche Unterfuchungen über
diefe Sragen in Vorbereitung 12). Bereits Lily Weifer bat aber die Schilderung des
„feralis exercitus“ ins rechte Licht gerüdt!3). Es bandelt fic bier einfach um den
Männerbund, der fowobl kriegerifhen wie kultifhen Charakter batte und in legterer
Sunttion in elftatifhem Toben als Wilde Jagd durch das Land 30g. Die Vertnüpfung
mit dem Sturm ift fetunddr, wesbalb alle bisberigen naturmytbologiichen Ertlarungsvers
fuche am Wefen der Erfceinung vorüberzielten. !eifen erkennt wobl den Zufammens
bang der Sage mit dem lebendigen Dollsbraud. Aber nach feiner vorgefagten Meinung
vom driftliden Urfprunge alles Brauchtume leitet er die menfchliche Darftellung des Wils
den Heeres von fetundären Dingen ab. Daß es fidh bier aber um eine foziologifche wie
Bultifche Urform (Totentult) bandelt, wird durch die erdrüdende Gülle der etbnologifcdhen
Parallelen über allen Zweifel erhoben !4). Kur bat man fie bisber in Europa mertwürdigers
weife nicht in Rechnung gezogen. An chriftlichen Einfluß außer bei fpäten Außerlichkeiten
ift da einfach nicht zu denken. Diefe Bünde, weldye zu gewiffen Seftzeiten die Toten res
präfentierten, beftanden im Geheimen — und das ift allerdings eine groge Uberrafdung
— an vielen Orcten bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts. Aus ihrem Braudtum, das
)D. Wafbnitius, „Perdt, Moldau und verwandte Geftalten“, Wien 1914,
Sigungsber. d. Akad. d. Wiffenfch. pbil. bift. Rlaffe 174 Bo. 2. Abbandlung.
10) R. Mucd, in Zeitfehr. f. deutfches Altertum Bd. 35, S. 315 ff.
11) 3n der pfeudoauguftinifchen Homilie 129 des Läfarius von Arles, geft. 542.
12) Otto Höfler, „Totenbeer:Rultbunds Saftnadhtefpiel“ und R. Wolfram,
„Schwerttanz und Männerbund“.
13) „Altgermanifhe Jünglingsweiben und Männerbünde” 1927.
4) Schurt, "Üterstlaffen und Männerbünde“ 1903; 5. Webfter, „Primi-
tive secret Societies“; R. Lowie, „Primitive Religion“ 1924; RX. Thurnwald,
„Die menfchlidye Befellfhaft in ihren foziologifhen Grundlagen”, Bd. 2, Berlin 1932.
222 Doll und Kaffe. 1932, IV
EEE EEE u SEE eS Ne ea ——
dem der ſogenannten Tiefkulturvoͤlker ganz parallel laͤuft, und nicht aus dem Nikolauskult,
erklaͤrt ſich eine große Reihe von Geſtalten, die Meiſen aus dem Teufel ableitet. Andere
wieder haben ihren Standort in der Fruchtbarkeitsmagie. Natürlich hat man unter chriſt⸗
lichem Einfluß dieſe Dinge als teufliſch aufgefaßt, aber das ift dod nidt das Urfpringlicde.
Bereits die Schilderung des Ordericus Vitalis zeigt den Aufzug durch eine chriſtliche
Brille geſehen und im Sinne der Lehre von der Vergeltung ausgeſchmückt. Aber genauere
Betrachtung zeigt Elemente, die nicht aus dem Mythos ſtammen, ſondern aus dem Brauch⸗
tum und ſtereotyp durch die Jahrhunderte wiederkehren. Auch der normanniſche Rirchen⸗
hiſtoriker iſt hier gutglaͤubig aufgeſeſſen, denn er nahm den Spuk ernſt, ebenſo wie die
Rirche jahrhundertelang keine Ahnung hatte, um was es ſich da eigentlich handelte. Man
denke ſich doch einmal in die Pſychologie der Darſteller des Wilden Heeres hinein. Wenn
der ganze Brauch rein chriſtlich war, eine paͤdagogiſche Veranſchaulichung kirchlicher Lehren
im Stile geiſtlicher Spiele und Prozeſſionen, was in aller Welt bewog dieſe Menſchen dann,
das Heer der Verdammten naͤchtlicherweile und mit allem Grauen im Geheimen darzu⸗
ſtellen und ſich mit dem Antichriſtlichen voͤllig zu identifizieren? Das ſind mir nette
Glaubenseifrige, die in ihrem Streben nach moͤglichſt guter Darſtellung der Unholden
ſo weit gehen, daß ſie wochenlang vorher die Rirche meiden und nicht beichten gehen, ehe
ſie ſich in die Daͤmonenmasken ſtecken. Denn ſolche Vorbereitungen exiſtieren auch heute
noch. Daß die Erwaͤhnungen ſolcher Braͤuche verhaͤltnismaͤßig ſpaͤt ſind, erklaͤrt ſich eben
daraus, daß es ſich hier um Geheimbuͤnde handelt, die ihr eſoteriſches Wiſſen und Tun
ſtrenge hüteten ebenſo wie bei den antiken Myſterien. hinweiſe haben wir freilich genug
bereits aus altgermaniſcher Jeit. Es zeigt ſich wieder einmal, daß das Weſent⸗
liche in Ser Überlieferung niht das Befchbriebene ift,fondernvielmebr
das, was wir erf&hließen müffen. Man frage einmal einen modernen Sorjchungss
reifenden über die Schwierigkeiten, in die Gebeimniffe foldder Bünde einzudringen. In
den meiften Sällen ft dies ganz unmöglich und unfer Wiffen berubt auf irgendwelden glüds
lichen Zufällen.
mir diefem Kladhweis fällt alles von Meifen über WOuotan — den Bundesgott
und das Wilde Heer Gefagte, wie aud die daran gelnüpften geograpbifchen Spelulstionen.
Schließlich haben wir ja aub im Münchner Machtfegen (13. A abebundert) die Sorm , WA:
tan“ und ,YOAtanes ber“ 3u einer Zeit, wo die deutfche Sprade die Faͤhigkeit der Namen⸗
bildung durdy das sans Zuffir fhon längft verloren batte! Es muß fic bier alfo um den
alten Germanengott bandeln. Das Sortbefteben des Heidentums ift damit erwiefen und der
alleinigen Urbeberfchaft des Teufels an den Geftalten unferes Brauchtums der Boden ents
zogen. Die weiteren Solgerungen ergeben fi dann von felbft. Dag Meifen bei der Deus
tung des KTamens Wode in Übereinftimmung mit vielen anderen an Wut antnüpft, dürfte
allerdings das Richtige treffen. Irgendwie gebören die Begriffe wobl zufammen, wie denn
auch der Schritt von der inneren Erregung zur Erregung der Klatur im Sturm nicht fo
roß if. Wodan war eben der Gott des Mannerbundes, der bei feinen Rultaufzügen die
oten darftellend ekftatifch durd die Lande tobte. Die Sruchtbarteit des Lommenden Jabres
wird ja im Voltsglauben davon abbängig gemacht, daß die Wilde Jagd, der Bund, über
die Selder rafte. So ertlaren fid zabllofe Brdude in den Zwölften und ım Safcbing. Trog:
dem 3. B. das Laufen der Ebenfeer „Blödler“ lange Zeit verboten war und wenn fich einer
zeigte, der Polizift fofort hinter ibm dreinlief, bielt das Volt doch unbeugfem an diefen
Bräuden fell. Wenn man fragte warum, erbielt man direlt zur Antwort, daß fie die
fommende Ernte nicht ristieren wollten. Das ift nur ein Beifpiel von taufenden.
Ylodhmals, es ift fhade um die Mübe Meifens, mit der er das viele (Material in
feinem Werte zufammengetragen bat. In mander Beziehung können wir freilich aud
von ibm lernen und zwar nibt nur in negativer Weife.. Wir find 3. B. dankbar für die
Rlarftellung der innertirdylichen Verbältniffe in bezug auf den YTifolaustult und die Niko⸗
lauslegende. Was aber als Erklärung des Brauchtums geboten wird, muß vom Standpuntt
der Ethnologie, Religionswiffenfchaft, Volkstunde und der vielgefhmäbten Germaniftit
auf das KEntichiedenfte abgelehnt werden. Don diefen Beweifen ift nicht ein einziger zu
balten.
un
1932, IV Rleine Beiträge. 223
Überfichtsberichte
aus dem rafjenhygienifchen Schrifttum.
Don Dr. G. Mofer, Gottingen.
(Sortfegung.)
Wie wenig dagegen bei uns raffenbpygienifches Denken medizinische Anfchauungen und
die Einftellung der Behörden beeinflußt, zeigt die Schrift von St. Weftmann*2) „Srauens
fport und Srauentörper“. In diefem Buche wie auch in anderen fonft wertvollen Beiträgen
der fportärztlichen Literatur finden fich häufig biologifch nicht baltbare Vorftellungen, welche
einer grundfäglichen Richtigftellung bedürfen. Die Sporttreife und aud die Sportärste
werden beberrfht von überwundenen lamardiftifden VDorftellungen, daß das Leben des
Einzelwefens von formender Beeinfluffung für die Gattung und das fommende Gefdledt,
daß die Rultur des Körpers nicht nur sistem, fondern aud den Tlacdtommen von Fluten
fet, daG die Mdglicdleit beftebe, die Artentwidlung in beftimmter, unferer Jdealvorftellung
entfprechender Weife zu beeinfluffen.
Die Dererbungswiffenfdaft bat in zablreichen Unterfuchungen nadgewiefen, da vom
Einzelindividuum durch dugere Einfluffe im Laufe des Lebens erworbene Ligenfcaften
nicht vererbt werden können. Die Ubung der Mustulatur des Körpers durh Sport und
Gewöbnung fommt nur dem Einzelindividuum zugute; eine Beeinfluffung oder Anderung
der weitgebend fonftanten Erbmaffe tft ausgefchloffen; weder die Ausbildung des Körpers
nod des Geiftes (Intellelts und Energieausbildung) ift vererbbar. Vererbt werden kann
nur an Anlagen, was aus der elterlichen Erblombination an Entwidlungsbereitfchaften dem
Binde mitgegeben wurde. Etwas der Erbanlage hinzufügen oder befeitigen ift nicht möglich.
Demnad kann die fportlidde Übung nur die Anlagen entwideln und die Sabigteiten auss
bilden, weldye in dem Erbplasma vorhanden, bis zu der durdy die Anlage gezogenen Grenze.
Das Rind eines Athleten bat nur die nach den ui EBEN. gegebenen Wabrfcheinlidhs
keiten, die Anlagen vererbt zu erhalten zum atbletifhen Aörperbau, zur kräftigen Wustels
entwidlung und Übbarkeit der Muskulatur, weldye es wie feine Vorfahren entwideln und
üben muß. Wird die Anlage nicht entwidelt, tritt fie nicht im Erfdeinungsbilde auf, ift fie
dod in der Erbanlage vorhanden und wird mit der Erbmajfe entfpredhend dem Erbgang
an die Hadlommen weitergegeben. Einen Einfluß auf das tommende Gefdlecdt und feine
Erbqualitäten bat der Sport nicht, no viel weniger beftebt die Möglichkeit, die Arts
entwidlung in beftimmter Wdeife zu beeinfluffen. Der Sport könnte raffenbygienifch wirten,
wenn er bei feiner weite Rreife des Doltes erfaffenden Werbearbeit die Raffenbygiene unters
ftügen wollte bei ihrer Auftlärungsarbeit. Sport und Kaffenbygiene verfolgen dasfelbe
Ziel, die körperliche und geiftige Tüchtigkeit des ganzen Volkes, nur find die Wege vers
fbieden. Jede Art von funpbeitefürförge, will fie Dauererfolge erzielen, muß die rs
gebniffe der Vererbungswiffenfchaft und der Raffenbygiene berüdfichtigen. Zu einer Er⸗
tüchtigung des ganzen Volkes kann die bisherige Einftellung der führenden Perfönlichkeiten
des Sports nicht führen; die Anficht von Raup, als fei „die Pflege der Leibesübungen das
widtigite Mittel zur Erbaltung und Wiedergewinnung alter Voltstüchtigkeit, oder wenn
man will 3ur Erbaltung der deutfchen Kaffe“ muß wie in der Raffenbygiene auch in den
Sporttreifen überwunden werden. Lieben das Beftreben der Ertüdhtigung des Kinzels
indipiduums könnte die Erkenntnis von der Wichtigkeit der Erbanlage für die fportliche
Leitung und für die Qualität der näditen Generation treten. Gerade in Sportlreifen,
welde, mit guten Börperlichen und geiftigen Anlagen, der Raffenbygiene weniger ablebnend
gegenüberfteben könnten wie fich perfönlich betroffen Süblende mit irgendwelden Mängeln
au erbliher Grundlage, ließe fich leicht Verftändnis erweden für die Bedeutung Börperlichs
eiftiger Erbgefundbeit und die Wichtigkeit der Gattenwabl. Neben die Hochſchaͤtzung der
portlihen Tuchtigkeit des Ebepartners müßte die Wertung nad der Erbgefundbeit treten,
welche allein die Bewäbr für gefunde und lebenstücdhtige Rinder bietet. Flur wenn die Erbs
gefunden fich ftärker vermebren wie die WMinderwertigen, welde den Anforderungen des
£ebens durdy körperlichegeiftige Mängel nicht gewadlen find, wäre eine Ertüdhtigung des
Volkes und Hebung der Durdhfchnittsqualität möglich.
62) St. Weftmann, Srauenfport und Srauentdrper. Monogr. 3. Srauentde. u.
Ronftitutionsforfdg. Yr. 13. €. Rabigfd Verlag, 1930.
224 Doll und Raffe. 1932, IV
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Indirelt unterftügt die Sportbewegung raffenbygienifche Sorderungen durd den
Rampf gegen die Reimgifte Altobol und Hikotin. Auf der anderen Seite beftebt die Gefabr,
daß durdy Überbewertung der fportlichen Leiftung die beruflidhe Ausbildung leidet und damit
die wirtfchaftliben Grundlagen für eine Samiliengrüundung binausgezögert werden mit den
Gefabren der Spatebe (vorebelide Gefhlechtstrantheiten!, langfame Generationenfolge, ges
einge Rinderzabl). Bei der Srau kann übertriebene, ungeeignete Sportausübung noch leichter
zu Örganfhädigungen führen wie beim Manne und die Sortpflanzungsfäbigkeit befehränten
oder völlig aufbeben. Soldye fontrafelettorifaen Solgen müffen vermieden werden und die
Anforderungen der gefhledhtsfpezififchen Leiftungsfäbigkeit des weiblidden Rörpers angepaßt
werden. Die für das Einzelindividuum wie für das Volktsganze widhtigfte Aufgabe der Sau
bleibt die Erfüllung ibrer biologifden Sunttionen in der Mutterfchaft. Mit diefer biolos
ifden Grundlage müffen alle anderen Sorderungen in Einklang gebradıt werden, foll tats
Achlich nugbringende Arbeit geleiftet werden, weldye nicht gegen Llaturgefege verftößt. Zu
welden kontrafelettorifhen Erfdeinungen der Sport, wenn er zum Selbftzwed wird,
führen kann, zeigt traf der von Liepmann mitgeteilte Sall einer Sportlerin, welde die
Sorderung der Schwangerfchaftsunterbredhung ftellte, um an einem Wettlampf teilnebmen
zu lönnen und nach Ablehnung der Unterbredung abtrieb mit nadfolgender Eileiterentzüuns
dung. Flidht nur bei Wettlämpferinnen läßt fi Schwangerfdaft, Wöochenbett und Rinders
aufzucht mit den ſportlichen Wuͤnſchen nicht in — bringen. Wie manches
Rind wird der Beſchaffung eines Autos und fportliden Autofabrten oder aͤhnlichem Sport⸗
betrieb geopfert! Ob das Doltsganze durch die Selbftausmerzung foldyer Srauen obne jedes
weiblide und mütterlide Empfinden viel verliert, möchte ich bezweifeln. Beachtlich ers
fcdeint in diefem Zufammenbang der von Weltmann mitgeteilte Standpunlt des Srauens
fportwartes der deutfchen Sportbebdrde fir Leichtathletit, welder es ablebne, dabins
ftreben 3u wollen, aus der Srau vor allem einen Menfden zu machen, dem als “dcbftes, viel=
leicht nur im Unterbewußtfein fhlummerndes Ziel, die Mütterlichkeit, vorfdbwebe. Wie die
£ebensbedingungen und die Betätigung des Einzelnen und des Vollsganzen in Übereins
ftimmung gebradt werden miffen mit den biologifcben Lebensgefegen des Einzelnen und
des Poltes, fo muß auch jede Rörperkultur der Srau mit den biologifden Aufgaben zu
vereinbaren fein. Wenn eine führende Perfönlichkeit mit großem Einfluß auf die Einftellung
der nddften Generation fo unbiologifh denkt und in diefem Sinne erzieht, erfcheint es an
der Zeit, den Wert diefer Sportbewegung vom raffenbygienifchen Standpunfßte aus kritifch
zu erörtern und die Srage zu ftellen, ob cs noch angebracht erfdeint, eine ,Bebdrde“ mit
foldyer unbiologifhen und im raffenbygienifchen Sinne ftaatefeindlichen Cinftellung weiter
zu unterftügen mit Mitteln des Staates und der Allgemeinheit. Das Wiffen von der Erbs
anlage verpflichtet zum Dienft am Volle mit der Unterordnung der eigenen Perfon unter
die hoben außerperfönlichen Aufgaben der Raffenbygiene, die das Sortleben der Wertvollen
unferes Doltes und feiner Rultur zum Ziele bat. Daß eine „Behörde“ diefen Beftrebungen
entgegenarbeitet und die verbangnisvoll fid) auswirtende Rontrafelettion unterftige, follte
verbütet werden.
Erfreulich ift, daß ein führender Pädagoge wie der Dresdner Oberfchulrat W. Harts
nade‘3) feine Vorarbeiten zu einem größeren Buche zufammenfaßt und die entfpredenden
Schlußfolgerungen ziebt, wenn diefe auch bei den offiziellen Landers und Reichsminiſterien
nicht erwunfcht erfcheinen. Dem Buche möchte ich in Pädagogen: und Elternkreifen weitefte
Derbreitung wünfcen. #. gebört zu den wenigen Pädagogen, weldye die Bedeutung der
Erbanlage für die geiftige Entwidlung wie die in der Erbanlage gezogenen Flaturgrenzen
erkannt baben und mung für die aus diefer Erkenntnis zu ziebenden Sclußfolgerungen eins
treten. Die zahlreihen Lleuerungen in unferem Sculwefen geben von der irrigen Annabme
aus, daß zahlreiche Hodbegabte nidt zur böberen Bildung gelangen, wäbrend in Wirklichs
teit Hodbegabte in den unteren Doltsfhidhten verbältnismäßig felten find. Durd das übers
fteigerte Berehtigungswefen werden zahlreiche Unberufene in die bdberen Schulen bineins
gedrängt und kommen zum Studium, obne die entfpredhenden Entwidlungsmöglichteiten
in ihrer Erbanlage zu befigen. Dielen Pädagogen ift die Einficht, daß die LUmmwelteinflüffe
nicht allmächtig, unangenebm. Die Gefahr ift, daß durch das Hineingelangen lingeeigneter
in die böbere Ausbildung der geiftige Durdfchnitt finten muß, wie die lebbaften Alagen
der Hodhfchullebrer beweifen. Da 9. führend im Rampfe um die weitere Geftaltung des
Schulwefens ftebt, ift zu hoffen, daß die erbbiologifdhen Erkenntniffe auc unter den Pddar
gogen mebr Eingang finden. Don dem feffelnd gefchriebenen Buche ift ein nachhaltiger
3) W.hartnade, MMaturgrenzen geiftiger Bildung. Quelle u. Meyer, Leipzig, 1930.
1932, IV Rleine Beiträge. 225
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Eindruck zu erwarten. Die bevoͤlkerungspolitiſchen Schlußbetrachtungen zwingen zum Nach⸗
denken und uͤberzeugen — hoffentlich auch die Paͤdagogen.
Wie oft heißt es: der Junge ſoll, der Junge will auch, aber er kann nicht. Tragiſch
kann ſich das Nichtverſtehen der Naturgrenzen auswirken im Einzelfalle, bedeutungsvoll
ſind die Beziehungen zwiſchen durchſchnittlicher Begabung der einzelnen Berufsgruppen.
„Schulurteile und Intelligenzpruͤfungen haben in der ganzen Welt dieſelben Ergebniſſe der
durchſchnittlichen ————— zwiſchen Berufshoͤhe des Vaters und geiſtiger Leiſtung
des Rindes gehabt.“ „Gerade die Einführung des Grundſchulzwanges hat ſtark dazu bei—
etragen, den zwingenden Beweis der ungleichen Streuung der Schultuͤchtigen uͤber das
olksganze zu ermoͤglichen, die ohne die gemeinſame Grundſchule und ohne durchſchnittlich
med: Urteil durh Grundfcullebrer felbft weiterbin als Solge unpädagogifchen
rille und einfeitig günftiger Beurteilung durch die Voltsjchullebrer bätte bingeftellt werden
können.” ©. glaubte felbft früber, daß unfer Bildungswefen unfozial fei und daß aus der
Seltenbeit von Arbeitertindern in den weiterfübrenden Schulen zu febließen fei, daß Scharen
MHocdhbegabter nicht zur gebobenen Bildungsbabn gelangten, daß fie aus wirtjchaftlicdhen
Gründen ungefördert in der Doltsfchule blieben. Seine Erfabrungen zeigten, daß bei weiten
nicht fo viel für eine böbere Schule Geeignete in Voltefchulen waren, wie bei den Rlagen
über Ylichtgeförderte zu erwarten war. Übereinftimmend mit den übrigen Linterfucdhern,
deren Ergebniffe referiert werden, fand 9%, daß in der Befamtbeit der höheren Schule vers
bältnismäßig nicht fo viele Arbeiterkinder erwartet werden können, wie Arbeiter in der
Gefamtbeit der Bevdllerung vorhanden find. Cine Cinbeitsfdule im Sinne einer gleidhen
Schulbahn kann weder den Shwaden nod den Sähigen geredht werden. „Wer glaubt,
durch einförmige Schule Gemeinfcdaftsgeit erzieben zu Bönnen, der muß das tun um den
Preis, daß durd lunftlides Semmen und Bremfen der Dorwärtsftrebenden die erftrebte
Einbeit auf der unteren Adbenlage bergeftellt wird.“ „Sinn und Zwed meines Buches ift,
das Augenmerk darauf zu richten, daß wir im Zuge find alles zu tun, um durd ein falfches
und überfteigertes Schuls und Beredtigungswefen den geiftigen Erbbeftand unferes Volkes
fhwer zu ae Wr und uns von innen beraus zugrunde zu richten. Mögen die Derants
wortlidhen den Auf bören und tun, was ibnen das Gewiffen befieblt. Mögen fie handeln
als Sührer, nicht als Abhängige von Maffen und Organifationen.“
Über befondere Begabungen bei WPunderlindern berichtet Sr. Baumgarten»
Tramert!). Bis beute gibt es nur eine Zufallstafuiftit über DOundertinder. Die Medizin
wird nod von der Meinung Lombrofos beberrfcdht, daß jede Srühreife pa’bologifch. Sur die
Arzte betommt das Wunderlind erft Intereffe durd die pbyfifchen, bebandlungsbedürftigen
Anomalien. Anders dsie Pfychologen. VDerfafferin berichtet über Intelligenz und Charalters
prüfungen an neun Wunderlindern; bei einigen erbielt fie feine Erlaubnis zur Derdffents
liyung der Befunde. Alle hatten große Luft an der Ausübung ibrer Runft, und waren fidy
der Derantwortung bei ihrem Auftreten bewußt mit einem LErnft, der von ihrem fonft
kindlihen Wehen auffällig abfticht. Sie find Muſterkinder, welche ſehr an den Eltern, den
Sörderern ibrer Runft, bangen. Die Intelligenzprüfung wies meift überdurchjchnittliche
Begabung auf obne einfeitige Begabung und erzielte Spigenleiftungen, wie fie die erperis
mentelle Pfycbologie bisber nicht kannte. Andererfeits beftanden mertwürdige, unerwartete
Ausfälle; fo konnte ein Beiner Beiger nicht aus cinem Stüd Drabt einfachite geometrifche
Sormen bilden, eine 9 jährige Klaptervirtuofin zeichnete fchlimmer als ein 4 jäbriges Rind,
ein $s jähriger Shadhwundertnabe, der im Simultanfpiel mit den 20 beiten Spielern des
Berliner Schadllubs Sieger blieb, batte keine Vorftellung von der realen Wirklichkeit;
kennt weder Pflanzen nod Tiere noch das Datum, unterfcheidet nicht die einfachen Münzen
ufw. Manche Rinder entfalten fich in der eingefchlagenen Richtung weiter, andere fchlagen
neue Wege ein und leiften auf dem neuen Gebiet aud Bedeutendes. zung die
£ebensbabn der talentierten Rinder, fann man Auffchlüffe erhalten, inwiefern „Begabung“
eine fete einheitliche Dispofition bildet und es nur eine „generelle“ Begabung gibt, die fd)
je nah Altersftufe oder Lmftänden in verfchiedener Weife manifeftiert, inwiefern es einzelne
autonome Befäbigungen gibt, die nad: oder nebeneinander regellos und unbeftändig aufs
fladern und verfdwinden.
Die Bilder aus der Gefchichte der biologifchen Grundprobleme widmet W. Buddens
brod*5) dem deutfchen Studenten. „Er möge daraus mebr lernen als wiffenfchaftlicdhe
4) BaumgartensTramer, Wunsperlinder. D.m.W. Fir. 38, 1931.
45) W. Buddenbrod, Bilder aus der Gefcdidte der biolog. Grundprobleme.
Borntrager, Berlin, 1930.
226 Volt und Kaffe. 1932, IV
Tatfachen. In unferer Zeit nationaler Selbfterniedrigung und Verzagtbeit, fcheint es mir
geboten, mit Hadhdrud auf den vielfach berrfchenden Anteil binzuweifen, den deutfcher Beift
und deutfide Sorfcbung an der Entbüllung vieler der tiefften Lebensprobleme genommen
baben.“ In den Hyauptlapiteln wird in Harer Sorm überfihtlidh abgebandelt: die Entftebung
de8 Lebens (Ürzeugung, Befruchtung, Entwidlung des Individuums), die Organifation
des Lebens (FelleKebre, Problem der organifden Zwedmäßigteit), die Stellung des Lebens
zum Flaturganzen (Energieprinzip und Leben, Chemie des Lebens), die Erbaltung und Sorts
entwidlung des Lebens — Stammesentwicklung).
Alm quiſt6) ſchildert jedesmal einen Forſcher, auch bisher weniger bekannte, in
einzelnen Rapiteln und faßt am Schluſſe in theoretiſcher Allgemeinbetrachtung ſeine An⸗
ſchauungen zuſammen.
Bei der Pruͤfung der Berufsgebürtigkeit erbringt 5. Wolff ) den Nachweis, daß
die Geburtenzahl bei den Selbſtaͤndigen beſonders ſtark zuruͤckgegangen, da dieſe am ſtaͤrkſten
unter dem Ronjunkturruͤckgang zu leiden haben. Verf. ſchließt daraus, daß fuͤr die Geburten⸗
beſchraͤnkung mehr wirtſchaftliche als ſittliche Gruͤnde maßgebend ſeien.
Die Einſtellung der katholiſchen und evangeliſchen Rirche zu eugeniſchen Fragen wird
in einer gemeinſamen Veroͤffentlichung anlaͤßlich einer Ausſprache zum § 218 Mar beraus⸗
gearbeitet. Vor der Mitgliederverſammlung der Arbeitsgemeinſchaft für Volksgeſundung 4S)
wies Harmſen nach, daß die voͤllige Freigabe der Abtreibung in Sowjetrußland ſich als
unmöglich erwiefen und daß man verfucht, den Abort einzufhränten, die foziale KTotlage
3u beheben, um eine Unterbredung überflüffig zu maden; oft müffen infolge des Bettens
5 die Frauen zu lange warten, bis der zulaͤſſige Zeitpunkt der Unterbrechung uͤber⸗
ritten.
Anſchließend behandelte der katholiſche Moraltheologe Prof. Mayer, Paderborn, die
Einſtellung der katholiſchen Rirche und nahm auch zu eugeniſchen Forderungen Stellung.
Zunaͤchſt werden eugeniſche und ſozialhygieniſche Gruͤnde anerkannt, welche einzelnen un⸗
gluͤcklichen Paaren nahelegen, aus der ungeheuren Verantwortung heraus eine Eheſchließung
und den feruellen Verkehr zu unterlaſſen, welcher nach menſchlicher Wahrſcheinlichkeit doch
nur ungluͤcklichen, erblich belaſteten oder verſeuchten Rindern das Leben — würde, doch
lehnt die katbolifche Htoral jede foziale und eugenifche Indikation zu einer Schwangerjcaftes
unterbrebhung ganz entfchieden ab, „da fie in der wirtjchaftlichsfozialen Indikation kein ges
eignetes !Nittel einer wirktfamen Abbilfe, weder für das Doll nod für die Samilie, nod für
einzelne in lot geratene Mütter fiebt.“ Die Rirche fiebt nicht in der gewaltfamen Ents
fernung unerwünfchter oder vorausfichtlich minderwertiger keimender Rinder die Rettung.
Die tircdlice Caritas biete Hilfe aller Art. Sie fei bereit, für fppbilitifche und andere Rinder
neue Einrichtungen etwa abnlid den WWDelanderheimen der nordifchen Länder zu fchaffen.
Sie fei bereit, zu irgendeinem Syftem der Sindelbäufer, felbftverftändlid in modernifierter
Sorm, zurüdzulebhren, um Aufnabme und einen Lebensraum foldyen Rindern zu geben, weldye
etwa aus Flotzucht, aus Derbrechen, aus illegalen Verbindungen oder ale Srucdte unge:
eigneter Ebepartner, 3. B. als Jdioten, Imbezille ufw. zum Leben famen. Sie ift aud bereit,
durch aktive Mitarbeit und durd sie Umitellung von Anftalten zur nn ecigs
neter und gemeingefäbrlicher zeugungsfäbiger Di vbopatben ufw. der eugenifchen Not Rech⸗
nung 3u tragen; Pot madıt erfinderifd, und namentlich die Caritas weiß Mittel und Wege
zu folder raffenbiologifcben Kyilfe, wenn die ftaatliche Gefeggebung die Derwabrung Minder⸗
wertiger ermöglicht; ich erinnere nur an die Anftalten von Bodelfhwings evangelifcher:
feits und an XKingeifens Anftalten in Bayern katholifcherfeits, bei deren Gründung balbe
Wunder gefdaben, wo es die Caritas verftand, ganze Dörfer für linderwertige aus dem
Boden fhbießen zu laffen, Anftalten, weldye den Staat und die Wirtfchaft in keiner Weife
belaften. Zu foldhen und Ääbnlichen eugenifchen ilfamagnabmen fei die Rirche ficher bereit.
YTiemals ift fie aber dazu bereit, auf Grund eugenifcer Indikation, unfcbuldige Rinder im
Entfteben töten zu laffen. So mertwürdig es Elingt, gerade der Papit muß ganz entfcbieden
Stellung nebmen gegen einen Grundfag, der von der Rirdye immer wieder als unfittlich
verworfen wurde, nämlich: der Zwed beiligt die Mittel. Pius XI. berufe fic ausdrcudlid
auf die Verurteilung diefes Brundfages im Römerbrief 3, 8: „Man darf nicht Böfes tun,
um damit Gutes zu ftiften.” Wan darf alfo nicht Rinder morden, um die Reinheit der Kaffe
retten 3u wollen. Im übrigen fei ja die eugenifche Rontraindilstion wohl zu beachten.
s Almquift, Große Biologen. I. F. Lehmann Verlag, Münden, 1931.
$7) 5. Wolff, Berufsgebürtigleit. 3. Gefdh.verw. %. 17, 1931.
18) Der kirdhlihe und juriftifdhe Standpuntt zur Srage des § 238. hed. Welt
fr. 27, 1931.
1932, IV Rleine Beiträge. 227
Sind die Schranken einmal frei, fo werden zwar vielleicht ein paar minderwertige Rinder
weniger geboren, ein teuer ertaufter Gewinn, der in gar keinem Verbältnis ftebe zu den
ungebeueren Derluften an eugenifch vollwertigen Menjdentnofpen, welde dann beftimmt
durch den Ärztlichen Eingriff vernichtet würden, wie die Erfahrung in Rußland zur Genüge
beweift. Eine ernfte Eugenit muß vor allem mit pofitiven Ratjchlägen und Sorderungen
an die Intellektuellen und Befigenden, aud an gefunde Arbeiterpaare berantreten, fie darf
keinen Sreibrief für Shwangerfchaftsunterbredung den VDoltsmaffen ausftellen; denn diefer
würde fich ganz beftimmt im böchften Grade raffeverderbend auswirten.
Prof. £ütgert, Berlin, nahm vom evangelifhen Standpuntte Stellung, die völlige
Sreigabe ablebnend, eine foziale Indikation nur anerfennend, wenn fie fic mit der medis
zinifchen Indikation dedt; „unter dem Dorwande der fozialen Indikation kann jeder Willkür
Tür und Tor geöffnet werden“. Die Hotzudtindilation erkennt er an mit Abderbalden.
„Dagegen ift die eugenifche Indikation mit noch mebr Energie zu betämpfen wie die foziale
Indikation, denn die Vorausficht der erblidyen Belaftung eines Rindes bat febr enge
Scyranten, und aud bier muß die Willkür durch das Gefetg verbindert werden. Die Gefets
aed bat 3u entideiden, in weldem Salle die Schwangerſchaftsunterbrechung zu einer
Hddigung des Volkes wird.“ Die Schädigung liege nicht nur in der Störung der Volles
vermebrung, fondern erft recht in der Störung des VDollsgewiffens. Eine Unterbredung
Bönne kein individuelles Recht fein, zu entfcheiden babe die Gemeinfdaft, in der und für die
der Einzelne da ift. |
Geb.cRat Kahl duGerte fid vom juriftifhen Standpuntte als Dorfigender des Strafs
redtsaus[ahuffes. ,Die eugenifche Indikation endlich ift ganz unmdglid. Die Dererbungss
lebre ijt im entfernteften nod nidt fo fundiert, daß aus ibr eine Berechtigung des Arztes
abgeleitet werden kann. Der Arztlihe Standpuntt kann nicht die Dorfebung für die Zukunft
übernehmen. Unter die eugenifche Indikation laffen fidh abfolut unfichere Gründe der Unters
brecbung einfhhmuggeln.“
Aud in dem Sammelbande von I. W. Hauer, $ 218, Eine fachlihe Ausfprace *)
wird erfchredend deutlich, wie weit die Anfchauungen im Rampfe um den $ 218 auseinanders
geben, wie durchaus verfchieden raffenbygienifches Denken bewertet wird. Befonders werts
voll erfcheint das Buch dadurch, daß es einen Querfchnitt durch die Anfchauungen und Bes
gründungen der verfchiedenen Lager gibt und auch eugenifche Erörterungen mit berans
gezogen werden. Im einzelnen aut die Beiträge von Theologen, Arzten, Juriften ufw. eins
zugeben, würde bier zu weit führen, doch möchte ich nidt verfeblen, empfeblend auf die
Sammlung binzuweifen.
In einer fleißigen, teilweife nicht tiefergebenden Arbeit beleuchtet S. Peller) das
Abortproblem von den verfchiedenften Seiten unter Auswertung ftatiftifcher Unterlagen,
bauptfähli aus den Wiener Anftalten. In diefem Referat erfcheint wichtig, daß der
Eriminelle Saktor beim Abort bei weiten überwiegt und daß der Abort beim Geburtens
ridgang im DVerbältnis zur Geburtenverbütung eine untergeordnete Rolle fpielt. P. jetzt
fibh für die Sreigabe der Abtreibung ein. Der Gefahr weltanfhaulider Stellungnahme
entgebt Derf. nicht, wenn er auch angeblich nach Objektivität ftrebt. Dor allem madt fid
Diefe Einftellung bei der eugenifchen Wertung der Abortfrage bemerkbar; den vom eugenis
fben Standpuntt zu ftellenden Anforderungen kann Werf. dsurd feine Bindungen nicht
gerecht werden. Trotzdem erbebt fic das Bud über die reiche Abortliteratur der legten Zeit.
Yleben der jetzt anertannten Reimſchaͤdigung durch Röntgenftrablen ift such
A. Blubm 5) in großen Unterfuchungsreiben auch die viel umftrittene Srage der Alkohol⸗
fdddigung der Madhtommen geflart. An 32300 Tieren gelang der TTachweis, dah die
Altobolfhädigung des Männdens der Ausgangsgeneration durch 7 Generationen vererbt
wurde. Daß es fih um eine Reimfhädigung und nit um Modifikationen bandelt, gebt
daraus bervor, daß die Männchen in den Rreuzungsverfucden die maßgeblichen Ubertrager
der Schädigung find. Die Schädigung muß an den Gefhledhtschromofomen angreifen, wenn
auch eine Mitbeteiligung des Plasma bei einigen Erfcheinungen wabrfceinlich ift. Die Über:
tragung der grundfäglichen Derfuhsergebnifte auf den Menfden hält 3. für berechtigt und
99) 3. WW. Hauer, § 218. Eine fahlicdhe Ausfprade. Der freie Dienft #5. 1. Leipzig,
1931, €. €. Hirfchfeld.
50) S. Peller Sehlgeburt und Bevdlterungsfrage. Hippolrates Verlag, Stuttgart,
1930.
51) A Blubm, Altobolismus fhädigt das Erbgut, Eug. Bd. I, 26. — Darf die
Ecblidteit der Alloholfdaden als bewiefen gelten? Serw. u. Serpol. Bs. XVIII, %. 3,
Arch. Raffenbiol.
228 Doll und Raffe. 1932, IV
betont, daß ein Cinbeiraten in Aloboliterfamilien zu widerraten, daß ausgedebnter Altos
bolismus das Erbgut eines Volkes fchädigt.
Über franzöfifche Befundbeitspäffe berichtet ©. Feuftädter!). Ein Entwurf ift
im Abgeordnetenhaus angenommen und ftebt im Senat zur Derbandlung, der mit den Dors
fdlagen einverftanden ift. Sür alle Rinder obne Unterfchied foll ein ärztlidhes Pflegebub von
der Geburt an geführt werden, das über die Ergebniffe der periodifden Unterfudungen,
deren Bindungen urd Verwaltungsverordnungen feftzufegen, Auskunft geben ES
Zwangsmaßnabmen zur regelmäßigen VDorftellung der Rinder find vorgefeben.
Don Vorteil werden die Hefte fein für die Berufswahl, die militärifche Ausbebung,
frübzeitige Erfaffung chronifher Rrankbeiten, Aufnahme in Verfiderungen, ärztlidhe Ebes
beratung. An Einwänden wurde vorgebradt, daß der Arzt teils aus Rüdficht auf die Bedenken
des Patienten, teils aus Gründen fozialer und finanzieller Art nicht alles wahrbeitsgemäß
eintragen würde, daß der Patient, wenn er einen Schaden dur die Aufzeidhnungen bes
fürchte, den Paß „verlieren“ könnte. Gegenüber dem uneingefchräntten Berufsgebcimnis
des Arztes feien Rompromiffe in der Hygiene unvermeidbar; der Widerftand des Bublitums
werde nicht fo groß fein, wie man anzunehmen pflege. Ausfübrlide Angaben über die
bisber in Srantreid vorbandenen verfchiedenen Päffe und Erörterung der Möglichkeiten
zur Gebeimbaltung der Angaben. Durch den Zwang der Derbältniffe beftebe in Deutfchland
wenin Ausficht, den Paß zu einem volltommenen Inftrument fir wiffenfdaftlide Sorfebung
und Gefundbeitspflege zu madyen; viel erreicht wäre fbon, wenn es gelange, cine Gemeinde
von Gefundbeitsbudhbefigern beranzuzieben und zur ftandigen Weiterfubrung der ins
tragungen zu veranlaffen. (Pofitive Auslefe? Der Ref.)
Auf 100 Seiten gibt 4%. Simmel 3) eine erfte Einführung in die Dererbungslebre,
befonderen Wert auf die menfchliche Erbpatbologie legend. Wertvoll ift die Unterfdeidun
der wirklichen und fcheinbaren Vererbung. Ob bei der gedrängten Kürze die Abficht, ae
fhwierigere Sragen verftändlich zu machen, gelingt, babe ih noch nicht prüfen können. Pers
fhiedene Sragen möchte man ausführlicher bebandelt feben im Interefje eines wirklichen
Derftändniffes. Bei billigftem Preis werden gute Abbildungen gebradit.
Zur Auftlärung beitragen kann die Samilientunde von W. Huffong**), welde als
Doppelnummer aus Reclams UniverfalsBibliotbek allen erfhwingbar ift. Dom raffenbygienis
fhen Standpuntte fei vor allem auf das IV. Kapitel: Zur biologifcyen Samilientunde vers
wiefen. Daneben werden Genealogie, foziologifde Samilientunde abgebandelt, alles in leicht
verftändlicher und anfpredyender Art. Ebenfalls in Reclams UniverjalsBibliotbek erfchienen
von W. Scheidt5): „Raffentunde“ und „Rulturtunde“, welde bet aller Rürze dod die
Grundlagen allgemeinverftändlidd abbandeln. Dem Verlag muß man Dant fagen, daß er
auch diefe Gebiete in feiner Sammlung berüdfidhtigt, wird doc fo jedermann Gelegenbeit
gegeben, fich mit den beute fo oft einfeitig erdrterten Sragen vertraut zu machen.
(Sortfegung folgt.)
An die Lefer von „Volt und Kaffe“.
Als letzte Babe des „Werkbundes für deutfche Vollstumss und Raffenforfchung“ tft
vor turzem das Bud) von Dr. Rudolf Helm, Deutfche Voltstrachten, mit 56 3. T. farbigen
Bildertafeln aus der berühmten Sammlung des Bermanifchen Mufeums in Mürnberg ers
fdienen. Jn diefem wie aud im vorigen Heft von ,, Volt und Kaffe“ wurden bereits einige
Tafel: und Tertproben gebracht, fo daß jeder Lefer Gelegenbeit hatte, fic) eine Dorftellung
uber Inbalt und Ausftattung des Werkes zu machen. Jedem, der am Scidfal unferer
Voltstrachten Anteil nimmt, fei die Anfchaffung des Buches warm empfoblen. Mitglieder
des „Wertbundes für deutfche Voltstumss und Raffenforfhung“ und fomit alle Bezieber
von „Volk und Kaffe“ können das Bud zum Vorzugspreis von RM. 3.20 ftatt RM. 4.—
beziehen. Wer bereits den vollen Preis bezablt bat, erbält eine Gutfdrift oder beLommt den
Unterfchiedsbetrag zurüd.
Wertbund für deutfche Dollstums: und Raffenforfdung.
52) Teuftädter, Sranzöfifche Gefundbheitspaffe. 3. Gefb.verw. II, Fir. 20.
53) 4. Simmel, Wirklie und fheinbare Vererbung von Rrantbeiten. Quelle und
Meyer 1933, Leipzig. Wilfenfchaft und Bildung Fir. 271.
51) Huffong, Samilientunde. Reclams Univerfalbibliothet.
55) W. Scheidt, ebenda.
——
1932, IV Buchbeſprechungen. 229
GP a TEE
Buchbeſprechungen.
Ewald Banſe: Deutſche Landeskunde. Teil II. Suͤd⸗ und Alpendeutſchland. Muͤnchen
1932. J. §. Lebmanns ze: 063 S., 59 Abb., 2 Karten. Preis geb. Ml. 10.—, Leinwd.
me. 12.—. Teil I/II in 3 . geb. ME. 20.—.
Der zweite Band von EC. Banfes Deutfcher Landeskunde ift dem erften nun rafch
arfoigt und fchließt das großangelegte Werk ab. Während im erften Bande Deutfchland
als nz3es fowie FTieders und !Mitteldeutfchland dargeftellt wurden, find nun die nod
feblenden beiden Raumfchaften Süddeutfchland und Alpendeutfdland Gegenftand der Bes
bandlung. Aud in diefen Gebieten, denen der Verfafjer aus feinem Wefen beraus weniger
unmittelbar verbunden ift, ift er überall gut belannt und ein erfahrener Sübrer. Befonders
wertvoll an den Ausführungen Banfes ijt es, daß er das Land von feinen für uns wefents
lien Seiten fo Har zu erfaffen und uns näber zu bringen weiß, einmal von den natürlichen
are Begebenheiten ber, zum anderen von den Menfchen, die dasjelbe bewohnen.
aber wird die Raffens und Stammeszugebödrigkeit der Bewohner befonders unterfucht
und jede Raumfcaft in diefen wefentliden Hinfichten einer Betrachtung unterzogen. Dazu
kommt noch die eigenartige Plaftit der Sprache des Verfaffers, die im Lefer ein lebendiges
Bild all deffen, was ibm fein Süuhrer zeigen will, wacruft. Die zahlreichen fhönen, dem
Bude beigegebenen Bilder unterftreihen dann riod den Eindrud des Gelefenen.
Pyervorzubeben wäre auch, daß Banfe nicht an den deutfchen Reichsgrenzen Halt
madıt, fondern all das Gebiet, in dem deutfches Vollstum lebt, in den Rreis feiner Ers
Örterungen einbezieht. So ift diefes Buch dazu gefchaffen, die Cinbeit und Zufammens
ebörigkeit des gefamten deutfchen Volkes darzulegen. Es it ein befonders anregender
Sübrer durch die Mannigfaltigkeit deutfcher Landfchaft und deutfden Vollstums und eignet
fic in feiner fchönen Ausftattung ganz ausgezeichnet als Seftgefchent.
Bruno RK Schultz.
A. Behmertnn: Das Atlantisrätfel. Befchichte und Erklärung der Atlantishypotbefen.
Mit 29 Abb. im Tert und 9 Abb. auf 8 Tafeln. R. Doigtländers Verlag, Leipzig. 1932.
Preis fart. RM. 5.50, Banzleinen RM. 6.50.
Der Derf., der fich als „Einen, der kein ausgefprochener Spezialift irgendeines der (für
die Löjung des Problems nötigen) Sachgebiete ift“ bezeichnet, gibt als „intereffierter Außens
feiter“ einen febr eingebenden und kritifchen Überbli über dte wichtigften der zahlreichen
bisher aufgeftellten Atlantisbypotbeien, wobei alles Sür und Wider ausführlich erörtert
wird. KErbeblich ftärktere Rritit hätte die Theorie von Rarft vertragen, und febr viel kürzer
und fchärfer batten die Phantafteceien der Anthropofopben und die „Ergebniffe“ fpiris
tiftifher Sigungen abgetan werden können. Der Derfaffer bat eine febr umfangreide
Literatur durdhgearbeitet, deren wichtigite Titel in einer Bibliographie zufammengeftellt
find.
Die eigene Meinung des Verfaffers ift: „Die Annahme, die Erzäblung Platos fei
Mptbos, bat bei Einficht in die Platonifche Art, Pbilofopbie zu treiben, viel Wabrfcheins
lichkeit für ficb.“ Diefe Nythologifierung bei Plato ,verfperct nidt den Flachweis, duf
Plato tatfacdlicde Klacdhrichten feinem Atlentismytbos zugrunde gelegt“ babe. Bei der
„Zude nad einer geograpbiich ertundbaren Atlantis“ hätte man allgemein „Atlantis alls
zufebr als ifolierten Begriff bebandelt und die Voritellung der Infel aus dem Zufammens
bang der Platonifden Dbilofopbie geriffen’.
Dem Bude find folgende ,,Dotumente“ beigefügt: gute Überfegungen aus Platos
„Timaios“ und „Rritias‘, aus des Diodor von Sizilien ,Gefdidtsbibliothel“, aus des
Claudius Aclian „Dermifchten Erzählungen“, der Bericht der „Atlantifchen Studiengefells
fchaft“ („Societe d’Etudes Atlanteennes“) und der angebliche an n Öts
richt“. . Rede.
- Eduard Beninger: Der weftgotifh:alaniihe Zug nad Mitteleuropa. Mannus= Biblio:
thet (brag. von G. Roffinna) Fir. 51. €. Rabitfch, Leipzig 1931. 132 S. mit 50 Abb.
Preis geb. ARME. 20.—, geb. ARME. 22.—.
€. Beninger, der fih in verdienftlicher WDeife feit einiger Zeit mit dem reichen gers
manifcden Sundftoff aus Teilen der ebemaligen Donaumonardie befchäftigt, behandelt in
diefer anregenden Arbeit eine Anzabl füdofteuropäifcher Sunde, die in die frübe Völker:
wenderungszeit gebören und gewiffe einbeitlidhe Charalterzüge tragen. it ibnen glaubt
230 Volt und Kaffe. 1932, IV
EEE EEE ee ee ee ee BET)
der Derf. nachweifen zu können, daß, unbemerkt von der fpätrömifchen Geſchichtsſchreibung,
an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert weftgotifdye Dolksteile im Verein mit alanifchen
Gruppen nad Mitteleuropa gewandert feien, deren arddologifdhe Spuren man bis nadı
Böhmen und Yliederöfterreich verfolgen könne. Zu diefem Zwed werden zahlreiche, teils
alt bekannte, teils neu veröffentlichte Sunde einer eingebenden Betrachtung unterzogen, in
der verfuchht wird, fie als weitgotifch feftzulegen und von anderem Sundftoff aus der Ddlters
wanderung abzugrenzen. Trog mandher treffenden Einzelbeobadhtung befitzt jedoch die Bes
weisfubrung in entfdeidenden Puntten erbeblide Schwächen und kann vor allem in metbos
difcher Kinficht bäufig nicht befriedigen. So find die vom Perf. aufgeftellten Stilgruppen
der aus Sudofteuropa jtammenden Rulturentwidlung fowobl nad der formentundliden,
als aud) nad der hronologifhen Seite bin unzureichend unterbaut, fo daß die Abgrenzung
der für die Beweisführung wefentlichen Stilgruppe III viclfady nicht überzeugt. Die mit
coßem Sleiß zufammengeftellte Arbeit bleibt fomit bedauerlicherweife den Hauptbeweis
duldig, um fo mebr als aud die vdltifde Beurteilung einzelner Sunde zu begründeten
Sweifeln Anlag bietet. Weder der weftgotifde Charatter, nod die zeitliche Einordnung
nidt weniger Altfachen, und ebenfowenig die Zuweifung einzelner Sundftüde an die uns
nod ganz unzureichend bekannte Rultur der Alanen kann als Margeftellt gelten. se ware zu
wünfcden, daß der trogdem bochverdiente Derf. zu gegebener Zeit auf die in feiner Arbeit
angefchnittenen, zweifellos fehr wichtigen Sragen no einmal in anderem Rahmen zurüds
ftommt und Gelegenbeit nimmt, feine Stellungnahme zu überprüfen.
£. Peterfen, Breslau.
Dienft am Deutichtum. Jabrweifer für das deutfche Haus. Münden 1933. I.$. Leb:
meanns Verlag, Münden. 64 S. Preis Mi. 1.—.
Aud fur das fommende Jahr 1933 bat der Verlag Lehmann einen reid) ausgeftatteten
Wodenabreißtalender vorbereitet. Die vielen fchönen Bilder, die den neueften Derlagswerten
über Raffentunde, Volkskunde, Architektur, Runft und vaterländifche Befchichte entnommen
find, werden jeden erfreuen und anzieben. Diefem Jabeweifer ift weitefte Verbreitung zu
winfden. Er follte in keinem deutichen Haufe feblen.
Srig Dupre: Über die Berren „Aufartler“ und andere Hemmfchuhe der menichlihen
Hodsiidtung. Sammerverlag, Leipzig 1931. 88 S. Preis MI. 2.50.
Die flucdtig gefcdriebene Brofcdire ift als Ergänzung zu des Verf. fruberem Werke
„Meltanihauung und Menfchenzudhtung”, das 1926 im felben Declage erfdien, gedadt.
Sie enthält in der Hauptfacdhe nicht viel mehr als eine überaus fehnoddrige Polemik gegen
verjchiedene Männer (darunter Prof. Sri Lenz), die fidh erlaubt haben, Bupres erfte Schrift
einer Rritit zu unterzieben, und eine Reibe, von keiner Rudfidt auf Sorm und Ton ges
trübter Angriffe auf Kifcher, Burgdörfer, Grotbjahn, His, Darre u. a., foweit fie fic über
Stagen der Ebe oder der praktifchen Raffenbygiene geäußert baben. Ha Dupres Mleinung
krankt die Solgerichtigkeit des Dentens all diefer Manner am Befurworten der Dauereinebe,
die nad feiner Meinung der fcblimmi{te Semmfadub fowobl fur alle caffenbygienifaen Mag:
nahmen als aud für jede gefunde Ethik bedeute.
Zur Rennzeihnung von Dupres Wunfchbild von Srau und be fei erwähnt, daß er
der Srau in der Ehe, „dern Lafttier mit 24 ftündigen Dienft im Tag“ als befonders „lieb»
reizend“ „die berühmten AHetdren der großen Briedenzeit“ und die ,grandes amoureuses
des Empire“ als Dertreterinnen des „fpezififh Weiblichen“ gegenüberftellt.
£otbar Stengelsvon Rutlowjlti
hans Harmfen: S 218 Sinn und Problematik des Abtreibungsparagraphen. Schriften
sur Dolfsgefundung Heft 17, Arbeitsgemeinfchaft für Voltsgefundung, Berlin 1931. 32 S.
Preis ME. —.50.
Die Schrift umfaßt 4 Berichte, die vor der diesjährigen Mitgliederverfammlung der
Arbeitsgemeinfchhaft über die Srage der Abtreibung gegeben wurden. Auf die einleitenden
Ausführungen AHarmfens über die ruffifchen Erfahrungen mit der Sreigabe der Abtreibung
und die Bewegung zur Befeitigung des Abtreibungsparagraphen in Deutfdland, folgt die
Stellungnabme der katbolifhen Rirdye zu $ 218 durd Prof. Jofef Mayer, Paderborn, die
der evangelifchen Rirdye durch Prof. Lütgert, Berlin, und ale Schlugwort „Der juriftifcbe
Standpunkt“, zufammengefaßt von Geb. Rat W. Rabl, Berlin, als dem Vorfigenden des
Strafrehtsausfchuffee.
So erfreulid die Solgerungen Dr. Harmfens find, daß nämlich grundfäglich an der
Strafbarkeit der Abtreibung feftzubalten fei, da die praßtifche Erfahrung in Rußland die ges
1932, IV Budhbefpredungen. 231
fabrlichen Spätfolgen und die ade ne Auslefe in Solge der außerordentlich ftarten Zunahme
der Abtreibung bet den Erftgebäarenden und in den wirtfchaftlich beffer geftellten Kreiſen
zeigt, fo erfcdutternd ift auf der anderen Seite der Mangel an Erkenntnis des durdy die
Minderwertigen drobenden Unbeils, wie fie in der Stellungnahme der Rirdyen und des
Strafrehtsausfchuffes zur „Eugenifchen Indikation” zum Ausdrud kommt. Die entfpredens
den Zitate weifen eine mertwürdige Übereinftimmung auf. Sie gipfeln in dem Sat Kable:
„Die eugenifhe Indikation ift ganz unmöglich, die Dererbungslebre ift im entfernteften
nod nicht fo fundiert... .“
Jeder biologifh und erbgefundbeitlih Befchulte wird meinen, daß die Vererbungss
Iebre feines Wiffens längft weit genug ift, und daß jedes weitere Zuwarten eine Zunahme
der Winderwertigen bedeutet. enn allerdings das Gefes die Sterilifation der Minders
wertigen zulaffen und von Staats wegen regeln würde, eribrigte fic cine Unterbrechung
der Schwangerfchaft aus erbgefundbeitliden Gründen von felbft. Solange aber keine Ans
fätze dazu vorhanden find, wird das Beltenlaffen der Eugenifchen Indikation zur Sorderung
der Mlotwebr gegen überband nehmende Entartung. Harmfen felbft bat fiy jeder Stellung:
nabme zur Eugenifchen Indikation enthalten. Als Bericht über den Stand der Dinge und
den bebandelten Sragentompler ift die Schrift eine eindeutige und fachliche Quelle.
Lotbar Stengelsvon Rutlowfelr
Wilhelm Hartnake: ,,Bilbungswahn — Dolkstod.“ Munden 1932, I. $. Lehmann.
304 Seiten. Preis geb. ME. 2.20. ,
In überaus gewandter, für jedermann verftändlicher Sorm wirft bier der durch fein
Bub „Paturgrenzen geiftiger Bildung” bekannte Dresdner Stadtfchulrat ein mabnendes
SAadlaglict auf die durd den Liberalismus auf biologifhen Gebiet und einen uberfdraubten
Bildungswahn berbeigefubrte Uberfdhwemmung und Verftopfung oer Hdberen Schulen
und fodfdulen durd beruflich nicht unterzudringenden, geiftig auch zum großen Teil
ger nicht in diefer Richtung veranlagten Nahwuchs. Die nüchterne Tatfache, die fchon
die Einbandzeichnung vor Augen bält: Abiturientenzahl im Jahre 1900 = 8000, im Jahre
193) = 40 000, gegenüber der Beburtenzabl im Jahre 1900 = 2 Millionen, im Jahre 1931
dagegen gleid 1 Million, fpricht eine Anklage aus, die kein Dentender überhören darf.
Eine knappe, klare Erläuterung der erblundlichen Grundtatfaden zwingt auch den bios
logifd nicdt Vorgebildeten zum rtennen des bedroblicden Umfanges, den die negative
Auslefe durch die Kinderarmut der alademifchen Rreife angenommen. Da fich Hartnade
nicht auf die Schilderung der Llot befchräntt, fondern audy praltifche Vorfchläge für die zu
ergreifenden Maßnahmen auf dem Gebiete der Sculreform madıt, und der Verfaffer die
Entwidlung des deutfden Schulwefens als leitender Sahmann aus eigener Erfahrung eins
gebend kennt, ift feine Schrift von nicht zu unterfchäggender Bedeutung. Sie gebört in die
Sand jedes Lehrers und jedes Univerfitätsdozenten, aber darüber binaus aud in die Hand
jedes anderen Deutfden, oer, an dem Lchbenstampf feines Volkes Anteil nimmt. Die
Schrift wird dort zur Waffe gegen den drobenden Doltstod werden, denn nod find —
allerdings nur nod eine febr turze Jeitfpanne lang — die Urfachen des VDoltsfdwundes nidt
ein unabwendbares Scidfal, fondern cine Scage der Erkenntnis, des Willens und des
Saraus folgenden entfchiedenen Sandelns. Dazu aufzurufen ift die Hartnadefhe Schrift
wie keine zweite geeignet. Lotbar Stengelsvon Rutltowfli.
Hans Hauptmann: Erneuerung aus Blut und Boden. Die a der
finnifden Bauernfchaft, ein Weg zur Befreiung vom Bolfdhewismus. J. §. Lebmanns
Verkg. Münden 1932. Preis geb. ME. 1.80.
Im Vorwort des Ayeftes heißt es: „Dom Schidfale eines fehr kleinen Volkes foll bier
die Rede fein, im Hintergrunde aber werden die gigantifchen Schatten enticheidender Lez
bensfragen auftauchen, die alle Ddller angeben.“
Über die fogenannte , Lappo: Bewegung” find in der ,Weltpreffe’ fo viele irrefubrende
Nachrichten verbreitet worden, daß außerhalb Sinnlands nur wenige wilfen, um was es
bier gebt. Das Heft gibt über die Urfachen und den Werdegang diefer Bewegung an der
Hand von Dokumenten ausführlich Auskunft und zeigt, daß es fich einfach um eine Fots
webr handelt, um eine aus den gefunden bodenitändigen Kräften des Landes bervorges
wadfene Abwebrhandlung gegen den Bolfchewismus, den das Volk ja zur Genüge im
Anfang des Jahres 1918 kennen gelernt hatte. Lach verhältnismäßig kurzer, aber blutiger
Syerrichaft war diefer im finnifchen Sreiheitstrieg mit Unterftügung durd deutfche Truppen
militärifh überwunden worden, aber er bebielt trogdem im Lande Anhänger, die den
Kampf nicht aufgaben, vielmehr in immer neuen Organifationsformen und Gebeimbunden
232 Volt und Kaffe. 1932, IV
arbeiteten, wobei fie felbftverjtändlich in jeder Wkeife von der Moskauer Zentrale geftüutt
wurden. Die finnijche Befeggebung erwies fi im Rampfe gegen den Rommunismus als
völlig unzulänglid, zumal der Gegner in der „Demolratie“ und im ganzen Syitem des
Parlamentarismus gefhidt ausgenügte Stügen fand und immer offener den Angriff.
führen konnte; die Darteienpolit verbinderte jedes durdhgreifende Einjchreiten gegen ibn,
und fo wurde die Gefabr einer neuen bolfhewiftifchen Revolution immer dringender.
Da die ftaatlihen Inftanzen verjagten, griff das gefunde finnifche Bauerntum zur
Selbfthilfe: der erfte Alt war eine gewaltjame (völlig unblutige und in der Sorm böfliche)
Verhinderung einer geplanten fommuniftifchen Tagung im Städtchen Lappo in der
Proving SudsOfterbotten im Scubling 1929. Sebr anidhaulidh werden die weiteren Er⸗
eigniffe, die von der ungebeuer fodnell anwadhfenden Bewegung veranlaßten Befchlüffe,
die in der Preffe fenfationell aufgebaufdten ,Entfubrungen” — bei denen es auc febr
böflih zuging — und fclieBlid) die Erfolge der Bewegung dargeitellt. Die tatunfäbige
Regierung mußte zurüdtreten, und eine unter Leitung von Svinbufvud ftebende Regierung
übernahm die Durdhfubrung der von der Lappo- Bewegung geforderten Waßnahmen gegen
den Rommunismus. Als am 7. Juli 1930 der fur das vollsarme Land ungebeure Aufmarich
von 30 000 Lappoleuten in Helfingfors ftattfand, wurden fie vom Minifterprafidenten feiers
lid begrüßt: „Das Vorgeben der Regierung wird ebenfo wie das des Bauernzuges bes
ftimmt durd den unerfdütterliden Willen, den landesverräterifehen Rommunismus aus
unferm Staate und aus unferm Voltsleben auszurotten.“
Das ftarte Anfchwellen der Lappobewegung ift natirlid aud dadurd zu erklären,
daß Sinnland fürchtet, durch einen Sieg des Rommunismus feine Sreibeit zu verlieren und
wieder unter ruffifche Aerrfchaft zu geraten, gegen die es feit Jahrhunderten verzweifelt
getampft bat.
Die Deröffentlidung nimmt tein Blatt vor den Mund, und des Öfteren werden ins
weife auf deutfche Derbältniffe und Möglichkeiten gegeben, die das Heft fur jeden deutfchen
Politiker lefenswert madhen. ©. Rede
Karafek:£ü&: Die deutfchen Siedlungen in Wolhnnien. Gefchichte, Volkskunde, Les
bensfragen. (Deutfde Gaue im Often, brag. von Viktor Rauder. 3. Band.) Guntber Wolfs
Derlag, Plauen 1931. VII, 130 3. mit 5 Rarte und 5 Abbildungen. Preis tart. RM. 5.—,
£einen ARME. 7.—. |
Wie weit fhon mit der mittelalterliden Rolonifationswelle deutfdes Vollstum
nach Gften getragen wurde, erbellt deutlich aus der Tatjade, daß fogar Wolbynien von
ibe in merklicyer Art befpült worden ift. Das bedeutet, daß diefe Rolonifationswelle über
das ganze damalige Ausbreitungsgebiet des Polentums binweggeflutet if. Kurt Lid,
dem wir in diefem fddnen Seimatbud fur das Deutfhtum Wolbpniens eine zufammenr
faffende Darftellung der deutfchen Einwanderungsgefcdidte verdanten, bebt die gefdidts
lihe Tatfache bervor: „Bevor polnifche Einwanderer nah Wolbpnien kamen, faßen dort
bereits zahlreiche deutfche Bürger in den Städten” (S. 9). Schon feit der Liitte dea 22. Ib.
baben fi» deutfhe Kaufleute in Kiew, Lust und Wladimir niedergelaffen. Fila dem
Tatareneinfall 3240/41 wurden die Städte Lemberg und Cholm von deutfden Einwans
derern aufgebaut.
Leben der Gefchicdte der deutfchen Einwanderung, von der bier nur die alteften
Daten widergegeben werden konnten, find mit befonderer Liebe bebandelt die „deutfchen
Aufbauträfte“ (3. ı3 ff.), 8. b. einzelne Deutfche, die in Wirtfcbaft, Runft, befonders auch
im Bauwefen dem Lande unvergänglide Spuren aufgedrüdt baben. Aud der deutfche
Feld der polnifchen Tatarentämpfe des 16. Ib., Bernbard v. Prittwig, lommt zu
feinem Recht. Llicht minder der deutfche Artilleries®berft v. Kyeyling, der 1072 nad tapferer
aber erfolglofer Verteidigung gegen die Türken fidy mit der Seftung Podolifeh Ramieniez in
die Luft fprengte. Sienktiewicz bat aus ibm einen Schotten Rettling gemacht!
Das eigentliche Ziel des Buches ft aber, ein Gefamtbild von der Rultur der wolbynis
fcben Spradinfeldeutfchen zu geben. Die Sprache, Volkslieder mit Koten, Spruddichtung,
Doltsrdtfel und Sprichwörter, Schwänte und Spottgedichte, Sagen und arden, Kinders
fprude und voltstümliche KHyeilltunde werden behandelt, wobei neben Lüd befonders Als
feed Rarafets«Langec bervortritt. Ibm verdanten wir aud die befonders wills
tommene Zufammenitellung des wichtigften Scrifttums über diefe trog mittelalterlider
Vorläufer ziemlich jungen deutfchen Spradinfeln (3. 123 ff.). Außerdem bat nody Leopold
Platenil einen Beitrag uber das seutfde Genoffenfdaftawefen (S. 42 ff.) un
und Walter Rubn eine Statiftit der Voltsbildung (32 ff.). Unmittelbar in die Sorgen
und Liöte der Gegenwart greift auc Luds einleitender Beitrag über die Lebensfragen diefer
1932, IV Budde fpredungen. 233
Td
Spradinfeln, worin abweichend von der polnifchen Doltszählung von 192) auf Grund
eigener Erbebungen die deutfchen Bewohner auf 48.000 Seelen gefhägt werden.
Alles in allem ift das Buch ein bocherfreulicdyes Zeichen für das auch in diefem ents
legenen und verftreuten Spradinfeldeutfchtum fid regende vdltifde Leben. 4. Witte.
Bernhard Kummer: Die germanifche maus nah altnordifcher Über:
lieferung. Leipzig, Adolf Rlein » Derlag. 40 S. Preis 1.20 Mi.
Aauptfählid vom gläubigen Sagamenfchen ber unternimmt bier der Verfaffer, auf
befannten Vorbildern Fußeno, eine neue Betrachtung der Auffaffungen des Germanen
über Tod, Leben, Welt und Liebe fowie des Derbältniffes zu feinem Bott und gewinnt
bierbei twertvolle Ergebniffe. Das recht anfpredyende Büchlein ift trog bisweilen etwas
zu weitgebender Polemik gegen die feitherige mytbologifche Sorfhung aus feiner Tendenz
beraus lebhaft zu begrüßen. Werner SIL
a I Leng: Auf dem Dad der Welt. Mit Phonograph und Kamera bei vers
geffenen Völkern des Pamir. Mit vielen Abbildungen. Verlag Deutide Bucd>Gemeinfdaft.
tlin 1931. Preis: in Aalbleder geb. MI. 4.90.
Der Derfaffer fchildert in böchft anfchaulicher, feffelnder, bumorvoller Weife feine
Erlebniffe als Teilnebmer der deutfchsruffifchen PDamirsErpedition des Jabres 1928. Geine
Sonderaufgabe war die Beichäftigung mit den merkwirdigen, indogermanifde Dialette
fprechenden Reftvdllern diefes Gebietes, tuber die die Wiffenfchaft bis dahin recht wenig
wußte. In Wort und Bild lernen wir die auf befehwerlidhen Wegen durcdhzogene großs
artige Heimat diefer Stämme kennen, die riefenbafte, bis gen 4000 m fidh erbebende I
fläche, umrahmt von Ketten gewaltiger, bis 7100 m anfteigender Schneeberge. In den an
U enge reichen Hod(teppen leben Diebnomaden, in den Schludten und in
frudhtbaren Tälern Aderbauer. Bie indogermanifche Bevölkerung, Tadfchiten genannt, bes
faß früber das ganze Gebiet, wurde aber immer mehr durch einwandernde nomadifierende
Tuetftämme verdrängt oder aufgefogen, wobei auch die indogermanifchen Dialekte litten;
jetzt madt die Ruffifizierung Sortfchritte.
Der Derfaffer bat verfucht, fich in die Seele diefer Leute einzufübhlen, und gibt eine
lebensvolle Schilderung ihres Lebens, ihrer ge und Sitten, ihre Lieder und
Tänze. WDollstundlicdes und Spradlidhes gebt auf uralte Zeiten zurüd. In ihrer Abges
fdloffenbeit haben fic die Tadfchiten 3. T. aud den aus Europa mitgebradten Raffentypus
verbaltnismagig gut erbalten: man fiebt viele fcmale, feine, gut profilierte Befichter von
durchaus nordeuropäifhen Eindrud und gelegentlich auffallend belle Sarben. O. Rede.
Wolter Matthes: Die nördlihen Elbgermanen in —— Zeit. Mannus⸗Biblio⸗
the? (brag. von G. Koffinna) Fir. 48. Curt Rabigfch, Derl. Leipzig 1931. 114 S. mit
4 Tabelle, 9 Rarten und 27 Taf. Preis geb. ı2 ME., geb. 14 ME.
Walter Matthes: Die Germanen in der Prignik zur Seit der Völkerwanderung.
Wannussdibliothel (breg. von G. Koffinna) Fir. 49. Curt Rabigfch, Verl. Leipzig. 1931.
138 ©. mit ı Porträt und 70 Taf. Preis geb. ME. 21.—, geb. Mi. 23.—.
Die beiden fhönen, mit reihen Bildfhymud ausgeftatteten Werte des durch feine „Urs
efhichte des Rreifes Oftprignig“ yon rübmlichft bekannten Derfaffers find der Nieder⸗
dhlag von umfaffenden Studien über die Rulturbinterlaffenfchaft eines der großen weft«
germanijden Stammesverbande, der Elbgermanen. Bietet das zweite Werk in feiner forgs
fältigen Beihreibung und Auswertung einen trefflihen Überblid über den Sormenvorrat
großer elbgermanifcher Urnenfriedhöfe und ftellt fomit die unerläßliche Dorbedingung fur
die weitere Bearbeitung des niederelbifhen Rulturgutes der fpäten Raiferzeit und begins
nenden Ddllerwanderung dar, fo entbält das erfte Buch die zufammenfaffende Bebands
lung des ergrabenen und in zahlreichen Sammlungen verftreuten Stoffes. Hier zeigt fid
der Derfaffer als vorfidtiger und tundiger Bearbeiter des elbgermanifchen Sormentreifes.
Er gliedert in überfichtlichfter Sorm die einzelnen Typen nach formenktundlichen und dronos
loaikben Gefichtspuntten auf und gelangt zu zahlreichen bemertenswerten Einzels und Ger
famtergebniffen.
Die gleihmäßige Rulturentwidlung vom Beginn unferer Zeitrehnung bis zum
Anfang der Völterwanderung findet an Hand des reichhaltigen Sundftoffes ihre Darftellung
und mündet in einen Abrig der Befiedelungsgefchichte aus, der vor allem für den Hiftoriler
von großem Wert fein wird. Schon zu Beginn des 3. Jahrhunderts entleert fich das Elbs
gebiet 3. T., was mit dem Erfcheinen der Alamannen in Süöweftdeutfchland in Beziehung
Dolf und Baffe. 1932. Oftober. 190
234 Doll und Kaffe. 1932, IV
fteben dürfte. Sreilich find größere Refte wohl als „Llordfhwaben“ noch eine Zeit lang
in der alten Heimat verblieben, wofür eine Reibe fpdterer Sunde den Beweis liefert. Es
ift zu hoffen, daß die Mattbesfhen Studien den Anlaß zu einer weiteren Erforfchung der
übrigen weftgermanifdhen Rulturs und Stammesgefdidte bieten werden.
€. Deterfen, Breslau.
anz 27. Maner-Hans er: Ge(dhidte und Kulturleben Deuti@dfterreias ven
1526-1798. Derl. En 9 S., 1 Stammtafel, ue pale
geb. ME. 12.50, geb. ME. 35.—.
Diefer dem Andenten an Raimund Sriedrih Raindl, den „Aarpatbendeutfchen“,
idmete Band fetzt die bis 3526 geführte Mayer Raindlfche Geſchichte Deutſchoͤſterreichs
vgl. Volk u. Raffe 1933 S. 126) fort. Daß es im Sinne Raindls gefchieht, daß die Rulturs
und Sittengefhidhte durdy verhältnismäßig eingebende Bebandlung zu ihrem Redt kommt
und af aud dem Reichsdeutfcden biermit in erwünfchter WWeife gebolfen wird, feine bisher
überwiegend Beindeutfche Gefchidtsauffaffung im gefamtdeutidhen Sinne auszuweiten, ift
bei der Derfönlichteit des Lleubearbeiters felbftverfiändlih. Die bedeutende Rolle, die Ofters
reich als enge und Derbreiter deutider Kultur über das Völlergewimmel des Süöoftens
efpieit bat, fommt — wenn aud in: der durch die Befchränttbeit des Raunies gebotenen
nappbeit — deutlich genug 3ur Geltung. An intereffanteren Einzelheiten aus dem Liebens
einander der Völler mag erwähnt werden, daß die Reformation zu den Südflawen übers
art und daß die dadurch bervorgerufenen Überfegungen der biblifchen u. a. Schriften ins
indifche in Deutfchland gedrudt und von deuticher Scite lebhaft gefördert wurden (S. 24
u. 43). Underfeits bradte die Gegenreformation die deutfchen Bergftddte Oberungarns
auf die Seite des ma Bon Adels gegen Wien (S. 63) und gab fie feit 1608 der
Magyarifierung preis f . $3). GBkihwobhl. wurde fpäter (1675) fogar mit dem Gedanten
der Kindeutfhung ser Magyaren gefpielt (S. 207). Die nationalen Sorderungen der
Tichechen waren Ichon 3615 jebr weitgebend (3. 89). Klach der Schladht am Weißen Berge
wurde das Deutfchtum wieder gefördert (3. 101). Je mehr die Zentralifation der Vers
weltung durchgeführt wurde, defto mebr fette fic auch das Deutfhe als Derwaltungss
fprade durch (GS. 138). Unter Maria Therefia berrfchte es und gewann fogar in Uingern
obne jeden Zwang „immer mebr Boden als Umgangs» und Amtsiprade” (3. 3132 f.). Bob
als Jofef II. es 1784 zur Gefegess und Amtajpracde in Ungarn madte, erboben fic die
Ungarn „gegen den Zwang und es entwidelte fih der Haß gear die deutfde —
Nachdenklich mag auch reichsdeutſche Leſer ſtimmen: Niemals haͤtten die Tſchechen
zu ihrer heutigen Bedeutung aufſteigen koͤnnen, wenn das reiche deutſche Schleſien noch
weiter das Gegengewicht gegen Böhmen gebildet haͤtte“ (S. 290). Wie waͤre weiter, wenn
1726 der geplante Cauſch Bayerns gegen Belgien zuſtande gekommen waͤre, das Deutſchtum
Oſterreichs „gekraͤftigt worden und haͤtte dem aufſtrebenden Slawentum Widerſtand leiſten
koͤnnen!“ (S. 302). %. Witte.
Wilhelm Rohmeder: Das Deutitum in Südtirol. Mit einer Rarte dee Umgangss
— in Suͤdtirol. Muͤnchen 1932, J. S. Lehmann. 212 S. Geh. Mek. 5.—, geb.
0.40.
Das nachgelaſſene Werk des am 4. Oktober 1930 im 88. Lebensjabre verftordenen
Verfaſſers, deſſen ganzes Leben der Arbeit fuͤr Suͤdtirols Deutſchtum geweiht war, iſt nun
erſchienen. Schon zur Zeit der oͤſterreichiſchen Herrſchaft hat er ſeine Stimme wieder und
wieder fuͤr die ſchon damals ſo oft vernachlaͤſſigten Rechte dieſes beſonders anziehenden
Zweiges des Deutſchtums erhoben. Jetzt unter der italieniſchen Vergewaltigung war es
ſeine letzte Sorge auf dem Sterbebett, daß dies Buch noch den Weg an die Offentlichkeit
finden moͤchte. Wir danken es ſeinen Nachkommen und dem Verlag, da es nun geſchehen iſt.
R. hat das Buch fuͤr weitere Rreife gefchrieben. Es iſt dringend zu wuͤnſchen, daß
es den Weg zu ihnen findet und recht vielen Deutſchen in ſeiner eindringlichen Weiſe
Runde gibt von der Einheit des uralten Paßſtaates Tirol in geographiſcher und geſchicht⸗
licher Hinſicht, von dem ebenfalls uralten Anrecht der Deutſchen daran, die gerade im
Suͤden — mehr noch als im Norden — ſchon ſeit der Voͤlklerwanderung hier fig gefaßt
und fid, wenn aud nicht in ununterbrodener — ausgebreitet haben bis gegen
Verona, Vicenza und Baſſano; endlich von dem erſt ſpaͤteren Eindringen der Italiener,
denen gegenüber die Deutfchen und die Ladiner, wenigftens im wberwiegenden Teil des
Gebietes, das Recht der Erfigeburt beanfpruchen können.
Die Quellenangaben find angefidts des Zweds der Arbeit nur allgemein tere
Vieles über noch anhaltende Sprachentämpfe, namentlid auf den Sprachinfeln des Außerften
1932, IV Buchbefpredhungen. 235
Südens, bat AR. felber bei sablreidhen Befuden im Verkehr mit den Einwohnern gewonnen.
Seine lebhaften Schilderungen diefer Dinge verleiben feinem Buc einen befonderen Reiz.
Dem es allerdings um genaue quellenmäßige Unterlagen für die Einzelheiten zu tun ift,
wird an Btto Stolz grundlegender Sorfhung über „Die Ausbreitung des Deutfchtums
in Südtirol im Lichte der Urkunden“ (3927 ff.) nicht vorbeigeben dürfen. Er wird danach
aud Robmeders Anfcdhyeuung von einer einftmals viel größeren Ausbreitung des Deutfchs
tums im Süden bis tief in das eigentliche Italien hinein nacdprifen und auf das richtige
Maß zurüdführen können. 9. Witte.
Ernft Wable: Deutidhe Vorzeit. Curt Rabigfdh Derlag, Leipzig 1932. 338 S., 33 Abb.,
2 Seittafeln, 7 Karten. is geb. AME. 20.—, geb. ARME. 22.—.
Das Buc ift die vollftändig umgearbeitete LTeuauflage der „Vorgefchichte des deutfchen
Volles“ (1924). An Tert bietet es infolge wefentlidh dichteren Drudes etwa das Sünffache
und inbaltliy überall fehr bemerkenswerte Sortfchritte. Die anfchaulichen, auf forgfältiger,
neuefter Einzelforfchung berubenden Zeittafeln und Rarten find eine ebenfo notwendige wie
erwünfchte Beigabe; auch die Abbildungen beleben, allerdings mit Abficht mehr von der
Serne ber, die Darftellung vortrefflid. Im Rahmen des Landes und feiner Befiedlung
(8. ı ff.) werden die Urkultur (S. 26 ff.), die Rultur der Hdberen Gammlervdlter (S. 34 ff.),
der Bauern der jüngeren Steinzeit (3. 45 ff.) und der hauptfadliden indogermanifden
Dölter Mordwefteuropas in frübgefchichtlicher Zeit (S. 100 ff.), nämlidy der Jliprer (in
&. Roffinnes Sinne), der Kelten und der Germanen, nad Wirtfchaft, Gefellfdaft und
geiftigem Leben erörtert. Das Werden von Doll und Staat des Mittelalters (3. 169 ff.)
wird als groß — Schlußbild noch hinzugezeichnet, aber die unter fremdem Einfluſſe
reich aufſpaltende Kultur dieſer Zeit wird nicht mehr in aͤhnlicher Weiſe wie bei den fruͤheren
Zeitabſchnitten zuſammenfaſſend herausgeſtellt, obgleich zugehoͤrige Beobachtungen immer
wieder eingeflochten ſind. Uberall ſieht fle der Lefer vor den Ergebniffen. Die Sunde, ibre
Seitlage und Gruppierung, werden vorausgefett, die Unterlagen bloß angedeutet, insbefons
dere in den reichen Anmerkungen (3. 232— 297). Cin a ce (3. 300—330) und je
ein Verzeichnis der Sundorte (S. 331 —334) und Derfaffer (G. 334— 338) erleichtern den
Dberblid und vervollftändigen den Eindrud von der großen Arbeit und den umfaffenden
Sorfcdhungen, die hinter dem Buche fteben.
Die Grundeinftellung ift die gefchichtliche. Das rein Stoffliche, das fonft im Dorders
grunde der Betrachtungen fand, tritt zurüd und wird aus dem Selbftzwede, der es für
die werdende Wiffenihaft fein mußte, nunmehr Mittel zum Zwed. Wit blog das
Werden der dinglichen Kultur, fondern auc die Entwidlung des Llabrungserwerbe, der
wWirtideftliden Gliederung, des Beifteslebens und, foweit es möglidy ift, auch die damit
vertnipften Odlterfdidfale follen dargeftellt werden. Damit verfolgt Wable in vieler Hins
ficht ein neues Ziel, und fein Buch bedeutet ohne Zweifel einen wichtigen Schritt zur Auss
geftaltung der deutfchen Dorgefchichte zu einer im engeren Sinne biftorifhen Wiffenfcdyaft.
ußerdem beftimmen zwei Brundzüge die Darftellung: Europa lange Zeit bloß Anbängfel
an Afien und erft durd die von Often und Süden andringenden Döhker und Rulturwellen
allmäbli zu immer böberer Rulturgeftaltung aufgerüttelt; fodann: Die Indogermanen
nicht im Llorden Europas entftanden, fondern als Herrenfhichte über das neufteinzeitliche
Bauerntum vom Often ber, aus Afien eingebrochen. Mit Beiden fiebt fid DOable im
Gegenfage zu den ,LOunfdbildern” jener ,Keeife, die einer germanifchen Wiedergeburt das
Wort reden“ (3. 25). Dody betont er zugleich, daß die Dorgejcdhichte mehr als einen wid
tigen Gefidtspuntt fur den kulturpolitifchen aan zu geben vermag. Llur fagt er nicht,
wes er nun feinerfeits in diefem Sinne berausftellen wurde. Und das Lieue, das er inss
befondere an Stelle der berrfchenden Anfhauungen über die Jndogermanen fegen will, ift
doch erft Derfudhstonftruttion und fchließt die triftigen Gründe für die nordeuropäifche
Serkunft der Indogermanen nod lange nidt aus.
Bei der Seftftellung der vorgefhichtliden Sitge der Indogermanen bat man von den
efhichtlichen auszugeben, die nur ein vergrößertes Bild der erfteren darftellen (T. €. Rarften).
ndien, Iran, Armenien, Rleinafien, Griechenland, Italien, Spanien, Britannien find erft
[pat indogermanifd Polonifiert. Die Italiter find von jenfeits der Alpen, auch die Griechen
vom Vlorden gelommen. In Rußland gebörten noch zu Herodots Feit blog der Weften und
Süden den Indogermanen. Die Wanderungen der Teilvölter weifen ans en auf
eine Ausbreitung von Llord nah Sud, von Flordweft nah Südoft. Und da die Germanen
erft eine nordifche Sonderentwidlung find, bat man zunddft mit einer mittleren Linie vom
Baltitum bis zum Schwarzen Meere zu rechnen. Die diteften Site find damit allerdings
noch nicht gegeben, aber afiatifche Herkunft ift unter foldyen Lmftänden doch Außerft unwahrs
16°
236 Volt und Kaffe. 1932, IV
ſcheinlich. Archaͤologiſche Belege für fie führt Wahle nicht an und dem Bedürfniffe nach
großem Raume genügt die europäifche Tiefebene, die fi von Schonen und Dänemark über
orddeutfhland und Polen durd das europäifche Rußland zum Schwarzen Meere, dem
Rautafus und Ural erftredt, wobl in binreidendem Mae. Aber damit, die Wefensart der
ene in £amards Sußftapfen aus der Steppe berzuleiten, Ltommt man nidt aus.
Bei Germanen, Relten, Italitern und Brieden bieß „hundert“ kentom, „Pferd“ etwo, bei
der Oftgruppe der Indogermanen bingegen „hundert“ fatem, „Pferd“ aswa, und die bis
auf den Einzelfall der Tocharer inagefamt weftliden RentomsOdller verkörpern ſprachlich
offenbar den älteren Beftand. Da ift doch kaum von der Hand zu weifen, daß diefe fFrübefte
Spaltung der Mundarten damit zufammenbängt, daß nur die Oftindogermanen die „Steppe“
betreten Detten. Die Spradfpaltung der Weftindogermanen aber durch die Gubftratvdifer,
auf die Wable folbes Gewidt a mußte fidy ganz ebenfo auch bei einer Ausbreitung des
Stammvoltes von der Oftfee (G. Roffinna, O. Mengbin, ©. Wedel), von Jütland (I. Kern)
oder von Thiringen (RK. Schucdbardt, €. Sprodhoff) vollzieben.
Wie die Mordweftindogermanen Anreger und Tleugeftalter waren auf der Grundlage
der bereits im Yliedergang begriffenen jungfteingeitliden Bauernvditer Europas, betont
Wable felbft. Jedoch eine ganz dbnlide und weltgefhidhtlid mindeftens ebenfo durdys
greifende Bedeutung batten die Süudoftindogermanen für die überalterten ftädtifchen Ruls
turen des Orients, in die fie einbraden. Hätte Wable diefe Dorgänge wenigftens andeutend
gewürdigt, dann ftünde von den Sernwirktungen „Afiens“ auf das „Ihlummernde” Europa
ein doch noch wefentlidh anderes Bild vor uns als das jet von ihm entworfene, obne daß er
darum auf die ihm wichtigen Grundzüge des feinen zu verzichten brauchte. Und endlich
wäre das füdliche Skandinavien und Llorddeutfchland als germanifches Rerngebiet böber zu
werten gewejen. Die Sunde find bier nicht nur reicher (zahlreicher, pruntoolkr) und eins
drudsvoller verdffentlicht, wie Wable anmerlt, fondern fie find aud gebaltreider als alles
in der Umgebung weithin, und deuten dadurch unmißverftändlich auf entfprechende innere
Werte der zugehörigen Bevölkerung.
Die nordifche Wiege aller Rultur ergäbe fich allerdings auch fo nicht, aber ein noch
weiter gellärtes, wiffenfchaftlidhes Gefamtbild von dem ganz wefentliden und weltgefdidt:
li wie geiftesgefhichtlich entfcheidenden Anteil der Indogermanen und dann der Germanen
an der Rulturgeftaltung der Menfhhbeit; und die natürlidye Solge wäre, daß foldhe Erkennt⸗
niffe zu einem geficherten Rüftzeug für unferen tulturpolitifden Rampf werden und zugleich
eine gefcdloffene Reibe von Richtlinien für ihn ergeben müßten. Baber bleibt es gerade nad)
Wables wertvollem, den vorgefhichtlihen Stoff zu gefdhidtliden Derlaufen sufammens
faffenden Buche erft recht saber, daß die deutfche Dorgeibichte eine hervorragend nationale
Miffenfchaft oder, genauer gefagt, als Wiffenfdafe sugleidh eine bervorragend nationale
Angelegenbeit ift. Wolfgang Shulg, Gérlig.
Eri Weiffendborn: Quellen und Hilfsmittel der — Leitfaden fuͤr
Freunde der Familienforſchung. 3. Ya ei bearb. von Rolf v. Rugfdenbady. Gotha 1930,
Juftus Pertbes. VI u. 141 8°. Preis geb. MI. 9.—.
Im Jahre 1908 erfhhien, als eine vom Derein „Roland“ in Dresden preisgebrönte
Schrift, die erfte Auflage diefes Buches, 1912 — obne erhebliche Anderungen — die
zweite Auflage; legthin bat der Schriftleiter der Botbhaifchen genealogifchen Tafjchenbücher
die dritte Auflage herausgegeben, nachdem der Verlag Juftus Pertbes die Reftbeftande des
früheren Derlags (Gebr. Vogt in Papiermüble S.-A.) und damit aud das Verlagsredt
des Weiffenbornfhen Buches erworben batte. WWeiffenborn wear Offizier; er ftarb als
Oberftleutnant a. D. 1919 in Dresden. Sein Bud mochte bei feinem erften Erfcheinen
vielleicht die ihm gewordene Ehrung verdienen, wenn nicht allzu babe Anfprüche ee
wurden; aber heute ift es veraltet, zumal der Bearbeiter der jetzt vorliegenden 3. Auflage
den Tert von 190% bzw. 1912 großenteils unverändert übernommen bat. Das Bud
gibt in Solge deffen kein Spiegelbild des jegigen, neuzeitlichen Standes der Samilienforfchung
wieder, die doch wirklich feit 3932, beffer gejagt feit Ende des Weltkrieges, eine Entwid«
lung genommen bat, die nicht unberüdfichtigt bätte bleiben dürfen; ich erinnere nur an die
Bedeutung, die heute der naturwiffenfchaftlichen, biologifchen Samilientunde zulommt, die
in dem Buche taum mit einem Worte berührt wird. Ausgangspunlt war für Weiffenborn
— und ift unverändert für v. Rusfchenbah — die Stammtafel (auf der übrigens nad
Weiffenbornsv. Rugfchhenbah „alle Ahnen“ vertreten fein müffen; ich glaubte, daß „alle
Ahnen“ nur auf die AH nentafel gebdrten!); die fo ungemein wichtige Ahnentafel wird nur
als Ergänzung der Stammtafel behandelt im Abfchnitt „Die Vorfahren der angebeirateten
Stauen nebft Abnentafel und Verwandtichaftses und Sippfchaftstafeln”" (S. 10 ff.).
1932, IV Buchbefprechungen. - 237
— —— ——— ———————— ————— eee
Einzelne, beſonders kraſſe Beanſtandungen, moͤchten doch an dieſer Stelle erwaͤhnt
werden. v. Sackens heraldik wird S. 19 mit der 4. Aufl. (1885), erft auf S. 20 mit der
dod heute allein maßgebenden 3. Aufl. (1920) erwähnt. SG. 22 werden obne Liennung
der Zeitfehrift, in der erfchienen, Studien über Steinmetzeichen von Rziba aus dem Jahre
1831 genannt; es handelt fi um Auffäge in den „Mitteilungen der E. E. Centrals Rommilfion
zur Erforfhung und Erbaltung der Runfts und biftor. Denkmäler“ 3883 (1) und 1883.
(Die übrigens viel wichtigeren Ausführungen Zappes über dies Thema in den Heraldifden
Mitteilungen des VDereins RleeblattsHannover aus den Jahren 1924 und 1926 werden
nicht erwähnt; fie find dem Lleubearbeiter, wie fo vieles anderes, entgangen.) S. 26 wird
die Inhaltsangabe der inzwifchen zweimal (1) überbolten Ausgabe von DablmannsWaig
„Qucllentunde“ von 1900 gegeben. Auf derfelben Seite: daß Wilhelm Wattenbadh kein
Dictionaire des Abbréviatures und fein Lexicon Abbréviaturarum berausges
geben bat, bat der Lieubearbeiter ebenfo überfeben, wie Weiffenborn felbft; es bandelt fid
um Werte des Sranzofen Chaffant und des Jtalieners Capelli! Salfh ift S. 29 die allges
meine Bemerkung, daß die Ordnung er Archive meiftenteils dhronologifd erfolge; nur
eine völlige Unkenntnis neuzeitliher Ardhivordnung kann fo etwas fagen. Sebr mangels
baft ift die Art der Zufammenftellung der Literatur über die Rirchenbüder (S. 35 ff.):
G. 37 wird das Derzeichnis der fchlefifchen unmittelbar untereinander zweimal aufgeführt
(wie das gefchiebt, läßt erkennen, daß weder Weiffenborn, noch der LTeubearbeiter die Ders
Sffentlidung je in der Hand gebabt baben); G. 4) findet fid unter Anhalt der alte, wie
fo mandyer andere aus den fruberen Auflagen ubernommene Drudfebler 1395 (ftatt 1898);
in den Jahren 3860—68 dsadten weder Stubr (* 18671) nok Rrieg (* 3857!) daran, über
Ritdhenbider in Medlenburg zu fdreiben (S. 40). Unter der Oberferift ,Strafvers
fügungen...“ werden G. 55 die Alten des Staatsardive in Weglar genannt (legteres
übrigens nochmals S. 63); es ift dem Lieubearbeiter, wie fo mandyes, entgangen, daß
das Weglarer Archiv vor Jahr und Tag aufgelöft worden ift. Der Drudfehler „Allges
meine Deutfche Bibliographie“ findet fidy ebenfalls fchon in der 2. Auflage. S. 92 wird
der Zeitungstatalog der Poft als Lladhfchlagewert empfohlen; Sperlings weit brauds
barere Derdffentlidbung tennen Weiffenbornsy. Rugfdenbad auf S. 93 nur in der längft
überbolten 43. Auflage von 1906! Unter „Handfchriftenfammlungen“ werden S. 93 die
edrudten VDerzeichniffe der gedrudten Sammlungen von Leidhenpredigten in Hannover
von inte) und in Greifswald (von Lange) erwähnt, unter „Benealogifchsberaldifche
Zeits und Monatsfchriften” auf S. 93 das Archiv für Raffens und Befellichaftsbiologie!
GS. 113 ff. werden die GBenealogifchsberaldifchen Dereine mit den Antiquariaten zufammens
efaßt; von den Ieteren werden 34 genannt, von denen nur eins (Stargardt:Berlin) die
Bezeichnung als foldyes verdient. — Doch genug in der Aufzählung von Einzelheiten; das
Gefamturteil möge der geneigte Lefer felbft fällen.
Sriedrid Weden, Leipzig ögfch.
Herman Wirth und die deutiche ee Unter Mitwirtung von §. Borks
Rénigeberg, %. DS Den 8. R Schulg» Münden und £ Wolffs Göts
tingen. Herausgegeben von §. iegerss Berlin. Münden, I. §. Lehmann, 1932.
69 S. mit 3 Taf. Preis geb. MI. 2.50.
Um die Arbeiten Profeffor Herman Wirtbs (Marburg), der vor allem durch fein
Bud ,Ber Aufgang der Menfchbeit“ bekannt geworden ift, tobt feit einigen Jahren in
der deutfchen Öffentlichkeit ein erbitterter Rampf. Die Wiffenfchaft im allgemeinen bat
lange dazu gefhwiegen und das Seld Kräften überlaffen, die — faft ausnahmslos obne
die genügende Sadlenntnis für den vielfeitigen von Wirtb bebandelten Sragentompler
‚und bäufig nur durdy die Lleuartigkeit der vorgetragenen Anfichten angezogen — bes
dauerlicher WDeife in einem von ihnen unverftandenen, weil von einem Wuft gelebrten
Beiwerts verdedten Rosmopolitismus die Grundlage für eine geiftige Erneuerung unferes
Doltes zu feben glauben. Aud Wirth felbft ift nidyt unfchuldig daran, daß auf diefe
MDeife feine Anfhauungen in den politifchen und weltanfdauliden Tagestampf bineins
ezogen worden find. Auf die in immer mebr marltfchreierifcher Art geübte Anpeeifung
* Lehre und andererſeits nach verletzenden Anwürfen gegen die angeblich „verkalkte
Wiſſenſchaft und ihre Diener haben in der vorliegenden Schrift fuͤnf anerkannte und ver⸗
diente Forſcher es unternommen, die im „Aufgang der Menſchheit“ niedergelegten Ergeb⸗
niſſe vom Standpunkt mehrerer Einzelgebiete, auf die ſich Wirth ſtuͤtzt, an Hand einiger
traffer Beiſpiele kritiſch zu beleuchten. Es kann gar tein Zweifel darüber befteben, daß
fie mit ihrer wohl begründeten, fehroffen Ablehnung der Wirtbidhen Gedanlengänge die
238 Volt und Kaffe. 1932, IV
ö — ———————— — ——— — —
Zuſtimmung der uͤberwiegenden Mehrheit der deutſchen Wiſſenſchaft gefunden haben.
Daran kann auch die Tatſache nichts aͤndern, daß eine kleine Minderheit von Forſchern, die
3. T. ſogar gar nicht einmal ein Urteil auf ihrem Spezialgebiete abgegeben haben, in
Zweifel zieht, ob die Mitarbeiter an der Schrift befugt waren, für die Seutfde Wiffens
ſchaft im ganzen zu ſprechen. Das Echo, das die in Form und Inhalt gleich gute Wiegers⸗
ſche Schrift bei den Anhaͤngern Wirths gefunden hat, zeigt leider, daß auf der Betis
bis beute geltender ertenntnistheoretifder Grundfage eine Auseinanderfegung mit dem
WirthsKereife taum mehr modglid fein wird. Wo der Glaube anfängt, hört die Tatigs
teit des Derftandes auf. Gleihwohl wird niemand, dem es an der Klärung von Wirtbs
Arbeit gelegen ift, an der angezeigten Schrift verübergeben können.
£. Deterfens Breslau.
Theodor Sink: Die Pfalz. Deutfche Vollstunft, Bd. XII. DelphinsVerlag, Minden.
DR 43 SG. und 231 Abb. Preis kartoniert ME. 7.50, Pappe ME. 3.50, Banzleinen
09.50.
Die Pfalz konnte in Solge ihrer wedfelvollen Gefdhidte, der vielen Kriege, die
das Land beimfudten und der damit zufammenhängenden Zerftdrungen und der oft darauf
folgenden Yleubefiedlungen Reine fo reiche und ungebinderte Dollstunft entwideln wie
andere deutihe Lande. Dor allem die Bauten wurden in foldyen Sällen vernichtet, aber
aud cin Broßteil der Rleinkunft ift für immer verloren gegangen. Dazu tommt nod die
bewegliche, leicht auffaffende und allem Lleuen befonders zugängliche Art des Pfälzers, der
altes Überliefertes leicht gegen Yleues, Vorteilbafteres vertaufht. Um fo überrafchender
wirkt die Sülle fhöner und künftlerifcher Leiftungen, die diefer Band wiedergibt: Sachwerks
bauten, Sadhwerkichnigereien, Saustore, Möbel, Rleinktunft, wunderbare fchmiedeeiferne Auss
bängeichilder, Trachtenftüde, Rirdyen und Brabfteine. Auch eine Überfichtslarte und Grunds
riffe der verfdiedenen Haustypen find beigegeben. Jeder der Bände der Sammlung
deut⸗
ſcher Volkskunſt iſt begruͤßenswert und erfreulich, weil unſer Wiſſen vom Reichtume
deutſcher Volkskunſt wieder um vieles bereichert wird.
W. Siemens: Bedeutung und Methodik
der Ahnentafelforihung. Ard. Raffenbiol.
Bd. 24. Munden 1930, I. §. Lebmanns
Derlag. S. 185 ff.
Durd die Abnentafelforfdhung — früher
diente fie bauptfdadlid der Hebung des fos
zialen Unfebens der —— rigen —
kommt der Forſcher zur Beſchaͤftigung mit
der Hiftorie, Aulturs und a
Sozialwiffenihaft und Liationalölonomie.
Die beiden legten Wiffenfraften batten aus
der Erforfehung des Schidfals einzelner Sas
milien, der Erlenntnis des Zufammenbangs
zwifchen fozialem und wirtjcheftlidem Aufs
ftieg bsw. Lliedergang und ererbter Tih:
tigteit und zufälligen Glüdszuftänden den
größten Klugen, während die vererbungss
biologifhen Ergebniffe meift überfchägt
wurden. Die Dererbungswiffenfdaft kann,
da das familienfundlide Material meift
lüdenbaft oder unzuverläffig, mit Hilfe dec
Gefhwiftermethode, wenn nod die Eltern
betannt find, weitreichende Schlüffe ziehen.
Der vererbungsbiologifhe Llugen der Sas
milienforfhung beftebt darin, daß der Sas
milienforfcher vom Sammeln aus Liebhabes
rei zu raffenbygienifchen Einfichten geführt
wird und daß fie ein Hauptweg raffens
bygienifcher Propaganda wird.
® Mofer.
Bruno R Souls.
Ridhard UWhden: Dölkertore. Weltpolis
tifche Bücherei, brag. v. Adolf Grabowely,
Band 13. Berlin 1929. ZentralsDerlag.
63 S. 8 Rartenftizzen. Preis ME. 2.40.
Diefes Meine Buch mit feinen nur 58 Seis
ten bringt in geradezu meifterbaft Barer
Sprache die felbftändige Behandlung eines
Gegenftandes, der fo ziemlich obne literas
rifhe Vorarbeiten daftebt. Die tnappe, faft
anz fremdwortlofe deutfde Sprache ents
pricht vollig dem Welen des Stoffes. Die
bier zum erftenmal vorliegende Bebandlung
der großen Völlertore der Erde ift Geos
Ei im allerbeften Sinne. In einem erften
apitel finden wir das Grundfaglice uber
die Bedeutung der Ebenen, GBebirgsländer
und Völkertore im Leben der Völker, Staas
ten und Rulturen. Sünf weitere Rapitel
behandeln die Völlertore der Monfunlans
der, das turanifche Pfortenland, des naben
Oftens, Europas und die Appalahhifche Vols
terpforte. Eurafien wird alfo in allererfter
Linie bebandelt, was ja der kulturellen und
voltifchen Bedeutung diefes Gebietes ents
fpricht. Die Darftellung felb(t zeugt von
geundlicher Beberrfchung nicht nur der geos
grapbifchen, fondern aud der biftorifchen,
wie der vorgefdidtliden Dorausfegungen
des Gegenftandes. Im ganzen liegt bier
eine Arbeit vor, die duch ihre großzügige
1932, IV
Budbefprecdhungen.
239
zufammenfaffende Behandlung und durch die
Beberrfhung des Stoffes, der biftorifch,
geograpbifh und völkertundlich zugleidy ift,
einen befonders hoben allgemeinen Bildungs»
wert beanfpruden tann.
Werner €ffen.
3. Winthuis: Die Wahrheit Aber das
Zweigeſchlechterweſen surd die Gegner be:
ftätigt, noch fefter begründet von... Leips
3ig 1930. Derl. €. £. Hirfcfeld. Preis
AN 4.60.
Die vorliegende Schrift ift gedadt als
Erwiderung auf die in der Zeitfchrift
Anthropos Bd. 26, SG. 1005—1073 ers
fcdienene Gegenidrift gegen das in %. 2
&e8 Ig. 4 (1939) von Doll und Raffe bes
fprocdhene Wert von Wintbuis über das
Sweigedhledterwejen bei den Auftraliern
und anderen Ddltern.
Die Schwäden des Winthuisfden
Buches find an oben erwähnter Stelle von
mir bereits — worden. Peekel
geht in ſeiner Rritik des Winthuisſchen Bu⸗
ches, die er als „Miſſionaͤr“, nicht als „Wiſ⸗
ſenſchaftler“ abgefaßt hat, entſchieden viel
3U weit, wenn er die Eriftens cines ,, Sweis
geidlechterwefens” in der Gudfee überhaupt
abftreitet. Vielmehr bat Winthuis recht,
wenn er bebauptet, daG durd die Schrift
von P. febr wider deffen Ubfidt die Wabrs
fcdeinlicdteit der riftens folder Zweiges
fchledhtersAnfchauungen in ser Gudfee nur
nod mebr erbdrtet ift.
Was an der Winthuisfden Theorie von
dem Zweigefchledhterweien richtig ift, das
wird nicht eine mebr oder weniger fubjels
tive Ausdeutung fremden Materials ergeben,
die den Kern des Wintbuisfchen Buches
ausmacht, fondern genauere, unvoreinges
nommene Sorfehung unter den Eingeborenen
felbft. Vorerft aber wird man intbuis
darin recht geben können, daß die Ausdeus
tung etwa der auftralifchen Mythen im
aftralmythologifdben Sinne (Schmidt) mins
deftens genau foviel Untlarbeiten und Gubs
jeltipismen zeigt wie der Wintbuisfche Ers
HMärungsverfuh im Sinne einer Zweige
fchlechtertbeorie.
Güntber Spannaus, £eipsig.
Lieue Arbeiten zur Deutfchwerdung des Oftens.
Don Ardyivdireltor Dr. Yans Witte.
(Sortfegung). Polen und. Pofen.
Auch kulturs und wirtfchaftsgeihichtliche Werke enthalten bisweilen intereffante Mits
teilungen zur Befchichte des Deutihtums. So Alefander DOG ycicli, Gefcidte der
Jnduftricarbeiter in Polen (Warfdau 1929, polnif, nach Befpr. von Walter Maas in
Dtſche. Wiſſenſch. Zeitſchr. f. Polen heft 18, 1930, S. 183 ff.). Der Verf. bebt den deutfchen
Charalter des Handwerks in Polen während des ganzen Mittelalters und weit darüber
binaus bervor. Noch 1770 waren in ganz Polen „nur 10—12000 gute Sandwerter,
Deutfde, und man fonnte kaum 300 oder 400 Polen finden“. Auch die Gründer der erften
Sabriten waren faft durdhweg BDeutfde. Die Schwierigleit, polnifche Arbeiter berans
zuzicben, bewirkte die Einwanderung Deutfcher. Gerade jetzt (1838) führte die Errichtung
der preußifchen Zollgrenze gegen Rongreßpolen „den —— der Poſener Tuchmacherei
und die ſcharenweiſe Auswanderung der Tuchmacher nach Kongreßpolen herbei. Der Pro⸗
zentſatz der Deutſchen in den kleinen Staͤdten Poſens ſank dadurch bedeutſam“. Aber gegen
250 000 Deutſche kamen zwiſchen 1212 und 3823 nach Rongreßpolen. Anderſeits werden
durch die hoͤheren Loͤhne im oberſchleſiſchen Bergbau um 1220 viele polniſche Arbeiter zur
Auswanderung nad dort veranlaßt. In den dreißiger Jahren beginnt Kodzs Aufſtieg.
Deutſche Roloniſten der Umgegend bauten Flachs. Der Rohſtoff für Leinenerzeugung war
alſo in naͤchſter Naͤhe vorhanden. Die Fabrikherren waren faſt ausſchließlich Deutſche, viel⸗
fach die Fabriken Filialen reichsdeutſcher Firmen. So auch in den Grenzſtaͤdten Czenſtochau
und Gofnowig. Aber durch anhaltende Poloniſierung kommt ein polniſcher Fabrikanten⸗
ſtamm auf. Auch die Arbeiter waren überwiegend „auslaͤndiſcher Abſtammung, d. h.
ee polonifierten fich aber erftaunlich rafch, wenn auch nicht fo rafch wie ihre deutfchen
rbeitgeber“.
Ze ift immer dasfelbe Lied! Wer fann die Deutfchen 3ablen, die ihr Beftes den Polen
gegeben, ihr Land, ibre Rultur und Wirtfchaft aufgebaut haben und fdlieBlid, on.
in ibren Yladtommen, felber 3u Polen geworden find?! Wann endlich werden die Deuts
fen aufbören, der Dünger der Völter im ganzen Erdencund zu fein?
Aud das ,Lodzer Jabrbud, der Gefchichte von Lod3 und Umgebung gewidmet. Bo. I.
Hrsg. vom Ardiv der Stadt Lodz unter Leitung von J. Raciborsti“ ne 1083 1928.
NHach Beſpr. in Dtiſche. Wiſſenſch. Seitidr. f. Polen Heft 18, 1930, S. ı82f.) ertennt es
240 Doll und Kaffe. 1932, IV
Sa a a rg Er GE EEE ———
an, daß noch 1860/70 im Induftriegebiet das Deutfhtum in jeder Hinfidt überragend und
führend war. Damals berausgegebenes Flotgeld trug ausfchließlich deutfchen Tert!
Und mit diefen polnifhen Zeugniffen ftimmen die deutfchen überein: Adolf Eichler,
Andrespol. Ein Ausfchnitt aus der deutichen Anfiedlungsgefhichte in Aongreßpolen (Diſche.
Wiſſenſch. Zeitfchr. f. Polen Heft 1, 1923, S. 49—55), der die erften Anfänge der zu Beginn
des 39. Ib. bier geleifteten deutfchen Kulturarbeit f&hildert: „Ein Rranz deutſcher Bauern⸗
anfiedelungen umichließt den Lodzer Jnduftriebezirt, wo nahezu jeder Sußbreit Bodens mit
deutfhenm Schweiß gedüngt ift.” Und bier in Andrespol wenigftens bat fid die Bevdls
ferung deutfch erhalten. Buftav Schedler, Ebenskzer. Eine Jahrbundertgeichichte der
evang. St. Trinitatisgemeinde zu £0d3 (£0d3 1929. lab Befpr. in Otide. Wiſſenſch.
Zeitfehr. f. Polen Heft 18, 1930, S. 196), zeigt, daß „die Stadt Lodz einzig und allein
durd die Kraft und den Sleig unferes Volles ihre Bröße und Bedeutung erbalten bat. Der
Paftor batte sur Zeit des „ameritanifhen Wahstums“ der Stadt zeitweilig allein für
50 000 Seelen zu forgen. Eduard Jeilner, Die Bieliger in Tomafhow (Diiche. Blätter
in Polen 3g. V, 1928, GS. 334—340), fcildert nad mündlicher Überlieferung die Auss
wanderung von Bieliger Tucmadern in das Lodzer Jnduftriegebiet. 182) war Tomas
fchow etwa 50 Rilometer fuddftlid von £053 von Tudmadern aus Grinberg in SGdlefien
egründet. 18068 fetzte weiterer deuticher Zuzug aus Bielig (Biala) ein. ,Hier fcien gleichs
en ein neues Deutjchland entfteben zu wollen.“
Was fid in £0d3 und Umgebung in größten Ausmaßen abfpielte, läßt fi aud in
unzähligen anderen Orten Polens troß zeitlidher und drtlider Abweidungen ziemlidy über;
einftimmend beobachten. Sür Oftrowo bat Marjan Rofpent, Kurzer Abriß der Gefchichte
der Stadt Oftrowo (Oftrowo 1928, polnifdh, nad Befpr. von Lattermann in Dtfdbe.
Wiffenfchaftl. Zeitfchr. f. Polen Heft 38, 1930, S. 381), das Dorbandenfein eines ftarten
Deutfchtums fchon zu altpolnifcher Zeit ancrfannt. Beim Anfall der Stadt an Preußen
(1793) war es fogar weitaus überwiegend. „Dagegen unter der preußifchen Herrſchaft
wuds die Zahl der polnifhen Bevdlterung auferordentlid!* Auf cin altes Deutichtum
blidt audy nach Rarl to mm, Bobrownili an der Weichfel und feine Dergangenbeit (Difche.
Blätter in Polen Jg. VI, 1939, S. 517—538), das mit dem Deutfcorden verknüpfte
Dobrzyner Land mit feiner Ördensburg und Stadt „Beberen“ Zurüd. Paul Sreimut,
Die deutfche evangelifhe Schulgemeinde O©borli, Rr. Rypin (ebd. S. 545 —548), führt uns
einen zu Anfang des I8. Ib. gegründeten Reranz deutfdher Rolonien mit nod heute ers
baltenem Deutfhtum vor. Und Walter Rubn, Leonberg (ebd. S. 189-197), ftellt die
Entwidlung diefes 1801/02 von der preußifchen Verwaltung in der Provinz Sudpreußen
etwas oberhalb Plocz angelegten Ortes dar. 1304/05 batte er 58 Samilien mit 307 Köpfen,
darunter 48 Samilien aus Württemberg, 7 aus „Sranlreich”, was gewiß als Elfaß zu vers
fteben ift. Um 1860 konnte er zwei Tochterfiedlungen in der Lläbe gründen: und bat trog
induftricller Entwidlung bis beute feine fchwäbifche Mundart bewahrt wie die benachs
barten „Lliederunger“ die plattdeutfche. Fin dritter in der Gegend vertretener, aus Pofen,
Brandenburg, Pommern ufw. eingewanderter deutfcher Stamm wird „Rafhyuben” genannt
und ift nicht fo felbftbewußt und ftandbaft.
Aud im fernen Galizien zeugen Ortsnamen wie Laficut (früher Landeshut) und
Marlowe (früber Martenbof) von altem untergegangenen Deutfchtum, deffen letztes literas
rifches Lebenszeichen Sranz A. Doubel, Ein deutiches Spradhdentmal aus der Gegend von
Lafcut (Difche. Wiffenfch. Zeitfchr. f. Polen Heft 13, 19238, GS. 66—87), uns in Geftalt
eines deutfchen Oftergefanges nach der Aufzeichnung eines polnifdhen Geiftliden vom Ende
des 18. 3b. überliefert. ‘Abnlid deutet auch der Lame der Stadt Sryf3tal (früber Sriftetb)
in der Wojwodfchaft Lemberg auf verfuntenes Deutfhtum. Walter KRubn, Deutide Gieds
lungen bei Brzoftol. Ein Beitrag zur Gef. der mittelalterl. dtfdy. Rolonifation in Galizien
(Dtjde. Wiffenfd. Zeitfchr. f. Polen Heft 13, 1928, S. 58—65), grenzt bier ein altes
Waldgebiet ab, das nach beigebracdhten weiteren Ortss und Bauernnamen i. J. 1488 von
Deutfchen befiedelt war.
Weit jüngere, aber gleihwohl in der Entdeutfhung fcdon weit vorgefdrittene Rolos
nien bei Lemberg bebandelt ebenfalls der bewdbrte SGpradinfelforfder Walter Rubn, Die
deutfchen Siedlungen bei Ramionta Strumifowa (Difche. Blätter in Polen 3g. V, 1938,
S. 508—823). Don polnifhen Adligen angelegt und in ihren Anfängen nur bis 1803
zurüdreichend, haben fie wohl unter einer weitgebenden Mifchung aller in Galizien fonft
— auftretenden deutſchen Staͤmme und Ronfeſſionen, denen ſich ſogar ein betraͤcht⸗
icher Zuſatz von Tſchechen beigeſellte, gelitten. Ruhn bezeichnet die Egerlaͤnder und Boͤhmer⸗
waͤlder als das tuͤchtigſte Roloniſationsmaterial in Galizien ſeit der oͤſterreichiſchen Beſitz⸗
1932, IV Buchbefprechungen. 241
ergreifung. Sie batten fidh als Spradinfelgründer und serhalter viel erfolgreicher gezeigt
als die bedeutend weicheren Schlefier.
Vleuere Giedlungsvorgange find es aud, die Johann Wa gner, sur Gefdidte der
evangel.sdeutfchen Gemeinde Stryj, Galizien, mit befonderer Berudfidtigung der Geſchichte
der ule anlaglid ibres 20 jdbrigen Beftebens 1909-1939 (Btfche. Blätter in Polen
3g. VI, 1929, S. 549—553), bebandelt. Der Anfang der deutfchen Lliederlaffung wird
auf 3739/99 angefegt im Sufammenbang mit der- weftdeutiden Auswandererwelle, die
damals Galizien Gberflutete. Die Gemeinde beftebt noch beute mit 700 Seelen.
Don einem Gebiete jabrbundertelangen und bis in die Gegenwart dauernden, ja in ihr
foger verftärkten Ddlterringens kehren wir zurüd auf den Boden jabrbundertelanger uns
tittener Herrfdaft des Deutfdtums. Die Ausbeute ift bier entfpredyend geringer. Sur
Chiiringen bat uns Chriftoph Albredht, Die Slawen in Thüringen. Cin Beitrag zur
Seftlegung der weftliden flawifden Rulturgrenze des früben Mittelalters (Jabhresfchrift f.
d. Dor hey, der — Kander XII. Bd., Heft 2, 1925, S. I—72), eine auffchlußs
teiche Unterfucdung befdert. Sie wird durch cine Karte über die Derbreitung der flawifden
Ortsnamen und Wiftungen uber die Gaale binaus fowie tber die deutfchen Jufammens
fegungen mit swind, swende, swenden wirtfam unterftugt. In legteren fiebt Albrecht Ans
fiedlungen triegsgefangener oder fonft unfreier Slawen dur Deutfcdhe. Da überdauernde
d&eutfhe Ortsnamen bis an die Saale vorhanden find, können die flawifchen Ortsnamen
weftlid derfelben nicht von fiegreich vorgedrungenen Slawen berrübren. Und da dort
die am OftsHodufer der Gaale abbrechenden Burgwälle völlig fehlen, müffen die Slawen
bier „ohne jede politifche Selbftändigleit geblieben fein“ (5.30). Sie bewohnen vornehms
lid Rundlinge, weswegen „wir jedoch keineswegs in jedem Rundling eine flawifde Ortss
gründung zu feben haben“ (3.20). Leider find in der Siedlungstlarte (Lir. 2) die Rundlinge
nidt berudfidtigt.
Aus den zufammengeftellten biftorifden Klachrichten und aus dem Rultucnadlag wird
der Schluß gezogen, daß die Stawenfiedlungen füdlich der Unftrut in der erften Hälfte des
7. Ib. entitanden dur Überlaffung „des durch die Awarentämpfe ale Odland unbefiedelt
ebliebenen Gebiets etwa zwifdhen Saale und Jim zum Dant für ihre Rriegebilfe gegen die
Sranten“ (SG. 33). £s bandelt fich bier um flawifche Sifcherinfeln unter tbüringifcher Staates
oberbobeit. Die Slawenfiedlungen ndrdlid der Unftrut feien dagegen erft um 800 entftanden
und „auf Rarls des Großen Sadıfenpolitit zurüdzufübren“. Sie unterftanden larolingifden
Orenzgrafen. In beiden Gebieten aber muß das flawifche Vollstum fdon im Laufe des
10. 3b. im Deutfdtum aufgegangen fein (8. 13 u. 30). Die vereinzelten Slawens
fiedlungen aber weftlidy der JIm und „der Linie Burgfcheidungen a. U., Querfurt, Eisleben,
Afcbersieben, Staßfurt, Weubaldensleben find von unfreien Slawen (Briegsgefangenen?)
angelegt“. Kine kulturelle Bedeutung für Thüringens Entwidlung bat das flawifche Sifchers
volk nicht gehabt. Sein raffifher Einfluß ift nod nidt unterfudt.
Mit häufiger Bezugnahme auf Albrecht bebandelt Martin Wachler, Die einftigen
flawifchen Llebenfiedlungen in Thüringen (Seftidrift fir Otto Dobeneder, 1929, S. 17— 30),
die Siedlungen weftlid der Saale, deren er eine beträchtlich größere Zahl in einem alpbas
betifchen Verzeichnis zufammenftellt. Verftreut erftreden fie fi bis über das Werratal.
Befondere Berüdfichtigung finden die Siedlungen, die „aus deutfchen Orten als flawifce
Viebenfiedlungen berausgewachfen find“. WDenigen erfcheint ale mundartlide Sorm für
wendifh, windifh. In mandıen Orten, wo Wenden nur in geringer Jabl vorhanden
waren, batten fie in der Rirdye ihren befonderen Eingang, die „windifhe Tür“ (S. 29).
Ein mertlider Cdrperlider LUnterfchied 3wifden deutiden und wendifden Bauern konnte
nicht feftgeftellt werden.
Im benachbarten Vogtland bat nach Vorarbeiten von Walter Dorf, Die vors
& Hidtlide Befiedelung des Dogtlandes (Mlitteilg. d. Altert.»Der. zu Plauen 24. Ig., 1914,
.3— 20), A. Fleupert fen., Werdegang der Stadt Plauen im Dogtlande von der Llieders
laffung der GorbensDenden an der liter bis zum Beginn des 20. Ihe. (Beilagebeft zu
Mitteilg. d. Der. f. vogtl. Gefd. u. Altertumstde., 27. Jabresfchr. 1917), Richard Mends
ner, Die Hecrfdhaft Burge bis zu ihrer Angliederung an das Haus Reußs Greiz (Mitteilg.
wie vorft. 27. J.sBeridt 3957, S. 1—96) und Ernft Pietfch, Die Entftehung der Städte
des fächlifhen Dogtlandes (ebd. 32. I. Bericht 1932, S. I—VIII, 1— 123), die die Dors
gtididte von der keltifchsillyrifdgen Urzeit über die in der LatEnezeit einrüdenden gers
manifchen Hermunduren, die um 300 n. Chr. nacdhrüdenden Angeln und Warnen bis 3u den
um 600 einziebenden Gorben bebandein und 3. TI. auc auf dte deutfde Wiederbeficdlun
und den Anteil der Oftfranten, Thüringer und Bayern an dsiefem Werk eingeben, — na
alledem bat Johannes Leipoldt, Die Gefhichte der oftdeutfchen Rolonifation im Vogt:
242 Dolt und Kaffe. 1932, IV
land auf der Brundlage der Siedlungsformenforfhung (Mitteilg. wie vorft. 36. Jahresſcht.
1927/28. Plauen 1928, 8. I — 215), die deutfche Rolonifationsfrage mit einem großen Wurf
zur Löfung zu führen verfudt. Dies wichtige Werk ift den Lefern diefer Zeitfchrift durch
9%. Zeiß Befprehung (Volt u. Kaffe 3. Ig., 1928, S. ı89f.) fhon bekannt gemadıt
worden. Bei im wefentlidyen gleidyer Beurteilung möchte ich nur einiges Brundjägliche
antnüpfen. Die Benugbarteit der Slurkarten ift in letter Zeit verfdiedentlid angezweifelt
worden mit dem Hinweis auf etwaige vor unferen älteften Karten liegende Deränderungen
in der Slureinteilung, die es unmöglich machen, in unferm verhältnismäßig fpäten Rartens
material ein unmittelbares Abbild der durch die deutfche WDiederbefiedlung gefhaffenen 3. TL
fogar nod vor ibr liegenden Agrarverbältniffe zu feben. Leipoldt bat jogar mit einem
belonbers fpäten Material gearbeitet: feine Slurtarten gebören weitaus überwiegend erft
dem 19. Ib. an, 3. Ti. erft deffen Mitte! Bleihwohl meint er feftftellen zu fönnen, daß die
„Siedlungen feit dem Abfchluß der oftdeutfchen Rolonifation im Vogtland bis in die Zeit
des ... Siurkartenmateriale in ihrer Sorm nie grundlegend verändert worden“ find, das
GSiedlungsbild des 19. Jb. entfpreche in den Grundgtigen nod dec urfpringliden Anlage
(3.26). Und wenn nun auf feinen Überfichtstarten das Gebiet des flawifden Blodtypus
mit dem der flawijchen Ortsnamen fowie dem des alteften waldfreien Giedlungslandes in
einer geradezu fchlagenden WWeife übereinftimmt, fo feheint mir mit diefer nadgewiefenen
dreifachen Übereinftimmung in der Tat die Probe auf das Erempel gemacht zu fein.
Man darf aber deswegen nicht glauben, daß jetzt alle Slurkarten, auch die des 19. Ib.,
eine unbezweifelbare Widerfpiegelung des urd die deutide Rolonifation geidaffenen
Siedlungszuftandes fein müßten. Im Gegenteil wird man ftets mit der Möglichkeit älterer
Regulierungen, die das urfprimglide Bild mehr oder weniger verändert haben, rechnen
müffen. Sicher befteben bierin von Landfchaft zu Landichaft große Derfdiedenbeiten. Cine
ftrenge Prüfung diefer Srage ift in jedem Salle dringend erforderlich. Sie geihiebt am
beften durch einen Vergleich der Verbreitung der verfchiedenen Slurtppen der Gegend mit der
wiederbergeftellten Urlandfdaft und den snamen. Dies alles muß zufammenftimmen,
wie es auch bei £eipoldt der Sall ift.
Auf der fo gewonnenen, gefidyerten Grundlage bat Leipoldt die Slurtarten ausgenugt
mit einer Rubnbeit, die die von Job. Sollers geübte Zurudbaltung (vgl oben S. 58)
weit binter fic läßt. Licht allein daß er den flawifchen Blodtypus von den deutfden
Gewanns oder Gelangeformen und den Waldbufen reinlich fcheidet, er ftellt uns unter feinen
nicht weniger als ı8 Sormentypen aud eine Sülle von Sonders und Übergangsformen bin,
die die Regulierung bzw. Durddringung altflawifcher Dörfer mit eingewanderten Deutichen
oder auch das Sufammenioieten beider Völker auf neubefiedeltem Boden in verfchiedenen
Abfchattierungen ertennbar madyen. lan wird biernad mit den Zweifeln an der Derwend:
barkeit der Slurtarten fur Swede der Mationalitdtenforfdung zurüdfteden miffen.
Ylaber auf diefe Dinge und auf die reichen Ergebniffe diefer Arbeit einzugeben, ift in
diefem Zufammenbange leider nicht möglidy. Tur das fei nod gefagt, daG Leipoldt Runds
ddrfer mit flawifder Blodflur fowie folde mit anfdeinend tolonialen Sluren feftgeftellt
und demgemäß flawifde und deutfche Runddsrfer unterfdeidet, wobei die legteren regels
mäßiger find und mebr an den „Llormalrundling“ erinnern. Er fiebt in diefen „eine fpätere,
früblolonialdeutfche Sorm — vielleidht eine Weiterentwidlung jener“ (3.35). Hier, wo
fchon feit den Zeiten der Dttonen das Dreutfchtum die Herrfcaft behauptete, obne fogleich zu
einer großzügigen Befiedlung zu fchreiten, ift der Sn der Dinge denn auch ein wefentlidh
anderer gewefen, als der war, den wir mebrfady in dftlideren Gegenden finden konnten:
Flicht zuerft Rodung und Befiedlung der Waldgebiete und danach Eindringen in das alt»
flawifche Rulturland, fondern umgekehrt! syier begann es mit einer leichten Überlagerung
des altflawifden Siedlungsbodens mit einer dünnen deutfchen Adelsfchicht, der erft im
3 Ib. eine ebenfalls zuerft nur leichte Durdydringung diefes alten Rulturgebiets mit deutfdyen
auern und danach erft fcbrittweife die Rodungstätigleit folgte. Wie ich das im einzelnen
abgefpielt bat, wie fidh Deutfche und Slawen fowie ferner die verfchiedenen deutfcdhen Stämme
da hinein teilten und fich gegenfeitig durchdrangen, mag man bei £eipoldt felber nadhlefen.
Im sftlicheren Sadıjen bat die tNeifener Jabrtaufendfeier auc der Erforfcung diefer
Dinge einen kräftigen Anftoß gegeben. In der von Woldemar Lippert berauagegebenen
Seftfcdrift ,MeiBnifd-facfifce Sorfchungen” (Dresden 1929) fett der Herausgeber die
Gründung der Burg Meißen und damit auch die tatfächliche Begründung der dseutfden errs
fdaft im Sorbenlande auf den Mai 929 an. Rudolf Röufchke fcdildert darin die „Ans
fange der Martgraffchaft Meißen“, wobei der Ausbau des Landes, feine allmablice Übers
führung in deutfche Derbältniffe, der gemifcht deutfchsflawifhhe Charakter des Burgwards
fyftems und zablreidhe deutichsflawiiche Mifchbildungen von Ortsnamen zur Sprade
1932, IV | Buchbefprehungen. 243
EEE
fommen. Alfred Meiche fchließt eine Behandlung der „Altmeißener Bürgernamen“ als
„Quelle zur Befiedlungsgeichichte der Stadt“ an. Don 1200 bis 1500 bat er unter den
Rufnamen keinen einzigen altflawifchen gefunden. Der deutfche und zwar rein mitteldeutfche
Charakter der älteften Stadtbewobner, wie er auch durch die Samiliennamen bezeugt wird,
ift dadurc feftgeftellt.
Der ebenfalls in diefem Zufammenbang 3u nennende Helmuth De Taufend
Jahre Meißen (Meißen 1929), fchildert fachlundig und befonders liebevoll die Rolonifationss
zeit (vgl. Kleues Archiv f. Sächf. Geld. 1930, S. 289).
Gc Meerane weift Ostar Philipp, Eine Spur des Sorbifdhen in Weftfadfen?
(Ti. Ardhiv f. Sahf. Gefe. u. Altertlde. Bd. 48, 1927, 3.306 ff.) nad, daß dort noch um
1570 ein in wendifcher Sprade abgefaßtes Gefhoßregifter vorhanden war und vom
dortigen Stadtfchreiber oo Remnit ins Deutfche überfegt wurde. Außer der damit für
den Stadtfchreiber bezeugten Benntnis der wendifhen Sprache deutet nichts darauf bin, daß
diefe Sprache fich in Meerane langer erbalten bätte als anderswo in Welt: und Mittelfachfen.
Jobannes Langer, Slurgeograpbifche Unterfuchung über die älteften Sreiberger Bes
fiedlungsverbältniffe * S. 185 ff.), will auf Grund der vors und frübgefchichtlichen
Unbewobntbeit der Waldgegend die in der Umgebung vorhandenen flawifchen Slurnamen
nur als Örientierungsbezeichnungen gelten laffen, „die fogac fpäter zur flawifchen Bes
nennung echt deutfcher WDaldbufendsrfer führten“, 3. 3B. Loßnitz, Rleinbobrigich, Colmnig.
Die Anfänge der deutfchen Dorffiedlung geben bier bis in die Mitte des 12. Ib., die der
ftädtifchsbergbaulichen Entwidlung bis 1185 zurüd.
Wenn vom weftliden Sadfen aus, wo die Gründung deutfcher Dörfer fhon feit
1080 berichtet wird, die Siedlungstätigleit den Elbleffel erreichte, ift die Srage, von der
Otto Eduard Schmidt, Die Befiedlung des fächfifchen Elbleffels und die Anfänge von
Dresden (M. Archiv f. Saͤchſ. Bei. u. Altertlde. Bd. 48, 1927, 3. 33 —00), ausgeht. Er
weit nad, daB 1144 aud bier eine „Rolonifation großen Stils“ fchon im Gange, deutfche
Roloniftendörfer fchon gegründet waren. Die Schilderung des Sortgangs der Rolonifation,
für die neben den Reibendörfern auch die „deutfchen Rundlinge“ als Hharalteriftifd bebandelt
werden, gebt nicht nur bis zu den beiderfeits der Elbfähre gelegenen Sorbenweilern Drezga,
die etwa um 3350 in deutfche Koloniftendörfer umgewandelt die Reimzellen des um 1215/16
zur Stadt erhobenen Dresdens waren. Sie dringt audy in den von Böhmen fceidenden
Grenzwald und gibt aud ein Bild von der unter Markgraf Heinrih im 33. Ib. über die
Fliederlaufig „bis an die Tore von Srantfuct a.O.% (S. 58) fortgefchrittenen Siedlungss
bewegung. Die bier wiederholte Herleitung der forbifchen Witbafen von den germanifden
Warnen (S. 39) hat Woldemar Lippert, Wendifdhes im Anfchluß an-®. €. Schmidts
Wendenbud (ebd. S. 234 ff.) mit Rect abgelebnt.
Dom fadfifeen Sorbenland aus ift die fräntifche Hufe als Waldtolonifationshufe dec
fräntifhen Siedler von diefen und anderen Deutfchen weiter nad GDften getragen, nicht
allein nah Schlefien, fondern aud nach Böhmen, Polen, Galizien. Sie ift au von flawis
Then Roloniften übernommen worden. Aeinridh v. Loefd, Die frantifcde Hufe (Zeitfehr.
d. Der. f. Gef. Schlefiens 61. B., 1927, S. sı ff.; 63. Bd., 1929, S. 33 ff.), bat uns
darüber eine gründliche Studie befchert, worin er u.a. diefe Aufe mit der Meineren flämis
fhen vergleicht, die im Gegenfag zu ibr, der eigentlichen Rodungsbufe, aan auf
das offene Land befchräntt ıjt und ftets in Gewannen liegt. Eine eingebende Unterfuhung
der fhwankenden Brößenverbältniffe und dee Unterteilungen ift angeſchloſſen.
Schon zwifchen 550 und 500 v. Chr., wie E. Deterfen, Lieue Ergebniffe über die
germanifde Kultur in Sdlefien (Altidlefien 1929 S. 196 ff.), darlegt, find „Srübgermanen“
in geringer Zahl in Schlefien eingedrungen und baben fi mit den dortigen „Illyriern“,
den Trägern der Kaufiger Kultur, friedlich vermifcht. Die 500 bis 400 febr madtig Bes
wordene Germaneneinwanderung bat das illyrifdhe Dollstum vernichtet. Klad 400 bis
300 wandern diefe Germanen (Baftarner) weiter nad Often.
3n die polnifdhe Dorzeit des Landes, in der jedoc) nordgermanifde Linfluffe nod
eine bedeutende Rolle fpiclen, fubrt Sedor v. Heydebrandu. der Lafa, Peter Wilaft und
die nordgermanifchen Beziehungen der Slawen (Zeitihr. 0. Der. f. Schlef. Gelb. 1927,
&. 247— 278), zurüd. Im Gegenfag zu Sriedrih Reiche weift er die dänifche Ablunft des
Peter Wlaft (¢ 1153) und feine Derwandtfcaft mit dem warägifchen Herricergeichledht
Außlande nad. Wie fein Großvater Magnus wird auch Peter in den Quellen Graf von
Breslau (comes Wratislawiensis) genannt. Mandes Kyypotbetifche wird angelmüpft
über einen aus nordifhem Blut entfproffenen AHerrenftand Schlefiens, der 3. Ti. in den
Bauernftand zurüdgefunten fei, und die Schnelligkeit, mit der fpäter die Derfehmelzung mit
der deutfchen Bauerneinwanderung geichab, erllärlich machen foll.
244 Voll und Raffe. 1933, IV
Kine andere Cinwanderungsfdidt, die Wallonen, bebandelt Ronrad Wutle, Zur
Geſchichte des Geidledts der Gallici (Wald) und ihres Grundbefiges in Schlefien im
13./16. Ib. (ebd. S. 379—311). Das Gefchleht, das dem dlteften fchlefiichen Adel angebört,
bat aud cine deutfche Siedlungstätigkeit entfaltet.
Die ganze fchlefifhe Siedlungsfrage greift mutig, aber etwas gewagt Wolfgang
Jungandreas, Beiträge zur Erforfhung der Befiedlung Sclefiens und zur Ents
widlungsgefchichte der fchlefiihen Mundart (Mdort und Braudy, Heft 17, 1928), an, indem
er fidh außer den gefdhichtlihen Materialien und den Llamen bauptfadlid auf die Hiunds
erten ftütt. Bernhard Martin (Zeitfehr. d. Der. f. fehlef. Gelb. BB. 62, 1928, S. 389 ff.)
bat die Arbeit wegen Seblens der nötigen Vorarbeiten auf mundartlidem Gebiete als vers
frübt fcharf abgelehnt. Ernftt Shwarz, Die fchlefiihde Mundart (Der Oberſchleſier,
11. Ig. 1929, 8.71 — 83), ertennt dagegen an, daß es Jungandreas gelungen fei, „UDeins
bolds Ergebniffe in wefentliden Puntten 3u verbeffern, den überwiegenden Einfluß tbürins
en ih Elemente Marzulegen, weiterhin die Beteiligung ifcher Elemente in den
udeten und bayrifcher bauptfähhlih im Süden des fchlefifhen Raumes wahrfdeinlich zu
machen, die niederdeutfchen und oftfränkifchen Befiedlerteile von der überragenden Stellung,
die ihnen Weinhold eingeräumt hatte, berabzudrüden. Im einzelnen find aber viele Dors
bebalte 3u machen’.
Ober Bebiete geringeren Umfangs unterrichten Guftan Sdhoenaih, Die Befieds
lungsgeſchichte des Kreiſes Jauer (Schleſ. Geſch.⸗Bl. ds, SG. 6—1}) und Adalbert Yoffs
mann, Die Befiedlung dea Rreifes Striegau (ebd. S. 63—69). In beiden Rreifen bat die
Deutfchbefiedlung erft mit dem 13. Ib. begonnen.
Aud in ©berfhhlefien begann die Auslegung von Städten und Dörfern zu deutfchen
Recht fhon im 13. Ib. I. Shwieder, Die fozisle Struktur der ländlichen Bevölterung
des alten Rreifes Beutben um 1743 und die Auswirkung der friderizianifchen Agrarreforms
gefeggebung im gleichen Gebiet (Mitteilgg. des Beutbener Geh. u. Muſ.⸗Ver. Heft 7 —10,
927, 8. 7—97), berichtet außerdem von böbmifhem Zuzug und feit 1526 von weiterem
uzug deutfcher Roloniften, befonders Bergleuten und Bewerbetreibenden aus Sranten. Die
Urbarien der Herrfhaft B. von 1546 und 1603 enthalten „eine große Reibe deutfcher
amen’. Der einziebende Proteftantismus ,ftartt ebenfalls das deutiche Element’ (SG. 11%
Vlad den Derwüftungen des 30 jähr. Rrieges werden „billige Arbeitskräfte aus Polen“
angefiedelt. Um 1743 ift die Bevölkerung des Rreifes der Sprade nah „zum größten Teil
niſch“. Die friderizianifche Rolonifation, die die Anfiedlung von Ausländern, in Obers
Hlefien von Deutiden, forderte, wurde in diefem Puntte nur zum Meinen Teil durchgeführt.
Eine nadhbaltige Ausbreitung det deutfhen Sprache bradte erft die mit dem Aufblüben
der Induftrie feit Mitte 19. Ib. erfolgende „ausichlieglidh von deutfchem Geift und deutfcher
Sprache getragene ganz außerordentliche wirtfchaftliche eng
Die durdy eingewanderte Bergleute aus Sranten und Sadıfen im Laufe des 16. Ib.
tafch verbreitete Reformation bat na Paul Sranzte, Beiträge zur Gefcdicdte der Res
formation im Beutbener Lande (ebd. Heft 31/12, 3929, S. 75—82), nod im gleichen Jabrs
hundert die Bberband gewonnen. Daß die fhon 1623 einfegende Gegenreformation, die
nach Schwieder „ganze Arbeit getan“ hat (S. 13), „das Beuthener Land polonifiert babe“,
foll nad Sranzte nicht beweisbar fein. Aber „viele Anzeichen fprechen für eine ftarte Polonis
fierung in jenem Jabrbundert“ (S. 82).
Eine deutfche Bürgerfchaft in der Stadt Beutben beftand nah VD. Immerwebr,
Das Alter der Priv. Schügengilde in Beutben ©.,S. (ebd. Heft 11/12, 1929, S. 169— 165),
fhon vor 1300. Eine ftädtifhe Urkunde von 1369 entbält, foweit rger genannt find,
nur deutfche Llamen. 1400—1470 folgte eine „Periode des Unterganges des Deutihtums
und des Entftebens und Erftartens flawifden Wefens” (SG. 160).
Zu der oben berührten mangelbaften Durdhfibrung der friderizianifden Rolonifation
bietet Walter Reraufe, Gefhidte von Pilzendorf, Areis Beuthen (ebd. S. 124—162),
einen dSrtliden Beleg. Auf der Seldmack des urfpringlid Gr3ybowig, benannten Dorfes
wurden die friderizianifden Rolonien Marienau und Dbilippedort gegründet. Die Rolos
niften find nach den mitgeteilten Klamen weitaus überwiegend Polen. Ylur eine verfhwins
dende Minderheit trägt deutfche Namen.
Mieviel bier bis in die neuefte Zeit verfäumt worden ift, zeigt Alois M. Rosler,
Die preußifche Dollsfdulpolitit in Oberfdlefien 1742 — 1848 (Einzelfchriften zur fchlef. Gefch.
Bd. 3, 1929). Das Endurteil lautet, „daß die geeignetfte Zeit zur Cindeutfdhung Obers
fhlefiens vorüber war, als man zu Beginn des 20. Ib. anfing, das Problem zugleich ents
— i een in Angriff zu nehmen“ (Sorfchg. 3. Brand. u. Preuß. Gefd.
43. Bd., ©. 440).
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dem Derjteben von Menſch zu Menſch, von Volt zu Volk, von Menſch zu Gott nächipürend, feinſinnige
Löjungen zu finden“ (Sräntiicher Kurier). Die Neuauflage jeines Budyes „Die nordilche Seele“ bildet Zue
jammen mit dem früber erjdienenen Wert „Don Seele und Antlit der Rajjen und Délfer” in neuer
Sorm das alte Bud) , Rajje und Seele“, das nicht neu aufgelegt wird. Man lernt aus dem Bud
„Menichen veritehen“ — eine für jedermann nüßliche und wichtige Kunjt. Das Bud) handelt haupr
fächlich von der nordiichen Rajie, jchildert aber im Dergleidy auch die Wejensart der anderen in
Deutichland lebenden Rajjen. Die Darjtellung ijt fern von aller trodenen Gelehrjamfeit, dem leben
digen Leben zugewandt, lebhaft und zum eigenen Sorjhen anregend, fo recht ein Bud) fiir unjere
Zeit, in der die Rajjenfrage als eine der Lebensfragen unjerer Zukunft erfannt ij.
J. F. RUSE REE: Derlagsy Miinhen 2 SW
— —
— — — ——
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Gerantwortlid) für den Anzeigenteil: Guido Haugg, München. — Berlag: J. GF. Lehmann, Diünden.
Druck von Dr. F. P. Datterer & Cie, Freifing- Münden.
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Teil I: Deutihland als Ganzes, Nieder- und Mitte [dent TE
a Mn Fiss,
Banjes Wert leitet eine neue Art der. Erdbeichreibung ein. Sein Werf, das tief
aus dem Derjtehen deutihen Landes und deutjicher Dolkheit heraus erwadhjen ijt, ie
bis in -die Heinjten-Einzelheiten von deutichem Geijt durchzogen. Zum eritenmak
tritt hier das bedingungslos Nationale in die Geographie ein. Die deutide Candes=
funde ijt jo reid) mit Bildern und Karten ausgeftattet, dah fie zum Bud der
Deutjchen geworden ijt, das jeder befiken follte, dem es. ernjtdamit ift, fem Cane
Erfenntnis der jeelenformenden Kräfte der Landichaft — eine Derinnerlihung der
geographijchen Betradhtungsweije, die vor allem den Sinn der Gegebenheiten tr
Dolf und Ray e
Illuſtrierte
Monatsſchrift fuͤr deutſches Volkstum
Raſſenkunde Raſſenpflege
8. Jahrgang 1933
J. S. Lehmanns Verlag, Muͤnchen
Inhaltsverzeichnis
des 8. Jahrganges, 1933.
Heft 1S. 1-60; Heft 2S. 57— 112; Aeft 38. 113— 1303 heft 4. 137 100;
Heft 5 SG. 161—184; Heft 6 SG. 126—202; Aeft 7 S. 209—232; weft 8
G. 233—260.
Derfafferverzeichnis.
Seite
Mel, Ry bi und Deelag, Un die Lefer von Doll und Kaffe . . 113
ie Sippfchaftstafel und eine Anleitung zur Anfertigung.
(} Ta 2
45
Blubm, m Erbbild deutfcher Dichterfamilien. (Mit 7 Abb. und 1 Tafel) 236
Ebrbardt, e. „Die sal caaetemencn(eguig des en Dur L, II.
(Mit 20 Abbildungen) . - $43, 190
een ; ; 200, 230, 260
rid eichsminifter des Innern, Anfprache auf der 1. Sigung des Saks
verftändigenbeirates für Bevdllerungss und Raffenpolitil .
—, Unfprache bei der DEETIDUNBEIAMENUNG des eiheausfhuffes für
Pr aeg $
&, %., Ubnens und Stammtafeln in Rarteiform. (Mit 5 Abb.) . ‘ 126
Sar, £eben oder Sterben der deutfchen Viation . ‘ 316
Heidrich, W., Veraͤnderung deutſcher ere: in den Dereinigten
Staaten . — 46
Helm, R., Deutſche Doltstrachten IIL,, IV. (Mit 4 Tafeln) 200200. 45, 98
Helmut, o., oe in Gefabr. (6 Tafeln) . x 173, 20)
Hoffmann, ‚ Einführung in Erblebre und Erbpflege a ; 228
Hof fh a ia Tb. Urjlavoenbeimet und STeTlamenieieeeun gen: “(Mit
rte ,
19
Krenn, €., Die Ortneyinger und die Shetlander ;
A — a Eine Bauernhodzeit in Auelften bei aid im Münfterland
tz A ‘ : 2 $2
£ebmann, = Jofeph Gottlieb KRolreuter. Abb.) 186
Meartgraf, D., Die Grenze zwifchen dem — und flamiſchen
Rechts ebiete im Sreiftaate Gacbfen. daa 2 ee ‘ 57
Mierke, R., Raffentunde und Voltefchule 198
Raffenbilder: : 128, 149, en 185
Raufdenbergec, D., ‚Baffenmertmake Goethes und fa nächften
Derwansten. (Mit 12 Abb.) . 1
—, Raffenmertmale Scopenbauers und feiner näberen Verwandten.
(mit 3 Abb. und einer Sippfchaftstafel) . 209
Reche, O in Deutfcher der europäifche Erfinder der Dattyloftopie ; 42
—, Der Degriff „Raſſe“ von 237
Schmidt: Ke bt, TEE einft und je t. (3 Abb.) 5. a 239
Shmidt,Ww Unterfuchun en über die Auslefe bei Jugendbünden . 223
Schultz, B B. KR, Die Bevd ferung des oberen Lechtales. (Mit 12 Abb.
und 6 Tabellen) ; 32
—, Raffentunde, Dererbungslebre “und "Raffenpflege als Gegenftand der
„Seutfehen, Erziehung 122
Schultz, W., Die —— der früben Eiſenzeit. (Mit 2 Abb.) . : 248
Schulz, w Germanen zwiſchen Elbe und Weichſel vom 5. bis zum
7. Fahrbundert. (Mit 3 Abb. und einer Rarte) . 74
Schwertfeger, €., Dom deutfcdhen Voltstum in Polen nk 225
Inbaltsverzeichnie. III
GE — —
Seite
Stengel v. Rutkowſki, Winterſonnenwendee.... 233
Stumpfl, §., Die triminelle Samilie . a 167
—, Sippfchaftstafel eines Rudfallverbredhers. (3 Tafeln) . a & 22)
Tirala , £., Die biologifche Erneuerung des deutfchen Dols. . . 14
—, Die wirtfchaftlichen Solgen des Sterilifierungsgefeges . . . 362
v. Trotba, Die Dafas. (Mit 6 Abb.) es wes. & 150
Das fagt an die Volkszählung vom 16. Juni 3 933? ‘ : 183
Dellgutb, £., Was wird da groß? (Mit 2 Abb. an , Tabelk) . : 164
—— x. S., £udwig Klages 60 Jabre . . ; 52
Raffe und Volt 9
Wiede rmann, §., Sind die oberfchlefifchen Holzkirchen Reſte germanis
ſchen Rulturgutes? (Mit 5 Abb.) . ‘ 68
Witte, %., Fleue Arbeiten zur Deutfchwerdung des Oſtens ee 48
Zaunert, D., Die Entwidlung des KRacolingersTypus . . .. s
Budybefpredungen.
Bie, R. Das tatholifde Europa (©. Rede) . ? ; : : ; . 304
Bod, S., Die germanifde Gotit (§. W.) . ‘ 23}
Bottder, R., Kunft und Runfterziebung im neuen Reich (S. Stengel) . : 233
Clauß, £. g, Die nordiſche Seele (B. B. Schulg) . 105
Deutſches Recht — Monatsſchrift des Bundes N.⸗“S. Deutſcher Zuriſten — W. v. 4) 108
Dürre, R., Erbbiologifcher und eugenifcher MWegweifer für Jedermann “ =) 158
£Effen, w, Die landliden Siedlungen in Litauen (R. Mielke) . ; 52
Srazer, 3. G., Menfh, Gott und Unfterblidleit (O. Rede) . 105
Oslitner, —* Volks⸗ und Raſſenkunde der en von Seieersdorf
(B.R. Schul) . : 306
Büntert, 4. Deutider Geiſt Eide) 107
Sectlein, S., Paret,©, Gsgler, P., Die "Römer in °_ Württemberg
(Sr. Wagner) ; : 133
AHeuber, Samilie und Steuer (%. w. v. A.) ; : . , : ; : 102
—, Hodfdule fir Politi® (4 OW. v. Auffeg) . : : : 134
%drdt, Db., Der Durchbruch der VDollheit und die Seule (Se. Dolte) ; . 53
Jabrbud des deutfchen Vereins für Samilientunde ite die € Uiceiofiowatifce
Republit (Graefe) . ‘ : 207
Jerel, 5. Malerei der Romantit (3. Se.) ; : : 53
JIsbert, O. A, Das fudweftliche ungarifde Mittelgebirge (9. "Graefe) e 53
Rleinfhmidt, ©., Burzgefaßte deutfche Raffentunde (£. v. Rutlowfli) . 184
Rlofe, %., Über Waldbienenzuct in Litauen und einigen Nachbargebieten att
mich) 208
Rndbl, A, Unterſuchungen in drei nordmäbeifchen Dörfern (mn. Heſch) 108
Roſſinna, G., Altgermaniſche Rulturhoͤhe (W. Schultz). 169
Rrieck, E. Hationalpolitifce Erziehung (£. Stengel v. Rutfowfti) . : 54
Reinner, £., Bevdllerungsftatitifde —— in —— iendgew inden
und Pfarreien (%. Graefe) . : 54
Kummer, &., Die deutfde Ehe (R. YD.) ‘ ; ; ; : . ; ; 109
—, Gott in Waffen (R. WO). ; : 2 : : . 54
Landmann, J. 4., Human Sterilization (€ Tirale) 5 : : : s 159
£awin, X., Die Bevölkerung von Oftpreufen (4. Witte) . 54
Sr. Wild. Pring 3. Lippe, Dom Raffenftil zur Staastegeftalt, Raffe und > Por
liti® (Diergug) ‘ 55
v. £Loefd, Das Antlig oer Grenslande. Der Nordoſten — BR. Seoul ‘ ; 134
Mähler, P., Die Urmenfhen (Richter) . : : ; ; 207
Müller, TH, Meifter gotifcher Plaftit (I. Sew.) . : ; : 56
Wicolat, 5 Die raffengefeglihe Rectslebre (4. DO. v. 4.) = 103
IV Inbaltsverzeichnis.
je _________
Seite
Pfatſchbacher, 5. Eugeniſche Ebebinderniffe (£. ©. : : . : 232
Raffe und Beift (A. Arnoldfen) . . : : ; : : 133
Rig., Blatter für germanifches Weistum (Dr. £.) . . ; 309
Ritter, O., Zur Anthropologie der Glawenszeit Schleſiens ©. Rede) ; : 160
Salter, K., Die Sebmaraner (MN. Aefd) . : : . ; 56
Sdheidt, W., Wiederfadfifde Bauern II (&. €brbarot) a : : ; ö 232
Scheumann, $. R., Belämpfung der Unterwertigteit (§. Dittmar). . 206
Schmidt, x, Die ftrafredhtliden Grundlagen der arena LG
Tirala) : ; : 206
Sdhwindrazbheim, ©., Deutfche Bauerntunft (Spannaus) : ; 2 : 307
Staemmler, M. Raffenpflege im vdltifden Staat (B. R. Schule) . ; 10
Tröge, W., Lucas Cranahy d. A. als genealogifhes Phänomen (MM. sete . 208
Weinert, %., Urfprung der Menfdbeit (O. Rede) . : : 110
Wolfram u. Oley, Elſaß⸗Lothringſcher Atlas (E. E. Stengel) 434
Aus Raſſenhygiene und Bevoͤlkerungspolitik.
Akademie fire aͤrztliche Fortbildung in Halle a. d. Saale 204
Aufruf der Deutſchen Geſellſchaft fur Vererbungswiſſenſchaft 204
Ausgaben für minderwertige Schüler . ‘ ; 156
Ausftellung über Raffentunde, Erblunde und Bevdlterungspoliti? in Münden : 287
Befhranttes Ebeverbot fir Gendarmeries, —— und Zollwachbeamte
in Oſterreich 99
Deutſche Geſellſchaft fuͤr Raffenbygiene 5 ; i ; 136 188 1% 208, 230
Deutſche Hodfcule fir Poltti® . s : ; ; : 229
Entweder — Oder (1 Abb.) . i $32
Entwidlung der Doltesablen bei den germanifchen, romanifden und ‘flawwifen
Vdlkern (2 Abb.) . . ‘ 155
Sortbildungsturfe für Raffentunde und Raffenbygiene in Sachſen .2863
Reichsinnenminiſter Dr. Frick fordert Raſſenkunde in der Schule 132
Franzoͤſiſche Bevdlterungspolitit (Dr. Hans Rrauf) . ‘ ; ; ; ; 255
Geburtenverbältniffe in Baden . s : ‘ ; : ; 355
Gefek zur Verbitung erbtranten Clachwudfes ‘ ; : ; : i 13}
Rinderzabl der Beamten . : ; : ; ae 230
Landesamt für Raffewefen in Thüringen : : . . : . 165
Kebensbhaltungstoften und Anftaltstoften (2 Abb.) . . ; ; . ; ; 2303
Kchrkanzeln für Raffenbygiene in Berlin und Münden . > : : : 287
Lettifcher Alarmruf. . : : : : 230
Llorwegen fordert biologifche Überprüfung der Einwanderer & de x : $83
Raffenbygienifhe Auflldrungsarbeit . 205
Raffenbygienifcher Arzte-Schulungsturs des Landesamtes für "Raffewefen in
Thüringen . ; $83, 267
Raffens und perecbungstundlider — in den preußifcen Sule : ; 208
Raffenpflege in der „Bamera” (Tr.) . : ‘ 25)
Reihsausfhuß für Volksgefundheitsdienft . ; ; 136, 205, 259
Sadcverftandigenbeirat far Bevditerungs: und Raffenpoitt ; , u’ 136
Schaffung eines bäuerliden Erbrecdhtes in Preußen . : , : : 155
Staatemedizinifche Alademie in Minden. 220
Stellungnahme eines führenden ee Seiklicen ui Unfrudrtbarmadung
Minderwertigerr . 100
Sterilifierungsgefeg in Horwegen : Ss © a & & 97, 156
Unfrudtbarmacdhung Minderwertiger in der Schweiz : : : ; . 97
Unfrudtbarmadhung Minderwertiger in den Vereinigten Staaten : ; : 97
Warum find Sıe nicht verheiratet? . | ‘ : : 258
Wir wollen teine Halbbeiten in Raffefragent (%. Schröder) : : . : 258
4 ;
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S Li 4 . - a
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Inhalt:
ee Goethes und feiner nädjften Vermanbten. * a Water |
| Raufchenberger. (Mit 12 Abbildungen)
Die Entwidlung des Karolinger-Typus. Bon Dr. Paul Zaunert, Raffel
— Urflawenheimat und Uliflawenmanderungen. (Sxptus Bon wt. *
Linz a. d Donau
Die Bevölkerung des oberen Lechtales. Von Dr. Bruno K. — aa
(Mit 12 Abbildungen und 6 Tabellen) .
1
Ein Deuticher der — — — der — — Bon O. ——
(Mit 1 Abbildung)
Deutide Volfstradten (Ill). Bon R. Helm. (Mit 2 farb. Tafetn) .
Veränderung deutjcher besuche um in den — Staaten. Von
Dr. Wilhelm Heidrich .
Nene Arbeiten zur Deutjchwerdung des Bee (Gortfepung Süden und
Siidoften.) Gon Archivdireltor i. RN. Dr. Hans Witte hl
Ludwig Klages 60 Jahre
Budbejprehungen . . .
Deutjiche Kunſtbücher
Dolfsbüder deutſcher Kunſt: Deutſche Volkstrachten
aus der Sammlung des Germaniſchen National⸗
Altdeutſche Malerei muſeums in Nürnberg. herausgegeben von Dr.
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Die deutiche Malerei im Zeitalter Goethes und 48 Kunitdrudtafel ür Werftbundmitalied
der Bejrteiungstriege. Der außerordentliche Reid) en an i — RM. 4.—. —
tum und die Gefühlstiefe deutſcher Malerei im Derf. hebt vor allem eini
ge Hauptziige heraus,
zeugen 19. Jahrhundert wird veranſchaulicht. bie die Gothit nad} Rafje und Blut auch bejonders
Meijter gotijder Plaftit als germanijche Kunit erweijen.
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Kunitbeilage zu „Volt und Rate" Aus: Helm, Deuticdhe Voltetrachten
I: $. £ebmanns Verlag, Hiünden
Dolf und Raffe
Flluftrierte Vierteljahrsfchrift für deutfches Volkstum
Herausgeber: Prof. Aidel (Riel); Dr. Bachtold (Gafel); Prof. Dethlefffen (Rdnigaberg
1. Pr.); Prof. Sebrle (Heidelberg); Prof. €. Sifcer (Berlin); Prof. Hambeudh (Samburg);
Prof. Helbot (Innsbrud) ; Prof. ©. Lehmann (Altona); Dr. £üers (Münden); Prof. Miele
(Hermsdorf b. Bin.); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Mud (Wien); Prof. Panzer
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. J. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dorts
mund); Prof. W.IN. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Königsberg); Prof. Schulges
— (Saaleck); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof.
rede (Röln); Dr. Zaunert (Wilbelmabdbe); Dr. Zeiß (Frankfurt / M.).
Scriftleitung der Zeitfchrift: Univerfitätsprofeffor Dr. Otto Rede, Gaugic
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Rurt Sdhulg, Minden, Fleubauferftr. 51.
Derlag: 3. §. Lehmann, Münden 2 SW., Paul HeyfesStrage 26.
Jehrlich erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jabrlih M. s.—, Einzelheft M. 2.—.
Poftichedlonto des Derlags Münden 129. . ::2::°. £
Poftfpartaffe Wien 59594. — Ronto bei der Bayerifcen Vereingbant’ Münden. —
Ronto bei der Rreditanftalt der Deutfchen e. &. m. b. 9%. Prag :II, Rrafaugrftraße -11 |
(Poftfpartaffentonto der Rreditanftalt: Prag 62 730). — Schweizerride Poftidtedtehuung —
Bern III 4845. Schwed. Doftfehedtonto Stodbolm 4367.
$. Jubrgang Heft 1 Januar (Wintermond) 1933
ea a EY
Der Verlag bebält fidh das ausfchließliche Recht der Dervielfältigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor.
Raffenmertmale Goethes
und feiner nächften Derwandten.
Don Dr. Walther Raufdenberger,
Direltor der Gendenbergifden Bibliothel, Srantfurt a. M.
Mit 12 Abbildungen.
oethe hatte nach der Schilderung des Arztes David Deit eine „männliche,
fehr braune Befictsfarbe!). Die Sarbe der Haare war gleichfalls braun,
im Derbältnis zur GBefichtsfarbe ziemlich bell. Die Augen waren völlig braun.
„Die Stirn ift außerordentlich fehön, fehdner als ich fie je gefeben“ (David Deit).
Über die Sorm des Befichts find wir durd die am Lebenden abgenommene Maste
von Shadow am ficberften unterrichtet (Abb. 9)12). Befonders charalteriftifdy ift
die große, vorfpringende, gebogene Llafe. Boetbhes Geftalt war über Mittelgröße,
der Oberkörper im Verhältnis etwas größer als der Unterfdrper, ähnlich wie
Homer den Odpifeus jchildert. Der Schädelinder war fehr hoch; er betrug etwa
35. Die im Goethebaufe in Weimar aufbewabrten Zylinderbüte laffen darüber
keinen Zweifel.
1) Dgl. Stahl, Srig: ,Wie fab Boetbe aus?“ Berlin 1904. — Schaeffer, Emil:
Boetbes dußere Erfcheinung. Leipzig 1914.
la) Erfter Ausguß aus Schadows Sorm 1810.
Dolf und Raffe. 1933. Januar. }
Abb. I. Gortbes Ururgroßvater Jobann
Wolfgang Tertor, geb. 1638, geit. 170)
Profefor der Redhte
Abb. 3. Goctbes Großmutter Anna Marg.
Tertor geb. £indbeimer; geb. 1711, geft. 1783
=
.
Abb. 5. Goetbes Mutter Catharina Llifabeth
geb. Tertor, geb. 1731, geft. 1808
1933.1
; N
4
Abb. 2. Goetbes Großvater Jobann Wolf:
gang Tertor, geb. 1693, geft- 1771
Abb. 4. Bruder der Srau Rat Or. Jobann
Joft Tertor, Ratsberr in Scantfurt a. Main
Abb. 6. Goethbes Water Job. Cafpar Goethe,
Wiirtl. Kaifecl. Kat, geb. s710, geft. 1782
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Abb. 9. Jobann Wolfgang Goetbe, Abb. jo. Goethes Gobn Auguit Waltber
geb. 3749, get. 1832, Maske v. Schadow v. Goethe, geb. 1780, geit. 18350
Abb. . Goetbes Groß⸗Neffe Franz Nico— Abb. 12. Goethes Groß⸗Neffe Alfred Nico—⸗
lovius, Beneralproturator, geb. 1797, geit. 1878 lovıus, Prof. der Rechte, geb. 1800, get. 1800
*
}
4 Volt und Kaffe. 1933, I
Der Pater Goethes (Abb. 6) hatte blaue Augen und wabrfcheinlich belle
Haare, ſchwach betonte Jochbeine, vorfpringende, hobe Miafe, ziemlid) fdmales Bes
fidt und trug fid fteif. Man kann dSemnad annebmen, dag in ibm eine Reibe
Kigenfchaften der nordifchen Raffe vertreten waren. Jn Übereinftimmung
damit fteben feine feelifchen Eigenfchaften: feine Gründlichkeit, Gediegenbeit, Pes
danterie, Kigenbrötelei, feine pädagogifhe Hartnädigkeit, fein fchwerfälliges
Wefen und fein ftarter Sammekeifer. Ein neu aufgefundenes, von Tifdbein d. A.
gemaltes Bild läßt in der Sorm der Flafe auch einen dinarifchen Cinfdlag ver:
muten und zeigt eine fo große Abnlichkeit mit feinem Sohne, daß man es beinabe
fur ein Bild von Goethe felbft halten könnte).
Die Bilder der väterlichen Großeltern find leider verloren gegangen (fie
waren, folange die Samilie am Hirfchgraben wohnte, vorhanden). Dody baben
wir die Schilderung, die Goethe in „Dichtung und Wahrheit‘ von feiner Grogs
mutter gibt („einer fehonen, bageren, immer weiß und reinlich gelleideten Srau.
Sanft, freundlid), woblwollend ift fie mir im Gedächtnis geblieben“). Der väter:
lihe Großvater, der aus dem nördlichen Thüringen (Boldene Aue) ftammte,
zeichnete fich durch eine ungewöhnliche Aktivität aus; er erwarb durch eigenen
Steig und durch Heirat ein großes Dermdgen, das die Grundlage des Aufftiegs
der Samilie Goethe wurde.
Goethes Schwefter, die überwiegend dem Vater nadhfchlug, zeigte in der
Wefensart viel von ihm (Meigung zu Kigenbroötelei, pfychopatbifche Belaftung).
Lieben nordraffifchen Merkmalen ift ein dinarifcher Einfchlag nach) der Größe und
Sorm der Llafe anzunehmen (Abb. 7 u. 8) 23).
Ein ganz mertwürdiger Typus tritt uns in Goethes Mutter entgegen. Das
befannte Bild en face, das als fehr Ahnlich bezeichnet wird (Abb. 5), zeigt in
den bodhgefbwungenen, ftarten Augenbrauen, der Sorm der Ylafenfpige, dem
Mund, befonders aber in der Struktur und den Ausdrud der dunklen Augen neben
einem nordraffifchen einen mediterranen und orientalifchen Einfhlag. Auch auf
einem Jugendbildnis ift diefer Zug fichtbar. Auf feelifchem Gebiet fällt ihr uns
verwüftlicher Optimismus, die bewußte Sernbaltung aller traurigen Zindrüde,
ihre ungewöhnlich ftarke Lebensbejabung, eine geradezu altteftamentliche Srömmig:
keit, eine große Einfühlungsgabe und Runft der Mienfchenbebandlung auf, Cigen:
fchaften, die den Außeren der Srau Rat zum mindeften nicht widerfprechen. Haare
und Augen waren duntel.
Beim Water der Srau Rat ift bei der Breite des Befichts und der dunklen
Pigmentierung alpiner Einfhlag zu vermuten. Auf alle Salle find bei ibm die
Sarbe von Haar und Augen, fowie die Gefichtsbildung unnordifch (Abb. 2). In
feelifher Richtung find feine ruhige, befchauliche Art und feine große Bewandts
beit in der Behandlung von Mienfchen bervorzubeben. Bei der Großmutter Tertor
geb. Lindbeimer (Abb. 3) treten nordifche Züge gemifcht mit mediterranen auf
in dem ftrengen Befichtsausdrud, dem „Kerrfcherblid‘‘, der Schmalbheit und Lange
des Gefichts, in den dunklen Haaren und Augen. Auch bei ihrem Gobn (Abb. 4)
und ihrem Ururgroßvater Johannes Steuber, der in feiner Dielfeitigkert etwas an
Boetbe erinnert, ift neben nordifchem mediterraner Einfchlag zu vermuten.
Beim Sohn Goethes endlich treten wenigftens auf einem (bisher nicht vers
2) Das Bild ift hier nicht wiedergegeben, da noch nicht ficher feftfteht, daß cs Goethes
Dater darftellt.
2a) Das neu aufgefundene von Morgenftern berrübrende Bild (Abb. 7) wird als das
wertvollfte bezeichnet.
1933, 1 WD. Raufdenberger, Raffenmertmale Goetbes u. feiner nächften Derwandten. 5
EEE EEE
öffentlichten) Bild (Abb. 10) Züge auf, die an die vorderafiatifche Raffe gemabnen.
Ausdrüdlich bemerkt fei an diefer Stelle, daß ein judifcher Einfchlag unter Goethes
Vorfahren nirgends nachweisbar ift. Die Lliamen Lindbeimer, ODeilburger, von
Marrbeim ufw., die in feiner Ahnentafel auftreten, bezeichnen die rperkunft dtefer
Samilien von beftimmten Orten; fie beftanden nachweisbar lange, ebe die Juden
auf das Editt Jofephs II. Samiliennamen annabmen. AHervorzubeben ift endlich
noch, daß zwei Grogneffen Goethes, Alfred und befonders Sranz3 Wicolovius
(Abb. 32 u. 31), Abnlichkeit mit Boetbe nachgeruhmt wurde. Auch ein Entel der
Tante Melber, Georg Sriedrih Melber, zeigte eine entfernte Abnlichkeit mit
Goethe. Bei allen diefen ift dinarifcher Einfchlag erkennbar.
So feben wir alfo bei den nädhften Blutsverwandten Goethes Merkmale
faft aller europäifchen Raffen vertreten. Damit baben wir den richtigen Auss
gangspuntt für die Beurteilung Boetbes felbft gewonnen. Reineswegs darf er
als ganz, kaum als überwiegend nordraffifch betrachtet werden, wie dies Chbams
berlain tut. Vielmehr baben wir in ibm ein Außerft zufammengefegtes Ges
bilde vor uns. Vorausgefchidt fei, daß in. Boetbe eine felten vollendete Mifchung
von Merkmalen europäifcher Raffen vorliegt. Ganz wenige Geifter haben fid
der Menfchheit fo tief eingeprägt wie er; dies gilt auch von feinen Befichtszügen.
Flur wenige große Menfchen baben ihrem Keben und Schaffen die Dollendung
geben können, woran allerdings Goethe felbft ein großes perfönliches Derdienft
zuzufchreiben ift. Goethes Typus ift deshalb fo einheitlich, weil die Raffen, die
in der Hauptfache feine Züge geprägt baben (die nordifche und die dinarifche),
über die ausdrudsvollften Linien verfügen und von ihren Erbanlagen die zus
einander paffenden auf Goethe vererbt haben; eine Reihe von großen Perfönlidhs
keiten von Platon und Dante bis zu Schiller, Lifzt und Ridard
Magner zeigen Züge diefer Raffen; bei Goethe kommt noch ein Einfchlag medis
terraner Raffe hinzu. Goethes Zuge find nordifhsdinarifchsmediterran.
Mit diefer Seftftellung ift zugleich Boetbes Wefen am kürzeften charalterifiert.
Kordifch ift Boetbe in feiner Befamtlebensfübrung. Flordifch ift feine
große Ordnungsliebe und fein ftarker Gamme\ltrieb, die beide vom Vater
vererbt find. Man kennt Goethe erft dann ganz, wenn man feine ausgedehnten
Sammlungen auf allen Gebieten betrachtet. Tordifd ift Goethe ganz bes
fonders in feiner innigen Ainneigung zur Katur, feinem völligen Hingegebens
fein an fie. Flordifch ift er in der tiefen Ehrfurcht, mit der er fich in die Klatur
und jede einzelne ihrer Erfcheinungen verfentt, nicht minder in feinem Beftreben,
fide ftets aus erfter Quelle durd eigene Beobachtung zu unterrichten.
Diefes Streben geftattet ihm felbftändige Entdedungen auf dem Gebiet des Ors
genifchen. Boethe lehnt die mechanifche Klaturauffaffung ab. Seine Auffaffung
der Klatur darf als eine organifche bezeichnet werden. Die Bedeutung Goethes
in diefer Richtung ift noch nicht in vollem Umfang erkannt. Sein Derbältnis zur
Hatur ift das Tieffte und Broßartigfte feines Wefens; es trägt einen religidfen
Charakter. Die Klatur ift ibm in allem die böchfte und letzte Inftanz. Sie kann
nie irren, fie behält immer Recht; der Irrtum ift ftets bei den Menfchen, nie bei
ihr. „Die Klatur betümmert fic nicht um irgendeinen Irrtum; fie felbft kann nicht
anders als ewig recht handeln, unbetümmert, was daraus erfolgen möge‘ (Goethe).
Diefe tiefe Derbundenbeit mit der Klatur bringt es mit fich, daß Boetbe felbft ein
Stüd Viatur ift; daber feine Werke nie veralten werden, fondern immer jung
bleiben. Der nordifche Raffeneinfchlag ift in diefem Punlte ganz befonders bes
dseutjam für Goethes Befamtperfönlichkeit und Rünftlertum. — Nordiſch iſt
6 Dolt und Kaffe. 1933, I
®oethe ferner in feinem ausgefprodenen Indsividualismus. Ibm erfhdopft
fid) alles Denfen und Didten im Einzelwefen und feinen Problemen. Sür
ftaatliche Dinge bat er geringeres Jntereffe und Derftändnis, weil fie ibm zu
fehr als Menfchenwerk erfcheinen. Aud die ungewöhnliche Keidlofigleit
ift zu nennen, mit der er befonders den jüngeren Schiller neben fic auflommen
läßt und feine dichterifche Entwidlung in unmittelbarfter Liähe erlebt und felbft
fördert. — Liordifch ift weiter Goethes geiftiges Auge, die Art, wie er die Dinge
fiebt, fein Derbalten zur Welt, das fein Zergliedern, fondern ein ununter=
brodenee Schauen ift. Das Auge beberrfcht Boetbes ganzes Wellen; alle
anderen Sinne treten dagegen in den Hintergrund. Alles, was er dichtet und
fchreibt, ift anfhaulicdh. Lenz?) fehreibt über den nordifchen Menfden u. a.:
„Der nordifche Menfch denkt anfchaulidh in Bildern, er ift ‚zum Seben geboren
und Schauen beftellt‘ (Boetbe). Die böchfte Schönbeit findet er in der Geftale.
Seine künftlerifche Begabung liegt dengemäß auf dem Gebiet der bildnerifcdyen
Sormgeftaltung. Wir finden in diefer Charalterifierung wefentlice Fuge Goetbes
wiedergegeben. Wir müffen deshalb die Rraftder Unfdauung und die Ge-=
ftaltungstraft als einen vorwiegend nordifchen Zug Goethes bezeichnen.
In dem ftark bildnerifchen Zug feines Wefens ift indes Goethe den Hellenen
fo tief verwandt, daß man bei ibm an eine ähnliche Blutmifchung denten muß
wie bei jenen und deshalb auc der mediterranen Raffe*) einen Anteil an
Goethes Rünftlertum wird zugefteben müffen, worauf audy Boetbes entſchiedenes
Ablebnen alles Abftratten hindeutet. Cur fo ift Goethes tiefe Liebe zu den Griechen
verftändlich, fein Ausfpruch: „Ein jeder fei ein Grieche in feiner Art, doch er fei’s!““
Beide Raffen, die nordifche und mediterrane, find miteinander verwandt und baben
ihren Bünftlerifchen Schwerpuntt in der Geftalt, dem Sinn für Sormen.
Auch andere Kigenfchaften deuten (neben Goethes Befichtszügen) auf einen
mediterranen Einfchlag bin, fo feine befonders in der Jugend auffallende, ftarke
Erregbarkeit (Zornmütigleit), die er felbft an fid tadelt, und die mit anderen
KEigenfchaften, wie feiner großen Ordnungss und Sriedensliebe, in merkwurdigem
Rontraft fteben.
Boetbe bat neben männlichen Eigenfchaften einen weiblichen Zug im Wellen.
€r tann nur das als vollendetes Runftwerk fchaffen, was er menfchlich-perfönlich,
in der Regel mit Srauen, feelifch erlebt bat. Er wird vom Erlebnis gleidh=
fam befrudtet. Während männlich geartete Dichter aus der Idee heraus
dichten, Jdeendichter find (Schiller, Shatefpeare), ift Boethe ganz an das Erz=
lebnis gebunden. Goethe wurde ferner leicht zu Tränen gerührt. „Hermann
und Dorothea kann er nicht vorlefen, obne zu weinen. Beim Llachdenten über
„Wilhelm Meifter‘‘ weint er „bitterlich‘‘, zu Rarolinen Herder fagt er, er babe
14 Tage vor feiner Abreife aus Rom täglich „wie ein Rind geweint“. +yierin
liegt eine mertwürdige Abnlichkeit mit den Mediterranen, die leicht weinen. Die
legte Bemerkung läßt daneben feine tiefe innere Verbundenheit mit dem Süden
erkennen. Boetbe wird in Rom faft zum Romer.
Aud) Goethes Liebesleben trägt einen von der LIordraffe abweichenden Zug.
Es ift bier nicht nur die Vielfeitigkeit feines Liebeslebens zu nennen, fondern vor
allem die Tatfache, daß er fo oft und fo heftig feelifch verliebt ift, ferner,
daß feine Phantafie fo ftark erotifch gefärbt ift, und daß er in einer eigens
8) Dal. BaursSifdersLen3: Menfdlide Erblichkeitsichre und Raffenbygiene,
3. Aufl. 1927, 3. 551.
4) Die Rheingebiete entbalten vielfach einen mediterranen Zinfchlag.
1933, 1 WD. Raufchenberger, Raffenmertmale Boetbes u. feiner näcdhften Verwandten. 7
artigen Einftellung zum Weiblichen als foldhem verbarrt. Er kann ohne ein weibs
liches Wefen überhaupt nicht leben; er befindet fich fozufagen dauernd im Banns
treis des Weibliden. Ken 35) nennt Goethes „brennende erotifche Pbantafie“ „uns
mittelbar geiftesverwandt mit der des oben Liedes‘ und vergleicht feine Lyrik
mit der Heines: er hält einen vorderafistifchen Kinfchlag für wahrfcein«
lid. Goethes mütterlidhe Vorfahren ftammen großenteils aus der fruchtbaren
Metterau, die 400 Jahre von Römern befiedelt war. Die römifchen Soldaten der
Raiferzeit famen vorwiegend aus Vorderafien und waren ftets von Händlern
vorderafiatifcher Raffe begleitet‘). Außerdem enthält das hoch: und fuddeutfche
Sprachgebiet, dem Boetbes Ahnen entftammen, einen nicht unerbeblichen Zufat
dinarifden Blutes. Auf einer Reihe von Bildern Goethes ift der von Lenz vers
mutete Cinfdlag erfennbar, fo befonders auf dem Profilbildnis von G. MN. Rraugs
(3775), den Bildern von Georg Oswald May (1779), dem Olbild von FJofeph
Friedrich Darbes (1785) u. a. Die Catfade, daG mebrere KRunftler unabbangig
voneinander diefen Zug feftgebalten haben, ift dabei zu berudfichtigen.
Diefem Wefenszug entfpricht audy, Boetbes Sprache. Sie bat zumal in
fpäteren Jahren mebr etwas Derbüllendes, Bebeimnisvolles als Bar
Ausgefprochenes. Goethes Schreibweife wirkt befänftigend, nirgends aufs
regend. Sie vermeidet fchbarf umriffene Ausdrüde, bat häufig etwas Magifches,
Oratelbaftes. Das Gefagte gilt aud in fachlicher Sinficht. Goethe ver:
fhliegt die Augen vor allen barten, vor allen fcarfen Wabrbeiten, worauf
wieder Lenz?) binweift. Traurige und unangenehme Eindrüde bält er fic
ängftlich fern, wie feine Mutter es tat. Aufs engfte hängt damit zufammen ein
undramstifcher Zug zumal des Älteren Boetbe; noch Eennzeichnender ift fein Mangel
an edhtem Humor.
Im Einklang damit fteht Goethes Weltauffaffung. Gie ift untragifc.
Der Grundton feines Wefens ift optimiftifch; er erinnert an die ähnliche Welts
auffaffung gewiffer Teile des alten Teftaments. Im Grunde ift alles gut;
das Bofe und Schlechte ift nur ein minder Gutes, das der Welt zur Süllung,
nicht 3um Wefen dient. Goethes Weltanfheuung im engften Sinn bildet fidh
im Anfchluß an Spinoza aus. Sie vermeidet jeden Dualismus. Einen Begenfat
zwifchen Bott und Welt gibt es bei ibm nicht. Alles ift Gott: Matur.
Zu nennen find in diefem Zufammenbang Goethes große Gabe der Eins
füblung in fremde Menfcben und Rulturen, feine Dorliebe für die vorders
afiatifchen Dichter, feine ftarte Lebensbejabung und feine tosmopolitifche
®efinnung. .
Sufammenfaffend muG gefagt werden, daß in Goethe eine der großartigften
Gynthefen nordlicen und füdlichen Wefens vorliegt. Es bandelt fic um eine
ähnliche Blutmifchung, wie bei den Hellenen zur Zeit ihrer Blüte. Die Tiefe und
Schöpfertraft ift bet Goethe wie bei den Griechen vorwiegend nordifches, die
Beweglichkeit und leicht entzundbare Phantafie vorwiegend mediterranes und
vorderafistifches Erbgut. Eine Reihe von Wefenszügen wird dadurdy verftänds
lich: feine tiefe Liebe zur Antike, befonders den Griechen, feine Hinneigung zu
Viapoleon (die von Lapoleon erwidert wird), feine ganz ungewöhnliche Diels
feitigkeit, feine kosmopolitifche Gefinnung ebenfo wie der Umftand, daß er uns
5) Dgl. BaursSifders Lenz: Menfdblide Erblichleitsiehre und Raffenbygiene,
3. Aufl. S. 579 f.
6) aa. O.
) a. a. O.
Er pz agen Poms |
Dolf und Raffe
SMuftrierte Dierteljabrefchrift für Seutfdes Dolfstum
Herausgeber: Prof. Aicel (Riel); Or. Bachtold (Bafel); Prof. Dethlefffen (Rdnigeberg
1. Pr.); Prof. Sebrle (Heidelberg); Drof. £. Sifcher (Berlin); ‚Prof. Hanıbruh (Hamburg);
Prof. Aelbot un, Prof. . Lehmann (Altona); Dr. £üers (Münden); Prof. Mielke
(Hermsdorf b. Bln.); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Mud (Wien); Prof. Panzer
(syeidelberg) ; Dr. DPeßler (Hannover); Prof. 3. een (Berlin); Prof. Sartori (Dorts
mund); Prof. W.M. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulges
ee (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof.
rede (Röln); Dr. Zaunert (MWilbelmsböbe); Dr. Seif (Srantfurt/M.).
Schriftleitung der Zeitfohrift: Univerfitätsprofeffor Dr. Otto Rede, Baugicdh
bei Leipzig, Ring 35, und Or. phil. Bruno Rurt Shulg, Münden, Heubauferftr. BI.
Derlag: I. 5. Lehmann, Münden 2 SW., Paul Hepfe-Straße 26.
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$. Jahrgang ryyeft ) Januar (LOintermond) 1933
ee
Der Verlag bebalt fi) das ausfchließliche Recht der Dervielfaltigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrdge vor.
Reffenmerkmele Goethes
und feiner nächften Verwandten.
Don Dr. Walther Raufchenberger,
Direktor der Sendenbergifchen Bibliothek, Srantfurt a. M.
Mit 12 Abbildungen.
oethe hatte nach der Schilderung des Arztes David Deit eine „männliche,
fehr braune Befichtsfarbe‘‘!). Die Sarbe der Haare war gleichfalls braun,
im Derhältnis zur Gefidtsfarbe ziemlich bell. Die Augen waren völlig braun.
„Die Stirn ift außerordentlich fehön, fehöner als ich fie je gefeben“ (David Veit).
Über die Sorm des Befichts find wir durdy die am Lebenden abgenommene Maske
von Shadow am ficherften unterrichtet (Abb. 9)12). Befonders charalteriftifch ıft
die große, vorfpringende, gebogene Yafe. Goethes Geftalt war uber Wittelgroge,
der Oberkörper im Verbältnis etwas größer als der Unterkörper, ähnlich wie
Homer den Odyffeus fehildert. Der Schädelinder war febhr hoch; er betrug etwa
85. Die im Goethehaufe in Weimar aufbewabrten Zplinderbüte laffen darüber
keinen Zweifel.
1) Dgl. Stabl, Srig: ,Wie fab Goetbe aus?“ Berlin 1904. — Schacffer, Emil:
Goethes Außere Erſcheinung. Leipzig 1014.
1a) Erſter Ausguß aus Schadows Form 1810.
Dolf und Raffe. 1933. Januar. !
Abb. 1. Gortbes Ururgroßvater Jobann
Wolfgang Tertor, geb. 1638, geft. 170)
Profefor der Redhte
“adie ety ’
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Abb. 5. Goethes Mutter Catharina Sliſabeth
geb. Tertor, geb. 1731, geft. 1808
1933, I
>
Abb. 2. Boetbes Großvater Jobann Wolf:
gang Tertor, geb. 1693, geft- 1771
Abb. 4. Bruder der Srau Rat Dr. Jobann
Joft Tertor, Rateberr in Srantfurt a. Main
MWirtl. Raiferl. Rat, geb. 1710, get. 1782
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7
—
AL. m
Abb, 8.
Abb. 9. Jobann Wolfgang Goetbe, Abb. yo. Goethes Gobn Auguft Waltber
geb. 1749, get. 1832, Maste v. Shadow v. Goetbe, geb. 1780, geit. 1830
Abb. . Goethes Groß⸗Neffe Franz Nico⸗ Abb. 12. Goetbes Groß⸗Neffe Alfred Nico—
lovius, Generalproturator, geb. 1797, geit- 1878 lovıus, Prof. der Rechte, geb. 1800, geft. 1800
*
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4 Dolt und Kaffe. 1933, I
EEE Er EEE RETTET TEE a EE ea PO NEN ek TP ay)
Der Vater Goethes (Abb. 6) hatte blaue Augen und wabrfdeinlid belle
Syaare, [hwach betonte Jochbeine, vorfpringende, bobe Kiafe, ziemlich fchmales Ges
fiht und trug fich ftäif. Man kann demnady annehmen, daß in ihm eine Reibe
Kigenfchaften der nordifchen Kaffe vertreten waren. In Übereinftimmung
damit ftehen feine feelifchen Eigenfchaften: feine Gründlichkeit, Bediegenbeit, Pes
danterie, Ligenbrotelei, feine pddagogifcde Hartnädigkeit, fein fchwerfälliges
Wefen und fein ftarter Gammeleifer. Cin neu aufgefundenes, von Tifdbein d. a.
gemaltes Bild läßt in der Sorm der afe aud einen dinarifden Einfchlag vers
muten und zeigt eine fo große Abnlichkeit mit feinem Sobne, daß man es beinabe
für ein Bild von Goethe felbft halten könnte).
Die Bilder der väterlichen Großeltern find leider verloren gegangen (fie
waren, folange die Samilie am Hirfehgraben wohnte, vorbanden). Doch baben
wir die Schilderung, die Boetbe in „Dichtung und Wabrbeit von feiner Grogs
mutter gibt („einer fehönen, bageren, immer weiß und reinlich gekleideten Srau.
Sanft, freundlich, wohlwollend ift fie mir im Gedächtnis geblieben“). Der väters
lie Großvater, der aus dem ndrdlichen Thüringen (Boldene Aue) ftammte,
zeichnete fich durch eine ungewöhnliche Aktivität aus; er erwarb durch eigenen
Sleiß und durch Heirat ein großes Dermögen, das die Grundlage des Aufftiegs
der Samilie Goethe wurde.
Boetbes Schwefter, die überwiegend dem Vater nadfchlug, zeigte in der
Mefensart viel von ihm (Feigung zu Zigenbrötelei, pfychopatbifche Belaftung).
Lieben nordraffifchen Merkmalen ift ein dinarifcher Einfchlag nach der Größe und
Sorm der Flafe anzunehmen (Abb. 7 u. $) 24).
Ein ganz mertwürdiger Tppus tritt uns in Goethes Mutter entgegen. Das
befannte Bild en face, das als febr ähnlich bezeichnet wird (Abb. 5), zeigt in
den bochgefhwungenen, ftarten Augenbrauen, der Sorm oder Llafenfpige, dem
Mund, befonders aber in der Strultur und dem Ausdrud der dunklen Augen neben
einem nordraffifchen einen mediterranen und orientalifchen Einfchlag. Aud auf
einem Jugendbildnis ift diefer Zug fichtbar. Auf feelifchem Gebiet fällt ihr une
verwüftlicher Optimismus, die bewußte Sernbaltung aller traurigen Zindrüde,
ihre ungewöhnlich ftarte Lebensbejabung, eine geradezu altteftamentliche Srömmigs
keit, eine große Einfüblungsgabe und Runft der Mienfchenbebandlung auf, Kigen:
jbaften, die den Außeren der Stau Rat zum mindeften nicht widerfprechen. Haste
und Augen waren duntkel.
Beim Water der Frau Rat ift bei der Breite des Geſichts und der dunklen
Pigmentierung alpiner Zinfcblag zu vermuten. Auf alle Salle find bei ihm die
Sarbe von Haar und Augen, fowie die Gefichtsbildung unnordifch (Abb. 2). In
feelifeher Richtung find feine rubige, befebauliche Art und feine große Gewandts
beit in der Bebandlung von Hlenfchen bervorzubeben. Bei der Großmutter Tertor
geb. Lindbeimer (Abb. 3) treten nordifchbe Zuge gemifcbt mit mediterranen auf
in dem ftrengen Gefichtenusdrud, dem „Kyerrfcberblid‘“‘, der Schmalbeit und Länge
des Gefichte, in den dunklen Kyaaren und Augen. Auch bei ihrem Sobn (Abb. 4)
und ibrem Ururgrogvater Jobannes Steuber, der in feiner Vielfeitigkeit etwas an
Goethe erinnert, ift neben nordifcdem mediterraner Linfclag zu vermuten.
Beim Sobn Goethes endlich treten wenigitens auf einem (bisher nicht vers
) Das Bild ift hier nicht wiedergegeben, da noch nicht ſicher feſtſteht, daß es Goethes
Mater derftellt. :
2a) Daa neu cufgefundene von Morgenjtern berrübrende Bild (bb. 7) wird als das
wertvollfte bezeichnet.
1933, 1 X. Raufcyenberger, Raflenmertmale Boetbes u. feiner nächften Derwandten. 5
BEER ee ae
oͤffentlichten) Bild (Abb. 10) Zuͤge auf, die an die vorderaſiatiſche Raſſe gemahnen.
Ausdruͤcklich bemerkt ſei an dieſer Stelle, daß ein juͤdiſcher Einſchlag unter Goethes
Vorfahren nirgends nachweisbar iſt. Die Namen Lindheimer, Weilburger, von
Marrheim ufw., die in feiner Ahnentafel auftreten, bezeichnen die Herkunft diefer
Samilien von beftimmten Orten; fie beftanden nachweisbar lange, ebe die Juden
auf das ditt Jofephs II. Samiliennamen annahmen. Hervorzuheben ift endlich
noch, daß zwei Broßneffen Goethes, Alfred und befonders Stanz Hicolovius
(Abb. ı2 u. 11), Abnlichkeit mit Goethe nachgeruhmt wurde. Auch ein Enkel der
Tante Melber, Georg Sriedrid) Melber, zeigte eine entfernte Abnlichkeit mit
Goethe. Bei allen diefen ift dinarifcher Einfchlag erkennbar.
So feben wir alfo bei den nächften Blutsperwandten Goethes Merkmale
faft aller europäifchen Raffen vertreten. Damit haben wir den richtigen Auss
gangspunft für die Beurteilung Goethes felbft gewonnen. Reineswegs darf er
als ganz, kaum als überwiegend nordraffifch betrachtet werden, wie dies Chams
berlain tut. Vielmehr haben wir in ibm ein dußerft zufammengefetztes Ges
bilde vor uns. Dorausgefchidt fei, daß in Goethe eine felten vollendete Mifchung
von Merkmalen europäifcher Raffen vorliegt. Ganz wenige Geifter haben fic
der Mienfchheit fo tief eingeprägt wie er; dies gilt auch von feinen Gefidtszugen.
ur wenige große Menfchen baben ihrem Leben und Schaffen die Vollendung
geben können, woran allerdings Goethe felbft ein großes perfönliches Verdienft
zu3ufchreiben ift. Goethes Typus ift deshalb fo einheitlich, weil die Raffen, die
in der Hauptfache feine Züge geprägt baben (die nordifdye und die dinarifche),
über die ausdrudsvollften Linien verfügen und von ihren Erbanlagen die zus
einander paffenden auf Goethe vererbt haben; eine Reihe von großen Perfönlidy
keiten von Platon und Dante bis zu Schiller, Lifzt und Richard
Wagner zeigen Züge diefer Raffen; bei Goethe fommt noch ein Einfchlag medis
terraner Raffe hinzu. Goethes Züge find nordifchsdinarifhsmediterran.
Mir diefer Seftftellung ift zugleich Boetbes Wefen am kürzeften charalterifiert.
Hordifch ift Goethe in feiner Gefamtlebensfübrung. Flordifch ift feine
große Ordönungsliebe und fein ftarter Sammeltrieb, die beide vom Vater
vererbt find. Wan tennt Goethe erft dann ganz, wenn man feine ausgedehnten
Sammlungen auf allen Gebieten betrachtet. Clordifd ift Goethe ganz bes
fonders in feiner innigen SHinneigung zur Matur, feinem völligen Hingegebens
fein an fie. Ylordifd ift er in der tiefen Ehrfurcht, mit der er fich in die Klatur
und jede einzelne ihrer Erfcheinungen verfenkt, nicht minder in feinem Beftreben,
fidy ftets aus erfter Quelle durh eigene Beobahbtung zu unterrichten.
Diefes Streben geftattet ibm felbftändige Entdedungen auf dem Gebiet des Ors
ganifchen. Goethe lehnt die mechanifche Kraturauffaeffung ab. Seine Auffaffung
der Llatur darf als eine orgamifche bezeichnet werden. Die Bedeutung Goetbes
in diefer Richtung ift noch nicht in vollem Umfang erkannt. Sein Derbältnis zur
Natur ift das Tieffte und Broßartigite feines Wefens; es trägt einen religiöfen
Charakter. Die Matur ift ibm in allem die Hdchfte und letzte Inftanz. Sie kann
hie ieren, fie behält immer Recht; der Jrrtum ift ftets bei den Menfchen, nie bei
ihr. „Die Klatur betümmert fich nicht um irgendeinen Irrtum; fie felbft kann nicht
anders als ewig recht handeln, unbetümmert, was daraus erfolgen möge“ (Boetbe).
Diefe tiefe Derbundenbeit mit der Katur bringt es mit fich, daß Goctbe felbft ein
Stüd Hatur ift; daber feine Werke nie veralten werden, fondern immer jung
bleiben. Der nordifhe Raffeneinfchlag ift in diefem Punkte ganz befonders bee
deutjam für Goethes Befantperfönlichkeit und KRünftlertum. — Nordiſch iſt
242 Volt und Kaffe. 1932, IV
SE ge a ae a ae ea a a Ng ge ae ee Ce EEE EEE
land auf der Grundlage der Siedlungsformenforfhung (Mitteilg. wie vorft. 36. Jabresfdr.
1927/28. Plauen 1928, S. 1 — 215), die deutfche Rolonifationsfrage mit einem großen DOurf
zur Löfung zu führen verfudt. Dies wichtige Werk ift den Kefern diefer Zeitjchrift durch
%. Seip’ Befprechung (Voll u. Raffe 3. Ig., 1928, S. ı89f.) fhon belannt gemadt
worden. Bei im wefentliden gleider Beurteilung möchte ich nur einiges Grundjaglide
antnüpfen. Die Benugbarteit dec Slurkacten ift in legter Zeit verfciedentlid angesweifelt
worden mit dem Hinweis auf etwaige vor unferen dlteften Rarten liegende Deränderungen
in der Slureinteilung, die es unmöglich machen, in unferm verbältnismäßig fpäten Rartens
material ein unmittelbares Abbild der durch die deutfche Wiederbefiedlung gefchaffenen 3. TI.
fogar nod vor ihr liegenden Agrarverbältniffe zu feben. Keipoldt bat jogar mit einem
belonbers fpäten Material gearbeitet: feine Slurkarten gebdren weitaus überwiegend erft
dem 19. Ib. an, 3. TI. erft deffen Mitte! Bleihwohl meint er feftftellen zu können, daß die
„Siedlungen feit dem Abfchlug der oftdeutfchen Rolonifation im Vogtland bis in die Zeit
8 ... Slurkartenmaterials in ihrer Sorm nie grundlegend verändert worden“ find, das
Siedlungsbild des 19. Ib. entfpredhe in den Brundzügen noch der urfpringliden Anlage
(S. 26). Und wenn nun auf feinen Überfichtstarten das Gebiet des flawifden Blodtypus
mit dem der flawifchen Ortsnamen fowie dem des dlteften waldfreien Siedlungslandes in
einer geradezu fcblagenden Weife übereinftimmt, fo feheint mir mit diefer nachgewielenen
dreifachen Übereinftimmung in der Tat die Probe auf das Erempel gemadt zu fein.
Man darf aber deswegen nicht glauben, daß jetzt alle Slurkarten, auch die des 19. Ib.,
eine unbezweifelbare Widerfpiegelung des durch die deutfche Rolonifation gefdaffenen
Siedlungszuftandes fein müßten. Im Gegenteil wird man ftets mit der Möglichkeit Alterer
Regulierungen, die das urfprüngliche Bild mehr oder weniger verändert haben, rechnen
müffen. Sicher befteben bierin von Landfchaft zu Landfchaft große Verfchiedenbeiten. Cine
ftrenge Prüfung diefer Srage ift in jedem Salle dringend erforderlih. Sie geihiebt am
beften durch einen Vergleich der Verbreitung der verfdiedenen Slurtypen der Gegend mit der
wiederbergeftellten Urlandfchaft und den Ortsnamen. Dies alles muß zufammenftimmen,
wie es auch bei Leipoldt der Salt ift.
Auf der fo gewonnenen, gejicherten Grundlage bat Leipoldt die Slurkarten ausgenugt
mit einer Rühnbeit, die die von Job. Solkers geübte Zurüdbaltung (vgl. oben S. 58)
weit binter fi läßt. Licht allein daß er den flawifchen Blodtypus von den deutichen
Gewenns oder Belängeformen und den Waldbhufen reinlich fcheidet, er ftellt uns unter feinen
nicht weniger als 38 Sormentypen aud eine Sille von Sonders und Übergangsformen bin,
die die Regulierung bzw. Durddringung altflawifcher Dörfer mit eingewanderten Deutfchen
oder auch das a beider Volker auf neubefiedeltem Boden in verfchiedenen
Abfchattierungen erkennbar machen. Man wird biernach mit den Zweifeln an der Derwends
barkeit der Slurkarten für Zwede der Hetionalitätenforfhung zurüditeden müffen.
. Näber auf diefe Dinge und auf die reichen Ergebniffe diefer Arbeit einzugeben, ift in
diefem Zufammenbange leider nidt moglid. Tur das fei noch gefagt, daß Leipoldt Rund»
ddrfer mit flawijcher Blodflur fowie foldhe mit anfcheinend kolonialen Sturen feftgeftellt
und demgemäß flawilche und deutfche Runddörfer unterfcheidet, wobei die legteren regels
mäßiger find und mebr an den „LTormalrundling“ erinnern. Er fieht in diefen „eine fpätere,
frubtolonialdeutide Sorm — vielleicht cine Weiterentwidlung jener“ (3.35). Hier, wo
fcbon feit den Zeiten der Ottonen das Drutfchtum die Serrfcaft bebauptete, obne fogleid zu
einer großzügigen Befiedlung 3u febreiten, ift der Gang der Dinge denn aud ein wefentlic
anderer gewefen, als der war, den wir mebrfad in Irlicheren Gegenden finden konnten:
Fichte zuerft Rodung und Befiedlung der Waldgebiete und danach Eindringen in das alts
flawifde Rulturland, fondern umgetebrt! Hier begann es mit einer leichten Überlagerung
des altflawifchen Siedlungsbodens mit einer dünnen deutfchen Adelsfchicht, der erft im
3 Ib. eine ebenfalls zuerft nur leichte Durdydringung diefes alten Kulturgebiets mit deutfden
auern und danady erft fchrittweife die Rodungstätigkeit folgte. Wie ficb das im einzelnen
abgefpielt bat, wie fıch Deutfche und Slawen fowie ferner die verfchiedenen deutfhen Stämme
da hinein teilten und fi gegenfeitig durchdrangen, mag man bei Leipoldt felber nachlefen.
Im oͤſtlicheren Sachſen bat die Meifener Jabrtaufendfeier auch der Erforjchung diefer
Dinge einen trdftigen Anitoß gegeben. Jn der von Woldemar Lippert berauagegebenen
Neftidrift ,MeiGnifdy-fadfifde Norfdungen” (Dresden 1929) fegt der Herausgeber die
Gründung der Burg Meißen und damit auch die tatfachlide Begrindung der deutfden errs
Ihaft im Sorbenlande auf den Mai 929 an. Rudolf Rögfchke fehildert darin die „Ans
fänge der Markgraffcbaft Meißen“, wobei der Ausbau des Landes, feine allmäbliche Übers
führung in deutfche Derbältniffe, der gemifcht deutfchsflawifche Charakter des ae
fyftems und zahlreiche deutfchsflawifche Mifchbildungen von Ortsnamen zur Sprade
1932, IV | Buchbeſptechungen. 243
EEE
kommen. Alfred Meiche fehließt eine Behandlung der „Altmeißener Bürgernamen“ als
„Quelle zur Befiedlungsgefchichte der Stadt“ an. Don 1200 bis 1500 bat er unter den
Rufnamen keinen einzigen altflawifchen gefunden. Der deutfche und zwar rein mitteldeutfche
Charakter der älteften Stadtbewohner, wie er aud) durch die Samiliennamen bezeugt wird,
it dadurch feftgeftellt.
Der ebenfalls in diefem Zufammenbang zu nennende Helmuth tl: Taufend
Jahre Meißen (Meißen 1929), fcdildect factundig und befonders liebevoll die Rolonifations-
zeit (ogl. Vieues Archiv f. Sähf. Bei. 1930, S. 289).
Che Meerane weift Osler Philipp, Cine Spur des Gorbifden in Weftfadfen?
(Ul. Archiv f. Sächf. Gefc. u. Altertlde. Bd. 48, 1927, S. 300 ff.) nady, daß dort noch um
$570 cin in wendifcher Spracde abgefaßtes Beichoßregifter vorhanden war und vom
dortigen Stadtfchreiber ood Remnig ins Deutide überfegt wurde. Außer der damit für
den Stadtfchreiber bezeugten Renntnis der wendifchen Spradye deutet nichts darauf bin, daß
diefe Sprache fid) in Meerane langer erhalten hätte als anderswo in Wefts und Mittelfachfen.
_ _ Jobannes Langer, Slurgeograpbifche Unterfuhung über die älteften Sreiberger Bes
fiedlungeverhältniffe (ebd. G. 185 ff.), will auf Grund der vors und frübgefchichtlichen
Unbewobntbeit der Waldgegend die in der Umgebung vorbandenen flawifden Slurnamen
nuc als Orientierungabezeidnungen gelten lafjen, ,die fogar fpdter zur flawifden Bes
nennung echt deutfider DOaldbufenddrfer führten“, 3. B. Lognig, Rleinbobrigidh, Colmnig.
Die Anfänge der deutfchen Dorffiedlung geben bier bis in die Mitte des 32. Ib., die der
ftädtifchsbergbaulichen Entwidlung bis 1185 zurüd.
Wann vom weftliden Gadfen aus, wo die Grindung deutfcher Dörfer fehon feit
1080 berichtet wird, die Siedlungstätigleit den Clbleffel erreichte, ift die Srage, von der
Otto Eduard Schmidt, Die Befiedlung des fächfifchen Eibkeffels und die Anfänge von
Dresden (LT. Arhiv f. Sächf. Gef. u. Altertlde. Bd. 48, 1927, 3. 31—00), ausgeht. Er
weift nach, daß 3344 auch bier eine „Rolonifation großen Stils“ fhon im Gange, deutfche
Boloniftendörfer fhon gegründet waren. Die Schilderung des Sortgangs der Rolonifation,
für die neben den Reibendörfern auch die „deutfehen Rundlinge“ als charakteriftifch bebandelt
werden, gebt nicht nur bis zu den beiderfeits der Elbfähre gelegenen Sorbenweilern Dresge,
die etwa um 1150 in deutfche Koloniftendsrfer umgewandelt die Reimzellen des um Bene
zur Stadt erhobenen Dresdens waren. Sie dringt aud in den von Böhmen fcheidenden
Örenzwald und gibt aud ein Bild von der unter Markgraf Seinridh im 13. 3b. über die
Viederlaufig „bis an die Tore von Srantfurt a. ©.“ (3.58) fortgefchrittenen Siedlungss
egung. Die bier wiederholte Serleitung der forbifchen Witbafen von den germanifchen
Warnen (S. 39) bat Woldemar Lippert, Wendifches im Anfchluß an-O. E. Schmidts
Mendenbuch (ebd. S. 284 ff.) mit Recht abgelehnt.
Dom fähhfifchen Sorbenland aus ift die fräntifche Hufe als Waldtolonifationshufe der
fräntifhen Siedler von diefen und anderen Deutfchen weiter nach Often getragen, nicht
allein nach Schlefien, fondern auch nach Böhmen, Polen, Balizien. Sie ift auch von flawis
chen Roloniften übernommen worden. Heintih v. Loefc, Die fräntifche Hufe (Zeitfchr.
d. Der. f. Geſch. SGclefiens 61. Bd., 1927, S. 81 ff.; 63. Bd., 1929, 3.33 ff.), bat uns
darüber eine gründliche Studie befchert, worin er u.a. diefe Hufe mit der Meineren flämis
iden vergleidt, die im Gegenfay 3u ihr, der eigentlihen Rodungsbufe, — auf
das offene Land beſchraͤnkt iſt und ſtets in Gewannen liegt. Eine eingehende Unterſuchung
der ſchwankenden Groͤßenverhaͤltniſſe und der Unterteilungen iſt angeſchloſſen.
Schon zwiſchen bbo und boo v. Chr., wie E. Peterſen, Neue Ergebniſſe uͤber die
germanifche Rultur in Schlefien (Altfchlefien 1929 S. 196 ff.), darlegt, find „Srübgermanen“
im geringer Zahl in Schlefien eingedrungen und baben fic mit den dortigen „Illyriern“,
den Trägern der Laufitzer Kultur, friedlich vermifcht. Die 800 bis 400 febr mächtig pts
wordene Germaneneinwanderung bat das illyrifhe Vollstum vernichtet. Tad 400 bis
500 wandern diefe Bermanen (Baftarner) weiter nach Often.
‚In die polnifche Vorzeit des Landes, in der jedoch nordgermanifche infliffe nod
eine bedeutende Rolle fpielen, führt Sedor v. Hepdebrand u. der Lafa, Peter Wlaft und
die nordgermanifchen Beziehungen der Siawen (Zeitfchr. d. Der. f. Schlef. Bei. 1937,
©. 247— 278), zurüd. Im Gegenfag zu Sriedrih Reiche weift er die dänische Abtunft des
Peter Wlaft (+ 1153) und feine VDerwandtfchaft mit dem warägifchen Serrfchergefchlecht
Außlande nad. Wie fein Großvater Magnus wird aud Peter in den Quellen Graf von
teslau (comes Wratislawiensis) genannt. MWandyes hypotbetifche wird angelnüpft
über einen aus nordifchem Blut entfproffenen SHerrenftand Schlefiens, der 3. TI. in den
Bauernftand zurüdgefunten fei, und die Schnelligkeit, mit der fpäter die Derfehmelzung mit
der deutfchen Bauerneinwanderung gefchab, erklärlich machen foll.
244 Dolt und Raffe. 1933, IV
Kine andere Cinwanderungsfdidt, die Wallonen, bebandelt Ronrad Wuttle, Zur
Gefhichte des Gefdledts der Gallici (Walch) und ihres Grundbefiges in Sdlefien im
13./36. Jb. (ebd. S. 279—311). Das Gefcdlecdht, das dem Alteften fcblefifcen Adel angebdrt,
bat aud) eine deutfche Siedlungstätigleit entfaltet.
Die ganze fchlefiihe Siedlungsfrage greift mutig, aber etwas gewagt Wolfgang
Jungandreas, Beiträge zur Erforfhung der Befiedlung Sclefiens und zur Ents
widlungsgefchichte der fchlefiichen Mundart (Wort und Braud, Heft 17, 1928), an, indem
er fi außer den gefhichtliden Materialien und den Llamen bauptfddlid auf die Mlunds
atten ftützt. Bernhard Martin (Zeitfehr. d. Der. f. fchlef. Bef. Bd. 62, 1928, S. 389 ff.)
bat die Arbeit wegen Seblens der nötigen Vorarbeiten auf mundartlidyem Gebiete als vers
frühe Scharf abgelehnt. Ernft Shwarz, Die fchlefifhe Mundart (Der Oberfchlefier,
}1. Ig. 1929, S. 71— 83), ertennt dagegen an, daß es Jungandreas gelungen fei, „Weins
bolds Ergebniffe in wefentlichen Puntten zu verbefjern, den überwiegenden Einfluß tbürins
ifchsmeißnifcher Elemente Narzulegen, weiterbin die Beteiligung beflifher Elemente in den
udeten und bayrifcher bauptfählih im Süden des fchlefifhen Raumes wahrfdeinlid zu
madyen, die niederdeutfchen und oftfrantifaden Befiedlerteile von der überragenden Stellung,
die ihnen Weinhold eingeräumt batte, berabzudrüden. Im einzelnen find aber viele Dore
bebalte zu maden“.
Über Gebiete geringeren Umfangs unterridten Guftav Schoenaih, Die Befieds
lungsgefdidte des Rreifes Jauer (Schlef. Gefh.BI. 1926, S.0— 3) und Adalbert Hof fs
mann, Die Befiedlung des Rreifes Striegau (ebd. S.63—069). In beiden Rreifen bat die
Deutfchbefiedlung erft mit dem 33. Ib. begonnen.
Aud in Oberfchlefien begann die Auslegung von Städten und Dörfern zu deutſchem
Recht fhon im 13. Ib. I. Shwieder, Die foziale Strultur der ländlichen Bevölkerung
des alten Rreifes Beutben um 1743 und die Auswirkung der friderizianifchen Agrarreforms
gefeggebung im gleidhen Gebiet (Mitteilgg. des Beutbener Geich.s u. Muf.sDer. Aeft 7—10,
1927, 8. 7—97), berichtet außerdem von böbmifchen Zuzug und feit 1526 von weiterem
Suzgug deutfcher Roloniften, befonders Bergleuten und Gewerbetreibenden aus Sranten. Die
Urbarien der Herrfhaft B. von 1546 und 1603 enthalten „eine große Reibe deutfcher
Hamen“. Ber einziebende Proteftantismus ,ftartt ebenfalls das deutfche Element* (S. 11)
Mad den Verwisftungen des 30 jähr. Krieges werden „billige Arbeitsträfte aus Polen“
N Um 1743 ift die Bevditerung des Rreifes der Sprache nah „zum größten Teil
polnifeh“. Die friderizianifche Rolonifation, die die Anfiedlung von Ausländern, in Obers
f&hlefien von Deutfchen, forderte, wurde in diefem Puntte nur zum Meinen Teil durchgeführt.
Kine nachhaltige Ausbreitung der deutfchen Sprache brachte erft die mit dem Aufblühben
der Induftrie feit Mitte 19. Ib. erfolgende „ausichließlich von deutfchen Beift und deutfcher
Sprache getragene ganz außerordentliche wirtfchaftlide Belebung“.
Die durd) eingewanderte Bergleute aus Sranten und Gadfen im Laufe des 16. Ib.
raf&h verbreitete Reformation bat nach Paul Sranzke, Beiträge zur Gefchichte der Res
formation im Beuthener Lande (ebd. Heft 11/12, 1929, S. 75—82), nod im gleiden Jabrs
bundert die Oberhand gewonnen. Daß die fchon 1623 einfegende Gegenreformation, die
nad Schwieder „ganze Arbeit getan“ hat (S. 13), „das Beuthener Land polonifiert habe“,
foll nad Sranzte nicht beweisbar fein. Aber „viele Anzeichen fprechen für eine ftarte Polonis
fierung in jenem Jahrhundert” (S. 82).
Eine deutfche Bürgerfchaft in der Stadt Beutben beftand nah OD. Immerwabr,
Das Alter der Priv. Schügengilde in Beutben ©.S. (ebd. Heft 11/12, 1929, S. 159—168),
Ihon vor 1300. Eine ftädtifche Urkunde von 3369 enthält, foweit Bürger genannt find,
nur deutfche Liamen. 1400—1470 folgte eine „Periode des Unterganges des Deutjchtume
und des Eintitebens und Erftartens flawifchen Wefens“ (S. 160).
_ — Fu der oben berührten mangelhaften Durchführung der friderizianifden Rolonifstion
bietet Walter Rraufe, Gefdidte von Pilsendorf, Kreis Beuthen (ebd. S. 124—15}),
einen drtliden Beleg. Auf der Selomart des urfpringlid Gr3ybowig benannten Dorfes
wurden die friderizianifben Kolonien Marienau und Pbilippsdorf gegrimdet. Die Rolo⸗
niften find nad) den mitgeteilten KTamen weitaus überwiegend Polen. Kur eine verfhwins
dende Minderheit trägt deutfche Mamen.
_ Wieviel bier bis in die neuefte Zeit verfäumt worden ift, zeigt Alois M. Rosler,
Die preußifche Doltsfchulpolitit in Oberfchlefien 1742— 1848 (Einzelfcriften zur fchlef. Gefch.
Bo. 3, 1929). Das Enodurteil lautet, „daß die geeignetfte Zeit zur Cindeutfdhung Ober:
fhlefiens vorüber war, als man zu Beginn des 20. Sb. anfing, das Problem zugleidh ents
— un mel in Angriff zu nehmen“ (Sorfchg. 3. Brand. u. Preuß. Gel.
43. Bd., S. 440).
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I
uiſche
Landeskunde
Umriſſe von Candſchaft und Dol€stum
in ihrer ſeeliſchen Verbundenheit
Hon Gwald Barie
Teil I: Deutjhland als Ganzes, Nieder- und Mitteldeutichland.
327 S. mit 60 Abb. Geh. RM. 10.—, Cwd. RM. 12.—.
Teil II: Siddeutidhland und Alpendeutidland. 3520S. mit 59 Abby
u. 2 farb. Karten. Geh. RM. 10.—, Cwd. RM. 12.—. Beide Ceiley
in einem Band gebd. RM. 20.—. » |
Jeder Teil ijt aud einzeln fäuflid.
Banjes Wert leitet eine neue Art der, Erdbejchreibung ein. Sein Werf, das tief
aus dem Derjtehen deutichen Landes und deutjcher Dolkheit heraus ermadhjen ijt, it
bis in -die -Heiniten-Einzelheiten von deutichern Geift durchzogen. Zum erjtenmal
tritt hier-das bedingungslos Nationale in die Geographie ein. Die deutjdhe Tandesz
funde ijt jo reich mit Bildern und Karten ausgejtattet, daß fie zum Budy der
Deutjchen geworden ift, das jeder beligen follte, dem es, ernit,damit ijt, jem Land
und Dolf 3u begreifen.
Die aus fünftlicher Sicht erwadhjende reine Landesbejchreibung paart jich mit der.
Erkenntnis der jeelenformenden Kräfte der Landichaft — eine Derinnerlicung der,
geographijden Betradtungsweije, die vor allem den Sinn der Gegebenheiten im}
neues, 3ufunftweijendes Licht riidt. Der Tag.
3. $. Lehmanus Derlas, München
Die nordifhe Seele &
te n or t ¢ — ¢ ¢ ¢ Umichlagbild)
Don Dr. Ludw. Serd. Clauß. 2. umgearb. Aufl. mit 16 Kunitdrudtafeln.
Geh. RM. 3.50, Lwd. RM. 4.80.
„lauf ijt ein vielgereijter Mann, dem die jeltene Gabe der Einfühlung in das Empfinden anderer
Menichhen hervorragend eignet und dem es gelingt, den. tiefiten $ragen des menichlicyen Herzens nad
dem Deritehen von Menic zu Menjch, von Dol€ 3u Dolf, von Menjdy zu Gott nachjpiirend, feinjinnige
CSjungen 3u finden” (Srantijcher Kurier). Die Weuauflage feines Budjes „Die nordijche Seele“ bildet zur
fammen mit dem früber erjchienenen Wert „Don Seele und Antlig der Rajjen und Dölter” in neuer
Sorm das alte Buc) ,Rajje und Seele”, das nicht neu aufgelegt wird. Man lernt aus dem Bu
„Menichen veritehen” — eine für jedermann niiglidje und wichtige Kunjt. Das Bud) handelt haupt⸗
ldchlid) pon der nordiſchen Raſſe, ſchildert aber im Dergleich auch die Weiensart der anderem in
Deutichland lebenden Ralfen. Die Darjtellung ijt fern von aller trodenen Gelehrjamfeit, dem [eben
digen Leben zugewandt, lebhaft und 3um eigenen Sorjden anregend, jo recht ein Bud) fiir unjere
Zeit, in der die Rajjenfrage als cine der Cebensfragen unjerer Zufunft erfannt ijt.
9%. f—. Lehmanns Oerlagy Minhen2 SW
a sk —
Berantwortlic; für die Schriftleitung von „Volk und Kaffe“: Prof. Dr. O. Rede, Leipzig und Dr. Bruno K. Sdyuly, Minden
Perantwortlid) für den Anzeigenteil: Guido Haugg, München. — Verlag: I. F. Lehmann, Diündyen,
Pau Druck von Dr. F. DB. Datterer & Cie, Freifing- Münden. 1
Printed in Germany.
Dolf und Raff e
Illuſtrierte
Monatsſchrift fuͤr deutſches Volkstum
Raſſenkunde Raſſenpflege
8. Jahrgang 1933
J.S. Lehmanns Verlag, Muͤnchen
Inhaltsverzeichnis
des 8. Jabrganges, 1933.
Heft 1 S. 1—56; Heft 2 S. 67—112; Heft 3S. 113—136; Heft 4S. 137—160;
Heft 5 S. 161—184; Heft 6 SG. 1865—208; Heft 7 S. 209—232; eft 8
G. 233—2060.
Derfafferverzeichnis.
Seite
Tel Be De Verlag, An die Lefer von Volt und Raffe . 133
er ie Sippfchaftstafel und eine Anleitung zur Anfertigung.
1 Ta 245
BSlubm, m Erbbild deutfcher Dichterfamilien. (Mit 7 Abb. und ı Tafel) 236
Ebrbardt, 'S., Die Salicnsureminen|cgung des aioe — L, II.
(Mit 20 Abbildungen) 2 « . 143, 490
Sa 5 : 206, 230, 260
rid eichaminifter des Innern, Anfprache auf der 1. Sigung des Sachs
verftandigenbeirates fur Bevdllerungss und Raffenpoltil . 137
—, Unfprache bei der — ening des eiheausfhuffes für
Dollsgefundbeitsdienft . 234
©8, %., Ubnenz und Stammtafeln in Barteiform. (mie 5 Abb.) . : 126
Gite, geben oder Sterben der deutfchen Uiation . 116
Pye idrich, VD., Deränderung deutfcher ——— in den Vereinigien
Staaten : 46
Dem; R., Deutſche Doltstrachten IIL, IV. (Mit 4 Tafeln) . 0.245, 93
Helmut, o., oe in Gefabr. (6 Tafein) i 04 173, 20)
Hoffmann, ‚ Einführung in Erblebre und Erbpflege ; $ 228
Hof t ma a Tb. Urflawenbeimat und Pelee nie
arte ; : 19
Rrenn, E., Die Ortneyinger und die Shetlander : : 94
— — Eine Bauernbhods3eit in Huelften bei Haltern im Münfterlane.
it 7 Abb.) ; : $2
£ebmann, £., Joſeph Gottlieb Rolreuter. (3 Abb.) 486
Martgraf, D., Die Grenze zwifchen dem d antivcpen und flamiſchen
Rechts agb im Sreiftaate Gadfen. (Mit 2 si ; 57
Mierte, K., Raffentunde und Wollsfdule . . 198
Raffenbilder: . 125, 149) on 185
Rauf henberger, m., Raffenmertmate "Goethes und feiner nächften
Derwandten. (Mit 12 Abb.) . J
—, Raffenmerfmale Schopenhauers und feiner naheren Verwandten.
(mit é Abb. und einer Sippfchaftstafel) - 209
Rede, ©., Ein Deutjcher der europäifche Erfinder der Dattyloftopie : 42
—, Ber Begr tiff „Raffe . 0.0317
Schmidt: a Srucptbarteitsdauer. einft und je t. (1 Abb.) S 4 339
Schmidt, Unterfuchun en über die Auslefe bei Jugendbünden . . 223
Schultz, B Ei 7 Bevd ome des oberen Lechtales. (Mit 12 Abb.
und 6 Tabellen 32
—, Raffentunde, und "Raffenpflege als Gegenftand der
„Seutfihen Erziehung ; , 122
Schul, W., Die Germanen der früben Kifenzeit. (Mit 2 Abb.) . . 348
Schulz, W., Germanen zwifchen Elbe und Weichfel vom 5. bis —
7: Jahrhundert. (Mit 3 Abb. und einer Rarte) . 74
Shwertfeger, &., Dom deutfchen Voltstum in Polen 226
Inbaltsverzeichnie.
Stengel v. Rutlowfli, Winterfonnenwende
Stumpf, §., Die triminelle Samilie .
—, Sippfchaftstafel eines Rüdfallverbredhere. (3 Tafeln) .
Tirala, £., Die biologifche Erneuerung des deutfchen Doltes .
—, Die wirtfehaftlichen Solgen des Sterilifierungsgefetzes
v. Trotba, Die Vafas. (Mit 6 Abb.) . we
Was fagt i die Volkszählung vom 16. Juni 3 933? :
Dellgutb, £., Was wird da groß? (Mit 2 Abb. ans j Tabet
Viergutz, R. S., Lubwig Klages 60 Jahre . .
—, Raffe und Wolk
Wiede rmann, Fa Sind die oberfenkfifchen Holztirchen Reſte germanir
{den Rulturgutes? (Mit 5 Abb.) . ;
Witte, %., Uleue Urbeiten zur Deutfchwerdung des Oſtens
Zaunert, D., Die Entwidtung des Rarolinger-Typus .
Buchbefpredhungen.
Bie, R., Das katbolifhe Europa (©. Rede)
Bod, S., Die germanifcdhe Gotik ($. WD.) .
Böttcher, R., Kunft und Runfterziebung im neuen Reich (S. Stengel) .
Claug, £. §., Die nordifche Seele (B. R. Schulg) .
BDeutides Recht — Monatafdrift des Bundes 11.-S. Deutfcder Suriften (2.00. v. 4)
Dürre, R., Erbbiologifcher und eugenifcher Wegweifer für Jedermann - *)
Effen, w,, Die ländlichen Siedlungen in Litauen (R. Mielke) .
Srazer, 3. G., Menfh, Gott und Unfterblidteit (O. Rede) . :
Gdliner, 4, Wollss und Raffentunde der es von Sriedersdorf
(B. R. Schyulg) :
Büntert, 9, Deutfder Geiſt Eicke
Sertlein, S., Paret, O, Goͤßler, P., Die "Römer in ) Württemberg
(Sr. Wagner) .
Aeuber, Samilie und Steuer (2. w. v. A.) ;
—, Hodfadule fir Politi (4. W. v. Aufſeß) ö
Hdrdt, Pb., Der Durcdbeucd der Dollheit und die Schule (Se. Dolte) ‘ :
Jahrbuch des deutfchen Vereins für Samilientunde ve die € Tidpthoflowatif
Republit (Graefe) . : ;
Jerdhel, %., Malerei der Romantit (3. Se.) .
Isbert, ©. A, Das füdweftliche ungarifde Mittelgebirge (9. Gracfe)
Rleinf hmidt, ©., Rurzgefaßte deutſche Raſſenkunde (£. v. Ruttowfti) .
Rlofe, . 9, Über Weldbienenzucht in Litauen und einigen Klachbargebieten (et
mid)
Rnöbl, A, Unterfucungen in orei nordmäbrifchen Dörfern (m. Heſch)
Roffinne, G., Altgermanifdhe Kulturbdbe (OO. Schult) . ‘ .
Rrieck, E. Hationalpolitifce Erziehung (£. Stengel v. Ruttowfti) . .
Rrinner, '£, Bevölterungsftatiftifche —— in ee Landgemeinden
und Pfarreien (9. Graefe) ;
Rummer, B., Die dseutide Ebe (R. D.) ‘
—, Gott in Waffen (R. MW.) . .» .
Landmann, I. %., Human Sterilization (& Tirale) ;
£swin, R., Die Bevölkerung von Oftpreugen (%. Witte) .
Se. Wilb. Dring 3. Lippe, Dom Raffenftil zur Staatesgeftalt, Raffe und > Pos
litit (Viergutz)
v. Loeſch, Das Antlitz der Grenzlande. Der Nordoſten B. Seu)
Mabler, P., Die Urmenfden (Ridter) ; :
Müller, TH., Meifter gotifcher Pleftit (J. Sw.) .
Nicolai, 9, Die raffengefegliche Rechtsiehre (5. OO. v. 4.)
IV Inbaltsverzeichnis.
EEE ——
Seite
Pfatſchbacher, 5. Eugenifhe Ebehinderniffe (£. ©. rae : ; : : 232
Raffe und Geift (A. Arnoldfen) . ‘ ; ; ; . : 132
Rig., Blatter fie germanifdes Weistum (Dr. £.) 20 109
Ritter, ©., Zur Anthropologie der — Schleſiens ©. Rede) ; ; 160
Saller, R., Die Sehmaraner (M. Add) . ; ; ; 56
Sheidt, w., Fliederfähfifhe Bauern II (S. €brbardt) ; ; : : ‘ 333
Sheumann, §. B., Belémpfung der Unterwertigteit (§. Dittmar). . 206
Schmidt, R., Die firafredtlichen Grundlagen der Unfeubtbarmesung ( “6
Tirale) : i ; 206
Shwindrazbeim, ©., Deutfche Bauerntunft (Gpannaus) ‘ d ; 207
Staemmler, M., Raffenpflege im völtifchen Staat (B. R. Shulg) . 2 ; 110
Tröge, W.,, Lucas Cranadh d. A. als genealogifdhes Phanomen (M7. eid) : 208
Weinert, %., Urfprung der Menfdbeit (O. Rede) . : : 110
Wolfram u. Oley, Elſaßz⸗ Lothringſcher Atlas (E. E. Stengel) 134
Aus Raſſenhygiene und Bevoͤlkerungspolitik.
Akademie fuͤr aͤrztliche Fortbildung in hHalle a. d. Saale 204
Aufruf der Deutſchen Geſellſchaft für Vererbungswiſſenſchaft 204
Ausgaben für minderwertige Schüler . : : 156
Ausftellung über Raffentunde, Erblunde und Bevdlterungspolitit in Minden ; 287
Befranttes Ebeverbot fir Gendarmeries, ean und Jollwadhbeamte
in Ofterreid . 99
Deutſche Geſellſchaft für Raffenbygiene aa 136 188 1% 208 230
Deutide Hocfcule fir Polttit . ; ; ; ; ; 329
Entweder — Oder (1 Abb.) . : 131
Entwidlung der VDollszablen bei den germanifchen, romanifchen und ſiawiſcer
Voͤlkern (2 Abb.). 166
Sortbildungsturfe für Raffentunde und Raffenbygiene in Sachſen ..26338
Reichsinnenminiſter Dr. Frick fordert Raſſenkunde in der Schule 132
Franzoͤſiſche Bevoͤlkerungspolitik (Dr. Sans Brauf) . : : ; 258
Geburtenverhaltniffe in Baden. ; ; : : 255
Gefen 3uc Verbitung erbtranten Nachwuchſes 133
Rinderzabl der Beamten . . ’ : , — 230
Landesamt fuͤr Raſſeweſen in Thüringen ‘ : , ; : 155
Lebensbaltungstoften und Anftaltstoften (2 Abb.) . : : : ; 203
LeHrtangeln für Raffenbygiene in Berlin und Münden . ’ 357
Lettifher Alarmıuf. . ; : : ; 330
Norwegen fordert biologifche Überprüfung der Einwanderer ; wu 4 183
Raffenbygienifche Aufllärungsarbiit . 205
Raffenbygienifdher Arste-Schulungsturs des Landesamtes für "Raffewoefen in
Thüringen . : 183, 267
Raffens und vererbungstundlicher Unteridoe in den preußifcen Sule ; i 205
Raffenpflege in der „Ramere“ (Tr.) . : ‘ 259
Reihsausfhuß für Vollsgefundbeitsdienft . : , 130, 205, 259
Sadverftändigenbeirat für Bevölterungss und Raffenpolitit ; : 336
Schaffung eines bäuerlihen Erbrechtes in Preußen . : i y 5 . 155
Staatsmedizinifche Akademie in Münden . 229
Stellungnahme eines führenden nn Seilicen zur Unfructbarmasung
Minderwertigerr . 100
Sterilifierungsgefeg in Horwegen Fe er —— 97, 256
Unfrudtbarmadhung Minderwertiger in der Schweiz eo we. ; 97
Unfrudtbarmadung Minderwertiger in den Vereinigten Stasten : . ; 97
Warum find Sıe nicht verheiratet? . ‘ ; 258
Wir wollen keine Halbbeiten in Raffefragen! (2. Schröder) ; . ; 253
ee nl
Inhalt:
Raffenmerfmale Goethes und feiner nächſten Verwandten. Von Dr. Walther
Rauſchenberger. (Mit 12 Abbildungen) Seite 1
Die Entwicklung des Karolinger-Typus. Bon Dr. Paul Saunert, Raffel . . m 8
Urflawenheimat und Altflawenwanderungen. (Schluß. Von. Th. Hoffmann,
Pins aD. Donau u u a ee en me „ 19
Die Bevölkerung des oberen Ledhtales. Bon Dr. Bruno RK. Schulg, München.
(Mit 12 Abbildungen und 6 Tabellen) . > >: mc m „ 32
f
Cin Dentider der enropaifde Erfinder der Datktyloffopie. Bon DO. Rede.
(Mit 1 Abbildung.. „42
Deutfche Boltstrachten (III). Bon R. Helm. (Mit 2farb. Tafeln) . - - - : „ 8»
Beränderung deutfher Familiennamen in den Bereinigten Staaten. Bon |
Dr. Wilhelm Heidriihc. 7 46
Nene Arbeiten zur Deutfchwerdung des Oftens. (Fortfegung: Süden und
Südoften.) Gon Arcivdirettor i. RN. Dr. Hans Witte . . . . . . . - , 48
Ludwig Klages 60 Jahrrrrrr... » D2!
Budbefprehungen . 2 2 2 2. = Oe
A ‘
Deutjche Kunſtbücher
Dolfsbiidher deutider Kunſt: Deutiche De BR
. ational⸗
Altdeutihe Malerei ann Mh ılera, herausgegeben san De
Don Prof. Dr. A. Stange. 48 Bildtafeln mit R. helm. Mit 115 Trachtenbildern auf 48 ſchwat⸗
Einführung. zen u. 8 farb. Tafeln. Für Werkbundsmitglieder
Der Leſer und Beſchauer wird durch die zwei fart. RIM. 3.20, jtatt RIM. 4.—.
Jahrhunderte umjpannende Gefdidjte der alts Mit der weitberühmten wundervollen Trachten.
deutichen Malerei geführt. Don der Srühzeit des fammlung des Germanifden Mufeums wird der
14. Jahrhunderts mit ihren zarten Werfen aus Allgemeinheit ein bejonders reizvolles Geld deut?
ee wird die Wandlung Zur bürgerlichen Kunit her Doltsart erjchlojfen. Die intereljante ‚Ein: |
er Spätgotif gewiejen. leitung bringt viel Neues und Aufſchlußreichez
| Die Germanifhe Gothit |
| Don Prof. Dr. $t.‘Bod. Mit 55 Bildern auf]
| 48 Kunjtdrudtafeln. $ür Wertbundmitglieder
tart. RM. 3.20, Statt RM. 4.—.
' Derf. hebt vor allem einige Hauptzüge heraus,
die die Gothit nad) Ralje und Blut auͤch beſonders
|
i
Kunft der Romantit |
Don Dr.H. Jerchel. 48 Bildtafeln mit Einführung. |
Die deutihe Malerei im Zeitalter Goethes und
der Befreiungsfriege. Der außerordentliche Reid)-
tum und die Gefüblstiefe deutjcher Malerei im
frühen 19. Jahrhundert wird veranschaulicht. |
|
|
|
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|
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Don Dr. C. Th. Müller. 48 Bildtafeln mit
Einführung.
Jeder kart. Band für Werkbundsmitglieder für
als germaniſche Kunſt erweiſen.
| Altgermanifhe Kunft nu
| 48 Bildtafeln mit Einführung von Prof. Dr. sv. ,
| Bebn. 2. erw. Aufl. Sur Wertbundsmitaliedet
RIM. 3.—, ftatt RM. 3.80. | tart. RN. 2.90, ftatt 3.60. |
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3.§. Cehmanns Derlag / Miinhen 2 SW. |
u a IE N hee Sie et aa Sic ee Se ne
Wir maden uniere Xejer auf die dicier Nummer beilicgenden Projpctte der Firma Ferdinand Ene,
Verlagsbudhandlung, Stuttgart, R. Voigtländer, Keipzig jowie auf Lehmanns Miindyener BAderoric’
bejonderd aufmertiam.
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Srau und Wann aus dem Sarntal, Südtirol
Runjtbeilage zu „Volt uns Rave“
Aus: Helm, Deutfcbe Voltetradten
3. §. £ebmanns Verlag, Münden
Dolf und Raffe
Slluftrierte Vierteljabrsfchrift für deutfches Volkstum
Herausgeber: Prof. Aichel (Kiel); Or. Bactold (Bafel); Prof. Detblefffen (Rönigsberg
i.Pr.); Prof. Sebrle (Syeidelberg); Prof. €. Sifcher (Berlin); Prof. Yambrud (Hamburg);
Prof. Helbot (Innsbrud); Prof. ©. Lehmann (Altona); Or. Chers (Minden); Prof. Mielke
(Aermsdorf 6. Bin.); Prof. Mollifon (Münden); Prof. Muh (Wien); Prof. Panzer
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. J. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori (Dorts
mund); Prof. W.IM. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulges
RAMSAU T. (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof.
rede (Röln); Dr. Jaunert (Wilbelmabdbhe); Oc. Seif (Srantfurt;M.).
Scriftleitung der Feitfarift: Univerfitatsprofeffor Dr. Otto Redhe, Gaugfd
bei Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Kurt Shulg, Münden, Fleubauferftr. 51.
Derlag: 3. §. Lehmann, Münden 2 SW., Paul HepfesStraße 20.
Jährlich erfcheinen 4 Hefte. Bezugspreis jährlih M. s.—, Einzelheft M. 2.—.
Poftfchedtonto des Derlags Münden 129. : 222. 2
Poftfpartaffe Wien 59594. — Konto bei der Bapyerifchen Derejngbant’ Mindert. —
Ronto bei der Rreditanftalt der Deutfden ¢. G. m. b. 4. Prag sll, Arkaugrftrche -p) -
(Poftfpartaffentonto der Rreditanftalt: ae 62730). — Gdweisertide Poktidedtehuyng 2 0
Bern III 48345. Schwed. Poftfchedlonto Stodbolm 4167.
$. Jahrgang Heft ı Januar (Mintermond) 1933
Der Derlag bebält fich das ausfchließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrdge vor.
Reffenmertmale Goethes
und feiner nächften Verwandten,
Don Dr. Waltber Raufchenberger,
Direltor der Sendenbergifchen Bibliothek, Srantfurt a. 1.
Mir 12 Abbildungen.
oethe hatte nad der Schilderung des Arztes Davıd Deit eine „männliche,
fehr braune GBefichtsfarbe‘ !). Die Sarbe der Haare war gleichfalls braun,
im Derbältnis zur Befichtsfarbe ziemlich bell. Die Augen waren völlig braun.
„Die Stien ift außerordentlich fcbön, fehöner als ich fie je gefeben“ (David Deit).
Über die Sorm des Gefichts find wir durch die am Lebenden abgenommene !laste
von Shadow am ficherften unterrichtet (Abb. 9)'?). Befonders charalteriftifd ift
die große, vorfpringende, gebogene Mafe. Goethes Beftalt war über Mittelgröße,
der Oberkörper im Verbältnis etwas größer als der Unterkörper, ähnlich wie
omer den Döyffeus fehildert. Der Schädelinder war fehr hoch; er betrug etwa
$5. Die im Goethehaufe in Weimar aufbewabrten Zplinderhüte laffen darüber
keinen Zweifel.
1) Dgl. Stabil, Srig: „Wie fab Bverbe aus?“ Berlin 1904. — AAHaeffer, Emil:
Goethes äußere Ericheinung. Leipzig 1014.
1a) Erfter Ausguß aus Shadows Jorm 1810.
Dolf und Raffe. 1933. Januar. J
Abb. ı. Gortbes Ururgrofvater Jobann
Wolfgang Tertor, geb. 1058, geft. 1701
Profefor der Reddte
. a8 ee °
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Jt 2 va
Abb. 3. Goetbes Großmutter Anna Marg.
Tertor geb. £indbeimer; geb. 1711, get. 1783
Abb. 5. Boetbes Mutter Larbarina Elifaberb
geb. Tertor, geb. 3731, geft. 1808
1933, I
Abb. 2. GBoetbes Großvater Jobann Wolf:
gang Tertor, geb. 1693, geft- 1771
Abb. 4. Bruder der Srau Rat Dr. Jobann
Jot Tertor, Ratebere in Srantfurt a. Main
Wirtl. Raiferl. Rat, geb. 1710, geft. 1782
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— — =. ee, aaa,
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Boetbes Schhweiter Cornelia, geb. 1780, geit. 1777 Abb. 8.
x . a , “dl
Abb. 9. Jobann Wolfgang Goetbe, Abb. yo. Goethes Gobn Auguit Walther
geb. 1749, geft. 18352, Masle v. Sdhadow v. Goethe, geb. 1780, geit. 1830
Abb. 1. Goetbes GrogelTefFe Franz LTicor Abb. 12. Goetbes GroßstTeffe Alfred Micos
lovius, Generalproturator, geb. 1707, geit. 1878 lovıus, Prof. der Rechte, geb. 1800, geft. 1800
1*
4 Volt und Raffe. 1933, I
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Der Water Goethes (Abb. 6) hatte blaue Augen und wabrfdeinlid belle
Haare, ſchwach betonte Jochbeine, vorſpringende, hohe Naſe, ziemlich ſchmales Ge:
ſicht und trug ſich ſteif. Man kann demnach annehmen, daß in ihm eine Reihe
Eigenſchaften der nordiſchen Raſſe vertreten waren. In Ubereinſtimmung
damit ſtehen ſeine ſeeliſchen Eigenſchaften: ſeine Gruͤndlichkeit, Gediegenheit, Pe⸗
danterie, Eigenbroͤtelei, ſeine paͤdagogiſche artnaͤckigkeit, fein ſchwerfaͤlliges
Weſen und ſein ſtarker Sammeleifer. Ein neu aufgefundenes, von Tiſchbein d. A.
gemaltes Bild laͤßt in der Form der Naſe auch einen dinariſchen Einſchlag ver⸗
muten und zeigt eine ſo große Ahnlichkeit mit ſeinem Sohne, daß man es beinahe
fuͤr ein Bild von Goethe ſelbſt halten koͤnnte?).
Die Bilder der vaͤterlichen Großeltern ſind leider verloren gegangen (ſie
waren, ſolange die Familie am Hirfchgraben wohnte, vorhanden). Doch haben
wir die Schilderung, die Goethe in „Dichtung und WPabhrbeit‘“ von feiner Groß:
mutter gibt („einer ſchoͤnen, hageren, immer weiß und reinlich gekleideten Frau.
Sanft, freundlich, wohlwollend iſt ſie mir im Gedächtnis geblieben‘). Der väter:
liche Großvater, der aus dem noͤrdlichen Thuͤringen (Goldene Aue) ſtammte,
zeichnete ſich durch eine ungewoͤhnliche Aktivitaͤt aus; er erwarb durch eigenen
Fleiß und durch Heirat ein großes Vermoͤgen, das die Grundlage des Aufſtiegs
der Familie Goethe wurde.
Goethes Schweſter, die uͤberwiegend dem Vater nachſchlug, zeigte in der
Weſensart viel von ihm (Meigung zu Eigenbroͤtelei, pſychopathiſche Belaſtung).
Neben nordraſſiſchen Merkmalen iſt ein dinariſcher Einſchlag nach der Groͤße und
Form der Naſe anzunehmen (Abb. 7 u. 8)22).
Ein ganz merkwuͤrdiger Typus tritt uns in Goethes Mutter entgegen. Das
bekannte Bild en face, das als ſehr aͤhnlich bezeichnet wird (Abb. 5), zeigt in
den hochgeſchwungenen, ſtarken Augenbrauen, der Form der Naſenſpitze, dem
Mund, beſonders aber in der Struktur und dem Ausdruck der dunklen Augen neben
einem nordraſſiſchen einen mediterranen und orientaliſchen Einſchlag. Auch auf
einem Jugendbildnis iſt dieſer Zug ſichtbar. Auf ſeeliſchem Gebiet faͤllt ihr un⸗
verwuͤſtlicher Optimismus, die bewußte Fernhaltung aller traurigen Eindruͤcke,
ihre ungewoͤhnlich ſtarke Lebensbejahung, eine geradezu altteſtamentliche Froͤmmig⸗
keit, eine große Einfuͤhlungsgabe und Runſt der Menſchenbehandlung auf, Eigen⸗
ſchaften, die dem Außeren der Frau Rat zum mindeſten nicht widerſprechen. Haare
und Augen waren dunkel.
Beim Vater der Frau Rat iſt bei der Breite des Geſichts und der dunklen
Pigmentierung alpiner Einſchlag zu vermuten. Auf alle Salle find bei ihm die
Farbe von Haar und Augen, ſowie die Geſichtsbildung unnordiſch (Abb. 2). In
ſeeliſcher Richtung ſind ſeine ruhige, beſchauliche Art und ſeine große Gewandt⸗
beit in der Bebandlung von Hlenfcben bervorzubeben. Bei der Großmutter Tertor
geb. Lindbeimer (Abb. 3) treten nordifcbe Zuge gemifcht mit mediterranen auf
in dem ftrengen Gefichtsausdrud, dem „„herrfcherblid‘, der Schmalheit und Länge
dc8 Gefichts, in den dunklen caaren und Augen. Auch bei ibrem Sohn (Abb. 4)
und ibrem Ururgrogvater Jobannes Steuber, der in feiner Dielfeitigkeit etwas an
Hoetbe erinnert, ift neben nordifcben mediterraner Einfchlag zu vermuten.
Beim Sohn Goethes endlich treten wenigftens auf einem (bisher nicht vers
“) Das Bild ift bier nicht wiedergegeben, da noch nicht ficher feitftebt, daß es Goethes
Vater darſtellt.
2a) Das neu aufgefundene von MNorgenſtern herruͤhrende Bild (Abb. 7) wird als das
wertvollſte bezeichnet.
1933, I WD. Raufchenberger, Raffenmertmale Boetbes u. feiner näcdhften Verwandten. 5
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Offentlichten) Bild (Abb. 10) Fuge auf, die an sie vorderafiatifade Raffe gemabhnen.
Ausdrüdlicy bemerkt fei an diefer Stelle, daß ein jüdifcher Einfchlag unter Goethes
Vorfahren nirgends nachweisbar ift. Die Klamen Lindheimer, Weilburger, von
Marrheim ufw., die in feiner Abnentafel auftreten, bezeichnen die Herkunft diefer
Samilien von beftimmten Orten; fie beftanden nachweisbar lange, ebe die Juden
auf das Edikt Jofephs II. Samiliennamen annabmen. Aeroorzubeben ift endlich
nod, daß zwei Broßneffen Goethes, Alfred und befonders Stanz Micolovius
(Abb. 12 u. 13), Ahnlichkeit mit Boetbe nachgeruhmt wurde. Auch ein Enkel der
Cante Melber, Georg Sriedrid) Melber, zeigte eine entfernte Ahnlichleit mit
Goethe. Bei allen diefen ift dinarifcher Einfchlag erkennbar.
Go feben wir alfo bei den nädhften Blutsverwandten Goethes Merkmale
faft aller europäifchen Raffen vertreten. Damit haben wir den richtigen Auss
gangspuntt fir die Beurteilung Goethes felbft gewonnen. Reineswegs darf er
als ganz, faum als überwiegend nordraffifch betrachtet werden, wie dies Cham:
berlain tut. Vielmehr baben wir in ibm ein dußerft zufammengefettes Gee
bilde vor uns. Dorausgefchidt fei, daß in Goethe eine felten vollendete Mifchung
von Merkmalen europäifcher Raffen vorliegt. Ganz wenige Geifter baben fid
der Mienfchheit fo tief eingeprägt wie er; dies gilt auch von feinen Befichtszügen.
Fur wenige große Wenfchen baben ihrem Leben und Schaffen die Vollendung
geben können, woran allerdings Goethe felbft ein großes perfönliches Verdienft
zuzufchreiben ift. Goethes Typus ift deshalb fo einheitlich, weil die Raffen, die
in der Ayauptfache feine Züge geprägt haben (die nordifche und die dinarifde),
über die ausdrudsvollften Linien verfügen und von ihren Erbanlagen die zus
einander paffenden auf Goethe vererbt haben; eine Reibe von großen Perfönlidys
keiten von Platon und Dante bis zu Schiller, Lifzt und Ridard
Wagner zeigen Züge diefer Raffen; bei Goethe tommt nod ein Einfchlag medis
terraner Raffe hinzu. Goetbes Züge find nordsifd-dinarifd-meditercan.
Mir diefer Seftftellung ift zugleich Boetbes Wefen am kürzeften charatterifiert.
Hordifch ift Goethe in feiner Befamtlebensfühbrung. Flordifch ift feine
große Drönungsliebe und fein ftarter Sammeltrieb, die beide vom Vater
vererbt find. Wan kennt Goethe erft dann ganz, wenn man feine ausgedehnten
Sammlungen auf allen Gebieten betrachtet. Mordifd ift Goethe ganz bes
fonders in feiner innigen Sinneigung zur Natur, feinem volligen Hingegebens
fein an fie. Klordifch ift er in der tiefen Ehrfurcht, mit der er fich in die Flatur
und jede einzelne ihrer Erfcheinungen verfentt, nicht minder in feinem Beftreben,
fid) ftets aus erfter Quelle durh eigene Beobahtung zu unterrichten.
Diefes Streben geftattet ihm felbftändige Entdedungen auf dem Gebiet des Ors
ganifchen. Goethe lehnt die mechanifche Katurauffaffung ab. Seine Auffaffung
der Viatur darf als eine organifche bezeichnet werden. Die Bedeutung Goethes
in diefer Richtung ift noch nicht in vollem Umfang erkannt. Sein Verhältnis zur
Hatur ift das Tieffte und Großartigite feines Wefens; es trägt einen religidfen
Charakter. Die Hatur ift ihm in allem die böchfte und letzte Inftanz. Sie kann
nie irren, fie behält immer Recht; der Jrrtum ift ftets bei den Mlenfchen, nie bei
ihr. „Die Klatur betümmert fich nicht um irgendeinen Irrtum; fie felbft kann nicht
anders als ewig recht handeln, unbelümmert, was daraus erfolgen möge“ (Goethe).
Diefe tiefe Derbundenbeit mit der Matur bringt es mit fich, daß Boetbe felbft ein
Stud Natur ift; daber feine Werke nie veralten werden, fondern immer jung
bleiben. Der nordifche Raffeneinfchlag ift in diefem Punkte ganz befonders be:
deutfam für Goetbes Befamtperfönlichkeit und Kuͤnſtlertum. — Nordiſch ift
nN
Volk und Raffe. 1933, I
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Goethe ferner in feinem ausgefprodenen Individualismus. Jhm erfdopft
fi) alles Denken und Dichten im Einzelwefen und feinen Problemen. Suc
ftaatliche Dinge bat er geringeres Jntereffe und Verftändnis, weil fie ibm zu
fehr als Mienfchenwerk erfcheinen. Auch die ungewöhnliche LTeidlofigkeit
ift zu nennen, mit der er befonders den jüngeren Schiller neben fidh auflommen
laßt und feine dichterifche Entwidlung in unmittelbarfter Krähe erlebt und felbft
fördert. — Nlordifch ift weiter Goetbes geiftiges Auge, die Art, wie er die Dinge
fiebt, fein Derbalten sur Welt, das kein Zergliedern, fondern ein ununters
brodencs Schauen ift. Das Auge beberrfcht Goethes ganzes Wefen; alle
anderen Sinne treten dagegen in den Hintergrund. Alles, was er dichtet und
fchreibt, ift anfdaulid. Len 33) fchreibt uber den nordifchen Menfchen u. «a.:
„Der nordifche Menfch denkt anfchaulich in Bildern, er ift ‚zum Seben geboren
und Schauen beftellt‘ (Goethe). Die böchfte Schönheit findet er in der Geftalt.
Seine künftlerifche Begabung liegt demgemäß auf dem Gebiet der bildnerifchen
Sormgeftaltung. Wir finden in diefer Charalterifierung wefentlide Fuge Goethes
wicdergegeben. Wir müffen deshalb dic Kraft der Anfdhauung und die Ges
ftaltungstraft als einen vorwiegend nordifchen Zug Goethes bezeichnen.
In dem ftark bildnerifchen Zug feines Wefens ift indes Goethe den Fyellenen
fo tief verwandt, daß man bei ibm an eine ähnliche Blutmifchung denten muß
wie bei jenen und deshalb audy der mediterranen XRaffe!) einen Anteil an
Goethes Rünftlertum wird zugefteben müffen, worauf auch Goethes entjchiedenes
Ablehnen alles Ubftralten bindeutet. Kur fo ift Boetbes tiefe Liebe zu den Griechen
verftändlich, fein Ausfpruch: „Ein jeder fei ein Brieche in feiner Art, doch er fei’s!“
Beide Raffen, die nordifche und mediterrane, find miteinander verwandt und haben
ihren künftlerifchen Schwerpuntt in der Geftalt, dem Sinn für Sormen.
Auch andere Eigenfchaften deuten (neben Goethes Gefichtszügen) auf einen
mediterranen Zinfchlag bin, fo feine befonders in der Jugend auffallende, ftarke
Erregbarleit (Sornmutigleit), die er felbft an fich tadelt, und die mit anderen
KEigenfchaften, wie feiner grogen Ordnungs- und Sriedensliebe, in merfwurdigem
Kontraft fteben.
Goethe hat neben mannliden Ligen{caften einen weiblichen Fug im Ween.
Er tann nur das als vollendetes Kunftwerk fcdaffen, was er menf{clic-perfonlid),
in der Regel mit Stauen, feelifch erlebt bat. Er wird vom Erlebnis gleich»
fam befruchtet. Wäbrend männlih geartete Dichter aus der Idee beraus
dichten, Jdeendichter find (Schiller, Shatefpeare), ift Goethe ganz an das Er⸗
lebnis gebunden. Boetbe wurde ferner leicht zu Tränen gerührt. „Hermann
und Dorothea kann er nicht vorlefen, obne zu weinen. Beim Frachdenten über
„Wilhelm Meifter“ weint er „bitterlich“, zu Aarolinen Herder fagt er, er babe
14 Tage vor feiner Abreife aus Rom täglich „wie ein Rind geweint“. Hierin
liegt cine mertwurdige Abnlichteit mit den Mediterranen, die leicht weinen. Die
legte Bemerkung läßt daneben feine tiefe innere Verbundenbeit mit dem Süden
erkennen. Goetbe wird in Rom faft zum Römer.
Auch Boetbes Liebesleben trägt einen von der KTordraffe abweichenden Zug.
Es iſt bier nicht nur die Diclfeitigkeit feines Licbeslcbens zu nennen, fondern vor
allem die Tatfache, daß er fo oft und fo beftiq feelifd verliebt ift, ferner,
daß feine Phantafie fo ftart erotifch gefärbt ift, und duß er in einer eigen:
3) Dal. Baur:Sifhber:- Lenz: Menfblide Erblichkeitslebre und Raffenbygiene,
3. Aufl. 1927, 3. 551.
4) Die Rbeingebicte entbalten vielfach einen mediterranen Zinfehlag.
1933, I WO. Raufchenberger, Raffenmertmale Boetbes u. feiner nächften Verwandten. 7
artigen Kinftellung zum Weiblichen als foldyem verbarrt. Er tann obne ein weibs
lidyes Wefen überhaupt nicht leben; er befindet fich fozufagen dauernd im Bann:
kreis des Weiblichen. £en 35) nennt Goethes „brennende erotifche Pbantafie“ „uns
mittelbar geiftesverwandt mit der des oben Liedes“ und vergleicht feine Lyrik
mit der Heines: er hält einen vorderafistifchen Kinfchlag für wahrſchein⸗
lid. Goethes mütterliye Vorfahren ftammen großenteils aus der fruchtbaren
Metterau, die 400 Jahre von Römern befiedelt wer. Die römifchen Soldaten der
Reiferzeit kamen vorwiegend aus Vorderafien und waren ftets von Händlern
vorderafiatifcher Raffe begleitet‘). Außerdem enthält das boch- und fuddeutfdye
Sprachgebiet, dem Boetbes Ahnen entftammen, einen nicht unerbeblichen Zufag
dinarifchen Blutes. Auf einer Reibe von Bildern Goethes ift der von Lenz vers
mutete Einfchlag erkennbar, fo befonders auf dem Profilbildnis von d.M.Rrauß
-(1775), den Bildern von Georg Oswald May (1779), dem Olbild von Jofeph
Sriedrih Darbes (1785) u. a. Die Tatfache, daß mehrere Rünftler unabhängig
voneinander diefen Zug feftgebalten haben, ift dabei zu berüdfichtigen.
Diefem Wefenszug entfprichyt auch Goethes Sprache. Sie bat zumal in
fpäteren Jahren mebr etwas Derbüullendes, Bebeimnisvpolles als Her
Ausgefprochenes. Boetbes Schreibweife wirkt befänftigend, nirgends aufs
regend. Ste vermeidet fcharf umriffene Ausdrüde, bat baufig etwas Magifches,
Oratelbaftes. Das Gefagte gilt au in fachlicher Hinfidt. Goethe vers
Ihliegt die Augen vor allen bacten, vor allen fcharfen Wabrbeiten, worauf
wieder Lenz?) hinweift. Traurige und unangenehme Zindrüde halt er fic
ängftlich fern, wie feine Mutter es tat. Aufs engfte hängt damit zufammen ein
undramstifcher Zug zumal des älteren Boetbe; noch Bennzeichnender ift fein Mangel
an echtem Humor.
Im Einklang damit ftebt Goethes Weltauffaffung. Gie ift untragifc.
Der Brundton feines Wefens ift optimiftifch; er erinnert an die ähnliche Welts
auffaffung gewiffer Teile des alten Teftaments. Im Grunde ift alles gut;
das Bdfe und Schlechte ift nur ein minder Butes, das der Welt zur Süllung,
nicht zum Wefen dient. Goethes Weltanfdauung im engften Sinn bildet fidh
im Anfdlug an Spinoza aus. Gie vermeidet jeden Dualismus. Einen Gegenfat
zwifchen Bott und Welt gibt es bei ihm nicht. Alles ift Gott-Matur.
Zu nennen find in diefem Zufammenhang Goethes große Gabe der Kins
füblung in fremde Menfchen und Kulturen, feine Vorliebe für die vorders
afistifchen Dichter, feine ftarte Lebensbejabung und feine Losmopolitifde
OGefinnung. .
Sufammenfaffend muß gefagt werden, daß in Goethe eine der großartigften
Spntbefen nördlichen und füdlichen Wefens vorliegt. Ze bandelt fid) um eine
ähnliche Blutmifchung, wie bei den SHellenen zur Zeit ihrer Blüte. Die Tiefe und
Scöpfertraft ift bei Goethe wie bei den Griechen vorwiegend nordifches, die
Beweglichkeit und leicht entzundbare Pbantafie vorwiegend mediterranes und
vorderafiatifches Erbgut. Kine Reibe von Wefenszügen wird dadurdy verftänd:
lich: feine tiefe Liebe zur Antike, befonders den Griechen, feine Hinneigung 3u
Hapoleon (die von Klapoleon erwidert wird), feine ganz ungewöhnliche Diels
feitigeit, feine Bosmopolitifche Gefinnung ebenfo wie der Umftand, daß er uns
5) Ogl. Baur-Sifher- Lenz: Menfcliche Erblichkeitslehre und Raffenbygiene,
3. Aufl. S. 579 f.
8) aa. O.
‘) aa. O.
8 Dolt und Raffe. 1933, I
als der am meiften antik geartete Menfd erfcbeint, der nördlich der Alpen geboren
wurde. Derftändlich wird auch, daß Boetbe bis zu einem gewiffen Grad aus der
Reibe der deutfchen Benies berausfällt, daß er unter allen am wenigften die
deutfchen Schwächen in fich trägt und daß er (neben der deutfchen Mufit) der
ftärkfte Träger deutfcher Weltgeltung ift.
Die Entwidlung des Rerolinger-Typus.
Don Dr. Paul Zaunert, Raffel.
as Gefchledht der Rarolinger oder Arnulfinger wandert gut dreibundert
Jahre, beinahe doppelt folange als beifpielsweife das der Aobenftaufen, im
Kichtlegel der Befchichte. Aufs und Fliedergang diefes Haufes, in Wechfelwirtung
mit den gefchichtlichen Mächten und Begebenheiten, zeigen eine lange Reibe von
Subrerprofilen, von Surftengeftalten. Ein Derfuch, fie auf ihre Samilienähnlichkeit
bin anzufeben, in den Zügen des Einzelnen die der Sippe zu erkennen, dies Ges
fchlecht als ein Ganzes zu faffen, als cin Wefen, das wird und wddft und ftirbt,
tann nad) mebrerer Richtung bin Auffchlüffe geben. Indem wir verfolgen, wie
fidy der Charakter des Befchlechtes mebr und mehr berausarbeitet — und gerade
dies Gefcledht hat inmitten einer Welt ringender und widerftrebender Gewalten
eine ungewöhnliche Aktivität und zunehmende Selbftficherbeit entwidelt —, wird
uns zugleich deutlich, wie weit diefe Entwidlung in der Grundridtung gers
manifchen Wefens lief; und da fid das Rarolingerbaus aus der Mitte des
fräntifchen Adels erbob, alfo eine Art Auslefe der Auslefe darftellt, fällt von daber
außerdem ein Licht auf Art und Rolle des Sranlentums.
Dae erfte gefchichtliche Auftreten des ArnulfingifchPippinifchen Haufes und
die Stellung, die es dabei einnimmt, fetzen fchon einige Vorgefchichte voraus. Zu
der Sührerfchaft des frondierenden auftrafifchen Adels, die es da, zu Beginn des
7. Jahrhunderte, inne bat, oder mindeftens zu großem Anfeben muß es fich fhon
im Laufe des 6. Jahrhunderts emporgearbeitet haben — in jenem felben Jabrs
bundert alfo, in welches die erfte Blüte des AHeldentiedes bet den Sranten — nach
der berrfchenden Anfiht — fallt. Wenn — was zum mindeften nicht ausges
fchloffen ft — die Geftalt der auftrafifchen Aönigin Brunhild in Verbindung zu
bringen ift mit der Entftehbung des Liedes von Siegfrieds Tod, fo würde die Auss
bildung diefer Dichtung, eines Rernftüdes fränkifcher Aeldenpoefie, ja noch fpäter
anzufegen fein. Man fommt übrigens etwas in Derlegenbeit, an weldyem fränlis
fen Surftenbofe man fid) dann die Sänger diefes und andrer gleichaltriger Helden:
lieder denten foll. In die Umgebung der entartenden Merowinger paffen fie
fchledht; Ehbilperich, der Enkel Chlodwigs und Partner der Sredegunde, in der
zweiten hälfte des 6. Jahrhunderts, madıt fchon Iateinifche Derfe (die ficher fchlecht
waren), und VDenantius Sortunatus, der Iateinifche Hofpoet, tann fic {don
fpöttifche Bemerkungen über diefe Lieder der „Barbaren“ leiften.
In dem auftrafifchen, Öftlichen, überwiegend germanifchen Reichsteil haben
die Sänger der Lieder vom Untergang der burgundifchen Bibicheföhne und Grim:
bilde Rache, von Brunbild und Siegfried und vom fränlifchen Dietrich ihren
natürlichen Plat; aber wir haben keine Zeugniffe, die fie uns etwa neben die
erften Dertreter des Rarolingergefchlechts, neben die Sausmeier Arnulf, Grimoald,
Pippin, Karl WMartell ftellen.
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CE Cl (aki.
1933, I Paul Zaunert, Die Entwidlung des RarolingersTypus. 9
Garnichts von Heldenwerk und heldifder Haltung bat die erfte Cat, mit
der die erften uns gefchichtlich bezeugten Dorfabren des großen Karl hervortreten,
mit der die Laufbahn der Rarolinger beginnt: der Sturz der Brunichilde, der
gewaltigen Dortämpferin des Rönigtums. Männlicher als die Manner der königs
lichen Sippe bat fie ein Leben lang um Wiederaufrichtung einer ftarten Monarchie
gerungen, ficherlicy dabei auch den Adel ihres Reiches nicht gefehont. Deffen ganzer
Grimm und Haß richtet fich auf fie. Die Sührer diefer ariftoßratifchen Begnerfchaft,
die Vollftreder diefes MHaffes und Dernichtungswillens find Arnulf von Meg
und Pippin, die Häupter der beiden mächtigften Sippen im auftrafifchen Adel; fie
nehmen die günftigfte Belegenbeit wahr. Eben treibt die Rivalität zwifchen
Brunidild und dem Rönig des Wieftreiche, dem Sohn ihrer Todfeindin Sredes
gunde, zur Entfcheidung. Was wird gefcheben, wenn Brunidild fiegt? Dann
wird der Adel berbalten müffen. Lieber läßt man es fich einen Treubruch Eoften;
angefichts der Seinde verweigern fie der Königin den Beborfam, liefern fie dem
Gegner aus, fie wird auf graufame Art hingerichtet.
Alfo Derrat, Selonie, in der Heldendichtung böchftens die unrubhmlide Rolle
des Gegenfpielers, des Gegenpols vom KYeldentum, damit beginnen die karolingis
fen Stammvater — wenn man die Sadye von der germanifchen, beldifchen Ethil
ber betrachten will. Auch jene verwilderte Feit kennt noch den Begriff der Ebre,
der Standesehre; aber das germanifche Hcldentum verblaßt, und diefe Aktion liegt
im wefentlichen überhaupt fehon im Araftfelde ganz anderer Motive; die beiden,
Arnulf und Pippin, vertreten eine Rlaffe, find einftweilen nichts als Alaffe,
Standesegoismus. Man fiebt es auch an dem, was folgt: der auftrafifche Adel
war durch jenen wohlberechneten Treubruch nicht nur der alten Gewaltherrin auf
immer ledig geworden, er taufchte dafür auch einen König — eben jenen des Wefts
reiches — ein, der fein Regiment mit Zugeftändniffen beginnen mußte.
Ja er mußte fogar den Auftrafiern in feinem jungen Sobne Dagobert einen
eigenen Rönig bewilligen, und zwar — bier beginnt der neue entfdeidende Anfag
in der Rarolinger-Befhichte — mit Arnulf und Pippin als Ratgebern; Arnulf
als Bifchof von Metz zugleich erfter geiftlicher Würdenträger, Pippin als Haus»
meier — „nicht aber wuchs deffen Macht erft durch dies Amt, fondern umgelehrt
das Amt dadurch, daß folde Manner, die erften an Kraft und DBefit, es inne
batten“. Aber doch begann damit die Sonderftellung, die Loslöfung von den
Standesgenoffen. Im übrigen ift ganz richtig, es tam darauf an, was man aus
diefer Stellung zu madyen wußte. Der junge Merowinger bat feinen beiden Ziebs
pätern Arnulf und Pippin alle Ehre gemacht, es wurde aus ibm der ,,gute Konig
Dagobert‘ der Dolksfage, der letzte tatträftige Wierowinger. Er wurde fogar fo
tuchtig und ftart, daß ihm des Rates feiner beiden Ratgeber zu viel wurde und
er auf ihre ftarke ftugende und leitende Hand verzichtete. Pippin wurde aus
Auftrafien verwiefen, Arnulf ging in ein Rlofter.
Wir haben uns diefe Srublarolinger, diefe Arnulfe und Pippine und Gris
moalde und wie fie fonft beißen, als Männer zu denken, die um die Handel und
Großen diefer Welt gut Befcheid wußten — eben wie wir es von dem Hausmeier
Hagen am Burgundenbofe hören —, dazu ficherlich als gute Reiter und Jäger,
als fcharfe und ausdauernde Sechter, rafche und beredte Leute — fonft wären fie
nicht die erften im Srantenadel geworden. Auch waren fie Huge Wirte und Mebrer
ihrer Güter, von Arnulf wird ausdrüdlidy gejagt, daß er fich in der Derwaltung
der Domänen bewährte. denn bei ihrem Typus auf das Hausmeiertum Hagens
in der Llibelungenfage bingewiefen wurde, müffen wir uns darüber Bar fein, daß
10 Doll und Kaffe. 1933, I
fie mit ibm, außer der Stellung, im Charalter nur die Klugheit, Araft und
Sherrfchfucht gemein haben; es feblt bei ihnen ein Wefentlides, was den Haus⸗
bofmeifter Hagen adelt, das lebendig=perfönliche Derbältnis zu den Rönigen, die
Treue des Gefolgsmannes zum Gefolgsberrn und zur Königsfippe, für deren
Ebre und Anfeben er mit feinem ganzen Leben einftebt. In den Händen der Karos
linger werden die fränkifchen Könige zu Schadhfiguren, das Rönigtum zu einer
Ruliffe. |
Arnulf ftarb in der Rlofterftille, die Sippe wuchs weiter. Die beiden Männer
und Samilien batten fid) nod fefter verbunden und ihre Stellung dadurdy vers
ftärkt, daß Arnalfe Sohn Anfegifil eine Tochter Pippins heiratete; es war reines
Srantenblut, das bier 3ufammentam. Zwar diefes Paar felbft erfcheint nur als
Durdgang der Entwidlung. Als Anfegifil in Auftrafien für das Unterfonigtum,
das dort nur Dauerdeforation wurde, die Subrung der Gefchafte ubernabm, war
es wohl nur die Sippe, die ibn emportrug; von fonftigen Taten und Derdienften
wenigftens wird bei ihm nichts berichtet. Aber dann wird in dem Gefchlecht der
Auftrieb fchon fo ftart und jäab, das Planen fo kühn und weit, daß ein einzelner
tattrdaftiger Mann vorwegnebmen will, was erft nad) einer Arbeit von drei Ges
Ihlechterfolgen gelang. Anfegifils Schwäber, Pippins Sohn Grimoald, nad Bes
feitigung eines Rivalen Hausmeier geworden, durch alle auftrafifchen Lande bin
gewaltig, läßt den Enkel des guten Dagobert zum Mönch fcheren und in ein
irifches Rlofter fcbaffen, und ruft feinen eigenen Sohn zum Könige aus. Dafür
aber reicht, wie wir beute fagen würden, die auctoritas feines Haufes und feiner
Stellung nody nicht aus, dafür empfindet ihn die Ariftokratie noch zu febr als einen
ibresgleiden. Er wird mit feinem Sobne an Fleuftrien ausgeliefert und in Paris
hingerichtet.
Man findet es Sfter bei einer aufftrebenden Sippe, daß eine Linie in zu
ftciler Rurve binsufwill, worauf dann jäber Abfturz folgt. Grimoalds Sall
brachte zunächft einen fchweren Rüdichlag für die ArnulfingersPippiniden. Zudem
kam gerade damals im Weftreiche Meuftrien ein Hausmeier von großer Tatlraft,
angeblich niederer Herkunft, empor, deffen fid) aud) das Oftland nur mit Mie
erwebren konnte. Uber eben diefe Gefabr brachte die Arnulfinge wieder in die
Subrung; ihr befter Mann ift jegt der „mittlere“ Pippin, Unfegifils Gobn, der
Blut und Befig Arnulfs und des alten Pippin in feiner Perfon verband. Zum
Zeichen, daß bier eine neue Feit anhebt, befcaftigt fic aud) die Gage lebbaft mit
ibm: faft noch ein Rnabe, beißt es, überfällt und erfchlägt er Bundowin, den
Mörder feines Vaters; da eilen die Edeln des Landes herbei, jubeln ihm zu, küren
ihn zum Sübrer. Die Gefcbichte weiß nichts anderes, als daß fein Dater Anfegifil
eines natürlichen Todes geftorben fei. Aber fon Paulus Diaconus vernabm am
Syofe Karls des Großen die Sage über diefen Altervater Pippin, daß er einft, nur
mit einem einzigen Anappen, über den Rhein gezogen fei und dort feinen Seind
mitfamt Gefolge im Bette getötet babe. Das alfo ift ein Mann nad dem Herzen
dec Sranten. Sdnell zufabrende, den Gegner überrafchende Rühnbeit, fo will die
Sage lehren, befaß er wie nur je einer.
Zugleich befaß er Befonnenheit, das unbeugfame Bebarren, welche, nachft der
Rübnbeit, das Glüd anzieben. Go wberftebt er anfanglide Migerfolge, paktiert
zum Schein, wartet ab, nugt tlug Samilienzwift bei den feindlichen Machthabern,
führt zur rechten Zeit den entfcheidenden Schlag. Zeigt aber auch im Erfolg nod
EHuge Mäßigung, läßt denen im Weftreiche ihren eigenen Hausmeier und ihren
merowingifchen Scheintönig, einftweilen.
1933, I Paul Zaunert, Die Entwidlung des Rarolinger-Tppus. 11
nee ——
Sier beginnen nun die Srauenrollen im Rarolingerbaufe. UAnsfled, aus einer
vornebmen Samilie im Geinegebiet, die Witwe des neuftrifchen Hausmeiers
Waratto, tlug und männlich=bart, dabei kirchlich gefinnt, bat die Lriederlage ihrer
Sippe erlebt, die ihr eigener Schwiegerfohn Berchar, als Hachfolger ihres Mannes,
durch Leichtfinn und Unfähigkeit verfchuldete. Kun näbert fich der fiegreiche Pippin.
Rurz entfchloffen läßt fie den untüchtigen Zidam fallen, forgt felbft dafür, daß er
aus dem Wege gerdumt wird; und Pippin findet es vorteilbaft, diefe Schwiegers
mutter zu übernehmen und einen Sohn in die Samilie einbeiraten 3u laffen. Aber
nicht dies ift die Hauptlinie, die die Entwidlung des Pippinifch: Arnulfingifchen
Gefchlecdhtes weiterträgt.
Die Mutter diefes und eines zweiten legitimen Erben, Plettrudis, mußte den
Batten eine Zeitlang mit einer Flebenfrau teilen, der fchönen und edelgeborenen
Chalpaida. Polygamie kam nicht nur im Aönigsbaufe, auch beim Adel von alters
ber vor. ft alfo zunädft nicht als befondere Ausfchweifung zu werten, in der
etwa die Rarolinger den Merowingern gefolgt wären. Eine ftarte Sinnlichkeit
allerdings ift auch bei ihnen unverkennbar. Doc finten fie bei der Wahl ihrer
Srauen im ganzen nicht fo herab wie die Merowinger, zeigen größere Inftinkts
ficherbeit. Bei alledem trugen die balblegitimen oder unebelichen Liebenverbins
dungen und deren Sprößlinge immer wieder Urfachen zu Streit in das Rarolingers
baus, die felbft in den Zeiten der größten Befeftigung der ausmacht, unter Karl
dem Großen und vorber unter feinem Vater Pippin noch zu Derfhwörungen und
Unruben führten. Jn diefem Salle bier, bei der Chalpaida, freilid) erwuchs daraus
für das Haus eine große Zeit.
ine fpätere Sage erzählt: „Als aber Alpaidis [Chalpaida] geboren batte,
eilte ein Bote zum Aönige [d. b. Pippin], ibm die Mär zu bringen. Da er ihn
aber mitten unter den deln und bei feiner Gemablin [Plektrudis] figen fand,
fprady er: ‚Seil dem Rönige, denn er [es] ift ein Karl!‘ und gab ibm unter foldyen
Worten verbüllt zu verfteben, daß Alpaidis ihm einen fchönen Sohn geboren habe.
Denn in der Sprache des Volkes bedeutet Rarl einen kraftvollen Mann, ftart an
Bliedern. Und es antwortete der Rönig: „Kin guter Llame ift Rarl!“ 1)
Ein Zug, der ganz gut in einer altfranzöfifchen Sable fteben könnte.
Diefe Chalpaide ift die Stammutter der nun folgenden großen Rarolinger.
Ihr Sohn ift Rarl Martell. Jn ibm lebt Pippin fort, nur gefteigert.
Plektrudis fetzte durch, daß er bei der Erbfolge übergangen wurde, obwohl
die beiden ehelichen Söhne vor dem Vater ftarben. Aber die Llatur hatte ja ges
rade ihn, den „Larolus“, den fchonen Eraftoollen Mann, zum Klacdhfolger ausge:
rüftet. Lladh Pippins Tode von der Pleltrudis gefangen gefett, entjpringt er der
aft, fammelt Anhänger, die erften Sehlichläge machen ihn nicht irre, er überfällt
die fiegreich heimlehrenden Fleuftrier, ftebt im nächften Jahre wieder fampfbereit,
macht gleichwoblerft ein Sriedensangebot, dann aber fchlägt er zu, macht Auftrafien
wieder frei, wirft die Kleuftrier nieder; deren königlichen Schatz nebft Rönig aber
bat ein Derbündeter, der Syerzog von Aquitanien mitgenommen; Karl rubt nicht,
bis er beides bat. Den Konig fest er auf den Chron, aud von Auftrafien, wo
gerade der eigene mit Tode abging; und als auch der neue ibm wegftirbt, nimmt
er deffen Sohn zum Konig. —
1) Das Derftedfpiel in den lateinifcben Worten des Boten: ,quia est Carolus“
läßt fich deutfch nicht vollftändig wicdergeben; für den uneingeweibten Zubörer befagen fie:
„denn er ift ein Rarl”, alfo eine SHuldigung fur Pippin. Diefer allein verftebt den wabren
Sinn, fängt den Ball auf und gibt ibn zurud, indem er für das Rind zugleich den Llamen
mitgibt.
12 Doll und Kaffe. 1933, I
Auch das eigene Haus, die aus den Sugen geratene Pippiniden:Samilie, ham:
mert er wieder zufammen. Pleftrudis, deren Machtgelüfte das ganze bisherige
Rarolingerwert noch einmal in Srage geftellt batten, muG den vaterliden Schag
ausliefern, und endgültig abdanten. Zwei ihrer Enkel „wurden eingelerkert, einer
ftarb“, notiert die Chronik. Ein dritter, der nur geiftlichstirchliche Meigungen
zeigte, wurde mebrfadher Bifchof und Abt.
Alles was dem fräntifchen Reiche, oder — was desfelbe ift — Rönigtum
einft in der erften KHöhezeit angehörte, forderte er zurüd, die Reichseinheit, die
Piebenlande, Thüringen, Alemannien, Bayern; die Sacdıfen und zumal die Sriefen
betommen feine Hand fchwer zu fühlen. Seine auptarbeit leiftete er doch in der
Zufammenfügung der galloromanifchen Lande um Seine, Loire und Rhone. Jm
ryerzen Srantreichs, in St. Denis, ift fein Grab. Und dem franzöfifchen Rernlande
galt auch feine berühmtefte Tat, die große Araberfchlacht. Sie bat ibm den Ebrens
namen eines Dorkampfers und Erretters der Chriftenbeit eingetragen. Aber er bat
aud) wobl bier vor allem einfad fein AHausredht gewahrt und die Cindringlinge,
modten fie berfommen, wo fie wollten, binausgeworfen. Bei der Kirche feiner
Zeit war er eber in Ungnade, denn er nabm vom Rirchenvermögen zur Ausftattung
feiner Rriegsleute, übte diefe „Zwangsanleiben‘“ großzügig, weit mebr als früber
je gefcheben war; er brauchte ja auch weit mehr Ariegsleute. Gegen lirchliche
Reformwünfche verbielt er fih kühl. Dem „ilferufe des Papftes gegen den tats
kräftigen Langobardentonig Liutprand leiftete er nicht Solge. Er will nicht das
in langer Rriegsarbeit Errungene für ein fo ungewiffes Unternehmen aufs Spiel
fegen. Er ftebt in gutem Einvernehmen mit dem Langobardenkönig. Nicht etwa
aus irgendwelchen germanifchen Bemeinfchaftsgefüble heraus, fondern weil ibm
der tüchtige Klachbar gegen die Mauren helfen konnte.
Wie tommt es, daß von diefer gewaltigen Sübrerperfönlichkeit, in der das
Gefdhledt einen Hohepuntt der Entwidlung erreicht zu haben fchien, fo wenig im
Bewußtfein der germanifchen Volker haften blieb? Man fagt, die Erinnerung des
Volkes, die Sage verfhmolz ihn mit feinem Entel gleichen Klamens, Rarl dem
Großen. Aber auch in diefer Derfdmelzung und Typifierung, in der alfo das fur
das Dollsbewuftfein Wefentlide des Rarolingertums und feiner Caten gefaßt ift,
lebte er faft nur auf franzöfifchem Boden fort. Auch uns Heutigen feblen völlig die
inneren Beziehungen zu diefer Geftalt, es webt uns etwas Sremdes, merkwürdig
Rubles bei ihr an. Ylicht der zeitliche Abftand macht das; fondern der räumliches
voltbeitlide. Diefe Rarolinger find uns zu weit nach Welten gerüdt.
In diefer weftlichen Welt, in die fie bineingingen, konnten fie, trot ihres uns
zweifelhaft germanifchen Blutes, nicht bleiben, was fie von Haus aus waren. Dies
£and von den Pyrenden 3um Ranal batte, fehon damals, fein eigenes Lebenss und
Bildungsgefeg. Cin Mifdvoll, eine Mifchkultur gewiß, die verfchiedenften les
mente finden fich darin. Da ift die bildungsftolze gallordmifche Ariftoßratie der
„fenatorifchen“ Samilien mit alten Traditionen, fie bat fich erftaunlich 3&b-lebenss
fähig, verjungungsfabig erwiefen, fich mit der chriftlichen Syierarchie verfilzt. Und
neben Brichifch Römischen begegnet Örientalifcbes; Armenier, Juden, Sprer nefters
weife, namentlich die legtgenannten, die nicht nur als Bleine und große Gefcbaftss
leute, auch als Gelehrte vortommen, ja bis in die bifchöflichen Amter dringen; und
mit dem Möndhtum fam aud) wieder neuer Orient. — Bei allem aber fchlägt
doch immer wieder der alte gallifde Boden und Vollsgrundftod durd), fogar eine
alte Bildungsgefchichte druidifcher Herkunft läßt fich erkennen, erbält fich irgendwie,
in Anpaffung an Römifches, Chriftliches, Sränkifches, in der Schulung des Dens
1933, I Paul Zaunert, Die Entwidlung des RarolingersTypue. 13
EEE
tens und der Rede, getragen von der Viaturanlage des redefreudigen Galliers. in
elaftifches, ftark formal begabtes Dolfstum bildete fic. Auch germanifches Blut
fog diefer alte Dollss und Kulturboden reichlich auf. Die Merowinger bradıten
militärifch, politifch, fozial, rechtlich viel Sräntifch-Bermanifches binein, auch das
verfhmolz mit dem Cinbeimifden. Im Ylorden und Often des Reiches bereitete
fic, in engerer Berührung mit dem chriftlichen Angelfadfentum, eine neue, mebr
nordifch beftimmte Weife in Bauen und Denten vor, damals aber noch an übers
kommene Sorm gebunden, noch nidyt eigener Sormgebung mädtig.
In diefe Welt treten die Rarolinger, berufen, fie neu zu ordnen, zu regieren.
Sie bringen ein ausgefprodhenes SHerrenbewußtfein, große Serrfchergaben mit.
Aber zu fehr müffen fie dabei den Boden beimifchen angeftammten Vollstums
verlaffen, zuviel innerhalb eines andersartigen Dollstums, einer anderen Rulturs
welt arbeiten. Je weiter fie fic von ihrer altfräntifchen rbeinifchen Grundlage ents
fernen, je weiter fie nach Weften, nach Lleuftrien, Aquitanien geben, um fo weniger
begleitet fie angeborene germanifche Art und Rede, germanifde Luft. Ihe Res
gieren, ihr politifches Denken kann fidy nicht mehr in ftändiger Berührung, in
ftändiger Wechfelwirtung mit dem „diutisten‘“, „völkifchen“‘ DWefen und Leben
vollziehen, fie können aus dem frantifden Reichsbeamtentum nicht mebr in ein
germanifches Dolkslönigtum bineinwacdfen. Ihr Tun und Denten wird, weil
es ja zweifpradhig werden muß, immer wieder überfegen muß, febr fcharf ges
fcliffen, febe wad, aber aud) — weil es foviel in fremden Element fich bewegt,
daG es fich aneignen, benutzen, beberrfchen will — 3u abgefondert, 3u bewuft, be-
rechnet, einfeitig verftandesmäßig; ihre Politik wird Technik, Sdhulung im Macht⸗
tampfe. €e erbt und fteigert fid) im Befchlechte der Arnulfinger diefe Übung, dies
Bönnen im politifchen Spiel; bei aller ftürmifchen Tatkraft der Bli für den richs
tigen Zeitpuntt, die Sähbigkeit, die Dinge reifen zu laffen, die Mächte, Kräfte, Realis
täten, mit denen man zu tun bat, abzufchägen und zu nuten, nicht nur Domänen,
Zinsleute, Schaglammern, Zahl der Pferde, Lanzen und Säufte, aud geiftige
Mächte, Gewicht der Rede, moralifhe Wirkungen. Aber man arbeitet nicht ans
dauernd in einem fremden Element, obne nad und nady febr viel davon in fidh
aufzunehmen.
Syaben wir fo den Standort des Rarolingertums in der Dölkergruppierung
des Uhendlandes, den befonderen Sührer: und Regierertypus und feine Ausrichtung
und Ausrüftung, die fih von da aus ergaben, erlannt, fo werden wir auch die
Leiftungen und Perfönlichkeiten der nun folgenden Gefdledter richtig einfchäten.
Rarl Martells Söhne, Rarlmann und Pippin, unter die der Vater das Reich
wie einen Privatbefitz geteilt batte, geben wic fertige Männer ans Werl. Kein
Bruderzwift beim Regierungswedfel, wie fonft fo oft in der Srantengefcdidte.
Eintradtig tampft man Unrubeftifter und triegsluftiges Grenzvoll, die bei folder
Oelegenbeit fich regen, nieder.
Aber fcdbon nad fechs Jahren wurde dem älteren der beiden Brüder, Rarl:
mann, die Rüftung des Rarolingers zu fhwer; er befchloß in ein Rlofter zu geben.
Die einen fagen, er fei von jeber geiftlidem Wefen febr geneigt gewefen, die
anderen, die Reue über die Braufamtleit bei der Lliederwerfung des legten Ales
mannenaufftandes babe ihn zu dem Entjchluß gebracht. Er ließ fi in Rom zum
Mond fcheren, und erbaute fich ein Rlofter auf dem Monte Goratte; da er aber
aud) hier noch von fräntifchen Pilgern aufgefucht und an fein früberes Herrſcher⸗
tum erinnert vourde, verließ er feine fromme Stiftung und fam unerlannt nad
Monte Taffino. Alles wollte er hinter fich laffen, Welt und Reich und Rarolinger:
14 Volt und Kaffe. 1933, I
tum. Sogar feinen Klamen foll er verfehwiegen haben, niedrige Dienfte getan,
Prügel vom Rloftertoch für ein Derfeben geduldig bingenommen baben.
Fyier zeigt fich, daß in der feeclifchen Struktur der Rarolinger etwas nicht
ftimmt. Der Machtwille bat fid fein Organ in einer einfeitig nach außen ges
wandten harten und burtigen beweglichen Intelligenz und Aktivität gefchaffen.
Etbifchereligids dagegen feblt es an cigner Entwidlung. Wo die große Klaturkraft
verbraucht ift, die Lierven verfagen, bleibt, völlig ungermanifch, nur die Slucdht vor
dem Selbft in ein Afyl, das orientalifche Weltverneinung erfand.
Pippin, AlleinsSyerr im Reiche, fieht, die Zeit ift reif für den Schritt zum
Rönigtum, die Herrfcherftellung feines AHaufes bedarf noch des ficheren rechtlichen
Unterbaues. Das Mittel und der Verbündete dafür, die Weibe durch die
apoftolifche Gewalt Roms, find in Sinblid auf pfpychologifche Wirkung, für den
nädıften Zwed, richtig gewählt. Daß die Begenleiftung, die Hilfe, die man dem
Papft gegen den Langobardentönig gewäbrte, die fräntifche Politik in die italifchen
Dinge verflodht, und wozu das führte, das glaubte man der Zeit überlaffen zu
können. Yiod weniger naturlid) madte man fid) Gedanten daruber, daG die Ere
richtung des Rirchenftaates, zu der man dem römifchen Bifchof verhalf, die Bes
gründung des italienifchen Klationalftaates vereitelte, zu der fic eben damals die
£angobarden anfcidten.
Ein Warner Comme, den man nidt erwartet: der Möndy Rarlmann, von
feinem Abte, der alfo gegen den Papft für den italienifchen Rönig arbeitet, gefandt,
den Langobardentrieg 3u widerraten; wobl aud in Sorge um das Erbredt feiner
Söhne kam er. Pippin gebt über den Bruder binweg; läßt ibn zu Vienne im
Klofter in feftem Gewabhrfam balten, die Söhne zu Mönchen fcheren. Während
der Rönig nad) Ftalien aufbricdt, ftirbt der Mdnd in Vienne.
Pippin leiftet dem Apoftelfürften zu Rom fo viel, als nötig, fein Wort eins
zuldfen. Den weiteren Streitigkeiten zwifchen Papft und Langobardentdnig fiebt
er mit Oelaffenbeit zu. Die Lleuordnung des tirdliden Lebens im Stantenreiche
felbft führte er, obne Mitwirkung des Papftes, energifch weiter. Die Synode frans
kifcher Bifchöfe tagt unter Vorfig des Aönigs Pippin. Go batten ja fehon die
erften Wlerowinger begonnen, die gallifhe Provinzlirdhe in ihren Staat einzus
bauen — wie fhon in beidnifch germanifcher Zeit der Bau: und Stammesbäupt-
ling und Konig zugleidy Leiter des Kultes gewefen war. Pippin nimmt bier alfo
altes Herfommen wieder auf; verfäbrt nach alter germanifcher Recdhtsanfchauung.
Aber das betraf nur eine Stage der Sorm, der BOrganifation, der Herrſchaft.
Im Übrigen gebt er, der Zögling des Rlofters St. Denis, anders als der
nody halb heidnifch gezeugte fils naturel Karl Martell, religids mit dem criftlid:
fircylichen Zuge der Zeit, Bug, wachfam dabei; eiferfüchtig fein neues Rönigtum
butend.
Gonft gilt die HYauptmübe feiner Rönigszeit — act reerfabrten — dem
fudweftlichen Reichsteil, Aquitanien; bier wird der Sonderwille gebrochen — und
damit dem fpäteren franzöfifchen Staat weientlich vorgearbeitet.
Pippin gab den Rarolingern das Rönigtum, und das dhriftlichskirchliche Dors
zeichen; die Umriffe des „christianissimus rex“ fpäterer Zeit, „der allerchrifts
lichen Majeftät‘‘ der Sranzofenkönige, deuten fich an. Wobei der Ton zundchft auf
dem Rer, der Majeftät, liegt.
Und nun endlich der große Karl, der zweite „carolus“ des Gefchlechts. Wie
er die ererbte Rarolingifche Politik folgerichtig weiterführt, bis an die Grenzen des
Moöglichen führt und fo vollendet, vollendet er auch den Rarolingifchen Typus.
1933, I Paul Zaunert, Die Entwidlung des Rarolinger-Typus. 15
EEE SEGEN EEE
Schon bei feiner erften großen Aktion zeigen fich die ererbten Sähigkeiten und
aud die Grenzen, wie er die vom Vater angefponnene Auseinanderfegung mit den
Kangobarden durdfidt. Erft Stiedensangebot — gerade fo fing {don Pippin,
ſchon Karl Martell folde Handel an — dann aber, als das nicht angenommen
wird, Dorgeben mit aller Madt (gerüftet war man fdon); überlegene Rriegs
fubrung er3wingt den Eingang nach Italien, das langobardifche Aödnigtum wird
zertrümmert, ohne daß es gelungen wäre, an die Stelle des Zerftörten etwas
Befferes, den organifden Fleubau Gefamtitaliens, zu fetgen; rechtzeitig aber auch
ift man in Rom, um 3u verbindern, daß der Papft die Trümmer für feinen Rirchens
ftaat zum Ausbau benutt.
Während der Water fid mebr auf der Weftfront des Rarolingertums bes
wegte, von uns aus gefeben, mebr draußen, wächft Karl wieder mebr ins deutfche
Dollsbewuftfein hinein, bält fid mebr an die germanifde Bafis feiner Haus:
madt, verbreitert fie nod) nad) Deutfdland binein. Aber es war das Tragifche,
808 Verhängnis, daß das einzige Befetz feines Handelns aud nach diefer Seite bin
fur ibn aus der ererbten Macht und ibrer Dollendung fich ergab; daß der Raros
linger, der nun inftinttiv germanifdes Dollstum fuchte, um feine Macht fefter
wurzeln zu laffen, nur in der Rüftung des Eroberers fommen konnte, daß er gegen
das Deutfchland, auf das es ibm vor allem antam, Fliederdeutfchland, Alteftes
Deutfchland, nun jene Technik der Politik, jene Methoden fpielen laffen mußte, die
fic der Srante in der Sremde, bei der Aufrichtung feines Broßreichs auf ehemals
römifchen Boden in der Bemeifterung von Widerfachern und überhaupt polis
tifchem Stoff aller Art angeüubt und angewöhnt hatte. Die Unterwerfung Sadıfens
ift Adchftleiftung diefer karolingifchen Politik, ein Außerftes an folgerichtigem
Madhtwillen, der nie um Mittel verlegen ift und vor furdhtbarfter Brutalität nicht
zurüdichredt. Diefe Politi? ift getennzeichnet durch die graufige Schlächterei bei
Derden, und in ihrem letzten Abfchnitte durch die Maffenverfchleppungen; ganze
Gaubevdllerungen werden aus einem Boden berausgeriffen, mit dem fie in mebr
als zweitaufend Jahren verwurzelt waren. Man bat zur Rechtfertigung deffen,
was bei Derden gefhab, wohl gefagt, „für den mittelalterlichen Menfchen fei der
Rampf gegen die Heidenfchaft ein Rampf der chriftlicden Obrigkeit gegen das Reich
des Teufels‘ — und die Götter, um derenwillen die Sachen fic fchlugen, werden
ja in dem altfächfifchen Taufgelöbnis in einem Atem mit dem _ ,,diobole“, dem
diabolus genannt.
Aber das zeigt ja nur noch deutlicher, wie fehr fich diefes Srankentum fchon
der germanifchen Wefensrichtung entfremdet batte. Eine unter ganz anderem
Himmel, auf ganz anderem Boden entftandene Denkweife wird bier von ibm
übernommen und in die organifche Entwidlung des germanifchen Denkens bineins
geteilt: das dualiftifche Prinzip, das die eine Welt in zwei feindliche Lager aus»
einanderllaffen läßt, in ein Reich Chrifti und ein Reich des Bofen, und legterem
alle heidnifchen Bättergeftaltungen zuteilt als Trugbilder Satans, Machinationen
diefes Begenfpielers Gottes. Banz entgegen sem Weltbilde, wie es fic dem
Germanen geftalten wollte, dem alles ein Wachfen und Werden war, die Götter
und Gottesvorftellungen organifde Bildungen, an ibrem Ort und in ibrer Zeit
wirtli und wefenbaft, und für eine Zeit dafeinsberedtigt; Bsttergefchlechter
und Religionen Pbafen des WDeltwerdens, für deren jede, wenn neuer Glaube
weacfen foll, erft Same geftreut, eine Saat geduldig gepflegt fein will. Wie
weit ftebt die heutige Jwangs: und Maffentaufe, die Karl an den Gacfen ver:
übte, ab von dem gelaffensftaatstlugen Befchluß der isländifchen Boden auf dem
16 Doll und Raffe. 1933, I
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berubmten Althing vom Jabre 1000, wonad dem Chriftentum Eingang gewährt
wurde. Weil man es um foldye Sragen nicht zu Blutvergießen und Bürgerkrieg
kommen laffen wollte, und man eine Zeitwende in den Glaubensdingen fpürte.
Rübn und großartig fhien das Planen des Sranken fur Jahrhunderte, im
Gefühl gewaltiger Kraft greift er nach dem Größten, was die abendländifche
Tradition ibm entgegentrug, dem rdomifden Cafarentum und der dhriftlichen Hiers
ardie; beides will er mit feiner fräntifchen Ronigsmadt 3u einem criftliden
Imperium, einem Gottesftaat 3ufammenfugen. Aber es find von vornberein Kons
ftruftionsfebler in feinem Bau. ict nur zwifchen dem Chriftentum und dem
Staat, der feiner Herkunft und Klatur nad ein Seide ift, tut fich ein Rig auf;
auch zwifchen Imperium und Voltstum. Zwifchen der Spige diefes Weltreiche
und dem Sonderleben in Landfchaft und Gau, das allerorten fid jugendfrifd und
naturbaft regte, entftand leerer Raum; das Jnftitut der missi dominici, der
zwifchen Regierungsmittelpuntt und Landfchaft pendelnden Rönigsboten, ift ein
Erzeugnis des Baiferlichen Mißtrauens, ficheres Zeichen der mangelnden Sublung,
vergeblicher Derfudy, die Leere auszufüllen: es fehoben fich bereits Papier, Schreibs
wert und Kontrollbebdorden an die Stelle des lebendigen Wortes und des eins
fachen natürlichen Treueverbältniffes.
Und weiter: der Kirche wird in Rarls Plan die Rolle zugeteilt, die Völker,
die im Imperium vereinigt find, zu erziehen. Die Beiftlichen werden Staatsdiener,
Beamte in feinem Gottesreiche. Diefe Kirche aber ift auf nicht germanifchen Boden
entftanden, fie fpricht eine dem Germanen fremde Sprache, der Geiftlidhe gers
manifcher Sertunft muß fie erft mübfelig erlernen. Alle die böfifche Poefie, Ges
lehrſamkeit, Alaffiterleftüre und fchöngeiftige Unterhaltung der Tafelrunde und
Akademie Rarls, der Pflanzfchule und geiftigen Zentrale des Reiches, war ja
lateinifches Ererzitium für diefen Zwed, in die Lebrfchriften der chriftlichen Kirche
einzudringen. Auch bier, im rein Beiftigen, bewegt fich das Rarolingertum über:
wiegend in einem außerpolkheitlichen, übervolkheitlichen Clement, in einer inters
nstionalen Sphäre, beftrebt, fie fich anzueignen, zu bemeiftern. Karls reger Wifs
fenstrieb ift befannt, und fo treibt fein gewaltiger Wille auch die unter feiner
Ayerrfchaft vereinigten Völker auf diefem Wege weiter, der für die germanischen
ein mübfeliger Umweg wurde. Am unmittelbarften gewannen die Romanen
davon.
Rarl lernte das Lateinifche fo gut, daß er es wie feine Wiutterfprache bes
berrfchte, fagt Einhard. Die Zweifrontenftellung des Rarolingers ift damit trefs
fend bezeichnet, der Janustopf, deffen eines Beficht den WDelfchen, deffen andres
den Deutfchen anficht. Die Heftighkeit und Britifche Schärfe, mit der franzöfifche
Hiftoriter die Glaubwürdigkeit deutfcher Quellen über Rarl den Großen anges
griffen haben, ift durchaus begreiflih. Wir gefteben ihnen, den Sranzofen, ihr
Rarolingertum zu; tun es gern; jene Qualitäten, die der fränkifche Eroberer und
Örganifstor vorzüglich auf gallo-römifhem Boden ausbildete, die politifche
Routine und Brapour, die Virtuofität der Logit. Denn ihren intellektuellen Elan
verdankt die franzöfifche Klationalität ja zu einem Teil dem romanifierten Srantens
tum. Einen Rarl Martell alfo und König Pippin, die ja auch in St. Denis bes
graben liegen, treten wir ihnen ab. Aber Karls des Großen Grab liegt in rheinifchs
deutfcher Erde; und es ift kein Zufall; man weiß, Rarl felbft bat diefen Ort, diefes
Aachen, als Aufenthalt bevorzugt.
Fier alfo wird die Auseinanderfegung fehwieriger. Rarl ift mit der deutfchen
Überlieferung bis in die Gegenwart verflodhten. Mit adht Jahren fchon in den
1933, I Paul Zaunert, Die Entwidlung des KarolingersTypus. 17
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erften £efebüchern fanden wir die Befchichte von Raifer Rarls Schulvifitation,
und ein paar Rlaffen weiter lernte man Ublande Balladen von Karls Meerfabrt
und von Rlein Roland und feinem großen Ohm. Aber die Rarls-Überlieferung
ift in Deutichland von allem Anfange an zwiefpältig. Der Fliederfachfe mußte
ibm mit bitterften Empfindungen gegeniiberfteben, die rheinifchefränkifche Aufs
faffung von entgegengefegten Stammesgefüblen, von Stolz und Anbänglichkeit,
beftimmt fein. Jn diefer legteren Linie fteht Zinbard. Als er fein Lebensbild Rarle
zeichnete — dody wohl erft etwa zwei Jahrzehnte nach des Raifers Tode —, bat
ibm aber nicht nur perfönliche Dankbarkeit und Verehrung für den angeftammten
Ayerrfcher und nicht nur verklärende Erinnerung die Hand geführt und ihn über
Sahwidhen und heille Stellen hinweggleiten laffen — er bat fich in der ganzen
Anlage feiner Darftellung nach den Lebensbefchreibungen der Römifcyen Raifer
des Gueton gerichtet, dergeftalt, daß er für die Charakteriftid deffen Typen nachs
abmet und faft nur foldye Züge mitteilt, foldye Seiten der Perfönlichkeit ins Auge
gefaßt, auf die er durch fein Dorbild aufmerlfam geworden ift; ja er übernimmt
von ihm und andern römifchen und frübehriftlichsrömifchen Befchichtefchreibern
auc) die Ausdrüde, und baut feine Sätze nach dem Vorbild Ciceros. ;
Es ift danad fdwer einzufeben, wiefo man Einhards Darftellung immer
noch als cin Haupts und Wertſtuͤck deutſcher Biographik mitfubrt. Sie tann
nur noch als tritifd zu fichtendes Material gelten und Einzelzüge liefern. So
erfcheint 3. B. durchaus glaubhaft, was Einhard von gelegentlich überrafchender
Oefühlsweichheit bei Karl berichtet, von beftigem Weinen beim Tode feiner Söhne
und feiner Tochter und des befreundeten Papftes Hadrian; von übergroßer Nach⸗
giebigleit gegen die berrifche Aödnigin Saftrada; von der väterlichen Zärtlichkeit,
mit der er an feinen fchonen Töchtern hing; er konnte ohne fie nicht leben, und
fih nicht dazu entfchließen, fie unter die Haube zu bringen; ftatt deffen ließ er
lieber ftillfchweigend zu, daß fie unebeliche Verbindungen mit Herren des Hofes
eingingen. ©erade bei ibm, der fic nach außen bin in den politifchen Unternebs
mungen zu fo furdhtbarer Härte und Eältefter Berechnung fteigerte, wird eine
derartige, gleichfalls übermäßige Reaktion im Privatleben nach der Gefublofeite
bin verftändlich.
Uber gerade das Gefamtbild, wie es Cinhard gab, ift für die Solgezeit febr
maßgebend gewefen. Die voltsmäßige fagenbafte Überlieferung im fräntifchen
Stammlande brachte es nicht zu einer gefchloffenen Geftaltung, beftete fich mit
Dorliebe an Einzelzüge der Perfönlichkeit, wie fie fich in der Heimat in Sriedenss
zeiten gegeben hatte, und an drtliche Erinnerungen. Im Gefamtgedächtnis und
sbewußtfein des deutfchen Mittelalters aber trat der biftorifche WOefenszug mebr
und mebr binter die dee zurud, die fid) mit ibm verband. Den Regierenden ift
er der Erneuerer des römifchen Aaifertums mit chriftlicher Blorie, der große Bes
gründer des abendländifchen Gefamtreiches (dem entfpricht ja die chriftlichsrömifche
Stilifierung bei Cinbard); Barbaroffa, dem das gleiche Ziel vorfchwebt, läßt
ibn beilig fprechen.
Und die Regierten, die Gedanken und Wiunfcde des Volkes tnupfen an feinen
Kamen und feine Geftalt, vor allem die Fee des Rechts. Als deffen Schöpfer
und Hüter denkt man ihn, als „den beften Richter, den je ein Auge fab, das
Dorbild und Urbild aller Raifer, von denen man ja immer wieder erwartet, daß
fie ein Reich des Sriedens und der Gerechtigheit aufrichten. Mit dem gefchichts
lichen Rarl bat diefe Geftaltung der deutfchen Sage nur noch ihren Anfagpuntt
gemein, die Tatfachye, daß die zahlreichen Rapitularien Rarle, die Reichsgefetze,
Dolf und Raffe. 1933. Januar. 2
18 Volt und Kaffe. 1933, I
REDE TE IE EEE ELEKTR SETS HEERES Br a —
Verordnungen und Ausführungsbeftimmungen, die er während feiner langen Res
gierung ergeben ließ, dem Volke in feinem Llamen verkefen worden waren, fo daß
fi) im Gedächtnis des gemeinen Mannes mit ihm die Begriffe von Gefeggebung
und Recht verbanden. Sür Inhalt und Befchebhniffe diefer Sagengruppe felbft aber
bat die Einbildungstraft des Volles nicht etwa die Motive aus Karls Leben ents
nommen, fie gibt nicht etwa Beifpiele der Gerechtigteitsliebe und richterlicdyen
Meifterfchaft des gefchichtlichen Rarolingers, wenn audy in dichterifcher Umbils
dung, fondern diefe Erzählungen entftammen in ihrem Berne dem reichen allges
meinen Sagenfcdhate des Mittelalters, der fich zudem noch ftändig durch Fuflug
aus dem Morgenlande mebrte; wie denn gerade eine der belannteften und eindruds
vollften Sagen, die von der Blode, die für die Rechtfuchenden aufgebängt wird,
und von dem Raifer und der Schlange, aus Elementen indifchen Urfprungs ges
bildet ift. In einem Meiftergefang wird fogar der uns durch Shalefpeare geläufige
Richterfpruc uber den Juden von Denedig auf Karl übertragen. Man könnte alſo
in diefer deutfchen Gagengruppe, die den „beften Richter‘ darftellen will, den
Kamen „Barl‘“ ebenfogut weglaffen und einfach fagen: „der Raifer‘‘ — oder „Srieds
rich“ oder „Otto“. Ebenfo wie ja auch in der Gage von dem Kaifer, der im Berge
ſchlaͤft, dieſe Namen abwechſeln.
Wir werden alſo gut tun, ſcharf zu ſcheiden zwiſchen dem Karl, den der
Deutſche ſich dichtete, auf den er im Mittelalter ein Wunſchbild vom Raiſertum
uͤbertrug, den er aus ſeinem Maͤrchen⸗ und Sagenſchatze liebevoll ausſtattete —
und dem geſchichtlichen, dem Erben Rarl Martells und Pippins, den wir folge⸗
richtig zu dieſen beiden ſtellen, zu einem Typus des Franken alſo, der auf gallo⸗
romanifdem Boden unferm Vollstum fremde Zuͤge anahm, fo daß er uns weder
als deutſcher noch germaniſcher Menſch mehr gelten kann.
Die Reihe der Rarolinger nach ihm, den Abſtieg des Geſchlechts zu verfolgen,
koͤnnen wir uns erſparen. Wirklich neue Zuͤge wuͤrden dabei nicht zum Vorſchein
kommen; auch was zum Verfall des hHauſes fuͤhren mußte, ſobald einmal die Hoͤhe
überfchritten war, ift fehon angedeutet: die ungebemmte Sinnlichkeit, von der auch
Bari der Große keine Ausnahme machte, wie er ja auch anderfeits feinen famtlicd
unverbeirateten Töchtern eine Bewegungefreibeit gewährte, die der Auflöfung der
Gitte bedenklich nabe tam. Und in Solge der vielen Srauen, deren die Rarolinger
nicht entbebren modten, viel Stiefmütter und Stiefgefchwifter, viel uneheliche
Rinder, viel Ciferfudt und Erbftreitigteiten; auch leiblidye Brüder aus echter Ehe
geraten leicht aneinander, denn jedem ftebt ein gleicher Anteil zu, und der Sinn
fteht bei den meiften nad Macht und Befig. Und endlich, was in dem Selle
Rarlmanne, des älteren Bruders vom Rönig Pippin, fich fehon vorzeichnet: der
Machtlultus fchlägt bei fchwächeren Llaturen dann in Mudertum, Zerknirfdhung
oder völlige Weltflucht um.
1933, 1 Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Aleflawenwanderungen. 19
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Urflawenheimat und Altflawenweanderungen.
Yon Th. Hoffmann, Linz a. d. Donau.
Mit ciner fHematifden Karte.
(Schluß).
Der Augenblid der Abwanderung der Siawen aus ihrem Entftehungsgebiet
wird fid taum mebr genau feftftellen laffen. Diefe kann auch nicht plöglich und in
Maffen erfolgt fein, fondern ging gewiffermagen ,,fcleidend vor fic, indem
anfänglich einige und fodann immer mehr Stämme abwanderten, und zwar, wie
aud fonft überall, in der Richtung des fhwächften Widerftandes.
Mit der Abwanderungsrichtung der isUrftammesnamen haben wir uns nad
ven angeführten Ortsnamen bereits belannt gemadt; ibe folgte, gewif erft im
zweiten Treffen, diejenige der „Ablömmlinge‘ — der itisYTamen, welde aus fols
gender fchematifierter Karte 23) zu erfeben ift, und die zugleich ein Verzeichnis ders
jenigen Ortsnamen enthält, die ebenfalls in Deut{dland vorkommen.
In Deutfhland (als itzsÖrte) vortommende ruffifhe und
polmifde altzeitlide it und itisOrte.
Minft Baranowiti — Baranowig, Oberfdlefien
" Domanowili— Domnowig, Pofen
Ljuboniti — Lubnig, a)
Mallowili — Mallowig, Sdlefien
Darili — Paris, Schlefien
SGintewili — Singwig, Sadfen
Smilowili — Smilowig, Oberfdlefien.
oo Wollowiti — Woltwig, Pommern.
Wolbynien Brelewili — Rretfhwits, SadhfensAltenburg.
Polen Wardau) Latowit — Latowit, Pofen
w (Warfdau) Lowit — Lowig, Pommern, £öwig, Pommern, Ldwig,
Oberfdlefien.
» (Petrifau) Ravit — Rawitfh, Pofen.
Wilna Berefewit — Brefewig, Medlenbucg, Brefewig, Pommecn
" Kriwiti — Crivig, Medlenburg.
Witebfe — — Bortowig, Oberfdlefien, Roflowiti — Rofelwig, Obers
efien.
Smolenft Ferfhiti — Jerfig, Pofen.
Twer Otmiti — Ottmüß, Oberfclefien.
Perm Schabuniti — Schoppinig, Oberfdlefien (mdgliderweife).
Bei beiden Ortsnamensarten ift die anfängliche Richtung die gleiche — dies
jenige genau nach dem Florden. Das Urflawengebiet mußte nämlich zu damaliger
Zeit nad rei Seiten bin (Weft, Sud und Oft) abgefchnürt gewefen fein, was
wohl mit den bereits angedeuteten Machtverbältniffen in Zufammenbang gebradt
werden kann. Ebenfo, wie ein gut Teil der Urftämme bierauf weiter nach Liorden
und Llordweften, längs des Fiiemen und bis zur Windau, alfo fhon in rein
Iitauifche Gebiete und fogar bis nach Altpreußen binein einfidern konnte, genau
fo gelang es den „Ablömmlingen“, diefe Landftriche teilweife zu erreichen (ischkis
Kamen). Das läßt zweierlei vermuten: eine gewiffe, trog der getrennt zurüds
gelegten Entwidlungswege dsennod erhalten gebliebene Übereinftimmung in Art
und Sitte und daß die gegenwärtigen £itauer zu einem Teil litauifierte Slawen find.
28) Diefe Karte umreißt nebenbei auch das Gebiet der Urflawenbeimat. (Die gefperrt
gedrudten find unmittelbar im Sumpfgebiet gelegen.)
2*
20 Volt und Kaffe. 1933, I
£s ift möglich, daß ein Teil der isYTamen fid) aud) von Litauen aus weiter
nad Often 3u ausbreitete; der andere Teil dagegen zweigte im Minfker Gebiet
nach Flordoft und Oft ab und erfüllte fodann die angedeuteten Landftreden bis
Sch ematische Karte
Unslavenheimat-
2 und der
°ict-Ortsnamen-Wanderung
r Südiweg DEF) \I
Oni
Wähihger
Lage und Zchlderil-undili-Örte.
Rotitnos-Gumpfgebiet:
1. Minfe 43 Orte
2. Mogilew 10
3. Wolbynien 10
4. Rijew 3
5. Polen 7
6. Tidhernigow j
7. Grodno 5 85 Orte.
Angrenzende Gebiete:
8. Wilna 4 Orte
9. Witebjt 7
10. Smolenft 3
11. Podolien I 15 Orte.
Weitere Gebiete:
12. Pftow 3 Orte
13. Petersburg
14. Howgorod
15. u.
10. Raluga
17. Orel
18. Jaroflawl
19. Roftroma
20. Wjatka
21. Perm
— — — — be by oe fe oe
17 Orte.
Zufammen: 117 Orte.
— — —
—— — —
— N — — u, —
1933, I Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Aleflawenwenderungen. 21
zu den Abbangen des Ural. Die itisYiamen nabmen denfelben Weg, bogen
aber im Gmolenfler Gebiet teilweife nach Süden ab; das Entſtehen der Sje⸗
waria.d. Sjewa und dser Sfulitia. d. Sfula auf diefe Weife und ab des Zuges
nad Often ift nämlich viel wahrfcheinlicher, denn das Übergreifen von deren Dors
fahren oftwärts über den Dnjepr. Flach Flordoft gelangte der Hauptzug über
die Rolas Halbinfel bis zu den Geftaden des Td rdl. Eismeeres ÖrtAriwec
a. d. Woronja) und nad Oft, längs der alten wäringifchen Sandelsftraße bis
zum Ural und wohl auch darüber hinaus bis 3um Ob (Orte Rriwcy a.d. Kama
und dftlid davon Sdhabuniti bei Perm).
II.
Nach Abwanderung wohl des größten Teiles der Urflawen aus ihrem Ent:
ftebungsgebiet entftand in bezug auf die größeren Stämme im fpäteren folgende,
auf die erften gefchichtlichen Berichte gegründete Lage: Die Dre wi (Drewli) faßen
am oberen Bug I und unterhalb des Pripjet; die Polani am mittleren
Bnjepr; nordweftlid der Drewi am Bug I die BuZani (Bugani); unterhalb
der Drewi, in Wolbynien die Dulebi; die Sjewi/Sjewari an der Sjewa
und weftwärts bis zum unteren SfoZ; darunter die Sfuliti an und zZwifchen
den Stüffen Sfulea und Sfem; die Rriwili an den Quellgebieten der Dina,
des Dnjepe und der Wolga (WaldajsGebiet) und fchließlih die Wijatiki
am Oberlauf der Ola.
Über die Ableitung obgenannter Stammesnamen find meift irrige Meinungen
verbreitet. Die Drewi/Drewli werden in Rußland von „drewo — Baum“
oder von „drewli — bölzern“ und „drewli — uralt“, die Polani dagegen von
„polje — Seld“ abgeleitet. Dies widerfpricht jedoch vSllig der bei den Urflawen
üblich gewefenen Flamensbildungsart. Die Uranfänge der Drewi müffen an einem
unbelannten Fiebenfluffe des Pripjet begonnen haben (etwa Drwa), deffen Liame
vielleicht noch vorhanden oder aber verfchollen ift; auch die fpäterhin fudweftlich
der Drewi auffcheinenden Tiwercy könnten damit in Zufammenbang gebradht
werden. Ebenfo unfinnig erfcheint es, die Polani von „Geld“ abzuleiten, da es zu
der Zeit, zumal in jener Sumpfgegend, auf keinen Sall Selder in fo auffallenden
Ausmaßen gegeben haben konnte, daß fie einem großen Stamm den Liamen bers
zugeben vermodhten. Jn diefem Salle ift die Löfung leicht: Die Polani waren
beftimmt die „poslängssdes Lan-(Flebenfluß des Pripjet)Sigen:»
den“ — „Po-Lan-i* und hatten fic) dann bis zum mittleren Drnjepr ausgebreitet.
Die Sjewi/Sjewari und die Sfulikti find ficher auf die Sluffe Sjewa und
Sfula zurüdzuführen, während bei den Rriwiti%4), den Wjatiti und den
Dulebi wiederum die bezüglichen Stüffe fehlen, die unbedingt vorhanden ges
wefen fein mußten. denn fie nicht im Pripjets®ebiet felbft auffindbar find, was
immerbin möglich ift (man könnte 3. B. den PripjetstTebenflug Wit als mit den
m jatiti verbunden denlen — Wititi), fo müffen fie eben an den neuen Wohns
ftätten gefucht werden; fo liegt 3. B. der auf die Rriwili zurüdführende Ort
Rriwec (Pflow) an einem nicht benannten Fiebenfluffe der Schelonj, der mög»
licher WDeife „Rrwa oder Rriwa — Rrumme“ beißt. Aus der Tatfade, a8 Sluffe
folden Mamens in jungflawifchen Gebieten befteben (Rriva, 3. Ptinja, 3. Dardar;
ReivaskLatavica, 3. Bregalnica, 3. Vardar; Rrivaja, 3. Bosna, 3. Gave;
24) Eine Unterabteilung der Rriwidi, die Poloti / Polotifi, fpätere Polot;
Zani, faßen an der Polota (Düna).
22 Volt und Kaffe. 1933, I
SE gE TS
Rriwaja, 3. Stanzenslanal, Ungarn) könnte man annehmen, daß wenigftens
ein folder in altflawifchen Gebiet beftanden bat (oder noch befteht), deffen Kiame
fodann mit auf die Wanderung genommen worden ift; der Stu Rriwa aus dem
gleichnamigen See auf der Infel Rolgujew dürfte ebenfalls dafür fprechen.
Um das Jahr 1000 dagegen batte fich die vorbefchriebene Lage der alten
flawifchen Stämme fdyon merklich verändert: Die bereits von den Wäringern
unterjodten Drewi batten ficb von ihren urfprünglichen Sigen aus bis zum
Dnjepr ausgebreitet; am Oberlauf der Weichfel faßen die Chrobati (Kros
aten), längs des Dnjeftr die Tiwercy. Die BuZani und die ebenfalls von
den Wäringern unterworfenen Polani müffen nad Welten abgezogen fein
(Polen), denn fie werden nicht mehr erwähnt, ebenfo die Wijatiti nicht, die
nad Öften abgezogen fein mußten 5). Die Sjewari und Sſulidi hielten noch
ihre alten Wohnpläte, und unterhalb Smolenft, zwifchen den Bnjepr und
den Öberläufen des SfoZ und der Defna, tauchen sie Radsimiti®®) auf,
während die Rriwiki fih ab Smolenft und Pftow bis weit nad Flordoft
und Oft (im Gebiet der fpäteren Republit Groß-LTowgorod, das über den
Ural reichte) ausgebreitet batten. Don diefer Zeit ab verfhwinden deren Llamen
aus der Befchichte, und die endgültige SHerrfchaft der Wäringer begann (ab
$62). Die Kriwili waren die erften, die ihnen unterlagen, die übrigen Stämme
folgten nach und nach und bis zum Jabr 1015, dem Todesjahr Wiedimire
8. Heiligen, war deren reftlofe Unterwerfung gelungen.
Die andauernden Zufammenftöße der Altflawen mit den Wäringern, fchon in
vorgefchichtlichen Zeiten, Lonnten es gewefen fein, welde die Abwanderung eines
beträchtlichen — und beftimmt des beften — Teiles des Altflawentums nad Weften
bewirkt batten. Mit dem Augenblid nämlich, da das Smolenfter Land (der
alte Rriegszugss und Handelsweg der Wäringer nach dem Süden — Byzanz)
von den Altflawen erreicht bzw. überquert worden war, belamen es diefe fofort
mit den Wäringern zu tun. Dies muß auch der Grund gewefen fein des Abs
biegens eines Teiles von da nach Süden (Sjewari und Sfuliti) und des Weiters
wanderns eines anderen nach Llordoft und Oft; was dablieb, mußte fich unters
werfen und tributpflichtig werden (Radimiti). Dod die mächtige Sauft des
Wäringertums ließ ihnen auch in den neuen Siedlungsländern keine Rube, wozu
nod die auf der feindfeligen Haltung der Sinnen und Mongolen (Tataren)
berubende Unficherbeit binzugelommen fein mag. Dies alles zufammengenommen
dürfte den Anftog zur Rüdwanderung gegeben haben. Daß fie aber gerade
aus diefen Landftreden erfolgt ift, dafür zeugen uns viele in
Deutfhbland vortommende itz»Örtsnamen, die auf Slüffe jener
®Gebiete hinweifen, auf die Slugfyfteme der Rama, der Mefen, der
Wordl. Dina, der Det{dhora, in einigen Sällen fogar auf dies
jenigen der Rara und des Ob. Unterwegs muffen fid diefem Wans
serzuge aud grogere Splitter anderer, in der alten Heimat vers
bliebener Altflawenftdamme angefdloffen haben; dies be;
25) Anzunehmen ift, daß die Wijatilinadh dem gegenwärtigen Goup. Wijatle ges
zogen find; die Stadt Wiatla am gleihnamigen Stuß Önnte darauf binweifen. Spuren
der Duelebi fand Shwarz (in der erwähnten Arbeit: „Die Ortsnamen der Sudetens
lander....% auf SG. 51) in Böhmen, im Flamen der Gauburg Doudleby, „wo
fbon 3375 ein Präfelt Dudeleb genannt wird“.
36) Die Radimili (nak sem Llamen des Oberhaupts Aadbhelm, flawifiert in
Radim) waren eigentlich tein Stamm mebr, fofern eine von den Wiaringern erzroungene
und beberrfdte ,Staatsgemeinfdaft’ innerhalb des wiaringifden Suhdweggebiets.
1933, I Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 23
weifen weitere deutfche, auf SIußnamen diefer Landftreden bes
rubende itzsÖrtsnamen. Kicht ausgefchloffen ift, ag fidaudh Wäringers
und Litauectrupps dem Zuge angefchloffen hatten, wozu noch ein nicht uns
beträchtlihes StIavengefolge binzuzudenten wäre. Diefe Lage betrifft jedoch
nur die Altflawen Ofts, Mordofts, Klords, Mittels und Weftrußlands; diejenigen
Sudrußlands, zum größten Teil von einer gotifchen Oberfchicht beberrfcht gewefen,
waren von den Awaren nad Welten mitgeriffen worden. Dod find Abwandes
rungen aus dem Pripjets Gebiet und dseffen Umgebung längs des Onjeftr,
Pruth und Sereth, alfo nicht unter awarifchem Zwang, ebenfo feftftellbar.
Soentftand fhlieglih einnah Welt und Sudweft drängen»
des „Bemengfel“ von Angehörigen wohl aller altflawifhen
Stämme, Stämmden und Sippen, das fih erft in den neuen
Mobhngebieten zu neuen Stämmen zufammenfdhloß und deren
Mamen erft dort entftanden waren. Es ergibt fidh daraus, daß man fo
mandıen, in Deutfchland bekannt gewordenen altflawifchen Stammesnamen von
einem deutſchen Flußnamen ſicher ableiten kann; wo dies nicht zutrifft, deutet
der Name auf einen Fluß in der alten Heimat oder aber auf einen der jüngft vers
laffenen Gebiete bin.
Zur Beweisführung fei bier ein ftark gelürztes Verzeichnis deutfcher itz-
Ortsnamen angeführt, welche von SIußnamen der angedeuteten Bebiete abgeleitet
werden können; mebrmalig vortommende gleichlautende Liamen werden nur eins
mal erwähnt.
Altmart:
Javenig — Javon ((JlmensSee) — Javonit
Polvig — po-Lwea (Pripjet) — Polwit
Porig — Por (Wiepr) — Porik
Anbalt:
Lobnig — Loban (Rama) — Lobanit
Pdtnig — po-T nia (Pripjet) — Potnié.
Bayern:
Rddvig — Rojda (Mefener Bucdht) — Rojdit
Lamig — Lama (Wolga) — Lamit
Mitwig — Mitwa (Lliemen) — Mit wit.
Brandenburg:
Danewig — Tanew (Weidfel) — Tanewit
Jérig — Jura (Memel), Jura (Flördl. Düne) — Juri
Orion. — 0sBolwa (Bnnjepr) — Obolwit oder 0o-:Pilwa (Rama) —
Do — Pole —— — Polit
Donig — Ponos Gee (Waldaj) — Ponit
Straupig — Strypa (Onjeftr) — Strypit
Weprig — Wiepre (Vugl) — Wieprit.
Hannover:
Timmeig — Tim (Don) — Timit.
Laufig, Tieders:
Stöbrig — Stober (Oder) — Stoberit
Jinnig — Zna (Pripjet), 3na (Ola), dinne (Oder) — Znid oder Fini’.
Medlenburg:
Prillwig — pri-£ wa (Pripjet)) — Prilwit
Roffewig — Roffawa —— — Roffawit
Banig — San (Wedfel) — Sanit
Uclig — Ulla (Dina) — Whe.
24 Doll und Kaffe. 1933, I
——
Pommern:
Loͤcknitz — Loknja (Ilmen⸗See) — Lotnit
Uemig 27) — Njem Moͤrdl. Duͤna) — Njemiẽ
ce oe Pyra (Sadfen) — ic
oſchutz — Roß (Onjepr), a — — Roffit
Rufhig — Ruz (Marew) — Ruzil.
Dofen:
Moſchuͤtz — Moſcha (Gnega) — Mofdi
Oſchuͤtz — yl fa (Arge), Of fa en — Offit
Schulig — Sfula (Dnjepe, Mefen, Petfhora) — Sjulit
Seewig — Sjewa (Onjepr) — Sjewit.
Preugen, Wefts:
Lobig — Lob ( olga) — Kobit
Oftrig — Ofter I u. II (Onjepr) — Ofterit=
Polnig — pos £afi (Dripjet) oder Polon« (IlmensSee) Dolanit oder Polonit
Wallig — Wala (Rama) — Walit
Waplig — Wablja (Dnjepr) — Wablit
werfie — WoZa (Ole) — Work.
Dreußen, Ofts:
Drdtelwig — pre-Rolwa (Rama) — Pretolwil.
Rigen:
Rubig — Kuba (Wolga) — Kubit
erence — Profnea atthe) — Profnit
Gnig — sa-Zna (Pripjet ufw.) — Saznit
— — Selwa (Miemen) — Selwit
Gilvig — Gylwa (Rama) — Sylwit
Tegig — Tetfha (Ob) — Teil.
Sahfen und Thüringifhbe Staaten:
Baſchuͤtz — Baſja (Onjepr) — Bafjit
Coldig — Roloda (OnegasGee) — Rolodit
Demig — Dema (Rama) — Bemit
Amnitz — Almen⸗See — Ilmenie
Rotterig — Rotra (Fliemen) — Rotrid
Rulig — Rula (Hördl. Dina) — Rulit
Rürbig — Rorba (OnegasSee) — Rorbit
Maltig — Malta (LubansSee, Witebft) — Meltit
DPolbig — po-£ob (Wolga), po-Laba (= Elbe) — Polobit oder Polabit
Poftwig — po-Stwa (Dripiet) — Poftwit
Salbig — sa-£ob (Wolga) — Salobit
Weblig — Wel(Hördl. Duna) — Wellié.
SGadfen, Proving:
Brottewig — Protwa (Wolga) — Protwit
Bülig — Bula (olga) — Bulit
Teud'y — Tawda (Ob) — Tawdit.
27) Die mögliche Ableit vom Sluffe jem 3. B. der Ortsnamen: Wemig, Re.
Kammin, und Temi, K Re. Sek awe, in Pommern, Wiemigd, UT. Laufig, Niemtſch,
Schlefien, fowie des Mebmin: s Sees, Brandenburg, ift für die Sorfdung febr wichtig.
Bisher galten allgemein alle an das Wort „njemec = Deutfdher* antlingenden Orts»
namen als Zeugen von deutfchen Siedlungen innerhalb des alten Slawengebiets, fo uns
wabrfcheinlich fie in mandem Sall gewefen fein mochten. Man ftuote fic hierbei vielfady
auf das Rirchenflawifhe — „njemici = Deutfce”, ohne zu bedenken, daß diefe Sprache
den Elbeflawen unbelannt gewefen fein mußte, weil etwa im 9. Jahrhundert entftanden,
während die Elbflawen {don im 6. Jahrh. in Deutſchland fiedelten. Und tatfadlid war
ihnen das Wort „njemici“ unbelannt, fie fetten dafür das nod gegenwärtig bei allen
Slawen geltende „njemec“. Das beweift die anno 1257 urkundlich erwähnte „villa
Nemezow“ (Roftoder Seldmart in Medlenburg), welde, fiebt man von der etwas unges
nauen Schreibweife ab, genau nad der nod jegt gültigen Kegel abgeleitet ift: Hausname
— njem(e)c-ow, SGippenname — njem(e)cow-it en efhledhtername no in
Polen beftebend) und ammesname — njem(e)t-it (als Ortsnamen Hiemtfhig
1933, I Th. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 25
SR — a a ———
Schleſien:
Baldowig — Baldowa (Wartbe) — Baldowit
Ramig — Rama — Ramil
Blodnig — Rlodnica (Onjeftr), Rlodnig (Oder) — Rlodnié
Malmig — Malma (Rama) — Malmit
Perig — Para (Ola) — Parit
Pofelwig — po-Selwa (Miemen) — Pofelwit
Priffelwig — pri-Gelwa (Miemen) — Prifelwit .
Romnig — Romen (Onjepr) — Romenié
Ufdhig — UZ (Pripjet) oder Uf da (Onjepr, MWiemen, Wilija, Pripjet) — UZiE
oder Ufdit
Wirrwig — Wirwa (Weidfel) — Wirwit
Wifdisg — Wyfdha (Ota) — Wyfdit.
S@hlefien, Obers:
Rofmig — Rofma (Petidora) — Rofmit
Oberwig — obs Jrwa (Mefen) — Obirwit
Ottmig — o-Tma (Wolga) — Otmit
Pofnowig — po-Gnowa (Dnjepr) — Pofnowit
— mr der Zinna!) — po-Zna (Pripjet) Ina (Ola), Jinna (Oder) —
om
Sebfhüg — Sapfba (Düne) — Sapfei
Saurwig — sa-Irwa (Mefen) — Sairwil.
SHleswigsHolftein:
Herig — Her (Wartbe) — Merit
Pdlig — Pola (WmensSGee) — Polik.
Mie bereits betont, führten die in Deutfchland neugebildeten altflawifchen
Stämme Viamen, welche 3. T. auf deutfche Stüffe, 3. T. auf außerdeutfche zurüds
führten; möglidy ift dabei auch eine Benennung eines deutfchen Sluffes durch die
Altflawen felbft.
Eserfheintnämlih als fiber, daß die Altflawen, genau wie
die Urflawen, das Heiligbalten der Stußnamen (wie überhaupt
eines jeden Ylamens) aud bei anderen Ddllern vorausfegten
und fid danadh aud richteten. Als Beleg bierfür kann die einfache Übers
nahme ihnen fremder Slußnamen in ihrer Heimat und auch anderwärts gelten, die
fie dann aud auf fich felbft bezogen; alfo von Klamen, die ihnen nicht anders, als
von anderen übermittelt gewefen fein konnten. Hierzu kommt noch, daß fie auf
ihrer Weftwanderung den angetroffenn Silinger-!Flamen als Glagis
Slongi ebenfalls befteben ließen. Traf demnach der wandernde Altflawe auf
den neuen Wobnplagen eine Dorbevdllerung an, fo fand er fic) mit diefen bereits
beftebenden Klamen ab, d. b. er ließ fie unverändert, benannte fic fogar felbft
danad. Erft wenn die neun DOobnplage von den Erftbewobhnern gänzlich vers
loffen angetroffen wurden und er demnadh keine Llamen in Erfahrung bringen
konnte, erft dann trat einer feiner heimatlichen Klamen auf den Plan, oder aber er
madte in folden Sallen, aus vorerft noch nicht erforfchten Gründen, von den heimats
lichen Llamen überhaupt keinen Gebraud) und bezeichnete in feiner Sprache dies
oder jenes als eben nur das, was es vorftellte; es könnten fonft nicht — und dies
nicht nur in Deutfchland — fo uberaus baufig Slugs und Ortsnamen vorlommen,
[Bremfier] uno GroßsFTiemtfchig [Aufpig] im Mähren). Man vergißt dabei ferner,
daß urfprünglid mit dem Wort „njemic / njemec“ nit nur die Germanen (und
fpäter die Deutfcdhen) allein, fondern fämtlibe Sremdnälker gemeint worden waren —
als „Stumme“, d. 6. die flawifche Sprade nit Sprecdhende. Es gibt in Beutichland
eigentlih nur 3wei Ortsnamen, die auf deutfche Siedlungen innerhalb der Slawens
gebiete ficher binweifen: das obige „Llemezow“ und „Liemtfhin“ (Pofen), in
weld legterem fid) aud die altrufftiche Sorm für „Deutfcher” findet.
26 Volt und Kaffe. 1933, I
die von ,rjeka — lu“ abgeleitet werden müffen. Auch find, ebenfo überall,
genug Sälle zu beobachten, wo der Altflawe (wie bereits erläutert) einem namen:
lofen Siuffe bei der Inbefignahme den eigenen (Stammess oder Sippens) amen
beigelegt batte.
Die Art der urs und altflawifchen Klamensbildung, fowie das Mitnehmen
auf die Wanderung der als heilig gehaltenen beimatliden Slugnamen erlaubt uns
nun gewiffe Schlüffe zu ziehen. Go kann unter Umftänden das mebrmalige Dors
kommen eines und desfelben SIußnamens in einem verhältnismäßig engen Gebiete
auf frühere Slawenanwefenbeit hindeuten. Serner Bann aus der fpradhlichen Aer:
tunft deutider Slugnamen in feinerzeit altflawifch befiedelt gewoefenen Landftreden
ficher gefchloffen werden, ob die Altflawen eine Dorbevdllerung — in unferem
Salle eine germanifche — antrafen oder nicht.
Lieben den Silingern, deren teilweifes Sigenbleiben auf den alten Dobns
plägen audy in der Altflawenzeit keines Beweifes mehr bedarf, find es vornehmlich
die Warnen, bei denen ein gleicher Sall einerfeits angenommen, andererfeits bes
ftritten wird. Auf Grund des bisher Erforfchten Bann nun mit Beftimmtbeit bes
bauptet werden, daß wenigftens ein Warnenreft von den Altflawen angetroffen
worden war und diefe, nach ihrem beimatlidben Brauch, deffen Klamen auf den
befegten Slug (Warn-ow = der Warnen) und fodann auf fich felbft übers
trugen.
Daf es fid mit dem Warnennamen fo, und nidt anders verbalt, beweift
allem Anfcheine nady die Liamensgebungsart der Altflawengruppe, die uns nebft
ihren Unterabteilungen als Obotriten (Obodriten) und Wilzen belannt ges
worden ift. &s foll bier daber der unverbindliche Verfucdh einer Deutung von
deren verfdiedenen Stammesnamen unternommen werden.
Diefe Gruppe 30g, wie wohl manche andere, ab Oberfchlefien die Öder
binunter und befetzte anfänglich, weil der Stug weiterhin fhon in feften Aanden
gewefen fein mußte, das Slußed, welches durch die Zufammenflüffe der Welfe
und der Rörike mit der Dder gebildet wird. Diefer Gegend nach benannten fie
fi insgefamt „Ob-Odr(a)-i-&i = UmsdiesOdersGiggende“. Und bier muß auch
die erfte Spaltung erfolgt fein, denn die links der Oder Giedelnden, die vermutlich
die beimatlichen Kamen Wolcy und Welcy führten, trennten fid) von den
Obodriti und breiteten fic hierauf über die obere Elde bis zum Warnow
aus. Aud die Dbodrici verließen ihre erften DOobnplage und wanderten zu
den neuen, in denen fie famt ihren Unterabteilungen belannt geworden find. Lieben
ihrem Hauptnamen führten fie als Llebennamen den der „Rereger‘ (alt übers
liefert: Reric, Rerih, Reregi)22). Diefer Mame kann leidht von dem erwähnten
Uiebenflug der Oder — Rorile abgeleitet werden — Rerili.
Unterabteilungen der Obodrifti:
Die Wagrier (alt uberliefert: Waari, Wari, Waigri, WDagri, Wa giri)
nad dem Slug Maga (Mdrdl. Dina), alfo Wageari*).
Die Polaben (alt uberliefert: Palobi, Dolabi) gleid ,po — langs:
ders£aba (Elbe)s Sigende™.
38) Die Stammesnamen und die Stammeseinteilung find der Rübhnelfchen Acbeit:
„Die flawifdyen Ortsnamen in Medienburg” (Lleubrandenburg 1382) entnommen.
29) Die alte Stammesnamenendung ar, 3. ari wird in Nußland noch bei den
Wolgaanwohnern angewandt — „wolgari“, neben der neuzeitlihen Sorm „wolZani“.
Der alte Ylame der Bulgaren — ,bolgari* ift gleider Hertunft.
1933, I Tb. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 27
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Deren Unterabteilungen:
Die Bytiner oder Betbenzer (alt überliefert: Betbenze, Bechelenzi,
Bethenici). Anzuncehmen ift bier, daß es filh um 3 wei Beine Stämme handelt;
darauf deutet „Bechelenzi“ bin, das „Dokolenci‘“ bedeuten fann — ,,po-
kolenc(e)-i = längssdessRniehensseinessSluffes“ (fiehe Rolentos
wiki des Pripjets@ebiets). Zum anderen Kamen fehlt ein ndberliegender Slug;
dod könnte man bier an But (altflaw.: „Steingeröll“‘) zum Tagliamento in
den Rarnifchen Alpen, einer alten WPindengegend, denken. Ein Zufammenbang
zwifchen den Reihe Samos und den Winden ift gefchichtlich belegt, was ein
Her und Hin anzunehmen erlaubt. Möglich ift auch ein Zufammenbang mit dem
Stuß Bytina (des Bytin) mit dem gleichnamigen Ort in einer ftark altflawiich
geweienen Gegend der Peleponnefos. Sie wären alfo die Butiniki oder
Bytini~i gewefen. Die Smeldinger (alt überliefert: Smeldingi, Semels
dine, Smeldingon). Dies waren die „sa-Mild(e)-i = Hintersders Mildes
Sigende, in einer Gegend alfo, die ganz nahe ihrer fpäteren Wobnfige lag;
fügt man den Samildi das germanifde ,,ing an, fo erhält man faft genau
das überlieferte ,Gemeldinc’. Wie bereits erwähnt, fcheint die Milde noch
in dem Ortsnamen Mildsenig auf, wie auc in dem Liebenfluß de Warnow—
Mildenig (Mildinikse).
Der zweite Hauptftlamm:
Die Wilzen ift uns unter den Kamen: Wilgi, Build, Wilzi, Weles
tabi, Delatabi, Duclitabi, fowie Lutiti, Liutiti, Leutiti alt überliefert worden.
Auch bier läßt fich annehmen, daG es fidh in dem Sall um Brudteile von deei
verfchiedenen beimatliden Stammen handelt. Wie bereits angedeutet, mußten die
Wilzi anfänglich in jener Gegend gefeffen haben, welche im Often von der Oder
und im Llorden und Welten von der Welfe, als Ausfluß aus dem Wolle3s
See, begrenzt wird. Und bier Bönnte auch deren Flamensurfprung liegen. Die
Klamen des Sees „MWollez3“ und des Sluffes ,WOel fe deuten auf Wool und
Mel (beide Fiördl. Dünc) bin. Es ldnnte diefe Altflawengruppe demnach aus
dem Gebiet der Mdrdl. Dana berftammen. lah Dol und Wel benannte fie
fih „Wolcy“ und „Welcy“, welde Kamen fi auf den See — „ofero
Molec“ („See der Wolzen“) und den Slug ,ojela Welca („Sluß der Wels
zen“) übertrugen. Der Klame Weletaben und Weleten, wie diefe Gruppe
noch benannt wird, deutet wiederum auf das Gebiet der Td rdl. Dina bin, auf
den Slug Wiled (sue Waga, sur FIördl. Düne). Die Betreffenden wären dems
nad die „Wiledi“ oder „Miledowi‘ gewefen. Kliimmt man nod die bereits
behandelten Wagrier von der Wage (Lidrdl. Düne) hinzu, dann bat es den
Anfchein, als ob der Broßteil der Altflawen Medienburgs gerade aus diefer Ges
gend bergewandert war).
Anders verhält es fic wieder mit den Ljutiti. Cin Slug Ljuta ift in
Außland vorerft nicht auffindbar; wohl aber befteht bei Ragufa ein Slug des
Clamens Ljuta (von liti — gießen), der möglicher Weife dabin verpflanzt fein
könnte. Jedenfalls tommt der Stammesname Ljutiti im Gandfdal ovis
Pafar, zwifhen Plevlje und Sjenica, als Ortsname vor. Und da ift es
30) Hier könnte man noch des medlenburgifdhen Ortsnamens ,Beferig” (A. Stars
ard) gedenten, deffen erfolglofe Deutung fo viel —— verurfadt bat (Rübnel,
ead ner); er d F vom Slug Biffert (Ufa, Bjelaja, Rama) ftammen. Un diefem
slug wer der Ort Biffertfl, der, in die alte Sorm jurhdgefabet, Biffereils ges
autet Dat. ;
28 Doll und Raffe. 1933, I
nidt von der Hand 3u weifen, daß der Viame aus diefer Gegend ftammt, d. b. daß
Kjutiti von bier aus nad Viordweften gewandert find.
Die Unterabteilungen der Wilzen find:
Die Warner (alt überliefert: Wearnabi), benannt nad dem Sluffe
Warnow, semnadh ,Warnow i".
Die Mürizer (alt überliefert: Morizani, Murizzi, Morizi, Murig,
Morig). Der Klame ftammt von Morje — Meer, dsemnad ,Moriti* und
„Moritani* — „Meeranwohner“.
Die Linonen (alt überliefert: Lanai) vom Slugnamen Linsau (Elbe) —
„Linjani“. Die alte Sorm „Lanai“ läßt jedoch die Srage auflommen, ob fid
nicht binter Linsau der Pripjetsfiebenflug Lah verbirgt.
Die Chizziner von ,,chizZa — Hütte“, alfo „Chizani“.
Die Tircipener (alt überliefert: Zerezepani, Zirzipani). Der Llame fett
fih zufammen aus: „Zres-pre = uber“ und dem Slug Deene, alfo,crefpeni®.
Es ift dies der ecinzige Sall, wo an Stelle des pre das Zres tritt; hieraus könnte
man auf Sprachunterfchiede, wie auch aus anderen Bründen, fchließen, das einen
weiteren Beweis für das „Zufammengewürfelte“ der in Deutfchland ans
faffig gewordenen Altflawen ergäbe.
Die Tolenfaner (alt überliefert: Tolonfeni, Tolenfane, Tolenci,
Dolenz, Tolenze). Diefer Liame fommt von ,dol — LFliederung“, „dolenta
ziemia — {Tiederland, alfo ,Dolenti* und ,Dolentani.
Die Redarier (alt überliefert: Riaderi, Riedere, Rederi, Rederarii, Res
theri, Retharii, Riaduri). Hier liegt wieder ein fdwieriger Sall vor. Die erfte
Sorm „Riaderi“ könnte auf den Slug Rjedja (IJlmensSGee) binweifen; ,,ARjpeds
jari“; ein dbnlid) Clingender Slug ware (als Ubertragung) Rheda (Dugiger
Wie) — „Rhedari“. Salle dies zuträfe, müßte diefe Gruppe die Weichfel
binunter gelommen fein. Wabrfideinlider ift jedod Rata (Bug D, alfo: „Ras
tari; aud in diefem Salle wäre die Weichfel der Wanderweg geworfen.
Die Rezener oder Riazaner (alt überliefert: Riaciani, Riezani), abgeleitet
von „rjeka — SIuß“, alfo: „Rijekani* — „Flußanwohner“. —
Die altflawifhen Hauptwanderzüuge können bier nur in großen Stridhen
umriffen werden.
In Rußland felbft find erlärlicher WDeife ausgefprochen darauf bindeutende
Spuren nicht ausfindig 3u machen. Es könnten bloß die Parici (Minft) von
ver Para (Ola), die Sfilowiti (Molbynien) von der Sfilowa (RarasSGee)
und die Pilwifchki (Sfuwalli) von der Pilwa (Rama) von einer Rüdbewes
gung zeugen.
Im BDurdzugsland Polen find dagegen auf Grund des Zuges der ices
Ortsnamen folgende nad Weften führende drei Sauptwege zu ertennen. Der
eine zieht ab Grodno im Gebiet oberhalb der Linie Weichfel bis Harews
einmündung, Flarew bis Bugeinmündung und Bug bis Nurez⸗
einmündung; dafelbft find wiederum zwei gefonderte Wege zu erkennen, obers
balb LomZa nah Oftpreugen ins Mafurenland und darüber hinaus und
ununterbroden nad) Weftpreugen, Dommern, Medlenburg und Hols
ftein. Der andere unterbalb LomZa weft nah Pofen. Der zweite Hauptweg
tann im Gebiet oberhalb der Linie Breft»Litowft— Lenczyca— Ralifch
erfaßt werden; er fübrt nah Pofen, Brandenburg und der Provinz
Gadfen. Diefer Weg wird duch einen Querzug ab Weichfel (idloclawel)
über Lenczpca, Laft, Bendzin, Oberfchlefien gefchnitten. Der Dritte
1933, I To. Hoffmann, Ucflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 29
a aa ae a a a EI RT I a ET)
endlich führt ab Wolbynien im Gebiet unterbalb der Linie Lublin, Rielees
Bendzin wiederum nah Oberfchlefien.
Diefes Land bildete daher geradezu ein „AltflawensStaubeden“; dats
über ift jedenfalls der SHauptftrom nah Deutfhland und Mähren gelangt.
Genau, wie im Minfler Land, erkennt man bier die Überlagerung der alten ifis
Llamen durdy mehr neuzeitliche, wie 3. B. Petrowit und Pawlowigß, von
kirchlichen Liamen abgeleitet, und Biflupig (biskup — Bifchof) ein neueres
Abhängigkeitsverhältnis anzeigend. Unter den alten Klamen find bier befonders
bemerkenswert: Bttmüß, das auf den Ort Otimiti (CTwer) — „Umsdies
Tma (Wolga)s Sigende hinweift, und zwar zweifellos, und Schoppinit,
binter welchem fi die Schabuniti (Perm) verbergen könnten. Daß die Zn«
(Pripjet) bier als Zinna auffcheint, wurde bereits erwähnt.
Betrachtet man nun die Züge innerhalb Oberfdlefiens felbft, fo kommt
man zu der Überzeugung, daß dafelbft an ein Haltmachen anfänglich nicht gedacht
worden war. Mit Ungeftüm trieb der WDanderzug nad Weft und ftieß dabei auf
die Oder; dies dürfte der erfte Grund neuer Rictungsnabmen gewefen fein, denn
man erkennt deutlich, daß nun ein Teil längs der Oder im Bogen in Richtung
Breslau weiterwanderte, ein anderer wohl die Oder felbft als Weg erwählte,
der dritte endlich über die O Ser fegte und wiederum geradeaus nad) Weften trieb,
um bald darauf an den Wall des Reichenfteiners und Altvater-Gebirges
anzuprallen. Hier erfolgte wiederum eine zweifache Richtungsänderung; ein Zug
folgte den Abbängen obiger Gebirge nach Llordweft und gelangte fo nad
Sakfen®!) und in die Laufig, wohin aud der gegen Breslau ziebende
Teil zufteuerte. Der zweite Zug wandte fich fudweftlich, umbog das Gebirge und
ergoß fich fodann nah Mähren und darüber binaus über Böhmen bis in die
Gegend um Fürnberg, um oa 3u verfidern. Ob dser JImensSee bi
Pfullendorf in Baden, mit gleidnamigem Ort, mit Altflawenfiedlungen in
Sufammenbang gebracht werden kann, muß eine offene Stage bleiben; flawifch ans
Elingende Ortsnamen führen allerdings dahin. Der Ort Scharnit3?) (der fads
lidfte und vdllig vereinzelt daftebende itzs®rt) am Paß gleichen Liamens könnte
darauf binweifen, daß bier möglicherweife ein Altflawenzug den Weg nah Süden
genommen batte.
Viedh dem Balkan find zwei Hauptwege zu erkennen. Der eine und
fhwäcdyere führt über die Ofts Beskiden in fudweftlich abfteigender Richtung
(itz-, icz- und ocz-Örte) oberhalb Budapeft nah Steiermart, fowie nad
Slowenien, Rrostien und Slawonien. Der ftärkere zieht längs der Stüffe
Dnjeftr, Prutb und Seretb in das Sumpfland der Walachei. Daß nad
Sudrußland vorgedrungene Altflawen von den Awaren gezwungen wurden,
deren Zug nach Welten mitzumachen, ift befannt; auch da ging der Weg über die
Waladhei. Diefes Land ift nun mit altflawifchen Ortsnamen derart erfüllt,
SB man vermuten darf, der Großteil der Rumänen beftebe eigentlich aus romanis
fierten Slawen; auch die rumänifchen Gefchlecdhternamen deuten darauf bin. Chas
rakteriftifch für diefe Liamen, wie auch für Ortsnamen, ift die Umwandlung des
31) Yad Sadıfen gelangten bekanntlich Altflawen aud mit dem Awarenzuge ab Böhs
men zu Mitte des 6. Jahrhunderts. Das erklärt die einft, aber nur burze Zeit ziemlich dicht
—— ge Befiedelung diefes Landes.
Ber Sharnig = Sarnit dürfte aus Wolbynien ftammen, wo deffen Urs
ftamm — als Ortsname vorkommt und auf einen noch nicht feſtgeſtellten Fluß
Sarna (Reh) — Gegenſtück zu Lan (Hirſchkuh) — hinweiſt.
30 Doll und Kaffe. 1933, I
flawifchen ow in u; erfegt man bei den belannten rumänifchen usLiamen diefes
u durd ein ow, fo erhält man rein ruffifche Gefchlechternamen, 3.8. Brateanu
= Bratjanov. Auch bei den i&sÖrtsnamen ift diefe Wandlung zu vermerken:
Toporoug ftatt Toporowit (Sippe der Beile); unverändert find, wie bereits
erwähnt, die ilis®efchlechternamen geblieben (Slaviki). Die cysFliamen belamen
an Stelle des cy ein sci (fchti gefprocden), 3. B.: Bul (Bude) — Bulari —
Bulerowi— Bularowcy= Bulurefci (Bulurefdti). Urflawifdhe Stam:
mesnamen find dafelbft ebenfalls zu finden, 3. B. „Hufi“, das Begenftüd zu
yOu fi (Banfe) am Gufj (Ola), ,Onifeani = UmsdiesFiederung-Sigende“,
„Popeni = LängssdersBaumftümpfesSigende“ und „Prifacani= Beisdens
Diehhürden Sitgende“.
Was ur- bzw. altflawifhe Ortsnamen, zugleich Stammess und Sippen=
namen anbetrifft, fo ftebt bierin von allen nod beftebenden flawifchen Ländern
Bosnien und die Herzegowina an der Spige; die alten Baffifchen Sormen
find dafelbft völlig rein erhalten geblieben. Ebenfo gut erbaltene oder nur wenig
veränderte ziehen in Griechenland bis in die Gegend des alten Sparta bin.
Don den nordifchen Ländern ift Dänemark wohl das einzige, welches Alts
. flavoenbefuce erhalten haben mag. „Rorfelitge“ (Rorzeliäi) auf Salfter mit
der gleichnamigen gegenüberliegenden Bant, „Tillige* (Djelili) auf Laaland
und die in der Lläbe befindliche „Rramnitfe Bab“ (Rrommidi zu Rromp-Rromi
[Orel]) könnten darauf hindeuten. —
Angefichts diefer durchmeffenen Sernen, die doch gewiß eine ungebeure Leiftung
an Rraft, Ausdauer und WPagemut darftellen, muß man fich, halt man dem allem
die nachherige, wenig bedeutende Befchichte all der flawifchen Staaten entgegen,
immer und immer wieder fragen, ob das Geleiftete auch wirklich von „Slawen“
vollbracht worden fei. Man mu bier zu einem Fein gelangen, und wäre es nur
aus dem einen Brunde, daß das echte, alfo nordifche Altflawentum ja gar nicht
fo zahlreich gewefen fein Eonnte, um teils in der überweiten Heimat 3u wirken,
teils all diefe Wanderzüge, faft nach allen Gimmelsridtungen bin, anzuführen;
denn gewiß fchon vom Betreten des Pripjetgebietes an fegte bei ibm die durch Vers
mifchung mit der urfinnifchen und wobl auc mit einer paldoafiatifden
Urbevdlferung bedingte Entartung ein, mit all ihren verbangnisvollen, nur 3u
gut belannten Solgen. Überall, wo wir auf altflawifche Staaten ftoßen, ftellt es
fih heraus, daß deren berrfchende Oberfchichten nicht „altflawifch‘“ gewefen
waren, fondern entweder ofts oder weftgermanifch, die fich dazu noch, wenigs
ftens anfänglich, ihrer eigenen Sprachen bedienten; fo ift 3. B. Medienburg
auf das gotifche „mikilin = groß“ (große Burg) zurüdzuführen; auch mand
„ſtawiſcher“ Ortsname in Medlenburg dürfte gotifchen Urfprungs fein. Die nicht
altflawifche Abftammung damaliger Herrfcherhäufer bat Haufer3) auf Grund
der Durdhforfdung der betreffenden Sürftennamen woabhrfcheinlich zu machen ges
fuchht; daß der Gründer des erften Altflawenftaates — bezeichnender Weife in der
Sremde — der Sranke Samo (Samwig) gewefen wer, ift ja betannt. €s mugs
daher gewagt erfcheinen, die nordifchen Schädel der Altflawengräber ausschließlich
Altflawenedlen zuzufchreiben; mandyer Schädel darunter Eönnte ebenfogut auc
germanifcher Herkunft fein. Einen ganz ficheren Hinweis in bezug auf die Volles
zugebörigkeit bieten fie jedenfalls nicht, zumal ja die Beigaben „unklar“ find,
d. b. auf Entlehnungen anderen Stilen beruhen — einen ausgefprocdhen flawifden
33) Haufer, „Die Germanen in Europa.“ (Al. Dunder, Weimer.)
1933, 1 TH. Hoffmann, Urflawenbeimat und Altflawenwanderungen. 31
Re ae
Stil gibt es belanntlid nidt. Wenn die Beftattungsart des niederen Altflawens
tums wie audy der mitgeführten Sklaven forgfältiger gewefen wäre, könnten wir
die Vollsunterfchiede wohl erkennen; fo aber wurden die Leiden der Adrigen
— smerdi, smerdeli (Stintenden) — und der Sklaven — rabi — einfach auss
gefett, ein Vorgang, den man noch in den 50 er Jahren des vorigen Jahrhunderts
in Budara und Ehbiwa beobachten konnte; auch dort wurden die Radaver der
aus Rußland fteammenden Sklaven einfach in der Wüfte ausgefett.
Und fo mdgen vornebmlid bei dem Wanderzug nad Deutfchland übers
wiegend artfremde Oberfdhidten die treibende Kraft gewefen fein. Aus den
wäringifch beeinflugten Gebieten gelangten die DOanderfcdaren wiederum in
germanifch — mehr oder weniger gotifch — beeinflußte; in den von Goten bes
berrfcht gewefenen Gebieten müffen noch Gotenfippen gefeffen haben — die nors
difchen Raffeninfeln an der Weichfel und in Wolbynien 3. B. könnte man
vorwiegend auf Boten zurüdführen, und der polnifche Uradel wurde vielfach
nod im Mittelalter als „gotifch‘ bezeichnet. Was da aber unter dem Llamen
„Slawen“ willenlos in die Weite getrieben wurde, war wohl nur teilweife tats
fachlich ,,flawifd; der Reft, und gewiß ein nicht unbeträchtlicher, waren Ddllers
fchaften anderer Art und Raffe. Allein fchon die Tatfache der Geerduberei an
den einft altflawifch befiedelt gewefenen deutfchen Küften ift ein Beleg mehr dafür,
daß da nit „Slawen“ die Treibenden gewefen fein konnten, fondern neben
fändigen Zuzüglern aus Standinapien und figengebliebenen Germanens
reften die führende germanifde Ober{didt, die fic gleich den anderen flawis
fierte — als Mietel sum Fwed — zur Beberridung und Ausnugung eines willens
lofen und geduldigen Dolles 54). Das wird, mit oder ohne Abficht, von allen
flawifchen Sorfchern überfeben. Die SIawen waren nämlich nie Seefahrer gewefen
und find es auch heute nicht; fie waren ausgefprochene „Süußwaffermänner“,
deren Element von jeber Binnengewäffer gewefen waren und wo fie es zu einer
Dolltommenbeit gebracht batten, wie kaum ein anderes Doll.
Sufammenfaffend kann gefagt werden: Der neueingefchlagene Weg, audy die
euffifhen SIußnamen in das Sorfhungsrüftzeug bineinzunebhmen, weift
anderes, als von den flawifchen Sorfhern geglaubt und von deren chauvis
niftifchen Landsleuten gefordert wird. Da wird no viel umzulernen fein.
Mag diefer Weg den Slawiften — anfänglich nur vielleicht — als ein Jrrweg
erfcheinen, er führt dennod zum Ziel — zu zeigen, daß die Urbeimat der Slawen
im Often gelegen war, und nicht im Weften, und da§ die nad Deutfchland ger
triebenen Völker: und Raffenfplitter, welche wir ale „Slawen“ anfpredyen, eben
nur Splitter gewefen find, ein Gemengfel aus den verfchiedenften Gebieten
des gewaltigen ofteuropäifchen Raumes, das daher audy nicht „lechifch‘‘ gewefen
fein konnte, mögen dabei audy Lechen mitgewandert fein. —
Drudfeblers Beridtigung aus Heft 4 (1932).
I. Teil.
G. 203. Sußnote I, 5. Zeile von oben: „Zoadru, foll heißen „Zaodru“.
84) Der belannte Ausruf des wilden Swijatoflaw (Swentisfslaf, Swentisjskif =
ot. „Kraft s Sproffe — Sohn“) des Entels des erften Ruffenfürften Rjurik (Hrorelr —
Koserih): Wasift mirdiefes Land, wasliefertesmirdennaußer Wade,
Honig und Sklaven“ ift von fpmbolifcher Bedeutung geworden für das Verhältnis
zwifchen den Serrfchenden und Beberrfchten in allen nadhberigen flawifchen Staaten;
das Sowjetregime in Rußland ift ein Beleg mehr dafür.
32 Doll und Kaffe. 1933, I
G. 204. 16. Zeile von oben. Der Sat: „Diefe Annahme vertritt foren; fo barts
nädig, wie re aud der Pole Koftrzevofti“, rt eingetlammert.
GS. 205. 6. Zeike von unten: ,Roret’, foll heißen „Rorec“.
8. 208. 38. Zeile von unten: „Comati«“ » foll heißen ,Lomati*
8. 210. 3. eile von oben: „Ostarili“, foll beißen „Osariti®.
Die Bevölkerung des oberen Lechtales.
Eine raffentundlide Unterfudung.
Mit 12 Abbilbungen und 6 Tabellen.
Don Dr. Bruno R. Schulg, München.
sw feinem Unterlaufe bildet der Led befanntlid) die Grenze zwifchen altbayrifdem
und fchwäbifchem Stammesgebiete. Das Tal des oberen Lechs dagegen ift zu
beiden Seiten von einer Bevölkerung befiedelt, die in ihrem Rerne zum bajus
verifchen Stamme zu rechnen ift. Im Welten, jenfeits der Berge, fchließt fich das
obere Allgäu an, das nod) ausgefproden alemannifdes Stammesgebiet ift. Das
obere £echtal wurde urfprünglich zweifellos von Angehörigen diefer beiden Stämme
befiedelt, heute berrfcht aber der bajuvarifche Stammescharalter fowohl nady der
Sprache wie aud im Dollstume vor. Gelegentli einer größeren, raffentunds
lihen £andesaufnahme im füdlichen Allgdu machte ich auch für kurze Zeit eine
Rundfahrt ins obere Lechtal und hielt mich vor allem im Dorfe Elbigenalp auf.
Hier machte ic) Unterfucdungen an der alteingefeffenen Bevdllerung und konnte
dabei Dergleiche mit dem vorber unterfucdten Llachbargebiete im oberen Allgaͤu,
Bezirt Sonthofen, anftellen.
Landichaftlich unterfcheidet fich das obere Lechtal fehr ftart vom oberen Jliers
tale; der Led Hat als wilder Gebirgeflug febr tief in das Gebirge eingefchnitten
und rechts und links nur verbdaltnismagig fcbmale Terraffen aufgebaut, die nun
der menfchlichen Befiedlung dienen. Im Bezirke Sonthofen haben wir es dagegen
mit einem großen, weiten Beden zu tun, das an feinen Rändern weite Hocflachen
befigt, die fic) flr Befiedlung und befonders für die Viebwirtfchaft ganz auss
gezeichnet eignen. Mit einer Befiedlung, wenn auch einer recht fchwachen, haben
wir im oberen £echtale auch ficherlich recht früh zu rechnen. Bekanntlich benügten
fcdbon die Römer diefes Tal als Zugang nach Florden und es führte die alte Römers
ftraße über den Sernpaß hinunter gegen Reutte und weiter hinaus gegen Suffen
nad) Augsburg. Diefer Handelsweg, der bis in die allerjüngfte Zeit, vor allem
für die Beförderung von Salz und Wein aus Tirol im Betriebe war, wird vers
mutlich auch auf die Raffenzufammenfegung der Bevölkerung nicht ohne Einfluß
gewefen fein. Durd das Klofter Suffen, zu deffen Einflußgebiet das obere Lechtal
geborte, wurde die Befiedlung durd Menfden bajuvarifden Stammes befonders
gefördert.
Das Bild, das fidh dem Unterfucher bei diefer verbältnismäßig Heinen Stichys
probe von der Bevölkerung ergab, es bandelt fi um inegefamt 50 Perfonen
(Manner und Srauen), fei im Solgenden dargelegt. Die Unterfucdhten ftammten
zum größten Teile aus den Gemeinden AHAfelgebr, Fuge, Bach, Holzgau
und Steg.
1933, I
Abb. 3.
Abb. 5.
Bruno K. Sdhulg, Die Bevölkerung des oberen Ledtales.
Vorwirgend dinarifcher Mifchtypus mit fhwadem mediterranem Einfdlage.
Vorwiegend dinariſch⸗nordiſcher Miſchtypus.
Dolf und Raffe. 1933. Januar.
Abb. 4.
Abb. 6.
33
34 . Dolt und Raffe. 1933, I
Die Bewohner des oberen Ledhtales find durchfchnittlich mittelgroße Leute,
alfo die Männer rund 168 cm, die Srauen 160 cm groß. Der Anteil großer und
fehr großer Männer über 174 cm ift verbältnismäßig gering, faum mebr ale
ein Zehntel, während im Oberbaprifchen nach der Unterfuchung von #5. A. Ried!)
doppelt fo viel und im Allgäu ebenfalls ein Sünftel aller Unterfuchten diefer Gruppe
angebören. Auffallend ift auch die recht große Zahl Heinwüchfiger Männer unter
163 cm, die ein Sunftel der Befamtzabl beträgt. Diefer Anteil ift im füdlichen
Allgäu freilich faft genau fo bod, in Oberbayern dagegen viel niedriger, weniger
als ein Zehntel. Bei den Srauen dagegen beftebt eine recht deutliche Kleigung zu
Hodwudfigteit; mebr als die Ahälfte ift Uber 1,60 cm groß, während Kleine
widfige unter 151 cm überbaupt nicht vorhanden find. Die Derbältniffe im
fudlicen Allgau waren dhnlih. Don anderen Alpengebieten feblen leider genaue
Zablenangaben. Daß es aber auch in deutfchen Bebieten ganz anders fein kann,
zeigen die Unterfuchungen R. Sallers?) an der mittelfräntifchen Bevdlkerung in
der Reuperbucht bei KTürnberg, wo genau ein Drittel aller Srauen die Kyöbe von
151 cm nicht erreichte. Die Lechtaler find auch faft durcgebend von fchlantem
Rörperbau; unterfetzte, ftämmige Leute findet man felten. Sie fdheinen audy gegens
über Oberbayern und Allgäuern etwas zartinochiger.
Betrachten wir die Särbung von Augen und Aaaren, fo bemerken wir, daß
unter den Männern mebr als die Halfte blaue und kaum ein Zehntel ausgefprochen
braune Augen befigt (vgl. Cab. 1), während bei den Srauen nur ein Sünftel blaue
Tabelle 1.
Augenfarbe
mifchfarbige | braundugige
Auf 100 Perfonen fommen eee ſchwach⸗mittel ſtark
pig pigmentierte | pigmentierte
Männer: |
fedtal . . . 2... — 56 36 8
Gr. Walſertal (Wacker) ll 62 27
Miesbah (Rı®) . . . . . 37 33 30
Florwegen (Opland) (Bryn). 68 31 1
Stauen:
Re@tal = %- 3... 2 3% ae 22 65 13
Miesbahh (Ried) > > 2: 2 2 vol 27 34 39
Llorwegen (A. Schreiner) . | 41 56 3
und mebr als ein Zehntel braune Augen baben. Diefes feltene Dorktommen blauer
Augenfarbe bei den Srauen und der bäufigere Befig brauner Särbung im Gegens
fatze zu den Männern ift für uns nichts Teucs. Jm oberen Allgäu beftand ein
äbnlichee Verbältnis zwifchen beiden Befchlechtern. Es ergab fih aber auch fehon
bei Unterfuchungen an anderen Bevdllerungsgruppen, 3. B. bei Forwegern:
und wurde zum erften Male von $. Lenz?) auf Grund von Unterfuchungen an
Schweden feftgeftellt. Offenbar ift mit der das weibliche Befchlecht bedingenden
1) Ried, G A, Miesbader Landbevdllerung. Berl. Sifcber, Jena. 1930.
2) Galler, R., Die Reuperfranten. Werl. Sifeber, Jena. 1930.
3) Lenz, $., Über gefcbledhtsgebundene Erbanlage für Augenfarbe. Ard. f. Raflen: u.
Hefellf(d.sBiologie Bd. 13, S. 298. 1921.
1933, I Bruno R. Schulg, Die Bevölkerung des oberen Ledhtales. 35
Se eee ee er eee ee eee ee eae
Erbanlage bäufig eine Anlage zur Sarbftoffbildung gekoppelt: wir fprechen in
folchen Sällen, deren es noch andere gibt, von gefchlechtsgebundener Vererbung.
Im Vergleiche zu Unterfuchungen, die an oberbayerifcher Bauernbevdllerung im
Bezirke Miesbach von H. A. Ried gemacht wurden, neigen die Lechtaler aber in
beiden Befchlechtern mebr zu bellerer Särbung und ftimmen eber mit den oberen
Allgäuern überein. Seben wir dagegen die Bewohner des großen Weljertales +)
in Vorarlberg an, bei denen ein ftärkerer Anteil
mittelländifcher (weftifcher) und alpiner (ofti: Fre
fcher) Raffe anzunehmen ift, fo finden wir bier ee SORA
nur febr wenig Blaudugige und verbdltnis: 9 J
maͤßig viel, faſt ein Drittel, Braunaͤugige.
Die Haarfarbe der oberen Lechtaler iſt
bei beiden Geſchlechtern vorwiegend dunkel—
braun (Tab. 2), wie das auch bei den Allgaͤuern
und den Oberbayern der Fall war. Auf Ta—
belle 2 ſind Norweger, die aus einem vorwie—
gend nordraſſigen Gebiete, der Landſchaft Op⸗
land, ftammen, den Alpenbewohnern gegen⸗
übergeftellt. Bei diefen KTorwegern umfaßten
die bellblonden ſchon ein Diertel aller Unter:
fuchten, während „yellblonde bei den erwad:
jenen Lechtalern volllommen feblen.
Die Ro pfform ift bei beiden Gejchledy: Abb, 7. Ledtaler mit auegefproden
tern überwiegend kurz bis fehr kurz. Lange, dinarifben Zügen.
fchmale Köpfe find in den Alpengegenden hodft
jelten und kommen überhaupt in Suddeutfchland wenig vor. Auch bei den Ober:
bayern, Walfern und Tirolern 5), treffen wir keine an (Tab. 3). Wie fich ein
Gebict von vorwiegend nordifcher Kaffe dagegen verbält, deuten wieder die
Zablen der norwegifchen Landfadaft Opland®) an, wo ein Drittel der ganzen
Tabelle 2.
Haarfarbe.
Auf 100 Perfonen tommen bellblonde | duntelblonde | rotbaarige | braunfdhwarze
Männer:
Lechtal . — 24 — 76
Gr. Walfertal (Wader) — 17 — 83
Miesbah (Ried) . . 2 30 | 1 67
Viorwegen (Opland) (Bryn) 24 28 | 1 47
Grauen: |
Lechtal . . a hae — 35 — 65
Miesbach (Ried) . ; 3 34 1 62
!Torwegen (A. Schreiner) . 7 37 15 41
4) Wader, X., Zur —— der Walſer des großen Walſertals in Vorarl—
berg. 3tſchr. Ethnol. Bo. 44 9. 437. 1912.
5) Sriz3zi, £., £in Beitrag zur Anthropologie des „Homo alpinus Tirolensis“.
Mitt. —— Geſ. Wien Bo. 39. 1909.
6) Bryn, u. Schreiner, R. £., Die Somatologie der Morweger, Oslo. 1929.
3*
36 Dolf und Raffe. 1933, 1
Bevölkerung ausgefproden langldpfig ift und nur ein Zebntel breite bis febr
breite Köpfe bat. Diefer Unterfchied ift febr auffallend und wichtig. Die Neigung
zu fehr kurzen Röpfen, bei denen der Breitendurchmeffer dem Längendurchmeifer
Abb. 8. Vorwiegend dinarifdealpiner Mifdtypus. Abb. o.
nabefommt, ift auch bei den Lechtalern recht bäufig. Sie wird uns ein guter
Fyinweis bei der raffifchen Beurteilung fein.
Tabelle 3.
Ropfform nah dem Längen-dreiteninder
Auf 100 Perfonen tommen ſchmale mittelbreite breite | febr breite
Männer:
Ichtal . . . — 8 71 21
Gr. Walfertal . — 20 48 32
iseebads oT ws — 8 45 47
Tirol (Vintfchgauer) . — 5: % 46 49
Viorwegen (Opland) . 32 58 — —
Frauen:
Redital «os. kes! & — 21 46 33
Gr. Walfertal . — 19 55 26
Miesbach — 6 42 52
Norwegen 4 51 40 5
Wie man ſich ſchon beim aͤußeren Augenſchein uͤberzeugen kann, iſt die Ge—
fidtsform beim grogten Teile der Lechtaler Maͤnner lang bzw. ſchmal, bei den
Frauen aber mehr breit. Auch die genaue Meſſung und Gegenüberſtellung der
Jochbogenbreite zur morphologiſchen Gefictabdbe (Entfernung vom Inddernen
Kinn 3ur Vafenwursel) ergibt zur Halfte Schmalgefictige und 3u einem Drittel
Mittelbreitgefichtige. Bei den Srauen überwiegen dagegen die Breitgefichter
vocfentlich. Diefen Unterfchied zwifcben den beiden Gefchlechtern finden wir aber
nicht etwa nur bei der Alpenbevdlkerung, fondern bei febr vielen Gruppen, ja die
Verteilung der einzelnen Typen der Gefichtsform ift bei norwegifchen Männern
1933, I Bruno R. Schulg, Die Bevölkerung des oberen Lechtales. 37
aus Opland und Srauen aus ganz Liorwegen?) der bei den Lechtalern recht ähnlich
(Tab. 4). Auch im oberen Allgau fanden fich gleichartige Derbältniffe. Unter den
Oberbayern aus Miesbach fällt dagegen ein recht erheblicher Anteil von breits
gelichtigen Männern auf, was für ftärkere Beimifchung alpiner Raffe in diefem
Bebiete fprechen dürfte.
Tabelle 4.
Gefidtsform nad dem morph. Befidhteinder
Auf 100 Perfonen tommen breite mittelbreite fymale
Männer:
Rebtal . 2. 2. 1 we eee 16 32 52
Miesbad . 2 2... we 33 29 38
Florwegen (Opland) . . . . 2... 10 23 67
Srauen: |
een 58 33 | 9
Miesbah . . ...... eae 52 27 | 21
Foorwegn . >» 2 2 0 .... 53 30 | 17
Das Derbältnis von Tafenbdobe zur Hafenbreite zeigt befonders bei |
den Kechtaler Männern ftartes Dorberrfcben der fchmalen Sormen, während bei
den Srauen fchmale und mittelbreite Sormen faft zu gleichen Anteilen vertreten
find. Die Zahl der fchmelnafigen Männer ift bier wefentlich größer als in Obers
bayern und im oberen Allgäu und ftimmt mit den von Srizczi gefundenen Zablen
aus dem Vintfchgau recht gut überein. Bei den Srauen dagegen ift die Verteilung
eine mit den Oberbayern und den Allgäuern recht ähnliche (Tab. 5).
Tabelle 5.
UTafenform nad dem Ulafeninder
Auf 100 Perfonen tommen | ſchmale mittelbreite breite
Maͤnner: |
fedtal . . 2 on 80 20 —
Miesbach . .......... 59 40 l
GilGl geese we Se we Re HH 86 14 —
Frauen:
fedtal 2. 2 ww ww ee 54 46 | —
Miesbach . . . . . . rn 59 39 | 2
Als Raffenmectmal febr widtig ift aud) die Geftalt des Llafenrüdens. Die
Kechtaler Manner haben meift tonvere Viafen (Cab. 6). Damit geben febr häufig
etwas bangende Viafenfpige und fchwach geblabte, body anfegende MTafenflugel,
die die Llafenfcheidewand deutlich feben laffen, einber (Ubb. 7). Rontave Viafens
rüden, alfo Stupsnafen, finden fich dugerft felten bei den Mannern, dagegen bei
einem Viertel der Srauen, ähnlich wie im Allgäu. Die Bildung konverer Naſen⸗
) Schreiner, A, Antbropologifhe Studien an norwegifden Srauen. Videns⸗
tapsfelstapets Strift. I. Ri. Tr. 9. Rriftiana 1924.
38 Dolf und Raffe. 1933, I
SS a EEE EN TT —
ruͤcken iſt bei den Frauen auch in anderen Unterſuchungsgebieten immer ſeltener als
bei den Männern. Demnad ıft das Dorktommen von 21% konverer Kafenrüden
bei den Lechtalerinnen recht erbeblich.
Bei den Pfälzern ?), die bier noch zum Vergleiche gegenübergeftellt find, feben
wir eine recht andere Derteilung der Sormen des Klafenrüdens. Jm männlichen
Gefcdledte berrfcht die gerade bis wellige Sorm vor, wenn audy ein Drittel kon-
Abb. 10. Demaltes Haus in Elbigenalp.
vere Naſen zeigt; bei den Srauen dagegen find die konktaven Flafenrüden bei mebr
als der Hälfte der Unterfuchten gefunden worden, während Srauen mit konveren
ofenrüden recht felten find.
Die norwegifchen Männer baben dagegen unter den bier verglichenen drei
Gruppen den relativ größten Anteil konverer Mafen.
Tabelle 6.
Sorm des Flafenrüdens
gerade bis
Auf 100 Perfonen tommen | fonver wellig tontav
Männer:
REREAD) eee Rae oh eh Oe? 2 Bee 58 38 4
EIIBEE KINDER + Ge a = 31 50 19
TRORROORGN Ss. SSK a Sok ee 17 55 28
Srauen:
SOA! se > ae 8 ee he a 21 54 25
ag oe SD ee) &, Ag 16 32 52
Aus dem unmittelbaren Eindrud beim Betrachten der Bevölkerung und den
Ergebniffen der genauen Meffung ergibt fich, daß wir es, wie zu erwarten, deut:
lid) mit einem Raffengemifd zu tun haben, bei dem das Hervortreten reinerer
8) Roth, K. %., Beitrage zur Anthropologie der Pfalz, Raiferslautern 1928.
1933, I Bruno R. Schulg, Die Bevdilerung drs oberen Lectales. 39
Typen nicht bäufig ift. Es muß nun unfere Aufgabe fein, zu beftimmen, welche
Raffen an dem Gemifch beteiligt find und wie groß etwa der Anteil der einzelnen
Raffen dabei ift. Das bäufigere Dorkommen blauer Augen, befonders bei den
Männern, weift wobl mit Sicherbeit auf einen nicht unbeträchtlichen Teil nor:
difcher Kaffe, zumal, wenn man bedenkt, daß blaue Augen in einer Mijchlinge:
bevölterung gegenüber braunen zahlenmäßig nur febr fchwach vertreten fein
Abb. 3. Altes Bauernbaus bei Steg
können, da die Anlage für braune Augenfarbe die für blaue überdedt. Mit nor:
difcher Raffe (Abb. 1) in Einklang ftünde auch die Haufigkeit fcmaler Gefichter,
fhmaler Fafen mit geradem bis welligem Fafenrüden, bober Flafenwurzel und
tiefliegenden Augen, wenn aud) diefe MWerkmale des GBefichtes teils bei mittel:
ländifcher, teils bei dinarifcher Raffe zu treffen find. Daß jedenfalls auch ein ziem:
liber Schuß dinarifchen Blutes in diefer Bevölkerung ftedt, zeigen gewoiffe, diefer
Raffe eigene Merkmale, wie der konvere Klafenrüden mit bängender Spitze (Abb. 7)
und bochgezogenen Klafenflügeln (Abb. 3—6 u. 7), von denen eine tiefe Surche
gegen die Mundwintel binziebt, fchweres, derbes Rinn und ftarte Böbenentwid:
lung des Ropfes mit flachen, oder nur wenig gewölbtem Hinterhaupt, das febr
fteil in den Viaden übergebt. Diefe Merkmale finden fic nun recht baufig, bez
fonders bei den Lechtaler Männern (Abb. 8 u. 9). Don der Zumifchung dinarifcher
Raffe könnte auch die häufig vorkommende bräunliche Hautfarbe ftammen; fie
könnte aber auch mittelländifches oder alpines Erbteil fein. Die letztere ift ganz
beftimmt, wenn aud fcbwac, in den Lechtalern vertreten. Die nicht jelten vor:
ktommenden breiten Gefichter (Abb. 8) mit etwas ftarfer entwidelten Wangen:
beinen und die befonders bei Srauen baufig auftretende Ponkave Sorm des Naſen—
rudens find ryinweife dafir, aud) die grogere Anzabl Kleinwudhfiger unter den
40 Volk und Raffe. 1933, 1
a a ED
Männern wäre damit zu erklären, wenn diefe Erfcheinung auch unter Umftanden
eine Solge mittelländifchen Einfchlages fein könnte. ine Beimifchung mittel:
ländifcher Raffe in fehr fhwachen Ausmaß ift wabrfcheinlidd gemacht, durch das
gelegentliche Vorkommen mandelförmiger Augenfpalte, boben Oberlids, ftark ge-
fhwungener Lippen mit amorbogenformigem Oberlippenrand und welligen Haares
(Abb. 3—4), alles Merkmale, die für mittelländifche Raffe Cennzeidnend find. Die
Spuren diefes Einfchlages find vielleicht auf alte Refte einer romanischen Bevöls
kerung, die weit verbreitet in
den Alpen gefeffen bat, zurüd:
zuführen. Der im £echtale febr
bäufige Samilienname Wald
weift auch darauf bin. Er ıft
die Bezeichnung, welcde die
Germanen bei der Landnabme
den Romanen gaben. Selbft:
verftändlich können aber auch
Spritger mittelländifchen Blu:
tes in jüngerer Zeit in die Bes
völkerung gelangt fein.
Bei den Bewohnern des
oberen Lechtales baben wir es
alfo mit einem Gemifche aus
nordifcher, dinarifcher und als
piner Kaffe zu tun, das aud)
einen fchwachen Einjchlag mit:
telländifcher Kaffe vermuten
läßt. Der Anteil der nordifchen
Raffe berrfdt offenbar vor,
doch ift auch der Gebalt an
x 2% dinarifcbem KErbgute beträcht:
Bew. lid. Die Zumifchung alpiner
—— Elemente iſt wohl nicht ſehr
Fay “groß. In typifchen Merkmale:
I >. verbindungen berrfcht jedenfalls
Bos ahs das nordifde und dinarifche
—— oh Se — Bild, wie es unfere Abbil-
ee =. dungen auch zeigen, ftark vor,
Abb. 12. Lechtaler Bäuerin in alter Sefttracht. wäbrend alpine Typen viel fel-
tener find.
Sur denjenigen, der vom Weften aus dem oberen Allgau ins Lechtal kommt,
bietet fich bier auf den erften Blie ein kulturell ganz anderes Bild. Wäbrend der
Allgäuer in feinem ftattlichen Bolzbaufe meift in Einzelböfen fiedelt, fommen wir
bier im Lechtale durch lange Orticdaften, die ein ganz anderes Geprage baben, das
fid) am unmittelbarften in den reich bemalten und mit Stud verzierten Käufern
Außert (vgl. Abb. 10). In ihrem Wefen find die Leute febr zugänglich und gewedt.
Der Sinn für die Bedeutung von Herkunft und Sippe ift wach und für den Sorfder
befonders erfreulich. Es war mir fogar möglich, bei einem Bauern eine bis ins
17. Jahrhundert reichende Abnentafel vorzufinden. In Eünftlerifcher Beziebung
war das Lechtal feit jeber febr fruchtbar, und eine Reibe von Rünftlern, deren Viame
a. cg —
1933, I Bruno R. Schulg, Die Bevölkerung des oberen £echtalee. 41
auch über die engere Grenze ihrer Heimat gedrungen ift, ift bier zu Haufe, fo
die Brüder Rärle aus Hinterbornbach, der bekannte Landfchaftsmaler Jofef Anton
Rod aus Obergiblen, der Baumeifter Georg Salger (geft. 1704) und der Graveur
Anton Salger (1791—1876) aus Elbigenalp, der die Ausfdmudung der Rirdye
in €lbigenalp vornabm und 3wei Totentänze malte, einen in Elbigenalp und
einen in Elmen.
Durd die verhältnismäßig recht große Abgefchiedenbeit vom modernen Ders
tebr und durch das Seblen einer größeren Jnduftrie bat fic bier auch fonft mand
altertimlider Zug in Handwerk und Brauchtum erbalten, befonders dort, wo es
fih um Arbeiten aus olz und Metall handelt, feien es nun ganze Haufer (Abb. 13),
Bruden oder gefdnigte Mdbel, Ubren und dergleichen. Aud die Schnivgtunft
wird feit alter Zeit im Lechtale betrieben und hat jegt durch eine Schnitfchule in
Elbigenalp eine ftarke Sörderung erfahren.
Befondere Erwdbnung wegen ibrer Cigenart verdient nod die fddne, alte
Srauentract, die beute freilich nur mebr an ein oder zwei Sefttagen des Jahres
angelegt wird, während als gewöhnliche Sonntagstradht der Srauen ein fchwarzer
Seidenrod mit einer Armeljade aus fchwarzem Tuch und einem großen vwoeißen
oder bellgelben Ropftuche dient. Zur alten Sefttracht (Abb. 12) gebört ein fchwarzer
QTudrod, darüber eine fhwarzfeidene Schürze, ein Miederjädchen mit Baufds
ärmeln aus duntelblauem Samt und mit Silber oder Gold beftidtem Bruftlag,
ein blaufeidenes, geblumtes Schultertuh mit Seidenfranfen, das von einer
Sdhmuedneadel zufammengebalten wird und ein breittrampiger, sylinderartiger Aut.
Die pracdtige Wirktung wird nocd geboben durch alten Gdhmud wie AUrmbander,
Ringe, Ketten und Öbrgebänge. Das Aaar wird dazu in zwei auf den Rüden
berabbangenden Zopfen getragen. Die Manner Eleiden fic an Sefttagen in die
Sadhugentradt, beftehbend aus blauer Tuchjoppe, roter Wefte, unter dem Rnie
geichloffener Bundhofe, weigen Wollftrampfen und fdmallrempigem Spigbut
mit Spielhabnfeder. Sie ift eng verwandt mit der Tracht anderer Tiroler und
oberbayerifcher Täker.
Eine in den Alpen und Doralpen, befonders dem bajuvarifcen Teile, bäufig
vortommende Sitte ift die Anlage von Rnochentapellen. Die Schädels und großen
Robrentnoden, die beim Umgraben des Rirchbofes beraustommen, find da in
großer Menge aufgeftapelt. Auch in Elbigenalp und Holzgau befinden fich ders
artige eigentüumliche Aultftätten.
Zufammenfaffend kann man fagen, daß im oberen £ecdhtale ein Volksſchlag
wobnt, der nad) Dollsdharafter und Brauchtum wefentlich bajuparifch beftimmt
ift. Die geograpbifche Lage und die dauernde Zugebdrigkeit 3um Lande Tirol
bradhten es ferner mit fich, daß fi) da eine gewiffe Eigenart gegenüber den ftamms
verwandten KTadhbarn entwideln konnte. Am Aufbaue der Bevdllerung find dies
felben Raffenelemente beteiligt wie in weiten Teilen Süuddeutfchlands. Jhe gegen:
feitiges zahlenmäßiges Derbältnis ift aber doch etwas anders als bei den Allgäuern
im Welten und den Oberbayern im Often, 3u denen von vorneberein die nächften
Beziehungen anzunehmen waren.
42 Volt und Raffe. 1933, I
Ein Deutfcher
der europäifche Erfinder der Daktyloſkopie.
Don ©. Reche.
mmer wieder lernt man Beifpiele fur den
tragifchen Erfabrungsfag kennen, daß der
Prophet im eigenen Daterlande nichts gilt, daß
eine Erfindung, daß neue Gedanken „weit ber‘
fein müffen, um Beachtung und Anerkennung
zu erlangen. Ganz befonders baben deutjche
Entdeder unter diefem Schidfal zu leiden ge-
babt; von zahlreichen geiftigen Großtaten ıft
befannt geworden, daß fie eigentlich Deutfchen
zu verdanken find, daß fie fic) aber erft durch—
jeten, als Angebörige anderer Völker die deut:
fcben Gedanken aufnabmen oder — mandmal
febr viel fpäter als der Deutfche — von felbft
auf die gleichen Gedankengange kamen.
Bei der Daltyloffopie, alfo der Derwen:
dung von Abdrüden der Hautleiften menjch:
Prof. Pr. WD. €ber. lider Singerbeeren im Dienfte des polizei:
lichen Ertennungsdienftes (zur Jdentifizierung
von Derbredern, die fehon ihrer Vorftrafen wegen oft genug gern „inkognito“
bleiben wollen, und zur Seftftellung des Täters aus am Tatorte fich findenden
Singerabdrüden), baben wir einen weiteren derartigen Sall, wo das Derdienft der
Entdedung eigentlich einem Deutfchen gebührt, deffen Leiftung aber bis vor Kurzem
völlig unbefannt geblieben war. Seit Jabrbunderten zwar ift die Herftellung
und — wenn auch befchräntte — Verwendung derartiger Abdrüde in Oftafien
befannt gewefen, nad Europa drang aber keine fidbere Runde von diefer Methode,
und fo mußte diefe Entdedung in Europa felbftändig gemacht werden. Als diefer
europäifche Entdeder des Verfahrens galt bisber der berühmte englifche KTatur:
forfder Sir Sranzis Galton, der am 25. Mai 1888 zum erften Mal in der Offent-
lichkeit feine Entdedung und feine fich daran anfchließenden Dorfdlage erwähnte !),
feine wichtigften diefes Thema bebandelnden Derdffentlidungen ftammen fogar
erft aus den Jabren 1392 (Finger prints), 1893 und 1895.
Eber als Galton aber ift, wie wir feit Rurzem wiffen, der damalige Berliner
Tierarzt und fpätere Profeffor an der Tierärztlichen Yochfchule in Berlin, Wilbelm
Eber’), auf die gleichen Gedanken getlommen und bat auch in einer ausführlichen
Dentfchrift, die „im Mai 1888 datiert war, dem vorgefegten Minifterium über
feine Derfuche, Gedankengange und Vorfchläge berichtet. Die Dentfjchrift muß
bon Anfang Mai abgegangen fein, denn der daraufbin ergangene Mlinifterial:
erlaß ift bereits vom 26. Mai 1888 datiert; außerdem gebt die Eingabe W. Ebers
auf ein Wanuftript zurüd, das der Entdeder im Srübjabr 1888 ausgearbeitet batte
) Archiv f. Rriminologie, Bd. $5, %. 1/2. 1929, SF. 30—69.
2) Geb. 24. Oktober 1863 in Hannover; geft. 22. Juni 1898 in Berlin als Profeffor
der Pbarmalologie an der Tierärztlichen Hochſchule.
1933, I O. Reche, Ein Deuticher der europdifche Erfinder der Dattyloftopie. 43
und das den Titel trug: „Möglichkeiten der direkten Belaftung einer Perfon auf
Grund von Handfpuren.“ Cine Gammlung von Material, ,,Rafuiftil übers
fcrieben, ift nocd alter; in diefer ,,Rafuiftil erwähnt Eber, dag er im Stande fei,
„die Hand, welde den Abdrud erzeugt bat, aus einer Reihe verdächtiger berauss
zufinden“.
Das Derdienft, auf diefe Catfachen aufmertfam gemacht 3u baben, gebubrt
R.Heindl, der suerft in feinem Lebrbuche ,,Syftem und Praris der Daltyloffopies
die Entdedung WO. Ebers erwähnte und dann in einem ausführlicheren Auffage
im „Archiv für Ariminologie“!) wichtige Einzelheiten und den Liachweis brachte,
daß Eber völlig unabbängig — und ohne von der in Öftafien üblichen Derwen:
dung von Abdrüden zu wiffen — zu feiner wichtigen Entdedung gelommen ift.
Die Deröffentlihungen Yeindls find aber faft ausfchließlich nur im engen Rreife
der eigentlichen Sachleute belannt geworden und haben in der breiteren Öffentlich»
Reit nicht das Echo gefunden, das fie verdienten, und fo möchte ich die böchft inters
effanten mit der Entöedung zufammenbängenden Tatfadhen und Dorgange für
einen größeren £eferkreis fchildern, um dem Andenken und der gerechten WPürdis
gung des genialen Mannes zu dienen. ch ftütze mich dabei auf die oben erwähnten
Derdffentlidungen R. Heindls und auf mündliche Angaben, die mir liebenss
würdigerweife der Bruder des Entdeders, Profeffor Dr. A. Eber, 3. Ft. o. Pros
feffor an der Univerfität Leipzig und Direltor des „Lierfeucheninftitutes‘‘ und des
„Inftitutes für animalifche Kabrungsmittellunde‘, gemacht bat.
Die Tierärzte des Berliner Schlachtbofes find damals mit den Büchern, in
die fie ihre Eintragungen zu machen batten, nicht febr fauberlich umgegangen; oft
genug fanden fich auf den Seiten Abdrüde der blutbefchmugten Singer der Eins
tragenden, mit denen fie, obne fie vorber zu reinigen, Bücher und Seiten angefaßt
batten. Derartige Dinge werden fi obne Zweifel au auf vielen anderen
Schlachthoͤfen abgefpielt haben, aber niemand ift auf den fdeinbar dod nabes
liegenden Gedanken gefommen, fic diefe blutigen Abdrüde mit den Augen des
Britifchen und überlegenden, des „ich wundernden“ Klaturforfchers anzufeben. In
Eber zeigte fich aber fehon bier der künftige Gelehrte: er unterfuchte forgfältig
alle Einzelheiten der Abdrüde, entdedte ihre großen Unterfchiede im Mufter und in
vielen Einzelmertmalen, verglich fie mit einander und mit den eigenen, ftellte feft,
zu welchem Rollegen jeder einzelne Singerabdrud gebörte, merkte fich genau die
Eigentümlichkeiten jedes Abdrudes und war auf diefe Weife fchließlich im Stande,
am ,,Singerabdrud den „Täter“ zu erkennen. Alfo auch die praltifche Derwends
barkeit war ibm flar.
Als ibm das in zwei Jahren gefammelte Material ausreichend erfchien,
unterbreitete er in der oben erwähnten Eingabe den damaligen Preußifchen Innens
minifter feine Beobachtungen und praltifchen Vorfchläge. Im Beleitfchreiben fayon
wurde das Wefentliche gefagt; dort beißt es 3. B.: „Mrabte Vergleiche ergaben
nun nicht nur die befannte Tatfache, daß zwei Hände in ihrer Sorm einander nie
voliftandig gleichen, fondern legten auch überrafchend dar, daß nicht einmal 1 qcm
der inneren handoberfläce fein Analogon bei derfelben oder anderen Perfon findet.
Hierin liegt aber nicht allein die Möglichkeit, aus dem Gefamtlinienfyftem der
Hand einen Menfchen wiederzuertennen, deffen Handporträt urjprünglidh firiert
wurde, fondern [bon Bruchftüde werden für den gedachten Zwed vollftändig auss
reichend fein. Mitbin wird dann, wenn an dem Tatorte eines Verbrechens Spuren,
1) ag. a. O. f. 0.!
44 Volt und Kaffe. 1933, I
ARudimente im obigen Sinne entdedt werden“ — für ihre Dorktommen fprechen in
der Arbeit näher ausgeführte Webhrfcheinlichleitsgründe —, „die gleiche Möglidykeit
befteben, unter einer Reibe verdächtiger Perfonen diejenige zu ermitteln, welche
am Catorte mit beftimmten Gegenftanden in Berührung gelommen. Die ganze
Art der erforderlichen Unterfuhung würde im wefentlidhen darin tulminieren,
geeignete Bilder von Händen verdäcdhtiger Perfonen darzuftellen und darunter ein
ganz beftimmtes Eremplar als dasjenige zu bezeichnen, woeldhem die vorgefundenen
Rudimente angehören.“ Beigefügt waren der Eingabe ein Raften „enthaltend die
für die Herftellung künftlicher und die Unterfuchung natürlicher Bilder erforders
lien Gegenftände“, eine Anzahl für die Demonftration notwendiger Yandbilder
und cine ,,Kafuiftil und febr eingehende Ausführungen über die Struktur der
volaren Sandfläche, uber deren „Säbigkeit, gewiffen Gegenftänden bei der Bes
tubrung cin natürliches Bild aufzuprägen“, über die eperftellung von Handbildern
durch Joddämpfe, über fpeziell anatomifche Eigentümlichleiten einzelner Regionen
der volaren Yandfläche ?), über den verändernden Einfluß von LTarben und fonftiger
erworbener Defekte, über „akzidentielle Bedingungen für die Bildung von Hands
abdrüden an Bebrauchsgegenftänden“; er befchreibt einen von ibm fonftruierten
„Vergleichsapparat für Bilder auf ebenen Sladen’ und befdaftigt fich mit der
„Methodik der Unterfuhung und Sortfegung der Charakteriftit natürlicher Bils
der“ ufw.
Wir feben alfo in der Denkfchrift das Prodult febr eingebender und zeits
raubender Unterfuhungen und finden in ihr alle Hauptgefichtspuntte der beute
in Gebrauch befindlichen Daltploftopie bereits vor. Kur zur Herftellung künfts
liher Hands und Singerabdrude bediente fidh Eber mertwürdigerweife nicht der
heute üblichen und feit Jahrzehnten bewährten Druderfhwärze, fondern batte ein
Derfabren ausgearbeitet, die Papillarlinien durch Joddämpfe fihtbar zu machen.
Jeder, der diefe außerordentlich gründliche und überzeugende Denkichrift lieft
und nur einigermaßen naturwiffenfchaftlich zu denken gelernt bat, wird von den
Ausführungen gefangen und erkennt den außergewöhnlichen Wert der Entdedung.
Anders die damaligen „Inftanzen“. Das Innenminifterium gab j3unddft die Cine
gabe fhon am 26. Mai an das Polizeipräfidium von Berlin weiter, und diefes
batte bereits nad ganz wenigen Tagen, innerbalb derer eine forgfältige Prüfung
fur den £aien unmdglicd war, — in vdlliger Derftdndnis: und wobl aud Intereffe-
lofigteit — berausgefunden, daß die Vorfchläge „praktifch nicht verwertbar ere
fheinen und davon abgefeben wird, auf diefelben näher einzugeben“. Schon am
s. Juni 1888 gab alfo das Polizeipräfidium diefes „Butachten“ an das Minis
fterium, ein Beweis dafür, daß man es nicht für nötig befunden hatte, fic die
Sadje gründlich durchzudenten — das Thema lag ja wohl den damals vorberrs
fehenden rein verwaltungstednifden und juriftifchen Gedanktengängen der beguts
achtenden Khyerren weltenfern. —
Am 19. Juni 1888 bereits erbiclt OO. ber feine Eingabe mit dem abs
fchlagigen Befceid zurüd. Wenn die Bebdrden damals nur einiges Verftändnis
gebabt bätten, bätte Preußen, wie Heindl febr richtig bervorbebt, der erfte Staat
mit ausgebautem Erlennungsdienft werden können!
3) Eber bezeicbnet hier fcbon die Siguren als „Wirbel“, ,Bdgen’, fpridt vom
„Radius“, vom „Zentrum“ und erdrtert auch fhon Größe und Zahl der Drüfen; Heindl
weift darauf bin, daß Eber alfo bier durd) Berudfidtigung der Drufen aud fhon die fpäter
von dem Stanzofen Locard 1932 (24 Jahre fpäter!) eingeführte „Poroftopie“ in den
Grundlagen vorweggenommen bat!
o
Stau in Sefttracht und Dorreiter des Rammerwagens aus der Schwalm, #yeffen
Kunftbeilage zu „Volt und Rafe” Aus: Helm, Deutfche Voltstrachten
I. $. £ebmanns Verlag, München
— —— — — — — —
1933, 1 Deutfde Doltstradten. 45
YD. Eber war uber diefe Derftändnislofigkeit gründlich verärgert und gab «8
gan3 auf, fid mit diefem Sorfhungsgebict zu befchäftigen. Aber fein Material
wurde in der Samilie aufbewahrt und tft auf diefe Weife dod) nod bekannt
geworden.
Immerhin batte der beilige Burofratius einen genialen Mann um die Srüchte
feiner Arbeit gebracht und einen großen — eines Liobelpreifes würdigen — Ge
Santen erft einmal totgefchlagen, zum Schaden auch des deutfchen Anfebens.
Deutfche Volkstracdhten. (IID”
Tirol und Oberbayern.
Tafel 5.
Die alpenländifchen Trachten machen den Cindrud größter Urfprünglichkeit.
Ihr Material ift Leder und der derbe felbftgewebte Loden. Die Sarben find einfach
und kräftig, aber nicht aufdringlich: Rot und Grin, gedämpft und zufammens
gebalten durch die natürlichen Wollfarben Schwarz, Weiß und Braun, und was
fih aus ihrer Mifchung ergibt. Die Sormen find durchweg alt, viel ift aus dem
16. und 17. Jahrhundert, fo der Hut der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die
Hausfrauenkette der Renaiffancezeit, der radförmige Aragen und anderes; aus dem
18. Jahrhundert kaum etwas. Das Meifte aber ift zeitlos, den ftets gleichblei-
benden Derhältniffen des Bebirgslandes angepaßt, die ftärker find als alle Modes
ftrömungen. Dabei find die Trachten aber in den Einzelheiten von einer unerfchöpf:
lichen Dielfeitigleit, weil jedes Tal für fic) ziemlich abgefchloffen ift und feine eigene
Entwidlung nimmt. Der Einfluß von Weiten, der in der Schweiz fo ftark zu
fpüren ift, fehlt durchaus. Wie häufig bei primitiven Trachten, haben Männer:
und Srauentracdhten in Sorm und Sarbe vieles gemeinfam.
Heſſen.
Tafel 6.
Die Srauentrachten entbalten auffallend viel Sormen verfchiedener Zeiten reins
lid) nebeneinanderftebend. Die älteren, die in vielem auf das 16. Jahrhundert
zurüdgeben, baben den ftrengen Ernft der Reformationszeit auch in der Sarbe; fie
find vorwiegend fhwarz, mit etwas Weig und Blau, und aud) fpatere Zeiten
baben diefe Zufammenftellung nur wenig gemildert und durd) andere Sarben belebt.
Daneben ift eine Reibe jungerer Tracten in den zarten zurüdbaltenden Tönen des
Rokolo und der Empirezeit entftanden; augerdem beftebt nod ein Kleines Latho-z
lifches Gebiet von traftigerer Buntheit.
Die Mannertract ift die er friderizianifchen Zeit, in fauberer und charalters
voller Sorm. So wie fie bis auf den heutigen Tag in der Schwalm getragen wird,
*) Siehe Volt und Kaffe 1932, Heft 3, S. 170 und Heft 4 S. 215. Sortfegung des
Abdruds aus dem im Verlage I. 5. Lehmann, Munchen, erfcienenen Werke von Rudolf
Helm, Germanifches Mufeum in Klürnberg, Deutfdbe Dollstradten aus der
Sammlung des germanifben Mufeums (mit 115 Tradtenbildern auf 43 fdbwarzen und
3 farbigen Tafeln, Preis RM. 4.—).
46 Dolt und Kaffe. 1933, I
ift fie mit geringen Abweichungen im 18. Jahrhundert in ganz Klorddeutichland,
außer der Rüfte, und in einem großen Teil Süusddeutfchlands anzunehmen, ebe die
Zeit der Revolution und der Befreiungstkriege fie umgeformt hat. Es ift bemers
kenswert, daß fich in SHeffen gerade die reinfte Sorm der Männertracht am beiten
gebalten bat, während diejenigen, die fi zu Beginn des 19. Jahrhunderts der
Mode näberten, inzwifchen gänzlich untergegangen find. Einen befonderen Reiz
gibt fowobl der Manners wie der Srauentradt die reiche und geichmadvolle
Stiderei. Darin werden die beffifchen Trachten von keiner anderen erreicht. Metall:
Ihmud fehlt dagegen faft ganz.
Deränderung deutfcher Samiliennamen in den
Vereinigten Stasten.
Don Dr. Wilhelm Heidrich.
Alle in Amerika veränderten deutfhen Samiliennamen wiederzuertennen, wird der
wiffenfchaftlihen Sorfhung nie gelingen. Allzu ftark ift die Wandlung durh Zufall und
Willkür beftimmt. Mandyer Deutfche, der nach Amerika auswanderte, warf mit der Erinne-
rung an die Heimat aud feinen Viamen fort und nannte fi Iefferfon, Watfon, Aamil:
ton. Der Weltlrieg veranlaßte Angitliche, Kamen wie Schneider und Zimmermann über
Nacht in Tailor oder Larpenter umzuwandeln. Eine rein theoretifce, etymologifde Sors
ſchung kann in zablreiden Sällen nicht den LTachweis erbringen, daß die Träger eines
Flamens aus Deutfchhland ftammen oder nicht. Wer kennt alle in Deutidland vorfommenden
Samiliennamen, aud die nichtdeutfchen Urfprungse, um fie nach ihrer Amerikaniſierung
wiederzuertennen? XWDieviel deutfche oder deutfd Rlingende Llamen kommen andererfeits
in Skandinavien, Holland, Rußland vor und find von dort aus nah Amerika gebradıt
worden. Sebr viele der alteingefeffenen ameritanifden Samilien wiffen beute das Hers
tunftsland ibrer Abnen nicht mebr; auc führt der Vantee feinen fagenbaften Stammbaum
gern nad Britannien zurüd, felbft wo ibm die Tatfadıen keinen Anlag dazu geben. Flur
wenn fich die Tlamenforfdung mit dec Samilientunde verbindet, kann fie zu nabezu ficheren
Ergebniffen gelangen. — Die Rüdverfolgung der Abnenlinie entbüllt oft eine allmäbliche
Wandlung, ein langfames SichsEntfernen von der deutfchen Urfprungsform, das Suden
nad einem YTamen, der dem bereits angliſierten Menſchen ſprachecht klingen moͤchte. Die
Redtidreibung wird fcdhwantend, da das deutfche Lautbild durch angelfadfifde Schrift:
zeichen reproduziert werden foll. Mit dem VWerluft der deutfchen Sprache ift aud DVerftänds
nis und Kenntnis fpezififch deutfcher Laute wie der reinen Dolale, der klaren Scheidung
zwiſchen Rurz⸗ und Lang:Volalen, des Debnungs:h verfdwunden. Verfchiedene Schreibe
weifen ein und desfelben Ziamens laufen nebeneinander, bezeugen die ſprachliche Auseinander⸗
fegung des Deutfchen mit dem Englifden als Anpaffung des Sremden an das Gefeg des
Bodens. Das Bild der Kamen wird nod farbiger, fchattenreicher durch die verfchiedene
Ausfprace des Englifden etwa bei sem Southerner und dem Boftoner, oder bei dem
Mann aus Jerfey im Begenfag zu dem aus Ralifornien. Sodann bat auch der Unterfdied
zwifchen Hoddeutid und tNundart die VDariationamesglichkeit in der KTamensperänderung
vergrößert. Wo Deutfche gefchloffen auf dem Lande fiedelten und ihre Mundart wahrten
— wie 3. B. das Pfälzifhe in Bftpennfplvanien und einigen anderen Staaten — find
Viamensverdanderungen nidt nur vom Hoddeutfcben, fondern auch von mundartliden
Lauttlang ausgegangen. Schliegßlih ift nod zu berüdfichtigen, daß ein Heiner Prozentjag
der deutichen Einwanderer des fiebzebnten und achtzebnten Iahrbunderts nicht Tefen und
fchreiben konnte. Jbr Llame, ibnen felber nur im Gebör, nicht ale Schriftbild gegenwärtig,
mußte fich fcbon beim Betreten des ameritanifchen Seftlandes verändern, wenn der angels
fächfifhe Schreiber den vorgeiprodhenen Mamen in englifde Örtbograpbie übertrug oder
einen beliebigen, englifch ausfebenden Mamenbieroglvpben fchuf. — Aus all diefen Gründen
bewegt fich die Sorfdbung nach den urfprünglichen deutfchen amen oft auf dem Boden der
ypotbefe. Es foll bier keine fyftematifche Überficht über die Wiöglichleiten der YTamenss
änderung gegeben werden, fondern nur eine Meine Auswahl von Klamensreiben, wie ich fie
1933,1 Milbelm Heidrich, Veränderung deutfcher Samiliennamen ufw. 47
gefammelt und, wenn irgend möglich, durdy Dergleich und durdy Llacdhfrage in den Samilien
zurüdverfolgt babe. Eine Rethe von amen und Flamensänderungen find Rubns „German
and Swiss Settlements of Colonial Pennsylvania“ (1900) entnommen.
| Abgefeben vom Annebmen eines ganz neuen Llamens in Amerila, wie das in einigen
Sällen bezeugt ift, bleibt die einfachfte Sam der Veränderung die unmittelbare Überfegung.
Subs > Sor, Schneider > Tailor, Shuhbmader > Shoemaler, Steinbrenner >
Stoneburner, Seidenftider > Silttnitter, König > Ring, Müller > Miller,
Perl > Pearl. Zuweilen begnügt man fich mit halber Peery. Steinweg > Steins
way, Grünberg > Greenberg. Halbe Uberfegung ift aud SGlaymater fuc Sdleiers
mader. Das erjte Wort des deutfden LTamens ift pbonetifch geändert und verlürzt. — Der
reinen Überfegung find Grenzen gefetzt, da nur eine Meine Anzabl Kamen fich überjetzen läßt.
Größer ift das Held der Angleichung deutfcher Laute und Silben. Das Allzudeutfche
mußte fallen; fowobl Ausfpradhe wie Schriftbild wurden angeglichen. Zuerft werden aus
deutfchen Klamen gewöhnlich die Umlaute befeitigt, da das Englifche keine Zeichen für ä,
ö, ü kennt. Wo nicht der Umlaut durch Linfigung eines e fchriftfpradhlidh bewahrt wird,
erfcheint Lüders als Luders, Bühler als Bubler, Müller ale Muller. Das nicht
mebr gefdriebene i verfdwindet allmablid auch aus der Ausfprade des Klamens; und ift
„Lüders“ audy in der Ausfprade zu „Lüders“ geworden, folgt febriftfpradhlich die zweite
Stufe der Derwandlung: ü wird gewöhnlich oo gefchrieben, aus Luders ift Looders ents
ftanden. In gleicher Weife tann Booler eather at „Bueler” fib im Scriftbild
aber feinen Umlaut erhalten, fo wird man den Kamen durchweg etwa „Bjuler“ ausfpreden.
Selten find deutfhes Schriftbild und deutfche Ausfprache zugleih zu retten. — Da dus
deutfche ü dem i nabeftcht, und in einigen deutfchen WMundarten wie i gefprochen wird, ift
nod eine andere Entwidlung des Umlauts möglich: Der als „Riebne“ ausgefprocdhene Plame
„Rübne“ wird nad angelfächfifcher Orthographie Reeney gefdrieben; Ruble wird 3u
Beeley. — Deutjcdhes ü gebt gewöhnlich zu i über. (Müller > Miller, Büttner >
Bittner) In Sheets für Shüg ift es wieder gelängt worden. Ö nimmt gern den
Weg zu e. (Rölliter > Relter, Dörr > Derr.) Zuweilen bleibt der Umlaut ganslie
unbeachtet, fo in Stover für Stöver, Shroder für Schröder, Sbober für Scöber.
Rurzes u, im Englifhen ungebräudjlich, wurde gelängt. Rug > Root, Zug >
3008; in gleiher Weife wurde langes u erfegt: Hoover (Huber), Soon (Aubn),
o in Holg verwandelt fibh in u: Hulfe.
Der Dipbtong au wird erfegt durh ou oder ow: Bowman, Mowrer,
Brown, Souft.
Sir ei tritt gewöhnlich i mit Derlängerung der Silbe um ein e ein, oder aber y:
Heim > Hime, in: > Hines, Reinhardt > Rinebart, Weigel > Wbitefel,
Theis > Tice; Schneider > Snyder, Streidher > Stryler, Hedrih > Hydrid,
£eiendeder > Lyendeder, Rel > Ryle; vgl. Sry, Yyman. — Die deutfchen Bauern
Pennfylvaniens fprecdhen ei dipbtongifch aus (ei), dbnlid) der Ausfprache des englifhen a
in langen Silben. Das ergibt Anderungen wie Graty für Rreidig, Efpenfbade für
Eipenfcheid (vgl.: Sailor < Seiler).
In ähnlicher WDeife bat in Pennfplvanien die dialektifch breite Ausfprache des deutfchen
a — etwa gleid englifd aw — — von hochdeutſcher Ausſprache her unerwartete
Veränderungen bedingt: Shwab > Swope, Alt > Ault, Ade > Augbey, Graff >
Grove, aud Groff. Die pennfylvanifdhe Dipbtongierung des deutfchen € bewirkt Ders
wandlungen wie Gebel in Gable, Stebli in Staley, Ausweg in Ausweatle.
Deutfdhes i wird durd ee erfegt: Rith > Reed, Schillig > Sbheeleigb (aber
aud: Sbelley).
Aud in der Veränderung der Ronfonanten laffen fic) einige Gefegmagigtciten beob-
achten: Zundächft der Austaufd von k, c und g, desgl. von d undt. Raufmann > Coffs
man, Gebbardt > Capebart, Rreidig > Braty, Rotb > Road, Sig > Seides.
Daß der Ausfpracde dea deutfchen sch englifh sh entjpricht, ergibt Dereinfadungen
wie Sbnepf, Sbred, Shurman, Sifber.
Unenglifd tft die deutfche Doppeltonfonanz nad kurzen Dolalen. Die englifchen Dotale
find durdhweg weder fo kurz wie die deutfchen nody fo lang wie unfere langen Votale. Es
beftebt fomit tein Grund fur Doppeltonfonang, desgleiden aud) nidt fir Debnungs=h.
Sennig wird alfo Aenig, Heimann > Hyman, Lebmann > Leman (desgl. Umer=
man, Tanenbaum, Hofman), Soebner — Sener, Srdblish > Sraley (vgl.
Rob! > Cole).
J wird zu y: Jung > Poung, Jobft > Pot.
48 Volt und Kaffe. 1933, I
B im Wortinnern wurde oft 3u v erweidt: Suber > Hoover, Eberle > Everly,
Gerber > Garver oder Carver, Weifgerber> Whitefcarver, Sdnaebele >>
Snavely, Bieber > Beaver.
Pf wird zu f vereinfaht: Pfaug > Soup.
Ch gebt in Gh oder ck über: Hambright, Albright (Hambrecht, Albrecht)
Die Endung e wird bäufig zu y oder ey: Schwerdte > Swertley; vgl.:
Reeney, Doffley, Everly.
Die Endfilbe ig verwandelt fi in y oder ey: Hennig > Heney, Leidig > Leidy,
Sailig > Sbelley.
iele Kamen auf -baugh endeten urfprünglih auf sbah. Harbaugh < Herbad,
Brigbtenbaugb < Breitenbah, Cridsdslebaugh < (wabrideinlidh) Rriddelbad,
Rodsenbaugh < Rotenbad, Deffenbaugh < Dieffenbad.
Gelegentlid wird aus phonetifden Grunden ein neuer Budftabe oder cine neue
Silbe eingefugt: Jor! > Perrid, Waidner > Widener.
Groß ift die Zahl der Veränderungen aus einfacher Analogie: für den deutfchen
Hamen wird ein ähnlich Bingender englifcher eingefegt: Wallfmith für Waldfdmidt,
Budingbam für Bodenbeim, More für Mobr, Swineford für Schweinfurt,
Pennypader, Pennepader für Pannebeder, Rofeberry für Rofenberger. Der
lame Sbhud lagt fowobl auf Schub wie auf Scbad fcdliefen. ine lebrreiche Ders
wandlungsge(didte bat der Llame Lehmann. Die Doppeltonfonanz der zweiten Silbe
wurde vereinfacht, das h des erften, deffen etymologifden Sinn man nicht kannte, fiel
qleidfalls als überflüffig. In der fo verkürzten Sorm ,Leman” wird der erfte Dokal
wit i gefproden, was wiederum eine andere Screibweife ermdglidt: Leaman, aud
Leeman. Das lange e des urfprungliden deutfden Flamens wird andererfeits von
englifhem Munde als ei ausgefproden und fodann a gefchrieben. So leitet fih auch der
lame Laman nod von deutfch „Lebmann“ ab.
Kleine Beiträge.
FTeue Arbeiten zur Deutfchwerdung des Gftens.
Don Ardivdireltor i. R. Dr. Hans Witte.
(Sortfegung: Süden und Südoften.)
Wir geben jegt zum füdlichen Teil des deutfchen Rolonifationsgebiets über. In
Bayern nimmt die Erörterung der Marlomanneneinwanderung ihren Sortgang. Yad
Ludwig Schmidt (Das Bayernland 1927 Fir. 19 S. 588—595; vgl. Hıft. Zeitfchr.
Bd. 137, 1928, 3. 580) follen etwa um 508 die Bayern urd) Theoderid d. Gr. als ofts
gotifche Köderaten Zur Grenzverteidigung in das nad) ihnen benannte Land gezogen, vorber
aber fhon aus Böhmen in die Oberpfalz gelommen fein. Jbe von N. Heuwiefer (Aus
Regensburgs Vergangenheit 1925 3. 90 f.) erft auf 535 angefegter Abzug fcdeint fic dems
nad nicht durdhaufegen, zumal aud Kelmut Preidel, „Die Abwanderung der Marlos
mannen“ (Präbift. Zeitfchr. Bd. XIX, 1928, 3. 250— 208), ibn nach einem erften größeren
Vorläufer um 400 als endgültige Räumung Böhmens auf 508—510 anfegt.
An Margarete Badhmanns Differtation über „Die Verbreitung der flawifcdhen
Siedlungen in Hlordbayern“ (Erlangen 1920) bat eingebender namentlid Paul Reinede,
Die Slawen in Mordoftbayern (Der Bayerifhe Dorgefhichtsfreund 1927/28 S. 17 ff.)
angetnupft. Bei allgemeiner Anerkennung ibrer ehauptergebniffe bat er befonders nad:
drudlich den fpezififch flawifchen Ebaralter der Schläfenringe und des Wellenornaments
in der Keramik angefochten. Seine Rritit der Behandlung der Ortsnamen führt aud ibn
dahin, in den Winden-Orten deutfche Brüundungen mit Derwendung von Slawen zu
feben. Diefe feien in Nlordojtbayern erft im 7. Jabrb. eingedrungen, obne in der nur
Ihbwahbewohnten Waldgegend „erheblichen Widerftand zu finden“. Auch die Zahl der
bier landnebmenden Slawen dürfte nicht allzugroß angenommen werden. Das Bistum
Bamberg babe keineswegs ihre Bermanifierung bezwedt, weil bei feiner Gründung (1007)
„das Land feines vorwiegend flawifchen Charakters längft entlleidet war“ (3. 31).
Dem Hin und Her zwifchen Bayern und Bdbmen, wie es fehon in ser Marko:
mannenwanderung und in der Slawenniederlaffung am Main und in der Labs Regen:
1933, I Bleine Beiträge. 49
a eS
Gegend zum Ausdrud kommt, begegnen wir auc fpäter, nur in veränderter oder gar ins
Grgenteil vertehrter Ridhtung. Hans Muggentbaler, fhon durch eine Arbeit über
die Rolonifation des Rlofters Waldfaffen (3924) betannt, befcerte uns nun „Die Befiedlung
des Böhmerwaldes. Cin Beitrag zur bayrifhen Rolonifationsgefchichte* (Inftit. für oft«
bayr. Meimatforfchg. 1929), wobei er beide Seiten des Bebirges zufammenfaßt und na«
mentlich das Übergreifen bayrifcher Adelsgefchlechter ins Bdhmifde fdhildert.
Sir Böhmen und die Sudetenländer bedeutet die foeben fhon berührte Abwanderung
der Marlomannen nicht in dem Maße den entfcheidenden Einfchnitt. Die ihnen um 8500
bzw. 510 folgenden Langobatden haben dem Gebiet weiter feinen germanifden Stempel
erbalten. ert. ihr Abzug (568) fchuf der Glaweneinwanderung freien Raum, die ,eintge
Jabrzehnte vor 623%, wo erftmalige Mennung bei Sredegar, ftattgefunden haben mug. Ernft
Schwarzi, ———— (Sudeta IV, 1928, Heft 3—4) fiebt bier in Böhmen das
eigentliche Rerngebiet von Samos Reich und läßt von da aus die Slawen, die 630 fehon
als bis an die e figend erwähnt werden, „nach dem mißglüdten Aufftande der thürins
Warnen im Jabre 595° mit Bewilligung der Sranten bis an diefen Grenzfluß
en.
Sür die befondere Art des tfchehifchen Siawensweriges, der bier feine endgültige
Heimat gefunden Hatte, ift die Beobachtung eines arabifhen Reifenden aus der
zweiten hälfte des 10. Jabrh. von Intereffe, „daß Böhmens Bewohner meift braun und
Suntelbaarig und nur vereinzelt blond feien“ 2). Das deutet nicht gerade auf einen bes
fonders merfliden Beifag germanifcher Überdaurer, wie ibn in Anlehnung an Brets
Holz, befonders Anton Mayer, Die deutfche Befiedlung der Gudetenlander im Lichte der
Sprachforfdung (Feitfcr. d. tfc. Wer. f. d. Gefd. Mabrens u. Schlefins XXX, Heft 3,
1928) immer nod in bigigem Bampfe, namentlih gegen €. Schwarz, aufrecht zu
ethalten fudt. Wenn Mayer dabei foweit gebt, eine bedeutendere fpätmittelalterdiche
Einwanderung in Srage zu ziehen und das „plöglidhe Erftarten” des Deut(dhtums feit dem
13. Ib. in der Aauptfache auf die „erhaltenen Bermanennefter“ zurüdzuführen (3. 48
des G.5%.), fo bringt er anderfeits doch eine Sille intereffanten Materials. In einer Heineren
Arbeit „Ein altes Germanennet im Herzen Mährens” (ebd. 1928 S. 18—24) weit er
in der nördlih von Brünn gelegenen Herrfchaft Holenftein nach einer Urkunde von 1349
fieben mit dem Grundwort — flag gebildete Ortsnamen nad. Bis in die Auffitenzeit
fcheint fic bier die deutfche Sprache erhalten zu haben. Eine Rüddatierung des Deutichr
tums bis ins s. Jb. Ht aber mebr als gewagt. :
Der urtundliche PTadweis drtlid bis 1440 erbaltenen Deutfchtums wird erbradyt von
Hans Rur, Zur Ortsgefhidhte von Starnow bei Sternberg (ebd. 3928 GS. 13—17).
Aud bier ging das Deutichtum im Huffitentturm unter. Jn dem mit 1710 beginnenden
Gemeindes@edenlbud des Ortes findet fich kein Hinweis auf früberes Deutfchtum mebr.
Befonders wedfelvoll war die Befchichte des Deutfchtums in der Landeshauptftadt
Prag. dor Mayer, Zur Befchichte der nationalen Verbältniffe in Prag (Aus Sozials
und Wirtfh.sefch., Gedächtnisichrift für Georg v. Below. Stuttgart 1928, ©. 254— 278)
nennt ihren „ausfchließlidy oder vorwiegend deutfchen Charakter bis zum Ende des 34. Ibs.
fidher“. Wie dann die Stadt durch die Huffitenfturme gewaltfam ibres deutfchen Charalters
enttleidet wurde, feit dem 17. Ib. aber, befonders nach der Scladht am Weifen Berge,
wieder einen „mindeftens vorwiegend deutiden Charalter wenigitens in der Oberfadidt”
gewann, bis feit Mitte des 19. Ihe. „nicht zum wenigften von Deutfchen eingeleitet“,
das Wiedererwaden des Tihedhentums die Deutfchen in die Rolle „einer allerdings wirt»
fbaftlid und tulturell unverbältnismäßig bedeutenden Minderheit” zurüuddrängte —,
alles dies wird an der Hand der Prager Bürgerbücher gefchildert und zu erklären verfucht.
Nachdruͤcklich wird hervorgehoben, „daß und wie die Bulturellen und politifchen Momente
neben der Zuwanderung auf die Entwidlung des nationalen Charakters einwirlten“.
Dberrafcend ift auch die Seftftellung, daß Prag im 17. Ib. der Herkunft feiner deutjchen
lkerung nad, weniger eine Sfterreichifche als eine fids und mitteldeutfche Stadt war,
die aber feit Mitte des 18. Ths. befonders durch —— des Zuzugs aus dem Reich
(rescriptum inhibitorium von 3744) mehr und mehr veroͤſterreichert wurde.
giſchen
vorrid
1) Gein neues großes Wert „Die Ortsnamen der Sudetenländer als Gefdhidtes
Ile” konnte bier noch nicht behandelt werden, weil diefe Sammelbefprehung mit dem
Sabre 1929 abfehliet. |
3) Mah Befprehung von Hans Untersweyg in Ztfchr.-d. shift. Der. für Steiers
mart. XXV. Ig., 1929, S. 261. gl. unten ©. 51.
Dolt und Raffe. 1933. Januar. 4
50 Volt und Kaffe. 1933, [
Se PS SEE IE
Im Sftlid anfdliefenden Karpathenland führt uns Erih Gierad, Konig Wans
nius (Karpathbenland, Jg. 1, 1928, G. 16—19) zurüd in die Srübzeit, die noch ganz.
Ungarn als „ebemaligen deutfchen Siedlungsboden“, bewohnt von VDandalen, Goten,.
Gepiden ufw., ertennen läßt. Im nördlichen Rarpatbenland, der fpäteren Slowalei, fiedelten
die den Marfomannen nahe verwandten Quaden, die aud Mähren innebatten. Llady
Marbods Sturz erfhheint bier zwifchen Mark (Marus) und Eufus (= Waag) um 19
n. Chr. das Quadenreich des Wannius, dem audy vertriebene Markomannen neben illyrifchen:
Ofen und leltifden Rotinern untertänig waren. Wannius ift der „erfte deutfche Fuͤrſt,
SiG in Ungarn kennen“. Tod im 2. 3b. laffen fih Quaden an Gran und Eipel nach⸗
weifen.
. In wefentlich fpätere, aber immer nod recht frühe Zeiten, dringt Emft Shwarz,
Die Llamen Preßburgs (ebd. 19238 S. 19—25, dazu auch S. 80— 84), zurüd durch Unters
fudung des Ortsnamens, der erftimalig im Jahre 907 in der Sorm „ad Brezalauspurc*
erfcheint. Seine aud in der flowalifchen Sprache bis beute erhaltene deutfche Bildungsart
(Presporot) ift für Schwarz „ein Zeichen deutfchen Lebens an der Grenze des einftigen
großmäbrifchen Reiches vor 1000 Jahren“. Vielleicht fei es eine bayrifche Grenzburg yes
wefen. Der Bampf zwifdhen Bayern und Ungarn, der 3. Zt. der erften Liamensnennung
bier ftattfand, bedeutet immerbin eine Möglichkeit.
Die zufammenfaffende Behandlung, die Rurt Edert, Die deutfhen Siedlungen in
der Slowalei (ebd. 1928 S. 5— 15) bietet, ergibt eine einftmals weit größere Ausbreitung
diefer Siedlungen. Als Hauptgruppen werden unterfchieden: 1. in und um Preßburg zus
fammenbängend mit dem gefdloffenen deutfhen Spradgebiet. Weiter infular 2. eine
mittlere um DeutfchysProben und 3. eine dftlide um Rasmart ufw.
Über die Spradinfelgruppe Bielig-Biala gibt eine ganze Reihe von Arbeiten des
bewährten Spracinfelforfdhers Walter Rubn 5) ergiebige Austunft. Schon in der
zweiten Hdlfte des 13. Jahrhunderts entitanden, ift fie einft viel ausgedehnter gewefen und
bat bis Rralau gereicht. Don befonderer Bedeutung ift bier das Zunftwefen, das aus
Heinen Bauernftädten über das Tuchmaderbandwert wichtige Induftriepläge hat entfteben
laffen und dabei ihren deutfchen Charakter bis heute gewahrt bat.
„Das Zipfer Deutfhtum. Beihichte und Gefdide einer deutfchen Spradinfel im
deitalter des Llationalismus” bat durch Erih Saufel in Heft 6 der „Schriften des
Inftituts für Brenzs und Auslandsdeutfchtum an der Univerfität Marburg“ (Jena 1927)
eine wenigftens für die newere Zeit feit Jofepb II. eingebende Bearbeitung gefunden.
Damals begann die Sinneigung zum Magyarentum und die geiftige Entfremdung vom
deutfchen Hiuttervoll. Walter Rubn bat in einer Beiprehung (Dtiſche. Wiſſenſch. Itſchr.
f. Polen 1929 S. 172—174) die befonders heute überwiegende Gefahr der Slowalifierung
gegenüber der der Magparifierung ftärker unterftrichen, gewinnt aber fchließlich doch ein
günftigeres Bild als das von Saufel gezeichnete.
Die Eingemeindung benachbarter deutfcher Dörfer in die durch ihre Boldbergwerte
aufgeblübte Stadt Rremnig behandelt Jofef Ernyey, Zur Befchichte der Kremniter
Hduergemeinden (Rarpathbenland 1929 SG. 97—99). Ein Teil der bäuerlichen Einwohner:
fhaft entzog fidh den Bedrüdungen, die ihnen von der deutichen Stadt drobten, durd Auss
wenderung in vorber flawifche Gegenden. Sie zeigten bier im ausgebenden 35. Iabhrb.
nod eine 0 ftarke Affimilationstraft, „daß innerhalb kurzer Srift nurmebe der Llame der
Gemeinden flawifcdh, die Einwobnerfchaft felbft aber deutfcy geworden war”.
In Bayerns Hauptaus(trablungsgebiet, Ofterreich, bebauptet immer nod Rarl £¢ hs
net, Gefhidte der Befiedlung und see urfprungliden Brundbefigverteilung des Walds
viertels (Ib. f. Landestunde von Miederdfterreidy 1924 S. 10—210) feine grundlegende
und zielweifende Stellung. Eine lLinterfuchung der Dors und Srübgefchichte, bei der allers
8) Walter KRubn, Aus dem Oftfchlefifchen Zunftleben .... Ein Bild des Zunftlebens
der alten Zeit in BieligsBiala. Pofen 3926.
— * re der Dieliger Spradinfel und in Galizien (Rarpatbenland 1928
. 49 ff.).
— —, Die innere Entwidlung von Bielig im Mittelalter (Def. Wiffenfh. Ztfche. f.
Polen. 3928, S. 5—73).
— — = oo der DBieliger Spradinfelgruppe (Rarpathenland 1929
. 100—108).
Obgleich Bielig jegt zu Polen gebört, bebandle ich es hier. Es ift auch in diefen Dingen
nicht leicht, fid mit dem linfug abzufinden, den die fog. Sriedensfchlüffe von 1919 in
Mitteleuropa angerichtet haben.
1933, I Bleine Beiträge. 51
dings Bretbolz auch nicht „in großen Zügen“ bätte Recht gegeben werden follen (S. 15),
führt zur Annahme frübgefchichtlicdher Siawenanfiedlung im aufgefchloffeneren Mühlviertel,
Im fiedlungsfeindlichen Waldviertel dagegen, wo eine Slaweneinwanderung nur von FI.,
alfo von den Tichechen gelommen fein kann, bat es von ihr nur ftellenweife Meine Einzals
fiedlungen gegeben. „Don einer gefchloffenen flawifchen Siedlung im Waldviertel, von
einer flawifden Aerrfdaft bis ins 10. Jahrh. kann abfolut keine Rede fein.” Die Rodungen
Yaben bier „erft die BDeutfchen vorgenommen. ... Die wenigen flawifchen Siedler
verfhwanden in der Menge der neuen Roloniften“ (S. 33). Die deutfche Befiedlung diefes
großen Waldgebiets, die fhon zur Rarolingerzeit im 9. Jabrb. begonnen bat, wird in ges
naueft auf den Urkunden aufgebauter Sorfhung Schritt für Schritt verfolgt. Tach dem
Rüdichlag der Magparenzeit macht fich im legten Drittel des 10. Jabrb. ein neuer Impuls
bemerkbar, der in rafhem Dorfdreiten die deutjche Siedlung gegen Ende des 12. Jabhrb.
bis tief ins Tichechengebiet Böhmens und Mäbrens, in die Gegenden von Landftein, Biftrig,
Lleubaus und Budweis vortreibt. Die Hauptträger diefer Rolonifation find bayerifce
Adelsgefdhlechter und eine Menge Eleiner Sreibauern. Die Srantentheorie wird mit eins
leudtender Begründung abgelehnt. Die Siedlungsformen und Ortsnamen finden eins
gehende Behandlung.
Nach Reften der Dorzet fpürt Heinrich WeigT, Dordeutfche an in Llieders
Sfterreich (iionatsbl. des Der. f. Landeskunde und Heimatfchut von Fliederöfterr. und Wien
1936 S. 20 ff.). Fady Quellennachrichten und den Waldnamen ftellt er die Romanenrefte
zufammen. Darunter werden u. a. noch im Jabre 1316 in einem abgegangenen Ort füdlich
von Ulmerfeld „duo coloni latini* genannt. Auch an der unteren Enns „muß romanifde
Bevölkerung die Völkerwanderung überdauert haben“. Mandes ift natürlich zweifelhaft,
namentlich die Derfuche, aparifhe und magyarifche Refte feftzuftellen.
Sufammenfaffend im Rahmen der Landesgefchichte behandelt der 3u fray verftorbene
Raimund Sriedrih Raindl{, Gefchidte und Rulturkben Deutfchöfterreichs (1929, vgl.
Dole und Raffe 1933 Heft 2) auch den völkifchen Aufbau des deutfchen Süudoftene.
In großen Zügen zufammenfaffend ift auch die Siedlungsgefhichte, die nach der
Literatur, namentlih nah Schünemann, Die Deutfchen in Ungarn bis zum 32. Jabeb.
(Berlin 1923), Gottfried Sranz Litfehauer, Zur Gefchichte der deutfchen Befiedlung des
DBurgenlandes (Burgenland 2. Jg. 3929 S. 184—191) darbietet. Das Burgenland
aft deutfd geworden durd die Larolingifde Rolonifation, die die ganze um 800 bier errichtete
Oſtmark einſchließlich Weſtungarn bis 3um Plattenfee umfaßte, alfo weit über das gegens
wärtige deutfche Spracdhgebiet binausging. Zwei weitere große Siedlungsperioden find im
11. bis 13. Jahrh. und im 16. bis 17. Jabrb. noch gefolgt. Die viel umftrittenen Hienzen
ehören der erften karolingifchen Siedlungsperiode an, find alfo bayrifhsöfterreichifchen
tammes, aber zur Zeit der —— und der Tuͤrkenkriege durch ſchwaͤbiſche Ein⸗
wanderung beſonders aus der Bodenſeegegend überdedt worden.
Im Hocalpengebiet Rarantaniens dringen einige Forſchungen tief in die Fruͤh⸗
dichte ein. Eberbard Rranzmayer, Etymologifche Beiträge zur Entftebung des
rantanifchen AHerzogtums (Carinthia I 3925 S. 65—72) weift auf die Romanenrefte
bin, die die einwandernden Slawen in Rärnten vorfanden und die fidh „in den —
um das Zollfeld“ herum, wo vorher ſchon Illyrier und Relten nachweisbar ſind, erhalten
haͤtten. Von Samo ſei dann, nach Befreiung der Slawen von den Avaren, ein deutſches
Hye um Rarantanien über den Slawen gegründet worden. Ernft Rlebel, Zur Ges
fchichte der Pfarren und Kirchen Rärntens (ebd. 1926 SG. 1—63) fpürt ebenfalls altrömifchen
Zufammenbängen nady. Die „Bauern, die flawifierte Romanen waren“, bätten „fidy fchneller
betebrt als der Adel“. Man müffe fich „die Alteften aquilejifchen Pfarren als Romanen
vorpoften im Slawenland vorftellen“. Grundlegend fur die Ausdehnung des flawifden
Miffionsgebiets von Aquileja fei das Reichsgebiet gewefen, deffen Grenze um 860 nach urs
tundlicher Beftätigung „etwa eine Linie von Raab an das Llordoftende des Plattenfees und
von bier nach Sinftirden darftellte”.
R. Egger, Ausgrabungen in Seiftrig ad. Drau, Obertdenten (Iber. d. Ofterr.
Ardyaol. Inft. 1939 Sp. 161— 215) bat hier fpdtantile Raftelke im Zuge des anfangs 5. JW.
errichteten Limes von Binnennoritum aufgededt, deren „germanifche Befagung, langobars
difche Grenzer (arimanni)“ er als Ausgangspunkt der yelegentlidh auch als arimanni
bezeichneten Cdelinger des Mittelalters anfpreden möchte; wogegen £. Hauptmann,
Sertunft der Rärntner Edlinger (Vifehr. f. S03., u. Wirtfhgefh. Bd. 21 S. 245— 279) fie
auch im Gegenfag zu Jakſch von einer kroatiſchen Oberſchicht herleitet.
Manches bedarf hier gewiß noch eingehenderer Unterſuchung. Intereſſant iſt auch
Branzmayers Hinweis auf das befondera mongoloide Ausfeben der Tidechen (vgl. oben
4*
— de: gi eg: ake alt Fe
52 Vol und Kaffe. 1933, I
&. 49), wogegen die Sudflawen die nordifchen Raffenmertmale viel reiner erhalten batten.
Aber daß die Tſchechen eine ftdctere Mongolenmifdung fdon aus ihrer Urbeimat, aus „ihren
afiatifden [1] Gigen” mitgebradht baben follen, durfte nidt tommen.
Daß das Märdyen von der Uinterdrüdung des Siawentums durdy die Deutfchen immer
wieder von Deutfchen weitergetragen wird, dafür ift aud Hermann Wendel, Der Rampf
der Südflawen um Sreibeit und Cinbeit (Scantfuct a. M. 1925) eine traurige Beftätigung.
A. Klein hat fid in einer Befprehung (Zeitfchr. d. Hift. Der. f. Steiermart 1929 S. 264
bis 208), geftügt auf ein reiches Tatfadyenmaterial gegen WDendels Entftellungen gewandt
und dargetan, daß aud bei den Südflawen von folder Unterdrüdung keine Rede fein kann:
„Die Siowenen erlagen tampflos der höheren deutfchen Kultur“ (S. 305). Immer wieder
das gleiche Bild! Das „merkwürdige Zufammenfließen deutfchen und flowenifden Wefens”
zeige das am Plarften.
Eine Beftätigung findet das auch in der Darftellung des neuzeitlihen Rampfes der
flowenifden Sprache um Einbürgerung bei den Berichten Arains, Unterfteiermarts und
Börntens feit Mitte des 19. Jabrb., gefhildert von Auguft Pitreih, Slowenifb und
Deutfch in der Sfterreihifchen Juftiz (Zeitfchr. d. bift. Der. f. Steiermarl, XXII. Jahrg.
1920 &. 31 ff.). Die fhonungsvolle Langmut, mit der Ofterreich diefen flawifden Bes
ftrebungen entgegentam, ftebt ebenbürtig neben der geradezu felbfimörderifchen Duldfamteit
und wade, die nur zu lange Preußen gegenüber dem berausfordernden Pocyen der Polen
an den Tag legte (vgl. oben). (Sortfegung folgt.)
Ludwig Klages 60 Jahre.
Am 10. Dezember 1932 vollendete Ludwig Klages, der Philofoph des Lebene, fein
60. Kebensjabr. Er wurde in Hannover als bn eines Raufmanns geboren, ftudierte
Chemie, Phyfit, Pbilofopbie in Leipzig, Hannover und München und wandte fidh dann zur
Pfydhologie und Pbilofopbie. Um 1905 begründete er die „Ausdrudstunde“, der ein
Seminar in Münden mit der Zweigftelle in Rildhberg b. Zürich dient. Weiteren Rreifen
wurde Rlages zuerft als Brapbologe bekannt, fowie als Eharalterologe. Seine Arbeiten
auf diefen Gebieten, mit bandwertsmäßiger Gründlichkeit ausgeführt, Find aber nur Dors
ftufen feiner bereits in jungen Jahren konzipierten Pbilofopbie des Lebens, welde in
dem Hauptwerk „Der Geift als Widerfacher der Seele“ (3 Bände) ihre ausführliche Bars
legung fand. Ber Titel kennzeichnet (chon Klages Grundhaltung: Er führt den Schnitt des
Dualismus nidt zwifchen Körper einers, Seele = Geift andrerfeits, fondern ibm ift
„Börper“ eine Abftraktion der Lebenszelle, deren „Leib die Erfcdeinungsform der Seele“, deren
Seele „der Sinn des lebendigen LKeibes“ ift. Widerfacdher des Lebens ift der im menfdlicden
Bewußtfein Wirklichkeit gewordene Geift. a verftebt fic, dag Rlages alles Gewadfene
bdéber wertet als das Erdacdhte, und a8 er auc auf die gewadfenen Gemeinfdeaften, die
Raffen, aufmertfam ift. ,Der Kebensforfder fiebt im Sittlichleitsphänomen nur eines:
den geiftigen Ausdrud fcdlehten Blutes.“ Damit tritt er in die Lläbe Lliegfches und gegen
das Sbantatiebild der ,Menfdbeit’: ,s eriftiert fo wenig cin gemeinmenfdliches Ges
wiffen, daß die Bewiffensabbängigleit vielmehr das Stigma derer bildet, die Llietzfche
,Stlavenmenfden’ nannte... Er (der Stlavenmenfd) entftand und entftebt immer und
überall durch Raffenmifhung und Blutverfehledhterung; und feine notwendige Ergänzung
ift der Verbrecher.” — Diele Anführung möge genügen, die Leferfchaft von „Doll und
Raffe” darauf binzumeifen, daß diefer Doilofopk gerade ihr fehr en er en bat.
. §. Diergus.
Suchbefprechungen.
Werner Effen: Die ländlihen Siedlungen in Litauen mit befonderer Berudfichtigun
ibrer Bevdllerungsverhaltniffe. Terts und Rartenband. DWerdff. d. Staatl. Sorfd.»Inft. f.
Wolter’. AHerausgeg. von O. Rede. Bd. Vollskl. We. 3. Leipzig 3933. R. Voigtländers
Verlag. 135 Seiten, 40 Rarten, 17 Diagramme. Preis geb. Mi. 23.—, geb. ME. 20.—.
Es ift befannt, daß die ofteuropäifchen Dölter erft auf Grund der Sorfchungen deuticher
Gelehrter ihren nationalen Willen befundet haben. Dank haben wir nidht erhalten, mußten
aber erleben, daß viele Gelebrte mit dem auf deutfchen Hodfaulen erworbenen Willen
mandymal in wenig fchöner Weife an den ihnen unbequemen Ergebniffen gewaltfam lors
rigiert haben. Hoffentlich madt der Derfaffer nicht die gleiche Erfahrung! Die Ergeb
1933, I Budhbefprechungen. 53
EEE
niffe des umfangreichen zweibändigen Wertes find freilid für Litauen nur vorteilhaft;
es ift aber für die deutfche Dorurteilslofigkeit bezeichnend, daß das gründliche, für die
QAufbellung des Landes jo wertvolle Wert mit Unterftügung „der Stiftung für deutfche
Dolts: und Rulturbodenforfdung” herausgegeben wurde.
Welde Schwierigkeiten der Derfaffer zu überwinden batte bei dem Mangel an zus
verläffigen alten Rarten, befonders bei der Ermittelung der Bodengüte, fagt er felbft. Der
Derfaffer unterfucht zunächft die geograpbifchenaturwiffenfchaftliden Grundlagen des Sieds
Iungsraumes und das darüberliegende Lietz der kulturellen Veränderungen der Oberflade
mit Einfchluß der Siedlungen, Gebäude, Straßen, der Kulturflädhen und der Bewohner.
Kitauen zeigt keineswegs eine bunt zufammengewürfelte Bepöllerung, wie man es bisher
angenommen bat; fein Dollstum ift mit Ausnahme der Grenzgebiete — in der Haupts
ſache einheitlich. Das etwa doppelt fo große Gebiet wie Oftpreußen mit etwas mebr ale
3 Millionen Einwohnern umfdließt ländliche und frädtifche Siedlungen, die nicht immer
zu trennen find. Weld eine große Veränderung der Siedlungen in dem letzten Jahrhundert
vor fic gegangen ift, zeigt die vor hundert Jahren eingeleitete Umfiedlung aus dem
typifdhen Straßendorf in die Zinzelfiedlung. Die Entftehung des erfteren aus dem älteren
Adelshofe b3w. der Sippenfiedlung wird nachgewiefen. Ls gebt diefe Umwandlung
parallel der Entitehung auch des ruffifchen Straßendorfes, ohne daß aber daraus ein
anderer als zeitlicher Zufammenbang gefolgert werden kann. Unvertennbar ift der deutfche
Einfluß nur im Anfhluß an politifchsfoziale Veränderungen in der Struktur des Wirts
fchaftsraumes. Die vielfady fehr verworrenen Derbältniffe find von Effen mit fcharfem
Blid und umfaffendem Wiffen zu Hären verfucht worden. Die von ibm im Anfdlug an
Schlüter ausgebildete Methode, die ihre Vorzüge in den Karten und Tabellen ausweift,
dürfte in der Siedlungsliteratur Anwendung finden. Robert Mielke, Berlin.
Philipp Bördt, Der Durchbruch der Dolkheit und die Schule. Armanenverlag Leipzig
19323. 98 ©. Preis ME. 1.80.
Aördt fucht den Begriff Volk als in fih organisch gegliederte Ganzbeit herauszuges
ftalten und gelangt über die entjchiedene „Wendung zum totalen Staat“ zur <inheit von
Volt und Staat. Doll ift nicht die Summe von Individuen und fein Wille ift nicht die
Summe von Kinzelwünfden. Dem demolratifchen uniformierenden Jdeal des Weftens
ftelle Hdrdt den bimdifd, korporativ aufgebauten Volkeftaat als das deutfche Jodeal gegen:
über. Don bier aus fucht der Derfaffer die wirkliche Volktsfcyule einzubauen, die nicht wie
bisher eine niedere Stufe und auch nicht die Einbeitsfchule fein foll, fondern in fic eine
GBanzbeit und zugleidh organifches Blied der ganzen Volkheit.
Grundfäglich Meues bringt Hördt nicht. Es ift ein Stüd aus dem großen Suchen nad
Fleugeftaltung, aber keine Ldfung. Leider Halt fic Hordt nicht frei von Gedanten wie
„Zwiſcheneuropa“ und aͤhnlichen Petite in der Luft liegenden. Gerade vom raffifchen Denten
ber muß man mit dußerfter Dorficht und Sicherheit an diefe oft verfhwommenen und ges
fäbrlichen Gedanken berangeben, befonders wenn fie im Glauben an eine befondere „Sens
dung” Deutfdlands fir das friedlofe Europa gipfeln. ntfdiedenes raffifhes Benten ift
aber leider zu vermiffen. Sonft würde der Derfaffer nicht das Schlagwort von der „mas
terigliftifchen lan ee Raffebegriffs“ aufgreifen und würde auch im ARaffifchen zur
theoretifch fo betonten Ganzbeit und Einheit von Körper und Seele gelangen und nicht ab»
wägen wollen, ob 3. B. Rörper sder Geift wichtiger fei. Srig Polte.
Beinrih Jerchel: Malerei der Romantik (Band III der Doltsbüdher deutfcher Kunft).
Mit 15 S. und 43 Bildtafeln. I. §. Lebmanns Verlag, Münden 1932. Preis geb.
Mel. 3.80. (Preis für Wertbundmitglieder ME. 3.—.)
Diefes Buch bringt in fehr gefchidtter und erfreuliher Auswahl Wiedergaben von Bils
dern der Meifter der Romantil. Die gute und leihtverftandlide Einführung erhöht das
Derftändnis für die Bilder und läßt den Befchauer engere Sühlung mit den Meiftern und
ihrer Runft gewinnen. Es find bier die Maler Philipp Otto Runge, ner David Srieds
ri, OD. v. Robell, R. Pb. Sehr, 3. §. Overbed, I. Snore v. Carolsfeld, DP. Cornelius,
WD. §. Oliver, Rarl Rottmann, J. A. Row, Ludwig Richter, Serdinand G. Waldmilke,
§. Waffermann, J. A Rambour und Morig v. SGhwind vertreten und ihre Richtung,
ihre Zeit gefchildert. Auch als Gefchentwerk wird diefer Band viel Sreude Rn
Otto Albreht Isbert: Das füdweftlihe ungariihe Mittelgebirge. Bauernfiedlung
und Deutfhtum. Deutfde Hefte für Volles und Se: Abhandlungen
fir. 1. Kangenfalza 1931. 240 Seiten, I Grundlarte, 10 Dedblätter, 2 Tafeln.
Im erften Teil: Das Mittelgebirge als Landfchaftseinheit, fhildert Jebert nach einer
54 Volk und Raſſe. 1933, I
allgemeingeograpbifden infibrung in das Gebiet die SGiedlungstunde, obne Berüds
fidtigung der Doltsgruppen, d. b. die Giedlungen (Städte, Dörfer, Pußten, Straßen) in
ihrer geograpbifchen Bedingtbeit. Sehr gut ift der Abfchnitt über die Ortsnamen im Mittels
gebirge, wobei f ftellt wird, daß es außer gefchichtlich bedingten Landfchafts» und Städtes
namen älteren Urfprungs, wie Ofen, Plattenfee, Raab (Stuhl), Weißenburg u. a. amts
liche deutfche Liamen nidt gibt und auch kaum gegeben bat. Im zweiten Teil wird das
Mittelgebirge als £ebensraum verfchiedener Doltsgruppen bebandelt, wobei der Abfchnitt:
Grundfaglides uber , Doll, Klation und Staat” fehr beachtenswert ift. „. . . . man fceut
fi in der Sffentliden (ungarifden) Distuffion fortgefegt, den Unterfchied zwifchen Lias
tion und Dolt anzuerkennen.“ Jede Dollsgruppe bat in ihrem Kampfe mit einer anderen
drei Möglichkeiten einer Wandlung: politifch, fprachlich, voltlih. Das Mittelgebirge ift
ein volklides Mifchgebiet, in dem Magyaren, Deutfdhe, Glowaten und Serben Einem,
was Jsbert an Hand von zablreidhen vergleidenden Tabellen nady den amtlichen Statis
ftiten von 1830—1920 darlegt. Im dritten Teile werden endlidh bei der Siedlungss
tunde aud die Volksgruppen berüdfichtigt. Ausgebend von der Befchichte der Befiedlung
ebt der Derfaffer über auf die Stedlungsform. Die Dörfer find Reihendörfer, die Yauss
orm tft die mitteldeutfchsfräntifhe Sorm, der Hof der (mitteldeutfche) Schmalbof, der
übrigens aud in anderen deutfchen Gegenden Ungarns (Tolnau, Baranya) vorberrfcht,
ebenfo wie der Laubengang am “yaufe, der, wie Jebert richtig bemerkt, bier eine febr
junge Sorm ift: denn die älteren Käufer weifen ibn nod nidt auf. Eine Anzahl Rartenr
und Skizzen find dem Buche beigegeben, die die Überficht febr erleichtern.
Hanns Gracefe.
Ernft Kriek: Wationalpolitijhe Erziehung. Leipsig 3932. 2. Auflage. Armanens
ie 186 S. Preis ME. 3.60.
affe ift heute über den Rahmen eines Arbeitsgebietes anthropologifder und raffens
bygienifder Inftitute binausgewadfen. Cs gibt ja kaum ein Lebensgebiet, das fie als
Saftor nidt wefentlid mitbeftimmt; und feit fich diefe Erkenntnis Babn zu brechen bes
innt, regen fid) immer mebe Geifter in den verfchiedenften Sakultäten, die von der Grund»
ge raffifh ausgerichteten Denkens die bisherige Bebandlungseart ihres Tätigleitsfeldes
einer eingebenden Prüfung unterzicben.
Auch das vorliegende Buch des Srankfurter Philofopben und Pädagogen Ernft Rried
betennt fich zu diefer Grundlage. Sein Bapitel „Raffe” beginnt mit den Worten: „An
der Schwelle des neuen Zeitalters ftebt die Raffenfrage: mit der führenden nordiſchen Raffe
ft Grundlage und Aufriß künftiger deutfcher Dollsordnungen vorgegeben, mit AHeraus:
gefteltung der Raffe wird der Boden des Fleubaues bereitet”. Aber das Wilfen von
raffifcher Beftimmtbeit jedes organifden Lebens beftimmt nidht nur diefes Rapitel, fons
dern fdbwingt durd das ganze Buc, das in feiner Fleuwertung von Rultur und Bildung,
Erziehung und Weltanfdauung nidt nur Rritik übt, fondern den Lleuaufbau mutig ums
reißt. Minen Aufbau, der fi in Erziebung ourd Jugendbund, Samilie, Beruf, t
folgerichtig fortfetzt und eine umwälzende Reform von Bildungsperfahren, Lehrerbildung,
Saul und Hochſchule zur Dorausfegung Hat.
In wohltuend fhöner Sprache geichrieben, gehört das Kriediche Buch zu den beften
und fruchtbarften Büchern, die in fegter Feit uber die Lleuordnung unferes Volkslebens
in Verbundenheit mit Volt und Kaffe gefchrieben find und verdient deshalb allergrößter
Aufmerkſamkeit. Lothar Stengelsvon Rutkowſki.
Leopold Krinner: Bevdlkerungsftatiftiihe Erhebungen in baneriihen Landgemeinden
en Pfarreien. Anleitung zur Bearbeitung der Pfarrers und Gemeindeardhive. Raufs
uren 1928.
Ein Meines Schriftchen, das an Hand ausgewählter Beifpiele von Fablen und
Rurvenvergleichen aus bayrifhen Gemeinden Anleitungen geben will für die Aufftellung
von Bevdllerungsftatiftiten. Der Abfchnitt II entbält einen kurzen gefchichtlichen Überblid
über die ftaatlihen und kirdlichen Erhebungen zu ftatiftifden Sweden feit dem Ende des
88. Jabrbunderts. Aanns Öraefe.
Bernhard Kummer: Gott in Waffen. Erinnerung und Belenntnis am Grabmal
des unbelannten Soldaten. Leipzig 1931. Adolf Akin, Derlag. 62 S. Geb. Me 2.—.
Ein Büchlein, in seffen Gedantengangen man lange finnend weiterfchreitet. Es bringt
Skizzen und Zwiegefpräcde über den großen Krieg, in dem chriftlicher Glaube dem Dect.
zur Srage wird und zerbricht, weil diefer Glaube Heimat und Sront secrbrict, für die nur
ein „Bott in Waffen“ taugt (S. 26: „Wer tat wie Jefus, war ein Deferteur‘‘). Ls ift
binfichtliy feines Stiles ein Buch fir junge Menfden, denen Didtung und Wabrbeit now
fo ineinanderfließen wie in diefen Stimmungsbildern. RD.
1933, I Bucdbefpredhungen. . 55
Sa a a a ER RE ee Pe ee ee oe Se ee ee
Rudolf Lawin: Die Bevölkerung von Oftpreugen (Schriften des Inftituts Ge ofts
deutfche Wirtfchaft an der Univerfität Rönigsberg. II. $. Bd. 2). Berlin und igs⸗
berg 1930. Oſteuropa⸗Verlag. VIII, 228 S. Preis ME. 4.80.
Dieſer Auswertung der Volkszaͤhlungen von 1930 und 1928 wird durch die ſtarke
Weſtabwanderung, namentlich in die Induſtriegebiete, und durch die Folgen der Zerſtuͤcke⸗
lung der preußiſchen Oſtprovinzen der charakteriftifche Stempel aufgedrüdt. Der dadurdy
bedingten Dunne einer fi nur nod fdhwad vermehrenden Bevölkerung ftebt drobend
die beträchtlich größere Bevölterungsdichte der die oftpreußifche Infel oder „Rolonie“ ums
tlammernden polnifdhen Gebietsteile gegenüber. Ein gefährliches Mißverbältnis, das fich
dazu nod unaufbaltfam urd die —2** polniſche Volksvermehrung ſteigert. Hierin
mit allen Mitteln der Siedlung uſw. Abhilfe zu ſchaffen, iſt eine der dringendſten Aufgaben
unſerer Oſtpolitik.
Ein Lichtblick in dieſem truͤben Gemaͤlde, das uns Lawin bis in die Cingzelbeiten
au mit Tabellen uſw. vorfuͤhrt, iſt wenigſtens der außerordentlich raſche und ſtarke
bergang der fremdſprachigen Einwohner der Provinz zu deutſchem Weſen. „Wir finden
heute keine geſchloſſenen Gebietsteile mit litauiſcher, polniſcher und maſuriſcher Sprache in
der Provinz, ſelbſt Gemeinden mit einer fremdfpradigen Mehrheit Lommen nur vereingelt
vor’ (SG. 49). Tamentlid it „die litauifche Bevölkerung .... faft gänzlich im Deutfchtum
aufgegangen“ (3.51) und in zwei nordösftliden Landtreifen von 23 bzw. 21 v. %. in der
angegebenen kurzen Zeit auf I v. 9%. gefunten! Die Mafuren fanten in den gleichen
15 Jahren in der ganzen Provinz von 30 auf 7 v. %., die Dolen im Stadtbreis Allenftein
von 16 auf 0,6, im Landkreis Allenftein von 63 auf 1% und im Landkreis Röffel von 14
auf 2 v. 4. Dies alles ohne „irgendwelche Eindeutfhungsmaßnahmen”, lediglich „durch
die enge jabrbundertelange Rulturgemeinfchaft mit der deutichen Klation“ = .
i itte.
riedrih Wilhelm Prinz zur Lippe: Vom Raffenftil jur Staatsgeftalt, Raffle und
penis Dertin-Peegintentecg 1938. Hermann Peetel, Verlag ® m. b. 4%. 13468,
107 Abb. auf 43 Tafeln. Preis: geb. ME. 10.—, B3lwd. ME. 12.—.
Derfaffer verfucht nichts weniger als eine neue Staatstheorie, und Zwar vom raffens
pirdologifhen Standpunlt. Ihre Grundbegriffe faßt er wie folgt: Kultur ift einerfeits
ren Ausdrud des fcauenden Beiftes“ und andrerfeits „Stil der gearteten Seele‘
(S. 63); „Beginn jeder Dollwerdung’ ift ,caffifdhe Schichtung” (S. 73), Volt felber
„einartig beftimmte Gefittungsgemeinfdaft” (nah Hermann Meyer) (G. 33); Staat
— iſt das „Ausdrucksfeld“ des Volkes, und Ziel der Staatsgeſtaltung iſt „ein Volk,
in dem alle teilhaben an der vorherrſchenden Raſſe, deſſen Geſittung beſtimmt iſt von deren
Stile und deſſen Staat die verwirklichte innere Landſchaft dieſer Raſſe iſt“ (S. 27). Grund⸗
lage der Raſſenpſychologie des Verfaffers ift, wie der Renner bereits aus diefen Ausfübhs
rungen erfiebt, die von £. $. Elauß, als deffen Schüler er fi auc bekennt. Go wie
Elauß die Kaffe anfiebt, möchte der Werf. alles angefeben wiffen: Kulturen, Völter,
Staaten. Was bei Elauß berechtigte Methode ift zur Löfung beftimmter Sragen —
die „Ausdrudsforfhung“ — wird vom Perf. auf Gebiete angewendet, auf denen fie nicht
zureicht; fie foll Sragen Iöfen, die offenbar unter ganz anderen Gefidtspuntten geftellt und
verftanden wurden. Schon die angeführten Definitionen von Rultur, Volt und Staat
laffen ertennen, daß fie irgendwie einfeitig find, daß Hiertmale diefer Begriffe, die man
emeinbin für wefentlich bielt, darin keinen Plat finden. So muß bier die Rritiß eins
Kom: es get nit an, kulturelle, politifche, überhaupt alle geiftigen Gebilde mit der
Ausdrudsforfhung erfchöpfen zu wollen, weil für diefe das Geiftige als Selbftwert
gar nidht da ift! Das zeigt ſich denn aud allentbalben in diefem Bude (z. B. S. 80:
„geihichtlihe Begebenbeiten (find) Ausdrud für feelifhe Dorgänge“ — gewiß, aber fie
find doch nicht nur dies!), das fih fomit als Pfydhologifierung der Staatslehre
ibt. Derfaffer geftebt jelbft zu (S. 58), daß er die Lehre vom Staat pfpchologifh „unters
ven“ will, wobei er dies Verfahren für pbilofopbifch ausgibt, alfo reinem Pfydologismus
verfällt. Dabei Erantt die Pirdologie des Derfaffers felbit an Untlarbeit uber das Wefen
der ~Seele” und de3 ,Geiftes”, fo S. 97: ,Lin Standpuntt bat doch eine feelifche Brunds
I ift feelifcher Ausdrud, Ausdrud eines fhauenden Geiftes.” Wenn das Sinn baben
fo I, dann muß dem Worte „Ausdrud“ jeweils ein anderer Sinn beigelegt werden! —
iefe Mängel felbft in feinem eigenen ciftigen Sandwerlszeug — u. a. — beeintraͤch⸗
tigen den Wert diefes Budes, obwobl oeifen nfag fruchtbar genug-ift: Kultur und Staat
aud einmal daraufhin zu unterfucdhen, was aus ihrem Ausdrudswert für ihren Raffen:
charalter folgt. Diergug.
56 Volt und Kaffe. 1933, I
{a a FE PE SENSI
€. Theodor Müller: Meifter gotiiher Plaftik. (Band I der Vollsbicher deutfcher
Bunt.) Mit ıs S. und 48 Bildtafeln. I. §. Lebmanns Verlag, Minden 1952. Preis
geb. ME. 3.80. (Preis für Wertbundmitglieder ME. 3.—.)
Welt wunderbare Werte die deutiche Gotik gerade auf dem Gebiete der Plaftit
gefcbaffen bat, kommt einem beim Betrachten diefer Ihönen Bilderfammlung fo wieder
recht 3um Bewußtfein. Cine unglaublidye Geftaltungstraft, Tiefe der Empfindung und
Sormvollendung ift diefen Meiftern wie Michael Pacer, Tilman Riemenfchneider, Veit
Stos — um nur die belannteften Kamen zu nennen — eigen. Die bier vorgelegte Zufams»
menftellung von Werten der verfchiedenften Meifter ift ganz befonders geglüdt und wird
ficd ficher viele Sreunde erwerben. Das Buch eignet fic befondere gut als is 4
Karl Saller: Die Sehmaraner. Eine anthropologifde Unterfudung aus Oftholftein.
Mit 45 Abb. im Tert und 48 Tafeln. (VIII, 236 S.) 4° = Deutfce Raffenlunde. Bo. 4.
Jena 1930, ©. Sifher. Preis ME. 26.—, Lwd. MI. 28.—.
Don den (1919) 10 184 Bewohnern der Infel Schmarn wurden 1225 Perfonen männs
lihen, 11349 weiblidyen Befchlechtes, davon 773 Rnaben und 663 Mädchen unter 16 Jahren
unterfuht. Das Material befteht aus einzelnen Samilien und famtliden Sdultinderm
Die Bevdlterung fdeidet fid in zwei Syeiratsgemeinfchaften, Bauern und Arbeiter, die
leggteren faft ausfchlieglih Landwirtfchaftsarbeiter. Die unterfuchten Samilien gehören dem
alteingefeffenen Bauerntum an, von der Arbeiterfchaft wurden nur Scullinder erfaßt.
on den Seftftellungen an Rörpermaßen fei vermerkt, daß die Körpergröße, ebenfo
die relativen Werte für Schulterhöhe und »breite, Armlänge und Spannweite zu den größten
unter den zum Vergkich berangezogenen nordwefteuropaifden Gruppen gebdren; die celas
tive Stammlänge if im aleiden Rahmen am niedrigften. Die Altersgruppierung der rs
wacdfenen: 20—24, 25—60, 63—69 und 70 und darüber ift für die Beurteilung des Ents
widlungsganges der Merkmale infoferne unginftig, als die Gruppe der 25—060 jährigen
Rüdbildungsjahre einfchließt, wodurdh die Erfaffung gerade des ftabilen Reifesuftandes
unmdglid wird. Die Werte der 25—60sJAhrigen erfcheinen gegenüber denen der 20 bis
24° Jäbrigen faft durchwegs verringert, was mindeftens bis in die 40 er Jabre phyfiologifH
nicht begründet fein tann. Hier drüden die höheren Jahrgänge. An Ropfmaßen wurden bes
ftimmt Lange, Breite, Obrhdhe, Stirnbreite, Rapazitdt, weiter Hdbens und Breitenmaße
am Gefidt, an der Klafe, am Auge, am Obr, dazu formbefdhreibende Merkmale, Pigmens
tierung und Blutgruppen. In Tab. 34, die die relativen Werte der Ropflänge der Alters
Haffen enthalt, ift der Dezimalpunte um eine Stelle zu weit nach rechts gefett, die Werte
erfcheinen zebnfach vergrößert. Dasfelbe ift bei den „Reuperfranten“ (Bd. 2 der „Deutichen
Raffentunde”) in Tab. ı und Tab. 50 bezüglich der Werte für die relative Ropflange der
SaH, wobei in Tab. 1 aud Vergleichsmaße anderer Autoren in diefer Weife verjchrieben
find. Bezüglich der BYlutgruppenverteilung weift der Verfaffer darauf bin, daß bei den alts
eingefeffenen Bauernfamilien B feltener ift als bei der mebr flultuierenden Arbeiterbevölkes
tung, was mit Gundels umfaffenden Seftftellungen in SdleswigeHolftein im Einklange
ftebt.
Auf Grund der Korrelationsbeziebungen von Kérpers und Ropfmagen 3u der Rorpers
größe in verfchiedenen Altersgruppen gelangt Verf. 3ur Annabme von 3 Gruppen von
Erbfattoren: felbftändige oder wenig miteinander forrelierte, mit dem Gefchledht enger
verbundene und mit dem Körpergrößentompler zufammenbängende Saltoren. Auch famis
liäre Vererbung wird für verfchiedene Merkmale an Tafeln von Eltern Rinders Rombis
nationen geprüft. Es ergeben fich dabei, nach des Derfaffers eigener Seftftellung, keine wes
fentli neuen Auffchlüffe. Aus den Betrachtungen über Tppenbildung und Raffenfragen
foll nur die zufammenfaffende Bewertung der metrifchen Merkmale berausgegriffen werden,
nach der angeblich „die oftbaltifche Kaffe, neben der Cromagnonraffe (Dalraffe) den Hauptteil
der Sebmaraner ausmadk, während die fogenannte nordifche Raffe den Rurztopfraffen
gegenüber in ihrer Bedeutung auf Sehmarn zurüdtritt“. — Bei den Schultindern konnte
der Dergleih zwifchen Bauerns und Arbeiterbevölterung durdhgeführt werden. Hiernach
find die Arbeitertinder etwas Heiner, relativ fdmalkdpfiger, breitftieniger, fdmalgefids
tiger und fdmalnafiger als die Baverntinder. In den Abweichungen näbert fich die Aes
beiterf&hichte — die lUinterfchiede beziehen fich, wie erwähnt, nur auf Schullinder — der
Bevslterung des fchleswigsholfteinifchen Seftlandes. Die Abweichungen werden saber auf
Einſchlag von diefer Seite zurüdgeführt.
Eine wertvolle Ergänzung erfährt die ftatiftifch fehr breit angelegte Barftellung durch
48 Tafeln mit Tppenbildern. m. Held.
_ Rudolf Kjelléns
Die Grofmadte vor und
nad dem Weltfriege
2, Aufl. der Meubearbeitung von 8. Haus:
hofer, Miet ı Bildnis Kjellens und 80 Lert:
ffizzen. Geb. RIM 10.80
„SKiellen, viel zu früh für die junge Wiffenfchaft
durch den Tod aus dem Gchaffen herausgeriffen,
das Glüd gehabt, in dem Herausgeber feines
rfes und feinen Mlitarbeitern, alles bedeutende
Gelehrte und Gorf er, Eongeniale Überarbeiter zu
den. Das Werk follte Eigentum und geiftiger
fig jedes politifdy SYntece,fierten fein.”
| (Bolt umd Raum.)
W. Vogel
Beutfche Reichsgliederung
und Reidsreform
in Dergangenheit und Gegenwart,
Mit 22 Kartenflizzen. - Geh. RIM 5.40,
geb. RN 6.80
„&s wäre zu mwünfchen, daß es der Gdrift ge-
lange, redjt große Lefermaffen darüber aufzuPlären,
was die nod) heute vielerfeits für unantajtbar ge:
haltenen deut{djen Staaten in ihrer ge/dhidtliden
@ewordenheit eigentlich find. Gerade über diefe
Dinge ift Ausgezeichnetes gefagt.”
(Borfburgen 4. Preufi. u, Brandenburg. Gefdicdte.)
G. Neckel
Liebe und Ehe bei den vor-
chriftlichen Germanen
Kart, RIN 1.20
Die Darftellung wendet fih an Hand von Quellen
gegen die weitverbreitete Anfchauung, daß die alt:
germanifche Frau nur das redytlofe Objekt männ:
licher Willfir gewefen fei, und daf erft durd) das
Chriftentum Cinehe und ehelihe Gittlihkeit ent:
ftanden find. Es wird im Gegenteil beiviefen, daß
Die Ginehe fchon feit unvordenklichen Zeiten beſtand
und Ehebrud) hart beftraft wurde.
Berantwortlich für die Schriftleitung von „Volk und Rafje“: Prof. Dr. O. Rede, Leipzig und Dr, Brino 8, Schutz, Münden. |
Verantwortlid) fiir den Anzeigenteil: Guido Haugg, Münden. — Berlag: 9. ’
Druck von Dr. F. G. Datterer & Cie, Freifing- Münden.
_ Die 23. Auflage der „Großmächte“
Leipzig , B. G. Ceubner 7 Berlin
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7. —
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§ war 7a 2 io fd oe - 4 57
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7 fe f > “ és
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Hrsg. von K. Haushofer, Mit 100 $ te
. fkizzen und graphifhen Darftellungen
Geh. RM 11.70, geb. RA 13.50
„Der Wunfd, ‚das Großvolf Mitteleuropas wieder
auf einen feiner würdigen Wege zu führen und es
darauf weiter emporfchreiten zu fehen‘, lebte fchon‘
in Kjellen, Aus diefem Wunfd) ertouds das vor-
liegende Werk. Denn nur aus folder Fahlen :
lid)Feit, die allen heißen nationalen Willen J
dringt und leitet, Fann unfer Wiederanfitieq er —
möglicht werden, Diefe beiden Bande geben die
geopolitifhe Grundlage für eine deutfche Außen:
politif, die feft in der deutfchen Erde gründet.”
(Hamburger Tagblatt.) "
R. Hennig
Geopolitif,
Die Achre vom Staat als Achewefen.
3, Aufl. Mit 8ı Kart. i, Tert, Geb. RN 16.20 :
Der 2. Auflage ift das. ausführliche Schluß:
Fapitel ,„Raffe, Nationalität und Bolkstum“ |
beigegeben. i
„Hennigs Weiß ift ein ftarfer und mutiger Sammel
ruf zu neuen Zeichen: der Einigung unferes Volkes
auf gewiffe naturgegebene, bodenbeftimmte Grund
[agen feines Lebensraumes, der Zufammenführung
der Menfchheit gegenüber Gefahren, die ihr Ge:
famtdafein auf dem Rüden ihres Planeten be-
drohen, Gie zeichnen fi) fhon am Gehfreis des
Wiffenden ab, müßten jedenfalls fchon im Blidfeld
zielbervußter Wufenpoliti? ftehen.”
(Dentfthe Rundfchau,)
E. Fehrle
Deutfche Fefte und
Volksbräuche
3. Aufl. Mit 29 Abbild. (ANUG, Bd, 518.)
Geb, RM 1.80 |
„Die fchwere Aufgabe, die Unmenge von Bräucen
anfpredjend darzujtellen, herausgubeben, twas ein
zelnen @egenden, was dem ganzen Bolfe gemein:
fam und was uns fchließlidy mit anderen Pattern
verbindet, ift hier ausgezeichnet gelöft,
(Zeitfehrift für Deutfhtunde) 7
|
SF. Lehmann, Münden. 3
Heft 2 April (Oftermond) 1933
⸗ dee raed Ge
burtenzahl in einer Ehe
beträgt...3#
| Auf eme
kriminellefhe
treffen heute _%4 Kinder
Na
Die deutsche Familie hat
im Durchschnité nur
\ > |d Jn einer Familie der ge-
N bildeten Schicht sind nur.......... 19 Kinder
Soll das unfere Zukunft fein?!
H
| Shhriftleitung: Prof.dr.©. Reche, Leipzig u. Dr. Bruno K-Schuls, München
3.5. Lehmanns Verlag, München
Bezugspreis jährlih M.8.—, Einzelheft M. 2.—
ate Sadhjen. Bon D. Dr. Markgraf, Leipzig. (Mit 2 Landkarten) . . Geite 97
Inhalt:
| Sie yeahs zwifhen dem fräntifchen und flamifden Rechtsgebiete im '
Sind die oberfchlefiihen Holzkirchen Reſte — ee |
Bon Frig Wiedermann. (Mit 5 Abbildungen) . - „ 68
Germanen zwijchen Elbe und Weichjel vom 5. bis zum 7. Jahrhundert. |
Bon Dr. Waltyer Schulz, Halle a. S. (Mit 3 Abbildungen und 1 Karte)" . . „74 \
Eine Banernhochzeit in Hülften bei dauern i. eee: Yon Dr. Hubert
Kroll. (Mit 7 Abbildungen) . . » 82 |
„Rane“ und „Boll“. Gon RGF Biergug . . » 89
Deutſche BVolfstradten (IV). Gon R. Helm. (Mit 2farb. Tafeln)... . . . > OS ,
Die Drkneyinger und die Shetländer. Gon Ernft Krenn, AWllentfteig . - . » 94 |
Wus Rajjenhygiene und Bevblferungspolitié . . . . 2 2 2 200. a |
a) A ar A „104
Rafienpifege im oöfffichen. Sia
Von Prof. Or. M. Staemmier, Chemnis.
Geh. AM. 2.20, Lwd. AM. 3.20 |
Prof. Staemmler, dem völkiichen Deutichland buch feine ausgezeichneten Vorträge rühmlichit
befannt, zeigt in feiner Schrift, was jofort und in fpäterer Zeit zu tun nötig ijt. Yörberung
des Hochwertigen, Unſchädlichmachung des Minderwertigen, das ift die Forderung biejer Schrift. |
Sie verdient mweitefte Verbreitung. |
Aus einem Streifzug: Warum müfjen wir Rafjenpflege treiben? / Das |
Geje der Fruchtbarkeit / Der anormale Alterdauibau unferes Volles / Wie fann |
man raffenhygienifch arbeiten ? / Rajjenpflege oder ,Cugenif’? / Reinhaltung der ,
Naife / Die jüdischen Anlagen / Unjer Ziel ift: Scheidung ber Rajien / Strafen ,
für NRaffenfchänder / Die Einwanderung Frembraffiger / Was das Elternhaus für
die Kinder bedeutet / Die Ummandlung der „Gejchlechtsmoral” / 40000 Eheichei- |
dungen im Jahre 1930 in Deutjchland / Bewahrt die Jugend vor Schmußliteratur /
Säubert Theater und Film / Wir brauchen die 4-Rinder-Ehe / Gegen den biolo» |
gischen Bazifismus / Gegen Marcufe und Hirichfeld / Schuß den inderreichen / |
Die verichiedenen Erbgruppen / Wer barf wen heiraten? / Der GefundbheitspaR / .
Und die unehelichen Kinder? / Frau und Beruf / Bevdiferungspolitif ijt Raums 4
politit / Ausgleich der Familienlaften / Kinderzulagen und Kinderabzüge / Schule |
und Sinderzahl / Schafft neuen LXebensraum / Wer foll jiedeln? / Einige Zahlen |
von der Nahfommenjcaft Minderwertiger / Wie hindert man bie Mindermwertigen
an ber Fortpflanzung? / Rafjenpflege und Strafrecht / Kajtration von Serualvere
bredjern / Sit Schwangerichaftsunterbrechung gulafjig? / Wie die voltijde Schule
ausjehen joll / Die Feftlequng beö Erbwertes / Bolldgemeinjchaft. |
S. $. Lebmanns Verlag / Miinuhen 2 GS, |
ir machen unfere Lefer auf die diefer Nummer beiliegenden Projpefte von J. F Vehmanns Verlag,
Münden, aufmerkjam.
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Burſch aus dem Schleital bei Weißenburg und Maͤdchen aus Hausbergen im Elſaß
Aus: Helm, Deutſche Doltstradten
Runftbalage zu „Volt und Katie“
3. §. Lebmanns Verlag, Münden
Dolf und Raffe
Fluftrierte Vierteljabrsfchrift für deutfches Volkstum
Herausgeber: Prof. Atchel (Kiel); Dr. Bachtold (Bafel); Prof. Dethlefffen (Kdnigeberg
i. Pr.); Prof. Sebele (Heidelberg); Prof. €. Sifcer (Berlin); Prof. Sambruc (hamburg);
Prof. AHelbo? (Jnnsbrud); Prof. O. Lebmann (Altona); Or. Chers (Minden); Prof. Mielke
(Hermsdorf b. Bln.); Prof. Molliſon (Muͤnchen); Prof. Much (Wien); Prof. Panzer
(Heidelberg); Dr. Peßler (Hannover); Prof. I. Peterfen (Berlin); Prof. Sartori Dort⸗
mund); Prof. W.M. Schmid (Münden); Prof. A. Schulg (Rönigsberg); Prof. Schulges
FAUL. (Saaled); Prof. Thurnwald (Berlin); Prof. Wable (Heidelberg); Prof.
rede (Röln); Dr. Zaunert (Wilbelmeböhe); Dr. Zeig (Srankfurt/!M.).
Schriftleitung der Zeitfchrift: Univerfitätsprofeffer Dr. Otto Rede, Baugich
ber Leipzig, Ring 35, und Dr. phil. Bruno Rurt Shulg, Münden, Fleubauferftr. 51.
Derlag: I. $. Lebmann, Münden 2 SW., Paul HepfesStraße 26.
Jabrlidh erfcdeinen 4 Hefte. Bezugspreis jäbrlih M. s.—, Einzelbeft M. 2.—.
Poftfdedtonto des Derlags München 129.
Poitfparkaffe Wien 59594. — Konto bei der Bayerifchen VDereinsbant Münden. —
Ronto bei der Rreditanftalt der Deutfhen e. G. m. b. % Prag II, Rralauerftraße 11
(Poftfpartaffentonto der Rreditanftalt: Prag 62 730). — Schweizerifche Poftichedrechnung
Bern III 4845. Sdweod. Doftfcedtonto Stodbolm 4107.
8. Jubrgang et 2 Aprit (Örtermond) 1933
Der Derlag bebält fic das ausidlieBlide Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor.
Die Örenze
zwifchen dem fräntifchen und flämifchen Rechts:
gebiete im Steiftaate Scchfen.
Von D. Dr. Markgraf, Leipzig.
Mit 2 Landkarten.
m 1100 war der Llorden des jegigen Sreiftaates Gadfen nad langer Un:
ficberbeit in den unumftrittenen Befig der Deutfchen gelangt; aber das Land
wer weitbin entoölkert durch die verheerenden Rriegszüge der Polen, Böhmen
und Ungarn, in denen eine große Anzahl Dörfer verwüftet, die Bewohner in die
Gefangenfhaft gefchleppt worden waren. Dom Bdbmentdnig Wratislaus be-
richten die Pegauer Annalen zu 1086 (10802), er fei vom Often ber ploglic
vordringend über Wurzen bis Leipzig gezogen und babe alles entvölkert
(transiens per Worzin usque Libiz.. cuncta depopulatus est). Erft feit
Ende des 11. Jabrbunderts war unfer Gebiet als deutfcher Reichsbefig gefichert.
Dann aber regt fich überall ein ftarter Rolonifationsdrang nad) dem Often
in unfer Gebiet hinein. Schon vorber, etwa feit Otto L., war ein Meg von Eleinen
Seftungen über das gefährdete Grenzland gelegt, namentlih an den Sluguber-
gangen: Zweimen, £eipzig und Magdeborn, an der unteren Mulde Löbnig und
Dolf und Raffe. 1933. April. 5
98 Volt und Kaffe. 1933, II
Düben; weiter aufwärts Eilenburg (Julburt), Pudau, Wurzen, Merdau, Ddben
bei Grimma, Coldig und Rodlig. Sie hielten mit ihrer tleinen Befagung waffen:
tüchtiger Bauern die wenigen ftellenweife zurüdgebliebenen flawifchen Umwobner
in Schach und boten dem etwa von außen ber eindringenden Seinde Halt, konnten
jedoch dem Unfturme größerer SGeeresmaffen gegenüber fich nicht lange balten.
An eine Rolonifation großen Stils war aber vor etwa 1100 wegen der Unfichers
beit der politifchen und militärifchen Lage nicht zu denken. Viur ein Meiner Teil,
der am meiften weftlidy gelegene, des bier zu behandelnden Gebietes war fdhon
löngft an das Deutfche Reich angefchloffen, der Abfchnitt zwifchen Leipzig und
Merfeburg, nördlich anfcheinend bis zur weißen Elfter. Gundorf wird unter
Kaifer Otto II. (973—983), Lindennaundorf (1050), Altranftädt (1091) genannt;
Beweis genug, daß diefe Gegend mit deutfchen Dörfern fchon im 10. Jahrhundert
durcdhfegt war. Hier konnte keine Lleufiedlung erfolgen; bier war kein Rodeland
mebr vorhanden, als etwa feit der Mitte des 12. Jahrhunderts die Einwanderung
vom Uitederrbein ber begann.
In diefer Gegend war das tbüringifhsfränktifche Erbrecht zu Haufe.
Auf fräntifche Siedlung deutet der Ortsname Srantenbeim bin. Die Roloniften
der anderen Brtfchaften mögen Thüringer gewefen fein. Jch nenne für jene Gegend
als Orte mit thucingifd-frantifdem Rechte: Lindenau, Leugfch, Laufen, Barned,
Boblig, Burghaufen, Grogdölzig; im Preußifdhen: Mörigfch, Zichöchergen,
Broß:-Schkorlopp; in Sachfen weiter füdlih: Großzfchocher, Anautbain, Anauts
tleeberg und Bdsdorf. Diefe Begend zwifchen Elfter und Saale bat anfcheinend
eine etwa 200 Jahre ältere deutfche Aultur als die Gegend Hftlih. Sie unterfchted
fid) auch fonft von der Sftlichen Gegend Jahrhunderte lang. Sie hatte im 18. Jahr:
hundert nody andere Maße, 3. DB. cin anderes Rutenmaß bei Landvermeffungen;
fie maß nach der Mlerfeburger, nicht nach der Leipziger Elle. Die wirtfchaftliche
Einheit des bäuerlichen Grundbefiges, die Hufe, batte eine andere Größe als die
in der öftlihen Umgebung £eipzigs, wo 24 und 30 fähfifhe Ader (13,28 und
10,60 „yeltar) die typifche Größe waren; 30 Ader 3. B. in Reudnig, Hirfdfeld
und MNdllau, 24 Ader in Goblis bei Leipzig, in der wisften Marck Gorbuz (zwifchen
Tonnewit und Probftheid«) und in Viaunbof und Umgebung, 3. B. in Erd:
mannsbain und Seifertsbain, Rleinpdßna, Rlinga und Röhra. Kurz, die Gegend
von Merfeburg bis dicht vor die Tore von Leipzig ift Jahrhunderte lang in mehr
als einem Puntte ein Rulturgebiet fur fid) gewefen, fcarf getrennt von der öfts
lihen Gegend, nicht bloß durch das Erbrecht.
Im angrenzenden Gebiete weftlid der Saale Tag der Haffegau. Geufa bei
Merfeburg wird zu Anfang des 11. Jahrhunderts bezeichnet als villa in pago
Hassaga sita (ein Dorf im Haffegau). Don dort ber mögen die Siedler ges
kommen fein, die das verfügbare Rodeland befegten, aus der Gegend der Ortss
namen mit der Endung =ftedt und sleben. Diefe Endung finden wir fonft im
Sreiftaate Gadfen nicht, wohl aber bei (Alt:)Ranftedt. Jch vermute, daß die wüfte
MWilleber Mark bei Altranftedt auf ein Dorf Willeben zurüdgebt. Dann baben
wir dort das typifche räumliche Liebeneinander von Orten mit der Endung sftedt
und sleben, das fi von Welten ber bis an die Suale erftredt. Diefe Gegend ift
alfo nach meiner Überzeugung dur Miabfiedlung befegt worden.
Wir tommen zu den Gebieten, die im 12. Jahrhundert befiedelt wurden.
Zunähft nördlich der Eifter. Dort baben Sranten gefiedelt, dort galt nod in
fpäteren Jahrhunderten das fräntifche Erbredt.
1933, II Markgraf, Die Grenze zwifcben d. fräntifchen u. flämifchen Rechtegebiete ufm. 59
Wober wiffen wir das? Jd habe eine neue Methode angewandt und
neue Quellen ausgefchöpft zur Rlärung der Srage, wo fich in unferer Gegend
Sranten oder SIamen niedergelaffen haben und wo die Grenze zwifchen ihnen lag.
Bis zum Anfang unferes Jahrhunderts bhielt fic die Sorfdung nur an die vors
bandenen urfundliden Angaben oder an uralte gefdictlide Kladhrichten. Auf
Grund diefer Quellen wußte man nicht viel mehr, als daß Wiprecdht von Broich
die Gegend zwijchen Wybhra und Mulde mit Sranten aus der Würzburger Gegend
befiedelt und daß 1154 der Bifchof Gerung von Meißen den verfallenen Ort
Eborin, fpäter Rühren, mit Slandrern befetzt bat; ferner daß die Meißner Rirche
1360 den „feit vielen Jahrhunderten unangebauten“ Ort Bulowig, fpäter Buch-
wig (fehon längft wieder wüft) mit Slamen befiedelt bat. Im übrigen ließ man
Slemmingen bei Aartha wegen des Llamens als flämifche Siedlung gelten und
bei Stemsdorf (bei Deligfch) vermutete man flamifde Gründung. Weiter kam
die Sorfdung nicht; und die Srage blieb unbeantwortet, woher die Siedler unferer
Gegend im 12. Jahrhundert fonft ftammten.
Die Mundartforfdung bat in groben Umriffen mit den Mitteln der Dialelts
forfhung das flamifcde Siedlungsgebiet abzugrenzen verfudt. Mit mandem
guten Erfolge. Sie redet bis jegt von einer Linie Pegau:BrimmasRiefa. Die
fhwade Seite diefer Methode ift, daß fich munsdertliche Grenzen im Laufe von
adt Jahrhunderten zu verfchieben pflegen.
Ic habe nach unterfcheidenden Merkmalen zwifchen Slamen und Sranlen ge:
fuhht. Die Ergebniffe der voltstundlidemundartlichen Sorfehung, fo febr ich fie
zu fchäggen weiß, genügten mir nicht. Ortsnamen als fiedlungsgefchichtlicdhe Quelle
führen oft in die Irre. Reudnig bei Leipzig hieß urfprünglicy Dutfchendorf und
Ditfchendorf — der Slame fagt für deutfch entweder dutfch oder ditfd — und ift
ficher flämifhe Gründung. Der Llacdhbarort Anger bieß urfprüunglih Reudnig,
dann Altreudnig, dann Reudnig aufn Anger, fchliegli Anger. Anger ift alfo
troß feines gut deutfchen Lliamens urfprünglich ein Wendendorf gewefen. Suds:
bain bieß früher Sorbole und Sorbal; Ober: und Fliederfrantenhain hatte früber
die Endung -heim, nicht «hain. Alfo die Seftftellung auf Grund alter Ortsnamen
führt oft in die Jrre, zumal wenn man nicht die altefte Sorm des Ortsnamens
berüdfichtigt. Schließlich bin ich zu dem Ergebniffe gelangt, daß einzig und allein
das Erbrecht ein untrügliches unterfcheidendes Merkmal bildet. Klach flämifchen
Rechte erbten Mann und Srau unterfchicdslos die Hälfte der gefamten Hinter-
laffenfchaft (ebeliche Bütergemeinfchaft), die andere AHälfte fiel den Rindern in
gleichen Teilen zu. Flach tbüringifch-fräntifchen Rechte dagegen erbte der Mann
2/;, die Rinder !/, der SByinterlaffenfchaft der Stau; beim Tode des ilannes aber
erbten die Witwe nur !/, und die Rinder ?/, der Hinterlaſſenſchaft des Mannes.
3d fagte mir weiter, daß das Bauernrecht ein fehr beftändiger Saktor im Volle:
leben war, daß man alfo vom Bauernredt fpdterer Zeiten müffe Rüdfchlüffe
ziehen können auf das der älteren Zeiten, febließlich auch auf das zur Zeit der Be:
fiedelung; und darin babe id) mid) nicht getäufcht.
Fun galt es, das bäuerliche Erbrecht in den einzelnen Dörfern zu ermitteln.
Ich babe es aus den bandfchriftlichen Berichtsbüchern und anderen einfchlägigen
bandfchriftliden Quellen, zum geringften Teile aus gedrudten Quellen, zu ere
mitteln gefucht und für eine große Anzahl Orte im Laufe von Jahren feftftellen
können. Das ift die neue, freilich mübevolle Methode, die ich und unabhängig
von mit Sriedrid) Rofenthal angewandt haben. Sie bat aber zu einem übers
rafdenden Erfolge geführt. Die Ergebniffe follen bier weiter mitgeteilt werden.
5*
60 Dolt und Kaffe. 1933, II
Um 1108 erließen die für unfer Bebiet in Betradt tommenden Bifcddfe von
Merfeburg und Meigen einen Aufruf an die deutſchen Staͤmme im Weften, unter
ihnen audy an die Fliederländer, daß fie kommen möchten zum Zuge gegen die
beidnifchen Slawen. Sie find gelommen. Aber wo haben fie fich niedergelaffen ?
Das feftzuftellen ift fehr fchwierig. Bald fcheint in unferer Gegend das Bewußt:
fein um die Herkunft der Siedler bei den Viadfommen gefdwunden 3u fein, 3um
eo.
Landsberg © Cpelitzsc
DO +
Erdmannshain
Asp j ONaunhof
Grimma
} 0
ao \) Mittweida ©
Umgebung vonLeipzig. O Orte deren Erbrecht unbekannt odergemischt;
„—.— Landesgrenze, +Orte mit flam., OD Orte mit frank. Erbrecht
Abb. }.
Unterfchiede vom Rulmer Land im Often, wo man nod nach Jabrbhunderten in
den Stadtrechten, wenn man das Halbteilsrecht mit ebelicher Bütergemeinfchaft
anfubrt, gern binzufügt „und das ift flamifd Recht“. Llirgends finden wir in
unferer Gegend cinen Hinweis auf flämifches Stammesbewußtfein bei den Nach⸗
tommen der flämifchen Siedler.
Wobl aber haben gerade fie 3ab an ibrer alten Dorfsgewobhnbeit feftgebalten.
Gerade die Dörfer mit flämifhben Recht bedienen fic der Ausdrüde „Dorfes:
brauch“, „Dorfsgewohnbeit“, „lungwicriger Dorfsbraudh‘“ ufw. mit Vorliebe.
Die ältefte Quelle für das flämifche Erbrecht in unferer Gegend fagt darin typifch
1383, daß die Halbteilung erfolgte „nach der Gewohnheit, die fie vor alters auf
1933, II Markgraf, Die Grenze zwifchen d. fräntifchen u. flämifchen Rechtogebiete ufw. 61
dem Lande dafelbft zu Holsbaufen bisher gehabt haben“. Abnlich betont die „Stadt:
willtür‘“ von Eoldig (1404— 31), daß die Halbteilung dort alte Bewohnbeit fei.
Holshaufen hatte nod) nad 1712 das flämifche Dalbteilungsredt, Coldig, dasfelbe
nod) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das beweift, daß das flämifche
Halbteilungsredht von Jahrhundert zu Jabrbundert 34b erbalten geblieben ift,
obwohl das Bewußtfein, daß das alte Örtsrecdht flämifch war, gefehwunden war.
© Umgebung u.Großenhain
Elsterwerda Umgebur und
2 +Orte mit Flam. Erbrecht,
A Ow « frank, 4
8 (7 S S O Pa u — ghee
~ E N ann£ oder gemischt.
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Ar T GrThiemig, Ortrand
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Zabeltitzt _ O i 5 om O IV poh ig
rege ©
a
O ur Linz rn
+Adelsdorf
Weifig = — +?
Medep See me „Lunnersdorf
Abb. 2.
Anders haben es darin die Gemeinden mit fränktifchen Erbrecht gehalten. Lin
Teil von ihnen ift febr bald nad Derdffentlidung des kurfürftlichsfächfifchen
Landesrechtes (3572) zu diefem neuen Rechte übergegangen. In Mörigfch konnte
fhon 1601 erklärt werden, daß der Ort ,,feine beftandige Gewobhnbeit babe; das
alte Dorfredht war alfo gefhbwunden. Etwas Abnliches ift mir aus den Dörfern
mit flämifchem Erbrecdhte nicht bekannt. Der einzige mir belannte Sall, daß ein
foldyes offiziell vom uralten dörflichen mündlich überlieferten Bewohnbeitsredht
zum Landesrecht überging, bat fi in Boblis bei feipzig zugetragen. Dort ift
das erft 1720 gefchbeben. Andere Dörfer mit flämifchem Lrbrechte haben diefes
noch viel länger bebalten. Es war zwar in einer Reibe von Orten einer Der:
Anderung unterworfen: die eheliche Gutergemeinfcaft fdwand, feit der erften
Dalfte des 17. Jahrhunderts nachweisbar, aus dem Bewußtfein; und es bürgerte
fi ein, daß nad fähhfifchem Rechte Fyeergeräte und Berade (gewiffe örtlich ver:
fciedene Mobilien, die als Doraus gegeben und nicht bei der Erbteilung ange:
rechnet wurden), bei der Erbteilung gegeben ward. Aber an der halbteilung
ift bis gegen das Ende des 18. Jabrbunderts 346 feftgebalten worden.
Man hat beobadtet, 5aB gerade die Slamen befonders an ihren beimifchen
Brauchen und Gewobhnbeiten fefthielten. Meine Erfabrungen mit den Machridten
62 Volt und Kaffe. 1933, II
in den Berichtsbüchern beftätigen diefe Beobachtung. Kurz, ich balte mich durch⸗
aus für berechtigt, aus dem Erbrechte des 16. bis 18. Jahrhunderts, insbefondere
bei den SIamendörfern, einen Rüdfchlug zu ziehen auf das anfängliche Recht im
Dorfe und d. b. auch auf die Herkunft der Siedler.
Ic wende mich zu der Gegend nördlich der Elfter. Dort war das Drit-
teilsrecht weit verbreitet. Ich konnte es feftftellen für Aabnicen, Klep3ig, Queis,
Kleinwiedemar, Wiefenena, Kleintyhna, Selben, Jwodau, Slemsdorf; ferner in
den im Weichbilde von Deligfch gelegenen Geridbtegemeinden ,,uffm Sand“ (auf
dem Gand) und Grinftrag. Die Oftgrenze diefes fräntifchen Rechtsgebietes läßt
fih auf Grund der Klachrichten in den Gerichtsbüchern ziemlich genau beftimmen.
Drittelsreht finden wir in Aayna, Radwit, Beuden, Yliederroffig, Alein=
woͤlkau. Auch in Brinniß, öftlih von Deligfch, wo dem Pfarrer vor dem Dorf:
gerichte nach dem Tode feiner Srau erklärt wurde, er fei von den 100 Bulden, die
ibm die Srau zugebradht, feinen Rindern nicht mehr als ein Drittel zu geben
fhuldig. Dagegen ließ fich aus den Berichtsbüchern das HBalbteilsrecht feftftellen
für die öftlih benachbarten Brte: Hobenoffig, Proöttig, Priefter, Lehelig, Rödgen,
Rupfal (Copstal“) und Rrippehne. Das Halbteilsreht kann ich dann weiter feft-
ftellen fiir Landsberg und Brebna weftlid und nordweftlid von Deligfd. Weiter
Oftlid an der unteren Mulde hatte der alte Burgwart Löbnig, der fih 1183 vom
Magdeburger Erzbifhof Wichmann das Sallifche Recht erbeten bat, Dritteils:
recht; und im benachbarten Döbern beftanden zwei getrennte Rechtsgebiete; in
dem einen wurde nad Halbteilse, in dem anderen nach Dritteilsrechte geerbt. (Die
Siedler um Löbnit hatten fic) 1183 das Recht von Burg erbeten, und das war
flämifch.)
Oftlich der Linie Hoben-OffigsRrippebna ift mir aus den Gerichtsbüchern
faft nur das Halbteilsredht belannt; in der Stadt und in den Dörfern des ebe-
maligen Amtes Eilenburg gelt es ausfchließlidh. Ich kenne in jener Gegend nur
Priefteblich bei Düben als Ort mit Dritteilsrecdte.
Am ordrande des Sreiftaates Sadfen konnte ich in dftlider Rid:
tung von Wabren, Lindenthal und RKleinwiederigfdh an nur Halbteilsrecht feft=
ſtellen. Nur bei wenigen Ddrfern babe ich nichts finden können; wo ein drtlicdes
Erbrecht vorhanden war, war es faft nur das flämifche Halbteilsredt. Meine
Sorfcbungen erftreden fic) im wefentlicden bis nad Saltenbain und Sachſendorf,
für die ich das Halbteilsrecht fand. Sur Rubren ftebt Befiedelung durch Slandrer
(1154) urkundlich feit. Kür die Städte Dablen und Ofdag ift das Halbteilsredt
im 15. Jahrhundert nachgewiefen. Ich nenne ferner als Dörfer mit Halbteilsrecht
an der Straße Leipzig-Wurzen: Reudnig, Anger, Vollmarsdorf, Sommerfeld,
Borsdorf, Geridsbhain, Machern, Altenbach und das benachbarte Zeitig, Deuben,
Bennewig und Grubnig. Kur für Sellerbaufen, Stünz und Paunsdorf fehlt bier
der Llachweis.
Inmitten dicfes flämifcben Rechtsgebietes finden fich jedoch auch eine Anzahl
Dörfer mit Dritteilsredht. Es ftebt — im 18. Jahrhundert — feft für Leulis,
Rleinfteinberg, Erdmannebain und Sudsbhain. Die alte Oberreitfche Rarte ver:
zeichnet zwifchen Leulig und Rleinfteinberg einen Wald „das Srantenbolz“. Den
Yiamen baben offenbar die Bewohner der nördlich angrenzenden Slamendörfer
gegeben. Dermutlicd ift die Zahl diefer Dörfer mit fräntifhem Recht inmitten
des flämifchen Recdhtsgebietes noch größer.
Während die Gegend fränkifchen Erbrechts zwifchen Werfeburg und Leipzig
füdlich der Elfter, wie ich bemerkte, fcdhon im 10. Jabrbundert von Deutfchen be=
1933, II Markgraf, Die Grenze zwifchen d. fränkifchen u. flämifchen Redytegebiete ufm. 63
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fiedelt gewefen ift, ift die Begend fränlifchen Erbrechtes nördlich der Elfter erft
im 13. Jahrhundert erfchloffen worden.
Wir wiffen, daß Rattersnaundorf von einem gewiffen XRotlin gegründet
worden ift, der 1158 ftarb. Der Miachbarort Grabfdug ift nad Rattersnaundorf
entftanden. Der alte Burgort Löbnig an der Mulde bat zwar fchon 981 beftanden,
aber das umliegende flache Land ift erft in der Zeit bis 1183 mit Dörfern befetzt
worden. Wenn Landsberg und Brehna flämifches Erbrecht hatten, fo ergibt fich
daraus, daß diefe Drte erft etwa feit Mitte des 12. Jahrhunderts ausgebaut fein
können. Damals war die Siedlung in unferer Gegend im Gange. Budwit, bei
Caucha ift 1160 und Rühren, wie erwähnt, 1154 mit Slandrern befetst worden.
Eine Bemerkung über den Wert der Ortsnamen für die fiedlungsgefchicht:
lihe Sorfhung fei bier eingefügt. Die landläufige Meinung ift bis jest, daß die
Orte mit der Endung «ig, «igfd, -ig, [hu ufw. flawifch feien, foweit nicht eine
Beifugung von Groß: oder Deutfchs diefe Orte wendifchen Kiamene als deutfche
Gründungen kennzeichnet. Die Anficht trifft ficher in Einzelfällen zu, in vielen
aber auh nicht. Wir faben, daß unfere Gegend um 1100 arg verwüftet gewefen
ift. Das wird beftätigt durch folgende Tatfacdhen. Wir kennen nur zwei Ans
fiedlungsverträge, die für Buhwit und Rühren. Beide flawifche Orte waren
ftark in Derfall bei der Lleubefiedlung durch die Slamen. Budwig wird in sem
UAnficdlungsvertrage fogar bezeichnet als multis a natura saeculis incultum.
£s war alfo 1360 feit undenklichen Zeiten wüft. Der Schluß ift gewiß erlaubt,
Daß auch eine größere" Anzahl andere Ortfchaften damals ganz oder halb verfallen
war. Die deutfchen Siedler batten die Gewohnbeit, daß fie bei der Befegung wift
gewordener Wendendörfer dem Brt nicht einen neuen deutfchen Llamen gaben,
fondern den alten flawifchen beibebielten. Wir müffen alfo annehmen, daß eine
gewiffe Anzabl Örtfhaften mit flawifchen Flamen wohl vor der
Rolonifationsperiode des 12. Jahrhunderts ale Wendendörfer
beftanden batten, aber dann im 12. Jabrbundert von Deutfchen neu be:
fegt worden ift.
Dazu fommt ein weiterer Grund: Mande Orte baben von den deutfchen
Siedlern zunächft einen deutfchen Klamen erhalten, ihn dann aber zu Bunften des
alten flawifchen Flamens wieder abgelegt; andere haben den anfänglichen deutfchen
Flamen balbflawifiert. Deutfchendorf bei Leipzig bat fpäter den Liamen des flaz
wifcdhen Llachbardorfes „Reudnit‘“ übernommen. Löbnig am Petersberg bei
alle kann im 12. Jahrhundert bezeichnet werden als „Sranktendorp, que et
Liubanuwig und heißt fpäter wieder Lobnig. Anfcheinend ift auch dort ein
Slawendorf mit Sranten befetzt und nach ihnen benannt worden: dann gab es
eine Zeit, in der der Viame [chwäntte; und fchlieglich fiegte der alte flawifche Klamıe.
Ein Det beißt anfangs Ronradsdorf und fpäter Ronradig. Kurz, wir werden
im allgemeinen bei Rüdichlüffen aus Ortsnamen auf die Vollszugebörigleit der
älteften Einwohner des Dorfes feit dem ı2. Jabrbundert fehr vorfichtig
fein müffen. Eine größere Anzabl Drte flawifchben Tlamens find
fiber deutfcbe Feugründungen des 12. Jabrhunderts.
Jedenfalls ift Genaueres im Einzelfalle nur durch eingehende ortsgefchidhts
lihe Unterfuchung feftzuftellen. Jch führe zwei Beifpiele an, Voltmarsdorf bei
Leipzig und Mufcdau bei Keisnig. Dolfmarsdorf ware, wenn man den Flamen,
auch den alteften (Wollalsdorf, Dollwartisdorf) beridfidtigt, als flaͤmiſche Sied⸗
lung anzufeben. Eine genauere ortsgefdhichtliche Unterfuchung zeigt aber, daß es
cin Glawendorf gewefen fein muß. Die Ortsflur war fo Bein und die Aus⸗
64 Dolt und Kaffe. 1933, II
dehnung der Hufen (Bauerngüter) fo gering, daß flämifhe Siedlung nidht in
Stage fommen kann. Bei Mufchau ergibt die Örtsgefchichte Solgendes: Während
fonft an der Spige der flämifchen Roloniftendörfer von Anfang an der „Schulze“
ftand, batte Mufdau noch 1307 an der Spite einen „Supan“, Dorfälteften. Es
war alfo zweifellos wendifch. Wenn ich dort 1668 das flämifche Erbrecht nach-
weifen kann, fo bedeutet das in diefem Salle nicht, daß Mufchau flämifche Yieu-
gründung des 12. Jahrhunderts ift, fondern nur, daß es bei der Eindeutfchung,
beim Übergang zum deutfchen Rechte, aus einem Slamendorfe in der Liäbe das
flamifcde Erbrecht übernommen bat.
Go liegen die Dinge gewiß audy bei einer Reihe anderer Dörfer. Wir dürfen
nidht ohne Weiteres bei jedem Orte, der in fpdterer Zeit nad flamifchem
Rechte erbte, auf flamifdhe Siedlung fchließen, nur der Schluß ift bei Slawen:
dörfern erlaubt, daß deutfche Dörfer in der Hahbarfhaft nad flämifchen
Bewohnbeitsrechte erbten und die Wenden von diefen das Erbredht übernommen
haben bei der Eindeutfchung.
Die Grenze fudlih von Leipzig fällt zufammen mit den Waffer:
laufen. Wafferläufe find betanntlich auch fonft zuweilen Stammesgrenzen, wie
3. B. der Lech in der Augsburger Gegend die Grenze zwifchen Schwaben und
Bayern bildet. Sudlih von Leipzig konnte ih weftlidh der Pleiße nur das
Dritteilsredt finden; in Rleinftädteln, Safhwig und Böhlen. Don der
Mündung des Bdfelbakhhes in die Pleiße an bildet dann der Gdfelbach
die Stammesgrenze. Zwifchen Pleiße und Böfel konnte* ih für Ruben und
Gefhwig das Dritteilsrecht feftftellen; dagegen nur das Halbteilsrecht öjtlich
der Gdfel: in Markleeberg, Gölgfchen, Dreistau und Rlein-Pößfchau; ebenfo in
den weiter Sftlich gelegenen Orten Odfen, Guldengoffa und? Wadau. Südlich
der Böfel hört dann das flämifche Recht fofort auf: Groß: Pogfhau und
Mslbis batten Dritteilsrect.
Weiter fudlid) tommen wir in das Gebiet zwifhen Wybra und
Mulde, das, wie wir wiffen, durh Wipredht von Groigfdh mit Sranten feit
1305 befiedelt worden ift. Dort ift von vornherein ohne Kenntnis der Quellen
das fränkifche Dritteilsrecht anzunehmen. Die Berichtsbücher beftätigen die Rich-
tigkeit der Annahme. Ich konnte das Dritteilsrecht feftftellen für Areudnig,
Rothiden, Breunsdorf, Regis, Breitingen und die zum ebemaligen Amte
Breitingen gebörigen Orte; für Wybra und Altftadt Borna, Benndorf, Fienlerss
dorf, die Stadt Srohburg, Rüdigedorf („Rüdigersdorf‘‘) und Jabnebain. Der
Befund der Gerichtsbücher ergibt alfo, dag fudlih der Gdfel nur franki-
[bes Dritteilsredht bis jegt zu finden ift.
Geben wir von Leipzig aus in füuüdsftlihber Richtung, fo finden
wir nur Orte mit Halbteilsredht: Probftheida, Liebertwoltwig, Threna, Röhre,
Belgershain und Robrbad. Hier find wir von Llorden ber an die Böfel beran:
getommen. Dort erftredt fic) aber das Halbteilerecht noch viel weiter füudäftlich.
Aud Laufid und Ebersbach und das Flieder- und Öberfranktenbain be
nadbarte Tautenbain teilten zur Hälfte, wo das Dorfgericht 1530 entjchieden
bat, daß dem Witwer folle „nach gebrauch des ampte“ die "yälfte und den Rindern
die andere Hälfte zugeftellt werden. Bei Tautenbain und Srantenbain ftößt offens
bar das flämifche Siedlungsgebiet mit dem fräntifcehen zufammen. Bis Tauten:
bain reicht das Sicdlungsgebiet des Wipreht von Groigfd! Wir konnten ferner
das HBalbteilsrecht feftftellen fur Schwarzbach und Leupahn und Seupabn an
der Mulde; Sftlich der Mulde für Rür, Laftau und Aobnsdorf; dagegen
1933, II Markgraf, Die Grenze zwifchen d. fräntifchen u. flämifchen Rechtsgebiete ufw. 65
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Dritteilsrecht für Langenau, Seifersdorf, Schönerftedt, Aartha, Afchersbain.
Rofenthal will fogar für Slemmingen Dritteilsrecht ermittelt haben. Das ift febr
auffällig. Slemmingen ift nad meiner Überzeugung flämifche Siedlung. Ich
jchließe das aus dem Liamen, verweife aber ferner auf die Tatfache, daß die Be:
wobhner der Hachbardörfer den Ort Slemmingen bis zur Gegenwart als „Die
Dlämige“ bezeichnen. syier müßte man auf jeden Sall obne Kenntnis der Gerichts:
bücher das flämifche Erbrecht annehmen. Weitere Auftlärung durch ortsgefchicht:
liche Unterfuchung tut bier not. Einftweilen darf ich die Vermutung ausfprechen,
Daß gerade dort, wo das flämifche Recht zufammenftieß mit dem fräntifchen in
den Llachbardörfern, fih Reibungen in Solge der Rechtsungleichheit leicht er-
geben konnten und daß die flämifchen Bewohner fchlieglich fidh dazu verftanden
baben mögen, ihr flämifches Recht gegen das fränkifche Recht der LFlachbarorte
einzutaufchen, entgegen aller fonftigen flamifden Art.
Wir finden weiter das Halbteilsredt in Gersdorf, Minkwig, Klaunbof
bei Altenbof und Bodrtewit. Vlad Often und Südoften dürften diefe Brte die
Grenze bilden oder fie liegen ficher der Grenze fehr nahe. Im angrenzenden ebe:
maligen Amt Döbeln ift (nach Rofentbal) das Dritteilsrecht Amtsrecht ges
wefen, wie im Amt Leisnig das AHalbteilaredht Amtsrecht gewefen ift.
Syaben wir bisher die Grenze zwifchen flämifchem und fräntifchen Recht
ziemlich deutlich im Liorden, Welten und Süden feftftellen können, fo verfagen
nun meine Quellen für die weitere Oftgrenze, die nach den Ergebniffen der
voltstundlid-mundartliden Sorfdhung in der Richtung auf Riefa zu fuchen ift.
Rofenthal bat feftgeftellt, „daß fi) die Halbteilung mit eergerdte und Gerade
von Dabhlen aus weiter füdlich in die Amter Sornzig und Mügeln erftredt..
Um Sornzig und Mügeln ift alfo nod zur Syälfte geteilt worden. Genaueres
vermag ich dort Über die Grenze nicht anzugeben.
Die Begend um Meißen weift nach den Gerichtsbüchern nur das Drit:=
teilsredt auf. Ich führe, um zu zeigen, wie dort das Dritteilsrecht überall ges
berrfcht bat, als Örte mit fränktifchen Rechte weftlih und nördlich von Meißen
an: Canig, Lötbain, Ylimtig, AleineRagen, Prieffa (,,priffau), Seebſchuͤtz,
Schieritz, Pistowitz, Ickowitz, Zſcheilitz, Ober⸗Muſchuͤtz. Auch Babra, Borig
und Althirſchſtein teilten nach Dritteln, waͤhrend (nach Roſenthal) das benachbarte
Fyeyda als Dorf mit Halbteilung vereinzelt liegt. Sur Riefa bat Pfarrer Dr. Benz
das Fyalbteilungsrecht ermittelt. Angefichts der Ludenbaftigteit der Kladhrichten
für diefe Gegend ift die eine Seftftellung, die ich noch machen kann, um fo gewidhs
tiger: Jbanig und Gleina nordweftlid von Lommatfch erbten nah Drit:
teilsredht. Die Brenze zwifchen flämifchem und frantifhem Rechte ift dort alfo
weftlid von Jbanig und Gleina zu fuchen. Zu unterfuchen wäre zunädhft, ob der
Jahnabach ale Stammesgrenze zu gelten bat, äbnlich wie im Süden von Leipzig
die Wafferläufe der Pleiße und Bdfel die Stammesgrenze gebildet haben. Jen:
feits der Landesgrenze wurde das halbteilsrecht für die Grenzorte PDausnig und
Schirmenig gefunden.
Das ift es, was fich bisher auf Grund von Angaben in den GBerichtebüchern
feftftellen ließ für das weftelbifche Sachen. Die Gerichtsbücher werden ficher
noch manches Fleue zu Tage fördern, wenn fie ausgefchöpft werden.
Über das oſtelbiſche Gebiet können wir uns wefentlich kürzer faffen.
Dort ift das flämifche Element viel fchwächer vertreten ale im woeftelbifchen
Sachſen. Beim Überblid über die Ergebniffe aus den Berichtsbüchern fällt bald
ein wichtiger Unterfchied ins Auge. Während wir im weitelbifeben Sachfen, von
66 Volt und Kaffe. 1933, II
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den Staͤdten abgeſehen, in der Regel entweder Gebiete mit nur oder faſt nur flaͤmi⸗
ſchem Erbrecht fanden, liegen die Dinge im oſtelbiſchen Gebiete ganz anders. Dort
ſcheint nirgends ein groͤßeres geſchloſſenes Gebiet mit flaͤmiſchem Erbrecht be⸗
ſtanden zu haben.
Dort finden wir vorwiegend fraͤnkiſche Siedelungen mit wenigen einge⸗
ſtreuten Doͤrfern des Halbteilungsrechtes. Das zeigt ein Blick auf die beigegebene
Rarte. Porſchütz, der ſuͤdlichſt gelegene Ort, fuͤr den ſich bis jetzt das Halb⸗
teilsrecht (1596) bat ermitteln laffen, liegt bei Wiftaude, einem Orte mit Dritteils⸗
recht (1597). Medseffen hatte Halbteilsrecht, aber das nahegelegene Striefen
wieder Dritteilsreht; Weißig (weitlid von Großenhain) weift 4albteilss
recht auf, während der Kladhbarort Wildenbain (1760) nah Dritteln teilte.
Bei Tiefenau möchte man Dritteilsrecht vermuten, weil der Ort fehon vor der
Zeit der flämifchen Einwanderung erwähnt wird. Dagegen batten Klauwalde
und jenfeits der Landesgrenze Sichtenberg und Reidenhain KHalbteilsredht. Sonft
können wir noch als Örte mit Halbteilsrecht feftftellen: Streumen, Zabeltig, Adels
dorf (1590) und Cunnersdorf (1616), und dict an der Pulsnig Lüttichau. Wenn
in Solbern der Gohn 40 Gulden zu feinem Teil und die Witwe die gleiche Summe
erhielt, fo feheint auch dort AHalbteilsrecht gegolten zu haben. Das Gleiche gilt von
Wüllnig, wo ein Dater von 31 Schod die Halfte erbielt, die andere yälfte an
die Kinder tam. Die Örte in der nädhften Umgebung von Großenhain fdheinen
alle das Dritteilsrecht gehabt zu haben. Es konnte nadhgewiefen werden für Weßs
nitz, Muͤlbitz, Zſchieſchen, Rlein⸗Raſchuͤtz, Naundorf und das fchon genannte Wil:
denbain. Serner kann man feftftellen, daß fich das fräntifche Recht bis bart an die
Grenze oder bis unmittelbar zur Grenze erftredt bat. LTiegeroda, Weßig am
Rafig, Bobla und Linz hatten Dritteilsrecht, während in dem unmittelbar an
der Lundesgrenze liegenden preußifchen Dorfe Groß-Thiemig das Halbteilsrecdht
geübt wurde. Jn der Broßenhainer Gegend tritt alfo das flämifche Erbrecht in
den Kintergrund und das fränkifche berrfcht ftart vor bis zur nördlichen Lan:
desgrenze.
Jenfeits der Pulsnig finden wir dann faft nur fräntifches Recht. Das Drit-
teilsrecht ließ fich dort nachweifen in der Gegend um Rönigsbrüd und Ramenz in
folgenden Orten: Rohns, Zeißbolz und Tofel („Aubfel‘“) an der Grenze, weiter
fudlid) in Quosdorf, Bobra, Sdmortau, Rönigsbrüd, Stenz, Laußnitz, Hoͤcken⸗
dorf, Biſchheim, Bulleritz; oͤſtlich von Ramenz in Wendiſch⸗ Baſelitz, Kaͤckelwitz,
Graͤnze und Schmerlitz, waͤhrend ſich Spuren von qhalbteilung zeigen in Graͤfen⸗
hain, Reichenbach bei Roͤnigsbruͤck und in Gelenau bei Ramenz.
Aus Graͤfenhain berichtet das Gemeindebuch (nach 1004): „in erbegelde teilen
ſich Mutter und Rind in gleiche Teile‘. In Reichenbach erhielt 1713 bei der Erb⸗
teilung die Mutter die eine haͤlfte, die andere fiel an die zeyn Rinder. Dod kann
ich nicht ſagen, ob das nach Dorfrecht geſchehen iſt. In Gelenau wird um
1700 geſagt, die Mutter ſolle mit den Rindern zu gleich teilen. Dieſer Ausdruck
kommt in der baͤuerlichen Gerichtsſprache auch ſonſt haͤufig vor und bedeutet: zur
Hälfte teilen.
Gegen mein wiffenfchaftliches Derfabren werden vielleicht Bedenken geltend
gemadt werden. Man wird fragen, ob nicht etwa im Laufe der Jabrbunderte
Oerichtsberrfchaften „von oben ber“ einen Einfluß auf das Örtliche Erbrecht aus:
geübt und es verändert baben können. Ic bemerkte deshalb, daß die Gerichts:
berrfchaften in der Regel keinen Einfluß im Sinne einer Umgeftaltung des Erb:
rechts ausgeübt baben. Wir ift bet der Menge des Stoffes, der mir zur Derfa-
1933, II Wartgraf, Die Grenze zwifchen d. fräntifhen u. flämifcben Rechtsgebieteufm. 67
gung ftebt, nur ein einziger foldyer Sall in Erinnerung. Im Jabre 1684 bat der
Leipziger Jurift Barth, ein Spezialift für Sorfyung über das deutfche Erbrecht,
als Vertreter der Stadt Leipzig ale Berichtsberrfchaft in einem Leipziger Rates
dorfe feine Bedenken gegen die dortigen erbrechtlichen Brundfäge geäußert. Das
ift aber, wie gefagt, der einzige mir belannte Sall.
Sodann bemerkte ich: Im 16. Jabrhundert haben in verfchiedenen Gegenden,
3. B. in £eisnig, Coldig und Rodlitz, die furfürftlichen „Amter“ eine gewiffe Sefts
legung des in der betreffenden Gegend bherrf{denden Erbrechts durchgeführt. Die
Amter fchufen aber dabei nicht ein neues Recht, fie änderten nicht das berrs
fhende Bewohnbeitsrecht, fie übten keinen Zwang aus für eine Veränderung
des Erbrechts, fondern fie beriefen Vertreter der Gemeinden zufammen und unters
richteten fich über das in den einzelnen Dörfern berrfchende Erbrecht. War allges
meine Übereinftimmung vorhanden, berrfchte dasfelbe Erbrecht in allen Amtes
ddrfern, fo wurde diefes Recht feftgelegt, an die Landesherrfchaft Bericht gefcide
und diefes allgemein berrfchende Gewobnbeitsredt als Amtsrecht oder „Amtes
brauch“ redhtlichsformell von der Kandesberrfchaft beftätigt, nach der Derwals
tungsfprache jener Zeit ,fonfirmiert’. Es wurde alfo das längft beftebende uns
geichricbene Bewohnbeitsredht fchriftlih, rechtlich-formell feftgelegt, mebr nicht.
Das Landeserbredt, das 1572 durch die Eurfürftlich=fächfifchen Landestonftitutionen
belanntgegeben worden ift, trat nur ergänzend in Araft und ift nur dugerft felten
tatfächlich wirkfam geworden. Es wurde praltifch von Bedeutung nur infofern,
als eine Reihe von Gemeinden, bis etwa 1720 nur im fränlifchen Rechtsgebiete,
freiwillig diefes Landeserbredht gegen ihr altes Örtliches ungefchriebenes Gewobhn:
beitsrecht eintaufchten, wie wir das befonders deutlich bei Broß-Schlorlopp vers
folgen können. Dort finden wir vor 1672 das fräntlifche Dritteilsrecht, fpäter das
fähhfifche Landeserbredht.
Auch in anderer Hinfidt halte ich von vornherein eine Aufllärung für ans
gezeigt. Jede Samilie konnte unter fich erben, nach weldhem Rechte fie wollte. Sie
konnte in einem Dorfe mit frantifcbem Rechte nach flämifchenm Rechte und ums
gekehrt unbebindert erben. Rein Dorfgericht fragte in foldem Salle darnad.
Wenn aber die Erben uneinig wurden, dann wandten fie fidh an das zuftändige
Geridt. Das war das Dorfgericht, beftebend aus den von der Gemeinde ges
waäblten und in der Gemeinde anfäffigen Dorffchöppen und dem „Schulzen‘“,
„Aichter‘‘ oder wie der mit der Ausübung der niederen GDeridtsbarteit bzw.
Polizeigewalt betraute Bemeindevorfteber fonft Srtlich genannt wurde. Das Ge-
richt entfchied nun grundfäglich nur nach dem Srtlichen, ungefchriebenen Gewohn:
beitsrecht; ein anderes Recht kannte es nicht und wollte es grundfäglich nicht
kennen. Dem mußten fich die ftreitenden Parteien fügen.
Die Geridtsbucer laffen erkennen, daß meift gütliche Vergleiche zuftandes
getommen find, oft nach den Flormen des Örtlichen Bewohnbeitsrechtes. Es scheint
alfo, daß die Dorffchsppen darauf binarbeiteten, daß nach deffen Grundfagen
möglichft auch bei einer gutlidmen Einigung verfahren wurde. Wurden die
Parteien aber nicht einig, fo wurde nach „Dorfsbrauch‘‘ oder „Dorfsgewobnbeit“
bzw. nah „Amtsbrauch‘ der Wittib die Halfte oer Guter „vorfället‘‘ nady
flämifchem Rechte, oder nach fränkifchem Rechte erklärt, daß der Wittib ein Drittel
oder dem Pater zwei Dritteile „gebübren“.
Solche Entfcheidungen wurden im Gerichtsbuch eingetragen, und diefe
Lliederfchriften in den GBerichtsbüchern, Gerictshandelsbudern, Gemeindebucern
oder wie fie fonft Srtlich genannt wurden, find für mich die wertvolle Sundgrube
68 Volt und Kaffe. 1933, II
a ——
meiner Sorfchungen gewefen. Das ift der Rebhtsgang beider Erbteilung
in früheren Jabrbunderten auf dem flachen Lande gewefen. Licht wejent-
lidy anders ift man in den Städten verfabren.
Auch die Fliederfchriften über getätigte „Erbkäufe“ dienten manchmal als
Quelle. Da wird 3. Bd. gefagt, daß eine Witwe ihr halbes Gaus oder ihre halben
Güter vertauft. Das ift ein deutlicher Hinweis darauf, daß in foldhen Salle nach
SJalbteilungsredht geerbt worden war. Die Witwe verlaufte den an fie durch
Erbgang gefallenen Teil der Erbfchaft. Beifpielsweife berichtet das Gericdtsbud
für Altfeuslig, daß eine Witwe die ihr zuftcbende Sälfte der Schiffsmüble an
ihren älteften Sohn für 120 Gulden verkauft babe. Diefe Klachricht ergibt, daß
in der Samilie nach dem Halbteilungsrechte geerbt worden war.
Uberbliden wir das Ergebnis, fo erkennen wir leicht, daß die Abgrenzung
des flämifchen und fräntifchen Sicdlungsgebietes — foweit es überhaupt eine
Grenze gibt — jegt auf Grund der rehtsgefchichtlichen Sorfhung viel fchärfer
gezogen ift als das die mundartlicdhe Sorfehung mit ihren Mitteln erreichen konnte.
Unfer neues Ergebnis ift nicht cine Linie Degau-Grimma:Riefa, fondern eber,
wenn man es auf eine Rurze Sormel bringen will: £eipzig-RodligsRiefa. Die
Grenze führt alfo wefentlih mehr füudlich als das die Mundartforfcbung certennen
konnte. Zwiſchen Rodlig und Grimma bat anfcheinend das fränlifche Element
von Süden ber die flämifche Mundart zurüdgedrängt.
Die beigefügten Rarten geben ein Bild der meiften Drte, für die frantifdes
bzw. flämifches Erbrecht bisher in den betreffenden Gegenden feftgeftellt werden
tonnte.
— —
Sind die oberſchleſiſchen Holzkirchen Reſte
germaniſchen Rulturgutes?
Von Fritz Wiedermann.
Mit 5 Abbildungen.
berfchlefien, jener ungludlide Gudoftzipfel deutfchen Landes, verdient als
Dorpoften gegen die flawifde Stut unfere doppelte Aufmerkfamteit. cpier
ift die Schnittlinie zweier Landfchaften, zugleich aber auch ein Rulturgefälle von
außerordentlihem Ausmaße. Der nordeuropäifche Siedlungsbogen ftreift das
Land in voller Breite. Die deutfche Mittelgebirgslandfchaft fendet ihre Ausläufer
bis ins Ddecrtal, der oberfchlefifche Landrüden ift der legte Damm gegen die nun
beginnende oftifche Weite. Einft fegten die Steppenwinde aus Rußlands Ebenen
uber Schlefiens Sluren hinweg. Und die Lößfelder find nicht die einzigen Zeugen
aus jener Zeit. Mit dem Einbruch der flawifchen Stämme überflutete eine öftliche
Rultur diefes Gebiet und begrub unter fich die Refte einer jahrhundertelangen, gers
manifchen Arbeit. Daß einzelne Sippen hängen blieben, wiffen wir, daß mandhes
aus ihrer Rultur von den Klachfolgern übernommen wurde, ift anzunehmen. Aber
es fehlt noch immer für die Sicdlungstunde der lüdenlofe Beweis, daß der Hols:
bau das Erbe der germanifchen Rultur ift. Einen Beitrag zur Löfung diefer
Stagen, einen Hinweis auf tonftruftive Zufammenbänge liefern die eigenartigen
Holztirchen Öberfchlefiens, deren Eingliederung in die biftorifche Solge noch nicht
1933, II $rig Wiedermann, Sind die oberfchlef. SHolztirchen Refte germ. Rulturgutees 69
ee a EEE ZA EEE EEE Eu EEE GER EEE eee)
reftlos gelungen ift. Auch diefer Beitrag will nur den VDerfuch einer Löfung
wegen. Er ift ein weiteres Blied in einer Kette, die zu fliegen der Zukunft über:
laffen bleibt.
Seltfame Rirchenbauten weifen die Heinen Dörfer Öberfchlefiens auf. Einft
mögen fie noch zahlreicher und vor allem in den Städten zu finden gewefen fein,
beute ıft ihre Zahl im deutfchen Anteil Oberfchlefiens auf 83 zurüdgegangen. Die
alteften diefer Bauten ftammen aus dem 15. Jahrhundert. Wir dürfen aber an:
nehmen, daß die Holzbauten aus der erften Zeit der Belehrung nicht wefentlich
anders gewefen fein mögen. Denn erfahrungsgemäß ift die olzbautunft fo ftart
konfervativ wie keine andere. Mit peinlicher Treue entfprach der jeweilige Fleus
bau den alten Sormen, weil fefte handwerkliche und traditionelle Bindungen vor:
lagen, die abzuÄändern keiner der dörflichen MHandwerler wagte. Als Vorläufer
aller Steinbauten, deren Gründung erft ins 13. Jahrhundert fiel, find diefe Holz:
tirden anzufeben.
Jm Sdhuge der madtigen Walder, am ange der kleinen Kyügelwellen
finden wir nod) 3ablreidbe der alten Blodbolstirdhen. Ihre Dächer werden von
den Wipfeln der Eichen und Buchen überragt, die Meinen Türme felbft fchauen
faum aus dem grünen Wieere hervor. Röftlich in feiner kraftvollen Stärke ift das
Balltenwert der Wände. Das Alter gab ibnen eine wiuirdige Patina, Moofe und
Slechten wudbern auf fturmsernagten dlzern. Gräfer und Seldblumen umranten
die balbverfallenen Schwellen, rantendes Grün verziert die Ballen der Tur:
rahmen. Dis faft zum Boden reichen die fteilen Dächer und ihrer Scindeln
filbriger ©lanz ftebt im barmonifchen Gegenfage zum faftigen Grün der Blätter
und Zweige. In dämmrige Stille getaucht ift das Innere. Duntle Schatten liegen
Ihwer überm Rirdhenraum. Die bunten Reflere der Blasfenfter zittern über weiß
geicheuertes GBeftübl, der ewigen Lampe glubendes Slämmden wirft gligernde
Rringel über grob gefchnigte Heiligenfiguren, und aus goldenen Rahmen leuchten
Ölasbilder mit grellem Schein. Buntfarbige Ranken zieren das Bretterwerk der
Deden, aus den Emporen fpricht die lichtlofe Enge eines gedrüdten Raumes. Und
im Rniftern der Ballen fpürt man den lebendigen Bdem der Wälder.
„Bermanifdhe Rinder im flawifchen Kleid“ bat fie fehon vor Jahrzehnten
ein Renner ihrer Arcdhiteltur genannt. Aber man bat das Wort vergeffen. Die
Polen haben vor allem Wert darauf gelegt, daß ihnen diefe eigenartige Kon:
ftruttion zugefchrieben wird und wollen gerne an der Hand diefer malerischen
Beifpiele die Dorzüge einer polnifchen Architektur beweifen. Einen Schein des
Rechtes gibt ihnen die Tatfache, daß fich diefe HBolzkirchen im polnifden Sprad-
gebiete am zablreichften erhalten haben. Aus der Tatfache, daß die deutfche Sorjchung
diefe Holzkirchen völlig unbeachtet ließ, haben die Polen in ge{didter Weife Mugen
gezogen. Es ift bodfte Zeit, daß wir den deutfchen Anteil an diefen Bauten
tlarftellen.
Beginnen wir mit der zulegt genannten Tatfache, daß die Mehrzahl der Holz:
tirchen im polnifdhen Sprachgebiete zu finden ift. Damit ift durchaus nichts er:
wiefen. Denn aus Urkunden und Berichten, zum Teil find fogar nod Lidtbilder
erhalten, ift 3u beweifen, daß im deutfchen Sprachgebiete mindeftens die gleiche
Zahl an Holzkirchen vorhanden wear. FTur baben die aufftrebenden woblbabenden
deutfchen Bauerndörfer bereits im ausgebenden Mittelalter ihre Holzkirchen ab:
gebrodhen und fie durch maffive Bauten erfegt. Befonders häufig tam diefe Um:
wendlung im 19. Jabebundert vor. Die felbft in Fiederfchlefien oft an:
zutreffenden Holztürme find immer Refte der alten Jolzkirchen aus früberer Zeit.
70 Dolt und Kaffe. 1933, II
Diefe Jolztürme fielen zuerft den Heimatforfadern auf und find eingebend
unterfucht und befchrieben worden. Ihre Konftruttion bat die Siftoriker ſchon
immer befchäftigt und fie veranlaßt, Schlüffe auf ihre Herkunft zu zieben. Aber
die Dermutungen gingen bisher fehl, fie wurden als mertwürdige Launen der
Doltstunft betrachtet. Erft ein eingebendes Studium der oberfchlefifehen Schrot=
bolztirchen zeigt Zufammenbänge, die bisher unerltannt geblieben find.
Daf im deutfden Often die Holzbauten überwiegen, ift kein Zufall. Die
Viaturfteine aus Brüchen fehlen gänzlich, die runden Gefdiebe der Grundmordnen
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Abb. }. Schnitt und Aufriß des Tucmes Abb. 2. Schnitt dur Choranbau und Umgange der
der Mlodholsticde in AltsNofenberg (O.sS.). Blodbolstirhe in Brinnig (O..S.).
eignen fic) weniger zum Bau, für Wobnbäufer find fie völlig ungeeignet. Es
bleibt nur der Holzbau, da Lchmziegel erft fehr fpat befannt wurden. Das Ordens:
land wird von diefer Betrachtung nicht berührt, weil deffen Baukultur von den
Ördensrittern aus füdlichen Ländern übertragen worden ift.
Die Holzbautunft ift von den germanifchen Völkern zu einer vorbildlichen
£eiftung entwidelt worden. Das Holz war für fie tein toter Stoff, fondern fie
fpürten in jedem Baum das organifche Werden, jeder Ballen felbft war ein Wert
der Schöpfung, deffen gebeime Kräfte auf dem Wege der Klaturreligion übertragen
wurde. Darum baben fie als erfte die Dynamik des Holzes erfaßt, fie haben an
die Stelle der Anhaufung von Baumftämmen die lebendige Sunktion der tragenden
und laftenden Zeile gefezt. Bis weit in die Zeit vor Chrifti Geburt reicht der
1933, II Srig Wiedermann, Sind die oberf&hlef. Holzkirchen Refte germ. Rulturqutes ® 71
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Hallenbau zurüd, das Dorlaubenbaus und das Sparrendad find ihre
ichöpferifchen Leiftungen.
Im Gegenfate dazu baut der flawifche Menfch ftumpf und obne organifchen
Gedanten. Er bäuft die runden Baumftämme zur Mauer an und baut darüber
ein Pyramidendad aus dünneren Stämmen, wenn er fich nicht überhaupt mit
einem Slechtwert als Dach begnügt. Seine Baukunft weiß nichts von den Lebens-
gefetzen des "Holzes, fie ift dumpf und kraftlos, wie die Dhyfiognomie des Landes.
Rein ftolzes Reden, kein organifcher Verband, blindlings find die Balken über:
einander getürmt, fie kennen
keine Rultur und keine Span:
nung.
Ganz anders aber find die
Bauteile der oberfchlefifchen
Blockwerkkirchen konſtruiert.
Beginnen wir unſere Betrach—
tung bei den Türmen. Sıe
find oft felbftändig und fteben
mit der Rirche in keinem Zu:
fammenbange. Aber auch dort,
wo Gottesbaus und Turm
eine inbeit bilden, find die
Türme felbftändig konſtruiert
und nur durch eine Äußere
Scale mit der Rirche verbun:
den. Daraus ift zu fcliegen,
daß der Baugedante fich immer
fcbon felbftandig entwidelt bat.
Das Qurmgerüft beitebt aus
einem Ständerbau von
4 Ballen, die urfprünglich ins Abb. 3. Lzarnowanı, ©.:5. Die breiten lImgänge weifen auf
Erdreich eingegraben, fpater cine Wallfabrtsticde bin.
auf Schwellenbölzer aufgebaut
worden find. Diefe Bauweife weift uns auf den Bau der Maftenkirhben Mor:
wegens bin. Auch fie zeigen eine gleiche Bauweife, die erwiefenermaßen auf die
Schiffsbaukunft der Wikinger zurüdgebt. Auch die Schrägftellung (die
beim felbftändigen Turmbau unerlaglich ift) ift beim Rirchenbau YTorwegens zu
finden. Wenn wir die Standorte der Fyolztürme kartenmäßig feitlegen, dann zei:
gen fie uns eine Straße, die von KTorwegen ausgebt, über Dänemark nach Mord:
deutjchland reicht und dort im breiten Zuge über Brandenburg und Provinz
Pojen fic fortfegt über Schlefien nach den Rarpatben und erft in Sudrugland
verloren gebt. Diefer Weg der Turmbauten ift derfelbe wie der der germanifchen
Wanderſtraße.
Aber noch ein anderer Bauteil ſtammt geraden Weges von den Maſtenkirchen
Norwegens. Das ſind die Umgaͤnge, jene ſchmalen verbretterten Verkleidungen,
die aus klimatiſchen Gruͤnden bei den Maſtenkirchen berechtigt find. Wir finden
fie in ©berfchlefien wieder, obgleich bier das mildere Klima durchaus nicht nach
diefem Schutze verlangt. Sie umgeben den Chor, oft aud) den Turm, meift fogar
den Bau von allen Seiten und baben bei den Wallfabrtstirchen eine befondere
Ausdehnung erreicht. Auch die Kleinen Slugdächer, zum Schuß der Holzwände oft
12 Volt und Raffe. 1933, II
mebrfach übereinander angeordnet, geben auf nordifche Vorbilder zurüd. Das
Beftreben, durch Dächer und dachartige Bauteile das empfindliche Holz vor
Schlagregen zu febügen, gibt dem oberfchlefifchen Rirchenbau ein befonderes Ge:
präge. Aber auch die norwegifchen Kirchen tragen als auptmertmal diefe An:
baufung von Däcdern und dachartigen Dorbauten.
£s gibt aber noch einen anderen Zufammenbang zwifchen nordifchgermaniz
jchen Bauformen und diefen Spätlingen aus chriftlicher Feit. Die Dorgefcdicts-
forfbung bat zu wiederboltem Male Wobnbautengrundriffe aus germanifcher
Zeit freigelegt, die eine Ligen:
tümlichkeit zeigen, die uns aus
dem germanischen Hausbau be-
reits befannt war: die Vor:
Iaube. Diefe Bauform fpielt
eine fo wefentliche Rolle, daß
wir ihre umfaffende Bedeutung
nod nicht überbliden können.
Aus Schlefien wifjen wir, daß
der reizpoll entwidelte Lau=
benbausbau, der den Gee
birgsftädten in Schlefien, wie
in Böhmen und Wlähren, ein
malerifches Geficht gibt, aus
diefen Dorlauben entwidelt
worden ift. Wir finden aber
auch bei den oberfchlefifchen
Blodwerktirhen die Lauben-
formen wieder und = erfennen
auch die Fonftruktiven Zufam:
menbänge auf dem Wege über
dem Pfettenbau. Es wäre
noch zu beweijen, ob die Um:
gange allein aus dem Kultbau
ftammen und auf dem Wege
über die Rirchen auch dem Bauernbaufe angefügt worden find, oder ob nicht viel:
mebr die Sormen des Kultbaues aus dem Wobnbau allmäblich entwidelt worden
jind. Dann wäre zugleich auch die Quelle für jene charakteriftifchen Umgänge
der Waftenkirchen KTorwegens entdedt. Jedenfalls dürfte uns der Grundriß des
germanifchen KJaufes noch manche Überrafchungen bringen.
Der grundlegende Unterfchied zwifchen der Bauweife der Türme und den
jpäter aufgefegten esauben tritt aud) dem Laien deutlich fichbtbar entgegen. Als
ltefte Dächer find die vierfeitigen Pyramiden anzufprechen, die nur jelten noch
erbalten find. Die malerifchen Kyauben aus der Renaiffancezeit und aus dem Barod
figen unvermittelt auf den anders gearteten Türmen. Den alten Baumeiftern war
dicfer Unterfcbied auch voll bewußt. Sie baben darum die Glocdenftube als
Zwifchenglied eingebaut und fie befonders aufwendig geftaltet. tNeift find ibre
Miände über die Turmböfchbungen vorgezogen, fo daß der Charakter des Turmes
wefentlich geändert wird. Die oft recht malerifch geformten Kyelme mit Durc=
bruch und Zwiebelbaube fteben in keinem Zufammenbange mit der Strenge der
Turmform.
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Abb. 4. Midelodorf. Choranfidr.
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1933, II $rig Wiedermann, Sind die oberfchlef. Holzkirchen Refte germ. Rulturqutee®s 73
Ein anderer Beweis, für den Belege zwar weientlich feltener zu finden find, lage
fib auf dem Wege über die Pfettenktonftruftion des Dachgebältes führen.
Bei keinem flawifchen Bauwerk aus gleicher Zeit ift auch nur eine ähnliche Bauweife
nachgewiefen worden. Völlig fremd ftebt der flawifche Mlenfch diefem Gedanken
der tektonifchen Derbindung gegenüber. Allein aus germanifchen Baugedanten
ift die Anwendung des Dachftubles in der erwähnten Sorm verftändlich. Wie un:
beeinflußt der Bau oberfchlefifcher Blodwerkkirchen vor fich ging, zeigt das Seblen
des überall in Deutfchland verbreiteten Raiferftiles beim Aufbau der Türme
Abb. 5. Kofenberg, ©.:3. Holztırde als Zentralbau mit 8 Rapellenanbauten.
und ihrer Kyauben. Kur in wenigen Sällen (die aus der Spätzeit ftammen und
als Ropien anderer Türme anzufprechen find) ift ein Raiferftil nachweisbar.
Die wenigen Beweife, die uns erbalten blieben, deuten einwandfrei auf die
Derwandtfchaft unferer HBolztirchen mit germanifchen Baugedanten bin. Um aber
die Beweistette zu fchließen, feblen noch die Zwifchenglieder aus dem erften Jabr:
taufend. Ob fie überhaupt gefunden werden, erfcheint heute noch fraglich. Sicher
ift aber eines gewiß, niemals darf Polen ein Anrecht erbeben, diefe oberfchlefifchen
Holzkirchen für feine flawifche Kultur in Anfpruch zu nehmen. Wenn es noch
eines Beweifes bedurfte, dann zeugen fie vielmehr für das Anrecht der Deutjchen
auf diefes Land.
Dolf und Raffe. 1933. April. 0
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14 Dolt und Kaffe. 1933, II
Germanen zwifchen Elbe und Weichfel
vom 5. bis zum 7. Jahrhundert.
Don Dr. Walther Schulz, Hallé a. S.
Mit 3 Abbildungen und ı Karte.
4 ie der Zeit um 400 n. Chr. lam die vom 2. Jabrhundert an einfetzende
Abwanderungsbewegung ser in Oftdeutfdland fiedelnden Germanen zum
Abfadlug, durdy die das Land von der Elbe bis zur Weichfel den größten Teil
feiner angeftammten Bevölkerung verloren bat. Don Tatendrang getrieben zogen
die Germanen in die verlodenderen Länder des verfallenden Römerreiches. Boten,
Burgunden, Wandalen, um nur die bedeutendften Stamme Oftdeutfchlands zu
nennen, Inüpften an ihren guten Kamen fern der Kyeimat neuen Ruhm. Die weft:
licher fiedelnden Swebenftämme, unter ibnen die Semnonen, die Hüter des Bundes:
beiligtums im Havelland, verließen die Heimat und fanden unter dem alten Liamen
oder dem der Alemannen neue eimftatten. Auch nod weftlid) von dser Elbe
wirkten fich diefe Bewegungen aus. So find die Langobarden größtenteils ab:
gewandert. Im Llordbarzland und im Saalegebiet haben Umfiedelungen ftatt-
gefunden; bier bildete das Thüringer Reich eine neue Einheit, das im 5. Jahr:
hundert und zu Beginn des 6. kulturelle und politifche Bedeutung gewann. Und
ahnlich erlebte in diefer Zeit Sftlich der unteren Wdeichfel die germanifche Kultur
noch eine fpäte Llachblüte, bis fie im Laufe des 7. und 8. Jahrhunderts in der balti:
feben Rultur und im baltifchen Vollstum aufgebt.
In dem Lande zwifchen Elbe und Weichfel, ferner über die Elbe binaus in
den bannoverfhhen Wendland und in der Altmark wie auch bis zur Saale bin
haben fich in den verlaffenen Gebieten wohl erft feit Ausgang des 6. Jahrhunderts
die Slawen eingeniftet. Flicht unter Rampf und Widerftand; fondern diefer genüg:
famen, von ihrer Yyeimat am Pripet und Onjepr ber an Wald, Sumpf und
Binnengewäffer gewohnten Bevölkerung !) war das oftdeutfde Waldland, sas
die Germanen vielleicht auch wegen einer zunehmenden VWerfeudhtung geräumt
baben, gerade recht. An Siedeln im feuchten Gebiete waren die Slawen gewohnt
und haben eine für diefe Siedelungsweife geeignete Bautechnik ausgebildet. Die
£ebensbedingungen müffen fogar für fie recht günftig gewefen fein, wie ihre all:
maäblich fich verdichtende Befiedelung erkennen läßt.
Dod liegen genügend Anbaltspuntte dafür vor, daß die Siawen nod bier
und da gefchloffener fiedelnde germanifche Volksteile antrafen; mit diefen Ger-
manen, foweit wir fie in der überlieferungslofen Zeit aus Bodenfunden fefts
ftellen können, werden wir uns bier befchäftigen. Im Begenfage zu der Hinter:
laffenfchaft der folgenden flawifchen Periode fehlt der Llachweis von Wohn:
ftätten und Siedelungsftellen faft vollftändig, dagegen fommen häufiger Gräber
vor, die jedenfalls die Llähe einer Siedelung vorausfegen. Dazu treten Schat:
funde mit Schmud oder Münzen; meift handelt cs fic dabei um Boldfunde,
durd) die aud) auf das dsamals bevdllcrungsarme GOftdeutfchland ein Abglanz
des Boldreichtumes Standinaviens in diefem Abfdnitte der Odllerwanderungs:
zeit fallt.
1) Dgl. dazu Th. Hoffmann: Urflawenheimat und Altflawenwanderungen. Teill.
Volt und Raffe VII, 1932 S. 203 ff.
1933, II W. Schulz, Germanen zwifchen Elbe und Weichfel vom 5. bie zum7. Jabrb. 75
Betrachten wir nun die Sundverteilung in Oftdeutfchland (auf der Karte
Abb. 1), fo feben wir, daB die Sunde auf beftimmte Gebiete befchräntt find, aber
auch, daß der vorberrfchende Charalter der Sunde in den einzelnen Landesteilen
verjchieden ift.
Eine deutlich gefchloffene Gruppe liegt weit abgefondert von den übrigen
im oberen Odergebiete Mittel{(alefiens; es handelt fich bier zweifellos um
Abb. 1. Sunde dee 5. bis 7. Jabrbunderts zwifchen Elbe-Saale und Weichfel.
Entnabme von Walıber Schulz 1935.
O Begräbnisplag
x XRömifdhe Goldmünze unterfiriben —: mebrere
* Stüde ftandinavifher Herkunft im Rreife O: ın Grabfund
+ Einzelfunde anderer Art.
feßbaft gebliebene Refte der wandalifchen Silingen, die fich noch bis in die flawifche
Zeit gebalten haben müffen, denn der Stammnmame der Slenzane im Gau Silenfi
mit dem Vorort FTemci (beute KTimptfch = Deutfchenftadt) gebt auf fie zurüd,
das alte Gilingenbeiligtum auf dem Silingberg, dem Zobten, bleibt weiter be:
fteben. Die germanifchen Sunde der Dölkerwanderungszeit find allerdings bisber
auf das 6. Jabrbundert befchräntt, und zwar find es bauptjächlich Einzelfunde:
eine Goldmingze, cine Sibel, der berühmte Goldring oftgermanifcher Arbeit von
Ranfern bei Breslau, dazu nicht weit von diefer Sundftelle einige typifde wan-
dalifche, 3. T. mit Wellenlinien verzierte Gefäße des beginnenden 5. Jabrbunderts,
die wohl auf eine Siedlung deuten. Ein Grab diefer Zeit mit reichen Beigaben
6*
716 _ Doll und Kaffe. 1933, II
aber wurde vor bereits 100 Jahren bi Hödricht im Rreife Oblau geborgen, das
aber nach dem beigegebenen Beffel afistifcher Syerkunft und nad) verwandten Grabs
funden in Ungarn als Zeugnis eines Sunneneinfalls angefprocen worden ift. Jm
übrigen tft das oftdeutfche Binnenland, befonders auc das einft von Burgunden
befiedelte Bebiet, fehr arm an Sunden; es handelt fic um einige wenige Linszel-
funde, ferner um angeblidye Brandgrubengräber diefer Zeit aus der Gegend von
Bautzen in der ©berlaufitz, die aber noch der Beftätigung bedürfen (in der Karte
daher nicht eingetragen).
Es häufen fich dagegen die Sunde nach der Öftfeelüfte zu, und zwar bez
fonders an der Rüfte zwifhen Oder und Weichfel, bier wieder an den
Mimndungen der Slüffe, befonders aber im Wündungsgebiete der beiden großen
Ströme. Jn diefem Rüftenftriche berrfchen Boldfchatfunde von Münzen, Einzel:
münzen und goldene Einzelgegenftände vor, die über die Oftfee in das Land ge-
tommen find und meift wohl im 6. Jahrhundert niedergelegt wurden. Wieder:
. holt wurden in diefer Feit flandinavifche Halsringe aus Gold hier im Erdboden
niedergelegt, es find die Ringe von Peterfig bei Rolberg, von Fleus
Meritow bei Stargard und von einem unbeftimmten Sundorte Dorpommerns;
aber aud in das Binnenland ift ein foldyes Stud gelangt, das bei Radofiew
Kr. Czarnilau in der ebemaligen Provinz Pofen gefunden wurde; auf dem>
felben Wege mag der nordifdye Goldbralteat mit Runenfdrift, der mit zwei Golds
ringen bi Wapno im Rr. Wongrowig gefunden wurde, in das Megegebiet
gelangt fein. MNebrfad find im Ruftengebiete diefe nordifchen Boldbralteaten
zutage getreten, befonders ift hier der Schafund aus einem Moore von Rörlin,
Rr. Rolberg: Rörlin zu nennen mit 6 Goldbratteaten, einem goldenen Singers
ring mit Runeninfchrift ; einem weiteren Boldring und dem Bruchftüd eines folchen,
einer Boldperle und 2 römifchen Goldmünzen. Wie die Sunde nordifcher Serkunft
zweifellos nad Skandinavien weifen, fo darf man nun weiter fchließen, daß auch
die zahlreichen römischen Boldmünzen, die fich an verfchiedenen Stellen der Küfte
baufen — man febe nur den Reichtum in der Begend von Elbing, im
Rreife Dirfhau, an der Halbinfel Hela, oder an der Südoftede der
Infel Ufedom (Rafeburg) — der Flordverbindung ihre Fliederlegung vers
danken. Es find die Vorläufer der zahlreichen Silberfunde mit Arbeiten 3. T.
ftandinapifcher Herkunft, 3. T. orientalifcher Art und mit Münzen weit entfernter
Länder, die gleichfalls von der Rüfte aus in das inzwifchen flawifch gewordene
Land gelangt find. — Wie find nun diefe Schagfunde längs der Meeresküfte zu
erklären? Sie find jedenfalls Zeugen dafür, daß bier ein lebbafter Handel bes
trieben wurde, vielleicht wurden auch nach der Landung Weibegaben für die Gotts
beiten niedergelegt. In diefem Zufanımenbange ift noch befonders der Schatgfund
von Relpin bei Danzig zu nennen, prachtoolle Sibeln aus dem Beginne des
5. Jahrhunderts aus Silber, ferner Perlen aus Silber, Bernftein, AHyalbedelfteine
und Glas; es ift cin Moorfund, der fic), wie auch der oben fhon genannte Moor;
fund von Rörlin, in der Zufammenfegung an die oftgermanifden im freien Ges
lande niedergelegten oder im Waffer verfentten Schmudopfer der römifchen Zeit
wohl an die Woblftand verleibenden Wanengottbeiten anfchließt. Grabfunde
dagegen treten im Rüftengebiete zurüd, wenn aber der Sriedhbof von Sdhons
warling, Ar. Danziger Adobe, mit dem Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr.
einfegt und bis zum 7. Jahrhundert beftand, fo deutet diefe Jahrhunderte währende
Belegung dod auf eine recht bodengebundene germanifde Bevdllerung an der
Mecfelmündung. Drei fhöne Sibeln, verwandt denen von Kelpin, aber etwas
1933, II VD. Schulz, Germanen zwifchen Elbe und Weichfel vom 5. biszum 7. Jabrb. 77
FE EEG EEE Er Er SEES ET EEE FF EE: Se OE ZEEZERZSEN
älter, etwa aus der Zeit um 400, ftammen von Treptow an der Rega; aud
fie geboren vielleicht zu einem Grabe. Weiter in das 5. Jahrhundert binein
führen die Stelettgräber von Blowitg im Rreife Stolp. Bei Sriedefeld
an der unteren Oder wurde ein Grabfund aus dem 5. Jahrhundert gemadht, der
uns wieder gemahnt, daß wir auch mit Zuwanderungen aus dem Norden rechnen
müffen als Vorläufer der Wilingerbefiedelung deutfcher Rüften, denn die 3 Sibeln
„mit kreuzsförmigem Ropf“ des Doppelgrabes, von denen mindeftens das eine eine
Srauenbeftattung barg, weifen nach Gudfdweden. Vielleicht ftammten alfo die
Siedler bier aus Skandinavien, wenn audy nicht ausgefchloffen ift, duß ins
beimifche den eingeführten Schmud trugen. |
Mit diefem legtgenannten Sunde gelangen wir bereits zu den Gruppen
weftlih der unteren Bder. Lieben vereinzelten Münzfunden treten bier
Gräber hervor. In Medlenburg find anfdeinend zwei Siedelungsgruppen zu
unter{deiden, foweit neben den Einzelfunden die 8 Sundftellen von Gräbern der-
artige Schlüffe zulaffen. Eine Sftlihe Gruppe mit Rittendorf und befonders
Teterow führt verhältnismäßig gut ausgeftattete Stelettgräber, bauptfäcdhlich
de8 5. Jahrhunderts, die jedenfalls erkennen laffen, daß wir es bier nicht mit einer
binterwäldlerifchen Bepsdlkerung zu tun haben. Schwert, Lanze, Streitart, Pfeil
und Schild find dem Manne mitgegeben. Sür Rittendorf ift bervorzubeben, daß in
den Mund eines männlichen Toten ein Solidus des Zeno als Obolus gelegt war,
eine Sitte, die aus dem Bereiche der griechifchen Rultur in der Ddllerwanderungs:
zeit nach dem Ylorden gewandert ift; von dem Doppelgrab zweier Wiänner in
Teterow führt das eine Spielfteine und Würfel, das andere ein Glasgefag rbein-
landifcher Herkunft. Die pruntvollfte Sibel wurde aus einem Srauengrab von
Seplow bei Röbeln geborgen; 4 Topafe fhmüden Kopf und SuG diefes
filbernen mit vergoldeten Blechen belegten Schmudftüdes. Diefe oftmedlienburs
gifche Sundgruppe ift für den Germanenftamm er Warnen in Anfprudy ges
nommen worden; vielleicht mochten diefe Warnen erft kurz vorber von ihren
Gigen auf den dänifchen Infeln über die Oftfee zujewandert fein, wobei
an einen Zufammenhang mit dem Vordringen der Dänen über die von
Warnen bewohnten Infeln gedacht werden könnte; möglicher WDeife aber baben
Warnen fhon Jahrhunderte vorber bier in Medlenburg gefeffen. Jedenfalls
glaube auch ich, daG der Slugname Warnow, wie der Stammesname der (lawi-
fhen Warnaber auf die germanifde Bevdllerung zurüdführt, doch fei erwähnt,
daß die Kliamen wohl auch flawifchen Urfprungs fein könnten. Jm Zufammen:
bange mit diefer Klamensfrage fei auch des in der flawifchen Zeit auf der Infel
Rügen fiedelnden Stammes der Rugianen gedacht, die nicht nur ale Fyüter es
weitberühmten Syeiligtums des Spantevit von Arktona, fondern auch wegen ihrer
Tapferkeit, Baftfreundfchaft und der bei ihnen berrfchenden geordneten Zuftände
unter einer Rönigeherrfchaft geruhmt werden. Diefe Schilderung von Helmold,
die an germanifche Sitten erinnert, läßt es im Zufammenbange mit dem Anklang
ihres Llamens an den der oftgermanifchen Rugier als wabrfcheinlich erfcheinen,
daß auch auf diefer Infel noch altes Germanentum lebendig geblieben ift, trogden
fichere Sunde aus der Zwifchenzeit bisher feblen2). Und wenn die SGeetudtig:
Reit der Küftenflawen überliefert wird, fo werden wir im Ainblide auf die Ans
baufung germanifcher Sunde längs der Oftküfte aus der Zeit nach 400 n. Ehr. zu
2) YIadh freundlicher Auskunft des Herrn Or. Pegi ch in Greifswald liegen 2 Gefäße
vielleiht aus dem 5. Jabrbundert vor; die Sunde find wegen ibrer Unficherbeit auf der
Rarte nidt eingetragen.
78 Ä Doll und Kaffe. 1933, II
der Überzeugung gelangen, daß diefe Oftfeeflawen wenigftens in ihren berrfdyen=
den Schichten zu einem guten Teile germanifcher Abkunft waren, erfcheint es doc
fhlebtbin unmöglich, daß ein Jahrtaufende lang binnenländifch orientiertes Volt
innerhalb weniger Befchledhterfolgen angefichte des Meeres zu Secbeberrfchern
werden konnte; die verwandten Balten find es nie geworden.
Wenden wir uns nun dem Elbgebiete zu. Die Meine Gruppe im weſt⸗
lihen Nedlenburg, die die fwebifche Sitte der Leichenbrandurnenbeftattung nod
im 5. Jahrhundert fortführt, wie die Sunde von Yagenow und die von Pos
greß-Dreilügow zeigen, ift wohl den Liordfweben zuzuweifen, die als
Myrginge im Widfithliede erfcheinen, während die Graber von Aammoor
im Rreife Stormacn (augerbalb der Kartengrenze) fdyon in den Bereich des
fächfifchen Rreifes führen. Die im Widfitbliede genannte Grenze zwifchen Angeln
und Sweben am Siveldor, die der Angeltönig Offe im 4. Jahrhundert durch feinen
Sieg über die Myrginge erfochten bat, dürfte im Zwifchengebiete zwifchen der
genannten fwebifchen und fächfifchen Sundgruppe zu fuchen fein; es ift dasfelbe
Grenzland, das aud (pater den Derlauf des limes Saxonicus gegen die Slawen
beftimmte. Die Flordfweben aber lieBen fic) nad biftorifcber Uberlieferung nod
in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts zwifchen Harz und Saale in dem nach
ihnen benannten Schwabengau nieder. — Refte der alten Semnonen waren im
Szavellande verblieben. Hier bat fih unter germanifchen Einfluffe der Flame der
Syavel in die flawifche Periode binübergerettet, nach der der Stamm der Haveller
benannt wurde. Und follte fich nicht etwa auch in einem der bedeutenden flawi-
fhen Rultplage diefes Gebietes noch das alte Semnonenbeiligtum verbergen ?
Jedenfalls tommt aber der flawifde Burgwall von Loffow bei Srantfurt a.d.O.
nicht dafür in Betracht, wie vermutet, da das Heiligtum jedenfalls im Zentrals
gebiete der Semnonen zu fuchen fein wird. Das große fwebifche Graberfeld von
Barlig in Weftbavelland wurde bis in das 5. Jabrbundert binein mit
Leichenbrandurnen belegt wie eine Sibel vom Typus der Voölkerwandcerungszeit
zweifelsfrei erweift, fur weitere Grabeifelder ift es wabrfceinlid) (dicfe find nicht
auf der Rarte eingetragen). Andere Gräber wieder treten vereinzelt auf und mit
der Sitte der jet im weiten Umtreife berrfchenden SEelettbeftattungen. In Groß:
Berlin und näherer Umgebung find mebrere Stelettgräber einzeln und in Beinen
Gruppen aufgededt worden, fo das Reitergrab von FTeukslin und der Keine
Begräabnisplag von Rofentbal; bier war in einem Grabe ein Bratteat nor:
difcher Hyerkunft aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts mit einer Sibel vom
thbüringifchen Typus vereint. Ein nordifcher Boldbralteat ftammt aud von
Großlüben bei Wilsnad in der Weftprignig als Einzelfund. Bis in die Zweite
yälfte des 6. Jahrhunderts liegen die Zeugniffe germanifcher Befiedelung nod
verhältnismäßig reichlich vor, es find $ Grabfunde und eine Anzahl Einzelgegens
ftände. Aus dem 7. Jabrbunderte verrät nur nod eine Riemenzunge vom
Michaelisbruc im Rreife Ruppin wohl germanifchen Einfluß. Dann brechen
die Beziehungen zum germanifchen Rreife ab.
Die Elbe entlang haben mebrere Meinere Befiedelungsgruppen beftanden, fo
an der mittleren &lbe in der Gegend der Öbrenmündung und bei Magdeburg,
doch das Schwergewicht diefer Gruppe liegt weftlid von sem Elblauf, im Flords
thiringgau und Schwabengau, au in flawifcher Zeit unbeftrittene germanifche
Landesteile, die zundchft zum Reich der Thüringer gehörten. — Dann folgt eine
Gruppe an der Elbe swifhen Saale und Muldeniederung, ein Gebiet,
das nod bis um 400 eine reiche Befiedelung aufzuweifen batte, aber nicht
1933, II W, Schulz, Germanen zwifchen Elbe unb Weichfel vom 5. bis zum 7. Jabrb. 79
—— ————— —— —— — — — —
mit der elbländifchefwebifchen Beftattungsfitte der Leichenbrandurnengräber, fon:
dern mit Stelettgräbern, die wohl darauf bindeuten, daß bier ein nichtfwebifcher
Stamm fib um 300 n. Chr. niederließ. Zu Beginn des 5. Jabrbunderts tauchen
aber bier vereinzelte Brandgräber wieder auf, die in verfchiedener Beziebung an
die Swebengräber des norddeutfchen Elblandes fich anfchliegen und wobl cine
Teilzugrichbtung der Abwanderung diefer norddeutfchen Sweben bezeichnen. Jn
derfelben Landfchaft treten bier in der zweiten „yälfte des 6. Jabrbunderts
einige bochnordifch = germanifche
Sunde auf, die auf Verbindungen
mit dem Sftlicden Oftfeegebiete bin-
weifen, fo eine gleicharmige Sibel
von Aken, Kr. Kalbe, und ver:
wandte Sibeln aus Grabfunden
von Wulfen in Anbalt. Jn
das 7. Jahrhundert gebört fchließ-
lich eine Scheibenbrofche von Su:
figke bei Aken, die mit Tierköpfen
des fog. zweiten Stils germani:
jeher Tierornamentik geziert ift. —
Elbaufwarts liegt eine gefcloffene
Gruppe meift von Grabfunden
de3 5. Jabrbunderts in der Um:
gebung der Städte Riefa und
Muüblberg a. d. Elbe. Auch diefe
Gruppe wird im Zufammenbange
mit der fcbon erwäbnten fwebi:
jeben Bewegung fteben, die weiter
bis nach Böhmen binein zu ver:
folgen ift. Dagegen find die zwei
Gräber bei Dresden: Hidern
aus dem 6. Jabrbundert eber von
Böhmen aus zu erklären und dürf:
ten dem langobardifchen Kreife in
Böhmen zuzuweifen fein, wo die
germanifche Kultur bis zum Ende Abb.2. Helm aus cinem germanifden Sürftengrabe dee
des 6. Jahrhunderts herrſchend ge⸗ 6. Jabebunderts im fpateren Sorbengebiete. '
blieben ift. £in £eichenbrandgrab Sundort: Deegan für
von Dresden:Stegfch mit dreiflüs TE,
geliger Pfeilfpige ift für die Avaren, in deren Gefolge die Slawen in das Land
kamen, in Anfpruch genommen worden, doch ift diefe etbnifche Zuweifung nicht
gefichert.
Es iſt aber auch noch das Land zwifchben Elbe und Saale febließlich zu
betrachten, da bier forbifche Stämme über Böhmen eingedrungen waren. Um
die mittlere Saale bis zur liter liegen rechtsfaalifc eine ganze Anzabl von
Grabfunden der Merowingerseit vor, die den Zufammenbang mit den linke:
fachifcen Sunden fchon Eartograpbifch erkennen laffen. Sie bilden den Bft:
teil des thuringifcben Rulturgebietes und find von ibm nicht zu trennen.
Don den Sundplägen, die 3. T. hervorragend ausgeftattete Gräber führen, fei nur
der Begräbnisplag von Reuden a.d. Elfter, im KRreife Zeig, alfo bart an der
80 Doll und Raffe. . 1933, 11
Oftgrenze des Siedelungsgebietes, aus dem 5. Jabrhundert n. Chr. erwähnt, ferner
das große Gräberfeld des 5. und 6. Jabrhunderts von Stößen im Rreife Weigen:
fels, das unter anderem eine fürftliche Beftattung mit Helm, dem einzigen des
Thüringer Gebietes, geliefert hat (Abb. 2). Ein Gräberfeld im Stadtgebiete von
Lugen enthielt Beigaben aus dem 5. und 7. Jahrhundert und ferner aus der
fIawifchen Periode (Abb. 3). Cine Kontinuität der Benugung ift im unterfuchten
Teile des Plages nicht feftgeftellt, es ift daher mit der Möglichkeit Zu rechnen, daß
das Seld von neuem und mit Unterbredyung belegt wurde. Immerbin dürfte ein
Zufammenbang zunädhft der germanifchen Belegung des 5. und 7. Jahrhunderts
wabrfideinlid fein. Das Srauengrab mit einer Sibel des 5. Jabrbunderts (Abb. 3, 2)
ift zudem wegen der in der Völkerwanderungszeit in Mitteldeutfchland nun fehon
wiederholt feftgeftellten Schädeldeformation antbropologifch und volterfundlid von
Bedeutung, dürfte es fich doch um eine Srau alanifcer oder Hunnifder herkunft
bandeln (Abb. 3, 1)3). Die flache, in zwei Tierköpfe auslaufende Bronzefibel
(Abb. 3, 3) ift das einzige fichere Zeugnis germanifcher Rulturbeziebungen in
diefem Gebiete noch im 7. Jahrhundert; fie führt eine Zeit, in der fchon flawifche
Bevölkerung in das oftfaalifche Bebiet eingedrungen fein dürfte. Schließlich
zeugen Schläfens und Singerring (Abb. 3, 4 und 5) in einem der zeitlich folgenden
Gräber von der flawifchen Rultur, die nun allmäblich das Land beberrfcht. Trotz:
dem wir jetzt woiffen, daß diefe Schläfenringe, eine bei den Slawen beliebte
Sdhmudform, nicht auf die flawifche Bevölkerung befchräntt wer, fo find fie
doch bei uns mindeftens ein Beweis flawifchen Zinfluffes. Vielleicht bietet aber
diefe Sundfolge auf dem Gräberfeld in Lügen einen Ainweis dafür, daß auch bier
germanifche Beftandteile in der flawifchen Bevölkerung aufgegangen find.
Die Sunde germanifchen Charakters reichen alfo in einzelnen Landfchaften
etwa bis an die Zeit heran, in der das Auftreten der Sliawen in Oftdeutfchland
angenommen wird. Das Abllingen der germanifchen Kultur mit den wenigen
Sundftüden germanifchen Charalters aus dem 7. Jabrbundert im Grenzgebiet an
Elbe und Saale zeigt deutlich, wie allmäblich die Verbindungen mit der deutfdh-
germanifchen Rultur abriffen. Die dünn verteilte germanifche Bevölkerung Oft-
elbiens war der Siawifierung verfallen infofern, als fie dem flawifchen Volks⸗
tum zugerechnet wurde. Dod abgefeben davon, daß für GOftdeutfchland aud
damals die germanifche Periode wenigftens längs der Oftfeeküfte nicht abgefchloffen
war, da bier in weiterem Umfange nod ale die Befchichtsfchreibung es er=
kennen läßt, Wilinger zu vorübergebendem oder längerem Aufenthalte fidh feft-
fegten 4), ferner daß der Wilingerhandel fi in ganz Oftdeutfchland bemerkbar
macht, ift auch in den Sübrerfchichten befonders einzelner flawifcher Stämme noc
das Germanenblut lebendig geblieben. Auch die fortfchreitende ardhäologifche
Sorfehung bat bier Beiträge geliefert, die wohl in diefem Sinne gedeutet werden
konnen; fo haben die flawifchen Herren in germanifder Weife Burgen ange:
legt, deren Refte als Rundwälle maffenbaft in Oftdeutfdland verbreitet find;
die Wobnbaufer in diefen Anlagen wie in den offenen Siedelungen baben
deutfchgermanifche Bauüberlieferungen bewahrt: die frübflawifche Siedelung von
Syafenfelde, Ar. Lebus, bat die in der Mark Brandenburg altbeimifche Bauweife,
das Dorballenbaus mit fentrechten Wandpfoften, fortgefet; felbft die flawifche
8) Pgl. meine Ausführungen: Sremdes Blut im germanischen Adel der gefhichtlichen
Srubseit. Doll und Raffe 1928 S. 207.
4) Dgl. Wolfgang [a Baume, Die Wikinger in Oftdeutichland, Volt und
Raffe I, 1926, 8. 20 ff., g1 ff.
1933, II W.Scyulz, Germanen zwifchen Elbe und Weichfel vom 5. bis zum 7. Jabrb. 8l
A en
2 + 5
Abb. 3. Sunde aus einem Begräbnisplag von Lügen, Kr. !Merfeburg.
J. Deformierter Srauenfdadel aus einem Grabe des 5. Jabrbunderte.
2. Germanifcbe Sibel aus demfelben Grabe des 5. Jabrbunderte.
3. Germanifde Sibel aus einem Grabe des 7. Jabrbunderts.
4. Singerring und 5. Scleifenting aus einem Grabe der flawifchen Zeit.
Nach Jabresfcrift fur die Vorgefhicdhte der fähfifchstbüringifchen Länder 17, 1929-
Landesanftalt für Vorgefhichte. Halle.
82 Doll und Raffe. 1933, II
mit Wellenlinien verzierte Reramit dftlid-provinzialrémifden Urfprungs tdnnte
nad neueren Sorfchungen 3. T. wenigftens von den Germanen den Slawen über:
mittelt worden fein.
x
Scdhlugbemertung: Der vorliegende Beitrag ift eine archdaologifade Erganzung
zu Hinweifen, die in diefer Zeitfchrift wiederholt gebracht wurden. So fei befonders
auf die Ausführungen von Yans Witte: „Urbeimat und Weftausbreitung der
Slawen, Doll und Kaffe 3. Jahrg. 1928 SG. 17 verwiefen. Cine Zufammens
ftellung der fpätgermanifchen Sunde Gftdeutfchlands findet fic bereits bei
Georg Rrüger: „Die Siedelung der Altflawen in Klorddeutfchland“ Anhang I.
Mannusbibliothe® Fir. 22 „25 Jahre Siedelungsardhäologie“ 19232 vor, deffen
Aufzeihnungen aber bereits vor 1934 abgefchloffen waren. Die weiteren Sort:
fchritte in der Sorfehung find bisher nur in Einzelveröffentlihungen und Juz
fammenftellungen fir Teilgebiete niedergelegt. Die bierber gebdrenden Sunde rd:
mifcher Münzen find Sure Bolin: Fynden av romerska mynt i det fria
Germanien. 1926, Verzeichnisbeilage entnommen.
ine Bauernhodhzeit
in Sülften bei Haltern i. Münfterland.
Von Dr. Yubert Kroll.
Mit 7 Abbildungen.
“gm Oftober 1928 nabm der Derfaffer im Auftrage des Mufeums der Stadt
I Eſſen an einer Bauernhodhzeit in Hülften teil, um die dort geubten ryoch3eits-
brauche in Wort und Bild feftzubalten.
Über die Vorbereitungen zu einer Hochzeit war durch die Gewäbhrsleute des
Derfaffers, die Befhwifter Marie und Toni D., folgendes in Erfahrung zu
bringen:
Drei Sonntage vor der geplanten odseit erfolgen die Auflündigungen in
der Rirche, „damit alle Leute es bören können“. Am erften Sonntag treffen fich
die jungen Männer und Mädchen aus der Klachbarfchaft abends im Elternbaufe
der Braut, wo getanzt und getrunken wird. Diefes Zufammenfein bezeichnet man
als „Sangen“. Am zweiten Sonntag findet das Sangen im Haufe des Bräutigams
ftatt. Um dritten Sonntag, alfo am Tage vor Beginn der eigentlichen hochzeits⸗
feierlichkeiten, fchmüden die jungen Leute die Leiterwagen zur HYochzeit mit Birken:
zweigen und bunten Papierblumen. Jn der Woche vor der Hochzeit begibt fich
der Gäftebitter !) zu den einzulatenden Flachbarn und trägt folgenden Spruch vor 2):
1) Der Gaftebitter wird für feine Mübe entlohnt. In der Regel bat er aud bei der
Hochzeit die Bedienung der Bäfte zu übernehmen.
2) Das Solgende ift der Reft eines urfprünglicy längeren Bedichtes, das 3. T. bereite
in Dergeffenbeit geraten ift. Es ift hier nach der Schreibweife der Bewährsmännin Marie
D. wiedergegeben.
1933, II Hubert Kroll, Eine Bauernbodseit in Halften bei Haltern i. Münfterland. 83
EEE — — ——— —
Abb. j. Aufbtuch vom Haufe des Vräutigams zum Hofe der Brauteltern.
Godden Dag!
Mier fett id minen Stod un Staff.
Je fell u feggen un wet nid wat.
Id fell u ndgen un wet nid) wo to.
YTo be id fomm bi Ydftand
Ylemm id min Räppcben in de Hand.
Do fcidt mi M. 9%. als Brut
Un %. £. als Brüdigam.
Ik fol u nögen to de annere Wele
Dingstag un Gustag up de Sodio.
Do follen ib eten Supp un Gemds.
Dod wenn ih Supp un Gemsds willt eten,
Dann métt ib de Sort un de Leppel nicht vdgeten.
Yio Prumen un Rofinen
Sall u de Mund nich fcbrienen.
En Stud van den balven Kopp
Geibt of nod mit up.
En Stid van den Schinken
Do könnt ib got no trinken.
Dann föllen ib u malen fin —
Vid all te fin —
Denn Brut un Bridiqam wollen gern de Sinjte fin.
fxebb ib mi of recht vdjtobn,
eB ib nid up denn vdkebrten Dag Fommt to gobn.
Alfo annere Wele Dingstag un Gustag.
Tu gobt u got.
Bevor der Gäftebitter feinen Gang antritt, wird er und fein Sabrrad von
der Braut mit bunten Bändern gefchmüdt.
Der 3. Hochzeitstag. Am Miontagmorgen verfammelten fidy die Plot:
84 Volt und Kaffe. 1933, II
nadbarn*) und Sreunde des Bräutigams in feinem Haufe, wo fie mit Kaffee,
Rucen, Schinkenbroten und viel Miunfterlander Korn bewirtet wurden. Die erfte
YTotnachbarin brachte die Brautfabne mit. Diefe Brautfabne beftebt aus einem
weißen Tuch, auf dem mit rotem Band die Anfangsbuchftaben der Kamen von
Braut und Bräutigam und cin Kreuz mit dem IH S aufgenäht find. Die
Sabnenftange ift mit bunten Papierblumen gefhmüdt. Flach dem Srübftüd unter:
nabm die Gefellfchaft auf zwei Leiterwagen die Sahrt zum Hofe der Braut. Die
Yiotnadbbarin mit der Brautfabne erbielt ibren Plat neben dem Kutfcher des
erften Dagens (Ubb. 1). Jn luftiger Sabrt ging es mit Gefang und Gefcrei durch
Ir ' . J
~ all u; et, Ze
Abb. 2. Die $reunde des Bräutigams vor dem Hoftor der Braut.
das Dorf, auf beiden Wagen Ereifte lebbaft das Schnapsglas. Das oftor der
Brauteltern war verfchloffen. Hinter dem Tor ftand der Sreundeskreis der Braut
und begrüßte die Antömmlinge mit folgenden Worten: „Der feid ihr, wo kommt
ibr ber und was wollt ihr?“ Antwort: „Wir find die Sreunde des #. £. und
wollen bier für ihn eine Braut abholen. Macht uns nur das Tor auf.“ „Jier gibt
8 keine Braut, und wir kennen keinen 9. £. Macht, daß ihr forttlommt!“ „Aber
der 9. L£. ift ein reicher Bauer, und er will die Wt. %., die bier wohnen foll,
heiraten!“ „syier wobnt keine M. 9%. und ihr febt nicht wie reiche Bauern aus.
Und für euch machen wir noch lange nicht das Tor auf!“ Darauf zogen fich die
Brautwerber zur Beratung zurüd (Abb. 2) und kamen zu dem Entfchluß, mit
Gewalt in den Hof einzudringen. Das Tor wurde gefprengt, und die Partei der
Braut flüchtete ins Haus und verfchloß das Aaustor von innen. Die Verband:
lungen begannen von neuem. Schließlih wurde auch das Haustor erbroden
(Abb. 3). Der Bräutigam ftürzte mit feinen Sreunden in das Innere des Haufes,
um die Braut zu bolen, wurde jedoch von der Begenpartei ergriffen und zu einem
3) Ylotnachbarn find die beiden nächften KTachbarn. Sie erledigen bei Todesfällen,
Rindtaufen, Hochzeiten und anderen Anläffen alles Gefdaftliche, ftellen Wagen ufw.
1933, II Subert Kroll, Eine Bauernbodzeit in Hülften bei Haltern i. Münfterland. 85
Bett gezerrt, das auf der Tenne ftand, und das mit Holzfcheiten ausgepolftert
war, um ibn auf diefes unbequeme Lager zu werfen und fo auf die Härten des
Ebelebens aufmerktfam zu machen. Flach diefem derben Scherz wurden die neuen
Gafte willfommen gebeißen und zu Kaffee und Schinkenbroten eingeladen. Danach
erfolgte auf der Tenne das „Verfteigern der Brautlifte‘. Auf einer großen Rifte,
in der fich die Leinenausfteuer der Braut befand, nabmen deren KTotnachbarinnen
Plag, um die Rifte dem Bräutigam zu verkaufen. Fur diefer durfte durch einen
fhmalen Spalt einen kurzen Bli in die Rifte tun. Seine Sreunde führten die
Derbandlungen. Klach langen fcherzbaften Reden und Gegenreden und nad reich:
Abb. 3. Die $reunde des Bräutigams vor dem Haustor der Braut.
lihen Schnapsgenuß kam fchlieglich der Kauf zuftande. Die Kifte wurde für
25 ME. dem Bräutigam überlaffen. Den vereinbarten Betrag mußte er tatfächlich
und zwar fofort bezahlen. Das Geld follte am Sonntag nach der Hochzeit von
den jungen Ebeleuten und den Klotnachbarn der Braut vertrunten werden. Diefe
Sitte nennt man „den filbernen Boden vertrinten“, da der Boden der Rifte aus
Silber fei.
Nach dem Verkauf der Rifte wurde auf der Tenne das Mittageffen einge:
nommen, an dem etwa fünfzig Perfonen teilnabmen. Flach dem Mittageffen fubr
das Brautpaar zur ftandesamtlichen Trauung. Es ift ganz auffällig, wie wenig
von den beiden Sormen der bebördlichen Ebefchließung Flotiz genommen wurde.
Sowohl an der ftandesamtlichen wie an der kirchlichen Trauung beteiligen fich
nur die notwendigen Trauzeugen, nicht einmal die nächften Angebdrigen. Man
empfindet deutlich, daß diefe beiden Dorgänge in der KReibe der Zeremonien etwas
Sremdes und fpäter Eingefügtes find.
Am Viadhmittag begann man, die Mitgift der Braut auf zwei Leiterwagen
zu verladen. Um die Mitgift zu vergrößern, verfuchten die Sreunde des Bräuti-
gams die im Hofe berumlaufenden Hübner zu fteblen, die von den Angehörigen
86 Volk und Raffe. 1933, II
der Braut den Dieben immer wieder entriffen und freigelaffen wurden. Ein Teil
der ABübnerfchar war fchon vorber bei den FTachbarn in Siderbeit gebracht worden.
Zur Mitgift gebörte auch ein riefenbafter Schinken, der auch erft „geftoblen“
werden mußte — er wurde fpäter im Kaufe des Bräutigams über dem Herd
aufgehängt (Abb. 4) —, ferner einige Pfund Butter, die in eine Schäfchenform
gepreßt und auf einem großen Teller aufgebaut wurden (Abb. 5), fchlieglich eine
—
— — —
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Abb. 4. Der Brauticdinten an feinem Plug über dem Herd im Haufe des Öräutigame, dabinter die Brautfabne.
Kub, die ,,Brauttub’, die den ganzen Tag mit Blätterfchmud an den Hörnern
zur Schau und zur Begutachtung im Stalle ftand.
Als alles fertig gepadt war, fetzte fic) der Weagenzug, „Riftenwagen“ ge:
nannt, nach dem Haufe des Bräutigams in Bewegung. Die Braut blieb noch in
ihrem Elternbaufe. Auf dem erften Wagen wurde ein abn mitgeführt, dem
man Schnaps eingeflößt batte, und der auf einem Befen feftgebunden war (Abb. 6).
Der Hahn war den ganzen Tag verftedt gebalten worden, bis er fchlieglich von
den Sreunden des Brautigams gefunden wurde. Auch der abn ift ein Stud der
Mitgift. Srüber wurde auch noch der Spinnroden mitgeführt. Der erfte Wagen
wurde von dem erften Flotnachbarn des Brautigams Futfdiert. Er erbielt für
feine Mübewaltung von der Braut ein Hemd gefcenkt. Der Kutfcher des zweiten
1933, II Hubert Kroll, Eine Bauernbocdhzeit in Hilften bei Haltern i. Munfterland. 87
Abb. 8.
Die Br.urbutter.
Magens, der zweite KTotnachbar des Bräutigame, erbält ein Tajchentuh. Die
Brautfabne trug jet zwei rote Tafchentücher, ein Gefchent der Braut an die
Stifterin der Sabne. Tach diefer Sabrt wird die Sabne über dem Herd im Haufe
de3 Brautigams aufgebangt (Abb. 4). Die HBochzeitsgefellfchaft fang auf dem
Riftenwagen:
„Vipat, e8 lebe Braut und Bräutigam,
Braut und Bräutigam follen leben,
?yaben uns manden Schnaps gegeben.
Vivat, e3 lebe Braut und Bräutigam!
Sebt den fbönen Bräutigam
Und die Braut, was feblt daran!
Vivat, es lebe Braut und Bräutigam.“
Unterwegs wurde oft
Halt gemadbt, um den
Schnapgporrat, der in einem
Steintrifg mitgeführt wur:
de, zu verringern. Jeder, dem
der Zug begegnete, batte das
Recht, feinen Tribut an
Schnaps zu fordern.
Am Abend diefes Tages
richteten die verbeirateten
Ylachbarinnen des Bräuti:
gams das Brautgemad ber.
Yiur der Brautigam durfte
und mußte daran teilneb-
men. Sein Bett wurde mit
Folsftuden gepolftert, dann
wurde er von den Srauen
bineingelegt. In das Bett
Abb. 6.
Der Sabn auf dem BWefen.
88 Dolt und Kaffe. 1933, II
EEE u u u u EEE EEE TE
der Braut, die ja nod) im Haufe ihrer Eltern weilte, tam eine als Srau an:
gezogene Strobpuppe.
Der 2. Hochzeitstag. Morgens um 6 Ubr fubr das Brautpaar auf ges
fhmüdten £eiterwagen in den mebrere Kilometer entfernt liegenden Rircdhort zur
kirchlichen Trauung, die Braut in Begleitung zweier Brautjungfern, der Bräuti:
gam mit zwei Brautfübrern.
Die Männer trugen Gebrod und Zylinder, die Mädchen fchwarze Kleider,
die Braut außerdem einen Kleinen weißen Schleier und den Myctenfran3z. Don
den Angehörigen nahm niemand an der Trauung teil. Beide Gruppen fubren
gefondert und trafen fich erft in der Kirche, wo nach der Weffe die Trauung voll:
Abb. 7. Das Hodhzeitseilen.
zogen wurde. Da das Brautpaar nicht vor Mittag nach Haufe zurüdkehren follte,
frübftüdte die Eleine Gefellfchaft im Gaftbaufe und wartete, bis fie von einer
Eleinen Mufikkapelle (vier Mann) abgebolt wurde und, nunmehr gemeinfam, auf
einem Leiterwagen nach dem HYeimatdorf zurüdfubr. Auf balbem Wege wurde
der Wagen von einigen Reitern empfangen, die ihn feierlich ins Dorf geleiteten.
£3 wurde viel auf dem Wagen getrunken; allen, denen der Zug begegnete, bot
man ein Glasden an.
Auf dem Hofe des Bräutigams wurde der Wagen mit Slintenfchüffen be:
grüßt. Die junge Stau betam beim Betreten des Hauſes von ihrer Schwieger:
mutter einen Löffel überreicht. Darauf trank das junge Paar mit den Eltern,
Brautfubrern und Brautjungfern in der guten Stube Raffee. Inzwifchen trug
man die Speifen zum KYochzeitseffen auf, an den fämtliche Anwefenden als Gäfte
teilnabmen (Abb. 7). Abends gegen 11 Ubr fcbloffen fic) die verbeirateten
Stauen mit der jungen Srau im Brautgemach ein, wo ihr die „Brautbaube‘, eine
aus weißem und rotem Leinenzeug genäbte Kappe, aufgefegzt wurde. An diefer
1933, II R. §. VDierquyg, ~Raffe’ und _Voll. 89
ee ————————
Zeremonie durfte fein Mann teilnehmen. Als etwa um Mitternacht die Braut
mit der Haube in der KHochzeitsgefellfchaft erfchien, ftürzten die jungen Männer
berbei, nahmen ihr die Haube ab und riffen diefe in Setzen.
* Sur felben Zeit, als das Auffegen der Brauthaube vor fich ging, nahmen
die Manner das „Beichlagen‘‘ des Brautigams vor. Don feinen beiden Not⸗
nadbarn wurde der Brautigam 3um Herd in der Riche gefubrt, wobei er fid
Mühe geben mußte, das fdwere Stampfen eines Pferdes nachzuabmen. Man
entnabm dem Herd eine Roblenfdaufel voll Blut, 30g dem Bräutigam ein Bein
bod und fdlug nun abwedfelnd mit einem Sammer auf den Schuhabfatg und auf
die Roblenfdaufel, da8 ein gewaltiger Suntenregen umberfprigte. Cin Mann 30g
auf dem SHerdrohr eine Bette auf und nieder, um den Blafebalg anzudeuten.
Miederholt wurde diefe Tätigkeit unterbrochen, um am Bierfag Roß, Schmied
und Rutfcher zu tränten®). Viad dem Befclagen des Bräutigame, alfo fchon
fpat in der lacht, 30g die ganze SBochzeitsgefellfchaft mit Mufit in das Haus des
erften Kliotnachbarn und führte in einem Rorbe mit: einen gelochten Schweinstopf,
eine Welle Butter, ein Brot und ein Liter Schnaps. Alles wurde dort verzehrt,
darauf einmal getanzt, dann kehrte die Gefellfchaft ins Sochzeitshaus zurüd, wo
der Aeft der Llacdht tanzend verbracht wurde.
Der 3. Hochzeitstag. Am Morgen verfammelten fich die jungen Männer
und Mädchen im SBochzeitshbaus und fuhren von dort aus auf einem Leiterwagen
mit Mufit zu den übrigen Sochzeitsgäften, wo fie in Rammern, Rücdhen und
Ställe eindrangen, um für das junge Ehepaar Kier und Wurft zu fteblen. Damit
war das Hochzeitsfelt beendet.
Vad der Derfiderung des alten Müllers D. bat in HYulften die letzte Sochzeit,
die mit allen bier beobachteten Brauchen gefeiert wourde, vor etwa fünfundzwanzig
Jahren ftattgefunden.
„Raſſe“ und „Volk“.
Von R. F. Viergutz.
Voͤlker vergehen, Raſſen beſtehen.
ie Frage nach dem Derbältnis von „Doll“ und „Raſſe“ gehoͤrt zu den
ſchwierigſten und beſtverwirrten, iſt aber auch eine der dankbarſten — fuͤhrt
ſie doch in groͤßere Tiefen und letztlich zur Frage nach dem Sinn des Vollkes wie
der Raſſe.
Zwar, die landlaͤufigen Anſichten begnuͤgen ſich mit einer naheliegenden
Aypotbefe: Zur Zeit der Menſchwerdung — ob vor oder mit ihr, kann dahin⸗
geſtellt bleiben — bildeten ſich an verſchiedenen Stellen der Erde verſchiedene
Raſſen heraus, und als dieſe ſich ausbreiteten, bildeten die, die zufaͤllig in einem
irgendwie umgrenzten Raume zuſammenwohnten, ein Volk — gewiſſermaßen
in Fortſetzung des Raſſebildungsprozeſſes. Volk und Raſſe fielen alſo zunaͤchſt
zuſammen, bis verſchiedene Voͤlker in einer Landſchaft aufeinander trafen, friedlich
oder kriegeriſch: dann war es mit der „Raſſereinheit“ vorbei. Und heute finden
4) Als der Derfaffer nach der Bedeutung diefer Sitte fragte, wurde ihm die Anwort
— der Braͤutigam ſolle für die Ehe „recht beſchlagen“ Rin, eine offentundig junge
utung.
Dolt und Haffe. 1933. April. 7
90 Yok und Raffe. 1933, II
. wir „reine Raffen“ nur noch felten, in Europas (von unzugänglichen Rändern abs
gejeben) überhaupt nicht mehr. „Raffen waren, Völker find (Moeller van den
Brud).
Bei genauerem Fufeben lot diefe Theorie aber unfere Stage nicht, da fie die
Begriffe „Doll“ und „Raffe bereits vorausfegt und uber ibe Derhaltnis gar
nichts ausfagt. Wir erfabren nur, daß ,,Ddlker’ Menfchen verfdiedener Raffen
umfaffen können, die felber anfcheinend etwas nur biologifch Unterfchiedenes fein
follen. Aber wiefo follten fid aus Raffen Völker bilden? Die angeführte Theorie
nennt ale Merkmal des Volkes das JZufammenwohnen von Menfden im ums
grenzten Raum. Aber das trifft durchaus nichts Wefentlides (man vergleide
das jüdifche Dolki). Sragen wir, was — wenigftens heute — zum Begriff des
Volkes gehört, fo wäre vor allem dreierlei zu nennen: Erftens das lebendige Ges
fühl der Zufammengebörigkeit, gegründet auf gemeinfame Befchichte; zweitens
cine gewiffe Gemeinfamleit der Rultur und drittens eine gemeinfame Spradhe,
die aber, wie das Beifpiel des Schweizer Volkes bezeugt, auch nicht unerläßlidh
ft. Wefentlich ift allein die gemeinfame Gefchichte, das Geworfenfein in eine
ganz beftimmte, einzigartige Lage, die bedingt ift durch die Landfchaft, die Lads
barn, vor allem das in der Dergangenbeit Gefdebene — eine Lage, der fidh wohl
Einzelne, nimmer aber das ganze Volk entziehen kann. Wollen wir eine zus
fammenfaffende Bezeichnung für dies alles, fo müffen wir es Scidfal nennen.
Dollsgemeinfheaft it Shidfalsgemeinfhaft!). Lrft aus dem ges
meinfam verlebten Schidfal verfteben wir ein Dolk: feinen Staat, feine Wirts
fchaft, Reichtum oder Armut, feine freundfchaftliche oder feindfelige Einftellung
zu den Viadbarn; verfteben wir auch gewiffe Gemeinfamteiten feiner Rultur:
Sitten und Gebräuche, Runft und Wiffenfchaftspflege.
Das Schidfal der Völker erforfcht und ftellt die Befchichte dar. Aber mag
fie nod fo genau die Begebenheiten verfolgen und in ihre Züge, Teile und „Urs
fachen‘‘ auflöfen — was fie regiftriert, erfchöpft nicht ihr Wdelen. Zwar gibt es
Ge(dhidtsforfder, die der Meinung find, mit der genauen Aufzählung deflen, was
wer, fei ihre Aufgabe getan. Tiefer Dentenden drängt fic die Srage nad dem
Sinn diefes Befchebens auf: Schidfal ift etwas, das einer Ginns
erfüllung bedarf. Die Sinnfrage aber ift nur zu [dfen, wenn man zuvor
die andere Stage Elärt nach dem, was denn eigentlich das Schidfal bat? Völker
können es nicht fein, denn Volker find ja felber Erzeugniffe des Schidfals!
Mitgeftaltend für das Schidfal ift ohne Zweifel auch die Landfchaft, der
Boden, das Klima. Aber fie find nicht entfcheidend. Fhnen ftebt der Menfch gegen»
über, und wichtig ift allein, was er aus den „gegebenen Derbältniffen‘ macht.
Aber auch am Menfchen fanden die Befchichtsforfcher aller Zeiten gewiffe Cigens
beiten, die nicht felbft Ergebnis ihrer Gefcdide 3u fein fdienen. Ob ein Voll
angriffsluftig war oder lediglich abwehrend, feetüchtig oder wafferfcheu, tunfts
liebend oder bandeltreibend — das ließ fih nur zum Teil auf eine Erziehung
oder Prägung durch Landfchaft und Scidfal zurüudführen, das mußte zum
anderen Teile fhon „von Ylatur“ in dem betreffenden Volt liegen. So tam
die Gefdhidte zu einem gewiffen Dualismus: $a war ein naturgegebener
nerobftoff mit feinen Bedingungen und Möglichkeiten — Land und Menſch
—, md in bzw. an ibm vollzog fih ein Gchidfal, das rcidwirkend aud
1) Selbftverftandlid laffen fid noch mehr Merkmale des Volkes angeben, doch fcheint
mir dies das Wichtigfte. Auf die Lnterfchiede diefer Schidfalsgemeinichaft zu anderen
(Stamm, Stand, Klaffe, Gemeinde u. a.) kann bier nicht eingegangen werden.
1933, II R. §. Dierqug, „Rafle* und „Volt“. 91
ts Se a RE eB yp a Gs a ae a Er EN EEE EEE ee RT EEE
„feinen Robftoff‘ teilweife veränderte, woraus fich neue Bedingungen des weiteren
Gefchebens ergaben. Diefen menfchlidden „Robftoff“ nannte die Gefchichte
„Raſſen“. Es war eben das, was nicht felbft Erzeugnis eines Schidfals war,
fondern diefes Schidfal Hatte. „Völker vergeben, Raffen befteben.“
Man fiebt auf den erften Blid, daß fich in jenem Dualismus der Gefdhidte
der allgemeine „Llatur‘‘ und „Beift‘“ fpiegelt. Die fich ergebenden Sragen werden
ficy weitgehend Hären, wenn wir nun erft fragen, was denn eigentlich „Raffen‘
find? Die Gefdicdte tonnte mit ihren Hilfsmitteln zu feiner eindeutigen Begriffes
beftimmung und demgemäß zu keinen Maren Abgrenzungen der Raffen gelangen.
Schwierig, ja fehier unldsbar blieb immer das Verhältnis der gefchichtlichen
(geiftigen) zu den raffifchen (naturgegebenen) Bedingungen des Gefdidtsablaufs,
ja es wäre in keinem Salle unmöglich, ein gefchichtliches Gefdheben rein aus fich
felber zu verfteben, ohne Rüdgriff auf außergeiftige Zufammenbänge!
Inzwifchen fam die Klaturwiffenfchaft, in deren Bereich die Raffenforfchung
gedrängt worden war, zu einigermaßen Elaren und beftimmten Raffenbildern.
Aber diefe verhältnismäßige Rlarheit war gewonnen auf rein naturwiffenfchafts
lihem Wege, d. b. unter Abfehung des Erlebnismäßigen, des Beiftigen und
Setlifchen, indem der Menfch lediglid als Klaturgegenftand genommen wurde.
Den fo gewonnenen Raffebildern fehlte die Seele. Um diefe zu erforfchen, mußte
die Raffenkunde die Seelenwiffenfchaft und die Befchichte befragen. Das Ere
gebnis folder Bemühungen blieb unbefriedigend, weil umgelehrt aus der Dents
ebene der Beifteswiffenfchaften das Raffifche herausfällt, und weil man das Ganze
der Kaffe nicht aus der Zufammenfügung neturwiffenfchaftlicher, körperlicher
Miertmale und (naturwiffenfchaftlich aufgefaßter) feelifcher Kigenfchaften erfennen
konn. Der Menfch ift keine Summe aus Leib und Seck; um das Banze 3u ers
faffen, bedarf es eines neuen, eigenen Anfagpunttes der Sorfchung, näms
li der erlebten Raffenbaftigkeit?).
Das Raffenhafte erfchöpft fich nicht im Ausfehen der Wienfchen, wiewohl dies
dazu gehört. Es beftebt auch nicht etwon in den Gedanken der Menfchen: ob einer
„Peslift‘, gottlos, ehrlich oder gemein ift, das bat mit feinem Raffenbaften nichts
unmittelbar zu tun. Das Raffenbafte, dies Cigenartige, was einer Mienfchens
gruppe gemeinfam ift, was uns an mandyen von ihnen befonders Bar entgegens
tritt, an anderen weniger, wie getrübt oder unterbrochen, das fpürbar ift troß
verfchiedener Berufe, Geiftesrichtungen und Gewohnheiten — diefes Raffenbafte
liegt tiefer als das Geiftige, als die Bildung, fie fei Lebenss oder Schul:
bildung, tiefer auch als die Prägung durch gemeinfame Schidfale, durch den
„Beift der Zeit‘, wiewohl das alles zufammenbängen möge. Moden, Bildungss
güter, Schidfale wechfeln — das dauernde, alles durchwirtende Raffifche verbindet
Einzelne unter fich und mit ihren Ahnen. Tiefere Schichten der Seele find zugleich
die Sauerbafteren. Sie durchwalten, wie die Erfahrung zeigt, mehrere Befchlechter,
wie fie den Einzelnen übergreifen und zum Gliede machen eines größeren Ganzen
— eben der Raffe.
So ift denn das Raffenbafte ein lebendig Wirkendes, das uns in allem
entgegentritt, was ein Menfch tut und denkt, das all fein Gebaren, fein Ringen
und Ruben, fein Sorfden und Seiern durchwirkt, fo daß wir es antreffen, wo
immer wir auf Menfchliches uns befinnen — fei es am lebenden Hienfchen felber,
fet es an feinem Werte. Im Werk verwirklicht fich ja der Menfch am eindrude:
vollften (wenigftens folange es feines ift).
2) Dgl. „Über Raffe und Seele” von mir im 7. Jahrg. S. 32 ff. diefer Zeitfchrift.
7
92 Volt und Kaffe. | 1933, II
Die Stage nach dem Derbältnis zwifchen Doll und Raffe hatte fidh uns
zugefpigt auf die Stage nach dem Derbältnis zwifchen Viatur und Beift. Fun
find wir in der Lage, einen Schritt weiter zu geben. Im reinen Geift als foldbem
(Logos, Llous) findet fidh nichts Raffifches; reiner Geift ift unabbangig aud vom
Dollstum — es gibt keine deutfche, ruffifche oder ameriktanifche Wdiffenfchaft, die
unter fich wefentlich, als Wiffenfdaft, verfcbieden waren, wie es denn auc nur
eine Wahrheit fur alle dentenden Wefen geben kann. Aber ser reine Geift bedarf,
um 3u witlen, des Lebens, er wirkt im und durch das Leben, ift uberbaupt nur in
der Abftraktion vom Leben trennbar: fo haben denn alle geiftigen Gebilde teil an
einem Wefenszug alles Lebendigen: fie haben ein Geficht, einen Ausdrud, eine
Stimmung. Im Ausdrud aber wird £ebendiges unmittelbar erfaßt, in der
„Stimmung“ begegnen fich die Seelen, und in der Befinnung bierauf werden wir
aud des Raffenhaften inne.
yolk entftebt mit dem Erwaden einer Wenfdengruppe zum geiftigen
Dafein. Darum verfchlingen fih im „Doll“ in eigenartiger, vielfältiger WDeife
mannigfache £ebenszüge: das urfprüngliche Leben wird überprägt von Geiftigern,
das zwar nie feine Herkunft verleugnen kann, fic) aber doch von ibr 3u [dfen
tradhtet.
So ift dens auch das Tun des Menfchen in verfchiedenem Maße geeignet,
Raffenbaftes auszudrüden. Es tritt uns greifbar deutlich dort entgegen, wo der
Beift der Menfchen ganz im Dienfte ihres Lebens ftebt. Darum verfpüren wir
es bei jedem Schritte, den wir in die Lebensformen fog. primitiver Völker tun.
Sagt uns der mittelbare und darum übertragbare Sinngebalt ihrer Bauten,
Oeräte, Zierate ufw. etwas vom geiftigen Gebalt ibrer Rultur, fo läßt uns der
nur aufweisbare, nicht nachzuahbmende Ausdrudsgebalt all ihrer Werle etwas
von der bewirkenden Raffenfeele ahnen, die in ihnen lebendig ift. Je mehr ein
Werk dagegen „fachlich“ fein, nur dem „Befetz der Sadye‘ entfprechen will, defto
mebr verliert es vom Ligenrbythmus des Lebens und damit vom Raffenbaften
in feinem Ausdrud. Ganz allgemein kann, was der Menfch fchafft, um fo weniger
von feiner Raffenbaftigkeit enthalten, je mebr er dabei fremder Gefetzlichkeit, ftatt
eigener Liotwendigleit folgt. Allmählich weicht, wie in unferer Zivilifation, die
lebendige Derbundenbeit des Volles, die aus der Raffenfeele ftammt, der fachlich»
verftändigen, die aus dem Geifte ftammt. Goldes Dolfstum wird dann feelenlos
und unbrdftig.
Die Dieldeutigteit dea Wortes ,,Ausdrud weift uns wiederum auf die vers
fehiedenen Prägungen des Kebendigen hin. Bei genauerem Zufeben müffen wir
am Ausdrud verfchiedene Schichten unterfcheiden: mehr Außerliche, entftammend
der Prdgetraft geiftiger Setzungen, erftarrter, leblos gewordener Sormen, wills
kuͤrlicher Ordnungen — und tiefere aus feelifdher Geftaltungstraft, die wiederum
in der Begegnung mit der Welt fich befonderte und fchidfalhafte Bedeutung bat
(Ausdrud des Dollstums, des Standes u. dgl.) — bis zu den tiefften, der Des
finnung und Deutung nicht mehr zugängliche Schichten, die die Seele mit größeren
Lebensfhwüngen verbinden. Hier das Raffenhafte zu finden, ja überhaupt zu
feben, bedarf es der einfühlenden Dergleichung der Menfden und Werke. —
Was nod jenfeits der Schidfalspragung liegt, nannten wir das Raffens
bafte. Schidfal felbft bedarf nod der Ginndeutung, ift nicht felber finnbaft. Aber
in ihm erfcheint und wirkt fich aus das Raffenbafte, das ift das Lebendige, fofern
es menfchentümliche Sorm gewann. Mit dem Erwachen des Geiftes wird aud
das Wolf geboren, die Menfchengemeinfchaft, die ihr Leben nunmehr bewoußt felbft
Wann aus der Graffcbaft Hyauenftein und Srau aus dem Oberprechtal im Schwarzwald
Kunstbeilage zu „Volt und Kalle” Aus: Selm, Deutfche Voltstrachten
I: §. Lehmanns Verlag, München
1933, II Deutfcdhe Voltstrachten. 93
geftaltet (in immer zunehmendem Maße und Umfange). Sie gewinnt aus ihrer
Raffenfeele beftimmte Antriebe, fich felbft zu verwirklichen und legt ihre Lebens»
linie in ihren Werten feft. Rraft der Beftimmung alles Geiftes durch fic) felbft
kann nun im Bulturellen £eben ein Doll immer nod einbellig fein, wenn auc {don
langft andere Raffen in es eindrangen: das gemeinfame Schidfal prägt immer
wieder gemeinfame Haltungen auf. Diefes ift allein unmittelbar bewußt, während
das Kaffifche erft auf dem Umweg über die Selbftbefinnung dem Bewußtfein
zugänglich wird. Es ift aber eben darum dem Urgrund des Lebens näher. Das
Lebendige bedarf nicht des Erfaßtwerdens, um zu wirlten, während das Geiftige
nichts ift ohne das Leben. Zum Schidfal wird ein Befcheben erft im Spiegel des
Beiftes. Dahinter oder darunter (all foldye Worte find nur uneigentlich zu vers
fteben) fließt der Strom des Lebens. Er ift der Sinn des Schidfals. Und wie aus
der „Broßen Mutter“, dem unbegreiflichen Strome des Alls£ebens, die Raffens
feele fic) befondert, fo aus diefer als ihrer Mutter die Seele des Kinzelnen, drei
und dod cine... Damit mündet unfere Betrachtung ein in metapbpfifche Bes
finnung als ihrer Vollendung und Rechtfertigung. Doc muß uns bier diefer
Ausbli@ genügen.
Deutfche Volkstrachten. (IV)” (sau.
Elfag.
Tafel 7. |
In der elfäffifchen Männertracht bat die Tode aus der Zeit der franzöfifchen
Revolution fehr ftark gewirkt, aber doch nicht fo, daß die Altere Tracht des 18. Jahrs
bunderts gänzlich verfchwunden wäre. Die Jugend nahm die neuen Sormen an, die
lange feitlid gelnüpfte Hofe und die militärisch kurz gefchnittene Jade; die dltere
Generation blieb bei langem £eibrod und Dreifpig: fo haben Männers und Burs
fchentracht als Moden zweier Zeiten nebeneinander geftanden, und als Seiertagss
und Rirdentradt bebielt die dltere nod) lange die Oberband.
In den Srauentrachten bat fich Alteres wohl da am meiften gebalten, wo ein
tonfeffioneller Gegenfatz durch die Rleidung betont wurde. Jm übrigen ift befons
ders die Sarbe durch den franzsfifchen Einfluß gelodert und dem perjönlichen Ges
fdhmad anbeimgeftellt. Die weitauslandende Faubenfchleife, die allgemein als das
Bennzeichen der elfäffifchen Trachten gilt, ift erft in den 40er Jahren zu ihrer
jegigen Größe gewadfen.
Schwarzwald und Rbeinebene.
Tafel 8.
Eine böcft altertümliche Männertraht bat ziemlich lange im füdlichen
Schwarzwald in der Braffchaft HYauenftein beftanden, deren einzelne Stüde zwar
*) Giebe Dolt und Kaffe 1932, Heft 3 und 4, 1933, Heft 1. Schluß des Abdrudes
aus dem im Derlage I. 5. Lehmann, Minden, erfdienenen Werke von Rudolf Helm,
Deut{he Dollstradten aus der Sammlung des germanifden Mufeums (mit
115 Tracdtendildern auf 43 fcdwarzen und 8 farbigen Tafeln, Preis Mi. 4.—).
94 Vol und Raffe. | 1933, II
nicht alle der gleichen Zeit entftammen, deren jedes aber den Charalter feiner Ents
ftebungszeit in einer fonft nirgends zu findenden Reinheit erhalten bat. Der
ältefte Beftandteil ift das Brufttuch, ein primitives Obergewand, mindeftens bis
ins 14. Jahrhundert zurüd zu verfolgen; dann die in Hunderte von Salten gelegte
Pluderbhofe, ein erftarrtes Erbftüd aus der Zeit der Landelnechtszüge; der Mübhls
fteintragen des frühen 17. Jahrhunderts und der Rod des 30 jährigen Rrieges. Die
Sarben find fchlicht und kräftig: Schwarz und ein leuchtendes WDeinrot, dazu der
weiße Rragen und weiße Strümpfe. Das 18. Jabrbundert ift fpurlos an diefer
Tracht vorübergegangen, erft das 19. bat fie verändert und vernichtet. Die ans
deren fchwarzwälder MWiänmertrachten find moderner, haben aber im Charalter fo
viel mit der bauenfteiner Tracht gemeinfam, vor allem in der Sarbe, daß man auf
eine ähnliche Dorgefchichte fchließen darf.
Auch die Srauentrachten zeichnen fich durch babe Altertümlichkeit aus. Sie find
fchlicht und ernft in Sorm und Sarbe, fteben den febwAbifden in der Sarbenauswahl
febr nabe, find aber im allgemeinen duntler; einige nur auf fhwarz und weiß ges
ftellt. In den Sormen lebt viel altes But aus der Renaiffancezeit. Sehr häufig ift die
Übereinftimmung mit der Männertracdht: in Schuhen, Hemden und am auffallend»
ften in den Hobten. Der Zylinder ift eine für den Schwarzwald charalteriftifche
Ropfbededung. Er bat die Sormen des früben 19. Jahrhunderts; aber vielleicht
bat aud er ein febr bobes Alter.
Die OrkEneyinger und die Shetländer.
Don Ernft Brenn, Allentfteig.
Soweit es die heutige gefchichtliche Sorfehung zuläßt, kann man mit Sicherheit ans
nehmen, daß die erften Bewohner dser Orkneys und Shetlandinfeln Pitten (ein Doll von
nichtkeltifcher Abftammung) waren. Gegen Ende des 6. Jahrhunderts mehrten fich die
Sabrten irifcher und fehottifcher Miffionare und Cinfiedler nad den genannten Cilanden.
Diele diefer Kelten, vielleiht auch Reltinnen !), zogen fic auf die einfam gelegenen Eilande
und Holme surid, um dort ein Alausnerleben zu führen. Die Reifen der Cinfiedler ers
ftredten fic aber nod viel weiter gegen Llorden; der um 825 lebende irofhottifche Mänd
Dicuil erzäbhle®), daß fhon um 725 keltifche infiedler auf den Infeln ndrdlid von
Schottland anzutreffen waren: auf den Hebriden, Orkneys, Sbetlandinfeln fowie auf
Söroyar und Jsland. Viele Klamen gemabnen noc heute an die Rlausner, 3. GB. „Papa“
(Geiftlider) auf den Ortneys, Baglabölmur (Rrummftabbolm) auf den Schafinfeln und
Papös, Paper in Island.
Als im $. Jahrhundert die Wilingerzüge der Llorweger begannen, fette eine Hleus
kolonifation der Eilande ein: „Es beißt, daß die Orkneys in den Tagen Harald Schönbaars
tolonifiert wurden; aber fhon vorber waren fie Aufentbaltsftätten der Wikinger“ (Anfang
der Ortneyingafaga 24)). Die Einfiedler verließen die Infeln wieder und die vielleicht mit der
af igen feltifcen Bevdlterung Zurudbleibenden durften das Chriftentum nidt mebe Sffente
id belennen.
Den Infelnamen , The Orkneys“ verfudt man von dem wabhrfcheinlich vorkeltifchen
Worte „ork“ abzuleiten. Die eingewanderten Liorweger fetten das für fie unverftändliche
1) Auf Eeltifche Alausnerinnen deutet vielleicht der LIame des fagenbaften (fuoweftlid
von Söroyar gelegenen) Eilandes „Semo“ bin. EClapus überfegt den Liamen mit „Femi-
narum insula® (= Sraueninfel, vielleicht das föroyiihe „Moyggjaland" = Mädchens,
Jungfrauenland).
2) Dicuil, De mensura orbis terrae. Ausg. Waldenaer 1807 und Parthey 3870.
2a) Ausg. Anderfon, Transl. by Hjaltalin og Goudie. dinburgh 3873.
u —
1933, II Ernft Brenn, Die Orknepinger und die Sbetlander. 95
Wort mit ihrem „orkn“ (= Didbaud, dann Seefhwein, Robbe, Rlappmüte) in Bes
ziehung, deuteten es fdlieflid um und figten ey (= Infel) daran. Don den 90 Eilanden
der Ortneys find 38 bewohnt. Auf der größten Infel liegen die bedeutendften Orte: die
Syauptftadt Rirkwall und Stromneß. Wie der nordfchottifche Boden beftebt auch die
Ortneyg e aus rotem, deponifhem Sandftein. Wiefen, Heidelraut, Sumpfe und Moore
bilden die Bodenbededung. Die Weftküfte weift berrlihe Klippen auf. Bis in das vorige
Jahrhundert lebten auf joldhen Rlippen, fowohl auf den Hebriden, ale auch auf den Orkneys
Einfiedler. Ich erinnere nur an John O’Groot, der in der Llähe von Duncanfby Head als
Blausner fein Leben friftete.
Aud die Shetlandinfeln haben etwa 30000 Einwohner. Don den ungefähr
100 Infeln find 29 befiedelt. Sie befteben aus Urgeftein, Granit und Porpbyr, fowie Sands
ftein und find ziemlih bügelig. Auf der Hauptinfel Mainland ift die böchfte Erhebung
(Roenis bill). Die alte Hauptitadt Gcalloway (aus altnorwegifh Stalavdgr) und die
newe, Lerwid, liegen auf demjelben Eilande. Die alten Llorweger nannten die Infelgruppe
Ajaltland und Ip ter Hetlands). Der Liame rührt gewiß von der Sorm der Sauptinfel ber,
die an einen Halt mit Quergriff (Halte) eines Wilingerfehwertes erinnert. Übrigens tommt
der Llame Shetland erft feit 1289 vor. Die Infelgeuppe bat ein typifches Infelllima, das
durdh den Golfftrom beeinflußt ift. Cs ift bier viel milder als in Schottland und regnet
weniger.
Die beiden genannten Infelreiche wurden alfo aufs Lleue durch norwegifche eae
befiedelt. Im 9. Jahrhunderte berrfdten Jarle (= Ze a eine ziemlich
roße Selbftändigkeit befaßen. Die Llachlommen Torf Einer Rögnvaldfons waren fehr
A reitbar und führten nocdy ein reines Wilingerleben. Davon erzählt die febr unterbaltfame,
bereits erwähnte Orkneyingafaga. Sie bebandelt die Heldengefdidte von den Alteften Zeiten
bis auf Jarl Adgnvald Kale Rolsfon. Befonders intereffant find die Abfchnitte über den
1064 geftorbenen Jarl Torfin, uber Magnus den Heiligen (F 3316) und Jarl Rögnvald.
Die Rleintönige der Orineys beberrfchten lange Zeit hindurh Shetland, Caithnes und
SGutberland in Klordfchottland.
Schon vor dem Jahre 1000 batten die Ortneyinger und Sbhetlander den lLatholifaden
Glauben angenommen, obne freilid deswegen ihre beidnifhen Gebräuche abzulegen.
Ayeute betennen fich die meiften Infelbewohner zur evangelifchen Lebre.
Bald nady 1000 gingen die Infelgruppen allmählich in den Befitg des alten Mutter:
landes Llorwegen über. Lange Zeit waren fie auch unter einem „logmadur“ (= Ober
richter, Vorfigender des Gefegesdinges und viell. Lebenshberren) mit den Schafinfeln
(= $öroyar) vereinigt. Aber Pen die Zugehörigkeit zu Llorwegen war nur von kurzer
Dauer. Llachden legteres kurz nach dem „Ihwarzen Tode” (134950) die eigene Selbs
ftändigleit verlor, Bamen auch feine Beilande (Grönland, Island, Söroyar, Shetland und
die Orkneys) im Jabre 1380 zu Dänemark. 3469 wurden Shetland und die Ortneys von
Rénig Chriftian I. von Danemar? an James III von Schottland verpfändet. Als fice im
Jabre 3390 Jalob IV. von Schottland mit der dänifchen Prinzeffin Anna verbeiratete,
ging die dänifche Bberbobeit ganz verloren.
In der erften Zeit berrfchten die Rleintönige unumfchräntt und fchafften das vom
Volle gewählte Gefetzesding *) ab. Die meiften uern beraubte man ihres Grund und
Bodens und machte fie zu Zinss bzw. Pacdtbauern. Flur ganz Iangfem befjerten fich die
Derbältniffe, fo befonders nah der Hinridhtung des Jarls Patril Stewart. Boch die _
früheren Rechte waren und blieben verloren. Erit nah Inkrafttreten der Landbaugefege 5)
begann eine fcddnere Zeit für die Orkneyinger und Shetländer.
Dienordifhe Sprade (Mundarten des Llorwegifchen), welche feit dem 15. Jabes
bundert von armen und unterjocdhten Bauern gefprochen wurde, konnte fid nicht ungeftört
weiterentwideln. &s gelang nicht, das Altnorwegifche mit feinen neuen Veränderungen in
eine neue Schriftfpracdhe überzuleiten, wie dies auf Söroyar) und Island gefdab, wenn
fih auch dort dänifcher Einfluß ftark geltend machte. Die fhetlandifden und ortneyifden
Mundarten mußten dem Liiederfchottifchen, der Sprache der Macdthaber, weiden. Aber
3) So beißt fie noch heute bei den Söroyingern.
4) = felbftändiger (autonomer) Landtag.
ht 2 Diefe wurden von der von Gladftone eingefetsten „Crofters commission“ vors
en.
a 6) Erft gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gründete dort der Liacdhlomme eines
Öfterreichifchen — GVenſil Ulrik Hammershaimb) aus den foͤroyiſchen Mund⸗
arten die neufoͤroyiſche Schriftſprache.
96 Volt und Raffe. 1933, II
nod lange bielt die unterdrüdte und gefhwächte Kraft des bodenftändigen Sifchers und
Bauernvolles ftand, begann doch erft im 37. Jahrhundert die eigentliche Auflöfung der
altnorwegifhen Mundarten. In der langen Zeit der Unterwerfung und Bedrüdung wear
das Selbftbewußtfein der Infelbewohner gefhbwädht worden. Llah und nad drangen
fremde Worte in die weftnordifden Mundacten ein, bis die Gprache felbft ein fchottifches
Geprage annahm. Offizielle Sprache wurde Tiederfdottifh, das Amtsfprade in Lords
fdottland war, und Rirdhenfpradhe Reidsenglifd.
Außerdem tat die puritanifche Geiftlidteit alles, um nordifches Vollstum, 3. DB. die
fhönen alten und eigenartigen Rettens fowie Reigentänze famt den dazugehörigen Weifen ?)
auszurotten. Als Walter Scott 1814 die Kilande bereifte, hörte er nod ein norwegifches
Gedicht. Selbft heute find noch in Rinderreimen und Wiegenliedern Spuren des Alts
norwegifden enthalten.
Der fdroyifhe Spradforfder Jakob Jatobfen unternahm 1909, 1930 und 3912
Sorfdhungsreifen nad den Orfneys und 1893—96 fowie 1905 nach Shetland. In feinen
Arbeiten „Shetländifhe Ortsnamen“ 8), „Shetland und die Shetländer“ ?), , Die Gefcicdte
und Sprache der Ortneyinfeln’ 1°) und ,Die norwegifhen Mundarten in Shetland und auf
den Ortneys” 11) teilt Jatobfen mit, daß auch die Sprache der genannten Infelgruppen wie
diejenige Islands und der Schafinfeln eine Gonderentwidlung durhmadte. Das ift daraus
gu erfennen, was nod bis heute bzw. bis vor wenigen Jahrzehnten an Llorwegifdhem
bewahrt wurde. Unter dem Llamen „Llorn“ waren die altnorwegifchen Hlundarten auf
den Eilanden und in Eaitbneß allgemein bekannt. Mit diefem wurde audy der uralte Plame
„Dasta tung“ für Altnordifh oder Hier im befonderen für Altnorwegifdh überliefert.
Noch jet bat die Spradye der Shetländer und Orkneyinger im boben Grade nors
wegifches Geprage. Jatobfen konnte im Wiederfchottifden der BevdMerung eine fehr große
Zahl norwegifhher Wörter nahweifen: auf den Shetlandinfeln über 10000 und auf den
Ortneys etwas weniger. Wenn man bedentt, daß der Wortihag der Sifcher und ins«
befondere der Bauern nicht fehr groß zu fein pflegt, fo erfcheint die Zahl der bewahrten
norwegifdhen Wörter erftaunlich fod).
Die norwegifoen Mundarten der ShHetlander und Orlneyinger
find verloren gegangen und damit das innigfte Band swifden Wor:
wegen und den Cilanden!
Yad I. Jatobjen und D. Bruun war das norwegifche Stammesbewußtfein der
Ortneyinger vor dem Welttriege nod fehr ftart. Shetländer und Ortneyinger legten
viel Wert auf ihre ftandinapifche Abftammung und verneinten aufs entfchiedenfte, daß fie
Schotten feien. Aus Intereffe für ihre norwegifche Dergangenbeit befchäftigten fich mandye
junge Bauern mit dem Studium des Llordiichen 12). Aber audy heute ift die Zuneigung
und das Intereffe für die nordifchen Bruderpölter auf den Ortneyinfeln und auf Shetland
fowie auf der fchottifchen Halbinfel Eaithnneß nody fehr groß !?). Jährlich gibt es Zufammens
tinfte in Térshavn (Sdroyar), Bergen, Trondheim ufw. (Llorwegen) jowie in Rirkwall
(Ortneys) und Lerwid (Shetland). ngcebriiderlide, voltstundlide, fportlide und andere
egenfeitige Einladungen find an der Tagesordnung und diefe fordern das Erlernen und
Studium der nordifhen Spraden.
Die nordifdhen Volksrefte, welche ficher keitifhen und wabrideinlid aud piltifden
Bluteinfdlag aufweifen, find jegt der Sprache nad wohl ,rotwelfde* Scotten (wenn ich
fo fagen darf), dem Blute und der Gefinnung naw aber zum weitaus größten Teil Llors
weger! —
1) Auch auf Island gingen die Reigentänze im 17. bzw. 18. Jahrhundert 3u Grunde,
u. zw. auf Betreiben der evang. Geiftlichkeit, die Unfittlides in ihnen feftftellte. — Auf
Söroyar bewahrte man bis auf unfere Tage die Rettens und Reigentanze und as kindliche
Dergnigen beim Tange.
8) Sbetlandsoernes Stednavne. Ropenh. 1903. — The dialekt and place-names
of Shetland. f£erwid 1397.
9, Shetland og Shetlaenderne. Ropenf. 3896.
10) Om Ortnoernes Hiftorie og Sprog. Ropenb. 1913.
11) Mornfprogene paa Shetland og Orknoerne, faerlig i deres Sorbold til Safters
fprogene Jslandst og Saerast og Moderfproget Norst.
12) Giebe meine Arbeiten: Relten und Clormannen auf den Infeln ndrdlid von
Schottland. Jena 1929. — Das Meinfte germ. Doll: Das Brudervoll der Söroyinger.
Doll u. Raffe 6. Ihrg. S. 105. Münden 1931.
13) Tingatroffur. Söroyifcdhes Wochenblatt. Törshanpn.
1933, II Aus Raffenbygiene und Bevditerungepolitit. 97
EL DZ u a a a arm a a a
‚Einem Soroyinger, dem Spradforfder Jatob Jatobfen, verbleibt das große
Derdienft, die Refte der See Mundacten auf sen Sbetlandinfeln (und Ortneys)
in feinem Lebenswerke ,Etymologifces Wdeterbud der norwegifhen Sprache auf Sets
land“ 14) der Zukunft bewahrt zu haben. —
Der ortneyifce Rleinbauer mit einem Boot und der fbetländifche Sifcher mit einem
Heinen Brundftüd, wie John RX. Tudor in „The Orkneys and Shetland“ treffend den
Erwerbsunterfchied zwifchen Orkneyinger und Shetländer kennzeichnet, find alfo noch heute
Llorweger, wenn auch) ihre Sprache einem anderen Stamme, dem leltifden, angebört.
Aus Raffenhygiene und Bevölkerungspolitif.
Bayern. Mad den vorläufigen Zufammenftellungen des Bayer. ftatiftifchen Landesamtes
ergaben fic) fir das Jahr 1932 folgende wichtige Zahlen für die Bevälterungsbewegung:
Zbeichließungen Geburten Geftorbene GBeburtenüberfchuß
im Jabre 1913 48 438 207 487 126 136 $332}
"nn 199 55 240 140 356 96 796 43 660
» nn 1982 53 976 156 085 93 656 42 427.
Die Geburtensiffer ift alfo weiter gefunten!
Stalien befigt nach den Sefttellungen des italienifden Sorfders §. Srafetto 1532 206 Sas
milien von mindeftens 7 Rindern.
Gelegentlid der Seier der Gründung Roms wurden vom Gouverneur 6 Preife an
foldye römifche Ehepaare verteilt, die im Zeitraume der 4 vier Jabre 3 Rinder ges
zeugt haben. Jeder Preis beftand in der Verleihung eines Wobnbaufes.
Südafrilanifche Union. In einem neuen Belege der Südafritanifchen Union wird die
Reinhaltung und Verteidigung der weißen Kaffe gegen Dermifhung mit Schwarzen ges
fordert. Der freiwillige Gefdledhtevertebr zwifdhen TDeißen und Schwarzen, auch die
Vorfehubleiftung wird mit Gefängnis bis zu 5 Jahren beftraft.
Unfrudtbarmadhung Minderwertiger in den Vereinigten Staaten von
ordamerile. Wie die von %. 9. Lau gblin in Eugenical Mews Band 17, Fir. 5
veröffentlichte Zufammenftellung ergibt, wurden in den Vereinigten Staaten bis zum
J. Dezember 1931 insgefamt 15 156 Perfonen fterilifiert, davon durch Unterbindung des
Gamenftranges 6206, dur Raftration 372 Manner, durch Unterbindung der Kileiter
a durch Entfernung der Kierftdde 382 Srauen, 230 Perfonen durch Radiumfterilis
ation.
Unfrudtbarmadhung Minderwertiger in der Schweiz, Ranton Waadt. Auf
Grund des feit September 1938 beftebenden Sterilifierungsgefeges wurden 4)
Anträge auf Unfrudtbarmadhung an den Gefundbeitsrat geftellt, 25 wurden genebmigt
und 2) Unfrudtbarmadungen, vorwiegend an Sdhwadfinnigen, an Seit
VWovember 193) tann durch den Befundbeitsrat die Zuftimmung zu Schwangerfcdhafts»
unterbrechung aus erbgefundbeitliden Gründen erteilt werden.
Sterilifierungsgejet in Llorwegen. In Verbindung mit einer allgemeinen Strafs
cedhtsreform in Klorwegen bat ein Ausfhuß von Raffenbygienitern, Aczten, Juriften
und Soziologen die geieglice Regelung der Sterilifierung in Angriff genommen und als
Ergebnis folgendes Sondergeje entworfen: »
§ 3. fern eine Operation, deren Ziel die Unterbindung der Sortpflanzunges
fäbigleit einer Perfon oder die Beeinträchtigung ibrer Gefdhlecdhtafunttionen ift (Geruals
ration), nicht zweifelsfrei aus mediziniihen Gründen erforderlich wird, darf diefe
—** nur gemaͤß den Beſtimmungen dieſes Geſetzes vorgenommen werden.
6 2. Eine Serualoperation fann an einer Perſon auf deren eigenes Anſuchen hin
vorgenommen werden, fofern diefes Befuch hinreichend begründet werden kann. Fit die
14) £tymolo Ordbog over det norrone Sprog paa Shetland. Ropenh. 393).
= An — dictionary of the Norn language in Shetland. £ondon u.
Bopenb. 1928 f.
98 Volt und Kaffe. 1933, II
betreffende Perfon no nicht 23 Jahre alt oder geiftestrant oder geiftesfihwad, fo ift die
Genehmigung des Dormunds beizubringen.
§ 3. Geiftestrante Perfonen oder Perfonen mit mangelbaft entwidelten Geiftes-
und Seelenträften können fih auf Anfuchen ihres Dormunds einer Serualoperstion unters
ziehen, fofern Grund vorhanden ift für die Annahme, daß die Betreffenden nicht fähig
fein werden, durdy eigene Rraft für fi und ibre Madhtommen 3u forgen, oder daß ein
tranthafter Gemütszuftand oder ein beträcdhtlicher körperliher Schaden jid) auf die Flacdh-
tommenfchaft vererben, oder daß die betreffende Perfon auf Grund eines abnormen Ges
fhlechtstriebes Sittlichleitsperbrechen begeben könnte.
von Hilfsschul-
indern haben durch-
chnittlich
Die deutsche Familie hat
im Durchschnitt nur
Jn einer Familie der ge-
bildeten Schicht sind nur......... „19 Kınder
LF.
Wer pflanste fidy im deutfdyen Volke bisher bhinreidyend fort?
Goll das unfere Zukunft fein}
Line geiftestranke Perfon kann ohne ihren eigenen Wunfd oder ihre perfönliche
£inwilligung gemäß den Beftimmungen diefes Gefetzes nicht ferual operiert werden,
fofern Hoffnung auf Heilung oder wefentlide Befferung beftebt.
Line geiftesihwade Perfon foll in der Regel einer derartigen Operation nidht
unterworfen werden, obne daß fie es felbft wünfcht oder fic damit einverftanden erklärt,
es fei denn, daß fie die geiftige Reife eines Meunjabrigen nod nicht erreicht bat oder
anzunehmen ift, daß fie nicht erreicht werden wird.
Das Gefuh um Dornahme einer Serualoperation an einer geiftestranten oder geiftig
fhwad entwidelten Perfon fann audh von dem Polizeivorftand des Diftritts, in dem
die betreffende Perjon wohnt, eingereicht werden. Aat ie betreffende Perfon keinen feften
Wobnfig, fo tann die Polizeidirettion des Diftritts, in dem fich die betreffende Perfon aufs
bält, das Gefuch einreichen. Fit die betreffende Perfon im ocean Swangsarbeitshaus,
in Pflege oder in einer Erziehbungsanftalt, die unter öffentlicher Aufficht ftebt, jo kann das
1933, II Aus Raffenbygiene und Bevdllerungspolitit. 99
Se aaa ea ag Na oP a eS aD
Gefud gleidfalls von dem Vorfteber der Anftalt eingereicht werden. In den beiden bier
angeführten Sällen muß außerdem die Genehmigung des Dormunds beigebracht werden.
§ 4. Gemäß den Beftimmungen diefes Gelee foll eine Serualoperation nicht ohne
Genehmigung eines Sacdverftändigenrates vorgenommen werden. Diefer Rat beftebt aus
dem Eher des Medizinalweiens als Vorfigenden und vier anderen Mitgliedern, nämlich
einer Stau, einem Richter, einem Pfydiater und einem Arzt, der befonders Sachmann in
Dererbungslebre ift. Diefe 4 Mitglieder werden vom Rönig auf 5 Jahre ernannt. Der
Rönig ernennt au die Stellvertreter für jedes einzelne Mitglied und kann unter lims
ftänden beftimmen, daß ein anderer Arzt für kürzere oder längere Zeit das Amt des Dors
figenden (Chef des Medizinalwefens) übernimmt.
Der Sachpverftändigenrat beftimmt auch die Art des vorzunebmenden Kingriffs.
Er fdreibt aud vor, wann und wo die Operation vorgenommen werden, eo
wer fie ausführen foll. In der Regel foll die Operation in einem ftaatliden oder fommus
nalen Rrantenbaus vorgenommen werden, oder in einem Privattrantenbaus, das dem
Sadhpverftändigenrat für diefen Swed als gut belannt ift.
§ 5. In dem Sall, in dem zur Dornahme einer Serualoperation die Genehmigung
des Dormundes erforderlich ift und die betreffende Perfon nicht fhon einen Dormund bat,
foll der Chef des Medizinalwefens die Übernahme der Dormundfchaft regeln.
IR der Sachverftändigenrat der Anficht, daß der natürliche oder eingefegte Dors
mund nicht fähig ift, die notwendigen Erklärungen betreffs einer folden Operation abzus
geben, fo foll der Leiter des Medizinalwefens tge tragen dafür, daß für diefen Zwed
ein befonderer Dormund ernannt wird.
§ 6. be die Einwilligung zur Vornahme einer Serualoperation an einer verbeis
rateten Perfon gegeben wird, at dem anderen Ehegatten, wenn irgend möglid, Ges
legenbeit gegeben werden, fi über das Gefuh zu Außern.
§ 7. Der Rönig erläßt die näberen Beftimmungen, welche zur Durchführung diefes
Gefeges nod fie ndtig gebalten werden.
Der Abtreibungsparagraph foll folgenden Zufag erbalten:
„Die Tat wird nit als rechtswidrig angefeben, fofern fie von einem Arzt in Übers
cinftimmung mit der vom Rönig erlaffenen Verordnung ausgeführt wird.”
(Wad €. Suerfen, Archiv f. Go3. Hyg. u. Demogr. 1932, %. 5.)
Bejdhranttes Eheverbot fir Gendarmeries, Siderheitswacds und Zollwads
beamte in Öfterreich. Seit drei Jahrzehnten ftebt das ———— des Geburten⸗
rüdgange und des Dollstodes uber der gefamten germanifchen Welt. Don verfchiedenften
Verbänden und Gefelifdaften, von Regierungss und Staatsftellen, die den dauernden Wert
eines zablreihen und gefunden Klahwudfes für Doll und Raffe erkannten, wurden die
Tatfadhen des Geburtenrüdganges und feinen Solgen zu BDenkichriften zufammengefaßt.
Die Durdfibrung der vorgefhhlagenen Maßnahmen fcbeiterte allzuoft an Mangel bios
logifher Bildung der „Politiker“, denen ‚die Entfcheidung über die Vorfchläge zufiel.
Wie fehr notwendig die Ausbreitung lebensgefeglidhen Dentens vor allem in polis
tifhen RKreifen ift, wird tlar, wenn man den Gefegentwurf der öfterreichifchen Regierung
über ein befhränttes Ebeverbot für verfchiedene Staatsbeamte betrachtet. Der
wefentlihe Wortlaut des Entwurfes fei ungelürst wiedergegeben:
§ 3. Sür die Aufnahme als Beamtenanwärter der Dicwnswesk Gendarmericdienft,
SGiderbeitswadhdienft und Jollwacddienft ift außer den fonftigen für die Aufnahme in den
Bundesdienft und den für diefe Dienftzweige in befonderen Vorfchriften feltgefegten Dors
ausfegungen lediger Stand oder finderlofer Witwerftand erforderlich.
§ 2. (,) Angebdrige der im § 3 genannten BDienftzweige dürfen fi) während des
Dorbereitungsdienftes und während eines Zeitraumes von vier Jahren nad ibree Anftels
lung als Beamte nit verebeliden. Ä
(3) Ehemaligen Heeresangebdrigen, die unmittelbar in einen der genannten Dienfts
zwweige aufgenommen werden, wird die Dienftzeit als MHeeresangeböriger, foweit fie drei
Jahre Uberiteigt, in den im Abjag I angeführten Zeitraum von vier Jahren eingerechnet.
6 3. Das Dienftverbältnis eines Beamten (Beamtenenwärters), der fi dem in
§ 2 fetgelenten Verbote zuwiderlaufend verebelicht, ift von der Dienftbebdrde aufzuldfen.
§ 4 Die am wage des JIntrafttretens diefes Bundesgefeges bereits im Dienfte
ftebenden Beamten und Beamtenanwärter der im $ I genannten Dienftzweige fallen mit
der Maßgabe unter die Beftimmungen diefes Bundesgefeges, daß der zuftändige Bundess
minifter Beamten nad Ablauf von zwei Jahren der im $ 2, Abfag 1, feftgefetgten Stift
ausnahmsweife die Bewilligung zur Derebelidhung erteilen kann.
100 Volt und Kaffe. 1933, II
$ 5. Derebelidt fid ein Beamter der im $ I genannten Dienftzweige nach Ablauf
des im $ 2, Abjag I, feitgefegten Zeitraumes, fo bat er dies binnen 14 Tagen der Dienft-
bebörde anzuzeigen.
: $ 6. Mit der Vollziehung diefes Bundesgefetzes ift die Bundesregierung betraut.
Don der biologifhen Tragweite eines derartigen Gefetzes haben die verantwort:
lien Stellen fcheinbar keine Ahnung. Das Gefetz bedeutet nicht weniger als ein bes
Ihränttes Ebeverbot für eine mittlere — ibe fir die cine Befdrantung der Mad
tommenfadaft — denn das ift die Solge der Derordnung — vom raffenbygienifden Stand-
puntt auf feine Weife zu begründen ift. Das Heiratsalter diefer Beamtengruppen wird
danad im Durdjdnitte Baum vor dem 30. Lebensjahre liegen, was an den heutigen Derbält:
niffen gemeffen, eine durchfcdhnittlicdhe Rinderzabl von 1,8 in einer Ebe erwarten läßt. Durdı
serene des Dienftverbaltniffes bereits Verbeirateter, werden die Samilienväter u. U.
brotlos.
Anftatt der Uberdurdhfdnittliden Dermebrung der Minderwertigen wirkfam Einhalt
zu gebieten, erläßt man Gejetge, die die obnebin ftarke Gegenauslefe in geradezu ftraflider
Meife unterftügt.
Stellungnahme eines führenden katbolifhen Geiftlichen zur Unfruchtbar:
machung Minderwertiger. Kardinal Saulhaber, Münden, wählte „Die fittlihe Ord»
nung der Ebe als Wiedergeburt unferes Volkes“ zum Gegenftande feiner Predigt zum
Papftionntage am 12. Sebruar 1933. Ein
Bildung- großer Teil feiner Ausführungen, befon=
Kunst-Forschung ders der über den Geburtenrüdgang und
feine Gründe, lehnt ſich an die Seftitels
lungen und Sorderungen der Raffenbygi-
enifer an. Wie febr aber trogdem auch
beute nod bobe kirchliche Stellen in wirt:
lidbteitsfremden und individualiftifden Ge-
dantengangen eingefabren find, gebt aus
dem dritten Gebot von Abfdnitt 2 ber-
vor, das wir bier nach dem Wortlaute des
Bayriihen Ruriers vom 13. Sebr. 1933
Vir. 44 wértlid wiedergeben.
nbdas dritte Gebot der fittliden Ord-
Verkehrswesen
Wirtschaftspflege
muti, bey
Erziehung normaler
Fürsorgezöglinge
SR Ergiohung
a Minderwertiger
Geschlossene
Fürsorge
nung richtet fid gegen die fogenannte
eugenifdhe Raffenpflege.
Es ijt erlaubt, fagt der bl. Vater, Rats
idlage für eine gefunde Madhtommenfdaft
zu geben. £s ift aber nidt erlaubt, folden
Menfden, die nur eine erblidy belaftete
Nachkommenſchaft baben könnten, ent-
weder die KEbe allgemein zu verbieten
oder durch operativen Eingriff die natürs
lide Rraft zur Vaterfchaft oder Mutter:
fhaft zu nehmen, um dem Staate erblicdh
belaftete Rinder und Sürforgelaften zu er:
fparen. Hier fteben fib ein Recht
des Staates und die perfönlide
Sreibeit des Einzelnen gegen:
i über. In diefem Salle gilt das Recht des
Die Verteilung der Ausgaben der Provinz «Einzelnen, nicht durd den Staat vers
Niederjhlefien im Jahre 1929. 42,5% wuts ftümmelt zu werden. Man kann nicht fas
den für die „wirtichaftlid Toten“ ausgegeben. en, der Staat befinde fich in einer Art
otwebr gegen kommende Derbredyer und
unerfchwingliche Sürforgelaften. So lange andere Mittel vorhanden find, eine Lot abs
zuwebren und fie find vorhanden, fo lange darf der Staat nit zum Mittel der Der:
ftümmelung greifen. Die fittlide Ordnung verbietet die eugenifche Raffen>
pflege in diefem Sinne. Die Männer der eugenifchen Wiftenfchaft find ernfte
Männer und wollen aus einer großen Liebe beraus ihr Volk in vorbeugender Weife vor
1933, II Rleine Beiträge. 101
einer Überzahl von —— Geſchoͤpfen bewahren und alle Rinder als „wohl⸗
gebotrene“ in die menſchliche Geſellſchaft eintreten laſſen.
Wer den Standpunkt der Rirche gegenuͤber der Eugenik nicht verſteht, moͤge an die
ſogenannte Euthanaſie denken, die durch ſchmerzloſe Toͤtung die Volksgemeinſchaft von un⸗
belibar tranten und minderwertigen Gefddpfen befreien will. Auch der Minderwertige bat
ein Recht zu leben bis feine Stunde lommt. Und wem follte das Urteil zufteben, zu ente
{deiden, wer durch Eutbanafie vorzeitig aus dem Leben verabjdiedet werden foll.“
Wir erwidern nur: Gemeinwohl geht vor Einzelwohl! Gemeinnug geht vor Cigennug!
Bleine Beitrdge. . N 5
Deutfches Recht und Raffenbygiene. a
Deutihes Bet. Monatsichrift des Bundes (15S. Deutfder Juriften. Herausgeber:
RA. Dr. Hans Srant II, M. d. R., München.
Die Zeitichrift befaßt fich in einer Reibe von Auffägen mit Raffenfragen im Rahmen
cechtepolitiicher Erörterungen. Bei der Cinftellung, die man in diefen Dingen vom Llatios
nalfozialismus erwartet, erwedt die Zeitfchrift leider den Eindrud, daß fie in der Haupts
fadye von Außenfeitern und nur von wenigen Juriften von Sormat getragen wird. Es feblt
eine einbeitlidhe Richtung und der Aufbau auf einem tatfädhlihen Wiffen um die Dinge der
Raffenbygiene, Erbgefundbeitsiehre und Bevdllerungspolitit.
Das Heft ir. 6/7, Juni/Juli 1932 Penn! mit einem Auffag von Dr. rer.
pol. Gerhard Tifcher, Leipzig Über „Ebereht und Kaffe’. Er thet leider feine Ausfübhs
rungen einfeitig auf die Werte von £ §. Claus und unterfceidet daber mit diefem die.
Kaffen nad dem ihnen eigenen Stil des Erlebens. Obne die geiftreihen und anregenden
GBedanten Elauß’ im geringften angreifen zu wollen, muß dod bezweifelt werden, ob ges
trade von bier allein aus eine fruchtbare Bafis für eine raffenbewußte Rechtsgeftaltung ges
geben ift. Der Auffetg von Tifcher ift lediglich eine Wiedergabe Llaußfchen ee
vom „Eberedht“ ift bezeichnender Weile kaum die Rede. :
Bedentlich erfcheint im legten Abfatze die Sorderung der Ehefcheidung wegen Wefenss
iertum nad § 1333 BOGB., , wenn aus dem bloßen Lrlebenaftil der Ehegatten bervorgebt,
daß fie notwendig an einander vorbeileben müffen“. £s zeigt, daß alle Rechtsficherbeit
verlorengebt, wenn man in diefer Weile den Raffengedanten allein im Llaußfchen Sinn
in das Recht einbaut.
Demgegenüber ftebt der Auffatz von Dr. Serd. Mößmer, München, über „Dorichläge
zur Umgeftaltung der gejeglichen Unterbaltspflicht“ auf febr realer Grundlage und bringt
brauchbare und anertennenswerte Vorfchläge. Grundlegend für die Fleugeftaltung der
Unterbaltspflicht foll der Begriff der altgermanifchen Sippe fein, weshalb die Pflicht,
für einen zu feinem eigenen Unterhalt unfäbigen Dollsgenofjen zu forgen, weitgebender als
bisher die Biutspverwandtfchaft treffen foll. lack einigen Gedanten uber das Unterbaltss
recht der Ebegatten, werden Vorfchläge zur Gleidhberecdhtigung des unehelichen Kindes ges
madt. Beactenswert ift insbef. der Dorfchlag, die Harte der exceptio plurii dadurdh 3u
befeitigen, daß mebrere als Dater in Srage kommende Männer als Gejamtfduldner für
den Unterbalt des Rindes zu jorgen baben.
Auch der Auffag von Dr. Ebbardt, Stettin, fett mit feiner Britil an einem wunden
Puntt unferes Samilienrechtes ein: dem Verkehrsrecht des gefchiedenen Ehegatten mit feinem
Rinde, wenn ibm die Sorge für die Perfon des Rindes nicht zZuftebt.
Das Heft Wr. 8/9, Auguft/Geptember 1932 enthält in der Aauptface
einen Auffatz von Rupert Schumacher, Wien, über „Das Recht der Perfönlichkeit.” Im
Eingang wird eine kurze Überficht über die Aufgaben eines „Raffenredhts” gegeben und
„als Ziel und Zwed einer dem nordifchen Bedanten entfpringenden Raffenpolitit Sörderung
der Aufnordung und Hemmung der Entartung“ bezeichnet. Der Hauptteil enthält jodann
in Gefegesform einen umfaffenden Dorfdlag 3u einem Recht der Perfönlichkeit, der an
die auf diefem Gebiet bereits aus nat.sfoz. Kreifen vorliegenden Dorfdlage antnupfen will.
Während in der Theorie der heutigen Rechtswiffenfchaft ein Streit um die Criftens
von Perfönlichkeitsrechten, ihre WOefen und ihren Begriff ausgetragen wird, wird bier der
fhöpferifche Verfuch einer Zufammenfaffung und Lieugeftaltung diefer ganzen Rechts»
materie gemadht. Das ift das anertennenswerte und wertvolle an der vorliegenden ausführs
102 Dolt und Raffe. 1933, II
liden Arbeit. Daß an Stelle der „Sadye“ wieder die „Perjönlichkeit“ in den Atittelpuntt
unferes Rechtslebens rüden muß, wird vom Verfaffer richtig bervorgeboben. Mande
wertvollen Dorfchläge bat er in feinen Entwurf übernommen, 3. B. die Erridtung von
Samilienämtern, bei denen alle Zuftändigkeiten auf dem Bebiet des Perfonenregifterwefens,
des Eberechts, der Dormundfdaft und Perfonenaufficht, des Staateangebdrigtcits wefens,
der Adelsverleibung ufw. zufammenlaufen; fodann die Beftimmungen über die Derleibun
eines mit der Scholle verbundenen und auf dem Raffengedanten Fußenden Erbadels ah
den Gedanten Darrés.
£eider muß aber gerade die Art und Weife, wie der Derfaffer die Raffenfrage in Ans
get nimmt, f&bärffte Britit herausfordern, denn einzelne Stellen der Schrift zeigen von
dffsperwirtung, geringer Sadlenntnis und mangelndem Verftändnis für dte Mdgs
lipkerten :eiuen raffifchen Aechtsgeftaltung. Die „Aufnordung“ unferes Volles kann nur
die Aufgabg non Benerationen fein, die auf dem Weg bewußter Siedlungspolitit erreicht
„nr. pi, pher nithe Durch ein Befe, das von heute auf morgen den nidtnordifden Teil uns
127722 jenes Volteb geradezu als minderwertig bezeichnet und bebandelt. Auf die Einzelheiten
einzugeben, führt bier zu weit.
Mervorgeboben muß nur nody das eine werden, daß eine unnötige Verwirrung ent:
fteben kann durdy völlig falihe Anwendung von allgemein üblidyen Begriffen. So vers
wendet der Derfaffer insbef. dauernd den Ausdrud „arifh” als gleichbedeutend mit „nors
difh“ („Die Merkmale der Zugehörigkeit zur arifchen Kaffe find blonde Haarfarbe, belle
Augenfarbe, Kangiäligteit!*)
Banz befonders bedentlih feheint noch der ee. einer legalifierten „Lebenss
gefäbrtenfchaft“ neben der Ebegemeinfdyaft. Die dafür gegebene Begründung vermag die
großen Bedenken dagegen nicht zu bejeitigen.
Go ift leider der Auffag und Gefegesvorfdlag, den man an fic mit Sreude begrüßen
müßte, mit recht gemifdten Gefiblen aufzunebmen. Der Derfaffer bemübt fi auf raffis
fdhen Gedanken aufzubauen, verfagt dabei aber weitgebend. Jedenfalls follte der Auffat
— wie der Derfaffer felbft winfdt — anregen zu weiterer Arbeit auf diefem Gebiet. Er
m gerade in nat.sfo3. Reeifen VDeranlafjung fein zu Britifcher Beurteilung und Lms
arbeitung.
Seft go/y11, Dltober/Llovember 1932. In einem kurzen Auffat verfudht
Dr. rer. pol. Gerhard Tifcders£eipsig die Rernpuntte des fddpferifden Geiftes nationals
fozialiftifher Recdhtsgeftaltung zufammenzufaffen. Er fiebt die Lot unferes Dolles und
unferer Zeit in dem „Mißverbältnis zwifchen der Überfülle unferer fhöpferifchen Faͤhig⸗
keiten und der Einge der Rechtsformen, die berufen wären, diefen Säbigleiten Richtung zu
geben“. Vielleicht fiebt Tifher damit nur ein Teilproblem und nod nicht die größte Not
und Gefahr unjeres Volkes, die auch eine Redytsnot ift und in der Loslöfung des Rechtes
lebens aus den Lebensgefetzlichkeiten unferer Dollsgemeinfdaft beftebt. Das, was Tifcher
im Auge bat, ift dann wohl ein Teil davon.
Werbeihriften des Bundes Nationalfozialiftiiher Deuticher Juriften. Heft Wir. 3: § ae
milie und Steuer von Pollswirt Dr. Heuber.
Es ift dies das erfte Heft, mit dem der BAISDI. im Herbft 1933 die Reibe feiner
Schriften dber rehtlide und vollswirt{dhaftlide Sragen und Aufgaben des deutichen Volles
eröffnete. Es ift bedauerlid, daß diefes Heft nicht dem entfpricht, was man fid aus nat.s
fo3. Seder erwartet. Es läßt jedes, gerade in diefen Sragen unumgänglid notwendige
biologifhe Denken vermiffen; von einer Steuerpolitit im Sinn einer bewußt raffifchen
Auslefepolitit ift darin kaum die Rede. Ber Derfaffer lebt ganz in liberaliftifchskapitaliftis
fen Gedantengangen. Er fiebt den Menfden als Cinzelindividuum, dem durdy eine beffere
fteuerredtlide Gefeggebung gebolfen werden foll, nidt als Trager von Erbwerten, für
rt —— — rot fie wertvoll find — es die wirtidaftliden Dorausfegungen zu
affen gilt.
Die an und fir fid nur 34 Tertfeiten umfaffende Schrift enthält auf den erften Seiten
ledighidh durch Zablen belegte Angaben über den öffentlichen Sinanzbedarf in VDors und
Klachlriegsjabren, tiber die Höhe der Steuerlaft u. a. Im weiteren Verlauf wird zwar die
Wirkung der Steuerlaft auf die Kamilie bebandelt; das Rechnen mit Durdfchnittsziffern
durch fänıtlihe EZintommensftufen ift aber ein Sebler, der zu Irrtümern und Trugfchlüffen
führt. — Sür den Derfaffer ftebt trog mancher gegenteiliger Beteuerung ftatt der Samilie
doc immer wieder der Staatehaushalt und der Sistus im tiittelpuntt feines Dentene.
Er glaubt einen ausreidenden Laftenausgleich durch eine tNinderung der indirekten zus
guns der direlten Steuern zu erreichen. Daß dies allein einen Anreiz zur Erböbung der
1933, II Bleine Beiträge. 103
Rinderzabl, insbef. in den böberen Eintommensftufen nicht zu bieten vermag, dürfte eins
leuchtend fein. — Indem er die Samilienzulagen in der Beamtenbefoldung nur folange
billigt, als die Beiferung der mittleren und unteren Gruppen durch die Llotlage des Staates
nicht möglich ift, fehreibt er den typifhen Sag: „An fidh ift es aber eine Lingerechtigteit,
bei gleider en Schulung und £eiftung, den einen Beamten nur deshalb in feinen
Bezugen beffer zu ftellen, weil er Rinder bat.” Durd folde Sormulierung entftebt ein
falfher Eindrud, denn gerade in einem nat.sfoz. Staat follte doc der Gefidtspuntt der
Zeugung eines lebenstüdhtigen, raffiihd wertvollen Kahhwuchfes neben dem der genoffenen
Dorbildung und der geleifteten Sacharbeit im Beruf eine Berüdfichtigung erfahren. —
„Unverbeiratete und kinderlofe Dolksgenoffen find nicht deshalb höher zu belaften, weil fie
unverbeiratet und kinderlos find. Das mag auch weiterhin Privatangelegenbeit des eins
zelnen bleiben. Verzichtet er freiwillig auf das fchönfte Recht feines Menfchentums, fo ber
raubt er fic felbft unerfeglicher ideeller WDerte....“ Die Vertretung folder Anfichten
würde man in einer nat.sfoz. Werbefchrift lieber nicht finden.
Was in dem Heft volllommen fehlt, ift eine Auseinanderfegung mit den feit Jahren
emadten Vorfchlägen bekannter Raffenbygieniter auf dem Gebiete der Steuerreform, inss
ef. mit dem fic ganz auf dem Boden eines nationalen Sozialismus des Blutes bewegenden
Vorfhlag von Prof. Lenz. Diefen und andere wertvolle Vorfchläge zugrunde zu legen
und darauf fußend Vorarbeit für eine Steuergefeggebung im as taat zu leiften,
wäre die eigentliche Aufgabe des VDerfalfers gewejen, der dem Problem „Samilie und
Steuer” in keiner Weife gerecht wurde.
Heft Vir. 2, Eberedt von RA. Dr. Serdinand Mößmer, Münden. Diefes
Heft, das von einem belannten Juriften und Dorlämpfer des Eberedhts in der LISDAD.
gefchrieben ift, zeigt, daß in Wabrbeit im Liationaljozialismus Kräfte am Werte find,
die ihre Arbeit auf aa pen Denten aufzubauen verfteben. Die kurze Schrift kann
3wer nur als Überblid über die nat.sjoz. Grundgedanken auf dem Gebiete des Lberedts
und „als Anregung zu eigener Tätigkeit, zur Kritik und zu praktifher Mitarbeit” gewertet
werden. Was an the aber erfreulich ift, ift die Tatfache, daß fie getragen ift von biologifcher
Linfidt. — Der Derfaffer gebt aus von den raffifhen und erbgefdidtliden Vorauss
fegungen für die Ehefchliegung und ftellt Grundfage für die Rechtsgeftaltung auf, ohne
fih jedoch auf Einzelheiten einzulaffen. Dies muß Aufgabe umfafjenderer Sonderarbeiten
fein, die der Jurift nur in Zufammenarbeit mit dem erbbiologifch gefhulten Mediziner zu
Iöfen vermag. — Der VDorfdlag, die Wicdtigteit der Ehe dann für gegeben zu erachten,
wenn Sffentlide Intereffen, bloße Anfechtbarteit, wenn lediglich ein privates Intereffe
vorliegt, ift beachtlich. — Der zweite Teil des Heftes befagt fic mit einer Reform des Eher
fheidungsredhtes. Der marriftifhsjtdifhe Dorfdlag einer fog. ,cinverftdndliden“ hes
fdeidung liegt dem Mationalfozialismus fern; er bat im Gegenteil ,an einer weitgebenden
Derbinderung der Ebefcheidung ein erbheblides Intereffe’.
Man könnte nur wünfchen, daß der Bund nat.sfoz. Deutfcher Juriften in dem Sinne
diefer Abhandlung weitere Unterlagen und Vorarbeit für die Rechtageftaltung im nat.s
fo3. Staat leiftete!
Dr. Belmut Nicolai: Die raffengeleglide Redtslehre. Grundzüge einer nationals
fosialiftifen Rechtspbilofopbie. Llat.sfoz. Bibliothe® Heft 39.
Diefes vom ebem. Leiter der innenpolitifchen Abteilung der Reichsleitung der NS.⸗
DAP. verfaßte Heft ift eine ausgezeichnete Abhandlung, die die weltsnfchaulichen Grunds
lagen nationalfozialiftifher Rechtslehre aufzeigt. Man erkennt, daß es der ISDAP. als
Bewegung und „Rämpferin für die Durdjjegung der völtifchen Veltanfchauung” nicht um
die Anderung einzelner Gefege und Rechtsmaterien zu tun ift, fondern daß das gefamte
Recht, „das geltende Rechtsfyftem und die berrfchende Rechtsauffaffung“ einer Umwälzung
im Sinne einer neuen, einer taffengefetzlihen Rechtslehre barrt. In dem Elar und gemeins
verftändlich gefchriebenen Heft wird das deutfche Recht dem beute gebräuchlichen, auf
römifchsorientalifhen Redhtseinridtungen fugenden Recht gegenübergeftellt. Es wird die
Unridtigteit der berrfchenden und die Nichtigkeit der deutte redbtli en Rechtslehre nadys
gewiefen und dabei mit eingebürgerten, blutleeren Redtevorurteilen aufgeräumt. Cine
taffengefeglide Rechtstbeorie für Staates, Strafs, Döllers und Bewohnbeitsredht ftellt
das pofitive Ergebnis der Auseinanderfegungen dar. Am Schluß werden die „praltifchen
Sol erungen“ kurz zufammengefaßt, die ausklingen in den Worten: „...So wird das
Rect wieder [eben im Dolte und das Volk leben im Nechte.... Unfer Kampf aber aft
ein Rampf für das deutfche Recht. In ihm fei uns Zeitftern das Wort des Preußenlönige:
‚Menn die Gerechtigkeit untergebt, bat es keinen Zwed, das Menfden leben‘ .“
104 Doll und Raffe. 1933, II
An diefem mit tiefem Wiffen und grofer Gadtunde gefdhriebenen Heft follte tein
Jurift völkifcher Weltanfhauung voribergeben. Uber aud dem Laien ift fein Studium
wärmftens zu empfeblen. %. TH. v. A.
Buchbeſprechungen.
R. Bie: Das katkoliihe Europa. R. Voigtlaͤnders Verlag, Leipzig 1931. 340 S.
Preis Bart. ME. 2. bo, in Ganzleinen Mk. 9.50.
Gemeint iſt der roͤmiſch⸗katholiſche Teil Europas, nicht etwa ein rekatholiſiertes, unter
roͤmiſches Szepter gebeugtes Ganzeuropa. Der Verf., als Ratholik getauft und erzogen,
gibt einen außerordentlich intereffanten Überblid über die Grundlagen und das Werden der
römifchen Rirche, von Jefus bis zur Fleuzeit. Er betont, daß vor allem der germanifcdhe
Menih es war, der dur zwei Jahrtaufende gerungen bat um Gott und Religion, um
Chriftus und das Heil der Seele. Er weift darauf bin, daß der römische Bürger jüdifcher
Abftammung Paulus durdy feinen Sündenbegriff und durdy feine demotratifde Lehre, das
Ehriftus für alle Menfcdhen gleidherweife die ewige Seligteit errungen babe, fofern fie nur
ihre fündige Uiatur ertennten und durd Reue und Buße der Gnade teilbaftig werden
wollten, einen Reim gelegt babe zu dem fhweren Zwielpalt, der unfere Kultur und bes
fonders Deutfchland feitdem zerriffen babe. Ganz im Gegenfage dazu babe Chriftus, der
beroifche, adelig fublende, in feiner Gnadenwabl den AHerdenmenfaen, den feelif und
geiftig ftumpfen Haufen, aber auch die rein „Intellektuellen“, aus feinem Himmelreih und
aus der Gemeinfdhaft mit Gott ausgefdloffen. — Bie fpridt von dem „ungebeuren Mißs
verftändnis, Jefus Ehriftus fei für die Sünden der Welt geftorben und auferftanden“ und
von dem Irrtum „vom Opfertod des Heilands”, von der „jüdifchen Werkgeredhtigkeit”
und lagt, der „alte verbobrte und radfidtige Gundenbegriff” fei bei Paulus ein „untilgs
barer Reftbeftand feines Blutes“. Der Verf. betrachtet aud die Dogmen und Auffaffungen
der römischen Rirche nicht ohne Kritik, tadelt die Derweltlidung der Kirche, betont die
„Schwäche und Befhrantung der Kirche: die bloße Vergebung der Sünden gebt an dem
eigentlichen Weltverbängnis vorbei. Es ift keineswegs alles in Ordnung, wenn die Rirdye
durch ihre Satramente die Wenfchen bindet und Iöft. Denn es bleibt — auch vom Stands
puntte des Ratholiten — das Geheimnis jedes Hienfchen, jener von außen völlig unzugäng»
liche Bezirk feiner Seele, wie weit er vor Bott und fich felber beftebt. Weiß die Rirde
überhaupt ,ob ihre Bindes und Löfegewalt auh vor Bott gilt?“ — Mertwürdiger
Weife bezeichnet Bie die „adeligen Geftalten der Gotesftreiter” als ,Meifter ses romanifaen
Stiles“, die Chriften aber, die in Selbfterniedrigung, Elftafe und Abtdtung des ,,fisndigen
Steifches“ der Seligkeit teilbaftig zu werden offen, als Geftalten des ,gotifden Stiles”;
mic fdeint bier ein vdlliges Hligveriteben des feelifchen GBebaltes beider Aunftitile vors
zuliegen! — Bie glaubt, daß mit dem Schlußftein der Dogmentlirdye, nämlich der Unfehlbar⸗
keitserllärung, „Rom formal vollendet, geiftig abgeichloffen, dogmatifh erftarrt und ers
Baltet“ fei; es werde „durch den neuen jungen Wuds der Llation abgelöft“ werden, wie
ja das medyaniftifche Zeitalter abgelöft werden müffe von einem Zeitalter deutfcher Myftik,
deutfcher Seele. Der politifche Ratbolizismus babe „viel von dem deutfden Vertrauen
verfcherzt“. Verf. weift auf zahlreiche gefährliche Worte bin, die politifehen römifchs
Batbolifhden Schriftftelleen zur Laft fallen, wie Außerungen von Moenius (einem Geifts
lien!) „Der Ratholizismus bricht jedem Ylationalisums das Rüdgrat”“ oder „Das Dents
mal der Teutoburg ift das Wahrzeichen unferer Derneinung der Rultur“ ufw. Verf. glaubt
derartige Außerungen, obgleich fie in zablreihen Schriften und Reden nadhzuweifen find,
als recht harmlos abtun zu können, meint: „Diefer literarifche Ultramontanismus im Bunde
mit der Romanitas und im Bunde mit der Action frangaise darf nicht allzu ernft ges
nommen werden“ und das „Papfttum babe aud den Mut zum Eingriff in das politifche
Schidjal der Erde verloren“, fei „zum Schatten des Mittelalters geworden“ und jebe „mit
nn Geduld und wehmütiger Obnmadt zu, welden Untergang fih das criftlide
bendland fchwört“. Ich glaube, bier ift Derf. gründlih im Irrtum: man braudt nur
die Politik des Zentrums unter die Lupe zu nehmen, die Tätigkeit der „Batholifchen Aktion“
und das fpftematifche Vortreiben römifcher Intereffen in proteftantifche Länder zu vers
folgen, um die politifchen Gefahren zu ertennen, die von Bie überfeben werden.
Daf Shlugergebnis des Buches ift, daß Bie — in Solge feiner optimiftifchen
Zinftellung — die Stage feiner Einleitung: „Wird es einen nationalen Ratbolis>
1933, II Buchbefprechungen. 105
nn ———
zismus geben, der im Stande ift, (das verlorene Dertrauen) wieders
sugewinnen?”, eine Stage, von der er felbft fagt, daß von diefer „entfcheidenden
Stage nit nur der innere Sriede Deutfidlands, fondern der Beftand des latholifden
Europas überhaupt” abbänge, daß Bie diefe bejaben zu müffen glaubt. Zur Begründung
diefer Hoffnung weit er auf zahlreiche in der deutfchen Gefdhidte wirtfam gewordene
Deutide bin, die zugleich gute Ratboliten und obne jeden Zweifel gute Deutfche geworfen
feien. Er beruft fich weiter auf Außerungen von Männern, wie Moeller van den Brud,
Ludwig Klages. Uber wenn aud nod fo viele Einzelne durch die Stimme ihres Blutes
ftärter in ihrem Süblen und Aandeln beeinflußt werden, als durch tonfeffionelle Bindungen,
fo lange nicht der politifche, erobern wollende Ultramontanismus ausgefpielt bat, wird es
3u der feeliihen von Bie erbofften GBanzbeit des deutfchen Dolkes nicht Commen.
Die meint, man müffe fi mit Geduld und Hoffnung wappnen; und er bofft, in
engem Unjdlug an die Ectenntniffe Luthers, auf eine Lduterung des Chriftentumes zu
feinem urfprüngliden Sinn und zitiert Luther: ,Denn das Reih Gottes wird nicht
bereitet, fondern ift bereitet, die Rinder des Reiches aber werden bereitet, bereiten nicht das
Reich, das beißt, das Reich verdient die Söhne, nicht verdienen die Söhne das Reid.”
Damit fei der Rirche der legte Grund genommen, „die Seelen zu bereiten, die Sünden durch
Gnaden und Derdienfte abzulöfen, dur Opfer und Werke, durch Buße und Saften, durch
Revue und Gebet”; jede ,Lobnfudt und jeder Ne acer tee jede Werlgerechtigteit und
jedes Saltrament“ würden dann Gberwunden. Derf. fchließt fidh alfo an die Auffatfum von
der eee ay an: ,Ltiemand tann 3u mic tommen, es fei ibm denn von meinem Dater
egeben.“
. Ulur geftreift hat Bie eine wichtige Tatfadhe: daß im vslkifchen Gedankengut, in
der vdltifden Sebnfudt cin Außerft aktives religidfes Moment enthalten ift: das Wits
einbesieben des Bedirfniffes zum Dienft am eigenen Volle, 3um Dienft am Erbgut in die
Religion bat einen Weg aufgetan, der auch den Hoffnungen des Perf. Se”
. Rede.
£udwig Serdinaud Tlaub: Die nordifhe Seele. München 3932, I. S. Lehmanns Ders
lag. 2. umgearbeitete Auflage. Mit 16 Runftdrudtaf. Geh. ME. 3.50, in Leinen ME. 4.80.
Die Erfaffung der feelifchen Struktur der verfchiedenen Raffen gebört zu dem
Schwerften und andererfeits Wichtigften der ganzen Raffentunde. Claug ift bier bekanntlich
ein bedeutender Wegbereiter geworden. In dem — Buche ſucht er außer grund⸗
ſaͤtzlichen Klarſtellungen uͤber die Verſchiedenheiten im Ausdrucke und Stil der Raſſenſeele
die ſeeliſchen Weſenszuͤge der nordiſchen Raſſe herauszuarbeiten. Dieſe iſt vor allem ge⸗
kennzeichnet durch „Abſtand“ und „Ausgriff“. Unter „Abſtand“ verſteht Clauß die ſtete
Zuructhaltung, die der nordiſche Menſch egenuͤber Anderen zeigt und die er nie ablegt. Sie
aͤußert ſich in ſtarkem Einſamkeitsbeduͤrfniſſe, langſamem Ausſichherausgehen, ſcheinbarer
Ralte im Verkehr von Menſch zu Menſch. Mit „Ausgriff“ meint der Verfaſſer die Faͤhig⸗
keit, die Welt zum Gegenſtande ſachlicher Betrachtungen zu machen. Kriegeriſche und fried⸗
liche Entdeckungen, politiſche und geiſtige Erdumfaſſung ſind die Auswitkungen dieſes
Weſens. Um dieſen Typus klarer herauszuarbeiten, zeigt Clauß zum Gegenſatze an Hand
einer Reihe von Beiſpielen die Weſenszuüge der oſtiſchen und mittellaͤndiſchen Raſſe. Wenn
man von der Naturwiſſenſchaft herlommt, wird man zwar einen methodiſch etwas anders
aufbereiteten Stoff erwarten, als er hier geboten wird, trotzdem glaube ich aber, daß
Elauß in den meiften Sällen richtig gefeben und befonders das Wefen der nordifchen Kaffe
gut erfaßt bat. Jedenfalls gibt er wieder eine Sülle von Anregungen, die neben zahlreichen
ausgezeichneten Bildern das Buch fehr anziebend madyen.
Bruno RK. ShHulg, Minden.
3. 6. Grazer: Menfh, Gott und Unfterblihkeit. Gedanten uber den menfdliden
Sortidritt. Autorifierte Nberfegung aus dem Englifden von Dr. H. Scant und Dr. A. Thals
beimer, Anmertungen von Dr. 9. Sant. Mit e. Bildnis d. Derfaffers. Verlag €. £. Hirfdhs
feld, Leipzig 1931. XVI u. 364 S. Preis Bart. Mi. 6.80, Leinenband MI. 8.50.
Der Verlag, der vor einigen Jahren fon eine verkürzte deutiche Überfegung des
Sraser{hen Monumentalwertes „The golden bough“ berausgebradt bat (Beiprehung
in „Volt u. Raffe* 3. III, 1928, S. 187), bat fic aud mit der Oberfegung diefes Werkes
ein Derdienft erworben. Der weit über feine Heimat betannte Gelebrte gibt bier gewiffers
maßen die Quinteffenz feiner bee finfsigidbrigen vdllertundliden Sorfderarbeit, das
Wictigfte aus feinen wiffenfchaftliden Werten. Abfichtlich wird die ungebeure Sülle des
in langer Arbeit gefammelten Tatfachenmateriales bier Ubergangen und der Lefer, der die
Dolf und Raffe. 1983. April. $
106 Volt und Raffe. 1933, II
Grundlagen kennen lernen will, auf die Originalabbandlungen verwiefen; und fo enthalt
das vorliegende Wert nur die Schlußfolgerungen und Theorien, die der Derf. für die
wichtigften balt und denen er ein Belanntwerden in möglichft weiten Rreifen außerhalb
der Sahwelt wünjdt. In eindringliden Worten weift 5. zunädhft darauf bin, wie fid
die Dölkertunde, das Studium der früber fo mißacdhteten „Wilden“ und ihrer Gedantenwelt
zu einer überaus intereffanten Wiffenfdaft entwidelt bat, die allein uns Auffchluß geben
kann über die Entftebung der menfdliden Aulturen. Im erften Gaupttapitel werden die
Arbeitsmethoden und die widhtigften bisher geficherten Grundlagen der Völkerkunde ges
fbildert. Der zweite große Abjchnitt bebandelt die ungeheure anni faltigteit fozialer
Organifationen bei Völkern aller WDeltteile, wobei befonders auf den Tetmiamus und
feine vielgeftaltigen, oft Höhft mertwürdigen Auswirkungen eingegangen wird. Der dritte
und vierte Teil endlich beichäftigt fidh mit dem Derbhdltnis des primitiveren Menfden zum
Übernatürlichen, zu Bott und Göttern und Linfterblichleit; auch bier wird dem Lejer eine
ungebeure Sülle intereffanter Tatfacdhen, Deutungen und Schlußfolgerungen geboten. Alles
ift bier zu finden: Urfprung des Gottesbegriffes, alle Arten der Zauberei und ihre Ders
bindung mit der Wilfenfhaft, Weltiddpfun emytben, beilige dramatifche Darftellungen
und religidfe Tänze, Religion und Mufit, Cinfluffe orientalifder Religionen auf euros
pdifdes Chriftentum, Sortbefteben „beidnifcher“ Gebrduce und VDorftellungen, Ifiss und
Madonnentult, die Kraft des Tabu, Primitive Theorien vom Tode und von der Seele, Ders
ebrung und Dergdttlidung des Toten, Sterblichkeit der Götter, Opferung eines Gottes
zum Sei der Welt; kurz alles Widhtige, was fic tiber die Dorftellungswelt des primis
tiveren Menfden, über fein Derbältnis zum Ratfelbaftubernaturlicden fagen läßt. Wandes
in den Theorien Srazers ift heute in gewiffem Sinne überbolt — fo feine Ablehnung der
Anfcyauung, daß es felundär primitiv gewordene Völker gibt. Aber abgefeben von foldyen
Einzelheiten: bier gibt ein erfahrener Gelehrter, der die Kulturen und Völker der Erde
und ihr Werden durd die Jahrtaufende überblidt wie Wenige fonft, und der audy fdhon
den innigen Zufammenbang von Raffenfeele und Rulturart erkannt bat, in feifelnder
Sprade ein Gemälde von impofanter Größe; das Werk wird fid einen grofen Lefertreis
fihern und der idealen Wiffenfchaft der Völkerkunde zahllofe neue verftändnispolle Sreunde
gewinnen. ©. Rede.
Herbert GSNner: Dolks: und Raffenkunde der Bevölkerung von Sriedersdorf (Areis
Lauban, Schlefien). Deutfche Raffentunde, Bd. 9. Jena 1932, Guftav Sifder Verlag.
$3 G., 18 Abb., 17 Tafeln. Preis geb. ME. 9.—, geb. ME. 10.50.
Derf. fucht, von den verfchiedenften Seiten ber, fo von der Giedlungsgefdidte,
Tlamensforfdung, Bevdllerungsftatiftit und Raffentunde ber, ein möglidhft umfaffendes
Bild der von ibm unterfudhten Bevdllerung oes fdlefifdhen Ortes Sriedersdorf (Reeis
Kauban) 3u geben. Sriedersdorf wurde von deutfchen Roloniften, die vermutlih aus
Thüringen und Sranten kamen, Ende des 12. Jabrh. gegrimdet. Die Einwohner waren
urfprünglid Bauern, zu denen fid allmablid) Sausler, Gartner und felbitändige Hands
werter, vor allem Weber, gefellten. Heute haben wir nok eine dbnlide Schidtung der
Stände, nur find die Hausweber nun meift Arbeiter in sen Mafdinenwebereien. Die
familientundlide Unterfucdung seigte, a8 in den meiften Sallen innerhalb des Dorfes
gebeirater wird und fo ein erbeblider Grad von Blutsverwandtidaft swifden den eins
zelnen Bewobnern beftebt. BDiefe Inzucht führte zur Herausziehtung gewiffer Samiliens
typen. Degenerative Erfcdeinungen wurden nidt feftge(telle.
Die Bevdlterung ift ibren körperlichen Cigenfdaften nad fdlan’ und mittelhoch⸗
widfig — der Anteil Rleinwüchfiger (Männer unter 164 cm, Srauen unter 153 cm)
beträgt aber bei beiden Beidhledhtern etwas mehr als 1/5 (1) —, febr turztdpfig, befonders
im weiblichen Befdhledte, rundem „Hinterbaupte, ausgefprodhen breitgefichtig, mittelbreits
bis breitnafig, mit meift geradem Ylafenrüden. Braunes Haar und belle Augen berriden
bei beiden Guidledtern vor. Hdufigeres Dorfommen von dunkler Augenfarbe bei den
Scauen wurde im Gegenfage 3u einer Reibe anderer Bevdllerungsunterfudungen in Standis
napien, Klords und Suddeutihland nidt feftgeftellt. Leider verwandte Derf. zur Bes
ftimmung der Augenfarbe keine Augenfarbentafel, fo daß bier wabhrfceinlidh ein Beobs
adtungsfebler vorliegen dürfte. Unter den bisher in Deutfchland unterfucdhten Gruppen
tommen die Sranten in der Reuperbucht den Sriedersdorfern in den Mittelwerten der Maße
am nddften. Es bandelt fi offenbar um ein ähnliches Raffengemifh wie dort. Verf.
möchte es als vorwiegend alpin (oftifh) mit deutliden nordifchen und vermutlidem
dinarifhem Einfdhlage bezeichnen. Auf ie ndbere Unterfucdung der einzelnen Weidteils
mertmale gebt Derf. fo gut wie gar nicht ein. Flady den beigegebenen Typenbildern, die
1933, II Buchbefprechungen. 107
leider technifch nicht befriedigen (fie find zu Bein, oft unfcharf, felten in: gleicher Kiorm),
läßt fich befonders bei den nnern ein deutlicher dinarifher Einfhlag an Ropf, Gefidtss
und Llafenform feftftellen.
Die Angabe von Indices in mm (3.8. S. 6), 62, 63, 65), fowie die Bezeichnung
AHeinrid I. als Befieger der „Hunnen“ find Unadtfamteiten, die in einer wiffenfchaftlichen
Derdffentlidung nidt vorfommen dürften. Bruno R. Schulg, Münden.
ermann Güntert: Deuticher Geift. (Acft 4 der „Baufteine 3. Volkstunde u. Religiones
wiffenfdaft; berausgegeb. von Eugen Sebrle.)
Ein Aufruf ,dsucid sue Matur’ in geiftigem und völkifchem Sinne, in drei Dors
tragen, die tulturs und fpradgefdhidtlid 3um Teil Kleues und Selbftändiges bringen und
zugleid als Dorfpiel zu einer größeren Arbeit des VDerfaffers „Der Urfprung der Gers
manen” gedadt find.
3. Dortrag: „Die Rache der Klatur.” Die fchöpferifche Arbeit des Sorfchers und Ers
finders bat zur fortfchreitenden Tehnifierung von Arbeit, Arbeiter, Lebensführung, zum
Benten in ,tonfervativen Rulturwerten“, in „ismen“ und Schlagworten („entleerten
Wortbülfen“) geführt. Sernab ift die Klatur gedrängt. Aber fie beberrfcht uns: fie rächt
fidh, da wir fie nicht anertennen. Doch wenn wir fie achten und fuchen, wird fie uns belfen,
den erkrankten Doltstörper zu retten. Ibm fchaden die internationalen und „allgemeins
ültigen” Schablonen. Das erftarrte abgeftumpfte Denten und Süblen muß wieder in den
Deimatlien Boden eigenen Vollstums verfegt werden — lebendiger deutfcher Beift ift not.
2. Vortrag: „Das Wefen des deutfchen Beiftes als Solge feiner Erbanlage”“ entwidelt
die Entftebung des Volles der Germanen; Perf. nimmt zwei Romponenten an: JZunddft
fei die anfäffige Jägers und Sifcherbepälterung (u. a. Rödenmöddinger) in den weftliden
Oftfeeländern durch die „Hünengräberleute“ unterworfen worden, die von Süds
fhweden getommen („Beine Stuben“gräber) und ibrecfeits ein Ableger des weiteuropäifchen
BRulturkreifes (Südfrantreih, „Menbir“sDentmäler) gewefen feien. Urfprünglich kuͤhne Er⸗
oberer, verwudfen fie eng mit ihrer Scholle. Diefer „Bauernadel“, fdwer, 34b, arbeitfam,
mit muttertümlidem Rult und erdgebundenem, diesfeitig bezogenem Denten fei in der
jüngeren Steinzeit von einem nordindogermanifchen Stamm („Streitart“gräber)
unterworfen worden, tampfluftigen, in die Weite ftrebenden „Diebzüchtern“, mit Gefühl
für das Unendliche, für eine lichte Jimmelswelt, Derebrer eines gewaltigen Rampfgottes.
Die beiden Adelsididten Hatten fid in gedeiblidem Mebeneinanderleben und in inniger
Verſchmelzung zu einem feßbaften Wolf mit der Sprache der Aerrenfchicht ergänzt. Die
Gegenfage batten fic nidt ganz ausgleichen laffen, und dies erkläre den eigenartigen Volles
&aralter der Germanen, die außerordentlide innere Spannung, den Kebensdrang als
„dauerndes Spiel entgegengefetter Rräfte“. Der alte Rämpfergeift äußerte fich in langs
famem ftetigem Rolonifieren, und glüdlicherweife fei das Vordringen nah Süden ducdy
den „Reltengürtel”, das blutsverwandte Volt, gebemmt gewefen, das an der fudländifchen
Rultur faft reftlos verpufft fei. So fei die Annäherung der Germanen an den Süden nur
langfam geiheben, doch die Fleigung, im Sremden das Beahnte erfüllt zu feben, blieb als
unbegreifliche, martoverderbende Sehnfucht nad dem Süden im Blute des Germanen. —
Diefe Theorie des Verf. ftebt nody durchaus unter dem Einfluß der beute nicht mebr
anertannten Annahme einer Einwanderung der „Indogermanen“ aus Alien; ırgendein
fpradlider oder raffifher Begenfag zwiichen Rijötenmöddingers, Himnengrdbers und
„Menbir"s£euten ift nicht nachweisbar; es bandelt fi alfo nur um Völlerverfchiebungen
innerbalb desfelben Raffens und Rulturkreifes.
3. Vortrag: „Die deutfche Sprache ale Ausdrud deutfcher Art und Gefhidte.” Das
Wort (die engfte Verbindung einer Vorftellung mit einem Lautzeidhen) ift nicht bloß
ere Sergetnee fondern — und Vorbedingung fuͤr hoͤheres Denken. Be⸗
riffsworte ändern die Grenzen ihres Umfangs dauernd, find kaum bei den einzelnen
Äitenfcben, gefebweige denn Völkern gleich, haben verfchiedene Sonderbedeutungen, löfen
Flebenvorftellungen perjönlicher Art aus: der Hörer muß aus eigenem Seelenbefig binzus
tun, um 3u — Die böchften Begriffe find nidt oder nur unzulänglid ausdrüdbar
und fordern des Dolksgenoffen tätiges Entgegentommen. Wie es keinen allgemein
leihen Wenfchengeift gibt, ift Reine „eine Sprache” möglid, fondern viele, ganz vers
Fipiedene Sprachen find lebendige Ausdrudsformen des Geiftes ebenfovieler Voller. Die
deutfche (Schrifte)Sprade wird als ein Werk dargeftellt, an dem im Kaufe der Gefhidte
alle deutiden Einzelftämme mit ihrer Eigenart zufammengewirtt haben. Die dseutide
Mutterfprade ift alfo lebendiger Ausdrud deutfchen Geiftee. Eide.
3°
108 Vol und Aaffe. 1933, II
Sp A TI —
Adolf Knöbl: Unterfuhungen in drei nordmähriihen Dörfern (Benke, Liebesdorf,
Steupfein). Antbropologifche Unterfuchungen in den Sudetenländern, herausgegeben von
3B. Brandt und O. Broffer. Bd. I. Derlag Deutfd. Gef. Wiff. u. Rünfte f. d. tſchecho⸗
flowatifde Republit. Rommiffionsverl. Sifdher, Jena 1933. 69S. 13 Taf. Preis ME. 16.—.
Die Unterfucdung erftredt fid auf drei Ddrfer des mabrifden Dorlandes der Ofte
fudeten, gutsberridaftlide Grimdungen, zuerft genannt am Ende des 34. Jahrhunderte.
Der 1. Teil gibt Hinweife auf die Lebensverbaltniffe, der 2. enthält die anthropologifde
Darftellung.
Die Bevölkerung ift überwiegend bäuerlich, angefeffen. Bente hat den bödhften Anteil
an Dauern, dazu Hausweber, neuerdings aud Sabritarbeiter. Steupfdein beherbergt
Zwergbauern und Arbeiter. In LKiebesdorf bat die Serfegung des Dorfbildes durdy Llieders
ee Stadtbe(haftigter begonnen. Liebesdorf und Bente waren nod vor kurzem Webers
er.
Die Lebenslage ift mübevoll und anfprudelos. Die Wohnverhaltniffe find nur bei
den Bauern räumlih und gefundbeitlid zZureichend, den Webern dient meift eine einzige
niedrige Stube als Arbeitss, Wohns und Schlafraum für die ganze Samilie. Sehr einfach
ift auch die Ernährung, beim Bauern etwas beffer als bei den anderen Berufen. Die uns
gleiche berufliche Umweltwirtung bei Bauern und Webern tommt deutlih in der Rörpers
entwidlung zum Ausdrude. Ein trauriges Rennzeichen ift aud die Tubertulofeftecblidteit :
bei den Webern beträgt fie etwa 1/, aller Todesfälle, fonft bedeutend weniger. Seltene
Rrantheiten find Gicht, Zuderkrantheit, Merventrantheiten, Gefdledtstrantheiten, baufig
Magentrantheiten. BDiefe DVerbältniffe erklären fi wefentlih aus der Lebenss und cs
naͤhrungsweiſe.
In den letzten 30 Jahren iſt ein ſtarkes Abſinken der Beburtenziffer zu verzeichnen.
Die mittlere Rinderzahl ift 2,37. Benke und Liebesdorf find faſt rein deutſch (6,1 bzw.
1,90/0 Tſchechen), Strupſchein iſt faſt rein tſchechiſch (1,00/0 Deutſche). Familiennamen
seigen a der Nationalitaͤt an, Deutſche haben Namen tſchechiſchen Urſprungs und
umgetebrt.
Unterfucht wurden zufammen 157 Manner und 147 Srauen im Alter über 18 Jahren.
Das Mittel der Rörpergröße ift für die Männer 166,8 cm, die Srauen 153,8 cm. Die
Bevölkerung gehört zu den Meinften unterfuchten deutfchen Gruppen. Die Sculterbreite
der Männer if 22,0%, der Srauen 22,9% der Rörperhöbe. In der Ropflänge, Mittel der
Männer 187,5 mm, der Srauen 178,2 mm, näbert fidy die Bevöllerung den Miesbacdern
Rieds. Die Breite ift beträchtlich, Männer 159,5 mm, Srauen 153,2 mm, der Inder dems
entfprechend bod, 85,9 mm. Die Gefidtsform ift mittels bis breitförmig, die Llafe der
Männer in hoberem MaKe breitförmig als die der Srauen. Der Durdhfdnitt it mittelbreits
nalig. Das Obr ift unter den europäifchen See groß. Helle Haut, ebenfo belle Augen
find bei Srauen feltener als bei den Männern (Auge: 52 3u 75%), dunkle Augen find in
17 bzw. 50% vorhanden. Die Haarfarbe ift vorberrichend dunkel, die Srauen duntler als die
Männer. Schwarzs und Kotbaarigleit fommt nidt vor.
In der Rörperbhöbe, den Ropfs und Gefichtsemaßen haben die Weber niedrigere Werte
als die Bauern, au im allgemeinen Ernäbrungszuftande ftellen fie gegenüber den Bauern
eine Minusvariante dar.
Auf Grund der Verbindung einer Reibe von Merkmalen unterfcheidet Anöbl drei
Kolaltypen: der eine im wefentlihen fehlant» und fchmalwüchfig, heller als der Durdfchnitt;
der zweite Bleiner, breitwücdfig; der dritte Meiner als der erfte, [malwidfig, oft mit
fladhem Hinterbaupte. Die Beurteilung diefer Typen im Sinne der Ronftitutionsfrage
wird einer anderen Arbeit vorbehalten. Die drei Typen machen zufammen 56%, alfo nur
einen Bruchteil der Unterfucdten aus.
Erdrtert werden fiir alle Meckmale die Unterfdhiede zwifchen den drei Dörfern, die
meift beträchtlich find.
Die Arbeit zeichnet filh durch fachliche Darftellung aus. Die Deutfche Gefellfdaft 8.
wiff. u. Rünfte f. d. Tichedh. Republik plant eine antbropologifche Aufnahme des ganzen
fudetendeutfchen Gebietes, die vorliegende Unterfuhung ift der erfte Beitrag dazu. Die
Beigabe der Originalmage ift unter diefem Gefidtepuntte befonders zu begrüßen, da durch
fpätere Beiträge angeregte neue Srageftellungen auch an dem bereits veröffentlichten
Material überprüft werden können und damit die Beurteilung des Gefamtmateriale auf
einbeitlicher Brundlage erfolgen fann. Aus dem gleihen Grunde ift aud die reihe Auss
ftattung mit Typenbildecn fehr erfreulich. Miöge der Buchführung des großen Planes im
nterefte der antbropologifden Sorfdhung Erfolg befdieden fein. Mm. Hef
1933, II Budbefprechungen. 109
Bernhard Kummer: „Die deutfche Ehe. Begegnungen und Befpräcde über dem Chaos
der Zeit.” Leipzig 1930. Adolf Rlein, Verlag. 304 5. Geb. Wet. 3.—.
Derfaffer hätte das Buch vielleicht beifer „deutfche Liebe“ genannt, denn es ift darin
zwar aud von Ebe, mehr aber nod, wie er felbft zugibt, von Liebe und Leben die Rede.
Derfaffer entwirft in erzäblender Sorm Züge einer fehr idealifierten Licbe und be, die man
etwa deutfchsproteftantifhd nennen möchte. Sie ftrablt und mahnt um fo mebr, als
fie auf dem Hintergrunde des Rriegsendes gezeichnet wird, als die Todgewohnten in eine
Heimat tamen, die fidh in Ausfchweifungen nicht genug tun konnte. Wenn alfo auch nicht
gerade „die“ deutfche Ehe, fo doch für unfere Jugend ein ganz vortrefflides Bud. A.V.
Big: Blätter für germanifhes Weistum, mit Beilage „Llordungenblätter”. rag.
von Georg Grob, Rig Verlag, weinfurt. 6. Jabrg. 1933. — 7. Jabrg. 1932.
Die Zweimonatfdrift wirkt für artgemäße —— von Geiſt und Seele, fuͤr
das ſeit uͤber zooo Jahren dem Deutſchen mißgoͤnnte artechte Glaubenstum, und wehrt ſich
dagegen, daß fremde Reiſer auf dem Stamm unſeres Volkstums bluͤhen ſollen.
In den vorliegenden zwei Jahrgaͤngen ſieht man unverdroſſene Weggenoſſen und
Führer ein ehrliches Stuͤck deutſcher Arbeit leiſten, der entwurzelten deutſchen Seele „den
Mutterboden zu finden, den Schutt wegzuraͤumen, den klaren Quell zuzuleiten“, Feindliches
aufzuzeigen und abzuwehren: der Glaube muß „aus der tieferen Beſinnung auf das, was
in uns Religion iſt“, leben. Auf „gelehrte Rekonſtruktionen“ und Lehrgebaͤude wird ver⸗
zichtet. Selbſt die Abhandlung „Welches iſt die neugermaniſche Glaubenslehre?“ (Groh)
belehrt vorwiegend durch Eroͤrterung und —— chriſtlich⸗, unentbehrlicher“ Be⸗
griffe, wie Suͤnde, Erloͤſung, Tod, vom Germaniſch⸗Geſchauten her. Daß „der Urquell
germaniſchen Seins verſandet iſt (Sterling)“, daß „das Germanentum in den Bannkreis
der Ideen von Naturverderbnis, Suͤndhaftigkeit, Erloͤſungsbedürftigkeit“ geraten mußte,
wird von Groh immer wieder als Grundurſache des ſchweren deutſchen —* bins
eftellt: In „SHerbft über den Abendland“, wie dem on Germanentum der Weg
Binab zur Unterwürfigleit „gewiejen“ wurde, zur Loslöfung des Einzelnen von der Stams
mesgemeinfchaft, in „Aube vor dem Sturm”, daß die Lage des Volles unter dem Drud eines
fremden Wirtichaftslebens zum Zerreißen gefpannt ift — der Ruf nah dem Seutfden
Staat: „Jedes Wirtfchaftsleben ift Ausdrud eines Seelenlebens (Spengler)“. — Den vers
I&hlagenen „Tyrannen‘Bängler, der das Zermürben des Volles begann, zeigt Grob bei feiner
unbeimlich geieäftigen beutigen Tätigkeit in den ungemein reichhaltigen und ftatiftifch
wertvollen Artiteln: „Die katbolifche Aktion“, „Rircye und Preffe”, „Ratbolifche Preffe und
Jugenderziebung”, „Der Sreibeit eine Gaffe“. Auch mit den Stimmen aus dem bunten
evangelifhen Lager fett er fich auseinander, 3. DB. in „Bottferne Gottesgelehrte”. Bes
mertenswert find die vielen temperamentvollen Bucdbefpredhungen, aud von kaum alls
gemein gelefenen Werten).
Aus der Sülle der Mitarbeiterbeiträge feien genannt: A. Drews „Lobengrin” (von
gewohnter Tiefe: Lobengrin oder Elia erlöfungsbedürftig? Der einfame Wagner) und
„Mithraismus und Chriftentum’, ferner A. Bonus „Zur altisland. Kiteratuc’, Stecling
„Aaffe, Raffenfeele und Rultur“, B. Rummer „Sturmreife Rirdye“, Burtert „Heinrich der
Löwe“ (müßte in Scullefebücer!) u.a. m.
Mit den Auffägen „Religionen des fernen Oftens” und „Muttertümliche Welts
anfdauung“ (zu Bergmanns Buch) leitet der Herausgeber zur Arbeit auf eigenem Gebiet
über, und hier treten ürfehüt, Diergug, Wachler u. a. an feine Seite zur SGerausarbeitung
des Germanifden in Voltsfeele, Doltstum, Doltsemund. Ein wefentlider Schritt ift bier
Stürfhüug’ Arbeit: „Urreligion als Lebensgrundlage“, die aud als Gonderdrud erfcdienen
ift und etwa die Reibe „Mutter Klatur — Mutter Germania — Mutterfeele des Einzelnen”
entwidelt. Draltifde Wege babnt Piergug an in „Derbältnis von Rirdye und Schule in
der deutichen Befchichte” und „Heimatglaube und Schule”. Hier ift der Weg, den auc das
lante WMonatsbeiblatt des Rig ,3ur Wehr und Werbung“ fördern möge, zum Zus
ammen wirlsn aller, die unfer Abnengut im Volle weden und vermitteln wollen: den
Müttern für die Rleinen, den Lehrern die Acranwadfenden — es ift bobe Zeit! Die .
jet beranwadfende Generation überlommt es nody immer nidt von —— an.
r. E.
1) Aus einem großen tatholiſchen Werk uͤber die Preſſe wird folgender Satz Prof.
Dopifats zitiert: Die katholiſche Preffe fei „eines der ftärkften Mittel gegen (sic!) die Ders
maffung des Menfchen und die Rlifchierung der Seele”.
110 Volt und Kaffe. 1933, II
Martin Staemmier: Raffenpflege im völkifhen Staat. Münden 1933, I. S. Lebmanns
Derlag. 126 S., ı Taf. Preis geb. ME. 2.20, geb. ME. 3.20.
Unter Zugrundelegung der widhtigften Ergebniffe von Vererbungslebre, Lebenstunde,
DBevdlterungspolitit und Raffentunde gibt Staemmler in kurzen Inappen Zügen einen Aufs
iG der dringendften Maßnahmen, die für die Erbaltung des deutfchen Volkes in der Rids
tung auf tidtige Erbmaffe und gute raffifche Beichaffenbeit feiner Dollsangebdrigen nots
ae find. Seine Maßnahmen find kurz gelagt: Ainausdrängung alles Dollsfremden,
Unterftügung der Vermehrung und Lebensfabigteit der Erbtüdtigen, Unterbindung der
DVermebrung der Erbtranten. In diefer Richtung baben famelide Einrichtungen des Staates
fowohl Redtswefen wie Schule, Bildungswejen und Wirtfchaft und ferner Außens und
Innenpolitik zu treten. Die Dorfchläge, die zum größten Teile au fon von anderen
maßgebenden Raffenbygienitern aufgeftellt wurden, find oft bart, werden aber im Hinblide
auf ihre un Widıtigleit und Klotwendigleit nit zu umgeben fein. Sebr erfreulich
ift es, daß Staemmler in der Raffenfrage eine ausgefproden pofitive Stellung einnimmt
und eine befondere Unterftügung jener Raffenteile, die für den Beftand und Aufftieg unferes
Doltes befonders widtig find, fordert. Seinem Vorfchlage, Judenmifchlinge, deren einer
Großvater Aalbjude war, in die deutfche Doltsgemeinfchaft aufzunehmen, tann man aus
vererbungswiffen(daftlidben und grundfägliden Gründen nidt zuftimmen. Abgefeben
von diefem Mangel an Solgerichtigkeit, die gegenüber anderen fremdraffigen Cinfdlagen
aud von St. gefordert wird, ift das Buch in feiner Rürze und Rlarbeit und durch den
Sreimut des Belenntniffes eine wertvolle und erfreuliche Bereicherung unferes Schrifttums
auf diefem Gebiete. Bruno RK. Schulg, Münden.
B. Weinert: Urfprung der Wenfhheit. Ober den engeren Anfdlug des Menfdens
gene an die Mienfcdhenaffen. Stuttgart 1932, Verlag Serdinand Ente. 322 Abb.
II und 380 S. Geb. Mi. 23.—.
Ber Verf. verfuct bier in flüffigem, audy dem gebildeten Kaien verftändliddem Stil
auf fehr breiter Bafis den Beweis für feine Abftammungstbeorie zu erbringen. Die Beweis
führung befchräntt fidh nicht nur auf paläontologifches Material — wobei auc die neueften
Sunde ausreidend gewürdigt werden —, fondern verwendet au zablreiche anatomifche
und pbyfiologifche Tatfadhen, 3. B. Interorbitalbreite, Stirnböblen, Derbältnis von Ges
birns und Gefichtsfhädel, Umbildung der Zähne und Kiefer, Os centrale der Hands
wurzel, Buumenfalten, dugeres Obr, Geftaltung des Aortenbogens, Cigentumlidteiten im
Bau der Mustulatur, SerumsDiagnoftit; auc die geiftigen Ligenfdaften dec tNenfdens
affen werden mit ecinander vergliden. Die Merkmale werden ausführlid erörtert und
daraufhin geprüft, in wie weit fie Schlußfolgerungen auf die Derwandtfchaft des Menfden
mit Menſchenaffen ergeben, wobei aud ibe ontogenetifder und phylogenctifder Ents
widelungsgang berüdlicdhtigt wird. Zablreihe gute Abbildungen zeigen die wichtigften
Tatfaden, befonders finnfallig und gut verftändlich find viele grapbifche Darftellungen.
Der Derf. tommt 3u dem Ergebniffe, daB fid vom Stamme der niedrigen Affen im Dlis
o3an der damals nody einheitliche Stamm der Antbropoiden abgetrennt babe; von dieſem
Babe fi febr bald der Gibbon, etwas fpdter der Orang gefondert, um ihre eigene Ents
widelung cingufdlagen; erft im Pliocan fei es dann 3ur Trennung von Gorilla, Schimpanfe
und Menfd getommen; Menfd und Sdhimpanfe ftinden fid verwandtidbaftlid am
nédften. Als Zeit der Menfawerdung — alfo als die Periode, in der fic der tNenfd aus
dem mit dem Schimpanfen gemeinfamen Vorfabren entwidelt babe — fegt VD. mit Recht
das frübe Dilupium an; nidts fprade — fur einen Tertidemenfden. Und bes
suglid des Ortes der Menfdwerdung betont W., dag man fidh den Raum nidt zu Mein
vorftellen dürfe; die Menjchbeit fei natürlich nicht aus einem Paar gezeugt, fondern aus
der Dormenfdenbevdlterung cines ganzen Gebietes allmäblich entwidelt worden. Und
was den Erdteil anlange, 5 dürfe man Europa als Urbeimat de3 Menfden durdaue
nidt ausidliefen, im Gegenteil fprdachen die Sunde am ebeften für diefen Erdteil.
Den Ausfabrungen und SdhluGfolgerungen ftimme ich in der Hauptiade durdhaus 3u,
aber einige Einzelheiten fheinen mir anfechtbar zu fein; es fei davon nur Solgendes erwähnt:
W. baut feine Anfdauung, daß der Drang fih verbältnismäßig früh abgetrennt babe und
daher dem Utenichen weniger nabe ftebe, bauptfädhlidh auf der Behauptung auf, daß dem
Orang edhte Stirnbdblen Feblten, die für die Gorilla⸗Schimpanſe⸗Menſch⸗Gruppe typiſch
feien. Kun bat aber ©. Rleinfhmidt (Sig.sBericht Fir. 3, 1932, I des REES For
f. Weltanfchauungstunde in Wittenberg“) mitgeteilt, daß er s Brangfchädel durdjagt und
bei allen at „Siebbeinzellen und echte Stirnböblenbildungen“ gefunden babe; der Lats
beftand muß alfo zweifellos an einem größeren Material nadhgeprüft werden. — In den
1933, II Buchbefprechungen. 111
Retonftrultionszeichnungen des Pithecantbropuss (Abb. 59) und des SinantbropussSchäs
dels (Abb. 64) ift der Torus occipitalis viel zu fpig und damit die Abbiegung des
Planum nuchale viel zu f&harf gezeichnet; eine derartig fcharfe Ede ift unnatürlidh, jchon
aus ftatifden Grinden unmdglid und findet fic bei teinem Anthropoidens oder Menfcens
ſchaͤdel. In der Weinertſchen Zeichnung Abb. 58 ift die betreffende Rontur viel richtiger,
voller gewdlbt. — Zum Vergleiche hatte auc der außerordentlid menfchenäbnlidhe Ober»
armtnoden des Sdimpanjen herangezogen werden können. — Der Derf. bätte ftärker bes
tonen können, daß bei allen beute lebenden Menfadenaffen eine größere (am ftärtften wohl
beim Gorilla) oder geringere Entwidlungsrichtung zurüd ins Fierifche feftzuftellen ift; fie
find tierähnlicher, als ihre Dorfabren, 3. B. in der Entwidelung der Edzähne, in der über:
mäßigen Entfaltung der Schädellämme und der Gebißmuskulatur. — Llicht übergeben
möchte ich, daß Weinert mit erfreulicher Offenbeit auch eine Stage anfdneidet, die fid bei
der beftebenden naben Derwandtichaft zwifchen Menfh und Schimpanfe von felbft ergibt,
namlidy die Srage nach der Möglichkeit einer Baftardierung zwifchen beiden; WD. halt diefe
durchaus nicht für ausgeichloffen und tritt dafür ein, daß von wiffenfchaftlicher Seite ent»
fpredyende Derfudhe gemadt werden, wobei natürlidd der Schimpanfe den weiblichen Teil
3u ftellen und die Befrudtung auf fünftlihem Wege zu erfolgen hätte. Derartige Baftars
dierungsverfudhe wären zwar für die Abftammungsfrage nicht entfcheidend, aber obne
Zweifel fehr intereffant und außerdem für die Vererbungsforfhung von grofem Wert.
W. betont, daß fich alle bisherigen Berichte über das Dortommen gelegentlicher Baftarde
im afritanifchen Walde als Sabel erwiefen batten, mindeftens batte fid troy sablreider
von Negern ftammender Erzählungen kein Sall nacdhweifen laffen. ©. Rede.
Raffle und Geift. 4 Vorträge von Sranz Weidenreid, Srantfurt a. M.; OO. Peters,
Jena; Ecenft Keetidmer, Marburg; Walter Goek, Leipzig. Verlag J. A. Barth, Leipsig 19332.
78 &. mit 36 Abb. im Tert. Preis kart. ME. 3.75.
Man begegnet mitunter der Erideinung, daß Rinder oder einfache, in Mienfchens
betradhtung nicht geichulte Leute plöglidh unerwartete Abnlichleiten zwifchen Mienfchen bes
baupten. Wenn man dann dem Grund der Behauptung nadgebt, berubt der Abnlidteitss
eindrud meift auf dem oberflddlicben Aufgreifen eines einzigen Außerlichen Miertmals, 3. 3.
eines gleidhben utes oder einer Barttradt, kurz irgendeiner Llebenfächlichkeit, die dem
Britifchen und forfchenden Blid in Solge ihrer offenfidhtlichen Zufälligkeit und Unwefentlichs
keit als „ahnlich“ gar nicht bewußt geworden wäre. An diefe Erfdeinung wird man uns
willtürlid durdy die Umfchlagfeite der vorliegenden Schrift erinnert, auf der groß die
Profile Sriedrihe des Großen und Ramfes von Agypten prangen. Daß auf dich Weife
der Eindrud weitgebender Abnlichkeit beider Rdpfe vor dee Offentlicdleit erwedt werden
foll, wird gleich zu Anfang des Auffages von Weidenreich beftätigt, der erklärt, die beiden
Aöpfe „verblüfften durch ihre Übereinftimmung in Bebirnfchädels, Gefidtss und Llafens
form”. Vergleicht man jedoch die dem Tert beigegebenen Abbildungen derſelben Roͤpfe, ſo
iſt die Abereinſtimmung weniger „verbluͤffend“ als Bluff, denn die einzige „Ahnlichkeit“
beruht darauf, daß beide Roͤpfe, wie das bei Mumie und Totenmaske nicht anders zu er⸗
warten, uͤber der knoͤchernen Unterlage ſtark eingeſunkene Weichteile und daraus folgend
beſonders ſtark vorſpringend erſcheinende, im Ganzen gebogene Naſen zeigen. Im Ubrigen
aber weiſen Schaͤdelform, wie Woͤlbung des Schaͤdeldaches, Bau des Ohres, der Mund⸗
ſpalte, der Stirn⸗Naſenlinie, des Unterkiefers, kurz alle Einzelheiten, wie auch die Geſamt⸗
verhaͤltniſſe die groͤßte Verſchiedenheit auf, die auch jeder halbwegs urteilsfaͤhige Laie be⸗
merkt. Wir müffen diefe Tatfache deshalb fo eingebend hervorheben, weil fie für Methode
und Beweisführung der Brofchüre im Ganzen, wie des Auffages von Weidenteich kenn⸗
zeichnend ift!
| In dem erften Dortrage ,Die phyfifden Grundlagen der Raffenlehre”
verfucht 3unddft §. Weidenreich die Raffen mehr als „geograpbifche Varietäten“ zu
begründen. Er führt als Sinweis auf die Sraglidteit dea wiffenfdaftliden Raffendegriffes
uw. a. das Dortommen leptofomer und euryfomer Ronftitutionstypen bei Mongolen und
Auftraliern an. Und fpridt von allmablidh fic entwidelnden ,Jwifdhenraffen® swifden
Lang» und Rurzidädeln, die nidt etwa auf Grund von Raffentreuzung, fondern einer forts
laufenden Entwidlung von der primitiven Ropfform des Vieandertalers zur Bradylephalie
entftanden feien. Die dazu auffteigende intereffante Srage, warum fic die mebr kurzkoͤpfigen
mongoloiden Raſſen ſchneller zu dieſer „fortgeſchrittenen“ Form entwickelt, dagegen die an
der abendlaͤndiſchen Rultur ſtark beteiligte nordiſche Raſſe ſich laͤnger auf dem „primitiven“
Zuſtand erhalten habe, laͤßt Weidenreich allerdings offen. Die Auffaſſung, daß Langſchaͤdel
gleich Langſchaͤdel und Friedrich gleich Ramſes ſei, ſcheint bei ihm ebenſo feſt vorausgeſetzt
112 VOR und Kaffe. 1933, II
zu werden, wie das Llichtbefteben einer fozialen Auslefe in der raffifhen Zufammenfegung
eines Doltes. Ein felbitändiges Hiendeln der Gene und die daraus folgende Kombination
von Rurzihädel mit beller Haars und Augenpigmentierung fceint ibm ebenfo neu, wie
ibm das Aeranszieben der AHunderaffe des Dobermann einmal als Beifpiel fur die Uns
beftdndigtcit, das andere Mal für die Beftandigteit dea Raffebegriffes keine Schwierige
keiten madıt.
Daß W. Peters, Jena, im darauffolgenden Auffay über „Raffenpfydbos
logie“ die von ihm aufgeworfenen Sragen „ob es pfydifche Raffenunterfchiede gibt“ und
„ob etwa beftebende Linterfchiede, angeborene, auf dem Erbwege woeitergegebene find“,
wie er felbit eingangs feftftellt, weder mit Ja nod mit Ylein beantworten kann, berubt
wohl darauf, daß Peters troß Anziebens zahlreicher ameritanifher Autoren weder die
immerbin von einem Pfiycologen erwähnenewerten Bücher von Ludwig Serdinand Elauß
nod die fur diefes Gebiet einfabh nicht zu überfebenden Zwillingsunterfucdhungen von
Jobannes Lange 3u kennen fcheint.
Im dritten Dortrage „Benie und Raffe* behauptet €. Rretfchmer zunädıft,
daß in Arbeiten über Kaffe der „Autor die Derberrlidung feiner eigenen Raffe ... mit
fheinbar wiffenfchaftliden Mitteln anftrebe”, und tritt dann fehr lebendig für die Anficht
ein, da8 die ,nordifd-alpine Raffenmifdung’ der eigentlid tulturfddpferifcde Sattor und
daß das langfame „Llordwärtsporrüden der deutfchen Rultur .... mit der... . ftärkeren
alpinen Durdmifdung Florddeutfchlands verbunden fei.“ (Was einer gewiffen Romit nicht
entbebrt.) Da der Derf. fic dabei auf die ,Stammesbertunft* der verfchiedenen großen
Denter und Dichter beruft, offenbar aber deren Raffenzugebdrigteit erdrtern mödhte — alfo
leider Dollstumsbegriff und Raffe verwedfelt —, vor allem aber — was bei dem Perf.
von „Rörperbau und Ebaralter“ erftaunt — kein einziges Bild der genannten Männer
beigibt, bangen aud die Solgerungen diefes Auffatzes einigermaßen in der Luft.
Der Rern des Schlußauffages von W. Goeg, Leipzig, ift der vom Verf. zitierte
Sat eines „verdienten Raffenforfdhers Pater Schmidt aus Wien“: „Die Seele als foldye
bat keine Kaffe.“ lun fteben ja Dinge als foldye immer jenfeits von Zeit und Raum, ebenfo
wie ,die Dferdbeit als Begriff“ — wie man ein modernes Gemälde hieß — wenig GBemeins
famteit mit dem Bild eines echten Pferdes bat. KHatürlih bat „Seele an fih” ebenfowenig
eine Kaffe wie „Rörper an fih“. Und do würden alle Autoren von GBoeg, Leipzig, bis
Weidenreih, Srantfurt a. M., beobadten, daß 3. B. Vertreter des auftraloiden oder nes
groiden oder vorderafiatifdben Raffentreifes, felbft wenn fie feit Generationen in einer
anderen Umwelt, meinetwegen Deutichland, aufwüdfen und fih vor Einbeirat ins Wirtes
volt bewabrten, ebenfo wie fie körperlich troß aller Anpaffung ihre raffifche Herkunft nicht
verleugnen könnten, audy von ihrer feelifchen Wefensart, ihrer Art zu denken und die Dinge
3u beurteilen von der Beiftigkeit ihrer Raffe nicht lostämen.
Sufammenfaffend ware zu fagen, daß trotz gleicher Zielfegung — nah Bor: „die
Befeitigung der unbaltbaren Vorurteile” „völkifcher Raffentheoretiter”, nad Weidenreih:
„an Stelle von Raffenfpiclereien und Zerklitterungen mebr den Menfden als folden 38
werten“ — die Arbeiten der Einzelnen, abgefeben von logifden Widerfprischen in fic felbft,
fid auc gegenfeitig widerfprehen. So wenn Rretfchmer und Peters den Raffenbegriff
felbft grundfäglidh anerkennen, während Weidenreich und Gorey ibn als bereits überwunden
binftellen. Im Übrigen ift man ebenfo wie in der Schlußziebung, fo aud im Austeilen
von Werturteilen allgemein redht großzügig. Man fpridt etwas mitleidig von dem
„franzsfifhden Literaten“ Graf Gobineau und dem ,badifden Journaliften” Ammon, fagt
gelegentlich fhliht „Hans Günther“ und führt als Aronzeugen „fo unantaftbare Sorfcher
wie Sri Rern in Bonn“ und noch einmal „den Ausiprud eines durchaus wiffenfchaftlichen
Raffenforfders (1) Prof. Srig Bern” ins Seld, ohne fidy zu erinnern, daß Kern, der nur
Prof. für Gefhichte ift und als „Dilettant“ ein Bud über „Stammbaum und Artbild
des Deutfchen fhrieb. in diefen Dingen nicht mehr und nicht weniger Sadımann ift ale der
„Literat“ Bobineau und der „Zahnarzt“ Röfe. Übrigens ift Bor keineswegs Antbropologe,
fondern ebenfalls Aiftoriter; alfo auf raffentundlidden Gebiete Laie!
A. Arnoldfen.
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PRRERERORTERERRS
UTOPIA
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an eingeschicktem Blu ofen. Einzelun
RM. 5.—. Versan chen und
Dr. med. Wilhelm Hilsinger, Berlin-Lankwitz
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Die nordifche Geele
Bon Dr. Ludw, Ferdinand Clan}
2. umgearbeitete Auflage. Mit 16 Kunjtdoructafeln.
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lauf unterfucht den Stil der nordiichen Seele in allen Bezirken ihrer Leidenjchaft, im feujchen
WUbjtand der Scham, im Gejtändnis der Liebe, im Zweilampf der Schwerter, im Schweigen der
Rede, im Scherz und Wik. Die Unterjchiede und Grenzen des feeliihen Verjtehens aus dem
Geijt der Rajfen, ihre Verbindung zum germanifchen Typus, der aus nordiichen und daliſchen
Anlagen gleichmäßig gemiſcht iſt, ihre Trennung vom mittelländiſchen und oſtiſchen Typus möge
man in diefem Buch der Beiſpiele und der lebendigen Anſchauung nachleſen, das ein Deuter
und Geher geichrieben hat, aber auch ein Philofoph der Kamera, dem der Blid für die
norbiiche Gejtalt aufgegangen it — jei es im Schwarzwald oder art der Nordjeeküjte oder tm
tdanlande, unter frtefi}cjen Fifchern oder Beduinen. Die Weite diejes Blids hat unter den
lebenden Rafjeforjdern feiner jo wie Ludwig Ferdinand Claus. Deutjche Zeitung.
Mufif und Kaffe
Bon Richard Cidenaner
Mit 40 Bildniffen und 90 Notenbeifpielen.
Geh. AM. 7.50, Lwd. AM. 9.—
Eine Mufikgeichichte, die die Tonfunjt Europas, vor allem aber die deutjche Mufif unter dem
Sejichtspunft der Rajjenfunde zu betrachten unternimmt. Dank einer ſehr guten Kenntnis der
dorhandenen einjchlägigen Literatur und einer lebendigen Darjtellungsgabe entjtand ein Tejens-
wettes Buch, das in der Gleichjegung ‚‚nordifcher‘‘ Komponijten mit tiefjchürfender Gedanfen-
mufif und „dinarischer” Tonfeger mit fröhlihem Mufifantentum einen einleuchtenden und frucht-
baren Gedanken zur Erörterung jtellt.
Brof. Hans Joahim Mojer, Dir. d. ftaatl. Akad. f. Kirchen- und Schulmufif in Berlin,
Eihenauer ift durchaus tein Nafjenfanatifer, er ift viel zu jehr SKünftler, der auch jene Kunft
anerkennt, die feinem eigenen Empfinden vielleicht gelegentlich fremd ift. Gein Buch gibt uns
biele Auffchlüffe und ijt ein feinjinniger empfehlenwerter Führer durd) die Geheimnijje des
Schaffens unjerer Meijter. Die Mufit.
Eichenauer fteht ja jdon als Erforfcher der Zufjammenhänge zwijhen Najje und Mujif am erjter
Stelle. Nun hat er fein reiches Wijjen in einem prächtigen Werf zufammengefaßt. Cr ftellt alle
unfere großen deutſchen Tontiinjtler in ihrem Schaffen vom rafjijchen Gejichtspunfte aus bar.
Wher aud) Mujif, die aus ander3 rafjischem Gefüge erjproß, wird aufgezeigt und in Vergleich
geftellt. Richt nur befte Abbildungen unjer größten deutjhen Tonfünftler, jondern aud) zahlreiche
Motenterte zieren da3 Buch. Möge e3 in die Hände vieler deutjcher Mufikfreunde fommen; jie
werden aus ihm jo manche wertvolle ganz neue Auffajjung gewinnen. Deutiche Zeitung.
SOCRUEEEREECAECHESTENOCRHURGHCORERETRCCTRCRARR RETRO ERT RE REDE AR ERED SOHRE RE RRRRGER DRO R EERE ARERR CREE EER EERE ERE CERESENECERSEREERERECHEEDR TEETER SESEEREEE TENOR ERE REE E®
3.9 Zcebmanns Derlas / Münben 2 SB
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Haltbares „Ballungs - Test“ - Serum zur Gruppen- |
m je Iccm A, B und O RM. 10.—. |
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Ein Buch von Abenteurern, Entdedern und Gelehrten
Soeben erjdien unfer Dfterbud:
Große Forjchungsreifende
Vor Swald Banfe
Profeffor für Geographie an ber Tedin. Hocdichule Braunfchmeig.
Mit 62 Abbildungen. Geh. AM. 7.50., Lrvd. AM. 9.40
Diejes Buch Handelt von Tatmenjdjen, die Großes gewagt und für die Menjchheit —
jelten für fic) — Großes gewonnen haben. Ein ihnen geiftesverwandter Foricyer hat
e3 gejchrieben, ein Mann, defjen Forjchungstrieb ihn jelbit in bie fremden Länder und
Erdteile geführt hat, Ewald Banje, der „Seograph von Geblüt, ber Dann, der das Unglaub-
liche fertig gebracht hat, die Geographie interejjant zu machen.“ (Dr. Stapel im Deutfchen Bolkstum.)
Gs find feine gewöhnlichen Lebensbefchreibungen, bie uns hier geboten werben. EB
find fachlich richtige, felfelnde Darjtellungen einer Anzahl von bunten Lebensläufen unter
Dem bejonberen Gejichtspunft jeeliicher Aufhellung der Charaltere, Dies Iebtere erjdeint
um jo mehr von bejonderem Wert, einmal weil das bei Reijenden noch nie getan worden
ijt, und dann, weil uns Menjchen von heute die Bereiche des Seelijchen immer wichtiger
werden. Banje dringt tief in das Wejen der von ihm dargeftellten Forjcher ein, mit
großen Freude Täßt er die Lichtfeiten glänzen, die er an feinen Helden entbedt, er
berichweigt aber auch nicht ihre Fehler. Darum wweichen feine Ergebnijje auch hie und
da bon ben Borftellungen ab, die at3 landläufig gelten ; mandher, 3. B. Kolumbus, verliert
erheblich von feinem Glorienfdein, in bem ihn wohl die meilten bisher gejehen haben.
Dad ganze mit prächtigen Bildern geihmüdte Buch ift wieder ein echter Banje,
farbenreid) und eigenmwillig in der Sprache, neu und eigenartig in ber Behandlung
des Stoffes, e3 ijt ein begeiftertes Lied auf Wagemut und Tatfraft, Forichergröße und
Mannestum.
Ein Streifzug Dur den Inhalt:
Der Entdeder. Die Macht der großen Perfönlichkeit / Ähnliche Jugendentwidlung großer
Männer / Die geborenen und die zufälligen Entdeder / Der Mbenteurer und ber
Stromer / Die Jagd nah Glüd und Reihtum / Der Stubdienreifende / Der Tod
Eduard Vogels.
Entitehung und Entwidlung der Forjdhungsreijen. Das Weltbild der Levantehanbels-
und ber Welthandelszeit / Antife und altarabiihe Reifen / Mittelalter / Die Wilinger /
Die Oftfahrten im Banne bes Lepantehandel3 / Zeitalter der Entdedungen und Beginn
der mwiljenjchaftlichen Forfchungsreifen / Das 19. Jahrhundert.
Marto Polos tragiiches Forfcherjcdhidjal / Bartolomeo Dias und Vasfo ba Gama /
Was Kolumbus wirklich geleijtet hat / Mtagellans Tod bei feiner tollfiihnen Erdumfeg-
lung / Die Rußland: Fahrten des Freiherrn von Herberjtain / Wie James Cook das
britifche Weltreich begründen half / Die beiden Foriters / Kariten Niebuhr / Pallas,
der Erforicher Ruffofibiriens / Seefen und Burchard, die ,Mohammedaner” unter
Mohammedanern / Humboldt, der Neifende, Gelehrte und Künjtler / Hornemann
Gaillie, die erjten Saharareijenden / Die drei aroßen eifejcdhrijftiteller Fallmerayer,
Kohl und Gregorovius / Eduard Pöppig / Der Abenteurer und Foricher Franz Junge
huhn / Wie Livingjtones Schidjal die Welt in Atem hielt / Heinrich Barths Afrika»
reifen / Gerhard Rohlis: Offizier, Arzt, Frembenlegiondr, Gliidsjager — Entdedungs-
reifender / Nacdhtigal und der. Sudan / Wie bas bdeutiche Volk feinen Hermann von
Wihmann nicht verftand / Ferdinand von Nichthofen und China / Georg Schweinfurth /
Stanley3 Lebendgang vom Armenhausfnaben bis zum Kriegs- und Senjationsbericht-
erjtatter, mirtjchaftspolitiichen WUgent und ForjchungSreijenden / Die Emin-Pajfcha-
Grote3te / Friedrich Rabel / Nanjen, der nordiiche Wiling und gütige Menjchenfreund /
Die Anziehungskraft der Polargebiete / Roald Amundjen, ber legte Forjdhungsreijenve,
fein Glüd und tragijches Ende.
S. $. Lebmanns Vevlas / Minden 2 GB,
Berantwortlih für die Säriftleitung von „Volk und Kaffe” : Prof. Dr. O. Reche, Leipzig und Dr. Bruno 8. Schulg, Diünken:
Berantwortlid fiir ben Anzeigenteil: Guido Haugg, Münden. IE Verlag: 3. F. Lehmann, Münden:
Druk von Dr. F. P. Datterer & Cie Dlünden.
of. Kaffe
SIahegang Heft 3 om —Geft3 Juli (Heumond) 1933 (Heumond) 1933
Entweder— Oder
Wachsendesgi, Volk 1910
uber 65. Greise
45-65 IR SA Allereleute
8 © &
15-45 J. ION (xen Frwachsene
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6-15 5, ki ae Me Jugend
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Männlich 7430000 Kinder Weiblich
Schrumptendes Absterbendes
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Männlich 7070000 Kinder Weiblich Männlich BO DOD Kader "Weiblich
Bevölkerungs-Aufbau Deutschlands
Sriftleitung: Dr. Bruno K. Schul&, Mündyen
© 9.§.Lehmanns Verlag, München
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Volk und Raſſe
Illuſtrierte Monatsſchrift fuͤr deutſches Volkstum
Raſſenkunde Raffenpflege
Heitfchrift des Reichsausfchuffes für Voltsgefundbeitsdienft und
der Deutfchen Gefellfchaft für Rafjenbygiene.
yer a usgeber: Prof. Aichel (Kiel), Dr. Atel (Minden), Prof. Baur (Nindeberg), Reiche: |
minifter R.W. Darr& (Berlin), Min»Rat$ebrie (Heidelberg), Med.:Rat Gütt (Berlin), Kultus: |
;
minift, Hartna de (Dresden), Reidhsfiibrer SS. Him ml er (Minden), Prof. UtoLlifon (Minden),
Prof. Mud (Wien), Prof. Red) e (Leipzig), Prof. Rudin (Münden), Dr. Ruttke (Berlin),
prof. A Schulg (Königsberg), Dr. W. Schulg (Görlig), Prof. Shulge: MTaumburg
(Weimar), Prof. StaemmIer(Chemnig), Dr. Tir ala (Brin), Dir. De. Zei ($rantfurt a. ML.)
Schriftleiter: Dr. Bruno KR. Shulv, Minden
Meubauferftraße 51/3.
8. Jahrgang Heft 3 Zuli (Heumond) 1933
Inhalt: |
Yn die Lefer von „Bolk und Rafle“ . . . — Seite 113
Die biologijde — des — Volkes. Bon Dr. — Gottlieb
Tirala, Brünn. . . als
Reben oder Sterben der deutfchen Ration. Bevölferungepoltit, — Ge
bot der Stunde! Yon Medizinalrat Dr, Gütt, Berlin . . » 1163
Rafjenkunde, Bererbungslehre und Rafjenpflege als EEE * Deuter |
Erziehung. Von Dr. Bruno K. Schulg, Münden . „ 122}
Fiafjenbild: Deutjches Ehepaar -. . . . noe „ 125 |
Whnen- und Stammtafeln in BEENDEN: Gon Mintiterialrat Dr. Hans Sores |
München. Mit 5 Abbildungen . . „ 126
Aus Rafjenhygiene und Bevilterungspolitit, Reicsinnenminiter Dr. . Grit |
fordert Rafjenfunde in der Schule . . . „ 132 ı
engen: eS el ye et se ye ee » 133
NC eg ig Serge Tan bc. eh pe aunts a „ 136
Be uttspreis vierteljährlich RUN. 2.—, Einzelbeft RI. —.70, Poftfcheditonto des VDerlages Minden 129;
ugepteis Poftfpartaffentonto Wien 595.04; Pofticedtonto Bern rir. Ill 445; Keeditanftalt der
Deutfchen in Prag, Krakauer Gaſſ⸗ sı (Poftfchedtonto Prag 627 30).
I. 5 Lebmanns Verlag / Münden 2 SW. / Paul Heyſe⸗Str 26
ir machen unſere Lefer auf den diefer Nummer beiligenden Profipelt , Nene Grundlagen |
Der Raſſenſorſchung“ des Adolf Klein Berlageds, Leipzig S 3 befonders aufmerfjam.
Dolf und Raffe, 3. Fabry. 1933, Deft 3
I. $. £ebmanns Verlag, Minden
Der Derlag behält fidy das ausfchließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor.
An die Lefer von „Volk und Kaffe".
olf und Raffe wurde im Jahre 1926 gegründet, um der ungeftüm vors
— waͤrts draͤngenden jungen Wiſſenſchaft der Raffens und Vollstumstunde
ein Stuͤtzpunkt zu ſein, fs nad beftem Ronnen und Wollen zu fördern, ihr neue
Anregungen zu ernfter Sorfhung und zielbewußter Aufllärung zu bieten.
Pyeute find unfere tubnften Hoffnungen übertroffen, Wünfche, die man kaum
zu Außern wagte, erfüllt. Mit der fiegreichen nationalen Revolution hat fic aud
der Raffegedante durchgefegt. Ein weitaus unermeßliches Seld der Betätigung
eröffnet fic der Raffentunde und der Raffenpflege. Alle, die fehon bisher troy
nie Hiachteile und Anfeindungen mit heißem Herzen und unerfchrodenen
utes fur diefe Gedanken eingetreten find, haben nun freie Bahn vor fidh. Huns
derte werden fich ihnen freudig anfchließen und mithelfen, die Bewegung macht:
voll vorwärts zu treiben.
Der Weg ift bereitet, die Anmarfchftraßen gefchaffen, nun beißt es aufzus
bauen und praltifche Arbeit zu leiften, zum Wohle unferes Dolles und zur Sides
rung feiner Zukunft.
„Volt und Kaffe“, fchon bisher in vorderfter Reihe unter den Wegbereitern
raffifchen Erwachene, betrachtet es mebr denn je als feine Sendung, den überall
bervorbrechenden, nach Betätigung und Erfüllung trachtenden Aräften Sinn
en diel zu geben, fie in fefte Bahnen zu Ienten, ihnen den richtigen Weg zu
weifen.
Mir wollen und wir müffen nun, nachdem das Kis gebrochen ift und die
Begriffe Raffe und Raffenpflege in ihrer Bedeutung erlannt und aus unferem
Stastsleben nicht mehr binwegzudenten find, praßtifche Arbeit leiften.
Fyierzu bedarf es vor allem eines Organs, das frei von bemmenden, in alten
Anfdhauungen verharrenden Anfichten, unterftügt von den Dorkämpfern der Bes
wegung, ztelbewußt feinen Weg gebt. Cs muG in der Lage fein, zu den Zeits
ereigniffen Stellung zu nehmen, wichtige Entjcheidungen zu beeinfluffen und
vorzubereiten.
Wir haben uns daher entfchloffen, „Bolt und Kaffe‘ von diefem Hefte ab
monatlich erfcheinen zu laffen, das Serausgeberkollegium umzugeftalten bzw. zu
ergänzen und den Inhalt den Bedürfniffen der Zeit anzugleichen.
An der bisherigen bewährten Zufammenarbeit zwıfchen den verfchiedenen
Mitfensgebieten, die mit Raffentunde und Raffenpflege in Beziehung fteben, foll
aud in Zukunft feftgebalten werden. Die uns erwartenden Aufgaben erfordern
aber eine ftärkere Berudfichtigung von Arbeiten über Raffentunde, Raffenpflege
und Erblichkeitsforfchung.
Die Umgeftaltung des Blattes, die im allfeitigen Einvernehmen zwifchen
Schriftleitern und Verlag erfolgte, veranlaßte leider Herrn Prof. Dr. Rede in
Leipzig, mit Rudfict auf die Örtliche Entfernung feines Wobnfitzes und die zabl«
reihen Aufgaben, die dort feiner barren, von der Schriftleitung zurüdzutreten
und die Alleinverantwortung Seren Dr. Bruno RB. Schulg zu überlaffen.
Wir fprechen Aerrn Prof. Rede für feine aufopferungsvolle, erfolgreiche
Tätigkeit für das Blatt unferen tief empfundenen berzlichen Dank aus. inen
Rüdtritt bat uns Herr Prof. Reche dadurdy tragbar gemacht, daß er fich bereit
Dol! und Naffe, 1955. Juli. 9
114 Dolt und Raffe. 1933, II
erklärte, den Blatte aud in Zukunft als Mitherausgeber und Mitarbeiter mit
Ret und Tat zur Seite zu fteben.
Unfere Lefer aber bitten wir, der Zeitfchrift in ihrer neuen Geftalt die befts
mögliche Sörderung zuteil werden zu laffen. Weifen Gie in Ihrem Belanntens
kreife immer wieder darauf bin; unterftügen Sie unfer Bemüben, dem Blatte,
feiner großen Aufgabe entfprechend, auch eine. ftattliche Anbängerzabl zu vers
chaffen, damit es fich in weiten Rreifen auswirten kann.
Um der Zußunft unferes Volkes willen, müffen die in „Volt und Kaffe“
aufgeworfenen Dorfdlage und Anregungen in allen deutfhen Bauen woeitefte
Verbreitung finden. Möge jeder nach feinen Rräften mithelfen, das Geplante in
die Wirklichkeit umzufegzen. Hier findet jeder einzelne einen Wirktungstteis, in dem
er tatkräftig und erfolgreich mitfchaffen kann.
Scriftleitung und Verlag.
Die biologifche Erneuerung des deutfchen Volkes.
Don Dr. phil. et med. Lothar Gottlieb Tirala, Brünn.
De politifche Rettung des deutfchen Volkes im Reiche ift geglüdt, die biolos
gifche Rettung ift noch nicht einmal begonnen worden. Laffen wir uns durdy
die wunderbaren Erfolge der IISDAP. nicht darüber täufchen, daß wir biologifch
ein fterbendes Doll find. Der Rudgang der Geburten als foldyer ift eine rs
fceinung der Zivilifation und es ift felbftverftändlich, daß es niemandem von uns
einfallen wird, den beute lebenden Stauen in der Stadt 16 oder 18 Geburten als
Form zuzumuten. Genau fo wenig aber darf man geftatten, daß unfere Srauen,
und gerade die der wertoollen, kulturbildenden Schicht, fich felbft auf den Aus»
fterbeftand fegen, indem fie in ihren Eben entweder gar keine Rinder gebären oder
böchftens ein bis zwei Rinder in die Welt fetzgen. DOenn man noch immer darauf
binweift, daß wir einen Meinen Überfhuß der Geborenen über die DVerftorbenen
baben, rund 180—200 000, fo ift diefer Geburtenüberfchuß nicht etwa gleiche
mäßig auf alle Stände unferes Polkes verteilt, fondern 80% davon ftellen die
Rinder der geiftig Minderwertigen, Rranten, Bewohnbeitsverbredher und uns
gelernten ilfearbeiter dar. Das Unglüd ift eigentlich viel größer, als es nad
den Zahlen erfcheinen kann, da die Statiftiler lediglich die Anzahl der Geburten
angeben, aber nicht die Anzahl der erbgefunden und wertvollen Geburten. Gos
lange unfer Dolf von der marriftifchen JIrriehre ausging, daß Menfdh gleich
Menfb, Geburt gleich Geburt wäre, fchien es ziemlich gleichgültig, aus weldyen
Schichten des Volkes die neugeborenen Bürger ftammten. Llun wiffen wir aber,
daß die Rulturbildenden Schichten auch die fozial höherftebenden Schichten find.
Selbftverftändlich werden audy in den fozial tieferftebenden Schichten des Volkes
immer wieder wertvolle und wertoollfte Mienfchen geboren, aber die verbältniss
mäßige Anzahl derfelben ift viel zu gering, um auch nur die Erhaltung und Bes
wabrung unferer derzeitigen tulturellen und zivilifatorifchen Adbe 3u gewaͤhr⸗
leiften. Wir begrüßen mit Sreuden jeden tulturell wertvollen Dollsgenoffen in
jeder Schicht, aber wir dürfen die Augen vor der Tatjache nicht verfchließen, daß
die Infaffen der Hilfsfchulen und der Sdwadfinnigenbeime zu 800% oder nod
mebr aus den fozial niederen Stufen und aus afozialen Kreifen der Gewobnbeitss
verbrecher ftammen. Subren wir die Unfrudtbarmadung der erblid) Minders
wertigen durch, fo müffen wir uns darüber Mar fein, daß wir mit einem Sdhlage
einen Ausfall von febr viel Geburten haben werden, fo daß dann auch den
Zweiflern und Befferwiffern der von uns Raffenbygienikern längft ertannte bios
logifde Lliedergang unferes Volkes offenbar werden wird. Dann wird eben
1933, II £. G. Tirala, Die biologifdhe Erneuerung des deutfchen Voltes. 115
plögli auch der Beine Geburtenüberfhuß aufhören und der Schrumpfungss
vorgang in unferem Volle deutlich werden. Jest ift er ja noch immer, leider
©ottes muß man faft fagen, für die Allgemeinheit getarnt und nur wenigen
tommt in voller Schredlichleit der biologifche Fliedergang unferes Volkes zum
Bewußtfein. Die Statiftiter haben ja längft nachgewiefen, daß auch der derzeitige
Geburtenüberfhuß nur ein fceinbarer ift, weil unfer Doll einen biologifch uns
natürlichen Aufbau zeigt, dadurch nämlich, daß gerade jetzt durch die gefteigerte
Hygiene das dSurchfchnittliche Lebensalter um 20 Jahre länger geworden ift (fruber
40, jetzt 60 Jahre), während nad) etwa 10 Jahren derzeit fortpflanzungsfabige
Schidten dann erft in ihrer ganzen Geburtenarmut dafteben werden, wenn die
heute 60, 70 und 80 jährigen Menfchen ausgefchieden find. In einem VDolte, deffen
biologifder Aufbau richtig und naturgemäß ift, kann man diefen Alterss
aufbau durch eine Pyramide darftellen, welche eine quadratifche Bafıs bat
und je nach dem durchfchnittlichen Alter der Bevölkerung in eine Spite auss
läuft, deren Höhe dem böchften erreichbaren Lebensalter entfpricht, vgl. Ums
fhlagbild und Seite 131. Die Seitenfläcdhen diefer Pyramide können alfo unter
einem größeren oder geringeren Winkel zur Bafis geneigt fein, find aber immer
eine gerade Släcye. Die Pyramide unferes Dolles ift aber fo geftaltet, daß die
Bafis bereits fdmaler ift als ein parallel zur Bafis gelegter Schnitt, das beißt
die breitefte Slache diefes geometrifchen Körpers ift nicht mebr die BGrundflace,
diefe Dyramide bat daher keine normale Bafis mebr, fondern die Grundfläche ift
angenagt. Mit anderen Worten: die Sortdauer unferes Volkes felbft ift in Srage
geftellt. Da handelt es fidy gewiß nicht um eine nationaliftifche Hege, um mög»
lihft viel Ranonenfutter für künftige Kriege zu erzielen, wie es uns unfere polis
tifhen Gegner immer andichteten, fondern um die Lebensfrage der Ylation.
rade die Schaffung und Erhaltung der wahren AHumanität, der Bildung, der
Bünfte, turz der Kultur ift durch diefen unnstürlichen Altersaufbau, diefen
— an der Baſis, durch dieſes Abſterben der Wurzeln, um ein
anderes Bild zu gebrauchen, auf das allerſchwerſte gefaͤhrdet. Wer daher gerade
die Ruͤnſte des Friedens, der Rultur liebt, gerade der muß den raſſenhygieniſchen
Gedanken der biologiſchen Geſundung und Erneuerung unſeres Volkes auf das
Waͤrmſte begruͤßen und dieſen Rampf mit allen Kraͤften unterſtuͤzen. In Bezug
auf die Wichtigkeit dieſer Frage, welche nicht eine von vielen, mit Unrecht ſoge⸗
nannten Lebensfragen iſt, ſondern welche die, und zwar die einzige Lebensfrage
iſt, verblaſſen alle uͤbrigen Aufgaben, nicht nur alle innenpolitiſchen und kul⸗
turellen, ſondern ſelbſt alle Probleme der Außenpolitik. Erinnert ſei nur daran,
daß die Polen 1b0 Jahre unter fremder Herrſchaft gelebt haben, unter drei Reiche
aufgeteilt, und heute mit ihren 30 Millionen Menſchen, die verſprechen, ſich in
weiteren bo Jahren auf 60 Millionen zu vermehren, unſer Volkl trotz aller feiner
kulturellen Großtaten nach einem biologiſchen Geſetz wegdraͤngen werden und
müſſen, da wir in bo Jahren, wenn es ſo weiter geht, ein Volk mit zwar
bo Millionen Menſchen, aber davon 20 Millionen geiſtig Minderwertigen und
ſolchen, welche auf Grund ihrer Erbanlagen nicht mehr als hoͤchſtens Volksſchul⸗
bildung erwerben koͤnnen, ſein werden.
Ceterum censeo: Der beruͤhmte Staatsmann Cato im alten Rom beendete
jede ſeiner Reden im Senat mit den Worten: Ceterum censeo, Carthaginem
esse delendam — uͤbrigens bin id der Anſicht, daß man Rarthago zerſtoͤren
uß. |
Wenn das deutfche Doll in feinen tulturtragenden und fubrenden Sdidten
in den nächften Jahren nicht genügend Rinder zeugt und aufsiebt, geben wir trog
aller außens und innenpolitifchen Erfolge und trog alles Sdeins von tulturellem
@Glanz unweigerlid 3u Grunde.
116 VoR und Kaffe. 1933, III
Leben oder Sterben der deutfchen Ylation.
Bevdllecungspolitil, das Gebot der Stunde!
Don Medisinalrat Dr. Gutt, Berlin.
YD « wenig die Bedeutung einer ftaatliden Bevdllerungss oder Raffenpolitif
von den Völkern der alten Welt und des jeigen europäifchen Rulturs
treifes erfannt worden ift, beweift uns die Jabrtaufende alte Gefchichte. Mit Auss
nahme des chinefifchen Volkes find alle Rulturvdller der vorcriftliden Geſchichts⸗
epode fcbon nach recht kurzer Zeit der Blüte dem Lliedergang und dem Untergang
anbeimgefallen. Das Uuffteigen und Liiedergeben foldyer Dölker betrachten die
meiften Hiftorifer und Gelehrten als die unvermeidliche Solge bober Kultur und
Sivilifation, indem fie den kulturellen und politifchen Aufftieg eines Volkes mit
dem AHeranceifen eines Mienfchen zum Jüngling und Mann, den Lliedergang eines
Volles aber mit den Greifenalter eines Einzelwefens vergleichen. Llichts ift aber
binfälliger als diefer Vergleich, da die Bevölkerung eines Staates, zur Llation
geworden, fich dauernd unter einander mifcht. Dadurch ift fie nicht, wie das Leben
oder das Uhrwerk des einzelnen Organismus mit begrenzter Laufzeit dem Tode
eweibt, fondern nach menfchlidem Lrmeffen müßte ein foldes Doll folange
ben können, wie die Erde nur irgendwie Bedingungen dazu bietet. Wenn troßs
dem Völker fterben, ß ift diefer Ddllertod kein Alterstod, fondern ftets durch
äußere beeinflußbare Bedingungen verurfacdht. Außer Rriegen und Geuden oder
gar Anderungen Bimatifcher Derbältniffe tommen in erfter Linie foziale und tuls
turelle Wandlungen als Grund in Betracht, die die Sortpflanzungsverbältniffe
eines Dolles nacteilig und zerftörend beeinfluffen. Der Lliedergang der alten
Inder, Perfer, Griechen und Römer, die Übernahme ihrer Sitten und Gebräuche,
wie die Auswirkungen unferer Zivilifation zeigen uns den Weg, den wir Deutfchen
zu geben im Begriff find. |
Sorfden wir mit bevdllerungspolitifdem Derftandnis fir die biologifden
Grundlagen eines VDolles nad der Urfache diefes Untergangs, fo treten uns beute
im deutfchen Dolte diefelben Erfcheinungen und Schädigungen entgegen, die im
alten Rom und Griechenland wirkfam waren. Lieben allmäblicher Entartung von
Kinzelwefen und ganzen Samilien, wie Sittenlofigkeit, war es die verbeerend
wirkende abfichtliche Sruchtbarkeitsbefchräntung, 8. b. Srauen wie Männer des
alten Griechenlands wie Roms wünfchten keine Rinder und keinen Lladhwucdhs
mebr! Damals wie beute begannen zunächft gerade die tüchtigften und werts
pollften Gefellfchaftsfchichten mit der nabezu völligen Befchräntung der Rinders
zahl, denen dann die breiten Maffen der Bevslkerung folgten, fodaß ein raf von
Oenerstion zu Generation anfchwellender Rüdgang der Ropfzahl eintrat. Go
berichtet der griechifche Gefchichtsfchreiber Polybios im 2. Jahrhundert v. Chr.:
„au meiner Zeit litt ganz Hellas an Rinderlofigkeit und überhaupt an
Menfdhenmangel, wodurch die Städte fich entleerten, das Land keine Srüchte mebr
trug, obgleich weder ununterbrocdhene Rriege nod) Seuchen uns betroffen batten;
denn die Menfchen batten fid) dem OUbermut, der Geldgier und der Traͤgheit zu⸗
gewendet, fie wollten nidt mebr heiraten oder wenn fie es taten, doch nicht alle
ihre Rinder aufziehen.“
Genau diefelben Erfcheinungen zeigten fich vor dem Verfall bei den Römern.
Sittenlofigkeit, Belds und Vergnuͤgungsſucht, Surcht vor den Rinde zundchft bei
MWoblbabenden, dann auch im niederen Dolte ließen die Sortpflanzung immer uns
Bender werden. Aud) der Bauernftand verfdwand nad und nad. Das
inten der Getreidepreife in Italien in Solge der Cinfubr aus den Rolonien, wie
die Anfammlung von Kapitalien in den Handen von wenigen ließen die Lands
bevditerung immer mebr verfchulden und brachten fchlieglich ein Ausfterben der
1933, III Gütt, Leben oder Sterben der deutfdhen Klation. 117
Kandbevdllerung mit fid. Hand in Hand mit diefem Rüdgang der Zahl ging
aud cine Derfdledterung der Raffe vor fic, indem faft nur nod Sklaven und
Mifclinge im alten Römerreidh eine mebe und mehr baftardierte und minders
wertige Dladhlommenfchaft bervorbrachten. Die notwendige Solge waren dann
ein allgemeiner Rüdgang und Verfall der Kultur wie eine Derfchlechterung des
Vlachwudfes an Charalteranlage, Begabung und Sührertalent, fodaß das ges
waltige Romerreih unter dem Anfturm der zahlenmäßig fhwaden, aber trafts
io Dollsftamme wie ein Rartenbaus zufammenbrad.
ie fiebt es nun bei uns damit aus? Unfer Doll lebt in feiner Maffe noch
in der Dorftellung des Dorkriegsdeutfchhlands und glaubt, daß wir ein kraftvolles
und aufftrebendes junges Doll find. Wir feben heute die Maffen von Erwerbss
lofen und nach Arbeit fich fehnenden Millionen deutfcher Menfchen und befinden
uns in dem optimiftifchen Blauben, daß alles fich zum Beften wenden wird, wenn
diefe Maffen von Arbeitslofen wieder Arbeit erhalten werden und wenn die Wirts
fhaft wieder einen Aufftieg erlebt.
®ewig, die Erndbrungsgrundlage unferes Volles muß 3us
erft wieder gefidert, Ordnung und Gauberleit, wie cine weits
fdhauende nationale Derwaltung müffenerft wieder die Dorauss
fegung fbr den Wiederaufftieg fdaffen! Was aber durch Reichtum
und ftaatliche, wie militärifche Rraft vor dem Kriege verfchleiert wurde, das trat
nad den Weltkrieg nach der Revolte von 1918 und bei der 14 jährigen Migwirt-
fchaft der Klachkriegszeit in verftärktem Maße in Erfcheinung, nämlich die Tat»
fache, daß der völkifche, kulturelle und wirtfchaftliche Aufbau unferes Volkes bes
reits lange vor dem Rriege ftark angefault und morfch waren. Flur fo erllärt fich
auch der ungebeuer fchnelle und politifche Zufammenbrud im Liopvember 1918.
Das deutfche Volk war feinem Urfprung nach ein durchaus genoffenfcheftlich,
fippenmäßig ul Vollstum, in dem es nur ary gab. Weil die Bers
manen in ihren Stämmen urwüdhfig und traftvoll die Beften als Sührer gewäblt,
fittenrein, wurzelnd in einer heilig gebaltenen be, die Rinderaufzucht und Samis
lienreinbeit für das beiligfte Gut hielten, waren fie auch berufen, die Erbichaft
des fittlid verlommenen römifchen Reiches anzutreten. Zwar beberrichten diefe
nifchen Stämme ganze Teile des Imperiums, doch ihr Vollstum ging durch
ermifhung und Übernahme der Sitten und Gebräuche der Römer zu Grunde.
Kur in Suds und Llorddeutfchland, den flandinavifden Staaten und England
konnte fich das germanifche Blut und die germanifche Weltanfdauung erbalten.
Nach einer langen Blütezeit des alten römifchen Raiferreichs deutfcher Flation
kam zwar ein Zufammenbrucdh diefes Reiches, aber es war nody kein Lliedergang
des deutfchen Volkes, fondern es handelte fich um ein Derfagen der dynaftifchen
Reichsverfaffung, eine Solge der Duodesfurftentumer. Was wir aber feit der
Revolution von 1918 nah dem Welttriege erlebt haben, ift ein
Derfagen und der Lliedergang unferes Volkes felbft! Die marris
fifhe Migwirtfchaft und die internationale individualiftifde Weltanfdauung
baben weite Teile unferes Dolles durch ihre falfchen Lehren und Derbetzung derart
feelifh vertümmern laffen, daß fie noch nicht fähig find, zu ihrem Vollstum
zurüdsufinden. Das Ergebnis feben wir vor uns: Millionen folgten marriftifchen
und bolfchewiftifchen Irrlebren, andere haben kein Derftändnis dafür und wollen
nicht zugeben, daß das chriftliche Zentrum durdy a diefes Marrismus
mit verantwortlich für den wirt{daftlicdben und feelifden JSufammenbrud unferes
Volkes zu maden ift! Die Solgen find diefelben wiein Griehenland
undimalten Rom, indem als unweigerlicdhe Solge diefes Flieders
gangs {bon heute ein Abfterben pees Volles eingefegt bat.
ezogen auf 1000 Deutfche nahmen die Geburten des Jahres 1872 von etwa
41 a.T. auf 15,9 a.T. im Jahre 1931 ab. Wie gewaltig der Geburtenfturz in
den letzten Jahren ift, erfiebt man daraus, daß wir bereits Srankreich mit 13,1 Ges
burten auf Taufend unterfchritten baben. So wurden bei uns im Jahre
— — ein ern
118 Volt und Raffe. 1933, III
193! nuc 1030000 Rinder geboren (vor dem Kriege noch etwa die
doppelte Zahl), während in Polen beute etwa 1 010 000 Rinder, alfo
faft genau fo viele Säuglinge wie in Deutfhland jährlidh ges
boren werden, obgleih es nur 30 Millionen, alfo die „älfte
der Deutfhhen Einwohner zählt.
Was bedeutet das nun? Der Raffenbygieniler Lenz, Münden,
bat ausgerechnet, daß unter Berudfihtigung des Altersaufs
baues unferes Volkes heute fbom !/,, alfo rund 300000 Rinder
zu eng geboren werden, um unfeer deutfdes Dolt als Doll im
Herzen Luropas zu erbalten! — Wabrend Deutfchland 1910 bei 65 Mils
lionen Einwohnern noh 22 Millionen Rinder unter ı5 Jahren hatte, find es
193! nur noch 15,8 Millionen; ja, am natürlichen Aufbau unferer Bevölkerung,
8. b. zur augenblidlichen Zahl von erwerbsfähigen Menfchen und gebärfähigen
Srauen feblen uns beute bereits $ bis s1/, Willionen Rinder, die in Solge des
Brieges und in den Flachlriegsjabren überhaupt nicht mehr geboren find. Das
Sweilinderfyftem des Jahrzehnts nacdy dem Kriege ift bereits überholt und der
Weg in der Richtung zum Kinkinderfpftem befchritten. Cinftweilen find ben
mit 2 Rindern nocy am bäufigften, aber Rinderlofe und Cintindeben find jede für
fic) bereits baufiger als Eben mit 3 Rindern. Das Wort Burgdörfers muß
unterftrichen werden: „Das deutfche Doll treibt ce dem Abs
grund zu!“ Die um 1960 im Sortpflanzungsalter ftebende eration wird,
wenn die Beburtenziffer fich nicht wieder hebt, — und dafür beftebt einftweilen
keine Ausficht — einen Vlachwuds binterlaffen, der nad Lenz nur 44% der um
1930 beiratenden Generation ausmacht. Gegen Ende diefes Jahrhunderts wird
das deutfche Volt auf 40 9.9. feines gegenwärtigen biologifchen Beftandes zus
rüdgegangen fein. Damit wird es auch feine Grenzen im Herzen Europas nicht
verteidigen können.
Hand in Hand damit gebt eine Überalterung und Vergreifung unferes Volkes,
8. b. die Zahl der über 65 Jahre alten Leute nimmt prozentual im Derbältnis zur
Zahl der Rinder und erwerbstätigen Wienfchen dauernd zu, was zu einer immer
mebr anfteigenden Zunahme der Soziallaften führen muß. Andererfeits find zwar
Rinder im Haushalt eines Samilienvaters eine Belaftung, fie bedeuten aber als
Ronfumenten im Wirtfchaftsbaushalt eines Staates Arbeit und Brot und eine
Belebung des inneren Wirtfchaftsmarktes, der bei Seblen von s Millionen Rindern
um deren Derbraud eingeengt ift, 8. b. Vollswirtfchaftler haben ausgerechnet,
daß nahezu 1/, der deutfcben Arbeitslofigkeit fich allein durch die Einfchräntung
diefes inneren Warltes erklärt, alfo der Gegenwert ihres Unterbalts nun doch in
sorm von Arbeitslofenunterftügung gezahlt werden muß. So grape alfo die
individualiftifcbe 0 mearriftifhe Theorie fi
felbft, dem Dolle und der Wirt{haftdsas Grab! Mit der prozentualen
Sunabme der alten Leute und Abnahme der zuwachfenden jungen Generation
fteigern fic) aber aud die Roften für Rrantbeit und Invalidität, die dann auf
immer weniger erwerbstatige Menfden umgelegt werden miuffen, fodag fic
ein Rreislauf entwidelt, der fchließlich zum Zufammenbrucdh unferer ganzen fos
zialen Gefeggebung führen wird.
Ubgefeben von diefer innerpolitifchen Auswirkung bedingt diefe Entwids
lung aber auch eine unaufbaltfame von Jahr zu Jahr fic verringernde Dollstraft.
Die fommende Generation wird fic) weder auf dem Gebiet der Wirtfchaft, was
den nur Wirtichaftspolititern gefagt fein mag, noch auf dem Gebiet der Wehr:
fabigteit, Webrtraft oder Rolonifation behaupten können. Linfere Oftgebiete find
dann nicht nur nicht zurudzugewinnen, fondern aud nicht einmal deutfch zu ers
balten, wenn es nicht gelingt, einen Umfdwung berbeizufubren.
Dody ee ift ja nicht nur die Zabl, die fehlende Quantität, die zu Befürchtung
Anleg gibt, fondern im gleichen Maße die Qualität, d. b. die Befchaffenbeit unferer
deutfchen Bevdlkerung. Während wir eine dauernde Befchräntung und Abnahme
1933, III Git, Leben oder Sterben der deutfchen Mation. 119
der Rinder der hochwertigen Menfden und Samilien in allen Bevdllerungss
fhichten, fowohl bei Bauern wie bei Arbeitern feftftellen können, feben wir auf
der andern Seite die dauernd anfteigende Zahl von minderwertigen, afozialen
Menfchen mit geiftig oder körperlich Eranthaften Erbanlagen, die von der Offents
lichkeit unterhalten werden müffen. So {hätt S. Lenz fowohl die geiftig Minders
wertigen und Entarteten, wie die Börperlih Schwachen und Rranlen auf je etwa
6000000 Menfden, von denen die meiften diefe ihre Erantbafte Anlage immer
wieder weiter fortpflanzen und auf Rinder vererben dürfen.
Bei diefer engen ln £age, in der wir uns
beute fhon in Deutfchland befinden, Bann es für uns und für die
Se eee Bewegung nur einen Weg und einen
Willen geben! — Diefer Entwidlung muß genau fo Einhalt ges
boten werden, wie dem politifhen und kulturellen Zerfall
unferes Dolles,dasvondermarriftifbden Nigwirtfhaftpeällig
an den Rand des Abgrundes gebradt ift.
&s ift aber ein großer Irrtum, wenn wir glauben, der deutfche Staat und
die deutfche Wirtfchaft müffen erft in Ordnung gebracht werden, dann kommt
alles andere ganz von felbft, dann wird auch die Sabı der Rinder wieder anfteigen,
die Zahl der AHochwertigen zunehmen, die Zahl der Afozialen und Minderwertigen
aber wieder abnehmen. Es ift die Pflicht aller Bevdllerungspolitiler, in erfter
Linie der Öffentlichen GBefundbeitsbeamten, daß fie unferen politifchen Sübrern
und unferm Dolle fagen: „Der Aufbau Deutfhlands und unferes
Dolles kann nur gelingen, wenn eine entf&hloffene Bevdls
kerungspolitit ale Grundlage für alle unfere weiteren Maßs»
nabmen auf dem Gebiet der Politil, der Wirt{haft, unferes ges
famten fulturellenundftactliden Lebensangefeben wird! Mur
wenn es gelingt, eine quantitative und qualitative Bevdls
kerungspolitilt in unferer ganzen GOefeggebung, in Wirt{(Haft
und Sozialpolititzu verankern, [haffen wir die Dorausfegung
für die feelifbe Strulturwandlung unferer Hation, die legten
Endes ausfhlaggebend ift!* —
Bei der überaus bedroblichen Schrumpfung des erbgefunden Vlachwudfes
und der ungerechten Belaftung str nod wertvollen kinderreichen Samilien ift eine
Umftellung der bisherigen individucliftifchen Staates und Wirtfchaftsauffeffung
zu einer das Samilienleben bejabenden Gefeggebung und Lebensanfdauung
dringendes und fofort in Angriff zu nebmendes Bebot.
Die Sicherung, Dermebrung und Veredelung der deutfchen artgleidyen
Menichen haben als höchften Zwed des deutfchen Staates zu gelten, da die Sörs
derung der erbgefunden Samilien allein ausfchlaggebend für die Erhaltung unferes
Staates und Vollstums ift. Daber find unfere ftaatlichen und gefellfchaftlichen
Einrichtungen, die Staatsperwaltung, Wirtfchaftsordnung, Steuerwefen, das
Rechts: und Gefundheitswefen, wie Schule, Samilienordnung und Webrorganifas
tion raffenbygienifchen Gefichtspuntten unterzuordnen. Bis dsabin fcdpfte die
Wirtfchaft aus dem vollen Brunnen der Vollstraft, obne 3u fragen, wober das
Menfchenmaterial, das fie verbrauchte, fomme, was aber in abfebbarer Zeit aufs
hören wird, obgleich das heute noch unwabhrfcheinlich Bingen mag. Darum müßten
aud die deutfche Wirtfchaft und ihre Vertreter in ihrem eigenften Intereffe darauf
bedacht fein, nicht nur den augenblidlichen Zuftand der Arbeitslofigkeit zu feben,
fondern an die Zulunft zu denten und dabei mitzuwirlten, um fich die jegt auss
en wertvollen deutfchen Samilien als ihre natürlichen Kräfte zu erbalten.
er innere Wirtfhaftsmarkt ift darum durch Ausgleich der Samilienlaften zu
erneuern und zu ftärten. Das Steuerwefen ift nach raffenbygienifchen Gefidhtes
punkten umzuftellen, da die bisher betriebene Steuerpolitit, wie die bisherige Bes
völkerungspolitit der Samiliengründung und — geradezu entgegen:
gefetzt wirken und den £ebenswillen des deutfchen Volles nahezu ertöten. Bei der
120 Volt und Kaffe. 1933, III
heutigen ungebeuren indirekten Steuerbelaftung, die den Samilienpster mit jedem
Rinde vervielfältigt trifft, wirken fidh die gleidymadende Lobns und Sozial⸗
olitit als ein Privileg der Unverbeirateten und Rinderarmen aus, fodaß jeder
amilienfinn durch diefe Ungerechtigkeit von vornherein zum Abfterben verurteilt
ift. Hand in Hand mit einer günftigen Cintommensverfdiebung innerhalb des
Gefamtvolles 3u Bunften der kinderreidhen Samilien, wodurd eine außerordents
lice Belebung des Binnenmarltes zu erwarten wäre, muß geben die Achtung
vor dem Begriff Mutter, als der Trägerin der deutfchen Zukunft. Es gebt nicht
an, daß Srauen und Mutter im Berufsleben vergeben, nur weil wir nicht den
Mut baben, den Mann in das Berufsleben wieder einzugliedern und der Srau
und Mutter es wieder zu ermöglichen, fich ihren Rindern zu widmen. Wo wir
audy binfeben, überall tut eine Umftellung not. So müffen das Rect, das Bil
dungswefen und unfere Rulturpolitit nach raffenbygienifchen Gefichtspuntten um=
geftaltet werden. Die unbaltbaren, zum Teil überbolten und veralteten Zuftände
unferer gefamten fozialen Befeggebung und Derfiderungen drängen zu durdhs
greifenden Reformen, die nad bevdllerungspolitifden Gefidtspuntten 3u_ bes
arbeiten wären. So fehr die Derforgung aller Rranten und Surforgebedurftigen
als Pflicht anerlannt wird, fo dürfen doch das Öffentliche Befundbeitswefen und
die fommunal betriebene Sürforge fih nicht erfhöpfen in falfch verftandener
Llächftenliebe zu jedem afozialen Gelhöpf, fondern es muß wieder Aufgabe des
Öffentlichen Gefundbeitewefens und der gefamten Arztefchaft fein, neben der Hilfe
für das Einzelindividuum an die Maffe der noch erbtüchtigen Samilien zu denten,
denen durd übertriebene allzu bobe afoziale LKaften die Möglichkeit zur Lebenss
entfaltung genommen wird. So wie es das Streben der gefamten
Arztefhaftundder dffentliden Gefundsheitsbeamten fein mugG,
der bedrobliden Sdhrumpfung des erbgefunden Uahwudfes
entgegen 3u wirken, foiftesandererfeits ibre Dflimt, dafur zu
tampfen, dag die Sortpflanzung und dauernde Funahme der
fbwererblid Belafteten verhindert werden. Bei ftreng wiffenfchafts
lider Rlarftellung der VDorausfegungen muß eine gefegliche Regelung der Lins
— —— (Steriliſierung) und Schwangerſchaftsunterbrechung erreicht
werden.
Schließlich iſt eine baͤuerliche SGiedlung nath den Vorfchlägen von Darre
mit allen verfuͤgbaren Mitteln zu foͤrdern, da nur die Erhaltung und Mehrung
des Bauernſtandes eine Aufartung und Mehrung unſeres deutſchen Erbgutes ver⸗
buͤrgen. Es geht nicht an, daß in Zukunft Geſetze und Notverordnungen nur nach
wirtſchaftlichen und finanztechniſchen Geſichtspunkten herausgegeben und aus⸗
earbeitet werden, ſondern ſie muͤſſen vorher auf ihre bevoͤlkerungspolitiſche, die
Samilien fördernde oder bemmende Wirkung geprüft werden. So find Bes
oölterungspolitit und eine praltifhhe Raffenbygiene als eine
Orundlage des neuen Staatswefens anzufeben, die bei allen
neuen ftaatliden Maßnahmen Berüdfihbtigung finden muß.
Geſchieht das nicht, wartet man den weiteren Derlauf der Bevdllerungsbewegung
ab, geben wertvolle Zeit und Erbmaffe verloren, wie vor allen Dingen dann
nicht mebr die Stimmung im Dolte zu erzeugen ift, die heute nach einem fo uns
ebeuren Derfall und dem nunmehr einfegenden Wiederaufbrud der deutfchen
ation vorhanden ift.
Es find ungeheure Aufgaben, die unfern politifhen Sübrern
bevorfteben und doh müffen fie von diefem großen Gefidtss
cs — in Angriff genommen werden, follen fie Erfolg
aben
Go febr wir aud davon überzeugt find, daß die wirtidaftliden Grimde
und das übertriebene Streben nach fozialem Aufftieg mit die Haupturfacde des
Geburtenrüdgangs, der Abtreibung und der Geburtenverbinderung find, fo wollen
wir doch keineswegs vertennen, daß der GBeburtenrüdgang und die Beburtenvers
1933, III Gitt, Leben oder Sterben der deutfchen Nation. 121
EEE EEE EEE EEE EEE Eu u EEE a)
binderung außer der befprochenen wirtfchaftlichen und medizinifch-biologifchen
auch eine pfychologifche und ethifche Srage ift. Ze kann keinem Zweifel unterliegen,
daß die Einftellung dem keimenden Leben gegenüber von der Weltanfchauung des
deutfden Volkes, in Sonderbeit der deutfchen Stau und Mutter abbangig ift.
Wir erleben heute cine unerbörte Emanzipation der Srau, an der unfere bisherigen
Regierungen, die Öffentlichkeit und unfer Volk insgefamt mitfchuldig find. — Die
Stau nimmt teil am fozialen Aufftieg, fie verdrängt den Mann aus Derdienft und
Brot, wie der Mann andererfeits durch eigene Schuld, durch eine falfche Eins
ftellung der Srau gegenüber, diefe Entwidlung fördert und auf Ebefchließung
verzichtet! Die Öffentlichkeit verberrlicht das Wiannweib in Sport und Beruf,
auf allen Gebieten, veracdhtet und verfpottet aber gewiffermagen die dumme Srau,
die beute nody Rinder betommt. So bat fih eine ganz falfche Lebensauffaffung
unferer Srauens und Wiännerwelt gebildet und das Seben bat bei uns feinen Ginn
verloren. Das Gefühl der Derantwortung fur Samilie, Dol! und Staat ift ers
ftorben! Jeder fiebt es als feine Aufgabe an, fein Leben zu genießen und der
individualiftifchen Weltanfchauung zu buldigen.
Esift das große Derdienft unferes Subrers Adolf Hitler und
der nationalfozialiftifhden Bewegung, dem deutfhhen Volke
und der Deutfchen Jugend wieder Jdeale und Liebe zu Doll und
Daterland gegeben zu haben! Der beffere Teil der deutfchen Jugend ift
wieder bereit, für den Schuß des deutfchen Volkes und Vaterlandes zu kämpfen
und wenn es fein muß, zu fterben. Unfere Aufgabe nah dem 5. März
1933 tft es, nun aud dem deutfchen VDolle und der deutfhben Ju:
gend beizubringen, daß es ebenfofebr ihre Aufgabe ift, für
Deutfhland zu leben! Die Reinbaltung der Jugend für Ebe und Lebens:
glud muß wieder oberftes Gebot der Jugenderziebung fein! Befonders die ge⸗
bildete Jugend wird fi) des Wertes ihrer Erbverfaffung bewußt werden a
daß es gilt, fie zu bewabren und nad Erreichung einer Zebensftellung diefes rb:
gut wieder durch geeignete Battenwabhl auf gefunde Klachlommen fortzupflanzen.
Kine Übertreibung des Sports und das Streben nady weltbeglüdenden Theorien
und fozialem Aufftieg find wertlos für Dolt und Staat, wenn fie die Samilien:
gründung bindern. Kür Wiänner muß wieder der Bauernberuf, für Srauen der
Mutterberuf als erftrebenswertes Ziel angefeben werden. Mifcheben mit Sremds
raffigen find zu widerraten, da dadurch außer körperlichen Gründen widerfprechende
Charaktere und feelifch zerriffene, unglüdliche Menfchen entfteben. Eine raffen:=
bygienifdhe Erziebung unferer Rinder muß fie gewöhnen an
Pflibt zur Arbeit, aber aub an Pflihbtbewußtfein und Ebr:
furdt vor dem großen £ebensftrom des Volkes! Dann wird aud
wieder eine Veredelung des Sortpflanzungefinns und eine Verankerung der Seele
im Ewigen und Gottlichen die Solge fein. Sür die deutfchen Eben aber muß wieder
das Bluben der Samilie bis in fernere Befchlechter als ein böberes Gut angefeben
werden, als Reichtum und perfönliche Bequemlichkeit.
So wie der Flationalfozialismus unfer Doll vor dem Hinabrollen in den
Abgrund des Bolfchewismus bisher bewahrt bat, fo muß er es nunmehr als feine
Aufgabe anfeben, das deutfche Volt vor dem drobenden Raffentod zu bewahren.
Dies aber ift nur möglich, wenn wir alle wieder das eigene kurze Dafein dem
langen gemeinfamen £eben der Samilie und Raffe unterordnen. Mit allen Mitteln
und mit allen Safern unferes Seins müffen wir uns dem rollenden Linbeil ent:
gegenftemmen. Raffenbygiene und Bevdlkerungspolitit müffen im neuen deutfchen
Staatsweien Hand in Hand geben und bei jeder ftaatlichen Wiaßnabme werden
die Ziele beider ins Auge gefaßt werden müffen! Wiaßnabmen, die einfeitig nur
auf Dermebrung des Voltes binzielen, können rafjeverfchlechternd wirkten und
umgelebrt könnten Maßnahmen, die einfeitig nur auf die Tüchtigleit der Erbs
verfaffung binarbeiten, wieder das Maß der Dollsvermebrung unzuläffig fehmälern.
Diefes Ziel tann nuc erreidt werden, wenn der neve Staat,
Dolf und Baffe. 1933. Juli. 40
122 Volt und Kaffe. 1933, III
EEE EEE a EEE EEE ae
famtlide Minifterien und Berufsftände alle ibre Maßnahmen
vom Befihtspunktt der qualitativen und quantitativen Bez
vollerungspolitit in Angriff nebmen! Fur wenn alle wert:
vollen Bevdllerungsfdhidten unferes Volkes diefes Ziel er-
tennen, wird es unfern politifhen Sühbrern gelingen, das or⸗
ganifdhe Erbgut unferes VDolles und Deutfdland als felbftan:
sige Mation im Herzen Europas zu erhalten!
Raffenfunde, Dererbungslehre und Raffenpflege
als Begenftand der deutfchen Erziehung.
Don Dr. Bruno RK. Schulg, München.
rien Sculunterrichte baftete bisher der große Mangel an, daß er beladen
mit Gedantengangen, die legten Endes im Humanismus wurzeln, eine
gründliche Erfaffung der großen und wichtigen Erfcheinungen des Lebens an fich
vernadhläffigte. Die Ergebniffe der Klaturwiffenfchaften, vor allem die der Lebens-
kunde (Biologie) wurden uns als Schülern im naturktundlicdhen Unterrichte in mebr
als durftigen Ausmaße vermittelt. Diefer Wangel macht fich beute für unfer Volt
fehr empfindlich bemerkbar. Das Verftändnis für gewiffe Lebensgefege, die dem
mit einfachem, gefunden Wienfchenverftande Ausgeftatteten inftinttmäßig lar
liegen, werden von der Mebrzabl unferer Dolktsgenoffen überfeben und mißachtet.
So kam es, daß das Wiffen von den Dererbungsgefegen und von der Derfcdhieden:
beit der Menfcenraffen von Dielen als etwas geradezu alle Grundlagen Um:
ftoßendes empfunden wurde. Die nationalfozialifche Bewegung bat diefe Mängel
richtig ertannt und die Erkenntniffe von der Verfchiedenbeit der !enfchenraffen
in weitefte Rreife unferes Dolkes getragen. Yun, da die nationale Bewegung zu
voller Entfaltung gelangt ift, müffen wir auf eine Vertiefung diefer Erkenntniffe
in unferem ganzen Doltstörper und zwar von frühefter Jugend an dringen. Wie
wichtig die Kenntnis der VDererbungsgefege ift, wird fofort Bar, wenn wir auf
die Srage der Dererbung geiftiger und körperlicher Säbigkeiten oder Mängel ein:
geben und feben, wieviel Unglüd zu verhindern gewefen wäre, wenn die Ge:
fehlechter vor uns die Befetze der Dererbung gelannt und beachtet hätten und all
dic Eben erblidy Belafteter nicht zuftande getommen wären bzw. die Belafteten
freiwillig oder unfreiwillig auf die Erzeugung von Hachlommen verzichtet hätten;
und umpgeltebrt, welchen Aufftieg es für unfer Volk bedeutet hatte, wenn aus:
fhließliy begabte und erblih hochwertige Menfchen Eltern deutfcher Rinder ge:
wefen wären.
Dasfelbe gilt von der Raffentunde. Wenn die Erkenntnis von der Bedeutung
der Raffen für die Tüchtigkeit und Aulturleiftung eines Volkes und der verfchie:
denen Gefabren, die mit Raffenmifchungen, vor allem einer Mifhung mit febr
fernftebenden Raffen verbunden ift, in unferem Wolke entfprechend verbreitet ges
wefen wäre, dann wären fo und fo viele unglüdliche Baftarde und Zwitterwefen
nicht in die Welt gefegt worden, dann wären die feit der Judenbefreiung immer
ftärker um fic) greifenden Mifdeben zwifchen Deutfchen und Juden bintan=
gebalten worden. Die Kenntnis der Raffentunde und befonders der geiftigen Ders
fbiedenbeiten zwifchen den Raffen ift auch für sie Behandlung und den VWerkebr
mit Raffefremden von großer Wichtigkeit. Ein Lehrer, ein Richter oder ein Priefter
werden Angebörige anderer Raffen viel leichter verfteben und beurteilen können,
wenn fie die feclifdyen Derfcbiedens und Ligenbeiten der betreffenden Raffen kennen.
Unfere nationale Regierung bat aus diefer Maren Erkenntnis heraus wieder:
bolt durch ihren Sübrer felbft und durch feine bervorragenden Mitarbeiter auf die
1933, III Bruno R. Schulg, Raffentunde, Vererbungslebre und Raffenpflege ufw. 123
EEE FE Enz BD EEE DEE EEE EEE EA nn FE, OR TE TEE EHER)
Notwendigkeit und Wichtigkeit der Raffentunde, Vererbungslehre und Raffens
pflege bingewiefen und die Sorderung ausgefprochen, daß in den deutfchen Schulen
von den einfachften bis zu den Hochfchulen die Sragen um das Befteben und die
Bedeutung der Raffen in unferem Volke lebendig gemacht werden müffen. Diefe
Aufgabe erfordert aber einen ausreichenden Stab von Lehrkräften, der wirklich
zu einem Unterrichte in Raffentunde, Dererbungslebre und Raffenpflege vorge:
bildet und befähigt ift. Es tritt darum an die Erzieber des neuen Deutfchland die
dringende Aufgabe beran, fich diefes notwendige Wiffen, fei es durch Schulungss
turfe, fei es auf den Univerfitaten oder durch Selbftftudsium anzueignen und Sache
der vorgefegten Schulbehdrden wird es fein, der Lehrerfchaft diefe Möglichkeiten
in ausreichendftem Maße zu verfchaffen und die Ausbildung der künftigen Lehrer
nad diefer Richtung bin zu geftalten.
Es ift grundfäglich notwendig, daß famtlide £ebrer, ganz gleichgültig,
weldes Sad fie 3u lehren baben, über Dererbungslebre, Raffentunde und Aaffen:
pflege unterrichtet find und darüber Auskunft geben können, denn es bandelt fic
nicht um ein Einzelfachwiffen, fondern um das Wiffen von Lebensfragen.
Selbftverftändlih wird man aber von den verfehiedenen Sachlebrern nicht gleich
viel verlangen, fondern von Volksfchullehrern und den Lebrern insgefamt an allen
Mittel: und böberen Schulen aber felbftverftändlih auch von Hochfchullebrern,
daß fie über die einfachften Tatfachen und Begriffe der Raffenktunde, Vererbungs:
lebre und Raffenpflege Befceid wiffen, denn fie find ftets Sührer eines Teiles
unferes Volkes und fie müffen bei allen Sragen, die fie mit ihren Schülern be:
bandeln, auch die der Kaffe und deffen, was mit ihr zufammenbängt, berüd:
engen Kine befonders gründliche Ausbildung in Raffentunde, Dererbungslebre
und Naffenpflege wird man aber von jenen Lehrern erwarten müffen, die die naturs
wiffenfchaftlidhen Sacher vortragen. Es wird kein vernünftiger Wienfch bezweifeln
können, daß das Wiffen vom Menfchen, feinen Raffen und Lebensgefegen ungleich
wichtiger ift als irgend ein Abfchnitt aus Zoologie, Botanik oder einem anderen
naturwiffenfchaftlichen Sache. Es ift febr zu begrüßen, daß aus dem Munde der
beute verantwortlichen Manner wiederbolt Außerungen gefallen find, daß jede
deutfche ocbfcbule eine Eebrkanzel für Raffentunde und Raffenpflege erbalten foll.
Es wird wobl niemand anzweifeln, daß es dann auch notwendig ift, diefe Sächer
entfprechend in den Lehrplan der Ausbildung der deutfchen Erzieher, der deutfchen
Arzte und Juriften und deutfchen Priefter einzubauen und eine Prüfung aus ihnen
3u fordern.
Der Einbau des raffentundliden und vererbungstundliden Lebrftoffes in
den Eebrplan der Volkes und höheren Schulen läßt fich bier natürlich nur andeuten.
Es wird Aufgabe der £chrerfcbaft und der Unterrichtsminifterien der deutfchen
Länder fein, den ganzen Entwurf bis in die legten ingelbeiten auszuarbeiten.
In den unteren Rlaffen der Polksfchulen wird man fchon in ganz einfacher Weife
auf die Derfchiedenartigkeit der Sormen im Pflanzen: und Tierreiche und an Hand
finnvoller Beifpiele auch auf die großen Raffenftamme der Menfchheit eingeben
können. Man wird ferner die Unterfchiede zwifchen Art, Raffe und Unterraffe
durch Beifpiele an Tieren und Pflanzen dem Rinde nabebringen können und im
Laufe eines Dergleiches zwifchen den verfchiedenen Tierraffen (3. B. beim Gunde,
Pferde, Geflügel ufw.) auf die raffifchen Linterfchiede, die auch beim Menfchen
befteben, aufmerktfam machen können. Ebenfo kann man fcbon für die Grund:
begriffe der Vererbung die erften Dorausfegungen durch Befprechung der Tat:
fachen fchaffen, daß bei Tieren und Pflanzen immer nur Gleidbwertiges von den
Eltern gezeugt wird. In den böberen Rlaffen der Dolksfchulen und den gleichs
altrigen der böberen Schulen fann dann auf die menfdlicdhe Raffentunde und in
den letzten Rlaffen auf die Grundfätge der Vererbung, auf Auslefe, Baftardierung,
Inzucht ufw. eingegangen werden, ebenfo müßte das Wichtigfte uber Bevdls
kerungslebre, wie Geburtenrüdgang, differenzierte Sortpflanzung ufw. den Schülern
eingeprägt werden. Um das 14. Jahr, da die Befchlechtsreife erreicht ift, wird es
10°
124 Volt und Raffe. ‘ 1933, 111
EEE — ——
auch notwendig und ſelbſtverſtaͤndlich ſein, in klarer und vernuͤnftiger Weiſe die
Schuͤler auf den Unterſchied zwiſchen den Geſchlechtern, auf die ——
und auf die Gefahren der Geſchlechtskrankheiten aufmerkſam zu machen. Es iſt da
natuͤrlich an das Caltgefubl und die Feinheit der Empfindung der betreffenden
Lehrperſonen eine beſondere Anforderung geſtellt. Dies waͤre am beſten zu ver⸗
binden mit einem Unterrichte in Geſundheitslehre. Jn den legten Klaſſen der
hoͤheren Schulen koͤnnte eine beſondere Vertiefung in die Raſſenkunde, die Ver⸗
erbungs⸗ und Bevoͤlkerungslehre erfolgen.
Aber nicht allein der naturkundliche Unterricht ſoll ſich mit den Fragen der
Tr ae des Menfchen befchäftigen, fondern au nady Möglichkeit alle anderen
er.
Rein Sragengebiet, auger dem Bogen, ift für die Bildung vaterländifcher
Gefinnung von fo ausfchlaggebender Bedeutung wie der Gefbihtsunter-
richt. Der Befchichtsunterricht wäre aber eine bedeutungslofe Aneinanderreibung
von Jabreszablen und von Berichten über politifche Creigniffe, wenn er nicht
gleichzeitig immer wieder die Stage ftellte, warum das eine oder andere Volk. cine
bobe oder niedere Rultur befaß, warum es zu foldyer Höhe emporftieg und warum
ein anderes, fulturell und politifh, vom Schauplag der Weltgefchichte ver:
dhwunden ift, obwohl es noch 100 oder 200 Jahre vorber in der einen oder anderen
ichtung führend bervorgetreten war. Die Antwort auf diefe Sragen kann uns
in allerweiteftem Mage die Raffentunde geben. Sie bat ja zur VDorausfegung die
Renntnis von Vererbung und Auslefe. Damit ift aber aud die Gefcicte und
fei es die der entfernteften Völker viel enger mit den wichtigften Sragen unferes
eigenen Gcidfales verknüpft und ift uns immer wieder cin Beifpiel fur uns felbft
und dafür, wie wir unfere Zukunft geftalten müffen, gegeben. Als notwendige
Solgerung aus diefen Renntniffen ergibt fich felbftverftändlich das Eingeben auf
Stagen der Raffenpflege. Der erdfundliche Unterricht hätte einzugeben auf
die Derbreitung der Mienfchenraffen und Raffengemifce, auf die Züchtung be:
fonderer, an die Umwelt beffer angepaßter Sormen (Estimo, Fleger ufw.), auf die
Stage des Lebensraumes, Auslandsdeutfchtum ufw. Im geologifchen und pa=
ldontologifden LUinterridhte müßte felbftverftändlidh fein, daß die frubften
Dertreter menfchlicher Sormen, die uns bisher bekannt find, wie Pithecantropus,
Pleandertaler und der foffile Homo sapiens befprochben werden. Der fprad:
liche Linterricht, befonders der Deutfchunterricht, bietet ebenfo eine Sülle von Mög:
lichkeiten, auf die Raffe und auf die geiftigen Cigenfcdaften der Raffen einzugeben.
Etwas, was unferer Bildung bisher volllommen feblte, war die Rulturkfunde.
Hier könnten ganz befonders die Rulturleiftungen verfchiedener Völker, Raffen
und Raffengemifche auseinandergefegt und der Sage von Raffe und Beift nad:
gegangen werden. Uber felbft ein fcheinbar fo trodener Begenftand wie die Mutbe:
matill liege fic in unferem Sinne in der Weife nugbar machen, daß die Aedyen=
beifpiele in der einfachen und höberen Mathematik teilweife auch fo geftellt werden,
> fie Sragen der Dererbungslebre und Bevdlkerungslebre zum Gegenftande
aben.
Eine folhe Schulung würde eine Stärkung des gefunden, natürlichen Jn-
ftinttes zur Solge haben und gegen die Derfdledterung unferer Raffe und das
Abfterben unferes Dolkes dsurd den heute immer mebr um fich greifenden Ge⸗
burtenridgang ein legtes Bollwerk werden.
Nidt der Staat ift der fozialfte und befte, der die meilten Siechenhäufer,
Kriippelhetme, Tubertulofeheimitatten und Jrrenhäufer hat, fondern der-
jenige, der Dant feiner Dolts: und Erbgefundheitspflege die wenigiten folder
Anftalten braudıt. Oberit Bierl, 1932.
125
Deutfches Ebepaar.
Der Mann ausgefproden nordifch, die $rau vorwiegend nordifc.
Der Mann ftammt vom FTiederrbein, die Srau ift von pommerfchem, aus dem Eichafeld
eingewandertem Uradel. Beide Dargeftellten find blaudaugig und blond, die Srau
etwas duntler.
Wir bringen in Sintunfe an diefer Stelle gute, fir beftimmte Gegenden typifde Naffen-
bilder und fordern unfere Lefer auf, uns durd) Einfendungen zu unterftügen.
126 Dolf und Kaffe. 1933, III
Ahnen: und Stammtafeln in Rerteiform.
Don Dr.sIng. Hans Goes, Minifterialrat, München.
Mit 5 Abbildungen.
a Samilienforfcher, der fid) mit der Fufammenftellung feiner Dorfabren in
einer Ubnentafel oder der Liachlommen einer Perfon in einer Stammtafel
(Hahhlommen männlichen Stammes) oder Machfabrentafel (fämtliche Fradhlommen)
befaßt, ftößt dabei alsbald auf erhebliche formale Niglicleiten. WDenn er bei:
fpielsweife verfucht, für jede in der Abnentafel vortommende Perfon ein gleich
großes Seld, fagen wir von 4 cm Breite und 3 cm adhe zu zeichnen, fo fiebt er
fid), wenn er einigermaßen in. frübere Generationen kommt, febr rafch vor raum:
lichen Unmöglichkeiten. In der 6. Beneration muß er bereits 25 = 32, in der 10.
aber fhon 2? - 1024 Selder nebeneinander anordnen. Mit einer Seldbreite von
4 cm gebt das nun einmal nidht mebr. Denn dann würde feine Tafel ſchon
40 Meter breit, ganz abgefeben davon, daß dann die Selder der jüngeren Genera-
tionen fo weit aus einander rüden, daß jeder bildliche Zufammenbang verloren gebt.
Man muß fich alfo, bei einigermaßen umfangreihbem Stoff, nicht nur dazu
entfchließen, die Abnentafel in Einzceltafeln wie einen Atlas zu unterteilen, fondern
darüber hinaus auch noch die Selder nach oben zu immer fehmäler zu machen. So
tommt man zu der bekannten Sorm der Ahnentafel. Sie bat den unvermeidlichen
Hachteil, daß man bei den oberen Seldern von der normalen wagredhten Zeilen
. lage zur fentrechten übergeben und auf dic Beifugung von Lebensdaten, für die
unten reichlih Raum vorbanden ift, verzichten muß.
at man bei der Ahnentafel immerbin nod ein fur alle Salle gleiches regel:
mäßiges und fymmetrifces Schema des Aufbaues, fo fpaltet fic der Stamm:
baum oder die Tlacdhfabrentafel je nad) der Zabl der Llachlommen der einzelnen
Blieder in ein immer verfchiedenes, ganz unregelmäßiges Gebilde. Will man,
wie bei der Ahnentafel, bei der genau fentrechten Untereinandergruppierung der
Yiadtommen bleiben, fo debnt fic die Tafel mit großen Raumlüden unüber:
fichtlich endlos in die Breite. Sucht man diefe Lüden durch feitliche Derfchiebungen
auszugleichen und dadurch aud) die Tafel zu verfehmälern, fo gebt meift die Rlar:
beit verloren. ft es aber doch gelungen, einmal eine befriedigende räumliche An:
ordnung auszutüufteln, fo wird fie, wenn bei der Sorfcehung neue Kladhlommen
auftauchen, wieder ganz über den Haufen geworfen.
Gan3 fcdlimm ftebt es mit den Sippfchaftstafeln!). Hier tft mit den bis-
berigen Mitteln eine einigermaßen eingebende und überfichtliche Darftellung über:
baupt nicht möglich, weil ficb in Solge der Eigentümlichkeit diefer Tafeln als Der:
cinigung von Abnenz und Stammtafeln, die oben aufgeführten Schwierigkeiten
gewiffermaßen verviclfacen.
Line ideale Samilientafel (Ahnen, Nachfahren: oder Sippfchaftstafel) müßte
folgenden fünf Sorderungen genügen. Sie müßte:
1. alle Zufammenbänge in einer Gefamtdarftellung überfichtlich zeigen;
2. nad cinem durchwegs geltenden eindeutigen Schema aufzuftellen fein, das
von Kinzelverbältniffen unabbängig ift und auf jede Willtürlichkeit und
Zufälligkeit der räumlichen Anordnung verzichtet;
3. neue Sorfehbungszugänge obne Störung und Anderung der bisherigen An=
ordnung einfügen laffen;
4. in ibren Ausmaßen obne Beeinträchtigung der Deutlichkeit handlich und
womdglid auch am Screibtifch verwendbar fein;
5. für jeden Kamen meglichft ein gleich großes und gleich geformtes Seld
mit genügendem Pla für £ebensdaten und fonftige für Speszialunter:
fucbungen (Dererbung ufw.) erforderliche Angaben entbalten.
1) Dgl. ‘ B. Devrient, Samilienforfcbung. feipzig 1911, S. 102 ff.
1933, III Hans Goeg, Abnens und Stammitafeln in Rarteiform. 127
Don diefen Sorderungen find bei der bisherigen Art der Tafeldarftellung
überhaupt nur einzelne und dann nur auf Roften der übrigen zu verwirklichen.
Mit dem im Solgenden befchriebenen Verfahren wird es nun aber möglich,
allen diefen Sorderungen gleid seitig in vollem Umfang zu ge
nugen, und zwar mit Hilfe eines neuen Rarteifyfteme.
Rarteien find in der Samilienforfchung feit langem üblidy. Aber fie wurden
bisher nur im Sinne eines Zettellataloges wie etwa bei Büchereien verwendet.
Ein ſolcher Zettellatalog ift feinem Wefen nach nichts anderes als ein Verzeichnis
oder eine Lifte, deren Zeilen gewiffermaßen felbftändig geworden, auf einzelne
Zettel verteilt und damit beweglich, umftellbar und beliebig erweiterungsfäbig
find. Aber der Zetteltatalog bat trog diefer Vorzüge mit dem Inbaltsverzeichnis
immer noch das gemein, daß er, fo wie er nun aufgeftellt ift, feinen Stoff immer
nur nach einem Ördnungsgefichtspunft, zumeift dem Abc, einteilt und anordnet.
Der Sinn und Derwendungszwed einer modernen Rartei gebt jedoch, was vielen
nicht belannt ift, bei aller dugeren Abnlichteit wefentlih und grundfäglich über
den des Fettellaftens hinaus. Er beftebt darin, daß die moderne Rartei ihren Stoff
nicht nad einem Schema, etwa dem Abe, ordnet, fondern gleichzeitig nach
mebreren Befichtspuntten, beifpielsweife neben dem Abe auc nad) Gadhgruppen
oder Ortsbezirken. Sie erreicht das durch einige zufägliche Hilfsmittel, wie ver:
fhiedene Sarben und insbefondere durch Anbringung fog. Sabnen am oberen
Rartenrand (vgl. Abb. 2). eben den feft angefcdnittenen Sabnen, die in ver-
fehiedener Breite, Höhe und Sorm verwendet werden, fpiclen dann nod eine Rolle
die fog. Reiter, Heine auffetzbare, ebenfalls verfchieden gefärbte und geformte
Bledhftreifen. SGie können nachträglich zur Rennzeichnung befonderer Merkmale
an den einzelnen Karten angebracht werden.
⸗ — MEcenerationen —i —
| ——— [Uy-GroB! GroB- !Eltern !Proband
| (Eltern [Eltern | | |
| ' | |
| |
Abb. 3.
Unter Zubilfenabme diefer Mittel ift es nun möglich, die bisherige Sorm der
gezeichneten Ahnen: und Vladfabrentafel durd eine Aufftellung in Rarteiform
3u erfegen und damit alle bisherigen Kachteile mit einem Schlage auszufchalten.
Man kann fo, bei mindeftens gleicher Überfichtlichkeit, auf Beinftem Raume ein
Dielfades an Stoff handlich unterbringen, ja fogar Ahnen: und Klachfabrentafeln
in einer Rartei vereinigen und damit auch das Problem der Sippfchaftstafel
uͤberraſchend loͤſen.
Die Sache geht in folgender Weiſe:
128 Volt und Kaffe. 1933, III
1. Sür jede Perfon wird eine Rarte ausgefertigt und zwar werden Rartei:
karten in zwei verfchiedenen Sarben verwendet, beifpielsweife gelblich für männ:
liche und rötlich für weibliche Glieder. Müffen (bei Llachfabrentafeln) audy Per:
fonen 3unddft unbelannten GBefchlecdhts eingefügt werden, fo nimmt man biefür
noch eine dritte Sarbe.
Abb. 2.
2. Die Rarten tragen an ihrem oberen Rande Sabnen (f. Abb. 1). Diefe
Sabnen find je nach der Generation, der der Inhaber der Rarte angebört, an ver:
fhiedenen Stellen des oberen Randes angebradht und zwar fo, daß fie in der
Breite jeweils ein wenig übereinandergreifen.
Abb. 3.
Auf der Släche der Karte wird, genau wie bei den bisher gebrdudlichen
Samilientarteitarten alles eingetragen, was für die Sorfehung in brane tommt.
Auf der Sahne wird der Mame wicderbolt.
Die Rarten werden nun in folgender Weife (Abb. 2) eingeordnet:
Vorne die Rarte des Vaters (gelb), dahinter die Rarte der Mutter (rot),
3wifchen beide die Karte des Kindes (mit feitlich nach rechts verfebobener Sabne).
Die Rartenfabnen der Eltern umfchließen alfo wie eine Zange von vorne und
binten die Rartenfabne des Hadhlommen. Diefes grundfaglide Verfahren wird
1933, III Hans Gor, Ahnen: und Stammtafeln in Rarteiform. 129
für alle Generationen fortgefetgt. Unmittelbar vor den Vater (d. b. die Karte des
Daters) fommt die Karte des väterlichen Großvaters (Sahne weiter links), uns
mittelbar dahinter die der väterlichen Großmutter. Jn gleicher WDeife bei der
Mutter. Set man das Verfahren nun für alle Generationen fort, fo erbält
man eine Anordnung der Karten, wie fie Abb. 3 von oben zeigt. Die Sahnen find
bier durch didere Striche gekennzeichnet.
Vergleichen wir diefe Abbildung mit der Ublicden Ahnentafel, fo feben wir,
daB nunmebr die Rartenfabnen ein getreues Bild der Ahnentafel geben, nur mit
dem Unterfchiede, daß deren Seldbreite auf die Rartendide zufammengefchrumpft
ift. Sieht man in Richtung der Vorderfeite der Karten, fo kann man, namentlich
Abb. 4.
wenn diefe etwas fchräg und loder fteben, die Liamen ausgezeichnet überbliden.
In Abb. 4 babe ich beifpielsweife meine eigene Abnenkartei auf 5 Generationen
vereinfacht wiedergegeben. In Wirklichkeit ift die Überfichtlichkeit natürlich wefent:
lid größer, als dies zeichnerifch darftellbar ift, zumal noch der Wechfel der Sarben
zwifchen Männern und Srauen dazu kommt.
Wir haben alfo durch diefe Anordnung bei gleicher Überfichtlichkeit für jeden
Ahnen ein gleidy großes Rartenfeld gewonnen, das jedem Bedürfnis genügt, und
leichzeitig im ganzen eine außerordentliche Raumerfparnis erzielt. Llimmt man
Rarte Karten, alfo etwa von 1/, mm, fo fommen wir bei 10 Generationen, wenn
alle Abnen belannt find, auf 2047 Rarten, alfo auf eine Tiefe der Rartei
von 68 cm. Wir baben aber dabei den großen Vorteil, daß wir unbelannte
Ahnen zunädhft einfach auslaffen können, fodaß fich die HMiaße noch verringern.
Bei der gezeichneten Tafel können wir das nicht. Dort müffen wir auf alle Salle
von vorneberein den Raum freilaffen. WDollten wir alfo eine Abhnentafel alter
130 Dolt und Kaffe. 1933, III
Art machen, die gleid große Selder bat und ebenfoviele Angaben in gleicher Schrifts
größe enthalten foll, fo wurde fie, wenn man mit einem Rartenformat von
11 x 20 cm (obne Sahne) rechnet, wie ich es vorläufig benügt babe, bei einer Hoͤhe
von 310 cm nicht weniger als 200 Meter breit fein.
Genau dasfelbe Verfahren der Rarteneinordnung: Water vorne, Mutter
binten, Rinder dazwifchen, kann man nun zur Herftellung einer karteiförmigen
Uladfabrentafel anwenden. Kiur kommt bier als neue Regel hinzu, daß auch
die Batten der Rinder unmittelbar bei diefen eingereibt werden.
Um fie von den Rindern felber zu unterfcheiden, werden ihre Sabnen befonders
elennzeichnet, fei es durch Schrägabfchneiden einer Ede oder durch eine fcywarze
tle oder dbnlich. Zwifchen den jeweiligen Ehegatten werden dann immer
wieder die Rinder eingefetzt. Abb. 5 gibt dies unter Befchräntung auf die Dars
ftellung der Rartenfabnen anfdaulid wieder. Auch mebrfacdhe Eben können ganz
analog untergebracht werden. Die zweite Srau kommt beifpielsweife unmittelbar
binter die erfte. Zwoifchen beiden fteben dann die Rinder aus zweiter Ebe ufw.
CMutter |]
Locher ver.)
ul)
| ——
—8
CCC
VXXCC.C |
Add. 5.
Und nun nod einen Schritt weiter. Wir können die Abnenlartei mit der
Viadfabrenfartei in einem Raften unter einander verbinden. Damit nun die
Sabnen fich nicht gegenfeitig ftören und damit insbefondere das Bare Schema der
Abhnenkartei nicht verwirrt wird, ift ein weiterer Runftgriff nötig. Man ftuft
die Rartenfabnen nad der Adbe ab, dserart, daß die nicht zur Abnenreibe
elbft gehörenden Klachfahren eine niedrigere Sabne beLommen. Dann können foldhe
tten beliebig dazwifchengereibt werden, obne die Überficht der Abnenkartei zu
beeinträchtigen, deren Sabnen immer wie ein £etfchema über das Banze berauss
ragen.
Auch beliebige weitere Ergänzungen der Sippe durdy Einfügung der Ahnen
Lingebeirateter find möglich, wenn man noch zu weiteren Abftufungen in der
Sabnenbobe greift. Würde man, was praltifch ja wohl nie in Stage kommt,
ebenfo viele Abftufungen in der Sabnenhdbe vorfeben, als die Kartei Generationen
umfchließt, fo Bönnte man damit tbeoretifch fo weit geben, daß die Kartei die
Kine Afzendenz und Defzendenz jedweder darın vortlommenden Perfon enthält.
as ift felbftverftändlich eine Utopie. Aber auf alle Sälle kann man nach diefem
Derfabren Sippfchaftstafeln beliebigen Grades verwirklichen.
Auf Rarten von 20 cm Breite laffen fich bequem die Sabnen von 10 bis
12 OÖenerationen unterbringen. Das wird für die meiften Samilienforfdungss
swede durchaus genügen. Soll im einzelnen Sall weiter gegangen werden, fo
braudt man nur, wenn man die Rarten nicht allgemein vergrößern will, den
Baften fo einzurichten, daß man mit Hilfe von Leitfchienen, die in Ausfchnitte am
unteren Rartenrand paffen, die Rarten aud feitlich verfehoben einbringen kann.
Oder man ftellt einen zweiten Raften daneben.
1933, III Fans Goeg, Abnens und Stammteafeln in Rarteiform. 131
Weiter foll hierauf nicht eingegangen werden. Jedenfalls ftellt die neue
Rartei ein febr bequemes Univerfalinftrument der Samiliens und Dererbungs-
forfehung dar, weil fie zugleich geneslogifche Überficht und Materialfammilung ift.
Die Dordrude für diefe durch Gebraudsmufterfhug gefbüsgte Kartei — Spftem
an — find von J. $. Lehmann Verlag in Minden 2 3u bezieben. Naͤheres
auf Anfrage.
Entweder— Oder
Wachsendes# Volk 1910
über65J, Greise
45-65 J. 5S BON Ältere Leute
6 ME EEE Jugend
— — — Kinder
Männlich 7430000 Kinder Weiblich
Schrumpfendes Absterbendes
Volk Aa 7730 pa Volk £ 1960
Ausfall
un um am al
Männlich 7070000 Kinder Weiblich 780 000 Kinder Weiblich
Bevölkerungs-Aufbau Deutschlands
Umgezeichnet nach Burgdörfer. „Volk ohne Jugend“.
Der Bevdlterungsaufbau im Jabre 1910 zeigt ein wachjendes und in der Verteilung
der Alterstlaffen ausgeglichenes Doll. — Im Jabre 1930 fällt vor allem der Geburten
ausfall der Rriegsjabrgänge auf, die jet das 11.—15. Lebensjahr erreicht baben. Außer:
dem ift die Grundfläche, die Rinder, erjchredlich verringert. Der Geburtenrüdaang
ift Bar zu feben. Gegenüber 1910 find 360 000 Rinder weniger geboren worden! Auf der
Seite der Hiänner unterbricht eine deutliche Rerbe zwifchen dem 35. und 45. Lebensjabre
den geraden Anftieg der Pyramide — die Rriegsperlufte 1914— 19181 — Wie wird
aber der Altersaufbau im Jahre 1960 ausfeben?! Wenn der Geburtenrüdgang weiter ans
bält wie bisher, dann ift der legte Teil unferer Darftellung keine bloße Ronftrultion! Dann
ift die Grundlage, nämlich die Schicht der Rinder, balb jo groß als im Jabre 1910 und
ihr gegenüber die Zabl der Älteren Leute und Greife 3. T. Hiller der befjeren bygienifchen
Derbältniffe unverbältnismäßig mädtig. Die Jugend bat für Sosiallaften (Altersrente
ujw.) von erdrüdender Höhe aufzutommen. Das Volk ift überaltert?
132 Vol und Kaffe. 1933, III
Aus Raffenhygiene und Bevdlterungspolitit.
Reidsinnenminifter Dr. Srid fordert Raffentunde in der Schule.
Bei der Beiprehung der Minifter der deutfchen Länder am 9. Mai 1933 ging Reiches
innenminifter Dr. Srid in einer längeren Ausfpradye auf die Srage der Meugeftaltung der
Erziehung unferes Dolles ein und forderte befondere Vertiefung des Unterrichtes in unferer
Mutterfprache, in vaterlandifdher Gefdidte und Dorgefdhidte, in Raffentunde, Erbgefunds
beitslebre und Samilientunde. Geine Ausführungen über die Bedeutung der lebenslunds
lichen Sacer find fo wichtig, daß wir fie bier im Wortlaute wiedergeben.
„Fleben der fo geforderten ftärkeren Betonung deutfcher Rulturwerte im Gefdhidtss
unterrit und in den ihm verwandten Säcdern bedarf auch der Iebenstundlicde
(biologifhe) Unterriht nah zwei Seiten bin des Ausbaues. Zunädft fei die
Raffentunde genannt, und zwar als Behandlung der europäifchen Hauptraffen, die an
der Zufammenfegung des deutfchen Volkes Teil haben. Immer mehr bridt fib die Er⸗
tenntnis Bahn, daß die Wefensart eines Volles und die Grundträfte feiner gefchichtlichen
Entwidlung gar nicht begriffen werden tönnen, ohne genügende Kenntnis feiner raffifcden
Befonderheit. Daber ift der Raffenfunde auf allen Stufen der Schule genügend Raum zu
widmen, damit die Grundeigenfchaften der wichtigften Raffen dem Schüler vertraut und der
Bli für felbftändige Beobabtung der Raffenunterfchiede geichärft wird. Dabei ift zu beachten,
daß die Belehrung nicht bei Außerlichen Uinterfchieden fteben bleibt, fondern daß, dem wachlens
den Derfteben angepaßt, gerade auch die feelifhen Linterfchiede, wenigftens in den Grunds
zügen aufgezeigt werden. Das ift nicht nur für das Verftändnis der Kigenart der deutichen
Stämme widtig, fondern beinabe nod mebr fiir das Verftändnis der Völker, zu denen wir
unmittelbare Beziehungen baben. Dabei ift von einer gebäffigen Beihimpfung fremder
Raffen grundfäglich abzufehen. Klotwendig ift vor allem der Llacdhweis der Ichädlichen
olgen der Raffenverfchledhterung und die fete Betonung der Sorderung unferer vdltifden
ulunft, daß die Überfremdung deutfchen Blutes mit fremdraffigem, vor allem judifdem
und farbigem Blut unbedingt verhindert werden muß. Andrerjeits aber verlangt die
Wiederberitellung der en Gerechtigkeit, daß der Den der nordifchen Raffe
in der Entwidlung Europas und der übrigen Erdteile genügend Raum gewährt wird.
Denn nicht nur find gut 50 v. %. der Blutmenge des Seutfden Volkes nordifcher Hers
tunft, fondern die nordifde Raffe it auch fir die Geftaltung der Gefdide Eurafiens feit
der Urzeit von entfcheidender Bedeutung gewefen. Gerade unter diefem Gefidtspuntte mugs
der Beginn der europäifchen Gefdhidte mit dem Auftauden der aus dem mitteleuropäifchen
Raume ftammenden Griedhen und Römer in Südeuropa und über die Grenzen Europas
binaus die Rulturleiftung der Inder und Perfer als eine Tat der nordifhen Raffe ertannt
werden. Weiterhin ift die Bedeutung der germanifcdhen Völkerwanderung, die den Grund
zur gefamten europäifchen Staatenentwidlung gelegt bat, nur unter diefem taffifchen Ges
fihtepuntt richtig zu würdigen. Und das geiftige oder ar Übergewicht, der
in der Lleuzeit weltbeberrfchenden Völker, der Deutfchen, der Engländer und dee Words
amerilaner findet wiederum feine letzte Erklärung darin, daß in ihnen nordifche Tatkcaft
fid Geltung verfchaft bat.
Diefe raffentundlide Aufllärung aber ift durch eine nicht weniger widtige erbs
gefundbeitlidhe zu ergänzen. Schon bei der Jugend kann und muß das Verftändnis
r gewedt werden, daß ein Doll auc in feinem raffifchen Gefüge keine unabänderliche
Größe ift, fondern daß fein raffenmäßiger und gefundbeitlicher Aufbau beftändigen Andes
rungen unterworfen ift, je nachdem beftimmte unge fic ftärker, andere
Ihwäder vermehren, fo daß zum Beifpiel unter gewiffen Dorausfegungen die Nach⸗
kommen der heute lebenden Deutfiden in 300 Jahren völlig verfhwunden und durch fremds
ftämmige erfet fein könnten. Daneben ift auf die Erblichkeit Rörperlicher Mißbildungen,
tranthafter Anlagen und geiftiger Schwächen fo nadhdrüudlich binzuweifen, daß diefe Dinge
den beranwachjenden Gefdledte als felbftperftändlich erfcheinen und dann bei der Battens
wahl fein Derantwortlichleitsgefühl beeinfluffen. Dazu tritt der große Gedanke dec Erb⸗
gefundbeitslebre, daß alle Aufwärtsbewegung eines Volles im legten Grunde von der
Erhaltung und Mebrung feiner erbtüdhtigen Gefchlechter abhängig ift.
Im Zufemmenbange mit Raffentunde und Erbgefundbeitsiehre vermag die Schule
auch dur Einführung in die Grundbegriffe der Samilienforfhung und duch Ans
leitung zu Aufzeichnungen über die eigenen Voreltern wertvolle Anregungen zu geben.
Raum eine Wiffenfchaft ift derart geeignet, das Verftändnis für raffifche und erbliche Zus
fammenbange einerfeits und für die blutsmäßige Derbundenbeit aller Dollsgenoffen andrers
1933, III Buchbeſprechungen. 133
EEE DET SER EEE IIE De MD RSI TI DPSS OE me —
ſeits zu foͤrdern wie gerade die Familienforſchung. Die Familie als kleinſte ſoziale Gemein⸗
ſchaft arbeitet der Schule in der Begruͤndung des ſozialen Gedankens vor, dem dieſe in der
Rlaſſengemeinſchaft und in der Schulgemeinde ein erweitertes Betaͤtigungsfeld bietet. Er
findet ſeine tiefſte Begruͤndung und zugleich ſein ſchoͤnſtes Ziel in der Zuſammengeboͤrig⸗
keit aller Volksgenoſſen, in der Volksgemeinſchaft, die nicht nur politiſch und wirtſchaftlich
geſehen eine Schickſalsgemeinſchaft und vom Standpunkte der Rultur aus eine Wertge⸗
meinſchaft, ſondern auch in Folge der umfaſſenden verwandtſchaftlichen Verflochtenheit
aller Volksgenoſſen eine Blutsgemeinſchaft darſtellt, deren innere Verbundenheit gerade
durch raſſen⸗ und familienkundliche Betrachtungen leicht zu erweiſen iſt.“
Buchbeſprechungen.
Sriedrig Kertlein, Oskar Paret, Peter Göhler, Die Römer in Württenberg. W. Robl⸗
bammer, Stuttgart 1928— 3932. (I. & fyettlein, Die Gefchicdte der Befegung des römifchen
Württemberg. XVI u. 200 &., 14 Tafeln, 5 Tertfig. — II. ¢ §. Hertlein und P. Ggke,
unter Mitwirtung von ©. Paret, Die Straßen und Webranlagen des roͤmiſchen Wuͤrttem⸗
berg. XXVII u. 313 ©., ı ardhäologifche Rarte, 43 Tertabb., 33 Tafeln. — III. ©. Petet,
Die Siedlungen. XVI u. 419 S., ı arcdhäologifche Karte, 137 Tertabb., 16 Tafeln.) Preis
geb. ME. 33.30, geb. ME. 36.—.
Das vorliegende Werk gereicht dem als Herausgeber zeichnenden WPürttembergifchen
Landesamt für Denkmalpflege wie überhaupt der württembergifhen Landesforfhung zur
größten £bre. Es ift erftaunlih, welche Sille an biftorifcher und kultureller Erkenntnis
diglich die Jahrzehnte lang unermüdlich fortgefetzte Beobachtung und Durdforfdung des
Bodens geliefert bat. Dabei ftanden die von den Römern eingenommenen Gebiete je nad)
dem Zeitpunkt der Befigergreifung nur etwa 230, 170 oder gar nur 310 Jahre unter deren
Serrichhaft, fomit ganz bedeutend kürzer als am Abein oder in den dftlidh anfdliefenden
Donauléndern. Auch Scriftftellernadhrichten kommen nur ausnahmsweife der Deutung des
Bodenbefunde 3u Hilfe.
Die Derfaffer baben bei der Darftellung der römifchen Derbältniffe ebenfo den Anfchluß
zur Dorgefdidte wie zur alamannifchsfräntifchen Zeit bin berisdfidtigt und dsadurdh den
Sinn und die Abfidt mander rdmifden Cinridtung Margelegt, insbefondere die tieferen
Urfadhen fir die Siedlungsverbältniffe und die Straßenführungen ergründet.
Me die Römer das heute württermbergifche Bebiet befetsten, war das Land von einer
für die damaligen Derhaleniffe anfehnlichen keltifhen Bevölterung befiedelt und gehörte
keineswegs, wie häufig nody angenommen wird, zur der von dem Geograpben Ptoles
maeus genannten „Eindde der MHelvetier”. Siedlungsleer war dagegen das heute nod
dünn bevälterte Waldgebiet Sftlid vom mittleren Lledar und ndrd id der Alb, alfo das
hwoäabifchsbayerifche Reuperbergland, das in den römifhen Machtbereih nie einbezogen
war. Die einbeimifde rung blieb auch nach der Unterwerfung im Lande figen.
Daraus ertlare fic das Weiterdefteben fowobl der größeren keltifhen Siedlungen wie
mander Einzelgeböfte, das Sortleben von Ortes, Slußs und Bergnamen fowie der Bels
tifhe Einfchlag, der in der Rultur zu bemerken tft. Wenn dem gegenüber $. Hertlein (38. I
&. 30 uw. $3) den Verſuch macht, die Engefeffenen als Germanen (Sueben) zu bezeichnen,
fo feheint mir feiner Aufftellung —“ der vorſtehenden widerſprechenden Tatſachen
die ee oat zu feblen, zumal wir auf den an Zahl nicht geringen Infchriftfteinen
germanifche Llamen vermiffen und auch bier wiederum faft nur keltifche Llamen antreffen.
Die Siedelungsdichte war durch geologiſche Derbhaltniffe, Bodenart, Rlima, Ders
tebrslage, durch die Dauer der Befegung des betreffenden Landftrihes ww. beeinflußt.
Daber rübrt zum Teil die beffere Befiedlung des obergermanifden Landteiles, 3u dem
u. a. das Lledarland gehörte, im Begenjag zum rätifchen Gebiete. Gegen 850 Siedlungen
find bis jegt ermittelt worden. In dem am beften betannten und am didte(ten befiedelten
mittleren LIedarland zwifchen Cannftatt und Heilbronn und den angrenzenden Lands
fcdaften wurde das Gebiet eines einzelnen Gutes mit 2—4 qkm errechnet. Die gefamte
Bevölkerung des römifchen Württemberg fchätt ©. Paret (bei der Linficherbeit fat aller
Sattoren natürlid nur verfuchsweife) auf 32 000 Einwohner, eine Zahl, die durdyaus im
Bereich des Wahrfcheinlichen liegt und die geeignet ift, den oft übertriebenen Dorftellungen
von der DBevöllerungsziffer in jener Zeit zu begegnen.
Ausführlihd wird im 3. Teil „das Schdfal der römifhen Siedlungen in nads
rémifcder Zeit und ihre Bedeutung für das fpätere Siedlungss und Landfdaftsbild” bes
134 Volt und Kaffe. 1933, III
bandek und nad den verfhiedenften Seiten hin unterfudt. Wo romifde Siedlungen forts
lebten, war dies entweder durd ibre Derkebrslage, die Bodenverdaltniffe oder dre Zurüds
gebliebene Se veranlaßt; des Öfteren, namentlich bei der Erridtung von Rirden,
wurde an römifdhe Siedlungen wieder angelnüpft. In den meiften Sällen verddeten
indes die römifhen Stedlungspläge, da die Alemannen eine völlige Lleuverteilung des
Bodens vornahmen, ohne daß jedoch das roͤmiſche Siedlungsweſen deswegen gegenitandas
los geworden wäre. Das Straßenneg wahrte fogar in falt volkm limfang feine Bes
deutung.
Sahlreihe Tafels und Tertbilder veranfdauliden den Tert, der ftrenge iffens
fcdaftlidteit und Bemeinverftändlichkeit aufs befte verbindet. Als befonders wertvolle Beis
lage muß die im MaGftab 1:200000 gebaltene (auf 2 Blatter verteilte) Rarte Württems
bergs zur Römerzeit hervorgeboben werden, die alle einfclagigen arcdologifden Cintrage
(mit Ausnahme der einzeln gefundenen Münzen) nah dem Stande vom Januar 1928
(ndrdliches Blatt) bzw. He 1934 (füdlicdhes Blatt) enthält.
Sriesrihd Wegner, Münden.
Bohihule für Politik der Liationalfozialiftifden Deutfchen Arbeiterpartei. Cin Leits
faden herausgegeben unter Mitarbeit der Doxentenfdaft von Jofef Wagner, M. d. R.
und Dr. Alferd Bed. Verlag I. 5. Lehmann, Mündyen 1933. Preis geb. ME. 4.50,
geb. ME. 8.50.
Die Hodfdule fir Politif foll eine geiftige Schulung im Sinn der nationalfozialiftis
jden Bewegung bieten und für den Kampf der Bewegung eine Reentruppe fdaffen, die
nidt nur mit den Klotwendigleiten der Alltagspolitit vertraut ift, fondern darüber hinaus
in den weltanfchauliden Brundfägen der Bewegung gefhult und zu eigener Urteilsfäbhigs
keit erzogen ift, wobei nad mdglidft ftreng wiffenfdaftliden Gefidtspuntten gearbeitet
werden foll. Was die Wegbereiter und Dorkampfer des Mationalfozialismus erfannt, durds
dacht und begonnen baben, foll bier weitergebildet und immer wieder einem neuen jungen
Geſchlecht uhermittelt werden.
Das vorliegende Buc ftellt einen Grundrif des Lebrplans der Hodfdule fur Politi
dar und bebandelt in einzelnen Auffägen der Dortragenden in tnapper Sorm famtlice
Scagen und Teilgebiete des Lebrplans: Junddft werden die Sragen der Gegenwartspoliti
grundfdglid bebandelt; einige UAbfdnitte geben fodann auf die weltanfdauliden Grunds
gefetze des Klationalfozialiemus ein. Weiterbin wird in 2 Ubfdnitten die , Raffentunde des
deutiden Volkes“ und ,Die Dererbungslebre” bebandelt. Der erftere Auffatg lebnt fid in
den wiffenfdaftliden Ergebniffen an 4%. §. KR. Güntbers „Raffentunde des deutfchen Volles“
an, ftellt kurz die Merkmale der europdifaen Raffen zufammen und betont die ots
wendigtcit einer bewußten, nordifhen ARaffenauslefe. Der zweite Auffag vermittelt die
Grundtenntnijfe der Erbbiologie. Einen breiten Raum nimmt fchließlih die Beiprebung
einer neuen deutfchen Rectsgeftaltung und der wirtfchaftlidden Aufgaben ein. Den Abs
fhluß bildet ein „Abriß der großgermanifchen Srühgefhichte“.
Das Buc ift in der Tat das nationalfozieliftifche Handbuch der Politit und dürfte
in der hand keines Raͤmpfers der nationalfosialiftifden Bewegung feblen. —
%. TH .v. Auffeg.
Karl €. von Loefh, Das Antlig der Grenzlande, Der Wordoften. Verlag §. Bruds
mann, Minden 1932. 100 Seiten, 150 Abb., mit 1 Überfichtslarte. Preis IN. 8.50.
Fichte kann eindringlicdyer und erfchütternder wirkten als der Anblid der Zerreißung
der deutiden Aulturlandfchaft und der Zerftörung von Deutfchen gefchaffener Rulturwerte.
Abgeriffene Brüden, aufgelaffene Eifenbabhnlinien, gefperrte Straßen, find die Wahrzeichen
der fremden Machthaber. 2
Diefe Sammlung von 150 ausgewählten Bildern mit begleitendem Tert bat die Bes
ftimmung, dem Binnendeutfdhen die Schönheit und Kigenart des deutfchen Grenzlandes
in Hlordoften, vor allem der durd das Verfailler Dittat entriffenen Gebiete nabe zu bringen
und Teilnahme für diefelben zu erweden. Das Buch erfüllt nicht nur diefe Aufgabe in
vorbildlider Weife, fondern ift aud eine laute unabweisbare Anklage gegen die finns und
rudfidtslofe Grenzziebung von Verfailles. Bruno RK. Sbhulg.
Georg Wolfram und Werner Glen, Eliak-Lothringiiher Atlas. Landestunde, Ges
fdidte, Rultur und Wirtſchaft ElfaßsLotbringens, dargeftellt auf 45 Rartenblättern mit
1933, III Budbefprechungen. 135
Ft a Nae Ee ew Ea a Ig RE ——
115 Haupts und Liebenlarten. elduterungsband, VIII und 167 S. Selbftverlag des
Elfaß-Lotbringen- Inftitutes. Srankfurt a. 1933. Preis ME. 30.—.
Das Srantfurter ElfagsLothringens Inftitut, das nad dem Zufammenbrud von 1918
der beimatlos gewordenen deutfchen wiffenfchaftlidden Sorfchung über das alte Reichsland
außerhalb feiner Grenzen als eine neue Heimatitatte gefchaffen worden ift, bat in den
12 Jahren feines Beftebens fein Dafeinsredht durch eine erftaunliche Sülle wertvoller Ders
Offentlidungen erwiefen. Sue das vorliegende Wert aber gebührt den erausgebern und
ihren Mitarbeitern ganz befonderer Dank: aller Alteren, die wiffen und aller Jungen, die
wiffen follen, „was wir verloren haben“.
Die Herausgeber haben von vornherein nicht daran gedacht, ein billiges, aber von der
gegnerifhen Propaganda aud leicht zu belämpfendes Tendenzwert zu Abäffen, fondern
nuc daran, wiffenfchaftlihe Arbeit zu leiften. Das gibt diefem Atlas fein Gefidt. Er
fpriht febr nüchtern eine ftumme Sprade. Man wird in ibm nirgends etwas finden,
das nad Tendenz fchmedt. Ja, es find dem ARezenfenten fogar ein paar Stellen aufges
fallen, an denen das Rartenbild dem deutfhen Standpunlt nicht fo zugute kommt, wie
es in Wirklichkeit bier vermddte; als Belege dafür, wie wichtig es ift, beim Zeichnen
folder Karten die pfychologifhe Wirkung bis ins £etzte abzufchägen, merten wir fie an,
damit fie bei einer Lleuauflage des Werkes, die boffentlid bald kommen wird, um fo
fiderer geändert werden. Das eine Mal handelt es fih um ein Zuwenig, das andere Mal
um ein Suviel Daß die Rarte 42 3ue Deranfdaulidung des Zuftandes der Induftrie im
Sabre 1914 auc das franzsfifche Grenzgebiet berudfichtigt, würde man an fidh begrüßen;
aber doc nur unter der VDorausfegung, daß aud die deutfche Llahbarjchaft, das Guars
ebiet, die Pfalz und Baden als Gegengewicht mit dargeftellt würden, was leider nicht ges
eben ift. — Der andere Sall gebdet nicht der jüngften Dergangenbeit, fondern einem älteren
Abfchnitt der deutfchen Beidhichte an. Auf Karte 9, die das territoriale Bild um 1450 gibt, ift im
Südweften gegen die Sreigraffcaft Burgund ein Stud ,Reidsgrensze“ eineseihnet. Das
ift für diefe Sat nidt mebr richtig. Denn das alte Burgund, deffen Flordftüd eben die Sreis
ga wer, batte zwar früber (vgl. die Rarte sb mit den Territorien um 1250) ein
eich für fich außerhalb des deutfhen Regnums, allerdings innerhalb des weiteren Ims
periums des deutfchsrömifchen Raifers, gebildet, galt damals aber längft, foweit es nicht
zerfallen und Srantreid anbeimgefallen war, als Beftandteil des Deutfchen Reiches (ogl.
des Rezenfenten Schrift „Regnum und Imperium“ 3930, S. 19 ff., 36 ff.); dte „Stande
Comté ift belanntlidy erft 1679 vom Reice an Sranktreidh abgetreten worden (vgl. die
Barten 10 und 11), während andere burgundifche Gebietsteile von ibm gar faft bis zu
feinem Ende 1806 feftgebalten wurden. Jenes Stüd „Reidhsgrenze“ muß alfo aus der Karte
geitrichen werden.
Die Rarten der politifchen Entwidlung, um deren eine es fid bier handelt, dürfen
wir im übrigen an diefer Stelle nur ftreifen; um fie bat fich befonders der Mitherausgeber
Gley verdient gemadt (nur dag man den faft völligen Ausfall diefer grundwichtigen Mas
terie im Erläuterungsband beklagen muß). Ebenfo feien nur notiert die wiffenjchaftlich
3. T. befonders wertvollen und felbftändigen Rarten der Rirdlichen Entwidlung (von
Claug, Wolfram, Gley und Anrid) und 3uc Spradens und DialeltsDerteilung
(namentlid von O. Stoedidt), wie aud das, was ber Wirtfchaft und Derkebr f
boten wird (fehr wenig erfahren wir über die Entwidlung des Straßenneges, deffen rs
forfehung in diefer Landfchaft, wie faft überall, noch in den Rinderfchuben ftedt).
Am ndeften gebt die LKefer diefer Zeitfchrift der fiedlungstundliche Gehalt des Werkes
an. Man findet fn an zwei weit auseinanderliegenden Stellen. Die vores und frübs
— Beſiedelung hat KR. M. B. Gutmann auf drei Rarten dargeftellt. Cine
lotarte gibt O. Sdhliter, der befte Renner diefes Stoffes im deutfchen Gefamtgebiet,
für den Beginn des Mittelalters; fehr fchade, daß nicht audy eine zweite, die den Walds
ftand des ausgebenden Mittelalters enthalten müßte, geboten werden konnte. Schön ift
ferner die Rarte 34, auf der 9. Ammann das mittelalterlide Stddtewefen fdildert. Don
den beiden Beiträgen E. Langenbeds ift weit eindringlicher und wirkfamer als die
etwas Außerliche Zufammenftellung der Wüftungen (33) die Rarte der Ortsnamen (29), auf
der der intereffante Derfuch gemacht ift, die Verbreitung der verfchiedenen Llamentypen durd
ein nicht nur die Ortspuntte, fondern die ganzen Gemarltungsräume erfafiendes Slädyens
kolorit zu veranfhauliden. Ganz obne Vereinfachungen war dabei freilid nidt auszus
kommen, wie denn auch das Bewäfferneg, um das Bild nid zu überfüllen, bier ftart
befhräntt werden mußte. Aber gerade dadurd ift dod ein BHd gelungen, das das bes
ruhmte am Ende der Völterwanderung ftebende Problem der beims und ingensOrte Eljaß»
Kotbringens fehr eindrudspoHl verdeutlicht; £. hält zu der alten Thefe Wolframs,
136 Vol und Kaffe. 1933, III
daß die in Lothringen fo maffenbaften ingensDrte gutenteils alamannifden Urfp 8
feien, die vorwiegend im Elfag zufammengedrängten Wamen bingegen frantifde Bes
nennungen, die jedoch, nur zum Teil frankifce Meugeimdungen, auc dort zumei(t alte alas
mannifde ingensYTamen verdradngt batten. |
Wer die ungebeuren Schwierigleiten kennt, die zufammenfaffenden Arbeiten gerade auf
diefem Gebiete entgegenfteben, wird das elfaßslothringifche Inftitut und feinen unermüds
lien Leiter zu dem Mut und zu der Tatkraft beglüdwünfden, mit denen fie ihre Aufgabe
durchgeführt haben. Mögen in anderen deutfchen Landen die gefchichtlichsgeograpbiichen
Unternehmungen weiterausbolend in langfamerem Tempo ausreifen —, an feinen Grenzen
bedarf unfer Dokstum vor allem fdneller Arbeit; der EIN DEI Atlas bat fie
in vorbildlicher Weife geleiftet. €. €. Stengel.
Mitteilungen.
Reigsausihuß für Dolksgefundheitsdienft. Bei der erften Sigung des Gacver:
ae fis Bevdllerungss und Raffenpolitit am 28. Juni ds. Js. bat der Herr
eidhsminifter des Innern u. a. folgendes ausgeführt:
„Die Auftlärung über Erbgefundheitspflege und Raffentunde mus sur caffe ns
bygienifben Erziehung der Jugend und des gefamten Volles ausgebaut
werden, um fie für die Ebefchliegung vorzubereiten. Um diefe Ertenntniffe weiten Breis
fen zu vermitteln und geeignetes Lehrmaterial den für die Aufllärung zuftändigen Stellen
und Erziebern der Jugend zu vermitteln, babe idy die Umbildung des Reihsauss
I&huffes für bygienifdhe VDollsbelebrung in einen folhen fur Doltsgefundbeitss
dienft angeordnet.“
Ylah Vereinbarung mit der Schriftleitung der Seitidrift ,Dol€ und Kaffe“ wird
diefe in den Dienft des KReihsausfchuffes für VDollsgefundheitsdienft geftellt werden. Lrbs
fone wird künftig bei den Arbeiten des Reichsausfduljes im Vordergrund
eben. Reihsausfhuß für bygienifche Voltsbelchrung.
Ber Kommiffar: Dr. Rutttle.
Sadverftindigendeirat fir Bevdtherungs: und Raffenpolitik. Dec Sadverftandigens
beirat fir Bevdllerungss und Raffenpolitif wurde in drei Arbeitsgemeinfdhaften geteilt und
zwar:
I. Arbeitsgemeinfchaft für Sinanzs und — Statiftit,
foziale Politi? und Siedlung. Obmann: Staatsminifter a. DB. Dr. 4. Müller.
ee Reidhsminifter R. OO. Darré, Direttor Or. §. Burgddefer, M. d. R. Borger,
Medizinalrat Dr. Gutt, Dr. Rutele und Srau Sieber.
3. Urbeitsgemeinfdaft fir Raffenbygiene und Raffenpolitit. Obmann:
Prof. Dr. €. Rudin. Mitglieder: Dr. A. Ploeg, Prof. H. §. B. Ghnther, Medizinalrat
Dr. Bütt, Dr. A. Gerde, Staatstlommiffaer Dr. ®. Wagner, Prof. Dr. Schulgeliaums
burg und Dr. Ruttte.
3. Urbeitegemeinfdhaft fir Erziebung — Srtauen — Mütterfragen und
Sürforge Obmann: Major Bud. Mitglieder: Dr. Bartels, Medizinalrat Dr.
Gütt,
Senator Dr. v. Aoff, Dr. XKuttle, Reichsjugendführer v. Schirady, Prof. Dr. Schultes
Yiaumburg, Srau Gieber, Dr. Usadel, Staatstommiffar Dr. G. Wagner.
Deutiche eee Nd Raffenhagiene. Mit Sdreiben vom 3. Juni 19353 wurde
Here Prof. Dr. Ernft din, Direttor der genealogifhen Abteilung der Sorfhungss
anftalt fir Pfyciatrie, zum Beauftragten des Reicdhsminifteriums des Innern für die
deutfhe Befellfhaft für Raffenbygiene berufen. Der bisherige Vorftand in
Berlin ift in allen feinen Gliedern zurüdgetreten. Serr Prof. Rüdin bat Sührung und
Dorfig der deutfchen Gefellfhaft für Raffenbygiene übernommen und den neuen Vorſtand
nah Münden verlegt.
Einfübenns in
die Geopolitit
Von Prof. Dr. R. Hennig und Studien-
rat Dr. L. Körholz. Mit 52 Karten i. T.
[VI u. 128 ©.] 8. 1933. Kart. AM. 2.60
[Best.-Nr. 5240]
Die reizvolle junge Wifjenichaft der Geopolitik
hat feit dem Sriege einen feften Blak und
bejondere Bedeutung neben Staatenfunde
Urfache palit — * ineinigteit or 1870. und Geographie gewonnen. Bedeutende
| Namen wie Rahel, Kiellen, Haushofer, Obit,
Lautenjach, Maull tiipfen fic) an die Gejdichte ihfer Entjtehung und Entwicklung.
Die nationale Politik fordert das Studium von
Raum und Boden, an die die politischen Vor-
gänge gebunden sind.
Sn diefem Heinen, hübfch ausgeftatteten Buch findet der politifch interejjierte Sefer eine
Mapp gefapte, billige und volfstümliche Einführung im die geopolitifdjen ®edanfengange.
Das Wejen des Staates und die Gejege, nach denen er fich entwidelt, der Einfluß der
Natur, der Bodenformation, de3 Meeres auf die Staatenbildung werden an einer Fülle bon
geichichtlichen Beijpielen und vielen guten Kartenjkizzen erläutert. In einem Teßten Ab-
jchnitt find die bisher vergeblichen modernen Bentühungen, zum Überftaat zu gelangen,
einer kritiihen Betrachtung unterzogen, und aus der Betrachtung ergibt fic) die Folgerung,
daß die Völker in der Welt am weitesten
kommen, die am entschlossensten und laufesten
den Staatsgedanken bejahen.
Das Buch ftellt feine Voraus—
jegungen an umfajjendes politijches
und geichichtliches Wilfen, und die
darin gebotenen Sdeen werden darum
aud) bon Anfängern verfolgt werden
fönnen, denen e3
eine lebendige politische
Gegenwartsbildung
vermitteln kann.
Dod) auch der mit dem Stoff Ver-
fraute wird die eigenartige Behand-
fung des Gegenjtandes mit Nuben
und Genuß verfolgen.
Prospekt mit Abbildungs- und Textproben
kostenlos und postfrei erhältlich.
5.6. Teubner, Leipzig / Berlin * Arktiſche Fluglinien der Zukunft auf dem größten Mreisbogen.
— — ——— — — — ———— Um — _ ——————— — — —— — ——
ae und Dorkänpier fi
dag neue Deutidland
Herausgegeben von 3, Sreiberen v. Müfflins. Mit 168 Bildnifjen. Kart. RM.1,
Bu Zeil der Bilder wurde eigens für dicjes Bud von dem
Bildnis-Photographen Geich Heslaff, Dütfeldorf u. a. —
Das Buch iſt in folgen ende Wbjchnitte eingeteilt, denen immer eine fnappe Charakterijierung der betre
ts
Gruppe vorangeh iSregierung / Organifatoren der NSDAP. / Erweder und Hüter rafjiichen —
— der Länderregierungen und Mitarbeiter der Reichsregierung / Juriſten, Zeugen für
beit / Landwirte / ap / Bolitiihe Schriftiteller / Wiffenjchaftler und. Künitler / Wicehaftler / —
itglieder des Kapp⸗-Putſches / Wegbereiter der Vorkriegszeit.
Im Abſchnitt Erwecker und Hüter raſſiſchen Empfindens“ ſind u a. aufgenommen;
Prof Ploetz, Prof. Schemann, Prof. Baur, Prof. Lenz, ae Günther, Prof.
Staemmler, Dr. Witel, Dr. 8. 8. Schul
3.9. Schbmannus Derlas- Münben2 SE,
Bolt und Staat in ihrer Stellung zu Bererbung und Ausleſe
Don Prof. Dr. Hans §. K. Günther. Geh. RM. 1.20,
Günther fordert, dab der Staat mehr als bisher Lehrmeilter und Suchtmeifter wird, wobei an die A
Härung über richtige Gattenwahl, andrerjeits an die Unfruchtbarmahung Minderwertiger gedacht wird.
Dieje tleine Schrift verdient weitejte Derbreitung.
39% Zebmanns Deelas /’ Münden ?2 SH,
4
Archiv
für Rassen- und Gesellschafts-Biologie
Einschließlich Rassen- und Gesellschafts-Hygiene
Herausgegeben von Dr. med., Dr. phil.h.c. A. Ploetz, in Verbindung mit Dr. Agnes
Bluhm, Prof. Dr. Eugen Fischer, Prof. Dr. F. Lenz, Dr. jur. A. Nordenholz,
Prof. Dr. L. Plate und Prof. Dr. E. Rüdin.
Schriftleitung: Dr. A. Ploetz und Prof. Dr. Fritz Lenz . |
Das Archiv wendet sich an alle, die für das biologische Schicksal unseres Volkes Interesse haben, ganz
besonders ag die zur geistigen Führung berufenen Kreise, an Ärzte, Biologen, Volkswirtschaftler,
Politiker, Geistliche, Pädagogen. Die allgemeine Biologie (Erblichkeit, Variabilität, Auslese, Anpassung)
wird soweit berücksichtigt, als sie für die menschliche Rassenbiologie von wesentlicher Bedeutung ist.
Im Mittelpunkt des pr: aktischen Interesses stehen die Fragen der Gesellschaftsbiologie (soziale Auslese,
Aufstieg und Verfall der Völker und Kulturen) und der Bevölkerungspolitik, zumal der qualitativen,
J
Das Archiv erscheint in Banden zu je 4 Heften. Preis jedes Heftes RM. 6.—
Probeheft auf Wunsch zur Einsichtnahme.
j.F.LehmannsVerlagyMinchen2 SW
Berantwortlid fiir bie Swhriftteitung von „Bolk und Kaffe”: Dr. Bruno R. Schulg, Münden,
Verantwortlich fiir den Anzeigenteil: Guido Haugg, Münden. — Verlag: I. F. Lehmann, Münden:
Druck von Dr. F. PB. Datterer & Cie, Freifing- München.
Volt und Kaffe
Sllufirierte Wonatsfdrift für deutfches Volfstum
Raffenfunde Raffenpflege
Heitfehrift des Reidsausfcduffes für Dolfsgefundbeitsdienft und |
der Deutfchen Gefellfhaft für Rafjenbygiene. |
Herausgeber: Prof. Aichel (Kiel), Präf. Dr. Aftel (Meimar), Prof. Baur (Müncheberg), Reiche:
miniftee R.W. Darr& (Berlin), Min.sRat $ebrie (Heidelberg), Med.-Rat G ütt (Berlin), Kultus:
minift. Sartna de (Dresden), Reidsfibrer SS. Himmler (Minden), Prof. Mollifon (Minden),
Prof. Mud (Wien), Prof. Rede (Leipzig), Prof. Rudin (Mimcben), Dr. Ruttke (Berlin),
Prof. 4. Schulg (Königsberg), Dr. W. Schulg (Görlig), Prof. Sdulge-Maumburg
(Meimar), Prof. Staemmler(Chemnig), Dr. Tirala (Brünn), Dir, Dr. Zei (Srankfurt a. Mt.)
|
Smriftleiter: Dr. Bruno R.Schulg, München
Meubauferftraße 51/3. |
8. Jahrgang Heft 4 Auguft (Ernting) 1933)
Inhalt: |
Anjiprade des Herrn Reichsminifters des Innern Dr, Frid auf der erften
Sigung des Sachverftindigenbeirats fiir Bevilterungs- und Raffenpolitit . . Geite 137 |
Die Rafjenzufammenfegung des eftnijden Volkes. I. Teil. Von Dr. Sophie |
Ehrhardt, München. Mit 3 Abbildungen. - . . . 2 2 nn — » aa
Riajfenbild: Griefin von der Infel Föhr >: 2 22 m nn rn » 149 |
Die Bajas. Bon Thilo v. Trotha. Mit 6 Abbildungen . . > 22 m nen „ 150
Was jagt uns die Bollszählung vom 16. Juni 19338? . ....... ' » Ss |
Aus Rafjienhygiene und Bevölferungspolitif Mit 3 Abbildungen . . . . 4» 151
Deutihe Gejellihaft für Raffenbygiene .......... — aA
ENGEN. do BE ewe: ee ee „ 158 |
Be uttspreis vierteljäbrlih RA. 2.—, Einzelbeft RM: —.70, Poftfchedtonto dea Verlags Minden 129; 4
Awugspreis Poſtſparkaſſenkonto Wien 505 04; Doftfchedtonto Bern Fir. III 4845; Kreditanftalt der
Deutjchen in Prag, Kratauer Gate 11 (Poftfdedtonto Prag 627 30). :
1
3. §. Lebmanns Verlag 7 Winden 2 SO. / Paul HepferStr. 26
Volk und Kafle, 8. Jahrg. 1933, Heft 4
3. §. £ebmanns Derlag, Minden
Der Derlag bebält fiy das ausfchließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfhrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor.
Anſprache
des Herrn Reichsminiſters des Innern Dr. Sci
auf der erſten Sitzung des Sachverſtaͤndigenbeirats fuͤr Bevoͤllerungs⸗ und
Raſſenpolitik am 28. Juni 1933.
Heute Manner und Srauen! Indem ich Ihnen für Ihre Bereitwilligteit zur
Mitarbeit danke, geftatte ich mir, Ihnen heute einen Überblid über die Aufs
gaben zu geben, die wir uns gefegt haben, und das Ziel zu umreißen, das wir
erreichen wollen.
Die nationalfozigliftifche Bewegung darf das Derdienft für fic in Anfprud)
nebmen, unter Subrung Adolf Hitlers das deutfche Volk vor dem völligen po =
litifben Zerfall und das Reich vor feiner Aufldfung bewahrt zu baben.
€s wire ein fchwerer Sebler zu glauben, daß damit die Aauptaufgabe geloft fei.
Wer die Dinge tiefer zu feben verftebt, weiß, daß die fehwierigfte Leiftung nod
zu vollbringen ift, namlich den Bulturellen und vslktifchen Fliedergang
aufzuhalten. Deutfchland gehört zu denjenigen Ländern, die nicht nur die Haupts
laft des Weltkrieges und ungeheure Derlufte der beften Männer und Raffens
beftandteile zu tragen batten, fondern es ift auch das Land, das fowohl während
des Krieges wie nach dem Kriege den beörohlichften Ausfallan Geburten
zu verzeichnen gebabt bat. Während wir um die Jahrhundertwende noch etwa
zwei Millionen Geburten im Jabre batten, find es beute nur nod rund 975.000.
Don etwa 36 Lebendgeborenen auf Taufend um das Jabr 1900 ift diefe Zahl auf
etwa 15 im Jabre 1932 abgefunten. Die Zahl der Rinder nimmt alfo in bedrob>
lichem Maße ab, das neun der Flachkriegszeit ift überbolt, das
deutfche Volk ift zum Kinz, ja zum Aeinktindfyftem übergegangen.
Troß der großen Erfolge der allgemeinen Hygiene, der Belämpfung der
anftedenden Krankheiten, der fozialen Hygiene und der medizinifchen ee
fcbaften uberbaupt, die binfidtlic der Belampfung der Sterblicleit und der Vers
längerung des menfchlichen Lebens gemadht worden find, reicht der Rudgang
der Sterblichkeit im voltsbiologifchen Gefamthaushalt unferes Volkes nicht
mebr aus, um die Erhaltung des Bevöllerungsbeftandes zu fichern. Meute ges
nügen zur Beurteilung nicht mehr die rohen Geburten: und Sterbezablen, fondern
wir müffen eine Bereinigung der Lebensbilanz unter Berüdfichtigung
der verfehiedenen Alterstlaffenbefegung vornehmen, um die wabre bes
vdllerungspolitifde Lage zu erkennen. Kia den Berechnungen des Statiftifchen
Reidsamts ift das deutfche Volk bei feiner heutigen Beburtenziffer nicht mehr im
Stande, fich aus eigener Kraft zu erhalten, fondern bei 15 Geburten auf Caufend
der Bevölkerung feblten uns fhon etwa 30% an Gebdrleiftungen der deutjchen
Srauen, um den Dolksbeftand in der Zukunft zu fichern. Weber Berlin
nod die anderen deutfchen Gropftädte, noch felbft die Mittel: und Kleinftädte find
bei der heutigen Beburtenziffer in der Lage, ibren Bevdllerungsftand zu erhalten.
Flur die ländlichen Gemeinden haben noch einen geringen GBeburtenüberfchuß, der
aber nicht mehr ausreicht, um den Derluft in den deutfchen Städten 3u erfegen.
Wir fteben damit vor einer grundfäglichen Wende der Zeit. Unfer Volk gebt
unweigerlich einer ftarten Überalterung und Dergreifung entgegen.
Dod es ift ja nicht nur die Zabl, die zu Bedenken Anlaß gibt, fondern in
gleihem Maße die Gite und Befchaffenbeit unferer deut(hen Bes
voltecung. Da wir bisher noch Beine erbbiologifche Beftandsaufnabme haben,
Dolf und Raffe. 1933. Ungnft. 3}
138 Volt und Raffe. 1933, IV
find wir auf Schägungen angewiefen. Während man die Salle von fdweren
örperlichen oder geiftigen Erbleiden mit 500 000 etwoa annehmen kann, find die
Sablen der leichteren Sälle erheblich höher. Es gibt Autoren, die bereits 20%0 der
deutfchen Bevölkerung als erbbiologifd gefdadigt anfeben, von denen dann alfo
Uiadhwuds nidt mebr erwinfdt fei. Es fommt binzu, daß gerade oft fd wads
finnige und minderwertige Perfonen eine überdurchfchnittlich große Sorts
pflanzung aufweifen. Während die gefunde deutfche Samilie heute nicht mebr
3 Rinder im DBurchfchnitt dem Staate zur Verfügung ftellt, findet man gerade bei
Schwadhfinnigen und Minderwertigen, fo bedauerlich das aud Elingen mag,
durchfchnittlich die doppelte, oft fogar die dreifache Zahl. Das bedeutet aber, daß
die begabtere wertvolle Schicht von Generation zu Generation abnimmt und in
wenigen Generationen nahezu vollig ausgeftorben fein wird, damit aber auc
Keiftung und deutfche Kultur.
Das düftere Bild, das ich vor Ihnen entrollen muß, ift jedoch noch nicht
zu Ende! Während wir durch diefen Rüdgang an Zahl und Befchaffenbeit unferes
Volkes unfere Bebauptungsmöglidhkeit Ar den Bebiete der Wirtfchaft, der Soziale
politik, der Webrfabigtcit dauernd verringern, baben unfere Tladbarn im
Oſt en etwa die doppelte Gebärkraft und Lebendgeborenenzahl. Die Abwandes
rung vondem Lande in die Städte, aus dem Öften nach den Welten bat
bereits in einigen Landlreifen des Oftens zu einem merkliden Bevdllerungsrics
gang geführt, fo daß troß der vorbandenen Arbeitslofigkeit die Befahr der Zus
wanderung von Sremdftämmigen im Öften beftebt. In Berlin allein
find im Jahre 1930 etwa 4000 Zugewanderte aus dem Gften eingebürgert, von
denen die meiften fremöftämmig, zum großen Teil Oftjuden waren. — Lieben der
bedrohlich zunehmenden erbbiologifeben Minderwertigkeit muffen wir in gleidem
Mae die fortidreitende Raffenmifdhung und Aaffenentartung unferes
Dolles mit Gorge verfolgen, da der deutfce Mann und die deutfche Srau es
verlernt baben, fich ihres Blutes und ihrer Raffe bewußt zu fein. —
In großen Zügen gefeben, bat die jegige Regierung außer der überaus
traurigen wirtfcheftlichen, inners und außenpolitifchen Lage auch einen befonders
bedrobliden bevdllerungspolitifmen Zuftand des deutfchen Volles
vorgefunden. Die früheren Regierungen haben den Mut nicht aufgebracht, einen
rundfätzlichen Wandel berbeizufübren und das Steuer der gefamten Innens und
irtfchaftspolitit berumzuwerfen.
evor ich Ihnen die Maßnahmen kurz erläutere, die wir in Angriff zu
nehmen baben, müffen wir uns über die Urfachen diefes vslkifhen Ders
falle kurz Rlarheit verfchaffen.
Wir feben heute die große Zahl von Erwerbslofen, und unfer Volt befindet
fid in dem Glauben, daß fic alles zum Guten wenden wird, wenn fie wieder
Arbeit erhalten. Gerade die Gebildeten find der Auffaffung, daß man nur die
Wirtfchaft in Bang zu bringen brauche, dann kommt alles andere von felbft.
Gewif miaffen die Wirtfchaft und die Erndbrungsgrundlage wieder bergeftellt
werden! €e ift aber irrig, zu glauben, daß damit allein unfer deutfches Doll im
Herzen Europas zu retten iftl Werfen wir einen Blid in die deutfche Gefchichte,
fo ertennen wir, daß wir von einem Agrarftaat zu einem Jndsuftrievoll ges
worden find. Hardenberg bat nach 1807 in Preußen die Entwidlung zum Ins
duftrieftaat eingeleitet. Dadurch, daß er den Boden als Privateigentum freigab,
bat er in Deutfchland den Weg zum libersliftifhen Wirtfhaftsfyftem
geebnet. Die Solge der geldwirtfchaftlichen Entwidlung war die Derftädtes
tung und die Jnduftriclifierung Deutfdlands. Die natürlide Entwidlung
unferes Dolles, der bäuerliche Samilienfinn und die Wirkfamtleit der Lebensauslefe
auf dem Lande hörten damit auf. Unfere Rechtsverbältniffe, das geldwirtfchafts
liche Spftem und die Derficherungsgefeggebung bradıten eine Umlebr der Aufs
faffung über Sitte, Gefchlecht, Samilie und Rinder mit fid. Damit begann die
Entwidlung zum Jndividualismus, zum Rlaffentampf, 3um Marrismus
1933, IV Anfprache des Seren Reichsminifters des Innern Dr. Srid. 139
Ee ee oe eee eT ER ee
und Rommunismus. Die Mechaniſierung der Arbeit, die wirtſchaftliche Ver⸗
ſtlavung und die marrxiſtiſche Wirtſchaft nach dem Kriege vollendeten den Zer⸗
ſtoͤrungsprozeß, der unſer Volk an den Rand des Abgrundes gebracht hat. Hand
in Hand damit ging der fittliche Derfall unferes Dolles. Der liberaliftifche
Geift hat feine Seele vergiftet, den Sinn für das Samilienleben und den
Millen zum Rinde ertster. Mit diefer feelifchen Strutturwandlung volls
30g fich die ae häuslichen Samilienlebens. Mann und Stau geben
zur Arbeit und in ihren Beruf, fie erftreben beide einerfeits geiftige Bildung und
andererfeits Arbeit und Teilnahme am Wirtfchaftsleben. — Go wurden Mann
und Srau dem Samilienleben entfremdet und glaubten in ungebundener Ges
fhledterfreibeit einen Ausgleich gefunden zu haben. Die Öffentlichkeit vers
berrlidt das Mannweib in Sport und Beruf, bat aber nichts übrig für die
Mutter, die heute noch eine ausreichende Rinderfchar ihr eigen nennt. So fiebt
der Mann heute in feiner * nur den Lebenskameraden, aber nicht mehr die
Mutter ſeiner Rinder. In Folge deſſen iſt es kein Wunder, daß Abtreibung
und Geburtenverhinderung unſer Volk zum Abſterben bringen. Was
iſt zu tun, um hierin Wandel zu ſchaffen?
Bei der uͤberaus ſtarken Belaſtung unſeres Volkes mit Steuern, Sozial⸗
abgaben und Zinſen duͤrfen wir uns der Erkenntnis nicht verſchließen, daß der
Staat an einen Umbau der geſamten Gefeggedung und eine Derminderung
der £aften für Mindserwertige und Afoziale beranzugeben haben wird.
Wie fehr die Ausgaben für Minderwertige, Aſoziale, Rranke, Schwachſinnige,
Okiftestrante, Rrüppel und Verbrecher heute das Maß deffen Uberfdreiten, was
wir unferer fhwer um ibre Eriftens ringenden Bevdllerung zumuten dürften,
erfeben wir aus den Roften, die heute vom Reich, von den Ländern und den Roms
munen 3u ibrer Derforgung aufgebracht werden müffen. Dafür nur einige Beis
fpiele: es foftet der GBeiftestrante etwa 4 2H den Tag, der Verbrecher 3,50 At,
der Rrüppel und Taubftumme 5—6 An den Tag, während der ungelernte Arbeiter
nur etwa 3,51 AM, der Angeftellte 3,60 RX, der untere Beamte etwa 4 RH den
Tag zur Verfügung haben. Das find Solgen einer übertriebenen Sürforge
far das Kinzelindividuum, die den Arbeitswillen der Befunden ertöten
und das Volk zu KRentenempfängern erziehen muß. Andererfeits belaften fie die
wertvollen Samilien derart, daß Abtreibung und Geburtenverhutung die Solge
davon find. Was wir bisher ausgebaut haben, ift alfo eine übertriebene Perfonens
bygiene und Sürforge für das Kinzelindividuum ohne Rüdficht auf die Erkennts
miffe der Dererbungslebre, der Lebensauslefe und der Raffenbygiene. Diefe
Art moderne ,Humanitat und fosialer Sürforge für das kranke, (dwade und
ne. Individuum muß fic fue das Doll im großen gefeben als größte
Oraufamleit auswirken und f&hließlich zu feinem Untergang führen.
Um das drohende Unheil abzuwenden, ift eine Umftellung des gefamten
öffentlihen Befundhbeitswefens, des Denkens der Arztefchaft und eine
Wandlung der Aufgaben unter dem Gefichtspuntt der Raffenbygiene, der Bes
vdllerungss und Raffenpolitit von nöten. Erft wenn der Staat und das Gefunds
beitswefen als Kern ibrer Uufgaben die Dorforge fur die nod nidht Ges
borenen anftreben, fönnen wir von einer neuen Zeit und von einer aufbauenden
Bevdllerungss und Raffenpolitit reden.
dur Erhöhung der Zahl eee Ulachtommen baben wir zunddhft die
Pflicht, die Ausgaben für Afoziale, Minderwertige und hoffnungslofe Erbirante
berabzufetzen und die Sortpflanzung der fhwer erblidh belafteten
Derfonen zu verbindern.
Die wiffenfchaftli begründete Dererbungslebre gibt uns nach der Ents
widlung im letzten Jahrzehnt die Möglichkeit, die Zufammenbänge der Vererbung
und der Auslefe und ihre Bedeutung für Doll und Staat Mar zu erkennen. Sie
ibt uns damit aber aud) das Recht und die fittliche Pflicht, die fchwer erbiranten
erfonen von der Sortpflanzung auszufcalten. Don diefer Pflicht können
11°
140 Voll und Kaffe. 1933, IV
wir uns auch nicht durch eine falfchy verftandene Frächftenliebe und kirchliche Be:
denken, die auf Dogmen vergangener Jabrbunderte beruben, abhalten laffen, im
Oegenteil, wir müffen es als eine Verlegung der hriftlihen und fozialen
Wadftenliebe anfeben, wenn wir tro der gewonnenen Erlenntniffe es weiter
zulaffen, daß Erblrante einen Viadhwuds bervorbringen, der unendlicdyes Leid für
fie felbft und die Angehörigen in diefer und den kommenden Generationen bedeutet.
In Solge deffen babe ih micdy entfchloffen, einen Entwurf eines Geſetzes
zur Verhütung erblranten Hahwuchfes vorzulegen, den ich im Ans
flug an Ihre heutige Gigung zu prüfen bitte.
Doc feien wir uns deffen bewußt, daß mit der Ausmerze und Auslefe,
die durd unfere raffenhygienifche und raffenpolitifche Gefeggebung eingeleitet
werden, noch nichts erreicht ift, wenn wir nicht duch pofitive bevdls
terungspolitifhe Maßnahmen die Samiliengründung und die ausreichende
ortpflanzung der wertvollen erbgefunden deutfchen Hienfchen erreichen. Der
etitel 139 der Reichsverfaffung, nad dem die Samilie als die Grundlage
des Staates anerkannt und ausgleichende Gerechtigkeit für fie gefordert wird,
it bisher nicht zur Wirklichkeit geworden. Bei Prüfung der gegebenen Ders
baltniffe müffen wir zugeben, daß die bisherige Befegebung und Praris zu einer
Bevorzugung der Rinderlofen und Rinderarmen geführt bat. Die
Oefetsgebung bat eine Entwidlung genommen, die bei der überaus traurigen
Wirtfchaftslage, in der wir uns befinden, nicht von heute auf morgen zu ändern
if. Während man dem Samilienvater auf der einen Seite einen, wenn aud uns
genugenden Teil der Eintommenfteuer erläßt, find die Samilien vorber bereits je
nach ihrer Rinderzabl durch die indirelten Verbrauchafteuern, die auf allen Lebenss
mittel und dem täglichen Bedarf ruben, um das Mebrfache vorbelaftet. Die bis
berigen Steuerermäßigungen, die für die heute fhon geringe Rinderzahl
der überhaupt Eintommenfteuerpflichtigen in Stage tommen, machen nur einen
Bruchteil, etwa 1/,, der gefamten Steuernachläffe überhaupt aus. Der Fiadhlaß
beträgt zur Zeit nur ungefähr ein Drittel des Betrages, der den Unverbeirateten
durch das fogenannte Eriftenzminimum mit einer gewiffen Selbftverftändlichkeit
gewährt wird. Man behandelt alfo fteuertechnifch gefeben das Rind fchlechter als
diejenigen, die mit ihrem Kintommen nur fich felber zu unterhalten haben. In
Solge deffen haben Unverbeirstete und Rinderlofe die mebrfadhe Konfumbreite je
Dollperfon zur Verfügung wie die kinderreiche Samilie, die dem Vaterlande den
Vlachwudhs erziebt. Yur die dugerfte Cinfdrantung in der Ernährung, in rs
bolung, Bildung, Rérperpflege, Kleidung und Wohnung kann es dem Cinders
reihen Samilienvater le ermöglichen, feinen Haushalt aufrecht zu ers
balten. Daß dadurch aber ungeheure Schäden für den noch gefunden Kladhwucdhs
entfteben, kann niemand bezweifeln. Schulfpeifungen, Almofen und die Übers
ung des Sports können den Samilienfinn nicht wiederbringen.
enn beute nod) Millionen von Wüttern, oft gerade Linderreide Mütter
neben ihren häuslichen Pflichten im Arbeitsprozeß fteben, nur weil fie den es
näbhrungsfpielraum vergrößern müffen, während unverbeiratete männliche Urbeitss
lofe aus Sffentlihen Mitteln unterhalten werden, fo ift es böchfte Zeit, daß wir
an die Löfung diefes Problems mit Energie herangeben und durd Samiliens
loftenausgleich Wandel fchaffen. Es muß gelingen, die Stau wieder dem
Ebes und Samilienleben und den häuslichen Pflichten, den Hlann aber aus dem
Suftand der Arbeitslofigkeit dem Beruf zuzuführen. Gerade der erhöhte Vers
brauch, der durch diefen Ausgleich erreicht werden wourde, wäre geeignet, den
inneren Wirtfchaftsmarlt zu ftärken und die Produktion von Werten anzuregen,
die im Inland erzeugt werden. Ls tann gar keinem Zweifel unterliegen, daß
gerade die niedrige Zahl der Rinder unter 15 Jahren heute einen großen Teil der
rbeitslofigteit und des Darniederliegens des inneren Wirtfchaftsmarltes bedingt.
Wollen wir alfo ernftbaft an den bevölkerungspolitifchen Aufbau berans
geben, müffen wir je nach wirtfchaftlicher Stellung und Höhe des Einkommens
1933, 1V Anfpracye des Herrn Reichsminiftere des Innern Dr. Srid. 141
Sa ee eee)
verſchieden geartete, die Familie foͤrdernde Maßnahmen in Angriff
nehmen. Es gibt dazu die verſchiedenſten Moͤglichkeiten, die ich Sie mit meinem
Miniſterium gemeinſam vorzubereiten bitte. Die vorhandenen geſetzlichen Be⸗
ſtimmungen ſind auf ihre familienfeindliche Wirkſamkeit hin nachzupruͤfen und
eine familienfreundliche Geſetzgebung iſt in Angriff zu nehmen. Es muß ermoͤg⸗
licht werden, fuͤr Kintommenfteuerpflichtige durch ftärker geftaffelten Steuers
nadlaf in Prozenten der Steuer einen fublbaren Ausgleih zu fchaffen. benfo
müßte die Befoldung der Beamten nady dem Samilienftand und der Rinders
zahl noch wirkfamer abgeftuft werden, da ja das GBebalt des Beamten nicht nur
eine Entlohnung ift, fondern ihm einen ausreichenden Unterhalt der Samilie ges
währen foll. &s müßte etwa ausgegangen werden von dem Gehalt, das ein
Beamter zur Unterhaltung von 3—4 Rindern bendtigt, um es je nach der Rinders
zahl nady unten und oben zu ftaffeln. Während die freien Berufe und der ges
werblide Mittelftand wie alle Unternehmerkreife durch einen wirkfamen Steuer;
nadlag erfagt werden könnten, gibt es bei Angeftellten und Lobns
empfängern nur die Möglichkeit, den Ausgleih durch Ausgleidstaffen
zu fchaffen, in die alle nady Maßgabe ihres Eintommens Beiträge zu zahlen oder
je nad) der Hobe der Rinderzahl einen Ausgleich zu erhalten hätten. Dies braucht
keine Mebrbelaftung für den Staat und die Betriebe zu bedeuten, fondern es muß
verfucht werden, eine Verlagerung des Eintommens zur Sicherung der Lebens
baltung der erbgefunden Samilie zu bewirten. Um das qualitative Prinzip zu
gewäbrleiften, wird es allerdings erforderlich fein, eine Aufbefferung nur in Pros
zenten des Einlommens zu gewähren, um afozialen Menfchen nicht gleiche Rechte
wie der arbeitenden Beodlkerung zu geben. Bei der fchwierigen Sinanzlage des
Reiche, der Länder, der Kommunen und der Wirtfchaft erfcheint die Durchführung
aller diefer familienfördernden Maßnahmen allerdings nur möglich, wenn eine
Entlaftung auf anderen Gebieten, 3. B. durch VDereinbeitlihung und geeignete
Sparmaßnahmen im Soszialverficherungswegen eintritt.
Aus der Gefdidte wiffen wir, dag unfer Dolf im Bauernftande vers
wurzelt und daß die Erbaltung der erbgefunden deutfdhen Bauerns
ee legten Endes ausfchlaggebend für den Volksbeftand ift. Der deutfche
uernbof ift zu allen Zeiten die Stelle gewefen, wo fic das deutfche Doll troy
Brieg und Seuchen immer wieder bebauptet und nad einem Fliedergang wieder
aufgerichtet bat. Die Roppelung des beften deutfhhen Blutes mit dem
deutfhhen Brund und Boden muß darum mit allen Mitteln verfucht wers
den. Der Boden muß wieder Teil eines Samilienrechts und unter ftaatlichen Schuß
geftellt werden. Als Begengabe aber muß der nationalfozialiftifche Staat von den
Herren diefes Bodens verlangen, daß fie ihm eine ausreichende Zahl gefunder Flachs
tommen zur Verfügung ftellen. Es gilt daher, die Siedlung fo zu geftalten, daß
eine ausreichende Rinderzabl durch fteuerliche und erbredhtliche Beftimmungen ges
fichert wird.
Reid, Länder und Gemeinden müffen im Fleuen Deutfchland ihre gefamte
Derwaltung unter bevdllerungspolitifhben Gefidtspuntten
ncchprüfen, und, foweit notwendig, neu geftalten. Auger der wirtfdaftliden und
finanztechnifchen Umftellung wird das Sffentlihe Befundheitswefen zu
pereinbeitlichen und für raffebygienifche und aufbauende Maßnahmen frei zu
machen fein. Lieben den bisherigen fanitätspolizeilichen und gefundbeitsfördernden
Einrichtungen wird es notwendig fein, in Erkenntnis der VDererbungslebre und
Raffenbygiene die Gefabren der erblichen Belaftung zu bannen und dadurdy die
Sortpflanzungerbgefunder undtühtiger Menfchen wieder zu vers
bürgen.
Go febr aud) wirtfcaftliche Gründe und das übertriebene Streben nad
fozialem Aufftieg eine wefentliche Urfache des Geburtenrudgangs, der Abs
treibung und der Geburtenverbinderung find, jo dürfen wir doch keineswegs vers
kennen, daß es fich dabei in erfter Linie um ein erzieberifches, ein pfydhos
Dolf und Haffe, 1933. AUnguſt. 12
142 Dolf und Kaffe. 1933, IV
logifdhes und etbifcdhes Problem bandelt. Die Einftellung dem feimenden
£cben gegenüber ift von der Weltanfbauung nicht nur der deutfcben Stau
und Rutter, fondern auch des Mannes abbängig. Durch Gefege und wirtfchaft:
liche Maßnabmen allein läßt fib der Wille zum Rinde in einem Volt und vor
allen Dingen in der Stau nicht erweden, es muß vielmebr die Seele der rau zum
Rinde zurüdfinden. Das ift nur möglich durdy Erneuerung des Denkens der Srau
und durd Lofung der Srauenfrage. Wir müffen die Srau aus ibrer wirts
fbaftlichen Flot befreien und ihr wie den Rindern ausreichenden Schug gewäbren,
aber im gleihen Maße den Mann zur Pflicht der Samiliengründung erzieben.
Hier bietet fib der Mationalfozialitifben Srauenfhaft can
weites Seld der Betätigung, die fie unter Sübrung von Müttern und in enger An:
lebnung an die Einderreiche Wutter in Angriff nebmen muß.
Die Aufklärung über Mrbgefundbeitspflege und XRaffentunde muß zur
raffenbygienifben Erziehung der Jugend und des gefamten Volles
ausgebaut werden, um fie für die Ebefchließung vorzubereiten. Um diefe Erkennt⸗
niffe weiten Rreifen zu vermitteln und geeignetes £ebrmaterial den für die Auf:
klaͤrung alae Stellen und Erziebern der Jugend zu vermitteln, babe ich die
Umbildung des Reihbsausfchuffes für bygienifche Dollsbelebrung in einen
folden für Dollsgefundbeitsdienft angeordnet. Eine übertriebene allzu
lange wiffenfdaftlide Ausbildung ift der rebtzeitigen Samiliengrüns
dung ebenfo binderlidh wie die Übertreibung des Sports. Gerade die gebildete
Schicht ift am meiften gefährdet, da die fpäte Samiliengründung der Grund fir
Ebelofigteit, Krantheit und eine mißratene be ift. Es muß wieder als Pflicht
der gebildeten Jugend angefeben werden, fich des Wertes der deutfchen Erbver:
faffung bewußt zu fein, Raffenreinbeit zu bewabren und durch geeignete
Oattenwahl eine höhere Entwidlung der eigenen Art und Samilie anzuftreben.
Mifdhdeben mit Sremdraffigen muffen als das gelennzeichnet werden,
was fie find, ndmlid der Grund fur geiftige und feelifbe Entartung wie für
die Entfremdung dem eigenen Wolke gegenuber. Samiliens und Aaffen-=
Bunde müffen fo gepflegt werden, daß das Blüben der Samilie als ein hoͤheres
But erfcbeint als Reihbtum und Bequemlichkeit. Wir müffen wieder den Mut
baben, unferen Doltstdorper nach feinem Erbwert zu gliedern, um dem Staat
geeignete Sührer zur Verfügung zu ftellen. Wdenn andere Völker und vollsfremde
Elemente uns auf diefem Wege nicht folgen wollen, fo ift das ihre Sade. Ich
febe es als die größte Aufgabe und Pflicht der Regierung der nationalen Revo:
Iution an, die Aufartung und Beftandserbaltung unferes deutfdben
Dolkes im Herzen Europas zu gewäbrleiften. Uns bei diefer Aufgabe zu unter
ftügen, darum bitte ih Sie.
Einft bat germanifder Rinderfegen dazu geführt, daß die alten Völker des Abends
landes überrannt wurden und die Siedlungen bis Afrika gingen. Das war der Beginn der
deutfchen Gefchichte. Wird der beutige Tiefftand unferer Geburtenzabl ibe Ende bedeuten?
Schon find die Grenzen Afiens bis zur Weichfel vorgefhoben, und Afrika reidht bis zum
Rhein. Dazwifhen liegt Deutfchland mit feinem biologifden Tief, das wie ein baros
metrifdes den Unrat von allen Seiten anfaugt.
Und wie ftebt es im Innern? Die Beziecbung 3um landwirtichaftliden Denten
wird ausgenugt: Wir nebmen ja immer das fchledhte Rorn zur Saat, das gute [hidden
Wir in die {Nihle, in die Rnochenmuble der Großftadt, die das Leben tötet. Und was gibt
uns die Gro®ftadt dafür wieder? Die Lehre vom „Ib“ und die Rameradfchaftsebe und
Joealebe und Reformebe und Wocenendebe und Bauftile und Innenarditeltur — alles,
nur feine Rinder.
Aus: Med.sRat Dr. £. Vellgutb, Rreisarzt in Meldorf, „Eugenifche Erfahrungen
in einem fchleswigsbolfteinifhen Landtreife (Dithmarfden).” Verlagsbuhb. Ricard
Schoct, Berlin 1933.
1933, IV Sopbie Ebrbardt, Die Raflenzufammenfegung des eftnifden Voltes. 143
Die
Raffenzufammenfegung des eftnifchen Volkes.
Don Dr. Sopbie Ebrbardt, München.
(Aus dem Anthropologifden Inftitut der Univerfität Mundyen.)
1. Teil.
(Mit 3 Abbildungen.)
a Winter 1917/18 befreiten die deutfchen Truppen die Oftfeeprovingen von
der Syerrfchaft der Rommuniften. Und dann fam der 9. Liovember. Die
Deutfchen mußten das Land wieder preisgeben. Hunderte deutfcher Slüchtlinge
zogen damals mit nach Deutfchland, wo fie Hilfe fuchten und fanden. Seit
diefer Zeit Enüpft wieder ein enges Band die Baltenlande an das Deutfche
Rech, denn fhon fehr viel früher beftanden enge Beziebungen zwifchen Deutfch-
land und den Oftfeeländern. Durdy den Krieg ift nun abermals das Intereffe der
Inlanddeutfchen für ihre deutfchen Brüder an der Oftfee gewedt worden. Don
den wahren Derbältnifjen, wie die Deutfchen dort leben und wer nod dort oben
zu Haufe ift, wiffen viele in Deutfdland recht wenn: Deshalb ift es nicht uns
widtig, auch etwas über. die übrigen Bewohner Eiftlands, das. eftnifde Volk
und feine raffifche Zufammenfegung zu erfabren.
Es war mir vergönnt, im Auguft 1932 felbft eine anthropologifde Unter:
fucung in €ftland 3u maden. Jc danke an diefer Stelle Herrn Prof. Tb.
Mollifon, meinem Chef und febr verehbrten Lebrer und meinem Rollegen Herren
Dr. B. R. Schultz für ihre Unterftügung und ihren Rat. Serner danke ich Herren
Prof. I. Piiper, Herrn Prof. £. Aunap, fowie Herrn Direttor $. Leinbod aus
Dorpat für ibr freundliches Entgegentommen. Beftens mddte id) aud Srl. He⸗
lene Braun, die mir bei der ganzen Unterfudung treu gebolfen bat, danten.
Meine Unterfuhung umfaßt 300 erwachfene Perfonen eftnifder Bauern-
bevdlferung (149 Wanner, 151 Srauen) aus einem eng begrenzten Gebiet. Ic
babe faft ausschließlich nur folcbe Leute gemeffen und photograpbiert, deren Eltern
und Großeltern jchon aus der Gegend ftammten und hoffte dadurch von vorns
berein eine gewiffe Einbeitlichleit des Materials gefichert zu haben. Bearbeitet
babe id bier nur Perfonen im Alter von 20— 60 Jahren (104 Manner, 122 Srauen).
Um die raffifce Zufammenfegung des eftnifchen Volles ganz zu verftehen,
ift es unbedingt notwendig, die frübeften Fliederlaffungen in den Oftfeeprovinzen
aus vorbiftorifcher Zeit zu betrachten. Die älteften ardhäologifchen Sunde ftammen
in €Eftland aus der jüngften Altfteinzeit, nach de Geer 7. Jabrtaufend
v. Ehr., der Ancyluszeit. (Zeitlich gleichbedeutend mit der Maglemofelultur.) Zu
diefer Zeit waren faft alle Infeln und der Klordweiten des Seftlandes noch unter
Meffer; die Oftfee war ein Süßwafferfee. Die erften Sunde, die bei Runde und
bauptfächlidh Pernau gemadyt wurden, waren Seuerfteins und Snot
die einer Bevdllerung von nicht feßbaften Sifchern und Jägern angebört haben
mußten. Aus der Abnlichkeit diefer Geräte mit denen aus Oftpreugen, Polen und
Rußland kann man auf eine erfte Einwanderung aus diefen Gegenden fadliegen;
die Altefte Rulturfchicht, die der Rammtleramil, zeigt engfte Derwandtfchaft mit
dem Often. Trager diefer Kultur waren moglicder Werfe lappoide Elemente (% e f cd).
Tallgren nennt die Bewohner der Steinzeit Kftlande finnifchzugrifche Völker.
Die erften Herdftellen und Tongefäße, die auf ftändigen Wobnfig deuten, findet
man im dritten und zweiten Jabrt. v. Chr.
Im 2. Jabrtaufend v. Chr. tam von Suöweften eine neue Kulturwelle, die
der Bootärte, Schnurteramit und Sladgrdber, die bis hinauf in die Oftfee-
12°
144 Volt und Kaffe. 1933, IV
provinzen vordrang. Auch der Aderbau war im Zufammenbang mit der Bootarts
kultur befannt geworden, fpielte aber als Erwerbszweig noch eine untergeordnete
Rolle. Die Starke der eftländifchen fteinzeitlichen Rultur ift wohl darauf zurüds
zuführen, daß Eftland als Dermittler zwifchen dem damals verhältnismäßig ftark
befiedelten Sinnland und dem Süden, andrerfeits auch zwifchen den dftlicben und
weftlichen Rulturgebieten ftand.
Die Bronzezeit (1500—500 v. Chr.) ift für Eftland außerordentlich arm
an Sunden. Seine Bewohner waren vielleicht Sifcher und Jager, die nod) Stein:
und Anocdhenwerkzeuge benütten. Die bronzezeitlichen Stüde wurden wahrſchein⸗
lid) durd ftandinavifche und oftpreugifche Handler ins Land gebradt. Die neve
Art der Leichenbeftattung, Steinbugelgraber mit Steintiften, die man Ende der
Bronzezeit in Eftland trifft, laffen gotländifchen Einfluß vermuten. Mit Sichers
beit weiß man von einer gotländifchen Kolonie in Rurland aus diefer Zeit.
Don der vorrömifchen Kifenzeit, La-Tenes-Zeit (500 v. Chr. — Chr.
Geb.) ware das gleiche zu fagen wie über die Bronzezeit. Alles find Einzelfunde,
die nicht ausreichen, um die Entwidlung der vorrdmifchen Kifenzeit innerhalb der
Oftfeeprovinzen fcharf zu umfaffen. Die legte Periode vor Chr. bleibt fo ziemlich
allen Dermutungen preisgegeben. Jedenfalls war das Land damals fehr arm und
lag abfeits von den großen Sandelswegen. Llacdh den Dermutungen von Tall:
oven find damals in den legten vordhriftlidden Jabrhunderten die Eften aus dem
ften nad Eftland eingewandert.
Die Eften gebdren fpradlid 3u den finnifd-ugrifcden Völkern (und diefe
zur uralaltaiifden Odllergruppe). Diefe Völker wohnen heute an der Oftfee, i
Ungarn und in Rußland bis weit über den Ural; in vorgefchichtlicher Zeit bes
fchräntte fich aber ihr Gebiet auf engere Grenzen: im Öften der Ural, im Fiorden
das Cismeer, im Weften der bottnifche Meerbufen, im Süden die Linie von Libau,
über Kiafan, Saratow nach Jelaterinburg. Wann und wo die Trennung der
Weftfinnen von den den Oftfinnen fpradverwandten Ugriern (den Dorfabren der
Turlvdlter) vor fic ging, ift gefbichtlich nicht erwiefen. Tallgren fchreibt,
daß zu gleicher Zeit verfchiedene Volker in die Oftfeeländer ftrömten: finnifche
Völker (Sinnen, Zften u. a.) von Often und indsogermanifde Völker (£etten,
Litauer, Altpreugen und Slawen) von Welten und Südweften. Flur wenige der
nad) Weften gedrangten finnifdben Stämme haben Dollstum und Sprade er:
balten. Außer Sinnen und Eften waren es die Meinen Reftvdller der MDepfen (firds
lid) vom Onegafee), Ingern (füdlich vom Ladogafee und um Petersburg berum),
Woten (im Flordoften von Eftland und an der Rüfte des Deipusfees zerftreut) und
£iven (heute nur noch an der Llordweftfpige von Rurland feßbaft). Der größte
Teil der weftfinnifchen Stämme erlag der Verflawung, aus der das Großruſſen⸗
tum bervorging. Die Dorfabren der Ketten, Litauer, Altpreußen und au Slawen
werden in der Literatur baufig baltifce refp. baltifd-flawifde Gruppe genannt.
Yiaedh Much gebt das Wort ,, Balte auf eine Bezeichnung der Oftfee zurüd, die
ja den Yiamen das ,,Baltifcde’ Meer, mare balticum, führt, zuerft belegt bei
Adam von Bremen im 31. Jabrbundert. Um das Jabr 400 n. Chr. nannte fich
ein weftgotifches hHerrſchergeſchlecht die „Balthen“, das bedeutet die ,,Rubnen“.
Es ift nicht ausgefchloffen, daß Träger diefes Liamens felbft in die Oftfeelander
tamen, bier blieben und ihren Yiamen binterlieBen. Das Wort Balte gilt beute
nur für die Deutfchen aus den Öftfeeprovinzen. Das Wort ,,€fte gebt zurüd
auf den Viamen Aiften, Aeftii bei Tacitus, urfprünglih ein altpreußifcher
Stamm (Aeftier oder Pruzzen). Es ift denkbar, daß Träger diefes Liamene, alfo ein
indogermanifcher Stamm, nach Florden kamen, fich bier verbreiteten und daß die
Unterworfenen ihren Liamen annabmen, ihre finnifdbe Sprache jedoch beibebielten.
Die fogenannte ältere Kifenzeit, römifche Kifenzeit (Chr. Geb. —400
n. Chr.) bringt reiche Sunde und zahlreiche Graberfelder. Die baltifchen Lander
geraten unter den Kinfluß einer Kulturwelle, die von den Oftgermanen bzw.
von den Boten ausging und fid) weit nad) Often verbreitete. Silberne Schmuds
1933, IV Gopbie Ebrbardt, Die Raffenzufammenfegung des eftnifdhen Voltes. 145
(EEE EEE EEE
ftüde aus Eftland, wie fie aus einem oftpreußifchgotifchem Graberfeld bekannt
find, fprechen dafür, daß die Boten audy im Baltitum länger gewobnt haben. Zu
diefer Zeit entfteben auch Sibeln und Schmudfachen, die in Eftland felbft gefertigt
wurden. Der Aufftieg des wirtfchaftlichen und kulturellen Lebens der Oftjeeländer
ift auf die Ausbreitung der germanifchen Stämme und legten Endes auc auf das
Aufblüben des römifchen Weltreiches zurudzuführen.
Innerhalb der Oftfeeprovinzen konnte man fcyon zu der Zeit zwei Rultur⸗
Breife erkennen, einen fudlichen und einen nördlichen, die fich durch verfchiedene
Beftattungsbräuche und Eennzeichnende Sunde von einander unterfcheiden und die
nad Ebert mit verfchiedenen Völkergruppen in Zufammenbang zu bringen find.
Im Süden waren es Völker, aus denen die Litauersfetten beroorgingen, im Florden
waren es weftfinnifche Stämme. Diefe finnifchen Stämme find feıt jener Zeit im
Lande geblieben und haben nur noch fremde Elemente in fih aufgenommen. Wet:
und Llordeftland war wegen der großen Sümpfe noch wenig befiedelt; alle Sunde
ftammen aus dem Often und Suden des Landes. Jn diefe Zeit fällt die durchs
greifendfte Umgeftaltung in den Siedelungsverbältniffen. ftland bat von nun
an eine feßbafte Aderbau treibende Bevdllerung. Die Befiedelung zerfiel damals
in Gruppen, die noch heute durch die wichtigften Landfchaften Eftlands zu ers
kennen find.
Ulad einer unbedeutenden Periode der mittleren Eifenzeit (Zerfall des
römifchen Reiches, Rüdzug der germanifchen Stämme) kommt es inder jüngeren
Eifenzeit (800—1200 n. Chr.) wieder zu einem bedeutenden Auffchwung durch
die grofen Handelaverbindungen, die vom fernen Weften (britifche Infeln, friefifche
Rufte) bis 3um fernen Often (arabifche Welt, Turkeftan, Dorderafien) reichte. Die
Dermittler des Handels waren die Wilinger. Eine Wilingerkolonie aus Jsborft,
im dußerften Südoften Eftlands, ift bekannt. Auch die Aandelsbesziechungen der
baltifchen Lander untereinander blübten.
Seit der biftorifchen Zeit find die baltifchen Provinzen ganz nady Welten
gewandt. Dur die außerordentlid günftige bandelsgeograpbifche Lage ges
wannen die Öftfceländer politifche Bedeutung. Darum finden wir fie aud im
Befig von Deutfchen, Dänen, Schweden, Polen und Ruffen. Seit dem 13. Jabrb.
baben die Deut{dyen die Oftfeelander als Herrenfchicht bewohnt und deutfche Kultur
bineingetragen. Aud) die Oberberrfcaft eines fremden Staates wie Rußland
(200 Jahre) baben das deutfche Aulturleben im Baltitum wohl hemmen, aber nie
ganz unterdrüden können.
Die Öftfeeprovinzen, die feit der ruffifchen Zeit als Eft:, Live und Kurland
befannt find, gibt es beute nicht mehr, fondern es gibt beute im Llorden eine
Republit Eftland, im Süden eine Republik Lettland. Die Grenze beider läuft
mitten durch das fribere Livland.
Eftland bat etwa 1 117000 Kinwobner. Deutfche, Schweden, Ruffen leben
in der Minderheit in Eftland und zwar nach den legten amtlichen Zahlungen aus
dem Jahre 1932 (die mit denen aus Sem Jahr 1922 ziemlich übereinftimmen) !):
87,6% Zeiten, 8,200 Ruffen, 1,7% BDeutfche, 200 Schweden, Ketten, Zigeuner
u. a. Völker und 0,4% Juden. Die Deutfcben (etwa 24000, vor dem Rriege
37000) leben im Baltenlande als Adelsftand in der Stadt und auf dem Lande,
zum großen Teil mit Grundbefig (beute find fie enteignet), als Literaten, Raufs
leute und freie Bürger. Die Schweden (etwa 6000) wohnen in der Stadt,
bäufiger als Bauernbevdllerung an der Weftlufte Eftlands oder auf den Infeln;
Rund und Rund find heute rein fdywedifd. Don den Ruffen (etwa 656000) wohnt
ein Heiner Teil in den Städten, die meiften find in den Dörfern feßbaft. Befonders
zu erwähnen find die ruffifchen Sifcher und Holzbändler, die meift an der ruffifchen
Grenze ihre Wobnfige baben. Der Südoften, das fog. Sctulefien, ift von Ruffen
1) Nach: v. Winkler, 9%: Heimatlunde Eſtlands. Reval 1923.
146 Volt und Kaffe. 1933, IV
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fcbon 700 n. Chr. ftark befiedelt gewefen. ier liegt eines der letzten ruffifchen
Rlöfter, Petfchur.
£s muß betont werden, daß während der legten 700 Jabre nie eine große
fremde Befiedelung ftattgefunden bat, fo daß der Zufluß von fremdem Blut in
das eftnifche Volk zu diefer Zeit, wenn auch nicht unwefentlich, fo doch nicht aus:
fdlaggebend fur die raffifcde Zufammenfegung des eftnifcben Volkes war. Dieje
muß fcbon febr viel früber erfolgt fein. Die erften Schädel, die wir aus dem
Feolitbitum, der Jungfteinzeit Eennen (Woifek, Kreis Sellin und Rölljall, Infel
Ofel) find typifche Langfchädel. Die Stelettfunde der Bronzezeit find nach Srie=
dentbal bobwüchfig, die Schädel — bis auf einen unter 32 — lang, jcbmal
Abb. 1. Karte von Kitland (der Kreis umfaßt das linterfuhungsgebiet).
und bod. Die frübeften Kulturkreife aus der Steinzeit Eftlands geboren aber
verfchiedenen Dölkern an, finnifchzugrifcben und indogermanifden. Es dürften
alfo 3u der Zeit verfchiedene Völker nach Eftland vorgeftoßen fein. Weitere Sunde
aus dem Baltitum bzw. feiner nächften Umgebung deuten auch darauf bin. So
find neolitbifhe Schädel vom Ladogafee teils lang, teils mittellangfchädelig
(Saller nach einer Veröffentlihbung nab Bogdanow). Bei Schwarzort auf
der Kurifcben Mebrung wurden Bernfteinfigurden gefunden, die die Wiedergabe
zweier verfchiedener Raffen zeigen, in einem Salle cin fcbmales langes Geficht, im
anderen Salle cin breites niedriges. Man wird fomit eine fribe Raffenmifcdung
im Baltitum, vielleicht febon im Meolitbitum, annebmen dürfen.
Bevor ib nun auf die Raffenzufammenfegzung näber eingebe, möchte ich
einige Worte über das Leben des eftnifchen Bauern im allgemeinen fagen. Kit:
land ıft ein flaches Land, das gegen orden fteil abfällt. Der Suden und Often
ift von WMoränenbügeln bededt, der Welten und KTordweften ift flach. Ze ift ein
Land für Aderbau und Piebzuct. Die Mebrzabl der eftnifcben Bevölkerung ift
eine Bauernbevölkerung. Jnduftrie ift im Lande ganz wenig. Kin Teil des eft-
nifeben Bodens ift noch Wald, 15% ift Moorland. Somit war für die Be:
fiedelung des Landes nur die Fugbarteit des Bodens ausschlaggebend. Die Gegend
zwifchen Sellin und Pernau, die mein Unterfuchungsgebiet war (f. Abb. 1), ift
reid) an Sumpfen. Die Bevdlkerung wird bierber wobl erft in biftorifcher Zeit
gefommen fein. Deutfche Güter gab es in diefer Gegend fehr wenige und die
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1933. IV. Sopbie Ehrhardt. Die Raſſenzuſammenſetzung des eſtniſchen Volkes. 147
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Bevoͤlkerung genoß ſchon ſehr fruͤh eine gewiſſe Selbſtaͤndigkeit und gewiſſe Vor⸗
rechte und lebte ſehr abgeſchloſſen.
Der Hauptverkebr fpielte fih auf Wagen bzw. Schlitten und zum großen
Teil auf dem Wafferwege ab. Das Sabrzeug war ein Einbaum, der nod beute in
diefer Gegend benügt wird, namentlich im Srubling, wenn weite Gebiete unter
Waffer liegen. Das Waffer fteigt oft bis an die Wobnbäufer, die meift nabe am
Sluffe fteben. Das Dieb wird dann auf ein mit Retten an das Haus befeftigtes
Sloß getrieben und bleibt dort, bis der Wafferftand finkt (etwa s—ı4 Tage). Die
Geböfte, die man bier Gefinde (talu) nennt, liegen einzeln, oft weit auseinander.
Wo fie näber beifammen liegen, bilden fie ein typifches Haufendorf. Die Wege
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Abb. 2. Eſtniſches Bauerngeboͤft. Geſinde Ratuokoſe.
ſind im Sommer gangbar. Mit dem Fahrrad iſt aber ein Weiterkommen oft
ſehr ſchwer.
3m lmtreis von etwa 20 km befindet fich nur eine Schule, ein Paftorat, ein
Doktorat. Die Bauern pflegen unter einander febr wenig Verkebr, was wobl mit
der großen Entfernung der Geböfte zufammenbängt. Die jungen Leute beiraten
aus dem Flachbargefinde. Yan konnte in der Gegend deutlich verfolgen, wie die
Samiliennamen feit vielen Gefchlechterfolgen an eine Gegend gebunden find. Die
Rinderzabl ift für eine Landbevölterung nicht groß, fie beträgt im Mittel 2,8.
Die Samiliennamen, die zu einem großen Teil deutfch waren (Rofenberg, Riifen:
berg, Wildflug, Glüd u. a.) baben mit deutfcher Herkunft nichts zu tun, da die
Bauern bei der Aufbebung der Leibeigenfchaft (1816) den YTamen von ibren
deutichen Butsberren bekamen.
Die älteften Bauten in Eftland find faft alle aus Holz. Das gewöhnliche
Bauernbaus ift cin Blodbaus mit winzig Beinen Senftern. Das primitivfte Haus
der Lften ift das fog. Stangenzelt, das noch in einigen Gegenden als Sommer:
küche benützt wird. Dis Dach des eftnifcben Bauernbaufes ift mit Strob, Binfen
oder Schindeln gededt (Abb. 2 und 3). Blumenfchbmud am Haus findet man ın
einzelnen Gegenden recht bäufig. Das typifche Wobnbaus beftebt aus der Riegen:z
ftube (rehetuba), wo das Korn gedörrt wird und die man auch als Wobnftube
148 Volt und Kaffe. 1933, IV
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benützt, ferner der Tenne, wo das Korn gedrofchen wird und die auch als Stall
dient und zulegt der Rammer. Zu erwähnen ift noch eigens die Badeltube, die
jedes Gefinde bat, cine Badeftube, wie fie in Rußland und in den flandinavifchen
Landern 3u finden ift. Die Eften baden jeden Gonnabend, wobei fie fic) mit einem
Quaft aus Birkenzweigen fdlagen; es tommt mebr auf den beißen Dampf als
auf das Wafchen felbft an.
Außer diefer körperlichen Pflege läßt die Reinlichkeit des eftnifchen Bauern
recht viel zu wünfchen übrig. Die Rleidung der Bauern ift einfach; baufig
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Abb. 3. Eftnifdher Bauernbof; im Vordergrunde der Ziebbrunnen. Gefinde Valma.
tragen fie felbftgewebte Sachen. Zerriffene Kleidung findet man nicht felten,
was mit der Armut bier ficher nichts zu tun bat. An den Süßen tragen die
Bauern Pafteln!); auch Schube aus Rinde find im Gebraud. Line Vational-
tracht trägt das Volk beute nicht mebr. Yiur in Setufefien und auf den Jnfeln
bei der fchwedifchen Bevölkerung bat fich noch eine eigene Tract erbalten. Der
Eſte ift im Eſſen meift febr gaftfrei. Roggenbrot, Lier, Butter und Milch bes
kamen wir faft überall. Meffen ließen fich die Leute meift nach kurzer Überredung.
Die Fleugierde und die Hoffnung auf das verfprodene Bild haben ibre Surcht
faft ftets überwunden. Wir mußten in der Landesfprache verfebren, denn deutfcd
verftanden nur einige ältere Bauern. In der ganzen Gegend ift uns nur ein Dorf
begegnet, wo die Leute gegen uns febr mißtrauifch und unfreundlich waren.
1) Lederfchube, die aus einem Stüd gefdnitten find.
(Sortfegung folgt.)
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(Aufnahme Lendvai-Dirck»sen)
Sriefin von der Jnfel Sdbr.
Gefidtszige, Haltung und Ausdrud ausgefprocden nordifd.
Wir Isden nochmals zur Einjendung guter Raffenbilder ein.
150 Volt und Kaffe. 1933, IV
Die Dafas.
Yon Chilo v. Crotha.
Mit 6 Abbildungen.
1520 batte Chriftian II. von Dänematrl, „der Tprann“, fi ganz Schweden
unterworfen. Sein Plan war eine Erneuerung des großftandinapifchen Reiches,
das 120 Jahre zuvor von der großen Margareta von Dänemark gefchaffen wor:
den war, unter ihrem Flachfolger aber wieder auseinanderfiel. Im Gegenfag zu
Margaretas ftaatstluger Milde behandelte Ehriftian die Schweden mit unver:
nünftiger Härte. Wie immer zeugte der Drud Gegendrud, und in der ärgften
Hot entftand dem fdhwedifchen Doll in dem jungen Buftav Dafa der Retter
und Rächer.
Selbft aus „Bauernadel“ ftammend, fühlte er mit dem Volke wie taum ciner.
Stets auf der Slucht, in ftändiger Lebensgefahr, fhürt und fdurt er, bis das
gen 3e Land in Slammen ftebt und die Dänen weichen müffen. Das Volt wählt den
ieger zum Rönig. Er berrfcht, ganz germanifcher Herzog und Bauernkoͤnig, ge⸗
ftügt auf den Willen und das Vertrauen der Stände. Er baut ein Heer auf, er
führt mit unendlicher Staatsklugbeit unfichtbar die Reformation durd, er befreit
Schweden von der außenpolitifehen Dormundfchaft der Hanfe. Doch aud an ibm
geben die Strömungen feiner Zeit, der Renaiffance, nicht fpurlos vorüber. Lr bez
ginnt, fidy ausländifche Berater zu bol:n, er regiert über den Ropf des Volles
binweg, entfernt ficb mebr und mebr von feinen Bauern. Da fteben die Bauern
gegen ibn auf. Er bleibt Sieger. Aber — und das ift das Zeichen einer wabrbaften
Charaltergroge Guftav Vafas — er lernt aus dem, was er erlebt und kebrt zu
der früheren, einem nordifchen Bauernvolt angemeffenen Regierungsweife zurüd.
Und nun feben wir, wie der „alte Rönig Gdfta’ fein Land verwaltet wie ein
Großbauer feinen Hof, fparfam, 34b, und dod) mit berrenbafter Großzügigkeit.
Als er 1560 ftirbt, ift aus dem verfllanten, verelendeten Land cine Großmadht
geworden.
Unter feinen Söhnen entftebt ein Bruderftreit, der erft 1640 mit der Ards
nung Rarls IX, ein Ende findet. Rarl IX., ein echter Dolls: und Bauerntdnig,
jedoch beftiger,’derber und minder begabt als der Vater, verwidelt fich in Rämpfe
mit Dänemark und Rußland. Als er 1013 ftirbt, binterläßt er dem 17 jährigen
Buftav Adolf ein aufs Außerfte bedrobtes Reich.
Guftav Adolf, geboren am 9. Dezember 1594, feblug zuerft Dänemarlt,
dann Rußland und Polen. Die römifche Politik der Habsburger zwang ibn, den
Rrieg auf deutfchen Boden berüberzutragen und die Rolle eines Schügers des
proteftantifchen Belenntniffes zu übernehmen. In einem Siegeszug obnegleicen
vernichtete er die im MWienfchenmaterial nicht allzu hochwertigen Waffenarmeen der
Jabsburger, unterwarf fich faft ganz Deutfchland und fdlug nod im Tode am
6. Fiovember 1632 Wallenftein bei Lützen entfcheidend aufs Haupt.
Schweden befaß damals bereits Sinnland, die Oftfeeprovinzen und einen Teil
von Florwegen. Wir wiffen beute, daß Guftav Adolf ein proteftantifches groß:
germanifches Reich vom Flordtap bis nach Sranten vorfchwebte.
Buftep Adolf war einer der größten Seldberrn aller Zeiten, ein Politiker
und Organifator erften Ranges. In den Wefenszugen feinem Großvater Guftav
Dafa dhnlich, übertraf er diefen durch den Glanz feiner Perfönlichkeit und. den
Pyobenflug feiner Gedanten. Wie fein Broßvater war auc er ein echter Volles
fönig und »fübrer. Alle feine Unternehmungen wurden bis zum legten vom Volles
willen getragen. Sein Heldenleben bedeutet den Gipfel der fhwedifchen und einen
der Hoͤhepunkte der nordifchegermanifchen Gefdichte.
Viadhdem Guftav Adolfs einziges Rind, die gemütstrante Chriftine, ab:
gedankt batte, beftieg ibr pfälzifcher Detter Kals Guftav, deffen Mutter eine Dafa
151
Tbilo v. Trotba, Die VDafas.
1933, 1V
Guftav Dafa.
Karl X
Buftav Adolf.
(Photo Bruckmann)
Rarl XII.
Karl XI
152 Volt und Raffe. 1933, IV
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war, als Rarl X. den Thron. Ein gewaltiger Feldherr, ſchlug er die Daͤnen und
Polen vernichtend. Sein jaͤher Tod traf Schweden aͤhnlich ſchwer wie der Guſtav
Adolfs. Aber diesmal fanden ſich keine großen Unterfuͤhrer, die das Werk des
Koͤnigs fortfuͤhrten, wie das einſt nach dem Tode Guſtav Adolfs der Ranzler
Orenftjerna und die großen Generale Banér und Torftenfon getan batten. Als
der junge Racl XI. zur erefdaft tam, ubernabm er ein von den Dormündern
arg verwirtfchaftetes Reid. Rarl XI. fauberte fchonungslos fein fand von
dugeren und inneren Seinden, brad den Ubermut des Adels durch eine ausgedehnte
und febr barte Gutereinziebung, fubrte die einheitliche Uniform ein, reformierte
Rirdye, Heer und Beamtenfchaft und fanierte die Sinanzen. Das Werk Sriedrid
Wilhelm I. von Preußen batte in ibm fein Vorbild gefunden. Er war wie
Guftav Dafa und Karl IX. ein echter Bauecrntönig, führte aber den vollsfremden
Abfolutismus in Schweden ein. Die Arbeitstraft diefes Rönigs wear ungeheuer,
aber er mutete fidy zuviel zu, überanftrengte fi und ftarb 1697, 41 Jahre alt,
während fein ältefter Sohn Rarl XII. nody unmündig war.
1682 geboren, „erbte‘‘ Rarl XII. von feinem Dater die Gegnerfdaft Danes
marls, Polens und RuPlands. Diefe bielten die Zeit für gelommen, fich an
Schweden fchadlos zu halten. Aber fie batten fi in Rarl getäufcht. Ein Seld«
berrngenie wie Guftav Adolf, 3wang der ıs jährige in der Schlacht bei Hlarpa
Peter den Großen in die Rnie. In einem unvergleidliden Siegeszuge (lug er
Polen, Gacfen und Danemarl, um dann den Krieg nad) Rußland felbft bineins
zutragen. Spier fdeiterte er an demfelben Problem, das 100 Fabre fpater KTapoleon
zu Sall bradte. Der endlofe ruffifhe Raum vernichtete ibn. Die Schladt von
Poltawa, am 28. Juni 1709 zerftörte mit einem Schlage das fehwedifche Grog:
reich. Während Rarl, in die Türkei geflohen, verfuchte, den Sultan gegen Peter
aufzuftacheln und durch ukrainifche und tatarifche Winderbeitenpolitit das ruffifche
Reid) 3u unterhöblen, gingen Sinnland, das Baltitum und der größte Teil der
deutfchen Befigungen Schwedens verloren. 1714 ritt er in nicht zwei Woden von
der Türkei nad Stralfund, fetzte filh an die Spitze feines Volles — aber es war
fhon zu fpät. Es gab nur nody eins für Schweden und feinen König: ein chrens
volles Ende. Er fand es 1718 zu Sredritshald in Klorwegen. Mit letzter Kraft
wehrte das Doll nod die Ruffen ab, dann brad alles sufammen. |
Wollte man die Größe einer Perfönlichteit nur nach dem Erfolg beurteilen,
fo täte man Rarl XII. beftimmt unrecht. Er war in vieler Beziehung eine frides
tizianifche latur, wenn auch unftet und überaus ftarrfinnig. Aber felten in der
en Gefdicdte ift ein Volk feinem Sührer fo unbedingt gefolgt, wie die
chweden diefem ihrem legten großen Rönig. Er bat fein Volt nidyt zum Sieg
führen können, aber er bat die Ehre gewabrt.
So ift die Gefchhichte der Vaſas ein Heldenlied, wie wir wenige kennen.
Drei Genies find diefem Befchledht entfproffen. Allen dreien war eines eigentüms
lid): Sie waren nicht „Monarchen“, fondern Sührer ihres Volles. Sie bewiefen,
daß der große Dolksführer immer mit dem Volke regieren muß, zum mindeften
in germanifchen Landen.
Das fhwedifche Reich ging an jenem Problem zugrunde, das alle Wilinger:
reiche zufammenbrechen ließ: an Menfhenmangel. Dem Rrieger folgte nicht
der fiedelnde Bauer. Bei Karls XII. Tode gab es nur noch Greife und Anaben
in Schweden. Das fand zerbrah an feinem zu großen Blutverluft, wie einige
Jahrhunderte vorher Klorwegen durch die Peft zerbrochen war.
Das geiftige Erbe der Dafas trat Preußen an, das Erbe Preußens wiederum
die Bewegung Adolf Hitlers. Aber die große Unrube, die heute durch das ganze
Germanentum gebt, bat fid) auch des beutigen Schwedens wieder bemädhtigt;
bewußt greift das gärende junge Schweden auf die vergeffene beldifche Übers
lieferung der Dafas zurüd, die ın der Geftalt Guftav Adolfs, ser aud im Pan:
theon der deutfchen Gefdidte feinen Plag beanfpruchen tann, ibren leuchtenden
Gipfel fand.
1933, 1V Was fagt uns die Volkszählung vom 16. Juni 19337 153
Se aa ea ee a Ea eR —
Was
fagt uns die Volkszählung vom 16. Juni 1933?
Aus dem Reihhsausfhuß für Volksgefundbeitsdienft.
R aum drei Woden nad dem Tage der Volkszählung konnte das Statiftifche
Reicdbsamt bereits das vorläufige Ergebnis der Zählung veröffentlichen.
Die Zählung der ortsanwefenden Bevölkerung des Deutfchen Reiches obne
Saargebiet ergab 65,53 Millionen. Jn den act Jahren, die feit der letzten
Volkszählung am 16. Juni 1925 verftrichen find, ift die Bevölkerungszahl fomit
um 2,7 Willionen oder 4,4% geftiegen.
Ja und da hört und lieft man doch immer von „drobendem Dolkstod“, von
den „verheerenden Solgen des GBeburtenrüdganges“ ufw. Stimmen alfo diefe
Untenrufe gar nicht? Die Bevslterungszahl bat ja zugenommen!
Gewig, die Bevölkerungszahl ift in den legten acht Jahren geftiegen und
wird, wenn nicht unvorbergefebene Kreigniffe eintreten, auch in den nächiten acht
Jabren noc fteigen. Dod was bedeuten fo kurze Zeitfpannen für das Leben eines
Poltes! Und haben wir wenigftens Beredhtigung zu der Annahme, daß in fpds
teren Jahrzehnten, fagen wir gegen Ende des 20. Jahrbunderts, Deutfchlands
Bevdllerung nod wachfen wird?
Wenn wir diefer Stage näbertreten wollen, fo ift die erfte Dorausfegung,
daß wir uns Rlarbeit verfchaffen uber die verfchiedenen Urfachen, die die Bevdltes
rungszabl beeinfluffen. Es find dies: Zunahme durch Geburten und Einwandes
rung, Abnahme durdy Todesfälle und Auswandcrung. Wir wollen zunächft eins
mal den Zinfluß durch Ein» und Auswanderung außer acht laffen. Wir können
dann, wie dies Lote in feinem febr lefenswerten Büchlein: „Vollstod‘ (Kosmos:
Derlag) getan bat, das Volk mit einem See vergleichen. See und Volt bieten uns
ftets den gleichen Anblid, obwohl ein dauernder & ubftanzwechfelerfolgt, beim
See Surd das zufließende und abfließende WDaffer, beim Volk durch die neu
ins Leben Lintretenden und die aus dem Leben Ausfcheidenden. Der Seefpiegel
balt feinen gleihen Weafferftand dann, wenn ebenfo viel WPaffer zu: wie abfließt.
Das Moment der Wafferverdunftung möge vernachläffigt werden. Ebenfo bleibt
die Bevdllerungszabl gleich, wenn die Zabl der lebendgeborenen Rinder gleich
der Zahl der Sterbefälle ift. Und wie der Seefpiegel nur dann fteigt, wenn mebr
Meffer zugeführt wird als abfließt, fo nimmt die Bevölkerungszahl nur dann
zu, wenn die Beburtenziffern böber find als die Sterbeziffern, wenn alfo ein
Geburtenüberfchuß beftebt.
Beim See kann ein Zufluß-Überfchuß auf zwei verfchiedenen Urfachen be=
ruben. €s tann — fei es durch Schneefchmelze, fei es durch heftige Fliederfchläge —
. der Zufluß ungewöhnlich verftärkt werden, während der Abflug zunddhft gleich
bleibt. Der Wafferfpiegel hebt fih dann durch die reichlich zugeführte „friſche
Bubftanz“. €s tann aber zweitens durch irgendein Klaturereignis, fagen wir einen
Erörutich, der Abflug vermindert werden, während der Zufluß feine durchfchnitt-
liche Stärte beibebält. Auch dann beftebt ein Zufluß:Überfchug. Der Wafferfpiegel
fteigt dadurch, daß die „alte Subftanz‘* länger im See verweilt. Ja felbft, wenn
jetzt der Zufluß fchwächer wird, wird trogden durch die Stauung der Waffer:
ftand noch höher werden.
Ganz ebenfo tann bei einem Volt der Beburtenuberfchuß entweder darauf
zurüdzufübren fein, daß bei mittlerer Sterblichkeit die Geburtenzabl febr bod
ft, oder darauf, daß zwar der Zufluß durch die Lebendgeborenen nicht befonders
groß, aber die Sterbeziffer unnatüurlich niedrig ift. Im erften Salle baben wir
ein Wachstum der Bevölkerungszahl durch Zufuhr frifcher lebenstüchtiger „Subs
ftanz“, im zweiten Salle ein Wachstum durch längere Erhaltung vorhandener
154 Volt und Kaffe. 1933, 1V
„Subftanz“. Ein Wadstum? ein. Eine Vergrößerung durch Gtauung ıft
nidt Wadstum, ift böchftens Zunahme.
Wie ftebt es nun mit der Bevdllerungsbewegung im Deutfden Reid >
Wedstum oder Funahme?
Die Bevdlterungszabl Deutfchlande ift, feit wir über eine lüdenlofe ſtati⸗
ftifche Erfaffung verfügen — das ift feit 1840 — dauernd geftiegen, wenn wir
von den Rriegsjabren und den Menfchenverluften in den abgetretenen Gebictsteilen
abfeben. 1840 betrug fie 33 Millionen, im Jahre 1870 war fie auf 40 Millionen
geimegen, im Jahre 1900 auf 54 Millionen, 1915 erreichte fie mit ungefäbr 07,8
illionen ibren bodften Stand. Yiad dem Rriege bob fie fich von 89,6 Millionen
im Jabre 1919 uber 62,6 Millionen im Jabre 1925 auf 65,3 Millionen von beute.
Alfo ftändiger Anftieg, wenn auch in recht wedfelndem Steigungsgrad.
In den Jahren 1900 bis 1915 betrug 3. B. der jabrlide prozentuale FJuwads
1,70, in den Jabren 1925 bis 1933 Sagegen nur 0,55%.
Stellen wir das erfte Jabcfunft des 20. Jabrbunderts und das Jahr 1932
einander gegenüber. In den Jahren 190) bis 1905 war die jährliche Beburtens
ziffer 34,3 auf 1000 lebende Einwohner, die Sterbeziffer 19,9 auf 1000, fomit der
jäbrliche Beburtenüberfchuß 14,4 auf 1000. Im Jabre 1932 war die Geburten-
ziffer 15,3 auf 1000, die Sterbeziffer 10,8 auf 1000, der Beburtenüberfhuß 4,3
auf 1000.
Wir feben alfo im Jahre 1932 einen weit geringeren „Subftanzwechfel“
als in den erften 5 Jahren des Jahrbunderts, wo einer Sterbeziffer, die wir als
etwas überdurdhfchnittlich bezeichnen müffen, ein verhältnismäßig febr großer
Zufluß dur Geburten gegenüberftand. 1932 dagegen konnte die fehr niedrige
Beburtenziffer nur dadurch noch zu einem „Überfcehuß‘“ führen, daß die unnatürs
li geringe Sterblichkeit zu einer Stauung gefübrt bat.
Und was beredhtigt uns dazu, die Sterbeziffer 19,9 ale „etwas überdurch-
fehnittlich“, die Sterbeziffer 10,8 als „unnatürlich niedrig“ zu bezeichnen? Fiebmen
wir der Einfachheit halber an, die Sterbeziffer bätte 10 auf 1000 betragen; wenn
von 1000 Menfchen jährlih 10 fterben, dann müßten 100 Jahre vergeben, bis
alle 3000 Ülenfchen geftorben find, oder mit anderen Worten: Die durdichnitts
liche Lebensdauer diefer Wienfchen würde 1000 : 10 = 100 Jabre betragen. Nach⸗
dem gegenwärtig aber die mittlere Lebensdauer in Deutfchland 57,4 Jahre beträgt,
muß die jährliche Sterbeziffer 1000 : 57,4 = 17,4 fein. Die Sterbesiffer 19,9 aus
den Jahren 190) bis 1905 ift alfo auf heutige Verbältniffe bezogen etwas über:
durchfchnittlich Hoch, die Sterbeziffer 10,8 dcs Jahres 1932 abnorm niedrig.
Und wie ift diefe unnatürlich niedrige Sterblichkeit zu erklären? Sie berubt
auf dem eigenartigen Altersaufbau des deutfchen Volkes. Llicht jedes Lebenss
alter ift in glei bobem Grade vom Tode gefährdet. Am ftärkften bedroht ift
neben dem Säuglingsalter das Greifenalter, am wenigften gefährdet find die
etwa 20: bis 45jäbrigen. Gerade diefe Jahrgänge find aber im deutfchen Volke
befonders ftark befetzt, da dic Jahre 1890 bis 1910 befonders geburtenreich waren...
Das Greifenalter ift sablenmagig — beute nod) — relativ fhwach vertreten.
Unfere Unterfuchung bat uns gezeigt, dak wir beute im Begenfage zum
Beginn diefes Jahrhunderts in Deutfchland eine Zunahme, aber nicht mehr
ein Wachstum unferer Bevölkerung baben. Der Seefpiegel fteigt alfo durch
Stauung. Und die Solgen? Die „alte Subftanz‘* verweilt länger und nimmt,
weil zu wenig „neue Subftanz‘“ zugeführt wird, einen verbältnismäßig viel
zu großen Teil ein — unfer Doll vergreift. Und die weitere Solge: Das
Stauwebr wird nidt ewig balten ténnen. Wenn in etwa 20 Jabren die heute
fo ungewdbnlich ftart befegten Jabrgange in das vom Tode viel ftarker bedrobte
OGreifenalter eingutreten beginnen, dann wird das Waffer aus dem geftauten See
mit um fo grogerer Gefchwindigheit abfliegen, und der Gee wird fallen; d. b. dte
Sterbeziffern muffen unbedingt gewaltig in die Höhe fchnellen, und dann wird
die Bevöllerungszahblnaturnotwendig abfallen. B.
1933, IV Aus Raffenbygiene und Bevdlterungspolitit. 155
Aus Kaffenbygiene und Devdlterungspolitit.
Erridtung des Landesamtes für Raffewejen in Thüringen.
Die Tbüringifche Regierung bat im Einvernehmen mit der Reichsregierung und unter
Einbeltung von deren Richtlinien am 15. Juli ein Landesamt ja Raffewefen errichtet, welches
unmittelbar dem Innens und Voltsbildungsminifter Wächtler unterfteht. Zum Prdfidenten
diefes Landesamtes wurde Dr. med. Rerl Aftel, München, Leiter der fportärztlichen Unter:
fuchungs: und Beratungaftelle der Münchener Hodfaulen, Leiter des Raffebygieneamtes der
Reicsfibrerfcule der SA. und Raffenbygieniter des Kaffe: und Siedlungsamtes S=. berufen.
In Anbetracht der bedrobliden bevdltcrungspolitifden Lage, die durdy die legte Doltszablung
wieder fdlagartiqg vor uns aufgebellt wurde und der ftarten Sunabme Erblranter gegen-
über den Erbgefunden bat das Amt die Aufgabe alle Maßnahmen vorzubereiten und durds
zufübren, die bevölterungspolitiihd unumgänglich find. Die ausreichende Kortpflanzung der
erbgejunden deutfchen tNenfden mug gefichert und der Lebensftrom unferes Volles von
tcanten und fremden Erbanlagen befreit werden. Die Ausfdaltung der Erbtranten von
der — — (Sterilifierung) ift darum unbedingt nötig. Serner wird eine großzügige
Auftlörung und Schulung aller seri earupuen, die mit dem Raſſeweſen Berührung haben,
wie der Arzte, Lebrer, Beamten des Sürforges und Woblfabrtswefens, Richter, Standess
beamten ufw. einfegen, um ihre Kraft im biologifchen Entfcheidungstampfe des deutjchen
Volkes cinzufegen. Aufllärung und Schulung eritreden fih auf Erkennung unferer lebens»
efäbrlichen Lage und ibrer Urfadhen, auf Unterridt in erbbiologifchen und raffebygienifchen
afnabmen mit befonderer Berudfidtigung ser Methoden der erblundlicen Beſtands⸗
aufnabme der Bevdllerung und der Seftftellung Erbiranter ufw. Das Landesamt für
Raffewefen unterhält in Weimar eine ftändige Vererbungsberatungsftelle, in der jeder
toftenlofe ra über feine wabrjcheinliche erbliche Befdaftenbeit und die feiner künftigen
Rinder erbält.
Entwidlung der Bes
völterungszablen bei
den drei Hauptvdltern
Europas, den germas
nifden, rcomanifden
und flawifhen vom
Jahre 18350— 1932.
Dear Rüdgang de
germanifden Völter
von 1950—1933 ift
deutlich fichtbar ; um fo
bedrohlicher erfcheint
das Anwadhfen der
Slaven.
Schaffung eines bauerlidjen Erbredtes in Preußen.
Die Preußifche Regierung bat ein Gefe befcloffen, das eine volltommene Fleurege:
lung des bäuerlihen Erbbofredhtes, des Bodenrechtes, bedeutet. Der Bauer, der deuticher
Staatsbürger fein muß und bis zu feinen fämtlichen Urgroßeltern keinen jüdifchen oder
farbigen Einfhhlag baben darf, vererbt darnady feinen gefamten Lands und Sorftbefig nur
an eines feiner Rinder (Sobn oder Tochter), den Anerben. Die Miterben werden bis
zur wirtfchaftlihen Selbftändigkeit vom Hofe verforgt und baben auch fpäter im Salle
der lot auf dem Hofe Heimatzufludt. Der Erbbof muß mindeftens zur Ernährung
und Erbaltung einer bäuerlichen Samilie ausreichen, darf aber auc nidt fo groß fein, daß
feine Bewirtfhaftung nicht mehr von einer Hofftelle oder Vorwerte erfolgen kann. Das
Grefe bat den Zwed, die Bauernhöfe vor Überfchuldung und Zerfplitterung im Erbgange
156 Volt und Kaffe. 1933, IV
zu bewabren und eine Rlaffe von gleihmäßig großen Bauernböfen zu fchaffen. Damit ift
einer der wichtigiten Doridläge R. WO. Darrés, wie er fie in feinem „FTeuadel“ madt, der
Derwirtlibung zugeführt.
1810
Anteile der germanifden, romanifdhen und flawifchen Völker an der Bevölterungs-
zahl Europas in den Jahren 1810, 1910, 1932. Während 1810 die Slawen nod ein
Drittel der Gefamtbevdlterung Luropas ausmadten, nebmen fie beute faft ſchon die
Hälfte ein.
Der preußische Staaf gibt jährlich an RM.aus
fur einen: Blind- oder taub-
LTE (Te
— — Pe Geisteskranken yay
Mormalen — a Cia
TL ee *
schüler
Sterilijationsgejeg in Norwegen.
Dor mebreren Jahren erfuchte das Ratgebende Morwegifdbe Romitee für
Raffenbygiene!) die Morwegifche Regierung, ein Sterilifierungsgefeg ausarbeiten zu
lajfen und durchzuführen. Kinige Leit darauf wurde in Dänemark ein abnlidhes Gefetz ver:
abjchiedet und vor kurzem fchidte cin norwegifdes Komitee ebenfalls einen Geſetzes⸗
vorjchlag ein.
Das Ratgebende Morwegifde Komitee für Raffenbygiene war
aber weder mit dem dänischen Gefegy nod mit dem norwegifden VDorfdlage einverftanden
1) Das Norwegiſche Ratgebende Komitee fiir Raffenbygiene beftebt aus Hedizinern,
Juriften und Erblidteitsforjdern: Dr. Jon Alfred Myjoen, Leiter des Vinderen Biol.
Labor. (Dorfigender); Dr. Wilbelm Reilbau, Dozent der Sozialdtonomie, Univ. Oslo (Se:
Eretär); Dr.med. Jorgen Berner, Generalfetretar des KTorwegifcben Arzteverbandes; Dr.
Halfoan Bryn tT, Vorjigender der Akademic der Wiffenfcdaften, Trondbeim; Dr. Alf Guld-
berg, Profeffor der tWatbematil, Univ. Oslo; Dr. med. Klaus Hanfen, Profeffor der Mee
dizin, Univ. Oslo; Dr. med Sridtjof Mijoen, Affiftent am Winderen Biol. Laboratorium;
Advolat des Hddjten Gerichts Harald Morreqaard, Oslo.
1933, IV Aus Raffenbygiene und Bevdllerungspolitit. 157
VEN a a Se ea SE
und bat jegt dem Storting feine Gefegesvorlage mit ausführlicher Begründung überreicht,
deren PDaragraphen nadftebend in deutider Uberfegung folgen.
Das Ratgebende Llorwegifhe Romitee will die Cinwilligung nidt von der Dors
mundfchaftsinftitution abhängig machen und bat aud fonft Berimmungen getroffen, die
die Durdführung und Handhabung leichter geftalten. Das Romitee findet, daß frühere
Gefegentwürfe nicht genügend swifdhen Raftration und Sterilifation unterfcheiden. Und
gegen das dänifche Befetz ift befonders einzuwenden, daß es zu viele Sormalitäten benötigt
und daß das neue Befetz die Durchführung der Sterilifation faft fhwerer madt als Zuvor.
Entwurf
| zum
Gefe über Zugang zur Sterilifiertung ufw.
§ 3. Unter Sterilifierung verfteht diefes Gefeg eine Operation, welde die Sorts
pflanzsungsfabigteit einer Perfon aufbebt.
Unter Raftration verfteht diefes Befetz eine Operation, deren Zwoed es ift, den Bes
fchlechtstrieb einer Perfon aufzuheben.
Der Zugang 3u Serualeingriffen aus medizinifden Gründen wird von den nads
folgenden Beftimmungen nicht berührt.
2. Die Erlaubnis zu Serualeingriffen nad diefem Gefey wird vom Chef des
Medisinalwefens erteilt.
3. Eine Perfon, die aller Wahrfcheinlichkeit nach erblich belaftet ift mit Geiftestrants
beit, Geiftesfchwäche, Epilepfie oder einer ähnlichen, erheblichen, feelifhen Erkrankung oder
Mangelhaftigteit, kann fterilifiert werden
}. wenn fie in einer Irrenanftalt, einem Gefängnis oder Zwangsarbeitshaus oder in
einer Pflege oder Erziebungsanftalt untergebracht ift, die unter Öffentlicher Aufs
fiht ftebt, und das Gefuh von dem Leiter der Anftalt oder deren leitenden Arzt
tingebradt ift;
2. wenn fie von der Sürforge unterftügt wird und außer Stande ift, durch eigene
Arbeit fur fic und ibre Wachtommenfdaft zu forgen, und das Gefud von dem
zuftändigen Öffentlichen Arzt eingebradht wird.
& 4. Auf eigenes Befuch können andere Perfonen nach vollendeten 18. Lebensjahr fterilis
fiect werden, wenn die Operation fidh als eugenifch oder fozialsmedizinifch begründet erweift.
Das Gefud ift zu begleiten von ärztlicher Beftätigung dafür, daß die betreffende Perfon
Verftändnis für den zu nebmenden Schritt befitt.
$ 5. Wer mit Rindern unter 14 Jahren unzüdhtigen Umgang gepflegt bat, ann Baftriert
werden, wenn das Gefud vom Gerichtshof oder dem zuftändigen Gefängnis oder Afyls
vorfteber eingebradt ift.
66. Auf eigenes Geſuch kann eine Perfon nach vollendetem 23. Lebensjahr kaftriert wers
den, wenn fie Bs je Stande ift, ihren Gefchlechtstrieb zu beberrfchen, und die Wabrfideinlids
keit befteht, daß er dadurch zu einer Gefabr feiner Umgebung wird. Das Gefud ift zu
begleiten von ärztlider Beftätigung dafür, daß die betreffende Perfon Verftändnis für
ven zu nehmenden Schritt befigt.
$ 7. Mt ein Befuhh um Serusleingriff nach diefem Befetz eingebracht worden, fo follen
gegebenen Salles der Ehepartner der betreffenden Perfon und deren Dormund tunlichft von
dem Gefuch in Kenntnis gefegt werden. Gebt die Enticheidung des Medizinaldefs dahin,
daß der Eingriff zuläffig ift, fo tann der Dormund den Befdlug vor einen Gadverftans
digenrat bringen. Diefer foll aus drei Mitgliedern befteben, und zwar einem Ridter,
einem pfychiatrifh ausgebildeten Arzt und einem eugenifden Sahverftändigen. Die Mits
glieder fungieren fünf Jahre.
§ 3. Der Rönig (d. b. die Regierung) beftimmt, welches Htinifterium die näheren Regeln
für die Durchführung diefes Oefenes auszufertigen bat. Diefe Regeln follen Dorfdriften
fie dae Verfahren bei den operativen Eingriffen enthalten. -
158 Volt und Kaffe. 1933, IV
Deutfche Gefellfrhaft fir Raffenhysiene.
Die bisherigen Ortsgruppenvorftände wurden aufgefordert 3urhdsutreten, um einer
Neubildung der Örtsführerfchaft, die das Vertrauen der Regierung und des Vorftandes
genießt, zu ermdgliden. Manner mit politifder Dergangenbeit oder —— welche
der — der nationalen Erneuerung entgegenlaͤuft, koͤnnen kmftighin in der Deutſchen
Geſellſchaft fur Raſſenhygiene nicht an leitender Stelle taͤtig ſein. Der alte Name „Deutſche
Geſellſchaft fur Raſſenhygiene“ wurde wieder hergeſtellt. fer dSufay Cugenit falle weg.)
Die deitidrift ,Kugenit’, 3u deren Bezug jedes Mitglied verpflichtet war, sft
nun nicht mehr Zeitfehrift der Gefellfhaft. Als offizielle Zeitfchriften der Gefellfchaft,
jesoh ohne Zwang zum Bezug werden in Hinkunft das „Arhiv für Raffens und Gefells
fdaftsbiologie” und ,Dolt und Kaffe“ dienen.
Die wefentliden Aufgaben der Deutfchen Befellfhaft und ihrer Ortsgruppen find:
1. Ausbau der Befellihaft im Sinne einer Dermebrung der Zahl der Mitglieder,
inebefondere aud folder, welde gewillt und im Stande find, aktiv an der Verbreitung
von Kenntniffen über Raffenbygiene einf&hließlih Llationaler Raffentunde und an der Bes
tatung und Verwirtlidung all jener zablreidhen raffenbygienifchen Einzelreformen mitzus
arbeiten, welde im Sinn und Geifte der Claffifdhen unverfälfhten Raffenbygiene auch
Sorderung der Regierung der nationalen Erneuerung find.
3. Sörderung von Lehre und Untecridt in Raffenbygiene und Raffentunde in allen
Berufen und Schichten des Volles.
3. Unterftügung der Regierung in der fofortigen Derwirklidung der bereits fpruds
reifen und durdhführbaren rafjenbygienifchen Reformen.
4. Unterftügung der raffenbygienifhen und erbbiologifhen Sorfhung im Hinblid
auf foldhe notwendigen raffenhygienifhen Reformen, fir welde die wiffenfdaftliden
Unterlagen nod nit ausreichend befcafft find.
Vachdem die bisherigen Ortsgruppenvorftände fämtlic) — ſind, wurden
mit der Neubildung der Vorſtaͤnde und oͤrtlichen Fuͤhrerraͤte bereits betraut:
Berlin: Prof. Dr. E. Fiſcher, Minden: Prof. Dr. E. Ruͤdin,
Greifswald: Prof. Dr. R. Hey, Niederſchleſiſche Geſellſchaft: Landesrat
Halle: Priv.sDo3. Dr. . KRuͤrten, Matthias,
Riel: Prof. Dr. O. Aicdel, Stuttgart: Prof. Dr. DO. Weig,
Leipzig: Prof. Dr. ©. Rede, Tübingen: Prof. Dr. Hoffmann.
Buchbeſprechungen.
Konrad Dürre: Erbbiologifher und eugenifher Wegweiler für Jedermann. Berlins
Münden 1932, A. MetznerDerlag. 95 S. Preis geb. Mil. 2.20, geb. 3.30.
Die Meine Schrift kann den Anfprudy madyen, ein lebensgefetglicher und erbgefundbeits
lider Wegweifer für jedermann zu fein. Sie feffelt den Lefer durdy die Erläuterung der
Dererbungsgefe e am Menfden felbft anftatt an unbelannten Pflanzen und Tieren. Cine
Giedlergemeinfdaft dient zur avn der Lebensgefege ganzer Völker. Überfichtliche
deichnungen erböben die Anfhauung. Am Schluffe bringt der Derfaffer eine Zufammen»
ftellung der jüngften Beftrebungen zur Aufartung unferes Volkes. Er ftellt die fteuerlichen
Dorfdlage von Brotjahn und Burgdörfer denen von Lenz gegenüber und entjcheidet ficdh
für Kenz, weil er als einziger nicht nur die Vermehrung des Volles, fondern auch feine Erbs
a cone verfolgt. Er erwähnt anertennend die Sorderung von Lenz nach bäuerlichen
Leben und in diefem Zufammenbange aud Darres Sorderung nad der Meufdhaffung eines
Adels. Eine große Bedeutung mist er mit Recht den Standesdmtern bei, die er zu Ehe⸗
und Samilienamtecn umwmandeln mddte. Sie follen dber alle Samilien Erhebungen ans
ftellen und das Erbgefüge jeder Samilie weiteftgebend Ularen, fo daß fich jeder vor der Ders
ng bei den angegliederten Ebeberatungsftellen Rat bolen kann. Die Sorderung nad)
Sterilifierung Minderwertiger ift für ihn eine Selbftverftändlichkeit.
Die Schrift würde an Doltstümlichleit gewinnen, wenn der Perf. ftatt der Sremds
wörter deutfche Bezeichnungen verwendet bätte. Am Anfange wendet er fic gegen die
Derfechter der Raffereinbeit und unterftellt ihnen, daß fie vor Sauter Raffeverberrlihung
die Sorderung der Eugenik überfeben. Hier liegt wohl eine Derwedflung der Sronten vor.
Die Raffenbygieniter lebnen die Erbgefundbeitspflege teineswegs ab, — das liegt bereits
1933, IV Buchbefprehungen. 159
BEE ——— — —
in dem Wort Hygiene inbegriffen, — aber die Eugeniker moͤchten gern die Raſſe uͤbergehen.
Dagegen wenden ſich die RKaſſehygieniker mit Recht. Abgeſehen von einigen kleinen Un⸗
genauigkeiten iſt auf S. bo ein ler unterlaufen, wo die Dererbung mebrerer Sattorens
paare erklärt werden foll. Die Ergebniffe find nidt 9 verfchiedene Sortpflanzungszellen
und 83 Sattorentombinationen, fondern $ und 64. %. R.
Gujftaf Koffinna: Altgermani(he Kulturhdhe. Eine Einführung in die deutiche Dors
und Srübgeichichte. 2. Aufl. Leipzig 1930, Curt Rabigfch. 30 S. Preis brofy. ME. 2.70,
geb. MI. 2.90.
Aus einem Briegsvortrage des Jahres 1917 hervorgegangen bat fich diefe volle»
timlide Schrift im Laufe der Jahre wie keine zweite geeignet erwiefen, unferer Dors
Adel ftets von neuem Sreunde zu werben, ja fie bat zufammen mit der Übrigen raft«
fen Tätigteit Roffinnas dem Sade in den Laienkreifen geradezu Bahn gebroden. Ihre
Aufgabe, — ſie nicht durch ein Ausbreiten des Stoffes, wie es etwa in
Roſſinnas Deutſcher Vorgeſchichte als hervorragend nationaler Wiſſenſchaft geſchah; denn
der Raum reicht nicht dazu und auf Bilder iſt verzichtet; ſondern es iſt eine Verteidigung
der Germanen, ein Preislied auf ſie und in manchen Teilen ſogar ein Trutzlied geworden,
mit bildhafter Rraft hinausgerufen und durchſetzt und getragen von den tiefgreifenden
eben erſt erarbeiteten Erkenntniſſen ſeines Verfaſſers. Mit vollem Bewußtſein und hoͤchſt
packend ſind ſie in den Dienſt der Erneuerung unſeres nationalen Gedankens geſtellt. Un⸗
erwartet fließt dem Leſer cine Fuͤlle uͤberraſchender Eindruͤcke zu und die aufklaͤrende, ja
bildende Wirkung des Buͤchleins war bedeutend. Die alten Vorurteile und Fehlurteile von
der Rulturarmut unſerer Ahnen ſind begruͤndetem Wiſſen um die ganz anders geartete
und in Vielem hoͤchſt ruͤhmliche Wahrheit gewichen. Nicht bloß Roſſinnas neue ſiedlungs⸗
archaͤologiſche Methode, ſondern auch ſeine aufrechte, unbeugſame Perſoͤnlichkeit hat ſich
richtunggebend durchgeſetzt — freilich um den Preis ſeiner Geſundheit, die der großen,
ſchonungslos verfolgten Aufgabe und den von außen erwachſenden Widerſtaͤnden gegenuͤber
ſo weit verſagte, daß es Roſſinna nicht gegoͤnnt war, den Ertrag ſeines Lebens in einem
in ſich ausgeglichenen, zuſammenfaſſenden und abſchließenden Werke einzuheimſen. Es iſt
bei verſchiedenen, groß angelegten und Ehrfurcht gebietenden Anſaͤtzen geblieben, dafuͤr
haben die zahlreichen Schüler und Sreunde die Funken weitergetragen und zu lichtſpendender
Lobe gefteigert. Wer aber in Rurze etwas von dem Pulsſchlage des ungeſtuͤm vorwaͤrts⸗
drängenden, Begeifterung wedenden Wollens des Meifters erfüblen und wer die Germanen
fo feben will, wie Roffinna fie im Geifte Jacob Grimms aus dem von ihm zu tiefft ers
fdloffenen Stoffe der germanifchen Altertümer darftellte, der greife zu der Beinen, vom
Derlage in bandlicher, anfprechender Sorm berausgebradhten Schrift, die für alle Zeiten und
über alle fpäteren Sortfchritte des Sades hinaus zu den wenigen allgemein verftändlichen,
Haffifchen und zugleich binreigenden Schriften der deutfchen Wifjenfchaft gebört.
Wolfgang Shulg, Géorlig.
3. §. Landman: Human Sterilization. The History of the Sexual Sterili-
zation Movement. (Sterilifation beim Menfden.) The Macmillan Company, New⸗
Rort. XVITI/34: ©.
Diefes Buch gibt eine gute Überficht uber die Sterilifationsfrage in MordsAmerita.
Der Autor ift Jurift und berichtet daher vor allem von diefem Standpuntte aus. Wenn
er vom Biologifchen fpricht, merkt man deutlich, daß ihm jeder tiefere Blid Fehlt. Doch ents
bale das Buch viel ftatiftifches Material, das ficherlid manchem willlommen fein wird,
ebenfo wie eine kurze Befchichte der Sterilifierung des Menfden in den verfchiedenen
Staaten von Flordamerila.
An einem wobl recht minderwertigen, zum Teil fogar falfhen Schema des männs
lichen Genitalapparates — die sage der Samenblafe und ihre Mündung find falfh ges
zeichnet — trägt Landman die Stelle, an welcher die VDafeotomie, bezw. die Unterbindun
des Samenftranges vorgenommen wird, aud falfch ein. Ebenjo minder und feblerbaft if
das Diagramm, das er vom weiblichen Genitalapparat entwirft. Intereffant find die Fabs
fen, welcbe er über die Ausgaben für Sdhwadfinnige und Epileptiter anfubrt. In Mart
umgerechnet find es rund 100 Millionen Mark, fue eine Perfon rund 1200 Merk im
Jahre 1928.
Denn man weiß, wieviel wertvolles Dollstum zugrunde geht und abftirbt, weil ibm
keinerlei Hilfe zuteil wird, fo muß jedem normal Empfindenden die Schamröte ins Gefidt
fteigen. Intereifant ift es, daß das 3. Sterilifierungsgefeg in Amerita im Jahre 1907 ers
160 Volk und Kaffe. 1933, IV
SEE Fee ERSTE EEE EEE EEE EEE ER
laffen wurde — zu einer Zeit, wo unfereiner in Europa no als Klarr angefeben wurde,
wenn er dergleidhen Sorderungen ftellte.
Was Landman über den Einfluß der Umwelt auf die Erbmaffe und über das Der
bältnis der Piydofen zum Wiendelerbgang fdreibt, find einfache Außerungen eines Laien.
So will Landman denn im Vorbeigeben nadhweifen, daß die Erbmaffe der betannten Ders
bredyerfamilien gar nicht fo minder fei. Da fällt es ibm im Begenfage zu feiner fonftigen
bebaglidhen Breite gar nicht ein, auch nur einen Meinen Beweis zu verfucdhen. Schließlich
verfteigt er fich zu der Behauptung, man könne bei der Dererbung überhaupt nichts vorauss
fagen, alles fet Zufall. Als richtiger Jurift möchte er 3. B. auch die beterospgoten Spröß»
linge von Shwadjinnigen ftudieren, ebe er fih zum Handeln gegen die Shwadfinnigen
entichließen würde. Wer den Blid des Klaturforfchers nicht bat, der foll die Hand davon
laffen und feine Statiftiten weitere 200 Jahre vergleichen. Mit was für Sragen aber die
Leute die Zeit totichlagen, gebt aus einigen dort angeführten Arbeiten hervor. Seit 50 Jahr
ten wilfen die Bynälologen, daß die Tubens, d. b. Kileiterunterbindung, keinerlei Derändes
rung im Gefdledteleben der Srau 3ur Solge bat. P. Popenoe aber bat eine ftatiftifche
oe. im Jahre 1928 darüber publiziert und Landman muß fich darüber wieder gründlich
ern.
Schlieglid kommt Landman, nahdem er nod die gefeglichen Beitimmungen der
Sterilifierung und die verfhiedenen Methoden in den Cingzelftaaten der Union befprocen,
zu den inbaltsfhweren und dur fein Buch wahrbaftig nicht begründeten Behauptung:
Die Sterilifierung des Menfcen fei durchaus keine Löfung des Problemes der Schwadhs
finnigteit und der Geiftestrantheit. Die ameritanifden Gefeggeber und Klaturforfeher aber
vertreten die gegenteilige Anficht. Lotbar Bottlieb Tirala, Brünn.
Odo Ritter: Sur Anthropologie der Slawenzeit Schleens. In „Oftdeutfcher Klaturs -
wart”. 4. Jahrg. 4%. 6, 1931/32, S. 236—249.
Die verdienftoolle Arbeit verdankt ihr Entfteben einer Anregung des Direltors des
Antbropologifchen Inftitutes der Univerfität Breslau, Dr. Schr. v. Cidftedt. Hier werden
endlich einmal die wichtigen Sragen angejdnitten, was fid nad dem vorbandenen Material
über die Anthropologie der in Oftdeutfdland nach Abzug der germanifchen Bewohner eins
fidernden Slawen ausfagen läßt, und zweitens, ob aus Stelettreften ein Sortleben gers
manifcher Bevölkerung nadhzuweifen ift. Da die Befiedelung Oftdeutfchlands vor Einfegen
der Wiedereindeutfhung ganz außerordentlid dünn gewefen ift (vgl. Aellmid: Die Bes
et Sclefiens in vors und frübgefhichtlidher Zeit. 1923, und Rede: „Volt und
Raffe~ Bd. 4, 1929, S. 13) und da zunädft Brandbeftattung geberrfdht bat, ift das für
diefe Sragen zur Verfügung ftebende Stelettmaterial fehr gering. Verf. bat das in Breslau
befindliche Material aus dem Rreife Himptfc unterfuht; man nimmt ja wohl allgemein
an, daß fih in diefem Kreiſe Refte der Dandalen bis in die Slawenzeit binein gebalten
baben. Das Ergebnis der Arbeit ift, daß fich febr deutlich zwei Raffetpypen feftftellen Iaffen,
die fic ftart von einander unterfcheiden: ein vorwiegend oder typite „nordifdher“ und
ein „ofteuropider“, weld legterer fic befonders durch feine kurze und breite Schädelform,
fein breites niedriges Beficht, feine fehr breite Llafe und feine LTeigung zur Prognatbie auss
zeichnet und deutliche Anklänge an „mongolide“ Sormen zeigt. Der Derf. gibt der Vers
mutung Raum, daß der nordifche Typ den vermuteten Germanenreften, der ofteuropide
den eingefiderten Slawen gleichzufegen fei, fügt aber fehr richtig binzu, daß eine Ents
fheidung erft bei Unterfuchung eines weit größeren Moateriales gefallt werden kann. Licht
zutreffend ift die Bemertung des Derf., daß der fhon unter den Bandleramilern von mir
nadgewiefene „ofteuropide“ Typus (Homo sudeticus) und die Slawen „aus denfelben
- Gebietstompleren“ nah Schlefien eingewandert feien; denn die Bandkeramiter tamen aus
dem Süden und Süödoften, die Slawen aus dem Often, aus ibrer Urheimat im Pripets
Gebiet (vgl. Hoffmann: „Dolt und Kaffe”, Bd. 8, 1933, S. 19 ff.). ©. Rede,
i.’
A £CL LEY WW TLE DEANMTN I
Hochfchule für Dohtifder NEDAPI
R Ein Leitfaden. Herausgegeben unter Mitarbeit der Dozentenihaft von dem I :
politijdjen Leiter der Hochjchule für Politit der NSDAP in Bodum, Gauleiter ‘ers
Joseph
Josep Wagner, M.d. R. und dem wiffenfchaftlichen Leiter der Hodjdule, ft
Dr. F. Alfred Beck. 2. Auflage. Geh. RM. 4.50, £wd. RN. 5.50.
Ly: dem Inhalt: Aufgabe einer nat. fo3. Hoch{chule fiir Politit / Die Jdee einer nat. fo3. —8
Br = Boule fiir Politif ; IIgemeine und aftuelle Politif. 1. Begriff und JR)
gr dee der nat. joz. Politit. 2. Die deutiche Jdee der Sch, 3. Die ‘i
deutſche Lebensfrage als politiiches Problem. 4. Attuelle politijdje Probleme / FR
1. Die philojophijhhen Grundlagen politijdher Weltanjdauung und Lebens-
eftaltung. 2. Die padagogijde Problematit der Gegenwart. 3. Jdee und |
Srundlinien einer deutjchen Nationaltultur / Rajjentunde des deutjchen
Doltes / Dererbungslehre / Das Recht und der Nationaljozialismus / Staat
und Dolt / Don den germanijchen Doltsheeren bis zum Reidsheer / Der
Wirtichaftsbegriff und jeine Problematit / Bredyung der Zinstnechtichaft als
wirtichaftspolitiihes Grundproblem / Organijation als Derwirflihung der x
Jdee. 1. Klajjijde Giconnivitionstoenatt in Gejdhicte und. Gegenwart / |
2. Moderne Organijationsformen, mit bejonderer Berüdjichtigung der national-
jozialiftiichen Bewegung / Seelijche Dorausfegungen und Anwendungen der
Werbung / Dom Germanen zum Deutichen. Derjuch einer Sfizze der groß—
germaniſchen Srühgeſchichte.
* Reſes Buch gibt ein umfaſſendes Bild des Rationalfozialismus! |
—=.8ebmanng Derlas / Münhben?2 SW
Fr
2
Ps
z Ar
Prof. Dr. Rich. Suchenwirth
Dole und Staat
in ihrer Stelluns
su Dererbung und
Ausleie
Don Prof. Dr. Hans $.K. Günther
Geh. RM. 1.20
Zwölf
ESthillſalsgeſtalten
Jder deutſchen Geſchichte
80 Seiten, Steifdeckel RM. 1.40
Karl der Groge, Dito der Große, Heine
Tid) IV., Friedrich Barbarojja, Rudolf
Pon Habsburg, Martin Luther, Prinz
Eugen von Savoyen, Friedrid) der
| Groge, Maria Therejia, Metternid,
- Biämard und Hitler.
Le‘ a find bie Gejchidjte ihres Volfed geivorden,
> be n, erfennen wir Deutjchen von heute
an einem Gewaltigften umter ihnen, den ivir Lebenden
als den Führer bejigen, an Adolf Hitler. Mit ihren
Günther fordert, dab der
Staat mehr als bisher Lehr-
meijter und Zuchtmeilter wird,
wobei an die Aufklärung über
richtige Gattenwahl, andrer-
a und deren Gefolge umfpannen wir die deutide jeits an die Unfrudtbar-
3 Su ihnem verkörpert jid) leidend und , :
- ring bedrängt und. umitritten, fiegend und macung Mindermertiger ge-
I friumphierend, das Heilige „ers des Voites”,
das dentiche Daterland!
R. Boigtländers Verlag / Leipzig
dacht wird. Dieje HeineSchrift
verdient weitejteDerbreitung.
3. §.Lehmanns Derlag, Münden 2 SW. =
Grundleaende Werke
von Reichsbauernführer u. Reichsminijter R. Walther Ya té5
Das Bauerntum als a
Cebensquell der Wordijchen Rajje —
ir
480 Seiten. 2. Auflage 1933. Geh. ME. 8.—, Lwd. ME. 10. 7
Darrés Bud) vom Bauerntum ijt Weihnachten 1928 zum erjtenmal erichienen.
Damals war fein Derfajjer nod ein unbefannter Sorjder, der Derlag des um-
angreichen Buches ein pn asc Wagnis. oP ote den hat Darré bewiejen,
& er weit mebr ijt als ein Gelehrter, er hat die Solgerungen aus j
— ezogen und die Einigung der deutſchen DEREN unter jeiner
eitun durdgefährt, Dem jo geeinigten Bauernitand gibt er nun die Ge»
jebe, die ihm auf Grund der Kenntnis der ar te als — die
ettung nicht nur des Bauernſtandes, ſondern des nordiſch beſtimmten deut-
iden Doltstums erjcheinen. Sein Anerbengejeß ijt der erjte Schritt auf diejem
eg gewejen, weitere werden folgen.
Die Grundlagen für dieje — für die deutſche Bauernſchaft
ſind im Buch vom Bauerntum enthalten. hier zeigt er, daß die Indogermanen
nicht ein herumziehendes nomadiſches hirtenvolk waren, jondern da ſie als
Bauern lebten und ihre völkiſche Kraft aus der Scholle 3ogen. Darre ijt als
Tierzüchter ein treffliher Kenner der Gejdichte unjerer —— und er hat
aus i wertvolle Schlüſſe für die herkunft unſerer Ahnen gezogen. Bejon-
deren Nachdruck legt das Buch auf die Dinge, die auch uns —— von
von beſonderer Bedeutung ſein müſſen, auf die Grundtatſache Wirtj de
bab nur. ein Ieiftungstäbiges, landgebundenes Bauerntum der unerjchö
Lebensquell für das Dolfstum jein fann, dak wir aljo aud) die Mabnahmen,
mit denen unjere Ahnen diejes Bauerntum gejichert und gejhübt haben, in
neue $ormen für die heutige Zeit umbilden müfjen, wenn anders wir den
Untergang durd) Derjtadterung, Proletarijierung und Entordnung überhaupt
aufhalten, wenn wir dem Schidjal Spartas und Roms entgeben wollen. Das
Bud) fand in der politiihen und wiljenjchaftlihen Prejfe gleichermeije An-
erfennung und das zu einer Zeit, als es noch gefährlid und anjtößig war,
ji zum nordilhen Bauertum zu befennen.
Die große Bedeutung des Darréjchen Buches liegt darin, da es nicht — wie
bei vielen gutgemeinten Werfen — in der Theorie eig bleibt, jondern praf-
tiihe Wege weilt. Nicht der Sorjcher und Sachgelebrte wird allein reiche An-
tegung in ihm finden; aud) der Deutidhe im weitejten Sinne Tann, falls er
mitarbeiten will, an der Erhaltung feines Doltstums, bejonders jeiner bauer
lihen Grundidicht, Mut und Hoffnung für fein Wirfen ar; An unferem
Dolte ijt es, zu zeigen, daß es reif für die Wahrheit und willig zur Tat ilt.
(Prof. Rob. Mielte in „Dolt und Rajje”.)
Geh. ME. 5.20,
Neuadel aus Blut und Boden, I TE 320
Das Bud) ftellt eine Tat im ‚wahriten Sinne des Wortes dar, da es dem
Derjajjer gelungen ijt, mitten im Derfall der jittliden und fulturellen Welt ©
neue Wege für die Wiedereritarfung des deutichen Dolfes zu zeigen, Wege,
die wirflid) gangbar find. Alte Überlieferung und flares Derjtandnis für
Cebensnotwendiagteiten unferes Dolfes haben den Derfajjer zu diefem Wert
geleitet, das denfenden und fampfenden Deutichen bald ein guter Kamerad
jein wird. (Der Angriff, Berlin.)
3.$S.£Lehmanns Derlag / Münden2Sm.
*
Verantwortlich für die Schriftleitung von „Volk und Kaffe”: Dr. Bruno K. Schulk, Münden. 5
m Berantwortlicy für den Anzeigenteil: Guido Haugg, München. — Verlag: 3. F. Lehmann, Dünen
' Druck von Dr. F. B. Datterer & Eie, Freifing- Münden. u
ore .
oem —
volk und Raff —
AIlluſtrierte Monatsſchrift fuͤr deutſches —
Beratientunde | Raffenpflege
Zeitſchrift des Reichsausſchuſſes für Peges— und
der Deutſchen Geſellſchaft fuͤr Raſſenhygiene. —
usgeber: Prof. Aichel (Kieh), Praͤſ. Dr. Aſt el (Weimar), Prof. Baur (muͤnd et tg) ),2
mee RW. Darr é (Berlin), Min.-Rat § eb cle (Heidelberg), Min.-Rat Gatr(:
ft. Hartnacde (Dresden), Xeidsfibrer 6S. Himmler (Minden), Prof. Mollifo
Much (Wien), Prof. Rede (Keipsig), Prof. Rudin (Minden), Dr. Rutt
Prof. A. Schulg (Königsberg), De. WD. Sd ulg (Gorlig), Prof. Shulg
/ (Deimar), Prof. Staemmler(Cbemnig), Dr. Tir ala (Brim), Dir. Dr, Beißß Se
Smriftleiter: Dr. Bruno R. Schultz, München a a
Teubauferftrage 51/5. Ta
6 — Heft 5 September (Gd ibing) 1
Inhalt: —
F Die wirtſchaftlichen Folgen des S———— Bon Dr. ont et med. aa
Lothar Gottlieb Sirala . . . . Geite 162
Bas wird da groß? Bon WE Dr. 2. — Door a 2Ub-
bildungen) . . „ 164
Die friminelle Familie, Bon Dr. Friedrih Stumpfl, Münden. » » 2... >» 187
Der Rüdgang der ehelichen Fruchtbarkeit . . . . „ 173%
Die Entwidlung von iit a Geburten und Sterbeällen in den |
Jahren 1871—1930 . =. 108
Der trügerijche Geburteniiberigub . po a Ne nts a » eis |
Die Bergreifung des deutjchen Bolles . . . „ 176,
Das deutiche Bolt hat in Wirklichkeit feinen Sehurtenüber fan — — 60 \
Aus Raſſenhygiene und Bevölkerungspoliti . . . * „ 181
ungenn a 000 1883
B ezuttspreis vierteljabrlidy) RM. 2.—, Einzelbeft RM. —.70, Poftfdedtonto des Derlage Minden 129;
3 pt Poftfpartaffentonto Wien 595 94; Poftfchedtonto Bern Lr. III 4845; ditanftalt der i
Deutfchen in Prag, Rrakauer Gaffe 11 (Poftfdhedtonto Prag 627 30).
3. $. Lebmanns Derlag / Münden 2 SW. / Paul Aeyfe:-Str. 26°
nn
i
Dolt und Kaffe, 8. Jahrg. 1933, Heft 5
3. §. Lebmanns Verlag, Minden
Ber Verlag bebalt fid) das ausfdlieBlice Redt der Vervielfältigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor.
(Aufnahme Otto Ubbelohde)
Yeffifdher Bauer im blauen Kittel aus der Gegend um Hlarburg a. Labn.
Dorwiegend nordifd.
Dolf und Kaffe. 1935. September. 13
162 Dolt und Kaffe. 1933, V
Die wirtfihaftlichen Solgen des Sterilifierungs-
gefetzes.”
Don Dr. phil. et med. Lothar Gottlieb Cirala.
Ly rend die bisherigen Regierungen in Deutfchland unfäbigen Bärtnern
glichen, die das Unkraut von der wertvollen Pflanze nicht zu trennen
vermodten, ift nun heute endlich eine Regierung da, die nicht Gärtner fpielen,
fondern wabrbaft Gärtner fein will. Wir baben das Gefeg zur Verhinderung
erbfranten Liadywuchfes befommen, weldes in jeder Ayinficht auf der Hoͤhe mo⸗
derner Se ene Gee ftebt und von allen Einfichtigen mit Begeifterung begrüßt
worden ift elhe Segnungen und Heilwirkungen diefes Gefeg nah fich
ziehen wird, können natürlich erft unfere Rinder und Rindestinder verfpüren,
denn ¢s handelt fid nicht um billige Augenblidserfolge, fondern um gründliche
Bärtnerarbeit an den Erbftämmen unferes Volkes. Aber auch fchon in den nädhften
Jahren wird diefes Befetz eine Reihe von wirtfchaftlichen Solgen haben, die bier
kurz dargelegt feien:
In den Vereinigten Staaten von Liordamerita haben 25 Staaten ein abn:
liches Befetz, die meiften feit 1909. Wenn wir den Staat Ralifornien, in dem
mit der Verhinderung des tranten Kiahwuchfes Ernft gemadt wurde und in
den legten 20 Jabren 8500 Wenfchen fterilifiert wurden, zum Vorbild nehmen,
fo müßten wir entfprechend der Größe des Deutfchen Reiches mit etwa 140000
Sterilifierungsoperationen rechnen. Diefe Zahl ift aber noch ficher zu niedrig, denn
das Befetz in Deutfchland gebt weiter und unter{deidet 9 Gruppen von Menfden,
die der Sterilifierung unterworfen werden follen und zwar:
I ®Gruppe: Angeborener Shwadfinn etwa . . . 200000 Menfcen
» Schizophrenie etwa =. . $0000 ”
5 » Birkuläres (manifch: depreffives) Jereſein
etwa . . 20000 es
4. » Erbliche Sallfucht(€pilepfie) etwa . . 60000 .
B. » MErblicher Deitstanz etwa . . . . . 000 a
6. » Srblide Blindheit twa . 2... 4000 i
1; » Erblice Taubbeit etwa . 18000 pr
8. „Schwere erbliche torperliche Migbil-
nn etwa . . - 20000 a
Q- 5 Schwerer Altobolismus etwa . 2 6 «$0000 <5
432 600.
Wenn wir die Mindeftzabl der 3u Sterilifierenden auf 300 000 anfegen, fo
tamen etwa 150000 Manner und 150000 Srauen 3ur Operation. Die Sterilis
fierung der 150000 Manner durfte 2250000 ME. koften, wenn wir die Auslagen
fir eine Operation auf rund :o—15 ME. fcagen. Rechnen wir nod mit einem
Krantheitstage a 3 Mark, fo fteigt die Aus an um etwa 450000 ME., alfo
dürften die Auslagen für die Männer 2,7—3 Millionen Mark betragen.
Bei den Srauen müffen wir, in Solge des Mangels an Operateuren, die
vaginal operieren können, mit größeren Auslagen und längerer Pflege rechnen.
Die Operationsauslagen felbft veranfchlagen wir mit etwa 25 ME. und die Aus
lagen fur ein $ tagiges Rrankenlager und Verpflegung mit weiteren 25 ME, sus
fammen 50 IME., das find im ganzen 7,5 Millionen Mark. Die reinen Operations
und Rrantenbaustoften werden alfo fur alle Sterilifierungsoperationen 10 bis
12 Millionen Mark betragen. Die Durdfubrung aller Operationen ift in etwa
*) Eine ausführlihe Behandlung diefer Srage erfhien vom felben Verfaffer im
Scptemberbeft von Deutjchlands Erneuerung.
a
Str. 2
1933, V £otb. Bottl. Tirala, Die wirtfchaftl. Solgen des Sterilifierungsgefegee. 163
RE EEE EEE EISEN
2 Jahren ſicherlich ohne beſondere Schwierigkeiten moͤglich, ſo daß wir in 20
bis 30 Jahren eine Reibe von Rrankheiten nur mehr als Seltenheit ſehen werden.
Das Deutſche Reich gab im Jahre 1928/29 für Geiſteskranke und Geiſtes⸗
ſchwache allein durch die Landesfuͤrſorgeverbaͤnde rund 108 Millionen Mark aus.
Wenn wir die Leiſtungen des Staates und der Staͤdte mit ebenfalls rund z00 Mil⸗
lionen Mark einſetzen, ſo kommen wir zur Ausgabe von 200 Millionen Mark
jaͤhrlich. Doch muͤſſen wir neben den direkten Roſten und Auslagen der in Kranken⸗
haͤuſern befindlichen Geiſteskranken auch die Auslagen der in privater Pflege be⸗
findlichen Geiſtesſchwachen und Gebrechlichen, d. h. fuͤr rund 200 ooo Menſchen,
noch hinzurechnen. Bei le Roftenberechnung für jede diefer Perfonen
mit 500 Mark, ergeben fihb 100 Millionen ME. jährlich. Die öffentlichen und pris
vater Ausgaben machen alfo 300 Millionen ME. aus. Wenn wir den Derdräns
gungswert und Derdienftverluft, den die Geiftestranten und -fdbwaden durch ihre
bloge Anwefenheit der Befamtbeit zufügen, mit einer Wark täglich für die Perfon
vorfichtig und niedrigft anfetzen, fo ergibt das bei 500 000 Rranten, Sdwaden
und Minderwertigen etwa 500 000 Mark täglich, und im Jahre eine Summe von
ss0 Millionen Mark. Wenn wir dann nod für die Derwaltungstoften der
Ierenanftalten, Abnütgung und Wertverminderung der Gebäude ufw. mit min:
deftens 200—220 Millionen ME. veranfchlagen, fo kommen wir zufammen zu
einer jährlichen Befamtfumme von 790 Millionen Mark, welde den Verluft und
die Auslagen der Allgemeinheit in Solge der Pflege und Anwefenbeit der Geiftes-
tranten und =fchwachen darftellt. Durch die Verminderung der Geiftestranten
auf etwa 60% des Jetftandes können wir alfo mit einem an der unteren Grenze
liegenden Annäberungswert von 420 Millionen Mark ale eine Mindeftzabl rec:
nen, eine Summe, welde das Reid) nad) etwa 33—40 Jahren jährlich ers
fparen wird. Diefe Summe entfpridht einem Rapital von rund
20 Milliarden Mark.
Diefe Berechnungen find mit den amerikanifchen verglichen, um die Aalfte
niedriger, ftellen alfo ficherlid Wliindeftzablen dar.
don nad 6 Jabren, wenn der erfte Jahrgang der fchwachfinnigen Kinder
ausfällt, werden wir die wirtfchaftliche Erleichterung angenehm empfinden, wenn
wir bedenten, daß der preußifche Staat für einen normalen Voltsfchüler 125 ME.,
für einen Hilfsfchüler aber 573 ME. und für einen bildungsfäbigen Geiſtes⸗
franten gar 950 ME. jährlich ausgibt. In 30 Jahren wird fomit das Reich aber:
mals nach diefer Richtung bin etwa 11; Milliarden Mark erfparen.
Weiter werden die Llachlommen ausfallen: Don 4000 erblich Blinden, von
18.000 erblich Tauben und von 21.000 mit fdyweren erblichen, körperlichen Miß-
bildungen bebafteten Menfden. Don diefen 50000 Wienfchen, welde fich nicht
fortpflanzen werden, fehlen dann 600 Schüler, die durchfchnittlich 800 ME. koften,
zufammen alfo rund eine balbe Million. So dürften wir fdon im Jahre 1940 ©
rund 10— 11 Millionen Markt an Erziebungsgeldern für Minderwertige erfparen.
Wenn wir dann noch die Verbrecher mit in Rechnung zieben, die zwar von
dern vorliegenden GBefetge mit gutem Grunde nicht erfaßt wurden, fo erbält unfere
Ausführung noch ein ganz anderes Beficht. Im Jabre 1926 fanden im Deutfchen
Reiche 570 Morde, 810 Raubtaten, 6800 Unzucht: und Klotzuchtverbrechen ftatt.
Was den Staat, die fich fortpflanzenden Verbrecher koften, baben die Amerikaner
in einigen Verbrecherfamilien forgfältig nachgerechnet. So konnten von den 834
Viadtommen der amerilanifhhen Dagantin und Schwadfinnigen Ada Pukes
709 Hadhlommen genau erforfcht werden, 20% mußten von ihren Gemeinden
erhalten werden. 77 wurden wegen Derbredyen verurteilt, darunter 13 wegen
Mordes. Diefe 200 Leute koften dem Staat in 75 Jahren 5 Millionen Marl. Bei
geringer Schägung baben wir in Deutfchland 10000 Schwerverbrecdyer, welche
dem Staat jährlich mehr als 19 Millionen Mark koften. Durch die Ausfchaltung
ihrer -Sortpflanzung, wobei fidher nod) weitere 10000 Verbrecher dazu kämen,
fo daß man von 20000 Schwerverbrechern fprechen kann, würde der Staat un:
13"
164 Volt und Kaffe. 1933, V
gefabr 25 Millionen Mark jabrlic) erfparen, von den ethifden und moralifden
Griinden ganz 3u fdbweigen. Dod bandelt es fich natürlidy trog aller Güter und
Gelder, die von den Minderwertigen verfchlungen und von den Wertvollen immer
wieder erzeugt werden, um viel mebr als Geld und Gut, denn das Leben und die
wertvollen Erbftämme, mithin auch Seele und Geift der lation find bereits
durch die Überwucherung der Kranken und VDerbredyer bedroht. Wir wollen,
daß das deutfche Doll gefunde und wir werden es durcfegen.
Was wird da groß?
Don Medizinalrat Dr. £. Pellgutb, Meldorf.
Mit 2 Abbildungen und ı Tabelle.
I: gleichbleibender Rinderzabl in jeder be und bei gleicher Gefhwindigkeit
der Generationsfolge vollzieht fich die Ausbreitung einer Bevölkerung oder
einer Gruppe nad den matbematifchen Gefegen einer geometrifchen Reibe. Daber
baben auch geringe Sruchtbarkeitsunterfchiede nach einiger Zeit gewaltige Wir:
kungen binfichtlid) der Zufammenfegung eines Volkes. Es ift bekannt, daß bei
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75
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Kreıs- Durchschnitt
d. Jchwach- sinnige,
Unterfchieden von 3:4 Rindern je Ebe und 3:4 Generationen je Jabrbundert ein
Bevölkerungsteil, der beute 50%0 beträgt, nach 300 Jabren nicht mebr 190 aus:
macht.
Wir baben fomit allen Anlaß, überall da, wo wir eine überdurchfchnittliche
Sruchtbarkeit wabrnebmen, fei es in einzelnen Samilien oder in einer Gemeinde
oder beim Anblid einer übervollen Schule — bevor wir uns dem bei unjerer
Kinderarmut nabeliegenden Gefühl der Sreude bingeben — die Stage zu ftellen:
was wird da groß?
Im Kreife Ditbmarfcen in Schleswig: Holftein befteben in den einzelnen
Standesamtsbezirkten auffallende Sruchtbarkeitsunterfchiede. In Brunsbiuttelfoog,
diefer am Weftausgang des FTordoftfeetanals rafch entftandenen „Landgemeinde
Giburtenzabl und Sdwadfinn in sen Standesamtebesicten Dithmarfdens.
165
£. Dellgueb, Was wird da groß?
1933, V
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166 Dolt und Kaffe. 1933, V
von faft 6000 Einwohnern, baben wir in Wirklichkeit eine Eleine Großftadt vor uns,
mit allen Werfmalen der Bevdllerungsftrultur, wie Mietskafernen, Proletariat
und flutender Bevölkerung. Die Lebendgeburtenziffer betrug bier im Durdfdnitt
des fünfjäbrigen Zeitraums von 1928 bis 1932 jährlich 13,3 auf taufend Kin:
wobner. Dagegen baben wir in der gleichen Zeit im Sriedrichskoog, einer febr
weitläufig befiedelten Landgemeinde, deren Bewobner aus Landwirten, landwirt:
fhaftlichen Arbeitern und Sifchern befteben, genau die doppelte Zabl, 26,6. Zwi⸗
chen diefen ertremen Werten liegen die Lebendgeburtenziffern der übrigen Bezirke,
der Durchfchnitt des Kreifes beträgt 18,8. Diefe Werte find errechnet aus den
ftandesamtlichen Jabresmeldungen, unter entfprechender Verrechnung der in den
Rrantenbäufern der Städte erfolgten Lebendgeburten.
Ditbmarfcben
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Geburtenziffern nad fünfjäbrigem Durch fadnitt Schwadfinnigen:Ziffern bei den J0— 185 Jabre alten
928 — 1932). Schultindern.
In beiden Ratten bezeichnet die duntlete Schattierung die Bezirke, deren Ziffern über dem Durchſchnitte
deo Rreifes liegen.
Mas wird in den überdurchfchnittlichen Gemeinden groß? Der fchulärztliche
allgemeine Eindrud, den die Kreisfcbulbebörde beipflichtet, legte die Dermutung
nabe, daß in manchen diefer Gemeinden auffallend zablreihe minderbegabte
Rinder den Lebrern zu fcbaffen machen. Es mußte fomit von Beachtung fein, durch
eine Befragung der Schulen FTäberes über die Ausbreitung des Schwachſinns
in den einzelnen Gemeinden zu erfabren.
Die den Lebrern vorzulegende Srageformulierung wurde mit erfabrenen Leb-
tern beraten. Bei diefer Beratung fowie bei der fpäteren Befragung wurde es
vermieden, von Geburtenziffern zu fprechen, fo daß die Lebrer alfo völlig unvor:
eingenommen waren. Wir einigten uns auf folgende Gefichtspunfte: Line einiger:
maßen fichbere Beurteilung ift vor dem vollendeten zebnten Lebensjabre kaum mög:
lich. Bis zu diefem Alter find die Kinder in der Grundjfebule, in welder das Lefen
und Schreiben im wefentlichen Selbftzwed ift. Spater ift es Mittel fur den wei:
teren Unterricht. Rinder, die nach dem Aufrüden aus der Hrundfchule noch erbeb:
libe Schwierigkeiten im Sefen und Schreiben machen, fallen auf und ftören die
Rlaffe. Diefe Kinder zu zäblen, dürfte verbältnismäßig leicht fein. Die Srage
1933, V Stiedridy) Stumpfl, Die kriminelle Samilie. 167
lautete alfo: Wieviele Rinder, die vor dem 1. Januar 1923 geboren find, befinden
fi überhaupt in der Schule, und wieviele von diefen haben nach Pollendung des
a: £ebensjahres noch erbeblihe Schwierigkeiten im £efen und Schreiben
gemadht ?
Kine befondere Beurteilung erforderte die SHilfsfchule in Heide, die einzige im
Rreife. In Solge der befonderen en können bier nämlich die meiften
Rinder gut lefen und fchreiben. Trogdem müffen fie natürlich alle als minder:
begebt gelten.
Zu der Befamtfchülerzabl wurden die in höheren Schulen eingefchulten Rin-
der innerhalb der angegebenen Altersgrenzen (10. bis 15. Lebensjahr) für ihren
Meimatort zugefchlagen.
Auf diefe Weife wurden 0,4% minderbegabte Schullinder im Durdfchnitt
des Rreifes ermittelt. Die Außerften Werte in den einzelnen Bezirken liegen 3wis
feben 0,0 und 8,00.
Wie das Diagramm zeigt, haben von den 23 Bezirken 11 eine unterdurdhs
fehnittliche, 13 eine überdurdhfchnittliche Lebendgeburtenziffer. Hinſichtlich es
Sdhwadfinnigenanteils an der Schülerzabl fteben 15 Bezirke unter dem Kreis:
durchfchnitt von 4,1%, $ über demfelben. Diefe 8 finden fid) nun famtlich bei den
überfruchtbaren Bezirken. In allen unterfruchtbaren Bezirken bleiben auch die
Schwadfinnigen unter dem Rreisdurchfchnitt. Die Dermutung, daß es in den
überfruchtbaren Bezirken eben die Schwacfinnigen felbft find, die fich ftärker
vermebren, liegt fo nabe, daß fie bis zum Beweis des Gegenteils wobl als richtig
angenommen werden darf.
£s foll nicht unerwäbhnt bleiben, daß die den Kebrern geftellte Srage nod
dseutungsfabig war. Das Ergebnis würde ficherer werden, wenn man einen ers
fabrenen £ebrer die Schulen bereifen und die Leiftungen der in Stage kommenden
Rinder prüfen ließe. Aber auch das nach vorliegender Methode gewonnene Mas
terial ift für die angegebene Schlußfolgerung ausreichend, weil nicht einzufeben
ift, weshalb die Lehrer gerade in den überfruchtbaren Bezirken einen fchärferen
Mapftab angelegt baben follten. Eber darf man annehmen, daß mit Zunahme der
Minderbegabten der Mapftab finkt.
Die beigegebene Doppellarte macht die De ung zwifchen Geburtenzahl und
Scdhwadfinn nod finnfälliger. Aus vorftehender Tabelle find die einzelnen Werte
zu erfeben.
Aus der Sorfhungsanftalt für Pfydhiatrie.
Die Eriminelle Samilie.
Von Dr. Sriedrih Stumpfl, Münden.
YD man fic gegen irgendeine Erfcheinung, 3. B. gegen Krantheit, jdugen
will, fodarf man fich nicht damit begnugen, das 3u unterfuden, was offen
zutage liegt, fondern man muß auch die meift verborgenen Urfachen genau kennen.
Und da kann man wohl fagen, daß keine andere Stage von allgemeiner Bedeu:
tung bisher von der Wiffenfchaft fo ftiefmütterlich behandelt worden ift, wie das
Derbrecherproblem. Daber kommt es, daß trog beftändiger Zunahme der Der:
bredyen ihre Belämpfung fich bisber immer nur gegen die Wirkungen wenden
konnte, und nicht gegen die eigentlichen Urfachen, von deren Ausfchaltung allein
ein endgultiger Erfolg abbangt.
Die Mlotwendighkeit bier Ubbilfe 3u fcbafffen und wenigftens die Grund:
fragen zu löfen, bat dazu geführt, daß in den legten Jahren an verfchiedenen deut:
ſchen Inftituten, insbefondere an der deutfchen Sorfehungsanftalt für Pfydhiatrie
in München eine Reibe wiffenfcbaftlider Unterfuchungen an kriminellen Samilien
in Angriff genommen wurden.
168 Doll und Kaffe. 1933, V
Um den Sinn und die Tragweite folcher Sorfehungen verftändlich zu madhen,
werde ich zuerft ganz kurz die Schidfale einiger kriminellen Samilien fcildern,
dann auseinanderfegen, warum die Allgemeinbeit an einer gründlidyen Kenntnis
frimineller Perfönlichkeiten fo ftark intereffiert ift, um endlich die widhtigften vor:
läufigen Ergebniffe diefer neuen Sorfcyungen über Derbrechensurfachen in wenigen
Strichen zu flissieren.
Beginnen wir mit der Samilie des Schwindlers und Hochſtaplers Jenner.
Schon in der Schule hatte er ein gewandtes und ficheres Auftreten gegenüber
Steunden und fremden Perfonen. Im Betragen batte er immer die befte Tote.
Mit 22 Jahren wurde er zum erftenmal wegen Betrug beftraft. Er rift lebbaft,
gern in Befellfchaft, bat eine gute Auffaffung und ift eine gefällige Erfcheinung,
der e8 jederzeit leicht gelingt, den Cindrud cines Direttors zu erweden. Sur cine
gediegene Arbeit taugt er aber nicht. Selbftüberfhägung und grenzenlofe Gel:
tungsfucht veranlaßten ibn immer wieder 3u Dorfpiegelungen falfcher Tatfachen.
Syeute ift er fhon ungefähr über 20 mal wegen Betrug vorbeftraft, darunter 4 mal
mit fdhweren Zucdhtbausftrafen.
Jenner hatte 13 Gefdwifter, von denen 10 heute nody am Leben find. Sein
Pater war Schmied in einem Beinen Dorf, ordentlid, rubig, allgemein beliebt
und in der Erziehung feiner Kinder febr ftreng. Er ließ fie 3. B. nie ins Kino
geben. Auch die Mutter ftammte vom Lande. Sie war eine beitere, rubige und
baushälterifhe Srau. Man fagt ibr allerdings nach, daß fie viele Meine und
größere Schler ibrer Rinder vor dem Vater verbeimlicht bat. Daß fie ihre Kinder
oft unbeauffichtigt ließ, ift wohl am Lande nichts ungewöhnliches, ebenfowenig,
daß fie über ihre 7 Söhne und 6 Töchter nicht Herr werden konnte, wie es beißt.
Jenner war der zweitältefte unter feinen Gefchwiftern. Sein älterer Bruder
ift ein tüchtiger Mafchinift und wurde nur einmal in früberen Jahren wegen Dieb:
ftabl beftraft. Der ältefte Sobn diefes Bruders ift fcbon oft wegen Betrug bes
ftraft worden. Er wohnt in einem übelberücdhtigten Stadtviertel, fpielt gerne den
vornehmen Mann und verftebt es gut, feine Betrügereien unter dem Dedmantel
einer Geflugelfarm oder einer fonftigen Unternehmung zu verbergen. Zwei jün-
gere Brüder von Jenner find gleichfalls triminell: Der eine ift ein gewandter,
fhon ı5 mal wegen Betrug und Unterfchlagung beftrafter Zeitungsredalteur in
Berlin, der andere, ein Rentenbpfteriter, bewohnt mit feiner Samilie eine Dadhs
wohnung in einer Rleinftadt und ift febon wiederbolt wegen Betrug und aud
wegen Diebftabl beftraft. Er bat fi nach dem Krieg viele Jahre lang cine
100 %= Rente berausgefhwindelt und jabrlid) auf Roften der Derforgungsamter
eine Badelur gemadıt, bis man allmäblih darauf kam, daß fich feine Klagen
immer nach den Zweden richteten, die er gerade verfolgte. Ein dritter Bruder
ift zwar laut Strafregifter nicht beftraft, genießt aber keinen guten Ruf. Er bes
findet fich meift in Gefellfchaft von Weibern oder jungen Mädchen und ift verläß:
lichen Angaben zufolge bisber immer nody am Rriminal vorbeigerutfcht. Auch cine
von den Schweftern genießt einen febr fchlechten Ruf.
Die übrigen Gefcbwifter find nicht vorbeftraft und haben als Cleine Unters
nehmer oder mittlere Beamte ein gutes Austommen. Ein Zug ift ihnen allen
emeinfam: Das Streben, auf andere Menfchen Eindrud 3u machen und damit im
Sufammenbang die Lleigung, etwas über die eigenen Verbältniffe zu leben. Sie
find eber uberdurchfdnittlid intelligent und baben ein gutes Benehmen. Alle,
auch die fpäter Betrüger geworden find, batten in der Schule im Betragen die
Note: ſehr lobenswert.
Auch unter den Vettern und Baſen und deren Kindern ſind mehrere Kri⸗
minelle. Auffallenderweiſe immer als einzige ihrer Art mitten unter lauter un⸗
beſcholtenen Geſchwiſtern und als Rinder unbeſcholtener Eltern. Einer zog ſchon
als kleiner Junge mit anderen Burſchen herum und erbeutete auf ſeinen Diebes⸗
zuͤgen Geld und Wertgegenſtaͤnde. Mit 19 Jahren beging er einen Raubuͤber⸗
fall. Er hatte mit einem Rameraden mehrere Gaftwirtfchaften befucht. Am Heim:
1933, V Sriedrih Stumpfl, Die kriminelle Samilie. 169
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weg überbolten fie auf einer Waldftraße einen — wandernden Lederhaͤndler
und raubten ihm ſeine Brieftaſche und ſeine Uhr. Sie warfen ihn zu Boden und
ſtreiften ihm auch mehrere Ringe von ſeinen Fingern. Ein Vetter iſt der Trunk⸗
ſucht ergeben und erwerbslos. Sein Arbeitsloſengeld ſetzt er in Alkohol um, fo
daß man ihn in ſeiner Heimatgemeinde unter Alkoholverbot ſtellen mußte. Wegen
Gewalttaͤtigkeiten iſt er ſchon o mal im Gefaͤngnis geweſen.
— wuͤrde zu weit fuͤhren, auch die uͤbrigen kriminellen Verwandten an⸗
zufuͤhren.
In mehrfacher Sinficht ein Gegenftüd zu Jenners, bildet die Familie Gelber.
Gelber war der einzige Sohn einer Hutmachersfamilie, die in einem armen Brenz»
dorf lebte. Er ift ein alter, vielfach wegen Diebftabl und Bettel beftrafter Zins
bredyer. Erzogen wurde er bei feinen £ltern, die damals im Armenbaus lebten.
Der Vater war ein rubiger, freundlicher ann, die Mutter fehr ftreitfüchtig und
aufgeregt, beide Eltern wegen Bettel wiederholt vorbeftraft. Gelber blieb ın der
Schule mebrfad figen. Seine Sprache war polternd und deshalb fchwer vers
ftändlih. Er begann feine kriminelle Laufbahn mit 17 Jahren und wurde meift
‚wegen Diebftabl, wiederholt auch wegen Bettel und Landftreichen beftraft. Mit
27 Jahren fam er zum erftenmal in eine Jerenanftalt. Wie fic fpdter berausftellte,
bat er Geiftestrantbheit nur vorgetäufcht. Er kam nämlich fpäter noch dreimal in
Irrenanftalten, auffallenderweife immer gerade dann, wenn er wegen einer Dies
berei ins Gefängnis oder ins Zuchthaus eingeliefert wurde. Er heiratete im Alter
von 46 Jahren und lebte dann einige Jahre lang unbebelligt. Die Leute begannen
fich allmählich zu wundern, wovon er, ohne zu arbeiten, eigentlich lebe, bis nach
einigen Jahren eine Reihe von Diebftählen auflam, die er in der weiteren Ums
gebung feines Wobnortes verübt hatte. Er hatte fich damals mit 2 Stiefföhnen
und einem Schwiegerfohn verbunden und mit ihnen gemeinfam Diebftähle verübt.
Dabei trieb er fich zeitweife fcheinbar taglöhnernd oder mit Seife bandelnd in
Ofterreih und Böhmen herum. Seine Stau war auch kriminell. Sie ift wegen
Sehlerei und Diebftabl mehrfach beftraft. Die beiden vorebeliden Söhne feiner
Stau find alte Einbrecher und feine Stieftöchter find mit Dieben verbeiratet.
Die fchon vor dem Krieg verftorbene Schwefter von Belbers Dater wer eine
ledige Fläberin, die zeitlebens nichts tat, als betteln und fteblen. Meift ftabl fie
anz einfache Sacen, 3. B. Dugende von Uiudelfehauferin. Einem verwabrloften
Sndwviduum das nur in Derbrechertreifen verkehrte, gebar fie 6 unebeliche Kinder,
darunter 5 Söhne. Dier von diefen Söhnen waren kriminell und die Bendarmen
der Waldgegend, in der fie lebten, wiffen heute noch zu erzählen von den Kämpfen,
die fie mit diefen Außerft gewalttätigen und gefährlichen Einbrechern ausgefochten
baben. Einer von ihnen war Epileptifer und erftidte, als er in einem Anfall mit
dem Geficht in loderes Erdreich fturzte. Der fünfte von diefen Söhnen, der nie
triminell geworden ift, war hochgradig fchwachfinnig.
Derartige DBeifpiele ließen fic beliebig vermehren. Bevor ich dazu übers
gebe, auseinanderzufetzen, warum die Allgemeinheit an einer wiffenfchaftlichen
Ertenntnis des Wefens trimineller Derfonlichteiten fo febr intereffiert ift, fei noc
erwähnt, daß es alte altenmäßige Darftellungen von Derbrecherbanden gibt, die
ausgezeichnete Schilderungen von £ebensläufen trimineller Samilien enthalten.
Als Beifpiel, das zeigen foll, wie genau uns fogar die Charalterzüge diefer
Menfcben wberliefert find, wähle ich die altenmagigen Llachrichten über Jofepb
Streitmatter, den Sohn eines wohlhabenden Müllers, der vor mehr als hundert
ehren in Deutichland lebte.
Jofeph Streitmatter verbeiratete fic fchon mit 16 Jabren mit einer artigen,
jungen Schweizerin. Die erften Monate diefer Ehe waren frob und glüdlich, bis
ein Buch, gebeimnisvoll mit Siegeln verfeben, wie es im Bericht beißt, die erfte
Deranlaffung feines Unglüds wurde €s enthielt eine Anweifung Geifter zu
zitieren, Schätze zu graben und Bold zu machen. Streitmatter, überzeugt, daß
es @eifter und Zauberer gäbe, batte nur mebr den einen Gedanten, die weife
Dolt und Bafle. 1935. September. 14
170 Volt und Kaffe. 1933, V
ASB ETS?
Magie zu erlernen. Seine mitternädhtlichen Beobachtungen der Geftirne, fein tiefes
Schweigen gegen jedermann verbunden mit I aund Giger re allen £ebenss
freuden führten dazu, daß fein vernachläffigtes junges Weib bei einem Wann
und Troft fuchte, der verfprach, alles zu tun, um die jungen Zheleute wieder zu
verföhnen. Bald aber zeigte fich, daß er bei den nadtliden Zufammenkünften
mit der jungen Stau zu viele Vorteile für fich felbft fand, als daß es ihm ernft
gewefen wäre zu verföhnen. Damals belam Streitmatter Dorfchüffe von 50 und
100 Gulden und das fo oft er wollte, von einem Raufmann, der ibn in allerlei.
dunkle Lieferungsgefchäfte verwidelte.
Als dann Derwirrung in die dfonomifden Angelegenheiten des Hauſes
tam und die Srau ibe und der Rinder Dermögen retten wollte, da verwandelte fich
der freundfchaftlidhe Kaufmann auf einmal in den bartberzigften Olaubiger und
verftand es durch Prozeffe, das ganze Dermödgen Streitmatters an fidy zu reißen.
Streitmatter verließ feinen häuslichen Herd, wurde Spion, und als man ibm
die vor der Ausführung einer verwegenen Unternebmung gemadten Verfpres
dungen nicht hielt, Dieb und Räuber. Wiederholt verhaftet und einmal durdy
einen Streiffchugß verletst, entlam er immer wieder auf die kühnfte Weife. Dieb
ftähle, Rirchenräubereien, nächtliche Überfälle von Mühlen und Höfen machten
ihn zum Schreden der ganzen Gegend. Einmal ertlomm er mit feiner Bande,
deren Sührer er war, auf mebreren aneinander gebundenen Leitern und Balken
die eisglatten Wälle einer Stadt, 10 Schritte weit von einer Schildwacdhe. Hatte
er Geld, fo verfehwendete er es in wenigen Tagen an Spielbänten, in Wirts«
baufern und mit Srauen. Dar er einmal erwifcht, fo gelang es ihm doch immer
— zu entkommen, indem er 3. B. mit einem Nagel die Schloͤſſer ſeines Rerkers
ete.
In dem Bericht wird geſchildert, wie er zweimal ſeine Raͤuberlaufbahn ver⸗
laſſen wollte und wie er beide Male durch einen Zufall daran gehindert wurde.
Das erſte Mal fchnitt ihm ein Zigeuner feinen Gurt mit 300 Louisdors ab, das
zweite Mal wollte er angeblich in einer Sabrit Arbeit nehmen, mußte «ber auf
der Reife dorthin wegen fchlechten Wetters in einem Wirtshaufe liegen bleiben,
wo er mit einem alten, ibm belannten Dieb zufammentraf und feine Vorfäge
wieder aufgab. Als er endlich am Schaffott ftarb, erklärte er noch kurz vor feiner
Aainrihtung mit fefter Stimme, fein Tod fei verdient, aber feine Hande feien rein
von Blut.
Die beldifche Gefinnung diefes alten Raubers, der nie Gewalt angewendet,
der nicht einmal einem Tier das geringfte Leid angetan und wiederholt in aufs
opferungsvollfter Weife für einen bedrangten Rameraden fein Leben aufs Spiel
efetzt bat, gebt aus den Schilderungen eindeutig hervor, dennoch wird man ibn
Betste in mander Beziehung anders beurteilen, als fein wohlwollender Gewährss
mann. Es waren obne Zweifel tieferliegende Gründe, die ihn immer wieder gu
einem Abenteurerleben binführten, als die vermeintlichen in den altenmäßigen
Nachrichten wiedergegebenen „Zufälle“.
Kann man nun aus den Geſchichten krimineller Familien irgendwelche all⸗
gemeinen Schluͤſſe ziehen?
Daß es kriminelle Familien gibt, hat man immer ſchon gewußt. Wir wollen
nicht allzuweit zuruͤckgreifen. Wenn man die 1211 in Mainz erſchienenen, hoͤchſt
leſenswerten aktenmaͤßigen Nachrichten von Rebmann aufſchlaͤgt, die von gefaͤhr⸗
lichen Diebesbanden handeln, welche damals die ganze Mittelrheinlandſchaft und
halb Frankreich unſicher machten, ſo findet man unter den Bemerkungen uͤber
einige Maßregeln, die bei Verfolgung von Raͤuberbanden nuͤtzlich ſein moͤchten,
als letzte Folgende: „Man erforſche die Genealogie und Verwandtſchaft der Raͤuber
und ihrer Beiſchlaͤferinnen, faſt alle dieſe Diebe heiraten untereinander und wenn
man die Mutter im Gefaͤngnis geſtorben, die Bruͤder guillotiniert, die Vaͤter ge⸗
hangen, die Schwaͤger ſteckbrieflich verfolgt findet, ſo wird man nicht fehlgreifen,
wenn man das Handwerk der Verwandten bei den Inquiſiten vorausſetzt. Eine
1933, V Sriedrihd Stumpfl, Die kriminelle Samilie. 171
EEE EEE — — —
Judenfamilie in Holland war das Stammhaus einer Menge Diebe, und Rrum⸗
borach in Lyon, angeblicher Parfuͤmeur, hatte keinen Verwandten, der nicht in
den Archiven eines peinlichen Gerichtshofes figurierte.˖ Dieſe Forderung iſt oft
erhoben worden, aber ſyſtematiſch in Angriff genommen hat man ſie in den
letzten Jahren.
Was ſoll man ſich nun auf Grund neuer Forſchungen unter einer kriminellen
Samilie vorftellen? _
Man fpriht oft von Offiziersfamilien, von Beamtenfamilien, oder von
Mufiterfamilien. Wir wiffen heute, dag in Mufilerfamilien befondere mufis
Ralifdhe Begabungen erblicd) find und vielfach auch folcde Samilienmitglieder auss
zeichnen, die nicht als Mufiler beruflich tätig waren. Abnliches gilt für Offizieres
und Beamtenfamilien. Ein ftartes Überwiegen des Pflichtgefühls über den rs
werbsfinn 3. B. ift ein Charalterzug, dem man in alten Beamtens und Offiszierss
familien immer wieder begegnet, auch bei foldhen, die felbft nicht Beamte oder
Offiziere geworden find. Yun tann man wobl durd Erziehung die Derbals
tungsweifen der Menfchen innerhalb gewiffer Grenzen abändern, man kann
3. B. aus einem vollftändig unmufilalifchen Menfchen, der zum Segen feiner Ums
gebung niemals ein Rlavier berührt bat, einen gewandten Rlavierfpieler machen,
aber was man damit nicht geändert bat, ift fein inneres Wefen. So wäre es
denn ein verbangnisvoller Jertum zu glauben, daß finnvolle erzieberifche Maß
nahmen fi damit begnügen können, von den Derbaltungsweifen des Mienfchen
auszugeben, obne die echten und dauernden, die wurzelftändigen Züge feines Chas
cafters, das ift feinen Grundcharalter, erfannt zu baben.
Ebenfo wie in Mufiterfamilien ift es auch in Offizierss und Beamtenfamilien
nicht bloß die Tradition, nicht allein das Vorbild der Eltern und Ahnen, das
immer wieder pflichtbewußte Mienfchen aus ihren Reiben bervorgeben läßt, fons
dern ebenfowohl die ihnen eigene, eingeborene Gefühlsbereitfchaft ihres anges
borenen Brundcharaltere, ihrer blutmäßigen Anlage. -
Wie verhält es fich nun bei triminellen Samilien? Es gibt Kriminelle, die
unter den denkbar günftigften Umweltsverbältniffen aufgewachfen find, die weder
unter ihren Gefchwiftern, noch unter den Lltern, nod unter den Onkleln und
Tanten kriminelle Derwandte haben und es gibt umgelebrt auch Menfden, die
unter lauter triminellen Gefdhwiftern aufgewacfen find, von ihren Eltern zum
Betteln angebalten wurden und niemals eine richtige Erziehung genoffen baben,
die aber trogdem nie friminell, fondern im Gegenteil zu pflichtbewußten und aufs
opferungsbereiten Wenfchen geworden find. Das läßt fidh nur fo erklären, daß
es Erbanlagen gibt, die uber die Charalterentwidlung ftärter beftimmen, als die
erzieberifchen Maßnahmen, die man beutzutage anwendet. Man braucht die Ers
ziebungsmangel und die Gewalt fittlicher Schäden gar nicht zu unterfchägen, ja
man muß foger wiffen, daß ihr Ausmaß in vielen Sallen alles weit übertrifft,
was man als Sernftebender fich vorftellt oder erwartet, aber gerade aus diefer
Ertenntnis ergibt fich die zwingende Sorderung, zu ergründen, inwiefern und bei
weldyen Derbrecherarten die Derbrechensurfachen in derartigen Schädigungen ges
legen find und bei weldyen nicht.
Ba es Derbrederarten gibt, die untereinander febr verfchieden find, man
dente einmal an einen diebifchen Bettler und Landftreicher und vergleiche ihn mit
einem vornebm ausfebenden Schwindler und Hochftapler, verftebt es fich von
felbft, daß es untereinander fehr verfchiedene nor ıı müffen, die am Zus
ftandefommen des Verbrechens entfcheidend mitwirken. Worauf es bier befonders
ankommt, ift endlich zu erfennen, dag die Dererbungsforfdung in der Lage ift,
nicht nur den Raffenbygienitern, fondern auch den Erziebern unentbebrliche Brimds
lagen für ihr Handeln zu übermitteln. Denn die Aufgaben der Erziehung fordern
beute diefe Grundlagen dringender als je, nachdem die Lehre von der Allgewalt
der Umwelt und der erzieberifchen Maßnahmen endgültig widerlegt ift, eine Jers
lehre, die das Beine Rind einer glatten DOacdstafel glaubte gleichfetzen zu können
14°
172 Volk und Raffe. 1933, V
und damit den damaligen Bedürfniffen des Feitgeiftes gefdidt Rechnung trug.
Darüber muß man ficy allerdings im Maren fein, daß immer nody genug Sälle
übrig bleiben werden, die jeder erzieberifchen Beeinfluffung unzugänglid find.
Boldye Wienfhen rechtzeitig unfdhyädlicy zu machen, und im gegebenen Sall zu
verhindern, daß fie ihre Anlage weiter fortpflanzen, ift He Aufgabe raffenbygienis
fcyer Maßnahmen im Sinne der VDollsaufartung.
Woraus kann man nun beute mit binreichender Sicherheit den Schluß ab»
leiten, daß erblicye Anlagen au das Schhidfal des Menfden, wenn nidt auss
fchlieglich, fo doch entfcheidend beftimmen? Es gibt cine wiffenfdaftlide Methode,
die es ermöglicht zu entfcheiden, ob irgendeine Kigenfchaft, irgendeine Brankbeit
oder fonftige Erfcdheinung vorwiegend von der Umwelt oder vorwiegend von der
Erbanlage abhängig ift. Es ift das die Zwillingsmetbode.
Durd die Anwendung diefer Wietbode auf die Probleme der Kriminalität
bat vor vier Jahren der Dieciater Profeffor Lange den Llacdyweis erbradht, daß
der Einfluß der Erbanlagen bei der Derbrecdhensentftebung viel weiter reicht, ale
man bis dahin angenommen batte. Seine fehr eingehenden Unterfuchungen der
efamten £ebensläufe von dreißig Zwillingspaaren mit je einem kriminellen
Partie baben ergeben, daß bei den eineiigen, alfo erbgleichen Zwillingen immer
auch der zweite —** kriminell geworden iſt.
Man muß die Lebenslaͤufe ſelbſt geleſen haben, um zu ermeſſen, wie erſchuͤt⸗
ternd ſich Charakter und kriminelle Laufbahn bei dieſen Zwillingen gleichen.
Die Ergebniſſe der kriminalbiologiſchen Zwillingsforſchungen bedeuten, daß
gerade da, wo es ſich um Ruͤckfallskriminalitaͤt handelt, nicht die ſoziale Stel⸗
lung, die Erziehung, mit einem Wort die Umwelt allein, ſondern in hohem
Maße irgendwelche Erbanlagen dafuͤr age find, ob ein Menfd trimis
nell wird, oder nicht, fie bedeuten, daß diefe Wenfden aus ibrer Deranlagung
beraus zum Verbrecdyen kommen und daß diefe ihre Entwidlung in der unvolls
— Welt, in der wir nun einmal leben, mit ſchickſalhafter Notwendigkeit
erfolgt.
Wuͤßten wir genau, was fuͤr Erbanlagen es ſind, die bei den verſchiedenen
Verbrecherarten eine Rolle ſpielen und woran man dieſe Anlagen rechtzeitig er⸗
kennen kann, fo wäre es moͤglich einerſeits die erzieheriſchen und die ftrafredts
lichen, andererſeits die raſſenhygieniſchen Maßnahmen dementſprechend zu geſtalten.
Dieſe Frage nach der Art der Erbanlagen, die hier eine Rolle ſpielen, kann nur ge⸗
loͤſt werden auf Grund von Forſchungen an kriminellen Familien, wie ſie der⸗
zeit z. B. an der Deutſchen Forſchungsanſtalt fuͤr pie durchgeführt werden.
Bei derartigen Unterfuchungen muß jede Perfönlichkeit nach mehreren Rids
tungen („mebrdimenfional‘‘) erfaßt werden. Es genügt beifpielsweife nicht, zu
wiffen, daß jemand ftumpf und gemütstalt fei, fondern man muß audy feine fons
er aa Geter kennen, fo feine Intelligenz und vor allem feine
riebfedern.
Unterfucht man die Samilien von Menfchen, die wiederholt fdwer beftraft
worden find, und wenigftens einmal eine Zuchtbauss bzw. fhwere Berkerftrafe
verbüßt haben, fo findet man in ungefähr 40% der Salle aud unter den Ders
wandten Kriminelle In der Mehrzahl diefer Sälle kann man von kriminellen
Samilien fpreden, d. b. es find Eltern, Befchwifter, oder beide gleichfalls tris
minell. In den Samilien von Menfchen, die nur einmal in ihrem Leben triminelf
geworden find und fich fpäter 15 Jahre lang ftraffrei gehalten haben, findet man
nur in 6%0 der Sälle Kriminelle unter den Derwandten.
Wichtiger als diefer Befund ift die Tatfade, dag man aud unter entferns
teren Derwandten von Rüdfallsverbrechern, 3. B. bei ihren Dettern und deren
Rindern, die an ganz anderen Wobnorten leben und den Ausgangsfallen pers
fonlich gar nidt befannt find, abfolut und relativ mehr Rüdfallsverbredyer —
als unter den entfernteren Verwandten gleichen Grades von ne echts⸗
brechern. Entſprechende Unterſchiede ergeben ſich auch hinſichtlich der Verbrechens⸗
1933, V Der Rüdgang der ehelichen Scudytbarteit. 173
aaa aa ere ee ae a TESTEN EEE
arten, d. b. man findet 3. B. unter den entfernteren Derwandten von Rüdfallss
verbredyern fchwerere Derbrechensarten, als bei den gleichen Derwandtfchaftes
graden von einmalig Beftraften. Klacdhdem man nody heute in weiten Rreifen in
der foszialen Lage und in der Flot die ausfchließlichen Derbrechensurfaden :zu
finden glaubt, find diefe Befunde keineswegs felbftverftändlich, wie man etwa
. meinen könnte. Im Gegenteil, fie wären mit Hilfe der berrfchenden LUmwelts
tbeorien überhaupt nicht zu erklären.
Feuerdings haben die Sorfhungen an kriminellen Samilien gezeigt, daß es
unter Hienfchen, die wiederholt kriminell geworden find, Derfonlidleitstypen gibt,
in deren Derwandtfchaft regelmäßig kriminelle Perfonen gehäuft zu finden find
Fe andere Perfönlichkeitstypen, unter deren Derwandten man keine Rriminellen
indet.
Die praltifche Bedeutung diefer Ergebniffe für die Raffenbygiene liegt auf
der Hand. Schutmaßnahmen gegenüber Kriminellen der erfteren Art werden
anders ausfeben muffen, als Schugmaßnahmen gegenüber Rriminellen der legteren
Art. Die Mittel, beide Arten voneinander zu unterfcheiden, liefert die dharalteros
logiſche und pſychopathologiſche Erforſchung krimineller Samilien.
Auch fuͤr eine in den Dienſt der richtig verſtandenen Willens⸗ und Cha⸗
rakterbildung geſtellte Erziehung ergeben ſich aus ſolchen Familienforſchungen
neue Moͤglichkeiten und neue Aufgaben. Iſt es doch eine der vornehmſten Auf⸗
gaben des Erziehers zu beobachten, wo die Anlagen ruhen, damit er bei den
echten Rräften anpaden kann, um die Charalterbildung des jungen Menfden
feinen Möglichkeiten anzugleichen.
Kiteraturnadhweis: Meindl, Robert: Der Berufsverbredher. Jabrbud
der Charalterologie 2/3, Berlin 1926. — Lange, Johannes: Verbrechen als Schidfal
(1929). — Rebmann: Damian Heffel und feine Raubgenoffen. Altenmagige Mads
ridten, Mains 183}.
Der Rirdgang der ehelichen Srudtbarkeit.”
(Tafel 3.)
JE; Volk, deffen Srauen keine Rinder mehr gebären wollen, muß untergeben.
Aus nadhfolgendem Bild gebt mit furdhtbarer Deutlichkeit hervor, daß wir
ein fterbendes Doll find, wenn die Entwidlung in der bisherigen Weife ihren Lauf
nimmt. Liocy im Jahre 1900 brachte jede dritte verheiratete Stau im gebärs
fähigen Alter von 15—45 Jahren ein Rind zur Welt, im Jahre 1910 nur nody
jede vierte, im Jahre 1925 jede fiebte und heute trifft nur noch auf jede achte, in
Berlin gar nur noch auf jede fiebzehnte Srau eine glüdliche Geburt (Burgdörfer.)
— Während im Jahre 18830 auf 1000 verheiratete Srauen im Alter von 15 bis
45 Jabren nod 307 Rinder trafen, fant diefe Zahl auf 386 im Jabre 1900 und
dann weiter unaufbaltfam auf 146 im Jahre 1925 um im Jahre 1930 einen
Tiefftand von 119 zu erreichen.
Im Schoße der Stau liegt die Fulunft des Dolles. Webe dem Lande, deffen
Srauen {don fo entartet find, daß in ihnen der natiurlide DOunf{d nach dem Rinde
verloren gegangen ift, daß ihnen an überfeinerten Sitten, £ebensgenuß und perföns
lider Bequemlichkeit mebr liegt, als an einer Schar beranwachfender Rinder!
*) Aus dem in Rürze in 3. §. Lebmanns Verlag erfdeinenden Werte: , Volk in
Gefahr”, 24 Tafeln mit Tert. Preis etwa Mt. 1.—.
174 Dok und Kaffe. 1933, V
a
Cafel 3.
Der Ridgang der eheliden Fruchtbarkeit:
Don verbeirateten Srauen im Alter von 15—45 Jahren hatte:
1890 jede 3.Frau ein lebendgeborenes Kind
—
1933, V Die Entwidlung von Ebefcdhließungen, Geburten und Sterbefälle ufw. 175
Eu u EEE En LEE AE POO ———
Tafel 2.
Burve der Ehefhließungen, Geburten und Sterbefälle des deutfchen
Poltes 1871—1930.
Auf 1000 Einwohner
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Nach W. & St. 3r
Die Entwidlung von EhefhlieRungen, Geburten
und Sterbefälle in den Jahren 1871—1930.”
(Tafel 2.) |
Seit dem Jahre 1875 mit über 40 Lebendgeborenen auf 1000 Einwohner ift
die Zahl der Geburten unferes Volkes in ftetem Sinten begriffen. Bis zur Jahr:
bundertwende machte fich der Rüdgang der Sruchtbarkeit langfam, dann immer
*) Aus dem in Kürze in J. $. Lebmanns Derlag erfcheinenden Werte: „Volt in
Gefahr“, 24 Tafeln mit Tert. Preis etwa ME. 1.—.
0
7880 7890 7900 7370 7320 7330
— — —
176 Volt und Kaffe. 1933, V
— — — — —— — — —
ſchneller bemerkbar. In ſteiler Rurve ſtuͤrzte die Jahl bis 1934, um waͤhrend des
Weltkrieges einen begreiflichen Tiefſtand zu erreichen. Nach voruͤbergehender Er⸗
holung in den Jahren 1919 — 1920 ging ſie in beaͤngſtigender Weiſe weiter bergab.
Es iſt zu befuͤrchten, daß dieſe Entwicklung auch heute noch nicht Halt gemacht bat.
Waͤre feit dem Jahre 1871 nicht auch die Sterblichkeit gefunten, fo bätten
bereits im Jabre 1930 die Beburten nicht mebr ausgereicht, um den Beftand unferes
Volkes zu erbalten, denn die Beburtenzahl des Jahres 1910 entfprady der Zahl
der Todesfälle des Jabres 18713. Viur auf das ftarte Ginken der Todesturve ift es
zurüdzufübhren, daß wir auch heute noch, trotg der befehämend geringen Beburtens
zahl einen Bleinen Beburtenüberfchug zu verzeichnen haben. Wie reich die Ernte des
Todes in früheren Jahren gewefen ift, gebt daraus bervor, daß felbft die Derlufte
an Menfdenleben in den blutigften Jahren des Weltkrieges nicht höher waren
als um das Jahr 1885 und fogar geringer als in den vorbergebenden Jahren.
Aus der ftets gleichbleibenden Zahl der Ebhefchließungen, die nur durch den
Brieg eine ftärkere Veränderung erfahren bat, gebt deutlidy hervor, daß der Ges
burtenfchwund nicht etwoa auf wirtfchaftliche Grunde, Verzicht auf Ehefchließung
und dergleichen, fondern auf die veränderte Lebensauffaffung des deutfchen Volkes
zurüdgeführt werden muß.
Der truͤgeriſche Geburtenuͤberſchuß.
(Tafel 3.)
Wir haben gefeben, daG mit Ausnahme der Rriegsjabre Deutfchland noch
einen Meinen fich allerdings dauernd vermindernden Geburtenüberfchuß befigt.
Ulebenftebendes Bild (Taf. 3) zeigt, daß er im Jabre 1932 auf 1000 Einwohner!)
nur noch 4,3 beträgt, was einer ae von 281 000 entfpricht. Denn man bedentt,
daß wir nod vor wenigen Jahrzehnten, troß einer weit größeren Sterblidpkeit,
einen GBeburtenuberfhuß von annähernd ı Million batten, fo wird erft richtig
Mor, wie furchtbar der Schwund unferes Volkes ift.
Yiod viel fchlimmer ift die Entwidlung in den GBroßftädten, allen voraus
Berlin, das den traurigen Ruhm für fich in Anfpruch nehmen kann, die unfruchts
barfte Stadt der Welt zu fein. Die Geburten in Berlin reichen fchon heute nicht
mebr aus, um die Todesfälle zu erfetzen. 30—40 000 Menfchen fterben jährlich
in Deut{dlands SJauptftadt mehr als geboren werden.
So erfihütternd diefe Zablen fhon jest wirten, fo geben fie doc nur ein
trügerifches Bild, da die Sterblichkeit von jabrlid) 10,8 auf 1000 Einwohner uns
normal niedrig ift, was auf den eigenartigen Altersaufbau unferes Volkes zurüds
geführt werden muß.
Das folgende Bild bringt diefen Altersaufbau zur Barftellung. Es gibt
biermit die Möglichkeit, die heutige viel 3u ginftige Lebensturve unferes Volles
a berichtigen und fie fo zu bemeffen, wie fie vorausfidtlid fdbon in Ruͤrze
ein wird.
Die Vergreifung des deutfchen Volkes.”
(Tafel 4.)
Flimmt man an, daß die Sterblichkeitsperbältniffe gleich bleiben und die Ges
burten (auf 1000 gebärfäbige Srauen) im Laufe der nächften Jahre um Surdhfchnitts
lich s v. 9. weiter zurüdgeben werden, fo würde fich nach Berechnungen des Stas
tiftifchen Reichsamte der Aufbau des deutfchen Volkes nach nebenftebender bildlichen
*) Aus dem in Rürze in I. $. Lehmanns Derlag erfcheinenden Werte: „Doll in
Gefahr“, 24 Tafeln mit Tert. Preis etwa ME. 1.—.
1) Das Bild zeigt die Verbältniffe der befferen Darftellung wegen auf 500 ins
wobner.
1933, V Der trügerifche Beburtenüberfchuß. 177
Tafel 3.
Der trügerifhe Beburtenüberfhuß Deutfchlands.
Auf 500 der Bevdllerung trafen im Jahre 1932
in Deutfdhland
yy, — ——
N ; BE EI Fe
Todesfälle
178 Volt und Kaffe. 1933, V
u EZ I TTI,
Tafel 4.
Die Bergreifung des deutfhen Boltes.
Zunahme der Greife — Ridgang der Rinder.
Jahr: 1910 1930 1945 1975 2000
65 jährig . Millienen
u. darüber
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15 jährige
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1945
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27.8 67.7 60.1 46.8
Millionen ——n wer k
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1933, V Bas deutfche Doll bat in Wirklichkeit feinen Beburtenüberfhuß mebr.
Tafel 5.
Das deutfche Bolt hat in Wirtlichteit Teinen Geburtenüberfhuß
Auf 500 der Bevölkerung trafen im Jabre 1931
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179
mehr.
in Deutfhland
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Geburten
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in Berlin
Geburten
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Todesfälle
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180 Volt und Kaffe. 1933, V
EEE a Pa a a SO a ES RE —— — —
Darftellung auf Tafel 4 entwideln: Die Gefamtbevdlterung wird vermutlid) noc
bis 1945 eine geringe Sunabme erfabren, dann ftark zurüdgeben und im Jabre 2000
nuc nod rund 47 Millionen betragen, d. b. foviel wie um das Jabr 1880. Gollte
die Entwidlung in diefer Weife weitergeben, fo werden wir (nad) Burgddrfer) um
das Jahr 2050 wieder ein 25 Millionen-Dolk fein, wie wir es nad Beendigung
der Liapoleonifchen Rriege um 1816 gewefen find. Befonders beforgniserregend
ift ferner die Derfchiebung des zablenmäßigen Stärkeverbältniffes zwifchen den
einzelnen Altersllaffen. Die Zahl der unter ı5jäbrigen, die im Jahre 1910 noch
19,6 Millionen betrug, fällt, trotg des vorübergebenden Bevöllerungszuwachfes bis
1945, ununterbrochen und wird ums Jahr 2000 vorausfichtlidh auf 7,6 Millionen
berabgefunten fein. — Gerade entgegengefegt entwidelt fich die Zabl der über
68 jährigen, meift nicht mebr arbeitsfäbigen Bevdlkerung. Während fie 1930 nur
2,8 Millionen betrug, wächft fie bis 1975 auf 9,2 Millionen an und wird im Jahre
2000 immer noch 7,8 Millionen betragen. Im Jabre 1910 traf auf 7 Rinder unter
15 Jahren ı Erwachfener über 65 Jahren, um das Jahr 2000 wird das Verbaltnis
ungefäbr 1 : 1 fein, da dann 7,8 Millionen Greifen nur 7,6 Millionen Rinder ges
genüberfteben. Auf eine über 60 Jahre alte Perfon kommt fchon beute nur nod
ı Rind unter 6 Jahren, während es 1910 noch zwei gewefen find. Sinnfälliger
kann de drohende Dergreifung des deutfchen Volkes nicht zum Ausdrud gebracht
werden!
Das deutfche Wolf hat in Wirklichkeit feinen
Beburtenüberfhuß mehr.”
(Tafel 5.)
Wir baben auf Grund des vorbergebenden Bildes gefeben, daß die Zahl
dee Sterbefälle unferes Volkes nur deshalb fo gering ift, weil 3. Ft. die gegen
Rrantheit und Giechtum widerftandsfabigften Altersklaffen befonders ftark vers
treten find, während die dem Tode am meiften ausgefegten Altersflaffen (LTeus
geborene, Säuglinge, Rleinktinder einerfeits und Greife andererfeits) zahlenmäßig
weit zurüdfteben. Da die gegenwärtig ftark befetzten Jahrgänge allmählich ins
Greifenalter eintreten werden, fo muß in verhältnismäßig kurzer Zeit eine grund:
legende Derfchiebung des Altersaufbaues ftattfinden. Die Solge Savon wird ein
ftarfes Anfteigen der Sterbefälle fein, ohne daß durch die fhwach befegten ins
beiratsfähige Alter aufrüdenden jungen Jahrgänge auf der Geburtenfeite cin Aus-
gleidy gefchaffen werden kann.
Tafel 5 zeigt, wie die Derbältniffe in Wirklichkeit liegen und daß Deutichs
land nicht mebr in der Lage ift, feinen Bevölterungsbeftand aus eigener Rraft
zu erhalten. lach den bereinigten Zablen betrug der Beburtenverluft auf das
Taufend **) der Bevölkerung im Jabre 1926 = (—) 0,4; 1928 = (—) 1,6; 1930
= (—) 2,6; 1931 = (—) 4. Statt mindeftens 17,4 a. T., wie es nach Berechnungen
von Burgdörfer zur Erhaltung des Volktsbeftandes erforderlich wäre, werden nur
nod) 13,4 Rinder auf 1000 Einwohner in Deutfchland geboren.
Das ift der Anfang eines rubmlofen Endes. Wir find ein fdhrumpfendes
Volt geworden, das weder dem friedlichen Anfturm durch Unterwanderung, noch
einem gewalttätigen Angriff feiner geburtsftarten Klachbarvölter auf die Dauer
ftandbalten wird, wenn nicht eine Wendung zum Befferen, die wir alle erftreben
müffen, eintritt.
*) Aus dem in Rürze in I. $. £ebmanns Verlag erfdeinenden Werke: „Volt in
Gefahr”, 24 Tafeln mit Tert. Preis etwa Mi. 1.—.
**) Das Bild zeigt die Derbältniffe der befferen Darftellung wegen auf 500 Eins
wobner.
1933, V Aus Raffenbygiene und Bevdlterungspolitit. 181
A aa a a —
Aus Raſſenhygiene und Bevoͤlkerungspolitik.
Geſetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchſes.
Wenn man zurückdenkt, welch umftändliches Sin und Her von Erwägungen und Eins
wänden die bisherigen Entwürfe von Sterilifierungsgefegen in Deutichland i i baben,
ift man wieder über alle Maen erftaunt, mit welder Jiclfiderbeit und Entfciedenbeit
dte nationale Regierung an die Verwirllidung einer außerordentlich widtigen rcaffens
bygieniihen Maßnabme urd den Erlaß eines Gefeges zur Derbütung erb>
tranten Tahwudfes gegangen ift. Bewußt wurde die ganze Verfügung nur auf eine
beftimmte Gruppe von Erbtrantheiten beichräntt und Verbrecher und Serualverbreder nicht
miteingefchloffen, was für die foziale Wertung der betroffenen rbtranten pirdologiie
zweifellos von großer Bedeutung ift. Eine Regelung diefer zweiten Srage wird aber Aufs
a weiterer gefeglicher Dorfdriften fein. Wir geben im Solgenden den Wortlaut des
efeges:
, J. (1) Wer erbtrant ift, tann durch dhirurgifhhen Eingriff unfrudtbar gemadt
(fterüilfiert) werden, wenn nad den Erfahrungen der Arztlidhen Wiffenfchaft mit großer
Wabrfceinlichkeit zu erwarten ift, daß feine Llachlommen an fchweren körperlichen oder
geiftigen Erbfhäden leiden werden.
(2) Erbtrant im Sinne diefes Gefeges ift, wer an einer der folgenden Krankheiten
eidet:
I. angeborenem Schwadfinn,
2. Schizophrenie,
3. 3irtulärem (manifdsdepreffivem) Irrefein,
4. erblider Sallfudt,
5. erblidem Deitstan; (Suntington{de Chorea),
6. erblicher Blindbeit,
7. erblidder Taubbeit
8. fcdbwerer erblider körperlicher Mißbildung.
(3) Serner kann unfructbar gemadt werden, wer an fdwerem Alkoholismus leidet.
§ 2. (1) Untragsberedtigt ift derjenige, der unfrudtbar gemadht werden foll. If
diefer gefchäftsunfähig oder wegen Geiftesfdbwade entmündigt oder bat er das adhtzebnte
Lebensjahr noch nicht vollendet, fo ift der gefegliche Vertreter antragsberedhtigt; er bedarf
dazu der Genehmigung des VDormundfdaftsgeridts. In den übrigen Sällen befchräntter
Geichäftsfähigkeit bedarf der Antrag der Zuftimmung des gefeglichen Vertreters. Hat ein
DVolljähriger einen Pfleger für eine Perfon erbalten, es ift deffen Zuftimmung erforderlich.
(2) Dem Antrag ift eine Befceinigung eines fir das Deutfche Reich approbierten
Arztes beizufügen, daß der Infruchtbarzumadhende über das Wefen und die Solgen der
Unfrudtbarmadung aufgetlart worden ift.
(3) Der Untrag tann 3urtddgenommen werden.
§ 3. Die Unfrucdtbarmadhung tdnnen aud beantragen
J. der beamtete Arzt, .
2. für die Infaffen einer Krantens, ceils oder Pflegeanftalt oder einer Strafanftalt
der Anftaltsleiter.
$ 4. Der Antrag ift fcdriftlid oder zur Miederfchrift der Gefdaftaftelle des Erbs
gefundbeitsgerichts zu ftellen. Die den Antrag zugrunde liegenden Tatfaden find dur
ein ärztliches Butadıten oder auf andere Weife glaubhaft zu machen. Die Gefdäftsftelk
bat dem beamteten Arzt von dem Antrag Kenntnis zu geben.
$ 5. Zuftändig für die Entfcheidung ift das Erbgefundbeitsgericht, in deffen Bezirk
der Unfruhtbarzumadyende feinen allgemeinen Berichteftand bat.
$ 6. (1) Das Erbgefundbeitsgericht ift einem Amtsgericht anzugliedern. Es beftebt
aus einem Amtsrichter als Vorfitzenden, einem beamteten Arzt und einem weiteren für
das Deutfche Reich approbierten Arzt. der mit der Erbgefundbeitslehre befonders vertraut
ift. Kür jedes Mitglied ift ein Vertreter zu beftellen.
(2) Als VDorfitender ift ausgefchloffen, wer über einen Antrag auf vormundſchafts⸗
gerichtliche Genebmigung nad $ 2 Abf. 3 entfchieden bat. Hat ein beamteter Arzt den Ans
trag geftellt, fo kann er bei der Entfcbeidung nicht mitwirten.
7. (3) Das Verfahren vor dem Erbgefundbeitsgericht ift nicht Sffentlich.
(2) Das Erbgefundbeitsgericht bat die notwendigen Ermittelungen anzuftellen; es
kann Zeugen und Sachverftändige vernehmen fowie das perfönlidhe Erfcheinen und die Arzts
lice Unterfucdung des Unfrudtbarzumadenden anordnen und ihn bei unentjchuldigtem
182 Dolt und Raffe. 1933, V
a EEE u EEE EEE EEE SE
Ausbleiben vorführen laffen. Auf die Dernebmung und Beeidigung der Zeugen und Sac:
verftändigen fowie auf die Ausfchliegung und Ablehnung der Geridtsperfonen finden die
Vorfchriften der Zivilprozegordnung finngemäße Anwendung. Arzte, die als Zeugen oder
Sadrverftändige vernommen werden, find obne Rüdfidht auf das Berufsgebeimnis zur
a. verpflichtet. Geridtss und Derwaltungsbebdrden fowie Rrantenanftalten baben
dem Erbgejundbeitsgeridht auf Erfudhen Auskunft zu erteilen.
$ 3. Das Gericht bat unter Beridfidtigung des gefamten Ergebniffes der Ders
handlung und Beweisaufnahme nad freier Überzeugung zu entfcdheiden. Die Beichlußfafs
fung erfolgt auf Grund mündlidher Beratung mit Stimmenmebrbeit. Der Befdlug ift
fhriftlidh abzufaffen und von den an der Befchlußfaffung beteiligten Mitgliedern zu unters
fchreiben. Er muß die Gründe angeben, aus denen die Unfrudhtbarmadhung befchloffen oder
abgelehnt worden ift. Der Beichluß ift dem Antragfteller, dem beamteten Arzt fowie dems
jenigen zuzuftellen, deifen Unfrudtbarmadhung beantragt worden ift, oder, falls diefer
nidht antragsberedhtigt ift, feinem gefeglichen Vertreter.
§ 9. Gegen den Beihluß können die im $ s Sag 5 bezeichneten Perfonen binnen
einer Vlotfrift von einem Monat nad der Fuftellung fadriftlid oder zur Fliederfchrift der
Geichhäftsftelle des Erbgefundbeitsgerichts Befchwerde einlegen. Die Beſchwerde bat auf:
fhiebende Wirkung. Über die Trefhwerde entfcheidet das Erbgefundhbeitsobergeridht. Gegen
die Derfäumung der Befchwerdefrift ift Wiedereinfegung in den vorigen Stand in ents
fprechender Anwendung der DVorfchriften der Zipilprozeßordnung zuläffig.
$ 10. (1) Das Erbgefundbeitsobergericht wird einem Oberlandesgericht angegliedert
und umfaßt deffen Bezirk. Es beftebt aus einem Mitglied de3 Oberlandesgeridts, einem
beamteten Arzt und einem weiteren für das Deutiche Reich approbierten Arzt, der mit der
Erbgefundbeitslebre befonders vertraut ift. Sür jedes Mitglied ift ein Vertreter zu beftellen.
§ 6 Abf. 2 gilt entfpredend.
(2) Auf das Derfabren vor dem Erbgefundbeitsobergericht finden $$ 7, 8 entfprecdhende
Anwendung.
(3) Das Erbgefundbeitsobergeridt entfcheidet endgültig.
§ 33. (1) Der zur Unfrudtbarmacdhung notwendige cdirurgifdhe Eingriff darf nur
in einer Rrantenanftalt von einem für das Deutfebe Reich approbierten Arzt ausgeführt
werden. Diefer darf den Eingriff erft vornehmen, wenn der die Unfruhtbarmadhung
anordnende Befdlug endgültig geworden ift. Die oberfte Landesbebdrde beftimmt die
Krantenanftalten und Arzte, denen die Ausführung der Unfrucdtbarmacdhung überlaffen
werden darf. Der Eingriff darf nicht durch einen Arzt vorgenommen werden, der den
Antrag geftellt oder in dem Verfahren als Beifiger mitgewirkt bat.
C2) Der ausführende. Arzt bat dem beamteten Arzt einen fchriftlidden Bericht über
die Ausführung der Unfrucdtbarmadhung unter Angabe des angewendeten Verfabrens
einzureichen.
$ 12. (1) Hat das Geriht die Unfrudhtbarmahung endgültig beichloffen, fo ift fie
aud gegen den Willen des Unfruchtbarzumadhenden auszuführen, fofern nicht diefer allein
den Antrag geftellt bat. Der beamtete Arzt bat bei der Polizeibehbärde die erforderlichen
Maßnahmen zu beantragen. Soweit andere Maßnahmen nicht ausreichen, ift die Ans
wendung unmittelbaren Zwanges zuläffig.
(2) Ergeben fic Umftände, die cine nochmalige Prüfung des Sachverhalts erfordern,
fo bat dae Erbgefundbeitsgericht das Verfahren wieder aufzunehmen und die Ausführung
der Unfrudtbarmadung coe zu unterfagen. War der Antrag abgelehnt worden, fo
ift die Wiederaufnahme nur zuläffig, wenn neue Tatfacdhen eingetreten find, welde die
Unfrudtbarmadhung redtfertigen.
§ 13. (1) Die Roften des gerichtlidhen Verfahrens tragt die Staatslaffe.
(2) Die Roften des ärztlichen Eingriffs trägt bei den der Rrantenverfiderung ans
gebörenden Perfonen die Rrantentaffe, bei anderen Perfonen im Salle der Hilfsbedürftigkeit
der Sürforgeverband. In allen anderen Sallen trägt die Roften bis zur Hdbe der Mindeft:
fätze der ärztlichen Gebübrenordnung und der durdhfchnittlihen Pflegefäge in den sffent:
lien Krantenanftalten die Staatskajfe, darüber hinaus der Unfruchtbargemadhte.
§ 14. Eine Unfruhtbarmabung, die nicht nach den Vorfchriften diefes Gefeges
erfolgt, jowie eine Entfernung der Reimdrüfen find nur dann zuläffig, wenn ein Arzt fie
nah den Regeln der ärztlichen Runft zur Abwendung einer ernften Gtiabr für das Leben
a die Gefundbeit desjenigen, an dem er fie vornimmt, und mit deffen Einwilligung
vollziebt.
$ 15. (1) Die an dem Verfahren oder an der Ausführung des hirurgifchen Eingriffe
beteiligten Perfonen find zur Verfhwiegenbeit verpflichtet.
1933, V Budbefpredungen. 183
(2) Wer der SGahweigepflidt unbefugt zuwiderbandelt, wird mit Gefangnis bis 3u
einem Jabre oder mit Geldftrafe beftraft. Sie Derfolgung tritt nur auf Antrag ein. Den
Antrag fann audy der Vorfitzende ftellen.
§ 36. (1) Der Vollzug diefes Gefeges liegt den Landesregierungen ob.
(2) Die oberften Landesbehörden beftimmen, vorbebaltlidh der Dorfdriften des 4 6
Abf. ı Sat ı und des $ 10 Abf. ı Sat ı, Sitz und Bezirk der entfcheidenden Geridte.
Sie ernennen die Mitglieder und deren Vertreter.
§ 17. Der Reicheminifter des Innern erläßt im Einvernehmen mit dem Aeiches
minifter der Juftiz die zur Durdfubrung diefes Gefeges erforderliden Redtss und Vers
weltungsvorfcdhriften.
$ ı8. Diefes Gefeg tritt am ı. Januar 1934 in Kraft.
Raffenhygienifdher Arzte-Schulungsturs des Landesamtes für Rafjewefen
in Thüringen.
Bas tbüringifche Landesamt für Raffewefen bat den erften raffebygienijchen
Sculungsturs für Amtaärzte, SA.» und SS.sArzte vom 1).—14. Aug. in der Staatss
führerfchule zu Egendorf erfolgreih zur Durdhführung gebracht. 84 deutfche Arzte, die in
der vorderften Sront für die Doltsgefundbeit kämpfen, wurden mit dem widhtigften Rufts
zeug für die zur Rettung der gefunden Erbftämme unferes Volles notwendigen Maßs
nehmen verfeben. Die Rursteilnehmer follten damit befähigt werden, Dererbungen und
Ebeberatungen aller Art durdhzufübren, Erbgefundbeitszeugniffe zur Erlangung des Ehe⸗
ftandsdarlebens auszuftellen, bevölterungsbiologifche Erbebungen anzubabnen, begründete
Anträge für Sterilifierung an das Landesamt zu richten und bei jeder Gelegenbeit mit Rat
und Tat für die raffifchen und bevälterungsbiologifhen Belange kraftvoll einzutreten. Der
ganze Lehrplan des Schulungskurfes zielte ftreng auf die Berdbigung der Teilnebnier zu
den rettenden Sofortmaßnahmen ab. Desbalb wirkten außer eigenen Thüringer Rräften
bervorragende Sachvertreter von auswärts mit. Die Tagungsfolge war folgende:
Dicettor Or. Burgdörfer, Berlin: Die bevölkerungspolitifche Lage. Med. Rat Dr.
Sung, Stadtroda: Die Grundlagen der Dererbungslebre und der Raffenbygiene. Priv.sDo3.
Dr. Rürten, Halle: Die Bedeutung der nordifcen Kaffe für das deutfche Voltstum. Staates
minifter «.D. Dr. Müller, Darmftadt: Der Sachperftändigenbeirat des KReichsminijters
des Innern für Bevslterungss und Raffenpolitit. Obermedizinalrat Dr. Boening, Stadts
roda: Befidtigung mit diagnoftifden und erbprognoftifden Übungen an Geiftestranten,
Pſychopathen, Shwadfinnigen und Surforgesdglingen in der Landesbeilanftalt Stadtroda.
Präfident Dr. Aftel, Weimar: Methoden der erbbiologifden Samilientunde. Prdfident Dr.
Aftel, Weimar: Seminar für Ausftellung der eigenen Abnens und Sippfchaftetafel. Obers
arzt Dr. von Gavel: Bejidtigung mit Siagneitifihen und erbprognoftifchen Demonftras
tionen und Übungen an Rrüppeln im Marienftift zu Arnftadt. Dr. Schulz, Münden:
Metboden der erbbiologifden Lrbebungen. Priv.sHo3. Dr. Lurenburger, München:
Empicifdhe Erbprognofe und ihre bisberigen Ergebniffe. Direktor Dr. Burgdörfer: Über
Bevditerungspoliti® mit befonderer Berucdfidtigung des Ausgleichs der Samilienlaften.
Präfident Dr. Aftel, Weimar: Seminar für Dererbungss und ebeberatund, Ronftitutionss
en non Organifation des XRaffewefens in Thüringen und weitere praltifche
bungen.
Weitere dbnlihe Rurfe find vom Landesamt für Raffeweien geplant.
Norwegen fordert biologifhe Überprüfung der Einwanderer.
Eine Reihe von norwegifden Srauenverbanden baben in diefem Srübling größere
Derfammlungen abgehalten, und Adreffen an Regierung und Storting gefandt, mit der
Aufforderung, das Land gegen fremde minderwertige Raffenelemente zu fehügen. In
Oslo wurde nady einem Vortrag von Dr. Jon Alfred Mioen, Vorfigender des Eugenifchen
Komitees folgender Beichluß verfaßt: „Der Verband befchließt die dringlidhe Auffordes
rung an die Regierung zu fchiden, dem Storting unverzüglich eine Vorlage zu unterbreiten
zu einem Befeg zur biologifchen Kontrolle der Einwanderung und zur Unfrudtbarmadung
minderwoertiger Bevdlterungselemente unter Hinweis auf die bereits vorliegenden Dors
fchlage des Ratgebenden Morwegifden Romitees für Raffenbygiene und der norwegifden
Strafgeſetzkomitees.“
184 Volt und Kaffe. 1933, V
Deutſche Gefellihaft für Raffenhygiene.
Mir der Sübrung der Drtsgruppen, Fleubildung des Vorftandes und dSrtliden Subrer:
rates wurden weiterhin folgende syerren betraut:
reer g. Geb. MNed.sRat Or. Gerlad,
Münfter i. Weſtf. Profeffor Dr. Befferer,
Solingen: Dr. Bidenbad.
Buchbefprechungen.
an Kleinfhmidt: „Kurzgefaßte deutfche Raffenkunde.“ Armanenverlag Leipzig 1933.
289. NE. —.90.
Schon der Titel ift eine einzige grobe Irrefübrung. Die Schrift ift nicht „tursgefaßt
fondern bietet auf ihren 28 Seiten ein beillofes Durcheinander wirrer Begriffe, aus Dogels,
Infeltens und Menfchenwelt bunt zufammengewürfelt. Die Schrift ift auc keine , Raffens
funde“, denn der VDerfaffer vermag nicht einmal den Begriff der Raffe Elar zu umreißen,
ganz davon zu fchweigen, daß er die in Deutfchland vertretenen Aaffen aud nicht einmal
andeutungsweije zu befchreiben verfuht. err Aleinfhmidt macht es fic bequemer: er
tennt nur eine deutjche Kaffe. Seine Rechnung ift dabei febr einfadh: „deutiche“ Schnedens
raffen find nicht einheitlid —, ftandinapifche find es noch weniger. „Der Einwand, die
deutfche Kaffe fei nicht einheitlich, befagt alfo nichts gegen ihren Kaffenwert“ folgert Serr
Rleinfhmidt. „Genau fo kann man“, fagt weiter Herr Rleinfhmidt, „auch alle deutjchen
Menfchen, die nicht dirett (!) fremöblütig find, als eine einheitliche Raffe, homo sapiens
germanicus (J. B. Sifcber) (der Mann lebte 1829) auffaffen. Man wird zugeben müffen,
daß, mit dem !Millimetermaß gemeffen, fid) nod weitere Bliederungen vornebmen
laffen...” Gewiß, mit dem Rilometermaß gemeffen find ja für Herrn Rleinfhmidt ein
Slob und ein Elefant vielleicht auch eine Ratfe. Und wir bören denn ja aud in diefem
Ginne: ,Ganz genaue Raffenunterfdiede tann man bei Tier und tNenfd nur an Leiden
mit hilfe des anatomischen Meffers maden.“ Aber nun vom Aumoriftifchen abgefeben!
Wir erinnern uns nod der Zeit, da ein Herr Jitis eine ,vollstimlide” Raffentunde mit
bewußt Iamardiftifcher und marriftifcher Tendenz berausgab. Wir erinnern une, daß von
Herrn Weidenreich⸗Frankfurt a. M. und Herrn Peters (früber Pereles), Jena,
in gleidem Sinne über „Raffe und Geift” geferieben wurde, und man Raffe als „geos
grapbiiche Varietät“ binzuftellen beliebte. Wir feben keinen Unterfchied, wenn nun ein
Herr Rleinfhmidt mit eiferner Seder binfchreibt: „daß es aber in der yauptfache
dod) (!) das Klima war, das die Raffenunterfcbiede bedingte“. Und wenn er unter mit
„ein Schotte”, „ein Schwede” und „ein Deuticher” bezeichnete Bilder die Unterfcrift fest:
„die drei germanischen Raffen“. Wir fragen nicht, ob das Unfähigkeit oder Unwiffenbeit
oder Boswilligteit ift. Uns intereffiert nur der Erfolg einer foldben Schrift, und der ift
bodenlofe Irreführung der Lefer. Wir wiffen nicht, wie der Armanenverlag, in dem
fonft die von Dr. Rulz herausgegebene „Sonne“ erfcheint, dazu fommt, eine foldhe Schrift
auf den Markt zu werfen, in der jeder dritte Sag eine Läherlibmadhung der ernitbaften
Raffentunde bedeutet, wie 3. B. der folgende: „Es ift wohl nody nicht unterfucht, ob
warme Ropfbüllen die Entwidlung von Blondbaar begünjtigen.“ Wir fragen nur, was
eine ftaatlih geförderte Bevölkerungspolitit dazu fagt, wenn Vollsgenoffen in einer fur
90 Pfennig in jedem Laden gu bhabenden Slugfcrift, die mit einem Zitat Hitlers beginnt,
lefen: „... man muß wiffen, daß man eine Nenfcenraffe nice Punftlicd Hdber zuchten
fann wie cine “auatierraffe, daR e8 vielmebr gerade die Domeftilationsgefabr, fozufagen
die Treibbausluft ift, was die Raffe gefabroet... Raffe tann erbalten werden oder auss
fterben, wie der fdlefifde Apollo ausgeftorben ift und fid) nie wieder durd now fo forg:
faltige tege (!) neu ausgefegter Tiere neu beranzüdten läßt... Cine berednende
Raffenwabl pakt dazu ebenfowenig, wie eine berechnende Geldbeirat... Man darf die
Juden der Dergangenbeit nicht mit denen der Gegenwart gleidfegen. Man darf die beute
beftebenden Tatjadhen nicht ubertreiben.” Gewig, Herr RKleinfcdmidt, man dsarf aud in
feinem Eifer nicht zu weit geben! Und das baben Sie in einer Weife getan, die fich die
deutiche ARaffentunde und die deutfche Raffenbygiene nicht bieten laffen wird.
£otbar Stengel:svon Rutlowfti.
ole in Gefaby
Rafienhygiene und Bevslterungapolitit
als widtigite Aujgaben des neuen Staates.
Mit 24 ganzjeitigen Bildtajeln. Preis etwa RM. 1.—.
Ausdem Snhalt: Riidgang ber ehelichen Fruchtbarkeit, ber Geburten,
der Sterblichkeit / Der trügerifche Geburtenüberjchuß / Altersaufbau des
‚deutihen Bolfes 1910 und 1925 / Die Großjtadt al3 Mafjengrab des
Bolfes / Kinderarmut erhöht die jozialen Lajten / Beruf, foziale Stel-
fung und Sinderzahl / Die Drohung des Untermenjchen Riidgang der
Volliwartigen, Zunahme der Mindermwertigen / Konfejfion und Sinder-
zahl / Rafje und Kinderzahl / Ausgaben für geiftig und förperlich Ge-
brechliche / Die Fruchtbarkeit europäifcher Völker / Geburten und Tode3-
fälle Deutjchlands im Vergleich zu den umliegenden Ländern / Die
boraugjichtlihe Bevölferungsentwidlung Deutjchlands im Vergleich zu
den umliegenden Ländern, in 30 Jahren.
3. 8. Zebmanns Derlas / Miinwhen 2 SB,
all
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5
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=
=
=
=
Hole und Staat
in ihrer Stelluns
zu Dererbung und
Ausleie
Don Prof. Dr. Hans $. K. Günther
Geh. AM. 1.20
Das kommende Geschlecht
Zelischrift fir Eugenik
Ergebnisse der Forschung
Herausgegeben von Eugen Fischer, Hermann
Muckermann und Otmar Frh. v. Verschuer
Wesen der Eugenik
und Au — der Gegenwart. In Prof. Dr.
Herm. Muckermann. (V!j). M.2
Bevölkerungsfrage
und Steuerreform. Von Dr. fr. Burgdörfer,
Dir. i. Statist. Reichsamt. (V4/s). M. 3.35
Erbschädigung beim Menschen
Von Prof. Dr. Eugen Fischer (V/6). M. 1.80
|
|
J Eugenische Eheberatung
Von Prof. Dr. Herm. Muckermann u, Prof.
| Dr. O. Frh. v. Verschuer (VI?/;). M. 2.50
Der Ausgleich der Familienlasten
\ Von Prof. Dr. Fritz Lenz (VI/3). M. 2.25
Die Ehe- und Familiengesetzgebung
in SowjetruBland und die Eugenik. Von Dr, A.
Niedermeyer (VI4/,). M. 3.40.
Erzichungsprobleme
im Lichte von Erblehre oe pages Von Prof.
Dr. G. Just (VII/1). M. 2
Die neuropathische —
Mit Vorschlägen zum Ausbau d. Familienfor- ccusesccenscccusnsocncscusussnsscenssscccssssencsosass
schung. Von Priv.-Doz. Dr. F. Curtius, (VII/2). Minden 2 Sw.
M. 2.80 3.5. Schmanns Serie:
Ferd. Diimmlers Verlag, Berlin SW 68 u. Bonn ;
Günther fordert, daß der
Staat mebr als bisher Lehr.
meijter und Zuchtmeijter wird,
wobei an die Aufklärung über
richtige Gattenwahl,. andrer-
jeits an die Unfrudtbar-
madung Windermertiger ge
dacht wird. Diefe fleine Schrift
verdient weitejteDerbreitung.
Die neue
Rartei für Familienforfchung
nad Syjtem Dr.-Ing. Hans Göb, DD].
(D.R.6.M. Nr. 1 258 328)
foftet 15 Mart
Wir verweijen auf den Aufjak des Derfafjers im Juli-Heft von ,Dolf und Rajje* über
„Ahnen= und Stammtafeln in Karteiform”.
Zwei Urteile:
„Wir beglüdwünfchen Sie zu Ihrem Syjten, das eine außerordentlich praftiihe Zöjung
daritellt.“ „Roland“, Dresden.
„Ihr Dorfchlag und die Art, wie er ausgearbeitet ijt, bedeutet nichts anderes als die
Lölung eines Problems, das alle Samilienforjher — aud midy — eit je er nicht bloß
— nein geradezu gequält hat. Ich beglückwünſche Sie zu Ihrer öſung und ver⸗
fihere Ihnen, daß ich fie nicht allein jelbjt benußen, jondern aud allen würfoiern aufs
nchen.
wärmijte empfehlen werde.“ Archivdireftor Prof. Dr. Striedinger,
3.5 CehmannsDerlagry Mind en2 SW.
— “>
Pr
Verantwortlid für die Schriftleitung von „Volk und Raffe“: Dr. Bruno R. Schuls, — — —
Verantwortlich für den Anzeigenteil: Guido Haugg, München. — —— J. J. Lehinann,
Druck von Dr. F. DB. Datterer & Cie, Freifing- Münden.
si
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J
Dort one Kaffe nr
| Fluftrierte Monatsfchrift für-deutfches Volkstum
| = Raffenfunde Raffenpflege
Zeitfchrift des Reichsausfchuffes für Volksgefundbeitsdienft und
der Deutfchen Gefellfehaft für Raffenbygiene.
£ Zu |)
— ee ee ER .
Prof. Schul g e⸗Naumburg (Weimar), Prof. Staemmler (Cyemnig), Dr. ran B
Dir. Zei (Srankfurt a. M.) ¥ >
Sariftleiter: Dr. Bruno Kk. Shuls, Münden |
!eubauferftraße 51/3.
*
8. Jahrgang Heft 6 Oftober Gubbharh 1933
Inhalt: | F
Rafjenbild: Deutiches Madden . . . . . — Seite 185
Sojeph Gottlieb Kölreuter zum 200. Geburtstag Bon ——— Dr. ern
Lehmann, Tübingen. (Mit I Abbildung) - - „1883
Die Raffenzufammenfehung des ejtnijchen Volkes. ai ) Bon Dr. — — 3
hardt, München. (Mit 17 Abbildungen). . . - —— 190
Raſſenkunde und Volksſchule. Von Dr. Karl Mierke, Göttinge 41198
Riidgang der Bollwertigen — Zunahme der Minderwertigen . . . . » 201
Aus Rafjenhygiene und Bevöllerungspolitit . . . . .... . | 5 204,
Deutjhe Gejellfdaft für Raffenhygine . . . . . . . 2. 222 2 „a
Reihsausihur für Volfsgefundheitsdienft . . . . 2 2 2. mn un „ 205 |
en... re a PTE „ 206,
mumperpredungen =. www wk ee ee » 206
ee | eS |
Besu spreis vierteljabrlid) RUM. 2.—, Einzelbeft RA. —.70, Poftfchedtonto des Derlags Minden 129;
Doftfpartaffentonto Wien 595 04; Poftfhedttonto Bern Fir. III 4845; Rreditanftalt der '
Deutiden in Prag, Rratauer Gaffe 11 (Doftidedtonto Prag 627 30).
I. $. Lebmanns Verlag 7 Münden 2 SW. / Paul Heyſe⸗Str. 26
er
Dolt und Kaffe, 8. Sabra. 1933, Seft 6
3. §. Lebmanns Verlag, Minden
Ber Verlag bebält fidy das ausfchließliche Recht der Vervielfältigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfchrift zum Abdrud gelangenden Originalbeitrage vor.
| Deutfches Mädchen
| Ausdrud und Sormen vorwiegend nordild.
Dolf und Raffe. 1933. Oftober. 15
186 Volt und Kaffe. 1933, VI
Sofeph Gottlieb Adlreuter
zum 200. Geburtstag.
Don Prof. Dr. Ernft Lebmann-Cubingen.
Unter allgemeiner Beteiligung der Bevölkerung fand auf Einladung des
deutichen Biologenverbandes, zablreidher Vereine wie der Univerfität Tu-
bingen in dem reichbeflaggten Shwarzwaldftädtcdhen Sulz a. IT. am 27. April
die Seier des 200. Geburtstages von Jofepb Gottlieb Rölreuter ftatt.
Die unten wiedergegebene Sejtrede bielt Profeffor Dr. Lebmann, Direftor
des Botanifcden Inftituts Tubingen.
De tiefinnere Bewegung, welche unſer
deutſches Volk ergriffen hat, die Idee
der völkifchen Derbundenbeit, die alles Deut:
fhe immer ftürmifcher eroberte, drängt im
Innern und Außern bin zur Erfaffung des
Volkes als organifdhes Ganze.
Aus tieffter Intuition beraus find uns
die Wege aufgezeigt worden, weldye zur
Erfüllung der volkifchen Sebnfucht führen
follen.
Gewaltige Schritte wurden, wabrbaft
begeifternd, vor allem in den legten Wochen
und Monaten zurüdgelegt, das äußere Ziel
zu erreichen.
Uns allen aber, denen die Pflege der
Geiftesguter des deutfchen Volkes obliegt,
erwächft die Pflicht, im Rabmen der großen
Jofepb Gotlich Roireuter. Voltsbewegung eine Grundlage im Innern
zu fcaffen, eine Erfaffung der deutfchen völ-
Eifhen Banzbeit. Die Wiffenfchaft auf allen Gebieten bat bier an die Arbeit zu
geben in fefter unerfchütterlicher Überzeugung, daß nur auf dem Boden unantaft:
barer wiffenfchaftlicher Wabrbeit die großen Ziele unverrüdt erreicht werden können.
- Die Welle begeifternder Tage und Wochen verebbt; die Grundfeften des
neuen Gebäudes find von innen ber feft und ficher zu gründen.
Yiun baben wir uns verfammelt, am 200. Geburtstage eines Mannes, deffen
Ideen von diefer Schwarzwaldftadt Sulz binaus in die Welt gegangen find. In
der Apotheke am Markt wurde am 27. April 1733 Jofepb Gottlieb Aolreuter
geboren.
Wenn der Sulzer Bürger bislang über feinen Markt wanderte, fo dachte
er wobl kaum daran, daß da drüben ein Mann betanwuche, deffen Geiftestaten
weitbin über die Welt betannt wurden. Auch außerbalb der Mauern von Sulz,
in ganz Deutfchland, ift der KTame Aolreuter jenfeits der Gelebrtentreife nur wenig
betannt geworden. Die Gelebrten aber bielten und balten große Stüde auf Köl:
reuter. Im Jabre 1893 erfcbienen in Oftwalds Alaffitern der erakten KTaturwiffen:
fcbaften, neu berausgegeben von einem meiner Vorgänger auf dem Tübinger £chr:
ftubl für Botanik, Wilbelm Pfeffer, die Hhauptwerte Rölreuters. So ging die
Geiftesarbeit des Sulzer Rindes erneut binaus in alle Welt. Jenfeits des Ozeans,
wo die Dererbungslebre befondere Beachtung fand, da fhmüdt das Bild Röl:
reuters die Werke der Gelebrten. Droben in Ranada ift Rölreuter erft vor kurzem
ein neuer Apoftel erftanden, der die HBauptwerte des Sulzer Sorfcders aud zum
großen Teile ins Englifche überfegt bat. Und in diefen Tagen, anläßlich des
1933, VI Ernſt £ebmann, Jofepb Gottlieb Aölreuter zum 200. Geburtstag. 187
— —— — — a a — —————— ee EEE
200. Geburtstages, feiern gelehrte Geſellſchaften allerorten die Taten Joſeph
Gottlieb Rölreutere.
Wenn aber eines Mannes Tat über zwei Jabrbunderte immer neufdaffend
fortlebt, follte da nicht fchon deshalb die Heimat feiner dankbar gedenten? Doppelt
angebracht aber erfcheint diefes Bedenken, da die Bedeutung der Ergebniffe von
Rölreuters Arbeit heute weit über den Kreis der Gelehrten binauswuchs und das,
was er entdedte und erarbeitete, uns bell voranleuchtet auf dem Wege in eine
Zukunft, den wir zu befchreiten begannen.
£affen Gie mid Ihnen die lage tMarftellen. |
Wenn wir beute draußen im Schwarzwald auf fonniger Adobe oder im
Garten am Haufe die Bienen und Salter von Blume zu Blume fi tummeln
feben, dann wiffen wir, was die geflugelten Gafte da vollbringen; fie holen nicht
nur den Honig aus den Blüten, ibn beimzutragen; fie pudern ficb auch ein mit
dem DBlütenftaub, den fie dann auf anderen Bluten wieder abfegen. Left fo ers
weden fie die Samen der Pflanzen zum Leben.
Als Rölreuter en wurde, da wußte man das noch nicht; er war der
erfte, der uns davon Runde brachte. Dielerlei Dinge wurden nun auf einmal Har.
Bislang hatte man fich beifpielsweife gewundert, daß die Burken unter dicht
verfchloffenen Srübbeetfenftern nicht gerieten; jetst wurde das fehr einfach vers
ftändlich. Die Infelten hatten den Blütenftaub nicht weitertragen können und die
Anregung zu Srudhts und Samenbildung blieb aus.
Fyeute beruht die ganze pflanzenzüchterifche Tätigkeit auf diefer von Rölreuter
gewonnenen Erkenntnis; eine ganze Wiffenfchaft von der Blütenbiologie ift aus
diefen anfänglichen Arbeiten Rölreuters geworden.
Wie aber hätte man auch auf die Bedeutung der Übertragung des Blutens
ftaubs durch die Infelten kommen können, wenn man noch gar nichts davon
wußte oder doch den anfänglichen Mitteilungen des Tübinger Profeffore Tames
tarius nicht glaubte, daß die Pflanzen zweigefchlechtig, wie Mienfchen und Tiere
find, und daß der Blütenftaub famt den männlichen Befchlechtszellen zu dem die
weiblihen Samenanlagen bergenden Sruchtlnoten getragen werden muß, wenn
eine Befruchtung zuftande kommen foll?
Da ftebt nun Rölreuter als der WOundermann, der fand, was niemand vor
ibm wußte; ja, er konnte die Befchlechtlichkeit der Pflanzen fchlieglich fo Klar ers
weifen, daß er mit Recht fagen durfte: Jeder, der nach meinen Derfuchsergebniffen
an die Befchlechtlichkeit der Pflanzen nicht glaubt, tann ebenfo meinen, es fei tiefe
Yacht, wenn am Mittag die belle Sonne fcheint.
Was gab ihm diefe Kraft der Erkenntnis?
KRölreuter verließ bewußt den bis dabin fo allgemein befchrittenen Weg der
einfachen Flaturbeobachtung und wandte fich zur Alärung durch den Verfud.
Rölreuter ftebt, wie vor kurzem einmal gejagt wurde, zum erften Wale als der
Biologe im weißen Laboratoriumetittel bei der Aidrung diefer Sragen.
Rlaffifd aber nennen wir Rölreuters Arbeiten nicht nur deshalb, weil er
bisher undurchfichtige, wichtige Dorgänge etwa halb zufällig oder nebenher Härte.
Darum gebört Rölreuter zu den Rlaffitern der Klaturwiffenfchaften, weil er alles
Sur und Wider mit unendlicher Sorgfalt erwog und jede Kinzelfrage durdy bes
fonders gerichtete Derfuche beantwortete.
Fun war Rölreuter als tief religidfer Mann feiner Tage von der weifen
Ordnung der Klatur aufs innigfte überzeugt. So nahm er auch mit Sicherheit
an, daß zwifchen verfchiedenen Pflanzen und Tierarten in der freien Flatur keine
Mifchlinge oder Baftarde entftünden; aber andererfeits, überzeugt von der Ges
fchlechtlichkeit der Pflanzen, glaubte er -ebenfo ficher, daß fich „botanifche Maul:
efel‘‘, wie er es nannte, alfo Baftarde zwifchen verfchiedenen Pflanzenarten, bunft:
lich durch den Mienfchen würden erftellen laffen. So ging er an die Arbeit. Heim:
gekehrt von feiner Tätigkeit an der Raiferlichen Akademie der Wiffenfchaften in
Petersburg entftand bier in Sulz 1761 in der Tat unter Aölreuters Haͤnden der
ye”
188 Volt und Raffe. 1933, VI
erfte folche pflanzliche Maulefel. Er übertrug den Blütenftaub einer Cabalact
auf die Blüten einer anderen Art diefer Gattung und erhielt fo einen Baftard
swifden den beiden Tabalarten. Der Baftard aber vereinigte die Merkmale beider
Eltern in fich und bielt die Mitte zwifchen ihnen.
Immer weiter wurden diefe Unterfuchungen von Kölreuter dann in Calw
bei feinem Sreunde Gärtner und nach feiner Berufung durdy den Markgrafen von
BadensDurlad nad Rarlsrube als Profeffor der Kraturgefchichte, fpäter Bebeimer
Hofrat, fortgeſetzt.
Und ſo war erwieſen, daß von beiden Geſchlechtern das Erbgut auf den
Baſtard uͤbertragen war und daß die Pflanzen ſich in ihrer Geſchlechtlichkeit im
Prinzip durchaus ſo verhielten wie Tiere und Menſchen.
Was aber, werden Sie fagen, bat das alles zu tun mit den großen voͤlkiſchen
Stagen, die uns beute bewegen? Gewiß, für die Stagen der Pflanzenzüchtung,
für Landwirtfchaft und Gärtnerei mochte allerlei gewonnen fein; niemand kann
heute bezweifeln, daß Rölreuter bier richtunggebende Erkenntniffe erbrachte, obne
welche die Pflanzenzüchtung und pflanzliche Baftardierungstunde der Gegenwart
undenkbar wären.
Was aber bedeuten die Ergebniffe darüber hinaus?
Unmsdglidh konnte Rölreuter alles zur Vollendung bringen, als er die erften
Schritte tat. Ein ganzes Jabrbundert verging nod, bis Gregor Mendel die
Waffen, die Aedlreuter zuerft gefchmiedet hatte, wieder aufnahm.
Im ftillen Rloftergarten zu Brünn, nach dem heute die Gelebrten aller Welt
pilgern, bat Mendel erneut Baftardierungsverfuce an Pflanzen angeftelkt. Er
bat, wie Adlreuter, Blutenftaub von einer Blüte auf die andere übertragen
— Erbfen waren feine Hauptverfucspflanzen — und 1865 erfcdien die berühmte
Arbeit Mendels: VDerfuche uber Pflanzenbybriden. Mier wurden die Gefeymagig:
teiten der Dererbung, uber die Jabrbhunderte und Jabrtaufende gegrübelt und
philofopbiert batten, entfdbleiert.
Syatte Rölreuter wobl die Madlommenfdaft feiner Baftarde auf ibre Cigen:
fcaften eingebend unterfucht und diefe mit den Eigenfchaften der Eltern wie der
Baftarde verglichen, wobei er höchftwichtige Ergebniffe erzielte, fo konnte Miendel
darüber hinaus die Stage beantworten, warum die Liadhlommen die oder jene
Merkmale aufweifen und ficb in der oder jener Weife von den Eltern und dem
Baftard unterfcheiden. Er konnte zudem das Auftreten der einzelnen in der Llacdhs
u auftretenden Sormen auf beftimmte zahlenmäßige Grundlagen zus
rudfubren.
Go tberrafchend waren die Ergebniffe von Mendel, daß auch bedeutendfte
Botaniker feiner Zeit, mit denen er in Schriftwechfel ftand, die Tragweite der
Unterfuchungen nod nicht ermeffen konnten. Die Zeit war nod nicht reif.
Erft 1900 wurden die bis dahin unbeachtet gebliebenen Mendelfchen Gefege,
wiederum auf fehwäbifchenm Boden, im Botanifchen Garten der Univerfität Tu:
bingen durd) Carl Correns neu entdedt und dem allgemeinen Verftandnis neu
erfdloffen.
Jett folgte eine wiffenfchaftliche Erplofion auf die andere. Die Mendelſchen
Befetze konnten aus dem Verfuchsgarten auf die Verbältniffe bei Tieren und
Menfchen übertragen werden. Es zeigte fich, daß diefelben Gefege an für die
Erbfen, die Pflanzen der Selder und Garten, die Bewohner unferer Viebftälle und
dic Surften unferer Welt.
Mendels Flame tam in aller Mund. Dentmaler wurden ihm gefegt und man
fpricht von der Dererbungslebre ale vom Mendelismus.
Aber wenn auch Mendel siefe feften Grundlagen fur alle weitere Dererbungs:
forfchung legte und feine Bedeutung eine außerordentliche ift — am Anfang ftand
nicht Mendel; Kdlreuter bat die Tur in die neue Welt aufgeftoßen und den Arbeiten
uber Dererbungslebre die Bahn frei gemacht. Miendel felbft gründet feine Arbeit
auf Kolreuters Unterfudbungen. |
1933, VI Ernft £ebmann, Iofepb Gottlieb Rölreuter zum 200. Beburtstag. 189
——— ————— Er EEE Dr DES ———
Je groͤßere Rlarheit man uͤber die Bedeutung des Vererbungsgeſchehens
beim Menſchen gewann, um ſo deutlicher traten alle Schlußfolgerungen hervor,
welche aus dieſen Erkenntniſſen abzuleiten waren.
Die allerverſchiedenſten Eigenſchaften des Roͤrpers und des Geiſtes zeigten ſich
erbbedingt. Geſundes und Krankes wird beim Menſchen von den Eltern auf die
Rinder nach den gleichen Geſetzen uͤbertragen, die an Pflanzen feſtgeſtellt wurden.
Mit dieſer Erkenntnis gewann man erſt die noͤtige Sicherheit und Alarbeit
zur Grundlegung zweier großer Arbeitsgebiete, welche als Fundament jedes voͤl⸗
kiſchen Staates und jeder voͤlliſchen Politik unerlaͤßlich ſind: der Eugenik und
Raffenbygiene.
Erbgefundbeitspflege und Raffenbygiene find heute in aller Munde. FJeders
mann ift überzeugt davon, daß die Erziehung des WMinderwertigenbeeres, welcdes
in der Gegenwart in Solge vieler, immer wieder erörterter Gründe ins Unges
meffene wächt, unbedingt aufhören muß. Eine Aufartung der unfer Doll aufs
bauenden Raffen ift im Gegenfay zu diefen heute fo bedrobliden Erfcheinungen
erfte Pflicht aller in die Zukunft blidtenden Subrer unferes Volkes. Wir können
von Herzen dankbar fein, daß diefe zielfegende Politik jet in die Tat umgefett
werden foll.
Das Kine aber muß ftets im Auge bebalten werden: Erbgefundbeitspflege
und Raffenbygiene können als fefte Säulen eines völkifchen Staates nur dann
unerfchütterlihe Bedeutung gewinnen, obne daß wir Sorge baben müffen, auf
pbantaftifche Jrewege zu geraten, wenn fie ftets auf gefunder erperimentell biolos
gifcher Arbeit gründen.
Barint, der Sührer des Bundes zur Abwehr des Meaterialismus, des Bundes,
der den Viamen des großen Schwaben Repler führt, fagte vor kurzem: „Die
ganze völkifche Bewegung wird entweder biologifch, das heißt erbwiffenfchaftlich
und ganzbeitsdentend unterbaut fein, oder fie wird nicht fein.“
Am Menfchen können wir nicht erperimentieren, wir Bönnen die Dererbungss
erfcbeinungen nur nachträglich an ftatiftifchen Aufzeichnungen ablefen. Der Ders
fud an Pflanze und Tier muß einen, ftets mit aller Dorfict auszuwertenden
Erfatz bieten.
So muß bier der Biologe am Eingang völkifcher Gedankenwelten fteben.
Zum andern aber: man kann erbgefundbeitlide und raffenbygienifde Ges
danfen und Handlungen niemals dem Volke verordnen. Das Volt muß zum Vers
ftändnis diefer Dinge erzogen werden. Die Schule und Hochfchule hat diefe rs
ziebung zu liefern und das VDolk biologifch denken zu lebren.
Sie bat den jungen Menfchen unmerklich dabin zu führen, wie er erbgebunden
auf dem biologifden Robftoff feines Blutes aus fich felbft feine eigene Perfönlichs
keit auszubilden bat; fie bat ibm aber zugleich zu zeigen, wie der Wienfch aus der
Gefamtbeit feiner Raffe und feines Dolles geboren, nur auf diefem Boden fic
und fein Doll gedeiblich entwideln kann. Jeder einzelne, von Flatur verfchieden,
aber doc) im Rabmen des ganzen Volles ein natürliches Glied — sie Raffen, in
Yiord und Gud, die unfer deutfches Volk aufbauen, im organifchen Zufammens
wirten zum ganzen Dolk, allen Stürmen von Innen und Außen zum Trog!
So entbält die Erinnerungsfeier an den Geburtstag I. ©. Rölreuters eine
ernfte Mabnung. obe Kulturguter bat uns die biologifde Sorfhung gefchaffen;
als einer der bedeutendften Wegbereiter ftebt am Anfang I. ©. Rölreuter. Die
legten Jahrzehnte haben die Biologie zu ungebeurer Blüte gebracht. Diefe Er:
gebniffe zu pflegen und auszubilden und für das Volk nugbringend zu verwenden,
fei das Geldbnis, das wir an diefer Stelle ablegen.
Dolf und Kaffe. 1933. Dftober. }0
190 Volt und Kaffe. 1933, VI
Die
Raffenzufammenfegung des eftnifchen Volkes.
Don Dr. Sopbie Ebhrbardt, Münden.
Mit 37 Abbildungen.
(Aus dem Anthropologifden Juftitut dec Univerfitde tNundyen.)
II. Teil.
(Sortfegung.)
Die erfte Arbeit, die den Derfuch macht, eine Befchreibung der Lften in
antbropologifcher Hinfict 3u geben, ift die von KR. €. v. Baer aus dem Jabre
1818. Im Jahre 1926 erfchien im Manuftript eine anthropologifde Arbeit von
Dilleme, die Beachtung verdient. Er unterfuchte 13500 Webrpflichtige aus
L
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LE RR MMS
Abb. 4.
ganz ftland. Geine Ergebniffe find fpäter von Reiman bearbeitet und vers
Offentlidt worden. In den letzten Jahren wurden antbropologifcdhe Unterfuchhuns
gen auch über die eftnifche Srau von Aul (früber Rlein) vorgenommen. Die
rbeit von Reiman, die fid) bauptfadlid auf das von Dillems gefammelte
Material ftügt, ergab gewiffe regionale Unterfchiede im eftnifcdhen Doll, die fic
auf wichtige Raffenmertmale, wie Rörperhöbe, Ropf: und Befichtsmaße bezogen.
Da die Unterfchiede von Weft und Oft derart ertennbar find, saG die Bevdls
terung im Weften von Eftland mebr nordifde Merkmale zeigt und die im Often
größere Ahnlichkeit mit der Kachbarbevälterung des Oftens bat, lagt fic natürs
lid eine entfprebende Beimifhung nicht leugnen. Die Unterfchiede find allers
dings nicht derart groß, daß man keine allgemein kennzeichnenden Züge es efts
nifchen Volkes finden könnte. Diefes ift immerbin noch möglich. Ls fei bier auss
Sridlich gefagt, daß das eftnifhe Volk ein Raffengemifch ift, an dejfen Zuftandes
kommen mebrere Raffen mebr oder weniger ftark beteiligt waren. Wir müffen
nun die Einzelmertmale näber betrachten, nur fie geben uns Auffcdlug über die
Zumifchung einer beftimmten Raffe. Eine Raffe als folcdhe, als Summe beftimmter
Erbanlagen, wird ja nicht vererbt, fondern immer nur die einzelnen Erbanlagen
(Erbmertmale).
1933, VI Sopbie Ehrhardt, Die Raffenzufammenfegung des eftnifchen Volkes. 191
Abb. 4 zeigt die Rörperhöbe der Eiten verglichen mit der finnifcher Stämme
und anderer europäifcher Dölkergruppen, links die Rörperböbe der Männer, rechts
die der Srauen. Don weftfinnifchen Stämmen (auf diefer Zeichnung wie auf den
folgenden ftark umrandet gezeichnet) tamen in Betracht außer den Eften (meine
Ergebniffe auf der Zeichnung fchraffiert und die von Dilleme bzw. Reiman
und Aul), die Sinnen (Regius), das Reftvoll der Liven (Waldbhauer, Vilde)
und Wepfen (Charufin), vom oftfinnifehen Stamm die Wotjaten (Ma lijew)
und zulegt die Lappen (Bryn, Beyer), die auch zu den finnifden Stämmen
gerechnet werden fdonnen. Weitere Vergleichsgruppen waren die Llorweger
(Schreiner, Bryn), zwei Gruppen aus Deutfchland, die Schleswig-Holfteiner
(Reiter) aus dem Florden und die Allgäuer (B. KR. Schul) aus dem Süden
und zulegt die Litauer (Brennfobhn, Hefcd) und Ketten (Badman, Jerums
und Ditols, Hefch) im Süden und Südweften und die Grogruffen (Deniler,
Tfdhepurfowfly) im Often von Eftland.
Die Abb. 4 zeigt den größten Mittelwert der Rörperböbe bei Llorwegern, Liven
und den Eften von der Infel Ofel und den geringften bei Kitauern, Großruffen,
Go" Sitzhöhe, Schulterdreite Armlänge im Verhältn. zur Körperhöhe
Körperhöhe 00
%| Worweger Liven EstenE. Schkesm-Holt. Allgäuer Woljaken Lapg
it |
eseBsBeesesee se SX
Abb. 8.
Wortjaten und Lappen; die weftfinnifchen Stämme zeigen eine große Rörperböbe
und fteben faft alle beifammen; meine unterfuchten Eften mn die Mleinwüchfigfte
Gruppe der weftfinnifchen Stämme, befonders die Srauen. Dod kann man immer:
bin den eftnifdben Mann hodwidfig nennen (Manner 1. MM. 169, cm, Srauen
145,5 cm). Bei den Sinnen und Großruffen find zwei Werte angegeben, die fidh
auf verfchiedene Dolkstypen bezieben?). Die Varistionsbreite meiner unterjuchten
Gruppe ift recht bedeutend und zeigt eine Anbäufung von Perfonen mit bobem
und eine für Perfonen mit niedrigem Wuchs. Die Zahlen weifen darauf bin, daß
eine großwüchfige und eine Heinwüchfige Bevölkerung am Raffenaufbau der £ften
beteiligt fein müffen.
Der Rörperbau ift im allgemeinen kräftig und grob. Eine nicht geringe Zahl
eftnifcher Srauen neigt zur Settleibigtkeit, ein Merkmal, das oft mit breiten kurzen
Sormen 3ufammenbangt und wobl nach dem Often woeift.
In Abb. 5 find die Rörperproportionen der Eften mit denen anderer Völker
verglichen. Berüdfichtigt wurden: Rörperhöbe, Sighöbe, Schulterbreite, Arms
2) In Sinnland findet man im Sudwelten und im Südoften zwei verfdhiedene Volles
typen, die Tapaftländer und die Rarelier. Beide Gruppen find blond und belläugig. Der
apaftländer ift aber von Mleinerem Wuds und zeigt einen runderen Kopf, ein breiteres,
kürzeres Geficht als der Rarelier. In Broßrußland bat man zwei Vollstypen unterfdieden,
10°
192 Volt und Raffe. 1933, VI
lange. Die Rérperbdbe ift immer gleid 100 gefegt. Die übrigen Maße find in
Prozenten der Rörperhöbe ausgedrüdt. Da die Schulterböhe nicht gemeffen wurde,
nabm ich für alle Gruppen eine Schulterböbe von 800% der gefamten Rörperböbe
an. Die Gruppen babe ich nach ihrer Rörperböhe geordnet. Mein Mittelwert für
Sitzhöhe, Schulterbreite und Armlänge ift jeweils durch die geftrichelte Linie eins
gezeichnet. Es zeigt fich die befonders geringe Gigbobe der hodgewadfenen Liven,
das etwas größere Meg für die fehr hoben Liorweger und die bedeutende Sitzhöhe
der Beinen Lappen. Die Schulterbreite ift bei den bochgewachfenen Voltern fdhmal,
bei den kleinen Völkern breiter; befonders breit ift fie auch bei den Allgäuern. Die
Urmlange ift befonders kurz bei den Llorwegern, befonders lang bei den Lappen.
Koptbreite in % der Kopflänge (Längen-Breiten-Index)
Schmale- Schmale-
wilfelange Köpfe breite runde Hape milfellange Köpfe breite runde Köpfe
Sy 1 4 5 123 4 § 6?
Narweger !
Liven erweger
Esten,ösel Esten, Use
Esten Esten E. TY
Esten,E. Esten
Finnen
Letten
Lifauer
Woljaken
Schlesue-Nebl.
?
Grofrussen
Allgäuer
Lappen
%78 90123 4 5 7898012345672
Abb. 6.
Die allgemeine frisbere Beobachtung, die Eften feien unterfetzt und batten eine
große Sitzhöhe, feien breitfchulterig und langarmig, ftimmt nicht und liegt an
einem Beobadhtungsfebler, der durdy das Maß richtiggeftellt werden konnte. Die
Mittelwerte von Sigböbe, Schulterbreite und Armlänge der von mir unterfuchten
Männer waren 87,7, 38,4 bzw. 76,6. Die Maße von Dillems an Eften und die
an Ketten ftimmen mit meinen ziemlich überein, im ganzen find fie etwas größer.
Wie gering auch die Unterfchiede in den Körperproportionen find, fo find fie
dod) im Bilde deutlidy zu erkennen. Wenn auch diefe Merkmale von der Umwelt
beeinflußt werden, fo ann man ihnen andrerfeits einen raffendiagnoftifden Wert
keineswegs abfprecdhen. Weit größere Bedeutung baben jedoch die Maße für Kopf
und Geficdt, die von der Umwelt nabezu unabhängig und vorwiegend erblidh
bedingt find.
Abb. 6 zeigt die Ropfbreite in Prozenten der Ropflänge. Je größer diefe
Derbältniszabl, der fog. Ropfinder ift, defto breiter ift der Kopf im VDerbältnie
zur Länge. Der Mittelwert meiner Unterfuchungsgruppe ift, wie auch auf Abb. s,
durch die geftrichelte Linie angegeben. Befonders niedrig ift die Verbältniszchl
den Waldaitypus und den Rjafantppus, erfterer ift kurztöpfig und belläugig. Aud in
Horwegen fand man (in der Landjchaft Jaederen) einen kurztöpfigen bellen Menſchen⸗
Ds a tomme auf diefen !itenfchentypus: kurztöpfig und belläugig, zum Schluß noch
zu fprechen.
1933, VI Sopbie Ebrbardt, Die Raflenzufammenfegung des eftnifdhen Volkes. 193
SI ei i SNe RF ae en a a le We See es Le rer)
für die Llorweger, Liven (Manner) und Eften von Ofel, befonders hod ift fie
für die Großruffen, Allgäuer und Kappen; alle weftfinnifden Stdamme zeigen
fhbwac breitsrunde Röpfe. Der Längen: Breiten Inder meiner unterfuchten Gruppe
beträgt für die Männer i. IM. 80,9, für die Srauen 81,8.
In Abb. 7 find die abfoluten Waße von Ropflänge, Ropfbreite und Obrs
bobe >) eingezeichnet. Um die Linterfchiede deutlich hervorzuheben, babe ich alle
Abweichungen von meinen Mittelwerten (für die Männer ı. M.: Ropflänge 19,3,
Ropfbreite 15,6, Obrbdbe 12,5 cm) mit der Zahl 5 multipliüzert. Die Rechtede
find nach der Bröße der Ropflänge geordnet. Bei der Zeichnung bin ich von einer
GBrundlinie (durchgezogene Horizontale in der Zeichnung!) ausgegangen. Die
Kopflönge, Kopföreite, Ohrhöhe
Abweichung von den Esten mal 5
Löngen- ~
Breiten:
J: To
Allgäuer Finnen Wotjaken Lappen
abb. 7.
Mittelwerte für Ropflänge und -breite der Eften find durd die geftrichelte Linie
eingezeichnet. Die Florweger zeigen einen febr langen fchmalen Kopf, die Lappen
einen febr kurzen breiten. Auffallend find die großen Ropfmage, die man bei den
Eften (Männern und Stauen) trifft. Ausgefprochen ſchmale Röpfe kommen felten
vor, bei den unterfuchten Männern 2,9% (Srauen 3,300). 53,8 b3w. 44,30%
der Köpfe waren mittellang, 43,2 bzw. 52,5% breitsrund. Abnliche Ropfmaße
findet man bei den £iven (Kopflänge der Männer 19,3, Ropfbreite 15,5 cm) und
£etten (19,3 b3w. 15,7 cm). Die Allgäuer fteben wegen ibrer relativ großen
Ropflänge (im Mittel 18,9 cm) weiter vor den Lappen als in Abb. 6, denn der
Ropfinder bat ja nicht immer einen abfolut kurzen Schädel zur Dorausfegung.
Auffallend ift der fchmale und kurze Kopf der Sinnen und befonders der Wotjalen.
Die Sorm des GBefichts wird durch das Derhältnis von Gefichtslänge zu
Gefidtsbreite, den fog. morphologifden Gefidtsinder ausgedrüdt. Die boben
Werte zeigen ein fdmales bzw. langes Beficht, die niedrigen Werte ein breitsnieds
riges, f. Abb. 8. Die drei böchften WDerte baben wir bei Florwegern, Letten und
Eften von Ofel; diefe drei Gruppen zeigen alfo das langfte Geficdt im Derbältnis
zu feiner Breite; den niedrigften Wert haben die Lappen; die finnifchen Stämme
liegen zerftreut; die Zahlenwerte meiner unterfuchten Gruppe fteben an der Grenze
der breiten und mittelbreiten Befichter (morph. Gefidhtainder der Manner 3,4, der
3) Den Maßen für die Obrhdbe (Obrhdbe — projettivifdhe Entfernung des Obes
punttes, Tragion vom Scheitel) meffe id bier Ceinen Wert bei, da fie auf febr verfchiedene
Weife gewonnen find und viele Seblerquellen entbhalten.
194 Volt und Kaffe. 1933, VI
ae 32,7), was durdy die abfolut niedrige Gefictshdobe (Manner i. MN. 11,0,
tauen 11,3 cm) bedingt ift.
In Abb. 9 babe ich die abfoluten Befichtsmaße der Eften mit denen anderer
Völker verglidden. Das Geficht des Eſten (durcdhgezogene Linie) ift in jede Der:
ohtshöhe 1% dl Jochbogenbreite (Morph.Gesichts-/ndex
breite besichler miltelor — ne ee miltelor —
besichler ____-» besichter —___»
%% 8 8 2% 6 8 WM 2 %% 8 MW 24 6 8 W2
Esten
Allgäuer
Esten.€.
Finnen
Lappen
%*% 8 824% 6 8 M2
%% 8 82% 6 8 W2
Abb. s.
GesichtsmaBe bei Esten£._
und anderen Volkern
Abweichung von den Esten mal 5
- E Schleswe En — ed £sten,ösel
Nase: 2 AA
mp D D V
Morph Gesichts Index: 834 Ho 68)
a v — fn = Liven — —
D D D v V D
Qabb. 9.
gleihegruppe (geftrichelte £inie) mit eingezeichnet. Die Abweichungen von meinen
Mittelwerten find auch bier wie in Abb. 7 mit der Zabl 5 multipliziert. Die Ge:
fichter find nad der Gefichtslänge geordnet. Die Mittelwerte der Gefichtsmage
der von mir unterfuchten WMiänner waren folgende: Meinfte Stirnbreite 10,6 cm,
Jodbogenbreite 14,3 cm, Unterticferwintelbreite 10,8 cm, morpbologifebe Ge:
fichtsböbe (Entfernung von der Kiafenwurzel bis zum tiefften Puntt des Indchernen
Rinnes) 11,9 cm, Llafenböbe 5,2 cm, Ylafenbreite 3,5 cm (in der Zeichnung über
1933, VI Sopbie Ebrbardt, Die Raffenzufammenfegung des eftnifchen Voltes. 195
dem Beficht!). Stirn:, Jochbogen: und Unterkieferwintelbreite find auf der Ab:
bildung gleich weit von einander gezeichnet, die KTafenwurzel ftebt genau zwifchen
Fleinfter Stirnbreite und Jochbogenbreite. Befonders lang und fcmal ift das
Geficht bei den KTorwegern, befonders kurz bei den Wotjaken und Lappen. YTor:
weger, Letten und Zften von Ofel, die im Derbältnis zur Breite das langfte Gefiche
baben, fteben bier nicht an erfter Stelle, ein abfolut längeres Geficht baben die
Schleswig: HJolfteiner und auch die Allgäuer. Bei den Eſten von Ofel und den
Schleswig: Holfteinern ift das Geficht befonders groß, lang und breit. Die Joch:
bogenbreite ift auffallend groß bei den Liven. Die Unterkieferwintelbreite ift bei
allen Dergleichsvdltern bis auf die KForweger und Wotjalen größer als bei den
Augenfarbe Haarfarbe
. pigmenlarm: bau D hell-u. dunkelblond O
schwachpigm.-mittelpıgm = meliert braun u. braunschwarz
pigmentreih =» braun @ rot
ie > ee
— | Amer [so
en N ıtauer N N
Algier IT .
FEN in [I
sten | TE NT Esten {| — ———n
Norweger | «KW Norweger | ==
Auer | I SISSS Algsuer | ISIS
Abb. Jo.
£iten. Die Unterfdiede von KTafenböbe und =breite find aus der Zeichnung leicht
zu erfeben.
Die MaKe von Gefichtslänge und breite der Lften zeigte eine größere Un:
einbeitlichkeit im Material als das Maß für Ropflänge und breite. Bei den
Männern fand ich 57,7% niedrige Befichter, 25,0% mittelbreite, aber auch 17,3%
fchmale (Srauen 57,9, 32,2 bzw. 9,9). Dillems gibt eine böbere Zahl für die
fdmalen, eine Bleinere für die niedrigen Gefichter an.
Die Unterfuchung über Haut:, Augen: und Haarfarbe der Eiten ergab vor:
wiegend belle Töne. Die Hautfarbe war ftets bell. Dunkelbraune Augen und
fhwarze Kyaaret) Bommen bei den Eften nicht bäufig vor. Diefe Tatfache ift im
HJinblid auf die mongolifche Zumifchung zum eftnifchen Blut, eine Srage, die fcbon
beiße Auseinanderfegungen bervorgerufen bat, von febr großer Bedeutung und
wird im dritten Teil meiner Arbeit noch befprochen werden. Abb. 10 bringt die
Augen: und Haarfarbe der Eften, Letten, Litauer, FTorweger, Allgäuer und Lap-
pen 5) und zeigt das Vorberrfchen der bellen Sarbe bei meiner unterfuchten Gruppe.
Auch in meinem Material findet man die blaue Augenfarbe viel bäufiger beim
Mann als bei der Stau, eine Erfcheinung, die fich fehon bei einer Reibe Bevölte:
4) Zur Unterfubung der Augenfarbe benügte ich die Sarbentafel von Martin:
Schult, zu der der Haarfarbe die Sifher:Sallerfhbe Haarfarbentafel.
5) Da bei den meiften Uinterfuchbern genaue Angaben über die Verteilung der einzelnen
Sarben auf einer Sarbtafel feblen, mußte ich fie bier fortlaffen.
196 Volt und Kaffe. 1933, VI
Abb. 11.
Abb. 12.
ne
ite fe bee ete ine. od) eee
Abb. 34.
— — — — — — — —
a — — — — —
1933. VI Sopbie Ehrhbardt, Die Raſſenzuſammenſetzung des eſtniſchen Volkes. 197
Abb. 14.
rungsunterſuchungen gezeigt hat und die auf eine gewiſſe Geſchlechtsgebundenheit
der Erbanlage für Pigmentbildung hinweiſt.
An Hand der graphiſchen
Darſtellungen babe ich cine
Reibe von MerFmalen bervor-
geboben, die vorwiegend beim
eftnifchen Dolk gefunden wer:
den: mittelbober Wuchs, lans
ger breiter Kopf, breites ver:
baltnismäfig niedriges Ge:
ficht, belle Augen und Haare.
Die Tatfache, daß die einzelnen
Unterfuchungen in wKitland
nicht ganz übereinftimmen,
bat in der Derfchiedenbeit des
Materials feinen Grund. Wie
ich fchon auf S. 190 erwäbnt
babe, bat der Weiten und
Yiordweften des Landes mebr
nordifden, der Often und Sud:
often mebr Einfchlag der Oft:
raffe. Die Zften von fel
zeigen daber den viel böberen
Wuchs, den längeren fchmä=
leren Kopf, das längere [hmä=
lere Geficht.
Aud das Unterfuchungs-
material von Dillems
(Webrpflichtige) mugs als in
einer beftimmten Kichtung
gefiebt betrachtet werden. Leis
der feblen bis jest Einzel⸗
unterfuchungen gefcbloffener
Bevdllerungsgqruppen aus den
verfchiedenen Gegenden £ft-
lands. Abb. 16.
198 Volt und Kaffe. 1933, VI
£in kurzer Überblid auf die übrigen Dergleichsgruppen zeigt für die Nor—
weger (cin Dolf, das zum größten Teil nordifhe Raffenmertmale entbält) einen
boben Rörperwuches, eine relativ mittelbobe Sigböbe, fhmalen langen Kopf, ein
bobes fhmales Geficht und belle Haar: und Augenfarbe. Die Lıven fteben den For:
wegern in Rörperböbe, Ropflänge und =breite ziemlich nabe, fie baben jedoch cın
ganz bedeutend breiteres niedrigeres Geficht. Die Sinnen baben äbnliche Nae wie
die Eften, nur ift ibr Ropf kürzer und fdhmäler, ibr Unterkiefer breiter. Beachtens:
wert ift die Einbeitlichkeit aller weitfinnifchen Stämme. Fur in den Gefichtsmaßen
zeigen fie größere Unterfchiede. Die Letten fchließen ficb den Weftfinnen an; fie
baben einen etwas breiteren Ropf als die Eſten, ibr Geficht ift länger, der Unter:
tiefer breiter. Die Schleswig-yolfteiner fteben in der Rörperböbe meiner Gruppe
ziemlich nabe, fie baben jedoch einen breiteren längeren Ropf und ein viel größeres
Geficht. Bei den Allgauern, die ziemlich viel dinarifchen Einfcblag baben, fällt der
breitere kürzere Ropf und das längere Geficht gegenüber den Eiten auf. Die Litauer
und Großruffen fließen fic) mebr dem Often an. Ganz befonders gilt diefes fur
die Wotjaken (Oftfinnen) und Lappen, die überall einen fchönen Gegenfag zu den
Forwegern bilden.
Die Gefcdicdte lebrt, daß vorwiegend nordifche und finnifche Völker nach
Eftland gefommen find. Und aud die Körpermaße, foweit fie bier berüdfichtigt
wurden, zeigen vorwiegend Merkmale der nordifchen Raffe und der Oftraffe. Line
Reibe von widhtigen Xaffenmertmalen, die fich auf das Geficht bezieben, wie Sorm
des Kafenrüdens, der KTafenfpige, des YWlundes u.a. find bier nod nicht befproden.
£s find zum Teil befchreibende Werkmale, deren Bedeutung ganz befonders von
der Wiener Schule bervorgeboben worden ift. Die Srage, wie weit fic bier die
einzelnen Raffeneinfchläge im eftnifcben Doll zeigen, fowie die Srage, welche
Raffen auger der nordifden und der Oftraffe noch am Raffenaufbau des eftnijchen
Volkes beteiligt find, bleibt dem dritten Teil meiner Arbeit vorbebalten. Als
Abfdlug bringe ich einige Typenbilder aus meinem Unterfuchungsmaterial, die
vorwiegend nordifchen Einfchlag zeigen, f. Abb. 11— 16. Die drei Schweitern
auf Abb. 15 und 16 zeigen deutlich das Zufammentreffen von nordifcher Raffe und
Oftraffe.
are. | & | 55/98) ES | #3 |Se 53|5|35 | $|€e Es | Es
a |aS|0*| 32 | 42 |02|03| 89|9|55 | € | ee] 54
11 24 |ıb|B | 1738| 93,1 |20,2|15,9| 10.5 | 14,5|10,2/13,0} 5,9 | 3,5
12 s7|6 |M | 168,5| 85,1 19,0! 15,4 | 10,7 |14,5/10,8|12,2| 55 | 3,5
13 30 |2a|M | ı651| 87,2 | 19,2'15,1| 9,5 |13,8/10,1!11,9| 5,3 | 3,6
14 29 | 3 J | 158.5| 84.4 |19.1|14.8|10.6 | 13.1! 9.7111.5| 50) 3.5
15.16 ,129 |2b |G | 146,2| 76.5 | 17.3] 14,5! 10,0 | 13,2) 9,5|10,5| 4,6 3,3
vontintel | 23 [4a E | 155.0! 79.1 |17.3/15.2) 9.9 13.3) 91/115] 43 34
nab || 91 4b D | 154.0 78.2 | 17,2) 14,9! 10,3 13,3! 92/112! 4,8 3,3
rechte !
RafjfenEunde und Volksfchule.
Don Dr. Karl Mierke, Göttingen.
De die neue deutſche Staatsform tragende nat.ſoz. Weltanſchauung hat auch
unſeren Rampf zum Sieg geführt — und wird beſtimmt dafuͤr ſorgen, daß
die raſſenkundlichen Belange in der deutſchen Schule nicht mehr zu kurz kommen
(vgl. die Ausfuͤhrungen des Reichsinnenminiſters Dr. Frick im Heft 3/1933 diefer
1933, VI Rarl Mierte, Raffentunde und Voltsfchule. 199
a aa ae a a a aN a a a Oe FE SET ——
Zeitfhrift). Es erübrigt fidh, nach dem auf tiefe Gadtenntnis gegründeten
Auffag von Dr. Br. R. Schul (Seft 3/33 diefer Zeitfchrift) noch im einzelnen
auf die Stoffrage einzugeben — und feftzuftellen, „was“ nun eigentlich in den
Scdulen gelehrt werden foll. Auch werden dazu wobl demnädhft Richtlinien
der Rultusminifterien zu erwarten fein, die den Lehrer beraten über die Einzel;
ebiete, die für eine völkifche Unterrichtsgeftaltung unumgänglich notwendig find.
dh möchte mich im folgenden lediglich darauf befchränten, aus Studium und Praris
geborene Dorfchläge zu machen über Art und * der von der deutſchen Volks⸗
ſchullehrerſchaft zu erhoffenden raſſenkundlichen Arbeit — und gleichzeitig dadurch
zum Sammeln weiterer Erfahrungen anregen.
Raſſiſche Erziehung des Volkes iſt endlich Tatſache geworden. Das bringt
fuͤr die Erzieher und Lehrer des Volkes 3 Aufgaben mit ſich: 1. Selbſtſchulung,
2. paͤdagogiſche Formung, 3. Feldforſchung.
1. Selbſtſchulung iſt dabei die zunaͤchſtliegende, die dringend und ohne
Zoͤgern in Angriff genommen werden muß. Raſſiſches Denken iſt heute „modern“.
Die damit verbundene Breitenausdehnung birgt die Gefahr eines engſtirnigen
Dilettantismus in ſich, zumal auf raſſenkundlichem Gebiet, das leider ſo lange
und kuͤnſtlich volksfremd gehalten worden iſt, in Kaientreifen eine heilloſe Be⸗
griffsunklarheit und Verwirrung zu herrſchen ſcheint. Ein Ergaͤnzungsſtudium
an den Univerſitaͤten kommt fuͤr dienſtlich gebundene Lehrer praktiſch nicht in
Frage. Es bleibt dieſen entweder der Weg des Selbſtſtudiums oder der der Schu⸗
lung in beſonderen Lehrgaͤngen. In der Frage der Literaturauswahl fuͤr das
Eigenſtudium beraͤt ſicherlich gern und gut der ruͤhrige Verlag dieſer Zeitſchrift.
Schulungskurſe, die allerdings auch auf die Eigenarbeit hinausfuͤhren werden,
haben den Vorzug, daß ſie manche Um⸗ und Irrwege erſparen helfen und
zur kritiſchen Stellungnahme erziehen koͤnnen. Notwendige Vorausſetzung iſt
aber, daß die Leiter ſolcher Rurſe raſſenwiſſenſchaftlich unbedingt durchgebildet
ſind, — und das kann eigentlich nur in jahrelanger Arbeit und am beſten in den
entſprechenden akademiſchen Inſtituten und Univerſitaͤtsſeminaren erfolgt ſein.
Der bloße Beſuch irgendeines Serienturfus oder dergl. kann an ſich noch keine
Leitungsberechtigung erbringen. Große Vorſicht in der Auswahl der Rurſus⸗
leiter iſt deswegen am Platze, wenn nicht die Reinheit vorliegender wiſſenſchaft⸗
licher Erkenntnis getruͤbt und eine aufgeblaſene Halbbildung gezuͤchtet werden ſoll.
Zur Einrichtung derartiger Rurſe koͤnnen die Schulverwaltungsbehoͤrden
verpflichtet werden. Ebenſo empfehlenswert erſcheint es, die fuͤhrenden Stellen
im N.S. L. B. (nat.⸗ſoz. Lehrer⸗Bund) damit zu beauftragen. Fuͤr den Fall, daß
fih der 7.9.8.3. ſelbſtaͤndig oder in engſter Fuͤhlungnahme mit den Behörden
mit der a der raffentundlichen, raffenpfiegerifchen und vererbungswiffens
fhaftlihden Schulung der Lebrerfchaft befaffen follte, empfieblt fich zunächft die
Einrichtung von BezirtssZentralftellen. Deren Aufgabe ıft dann eine organis
fatorifche: Sie richten Rurfe und Teilkurfe ein, ordnen deren Befuch und Sinanzies
rung, bemuben fic um geeignete Dozenten, beraten Örtliche Lebrerbuchereten, vers
anlaffen das Halten einfchlägiger Zeitfchriften, ftellen Lichtbilderreiben bereit,
fucben Süblung mit den alademifchen Inftituten und den überwachenden Behörden
fowie mit foldyen privaten Vereinigungen, die fich mit Raffentunde und Raffens
pflege befaffen; fie unterbinden Überbeblichkeiten, verderbliche Auswüchfe, Elcinliche
Gehäffigkeiten u. dgl., wirkten mit bei dem Ausbau von Lebrplanen und £ebrs
mittelfammlungen (vgl. 2.) und organifieren gleichzeitig auch die von Schule
und £chrerfchaft zu erwartende raffentundlice geldforfhung (vgl. 3.). Dabei ift
es nun durchaus unnötig, daß jede Schulgattung und jede £ehrergruppe unbedingt
ihre eigene Zentralftelle baben muß. Sur die oben gelennzeidnete Arbeit kann
tatfacdlid aud einmal ein Studienrat die Belange der Dollsfdullebrer oder die
der Mittelfcullebrer erfennen. Das alte Erbubel der ftdandifden Klungelet muf auf
alle Salle unterbleiben. Aber Leben muß ausftrablen von einer foldyen zentralen
Keitung; Arbeitsanftöße muß fie geben können, die die Maffenträgbeit übers
200 Volt und Kaffe. 1933, VI
winden. Gonft bleibt womdglid) — wie leider fo mandes Gute — die ganse
Angelegenbeit im bloßen Organifieren fteden, und endlicer Sieger ift wieder
einmal der alleserftidende Burotratismus.
Sür den erften Flotbehelf läßt fi zunächft der Aufgabenkreis der Jung:
lehrersArbeitsgemeinfchaften und der örtlichen Kebrervereine nad oer caffens
tundlichen Seite erweitern. Jd) babe in diefer Sorm fchon einen Derfud eins
geleitet. Er umfaßt folgende Einzelarbeitsgebiete: a) Raffenforfhung und Raffen:
probleme, b) Raffen und Raffenmertmale, c) die raffenmäßige Zufammenfegung
des deutfchen Volkes, d) Dererbung und Variabilität, e) Erblichkeit feelifcher
Merlmalspragung, f) Raffe und Seele, g) Raffens und Vollstumepflege, h) Raffens
tunde in der Dollsfcule. Jedoch find derartige im engen Rabmen eingerichtete
Rurfe nur ein vorläufiger Klotbehelf. Eine wirkliche und gediegene Vorfchulung
muß großzügig und gleichmäßig alle £ebrer erfaffen (vgl. Schulg a. a. ©.) —
dazu ift dem Sührungsprinzip entfprechend Bräftigfter Anftog „von oben (Bez
borde oder Organifationsleitung) unerlaglic.
2. Sur die pddagogifde Sormung des Raffegedantens, d. i. für feine
fdbulprattifde Derwertung, tonnen nicht von beute auf morgen eindeutig-fefte
Bahnen und Richtlinien aufgezeigt werden. Cine raffentundlich gut vorgefchulte
Dolts(dullebrerfchaft wird bei ibrer einzigartigen pddagogifden Leiftunges
fabigtcit fcbon bald nah kurzem Erfabrungsaustaufdh die richtigen Methoden
finden. Dabei bleibt zielfichere Sührung durdy die Unterrichtsbebörden trogdem
nötig, und diefes Ziel beißt „bewußte Erziehung der deutfchen Jugend zum Raſſen⸗
denken“. Rann cs erfüllt werden, dann werden fich bereits in der übernächften
Gefclechterfolge die Wünfche der Raffenbvgieniter zu verwirklichen beginnen.
Es ift aber wichtig, daß ganz befonders die Dolksfchule in den Dienft einer foldyen
volkifchen Erziehung geftellt wird und daß (bei ihrem auf Perfönlichkeitswirktung
abgeftimmten Unterricht) zunächft die Lebrperfonen ganz von diefem Ziel erfaßt
und durchödrungen werden.
Aber eine Vorarbeit muß die Voltsfchule von den Sacwiffenichaftlern
unbedingt fordern: Die Sachausdrüde müffen gleihmäßig, eindeutig und in
deutfcher Sprache feftgelegt fein, wenn nicht die beftebende Derwirrung noch
größer werden foll. Damit fällt dann au die Gefabr, daß Überbeblichkeit von
der Doltsfcule ,,weife Befdrantung und dadurch mittelbaren Verzicht auf die
beften und wichtigften £chren fordern kann. In guter Derdeutfhung und in
findesgemäßer, anfchaulicher Darftellung vertragen auch die Schüler einer Volles
fhulsÖberftufe (8. und 9. Jabrgang) beftimmt Belebrungen über „Variation,
Mutation, Inderwerte u. dgl.“. Einen gefonderten Unterricht über Raffenktunde,
Raffenpflege und Vererbung möchte ich allerdings nur für die beiden legten Schul:
jahre fordern. Dorber aber muß Raffendenten alle Unterrichtsfächer durchdringen
(vgl. Schulg a. a. O.), fei es, daß im Gefchichtsunterricht die raffifche Veran:
lagung als geftaltend für die Dölkerfchicfale betont wird, oder duß im Erdkunde:
unterricht die Antbropograpbie ihre gebübrende Stellung erhält, oder daß in der
Biologie die Bedeutung erblicher Merkmalsprägung genügend berausgeftellt wird.
Sd fann auf Grund meiner perfönlichen Erfahrungen aus der cintlaffigen Lands
fhule, aus vollausgebauter Stadt{dule und aus der Sortbildungsfdule bez
baupten, daß cine folche Unterrichtsgeftaltung durchaus möglich ift und daß fie
die begeifterte Zuftimmung der Rinder findet. Es ift ja vielerorts unter anderer
Bezeihnung (Volkskunde, Deutfchlunde, SHeimatlebre, Srübgefchichte ufw.) bes
reits viel Raffentundliches im Lebrgut unferer Schulen verftedt gewefen, und es
wird darum an Beftätigungen meiner Bebauptung wohl nicht feblen.
Sur die Außerliche Seite möchte ich noch folgende Sorderungen aufftellen:
Die Lehr: und Lernbücher müffen entfprecdhend überarbeitet und vervollftändigt
werden; vielleicht werden dadurch befondere rafjentundliche Lehrbücher für Volles
fhulen überhaupt unndtig. Die Lehrmittelfammlungen (Rarten, Bilder, Licht:
bilderreiben ufw.) enthalten mancherlei Salfhdarftellungen; fie müffen darum peins
1933, VI Rudgang der Vollwertigen, Zunahme der Minderwertigen. 201
GE EEE FE Er EEE
lichft überprüft und ergänzt werden. In die Lchrerbüchereien gehören die ——
werke raſſen⸗ und vererbungswiſſenſchaftlicher Forſchung. Außerdem waͤre zu
wuͤnſchen, daß ſich mindeſtens jede groͤßere Lehrergemeinſchaft eine Zeitſchrift wie
„Volk und Raſſe“ haͤlt, um uͤber Neuforſchungen, Neuerſcheinungen uſw. auf
den £aufenden zu bleiben. Allgemein verftändliches raffentundliches Schrifttum
gebört auch in die Schulbüchereien.
3. Unter raffen= und vollstundlider Seldforfdhung verftebe ich
das flr die Sachwiffenfcheft fo wichtige Zufammentragen von Einzels und Rlein-
beobachtungen. Sür die wiffenfchaftliche Völkerkunde ıft ungeheuer wertvoll ges
worden alles das, was ihre „Seldforfcher‘‘ (Miffionare, Sarmer, Rolonialbeamte)
zufammengetragen baben. Um die beimatliche Seldforfchung in Geograpbie, Geos
logie, Biologie, Befchichte und Vorgefchichte baben fi Hunderte von deutfchen
Dolls(dullebrern verdient gemacht. Yun bietet fich bier dem raffentundlich ges
fhulten und von der Sahwiffenfchaft (wielleicht über die Zentralftellen) geleiteten
£ehrer ein neues und danktbares Betätigungefeld. Er fammle 3. B. antbropolos
ifche, pbyfiognomifche und insbefondere pfvchologifche Beobachtungen, bearbeite
tammbäume und Ahnentafeln, zeichne, mefje und pbotograpbiere typifche Raffens
vertreter und Mifchlinge in feiner ARlaffe, berichte über Sitten und Bräuche, über
mundartliche Befonderbeiten, uber charakterologifche Kigentümlichleiten (die fich
in ganz befonders guter Stammesausprägung an jugendlichen und vom Alltag
noch nicht gleichgefchliffenen Menfden beobachten laffen). Die Sahwiffenfchaft
wird ibm fdon Arbeitsziele zeigen und ibm die nötige Ausrüftung zulommen
laffen.
Dazu wirke der Lehrer neben feinem Pfarrer, feinen Gemeindebeborden, den
1.S.D.A.p.sAmtewaltern u.a. fur cine gefunde und vernünftige Raffenpflege. Er
wird jedenfalls bei unferer bodenftandigen Bevdllerung volles Derftandnis finden.
(So verdante ich 3. B. meine Begeifterung fur raffens und vdllerkundlice
Stagen meinem früheren Paftor.) Wenn alle deutfchen Gaue fo reich find an
SDeimatforfchern, an Sreunden der Wundert, an volkifchsempfindenden Menſchen
wie 3. Bd. unfer Fliederfachfen, dann kann es nicht fchwer fallen, überall Beine Ges
meinden um den Gedanken der Raffenpflege zu fammeln, — und dann braudht uns
trot, Spengler fchließlich doch nicht bange zu fein um die Zukunft unferes VDolles.
Rüdgeng der Vollwertigen,
Sunahme der Winderwertigen.”
n Deutfchland treffen im Durchfchnitt auf eine kriminelle Ebe doppelt fo viele
Kinder als auf die deutfche Samilie. Verbrecher pflanzen fich alfo uͤberdurch⸗
fhnittlihy fort, während in der deutfchen Samilie im allgemeinen das Zweis
tinderfyftem berrfdt. Die bildliche Daritellung auf S. 202 zeigt, wie fidy unter
diefen Lmftänden die Zahl der Liachlommen von 50 wertvollen Menſchen im
Dergleih zu jenen von 50 Verbredhern von Generation zu Generation ents
wideln wird. Bei anfangs gleichem Beftand von 50:50 wird das Unter:
menfdentum nad 30 Jabren auf 670% angewacfen, die hochwertigen deutfchen
Samilien auf 3300 der Gefamtnachlommenzabl zufammengefchmolzen fein. In
60 Jahren ift das Derbältnis 80% : 2000; in 90 Jahren 89% :19%0. Schon in
der 5. Generation, alfo nad 120 Jahren, werden die Ururentel der Dollwertigen
nur noch 6%, jene der Verbrecher dagegen 9490 der Befamtnachlommenfchaft ein=
*) Aus dem foeben in I. $. Lehmanns Verlag, Munden, erfcienenen Werke: , Voll
in Gefahr“. Preis einzeln Nel. 1.—, 10 Stic je Nl. —.s0.
202 Volt und Raffe. 1933, VI
Derfchlehterung der Bevdiferung bei zu feywacher Fortpflanzung der
wertvollen Familien.
= DPDollwertige (2 Rinder je Ebe)
—= Kriminelle (4 Rinder je £be)
WER.
nach nach nach ,
90 Jahren 720Jahren
30 Jahren 60 Jahren
1933, VI
£ebensbaltungetoften.
203
An Lebenshaltungskosten stehen für Kopf und Tag zur Verfügung
ur einen:
Kruppel Taubstummen
6,00 RM. 6,00RM.
Beamten
Je Vollperson
Angestellten 4.00 RM,
‚je Volpersson
3RM. WM 4 \
Zur Bestreitung des Lebensunter- u
halfes haf zur Verfügung tägl. 8
Tägliche Anstaltskosten
für einen:
Zusammen
73000 RM.
WO
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7
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—
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Kruppel
600 RM.
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Zablen nach 5. Schemel.
204 Dolt und Raffe. 1933, VI
nehmen. Diefe bier draftifch dargeftellte Entwidlung gebt heute in Deutfchland lang:
fanı aber unentwegt Schritt für Schritt vor fidh. Die gute deutfche Samilie ift mit
ihrer durchfchnittlichen Rinderzabl von 2,2 zum Untergange verdammt und muß
den fich ftark vermebhrenden Schichten, feien es nun Verbrecher, geiftig Minder:
wertige oder artfremde Dertreter anderer Völker und Raffen, Plag macden. Dor
der Befabr des Uberbandnebmens verbrecherifd) veranlagter Menſchen ſchützt uns
bis zu einem gewiffen Grade das von der neuen Regierung erlaffene Sterilis
fierungsgefeg. Dor Uberwucherung durd) minder wertvolle Beftandteile inner:
balb unferer Bevölkerung und vor Unterwanderung durch Angebörige fremder,
fruchtbarerer Raffen können wir uns nur fehütgen, indem wir für eine ausreichende
Zahl wertvoller Hachlommen forgen.
Aus Raffenbygiene und Bevslkerungspolitik.
Aufruf der Deutihen Gejellihaft für Dererbungswillenidhaft.
Die deutfche Gefellfhaft für VDererbungswiffenfchaft begrüßt freudig den Durdbrucdh
der Erkenntnis, daß biologifdh erblundlicdhes Wiffen und Denten Allgemeingut der deutfcyen
Bildung werden muß und erklärt fich bereit, an diefer feit Jahren erfebnten und leider bisher
immer wieder vergeblich erftrebten Aufgabe mit allen Rräften mitzuwirken. Ls gilt jest,
das Wilfen der Dererbungsforfcher den weiteren Rreifen der naturwiffenfchaftliden und
medizinifchen Rollegen zu vermitteln, damit fie den Anforderungen, die befonders auf dem
Gebiet der Raffenbygiene in fteigendem Maß an jeden Lehrer und Arzt geftellt werden,
ewadfen find. — Darüber hinaus ftellen wir uns für Schulungsarbeit aller Art zur Ders
füsung, denn gerade derjenige, dern eine eingebende Durdhbildung in erbtundliden Scagen
zuteil geworden ift, ift in erfter Linte berufen, auf eugenifcbem Gebiet 3u wirten. Dilettan:
tismus und Halbwiffen mu aber ausgefdaltet bleiben auf einem Gebiete, das an dem Urs
grund unferes vdltifden Dafeins rubrt.
Zu den widhtigften und ureigen(ten Aufgaben unferer Gefellfchaft gebdrt zunächft die
Übermittlung erbtundlichen Wiffens an die atademifde Jugend. Tur aut einer ausreichend
erbbiologifchen Grundlage tann fic die raffenbygienifche Belehrung des werdenden Arztes,
Kchrers, Juriften, Theologen aufbauen.
Kine weitgebende Yleugeftaltung, vor allem der naturwilfenfchaftlichen und medizinis
{den Lehrpläne, wird notwendig fein, damit die allgemeine Erbbiologie und die menfchliche
Erblebre den bisherigen Charakter als Liebenfächer verlieren und diejenige zentrale Stelle
in Unterridt und Prüfung erbalten, die ein Erfordernis der Zeit geworden ift. Der Aufs
geabentreis der Biologie, der Gebiete wie Zellens, Zeugungs: und Abftammungelebre, Ents
widlungspbyfiologie, erperimenteller Mendelismus, Grundlagen der Tiers und Pflanzens
zudt, Kinfübrung in die ftatiftifden Grundlagen der menfdlicden Ecblebre und Bevoͤl⸗
terungslebre umfaßt, ift fo umfangreich und vielfeitig, daB eine Dermebrung der Lebrs und
Sorfhungsftätten unbedingt notwendig ift, zumal in den vergangenen Jabren bedauerlider:
weije gerade bier ftarte Einfchräntungen ftattfanden.
Unfere Wiffenfchaft ift von jeber eine lebendige Wilfenfchaft gewefen, die Verbindung
gejucht und gefunden bat mit den praftifchen und fozialen Sragen der Zeit. Die Jugend wird
gern bereit fein, ihre Kräfte in den Dienft diefer Wiffenfchaft zu ftellen. Möge ihr bald die
Gelegenbeit oon werden, fid an allen deutfcden ocdbfdulen und Univerfitéten das
notwendige Auftzeug zu erarbeiten! Göttingen, im September 1933.
Raffenhygientjder Cehrgang der Afademie für ärztlihde Sortbildung in
Balle a. d. Saale.
Um der Arztefhaft für eine raffifche Erneuerung unferes Volkes die notwendigften
Unterlagen zu verjchaffen, bat die Alademie für ärztlidhe Sortbildung in Halle vom ı. bis
3. Auguft d. I. einen Raffenbygienifcben Lebrgang veranftaltet, an dem über 500 deutjche
Arzte und Arztinnen teilgenommen baben. Die Tagungspunlte waren folgende:
Staatstommiffar Dr. Samann: Der deutfche Arzt im neuen Staate; Privatdozent
Dr. Rürten: Menfdlicdhe Erblicteitsicehre I.; Univ.:Prof. Habne: Vdller und Raffen
unferer Vorzeit, Sührungen in der Landesanftalt für Dorgefchichte und im Stadtgefunds
1933, VI Deutfche Befellfehaft für Raffenbygiene. 205
beitsamte; Priv.-Doz. Dr. Rürten: Menfchhliche Erblichkeitslehre II., und anfchließend:
Raffenbygiene I.; Leiter des Aufllärungsamtes für Bevölkerungspolitit Dr. Groß: Der
Sinn der deutfchen Revolution; Priv.:Doz3. Dr. Rürten: Kelfenbygiene II.; Staatss
tommiffar Dr. jur. Kload: Deutfhe Reidhsgeftaltung.
Der nächfte derartige Lehrgang wird mit Zuftimmung des Reichsinnenminifteriums
im März des nädhften Jahres ftattfinden.
Raffen= und vererbungstundlicher Unterricht in den preußifchen Schulen.
Der preußifhe Rultusminifter bat eine Verfügung über die Pflege der Dererbungss
lebre und der Raffentunde in den Schulen erlajfen, die am ı. Oktober in Rraft tritt. Dis
zur endgültigen Regelung der LKebraufgaben wird angeordnet, daß in den Abfclugelaffen
famtlidher Schulen unverzüglich VDererbungslebre, Raffentunde, Raffenbygiene, Samiliens
tunde und Bevdlterungspolitit in den Unterrichtsftoff aufgenommen werden. Die Grunds
lage wird im wefentliden die Biolo gis geben müffen, der nach der Verfügung eine auss
reichende Stundenzahl, zwei bis drei Wodenftunden, nötigenfalls auf Roften der Mlatbes
matit und Sremdfpraden, fofort einzur&umen ift. Uber aud alle übrigen Sächer außer der
Biologie wie Deutfch, Gefdidte, Erdkunde find in den Dienft diefer Aufgabe zu ftellen.
In fämtliden Abfhlußprüfungen find diefe Stoffe für jeden Schüler pflibtmäßiges
Prüfungsgebiet, von dem niemand befreit werden darf. Der preußifche Rultuss
minifter bat jich vorbehalten, durdy befondere Beauftragte bei den Reifeprüfungen die Ers
reichung des gewunfdten £chrzieles feftftellen zu laffen.
Raffenhygienifhe Aufflarungsarbeit.
Lin alter Dortdmpfer der Raffenbygiene, Prof. Dr. Rubn, Gießen, bringt im Verlag
Theodor Steintopf eine Rede heraus, die er im Jahre 1920 in Dresden gebalten bat. Die
Sorderungen, die er fchon damals erhob, beginnen Heute Wirklichkeit zu werden. Befonders
begrüßenswert ift feine Sorderung nad) der Srübebe und Aerabfegung der beruflichen Auss
bildungsseit.
Als gute Aufllärungsfchriften, die der Verbreitung des biologifchsraffifchen Denkens
gute Dienfte leiften werden, find in Sriedrih Manns Pädagogifhem Magazin in der Reibe
„Raffe“ die Rede des Reichsinnenminifters Dr. Srid uber , Bevdllerungs: und Raffens
politit“ und eine Schrift Staemmiers „Raffenpflege und Schule“ berausgelommen. Beide
geben gute Anregungen und bejonders die Schrift Staemmlers wird fur manden Erzieber
von Wert fein können. Don Rleinigleiten abgefeben kann man Staemmilers praltifchen
Vorfehlägen für die Erziehung der Schuljugend zum biologifhhen Denken durdyaus zus
ftimmen.
Deutfche Befellfchaft für Kaffenhygiene.
In Hamburg wurde eine Ortsgruppe der deutfchen Befellfchaft für Raffenbygiene
gegründet und Herr Dr. med. Willy Holzmann, Flervenarzt, Hamburg, An der
Alfter 63, zum 3. Dorfigenden ernannt.
In Danzig wurde eine Ortsgruppe der deutfchen Gefellfehaft für Raffenbvgiene
gegründet und Serr Reg.s und MedsRat Hellmuth Rlud, £eiter des Gefundbeits-
weiens, Danzig, Raffubifcher Markt ı, zum 1. Vorfigenden ernannt.
Reichsausfchuß fir Volksgefundheitsdienft.
Der Reihsausfhuß für Dollsgefundbeitsdienft läßt auf Anordnung
des Heren Reichsminifters des Innern eine Sdbciftenceibe erſcheinen.
eft 3 enthalt die AUnfprace dea Geren Reichsminifters des Jnnern Dr. Frick auf der
erften Gigung des SGachver(tandigenbeirats fir Bevdllerungs: und Raffenpolitit (vgl. Dol
u. Raffe Heft 4, Seite 137). In Jett 3, das als nächites erfchienen ift, wurde ein Dortrag
von Prof. Dr. €. Baur, „Die Bedeutung der natürlichen Zuchtwahl bei Tieren und
Pflanzen“, veröffentlicht. Die Hefte find zum Preife von ME. —.10 je Stüd, ME. —.os
206 Volt und Kaffe. 1933, VI
Se
bei 25, ME. —.06 bei 50, ME. —.o5 bei über 100 Stud vom Keichsausfhuß für Volke»
gefundbeitsdienft, Berlin NW 7, RobertsRodsPlag 7 zu beziehen. Die Hefte verdienen
weitefte Verbreitung.
Sragekaften.
I. Aaben die Tedger von Geiftestrantheiten im 20. Jahrhundert zugenommen?
2. Wie groß ift die Zahl der Eben mit 4, 3, 2 und I Rind auf 100 Eben? Wieviel
kinderlofe Eben find unter diefen?
3. — hoch iſt die Zahl der die Hilfsſchüler unterrichtenden und betrauenden Lehr⸗
raͤfte?
4. Treten abklingende Erbaͤnderungen (Modifikationen) im Zuſammenhange mit Um⸗
weltsſchaͤdigungen oder Infektionskrankheiten auf oder werden erſtere durch dieſe
verurſacht oder zumindeſt beguͤnſtigt? £. §.
Budhbefpredungen.
§. K. Sheumann: Bekämpfung der Unterwertigkeit. Planmäßige Dorforge für die
deutiche Samilie. Alfred MegnersVerlag, Berlin 1933. 92 S.
Das Bidlein vermittelt in tucszefter Marer Saffung den beutigen Stand erbbiologis
fder Ertenntniffe und legt an Hand erfbutternder Beifpiele aus den Alten der Wobl-
—— die vernichtenden Einflüſſe menſchlicher Unterwertigkeit auf die ſoziale Struk⸗
tur unferes Dollstérpers dar.
Als befonders fructbar ift der Dorfdlag des Verfaffers hervorzubeben, ftatt einer
Sürforge, die bloß der Belämpfung fhon vorbandener erbbiologifher Schäden dient, eine
Samilienvorforge mit raffenpflegerifcher Einftellung zu fchaffen, die in Zufammenarbeit mit
den Standesämtern eine nad) raffenbygienifepen Gefidtspuntten getroffene Dorbeugung der
Entftebung von Sirforgebedurftigteit dberbaupt gewabrleiftet. Srig Dittmer.
Kurt Schmidt: Die ſtrafrechtlichen Grundlagen der Unfruchtbarmachung. Eine Dar⸗
ſtellung nach geltendem und zukuͤnftigem deutſchen Strafrecht unter Berudfihtigung oer.
auslandifcden einfdlagigen Gefeggebung. C. Boyfen, Hamburg. Preis Mit. 20.—.
Diefes Budlein enthalt die Gedantengange der Juriften zu dem Problem der Steris
lifierung. Der Klaturforfcher ftebt ftaunend vor den Definitions(hwierigkeiten der Juriften
und merkt, daß ihm bier ein anderer Geift entgegenwebt, der Jabrbunderte lang unfer Dolt
in römifchsfholaftifhen Banden bielt. Die & le von UNDELUNG ER, einfeitiger nicht durch
Heturtenntnis belafteter Denterarbeit legt fi wie ein Alp auf jeden, der gewohnt ift,
nad fadliden und nidt nach formalen Gründen zu entfcheiden.
Ganz Mar wird es: Niemals batten fic die Juriften 3u dem Sterilifierungegefege, das
Deutidland beute befigt, entfdloffen. Und all diefe ungebeuere geiftige Arbeit, die einem
Biologen wie ein Flebelmeer von Worten erfcheint, wird Gottlob weggeblafen und zus
nichte gemadt durch unfer neues Sterilifierungsgefeg. Baber find die erften zwei Abs
fhnitte des Buches, die fic mit den Verbältniffen de lege lata und de lege ferenda
befchäftigen, [bon veraltet.
So ift diefe Arbeit vor allem als biftorifcher Rüdblid zu werten.
Berühmte Juriften werden genannt, die aus der Rulturgefchichte der Ieten 20 Jahre
woblbetannt find und ibre Gedantengange und Sormulierungen entwidelt, die uns Bios
logen — gelinde ausgedrüdt — unverftändlich find. So 3. B. bat der befannte Jurift Graf
Dobna nodh im Jahre 1929 verlangt, es fei zuläffig, den gefunden Ehemann zu fterilis
fieren, wenn die erblich belaftete Ebefrau die Sterilifierung lieber ibm zufchiebt. Spiegels
bildlich glei wollen jegt nod) mance Gyndlologen die ——— Ehefrau ſteriliſieren, wenn
der Ehemann ein Trunkenbold iſt und ihr fleißig minderwertige Rinder zeugt.
Wer denkt da nicht an Mephiſtos: „Vernunft wird Unſinn, Wohltat Plage!“
All dieſen Juriſten und Arzten ſei geſagt, daß die deutſchen Raſſenhygieniker niemals
zugeben werden, daß der geſunde Ehepartner unfruchtbar gemacht werden darf, um den
Erblranten aus irgendeinem Grunde zu ſchonen.
Sehr dankenswert empfunden wird im 3. Teil der Zuſammenſtellung alle außer⸗
deutſchen Geſetze uͤber die Unfruchtbarmachung. Lothar Gottlieb Tirala.
1933, VI Buchbefprehungen. 207
EEE
Jahrbuch des Deutihen Dereins für Samilienkunde für die Tihehoflowakifche
Republik. Geleitet von Dr. Aans Selir Zimmermann. I. Jahrgang 1930. Prag 1931.
Als Einführung bringt diefer I. Jahrgang einen groß angelegten Auffag von Prof.
Tfdermat, Prag, über „Samilientunde und Vererbung“, in dem er — ausgebend von den
Mendeliben Belegen — an Hand von zahlreichen Abbildungen die ganze Dererbungsfrage
vorführt, fo u. a. das Problem der Baftardierung, die Vererbung erfcheinungsbildlicher
Ligenidaften, von Blutgruppen, Abnormitäten und Rrantbeiten. Cin Verzeichnis des
widtigften Schrifttums über Vererbung befonders beim Wienfchen ift diefem Auffatze beis
geaeben. — Prof. Brandt, Prag, jpricht über die neuen Ziele der Raffentunde an %yand von
ildern, die von den Unterfuchungen Adolf Knöbels aus drei nordmährifhen Dörfern
ftammen. Er wirft dabei die Srage auf, in wie weit man bei antbropologifchen Unters
fudungen in den Sudetenländern die bisher gebräuchlichen Raffenbezeichnungen auch bei
diefer Bevölkerung verwenden kann. — Zeitgemäß ift ein Aufjag von Prof. Breinl, Prag:
~ yDie Grundlagen der Cugenit.“ Hier wird in Inapper Sorm das Widhtigfte der Raffens
bygiene gezeigt, fo die Gefahr der Geburtenbefchräntung bei den fozial böber ftebenden
Schichten und der Sebler des Zslibats, dagegen wird die B orberung erhoben, erbuntüchtige
lieder, und fei es auf dem Wege der Sterilifierung, von der Sortpflanzung auszufdalten.
— Bemertenswert find nod die Auffäge von Roerting: „Arzt und Samilienforfchung“,
Zibora: ,Samilientundlider Lichtbilddienft” und fchließlih drei febr wertvolle Arbeiten über
Ardive von Prag und Eger, die zeigen, weldy großen Wert gerade das Vorbandenfein von
Arcdiven fur eine fyftematifde Samilienforfdung bat. — Ks ift jedenfalls erfreulich, daß
der im Jahre 1929 gegründete Deuticde Verein für Samilientunde in der Tichehoflowalei
durch Herausgabe diefes Jabrbuche die für das gefamte Deutfchtum fo on Sragen
aud an die breitere Offentlidteit bringt. Hanns Graefe.
Paul Mähler: Die Urmenihen. Roman. 3 Teile in einem Band: Steinfauft, der
Affenmenfd. — Die Menfhbeitsmorgenrdte. — Die wilden Klasbornjäger von Weimar.
Steinfauft-Derlag. Leipzig 1932. 8°. 201 SG. Preis geb. ME. 3.—, karton. ME. 2.40.
Durd einen befonders intelligenten tertiären „Affenmenfcdhen“ wird in diefem Ros
man die Benutgung von Steinen und Rnüppeln als Waffen, treibender Stämme als
MWafferfabrzeuge und dabei fogar die Handhabung der Ruderftange erfunden. Die „Morgens
rötemenfchen“ vervolllommnen ihre Geräte, lernen das Seuer gebrauden und beginnen
die Geftirne 3u verebren. Träume geben Anlaß zu einem Seelentult. Tote werden bes
ftattet und ihnen geopfert. Die Wintertälte zwingt zur Selltleidung. Im legten Teil feben
“ wir den „Urmenfchen“ von Weimar als Bezwinger von Mammut, Mlasborn und anderen
Großtieren. Er benutzt Sallgruben und Angelfchnüre.
Das Buch bezeichnet fih als Roman. Es ift mit recht reger Phantafie gefchrieben
und wirkt durdy die eingefchalteten Gefprdce der Tiere uber den Wienfchen ftellenweife
wie Reinele Voß. Daß die Menfchen des zweiten Teils (es ift damit die Zeit von
Chelles und St. Acheul gemeint) ji nod mit den Tieren unterhalten können, erfceint
febr mertwürdig. Ls mag einer pddagogifden Abfidt zugute gebalten werden. Mebrs
fac ift die Bebaarung des Urmenfden cect genau befdrieben, von der wir dod gar nidts
wiffen. Daf die MMeanderthalraffe nur 3irta 1200 ccm Gebirn gebabt hätte, möchte bei
einer Lleubearbeitung verbeifert werden. Der woblerbaltene Schädel von La Chapelle aur
Saints 3. B. bat 1626 ccm. Aud die Anfertigung von Rnochengeräten war im lts
paldolithitum nicht üblih. Sie treten erft im Aurignacien auf. Dies und anderes find
aber Rleinigkeiten, welche die Wirkung des Buches nicht beeinträchtigen werden. Seine
etwas bandfeften und oft reichlich breiten Schilderungen wenden fich ficher mit Erfolg an
Leute mit geringer DVorbildung und an Jugendliche. Diefen mögen fie eine Vorftellung
von oem ungefabren Gang der Entwidlung des Menfden und feiner frübeften Kultur
geben. Ob das Buch aud — wie der Verlag meint — für Menfchen wertvoll ift,
„die nad den legten Erkenntniffen ringen“, mag dabingeftellt bleiben. Ridter.
©. Shwindrazheim: Deutfche Bauernkunft. Zweite umgearbeitete und erweiterte
Auflage. Wiensfeipzig 1933, Deutfcher Verlag für Jugend und Vol’ G.m.b.%4. Mit
12 Sarbentafeln und 202 Tertabb. Gr. 8°. Preis Alw. Mi. 25.—.
Gegenüber der erften, im Auftrage der „Lebrervereinigung für die Pflege der künfts
lerifcen Bildung (in Jamburg)” herausgegebenen Auflage von 1903 ift die gegenwärtige
Fleuauflage bedeutend erweitert, mandye Teile umgcarbeitet.
Der Wert des Wertes, das fic die ,Erwedung der Sreude an deutfcher Bauernkunft“
zum diel gefegt bat, beruht vor allem darauf, daß der Verf. faft ausfdlieflid Selbſt⸗
208 Dolt und Raffe. 1933, VI
gefebenes und dabei Empfundenes bietet. So kommt eine FTote unmittelbaren perfönlichen
Erlebens hinein, die mandyen anderen Arbeiten über dbnlicye Gebiete feblt.
aablreide gute Photos und Zeichnungen geben einen lebendigen Überblid über bäuers
lide Runftäußerungen in Hausbau und Hausrat, in UArbeitsgerdten und Gebraudsgegen:
ftanden und fdlieflid aud in der Dollstradt. |
Das durchaus voltstümlich und anfchaulich gefchriebene Werk verdiente in Laiens
kreifen, insbefondere in der ldndlicben Bevölkerung, weite Verbreitung. Sue den Wiffens
Ihaftler bat ein Teil der Abbildungen und Zeichnungen Quellenwert.
Gunther Spannaus, Keipzig.
W. Erdge: Lucas Cranad 3.4. als genealogifhes Phainomen. Cine genealogifcde
Studie. Weimar 1930, Verlag Hermann Bdblaus Madf. 16. S.
Die Studie ftellt einen Beitrag dar zur Seftfchrift für den um die Genealogie ver:
dienten Urdivdirefttor Armin Tille. Es werden hinweiſe und Belege gegeben für die Abs
ftammungsgemeinfdaft zahlreicher fchöpferifcher Perfönlichkeiten und Gelchlechter mit dem
großen Maler der Reformationszeit. Goethe, die Schlegel, Ernft Haedel, das Theologen:
ejchlecht der Keyfer, das Juriftengefchleht der Larpzow, Adelsfamilien wie Blücher,
Ba, Ridthofen fteben in Abftammungsbeziehbung zu Cranad. Auch Ahnen des Perf.
gebören in diefen Kreis. Sur die Ahnenreibe Goethes, die 3u Lucas Cranach o. A. fubre, ift
die Haufung tonformec Eben bezeichnend, als deren Solge ein Zufammenftrömen bochs
wertiger Anlagen zuftande fam, die in Goethe ibre glüdlichfte Dereinigung fanden. Heinrich
Reidel, Wien, bat auf die große Abnlicdteit in körperlichen und geiftigen Zügen binges
wiefen, die Goethe mit feiner Mutters Mutter Anna Margaretba LindheimsTertor verbindet,
die eine Madhfahrin der Cranadye ift. — Mit feiner Studie will Tröge eine Anregung geben
zur planmäßigen Erforfhung der Cranadfden Kiadhtommenfdaft, die no in vielen Linien
fortlebt. Die Vorarbeiten, auf die fic der Verf. bezieht, zeigen, daß bier eine fehr wichtige
Aufgabe liegt, deren Durdführung einen überzeugenden Beitrag 3ur deutiden Rulturs
biologie darftellen würde. | mM. Heid.
B. Klofe: Über Waldbienenzudt in Lithauen und einigen Nachbargebieten. 9 Tafeln,
12 Tertabb. In: Beiträge zur Klaturs und Rulturgefchichte Lithauens und angrenzender Ges
biete; Abhandlungen der matb.snaturw. Abteilung der Bayer. Akademie der Wiffenichaften.
Suppl.sBand 6.—9. Abhandlung. Münden 1925.
Der Derfaffer bringt über altes und neues Imlergerdt, uber Urbeitsmethoden und bes
fonders über den Zufammenichluß der Imter zu Verbänden eine Sülle von Lladyrichten aus
den einzelnen behandelten Bebieten, die eine Erweiterung auf bisber nicht fo eingebend
behandelte Länder dringend fordern. Sreilich gebört der Takt und das ganze Gefdid eines
erfahrenen PDoltstundlers dazu, die alten Imker zum Reden zu bringen.
Aus eigener Unfchauung mddte id) nod ergänzend anmerken, daß in dem alten
tuffifdspolnifden Bebiet überall die Rlogbeuten reichlich vertreten find; fie fteben anges
lehnt an Scheunens, Schuppens und Hduswande oder unter einem primitiven Bienenfchauer
und find oben mit einem fteinbefhwerten Brett noch befonders gefhügt. Ebenjo findet
man fie heute noch bin und wieder, aber immer feltener werdend, in Schlefien, der Heimat
des Bienenvaters und mlerreformators, des Pfarrers Dzierzon, deffen Raftenbeuten mit
der inneren Einrictung des Mobilbaus die alten ungefugigen Rlogbeuten verdrängen
und ibr Ausfterben in abfebbarer Zeit verurfacdhen werden. |
Auf einen von mir fhon in diefer Zeitfchrift angemerkten Irrtum auf S. 405 betr.
Rlogbeuten mit aufgenagelten Tongefichtern aus YliedersBielan, Breis Reidhenbady, bei
dem die Örtsangabe nicht richtig fein kann, möchte ich nur deswegen binweifen, weil es
mir inzwifchen gelungen ift, in Schlefien drei ähnlich ausgeftattete Beuten zu finden: zwei
drehrunde Beuten mit den Gefichtern eines bärtigen Sultans und feines weiblidden Gegen»
ftüds und eine Raftenbeute mit JIndianergeficht. Die aufgelegten Gefichter erfcheinen mir
aber in allen Sällen aus Holz gefchnigt zu fein. > Aelimid.
Druckfehler in Heft 5: In dem Auffag von Medizinalrat Or. Vellgutb „Geburtens
zahl und Schwadhjlinn“ muß es auf Seite 167 Zeile 10 4,0% und nicht 0,49% beißen und
auf Seite 179 Zeile 3 bereinigte Zablen ftatt unbereinigte Zeblen.
—
Ley
nachdriicklich zur Verbreitung des rassenhygienischen Gedankens aus
der Reihe DAS KOMMENDE GESCHLECHT besonders die
Schriften von Rüdin und Lenz. Damit haben die Bestrebungen
der von Eugen Fischer, Hermann Muckermann und O. v. Verschuer
herausgegebenen Reihe nach ı3 jähriger Pionierarbeit Anerkennung
von amtlicher Seite gefunden. Wer sich für die eugenische Reihe,
die wichtige Ergebnisse der Forschung vermittelt, interessiert, ver-
lange Prospekt über ds KOMMENDE GESCHLECHT.
Soeben erfdienen:
Erblehre und
Raſſenkunde
Von Dr. Werner Dittrich, Leip—
zig und Dr. Erich Mey er, Leipzig.
Mit etwa 50 Abbildungen. 1933. Etwa
100 Seiten. Steif geheftet 2.50 NM.
Da das Reichspropagandaminiſterium einen
roßzügigen Plan zur bevölkerungspolitiſchen
ufklärung vorbereitet, erſcheint dieſes Buch
ziir rechten Stunde. Es führt, von der Ver—
Sehe ausgehend, in die Rafjenfunde
etn und bejchränkt jich auf die grundjäglich
wichtigen Gedanken, die mwijjenjchaftlich ein-
wendfret und allgemeinverjtändlich darge-
fteltis werden. Ülteren Schülern farın e3
unbetyenflidy in die Hand gegeben werden.
Für YW oltShodjdhulen, Amtsrwalter-, SU-
und ©G--Rurje, Bellen- und Ortägruppen-
abende tft e3 gleichermaßen geeignet.
R
Serdinaud Hirt, Breslau
heit“ de3 Berlages j
weltpolitiichen
In dem vom _ Reichs-
minister des Innern ein-
berufenen Sachverstän-
digenbeirat für Bevölke-
rungs- und Rassenpolitik
waren Gegenstand der
Verhandlung die Vor-
schläge von Prof. Lenz
über „Ausgleich der Fa-
milienlasten“ und von Dr.
Burgdörfer über „Be—
völkerungsfrage u. Steuer-
reform’ (Das Kommende
Geschlecht V 4-5, M. 3.35).
Deutjchland
Geſchehen
Dr. Otto Leibrock
XX, 436 Seiten Text
Broſchiert RM. 10.—, Ganzl. RM. 12.50
Deutſchlands Erneuerung:
Mit dieſem, ſtrengſte Wiſſenſchaftlichkeit und
tlare allgemein verſtändliche Darſtellungsweiſe
aufs glücklichſte verbindenden Werke hat der
Derfaſſer eine dankenswerte nationale Auf—
tlarungsarbeit geleijtet. .
Deutſche Rundſchau:
Ein ausgezeichneter Kennet der national⸗ und
weltötonomifhen Zufammenhänge beipricht in
fluger, feifelnder Daritellung nad} einem Rüd>
blit auf die Gefahrenlage der Dorfriegszeit
alle erdentlihhen Stagen der gegenwärtigen Mot.
Der Jungdeutihe:
Der Wert diejer Arbeit für die politifhe Schu:
lung it außerordentlich, der ungemein feffelnde
und gedantenteiche Inhalt führt zu den Wurzeln
der neuzeitlidhen Weltgefchichte.
Deutſche Wiſſenſchaftliche Buch—
handlung, G. m. b. h., Leipzig.
a“ u u EEE a u
ir machen unfere Lefer /befonders auf den diefer Nummer beiltegenden Profpeft „Raffentunde und Raffenge te der Menich-
Aerdinand Ente, Etuttgart aufmerfjam. Henge (hic ſch
- in *
Wir kauſen zurück
zum Preije von je AM. 1.50 x
Heft 1 und 2
des laufenden
TmmmmmmmmmTt — +
’ eee
7 | | |
Jahrgangs von Doll und Rafe
J ſſ ——
J. F. Lehmanns Yerlag, Mindhen 2 SW.
ANAITELIUEIRUDDERRBRLERDEHTRRE
Wandtafeln
für den raflen- und vererbungsfundlichen Unterricht
I. Reihe: Bon Dr. Bruno K. Schult. 10 Tafeln, von denen 1 un, ? je 110x140 cm
3 88x123 cm, 4-7 je etwa 70x110 cm groß find. Preis der einzelnen, te,Tweije farhigen
Tafeln zwilchen AM. 1.20 und AM. 4.50. j
II. Reihe: Bon Stud.-Rat Dr. 3. Graf. 10 farbige Tafeln in der Größe 84 x104 Me
Preis jeder Tafel AM. 3.—. |
Mit der Herausgabe diejer Tafeln füllt unjer Verlag, der bisher bahnbrechend in der Schaffung eines
fundliden Schrifttums twar, eine bejonders im Schulunterricht zutage getretene Lücke aus.
Die einzelnen Bilder und Darftellungen find in größter Deutlidfeit und Überfichtlichleit wiedergege
dab jie auch auf weitere Entfernung gut erfennbar jind. Gie jind Ergebniß jahrelanger Unterrichtserf
und bilden in ihrem von pädagogijhem Empfinden geleiteten Aufbau ein einpragjames Wnjdauungss
Sie eignen fich nicht nur für den Unterricht in Schulen aller Gattungen, SA. -Lehrgängen, Wrbeitsni;
ujiw., fondern lafjen jich auch vorzüglic, al3 aufflärender Wandihmud in Verbandsheimen, behörblic j
zimmern, Kajernen und dergleichen verwenden. m
Ausfühbrlider Brojpet t teht gern foftenloS zur Berfüf
S$ Lebma uns 2 evlag/ Miumdbe
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4
Berantwortlic für bie Schriftle itung von „Volk und Kaffe“: Dr. Bruno K. ulg,
Berantwortlid fiir ben WAngeigenteil: Guido Haugg, Miinden. — Gerlag: 3. F. Lehma
Druck von Dr. F. G. Datterer & Cie, Freifing- Münden.
>. 9 Yu
a
so” ’ 7 —
Dolt und Rare *
Illuſtrierte Monatsſchrift fuͤr deutſches Volkstum
Raſſenkunde Raffenpflege
Zeitfchrift des Reichsausfchuffes für VDolksgefundbeitsdienft und
der Deutfchen Gefellfhaft für Raffenbygiene.
> Werausgeber: Prof. Aichel (Kiel), Präf. Aftel (Weimar), Prof. Baur (Mündyeberg), Reichs
miniſter RX. W. Darr é GBerlin), Min.⸗Rat Fehrlhe (Heidelberg), Min.⸗Kat Güͤtt (Berlin), —
miniſt. Hartnacke (Dresden), Prof. Helbot (Innsbruck), Reichsführer SS. Himmler (München),
Prof. Mollifon (Münden), Prof. Much (Wien), Prof. Rede (Leipzig), Prof. Radin |
- (Atünden), Dr. Ruttke (Berlin), Prof. A. Schulg (Königsberg), Dr. ®, Schulg (Görlig),
Prof. Shulg e⸗ Naumbutg (Weimar), Prof. Staemmler (Chemnig), Dr.Tirala (Brünn),
Dir. Zei ($rankfurt a. 1.)
Säeiftleiter: Dr. Bruno RK. Schulg, Münden
Heubauferftraße 51/3.
— — —
8. Jahrgang tee ER November (Nebelung) 1933%
¢ |
Umjdlag: Die vier Sane — Grapes. Aus BR. Schulg, Erbtunde, Raffen- |
funde, Raffenpflege) A h
Rafjenmertmale « Sho} penbauers und feiner näheren Verwandten. Bon Dr. }
Walther Rauſch penbe rget, , Fra antfu rt a.‘ — — und einer ar Seite 209%
Der Begeiff „Rafie“. Bon Drof. . D 9. ¥ ete a “2 — — 3 > |
Grudjtbarteitsdauer einft und jest. Bon Drof. Di.£
(Mit 1 Abbildung) - RE: aa —* WE » 219:
Sippichaftstafel eines Rück fallverbred) „2211
Unterfudjungen über bie af ‘Sst Von Wit —*
Magdeburg A ae AR Ca (CR — * „ 223:
Bom Deutjcen 3 Boltstun m in Polen. Bor Guard Schwertfeger : . 225:
Einführung in Erblehre u Erbpflege. * epee Soffmann-Eefurt „ 228 |
Aus Raffenhygiene giene und 5 Beaten — 220/
Deut the Geſellſchaft * —— Be = one » 230;
Fragetaſten Mega Lie ET — = . » 230)
| Bir: , » 231)
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Buäbeip pred Hungen .
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3 Ei vierteljährlich RE. 2.—, Einzelbeft RT. —.70, Po nave tonté ——— — 20; |
_ 48 prei 8 gap o Wien BOBO 2 Poftfcyedtto ito Bern Kr. TIT 4845; re =
Deutfchen in Drag, Kratauer Gaffe 11 (Doft{dedttor nto Prag. 627 50). |
5 g. dem nanns Verlag / iünden- 2 om.) Paul — 26
I; * ae
=
Lee
Volt und Raffe, 8. Sabrg. 1933, Seft 7
3. §. Lebmanns Verlag, Minden
Der Derlag behält fidh das ausfchließliche Recht der Dervielfältigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfehrift zum Abdrud gelangenden Originalbeiträge vor.
Raffenmertmale Schopenhauers und feiner
näheren Verwandten.
Von Dr. Walther Raufchenberger,
Direttor der SGendenbergifden Bibliothek in Srantfurt a. IM.
Mit 7 Abbildungen und einer Sippfchaftstafel.
&tor:n bauer batte afhblonde Haare, blaue Sart oh und belle, rofige Haut.
Seine GBeftalt war Hein, nicht zierlich, fondern ftämmig, ähnlich derjenigen
Beethovens, mit dem er eine entfernte Abnlichleit batte!). Der Ropf war im
Derbältnis zum Körper groß und maffig, die Stirn ftark entwidelt; nod) mads
tiger war die Breitenausdebnung des Schädels. Die größte Länge des Kopfes
war 20,6 cm, die größte Breite ıs cm; demnach der RopfsInder etwa 87.
Die Scädelform wurde von Bildhauer Prof. Zwerger mittels Gipsabdruds
von der Leiche genommen. Die ungewöhnliche Breite des unregelmäßig gebils
deten Schädels ift an diefem erfichtlich ?2). Breit wie der Schädel war auch das
Beficht. Die Flafe war gleichfalls breit, der Mund groß, das Rinn ftark ents
widelt. In ibm, wie in den zufammengelniffenen Mund prägten fich Seftigkeit
und Willensftärke, aber audy eine gewiffe Härte und LUnerbittlichleit aus. Die
Augen batten etwas Grelles; fie zeigten einen weltfchmerzlicyen Ausdrud, hinter
dem aber nicht felten ein gewiffer fchaltbafter Yumor dSurchblidte (Abb. 1).
Der Water, Heinrid Sloris Schopenhauer, Groglaufmann in Danzig,
fpäter in Hamburg, hatte belle Haare und Augen und langen Schädel. Die
Merkmale deuten auf nordraffifden Linfcdblag; das breite Beficht mehr
auf Falifden oder oftbaltifden. Er war ein fefter, ftrenger Charats
ter, von Wabrbeitss und Gerechtigheitsliebe durddrungen, aber auch zum Jabs
30rn neigend und leicht reizbar. Geine warme Sreibeitsliebe, feine grogen taufs
möännifchen Säbigkeiten und ein ungewöhnliches Maß von geiftiger Bildung und
Spracdfenntniffen find zu nennen (er fprad englifd, franzofifh und bolländifch
fließend). Befonders auffallend war fein zeitweife bervortretender unbeugfamer
Starrfinn. Dem preußifchen General, der ibm bei einer Blodade Danzigs Sutter
für feine Pferde anbietet, läßt er fagen, er habe noch genug Sutter; wenn er keines
mebr babe, laffe er feine Pferde totftechen. Als Preußen 1793 zur Kinverleibung
Danzigs fchritt, verläßt er feine VDaterftadt wenige Stunden vor der Befegung
fluchtartig unter großen Dermdgensverluften und fiebt fie niemals wieder. Die
feelifchen Zigenfchaften des Daters laffen nordifden und wobl aud faͤliſchen
Einfhlag ecfennen (Abb. 4).
Der vaterlide Grogvater, Undsreas Sdb., war ein febr vermdgender Grog:
taufmann und Sabrifant in Danzig. Er war bervorragend begabt, befonders auf
kaufmännifchen Gebiet, raftlog tätig, ein energifcher, fefter Charatter. Zeitweife
neigte er zum Starrfinn wie fein Sohn. Er war kunftfinnig und befaß eine
größere Bemäldegalerie. Seine Stau, Anna Renata geb. Soermans, war
die Tochter des bolländifchen Minifterrefidenten bei der Sreien Stadt Danzig,
Hendrit Soermans, eines angefebenen wohlhabenden Raufmanns, der einer
1) Dgl. Bwinner, Wilbelmvon, Schopenbauers Leben. 3. Aufl. 1910, 38.398:
Scywieg er, ſo ſah er Beethoven aͤhnlich.“
2) Abbildung a. a. O. S. 400.
Dolf und Rafſſe. 1933. November. 47
210 Volt und Raffe. 1933, VII
SS — ———
hollaͤndiſchen Predigerfamilie entſtammte 8). Anna Renata war von ſehr heftigem
Charakter und wurde nach dem Tode ihres Mannes (1794) fuͤr geiſteskrank er⸗
klaͤrt und unter Vormundſchaft geſtellt. Ein juͤngerer Sohn von ihr, Michael
Andreas, war von Jugend auf bloͤdſinnig, ein anderer Sohn gleichfalls nicht
vollia normal. Auch der Vater Schopenhauers ſcheint in ſeinen letzten Lebens⸗
jahren nicht frei von geiſtigen Stoͤrungen geweſen zu ſein und endete ſein Leben
— —— freiwillig. Leider beſitzen wir von den Großeltern Sch. keine
r.
Die Mutter, Johanna Sch. geb. Troſiener, war von zierlicher und
kleiner Geſtalt, ſie hatte blaue Augen und hellbraune Haare. In ſeeliſcher Richtung
if ihre Aeiterkeit, DDabrbeitsliebe, ibe Sreimut, groge Derftandesgaben und ein
stemlidy ftartes Beltungsbedürfnis zu nennen. Bemüt batte fie weniger; fie war
eine kühle Klatur. Ihr Schriftftellertalent, das fie in Weimar entdedte, war ziems
lich grog; ibr Roman „Gabriele“ wurde von Boetbe gelobt. Tordraffis
{der Einfchlag ift bei ihr ficher anzunehmen. Unnordifch ift ihre kleine Beftalt
und das etwas breite Beficht. Schopenhauer glich feiner Mutter in erheblich mebr
Kigenfchaften, als man gewöhnlich annimmt. Er batte die großen blauen Augen
und die Eleine Geftalt, vor allem aber feine große fchriftftellerifche Begabung von
der Mutter, überwiegend auch feinen Sinn für Wit und Humor und die Leis
ung, die eigene Perfönlichkeit zu gebührender Geltung zu bringen. Die gefunden
eiten feines Wefens batte er vor allem der Mutter zu danten (Abb. 3).
Der Dater der Mutter, Chriftian Heinrich Trofiener, errang durch
eigene QTüchtigleit eine angefebene Stellung als Raufmann und Ratsherr in
Danzig. Seine Tochter befchreibt ihn *) als großen, ftattlichen, beiteren, lebhaften
und Eugen Mann von unbeftechlider Redlichleit und unbeugfamem, republilas
nifhem Sinn, der aber zum Jabzorn neigte. Das erbaltene Bild (Abb. 5) zeigt
einen Außerft energifchen Ausdrud. Fordraffifdher Cinfdlag ift ficher anzus
nebmen. Die Mutter der Mutter (Elifabeth geb. Lehmann) hatte eine febr
Beine, zierliche Beftalt, große bellblaue Augen und langes braunes Aaar. Ylach
der Schilderung ihrer Tochter war fie fanftmütig, freundlich und reich an Mutter
wig. Das erbaltene Bild (Abb. 6) zeigt neben nordraffifdem einen ofts
baltifden Einfchlag (Sorm der Ylafe, betonte WPangenbeine, belle Sarben und
Bleine GBeftalt). Don den weiteren Vorfahren ift nichts Lläberes in raffifcher Sins
ſicht bekannt.
Die Schwefter, Adele Sch., war groß, wie ihr Dater, hatte große, bellblaue
Augen —— Fyaare; die Llafe war ziemlich breit (Abb. 2). Sie war intelligent,
nabm das Leben fchwer und blieb wie ihr Bruder unvermäblt. Sie war (drifts
ftellerifch tätig wie ihre Mutter 5). Wan kann bei ihr einen ziemlich ftarten nords
raffifden Kinfchlag annehmen. Deater, Sohn und Tochter waren baglich.
Wenn wir Schopenbauers belle Sarben betrachten, fo wird jeder fofort
an die nordifche Kaffe erinnert. Schopenhauer gebört zu den bellfarbigften
Benies, die Deutfchland hervorgebracht bat. Er batte tiefblaue Augen und
rofige Gefictsfarbe, wie fie fur diefe Raffe kennzeichnend find. Unnordifch ift
dagegen die geringe Korperbdbe, die Gedrungenbeit der Geftalt und die Breite
des Geficdts und Schädels. Ls muß alfo neben dem nordifchen ein weiterer
Raffeeinfchlag vorliegen. Die alpine Raffe, an die man denken könnte, kommt
kaum in Srage. Sie bat nicht breite, fondern runde Ropfs und Befichtsformen,
tommt auch in der Gegend, aus der Schopenbauers Ahnen ftammen, kaum vor (die
meiften Abnen waren Klordoftdeutfche). Schopenhauer weift vielmehr deutliche
Merkmale einer Meinen, bellpigmentierten Raffe auf: der oftbaltifchen, die in
8) Eine im SchopenbauersArdiv in Srankfurt a. M. vorhandene Büfte (vgl. Abb. 7)
ftellt möglidyerweife ibn dar (vgl. Grifebah E., Schopenhauer, Befchichte feines Lebens,
1897, 8. 276). Diefe Büfte zeigt nordraffifde und wobl aud falifde Cinfdlage.
1) Jobanna Shopenbauer: Jugendleben und Wanderbilder, Bd. 3, S. 10 ff.
5) „Tagebücher“, ,Tagebud einer infamen“, ,AHauss, Walds und Seldömärden“.
1933, VII
Abb. 3. Schopenhauers Mutter Johanna
geb. Trofiener.
Abb. 5. Schopenhauers Großvater mütter!l.
Chriftian Heinrich Trofiener.
211
Abb. 4. Schopenhauers Dater
beinrich Sloris Schopenhauer.
Abb. 6. Schopenhauers Großmutter mütterl.
lifabeth geb. Cehmann. ?
17
212 Dolt und Kaffe. 1933, VII
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der Gegend feines Geburtsortes Danzig neben der nordifchen vertreten ift. Ein im
Derbältnis zum Rörper großer maffiger Ropf mit breiten ?*) edigen Sormen, breitem
Geficht und afchblonden Kyaaren find die oftbaltifche Raffe auszeichnende Merk:
male. Rennzeichnend ift auch die fich nach unten verbreiternde Flafe. Auch die
verhältnismäßig fehmale Lidfpalte des Auges, die oft finfter zufammengezogenen
Augenbrauen find bei der oftbaltifchen Raffe baufig. Dazu ftimmt die Rleinbeit
und Unterfetztbeit des Wuchfes.
Auf feelifchsgeiftigem Gebiet treten zunächft nordifche Kigenfchaften be=
berrfchend in Erfdeinung. Mordifh ift an en die plaftıfcbe
Rraft und geradezu Elaffifchbe Rlarbeit feiner Gedanken. Flicht minder die
Monumentalität feines Stiles. Die
Schriftfteller der Antike find nicht nur fein Dor:
bild, fie find ihm im tiefften Grunde weſens—
verwandt. Wenn Schopenhauer die Anfcha u:
ung als Urquell aller Erkenntnis preift, fo ıft
er auch darin nordifch. „Der nordifche Menfch
denkt anfchaulich in Bildern‘). Jn der Anz
fchaulichkeit des Stils übertrifft Schopenbauer
fein großes Vorbild Goetbe; er Bann obne Über:
treibung der anfchaulichfte aller pbilofopbifchen
Schriftftelleer genannt werden. Schopenhauer
bat nicht nur gegenüber oft abftrufen Gedantens
gängen feiner Vorgänger fichb zur Rlarbeit und
Einfachbeit des Denkens zurüdgefunden; er bat
gegenüber der Verfchnörteltbeit des deutfchen
Mefens die große, Elare Linie der Darftellung
feben und würdigen gelernt. Die Shönbeit
ee feiner Gedanten ift fo groß wie ibre Rlarbeit.
(oder Shopenhauers Großvater Chriftian N allen diefen Eigenfchaften ift Schopenhauer
heintid) Trofiener?) nordifch, ebenbürtig den großen Werten
bellenifcber Runft, die alle nordifchen Heift atmen.
Auch andere Eigenfchaften Schopenbauers laffen nordifchen Geift erkennen,
fo fein außerordentlich ftartes Selbftbewußtfein und fein ausgeprägter In =
divıdualismus, feine Kleigung ficb abzufondern und die Einfamteit auf:
zufuchen. KTordifch ift ferner fein ftarkes Selbftdenkertum und fein großes
metapbyfifdhes Bedürfnis, nicht minder die Entfchbiedenbeit, mit
der er für feine Anfichten eintritt, und die Solgerichtigkßeit, mit der er
in der felbftgewäblten £ebensaufgabe aufgebt. Als nordifch wird
man ferner feine ariftofratifbe Weltanfbauung, feine Derberrli:
bungdes Genies und feine KTeigung anfeben dürfen, fernab der großen Hlenge
feine Wege zu geben. Bei einem Denter, der fich in feiner Weltanfdauung
fo weit von feinen Zeitgenoffen, ja dem ganzen Abendlande entfernt, der den Mut
bat, der Welt fo unverblümt die Wabrbeit ins Geficht zu fagen, wird man von
vornherein einen ftarken nordraffifchen Einfchlag annebmen müffen. LTordifch ift
an Schopenhauer auch die ftarke fubjektive Überzeugung von der Wabrbeit
feiner £ebre, die bei Philofopben bäufig auftretende, ibnen eigentümliche Über:
zeugung. daß fie allein und zuerft in den Befig der vollen Wabrbeit gelangt
find, eine Erfcheinung, die wir fcbon bei den nordifchen Hellenen, bei Heraklit
und Parmenides, antreffen. Man wird die Wabrbeitsliebe — die Voraus:
fegung aller Pbilofopbie überbaupt — als ein Merkmal betrachten dürfen, das bei
5a) Es fei darauf bingewiefen, daß faft alle Bilder der Derwandten Schopenbauers
breite Gefichteformen zeigen.
8) Dgl. Baur-Sifdher-Lenz, Menfadlide Erblichkeitslehre und Raffenbygiene,
3. Aufl. 1927, ©. 551.
213
Walther Raufchenberger, Raffenmertmale Scopenbauers uw.
1933, VII
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214 ‚Volk und Kaffe. 1933, VII
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- der Ylordraffe ftarler entwidelt ift als bei anderen Raffen, und wird desbalb bei
allen wirklich großen Dentern indogermanifcher Sprache einen ftarten nordraffis
fen Einfdylag annehmen dürfen. Llordifch ift endlich Schopenhauer ganz befons
ders in der Grundsfaglidleit, Härte, Strenge und der Unerbittlids
keit feines Denkens. Sür ihn gibt es keine AHalbbeiten, Beine feigen Rompromiffe,
fondern nur ein Entweders®der. Alles Beichönigen der Welt und der Wahr;
beit, alles unredliche Sichfelbftsbelügen ift ihm im Innerften zuwider.
Licht fo eindeutig liegen die Dinge, wenn wir in die irrationalen Tiefen
feiner Perfönlichkeit eindringen, wenn wir mit ibm binter der „Welt ale Dors
ftetlung’ eine ,, Delt als Wille finden. Zwar kann in der Statuierung des Wils
lens als innerften Bernes der delt kein unnordifcher Zug erblidt werden. Auch
andere nordifche Dichter — Rant, Sidte, Wieg {de — find Doluntas
riften gewefen, im befonderen diejenigen, dieaus O ftel bien bervorgegangen find
und in diefer ihrer Lebre der Tatface einen legten Ausdrud gegeben baben, daß
fie die Kiachlommen eines Gefcdledtes von Kroberern und Rolonifatoren ges
wefen find. — Aud in der Tatfadye, daß Schopenhauer die dunteln und düfteren.
Seiten der Welt mebr als andere Denter bervorbebt, liegt kein unnordifcher Zug.
Dielmebr ift gerade die nordifche Seele geneigt, in die Tiefen des Seins zu bliden
und zu künden, was fie dort gefchaut bat.
Anders verhält es fich mit der Tönung und vor allem der Wertung,
die er dem Weltwillen gibt. Der Wille ift nady ihm nicht mit Vernunft gepaart,
er bringt keine finnvollen Werte bervor, fondern fein Wefen ift fchlechthin finn »
los, rubelos, blindwütend und unfelig. Ehe wir bierauf näber eins
eben, müffen wir darüber Rlarheit erlangen, daß alle Wertungen — die der
bilofopbie Schopenbauers die entfcheidende LTote geben — Willensentfceis
dungen find, aus Quellen entfpringen, die nicht oder nicht rein rationaler Mature
ind. Bei der Entfcheidung fir oder gegen beftimmte Werte fpielen Art und
Beſchaffenheit der Perſoͤnlichkeit die entfcheidende Rolle, nicht logifche re
wagungen. €s kann 3. Bd. niemals auf logifchen Weg entfchieden werden, ob das
£eben lebenswert ift oder nicht. - Die Artung einer Perfönlichkeit ift aber in allers
erfter Linie durch Vererbung und damit durch die Raffe beftimmt. Daß Schopen»
bauer das Rubelofe, Shweifende und Unfelige des Willens in fo ftars
tem Maße betont, daß er dem Weltwillen fo ausgefproden irrationale Fuge
verleiht, daß feine Stellung zur Welt in fo bobem Mage den Charalter der
Unzufriedenbeit trägt, daran dürfte der oftbaltifche Linfdlag in nod
boberem MaKe beteiligt fein als der nordifche. Der oftbaltifche Wenfch verbirgt
nicht felten unter gleichmütiger Oberfläche eine grenzenlofe Unzufriedenbeit,
er ift erbeblih irrationaler geartet als der nordifche; in derfelben Dfyce find
Gegenfäte vereinigt, die anderwärts kaum vortlommen. Die Gefühle fchlagen oft
unvermittelt in ihr Gegenteil um; fo kann eine wirre iN nit in blinde
Serftörungswut umfchlagen. GOftbaltifche Schilderungen haben ferner oft etwas
Wirres, weifendes. „Die unbefriedigten Gefühle fhweifen unftät umber‘‘ 7).
Wer wird bier nicht an den unftäten Weltwillen Schopenbauers erinnert, deffen
Mefen es ift, nie befriedigt zu werden? Der oftbaltifche Menfch ift weiter ein
guter Menfchentenner, aber feine Schilderungen und Stimmungen geraten
icht ins Düftere. Man denke an die düfteren Schilderungen ruffifcher Romane,
an Doftojewfti und Tolftoil Die Ruffen find wefentlid oftbaltifcher Kaffe,
und die genannten Cigenfdaften find auc bet Gdopenbauer vorbanden. Die
oftbaltifche Raffe ift weiter durch eine eigentimlide Entfchl ugunfabige
keit gelennzeichnet, und auch diefe finden wir gelegentlich bei Schopenhauer °).
Der oftbaltifche Menfchy neigt endlich dazu, feine Gefühle zu verbergen mit Aus.
7) Ober die körperlichen und feelifden Merlmale der oftbaltifden Raffe vgl. Hans
Büntber, ARaffentunde des deutfchen Volkes, 32. Aufl, S. 130ff., 233 ff.
8) Dgl. Schopenbauers eigene Augerung: ,Obwobl id fonft an icgendweldhe Wabls
entfdeidungen nur mit unendlichem Zögern berantrat.“
1933, VII Walther Raufcyenberger, Raflenmertmale Schopenbauers ufw. 218
= ee ee ee ee eee
nabme des Haffes und der Bereiztbheit?). Auch hierin ift Schopenhauer ofts
beltifh. Während er Bea) in Gefühlsäußerungen febr zurüdbaltend ift,
bricht fein Haß und feine Gereiztheit gegen die nachlantifchen „Sopbiften“ (Sichte,
Schelling, Hegel) und gegen die Philofopbieprofefforen in geradezu elementarer
Wudt bervor.
Jn nod ftarkerem MaG tritt der oftbaltifche und der dftlide Zug überhaupt
in der Stellung bervor, die Schopenhauer gegenüber dem rubelofen Weltwillen
einnimmt. €r fegt der brutalen Lebensbejabung des Willens eine ebenfo brutale
Lebensverneinung entgegen. Diefe Derneinung trägt nicht nur einen quietis
ftifehen, fondern auch einen nihiliftifchen Charakter. In beiden kommt wieder die
Seele der oftbaltifchen Raffe zum Porfchein 19). Llirgends find nibiliftifche Bes
ftrebungen fo verbreitet wie in den wefentlicy oftbeltifhen Rußland. Die fer
bensverneinung Gchopenbauers bat etwas derartig Lnerbittliches, daß fie mit
diefen Erfcheinungen ın biologifhen Zufammenbang gefest werden mug. Aud
bei Cduardvon Hartmann ift ein oftbaltifdher Einfchlag anzunehmen (Außes
ces und geiftige Struktur). Bezeichnend ift, daß die beiden großen peffimiftifchen
Pbilofopben aus Oftelbien hervorgegangen find, und daß beide oftbaltifchen Eins
fchlag zeigen. Bei beiden ift das Erldfungsbedürfnis in ungewöhnlich
ftartem Maße entwidelt, eine Erfcheinung, die gleichfalls der oftbaltijden Kaffe
eigentümlih ift!!). Im Befonderen ift die Grundeinftellung Schopenbauers, die
Itendmahung des Leidens („Alles Leben ift Leiden“), die Bemeffung
aller Dafeinswerte an der Tatfache des Leidens ein weichlicher und unnordifcher
sug. Ebenfo unnordifch ift die daraus hervorgebende Solgerung der Weltfludt
als oberfter Tugend. Würde eine foldye Wertung innerhalb eines Volles alls
gemein fich durchfetzen, fo würde das betreffende Dolk innerhalb weniger Bes
fhledhterfolgen ausfterben, fich felbft vernichten. Klicht minder unnordifch ift die
Bezeihnung des Mitleids als alleiniger Quelle der Erbil. Wenn die großen
Männer der Weltgefchichte in ihrem Handeln von Mitleid fich hätten leiten laffen,
fie wären nicht fehr weit gelommen! Die Realtion, die die Dbhilofophie Srieds
rich Liegfches gegenüber der Philofophie Schopenbauers darftellt, ift im wes
fentlichen eine nordifche Erfcheinung, eine Ablehnung des nordifchen Mienfchen
egenüber öftlichen Lehren der Weltentfagung. Schopenbauers Pbilofopbie ift eine
Sortfezung der Kebre Buddhas; er hat fid) buddbhiftifdhe Gedanken und Ans
een zu eigen gemacht. Auch feine Geringfchägung der Srauen
ift unnordifch.
Auf eine an der Raffenmifchung und auf eine Mifchlinges
natur überhaupt deutet bei Schopenhauer auch der merkwürdige Umftand, daß er
das Begenteil feiner felbft zu feinem ethifden und philofopbifden
Joeal erbebt. Er war bart — und erklärte das Mitleid als die alleinige Grunds
lage der Moral. Er verwirklichte in feinem Leben den bodften Grad der Treue
3u fidy felbft — und erfannte nur die felbftlofe, bingebende Lrächftenliebe als
etbifch wertvoll an. Er pries die Entfagung und die Weltfluct als legtes Ziel —
und tlammerte fic felbft mit allen Safern feines Defensa an diefe Welt. Er fab
nur im Kichtfein die endliche Beruhigung und Erldfung — dabei wohnte er
ftets zu ebener Erde, um im Sall eines Brandes fofort ins Sreie gelangen zu fönnen.
Seinen Hals vertraute er niemals dem Meffer eines Barbiers an; die Spitzen
feiner Pfeifen bielt er ftets unter Derfchluß aus Angft vor Vergiftung.
Lieben den nordifchen und oftbaltifchen Zügen, die zweifellos vorliegen, ift
ein dritter Raffeneinfchlag weniger in die Augen fallend, aber doch fehr wahrs
2 Ogl. Hans Ginther a. a O. GS. 223.
10) Die oftbaltifhde Raffe ftebt den innerafiatifchen Raffen nahe. Sie ift bdchftwabrs
fheinlih dur Aufbellung aus den breitgefichtigen, kurztöpfigen, Beinen Hienfchen Inners
afiens bervorgegangen.
11) Dgl. Hans Günther a. a ©. ©. 234: „Ber oftbaltifhe Mienfch fucht immer
nad irgendeiner Erldfung.“
18”
216 Volt und Raffe. 1933, VII
— EE
ſcheinlich. Ein kennzeichnender Zug der Schopenhauerſchen Philoſophie iſt ihre
Entwidlungsloſigkeit, die voöllig ahiſt or i ſche Betrachtung der Welt.
Schopenhauer will nur wiſſen, was die Welt iſt; wie ſie geworden iſt, das zu
unterſuchen iſt nach ihm nicht Sache des Denkers. Schopenhauer hat mit einer
Feſtigkeit, ja, mit einem Starrſinn ohnegleichen auch jede Anderung und Weiter⸗
bildung ſeines Syſtems abgelehnt. Waͤhrend faſt alle großen Denker und Rünftler
mehrere (meiſt drei) Perioden der Entwicklung haben, gibt es bei Schopenhauer
nur eine einzige: ſein Syſtem ſpringt fertig aus ſeinem Ropfe wie Pallas
Athene aus dem Haupte des Zeus. Dieſer Weſenszug iſt weder ausgeſprochen nor⸗
diſch noch oſtbaltiſch. Die nordiſche Raſſe iſt weſentlich flüſſiger, als es
Schopenhauer war. Der oſtbaltiſche Menſch kann ſich zwar gelegentlich in eine
Aufgabe verbeißen, aber das unerbittliche Feſthalten einer Lehrmeinung durch ein
langes Leben iſt nicht oſtbaltiſch, noch weniger das bleibende Gerichtetſein des Be⸗
-sußtfeins auf wenige Grundsgedanten, wie es bei Schopenbauers Spyftem
Eennzeichnend ift. Vielmehr dürfte bier neben dem nordifchen ein fälifcher2)
Einſchlag vorliegen, wie er wohl auch bei Luther und Beethoven vorbans
war!3). Beide, fo verfchieden fie fonft von ibm find, gleichen Schopenhauer in
einem ftarten Maß von Starrfinn (und gelegentlicher Heftigheit). Wud in
SSopenbauers Lebensführung tritt diefe vom Vater und Grogvater ererbte Cigens
fchaft ftar® bervor, fo bei dem belannten Zufammenbrudy des Danziger Banks
baufes und bei zabllofen anderen Belegenbeiten. Ermnert fei aud an die Uns
erbittlichkeit, mit der er einmal getroffene Entfcheidungen im £eben durchführt
(Brudy mit der Mutter, die er nie mebr im Leben wiederfieht!). Wir müffen
dennach Schopenbauers Abftammung als nordifchsfalifhsoftbaltifch bes
zeichnen, wobei der nordifche Anteil überwiegt. Rennzeicdhnend ift auch das Viegas
tive: die Abwefenbeit dinarifcher, mediterraner und vorderafistifcher Elemente,
was von größter Bedeutung ift. Wenn wir die wefensverfchiedenen Raffenbes
ftandteile in Schopenbauers Derföntichteit berüdfichtigen, fo werden die fidh gegens
feitig widerfprecdhenden Beftandteile des Schopenbauerfchen Spyftems bis zu
einem gewiffen Grade pfychologifch verftändlidy, fo wenn er die Feit, alles DOerden
und alle Entwidlung als wefenlofen Schein betrachtet und unverwandt den
Bil auf das Ewige gerichtet halt (ein fälifchsnordifcher Zug) — wenn er im
Miderfpruch damit dem Ding an fic den Charakter des ruhelos Schweifenden
erteilt (ein oftbaltifcher Zug) — wenn er gar diefes Ding an fich, diefes Ewige
aufheben, vernichten will (ein oftbaltifdsmongolider Fug) —, endlid, wenn er
nad Aufbebung des Ewigen gleidwobl das Llidhts nicht für erreicht Halt, fons:
dern an ein „relatives Lichtes“, an eine Welt mit umgelebrten Vorzeichen glaubt
(wieder ein nordifcher Zug). GBleihwie nach Mufpilli, dem allgemeinen Welts
brand der Bötterdämmerung, nach nordifcher Sage eine neue, fledenloje Welt
aus der Afche fich erbebt, fo fteht bei Schopenhauer hinter der vernichteten Welt
„der Sonnen und Mildftragen das in einem ganz anderen Sinn Pofitive, die
fhledhtbhin tranfzendente Welt.
Wenn wir in Boetbe — dem Manne, an dem Schopenhauer das Wefen
de8 Genies aufgegangen ift — im Wefentlicden eine nordfudliche (nordifch-
dinarifchsmediterrane) Mifchung feftftellen müffen, fo feben wir in Schopenhauer
eine nordsöftliche (nordifchfälifchsoftbaltifche) Mifchung. Diefen Mifchunges
verbältniffen entfprechen in beiden Sällen ihre Weltbilder. Aus diefem Grunde
ift diefe Erörterung von fo grundlegender Bedeutung. Licht mit den vergängs
lichen Perfönlichkeiten haben wir es zu tun, fondern mit ihrer Weltanfhaus
a auf Diele aufs Tieffte eingewirkt bat, ein Teil ihres Selbft gewors
den ift.
12) Derfelbe Einfehlag wurde oben bei mehreren Vorfahren erwähnt.
18) Auh Hans Büuntber bezeichnet Schopenhauer als „nordifh mit fälifchen
oder oftbaltifhen Einfchlag“, a. a. ©. S. 384.
1933, VII O. Rede, Der Beariff „ARaffe*. 217
GE — ——
Der Begriff „Raſſe“.
Von Prof. Dr. O. Reche, Leipzig.
LF: find fdbon viele Derfuche gemacht worden, den Begriff ,,Aaffe einwands
frei und unmißverftändlich zu beftimmen. ine uberfidtlide Zufammens
ftellung der wichtigften diefer Derfuche bat vor einiger Zeit ©. Aichel, Riel, in
Tic. 3 der Zeitfhrift , Lugenit gegeben; er bat zugleich die Britifche Sonde an die
Saffung gelegt und auf ihre Unzulänglichleit bingewiefen. Die Definition aber,
die er bh vorfchlägt, ift meiner Meinung nach ebenfalls nicht ausreichend; er
formuliert: „Eine Raffe tt eine Sortpflanzungsgemeinfdaft (Gruppe von Mens
fdyen), die fi von anderen durd den Befig gleicher tdrpeclicher und geiftiger
ne unterfcheidet und ein Blied in der Aette phylogenetifchen Belchebens
Diefe Begriffabeftimmung paßt vor allem auch auf den „Arts Begriff, ift
alfo nicht eindeutig. Außerdem fehlen meinem Empfinden nad Dinge, die für
ea — des „Raſſe“⸗Begriffes unerlaͤßlich ſind, und ſo ſchlage ich folgende
aſſung vor:
„Raſſe“ iſt ein Begriff der naturwiſſenſchaftlichen Syſtema⸗
til; ,Rafje” ift cine Gruppe von KLebewefen, welde in Iſolation und
durd natirlide Zudtwahl aus einer gemeinfamen Wurzel und ohne
Beimifhung fremöftämmiger Elemente entftanden ift und fid
daher durch eine größere Anzabl wichtiger Lorperlider und geiftiger,
ihrer Dereinigung cine ,Ganzheit” bildender Erbanlagen und ebenfo
aud durdh ibr Erfdeinungsbild wefentli®@ von anderen derartigen
Gruppen unterfheidetundftetsnur Ihbresgleihenzeugt. „Ralle“
ift Hamit zugleich , Harmonie”, „Lebensftil“ und „Charalier”, „Raffe“
ift eine Untergruppe der „Art“.
Zur Begründung einiger Einzelheiten folgendes:
Es empfiehlt fic, die an fic felbftverftändliche Tatfache, daß es fich um
einen Begriff der naturwiffenfdaftlicben Spftematit handelt, doch zu betonen,
um damit von vornherein auch für den Llichtfachmann die Möglichkeit einer
Derwedhflung mit Begriffen wie „Doll“, „Sprachgemeinfchaft“, „Aulturgemeins
{daft u. dgl. zu verbüten.
Durdy die Erwähnung der für die Raffenbildung die Dorbedingung bildens
den „Jfolation‘“ und „natürlichen Zuchtwahl“ gewinnt der —— er⸗
heblich an Plaſtik, ebenſo auch durch die Betonung der „gemeinſamen rzel‘
umd der fehlenden Beimifhung fremder Elemente.
„Baber“, alfo als biologifche Solge der erwähnten Fudtvorgange und der
gemeinfamen Wurzel.
Die „größere Zahl foll den Raffebegriff von dem der „Sippe‘‘ oder „Sas
milie‘ trennen, welche fich durdy eine geringere Zahl von Erbeinbeiten von raffifch
verwandten derartigen Bleineren Gruppen unterfcheidet. Den im Spftem nädıfts
höheren „Art“sBegriff könnte man durch den Zufat „große Zahl“ vom Raffes
begeiff trennen; die Grenzen find natürlich, wie alles in der Biologie, fließend.
Unmertungsweife möchte ich bier hinzufügen, daß die großen menfchlichen
Gruppen fidy nady meiner Meinung durch fo viele Merkmale des Erb und
des Erfcheinungsbildes unterfcheiden, daß kein Zoologe oder Botanifer in einem
derartigen Salle zögern würde, von „guten Arten“ zu fprechen. Weiner Übers
ze ugung nad müffen 3. B. die in Europa alteinbeimifchen langtöpfigen Gruppen
als eine „Art“, die europäifche, zufammengefaßt werden; diefe „Art“ zerfällt im
„Kaſſen“, in die „Llordifche*, die „MOeftifche‘ (Mediterrane) und die „Sälifche”,
weld legtere man aber meiner Meinung nady beffer als ,,Darietas der Liordifchen
aufzufaffen bat. Ebenfo wird man von eimer innerafiatifcen Menfcens,, Art
218 Dokl und Kaffe. 1933, VII
ee möffen, oder von einer Bufchmanns „Art“, einer Auftraliers,, Art“ ufw.
ie Menfchbeit ift eben ganz und gar nicht fo „einheitlich“, wie es die liberaliftifche
MWeltanfhauung gern baben mödtel Schon die „Urmenfcdhbeit“, wabhrfcheinlich
fogar die „Dormenfchbeit“, bat fich (in Zufammenbang mit der große Räume bes
anfprudenden Wirtfchaftsftufe des primitiven „Sammlers“ bzw. „Wildbeuters“)
allmäbhli über alle ihr erreichbaren Teile der Erdoberfläcdye ausgebreitet, fo daß
fi in fehr verfchiedener Umwelt und unter febr verfchiedenen Auslefebeöingungen
fhon in fehbr alter Zeit Tocdhterborden gebildet haben, aus denen die Hienfchens
„Arten“ fich entwidelten, die fich erft fpäter in „Raffen“ teilten. — Die Derwandts
fchaft der Mienfchens, ‚Arten‘ liegt alfo febr weit zurüd und ift demgemäß vers
bältnismäßig fehr gering!
Sehr wichtig ft die Einfügung des modernen pbilofopbifchen Begriffes der
„Banzbeit“; denn eine „Aaffe“ ift eben mebr, als die „Summe“ beftimmter
körperlicher und geiftiger Erbmertmale; diefe Merkmale bilden vielmehr eine bats
monifde Gemeinfhaft. Tur die alte faft nur von Anatomen betriebene Anthros
pologie konnte mit dem Begriff der „Summe“ von Merkmalen zufrieden fein, mit
diefer rein mecdhaniftifchen, materigliftifchen Dorftellung, und diefer Beift der „anas
tomifchen“ Anthropologie fpult ja auch heute immer noc in unferer Wiffenfchaft.
Das Er(cdeinungsbild foll man rubig mit in die Definition bineinnebmen;
peri doch der Spftematiter — mit Recht — in erbeblidem Maße auch nad
iefem.
Selbftverftändlich ift, daß nur „worfentliche‘‘ Merkmale bei der Beurteilung
und Unterfdeidung von Raffen in Betracht tommen, fdon weil fonft dig Zahl
der aufzuzäblenden Merkmale größer würde, als es zur ficheren Sirierung einer
a notwendig ift.
nd endlich: „„Kebensftil“‘ und „Charakter“; auch Dinge, die dem Nur⸗Ana⸗
tomen nie aufgegangen find, aber mit dem Begriff der „Banzbeit“ untrennbar
zufammenbängen. ,
Line ,Mifdraffe entftebt als Ergebnis einer Baftardierung von
„Aaffen“ und durch darauf folgende Auslefe gewiffer körperlicher und geiftiger
Erbmertmale.
Line Mifchraffe unterfcheidet fich von einer anderen Mifchraffe entweder
durd die der Mifchung zugrunde liegenden Raffen, oder durd die verfchiedens
artigen Mengen der in die Mifchung einbezogenen Raffenelemente oder durch
abweidende Auslefe oder endlich durd verfdhiedene Dereinigung diefer
drei Vorgänge. £s kann bei entfprechender folgerichtiger Auslefe zu Mifchraffen
mit verhältnismäßig einbeitlidem Erbs und Erfdeinungsbild lommen (man
dente an die Zucdhtraffen der Kaustiere und Hauspflanzen).
“Burd Auslefewirtungen fetundär verhältnismäßig einbeitlidd gewordene
„Mifchraffen“ find meiner Meinung nah auch die „GÖftifche“, die ,, Oftbaltifde”
und die „Dinarifche Raffe; fie alle baben im Laufe der Jahrtaufende eine zweifels
1os nicht geringe Wienge Frordifchen Raffenblutes in fid) aufgenommen und fic
in Solge diefer Beimifchung, in Solge daraufhin einfegender Auslefe erheblich von
ihren afiatifchen Derwandten entfernt; fie find alfo in fpftematifdher Hinficht den
alteuropäifchen, echten, unvermifchten „Raffen“ nit gleihwertig.
Eine „Mifchraffe‘ ift auch die ,, Judifde’; bei ihr ift durch ftarte Auslefe
beftimmter geiftiger Kigenfcdhaften die Cinbeitlicdleit der geiftigen Erbanlagen,
ee des Lebensftiles und des Charalters, nod groger als auf körperlichen
iete.
Ih babe mich bemüht, die Definition des ,,RaffesBegriffes fo 3u faffen,
daß fie auch auf tierifche und pflanzliche Raffen anwendbar ift, damit endlich
einmal eine von jedem Biologen als notwendig empfundene Cinbeitlidteit und
Eindeutigleit des Begriffes gefchaffen wird.
1933, VII Ludwig SdmidteRebl, Sruchtbarteitedauer einft und jest. 219
ae TE
Stuchtberkeitsdauer einft und jetzt.
Von Prof. Dr. Ludwig SchmidtsKebl, Würzburg.
Mit einer Abbildung.
Biebsiſo dauert die Empfaͤngnisfaͤhigkeit der Frau etwa 30 Jahre, vom
16. — 46. Lebensjahr. Nach dem 36. Lebensjahr allerdings iſt die Wabr⸗
ſcheinlichkeit der Befruchtung ſchon normalerweiſe verringert; immerhin ſehen
wir bei den Srauen früherer Jabrbunderte aud) nach 15— 20 jähriger Ehe nicht
felten Schwangerfchaften und Geburten. Jc greife zwei Beifpiele heraus: eines
aus einer bürgerlichen und eines aus einer fürftlichen Samilie.
Scdillers Urgroßvater, der Bäder und fpätere GBerichtsverwandte Rafpar
‚Schiller 1), heiratete 1646 die 23 jährige Anna Hegelin. Diefes £bepaar hatte je
ein Rind im 2., 4, B., 7, 8, 9, 12. 13, 14, 15, 17, 18., 23. Ebejabr; bei der
®eburt des legten Rindes war die Srau 44, beim Tode 68 Jahre alt. Cine now
rafchere Beburtenfolge zeigte die Gemablin des 1638—61 regierenden Sürften
Meinrad von Hobenzollern?) (rafcher wohl deshalb, weil fie ihre Rinder nicht
felbft ftillte und weil aus diefem Grund die Befruchtung immer wieder febr bald
nad) der Viiederfunft eintrat). Sie hatte in jedem ihrer erften 13 Ebejabre ı Rind,
dann wieder im 15., 16., 17., 20., 23. und 23. Ebejabr; nach der Geburt des
legten Rindes lebte fie noch 24 Jahre.
Die legten Rinder kamen demnach bei diefen Srauen nach 215 bzw. 33sjähriger
he zur Welt. Bis vor etwa 100 Jahren waren diefe Derbältniffe in Deutfchland
wohl allgemein, zahlreiche Samiliengefchichten beftätigen fie immer wieder; fie
Bar die Benerstionsleiftung gefunder Eben dar, die keine Empfängnisverhütung
trieben.
Suc die Mitte des 19. Jahrhunderts befigen wir nun aus der Seder des
Tübinger Univerfitätstanslers Rümelin) eine eralte Unterfuchung über die Dauer
der Srudtbarkeit von 500 Tübinger Eben, die Über 25 Jahre gedauert batten.
Aümelin berechnete den Abftand zwifchen der Ebefchließung und der Geburt des
legten Rindes. Diefer Abftand ift die Sruchtbarkeitsdauer, fie betrug:
bis 5 Jahre in 15% der Eben,
5—10 ” „ 26% 4, ”
10— 15 ” 99 27%0 455 ”
§5—20 „ „ 24% 4, ”
über 0 „ » 3% u m
bei einer durchfchnittlichen Sruchtbarkeit von 6 Rindern je fruchtbare Ehe. Bei
verhältnismäßig wenig Eben lam demnad nad dem I. Jabhrfünft kein Rind
mebr; ein Teil diefer Salle dürfte auf Einkindfterilität infolge von Tripperinfeltion
der Srau zu beziehen fein. Im allgemeinen war aber die Sruchtbarkeit der Eben
eine viel länger dauernde und in faft einem Drittel der Ehen wurden nod nad
mebr als ı5 jähriger Ehedauer Rinder geboren.
Seitdem haben fich die Derbältniffe grundlegend geändert. Im Herbft 1932
ftellte ich die Sruchtbarkeit der kurz nach dem Arseg gefchloffenen Eben mebrerer
deutfcher Städte feit (erfcheint im Archiv für Raffens und Gefellfchaftsbiologie).
Das gewonnene Material geftattete num (über das im Archiv KErfcheinende
binaus) die Sruchtbarfeitsdauer feftzuftellen und fie mit den Tübinger Fablen
QRümelins zu vergleichen.
1) Difh. Gefchlehterbuh Band 55 (1927) S. 129.
3) Großmann, Berner, Schufter, Zingeler, Genealogie des Gefamtbaufes Aobens
zollern. Berlin 1905. ©. 90.
8) Reden und Auffäge. Sreiburg und Tübingen 1875 ©. 293.
220 Doll und Raffe. 1933, VII
ES SE DE I — ——nön
_ Derüdfichtigt wurden nur Eben zwifchen bisher Unverbeirateten, von denen die Srau
bei der yocdhzeit nicht Alter als 35 Jahre war. Die Ebedauer betrug allerdings nie länger
als 35 Jabre (bei den Eben, die etwas kürzer dauerten, erfolgte eine rechnerifche Ermitts
lung der in den fehlenden Jahren zu erwartenden Rinder).
Ih gebe im Solgenden aus 2 deutfchen Städten die Zablen, die fid) auf uber
2000 Eben ftüten:
J. aus Würzburg, vorwiegend katholifch, mit etwa 100000 Einwohnern,
wenig Jnöuftrie: 913 unterfuchte Eben;
2. aus Plauen i. D., vorwiegend evangelifch, mit etwa 110 000 Einwohnern,
viel Tertilinduftrie: 1283 unterfuchte Eben.
Gondert man nod die Paare nad ihrer fozialen Zugehörigkeit zum Mittel:
ftand bzw. zu den unteren Doltsfchichten, fo ergibt fich als Abftand zwifchen der
Ebefchließung und der Geburt des letzten Kindes folgende Sruchtbarkeitsdauer:
Würzburg Plauen
Mirchtand | poirsfaiae | Mitteinand | Yoirsfaicr
bis 5 Jabre. . . . . 44,8 °/, | 47,9 °/, 53,1 °/, 55,7 °/9
5—10 Jabre 2... 40,0 °/, 38,1 %/, 28,9 °/, 34,2 /,
10—15 Jabre . . . . 15,2 %/, 14,0 °/, 18,0 °/, 10,1 °/,
Studtbarteitsdauer in ftddtifdhen Uadlriegseben.
In Tübingen war um 1850 die Sruchtbarkeitsdauer von 10—15 Jahren die
am béufigften vorfommende; nur in 15% war die Sruchtbarkeit [yon nach 5 oder
weniger Jahren abgefchloffen. Heute ift diefe kurze Sruchtbarkeit bei weiten die
überwiegende. Liehmen wir die 2196 Eben zufammen, fo dauert in mebr als der
Syälfte der Sälle (52,1%) die Sruchtbarkeit höchftens 5 Jahre. Die Sruchtbarleitss
dauer von 5—10 Jahren ift fchon wefentlich feltener und die Sruchtbarkeitsdauer
von 10—15 Jahren fo felten, daß bei den unterfuchten Paaren im 4. Jabrfunft ser
Ebe béchftens in 3% der Sälle und im 5. Jabrfünft fo gut wie keine Rinder mebr
zu erwarten find. Jm 4. und 5. Jabrfünft der Ehedauer wurden in Tübingen um
1850 noch in 24% der Samilien Rinder geboren!
Rurz zufammengefaßt ftellt fich dies folgendermaßen dar:
Jn 100 fruchtbaren Ehen dauerte de Fruchtbarkeit
weniger als 1 Jahrzehnt mehr als 1Jahrzehnt
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1933, VII S. Stumpfl, Sippfchaftstafel eines Rüdfallverbredyers. 221
Ge Er Lt PSE IT TTD
Sehr bemerkenswert ift die Tatfache, daß die Sruchtbarkeit in den beobachteten
modernen Eben zu einem erfchredlichen Teil fhon nach einem Lbejabr abges
{dloffen war: Jn Wurzburg beim Mittelftand in 9,3%, bei der unteren Dolkss
{dict in 10,6%; in Dlauen beim Mittelftand in 25% und bei der unteren Volles
{ict gar in 28,7% der Eben! In Plauen lam demnach nach Ablauf des erften
Ebejabres bei mebr als 1/4 der Paare kein Kind mehr zur Welt (ja ein Teil diefer
Rinder war fdon vor der Ebefdliefung geboren oder wenigftens gezeugt).
Außer Betracht gelaffen ift bier die Tatfache, daß die Zahl der unfrudts
baren Eben außerordentlich zugenommen bat. Unter biologifchen Derbaltniffen
erreicht die Zahl der unfrudtbaren Eben nicht 10%. Bei dem gewollten gänzlichen
Verzicht vieler moderner Eben auf das Rind find heute !/, bis mehr als die Halfte
der Eben unfrucdtbar.
£s foll nicht vertannt werden, daß in früheren Jabrhunderten durch die febr
großen Geburtenzablen oft Raubbau mit den Rräften der Srauen getrieben wurde
und daß trotden der Ertragswert diefer Eben nicht dem Aufwand an Srauentraft
entfprach: in den beiden mitgeteilten Beifpielen aus dem 17. Jabrbundert erreichten
nur 5 bzw. $ Rinder das Alter von 20 N abren, Flicht minder wahr ift aber, daß
wir mit unferem Sparen an Srauentraft weit, bedngftigend weit uber das ers
trägliche Maß binausgefchoffen find. Die Durdfchnittslinderzahl je Ehe ift in
den beiden Städten (wie wohl in den meiften Städten Deutfchlande) auf unter 2
funten und reicht bei weiten nicht mebr aus, die Surdy den Cod entftandenen
erlufte zu deden. Die Betrachtung der Sruchtbarleitsdauer in der gegenwärtigen
Ehe weiſt ae Erlöfchen des Willens zum Rinde bin, in einem Ausmaß, das zu
den gregten forgniffen Unlag gibt. Diefen Willen im deutfcden Dolke wieder
zu ftärken, ift unfere brennendfte FJulunftsfrage. Mit allen Mitteln mug dabin ges
ftrebt werden, daf die unnaturlid turze Sruchtbarteitsdauer in der erbgefunden
Samilie verlängert wird und daß fich die erbgefunde Samilte nicht {yon nach ganz
wenigen Jahren ihrer biologifchen Leiftung für das Vaterland entzieht.
Sippſchaftstafel eines Ruͤckfallverbrechers.
Von Dr. S. Stumpfl.
Bemertene wert iſt, daß der Vater aus einer Gemeinde ſtammt, die noch vor
130 Jabren der Mehrheit nach aus Geſindel (Raͤuberbanden) beſtand, welches
icher war da geduldet zu werden. Die Mutter ſtammt aus derſelben Gegend;
fi felbft und ein Drittel ihrer Ders
wandten waren fhweadfinnig und Tafel I.
gemütsarm, die übrigen Verwandten
gleichfalls gemütsarm und {dhwad
begabt.
é
gab DO K
Der Vater und {eine Ge(hwifter
waren Pfychopathen. Unter deren QOOOOO
Kladhlommen tauchen vereinzelt immer
wieder Pfypdhopathben und Rrimineile
«oO
6n0gme
6 7? 8
ur Die Vereinigung des mit a DO — männlich B@- schwach degast
wedfinn bebafteten mütterlichen = .
Stammes mit diefer Pfychopatbens O = weibics DI O- pyciopattisch
fippe führt in der Befhwifterfhaft MW @-sctwacsing [kK X=kniminell
des Ausgangefalls zu einer Haͤufung
fhwerer Kriminalität bei ausgefprochen pfychopatbifchen und Außerft fchwach:
begabten Perfönlichkeiten.
222 Dolk und Aaffe. 1933, VII
EAE RE ANP Ie TI cE FT IS oa eS ERED
du Tafel I. Samilie des Ausgangefalles.
Zu 1. Ausgangefall: In der Schule figen geblieben. Schulidywänzer.
Ram oft 14 Tage nicht beim, fhlief im Sreien. Erlernte Schlofferbandwerft, fpäter
in einer Mafchinenfabrit, aber wegen Blaumadyens entlaffen. Seither zeitweife
als Tapeszierer tang. 23 mal vorbeftraft, meift wegen Rorperverlegung, Aauss
friedensbruh und Diebftabl, aud) wegen Meuterei, Landftreichens und Bettelns
(3 Zuchthausftrafen). Stets voll inneren Widerftandes gegen jede Brönung, „zu
allem fähig“. Bei feinen Taten vollftändig fkrupellos: ftabl 3. B. einen Knabens
anzug von der Ladentüre eines Warenbaufes, brach in unverfchloffene Ställe ein,
entwoendete Schafe, fogar Rübe. Mit Gendarmen oft fchwere Raufereien. Waͤh⸗
rend des Rrieges Lues. 2 Jahre fpäter Anfall von BewuFtlofigkeit. 1929 ftarb
er an progreffiver Daralyfe. — Ausgefprochene „Derbredernatur‘: brutal und
emütlos, wecdfelwarmes Derbalten gegenüber Ummwelteinflüffen, dabei betriebs
me, dauernd auf äußere Betätigung gerichtete Perfönlichkeit. „Han konnte neben-
dran fteben, er ftabl trogdem“. Sozial uneinfügbar.
Zu 2. Mutter: Hatte viel unter der Truntfuht und den Schlägen ihres Mannes zu
leiden. Sie bandelte mit Silberfand. Über RBriminalität nichts bekannt, doc ift fie
fhon früb, wohl zum Teil in Solge der Mißbandlung durch ibren Mann, geftorben.
Zu 3. Dater: Sdirmmader und Pfannenflider, 30g in einem Wohnwagen berum.
Leidtiinnig, im Geldausgeben febr fdnell, an keine folide Arbeit gewohnt. Schnapss
trinter, Rracmader, Raufbold. Wiederbolt wegen unerlaubten Sifdens beftraft,
cet oe wurden von feinem Gobn geftoblene Gegenftdnde bei ibm verftedt
aufgefunden.
Zu 4. Bruder: 15 mal vorbeftraft, meift wegen Rörperverlegung, Widerftand, Hauss
friedensbruc, auc wegen Diebftabls und Bettels, zulegt wegen Blutfchande. Gee
nußfüchtig, arbeitsfcheu, ftrupellos und gemitlid ftumpf, in der Schule fdlect
elernt. Im Alter von 39 Jahren fhwängerte er während der Erkrankung feiner
rau feine eigene Tochter. Uusgefprodene , Derbrechernatur”.
Zu 5. Shwefter: Wegen Unterfihlagung geringfügig vorbeftraft. In fittlider Bes
ziebung baltlos, fhon die zweite be ift durch ihr Verfchulden gefchieden worden.
Wear jcbon der Proftitution nabe.
Zu 6.
a 7. | Fleffen: mebrfah in der Schule figengeblieben.
us.
Tafel II.
O
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@¢@ at 878707
OOD OBDE 990 O
cB
&
du Cafel IT.
Derwandtfhaft des Daters.
Zu 9. Ontel: Selbftmord durch Lridiefen aus Kiferfucht.
= . Dettern und Bafen: Leben im Ausland, nicht vorbeftraft. linbelannt, ob
3u 13. | pſychopathiſch.
du 14.
Zu ı5. 0 — er: Wegen Rörperverlegung vorbeftraft. Stand längere Zeit unter Polizei⸗
auflicht.
1933, VII Wilh. Schmidt, Unterfuhungen über die Auslefe bei Jugendbünden. 223
EEE
du 16.
du 17.
Zu 18.
Zu A.
3u B.
Detter Brutale und gemütlofe pfydhopatbifche Perfönlichkeit. Bekannt als arbeits»
fcheuer Saulenzer. 36 mal vorbeftraft (Höchftfirafe 3 Jaber 7 Monate Zudtbaus
wegen Bedrohung, Betrug, Diebftabl, Meineidsverleitung, Rörperverlegung und
Gittlidleitaverbrechen). Er ift fchnell bereit, mit Erftechen zu droben und bat aud
fhon wiederholt anderen Stidverlegungen beigebracht. In feiner Heimatftadt als
Erbibitionift betannt und gefürdtet. Schamlofe Brutalität gegenüber feinen eigenen
Arbeitstameraden und fittlide Derlommenbeit, die ibn 3u einer Gefahr für die
Jugend maden, kennzeichnen ibn als unverbefferlide Derbredyernatur. Llachdem er
in einer gediegenen Samilie aufgewadfen ift und eine gute Erziehung genoffen bat,
kann feine Ebaralterart nur als anlagemäßig abnorm aufgefaßt werden.
Sohn von Detter: 4mal vorbeftraft wegen Sorftfrevels, Sachbeihädigung,
Récperverlegung und Diebftabl. Beftabl feine Wobnungsgeber.
Sohn von Vetter: Belam einmal wegen Rérperverlegung und Diebftabl
1 Jahr s Monate Gefängnis. Lebbaftes, fanguinifdhes Temperament.
Angebeirateter Derwandter: Sehr angeleben, hatte fehr darunter zu leiden,
daß einer feiner Söhne fo ein rechter Stromer war.
Angebeiratete Derwandte: Lügenbaft.
au Tafel III.
Derwandtfhaft der Mutter.
Zu 19. Tante: Verbeiratet mit einem Gänfebüter; lebte in armfeligen Derbältniffen.
Su 20. Onkel: Aadernfammler; 30g mit einem fel tber Land.
Su 23. Detter: Im Krieg Mervenzufammenbrud, litt an byfterifehen Anfällen.
Zu 23. Detter: Trinter; zur Arbeit nicht recht zu verwenden.
Zu 23.
Zu 24.
Su 25.
Zu 26.
ou 27.
Zu 28.
- Bafen: mebrfad in der Schule fitgengeblieben.
Su 29. Todter von Wetter: Mebrfawh in der Schule figengeblieben.
Zu 50. Gobn von Vetter: In der Schule immer geftreunt.
Zu 31. Sobn von Detter: ,Lin leihter Bruder.“
Zu 32. Sohn von Vetter: Als Junge viel geftreunt, mebrfadh figengeblieben.
YD
Unterfuchungen über die Auslefe
bei Sugendbünden.
Don Wilbelm Schmidt, Magdeburg.
ie wir in einem Regelllub einen anderen Menfchenfchlag erwarten als etwa
in einem Gegelflub, fo fönnen wir vorausfagen, daß fich in den Gruppen
der Jugendbewegung ein ganz beftimmter Teil der Jugend gefammelt bat. ft
nun diefe Auslefe zahlenmäßig belegbar ?
224 Dolt und Kaffe. 1933, VII
a EEE
Seelifhe und geiftige Auslefe läßt fic nicht durch Dermeffung feftftellen.
VDohl aber können wir fagen, die Haltung und Gedantenwelt eines Bundes zieht
Menfden an, die auf Grund ihrer Erbanlagen eine verwandte Haltung einnehmen
oder ausbilden können. Und da die feelifhen Anlagen an Raffen gelnüpft find,
kann die raffifche Auswahl duch Meffungen zahlenmäßig feftgeftellt werden.
Pfingften 1933 babe ich verfucht, mit Tafters und Gleitzirkel diefe Aufgabe
auf einem Zeltlager der Adler und Salten zu ldfen. Jd möchte zuerft betonen, daß
die Auslefe bei dem genannten Bunde eine mehr unbewußgte aber wirkfame ift.
Die Haltung des Bundes war in den legten Jahren eine preußifchsfoldatifche. Die
Grundlage bildete der Wandervogel. Lieben der wehrfportlichen Ausbildung wurs
den weite Sahrten unternommen, politifche und kulturelle Arbeit geleiftet. Wir
werden alfo einen Menfchenfhlag erwarten, der nicht gern an einem Ort figen
bleibt, den es treibt fhöpferifh tätig zu fen und in die Dinge einzugreifen.
Wir können Menfchen mit ftärkerem nordifchem Kinfchlag erwarten.
Bemeffen wurden 78 Jungen aus dem nördlichen Harzvorland, etwa in dem
Dreied Magdeburg, Braunfhweig, Gandersheim. Der größte Teil der Jungen
wer vorwiegend nordifh mit oftifdem Kinfdlag. Eine noch zu befprechende
Gruppe zeigte auch oftbaltifchen Kinfchlag. Bemerkenswert waren unter den
Alteren drei vorwiegend dinarifche Jungen. Es war nadhhzumweifen, daß fie felbft
oder ihre Vorfahren aus dinarifch untermifchten Gegenden Deutfchlande ftammten.
Ih batte die Jungen in drei Bruppen eingeteilt. Zuerft die Gruppe der
Bundesmitglieder über 15 Jahren.
Blauäugige!) mit blonden?) Haan . . . . 52%
Gemifchte (braune Haare mit blauen oder ges
mifchten Augen), blonde Haare mit gemifchten
oder dunklen Augen . » 2 2 2 0 2. 323%
Braundugige mit duntlen Haaren. . 2. . . 16%
Kopfinder - i ee we Oe Se ee we we ONG
@efidtsinder 2. > 2 2 0 ernennen 364
£s wäre wertvoll, diefe Zahlen mit denen der Bevdllerung derfelben Gegend zu
vergleichen. Leider fehlen genauere Unterfuchungen, fo daß ich mich nur auf uns
fichere eee ftugen kann. Reinblonde in der Bevölkerung find es nur 30 bis
40%, der Bopfinder fcyeint höher zu liegen, der Befichtsinder derfelbe zu fein.
Die zweite Gruppe war die der Bundesmitglieder von 12—15 Jahren.
An ihr kommt die gefteigerte Auslefe der legten Jahre deutlich zum Ausdrud.
Blaudugige mit blonden Haaren. . 2 . . 80%
Gemiſchtte. 15%
Braundugige mit duntlen Haaren. . . . . 5%
Ropfinder . ne eee ee ee $3
Gefichteindet > 1 1 ww ele $7,%.
Beddoe fand an Sdulkindern derfelben Gegend Reinblonde 40—44%, alfo
wefentlid weniger. Der Kopfinder fceint niedriger als der der Bevdllerung
zu fein. Der Gefichtsinder ift höher, befonders in Hinficht auf die jetzt jugendlicy
gerundeten Gefichter, die fih mit zunehmenden Alter nod betrdchtlid ftreden
werden.
Auffallend find die Ergebniffe bei der dritten Gruppe. Ls find die foges
nannten Probefabhrer, Jungen, die nicht in den Bund aufgenommen find. Yicdh
längerer Probezeit bleiben von diefen nur die Beften über, die anderen werden abs
geftoßen. £s find faft nur Jungen im Alter von 10 bis 15 Jahren.
1) blau = 1—3 (Augenfarbentafel von Martins: Schul), gemifht = 4 a—6, braun
—1}6.
2) blond = A—L (Haarfarbentafel Sifcher-Saller), braun = M—X.
1933, VII Rleine Beiträge. 225
— — —— — —— ——
Blauaͤugige mit blonden Haaren. . . $4,3%
Gemiſchte. 2123233 00
Braunäugige mit dunllen Haarn . . . . 3,3%
Ropfinder er ee en BAR
@efidtsindee 2. > 2 2 een. 32.
Mir feben mehr Reinblonde, rundere Ropfs und Befichtsformen. Schon der
äußere Anblid läßt ertennen, daß ein ftärkerer oftifcher und vor allem oftbaltifder
Cinfdlag vorhanden ift. Auf diefen find auch die belleren Sarben zurüdzufübren.
Die Ergebniffe beftätigen alfo die Erwartungen. Je fchärfer die Auslefe
nad den oben genannten feelifchen Eigenfchaften ift, defto mebr wird die nors
difde Raffe in den Vordergrund treten.
Aleine Beiträge.
Dom Deutfchen Poltstum in Polen.
Ein kurzer Gefamtüberblid von Eduard Schwertfeger.
Wer will bezweifeln, daß jedes Dolk in fi ein Ewigleitsmaß von Pflichten zu ers
füllen bat? Klimmt jemand dem deutfchen Volle die zwingende Pflicht ab, feine gefchicht:
lide Geltung im Often wiederberzuftellen? Kliemand!
Da die Gefchichte auf die Dauer keinen Widerfinn geftattet, find wir fchidfalserwählt,
danach zu tradhten, die durch das Verfaillee Zwangsgebot im Often gefchaffene Lage fos
bald als möglid wieder abzuändern. Es ift deshalb notwendig, uns über die Lage unferes
Vollstums außerhalb unferer Sftlihen Grenzen immer wieder Mar zu fein.
Im polnifdyen Flationalitätenftaat leben unter ungefähr 20 Millionen Polen mebr
als ı1/ Millionen Deutjche, eine große Htinderbeit, die nur von den 31, Millionen im
tihehhoflowalifdhen Staat übertroffen wird. Das Deutfchtum in der Lichechei bat trog
aller Bedrüdungen einen mächtigen Rüdbalt durch feine Lage am deutfchen VDoltstörper,
an den es fid, von den größeren und Eleineren Dollstumsinfeln abgefeben, in feiner Haupts
maffe anlebnt.
Ganz anders ift die Lage des Deutihtums im polnifhen Raubftaat. Die Gefamtbeit
der Deutfchen wohnt größtenteils nicht in gefchloffenen Siedlungen, fondern eingeftreut im
polnifchen Dollsmeer, deffen wüblende und ftürmende Siuten es mit Untergang bedroben.
Man kann im jetigen Polen fünf deutfdhe Siedlungss und KEinflußgebiete unters
fcciden: Weftpreugen und Pofen mit ungefähr 2 390 000 BDeutfchen,
Oberidlefien und Bielig mit ungefabre . . 2 2.430000 =
das ebemalige Rénigreih Polen mit rund . . . . 600000 —
Wolbynien mit ungefabr . 2. 2. 2. 1 1 ew we) «200000 a
und Galizien mit ungefdbr . . . . 2 6 «~~ (8B 000 5
Siervon find etwas über eine Million evangelifcher und der Aeft tatholifder Bons
feffion. Don beiden Ronfelfionen find die Batbolifchen Deutfchen, deren Hauptmaffe in
Oberfchlefien und im ebemaligen Rönigreih Polen wohnt, ftärker der Entdeutfchung auss
geiest, weil das gemeinfame Glaubensbelenntnis polnifden Cinfliffen die DOege ebnet. Das
eutfchtum diefer verfchiedenen Strablungsgebiete Ht von einander febr verfdieden.
Pofen und Weftpreugen find alter deutfcder Rulturboden. Hier bildeten die Deuts
fhen von Anbeginn die führende Bevdllerungsfdidt. Seine ftärkfte Stüge fand fie im
preußifchen Beamtentum und im Militär. In Oberfchlefien ift der Charakter der Deutfchen
anders geartet. Llicht Beamte und Militär, fondern Raufleute und Techniter, die aus
allen Teilen Deutfdlands in das reiche Induftriegebiet geeilt waren, bildeten bier das
Rüdgrat der deutichen Bevdlterung. Auch konfelftonell unterfhieden fic beide Gebiete.
In Boten und Weltpreußen waren die Deutfchen überwiegend evangelifch, in Oberfchlefien
katholiſch. Nicht unerwähnt foll bleiben, daß der fogenannte Dölterbund den Deutfchen
Oberfchlefiens einen befonderen Minderbeitenfchut zubilligte, auf den der polnifde Raubs
ftaat allerdings pfeift!
Die Deutiden im ebemaligen Adnigreih Polen, audy RongreßsPolen genannt, weren
Jahrhunderte lang Untertanen der ruffiichen Zaren. Sur fie waren deshalb andere Ents
226 Volk und Kaffe. 1933, VII
a ESE
widlungsftufen vorgezeichnet, ale für die Deutfdhen in den Sftliden Reichsgebieten, die
jegt zu Polen gebören.
In Wolbynien gruppieren fic die deutfchen Siedlungen bauptfädhlid um die Städte
Cholm, Lust und Rronau. Die Siedler find durhweg evangelifhy. WVolbynien bildete zu
Zeiten des ruffifchen Reiches ein eigenes Gouvernement, das nicht zu den polnifden Gous
vernements gehörte. Deshalb waren für die Deutfchen bier wefentlich andere Verbältniffe
maßgebend, als in ae en
Aus dem ebemaligen öfterreihifchen Staat wurden die neuen Provinzen Rralau und
Galizien zum polnifchen Staat zugefteuert, außerdem das Jnduftriegebiet von Bielig, das
dem geraubten Oberfdlefien angegliedert wurde. Auch bier unterfcheidet fid das Deutfds
tum von dem anderer Gebiete durch feinen gefhichtlicdhen und kulturellen Entwidlungsgang.
Dem dseutfden Vollstum in Pofen und Weftpreußen ift durch die Abtrens
— vom Deutſchen Reiche ſchwerer und unerſetzlicher Schaden zugefügt worden. Auss
pr efen und unter bebdrdlidem Drud „freiwillig“ er find uber eine Wtillion
eutider. Da der Befig von Grund und Boden der vdltifhe Rudbalt für die Erhaltung
jeden Dollstums ift, fo gingen die Polen unter fic immer wiederbolenden Redtsbriden
fofort daran, die deutichen Broßgrundbefiger und Bauern zu enteignen.
Saft eine Million Hektar deutfchen Rulturbodens find gewaltfam Polen in die Sand
gefpielt worden. Allein 219 Bomänenpädhter wurden mtfhädigungelos beraubt. in
anderer Teil der Befiger erhielt kaum 150 Mark für den Heltar, die fie nod oft eintlagen
mußten, wäbrend feinerzeit die viel geläfterte deutfde Anfiedlungstommiffion in Pofen
surdfdnittlid 2320 Mark, alfo das dreizebnfacdhe an gutem deutfchen Belde bezahlt batte.
Der Minderbeitenfhugvertrag gewährt den Beutfiden zwar ARedtsanfpruh auf
eigene deutfche Rultur, Body wird faum ein Vertrag in der Welt fo baarfträubend verlegt
wie diefer. Immer wieder fommen Flachridhten über das Schließen deutfcher Dollses und
böberer Schulen aus Polen, fo daß von ungefähr 55 000 deutfchen Rindern nur noch eine
verfhwindend Beine Zahl deutfche Sffentliche oder private Schulen befuchen kann.
Einen fhweren Rampf zu führen bat das deutfche Dolkstum Pofens au in feinen
tirhliden Dingen. Die evangelifhen Rircdhen find bis auf wenige geraubt, die nur nod
fpärlid vorhandenen Pfarrer überlaftet und die Gemeindemitglieder auseinandergeriffen,
zerftreut und verarmt. Noch trauriger ift es um die katholifchen Deutfchen Pofens und
Weltpreußens beftellt. Meift handelt es fich nur noch um Bleine deutfche Minderheiten in
großen polniſchen Bemeinden, die fchnell der Derpolung verfallen. Gelegentlid ift unter
den noch vorhandenen deutichstatbolifchen Pfarrern ein tapferer Dorkämpfer des Deutfds
tums, deren befter, der deutfche Domberr Rlinte in Pofen, feinem Dolltum durdy den Tod
entriffen worden ift.
3m polnifoden Oberfadhlefien wird der nationale Begenfatz zwifchen Deutfchen
und Polen nod tonfeffionell beftatigt. Bei 300000 Ratholiten find 100 000 Evangelifche
vorhanden. Zur Ehre der oberfchlefiidhen Bevdllerung fei es gefagt, daß nur ein Teil im
Staatss und Voltsbewußtfein fhwantend ift. Die katbolifhen Deutfden bilden auc bier
das Kinfallstor für das Polentum. Dabei ift es bemerkenswert, daß der größte Teil der
Hever der pofener polnifchen Intelligenz entftammt. Ständig ift £eben und Eigentum der
tapferen deutfchen Sührer in PolnifdsGOberfchlefien bedrobt. Mebr als hundert Bombens
und fonftige Anfchläge fanden in den legten Jahren auf führende Deutfche ftatt, von vielen
blutigen Wablunruben und brutalen Gewaltatten abgefeben.
Der Minderbeitenfhus wird trog des fid große Mübe gebenden neutralen Übers
wedhungstommiffars rüdfidhtslos zugunften der Polen ausgelegt, die Deutfchen entrechtet
und ibre Rinder des deutichen Unterrichts beraubt. Gleichzeitig läßt eine milde und nadhe
fichtige deutfde Derwaltung im deutiden Teil Oberfdlefiens empdrende Srechdeiten polnis
fcer Hever uber fic ergeben und erfüllt obendrein mit peinlidder Gewiffenbaftigteit das
Minderbeitenablommen.
Wie fdadlid fidh die fogenannte Option für das Deutfhtum ausgewirkt hat, bes
weift die deutfche Tertilinduftrieftadt Bielig. Hier bat niemand für Deutfchland optiert.
Die Stadt bat deshalb feine deutfche Mehrheit bebalten und wird noch heute deutfch vers
waltet. Dies ift für das gefamte Deutfhtum Polens von bober Bedeutung, da fid dort
ein deutfches Lehrerfeminar befindet, das dem fhwer ringenden deutfchen Schulwefen wenigs
ſtens den Nachwuchs ſichert.
Sür die Deutſchen des ehemaligen Ronigreichs Polen, die in mehr oder weniger
geſchloſſenen Siedlungen das ganze Gebiet uͤberziehen, iſt der Rrieg ebenfalls Veranlaſſung
geweſen, ſich auf ihr Volkstum zu beſinnen. Vor dem Kriege beſtand die Gefahr, daß ſie
als Bauern im Polentum, oder als Beamte im Auffentum untergingen. Flur unfere Dolls»
1933, VII Rleine Beiträge. 227
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genoffen im Lodzer Jnduftriegebiet befaßen fhon früber eigene deutfche Schulen fowie tuls
turelle und gefellige Vereine, da fie dort in dichten Maffen beheimatet waren. Dank des
Wirtens des deutiden Gejmabgeordneten Utta ift jegt auc ein wirtfchaftlidyer und tuls
tureller Zufammenfhluß der deutfchen Bauern zuftandegelommen.
Leider ift die evangelifche Kirche Rongreß-Polens fo gut wie keine Stütze des Deutfchr
tums, da ibr Generalfuperintendent ein Pole ift und für die kulturellen Beftrebungen der
Deutiden nidts übrig bat. Llody fhwieriger liegt es bei den katholiſchen Deutfchen, etwa
100 000, die im Lande zerftreut wohnen und bei ihren durchweg polnifchen Seelforgern
erft recht keine Stütze für ihr Deutichtum finden.
Am fchredlichften hatten die Deutfhen Wolbyniens unter den Rriegsverhälts
niffen zu leiden gebabt. Ihre Söhne dienten zwar treu im ruffifchen Heere und erfüllten
ihre Pflicht im Briege, aber die Väter wurden dennody vom panflawiftifchen Haß verfolgt,
als Spione verdädhtigt und nah Sibirien verbannt. In die verlaffenen Höfe fchleppte
man rutbenifche Bauern ein. Zum Teil wurden die Hdfe durch den Krieg und fpäter durch
den ruffifchspolnifden Rrieg zerftört. Dann kamen Teile der Derbannten nad unendlichen
Strapazen und vielen Todesopfern wieder aus Sibirien zurüd. Sie konnten aber ihre
Ihönen Höfe nicht wieder beziehen, da ja Rutbenen darin faßen, alfo mußten fie neu ans
De gu fiedeln. Scließlid wurde das ebemalige Gouvernement Wolbynien zwifcdhen
en und Sowjetrußland geteilt. Zu Polen fielen ungefähr 100 000 BDeutfche.
Einige wenige evangelifdhe Pfarrer und Rirdhenfchulen forgen notdürftig dafür, daß
defen guten und fleißigen deutfchen Wienfhen nicht nod mebr Voltstumsverlufte ents
fteben. Dod polnifder Haß und polnifche Dernidhtungswut findet Möglichkeiten das zu
gerftdren, was nad den entfegliden Rriegsleiden übriggeblieben ift. Unter den fadenfcheinigs
fien Dorwänden werden alte ruffifche Barve angewendet oder gebroden, gerade wie es dem
— Zerſtoͤrungsſinn in den Rahmen paßt, um die noch vorhandenen deutſchen
ernguͤter zu enteignen und polniſche Bauern an ihre Stelle zu ſetzen.
Im ehemals oͤſterreichiſchen Rronland Galizien war ein wohlhabendes und
Blabendes deutides Vollstum anfaffig. SGeit der Obernabme in polnifdhe Derwaltung 1867
baben die Polen durch taufend Bedrüdungen dem galizifhen Deutfhtum viel Abbrud
getan. €s ans in einem balben Jahrhundert auf 85 000 Menfhen zurüd. Hier hat fid
die evangeliiche Geiftlichkeit, insbefondere der in Stanislau wirkende tapfere Paftor Zödler,
febe um die Erhaltung des Deutfchtums bemüht. Trog aller Llot und Leiden find noch
40 rein deutfche und 47 mit Rutbenen gemifchte deutfche Dörfer vorhanden. In gleicher
Zahl befteben audy noch deutfchstatbolifche Dörfer und zwar 42 und 43 mit Rutbenen ger
mifchte Dörfer. Hier finden endlich die deutfchen Rathboliten für ibre völkifhen Wünfde
Derftändnis und zwar beim deutfchstatbolifchen Volksteil Oberfchlefiens. Ein großes Ders»
dienft um die Erhaltung des Deutfchtums bat fidy der 1907 gegründete „Bund der chrifts
lichen Deuticyen“, der bis Ende des Rrieges fegensreich wirkte, erworben. Er forgte dafür,
daß wenigftens die großen Ratbolifchen Gemeinden deutfche Schulen und Pfarrer erbielten
und nicht auf die polnifche Seelforge angewiefen waren. Seine finite Schöpfung ift die
deutfche Rofegger- Schule in dem großen Dorfe Mariasdilf bei Rolomea.
Mit edler Schaffenstraft baben die Deutfchen Galiziens die entfegliden KRriegs⸗
verlufte wieder gutzumaden verfudt. Dod zeigen fich jet andere Liotftände, die den
Beftand unferes Dolltstums bedrohen. In öfterreihifchen Zeiten dienten die jüngeren Söhne
vielfad als Unteroffiziere im Heere, während fie jegt auf dem elterlichen Aofe verbleiben.
Go kommt bier von den polnifden und rutbenifhen Lladhbarn übernommen, allmählich
die Erbteilung auf, die die Bauern in wenigen Generationen verproletarifieren wird. Dann
verfallen fie der flawifden Slut eber, als enftandiges Bauerntum.
In diefem kurzen Überblid fonnten wir die grofen bewegenden Probleme des Deutfds
tums in Polen nur andeutend erfennen. Ungebeure Derlufte find ibm dur den Acie
erwadfen. Was fdlieBlid dur den Rrieg verfdont wurde, ift in feinem Beftand ur
den alles überfteigenden polnifden Dernidtungswillen fdwer bedrobt. Aud hier in Polen,
wie überall find die Deutfcdhen pflichtbewußte und willige Burger des fremden Staates.
Sie haben aber den Wunfd, ibre nationalen und kulturellen Güter zu erbalten. Statt
an find fie überall der rüdfichtslofelten Verfolgung und der traurigften Derarmung
ausgefetzt.
Unfer einziges Unrecht, das wir, troy aller Mot glidliden Deutiden im Reiche gut»
zumachen baben, ift, daß wir uns felbft verloren baben. Mit dem es zu uns felbft
wir zu den Deutfchen in den unendlichen Weiten Polens zurüd. Dann wird die
eae weiden und uns die Ertenntnis fommen, dah es der gen und
fdcedlidfte Angriff auf ein Volk ift, den das balbafistifche Polen auf die Deutichen unter-
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nimmt, ihm feinen Grund und Boden zu nehmen und es zu entwurzeln. Mit dem Verluft
der Millionen Deutfcdhen im Often und Südoften, die die Dorpoften unferes Volles bilden,
wäre unfer bereits ftark eingeengtes Siedlungsgebiet bereits unmittelbar fdhwer bedroht.
Das deutfche Dolk bat fremdes Recht nie gelräntt und nie fremdes Voltstum bedroht!
Wer es behauptet, verläumdet uns abfichtlicy, oder kennt unfere Gefdyichte nicht. An allen
Grenzen haben wir nur zu viel Derftändnis für das Sremde aufgebradhyt und uns deshalb
nur mühfam gegen Haß und Vernidtung gewebrt. In Zeiten ftarker Betonung nationaler
Unterfchiede bringt gutberzige Klachgiebigteit nur Untergang des eigenen Dollstums.
Aller innerer und dußerer Sortfchritt in Dfteuropa ging vom Deutfhtum aus!
Hätten die Deutfchen nicht dort Pflug und Schwert feit taufend Jahren geführt, dann fäbe
Ofteuropa heute anders aus. Taufendjährige deutfche Rulturarbeit foll im Klamen von
„Sreibeit und Zivilifation” vernichtet werden, um durdh mit Germanenblut geftdrtte Slar
wenvölter angeblid eine neue „Wienfchbeitsblüte” (eine Wahnvorftellung!) beraufzus
führen, wenn erft der größte Rulturträger der Erde, der Deutfche, vernichtet tft.
Stügen wir das Deutfhtum in Boten nicht, fo wird die „Pogromgrenze gegen die
deutfche Kultur“ immer weiter an das uns nody verbliebene Siedlungsgebiet beran pane
Sallen die deutfden Dorpoften, fo wird der Tideche und der Pole germanifches Kerniand
berennen und mit feinen afiatifdhen Derbiindeten Aunger und Peft mitbringen.
Wer rettet uns? Tue wir felbft durdh Befinnung auf unfer eigenes deutfches Volles
tum und durh Stigung unferer Dollsgenoffen in Ofteuropa. Wir bauen am Welt⸗
deutfchtum nur von der Heimat aus. Erziehung und Befinnung 3u unferm VDollstum ift
die größte Rulturaufgabe, die wir zu Iöfen haben.
Einführung in Erblebre und Erbpflege.
Zur didattifhsmetbodifhen Erfhließung des Aufgabenkreifes der
raffenbygienifhen Erziehung.
Don Profeffor Dr. Artbur Aoffmanns Erfurt 1).
Die Doltserziebung bat in en ihre raffenbygienifchen Aufgaben in aller Deuts
lidteit und Beftimmebeit sen neuen Ridtpunlt erhalten. Aber die Wege zu diefem
Ziele find für die Praris nod nidht fo gebabnt, daß jede, aud die einfadfte Arbeitss
ruppe, fie befchreiten könnte. Es fehlt Zwar nicht an guten „einführenden Barftellungen“.
ber wer etwa beim zebnjährigen Voltsichultinde oder in einer Rlaffe bandwerflider
Lebrlinge, in einem Lebrgange der Bauernbodfchule oder an Schulungsabenden in einem
Arbeitslager Verftändnis fchaffen und Derantwortungsgefühl weden foll für die volle
biologischen Klotwendigleiten, der wird es immer wieder merken, daß die planvolle Subs
rung folder Arbeitsgemeinfchaften erbebliche metbodifhe Schwierigkeiten bereitet. Die
meiften „Einführungen“ find noch zu tbeoretifh und zu fyftematifch, als daß fie ganz
einfache Menſchen nachhaltig anfpreden könnten. Und gerade davon, daß
ohne weiteren Zeitverluft alle Rreife gewedt und ftark aufgerüttelt werden, bangt im ins
a io die raffenbygienifden Mafnabmen der Staatsfubrung Mod fo
el ab. —
Die meiften Bücher „für Anfänger“ glauben am anfchaulichften zu fein, wenn fie
dem Gange der geihichtlihen Entwidlung folgen. Die erften Seiten bringen alfo — oft
mit ernftem Bemüben um Barfte Überfichtlichleit — den Bericht über die grundlegens
den Mendselfaoen Sorfdungen. Es tann aber nicht ausbleiben, daß die troß des
empirifchen infages bier vorliegenden vielfachen Abftrattionen doch gefpürt werden.
Schon beim zweiten und dritten DBeifpiel finten Sähigkeit und Kleigung, Schritt zu balten,
ftart ab. Vict anders ftebt es um die Berichte aus der Zellforfhung, die au
febr oft in Eingangserdrterungen bebandelt werden. Man follte doc) die Schwierigkeit
nicht unterfhäten, die den nicht begrifflich dentenden Menfden mit der Vorftellung der
Elemente belebter Subftanz und ihres Seinaufbaus zugemutet find, und die entfteben,
1) Hoffmann, Arthur: Raffenbygiene, Erblebre, Samilientunde.
Ein Arbeitsheft mit neuen Hilfsmitteln. 11. —ı5. Taufend (40 Seiten; 0.75 AM). — Hierzu
ein Schülerheft: Dom Erbgut und von der Erbgefundbeit unferes Volles
(16 Seiten) und ein Übungsbogen. 18.—29. Taufend (3 Seiten mit Dordruden 0.25 AM).
Verlag Rurt Stengers Erfurt 1933.
1933, VII Aus Raffenbygiene und Bevdlterungspolitit. 229
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wenn von bier aus die Bride sum Verftändnis der DVDererbungserfeheinungen im tagliden
Erfabrungsbereich gtidlagen werden foll.
In einem erbbiologiihen Schulungsturfus, der in der pädagogifchen Abteilung der
Alademie gemeinnügiger Wiffenfchaften zu Erfurt feit Oftern 1932 ftattfand, wurden diefe
didaltifchsmetbodifchen Dorbedenten gellärt. ier reifte der Plan für einen „[hulgered>
ten“ Arbeitsbehelf (fchulgereht eben nicht im Sinne einer fyftematifchsabftratten
Stoffanordnung, fondern in der Schaffung gewedter Arbeitsftiimmung). Als der einzige
Zugeng, der die Dererbungsfragen rajch in möglichft konkreter Prägung in Sicht kommen
läßt, wurde die Samilientunde erlannt. Die Betrachtungen fegen mit dem in einer
Plauderei nachgezeichneten Erbbild einer Samilie ein. Dann folgen Anleitungen über „die
Seichenfprache der Samilientunde“, die fhon von Fleunjäbrigen gut verftanden und in eins
fachften Aufzeichnungen gern a worden find. Damit ift die Anregung gegeben,
an Beobadtungen uber Vererbung berbeizutragen, was faft überall in alltäg»
lichen Erfahrungen bereitliegt. Eine ausführliche Anleitung zur Einridhtung einer
Erblartei in der Sculllaffe oder in dem Arbeitstreife Erwachfener will für die Ord⸗
nung jorgen, die den rafchen Einfat der eigenen Materitalfammlung bei allen auftauchens
den Einzelfragen ermöglicht. Cine Priche Rartei verfpricdht zudem widtige Hilfen für die
erziebliche Erfaffun der Rinder und bei künftigen raffenbygienifchen Beratungen. Man
ift meiftens überrafdht, wie gern fich alle Samilienmitglieder etwa von den Rindern in
foldye Erhebungen mit einfpannen laffen, und wie cafd die oft ganz brauchbaren, durch
Vadhprufungen bäufig leicht weiterzuentwidelnden Befunde fi vermebren. Auf einem
Übungsbogen find grapbifche Darftellungen in den Sauptumriffen zum Nachzeichnen
vorbereitet. Bier können mit gutem rfolge aud fdwierigere Überlegungen an der
Abnentafel (Srage der Erbbäufung) geübt werden. Buntftifteintragungen unterftügen
und beleben das Durddenten diefer Zufammenbänge. Sur andere Arbeitsfunden legt der
Obungsbogen den Stammbaum der Samilie Bady vor. Im nädften Abfchnitt find eins
facdjte Tatfadhen der Bevdllerungspolitil? aus Dordruden, die wieder ducdy eigene
Einzeihnungen „Ipredend“ gemadt werden, berauszubeben. Das Bild einer erbtranten
Samilie führt zwingend auf die PTotwendigteit der verbitenden Erbpflege bin.
Fun erft mag auch ein „Einblid in die Werkftatt des Erbforfchers“ folgen (Einfuhrung
in das Verftändnis eines Züchtungsverfuches). Die Aufgabe, auch verdedte Erbzufammens
bänge aufzuzeigen, wird wieder an einem konkreten Samilienbilde durchgeführt. Zulegt
mag mit Sortgefdrittenen aud die Srage nad der Vererbung erworbener Eigenfchaften
geftellt werden. Auch bier wurde für die Erläuterung der „ Rontinuität des Reimplasmas“
ein ganz einfacher Zeichenbebelf entwidelt, der wieder die Buntftifte zum FTacdhzeichnen und
damit Zur eigentätigen Unterftügung des Verftändniffes berauslodt. Go fdreiten die Bes
trachtungen von Anfang an unter ftarter Beteiligung der zu Schulenden aus einfadften
Beobadtungen im eigenen Lebenstreife über die Erörterung konkreter SGadverbalte im
weiteren Samiliens und Voltsverbande zu den bdberen immer nocd beifpielbaft verdeuts
lichen Einfichten auf, die zulegt in den Leitgedanten einmünden: „Auch die Erblebre
alas das Kebensgefeg: Vollsgemeinfhaft gebt vor Einzel⸗
idfal.
Mus Raffenbygiene und Bevdlterungspoliti€.
Erridtung der Staatsmedizinifden Afademie in Minden. am 3. Mos
vember 1933 wird in Minden vom bayr. Staatsminifterium des Innern eine Staats»
medizinifche Akademie errichtet, die die Aufgabe hat, die vordringlid wichtige, allfeitige
und gründliche Ausbildung der Arzte, befonders der Amtsarztanwärter, der Amtes und
Sürforgeärzte auf den Gebieten der Raffenbiologie, Erbgefundbeitsichre und Erbgefundbeitss
pflege, ferner in der fozialen und gewerblichen Hygiene und in den übrigen Zweigen der
wiffenfdeftliden und prattifben Staatemedizin durchzuführen. Der £ebrplan umfaßt jabrs
lech zwei je dreimonatige Lebrgange. Die Teilnabme an den Dorlefungen und Rurfen ift
in der Regel erft nach einer mindeftens zweijdbrigen prattijden Tatigheit nad erfolgter
Approbation als Arzt möglich.
Deutidhe Hodjdule fir Politil. An der Deutfchen Sochfchule für Politik in
Berlin hat die Leitung der Abteilung Raffentunde und Raffenpflege Or. Groß, Leiter des
Aufllärungsamtes für Bevölterungspolitit und Raffenpflege übernommen.
230 Volt und Kaffe. 1933, VII
Kinderzahl der Beamten. Das Reidsfinanzminifterium gibt folgende Statiftit
über die einzelnen Beamtengruppen und deren Rinderzahl heraus, die wieder die verbängs
nisvolle Rinderarmut gerade Me wertvollen Teile unferes Volles ertennen läßt.
Zahl der
Beamten: Rinder:
ObersReg.sRate und en ren... 1283 1 304 1.13 %0
Regierungsräte . ~ ew wee) 3740 4004 1.07%
m nifterialamtmänner ‘ 220202 0.2.1390 948 0.08%
Reg. sObersInfp. u. Derw. ObersInfp. g »- « « 6384 6 462 1.05 %
Minift.» RanzleisDorfteber und Obers Keg. Sete. ~ . « 8034 4773 0.95 %
Selretäre . . 20.185004 16 570 1.10 %0
Minift. sKanzleiafüiftenten ; . .1212323929 24 850 1-31 %0
Oberbotenmeifter und Amtagedilfen eo Nik ne re ar BST 3135 3-13 9/0
Roftellane, Botenmeifter, Amtsgbilfen . . . . . 82342 4233 1.31%
Auf den einzelnen Ehegatten entfallen dsemnadh zwifden 0.6 und 0.3 Rinder!
Lettifher Alarmruf: „Wir gehen zugrunde, wir fterben aus!“
pm. Riga, ıı. Ottober. , Bald feiern wir das I5sjährige Befteben unferes Staates. Der:
jhiedene Minifterien mobilifieren bereits Redner, Sänger und Ordefter. OOdre es aber
nicht richtiger, wenn die Regierung am 18. Movember d. 3.1) in allen Schulen, Truppen»
teilen, Dereinen ufw. den Auf ertönen ließe: „Wir geben zugrunde, wir fterben aus“.
Juden und Ruffen in Lettland mebren fich ftart, Seiten aber nicht. Hur in £ettgallen 2)
gibt es einen Zuwachs an £etten?), aber er macht den Ausfall in Livland und Semgallen
nicht wett. £s foll keine Beleidigung Lettgallens fein, aber es ift furdhtbare Wabrbeit, daß
die im Schnapsraufh gezeugten Rinder Lettgallens tein vollwertiges Material fir die
Zufunft unferes Volkes find. Die Zahl der Geiftestranten in £ettgallen und in ganz Letts
land wädht, die Derbredden mebren fich und das geiftig fo begabte lettifce Bott fintt
immer tiefer. Die Gefamtzahl lettifcher Rinder verringert fid, die Zahl defelter Rinder
waͤchſt. — Land bleibt unbearbeitet, aber in den Staͤdten mehren ſich Arbeitsloſe
und Obdachloſe“. „Latvis“ Nr. 3672.
Deitfibe Gefellfdhafe fir Rafjfenhygiene.
Mit der Sührung der Örtsgruppen, Fleubildung des Vorftandes und drtliden Sabre:
rates wurden weiterhin folgende Herren betraut:
Bremen: Senator Dr. von Hoff,
Bielefeld: Chefarzt, Prof. Dr. 9. Löhr, Betbel,
Dresden: Obermedizinalrat, Prof. Dr. Flitfche, Heilanftalt Sonnenftein bei Pirna.
Göttingen: Profeffor Dr. Wehefrig, nee an der Srauentlinit.
Wuppertal: Studienrat Dr. R. Schulz
In Celle und on. wurde eine newe Ortsgruppe gegründet und nachftebend ans
gegebene Herren als 3. Dorlitgende ernannt: Sür:
Celle: Dr. Srig Dinthaufer, Celle, Italienifder Garten 5,
Chemnig: Prof. Dr. Martin Staemmier, Chemnig, Am Zauptbabnbof 1,
Fragekaſten.
5. Sind die mit ſchweren Geiſteskrankheiten behafteten Menſchen ausſchließlich in
N untergebracht oder fonftwie von der Allgemeinheit abgefondert?
. In wie weit darf man den Gutachten und Vorausfagen von Charalterol en
Afrologen Pbrenologen ufw. Glauben fchenten. Werden die Unterlagen für die
1) Tag der politifden Staatsvertindung. D. Sch.
2) Die ee oe tatholifde, balb analpbabete, Bulturell überaus rüdftändige Oft:
proving des Landes
3) Lies: Lettgallern. 5 Sd.
1933, VII Buchbefprechungen. 231
gutadtungen nur von Kinzelperfonen oder von einer erblid zufammenbängenden Gruppe
von Menden gewonnen?
7. Dererben fid erworbene Flervens und Geiftestrantheiten, 3. B. der durch
Derfdhuttung im Rriege bervorgerufene Wervenfdod, anormale Reizbarteit ufw.?
s. Berubt das Jodeln auf Erziebung (Angewohnbeit) oder Vererbung?
9. Sür eine Sippfchaftsbiologie ift die Renntnis der Todesurfachen aller verftorbenen
Derfonen der Sippe von bödfter Wichtigkeit. Können diefe außer den Aufzeichnungen
oder mündlichen Überlieferungen der Samilienmitglieder ficher feftgeftellt werden? Ge
Pfarrs und Standesämter darüber Auskunft? E.
Beamwortung der Fragen in Heft 6 erfolgt in Heft 2.
Buchbeſprechungen.
Dr. Franz Boch: Die GSermaniſche Gothik. J. F. Lehmanns Verlag, Munchen. Preis
kart. ME. 4.—.
Es ift ein fühner Derfuch, in einem Inappen Tertteil und mit einer Anzahl lug auss
gewäblter Bilder den Kliachweis zu führen, daß die Gotik ihrem Wefen und Urfprung nad
ermanifch ift. Aber diefer Derfuch ift als durchaus gelungen zu bezeichnen, weil der Ders
fer fi in tnappefter Sorm an die Sauptelemente gotifder Runft bielt und mit feftumrifs
fenen Striden das Bild ihrer Wandlung durch die Stilentwidlungen begleitete. Die
großen ftatiihen Gedanken germanifcher Baulunft, Geriftbau, Strebefyftem, Holzgewölbe
und Raumformung in aller Rlarbeit und Kürze berausgearbeitet zu haben ift fein großes
Derdienft. Auch die Darftellung der Ralfengegentage im Baufchaffen des Llordens und
des Südens ift mit überzeugenden Beifpielen belegt. Das Buch will nicht mebr fein als ein
Sübrer, aber es eröffnet uns weite Ausblide in das Schaffen germanifcher Vorzeit und
zieht zugleich verbindende Linien zur ringenden Runft unferer Gegenwart. S. WD.
Robert Bdtther: Kunft und Kunfterzichung im menuen Reih. Breslau 1933.
Serdinand Hirt. Mit 38 Bildern, 160 Seiten. Preis MI. 3.80.
Das gut gemeinte, aus ebrlider Liebe 3u unferem Vollstum entftandene Buc 3ers
fälle in vier Abfchnitte, von denen die beiden legten durdyaus ernft 3u nebmen find. Ains
gegen kann man den ehr willtürlid angenommenen geiftigen Zufammenbängen, den
mancherlei Unklarheiten und der leicht fpieBigen, fentimentalen Tonart der erften Rapitel
(„Woran die deutfche Runft, woran Deutfdland zerbrah* und „Die Sendung des
Rünftlers im neuen Reich“) nicht obne weiteres zuftimmen. Es dürfte — um ein Beifpiel
3u nennen — für das Verftändnis eines fo ausgefprochen nordifcyen Rünftlers wie Cafpar
David Sriedrich wohl das wichtigfte fein, von ibm zu wiffen, daß er als erfter die lands
ſchaftliche Schönheit deuticher Heimat erfchloß. Daß er zuerft es wagte, einen einfachen
„Sturzader“ mit en paar nebelumfchleierten Birken oder ein Riefernwäldden in weiter
Ebene zu malen und uns diefe Dinge [eben lehrte, bedeutet viel mebr als die Annahme
des Derfaffers, er babe „den Traum Erwins von Steinbach geträumt“ und „dem Sebnen
nad der Einheit des Reiches in allen Schöpfungen feiner Hand Ausdrud gegeben”. —
Auch ift der anertennenswerte Zorn des Verfaffers bei der Behandlung der „os
dernen“ (SchmidtsRottluff, Pechftein, Klee u. a.) zu geiftigsmoraliihd angebaudt. Daß
jene Rünftler „den deutichen Menfden berabwürdigen, wenn fie fein Antlig zur blöden
Grimaffe verfälfchen und feinem Rörper die Mißgeftalt geben, in die ibre eigene verderbte
Seele gebüllt fein mag’ „zeugt“ nit — moralifch gefeben — „von ihrer fhmugigen
Seele”, fondern soc vielmehr davon, daß bier von artfremden Elementen ganz bewußte
Arbeit im Dienfte macdtpolitifcer Ziele geleiftet wurde. Es bätte gefagt werden müffen,
daß es zur Derwirklidung jener Ziele nötig war, im deutfchen Volle das raffifde Schöns
beitabild nordifcher Prägung gründlich zu zerftören und daß zu diefem Zwed Runft, Runft:
tritit und Runftwiffenfchaft judifcher Herkunft Hand in Hand arbeiteten.
Stilblüten wie diefe: „fo rüttele die Morgenrdte des Mafchinenzeitalters gewaltig
an den Sundamenten des Staates...“ entbebren nicht der Romil. Aber um der laren
und guten Gedanken über „Runfterziebung im neuen Bildungswefen’ und „das Hands
wert in feiner Bedeutung für Schule, Volt und Staat“ (Rap. 3 und 4) fiebt man gerne
darüber hinweg. §. Stengel.
232 Volt und Kaffe. 1933, VII
EEE EEE EEE EEE SEES EEE ES EEE —————— ——
Dr. h. Pfatſchbacher: Eugeniſche Ehehinderniſſe? Eine kirchenrechtliche Stu⸗
die!) Verlag Mayer u. Cie, Wien 1933.
Wenn der Hlaturforfcher nur mit Mübe imftande ift, rein juriftifche Gedanten über bios
logifhe Probleme nadyzudenten, fo ift er bei tbeologifchsjuriftifchen Gedantengängen und
Beweifen nur mebr in der Lage des Pfychiaters gegenüber dem Bedantenablauf feiner Pas
tienten. Der Berichterftatter empfiehlt daher das Buchlein allen Arzten und Maturforfdern,
um 3u lernen und zu wiederbolen, weldye Mächte 15 Jabrbunderte unfer Dolt beberrfcht
und durd ibre tranthafte Lebensauffaffung an den Rand des AUbgrundes gebradt haben.
Die Abnungslofigtcit, mit der Here Pfatfcdbacer die Afplierung der Minderwertigen
verlangt, wird nur übertroffen von feiner Renntnisarmut auf dem Gebiete der Sterilis
fierungsfrage. Die Unfrudtbarmadung fiebt er als gegen das 4., 5. und 6. Gebot gerichtet
an! Durdy jogenannte logifche Argumente will er beweifen, daß die Unaufldslichkeit der Ebe
aus dem Begriffe der Cinebe folgt. Er meint Cinebe, fagt aber Einheit der Ebe, logifch ift
838 natürlich ganz etwas anderes.
Die moralifhe Grundlage fir die Einheit und Unauflöslichkeit der Ebe ift für ibn,
wie für alle Theologen, die Thefe des Apoftels Paulus in dem 1. Briefe an die Rorintber 7. 2.
„Aber um der Hurerei willen babe ein jeglicher fein eigen Weib und eine jegliche babe ihren
eigenen Mann.“ Paulus jagt: Propter fornicationem autem unusquisque suam
uxorem habeat, et unaquaeque suum virum habeat. (fornix = Borbell.)
Alfo auf diefem Grunde ftebt beim Apoftel und bei den Theologen der Gegenwart
die Ehe. Pfetichbacher zitiert ausdrüdlich fogar diefe Stelle aus dem Rorintber- Brief, um ja
keinen Zweifel darüber auftommen zu laffen, daß die Auffaffung der Theologen unvers
ändert fei. — Wir wiffen, daß bei den Germanen 2000 Jahre vor Chrifti Geburt die
Einebe geberricht bat und beiliggebalten worden fei und 3war gerade nidt ,propter
fornicationem“, weil es nämlid Bordelle im alten Germanien gar nidt gab.
Im übrigen gibt das Buch gerade fehr wenig auf dem Gebiete, das der Titel
umgrenst.
Schlieglih wird als oberfte Autorität Thomas v. Aquin zitiert, wie er fidh die
Ebe und ebelicen Pflidten bei Ausfag eines der beiden ee vorftellt. Pfatfchs
bader verfuht durch eine Erweiterung des Standpunltes des bi. Thomas, des „Doctor
invincibilis* aud modernen Problemen gereht 3u werden.
Wir danten dem Verfaffer, der uns gezeigt bat, daß die Scholaftik in feinen Rreifen
nod lebendig tft und daß man alfo dort die Entwidlung der Wiffenfhaft 1000, ja
2000 Jahre verfdlafen bat. £otbar Gottlieb Tirala.
Walter Scheidt: Niederfähfiihe Bauern II. Bevdlterungsbiologie der Elbinjel Sins
tenwärder. Deutide Raffentunde Bo. 10. 98 S. 25 Abb. 2 Tafeln. Jena 1932, Guftav
Sifher Verlag. Preis geb. ME. 9.—, geb. ME. 10.50.
Wie Perf. in feinem Vorwort fchreibt, bat diefe Arbeit hauptfadlid den Zwed,
die Gangbarteit des von ihm eingefchlagenen Weges zu erweifen und die bepölterungs»
biologische Mietbodit zu erläutern. Jm Einzelnen bebandelt Derf. die Bevdlkerungsbewes
gung, das generative Leben der Bevölkerung (Paarungsfiebung, Sortpflanzungsftärte, Ders
wendteneben u. a.) und Auslefe und Erblichkeit, wobei er auf die Umfchidhtung der Bes
vdllerungserbmaffe und die Srage der Erbanlagen zur Zeugung vorwiegend eines Ger
fhlehts näher eingeht. Die Arbeit ift von einer Reibe Tabellen begleitet, die wegen der
eigenen Bezeichnungsart Scheidts fhwer verftändlidh und unüberfichtlich find. Als Ends
ziel derartiger Arbeiten fiebt Sch. eine Raffens und Rulturbiologie, wie er fie in feinen
früheren Schriften aufgezeichnet bat. S. Ehrhardt, Münden.
Rihtigftelung: Der Preis des in Heft 6 von Volt und Raffe befprodenen Buches:
Schmidt, Strafredhtlidhe Grundlagen der Unfruhtbarmadung beträgt 4.20 AN.
1) Theologifhe Studien der GOfterreihifchen LeosGefellichaft. Herausgegeben von
Dr. Leopold Krebs und Or. Fofef Lebner, Profefforen an der Univerfität Wien.
Deutjchland
weltpolitifcben
Hejchehen
Dr. Otto Leibrod
XX, 456 Seiten Tert
Brojdhiert AM. 10.—, Ganzl. RM. 12.50
Vei der Abteilung fiir Gejundheitswejen und VBevdlferungs-
politit (Senator Dr. med. 9. Rilud) ijt die Stelle des
Neferenten für
Erbgejundheitspflege
mit einem biologifh und foziologifch afademijch vorge-
bildeten Herrn zu bejegen.
LZehrbefähigung nötig, da die Erteilung eines Lehrauf-
traged für Bevölferungspolitif an der Technifchen Hod)-
Aule in Frage fommt.
nftellung als Wngeftellter, Beamtengruppe 2b Preußen
(Danzig 2a), Wohnungsgeldaufhur nad Ortsgruppe A,
3.83. 6°/, veränderlicher Ausgleihszufhlag zur Grund»
vergütung. Bewerbungen mit zen Angabe über die
bisherige Tatigfeit find an den Senat der freien Stadt
Danzig, Abt. für .Gefumdheitöweien und Bevdlle-
rungspolitif, Wallgajje 14b, 2 Treppen zu richten.
Deutihlands Erneuerung:
mit diefem, ftrengite Wilfenfchaftlichteit und
eae allgemein verftändliche Daritellungsweije
aufs glüdlichfte verbindenden Werte hat der
Derfajfer eine dantenswerte nationale Auf-
Härungsarbeit geleiitet.
Deutihe Rundihau:
Ein ausgezeichneter Kenner der national» und
weltötonomiihen Zufammenhänge beipricdt in
fluger, feffelnder Darftellung nad einem Riid-
blid auf die Gefahrenlage der Dortriegszeit
alle erdentlichen Stagen der gegenwärtigen Not.
Der Jungdeutiche:
Der Wert diefer Arbeit fiir die politiiche Schu=-
lung ijt — der ungemein feſſelnde
und gedanlkenreiche Inhalt führt zu den Wurzeln
der neuzeitlichen Weltgeſchichte.
deutſche Wiſſenſchaftliche Buch—
handlung, 6.m.b.H., Leipzig.
Biologie
im Leben der Gegenwart
Bon Prof. Dr. E. Lehmann, Tübingen.
Geh. AM. 4.—, Lvd. MRM. 5.—.
Die Biologie ift zum Kernftüd der nativnaliftiihen Welt-
anjchauung geworden. Dad Bud von Prof. Lehmann
willalle reife des Volkes für biologische Fragen gewinnen
und ihnen Har machen, was die Biologie für dad Leben jedes
einzelnen in der deutjchen Gegenwart u. Zukunft bedeutet.
J. 5. Vehmanns Verlag / Münden 2 SW.
Dr. Schlüter & Dr. Ma, Naturwifjenfchaftliche Lehrmittel-Anjtalt, Halle a. ©.
Sämtlide Xehrmittel für den biologijhen Unterricht.
tchrmittel zur Vererbungdälehre: Lichtbilder. Tafeln. Umripbilder. Natürlie Beijpiele.
Jn Sorbereitung: Lichtbilderreibe über Raffenhogiene von Dr. med. Kürten, Univerjität Halle. / Brofpeft fojtento3.
y
Wandtafeln
fir den raffen- und vererbungsfundlidhen Unterricht
1 Reibe: Von Dr. Bruno K. Schul. 10 Tafeln, von denen 1 und 2 je 105x140 cm,
“8x 123 cm, 4—7 je etwa 70x105 cm groß find. Preis der einzelnen, teilmweije farbigen
Tafeln zwijchen AM. 1.20 und AM. 4.50.
Reihe: Bon Stud.-Rat Dr. J. Graf. 10 farbige Tafeln in der Größe 84x 104 cm.
Preis jeder Tafel AM. 3.—.
t der Herausgabe diejer Tafeln jüllt unjer Verlag, der bisher bahnbrechend in der N eines rajjen-
keitgen Schrifttums war, eine bejonders im Schulunterricht zutage getretene Yüde aus
— enzelnen Bilder und Larftellungen jind in grépter Deutlichfeit und ÜÜberfichtlichteit wiedergegeben, jo
5 jie auch auf weitere Entfernung gut erfennbar find. Sie jind Ergebnis jahrelanger Unterrichtserfahrung
= bilder in item von pädagogiihem Empfinden geleiteten Aufbau ein einprägjames Anjchauungsmaterial.
Ze eignen fich nicht nur für den Unterricht in Echulen aller Gattungen, SA.-Lehrgängen, WArbeitsdienftfurjen
o., ordern lajjen jich auch vorzüglich al3 aufflärender Wandihmud in Verbandsheimen, behördlichen Warte -
Immer ‚ Kajernen und dergleichen verwenden.
Ausithriiäer PBrojpeft fteht gern Foftenlos zur Berjfügung.
BG Lebmanns Devrlass Minwhen 2 SW.
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Dolt und Raffe
‘SMuftrierte Wonatsfdrift fir deutfdes Volkstum
Raffenfunde Raffenpflege
Zeitfchrift des Reichsausfchuffes fir Dolfsgefundbheitsdienft und
der Deutfchen Gefellfchaft für Raffenbygiene.
Herausgeber: Prof. Aichel (Kiel), Präf. Aftel (Weimar), Prof. Baur (Müncheberg), Reichs:
minifter R.W. Darre (Berlin), Mins»Rat $ebrie (Heidelberg), Min.-Rat Bütt (Berlin), Kultus:
minift. Aartnade (Dresden), Prof. Helbok(Innsbrud), Reidsfibrer SS. Simm ec (Mtdindyen),
Prof. Mollifon (Minden), Prof. Mud (Wien), Prof. Rede (Leipzig), Prof. Rodin
(Münden), Dr. Ruttke (Berlin), Prof. A. Schulg (Königsberg), Dr. WO. Sch uly (Gorlis),
Prof. Schulte: MTaumburg (Weimar), Prof. Staemmiler (Chemnig), Prof. Tirala
(Atünden), Prof. Wrede (Köln), Dir. Zei (Srantfurt a. MM.)
Sdriftleiter: Dr. Bruno R.Schulg, Münden
Meubauferftraße 51/3.
8. Jahrgang Heft 8 Dezember (Sulmond) 1933
Inhalt:
Winterfonnenwende. Bon Lothar Stengel- von Rutfowffi . . . . . . . Geite 233
Anfprade des Herrn Reidsminifters Or. Frick bei der Gründungsverfammlung
des Reidhsausfduffes für — am 20. November 1933 im
Reichsminiſterium des Innern .. „ 234
Erbbilder deutfcher Dichterfamilien. Die era der Didhterin Ina
Seidel. Bon Dr. Agnes Bluhm, Kaijfer-Wilhelm-Inftitut für ant Berlin⸗
Dahlem. (Mit 7 Abbildungen und einer Sippfchaftstafel) - . . . „ 2306
Die Sippjchaftstafel und eine Anleitung au ur PRED Bon Dr.med
RK. AUftel. (Mit einer Muftertafel) . - „ 245
Die Germanen der früheren Eijenzeit. (800 v. en —200 n. ER ). Bon Dr. Wetfgn
Schulg, Görlig. (Mit 2 Abbildungen) . - „ 248
Aus Raffenhygiene und Bevdlterungspolitit is tage ids ieee ee „ 255
Reihsausihuh für eer FE EEE „ 259
Fragekaſten. 3 u oa oe a a re Era » 260
auuean. a ar a PER » 260
GE
vierteljäbrlih RM. 3.—, Einzelbeft RM. —.70, Poftfcheditonto des Verlags Mündyen 129;
Bezu Spreis Poftfpartaffentonto Wien 595 94; Poftfchedtonto Bern ir. Ill 4845; Rreditanftalt d
Deutfchen in Prag, Rratauer Gaffe sı (Poftfchedtonto Prag 027 30).
5. §. Lebmanns Verlag / Munden 2 SW. / Paul Heyfe:Str. 26
\
Dolf und Kaffe, 8. Jahrg. 1933, Heft 8
3. §. Lebmanns Verlag, Minden
Der Derlag bebalt fid das ausfchließlihe Recht der Dervielfältigung und Verbreitung der
in diefer Zeitfchrift zum Abdcud gelangenden Originalbeitrdge vor.
Winterfonnenwende.
Kun lieget auf den Landen So zünden wir mit Singen
des Winters weißes Kleid. des bellen Seuers Macht,
£s rollt in ftarren Banden das Duntlel zu bezwingen
von Eis und Schnee die Zeit. der Winterfonnwendnadt.
Al Leben fceint verglommen Was ftarb und was erfroren,
in Ralter, langer Nacht gibt jungem £eben Raum.
und aus der Welt gelommen Zu neuer Braft geboren
der Hellen Sonne Madıt. wird Menfdh und Tier und Baum.
Dod barrt fcdbon in der Stille Kat bell die Scheite loben
des neuen Kebens Beim. als Ruf in zage Welt:
Des Wacjfens ftarter Wille Durd Kampf und rot und Droben
fprengt bald fein bergend yeim. gebt feften Sinns der Held.
Am Baum die Rnofpen fdwellen, Wenn alles bingefunten, —
Blut ftrömt zu junger Brut, Zukunft erfchließt die Tat!
und unter’m Eis die Quellen Selbft Steine geben Sunten
tuften 3u neuer Slut. dem, der den Willen bat.
Uns lag der Sinn gefangen,
verirrt war Doltes Pfad. —
Fun ift die Vladht vergangen,
und gläubig keimt die Saat.
Uns Elingt im Rreis der Erde
des ganzen Lebens Lied,
wo immer Stirb und Werde
im Kampf das All durchzieht.
Uns gilt ein heilig Seiden
fur Glauben, Dolf und Staat,
dem Tact und Sremde weiden:
des Llordens Sonnenrad.
Lotbar Stengelsvon Rutlowflti.
*
234 " Volt und Raffe. 1933, VII
Anfprache des Serrn Reidsminifters Dr. Srik
bei der Gründungsverfammlung des Reichsausfchuffes für Dollsgefundheitsdienft
am 20. Liovember 1933 im Reicheminifterium des Innern.
Seurfce Manner! Deutfhhe Srauen! Indem ich Sie zur heutigen Grün:
Sungsverfammlung des Reihsausfchuffes für Dolls:
Be et begrüße, danke ich Ihnen für das Intereffe, das Sie der
rbeit diefes Reichenusfchuffes entgegenbringen. Den meiften von Ihnen dürfte
es bekannt fein, daß diefer Reichsausfchug aus dem früheren am 5. Sebruar 1921
gegründeten Reihsausfhuß für bygienifdhe Dolksbelebrung bervors
gegangen ift. £s war feine Aufgabe, die Renntniffe der Hygiene und einer gefunden
ebensweije zu verbreiten. In erfter Linie bat er Mitarbeiter befonders in der
Kchrerfchaft gefudt, um diefe zu befäbigen, Befundbeitslehre in den Schulen zu
erteilen und die gefunde Lebensführung der Jugend zu fördern. Ausgebend
von dem Wobl des Einzelwefens bat man fi im liberaliftifchen Zeitalter
in erfter Linie mit dem Zinzelwefen befdäftigt und vergaß dabei den Urs
fprung des Einzelwefens: die Samilie und Kaffe. Anders die national:
fosialiftifde Weltanfdhauung, die im Gegenfag dazu die erbgefunde Sas
milie in den Mittelpuntt des Denkens und des Gejdebens ftellt und die Gefamts
beit des deutfchen Volkes als eine übergeordnete Einheit betradhtet. Ls war
daher nur folgerichtig, wenn ich die Umwandlung des Reichsausfchuffes für
bygienifde Dollsbelebrung in einen foldben fur Dolksgefundbheitsdienft anordnete
und zu diefem Zwed nach der Wachtübernahme einen Reihstommiffar beftellte.
Dies babe id bereits in meiner Ausfprace auf der erften Gigung des Sachver⸗
ftandigenbeirats fir Bevdllerungss und Raffenpolitit am 28. Juni 1933, etwa
wie folgt begründet: „Die Aufklärung über Erbgefundbeitspflege und Raffens
kunde muß zur raffenbygienifden Erziebung der natn’ und des
gefamten Dolkes ausgebaut werden, um unfere Jugend fur die Ebeichließung
vorzubereiten. Um diefe Renntniffe weiten Rreifen nutgbar zu machen und geeignetes
Lehrmaterial den für die Aufllärung zuftändigen Stellen und Erziebern der Jus
gend zu vermitteln, babe ich die Umbildung des bisherigen Reichsausfchuffes in
einen folchen für ee eee angeordnet.“ Inzwifchen find die Dors
bereitungen foweit getroffen, daß der Reichsausfhuß für Voltsgefundheitsdienft
nunmebr als eingetragener Derein an eine Erweiterung feiner Aufgaben in großem
eher berangeben kann. Sie werden von meinem Sachbearbeiter näheres über
die Aufgaben und den Ausbau des Reichsausfchuffes hören, während ich Ihnen
beute nur kurz meine Auffaffung von der Bedeutung des Volksgefundbeitsdienftes
überhaupt darlegen mödhte.
Es ift allgemein befannt und ich brauche es daber nicht erneut zu betonen,
daß der Viationalfosialismus bei der Machtübernahme eine überaus traurige Erbs
{daft angetreten bat. Ze war die tragifche Solge liberaliftifhen und marriftifchen
Denkens, daß der Lebenswille des deutfchen Dolles mebr und mebr erlofh. Man
erfüllte die unerträglichen Bedingungen des Vertrages von Verfailles, die Wirts
fhaft zerbrach, die wachfende Arbeitslofigkeit und die vaterlandsfeindliche Lins
ra mußten fchließlich zur VDerleugnung von Staat, Volt, Samilie und Art
übren.
Stolz können wir heute fehon feftftellen, daß es unferem Sübrer gelungen
ift, den Kebenswillen unferes Dolles neu zu beleben und es wieder mit neuer
Hoffnung zu erfüllen! Es ift in der Gedichte des deutfchen Volles noch niemals
dagewefen und es kann wohl auch kein Volk der Welt von fich behaupten, daß c8
jemals in einer folchen Gefcdloffenbeit hinter einem Sührer geftanden bätte, wie
das deutfde Doll nach dem 12. Viovember 1933. Das deutfche Volk ift heute {chon
zu einer derart gefchloffenen Einheit zufammengefchmiedet, daß keine Macht der
1933, VIII Anfpradye des Herrn Reiheminiftere Dr. Srid. 235
—— ——— ————— ———
Welt dieſe ſeeliſche Verbundenheit jemals wieder beſeitigen kann! Auch das Aus⸗
land, inſonderheit die weſteuropaͤiſchen Staaten, werden ſich dieſer unumſtoͤßlichen
Tatſache nicht verſchließen und unſerem Volk als Nation den notwendigen Lebens⸗
Anerkennung ſeiner Leiſtung und die Gleichberechtigung nicht verſagen
nnen.
Vor allen Dingen iſt es erreicht — und ich ſehe dies als einen Erfolg von
ungeahnter Tragweite an —, einem großen Teil unſeres Volkes das Selbſtbewußt⸗
fein und das Gefuͤhl fuͤr Raſſereinheit wiederzugeben. Iſt es uns allen in unſerem
Leben nicht wie Schuppen von den Augen gefallen, als wir den raſſiſchen Wert
eines Menſchen erkennen lernten? Iſt es nicht ein erhebendes Gefuͤhl in dem
deutſchbluͤtigen Arbeiter wieder den Bruder ſehen zu koͤnnen und ihn, ganz gleich
in welcher Stellung er ſich befindet, allen anderen vorzuziehen?
Es iſt nicht zu erwarten, daß dieſe Ziele des Fuͤhrers ſchon allgemein erkannt
werden, aber es iſt zu hoffen, daß die ſchon bisher getroffenen geſetzlichen Be⸗
————— und die noch folgenden dieſes Verſtaͤndnis immer mehr verbreiten
werden
Volkskraft wird auch heute noch leider vorwiegend wirtſchaftlich gewertet,
waͤhrend ſie doch in der Tat die Quelle alles Wirkens, jeder Rultur und unſeres
Wohlſtandes iſt. Dieſe Kraft droht zu verſiegen, unterzugehen fuͤr immer, wenn
wir nicht in abſehbarer Zeit mit Energie und Mut an den Wiederaufbau der
deutſchen Familie als der Lebensgrundlage unſeres Volkes herangehen! So
wie die nationalſozialiſtiſche Bewegung unter Fuͤhrung Adolf Hitlers fidh dem
politiſchen Zerfall entgegenſtemmte, ſo wie Mut und Tapferkeit des Einzelnen
den neuen Staat begrimdeten, ſo iſt es jetzt Aufgabe der nationalſozialiſtiſchen
Bewegung und ihrer Fuͤhrer, am voͤlliſchen Wiederaufbau Deutſchlands ſelbſtlos
mitzuarbeiten. Jetzt genuͤgt es nicht, ſih mit Worten für dieſes Ziel
einzuſetzen, ſondern man muß auch bereit ſein, ſelbſt für Dol?
und Staat zu leben! Der Sieg der erbgeſunden kinderreichen
Familie entſcheidet über das Leben und die Erhaltung des deut⸗
ſchen Volkes im Herzen Europasl! Ich erinnere an die Worte Muſſolinis,
der an hervorragender Stelle ſchonungslos die Wahrheit ſagte, indem er bittere
Anklage erhob: „Wo ſind die Wuͤrdentraͤger des Faſchismus, die eine kinderreiche
Familie, d. h. nicht weniger als fuͤnf Rinder, haben? Wo ſind die Praͤfekten und
Verbandsſekretaͤre, die Oberbuͤrgermeiſter, die Praͤſidenten, die Organiſationen und
Abgeordneten? Wo ſind ſie und wieviele ſind ihrer? Schaut einmal in die erſte
Reihe der Theaterſitze! Eheloſigkeit und Unfruchtbarkeit auf der ganzen Linie!“
Er ſagt ſeinen Faſchiſten ins Geſicht, daß ſie ſelbſt nicht den geringſten Grund
haben, auf die demographiſche italieniſche Stellung ſtolz zu ſein, da Italien in
dieſer Beziehung eine Nation zweiten Ranges ſei, obgleich Italien noch heute eine
Geburtenzahl wie Deutſchland vor dem Rriege aufzuweifen bat. Unfer Sübrer,
der ſich ſelbſt fuͤr unſer Volk bis zur Verleugnung ſeiner eigenen Perſon einſetzt,
braucht Manner, die die von ihm als richtig erkannten Gedanken und Ziele auch
durchfuͤhren! Dazu iſt in erſter Linie Wiſſen und berufliche Schulung Vor⸗
bedingung, aber es kommt hinzu, daß dieſe Maͤnner auch bereit ſein muͤſſen,
unſerem Volk in jeder Beziehung mit gutem Beiſpiel voranzugehen. Wir wollen
nicht Bevoͤlkerungswiſſenſchaft treiben, ſondern wir wollen uͤberall, in Politik
und im Staatsleben Maͤnner an der Spitze ſehen, die nicht nur ihr Arbeitsgebiet
beherrſchen, ſondern auch in ihrem eigenen Leben als Vorbild und Fuͤhrer der
Nation angeſehen werden koͤnnen! Es gilt darum, nicht nur Bevoͤlkerungspolitik,
ſondern Volkstumspflege zu treiben, mit der Zielſetzung, den Nordiſchen Gedanken
und die Erinnerung an unfere Dorfabren 3u pflegen! Dabei ift es gleidgultig,
ob der einzelne Menfch in feinem Außeren mebr oder minder der Liordifden Raffe
angehört, bedeutungsvoll und wichtig ift es, daß jeder deutfche Mann und jede
deutfche Srau fid ihres — Wertes und ihrer Verpflichtung gegenuͤber
Volk und Raſſe bewußt werden! Denken wir an die Worte des Fuͤhrers in ſeinem
236 Volt und Kaffe. 1933, VIII
Wert „Mein Rampf“, in dem er fagt: „in Staat, der im Zeitalter der Raffens
vergiftung fich der Pflege feiner beften raffifchen Elemente widmet, muß eines
Tages zum Herrn der Erde werden!“ Das dürfen die Anhänger unferer Bewes
gung nie vergeffen!
Auch auf dem legten Liürnberger Parteitag gab der Sührer das Stichwort,
wonad) fich der Raffegedante, d. b. Erbgefundheitss und Raffepflege, wie ein roter
Saden durch alle Vorträge 309. Bei allen unferen Maßnahmen muß uns immer
wieder das Ziel vor Augen fteben, unfer gefamtes deutfches Volk erbgefund zu
machen und raffifh wieder aufzurichten! Dies ift das Ziel, das fic) aud) ser
Reihsausfhuß für Dolksgefundheitsdienft zu ftellen bat, obne dabei die gefund-
beitliche Belehrung und die Lebensführung des Einzelnen zu vergeffen!
In diefem Sinne wünfche ich dem Reichsausfhuß und feinen Mitarbeitern
den beften Erfolg für die begonnene Arbeit!
Erbbilder deutfcher Didterfamilien.
Die Sippfchaftstafel der Dichterin Ina Seidel.
Don Dr. Agnes Blubm,
(RaifersWilbelm:Inftitut for Biologie, BerlinsDablem).
Mit 7 Abbildungen und einer Sippfchaftstafel.
SF: beftebt fur den Dererbungsforfcer beute kein Zweifel mebr, daß geiftige und
feelifhe Merkmale fich in gleicher WDeife vererben wie die körperlichen. Don
einigen kranktbaften pfychifchen Deranlagungen kennen wir bereits den ungefähren
Erbgang. Wir wiffen auch, daß bobe geiftige Begabung, wie fie in wiffenfchaft-
liden und künftlerifchen Leiftungen ihren Ausdrud findet, nicht ganz felten famis
lienweife auftritt. Beim Rompler der mufitslifhen Begabung find wir (tiljoen)
bis zur Zerlegung in Teilbegabungen vorgedrungen, über deren Dererbungsweife
wir freilidd noch nichts ausfagen können. Dollig im Dunteln befinden wir uns
bezüglich der Erblichkeit der dichterifch-fchriftftellerifehen Deranlagung. Und doc
ift an ihr nicht zu zweifeln, und es ift zu vermuten, daß die Begabung nidht ale
Banzes vererbt wird, fondern beim Übergang auf die Flacdhlommen in einzelne
Teilbegabungen auffpaltet. Dafür fpricht fehon die Tatfache, daß fich unter den
Rindern cines Genies kaum jemals ein Genie findet.
Ich möchte im Solgenden einen der Wege aufzeigen — und an einem Beis
fpiel verbildlichen —, die uns bier vielleicht der Erkenntnis näber führen können.
&8 erfcheint mir geboten, an die lebenden Künftler beranzutreten; denn nur fie
find in der Lage, uns die nötigen Auskünfte uber die Begabung ihrer Sippfchaft
und über die Umwelt zu geben, in welcher fich deren, fowie ihre eigene Begabung
entwidelt bat. Auch der Rünftler, wie er uns in feinem Werke entgegentritt,
ift ein Ergebnis aus Anlage und Umwelt.
Wenn ich beute über die Sippfchaft der Dichterin Ina Seidel zu berichten
verfuche, fo waren für diefe Wahl mehrere Umftände beftimmend. Die Begabung
diefer in ibrem Werk urdeutfchen ARünftlerfamilie läßt fich etliche Gefchlechter
zurüdverfolgen; die Zahl der Begabten ift verbältnismäßig groß, die Steigerung
der Begabung im Laufe der Generationen bis zur ausgefprodenen Genialitat
in Ina Seidel felbft auffallend. Auch läßt die künftlerifche Perfönlichkeit diefer
feltenen Srau ein Streiflicht fallen auf die immer noch wenig geklärte Stage des
weiblichen Genies.
Die Samilie Seidel leitet ihren Urfprung von einem alten Schweizerifchen
Gefcledht ab. Ein Sproß desfelben foll wegen irgendeines Vergebene nad)
1933, VIII Agnes Blubm, Erbbilder deutfcher Dichterfamilien. 237
EEE
Abb. 1. Heinrich Alerander Seidel, Pfarrer Abb. 2. Heinridy Seidel, — von
zu Perlin, Ina Seidels Großvater. „Leberecht hühnden
Abb.3. Willy Seidel, Abb. 4. Heinrich Wolfgang Seidel,
Jna Seidels Bruder. Ina Seidels Gatte.
Abb. 5 und 6. Ina Seidel.
238 Volt und Kaffe. 1933, VIII
Deutidland gefloben und bier der Stammovater einer zunddft bäuerlichen Sippe
geworden fein. Dod ift diefe Uberlieferung nicht ficher verbirgt. Der erfte greif-
bare UAbne ift Matthias Seidel, As uales in Meinsberg im fadficen
Erzgebirge; fein Sobn Job. Chriftopbh S. lebte ebenda als Häusler und
Sifder 1088 bis 1739. Mit deffen Sohn Job. Gottlieb, der Buchhalter in
Dresden war, fand ein fozialer Aufftieg der Samilie ftatt. Er konnte feinen Sobn
cinrid GBottbelf (15)!) ftudieren laffen. Über diefen berichtet Seinric
. (1 a) in feiner Autobiograpbie „Don Perlin nad Berlin“: „Don meinem Ur=
roßvater beißt es in einer Fliederfchrift feines jüngften Sohnes ‚Der Dater wer
Daftor 2), ein Eleiner, aber rübriger und wiffenfchaftlich fehr gebildeter Mann mit
dichterifchen Anlagen‘.... Die Eleine Sigur bat fid nun in Medlenburg, dem
Abb. 7. Jna Seidel, Yjährig, Willy Seydel, 7 jährig,
mit ihren Eltern Profeffor Hermann Seidel und Emmy S., geb. Coefewit-Ebers.
Lande der großen Leute, allmählich verloren, indem unausgefetzt durch drei Ge:
nerationen bindurd die Söhne über ihre Väter binauswuchfen, die dichterifchen
Anlagen haben fic) aber in den älteften Söhnen der Samilie ftändig fortgeerbt;
denn auch von meinem Großvater?) (7) find mir poetifche VDerfuche bekannt:
geworden, und mein Vater (3) bat fid) auf dem Gebiete des religiöfen Liedes, des
Epos und der Voltserzählung ausgezeichnet.“ Diefer Großvater Ina S.s Hein=
rich Alerander ©. (3), Pfarrer zu Perlin und Schwerin in Medlbg. (Abb. ı)
ift der erfte „gedrudte‘‘ des Dichtergefchlechtes Seidel. Zum väterlichen kam bei ibm
vermutlich noch mütterliches dichterifches Erbteil hinzu. Seine Mutter Sriede-
rife Amalie Hermes (8) entftammte der gleichen Samilie wie der fruchtbare
Schriftftellee Jobann Timotbeus Hermes (8x), der fich als Derfaffer des
vielbandigen Romanes „Sopbiens Reife von Hlemel nah Sachfen‘ einen Kamen
1) Die Zahlen und Budftaben in Klammern bedeuten die Bezeichnungen in der Sipp:
Ihaftstafel Abb. 1.
2) Jn Pardim in Medlenburg.
3) Heinridh Auguft S., Arzt im Medlenburgijcen.
1933, VIII Agnes Blubm, Erbbilder deutfeyer Dichterfamilien. 239
gemacht bat. Ihre Tochter Therefe (3a) genoß als Erzäblerin felbfterfundener
Märchen bei der Samilienjugend Liebe und Bewunderung. Heinrich Aler. ©.
wer verheiratet mit Johanna Römer (4), einer Landwirtstochter, in deren Stamms
baum aber die Paftoren vorberrfchen. Aus feiner be gingen 6 Rinder hervor:
der in der Seele des deutfchen Volkes als Dichter des Romanes ,,Leberecht Huͤhn⸗
chen lebende Ingenieur und Schriftftellee Heinrich Seidel (1a) (Abb. 2),
Werner S. (1b), der zur See ging und früh ftarb, Profeffor Hermann
Seidel. Jna S.s Water (1) (Abb. 7), der als angefebener Chirurg und Direktor
der chirurgifchen Abteilung des Herzogl. Krantenhaufes in Braunfhweig tätig
war, Gebeimrat Profeffor Dr. Paul ©. (1e), Direktor des Hohenzollern: Hu=
feums und der Kunftfammlungen in den Raiferlihen Schlöffern und Senator der
a
&
x
menn
dichterische Begabung
nicht hervorgetreten a
7
ute Brief-u. Tagebuchschrer-
Ser gelegentlich dichtend
=
mit Dichtwerken an die
Offentlichkeit getreten
=
—
Stufenleiter der dichterischen Begabun
J
u genial begabf
zer andersartige künstier-
34 ische Begabung, (rezep-
ey — —
=
—
——
—
Berliner Akademie der Künfte, und 2 Töchter (1 c und 1d). Bei der Nachkommen⸗
haft der letzteren drei ift, um dies gleich vorwegzunehmen, keine dichterifche Bez
gabung in die Erfcheinung getreten.
Aeinrih S. bat 3 Söhne binterlaffen, den Pfarrer und Schriftfteller
Aeinrib Wolfgang ©. (1aa) (Abb. 4), Ina S.s Gatte, den Baumeifter
Werner S. (1 af), und den Ingenieur Helmuth S. (lay). Aus Sermann
S.s £Ebe find 6 Rinder hervorgegangen. Am Leben find die Dichterin Ina ©.
(J.S.Z.), der Romandidter Milly S. (Za) (Abb. 3) und die ehemalige, wie
id) bore, febr begabte Schaufpielerin Annemarie S. (Zb); drei Knaben ftarben
Hein. Don befonderem Intereffe für den Erbforfcher wäre die Detternebe Ina S.s,
wenn fie Einderreicher wäre. Jhre ältere Tochter (J.S.a) ift Schaufpielerin mit
gelegentlicher aktiver dichterifcher Lleigung; ein zweites Bleines Mädchen (J.S. 4)
ftarb 4 Wochen alt, aus unbelannter Urfache, ein Rnabe (J.S.y) ift zur Zeit vier-
sehnjäbrig; er feheint mebr praktifch begabt zu fein.
Jd) habe verfucht, in der umftebenden Sippfchaftstafel, die eine Erweiterung
des Lzelligerfchen Schemas darftellt, durch abgeftufte Schwarzfärbung die
Dolf und Kaffe. 1933. Dezember. 20
240 | Dolt und Raffe. 1933, VIII
Stufenleiter der Begabung innerhalb diefes feltenen Didterge{(dlecdtes auszus
drüden. Dabei babe ich Ina S. als die zweifellos HBöchftbegabte (Stufe 5) Zur
Sentralperfon gewablt (J.S.Z.)4). Gelbftverftandlid tann die Rlaffifizierung
nur eine ungefähre fein. Es bat aber fichberlid) von ibrer urgrogelterliden Benes
tation bis 3u ibrer eigenen ein deutlicher ftufenweifer Unftieg ftattgefunden und
fie felbft ftellt nicht nur innerhalb der legteren, 8. b. gegenüber ibrem Bruder
und Detter, fondern auc einen abfoluten künftlerifchen Gipfel dar.
Bevor wir uns der Beantwortung der Stage zuwenden, wie diefer Auf:
ftieg erbbiologifch zu erklären ift, empfieblt es fich vielleicht, nad Gemeinfams
keiten der Veranlagung zu forfchen. Da dürfen wir fagen, daß das Wert fämts
licher dichterifch produltiver Samilienmitglieder auf eine gleiche, nämlich die 3ytlos
tbyme Gemütslage binweift, auf jenes Temperament, bei weldyem Heiterkeit und
Beweglichkeit mit fdhwermütiger Stimmung periodifch wechfelt5). Dabei ftebt
bei dem einen die beitere, bei dem anderen die fhwerblütige Komponente im Dors
dergrund. Der ausgefprodenfte Charalter in diefer Hinficht ift der weithin als
liebenswürdiger, bumoriftifcher Erzähler betannte Yeinrih S., dem es aber
auch, nad) Schilderung feines Sohnes 9%. W. G., nicht an depreffiven Tagen
gefeblt bat. Und bi Willy ©. tritt das bypomanifche Moment bervor. Darauf
deuten fehon feine bevorzugten Stoffe — fremde Länder und Raffen, Jronifies
rung okkultiftifher Phänomene u. a. — bin. Nennt HYeinrih S. den eigenen
Humor „burlest“, fo können wir denjenigen W. S.s vielleicht als barod und
gelegentlicy grotest bezeichnen. Heine. Wolfg. S. (1 aa) bat einen ähnlichen Aus
mor wie fein Dater, aber der Unterton feiner Dichtung weift auf Schwerblütigs
keit. Trog offenbaren und erfolgreichen Strebens nad Harmonie bat man von
ihm den Kindrud eines in den Humor fluctenden Melancholilers. Seine Zyklos
tbymie ift nicht ganz rein, fondern anfcheinend mit fdizothymen Elementen ges
mifcht. Auch bei Ina Seidel ift die depreffive Seite der Zyklotbymie die stacker
betonte. Wenn fie auch gelegentlich einen fchaltbaften HJumor zeigt), fo ift ihr
doch wefentlich jener urgründige HYumor eigen, der unmittelbar neben dem Tragi=
on wächft und diefes lianenbaft umfchlingt. Befonders deutlich kommt er zum
usdrud in der „Befchichte von Sachen allein mit einem Hund und einer Kinder
ftimme am Schluß“.
Entfprechend der Rretfchmerfchen CharaltersKdrperbaulebre find die Seidels
ausgefprodene Dytnifer, d. b. von rundlich gedrungener Statur (vgl. die Bilder).
Eine Ausnahme madht nur Heiner. Wolfg. S., in weldem vermutlich der
englifche Einfchlag feiner mütterlidhen Samilie (die Großmutter mütterlicherfeits
war Engländerin) zum Durchbruch gefommen ift. Das Bild läßt deutlich feinen
leptofomen (fdhmalwidfigen) Typ erfennen. Mit der zyllotbymen Gemutslage
ftebt es im Einklang, daß keiner der Seidels mit einem Drama an die Öffentlichs
keit getreten ift. Ina ©. bat einmal ein Drama gefchrieben, das fie felbft als
„Lefedrama‘ kennzeichnet. WDeiteren Rreifen find fie eigentlich nur als Erzähler
befannt.
Lin bedeutfamer familidter Charatterzug, der fid) im Werke widerfpiegelt,
ift auch die große Liebe zur lebenden und toten Schöpfung. Ihr verdanten die
Einzelnen wohl die fcharfen und wachen Sinne, denen auch das Unfcheinbarfte
nicht entgeht und den Hang zu ernfter Befchäftigung mit Miaturwiffenfdaft. Der
Ingenieur Heinr. S. und der Chirurg Hermann S. waren ausgezeichnete Renner
4) Dgl. die Bemerkungen zur Sippfchaftstafel und die Erklärung der Zeichen.
5) Ina S. bat, ohne von pfpchifcher Typenlebre etwas zu abnen, das ausgefprocen
zyllotbyme Temperament ihrer Schweiter, der ehemaligen Schaufpielerin Annemarie S.,
in dem Gedicht „Silhouette“ der en „Weltinnigkeit“ trefflich geichildert.
6) Ich erinnere an ihr Gedicht „Der Menſchenfreſſer“ und an den Schluß des Ge⸗
dichtes „Erde und ich“, ſowie an ihre gelegentlich luſtige Namengebung 3. B. in „Haus zum
— er die Mutter der Eljabe, einen Typ aus Berlin N, eine geborene „Schmedes
er“ fein läßt.
1933, VII Agnes Blubm, Erbbilder deutfcher Didterfamilien. 241 |
——————— ———————— — — — ——
der Pflanzen⸗ und namentlich der Vogelwelt und Willy S. hat voruͤbergehend
Naturwiſſenſchaften ſtudiert.
Rehren wir zu der Frage nach den Urſachen der Begabungsſteigerung im
Kaufe der Generationen zuruͤck. Die hoͤhere Sproſſe auf der dichteriſchen Stufen⸗
leiter, die H. Alex. S. im Vergleich zu ſeinem Vater Heinrich Auguſt S. ein⸗
nimmt, duͤrfte in der ihm auch von muͤtterlicher Seite en erblichen Ders
anlagung ns fein. Schwieriger ift die höhere Rangftufe feines Sohnes
Heinrich SG. zu erklären. Wie ftark bei diefem die Luft zu fabulieren war, gebt
aus der Tatfache hervor, daß er, der bochbegabte Ingenieur, den Beruf aufgab,
um fi), troß ungeficherter wirtfchaftlicher VDerbältniffe, ganz der Schriftftellerei
zu widmen. Als echter Dichter offenbart er fich in feinen — leider viel zu wenig
gelannten — Märchen. Hier ift feine Sprache audy reicher, als in feinen Erzäbs
lungen, in welchen er fichy in der bürgerlichen Welt bewegt, deren Seele er mit alls
verftebender Liebe gegenüberftebt. Aus diefer Liebe erwähft auch fein Humor.
Acinr. Wolfg. & ift unverfennbar der künftlerifche Erbe feines Vaters; aber
der Schwingungstteis feiner Seele ift weiter und tiefer. Er weiß um Dinge,
die dem Pater anfcheinend fernliegen. Dementfprechend wachen feine Ausdrudes
mittel. Sprachlich zeichnen fich feine Erzählungen — was auc dem literarifchen
Kaien auffällt — nicht nur durch befonderen Wobllaut, fondern dur Einfachheit
bei großem Reichtum aus. Es fehlt jedes uberfluffige Beiwort; Menfd und Ding
werden mit einem einzigen vollerfaßt. Ich möchte es für wabrfcheinlich halten,
daß bei der unleugbaren künftlerifchen Steigerung im Werk Heint. Wolf S.s
die Umwelt mitgewirkt bat. Aeinr. S. verlor feinen Vater, und damit dus
geiftige Elternhaus bereits im Alter von 19 Jahren. Und wenn er auch bewußt
feinen Umgang in künftlerifch intereffierten Rreifen fuchte, fo fehlte ihm doch in
entfcheidenden Jahren jene häusliche geiftige Atmofpbäre, in welce fein Gobn
bereits bineingeboren wurde, und mit welcher diefer bis ins Mannesalter binein
in enger Sublung blieb. Auch ftand Aeinr. S.s chaffen unter der Gorge ums
taglide Brot und der Rahmen der Samilienblätter, die fich feinem Schrifttum
Sffneten, ftedte der Auswirkung feiner ann künftliche Grenzen. 4. S.s
Begabung war ficher größer, als fie in feinem Werk erfdeint; doch ift ebenfo ficher
bei der höheren Runft feines Sohnes nidht nur das günftigere Milieu, zu dem
aud das innige geiftige Zufammenleben mit der genialen Gattin zu rechnen ift,
fondern auch eine ftärkere Veranlagung mit am Werke. SGegt doch die Manifeftas
tion von Umwelteinflüffen eine gewiffe eingeborene fpezififche Empfänglichkeit
voraus. In der mitterlicden Samilie 4. WO. S.s ift dichterifche Begabung nicht
nachweisbar, wohl aber eine mufilalifche. Vielleicht bat die diefer Zugrunde liegende
allgemeinstünftlerifche Veranlagung fein vom Vater ererbtes Runftlertum ges
fteigert? Möglicherweife dankt er auch die ftarkere Konzentration, das ftraffere
Erfaffen des Wefentlichen dem englifchen (nordifchen) Einfchlag der mütterlicdhen
£inie. Als inneres Milieu, das zur Verfeinerung feines feelifchen Wliterlebens beis
getragen bat, darf man vielleicht feine gewiffe Schwerblütigleit mit ihrem ftärs
keren Leiderleben bewerten.
Die altivsheitere Komponente der Seidelfchen Zpklotbymie-ift, wie gefagt,
außer in 9. S. in feinem Fieffen Willy S. verkörpert, wenn aud — abges
feben vom Humor — in anderer Sorm. Er ift eine „durchaus lebensoffene‘ Llatur,
ein guter Oefellfdafter und Genießer, aber nicht im Sinne feines Ontels, deffen
OBlüdsbedürfnis in der Samilie und im Sceundestreis, im felbftgepflanzten und
‚gepflegten Warten, in der Wanderung über beimatliche Siur Benüge findet. Sein
ebensraum ift die große Welt. Ihn lodt die erotifche Serne mit ihrem wechfels
vollen Leben, den fremden Raffen, der bunt durcheinander gewürfelten Gefells
fchaft. Vielleicht hängt es mit feiner Herkunft von den Klaturwiffenfchaften, oder
richtiger gefagt, mit feinem kurzen Durchgang durd ein naturwiffenfchaftliches
Studium zufammen, vielleicht ift es ein Erbteil von feiten des Vaters, der eine
ernfte Fieigung zu Runft und Wiffenfchaft in fich vereinigte, das fich in feinem
20
242 Volt und Kaffe. 1933, VIII
Werke neben einem ftart ausgeprägten Rünftlertum der Jntellett geltend madht.
Er ertennt dur Beobachtung und Überlegung, wo feine Schweiter intuitiv
erfublt. Aud Ina Seidel verfügt über einen hoben Intellett. Aber fie gebraucht
ihn bei ihrem Schaffen nicht bewußt. Er wirlt fic bei ibr rein automatifd aus
als unmerklicyher Rontrolleur des in Phantafie und Intuition Erfchauten. Wie
%. ID. S., fo ftebt auh W. 3. dichterifch auf böberer Stufe als 5. S. Trog
offenbaren Wobhlbebagens im umtreibenden Wirbel des Lebens fcheinen ihm die
tieferen Dinge nicht fremd zu fein; aber er wagt fih nicht recht an fie beran,
fei es aus Surcht vor Ratlofigkeit gegenüber unmöglicher letter Erkenntnis, fei es
aus Bangigkeit vor dem inneren Erfchauern. Er fühlt fic felbft als auf die
Sonnenfeite des Lebens gebörend. Seine Sprade entfpridht feinem Stoff. Sie
ift reich an Beiwerl. Daf feine künftlerifche Perfönlichkeit ficy über diejenige des
Ontels erbebt, dürfte darin begründet fein, daß ihm auc mit der mutterliden
Erbmaffe dichterifche Begabung zugefloffen ift. Seine große WDefensverfcdicdens
beit gegenüber der Schweiter erklärt fi aus dem qualitativ verfdiedenen
Anteil der beiden an der Zyklothymie.
Don entfcheidenderer Bedeutung als für den Bruder ift das mütterliche gei-
ftig-feelifce Erbteil fur Ina Seidel geworden. Man darf wohl fagen, daß fie
ihm ihre eigenartige Größe verdankt. Die Rritit bat ihre Lyrik wiederholt
unmittelbar binter diejenige einer Annette v. DrofteshYülsboff geftellt. Ich
möchte fie mindeftens neben diefe ftellen. Gewiß fließt bei jener der Strom
reicher. Bei J. S. zeigt fidh verhältnismäßig früh ein Zurüuddrängen der lyrifden
durch die epifche Runt. Wenn es aber als ein Maßftab erfterer gilt, reichen Gee
fublss und Gedanteninbalt in tnappe Sorm zu bannen, fo ftebt I. S. über der
großen Weftfalin, die die Wirkung ihrer Dichtung nicht felten durch eine zu
große Breite abjhwäidt. Audy ihr Verhältnis zur Llatur ift großzügiger und
tiefer eindringend. A. D. ift auf der Erde beheimatet, der roten Erde Weftfalens,
3. S. im Kosmos. „Wollen und Sterne find wie Gefhwifter mir.“ Die Erde
ift ihr ein Stüd des Alls. Sie empfindet fich nicht nur als erögeboren, fondern
gleid) der Erde als Lebensfchöpferin. Diefe tosmifde Erdverbundenheit, diefes
Finausheben men{dliden Sublens und Denkens ins Ewige, Urgründige ift das,
was ihr einen Sonderplat unter den Sichtenden Srauen gefchaffen bat, und worin
fi das Stud nordifder Raffe, das fie in fic trägt, am ftärlften offenbart.
£. Bretfchmer bat die Sormel geprägt: „Große Srauen waren groß, weil
fie große Männer waren.“ Ls ift unbeitreitbar, daß die Zahl der genialen Srauen
im Dergleih zu derjenigen der Wiänner eine febr geringe ift, und es ift cbenfo
zweifellos, daß diefe auffällige Erfcheinung eine biologifdhe Urfache haben muß.
Hobe Begabung kann erfahrungsgemäß wohl durch äußere Umftände an der. Ent
faltung gebemmt, aber niemals durch Übung erworben werden. Sie wird mit
zur Welt gebracht; und es läßt fich leicht nachweifen, daß nicht der Wiangel an
Betätigungsgelegenbeit auf künftlerifhen Gebiete die Schuld an der Seltenheit
weiblicher Genies trägt. Da Srauen gelegentlich auch in folchen Sällen mebr oder
minder geniale Söhne geboren haben, in denen nur in ihrer eigenen, nicht aber in
der väterlichen Samilie bobe Begabungen nachweisbar waren, fo müffen fie in
ihrer Erbmaffe die Anlage für Geniclität beberbergt haben. Warum bat fie fic
in ihnen felbft nicht manifeftiert? Dem Erbbiologen liegt cs nahe, zunaͤchſt an
die fog. gefhblehtsgebundenzrezeffive Dererbung zu denken, wie wir
fie für die Hamophilie (die Blutertrankheit) kennen, bei der aus vererbungsmeche:
niftifch leicht verftändlichen Gründen das Leiden nur beim Manne manifeft, aber
durch die Tochter vererbt wird. Schon die tägliche Beobachtung zeigt, daß diefer
Erbgang für die geiftig-feclifche Begabung im allgemeinen und damit wohl auch
für die Geniclität nit in Betradht tommt. Eine beffere Erklärungsmöglichkeit
bietet die fog. gefblebhtstontrollierte Dererbung, bei welcher die Ans
lage nicht wie bei der gefclechtsgebundenen im Gefdledtsdromofom gegen tft,
aber böchftwahrfcheinlich durch fpezififche Produkte der Gcichledhtsdrufen (Serual:
1933, VIII Annes Blubm, Erbbilder deutfcher Dichterfamilien. 243
ESTER IT IT ae STIS SS SS I I SE TR RE TEE
bormone) an der Manifeftation in dem einen Gefdledt gebindert wird. Es könnte
febr wobl fein — man {pridt ja fogar von dem geiftigsfeelifchen Derbalten von
Mann und Srau als von ihren „tertiären Befchlechtscharatteren‘‘ — daß die Manis
feftation genialer Begabung im weiblichen Organismus gehemmt wird durch
feine fpezififche innere Sekretion, ebenfo wie es bei ibm im Sortpflanzungsalter
normalerweife nicht, fpäter aber gelegentlich zum Bartwuchs kommt, und wie fich
umgelebrt beim Manne die Milchörufen trog vorhandener Anlage nicht entwideln.
Demnach wäre — und fo ift wohl auch das Rretfchmerfche WDort gemeint — bei
den „großen Srauen“ die Produltion der fpezififchen Gerualbormone, fofern diefe
fir das geiftigsfeclifde Derbalten in Betracht kommen, irgendwie geftdrt; fie
wären infolgedeffen keine Dollfrauen, fondern zeigten männliche geiftige Charaltere.
Der Derfuhh Rretfchmers diefe fich aufdrängende Hypothefe an Annette
v. Drofte aufzuzeigen, ift m. €. nicht einwandfrei gelungen. Denn er zum Bes
weife ihrer männlichen Seele die Derfe aus dem Gedicht „Am Turme’ anfubrt:
„Mär ich ein Jager auf weiter Slur,
Ein Stud nur von einem Soldaten,
Wär ich ein Mann zum mindeften nur,“
fo vergißt er die anfchließenden Zeilen, aus denen deutlich berporgebt, daß es nicht
mannlides Sublen, fondern der begreiflide DOunfc einer temperamentvollen,
naturverbundenen Srau, nur einmal fich frei zu fühlen von den künftlichen Seffeln
ihrer Gefellfchaftsfpbäre, ift, der bier zum Ausdrud kommt. Und wenn Rretfchs
mer in dem Ders des „Hünenftein“: „Und ‚Serr, es regnet‘ — fagte mein Lalei“
einen febr daralkteriftifden dug fiebt, der verrdat, daG U.D., „um in die Stimmung
3u kommen, in der fie ihre ftarkften und echteften Cone findet‘, „fich felbft als
Mann verkleidet denken“ muß, fo fpricht bier mehr der Pfychiater als der Pfivchos
loge, der aus ihrer ftarten Runft fehr wohl die Srawenfeele erklingen bört.
Aber auch, wenn man für Annette Drofte eine gewiffe geiftigzfeelifde
Interferualität zugeben wollte — bei einer Reihe „großer Srauen‘‘ beftebt fie zweis
fellos —, auf eine Ina Seidel paßt das Rretfchmerfce Wort nidt. Wir
müffen im Gegenteil fagen: „Ina S. ift eine große Didterin, weilfie
eine große Beau ift.“ Man kann fie geradezu die Didterin der elemens
taren Mütterlichkeit nennen, nicht nur im Sinblid auf ihren Roman „Das
Wunfchkind“, fondern namentlid beziglid des gedantliden Inbaltes ihrer
Lyrik. Die Begriffe „Mutter“ und „Erde find identifch für fie. Wir fagten, dag
fie ihre eigenartige Größe dem mutterliden Erbteil verdankt. Sie felbft
chreibt über die Mutter, die einer deutfchsbaltifchen Samilie mit fdywedifdem Lins
fhlag entftammt, daß fie ein außerordentlich fenfibles, vielfeitig — vor allem didys
terifch — begabtes Rind gewefen fei. Schon als Meines Mädchen babe fie reizende
Derfe gemadt und aud Marden gefdrieben. Später famen nody ein paar es
zaͤhlungen hinzu, die audy gedrudt wurden. Bei ihrer Begabung war, namentlich
in der Jugend, der Wille zur Sorm, zur Geftalt ftark ausgefprochen. Docdy konnte
ihr künftlerifches Temperament nicht voll zur Entfaltung fommen, „de ihr natür:
licher Srauen= und Mutterberuf febr frub Befig, von ibe ergriff, und die feche
Rinder, die fie in ihrer dreizehnjaͤhrigen Che hatte, alle ibre Rrafte beanfpruchten.
Ihre literarifche Begabung ftrömte nun ganz in ihre entzüdenden Briefe. Übrigens
war aud ihre Mutter‘), eine große Brieffchreiberin und dseren Mutter — meine
Urgroßmutter8) — ebenfalls.“ „Wenn Sie mich fragen, wober die ftarke mütters
liche und erdgebundene Liote meiner Dichtung käme, fo weiß ich keine andere Ants
wort als die, daß ich von fo guten ftarten Müttern berftamme. Jene Urgroßs
mutter Bed batte, glaube ich, acht Rinder; meine Großmutter Loefevigsbers,
geb. Bed, ebenfalls acht, meine eigene Mutter fechs. Mir wurde eine Grenze
1) We. © der Tafel.
8) Vir. 14 der Tafel.
244 Volt und Kaffe. 1933, VIII
ESSERE
durch meine fhwere Erkrankung im erften Dodcenbett gefetgt; aber diefe Kräfte
{dlugen fid dann in meiner Dichtung nieder.“
Die Erklärung der Seltenbeit weiblicher Genies aus gefchlechtetontrollierter
Dererbung erleidet alfo Ausnahmen. Es ift aud nidt im phyfiologifden
Sinne zu verfteben, wenn I. S. auf Grund eigener Beobadhtung die Anficht ver:
tritt, Daß das Muttertum die Entfaltung künftlerifcher Anlagen bemmt. Denn fie
felbft gehört nicht zu jenen Srauen, die filh während der Schwangerfchaft „geiftig
wie ausgepumpt“ fühlen. Sie ift im Gegenteil in foldyer Zeit gebobener Stims
mung und geiftig durchaus leiftungsfähig. „So jung war Deine Mutter nie, als
in dem Lenz, da fie Dich trug... .“
Es ift nad ibrer Meinung wohl die völlige feelifhe Jnanfprucdnabme der
Srau durd die Mutterfcdaft, welde ibe etwaiges Kunftlertum zur fatenz zwingt.
Wir fagten, daß I. S. im Gegenfag zu ihrem mebr intellettuell eingeftellten
Bruder intuitiv fcbafft. Dabei find ibre Geftalten gleidseitig Gymbole und soc
von unmittelbarfter Lebensnäbe. Sie ift ungemein fparfam in der Charalterfchildes
rung. Sie läßt die Wienfchen vor uns leben und handeln und damit ihre Secle
felbft entbüllen. Sie ift Weifterin der Erpofition. Die Größe ihrer Bedantens
und Gefühlswelt, die Zeitlihes mit Ewigem, Urgrimdigem vertettet, greifbares
£eben zum Symbol werden läßt, entfpricht ihre fouperäne, fchöpferifche Beband:
lung des Ausdrudsmittels. Aber der Lefer merkt nichts von „Behandlung“; die
Sprache fließt ihr aus eigener Quelle zu.
Wenn wir den Schwerpuntt der die übrigen Dichter der Sippe weit übers
tragenden Runft 3. S.s in ihrer ftarten intuitiven Begabung feben, fo kommen
wir 3u dem Ergebnis, daß es das Zufammentreffen väterlichen und müttcerlichen
künftlerifhen Erbgutes gewefen ift, das ibr den Stempel der Genialitdt auf:
gedrüdt bat. Mag der Anteil von väterlicher Seite nicht unerbeblich größer ge:
vwefen fein, ausfchlaggebend war das Hinzulommen des Stüdes Intuition
und Senfibilität, das die Wiutter ale bochbegabte Srau beigefteuert bat. Diefes
Plus, nicht ein verfchiedenes Temperament der Eltern, das nady Aretfchmer häufig
die ererbte künftlerifche Begabung zur Genialitdt fteigert, bat in ihr die Sadel
des Eros kosmogonicus (im Sinne von Ludwig Rlages) entzündet. Es ift eine
Baum beftrittene Anfchauung, daß die Leben fchaffende Srau der Klatur enger ver-
bunden und damit intuitiver ift, als der Mann, und daß fie wiederum mit diefer
ftärkeren Intuition dem Aünftler näberftebt als jener. Da erfcheint es nur folge-
richtig, anzunehmen, daß befonders ftarke Mütter, d. b. Srauen, denen die Mutter:
fchaft reftlofe Lebenserfüllung bedeutet, wie 3. S.s mütterliche Samilie fie mebrs
fad hervorgebracht bat, befonders intuitiv veranlagt find.
Zu diefer günftigen Erbtonftellation find nun bei ibe nod ftark fördernde
Umwwelteinfluffe binzugelommen. Das ihrer Entwidlung förderliche geiftige und
künftlerifche Milieu des elterlichen und großelterlihen Haufes — der Agvptologe
und Schriftfteller Georg Ebers (©. €.) war ihr Stiefgroßpater — fowie
die künftlerifche Atmofpbäre Münchens bat auf Schwefter und Bruder in Rind:
beit und Jugend gleichermaßen eingewirkt. Aber ihre feelifchen Erlebniffe waren
verfchiedene. Der frübe, tief in das häusliche Leben einfchneidende Tod des Vaters
wurde von dem achtjährigen Rnnaben natürlich nicht entfernt fo tief empfunden
wie von dem zebnjährigen, Außerft fenfiblen Heinen Mädchen, für welches er gee
radezu ein pfychifches Trauma bedeutete, das in der reifen Srau beute noch nach⸗
wirkt. Im erften Wochenbett erkrankte fie an einer Huftgelententzundung, die fie
monatelang 3wifchen Tod und Leben fcbweben ließ, zu einer dauernden leichten Bes
binderung des Ganges fubrte und — was das Schmerzlichfte für fie war — ihr
auf lange Jahre hinaus die Wutterfchaft verbot. Ein Meines Mädchen, das 3zebn
Jahre nad dem erften, völlig gefund geboren wurde, ftarb, vier Wocen alt,
binnen weniger Tage an unaufgellärter Krantheit. Drei fdhwere Leiderlebniffe!
Seelenleid führt zwangsläufig zur Innenfchau und vertieft jo Sühlen und Denten;
indem es die pfpchifche Reizfchwelle berabdrudt, madıt es bellbörig und hell:
1933, VIII R. Aftel, Die Sippfchaftetafel und eine Anleitung zu ibrer Anfertigung. 248
EEE EEE
fihtig. I. S. felbft fagt darüber: „Ich möchte diefe Erlebniffe nicht miffen, fie
haben mid in jedem Sinne ‚zubereitet‘. &s beftebt kein Zweifel, daß an J. S..8
- Größe das Leiderlebnis mitgewirkt bat; aber es darf nicht vergeffen werden, daß
nur derjenige durch Leid wädhft, der durch feine Veranlagung dazu befähigt ift.
Das Befchlebt Seidel verbildlicht aufs Fleue die Bedeutung der aus dem
Bauerntum bervorgegangenen Pfarrerfamilien als Quelle deutfchen Dichters
tums. £s verbildlicht ferner die Erblichkeit geiftigsfeelifcher WMerkmale und bes
ftätigt dabei die Lehre Rretfchmers von dem Handsinsbandgeben eines bes
ftimmten Temperamentes mit einem beftimmten Rörperbau. Wie weit dabei im
vorliegenden Sall die Raffe beteiligt ift, läßt fich fhwer entfcheiden, da die Geidels,
namentlid I. S., Repräfentanten des zum deutfchen Volk verfchmolzenen Raffens
gemifches find. Der Schwerpuntt ihrer Begabung liegt, wenn man von J. S.
abfieht, die eine ebenfo große £yrikerin ift, in der Erzablungstunft; fie find Realiften
und Humoriften, was nach Rretfchmer charalteriftifd fur die zpllothbymen Dichter
ift. Die dichterifche Begabung wird anfdeinend nicht als Rompler und keines»
falls rein dominant (überdedend) oder rein rezeffio (Uberdedt) vererbt. WDahrs
ſcheinlich zeigen die einzelnen Romponenten einen verſchiedenen Erbgang. Die
Hobe des Ruͤnſtlertums duͤrfte von dem richtigen Maßverhaͤltnis der einzelnen
Komponenten zueinander, von der richtigen „Weſensmiſchung“ abhaͤngen. Daß
bei ihrer Manifeſtation das aͤußere und innere geiſtig⸗ſeeliſche Milieu (ſeeliſche
Erlebniſſe) mitwirkt, duͤrfte ſchon unſer unvollkommener Verſuch wahrſchein⸗
lich machen.
Die Sippſchaftstafel
und eine Anleitung zu ihrer Anfertigung.
Von Dr. med. R. Aſtel,
Praͤſident des Thuͤr. Landesamtes fir Raffewefen.
pr Derein mit dem eigenen Unterfuchungsbefund ergibt die Sippfchaftstafel
den beften Auffchlug über die erbliche Befchaffenbeit eines Mienfchen.
Die Sippfchaft des Probanden, d. i. der Ausgangsperfon, weldye die Tafel
für fih aufftellt, beftebt aus den 4 Broßeltern und deren fämtliden
Uiadhtommen, mit Ausnabme der Kladhlommen der Dettern und Bafen.
Die Sippfchaft erftredt fich alfo (3. B. im Salle eines 20 jährigen Probanden)
meiftens über drei bis vier Generationen, nämlich die Beneration der Grogs
eltern (I), der €Eltern, Ontel und Tanten (II), des Probanden felbft, feiner Bes
fhwifter, Dettern und Bafen (III) und unter Umftänden noch der Rinder, Fleffen
und Llichten (IV) des Probanden.
Diefe 3 oder 4 Generationen werden in der Sippfchaftstafel unter einander
dargeftellt und die Abftammung durch entfprechende Derbindungslinien gefenns
zeichnet. Männliche Perfonen werden mit einem Kreis und einem Pfeil aufs
wärts (0’), weibliche mit einem Rreis und einem Rreuz abwärts gelennzeichnet (2).
Angebeiratete Perfonen, d. b. die Ehegatten der echten Derwandten, werden ebens
falls entfprechend eingetragen. Sie find durch Beine Derbindungslinien mit der
vorbergebenden Generation verbunden, da fie nicht von ihr abftammen. Auch alle
fhon früh verftorbenen Rinder md Srübgeburten find zu vermerten.
Sür jede einzelne Perfon ift anzugeben:
1. Dors und Zuname, 2. genaue Standess bzw. Tätigleitsbezeic-
nung (genauer Titel!), 3. jegiges oder überhaupt erreichtes Lebens»
246 Dokl und Kaffe. 1933, VIII
Sippidaftstafel von
Hellmut Huber, ftud. med.
Minden, Ludwigftr. 152/111 1. | Wis
1. ©g. Huber . Anaft. Schulz
2. Bauer . 73 Jahre
3. 78 Jahre mittelgroß,
5. kräftig, febr träftig.
rüftig 6. gefund, Krebs:
6. gefund, humor operation mit
voll, w 60 Jahren,
; Rheurmat. jelt
dem 53. Jahre.
Seblgeburt
1 K. 1. du
3. 40 Jahre 2. Tierarzt
5 t, 3. 46 Jahre
gute Sigur 5. groß,
6. gefund, ⸗
Ap t= Itrig
lofigteit, ngse
Magen- fa |
operation . gefund,
mit 35 3. feit Krieg
Rheum.
o>
1. Karl 1. Anna 1. Elia 1. Olga 5. 1. Klara H. 1. Jolef H. 1. Paula Hh. Proband
Müller Müller müller 2. Budbal- 2. Derfaus 2. Reals 3. tm. 6). 1. Belmar
2. Gaftwirt 3. tm. 163 3. 21 Jahre terin ferin {chiller 4. an Dipt- 1. ut
3. 25 Jahre 4. Unfall an 5 ftig 3. 21 Jahre 3. 19 Jahre 3. 13 Jahre theritis uber 1.
6. fehrträft.,.. der Ma- 6. gefund, 5. 3art, grok, 5. traftig, 5. hager, 5. traftig 2. ftud. med. 7
.. f mutters aſtheniſch etwas did groß, gut. 6. vorher 5. 19 Jahre 5
Meifter- 5. jehr fräft lich. 6. neigt 3u 6. gefund, Sportler immerge- 5. lehrt groß 6
{haft im 6. gefund, Bronchitis ehr ge: 6. gefund, fund. u. ’
Stemmen abt, und Ka- mwedt und geiſtig un⸗ 97 Kg.
6. gefund, etwas tarrhen, Hug. ters [dywer,
mit 10 3. nervds fehr ner« effiert. Borer und
Mafern pos, gut 6 cites
begabt ef
nerds,
—
. gereist,
febr in:
telligent,
Abitur m.
17 Jahren ‘
gemadtt.
An
1933, VIII R. Aftel, Die Sippfdaftetafel und eine Anleitung zu ibrer Anfertigung. 247
Mer.
1. Ridhard Mayer
2. Oberftudtenrat
3. t mit 53 Jabren
a an Herzichlag
. in der Jugend Ihwädhlih und
trantlih, feit 31 Jahren fett
und didbaudi
9.
6. in der Jugend ſtarke a ed
gabt, in feinem
hochbe
jahr geiftestrant.
Syb. M., 1. Seid. Uhl
Ciebest 2. Dr. phil, 2. Dr. med.
Unter: 3. 37 Jahre 3. 37 Jahre
ewicht. 9- it 5. große
6. forperl.. 6. Übe., Körper-
gefund empfind- Ile,
dod)2 mal ‘fam, un: efund,
Newens weiblid, etwas ex:
rudy lich
2
Sehlgeburt
1. Sophie h.
1. Schülerin
3. 16 Jahre
. Sri Hol; 5. 3art,
3 3. . Leutnant aithen.
tüftig (Reids- 6. Bronditis,
jejund webr) Herztlopf.
1 Ane 13. 29 Jahre bei leicht.
»iker.” 16. Ba: ge: Anftreng
ei 3. t feu:
serheir. #6. gefund, ſchnupfen
Bruchop.
(25 Jahr.)
vor 1 3.
Sub gebr.,
eiftig
hiteh.
: 1. Traudel f.
rote 3. 1 Monat
träfti 5. träftig
Stun 6. gefundes
Mädel
odes:
1.
3.
5.
6.
ic
Sre
60 Jahre
äußerft fchlant, mittelgroß,
t dem 30. Jahre magen-
idend, Wanderniere, Zu-
Sippſchaftstafel nach Karl Aftel.
>
>
tin von Staufenberg
ftand bat fid) vom 41. 3.
2 Se
— —
Diohaithenifc.
Shwade
ebeffert. —
Nerven.
Tillo
Mayer
2. Rund»
an engl. 1. Hede MM. 71. Artur S. funt:
Kra it 3. 32 Jabre | 2. Direttor pianift
von Ge- 5. fchlant u. | 3. 46 Jahre 3. 28 Jahre
urt an zart 5. leiftungs- 5. aftbeniich
Ihwad u. 6. gefund, fähig 6. gefund
tränflidh. 1. Geburt | 6. gefund, engen:
im Welt. triſch,
geburt. Irieg Morpbi-
einen Sup nift.
verloren.
3 3
1. Karl Sander 1. Cubw. Sander
2. Schüler Sciler
3. 11 Jahre 3. 9 Jahre
5. ſchwächlich 5. ſchlank,
7⸗Mon.⸗Xind gefund, hoch⸗
6. febr viel gradi kurz⸗
Kkopfweh u. ſichtig.
herzbe⸗ 6. Phantaſt,
ſchwerden, intelligent.
mäßig begabt
248 Dolt und Kaffe. 1933, VIII
ee ——————————— ————— —— —— — — ———
alter (keine Jabressablen und Daten!), 4. Todesurfade, 5. Rörperbau,
6. wefentlide Gefundsbheitsverhdaltniffe byw. Rrantbeiten des
Körpers, des Geiftes, dea Gemits, andere auffällige Erfheinungen, wie
befondere Leiftungen, Wefenszüge ufw. Anzugeben find 3. B. Untergewidhtigs
keit, Shwädhlichkeit, überdurchfchnittliche Aörperfülle; Rrantbeiten und Befonders
beiten von Flervenfpftem, Herz, Blutgefagen, Derdauungsorganen, Stoffwedfel,
Sinnesorganen (Augen!), Stelett, Muskulatur; Infettionstrantheiten, Citerungen ;
Sebler, Migbildungen; fowie überhaupt alle Befdwerden. —
Line gewiffenbaft aufgeftellte Sippfchaftstafel gibt den beften Auffchluß über
das Wefen eines Menfhen. Mit ihrer Hilfe ift er eber in der Lage, feine wahr:
{Heinlide erblide Befchaffenbeit und damit gewiffermagen feine mutmaglicde Zus
tunft zu erfennen. Die fur die Zukunft des Gefhlechts wicdtigften Schlüffe raffes
bygienifcher Vlatur find aus der Sippfchaftstafel zu zieben.
£8 verftebt fic) von felbft, daß ärztliche Schweigepflicht beftebt und ftreng
gebalten wird. Auch eine nur unvolltommene, lüdenbafte Sippfchaftstafel kann
nody wertvoll fein und ift dann anzuftreben, wenn die Aufftellung einer lüdenlofen
Tafel unmöglich oder zu fhwer ift.
Zum Schluß fei nody darauf bingewiefen, daß vor allem Angaben über das
Vortommen eigener Eigenfcdhaften und Merkmale und folcher, die mit ihnen erblich
zufammenbängen könnten, bei den Derwandtfchaften erwünfdt find.
Zur Anlegung der Sippfchaftstafel bedient man fich nebeneinander geklebter
Bogen, quadriertes Papier. Die gewünfchten Angaben find unbedingt
in die Tafel unmittelbar unterbalb der zugebörigen Perfon
einzufchreiben. (Lit auf Beiblättern bringen!)
In der Regel wird eine Reihe von Gefhwiftern dem Alter nach dargeftellt,
lints beginnend. Doc ftellt man zwedmäßig obne Rüdficht auf die Altersfolge
den Pater des Probanden an das rechte Ende der Befchwifterreibe, die Mutter an
das linke Ende derfelben, fo daß Pater und Mutter des Probanden nebeneinander
fteben (fiebe Mufter?).
Der Proband felbft kennzeichnet fi durch einen größeren Kreis.
Zum Zwede einer guten Plageinteilung auf der Sippicattetafel ftellt man
die zablreichfte Generation der Sippfchaft, d. i. die Eltern — oder Probandens
generationen einfdlieBlid) der Ehegatten feft und verteilt die einzelnen Rreife auf
eine folche Breite, daß für jede Perfon mindeftens 4 cm Breite bzw. s Quadrate
3u Angaben zur Derfügung fteben. Den Abftand zwifchen den Generationen der
Großeltern, Eltern, des Probanden ufw. wählt man 10 cm tief (20 Quadrate)
bei drei Benerationen, 7—8 cm (14—16 Quadrate) bei vier Generationen.
Die Perfonentreife baben ungefähr die Größe eines Quadrate.
(In das linke obere Ed der Sippfchaftstafel ift die Zeit der Aufftellung und
genaue Anfchrift des Aufftellers zu fegen.)
Die Germanen Ser fruben Lifenzeit.”
(800 v. Chr.—200 n. Cbr.)
Yon Dr. Wolfgang Sdhulg, Gorlig.
Mit 2 Abbildungen.
Ir veg des Rlimaſturzes wird der Norden unwirtlich. Die Staͤmme geraten
ins Wandern. Gen Oſten hin geben zwar die Illyrer Raum, aber im Weſten
und Suͤden erſtarken die Relten. Sie und ſpaͤter die Roͤmer erlangen ihr wirt⸗
*) Aus dem Buche „Altgermanifhe Kultur in Wort und Bild“ von Dr. Wolf⸗
gang Schulg (118 S., 160 Bilder auf so Tafeln und ı Rarte) in 3. §. £ebmanns Der:
1933, VIII Wolfgang Sdulg, Die Germanen der früben Kifengeit. 249
Eu EEE aap EEE EEE Kr RE Pe a ee eee Se
f&haftliches und kriegerifches Übergewicht im Zeichen eines neuen Metalles, des
Eifens. Und da man auswärts an den Schmud verfeinerte Anfprüche ftellt, vers
liert der Bernftein der Germanen an Wert. Das Voll verarmt und muß, um ficd
3u behaupten, das Kifen für feine Waffen von feinen Seinden teuer erlaufen. Aber
lieber gibt ibm der römifche Stlavenbandler Wein.
on nur dringt das Kifen ein, erft als Roftbarleit und dann mit Grauen
ebegt. Einen Auftrieb der Runft, wie die Bronze, bringt es nicht. Zu weichlicher
Sier eignet e8 fich wenig, und man bat für dergleichen auch nicht fo viel übrig
wie früber. Der Reichtum an Gold ift gefhwunden, das Silber Comme auf, aber
der meifte Schmud ift wohlfeile Ware, für die das Ausland Abfag fudt. So
bringt das Kifen eine ftarfe Welle der Uberfremdung. Es ftebt auch fonft in
fdlecdhtem Rufe. Bei heiligen Yandlungen darf nur das altbergebrachte funtelnde
tr; oder der urtümliche Stein gebraudt werden. Die Schmiede find labme
Rrüppel, landfremdes Gefindel, wie die Zigeuner voll tüdifchen Zaubers. Selbft
auf den Bott der Schmiede färbt etwas dapon ab, und nie baben die Germanen
thm bei fi SHeimatrecdht gewährt; es gibt keinen germanifhhen Schmiedegott.
Wieland ift nicht altgermanifch und ein arger Fleiding. Der Rede Starkad vers
fegt mit Wonne einem bublerifhen Schmied den Schandbieb. an muß den
Mime abtun. Aber zulegt, am Ende der Zifenzeit, dringt in der Dichtung von
Srodi, dem zum Bedrüder entarteten Konig des goldenen Zeitalters, auch in den
Yiorden etwas von der tieffinnigen iranifden Sage, nach der „der Schmied des
Reiches‘ die Entrechteten um fich fammelt und zur Sreibeit führt. Das Kifen kann
fhüten, das Eifen kann auch befreien. Und fo lernt der Germane es bearbeiten,
mit der Zeit aud es in befcheidenem Ausmaße aus Rafenerz felbft gewinnen, und
vor allem es innig lieben.
Die Germanen haben das Wort fur ifen und lange aud) das Lifen felbjt
von den Relten bezogen, und diefe wieder lernten es wabr(deinlicd von den Illyrern
kennen und graben. lad Italien batten es die Etruster gebracht, und zwar aus
Rleinafien, von wo es aud die Phrpger nach dem Klorden den Tbralern und
Sllyrern, und diefe außer den Kelten den Litauern und Slawen weitergaben. Aber
feine Heimat war der Raulafus und das Land am Schwarzen Meer. Don da
Drang es dDurdy Dermittlung der Hetiter fehon in der Bogbazköizeit felbft bis zu
den Agyptern, und auch die Inder müjfen es damals bereits kennen gelernt haben.
Die Stytben und verwandte iranifche Volker brachten es den Oftfinnen, wabrend
die Weftfinnen es bereits von den Germanen erbielten. So feben wir, wie das
Eifen fi nad allen Seiten ausbreitet und auf verfchiedenen Wegen und Ums
wegen nad) dem Florden dringt, durch die zugleich die weltgefchichtliche Lage der
Germanen in der Eifenzeit andeutend umriffen ift. Der eiferne Wall nabe vers
wendter indogermanifcher Völker fehließt fich befonders im Welten und Süden
ums fie, und dem Auswandererfcidfal und der Armut verfallen, können fie ihren
Seinden bloß eine fic) immer fteigernde, verzweifelte Tapferkeit entgegenfegen.
Aber das Kifen bleibt bis zur Zeitenwende in Bermanien ein allzu feltenes und
oft vergeblich begebrtes But.
Solgende Vorgänge erfüllen das Jabrtaufend: Da die Relten im Welten den
Meg verlegen, dringen die Germanen zunädhft in der Richtung des geringeren
Widerftandes im Öften und dann nach dem Südoften vor. Das gibt dem ganzen
Zeitabfchnitte fein Geprage und entfcheidet auch über den nächften, da fie zuletzt
vom Südoften ber griedhifchsftptbifche (farmatifche) Anregungen empfangen und
Rom überwinden und durchdringen — beides die Vorgänge, die ihre neue Blüte
log, Münden (Preis brofd. Mel. 6.—, geb. INE. 7.50). Diefes Wert gliedert den Stoff
nad drei TJabrtaufenden: Bronzezeit, frübe Eifenzeit, fpäte Cifenzeit (Odkerwanderung und
MWilingerzeit). Wir geben den Beginn der Darftellung des zweiten Jabrtaufends und zwei
der Ihönften Bilder aus anderen Zeilen des Werkes mit freundlicher Erlaubnis des Ders
fages wieder.
Volt und Kaffe. 1933, VIII
250
Selsrigung von Lökeberg, Bobuslän
Die von den Gletidern der Eiszeit blankgefcheuerten, meift faft wagrechten Granitfläcdhen in Bobuslän, e etger ne und anderen Landichaften
Sudfchwedens find, wo fie alte Seldflur umbegen, mit den gebeimnisvollen Selsrigungen oft geradezu überfät. Häufig wurden fie im Laufe
der Jabrtaufende von Rafen und Bufchwerk überwuchert und traten erft wieder zutage, wenn diefe jchügende Dede entfernt wurde. Damit
die in den Sels gerigten Bilder gut erfichtlich werden, pflegt man fie vor der Aufnabme mit Kreide zu füllen.
1933, VIII Wolfgang Schulg, Die Germanen der früben Eifenzeit. 251
Germanifder Surft mit Gefolge
Ausfchnitt aus einem Bilde der Trajansfäule (Rom). Der Sürft bat die Linke fprecdhend
erhoben. Er und der Mann, deffen Kopf rechts über ihm bervorragt, tragen das Haar zu
einem Knoten gedrebt. Alle baben Mäntel, die über der rechten Schulter mit Schmud:
ftüden zufammengebalten find. Der Rinftler war fictlid mit Erfolg beftrebt, die Köpfe
porträtäbnlich wiederzugeben, und brachte zugleich die überrafchende Übereinftimmung raffe-
reiner Abftammung zum Ausdrude. Der edelfte Kopf ift der oberfte. An den Meiften find
| leider die KTafen befhädigt. Man pflegt diefe Gruppe, die mit Raifer Trajan verbandelt,
als- Baftarnen zu bezeichnen. Aber eine Baftardbevälkerung fiebt kaum fo einheitlich aus.
| Eber werden es Siren fein, d. b. cin Teil diefes germanifchen, nach dem Südoften vor:
| gedrungenen Stammes, der fich rein erbalten bat.
a — —
— — — — —— —— — — — — — — — — — — — |
252 Volt und Kaffe. 1933. VIII
im néddften Jabrtaufend vorbereiteten. Jedod aud in der Richtung des größeren
Widerftandes ernten fie Ehre. Sie erweifen fic den Relten troß allem bald übers
legen und gewinnen gegen fie Raum. Endlich breitet fi vom Süden das römifche
eltreich aus. Der Kelten wird es leicht Herr, der Germanen nicht.
Der zweite und unvergleichlich größere Seind, mit dem fich die Germanen
gegen das Ende der früben und den Anfang der fpäten Cifenzeit auseinanders
zufegen haben, find die ibrer italifchen Grundlage nach den Kelten und den Gers
manen felbft aufs nächfte verwandten Römer. Aber eine ftark entfremdende
Gonderentwidlung, das Einftrömen des Ltrustifden, dann von Suoditalien des
OGriecdhifchen, die Entfaltung des Stadtftaates zum Weltreiche, ift dazwifchens
getreten. Die Sublung der griechifcden und rdmifden Welt mit den Germanen
erfolgt zunädhft durch den Handel. Die griedbifchsrömifche Induftrie fudt Ahfag
für ihre Waren, Reifende taften ficb donauaufwärts durchs feytbifche und fpäter
im Weften durchs Beltifche Gebiet in die nebelbafte Serne des YTordlandes. So
kommt es, daß man zunächft nur Stytben und Relten kennt, wenn auch der Grieche
Pytbeas gegen Ende d°s 4. Jabrbunderts von Maffilia aus zu Schiffe fo weit
vordringt, daß er die Sonne bald nach ihrem Untergang wieder aufgeben fiebt,
das Wattenmeer und Helgoland mit feinem Bernfteine fennenlernt und bereits
einzelne germanifche Flamen nennt.
Dann kommen die Germanen felbft zu den Römern: Rimbern, Teutonen,
Ambronen, am Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. Sie fuchen in Oberitalien Land,
wie es einft die Relten erlangt baben. Tro überlegener Bewaffnung und Taltil?
vermag Rom die durch die lange Wanderung und die Dermifchung mit fremden
Zuftrom verwilderten Scharen erft zu vernichten, als fie bereits durch den Einfluß
des Südens verderbt und dem Trunke verfallen find. Eine Reibe kennzeichnender
Züge werden berichtet. Die Rimbern fahren im Schnee von den Bergen auf ihren
Scilden herab. Eine römifche Befagung, die fich tapfer gebalten bat, laffen fie
nad Abfchluß eines Vertrages abzieben, den fie bei einem ebernen Stiere bes
fhwören, den fie mit fich führen. Zum Angriffe geben die Ambronen vor, indem
fie die Waffen im Takte zufammenfcdlagen, alle zu gleicher Zeit Sprünge auss
führen und ihren Flamen rufen. Die Rimbern baben, bereits redyt ungermanifch,
länzende eiferne Rüftungen mit Selmen, die geöffneten Tierrachen gleichen, Seders
üfche, weiße Schilde, zweifpigige Speere, fhwere Schwerter. Rönig Teutobad,
ein Mann von ungewöhnlicher RScperareae: fpringt uber vier Roffe, der junge
Bojorir (d. b. Konig dser Bojer) zwingt einen gefangenen römifchen Legaten zum
Sweitampfe und tötet ibn. Die Rriegsbeute foll niemandem Fluten bringen,
fondern ift den Böttern geweibt. Die Bewänder werden zerriffen und in den Rot
getreten, Gold und Silber wird in den Strom geworfen, Panzer und Pferdes
gefchire werden zerbauen, die Pferde ertränkt, die Gefangenen an den Baumen
erbängt. Die graubaarigen Priefterinnen tragen weiße £innengewänder, auf der
Schulter mit Spangen befeftigt, einen cbernen Gürtel, und find barfug. Sie
opfern die Gefangenen in einem riefigen ebernen Mifchkeffel, indem fie ibnen die
Beble durcdhfchneiden und aus ihrem Blute wabrfagen. Bei der Schlacht fhlagen
die Weiber auf Rindsbäute, die auf das Slechtwerk der Reifewagen gefpannt find.
Slieben die Manner, fo treten die Weiber ihnen entgegen, bauen fie nieder, greifen
felbft die Seinde an und ergeben fich nicht, fondern töten, wenn ihnen nicht zugefagt
wird, daß fie unberührt bleiben, ihre Kinder und fih. In allen Berichten zittert
nod) der Gchreden nad, den diefe gewaltigen, in ibrem WDollen und Tun den
Römern ganz unverftändlichen Seinde ausgelöft haben.
Später werden fid) die Romer Clar, daß diefe Völker von der Nordſpitze
Jütlande kamen, aber der weltgefdhichtliche Ginn des Vorgangs lag außerhalb
ihrer Blidweite. Erft vorgefhichtliche Sorfehung konnte bier Licht fchaffen. Mit
dem Zuge der Rimbern ift der VDorftoß der Langobarden zur Elbe, die Befiedlung
Sclefiens surd die ebenfalls von Jutland und Süudnorwegen nach ser Oders
mündung vordringenden Wandalen und eine Reihe ähnlicher ftandinavifcher Zus
1933, VIII Wolfgang Sdulg, Die Germanen der früben Cifenseit. 253
a DECKE ZEN a a ea Ba Tot dS
zuge zur Weichfel verfnuspft, die erfte Dorftufe der fpater vom Often ber eins
fetzenden germanifchen Völkerwanderung. Die Wandalen bleiben im Lande, die
Rimbern, Teutonen, Ambronen aber ziehen oderaufwärts, reißen bei Breslau
Teile der keltifchen Bojer mit fich und eilen dann in getrennten SHeerzugen, von
Weften und Often nach Italien einbredhend, dem Untergange 3u.
Der Eindrud, den die Römer in den nächften Jabrbunderten ergreifender
Rampfe mit dem oft befiegten, aber nicht bewältigten, unfaßbaren Seinde erbalten,
wird freundlicher, obgleich fie als Volk des Fliedergangs die Bermanen nie wirklidy
verfteben konnten, während der unfere von den Römern der Solgezeit ein immer
— wird, obgleich wir uns bis zur Selbſtaufgabe in ſie hineingedacht
haben. Als Rulturbringer zu den Germanen zu kommen, ſie im guten Sinne des
Wortes zu koloniſieren, war nicht ihre Abſicht. Sie wollten ausnuͤtzen und
herrſchen und, ſoweit das nicht ging, fic fichern. Jedes Mittel war ihnen dazu
recht. Das war gut fo, denn es löfte den Widerftand aus. Aber die romifde
Rultur batte auch nicht die inmeren Kräfte, den Germanen etwas zu fein, denn fie
war bereits eine Rultur des Derfalls und bloßer Schrein. Was die Römer den
Germanen bracdıten, war wenig Gutes, wenig für das andere Land und die ans
deren Menfchen Geeignetes. Der germanifche Seerbann berubte auf den Banden
des Blutes, auf freier Gefolgfdaft und thhnem Cinfag; die römifcye Unterords
nung, Bewaffnung, Berehnung wollte man nicht nacdhabmen. Mas, Gewidt,
Münze ftanden im Dienfte des ausfaugenden römifchen Handels. Die Einfuhr des
Weines haben germanifhe Stämme mit Redht Sfter verboten, leider erfolglos.
Den Gartenbau, den die Römer felbft erft frifhb aus Griechenland und Rleinafien
übernommen batten, brauchte man nicht. Der Steinbau bat fpäter auf lange Zeit
die Kunft des germanifchen Holzbaues erdrüdt. Das römifche Recht war nur für
die Römer und artete meift in Unrecht aus. Llichts 1Aßt fich den Breueln des Zirkus
und der Ausbeutung und Entwürdigung der Sklaven in Rom vergleichen. Die
römifche Religion war ein Hägliches Gemifch von Aberglaube und Unglaube ges
worden. Den böberen geiftigen Werten, die man den Griechen verdantte und in
volltönenden Brundfägen verkündete, widerfpradhen Leben und Taten. Runfts
werte verftand man zu rauben und zu taufen, aber nur felten nachzuabmen. Durch
die Befchräntung des Klachwuchfes gerade der Beften verfiel das römifche Volles
tum. Jene germanifdhen Stämme, die in diefen Derderb hineingerieten, wurden
den andern zum wearnenden Beifpiel. Erft als Rom den Germanen zugefallen
ift, wird ihnen fein Klachlaß zur Gefabr. Einzelnes haben auch die Römer von
den Germanen übernommen, 3. B. die Seife, Hafer und Roggen und den ins
zwifchen aufgelommenen Räderpflug. Wichtiger war der geiftigsfittliche Lins
flug. Die germanifche Leibwache der Raifer zeigte den Römern, was Treue ift,
und Rom wäre viel rafcher zerfallen, wenn es fich nicht zweier fo großer und
edler Seinde zu erwebren gebabt bätte wie der Germanen im Floröweften und
der Partber im Südoften.
Die innere Größe des Germanentums bat um 98 n. Chr. in einem blendenden
Schriftwerte Beftalt gewonnen, an dem fich feit dem 16. Jahrhundert deutfdes
Selbftbewußtfein immer wieder mit Recht entzündete: in der Germania des Tas
citus. Durch fie ift ein Morgenrot in unfere Srübgefdhichte gefegt, um das uns
andere Völker beneiden können (I. Grimm). Infolge des Derluftes vieler anderer
und wabrfcheinlich weit bedeutenderer Quellen ift fie das Ältefte zufammenfaffende
Werk über die Germanen. Eine ganze Reihe wichtiger Angaben ift uns nur durch
fie erbalten, und fo war fie lange Kern und Ausgangspunft der germanifden
Ultertumstunde. Darin ift nun ein gewiffer Wandel eingetreten. Man bat die
Abhängigkeit des Tacitus von feinen Quellen und die Mängel feiner Dars
ftellung beurteilen und man bat dem Boden der Heimat eine Sulle fur fic
fprecbender Dentmäler entnehmen gelernt. So ift die Germania nicht mehr bloß
ein böchft wertvolles Zeugnis für die Germanen, fondern fie ift auch immer mehr
ein Zeugnis über den Römer Tacitus geworden. BDiefer Schriftfteller, der Ge=
254 Volt und Raffe. 1933, VIII
fhichtfchreiber wurde, weil ihm die Zeit für den Rednerberuf nicht mebr günftig
fhien, und der doch immer bloßer Redner blieb, diefer Realpolitifer, dee fic) unter
Domitian dudte, um unter Nerva Bonful zu werden, der nuglofe Opfer für Jdeale
mißbilligte, aber zarte Bilder des altrömifchen Samilienlebens zur Rübrung der
Zeitgenoffen zu entwerfen wußte, diefer düftere und deladente Artift, dem es mebr
auf fdillernde und pathetifde Gentenzen anfam als auf die Wahrheit — wie
hätte es fich diefer Mann entgeben laffen follen, eine Monographie über die Ger-
manen in dem Augenblid berauszubringen, in dem diefes Volk erneut die ernfte
Gorge aller Römer war! Vielleicht meldete fid in Roms Damen, wenn fie gern
blondes Saar trugen, das man in Menge aus Germanien bezog, etwas wie ein
verlorenes Raffeideal, und vielleicht regte fich auch in Tacitus, als er den blonden
Braftnaturen des Llordens fein journaliftifches Intereffe zumwandte, etwas wie die
Sehnfucht nach altrdömifcher Größe. Aber das reichte bloß mehr dazu, die Kultur
der Germanen als rübrenden Urzuftand etwas berablajfend, ihre Schwächen mit
dem kalten Blidte des unbedentlichen Seindes, ihre beängftigende Araft mit der wohl:
feilen Haltung des Moraliften binzuftellen. Lieft man diefe Germania aus beißer
Sehnfuht nach Vorzeitlunde, dann ift es ein binreißendes, begeifterndes Buch;
denn es 3eugt troy allem von der ungebeuren Macht und Hoheit der Germanen.
Kieft man fie als Erzeugnis der römifchen Literatur, dann finkt fie freilich um etliche
Stufen herab. Tacitus fhildert nichts aus eigener Anfchauung. Er fhwelgt in
den völkertundlichen Gemeinplägen feiner Zeit, die er, wo es paßt und nicht paßt,
auf die Bermanen anwendet. Und was ihm am meiften feblt, die eigene, Klare
MWeltanfhauung, erfegt ihm die ibm auf verfchiedenen Wegen und zumeift aus
den Schriften des Sprers Pofeidonios zugefloffene Lehre der Stoiler, daß die
Menfden vom Klima abbangen und von der Kultur verderbt werden. Sein Urteil,
aud) fein Lob, wiegt daher gering, und wir find glüdlicherweife fchon lang nicht
mebr darauf angewiefen. ichtiger ift der Wert feiner zum Teil recht guten
Quellen. Am widtigften ift dies: die germanifche Vorgeſchichte ſetzt ſchon faſt
zwei Jabrtaufende vor Tacitus mit reichem Stoffe ein, und was uns der Römer
berichtet, fügt fich daber als Elar umgrenzter und gut überprüfbarer Beitrag in
den Rahmen eines unvergleichlich reicheren Bildes.
Nicht der Relte, nicht der Römer gibt dem Germanentum der Cifenzeit die
entfcheidende Präge, fondern der Aufbrud nach dem Often. Hier kommen die Ger:
manen mit Völkern in Berührung, die ihnen in ihrer geiftigen Haltung näber-
fteben als die von den Hochlulturen des Südens fehon früh angelräntelten Zelten
und die fie ausbeutenden Römer. Dom Often fommt, die jüngere Bronzezeit ein:
leitend, die Brandbeftattung. Die Germanen halten an ihr bis zuletzt ziemlich ein-
beitlich feft und entwideln aus diefem Brauche eine tieffinnige Glaubenswelt.
Dermittler waren vermutlich die Jllprer, die famt Balten, Sliawen, Tbralern,
felbft fchon einer gewiffen Schicht der Jtaliker, bomerifchen Griechen und Inder
von diefer Welle erfaßt wurden, und auch die Aelten vermögen, dem Ion
und fpäter germanifchhen Einfluffe unterworfen, nicht Surchwegs an ihrer Aörpers
beftattung feftzubalten. Wuf den Often weift der Werwolfglaube. Herodot be⸗
richtet ihn von den Lleurern im Liorden der Skythen. Dod gebdrt die eigenartige
Vorftellung aud bereits dem frbgriedhifchen und indifehen Altertum. Zu Beginn
der Kifenzeit oder bei der durch den Zuzug aus dem Liorden erfolgten Umfdicdtung
der germanifhen Stämme an der Oftfee wird fie eingedrungen fein und den fdyon
im indogermanifchen Altertum vorgebildeten Altersklaffen und Junglingsweiben
der Germanen die befondere Wendung ins Leidenfchaftliche gegeben haben. Und
gegen Ende der früben Kifenzeit tommen im Südoften die Kumen auf, mit ge:
beimnisvollem Brauchtum umwoben.
1933, VIII Aus Raffenbygiene und Bevdlterungspolitit. 255
Aus Rafjenhygiene und Bevdlterungspolitit.
Geburtenverhaltnifje in Baden. rad oen neueften tNitteilungen des badifden
ftatiftifchen Landesamtes zeigt das Land Baden eine Geburtenziffer von 10,0 auf 1000 ins
wobner. Der Vergleich ergibt, daß die Bevälterung vor 50 Jahren beinahe um ein Drittel ges
ringer war, aber faft einem Drittel Kinder mebr das Leben fcentte als jene von 3932.
Aud uber Baden ift der Geburtenridgang in derfelben Weife bereingebroden wie über
das übrige Deutfchland. Im VDergleihe zu den anderen deutfchen Ländern ftebt Baden in
der Beburtenzabl an 4. Stelle. Höhere Ziffern zeigen Oberfchlefien (23,1), Oftpreugen (20,8),
Medlenburg: Schwerin (16,4), Oldenburg (138,4) und Bayern (174).
Die Spanne zwifchen den Geburtens und Sterbeziffern, der Beburtenüberfchuß, nimmt
immer mebr ab. Im Jabre 1932 betrug er nur noch 5,2 auf 1000 Einwohner, während
er noch im Jahre 1933 11,3 betragen bat.
Trog der großen Heiratsfreudigheit, die nach dem Ariege auch in Baden einfegte, ift
der Geburtenausfall des Weltkrieges (ungefähr 122 000 Rinder) nicht eingeholt worden.
Wenn man die mittlere Geburtenziffer zwifhen den beiden legten Voltszäblungen
vom Jabre 1925 und vom Jahre 1933 zZugrunde legt, fo wurden während diefer 8 Jahre
in Baden durchfchnittlidh 43 746 Rinder geboren, das find 38,9 Geburten auf 1000 ins
wobner. Im Solgenden find die Zablen der Geburten zwifchen diefen beiden legten Volles
zablungen errechnet und verglichen. .
Die niedrigften Beburtenziffern (unter 16,0 auf 1000 Einwohner) haben in Baden
nicht die Amtebezirke, in denen die ae überwiegt, wie 3. B. Lörrad,
Weldlirh oder Wiesloch, fondern die faft ausfchlieglih Iandwirtichaftlichen Bezirke Müll
beim (15,2) und Rebl (15,4). Mit dem nächftniedrigen Geburtenftand folgen die lands
wWirtidhaftliden Bezirke Stauffen (10,2), Adelsbeim (16,5) und Überlingen (16,6). Die
me mit GroFftddten Mannbeim und Rarlsrube weifen die Ziffern 17,3 und
17,8 auf.
Don 16 Amtsbezirten, deren Geburtenziffer über 18,9 liegt, find 9 überwiegend
landwirtfchaftlid, befonders Iandwirtfchaftlihsinduftriell gemifcht und einer überwiegend
imduftriell. Der legtere, nämlich Wiesloch, bat die böchfte Geburtenziffer Badens (21, 8),
aud 3 andere Amtabezirke mit ftarter Induftriebevdllerung: Ettlingen (21,3), Brudfal
(20,8) und Waldtird (20,2) baben mebr als 20 Geburten auf 1000 Einwobner. Der eins
gebende Dergleic zeigt, daß die Beburtens@bbe audy in den landwirtfchaftlihen Gebieten
einzutreten beginnt.
Beim VWergleice zwifchen latholifden und proteftantifden Gebieten zeigt ficdh, daß
von den 20 Ratbolifchen Bezirken 11, alfo etwas über die Hälfte höhere Geburtenziffern
ats der Landesdurdfchnitt (18,9), während 9 eine niedrigere Ziffer haben. Die 3 Amtss
bezirke mit überwiegend evangelifcher Bevölkerung bleiben erbeblid unter der Landesziffer
nämlich Bretten (17,6), Pforzbeim (16,8), Rebl oN
Sur franzdfifhen Bevdlkerungspolitil.
Srantreich gilt heute noch als das Land des Jweitinderfyftems, als das Land, in dem
der Geburtenfhwund am deutlidften in feinen verbangnisvollen Solgen für Doll, Staat,
und Raffe beobachtet und erforfet werden lann.
Das ift auch richtig. Aber falfch wäre es, wenn wir Deutfcdhen uns über diefe frans
3öfifche Lebensverneinung weit erbaben dünten wollten. Es ift eine nicht zu widerlegende
Tatfache, daß die deutfche Geburtenziffer auf das Taufend der Bevölkerung niedriger ift
als die franzöfifche!
*s können verfchiedene Gründe dafür ins Geld geführt werden, daß die franzöfifche
©eburtenziffer nicht weiter gefunten ift. Der widhtigfte ift wohl die dauernde dort zu beobs
adtende Unterwanderung feitens der Ungebdrigen der verfchiedenften anderen Völker und
Aaffen. Polen und Italiener, Belgier und Spanier, Meger und Siamefen wandern in ftets
gunebmender Zahl in diefen „Raum obne Dolt“ ll pro ze Und diefe fremden
Dolksiplitter find noch nicht wie die bodenftändige Bevölkerung angelräntelt von der Surcht
wor dem Rinde. Vlatürlich wird dadurd der Staat Srantreih immer medr zu einem
256 Volt und Raffe. 1933, VIII
Sammelfurium aller möglicher Raffenmifchlinge, er verbaftardiert zufebends. Schon beute
finden fic in Srantreid) febwarze Richter, Offiziere und Geiftlide.
Uber Srantreich firblt doc) 3u deutlich die große Gefahr, die in foldy einer Umvoltung
u um nicht mit allen Mitteln der fteuerlichen und beruflichen Beiferftellung, mit Geld:
beibilfen und patristifchen Ehrungen den Rinderreidhen für die Erfüllung diefer Staats»
bürgerpflidht zu belohnen.
Die Bedingungen, unter denen eine ftaatliche Unterftügung erlangt werden kann,
find in einem WMiertblatte zufammengefaßt, das vom Burgermeifter bei der Anmeldung
einer Geburt den Eltern übergeben werden muß.
Das erfte Gejeg zur Unterftigung kinderreicher Samilien wurde am 14. Juli 1933
erlaffen. Dasfelbe fiebt cine monatliche Unterftügung von 22,5—25 Sr. vor und 3war
wom 4. ebelihen oder uncheliden Rinde unter I3 Jahren ab, wenn beide Eltern leben,
vom 3. ab, wenn die Mutter geftorben, vom 2. ab, wenn der Dater geftorben, vom I}. ab,
wenn beide Eltern geftorben. Auch das Gefetg über die WöchnerinsUnterftügung 4 Wochen
vor und 4 Worden nad der Entbindung ftammt aus den Jahre 1913. Der täglidye Unter»
ftügungsfatg fhwantt zwifchen 2,50 und 7,50 Sr.
Im Jahre 1919 erfchien das Gefe über Stillgelder. Es werden in den erften feds
Monaten nad der Fliedertunft je 45 Sr., in den folgenden 6 Monaten je 15 Sr. gewäbrt,
aber nur an joldye Srauen, die fhon die Wöchnerinslinterftügung erbalten batten.
Roftenlofe Aufnahme in einem Entbindungsbeime ift vorgefeben für arme Srauen
vom 8. Monat der Schwangerfchaft ab und bis zu 3 Monaten nad der Entbindung.
1923 und 1930 erfchienen die Gefege über nationale Beihilfe an kinderreiche Sas
milien. Die Unterftügung wird nur foldhen Eltern gewäbrt, die nicht zur allgemeinen
Eintommenfteuer veranlagt find. Der monatlidye Zufchuß beträgt, wenn beide Eltern leben,
10 Sr. für das 3. Rind unter 13 Jabren, 30 Sr. für das 4., 45 Sr. für das 5. und jedes
folgende;
Wenn die Mutter geftorben ift, erbält fhon das 3., wenn der Dater geftorben, jchon
das 2. und wenn beide Eltern geftorben find, das 1. Rind 30 Sr.
Ale Samilienmütter franzöfifcher Klationalität, ohne Beridfidtigung des Eintoms
mens, erbalten Geburtenprämien. Dieje betragen im Departement Bas Abin für das 4.
lebende, ebeliche oder legitimierte Rind 300 Sr. und mit jedem weiteren Rinde 100 Sr.
mebr. Die Geldfumme wird zur Hälfte bei der Geburt, zur andern nadydem das Rind
1 Jabr alt geworden, ausgezahlt.
Die 5 Stiftungen der Academie francaife find:
Stiftung Saulnier: 5 Preife von je 6000 Sr., die jabrlid an Samilien mit 5 lebenden,
gefunden Rindern verteilt werden.
Stiftung Etienne Lamp: 2 Preife von jährlid 30000 Sr. für zwei arme, tinders
reiche fatholifde Bauernfamilien.
Stiftung CognadsJay: 100 Preife von 30000 Sr. für franzöfifhe Samilien mit
fünf ebelichen Rindern bei einem Alter der Eltern unter 35 Jahren.
Stiftung CognadsJap: 103 Preife von 10 000 Sr. an Samilien mit 5 Rindern, wenn
der Dater nicht uber 35 Jahre alt.
Stiftung Cognad: Jay: 90 Preife von 25 000 Sr. für Samilien mit 9 Rindern; odcfts
alter der Eltern 45 Fabre.
Mütter mit 5 Rindern erhalten die Medaille de la famille francaise. Es werden
weitgebende fteuerliche Entlaftungen fowie Erleichterungen des Militärdienftes, Bauloftens
zufchüffe, Sabrpreisermäßigungen und Samilienzulagen an Rinderreiche gewäbtt.
£s wird mit Recht immer wieder darauf bingewiefen, daß durch eine ganz gleichartige
Unterftügung obne Berüdjichtigung der Lebenaftellung und Erziebungstoften der einzelnen
Samilien wobl nur ein rein zablenmäßiger Erfolg erzielt werden kann, daß aber gerade die
bodhwertigen Erbftämme auf diefe Weife Baum zur Vermehrung der Rinderzabl vers
anlagt werden.
Aber müffen wir nicht aus dem franzöfifchen Dorgeben dod die Tatface ents
nebmen, daß Srantreich es fic große Mübe und viel Geld koften läßt, der immer weiter um
fich greifenden Entvdlterung Einhalt zu gebieten? BDeutfchland ftebt heute nod (sablen:
mäßig) ganz anders da; unfere Beburtenziffer ift aber bereits niedriger als die Srantreids!
Echt diefer weftlide Kladybar nicht wie ein Mienetelel vor uns, damit wir nod, fo
lange es Zeit ift, von ihm lernen, was wir tun und was wir nidt tun follen?
Dr. Hans Rrauß, Ansbach.
1933, VIII Aus Raffenbygiene und Bevdllerungepolitit. 257
Grindung von Lehrkangeln für Raffenbygiene in Berlin und
Munchen.
Die Univerfität Berlin bat eine ordentlide Profeffur für Raffenbygiene einges
richtet und dahin den bisherigen Vertreter diefes Sades in München, Profeffor $. Lenz,
berufen, der gleichzeitig auch Abteilungsleiter im Raifer Wilhelm: Inftitut für Antbropos
logie, menfblide Erblebre und Eugenil geworden ift.
In Münden wurde eine ordentlide Profeffur und ein eigenes Inftitut für Raffens
bygiene errichtet, das dem bekannten Raffenbygieniter Or. £. G. Tirala, Brünn, übers
tragen wurde. Das Münchner Inftitut ftellt das erfte felbftändige raffenbygienifde Ins
ftitut ganz Deutfchlands dar.
Ausftellung über Raffentunde, Erbkunde und Bevodlkerungs-
politif in Wiünchen.
Der Münchner Lebrerverein bat in feiner pddagogifden Ausftellung, die im Bibs
liothelsbau des Deutfchen Mufeums in tNunden untergebracht ift, auch zwei große Räume
den Sragen Raffe, Erbgut, Volk gewidmet, die unter Sühbrung von Dr. Bruno
R. Shulg, Münden, zufammen mit mebreren Herren des !Wünchner Lebrerpereines
aufgebaut wurde. In der Abteilung Kaffe werden die wichtigften europäifchen und außers
europäifchen Raffentypen teils in farbigen, teils in fhwarzen Bildern gezeigt und eins
zelne dußere Raffenmertmale, 3. 3. Schadelbau, Haarform, Sorm der einzelnen Weichteile
des Befichtes ufw. an Bildern und odellen veranfhaulicht. Plaftifhe FTadhbildungen von
Raffentypen aus Deutfchland und eine große Karte mit der Verteilung der einzelnen Raffen
ae geben einen guten Gefamtüberblid über die wichtigften Ergebniffe der Raffens
orfchung.
Der zweite, der Erblunde gewidmete Raum bringt an Hand von Tafeln zundchft
die wichtigften Dererbungsporgänge bei Pflanze, Tier und Menfh. Außerdem wird now
an Hand von milroftopifchen Dräparaten der Vorgang der Zellteilung und an einer Reibe
von intereffanten Abgüffen die Srage der eineiigen und der zweieiigen Zwillinge dem Bes
fuder vor Augen gefubrt.
Befonders binzuweifen ift noch auf die Reibe „Dolt”, die an “and eindrudsvoller
Darftellungen die gefabrvolle bevädlterungspolitifche Lage unferes Volkes erkennen läßt.
Thüringifches Landesamt für Raffewefen.
Das Thüringifhe Landesamt für Raffewefen bat in 14 Lehrgängen
der Staatsfehule für Kübrertum und Politik zu Egendorf über 985 Lebrer, Umtswalter und
Polizeibeamte in je viermal zwei Dortrags: und Unterrichtsftunden mit den Grundzügen
der Dererbungslebre, Raffenbygiene und Bevölterungspolitit vertraut gemadıt. Diefe Schus
lungsarbeit wurde vom Präfidenten des Amtes, Dr. Karl Aftel, allein beftritten.
In vier raffebygienifchen Arztefhulungsturfen wurden unter Mitwirkung erfter
Sadjleute Deutfchlands bisber 375 Arzte gefchult. Damit find nun fämtliche beamtete Arzte
Thüringens, fowie 51 35. und 89 SA.-Arzte und eine Jabl anderer arifcher Arzte foweit
ausgebildet, daß fie ärztlichsraffebygienifeben Aufgaben gewachfen find. Weitere Schulungss
Curfe fir Richter, Standesbeamte, Derwaltungsbeamte, Vertreter des Woblfabrtswefens
uf. werden fid nun anfchließen.
Die gefamte tbüringifche Genealogenfhaft wurde durch das Landesamt in einem ges
nealogifchen Beirat erfaßt und ift nun daran, Sippfchaftstafeln und Abnentafeln bis zu
den 10 Urslirgroßeltern für alle lebenden Thüringer zufammensuftellen.
Sir die Saudel:Marfchlerftiftung werden die in Srage fommenden Cinderreiden Sas
milien, rund 3020 Perfonen, mit Hilfe der raffebygienifd gefculten Arzte Thüringens
nach dem Gefidtspuntte der Erbgefundbeit ausgewäblt. Es wurde außerdem ein erbs
biologiſches Archiv geichaffen, das gegen 1000 Sippfchaftss und Abnentafeln bereits enthält.
Fady einer Verfügung des tbüringifcehen Innenminifteriums müffen famtliche Bes
werber um Einbürgerung einen Unbedentlidteitavermert des Landesamtes fur Raffewefen
beibringen. Die Betreffenden werden auf Raffetypus, perfönliche und Erbgefundbeit, Bes
rufstidtigteit, Samilienftand und Rinderzabl gepruft. Bisher wurden 130 Cinbirgerungss
fälle bearbeitet.
258 Volt und Kaffe. 1933, VIII
Sortbildungsturfe fur Raffentunde und Raffenbygiene fur Arste
des Landes Sadıfen.
Im Auftrage der „Alademie für ärztliche Sortbildung“ in Dresden fanden bereits
zwei mebrtägige Sortbildungsturfe für fähfifhe Arzte in Dresden flatt, die zu befuchen für
alle fadfifcdhen Urczte Pflidt war. Der erfte wurde vom 14. bis einfchließlih 19. Auguft,
der Zweite vom 22. bis 24. Oltober durdgefuibrt; die Raume dazu ftellte das Aygienes
Mufeum in Dresden zur Derfügung. Herr Prof. Reche (prac aber die widhtigften Sragen
der Raffenfunde, der Staatetommiftar fir das Sddfifhe Gefundheitsewefen Or. Wegener
über allgemeine Gefichtspuntte, und Herr Prof. Staemmler/Chemnig über Vererbungs⸗
lebre und Raffenpflege. An den Kurfen nahmen bisher rund 1500 Arzte teil, die ihre Bes
tetligung durch ein Zeugnis befcheinigt erhielten. Weitere Rurfe folgen.
Sortbildungsturfe fir Raffenfunde und Raffenbygiene fur Lebrer
aller Stufen in Sadıfen.
Auf Anordnung des Minifteriums fir Dollsbildung des Landes Sadıfen fanden vom
I. bis einfcdlieBlid 32. Oltober in Dresden in den Räumen es HygienestNufeums Sorts
bildungskurfe für Lehrer ftatt. Herr Prof. Rede fprach kber die für den nationalfozialiftis
fben Staat vordringlichen Sragen der Raffentunde, Sere Staatstommiffar Or. Wegener
über allgemeine Probleme der Bevdllerungspolitit, die Gerren Prof. Staemmler und
Dr. Dellguth über Dererbungsfragen und Raffenbygiene und außerdem, um gleichzeitig auch
für die Körderung der deutfchen Borgefchichte zu werben, Herr Dr. Hülle von der Landes
anftalt für Vorgefchichte in Halle/Saale über das Thema „Die Eigenftändigleit der gers
maniſchen Rultur“.
Weitere Lehrgaͤnge ſollen folgen, der naͤchſte iſt bereits für die erſten Tage des De⸗
zember in Dresden angeſetzt.
Warum ſind Sie nicht verheiratet?
Der Öberbürgermeifter der Stadt Srantfurt a. M. hat angeordnet, daß ſaͤmt⸗
lide 1600 in Srantfurt tätigen ledigen Beamten, Angeftellten und Arbeiter fich innerhalb
einer beftimmten Srift äußern, aus weldyen Gründen fie nicht bereits verbeiratet find und
weldye Gründe ihrer Derbeiratung im Wege fteben. Gleidsecitig erging die Aufforderung
an alle Ledigen, dem Gedantlen einer Derbeirstung ernftbaft näberzutreten.
Wir wollen keine Halbbeiten in Raffefcagen!
“eute wird über Kaffe und Vererbung viel gefchrieben und bäufig wäre es beffer,
es würde nicht gefchrieben. Die Raffentunde ftebt nun einmal body im Kurs und da glaubt
mancher, er fei Bick gum Runder neuer Dinge berufen. Auch das von €. Meyer und WD.
Dittrih im HirtsDerlag berausgebradte Buch „Erbs und Raffentunde” fällt unter die
Schriften, die beffer nicht gefchrieben waren. Abgefeben von den meift fehledhten Bildern,
beifpielsweife der eine Dinarier, ferner der fogenannte typifche Deutfche, oder die beiden
oſtiſchen Menſchen, enthält das Büchlein mandye grobe Oberflädlichteiten. Man follte nicht
tubig behaupten, daß cs in Deutfchland faft keine reinraffigen Menfchen mehr gibt. Wober
follten wir fie denn kennen? Und wir feben fie doch noch faft täglidh. Daß unfere Vorfahren
nicht als SHerrenraffe an der Rüfte des Atlantifhen Ozeans gebauft und keine wilden Ers
oberungszüge gemacht baben, um den Befiegten ibre Sprage aufzuzwingen, weiß beute
faft fcbon jeder in Raffefragen bewanderte Deutfche dank der Maren Bücher von RX. Walther
Darre. Daß wir die Juden vor allem wegen ihrer zerfegenden Wirkung auf allen Lebens⸗
gebieten ablehnen, follte den beiden Derfatfern eigentlich geläufig fein. Das Bud ift im
ganzen dSurdaus unerfreulid. Die Dererbungslebre ift wenig überfichtlidh, die Raffentunde
Oberfladlid, mandhes Medizinifcde 3u ausfibrlich und das Bevdllerungspolitifde zu knapp
bebandelt. Wie gefagt, folde Bucher blieben am beften ungefchrieben.
Das Oltoberbeft ,Gefundbeit und Erziehung“ bringt eine Reibe von Beiträgen
zu dem Thema „Raffenpflege ale Erziebungsaufgabe*. Mande Außerung dazu bringt ts
Pleues und nur wenige können anregend wirken, wie vor allem der Beitrag von Le Claug.
1933, VIII Reichsausſchuß fur Voltegefundbeitsdientt. 259
Uleben wiffenswerten taffenbygienifchen und bevölterungspolitifchen Liadyrichten bringt das
Fyeft auc nod eine kurze Einfuhrung in das Schrifttum der Raffentunde und spflege. Der
Derfaffer, Sranz Schüg, fcheint fic bei der Menge des Scrifttums über die einzelnen
Werte kein Mares Bild machen zu können. So erfcheint es als ein Unding, ein Buch von
Galler vor dem Gintherfden Werk als Einführung in die Raffentunde zu empfehlen, wie
aud Rerns „Artbild“ zu empfeblen, dem das „Bauerntum“ von Darre weit überlegen ift.
Fyrr Schütz hätte auch beffer daran getan, die Bücher und Schriften von 4. Mudermann
unerwähnt zu laffen. Cine Einführung in das Schrifttum der Raffenfrage follte fid mit
Bea! guten Saden begnügen und nidt viel Buntes und lneinbeitlidhes durdyeinans
der bringen.
Einen Derfud, auch der DVollsfduljugend die Bedanten der Raffe, Dererbung und
Raffenzudht nabe zu bringen, ftellt die von Jörne und Dr. Schwab im Verlag Megner
berausgebrachte „Raffenbygienifche Sibel” dar. Es Ht, wie gefagt, ein Derfuc, der nod
weitgebende Derbefferungen ndtig baben wird. Einzelne Teile der Sibel find zu fehr medis
zinifch gebalten, während andere Dinge wieder recht wirtfam und rein fadlid, von wes
nigen Rleinigleiten abgefeben, durchaus brauchbar dargeftellt find. hr
s roder.
Raffenpflege in der ,, Kamera”.
Die Berliner ,KRamera“sAusftellung fur Photographie, Drud und Reprodultion weift
aud cine Roje fir Raffenpflege auf, getragen vom a sungen fir Bes
vdllerungspolititund Raffenpflege”. Der noch unerfabrene Befchauer kann bier
fein raffifdesMunfdbild anTypen aus Helfen, KTorddeutfchland, Niederſachſen, Ber⸗
lin, Oberöfterreih und dem Shwarzwald fhärfen und Bären. Daneben fiebt man einen mas
rollanifchen Juden als Dertreter der orientalifchen, eine Estimofrau als Vertreterin der mons
oliden und ein Aereromddden als Wertreterin der FlegersRaffe. Befremdet und zurüdges
oßen wird man dsurd die dargeftellen Mifchlinge aus Hollandern und Hottentotten,
Aber ein wahrer Zug des Brauens find die Abbildungen von Minderwertigen,
von Scharen ihrer Rinder, die in Deutfchland nah Abertaufenden zäblen! ier fteben die
Menfcden und finnen.... Gewißlich nicht bloß deshalb, weil diefer Mienfchenbrud uns jährs
lic 300—400 Millionen Boftet, fondern zweifellos au angefichts der Seftftellung, daß
zwar nidt der ungefunde, tranke und untauglicdhe, wohl aber der gefunde Habhwuds
mebr und mebr zu feblen beginnt. tr.
Deutfche Gefellfcdhaft fur Raffenbygiene.
Marburg a. d. Labn: Die in Marburg a. d. Labn unter engen Profeffor
Dr. Pfannenf tel neu gegründete Ortsgruppe bat fi in erfreulicher Weife entwidelt
und ihre Mitgliederzahl auf uber 100 gebracht. ;
Reihsausfihuß fire Dolksgefundheitsdienft.
Am 20. Mebelung bielt der Reichsausfhuß für Vollsgefundbeitsdienft feine Grim:
dungsfigung in Berlin ab. Es fpradh als erfter Reichsminifter dea Innern Dr. Srid,
deffen Rede wir am Anfang diefes Heftes veröffentlicht haben; im Anfchluß an ihn Minis
fterialrat Dr. Gütt, der Leiter des Reichsausfchuffes für Volktsgefundbeitsdienft e. D. und
fodann Herr Dr. Ruttle, der bisherige Rommifjar des Reichsausfchuffes. Herr Minifterials
rat Gutt wies auf die Wichtigkeit raffenbygienifcher Auftlärung bin. Der Reihsausfhuß
für Dollsgefundbeitsdienft ift vor allem eine Derbindungaftelle zwifden Reichsregierung,
insbefondere dem Reichsminifter des Innern und der Offentlichleit. Der Reichsausichuß fur
Dollsgefundbheitsdienft wird die Wünfche der nationalfozialiftifhen Bewegung und aller
in diefer Richtung arbeitenden Dereinigungen zufammenfaffen müffen, 3. B. die des Reiches
bundes der Kinderreichen, der deutſchen Gefellfchaft für Raffenbygiene und andere anges
— erbgeſundheitlich und familienkundlich arbeitende Vereine. Sein Aufgabengebiet
iſt folgendes:
Mitarbeit im Sachverſtaͤndigenbeirat fur Bevoͤllerungs⸗ und Raſſenpolitik beim
Reichsminiſter des Innern, Sammlung und Bearbeitung der wiſſenſchaftlichen Forſchungs⸗
ergebniſſe auf dem Gebiete der geſamten Bevoͤllerungspolitik, insbeſondere Erb⸗ und Raſſen⸗
260 Volt und Kaffe. 1933, VIII
TEE EEE EEE
tunde fowie Raffens und Erbgefundbeitspflege, Überprüfung der bevälkerungspolitifchen,
wiffenfdaftliden Sorfcdhungsergebniffe vom Standpuntte der nationalfozialiftifhen Welts
anfdauung aus, in Sublungnabme mit dem Reidsminifterium fir Vollsauftlarung und
Propaganda und der deutfchen Arztefhaft fowie der Reichsleitung der W.S.D.AP.; Bes
forgung des notwendigen bevälkerungspolitifchen Auftlärungsftoffes in guter Sorm und
mit wiffenfchaftliher Grundlage; Zufammenarbeit mit dem Deutfhen SHygienemufeum und
den Lehrmittel berftellenden Sirmen zwede Anfertigung wertvoller Lichtfilme; Heranziehung
der Runft als Erzichungsmittel zum deutfchen Schönbeitsideal.
Here De. Ruttle fegte dann die Gliederung des Reichsausfchuffes für Voltsgefunds
beitsdienft auseinander; fie beftebt aus der Leitung, dem Gefchäftsführer, Verwaltungs»
tat, Mitgliedern und Untergruppen. Leiter, Stellvertreter und Befchäftsführer werden vom
Reichsminifter des Innern beftellt. Grundfäglihd foll Leiter der für Sragen der Bes
völkerungspolitit zuftändige Sacdberater im Reihsminifterium des Innern fein, fein Stells
vertreter der Leiter der Medizinalabteilung im preußifchen Minifterium des Innern. Leiter
ift daher Herr Minifterialrat Dr. Bütt, fein Stellvertreter Minifterialdicettor Dr. Srey.
Dem Verwaltungsrat follen angebören: je ein Vertreter der Reichsminifterien, je ein Vers
treter der Länder und der preußifchen Provinzen, ein Vertreter des Reichsgefundbeitsamtes,
ein Vertreter der Arztefchaft, ein Vertreter des Deutfchen Hygienemufeums, ein Vertreter
der Samilientunde, ein Vertreter des KReihsführerse SS., ein Vertreter der oberften SA.s
Sabrung, ein Vertreter der Reichsjugendführung, eine Vertretung des Srauenwertes, ein
Dertreter der Rrantentaffen-Spigenverbande, ein Vertreter des deutfchen Bemeindetages
und ein Vertreter der NS.⸗Wohlfahrt.
Mit Hilfe dieſer Vereinigungen ſoll allmaͤhlich eine großzuͤgige planmaͤßige Er⸗
ziehung der erbgeſunden, kinderreichen Familien erfolgen.
ere Ninifterialrat Dr. Gutt dankte ſchließlich Herrn Dr. Ruttke fuͤr ſeine bis⸗
herige Taͤtigkeit als Rommiſſar des Reichsausſchuſſes und ſchloß die Sitzung mit einem drei⸗
fachen Siege⸗cheil auf den Subrer.
Fragekaſten.
Antwort auf Frage 3: Wie hoch iſt die Zahl der Hilfsſchuͤler unterrichtenden und be⸗
trauenden Lehrkraͤfte?
Nach der letzten Zaͤhlung der Hilfsſchulen Deutſchlands durch den Verband der Hilfes
ſchulen im Jahre 1927 ergaben ſich 3900 «5ilfsſchulllaſſen mit 7319,02 Rindern im volks⸗
ſchulpflichtigen Alter. Dieſe Rinder wurden von 4030 Lehrkraͤften (2900 Lehrern und 1007
Lehrerinnen) betraut. (Durch dieſe Statiſtik find nur so Cleine Sun
r. Leſch.
Mitteilung.
Auf Anordnung des Herrn Reichsminiſters des Innern laͤßt der Reichsausſchuß für
Voltsgefundbeitsdientt eine Schriftenreihe erfcheinen. Bisher find folgende Aefte erfcienen:
Fyeft 3: Anfprache des Seren Reichsminifters des Innern Dr. Srid auf der erften
Situng > Sacdverftandigenbeirats fir Bevdllerungss und Raffenpolitit am 28. Juni
1933 in Berlin.
Heft 3: Die Bedeutung der natürliden Zucdhtwahl bei Tieren und Pflanzen. Don
Profeffor Dr. €. Baur, Müncheberg.
eft 4: Die Bedeutung von rt und Boden für das deutfhe Voll. Don Minis
fterialrat Dr. Gütt, Berlin, Reicheminifterium des Innern.
eft 5: Die UWufgaben der Srau für die Aufartung. Won Elifabeth von Barfewifd.
Hoeft O: Rinderreihtum — Wolksreihtum. Von Dr. Sriedrihd Burgddrfer, Direttor
beim Statiftifchen Reichsamt, Berlin.
Die eyefte der Schriftenreihe find zum Preife von ME. 0.10 für ı Stüd, ME. 0.08 bei
25 Eremplaren, ME. 0.06 bei 50 Eremplaren, ME. 0.05 bei über 100 remplaren beim
Reihsausfhuß für Voltsgefundbeitsdienft, Berlin LTO. 7, Roberts KodsPlag 7, 3u besieben.
Diefen Aeften ift weite(te Derbreitung 3u wunfden.
XR zur Erblehre und Raffenhygiene
eratur der Rassenkunde seit
Jahren mit kurzen Angaben,
a pfehlungen usw.
‚chtverständliche u. grundlegende
wführung, ministeriell empfohlen
konders geeignet für den Unter-
Li, für Lehrer und Erzieher.
»derholt von W.S.-Lehrerbünden
Yfohlen
vr Jedermann, besonders für die
end und für den Schulunterricht
führung in die Voraussetzungen
Grundlagen des Sterilisierungs-
zes.
|
|
Die AN im Schrifttum
bon Dr. Achim Gerde
Leinen 3.50 AM.
Erbbiologifher und raffenhygienifdher
für Jedermann
bon Dr. Konrad Dürre
Leinen 3.30 AM.
Erziehung zu eugenifher Lebensführung
bon Emil Yörn
Karton. 1. ap RM.
Raffenhygienifche Fibel
bon E. Jörns / Dr. med.
Halbleinen 2.20 RM.
Bekämpfung der Unterwertigfecit
bon Dr. med. %. 8. Scheumann
Leinen 3.30 RM.
Wegweifer
%. Schwab
Berlin SW. 61
Alfred Metzner W Verlag
Das neue Wert von Prof. Dr. Gans $. K. Gite
| Die noröifche Raffe bei den Indogermanen Afiens
Zugleich ein Beitrag zur Stage nach der Urbeimat und Raffenberkunft
der Jndogermanen.
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| Das neue Werk des bekannten XKafjenforfcbers darf als grundlegend für die Gefchichte der
\ nordifcehen Raffen angefproden werden. Ein lebendiges Bild von den Menfden der jungen
| Steinzeit, ihrer Urbeimat, ibrem Leben und Treiben und ibren Wanderungen entftebt vor
ı unferen Augen und wird zur überzeugenden Beftätigung des Darrejchen Sages von der Bäuer:
lichkeit der nordifchen Kaffe. Güntber dringt tief in die Gefchichte der afiatifchen Stämme,
ihre Rulturen, Religionen, Gefege, Sitten und Gebräude ein. Er bringt den Nachweis, daß
\ bei verfehiedenen Völkern Afiens fcbon in frisbeften Zeiten, wie auch noch beute eine nordifche
Oberschicht feftzuftellen ift. Wiffenfchaftlibe Gründlichkeit verbindet fih mit lebendiger Ge:
ftaltungstraft und Rlarbeit der Darftellung. Die 3zablreichen Abbildungen erböben nod die
Anfchaulichkeit der Ausführungen und machen es auch dem Laien leicht dem Verfaffer zu folgen.
Le made Deierla + Marni den
J. x.
e mechen unjere Lejer bejonders auf die beigefügten Projpette des YJnfel-Verlages G. m. 6. H., Leipzig, und der Fa
| ee Amelang, Leipzig, aufmerkſam.
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Soeben erschienen:
Raffentunde und.
Raſſengeſchichte
der Menſchheit
on
Egon Freiherr v. Eickſtedt
Univerſitätsprofeſſor u. Direktor des ae ene
und des Ethnologijden Inititutes zu Breslau
Etwa 944 Seiten, 615 Abbildungen, 5 Tafeln und 8 farbige Karten, 1954,
Geh. RM. 72.50, in Leinen ‚gebunden RT. 76.50.
Urteile aus den erjften Bejprehungen:
Das im Erjcheinen begriffene große Werk veripricht, eine gewiß von jehr vielen oft und fj |
lid) empfundene Lüde auszufüllen, Don Rafjenfragen wird gerade in unjerer Zeit jehr viel ger)
j eh Aber wie wenige von den laut geäußerten Meinungen und Urteilen haben eine gejidyerte)
rundlage von Kenntnifjen! Diejer Mangel beruht nicht allein auf Oberflaclidteit, jondern zum F
guten Teil auf dem Umitand, daß es recht jchwer ilt, troß oder vielleicht gerade wegen des über)
aus reichen Schrifttums jich eine wiljenjchaftlichen eg Reg Meinung über ne F
u bilden. Hier verjpricht endlich das vorliegende Wert Abhilfe zu jchaffen, dem fein Ghnlides in)
de her Spradye aus neuerer Zeit zur Seite zu ftellen ijt. Die vieljeitige Ausbildung des Derf.,
Ele reichen perjönlichen Erfahrungen, die er auf langen Reijen im Dertehr mit fremden Dolterny
und Rajjen erworben hat, geben ihm in bejonderem Mage das Recht und die Befähigung zur Abe)
fajjung eines Wertes wie des vorliegenden. Außerordentlid reich ijt die Beigabe ſchöner, gre |
teils neuer ees und Karten. Die feijelnde, im bejten Sinne populäre Darftellung €
möglidyt das Derftändnis des Wertes au dem Nidhtfahhmann. So wird das Bud; Zwar in eriter)
Linie dem Anthropologen und Ethnologen eine auf den neuejten Sorjhungen fußende, önlich
durchgearbeitete, überaus anregende zufammenfaljende Darjtellung geben, aber aud; weiteren rei
von Gelehrten und Laien bald unentbehrlid jein. Die Ausjtattung des Buches ee nad t
Rihtung vorzüglich, fein Preis gewiß nicht hod). (v. Eggeling in: Anatomijdyer Anzeiger).
Das Werk bedeutet einen Martitein in der wiljenjdaftlid-anthropologijden Weltliteratur. Meuel
wejentliche, noch niemals aufgeitellte Gejichtspunfte, eigene Jahrzehnte lang durchgeführte aie |
Ihungen verbunden mit reichitem umfaljendem Wijjen haben hier eine Rafjentunde und Bajjen:;
geihichte geichaffen, welche, in lebendigen, flüfjigem Stil gejchrieben, einzig ift. Ausgejtattell
mit vorzüglihen Bildern von Menjchen und Landichaft lebt jidy der Lejer zugleich in die D lun
binein. In der Sülle der geiltvoll entwidelten neuen Probleme, in der eigenen Lebendigtett un
iichen Art des von Eidjtedtichen Stils wird das Werf nicht nur Belehrung bringen, jondern Zugleid
ruchtbringend weitere Sorjchungen anregen. (W. Brandt, Köln in: Biologilches Zentralblatt.
Serdinand Ente, Verlag, Stuttgart-W 3
Leo Berantwortlid für die Schriftleitung von „Volk und Kafje": Dr, Bruno K. Sautg, Diun
Veranund * Verantwortlich für den Anzeigenteil: Guido Haugg, München. — Berlag: 3. $. Lehmann, nden. ;
Druck von Dr. F. G. Datterer & Cie., Freijing-Wiiinden.
Printed in Germany.
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