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Full text of "Die volkswirtschaftlichen anschauungen der scholastik seit Thomas v. Aquin"

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Beiträge 


zur 


Geschichte  der  Nationalökonomie 

Herausgegeben  von 

Geh.  Hofrat  Professor  Dr.  Karl  Diehl 

Freibunr  i.  Br. 


Erstes  Heft: 


Die  volkswirtschaftlichen  Anschauungen  der  Scholastik 
seit  Thomas  v.  Aquin 

Von 

Dr.  Edmund  Schreiber 


Jena 
Verlag  von  Gustav  Fischer 

1913 


Die  volkswirtschaftlichen 

Anschauungen  der  Scholastik 

seit  Thomas  v-  Aquin 


Von 


Dr.  Edmund  Schreiber 


Jena 
Verlag  von  Gustav  Fischer 

1913 


Alle  Rechte  vorbehalten 


Fürstlich  priv.  Hofbudidruckerei  (F.  Mitzlaffl  Rudolstadt 


Meinem  Lehrer 
Herrn 

Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  K.  Diehl 


in  Dankbarkeit  gewidmet 


Zur  Einführung. 


Es  ist  eine  allgemein  bekannte  und  anerkannte  Tatsache,  daß 
es  an  einer  guten  Geschichte  der  Nationalökonomie  zurzeit  noch 
fehlt.  Die  vorhandenen  Darstellungen,  sowohl  die  in  deutscher 
Sprache  als  die  in  fremden  Sprachen  erschienenen,  sind  mehr  oder 
minder  unzureichend,  und  auch  die  besten  unter  ihnen  weisen 
große  Lücken  auf.  Dieser  Zustand  ist  teilweise  den  Verfassern 
nicht  zum  Vorwurf  zu  machen,  denn  es  fehlt  noch  in  großem  Maße 
an  den  nötigen  Vorarbeiten.  Die  neue  Sammlung,  deren  erstes 
Heft  hiermit  der  Öffentlichkeit  übergeben  wird,  soll  diesem  Mangel 
dadurch  abzuhelfen  suchen,  daß  sie  Bausteine  für  eine  künftige 
wissenschaftlich  vollständige  Geschichte  der  Nationalökonomie  liefern 
will.  Das  erste  Heft,  verfaßt  von  Dr.  Schreiber,  behandelt  die 
Scholastik  seit  Thomas  von  Aquino,  das  zweite  Heft,  verfaßt  von 
Dr.  Zielenziger,  die  alten  deutschen  Kameralisten.  Auch  die 
künftigen  Beiträge  sollen  entweder  ganze  Epochen  oder  einzelne 
besonders  markante  Autoren  hehandeln,  die  für  die  ideengeschicht- 
liche Entwicklung  der  Nationalökonomie  von  Wichtigkeit  sind. 
Wenn  auch  die  Sammlung  in  erster  Linie  Arbeiten  meiner  Schüler 
bzw.  von  Mitgliedern  des  von  mir  geleiteten  Seminars  enthalten 
soll,  so  können  doch  auch  andere  Arbeiten  Aufnahme  finden, 
soweit -sie  quellenmäßige  Darstellung  und  streng  wissenschaftliche 
Objektivität  aufweisen. 

Freiburg  i.  B.,  November  1913. 

Karl  Diehl. 


Vorbemerkungen. 


Die  wirtschaftlichen  Anschauungen  des  Mittelalters  sind  in 
den  letzten  Jahren  in  steigendem  Maße  von  Seiten  der  National- 
ökonomie Gegenstand  wissenschaftlicher  Forschung  geworden. 
Die  Ursachen  dieser  Erscheinung  liegen  wohl  zum  größten  Teil 
in  Problemen,  die  das  moderne  Wirtschaftsleben  gestellt  hat  und 
die  zu  ihrer  Lösung  eine  Kenntnis  des  Mittelalters  dringend  er- 
fordern. 

Einmal  zeigen  sich  manche  soziale  Strömungen  der  Gegen- 
wart in  hohem  Maße  durch  das  Mittelalter  beeinflußt,  indem 
manche  Prinzipien,  die  sie  auf  moderne  Fragen  anwenden,  von 
der  Scholastik  zuerst  aufgestellt  sind.  Es  sei  hier  nur  auf  den 
Einfluß  hingewiesen,  den  die  thomistische  Staats-  und  Gesellschafts- 
lehre auf  die  katholisch -soziale  Bewegung  ausgeübt  hat.  Man 
wird  letztere  nicht  voll  verstehen  und  die  Aufgaben,  an  deren  Er- 
füllung sie  arbeitet,  nicht  voll  begreifen  können,  wenn  man  nicht 
auf  Thomas  von  Aquin  zurückgeht. 

Dazu  gesellt  sich  ein  anderes,  viel  erörtertes  Problem:  Die 
wirtschaftliche  Inferiorität  der  katholischen  Bevölkerung  gegenüber 
der  protestantischen.  Hat  sie  vielleicht  darin  ihren  Grund,  daß 
der  Protestantismus  gegenüber  dem  Katholizismus  des  Mittelalters 
neue  ethische  Gesichtspunkte  brachte,  die  dem  Individuum  eine 
andere  Stellung  zum  Wirtschaftsleben  ermöglichen?  Oder  ist  sie 
vielleicht  dadurch  veranlaßt,  daß  der  Katholizismus  im  Mittelalter 
einem  Wirtschaftsleben  gegenüber  gestanden  hatte,  das  im  Som- 
bartschen  Sinne  auf  dem  Bedarfsdeckungsprinzip  aufgebaut  war, 
und  daß  die  dort  gebildeten  wirtschaftlichen  Anschauungen  bei 
der  Kontinuität  der  Entwicklung  nicht  abgestreift  werden  konnten, 
als  das  kapitalistische  Gewinnstreben  sich  an  die  Stelle  des  mittel- 
alterlichen Standesprinzips  setzte,  während  dem  Protestantismus, 
der  jene  Verbindung  mit  dem  Mittelalter  nicht  in  dem  Maße  hatte, 
von  vornherein  eine  andere  Stellung  ermöglicht  war?   Man  mag  diese 


—     VI 


\ 


Fragen  beantworten,  wie  man  will,  sie  werden  ohne  gründliche 
Kenntnis  der  wirtschaftlichen  Anschauungen  des  Mittelalters  nicht 
gelöst  werden  können. 

Aber  von  diesen  Gegenwartsfragen  abgesehen,  erregt  auch  vom 
rein  geschichtlichen  Standpunkt  aus  das  Mittelalter  hohes  Interesse. 
Ich  denke  hier  nicht  an  die  Bedeutung  der  ökonomischen  An- 
schauungen für  das  Wirtschaftsleben  des  Mittelalters  selbst;  die 
Wirtschaftsgeschichte  wird  an  ihnen  nicht  achtlos  vorüber  gehen 
können.  Ich  denke  hier  vielmehr  an  die  Dogmengeschichte  der 
Nationalökonomie.  Man  wird  freilich  von  einer  Nationalökonomie 
des  Mittelalters  im  eigentlichen  Sinne  nicht  sprechen  können.  Aber 
unzweifelhaft  nimmt  die  Scholastik  in  der  Entwicklung  des  öko- 
nomischen Denkens  überhaupt  eine  Stellung  ein,  die  nicht  über- 
sehen werden  kann.  Und  die  Geschichte  der  Nationalökonomie 
wird  gern  auch  Keime  wirtschaftlicher  Ideen  verzeichnen,  die 
sich  mit  manchen  modernen  Fragen  berühren,  auch  wenn  man 
heute  weit  über  jene  ersten  Spuren  hinausgekommen  ist.  Nicht 
zuletzt  ist  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  eine  Erforschung  der 
wirtschaftlichen  Anschauungen  des  Mittelalters  unumgänglich. 

Zur  Erfüllung  der  Aufgabe,  auf  die  soeben  hingewiesen  ist, 
möchte  die  vorliegende  Arbeit  einen  kleinen  Beitrag  geben.  Sie 
behandelt  die  Wert-  und  Preislehre  der  Scholastik  seit  Thomas 
von  Aquin,  wobei  zugleich  dem  letzteren  seiner  überragenden 
Bedeutung,  zumal  auch  für  das  ökonomische  Denken  des  Mittel- 
alters selbst,  entsprechend,  der  Hauptteil  der  Untersuchung  ge- 
widmet ist.  Sie  schließt  mit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts.  Das 
Ziel,  das  sie  sich  stellt,  ist  das,  die  Entwicklung  der  wirtschaft- 
lichen Anschauungen  der  Scholastik,  soweit  sie  das  genannte  Ge- 
biet berühren,  darzustellen.  Es  mußte  daher  auch  auf  den  Handels- 
gewinn, den  Zins  usw.  Rücksicht  genommen  werden,  weil  es  sich 
auch  hier  letzten  Endes  um  Preisprobleme  handelt.  Der  an  sich 
etwas  weite  Titel  der  Arbeit  —  »Die  volkswirtschaftlichen  An- 
schauungen der  Scholastik  seit  Thomas  von  Aquin«  —  dürfte 
daher  wohl  gerechtfertigt  sein. 

Alles  weitere  wird  sich  im  Verlaufe  der  Darstellung  selbst 
ergeben. 


Inhaltsangabe. 


Seite 


Vorbemerkungen v— vi 

Inhaltsangabe vn— vm 

Erster  Teil.     Die  Lehre  vom  gerechten  Preis  bei  Thomas 

von   Aquin     i — 121 

I.  Die  Lehre  vom  gerechten  Preis  im  Altertum       .   .   .  3 —  15 

IL  Die   Lehre   vom    gerechten    Preis   bei  Thomas   von 

Aquin 16— 121 

Leben  und  Schriften 16 —  17 

A.  Allgemeines  aus  den   wirtschaftlichen  Anschau- 
ungen des  Thomas  von  Aquin 18 —  25 

a)  Eigentumslehre  und  Standesprinzip 18 —    19 

b)  Arbeitsteilung 19 —   21 

c)  Tauschverkehr  und  Handel  in  der  Stadtwirtschaft 21 —  25 

B.  Tauschverkehr  und  Handel  unter  dem  Gesichts- 
punkte des   gerechten  Preises 25 — 119 

§   1.      Ökonomischer    Charakter     des    einfachen    Tausches    und 

des  Handels 25 —  31 

§  2.      Die  Wertgleichheit  als  Forderung  der  Gerechtigkeit    .    .  31 —  45 

§  3.      Der  Tausch  nach  Albertus  Magnus 45 —  53 

'  §  4.      Die    nähere   Ausgestaltung   des  Prinzips    der  Wertgleich- 

keit 53—  65 

§   5.       Die  Quellen    der    thomistischen   Wertlehre,    insbesondere 

ihr  Verhältnis  zu  Aristoteles 66 —  75 

§  6.      Der  gerechte  Preis  im  Handel 75 —  83 

§  7.      Die  Lehre  vom    gerechten  Arbeitslohn 83 —   88 

§  8.      Gerechter  Preis  und  Zins 88 — 119 


C.  Schluß 


120 — 121 


Zweiter  Teil,     Die    Entwicklung    der   Wertlehre    in    der 

übrigen  Scholastik  seit  Thomas  von  Aquin     .    .     123—232 


VIII 


Abschnitt: 


Die    allmähliche    Ausbildung-    der    subjek- 
tiven Wertlehre 


§  i. 

§    2- 

§  3- 
§  4- 


Bonaventura 

Heinrich  von  Gent  .  . 
Ricardus  de  Mediavilla 
Duns  Scotus 


2. 


Abschnitt: 


§  3 
§  4 


§  5 


Die  Auflösung   der   Lehre    vom    gerechten 
Preise;  Prinzip  der  Vertragsfreiheit   .... 

Aegidius  Lessinus 

Franciscus  de  Mayronis  und  Durandus  a.  S.  Porciano    .    . 

Petrus  de  Palude 

Johannes  Buridanus 

I.  Nicolaus  Oresmius,    II.  Baldus  de  Ubaldis,    Perusinus 


Abschnitt:   Abwendung    vom     Prinzip    der    Vertrags- 
freiheit    

A.  Forderung  staatlicher  Preisfixierung,  Rückkaufbarkeit  der  Renten 

§   i.      Heinrich  von  Langenstein 

§  2.      Heinrich  von  Oyta 

§  3.      Johannes  Gerson 

B.  Ausgleich  von  Freiheit  und  Gebundenheit;  Wechsel,  Versicherung, 
Staatsanleihen 

§    1.      Johannes  Nider 


§  2. 
§  3- 
§  4- 


Laurentius  de  Rodulfis 
Antonin  von  Florenz  . 
Bernhardin  von  Siena  . 


Seite 

125 — 160 

126 — 131 

131— 139 
140 — 146 
146 — 160 


161— 193 
161 — 172 
172 — 176 

176—177 
177  — 191 
191— 193 


194—226  0 

194 — 206 
196 — 202 
202 — 204 
204 — 206 

206 — 226 
207 — 210 
211 — 217 
217 — 223 
223 — 226 


Ergebnisse 227—232 

A.  Personenregister 233 — 235 

B.  Sachregister 236 — 240 

A.  Verzeichnis  der  benutzten  Quellenliteratur 241—242 

B.  Verzeichnis  der  sonst  benutzten  Literatur     243—246 

Druckfehler  und  Berichtigungen 247 


Erster  Teil. 


Die  Lehre  vom  gerechten  Preis  bei 
Thomas  v.  Aquin. 


Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  i. 
Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


I. 
Die  Lehre  vom  gerechten  Preise  im  Altertum. 

Bevor  wir  auf  die  Lehre  vom  gerechten  Preis  bei  Thomas 
eingehen,  müssen  wir  einen  kurzen  Blick  in  die  vorhergehenden 
Zeiten,  zumal  des  christlichen  Altertums  werfen. 

Das  christliche  Altertum  hat  den  gerechten  Preis  der  Dinge 
nicht  in  tieferer  Weise  bestimmt.  Gewiß  wird  die  Idee  der  Ge- 
rechtigkeit im  Handel  vertreten.  Aber  wenn  von  einem  gerechten 
Preise  gesprochen  wird,  so  geschieht  es  doch  mehr  im  Sinne  des 
täglichen  Lebens,  das  wohl  von  gerechten  und  ungerechten  Preisen 
spricht,  aber  doch  die  zugrundeliegenden  Probleme  nicht  erfaßt. 
Insbesondere  findet  sich  von  einer  eigentlichen  Wertlehre  in  der 
Patristik  so  gut  wie  nichts.  Aber  so  unbedeutend  auch  die  Spuren 
sein  mögen,  sie  sind  doch  für  die  Folgezeit  von  Bedeutung  ge- 
wesen und  dürfen  daher  nicht  übergangen  werden. 

Dieser  Mangel  an  tieferer  Auffassung  und  Begründung  der 
Lehre  vom  gerechten  Preise  ist  um  so  bemerkenswerter,  als  be- 
reits mehrere  Jahrhunderte  zuvor  Aristoteles  in  tiefgehender 
Weise  das  Wesen  der  Gerechtigkeit  im  Tausche  erörtert  hatte. 
Aber  seine  diesbezüglichen  Untersuchungen  haben  auf  die  patri- 
stische  Literatur  keinen  Einfluß  ausgeübt.  Wir  können  sie  deshalb 
zunächst  übergehen  und  sie  später  im  Zusammenhang  mit  den 
thomistischen  Kommentaren  behandeln,  wenn  dies  auch  an  sich 
der  historischen  Reihenfolge  nicht  entspricht. 

Dagegen  zeigt  sich  die  Anschauung  des  christlichen  Alter- 
tums wesentlich  von  Plato  beeinflußt.  Wir  müssen  daher  auf 
seine  Stellung  zum  gerechten  Preise  und  Handel  eingehen1). 

Der  Staat  hat,  so  äußert  sich  Plato  in  der  Politeia,  seinen 
Ursprung  im  Bedürfnis2).  Denn  der  Einzelne  kann  nicht  für  sich 
allein  leben,  sondern  bedarf  zur  Stillung  seiner  Bedürfnisse  vieler, 


x)  Über  Plato  vgl.  Pöhlmann,  Geschichte  des  antiken  Kommunismus  und 
Sozialismus.  I.  1893,  S.  184  ff.  Ferner  Zeller,  Philosophie  der  Griechen  II,  I,  vor 
allem  S.  968  ff.     Bäumker,  Art.  Plato.     St.  d.  G.  IV,   159  ff. 

2)  Pol.  369  C:   »Ttoifjoei  de  avirjv  (sc.  nöhv).  .  .  f)  rffierega  xgsia.z 

1* 


—     4     — 

einer  Gemeinschaft1).  In  dieser  Gemeinschaft  muß  Arbeitsteilung 
herrschen,  denn  es  ist  besser,  wenn  einer  nur  ein  Erzeugnis  her- 
stellt: Es  entspricht  das  der  Verschiedenheit  der  natürlichen  An- 
lagen des  Menschen  und  bietet  zudem  die  Gewähr  für  bessere 
Qualität  der  hergestellten  Güter2).  Als  Glied  dieser  volkswirt- 
schaftlichen Arbeitsteilung  erscheint  auch  der  Handel.  Da  sich 
kaum  ein  Staat  denken  läßt,  der  nicht  Zufuhr  von  außen  nötig 
hätte,  weil  er  nicht  alle  notwendigen  Gebrauchsgegenstände  in 
sich  besitzen  kann,  sind  eben  Kaufleute  nötig,  die  in  verschie- 
denen Staaten  umherziehen  und  in  den  eigenen  Staat  einführen, 
was  dort  mangelt3).  Damit  ferner  der  mit  der  Arbeitsteilung 
innerhalb  der  Stadt  sich  ergebende  Austausch  sich  vollziehen  kann, 
ohne  daß  die  einzelnen  Produzenten  gezwungen  sind,  selbst  auf 
dem  Markte  zu  erscheinen  und  so  ihrer  Tätigkeit  entzogen  werden, 
ist  der  Krämer-  oder  Kleinhandel  erforderlich,  dessen  Aufgabe 
also  in  der  Vermittlung  des  Umsatzes  innerhalb  des  Staates  be- 
steht4). 

Die  wenigen  Bemerkungen  zeigen  immerhin,  daß  die  volks- 
wirtschaftliche Bedeutung  des  Handels  von  Plato  in  durchaus 
richtiger  Weise  und  im  Vergleich  zu  seinen  sonstigen  wirtschaft- 
lichen Anschauungen,  wie  Pöhlmann  bemerkt,  mit  »großer  Un- 
befangenheit«5) gewürdigt  wird,  wenn  aus  ihnen  auch  keineswegs 
ganz  Piatos  Stellung  zum  Handel  entnommen  werden  kann. 

Ausführlicher  und  mehr  ins  einzelne  gehend,  äußert  er  sich 
jedoch  in  den  Nomoi,   der  Schilderung  seines  zweitbesten  Staates. 

Hier  ist  er  in  der  sittlichen  Beurteilung  des  Handels  seiner 
Zeit  sehr  schroff.  Die  Stellung  Piatos  zum  Wirtschaftsleben  über- 
haupt charakterisiert  sich  als  eine  Reaktion  gegen  den  Mammo- 
nismus und  Luxus  seiner  Tage,  gegen  das  Vorherrschen  des  Er- 
werbstriebes, der  die  Bestrebungen  höherer,  geistiger  und  sittlicher 
Art  unterdrückt  und  so  die  Gesellschaft  in  einen  Fieberzustand 
versetzt6):  »Xeyo/uev  dr]  jurjie  %qvoov  elvai  öeiv  /xf)re  ägyvQov  ev  rfj  nöXei, 
urjx    av  yQrjjuartojuov  noXvv  öid  ßavavolag  xal  roxcov  jutjöe  ßooxrjjudxcov 


1)  1.  c.  B:  »ylyvEzai  zocvvr  .  .  nöXig  .  .  .  etieiötj  zvyiävEi  rjfiwv  sxaozog  ovx  avzdgxrjg, 
äXXa  noXXwv  ivdetfg.« 

2)  Pol.  369  D.   cf.  pol.  370  C:    »ix  dr)  rovrcov  n\ti<x>  re  i'xaoza  yiyvezat  xal  xäXXiov- 
xai  qöov,  Szav  eig  ev  xazä  tpvotv  xal  ev  xcuqcö  oxoXtjv  zwv  äXXcov  äycov,  ngäzzfl.* 

3)  Pol.  370  E.  371  A.  B. 

4)  Pol.  371   CD. 
6)  a.  a.  O.  S.   221. 

«)  Vgl.  Pöhlmann.     a.  a.  O.  S.  218. 


—     5     — 

moxQ(öv>  dXX'  öaa  yecogyia  didcooi  xal  cpegei  xal  tovtcov  ojioool  fj,t]  XQV' 
/bianCojuevov  dvayxdoei  ä/ueÄeiv,  wv  evexa  7ie<pvxe  xd  xQVIuaxa-  i<*via 
ö'eaxi  yvyr)  xal  ocöjua1).« 

Diesem  Geiste  entsprechend  verurteilt  Plato  nichts  schärfer 
als  den  Handel  des  Gelderwerbes  wegen,  d.  h.  den  Handel,  wo 
es  dem  Kaufmann  nicht  um  die  Befriedigung  der  Bedürfnisse  der 
Volkswirtschaft  zu  tun  ist,  sondern  lediglich  um  seine  eigene  Be- 
reicherung. Der  unersättliche  Durst  nach  Gewinn  ist  es,  der  den 
Handel  unehrenhaft  macht2). 

Zur  Fernhaltung  dieser  Auswüchse  werden  strenge  Forde- 
rungen aufgestellt:  Die  Zahl  der  Kleinhändler  soll  möglichst  be- 
schränkt sein3).  Die  Einfuhr  von  Waren  soll  nur  insofern  ge- 
stattet werden,  als  es  sich  um  notwendige  Bedarfsgegenstände 
handelt4).  Die  Staatsgewalt  soll  einen  wahren  Wert  der  Dinge 
festsetzen  in  Verbindung  mit  Sachverständigen  aus  dem  Gewerbe 
und  Handel.  Über  das  Wesen  dieses  wahren  Wertes  läßt  sich 
Plato  allerdings  nicht  näher  aus5). 

Der  Händler  soll  ferner  auf  dem  Markte  nur  einen  Preis 
nennen  und,  wenn  er  diesen  nicht  erhält,  nicht  feilschen,  sondern 
seine  Ware  wieder  mit  nach  Hause  nehmen6).  Durch  alle  diese 
Bestimmungen  soll  jeder  Betrug  vom  Handel  ferngehalten  und 
dem  Händler  ein  mäßiger  Gewinn,  ein  xeqöos  /biexgcov1),  gesichert 
werden,  der  ihm  seine  Existenz  ermöglicht.  »Seines  spekulativen 
Charakters  völlig  entkleidet  soll  der  Handel  zu  einer  Art  Amt 
werden,  das  seine  Aufgabe  nur  darin  zu  sehen  hat,  gewisse  volks- 
wirtschaftliche Funktionen  dem  Bedürfnisse  der  Gesamtheit  ent- 
sprechend durchzuführen,  und  welches  sich  mit  dem  begnügt,  was 
ihm  die  Allgemeinheit  für  die  Ausübung  dieser  Funktionen  wie 
eine  Art  Gehalt  zuerkennt«8). 


\)  Leg.  743  D. 
2j  Leg.  918  D.E. 
3)  Leg.  919  C. 
«)  Leg.  847. 

5)  Leg.  921  A.  B:  »xcu  dvaigov/ueva)  d  sgyov  l-vftßovXsvzrjs  vö/iog,  cbteg  zcö  tko- 
kovvzi  £vveßovheve  fit)  nXiovog  zifiüv  dianeigcöfievov  akk'  d>;  ajzkovozaza  zrj$  a^iag, 
zavzov  drj  TiQoozdzzEi  xal  zw  dvatgov/nsvco.  yiyvaSoxei  yaQ  6'ye  dtj/uiovgyog  zrjv  d£iav.« 
Pohl  mann  schließt  aus  der  letzten  Bemerkung,  daß  der  Handwerker  den  Preis  kenne, 
Plato  habe  an  den  Arbeits-  oder  Produktionswert  gedacht  (vgl.  a.  a.  O.  S.  224),  was 
möglich,  aber  keineswegs  zwingend  ist. 

6)  Leg.  917  B.  u.  C. 

7)  Leg.  920  C. :  Die  Gesetzesrichter  sollen  mit  Männern  aus  dem  Handel  zu- 
sammentreten und  dann:  »ideTv  Xfjfi/xd  zs  xal  dvakoi/ua  zl  nozs  zcö  xanrjkw  xegdog  noieT 
zö  fiszgiov.t    cf.  918  D.,  wo  das   »xegdaiveiv  zd  /uezQia«  als  richtig  hingestellt  wird. 

8)  Pöhlmann,  a.  a.  O.  S.  225. 


—     6     — 

In  der  Stellung  der  Kirchenväter  zum  gerechten  Preise  und 
Handel  läßt  sich  eine  gewisse  Ähnlichkeit  nicht  verkennen.  Ein- 
mal liegt  in  manchen  Punkten  ohne  Zweifel  ein  direktes  Anlehnen 
an  Plato  vor,  wozu  noch  eine  gewisse  Ähnlichkeit  in  für  die 
Stellung  zum  Wirtschaftsleben  grundlegenden  Anschauungen 
zwischen  Plato  einerseits  und  Christentum  andererseits  kommt.  Der 
Vorrang  geistiger  und  vor  allem  sittlicher  Güter  vor  den  mate- 
riellen, die  Notwendigkeit  der  inneren  Losschälung  von  irdischem 
Streben,  die  unbedingte  Herrschaft  sittlicher  Gesetze  auch  im  Wirt- 
schaftsleben  waren   im   Neuen  Testament  scharf  betont  worden1). 

Wichtig  sollte  vor  allem  die  bei  Paulus  ausgeprägte  Idee 
einer  religiös  -  sozialen  Gemeinschaft  (xoivcovia)  werden,  unter 
deren  Gliedern  eine  relative  soziale  Gleichheit  (loÖTijg)  herrschen 
solle.  Es  solle  weder  übermäßig  Reiche  noch  übermäßig  Arme 
geben.  Für  die  innere  Regelung  solle  der  Gemeinschaftsgedanke 
maßgebend  sein.  »Wir  sind  zwar  viele  Glieder,  aber  ein  Leib«2). 
Nicht  minder  bedeutungsvoll  wurde  der  Satz,  daß  die  Arbeit  als 
solche  ihres  Lohnes  wert  sei  —  »der  Arbeiter  ist  seines  Lohnes 
wert«,  —  wie  überhaupt  das  Christentum  für  die  erhöhte  Wert- 
schätzung der  Arbeit  nicht  wenig  gewirkt  hat3). 

Die  wirtschaftliche  Funktion  des  Handels  wird  in  der  patri- 
stischenLiteratur4)  durchweg  vorurteilsfrei  gewürdigt 5).  Er  bildet 


x)  Vgl.  hierzu  Sommerlad,  Das  Wirtschaftsprogramm  der  Kirche  des  Mittel- 
alters, S.  6 ff.  Schilling,  Reichtum  und  Eigentum,  S.  4 ff.  cf.  Matth.  6,  24 f.  und 
sonst.  i.Thess.  4,  6:  »T6  firj  vzzeQßatveiv  xal  nXzovzxxziv  iv  reo  3iQO.yj.iaxi  xöv  ädskcpov 
aviov.« 

2)  2.  Kor.  8,  4;  14  ff.  1.  Kor.  12,  12.  Vgl.  Schilling,  a.  a.  O.  S.  12  ff. 
Troeltsch,    Soziallehren   der   christlichen   Kirchen.     Arch.  f.  S.  u.  St.  XXVI,  299  ff. 

3)  Luc.    10,   7.     Matth.    10,   10.     2.  Thess.  3,   10.      1.  Tim.   5,   18. 

*)  Für  die  Stellung  der  Kirchenväter  zum  Handel  kommen  wesentlich  folgende 
Schriften  in  Betracht:  Schilling,  Reichtum  und  Eigentum,  1908.  Derselbe,  Die 
Staats-  und  Soziallehre  des  hl.  Augustinus,  191  o.  Sommerlad:  Das  Wirtschafts- 
programm der  Kirche  des  Mittelalters,  1903.  Seipel,  Die  wirtschaftsethischen  Lehren 
der  Kirchenväter,  1907.  Funk,  Kirchengeschichtliche  Abhandlungen  und  Untersuchungen. 
I — II,  1897,  1899.  Brentano,  Ethik  und  Volkswirtschaft  in  der  Geschichte.  Rek- 
toratsrede. 1901.  —  Die  wirtschaftlichen  Lehren  des  christlichen  Altertums.  Sitzungs- 
berichte 1902  (München  1903).  —  Entwicklung  der  Wertlehre,  1908.  Troeltsch,  Die 
Soziallehren  der  christlichen  Kirchen,  sowie  die  weiter  unten  angeführten  Schriften. 
Wesentlich  zugrunde  gelegt  sind  die  Schriften  von  Schilling. 

6)  z.  B.  Chrysostomus  (in  ep.  I  ad.  Cor.  hom.  34,  4  [M,  LXI,  291]);  Gregor  v.  Nazianz 
(Or.  43,  34  [M.  36,  544]);  Theodoret  v.  Cyrus  (Or.  2  [M.  LXXXIII,  584]);  Am- 
brosius  (De.  Tob.  13  [M.  XIV,  776]).  Vgl.  hierzu  die  oben  angeführten  Schriften  von 
Seipel,  Schilling,  Sommerlad.  G.  Kopp:  Die  Stellung  der  hl.  Joh.  Chrysostomus 
zum  weltlichen  Leben,   1905,  S.  40.     Über  Augustinus  siehe  weiter  unten. 


an  sich  eine  berechtigte  Art  des  Erwerbs,  und  war  nach  der 
Synode  von  Elvira  (um  300  n.  Chr.)  Bischöfen  und  Geistlichen 
nicht  durchaus  verboten1),  wenn  auch  später  hinsichtlich  der 
letzteren  eine  andere  kirchliche  Praxis  eingriff2).  Aber  er  war  nur 
dann  gestattet,  wenn  gewisse  strenge  ethische  Voraussetzungen 
erfüllt  waren.  Wie  Leo  der  Große  (f  461)  bemerkte:  »Qualitas 
lucri  negotiantem  aut  excusat  aut  arguit,  quia  est  et  honestus 
quaestus  et  turpis«3).  Die  geforderten  Beschränkungen,  die  zu- 
weilen nahezu  an  eine  Verurteilung  grenzen,  bewegen  sich  vor 
allem  in  zwei  Richtungen:  Einmal  muß  der  Grundsatz  der  Ge- 
rechtigkeit unbedingt  gewahrt  werden;  Anwendung  unredlicher 
Mittel,  Ausbeutung  des  Nächsten  zu  eigenem  Vorteil  ist  unter 
keinen  Umständen  gestattet4).  Sodann  darf  das  Streben  nach  Gewinn 
das  im  Handel  zum  Ausdruck  kommt,  nicht  maßlos  sein.  Das 
Streben  nach  dem  größtmöglichen  Gewinn  wird  verworfen :  Es  liegt 
vielmehr  im  ganzen  Ideenkreise  der  Kirchenväter  die  Forderung 
nach  Beschränkung  des  Gewinns6). 


J)  Funk,  Abhandlungen  II,  63.  Vgl.  Funk,  Historisch-politische  Blätter 
CXXX,   1902,  S.  898. 

2)  Funk,  Abhandlungen  II,  73  ff.  Vgl.  Brentano,  Die  wirtschaftlichen  Lehren, 
S.  173  ff- 

3)  Ep.  167  (M.  LIV,  1206).  Eine  völlige  Ablehnung  des  Handels  findet 
Brentano  als  Ausnahme  bei  Tertullian  (Die  wirtschaftlichen  Lehren  des  christ.  Alter- 
tums, S.  164),  vgl.  dagegen  Schilling,  Reichtum  und  Eigentum,  S.  55  ff.  Über  das 
fälschlich  dem  Chrysostomus  zugeschriebene  Werk:  Opus  imperfectum  in  Matthäum,  vgl. 
Schilling,  Erwerb  und  Eigentum  nach  dem  Opus  imperfectum.  Theolog.  Quartalsschr. 
1910,  S.  2i4ff.  Es  findet  sich  hom.  38  (M.  LVI,  839O  der  Satz:  »Nullus  Christianus  debet 
esse  mercator,  aut  si  voluerit  esse,  proiciatur  de  ecclesia  dei.«  Oder  in  ähnlicher  Fassung: 
»Qui  autem  comparat  rem,  ut  illam  ipsam  integram  et  immutatam  dando  lucretur,  ille  est 
mercator,  qui  de  templo  dei  eicitur.«  Mag  hier  der  Handel  völlig  verurteilt  sein  (wie 
Schaub,  Kampf  gegen  Zinswucher  usw.,  1905,  S.  1 5 8 f f .  annimmt),  oder  nicht,  was 
Schilling  a.  a.  O.  zu  erweisen  sucht,  die  Stelle  wäre  jedenfalls  im  ersten  Falle  für 
die  Patristik  als  solche  nicht  charakteristisch.  Sie  ist  veiwendet  im  Decretum  Gratiani 
(c.  11  d.  88),  wird  aber  in  der  späteren  Literatur  in  einem  Sinne  gedeutet,  daß  sie  nicht 
mehr  als  absolute  Ablehnung  des  Handels  erscheint.  Siehe  hierüber  Schaub  a.  a.  O. 
Später  wird  die  scholastische  Auffassung  über  diese  Stelle  zu  erwähnen  sein. 

*)  S.  z.  B.  Lactantius,  Inst.  5,  16;  vgl.  dazu  Schilling,  Reichtum  und  Eigen- 
tum, S.   73  f. 

5)  Vgl.  die  Äußerungen  von  Tertullian  (De  idol.  c.  11),  Irenaeus  (cont.  haes.  IV,  30, 
1);  Lactantius  (Inst.  V,  18).  Leo  der  Große  verbietet  den  Pönitenten  den  Handel  wegen 
der  damit  verbundenen  sittlichen  Gefahren:  »Verum  tarnen  poenitenti  utilius  est  dis- 
pendia  pati  quam  periculis  negotiationis  obstringi,  quia  difficile  est  inter  ementis  venden- 
tisque  commercium  non  intervenire  peccatum«  (an  der  in  Anmerkung  3  zitierten  Stelle) ; 
vgl.  Funk,  Abhandlungen  II,  S.  66 f.,  S.  71.  Über  manche  handelsfeindliche  Stim- 
mungen im  christlichen  Altertum,  vgl.  denselben:  Historisch  politische  Blätter,  CXXX, 


Die  Reaktion  gegen  das  Vorherrschen  des  Erwerbsstrebens 
hatte  Plato  zu  dem  Worte  vom  »Fieberzustand«  der  Gesellschaft 
veranlaßt.  Ähnliche  Gedanken  werden  von  den  Kirchenvätern  oft- 
mals geäußert;  zum  Teil  wird,  wie  z.  B.  bei  Chrysostomus  und 
Ambrosius,  der  zitierte  Ausspruch  Piatos  wörtlich  wiederholt x).  Es 
hing  dies  eng  mit  ihrer  Stellung  zum  Privateigentum  und  Maß 
des  Besitzes  und  zu  dem  Unterschiede  von  Reich  und  Arm  zu- 
sammen, welch'  letzterer  zur  Zeit  der  Kirchenväter  nicht  weniger 
scharf  war  wie  zur  Zeit  Piatos2). 

Nun  sind  die  Kirchenväter  im  allgemeinen  keineswegs  Gegner 
des  Privateigentums3).  Es  wird  auch  ein  gewisser  Reichtum  und 
standesgemäßer  Luxus  nicht  verworfen,  wenn  man  auch  die  Ge- 
samtanschauung dahin  kennzeichnen  kann,  daß  ein  mittelmäßiger, 
hinreichender  Besitz  als  wünschenswert  bezeichnet  wird4).  Was 
darüber  hinausgeht,  soll  als  Almosen  an  die  Armen  verteilt  werden. 
Ein  Gedanke,  der  oft  in  einer  Form  vertreten  wird,  die  an  kom- 
munistische Ideen  erinnert  oder  direkt  in  solche  ausmündet,  wie 
z.  B.  bei  Chrysostomus6).  Doch  geht  man  im  allgemeinen  nicht 
so  weit,  daß  die  Standesunterschiede  und  der  Unterschied  von  Reich 
und  Arm  beseitigt  werden  sollen  6).  Wenn  z.  B.  Lactantius  von  der  all- 
gemeinen Gleichheit  der  Menschen  spricht,  so  geschieht  dies  nicht  im 
Sinne  einer  Aufhebung  der  sozialen  Unterschiede,  sondern  im  Sinne  der 
Anerkennung  des  Nächsten  als  »gleichwertiger  Persönlichkeit«7). 


S.  898.  Klemens  v.  Alexandrien  wiederholt  die  platonische  Forderung,  der  Kaufmann 
solle  keine  zwei  Preise  nennen  (Paed.  3.  n  [VIII,  656  f]);  vgl.  Schilling,  Reichtum 
und  Eigentum  S.  45  f. 

*)  Vgl.  Schilling,  a.  a.  O.  S.  S.114  u.   136. 

2)  Vgl.  die  Schilderungen  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  bei  Schilling, 
S.  27  ff.  u.  209. 

3)  Vgl.  die  oben  angeführten  Schriften,  wo  die  Stellung  der  Kirchenväter  zum 
Eigentum  ausführlich  erörtert  wird;  vor  allem  das  Resultat,  zu  dem  Schilling  (a.  a.  O. 
S.  208)  kommt;  damit  übereinstimmend  Troeltsch,  a.  a.  O.  S.  332.  Über  Klemens 
v.  Alexandrien  siehe  noch  Funk,  Abhandlungen  II,  S.  45  ff.  Über  Klemens  v.  Rom: 
Mausbach,  Der  Kommunismus  des  hl.  Klemens  v.  Rom.  Hist.-pol.  Blätter  CXVI, 
1895,  S.  340  ff.). 

*)  Schilling,  a.  a.  O.  S.   208. 

6)  Vgl.  Schilling,  a.  a.  O.  S.  109 ff.  Die  Stellung  der  Kirchenväter  ist  keines- 
wegs eine  unbedingt  einheitliche,  wenn  sich  auch  ein  gemeinsamer  Grundton  nicht  ver- 
kennen läßt.  Wir  suchen  die  Anschauungen  darzustellen,  die  man  als  die  herrschenden 
bezeichnen  kann,  die  vor  allem  für  die  Folgezeit  maßgebend  gewesen  sind. 

6)  Schilling,  S.  207  ff.  Als  Ziel  der  Berufsarbeit  bezeichnet  Chrysostomus 
»die  tägliche  Nahrung,  das  ehrliche  Auskommen«.     Kopp,  a.  a.  O.  S.  42. 

7)  Schilling,  a.  a.  O.  S.  72  f.;  anders  Brentano,  Ethik  und  Volkswirt- 
schaft, S.  9. 


—     9     — 

Wenn  so  das  Streben  nach  Gewinn  in  dem  Maße  des  zu- 
gebilligten Besitzes  eine  Grenze  findet,  so  dient  die  scharfe  Be- 
tonung des  Prinzipes  der  Gerechtigkeit  in  Handel  und  Wandel 
zugleich  auch  demselben  Ziele.  Handel  und  Tausch  sind  nur  dann 
gerechtfertigt,  wenn  die  Tauschkontrahenten  sich  von  jeder  Un- 
redlichkeit fernhalten  und  wenn  ein  gerechter  Preis  bezahlt  wird *). 
Das  ist  der  Grundzug  aller  Äußerungen  der  Kirchenväter  über 
den  Handel.  Freilich  wird,  wie  schon  eingangs  betont,  das  Wesen 
dieses  gerechten  Preises  nirgends  näher  bestimmt. 

Bei  der  Unmöglichkeit,  auf  alle  Kirchenväter  einzugehen,  be- 
schränken wir  uns  auf  eine  kurze  Skizze  der  augustinischen  An- 
schauungen2). Augustinus  ist  auch  derjenige  Kirchenvater,  der  auf 
die  Folgezeit  bestimmend  eingewirkt  hat. 

Beim  unmittelbaren  Tausch  dürfen  die  Kontrahenten  nicht 
von  dem  Wunsche  erfüllt  sein,  möglichst  billig  einzukaufen  bzw. 
teuer  zu  verkaufen.  In  beiden  Fällen  soll  vielmehr  der  Wille 
herrschen,  den  gerechten  Preis,  das  iustum  pretium  zu  zahlen  bzw. 
zu  fordern.  Eine  Übervorteilung  soll  ausgeschlossen,  und  nur  der 
Grundsatz  der  Gerechtigkeit  maßgebend  sein.  Die  entgegen- 
gesetzte Stimmung  ist  unerlaubt,  ein  »Vitium«.  Augustinus  führt 
als  nachzuahmendes  Beispiel  den  Fall  an,  wo  einer  ein  Buch  kaufte, 
und  dem  Verkäufer  desselben,  dem  der  Wert  des  Buches  unbe- 
kannt war,  gegen  dessen  Erwarten  einen  höheren  als  den  ge- 
forderten Preis,  das  »iustum  pretium«  zahlte3).  Worin  allerdings 
das  iustum  pretium  besteht,  was  die  Höhe  desselben  bestimmt, 
wird  an  der  in  Betracht  kommenden  Stelle  in  keiner  Weise  näher 
erörtert.  Unzweifelhaft  wird  aber  hier  ein  für  alle  Tauschenden 
gleicher  und  für  alle  maßgebender  Wert  statuiert. 


x)  Vgl.  Brentano,  Die  wirtschaftlichen  Lehren,  S.    178  f. 

2)  Über  Augustinus  siehe  das  oben  angeführte  Buch  von  Schilling.  Ferner 
Mausbach,  Die  Ethik  des  hl.  Augustinus,  I  und  II,  1909  (S.  298,  Anmerkung). 
Weinand,  Antike  und  moderne  Gedanken  über  die  Arbeit,  dargestellt  am  Problem 
der  Arbeit  beim  hl.  Augustinus,   191 1,  S.  43  ff. 

3)  De  trin.  XIII,  3  (M.  42,  ioi7f.):  Ein  Schauspieler  erklärte  es  für  einen 
Wunsch  aller  Zuschauer:  » Vili  vultis  emere  et  caro  vendere.«  Doch  braucht  dies  nach 
Augustinus  nicht  der  gemeinsame  Wunsch  aller  zu  sein:  »Sed  quoniam  revera  vitium 
est,  potest  quisque  adipisci  eiusmodi  iustitiam  vel  alicuius  alterius  vitii,  quod  huic 
contrarium  est,  incurrere  pestilentiam,  qua  huic  resistat  et  vincat.  Nam  scio  ipse  ho- 
minem,  cum  venalis  codex  ei  fuisset  oblatus,  pretiique  eius  ignarum  et  ideo  quiddam 
exiguum  poscentem  cerneret  venditorem,  iustum  pretium,  quod  multo  amplius  erat,  nee 
opinanti  dedisse.«  Es  ist  hier  zunächst  nur  vom  Tausche  die  Rede,  nicht  vom  Handel, 
wie  z.  B.  Weinand  (a.  a.  O.  S.  45 f.)  irrtümlicherweise  annimmt. 


IO      — 

An  einer  anderen  Stelle  sucht  Augustinus  den  Wert  der 
Waren  tiefer  zu  begründen1). 

Er  spricht  hier  zunächst  davon,  daß  lebende  Dinge  vor  leb- 
losen, vernünftige  vor  unvernünftigen  einen  Vorrang  haben,  der 
in  der  Ordnung  der  Natur,  dem  ordo  naturae  begründet  ist.  Dieser 
Art  der  Schätzung  steht  eine  andere  gänzlich  von  ihr  verschiedene 
gegenüber,  die  nicht  auf  der  natürlichen  Rangordnung  fußt,  sondern 
stattfindet  in  bezug  auf  das  menschliche  Bedürfnis.  Das  Bedürfen 
der  Menschen  bildet  den  letzten  Grund  dafür,  daß  z.  B.  ein  Pferd 
teuerer  bezahlt  wird  als  ein  Sklave,  obwohl  der  letztere  nach 
der  Rangordnung  der  Natur  bedeutend  höher  steht:  »Est  autem 
alius  atque  alius  pro  suo  cuiusque  usu  aestimationis  modus,  quo 
fit,  ut  quaedam  sensu  carentia  quibusdam  sentientibus  prae- 
ponamus  in  tantum,  ut  si  potestas  esset,  ea  prorsus  de  natura  rerum 
auferre  vellemus,  sive  quem  in  ea  locum  habeant  ignorantes,  sive 
etiamsi  sciamus,  nostris  ea  commodis  postponentes.  Quis  enim  non 
domi  suae  panem  habere  quam  mures,  nummos  quam  pulices  malit? 
Sed  quid  mirum,  cum  ipsorum  etiam  hominum  aestimatione,  quorum 
certe  natura  tantae  est  dignitatis,  plerumque  carius  comparetur 
equus  quam  servus,  gemma  quam  famula?  Ita  libertate  iudicandi 
plurimum  distat  ratio  considerantis  anecessitate  indigentis  seu 
voluptate  cupientis,  cum  ista  quid  per  se  ipsum  in  rerum  gradi- 
bus  pendat,  necessitas  autem  quid  propter  quid  expetat,  cogitet; 
et  ista  quid  verum  luci  mentis  appareat,  voluptas  vero,  quid  iucun- 
dum  corporis  sensibus  blandiatur,  exquirat.«  Unzweifelhaft  wird 
an  dieser  Stelle  die  Preisbildung  zurückgeführt  auf  den  verschie- 
denen Grad  des  menschlichen  Bedürfens;  es  liegt  hier  der  Keim 
zu  einer  subjektiven  Werttheorie  vor.  Allerdings  hat  Augustinus 
die  Bedeutung  des  hier  ausgesprochenen  Satzes  für  die  Lehre  vom 
gerechten  Preis  nicht  erörtert.  Es  handelt  sich  um  eine  mehr  zu- 
fällige Äußerung,  die  freilich  in  der  Folgezeit  unzählige  Male 
wiederholt  wurde. 

Wie  stellt  sich  Augustinus  zum  Handel?  Zunächst  ist  ihm 
die  volkswirtschaftliche  Funktion  desselben  durchaus  bekannt.  Sie 
besteht  darin,  daß  Waren  aus  Gegenden,  wo  sie  häufig  vorhanden 
sind,  dahin  geschafft  werden,  wo  Mangel  herrscht.  Der  Handel  ge- 
hört also  zu  den  Erwerbszweigen,  die  in  der  menschlichen  necessitas 
et  indigentia  Grund  und  Berechtigung  finden2).  Dementsprechend 
gehört    der   Handelsgewinn   zu   den   erlaubten  Erwerbseinkünften. 

2)  De  civ.  Dei  XI,  c.    16  (M.  41,  331). 

2)  En.  in.  ps.  83,8  (M.  37,   1062)  Schilling,  a.  a.  O.  S.  249. 


So  läßt  Augustinus  einen  Kaufmann  den  Gedanken,  daß  der  Handel 
sittlich  nicht  gestattet  sei,  zurückweisen1):  »Ecce  ego  affero  qui- 
dem  ex  longinquo  merces  ad  ea  loca,  in  quibus  non  sunt  ea,  quae 
attulero;  unde  vivam,  tanquam  mercedem  laboris  mei  peto,  ut 
carius  vendam,  quam  emerim.  Unde  enim  vivam,  cum  scriptum  sit: 
Dignus  est  operarius  mercede  sua  (Luc.  10,  7)«2).  Der  Handels- 
gewinn erscheint  also  als  berechtigtes  Arbeitseinkommen.  Natür- 
lich liegt  es  im  Sinne  Augustins,  daß  auch  der  Kaufmann  streng 
an  die  Prinzipien  der  Gerechtigkeit  gebunden  ist.  Auch  der 
Händler  darf  nicht  von  dem  Wunsche  erfüllt  sein  »billig  einzu- 
kaufen und  teuer  zu  verkaufen«.  Sowohl  als  Käufer  wie  als  Ver- 
käufer muß  er  einen  gerechten  Preis  zahlen  bzw.  fordern.  Da- 
von zu  trennen  ist  das  Streben  teuerer  zu  verkaufen,  wie  man  ge- 
kauft hat.  Das  letztere  ist  gestattet,  wenn  die  Forderungen  des 
iustum  pretium  beachtet  werden,  entspricht  auch  durchaus  dem 
allgemeinen  sittlichen  Empfinden:  »Possem  enim  dicere«,  verteidigt 
der  oben  erwähnte  Kaufmann  sich  weiter:  »tanto  emi,  sed  tanto 
vendam;  si  placet,  eme.  Non  enim  istam  veritatem  audiens  emptor 
repelleretur,  et  non  potius  omnes  accurrerent,  quia  plus  fidem  quam 
mercem  diligerent«. 

Die  erlaubte  Höhe  des  Handelsgewinnes  findet  seine  Grenze 
in  dem  Maße  des  zugebilligten  Besitzes  überhaupt.  Wenn  nun 
auch  Augustin  den  Gedanken  der  allgemein-menschlichen  Gleich- 
heit hervorhebt  und  auf  den  sozial  bedeutungsvollen  Gedanken 
hinweist,  daß  alle  Menschen  »socii«  sein  sollten3),  so  fordert  er  doch 
keineswegs  eine  absolute  Gleichheit  des  Besitzes  und  will  nicht 
etwa  alle  auf  den  absolut  notwendigen  Lebensunterhalt,  das 
Existenzminimum  beschränken.  Das  Erwerbsstreben  überhaupt 
soll  seine  Grenze  finden  mit  der  Erlangung  des  standesgemäßen 
Einkommens,  des  »congruens  habitus  personae  hominis,  quo  habitu 
non  sit  inconveniens  eis,  cum  quibus  honeste  officioseque  viven- 
dum  est«4). 

Es  liegt  also  der  Gedanke  vor,  daß  der  Gewinn  erlaubt  sei, 
weil  die  Gesellschaft  des  Handels  bedürfe  und  deshalb  dem  Kauf- 
mann eine  wirtschaftliche  Existenz  ermöglichen  müsse.  Dies  ge- 
schieht eben  in  Form  des  Gewinnes. 


J)  En.  in  ps.  70.  s.   1,   17   (M.  36,  886  f.).     Vgl.  dazu  Funk,   Abhandlung  II, 
S.  68  ff. 

2)  a.  a.  O. 

3)  Ep.   155,  4.    14  (M.  33.  672);  vgl.  Schilling,  a.  a.   O.  S.   217. 
«)  Ep.   130,  6,   12  (M.  33,  498  f.).     Schilling,  a.  a.  O.  S.   246. 


12       

Doch  betont  Augustinus  häufig  die  sittlichen  Gefahren,  die 
mit  dem  Handel  verknüpft  sind.  Wenn  auch  alle  Erwerbstätig- 
keiten Veranlassung  geben  können,  die  Gebote  der  Ethik  zu  über- 
treten, so  liegt  dies  doch  dem  Handel  besonders  nahe l).  Weil  das 
Streben  nach  Gewinn  leicht  maßlos  ist,  die  Seele  ausschließlich 
gefangen  nimmt2),  so  daß  die  Erfüllung  höherer  Aufgaben  un- 
möglich wird  und  so  zur  Habsucht  und  den  daraus  sich  ergeben- 
den Sünden   führt. 

In  der  Idee,  daß  jede  Ware  einen  gerechten  Wert  habe, 
in  der  Erfassung  der  volkswirtschaftlichen  Funktion  des  Handels, 
in  der  Rechtfertigung  des  Gewinnes  als  Arbeitslohnes  vom 
Standpunkt  der  Gesellschaft  aus,  sowie  in  der  Forderung 
nach  Beschränkung  des  Gewinnes  zeigt  sich  deutlich  ein 
platonischer  Einfluß,  wenn  auch  im  einzelnen  die  extrem -anti- 
kapitalistischen Forderungen  des  griechischen  Philosophen  bei 
Augustinus  nicht  wiederkehren.  Die  Verwendung  des  Gedankens, 
daß  jeder  Arbeiter  seines  Lohnes  wert  sei,  sowie  die  Warnung 
vor  den  sittlichen  Gefahren  verleihen  der  augustinischen  Lehre 
vom  Handel  ein  christliches  Gepräge. 

Wenn  auch  Augustinus  sich  von  allen  Kirchenvätern  durch 
maßvolle  Ruhe  seiner  Ansichten  auszeichnet,  so  entspricht  doch 
seine  Stellung  zum  Handel  durchaus  den  Anschauungen,  die  in 
der  altkirchlichen  Literatur  im  allgemeinen  herrschen  und  im  prak- 
tischen Leben  der  altchristlichen  Zeit  betätigt  sind.  Jedenfalls  ist,  wie 
schon  bemerkt,  Augustinus  für  die  Folgezeit  maßgebend  geworden3). 

Mit  dem,  was  im  Vorstehenden  über  die  Wertlehre  der  Kir- 
chenväter gesagt  ist,  stimmt  die  von  Brentano  gegebene  Dar- 
stellung nicht  überein4).  Nach  ihm  gehen  die  Kirchenväter  aus 
von  der  natürlichen  Gleichheit  aller  Menschen  und  setzen  so  einen 

x)  En  in  ps.  70,  s.   1,   17   (M.  36,  886  f.). 

2)  De  op.  Monach.  15,  16  (M.  40,  561):  »aliud  .  .  est  corpore  laborare  animo 
libero  sicut  opifex,  si  non  sit  fraudulentus  et  avarus  et  privatae  rei  avidus;  aliud  autem 
ipsum  animum  occupare  curis  colligendae  sine  corporis  labore  pecuniae,  sicut  sunt  vel 
negotiatores  vel  procuratores  vel  conductores.«  cf.  serm.  344,  7  (M.  39,  15 17):  Hier 
erscheint  der  Kaufmann   als  Beispiel  eines  habsüchtigen  Menschen. 

3)  Die  für  die  Stellung  Augustins  zum  Handel  maßgebende  Stelle  En.  in  ps.  70, 
s.  1,  17  findet  sich  als  Palea  im  Decretum  Gratiani  wieder  (c.  12,  D.  88).  Gratian 
selbst  führt  als  von  Augustinus  stammend  noch  den  Satz  an:  »negotiari  .  .  .  aliquando 
licet,  aliquando  non  licet;  antequam  enim  ecclesiasticus  quis  sit,  licet  ei  negotiari,  facto 
iam  non  licet«  (c.  10.  D.  88).  Derselbe  ist  den  Quaest.  veteris  et  novi  testamenti  c.  127 
i.  f.  (M.  35,  2385)  entnommen,  die  jedoch  nicht  von  Augustinus  stammen. 

*)  Vgl.  Brentano,  Ethik  und  Volkswirtschaft,  S.  8  ff;  Die  wirtschaftlichen 
Lehren  des  christlichen  Altertums,  S.   178 ff.;  Die  Entwicklung  der  Wertlehre,  S.  13  ff. 


—     13     — 

normalen  Menschen  voraus  mit  normalen  Bedürfnissen.  Die  Be- 
deutung, die  einem  Gute  für  die  Befriedigung  dieses  normalen 
Bedürfnisses  zukommt,  ist  dessen  Wert,  der  also  für  alle  Menschen 
derselbe  ist.  Die  subjektiven  Momente,  die  abweichend  hiervon 
die  Bedeutung,  die  ein  einzelner  einem  Gute  beimißt,  beeinflussen, 
müssen  für  die  Preisbestimmung  ausscheiden.  »Der  konkrete  Ge- 
brauchswert eines  Gutes  erscheint  somit  als  etwas  Gegebenes.  Alle 
subjektiven  Wertbestimmungsgründe  werden  als  gleich  gesetzt  und 
damit  eliminiert,  und  somit  bleibt  als  einziges  wertbestimmendes 
Moment  nur  mehr  das  objektive  der  Herstellungs oder  Be- 
schaffungskosten«1). Es  darf  also  für  ein  Gut  nur  so  viel  genommen 
werden,  als  dem  Kostenwert  entspricht.  Die  Kirchenväter  sind 
Vertreter  einer  objektiven  Werttheorie.  An  einer  anderen  Stelle 
wiederholt  Brentano  dasselbe:  »Nur  der  Handel  war  gegen  den* 
Vorwurf  der  Gewinnsucht  geschützt  und  galt  daher  als  erlaubt, 
bei  dem  der  Händler  dem  Verkäufer  einen  gerechten  Preis  zahlt 
und  beim  Wiederverkauf  nur  so  viel  zum  Einkaufspreis  zuschlägt, 
als  zu  seinem  und  seiner  Familie  Unterhalt  absolut  notwendig  ist. 
Damit  waren  die  Beschaffungskosten  eines  Gutes  zum  Maßstab 
seines  Wertes  gemacht,  und  dabei  war  es  nicht  gestattet,  die  Kosten 
des  Lebensunterhaltes  individuell  verschieden  zu  berechnen«2). 

Daß  die  Kirchenväter  von  der  natürlichen  Gleichheit  aller 
Menschen  ausgehen,  in  dem  Sinne,  wie  Brentano  es  hier  annimmt, 
ist  nicht  richtig,  wie  schon  oben  bemerkt  wurde.  Der  gerechte 
Preis  der  Kirchenväter  ist  keineswegs  das  Ergebnis  abstrakter 
Deduktion  aus  allgemeinen  Prinzipien,  sondern  eher  der  Bestim- 
mung seiner  Höhe  nach  ein  vulgärer,  aus  dem  Leben  entnommener 
Gedanke.  Es  bildet  sich  auf  dem  Markte  ein  mehr  oder  minder 
bestimmter  Preis,  von  dem  abzuweichen  als  ungerecht  erscheint. 
Daß  die  Kirchenväter  den  Preis  der  Güter  nach  den  Herstellungs- 
kosten bestimmt  wissen  wollen,  dafür  findet  sich  in  der  patristischen 
Literatur  kein  Zeugnis.  Höchstens  könnte  man  darin  einen  Ansatz 
zu  einer  objektiven  Werttheorie  sehen,  daß  z.  B.  nach  Augustinus 
der  Gewinn  des  Kaufmanns  als  Arbeitslohn  gerechtfertigt  wird 
und  auf  den  standesgemäßen  Lebensunterhalt  beschränkt  erscheint. 
Der  Kaufmann  darf  also  in  seinen  Preisen  die  Beschaffungskosten 
der  Ware  und  seine  Arbeit  berechnen,  also  die  Herstellungskosten. 
Aber  in  dieser  Form  findet  sich  der  Gedanke  bei  Augustinus 
nicht:  Er  betont  nur,  daß  der  Handel  volkswirtschaftlich  notwendig 

J)  Die  -wirtschaftlichen  Lehren  des  christlichen  Altertums,  S.   178  f. 
2)  Entwicklung  der  Wertlehre,  S.    14. 


—      14     — 

sei,  und  daß  man  damit  auch  den  Gewinn  gestatten  müsse,  ohne 
den  der  Händler  eben  nicht  bestehen  könne,  ganz  abgesehen  davon, 
daß  von  einer  Beschränkung  des  Handelsprofits  auf  ein  für  alle 
gleiches  Existenzminimum  keine  Rede  ist.  Von  einer  Wertlehre 
wird  gar  nicht  gesprochen.  Auch  vom  Standpunkt  einer  subjek- 
tiven Werttheorie  wäre  der  gekennzeichnete  Rechtfertigungsver- 
such des  Handelsgewinnes  durchaus  verständlich.  Die  einzige  Spur 
einer  Werttheorie,  die  bei  Augustinus  zu  finden  ist,  läßt  in  ihm 
eher  einen  subjektiven  Werttheoriker  sehen,  indem  der  Wert  der 
Dinge  auf  das  menschliche  Bedürfnis  zurückgeführt  wird.  In 
letzterem  Sinne  hat  Augustinus  auch  auf  das  ganze  Mittelalter 
eingewirkt.  Gewiß  ist  es  richtig,  daß  ein  normaler  Wert  ange- 
nommen wird,  indem  die  subjektiven  Wertbestimmungsgründe,  so- 
weit sie  ein  Abweichen  von  dem  allgemeinen  Marktpreis  bewirken 
könnten,  von  der  Beeinflussung  des  Wertes  ausgeschlossen  werden. 
Aber  damit  liegt  noch  nicht  die  Notwendigkeit  vor,  auf  das  objek- 
tive Moment  der  Herstellungskosten  zurückzugreifen.  Es  könnte 
doch  auch  die  allgemeine  Schätzung  wertbestimmend  sein,  wenn 
auch  die  individuellen  abweichenden  Schätzungen  den  Preis  nicht 
bestimmen  würden.  Aber,  wie  gesagt,  kann  von  einer  eigentlichen 
Werttheorie  in  der  Patristik  keine  Rede  sein. 

Das  römische  Recht  kennt  im  Gegensatz  zu  den  bisher  be- 
handelten Lehren  an  sich  das  Ideal  eines  gerechten  Preises,  der 
im  Wirtschaftsleben  eingehalten  werden  soll,  nicht.  Es  gilt  viel- 
mehr der  Grundsatz  unbedingter  Freiheit  des  Kaufvertrages,  auch 
dann,  wenn  eine  Übervorteilung  des  einen  Teiles  durch  den  anderen 
vorliegt.  So  sagt  Paulus:  »Quemadmodum  in  emendo  et  ven- 
dendo  naturaliter  concessum  est,  quod  pluris  sit  minoris  emere, 
quod  minoris  sit,  pluris  vendere  et  ita  invicem  se  circumscribere, 
ita  in  locationibus  quoque  et  conductionibus  iuris  est«2). 

Eine  Modifikation  dieses  Grundsatzes  erfolgte  dann  dahin, 
daß  unter  gewissen  Umständen  durch  das  Recht  ein  bestimmter 
Preis  durchgesetzt  werden  müsse,  wenn  z.  B.  ein  Gut  die  verein- 
barte Qualität  nicht  hatte,  oder  wenn  sonst  eine  Täuschung  eines 
Kontrahenten  vorgekommen  war.  Dann  hatte  der  Richter  ein 
Urteil  über  den  Wert  zu  fällen,  ein  »iustum  (verum)  pretium«  zu 


:)  Kaulla,  Der  Wertbegriff  im  römischen  Recht.  Z.  f.  g.  St.  (1902),  S.  385  ff. 
(vgl.  die  Gesch.  Entwicklung  der  modernen  Werttheorien,  S.  5  ff.),  femer  Oertmann, 
Die  Volkswirtschaftslehre  des  Corpus  iuris  civilis,  S.  37  ff. 

2)  1.  22,  §  3  D.  19,  2;  cf.  1.  16,  §  4  D.  4,  4:  »Idem  Pomponius  ait,  in  pretio 
emptionis  et  venditionis  naturaliter  licere  contrahentibus  se  cir  cum  venire«. 


—     15     — 

bestimmen.  Über  die  Bemessung  desselben  verlangt  Paulus  im 
Anschluß  an  Sextus  Pedius:  »Sextus  quoque  Pedius  ait,  pretia 
rerum  non  ex  affectione,  nee  utilitate  singulorum,  sed  communiter 
fungi«1).  Es  wird  also  hier  der  Affektionspreis  zurückgewiesen 
und  verlangt,  daß  der  Richter  einen  normalen,  für  alle  gleichen 
Wert  seiner  Entscheidung  zugrunde  lege.  Es  wird  aber  nicht 
davon  gesprochen,  daß  dieser  etwa  im  ganzen  Wirtschaftsleben 
durchgeführt  werden  solle. 

Das  Prinzip  der  Vertragsfreiheit  erlitt  zur  Zeit  Diokletians 
eine  Ausnahme2):  In  dem  Falle,  wo  eine  Benachteiligung  über  die 
Hälfte  des  gerechten  Preises  hinaus  stattgefunden  hat,  ist  der 
Vertrag  anfechtbar  im  Hinblick  auf  die  Ungerechtigkeit  des  Preises3). 

Noch  weiter  ging  das  Preisedikt  Diokletians,  indem  hier  ein 
Maximaltarif  festgelegt  wurde.  Dasselbe  taten  einige  spätere  römi- 
sche Kaiser,  die  eine  Beschränkung  des  Gewinnes  des  Zwischen- 
handels zu  erreichen  suchten4).  Diese  Tendenz  wiederstrebt  dem 
ursprünglichen  Geiste  des  römischen  Rechts  durchaus. 

Das  römische  Recht  gerade  in  seinem  ursprünglichen  Geiste 
hat  aber,  wie  noch  zu  zeigen  sein  wird,  die  scholastische  Preis- 
lehre im  Verlaufe  ihrer  Entwicklung  wesentlich  beeinflußt. 


2)  1.  33  D.  9,  2.  Vgl.  Kauila,  a.  a.  O.  Hiernach  Brentano,  Entwicklung 
der  Wertlehre,  S.   ioff. 

2)  Vgl.  Endemann,  Studien  II,  S.  30.  Oertmann,  a.  a.  O.  S.  40.  Kaulla, 
a.  a.  O.  S.  35  ff. 

»)  1.  8  C.  4,  44. 

«)  Kaulla,  a.  a.  O.  S.  42  ff.;  S.   45. 


II. 
Die  Lehre  vom  gerechten  Preis  bei  Thomas  v.  Äquin. 

Leben  und  Schriften. 

Bezüglich  des  Lebens,  der  Schriften  und  der  allgemeinen  Be- 
deutung des  Thomas  von  Aquino,  des  größten  Theologen  des 
Mittelalters,  begnügen  wir  uns  mit  ganz  wenigen  einleitenden  Be- 
merkungen, soweit  sie  zum  Verständnis  der  folgenden  Darlegungen 
unbedingt  erforderlich  sind1).  Thomas  wurde  1227  geboren,  war 
zunächst  in  Paris,  dann  in  Köln  Schüler  des  Albertus  Magnus 
und  starb  als  Mitglied  des  Dominikaner-Ordens  im  Jahre  1274. 

Die  zerstreuten  Äußerungen  über  wirtschaftliche  Dinge,  die 
sich  in  seinen  Werken  finden,  sind  in  neuerer  Zeit  Gegenstand 
eifrigen  Studiums  gewesen.  Vor  allem  wohl  deshalb,  weil  gewisse 
Elemente  der  thomistischen  Gesellschafts-  und  Staatslehre  auf  manche 
soziale  Strömungen  der  Gegenwart  in  bedeutendem  Maße  eingewirkt 
haben.  So  wird  demjenigen,  der  sich  mit  der  Erforschung  der 
modernen  sozialen  Literatur  beschäftigt,  der  Name  Thomas  von 
Aquin  ungezählte  Male  begegnet  sein.  Auch  im  Verlaufe  unserer 
Darstellung  werden  wir  wenigstens  kurz  darauf  hinzuweisen  haben, 
daß  auch  die  thomistische  Wertlehre  der  Ausgangspunkt  wichtiger 
Forderungen  an  das  moderne  Wirtschaftsleben  gewesen  ist.  Im 
übrigen  gehört  eine  eingehendere  Behandlung  dieser  Frage  nicht 
in  den  Rahmen  vorliegender  Arbeit. 

Für  die  Wertlehre  des  Thomas  v.  Aquin  kommen  als  Quelle 
mehr  oder  minder  alle  seine  Werke  in  Betracht.  Wir  beschränken 
uns  darauf,  die  im  folgenden  am  meisten  benutzten  anzuführen, 
wobei  zugleich  die  Abfassungszeit  angegeben  wird.  Das  letztere 
ist  deshalb  nötig,  weil  in  manchen  Punkten,  wie  z.  B.  die  Behand- 
lung der  Wucherlehre  zeigen  wird,  mit  einer  Entwicklung  der 
thomistischen  Ansichten  zu  rechnen  ist,  die  sich  naturgemäß  ohne 
Kenntnis  der  Chronologie  seiner  Werke  nicht  ermitteln  läßt. 

Neben  seinen  beiden  Hauptwerken,  der  Summa  theologica 
(1265 — 1273)  und  der  Summa  contra  gentiles  (1259 — 1264),  die 
manches  hierher  Gehörende  enthalten,  sind  vor  allem  seine  Kom- 

*)  Vgl.  zum  folgd.  Grabmann,  Thomas  v.  Aquin,  1912.  Mausbach,  Art. 
Thomas  v.  Aquin  im  K.  L.  XI,  1626  ff.  Eine  eingehendere  literarkritische  Behandlung 
der  thomistischen  Schriften,  soweit  sie  für  seine  Rechts-  und  Wirtschaftslehre  in  Betracht 
kommen,  siehe  bei  Kuhlmann,  D.  Gesetzesbegriff  usw.     S.   75  ff. 


—     17     — 

mentare  zu  Aristoteles  zu  berücksichtigen.  Thomas  gilt  als  der 
beste  Aristoteleskenner  des  Mittelalters.  Er  veranlaßte  selbst  seinen 
Ordensgenossen  Wilhelm  von  Moerbecke,  eine  wortgetreue  Über- 
setzung der  aristotelischen  Schriften  herzustellen,  die  er  dann  seinen 
Erläuterungen  zugrunde  legte.  Gibt  noch  Albertus  Magnus  in 
seinen  Kommentaren  eine  freie  Umschreibung  des  aristotelischen 
Textes,  die  er  mit  eigenen  Gedanken  durchwebt,  so  legt  Thomas 
das  Hauptgewicht  darauf,  den  Gedankengang  des  Aristoteles  wort- 
getreu und  übersichtlich  seinem  inneren  Zusammenhange  nach  zur 
Darstellung  zu  bringen.  Von  den  auf  diese  Weise  verfaßten  Kom- 
mentaren kommen  für  uns  in  Betracht  der  zur  nikomachischen 
Ethik,  der  wohl  in  den  Jahren  1261 — 1264  verfaßt  ist,  sowie  der 
Kommentar  zur  Politik  (1272),  von  dem  jedoch  nur  die  ersten 
vier  Bücher  echt  sind.  In  der  Art  der  thomistischen  Kommentare 
liegt  es  begründet,  daß  das  in  ihnen  Gesagte  nicht  ohne  weiteres 
als  eigene  Meinung  des  Verfassers  angesehen  werden  kann.  Man 
wird  daher  im  allgemeinen  die  Kommentare  zur  Feststellung  der 
Gedanken  des  Thomas  v.  Aquin  nur  dann  verwerten  können,  wenn 
dieselben  Ansichten  in  seinen  selbständigen  Schriften  wiederkehren, 
oder  sich  sonst  aus  dem  Zusammenhang  ergibt,  daß  Thomas  den 
betreffenden  Gedanken  selbst  zustimmt1).  Von  den  übrigen  Schriften 
sind  neben  dem  umfangreichen  Sentenzen-Kommentar  (1253 — 1255) 
die  Quaestiones  quodlibetales  (1269 — 1274),  sowie  die  Quaestio  dis- 
putata  de  Malo  (1260 — 1268)  zu  nennen.  Unter  der  großen  Zahl 
der  kleineren  Schriften  sind  besonders  wichtig:  De  regimine  prin- 
cipum,  wovon  jedoch  nur  I — II,  c.  4  echt  sind  [1266?]2);  sowie  de 
regimine  Judaeorum  (1263 — 1267?),  die  in  den  Ausgaben  als  opus- 
cula  XXI  bzw.  XXII  sich  finden.  Das  op.  LXVII  de  emptione  et 
venditione,  das  wichtige  Erörterungen  über  den  Kauf  auf  Kredit 
enthält,  wird  im  allgemeinen  Thomas  zugeschrieben,  wenn  dessen 
Autorschaft  auch  nicht  unbedingt  sicher  ist.  Unter  den  thomistischen 
Kommentaren  zum  Neuen  Testament  ist  häufiger  verwendet  die 
Catena  aurea,  die  in  Form  einer  Zusammenstellung  von  Väter- 
Zitaten  eine  Erläuterung  der  vier  Evangelien  bietet,  weil  aus  ihr  zu 
einem  guten  Teile  das  Maß  der  Beeinflussung  der  thomistischen 
Gedanken  durch  die  Patristik  erschlossen  werden  kann. 


*)  Vgl.  Maurenbrecher,  Thomas  v.  Aquinos  Stellung  zum  Wirtschaftsleben 
seiner  Zeit,  S.  24Ü.;  vgl.  Kuhlmann,  a.  a.  O.  S.  94f.,  der  etwas  kritischer  ist,  aber 
mit  ersterem  doch  im  Prinzip  übereinstimmt. 

2)  Daß  wenigstens  diese  Teile  unverfälscht  thomistisch  sind,  betont  Kuhlmann, 
a.  a.  O.  S.  85. 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  1.  2 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.    Scholastik. 


Ä.  Allgemeines  aus  den  wirtschaftlichen  Anschauungen 
des  Thomas  v.  Aquin. 

a)  Eigentumslehre  und  Standesprinzip. 

Es  ist  alsdann  ein  kurzer  Überblick  voranzuschicken  über 
einige  Anschauungen,  die  für  das  Wirtschaftsbild  des  Aquinaten 
grundlegend  sind,  auf  die  auch  im  folgenden  mehrfach  hingewiesen 
werden  muß,  zunächst  über  die  thomistische  Eigentumslehre1). 

Thomas  folgt  in  seiner  Eigentumslehre  im  wesentlichen  den 
Anschauungen  der  altkirchlichen  Zeit.  Der  natürliche  Zweck  der 
Güter  ist  der,  dem  Unterhalte,  dem  Gebrauche  aller  Menschen  zu 
dienen.  Diesem  Ziele  widerspricht  das  Privateigentum,  soweit  man 
darunter  die  potestas  procurandi  et  dispensandi  versteht,  nicht,  es 
dient  vielmehr  seiner  besseren  Erreichung.  Denn  das  menschliche 
Zusammenleben  erfordert  Privateigentum,  weil  dann  jeder  für  seinen 
eigenen  Besitz  in  erhöhtem  Grade  sorgt  und  nicht  die  Nachlässig- 
keit eintritt,  die  Kommunismus  zur  Folge  haben  würde,  und  weil 
unter  Herrschaft  des  Privateigentums  das  Wirtschaftsleben  besser 
und  friedlicher  von  statten  geht. 

Jedoch  geht  die  Aufgabe  der  Güter,  allen  Menschen  zum 
Unterhalt  zu  dienen,  individuellen  Zwecken  vor2).  Hieraus  ergeben 
sich  für  die  Verteilung  der  Güter  wichtige  Prinzipien. 

Übermäßiger  Reichtum  einzelner  ist,  so  betont  Thomas,  ohne 
die  Armut  anderer  nicht  möglich:  »in  exterioribus  divitiis  non 
potest  unus  homo  superabundare  nisi  alter  deficiat,  quia  bona  tem- 
poralia  non  possunt  simul  possideri  a  multis«3),  und  deshalb  als  dem 
natürlichen  Recht  widerstreitend  abzulehnen:  »res,  quas  aliqui  super- 
abundanter  habent,  ex  naturali  iure  debentur  pauperum  sustenta- 
tioni«4).  »Quoad  proprietatem«  gehören  die  Güter  zwar  einzelnen, 
»quoad  usum«  aber  allen5). 

1)  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  S.  96 ff.  Walter,  Das  Eigentum  nach  der  Lehre 
des  hl.  Thoraas  v.  Aquin,  S.  12  ff.  Schaub:  Eigentumslehre  nach  Thomas  v.  Aquin 
usw.,  S.  259  ff.  v.  Hertling,  Kleine  Schriften,  S.  140 ff.  Schilling,  Reichtum  und 
Eigentum,  S.  209  ff.  Vgl.  auch  Walter,  Art.  Thomas  v.  Aquin  im  H.  W.  St.  VII, 
1186  sowie  den  Art.  von  Endres  über  Thomas  v.  Aquin.  St  d.  G.  V,  443  ff.  Kuhn, 
Die  Probleme  usw.,  S.  67  ff.  In  den  angeführten  Schriften  zugleich  Näheres  über  die 
rechtsphilosophische  Stellung  des  Privateigentums  bei  Thomas,  deren  Behandlung  hier 
zu  weit  führen  würde. 

2)  II,  II  66,  a.   2,  a.   7. 

3)  II,  II   118,  a.   1,  ad  2. 
*)  II,  II  66  a.,  7  c. 

B)  II,  II  32,  a.  5,  ad  2.  Feugueray,  Essai  etc.,  S.  179 ff.  sieht  in  dieser 
Scheidung  mit  Recht  den  Kern  der  thomistischen  Eigentumslehre. 


—      ig     — 

Soll  so  der  Einzelne  nicht  übermäßig  reich  sein,  so  verlangt 
Thomas  doch  andererseits  keineswegs  Gleichheit  des  Besitzes. 
Sein  Ideal  ist  das  standesgemäße  Auskommen  aller.  Thomas 
scheidet  nämlich  zwischen  dem  Status  individui,  worunter  er  etwa 
das  versteht,  was  wir  heute  als  Existenzminimum  bezeichnen, 
und  dem  Status  personae.  Im  Begriff  des  letzteren  liegt  das 
Standesgemäße1).  Man  soll  dem  Kreise,  dem  man  zugehört,  ent- 
sprechend leben,  wie  es  die  Sitte  heischt,  »decenter«.  Daraus  er- 
gibt sich  für  Thomas  das  wichtige  Prinzip:  »necesse  est,  quod 
bonum  hominis  circa  ea  (sc.  bona  exteriora)  consistat  in  quadam 
mensura,  dum  scilicet  homo  secundum  aliquam  mensuram  quaerit 
habere  exteriores  divitias,  prout  sunt  necessariae  ad  vitam  eius 
secundum  suam  conditionem.«  Ein  Überschreiten  dieses  Maßes 
ist  sündhaft2). 

Nun  erfahren  allerdings  diese  Forderungen  gewisse  Ab- 
schwächungen,  auf  die  wenigstens  kurz  hingewiesen  werden  muß. 
Einmal  ist  der  Begriff  des  standesgemäßen  Unterhaltes  seinen 
Grenzen  nach  etwas  flüssig:  »Huiusmodi  necessarii  terminus  non 
est  in  indivisibili  constitutus;  sed  multis  additis  non  potest  diiudi- 
cari  esse  ultra  tale  necessarium,  et  multis  subtractis  adhuc  rema- 
net,  unde  possit  convenienter  aliquis  vitam  transigere  secundum 
proprium  statum«3).  Sodann  besteht  eine  strenge  Verpflichtung 
zum  Almosengeben  im  einzelnen  Falle  nur  dann,  wenn  auf  Seiten 
des  Armen  wirkliche  Not  vorhanden  ist,  was  der  Beurteilung  des 
einzelnen  überlassen  bleibt4).  Aber  wie  Maurenbrecher  mit  Recht 
hervorhebt,  bedeuten  diese  Momente  keine  Aufhebung  des  allge- 
meinen Gedankens,  daß  jeder  auf  den  standesgemäßen  Unterhalt 
sich  beschränken  solle.  Die  Idee  einer  Entwicklung,  eines  Auf- 
steigens  von  Stand  zu  Stand  kennt  Thomas  nicht6). 

Auf  die  Quellen  des  thomistischen  Standesprinzips  wird  im 
Folgenden  vielfach  hinzuweisen  sein. 

b)  Arbeitsteilung. 
Der  Mensch  ist  von  Natur  zum  Gemeinschaftsleben  bestimmt: 
Das    ist    das    Grundgesetz     der    thomistischen    Gesellschaftslehre: 
»Naturale  .  .  est  homini,  ut  sit  animal  sociale  et  politicum,  in  mul- 

x)  II,  II  32,  a.  5,  c.  quodl.  VIII,  a.  12  vgl.  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  S.  48 ff. 
Hilgenreiner,  Die  Erwerbsarbeit  usw.,  S.   537  f. 

2)  II,  II    118,  a.   1   c. 

3)  II,  II  32,  a.  6  c.     Vgl.  Hilgenreiner,  a.  a.  O.  S.   547  f. 
*)  II,  II  32,  a.  5. 

5)  Vgl.  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  S.  50. 


—       20       — 

titudine  vivens« x).  Die  »naturalis  necessitas«  aber,  die  ihn  im 
letzten  Grunde  zum  Gemeinschaftsleben  zwingt,  die  das  tiefste 
Fundament  des  Gesellschaftslebens  bildet,  ist  wirtschaftlicher  Art. 

Während  die  Natur  die  Tiere  mit  dem  ausrüstet,  was  sie  an 
Nahrung  und  Mitteln  zur  Verteidigung  brauchen,  besitzt  der  Mensch 
von  Natur  aus  nichts  von  alledem;  er  besitzt  an  Stelle  dessen  die 
Vernunft,  die  ihn  in  den  Stand  setzt,  sich  vermittelst  seiner  Hände 
zu  erarbeiten,  was  er  zur  Befriedigung  seiner  Bedürfnisse  braucht2). 

Aber  der  einzelne  Mensch  kann  sich  allein  nicht  in  ge- 
nügender Weise  seinen  Lebensunterhalt  erwerben.  Die  Zahl  seiner 
Bedürfnisse  ist  zu  groß,  als  daß  für  ihn  eine  Selbstgenügsamkeit, 
ein  »sufficere  per  se«  möglich  wäre.  Und  daher  ist  der  Mensch 
von  Natur  gezwungen,  mit  anderen  zusammenzuleben,  um  in  der 
Gemeinschaft  seinen  Bedarf  an  dem,  was  zum  Leben  notwendig' 
ist,  in  ausreichendem  Maße  decken  zu  können.  Hier  liegt  der 
tiefere  Grund  des  Satzes:  »Naturaliter  inditum  est  homini,  ut  in 
societate  vivat«3). 

Der  Vorteil,  den  das  Gemeinschaftsleben  mit  sich  bringt,  der 
ihm  eben  seine  fundamentale  Bedeutung  verleiht,  liegt  aber  darin, 
daß  es  eine  Arbeitsteilung,  eine  Berufsteilung  ermöglicht. 

Wie  bei  den  Bienen,  sagt  Thomas  v.  Aquin,  die  einen  Honig 
sammeln,  die  anderen  Zellen  bauen4),  wie  im  menschlichen  Körper 
zwischen  den  einzelnen  Gliedern  eine  Teilung  der  Verrichtungen 
stattfindet5),  so  haben  wir  auch  in  der  Gemeinschaft  eine  Teilung 
der  Arbeit:  Die  einen  sind  Ackerbauer  und  Viehzüchter,  die 
anderen  Schuster,  Baumeister  usw.6).  Die  nächstliegende  natür- 
liche Ursache  dieser  Berufsteilung  ist  die  Verschiedenheit  der 
Neigungen  bei  den  einzelnen  Menschen,  der  letzte  Grund  aber 
liegt  in  der  göttlichen  Vorsehung,  der  »divina  Providentia,  quae 
ita  hominum  Status  distribuit,  ut  nihil  unquam  deesse  inveniatur 
de  necessariis  ad  vitam«7).  So  findet  der  einzelne  in  der  Gesell- 
schaft eine  Ergänzung  seiner  persönlichen  Schwäche  und  Unzu- 
länglichkeit. 


*)  De  regimine  principum  I.  c.    i. 

2)  1.  c. 

3)  S.  c.  G.  c.   III   134. 

4)  1.    C. 

6)  Quodlib.  VII,   17. 

6)  S.  c.  G.  c.  III   134. 

7)  Quodlib.  VII,   17;  S.  c.   G.  III  c.  134.    Über  die  religiöse  Wertung  der  Arbeit 
bei  Thomas  v.  Aquin,  vgl.  N.  Paulus,  Histor.  Jahrb.  XXXII,  S.   727 ff. 


21       

Die  gesellschaftliche  Arbeitsteilung  bringt  aber  eines  mit  sich : 
Die  Bedarfsdeckung  für  den  einzelnen  innerhalb  der  Gesellschaft, 
die  auf  Privateigentum  fundiert  ist,  ist  nur  möglich  auf  dem  Wege 
des  Tauschverkehrs:  »Der  Verkehr  ist  die  Grundlage  jeder  Be- 
darfsdeckung geworden«1).  Der  Austausch  der  Dinge  wächst  so 
gewissermaßen  aus  dem  Wesen  der  menschlichen  Gemeinschaft 
hervor.  Der  Zweck  des  Gesellschaftslebens,  die  volle  und  bessere 
Befriedigung  der  menschlichen  Bedürfnisse,  wird  erreicht  durch 
Kauf  und  Verkauf.  Daher  der  Satz:  »Emptio  et  venditio  videtur 
esse  introducta  pro  communi  utilitate  utriusque,  dum  scilicet  unus 
indiget  re  alterius  et  e  converso«2). 

Und  wie  einerseits  das  Gemeinschaftsleben  den  Tauschver- 
kehr mit  sich  bringt,  so  bildet  er  andererseits  wieder  ein  Band, 
das  die  Mitglieder  der  Gesellschaft  untereinander  eint.  »Societas 
hominum«,  bemerkt  Thomas  gelegentlich  einmal,  »maxime  con- 
servatur  per  hoc,  quod  homines  emendo  et  vendendo  sibi  invicem 
res  suas  communicant,  quibus  indigent«3). 

c)  Tauschverkehr  und  Handel  in  der  Stadtwirtschaft. 

Wir  haben  die  Bedeutung  dargelegt,  die  nach  Thomas 
v.  Aquin  dem  Warenaustausch  innerhalb  der  Gesellschaft  zukommt. 
Gehen  wir  jetzt  weiter. 

Die  societas,  die  Thomas  v.  Aquin  vorschwebt,  und  der  im 
wesentlichen  die  geschilderte  wirtschaftliche  Bedeutung  zukommt, 
ist  die  Stadtgemeinde,  die  civitas.  Sie  erscheint  ihm  als  wirtschaft- 
liche Einheit,  sie  soll  im  Kerne  die  Funktionen  erfüllen,  die  Thomas 
der  menschlichen  Gesellschaft  im  allgemeinen  zuschreibt. 

Damit  ergibt  sich  eines:  Die  Selbstgenügsamkeit,  die  dem 
Einzelnen  nicht  zukommt,  deren  Unmöglichkeit  ihn  zum  Gemein- 
schaftsleben, das  in  der  civitas  seine  eigentlichste  Verkörperung 
findet,  zwingt,  sie  muß  der  Gemeinschaft  als  solcher  zukommen: 
»Cum  autem  homini  competat  in  multitudine  vivere,  quia  sibi 
non  sufficit  ad  necessaria  vitae,  si  solitarius  maneat,  oportet, 
quod  tanto  sit  perfectior  multitudinis  societas,  quanto  magis,  per 
se  sufficiens  erit  ad  necessaria  vitae«4).  Wenn  es  selbstverständ- 
lich ist,  daß  in  einer  Stadt  alles  vorhanden  sein  muß,  was  zum 
Leben   nötig  ist,  so  liegt  es  doch  mehr  in  der  Idee  der  civitas, 

J)  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  S.  59.  Vgl.  ferner  Hilgenreiner,  a.  a.  O.  S.  1 1 4 f f . 

2)  II,  II  q.   77,  a.    1  c. 

')  I,  II  q.   105,  a.   2,  ob.  3. 

4)   De  reg.  princ.  I.  c.   1. 


22       — 

daß  dieses  »Genügen«  ein  »Aus-sich-Genügen«,  eine  »per  se  suf- 
ficientia»  sei,  die  nicht  auf  den  Handel,  auf  Zufuhr  von  außen, 
als  Quelle  ihrer  Verwirklichung  angewiesen  ist.  Daher  der  Satz : 
»Dignior  .  .  est  civitas,  si  abundantiam  rerum  habet  ex  territorio 
proprio,  quam  si  per  mercatores  abundet«1). 

Der  natürliche  Zustand  der  Versorgung  einer  Stadt  ist  also 
der,  daß  sie  alles  zum  Leben  Nötige  in  eigenem  Besitze  hat.  Aber 
dieses  mehr  oder  minder  große  Selbstgenügen  baut  sich  selbst- 
verständlich auf  Arbeitsteilung  und  Tauschverkehr  auf;  es  wird 
durch  gemeinsame  Arbeit  aller  Bürger  hervorgebracht2). 

Diesen  Tauchverkehr  unter  den  Bürgern  der  Stadt  selbst, 
haben  wir  uns  als  unmittelbaren  Austausch  zwischen  Produzent 
und  Konsument  zu  denken3),  ohne  Vermittelung  eines  eigenen 
Händlerstandes.  Das  ist  nach  der  ganzen  Wirtschaf tsverfassung 
des  Mittelalters  klar  und  geht  deutlich  auch  aus  der  Art  und 
Weise  hervor,  wie  Thomas  Zufuhr  von  außen  und  Händlerstand 
als  entsprechende  Begriffe  hinstellt  und  kritisiert.  Die  Schäden, 
die  der  Handel  mit  sich  bringt,  erscheinen  lediglich  als  Schäden 
des  interlokalen  Austausches4).  Die  Form  des  unmittelbaren 
Tausches  wird  unten  näher  zu  besprechen  sein. 

Ein  volle  Selbstgenügsamkeit  ist  aber  nicht  zu  erreichen; 
ohne  Zufuhr  von  außen  und  ohne  Handel  auszukommen,  ist  un- 
möglich und  zwar  aus  zwei  Gründen:  Einmal  läßt  sich  kaum  ein 
Ort  finden,  an  dem  alles  vorhanden  wäre,  was  zum  Leben  not- 
wendig ist.  In  irgendeiner  Hinsicht  wird  stets  ein  Mangel  vor- 
handen sein  und  deshalb  Zufuhr  von  außerhalb  nötig  werden5). 
Sodann  ist  häufig  der  eine  oder  andere  Gegenstand  in  der  Stadt 
selbst  im  Überfluß  vorhanden,  so  daß  er  von  den  Einwohnern  selbst 
nicht  konsumiert  werden  kann,  also  verderben  müßte,  wenn  er 
nicht  durch  den  Handel  anderswohin  transportiert  würde6).  Für 
beide   Fälle   tritt   ein   eigener   Händlerstand   in    Erscheinung;   der 


1)  De  reg.  princ.  II.  c.   3. 

2)  Man  vgl.  Com.  in  Pol.  Arist.  III,  1.  5,  d  (zu  Ar.  III,  4,  3),  wo  Thomas  den 
aristotelischen  Gedanken,  der  Nutzen  des  Zusammenlebens  bestände  in  der  Verwirk- 
lichung des  bene  vivere,  dahin  erklärt:  »ad  quod  (sc.  bene  vivere)  unusquisque  affert 
suam  partem,  sicut  videmus  in  qualibet  communitate,  quod  unus  servit  communitati  de 
uno  officio,  alius  de  alio  et  sie  omnes  communiter  bene  vivunt.«  Über  das  Verhältnis 
zu  Aristoteles   vgl.  Maurenbrecher  1.  c.  S.  44. 

3)  cf.  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  S.   52. 

*)  De  reg.  princ.  II,  c.  3.     Übrigens  siehe  unten. 
6)  1.  c. 
e)  1.  c. 


—     23     — 

interlokale  Austausch  vollzieht  sich  unter  seiner  Vermittlung,  nicht 
unmittelbar.  Auch  auf  das  Wesen  des  Handels  wird  unten  zu- 
rückzukommen sein: 

Natürlich  gibt  Thomas  der  Selbstversorgung  vor  der  Ver- 
sorgung durch  den  Handel  den  Vorzug1).  Er  führt  die  verschie- 
densten Gründe  dafür  an:  Die  Selbstgenügsamkeit  hat  den  Vorteil 
größerer  Stetigkeit  und  Sicherheit  in  der  Versorgung  mit  Lebens- 
mitteln in  Kriegs-  und  Friedenszeiten;  das  Leben  der  Kaufleute 
verweichlicht  und  entkräftet;  Zerstörung  der  heimischen  Sitte 
durch  Berührung  mit  fremden  Völkern;  sittliche  Gefahren,  die 
mit  dem  Handel  verknüpft  sind.  Vor  allem  findet,  wenn  die 
Bürger  selbst  Handel  treiben,  im  ganzen  städtischen  Leben  eine 
Umwälzung  statt: 

»Rursus,  si  cives  ipsi  mercationibus  fuerint  dediti;  pandetur 
pluribus  vitiis  additus;  nam  cum  negotiatorum  Studium  maxime  ad 
lucrum  tendat,  per  negotiationis  usum  cupiditas  in  cordibus  civium 
traducitur,  ex  quo  convenit,  ut  in  civitate  omnia  fiant  venialia  et 
fide  subtracta  locus  fraudibus  aperitur  publicoque  bono  contempto 
proprio  commodo  quisque  deserviet  deficietque  virtutis  Studium; 
dum  honor,  virtutis  praemium  omnibus  defertur;  unde  necesse  erit 
in  tali  civitate  civilem  conversationem  corrumpi«  2). 

Maurenbrecher  möchte  hieraus  den  Schluß  ziehen:  »Ja,  es 
ist  sogar  aller  Handel,  der  die  Stadt  überhaupt  berührt,  vom  Stand- 
punkt der  Stadt  aus  lediglich  Passivhandel;  es  würde  den  Ruin 
der  Stadt  bedeuten,  wenn  die  Bürger  selbst  sich  an  Handels- 
geschäften beteiligen  wollten«3).  Die  vorliegende  Stelle  scheint 
mir  keine  Berechtigung  zu  diesem  Schlüsse  zu  enthalten.  Thomas 
beurteilt  den  Handel  überhaupt  nicht  minder  scharf  als  das  Handel- 
treiben der  Bürger  selbst,  ohne  im  ersten  Falle  zu  einem  ver- 
werfenden Urteil  zu  gelangen4). 

Gewiß,  das  ist  das  Resultat,  zu  dem  Thomas  kommt,  ver- 
dient die  Selbstgenügsamkeit  unbedingt  den  Vorzug  vor  der  Ver- 
sorgung durch  den  Handel.  Doch  ist  letzterer  nie  völlig  zu  ent- 
behren: daher:  .  .  »oportet,  quod  perfecta  civitas  moderate  mer- 
cationibus utatur«5). 

Zusammenfassend  ist   über  den  Tauschverkehr  in   der  Stadt 


*)  1.  c.  cf.  Maurenbrecher,  Hilgenreiner,  a.  a.  O.  u.  sonst. 

2)  De  reg.  princ.  II.,  c.  3. 

s)  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  S.   52,  ferner  S.  45,  Anmerkung  2. 

*)   Vgl.  im  folgenden  S.   79  ff. 

6)  De   reg.  princ.  1.  c. 


—       24       — 

zu  sagen:  »Dem  .  .  .  Handel  kommt  nur  eine  untergeordnete  Be- 
deutung zu:  er  hat  nur  die  Aufgabe,  den  mäßigen  Verkehr  mit 
anderen  Städten  zu  vermitteln,  den  man  doch  nie  ganz  wird  ent- 
behren können;  für  den  Verkehr  innerhalb  der  Stadt  aber,  also 
für  den  Verkehr,  auf  dem  die  ganze  Berufsgliederung  der  städti- 
schen Gesellschaft  sich  aufbaut,  kommt  er  überhaupt  nicht  in  Be- 
tracht: innerhalb  der  Stadt  stehen  Produzent  und  Konsument 
einander  unmittelbar  gegenüber«1). 

Diese  Ideen  sind  mehr  oder  weniger  der  aristotelischen 
Politik  entnommen2),  wenn  sich  auch  gewisse  Verschiedenheiten 
nicht  verkennen  lassen.  Vor  allem  liegen  solche  in  der  Auffassung 
vom  Wesen  des  Staates  vor.  Während  der  Gedanke  der  Selbst- 
genügsamkeit des  Staates,  der  avraQKEia,  bei  Aristoteles  wesent- 
lich sittlichen  Inhalt  hat,  —  im  Staate  findet  der  Mensch  seine 
volle  Glückseligkeit,  welch'  letztere  in  der  Tugend  besteht,  —  und 
dieser  Bedeutung  das  wirtschaftliche  Selbstgenügen  untergeordnet 
erscheint,  steht  letzteres  umgekehrt  bei  Thomas  mehr  im  Vorder- 
grunde: Die  Notwendigkeit  des  Staates  ist  in  letzter  Linie  durch 
wirtschaftliche  Momente  bedingt3),  so  daß  im  Kommentar  zur 
Politik  die  Gedanken  des  Aristoteles  über  den  Staat  zuweilen 
nicht  richtig  wiedergegeben  sind4).  Zum  Teil  hat  dies  allerdings 
darin  seinen  Grund,  daß  der  griechische  Begriff  nolig  in  der  Über- 
setzung mit  civitas,  Stadt,  wiedergegeben  wird.  In  der  civitas 
aber  spielte  sich  für  Thomas  nicht  mehr  der  volle  Kreis  der 
menschlichen  Betätigungen  ab;  schon  in  militärisch -politischem 
Sinne  kennt  er  eine  höhere  Einheit,  in  der  der  Mensch  eine  vitae 
sufficientia  findet5);  die  civitas  hatte  zu  seiner  Zeit  eine  wesentlich 
wirtschaftliche  Aufgabe.  Doch  liegt  ein  gewisser  Gegensatz  hin- 
sichtlich der  Auffassung  von  der  Bedeutung  des  Staates  vor.  Doch 
ist  dieser  hinsichtlich  des  Begriffes  der  Selbstgenügsamkeit  keines- 
wegs ein  durchgehender:  auch  Aristoteles  braucht  gelegentlich 
den  Begriff  avraQxeia  vom  Staate  in  rein  wirtschaftlichem  Sinne6). 

Zeigt  sich  schon  hierin  deutlich  der  Unterschied  der  wirt- 
schaftlichen Verhältnisse  im  griechischen  Altertum  von  denen  des 

J)  Maurenbrecher,  a.  a.  S.   52. 

2)  Pol.   1,  c.   1;   IV  passim     Im  einzelnen  vgl.  Maurenbrecher,  a.  a.  O. 

3)  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  S.  43,  hebt  dies  sehr  hervor. 

4)  Vgl.  Maurenbrecher,  a.  a.  O. 

6)  De  reg.  princ.  1,  c.  1:  »Habetur  vitae  sufficientia  adhuc  magis  in  provincia 
una  propter  necessitatem  compugnationis  et  mutui  auxilii  contra  hostes.«  Vgl.  hierzu 
Zeiller,  L'idee  de  l'etat  dans  St.  Thomas  d'Aquin,  S.   56. 

a)  Ar.  Pol.  IV.  c.   5. 


—     25     — 

Mittelalters,  so  tritt  dieser  auch  sonst  unverkennbar  zutage.  Die 
ganze  Art  der  Anordnung  der  Gedanken,  die  Hervorhebung  der 
Arbeitsteilung  innerhalb  der  civitas  können  in  dieser  Weise  nur 
vom  Boden  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des  Mittelalters  völlig 
verstanden  werden.  Nicht,  als  ob  Aristoteles  den  Gedanken  der 
Arbeitsteilung  nicht  gekannt  hätte.  Schon  Plato  hatte  ihn  scharf 
hervorgehoben1),  und  Aristoteles  selbst  weist  bald  ausdrücklich 
darauf  hin,  bald  liegt  er  seinen  Ausführungen  zugrunde2). 

Und  doch  wird  der  Gedanke  der  Arbeitsteilung  bei  Thomas 
bedeutend  schärfer  betont  und  bewußt  in  den  Vordergrund  ge- 
stellt. Durchaus,  wie  es  dem  Bilde  entspricht,  das  wir  uns  von 
der  mittelalterlichen  Stadt  mit  ihrer  Trennung  der  einzelnen  Hand- 
werke machen. 

Ähnlich  steht  es  mit  den  Gedanken,  die  Thomas  über  den 
Handel  äußert.  Auch  sie  finden  sich  mehr  oder  minder  bereits 
bei  Aristoteles,  und  doch  zeigt  die  ganze  Art  der  Darstellung 
durchaus  den  Einfluß  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des  Mittel- 
alters, wo  wir  im  Kerne  wohl  »Stadtwirtschaft«  haben,  ein  Handel 
aber  keineswegs  gänzlich  ausgeschlossen  ist. 

B.  Tauschverkehr  und  Handel  unter  dem  Gesichtspunkte 
des  gerechten  Preises. 

§  1.  Ökonomischer  Charakter  des  einfachen  Tausches 
und  des  Handels. 

Wir  haben  im  vorhergehenden  Teile  die  ökonomische  Be- 
deutung von  Tauschverkehr  und  Handel  innerhalb  der  mensch- 
lichen Gesellschaft  behandelt.  Wenn  wir  jetzt  dazu  übergehen, 
beide  unter  dem  ethischen  Gesichtspunkte  des  gerechten  Preises 
zu  betrachten,  so  müssen  wir  uns  zunächst  den  ökonomischen 
Vorgang  selbst  im  einzelnen  vergegenwärtigen,  denn  die  Bestim- 
mung des  gerechten  Preises  wächst  aus  der  ökonomischen  Struktur, 
aus  dem  Wesen  von  Tauschverkehr  und  Handel  selbst  hervor,  ja 
ist  damit  schon  zu  einem  guten  Teile  gegeben. 

Auch  in  Darlegung  dieser  Verhältnisse  fußt  Thomas  völlig 
auf  Aristoteles.  Es  sind  daher  zunächst  die  aristotelischen  Ge- 
danken darzulegen,  dann  die  Übernahme  derselben  durch  Thomas 
zu  verfolgen. 

*)  S.  oben  S.  4. 

a)  Pol.  II,  8  (8):  Der  Gesetzgeber:  »3«  .  .  (atj  nQoatäxxsiv,  rör  avrov  avXeiv  xai 
oxvxorofieTv.«     Vgl.  Pol.  I,  3  (12 — 14).     Nie.  Ethik:  V,  c.  8. 


—       26       — 

a)  Aristoteles:  Im  ersten  Buche  seiner  Politik  behandelt 
Aristoteles  das  Haus  als  den  kleinsten  Bestandteil  des  Staates  und 
widmet  insbesondere  der  wirtschaftlichen  Seite  desselben  eine  ein- 
gehende Betrachtung1).  Die  hier  geäußerten  Gedanken  lassen  sich 
etwa  so  zusammenfassen2): 

Aristoteles  unterscheidet  zwischen  der  Haushaltungskunst 
{oixov fiixi])  und  der  Erwerbskunst  (iQrltJLaTl0TlxV  *•  w-  S.).  Jene  hat 
es  mit  dem  Verwenden  und  Gebrauchen  zu  tun,  diese  mit  dem 
Erwerben.  Die  Erwerbskunst  gliedert  sich  wieder  in  die  unmittel- 
baren und  mittelbaren  Erwerbsarten;  zu  ersteren  gehören  alle  jene, 
die  wie  die  Nomaden,  Jäger,  Fischer,  Ackerbauer  ihre  Nahrung 
unmittelbar  der  Natur  entnehmen3).  Sie  sind  eng  mit  der  Haus- 
haltungskunst verwachsen,  mag  Aristoteles  sie  nun  direkt  für  einen 
Teil  derselben  erklärt  haben  oder  in  ihnen  nur  einen  Hilfszweig 
der  Haushaltungskunst  erblickt  haben,  was  unter  den  Erklärern 
strittig  ist4). 

Diesem  unmittelbar  natürlichen  Erwerb  steht  der  mittelbare 
gegenüber:  Hier  wird  die  Bedarfsdeckung  des  Hauses  auf  dem 
Wege  des  Tausches  erreicht.  Der  Tausch  ist  etwas  durchaus 
natürliches  und  notwendiges,  wenn  er  auch  selbstverständlich  in 
der  ersten  ursprünglichen  Gemeinschaft,  dem  Hause  noch  nicht 
bestand6).  Er  bleibt  auch  noch  durchaus  natürlich  und  notwendig, 
als  zu  seiner  leichteren  Abwicklung  das  Geld  eingeführt  worden 
war.  Die  Erfindung  des  Geldes  geht  hervor  »aus  einem  unent- 
behrlichen Bedürfnis  des  Tausches«6).  Der  Erwerb  wird  in  diesem 
Falle  für  das  Haus  ein  mittelbarer,  und  zwar  nimmt  er  die  Form 
des  Gelderwerbes  an.  Aristoteles  steht  auch  dieser  Erwerbsart 
keineswegs  ablehnend  gegenüber;  auch  sie  ist  für  ihn  noch  durchaus 
natürlich.  Der  Reichtum,  der  hier  erstrebt  wird,  ist  ein  durchaus 
natürlicher:  man  faßt  ihn  auf  als  eine  Summe  von  Bedarfsgegen- 
ständen, die  der  Haushaltung  als  Werkzeuge  zur  Bedarfsdeckung 


1)  Pol.  I,  c.  3.  §  1—23. 

2)  Vgl.  F.  Onken,  D.  Staatsl.  d.  Ar.,  2  Bd.,  1875,  S.  80  ff.  Auszug  hieraus 
bei  Susemihl,  Einleit.  Politik,  I.  Teil,  Leipzig  1879.  Ferner  Maurenbrecher,  a.  a.  O. 
S.  54  f. 

3)  1.  c.  §  22:  »vor  allem  aber  muß  ....  die  Natur  selber  den  erforderlichen 
Stoff  bereits  gewähren,  denn  ihre  Sache  ist  es,  dem,  was  sie  erzeugt  hat,  auch  den 
Unterhalt  zu  geben.  Und  daher  ist  denn  der  naturgemäße  Erwerb  für  alle  Menschen 
derjenige,  welchen  sie  aus  den  Früchten  der  Erde  und  den  Tieren  ziehen. 

4)  Susemihl,  Aristoteles  Politik.     Anmerkung  69  ab. 
B)  cf.  Pol.  I.  c.   3,  §   11  ff. 

•)  I.  3,  §   15  (§   14). 


—     27      — 

dienen.  Und  in  diesem  Endzwecke  findet  der  Reichtum  seine 
Begrenzung1). 

Eng  verwandt  mit  dieser  mittelbar-natürlichen  Erwerbsart 
ist  eine  andere,  die  sich  aus  erster  entwickelt,  der  eigentliche  Handel 
[xajirjleia,  xajirjlixrf\-)-  »Dieser  ist  ein  Werk  der  Kunst  und  Übung, 
aber  nicht  der  Natur« 3).  Er  ist  darauf  gerichtet,  beim  Umsatz  der 
Waren  möglichst  viel  Gewinn  zu  machen.  Zweck  des  Tausches 
ist  nicht  Deckung  eines  natürlichen  Bedürfnisses,  sondern  Erstreben 
von  Reichtum,  der  insgeheim  in  eine  Masse  von  möglichst  viel 
Geld  gesetzt  wird  und  kein  Maß  und  keine  Grenzen  kennt4).  »Und 
so  entsteht  denn  der  Glaube,  daß  die  Erwerbskunst  es  hiermit 
zu  tun  habe  und  im  eigentlichen  Handelsgeschäft  bestehe«5). 
Aristoteles  hält  es  daher  für  richtig,  diese  Art  von  Erwerbskunst 
vorzugsweise  als  Bereicherungskunst  zu  bezeichnen,  als  iqi]ixo.tiotim] 
im  engeren  Sinne6). 

Zwei  Erwerbsarten  stehen  sich  also  schroff  gegenüber:  »In 
etwas  anderem  besteht  der  natürliche  Reichtum  und  die  natürliche 
Erwerbskunde,  und  nur  diese  letztere  ist  die  zur  Haushaltungs- 
kunde gehörige,  während  die  künstliche  im  eigentlichen  Handels- 
geschäft besteht,  indem  sie  nicht  auf  den  Vermögenserwerb  über- 
haupt, sondern  nur  auf  den  durch  den  Vermögensumsatz  gerichtet 
ist.  Und  diese  hat  es  augenscheinlich  mit  dem  Gelde  zu  tun, 
denn  das  Geld  ist  beim  Handel  Anfang  und  Ende«7).  Dieses 
Streben  nach  Gewinn  ist  es,  was  Aristoteles  ablehnt.  Es  ent- 
springt dem  Streben  nach  sinnlichen  Genüssen.  Die  Kräfte  des 
Menschen  werden  dabei  entgegen  ihrer  eigentlichen  Bestimmung 
angewandt:  Die  Tapferkeit  ist  nicht  dazu  da,  Geld  zu  erzeugen, 
sondern  Heldenmut  zu  zeigen8).  So  sehr  also  Aristoteles  dem 
Tauschverkehr  gerecht  wird,  wenn  er  einem  natürlichen  Bedürfnis 
dient,  so  schroff  lehnt  er  ihn  ab,  wenn  er,  wie  in  der  Gestalt  des 
eigentlichen  Handels,  zur  Erzielung  eines  Gewinnes  vorgenommen 
wird9). 


*)  I.  3,  §  8,  b.  9.    Vgl.  hierzu  Zmavc,  Die  Geldtheorie  und  ihre  Stellung  usw. 
Z.  f.  d.  g.  St.,  Bd.  58,  S.  75  ff. 

2)  I,  3  §   15- 

3)  I,  3  §   10. 

«)  I,  3  §   15  u.   16. 

5)  I,  3  §  16. 

6)  I,  3  §  10. 

7)  I,  3  §   17:   »rö  yag  vö/iio/ua  ozoi%eiov  xai  jisqü?  zfjc  dkkayfjg  eaxtv. 

8)  cf.  §   19  u.   20. 

8)  Der  Unterschied  zwischen  dem  einfachen  Tauschverkehr  und  dem  Handel,  der 
einen  Gewinn   machen   will,   ist    in   scharfer,   aber   prinzipiell   ähnlicher  Weise   dargelegt 


—       28       — 

b)  Thomas  v.  Aquin.  Zur  Bestimmung  der  thomistischen 
Ansichten  ist  einmal  zu  prüfen,  wie  Thomas  die  aristotelischen 
Gedanken  in  seinem  Kommentar  zur  Politik  dargestellt  und  ent- 
wickelt hat,  dann  ist  die  Verwertung  derselben  in  Thomas  selb- 
ständigen Schriften  zu  untersuchen. 

Im  Kommentar  zur  Politik  sind  die  Ausführungen  des 
Aristoteles  im  allgemeinen  richtig  wiedergegeben.  Nur  sind  zwei 
Punkte  hervorzuheben: 

i.  Der  aristotelische  Begriff  yQ^/xariorixt],  Erwerbskunde  wird 
bei  Thomas  regelmäßig  wiedergegeben  durch  ars  pecuniativa  im 
Sinne  von  ars  acquirendi  pecuniam.  Erwerb  und  Gelderwerb  sind 
nach  Thomas  identisch1). 

Maurenbrecher  möchte  hierin  eine  Einwirkung  der  wirt- 
schaftlichen Verhältnisse  des  Mittelalters  und  ein  Abweichen  vom 
aristotelischen  Gedankenkreise  erblicken:  »Es  ist  augenfällig,  wie 
Thomas  in  diesen  Ausführungen  von  der  von  Aristoteles  auf- 
gestellten Wirtschaftslehre  sich  entfernt.  War  für  diesen  jedes 
Streben  nach  Gelderwerb  unsittlich,  weil  der  natürliche  Reichtum 
des  Hauses  in  seinem  lediglich  Gebrauchsgüter  enthaltenden  Besitz 
dargestellt  ist,  so  ist  für  Thomas  gerade  Geldbesitz  eine  notwendige 
Voraussetzung  für  die  Existenz  der  Familie«2).  Nach  Mauren- 
brecher denkt  Aristoteles  an  eine  Autarkie  der  Familie3),  an  einen 
Zustand  der  geschlossenen  Hauswirtschaft.  Nur  die  Aneignung 
des  naturalen  Ertrages  des  eigenen  Besitzes  sei  für  ihn  natürlich 
und  notwendig,  nicht  der  verkehrsmäßige  Erwerb,  der  Handels- 
gewinn4). Hingegen  sei  das  Mittelalter  mit  seiner  städtischen  Be- 
rufsteilung auf  den  Verkehr  als  Grundlage  seiner  Bedarfsdeckung 
angewiesen. 

von  Karl  Marx  (Kapital,  i.  Bd.,  S.  113  ff.),  der  übrigens  ausdrücklich  Aristoteles  zitiert. 
Marx  unterscheidet  eine  doppelte  Form  des  Tausches  ;■  einer  vollzieht  sich  nach  der 
Form :  Ware — Geld—  Ware,  W — G — W.  Hier  handelt  es  sich,  wenn  man  einen  Tausch- 
kontrahenten betrachtet,  um  die  Befriedigung  eines  tatsächlich  vorliegenden  Bedürfnisses, 
wobei  das  Geld  die  Vermittlerrolle  übernimmt.  Die  andere  Form  ist  die:  G — W — G, 
also  die  Form  des  eigentlichen  Handels,  wo  G  im  zweiten  Falle  größer  sein  muß  als 
anfangs,  sonst  hätte  der  Tauschprozeß  keinen  Sinn.  Geld  erzeugt  hier  also  einen  Mehr- 
wert, erzeugt  größeres  Geld.  Wir  haben  es  also  hier  mit  einer  wirtschaftlichen  Er- 
scheinung kapitalistischer  Natur  zu  tun,  dem  »Kaufmannskapitalismus«.  Offenbar  wird 
gerade  der  letztere  von  Aristoteles  gemeint  und  als  unsittlich  verworfen,  weil  er  der  Be- 
stimmung des  Geldes,  lediglich  Tauschmittel  zu  sein,  widerstreitet. 
x)   C.  in  Ar.  Pol.  I.  1.  VI.— VIII.  passim. 

2)  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  S.   58. 

3)  1.  c.  S.  59. 
*)  1.  c.  S.  54  f. 


—       2Q       — 

Ich  halte  dies  nicht  für  richtig.  Daß  Aristoteles  den  Erwerb 
durch  Tausch  für  nötig  und  sittlich  zulässig  hält,  ist  oben  dargelegt 
und  belegt  worden.  Von  einer  »Autarkie«  des  Hauses  kann  bei 
ihm  keine  Rede  sein1).  Und  wenn  Thomas  die  Erwerbskunde 
schlechthin  als  ars  pecuniativa  faßt,  so  steht  er  damit  lediglich  auf 
seiten  derer,  die,  wie  oben  angedeutet,  den  unmittelbar  natürlichen 
Erwerb  zur  Hausverwaltung  rechnen  und  diesem  den  mittelbaren 
Erwerb  durch  Tausch  gegenüberstellen,  der  je  nachdem  ein  natür- 
licher oder  widernatürlicher,  ein  eigentliches  Handelsgeschäft,  sein 
kann.  Bei  dieser  Gliederung  der  aristotelischen  Ansichten  wird 
tatsächlich  die  Erwerbskunst  zu  einer  ars  acquirendi  pecuniam, 
sobald  der  Tausch  sich  vermittelst  des  Geldes  vollzieht,  was  nach 
Aristoteles  der  Fall  ist  oder  doch  erlaubtermaßen  sein  kann2). 

2.  Sodann  ist  auffallend,  daß  die  Ausführungen  des  Aristoteles 
über  den  Handel  bei  Thomas  auf  das  Geldwechselgeschäft  umge- 
deutet werden,  die  ars  campsoria  oder  ars  nummularia,  deren 
Wesen    dahin   definiert  wird,    »quae  est  permutatio  denariorum « 3). 

Der  Grund  hierfür  liegt  in  der  Übersetzung,  die  Thomas 
seinem  Kommentar  zugrunde  legt:  Hier  wird  anfangs  der  aristo- 
telische Begriff  xamjkeia  richtig  mit  negotiatio  wiedergegeben, 
während  später  regelmäßig  die  damit  identischen  xamqXixi],  xanrjXixov 
mit  ars  campsoria  oder  nummularia  übersetzt  werden4). 

Es  dürfte  nicht  angängig  sein,  hieraus  irgendwie  auf  Thomas' 
eigene  Ansicht  zu  schließen5);   die  berührte  Tatsache  ist  vielmehr 

1)  Siehe  oben  S.  25 ff. 

2)  a.  a.  O.  Zudem  ist  wohl  kaum  anzunehmen,  daß  Aristoteles  den  Handel 
seiner  wirtschaftlichen  Funktion  nach  für  überflüssig  hält.  Dies  tut  nicht  einmal  Plato, 
den  Aristoteles  doch  an  Verständnis  für  die  realen  Verhältnisse  des  Lebens  weit  über- 
trifft. Aristoteles  verurteilt  nur  den  Handel,  wie  er  ihn  tatsächlich  geübt  sah,  und  wäre 
wohl  der  letzte  gewesen,  der  das  Berechtigte  an  der  als  Ganzem  verurteilten  Erscheinung 
des  Wirtschaftslebens  verkannt  hätte.  Nur  war  er  zu  sehr  Realpolitiker,  als  daß  er 
sich  mit  den  platonischen  Reformplänen  hätte  befreunden  können,  wenn  er  auch  dem 
antikapitalistischen  Geiste  seines  Lehrers  treu  blieb. 

3)  C.  in  Ar.  Pol.  I.  1.  VII.  c.  cf.  VIII.  g.:  »Et  ideo  omnibus  hominibus  est 
naturalis  pecuniativa  i.  e.  aquisitiva  ciborum  vel  denariorum  pro  cibo  ex  rebus  naturalibus 
sive  ex  fructibus  et  animalibus,  quod  autem  aliquis  acquirat  pecuniam  non  ex  rebus 
naturalibus,    sed  ab  ipsis  denariis,  hoc  non  est  secundum  naturam.« 

4)  Man  vgl.  folgende  Stellen :  Aristoteles :  »fir/  öt'  älXayqc  xai  xa.7ir}leia.g  xo/ni- 
tovrai  rt]v  Tgoqctjv.«  Übersetzung:  »non  per  commutationem  et  negotiationem  ferunt 
alimentum.«  Ferner:  Aristoteles :  »dijlov,  Sri  ovx  sazi  <pvo£i  trjg  xgt]fiaTiOTixfjs  i)  xanrjXda.*. 
Übersetzung:  »palam,  quod  non  est  secundum  naturam  pecuniativae  campsoria.«  (Ar.  I. 
3,  §  5.  C.  in  Ar.  Pol.  1.  VI.  g.;  Ar.  I.  3,  §   12.  C.  in  Ar.  Pol.  1.  VII.  c). 

5)  Maurenbrecher,  a.  a.  O.  S.  60,  zieht  aus  diesen  sowie  den  bei  Aristoteles 
und  Thomas  später  folgenden  Darlegungen  des  Kreditgeschäftes  den  Schluß:   »Man  sieht, 


—      30     — 

lediglich  auf  die  fehlerhafte  Übersetzung  zu  setzen,  was,  wie 
wir  unten  sehen  werden,  aus  Thomas  selbständigen  Schriften  her- 
vorgeht1). 

Die  thomistischen  Ausführungen  im  Kommentar  zur  Politik 
werden  infolge  der  Mängel  in  der  Übersetzung  in  sich  wider- 
spruchsvoll und  unzulänglich.  Anfangs,  wo  die  Übersetzung  den 
Begriff  negotiatio  bringt,  schließt  auch  Thomas  sich  an  dieselbe  an 
und  fügt  die  Bemerkung  bei:  »worüber  unten  gehandelt  werden 
wird«,  »de  qua  infra  agetur« 2),  während  tatsächlich  nur  die  Er- 
örterung über  das  Geschäft  der  Geldwechsler  folgt3),  4). 

In  seinen  selbständigen  Schriften  hat  Thomas  seine 
eigene  Ansicht  scharf  und  klar  dargelegt  und  zwar  im  engsten 
Anschluß  an  Aristoteles,  den  er  wiederholt  ausdrücklich  nennt. 
Thomas  sagt  wörtlich: 

»Ut  autem  Philosophus  dicit,  duplex  est  rerum  commutatio: 
una  quidem  quasi  naturalis  et  necessaria;  per  quam  scilicet  fit 
commutatio  rei  ad  rem  vel  rerum  et  denariorum  propter  neces- 
sitatem  vitae,  et  talis  commutatio  non  proprie  pertinet  ad  nego- 
tiatores,  sed  magis  ad  oeconomicos  vel  politicos,  qui  habent  pro- 
videre  vel  domui  vel  civitati  de  rebus  necessariis  ad  vitam«6). 

Hier  ist  das  Wesen  des  einfachen  Tauschverkehrs  scharf  be- 
stimmt. Er  ist  nicht  spekulativ,  nicht  kapitalistisch,  das  Wesen 
des  Handels  besteht  nicht  in  ihm.  Er  mag  sich  mit  oder  ohne 
Zuhilfenahme  des  Geldes  vollziehen,  immer  ist  der  Endzweck  des 

daß    auch    für    ihn    das  Geld-  und  Kreditgeschäft    eine    wirtschaftliche  Bedeutung    noch 
nicht  hatte,  wenn  er  natürlich  auch  weiß,  daß  es  häufig  genug  vorkommt.«     Daß  Thomas 
das  Geldgeschäft  für  erlaubt  hält,  gerade  im  Gegensatz  zu  den  von  ihm   im  Kommentar 
dargelegten  vermeintlichen  Ansichten  des  Aristoteles,  wird  unten  darzustellen  sein. 
x)  Siehe  S.  31. 

2)  cf.  C.  in  Ar.  Pol.    I.  1.  VI.  g. 

3)  C.  in  Ar.  Pol.  I.  1.  VII.  u.  VIII. 

4)  Albertus  Magnus  gibt  in  seinem  Kommentar  zur  Politik  (1.  I.,  c.  7.  Alberti 
Magni  Opera  omnia.  Vol.  8.,  Paris  1891),  der  nach  dem  thomistischen  verfaßt  ist, 
die  Darlegungen  des  Aristoteles  über  den  Handel  ebenfalls  als  auf  die  ars  campsoria 
bezüglich  wieder,  auf  Grund  derselben  Übersetzung:  I.  c.  7  c.  campsoria,  id  est,  quod 
cambiatur  pecunia  in  pecuniam.  Ibidem  s. :  »Et  illa  pecuniativa  est  secundum  naturam 
omnibus,  quae  est  ex  fructibus  et  animalibus  (Zitat  aus  Aristoteles!):  pecunia  enim  ad 
hoc  inventa  est,  ut  inter  vendentem  et  ementem  talium  fiat  commutatio  et  non  est 
inventa  ad  hoc,  quod  pecunia  in  maiorem  pecuniam  convertatur;  hoc  enim  non  est 
secundum  naturam  pecuniae,  sed  est  de  pravitate  avaritiae  humanae.«  Es  gibt  also 
zwei  Arten  des  Geldtausches:  qua  scilicet  convertitur  pecunia  in  victum  et  vestitum  et 
alia  necessaria  (t)  und  qua  scilicet  pecunia  commutatur  in  pecuniam  ampliorem  (g). 
Letzteres   ist  die  ars  campsoria. 

6)  II,  II  q.  77,  a.   4  c. 


—     3i     — 

Tauschprozesses  die  Befriedigung  eines  tatsächlich  vorliegenden 
Bedürfnisses : 

Dann  heißt  es  bei  Thomas  weiter: 

»Alia  vero  commutationis  species  est  vel  denariorum  ad  de- 
narios,  vel  quarumcumque  rerum  ad  denarios  non  propter  res 
necessarias  vitae,  sed  propter  lucrum  quaerendum;  et  haec  quidem 
negotiatio  proprie  videtur  ad  negotiatores  pertinere,  secundum 
Philosophum« x). 

Das  Wesen  des  Handels  besteht  also  darin,  daß  beim  Tausche 
ein  Gewinn,  ein  lucrum  erzielt  wird2).  Nur  der  handelt  (nego- 
tiatur),  der,  wie  Thomas  später  sagt:  »ad  hoc  emit,  ut  carius  vendat«3). 

Offenbar  unterscheidet  Thomas  zwei  Arten  des  Handels: 
Das  Geldwechselgeschäft  (»denariorum  ad  denarios«)  und  den 
Warenhandel  (»quarumcumque  rerum  ad  denarios«).  Beide  werden 
unter  dem  allgemeinen  Begriff  negotiatio  zusammengefaßt.  Es  liegt 
hierin  eine  gewisse  Erweiterung  der  aristotelischen  Gedanken,  wie 
sie  Thomas  in  der  oben  zitierten  Übersetzung  vorlagen  und  von 
ihm  in  seinem  Kommentar  entwickelt  waren.  Er  schreibt  Aristo- 
teles nicht  nur  eine  Erörterung  des  Wechselgeschäftes,  sondern 
auch  des  eigentlichen  Handels  zu.  Vielleicht  fühlte  er  selbst  die 
Mangelhaftigkeit  der  Übersetzung  und  nahm  so  eine  Ergänzung 
vor.  Aristoteles  erwähnt  allerdings  das  Geldwechselgeschäft  über- 
haupt nicht4). 

§  2.    Die  "Wertgleichheit  als  Forderung  der  Gerechtigkeit. 

Eine  klare,  ausdrückliche  Begriffsbestimmung  des  Wertes 
finden  wir  bei  Thomas  nicht.  Zudem  werden  die  Ausdrücke 
valor  und  pretium  unterschiedslos  für  denselben  begrifflichen  In- 
halt gebraucht,  also  zwischen  Wert  und  Preis  kein  Unterschied  an- 
genommen, was  übrigens  auch  im  römischen  Recht  der  Fall  ist6). 
Was  macht  nun  das  innere  Wesen  des  Wertes  aus? 

Thomas  kommt  ausschließlich  darauf  zu  sprechen,  im  Zu- 
sammenhang mit  seinen  Untersuchungen  über  das  Wesen  der  Ge- 
rechtigkeit,  die  einen  Tausch  nach  Wertgleichheit   verlangt.     Das 


»)  l.  c. 

2)  cf.  ib.   »Lucrum  .  .  ,  quod  est  negotiationis  finis«. 

3)  II,  II  q.   77,  a.  4,  ad  2. 

4)  Vgl.  die  Darlegung  der  aristotelischen  Ansichten  und  des  thomistischen  Kom- 
mentars, oben  S.   26  ff. 

6)  Siehe  II,  II  q.  77,  a.   1   c.     Zum  römischen  Recht;  vgl.  Oertmann,  a.  a.  O. 
S.  38  f. 


—     32     — 

Endziel  seiner  ganzen  Betrachtungsweise  ret  nicht,  das  Wirtschafts- 
leben als  solches  seinem  Sein  nach  zu  e#kennen,  vielmehr  es  zu 
regeln  gemäß  den  Forderungen  der  Gerechtigkeit.  Über  die  Be- 
deutung der  letzteren  für  das  Wirtschaftsleben  wird  weiter  unten 
ausführlich  zu  sprechen  sein.  Wir  müssen  hier  zunächst  die  Form 
des  Tausches,  wie  sie  von  der  Gerechtigkeit  gestaltet  wird,  ein- 
gehender behandeln. 

Die  allgemeinen  Grundsätze  hierfür  finden  sich  an  mehreren 
Stellen  der  selbständigen  Schriften  des  Aquinaten1).  Thomas  hat 
sie  ohne  wesentliche  Abweichungen  aus  Aristoteles  nikomachischer 
Ethik  übernommen2).  Näher  auf  das  Wesen  des  Wertes  kommt 
Thomas  fast  nur  in  seinem  Kommentar3)  zu  dem  eben  genannten 
Werke  des  Aristoteles  zu  sprechen.  Nun  bieten  zwar  die  thomisti- 
schen  Kommentare  nicht  ohne  weiteres  die  eigenen  Ansichten 
des  Autors.  Doch  stellen  sich  die  näheren  Ausführungen  über 
den  Wert  so  sehr  als  bloße  Erläuterungen  und  Erweiterungen  der 
von  Thomas  sonst  häufig  verwendeten  allgemeinen  Prinzipien  dar, 
daß  wir  die  Auffassung  darüber,  die  Thomas  Aristoteles  zuschreibt, 
auch  als  eigene  Ansicht  des  Aquinaten  in  Anspruch  nehmen 
müssen.  Das  Nähere  wird  sich  in  der  folgenden  Darstellung 
ergeben. 

Im  Tausche  soll  also  nach  Thomas  Gerechtigkeit  herrschen. 
Die  Gerechtigkeit  im  allgemeinen  wird  definiert:  »justitia  est  ha- 
bitus,  secundum  quem  aliquis  constanti s  et  perpetua  voluntate  ius 
suum  unicuique  tribuit«  4).  Sie  beschäftigt  sich  mit  den  Handlungen 
der  Menschen,  die  auf  einen  anderen  bezug  nehmen 5).  Insofern  sie 
diese  regelt,  kommt  ihr  innerhalb  der  menschlichen  Gemeinschaft 
eine  außerordentlich  wichtige  Aufgabe  zu.  Thomas  führt  daher 
zustimmend  das  Wort  Ciceros  an:  »Justitiae  ea  ratio  est,  qua  socie- 
tas  hominum  inter  ipsos,  et  vitae  communitas  continetur« 6). 

In  der  Gemeinschaft  sind  zwei  Arten  von  Beziehungen  vor- 
handen: Einmal  steht  der  Einzelne  als  Glied  der  Gesamtheit  aller 
gegenüber  und  ist  verpflichtet,  sein  gesamtes  Tun  mit  dem  Wohle 


2)  Besonders  kommen  in  Betracht:  II,  II  58  f.;  II,  II  61  f. 

2)  cf .  Aristoteles :  Eth.  Nie.  1.  V,  c.   1  ff. 

3)  Com.  in  Eth.  Nie.  Aristotelis  lib.  V,  lect.  Iff. 

4)  II,  II  q.  58,  a.  1  c.  Die  Definition  deckt  sich  mit  der  des  Aristoteles, 
wie  Thomas  weiter  ausführt:  »Et  quasi  est  eadem  definitio,  cum  ea,  quam  Philosophus 
ponit  (Ethik  IV,  c.  5,  a.  m.),  dicens  quod:  »justitia  est  habitus,  secundum  quem  aliquis 
dicitur  operativus  secundum  electionem  justi.« 

5)  cf.  II,  II  q.   58,  a.   2,  sowie  die  folgenden  Zitate. 
«)  II,  II  q.   58,  a.   2. 


—     33     — 

derselben  in  Übereinstimmung  zu  bringen.  Insofern  nun  die  Ge- 
rechtigkeit den  Gesamtkreis  der  menschlichen  Handlungen  auf  das 
bonum  commune  hinlenkt,  schließt  sie  in  gewissem  Sinne  alle 
anderen  Tugenden  in  sich,  ist  sie  eine  virtus  generalis,  und  insofern 
diese  Forderung  im  Gesetze  niedergelegt  ist,  wird  die  Gerechtig- 
keit selbst  auch  als  justitia  legalis  bezeichnet1). 

Sodann  gibt  es  in  der  Gemeinschaft  Beziehungen,  aus  denen 
einer  einzelnen  Person  Rechte  erwachsen,  sei  es  der  Gemeinschaft 
oder  einer  anderen  Privatperson  gegenüber.  Die  Feststellung  und 
Gestaltung  dieser  Rechte  ist  die  Aufgabe  der  Gerechtigkeit,  inso- 
fern sie  eine  besondere  Tugend,  eine  virtus  particularis  ist2). 

Diese  Beziehungen  werden  begründet  durch  äußere  Hand- 
lungen, die  einer  einer  anderen  Person  zufügt,  oder  durch  Über- 
tragung von  äußeren  Dingen,  von  Gebrauchsgegenständen3). 

Stehen  sich  zwei  Personen  einander  gegenüber,  so  soll  die 
Handlung  der  einen  oder  die  Sache,  die  sie  hingibt,  dem,  was  die 
andere  Person  fordern  kann4),  angemessen,  gleich  sein.  Die  Ge- 
rechtigkeit erfordert  also  ihrem  Wesen  nach  Gleichheit  (adaequa- 
tio5),  so  daß  die  Mitte  zwischen  dem  zu  Großen  und  dem  zu 
Kleinen  gewahrt  bleibt.  Das  Gerechte  selbst  ist  ein  Gleiches6). 
Diese  Gleichheit  nimmt  nun  eine  verschiedene  Form  an,  je  nach- 
dem ob  dem  Einzelnen  von  Seiten  der  Gesamtheit  etwas  geschuldet 
wird  oder  von  seiten  einer  anderen  Privatperson. 

Im  ersteren  Falle  handelt  es  sich  um  eine  Verteilung  von 
gemeinsamen  Gütern,  sie  wird  geregelt  durch  die  justitia  distribu- 
tiva,  im  letzteren  Falle  um  einen  wechselseitigen  Austausch  von 
Gütern,  wie  Kauf,  Verkauf  usw.;  ihn  will  die  justitia  commutativa 
nach  ihren  Prinzipien  gestalten7). 

Was  dem  Einzelnen  einem  Ganzen  gegenüber  zusteht,  ist 
nicht  für  alle  dasselbe,  vielmehr  verschieden  nach  der  Bedeutung, 
die  dem  Einzelnen  innerhalb  der  Gemeinschaft  zukommt.  Die  ver- 
teilende Gerechtigkeit  fordert  keine  aequalitas  rei  ad  rem;  sondern 
es  muß,  wenn  z.  B.  zwei  Personen  einem  Ganzen  gegenüberstehen, 

J)  1.  c.  a.   5   c.     cf.  Aristoteles  Eth.  1.  V,  c.   i. 

2)  1.  c.  a.  7.  c. 

3)  1.  c.  a.  8.  c. 

4)  Demgemäß  besteht  die  Gerechtigkeit  darin,  jedem  das  Seine  zu  geben,  »pro- 
prius  actus  justitiae  nihil  aliud  est  quam  reddere  unicuique  quod  suum  est.«  II,  II  q. 
58,  a.    11   c. 

5)  C.  in  III.  1.     Sent.  d.  33,  q.  3,  a.  4,  sol.  I. 

6)  1.  c. 

7)  II,   II  q.  61,  a.   1   c:   Vgl.  Nik.  Ethik  V,  c.   5—7. 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  1.  3 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.   Scholastik. 


—     34     — 

dieses  Ganze  derart  unter  sie  verteilt  werden,  daß,  wie  die  Per- 
sonen zueinander  sich  verhalten,  nach  ihrer  Bedeutung  dem  Ganzen 
gegenüber,  so  sich  auch  die  Sachen,  die  ihnen  zuerkannt  werden, 
verhalten.  Sind  A  und  B  die  beiden  Personen,  C  und  D  die  ihnen 
zugeteilten  Güter,  so  müssen  nach  Gerechtigkeit  die  Verhältnisse 
einander  gleich  sein: 

A:B  =  C:D. 

Eine  derartige  Gleichheit  zweier  Verhältnisse  ist  eine  geo- 
metrische Proportion;  eine  solche  liegt  der  justitia  distributiva 
zugrunde1). 

In  anderer  Form  vollzieht  sich  die  justitia  commutativa.  Ihr 
Gebiet  sind,  wie  schon  dargelegt,  die  Beziehungen  einzelner  Privat- 
personen untereinander,  vor  allem  die  wirtschaftlichen  Beziehun- 
gen, wie  Kauf  und  Verkauf,  Arbeitsvertrag  usw.2).  Für  uns 
kommt  zunächst  lediglich  der  Tauschverkehr  in  Betracht. 

Wenn  im  Tausche  eine  Person  einer  anderen  eine  Sache 
überträgt,  so  entsteht  auf  Seiten  der  ersten  Person  der  zweiten 
gegenüber  eine  Forderung  nach  einer  Sache,  die  der  weggege- 
benen gleich  ist3).  Eben  darin  liegt  nach  Thomas  das  Wesen  des 
Kaufes  und  Verkaufes,  daß  in  ihnen  zwischen  den  beiden  Tausch- 
kontrahenten ein  contractus  non  gratuitus4)  geschlossen  wird.  Im 
Tausche  entäußert  sich  einer  des  Eigentums  an  seiner  Sache  zu- 
gunsten eines  anderen  in  Rücksicht  auf  geforderten  gleichwertigen 
Ersatz:  »Unus  transfert  dominium  rei  suae  in  alterum  propter 
pretium  inde  acceptum«5). 

Die  Tauschkontrahenten  stehen  sich  als  gleich  gegenüber6). 
Die  Gerechtigkeit  erfordert  nur  eine  aequalitas  rei  ad  rem7).  Auf 
keiner  Seite  darf  im  Tausche  Gewinn  oder  Verlust  entstehen. 
Das  aequale,  worin  das  justum  commutativum  besteht,  ist  ein 
medium  inter  maius  et  minus8);  d.  h.  es  liegt  dem  Tausche  eine 
arithmetische  Proportion  zugrunde.  Eine  solche  besagt  die  Gleich- 
heit zweier  arithmetischer  Verhältnisse,  z.  B.:  6 — 5  =  5 — 4.  Der 
Vorgang   des   Tausches   stellt   sich    nach    Thomas9)    in    folgender 


!)  1.  c.  a.   2.  c.  (Eth.  lib.   V,  c.  6). 

2)  1.  c.  Vgl.  noch  II,  II  q.  61,  a.  3  c. 

3)  II,  II  q.  6l,  a.  3  c. 

4)  II,  II  q.   ioo,  a.   I,  ad  5. 

5)  C.  in  Ar.  Eth.  V,  1.  IV.     c.  cf.  Anmerkung  3. 
«)  C.  in  Ar.  Eth.  V,  1.  VI,  d. 

7)  Man  vgl.  zu  diesem  Gedanken  sowie  zu  den  folgenden:  II,  II  q.  61.  a.   2  c. 

8)  C.  in  Ar.  Eth.  V,  1.  VII.  a. 

9)  Vgl.  Anmerkung  7. 


—     35     — 

Weise  dar:  Überträgt  z.  B.  der  Verkäufer  dem  Käufer  eine  Sache, 
die  wir  =  5  setzen,  der  Käufer  gibt  seinerseits  aber  nur  4  als 
Preis  zurück,  so  wären  auf  seiten  des  Käufers  jetzt  6  vorhanden, 
nämlich  5  +  1,  auf  seiten  des  Verkäufers  dagegen  nur  4;  ersterer 
würde  1  gewinnen,  letzterer  1  verlieren.  Damit  nun  Gerechtig- 
keit herrsche,  muß  in  diesem  Falle  die  Mitte  zwischen  Gewinn 
und  Verlust  festgestellt  werden,  d.  h.  es  muß  eine  Zahl  gesucht 
werden,  die  ebensoviel  von  6  übertroffen  wird,  wie  sie  ihrerseits 
4  übertrifft;  d.  h.  es  muß  eine  arithmetische  Proportion  aufgestellt 
werden,  nach  der  sich  in  diesem  Falle  5  als  Mitte  ergibt.  Der 
justitia  commutativa  ist  genügt,  wenn  der  Verkäufer  5  wieder- 
erhält, wie  er  5  hingegeben  hat. 

Die  hier  wiedergegebenen  Gedanken,  die  fast  ausschließlich 
Thomas  selbständigen  Schriften  entnommen  sind,  sind  im  wesent- 
lichen eine  kurze  Wiederholung  dessen,  was  in  der  Nikomachischen 
Ethik1)  ausführlicher  dargelegt  und  im  Kommentar  zu  derselben2) 
von  Thomas  selbst  erläutert  ist.  Im  letzteren  findet  sich  auch 
eine  Weiterführung  des  eben  entwickelten  Prinzips  der  justitia 
commutativa  und  eine  Anwendung  desselben  auf  das  Wirtschafts- 
leben. Nachdem  Thomas  die  Ausführungen  des  Aristoteles  über 
die  Gerechtigkeit  im  Tausche  wiedergegeben  hat,  fährt  er  nämlich 
in  der  Darlegung  des  aristotelischen  Textes  fort: 

„Ostendit3)  quod  illud,  quod  dictum  est4)  observari  oportet 
in  commutatione  diversarum  artium.  Destruerentur  enim  artes  si 
ille,  qui  fecit  aliquod  artificium,  non  pateretur  i.  e.  non  reeiperet 
pro  illo  artificio  tan  tum  et  tale,  quantum  et  quäle  fecit.  Ideo 
oportet  commensurari  opera  unius  artificis  operibus  alterius  ad 
hoc,  quod  sit  justa  commutatio."  D.  h.  also:  Wenn  jemand  ein 
Produkt  von  bestimmter  Quantität  und  Qualität  hergestellt  hat 
und  dieses  im  Tausche  hingibt,  so  verlangt  die  Gerechtigkeit,  daß 
er  ein  Arbeitsprodukt  von  gleicher  Quantität  und  Qualität  zurück- 
erhält. Vergleicht  man  diesen  Gedanken  mit  dem  des  Aristoteles, 
so  ist  eines  bemerkenswert:  Aristoteles  spricht  an  der  betreffenden 
Stelle5)   von  einem   Tioietv  und  naoyeiv  beim  Tausche  im  Sinne  des 

:)  cf.  i.  Ar.  Eth.  Nie.  V,  c  5  —  7. 

2)  cf.  C.  im  Ar.  Eth.  V,  1.  IV  ff. 

3j  sc.  Philosophus.  Die  Stelle  steht:  C.  in  Ar.  Eth.  V,  1.  VII  e.  Es  wird 
Bezug  genommen  auf  Aristoteles :  Nie.  Eth.  V,  c.  7 :  ean  de  xal  ml  rcöv  aklarv  tsyvöjv 
tovto.  avflQovvTO  ya.Q  av,  et  /.itj  ijToiet  rö  noiovv  xal  oaov  xal  olov  xal  xö  näoypv  maaye 
zovxo  xal  xooovxov  xal  xoiovxov. 

4)  sc.  de  justitia  commutativa! 

6)  Vgl.  das  Zitat  in  Anm.  3. 

3* 


-     36     - 

Übertragens  eines  Gutes  und  der  Annahme  desselben.  Bei  Tho- 
mas hat  der  Begriff  facere  eine  von  Aristoteles  abweichende  Fär- 
bung. Er  enthält  wenigstens  etwas,  was  bei  Aristoteles  kaum 
vorliegen  dürfte:  Der  Begriff  facere  wird  von  Thomas  nicht  nur 
auf  den  Tauschakt  selbst  angewendet,  sondern  bereits  auf  den 
vorhergehenden  Produktionsprozess.  Er  umfaßt  i.  wesentlich  die 
Arbeit  des  vorhergehenden  Produktionsprozesses,  2.  Die  Übertra- 
gung dieses  Produktes  im  Tausche.  Das  pati  soll  dementsprechend 
in  der  Annahme  eines  dem  übertragenen  gleichen  Arbeitsproduktes 
bestehen.  Es  findet  sich  bereits  hier  die  Berücksichtigung  des 
objektiven  Arbeitsmomentes  im  Tausche,  die,  wenn  sie  auch  von 
der  justitia  commutativa  erfordert  wird,  doch  erst  aus  einer  zwar 
identischen,  aber  tiefer  gehenden  und  später  darzulegenden  Auf- 
fassung der  Gerechtigkeit  in  ihrer  vollen  Bedeutung  hervorwächst1). 

Die  Arbeitsprodukte  sollen  ferner  durcheinander  gemessen 
werden.  Das  eine  Gut  wird  der  Preis  des  andern2).  Die  Gerech- 
tigkeit erfordert  also,  wie  Thomas  in  der  Summa  ausführt,  Gleich- 
heit des  Tauschwertes:  »Et  ideo,  sie  vel  pretium  excedat  quanti- 
tatem  valoris  rei  vel  e  converso  res  excedat  pretium,  tolletur 
justitiae  aequalitas«3). 

Soweit  erläutert  Thomas  die  Gerechtigkeit  im  Tauschverkehr 
im  Zusammenhang  mit  dem  Begriff  der  justitia  commutativa.  Er 
will  mit  seinen  Darlegungen  im  wesentlichen  nur  das  wiederholen, 
was  Aristoteles  vor  ihm  ausgesprochen  hatte.  Der  justitia  parti- 
cularis,  die  sich  bei  Thomas  in  die  justitia  distributiva  und  commu- 
tativa gliedert,  entspricht  bei  Aristoteles  1)  xaxa  /uegog  dixaioovvrj,  die 
in  das  öiy.aiov  diav£[.wjTiybv  und  iTiavog&MTixdv  (zo  ev  rölg  ovvaXXdy juaot 
dty.aiov,  dioodwrixov)  zerfällt4).  Freilich  weicht  die  Auffassung, 
die    Thomas  bei   Aristoteles   findet,  in    manchen    Punkten  ab  von 


1)  Nämlich  der  Gerechtigkeit  als  einer  Wiedervergeltung.  Siehe  S.  37  ff.  — 
Nach  Trendelenburg  (Historische  Beiträge  z.  Philosophie  II,  1855,  S.  359 ff.)  finden 
sich  die  Äußerungen  des  Aristoteles,  die  auf  voriger  Seite  angeführt  sind,  und  die  von 
Thomas  in  der  angegebenen  Weise  aufgefaßt  werden,  hier  (Nie.  Eth.  V,  7)  im  Zu- 
sammenhang mit  den  Untersuchungen  über  die  ausgleichende  Gerechtigkeit  nicht  an 
rechter  Stelle;  sie  werden  c.  8  in  derselben  Weise  wiederholt  und  sind  dort  im  Zusammen- 
hang begründet,  was  bei  c.  7  weniger  der  Fall  ist.  Die  Übersetzung,  die  Thomas  seiner 
Erklärung  zugrunde  legt,  bringt  die  Stelle  zweimal,  c.   7  u.  c.  8. 

2)  II,  II  q.  77,  a.  1  c. :  »Quantitas  autem  rei,  quae  in  usum  hominis  venit, 
mensuratur  seeundum  pretium  datum.«  Besonders  geschieht  dies  durch  das  Geld.  Thomas 
fährt  daher  fort:    »ad  quod  est  inventum  numisma«. 

3)  1.  c. 

4)  cf.  Arist.  Nie.  Eth.  V,  c.   1 — 7. 


—     37      — 

dem  Sinne,  in  dem  einige  moderne  Erklärer  dieselben  Stellen 
der  Nikomachischen  Ethik  interpretieren1). 

Im  weiteren  Verlauf  seiner  Darstellung  bringt  nun  Aristote- 
les für  das  Wesen  der  Gerechtigkeit  einen  neuen  Gesichtspunkt. 
Im  Anschluß  an  die  Phytagoräer  führt  er  aus,  die  Gerechtigkeit 
im  Tausche  bestehe  in  einer  Wiedervergeltung;  das  Gerechte 
im  Tausche  sei  ein  ävzmejiovdög  und  zwar  ein  Wiedervergelten 
xax  ävaXoyiav  xal  /urj  xax  loöxiqxa,  also  nach  geometrischer  Pro- 
portion2). 

Es  gibt  nun  wohl  kaum  ein  Kapitel  in  der  Nikomachischen 
Ethik,  das  der  Erklärung  solche  Schwierigkeiten  böte,  wie  dieses3). 
Dementsprechend  finden  sich  bei  den  einzelnen  Erklärern  durchaus 
verschiedene  Auffassungen.  Wir  haben  hier  die  thomistischen 
Ansichten  darzulegen  und  nicht  in  erster  Linie  den  Sinn  des 
Aristoteles  festzustellen.  Aristoteles  und  die  verschiedenen  Erklä- 
rungen, die  von  ihm  gegeben  werden,  sind  daher  hier  nur  soweit 
zu  berücksichtigen,  als  dies  zum  unmittelbaren  Verständnis  der 
Ansichten  des  Aquinaten  erforderlich  ist. 

Wir  werden  im  Anschluß  an  den  thomistischen  Kommentar4) 
der  Reihe  nach  behandeln:  i.  Begriff  und  Form  der  Wiederver- 
vergeltung.  2.  Verwirklichung  der  Wiedervergeltung  vermittelst 
des  Geldes.  3.  Bedeutung  des  Bedürfnisses  im  Tausche;  Bedürfnis 
und  Geld  als  Masse  der  Güter. 

1.  Begriff  und  Form  der  Wiedervergeltung.  Der  Be- 
griff der  Wiedervergeltung  erfordert  eine  aequalitas  actionis  et 
passionis;  es  gehört  zum  Wesen  des  contrapassum,  »ut  .  .  aliquis 
pateretur,  secundum,  quod  fecerat«5)  oder,  wie  Thomas  in  der 
theologischen  Summe  ausführt:  »  .  .  hoc,  quod  dicitur  contrapassum, 
importat  aequalem  recompensationem  passionis  ad  actionem  prae- 
cedentem«6). 

Es  ist  somit  vor  allem   festzustellen,  was   Thomas  unter  den 


a)  Vgl.  unten  S.  40  f. 

2)  Nie.  Eth.  V,  c.  8:  »öoxeT  de  xioi  xal  xo  dvziJiSTtov&dg  eivai  ouiXcüg  dixatov, 
wojzeq  01  IIv&ayÖQeioi  k'qpaoav.«  Nachdem  Aristoteles  dann  dargelegt,  daß  dies  nicht 
in  vollem  Umfange  zutreffe,  weder  bei  der  verteilenden  noch  bei  der  epanorthotischeD 
Gerechtigkeit,  fährt  er  fort:  »ixXX  ev  fiev  zaig  xoivcoviaig  xaig  akkaxxixalg  ovvsxEl  T0  *ol°vxov 
dixaiov  tÖ  dvxtTisjtov&dg  xax'  avakoyiav  xal  fir]  xax    laöxrjxa.« 

3)  Zudem  ist  die  textliche  Überlieferung  des  5.  Buches  der  nikom.  Ethik  sehr 
fehlerhaft.     Vgl.  Trendelenburg,  histor.  Beiträge  zur  Phil.  III,   1867,  S.  413. 

4)  Com.  in  Ar.  Eth.  Nie.  V,  1.  VIII  u.  IX. 

5)  C.  in  Ar.  Eth.  V,  1.  VIII  a. 

6)  II,  II  q.  61,  a.  4  c. 


-     38     - 

Begriffen  actio  und  passio  versteht.  Am  klarsten  hat  er  sich 
darüber  an  einer  Stelle  ausgesprochen,  wo  er  zugleich  das  Ver- 
hältnis der  Wiedervergeltung  zur  justitia  commutativa  darlegt, 
und  die  für  den  ganzen  hier  vorliegenden  Ideenkreis  von  entschei- 
dender Bedeutung  ist.  Es  heißt  dort1):  »Dicit2)  ergo,  quod  in 
communicationibus  commutativis  verum  est,  quod  tale  est  justum, 
quod  continet  in  se  contrapassum ,  non  quidem  secundum  aequali- 
tatem,  sed  secundum  proportionalitatem.  Videtur  autem  hoc  esse 
contra  id,  quod  supra  dictum  est,  quod  scilicet  in  commutativa 
justitia  medium  accipitur  non  quidem  secundum  geometricam  pro- 
portionalitatem, quae  consistit  in  aequalitate  proportionis,  sed  secun- 
dum arithmeticam,  quae  consistit  in  aequalitate  quantitatis.  Dicen- 
dum  est  autem,  quod  circa  justitiam  commutativam  semper  quidem 
oportet  esse  aequalitatem  rei  ad  rem,  non  tarnen  actionis  et  passi- 
onis,  quod  importat  contrapassum.  Sed  in  hoc  oportet  adhiberi 
proportionalitatem  ad  hoc,  quod  fiat  aequalitas  rerum,  eo 
quod  actio  unius  artificis  maior  est  quam  actio  alterius 
sicut  aedificatio  domus  quam  fabricatio  cultelli,  unde  si 
aedificator  commutaret  actionem  suam  pro  actione  fabri- 
cationis,  non  esset  aequalitas  rei  datae  et  acceptae:  puta 
domus  et  cultelli.» 

Hiernach  ist  zunächst  soviel  klar:  Der  Begriff  actio  hat,  wie 
sich  oben  bereits  bei  dem  entsprechenden  Ausdruck  facere  ergab3), 
einen  durchaus  objektiven  Inhalt.  Das  Maß  der  Leistung  der 
Tauschkontrahenten  wird  durch  den  vorhergehenden  Produktions- 
prozeß bestimmt:  actio  ist  der  allgemeine  Begriff  zu  den  speziellen 
aedificatio  usw.  Darüber  hinaus  besteht  die  actio  im  Tausche 
darin,  daß  die  beiden  Tauschkontrahenten  ihre  eigenen  Sachen 
dem  anderen  übertragen  und  demgemäß  die  passio  in  der  An- 
nahme des  Übertragenen4).  Naturgemäß  kann  im  Tausche  von 
einem  »Leiden«,  einem  pati  nur  in  übertragenem  Sinne  gesprochen 
werden,  wie  Thomas  bemerkt6). 


*)  C.  in  Ar.  Eth.  V,  1.  VIII  f. 

2)  sc.  Aristoteles. 

3)  Vgl.  oben  S.  36. 

4)  Vgl.  hierzu  auch  II,  II  q.  59,  a.  3,  c. :  »actio  de  sui  ratione  procedit  ab 
agente;  passio  autem  secundum  propriam  rationem  est  ab  alio.« 

6)  Ein  Leiden  im  eigentlichen  Sinne  liegt  zunächst  bei  Verletzung  einer  Person 
z.  B.  durch  Schlagen  vor;  dann  bei  einem  Bestohlenen  im  Falle  eines  Diebstahls 
»Tertio  vero  transfertur  nomen  contrapassi  ad  voluntarias  commutationes,  in  quibus  utrius- 
que  est  actio  et  passio;  sed  voluntarium  diminuit  de  ratione  passionis.«    II,  II  q.  61,  a.  4  c. 


—     39     — 

Ferner  soll  im  Tausche  Gleichheit  von  Leistung  und  Gegen- 
leistung herrschen.  Darin  besteht  eben  die  Wiedervergeltung, 
darin  besteht  aber  auch  das  Wesen  der  justitia  commutativa,  wie 
sich  schon  oben  bei  der  Behandlung  derselben  ergab  und  wie 
Thomas  überdies  ausdrücklich  hervorhebt. 

Um  nun  diese  arithmetische  Gleichheit  von  Leistung  und 
Gegenleistung  zu  bestimmen,  bedarf  es  einer  geometrischen  Pro- 
portion: Daß  von  den  Tauschkontrahenten  jeder  ein  Einheits- 
produkt seiner  Tätigkeit  übertragen  würde,  z.  B.  ein  Baumeister 
ein  Haus,  und  ein  Schuster,  der  mit  ersterem  tauschen  will,  ein 
Paar  Schuhe,  würde  der  Gerechtigkeit  nicht  entsprechen:  »nam 
plures  expensas  facit  aedificator  in  una  domo  quam  coriarius  in 
uno  calciamento«1).  Vielmehr  muß  zunächst  der  Unterschied,  der 
zwischen  den  beiden  Personen  hinsichtlich  ihrer  Aufwendungen 
besteht,  bestimmt  werden;  hierdurch  ist  dann  auch  das  Wertver- 
hältnis ihrer  Einheitsprodukte  bestimmt:  Bezeichnet  man  Bau- 
meister und  Schuster  mit  A  und  B,  ihre  Produkte  mit  C  und  D, 
so  muß  folgende  Proportion  aufgestellt  werden: 

A  :  B  =  C  :  D. 

Ist  so  das  Wert  Verhältnis  zwischen  dem  Produkte  des  Bau- 
meisters und  dem  des  Schusters  gefunden,  so  ist  damit  zu  gleicher 
Zeit  bestimmt,  wie  viele  Schuhe  für  ein  Haus  gegeben  werden 
müssen,  damit  Wertgleichheit  erzielt  werde.  Für  den  Tausch 
erscheinen  also  die  Produkte  in  ihrem  Wertverhältnis  durch  das 
Verhältnis  der  zur  Produktion  nötigen  Aufwendungen  bestimmt. 
In  bezug  hierauf  wird  Gleichheit  von  Leistung  und  Gegenleistung 
gefordert2).  So  sagt  Thomas  in  einem  etwas  anderen  Zusammen- 
hange, aber  in  demselben  Sinne:  »Oportet  igitur  ad  hoc,  quod 
sit  justa  commutatio,  ut  tanta  calciamenta  dentur  pro  una 
domo  vel  pro  cibo  unius  hominis  —  es  wird  hier  von  einem 
Tausche  zwischen  Baumeister,  Schuster  und  Landmann  ge- 
sprochen — ,  quantum  aedificator  vel  agricola  excedit  coriarium 
in  labore  et  in  expensis«3). 

In  prinzipieller  Kürze  hat  Thomas  das  Wesen  der  Wieder- 
vergeltung und  ihr  Verhältnis  zur  justitia  commutativa  in  der 
theologischen  Summe  zusammengefaßt: 

»Similiter  etiam  nee  in  commutationibus  voluntariis  esset 
semper  aequalis  passio,    si    quis    daret    rem    suam,    aeeipiens   rem 

1)  C.  in  Ar.  Eth.  V,  1.  VIII  h. 

2)  C.  in  Ar.  Eth.  Nie.  V,  1.  VIII  h.     cf.  Ar.  Nie.  Eth.  V,  c.  8. 

3)  1.  c.  1.  IX  b.     Den  Text  des  Aristoteles  s.  S.  41. 


—     4Q     — 

alterius,  quia  forte  res  alterius  est  multo  maior  quam  sua.  Et  ideo 
oportet  secundum  quandam  proportionatam  commensurationem 
adaequare  passionem  actioni  in  commutationibus«  J). 

Daß  Thomas  das  Maß  der  actio  bestimmt  sein  läßt  durch 
das  Maß  der  Kosten  und  der  Arbeit,  ergibt  sich,  wie  oben  dar- 
gelegt, aus  den  weitergehenden  Ausführungen  der  Nikomachischen 
Ethik,  wie  Thomas  sie  in  seinem  Kommentar  zu  derselben  inter- 
pretiert hat. 

Es  entsteht  nun  zunächst  die  wichtige  Frage,  wie  sich  die 
hier  entwickelten  Gedanken  zu  denen  des  Aristoteles  verhalten. 
An  dieser  Stelle  nur  soviel: 

Was  die  Auffassung  angeht,  die  Thomas  hinsichtlich  des 
Verhältnisses  zwischen  der  justitia  commutativa  und  des  contra- 
passum  vertritt,  so  dürfte  eine  genauere  Untersuchung  darüber, 
ob  Thomas  die  aristotelische  Meinung  damit  richtig  wiedergibt, 
weit  über  den  Zweck  vorliegender  Arbeit  hinausgehen.  Bei  den 
modernen  Erklärern  ist  die  Frage  der  aristotelischen  Einteilung 
der  Gerechtigkeit  durchaus  umstritten.  Während  z.  B.  Trendelen- 
burg2) das  öly.aiov  ijiavog&cüuxöv  nicht  als  eigentliches  Gerechtig- 
keitsprinzip des  Tausches  gelten  lassen  will,  vielmehr  in  ihr  nur 
die  Form  der  richterlichen  Tätigkeit  sieht,  die  eine  vorausgegangene 
Vertragsverletzung  ausgleichen  soll,  und  als  eigentliche  Tauschge- 
rechtigkeit lediglich  das  ävxuiexov&os  annimmt,  verteidigt  Wetz el3) 
demgegenüber  die  Ansicht,  die  auch  Thomas  einnimmt. 

Ungleich  wichtiger  für  den  Nationalökonomen  ist  die  andere 
Frage,  die  bei  einem  Vergleich  zwischen  Thomas  und  Aristoteles 
auf  zuwerfen  ist:  findet  sich  die  Auffassung  der  Tauschgerechtigkeit 
als  einer  Wiedervergeltung  von  Arbeit  und  Kosten,  die  Thomas 
Aristoteles  zuschreibt,  tatsächlich  bei  letzterem.  Soviel  ist  jeden- 
falls klar,  daß  Aristoteles  diesen  Gedanken  nirgends  formell  aus- 
gesprochen hat.  Andererseits  finden  wir  bei  ihm  doch  Spuren, 
die   zu    einer    derartigen    Deutung   zu    berechtigen   scheinen.      So 

*)  II,  II  q.  61,  a.  4  c.  Zur  Erklärung  des  Begriffes  maior  vgl.  C.  in  Ar.  Eth. 
V,  1.  VIII,  f.  et  h. 

2)  Trendelenburg,  Hist.  Beitr.  z.  Phil.  III,  1867,  S.  399  ff.;  vgl.  auch  Zell  er 
Gesch.  II,  2,  642  f.,  der  gegen  Trendelenburg  polemisiert,  selbst  aber  keine  klare 
Stellung  einnimmt,  vielmehr  das  ävzuzEJiov&ög  in  der  eigentlichen  Darstellung  der  aristo- 
telischen Lehre  ganz  ausscheidet. 

3)  "Wetzel,  Die  Lehre  des  Aristoteles  von  der  distributiven  Gerechtigkeit  und 
die  Scholastik.  Anhang:  Widerlegung  der  Ansicht  Trendelenburgs  über  die  aristo- 
telische Einteilung  der  Gerechtigkeit,  S.  1 7  ff. 


—     4i      — 

spricht  er  davon,  daß  im  Tausche  die  beiden  Kontrahenten  ihre 
EQya x)  austauschen.  Er  schreibt  der  Beobachtung  der  Wiederver- 
geltung eine  grundlegende  Bedeutung  für  die  nöhg  zu,  »tö>  ävn- 
jzoieiv  yaQ  ävakoyov  ov/u/uevei  f\  nohg2)«. 

Ähnlich  legt  er  die  Bedeutung  der  Gerechtigkeit  für  die 
Handwerke  (rexvai)  dar3).  Zu  einer  xoivoovia,  meint  er  ferner,  ge- 
hörten zwei  verschiedene  Personen,  z.  B.  ein  Arzt  und  ein  Landmann, 
zwei  Ärzte  hingegen  könnten  dieselbe  nicht  bilden4).  Vor  allem 
aber  scheint  sich  jene  Berücksichtigung  objektiver  Faktoren  an 
einer  anderen  Stelle  zu  finden,  wo  er  die  Proportion  des  Tausches 
darlegt:  „dei  toivvv  ojzeq  oixodö/uog  Jigög  oxvtotojuov,  xooddi  vnodrjfia- 
ra  TiQog  olxiav  i)  TQO<pi]v5). 

Ramsauer6)  deutet  in  seinen  Anmerkungen  zur  Nikomachi- 
schen  Ethik  wenigstens  die  Möglichkeit  an,  den  Unterschied,  der 
hier  zwischen  den  tauschenden  Personen  angenommen  wird,  als 
einen  Unterschied  hinsichtlich  der  Herstellung  ihrer  Produkte  auf- 
zufassen: »ut  eodem  jure  dici  potuerit  öneg  olxodo/uia  ngög  oxvxoxo- 
juiav«.  Er  lehnt  freilich  selbst  diese  Erklärung  ab,  und  ohne  hier 
ein  endgültiges  Urteil  fällen  zu  wollen,  scheint  auch  mir  die  thomi- 
stische  Auffassung  kaum  richtig  zu  sein;  jedenfalls  leuchtet  soviel 
ein,  daß  die  thomistische  Deutung  wenigstens  zu  einem  Teile  ihren 
Grund  im  Texte  des  Aristoteles  selbst  hat,  wobei  freilich  die  Ein- 
wirkung anderer  Faktoren  auf  die  Entstehung  derselben  noch 
dahingestellt  bleiben  muß.  Doch  um  dieser  Frage  näher  treten 
zu  können,  müssen  wir  erst  den  ganzen  Ideenkreis  bei  Thomas 
und  Aristoteles  überblicken. 


J)  Nie.  Eth.  V,  8. 

2)  1.  c. 

3)  1.  c. 

4)  1.  c. 

5)  1.  c. 

6)  »In  hominibus  .  .  .  artifieibus  vel  operariis  nil  quaeritur  nisi  ars  eorum  seu 
opera  vel  etiam  id,  quod  illa  arte  operaque  conficitur.  Annon  id  tandem  agitur,  ut  rerum 
summa  diversitas  xaxa  to  jtoiöv  inventa  ratione  aestimandi  eam,  numeri  vel  copiae  diffe- 
rentia  (iw  nöoio)  exaequetur?  Neque  obloquitur  Aristoteles.«  Ramsauer  lehnt  freilich 
diese  Auffassung  ab.  Er  fährt  nämlich  fort:  »Atqui  rö  /lietqeTv  illud,  unde  omnis  res 
pendet,  ipse  ubique  ad  res  neque  ad  homines  retulit.  Quare  cavendum  est,  ne  in  inter- 
pretanda eius  sententia  nimium  nominibus:  olxodö/uog,  oxvxoxoßog,  yswgyög  .  .  .  tribua- 
tur«  (G.  Ram sauer  »Aristotelis  Ethica  Nicomachea.«  Leipzig  1878,  S.  319/20. 
Lasson  in  seiner  Übersetzung,  S.  247,  gibt  die  freilich  nicht  übermäßig  deutliche  Er- 
klärung: »Das  Wertverhältnis  zwischen  qualifizierten  Arbeitskräften  kehrt  wieder  im 
Preisverhältnis  ihrer  Erzeugnisse.«  Im  allgemeinen  wird  die  Stelle  jedoch  im  Sinne  einer 
subjektiven  Werttheorie  erklärt,  was  weiter  unten  gezeigt  werden  wird. 


Wir  fahren  daher  in  der  Darstellung  fort  und  behandeln 
2.  Die  Verwirklichung  der  Wiedervergeltung  vermittelst 

des  Geldes. 

Über  Entstehung  und  Wesen  des  Geldes  hat  sich  Aristoteles 
in  seiner  Politik  ziemlich  ausführlich  geäußert1),  und  Thomas  hat 
die  aristotelischen  Ideen  in  seinem  Kommentar  entwickelt2): 

Der  Tausch  erfordert,  sobald  er  allgemeiner  geworden  ist 
und  insbesondere  von  größerer  örtlicher  Ausdehnung,  einen  Gegen- 
stand zur  Vermittlung  der  Umsätze.  Als  solcher  dienen  die 
Metalle,  wie  Eisen,  Silber  und  Gold,  die  in  sich  selbst  Wert 
(utilitas)  besitzen,  insofern  sie,  wie  Thomas  hinzufügt,  zu  Gefäßen 
und  ähnlichen  Dingen  verwandt  werden  können,  und  die  ihres 
hohen  spezifischen  Wertes  wegen  sich  zu  dem  besagten  Zweck 
vorzüglich  eignen3).  Die  anfängliche  Mühe  des  Abwägens  ersparte 
dann  ein  Prägezeichen  (character),  das  das  Gewicht  des  Metalles 
beglaubigt.  Damit  aber  diese  Münze  als  allgemeines  Tauschmittel 
gelten  kann,  ist  Anerkennung  von  Seiten  des  Staates  (des  rex 
oder  der  communitas)  nötig;  wie  entsprechend  der  Staat  ihr  auch 
diese  Funktion  wieder  nehmen  kann4). 

Diese  Funktion  des  Geldes  als  Tauschmittel  wird  nun  in  der 
nikomachischen  Ethik  eingehender  besprochen.  Im  Tausche  soll, 
das  war  das  Ergebnis  unserer  früheren  Darlegungen,  eine  Wieder- 
vergeltung von  Arbeit  und  Kosten  stattfinden.  Damit  diese  ver- 
wirklicht werden  kann  —  so  geht  der  thomistische  Gedanken- 
gang weiter  —  müssen  alle  Gegenstände,  die  getauscht  werden 
sollen,  irgendwie  vergleichbar  sein.  Es  muß  festgestellt  werden, 
welches  Gut  mehr  wert  ist  als  das  andere:  »Et  ad  hoc  inventa  est 
moneta,  id  est  denarius,  per  quam  mensurantur  pretia  talium  rerum«. 
Das  Geld  mißt  also  gewissermaßen  die  Güter  und  bestimmt  damit 
deren  Preis5).     Ist   dies   geschehen,   so   findet   der  Austauch   nach 


J)  Ar.  Pol.  I.,  3  §  13 — 16.  Vgl.  hierzu  Zmavc:  Die  Geldtheorie  und  ihre 
Stellung  usw.  Z.  f.  g.  St.,  Bd.  58,  S.  56  ff. 

2)  C.  in  Ar.  Pol.  I,  1.   VII,  f— k. 

3)  Inhaltlich  hiermit  übereinstimmend:  Aegidius  Colonna  (Romanus),  ein 
Schüler  des  Thomas  v.  A.  (vgl.  K.  L.  III,  667  ff.)  in  seiner  für  Philipp  d.  Schönen, 
dessen  Erzieher  er  war,  verfaßten  Schrift:  De  regimine  principum:  1.  II,  p.  3,  c.  9. 

4)  cf.  Anm.2. 

5)  C.  i.  Ar.  Eth.  V,  1.  IX  a.:  »Dicit  (sc.  Arist.)  primo,  quod  ad  hoc,  quod  opera 
diversorum  artificum  adaequentur  et  sie  commutari  possint,  oportet,  quod  omnia  illa,  quorum 
potest  esse  commutatio,  sint  aliqualiter  adinvicem  comparabilia,  ut  scilicet  sciatur,  quid 
eorum  plus  valeat  et  quid  minus«.  Es  folgt  dann  obiges  Zitat:  »Et  sie  denarius  fit 
quoddam    medium,    inquantum    scilicet    omnia    mensurat  et  superabundantium  scilicet  et 


—     43     — 

Gleichheit  statt,  und  zwar  muß  der  Preis  in  der  Weise  festgesetzt 
werden,  daß  die  Forderung  der  Gerechtigkeit,  die  Wiedervergel- 
tung, von  Arbeit  und  Kosten  verwirklicht  wird1).  Das  pretium 
muß  ein  justum  pretium  sein. 

3.    Bedeutung    des    Bedürfnisses    im    Tausche:    Bedürfnis 
und  Geld  als  Maße  der  Güter. 

Nach  dem  bisher  Gesagten  läge  nun  der  Gedanke  nahe,  das, 
was  nach  Thomas  subjektiv  in  den  Gütern  gleichgesetzt  werde, 
sei  der  objektive  Aufwand  an  Arbeit  und  Kosten;  darauf  beruhe 
die  Vermittlungsrolle  des  Geldes.  Doch  liegt  das  Wesen  der  Funk- 
tion des  Geldes  als  eines  Wertmessers  in  etwas  ganz  anderem. 
Die  ratio  praedictae  commensurationis  ist  darin  begründet,  daß 
alle  Güter  durch  ein  bestimmtes  Etwas  gemessen  werden2).  Dies 
ist  aber  das  Bedürfnis:  »Hoc  autem  unum,  quod  omnia  mensurat, 
secundum  rei  veritatem  est  indigentia,  quae  continet  omnia  com- 
mutabilia,  inquantum  omnia  referuntur  ad  humanam  indigentiam. 
Non  enim  appretiantur  secundum  dignitatem  naturae  ipsorum; 
alioquin  unus  mus,  quod  est  animal  sensibile,  maioris  pretii  esset, 
quam  una  margarita,  quae  est  res  inanimata,  sed  rebus  pretia  impo- 
nuntur,  secundum  quod  homines  indigent  eis  ad  suum  usum«3). 

Scharf  wird  hier  die  Bedeutung  des  Bedürfnisses  im  Tausche 
hervorgehoben.  Sie  liegt  nach  Thomas  zunächst  darin,  daß  ohne 
Vorhandensein  eines  Bedürfnisses  zum  Tausche  bei  den  beiden 
Kontrahenten  ein  Tausch  überhaupt  nicht  zustande  kommen  könnte; 
z.  B.  ein  Besitzer  von  Getreide  und  ein  Besitzer  von  Wein  werden 
nur  dann  zum  Tausche  kommen,  wenn  sie  wechselseitig  ihrer  Pro- 
dukte bedürfen. 

Aber  hierüber  hinaus  übt  das  Bedürfnis  auch  als  Maß  einen 
bestimmenden  Einfluß  auf  die  Umsätze  aus:  Der  Preis  wird  be- 
stimmt nach  dem  Maße  des  Bedürfens:  Die  Güter  werden  nicht 
gleichgesetzt  nach  ihrer  Rangordnung  in  der  Natur,  sondern  nach 
ihrer  Beziehung  zum  menschlichen  Bedürfnis.  —  Man  sieht,  der 
Gedanke,  daß  die  tatsächliche  Gleichsetzung  der  Güter  etwa 
nach  dem  Aufwand  von  Arbeit  und  Kosten  erfolgen  könne,  liegt 
hier  völlig  fern.  So  kann  Thomas  einen  Beweis  für  die  darge- 
legte Bedeutung  des  Bedürfnisses  in  der  Natur  des  Geldes  finden : 

defectum,    inquantum    una  res  superexcedit   aliam,  sicut  supra  dictum  est,  quod  medium 
justitiae  est,  quasi  dicat,  quae  mensurat  superabundantiam  et  defectum.«    cf.  S.  36,  Anm.  2. 

*)  1.  c.  !.  IX  b.  cf.  S.  39,  Anm.  3. 

2)  1.  c.  c. 

s)  1.  c.     Die  Stelle  geht  auf  Augustinus  zurück.     Vgl.   oben  S.   10. 


—     44     — 

Das  Geld  ist  das  Maß  der  Güter  nicht  von  Natur,  sondern  kraft 
menschlicher  Satzung.  Kraft  menschlicher  Übereinkunft  dient  es 
dem  Austausch  der  Gegenstände  des  Bedürfnisses:  »Est  enim 
condictum  inter  homines,  quod  afferenti  denarium  detur  id,  quo 
indiget«1).  Das  Geld  ist  seinem  Wesen  nach  Vertretungsgut  für 
die  Bedürfnisgegenstände.  So  sagt  Thomas  einige  Abschnitte 
später:  »Oportet  enim  esse  istam  virtutem  denarii,  ut  quando  ali- 
quis  ipsum  affert,  statim  contingat  accipere  illud,  quo  homo  indi- 
get«2). Aus  dieser  Natur  des  Geldes,  die  für  Thomas  feststeht,  folgert 
er,  daß  der  Preis  bestimmt  werde  nach  dem  Maße  des  Bedürfens. 

Wenn  z.  B.  ein  Besitzer  von  Wein  und  ein  Besitzer  von  Ge- 
treide einander  gegenübertreten,  so  hat  ersterer  vielleicht  an  Wein 
Überfluß,  bedarf  aber  nicht  des  Getreides,  sondern  vielleicht  eines 
ganz  anderen  Gutes,  während  letzterer  den  Wein  nötig  hat.  Oder 
der  Weinbesitzer  bedarf  für  den  Augenblick  des  Getreides  nicht, 
voraussichtlich  aber  in  Zukunft.  In  Zeiten  des  Naturaltausches 
käme  es  in  allen  diesen  Fällen  überhaupt  nicht  zum  Tausche. 
Anders  im  Zustande  der  Geldwirtschaft,  wo  das  Geld  als  Unter- 
pfand des  Bedürfnisses  auftritt,  als  ein  fidejussor  futurae  necessitatis3). 

Das  Geld  hat  also  für  die  Zirkulation  der  Güter  eine  außer- 
ordentliche Bedeutung.  Aber  diese  Bedeutung  ist  ihm  verliehen 
durch  menschliche  Satzung.  Sie  kann  ihm  daher  auch  wieder  ge- 
nommen werden;  es  würde  damit  seinen  eigentlichen  Nutzen  ver- 
lieren. Die  Funktion  des  Geldes  wird  ferner  erschwert  durch  die 
Veränderlichkeit  des  Geldwertes.  Freilich  ist  letztere  geringer  als 
die  Wertänderung  anderer  Güter;  wenigstens  muß  das  Geld  so 
eingerichtet  werden,  daß  sein  Wert  möglichst  stabil  bleibt4). 

Der  tatsächliche  Vorgang  des  Tausches  ist  also  der,  daß  die 
Güter  gemessen  werden  durch  das  Bedürfnis.  Hierauf  ruht  gemäß 
menschlicher  Übereinkunft  die  Funktion  des  Geldes.  Aber  indem 
die  Güter  in  dieser  Weise  ausgetauscht  werden,  muß  nach  Thomas 
die  alte  Forderung  der  Wiedervergeltung  von  Arbeit  und  Kosten 
erfüllt  werden.  Der  Wertunterschied,  der  zwischen  Schuster  und 
Landmann  besteht,  muß  im  Austauschverhältnis  ihrer  Produkte 
wiederkehren.  Vollzöge  sich  der  Tausch  nicht  in  dieser  Weise,  so 
würde  einer  der  beiden  Tauschkontrahenten  mehr  gearbeitet  haben, 
als   der    andere    und    würde   so   einen    größeren  Verlust   erleiden: 

1)  1.  c. 

2)  1.   c.  g. 

3)  1.  c. 

«)  1.  e. 


»puta,  si  agricola  daret  modium  tritici  pro  calciamento,  haberet 
superabundantiam  laboris  in  opere  et  haberet  superabundantiam 
etiam  damni,  scilicet  plus  vellet  dare,  quam  accipere«  x). 

Soweit  legt  Thomas  die  Bedeutung  des  Bedürfnisses  und  die 
Funktion  des  Geldes  im  Tausche  dar.  Auch  diese  Ausführungen 
sollen  ohne  Zweifel  nur  eine  durchaus  sinngemäße  Wiedergabe  der 
aristotelischen  Gedanken  sein. 

Doch  die  zunächst  auffallende  Verbindung  der  objektiven 
und  subjektiven  Momente,  insbesondere  die  Bedeutung  der  Wieder- 
vergeltung von  Arbeit  und  Kosten  treten  uns  bei  Thomas  nicht 
in  voller  Klarheit  entgegen.  Es  bleibt  hier  manches  dunkel  und 
zweifelhaft.  Wir  werden  daher  zunächst  die  Ausgestaltung  des- 
selben Ideenkreises  bei  einem  anderen  mittelalterlichen  Denker, 
bei  Albertus  Magnus  untersuchen,  um  uns  später  wieder  Thomas 
zuzuwenden. 

§  3.  Der  Tausch  nach  Albertus  Magnus. 

Thomas  von  Aquin  hat  seinen  Kommentar  zur  Ethik  jeden- 
falls unter  Berücksichtigung  des  Kommentars  des  Albertus  ver- 
faßt2). Eine  Gegenüberstellung  der  Ansichten  beider  dürfte  des- 
halb unumgänglich  sein,  um  so  mehr  als  im  Kommentar  des 
Albertus,  der  eine  ausführliche  Paraphrase  des  aristotelischen 
Textes,  untermischt  mit  eigenen  Anschauungen,  bietet,  manche  Ge- 
danken schärfer  und  ausführlicher  entwickelt  sind,  als  im  Kom- 
mentar des  Aquinaten,  wo  jeder  Gedanke  des  Aristoteles  für  sich 
betrachtet  und  dargestellt  wird  und  Thomas  seine  persönlichen 
Ansichten  völlig  zurücktreten  läßt. 

Wir  versuchen  gleich  die  Ansichten  des  Albertus  in  syste- 
matischer Zusammenfassung  wieder  zu  geben. 

Das  menschliche  Gemeinschaftsleben  beruht  auf  der  Arbeits- 
teilung.    Nur  durch  sie  kann  für  alle  eine  Befriedigung  ihrer  Be- 


x)  1.  c.  d. 

2)  Der  thomistische  Kommentar  ist  aber  nicht  nur  eine  Jugendarbeit,  die  nur  eine 
Nachschrift  der  Vorlesungen  des  Albertus  enthielte,  sondern  ein  durchaus  selbständiges 
Werk  aus  Thomas'  späterer  Lebenszeit,  wie  Kuhlmann  a.  a.  O.  S.  95  f.  gegenüber 
Maurenbrecher  a.  a.  O.  S.  24  nachweist.  Ein  Hinweis  auf  Albertus  Magnus  bei  Brants, 
a.  a.  O.  S.  194  f.  Erörterungen  über  das  Wesen  des  Wertes  finden  sich  in  der  Scho- 
lastik vor  Albertus  Magnus  und  Thomas  v.  Aquin  so  gut  wie  gar  nicht.  Nur 
Alexander  Halensis  ("j"  1245)  unterscheidet  in  seiner  Summe  zwischen  »res,  cuius  valor 
totas  est  ex  artificio«  z.  B.  Binsenmatten;  »res,  cuius  valor  est  ex  materia  et  artificio« 
z.  B.  Holzschränke;  und  »res,  cuius  valor  totus  est  ex  se  ipsa.«  (1.  c.  III,  q.  5°> 
m.    2),  was  immerhin  schon  von  einer  Beschäftigung  mit  dem  Wertproblem  zeugt. 


-     46     - 

dürfnisse  erreicht  werden,  die  den  einzelnen,  wenn  sie  nur  für 
sich  arbeiten  wollten,  nicht  möglich  ist1).  Die  einzelnen  Glieder 
der  Gemeinschaft  müssen  also  ihrer  Tätigkeit  nach  verschieden 
sein,  in  gegenseitiger  Ergänzung  aber  für  einander  arbeiten:  sie 
müssen  ihre  verschiedenen  Arbeitsleistungen  austauschen2).  Ohne 
diesen  Tausch  der  Arbeitsleistungen  ist  ein  Gemeinschaftsleben 
unmöglich;  vielmehr:  Commutatione  .  .  existente  semper  manet 
communicatio  3). 

Bei  einer  solchen  commutatio  communicativa  wird  im  Wege 
einer  freiwilligen  Übereinkunft  die  Sache  des  einen  gegen  die  des 
anderen  getauscht  (»per  contractum  voluntarium  res  unius  pro  re 
alterius  commutatur«  4);  es  findet  ein  Eigentumswechsel  statt: 
»quod  unius  est,  aliquo  modo  transit  ad  potestatem  alterius«5). 

Form  und  Bedingung  dieses  Tausches  sind  näher  zu  unter- 
suchen. 

Allgemein  gesprochen  soll  im  Tausche  Gerechtigkeit  herrschen 
und  zwar  sowohl  im  Sinne  der  justitia  commutativa  wie  des  justum 
contrapassum. 

Die  justitia  commutativa  besteht  in  der  Mitte  zwischen  Ge- 
winn und  Verlust:  eine  Mitte,  die  bestimmt  wird  durch  das  Prinzip 
der  Wertgleichheit6).  Der  Ausgleich  vollzieht  sich  nach  arith- 
metischer Proportion,  deren  Wesen  schon  bei  Thomas  dargelegt 
ist7).  Die  Wertgleichheit  besteht  aber  dann,  wenn  sowohl  auf 
Seiten  des  Käufers  wie  des  Verkäufers  Gleichheit  der  labores 
et  expensae  hergestellt  wird.  Der  Käufer,  der  agens  in  con- 
tractu emptionis  et  venditionis,  muß  mit  dem  Gegenstande,  mit 
dem  er  bezahlt,  so  viel  an  Arbeit  und  Kosten  übertragen,  daß 
der  Verkäufer,  der  patiens,  seine  Aufwendungen  vergütet  erhält. 
Wäre  das  nicht  der  Fall,  so  würde  der  Verkäufer  zusetzen  und 
bald  sein  Gewerbe  aufgeben,  das  damit  dem  Untergang  entgegen- 
ginge8).    Die  Gerechtigkeit  bildet  so  das  Fundament  für  das  Be- 


*)  Eth.  Hb.  V,  tract.  II,  c.  9  (31). 

2)  1.  c. 

3)  1.  c.  c.  10  (36).  Ebenda:  .  .  .  »commutatione  operum  non  existente  communi- 
catio civium  non  erit.« 

4)  1.  c,  c.  9  (31). 

5)  1.  c,  cap.  3  (18). 
8)  1.  c.  c.  6  f.  (25  ff.). 

7)  cf.  1.  c,  c.   5  ff .     S.  oben  S.  34 f. 

8)  »Talis  autem  coniectatio  medii  (sc.  nach  arithm.  Proportion!)  in  commutatione 
artium  mechanicarum  est.  Artes  enim  illae  destruerentur  utique,  nisi  faciens,  qui  per 
modum    agentis   se   habet   in   contractu   emptionis   et  venditionis,    tantum  et  tale  faceret, 


—     47      — 

stehen  jeden  Gewerbes.  Letzteres  selbst  erfordert  seiner  wirtschaft- 
lichen Natur  nach  einen  »gerechten«  Tausch. 

Der  Begriff  des  Gerechten  als  einer  Wiedervergeltung  scheint 
zunächt  völlig  dasselbe  zu  fordern.  Jeder  der  Tauschkontrahenten 
fordert,  »ut  tantum  et  tale  recipiat  secundum  quantitatem  et  mo- 
dum,  quantum  et  quäle  fecit  alteri«1),  also  im  allgemeinen  einen 
Tausch  nach  Wertgleichheit.  Doch  ist  der  Begriff  des  contra- 
passum  zunächst  etwas  umfassender.  Bei  behördlicher  Festsetzung 
des  Preises  z.  B.  wird  nicht  nach  Wertgleichheit  vergolten,  sondern 
gemäß  dem  Gesetze,  »ad  judicatum«;  oder  bei  Privatverträgen, 
die  nicht  auf  Wertgleichheit,  aber  ohne  betrügerische  Absicht  ge- 
schlossen werden,  gemäß  der  Vereinbarung,  »ad  pactum«  2). 

Aber  die  beiden  genannten  Fälle  sind  doch  mehr  als  Aus- 
nahmen zu  betrachten.  Im  allgemeinen  erfordert  auch  die  Wieder- 
vergeltung, einen  Tausch  nach  Wertgleichheit  »ad  rei  paritatem«3). 

Sodann  aber  gibt,  was  ungleich  bedeutsamer  ist,  die  Auf- 
fassung der  Gerechtigkeit  im  Tausche  als  eines  contrapssum,  Ver- 
anlassung und  Möglichkeit,  Wesen  und  Bedingungen  des  Tausch- 
prozesses selbst  schärfer  zu  bestimmen. 

Im  Tausche  soll  also  Gleiches  mit  Gleichem  vergolten  werden. 
Aber  diese  Wiedervergeltung  soll  nicht  etwa  in  der  Weise  statt- 
finden, daß  dem  Verkäufer  einer  Sache  die  gleiche  Sache  zurück- 
gegeben würde;  sie  vollzieht  sich  nicht  secundum  aequalitatem 
rei4).  Wenn  ein  Schuster  z.  B.  seine  Schuhe  tauscht,  so  will  er 
nicht  etwa  dieselbe  Zahl  Schuhe  dafür  wieder  erhalten.  In  diesem 
Falle  wäre  der  Tausch  sinnlos.  Vielmehr  treten  sich  im  Tausche 
Produzenten  gegenüber,  deren  Produkte  völlig  verschieden  sind5). 

quantum  et  quäle  patiens  passus  est,  hoc  est  vendens,  qui  per  modum  patientis  se  habet 
in  artificiati,  quod  operatus  est  laboribus  et  expensis,  commutatione.  Si  enim  lectorum 
factor  pro  lecto  non  tantum  et  tale  accipiat,  quantum  et  quäle  posuit  in  expensis,  lec- 
tum  de  caetero  non  faciet:  et  sie  destruetur  ars,  quae  lectorum  factrix  est.  Similiter 
autem  est  in  aliis  artibus.«  1.  c.  c.  J  (28). 
!)  1.  c,  c.   8  (31). 

2)  L  c,  c.  9  (31). 

3)  1.  c. 

4)  1.  c,  c.  9  (31)  »non  per  aequalitatem  rerum  commutatarum  .  .  .!«  Man  vgl. 
hierzu  Karl  Marx,  Kapital  I  (3),  S.  8:  »Wie  Rock  und  Leinwand  qualitativ  ver- 
schiedene Gebrauchswerte  und  so  sind  die  ihr  Dasein  vermittelnden  Arbeiten  qualitativ  ver- 
schieden —  Schneiderei  und  "Weberei.  Wären  jene  Dinge  nicht  qualitativ  verschiedene 
Gebrauchswerte  und  daher  Produkte  qualitativ  verschiedener  nützlicher  Arbeiten,  so 
könnten  sie  sich  überhaupt  nicht  als  Waren  gegenübertreten.  Rock  tauscht  sich  nicht 
aus  gegen  Rock,  derselbe  Gebrauchswert  nicht  gegen  denselben  Gebrauchswert.« 

6)  1.  c. 


—     48     - 


Das  liegt  ja,  wie  wir  oben  sahen,  im  Wesen  des  Tausches,  der 
die  durch  die  Arbeitsteilung  getrennten  Wirtschaften  wieder  zu- 
sammenführen soll1).  Ganz  verschiedene  Dinge  müssen  also  ein- 
ander gleich  gesetzt  werden.  Der  Wiedervergeltung  liegt  also 
eine  Proportion  zugrunde;  sie  fordert  eine  aequalitas  proportionis2). 

Da  die  Darstellung  derselben  bei  Albertus  in  mancher  Hin- 
sicht geeignet  ist,  das  über  Thomas  Gesagte  zu  verdeutlichen, 
wollen  wir  sie,  selbst  auf  die  Gefahr  einiges  dort  bereits  Erörterte 
zu  wiederholen,  etwas  ausführlicher  wiederzugeben  versuchen. 

Albertus  legt  den  Vorgang  des  Tausches  in  folgender  Weise 
dar:  Ein  Baumeister  und  ein  Schuster  wollen  ihre  Produkte 
tauschen.  Dann  läßt  sich  ihr  Tausch  in  der  Figur  eines  Quadrates 
darstellen.  Der  Baumeister  sei  A,  der  Schuster  B,  das  Haus, 
dessen  der  Schuster  bedarf,  C,  und  eine  dem  Werte  des  Hauses 
entsprechende  Zahl  Schuhe  D.  Demgemäß  sei  ein  Quadrat  ge- 
zeichnet A  B  C  D. 


(Baumeister)  A 


(Haus)  C 


B  (Schuster) 


D  (Schuhe) 


In  diesem  bedeutet  die  Linie  AB  die  beiden  Tauschkontra- 
henten, die  zur  Befriedigung  ihrer  Bedürfnisse  aufeinander  an- 
gewiesen sind.  Das  Haus  C  ist  die  Arbeit  des  Baumeisters  A 
und  hängt  insofern  von  ihm  ab,  was  A  C  darstellt.  Entsprechendes 
versinnbildet  die  Linie  B  C.  Die  gegenseitige  Austauschbarkeit 
von  C  und  D  wird  durch  C  D  angedeutet. 

Dann  findet  die  Wiedervergeltung  nicht  gemäß  den  Seiten 
des  Quadrates  statt:  A  gibt  nicht  C  hin  und  bekommt  C  wieder 
und  B  erhält  entsprechend  nicht  D  zurück.  Der  Tausch  vollzieht 
sich  vielmehr  nach  den  Diagonalen  des  Quadrates:  A  bekommt  D 
für  die  Hingabe  von  C,  B  demgemäß  (für  D)  C.  Der  Tausch 
wird  also  durch  die  beiden  sich  kreuzenden  Diagonalen  AD  und 
BC  dargestellt.  Wir  haben  es  also  mit  vier  Größen  zu  tun,  die  so 
gruppiert  wTerden  müssen,  daß  das  Verhältnis  von  A  und  D  gleich 
dem  von  B  und  C  wird3).     Diese  proportionale  Gleichheit  besteht 

x)  S.  oben  S.  45  f. 

2)  1.  c. 

3)  Der  Begriff  der  Wiedervergeltung  nach  Proportion  ist  bei  Thomas  schärfer 
entwickelt.  Nach  Albertus  besteht  die  Proportion  eigentlich  nur  darin,  daß  die  vier 
Größen  im  Tausche  angeordnet  werden,  wie  die  Glieder  einer  geometrischen  Proportion. 
Daß  ihr  "Wertverhältnis  selbst  durch  die  Proportion  bestimmt  wird,  ist  nicht  klar  ersichtlich. 


—     49     — 

aber  in  der  Gleichheit  von  Arbeit  und  Kosten,  die  unter  Zugrunde- 
legung obiger  Proportion  gleichgemacht  werden  müssen.  »Secun- 
dum  hanc  igitur  descriptionem  aedificatorem  a  coriario  oportet 
accipere  opus  eius  et  vice  versa  aedificatorem  retribuere  coriario, 
quod  secundum  contrapassum  iustum  est  ipsius  coriarii :  quia  aliter 
in  laboribus  et  expensis  non  respondebit.«  Die  Beachtung  der 
Wertgleichheit  im  Sinne  der  dargelegten  Proportion  bildet  das 
Fundament  des  Tausches  und  damit  des  Gemeinschaftslebens  über- 
haupt, wie  Albertus  an  derselben  Stelle  ausführt1). 

Das  aber,  was  den  Tausch  überhaupt  erst  ermöglicht,  was 
die  dargelegte  Proportion  erst  zustande  bringt,  ist  das  Bedürfnis 
der  beiden  Tauschkontrahenten  nach  den  gegenseitigen  Gütern. 
Würde  der  Baumeister  nicht  der  Schuhe  bedürfen,  und  der  Schuster 
nicht  des  Hauses,  so  wäre  an  einen  Tausch  nicht  zu  denken2). 
Das  Bedürfnis  erscheint  so  zunächst  als  die  »causa  commutationis«  3). 
In  der  gegenseitigen  Befriedigung  ihrer  Bedürfnisse  sehen  die 
Tauschkontrahenten  Ende  und  Zweck  des  Tausches:  »In  utroque  .  . 
ex  utroque  suppleta  est  indigentia:  et  hoc  vocatur  figura  propor- 
tionalitatis« 4) ;  das  ist  Ende  und  Form  des  Tausches. 

Aber  weiter:  das  Bedürfnis  ist  den  Kontrahenten  nicht  nur 
die  causa  ihres  Tausches.  Sie  nehmen  jedes  auszutauschende  Gut 
nicht  als  solches,  dem  Grade  seiner  Wesenheit  nach  betrachtet  — 
ein  Gedanke,  der  bei  Thomas  klarer  entwickelt  ist,  weshalb  wir 
auf  die  dortigen  Darlegungen  verweisen  — ,  sondern  nach  seiner 
Beziehung  zum  menschlichen  Bedürfnis,  »secundum  relationem  ad 
usum,  hoc  est,  secundum  quod  valet  in  usu  supplere  indigentiam«  5). 
Sie  messen6)  die  Güter  auch  nach  dem  Maße  ihres  Bedürfens; 
das  Bedürfnis  erscheint  im  Tausche  als  die  wahre  mensura  commu- 
tabilium.  Wenn  ein  Tausch  zustande  kommt,  so  ist  auf  beiden 
Seiten  ein  gleich  starkes  Bedürfnis  vorhanden.  Ohne  diese  Gleich- 
heit  wäre  ein  Tausch  undenkbar.     Wenn  z.  B.  von  zwei  Tausch- 


x)  1.  c.  »non  salvatur  aequalitas  proportionis,  qua  non  salvata,  civitas  non  com- 
manet:  quia  non  retribuitur  in  laboribus  et  expensis.« 

2)  1.  c.  c.   io  (34). 

3)  1.  c.  c.  9  (31). 

4)  1.  c.  c.   10  (33). 

5)  1.  c. 

6)  1.  c.  (32):  »Proportionata  autem  non  erunt,  nisi  aliquo  uno  mensurentur  quem- 
admodum  prius  dictum  est,  quia  in  se  proportionalia  non  sunt.  Oportet  ergo  uno  aliquo 
omnia  commensurari  commutabilia  (33).  Hoc  autem  unum  quidem  secundum  veri- 
tatem  in  omnibus  acceptum  est,  quod  dicimus  opus  sive  indigentiam.  Hoc  autem  quidam  vo- 
cant  usum  vel  utilitatem:  hoc  enim  opus  continet  omnia,  ut  permaneant  et  sint  in  civitate.« 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  I.  4 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


—     5o     — 

kontrahenten  der  eine  den  Gegenstand  des  andern  unbedingt  nötig 
hätte,  der  andere  aber  des  Produktes  des  ersteren  weniger  bedürfte, 
so  würden  sie  ihre  Sachen  nicht  tauschen  oder  wenigstens  nicht 
nach  Wertgleichheit  tauschen:  »vel  non  esset  eadem,  de  qua  diximus, 
(sc.  commutatio)  quod  res  in  rem  commutatur  secundum  valorem«1), 
was  wohl  in  folgender  Weise  zu  verstehen  ist:  Ein  Haus  sei 
hinsichtlich  der  Beschaffungskosten  5  Betten  gleichwertig.  Dann 
wäre  zu  einem  gerechten  Tausche  erforderlich,  dass  das  Bedürfnis 
des  Bettfabrikanten  nach  dem  Hause  und  das  des  Baumeisters 
nach  5  Betten  gleich  stark  wären.  Sonst  käme  es  nicht  zum  Tausche. 

Läge  z.  B.  der  Fall  so,  daß  der  Baumeister  6  Betten  für 
sein  Haus  begehrte,  so  würde  entweder  der  Bettfabrikant  auf  das 
Haus  verzichten  oder,  wenn  er  desselben  dringend  bedürfte,  den 
verlangten  Preis  zahlen,  aber  von  Wertgleichheit  könnte  dann 
keine  Rede  sein.  Allerdings  würde  in  diesem  Falle  der  Tausch 
zustande  kommen,  aber  auf  die  Dauer  wäre  ein  solcher  Zustand,  wo 
der  Bettfabrikant  seine  Aufwendungen  nicht  vergütet  erhielte,  son- 
dern  zusetzen   müßte,    undenkbar,    wie    schon    dargelegt  wurde a). 

Damit  ist  die  Stellung  des  Bedürfnisses  gekennzeichnet.  Die 
indigentia  humana  —  opus,  usus,  utilitas3)  sind  die  sonstigen  Be- 
zeichnungen, die  Albertus  noch  kennt  —  ist  das  Bindemittel  der 
menschlichen  Gemeinschaft  und  des  Tausches,  den  es  veranlaßt 
und  regelt,  den  es  aber  so  bestimmen  muß,  daß  gemäß  der  For- 
derung der  Gerechtigkeit  Arbeit  und  Kosten  in  gleichem  Maße 
wiedervergolten  werden  und  damit  das  Fundament  der  Arbeits- 
teilung gewahrt  bleibt. 

Diesem  Doppelcharakter  des  Tausches  entsprechend  bezeichnet 
der  Begriff  valor  bei  Albertus  ganz  verschiedene  Dinge.  Abge- 
sehen davon,  daß  Albertus  schon  in  der  Bedeutung  eines  Gutes 
für  das  menschliche  Bedürfnis  ohne  Rücksicht  auf  den  Tausch  ein 
valere  sieht4),  besitzt  auch  der  Begriff  valor  im  Sinne  unseres 
Tauschwertes  einen  ganz  verschiedenen  Inhalt;  einmal  erscheint 
letzterer  bestimmt  durch  das  objektive  Moment  der  Kosten6),  bald 
aber  auch  durch  das  subjektive  Moment  des  Bedürfens.    Auch  der 


a)  1.  c.  (33) 

2)  Vgl.  S.  46. 

3)  Vgl.  Anm.  6  d.  vor.  S. 

4)  Vgl.   das  Zitat  auf  d.  vor.  Seite. 

5)  Eth.  1.  V,  tr.  II,  c.  IX  (31).  In  talibus  (scilicet  artificibus)  nihil  prohibet 
opus  unius  melius  esse  in  valore  quam  opus  alterius  et  magnam  habere  differentiam 
secundum  labores  et  expensam. 


—     5i      — 

Gebrauchswert  ist  ja  für  den  Tausch  von  außerordentlicher  Be- 
deutung; findet  doch  im  Tausche  eine  comparatio  der  Güter  »ad 
valorem  secundum  usum  indigentiae« x)  statt. 

Durch  die  Einführung  des  Geldes  werden  Form  und  Be- 
dingungen des  Tausches  nicht  wesentlich  geändert.  Das  Geld 
selbst  hat  Wert,  der,  wenn  auch  weniger  als  der  der  übrigen 
Dinge,  schwankt2). 

Das  Geld  hat  im  Tausche  die  Funktionen  eines  Wertmessers3), 
allgemeinen  Tauschmittels  und  Wertaufbewahrungsmittels4),  Funk- 
tionen, die  ihm  freilich  nicht  von  Natur  zukommen,  sondern  durch 
menschliche  Satzung  festgelegt  sind5). 

Auch  dem  Tausche,  der  sich  vermittelst  des  Geldes  vollzieht, 
liegt  die  oben  dargelegte  Proportion  zugrunde6).  Zwar  tauschen 
die  Kontrahenten  ihre  Produkte  nicht  mehr  aus,  indem  sie  un- 
mittelbar ihre  Bedürfnisse  nach  denselben  wechselseitig  befriedigen. 
Schuster  und  Landmann  tauschen  nicht  mehr  Schuhe  gegen  Ge- 
treide. Beide  verkaufen  ihre  Waren  gegen  Geld:  im  Hinblick  auf 
einen  einzelnen  bestimmten  Landmann  und  Schuster  kommt  der 
proportionale  Tausch  der  Produkte  vielleicht  gar  nicht  zustande. 
Aber  doch  ruht  die  Proportion,  wenn  man  die  Gemeinschaft  als 
Ganzes  betrachtet,  innerhalb  derselben  in  dem  Gesamtkreis  ihrer 
Bedürfnisbefriedigung,  so  daß  der  proportionale  Tausch  im  Hin- 
blick darauf  zustande  kommt,  »secundum  urbanitatis  indigentiam«. 
Auch  hier  muß  dann  wieder  die  Forderung  der  Gerechtigkeit,  die 
Gleichheit  von  Arbeit  und  Kosten  verlangt,  erfüllt  werden7). 

*)  1.  c.  i.  f.  Vgl.  den  Anfang  des  folgenden  Kapitels,  wo  derselbe  Gedanke 
wiederholt  wird. 

2)  1.  c,  c.  X  (35). 

3)  1.  c,  c.  X  (32). 

4)  1-  c.  (35). 

5)  1.  c.  (37):  »Unura  ergo  aliquid  erit  mensurans  omnia  (sc.  numisma)  relata  ad 
umim  (sc.  indigentiam):  et  cum  non  possit  unum  ex  natura,  oportet,  quod  sit  unum 
ex  suppositione  et  legis  institutione.«  An  anderer  Stelle  (33)  wird  das  Geld  mit  der 
Elle,  dem  Scheffel  usw.  verglichen,  die  ihre  Eigenschaft  als  Maße  ebenfalls  menschlicher 
Einrichtung  verdanken. 

6)  1.  c.  (33):  »Sicut  scilicet  agricola  ad  cibum,  sie  coriarius  ad  calceamentum 
secundum  urbanitatis  indigentiam  et  sicut  agricola  ad  coriarium,  sie  eibus  ad  calceamen- 
tum secundum  eundem  indigentiae  modum.  Et  sicut  agricola  cum  eibo  ad  communi- 
cationem  se  habet,  sie  coriarius  cum  calceamento:  utrumque  enim  est  secundum  commu- 
tationem  indigentiae  sive  operis,  quod  opus  vel  utilitas  vocatur.  Et  secundum  diametros 
sicut  agricola  cum  calceamento,  sie  coriarius  cum  eibo;  in  utroque  enim  ex  utroque 
suppleta  est  indigentia  et  hoc  vocatur  figura  proportionalitatis.«  Der  etwas  unklare 
Begriff  urbanitatis  indigentia  ist  vielleicht  in  der  oben  dargelegten  Weise  zu  erklären. 
Möglicherweise  ist  aber  auch  an  den  Marktpreis  gedacht. 

7)  cf.  1.  c.  (32).  Es  wird  hier  zunächst  von  der  Gleichsetzung  von  Schuhen  mit 
einem     Hause     bzw.     Getreide     vermittelst     des     Geldes     gesprochen     Albertus     führt 

4« 


—     52     — 

Ein  näherer  Vergleich  der  Ansichten  des  Albertus  Magnus 
mit  den  von  Thomas  vertretenen  würde  im  einzelnen  manche  Ver- 
schiedenheiten der  Auffassung  ergeben.  Was  aber  die  Werttheorie, 
speziell  die  eigentümliche  Verbindung  des  objektiven  und  subjek- 
tiven Momentes,  worauf  es  hier  allein  ankommt,  betrifft,  so  stimmen 
hierin  die  beiden  Denker  völlig  überein. 

Mir  scheint  sich  daher  als  Ergebnis  unserer  etwas  weitläufigen 
Untersuchung  folgendes  herauszustellen: 

i .  Das  unmittelbare  Maß  der  Güter  ist  das  für  alle  gleiche  Be- 
dürfnis. Nach  Gleichheit  der  Bedürfnisse  zweier  Tauschkontrahenten 
erfolgt  im  Tausche  die  tatsächliche  Gleichsetzung,  muß  sie  erfolgen, 
wenn  Gerechtigkeit  herrschen  soll. 

2.  Aber  dieses  subjektive  Moment  des  Bedürfens  ist  kein 
willkürliches,  ist  nicht  in  das  Belieben  der  Tauschenden  gestellt. 
Der  Tausch  findet  innerhalb  einer  Gemeinschaft  statt,  die  auf  Ar- 
beitsteilung gegründet  ist.  Er  muß  sich  daher  so  vollziehen,  daß 
dieses  Fundament  der  Arbeitsteilung  bestehen  bleiben  kann,  und 
damit  eine  Fortdauer  der  Gemeinschaft  überhaupt  ermöglicht  wird. 
D.  h.  jeder,  der  für  die  Gemeinschaft  produziert,  muß  seine  Auf- 
wendungen an  Arbeit  und  Kosten  vergütet  erhalten.  So  wäre  es 
z.  B..  einfach  undenkbar,  daß  ein  Schuster  mit  der  Herstellung  von 
Schuhen  fortführe,  wenn  er  dabei  zusetzen  müßte.  Die  Wieder- 
vergeltung von  Arbeit  und  Kosten  erscheint  als  das  notwendige 
Korrelat  der  Arbeitsteilung;  besonders  bei  Albertus  kommt  dies 
zum  Ausdruck.  Die  Idee  des  objektiven  Wertes,  der  das  gesell- 
schaftliche Substrat  des  subjektiven  bildet,  ist  erwachsen  aus  einer 
tief  sozialen  Auffassung  des  Gemeinschaftslebens:  Die  Bürger  sollen 
in  gleichem  Maße  für  einander  arbeiten  und  damit  eine  Ergänzung 
ihrer  eigenen  verschiedenartigen  und  in  sich  unzureichenden  Tätig- 
keiten, d.  h.  eben  ein  Gemeinschaftsleben  ermöglichen.  Ihr  tieferer 
Sinn  ist  kein  anderer  als  der:  »multitudo  artificum  sibi  invicem  sub- 
serviens  commanere  facit  civitatem«1).  Weiter:  Die  Preise  der 
Waren  müssen  so  bestimmt  werden,  daß  der  Produzent  außer 
den  Kosten,  die  er  für  Herstellung  der  Waren  aufgewandt  hat, 
noch  seine  Arbeit  vergütet  erhält.  Nun  weist  allerdings  Thomas 
an  der  Stelle,  wo  er  das  Prinzip  der  Wiedervergeltung  von  Arbeit 

dann  fort:     »In  tali  autem  proportione  oportet,    quod  sicut  aedificator  se  habet  ad  cori- 
arium    in   laboribus  et   expensis  sui  operis  secundum  excessum,  tot   et   tanta  calceamenta 
per   additionem    numismatis    commutentur   ad  domum  vel  cibum  habendum:    ad  domum 
quidem,  si  comparatur  ad  aedificatorem,  ad  cibum,  si  comparatur  ad  agricolam.« 
a)  Alb.  Mag.  1.  c.  9  (31). 


—     53     — 

und  Kosten  entwickelt,  nicht  ausdrücklich  darauf  hin,  aber  wir 
können  doch  aus  seinen  allgemeinen  wirtschaftlichen  Anschauungen 
darauf  schließen,  daß  er  unter  der  Vergütung  der  Arbeit  nichts 
anderes  als  den  standesgemäßen  Unterhalt  begreift.  Denn  wie 
in  der  Einleitung  gezeigt  wurde,  ist  darauf  der  Umfang  des  Be- 
sitzes sowie  das  Maß  wirtschaftlichen  Strebens  beschränkt.  In 
dem  thomistischen  Wertgesetze  kommt  also  nichts  anderes  zum 
Ausdruck,  als  daß  jeder,  der  an  der  Produktion  beteiligt  ist,  seinen 
standesgemäßen  Lebensunterhalt  gewinnen  soll.  In  dem  gleichen 
Anrechte  hierauf  besteht  der  »abstrakt  gesellschaftliche«  Charakter 
der  qualitativ  verschiedenen  Arbeiten. 

§  4.  Die  nähere  Ausgestaltung  des  Prinzips  der  "Wertgleichheit. 

Die  bisherigen  Erörterungen  haben  über  die  Grundsätze  des 
Tausch  verkehrs  im  allgemeinen  Klarheit  gebracht.  Es  handelt  sich  jetzt 
darum,  das  dort  Gesagte  tiefer  zu  begründen  und  weiter  auszubauen. 

Als  Wertmaß  trat  uns  oben  die  Beziehung  der  Güter  zum 
menschlichen  Bedürfnis  entgegen.  Diese  Anschauung  hängt  mit 
dem  Grundcharakter  der  thomistischen  Philosophie  zusammen. 

Wie  alles,  was  tätig  ist,  durch  bestimmte  Zwecke  zu  seinem 
Streben  veranlaßt  wird1),  so  geht  auch  der  Mensch  in  seinem  wirt- 
schaftlichen Handeln  bestimmten  Zwecken  nach.  Und  insofern 
materielle  Dinge  den  Gegenstand  menschlichen  Strebens  ausmachen, 
insofern  sind  die  Güter,  bona  im  eigentlichen  Sinne.  Denn  wie 
Thomas  im  Anschluß  an  Aristoteles  sagt:  »Bonum  est,  quod  omnia 
appetunt«2).  Ein  Gut  bringt  die  Stillung  eines  Strebens,  eine 
»terminatio  appetitus«  mit  sich3). 

Der  Grund  aber  für  das  Streben  des  Menschen  nach  materi- 
ellen Gütern  liegt  darin,  daß  sie,  worauf  das  Wesen  des  »bonum« 
überhaupt  beruht4),  der  menschlichen  Natur  angemessen  sind,  und 
menschlicher  Vervollkommnung  dienen.  Und  zwar  dienen  die  wirt- 
schaftlichen Güter  zur  Hebung  gewisser  Mängel,  die  von  Natur 
im  Menschen  vorhanden  sind 5),  vor  allem  zur  Erhaltung  des  körper- 

*)  S.  c.  g.  III.,    2.   »Oportet  igitur,  quod  omne  agens  in  agendo  intendat  finem.« 

2)  I,  5  a.  1.  c. ;  »Ratio  enim  boni  in  hoc  consistit,  quod  sit  aliquid  appetibile. 
Unde  Philosophus  dicit,  quod:     »bonum  est,  quod  omnia  appetunt.«     (Eth  I,  c.   I.)« 

8)  I,  5.  a.  6.  c:  »bonum  est  aliquid,  inquantum  est  appetibile  et  terminus 
motus  appetitus.«     Vgl.  Stökl:  Gesch.  d.  Philosophie  des  Mittelalters.    II.  655  ff. 

4)  S.  c.  g.  III.,  3.  »Id  autem,  ad  quod  agens  determinate  tendit,  oportet  esse 
conveniens  ei,  non  enim  tenderet  in  ipsum  nisi  propter  aliquam  convenientiam  ad  ipsum. 
Quod  autem  conveniens  est  alicui,  est  illi  bonum.«  De  verit,  q.  21.,  a.  2.  »Ratio  boni 
in  hoc  consistit,  quod  aliquid  sit  in  profectionem  alterius  per  modum  finis.« 

B)  I.  II.,  q.  2.  a.  1.  c.    Vgl.  S.  c.  g.  III,   134. 


—     54     — 

liehen  Lebens1)  und,  wie  dieses  wieder  die  Grundlage  für  das  höhere 
geistige  und  sittliche  Leben  des  Menschen  bildet2),  so  stellt  der 
Besitz  sachlicher  Güter  für  den  Menschen  eine  unbedingte  Not- 
wendigkeit dar  hinsichtlich  seiner  ganzen  Betätigung  für  die  Auf- 
rechterhaltung des  menschlichen  Lebens  überhaupt,  insofern  dieses 
eben  äußerer  Dinge  bedarf3).  Und  somit  liegt  die  eigentliche  Be- 
deutung der  wirtschaftlichen  Güter  darin,  daß  sie  den  Menschen 
durch  Stillung  seiner  Bedürfnisse  Vorteil  und  Nutzen  gewähren4). 
Diese  Bedürfnisse  können  wichtiger  und  weniger  wichtig  sein: 
Thomas  unterscheidet  unbedingt  notwendige  und  weniger  not- 
wendige, Existenz-  und  standesgemäße  Bedürfnisse5). 

Der  Mensch  erstrebt  also  die  wirtschaftlichen  Güter  nicht 
um  ihrer  selbst  willen;  sie  sind  der  körperlichen  Gesundheit,  vor 
allem  aber  dem  geistigen  und  sittlichen  Handeln  untergeordnet6). 
Sie  gehören  nicht  zur  Art  des  bonum  honestum,  sind  nicht  die 
endlichen  Gegenstände  menschlichen  Strebens;  sie  gehören  auch 
nicht  zur  Art  des  bonum  delectabile,  d.  h.  sie  bilden  nicht  die 
Gegenstände,  in  denen  der  Mensch  schließlich  ruht  und  sich  er- 
götzt, sondern  sie  sind  bona  utilia,  sie  werden  als  Mittel  zu  dem 
dargelegten  anderen  Zwecke  erstrebt7). 

In  der  Bedürfnisbefriedigung  liegt  also  der  eigentliche  Wert 
der  Güter.  Bona  in  diesem  Sinne  sind  zunächst  solche  Dinge,  die 
dem  angegebenen  Zwecke  unmittelbar  dienen,  mögen  sie  beim 
einzelnen  Befriedigungsakte  ihrer  Substanz  nach  ganz  verbraucht, 
oder  nur  abgenutzt,  gebraucht  werden8).    Bona  sind  ferner  solche 

J)  I.  II.,  59.  a.  3.  c.  Über  die  Stellung  des  Menschen  zur  materiellen  Güter- 
welt, s.  Schaub,  a.  a.  O.  S.  3 14  ff. 

2)  Cg.  III.,  141:  »Cum  enim  omnia  exteriora  ad  interiora  ordinentur,  corpus 
autem  ad  animam,  intantum  exteriora  et  corporalia  bona  sunt  homini  bona,  inquantum  ad 
bonum  rationis  proficiunt.« 

3)  I.   IL,  q.   4.  a.   7. 

4)  Cg.  III.    127.  cf.  I,  IL  q.   2.  a.  1.  c. 

5)  Quodl.  IV.,  a.  24:  aliquid  ad  finem  ordinatur  dupliciter.  Uno  modo  ut  ne- 
cessarium  ad  finem,  sine  quo  finis  esse  non  potest  sicut  eibus  ad  vitam  corporis  obser- 
vandam.  Alio  modo  sicut  necessarium  ad  finem,  sine  quo  ad  finem  non  ita  bene  perveniri 
potest,  sicut  equus  ordinatur  ad  iter.«  IL  IL,  q.  32,  a.  6.  c:  »Necessarium  dupliciter 
dicitur:  uno  modo,  sine  quo  aliquid  esse  non  potest  .  .  .  Alio  modo  dicitur  aliquid  esse 
necessarium,  sine  quo  non  potest  convenienter  vita  transigi  seeundum  conditionem  et  statum 
propriae  personae  et  aliarum  personarum,  quarum  cura  ei  ineumbit.«     Vgl.  hierzu  S.  18  f. 

6)  Vgl.  Anmerkg.  2. 

7)  cf.  I,  q.   5,  a.  6.  c. 

8)  Quodl.  III,  a.  19:  »rerum  in  usum  hominis  venientium  quaedam  sunt  quarum 
usus  non  et  ipsius  rei  consumptio,  et  si  contingat  rem  deteriorari  vel  consumi  per  usum, 
hoc  est  per  aeeidens,  sicut  domus,  vestis,  liber,  equus  et  huiusmodi«  —  »Quaedam  vero 
res  sunt,  quarum  usus  nihil  est  aliud  quam  consumptio  ipsarum  rerum.« 


—     55     — 

Güter,  die  im  Gegensatz  zu  Konsumtivgütern  nur  mittelbar  der 
Bedürfnisbefriedig'img  dienen,  sei  es,  daß  sie  als  Produktivgüter 
verwendet  werden 1),  sei  es,  daß  sie  als  Metallgeld,  als  künstlicher 
Reichtum  (divitiae  artificiales),  i.  G.  zum  natürlichen  (div.  naturales) 
der  in  Gegenständen  des  Konsums  besteht,  eine  Erleichterung  des 
Tausch  Verkehres  bezwecken2),  der  eben  seinerseits  wieder  seineVeran- 
lassung  und  Rechtfertigung  in  dem  Ziele  besserer  Bedürfnis- 
befriedigung findet. 

Durch  diese  Auffassung  der  Güter  als  »instrumenta  deser- 
vientia  beatitudini«,  welch'  letztere  in  den  höheren  Werten  des 
geistigen  und  sittlichen  Lebens  liegt3),  gewinnt  Thomas  ähnlich 
wie  Aristoteles  eine  ethische  Begrenzung  für  das  Maß  wirtschaft- 
lichen Strebens.  Wie  die  Mittel  überhaupt  nach  dem  zu  erreichen- 
den Ziel  bemessen  werden,  so  soll  das  Streben  nach  materiellen 
Gütern  durch  das  Ziel  derselben,  die  Aufrechterhaltung  des  mensch- 
lichen Lebens,  >  secundum  conditionem  et  decentiam«  beschränkt 
sein.  Schon  Aristoteles  hatte  als  Beispiel  die  Verwendung  der 
Medizin  nach  der  damit  zu  erzielenden  Gesundheit  angeführt4). 
Freilich  stimmen  die  tatsächlichen  Verhältnisse  mit  dieser  Forde- 
rung sehr  oft  nicht  überein,  indem  das  Streben  nach  Reichtum,  zumal 
seit  Einführung  des  Geldtausches  praktisch  meist  unbegrenzt  ist5). 

Dieses  subjektive  Moment  des  Bedürfnisses  ist  nun  weiterhin, 
wie  für  die  ganze  Ausgestaltung  der  Produktion,  so  für  das  Zu- 
standekommen und  die  Art  der  Zirkulation,  des  Tausches,  maß- 
gebend. Daß  die  necessitas  oder  indigentia  es  ist,  welche  den 
Tauschverkehr  beherrscht,  ist  bereits  oben  eingehend  dargelegt 
worden6).  Indem  nun  aber  die  durch  das  Bedürfnis  bestimmten 
Güter  ihrem  eigentlichen  Wesen  und  Werte  nach  getauscht  werden7), 
—  der  valor,  die  bonitas  der  Dinge  tritt  gerade  beim  Tausche  sicht- 


a)  C.  i.  Ar.  Pol.  I,  2  (f.) 

2)  II,  II  q.  187,  a.  7,  ad  5.  Vgl.  Aristoteles  Pol.  I,  3,  §  12,  cf.  II,  II  q.  117, 
a.   3.  c. 

3)  I,  II  q.  4,  a.  7.  c. 

4)  Arist.  Pol.  I,  3,  §   17;  cf.  III,  q.  52  a  2  ad  3;  II,  II  q.    1,  a.   1.  c. 

5)  I,  II  q.  2,  a.  I.  ad3.  »Appetitus  naturalium  divitiarum  non  est  infinitus,  quia 
secundum  certam  mensuram  sufficiunt  naturae,  sed  appetitus  divitiarum  artificialium  est 
infinitus,  quia  deservit  concupiscentiae  inordinatae.« 

6)  S.  oben  S.  43  f.,  vgl.  S.  49 ff. 

7)  Com.  in  Ar.  Pol.  I,  1  VII,  b:  »Est  enim  uniuscuiusque  rei  duplex  usus  .  .  .  unus 
eorum  est  proprius  usus  rei,  alius  autem  non  est  proprius,  sed  communis,  sicut  duplex 
est  usus  calciamenti,  unus  quidem  proprius,  scilicet  calceatio,  alius  communis,  scilicet 
commutatio  .  .  sed  quamvis  commutatio  non  sit  proprius  usus  calciamenti,  est  tarnen 
usus   eius   per   se    et   non    secundum   accidens,    quia  ille,  qui  commutat  ipsum,  utitur  eo 


-     56     - 

bar  in  Erscheinung  —  bedeutet  der  Austausch  hinsichtlich  der 
weggegebenen  Güter  zwar  nicht  den  »usus  proprius«  derselben, 
wohl  aber  einen  »usus  per  se«;  die  Verwendung  der  Güter  ist 
nicht  äußerlich  und  zufällig,  kein   »usus  per  accidens«1). 

Das  Maß  des  Bedürfens  ist  nun  keineswegs  unter  allen 
Umständen  gleich,  vielmehr  nach  Zeit  und  Ort  wesentlichen  Schwan- 
kungen unterworfen.  »Pretium  rei  est  mutatum  secundum  diver- 
sitatem  loci  vel  temporis«2).  Interessant  dafür,  in  welchem  Maße 
Thomas  eine  Wertänderung  für  möglich  hält,  ist  eine  Stelle  im 
Sentenzenkommentar3).  Petrus  Lombardus  spricht  über  den  Be- 
griff des  Wuchers  und  zitiert  zustimmend  den  Satz  des  Hiero- 
nymus,  daß  es  z.  B.  Wucher  sei,  wenn  jemand  zu  bestimmtem 
Zeitpunkt  10  Scheffel  Getreide  hingäbe  und  nach  bestimmter  Zeit 
sich  15  wiedergeben  lasse.  Thomas  schließt  sich  dem  durchaus 
an,  fügt  aber  einschränkend  hinzu :  es  wäre  möglich,  daß  an  jenem 
späteren  Zeitpunkt  der  Wert  des  Getreides  so  weit  gestiegen 
wäre,  daß  die  früheren  10  Scheffel  jetzt  den  Wert  von  15  hätten, 
dann  liege  kein  Wucher  vor. 

Für  die  Bestimmung  der  Wertgröße  sind  folgende  Momente 
namhaft  zu  machen4): 

1 .  Für  die  Tatsache  und  Höhe  des  Wertes  kommen  vor  allen 
Dingen  die  objektiven  Eigenschaften  der  Güter  in  Betracht,  die 
sie  befähigen,  menschliche  Bedürfnisse  zu  befriedigen.  Käufer  und 
Verkäufer  müssen  über  die  » .  .  rei  .  .  qualitates  .  .  per  quas  redditur 
humanis  usibus  apta«5)  unterrichtet  sein;  sie  müssen  die  »conditiones 
rei«  kennen,  »secundum  quas  est  bona  et  utilis«6).  Ein  Fehler  in 
den   objektiven  Eigenschaften   eines  Gutes   macht    dieses   weniger 


secundum   valorem   suum.«     Die  Beziehung   auf   die  Werttheorie  kommt  bei  Aristoteles 
nicht   zum  Ausdruck   (Arist.  Pol.  I,    8).     Vgl.  hierüber  Zmavc:    »Die  Werttheorie  bei 
Aristoteles  und  Thomas  v.  Aquin.«     Arch.  f.  Ph.,    1899,  S.  411  ff. 
a)  S.  d.  vor.  Anmerkung. 

2)  II,  II  q.   77,  a.  4,  ad.   2. 

3)  Comm.  in  III  lib.  Sent.  d.  37,  q.  1,  a.  6.  Das  Zitat  ist  aus  Hieronymus 
(sup.  Ezech.  c.  18);  cf.  in  lob.  28,  b.  2:  »pretia  lapidum  non  sunt  eadem  nee  in 
omnibus  locis  nee  in  omnibus  temporibus.« 

4)  Vgl.  Schaub,  a.  a.  O.  S.  178  ff.,  Pesch:  St.  a.  M-L.  XLI  1891,  S.  48 
Anmerkung  3,  Walter,  a.  a.  O.  S.  46  ff.  Es  fehlt  in  den  genannten  Schriften  meist 
an  einer  tieferen  Verarbeitung  der  mehr  oder  minder  vollständig  angeführten  einzelnen 
Momente. 

5)  II,  II  q.   77,  a.   2,  ad  3. 
c)  I.  c.  a.  3,  ad  2. 


—     57     — 

wertvoll1).  Der  höhere  Wert  des  echten  Goldes  und  Silbers  gegen- 
über dem  von  Alchimisten  nachgemachten  beruht  zum  Teil  darauf : 
»cum  sint  aliquae  utilitates  auri  et  argenti  veri,  secundum  naturalem 
operationem  ipsorum,  quae  non  conveniunt  auro  per  alchimiam 
sophisticato«2). 

2.  Ist  die  abstrakte  Art  der  Bedürfnisse,  die  Skala  der  Bedürfnis- 
gattungen3) würde  man  heute  sagen,  in  Betracht  zu  ziehen.  Brot 
befriedigt  wichtigere  Bedürfnisse  wie  Edelsteine.  Und  wenn  gleich- 
wohl für  gewöhnlich  die  letzteren  im  Werte  höher  stehen,  so  liegt 
dies  daran,  daß  dieses  Moment  der  Wichtigkeit,  meist  durch  andere 
Faktoren  überkompensiert  wird,  was  nach  deren  Beseitigung,  z.  B. 
in  Zeiten  der  Hungersnot,  klar  zutage  tritt4).  Die  Wirkung  dieser 
anderen  Momente  wird  gleich  zu  erörtern  sein. 

3.  Die  Art  und  Weise,  wie  diese  abstrakten  Bedürfnisgattungen 
befriedigt  werden,  bedingt  einen  Unterschied  im  Werte  der  Güter. 
Gold  und  Silber  werden  in  ihrer  Werthöhe  nicht  nur  dadurch 
bestimmt,  daß  sie  z.  B.  das  Bedürfnis  des  Menschen  nach  Gefäßen 
überhaupt  stillen,  sondern  vor  allem  dadurch,  daß  sie  diese  Auf- 
gabe in  besonders  vollkommener  Aufgabe  erfüllen.  »Propter 
dignitatem  et  puritatem  substantiae  ipsorum«5). 

4.  Wesentlich  sind  Angebot  und  Nachfrage,  die  »diversitas 
copiae  et  inopiae«6)  für  die  Stärke  des  Bedürfnisses  maßgebend. 
Das  Gold  ist  zumal  auch  deshalb  wertvoll,  weil  es  selten  ist7).  Das 
Brot  steigt  im  Werte,  weil  an  ihm  Mangel  vorhanden  ist,  »in 
tempore  necessitatis«8).  Auf  dieser  Tatsache  beruhen  vor  allem 
die  örtlichen  Preisverschiedenheiten,  indem  die  Güter  dort,  wo  sie 
häufig  sind,  geringere  Werte  darstellen,  als  dort,  wo  sie  weniger 
häufig  sind9).  Verstärkte  Zufuhr  zum  Markt  führt  zu  Minderungen 
des  Preises;  ja,  schon  die  Erwartung  einer  so  begründeten  Preis- 

*)  Ein  Käufer  erleidet  Schaden:  ».  .  .  si  propter  .  .  .  vitium  res  quae  vendenda 
proponitur,  minoris  sit  pretii,  ipse  (sei.  d.  Verkäufer)  vero  propter  hiusmodi  vitium  nihil 
de  pretio  subtrahat«,  1.  c.  c.  cf.  quodl.  II,  a.  10:  »si  ergo  vitium  rei  venditae  faciat  rem 
minus  valere,  quam  pretium  impositum  a  venditore.« 

2)  II,  II  q.   77,  a.   2,  ad   1. 

3)  Vgl.  z.  B.  Böhm-Bawerk:  Grundz.  d.  Theor.  d.  subj.  Güterw.  J.  f.  N. 
u.  St.  N  F.,  Bd.   13,  S.   12  f. 

4)  Quodl.  I,  a.  14:  »et  aliqua  preciosa  margarita  est  carior  uno  pane;  et  tarnen 
in  aliquo  casu  famis  panis  praeeligeretur.« 

5)  II,  II  q.   77,  a.  2,  ad   1. 
•)  1.  c.  ad  2. 

7)  c.  l  Pol.  1,  1.  vnf. 

8)  Quodl.  I,  a.    14. 

9)  IL  II  q.   77,  a.   2,  ad  2. 


-     58     — 

Senkung  dehnt  letztere  Erscheinung  auch  auf  die  Gegenwart  aus1). 
Daher  muß  derjenige,  der  Rinder,  Pferde  usw.  mit  Gewinn  ver- 
kaufen will,  wissen,  ob  dieselbe  infolge  Überflusses  oder  Mangels 
billig  oder  teuer  sind2).  Ein  zu  großer  Überfluß  an  bestimmten 
Dingen  kann  zu  völliger  Nutzlosigkeit  derselben  führen:  »sicut  de 
fistula  apparet,  quoniam  si  sint  maiores  aut  plures,  quam  possint 
moveri  a  fistulante,  nocent  aut  non  proficiunt«3). 

5.  Arbeit  und  Kosten  sind  insofern  wertbildend,  als  durch 
sie  die  objektiven  Eigenschaften  der  Güter,  die  letztere  für  die 
Bedürfnisbefriedigung  verwendbar  machen,  verbessert  werden:  sie 
führen  zunächst  zu  einer  »melioratio  rei«  und  damit  zu  einer  Wert- 
steigerung4). Von  dieser  immerhin  dürftigen  Bemerkung  abgesehen 
hat  aber  Thomas  den  Zusammenhang  der  subjektiven  Bewertung 
der  Güter  mit  den  zu  ihrer  Herstellung  erforderlichen  Kosten  nicht 
näher  untersucht. 

6.  Ein  sicherer  Besitz  hat  einen  höheren  Wert  als  ein  unsicherer. 
Wem  die  Möglichkeit  eines  Gewinnes  genommen  ist,  verliert  nicht 
die  ganze  Höhe  des  möglicherweise  erreichten  Wertes,  sondern 
weniger:  »minus  est  habere  aliquid  virtute  quam  habere  actu«.  Dieses 
liegt  in  der  Unsicherheit  begründet5). 

7.  Die  Bedürfnisse  einzelner  Personen  denselben  Gütern  gegen- 
über sind  der  Größe  nach  verschieden;  der  Wert  ist  nicht  etwas 
Abstraktes,  für  alle  Menschen  Gleichförmiges,  vielmehr  etwas  indi- 
viduell Relatives.  So  erörtert  Thomas  den  Ausnahmefall,  daß 
beim  Tausche  dem  Empfänger  der  Ware  ein  besonderer  Nutzen 
erwächst,  und  zwar  »ex  conditione  ementis«,  oder  umgekehrt  der 
Verkäufer  einen  besonders  großen  Schaden  erleidet6). 

Und  zwar  beruht  diese  individuelle  Verschiedenheit  z.  T.  auf 
den  im  Vorstehenden  angeführten,  den  Wert  beeinflussenden  Mo- 
menten. Insbesondere  bestimmt  das  Maß  des  Besitzes  die  persönliche 
Wertschätzung  der  Güter.    So  zitiert  Thomas  zustimmend  die  Stelle 

*)  II,  II  q.   77,  a.  3,  ad  4;  ob.  4. 

2)  »oportet  autem  eum,  qui  ex  bis  vult  lucrari  pecuniam,  esse  expertum,  quae 
eorum  sint  maxime  cara  et  in  quibus  locis,  quia  alia  istorum  in  aliis  regionibus  abundant, 
ut  seil,  emat  in  loco,  ubi  abundant,  et  vendat  in  loco,  ubi  sunt  cara«.  C.  in  Ar.  pol. 
I,  1,  IX  b. 

3)  C.  in  Ar.  Pol.  VII  1,  if;  vgl.  Kraus,  Die  arist.  Werttheorie,  Z.  f.  St.,  61 
(1905),  S.  582  f.  Allerdings  stammt  das  7.  Buch  von  einem  Schüler  des  Thomas  v.  A. 
Kuhn  a.  a.  O.  S.  96 ff.  s.  o.  S.   17. 

4)  1.  c,  a  4,  ad  1 :  »si  enim  rem  in  melius  mutatam  carius  vendat,  videtur  prae- 
mium  sui  laboris  aeeipere.«     cf.  ib.,  ad  2. 

5)  II,  II  q.  62,  a.  4  c. 

6)  II,  II  q.   77.  a.  1.  c. 


—     59     — 

bei  Ambrosius,  wo  dieser  bei  seinen  Ausführungen  über  die  Frei- 
gebigkeit an  die  Erzählung  vom  Scherflein  der  armen  Witwe 
anknüpft  und  bemerkt:  »Denique  duo  aera  viduae  illius  muneribus 
praetulit  (Luc.  XXI,  3)  (seil.  Dominus)  quia  totum  illa,  quod  habuit 
contulit,  Uli  autem  ex  abundantia  partem  ex  iguam  contulerunt. 
Affectus  igitur  divitem  collationem  aut  pauperem 
facit  et  pretium  rebus  imponit«1).  Die  Größe  eines  Almosens 
bemißt  sich  nicht  nach  der  quantitativen  Menge  des  Gegebenen,  son- 
dern nach  dem  »habitus  dantis«,  wie  Thomas  im  Anschluß  an 
Aristoteles  sagt'2).  Ein  Almosen  wird,  heißt  es  an  anderer  Stelle, 
»ex  parte  dantis«  dann  groß  genannt:  ».  .  .  cum  scilicet  aliquis  ali- 
quid dat,  quod  est  multum  seeundum  proportionem  propriae  facul- 
tatis«3). 

Die  Bedürfnisse  der  einzelnen  sind  ferner  verschieden  dem 
Stande  nach,  den  die  einzelnen  in  der  Gesellschaft  einnehmen.  Leute 
von  vornehmem  Stande  bedürfen,  wenn  sie  in  Not  sind,  ebenso 
dringend  kostbare  Kleider  und  Speisen  als  Almosen,  als  Leute  von 
geringerem  Stande   in    gleicher  Lage   weniger  wertvolle    Dinge4). 

Ferner  sind  ethische  Anschauungen  von  großem  Einfluß  auf 
die  verschiedenen  Schätzungen  der  einzelnen.  Wer  der  oben  er- 
wähnten ethischen  Lehre  genügt  und  die  wirtschaftlichen  Güter 
als  Mittel  zu  höheren  Zwecken  ansieht  und  ihr  Maß  hiernach 
begrenzt,  indem  er  das  darüber  Hinausgehende  für  überflüssig  und 
schädlich  hält5),  schätzt  die  Güter  anders  wie  andere  Menschen, 
die  ihrer  »coneupiscentia« 6)  keine  Schranke  auferlegen,  welch  letzteres 
übrigens  meistens  der  Fall  ist,  wie  Thomas  hervorhebt:  »in  exte- 
rioribus  bonis,  quae  communiter  homines  maxime  cupiunt«  7).  Aber 
von    dem    an    erster    Stelle    erwähnten    Ausnahmefall    abgesehen, 


*)  Ambrosius,  de  offic.  ministr.,  I.  c.  30  (149).  (Migne  S.  L.  XVI,  72).  cf. 
Thomas  II,  II.      117,  a.  1.  ad  3. 

2)  L  c.  Similiter  etiam  nihil  prohibet,  aliquos  virtuosos,  licet  sint  pauperes,  esse 
liberales.  Unde  Philosophus  dicit  (Nie.  Eth.  IV,  1),  >Secundum  substantiam,  id  est, 
facultatem,  divitiarum,  liberalitas  dicitur:  non  enim  consistit  in  multitudine  datorum,  sed 
in  dantis  habitu.«     Zu  Arist.  vgl.  Kraus,  a.  a.  O.  S.  581  f. 

3)  II,  II  q.  32,  a.   10,  c. 

4)  1.  c.  ad.  3.  »cui  (seil,  dem  Almosenempfänger)  non  est  danda  eleemosyna,  ut  inde 
luxurietur,  sed  ut  inde  sustentetur,  circa  quod  tarnen  est  discretio  adhibenda  propter  diversas 
conditiones  hominum,  quorum  quidam  delicatius  nutriti  indigent  delicatis  eibis  aut  vestibus.« 

5)  cf.  Cg.  III,  129:  »Et  autem  aliqua  mensura  determinata  seeundum  quam  usus 
praedietarum  rerum  humanae  vitae  est  conveniens;  quae  quidem  mensura,  si  praetermit- 
tatur,  fit  homini  noeivum,  sicut  apparet  in  sumptione  inordinata  eiborum.« 

6)  I,  II  q.   2,  a.   I.  ad  3.  cf.  S.   55,  Anm.   5. 

7)  II,   II  q.   117,  a.  6,  ad  3. 


—     6o     — 

handelt  es  sich  bei  den  angeführten  Stellen  über  die  individuell  ver- 
schiedene Schätzung  der  einzelnen  Menschen  doch  mehr  um  Äuße- 
rungen, die  auf  die  Wertlehre  nicht  unmittelbar  Bezug  nehmen. 
Eine  Verschiedenheit  des  Wertes  nach  den  einzelnen  Individuen, 
als  allgemeine  Erscheinung  eine  individuelle  Subjektivität  des  Wertes, 
die  auf  die  Gestaltung  des  Tausches  von  Einfluß  wäre,  kennt 
Thomas  nicht.     Hierüber  weiteres  im  Folgenden. 

8.  Der  Einzelne  steht  mit  dem  Besitz  seiner  Güter  nicht  für 
sich  allein  da,  sondern  innerhalb  der  menschlichen  Gemeinschaft, 
die  in  ihrer  Gesamtheit  nur  dann  eine  Befriedigung  ihrer  Bedürf- 
nisse erreicht,  wenn  ihre  einzelnen  Glieder  im  Tausche  ihre  Güter 
zur  Verfügung  stellen x).  Wenn  daher  ein  bestimmtes  Gut  für  den 
Besitzer  in  seiner  Isolierung  vielleicht  völlig  nutzlos  ist,  so  ist  es 
damit  noch  nicht  wertlos  innerhalb  der  Gemeinschaft.  Dann  ge- 
winnt dies  Gut  vielmehr  den  Wert,  den  es  in  der  Gemeinschaft 
hat,  auch  für  den  einzelnen  Besitzer,  indem  dieser  es  gegen  für 
ihn  persönlich  wertvolle  Güter  austauschen  kann :  ».  .  usus  rei, 
etsi  non  competat  venditori,  potest  tarnen  esse  con- 
v  e  n  i  e  n  s  a  1  i  i  s  «  2).  Die  einzelnen  Güter  gewinnen  dann  Geld- 
charakter, den  Begriff  Geld  im  allerweitesten  Sinne  genommen: 
»Ea  vero,  quae  emittenda  sunt  ab  uno  nomine  in  alium,  sunt  bona 
possessa,  quae  nomine  pecuniae  significantur« 3).  Dann  aber  ist 
es  für  den  Wert  nicht  mehr  das  individuelle  Bedürfnis  des  ein- 
zelnen in  Betracht  zu  ziehen,  sondern  die  gesellschaftliche  Schätzung; 
für  den  Preis  wird  bestimmend  das  »forum  commune«4).  Es  bildet 
sich  so  ein  allgemeiner  Wert,  ein  »Wert«  der  Dinge  schlechthin, 
der   für  den  Tausch  maßgebend  ist5).     Diese  vertiefte  Auffassung 


1)  Siehe  oben  S.  19  ff. 

2)  II,   II  q.   77,  a.  3,  c. 

3)  II,   II  q.    117,  a.   2,  c. 

4)  Com.  in  III,  1.  Sent.  d.  37,  q.  1.  a.  6.  cf.  S.  62.  Ferner  Op.  67.  (De  emptione 
et  venditione  ad  tempus):  »Si  mercatores,  .  .plus  vendant  pannos,  quam  debeant  secun- 
dum  commune  forum,  non  est  dubium,  esse  usuram.«  Vgl.  hierzu  Schaub,  a.  a.  O. 
S.  206:  »Zweitens  geschieht  die  Schätzung  meistens  durch  eine  größere  Zahl  von  Ur- 
teilenden. Dadurch  werden  die  Fehler  der  Einzelnen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  be- 
richtigt, und  nach  Ort  und  Zeit  gewisse  objektive  Anhaltspunkte  für  die  Bewertung  ge- 
wonnen.« Die  Bedeutung  des  »forum  commune«  liegt  nicht  in  der  »Berichtigung«  von 
Fehlern  Einzelner ;  in  dem  Sinne  gibt  es  hinsichtlich  der  Wertschätzung  der  Güter  kein 
Richtig  oder  Unrichtig;  sondern  darin,  daß  auf  dem  Markte  an  die  Stelle  der  indivi- 
duellen Schätzungen  die  gesellschaftliche,  durch  das  Bedürfnis  der  Gemeinschaft  be- 
stimmte tritt. 

5)  Dies  ist  der  II,  II   77,  a.  1.  c.  genannte  valor  der  Dinge.     Vgl.  i.  F. 


—     6i      — 

und  Begründnng  des  normalen  Wertes  trotz  individuell  zunächst 
verschiedener  Wertschätzungen  findet  sich  vor  Thomas  nicht. 

Halten  wir  einen  Augenblick  inne  und  untersuchen  wir  die 
Bedeutung  der  angeführten  Einzelbestimmungen  hinsichtlich  des 
Wertes  für  die  Lehre  vom  justum  pretium!  Wie  verhalten  sich 
die  einzelnen  dargelegten  Momente  zum  Prinzip  der  aequalitas 
valoris?     Sind  sie  im  Tausche  geltungsberechtigt  oder  nicht? 

Die  Forderungen  des  »justum  pretium«  insofern  sie  die  Be- 
deutung des  Bedürfnisses  im  Tausche  betreffen,  lassen  sich  in  zwei 
Gruppen  auflösen: 

i.  Der  Tausch  vollzieht  sich  faktisch  nach  Gleichheit  der 
Bedürfnisse.  Wir  haben  bereits  oben  darauf  hingewiesen1)  und 
hier  die  einzelnen  Momente  untersucht,  die  die  Stärke  des  Bedürfens 
bestimmen.  Die  Forderung  des  justum  pretium  nimmt  diese  Be- 
stimmungen als  Tatsachen  hin  und  hat  ihnen  gegenüber  nur  die 
eine  Aufgabe,  dafür  zu  sorgen,  daß  sie  sich  im  Tausche  nach 
Meinung  beider  oder  wenigstens  einer  der  beiden  Tauschkontra- 
henten vollziehende  Gleichheit  der  gewechselten  Güter  nicht  auf 
einem  Irrtum  beruhe  über  eines  der  Momente,  von  denen  die 
Stärke  des  Bedürfens  abhängt,  und  nicht  durch  unredliche  Mittel 
des  Käufers  oder  Verkäufers  erzielt  werde.  Ein  dreifacher  Mangel 
kann  in  dieser  Hinsicht  einen  Tauschkontrakt  objektiv  und  eventuell 
im  Falle  des  absichtlichen  Betruges,  auch  subjektiv  ungerecht 
machen:  a)  ein  »defectus  secundum  speciem«  rei.  Dieser  liegt  z.  B. 
vor,  wenn  unechtes  Gold  oder  mit  Wasser  vermischter  Wein  als 
echt  bzw.  rein  verkauft  werden;  b)  ein  »defectus  secundum  quan- 
titatem«  z.  B.  bei  Verwendung  eines  falschen  Gewichtes  oder 
sonstigen  Maßes;  c)  ein  »defectus  ex  parte  qualitatis«,  wenn  z.  B. 
ein  krankes  Pferd  als  gesund  verkauft  wird2). 

Ein  Fehler  an  einer  Sache  braucht  natürlich  nur  soweit  im 
Preise  berücksichtigt  zu  werden,  als  er  eine  Wertverminderung  des 
Gegenstandes  bedingt.  Er  braucht  vom  Verkäufer  nicht  unter 
allen  Umständen  angegeben  zu  werden,  sondern  kann  durch  still- 

x)  Siehe  oben  S.  52. 

2)  1.  c.  a  2  c.  Außer  den  im  Text  angeführten  Bestimmungen  vgl.  ebenda:  »Et  in 
omnibus  talibus  non  solum  aliquis  peccat  injustam  venditionem  faciendo,  sed  etiam  ad  resti- 
tutionem  tenetur.  Bei  unabsichtlichem  Irrtum  begeht  der  Verkäufer  zwar  subjektiv  kein 
Unrecht .  .  .  Tenetur  tarnen,  cum  ad  eius  notitiam  pervenerit,  damnum,  recompensare  emptori. 
Et  quod  dictum  est  de  venditore,  etiam  intelligendum  est  ex  parte  emptoris.  Contingit  enim 
quandoque  venditorem  credere  rem  suam  esse  minus  pretiosam  quantum  ad  speciem,  sicut 
si  aliquis  vendat  aurum  loco  auricalchi,  et  tunc  emptor,  si  id  cognoscat,  iniuste  emit  et 
ad  restitutionem  tenetur.     Et  eadem  ratio  est  de  defectu  qualitatis  et  quantitatis«. 


—       62        — 

schweigende  Herabsetzung  des  Preises  ausgeglichen  werden1). 
Doch  muß  im  allgemeinen  dem  Käufer  ein  voller  Überblick  über 
die  Sache  zustehen2). 

Von  den  eben  genannten  Bestimmungen  der  Tauschgerech- 
tigkeit sind  diejenigen  zu  trennen,  die  mit  dem  oben  dargelegten 
Ersatz  der  individuellen  Wertschätzungen  durch  die  gesellschaft- 
lichen Schätzungen  zusammenhängen.  Der  Marktpreis,  eine  an 
sich  rein  tätsächliche  Erscheinung,  ist  zugleich  auch  derjenige 
Wert  eines  Dinges,  der  an  sich  als  gerecht  erscheint  und  dem- 
gemäß beim  Tausch  einzuhalten  ist3).  So  sagt  vielleicht  noch 
klarer  Albertus  Magnus  »Justum  autem  pretium  est,  quod  secun- 
dum  aestimatiomem  fori  illius  temporis  potest  valere  res  vendita«4). 

Aber  gleichwohl  bleiben  Fälle  denkbar,  wo  ein  Verkäufer  durch 
die  Veräußerung  einer  Sache  auf  Grund  besonderer  Verhältnisse  — 
also  ein  Ausnahmefall  —  einen  Schaden  erleiden  würde,  der  größer 
wäre,  als  dem  gesellschaftlichen  Werte  derselben  entspräche,  und 
umgekehrt  könnte  ein  Käufer  durch  den  Kauf  eines  Gegenstandes 
einen  über  dessen  Wert  hinausgehenden  individuellen  Nutzen  er- 
zielen. Nach  Thomas  gilt  dann  folgender  Grundsatz:  Der  Ver- 
käufer darf  den  höheren  Wert,  den  ein  Gut  für  ihn  persönlich  hat, 
im  Preise  berechnen;  er  verkauft  dann  etwas,  was  ihm  eigentüm- 
lich zugehört,  worüber  ihm  Verfügungsgewalt  zusteht.  Dagegen 
darf  der  Verkäufer  den  besonderen  Nutzen  des  Käufers  nicht  in 
Anschlag  bringen;  denn  dieser  bildet  nicht  sein  Eigentum.  Im 
ersteren  Fall  findet  der  Tausch  nach  Gleichheit  der  Bedürfnisse 
statt,  indem  auch  der  Käufer  ein  stärkeres  als  das  gesellschaftliche 


*)  Quod  II,  a.  10:  »Si  ergo  vitium  rei  venditae  faciat  rem  minus  valere  quam 
pretium  impositum  a  venditore,  injusta  erit  venditio;  unde  peccat  occultans  vitium.  Si 
autem  non  faciat  rem  minus  valere  quam  pretium  impositum,  quia  forte  venditor  minus 
pretium  imponit  propter  vitium,  tunc  non  peccat  tacens  vitium,  quia  venditio  non  est 
injusta  et  forto  esset  sibi  damnosum,  si  vitium  diceret,  quia  emptor  vellet  habere  rem 
etiam  pio  minori  pretio  quam  valeret.« 

2)  II,  II  q.  77,  a.  3,  ad  1:  »Judicium  non  potest  fieri  nisi  de  re  manifesta  .  .  . 
Unde  si  vitia  rei,  quae  vendenda  proponitur,  sint  occulta,  nisi  per  venditorem  manifestentur, 
non  sufficienter  committitur  emptori  Judicium.« 

3)  II,  II  q.  77,  a.  1.  c.  »Et  ideo,  si  vel  pretium  excedat  quantitatem  valoiis 
rei,  vel  e  converso  res  excedat  pretium,  tolletur  iustitiae  aequalitas.  Et  ideo  carius  ven- 
dere  vel  vilius  emere  rem  quam  valeat,  est  secundum  se  iniustum  et  illicitum«,  cf.  S.  36. 

4)  Sent.  IV  d.  16,  a  46.  Albertus  Magnus  stützt  sich  wohl  seinerseits  wieder  auf 
Alexander  Halensis,  der  verlangt  hatte,  daß  der  Handel  betrieben  werde:  »iusta  existi- 
matione  rei  et  commercii  prout  communiter  venditur  in  illa  civitate  vel  loco,  in  quo 
negociari  contingit.«      (S.  th.   III  q.  50,  m.   1). 


-     63     - 

Bedürfniss  empfindet;  im  zweiten  hat  der  Käufer  einen  besonderen 
Vorteil1). 

Indem  aber  die  gesellschaftliche  Schätzung,  der  Marktpreis, 
maßgebend  wird,  wird  das  Fundament  geschaffen  für  die  Ver- 
wirklichung jener  Idee,  die  bei  der  Erörterung  des  Tauschprozesses 
in  der  nicomachischen  Ethik  durchaus  im  Vordergrunde  steht  und 
die  den  Zentralpunkt  der  thomistischen  Wertlehre  ausmacht:  Die 
Idee  der  Wiedervergeltung  von  Arbeit  und  Kosten2). 

Die  Güter  erscheinen  also  vom  Standpunkte  der  Gesellschaft 
aus  als  Produkte,  deren  Wert  nach  den  Kosten  bestimmt  ist. 
Hiernach  werden  sie  zueinander  in  Verhältnis  gesetzt  und  dann 
nach  Gleichheit  des  Aufwandes  ausgetauscht3).  Die  subjektive 
Werttheorie  geht,  wie  wir  oben  sahen,  von  der  Stellung  des  ein- 
zelnen zu  den  Gütern  aus  und  zeigt  dann  die  Gestaltung  der 
individuellen  Schätzung  im  Kreise  der  Gesellschaft.  Anders  die 
objektive  Werttheorie:  Sie  geht  zunächst  vom  Standpunkte  der 
Gemeinschaft  aus;  sie  erscheint  als  notwendiger  Ausdruck  des 
gesellschaftlichen  Lebens  der  Menschen  überhaupt,  das  auf  Arbeits- 
teilung gegründet  ist. 

Hier  ist  jedoch  ein  wesentlicher  Mangel  der  thomistischen 
Wertlehre  hervorzuheben:  Die  angegebene  Parallelität  erscheint 
als  notwendig  und  durch  die  Aufrechterhaltung  der  Arbeitsteilung 
bedingt.  Wie  sie  aber  des  näheren  möglich  sein  soll,  wie  sich 
der  nähere  Zusammenhang  zwischen  den  objektiven  und  subjekti- 
ven Momenten  gestaltet,  läßt  Thomas  ununtersucht,  obwohl  doch 
gerade  dies  für  die  Vereinheitlichung  seiner  Wertlehre  von  grund- 


1)  1.  c.    Abweichend  jedoch  de  Mal.     XIII,  4  ad  14. 

2)  S.  37  ff.  S.  46  ff. 

3)  Ich  halte  es  nicht  für  richtig,  wenn,  wie  dies  z.  B.  von  Pesch  (St.  a.  M.-L. 
XLI  48  ff.)  geschieht,  Arbeit  und  Kosten  nur  als  ein  Moment  neben  vielen  anderen, 
die  auf  die  Stärke  des  Bedürfens  einwirken,  aufgefaßt  werden.  Gesellschaftlich  erscheinen 
die  Güter  als  in  ihrem  Werte  lediglich  durch  die  aufgewendeten  Kosten  bestimmt.  Ein 
Tausch  nach  Gleichheit  der  Bedürfnisse  wäre  »gesellschaftlich«  noch  nicht  gerecht. 
Freilich  widersprechen  kleine  Modifikationen  des  vom  Standpunkte  der  Gesellschaft  aus 
lediglich  in  Betracht  kommenden  Tauschwertes  durch  andere  Momente  dem  Gesellschafts- 
prinzip der  Wiedervergeltung  der  Kosten  nicht.  Subjektiver  und  objektiver  Wert  laufen 
einander  parallel.  Der  objektive  Inhalt  des  Marktpreises  sind  Arbeit  und  Kosten:  sie 
machen  das  sozial -bedeutungsvolle  des  Preises  aus,  worüber  weiter  unten.  Dasselbe 
gilt  von  Biederlack,  »Zur  Gesellschafts-  und  Wirtschaftslehre  des  hl.  Thomas.« 
Zeitschr.  f.  Kathol.  Theol.,  XX,  s.  1876,  S.  578  ff.  Vgl.  desselben  Soziale  Frage. 
3.  Aufl.  S.  91  f.  Auf  Pesch  fußt  Walter,  a.  a.  O.  S.  46  ff.,  ähnlich  Schaub, 
a.  a.  O.  S.   194  ff. 


-     64     - 

legender  Bedeutung  gewesen  wäre1).  Jedenfalls  erscheinen  die 
Kosten  keineswegs  nur  insofern  von  Einfluß,  als  sie  eine  Verän- 
derung der  menschlichen  Schätzung  bedingen,  so  daß  man  von 
einer  subjektiven  Werttheorie,  die  auch  objektive  Momente  berück- 
sichtigt, sprechen  könnte.  Vielmehr  stehen  die  objektiven  Momente 
für  Thomas  durchaus  im  Vordergrunde,  und  sein  Gedanke  ist  wohl 
der,  daß  die  subjektiven  Schätzungen  unter  der  Herrschaft  der 
Kosten  stehen  und  nur  die  Aufgabe  haben,  der  Durchsetzung  des 
Prinzips  der  Wiedervergeltung  von  Arbeit  und  Kosten  zu  dienen. 

Die  objektive  Werttheorie  enthält  ein  Sollen  vom  Stand- 
punkte der  Gesellschaft  aus.  Sie  bedingt  natürlich  keinen  absolut 
festen  Wert  der  Güter.  Individuell  abweichende  Wertschätzungen 
bleiben  bis  zu  einem  gewissen  Grade  durchaus  gerechtfertigt. 
Kann  doch  überhaupt  der  gerechte  Preis  der  Güter  nicht  unbedingt 
fest  erfaßt  werden:  »iustum  pretium  rerum  non  est  punctualiter 
determinatum,  sed  magis  in  quadam  aestimatione  consistit;  ita  quod 
modica  additio  vel  minutio  non  videtur  tollere  aequalitatem  iusti- 
tiae«2).  So  kann  es  vom  Standpunkte  der  Gesellschaft  aus  hin- 
gehen, wenn  das  bürgerliche  Recht  im  Falle  der  Verletzung  der 
Tauschgerechtigkeit  erst  dann  zur  Restitution  zwingt,  wenn  ein 
»defectus  ultra  dimidiam  iusti  pretii  quantitatem«  vorliegt,  wenn 
auch  eine  Ungerechtigkeit  schon  weit  eher  vorhanden  ist,  nur 
nicht  gestraft  wird,  wie  es  z.  B.  im  römischen  Rechte  bestimmt 
ist3).  Kleine  Schwankungen  im  Preise  der  Güter  können  unter 
Umständen  gerechtfertigt  sein;  sie  müssen  freilich  in  ihrer  Größe 
dem  gesellschaftlichen  Grundprinzip  der  Wiedervergeltung  von 
Arbeit  und  Kosten  untergeordnet  bleiben. 

Damit  ist  im  Grunde  schon  hingewiesen  auf  die  ungeheure 
Bedeutung,  die  Thomas  der  Lehre  vom  iustum  pretium  und  damit 


i)  Vgl.  S.  58. 

2)  II,   II  q.   77,  a.   1,  ad   1. 

3)  1.  8.  C.  4,  44,  vgl.  S.  15.  Ein  Tausch  darf  nicht  rückgängig  gemacht  werden : 
»nisi  minus  dimidia  iusti  pretii,  quod  fuerat  tempore  venditionis,  darum  esset.«  Thomas 
II,  II  q.  77,  a.  I,  ad  1:  »Et  ideo  lex  humana  non  potuit  prohibere  quidquid  est  contra 
virtutem ;  sed  ei  sufficit,  ut  prohibeat  ea,  quae  destruunt  hominum  convictum,  alia  vero 
habeat  quasi  licita,  non  quia  ea  approbat,  sed  quia  ea  non  punit.  Sic  ergo  habet  quasi 
licitum,  poenam  non  inducens,  si  absque  fraude  venditor  rem  suam  supervendat,  aut  emptor 
vilius  emat  nisi  sit  nimius  excessus,  quia  tunc  etiam  lex  humana  cogit  ad  restituendum ; 
puta  si  aliquis  sit  deceptus  ultra  dimidiam  iusti  pretii  quantitatem.«  Es  ist  aber  zu 
beachten,  daß  das  Gerechtigkeitsprinzip  als  solches  weitergeht,  als  hier  im  Rechte  be- 
stimmt ist.  Das  Recht  bringt  das  iustum  pretium  wohl  im  Kerne,  aber  nicht  voll 
zur  Ausführung. 


-     65     - 

seiner  Wertlehre  zuweist.  Wir  haben  es,  wenn  wir  den  vollen 
Kreis  der  dargelegten  Gedanken  überblicken,  mit  Forderungen 
naturrechtlichen  Inhalts  zu  tun. 

Hier  müssen  wir  kurz  auf  die  thomistische  Rechtslehre  hin- 
weisen. Dieselbe  ist  bereits  bei  Gelegenheit  des  Streites  um  den 
Charakter  der  thomistischen  Eigentumslehre  eingehender  behandelt. 
Wir  können  uns  daher  kurz  fassen. 

Thomas1)  unterscheidet  zwischen  dem  ius  naturale,  dem  ius 
gentium  und  dem  ius  positivum.  Im  Naturrecht  sind  die  Bestim- 
mungen enthalten,  die  sich  unmittelbar,  aus  der  Natur  des  Men- 
schen ergeben,  wie  sie  vernünftigen  und  unvernünftigen  Wesen 
gemeinsam  ist.  Dahin  gehört  z.  B.  die  Forderung  des  Gemein- 
schaftslebens für  den  Menschen,  die  schlechthin  naturnotwendig  ist. 
Dieses  Naturrecht  kann  nun  im  positiven  Recht  vom  Menschen  in 
doppelter  Weise  ausgestaltet  werden:  Einmal  sind  aus  demselben 
notwendige  Folgerungen  zu  ziehen.  Diese  machen  den  Inhalt  des 
ius  gentium  aus:  es  enthält  Normen,  die  notwendig  sind,  im  Hin- 
blick auf  ihre  Folgen  für  das  soziale  Gemeinschaftsleben.  Die 
Ausführung  der  Rechtsprinzipien  zu  näherer  Bestimmtheit  gehört 
dem  ius  civile  an2).  Inhaltlich  gehört  das  ius  gentium  noch  zum 
Naturrecht,  zu  dem  Thomas  selbst  es  an  anderen  Stellen  rechnet3). 

Zu  diesen  also  inhaltlich  naturrechtlichen  Forderungen  des 
ius  gentium  gehören  auch  die  Forderungen  des  gerechten  Preises: 
»Nam  ad  ius  gentium  pertinent  ea,  quae  derivantur  ex  lege  naturae 
sicut  conclusiones  ex  principiis,  ut  justae  emptiones, .  yenditiones  et 
alia  huiusmodi,  sine  quibus  homines  ad  invicem  convivere  non  pos- 
sunt;  quod  est  de  lege  naturae,  quia  homo  est  naturaliter  animal 
sociale«4). 

Wenn  wir  an  die  Begründung  des  Prinzips  der  Wiedervergel- 
tung- von  Arbeit  und  Kosten  denken,  so  werden  wir  vor  allem 
diesem  den  hier  im  allgemeinen  dem  justum  pretium  zugesprochenen 
naturrechtlichen  Charakter  beilegen  dürfen6). 


*)  Vgl.  zum  Folgenden:  Cathrein:  »Das  jus  gentium  im  Römischen  Recht  und 
beim  hl.  Thomas.  Philos.  Jahrb.  II  (1889)  S.  374 ff.  Femer:  Walter  a.  a.  O., 
S.   23fr.     Schaub  a.  a.  O.,  S.   259 ff.     Kuhn  a.  a.  O.,  bes.  S.  35 f. 

2;    I,   II  q.   95,  a.   4,  c.      II,   II   q.   57,  a.   3,  c. 

3)  Vgl.  hierzu  Cathrein:  a.  a.  O. 

*)    I,   II   q.  95,  a.   4,  c. 

5;  An  anderer  Stelle  hat  Thomas  einen  etwas  anderen  Begriff  des  justum  naturale. 

11,  II  57,  a.  2,  c. :    »jus  sive  justum  est  aliquod  opus  adaequatum  alteri  secundum  aliquem 

aequalitatis  modum.    Dupliciter  autem  potest  alicui  homini  esse  aliquid  adaequatum:  uno 

quidem  modo  ex   ipsa  natura  rei,    puta  cum  aliquis  tantum  dat,   ut  tantumdem    recipiat, 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  1.  5 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


—     66     — 

§   5.     Die   Quellen    der   thomistischen   Wertlehre,   insbesondere   ihr 
Verhältnis  zu  Aristoteles. 

Im  Vorangehenden  ist  die  thomistische  Wertlehre  zur  Dar- 
stellung gelangt.  Es  bleibt  jetzt  die  Aufgabe  die  dogmengeschicht- 
liche Stellung  derselben  insbesondere  ihr  Verhältnis  zur  aristote- 
lischen Wertlehre  zu  untersuchen1). 

Ohne  Zweifel  ist  der  allgemeine  Ideengang  bei  Thomas  von 
Aquin  und  Aristoteles  derselbe.  Die  aristotelischen  Anschauungen 
über  Wesen  und  Einteilung  der  Gerechtigkeit  sind  von  Thomas 
einfach  übernommen.  Vielleicht  ist  hier  und  dort  eine  Stelle  falsch 
und  unrichtig  erklärt.  Jedenfalls  handelt  es  sich  dann  um 
Fragen,  die  mit  vorliegender  Arbeit  nur  in  losem  Zusammenhange 
stehen  und  für  das  Verhältnis  von  Aristoteles  und  Thomas  von 
Aquin,  wie  wir  es  hier  darzustellen  haben,  ohne  Bedeutung  sind; 
der  allgemeine  Ideengang  hinsichtlich  des  gerechten  Preises  trägt 
bei  Thomas  ein  spezifisch  aristotelisches  Gepräge. 

Dagegen  muß  eine  Frage  eingehender  behandelt  werden, 
die  im  Mittelpunkt  der  Lehre  vom  gerechten  Preise  steht.  Wir 
fanden  bei  Thomas  die  eigentümliche  Verbindung  von  objektiven 
und  subjektiven  Momenten  im  Tausche.  Geht  diese  auf  Ari- 
stoteles zurück  oder  tritt  sie  bei  Albertus  Magnus  und  Thomas 
von  Aquin  ursprünglich  auf  oder  versuchen  hier  die  beiden 
Scholastiker  den  Ideenkreis  früherer  Zeiten  mit  dem  des  Aristoteles 
zu  vereinigen? 

Xun  sind,  worauf  wir  schon  oben  hingewiesen  haben,  die 
Stellen  im  5.  Buche  der  nicomachischen  Ethik,  die  von  der  Wert- 
lehre handeln,  nicht  durchaus  klar.  Auch  heute  noch  werden  sie 
von  den  verschiedenen  Erklärern  verschieden  erklärt2). 

Ohne  nun  die  Frage  endgültig  entscheiden  zu  wollen,  scheint 
mir  Aristoteles  an  den  bezeichneten  Stellen  lediglich  vom  Bedürfnis 
als   Wertmaß    der   Güter    zu    sprechen.     Wir   haben   bereits  oben 

et  hoc  vocatur  jus  naturale.  Alio  modo  aliquid  est  adaequatum  vel  commensuratum  alten 
ex  condicto  sive  ex  communi  placito.«  Das  letztere  ist  das  jus  positivum.  Hiernach 
würde  also  die  Tauschgerechtigkeit  unmittelbar  dem  justum  naturale  angehören. 

x)  Zur  aristotelischen  Wertlehre  s.  vor  allem:  Kaulla:  Die  Lehre  vom  gerechten 
Preis  usw.  Z.  f.  ges.  St.  1904,  S.  582 ff.  Brentano:  Entwicklung  d.  Wertlehre. 
Sitzungsb.  d.  k.  b.  Ak.  d.  W.,  München  1908,  S.  8 ff.  O.  Kraus:  Die  aristotelische 
Werttheorie  in  ihren  Beziehungen  zu  den  Lehren  der  modernen  Psychologenschule.  Z. 
f.  g.  St.  1905,  S.  573  ff.  Johann  Zmavc:  Die  Werttheorie  bei  Aristoteles  u.  Thomas 
von  Aquin.  Archiv  f.  Philosophie  (Geschichte)  1899.  S.  407  ff.,  sowie  die  weiter  unten 
angeführte  Literatur. 

2)  Vgl.  oben  S.  40  f.,  vgl.  im  Folgenden. 


—     67     - 

darauf  hingewiesen,  daß  manche  Ausdrücke  Veranlassung  geben 
könnten,  bei  Aristoteles  eine  Berücksichtigung  objektiver  Faktoren 
zu  finden x).  Aber  wenn  man  diese  Stellen  im  Zusammenhang 
erwägt,  wonach  bei  den  Erörterungen  über  den  Tausch  dem  Be- 
dürfnis eine  zentrale  Stellung  zugewiesen  ist,  so  lassen  sich  die- 
selben ohne  Zweifel  restlos  und  ungezwungen  in  rein  subjektivem 
Sinne  erklären.  Und  eben  deshalb  scheint  mir  die  Einführung 
objektiver  Momente  in  die  Erklärung  des  Aristoteles  nicht  gerecht- 
fertigt zu  sein. 

Aristoteles  spricht  zunächst  davon,  daß  die  Wieder  Vergeltung 
nach  geometrischer  Proportion  erfolge  und  Ähnlichkeit  habe  mit 
dem  Kreuzen  der  Diagonalen  eines  Parallelogramms  und  fährt 
dann  fort:  »Ist  nun  zunächst  das  nach  Proportion  Gleiche  fest- 
gestellt und  findet  danach  der  Entgelt  statt,  so  ist  dieser  Vorgang 
der  von  uns  bezeichnete.  Mangelt  es  daran,  so  findet  keine 
Gleichheit  statt,  und  der  Austausch  läßt  sich  nicht  aufrecht  erhalten. 
Denn  da  hindert  nichts,  daß  das  Erzeugnis  des  einen  das  des 
anderen  an  Wert  übertreffe.  Es  muß  also  Gleichheit  zwischen 
beiden  ausdrücklich  hergestellt  werden«2). 

Es  muß  also  Gleichheit  zwischen  den  verschiedenen  Pro- 
dukten hergestellt  werden:  »de!  ovv  xavxa  loaoftfjvai«.  Oder  wie 
es  gleich  darauf  von  den  verschiedenen  Tauschkontrahenten  heißt: 
»dXXd  xovxovg  dei  loao&rivai«.  3). 

Alle  Tauschgegenstände  werden  nun  durch  das  Geld  gemessen 
und  vermittels  desselben  einander  gleichgesetzt  und  zwar  muß  die 
Gleichsetzung  in  bestimmter  Weise  erfolgen:  -»dei  xoivvv  öjieq  ol- 
xodojuog  jzqÖq  oxvxoxö/uov  xooaöi  vjiodrjjuaxa  Jioög  oixiav  rj  XQO<pr]v« 4). 
Das  Geld  ist  aber  nur  Vertreter  eines  anderen  Maßes;  es 
ist  entstanden  als  ein  »vjidXXay /ua  xrjg  %Qeia<;«.  In  Wirklichkeit 
werden  die  Güter  nach  ihrer  Beziehung  zum  menschlichen  Be- 
dürfnis einander  gleichgesetzt:  „Sei  äga  evi  xivi  ndvxa  juexqeio$cu. 
rovxo  de  l'oxc  xfj  juev  aXrjfteiq  fj  xQ£^ai  *]  ^o.vxa  övve%ei".  Werden  die 
Güter  in  dieser  Weise  gemessen  und  mit  einander  verglichen, 
dann  kann  die  Forderung  gerechter  Wiedervergeltung  erfüllt 
werden:  »eoxai  drj  ävxuiEJiov&ög ,  oxav  ioaofifj,  ojoxe  öjieq  yEcogyög 
Jigog  oxvxoxöfjiov,  xb  EQyov  xo  xov  oxvxoxö/uov  Jigög  xö  xov  y£cooyov«&). 


x)   Vgl.  oben  S.  40  f. 

2)  Nie.  Ethik  V,  8   (Übersetzung  von  Lasson,  S.   105). 

3)  1.  c. 

4)  1.  c. 
6)  1.  c. 

5* 


—     68     — 

Es  wird  also  hier  von  einem  Unterschied  zwischen  den  beiden 
Tauschkontrahenten  gesprochen,  der  das  Austauschverhältnis  ihrer 
Produkte  bestimmen  soll.  Würdigt  man  diese  Stelle  im  Zusammen- 
hang, so  kann  doch  wohl  nur  die  Erklärung  richtig  sein,  die 
Kaulla1)  und  andere  derselben  gegeben  haben:  Das  Produkt  des 
Landmanns  befriedigt  ein  Bedürfnis  von  bestimmter  Größe,  ebenso 
das  Produkt  des  Schusters.  Treten  sich  nun  Landmann  und 
Schuster  einander  zum  Tausche  gegenüber,  so  hat  der  Landmann 
ein  bestimmtes  Bedürfnis  nach  Schuhwerk,  der  Schuster  ein  be- 
stimmtes Bedürfnis  nach  Getreide.  Setze  ich  nun  das  Verlangen 
des  Landmanns  nach  Schuhen  der  Stärke  nach  =  i,  so  ist  vielleicht 
das  des  Schusters  nach  einem  Scheffel  Getreide  doppelt  so  stark, 
=  2.  Dann  muß  dieser  Unterschied  zwischen  der  Bedürfnisstärke 
der  beiden  Tauschkontrahenten,  der  schlechthin  als  der  Unterschied 
zwischen  Schuster  und  Landmann  erscheint,  im  Austauschverhältnis 
ihrer  Produkte  wiederkehren,  d.  h.  es  müssen  2  Paar  Schuhe 
gegen  einen  Scheffel  Getreide  gegeben  werden.  Die  Tausch- 
gegenstände mögen  also  an  sich  verschieden  und  insofern  genau 
genommen  unvergleichbar  sein:  Im  Hinblick  darauf,  daß  Menschen 
ihrer  bedürfen,  bilden  sie  eine  gewisse  Einheit,  die  eine  Ver- 
gleichung  zuläßt2). 

Auf  die  Frage,  welche  Momente  im  einzelnen  das  Bedürfnis 
nach  den  Gütern  bestimmen,  geht  Aristoteles  an  der  betreffenden 
Stelle  in  der  nicomachischen  Ethik  nicht  näher  ein.  Eingehender 
kommt  er  darauf  in  anderen  Werken,  so  vor  allem  in  der  Pvhetorik 
zu    sprechen.     Er  will  hier  zeigen,   woher  ein    Redner  beim  An- 


*)  Kaulla:  Die  Lehre  vom  gerechten  Preis  usw.  Z.  f.  g.,  St.  1904,  S.  585: 
Es  wird  Aristoteles  zitiert:  »Die  Vergeltung  wird  eine  verhältnismäßige  sein,  wenn  eine 
Gleichheit  vorhanden  ist,  so  daß,  wie  z.  B.  der  Landmann  (seil,  zu  seinem  Bedürfnis 
nach  Schuhwerk)  zum  Schuster  (seil,  zu  dessen  Bedürfnis  nach  landwirtschaftlichen  Er- 
zeugnissen) sich  verhält,  so  die  Arbeit  des  Schusters  (im  Wert)  zu  der  des  Landmanns 
sich  verhält.«     Ähnlich  Brentano  a.  a.  O.,  S.  9. 

2)  Nie.  Eth.  1.  c.  Atfj  fisv  ovv  äXtj&eiq.  ddvvarov  ra  roaovtov  öiacpioorra  ov/nfistga 
ycvio&at,  nQog  Sk  rtpi  yoelav  hbsyszai  ixavcog.«  Karl  Marx  (Kapitel  I,  4,  S.  26  f.) 
und  im  Anschluß  an  ihn  Hohoff  (Monatsschr.  f.  Christ.  Sozialref.  XV,  1893,  S.  28gff. 
u.  S.  303  ff.)  erklären  diese  Stelle  dahin,  daß,  nachdem  Aristoteles  zunächst  das  Be- 
dürfnis, dann  das  Geld  als  gemeinsames  "Wertmaß  bezeichnet  habe,  er  nun  stutze  und 
diese  Gleichsetzung  als  etwas  der  wahren  Natur  der  Dinge  Fremdes,  also  nur  als  »Not- 
behelf für  das  praktische  Bedürfnis«  ansehe.  Die  wahre  Gleichheit  der  Tauschgegen- 
stände, die  menschliche  Arbeit,  habe  Arist.  nicht  entdecken  können,  jedoch  die  Unzu- 
länglichkeit der  subjektiven  Werttheorie  gefühlt.  Die  Unrichtigkeit  dieser  Erklärung 
hebt  mit  Recht  Zmavc  a.  a.  O.,  S.  415  hervor. 


-     6g     - 

und  Abraten  seine  Beweisgründe  zu  nehmen  habe1),  und  erörtert 
zu  diesem  Zwecke  den  Begriff  des  Gutes  und  die  Gründe,  die  die 
Menschen  bestimmen,  irgendwelche  Güter  höher  als  andere  zu 
schätzen.  Im  Zusammenhang  hiermit  äussert  er  manche  Gedanken, 
die  für  seine  Wertlehre  von  Wichtigkeit  sind.  Außerdem  kommen 
noch  gelegentliche  Äußerungen  in  anderen  Werken  in  Betracht2). 
Wir  beschränken  uns  auf  die  Hervorhebung  des  für  uns  Wichtigen. 

Zunächst  erscheint  auch  hier  das  menschliche  Bedürfnis  als 
entscheidend  für  das  Wesen  der  wirtschaftlichen  Güter. 

Ein  Gut  ist  dasjenige,  erklärt  Aristoteles,  wonach  alle  Wesen 
streben,  durch  dessen  Besitz  man  sich  wohl  und  zufrieden  fühlt, 
oder  das,  was  diesen  Zustand  hervorzubringen  oder  zu  erhalten 
imstande  ist.  Ein  Gut  in  diesem  Sinne  ist  auch  der  Reichtum, 
der  Besitz  äußerer  Güter3).  Diese  Güter  lassen  Abstufungen  zu 
nach  dem  Grade,  in  welchem  sie  uns  Befriedigung  gewähren: 
»Das  Lustvollere  ist  ein  grösseres  Gut,  als  das  geringere  Lust 
Gewährende« 4).  Das  ist  ein  höheres  Gut,  »dessen  Entbehrung 
fühlbarer  ist« 5).  Damit  ist  gegeben,  daß  das  Gut,  das  dem  End- 
zweck der  Bedürfnisbefriedigung  näher  steht  als  ein  anderes,  an 
sich  ein  größeres  Gut  ist6). 

Die  abstrakte  Nützlichkeit  und  die  Seltenheit  eines  Gutes 
sind  dann  des  näheren  die  Faktoren,  die  den  Güterwert  bestimmen. 

Dem  subjektiven  Momente  des  Bedürfens  untergeordnet  ist 
auch  durchaus  der  Einfluß  der  Kosten  und  Aufwendungen.  Sie 
erscheinen  nicht  wie  bei  Thomas  als  selbständige,  an  sich  den 
Wert  bestimmende  Momente.  So  hebt  Aristoteles  hervor:  Etwas, 
worauf  wir  viele  Mühe  und  Kosten  verwendet  haben,  erscheint 
uns  schon  deshalb  als  Gut:  »Auch  das,  worauf  man  viele  Mühe 
oder  Kosten  verwendet  hat;  denn  das  erscheint  schon  als  ein  Gut 
und  wird  als  ein  solches  zum  Endzweck  gemacht  und  zwar  zum 
Endzweck  von  Vielem;  der  Endzweck  ist  aber  immer  ein  Gut«7). 

Hohe  Kosten  und  Seltenheit  als  wertbildende  Momente  fallen 
nach  Aristoteles  häufig  zusammen  und  bedingen  sich  gegenseitig. 
Worauf  er  in  folgenden  Sätzen  hinweist:  »Sodann  ist  das  Seltenere 


*)  Vgl.  Rhetor.  I,  c.  7,  i.  f. 

2)  Vgl.  des  näheren  Kraus:    Die  aristotelische  Werttheorie.    S.   573 ff. 

3)  Rhet.  I,  c.  6. 

4)  1.  c,  c.  7. 
6)  1.  c. 

6)  1.  c. 

')  Rhet.   I,  c.  6. 


—     7°     — 

ein  größeres  Gut  als  das  Häufigere;  z.  B.  Gold  ein  größeres  als 
Eisen,  obgleich  es  minder  ist;  denn  der  Erwerb  desselben  ist 
etwas  höheres,  weil  er  schwieriger  ist«.  .  .  .  Im  Allgemeinen  wird 
das  »Schwerere  höher  geschätzt  als  das  Leichtere;  denn  es  ist 
seltener« x).  Zur  Erklärung  der  Begriffe  schwer  und  leicht  ist 
eine  Stelle  aus  dem  vorhergehenden  Kapitel  heranzuziehen:  »Leicht 
ist,  was  ohne  Beschwerde  oder  in  kurzer  Zeit  vollbracht  wird; 
denn  das  Schwere  wird  als  solches  bezeichnet  entweder  durch 
die  Beschwerlichkeit  oder  die  Größe  des  Zeitaufwandes« 2). 

Dies  sind  im  wesentlichen  die  Bestimmungen,  die  für  die 
Wertlehre  des  Aristoteles  in  Betracht  kommen.  Sie  erinnern 
zuweilen  an  die  Sätze  der  modernen  Grenznutzentheorie3).  Freilich 
hat  Aristoteles  ihre  Bedeutung  für  den  Tausch  der  Güter  und 
das  in  diesem  zu  verwirklichende  Gerechtigkeitsprinzip  nicht  erörtert. 

Vergleicht  man  nun  die  aristotelischen  Gedanken  mit  der 
thomistischen  Wertlehre,  so  ergeben  sich  wichtige  Gesichtspunkte. 

Zunächst  müssen  wir  die  Erklärung  der  Gerechtigkeit  im 
Tausche  im  objektiven  Sinne  als  unrichtig  ansehen:  Thomas  er- 
klärt den  Unterschied,  der  zwischen  den  Tauschkontrahenten  be- 
stehen soll,  als  einen  Unterschied  hinsichtlich  der  von  beiden  auf- 
gewendeten Arbeit  und  Kosten,  sich  hierin  seinem  Lehrer  Albertus 
Magnus  anschließend.  Freilich  ist  diese  unrichtige  Erklärung 
durch  den  dunkeln  und  unklaren  Text  des  Aristoteles  selbst  zum 
großen  Teil  veranlaßt  und  entschuldigt.  Auch  moderne  Erklärer 
interpretieren  zum  Teil  noch  die  betreffenden  Stellen  in  ähnlichem 
oder  demselben  Sinne.  Bereits  oben  ist  hierüber  gesprochen 
worden4). 

Aber  trotz  der  damit  gegebenen  prinzipiellen  Verschieden- 
heit kann  man  die  thomistische  Wertlehre  noch  insofern  als  durch- 
aus aristotelisch  bezeichnen,  als  die  mittelalterlichen  Erörterungen 
über  den  Wert,  wie  über  wirtschaftliche  Dinge  überhaupt  sich 
emporgerankt  haben  an  Aristoteles:  »Dem  Philosophen«  meinten 
Albertus  Magnus  und  Thomas  auch  in  ihrer  Wertlehre  und  in 
den  Bestimmungen  hinsichtlich  der  Tauschgerechtigkeit  zu  folgen, 
wenn  sie  ihn  auch   tatsächlich  unrichtig  erklärt  haben.     Eine  ge- 


x)  Rhet.  I,  c.  7. 

2)  Rhet.  I,  c.  6:  y>QÖ.8ia  8e  oaa  r)  ävev  Xtuirjg  1}  iv  öXlym  xgovcp.  ro  yag  yaXenov 
ogiCetai  fj  Xvzifl  tj  jzXrj&si  %QÖvov.«  Unter  Xvjirj  kann  man  mit  Kraus  a.  a.  O.,  S.  589 
wohl  soviel  wie   »Opfer«  überhaupt  verstehen. 

3;   Vgl.  Kraus  a.  a.  O.,  S.  573 ff.,  wo   interessante   Parallelen   aufgedeckt   sind. 

*)  Vgl.  oben  S.  40  f. 


—     7i     — 

wisse  Weiterführung  aristotelischer  Gedanken  wird  man  bei  ihnen 
allerdings  zugeben  müssen;  denn  schon,  wenn  man  die  Erklärung 
der  Wiedervergeltung  im  objektiven  Sinne,  wie  Thomas  sie  gibt, 
im  Prinzip  für  richtig  halten  wollte,  so  bedeutete  doch  die  Auf- 
lösung des  Unterschiedes  zwischen  den  Tauschenden  in  einen 
solchen  von  Arbeit  und  Kosten  eine  Ausgestaltung1). 

Der  Kommentar  zur  Ethik  enthält  mehr  als  eine  einfache 
Wiederholung  aristotelischer  Gedanken,  er  will  eben  ein  tieferes 
und  volleres  Verständnis  des  Stagiriten  ermöglichen  und  bietet 
deshalb  manches  Eigene  und  Selbständige.  Freilich  wird  in 
vorliegendem   Falle  der  Sinn   des  Aristoteles   nicht  richtig  erfaßt. 

Nun  scheint  mir  aber  die  letztere  Tatsache  mit  dem  bloßen 
Hinweis  auf  die  Schwierigkeit  des  Verständnisses  der  nikomachi- 
schen  Ethik  nicht  genügend  erklärt  zu  sein.  Wir  haben  es  viel- 
mehr ohne  Zweifel  bei  der  thomistischen  Wertlehre  auch  mit  Ge- 
danken zu  tun,  die  ihren  letzten  Ursprung  in  den  wirtschaftlichen 
Verhältnissen  des  Mittelalters  haben.  Allerdings  tritt  dieses  Mo- 
ment bei  dem  straffen,  sich  streng  an  den  Text  des  Aristoteles 
haltenden  Text  der  thomistischen  Kommentare  etwas  zurück. 
Anders  bei  Albertus  Magnus,  der  ausführlich  und  unter  häufigen 
Digressionen  die  aristotelischen  Gedanken  umschreibt'2).  Die  mittel- 
alterliche civitas  erscheint  hier  mit  ihrer  berufsmäßigen,  arbeits- 
teiligen Produktion  als  Ausgangs-  und  Mittelpunkt  der  Betrach- 
tung. Die  Bürger  sollen  im  gleichen  Maße  für  einander  arbeiten. 
Die  Wiedervergeltung  nach  Arbeit  und  Kosten,  also  Ersatz  der 
Aufwendungen  und  Vergeltung  der  persönlichen  Arbeit  mit  dem 
standesgemäßen  Lebensunterhalt  ist  das  Prinzip,  ohne  das  die  un- 
umgänglich notwendige  Arbeitsteilung  innerhalb  der  Stadt  nicht 
aufrecht  erhalten  bleiben  kann3).  Thomas  gibt  derselben  Idee 
naturrechtliche  Form4).  Kurz,  es  sind  Gedanken,  die  man  allen- 
falls im  Keime  bei  Aristoteles  finden  kann,  die  aber  letzten  Endes 


l)  Zmavc  a.  a.  O.,  S.  422.  Kraus  a.  a.  O.,  S.  589,  Anmerkung  2:  nimmt  an, 
daß  Thomas  die  in  der  Rhetorik  entwickelten  Gedanken  über  die  Bedeutung  der  Kosten 
für  die  Schätzung  der  Güter  (S.  ob.  S.  69  f.)  zur  Kommentierung  der  nikomachischcn 
Ethik  benützt  habe.  Doch  weisen  weder  Albertus  Magnus  noch  Thomas  darauf  hin. 
Zudem  ist  der  Charakter  der  beiden  Stellen  so  verschieden,  daß  man  sie  zu  ihrer  gegen- 
seitigen Interpretierung  kaum  verwenden  kann,  selbst  dann,  wenn  man  wie  Kraus 
'a.  a.  O.,  S.  591)  bei  Aristoteles  den  Gedanken  einer  Wiedervergeltung  von  Arbeit  u. 
Kosten  findet.     Vgl.  zudem  S.   59,  63  f. 

2^  Vgl.  oben  S.  45  ff. 

3    Vgl.  oben  S.  5 2  f. 

4)  Vgl.  oben  S.  65. 


—     72     — 

doch  von  außen  hineingelegt  sind,  und  die  in  dieser  Ausprägung 
und  Form  nur  vom  Boden  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  des 
Mittelalters  aus  begriffen  und  verstanden  werden  können.  Der 
Gedanke,  der  die  mittelalterliche  Stadtwirtschaft  beherrscht,  der 
zumal  auch  in  der  Zunftverfassung  zur  Ausgestaltung  kommt,  ist 
der,  daß  in  der  civitas  jedem  seine  Existenz  ermöglicht  sein  müsse. 
Die  herrschende  Motivrichtung  des  mittelalterlichen  Wirtschafts- 
lebens ist,  wie  Sombart  betont,  das  Bedarfdeckungsprinzip1);  es 
fehlt  der  kapitalistische  Geist,  für  den  der  Reichtum  Selbstzweck 
und  die  Aussicht  auf  Gewinn  maßgebend  ist.  Das  Streben  des 
Handwerkers,  der  für  das  Mittelalter  typisch  ist'2),  charakterisiert 
Sombart  dahin:  »ein  standesgemäßes  Auskommen  strebt  er  an, 
nicht  weniger,  aber  vor  allem  auch  nicht  mehr.  Seine  gewerb- 
liche Arbeit  soll  ihm  die  materielle  Basis  für  seine  Existenz:  seine 
»Nahrung«  verschaffen,  das  Handwerk  soll  seinen  Mann  nähren«3). 
Die  thomistische  Wertlehre,  die,  wie  früher  gezeigt,  jedem  den 
standesgemäßen  Unterhalt  garantieren  will,  ist  nichts  anderes  als 
der  adaequate  Ausdruck  der  wirtschaftlichen  Zustände  des 
Mittelalters. 

So  kam  es  unter  Führung  des  Aristoteles,  der  freilich  aus 
den  wirtschaftlichen  Verhältnissen  des  Mittelalters  heraus  verstanden 
und  erklärt  wurde,  zum  ersten  Mal  seit  der  Patristik  zu  einer 
inneren  Fortentwicklung  der  Wertlehre.  Die  thomistische  Wert- 
lehre mit  ihrem  objektiven  Charakter  ist  freilich  von  der  bei 
Augustinus  im  Keime  vorliegenden  subjektiven  Theorie  durchaus 
verschieden  und  stellt  keine  innere  Ausgestaltung  derselben  dar. 
Freilich  kommen  in  anderer  Weise  in  dem  Prinzip  der  Wieder- 
vergeltung von  Arbeit  und  Kosten  augustinische  Ideen  zur  Gel- 
tung. Augustinus  hatte  von  einer  sozialen  Auffassung  des  Ge- 
meinschaftslebens ausgehend  unter  Anwendung  des  paulinischen 
Grundsatzes,  daß  jeder  Arbeiter  seines  Lohnes  wert  sei,  den  Handels- 
gewinn als  gesellschaftlichen  Arbeitslohn  gerechtfertigt.  Die  Höhe 
des  Einkommens  sollte  dem  Stande  angemessen  sein.  Die  allge- 
meinen Grundsätze,  die  Augustinus  hier  auf  den  Handel  anwendet, 
kehren  in  der  thomistischen  Wertlehre  wieder,  indem  auch  letzterer 
der  Gedanke  zugrunde  liegt,  daß  die  Gesellschaft  dem,  der  für  sie 
arbeitet,  ein  standesgemäßes  Auskommen  sichern  müsse.  Aller- 
dings  waren    die   Ideale  Augustins   in    den    wirtschaftlichen    Zu- 

a)   Der  moderne  Kapitalismus   I,  S.  6if. 

2)  a.  a.  O.,  S.  71. 

3)  a.  a.  O.,  S.  86. 


—     73     — 

ständen,  die  Thomas  umgaben,  in  weitgehendem  Maße  ver- 
wirklicht1). 

Noch  nach  einer  anderen  Richtung  hin  führt  ein  Blick  auf 
die  mittelalterliche  Stadtwirtschaft,  wie  sie  aus  Thomas  selbst 
sich  uns  gezeigt  hat,  zu  einem  tieferen  Verständnis  seiner  Wert- 
lehre. Die  Stadt  Wirtschaft  erscheint  als  Wirtschaft  des  direkten 
Austausches  zwischen  Produzent  und  Konsument.  Auch  Bücher 
schildert  sie  in  derselben  Weise2).  Unter  diesen  Verhältnissen 
ist  die  Preisbildung  eine  ganz  andere  als  etwa  heute.  Auf  dem 
mittelalterlichen  Markte  bildet  sich  tatsächlich  für  die  einzelnen 
Produkte  ein  bestimmter  Marktpreis,  den  die  Tauschkontrahenten 
als  gerecht  ansehen,  und  dessen  Nichteinhaltung  als  Übervorteilung 
empfunden  wird.  Wenn  Thomas  daher  als  allgemeine  Norm  die 
Einhaltung  dieses  normalen,  durchschnittlichen  Wertes  der  Waren 
verlangt,  so  ist  auch  das  als  Spiegelbild  der  allgemeinen  Preis- 
bildung verständlich;  ebenso  wie  die  früher  erörterte  Behandlung  der 
Ausnahmefälle  von  dieser  allgemeinen  Regel,  die  für  unser  mo- 
dernes Empfinden  ganz  unbegreiflich  ist,  verständlich  wird,  wenn 
wir  uns  den  kleinbürgerlichen  Rahmen  der  mittelalterlichen  Preis- 
bildung vergegenwärtigen.  Thomas  konnte  also  auch  hier  die 
augustinische  Lehre  von  dem  normalen,  gerechten  Preis  vertreten, 
ohne  mit  der  Wirklichkeit  in  Widerspruch  zu  kommen.  Er  konnte 
endlich  auch,  was  für  sein  Verhältnis  zu  Aristoteles  bedeutsam 
ist,  sich  dessen  Forderung  anschließen,  daß  der  Wert  der  zu  tau- 
schenden Güter  gleich  sein  müsse,  wenn  der  Tausch  nach  Gerech- 
tigkeit vor  sich  gehen  solle.  Denn  die  Durchführung  des  Äquiva- 
lenzprinzips im  Tausche  ist  bei  Annahme  eines  allgemeingültigen, 
normalen  Wertes  leicht  möglich. 

Bezüglich  der  Bedeutung  des  Bedürfnisses  im  Tausche  konnte 
Thomas  mit  Recht  Aristoteles  folgen.  Sowohl  die  allgemeinen 
Anschauungen  über  das  Wesen  der  wirtschaftlichen  Güter,  wie 
auch  die  Bestimmungen  bezüglich  der  Schätzungen  derselben  im 
einzelnen  tragen  ein  spezifisch  aristotelisches  Gepräge.  Thomas 
selbst  macht  in  den  bei  Behandlung  seiner  Wertlehre  angeführten 
Äußerungen  vielfach  auf  Aristoteles  als  seine  Quelle  aufmerksam3). 
Freilich  ergibt  eine  genauere  Vergleichung,  daß  der  überraschende 
Tiefblick  des  Stagiriten  hinsichtlich  der  psychologischen  Vorgänge 

J)  Die  Übereinstimmung  des  mittelalterlichen  Wirtschaftslebens  mit  den  Forde- 
rungen der  Patristik  hervorgehoben  bei:  Troeltsch,  Archiv  XXVII,  S.  60 ff. 

2)  Entstehung  der  Volkswirtschaft,  S.   135  ff. 

3)  Vgl.  s.  53  ff. 


—     74     — 

bei  der  Bewertung  der  Güter  von  Thomas  nicht  erreicht  wird; 
daß  er  jedoch  selbständig  eine  tiefere  Begründung  des  durch- 
schnittlichen, normalen  Wertes  der  Güter  zu  geben  versucht,  ist 
bereits  früher  hervorgehoben  worden1). 

In  diesem  Zusammenhange  ist  nun  noch  auf  eines  hinzuweisen. 
An  der  Stelle,  wo  er  die  für  die  Stellung  des  Bedürfens  im  Tausche 
in  Betracht  kommenden  aristotelischen  Äußerungen  wiedergibt, 
schiebt  er  den  oben  genannten  Gedanken  Augustins  ein,  daß  wir 
im  Tausche  die  Güter  nicht  nach  ihrer  natürlichen  Rangordnung 
betrachten,  sondern  nach  ihrer  Bedeutung  für  das  menschliche 
Bedürfnis.  Auch  bei  Albertus  Magnus  wird  dieselbe  Stelle  an- 
geführt 2).  Freilich  führen  beide  in  ihren  Kommentaren  sie 
nicht  ausdrücklich  auf  Augustinus  zurück.  Wo  Thomas  jedoch 
in  der  Summa  von  der  subjektiven  Wertlehre  spricht,  zitiert  er 
nicht  Aristoteles,  sondern  jetzt  ausdrücklich  Augustinus3).  In  diesem 
Punkte  also  traf,  so  scheint  es,  die  Autorität  Augustins  mit  der 
des  Stagiriten  zusammen,  ein  etwas  äußerlicher  Ausgleich,  der 
aber  für  das  methodische  Vorgehen  charakteristisch  ist,  das  Thomas 
bei  inneren  Verschiedenheiten  der  augustinischen  und  aristotelischen 
Gedankenwelten  zwecks  Herstellung-  einer  Synthese  einzuschlagen 
pflegt4). 

Die  thomistische  Wertlehre  trägt  den  Charakter  der  mittel- 
alterlichen Philosophie  überhaupt.  Sie  gleicht  dieser  in  ihrer 
receptiven  Art,  indem  sie  ausgebaut  wird  unter  reichlicher  Ver- 
wendung des  in  früheren  Zeiten  Geschaffenen.  Sie  gleicht  der 
Philosophie  des  13.  Jahrhunderts  in  der  eigentümlichen  Verbindung 
aristotelischer  und  augustinischer  Gedanken,  wie  ja  Thomas  eben- 
sosehr an  dem  Kirchenvater,  wie  an  dem  griechischen  Philosophen 
orientiert  ist6).  Freilich  hatte  Albertus  Magnus  schon  wesentlich 
vorgearbeitet,  so  daß  das  Verdienst,  das  speziell  Thomas  zuzu- 
schreiben ist,  verhältnismäßig  gering  ist.  Und  wie  man  endlich 
der  mittelalterlichen  Philosophie  keineswegs  alle  Originalität  ab- 
sprechen   kann,    so   wird    man    auch    hier    Albertus   Magnus   und 


*)  S.  oben  S.  60  f. 

2)  S.  oben  S.  43   sowie  S.  49. 

3)  II,   II  q.    77,  a.    2,  ad  3. 

4)  Vgl.  hierzu  im  allgemeinen:  v.  Hertling,  Augustinus  -  Zitate  bei  Thomas 
v.  Aquin.     S.   558. 

5)  De  Wulf:  Histoire  de  la  philosophie  medievale,  S.  423:  »Enfin  il  a  etabli 
une  etroite  fusion  de  l'aristotelisme  avec  un  groupe  important  de  doctrines  reprises  de 
S.  Augustin «. 


Thomas  von  Aquin  eine  gewisse  Selbständigkeit  nicht  abstreiten 
dürfen.  Dafür  spricht  schon  die  Tatsache,  daß  ihre  Wertlehre 
wohl  in  erster  Linie  aus  den  wirtschaftlichen  Verhältnissen  des 
Mittelalters  erwachsen  ist. 

§  6.    Der  gerechte  Preis  im  Handel. 

Bereits  früher  ist  über  die  Bedeutung  gesprochen,  die  Thomas 
der  wirtschaftlichen  Funktion  des  Handels  beilegt1).  Wir  hatten 
sodann  gesehen,  daß  die  Tätigkeit  des  Händlers  sich  in  der  Weise 
vollzieht,  daß  durch  Kauf  und  Wiederverkauf  einer  Ware  ein 
Gewinn  erzielt  wird2). 

Wir  kommen  jetzt  zu  der  Frage:  ist  dieser  Gewinn  sittlich 
erlaubt?  Darf  der  Kaufmann  einen  Gewinn  berechnen,  ohne  gegen 
die  Grundsätze  der  Gerechtigkeit  zu  verstoßen?  Schließt  nicht 
vielleicht  die  Idee  des  justum  pretium  den  Handelsgewinn  aus? 

Die  aristotelischen  Gedanken  bewegen  sich  entschieden  in 
letzterer  Richtung3).  Es  ist  oben  gezeigt,  daß  Thomas  in  der 
Erfassung  der  wirtschaftlichen  Struktur  des  Handels  durchaus  auf 
Aristoteles  fußt.  Doch  folgt  er  ihm  in  der  sittlichen  Beurteilung 
desselben  nicht.  Hier  schließt  sich  Thomas  vielmehr  an  Augustinus 
an.  Es  ist  früher  darauf  hingewiesen,  wie  dieser  von  der  wirt- 
schaftlichen Bedeutung  des  Handels  ausgehend,  den  Handelsgewinn 
gewissermaßen  als  »gesellschaftlichen  Arbeitslohn«  rechtfertigt4). 
Dieser  augustinische  Gedanke  ist  für  die  Folgezeit  richtunggebend 
gewesen. 

Er  trat  Thomas  einmal  aus  Augustinus  selbst  entgegen;  dann 
war  aber  auch  die  ganze  bisherige  Beurteilung  des  Handels  in 
der  Scholastik  vor  Thomas  von  denselben  Prinzipien  getragen 
gewesen. 

Alexander  Halensis(f  1245)  kann  hier  in  gewisser  Beziehung 
als  typisch  gelten5).  Auf  Augustinus  sich  stützend,  nimmt  er  zu 
dem  bekannten  Worte  aus  Pseudo-Chrysostomus  Stellung,  daß  der 
Kaufmann  sündige,  der,  um  zu  gewinnen,  eine  Sache  unverändert 
weiter  verkaufe.  Er  verlangt  einmal,  daß  der  Händler  von  einer 
»necessaria  et  pia  causa«  geleitet  werde,  also  zwecks  Beschaffung 
des  Lebensunterhaltes  für  sich  und   seine  Familie   Handel  treibe, 


1)  Vgl.    S.    22  ff. 

2)  Vgl.  S.  31. 

3)  Vgl.  S.   26  f.  sowie  S.   29,  Anm.   2. 

4)  Vgl.  S.   ioff. 

s)  Vgl.  zum  Folgenden  Summa  theologica  III,  q.   50,  m.   I. 


—     76     — 

sowie  daß  er  auf  den  Nutzen  des  Staates  sehe,  »cui  conferunt 
negociationes«.  Im  übrigen  sei  ein  höherer  Verkaufs-  als  Einkaufs- 
preis gestattet  im  Hinblick  auf  die  Arbeit  des  Transportes  und 
die  Mühe  und  Sorge,  die  mit  der  Übernahme  der  Gefahr  der 
Aufspeicherung  der  Waren  verbunden  sei.  In  beiden  Fällen  ver- 
kaufe der  Händler  die  Sache  nicht  mehr,  »ut  integram  et  inmu- 
tatam  vendendo  lucretur«.  Die  Waren  seien  vielmehr  verändert, 
auch  wenn  sie  der  Substanz  nach  dieselben  geblieben  wären.  Ferner 
wird  vom  Kaufmann  Einhaltung  des  gerechten  Preises  verlangt1). 
Zumal  letztere  Bestimmung,  bemerkt  jedoch  Alexander,  werde 
häufig  nicht  eingehalten,  so  daß  der  Handel  kaum  ohne  Sünde 
betrieben  werden  könne2).  Die  prinzipielle  Anerkennung  des  Handels 
wird  jedoch  hiermit  keineswegs  aufgehoben. 

Diese  im  Kerne  augustinische  Beurteilung  des  Handels  — 
augustinisch  in  der  Einreihung  desselben  in  das  soziale  Ganze,  in 
der  Rechtfertignng  des  Gewinnes  als  Arbeitslohnes  —  erfuhr  auch 
unter  dem  Einflüsse  aristotelischer  Gedanken  keine  wesentlichen 
Veränderungen. 

Die  Auseinandersetzung  mit  Aristoteles  beginnt  bereits  bei 
Albertus  Magnus.  Der  Handelsgewinn  hat,  so  hebt  er  gelegentlich 
hervor,  Ähnlichkeit  mit  dem  Zins:  »Si  autem  spes  facit  usuram, 
tunc  negotiator  videtur  usurarius,  quia  sperat  accipere  ultra  sortem«. 
Und  doch  besteht  zwischen  Handels-  und  Zinsgeschäft  ein  tief- 
gehender Unterschied;  letzteres  ist  nach  natürlichem  und  gött- 
lichem Rechte  verboten,  ersteres  dagegen  gestattet3). 

Für  die  Rechtfertigung4)  des  Handels  ist  wieder  der  Gesichts- 
punkt entscheidend,  daß  derselbe  für  die  menschliche  Gesellschaft 
durch  Ausgleichung  des  Mangels  hier  und  des  Überflusses  dort 
unentbehrlich  und  von  großem  Nutzen  ist.  Vom  Boden  dieser 
wirtschaftlichen  Tatsache  aus  erfolgt  die  ethische  Beurteilung: 
»Adhuc  negotiationes  utiles  sunt  toti  terrae  asportando  abundantia 
in  terra  aliqua  et  reportando  deficientia:  nihil  autem  utilitati  commu- 
nitatis  deserviens  est  peccatum.  Ergo  negotiationes  tales  non  sunt 
peccatum :  non  ergo  generaliter  dicere  debuit  de  negotiatione,  quod 
esset  peccatum«. 

Wenn  daher  ein  Handelsgeschäft  als  unerlaubt  zu  bezeichnen 
ist,  so  liegt  das  nicht  am  Handel  als  solchem,  sondern  an  äußeren 

1)  Die  Bestimmung  desselben  s.  S.  62,  Anm.  4. 

2)  1.  c,  m.   2. 

3)  Sent.   III,  37;  a.    13. 

*■)  Vgl.  zum  Folgenden  Sent.   IV,   16  a.  46. 


—    11    — 

Umständen1).  Als  derartige  äußere  Umstände  möchte  Albertus 
als  für  seine  Zeit  (»temporibus  modernis«)  besonders  wichtig  folgende 
namhaft  machen:  i.  Momente,  die  in  der  Person  des  Handel- 
treibenden begründet  sind:  Ein  Geistlicher  oder  Mönch  darf  sich 
nicht  mit  Handelsgeschäften  befassen2).  2.  Umstände,  die  einen 
Handel  als  zeitlich  unerlaubt  erscheinen  lassen:  Das  Handeln  an 
Festtagen  ist  verboten.  Ferner  darf  dann  kein  Handel  getrieben 
werden,  wenn  dadurch  wahrscheinlich  eine  Teuerung  hervorgerufen 
würde;  wenn  z.  B.  jemand  alles  Getreide  gleich  nach  der  Ernte 
aufkaufen  wollte,  um  dann  den  Preis  steigern  zu  können.  3.  Der 
Handelsgewinn  ist,  und  darauf  kommt  es  hier  an,  nur  dann  erlaubt, 
wenn  bei  Kauf  und  Verkauf  einer  Ware  das  justum  pretium  bezahlt 
und  berechnet  wird.  Dieses  justum  pretium  bestimmt,  wie  früher 
dargelegt,  Albertus  Magnus  dahin:  »Justum  autem  pretium  est 
quod  secundum  aestimationem  fori  illius  temporis  potest  valere  res 
vendita.«  Der  erlaubte  Handelsgewinn  bedeutet  also  keine  Über- 
schreitung des  gerechten  Preises. 

Wenn  aber  Kauf  und  Verkauf,  die  beiden  commutationes, 
die  ein  Kaufmann  vornimmt,  sich  nach  den  Grundsätzen  der  Ge- 
rechtigkeit vollziehen,  so  gilt  vom  Handel  das,  was  vom  Tausche 
überhaupt  gilt,  daß  er  das  Zusammenleben  der  Bürger,  die  civi- 
litas,  nicht  nur  nicht  stört,  sondern  im  Gegenteil  begründet  und 
stärkt.  Und  wenn  es  das  Streben  der  Moral  ist,  das  menschliche 
Zusammenleben  zu  ermöglichen,  so  kann  vom  moralischen  Stand- 
punkt aus  um  so  weniger  gegen  den  Handel  eingewendet  werden. 

Den  angeführten  Gedanken  über  die  Wirkung  des  Tausches 
innerhalb  der  menschlichen  Gesellschaft  entnimmt  Albertus  Magnus 
der  Ethik  des  Aristoteles.  Er  geht  jedoch  weiter  als  letzterer 
und  wendet  ihn  auch  auf  den  Handel  an,  den  Aristoteles  in  der 
Politik,  die  Albertus  allerdings  noch  nicht  verwertet,  verwirft. 
In  bemerkenswerter  Weise  aber  werden  hier  schon  Augustinus 
und  Aristoteles  verschmolzen:  Man  sieht,  auch  bei  Aristoteles 
finden  sich  gewisse  Prinzipien,  aus  denen  heraus  der  Handel  ge- 
rechtfertigt werden  konnte. 

Hatte  die  Auseinandersetzung  der  augustinischen  Anschauung 
vom  Handel  mit  der  des  Aristoteles  bei  Albertus  Magnus  begonnen, 


J)  Das  folgende  bietet  Alexander  Halensis  bereits  in  ähnlicher  Zusammenstellung, 
nur  fügt  derselbe  noch  hinzu,  der  Handel  könne  unerlaubt  sein:  ex  circumstantia  con- 
sortii:  »cum  scilicet  carius  venditur  res  transeuntibus  quam  manentibus.«  S.  Th.  III,. 
q.   50,   m.    1. 

2)  Vgl.  c.  3,  C.    14,  q.  4.     Hier  wird  den  Geistlichen  der  Handel  verboten. 


—     7«     — 

so  wird  dieselbe  von  Thomas  vollendet  und  zum  Abschluß  ge- 
bracht, indem  er  die  grundlegenden  Ausführungen  der  aristo- 
telischen Politik  heranzieht. 

Im  Grunde  ist  die  Stellung,  die  Thomas  zum  Handelsgewinn 
einnimmt,  der  der  früheren  Scholastik  ähnlich.  Der  Kern  seiner 
Ausführungen  ist  wieder  der  augustinische  Gedanke,  daß  der 
Handel  für  die  menschliche  Gesellschaft  nutzbringend  ist  und  die 
menschliche  Gesellschaft  deshalb  dem  Kaufmann  eine  wirtschaft- 
liche Existenz  ermöglichen  muß.  Der  Handelsgewinn  erscheint 
wieder  als  »gesellschaftlicher  Arbeitslohn«.  Der  Handel  ist  erlaubt, 
sagt  Thomas,  »cum  aliquis  negotiationi  intendit  propter  publicam 
utilitatem,  ne  scilicet  res  necessariae  ad  vitam  patriae  desint,  et 
lucrum   expetit  non   quasi  finem,   sed  quasi   Stipendium  laboris« 1). 

An  einer  anderen  Stelle  heißt  es  ähnlich:  »illa,  sine  quibus 
non  potest  respublica  conservari,  non  sunt  vitia,  sed  magis  ad 
virtutem  ordinata.«  Zu  diesen  unentbehrlichen  Erwerbszweigen 
gehöre  auch  der  Handel:  »per  quam  necessaria  populo  procurantur«  2). 

Der  Handelsgewinn  hebt  die  Gerechtigkeit  des  Preises  nicht 
auf.  Freilich  könnte  es  so  scheinen;  denn  die  Erzielung  eines 
Gewinnes  ist  mit  dem  Gedanken  unvereinbar,  daß  ein  Gut  als 
solches  einen  bestimmten  gerechten  Preis  besitze,  einen  normalen 
Wert  habe,  so  wendet  Thomas  selbst  ein.  Beim  Handel  haben 
wir  es  mit  2  Preisen  zu  tun,  die  derselben  Ware  beigelegt  werden. 
Der  Gewinn  scheint  nur  erzielt  werden  zu  können,  wenn  eine 
Ware  zu  billig  eingekauft  und  zu  teuer  verkauft  wird3). 

Doch  bereits  oben  ist  darauf  hingewiesen  worden,  daß  Thomas 
einen  unveränderlichen  abstrakten  Wert  nicht  kennt.  Der  Markt- 
preis ist  vielmehr  nach  Ort  und  Zeit  verschieden4).  Und  wenn 
ein  Händler  durch  Ausnützung  dieser  Verschiedenheiten  einen 
Gewinn  erzielt,  so  ist  dies  durchaus  gestattet. 

Der  Handelsgewinn  ferner  ist  nach  dem  eben  gebrachten  Zitat 
im  letzten  Grunde  Arbeitslohn,  und  wenn  im  Tausche  nach  dem 
Wertgesetz  eine  Wiedervergeltung  von  Arbeit  und  Kosten  statt- 
finden soll,  wenn  die  Güter  ausgetauscht  werden  sollen  nach  den 
verhältnismäßigen  Kosten,  dann  darf  auch  der  Kaufmann  für 
seine  Mühewaltung  einen  Lohn  berechnen,  der  als  Wieder- 
erstattung seiner   Arbeit  erscheint.      Und    insofern    der   Handels- 


J)  II,   II  q.   77,  a.  4.  c.     Vgl.  S.  21  ff. 

2)  Sent.   IV,    16,  q.   4,  a.    2.   3. 

3)  II,  II  q.  77,  a.  4.  ob.  2. 

4)  Vgl.  oben  S.  56  sowie  die  folgende  Anmerkung. 


—     79     — 

gewinn  als  Arbeitslohn  erscheint,  steht  er  im  Einklang  mit  dem 
Wertgesetz,  er  wird  gerechtfertigt  aus  dem  Gesichtspunkt  der 
Wertlehre  heraus.  Es  liegt  hier  eine  bedeutungsvolle  Anwendung 
der  Grundsätze  des  iustum  pretium  vor.  Wenn  es  gestattet  ist, 
schon  dann,  wenn  jemand  durch  Zufall  veranlaßt  wird,  ein  ge- 
kauftes Gut  wieder  zu  verkaufen,  ohne  an  den  früheren  Preis  ge- 
bunden zu  sein,  einen  höheren  zu  fordern,  wenn  der  Preis  sich 
inzwischen  verändert  hat,  oder  der  Transport  mit  Gefahren  ver- 
bunden war,  für  die  ein  Entgelt  beansprucht  werden  darf,  so  darf 
mit  noch  größerem  Rechte  im  Hinblick  auf  die  volkswirtschaft- 
liche Unentbehrlichkeit  des  Handels  der  Händler  einen  höheren 
Verkaufs-  als  Einkaufspreis  berechnen1). 

Der  Handelsgewinn  kann  also  an  sich  nicht  abgelehnt  werden. 
Ob  im  einzelnen  Falle  der  Kaufmann  in  erlaubter  oder  unerlaubter 
Weise  Gewinn  bezieht,  muß  nach  anderen  Umständen  beurteilt 
werden.  Der  Handel  wird  zunächst  nur  dann  erlaubt  sein,  wenn 
der  Kaufmann  sich  fernhält  von  Übervorteilung  des  Nächsten2). 
Bei  Einkauf  und  Verkauf  bleibt  er  an  das  iustum  pretium  gebunden. 
Der  Gewinn  insbesondere  soll  sich  in  mäßigen  Grenzen  halten. 
Thomas  billigt  dem  Kaufmann  nur  ein  moderatum  lucrum  zu3), 
ähnlich  wie  schon  Plato  nur  ein  xegöog  justqiov  gestatten  wollte. 
Der  Handel  soll  nicht  zu  übermäßiger  Bereicherung  führen. 

Dazu  kommt  vor  allem  ein  anderer  Gesichtspunkt.  Im  Handel 
verkörpert  sich  das  Streben  nach  Gewinn.  Freilich  ist  letzteres 
nicht  allein  mit  dem  Handel  verknüpft;  es  findet  sich  auch  z.  B. 
beim  Handwerker,  der  einen  Gegenstand  kauft,  um  ihn  verarbeitet 
teuerer  mit  möglichst  viel  Gewinn  zu  verkaufen4).  Aber  im  letz- 
teren  Fall   hat   der   erzielte  höhere  Preis   doch  weniger  Gewinn- 

*)  1.  c.  ad  2:  »Ad  secundum  dicendum,  quod  non  quicumque  carius  vendit  aliquid 
quam  emerit,  negotiatur,  sed  solum  qui  ad  hoc  emit,  ut  carius  vendat.  Si  autem  emit 
rem,  non  ut  vendat,  sed  ut  teneat  et  postmodum  propter  aliquam  causam  eam  vendere 
velit,  üon  est  negotiatio,  quamvis  carius  vendat.  Potest  enim  hoc  licite  facere,  vei  quia 
in  aliquo  rem  melioravit,  vel  quia  pretium  rei  est  mutatum  secundum  diversitatem  loci  vel 
temporis  vel  propter  periculum,  cui  se  exponit  transferendo  rem  de  loco  ad  locum  vel 
etiam  ferri  faciendo.     Et  secundum  hoc  nee  emptio  nee  venditio  est  iniusta.« 

2)  cf.  Quodlib.  II,  a.  io,  c.  Sent.  IV,  16,  q.  4.  3.  Als  Bedingungen,  unter  denen 
der  Handel  erlaubt  ist,  werden  hier  aufgeführt:  »quod  .  .  .  negotiator  non  habeat  con- 
ditionem  in  se,  quae  ipsum  ab  officio  hoc  prohibeat  sicut  clericis  et  monachis  non  licet 
negotiari,  quamvis  liceat  propria  vendere,  et  quod  tempore  debito  mercationes  faciant, 
non  diebus  festivis  et  tempore,  quo  caristiam  inducere  possit,  tale  officium  exercetur  et 
modus  debitus,  ut  sine  fraude  fiat  et  secundum  licitum  contractum.« 

3)  II,  II  q.   77,  a.  4  c. 

4)  II,   II   141,  a.  6,  ad  I:   »aedificatoris  finis  quandoque  est  lucrum.« 


—     8o     — 

Charakter1).  Vielmehr  tritt  gerade  beim  Handel  das  Gewinnstreben 
besonders  deutlich  hervor.  Diesem  Streben  nach  Gewinn  steht 
Thomas  nicht  besonders  wohlwollend  gegenüber2).  Der  Handel 
sagt  er,  »iuste  vituperatur,  quia  quantum  est  de  se,  deservit  cupi- 
ditati  lucri,  quae  terminum  nescit,  sed  in  infinitum  tendit.  Et 
ideo  negotiatio  secundum  se  considerata  quandam  turpidinem 
habet«,  soweit  schließt  sich  Thomas  fast  wörtlich  an  Aristoteles  an. 
Er  weist  aber  dessen  gegen  den  Handel  gerichtete  Schlußfolge- 
rungen sogleich  zurück,  indem  er  seinen  Worten  hinzufügt:  »in- 
quantum  non  importat  de  sui  ratione  finem  honestum  vel  neces- 
sarium«3). Entscheidend  für  die  Erlaubtheit  einer  Gewinnerzielung 
ist  ihm  also  der  innere  Zweck,  den  der  Händler  verfolgt.  Die 
äußere  wirtschaftliche  Tatsache  des  Gewinnerzielens  ist  etwas  ethisch 
Indifferentes:  »lucrum  tarnen,  quod  est  negotiationis  finis,  etsi  in  sui 
ratione  non  importet  aliquid  honestum  vel  necessarium,  nihil  tarnen 
importat  in  sui  ratione  vitiosum  vel  virtuti  contrarium«4).  Das 
Streben  nach  Gewinn  um  des  Gewinnes  willen  ist  unerlaubt.  Der 
Kaufmann  darf  den  Gewinn  nicht  als  Endzweck,  als  finis  »ultimus« 
setzen5).  Er  muß  seinem  Streben  einen  andern  Zweck  unterlegen, 
der  im  Gegensatze  zum  ersteren  ein  finis  honestus  vel  necessarius 
ist.  So  wenn  der  Händler  den  Unterhalt  seiner  Familie  oder  den 
Unterhalt  von  Armen  erzielen  will  oder,  wenn  ihn  die  Absicht 
leitet,  seinem  Vaterlande  durch  Herbeischaffung  der  Lebensmittel 
zu  dienen6).  Aristoteles  hat  recht,  so  können  wir  sagen,  wenn  er 
das  grenzenlose  Streben  nach  Gewinn  um  des  Gewinnes  willen 
verwirft,  aber  unrecht  ist  es,  diese  Gesinnung  jedem  Händler  not- 
wendig zuzuschreiben.  Die  äußere  Tatsache  der  Gewinnerzielung 
kann   sehr   wTohl    aus    einer    andern   innern   Absicht   hervorgehen. 


x)  II,  II  q.  77,  a.  4,  ad  i :  »si  enim  rem  in  melius  mutatam  carius  vendat, 
videtur  praemium  sui  laboris  accipere.« 

2)  Vgl.  zum  folgenden:  Hilgenreiner,  Die  Erwerbsarbeit  usw.,  S.  142  f., 
Walter,  a.  a.  O.  S.  6of.,  Schaub,  Eigentumslehre,  S.  415,  Baumann,  a.  a.  O. 
S.   194  ff. 

3)  IT,   II  q.   77,  a.  4  c. 

4)  1.  c. 

5)  1.  c,  ad   1. 

6)  1.  c. :  »unde  nihil  prohibet,  lucrum  ordinari  ad  aliquem  finem  necessarium  vel 
etiam  honestum;  et  sie  negotiatio  licita  reddetur.  Sicut  cum  aliquis  lucrum  moderatum, 
quod  negotiando  quaerit,  ordinat  ad  domus  suae  sustentationem  vel  etiam  ad  subvenien- 
dum  indigentibus  vel  etiam  cum  aliquis  negotiationi  intendit  propter  publicam  utilitatem, 
ne  scilicet  res  necessariae  ad  vitam  patriae  desint,  et  lucrum  expetit  non  quasi  finem, 
sed  quasi  Stipendium  laboris«,  vgl.  S.   78. 


Wenn  Brentano  in  seinen  früher  angeführten  Schriften  in 
diesem  Punkte  die  mittelalterliche  und  moderne  Auffassung  vom 
Wirtschaftsleben  einander  gegenüberstellt,  daß  nämlich  das  Mittel- 
alter das  Streben  nach  Gewinn  verworfen  habe,  die  moderne 
Nationalökonomie  es  einfach  als  Tatsache  hinnehme,  so  ist  dies 
sicher  richtig.  Es  besteht  ein  tiefgehender  Unterschied  zwischen 
der  thomistischen  Ethik  und  dem  modernen  kapitalistischen  Geiste. 

Aber  dieses  Ablehnen  des  grenzenlosen  Gewinnstrebens  und 
die  Beschränkung  des  Händlers  auf  den  standesgemäßen  Lebens- 
unterhalt entspricht  bei  Thomas  in  etwa  den  wirtschaftlichen  Zu- 
ständen. Mochten  die  bezeichneten  Ideen  in  der  altkirchlichen 
Zeit  aus  einer  Reaktion  des  Christentums  gegen  das  entartete 
kapitalistische  Wirtschaftsleben  entstanden  sein,  so  hatten  sich  für 
Thomas  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  dem  dort  vorgezeichneten 
Bilde  in  bedeutendem  Maße  angepaßt. 

Vielleicht  hat  Sombart  das  Bild  des  mittelalterlichen  Handels 
etwas  verzeichnet.  Ganz  unrecht  dürfte  ihm  jedenfalls  nicht  zu 
geben  sein,  wenn  er  betont,  daß  der  Handel  während  des  euro- 
päischen Mittelalters  ein  durchaus  handwerksmäßiges  Gepräge 
getragen  habe1),  daß  dem  Händler  nichts  ferner  gelegen  habe  wie 
Gewinnstreben,  daß  vielmehr  seine  ganze  Tätigkeit  von  der  Idee 
der  Nahrung  beherrscht  gewesen  sei2).  Es  mag  sich  im  Handel 
zu  jeder  Zeit  ein  gewisses  kapitalistisches  Gewinnstreben  gefunden 
haben,  und  die  Zersetzung  des  mittelalterlichen  Wirtschaftslebens, 
soweit  es  auf  dem  Prinzip  der  Bedarfsdeckung  aufgebaut  war, 
gerade  aus  dem  Handel  heraus  erfolgt  sein,  indem  einzelne  durch 
den  Handel  zu  größerem  Reichtum  gelangten,  den  sie  dann 
kapitalistisch  verwerten  konnten  3).  Ja,  es  wäre  aus  diesem  Gesichts- 
punkte heraus  ein  Mißtrauen  dem  Handel  gegenüber  um  so 
mehr  verständlich,  als  derselbe  in  gewissem  Sinne  ein  fremdartiges 
Moment  im  Wirtschaftsleben  war.  Aber  sicher  entsprachen  die 
tatsächlichen  Verhältnisse  in  vielen  Fällen  dem  gewünschten  Ideal, 
und  im  übrigen  werden  wir  es  auch  aus  rein  wirtschaftlichen 
Erwägungen  heraus  verstehen  können,  wenn  die  Forderung  erhoben 
wurde,  den  Handel  organisch  in  das  Wirtschaftsleben  einzufügen, 
ihn  nach  dem  Bilde  des  .Handwerks'  zu  formen. 

Thomas  erwartet  vom  Streben  nach  Gewinn  keine  Harmonie 


J)  Der  moderne  Kapitalismus,  I,  S.   165. 

2)  a.  a.  O.  S.   174. 

3)  Vgl.    die  Kritik  der  Sombartschen  Theorie  bei  Strieder:    Zur  Genesis  des 
modernen  Kapitalismus,   1904,  S.  37  ff. 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  1.  6 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


—       82       — 

des  Wirtschaftslebens.  Es  ist  bereits  oben  die  Stelle  angeführt 
worden,  wo  er  die  Wirkungen  des  Erwerbstriebes,  der  cupiditas 
lucri,  für  die  menschliche  Gesellschaft  schildert.  Das  Erwachen  des 
Handelsgeistes  führt  zu  einer  Zersetzung  des  Zusammenlebens,  der 
einzelne  folgt  lediglich  seinen  Interessen,  ohne  an  das  Gemeinwohl 
zu  denken;  Laster,  Betrug  finden  Eingang,  »ut  omnia  fiant  venialia«  1). 

Hiermit  hängt  es  zusammen,  daß  den  Geistlichen  der  Handel 
verboten  sein  soll.  Dem  Gewinnstreben  haftet  eine  species  mali  an. 
Es  führt  leicht  zu  sündhaften  Geschäften2).  Der  Handel  ist  mit 
dem  geistlichen  Stande,  der  eine  Ausnahmestellung  einnimmt,  un- 
vereinbar, weil  er  den  Geist  zu  sehr  in  Anspruch  nimmt,  so  daß  vor 
lauter  irdischer  Sorge  der  eigentliche  Beruf  vernachlässigt  würde3). 

Hinsichtlich  der  Stellung  zum  Handel  bedeutet  Thomas  den 
Abschluß  der  vorangegangenen  Entwicklung.  In  der  Auffassung 
des  Handels  seiner  wirtschaftlichen  Seite  nach  schließt  er  sich 
wesentlich  an  Aristoteles  an.  Auch  der  patristischen  Zeit,  besonders 
Augustinus  werden  hinsichtlich  der  volkswirtschaftlichen  Funktion 
des  Handels  wichtige  Gesichtspunkte  entnommen.  In  der  sittlichen 
Beurteilung  weicht  er  von  Aristoteles  ab,  kommt  ihm  freilich 
wenigstens  insofern  entgegen,  als  er  dem  Handelsgewinn  eine  gewisse 
species  mali4)  zuschreibt.  Die  Verschiedenheit  zwischen  der  An- 
erkennung des  Handels  hier  und  seiner  Ablehnung  dort  wird  damit 
allerdings  nicht  überbrückt.  In  der  Beschränkung  des  Handels- 
gewinnes auf  den  standesgemäßen  Lebensunterhalt  kommt  Augustins 
Ideal  zum  Ausdruck,  wie  auch  die  prinzipielle  Auffassung  des 
Gewinnes  als  Arbeitslohnes  augustinischen  Ideen  entspringt. 

Finden  sich  in  der  patristischen  Zeit  Äußerungen,  die  den 
Handel  völlig  ablehnen,  oder  doch  abzulehnen  scheinen,  so  werden 
diese  bei  Thomas  dadurch  überwunden,  daß  er  sie  dahin  deutet, 
sie  bezögen  sich  nur  auf  den  Handel,  dessen  letztes  Ziel  im 
Gewinn  bestände.  Dies  geschieht  z.  B.  mit  dem  oben  berührten 
Satze  aus  dem  Op.  imperf.,  das  auch  von  Thomas  irrtümlicher- 
weise dem  Chrysostomus  beigelegt  wird5).  In  allem  waren 
freilich    die    Scholastiker    vor    Thomas,    wie    Alexander    Halensis, 


x)  De  reg.  princ.   II,  c.  3,  vgl.  oben  S.   23. 

2)  Vgl.  Sent.  IV,  16,  q.  4,  a.  2,  3,  wo  der  Handel  zu  den  Erwerbszweigen  gezählt 
wird:   »quae  habent  peccatum  annexum,  quamvis  quandoque  sine  peccato  exerceri  possunt«. 

3)  II,  II  q.  77,  a.  4,  ad.  3.  Ferner  Quodl.  VII,  a.  12:  saecularia  esse  negotia, 
quae  fiunt  causa  pecuniae  coli  igen dae  sine  opere  manuali,  ut  per  mercationem  et 
huiusmodi,  a  quibus  servi  Dei  se  debent  penitus  abstinere«. 

4)  Vgl.  Anmerkung  3. 

5)  II,  II  q.   y/t  a.  4,  ad.   I.  vgl.  ib.  ob.   1. 


—     83     - 

Albertus  Magnus  ihm  bereits  mehr  oder  weniger  vorausgegangen. 
Thomas  überragt  sie  jedoch  darin,  daß  er  die  aristotelischen 
Gedanken  tiefer  auffaßt  und  eine  volle  Auseinandersetzung  der- 
selben mit  dem  alten  augustinischen  Ideenkreise  herbeiführt,  was 
speziell  Albertus  Magnus  zwar  angebahnt,  aber  in  noch  mehr 
äußerlicher  und  unvollkommener  Weise  getan  hatte1). 

§  7.     Die  Lehre  vom  gerechten  Arbeitslohn. 

Über  die  Höhe  des  gerechten  Lohnes  ist  im  Vorstehenden  schon 
nach  einer  Seite  hin  gehandelt  worden.  Indem  für  den  Tausch  Wieder- 
vergeltung von  Arbeit  und  Kosten  gefordert  wird,  wird  zugleich  damit 
verlangt,  daß  der  betreffende  Produzent  oder  Händler  außer  dem 
Ersatz  seiner  Kosten  noch  eine  Vergütung  für  seine  Arbeit  erhalten 
solle.  Die  Höhe  derselben  beläuft  sich,  wie  gezeigt  ist,  auf  den 
standesgemäßen  Lebensunterhalt.  Der  Lohn  wird  in  dem  Preise  der 
Waren  bezahlt  und  ist  so  ein  notwendiger  Bestandtteil  des  Wertes. 

Eine  ganz  besondere  Bedeutung  erhält  aber  die  Lehre  vom 
Lohn  dann,  wenn  es  sich  um  einen  Lohnvertrag  handelt.  Hier 
wird  der  einzelne  nicht  in  der  Weise  betrachtet,  daß  er  innerhalb 
der  Gesellschaft  arbeitend  für  seine  Arbeit  ein  bestimmtes  Ein- 
kommen erhält,  das  er  durch  Verkauf  seines  Arbeitsproduktes 
gewinnt;  sondern  hier  wird  die  Arbeit  selbst  zur  Ware,  nach 
deren  gerechtem  Preis  gefragt  wird2).  Es  handelt  sich  um  den 
Lohnvertrag  zwischen  2  Personen:  Einer  überläßt  einem  andern 
seine  Arbeitskraft  gegen  Entgelt. 

Ein  Lohnvertrag  kann  bei  ökonomisch  ganz  verschieden 
gestellten  Ständen  vorliegen.  Vor  allem  kommen  die  Arbeiter, 
wie  Tagelöhner  usw.  in  Betracht.  Ihre  ökonomische  Lage  charak- 
terisiert Thomas  mit  den  Worten:  »Mercenarii,  qui  locant  operas 
suas,  pauperes  sunt,  de  laboribus  suis  victum  quaerentes  quoti- 
dianum«3).     Sie  sind  also  auf  das  Existenzminimum  beschränkt. 


1)  Dieselben  Bestimmungen,  wie  für  den  Handel,  gelten  auch  für  das  Geschäft 
der  campsores  (vgl.  S.  31).  Freilich  beachtet  Thomas  in  der  Summa  in  seiner  weiteren 
Darstellung  nur  den  Warenhandel.  Auf  die  eigenartige  Natur  des  Geldwechselgeschäftes 
kommt  er  nur  im  Kommentar  zur  Politik  zu  sprechen:  Hiernach  ist  dasselbe  erwachsen 
aus  der  zufälligen  Beobachtung:  »quod  ex  aliquibus  terris  in  alias  aliqui  denarios  trans- 
feientes,  carius  eos  expenderint,  quam  acceperint.«  Wie  also  der  Kaufmann  durch  Aus- 
nützung der  Verschiedenheit  der  Warenpreise  an  den  einzelnen  Orten  seinen  Gewinn  er- 
zielt, so  der  Wechsler  durch  Ausnützung  der  Kursverschiedenheiten  der  Münzen.  (C.  i. 
Ar.   Pol.   I.  1   VII  g.) 

2)  Über  die  Lehre  vom  gerechten  Lohn  handelt  vor  allem  Hilgenreiner, 
a.  a.  O.    S.  1 39 ff.     Vgl.  ferner  Kostanecki:  Arbeit  und  Armut  (Freiburg  1909)  passim. 

3)  I,  II,  105,  a.  2,  ad.  6.  Über  das  Verhältnis  von  Arbeit  und  Armut  vgl. 
Kostanecki,  a.  a.  O.  passim. 

6* 


-     84     - 

Ihnen  gegenüber  stehen  die  anderen  Klassen,  wie  Aerzte, 
Advokaten  usw.,  die  ebenfalls  von  ihren  Arbeitsleistungen  leben. 
Die  Existenz  derselben  ist  möglich  durch  die  Arbeitsteilung;  sie 
leben  dann  von  der  wirtschaftlichen  Arbeit  anderer.  Dies  ist  aber 
nur  berechtigt,  wTenn  sie  ihre  Dienste  für  die  Gesamtheit  ver- 
wenden. Thomas  unterscheidet  sich  hier  von  Aristoteles,  der  den 
Gelderwerb  aus  geistiger  Arbeit  als  unsittlich  ablehnt 1).  Übrigens 
nimmt  bereits  Augustinus  eine  freiere  Stellung  ein 2).  Die  ökono- 
mische Lage  dieser  Klassen  ist  selbstverständlich  eine  ganz  andere 
wie  die  der  gewöhnlichen  Handarbeiter. 

Die  vertragsmäßige  Natur  dieses  Arbeitsverhältnisses  hebt 
Thomas  deutlich  hervor;  »pactum  intervenit  inter  operantem  et 
eum,  cui  operatur« 3).  Es  handelt  sich  näherhin  um  einen  Tausch- 
vorgang zwischen  dem  Arbeitgeber  und  dem  Arbeitnehmer,  in 
welchem  ersterer  dem  letzteren  zahlt,  was  seine  Arbeit  wert 
ist:  .  .  .  »commutatio  proprie  est,  quando  ex  mutuis  operibus  fit 
aliquid  alicui  debitum,  sicut  ex  hoc,  quod  unus  laboravit  in  vinea 
alterius,  alter  constituitur  sibi  debitor  in  tanto,  quantum  valet 
labor  eius,  et  in  his  dirigit  commutativa  iustitia«  4). 

Die  Arbeit  erscheint  also  als  etwas,  was  einen  bestimmten 
Wert  hat:  wie  für  jede  andere  Ware  wird  für  die  Arbeit  ein 
Preis  gezahlt,  und  eben  letzteres  ist  der  Lohn:  »Id  enim  merces 
dicitur,  quod  alicui  recompensatur  pro  retributione  operis  vel  laboris 
quasi  quoddam  pretium  ipsius« 5).  Und  wenn  im  Tauschvertrage 
ein  justum  pretium  gefordert  wird,  so  gilt  dasselbe  vom  Lohn- 
vertrage: es  gibt  auch  einen  gerechten  Preis  der  Arbeit.  So  fährt 
Thomas  an  derselben  Stelle  fort:  »Unde  sicut  reddere  iustum 
pretium  pro  re  accepta  ab  aliquo  est  actus  iustitiae,  ita  etiam 
recompensare  mercedem  operis  vel  laboris  est  actus  iustitiae«. 

Näherhin  hat  der  Arbeitsvertrag  den  Charakter  eines  Miet- 
vertrages, einer  locatio  et  conductio.  Das  Wesen  des  Mietvertrages 
—  es  wird  später  darauf  zurückzukommen  sein,  —  besteht  darin, 
daß  der  Eigentümer  einer  Sache  unter  Festhaltung  des  Eigentums 
an  derselben  einem  anderen  die  Nutznießung  überläßt.    Es  handelt 


2)  Vgl.  Aristoteles,  pol.  i,  3  (§  19).  Ferner  Thomas:  S.  c.  g.  III,  15;  Quod. 
VII,  18;  Sent  III,  37,  a.  5  q.  2,  ad.  2.  und  sonst  häufig.  Siehe  hierzu  des  Näheren 
Maurenbrecher,  a.  a.  O.     S.  36. 

2)  Ep.   153.  (M.  XXXIII,  663  f.). 

3)  Op.  XIX,  c.   7. 

4)  Sent  III,   33,  3,  a.  4. 

6)   I,  II,    114,   1.  c.     Vgl.  Hilgenreiner,  a.  a.  O.     S.    141  f. 


-     85     — 

sich  also  um  Dinge,  die  wie  Häuser,  Acker,  usw.  dauernder 
Nutzung  fähig  sind:  Die  Substanz  des  Hauses  bleibt,  abgesehen 
von  etwaiger  Abnutzung,  bestehen;  sie  wird  dem  Vermieter 
zurückgegeben.  Hiervon  getrennt  wird  der  Nutzen  vertragsmäßig 
überlassen  und  ihm  ein  bestimmter  Preis  zugesprochen1). 

Der  Lohnvertrag  hat  nun,  sagt  Thomas,  wohl  im  Anschluß 
an  das  römische  Recht2)  Ähnlichkeit  mit  einer  locatio:  Jemand 
überläßt  einem  andern  gegen  Entgelt  die  Nutzung  seiner  Arbeits- 
kraft. Ja,  Arbeitskraft  und  vermietbare  Dinge  werden  direkt 
miteinander  verglichen:  »sicut  aliquis  mercenarius  locat  operas 
suas,  ita  etiam  aliqui  locant  domum  vel  quaecumque  alia 
huiusmodi«  3). 

In  diesem  Sinne  spricht  Thomas  sowohl  von  den  höheren 
Berufen,  daß  sie  eine  locatio  ihrer  Arbeitskraft  vornehmen,  als 
auch  von  den  »mercenarii,  qui  operas  suas  locant«4). 

Von  seiten  der  Arbeitgeber  entspricht  der  Vermietung  die 
conductio:  »Manifestum  est  autem,  quod  obsequium  hominis  ad  ali- 
quam  utilitatem  ordinatur,  quae  potest  pretio  pecuniae  aestimarit 
unde  et  pecuniaria  mercede  ministri  conducuntur« 5). 

Die  Gerechtigkeit  des  Lohnes  besteht  wie  beim  Tausch  in 
der  Gleichheit  von  Leistung  und  Gegenleistung6). 

Die  Bestimmungen,  die  Thomas  über  die  Höhe  des  Lohnes 
gibt,    sind  spärlich.     Doch  finden  sich  einige  wichtige    Prinzipien. 

Der  Begriff  der  Gleichheit  der  Wiedervergeltung  im  Arbeits- 
vertrage schließt  zunächst  ein,  daß  der  Lohn,  dem  verchiedenen 
Wert  der  einzelnen  Arbeiten  entsprechend,  verschieden  bemessen 
sein  muß:  »Merces  proportionatur  merito,  cum  in  retributione  mer- 
cedis  aequalitas  iustitiae  observetur« 7).  Die  leitende  Arbeit  ist  dem- 
gemäß höher  zu  entlohnen  als  die  ausführende,  trotz  der  geringeren 
körperlichen  Arbeit  im  ersteren  Falle.  So  ist  z.  B.  beim  Bau  eines 
Hauses  dem  Baumeister  höherer  Lohn  zu  zahlen,  als  den  Hand- 
arbeitern, die  sich  nur  mit  dem  Behauen  der  Steine  und  dem 
Anfertigen  des  Bauholzes  befassen8). 

1)  Vgl.  II,   II,   78  a.   1.  c. 

2)  Vgl.  z.  B.  1.  38.  D.  19,  2:  »Qui  operas  suas  locavit,  totius  temporis 
mercedem  accipere  debet«. 

3)  I,  II,   105,  a.   2.  ob.  6. 

4)  Vgl.  z.  B.  De  reg.  princ.  I,   10.  Quod.  VIII.  a.  11.    Vgl.  oben  S.  83,  Anra.  4. 

5)  U,  II,   100,  a.  5.  c. 

8)  Vgl.  i.  vor.     III,  49,  a.  6.  c. 

7)  S.  c.  g.  III,  149.  Cf.  I.  ad.  Cor.  c.  III.  1.  2.  »maior  labor  maiorem  mercedem 
meretur.« 

8)  Quodl.  I,  a.   14. 


—     86     — 

Die  absolute  Höhe  des  Lohnes  ergibt  sich  aus  dem  ganzen 
Zwecke  der  Arbeit.  Soll  letztere  dem  Erwerb  des  Lebensunter- 
haltes dienen,  so  ist  damit  schon  gesagt,  daß  eben  jener  Lebens- 
unterhalt der  gerechte  Lohn  der  Arbeit  sei.  In  diesem  Sinne 
sagt  Thomas:  »ius  naturale  habet,  quod  homo  vivat  de  labore 
suo.  Dignus  est  enim  operarius  mercede  sua.  Hoc  enim  concessum 
est  homini  a  creatore.     In  sudore  etc.  Gen.  3«1). 

Lebensunterhalt  und  Lohn  werden  geradezu  gleichgesetzt: 
Den  Geistlichen  wird  Unterhalt  geschuldet  »quasi  merces«2).  Die 
Leistung  der  Arbeit  gibt  ein  unbedingtes  Recht  auf  Unterhalt : 
»  .  .  .  constat  quod  militi  cuilibet  et  plantatori  vineae  et  pastori 
gregis  debetur  victus  ex  suo  opere  propter  hoc,  quod  in  opere 
laborant«3). 

Nun  ist  selbstverständlich  der  Lebensunterhalt  nicht  für  alle 
Menschen  gleich.  Ein  Arzt  z.  B.  stellt  höhere  Ansprüche  als  ein 
Tagelöhner.  Und  so  kommt  in  die  Bestimmung  des  gerechten 
Lohnes  wieder  der  Standesbegriff  hinein  :  es  erscheint  also  für  jeden 
Beruf  der  Lohn  als  gerecht,  der  eine  standesgemäße  Lebenshal- 
tung sichert.  Es  kommt  also  auf  die  Stellung  an,  die  dem  Berufe 
im  Rahmen  der  Gesellschaft  zukommt.  So  erklärt  Thomas  z.  B. 
das  pretium  der  Tätigkeit  des  Arztes  für  gerechtfertigt:  »dum  ta- 
rnen moderate  accipiant  considerata  conditione  personarum  et  ne- 
gotiorum et  laboris  et  consuetudine  patriae«4).  Von  den  anderen 
Bedingungen  abgesehen,  ist  also  vor  allem  die  consuetudo  patriae 
maßgebend.  Fordern  daher  z.  B.  Advokaten  mehr  als  ihnen  zu- 
gebilligt ist,  so  bedeutet  dies  einen  Verstoß  gegen  die  Gerechtig- 
keit: »Si  autem  per  improbitatem  aliquid  immoderate  extorqueant, 
peccant  contra  iustitiam«5).  Der  Lebensunterhalt,  den  die  Tage- 
löhner für  ihre  Arbeit  bekommen,  beschränkt  sich  nach  der  früher 
zitierten  Stelle  auf  den  täglichen  Bedarf,  den  victus  quotidianus. 
Freilich  ist  damit  wenig  Bestimmtes  gesagt.  Thomas  lobt  im 
Anschlüsse  daran  die  Forderung  des  alten  Testamentes,    den  Ar- 


1)  Quod.  XII.  a.  30. 

2)  Op.  XIX.  c.  7. 

3)  1.  c. 

4)  II,  II,  71.  a.  4.  c. 

5)  1.  c.  Ähnliche  Äußerungen  finden  sich  z.  B.  bei  Hostiensis:  De  poenit.  et 
remiss.  32  (1784b)  oder  bei  Vincentius  Bellov.  Spec.  doctrinale  X,  88  (9451).  Ersterer 
fügt  noch  hinzu,  die  Advokaten  könnten  auch  durch  Preisunterbietung  sündigen:  »quia 
ubi  est  copia  advocatorum,  ut  aliis  lucrum  subtrahant,  qui  boni  sunt,  parvissimo  salario 
sunt  contenti  tanqam  viles  et  abiecti«. 


-     87     - 

beitern  den  Lohn  sogleich  auszuzahlen:  »Ideo  lex  provide  ordinavit, 
ut  statim  eis  merces  solveretur,  ne  victus  eis  deficeret« 1). 

Gerade  die  Behandlung  des  Lohnes  der  arbeitenden  Klassen 
ist  für  unser  Empfinden  ziemlich  dürftig.  Dies  hat  wohl  darin 
seinen  Grund,  daß  ein  Arbeiterstand  in  unserem  Sinne  in  der 
damaligen  Zeit  höchstens  in  sehr  geringem  Umfange  existierte 
und  seine  Lage  im  Rahmen  der  Gesellschaft  nicht  so  war,  daß 
ein  zu  erörterndes  Problem  sich  ergeben  hätte.  Übrigens  ist  mit 
der  Einbeziehung  des  Lohnes  in  den  Ideenkreis  der  Lehre  vom 
gerechten  Preis  ein  sozial  bedeutungsvolles  Prinzip  ausgesprochen, 
wie  sich  zeigen  wird. 

Die  Stellung,  die  Thomas  zur  Sklaverei  einnimmt,  kann  in 
diesem  Zusammenhange  nicht  behandelt  werden2). 

Der  Arbeit  wird  also  ein  bestimmter  valor  zugesprochen  und 
ein  iustum  pretium  derselben  gefordert.  Dieses  nötigt  uns,  die 
Lehre  vom  Lohn  im  Rahmen  der  allgemeinen  Wertlehre  zu  be- 
trachten. Der  Wert  der  Waren  bemißt  sich,  wie  wir  sahen,  nach 
der  Summe  von  Arbeit  und  Kosten,  die  zu  ihrer  Herstellung  er- 
forderlich sind.  Ebenso  bemißt  sich  der  Wert  der  Arbeit,  die 
Höhe  des  Lohnes,  nach  objektiven  Faktoren,  dem  Lebensunterhalt, 
also  nach  ihren  Produktionskosten.  Oben  war  ferner  gezeigt 
worden,  daß  von  der  Befolgung  des  Wertgesetzes  die  Aufrecht- 
erhaltung der  Arbeitsteilung  im  Organismus  der  Volkswirtschaft, 
sowie  die  Erreichung  des  standesgemäßen  Einkommens  für  den 
Einzelnen  erwartet  wird.  Von  der  Zahlung  des  gerechten  Lohnes 
verspricht  sich  Thomas  dasselbe.  Es  handelt  sich  also  um  einen 
speziellen  Fall  des  allgemeinen  Wertgesetzes,  indem  im  Grunde 
nur  dasselbe  Prinzip  aufgestellt  wird,  ohne  dessen  Befolgung  die 
Existenz  der  arbeitenden  Klassen  nicht  denkbar  ist.  So  betrachtet, 
liegt  im  thomistischen  Lohngesetz  nichts  anderes  vor,  als  eine 
Weiterführung  des  paulinischen  Gedankens,  daß  jeder  Arbeiter 
seines  Lohnes,  d.  h.  seines  Lebensunterhaltes,  wert  sei.  Die  Gesell- 
schaft muß  dem,  der  für  sie  arbeitet,  ein  standesgemäßes  Ein- 
kommen gewähren. 

Die  bedeutendste  Quelle  der  thomistischen  Lohnlehre  ist 
damit  schon  namhaft  gemacht  worden.  In  der  Stellung  zu  den 
liberalen  Berufen  wirken  augustinische  Ideen  nach.  Daß  speziell 
auf  die  Bildung  der  Begriffe  das  römische  Recht  von  weittragendem 

*)  Vgl.  oben.     S.  83  Anm.  4. 

2)  Vgl.  hierzu  außer  Maurenbecher:  Zeiller:  L'  idee  de  1'  etat  dans  St.  Thomas 
d'Aquin.     S.  44  ff. 


—     88     — 

Einfluß  gewesen  ist,  ist  bereits  bemerkt  worden.  Der  Einfluß  des 
Aristoteles  zeigt  sich  in  Forderung  und  Fassung  der  Wertgleichheit. 
Die  thomistische  Lohnlehre  ist  also  aus  den  verschiedensten  Faktoren 
zusammengesetzt,  und  das  Maß  dessen,  was  Thomas  selbständig 
geleistet  hat,  ist  verhältnismäßig  gering.  Immerhin  gibt  er  noch 
mehr,  als  die  spätere  Scholastik  über  den  gerechten  Lohn  lehrt,  die 
dieser  Frage  kaum  Beachtung  schenkt. 


§  8.     Gerechter  Preis  und  Zins. 

In  der  Entwicklung  der  Wucherlehre  bedeutet  Thomas  einen 
gewissen  Abschnitt;  die  Ideen  der  vorausgegangenen  Epoche  wer- 
den von  ihm  zusammengefaßt  und  in  ihrer  speziell  thomistischen 
Form  haben  sie  dem  Denken  der  Folgezeit  ihren  Stempel  aufge- 
prägt1). Ein  kurzer  Hinweis  auf  die  Quellen  und  die  Entwick- 
lung der  christlichen  Wucherlehre  überhaupt  ist  deshalb  un- 
umgänglich. 

Von  entscheidender  Bedeutung  sind  die  Wucherbestimmungen 
des  alten  Testaments  gewesen2).  Die  älteste  Form  des  Zinsverbotes 
findet  sich  Ex.  22,  25:  »Si  pecuniam  mutuam  dederis  populo  meo 
pauperi,  qui  habitat  tecum,  non  urgebis  eum  quasi  exactor  nee  usuris 
opprimes«.  Später  tritt  es  in  schärferer  Fassung  auf,  indem  es 
nicht  nur  auf  Darlehen  an  Arme  bezogen,  sondern  auf  das  Dar- 
lehen überhaupt  ausgedehnt,  und  zum  Darlehnsverkehr  mit  frem- 
den Stämmen  Stellung  genommen  wird.  Dies  geschieht  Deut.  23,  igf. : 
»Non  foenerabis  fratri  tuo  ad  usuram  pecuniam,  nee  fruges  nee 
quamlibet  aliam  rem,  sed  alieno.  Fratri  autem  tuo  absque  usura 
id,  quo  indiget,  commodabis«.  Bemerkenswert  ist  hier  vor  allem 
die  Erlaubnis,  von  Fremden  Zins  zu  nehmen,  was  von  der  alt- 
christlichen Zeit  bis  in  unsere  Tage  hinein  zu  den  verschiedensten 


*)  Vgl.  Endemann,  Studien  I,  S.   l6f. 

2)  Das  Folgende  nach  Hejcl:  Das  alttestemantliche  Zins  verbot  im  Lichte  der 
ethnologischen  Jurisprudenz,  sowie  des  altorientalischen  Zinswesens.  (Bibl.  Studien, 
herausg.  von  Bardenhewer  XII.  4)  1907.  Die  Zitierung  des  A.  T.  nach  der  Vulgata 
dürfte  in  diesem  Zusammenhange  gerechtfertigt  sein.  Vgl.  F.  Schneider:  Das  kirch- 
liche Zins  verbot  und  die  Kuriale  Praxis  im  13.  Jahrh.  Festsch.  für  H.  Finke  1904, 
S.  129 — 167.  Über  die  Stellung  des  A.  T.  vergleiche  ferner  die  betreffenden  Artikel 
in  Herzogs  Realencyclopädie  f.  prot.  Theol.  und  in  Wetzer  und  Weite's  Kirchen- 
lexikon. Eine  kritische  Besprechung  der  neueren  Literatur  über  das  Zinsverbot  gibt 
Wuttke,  Festgabe  für  Schmoller. 


-     89     — 

Erklärungsversuchen  Anlaß  gegeben  hat1).  Eine  weitere  Ent- 
wicklung ist  Lev.  25,  35 — 362)  festzustellen,  indem  hier  nicht  nur 
das  Zinsverbot  wiederholt  wird,  sondern,  wie  Hejcl  wahrscheinlich 
gemacht  hat3),  auch  eine  bestimmte  Umgehungsform  desselben, 
die  Konventionalstrafe  bei  Zahlungsverzug,  als  unerlaubt  bezeichnet 
wird.  In  den  späteren  alttestamentlichen  Schriften  wird  der  Ge- 
danke  der   Sündhaftigkeit   des   Zinsnehmens   oft   hervorgehoben4). 

Aus  dem  neuen  Testamente5)  wurden,  abgesehen  von  dem 
Gedanken,  daß  das  neue  Testament  keine  Aufhebung,  sondern 
eine  Erfüllung  des  Alten  sei,  womit  es  nahegelegt  war,  die  alt- 
testamentliche  Vorschrift,  die  in  der  Liebe  der  Stammesbrüder 
untereinander  ihre  Quelle  hatte,  im  neuen  Testamente  in  erhöhter 
Geltung  zu  lassen6),  vor  allem  zwei  Stellen  für  die  Begründung 
der  Wucherlehre  wichtig:  Math.  5.42,  wo  lediglich  von  der  Bereit- 
willigkeit, ein  Darlehen  zu  geben,  gesprochen  wird7),  und  sodann 
die  bekannte  Stelle  Luc.  6.  35:  »Mutuum  date  nihil  inde  sperantes«. 
Doch  werden  die  letzteren  Worte  in  späterer  Zeit  nicht  einheitlich 
erklärt,  wie  sich  im  folgenden  ergeben  wird. 

Die  kirchliche  Praxis  der  ersten  Jahrhunderte8)  stand  einer 
gewissen  Schwierigkeit  gegenüber:  nach  dem  weltlichen  Rechte 
war  das  Zinsnehmen  gestattet  und  ohne  Zweifel  hatten  sich  weite 
Kreise  damit  als  einer  zu  Recht  bestehenden  Institution  abgefunden. 
Die  Kirche  trug  diesen  Verhältnissen  Rechnung  indem  sie  nur  den 
Geistlichen  schlechthin  das  Zinsnehmen  verbot  und  mit  bald  schär- 
feren, bald  milderen  Strafen  belegte.  Dagegen  wird  das  Zins- 
nehmen der  Laien  im  allgemeinen  —  von  einigen  wenigen  Synodal- 
beschlüssen abgesehen  —  nicht  unter  Strafe  gestellt,  wenn  es  auch 
sonst  oft  getadelt  wird. 

Die  Kirchenväter9)    sind  sich  in  der   Verwerfung  des   Zinses 

')  Hejcl,  a.  a.  O.  S.  74.  Siehe  desselben  Erklärung  unter  Zuhilfenahme  ethnolo- 
gischer Gesichtspunkte  75  ff. 

2)  »Si  attenuatus  fuerit  f rater  tuus  et  infirmus  manu,  et  susceperis  eum  quasi 
advenam  et  peregrinum  et  vixerit  tecum:  ne  accipias  usuras  ab  eo,  nee  amplius  quam 
dedisti«. 

3)  a.  a.  O.     S.   77  ff.     S.  92. 

4)  z.  B.  Ps.   15.   5;  Ez  18.   8;  vgl.  Hejcl,  a.  a.  O.     S.  90;  92. 

6)  Vgl.  Schneider,  a.  a.  O.     S.   134. 
•)  Vgl.  Math.  V,   17. 

7)  »Qui  petit  a  te,  da  ei  et  volenti  mutuari  a  te,  ne  avertaris«. 

8)  Funk:   Gesch.  d.  kirchl.  Zinsverb.     S.  7  f f . 

9)  Vgl.  Funk,  a.  a.  O.  S.  2 ff.  Ferner  Seipel,  a.  a.  O.  S.  162 ff,  sowie 
die  oben  angeführten  Schriften  von  Schilling,  Sommerlad.  Ferner  Ratzinger:  Die 
Volkswirtschaft  in  ihren  sittlichen  Grundlagen.  Wichtig  auch  Schaub:  Der  Kampf 
gegen  den  ungerechten  Preis  usw. 


—     90     — 

einig.  Bei  aller  Verschiedenheit  im  einzelnen,  sind  die  vor- 
gebrachten Gründe  doch  im  allgemeinen  dieselben.  An  erster 
Stelle  steht  der  Hinweis  auf  das  alte  Testament:  die  in  Betracht 
kommenden  Stellen,  die  in  fast  allen  Schriften  wiederkehren,  sind 
bereits  oben  angeführt.  Dagegen  wird  das  neue  Testament  nirgends 
zur  direkten  Begründung  des  Zinsverbotes  angeführt;  speziell  die 
erwähnte  Lucasstelle  wird  regelmäßig  in  dem  Sinne  erklärt,  daß 
dort  nicht  der  Verzicht  auf  das  Zinsnehmen  gefordert,  sondern  von 
unentgeltlichem  Darleihen  ohne  Hoffnung  auf  Rückzahlung  des 
Kapitals  gesprochen  werde. 

Schon  Tertullian,  der  jede  foeneris  redundantia  als  Wucher 
bezeichnet,  verwendet  das  neue  Testament  in  diesem  Sinne:  »Prius 
igitur  fuit,  ut  fructum  foeneris  eradicaret,  quo  facilius  assuefaceret 
hominem  ipsi  quoque  foenori,  si  forte,  perdendo,  cuius  fructum 
didicisset  amittere.  Hanc  enim  dicimus  operam  Legis  fuisse  procu- 
rantis  Evangelio« 1).  Und  ähnlich  deutet  Ambrosius,  für  den 
Wucher  ist:  »quodcumque  sorti  accedit«,  in  seinem  Buche  de  Tobia, 
das  wohl  die  ausführlichste  Behandlung  der  Wucherfrage  in  der 
patristischen  Literatur  enthält,  die  Lucasstelle  dahin:  »Date  mutuum 
iis,  a  quibus  non  speratis  vos,  quod  datum  fuerit,  recepturos« 2). 
Das  neue  Testament  erscheint  ihm  als  die  Vollendung  des  Alten; 
in  diesem  Sinne  benutzt  er  Math.  5,  17  zur  Begründung  des  Zins- 
verbotes: »audistis  foeneratores,  quid  Lex  dicat,  de  qua  dixit  dominus: 
non  veni  Legem  solvere,  sed  adimplere« 3).  In  derselben  Weise 
bedient  sich  Hieronymus  der  neutestamentlichen  Schriften,  um  den 
Wucher,  die  omnis  rei  superabundantia,  als  unerlaubt  hinzustellen4). 

Daneben  finden  sich  gelegentliche  Hinweise  auf  die  gleiche 
Überzeugung  des  heidnischen  Altertums.  So  zitiert  Ambrosius 
die  bei  Cicero  (De  off.  I,  II)  angeführten  Worte  Catos  »quid  est 
foenerare?     Hominem  inquit  occidere«5). 

Am  wichtigsten  sind  aber  für  die  Ablehung  des  Zinses  soziale 
Erwägungen,  die  das  Bild  der  trostlosen  wirtschaftlichen  Zustände 
des  ausgehenden  Römerreiches  wiederspiegeln  und  nur  aus  letzteren 
verstanden    werden  können.     So  betont  Lactantius  die  im  Zins- 


*)   Adv.  Marc.   IV,  c.   17    (M.   II,  398 f.). 

2)  De  Tob.  c.   16  (M.  XIV,  780).     Die  Begriffsbestimmung  des  Wuchers  findet 
sich  c.    14.  (778);  auch:  C.   14.  q.  3.  c.  3. 

3)  1.  c.  (M.  XIV,  777.)      Vgl.    hierzu,    sowie  zum  folgenden  Schilling  Reicht, 
u.  Eigent.     S.   137 ff. 

4)  Super.  Ez.  VI,  c.    18.  (XXV,   176).  cf.  C.    14.  q.  3  c.   2. 

5)  De  Tob.  c.   14  (M.  XIV.  777). 


—       QI        — 

nehmen  liegende  Unmenschlichkeit;  »Quod  qui  facit,  insidiatur 
quodammodo,  ut  ex  alterius  necessitate  praedatur«.  Und  ähnlich 
läßt  sich  Ambrosius  an  verschiedenen  Stellen  aus1).  Dieser  Vor- 
wurf der  Ausbeutung  wird  auch  ausgedehnt  auf  das  sogenannte 
Produktivdarlehen,  wie  es  vor  allem  im  Handel  vorkommt:  Entweder 
geschehe  dem  Kaufmann  Unrecht,  oder  letzterer  werde  zu  Betrü- 
gereien veranlaßt,  indem  er  ungerechte  Preise  fordere:  »Inde 
ille  fraudem  facit  in  mercium  pretio,  unde  tibi  solvit  usuram«2). 
Und  Basilius  hält  den  wenigen,  die  aus  einem  Darlehen  Vorteil 
ziehen,  die  große  Menge  jener  entgegen,  die  es  zu  wirtschaftlichem 
Ruin  führe.  Der  Reiche  bedarf  eines  Darlehens  nicht,  der  Arme 
soll  arbeiten  und  kein  Darlehen  aufnehmen3).  Augustinus  tadelt 
aus  demselben  Geiste  heraus,  das  weltliche  Gesetz,  das  das  Zins- 
nehmen, die  Ars  nequitiae4),  gestattet:  »quid  dicam  de  usuris,  quas 
etiam  leges  et  judices  reddi  jubent?  An  cruclelior  est,  qui  subtrahit 
aliquid  vel  eripit  diviti,  quam  qui  trucidat  pauperem  foenere.  Haec 
atque  huiusmodi  male  utique  possidentur,  et  vellem  restituerentur, 
sed  non  est,  quo  judice  repetantur« 5). 

Den  sozialen  Erwägungen  tritt  der  Hinweis  auf  die  Un- 
fruchtbarkeit des  Geldes  zur  Seite.  Schon  Basilius  bedient  sich 
dieses  Argumentes6),  indem  er  die  Entstehung  des  Zinses  mit 
dem  Gebären  der  Tiere  vergleicht.  Und  schärfer  noch  wird  es  von 
Gregor  von  Nyssa  betont:  Das  Zinsnehmen,  heißt  es  bei  letzterem, 
ist  wider  die  Natur,  jiagd  cpvoiv;  der  Zins  wird  genommen  von  un- 
fruchtbaren Stoffen:  tüv  äyovcov  vl&v1).  Thomas  zitiert  in  seiner 
Catena  in  lateinischer  Übersetzung  dieselbe  Stelle:  »Debet  autem 
homo  vitare  damnosam  sollicitudinem,  ne  quaerat  ab  inope  divi- 
tiarum  augmenta,  aeris  et  auri,  metallorum  sterilium,  exigens  fruc- 
tum«8).    Im  Op.  im  per  f.  in  Math,  werden   Pachtzins  und  Mietzins 

!)  Inst.  VI,  18  (M.  6,  699)  Schilling,  a.  a.  O.  S.  77.  Sommerlad,  a.  a.  O. 
S.   114.     Ferner  de  Tob.  c.  3  ff.   (M.  XIV,  763  ff.). 

2)  1.  c.  14.  (M.  XIV,  778).  Daß  mit  der  Auffassung  also,  die  Kirchen- 
väter hätten  nur  das  Konsumtivdarlehen  im  Auge,  ihre  Stellungnahme  nicht  erschöpft 
ist,  bemerkt  mit  Recht  Ratzinger,  a.  a.  O.  S.  120 f.  Daselbst  eingehendere 
Nachweise. 

3)  Hom.  In  ps.  14  (M.  29,  272 f.)  Schilling,  a.  a.  O.  S.  91  f.  Zitiert  wird 
dieselbe  Stelle  von  Thomas  Cat.  aur.  sec.  Luc.  VI,  h. 

4)  En.  i.  ps.   128,  6.  (M.  37,   1692). 

5)  Ep.   153,  6.  25  (M.  33,  665).     Die  Stelle  findet  sich  C.    14.  q.  4  c.    11. 

8j  Hom.  In  ps.  14  (M.  XXIX,  273 ff.)  vgl.  Schilling,  Reicht,  u.  Eigent. 
S.  91  f. 

7)  Contra  usur.   (M.  S.  G.  XXXXVI,  441). 

8)  Sec.  Luc.  Vi,  h. 


der  Geldleihe  gegenübergestellt  und  drei  Verschiedenheiten  hervor- 
gehoben. Das  Geld  werde  nur  als  Tauschmittel  gebraucht,  eine 
eigentliche  Nutzung  desselben  fände  nicht  statt;  »pecunia  non  ad 
aliquem  usum  disposita  est  nisi  ad  emendum«  beim  Verkauf  des 
Nutzens  eines  Ackers  werde  Gewinn  gegen  Gewinn  getauscht: 
»ex  pecunia  reposita  nullum  usum  capis«.  Endlich  wird  darauf 
hingewiesen,  daß  bei  verpachteten  Gegenständen  Amortisation  statt- 
fände, beim  Gelde  dagegen  nicht1).  Das  Op.  imperf.  wurde  im 
Mittelalter  dem  Chrysostomus  zugeschrieben  und  die  zitierte  Stelle 
gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts  als  Palea  in  das  Decretum  Grati- 
ani  eingeschoben2). 

Die  zuletzt  angeführten  Argumente  berühren  sich  etwas  mit 
dem  von  Aristoteles  Pol.  1,  3  (§  23)  über  das  Zinsgeschäft  Ge- 
sagten. Das  verzinsliche  Darlehen  ist  ihm  verhaßt:  »weil  dieses 
unmittelbar  aus  dem  Gelde  selber  den  Erwerb  zieht  und  nicht 
aus  dem,  wofür  das  Geld  doch  allein  erfunden  ist.  Denn  nur  zur 
Erleichterung  des  Tausches  kam  es  auf,  der  Zins  aber  vermehrt 
es  an  sich  selber,  und  daher  denn  auch  der  griechische  Name 
»Zins«  so  viel  als  Junges  bedeutet,  denn  das  Junge  pflegt  seinem 
Erzeuger  ähnlich  zu  sein,  und  so  ist  der  Zins  wieder  Geld  vom 
Gelde  und  diese  Art  von  Erwerbskunst  ist  demnach  die  wieder- 
natürlichste von  allen«3).  Vielleicht  sind  die  Kirchenväter  unmittel- 
bar von  Aristoteles  beeinflußt,  vielleicht  waren  auch  die  genannten 
Ideen,  möglicherweise  unter  Einwirkung  der  Aristotelischen  Politik 
mehr  oder  minder  allgemeine  Anschauungen  der  damaligen  Zeit4). 

Überblickt  man  die  Gesamtheit  der  patristischen  Lehren,  so 
wird  man  mit  Ratzinger  die  Bekämpfung  der  Ausbeutung  der  Not 
des  Nächsten,  sowie  die  Ablehnung  des  rein  lukrativen,  arbeitslosen 
Erwerbs  als  ihre  Haupteigentümlichkeiten  bezeichnen  können5). 
Sie  stellen  die  Reaktion  gegen  ein  relativ  hochentwickeltes  Wirt-, 
schaftsieben  dar. 

Nach  dem  Zusammenbruch  des  römischen  Reiches  haben 
wir  im  Abendlande  eine  Rückehr  zu  naturalwirtschaftlichen  Zu- 
ständen.     Geldvorrat    und    Geldverkehr    sind   auf    ein    Minimum 


x)  Hom.  38  (M.  46,  840).     Zitiert  ist  nach  dem  etwas  abweichenden  Dec.  Grat. 

2)  Die  Stelle  steht  c.  n  D.  88,  §  3,  4.  Vgl.  Schaub,  a.  a.  O.  S.  139, 
Anm.   2.  ferner  Schilling,  Erwerb  und  Eigentum.     S.   229L 

3)  Pol.  I,  3.  Übersetzung  von  Susemihl. 

4)  Die  Begründung  des  Zinsverbotes,  die  das  Op.  imperf.  gibt,  steht  mit  ihrer 
Gegenüberstellung  von  Geld  und  vermietbaren  Dingen  immerhin  in  der  alten  Literatur 
einzig  dar. 

5)  a.  a.  O.     S.   223 f. 


—     93     — 

beschränkt1).  Praktische  Bekämpfung  und  theoretische  Erörterung 
des  Wuchers  treten  demgemäß  zurück.  So  bleibt  es  bis  in  das 
12.  Jahrhundert,  von  einer  kurzen  Unterbrechung  zur  Zeit  Karls 
des  Großen,  abgesehen,  mag  dieselbe  nun  in  den  spezifischen  wirt- 
schaftlichen Verhältnissen  des  Karolingischen  Reiches  ihren  Grund 
haben  oder  eine  durch  konkrete  Bedürfnisse  nicht  motivierte  Er- 
scheinung sein  und  nur  als  Glied  der  allgemeinen  Renaissance 
des  Altertums  am  Hofe  Karls  verständlich  werden2). 

Seit  Beginn  des  \z.  Jahrhunderts  ändern  sich  die  wirtschaft- 
lichen Verhältnisse.  Geld  und  Darlehn  s  verkehr  nehmen  zu. 
Damit  wird  das  Wucherproblem  von  neuem  aufgeworfen.  Die 
kirchliche  Gesetzgebung  verbot  den  Wucher  wieder,  indem  sie  die 
alten  Bestimmungen  erneuerte3).  Es  war  natürlich,  daß  man  auch 
in  der  Begründung  des  Zinsverbotes  auf  das  christliche  Altertum 
zurückgriff. 

Waren  freilich  die  Kirchenväter  mehr  darauf  ausgegangen 
den  Zins,  der  eine  das  Wirtschaftsleben  beherrschende  Erscheinung 
bildete,  praktisch  zu  bekämpfen,  was  ein  Hervortreten  sozialer  und 
moralisierender,  dagegen  ein  Zurücktreten  rationaler  Momente 
für  die  Begründung  des  Zinsverbotes  mit  sich  brachte,  so  ist  der 
Scholastik,  für  die  der  Zins  etwas  Fremdes,  im  Gegensatz  zum 
bisherigen  Wirtschaftsleben  neu  Aufkommendes  ist,  eine  syste- 
matisch-theoretische Durchdringung  des  Zinsproblems  die  Haupt- 
sache, ihrem  allgemeinen  Ziele,  eine  rationale  Ausgestaltung  und 
allseitige  Begründung  der  überkommenen  christlichen  Lehre  zu 
liefern,  entsprechend.  Die  Weiterbildung  der  Keime  einer  ratio- 
nalen Begründung  des  Zinsverbotes,  die  von  der  Patristik  hinterlassen 
waren,  ist  die  Hauptaufgabe  der  scholastischen  Wucherlehre,  die 
daher  der  Verschiedenheit  der  Aufgabe  entsprechend  ein  anderes 
Gepräge  zeigt  als  die  patristische  trotz  innerer  wesentlicher  Über- 
einstimmung. 

Es  wurde  schon  erwähnt,  daß  um  diese  Zeit  die  zitierte 
Stelle  aus  dem  Op.  imperf.  in  das  Gratianische  Dekret  eingeschoben 
wurde.  Dieselbe  wurde  die  Grundlage  der  theoretischen  Recht- 
fertigung des  Zinsverbotes.  Zugleich  vollziehen  sich  andere  wich- 
tige Wandlungen  im  Geistesleben:  das  tiefere  Studium  des  römischen 


J)  Schneider,  Das  kirchliche  Zinsverbot  S.   138 ff. ;  weitere  Literatur  ebenda. 

2)  Die  erstere  Ansicht  vertreten  von  Schaub,  a.  a.  O.  S.  33  ff-,  gegen 
Schneider,  a.  a.  O.  S.  I39f.;  vgl.  hierzu  Schneider,  Neue  Theorien  über  das 
kirchliche  Zinsverbot.     Vierteljahrsschr.   f.  soz.  und  Wirtschaftsgesch.   1907. 

3)  Funk,  Gesch.     S.   1 7 ff.     Vor  allem  Lessei,  a.  a.  O.    S.  9 ff. 


—     94     — 

Rechts,  sowie  später  das  Bekanntwerden  des  Aristoteles.  Beide 
Faktoren  werden  für  die  Ausbildung  der  scholastischen  Wucher- 
lehre gleich  bedeutungsvoll.  Die  theoretische  Begründung  des 
Wucherverbots  erhält  damit  eine  breitere  Basis:  die  verschiedenen 
Beweise  aus  der  Gegenüberstellung  der  vermietbaren  und  unver- 
mietbaren Gegenstände  und  der  bei  letzteren  erfolgten  Eigentums- 
übertragung, sowie  aus  der  Unfruchtbarkeit  des  Geldes,  dem  Verkauf 
der  Zeit  kommen  allmählich  auf1).  Raimund  von  Pennaforte, 
Wilhelm  v.  Auxerre,  Alexander  Halensis,  Vincenz  v.  Beauvais  sind 
die  wichtigsten  Namen  dieser  Epoche.  Die  Stellung  der  einzelnen 
Autoren  zum  Zins  zu  verfolgen,  gehört  nicht  zu  den  Aufgaben 
dieser  Arbeit;  ebensowenig  ist  hier  die  Geschichte  der  kirchlichen 
Gesetzgebung  zu  behandeln.  Thomas  bedeutet  einen  gewissen 
Abschluß  der  Entwicklung.  Auf  seine  unmittelbaren  Vorgänger 
wird  nur  soweit  zurückzugreifen  sein,  als  dies  zum  besseren  Ver- 
ständnis und  zur  schärferen  Heraushebung  seiner  Gedanken  nötig 
ist.  Vor  allem  werden  wir  Albertus  Magnus  im  folgenden  häufiger 
zum  Vergleiche  heranziehen.  Hier  dürfte  soviel  genügen,  daß 
Thomas  weniger  schöpferisch,  als  vielmehr  ordnend,  systemati- 
sierend und  ausbauend  tätig  gewesen  ist.  Wir  wenden  uns  nun- 
mehr ihm  zu2). 

i.  Die  autoritäre  Begründung  des  Zinsverbotes 
bei  Thomas  v.  Aquin. 

Der  Darlehnsverkehr  hat  nach  Thomas  zinslos  zu  sein,  d.  h. 
der  Entleiher  darf  nur  den  Wert  seines  Kapitals  zurückfordern,  nicht 
mehr3).  DieBegründung  des  Zinsverbotes  ist  zunächst  autoritärer  Natur. 


*)  Lessei,  a.  a.  O.     S.   13 ff. 

2)  Für  die  thomistische  Wucherlehre  kommen  vor  allem  in  Betracht:  Funk, 
a.  a.  O.  S.  35;  Lessei,  a.  a.  O.  S.  33 ff.  Sowie  die  zitierten  Schriften  von 
Schaub  und  Walter  über  die  Eigentumslehre  des  Thomas  v.  A. ;  ferner  Baumann: 
Die  Staatslehre  des  hl.  Thomas  v.  Aquin.     S.    196  ff. 

3)  Eine  formelle  Definition  des  Zinses  (usura)  gibt  Thomas  nicht  (vgl.  L  es  sei, 
a.  a.  O.  S.  34),  schließt  sich  aber  materiell  an  seine  Vorgänger  an,  die  ihrerseits  in 
allen  wesentlichen  Punkten  übereinstimmen.  So  heißt  es  c.  3.  C.  14  q.  3  mit  Berufung 
auf  Ambosius:  »Quodcumque  sorti  accedit,  usura  est«.  Die  Scholastiker  schließen 
sich  meistens  hieran  an.  (Vgl.  Lessei,  a.  a.  O.  S.  10 f.)  Am  klarsten  und  der 
späteren  thomistischen  Anschauung  am  nächsten  kommend,  sieht  Heinrich  v. 
Segusio,  Hostiensis,  als  usura  an:  »quodcumque  solutioni  rei  mutuatae  accedit  ipsius 
rei  usus  gratia«  (Aurea  Summa  1.  V.  De  usuris.  n.  1.  [i6i2f.]).  Danach  ist  das  Zins- 
verbot auf  das  Darlehen  beschränkt  und  die  usura  der  Preis  für  die  Nutzung  des  dar- 
geliehenen Gegenstandes.  Hiermit  stimmt  Thomas  völlig  überein,  wenn  er  als  Ver- 
gütung  im  Darlehen   tadelt:    »pretium  usus,    quod  usura   dicitur«,    oder  wenn  er  ebenda 


—     95     — 

Und  zwar  stützt  sich  Thomas  vor  allem  auf  das  alte  Testament1). 
Im  Mittelpunkt  seiner  Erörterungen  steht  die  schon  erwähnte 
Stelle  Deut.  23,  19,  nach  der  den  Juden  das  Zinsnehmen  von  den 
Stammesangehörigeu  verboten,  dagegen  den  Fremden  gegenüber 
erlaubt  ist.  Diese  Stelle  dient  direkt  zur  Begründung  des  absolu- 
ten für  alle  geltenden  Zinsverbote.  Wenn  den  Juden  verboten  war, 
von  den  Brüdern  Zins  zu  nehmen,  so  hat  dasselbe  Gebot  im  neuen 
Testament  allgemeine  Geltung:  »debemus  enim  omnem  hominem 
habere  quasi  proximum  et  fratrem  praecipue  in  statu  Evangelii, 
ad  quod  omnes  vocantur«.  Das  Nichtgelten  des  Zinsverbotes 
Fremden  gegenüber  erscheint  als  eine  Unvollkommenheit  des  alten 
Testamentes,  die  zur  Verhütung  größerer  Übel,  nämlich  des  Zins- 
nehmens von  den  eigenen  Stammesangehörigen,  den  Juden  gestattet 
war  »non  quasi  licitum,  sed  quasi  permissum«2).  Es  wird  so  in 
eine  Linie  gestellt  mit  dem  libellus  repudii.  Oder  es  wird  eine 
andere  Deutung  versucht:  unter  den  Fremden  seien  die  Völker 
zu  verstehen,  die  das  den  Juden  nach  göttlichem  Rechte  zustehende 
gelobte  Land  widerrechtlich  noch  im  Besitz  gehabt  hätten.  Die 
Erlaubnis  des  Zinsnehmens  habe  den  Zweck  gehabt,  die  Juden  in 
den  Besitz  des  ihnen  rechtlich  Zustehenden  zu  bringen.  Albertus 
Magnus  hatte  freilich  diesen  schon  älteren  Erklärungsversuch  in 
seinem  Sentenzenkommentar  zurückgewiesen3).  Ferner  weist 
Thomas,  wie  schon  Hieronymus  getan4),  daraufhin,  daß  das  Zins- 
verbot im  alten  Testament  eine  Entwicklung  im  Sinne  absoluterer 
Geltung  erfahren  habe:  an  den  Stellen  Ps.  15,  5;  Ez.  18  usw.  werde 
das  Zinsnehmen  schlechthin  verboten:  »Sed  postmodum  per  pro- 
phetas  admoniti  sunt,  ut  totaliter  ab  usuris  abstinerent»5).  So 
verwendet  Thomas  in    Übereinstimmung  mit  der  kirchlichen  Tra- 


sagt:  »secundum  se  illicitum  est,  pro  usu  pecuniae  mutuatae  accipere  pretium,  quod 
dicitur  usura«  (II,  II,  78  a.  i.  c).  Das  Nähere  wird  sich  im  Laufe  der  Darstellung 
selbst  ergeben. 

x)  S.  th.  II,  II  q.  78  a.  I.  Ob.  2;  ad  2.  Sent.  III,  37,  q.  I.  a.  6.  ob.  I; 
ad   I.     De  malo  XIII,  4  ob.    I ;  ad    I. 

2)  1.  c.  cf.  de.  Malo  1.  c. 

3)  Sent.  III,  37  a.  13:  Albertus  Magnus  bringt  zunächst  den  von  uns  bei  Thomas 
an  erster  Stelle  angeführten  Gesichtspunkt,  dann  den,  daß  die  Juden  den  Kananäern 
gegenüber  ein  Anrecht  auf  das  gelobte  Land  gehabt  hätten  und  daß  ihnen  deshalb  das 
Zinsnehmen  gestattet  wäre,  sagt  aber  zu  letzterem:  ».  .  .  tarnen,  quia  malum  exemplum 
esset,  reputo  primam  solutionem  meliorem«. 

4)  In  ez.  VI,   18,   vgl.  S.  90,  Anm.  4. 

5)  De  mal.  XIII,  4  ad.   i;  cf.   II,   II  78  a.    1   ad.   2. 


-     96     - 

dition  das  alte  Testament  für  die  autoritäre  Begründung  des  Zins- 
verbotes1). 

Hinsichtlich  der  Stellung,  die  Thomas  zum  neuen  Testamente 
einnimmt2),  ist  vor  allem  bemerkenswert,  daß  er  die  bekannte  Lucas- 
stelle nicht  ohne  weiteres  zur  Begründung  des  Zinsverbotes  ver- 
wendet, wenn  er  auch  selbst  darauf  hinweist,  daß  es  sonst  vielfach 
geschehe:  »in  quo  prohibetur  usura,  ut  multi  exponunt«3).  Er 
findet  vielmehr  in  den  Worten:  »Mutuum  date  nihil  inde  sperantes« 
eine  gewisse  Schwierigkeit,  die  sie  nicht  ohne  weiteres  zur  Begrün- 
dung des  Zinsverbotes  geeignet  erscheinen  lassen. 

Dem  Zusammenhange  nach,  in  dem  die  Worte  Lucas  6,  35 
stehen,  so  wendet  Thomas  selbst  ein,  scheinen  sie  mehr  ein  con- 
silium,  denn  eine  strenge,  alle  verpflichtende  Vorschrift  zu  enthalten. 
Die  Nichtbefolgung  eines  Rates  aber  sei  an  sich  noch  nicht  sünd- 
haft; also  könne  man  ohne  gegen  das  neue  Testament  zu  verstoßen, 
wenn  man  ihm  auch  nicht  ganz  nachkomme,  Zinsen  nehmen4). 
Von  den  verschiedenen  Lösungen  dieses  Einwandes,  die  Thomas 
anführt,  übergehen  wir  die  ersten,  die  noch  eine  direkte  Beziehung 
der  Lucasstelle  auf  den  Zins  bestehen  lassen  und  betrachten  nur 
die  von  Thomas  angeregte  dritte  andere  Möglichkeit.  Die  Stelle 
bei  Lucas  könne  dahin  aufgefaßt  werden,  daß  dort  überhaupt  nicht 
von  der  Hoffnung  auf  Wucherzins  gesprochen  werde.  Der  Sinn 
der  Worte  sei  vielmehr  der:  der  Darleiher  solle  für  die  gute  Tat, 
die  er  verrichte,  nicht  irdischen  Lohn  von  seiten  der  Menschen 
erwarten,  sondern  seine  Hoffnung  einzig  auf  Gott  setzen5).  Hier- 
mit würde  aber  eine  direkte  Bezugnahme  der  Lucasstelle  auf  den 
Zins   wegfallen,   wenn    auch    das  Wucherverbot   sich   indirekt   aus 


*)  Ambrosius  (de  Tob.  15.  M.  14,  779)  (vgl:  c.  12.  C.  14.  q.  4)  erklärt  die 
Erlaubnis  vom  Fremden  Zins  zu  nehmen  dahin:  »Cui  merito  nocere  desideras,  cui  jure 
inferuntur  arma,  huic  legitime  indicantur  usurae  ...  ab  hoc  usuram  exige,  quem  non 
sit  crimen  occidere,  .  .  .  ergo  ubi  jus  belli,  ibi  etiam  jus  usurae.  Frater  autem  tuus  omnis, 
fidei  primum,  deinde  romani  juris  et  populus«.  Thomas  nimmt  hierzu  nicht  Stellung. 
Albertus  (sent  III,  37  a.  13  ad.  3)  erklärt,  in  zweifellos  unrichtiger  Weise: 
»Ambrosius  loquitur  per  ypothesim  impossibilis,  quia  impossibile  est,  quod  alicui  nocere 
possumus  desiderare:   ergo  impossibile  est,  quod  ab  aliquo  accipiamus  usuras«. 

2)  II,  II  78  a.  1  ob.  1;  4;  ad.  1;  4  de  Malo  XIII,  4  ob.  3;  ad.  3.  Sent.  III, 
37  q-   1  a.  6. 

3)  De  Malo  1.  c. 
*)   II,  II  78  1.  c. 

5j  De  Mal.  1.  c. :  »Vel  potest  dici,  quod  non  loquitur  ibi  de  spe  usurarii  lucri, 
sed  de  spe,  quae  ponitur  in  homine;  non  enim  debemus  bona  nostra  facere  sperantes 
ab  homine  retributionem,  sed  solo  a  Deo«.  cf.  II,  II  78  1.  c. 


—     97     — 

dem  Geist  der  Stelle  vielleicht  noch  ableiten  ließe1).  Im  Sentenzen- 
kommentar, seinem  Jugendwerk,  verwendet  Thomas  noch  schlecht- 
hin die  Lucasstelle  als  autoritäre  Begründung  des  Zinsverbotes2) 
in  Übereinstimmung  mit  der  früheren  Scholastik,  wie  z.  B.  auch 
Albertus  in  seinem  Kommentar  zu  Petrus  Lombardus  auf  Lucas 
6,  35  Bezug  nimmt3).  In  seinen  späteren  Werken  jedoch  sucht 
Thomas  das  Zinsverbot  nicht  mehr  unmittelbar  aus  dem  neuen 
Testamente  zu  belegen,  läßt  letzteres  vielmehr  ersichtlich  zurück- 
treten infolge  exegetischer  Schwierigkeiten,  die  er  nicht  ganz  zu 
lösen  vermag.  Vielleicht  haben  wir  hier  eine  Entwicklung  in  den 
thomistischen  Anschauungen  festzustellen. 

Auf  die  Kirchenväter  beruft  Thomas  sich  oft.  Gregor  von 
Nyssa,  Basilius,  Hieronymus,  Ambrosius,  Augustinus  werden  an 
verschiedenen  Stellen  seiner  Werke  zitiert4).  Daß  sie  auf  Thomas 
nicht  nur  durch  die  Tatsache  der  Ablehnung,  sondern  auch  durch 
die  Art  der  Begründung  des  Zinsverbotes  tiefgehenden  Einfluß 
gehabt  haben,  wird  im  folgenden  zu  zeigen  sein. 

Ebenso  wird  die  Bedeutung,  die  Aristoteles  für  die  Ausbil- 
dung der  thomistischen  Wucherlehre  gehabt  hat,  sich  aus  der 
späteren  Darstellung  ergeben.  Dazu  war  Thomas  selbstverständlich 
die  kirchliche  Gesetzgebung  bekannt,  auf  die  er  überdies  gelegent- 
lich hinweist5).  Vom  römischen  Rechte  zunächst  abgesehen,  stimm- 
ten Vergangenheit  und  Gegenwart,  wie  Thomas  sie  kannte,  im 
Verbot  des  Zinsnehmens  überein. 


x)  Zur  Erklärung  der  immerhin  etwas  unklaren  Stelle  kann  vielleicht  Alex.  Hai. 
herangezogen  werden.  Dieser  hält  es  für  erlaubt,  daß  der  Gläubiger  sich  ausbedingt, 
daß  der  Schuldner  ihn  umgekehrten  Falles  gleichfalls  mit  einem  unverzinslichen  Dar- 
lehen unterstütze,  fügt  aber  hinzu:  »tarnen  si  hac  inten tione  tradit  sibi  mutuum  non 
est  meritorium,  quia  non  ponit  Deum  finem.  Ideo  dicit  Dominus:  Date  mutuum  nihil 
inde  sperantes:  scilicet  ab  nomine,  sed  a  Deo  retributionem«  (III,  q.  36  m.  1.  ad.  4). 
im  Hinblick  auf  diese  Stelle,  die  Thomas  vielleicht  vorgeschwebt  hat,  wäre  dann  der 
Sinn  der  thomistischen  Erwiderung  folgender:  Die  Lucasstelle  bezieht  sich  nicht  auf 
das  Zinsverbot,  sie  enthält  nur  den  Rat,  bei  Gewährung  eines  Darlehens  auch  von 
solchen  Motiven  abzusehen,  die  noch  nicht  der  Gerechtigkeit  widersprechen,  vielleicht 
von  der  Hoffnung  auf  irgendeine  Dankbarkeit  von  Seiten  des  Schuldners.  —  Die  Aus- 
bedingung der  remutuatio  lehnt  Thomas  als  sündhaft  ab.  —  Das  Darlehen  wäre  von 
der  Lucasstelle  dann  als  Akt  des  Wohltuns  aufgefaßt;  daß  das  Zinsnehmen  direk 
sündhaft  sei,  würde  sich  dann  wohl  nicht  mehr  ganz  stringent  daraus  folgern  lassen. 

2)  1.  c. 

3)  Sent.  III,  37  a.   13. 

4)  Vgl.    vor    allem  Cat.    aur.    sec.    lue.    6,   h.     Teilweise   ist   schon   früher   darauf 
hingewiesen  worden. 

5)  cf.  II,  II  78  a.  3  ob.   2. 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.     Heft  I.  7 

Schreiber,  Die  yolkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


-     93     - 

Die  vorstehendenden  Erörterungen  haben  an  sich  gewiß  wenig 
mit  dem  speziellen  Gesichtspunkt  des  gerechten  Preises  zu  tun, 
unter  dem  hier  die  thomistische  Wucherlehre  zu  betrachten  ist. 
Sie  waren  aber  doch  nötig,  weil  der  Hinweis  auf  die  Tradition, 
unter  deren  Einfluß  Thomas  steht,  zum  vollen  Verständnis  unum- 
gänglich ist:  die  Tradition  war  für  ihn  und  die  spätere  Scholastik 
maßgebend.  Ihr  Einfluß  konnte  leicht  auch  dann  noch  nachwirken, 
wenn  die  Betrachtung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  in  mancher 
Hinsicht  eine  andere  Stellung  nahelegte. 

Für  Thomas  selbst  steht  allerdings  unmittelbar  die  rationelle 
Begründung  des  Zinsverbotes  im  Vordergrunde:  das  Zinsnehmen 
ist  unerlaubt,  weil  es  der  Natur  des  Darlehens  widerstreitet  und 
vor  der  Einsicht  der  menschlichen  Vernunft  nicht  standhalten  kann. 
Eben  deshalb  wird  es  auch  allseitig  verurteilt  und  bekämpft1). 
Thomas  konnte  an  den  relativ  einheitlichen  Gedankenkomplex  an- 
knüpfen, den  die  früheren  scholastischen  Philosophen  bei  ihrem 
Bestreben,  das  Wucherverbot  vor  der  Vernunft  zu  rechtfertigen, 
bereits  geschaffen  hatten. 

2.  Die  rationale  Begründung  des  Zinsverbotes. 

a)  Allgemeines.  Beim  Mutuum  handelt  es  sich  dem  Kerne 
nach  um  eine  commutatio,  die  auf  Grund  eines  Vertrages  der 
zwischen  zwei  Personen,  dem  debitor  und  dem  creditor  geschlossen 
wird,  vor  sich  geht.  Dieser  Tatsache  entsprechend,  daß  es  sich 
um  einen  Tauschvertrag  im  weiteren  Sinne  handelt,  sind  dieselben 
Grundsätze  der  Gerechtigkeit  in  Anwendung  zu  bringen,  wie  für 
den  Tausch  schlechthin.  Es  muß  also  gefunden  werden,  was  nach 
dem  Prinzip  der  iustitia  commutativa  jedem  zusteht,  d.  h.  mit  anderen 
Worten,  es  muß  das  justum  pretium  für  den  im  Darlehen  vorsich- 
gehenden  Tausch  bestimmt  werden2). 

Wird  nun  aber  der  wirtschaftliche  Vorgang,  der  sich  im  Dar- 
lehen vollzieht,  daraufhin  untersucht,  was  in  ihm  der  Darleiher  leistet, 
und  dementsprechend  als  Gegenleistung  rechtlich  fordern  kann, 
so  ergibt  sich  folgendes:  die  Leistung  des  Gläubigers  bemißt  sich 
ausschließlich  nach  der  Höhe  der  von  ihm  dargeliehenen  Summe. 
Und  wenn  die  Gerechtigkeit  Gleichheit  von  Leistung  und  Gegen- 
leistung verlangt,  so  hat  er  nur  ein  Recht  auf  den  gleichen  Betrag, 

nicht  mehr.     So  sagt  Thomas  vom  Gläubiger:    » recompen- 

sationem  potest    accipere    eius,   quod  fecit,  sed  non    amplius   debet 

x)  De  Mal.  q.  XIII  a.  4  c. 

2)  1.  c.  vgl.  ferner  die  späteren  Darlegungen. 


—     99     — 

exigere.  Recompensatur  autem  ei  secundum  aequalitatem  justitiae, 
si  tantum  ei  reddatur,  quantum  mutuavit«1).  Ein  darüber  hinaus- 
gehender Zins,  er  bestehe  in  Geld  oder  Geldeswert,  widerspricht 
der  Gerechtigkeit,  sobald  der  Darleiher  ihn  vertragsmäßig  fordert2). 
Das  Darlehen  kann  in  Geld  oder  in  Dingen,  die  demselben  in 
bestimmter  später  zu  behandelnder  Weise  gleichstehen,  gewährt 
sein.      Doch    erörtert   Thomas   in    erster    Linie   das   Gelddarlehen. 

b)  Die  Funktion  des  Geldes.  Eine  bestimmte  Vorstellung 
vom  Wesen  des  Geldes  bildet  den  Ausgangspunkt  der  thomistischen 
Wucherlehre:  wie  früher  dargestellt,  unterscheidet  Thomas  zwei 
Arten  von  wirtschaftlichen  Gütern,  wenn  dieselben  in  ihrer  Bedeu- 
tung für  die  menschliche  Bedürfnisbefriedigung  betrachtet  werden: 
Verbrauchs-  und  Nutzungsgüter;  letzteres  sind  solche,  die  wie  ein 
Haus  oder  ein  Acker  einen  dauernden  Nutzen  abwerfen,  erstere 
dagegen  werden  in  den  einzelnen  Akten  der  Bedürfnisbefriedigung 
verbraucht.  Wenn  ich  z.  B.  Wein  konsumiere,  so  ist  damit  eine 
Zerstörung  der  Substanz  des  Weines  verbunden.  Der  Wein  bildet 
also  keine  dauernde  Nutzquelle3). 

Zu  den  Dingen,  »quarum  usus  est  ipsarum  consumptio«,  ge- 
hört nun  auch  das  Geld,  freilich  in  besonderer  Weise:  andere  Güter 
nämlich  sind  in  sich  nützlich,  insofern  sie  unmittelbar  der  mensch- 
lichen Bedürfnisbefriedigung  dienen.  Dies  ist  beim  Gelde  nicht  der 
Fall:  es  stillt  nicht  unmittelbar  ein  menschliches  Bedürfnis,  sondern 
mißt  den  Nutzen  anderer  Güter,  es  ist  eine  »mensura  utilitatis 
aliarum  rerum«.  Diese  Eigenschaft  Maß  zu  sein,  liegt  aber  nicht 
im  Gelde  selbst  —  etwas  kann  nicht  aus  sich  selbst  Maß  sein  — , 
sondern  sie  setzt  andere  Güter  voraus,  die  durch  das  Geld  gemessen 
werden.  Indem  jemand  da  ist,  der  andere  Güter  in  Beziehung 
zum  Gelde  setzt,  sie  gegen  Geld  tauscht,  erhält  letzteres  seinen 
Charakter  als  Maß.      An  sich  ist  es  nutzlos:   daß  das  Geld  in  sich 


*)  II,  II  78  a.   1   ad.  5. 

2)  1.  c.  a.  2  c. :  »Omne  illud  pro  pecunia  habetur,  cuius  pretium  potest  pecu- 
nia  mensurari:  et  ideo  sicut  si  aliquis  pro  pecunia  mutuata  vel  quacumque  alia  re,  quae 
ipso  usu  consumitur,  pecuniam  accipit  ex  pacto  tacito  vel  expresso,  peccat  contra 
justitiam,  ut  dictum  est;  ita  etiam  quicumque  ex  pacto  tacito  vel  expresso  quodcumque 
aliud  acceperit,  cuius  pretium  pecunia  mensurari  potest,  simile  peccatum  incurrit«.  Der 
Überschußbegriff  ist  bei  Thomas,  wie  Lessei,  a.  a.  O.  S.  35,  64  hervorhebt,  schärfer 
formuliert  als  bei  seinen  Vorgängern  dank  der  Verwendung  der  aristotelischen  Begriffs- 
bestimmung des  Geldes,  die,  wie  Thomas  selbst  angibt,  der  Nik.  Eth.  (IV,  c.  1)  ent- 
nommen ist.  Übrigens  braucht  auch  das  römische  Recht  das  Wort  pecunia  im  Sinne 
von  Vermögensobjekt  überhaupt.     Vgl.  Oertmann,  a.  a.  O.     S.  88  ff. 

3)  S.  o.  S.  54. 

7* 


IOO      — 

wieder  aus  nutzbaren  Stoffen,  wie  Gold  und  Silber,  besteht,  was 
den  Grund  der  Möglichkeit  der  Funktion  des  Geldes  bildet,  ist 
ein  hiervon  scharf  zu  trennender  Gesichtspunkt1).  Das  Geld  als 
solches  ist,  wie  gesagt,  an  sich  nutzlos.  Es  ist  nur  Form  und  erst 
in  Beziehung  zu  anderen  Gütern  gesetzt,  gewährt  es  Nutzen,  indem 
es  dieselben  mißt  und  repräsentiert. 

Der  Nutzen  des  Geldes  kann  also  nur  realisiert  werden  im 
Tausche.  Gewiß  kann  das  Geld  auch  in  anderer  Weise  verwendet 
werden:  ich  kann  es  z.  B.  ausstellen  und  als  Seltenheit  sehen  lassen2). 
Aber  hier  kommt  es  nicht  seiner  eigentümlichen  Bedeutung  nach 

zur  Geltung:  »pecunia  secundum  Philosophum prin- 

cipaliter  est  inventa  ad  commutationes  faciendas«3).  Und  in  dem- 
selben Sinne  sagt  Thomas  an  anderer  Stelle:  »Proprius  usus  pecuniae 
est,  ut  expendatur  pro  commutatione  aliarum  rerum«4). 

Ein  Tausch  der  Dinge  ist  aber  in  gewissem  Sinne  gleich- 
bedeutend mit  einem  Verbrauche  derselben.  Das  gilt  von  allen 
anderen  Gütern6)  ebenso  wie  vom  Gelde.  Thomas  begründet 
diesen  Satz  mit  den  Worten:  »Commutatio  autem  est  usus  quasi 
consumens  substantiam  rei  commutatae,  inquantum  facit  eam  ab- 
esse ab  eo,  qui  commutat6). 

Der  Nutzen  des  Geldes  ist  also  ein  ganz  bestimmter:  wie 
der  Nutzen  des  Weines,  Getreides  usw.  ist  er  beschränkt  auf 
den  Akt  der  Konsumtion,  d.  h.  er  ist  mit  dem  Tausche  beendet. 
Das   Geld  bildet  keine   dauernde  Quelle  wirtschaftlichen  Nutzens: 

»usus  pecuniae non    est   aliud,  quam  eius  substantia7)«. 

Eine  Kritik  dieser  Anschauungen  dürfte  nicht  nötig  sein.  Das 
Geld  wird  hier  lediglich  im  Sinne  eines  konkreten  Einzeldinges, 
nach  seiner  äußeren  Erscheinung,  als  Münze  betrachtet8). 

Nun  konnte  aber  auch  im  Mittelalter  die  Möglichkeit  pro- 
duktiver Verwendung  des  Geldes  nicht  verborgen  bleiben.  Wie 
stellt  sich  Thomas  hierzu? 

Daß  das  Geld  als  Mittel  des  Erwerbs  benutzt  werden  kann, 
ist  ihm  ein  durchaus  geläufiger  Gedanke.     Der  Ausdruck  »lucrari 


a)  Übersehen   von  Hohoff,    Die  Wertlehre   des  hl.  Thomas  v.  Aquin,  a.  a.  CK 

2)  II,  II  78  a.    1.  ad  6. 

3)  1.  c.  c. 

*)  De  Mal.  XIII,  4  c. 

5)  II,  II  78  a.    1,  ad  6  wird  dies  z.  B.  an  den  vasa  argentea  erläutert. 

6)  De  Mal.  XIII,  4  ad.    15.  cf.  II,  II   78  a.  1  c. 

7)  De  Mal.  1.  c.  c. 

8)  Vgl.  Ashley,  a.  a.  O.  II,  S.  425. 


lOI 


de  pecunia«  kehrt  häufig  wieder1).  Die  Bedeutung  des  Geldes 
für  den  Handwerker  oder  Kaufmann  wird  betont'2),  und  speziell 
beim  Darlehen  wird  anerkannt,  daß  dem  Gläubiger  ein  Nutzen, 
ein  commodum,  eine  utilitas  zuwachsen  kann,  ein  Nutzen,  der  den 
des  Geldes  in  dem  eben  angegebenen  Sinne  unter  Umständen 
weit  übertrifft3).  Das  Geld  ist  nach  Thomas  zwar  in  gewissem 
Sinne  die  Wurzel  (radix)  des  Erwerbs,  jedoch  nur  ratione  materiae, 
die  Ursache  des  Gewinnes  als  causa  instrumentalis.  Hinter  ihm 
steht  aber  dasjenige,  was  den  Gewinn  eigentlich  erzeugt  und  pro- 
duktiv tätig  ist,  das  ist  die  menschliche  Arbeit.  Letztere  ist  die 
causa  activa  des  Gewinnes  und  damit  die  causa  principalis  des- 
selben. Die  Tätigkeit  des  Menschen  gebärt  den  Gewinn,  sie  ist 
gewissermaßen  seine  Nahrung,  sein  nutrimentum.  Wenn  dem 
Gelde  also  auch  eine  gewisse  Bedeutung  zukommt,  so  ist  dieselbe 
hinsichtlich  der  Gewinnerzielung  doch  beschränkt  auf  den  in  der 
Hingabe  im  Tausch  bestehenden  Verbrauch.  Erwächst  mithin 
dem  Gläubiger  durch  das  Darlehen  ein  Nutzen  über  den  im  ange- 
gebenen Sinne  begrenzten  des  Geldes  hinaus,  so  ist  dieser  Ertrag 
Ertrag  der  menschlichen  Arbeit.  So  sagt  Thomas  ausdrücklich 
im  Sentenzenkommentar:  »Quidquid  autem  de  utilitate  contingit 
ei,  cui  mutuum  dedi  ultra  mensuram  mutui  ex  pecunia  mutuata, 
hoc  est  ex  industria  eius,  qui  sagaciter  pecunia  usus  est«4). 

Diese  Vorstellung  von  der  Funktion  des  Geldes  zieht  sich 
durch  Thomas  sämtliche  Schriften,  soweit  sie  für  seine  Wucher- 
lehre in  Betracht  kommen.  Nur  in  den  Quaestiones  quodlibetales 
ist  die  Formulierung  desselben  Gedankens  insofern  eine  etwas 
andere,  als  dort  der  Begriff  radix  auf  die  causa  activa  beschränkt 
und  daher  dem  Gelde  abgesprochen  wird5).  In  den  anderen 
Schriften  wird  er  gleichmäßig  auf  das  Geld  und  die  menschliche 
Arbeit  angewandt  und  dann  geschieden  zwischen  der  radix  ratione 
materiae  und  ratione  causae  activae.  Sachlich  besteht  kein  Unter- 
schied. Nur  kommt  im  letzteren  Falle  die  Anerkennung  der 
»Produktivität«  des  Geldes  noch  deutlicher  zur  Geltung. 

Das  Geld,  das  ist  das  Ergebnis,  ist  seinem  Wesen  nach  eine 
unfruchtbare  Sache,  eine  »res,  quae  non  fructificat«6). 

*)  z.  B.  II,  II  62,  a.  4  ob.  2. 

2)  Sent.   III,  37  q.   1  a.  6  ob.   2    »constat,  quod  ille,  qui  alicui  pecuniam  mutuat, 
aliquod  commodum  ei  facit«.     Vgl.  ferner  die  folgenden  Darlegungen. 
»)   II,  II  78  a.  3. 
4)  1.  c.  ad.   4. 
8)  Quodl.   III.  a.   19. 
6)  II,  II  61  a.  3  c. 


—       102       

Die  Vorstellung  von  der  Unfruchtbarkeit  des  Geldes  ist  alt. 
Schon  von  Aristoteles  wird  sie  vertreten.  Bei  den  Kirchenvätern 
sind  wir  ihr  zu  wiederholten  Malen  begegnet.  Unweifelhaft  hat 
das  Mittelalter  sie  zuerst  aus  der  patristischen  Literatur  über- 
nommen. Nach  Bekanntwerden  des  Aristoteles  findet  sie  dann 
in  dessen  Anschauungen  eine  erwünschte  Bestätigung.  Thomas 
faßt  auch  hier  die  gesamten  Ideen  zusammen  und  bildet  sie  syste- 
matisch durch,  indem  er  sie  zu  gleicher  Zeit  mit  der  dem  römischen 
Recht  entnommenen  Vorstellung  von  der  Konsumtion  des  Geldes 
im  Tausche  verbindet1).  Ebenso  ist  der  Gedanke,  daß  der  bei 
Verwendung  des  Geldes  erzielte  Mehrertrag  nicht  wesentlich  dem 
Gelde  zu  danken  sei,  bereits  vor  Thomas  vertreten  worden2).  Letz- 
terer formuliert  ihn  freilich  in  weit  klarerer  Weise,  als  dies  vor  ihm 
geschehen  war.  Wir  dürfen  darin  wohl  einen  Einfluß  der  all- 
mählich schärfer  hervortretenden  wirtschaftlichen  Bedeutung  des 
Kreditverkehrs  erkennen,  die  eine  genauere  Präzisierung  des  Be- 
griffes der  Unfruchtbarkeit  des  Geldes  erforderte3). 

Die  Stellung,  die  Thomas  zum  Darlehensvertrage  einnimmt, 
ist  mit  der  dargestellten  Geldtheorie  bereits  bestimmt.    Es  ergeben 

')  §  2  J.  II,  4  heißt  es  vom  Gelde:  »ipso  usu  assidua  permutatione  quo- 
dammodo  extinguitur«.     Näheres  bei  O er t mann,  a.  a.  O.  S.  96. 

2)  L  es  sei,  a.  a.  O.  S.   16.     Vgl.  d.  folg.  Anm. 

3)  Die  Anschauung,  daß  das  Geld  nur  im  Tausche  Nutzen  stiften  könne,  nur 
als  Tauschmittel  zu  betrachten  sei,  liegt  ja  der  Bekämpfung  des  Zinses  als  deren  eigent- 
licher Kern  zugrunde  und  ist  darum  so  alt,  wie  das  Zinsverbot  überhaupt.  Immerhin 
bildet  Thomas  den  Gedanken  in  eigenartiger  Weise  weiter,  wie  ein  Blick  auf  seine 
scholastischen  Vorgänger  zeigt.  Raymundus  (Sum.  de  poenit.  1.  2.  t.  7.  §  5)  bringt 
lediglich  die  früher  erörterte  Stelle  aus  dem  Op.  imperf.,  dazu  einen  ähnlich  lautenden 
Satz  aus  Gregorius  (?),  dessen  Ursprung  ich  nicht  näher  habe  nachweisen  können.  Es 
heißt  hier:  »usus  pecuniae  nullum  fructum  vel  utilitatem  parit  utenti«.  An  Raymundus 
schließt  sich  Vincentius  Bellov.  in  seinem  Specul.  doctrin.  an  (X,  c.  104.  S.  961). 
Hostiensis  bringt  bereits  den  Gedanken,  daß  das  Geld  im  Tausche  »konsumiert« 
werde  (Summa  1.  V.  De  usur.  1.  (Sp.  1613).  Am  klarsten  äußert  sich  Alex.  Hai.: 
»pecunia  concessa  ad  usuram  numquam  excedit  pretium  sive  valorem  suum  ...  de 
natura  enim  sua  non  habet  usum  aliquem,  de  quo  fructificare  possit«.  (IV.  q.  110.  m. 
3  ad.  4.)  Der  Tatsache,  daß  mit  dem  Gelde  sich  ein  Mehrertrag  erzielen  läßt,  wird 
wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt.  Nur  Wilhelm  von  Auxerre  (Summa  1.  III.  De 
poen.  et  rem.  6)  bemerkt,  der  Mehrertrag  sei  seinem  Wesen  nach  (ex  se)  nicht  dem 
Gelde  zu  danken,  sondern  höchstens  accidentell  »per  accidens«.  Albertus  Magnus 
bringt  nur  den  Gedanken,  daß  das  Geld  im  Gegensatz  zu  den  vermietbaren  Dingen 
unfruchtbar  sei  (Sent.  III,  37.  13).  Thomas  faßt  das  Problem  tiefer,  indem  er  die 
aristotelischen  Anschauung  vom  Gelde,  sowie  die  römischrechtliche  Idee  von  der 
Konsumtion  des  Geldes  im  Tausche  zur  Durchbildung  der  überkommenen  Gedanken 
verwendet.  Das  Problem  des  mit  dem  Gelde  erzielten  Mehrertrages  behandelt  er  zuerst 
in  tiefer  und  der  Form  nach  durchaus  origineller  Weise. 


—     103     — 

sich  aus  letzterer  eine  Reihe  juristisch   und  wirtschaftlich   gleich- 
bedeutender Folgen. 

c)  Das  Zinsverbot  als  Konsequenz  der  thomistischen 
Geldtheorie. 

a)  Juristische  Unmöglichkeit  des  Zinses. 

Zunächst  ist  darin  ein  wichtiger  rechtlicher  Unterschied 
zwischen  der  Leihe  von  nutzbaren  Dingen  und  der  Leihe  von 
Geld  begründet:  vermiete  ich  z.  B.  einem  anderen  ein  Haus,  so 
geschieht  es  in  der  Weise,  daß  ich  mir  die  Zurückgabe  des  Hauses 
ausbedinge;  nur  den  Nutzen,  der  sich  sinnenfällig  aus  dem  Objekte 
ergibt,  verkaufe  ich;  das  Haus  selbst  bleibt  in  meinem  Eigentum. 
Die  locatio  ist  so  ihrem  Kerne  nach  nichts  anderes  als  ein  Tausch- 
geschäft: der  Nutzen  eines  Gegenstandes,  der  im  Eigentum  des 
Entleihers  bleibt,  wird  gegen  Geld  getauscht1). 

Beim  Gelddarlehen  aber  ist  der  Vorgang  ein  wesentlich 
anderer:  übergebe  ich  einem  anderen  Geld,  so  bedingt  der  Ge- 
brauch desselben  von  seiten  des  Entleihers  zugleich  dessen  Ver- 
brauch. Das  Geld  wird,  wie  oben  gezeigt,  seiner  Substanz  nach 
vernichtet.  Damit  ist  aber  gesagt,  daß  dem  Entleiher  ein  Eigen- 
tumsrecht an  dem  entliehenen  Gelde  zustehen  muß:  »cuicumque 
conceditur  usus,  ex  hoc  ipso  conceditur  res,  et  propter  hoc  in 
talibus  per  mutuum  transfertur  dominium2)«.  Das  Darlehen  ist 
nichts  anderes  als  ein  Tausch  zweier  verschiedener  Summen  von 
Münzen.  Der  Unterschied  vom  Tausche  liegt  nur  darin,  daß 
Leistung  und  Gegenleistung  zeitlich  auseinanderfallen.  Diese 
Zwischenzeit  verändert  aber   für  Thomas  den  Tausch  vertrag"  nicht 


a)  II,  II  78  a.  1  c.  cf.  de  mal.  XIII,  4  c.  In  diesem  Zusammenhange  sei 
noch  auf  einen  Punkt  hingewiesen,  in  dem  bei  Thomas  eine  Fortbildung  der  scholastischen 
Wucherlehre  zu  erkennen  ist.  Die  frühere  Scholastik  bringt  in  der  Regel,  um  die 
Zinslosigkeit  des  Darlehens  zu  begründen  bei  der  Gegenüberstellung  von  Mietvertrag  und 
Darlehen  auch  den  Gesichtspunkt:  bei  vermieteten  Gegenständen  fände  eine  Abnutzung 
statt,  für  die  der  Zins  einen  Ersatz  biete;  beim  Gelde  sei  dies  jedoch  nicht  der  Fall. 
Schon  das  Op.  imperf.  argumentiert  in  dieser  Weise:  »ager  vel  domus  utendo  veterascit. 
Pecunia  autem,  cum  fuerit  mutuata,  nee  minuitur  nee  veterascit«.  Ähnlich  heißt  es  in  dem 
S.  102  Anm.  3  erwähnten  Zitat  aus  Gregorius,  das  Raym.  u.  Vincent,  bringen.  Gof- 
fredus  de  Trano  sagt  ähnlich:  »res  locata  usu  deterior  redditur,  quod  in  mutuo  non  con- 
tingit«  (De  usur.  n.  29.  (S.  214).  Alex.  Halensis  steht  auf  demselben  Standpunkt 
(cf.  III,  36  m.  1.  ad.  8).  Alb.  Magnus  bezeichnet  das  Argument  bereits  als  »non  ge- 
neraliter  necessario  verum«  (Sent.  III,  37.  a.  13).  Thomas  lehnt  es  jedoch  bereits  im 
Sentenzenkommentar  (III,  37.  q.  1.  a.  6.  c.)  und  ähnlich  quodl.  III.  a.  19  c.  als  völlig 
unrichtig  und  nicht  zum  eigentlichen  Zinsproblem  gehörig  ab  (vgl.  auch  De  mal.  13.  4. 
c).  Er  bringt  also  den  Scheidungsprozeß  zwischen  dem  Rohzins,  der  auch  eine  Amorti- 
sationsquote enthält,  und  dem  reinen  Zins  zum  Abschluß.  Vgl.  auch  Lessei,  a.  a.  O.  S.  40- 

2)   II,  II  78  a.  1  c.  und  sonst. 


—     104     — 

grundlegend.  Er  weist  kaum  darauf  hin,  in  Übereinstimmung  mit 
den  Anschauungen  relativ  noch  wenig  entwickelter  Wirtschafts- 
perioden, für  die  die  Zeit  zwischen  Leistung  und  Gegenleistung 
von  geringerer  Bedeutung  ist1). 

Der  Gedanke,  daß  im  Darlehen  eine  Eigentumsübertragung 
stattfindet,  ist  dem  römischen  Recht  entnommen2). 

Diese  juristische  Erfassung  des  Darlehens  beruht  auf  der 
oben  geschilderten  Auffassung  von  der  Natur  des  Geldes.  Der 
Vorgang  wird  sofort  ein  anderer,  wenn  das  Geld  entgegen  seiner 
eigentlichen  Bestimmung  verwendet  wird,  wenn  es  z.  B.  aus- 
gestellt oder  als  Pfand  hinterlegt  wird.  Dann  liefert  es  tatsächlich 
einen  Nutzen,  der  unter  Zurückbehaltung  des  Eigentumsrechtes 
verkauft  werden  kann.  In  diesem  Falle  aber  handelt  es  sich  nicht 
mehr  um  ein  mutuum,  sondern  um  eine  locatio,  wie  umgekehrt 
es  keine  locatio,  sondern  ein  Darlehensvertrag  wäre,  wenn  jemand, 
z.  B.  einen  Schuh,  leihen  würde,  damit  dieser  ihn  als  Tauschmittel 
gegen  andere  Dinge  benutze3).  Dieser  Vorgang  wäre  ohne  Eigen- 
tumsübertragung nicht  denkbar.  Der  wirtschaftliche  Inhalt  des 
Vertrages  entscheidet  also  in  jedem  Falle  über  die  juristische  Form 
desselben. 

Schon  für  die  rein  juristische  Betrachtung  ergibt  sich  aber 
damit  schon  die  Unmöglichkeit  des  Zinses:  das  dargeliehene  Geld  ist 
nicht  mehr  Eigentum  des  Verleihers;  es  ist  juristisch  undenkbar,  ihm 
das  Recht  zubilligen  zu  wollen,  Nutzen  aus  einer  Sache  zu  ziehen, 
die  ihm  nicht  mehr  gehört.  So  sagt  Thomas:  »Pro  usu  pecuniae, 
quae  fit  alterius  ex  hoc  ipso,  quod  mutuatur,  aliquid  accipere  nihil 
aliud  est,  quam  accipere  aliquid  ab  aliquo  pro  usu  rei  propriae«4). 

Diese  mehr  formal-juristische  Begründung  für  die  Uner- 
laubtheit des  Zinsnehmens  —  vor  Thomas  wohl  das  Hauptar- 
gument der  Scholastik  für  die  Zinslosigkeit  des  Darlehens,  —  be- 
zeichnet Thomas  in  seinem  Sentenzenkommentar  noch  als  satis 
probabilis5).  Sie  steht  hier  für  ihn  noch  im  Vordergründe  gegen- 
über anderen  Argumenten.     In    seinen  späteren  Schriften  tritt  sie 

x)  Vgl.  Lessei,  a.  a.  O.  S.    18. 

2)  Albertus  sagt  ähnlich:  »dicitur  mutuum  quasi  de  meo  factum  tuum.  Nisi 
enim  de  meo  fieret  tuum,  tu  tuam  voluntatem  et  utilitatem  de  mutuo  facere  non  posses«. 
In  Ev.  Luc.  IV,  35.  Auch  das  etymologische  Wortspiel  ist  aus  dem  römischen  Recht 
entnommen.  Vgl.  z.  B.  1.  2  §  2  D.  12,  1.  Über  die  Auffassung  der  früheren 
Scholastik  vgl.  S.    105.  Anmerk.    1. 

3)  z.  B.  II,  II,  78,  a.   1   ad  6. 

4)  Sent.  1.  c. 

5)  1.  c.     Vgl.  Lessei,  a.  a.  O.  S.  38. 


—     105     — 

dagegen  völlig  zurück.  Hier  argumentiert  er  in  der  Weise,  daß 
er  auf  den  wirtschaftlichen  Vorgang,  der  sich  im  Darlehen  voll- 
zieht, die  Prinzipien  der  Gerechtigkeit  anwendet  und  aus  ihnen 
die  Ungerechtigkeit  des  Zinses  folgert.  Im  Sentenzenkommentar 
findet  sich  hingegen  diese  spätere  Begründung  noch  nicht.  Es 
ist  also  hier  eine  bedeutsame  Entwicklung  der  thomistischen 
Wucherlehre  festzustellen J). 

ß)  Der  Zins  im  Widerspruch  mit  der  justitia  com- 
mutativa. 

Worin  das  Wesen  der  Gerechtigkeit  im  Tausche  besteht,  ist 
früher  erörtert  worden:  sie  erfordert  Wertgleichheit,  Gleichheit  von 
Leistung  und  Gegenleistung.  Im  Darlehensverkehr  wird  also  dann 
Gerechtigkeit  herrschen,  wenn  der  Gläubiger  das  Gleiche  an  Wert 
zurückerhält,  wie  er  dargeliehen  hat.  Die  Höhe  dessen  aber,  was 
der  Darleiher  leistet,  ergibt  sich  aus  dem  bisher  Gesagten  mit 
logischer  Konsequenz:  sie  beschränkt  sich  auf  den  im  Gelde  lie- 
genden Nutzen,  der  mit  der  Substanz,  dem  Werte  des  Geldes 
identisch  ist.  So  sagt  Thomas:  »non  autem  aliquis  plus  accepit, 
quam  ipsam  quantitatem  pecuniae,  quia  eius  usus,  qui  est  pecuniae 
consumptivus,  non  est  aliud  quam  ipsa  pecunia.  Et  ideo  non  debet 
ad  plus  obligari  quam  ad  restituendum  pecuniam«2).  Wird  mehr 
gefordert,  so  liegt  eine  Ungerechtigkeit  vor:  »Beneficium  mutui 
non  est  amplius  quam  pecunia  mutuata,  unde  si  plus  exigitur, 
exigitur  plus  quam  debitum  et  ideo  est  injusta  exactio«3).  Der 
Schuldner  muß   sich   also   verpflichten,   den  Wert   dessen   zurück- 

x)  Ein  Vergleich  der  thomistischen  Ansichten  mit  denen  der  scholastischen  Vor- 
läufer zeigt  Thomas  noch  völlig  im  Kreise  der  letzteren,  z.  B.  bemerkt  Hostiensis: 
»ratio  enim  naturalis,  quod  pro  mutuo  non  possit  exigi  ultra  sortem,  haec  videtur  esse, 
quia  res  mutuata  transit  in  dominium  recipientis  ...  et  suum  est  periculum,  unde  contra 
naturam  est,  quod  rem  propriam  sibi  locem:  si  enim  petam  a  te  10,  quia  cum  pecunia 
tua  lucraris,  numquid  tibi  apparebo  furiosus?«  (Sum.  De  usur.  8.  (S.  1623).  Ähnlich 
heißt  es  bei  Goffredo  (1.  c.  n.  1;  2  [S.  212]).  Alex.  Hai.  erklärt:  »contra  ius 
naturale'  est,  ut  aliquis  percipiat  emolumentum  de  usu  rei,  quae  non  est  sua«  (III,  36 
m.  1.  ad.  8).  Albertus  erklärt  über  dies  juristische  Argument:  »Et  haec  omnibus 
solutionibus  probabilior  videtur  mihi«.  Auch  in  dem  Jugendwerke  des  Aquinaten,  dem 
Sentenzenkommentar,  ist  diese  Beweisführung  noch  ausschlaggebend.  Später  verschiebt 
er  aber  den  Schwerpunkt  der  Argumentation,  indem  er  nunmehr  die  aristotelische  Idee 
der  justitia  commutativa  mit  aller  Schärfe  auf  den  Darlehnsverkehr  anwendet  und 
Gleichheit  von  Leistung  und  Gegenleistung  fordert.  Man  kann  insofern  in  Thomas 
späteren  Schriften  von  einem  »Aristotelismus«  seiner  Wucherlehre  sprechen,  durch  den 
er  seine  scholastischen  Vorläufer  überragt.  Über  ein  mit  der  Eigentumsübertragung 
zusammenhängendes  Argument  der  Summa  vgl.  unten  S.   III.  Anm.   1. 

2)  De  mal.  1.  c.  ad.  5. 

3)  Sent.   III,  1.  c.  ad.   2.  cf.  quodl.  V,  a.    17. 


—     io6     — 

zuzahlen,  was  er  erhalten  hat.     Geschieht  dies,   dann  ist  der  For- 
derung des  justum  pretium  im  Darlehensverkehr  genügt. 

Die  Ungerechtigkeit  des  Zinses  ergibt  sich  also  einmal  aus 
dem  positiven  Nachweise  dessen,  was  gerecht  ist.  Sodann  aber 
noch  durch  weitere  Überlegungen. 

a)  Es  ist  bereits  darauf  hingewiesen  worden,  daß  Thomas 
im  Darlehen  einen  Tausch  von  Geld  gegen  Geld  sieht.  Bedingt 
sich  nun  der  Gläubiger  einen  Zins  aus,  so  ist  dies  nichts  anderes, 
als  ein  Verkauf  von  Geld  gegen  Mehrgeld,  was  natürlich  eine 
Ungerechtigkeit  in  sich  schließt.  In  diesem  Sinne  sagt  Thomas 
in  der  Summa:  »pecunia  non  potest  vendi  pro  pecunia  ampliori, 
quam  sit  quantitas  pecuniae  mutuatae,  quae  restituenda  est1). 

b)  Im  Sentenzenkommentar  findet  sich  ein  ähnlicher  Gedanke, 
jedoch  in  etwas  anderer  Fassung,  indem  er  hier  verknüpft  wird  mit 
der  Vorstellung  vom  Gelde  als  einem  Maße  aller  Dinge.  Der 
Gläubiger  entleiht  eine  bestimmte  Quantität  der  mensura  utilitatis, 
der  Schuldner  gibt  eine  andere  von  gleicher  Größe  zurück.  Würde 
anders  verfahren,  so  bedeutete  dies  eine  Veränderung  und  Ver- 
fälschung des  Maßes:  »unde  accipere  maiorem  pecuniam  pro  minori 
nihil  aliud  esse  videtur,  quam  diversificare  mensuram  in  accipiendo 
et  dando«2).  Diese  Einkleidungsformel  des  Gedankens  von  der 
Ungerechtigkeit  des  Wuchers  findet  sich  vor  Thomas  nicht3).  Sie 
hat,  wie  leicht  ersichtlich,  und,  wie  Thomas  selbst  hervorhebt,  ihre 
Quelle  in  der  aristotelischen  Geldtheorie.  Die  spätere  Scholastik 
hat  diesen  Gesichtspunkt  nicht  verwertet;  auch  bei  Thomas  hat 
sowohl  dieses  als  auch  das  vorige  Argument  nur  eine  untergeord- 
nete Bedeutung. 

c)  Die  Ungerechtigkeit  des  Zinsnehmens  ergibt  sich  aber 
auch  aus  einem  anderen  Gesichtspunkt,  der  mit  dem  Vergleich 
des  Darlehens  mit  der  Vermietung  enger  zusammenhängt.  Auch 
für  das  mittelalterliche  Denken  zeigen  der  Pacht-  oder  Mietzins 
und  der  Leihzins  eine  gewisse  Verwandtschaft,  wenn  es  sie  auch 
grundverschieden  beurteilt.  Bei  der  locatio  wird  der  Gebrauch, 
der  Nutzen  eines  Gegenstandes  gegen  Geld  verkauft.  Leiht  jemand 
Geld  auf  Zins  aus,  so  wird  damit  ein  äußerlich  ähnlicher  Vorgang 
geschaffen.      Der    Gläubiger    verlangt    eine    doppelte    Vergütung', 


*)  II,  II  78  a.  2,  ad.  4.  cf.  ib.  4.  Übrigens  zieht  schon  Alex.  Hai.  dieselbe 
Folge  aus  seiner  Anschauung  vom  Gelde,  indem  er  bezüglich  desselben  äußert:  »Est 
enim  ordinata  ad  aequalem  commutationem  (IV.  q.   110  m.  3.  ad.  4.). 

2)  Sent.    III,  37,   1,  6  c. 

3)  Lessei,  a.  a.  O.  S.  47. 


—     107     — 

zunächst  die  Rückzahlung  des  Kapitals,  darüber  hinaus  aber  dann 
noch  einen  Preis  für  die  überlassene  Nutzung  des  Geldes.  Der 
Preis  dieses  stipulierten  Nutzens  ist  eben  die  usura,  welchem 
Worte  eine  tadelnde  Bedeutung  innewohnt:  »Dicitur  enim  usura 
ab  usu,  eo  scilicet,  quod  pro  usu  pecuniae  pretium  quoddam  acci- 
pitur,  quasi  ipse  usus  pecuniae  mutuatae  vendatur«1).  Der  Zins- 
nehmer  verlangt,  wie  bereits  betont,  eine  doppelte  Vergütung.  Nun 
liegt  es  aber  in  der  Natur  des  Geldes,  daß  Sache  und  Nutzung  des- 
selben nicht  voneinander  getrennt  werden  können.  Mit  der  recompen- 
satio  rei  ist  zugleich  die  recompensatio  usus  verbunden.  Handelt 
der  Gläubiger  anders,  so  verkauft  er  dasselbe  zweimal  oder  rich- 
tiger, er  verkauft  etwas,  was  gar  nicht  vorhanden  ist:  »quia  ergo 
usus  rei  est  inseparabilis  ab  ipsa  re,  quicumque  vendit  usum  talium 
rerum  retinendo  sibi  obligationem  ad  sortem  reddendam,  mani- 
festum est,  quod  idem  vendit  bis«2).  An  anderer  Stelle  äußert 
sich  Thomas  in  ähnlicher  Weise3).  Ein  Zins  für  ein  Gelddarlehen 
wäre  dasselbe,  wie  wenn  jemand  einem  anderen  Wein  liehe  und 
sich  dann  dessen  Substanz  und  Benutzung  bezahlen  lassen  wollte. 
So  sagt  Thomas  in  der  Summa:  »Si  quis  ergo  seorsum  vellet  ven- 
dere  vinum  et  vellet  seorsum  vendere  usum  vini,  venderet  eandem 
rem  bis  vel  venderet  id,  quod  non  est«4).  Diese  Form  des  Beweises 
für  die  Zinslosigkeit  des  Darlehens  war  nahe  gelegt  durch  das 
römische  Recht,  das  an  manchen  Stellen  den  Zins  als  fructus  des 
Geldes  auffaßt,  oder  von  einem  ususfructus  des  Geldes  spricht5). 
Hieraus  erhellt,  daß  der  Zins  seiner  inneren  Natur  nach  un- 
gerecht ist.  Weil  er  zwischen  den  beiden  Tauschkontrahenten  Un- 
gleichheit hervorruft6).  Damit  ist  bereits  ein  anderer  Punkt  be- 
rührt. Das  Recht  enthält  seinem  Inhalte  nach  die  Forderung  der 
Gleichheit  zwischen  zwei  Personen.  Ergibt  sich  diese  Gleichheit 
unmittelbar  aus  der  Natur  des  unter  Rechtsnormen  zu  bringenden 
Vorganges  ex  ipsa  natura  rei:  »puta  cum  aliquis  tantum  dat, 
ut  tantumdem  recipiat«,  sagt  Thomas  —  so  ist  die  sich  ergebende 
Forderung  eine  solche  des  Naturrechts7). 


*)  De  mal.  XIII,  4,  c. 

2)  Quodl.   III,  a.   19. 

3)  De  mal.  XIII,  4,  c. 

4)  II,  II  78  a.  1  c.  cf.  op.   IV,  de  70  praecepto. 

5)  Vgl.  z.  B.  1.  34  D.  22,  1.  Hier  sagt  Ulpian:  >usurae  vicem  fructuum 
obtinent  et  merito  non  debent  a  fructibus  separari«.  Vgl.  Oertmann,  a.  a.  O. 
S.   147.     Vgl.  auch  S.    114  Anmerk.   2. 

«)   II,  II   78  a.  1  c. 
7)  II,  II   57,  a.   2  c. 


—     io8     — 

Es  ist  nun  im  Vorhergehenden  bereits  gezeigt  worden,  daß 
das  Zinsnehmen  nicht  etwa  unerlaubt  ist  infolge  positiven  gött- 
lichen oder  menschlichen  Gebotes,  sondern  die  Ungerechtigkeit 
des  Zinsnehmens  folgt  mit  logischer  Konsequenz  aus  der  Natur 
des  Darlehens  selbst.  Es  ist  gegen  die  »ratio  naturalis« x)  es  ist 
»secundum  se  iniustum«2);  mit  anderen  Worten,  das  Verbot  des 
Zinsnehmens  ist  eine  Forderung  des  Naturrechtes.  Demgemäß 
erklärt  Thomas,  es  sei:  »manifeste  contra  rationem  justitiae 
naturalis«3). 

Dieses  Argument  für  das  Wucherverbot  von  Thomas  ist 
das  eigentlich  thomistische4).  Es  ist  leicht  ersichtlich,  daß  hier 
Momente  zu  einer  Einheit  verbunden  sind,  die  bereits  vor  Thomas 
vorhanden  waren.  Die  Anschauungen  über  die  Natur  des  Geldes 
und  des  Darlehens,  wie  sie  vom  römischen  Recht,  den  Kirchen- 
vätern, Aristoteles  vertreten  werden,  sind  hier  vereint  mit  der 
aristotelischen  Auffassung  vom  Wesen  der  Gerechtigkeit.  Zweifel- 
los enthält  es  die  schärfste  Ausprägung  der  scholastischen  Wucher- 
lehre. Thomas  selbst  legt  ihm  die  größte  Bedeutung  bei,  wie 
sich  aus  der  häufigen  Wiederholung  gerade  dieses  Argumentes 
ergibt.  Im  Sentenzenkommentar  findet  es  sich  allerdings  noch 
nicht.  Seine  Ausbildung  fällt  also  in  Thomas  spätere  Lebenszeit. 
Die  Scholastik  nach  ihm  bedient  sich  häufig  gerade  dieses  Argu- 
mentes5). 

y)  Der  Zins  als  Aneignung  fremder  Arbeit.  Zins  und 
Wertgesetz. 

Es  ist  also  bisher  gezeigt  worden,  worin  nach  Thomas  die 


*)   Quo  dl.   III,  a.   19  mit  Berufung  auf  Aristoteles  Politik. 

2)  Vgl.  Anm.  6  d.  vor.  S. 

3)  De  mal.  XIII,  4  c.  cf.  quodl.  III,  19.  Albertus  Magnus  äußert  sich  ganz 
ähnlich.     "Vgl.  Sent.  III,  37  a.   13. 

4)  Lessei,  a.  a.  O.  S.  39.  Daß  in  der  Summa  jedoch  auch  andere,  als  der  in 
Frage  stehende  Gesichtspunkt  für  die  Unerlaubtheit  des  Wuchers  geltend  gemacht 
werden,  und  dies  nicht,  wie  L  es  sei  annimmt,  der  einzige  ist,  dürfte  die  Darstellung 
gezeigt  haben  und  noch  des  weiteren  zeigen. 

6)  "Wörtlich  wird  die  thomistische  Wucherlehre  wiedergegeben  im  Speculum 
morale,  III,  d.  11,  p.  7  (S.  1295  ff.).  Hinzugefügt  sind  hier  noch  moralisierende  Be- 
trachtungen über  die  Schlechtigkeit  des  Wuchers  (S.  1299  ff.).  Auch  bedient  sich  der 
Verfasser  des  Argumentes  von  der  Unverkäuflichkeit  der  Zeit  (S.  1301),  das  sich  bei 
Thomas  nicht  findet.  Auch  ÄgidiusColonna  Romanus  bringt  neben  dem  aristotelischen 
Gedanken,  daß  das  Geld  nicht  wie  lebende  Wesen  Junge  erzeugen  könne,  vor  allem 
die  thomistische  Begründung  des  Zinsverbotes,  teilweise  in  wörtlicher  Wiederholung. 
Das  Zinsnehmen,  heißt  es  weiter,  widerstreite  dem  Naturrecht,  deshalb  sei  es  auch  von 
der  stattlichen  Gewalt  zu  verbieten.     De  reg.  prine.  1.   II.  p.  3.  c.    II. 


—     ic>9     — 

Gerechtigkeit  im  Darlehen  besteht.  Der  Wucher  ist  ungerecht, 
weil  durch  ihn  eine  Ungleichheit  konstituiert  wird.  Doch  ist  die 
Untersuchung  noch  nicht  zu  Ende.  Die  bisherigen  Argumente 
waren  mehr  negativer  Natur,  insofern  sie  zeigten,  daß  im  Zins- 
nehmen ein  ungerechter  Mehrwert  liegt.  Es  entsteht  nun  natur- 
gemäß die  Frage:  was  bildet  die  Substanz  dieses  Mehrwertes,  wo- 
her stammt  derselbe?  Die  Frage  hängt  zusammen  mit  der  nach 
dem  eigentlich  ökonomischen  Inhalt  des  Zinsverbotes  und  nach 
seiner  Bedeutung  für  den  wirtschaftlichen  Organismus,  die  ihm 
nach  den  thomistischen  Anschauungen  zukommt.  Das  Zinsverbot 
hat  sich  bisher  als  spezieller  Fall  des  allgemeinen  Wertgesetzes 
erwiesen,  es  ergibt  sich  aus  dem  Prinzip  der  Wertgleichheit  im 
Tausche.  Die  Verwendung  dieses  Prinzips  wird  im  folgenden 
eine  tiefere  Begründung  erfahren. 

In  welchem  Sinne  das  Geld  produktiv  ist,  hat  sich  oben 
ergeben:  Der  Überschuß  über  den  Nutzen  seines  unmittelbaren 
Verbrauchs  stellt  sich  dar  als  Ergebnis  menschlicher  Arbeit,  er 
ist  behaftet  mit  einem  persönlichen  Momente.  Läßt  sich  nun  der 
Darleiher  einen  Zins  geben,  so  bedeutet  dies  nichts  anderes,  als 
daß  er  die  Arbeit  des  Schuldners  ausbeutet,  indem  er  sich  einen 
Teil  seines  Arbeitsertrages  aneignet.  Dies  ist  aber  offenbar  un- 
sittlich. So  sagt  Thomas  in  prinzipieller  Kürze:  »industriam  autem 
eius  sibi  vendere  non  debeo«1). 

Insbesondere  ist  für  Thomas  folgender  Gesichtspunkt  maß- 
gebend: Der  Gewinn  gebührt  dem  Entleiher  deshalb,  weil  er  die 
Gefahr  des  Unternehmens,  in  dem  das  Geld  verwendet  wird,  trägt. 
Die  Übernahme  des  Risikos  ist  ebenfalls  wirtschaftliche  Arbeit, 
die  mit  Recht  Anspruch  auf  Gewinn  als  ihren  Lohn  machen 
kann.  Von  der  Gefahr  aber,  die  mit  der  Verwendung  des  Geldes 
in  einem  Unternehmen  verknüpft  ist,  ist  der  Darleiher  völlig  ge- 
trennt, .denn  die  entliehene  Summe  ist  nicht  mehr  sein  Eigentum. 
Das  Unternehmen  mag  gelingen  oder  nicht,  ihm  steht  der  An- 
spruch auf  die  gleiche  Summe  Geldes  zu.  Das  Zinsnehmen  be- 
deutet eine  Ausbeutung  der  Tätigkeit  des  Schuldners.  So  sagt 
Thomas:  »ille,  cui  pecunia  mutuatur,  sub  suo  periculo  tenet  eam 
et  tenetur  eam  restituere  integre,  unde  non  debet  amplius  exigere 
ille,  qui  mutuavit«2). 

Dieselbe  Stellungnahme  zeigt  sich  in  einem  anderen  Fall: 
hat  jemand   unerlaubter   Weise    Zinsen   genommen,   so   ist  er  zur 

a)  Sent.  III,  37,  i  a.  6  ad  4. 
2)  II,  II   78  a.  2  ad  5. 


—       I  10      — 

Restitution  verpflichtet.  Es  liegt  dann  tatsächlich  eine  Art  Dar- 
lehen vor,  indem  der  unrechtmäßige  Besitzer  der  Zinsen  gewisser- 
maßen Geld  geliehen  hat  von  dem,  der  ihm  den  Zins  zahlte1). 
Die  zu  leistende  Restitution  umfaßt  aber  nach  Thomas  nur  die 
Rückgabe  des  Kapitals,  d.  h.  der  gegebenen  Zinsen,  nicht  etwa 
auch  den  Gewinn,  der  inzwischen  mit  dem  Gelde  erzielt  wurde. 
Der  letztere  verdankt  seinen  Ursprung  der  Arbeit  des  unrecht- 
mäßigen Besitzers  und  steht  deshalb  ihm  zu.  »Non  tenetur« 
heißt  es  in  der  Summa,  »homo  ad  restitutionem,  nisi  id,  quod 
accepit,  quia  id,  quod  de  tali  re  est  acquisitum,  non  est  fructus 
huiusmodi  rei,  sed  humanae  industriae«2). 

Es  kommt  hier  derselbe  Gedanke  zum  Ausdruck,  den  Thomas 
hinsichtlich  des  einfachen  Tausches  aufstellt.  Das  Zinsnehmen 
widerspricht  dem  allgemeinen  Prinzip,  daß  das  Fundament  der 
Arbeitsteilung  bildet:  der  Wiedervergeltung  von  Arbeit  und  Kosten. 
Es  widerspricht  der  Idee,  die  den  volkswirtschaftlichen  Organismus 
durchdringen  sollen:  daß  nämlich  die  einzelnen  Glieder  füreinander 
in  gleichem  Maße  arbeiten  sollen.  Albertus  Magnus  hebt  den- 
selben Gedanken  hervor3).  Für  den  Zins  fehlt  also  der  Rechts- 
grund der  Arbeit,  er  wird  als  Aneignung  fremder  Arbeit  ab- 
gelehnt. 

Daß  dieser  Gesichtspunkt  eine  zentrale  Stellung  in  der  thomi- 
stischen  Wucherlehre  einnimmt,  zeigt  die  Erörterung  des  Gesell- 
schaftsvertrages. In  diesem  bleibt  der  Kapitalist  Eigentümer  des 
Geldes,  daß  er  für  das  Unternehmen  hergibt;  dies  zieht  aber  die 
wirtschaftliche  Folge  nach  sich,  daß  er  das  Risiko  des  Unter- 
nehmens mitträgt.  Gerade  das,  dessen  Fehlen  im  Darlehen  den 
Zins  unerlaubt  macht,  ist  hier  verwirklicht:  der  Besitzer  des 
Geldes  nimmt  in  gewissem  Sinne  teil  an  der  Arbeit  des  Kaufmanns 
oder  Handwerkers.  Er  darf  deshalb  als  Gegenleistung  der  Höhe 
des  eingezahlten  Geldes  entsprechend,  die  eben  das  Maß  seiner 
Leistung  bestimmt4),  Anspruch  auf  Anteilnahme  am  Gewinn  erheben. 
Dieser  Gewinnanteil  hat  dann  ein  gewisses  persönliches  Moment 
und  wird  deshalb  von  Thomas  durchaus  gestattet6).  Die  thomi- 
stische  Stellung  zum  Gesellschaftsvertrage  soll  also  nicht  etwa  eine 
Ausnahme   vom    Zinsverbot    in    sich    schließen,   sondern    sich   aus 

*)  Vgl.  hierzu  quodl.  III,  a.    19. 

2)  II,   II,   78,  a.   3.  c. 

3)  Albertus  Magnus  in  Ev.  Luc.  IV,  35.     Vgl.  Lessei,  a.  a.  O.  S.  42  f. 

4)  Cf.  In  Eth.  Nie.  V,  1.  1.  Zum  Gesellschaftsvertrage  vgl.  Endemann,  Studien  I, 
S.  346.  Über  den  Zusammenhang  mit  dem  römischen  Recht  daselbst  S.  334. 

6)    II,   II  78,  1.  c. 


—     III      — 

denselben   Prinzipien   ergeben,    die  für  die  Behandlung  des  Dar- 
lehens maßgebend  sind1). 

Der  Zusammenhang  zwischen  der  thomistischen  Wert-  und 
Wucherlehre  ist  aber  noch  nach  einer  anderen  Seite  zu  betrachten. 
Der  Zweck  der  geforderten  Wiedervergeltung  von  Arbeit  und 
Kosten  geht  darauf  hinaus,  den  Tausch  in  seiner  volkswirtschaft- 


*)  Unter  der  societas  quaedam  versteht  Thomas  möglicherweise  die  sog.  Commenda, 
eine  im  frühen  Mittelalter  zumal  in  den  italienischen  Städten  gebräuchliche  Gesellschafts- 
form. Über  letztere  vgl.  Silberschmidt:  »Die  Commenda  in  ihrer  frühesten  Ent- 
wicklung bis  zum  13.  Jahrhunderte.  Hiernach  Schaub:  Der  Kampf  usw.  S.  159  f. 
Vgl.  auch  Endemann,  a.  a.  O.  I,  S.  361  ff.  Daß  Thomas  das  Tragen  des  Risikos 
als  wirtschaftliche  Arbeit  auffaßt,  die  ein  besonderes  Entgelt  verdient,  ist  bereits  bei 
Erörterung  des  Handelsgewinnes  betont  (S.  79).  Gleichwohl  ist  die  Rechtfertigung 
des  Gesellschaftsunternehmens  ungenügend  und  steht  in  gewissem  Sinne  im  Gegensatz 
zu  der  sonst  von  Thomas  eingehaltenen  Argumentation.  II,  II  78.  a.  2.  ad.  5  heißt 
es:  »ille,  qui  mutuat  pecuniam,  transfert  dominium  pecuniae  in  eum,  cui  mutuat;  unde 
ille,  cui  pecunia  mutuatur,  sub  suo  periculo  tenet  eam  et  tenetur  restituiere  integre:  unde 
non  debet  amplius  exigere  ille,  qui  mutuavit.  Sed  ille,  qui  committit  pecuniam  suam 
vel  mercatori  vel  artifici  per  modum  societatis  cuiusdam,  non  transfert  dominium 
pecuniae  suae  in  illum,  sed  remanet  eius;  ita  quod  cum  periculo  ipsius  mercator  de  ea 
negotiatur  vel  artifex  operatur;  et  ideo  sie  licite  potest  partem  lucri  inde  provenientis 
expetere  tanquam  de  re  sua«.  Der  Darlehenszins  wird  hier  deshalb  als  unerlaubt 
erklärt,  weil  infolge  der  Eigentumsübertragung  im  Mutuum  der  Gläubiger  von  jedem 
Risiko  befreit  sei,  und  der  Gesellschaftsvertrag  hierzu  in  Gegensatz  gestellt.  Thomas 
bringt  hier  eine  Begründung  des  Zinsverbotes,  die  sich  schon  in  der  erwähnten  Stelle 
bei  Gregorius  findet  und  auch  von  Goffredo  v.  Tr.  und  Alex.  Hai.  bei  der  Gegen- 
überstellung des  Miet-  und  Darlehenszinses  gebracht  wird.  Der  Vermieter  eines  Gegen- 
standes dürfe  ein  Entgelt  beanspruchen,  weil  er  Eigentum  und  damit  Risiko  behalte, 
was  im  Darlehen  nicht  der  Fall  sei,  eine  Auffassung,  die  auf  einer  unklaren  Erfassung 
des  Wesens  des  Zinses  beruht.  (De  usur.  2.  [212]  S.  th.  III,  36  m.  1  ad.  8).  Eine 
größere  Bedeutung  hat  dies  Argument  in  der  Scholastik  nicht  gehabt.  Auch  Thomas 
bringt  es  nur  im  Zusammenhang  mit  der  Behandlung  des  Gesellschaftsvertrages.  Die 
letztere  ist  also  ungenügend,  insofern  als  ein  Gedanke  verwendet  wird,  der  sonst  bei 
Behandlung  des  Zinses  völlig  zurücktritt.  Zudem  dürfte  es  kaum  ausreichend  sein, 
den  Gewinn,  den  ein  Kapitalist  aus  einem  Unternehmen  bezieht,  lediglich  als  Prämie 
für  das  Risiko,  das  er  infolge  der  Rückbehaltung  des  Eigentumsrechtes  an  der  einge- 
zahlten Geldsumme  übernimmt,  aufzufassen.  Thomas  steht  hier  unter  dem  Einfluß  der 
Tradition,  dem  er  sich  nicht  zu  entziehen  vermag.  So  sagt  z.  B.  schon  Goffredo  r.  Tr. : 
»Vis  autem  dare  pecuniam  naviganti  vel  eunti  ad  nundinas  seu  alii  mercatori  sine 
peccato:  pone  tu  pecuniam  et  alius  operam  personalem  et  pecuniam  tantam  vel  minorem: 
plerumque  enim,  quod  pecuniae  deest,  opera  supplet  ...  et  communicetis  pericula, 
lucra  et  damna«  (1.  c.  n.  29.  [214^]).  Ähnlich  Hostiensis  vgl.  Lessei,  a.  a.  O. 
S.  31.  Zudem  ist  die  Auffassung,  daß  der  Gesellschafter  Eigentümer  des  Geldes  bleibe, 
schwerlich  mit  den  sonstigen  thomistischen  Anschauungen  vom  Gelde  vereinbar.  Denn 
auch  im  Gesellschaftsunternehmen  muß  das  Geld  verausgabt  werden.  Es  kann  also  dem 
Kommittenten  nur  ein  Forderungsrecht,  kein  Eigentum  verbleiben,  wie  schon  häufig 
hervorgehoben  ist.     Vgl.  L  es  sei,  a.  a.  O.  S.  61. 


112       

lieh  unentbehrlichen  Funktion  auf  eine  dauernd  sichere  Basis  zu 
stellen.  Wir  können  vermuten,  daß  die  Anwendung  der  Prin- 
zipien des  gerechten  Preises  auf  den  Darlehensverkehr,  der  ja 
nur  eine  andere  Form  der  commutatio  ist,  hinsichtlich  desselben  einen 
ähnlichen  Zweck  verfolge.  Es  ist  zu  dem  Zwecke  zunächst  die 
Bedeutung  festzustellen,  die  nach  Thomas  dem  Darlehensverkehr 
im  volkswirtschaftlichen  Organismus  zufällt.  Wenn  hierüber 
Thomas  sich  auch  nicht  ausdrücklich  äußert,  so  kann  man  doch 
aus  manchen  Stellen  dahingehende  Schlüsse  ziehen. 

Es  fehlt  bei  Thomas  vollständig  der  Gedanke,  daß  die 
Kreditgewährung  für  den  normalen  Verlauf  des  Wirtschaftslebens 
notwendig  sei.  Es  geht  dies  deutlich  hervor  aus  der  Art  und 
Weise,  wie  Thomas  die  Stellung  des  Schuldners  im  Darlehensver- 
kehr behandelt.  Diese  war  für  ihn  zumal  unter  moraltheologischem 
Gesichtspunkt  zu  erörtern.  Wurde  das  Zinsnehmen  als  sündhaft 
hingestellt,  so  konnte  leicht  der  Gedanke  aufkommen,  auch  das 
Zinsgeben  sei  ungerecht,  weil  der  Schuldner  Veranlassung  und 
Möglichkeit  zur  Sünde  gäbe1).  Die  Stellung,  die  Thomas  zu  dieser 
Frage  einnimmt,  ist  wichtig;  er  hält  das  Zinsgeben  unter  be- 
stimmten Verhältnissen  für  sittlich  erlaubt.  Jener  rigoristischen 
Anschauung  gegenüber,  die  es  als  sündhaft  ablehnt,  weist  er  zu- 
nächst auf  die  »contraria  consuetudo  multorum  bonorum«  hin,  die 
sich  am  Zinsgeben  nicht  stoßen 2).  Der  Schuldner,  erklärt  er 
weiterhin,  befindet  sich  in  einer  necessitas3).  Letzterer  Begriff  ist 
keineswegs  ein  engbegrenzter.  Es  kann  ein  Darlehen  absque 
magna  necessitate  aufgenommen  werden4).  Unter  dem  necessarium 
v ersteht  Thomas  einmal  dasjenige,  ohne  welches  eine  Existenz 
unmöglich  ist,  wie  z.  B.  die  Nahrung;  dann  aber  auch  dasjenige, 
was  zum  standesgemäßen  Lebensunterhalt  gehört5).  In  einer  von 
beiden  Beziehungen  leidet  der  Darlehensnehmer  stets  Mangel: 
»semper  autem  ille,  qui  mutuum  aeeipit,  patitur  necessitatem  vel 
primo  vel  seeundo  modo«6). 

Sieht  sich  nun  jemand  veranlaßt,  ein  Darlehen  aufzunehmen, 


M  II,  II  78  a.  4  ob.  1. 

2)  de  mal.  1.  c.  ob.    17. 

3)  II,  II,  78  a.  4  c.  und  sonst. 

4)  De  mal.  1.  c.  ob.  8. 

B)  Siehe  oben  S.   18  f.,  S.  54. 

6)  De  mal.  1.  c.  ad.  8.  Albert  Magnus  wagt  (III,  37  a.  15)  den  Umfang  der 
necessitas  nicht  näher  zu  bestimmen,  überläßt  es  vielmehr  dem  Gewissen  des  Einzelnen 
und  der  Entscheidung  der  Obrigkeit,  wann  die  Aufnahme  eines  verzinslichen  Darlehens 
gerechtfertigt  sei. 


—      H3      — 

so  ist  der  Gläubiger  zwar  an  sich  verpflichtet,  es  ihm  zinslos  zu 
geben.  Es  ist  aber  der  Fall  denkbar,  daß  er  hierzu  nicht  bereit 
ist.  Dann  darf  der  Entleiher,  vorausgesetzt,  daß  er  sich  in  der 
gekennzeichneten  Zwangslage  befindet,  Zinszahlung  versprechen, 
jedoch  nur  unter  der  Bedingung,  daß  der  Gläubiger  bereits  zum 
Zinsnehmen  entschlossen  ist  und  nicht  etwa  erst  durch  den  Schuld- 
ner dazu  veranlaßt  wird1).  Der  Darlehensnehmer  will  dann  nicht 
das  Zinsgeben,  sondern  nur  die  »mutuatio,  quae  est  bona«2).  Er 
zahlt  den  Zins  nicht  schlechthin  freiwillig,  sondern  »quasi  coactus 
necessitate« s).  Die  Schuld  liegt  einzig  auf  seiten  des  Gläubigers: 
»qui  licet  ei  non  inferat  violentiam  absolutam,  infert  ei  tarnen 
quandam  violentiam  mixtam«:  diese  Gewalttätigkeit  liegt  eben  in 
der  Ausnützung  der  Notlage  des  Schuldners4).  Es  wäre  unerlaubt, 
wenn  jemand  ohne  in  Not  zu  sein,  ein  verzinsliches  Darlehen 
aufnehmen  wollte5). 

Die  Gestattung  der  Zinszahlung  in  Not  hat  natürlich  nur 
dann  Sinn,  wenn  das  Darlehen  trotz  der  Verpflichtung  zur  Zins- 
zahlung dem  Schuldner  noch  Nutzen  gewährt.  Daß  dies  der  Fall 
sein  kann,  ist  Thomas  durchaus  bekannt.  So  hebt  er  den  großen 
Vorteil  hervor,  die  »multae  commoditates,  quas  interdum  aliqui 
consequuntur  ex  pecunia  mutuata,  licet  sub  usuris«6). 

Man  sieht  deutlich,  daß  Thomas  dem  Darlehnsverkehr 
immerhin  eine  wichtige  wirtschaftliche  Funktion  zuerkennt:  es 
erscheint  ihm  berechtigt  für  den,  der  sich  in  Not  befindet,  sei  es 
im  absoluten  Sinne  oder  in  dem  Sinne,  daß  er  das  standesgemäße 
Einkommen  nicht  genießt.  Die  Kreditgewährung  soll  also  der 
Heilung  anormaler  Zustände,  die  im  volkswirtschaftlichen  Orga- 
nismus zutagetreten,  dienen.  Die  Erlaubnis  des  Zinsgebens  von 
seiten  des  Schuldners  hat  in  der  volkswirtschaftlichen  Unent- 
behrlichkeit  des  Darlehens  ihren  Grund. 

Es  dürfte  klar  sein,  daß  die  Theorie,  die  das  Verständnis 
des  mittelalterlichen  Zinsverbotes  fördern  wollte  durch  den  Hin- 
weis darauf,  der  Kreditverkehr  habe  im  Mittelalter  wesentlich  kon- 
sumtiven,   nicht    produktiven    Zwecken    gedient,    aus    den    thomi- 


*)  II,  II  78  l.  c. 

2)  ib.  ad.  1. 

3)  Sent.    III,    37    1    a.    6   ad.    6.     De   mal.  1.  c.  ad.    9.     Vgl.  Albertus   Magnus 
Sent.    111,   37   a.    13   ad.    1. 

4)  De  mal.  1.   c.   ad.   7. 

5)  ib.   ad.    18. 
G)   Ib.  ad.  6. 

Beitrüge  zur  Geschiebte  der  Nationalökonomie.     Heft  I.  8 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


—      ii4      — 

stischen   Gedankengängen    keine  Bestätigung,  vielmehr  eher   eine 
Zurückweisung  erfährt. 

Die  geschilderten  Vorstellungen  von  der  Bedeutung  des 
Kreditverkehrs  sind  auch  für  die  Stellung  entscheidend,  die  Thomas 
zur  weltlichen  Gesetzgebung,  teilweise  im  Anschluß  an  seine 
scholastischen  Vorläufer  einnimmt1).  Thomas  weist  zunächst  darauf 
hin,  daß  das  römische  Recht,  das  Zinsnehmen  zwar  gestatte,  aber 
nicht  in  dem  Sinne,  als  ob  es  voll  innerlich  berechtigt  sei.  Auch 
nach  dem  bürgerlichen  Rechte  gehöre  das  Geld  zu  den  Dingen, 
»quae  ipso  usu  consumuntur«,  die  deshalb  keine  wirtschaft- 
liche Nutznießung  gestatteten.  Für  die  Einrichtung  einer  Nutz- 
nießung seien  lediglich  bestimmte  Zweckmäßigkeitsrücksichten  maß- 
gebend2). 

Die  gewaltsame  Unterdrückung  alles  sittlich  unerlaubten, 
erklärt  Thomas,  könne  für  die  menschliche  Gesellschaft  die  Ver- 
hinderung wesentlicher  Vorteile  mit  sich  bringen,  ja  bedeutenden 
Schaden  zur  Folge  haben.  Und  so  erlaube  das  bürgerliche  Recht 
das  Zinsnehmen  »dispensative«,  »non  quasi  existimans  eas  esse 
secundum  justitiam,    sed    ne   impedirentur    utilitates    multorum«3;. 

Diese  Erörterungen  bleiben  völlig  unverständlich,  wenn  nicht 
angenommen  wird,  daß  Thomas  von  der  wirtschaftlichen  Bedeu- 
tung des  Darlehens  überzeugt  war  und  es  im  volkswirtschaftlichen 
Organismus  für  notwendig  erachtete.  Der  Kredit,  der  ihm  vor- 
schwebte, kann  mit  Keller  als  Notkredit  bezeichnet  werden.  Er 
soll  der  Hebung  der  necessitas,  d.  h.  eben  der  besseren  Erreichung 
des  Zieles  dienen,  daß  das  Ziel  der  wirtschaftlichen  Arbeit  ist, 
nämlich  der  Erlangung  des  standesgemäßen  Einkommens,  die  in 
dem  Fall,  wo  ein  Darlehen  begehrt  wird,  durch  irgendwelche 
anormalen  Verhältnisse  als  nicht  möglich  erscheint4;. 

*)  Vgl.  z.  B.  Alex.  Hai.  III,  q.  66  m.  3  ad.  4.  Albertus  Magnus  111, 
37  a.  13:  »Dare  autem  ad  usurarn  multum  confert  ad  bonura  statum  temporalem  illum 
et  ideo   Imperator  permittit  et  reges  similiter«. 

2)  II,  II,  78  a.  1  ad.  3.  Er  nimmt  hier  Bezug  auf  §  2  J.  2,  4,  wo  es  vom 
Senate  heißt,  er  habe  »per  cautionem«  einen  »quasi  ususfructus«  des  Geldes  festgesetzt. 
Man  hat  in  späterer  Zeit  im  Sinne  des  römischen  Rechts  die  Zinsen  als  fructus  civiles 
bezeichnet.  Auch  das  römische  Recht  verkennt  die  Produktivität  des  Kapitals  und 
sieht  letzten  Endes  nur  die  Willensübereinstimmung  über  den  Credit  als  Grund  des 
Zinses  an.  Der  Zins  ist  also  tatsächlich  nur  geduldet,  obwohl  er  im  übrigen  nicht 
wohlwollend  beurteilt  wird.  Senatoren  war  z.  B.  das  Zinsnehmen  verboten.  Vgl. 
Oertmann,  a.  a.  O.  S.   148  ff.,  S.   75. 

3j   1.  c.  f.     De  mal.  1.  c.  ad.  6. 

4)  Unternehmung  und  Mehrwert  (191 2),  S.  24  ff.,  ohne  daß  damit  den  übrigen 
Ausführungen,  auf  die  hier  nicht  eingegangen  werden  kann,  zugestimmt  werden  soll. 


—     ii5     — 

Diese  Funktion  des  Darlehensverkehrs  soll  durch  die  Durch- 
dringung mit  den  Forderungen  des  gerechten  Preises  geschützt 
und  bewahrt  werden.  Freilich  wird  sie  durch  das  Zinsnehmen  im 
Einzelfalle  nicht  gestört,  wie  ja  auch  ein  Tausch,  der  nicht  den 
Prinzipien  der  Gerechtigkeit  entspricht,  nicht  gleich  den  ganzen 
Organismus  der  Arbeitsteilung  zerstört.  Wie  aber  der  Tausch, 
wenn  anders  er  auf  dauernder  Grundlage  ruhen  will,  seiner  ganzen 
Idee  nach  die  Einhaltung  des  gerechten  Preises  fordert,  in  der- 
selben Weise  verlangt  auch  der  wirtschaftliche  Inhalt  des  Dar- 
lehens, das  ja  nichts  anderes  als  ein  Tausch  ist,  die  Zinslosigkeit 
desselben,  weil  nur  letztere  der  Wiedervergeltung  von  Arbeit  und 
Kosten  entspricht.  Die  Basierung  des  Kreditverkehrs  auf  die 
Forderungen  des  gerechten  Preises  bietet  zugleich  die  Gewähr 
dafür,  daß  derselbe  seine  volkswirtschaftliche  Funktion,  die  Er- 
möglichung des  standesgemäßen  Einkommens,  in  geregelter  Weise 
erfüllt,  wie  es  seiner  inneren  Natur  entspricht.  Das  ist  offenbar 
der  tiefere  Sinn  der  thomistischen  Wucherlehre,  die  durch  die 
Einreihung  in  den  Gesamtideenkreis  des  gerechten  Preises  eine 
bedeutsame  Vertiefung  erfährt. 

Das  Zinsverbot  entspricht  auch  insofern  den  wirtschaftlichen 
Verhältnissen,  die  Thomas  vor  Augen  hatte,  als  der  Zins  eine 
Durchbrechung  des  Ideals  bedeutet,  daß  jeder  durch  Arbeit  seinen 
Unterhalt  sich  erwerben  soll.  Mit  Recht  sagt  Sombart:  »Es  kommt 
doch  wohl  in  jenem  Rechtssatze  des  Zinsverbotes  nichts  anderes 
zum  Ausdruck,  als  die  prinzipielle  Anerkenntnis  des  dem  hand- 
werksmäßig organisierten  Wirtschaftsleben  adäquaten  Wirtschafts- 
prinzips der  Bedarfsdeckung  durch  Werkschaffung«1).  Das  Wirt- 
schaftsleben selbst  verlangte  seiner  innern  Natur  nach  Schutz  gegen 
den  rein  lukrativen  Erwerb,  gegen  den  Kapitalismus.  So  tadelt 
Thomas  es  an  den  Juden,  daß  sie  »ociose  viventes  solis  usuris 
ditentur«  und  hält  es  für  besser,  sie  zum  Erwerb  des  Lebensunter- 
haltes durch  Arbeit  zu  zwingen2). 

Der  Wertlehre  liegt  die  Idee  zugrunde,  daß  der  Arbeit  ein 
standesgemäßer  Unterhalt  gebühre.  Wenn  dem  nicht  genügt  ist, 
soll  das  Darlehen  korrigieren.  Diesen  Vorgang  benutzt  der 
Wucherer,  um  ohne  Arbeit  vermittels  seines  Überflusses  ein  über- 
standesgemäßes Einkommen  zu  erzielen.  Das  widerstreitet  dem 
in  der  Wertlehre  niedergelegten  Organisationsprinzip  der  Ge- 
sellschaft. 

1)  Der  moderne  Kapitalismus  I.     S.    184. 

2)  Op.  XXI. 

8* 


—      n6     — 

3.  Die  bisherigen  Erörterungen  haben  sich  lediglich  mit 
dem  Schutze  des  Schuldners  beschäftigt.  Nun  ergibt  sich  aber 
zuweilen  die  Notwendigkeit,  auch  die  Rechte  des  Gläubigers  zu 
schützen.  Bei  Thomas  geschieht  dies  einmal  durch  Einschärfung 
der  Restitutionspflicht  des  Schuldners,  sowie  durch  Hinweis  auf 
die  für  letzteren  bestehende  Pflicht  der  Dankbarkeit.  Vor  allem 
aber  wird  der  Darleiher  gegen  eigenen  Schaden  geschützt  durch 
die  sogenannten  Zinstitel,  die  an  sich  organische  Bestandteile 
des  Zinsverbotes  sind,  allerdings  wohl  auch  häufig  zur  Umgehung 
des  Zinsverbotes  verwendet  wurden.  Thomas  hat  sich  mit  der 
Theorie  der  Zinstitel  eingehender  beschäftigt,  als  die  Scholastik 
vor  ihm1).  Freilich  ist  die  diesbezügliche  Lehre  auch  bei  ihm 
noch  relativ  unentwickelt.  Von  einer  Scheidung  verschiedener 
Zinstitel,  wie  sie  später  gebräuchlich  wurde2),  ist  bei  ihm  noch 
kaum,  wenigstens  nicht  formell  die  Rede. 

Man  kann  vom  Gläubiger  nicht  verlangen,  daß  er  sich  durch 
Gewährung  des  Darlehens  selbst  einen  Schaden  zuzieht,  während 
dem  Schuldner  ein  Vorteil  erwächst.  Nun  ist  es  aber  wirtschaft- 
lich möglich,  daß  der  Gläubiger  zwar  einen  Schaden,  der  Schuldner 
aber  durch  Benutzung  des  entliehenen  Kapitals  einen  Gewinn  er- 
zielt, der  größer  ist,  als  der  genannte  Schaden,  so  daß  der  Schuldner 
diesen  ersetzen  und  darüber  hinaus  noch  genügenden  Gewinn  erzielen 
kann3).  Es  ist  in  dem  Falle  wünschenswert,  den  Gläubiger,  trotz  des 
Verlustes,  den  er  erleidet,  zum  Darleihen  zu  veranlassen.  Freilich 
muß  ihm  dann  ein  Anspruch   auf  Schadenersatz  gewährt  werden. 

Für  den  Schaden,  der  dem  Gläubiger  erwachsen  kann,  ge- 
braucht Thomas  das  Wort  damnum,  das  jeden  Nachteil  der  irgend- 
wie entstehen  kann,  umfaßt.  Dieser  Schaden  kann  in  zwei  Formen 
auftreten.  Einmal  kann  dem  Gläubiger  durch  die  Darlehensge- 
währung ein  Teil  seines  tatsächlichen  Besitzes  entzogen  werden: 
ein  damnum,  »per  quod  subtrahitur  sibi  aliquid,  quod  debet  habere«. 
Andererseits  wird  ihm  die  abstrakte  Möglichkeit,  einen  Gewinn 
mit  seinem  Gelde  zu  machen,  genommen;  dies  ist  ein  damnum, 
»quod  consideratur  in  hoc,  quod  de  pecunia  non  lucratur«4). 

Ein  eigengearteter  Schaden  ist  das  »interesse«  das  nicht  von 
vornherein  feststeht,   sondern  sich  zwischen  der  Leihe  und  Rück- 


!)  Vgl.  Lessei,  a.  a.  O.  S.   i8ff.,  48ff.,  S.  66f. 

2)  Vgl.    Funk,     Gesch.     d.    Kirchl.    Zinsverb.     S.    40ff.     Derselbe,    Zins-    und 
Wucher  S.   78  ff.     Endemann  Studien  II,  S.   24611. 
'')    II,   II   78  a.    2   ad.    1. 
4)  1.   c. 


—      ii7     — 

gäbe  des  Kapitals  ergibt,  also  erst  bei  Beendigung  des  Darlehens- 
geschäftes in  seiner  Höhe  festgestellt  werden  kann1).  Auch  hier 
sind  zwei  Möglichkeiten  zu  unterscheiden:  der  Gläubiger  wird 
geschädigt  im  Hinblick  darauf,  daß  ihm  die  abstrakte  Gewinn- 
möglichkeit genommen  war;  oder  er  erleidet  in  dem  Sinne  Nach- 
teil, daß  ihm  etwas,  was  er  bereits  hatte,  entzogen  wurde2;.  Für 
die  abstrakte  Möglichkeit  des  Gewinnes  darf  auf  keinen  Fall  Er- 
satz gefordert  werden,  weder  gleich  bei  Abschluß  des  Vertrages, 
noch  später  bei  Rückgabe  des  Kapitals  wegen  völliger  Unsicherheit 
desselben3).  Der  tatsächliche  Schaden  zeigt  sich,  wie  erwähnt 
stets  darin,  daß  dem  Gläubiger  etwas  entzogen  ist  »de  hoc,  quod 
habebat«.  Dieses  »habere«  kann  nun  wieder  doppelter  Art  sein: 
ein  »habere  actu«  und  ein  »habere  virtute«4):  im  mutuum  kann 
der  Darleiher  etwas  von  seinem  tatsächlichen  augenblicklichen 
Besitz  einbüßen  oder  es  kann  ihm  die  Möglichkeit  genommen 
werden,  einen  an  sich  sicheren  Gewinn  zu  realisieren.  Dasselbe 
gilt  hinsichtlich  des  Interesses,  wo  für  das  »damnum  rei  jam  habitae« 
ebenfalls  die  beiden  angegebenen  Möglichkeiten  anzunehmen  sind. 
In  beiden  Fällen  muß  der  Schuldner  den  Schaden  ersetzen  nach 
Maßgabe  des  Wertes5),  wobei  freilich  zu  bedenken  ist,  daß  für 
die  Entziehung  des  Besitzes  im  ersten  Sinne  eine  recompensatio 
ex  aequo  stattfinden  muß,  des  virtuellen  Besitzes  dagegen  unter 
Berücksichtigung  des  Satzes,  daß  »minus  est  habere  aliquid  actu 
quam  virtute«,  die  Wiedererstattung  demgemäß  erfolgen  muß: 
»secundum  conditionem  personarum  et  negotiorum«6). 

Freilich   ist  hier   eine  Ausnahme  zu  machen,  wo  es  sich  um 
das   Interesse   handelt,    also   um   einen  Schaden,   der   nicht   vorher 


*)  De  mal.  1.  c.  ob.  14;  »duplex  est  interesse;  quoddam  quidem  ex  eo,  quod 
aliquid  non  adest,  quia  scilicet  aliquis  non  acquisivit,  quod  acquirere  potuisset  .  .  .  Aliud 
est  interesse  ex  eo,  quod  aliquid  abest,  quia  scilicit  aliquid  subtractum  est  alicui  de  hoc, 
quod  habebat«.  Man  beachte  acquisivit,  potuisset,  Ausdrücke,  die  zu  der  im 
Text  gegebenen  Deutung  berechtigen.  Vgl.  ferner  ib.  Ad.  14:  »debebat  enim  ille,  qui 
pecuniam  mutuavit,  sibi  cavisse,  ne  detrimentum  incurreret«.  Quodl.  III,  a.  19  c. 
»damna  et  interesse«  setzt  einen  Unterschied  zwischen  beiden  Begriffen  voraus.  Die 
Darstellung  von  Lessei,  a.  a.  O.  ist  ziemlich  unklar;  die  Scheidung  zwischen  damnum 
und  interesse  wird  nicht  genügend  durchgeführt.  Ferner  wird  nicht  beachtet,  daß 
zwischen  dem  Gewinn,  der  eine  res  habita  ist  (vgl.  im  folgenden)  und  der  abstrakten 
Gewinnmöglichkeit  zu  scheiden  ist. 

2)  Siehe  d.   vor.   Anm. 

3)  J I,  II  78  1.  c. :  »quia  non  debet  vendere  id,  quod  nondum  habet  et  potest 
impediri  multipliciter  ab  habendo«. 

4)  11,    II   62  a.  4  c. 

5)  Vgl.  Anm.   3. 

6)  Vgl.  Anm.  4. 


—      n8     — 

bestimmt  ist,  sondern  sich  zwischen  Leihe  und  Rückgabe  des 
Kapitals  herausstellt;  hier  ist  zu  scheiden,  je  nach  dem  ob  der 
Schuldner  das  Kapital  »infra  tempus  deputatum«  zurückgegeben 
oder  »ultra  statu  tum  terminum«  behalten  hat1).  Im  ersteren 
Falle  trifft  die  Schuld  an  dem  eingetretenen  Verlust  lediglich  den 
Gläubiger,  der  sich  bei  Abschluß  des  Vertrages  hiergegen  hätte 
sichern  müssen  und  für  seine  eigene  Nachlässigkeit  nicht  den 
Schuldner  aufkommen  lassen  darf 2 ':.  Anderenfalls  tritt  Restitu- 
tionspflicht ein.  Unter  Berücksichtigung  der  angegebenen  Ein- 
schränkungen kennt  also  Thomas  im  Sinne  der  späteren  Termino- 
logie das  damnum  emergens;  das  lucrum  cessans,  je  nachdem, 
ob  man  in  ihm  bereits  eine  res  habita  erblicken  kann  oder  nicht3. 
Die  im  vorhergehenden  dargelegte  Schadenersatzpflicht  des  Schuld- 
ners fügt  sich  durchaus  harmonisch  in  das  Gesamtbild  der  thomi- 
stischen  Wucherlehre  ein.  Sie  bildet  nicht  etwa  eine  Ausnahme 
von  dem  allgemeinen  Wucherverbote,  wie  Thomas  ausdrücklich 
hervorhebt4). 

4.  Zum  Schluß  ist  noch  kurz  hinzuweisen  auf  die  Verträge, 
die  zwar  nicht  Darlehensverträge  sind,  in  denen  sich  aber 
doch,  wie  Thomas  sagt,  eine  gewisse  »ratio  mutui«  findet«5). 

Es  sind  die  folgenden: 

1.  Die  exspectatio  pretii  solvendi6).  Sie  liegt  dann 
vor,  wenn  der  Verkäufer  seine  Ware  dem  Käufer  eher  übergibt, 
als  dieser  zahlt.  Es  handelt  sich  hier  um  einfaches  Tauschge- 
schäft, das  mit  dem  Darlehen  insofern  Ähnlichkeit  besitzt,  als 
Leistung  und  Gegenleistung  zeitlich  auseinanderfallen.  Wie  aber 
im  Darlehen  die  Zeit  nicht  in  Anschlag  gebracht  werden  darf,  so 
auch  in  diesem  Falle.  Ein  »augere  pretium  pro  dilatione«7)  wäre 
Wucher,  ein  »quasi  pretium  mutui,  quod  pertinet  ad  rationem 
usurae«8). 


*)  De  mal.  1.  c.  ad.   14. 

2)  1.  c. 

a)  Man  kann  also  Funk,  Zins  und  Wucher,  S.  "8 f.  sowie  Schaub,  die 
Eigentumslehre  usw.,  S.  362  beistimmen,  wenn  sie  den  Zinstitel  des  lucrum  cessans 
wenigstens  implicite  bei  Thomas  anerkannt  sehen. 

4)  II,  II,  78  a.   2  ad.    1. 

5)  Ib.  ob.   7.     Vgl.  Lessei,  a.  a.  O.     S.   26  ff.  S.   561. 

6)  1.  c.  ad.  7.  Über  die  diesbezüglichen  Bestimmungen  des  kanonischen  Rechts 
vgl.  Endemann,  Studien  II,  S.  4;  Grundsätze  S.  9.  Einige  Bemerkungen  über  Thomas, 
Studien   II,  S.  48. 

7)  Ib.  ob.  7.  Über  das  Verhältnis  von  ob.  7  und  ad.  7  vgl.  Lessei,  a.  a.  O. 
S.  58  f. 

8)  1.  c. 


—     i  ig     — 

2.  Die  anticipatio  solutionis1).  Sie  ist  das  Gegenstück 
zu  dem  vorigen  Vertrage.  Der  Verkäufer  übergibt  eine  Ware 
erst  später,  während  vertragsmäßig  die  Zahlung  des  Käufers  früher 
erfolgt.  Es  gilt  hiervon  dasselbe,  wie  von  dem  eben  genannten 
Vertrag:  Der  Käufer  muß  auch  dann  den  gerechten  Preis  zahlen 
und  darf  »pro  acceleratione  pretii<  2)  keine  Verringerung  desselben 
fordern. 

3.  Hiervon  zu  scheiden  ist  ein  ähnlicher  Fall3):  der  Käufer 
ist  verpflichtet,  später  bei  Übergabe  der  Ware  einen  bestimmten 
Preis  zu  entrichten.  Der  Verkäufer  wünscht  jedoch  entgegen 
seinem  rechtlichen  Anspruch  aus  irgendwelchen  Gründen  frühere 
Zahlung.  Dann  darf  letzterer  zur  Erreichung  seines  Zweckes 
etwas  von  dem  ausgemachten  Preise  ablassen.  Thomas  sieht  in 
diesem  Abzüge  kein  pretium  mutui :  weder  Käufer  noch  Verkäufer 
wird  geschädigt.  Ersterer  nicht,  weil  er  weniger  zahlt  als  er 
mußte,  letzterer  nicht,  weil  ihm  durch  die  frühere  Zahlung  ein 
Vorteil  erwächst,  indem  er  z.  B.  das  Geld  zu  neuen  Geschäften 
verwenden  kann;  er  darf  an  diesem  Vorteil  den  Käufer  durch 
Verringerung  des  Preises  teilnehmen  lassen,  wenn  auch  letzterer 
nicht  berechtigt  ist,  einen  Nachlaß  vom  Preise  zu  fordern.  Diese 
Bestimmung  steht  durchaus  im  Einklang  mit  den  oben  bei  Behand- 
lung der  Wertgleichheit  im  Tausche  erörterten  Affektionspreisen4). 

Auch  die  Unentgeltlichkeit  der  Kreditgeschäfte  ist  nur  ver- 
ständlich, wenn  man  sich  den  kleinstädtischen,  antikapitalistischen 
Charakter  des  mittelalterlichen  Wirtschaftslebens  vergegenwärtigt. 

!)    1.    C. 

2)  1.  c.  ob.  7. 

3)  1.  c.  Zur  Erklärung  ist  das  op.  67  benutzt  worden,  wo  der  in  Betracht 
kommende  Fall,  wenn  auch  mit  gewissen  Bedenken,  für  erlaubt  erklärt  wird.  —  Ebendort 
wird  es  den  Kaufleuten  erlaubt,  innerhalb  des  Marktpreises  bei  Stundung  der  Zahlung 
eine  Preiserhöhung  vorzunehmen:  »si  autem  non  plusquam  valent,  plus  tarnen,  quam 
acciperent,  si  eis  statim  solveretur,  non  est  usura«.  Diese  Ideen  finden  sich  allerdings 
erst  in  späterer  Zeit  in  der  Scholastik  wieder,  so  daß  ihr  Vorkommen  bei  Thomas  — 
die  Echtheit  des  op.  67  vorausgesetzt  —  immerhin  auffallend  ist. 

4)  Lessei,  a.  a.  O.  sieht  in  den  auf  diesen  Fall  bezüglichen  Worten  eine  weitere 
Beurteilung  der  anticipatio  solutionis:  der  Diskontnehmer  sündige  zwar,  der  Diskontgeber 
dagegen  nicht.  Im  Texte  ist  dies  als  ganz  neuer  Fall  behandelt,  in  dem  nicht  nur  der 
Verkäufer  von  der  Wuchersünde  freigesprochen,  sondern  das  Geschäft  als  solches  als  nicht 
wucherisch  hingestellt  wird.  Die  Summa  spricht  klar  vielleicht  weder  für  das  eine  noch 
für  das  andere.  Doch  setzt  die  Deutung  Lesseis  voraus,  daß  der  Verkäufer  unter  einem 
Zwange  von  Seiten  des  Käufers  handelt,  was  aus  Thomas'  Worten  kaum  geschlossen 
werden  kann. 


C.  Schluß. 

Im  Vorstehenden  ist  die  thomistische  Wertlehre  zur  Dar- 
stellung gelangt.  Was  Thomas  selbständig  geleistet  hat,  ist  ver- 
hältnismäßig gering.  Er  ist  mehr  receptiv  als  produktiv.  Daß 
hier  und  dort  Verbesserungen  und  Weiterführungen  alter  Gedanken 
vorliegen,  ist  mehrfach  erwähnt  worden.  Vor  allem  fanden  wir 
in  der  Wucherlehre  in  mancher  Hinsicht  ein  selbständiges  Vor- 
gehen. Wesentlich  Neues  hat  Thomas  jedoch  nicht  geschaffen. 
Daß  er  aber  gleichwohl  in  allen  Dingen  die  wirtschaftlichen  Ver- 
hältnisse seinerzeit  vor  Augen  hatte,  ist  an  mehreren  Stellen  zu 
zeigen  versucht.  Seine  Wertlehre  ist  nur  vom  mittelalterlichen 
Boden  aus  verständlich,  und  in  der  Wiederspiegelung  des  mittel- 
alterlichen Wirtschaftslebens  liegt  ihre  Bedeutung.  Man  kann  in 
Thomas  immerhin  einen  charakteristischen  Vertreter  der  objektiven 
Wertlehre  des  Mittelalters  sehen1). 

Daß  die  thomistische  Wertlehre  für  die  heutigen  Verhält- 
nisse, wo  wir  ein  kapitalistisches  Wirtschaftsleben  haben,  ihre 
Bedeutung  verloren  hat,  braucht  kaum  erwähnt  zu  werden.  Es 
ist  dies  schon  mit  dem  Nachweis  gegeben,  daß  sie  dem  Boden 
I  der  mittelalterlich  wirtschaftlichen  Verhältnisse  entsprungen  ist. 
Für  die  Idee  eines  standesgemäßen  Einkommens  haben  wir  kein 
Verständnis  mehr,  und  an  die  Stelle  ruhigen  Beharrens  ist  das 
Streben  nach  ruhelosem  wirtschaftlichen  Fortschritt  getreten.  Der 
modernen  Preisbildung  ein  iustum  pretium  im  thomistischen  Sinne 
aufzwängen  zu  wollen,  wäre  ein  vergebliches  Bemühen.  Ein  all- 
gemeiner Marktpreis,  der  alle  verpflichten  soll,  ist  ebenso  undenkbar, 
wie  es  unmöglich  ist,  an  die  Stelle  der  modernen  Volkswirtschaft 
mit  ihrer  freien  Konkurrenz  wieder  die  mittelalterliche  Stadtwirt- 
schaft zu  setzen.  Und  was  die  Forderung  der  Wertgleichheit  im 
Tausche  angeht,  so  bietet,  wie  wir  noch  sehen  werden,  die  spätere 


2)  Es  geht  entschieden  zu  weit,  wenn  Brants,  a.  a.  O.  S.  69  mit  Rücksicht  auf 
Thomas  v.  Aquin  bemerkt:  »il  n'y  a  point  de  vrai  analyse  de  la  valeur«.  Allerdings  gibt 
Thomas  keine  geschlossen-systematische  Darstellung  seiner  Wertlehre. 


121        

Entwicklung  der  scholastischen  Wertlehre  die  beste  Kritik,  indem 
sie  an  die  Stelle  derselben  das  Prinzip  setzt,  daß  das  Preisgut  von 
dem  Käufer  weniger  hoch  geschätzt  wird,  als  das  zu  kaufende 
Gut,  was  schließlich  überhaupt  zu  einer  Preisgabe  der  Idee  des 
gerechten  Preises  führt. 

Und  wie  so  die  thomistische  Wertlehre  sich  mit  den  wirt- 
schaftlichen Verhältnissen  überlebt  hat,  so  wird  auch  die  Wucher- 
lehre trotz  ihrer  naturrechtlichen  Färbung  kaum  noch  Anhänger 
finden. 

Ganz  unverständlich  ist  es  aber,  wie  man  bei  Thomas  sozia- 
listische Gedanken  hat  sehen  können.  Die  sozialistische  Wertlehre, 
wie  sie  bei  Proudhon,  Rodbertus  usw.  vertreten  ist,  erblickt  in 
der  Arbeit  die  Quelle  des  Güterwertes  und  knüpft  daran  die 
Forderung  eines  natürlichen  Rechtes  auf  den  vollen  Arbeitsertrag. 
Thomas  räumt  der  Arbeit  nur  ein  Recht  auf  den  standesgemäßen 
Lebensunterhalt  ein.  Zu  den  Problemen,  die  sich  in  moderner 
Zeit  aus  dem  Verhältnis  von  Kapital  und  Arbeit  ergeben  haben, 
nimmt  er  in  keiner  Weise  Stellung.  Höchstens  könnte  man  auf 
seine  Behandlung  des  Gesellschaftsvertrages  hinweisen,  um  zu 
zeigen,  daß  Thomas  sozialistische  Gedanken  im  modernen  Sinne 
völlig  fern  gelegen  haben.  Schon  die  bloße  Tragung  der  Gefahr 
sieht  er  als  Arbeit  an.  Auch  der  Händler  darf  für  sein  Risiko 
einen  Gewinn  beanspruchen.  Daß  die  rein  körperliche  Arbeit  also 
allein  den  Wert  der  Ware  bestimme,  wie  Rodbertus  annimmt, 
liegt  ihm  völlig  fern.  Und  wenn  man  endlich  auch  hier  die 
Unterschiede  zwischen  dem  mittelalterlichen  und  dem  modernen 
Wirtschaftsleben  beachtet,  so  wird  man  auch  in  der  Ablehnung 
des  Zinses  keine  sozialistischen  Gedanken  sehen  können1). 

Eine  Gleichstellung  mit  der  marxistischen  Wertlehre  ist 
schon  um  dessen  Willen  unmöglich,  weil  bei  Marx  die  ethisch- 
naturrechtliche  Färbung  der  objektiven  Wertlehre  fehlt.  Marx 
hat  aus  seiner  Wertlehre  nie  sozialistische  Schlüsse  gezogen2). 


x)  Hoho  ff  sieht  bei  Thomas  eine  sozialistische  Wertlehre;  vgl.  seinen  mehrfach 
angeführten  Aufsatz:  Die  Wertlehre  d.  hl.  Th.  v.  A.  Dieselben  Gedanken  kehren  wieder: 
Die  Bedeutung  der  Marxschen  Kapitalkritik.     Hohoff  selbst  ist  infolgedessen  »Marxist«! 

2)  Vgl.  Diehl,  Soziahvissensch.  Erläuterungen  zu  Ricardos  Grundsätzen  der  Volks- 
wirtschaft I,  S.   143. 


Zweiter  Teil 


Die  Entwicklung  der  Wertlehre  in  der 
übrigen  Scholastik  seit  Thomas  v.  Aquin 


Erster  Abschnitt. 

Die  allmähliche  Ausbildung  der  subjektiven  Wertlehre. 

Die  hier  behandelte  Periode  schließt  sich  zeitlich  unmittelbar 
an  die  vorhergehende  an,  ja  in  dem  an  erster  Stelle  behandelten 
Bonaventura  läuft  sie  derselben  parallel.  Sie  schließt  mit  dem 
Tode  des  Duns  Scotus  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  14.  Jahr- 
hunderts. Die  folgende  Darstellung  wird  zu  zeigen  haben,  daß  es 
gerechtfertigt  ist,  diese  Zeitspanne  als  einen  besonderen  Abschnitt 
abzugrenzen. 

Die  geistigen  Faktoren,  die  die  Entwicklung  des  ökonomi- 
schen Denkens  in  dieser  Periode  bestimmen,  sind  dieselben  wie  in 
der  vorigen.  Auch  in  den  wirtschaftlichen  Verhältnissen  tritt  keine 
wesentliche  Änderung  ein;  nur  werden  wir  ein  allmähliches  weiteres 
Aufblühen  des  Wirtschaftslebens  anzunehmen  haben,  das  sich  vor 
allem  in  einer  Ausdehnung  des  Handels  äußert. 

Ausführlicher  werden  in  der  Scholastik  seit  Heinrich  von 
Gent  Rentenverträge  behandelt  und  die  Erlaubtheit  ihres  Kaufes 
bzw.  Verkaufes  erörtert.  Doch  fehlt  es  noch  an  einer  klaren 
Terminologie,  sodaß  es  häufig  kaum  möglich  ist,  ein  genaues  Bild 
von  den  behandelten  Verträgen  zu  gewinnen.  Es  kommen  Renten- 
käufe und  -verkaufe  auf  eine  bestimmte  Reihe  von  Jahren  oder 
auf  Lebenszeit  oder  sogenannte  ewige  Rente  (census  haeredi- 
tarius)  vor.  Es  handelt  sich  teilweise  um  Renten,  die  auf  ein  be- 
stimmtes Grundstück  fundiert  sind,  oder  deren  Grundlage  das  ge- 
samte Vermögen  des  Rentenschuldners  bildet.  Auch  bezüglich  der 
Entstehung  der  Renten  liegen  mannigfache  Unterschiede  vor:  Über- 
tragung eines  Grundstückes  von  seiten  des  Eigentümers  unter 
Vorbehalt  des  Obereigentums,  dessen  wesentlichen  Inhalt  die  Rente 
bildet  —  die  für  das  mittelalterliche  Wirtschaftsleben  so  bedeutungs- 
volle Form  der  Leihe  (census  reservativus);  Überlassung  einer  Geld- 
summe, die  als  Kaufpreis  einer  Rente  erscheint,  mag  dieselbe 
schon  bestehen  (Zinskauf)  oder  neu  errichtet  werden  (der  eigent- 
liche Rentenkauf,  census  constitutivus).  Alle  diese  Unterschiede, 
die  in   der   späteren   Literatur  für  die   Stellung  zu  den   einzelnen 


I2Ö        

Vertragsarten  von  außerordentlicher  Bedeutung  werden,  liegen 
hier  bereits  vor,  treten  aber  nicht  klar  zutage,  so  daß  es,  wie  be- 
tont, häufig  schwierig  ist,  zu  ermitteln,  welche  Vertragsart  im 
Sinne  der  späteren  Terminologie  behandelt  wird1). 

Der  allmählichen  kapitalistischen  Entwicklung  des  mittel- 
alterlichen Wirtschaftslebens  entsprechend,  wurde  der  eigentliche 
Rentenkauf  am  wichtigsten.  Derselbe  besteht  in  der  Zahlung  einer 
Geldsumme,  wogegen  der  Empfänger  derselben  an  seinem  Grund- 
stücke einen  dinglichen  Zins  bestellt.  Das  belastete  Grundstück 
bleibt  Eigentum  des  Schuldners.  Der  Rentenkauf  ist  aus  den  Be- 
dürfnissen des  mittelalterlichen  Wirtschaftslebens  heraus  entstanden, 
zuerst  in  den  Städten  seit  dem  12.  Jahrhundert,  wo  einerseits  die 
aufblühenden  Gewerbe  und  vor  allem  der  Handel  der  Benutzung 
fremder  Kapitalien  bedurften,  und  wo  andererseits  Bedürfnis  nach 
der  Anlage  erworbener  Kapitalien  bestand.  Der  Rentenvertrag 
war  wenigstens  anfangs  von  beiden  Seiten  unkündbar;  es  handelt 
sich  also  um  einen  census  haereditarius. 

Juristisch  ist  der  Rentenkauf  vom  Darlehen  verschieden: 
Das  Kapital  ist  nicht  zurückzuzahlen,  sondern  bildet  den  Kauf- 
preis für  die  ewige  Rente.  Die  Rente  ruht  ferner  auf  dem  Grund- 
stücke, ist  eine  dingliche,  keine  persönliche  Last.  Die  juristischen 
Verschiedenheiten  ermöglichten  der  kanonistischen  Literatur  eine 
grundsätzlich  andere  Stellungnahme,  als  sie  zum  Darlehen  einnahm. 

§  1.    Bonaventura. 

I.  Bedeutung  und  Leben2).  Die  Stellung,  die  Johannes 
Fidanza,  mit  seinem  kirchlichen  Namen  Bonaventura  genannt,  in 
der  Entwicklung  des  mittelalterlichen  Geisteslebens  einnimmt,  ist 
in  erster  Linie  für  die  Geschichte  der  Mystik  bedeutungsvoll. 
Gleichwohl  dürfen  seine  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  Scholastik 
nicht  unterschätzt  werden;  man  zählt  ihn  vielmehr  zu  deren  größten 
Vertretern. 

1221  zu  Bagnarea  im  Kirchenstaate  geboren,  wurde  er  Mit- 
glied des  Franziskanerordens,  war  ein  Schüler  des  Alexander  v.  Haies, 
und  starb   1274  in  Lyon. 

x)  Vgl.  die  diesbezügliche  Bemerkung  von  Funk,  Gesch.  des  kirchl.  Zinsverbots, 
S.  45  Anm.  3.  Zu  den  Rentenverträgen  vgl.  Loening,  Art.  Rentenkauf  und  Renten- 
schuld H.  W.  d.  St.  V,  S.  in  ff.:  v.  He  ekel,  Art.  Rentenkauf  W.  d.  V.  II,  S.  680  ff.; 
Ashley,  a.  a.  O.,  II,  S.  436 ff. ;  Endemann,  Studien  II,  S.  104  ff.;  Bruder, 
Studien  S.    15  ff. 

2)  K.  L.  II,  ioijff.;  R.  E.  III,  282ff;  Hurter  II,  32off.;  Überweg-Heinze 
H,  279 ff. 


—     127     — 

Bonaventuras  Äußerungen  über  wirtschaftliche  Dinge  sind 
im  Gegensatz  zu  Thomas  von  Aquin  äußerst  spärlich.  Am  ein- 
fachsten dürfte  dies  aus  der  mystischen  Richtung  seines  Geistes 
zu  erklären  sein,  sowie  daraus,  daß  er  die  Schriften  des  Aristoteles, 
die  für  Thomas  den  Quell  seiner  wirtschaftlichen  Anschauungen 
gebildet  hatten,  noch  nicht  verwertet.  Insofern  ist  er  also  noch 
vorthom istisch.  Ausführlicher  kommt  er  nur  auf  Arbeit,  Armut, 
Betteln  usw.  in  den  Schriften  zu  sprechen,  in  denen  er  das  Ideal 
seines  Ordens  gegen  Angriffe  verteidigte;  die  aber  für  unsere 
Zwecke  kaum  etwas  enthalten.  Im  übrigen  sind  wir  zum  größten 
Teile  auf  mehr  oder  minder  zufällige  Äußerungen  angewiesen,  die 
aber  manche  wichtige  Prinzipien  enthalten,  die  ihn  weit  über 
Thomas  hinausheben.  Häufiger  wird  sonst  noch  die  Frage  des 
Wuchers  behandelt,  ohne  daß  indessen  die  thomistische  Begründung 
des  Zinsverbotes  erreicht  würde.  Man  wird  sich  hüten  müssen, 
aus  den  meist  zufällig  geäußerten  Gedanken  zuweitgehende  Schlüsse 
ziehen  zu  wollen. 

IL  Das  Eigentum.  Der  Besitz  der  Güter  ist  eine  wesent- 
lich greistiee  Funktion ,  indem  allein  durch  den  menschlichen 
Willen  Eigentum  begründet  wird1).  Während  vor  dem  Sünden- 
falle Gemeineigentum  als  Naturgesetz  bestand,  ist  jetzt  das  Privat- 
eigentum ein  dictamen  naturae;  es  hat  die  Verhinderung  der  con- 
tentiones  et  lites  unter  den  Menschen,  zum  Zwecke2).  Den  Be- 
eriff  des  Naturgesetzes  bestimmt  Bonaventura  unter  Berufung  auf 
verschiedene  augustinische  Schriften  dahin:  »Lex  naturalis  est  im- 
pressio  facta  in  anima  a  lege  aeterna;  lex  autem  aeterna  est  illa, 
qua  incommutabili  permanente  cetera  ordinantur« 3).  Für  den  in 
äußerster  Not  Befindlichen  hört  das  Privateigentum  auf4;. 

III.  Wert  lehre.  Der  Tausch  erscheint  als  notwendig,  weil 
sonst  dem  einzelnen  eine  volle  Befriedigung  seiner  Bedürfnisse 
nicht  möglich  wäre5).  Über  die  Gerechtigkeit  und  Wertgleichheit 
im  Tausche  äußert  sich  Bonaventur  nicht.  Immerhin  finden  sich 
einige  Äußerungen  zur  Wertlehre,  auf  Grund  deren  man  ihn  als 
Anhänger  einer  subjektiven  Wertlehre  bezeichnen  kann.  So 
betont  er:  »cupiditas  hominum  valorem  rebus  imposuit  vel  opinio,  quia 
si  opinio  hominum  vellet,  stannum  plus  valeret  sicut  aurum  vel  argen- 


J)  Apol.  Paup.  c.  XL,  9  (VIII,  S.  313). 

2)  Sent.  II,  44,   2  ad  IV   (II,  S.   1009). 

3)  De  perf.  Evang.  q.  IV,  a.  1.   (V,  S.    181). 

4)  Apol.  Paup.  c.  X,   13   (VIII,  S.  309). 

5)  Determin.  Quaest.  P.  II,  q.   14  (VIII,  S.  367). 


—       128      — 

tum  « l).  Jeder,  heißt  es  an  einer  anderen  Stelle,  erwartet  vom  Tausche 
Gewinn :  das  Gut,  das  man  zu  erlangen  hofft,  wird  höher  geschätzt, 
als  das,  welches  man  hingibt:  »carius  habetur  illud,  quod 
emitur,  quam  pretium,  quo  emitur«2).  Es  ist  hiermit  ein 
Prinzip  aufgestellt,  das  für  die  spätere  Entwicklung  der  Lehre 
vom  gerechten  Preise  von  großer  Bedeutung  geworden  ist.  Bona- 
ventura selbst  untersucht  diese  Frage  nicht.  In  einem  anderen 
Zusammenhange  erörtert  er  die  Bedeutung  der  Kosten  für  den 
Preis:  »in  terra  sterili  et  saxosa  agricola  plus  laborat  etsi  fructus 
paucior,  sed  precium  maius,  etquae  difficilius  elaborantur, 
saepe  cariusvenduntur«3).  Die  Betonung  der  Arbeit  als  preis- 
bildenden Momentes  trägt  aber  ersichtlich  einen  subjektiven  Cha- 
rakter. Die  Kosten  erscheinen  nicht  als  die  Grundlage  des  Preises 
schlechthin. 

IV.  Der  Handel.  Wenn  Bonaventura  auch  das  Ideal  seines 
Ordens,  die  volle  Armut  des  einzelnen  und  der  Kommunität,  das 
Leben  von  milden  Gaben  der  Gläubigen  mit  Eifer  verteidigt,  so 
will  er  dies  doch  keineswegs  als  allgemeingültiges  Ideal  hinstellen. 
Er  betont  vielmehr  die  Notwendigkeit  und  Verdienstlichkeit  wirt- 
schaftlicher Arbeit  für  die  menschliche  Gesellschaft.  Auch  hebt  er, 
wie  schon  Thomas,  die  Bedeutung  der  körperlichen  Arbeit  für  das 
sittliche  Leben  hervor,  wenn  er  auch  die  rein  geistige  Arbeit  höher 
schätzt4).  Ein  näheres  Eingehen  auf  diese  Fragen  ist  hier  nicht 
möglich. 

Den  Handel  rechnet  Bonaventura  nicht  zur  körperlichen 
Arbeit;  er  bezeichnet  ihn  vielmehr  als  opus  civile,  das  von  der 
körperlichen  Handarbeit  einerseits  und  den  opera  spiritualia  anderer- 
seits verschieden  ist5).  An  anderer  Stelle  rechnet  er  den  Handel 
jedoch  zu  den  opera  servilia  oder  mechanica,  von  denen  man  sich 
am  Sonntage  zu  enthalten  hat6). 


h   Serm.  de  Temp.  Fer.  II,  pr.  Pascha   (IX,  S.   288). 

2)  Sent,  III,  32  q.  5  ad.  1  (III,  S.  705  ff.).  In  diesem  Prinzip  sieht  Böhm- 
Bawerk  das  Grundgesetz  der  Preisbildung  (vgl.  Grundzüge  der  Theorie  des  Subjekt. 
Güterwerts.  J.  f.  N.  u.  St.,  N.  F.,  Bd.  13,  S.  489 ff.;  Positive  Theorie  des  Kapitals, 
S-  35/  ff.).  Vgl.  auch  Menger,  Grundsätze  der  Volkswirtschaftslehre,  S.  173 ff.;  hier 
wendet  er  sich  gegen  das  Äquivalenzprinzip.  Dasselbe  ist  also  schon  vor  der  öster- 
reichischen Schule  überwunden  gewesen. 

3)  De  sex  aliis  Seraph,  c.  V,   10  (VIII,  S.    140). 

4)  Vgl.  z.  B.:  Apol  Paup.  c.  VII,  20  (VIII,  S.  279);  De  perf.  Evang.  q.  II, 
a  3  (V,  S.  162  f.);  Expos,  sup.  Reg.  Frat.  Min.  c.  V,   1  (VII,  S.  419)  und  sonst  häufig. 

5)  De  perf.  Evang.  q.   2,  a  3  (V,  S.    161). 

6)  De  dec.  praecep.  IV,  9  (V,  S.   521). 


—     129     — 

Der  Kaufmann  erstrebt  in  erster  Linie  für  sich  Bereicherung: 
»habet  indigentiam  pretii  et  potius  intendit  in  mercando  se 
ipsum  ditare  quam  alienam  inopiam  relevare«1).  Daneben 
betont  Bonaventura  die  wirtschaftliche  Notwendigkeit  des  Handels 
für  die  menschliche  Gesellschaft,  ohne  den  »multae  terrae  non 
possent  vivere«2). 

Der  Handel  an  sich  ist  etwas  ethisch  Indifferentes3);  er  kann 
je  nach  der  Art,  wie  er  ausgeübt  wird,  als  sittlich  gut  oder  schlecht 
zu  beurteilen  sein.  Gegen  eine  Betreibung  des  Handels,  wie  sie 
dem  Zwecke  desselben  entspricht,  ist  nichts  einzuwenden.  Freilich 
liegt  die  Gefahr  des  Mißbrauches  sehr  nahe4),  indem  der  Kaufmann 
leicht  seine  Kunden  an  Gewicht,  Zahl  oder  Maß  betrügt.  Bona- 
ventura fügt  das  scharfe  Urteil  hinzu:  »et  de  hoc  rarissime  eva- 
dunt  mercatores« 5).  Er  sieht  also  den  Handel  an  sich  als  erlaubt 
an,  steht  aber  der  praktischen  Ausübung  desselben  nicht  wohl- 
wollend gegenüber.  Vielleicht  wirken  hier  die  Anschauungen  der 
Patristik  nach,  deren  Stellung  zum  Handel  im  allgemeinen  von 
ähnlichen  ethischen  Erwägungen  bestimmt  ist.  Über  die  Höhe 
des  erlaubten  Handelsgewinnes  äußert  sich  Bonaventura  nicht. 

V.  Das  Darlehen.  Die  Darlegungen  Bonaventuras  über  das 
Darlehen  sind  nur  kurz,  und  häufig  sind  seine  Anschauungen  mehr 
angedeutet  als  ausgeführt6).  Wucher  liegt  nach  ihm  dann  vor, 
wenn  der  Gläubiger  aus  dem  Darlehen  Gewinn  erzielen  will.  Um 
die  Unerlaubtheit  desselben  darzutun,  beruft  er  sich  neben  dem 
alten  Testament  auch  auf  die  bekannte  Lucasstelle.  Aber  wie 
Thomas  erklärt  er:  »Quidam  dicunt,  quod  usura  sit  mala,  quia 
prohibita,  sed  certe  est  prohibita,  quia  mala.«  Die  Gründe,  die 
er  zum  Erweis  der  Unerlaubtheit  des  Zinsnehmens  vorbringt,  sind 
im  allgemeinen  denen  ähnlich,  die  wir  bei  den  Vorgängern  von 
Thomas  von  Aquin  angetroffen  haben. 

Er  stellt  das  Verleihen  von  Geld  und  anderen  nutzbaren 
Gegenständen  gegenüber  und  betont,  daß  bei  letzteren  nicht  wie 
bei  ersteren  eine  Eigentumsübertragung  stattfindet:  »Et  huius 
Signum  est,  quia  non  tenetur  illam  eandem  numero  reddere,  sed 
Uli  consimilem«;    womit   wohl    die   juristische    Unmöglichkeit   des 

J)  Sent.   IIT,   32   q.   5   ad.   4    (III,  S.   706). 

2)  Sent.   IV,   16  p.  I,  dub.   15  (IV,  S.  402). 

3)  In  Ev.  Luc.    19,  20  (VII,  S.  479). 

4)  Sent.   IV,   16  p.   I  dub.   15    (IV,  S.  402). 

5)  De  dec  praecept.   18  (V,  S.  528). 

6j  Vgl.  zum  Folgenden:  In  Ev.  Luc.  c.  VI,  80 ff.  (VII,  S.  157),  ferner  de  dec. 
praecep.   19  (V,  S.  528).    Sent  III,  37.  d.  7  (III,  836). 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  1.  9 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


—     i3o     — 

Zinses  dargetan  werden  soll.  Übrigens  ein  deutlicher  Beweis,  daß 
das  Geld  rein  nach  seiner  äußeren  Erscheinung  im  Sinne  von 
Geldstücken  betrachtet  wird.  Beim  Gelde  ferner  finde  durch  den 
Gebrauch  keine  Abnutzung  statt,  als  deren  Ersatz  etwa  ein 
Überschuß  über  das  Kapital  zu  zahlen  wäre.  Das  Geld  ist  nur 
fruchtbar  in  Verbindung  mit  der  menschlichen  Arbeit:  »tota  ratio 
utilitatis  est  ex  parte  utentis.«  Ebenfalls  vor  Thomas  war  uns 
schon  der  Gedanke  begegnet,  daß  die  ganze  Gefahr,  die  mit  der 
Verbindung  des  Darlehns  verbunden  sei,  den  Schuldner  treffe,  nicht 
den  Gläubiger.  Thomas  verwendet  die  umgekehrte  Tatsache  zur 
Rechtfertigung  des  Gewinnes  aus  der  Sozietät. 

Eigenartig  ist  ein  anderer  Gedanke,  der  freilich  schon  vor 
Bonaventura  vereinzelt  aufgetreten  war,  sich  aber  bei  Thomas  nicht 
findet1):  zwischen  dem  Darleihen  und  der  Rückzahlung  des  Geldes 
liegt  ein  bestimmter  Zeitraum,  als  dessen  Vergütung  der  Zins 
aufgefaßt  werden  könnte.  Bonaventura  wendet  sich  hiergegen  mit 
der  Argumentation,  daß  die  Zeit  Gemeineigentum  sei:  »id,  quod 
venditur,  est  commune,  scilicet  tempus.«  Im  Zins  liege  also  eine 
»appropriatio  communitatis«  vor  und  damit  eine  »perversio  ordinis«. 
Es  ist  dies  ein  Gedanke,  der  später  noch  häufig  wiederholt  wurde. 

Das  Darlehen  erscheint  Bonaventura  als  eine  Unterstützung 
des  Nächsten,  der  sich  in  Xot  befindet.  Er  weist  darauf  hin,  daß 
der  Begriff  »Not«  den  verschiedenen  Verhältnissen  der  einzelnen 
Menschen  entsprechend  verschieden  angenommen  werden  müsse. 
Nur  das  Vorliegen  einer  Bedürftigkeit  rechtfertige  das  Zinszahlen 
von  seiten  des  Schuldners,  weil  er  dieses  dann  nicht  freiwillig  tue, 
sondern  wenigstens  in  gewissem  Sinne  gezwungen,  indem  er  eben 
sonst  auf  die  Unterstützung  durch  das  Darlehen  verzichten  müßte. 
Bonaventura  tadelt  es  aber,  das,  wozu  man  ex  amore  proximi  ver- 
pflichtet sei,  zum  Gelderwerb  zu  benutzen2). 

VI.  Rückblick:  Wie  betont,  sind  Bonaventuras  Äußerungen 
speziell  über  die  Wertlehre  nur  gelegentlich  und  unzusammen- 
hängend; gleichwohl  zeugen  sie  von  scharfer  Beobachtung  der 
ihn  umgebenden  wirtschaftlichen  Verhältnissen.  Bei  ihm  wird, 
soweit  ich  sehe,  zuerst  erkannt,  daß  der  Tausch  vom  Gewinnprinzip 
beherrscht  ist,   und  daß  das  Streben  des  Händlers  in  erster  Linie 


x)  So  sagt  Wilhelm  v.  Auxerre  in  seiner  Summa  vom  Wucherer,  er  ver- 
kaufe das,  »quod  de  necessitate  est  omnium  creaturarum  commune«.  (Fol.  225b.)  Vgl. 
Lessei,  a.  a.  O.    S.   17 f.     Vgl.  auch  oben  S.   108,  Anm.  5. 

2)  Sent  III,  37,  dub.  7.  (III,  835  ff.);  cf.  Sent.  IV,  15  q.  1  (IV,  S.  371).  Vgl. 
die  auf  S.   129  Anmerkung  6  angegebenen  Stellen. 


auf  Gewinn  gerichtet  ist.  Es  sind,  wie  nochmals  hervorgehoben 
sei,  zufällige  Bemerkungen,  und  man  wird  Bonaventuras  Stellung 
zur  Lehre  vom  gerechten  Preise  nicht  daraus  bestimmen  können. 
Aber  gleichwohl  ist  damit  das  Moment  berührt,  an  das  die  weitere 
Entwicklung  der  Wertlehre  in  erster  Linie  anknüpfen  konnte. 

Zunächst  haben  wir  uns  freilich  einem  Scholastiker  zuzuwenden, 
der  die  Ideen  des  normalen  Wertes  und  des  Äquivalenzprinzips, 
wie  Thomas  sie  vertrat,  am  schroffsten  zur  Ausbildung  brachte, 
Heinrich  v.  Gent. 

§  2.    Heinrich  von  Gent. 

I.  Leben  und  Schriften1).  Über  das  Leben  Heinrichs  von 
Gent  besteht  in  vieler  Beziehung  Unklarheit.  Wahrscheinlich 
wurde  er  um  12 17  geboren;  er  starb  1293.  In  der  Hochscholastik 
nimmt  er  eine  bedeutende  Stellung  ein.  Von  seinen  Zeitgenossen 
wurde  er  als  Dr.  solemnis  gefeiert.  Von  seinen  Werken  kommen 
für  uns  in  Betracht  vor  allem  die  Ouodlibeta,  der  Niederschlag- 
seiner  in  Paris  in  mehreren  aufeinanderfolgenden  Jahren  seit  1256 
gehaltenen  Disputationen;  daneben,  freilich  in  bedeutend  geringerem 
Maße  seine  Summa  quaestionum  ordinariarum,  die  wohl  zu  derselben 
Zeit  entstanden  ist.  Sein  Wirken  ist  also  unmittelbar  in  die  Jahre 
nach  dem  Tode  des  Thomas  von  Aquin  und  Bonaventura  anzu- 
setzen. Seine  wirtschaftlichen  Anschauungen  sind  in  mancher  Hin- 
sicht von  hohem  Interesse. 

IL  Eigentum:  Hinsichtlich  der  Frage  des  Privateigentums 
steht  Heinrich  von  Gent  ganz  auf  demselben  Boden,  wie  seine 
Vorgänger:  Wäre  auch  das  Gemeineigentum  an  sich  besser  und 
wünschenswert,  so  ist  doch  das  Privateigentum  für  den  gegen- 
wärtigen Zustand  nicht  zu  entbehren2).  Wir  können  die  näheren 
Ausführungen,  da  sie  nichts  Neues  bieten,  überschlagen.  Dasselbe 
gilt  von  seinen  Anschauungen  bezüglich  des  standesgemäßen  Be- 
sitzes3), die  ebenfalls  von  den  thomistischen  Gedanken  nicht  ver- 
schieden sind.  Wir  gehen  daher  gleich  zur  Behandlung  seiner 
Wert-  und  Preislehre  über. 

III.  Tausch  und  Wert:  Das  Bestehen  des  Privateigentums 
und  die  Tatsache,  daß  jeder  einzelne  zur  Befriedigung  seiner  Be- 
dürfnisse auf  die  Unterstützung  der  anderen  angewiesen  ist,  machen 
den  Tausch  notwendig4). 

x)  Cf.  Hurter  II,  S.  396 ff.  R.  E.  VII,  602.  K.  L.  V,   1704  ff. 

2)  Vgl.  z.  B.  Quod  IV,  q.   20  (S.  197  b  ff). 

8)  Vgl.  z.  B.  IV,  26  (S.  21  ib  f). 

4)  Quod.  I,  40  (S.  42b).     Quod  VI,  22  (S.  367). 

9* 


—      132     — 

Der  Tausch  hat  nach  Wertgleichheit  vor  sich  zu  gehen.  Be- 
züglich seiner  Anschauung  vom  Werte  folgt  Heinrich  völlig  den 
von  Augustinus  vorgezeichneten  Richtlinien.  Die  von  diesem  für 
Tausch  und  Wertgleichheit  aufgestellten  Prinzipien  sind  in  keiner 
Weise  fortgebildet,  werden  vielmehr  im  alten  Sinne  nur  in  ausge- 
dehnterem Maße  für  die  Beurteilung  der  einzelnen  Vertragsarten 
verwendet.  Wie  Augustinus  jedes  billig  einkaufen  und  teuer  ver- 
kaufen als  sündhaft  verwarf,  so  fordert  auch  Heinrich  v.  Gent 
absolute  Wertgleichheit  im  Tausche.  Käufer  und  Verkäufer 
sollen  sich  verhalten  wie  zwei  Wagschalen,  die  nach  möglichster  Aus- 
gleichung streben;  es  ist  nicht  gestattet  über  die  Gleichheit  hinaus 
zu  nehmen1).   Er  stützt  sich  hierbei  auf  Augustinus  De  Trin.   13,3  2). 

Der  Wert  der  Güter  wird  bestimmt,  wie  ebenfalls  wohl  in 
Anlehnung  an  Augustinus  ausgeführt  wird,  durch  den  Nutzen,  den 
sie  dem  Menschen  gewähren3).  Der  Wert  ist  nach  Ort  und  Zeit 
verschieden,  besonders  ist  die  vorhandene  Menge  von  Einfluß.  Er 
kann  erhöht  werden  durch  menschliche  Arbeit  usw.4).  Immer  aber 
erscheint  der  Wert  unter  gegebenen  Verhältnissen  als  fest  bestimmt5). 
Dieser  normale  Wert  liegt  allen  weiteren  Ausführungen  bei  Heinrich 
von  Gent  zugrunde.  Die  Gleichheit  dieses  festen  Wertes  ist  für 
den  Tausch  anzustreben  und  naturrechtliche  Forderung  der  aequitas 
naturalis:  »quae  stat  in  medio  indivisibili  secundum  naturam 
inter  emptum  et  venditum,  sicut  lingua  librae  stat  perpendiculariter 
inter  brachia  librae  aequaliter  ponderantia« 6).  Freilich  können  wir 
diese  Gleichheit,  wie  sie  an  sich  erfordert  wird,  nicht  einhalten: 
ex  parte  nostra  ist  jenes  medium  divisibile,  weil  wir  den  wahren 
Wert  der  Güter  nicht  absolut  genau  zu  schätzen  vermögen7).  Die 
Tauschkontrahenten  sind  aber  verpflichtet,  demselben  möglichst 
nahe  zu  kommen.  Die  Bestimmung  des  römischen  Rechtes,  die 
einen  Vertrag  erst  dann  für  ungültig  erklärt,  wenn  eine  Übervor- 

a)  I,  40  (S.  42  b):  »aequale  debet  esse  omnino  in  valore  datum  et  receptum  hinc 
et  inde  et  in  hoc  ambo  debent  esse  iudices  tanquam  duo  brachia  librae  et  animatae 
iustitiae,  ut  qui  in  pondere  pretii  sentiat  se  plus  recepisse  de  eo,  quod  est  alterius,  res- 
cindat  et  reddat  ei  de  suo,  quousque  fiat  aequale,  et  sie  Stent  quasi  brachiis  librae  ele- 
vatis  et  depressis  aequaliter.«     Vgl.  ferner:  VI,   22  (S.  367).     VIII,  24  (Bd.  II,  S.  46  b). 

2)  I,  40  (S.  42  b). 

3)  VI,  22  (S.  367). 

4)  Hierüber  im  folgenden. 

5)  Hein.  v.  G.  betont  z.  B.,  daß  wenn  jemand  Schafe  zum  gerechten  Preise  ge- 
kauft hat,  es  nicht  gestattet  ist,  dieselben  sofort  teurer  zu  verkaufen,  weil  der  Preis 
noch  derselbe  ist.    VI,   22   (S.  367). 

6)  II,   15   (S.  68  b). 

7)  1    c. 


—     133     — 

teilung  über  die  Hälfte  des  gerechten  Preises  hinaus  stattgefunden 
hat,  mag  für  das  positive  Recht  passend  sein,  die  natürliche  Ge- 
rechtigkeit begnügt  sich  damit  nicht1).  Diese  verlangt  eine  mög- 
lichst genaue  Einhaltung  der  natürlichen  Gleichheit.  Andernfalls 
kann  nur  eine  invincibilis  ignorantia  die  Tauschenden  vor  Begehung 
einer  Sünde  schützen2).  So  ist  der  Zweck  des  »Handelns«  der, 
dem  gerechten  Preise  möglichst  nahe  zu  kommen3).  Und  dem 
Satze:  Tantum  res  valet,  quantum  vendi  potest  stellt  er  den  anderen 
Satz  gegenüber,  eine  bestimmte  Sache  bemesse  ihren  Wert  darnach 
»quantum  vendi  debet«.  Jenes  »Können«  des  ersten  Satzes  sei  als 
ein  Können  im  Sinne  der  Gerechtigkeit,  soweit  letztere  nicht  ver- 
letzt werde,  aufzufassen.  Eine  Übervorteilung  könne  ihren  Grund 
nur  darin  haben,  daß  z.  B.  der  Käufer  den  wahren  Wert  nicht 
kenne  oder  darin,  daß  der  Verkäufer  die  Not  des  Käufers  aus- 
beuten wolle4).  Bei  voller  Freiheit  der  Entschließung  und  klarer 
Kenntnis  des  Wertes  einer  Sache  würde  keiner  mehr  geben  wollen, 
als  er  empfängt5).  Man  sieht:  Die  ethische  Bindung  des  Tausches 
ist  hier  in  schroffster  Weise  durchgeführt.  Das  Äquivalenzprinzip 
ist  mit  dem  Gedanken  eines  Gewinnes  unvereinbar. 

Wie  schon  erwähnt  ist  die  Wertlehre  für  die  übrigen  wirt- 
schaftlichen Anschauungen  Heinrichs  entscheidend.  Dies  zeigt 
sich  zunächst  in  seiner  Behandlung  des  Tausches  verschiedener 
Münzen  gegeneinander. 

Die  Lehre  vom  Gelde  enthält  gegenüber  der  früheren  Zeit 
eine  gewisse  Weiterführung  und  Vertiefung.  Als  Erfordernisse  des 
Geldes  werden  die  materia  preciosa  et  utilis  sowie  das  nötige  Ge- 
wicht, als  dessen  Garantie  der  Stempel  erscheint,  bezeichnet.  Der 
Wert  des  Geldes  beruht  auf  denselben  Faktoren  wie  der  Wert  der 
anderen  Dinge.  Im  Tausche  freilich  fungiert  es  als  abstraktes 
Wertäquivalent,  oder  wie  Heinrich  sagt:  »Habet,  inquantum  num- 
mus  est,  cursum  suum  habens,  rationem  pretii,  non  substantiae,  ut 
per  pretium  nummorum  adaequentur  pretia  rerum  venalium«6). 


a)  I.e.,  ferner   II!,   28  (S.  138):  Die  vom  römischen  Rechte  geforderte  Gerechtig- 
keit ist  »inchoata  et  imperfecta«. 
-)  III,  28  (S.   138). 

3)  1.  c.  Unde  popter  hoc  permittuntur  placitationes  inter  ementes  et  vendentes, 
ut  scilicet  venditor  rem'  appreciet  plus  et  emptor  offerat  minus,  quousque  venditore 
auferente  de  appreciato  et  emente  apponente  ad  oblatum  sine  omni  coactione  et  deeep- 
tione  deveniatur  ad  aliquod  medium,  in  quo  ambo  consentiunt  et  putant  esse  medium 
et  p.equale.« 

4)  I,  40  (S.  42  b.)  cf.  XIV,   14  (II,  S.  357  bf.). 

5)  II,   15   (S.  68  b). 

6)  VI,  22  (S.  367). 


—     134     — 

Bei  einem  Tausche  von  Geld  gegen  Geld  muß  daher  an  sich 
nach  Gleichheit  der  Preise  getauscht  werden,  wenn  nicht  besondere 
Umstände  eine  höhere  Forderung  rechtfertigen1).  Die  Erörterung 
dieser  einzelnen  Fälle  führt  Heinrich  zu  manchen  wichtigen  neuen 
Aufschlüssen  über  das  Geldwesen2).  Wenn  in  einem  Lande  durch 
staatliche  Zulassung  oder  Anordnung  mehrere  Münzsorten  um- 
laufen, so  kann  das  Wertverhältnis  so  festgesetzt  werden,  daß  dem 
Gewichte  nach  die  eine  Münze  mehr  wert  sein  müßte,  als  dem 
pretium  institutum  entspricht.  Dann  darf  der  Besitzer  diese  höher- 
wertige Münze  aus  dem  Verkehr  ziehen  und  das  »pondus  super- 
excrescens«  verkaufen  und  zwar  in  »forma  ponderis«  und  nur  in 
dem  Falle  »nisi  specialiter  et  publice  a  principe  fuerit  interdictum 
vel  ex  natura  institutionis  numismatis  per  impressionem  characteris 
de  iure  communi  sit  interdictum,  quemadmodum  interdicta  est 
decopatio  nummorum.« 

Wäre  das  Wertverhältnis  hingegen  gerecht  festgesetzt,  so  wäre 
eine  Mehrforderung  nur  berechtigt,  wenn  eine  besondere  Mühe- 
waltung vorgelegen  hätte.  Der  Wechslerstand  hat  mithin  ein  Recht 
auf  Existenz. 

Eine  Münze  hingegen,  die  am  Tauschorte  nicht  umläuft,  ist 
eine  Ware  wie  alle  anderen  Dinge  auch,  kein  pretium,  sondern  eine 
»res  apprecianda«.  Sie  kann  daher  nach  ihrem  inneren  Metallwerte 
gekauft  bzw.  verkauft  werden,  und  wenn  sie  an  ihrem  Ursprung's- 
orte  einen  höheren  Kurswert  hat,  so  kann  der  Käufer  sie  dorthin 
bringen  und  zu  einem  höheren  Werte  »in  usum  ponere«.  Der  er- 
zielte Gewinn  ist  eine  Belohnung  seiner  Tätigkeit,  seiner  Industria. 
Der  Gewinn  des  Wechslers  aus  der  Kursverschiedenheit  der  Münzen 
wird  also  hier  als  »Arbeitslohn«   aufgefaßt 

Heinrich  besitzt  in  mancher  Hinsicht  tiefere  Kenntnisse  des 
Geldwesens  als  Thomas.  So  ist  es  ihm  z.  B.  bekannt,  daß  ver- 
schiedenwertige  Münzen  im  Umlauf  seien  und  die  höherwertigen 
aus  dem  Verkehr  gezogen  werden  können.  Freilich  beschäftigt 
ihn  nicht  das  Problem  als  solches,  sondern  er  sucht  nach  einer 
ethischen  Normierung  des  Vorganges. 

Doch  die  letzten  Erörterungen  über  den  Gewinn  des  Wechslers 
haben  uns  bereits  zum  Handel  hingeführt. 

IV.  Der  Stellung  zum  Handel3)  liegt  bei  Heinrich  von 
Gent  das  bekannteWort  aus  (Pseudo-)  Chrysostomus  zugrunde,  daß  der- 

*)     1.     C. 

2)  Vgl.  zum  folgenden:  1.  c.  (S.  367  b.). 

3)  Vgl.  zum  folgenden:  I,  q.  40  (8.42b ff.). 


—     135     — 

jenige,  der  eine  Ware  unverändert  weiter  verkaufe,  sündige.  Hieran 
anschließend  erklärt  er  nur  den  Mehrwert  für  gerechtfertigt,  der  durch 
eine  zwischen  Kauf  und  Verkauf  stattgefundene  Wert erhö hu ng 
erzielt  ist.  Eine  solche  Werterhöhung  kann  in  verschiedener  Weise 
vor  sich  gehen:  durch  Zusetzung  körperlicher  Arbeit,  oder  wrenn 
der  Kaufmann  die  Ware  von  einem  Orte,  wo  sie  infolge  größerer 
Menge  weniger  wert  ist,  nach  einem  Platze  bringt,  wo  er  einen 
höheren  Preis  erzielen  kann,  oder  wenn  er  eine  Ware  zu  einer 
Zeit,  wo  sie  billig  ist,  aufkauft  und  zu  einer  anderen  Zeit,  wo  sie 
teuerer  ist,  verkauft.  Ferner  ist  ein  teuerer  Verkauf  erlaubt,  wenn 
z.  B.  ein  Händler  eine  Ware,  die  auf  dem  Markte  an  sich  zu  ge- 
ring bewertet  ist,  ihrem  wahren  Wert  nach  erkennt;  er  darf  dann 
die  Ware  zum  Marktpreis  kaufen  und  mit  einem  Aufschlag  so- 
gleich wieder  verkaufen,  weil  durch  seine  Tätigkeit  der  Wert  der 
Ware  allgemein  erhöht  ist  —  eine  durchaus  organische  Ausge- 
staltung des  Äquivalenzprinzips,  nicht  etwa  eine  Durchbrechung 
oder  Lockerung  desselben1).  Also  nur  dann  ist  der  Handel  er- 
laubt, wenn  er  zu  einer  Werterhöhung  der  Waren  geführt  hat,  sei 
es  ratione  substantiae,  loci,  temporis  oder  ementis.  Auch  er  ist 
also  an  die  Forderung  des  gerechten  Preises  streng  gebunden. 
Im  übrigen  ist  der  Gewinn  auch  nur  dann  erlaubt,  wenn  er  nicht 
als  Selbstzweck  erstrebt  wird,  sondern  wenn  die  Kaufleute  darauf 
ausgehen,   »ut  ...  de  lncro  vivant«2). 

In  der  Nichtbeachtung  des  gerechten  Preises  liegt  die  Gefahr 
des  Handels:  »Unde,  cum  pauci  sint  mercatores,  qui  cum  tanto 
studio  servandae  aequitatis  vendant  et  emant,  summe  periculosa 
est  venditionis  et  emptionis  negotiatio«3). 

Die  Ausführungen  über  den  Handel  sind  nichts  anderes  als 
die  scholastische  Wirtschaftsethik  in  ihrer  vollen  Konsequenz;  sie 
sind  aber  ein  getreues  Spiegelbild  der  früher  geschilderten  anti- 
kapitalistischen Motivrichtungen  des  mittelalterlichen  Wirtschafts- 
lebens und  daher  unverständlich,  wenn  sie  nicht  ergänzt  werden 
durch  einen  Blick  auf  die  Verhältnisse  des  mittelalterlichen  Marktes, 
die  Heinrich  von  Gent  vorgeschwebt  haben  mögen. 

V.  Wucherlehre.  Das  Mutuum  ist  unter  Bezugnahme  auf 
Luk.  VI,  35  seiner  Natur  nach  ein  unentgeltlicher  Vertrag:  Jede 
Hoffnung  auf  Gewinn  ist  daher  in  ihm  unerlaubt4).    Ein  Darlehen 

1)  Der  Betreffende  hat  dem  eigentlichen  Zweck  des  Handelns,  der  Feststellung 
des  natürlichen  Wertes  gedient.     Vgl.  S.    132  f. 

2)  1-  c.  (S.  43). 

:<)  1.  c.  (S.   42  b). 

*)  Quod.  VIII,  q.   24  (II,  S.  46  b  f.)  und  sonst. 


-      136     - 

liegt  nun  überall  dort  vor,  wo  das  Geld  nicht  seiner  eigentlichen 
Natur  entsprechend  als  medium  emptionis  et  venditionis,  sondern 
tanquam  extremum  dient,  wo  also  Geld  gegen  Geld  getauscht 
wird 1).  In  allen  derartigen  Verträgen  ist  jede  Hoffnung  auf  Ge- 
winn wucherisch,  mag  der  Mehrwert  in  Geld  oder  in  anderen 
Dingen  bestehen 2).  Der  Grund  hierfür  liegt  nicht  allein  in  einem 
positiven  kirchlichem  Verbote,  wie  wohl  Juden  und  Legisten  be- 
haupten3), die  ersteren  zur  Rechtfertigung  ihres  Tuns,  letztere  im 
Anschluß  an  das  römische  Recht4),  sondern  das  Zins  verbot  ist  in  der 
Natur  der  Sache  begründet.  Heinrich  von  Gent  beweist  dies  vor 
allem  dadurch,  daß  beim  Gelde  Gebrauch  und  Verbrauch  identisch 
seien,  daß  daher  nicht  wie  bei  nutzbaren  Gegenständen  Substanz 
und  Nutzung  getrennt  verkauft  werden  könnten.  Auch  das  Zitat 
aus  (Pseudo-)Chrysostomus5)  kehrt  wieder.  Eine  Eigentumsüber- 
tragung am  erwucherten  Gelde  lehnt  Heinrich  ab.  Daher  ist  ge- 
schäftlicher Verkehr  mit  solchen,  von  denen  bekannt  ist,  daß  sie 
nichts  als  zu  Unrecht  erworbenes  Geld  besitzen,  nicht  gestattet, 
wenn  sie  durch  Ausgabe  ihres  Geldes  in  ihrer  Restitutionsfähigkeit 
geschädigt  werden6). 

Diese  Lehre  wird  zunächst  auf  den  Kreditkauf  angewendet7): 
Bei  Stundung  der  Zahlung  ist  der  Preis  anzustreben,  den  die  Ware 
im  Augenblick  der  Zahlung  haben  wird.  Erwartet  nun  der  Ver- 
käufer z.  B.  eine  Preissteigerung,  so  darf  er  bei  Abschluß  des  Ver- 
trages sich  einen  höheren  Preis  ausbedingen,  als  die  betreffende 
Ware  zur  Zeit  des  Abschlusses  hat:  Er  muß  sich  aber  bemühen, 
möglichst  genau  den  Wert  in  der  späteren  Zeit  zu  schätzen.  Hat 
er  dann  tatsächlich  etwas  mehr  gefordert,  so  sündigt  er  zwar  nicht, 
muß  aber  —  auch  hier  wird  nur  eine  allerdings  schroffe  Konse- 
quenz aus  der  Wertlehre  gezogen  —  bei  Erkenntnis  seines  Irrtums 
den  Überschuß  zurückgeben,  ebenso  wie  im  umgekehrten  Falle 
der  Käufer  aufzulegen  hätte.  Eine  Mehrforderung  wegen  der 
Zahlungsverschiebung  als  solcher  ist  nicht  gestattet. 


!)    l.   C. 

2)  III,  q.  28  (S.  138  f.).  Es  wird  hier  betont,  daß  ein  Darlehen  auch  in 
anderen  Dingen  gewährt  werden  kann  als  in  Geld,  was  aber  in  den  weiteren  Ausfüh- 
rungen kaum  beachtet  wird. 

3)  I,   q.   39  (S.   40  b).      VI,  q.    26   (S.   374b). 

4)  Möglicherweise  ist  hier  an  den  Glossator  Accursius  v.  Bologna  (1182 — 1260) 
gedacht,  der  auf  das  römische  Recht  sich  stützte  und  einen  Zins  an  sich  für  erlaubt  er- 
klärte.    Vgl.  Ashley,  a.  a.  O.  I,   152. 

5)  I,  q.  39  (S.  40). 

6)  IV,   q.    27    (S.    212  f.). 

7)  Vgl.  zum  folgenden  III,  q.   28   (S.   139  f.). 


—      137     — 

Ähnliches  gilt  z.  B.  bei  Verabredung  des  Pachtzinses  auf 
längere  Zeit:  Ändert  sich  der  Wert  der  Nutzung  eines  bestimmten 
Hauses,  so  muß  der  zu  zahlende  Preis  dieser  Veränderung  ange- 
paßt werden. 

VI.  Rentenverträge:  Zum  ersten  Male  in  der  Scholastik 
behandelt  Heinrich  von  Gent  ausführlicher  den  Rentenkauf1). 
Funk2)  hat  in  seinen  diesbezüglichen  Äußerungen  eine  Wand- 
lung angenommen  im  Sinne  einer  allmählichen  Milderung  seiner 
Forderungen:  Während  er  zuerst  den  Renten  vertrag  an  sich  über 
haupt  verworfen  habe,  habe  er  ihn  später  wenigstens  in  einigen 
Formen  gestattet  Eine  solche  Entwicklung  dürfte  kaum  vorliegen, 
was  sich  schon  daraus  ergibt,  daß  sich  Heinrich  noch  an  der  Stelle, 
wo  nach  Funk  bereits  die  Änderung  vorliegen  soll,  auf  seine 
früheren  Ansichten  beruft  und  mit  seinen  dortigen  Darlegungen 
verbindet.  Zu  dem  stimmen  die  einzelnen  Ausführungen  durch- 
aus zueinander. 

Für  unerlaubt3)  erklärt  Heinrich  den  Erwerb  einer  Geldrente 
unmittelbar  gegen  Geld,  wenn  dieselbe  neu  konstituiert  wird  und 
nicht  bereits  vorher  bestanden  hat;  —  er  verwirft  also  den  eigent- 
lichen Rentenkauf  — ,  durchaus  konsequent,  wenn  wir  uns  ver- 
gegenwärtigen, daß  er  überall  dort  ein  Mutuum  sieht,  wo  Geld 
gegen  Geld  getauscht  wird,  und  für  diesen  Fall  jede  Hoffnung  auf 
einen  Gewinn  verbietet.  Wenn  die  Juristen,  betont  er,  in  diesem 
Vertrage  einen  einfachen  Kauf-  und  Verkaufvertrag  erblickten 
und  ihn  deshalb  für  erlaubt  erklären  wollten,  so  sei  damit  das 
wahre  Wesen  desselben  nicht  erfaßt,  wie  es  sich  bei  Betrachtung- 
des  Theologen  und  Philosophen  ergäbe;  für  diese  läge  ohne  Zweifel 
ein  Mutuum  vor:  Denn  der  Erwerb  einer  Geldrente  unmittelbar 
gegen  Geld  ist  von  einem  Darlehen  in  keiner  Weise  verschieden: 


1)  Aus  der  Zeit  vor  H.  v.  G.  seien  von  denen,  die  rentenartige  Verträge  er- 
örtern, genannt:  Goffredo  v.  Tr.,  der  den  Fall  bespricht,  daß  von  Klöstern  oder 
Kirchen  Besitzungen  auf  Lebenszeit  erworben  werden.  Er  weist  die  Ansicht  derjenigen 
zurück,  die  diese  Verträge  für  erlaubt  erklären  im  Hinblick  auf  das  in  ihnen  vorliegende 
incertura:  »Sed  puto  contrarium  eo,  quod  homines  sperant  vivere  et  sie  taliter  contra  - 
hentes  credunt  se  amplius  pereepturos  de  possessionum  proventibus  quam  sit  peeunia 
quam  dederumt.  Et  sicut  in  prineipio  dictum  est:  sola  spe  contrahitur  vitium  usurarum 
(1.  c.  n.  30,  S.  214b).  Hostiensis  weist  dies  zurück,  nur  Gleichwertigkeit  sei  nötig. 
Ebenso  sei  das  Vorgehen  derjenigen  erlaubt:  »qui  oves  vendunt  vel  donant  et  tradunt 
monasteriis  sub  hoc  pacto,  quod  pro  quolibet  ove  reeipiant  in  anno  duos  solidos.  (1.  c. 
8,  Sp.    1626.)     Vgl.   Endemann,  Studien  II,  S.    109  f. 

2)  Geschichte  d.  kirchl.  Zinsverbotes  S.  42  ff. 

3)  I,  q.  39  (S.  40b  f.);  vgl.  ferner  II,  q.  15  (S.  68  ff.);  VIII,  q.  24  (II,  S.  46b  f.); 
XII,  q.   21   (II,  S.   258b  f.);  an  letzterer  Stelle  Hinweis  auf  I,  q.   39. 


—     133     - 

ob  ich  einem  anderen  eine  Summe  Geldes  leihe  und  nach  Ablauf 
einer  bestimmten  Zeit  Geld  und  Zinsen  zurückfordere,  oder  ob  ich 
eine  Rente  erwerbe  und  in  bestimmten  Raten  allmählich  ultra 
sortem  erhalte,  ist  nichts  wesentlich  Verschiedenes;  höchstens  ist 
die  letztere  Form  für  den  Schuldner  noch  drückender.  Die  Hoff- 
nung auf  einen  Gewinn,  die  im  Darlehen  die  Wurzel  des  Wuchers 
ist,  ist  von  einem  derartigen  Vertrage  nicht  zu  trennen :  Bei  Kauf 
einer  Rente  auf  Lebenszeit  hofft  der  Käufer  solange  zu  leben, 
daß  er  einen  Gewinn  erzielt,  und  der  Käufer  erwartet  das  Gegen- 
teil, von  den  ewigen  Renten  ganz  zu  schweigen1).  Die  Ungewißheit 
für  Käufer  und  Verkäufer  kann  nicht  als  Entschuldigungsgrund 
dienen,  weil  sie  die  Hoffnung  auf  einen  Gewinn  nicht  aufhebt. 
Auch  ein  Darlehen  kann  in  der  Form  gewährt  werden,  daß  der 
Gläubiger  nach  Jahresfrist  Kapital  und  Zinsen  zurückerhält,  daß 
aber,  wenn  er  in  der  Zwischenzeit  stirbt,  beides  dem  Schuldner 
verbleiben  soll.  Wie  der  letztere  Vertrag  wucherisch  sei,  so  auch 
der  erstere.  Einen  von  anderer  Seite  angeführten  Grund  gegen 
die  Erlaubtheit  eines  derartigen  Rentenkaufes  weist  Heinrich 
zurück:  Daß  der  Verkäufer  der  Rente  möglicherweise  den 
Tod  des  Käufers  wünsche,  mache  den  Vertrag  an  sich  noch 
nicht  unerlaubt. 

In  anderen  Fällen  dagegen  hält  Heinrich  den  Rentenkauf 
bzw.  Verkauf  für  erlaubt2);  z.  B.  in  der  Weise,  daß  jemand  ein 
Grundstück  kauft  und  dieses  gegen  eine  jährliche  Rente  in  Leihe 
oder  Erbleihe  gibt  [haereditarie  concedere2)],  oder  dadurch,  daß 
jemand  einer  Kirche  oder  einer  Gemeinde  seinen  Besitz  übergibt 
und  sich  dafür  auf  Lebenszeit  eine  Rente  vorbehält,  oder  dadurch, 
daß  ein  Fürst  seinen  Dienstleuten  eine  Rente  aussetzt,  mag  dieselbe 
auf  eine  bestimmte  nutzbare  Sache  basiert  sein,  oder  auf  das  Ver- 
mögen (bursa)  des  Königs  schlechthin.  In  allen  diesen  Fällen  ist 
es  gleichgültig,  ob  die  Rente  auf  Lebenszeit  oder  für  immer  er- 
worben oder  gewährt  wird.  Nur  wird  natürlich  bei  einer  ewigen 
Rente  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  die  jährliche  Quote 
geringer  sein. 

Aber  Heinrich  geht  noch  einen  bedeutenden  Schritt  weiter: 
In  allen  Fällen,  wo  so  eine  Rente  erlaubter  Weise  konstituiert  ist, 
kann  der  Besitzer  derselben  gegen  eine  bestimmte  Geldsumme  sie 
weiter  verkaufen:  es  wird  dann  nicht  Geld  gegen  Geld  getauscht, 


J)  VIII,  q.   24. 

-)  Vgl.  zum  folgenden:  VIII,  q.   24;  XII,  q.   21, 


—     i39     — 

sondern  mit  Geld  das  ius  percipiendi,  also  an  sich  eine  unkörper- 
liche Sache  erworben,  sodaß  in  diesem  Falle  kein  Verstoß  gegen 
das  Wesen  des  Geldes,  das  als  Tauschmittel  dienen  soll,  und  kein 
Mutuum  vorliegt.  Eine  Unterscheidung,  die,  wie  wir  noch  sehen 
werden,  in  der  späteren  Scholastik  wiederkehrt.  Auch  der  Zins- 
kauf ist  also  berechtigt.  Eine  tiefere  werttheoretische  Durchdrin- 
gung der  Renten  vertrage  ist  nicht  versucht. 

VII.  Rückblick.  Fassen  wir  die  Ergebnisse  zusammen,  so 
hat  rein  äußerlich  betrachtet  das  Gebiet  der  behandelten  Vertrags- 
arten an  Ausdehnung  gewonnen.  Neu  treten  die  Rentenverträge 
in  die  scholastische  Literatur  ein.  Bezüglich  der  Anschauungen 
vom  Gelde  haben  wir  eine  Weiterentwicklung  festgestellt.  Im 
übrigen  sind  die  althergebrachten  Anschauungen  nicht  weiter  ge- 
führt. Sie  werden  im  einzelnen  etwas  rigoristisch  durchgeführt. 
Heinrich  selbst  erwähnt,  daß  nicht  nur  seine  Anschauungen  über 
den  Rentenkauf,  sondern  auch  seine  Lehre  vom  Handel  Wider- 
spruch gefunden  habe1).  Das  erstere  erscheint  uns  leicht  begreif- 
lich, wenn  wir  daran  denken,  daß  weite  Kreise  mehr  oder  minder 
an  einer  Aufrechterhaltung  der  von  Heinrich  verbotenen  Renten- 
käufe interessiert  waren.  Heinrich  selbst  erwähnt,  daß  sie  von 
staatlicher  und  kirchlicher  Seite,  wie  von  Klöstern,  Beghinen,  viel- 
fach angewendet  wurden  2). 

Was  bezüglich  seiner  Stellung  zum  Handel  Anlaß  zum  Wider- 
spruch bot,  bleibt  unklar.  Wenn  wir  jedoch  die  spätere  Entwick- 
lung der  scholastischen  Wirtschaftslehre  uns  vergegenwärtigen,  so 
können  wir  vielleicht  vermuten,  daß  die  schroffe,  jeden  Gewinn 
ausschließende  Durchführung  des  Äquivalenzprinzips  Anstoß  erregte. 
Heinrich  selbst  weist  gelegentlich  unwillkürlich  darauf  hin,  daß 
hier  ein  ungelöstes  Problem  ruhte:  Er  stellt  einmal  das  Mutuum, 
in  dem  jeder  Gewinn  verboten  sei,  dem  Kauf  und  Verkauf  gegen- 
über, in  dem  eine  Verletzung  der  Wertgleichheit  verboten  sei, 
führt  also  den  Gegensatz  nicht  konsequent  durch3).  So  sind  in 
seinen  Gedanken  gewisse  Lücken  und  Unklarheiten,  die  zum  Wider- 
spruch herausfordern  und  nach  Ergänzung  und  Vertiefung  ver- 
langen. An  den  bezeichneten  Punkten  setzt  die  weitere  Ent- 
wicklung ein. 


i)  II,  q.  15  (S.  68  f.). 

2)  I,  q.   39   (S.   40b);   II,  q.    15   (S.   68  f.);   VIII,   q.    24   (II,  S.   46b). 

3)  VIII,  q.  24  (II,  S.  46  b).  Man  vgl.  hiermit  den  Satz  aus  Avicenna,  der 
Sum.  quaest.  ordin.  p.  I,  a.  39  q.  I.  ad  I  (S.  244)  zitiert  wird:  >Intendens  est  minoris 
esse,  quam  quod  intenditur.« 


—      140     — 

§  3.    Ricardus  de  Mediavilla. 

I.  Leben,  Bedeutung  und  Schriften1):  Ricardus  de  Media- 
villa (Heinrich  von  Middletown)  ist  wie  Heinrich  von  Gent  ein  Zeit- 
genosse des  Thomas  von  Aquin.  Weder  sein  Geburts-  noch  Sterbe- 
jahr lassen  sich  sicher  ermitteln.  Wahrscheinlich  starb  er  in  den 
Jahren  1300  bis  1307.  Er  war  Mitglied  des  Franziskanerordens, 
stand  aber  in  seinen  theologischen  und  philosophischen  Anschau- 
ungen Thomas  von  Aquin  nahe.  Die  wichtigeren,  für  uns  in  Be- 
tracht kommenden  Schriften  des  Doctor  solidus  oder  fundatissimus, 
wie  das  Mittelalter  ihn  nannte,  sind  sein  Kommentar  zu  den  Sen- 
tenzen des  Petrus  Lombardus,  sowie  ein  Reihe  Quodlibeta.  Für 
die  Entwicklung  der  Wertlehre  ist  er  von  größter  Wichtigkeit. 

IL  Privateigentum  und  Notwendigkeit  des  Tausches: 
Die  Notwendigkeit2)  des  Gemeinschaftslebens  für  die  Menschen 
ergibt  sich  aus  deren  Bedürfnis  nach  gegenseitiger  Aushilfe  und 
Unterstützung,  zumal  in  wirtschaftlichen  Dingen.  Die  wechselseitige 
Unterstützungspflicht  greift  aber  über  die  Grenzen  des  eigenen 
Landes  hinaus:  »omnes  homines  secundum  rectum  dictamen  naturae 
debent  subvenire  sibi  invicem  in  contractibus  suis  inquantum  sunt 
viventes  sub  uno  principe,  qui  princeps  Deus  est«3).  Es  hat  dies 
in  der  wirtschaftlichen  Tatsache  seinen  Grund,  daß  die  einen 
Länder  an  Gütern  Überfluß  haben,  an  denen  die  anderen  Mangel 
leiden,  und  umgekehrt4). 

Die  Stellung  zur  Eigentumsordnung  ist  wie  überall  von  natur- 
rechtlichen Erwägungen  bestimmt:  Es  ist  die  naturgesetzliche  Be- 
stimmung der  irdischen  Güter,  der  Menschheit  als  solcher  zum 
Unterhalt  zu  dienen.  Das  Privateigentum  erscheint  im  Hinblick 
auf  den  durch  dasselbe  gewährleisteten  besseren  und  friedlicheren 
Verlauf  des  wirtschaftlichen  Lebens  als  dem  ius  naturae  »consona 
pro  statu  naturae  lapsae«.  Freilich  hört  im  Falle  äußerster  Not 
für  den  einzelnen  das  Privateigentum  auf5). 

III.  Wert  und  Wertgleichheit.  Mit  Bestehen  des  Privat- 
eigentums ergibt  sich  die  Notwendigkeit  des  Austausches.  Über 
das  Wesen  des  Wertes  hat  Ricardus  sich  nirgends  ausführlicher 
geäußert,  er  gibt  nur  eine  Reihe  einzelner  Angaben,   die   insofern 


J)  K.  L.     X.    1180    f.    Überweg -Heinze    II,   S.    327  ff.     Hurter  II,  467  ff.  ein 
kurzer  Hinweis  auf  R.  d.  M.  findet  sich  bei  Pesch:  Lehrb.  II,  S.  52,  Anmerkung  1. 

2)  Sent.  IV,  26,  a.    1,  q.   1. 

3)  Quod.   II,   23,  a.   1. 

4)  1.  c. 

5)  Sent.   III,  37,  3,  4;  Sent  IV,   15,  5,  4. 


—      Mi      — 

ein  gewisses  subjektives  Gepräge  tragen,  als  die  Verschiedenheit 
des  Wertes  der  einzelnen  Waren  nach  Ort  und  Zeit  und  nach  der 
Schätzung  der  einzelnen  Tauschenden  hervorgehoben  wird  und 
als  bestimmend  hierfür  regelmäßig  der  größere  oder  geringere  Vor- 
rat der  in  Betracht  kommenden  Güter  erscheint:  »aliquid  esset  mo- 
dicum  diviti,  quod  esset  multum  pauperi«  x). 

Aber  gleichwohl  erscheint  die  Vorstellung  eines  normalen 
durchschnittlichen  Wertes  als  herrschend:  Die  vom  Naturrecht  ge- 
forderte reale  Gleichheit  der  getauschten  Dinge  geht  auf  den  Wert 
an  sich.  Dieser  Gedanke  eines  festen  Wertes  wird  auch  durch 
den  Hinweis  auf  den  weiten  Spielraum  des  gerechten  Preises  nicht 
aufgehoben2).  Für  bestimmte  Orte  und  Zeiten  gilt  ein  bestimmter 
Preis  als  gerecht. 

Mit  dieser  Auffassung  der  Wertgleichheit  verbindet  sich  nun 
bei  Ricardus  eine  andere  Vorstellung:  nämlich  die,  daß  jeder  im 
Tausche  gewinnen  will.  DieFrage,  »quomodoiustaemercationes, 
in  quibus  tantum  dat  emens,  quantum  accipiat,  sunt  lucrativae« 
bildet  den  Kernpunkt  seiner  Preislehre3).  Sie  war,  wie  oben  ge- 
zeigt, bereits  durch  die  Erörterungen  seiner  Vorgänger  über  das 
iustum  pretium  brennend  geworden. 

Ricardus  weist  zunächst  zur  Lösung  des  gestellten  Problems  auf 
den  auswärtigen  Handel  hin:  Wenn  von  zwei  Ländern  das  eine  an 
Wein  Überfluß  hat  und  an  Getreide  Mangel,  so  werden  dort  die 
Preise  für  Wein  niedrig,  für  Getreide  dagegen  hoch  stehen;  für 
das  andere  Land,  das  an  Getreide  Überfluß  hat  und  an  Wein 
Mangel,  gilt  das  Umgekehrte.  Nun  kann  ein  Kaufmann  aus  dem 
ersten  Lande  in  das  zweite  gehen  und  hier  zu  dem  dort  geltenden 
Preise  Getreide  kaufen  und  dasselbe  in  dem  eigenen  Lande  zu 
dem  dort  geltenden  Preise  verkaufen.  Dann  ist  hier  wie  dort  der 
gerechte  Preis  bezahlt  und  doch  ein  Vorteil  erzielt.  Ein  Kauf- 
mann aus  dem  zweiten  Lande  könnte  im  ersten  Wein  kaufen  und 
denselben  in  seiner  Heimat  verkaufen  und  so,  ohne  Verletzung  des 
gerechten  Preises  in  der  gleichen  Weise  einen  Gewinn  erzielen4). 
»Vides  ergo«,  so  schließt  Ricardus,  »quando  possent  esse  iustae 
in  se  mercationes  lucrativae  propter  mutuam  indigentiam  in  diversis 
partibus  mundi«5). 


1)  Quod.  II,  q.   29. 

2)  Quod.  II,  q.    23,  a.   3 ;   ib.  a.    7,  dub.    I ;   Sent.   III,   23,  a.   3,   q.   4. 

3)  Quod.  II,  q.  23,  a.    1. 

4)  Quod.  II,   23,  a.    I;   ib.  a.    7,  dub.    I. 

5)  1.    C. 


—      142     — 

Was  für  den  Verkehr  zwischen  verschiedenen  Ländern  gilt, 
gilt  in  ähnlicher  Weise  auch  für  den  Tausch  verkehr  innerhalb  des 
eigenen  Landes:  Wenn  jemand  z.  B.  an  Wein  Überfluß  besitzt 
und  an  Getreide  Mangel  und  ein  anderer  umgekehrt,  so  kann  der 
erstere  seinen  Wein  verkaufen  zu  dem  geltenden  Preise  und  mit 
dem  erhaltenen  Gelde  wieder  zum  herrschenden  Preise  Getreide 
kaufen ;  der  andere  kann  entsprechend  verfahren :  beide  haben  dann 
einen  Gewinn  gemacht:  »Ille  autem,  qui  pro  re,  quae  non  est  sibi 
necessaria,  acquirit  rem  sibi  necessariam,  lucratur,  quamvis  illae 
res  ex  parte  sua  sint  aequivalentes«1).  Das  einzutauschende  Gut 
gewährt  dem  Käufer  einen  höheren  Nutzen  als  das  vorher  von 
ihm  besessene.  In  diesem  Sinne  wiederholt  Ricardus  das  Prinzip 
seiner  Lösung  an  einer  anderen  Stelle:  »servata  iustitia  potest  esse 
commutatio  lucrativa  tarn  ementi  quam  vendenti,  quia  pecunia, 
quam  vendens  recepit  pro  equo  vendito  sibi  est  utilior  quam  esset 
equus,  et  equus  utilior  est  ementi  quam  pecunia,  quam  pro  equo 
dedit,  quoniam  vendens  plus  indiget  pecunia,  quam  equo  et  emens 
plus  indiget  equo  quam  pecunia«2). 

Der  Gedanke,  daß  die  Wertgleichheit  eine  Gleichheit  der 
normalen  Werte  verlange,  ist  also  hier  organisch  mit  dem  andern 
verschmolzen,   daß   der  Tausch  vom  Gewinnprinzip  beherrscht  ist. 

Über  die  Anschauungen  Richards  vom  Gelde  sind  schon 
einige  Andeutungen  gemacht.  Er  sieht  im  Gelde  das  »precium, 
mensura  et  medium  in  emptionibus  et  venditionibus«,  das  daher 
weder  gekauft  noch  verkauft  werden  kann 3).  Näher  hat  sich  Ricardus 
nicht  damit  befaßt.  Auch  über  seine  Stellung  zum  Handel  ist  aus 
dem  früher  Gesagten  einiges  zu  entnehmen:  jedenfalls  ist  der 
Handel,  der  von  den  Wertunterschieden  der  Waren  in  den  einzelnen 
Ländern  profitiert,  erlaubt.  Näher  hat  sich  Ricardus  auch  hiermit 
nicht  befaßt. 

IV.  Rentenartige  Verträge:  Zu  den  Tausch-  bzw.  Kauf- 
und Verkaufsverträgen  im  weiteren  Sinne  gehören  auch  noch 
gewisse  rentenartige  Verträge,  auf  die  im  folgenden  kurz  hinge- 
gewiesen sei.     Ricardus  behandelt  zunächst 

a)  die  emptio  praedii  ad  vitam4).  Dieser  Vertrag  ist  nur  er- 
laubt, wenn  in  Hinsicht  auf  das  Alter  des  Käufers,  seinen  Gesund- 
heitszustand, überhaupt  seine  Lebenserwartung,  sowie  im  Hinblick 

1)  1.  c. 

2)  Sent.   III,  33,  a.   3,  q.  4. 

3)  Quod.   II,   23,  a.  6. 

4)  Quod.  n,  23,  a.   3. 


—      143     — 

auf  den  wahrscheinlichen  Ertrag  des  Landgutes  und  die  zur  Er- 
zielung desselben  nötigen  Aufwendungen  und  Kosten  weder  Käufer 
noch  Verkäufer  in  bedeutendem  Maße  im  Vorteil  zu  sein  scheint. 

b)  Die  emptio  pecuniae  ad  vitam1):  Gegen  Zahlung  einer  be- 
stimmten Geldsumme  erwirbt  der  Käufer  das  Recht  auf  eine  jähr- 
lich bis  zu  seinem  Lebensende  zu  zahlende  Geldsumme  (redditus); 
und  zwar  ist  die  Rente  fundiert:  »super  bonis  ipsius  vendentis«2). 
Abweichend  von  Heinrich  von  Gent,  der  den  Erwerb  einer  neu 
zu  bildenden  Rente  unmittelbar  gegen  Geld  verworfen  hatte,  betont 
Ricardus,  daß  auch  ein  derartiger  Rentenvertrag  ein  wahrer  Kauf 
bzw.  Verkaufsertrag  sei,  nicht  etwa  ein  Mutuum:  Es  werde  hier 
nicht  Geld  gegen  Geld  getauscht,  sondern  das  ius  percipiendi  käuf- 
lich erworben.  Ricardus  erwähnt  folgenden  Fall,  der  die  näheren 
Bedingungen  dieses  Vertrages  zeigt:  Männer  und  Frauen  kaufen 
sich  eine  Rente  unter  der  Bedingung,  daß  sie  innerhalb  einer  Zeit 
von  acht  Jahren  das  eingezahlte  Kapital  zurückerhalten.  Ricardus 
weist  darauf  hin,  daß  die  Erlaubtheit  dieses  Vertrages  strittig  sei. 
Er  selbst  erklärt  ihn  für  erlaubt,  indem  er  auf  den  früheren  Ver- 
trag zurückgreift:  Ich  kann  mir  ein  Landgut  auf  Lebenszeit  kaufen, 
kann  dieses  für  Zeit  meines  Lebens  an  einen  anderen  übertragen 
mit  der  Verpflichtung,  mir  jährlich  eine  bestimmte  Rente  zu  zahlen. 
Auch  die  Erlaubtheit  dieses  Vertrages  setzt  annähernde  Wert- 
gleichheit zwischen  Käufer  und  Verkäufer  voraus.  Werde  z.  B. 
der  Vertrag,  wie  es  häufig  geschehe,  in  der  Weise  geschlossen, 
daß  25jährige  Männer  und  Frauen  gegen  eine  bestimmte  Geld- 
summe eine  Rente  erwürben  von  der  Höhe,  daß  sie  in  einer  Zeit 
von  acht  Jahren  das  Kapital  zurückerhielten,  so  sei  dies  nur  dann 
erlaubt,  wenn  die  betreffenden  Personen  so  krank  wären,  oder  in 
solchen  Lebensgefahren  schwebten,  daß  ihre  wahrscheinliche  Lebens- 
dauer sich  nur  auf  acht  Jahre  beliefe.  Im  allgemeinen  sei  daher 
diese  Form   »salvo  meliori  iudicio«   nicht  erlaubt. 

c)  Die  emptio  haereditariae  terrae3).  Dieser  Kauf  auf  ewige 
Zeiten  entspricht  dem  Kauf  eines  Landgutes  auf  Lebenszeit.  Er 
ist  gestattet,  wenn  für  beide  Teile,  Käufer  wie  Verkäufer,  die 
Gleichheit  hinsichtlich  der  Möglichkeit  zu  gewinnen  oder  zu  ver- 
lieren gewahrt  ist. 


*)  Quod.   II,    23,    a.  4;    ib.    a.   7,    dub.   2.     Der    Erwerb    einer   Geldrente    wird 
1.  c.  a.  6  als   »contractus  bursalis«  bezeichnet. 

2)  1.  c.  a.  6. 

3)  Quod.   II,  23,  a.   5. 


—      i44     — 

d)  Die  emptio  haereditariae  pecuniae1)  (emptio  haereditarii 
redditus,  contractus  bursalis),  also  der  Kauf  einer  ewigen  Geldrente. 
Analog  dem  Kauf  einer  Geldrente  auf  Lebenszeit  wird  auch  die 
Erlaubtheit  dieses  Kontraktes  gestützt  auf  die  Erlaubtheit  des 
vorigen  Vertrages:  Man  könnte  ein  Landgut  auf  ewige  Zeiten 
kaufen,  dieses  einem  anderen  für  immer  übergeben  und  ihm  die 
Verpflichtung  auferlegen,  eine  jährliche  Rente  von  bestimmter 
Höhe  zu  zahlen.  Das  Prinzip  der  Wertgleichheit  gilt  auch  hier, 
macht  aber  Ricardus  ersichtlich  Schwierigkeiten:  Wenn  ein  anderer 
gegen  Zahlung  eines  einmaligen  Kapitales  für  immer,  auch  für 
seine  Nachkommen,  die  Verpflichtung  übernimmt,  eine  Rente  zu 
zahlen,  so  könnte  es  scheinen,  daß  dieser  Vertrag  offensichtlich 
zugunsten  des  Rentenkäufers  wäre;  einer  einmaligen  Zahlung  steht 
eine  unbegrenzt  wachsende  Summe  gegenüber.  Ricardus  sucht 
die  Schwierigkeit  durch  den  Hinweis  darauf  zu  lösen,  daß  hier 
nicht  darauf  gesehen  werde,  was  der  erste  Käufer  erhalte  und  was 
dessen  Nachkommen  und  sofort,  sondern  darauf,  welchen  Wert  die 
Gesamtrente  für  den  ersten  Bezieher  habe  und  da  gelte  der  Satz, 
»ius  naturale  dictat,  quod  res  sit  amabilis  magis  in  seipso, 
quam  in  filio  et  magis  in  filio  quam  in  nepote  et  in  nepote 
magis  quam  in  pronepote«  2).  So  käme  für  den  ersten  Käufer 
eine  Begrenzung  des  Wertes  zustande  und  könne  die  Wertgleich- 
heit gewahrt  werden3). 

V.  Darlehen  und  Wucher.  Zwischen  Darlehen  und  Kauf 
bzw.  Verkaufsvertrag  besteht  ein  grundlegender  Unterschied.  Beim 
Kauf  und  Verkaufsvertrag  gehen  die  Kontrahenten,  wie  früher 
gezeigt,  von  der  Absicht  aus,  einen  Gewinn  zu  machen.  Beim 
Darlehen  ist  hingegen  die  Absicht  einen  Gewinn  zu  erzielen  uner- 
laubt4), wenn  diese  Absicht  der  Hauptbewegungsgrund  zur  Ge- 
währung des  Darlehens  ist;  sonst  ist  die  Hoffnung  auf  einen  frei- 
willig von  Seiten  des  Schuldners  geschenkten  Zins  erlaubt5).  Die 
naturrechtliche  Unentgeltlichkeit  des  Darlehens  wird  im  Anschluß 
an    Thomas    bewiesen6).      Im    Mutuum    seien    Gebrauch    und   Ver- 


!j   1.  c.  a.  6;  a.   7,  dub.  3.     Sent.   IV,   15,  5,  q.   5. 

2)  1.  c. 

3)  Es  ist  hiermit,  wenn  auch  unklar,  die  Bedeutung  der  Zeit  für  die  mensch- 
liche Schätzung  anerkannt. 

4)  Quod.  II,  23,  a.  2  :  »mutuum  est  aliquid  translatum  ab  aliquo  in  alterius  do- 
minium et  possessionem  obligans  recipientem  ad  aequalia  mutuanti.  Et  est  de  natura 
istius  contractus,  quod  sit  gratuitus.« 

5)  Quod.   II,  23,  not.  1. 

6)  Sent.  IV,   15,  5,  q.   5. 


—      145     — 

brauch  der  Dinge  identisch.  Der  Mehrertrag,  der  mit  dem  Gelde 
(ex  pecunia)  erzielt  wird,  wird  gewonnen  »per  industriam  et  laborem 
vel  fortunam«1).  Hieraus  wird  dann  in  fast  sozialistisch  klingender 
Weise  gefolgert:  »homo  dominus  est  sui  laboris  et  industriae«2). 
Auch  der  Hinweis  auf  die  Lucasstelle  fehlt  nicht.  Die  Aufnahme 
eines  verzinslichen  Darlehens  ist  nur  im  Falle  der  Not  gestattet. 
Not  liegt  nach  Ricardus  dann  vor,  »quando  homo  notabiliter  dam- 
nificaretur  vel  notabilem  penuriam  pateretur«.  Ohne  Zweifel  spielt 
hier  wieder  die  Vorstellung  des  standesgemäßen  Unterhaltes  hinein, 
die  auch  sonst  bei  Ricardus  sich  häufig  findet3). 

Von  Zinstiteln4)  kennt  Ricardus  folgende:  i.  die  Konven- 
tionalstrafe;  sie  ist  erlaubt,  wenn  sie  nicht  zur  Umgehung  des 
Zinsverbotes  verwendet  wird5).  2.  Der  Zinstitel  des  interesse:  Als 
Beispiel  wird  der  Fall  angeführt,  daß  z.  B.  durch  verspätete  Zahlung 
des  Schuldners  dem  Gläubiger  ein  Schaden  erwächst.  3.  Der  Zins- 
titel der  Gefahr:  im  Falle,  daß  die  Möglichkeit  des  Verlustes  für 
Kapital  und  Gewinn  besteht,  darf  der  Gläubiger  etwas  über 
das  Kapital  hinaus  fordern.  Es  scheint  im  letzteren  Falle  an  ein 
gemeinsames  Handelsunternehmen  gedacht  zu  sein6);  die  Stelle  ist 
jedenfalls  nicht  ganz  klar. 

VI.  Rückblick.  Die  Bedeutung  Richards  liegt  vor  allem 
in  der  Durchführung  des  Gewinnprinzips  im  Tausche:  Er  verbindet, 
wie  gezeigt,  diesen  Gedanken  mit  dem  alten  der  absoluten  Wert- 
gleichheit. Gewiß  ist  die  Durchführung  des  Gedankens  mangel- 
haft; vor  allem  führt  der  allgemeine,  normale  Wert  eine  etwas 
merkwürdige  Existenz,  wo  doch  die  Einzelnen  den  Wert  der  Güter 
durchaus  individuell  verschieden  bestimmen.  Aber  geschichtlich 
ist  der  Versuch  von  allergrößter  Bedeutung :  Es  war  damit  für  die 
•Folgezeit  das  Problem  entschieden  gestellt,  an  das  die  Weiterent- 
wicklung der  Wertlehre  anknüpfen  konnte.  Werttheoretisch  ist 
interessant  seine  Stellungnahme  zum  Kauf  einer  ewigen  Rente  un- 
mittelbar gegen  Geld.  Es  gelingt  ihm  diese  Art  des  Rentenkaufes 
organisch  in  seine  übrigen  Ideen  einzugliedern  durch  Anwendung 
des  erwähnten  Wertprinzips,  was  Heinrich  von  Gent,  wie  gezeigt, 

!)  Sent.  IV,   15,  5,  q.   5.  ad   1. 

2)  1.   c.   q.   6. 

3)  1.   c.   q.   5.  ad.   2.   cf.   Quod,  III,   20;  Sent.  IV,    15,   5.   q.   4. 

4)  Sent.   IV,  15.   5.   q.    5. 

5)  Die  Konventionalstrafe  wird  bei  Thomas  nicht  behandelt,  ist  aber  der  Scho- 
lastik vor  ihm  durchaus  bekannt.  Vgl.  z.  B.  Hostiensis  1.  c.  n.  1  (Sp.  1613),  Goffred. 
v.  Tr.  (1.  c.  n.  3   [S.   212]).     Näheres  bei  Lessei  a.  a.  O.  S.   20  f. 

6)  Vgl.  Lessei  a.  a.  O.  S.   56  f. 

Beitrage  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  1.  10 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


—     146     — 

noch  nicht  hatte  erreichen  können.  Es  war  damit  der  Scholastik 
der  Weg  gebahnt,  der  zur  Erkenntnis  der  werttheoretischen  Be- 
deutung der  Zeit  führen  konnte. 

§  4.    Duns  Scotus. 

I.  Bedeutung  im  allgemeinen,  Leben  und  Schriften  x). 
Duns  Scotus  ist  neben  Albertus  Magnus  und  Thomas  v.  Aquin 
der  bedeutendste  Scholastiker  des  Mittelalters.  Sein  theologisches 
wie  philosophisches  System  ist  von  einem  gewissen  Gegensatz  gegen 
das  thomistische  getragen.  Bei  unbedingter  Festhaltung  des  über- 
kommenen Glaubens  steht  er  im  übrigen  der  Tradition  vorurteils- 
frei mit  kritischem  Blick  gegenüber.  In  verstärktem  Maße  weist 
er  auf  Augustinus  zurück,  während  Aristoteles  und  seine  schola- 
stischen Vorläufer  von  ihm  scharf  kritisiert  werden.  Wegen  der 
Schärfe  seines  Geistes  erhielt  er  den  Ehrennamen  eines  Doctor 
subtilis. 

Das  Geburtsjahr  des  Duns  Scotus  ist  nicht  sicher  zu  ermitteln, 
dürfte  aber  wohl  mit  Recht  in  die  Jahre  1265  oder  1266  zu  ver- 
legen sein.  Er  starb  als  Mitglied  des  Franziskanerordens,  der 
auch  die  Mehrzahl  der  Anhänger  der  an  Duns  Scotus  sich  an- 
schließenden und  nach  ihm  benannten  scotistischen  Schule  stellte, 
am  8.  November   1308  in  Köln. 

Neben  mehreren  Werken  meist  logischen,  grammatischen  und 
metaphysischen  Inhalts  sind  seine  Hauptschriften  und  kommen  für 
uns  ausschließlich  in  Betracht:  Das  Opus  Oxoniense,  wohl  in  den 
Jahren  1301  bis  1304  verfaßt  in  Form  eines  Kommentars  zu  den 
Sentenzen  des  Petrus  Lombardus,  ferner  die  Reportata,  ebenfalls 
ein  Sentenzenkommentar,  der  aber  kürzer  und  zeitlich  nach  jenem 
ersten  abgefaßt  ist.  Sie  sind  eine  Nachschrift  seiner  in  Paris  ge- 
haltenen Vorlesungen;  Seeberg  charakterisiert  das  Verhältnis  der 
beiden  Sentenzenkommentare  als  das  »eines  Kollegheftes  zu  einem 
größeren  Werke«2). 

Duns  Scotus'  Äußerungen  über  wirtschaftliche  Dinge  bieten 
materiell  im  Verhältnis  zur  früheren  Zeit  wenig  Neues.  Gleichwohl 
sind  sie  ausgezeichnet  durch  Klarheit  und  Unvoreingenommenheit 
des  Blickes,  größere  Selbständigkeit  gegenüber  gewissen  traditio- 
nellen Anschauungen  und  klare  systematische  Formulierung. 

IL  Die  Eigentumsordnung.  Über  die  Lehre  vom  gerechten 
Preise  handelt  Duns  Scotus  dort,  wo  er  von  der  Restitutionspflicht 

J)  Über  Duns  Scotus    siehe  Seeberg:    Artikel    in  R.  E.  V.  S.   62  ff.     Ferner  K. 
L.  X.,   2127  ff.     Hurter  II,  453  ff.     Überweg-Heinze  II,  S.  320  ff. 
2)  a.  a.  O.  S.  64. 


—      147      — 

spricht.  Die  Idee  der  Gerechtigkeit  im  Tausche  setzt  das  Privat- 
eigentum voraus;  letzteres  ist  das  »fundamentum  omnis  iniustitiae 
in  contrectando  rem  alienam«.  Als  Grundlegung  einer  Theorie 
vom  gerechten  Preise  muß  daher  zunächst  die  Eigentumsordnung 
behandelt  werden1):  Um  so  mehr  dürfte  dies  gerechtfertigt  sein, 
als  die  scotistische  Eigentumslehre  wohl  die  ausführlichste  der 
Scholastik  überhaupt  ist. 

Als  naturgesetzliches  Ziel  jeder  Eigentumsordnung,  sie  sei 
Kommunismus  oder  Privateigentum,  bezeichnet  Duns  Scotus  die 
Gewährleistung  der  »pacifica  et  congrua  conveisatio«  der  mensch- 
lichen Gesellschaft  und  der  Erlangung  der  »necessaria  sustentatio« 
des  einzelnen.  Vor  dem  Sündenfalle  nun  und  im  Hinblick  auf  die 
menschliche  Xatur  als  solche,  wenn  von  deren  sündhaften  Neigungen 
abgesehen  wird,  wird  dieses  Ziel  in  wirksamster  Weise  durch  Ge- 
meineigentum erreicht:  es  fehlen  alle  Triebe  zu  widerrechtlicher 
Aneignung,  jeder  deckt  seinen  augenblicklichen  Bedarf  und  nur 
diesen.  In  diesem  Sinne  spricht  Duns  Scotus  von  einem  natur- 
gesetzlichen Kommunismus  und  sagt  von  der  lex  naturae:  »ipsa 
autem  determinavit  in  natura  humana  hoc,  quod  omnia  essent 
communia«2). 

Im  Hinblick  jedoch  auf  die  menschliche  Natur,  wie  sie  jetzt 
ist,  ist  jenes  praeceptum  legis  naturae  widerrufen  worden  (revo- 
catum  est  post  lapsum)3).  Jetzt  erfordert  die  Erreichung  des  oben 
dargelegten  Zweckes  der  Eigentumsordnung  als  vernunftgemäßes 
Mittel  das  Privateigentum:  der  einzelne  würde  sich  sonst  über 
seinen  Bedarf  hinaus  Güter  aneignen  und  würde  vor  gewaltsamem 
Kampfe,  der  den  Sieg  des  Stärkeren  zur  Folge  hätte,  nicht  zurück- 
schrecken; die  Bedarfsdeckung  des  Schwächeren  würde  daher  ge- 
fährdet sein.  Damit  ist  die  Rechtmäßigkeit  des  Privateigentums 
gegeben;  im  Hinblick  auf  das  Naturgesetz  ist  also  die  »licentia 
appropriandi  et  distinguendi  communia«  an  sich  gewährt:  Das  Privat- 
eigentum ist  eine  Folgerung  aus  dem  Naturgesetz.  Doch  ist  mit 
dem  Nachweis  der  Rechtmäßigkeit  des  Privateigentums  als  solchem 
noch  nicht  der  Nachweis  der  Rechtmäßigkeit  der  konkreten  Eigen- 
tumsordnung, der  actualis  distinctio  dominiorum,  insbesondere  noch 
nicht  der  Rechtmäßigkeit  der  ersten  historischen  Begründung  des 
Privateigentums,    der   prima   distinctio,    gegeben.      Letztere    kann 


*)   Sent.   IV,   15.    q.   2  (3  —  8).     (XVIIL,   256 ff).,  Rep.  IV.    15.  seh.  I.   (7  —  12) 
(XXIV,   233  ff.). 


2)  Sent.  1.  c.  (XVIII,    265). 

3)  Sent.  1.  c.  (XVIII,  258). 


10* 


—    148    — 

ihren  Grund  nur  in  einem  positiven  menschlichen,  gerechten  Gesetz 
haben.  Damit  ein  Gesetz  gerecht  sei,  ist  neben  der  Angemessen- 
heit desselben  für  das  allgemeine  Wohl  der  Erlaß  von  Seiten  einer 
zuständigen  Autorität  erforderlich.  Die  Berechtigung  zwingende 
Vorschriften  zu  erlassen,  besitzt  einmal  der  Vater  nach  dem  Natur- 
rechte seinen  Kindern  gegenüber,  dann  das  staatliche  Oberhaupt,  sei 
es  in  einer  Einzelperson  oder  in  einer  Mehrheit  solcher  dargestellt. 
Die  Rechtmäßigkeit  seiner  Autorität  hängt,  wie  Duns  Scotus  suppo- 
niert,  ab:   »ex  communi  consensu  et  electione  ipsius  communitatis«  x). 

Ist  so  die  Staatsgewalt  rechtmäßig,  so  ist  es  auch  die  von 
ihr  als  Gesetz  erlassene  Eigentumsordnung.  Duns  Scotus  nimmt 
folgende  juristischen  Konstruktionen  vor:  entweder  habe  Noe  seinen 
Nachkommen  nach  der  Sündflut  die  einzelnen  Länder  zugeteilt, 
oder  die  Menschen  selbst  hätten  eine  Teilung  vereinbart,  wofür 
an  das  Beispiel  von  Abraham  und  Lot  erinnert  wird.  Oder  man 
habe  sich  dahin  geeinigt,  und  möglicherweise  ein  ausdrückliches 
Gesetz  erlassen:  »quod  res  tunc  non  occupata,  esset  primo  occupantis.« 
Der  Satz  also:  »Quod  nullius  est,  occupanti  conceditur«  ist,  wie 
Duns  Scotus  übrigens  an  einer  anderen  Stelle  noch  ausdrücklich 
hervorhebt,  nicht  »stricte«  naturrechtlichen,  sondern  positivrecht- 
lichen Ursprungs2);  eine  Anschauung,  die  in  der  Scholastik  ver- 
einzelt dasteht,  während  man  sonst  wohl  die  scotistische  Eigen- 
tumslehre als  typisch  mittelalterlich  ansehen  kann. 

III.  Tausch  und  Wertlehre.  Hat  der  einzelne  ein  Recht 
auf  sein  Eigentum,  so  kann  er  dieses  Recht  auch  an  einen  anderen 
abtreten.  Wie  er  durch  einen  Willensakt  die  Dinge  besitzt,  kann 
er  durch  einen  Willensakt  sie  auch  auf  andere  übertragen3). 

Dies  findet  vor  allem  im  Tausche  statt.  Derselbe  ist  durch 
das  Prinzip  der  Entgeltlichkeit  charakterisiert  und  z.  B.  von  Schen- 
kungen unterschieden,  »transferens  expectat  aliquid  aequivalens 
ei,  quod  transfert« 4). 

Die  Gesamtheit  der  Tauschvorgänge  läßt  sich  nun  nach  ver- 
schiedenen Gesichtspunkten  einteilen: 

a)  Duns  Scotus  unterscheidet  einmal  solche  Tauschverträge, 
in  denen  volle  Eigentumsübertragung  an  den  getauschten  Dingen 
stattfindet,  von  solchen,   in  denen  nur  ein  Recht  der  Nutznießung 


J)  1.  c.   (XVIII,  266). 

2)  1.  c.  (XVIII,  271).  cf.  1.  c.    (XVIII,    265).     Ferner   Rep.   1.  c.  seh.   1.   (12). 
(XXIV,  235  f.). 

3)  Sent.  IV.,   15,  q.  2.  (11),  (XVIII,  277)  cf.  Rep.  1.  c.  seh.  2.  (13)  (XXIV,  236) 
«)   1.  c.  (12)  (XVIII,  282). 


—      149     — 

eingeräumt  wird1).  Als  Arten  der  ersteren  werden  bezeichnet: 
i.  Der  unmittelbare  Austausch  von  Nutzgegenständen  (permutatio) ; 
2.  Kauf  und  Verkauf  (emptio  et  venditio);  dadurch  von  ersterem 
unterschieden,  daß  hier  Geld  gegen  Nutzgegenstand,  bzw.  Nutz- 
gegenstand gegen  Geld  getauscht  wird.  Das  Geld  dient  der  Er- 
leichterung des  Tausches:  »ad  hoc  ponitur  numisma,  ut  sit  medium 
faciliter  commutandi.«  3.  Das  Darlehen  (mutuum).  In  demselben 
findet  ein  Tausch  von  Geld  gegen  Geld  statt:  »numismatis  pro 
numismate  commutatio.«  Diese  Auffassung  trat  uns  bereits  früher 
entgegen.  Ebenfalls  ein  Tausch  von  Geld  gegen  Geld  ist  das 
cambium,  das  Geldwechselgeschäft.  Es  wird  in  den  Reportata 
unmittelbar  dem  Mutuum  koordiniert'2).  Als  Verträge,  in  denen  nur 
das  Nutzungsrecht  an  den  getauschten  Gütern  übertragen  wird, 
erwähnt  Duns  Scotus  nur  kurz  die  accommodatio  und  die  locatio 
und  conductio,  die  in  ihrem  Unterschiede  dem  zwischen  dem  un- 
mittelbaren und  dem  durch  Geld  vermittelten  Tausche  entsprechen. 

b)  Nach  dem  Zwecke  des  Tausches  unterscheidet  Duns  Scotus, 
offenbar  im  Anschluß  an  Aristoteles,  die  commutatio  oeconomica 
und  die  »commutatio  negotiativa«3);  erstere  hat  die  unmittelbare 
Deckung  eines  Bedürfnisses  zum  Ziel,  während  bei  letzterer  ge- 
kauft wird,  um  mit  Gewinn  wieder  zu  verkaufen;  »commutans 
intendit  mercari  de  re,  quam  acquirit,  quia  emit,  non  ut  utatur,  sed 
ut  vendat  et  hoc  carius«;  er  fährt  dann  fort:  »et  haec  negotiativa 
dicitur  pecuniaria  vel  lucrativa«.  Mit  den  letzten  Worten  wird 
deutlich  das  Gewinnstreben  des  Händlers  betont. 

c)  Endlich  scheidet  Duns  Scotus  zwischen  einem  Vertrage, 
der  für  die  Gegenwart  abgeschlossen  wird,  wo  Leistung  oder  Gegen- 
leistung der  Vereinbarung  und  den  Absichten  der  Vertrag- 
schließenden entsprechend  augenblicklich  stattfinden  soll,  einer 
»commutatio  statim  facta«,  einer  »commutatio  pro  praesenti«  und  den- 
jenigen Verträgen,  bei  denen  der  Termin  der  Erfüllung,  vor  allem 
der  Termin  der  Zahlungsleistung  der  Zukunft  angehört.  Zu  ersterer 
Gruppe  gehören  im  allgemeinen  die  oben  angeführten  Vertragsarten, 
wie  Kauf,  Verkauf,  Darlehen,  Verpachtung,  bei  denen  Zahlung 
gleich  nach  beendeter  Leistung  erfolgt;  zu  letzterer  gewisse  Arten 
später  zu  erörternder  Kreditgeschäfte4). 


*)   Vgl.  zum    folgenden:   Sent.  1.  c.  (12);    (XVIII,   282);    Rep.  1.  c.  seh.   2  (18) 
(XXIV,  238). 

2)  Rep.  1.  c. 

3)  Sent.  1.  c.  (22);  (XVIII,  317). 

4)  Sent.  1.  c.  (I9f.);  (XVIII,  293  f.). 


—     150     — 

Es  dürfte  ohne  weiteres  ersichtlich  sein,  daß  Duns  Scotus  mit 
dieser  Systematisierung  kaum  über  das  von  der  Zeit  vor  ihm  Ge- 
leistete hinausgekommen  ist.  Seine  Wertlehre  zeigt  jedoch  gewisse 
Eigenheiten1). 

Es  ist  nach  ihm  eine  Forderung  des  natürlichen  Sittengesetzes: 
»Hoc  facias  alii,  quod  tibi  vis  fieri«.  Auf  den  Tausch  angewendet, 
fordert  dieser  Satz  Gerechtigkeit,  näherhin  Wertgleichheit;  denn 
die  Gerechtigkeit  im  Tausche,  die  justitia  commutativa,  verlangt 
äußere  Gleichheit  der  Dinge.  Dies  gilt  im  allgemeinen  gesagt  von 
allen  erwähnten  Arten  des  Tauschvertrages,  wenn  sich  auch  bei 
der  Durchführung  im  einzelnen  gewisse  Verschiedenheiten  ergeben. 

Wir  behandeln  zunächst  den  unmittelbaren  Austausch,  sowie 
den  Kauf  und  Verkauf,  bei  denen  sich  die  Fragen  des  justum 
pretium  am  einfachsten  gestalten: 

Duns  Scotus  faßt  die  Bedingungen  der  Gerechtigkeit  des 
Preises  in  diesen  Fällen  dahin  zusammen:  »quod  domini  rerum 
juste  eas  permutant,  si  sine  fraude  servent  aequalitatem 
valoris  in  commutatis  secundum  rectam  rationem«. 

Einmal  hat  also  vom  Tausche  jeglicher  Betrug  fernzubleiben. 
Derselbe  kann,  wie  Duns  Scotus  der  Tradition  gemäß  ausführt,  in 
der  Substanz  der  getauschten  Dinge  liegen,  wenn  z.  B.  unechtes 
Gold  statt  echten  Goldes  gezahlt  wird,  oder  in  der  Quantität,  d.  h. 
wenn  nicht  das  versprochene  Maß,  Gewicht  oder  die  versprochene 
Anzahl  geliefert  wird,  oder  endlich,  wenn  eine  schlechtere  als  die 
vereinbarte  Qualität  übergeben  wird;  hält  der  Verkäufer  diese  Be- 
dingungen nicht  ein,  so  fügt  er  unerlaubterweise  dem  Käufer 
Schaden  zu.  Letzterer  hat  eben  unter  für  ihn  günstigeren  Be- 
dingungen den  Tauschvertrag  abgeschlossen. 

Die  folgende  hierüber  hinausgehende  Bedingung  ist  für  uns 
ungleich  wichtiger:  sie  verlangt  Wertgleichheit.  Was  versteht  nun 
Duns  Scotus  unter  dem  Werte  der  Dinge.  Die  für  seine  Wert- 
lehre entscheidende  Stelle  lautet:  »Sequitur  in  illa  regula,  quod 
aequalitas  valoris  est  servanda.  Hoc  probatur  per  Augustinum. 
13.  Trin.  c.  3:  »Vili  velle  emere  et  care  velle  vendere,  revera  vitium 
est.«  Et  hoc  intelligendo  de  re  vili  et  cara  quantum  ad  usum, 
quia  frequenter  res,  quae  in  se  est  nobilior  in  esse  naturali,  minus 
est  utilis  usui  hominum:  et  per  hoc  minus  pretiosa  secundum 
Augustinum  de  Civ.  1.  2.  c.  16:  Melior  est  in  domo  panis  quam 
mus,   cum   tarnen   omne  vivum  nobilius  sit  simpliciter  non  vivo  in 

*)  Vgl.  hierzu  Sent.  1.  c.  (13—15);  (XVIII,  282  ff.).  Rep.  1.  c.  seh.  2.  (i9ff.) 
(XXIV,  238  f.). 


esse  naturae.  Et  propter  hoc  additur  secundum  rectam  rationem, 
attendentem  scilicet  naturam  rei  in  comparatione  ad  usum  humanuni, 
propter  quem  fit  commutatio  ista«.  Seit  Thomas  v.  Aquin  finden 
wir  hier  zum  ersten  Male  wieder  eine  etwas  ausführlichere  Erör- 
terung des  Wertes  als  solchen:  sie  schließt  sich  eng  an  Augustinus 
an,  während  Aristoteles  überhaupt  nicht  erwähnt  wird.  Das  subjektive 
Moment  des  Bedürfens  erscheint  als  Grundlage  des  Wertes  und 
beherrscht  damit  den  Tausch.  Duns  Scotus  steht  hiermit  im  Gegen- 
satze zu  Albertus  Magnus  und  Thomas  v.  Aquin,  die  freilich  auch 
die  Bedeutung  des  Bedürfnisses  für  den  Tausch  nicht  übersehen 
hatten,  aber  die  in  der  Gleichheit  des  Wertes  bestehende  Gerech- 
tigkeit des  Preises  vermeintlich  an  Aristoteles  sich  anschließend 
auf  die  objektiven  Faktoren  von  Arbeit  und  Kosten  funda- 
mentierten. 

Im  Tausche  wird  also  eine  res  utilis  gegen  eine  andere,  gleiche 
res  utilis  getauscht1).  Worin  besteht  nun  näherhin  diese  Wert- 
gleichheit? Nennen  wir  zwecks  besseren  Verständnisses  die  beiden 
Tauschenden  A  und  B,  die  ihnen  gehörenden  Güter  C  und  D. 
Wenn  dann  A  dem  B  sein  Gut  C  übergibt  und  D  dafür  wieder 
empfängt,  so  setzt  A  sein  Gut  C  nicht  etwa  dem  anderen  Gute  D 
gleich,  sondern  letzteres  wird  höher  geschätzt  als  das  eigene  Be- 
sitztum ;  sonst  würde  A  nicht  zum  Tausche  schreiten  wollen ;  von  B 
gilt  das  Entsprechende:  beide  Kontrahenten  erwarten  vom 
Tausche  Vorteil.  In  geistreicher  Weise  findet  Duns  Scotus  dies 
in  dem  Worte  »contractus«  ausgesprochen:  »Alia  translatio  .  .  ., 
ubi  transferens  exspectat  aliquid  aequivalens  ei,  quod  transfert, 
dicitur  proprie  contractus,  quia  ibi  simul  trahuntur  voluntates  partium ; 
trahitur  enim  iste  ad  transferendum  in  illum  a  commodo,  quod  ex- 
pectat  transferendum  in  se«2).  Eine  bewußte  Ausgleichung  des 
Äquivalenz-  und  Gewinnprinzips  finden  wir  bei  Duns  Scotus  nicht; 
beide  stehen  anscheinend  unvermittelt  nebeneinander.  Ist  die 
Lösung  des  Problems  vielleicht  dieselbe  wie  bei  Ricardus  de  Media- 
villa? Man  könnte  versucht  sein,  dies  anzunehmen.  Bei  näherem 
Zusehen  zeigt  es  sich  jedoch,  daß  Scotus  etwas  anders  denkt. 

Schon  Heinrich  v.  Gent  und  Ricardus  de  Mediavilla  nahmen 
eine  latitudo  des  gerechten  Preises  an;  aber  dies  in  dem  Sinne, 
daß  an  sich  ein  absolut  fester  Punkt  der  Wertgleichheit  bestünde, 
dessen  Erreichung  Pflicht  der  Kontrahenten  sei;  nur  infolge  mensch- 
licher Unvollkommenheit  könne  das  Ziel  nicht  ganz  erreicht  werden, 

x)  Sent.  1.  c.  (12);  (XVIII,   282). 
2)  1.  c. 


und  eben  deshalb  sei  ein  gewisser  Spielraum  anzunehmen.  Oder 
jene  latitudo  hatte  den  Sinn  gehabt,  daß  der  Preis  einer  Ware 
etwas  hin-  und  herschwanke;  an  sich  aber  sei  für  den  Einzelfall 
ein  einziger  Punkt  innerhalb  jenes  Rahmens  gerecht. 

Diese  Gedankengänge  lehnt  Duns  Scotus  ab:  »Ista  .  . 
aequalitas  .  .  non  consistit  in  indivisibili,  sicut  dicit  quidam  Doctor, 
motus  ex  hoc,  quia  iustitia  habet  .  .  .  medium  rei  .  .  .,  immo  in  isto 
medio  .  .  .  est  magna  latitudo  et  intra  illam  latitudinem  non  attin- 
gendo  indivisibilem  punctum  aequivalentiae  rei  et  rei:  quia  quoad 
hoc,  quasi  impossibile  esset  commutantem  attingere:  et  in  quocunque 
gradu  circa  extrema  fiat,  iuste  fit« 1). 

Von  diesem  Gedanken  ausgehend  kommt  nun  Duns  Scotus 
zu  einer  etwas  anderen  Fassung  des  Prinzips  der  Gerechtigkeit  im 
Tausche.  Es  bleibt  den  Kontrahenten  überlassen :  »ut  pensata  mutua 
necessitate  reputent  sibi  mutuo  dare  aequivalens  hinc,  inde  et  acci- 
pere:  durum  est  enim  inter  homines  esse  contractus,  in  quibus  contra- 
hentes  non  intendant  aliquid  de  illa  indivisibili  iustitia  remittere  sibi 
mutuo,  ut  pro  tanto  omnem  contractum  concomitetur  aliqua  donatio«  2). 

Hier  wird  zum  ersten  Male  in  der  Scholastik  ein  verstärkter 
Nachdruck  auf  die  freie  Vereinbarung  der  Kontrahenten  gelegt. 
Es  laufen  bei  Duns  Scotus  zwei  Theorien  nebeneinander  her:  ein- 
mal erfordert  die  Gerechtigkeit  im  Tausche  Gleichheit  eines  für 
alle  maßgebenden,  normalen  Wertes.  Aber  indem  dieser  normale 
Wert  etwas  versubjektiviert  wird,  legt  sich  das  andere  Prinzip 
nahe,  das  die  Gerechtigkeit  dann  erreicht  sieht,  wenn  die  Kon- 
trahenten in  den  Preis  frei  einwilligen. 

Der  »normale«  Wert  wird  etwas  verflüchtigt  und  damit  das 
Gewinnstreben  in  tieferer  Weise  anerkannt  und  ihm  mehr  Freiheit 
zur  Betätigung  gewährt.  Der  Zweck  des  »Handels«  ist  nicht 
mehr  der,  den  einzig  gerechten  Preis  zu  finden.  Die  Vereinigung 
des  Äquivalenzprinzips  mit  dem  Gewinnprinzip  ist  nicht  mehr  so 
einfach  und  klar,  wie  bei  Ricardus  de  Mediavilla. 

Die  Stellungnahme  zum  Affektionspreis3)  ist  ähnlich,  wie  bei 
Thomas  v.  Aquin.  Es  liegen  zwei  Möglichkeiten  vor:  Der  Besitzer 
eines  Gutes  bedarf  desselben  sehr,  legt  ihm  also  einen  anormal 
hohen  Wert  bei.  Ein  anderer  wünscht  dies  Gut  zu  kaufen.  Dann 
darf  der  Verkäufer  sich  schadlos  halten,  d.  h.  über  den  normalen 
Wert  des  Gutes  hinaus  fordern. 


*)  l.  c.  (15);  (XVm,  283 f.). 

2    l.  c. 

3j   1.  c   (16);  (XVIII,  288).     cf.  Rep.  seh.   2.  (21  f.);  (XXIV,   235). 


—     ioo     — 

Der  normale  Wert  wird  also  in  diesem  Falle  vernachlässigt. 
Aber  die  beiden  Tauschkontrahenten  werden  gleichwohl  zufrieden 
sein.  Der  Verkäufer  würde  sich  sonst  nicht  zur  Hergabe  des  Gutes 
entschließen;  und  daß  der  Käufer  mit  dem  erlangten  Vorteil  ein- 
verstanden ist,  ergibt  sich  schon  aus  der  »magna  instantia«,  mit  der 
er,  wie  Duns  Scotus  supponiert,  den  Verkäufer  zum  Tausche  zu 
bewegen  sucht:  Das  auf  beiden  Seiten  befriedigte  Bedürfnis 
ist  gleich. 

Anders  aber  im  umgekehrten  Fall:  wenn  der  Käufer  einem 
Gute  eine  anormal  hohe  Schätzung  entgegenbringt.  Dann  gilt  für 
mich,  der  ich  verkaufe,  der  Satz:  »nee  res  mea  est  in  se  pretiosior 
nee  mihi  melior,  et  ideo  non  debet  mihi  maius  pretium  apportare.« 
In  diesem  Falle  verlangt  die  Gerechtigkeit  des  Preises  die  Beob- 
achtung des  normalen  Wertes.  Dagegen  erlangt  der  Käufer  ein: 
»maius  commodum«  als  der  Verkäufer.  Die  Stellungnahme  des 
Duns  Scotus  ist  hier  etwas  schärfer  wie  die  des  Thomas  v.  Aquin, 
der,  wie  oben  gezeigt,  von  der  honestas  des  Käufers  eine  höhere 
Zahlung  erwartet. 

Vom  kritischen  Standpunkte  aus  wird  man  zunächst  das 
dogmengeschichtlich  Bedeutsame  hervorheben  müssen,  das  in  der 
neuen  Fassung  des  Prinzipes  der  Wertgleichheit  liegt,  indem  dem 
Gewinnprinzip  verstärkter  Einfluß  verstattet  und  der  Satz  tiefer 
durchgeführt  wird,  daß  jeder  am  Tausche  gewinnen  will.  Freilich 
hatte  Bonaventura  dasselbe  Prinzip  schon  erkannt  und  Ricardus 
de  Mediavilla  es  im  Tausche  durchzuführen  versucht.  Aber  bei 
Duns  Scotus  besteht,  wie  gezeigt,  das  Neue  darin,  daß  das  Gewinn- 
prinzip nicht  mehr  harmonisch  mit  dem  Gedanken  der  absoluten 
Wertgleichheit  verbunden  wird,  der  normale  Wert  wird  vielmehr 
erschüttert  und  neben  dem  Äquivalenzprinzip  der  Nachdruck  auf 
die  Zufriedenstellung  der  Tauschkontrahenten  gelegt.  Der  scoti- 
stischen  Wertlehre  fehlt  also  der  einheitliche  Charakter;  sie  will 
eine  Synthese  zweier  Gedankenreihen  bieten. 

Kauf  und  Verkauf  unterscheiden  sich,  wie  oben  erwähnt,  vom 
unmittelbaren  Austausch  durch  die  Zuhilfenahme  des  Geldes1). 
Über  den  Zweck,  den  letzteres  im  Tausche  zu  erfüllen  hat,  ist 
bereits  gesprochen  worden.  Das  Geld  besteht  aus  einem  nützlichen 
Metall:  »peeunia«,  sagt  Duns  Scotus,  »habet  aliquem  usum  utilem 
ex  propria  natura,  utpote  ad  videndum,  ornandum.  .  .«  Der  Wert 
des  Geldes  beruht  also  auf  denselben  Grundlagen,  wie  der  Wert 
der  anderen  Dinge  d.  h.  er  wird  durch  subjektive  Schätzungen  be- 

x)  Vgl.  z.  Folgend.  Sent.  1.  c.  (16);  (XVIII,  289};  ib  (19);  (293). 


—     154     — 

stimmt.  Der  gerechte  Preis  wird  beim  Geldtausche  daher  in  der- 
selben Weise  festgestellt,  wie  beim  unmittelbaren  Austausche.  Den 
Unterschied  beider  kennzeichnet  Duns  Scotus  dahin:  »ibi  ita  oportet 
ex  una  parte  considerare  numisma,  sicut  hie  rem  permutatam.« 

Ebenfalls  auf  menschlicher  Schätzung  beruht  der  Wert  der 
Nutzung  eines  Gegenstandes1). 

IV.  Der  Handel2).  Die  Stellung,  die  Duns  Scotus  zum 
Handel  einnimmt,  ist  in  mehrfacher  Beziehung  bemerkenswert. 
Worin  er  das  Wesen  desselben  sieht,  ist  bereits  dargelegt  worden. 

Die  Bedeutung  des  Handels  für  die  Volkswirtschaft  sieht 
Duns  Scotus  in  zwei  Dingen:  einmal  kauft  der  Händler  Waren 
zusammen,  speichert  sie  auf  und  sorgt  dafür,  daß  sie  jederzeit  dem 
Käufer  zur  Verfügung  stehen.  Sodann  sorgt  er  dafür,  daß  Waren, 
die  im  Staate  fehlen,  —  er  spricht  von  einer  Respublica,  nicht  mehr 
von  einer  civitas,  womit  die  eigentümlich  mittelalterliche  Färbung, 
wie  sie  bei  Thomas  sich  zeigte,  etwas  zurücktritt  —  aus  dem  Aus- 
lande herbeigeschafft  werden.  Fast  mit  einer  gewissen  Wärme 
wird  die  industria,  diligentia  und  sollicitudo  des  Kaufmanns  her- 
vorgehoben, der  die  Waren,  an  denen  Mangel  besteht,  ausfindig 
machen  und  unter  großen  Gefahren  zu  Wasser  und  zu  Lande  her- 
beischaffen muß.  So  bezeichnet  Duns  Scotus  den  Handel  als  ein 
ehrenhaftes  und  nutzbringendes  »servitium  communitatis«.  Durch  die 
Tätigkeit  des  Handels  wird  eine  Werterhöhung  der  Waren  erzielt, 
worüber  sich  Duns  Scotus  allerdings  nicht  näher  ausläßt. 

Der  Kaufmann  darf  daher  mit  Recht  einen  Mehrwert  fordern, 
der  eben  wegen  der  Bedeutsamkeit  seiner  Leistungen  sich  nicht 
auf  das  Existenzminimum  beschränken  darf.  Duns  Scotus  billigt 
also  dem  Kaufmannsstande  ein  hohes  Einkommen  zu3). 

Die  Berechtigung  desselben  erhellt  aus  seiner  Unentbehrlich- 
keit  für  den  Staat:  »Sed  si  esset  bonus  legislator  in  patria  indigente, 
deberet  locare  pro  pretio  magno  huiusmodi  mercatores  ...  et  non 
tantum  eis  et  familiae  sustentationem  necessariam  invenire,  sed 
etiam  industriam,  peritiam  et  pericula  omnia  locare;  ergo  etiam  hoc 
possunt  ipsi  in  vendendo.« 

!)  Sent.  1.  c.   (16);    (XVIII,   289). 

2)  Sent.  1.  c.  (22  f.);  (XVIII,  317);  vgl.  Keller  a.  a.   O.  S.  32,  62. 

3)  1.  c.  »ergo  potest  iuste  ultra  sustentationem  necessariam  pro  se  et  familia  sua 
ad  istam  necessitatem  deputata  reeipere  pretium  correspondens  industriae  suae;  et  ultra 
hoc  tertio  aliquid  correspondens  periculis  suis.«  Hiermit  soll  aber  keineswegs  das  Standes- 
prinzip aufgehoben  werden,  wie  es  wohl  scheinen  könnte.  Es  geht  dies  aus  der  häufigen 
Betonung  desselben  in  anderem  Zusammenhange  hervor.  Cf .  Rep.  IV,  dist.  XV ;  seh.  4 
(34)  (XXIV,  244). 


—     155     — 

Je  freimütiger  Duns  Scotus  in  der  Anerkennung  des  Handels 
an  sich,  wenn  er  die  angegebenen  Funktionen  und  Bedingungen 
erfüllt,  ist,  um  so  schärfer  verurteilt  er  die  Ausschreitungen  der 
Händler,  die  weder  beim  Einkauf  noch  beim  Verkauf  die  Beding- 
ungen des  gerechten  Preises  beachten  und  innerhalb  der  Volks- 
wirtschaft als  unproduktive  Schmarotzer  zu  betrachten  sind:  »pro- 
hibent  immediatam  commutationem  volentium  emere  vel  commutare 
oeconomice;  et  per  consequens  faciunt  quodlibet  venale  vel  usuale 
carius  ementi,  quam  deberet  esse,  et  vilius  vendenti  et  sie  damnificant 
utramque  partem.«  Ebenso  tadelt  es  Duns  Scotus,  wenn  der  Handel 
zu  übermäßiger  Bereicherung  der  Kaufleute  führt,  so  daß  ihr  Ein- 
kommen nicht  mehr  als  Lohn  ihrer  Mühen  angesehen  werden  kann. 

Hatten  noch  die  Vorgänger  des  Duns  Scotus,  z.  B.  Thomas 
v.  Aquin,  mit  manchen  ungünstigen  Urteilen  über  den  Handel  zu 
kämpfen,  die  zwar  nicht  zu  einer  Verurteilung  des  Handels  führten, 
aber  doch  die  volle  Anerkennung  seiner  Bedeutung  in  etwa 
hemmten,  so  steht  Duns  Scotus  dieser  Tradition  völlig  unbefangen 
gegenüber;  ja  er  kommt  mit  keinem  Worte  auf  sie  zu  sprechen. 
In  dem  warmen  Lobe  des  Handels  liegt  fast  etwas  wie  ein  be- 
wußter, stiller  Gegensatz,  der  wohl  die  Folge  seiner  freieren  Würdi- 
gung des  Gewinnstrebens  ist.  Es  muß  allerdings  daran  erinnert 
werden,  daß  Duns  Scotus  in  den  ersten  Jahren  des  1 4.  Jahrhunderts 
schrieb,  als  der  Aufschwung  des  wirtschaftlichen  Lebens  seit  seinem 
Anfange  im  11.  und  12.  Jahrhundert  bereits  weitere  Fortschritte 
gemacht  hatte.  Die  Rechtfertigung  des  Handelsgewinnes,  der  als 
gesellschaftlicher  Arbeitslohn  erscheint,  könnte  an  die  thomistische 
Wertlehre  erinnern,  die  ja,  wie  gezeigt,  darauf  hinausläuft,  jedem 
für  das  Wirtschaftsleben  nötigen  Gliede  ein  standesgemäßes  Ein- 
kommen zu  sichern,  indem  Thomas  vielleicht  von  der  Auffassung 
des  Handelsgewinnes  als  Arbeitslohn  ausgehend  zur  Aufstellung 
seines  den  ganzen  Tausch  beherrschenden  Wertgesetzes  kam.  Doch 
ist  letzterer  Ausbau  bei  Duns  Scotus  nicht  vollzogen.  Zudem  trägt 
seine  Begründung  des  Handelsgewinnes  in  der  Betonung  der 
geistigen  Unternehmerarbeit,  in  der  Höhe  des  zugebilligten  Ein- 
kommens, in  der  durch  den  Handel  bewirkten  melioratio  rerum  usw. 
einen  mehr  der  subjektiven  Werttheorie  angemessenen  Charakter. 

V.  Das  Darlehen.  In  der  Stellungnahme  zum  Darlehens- 
vertrage steht  Duns  Scotus  völlig  auf  dem  Boden  der  traditionellen 
Anschauungen,  ja  urteilt  in  mancher  Hinsicht  noch  schärfer  als  diese1). 

1)  Vgl.  zum  folgenden:  Sent.  1.  c.  (17 — 19)  (XVI II,  292 ff.);  Rep.  1.  c.  seh.  2 
(23—27)   (XXIV,  240 ff.). 


-      156     - 

Außer  im  alten  Testamente  sieht  er  an  der  bekannten  Lucas- 
stelle des  neuen  Testamentes  das  Zinsverbot  ausgesprochen.  Wie 
seine  Vorgänger  erblickt  er  im  Mutuum  die  Übertragung  des 
Eigentums  an  einer  Geldsumme  verbunden  mit  der  Verpflichtung 
zur  Zurückzahlung  einer  gleichwertigen  Summe. 

Die  Gleichwertigkeit  ist  beim  Gelde  im  allgemeinen  leicht 
festzustellen.  Das  Mutuum  ist  nichts  anderes  als  ein  Tausch  zweier 
verschiedener  Geldsummen.  Bonaventura  gibt,  wie  oben  erwähnt, 
diesem  Gedanken  in  besonders  sinnenfälliger  Weise  Ausdruck. 

Wirtschaftlich  ist  für  Duns  Scotus  das  Darlehen  ein  Akt  des 
Wohltuns  aus  Mitleid;  der  Darleiher  erweist  seinem  Nächsten,  der 
sich  in  Not  befindet,  eine  misericordia.  Der  Gedanke,  daß  das 
Darlehen  eine  andere  Funktion  erfüllen  könnte,  liegt  gänzlich  fern. 
In  der  Begründung  des  Zinsverbotes  wendet  sich  Duns  Scotus 
zunächst  gegen  die  Meinung  eines  quidam,  der  den  Zins 
deshalb  für  unerlaubt  erkläre:  »quia  usus  pecuniae  est  eius  con- 
sumptio«  x). 

Seine  eigenen  Gründe  sind  die  folgenden:  Im  Darlehen 
findet  eine  Eigentumsübertragung  statt:  »in  mutui  datione  trans- 
fertur  dominium :  hoc  enim  sonat  vocabulum  mutuo,  do  tibi  meum.« 
Der  Darleiher  kann  dann  konsequenter  Weise  für  eine  Sache,  die 
nicht  mehr  sein  Eigentum  ist,  nichts  über  die  bloße  Rückerstattung 


1)  Duns  Scotus  wendet  sich  hier  gegen  die  thomistische  Begründung  des  Zins- 
verbotes :  Thomas  v.  Aquin,  Ricardus  v.  Mediavilla  usw.  hatten  in  der  Weise  argumentiert, 
daß  beim  Gelde  Gebrauch,  gedacht  war  hier  an  den  principalis  usus,  die  Verwendung  im 
Tausche,  und  Verbrauch  zusammenfiele.  Das  Geld  könne  daher  nicht  übertragen  werden, 
ohne  daß  zugleich  das  Eigentum  an  demselben  abgetreten  werde;  eine  Verpachtung  könne 
daher  nicht  stattfinden,  weil  es  unmöglich  sei,  unter  Zurückhaltung  des  Eigentums  die 
Nutzung  am  Gelde  besonders  abzutreten.  Der  Zins  sei  ein  doppelter  Verkauf  der- 
selben Sache. 

Er  war  nun  von  Seiten  der  Gegner  des  franziskanischen  Armutsideals  der  spitz- 
findige Einwand  gemacht  worden,  daß  der  Orden  Geld  verwende,  daß  er  dies  aber  nicht 
könne,  ohne  das  Eigentum  daran  zu  besitzen ;  von  einer  vollen  Armut  könne  daher  keine 
Rede  sein.  (Vgl.  z.  B.  Bonaventura:  Apol.  Paup.  c.  XI  [VIII,  312,  1  f.].)  Nicolaus  III 
statuierte  1279  das  Eigentum  der  römischen  Kirche  an  allen  den  Franziskanern  zum 
Gebrauch  oder  Verbrauch  überlassenen  Dingen;  also  eine  Trennung  von  dominium  und 
usus.     (Vgl.  Scherer,  Handbuch  d.  Kirchenrechts  II,  738)  (c.   3  in  VI",  5,   12). 

Hierauf  beruft  sich  Duns  Scotus,  und  von  der  Möglichkeit  einer  Trennung  von 
Eigentum  und  usus  ausgehend,  behauptet  er  die  Möglichkeit  einer  locatio  des  Geldes: 
»Pecunia  quantum  ad  suum  naturalem  usum,  qui  est  quoddam  pulchrum  ad  videndum 
et   tangendum   vel  ordinandum  aliquid,  potest  locari.«      (Rep.  1.   c.) 

Er  selbst  geht  dann  von  der  juristischen  Tatsache  einer  Eigentumsübertragung  im 
Mutuum  aus.  Die  etwas  sophistischen  Distinctionen  sind  für  die  Begründung  des  Zins- 
verbotes nicht  von  sonderlicher  Bedeutung. 


—      i,57     — 

hinaus  fordern.  Andernfalls  verkauft  er  etwas,  was  nicht  ihm 
gehört,     »pro  non  suo  recipit  sive  vendit  non  suum.« 

Aber  selbst,  wenn  diese  Eigentumsübertragung  nicht  statt- 
fände, wäre  ein  Überschuß  über  das  Kapital  hinaus  noch  ungerecht. 
Denn,  wenn  auch  dem  Gelde  für  Produktion  und  Erwerb,  beson- 
ders für  den  Handel,  Bedeutung  beizumessen  ist,  insofern  als 
mit  dem  Gelde  sich  ein  höherer  Ertrag  erzielen  läßt,  so  liefert 
doch  das  Geld  nicht  diesen  Mehrertrag,  wie  ein  Baum  z.  B.  neue 
Früchte  hervorbringt,  sondern  »tantum  provenit  aliquis  fructus  ex 
industria  alterius,  scilicet  utentis«;  und  er  fügt  hinzu  »industria 
autem  huius  non  est  eius,  qui  concedit«.  Auf  einen  Ertrag  aber 
aus  der  Arbeit  und  Umsichtigkeit  des  Schuldners  hat  der  Gläubiger 
keinen  Anspruch. 

In  Übereinstimmung  hiermit  steht  der  für  die  Restitutionspflicht 
wichtige  Satz  des  Duns  Scotus1),  daß  Wucherer  nur  die  Höhe  des 
erwucherten  Geldes  zurückzugeben  haben,  nicht  darüber  hinaus 
noch  etwa  einen  Zins,  was  allerdings  nach  dem  Vorausgehenden  als 
selbstverständlich  erscheinen  wird.  Bereits  Thomas  von  Aquin 
hatte  dasselbe  betont.  Bemerkenswerterweise  macht  aber  Duns 
Scotus  darauf  aufmerksam,  daß  dies  im  praktischen  Leben  leicht 
zu  einer  Ausdehnung  des  Wuchers  führen  könnte,  indem  manche 
erst  durch  Wucher  Reichtum  erwürben,  dann  mit  diesem  Geld 
erlaubte  Gewinne  erzielten  und  schließlich  nur  das  unerlaubt  er- 
worbene Wuchergeld  zu  restituieren  brauchten.  Deutlich  tritt  in 
diesen  Worten  zutage,  daß  Duns  Scotus  dem  Gelde  immerhin  eine 
gewisse  Produktivität  zuerkennt,  wenn  es  diese  auch  nur  in  Ver- 
bindung mit  und  in  Kraft  der  humana  industria  besitzt. 

Das  Argument  von  der  Unverkäuflichkeit  der  Zeit,  das  z.  B. 
Bonaventura  vorbringt,  wird  von  Duns  Scotus  im  Sentenzenkommen- 
tar auf  das  Darlehen  nicht  angewendet  und  offenbar  absichtlich 
nicht;  denn  in  anderem  Zusammenhange  wird  es  uns  später  be- 
gegnen. Zum  Verständnis  dieser  Erscheinung  braucht  nur  an 
früher  Gesagtes  erinnert  zu  werden.  Das  Mutuum  ist  für  Duns 
•Scotus  ein  contractus  pro  praesenti:  Leistung  und  Gegenleistung 
erfolgen  gleichzeitig;  sobald  die  Leistung,  die  allerdings  längere 
Zeit  in  Anspruch  nimmt,  erfüllt  ist,  erfolgt  die  Gegenleistung. 
Das  Mutuum  ist  ebenso  wie  die  Verpachtung  eine  commutatio 
statim  facta. 


Sent.  1.  c.    (31) 


-      158     - 

Ein  unberechtigter  Verkauf  des  allgemeinen  Gutes  der  Zeit 
kann  also  gar  nicht  in  Frage  kommen1). 

VI.  Die  Zinstitel.  Jeder  Überschuß  über  das  Kapital 
hinaus  ist  Wucher;  nur  in  wenigen  Fällen  ist  auf  Grund  besonderer 
Verhältnisse  ein  superfluum  super  capitale  gestattet2). 

a)  Duns  Scotus  kennt  einmal  den  Zinstitel  der  Conventional- 
strafe  (poena  Conventionalis)  bei  Zahlungsverzug,  der  von  vorneherein 
ausbedungen  werden  darf.  Er  warnt  vor  einer  Benutzung  dieses 
Zinstitels  zum  Zwecke  der  Umgehung  des  Wucherverbotes.  Wann 
dieses  der  Fall  sei,  könne  leicht  daran  erkannt  werden,  ob  der 
Darleiher  lieber  Einhaltung  des  vereinbarten  Rückzahlungstermins 
wünscht  oder  Verpassung  desselben3). 

b)  Der  Zinstitel  des  interesse:  Unter  demselben  versteht  Duns 
Scotus  offenbar  den  Schaden,  der  dem  Gläubiger  durch  Zahlungs- 
verzug des  Schuldners  entsteht;  der  Schuldner  ist  zum  Ersatz  ver- 
pflichtet, mag  ein  besonderer  Vertrag  vorliegen  oder  nicht. 

c)  Die  Risikoprämie.  Mit  Berufung  auf  das  kanonische  Recht, 
das  für  den  Handel  (Kreditkauf)  im  Falle  der  Unsicherheit  einen 
höheren  Preis  billigt,  gestattet  Duns  Scotus  auch  im  Darlehen,  wenn 
die  Rückzahlung"  zweifelhaft  ist,  einen  entsprechenden  Ersatz. 

d)  Auffallend  ist,  daß  unter  den  bisher  genannten  Zinstiteln 
der  des  damnum  emergens  fehlt,  d.  h.  der  Ersatz  des  Schadens, 
der  durch  Gewährung  des  Darlehens  entsteht.  Duns  Scotus  scheint 
ihn  an  einer  Stelle  abzulehnen,  wenn  er  vom  Gläubiger  sagt:  »si 
non  vult  damnificari,  pecuniam  sibi  necessariam  reservet,  quia 
nullus   eum    necessitat   ad    faciendam   misericordiam   proximo;    sed 


x)  In  den  Rep.  1.  c.  seh.  2  (22)  (XXIV,  239),  wo  ein  höherer  Verkauf  einer 
Sache  deshalb,  weil  der  Käufer  besonderen  Vorteil  erlangt,  als  unerlaubt  hingestellt 
wird ,  heißt  es :  »Patet  in  usurariis ,  qui  vendunt  non  damnum ,  sed  necessitatem 
alterius,  et  tempus,  quorum  neutrum  est  illorum.«  Man  wird  in  dieser  im  Zu- 
sammenhange zufälligen  Betonung  des  Zeitverkaufes  im  Wucher  nur  einen  Widerspruch 
gegen  den  Sentenzenkommentar  sehen  können,  wenn  man  nicht  die  etwas  gekünstelte 
Annahme  machen  will,  daß  hier  an  den  Kreditkauf  gedacht  wird. 

2)  Sent.  1.  c.    (18  f.).  —  Rep.  1.  c.  seh.  2.  (26  f.)  (XVIII,  293  f.)  (XXIV,  240 f.) 

3)  Sent.  1.  c. :  »verbi  gratia,  ego  indigeo  peeunia  mea  ad  mercandum,  concedo 
tarnen  tibi  ad  certum  diem,  adiieiens  poenam  conditionalem,  quod  nisi  tali  die  solvas, 
quia  multum  damnificabor,  solves  postea  tantum  ultra.  Haec  poena  adieeta  licita  est: 
quia  licet  me  servare  indemnem  sie  paemonendo  illum,  cum  quo  contraho.«  Der  Sinn 
der  Stelle  ist  offenbar  der,  daß  bei  Vereinbarung  der  Strafe  ein  berechtigtes  Interesse 
des  Gläubigers  an  rechtzeitiger  Zahlung  vorliegen  muß.  Nicht  wird  dieser  Zinstitel  nur 
»als  Kompensation  des  durch  Zahlungsverzug  wirklich  entstehenden  Schadens«  aufgefaßt, 
wie  Funk:  »Über  die  ökon.  Ansch.  usw.«  S.  159  annimmt.  Es  wäre  doch  dann  die 
Aufstellung  eines  besonderen  Zinstitels  nicht  berechtigt. 


—     159     — 

si  vult  misericordiam  facere,  ex  lege  divina  necessitatur,  ut  non 
faciat  eam  vitiatam« 1).  Doch  will  Duns  Scotus  hier  die  Meinung  der- 
jenigen zurückweisen,  die  ganz  allgemein  einen  Zins  für  erlaubt 
halten  »quia  licet  unicuique  in  contractibus  se  servare  indemnem.« 
Es  dürfte  bei  diesem  Schaden  wohl  mehr  an  das  Entbehren  des 
Geldes  und  ähnliches  gedacht  sein,  nicht  an  eine  positive  Schädi- 
gung. In  den  Reportata  hingegen  heißt  es  ganz  allgemein,  der 
Schuldner  sei  dem  Gläubiger  gegenüber  verpflichtet,  »ut  conservet 
eum  indemnem«,  so  daß  wir  hierin  wohl  den  Zinstitel  des  damnum 
emergens  anerkannt  sehen  können2). 

VII.  Verkauf  auf  Kredit.  Zum  Schluß  sind  noch  einige 
Verträge  zu  behandeln,  die  das  Gemeinsame  haben,  daß  der  Händler 
den  Verkauf  seiner  Ware  nicht  für  den  gegenwärtigen  Zeitpunkt, 
sondern  für  einen  späteren  Termin  beabsichtigt,  sei  es,  daß  dieser 
von  vornherein  für  ihn  feststeht,  sei  es,  daß  er  eine  Marktlage 
abwarten  will,  wo  er  möglicherweise  höheren  Preis  und  Gewinn 
erzielt.  Der  Käufer  dagegen  wünscht  sofortige  Lieferung  der 
Ware,  dagegen  Kreditierung  des  Kaufpreises.  Auf  letzterer  Grund- 
lage wird  dann  der  Vertrag  abgeschlossen.  Es  liegt  also  von  Seiten 
des  Kaufmanns  ein  Verkauf  auf  Kredit  vor.  Die  Verwirklichung 
des  Geschäftes  ist  für  die  Zukunft  vereinbart. 

Duns  Scotus  stellt  für  diese  Fälle  zwei  Regeln  auf3):  einmal 
darf  die  Zeitdifferenz  zwischen  Leistung  und  Gegenleistung  an  sich 
keine  Erhöhung  des  Kaufpreises  mit  sich  bringen.  Der  Kaufmann 
darf  die  Zeit  nicht  verkaufen  »quia  tempus  non  est  suum«.  Ferner 
fordert  Duns  Scotus,  daß  der  Preis  im  Hinblick  auf  die  Möglich- 
keit eines  Gewinnes  oder  Verlustes  nicht  einseitig  zugunsten  des 
Händlers  festgesetzt  werde. 

Auf  Grund  dieser  allgemeinen  Prinzipien  nimmt  Duns  Scotus 
alsdann  zu  einigen  speziellen  Fällen  Stellung,  auf  die  auch  hier 
kurz  hingewiesen  sein  möge. 

a)  Wenn  der  Verkäufer  sofortigen  Verkauf  seiner  Ware  beab- 
sichtigt, jedoch  später  Zahlung  erhält,  dann  muß  der  Preis  so  bemessen 
sein,  daß  er  im  Hinblick  auf  die  Preis  Verhältnisse  im  Augenblick 
der  Ablieferung  der  Ware  als  gerecht  bezeichnet  werden  kann.  Eine 
Mehrforderung  wegen  Stundung  der  Zahlung  ist  nicht  zulässig. 


*)  Sent.  1.  c.   (26). 

2)  1.  c.  Funk  a.  a.  O.  S.  165  meint,  im  »interesse«  seien  die  Zinstitel  des  lucrum 
cessans  und  damnum  emergens  zusammengefaßt.  Nach  dem  Zusammenhang  ist  jedoch 
nur  an  den  Fall  des  Zahlungsverzugs  gedacht. 

3)  Sent.  1.  c.  (201.)  (XVIII,  303 f.). 


—     i6o     — 

b)  Wird  die  Zahlung  für  einen  späteren  Termin  vereinbart, 
wo  der  Kaufmann  auf  hohe  Preise  hofft,  so  kann  der  Preis  gleich 
festgesetzt  werden  oder  der  Zukunft  überlassen  bleiben.  Bei  so- 
fortiger Festsetzung  hat  der  Verkäufer  das  Recht,  über  das  augen- 
blickliche iustum  pretium  hinaus  »ratione  dubii«  etwas  mehr  zu 
fordern,  weil  der  Wert  des  Gutes  an  dem  fraglichen  Termin  un- 
sicher ist;  jedoch  kein  »ita  immoderatum  pretium,  quin  tempore 
solutionis  verisimiliter  quandoque  plus,  quandoque  minus  valeat  res 
vendita.«  Im  anderen  Falle  kann  der  Preis  vereinbart  werden, 
den  das  Gut  am  Zahlungstermin  haben  wird  oder  an  einem  Tage 
vorher,  wo  jedoch  der  Preis  wahrscheinlich  geringer  sein  wird,  als 
an  dem  Termine  selbst.  In  beiden  Fällen  wären  die  Bedingungen 
für  den  Käufer  sehr  günstig.  Dagegen  erklärt  Duns  Scotus  einen 
Vertrag"  von  der  Art  für  unstatthaft,  daß  der  Verkäufer  den 
höchsten  Preis  fordert,  den  das  verkaufte  Gut  bis  zum  Zahlungs- 
termin gehabt  hat.  Dies  wäre  usura.  »quia  ponit  se  vel  partem 
suam  quoad  lucrum  ut  in  pluribus  in  tuto  et  illum,  cum  quo 
contrahit,  ad  damnum.«  Zudem  würde  sich  dabei  der  Verkäufer 
in  einer  Weise  sichern,  die  ihm  bei  tatsächlich  späterem  Verkauf 
seines  Gutes,  wenn  er  keinen  Verkauf  auf  Kredit  vornähme,  un- 
möglich wäre.  Später  müßte  er  an  einem  bestimmten  Termine 
verkaufen,  müßte  sich  aber  der  Möglichkeit  aussetzen,  nicht  den 
Augenblick  günstigster  Preislage  abgewartet  zu  haben. 

VIII.  Abschließende  Bemerkungen.  Der  kritische  Geist, 
der  das  ganze  scotistische  System  durchzieht,  spiegelt  sich  in  seinen 
wirtschaftlichen  Anschauungen  wieder.  In  einigen  Punkten  bei 
der  Lehre  vom  Eigentum,  Handel,  Wucher,  hat  sich  dies  gezeigt; 
vor  allem  aber  in  der  prinzipiellen  Fassung  des  iustum  pretium, 
indem  die  Durchführung  des  Gewinnprinzips  im  Tausche  zu  einer 
gewissen  Erschütterung  der  alten  Auffassung  vom  Werte  führt. 
Das  Nähere  ist  bereits  gezeigt  worden.  Die  Besonderheiten  der 
scotistischen  Anschauungen  mögen  teilweise  in  einem  etwas  über- 
mäßigen  Streben  nach  Kritik  ihren  Grund  haben;  zum  Teil  haben 
sie  aber  auch  ihren  Grund  in  der  Beobachtung"  der  realen  Ver- 
hältnisse des  Wirtschaftslebens.  Vor  allem  von  seiner  Wertlehre 
und  seiner  Stellung  zum  Handel  dürfte  dies  gelten. 

Im  folgenden  werden  uns  die  Wirkungen  des  Auftretens  des 
Duns  Scotus  beschäftigen. 


Zweiter  Abschnitt. 

Die  Auflösung  der  Lehre  vom  gerechten  Preise; 
Prinzip  der  Vertragsfreiheit. 

§  1.  Aegidius  Lessinus. 

I.  Aegidius  Lessinus1)  war  ein  Dominikaner,  der  in  der  Nähe 
von  Paris  in  einem  Kloster  lebte.  Die  Datierung  seines  Lebens 
ist  unsicher.  Er  ist  ein  Schüler  des  Thomas  v.  Aquin.  Wenn 
seine  wirtschaftlichen  Anschauungen  an  dieser  Stelle  behandelt 
werden,  so  geschieht  es  im  Hinblick  darauf,  daß  sie  über  Duns 
Scotus  hinaus  einen  derartigen  Fortschritt  bedeuten,  daß  sie  zum 
mindesten  sachlich  in  diesem  Zusammenhange  zu  erörtern  sind, 
auch  wenn  vom  rein  chronologischen  Standpunkte  die  Recht- 
mäßigkeit dieser  Anordnung  sich  nicht  nachweisen  läßt. 

Von  seinen  Schriften  ist  ganz  nur  ein  ziemlich  umfangreicher 
Traktat  »De  usuris«  erhalten,  der  eine  Zeitlang  Thomas  v.  Aquin 
zugeschrieben  wurde  und  deshalb  in  der  Ausgabe  seiner  Opuscula 
als  Op.  73  wiederholt  gedruckt  ist.  Der  Verfasser  steht  an  Schärfe 
des  Denkens  weit  hinter  Thomas  zurück.  Die  Darstellung  ist 
nicht  immer  ganz  klar,  hier  und  dort  reichlich  weitschweifig,  so- 
daß  es  zuweilen  schwer  ist,  aus  seinen  Erörterungen  den  wahren 
Sinn  herauszufinden.  Gleichwohl  sind  seine  wirtschaftlichen  An- 
schauungen von  größter  Wichtigkeit,  sodaß  es  unrecht  wäre, 
etwa  diesen  Traktat  so  zu  vernachlässigen,  wie  es  bisher  meist 
geschehen  ist. 

IL  Wertlehre:  Wir  behandeln  zunächst  seine  Wertlehre. 
Dieselbe  trägt  einen  ausgesprochen  subjektiven  Charakter.  Aegidius 
geht  davon  aus,  daß  es  der  Zweck  der  wirtschaftlichen  Güter  sei, 
den  Menschen  zur  Befriedigung  ihrer  Bedürfnisse  zu  dienen2); 
und  je  nach  dem  Maße,  wie  sie  diesem  Zwecke  gerecht  werden, 
bemißt  sich  ihr  Wert:  ».  .  .  requiritur,  quod  commensuratio  ipsarum 
rerum  fieri  debeat  in  magis  et  minus  habere  in  valore,  secundum 

*)  K.  L.  I.   254 f.    Hurter  II.  386. 

2)   Op.   73,  c.  3. 
Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  1.  11 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


—        IÖ2        — 

quod  magis  et  minus  habent  de  utilitate  et  necessitate  ad  vitam 
humanam«1).  Näherhin  unterscheidet  Aegidius  zwischen  einem 
doppelten  Wert:  einem  valor  »secundum  rationem  substantiae« 
und  einem  valor  »secundum  rationem  usus  vel  fructus«.  Unter 
ersterem  versteht  er  den  durchschnittlichen,  normalen,  einem  Dinge 
an  sich  inhärenten  Wert,  in  Abstraktion  von  dem  Nutzen  und 
der  Bedeutung  eines  Gutes  für  den  Menschen  unter  bestimmten 
Verhältnissen;  der  Nachdruck  liegt  auf  der  Substanz  der  Dinge. 
Letzteres  ist  der  tatsächliche,  im  Augenblick  vorhandene  Wert, 
dessen  Größe  sich  nach  der  Bedeutung  des  Gutes  für  einen  be- 
stimmten Menschen  unter  bestimmten  Verhältnissen  bemißt.  Er 
ist  schwankend  und  veränderlich,  während  ersterer  seiner  Natur 
nach  sich  mehr  gleichbleibt:  »ex  fructu  rerum  et  usu  ipsarum 
accidit,  quod  valor  ipsarum  naturaliter  inter  homines  augetur  et 
minuitur«  8). 

Wenn  nun  Aegidius  auch  betont,  daß  der  Substanzwert  an 
sich  unveränderlich  sei,  so  darf  dies  doch  nicht  dahin  verstanden 
werden,  als  ob  nun  dieser  Wert  für  alle  Zeiten  derselbe  bleibe, 
etwa  gleich  Nützlichkeit  zu  nehmen  sei.  Aus  dem  eben  ange- 
führten Worten  könnte  man  freilich  schließen,  daß  die  Veränder- 
lichkeit des  Wertes  lediglich  auf  den  Nutzwert  gegründet  würde. 
Dem  widerspricht  aber,  daß  Aegidius  erklärt,  im  Darlehen  dürfe 
nur  auf  den  Substanzwert  gesehen  werden,  und  doch  eine  Ver- 
änderung im  Werte  des  dargeliehenen  Kapitals  in  weitgehendem 
Maße  berücksichtigt3).  Der  Substanzwert  ist  vielmehr  einfach  der 
Wert,  den  eine  Sache  an  sich  nach  allgemeiner  Schätzung  hat, 
der  also  unter  bestimmten  Verhältnissen  als  fest  erscheint,  also 
gleich  dem  Nutzen  für  das  menschliche  Leben  ist4);  im  Gegensatz 
zum  Nutzwert,  d.  h.  zu  der  Bedeutung,  die  jemand  unter  kon- 
kreten Verhältnissen  einem  bestimmten  Gute  beilegt  nach  dem 
Nutzen,  den  er  aus  demselben  zu  erlangen  hofft. 

Der  Wert  der  Güter  kann  aus  vielerlei  Gründen  verschieden 
und  Schwankungen  unterworfen  sein.  Maßgebend  hierfür  ist  die 
Natur  der  Dinge  selbst,  die  Lage  der  Personen,  die  den  Gütern 
gegenübertreten,  sowie  Ort  und  Zeit;  letztere  zumal  insofern,  als 
sie   auf  die   vorhandene  Menge  des  betreffenden  Gutes  von  Ein- 


x)  1.  c.  c.  IX,  p.  I.  cf.  c.  X:    »unaquaeque  rei  aestimatio  iusta  dependet  ab  utilitate 
vel  necessitate  ipsius  rei.« 

2)  1.  c. 

3)  Vgl.  z.  B.  c.  VIII. 

*)  Vgl.  c.  X,  sowie  im  Folgenden. 


-      i63     — 

fluß  sind,  und  dadurch  die  subjektiven  Schätzungen  bestimmen, 
so  z.  B.  ist  das  Getreide  im  Herbst  unmittelbar  nach  der  Ernte 
billiger  als  im  Frühjahr1). 

Auf  dem  subjektiven  Prinzip  des  menschlichen  Bedürfens 
beruhen  auch  die  anderen  werttheoretischen  Gesetze,  die  Aegidius 
aufstellt,  und  über  deren  Verwendung  im  einzelnen  später  zu 
handeln  ist;  wie  der  Gedanke,  daß  ein  vollendetes  Gut  einen 
höheren  Wert  besitzt  als  ein  unvollendetes3). 

Insbesondere  wird  der  Einfluß  der  Zeit  auf  die  Wert- 
schätzung der  Güter  hervorgehoben:  »etiam  res  futurae  per  tempora 
non  sunt  tantae  extimationis,  sicut  eaedem  collectae  in  instanti  nee 
tantam  utilitatem  inferunt  possidentibus,  propter  quod  oportet,  quod 
sint  minoris  extimationis  seeundum  justitiam«3).  Gegenwärtige 
Güter  werden  höher  bewertet,  als  dieselben  Güter,  wenn  sie  erst 
in  späterer  Zeit  nach  und  nach  in  einzelnen  Raten  dem  Besitzer 
zufallen.  Ein  Satz,  in  dem  wenigstens  im  Keime  ein  Prinzip  ent- 
halten ist,  aus  dem  in  neuerer  Zeit  Boehm-Bawerk  die  Erscheinung 
des  Zinses  zu  erklären  versucht  hat4).  Aegidius  wendet  denselben 
allerdings,  wie  wir  noch  sehen  werden,  auf  den  Darlehenszins 
nicht  an. 

III.  Das  Prinzip  der  Vertragsfreiheit:  Auf  Grund  seiner 
Wertlehre  nimmt  nun  Aegidius  zum  Tauschvertrage  Stellung. 
Der  Tausch  ist  beherrscht  vom  Gewinnprinzip:  »de  natura  huius 
contractus  potest  quis  sperare  ultra  id,  quod  datur«6). 
Für  Kauf  und  Verkauf  ist  nicht  der  normale  Substanzwert  maß- 
gebend, dessen  Gleichsetzung  im  Tausche  etwa  anzustreben  wäre, 
sondern  für  jeden  der  beiden  Kontrahenten  ist  seine  persönliche 
Schätzung  bestimmend,  die  er  einem  Gute  entgegenbringt:  Das 
Maß  des  Nutzens,  das  er  vom  Tausche  erwartet,  ist  für  sein  Ver- 
halten maßgebend.  So  stellt  Aegidius  den  Satz  auf:  »tan tum 
res    extimatur  juste,    quantum    ad    utilitatem    possidentis 

a)  c.  IX.  p.   i.  cf.  c.  VIII. 

2)  c.  VIII.  i.  f. 

3)  c.  IX.  p.  2.  Im  römischen  Rechte  finden  sich  ähnliche  Sätze,  in  denen  der 
Einfluß  der  Zeit  auf  die  Wertschätzung  betont  wird,  z.B.  1.  12.  §  1.  D.  L.  16.:  »minus 
solvit,  qui  tardius  solvit,  nam  et  tempore  minus  solvitur.«  Weitere  Stellen  bei  Oert- 
mann  a.  a.  O.  S.  H2f.  Bei  dem  verschiedenen  Charakter  der  Stellen  dürfte  eine  un- 
mittelbare Beeinflussung  durch  das  römische  Recht  bei  Aeg.  kaum  anzunehmen  sein. 
Der  von  Oertmann  a.  a.  O.  den  Kanonisten  gemachte  Vorwurf,  sie  hätten  die  Be- 
deutung der  Zeit  für  die  Wertschätzung  übersehen,  ist  also  unberechtigt. 

4)  Vgl.  Positive  Theorie  d.  Kapitals,  S.  426  ff.     Über  das  Darlehen  S.  486  ff. 
6)  c.  IX.  p.   1. 

11* 


r 


—  164  — 

refertur  et  tantum  juste  valet,  quantum  sine  fraude  vendi 
potest«1). 

Schon  der  Wortlaut  des  Satzes  verlangt  einen  Vergleich  mit 
Heinrich  von  Gent:  letzterer  lehnt  das  römisch-rechtliche  Prinzip 
der  Vertragsfreiheit  ab  und  verlangt  möglichste  Einhaltung  des 
normalen  Wertes  der  Güter;  ein  fest  bestimmter  Wert  erscheint 
als  gerecht.  Dieser  Inhalt  der  Lehre  vom  gerechten  Preis  ist  bei 
Aegidius  gefallen.  Er  kennt  zwar  noch  den  abstrakten  Substanz- 
wert, aber  für  den  Tausch  kommt  demselben  keine  Bedeutung  zu. 
Die  Vereinbarung  des  Preises  wird  der  libera  voluntas2)  der  Kon- 
trahenten überlassen.  Ein  Überschuß  des  gezahlten  Preises  über 
den  normalen  Wert  hinaus  ist  an  sich  nicht  ungerecht.  Die  Ge- 
rechtigkeit im  Tausche  besteht  zunächst  darin,  daß  beide  Parteien 
sich  von  betrügerischen  Manipulationen,  die  zu  einer  Täuschung 
über  den  Wert  der  Güter  führen  könnten,  fernhalten.  Bezweckt  aber 
ist  mit  dem  Prinzip  der  Freiheit,  daß  das  Ziel  des  Tausches,  die  Er- 
reichung eines  Gewinnes,  verwirklicht  wird.  So  rechtfertigt  Aegidius 
eine  Vertragsart:  »quia  uterque  talia  facit  pro  utilitate  sua 
propria«.  Für  die  Erzielung  eines  Gewinnes  aber  sorgen  die 
Kontrahenten  in  der  Regel  selbst.  Und  so  kommt  Aegidius  dazu, 
als  entscheidend  für  die  Gerechtigkeit  eines  Vertrages  den  »freien 
Willen«  der  Tauschenden  anzusehen  und  daher  den  Satz  aufzu- 
stellen: »omnis  translatio  facta  libera  voluntate  dominorum 
iuste  fit«3).  Hiermit  ist  noch  ein  wesentlicher  Schritt  über  Duns 
Scotus  hinaus  getan. 

Der  Einfluß  dieser  Auffassung  vom  Tausche  zeigt  sich  unver- 
kennbar in  der  Stellung,  die  Aegidius  zum  Geldwechselgeschäft 
einnimmt.  Er  bringt  zwar  noch  die  früheren  Gründe  zur  Recht- 
fertigung dieses  Geschäftes,  daß  dem  Wechsler  ein  Arbeitslohn 
gebühre  usw.,  aber  neu  gegenüber  der  früheren  Zeit  und  ein  Aus- 
fluß seiner  Wertlehre  ist  der  Gedanke,  daß  die  »ars  necessaria 
et  licita«  deswegen  erlaubt  sei:  »quia  dicit  actum  iustitiae  et 
libertatis  per  ampliorem  utilitatem  dati  apud  accipientem 
a  campsore  quam  accepti  ab  ipso«4).  Das  Geldwechsel- 
geschäft findet  seine  Berechtigung  in   dem   Nutzen   und   Gewinn, 


*)  1.  c. 

2)  1.  c. 

3)  1.  c.  vgl.  den  ähnlichen  Satz:    »quidquid   emens   vel  vendens  amplius  accipiant 
quam  dederint,  iuste  accipiunt  et  ut  suum  factum  libera  voluntate  dominorum«. 

*)  c.  XIII;  ib.:     »Ideo  illud,  quod  plus  accipi  videtur,  transit  in  dominium  acci- 
pientis  per  simplicem  voluntatem  dantis«. 


-     i65     - 

den  derjenige,  der  sich  Geld  wechseln  läßt,  von  der  Umwechslung 
seines  Geldes  erzielt. 

IV.  Das  Darlehen:  Das  Darlehen  ist  nach  Aegidius  Lessi- 
nus seinem  Wesen  nach  unentgeltlich:  »mutuum  gratuitum  fieri 
debet  de  natura  mutui«1).  Diesem  Wesen  des  Darlehens  wider- 
streitet es,  wenn  der  Gläubiger  daraus  Gewinn  erzielen  will:  Mutuum 
date  nihil  inde  sperantes.  Und  der  Darlehenswucher  ist  nichts 
anderes  als  die  Hoffnung  auf  Gewinn  in  diesem  seiner  Natur  nach 
unentgeltlichen  Vertrag2). 

Mit  dem  Gesagten  ist  bereits  der  Unterschied  zwischen  Kauf 
und  Verkauf  einerseits  und  dem  Darlehen  andererseits  gegeben; 
erstere  sind  beherrscht  von  dem  Streben  nach  Gewinn,  was  bei 
letzterem  ausgeschlossen  ist.  Bei  ersterem  dürfen  beide  Parteien 
die  zu  tauschenden  Güter  nach  dem  Nutzen  schätzen,  den  sie  ihnen 
gewähren,  und  sind  in  der  Festsetzung  des  Preises  völlig  frei; 
bei  letzterem  ist  dies  nicht  gestattet,  hier  wird  vielmehr  Gleichheit 
des  Substanzwertes  gefordert.  Der  Gläubiger  darf  nur  so  viel 
zurückfordern  an  Wert,  wie  er  ausgeliehen  hat,  und  sich  nicht 
etwa  durch  den  Nutzen  bestimmen  lassen,  den  der  Schuldner  von 
den  dargeliehenen  Gütern  erwartet.  Fordert  er  mehr,  so  liegt 
Wucher  vor3). 

Der  Wucher  kann  seiner  Materie  nach  in  allem  bestehen, 
was  durch  Zahl,  Maß  oder  Gewicht  bestimmbar  ist.  Er  kann  in 
den  Formen  des  einfachen  Zinses  oder  Zinseszinses  erhoben  werden. 
Besondere  Arten  sind  die  centesima  (100%  des  geliehenen  Kapitals) 
und  die  emiola  [50  %]  4). 

Die  Verwerflichkeit  des  Zinses  ergibt  sich,  abgesehen  davon, 
daß  er  dem  Wesen  des  Darlehens  widerstreitet5),  noch  aus  fol- 
genden Gründen:  a)  das  Zinsnehmen  geht  hervor  aus  der  Sucht 
nach  grenzenlosem  Erwerb,  indem  das  Geld  nicht  seiner  Natur 
gemäß  als  Vermittler  des  Tausches  gebraucht  wird,  sondern,  um 
mit  ihm  wieder  Gewinn  zu  erzielen,  ein  Gedanke,  der,  wie  bekannt, 
auf  Aristoteles  zurückgeht6),  b)  Der  Wucher  ist  arbeitsloses  Ein- 
kommen.    Es   liegt   in    ihm    eine  Aneignung  fremder  Arbeit   vor: 

!)  c.  III,  cf.  c.  VII;  c.  XIV;  c.  XV,  und  sonst. 

2)  c.  XIV. 

3)  c.  IX,  p.  I:  »Et  ideo  nihil  ultra  valorem  rei  sperare  debet  mutilans  ex  usu 
rei  mutuatae,  quia  ratione  substantiae  transfertur  mutuum  et  non  ratione  usus.« 

4)  c.  II. 

5)  c.  III.  cf.  c.  IV. 
8)  c.  IV.  cf.  c.  XX. 


—      166     — 

Der  mit  dem  Gelde  erzielte  Mehrertrag  stammt  »ex  propria  opera- 
tione  et  sollertia«  des  Gebrauchers1),  c)  Dem  Wucher  liegt  eine 
pretentio  aequalitatis  zugrunde,  eine  ficta  aequalitas:  Der  Zins  wird 
festgesetzt  nach  der  Dauer  des  Ausleihens  des  Kapitals.  Es  wird 
also  die  Zeit  verkauft,  die  ein  allgemeines  Gut  ist  —  »a  Deo 
datur  aequaliter«2)  —  und  den  Wert  der  Waren  —  hier  ist  an  den 
Substanzwert  zu  denken  —  an  sich  nicht  beeinflußt3).  Der  Zins 
widerstreitet  also  göttlichem  und  natürlichem  Recht4). 

Es  sei  noch  kurz  darauf  hingewiesen  —  eine  Frage,  die  weit- 
läufig behandelt  wird  — ,  daß  die  Verpflichtung  des  Schuldners 
das  Gleiche  zurückzuzahlen,  was  er  empfangen  hat,  sich  auf  den 
Wert  der  Güter  bezieht.  Ändert  sich  dieser  in  der  Zeit  zwischen 
Leistung  und  Gegenleistung,  so  kann  der  Gläubiger  unter  Um- 
ständen ein  größeres  Quantum  verlangen,  das  dem  hingegebenen 
Quantum  an  Wert  entspricht5).  Der  Gläubiger  kann  auf  diese 
Weise  z.  B.  dem  Schaden  einer  Geldentwertung,  mag  dieselbe  in 
einem  positiven  Gesetz  oder  in  der  Natur  des  Geldes  ihren  Grund 
haben,  entgehen :  Er  leiht  dem  Schuldner  eine  bestimmte  Geldsumme 
und  verpflichtet  ihn  das  Gleiche  an  Wert  zurückzuzahlen  und  zwar 
gemessen  an  einer  anderen  Münzsorte.  Tritt  nun  beim  dargeliehenen 
Gelde  aus  irgendwelchen  Ursachen  eine  Entwertung  ein,  so  erhält 
der  Gläubiger  in  diesem  Falle  nominell  mehr  zurück  als  er  hin- 
gegeben hat6). 

Im  übrigen  hat  es  weder  Zweck  noch  Interesse  die  verschie- 
denen Möglichkeiten,  die  Aegidius  im  Hinblick  auf  etwaige  Wert- 
veränderungen des  ausgeliehenen  Kapitals  aufwirft  und  löst,  im 
einzelnen  zu  verfolgen.  Sie  sind  im  allgemeinen  von  dem  Be- 
streben beeinflußt,  dem  wirtschaftlichen  Verkehr  das  Maß  an 
Freiheit  zu  gewähren,  das  ohne  Aufhebung  des  Zinsverbotes  noch 
möglich  ist. 


*)  c.  XX  cf.  c.  IV:  »Constat  autem,  quod  nee  labore  aliquo  fit  recompensatio  in 
contractu  vel  acquisitione  usurae,  quia  tantum  lucratur  fenerator  dormiens  sicut  vigilans 
et  in  diebus  solemnibus  sicut  in  feriis  communibus.« 

2)  c.  IV.  cf.  c.  VI;  c.  VIII;  c.  XIV. 

3)  c.  VIII.  cf.  c.  IX,  p.  I:  Die  Zeit  ist  auf  den  Wert  der  Dinge  von  Einfluß, 
insofern  sie  der  Natur  der  Dinge  nach  eine  Veränderung  bewirkt;  so  ist  z.  B.  das  Ge- 
treide der  Jahreszeit  nach  von  verschiedenem  Wert,  »potest  etiam  in  contractibus  tempus 
considerari,  ut  nihil  conferens  vel  auferens  de  valore  rei  ex  natura  temporis,  sed  tantum 
consideratur  ut  mensura  durationis  extrinseca.« 

4)  z.  B.  c.  XV. 

5)  c.  VI  und  sonst. 

6)  c.  XIV. 


—      167     — 

Die  Theorie  der  Zinstitel  ist  nicht  weiter  entwickelt1).  Das- 
selbe ist  bezüglich  der  Frage  der  Eigentumsübertragung  am  er- 
wucherten Gelde  zu  sagen:  Aegidius  beschränkt  sich  auf  die  Fest- 
stellung, daß  nach  menschlichem  Rechte  eine  Eigentumsübertragung 
stattfände,  während  dies  nach  göttlichem  und  natürlichem  Rechte 
nicht  der  Fall  sei2). 

V.  Kauf  und  Verkauf  auf  Kredit:  Die  Anschauungen, 
die  Aegidius  bezüglich  der  Preisfestsetzung  für  die  Fälle,  wo  Leistung 
und  Gegenleistung  zeitlich  auseinanderfallen,  vertritt,  sind  im  Kerne 
die  althergebrachten ;  gleichwohl  tragen  auch  sie  in  gewissem  Sinne 
eine  neue  Färbung,  insofern  als  in  verstärktem  Maße  die  freie 
Vereinbarung  der  Kontrahenten  betont  wird. 

Wenn  wir  uns  daran  erinnern,  daß  das  Mittelalter  die  For- 
derungen des  Darlehensverkehrs  auch  auf  alle  die  Fälle  ausdehnt, 
wo  die  Zahlung  zeitlich  vor  Empfang  der  Ware  erfolgt,  oder  um- 
gekehrt eine  Stundung  des  Kaufpreises  stattfindet,  indem  in  allen 
diesen  Fällen  ein  Tausch  von  Geld  gegen  Geld  und  damit  etwas 
dem  Mutuum  Ähnliches  erblickt  wurde,  so  werden  wir  uns  nicht 
wundern,  daß  das,  was  beim  Darlehen  als  Wucher  bezeichnet 
wurde,  auch  hier  als  unerlaubt  hingestellt  wird.  Auch  in  diesen 
Kreditgeschäften  muß  daher  der  Substanzwert  zugrunde  gelegt 
werden.  Zahlt  daher  der  Käufer  früher  als  er  die  Ware  empfängt, 
so  darf  er  wegen  dieser  früheren  Zahlung  allein  »causa  temporis« 
einen  Preisnachlaß  nicht  fordern  und  umgekehrt  darf  der  Ver- 
käufer bei  Kreditierung  des  Preises  »propter  credentiam  ipsam« 
keine  Preiserhöhung  vornehmen.  Die  Zeit  verändert  eben  den 
(Substanz-) Wert  der  Dinge  an  sich  nicht3). 

Das  hindert  aber  nicht,  daß  aus  vielerlei  anderen  Gründen 
eine  Preisänderung  vorgenommen  werden  kann4):  Bei  früherer 
Zahlung  darf  der  Käufer  einen  vom  Verkäufer  »gratis  et  libera- 
liter«  gewährten  Preisnachlaß  annehmen;  eine  Bestimmung,  womit 
den  früheren  Erörterungen  wohl  die  praktische  Bedeutung  zum 
größten  Teile  genommen  ist,  indem  letzten  Endes  alles  der  freien 
Vereinbarung  der  Kontrahenten  überlassen  ist.  Auch  darf  der 
Käufer  einen  geringeren  Preis  für  die  Waren  zahlen,  wenn  ihm 
durch  die  frühere  Zahlung  ein  Schaden  erwächst. 

*)  c.   VI;  c.  VII. 

2)  c.  V.  cf.  c.  XX.  Vgl.  überhaupt  die  Restitutionslehre,  die  in  den  Kapiteln 
XVII — XXI  gegeben  wird. 

3)  c.  VIII,  cf.  c.  X. 

*)  Vgl.  zum  Folgenden  die  in  der  vorigen  Anmerkung  angegebenen  Stellen. 


—     i68     — 

Eine  Kreditierung  des  Kaufpreises  kann  aus  verschiedenen 
Gründen  stattfinden:  sie  kann  mit  der  Natur  des  betreffenden 
Geschäftes  gegeben  sein,  oder  vom  Verkäufer  freiwillig  gewährt 
werden,  oder  in  der  Armut  des  Käufers  ihren  Grund  haben.  Ab- 
gesehen davon,  daß  in  letzterem  Falle  eine  Preiserhöhung  gestattet 
ist  im  Hinblick  auf  die  Schwierigkeiten,  die  der  Verkäufer  mit 
der  Erlangung  seines  Geldes  wegen  der  Zahlungsunfähigkeit  des 
Käufers  haben  wird,  ist  in  allen  anderen  Fällen  eine  Preiserhöhung 
dann  gerechtfertigt,  wenn  der  allgemeine  Preis  der  Waren  aus 
irgendwelchen  Gründen  sich  in  der  Zwischenzeit  verändert  hat; 
insbesondere  darf  der  Händler,  der  eine  Ware  zu  einem  späteren 
Termin  zu  verkaufen  beabsichtigt,  wo  »der  Nutzen  derselben  für 
das  menschliche  Leben«,  also  der  Substanzwert  ein  höherer  ist, 
bei  früheren  Verkäufen  den  Preis  stunden  und  erhöhen;  eine  Be- 
stimmung, die  vor  allem  für  den  mittelalterlichen  Getreidehandel 
von  größter  Bedeutung  war,  indem  der  Händler  im  Herbst  nach 
der  Ernte  zu  billigem  Preise  kaufte  und  im  Frühjahr  teuerer  ver- 
kaufte. Es  war  ihm  so  bei  etwaigen  früheren  Verkäufen  der 
Gewinn  gesichert.  Den  teilweise  zu  sehr  ins  einzelne  gehenden 
Erörterungen  brauchen  wir  hier  nicht  zu  folgen. 

VI.  Das  Gesellschaftsunternehmen1):  Die  Sozietät  wird 
in  ähnlicher  Weise  behandelt,  wie  dies  schon  von  Thomas  geschehen 
war:  Der  Geldgeber  bleibt  Eigentümer  des  eingezahlten  Kapitals 
und  nimmt  an  der  Gefahr  des  Unternehmens  teil.  Aegidius  faßt  das 
Gesellschaftsverhältnis  mehr  als  das  Verhältnis  eines  Herrn  zu 
seinem  Diener  auf.  Er  betont,  der  Kapitalist  könne  Gewinn  er- 
hoffen: »quia  tunc  commissa  est  pecunia  vel  res  alia  sicut  servo 
et  ministro,  qui  de  re  domini  negotiatur  ad  utilitatem  domini  sui«. 
Entscheidend  für  den  Charakter  des  Gesellschaftsunternehmens  ist 
die  Eigentumsvorbehaltung;  denn  letztere  nimmt  dem  Vertrage 
die  Eigenschaft  des  Darlehens  und  gestattet  so  die  Hoffnung  auf 
Gewinn.  Gewährung  eines  Darlehens  mit  Risikoübernahme  recht- 
fertigt einen  Zins  nicht:  »Et  quia  in  mutuis  vitium  usurae  annexum 
est:  ex  eo,  quod  fiant  spe  lucri  .  .  .  ideo,  quia  dubium  et  periculum  de 
sua  natura  non  tollunt  hanc  vitiositatem  a  mutuo,  quando  fit  spe 
lucri,  nee  dubium  nee  periculum  excusare  possunt  vitium  usurae«2). 

VII.  Rentenartige  Verträge.  Die  Ausführungen  hierüber 
bieten   in   vielen  Punkten    nichts  Neues.     Wir   können   uns   daher 


J)  Vgl.  zum  Folgenden  c.  XI. 

2)   c.   VI.     Mit  Berufung  auf  c.    19  X.  V,   19. 


—      169     — 

sehr   kurz    fassen.     Aegidius   selbst   behandelt     nur    wenige   Fälle 
von  Rentenverträgen. 

Zunächst  wird  die  Frage  erörtert,  ob  es  gestattet  sei,  von  einer 
Kirche  oder  einem  Kloster  gegen  Zahlung  einer  einmaligen  Geld- 
summe bestimmte  Besitzungen  oder  Renten  auf  Lebenszeit  zu  er- 
werben1). Aegidius  tritt  für  die  Erlaubtheit  derartiger  Verträge  ein, 
zunächst  vom  Standpunkte  des  Eigentumsrechtes  aus:  die  Ver- 
käufer in  diesen  Verträgen  könnten  frei  über  ihr  Eigentum 
verfügen,  könnten  mithin  auch  Besitzungen  und  Renten  auf  Lebens- 
zeit verkaufen;  ein  neuer  Beweis  für  den  mehr  liberal-individuali- 
stischen Zug,  der  das  ganze  System  der  wirtschaftlichen  Anschau- 
ungen des  Aegidius  durchzieht2).  Er  betont  ferner,  daß  hier  ein 
Kauf  bzw.  Verkauf  vorliege,  daß  deshalb  beide  Parteien  Gewinn 
erstreben  dürfen:  Die  Güter  würden  »ad  utilitatem  possidentis«  ge- 
schätzt, und  wenn  auf  beiden  Seiten  freie  Einwilligung  vorliege, 
so  mache  schon  der  freie  Wille  beider  Parteien  den  Vertrag  er- 
laubt. Zudem  sei  es  wegen  der  Ungewißheit  der  Lebensdauer 
des  Käufers  zweifelhaft,  wer  den  größeren  Vorteil  ziehen  werde, 
und  ein  solches  dubium  mache  die  Bedingungen  des  Vertrages 
für  beide  Parteien  gleich3).  Von  einem  Darlehen,  betont  er,  sei 
ein  derartiger  Vertrag  grundsätzlich  verschieden:  Der  Gewinn, 
den  Käufer  und  Verkäufer  hier  erstreben,  hängen  mit  der  gekauften 
Sache  selbst  zusammen,  sei  de  natura  sortis,  und  falle  nicht  wie 
beim  Mutuum  der  Zins  äußerlich  hinzu4).  Der  Zins  im  Darlehen 
ferner  werde  nicht  freiwillig  gewährt,  wie  ein  etwaiger  Überschuß 
bei  einem  solchen  Vertrage.  Das  Geld  erzeuge  nicht  wie  beim 
Mutuum  wieder  Geld,  das  Kapital  bleibe  nicht  unangetastet,  was 
im  Begriff  der  Zeugung  liege,  sondern  werde  allmählich  aufge- 
braucht, indem  der  Käufer  einer  Rente  nicht  das  Recht  habe,  das 
gezahlte  Kapital  zurückzuverlangen. 


*)  "Vgl.  zum  Folgenden  c.  IX,  p.   1. 

2)  1.  c. :  »Dicimus  etiam  quarto,  quod  verus  dominus  rei  sicut  potest  dare  vel 
vendere  proprietatem   rei  vel  usum   seu  fructus  alicuius   possessionis   simpliciter  quantum 

"ad   omne   tempus,    sie   potest   dare   vel   vendere   quantum   ad   tempus    determinatum   vel 
particulare:  Omnia  ista  probantur  per  veram  rationem  dominii.« 

3)  "Vgl.  hierzu  noch  c.  VI. 

4)  Der  Begriff  sors  wird  von  Aeg.  gleich  »res  iuste  possessa  vel  debita  alicui 
personae«  bestimmt  und  erklärt:  »hoc  ....  dicitur  sorti  aeeidere,  quod  non  pertinet  ad 
proprietatem  sortis.«  cf.  c.  VIII.  Auf  den  Ertrag  eines  Ackers  z.  B.  hat  sich  daher 
der  Käufer  desselben  ein  Recht  erworben,  das  ihm  auch  dann  nicht  verloren  geht,  wenn 
er  über  den  Kaufpreis  gewinnt.  So  gehört  auch  der  etwaige  Mehrgewinn  aus  dem 
Rentenkauf  zu  dem,  worauf  der  Käufer  einen  rechtlichen  Anspruch  hat. 


—     170     — 

Die  zweite  Frage,  die  Aegidius  aufwirft,  ist  die  folgende1): 
Es  bezieht  z.  B.  jemand  aus  einer  Pfarrei  oder  einer  sonstigen 
Quelle  ein  jährliches  Einkommen,  eine  Rente.  Nun  verkauft  er 
dieselbe  auf  eine  bestimmte  Reihe  von  Jahren  zu  einem  geringeren 
Preise  als  die  einzelnen  Posten  der  jährlichen  Rente  zusammen 
addiert  ergeben.  Auch  dieser  Vertrag  wird  als  erlaubt  bezeichnet: 
Aegidius  geht  von  der  Auffassung  des  Kaufs  und  Verkaufs  aus, 
die  das  Streben  nach  Gewinn  zulassen:  der  Verkäufer  erwartet 
von  der  Geldsumme,  die  er  sofort  bekommt,  einen  größeren  Vor- 
teil als  ihm  die  jährliche  Rente  bringen  könnte.  Deswegen  willigt 
er  frei  in  den  Vertrag  ein,  was  diesen  schon  an  sich  erlaubt  macht. 
Vor  allem  stützt  sich  Aegidius  auf  das  oben  erwähnte  werttheo- 
retische Prinzip,  daß  eine  zukünftige  Geldsumme,  die  erst  nach 
und  nach  zusammenkomme,  geringer  bewertet  werde  als  dieselbe 
Summe,  wenn  sie  augenblicklich  gegenwärtig  ist2).  Der  Über- 
schuß hat  deshalb  nichts  Bedenkliches  und  gehört  zum  Inhalt  des 
Vertrages.  Der  Käufer  der  Rente  erwirbt  den  ganzen  Ertrag 
während  der  bestimmten  Zeit.  Der  Gewinn  ist  daher  mit  der 
sors  innerlich  verbunden  und  steht  nicht  nur  in  einem  äußerlichen 
zufälligen  Zusammenhange. 

VIII.  Rückblick.  Bei  Aegidius  kommt  zuerst  die  etwas  mehr 
liberale  Gesinnung,  deren  allmähliche  Entwicklung  im  vorigen  Ab- 
schnitt dargestellt  ist,  zur  Entfaltung.  Sie  äußert  sich  in  einer 
Aufgabe  der  alten  Lehre  vom  justum  pretium;  die  Vereinbarung 
des  Preises  wird  unter  Voraussetzung  des  Gewinnprinzips  der  freien 
Vereinbarung  überlassen,  ein  Gesichtspunkt,  der,  wie  wir  sahen, 
z.  B.  bei  den  Rentenverträgen  mit  Geschick  verwertet  ist.  Von 
größter  Bedeutung  ist  ferner  die  Scheidung  zwischen  dem  Werte 
secundum  rationem  substantiae  und  secundum  rationem  usus  et 
fructus,  die  wie  gezeigt,  eine  Aufrechterhaltung  der  Zinslosigkeit 
des  Darlehens  und  der  übrigen  Kreditverträge  möglich  macht. 
Das  Darlehen  nimmt  so  eine  völlig  isolierte,  von  den  Tauschver- 
trägen gänzlich  verschiedene  Stellung  ein. 

Natürlich  ist  die  Idee  der  Freiheit  der  Vereinbarung  des  Preises 
bei  Aegidius  verschieden  von  den  modernen  Gedanken  des  Indivi- 
dualismus, der  den  inneren  Kräften  eines  kapitalistischen  Wirtschafts- 
lebens freien  Lauf  lassen  will.  Die  Verurteilung  des  kapitalistischen 
Gewinnstrebens  bei  Aegidius  kommt  deutlich  in  seiner  Lehre  vom 

1)  Vgl.  zum  folgenden  c.  IX,  p.   2. 

2)  Vgl.  oben  S.  163  cf.  ib.:  »pluris  valoris  extimatur  res  aliqua  praesens  et  collecta 
quam  futura   et  divisa.« 


—     171     — 

turpe  hierum  zum  Ausdruck.  Es  ist  hierunter  jener  Gewinn  ver- 
standen, der  zwar  nicht  direkt  ungerecht,  aber  gleichwohl  zu  ver- 
abscheuen ist.  Der  Tausch  ist  nach  Aegidius  nur  berechtigt  »propter 
necessitatem  vitae  humanae,  quae  de  se  finita  est  in  suis  indi- 
gentiis«1).  In  diese  Grenze  ist  also  auch  das  Gewinnstreben  gebannt. 
Die  Überschreitung  derselben  ist  eben  das  turpe  lucrum,  das  dann 
vorliegt,  wenn  ein  Geschäft  abgeschlossen  wird:  »non  propter  finem 
debitum  humanae  vitae,  sed  propter  avaritiam,  cuius  non  est  finis«  2). 
Daher  wird  denn  auch  z.  B.  eine  kapitalistische  Ausnützung  des 
Rentenkaufes  verurteilt.  »Vitium  autem  turpis  lucri  ....  tunc 
in  ipso  ineidit,  quando  aliquis  dives  sibi  sufficiens  ad  vitam  et 
seeundum  rei  naturam  et  personae  et  seeundum  statum  personae 
tales  redditus  emit,  ut  divitior  fiat  et  plures  divitias  sine  iusta  et 
pia  necessitate  acquirat«3).  Dem  Gewinnprinzip  im  Tausche  stellt 
sich  also  das  mittelalterliche  Bedarfdeckungsprinzip  einschränkend 
zur  Seite. 

Es  mag  immerhin  die  Weitschweifigkeit  und  gelegentliche 
Undeutlichkeit  der  Ausführungen  des  Aegidius  zu  tadeln  sein.  In- 
haltlich gehören  seine  Ideen  zu  den  fortgeschrittensten  des  Mittel- 
alters überhaupt.  Sie  kommen  jedenfalls  den  Forderungen  des 
aufblühenden  Wirtschaftslebens  in  einer  Weise  entgegen,  wie  es 
bei  den  übrigen  Denkern  des  Mittelalters  selten  zu  finden  ist. 

Anmerkungsweise  seien  verschiedene  Werke  genannt,  denen 
für  die  Entwicklung  der  mittelalterlichen  Wertlehre  kaum  Bedeutung 
zukommt. 

i.  Die  Summa  Astesana,  von  einem  unbekannten  Franzis- 
kaner des  14.  Jahrhunderts  um  13 17  verfaßt  (vgl.  K.  L.  I,  1523  f.). 
Sie  ist  eine  zum  größten  Teil  wörtliche  Kompilation  aus  Albertus, 
Thomas,  Scotus,  Ricardus  usw.  Die  einzelnen  Lehren  über  Tausch, 
Handel,  Rentenkauf  usw.  können  daher  übergangen  werden.  Die 
verschiedenen  Anschauungen  über  den  Wert  werden  unausgeglichen 
nebeneinander  vorgebracht.  Einmal  wird  Gleichheit  des  Markt- 
preises im  Tausche  gefordert  (z.  B.  P.  I,  1.  3,  a.  5,  q.  3).  An  anderer 
Stelle  heißt  es  vom  Wechselgeschäft:  »Et  servatur  ibi  iustitia  simi- 
lis  illi,  quae  est  in  emptione  et  venditione,  quia  fit  ibi  recompen- 
satio  seeundum  ampliorem  utilitatem  dati  apud  reeipientem  a  camp- 
sore  quam  reeepti  ab  eo«.  Der  Kursgewinn  des  Wechslers  beruht 
vor  allem    darauf,    daß  der  Wert    des  Geldes    in    doppelter  Weise 

x)  c.  IV. 

2)  c.  IX,  p.  I. 

3)  1.  c. 


—      172     — 

bestimmt  sein  kann:  »secundum  materiam«  und  »secundum  legem 
positivam«.  Das  Auseinanderfallen  beider  kann  vom  Wechsler 
ausgenutzt  werden  (P.  I.  1.  3,  a.  5). 

2.  Walter  Burleigh  (Burlaeus)  (1275  — 1337,  Schüler  des 
Scotus  vgl.  K.  L.  II,  1542  f;  Stöckl,  Geschichte  II,  1042  f)  verfaßte 
einen  Kommentar  zur  nikomachischen  Ethik,  der  offenbar  von 
Thomas  abhängig  ist.  Die  Wiedervergeltung  erfordert  Gleichheit 
der  beiderseitigen  Aufwendungen  (cf.  1.  V.  c.  5.  t.  1.  pH,  [S.  83]). 

3.  Thomas  von  Strassburg1)  (gest.  1357),  Verfasser  eines 
Sentenzenkommentars.  Es  finden  sich  bei  ihm  höchstens  gelegent- 
liche Bemerkungen,  so  wenn  er  betont,  daß  der  Preis  bestimmt 
werde  im  Hinblick  »ad  materiam  et  ad  opus  artificis« 2).  Den 
Handel  billigt  er3).  Die  Frage  des  Zinses  wird  kaum  erörtert. 
Nur  erklärt  er,  daß  der  Gläubiger  im  Falle,  daß  ihm  durch  Zahlungs- 
verzug des  Schuldners  ein  Schaden  erwachse,  vollen  Ersatz  bean- 
spruchen dürfe,  wenn  dieser  Schaden  klar  sei:  wenn  z.  B.  der 
Gläubiger  selbst  zur  Fortführung  seines  Geschäftes  ein  verzinsliches 
Darlehen  hat  aufnehmen  müssen.  Für  den  bloßen  Entgang  eines 
möglichen  Gewinnes  soll  Ersatz  geleistet  werden  nach  den 
Schätzungen  eines  »fidelis  et  iustus  mercator«4). 

§  2.    Franciscus  de  Mayronis  und  Durandus  a.  S.  Poreiano. 

Es  sind  alsdann  zwei  Denker  zu  erwähnen,  die,  von  dem  allge- 
meinen kritischen  Zeitgeiste  getragen,  in  manchen  Punkten  an  den 
herkömmlichen  Anschauungen   über  den  Wucher  gerüttelt  haben. 

1.  Zunächst  ist  hier  ein  unmittelbarer  Schüler  des  Duns  Scotus 
zu  nennen;  Franciscus  de  Mayronis  [f  1327]5).  Inder  Behand- 
lung des  Eigentums,  des  Handels,  des  Wechselgeschäftes  und 
Rentenkaufes  bringt  er  kaum  etwas  Neues6).  Der  Forderung  der 
Wertgleichheit  scheint  er  die  Annahme  eines  allgemein  gültigen 
Marktpreises  zugrunde  zu  legen7).  Freilich  wird  im  übrigen  die 
Subjektivität   des  Wertes  stark   betont,   indem   er  das  Wesen   der 

*)  K.  L.  XI,   i689f. 

2)  Sent.  4  d.   25  a.  4  ad  5. 

a)  1.  c.  d.    16,  a.  3. 

*)  1.  c.  d.   15,  a.  4.  q.  4. 

5)  Vgl.  K.  L.  VIII,   11 17  f. 

6)  Über  das  Eigentum  vgl.  Sent.  IV.  d.  16.  q.  i.  i.  (fol.  29b):  Der  platonische 
Staat  erscheint  als  vollkommen;  M.  bemerkt  aber  bezüglich  der  Menschen  nach  dem 
Sündenfall:  »sicut  erant  imperfecti,  necesse  fuit,  ut  haberent  politiam  imperfectam.«  Über 
die  übrigen  Geschäftsarten  vgl.  1.  c.  q.  4  (fol.  30  b  f.). 

7)  1.  c.  q.  3   (fol.   30b),  cf.  I,   2  (fol.   29b). 


—     l/j    — 

Tauschgerechtigkeit  nicht  mehr,  wie  Aristoteles,  in  einer  realen 
Gleichheit  der  äußeren  Dinge,  sondern  in  einem  »medium  in  ratione« 
sieht,  eben  im  Hinblick  auf  den  subjektiven,  im  Menschen  gelegenen 
Charakter  des  Wertes.  Das  subjektive  menschliche  Bedürfen  ist 
also  wertbestimmend1). 

Von  seiner  Wertlehre  ist  auch  seine  Stellung  zum  Zinsv erbot 
getragen2).  Nicht  als  ob  er  die  Berechtigung  desselben  bezweifelt 
hätte.  Dazu  war  der  Einfluß  von  Tradition  und  Kirchenlehre  zu 
mächtig.  Das  Zinsverbot  ist  ihm  vielmehr  von  Gott  gegeben. 
Der  Staat  darf  es  daher  seinerseits  nicht  als  zulässig  erklären. 
Nur  lehnt  Mayronis  die  bisher  übliche  naturrechtliche  Begründung 
der  Zinslosigkeit  des  Darlehens  ab. 

Sieht  man  die  Gerechtigkeit  im  Tausche  dann  erfüllt,  wenn 
beide  Kontrahenten  Nutzen  haben,  so  bleibt  das  Zinsverbot  un- 
verständlich: »modo  usurarius  dat  10  pro  12,  mercator  lucratur  sie, 
quod  reddit  et  vivit  de  peeunia«.  Ein  verzinsliches  Darlehen  kann 
also  beiden  Teilen  von  größtem  Vorteil  sein. 

Aus  demselben  Gedanken  heraus  wird  das  Argument  von 
der  Unfruchtbarkeit  des  Geldes  verworfen:  Das  Geld  darf  nicht 
in  der  Weise  betrachtet  werden,  daß  es  rein  für  sich  genommen 
nicht  fruchttragend  sei,  sondern  der  Nutzen  des  Geldes  müsse  im 
Hinblick  auf  die  soziale  Funktion  desselben  geschätzt  werden. 
Dann  quelle  aber  aus  dem  Gelde  ein  hoher  Nutzen3);  und  es  sei 
unverständlich,  daß  der  Zins  nicht  gestattet  sein  sollte:  »quia  salus 
et  utilitas  est  rei  publicae«. 

Das  Argument  von  der  Unverkäuflichkeit  der  Zeit  wird  mit 
dem  Bemerken  abgetan,  daß  man  dann  auch  den  Mietvertrag  ab- 
lehnen müsse.  Unklar  bleibt  der  Grund  für  die  Zurückweisung 
des  Gedankens,  daß  der  Zins  als  Aneignung  fremden  Arbeits- 
ertrages verurteilt  werden  müsse4). 

Auch  theologische  Gründe  für  den  nicht  naturrechtlichen 
Charakter  des  Zinsverbots  werden  beigebracht:  Das  alte  Testament 
habe  Ausnahmen  von  Zinsverbot  gekannt.     Eine  Dispensation  von 

!)  Sent.  III,  d.  37,  q.   2   (fol.   i8bf.)    cf.  IV,   16.  I,   2. 

2)  Vgl.  zum  folgenden:  1.  c.  IV,   l6,  q.  3. 

3)  1.  c. :  ».  .  peeunia  sterilis  est  et  ideo  non  debet  reddere  fruetum,  ut  plus  reci- 
piant,  quam  mutuatum  fuit  ....  Rendo:  usus  rei  in  politia  attenditur  ad  utilitatein  rei 
publicae,  unde  in  se  res  non  dieuntur  steriles,  sed  ut  cadunt  in  usu,  quo  peeunia  est 
multum  utilis.« 

*)  1.  c. :  »Alia  ratio  de  industria  humana:  Contra,  advocati  reeipiunt  ex  industria 
sua  multa  et  licita.«  Soll  gesagt  sein,  die  Gläubiger  düiften  für  die  mit  dem  Ausleihen  usw. 
verbundenen  Mühen  ein  Entgelt  beanspruchen? 


—     i74     — 

naturrechtlichen  Bestimmungen  aber  sei  nicht  denkbar.  So  kommt 
Mayronis  zu  dem  Ergebnis:  »non  apparet  ratio  demonstrationis, 
quod  sit  illicita«. 

Die  einzige  Begründung  des  Zinsverbotes  liegt  also  in  einem 
positiven  göttlichen  Gebot.  In  einem  andern  Zusammenhange, 
wo  es  sich  nicht  unmittelbar  um  das  Darlehen  handelt,  sucht 
Mayronis  das  Zinsverbot  dem  menschlichen  Verständnis  dadurch 
näher  zu  bringen,  daß  er  als  den  natürlichen  Sinn  desselben  den  Ge- 
danken bezeichnet,  der  Reiche  müsse  mit  seinem  Überfluß  den 
Armen,  der  sich  in  Not  befinde,  unterstützen.  Daß  mit  dieser  »ratio 
naturalis«  keine  neue,  andere  naturrechtliche  Begründung  der  Unent- 
geltlichkeit des  Darlehens  gegeben  werden  soll,  dürfte  klar  sein *). 

Die  Ausführungen  des  Mayronis  sind  von  einem  überraschenden 
Verständnis  des  ihn  umgebenden  Wirtschaftslebens  getragen.  Teil- 
weise mag  allerdings  eine  gewisse  Freude  am  Kritisieren  mit- 
wirken. Wie  Duns  Scotus  in  Theologie  und  Philosophie  eine 
»kritische«  Richtung  inaugurierte,  so  auch  auf  dem  Gebiet  der 
wirtschaftlichen  Anschauungen. 

IL  Durandus  a.  S.  Porciano2)  wurde  gegen  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  in  St.  Pourcain  geboren  und  starb  1332.  Anfangs 
in  Theologie  und  Philosophie  Anhänger  des  Thomas  von  Aquin 
erneuerte  er  später,  freilich  nicht  in  konsequenter  Durchführung, 
den  Nominalismus.  Auch  sonst  nimmt  er  in  vielen  Einzelfragen 
eine  selbständige  Stellung  ein.  Von  seinen  Schriften  kommt  für 
uns  nur  sein  Sentenzenkommentar  in  Betracht. 

Was  Veranlassung  gibt,  ihn  in  diesem  Zusammenhange  zu 
behandeln,  ist  seine  Stellung  zum  Zins,  die  von  scharfer  Beobachtung 
des  wirtschaftlichen  Lebens  zeugt3).  Zwar  schließt  er  sich  in  der 
Verteidigung  der  Zinslosigkeit  des  Darlehens  durchaus  an  seine 
Vorgänger  an,  äußert  aber  im  übrigen  einen  Gedanken,  von  dem 
aus  eine  Überwindung  des  Zinsverbotes  ohne  große  Mühe  möglich 
gewesen  wäre.  Er  geht  von  der  wirtschaftlichen  Notwendigkeit 
des  Darlehens  aus:  In  jedem  Staate  wären  viele,  die  ein  Bedürfnis 
nach  Darlehen  hätten,  und  wenn  sie  ein  solches  nicht  erhielten, 
schwer  geschädigt  würden,  was  auch  dem  Staate  selbst  zu  schwerem 

x)  1.  c. :  »Sed  quid  de  illis,  qui  expectant  tempus  caristiae,  pauperes  veniunt,  ut 
emant;  ipse  non  vult  vendere;  tunc  dicunt,  quod  tan  tum  dabunt,  quantum  tunc  valebit. 
Dicitur,  quod  fieri  potest,  licet  sit  inhumanum,  et  tenetur  illis  statim  tradere,  quod  super- 
fluit,  necessitatem  patienti.  Et  haec  ratio  naturalis  contra  usuram:  his,  qui  necessitatem 
patiuntur.     Tarnen  contractus  non  est  illicitus.« 

2)  K.  L.   IV,  43  ff. 

*)  Vgl.  zum  folgenden  Sent.   III,  d.  37,  q.   2,  a.   1;  ib.  a.   2. 


—     i?5     — 

Nachteil  gereichen  könnte.  Zudem  könnten  die  Kommunitäten 
selbst  zur  Erfüllung  ihrer  schwierigen  und  kostspieligen  Aufgaben 
das  Darlehen  nicht  entbehren.  Durch  das  Darleihen  von  Geld 
werde  also  eine  wichtige  volkswirtschaftliche  Funktion  erfüllt,  und 
diejenigen,  die  ihr  Vermögen  zu  diesem  Zwecke  hergäben,  leisteten 
dem  Staate  einen  Dienst,  verrichteten  Arbeit  im  volkswirtschaft- 
lichen Sinne.  Und  als  Lohn  dieser  Arbeit  gebührt  den  Entleihern 
eine  Vergütung,  ein  Zins:  »ergo  servientes,  et  se  ac  sua  exponentes 
pro  tali  servitio  exhibendo  rei  publicae  a  singularibus  personis 
merentur  mercedem  ex  tali  labore  et  servitio.«  Ein  Zins,  der  so 
als  Arbeitslohn  »tanquam  Stipendium  laboris  seu  servitii  ipsius 
mutuantis«  erscheint,  würde  von  Durandus  nicht  abgelehnt 
werden;  er  denkt  sich  die  Zahlung  desselben  etwa  in  der  Form, 
daß  den  Schuldnern  von  seiten  der  staatlichen  Autorität  zugunsten 
der  Gläubiger,  die  vom  Staate  mit  der  Darlehensgewährung  eigens 
beauftragt  sind,  ein  »salarium  annuatim  taxandum«  auferlegt  wird. 
Er  fügt  noch  hinzu,  daß  er  von  etwas  derartigem  weder  gelesen 
noch  gehört  habe1). 

Wenn  Durandus  so  die  wirtschaftliche  Bedeutung  des 
Darlehens  ahnt  und  die  Möglichkeit  annimmt,  daß  unter  Um- 
ständen von  seiten  des  Staates  ein  Zins  festgesetzt  werden 
könnte,  so  will  er  damit  das  Ideal  des  mittelalterlichen  Wirt- 
schaftslebens: Die  Erlangung  des  standesgemäßen  Unterhaltes 
aller  nicht  aufgeben.  Nur  bis  zu  dieser  Grenze  ist  von  seiten  des 
Schuldners  die  Aufnahme  eines  verzinslichen  Darlehens  erlaubt. 
Und  Durandus  tadelt  die  cupiditas  augendi  pecunias  der  Kaufleute, 
die  hierüber  hinaus  verzinsliche  Darlehen  aufnehmen,  in  der  Hoff- 
nung, mehr  zu  gewinnen,  als  sie  an  Zinsen  zahlen  müssen2).  Seine 
übrigen  Anschauungen  sind  von  geringerem  Interesse:  er  tadelt 
den  Handel,  der  eine  Teuerung  herbeiführt3),  tadelt  das  Almosen- 
geben um  jeden  Preis  und  verlangt,  daß  denen  fürder  kein  Almosen 
mehr  gewährt  würde,  die  dadurch  zur  Trägheit  mit  allen  ihren 
Gefahren  verleitet  würden4). 


*)  *Sed  istum  modum  nee  legi  nee  audivi  alieubi  statutum  vel  ordinatum.«  — 
Brants  a.  a.  O.  S.  159  sieht  bei  Durandus  den  Plan  einer  Leihanstalt,  eines  »office 
de  pret«.  Dies  ist  wohl  kaum  anzunehmen.  Durandus  spricht  nur  von  der  staatlichen 
Regelung  des  von  zahlreichen  Privatpersonen  besorgten  Leihverkehrs.  Vgl.  die  im  Text 
angeführte  Stelle.  Der  Gedanke  erinnert  an  die  modernen  Theorien,  die  den  Zins  als 
Arbeitsentgelt  auffassen. 

»)    1.   c.   q.  4. 

3)  Sent.  IV,  d.   16,  q.  5. 

4)  ib.  d.   15.  q.   8.  a.  3. 


—     176     — 

Das  Bedeutungsvollste  aus  den  Ansichten  des  Durandus  ist 
natürlich  seine  neue  Fassung  des  Zinsproblems,  indem  er  die  Mög- 
lichkeit behauptet,  daß  ein  Zins  unter  Umständen  vom  Staate  fest- 
gesetzt werden  könnte.  Es  handelt  sich  hier  um  die  naturgemäße 
Rückwirkung  des  aufblühenden  Wirtschaftslebens,  daß  dem  Be- 
obachter die  Bedeutung  der  Kapitalsübertragungen  vor  Augen 
führte.  Sie  zeugt  aber  auch  von  einer  gewissen  Beweglichkeit  in 
den  wirtschaftlichen  Anschauungen  der  Scholastik  und  von  dem 
ernsten  Streben  über  die  althergebrachten  Theorien  hinaus  das 
Wirtschaftsleben  kennen  zu  lernen  und  seinen  Forderungen  gerecht 
zu  werden. 

§  3.     Petrus  de  Palude. 

Paludanus,  berühmter  Theologe  und  Dominikaner  [zwischen 
1275  und  1280  geboren;  gestorben  1342  in  Paris1)]  gibt  in  seinem 
Kommentar  zum  dritten  und  vierten  Buche  der  Sentenzen  einige 
Äußerungen  über  wirtschaftliche  Dinge,  die  aber  nur  zufälliger 
Natur  sind  und  unter  denen  sich  kaum  ein  Zusammenhang  her- 
stellen läßt,  die  aber  gleichwohl  von  Bedeutung  sind. 

Er  verlangt  absolute  Gleichheit  der  zu  tauschenden  Dinge 
»in  ordine  tarnen  ad  usum  contrahentium«2).  Er  scheint  hier  also 
den  Wert  im  Augustinischen  Sinne  zu  fassen.  An  anderer  Stelle 
betont  er,  daß  der  Preis  der  Waren  an  demselben  Orte  und  zur 
selben  Zeit  von  verschiedenen  Menschen  verschieden  geschätzt  wird  3), 
untersucht  aber  die  Bedeutung  dieser  Schätzungen  für  den  Tausch 
nicht.  Der  Vereinbarung  der  Kontrahenten  räumt  er  an  anderer 
Stelle  eine  gewisse  Freiheit  ein:  »in  justitia  commutativa  potest 
dari  alteri  plus  de  lucro  et  minus  de  damno  sine  injustitia;  immo 
hoc  erit  liberalitatis,  dum  tarnen  ex  consensu  sine  errore  utriusque 
procedat«4).  Er  wendet  sich  aber  dagegen,  daß  die  bedürftige  Lage 
eines  einzelnen  (miserabilis  indigentia,  indigentia  particularis)  von  Seiten 
des  andern  Kontrahenten  zu  einer  Preiserhöhung  beim  Verkauf  bzw. 
einer  Preiserniedrigung  beim  Kauf  benutzt  wird.  Nur  ein  allgemein 
höheres  Bedürfnis  (indigentia  communis)  rechtfertige  eine  Preis- 
erhöhung, wobei  unter  dem  allgemeinen  Bedürfnis  aber  nicht  etwa 
das  Bedürfnis  der  gesamten  Gemeinschaft  verstanden  zu  werden 
braucht,  sondern  nur  das  einer  Mehrheit  von  Personen  im  Gegen- 


*)  K.  L.    IX.   1 321  ff. 

2)  HI,  33-  q-  4-  a.  4. 

3)  III,  37.  q.   2.  a.  2.  c.  3. 

*)  s.  Anm.   2,  sowie  die  folgende  Anm. 


satz  zur  Notlage  eines  einzelnen1).  Bei  Verletzung  der  Wertgleich- 
heit muß  Restitution  eintreten.  Auch  für  Rentenverträge  auf 
bestimmte  Zeit  ist  erforderlich,  daß  keiner  den  andern  zu  über- 
vorteilen scheint2). 

Der  Wert  des  Geldes  wird  durch  drei  Faktoren  bestimmt: 
pondus,  auctoritas,  usus.  Er  ist  im  gegebenen  Augenblicke  für 
alle  gleich.  Paludanus  steht  infolgedessen  dem  Geldvvechselgeschäft 
mit  schweren  Bedenken  gegenüber,  weil  hier  ein  Gewinn  nur  mög- 
lich sei  unter  Verletzung  der  Wertgleichheit.  Nur  im  Hinblick 
darauf,  daß  die  Kirche  das  Geldwechselgeschäft  nicht  verurteile, 
hält  auch  Paludanus  dasselbe  für  erlaubt3). 

Die  Unerlaubtheit  des  Wuchers  wird  mit  den  üblichen  Be- 
weisen dargetan.  Die  Stellung  des  zinszahlenden  Schuldners  wird 
etwas  anders  als  gewöhnlich  beurteilt:  indem  Paludanus  die  Meinung 
ablehnt,  daß  der  Schuldner  den  Zins  gezwungen  übertrage  und 
deshalb  nicht  sündige.  Der  Schuldner,  wird  erklärt,  willigt  in  die 
Tatsache  der  Übertragung  des  Geldes  ein,  nicht  jedoch  darin,  daß 
der  Wucherer  die  Übertragung  auf  Grund  des  Darlehens  fordere. 
Beim  Wucher  findet  daher  eine  Eigentumsübertragung  statt,  freilich 
ist  der  Wucherer  gleichwohl  zur  Rückzahlung  verpflichtet4). 

Paludanus  ist  vor  allen  Dingen  deshalb  zu  erwähnen,  weil 
manche  seiner  Ansichten  über  den  Wert  der  Güter  auf  den  im 
Folgenden  zu  behandelnden  Buridanus  eingewirkt  haben. 

§  3.  Johannes  Buridanus. 
I.  Leben  und  Allgemeines:  Johannes  Buridanus5)  wurde 
um  1300  in  Bethune  in  der  Grafschaft  Artois  geboren,  war  in 
Paris  ein  Schüler  Occams  und  lehrte  später  daselbst  Philosophie. 
Er  starb  etwa  1358.  Er  hat  nur  philosophische  Schriften  hinter- 
lassen, die  sich  meist  mit  der  Erklärung  des  Aristoteles  befassen. 
Für  uns  kommen  seine  Ouästionen  zur  Politik,  nikomachischen 
Ethik  und  Metaphysik  in  Betracht.  Buridanus'  wirtschaftliche  An- 
schauungen haben  in  neuerer  Zeit  vielfach  Beachtung  gefunden; 
so  ist  von  Kaulla  und  Altmann6)  vor  allem  die  Bedeutung  seiner 
Wert-  und  Geldlehre  betont  worden. 


!)   IV.    5.   q.    3.   a.   3.   c.   4. 

2)  IV.    16.   q.   2.  a.   4.   c.   3;   ib.    15.  q.   3,  a.   5.   c.   3. 

3)  III.  37.  q.   2.  a.   2.  c.  3.     Weiteres  über  das  Geldwesen:   III.  33.  q.  4.  a.  5. 

4)  IV.    15.   q.   2.  a.   5;   ib.  q.   3   a.    5.   c.    2. 

5)  K.  L.  II   1536  ff.  R.  E.  III,  570  f.    Sowie  die  im  Folgenden  zitierte  Literatur. 

6)  Kaulla:  Der  Lehrer  des  Oresmius  (Buridanus).    Z.  f.  g.  St.  Einzelnes  in  seinem 
früher  zitierten  Aufsatze  über  die  Lehre  vom  gerechten  Preis  in  der  Scholastik,  S.  597  f., 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  1.  12 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


—     i7ö     — 

Buridanus  bedeutet  in  vieler  Hinsicht  den  Höhepunkt  des 
ökonomischen  Denkens  des  Mittelalters  überhaupt.  Nicht  als  hätte 
er  grundlegende  neue  Gedanken  gebracht;  seine  wirtschaftlichen 
Anschauungen  sind  in  allem  eine  organische  Weiterentwicklung 
dessen,  was  die  Scholastik  von  ihm  bereits  geleistet  hatte.  Aber 
was  ihn  auszeichnet,  ist  die  scharfe  Beobachtung  des  wirtschaft- 
lichen Lebens  sowie  ein  feines  Verständnis  für  die  psychologischen 
Vorgänge  beim  Tausche,  was  ihn  befähigt,  die  überkommenen 
wirtschaftlichen  Anschauungen  in  vieler  Hinsicht  zu  klären  und 
weiter  zu  entwickeln. 

Deutlich  spiegelt  sich  in  Buridans  Schriften  das  gesteigerte 
wirtschaftliche  Leben  seiner  Zeit  wieder,  so  wenn  er  erklärt: 
»viventes  in  urbe  magis  solent  convivere  et  colloqui  gratiose  quam 
rurales«1).  Und  angesichts  des  Wachstums  der  Bevölkerung  denkt 
er  an  die  Möglichkeit,  daß  die  Nahrungsmittel  nicht  mehr  zum 
Unterhalt  ausreichen  könnten,  für  welchen  Fall  Enthaltung  von 
der  Ehe  eintreten  müßte2).  Häufig  betont  er  die  Bedeutung  der 
äußeren  Güter  für  das  geistige  und  sittliche  Leben  der  Menschen 3). 
Es  spricht  zum  mindesten  für  eine  etwas  freundlichere  Beurteilung 
auch  des  überstandesgemäßen  Reichtums,  wenn  er  den  tadelt,  der 
»ultra  sibi  necessaria  et  ultra  Status  sui  exigentiam  divitias  abun- 
dantes  immensum«  besitzt  und  davon  keine  Almosen  spendet4). 
Immerhin  finden  sich  aber  auch  Äußerungen,  die  im  altherge- 
brachten Geiste  gehalten  sind  und  das  Bedarfsdeckungsprinzip  be- 
tonen. So  wenn  er  erklärt,  daß  die  Sorge  für  zeitliche  Güter  er- 
laubt sei,  wenn  sie  geschehe  »propter  vitae  necessitatem«,  daß  sie 
hingegen  unerlaubt  sei,  wenn  der  Mensch  »excessive  et  superflue 
credit  deficere  et  credit  numquam  satis  habere  et  propter  hoc  toto 
suo  conatu  quaerit  divitias«5).  An  einer  anderen  Stelle6)  hingegen 
wirft  er  die  Frage  auf,  ob  die  staatliche  Gewalt  jemandem  ein 
»abundare   in    possessione,    quantum    potest«    gestatten    dürfe   und 


sowie  in  seiner  Geschichte  der  Werttheorien.    Ferner  Altmann:  Studien  z.  Lehre  v.  Geld- 
wert.    S.    14  ff.     Vgl.  dessen  Art.  im  H.  W.  St.  III,  357. 
*)  Eth.    IV.  q.    16  (S.   86). 

2)  Eth.  III,  q.  30  (S.  68):  »Et  iterum  potest  tanta  esse  populi  multitudo,  quod  si 
ulterius  excresceret  multum,  non  esset  terra  sufficiens  ministare  cibum  hominibus,  propter 
quod  illo  tempore  ius  et  ordo  permittit,  immo  requirit,  ut  non  omnes  fecundentur 
specialiter,  cum  non  liceat  homines  interficere  sicut  boves.«    Vgl.  Brants  a.  a.  O.  S.  239. 

3)  Vgl.  z.  B.  Eth.  I.    16   (S.   14  b  ff.)  u.  sonst. 
*)   Eth.  IV.  q.  4  (S.   72  b). 

6)   Pol.  V.  q.   2   (S.   249). 

6)  Pol.  II.  q.   2  (S.  96,  98  f.). 


—      179     — 

entscheidet  sie  dahin,  daß  ein  sittlich  guter  Mensch,  der  für  das 
Gemeinwohl  sorge,  und  nicht  »ultra  modum  et  debitum  ordinem« 
Besitz  erstrebe,  nicht  an  Bereicherung  gehindert  werden  dürfe, 
weil  von  ihm  für  die  Gesamtheit  Nutzen  zu  erwarten  sei.  Man 
wird  immerhin  aus  diesen  Worten,  wenn  auch  nicht  auf  eine 
völlige  Preisgabe  des  mittelalterlichen  Standesideals,  so  doch  auf 
eine  gewisse  Erschütterung  desselben  schließen  können. 

II.  Die  Notwendigkeit  des  gesellschaftlichen  Lebens  wird 
vor  allem  im  Hinblick  auf  die  Befriedigung  der  wirtschaftlichen 
Bedürfnisse  betont:  dieselben  sind  von  so  großem  Umfange,  daß 
ein  Einzelner  sie  nicht  voll  befriedigen,  vielmehr  ohne  Gemein- 
schaftsleben und  die  damit  ermöglichte  Arbeitsteilung  nicht 
auskommen  kann.  Die  letztere  begründet  Buridanus  damit,  daß 
ein  Einzelner  nur  in  wenigen  speziellen  Arbeiten  bewandert  sein 
könne,  was  eine  vielfältige  Ergänzung  nötig  mache1).  Eine  volle 
Bedürfnisbefriedigung  gehöre  aber  zum  Wesen  der  menschlichen 
Gemeinschaft2). 

Bezüglich  des  Privateigentums  bringt  Buridanus  keine  neuen 
Gedanken:  Das  Privateigentum  ist  ihm  eine  naturrechtliche  In- 
stitution. Das  Gemeineigentum  lehnt  er  ab,  weil  das  Fehlen  des 
eigenen  Interesses  zur  Nachlässigkeit  führe,  und  zu  Zwistigkeiten 
Anlaß  gebe  bezüglich  der  Verfügungsgewalt  über  die  Güter,  weil 
es  ferner  die  Freude  an  der  eigenen  Arbeit  aufhebe,  zur  Unmäßig- 
keit  in  allen  Genüssen  reize  und  die  Tugend  der  Freigebigkeit 
unmöglich  mache.  Dies  alles  würde  den  Ruin  des  Staates  mit 
sich  brinoren.  Hinsichtlich  des  Eigentums  sollten  daher  die  Güter 
getrennt  sein,  in  bezug  auf  den  Gebrauch  aber  allen  gehören3). 
Im  Falle  der  Not  höre  das  Privateigentum  auf,  weil  in  diesem 
Falle  die  höhere  naturgesetzliche  Aufgabe  der  Güter,  allen  Menschen 
zum  Unterhalt  zu  dienen,  vorgehe4). 


x)  Eth.  IV.  q.  16:  »Magnum  enim  est  homini  et  difficile,  si  sit  bonus  textor, 
quod  ipse  cum  plurimis  sibi  deservientibus  artibus,  quarara  exercere  non  posset  opera, 
possit  nos  vestire.  Et  alteri  multum  est,  si  domum  aedificare  sciat  et  possit,  alteri 
navigare  aut  capere  pisces.  Alii  si  ferrum  fabricare  sciat  multa  ceteris  artibus  instru- 
menta necessaria  ministrans,  alteri,  si  agrum  colere  sciat  et  possit  intendere  et  sie  de 
diversis  innumerabilibus  artibus  induci  posset,  sine  quibus  hominum  indigentia  naturalis 
repleri  non  posset;  oportet  ergo,  quod  tanta  sit  hominum  communicatio  tarn  domestica 
quam  civilis,   quod  hominum  indigentiae  naturales  invicem  suppleantur.« 

2)  Pol.  L,  3  (S.  12):  »quilibet  congregatio  hominum  sufficiens  ad  vitae  necessaria 
et  ad  bene  vivere,  regulata  certis  legibus,  uni  prineipi  subdita,  est  civitas.« 

3)  Vgl.  Pol.  IL,   2  (S.  91  ff.). 

«)  Vgl.  z.  B.  Pul.  II.,  3  (S.   105)  u.  sonst. 

12* 


—     i8o     — 

Hinsichtlich  des  zubilligenden  Maßes  an  Eigentum  fordert 
Buridanus,  daß  nicht  alle  schlechthin  das  Gleiche  besitzen,  sondern 
jeder  solle  soviel  besitzen,  wie  er  verdient1).  Im  Interesse  der 
bürgerlichen  Eintracht  wünscht  er  das  Vorherrschen  eines  mittleren 
Besitzstandes2).  Seine  diesbezüglichen  Anschauungen  sind  also 
nichts  anderes  als  eine  Wiederholung  der  thomistischen  Eigen- 
tumslehre. 

III.  Auch  hinsichtlich  der  Wertlehre  steht  Buridanus  auf 
dem  Boden  der  vorangegangenen  Zeit;  nur  schreitet  er  in  mancher 
Hinsicht  zu  einer  tieferen  Erfassung  und  Begründung  der  alten 
Anschauungen  fort. 

Der  grundlegende  Satz  seiner  Wertlehre  ist  der,  daß  die 
Güter  im  Tausche  gemessen  werden  durch  das  menschliche  Be- 
dürfnis: »Indigentia  human a  est  mensura  naturalis  commutabilium«. 
Genau  genommen  ist  für  den  Wert  bestimmend  die  tatsächliche 
Bedürfnisbefriedigung,  die  uns  die  Güter  gewähren,  das  »supple- 
mentum  indigentiae  humanae«,  das  aber  in  seiner  Größe  wieder 
von  dem  Maße  des  Bedürfens  abhängt,  wie  der  Wein,  der  zur 
Füllung  eines  Fasses  nötig  ist,  an  sich  seiner  Quantität  nach  be- 
stimmt wird  durch  die  tatsächlich  eingefüllte  Menge,  die  aber 
wieder  durch  die  Größe  des  Fasses  bedingt  ist.  Man  kann  also 
kurzer  Hand  sagen,  daß  die  Güter  gemessen  werden  durch  das 
menschliche  Bedürfnis3). 

Buridanus  sucht  diesen  Satz  durch  verschiedene  Beweise  zu 
erhärten,  die  teils  aprioristischer,  teils  aposterioristischer  Natur 
sind:  Er  geht  einmal  davon  aus,  daß  der  Zweck  der  Güter  der 
sei,  dem  menschlichen  Bedürfnis  zu  dienen;  nach  dem  Zwecke 
aber  sei  die  bonitas,  oder  was  dasselbe  sei,  der  valor  der  Dinge 
zu  bemessen,  denn  »alles  Gute  ist  gut  um  seines  Endzweckes 
willen«.  Mithin  bemesse  sich  auch  der  Wert  oder  die  Güte  der 
zu  tauschenden  Güter  nach  ihrem  Endzwecke,  also  nach  dem 
Maße,  in  dem  sie  das  menschliche  Bedürfnis  befriedigen 4).  Ferner 
sei  es  aus  der  täglichen  Erfahrung  bekannt,  daß  z.  B.  der  Wein 
zu  den  Zeiten,  wo  er  selten  ist,  teuerer  wird,  weil  dann  unser  Be- 
dürfnis nach  demselben  steigt.  Der  Wert  der  Güter  und  unser 
Bedürfnis  nach  ihnen  stehen  also  in  einem  ursächlichen  Zusammen- 


J)  Pol.  II.  q.  2  (S.  92  f.). 

2)  Pol.  IV.  q.  17  (S.  221). 

3)  Eth.  V.  q.  16  (S.  106).  Vgl.  ferner  ib.  IV.,  6  (S.  76);  V.,  13  (S.  103  b);  V., 
14  f.  (S.  103  b  ff.);  Pol.  I.,  11  (S.  55);  ib.  I,  12  (S.  63);  I,  15  (S.  79). 

*)   1.  c. 


—      i8i     — 

hange,  wenn  letzteres  sich  ändert,  ändert  sich  auch  ersterer1). 
Und  endlich  bringt  Buridanus  an  vielen  Stellen  den  bekannten 
augustinischen  Gedanken,  daß  im  Tausche  die  Güter  nicht  nach 
ihrer  natürlichen  Rangordnung  betrachtet  werden,  sondern  danach, 
daß  sie  zu  unserem  Gebrauche,  also  zur  Befriedigung  unserer  Be- 
dürfnisse dienen2). 

Nun  ist  aber  über  das  Wesen  des  Bedürfens  noch  einiges 
zu  sagen.  Das  »Bedürfnis«  ist  nicht  etwa  als  objektive  Notwendig- 
keit eines  Gutes  für  das  menschliche  Leben  zu  nehmen.  Dem 
widerspricht,  betont  Buridanus,  die  tägliche  Erfahrung,  die  zeigt, 
daß  reine  Luxusgegenstände  häufig  sehr  teuer  sind;  sondern  das 
Bedürfen  —  darauf  geht  die  buridanische  Argumentation  hinaus  — 
ist  ein  psychologisches  Moment,  das  mit  jener  objektiven  Not- 
wendigkeit eines  Gutes  nicht  zusammenfällt:  Auch  der  Reiche, 
der  alles  zum  Leben  Notwendige  besitzt,  bedarf  noch  der  Luxusgegen- 
stände, und  er  empfindet  dieses  Bedürfnis  vielleicht  ebenso  stark 
wie  ein  Armer  das  Bedürfnis  nach  dem  notwendigen  Lebensunter- 
halt. In  beiden  Fällen  ist  das  Bedürfen  nach  Buridanus  ein  wert- 
bestimmender Faktor.  So  erklärt  er:  »non  solum  indigentia  ne- 
cessarii  mensurat  apud  egenos  commutabilia,  sed  etiam  indigentia 
excessus  apud  divites«3). 

Daran  anschließend  untersucht  Buridanus  die  Art  und  Weise 
näher,  wie  die  Güter  durch  das  menschlische  Bedürfnis  gemessen 
werden.  Zugrunde  liegt  seinen  Ausführungen  der  aristotelische 
Gedanke,  daß  ein  Ding  ein  anderes  seiner  Größe  nach  nur  be- 
stimmen kann,  wenn  es  von  derselben  Art  ist,  wie  das  zu  messende. 
Buridanus  unterscheidet  nun  zwei  Arten  des  Messens:  Einmal 
messen  wir  ein  Gut  in  der  Weise,  daß  wir  von  einer  unteilbaren 
Maßeinheit  ausgehend,  dieselbe  so  oft  vervielfältigen,  bis  wir  die 
Größe  des  zu  messenden  erreicht  haben.  Letzteres  ist  derselben 
Art  wie  die  angenommene  Einheit  und  stellt  nur  ein  Vielfältiges 
derselben  dar.  So  wird  das  Gewicht  eines  Gegenstandes  als  ein 
Vielfaches  der  Gewichtseinheit  ausgedrückt.  Es  liegt  also  eine 
rein  quantitative  Gleichsetzung  vor. 

Hiervon  zu  scheiden  ist  eine  andere  Art  des  Messens,  wo 
der  zu  bestimmende  Gegenstand  von  dem  Maße  verschieden  ist: 
Wenn  z.  B.  eine  Bewegung  durch  die  Zeit  gemessen  wird,  so  ist 
die  erste  Art  des  Messens  nicht  anwendbar,  sondern  es  kann  nur 

1)  l.  c. 

2)  1.  c. 

3j    1.   c.      Vgl.   ferner  ib.   V.,   23   (S.    III). 


in  folgender  Weise  vorgegangen  werden:  Eine  bestimmte  Be- 
wegung vollzieht  sich  in  einer  bestimmten  Zeit;  eine  zweite  in 
der  doppelten  Zeit.  Dann  ist  die  zweite  Bewegung  doppelt  so 
groß  wie  die  erste.  Es  wird  also  nur  das  Größenverhältnis  zweier 
Dinge  ermittelt;  es  wird  gemessen  »secundum  similitudinem  pro- 
portionis«.  In  dieser  Weise  bestimmt  das  menschliche  Bedürfnis  den 
Güterwert.  Ist  das  Bedürfnis  ein  bestimmtes,  so  ist  der  Güterwert 
ein  bestimmter;  verändert  sich  ersteres,  so  verändert  sich  propor- 
tional letzterer;  einem  Steigen  des  einen  entspricht  ein  Steigen 
des  andern  und  einem  Fallen  des  ersteren  ein  Fallen  des  letzteren. 
Es  braucht  also  bei  dieser  Art  des  Messens  keine  Gleichheit  der 
Art  nach  zwischen  Maß  und  gemessenem  Gegenstande  vorzuliegen, 
weil  nicht  nach  quantitativer  Gleichsetzung  gemessen  wird,  so  daß 
kein  Verstoß  gegen  die  obengenannte  Forderung  des  Aristoteles 
vorliegt,  weil  eine  ganz  andere  Art  des  Messens  angewendet  wird1). 

Buridanus  betont  die  Verschiedenheit  des  Wertes  der  Güter 
je  nachdem,  ob  sie  in  größerer  oder  geringerer  Menge  vorhanden 
sind.  Daraus  ergeben  sich  zunächst  Verschiedenheiten  des  Wertes 
nach  Ort  und  Zeit,  was  nicht  näher  besprochen  zu  werden  braucht, 
und  sodann  Verschiedenheiten  nach  den  einzelnen  Personen,  indem 
z.  B.  ein  Reicher  das  Getreide  weniger  hoch  schätzt  als  ein  Armer, 
der  dessen  dringend  bedarf2). 

Dies  gibt  Buridanus  nun  Veranlassung  zu  einer  Unterscheidung, 
die  uns  schon  bei  Paludanus  begegnet  war:  Er  scheidet  zwischen 
dem  Werte  der  Güter,  der  durch  die  »indigentia  communis«  und 
dem  Werte,  der  durch  die  »indigentiae  particulares«  gebildet  wird. 
Ersterem  liegt  die  Tatsache  zugrunde,  daß  in  einer  Gemeinschaft 
zu  gewisser  Zeit  einer  bestimmten  Art  von  Gütern  ein  bestimmter 
Preis,  ein  Marktpreis  zukommt:  »rei  venalis«,  erklärt  Buridanus, 
»mensura  est  communis  indigentia  humana.  Ob  hoc  enim  videmus 
aliquo  tempore  quartam  vini  esse  maioris  pretii  quam  alio  tempore 
duae  quartae«3).  Es  wird  hier  festgestellt,  daß  es  einen  allgemeinen 
Marktpreis  gibt,  der  sich  aus  den  Schätzungen  der  Gemeinschaft 
ergibt. 

Dem  für  alle  gleichen  Preis  der  Güter  stehen,  wie  gesagt, 
die   indigentiae   particulares   gegenüber,    die   ersteren  bilden,    frei- 

x)  Eth.  V,  16.  Inwiefern  das  Maß  im  ersten  Sinne  unteilbar  sein  muß,  erklärt 
Buridanus  in  Meth  X,  q.  i.:  »si  in  panno  sint  decem  ulnae  precise,  ita  quod  non 
plures  quam  decem,  tunc  quaelibet  earum  est  ulna  et  non  est  quantitative  divisibilis  in 
plura,  quorum  quodlibet  sit  ulna.« 

2)  Vgl.  im  Folgenden. 

3)  Eth.  IX,   i    (S.   191). 


—      i83     — 

lieh  selbst  voneinander  verschieden  sind.  Buridanus  erklärt:  »ad 
hanc  communem  mensuram  addunt  vel  diminuunt  indigentiae  par- 
ticulares  commutantium.«  Und  er  erklärt  dies  durch  folgendes 
Beispiel:  »Abundans  enim  in  frumento  non  daret  tantum  pro  modio 
frumenti  quantum  daret  indigens  frumento  et  abundans  in  peeunia. 
Ergo  res  eadem  et  eodem  tempore  apud  abundantem  est  minoris 
pretii  et  apud  indigentem  est  maioris« l).  Die  Schätzungen  der 
einzelnen  weichen  also  von  der  im  Marktpreis  zum  Ausdruck 
kommenden  allgemein  gleichen  »Bewertung«  der  Güter  ab. 

Mit  den  ersteren  steht  das  Gewinnprinzip  im  Tausche  im 
engsten  Zusammenhang.  Buridanus  erklärt:  »oportet  utrumque 
lucrare  saltem  seeundum  opiniones  ipsorum«  und  er  erläutert  dies 
weiter  dahin,  daß  derjenige,  der  sein  Pferd  verkauft,  von  dem  er- 
haltenen Gelde  Gewinn  erwartet;  der  Käufer  hofft  seinerseits  von 
dem  Pferde  größeren  Nutzen  zu  gewinnen,  als  das  Geld  ihm  hätte 
gewähren  können.  Ahnlich  betont  er,  daß  diejenigen,  die  ihre 
Arbeitskraft  vermieten,  den  Lohn  höher  schätzen  als  ihre  Arbeit2). 

Nun  ergibt  sich  das  schwierige  Problem:  Wie  ist  bei  in- 
dividuell verschiedenen  Schätzungen  ein  Marktpreis  möglich?  Zu- 
sammenhängende Äußerungen  liegen  hierüber  kaum  vor;  wir 
müssen  daher  versuchen,  aus  den  einzelnen  zerstreuten,  schwer 
zu  vereinigenden  Sätzen  ein  abschließendes  Bild  zu  gewinnen. 

An  der  Stelle,  die  hier  zunächst  zu  erwähnen  ist,  nimmt 
Buridanus  den  Fall  an,  daß  ein  Faß  Wein  und  ein  Scheffel  Ge- 
treide dem  Geldpreis  nach  gleich  teuer  sein.  Wenn  nun  diese 
beiden  ausgetauscht  werden  von  zwei  Personen,  von  denen  die 
eine  an  Getreide  Mangel  hat,  dagegen  an  Wein  Überfluß  und  bei 
der  andern  das  Umgekehrte  der  Fall  ist,  dann  würde  der  Fall 
eintreten,  daß  »quamvis  simpliciter  isti  ambo  aequalis  pretii 
tribuant  et  retribuant,  tarnen  utrique  seeundum  suam  aestimationem 
plus  tribuitur,  quia  pluris  aestimamus,  quo  plus  indigemus« 3).  Es 
handelt  sich  um  die  Feststellung  der  Tatsache,  die  Ricardus  zur 
Konstruktion  des  gerechten  Preises  verwendet  hatte:  Die  Kon- 
trahenten tauschen  tatsächlich  nach  Gleichheit  des  Preises,  nach 
Wertgleichheit:  beide  geben  demselben  Gute  denselben  Preis;  für 


*)  Eth.  IX,  I.  cf.  ib.  (S.  190):  »si  pauperi  daretur  denarius  et  diviti  florenus, 
denarius  esset  pauperi  utilior,  quam  diviti  florenus:  eo  quod  pauper  ob  indigentiara 
multum  iuvatur  denario,  dives  autem  forte  nihil  iuvatur  floreno,  quia  non  indiget.« 

2)  Eth.  IX,  1  (S.  191):  »indigentes  enim  peeunia  maioris  pretii  aestimant  decem 
libras  quam  suum  laborem  vel   suam  oecupationem  annualcm.« 

3)  1.  c.  (S.    190  b). 


—     184     — 

beide  aber  ist  die  zugrundeliegende  Bewertung  der  Güter  ver- 
schieden. 

Eine  tiefere  Begründung  dieser  Erscheinung  wird  an  einer 
anderen  Stelle  zu  geben  versucht:  Buridanus  macht  folgenden 
Einwand:  Wenn  das  Bedürfnis  den  Wert  der  Güter  bestimmte, 
so  müßte  der  Reiche  sein  Brot  zu  billigerem  Preise  kaufen  als  der 
Arme,  weil  sein  Bedürfnis  nach  demselben  geringer  ist,  und  beim 
Armen  müßte  das  Umgekehrte  der  Fall  sein.  Buridanus  erwidert 
in  folgender  Weise  darauf:  »indigentia  istius  hominis  vel  illius  non 
mensurat  valorem  commutabilium,  sed  indigentia  communis  eorum, 
qui  inter  se  commutare  possunt.  Vel  dicendum,  quod  pauper  quoad 
ea,  quibus  abundat,  multo  pluri  pretio  emit  ea,  quibus  indiget, 
quam  dives:  plus  enim  apponeret  de  labore  corporali  pro  uno  sex- 
tario  frumenti,  quam  dives  pro  viginti:  sed  plus  pecuniae  non 
apponeret  eo,  quod  indiget  ea  sicut  frumento;  universaliter  enim 
indiget  exterioribus  bonis«1). 

Zunächst  kann  dem  ganzen  Zusammenhange  nach  keine  Rede 
davon  sein,  daß  Buridanus  etwa  beabsichtigte,  hier  einen  gerechten 
Preis  zu  konstruieren2).  Er  will  vielmehr  einfach  eine  kausale 
Erklärung  der  Tatsache  geben,  daß  Reiche  und  Arme  das  Brot 
zu  demselben  Preise  kaufen,  obwohl  ihr  Bedürfnis  danach  ver- 
schieden ist.  Hierfür  gibt  er  nun  verschiedene  Möglichkeiten  an, 
was  schon  allein  zeigt,  daß  die  Stelle  nicht  in  ethischem  Sinne 
gemeint  sein  kann.  Er  weist  zunächst  darauf  hin,  daß  nicht  die 
Schätzung  des  Reichen  allein  den  Preis  bestimmen  könne,  sondern 
die  »indigentia  communis  eorum,  qui  inter  se  commutare  possunt«. 
Der  Preis  ist  das  Ergebnis  einer  Mehrzahl  von  Schätzungen,  und 
zwar  aller  derer,  die  für  den  Tausch  in  Betracht  kommen.  Die 
Bewertung  eines  einzelnen  ist  darauf  nicht  von  bestimmendem 
Einfluß.  Mit  dem  Ausdruck  indigentia  communis  soll  also 
allein  die  Tatsache  konstatiert  werden,  daß  den  verschiedenen  in- 
dividuellen Schätzungen  ein  für  alle  gleicher  Preis,  ein  Marktpreis 
entspringt.  Diese  Erklärung  zeugt  von  feiner  Beobachtung  der 
wirtschaftlichen  Vorgänge,  und  auch  wir  können  sie  kaum  als 
absolut  falsch  hinstellen,  wenn  sie  natürlich  das  Problem  auch 
keineswegs  erschöpft.  Buridanus  versucht  dann  noch  eine  andere 
Erklärung:  Der  Arme  bedarf  des  Geldes  eben  so  sehr,  wie  des 
Getreides;   wenn  er  also  ebensoviel  zahlt  wie  der  Reiche,   so  gibt 

:)  Eth.  V,   16  (S.  106). 

2)  Wie  Kaulla  und  Altmann  in  ihren  angeführten  Schriften  annehmen.  Ähnlich 
Erants  a.  a.   O.,  S.   70. 


-     i85     — 

er  tatsächlich  mehr,  wenigstens  seiner  Schätzung  nach.  Er  würde, 
sagt  Buridanus,  mehr  Arbeit  für  ein  Sechstel  Getreide  aufwenden 
als  der  Reiche  für  20.  Die  höhere  Schätzung  des  Armen,  soll 
damit  gesagt  sein,  liegt  tatsächlich  vor,  auch  wenn  sie  im  Preise 
äußerlich  nicht  zum  Ausdruck  kommt;  die  Schätzung  des  Armen 
und  Reichen  dem  Preisgute  gegenüber,  ist  ebenso  verschieden, 
wie  die .  Bewertung  der  zu  tauschenden  Güter.  Der  Preis,  der 
äußerlich  als  gleich  erscheint,  ist  im  Grunde  doch  für  alle  ver- 
schieden. 

Soweit  die  tatsächlichen  Vorgänge  der  Preisbildung.  Wie 
denkt  sich  Buridanus  nun  die  ethische  Normierung  des 
Tausches? 

Die  Idee  der  Gerechtigkeit  erfordert  Wertgleichheit,  zwar 
nicht  in  eigentlichem  Sinne  Gleichheit  der  äußeren  Dinge,  sondern 
Gleichheit  »quoad  nos«,  weil  die  »humana  indigentia«  den  Wert 
bestimmt.  Und  weil  hierdurch  auch  die  Dinge  selbst  in  ihrem 
Wertverhältnis  festgelegt  sind,  kann  man  im  Gerechten  auch  ein 
»aequale  secundum  rem«  erblicken1)  und  die  Forderung  aufstellen: 
»res  commutandae  debent  esse  aequales,  si  iusta  debeat  fieri  com- 
mutatio«  2). 

Der  Tausch  muß  ferner  ein  Vorgang  sein,  der  aus  dem  freien 
Willen  der  Kontrahenten  hervorgeht.  Zu  einer  »commutatio  volun- 
taria«  aber  ist  erforderlich,  daß  beiden  Teilen  (»utrique  parti«)  der 
Tausch  überhaupt  sowie  die  nähere  Art  und  Weise  gefällt,  und  daß 
nicht  etwa  ein  Umstand  verheimlicht  sei  »qua  existente  manifesta 
non  placeret  aut  res  aut  modus«3).  Das  Wesen  des  Tausches  be- 
steht nach  Buridanus  in  einem  »pactum  secundum  communem 
consensum  et  expressum  de  habendo  certum  quid  et  certae  quanti- 
tatis  pro  certo  quo  et  certae  quantitatis«4). 

Mit  dem  freiwilligen  »communis  consensus«  ist  gegeben,  daß 
beide  Kontrahenten  demselben  Gute  denselben  Preis  beilegen 
müssen.  Ein  Tausch  ist  undenkbar,  wenn  sie  den  Preis  einer 
Ware  verschieden  hoch  ansetzen  wollten,  vorausgesetzt,  daß  beide 
frei  handeln  können.  Gleichheit  des  Preises  als  ethische  Forderung 
und  Freiheit  der  Vereinbarung  bilden  keine  Gegensätze,  sondern 
erstere  ist  Folge  der  letzteren;  es  ist  allem  genügt:  »quando  utra- 
que  pars  consentit«5). 

»)  Eth.  V,   13   (S.  103). 

2)  Eth.  V,   11    (S.  102);  cf.  Pol.   I,   15   (S.   79). 

3)  Eth.  V,   10   (S.  101). 

4)  Eth.  IX,   1    (S.  191). 

5)  Pol.  V,   21   (S.   304). 


—     i86     — 

Bei  dem  gleichen  Preise,  den  die  Kontrahenten  einem  Gute 
beilegen,  handelt  es  sich,  wie  früher  gezeigt,  im  allgemeinen  um 
den  Marktpreis.  Derselbe  ist  aber  nicht  etwa  Gegenstand  einer 
ethischen  Forderung:  Die  Idee  eines  allgemeingültigen  Normal- 
preises, dem  dann  eine  gewisse  »latitudo«  zukäme,  kennt  Buri- 
danus  nicht.  Seine  Preislehre  ist  vielmehr  beherrscht  von  dem 
Gedanken  des  »communis  consensus«.  Die  Grundbedingung  ist 
die:  »oportet  aestimationem  vendentis  et  ementis  convenire« x). 

Bei  Feststellung  des  Preises  gehen  Käufer  und  Verkäufer 
ausschließlich  von  ihren  individuell  durchaus  verschiedenen  Be- 
wertungen aus.  Und  diese  individuellen  Schätzungen  dürfen  sich 
frei  betätigen.  Dies  ist  auch  der  innere  Grund,  weshalb  ein  Ge- 
winn im  Tausche  der  Gerechtigkeit  nicht  widerstreitet:  »Sciendum 
est,  cum  non  contingat,  iniustum  pati  voluntarie  .  .  .,  quod  in  volun- 
tariis  commutationibus  .  .  .  nullum  accidit  lucrum  aut  damnum  contra 

iustitiam immo   sie   in   commutationibus  est   vera  mercatura, 

seeundum  quam  communiter  utraque  pars  aeeipit,  quod  magis  est 
utile  sibi«  2;. 

Und  weiterhin  wird  ausdrücklich  der  Tausch  als  gerecht  be- 
zeichnet, der  auf  Grund  persönlicher  Schätzung  frei  abgeschlossen 
wird:  Jeder  veräußert  seine  Sache  gegen  die,  die  ihm  gefällt: 
»Si  igitur  rem  suam  sie  alienat,  ipse  seeundum  suam 
aestimationem  non  damnificatur,  sed  lucratur;  igitur  non 
iniustum  patitur,  quoniam  commutabilia  sunt  apprecia- 
bilia  seeundum  aestimationes  commutantium  iuxta  eorum 
indigentias,  non  solum  iuxta  indigentias  necessariorum, 
sed  etiam  iuxta  indigentias  superfluorum  appetituum«3). 
Dem  gerechten  Preise  wird  also  nicht  etwa  ein  durchschnittliches 
normales  Bedürfnis  zugrunde  gelegt,  sondern  bei  freier  Be- 
tätigung der  persönlich-individuellen  Schätzungen  kann 
keine   Ungerechtigkeit  vorliegen4). 

Freilich  ist  die  in  der  Idee  des  »communis  consensus«  liegende 
Anerkennung  des  Prinzips  der  Vertragsfreiheit  nicht  im  liberal- 
individualistischen Sinne  zu  nehmen.  Buridanus  betont  vielmehr 
scharf  die  Einfügung  der  Preisbildung  in  das  soziale  Ganze:  die 
Preisbildung  dürfe  nicht  dem  individuellen  Interesse  einzelner 
dienen,  sie  müsse  sich  vollziehen  »seeundum  utilitatem  et  necessi- 


*)  Eth.  ix,  i  (S.  190). 

2)  Eth.  V,   10   (S.  101). 

3)  Eth.  V,  23  (S.   in),  cf.  ib.  V,   14  (S.   104b). 

4)  Vgl.  Pol.  I,   16  (S.  83),   wer  tauscht,  muß  »prudens  et  cautus«   sein. 


—      i87      - 

tatem  totius  communitatis«,  nicht  etwa  »penes  necessitatem  ementis 
vel  vendentis«.  Das  Wohl  der  Gesamtheit  muß  also  die  Richt- 
schnur für  die  Preisbildung  sein:  »Ex  illo  dicunt  aliqui,  quod 
magnum  est  in  politia,  quando  indigens  aliqua  re  emit  illam  pluri 
pretio,  quam  valet  vel  institutum  sit«1).  Mit  der  Betonung  der 
sozialen  Funktion  des  Wertes  hängt  es  zusammen,  wenn  Buri- 
danus  darauf  hinweist,  daß  es  nicht  denkbar  sei,  daß  z.  B.  ein 
Haus  gegen  ein  Kleid  getauscht  werde,  weil  der  Baumeister  viel- 
leicht ein  Jahr  zum  Bau  des  Hauses  brauche  und,  wenn  er  dafür 
nur  ein  Kleid  erhielte,  während  dieser  Zeit  der  Nahrung  entbehren 
müsse2).  Die  Preisbildung  hat  also  noch  die  Aufgabe,  der  Arbeit 
ihren  Unterhalt  zu  sichern.  Thomas  hatte  diesen  Gedanken,  der 
sich  bei  Buridanus  nur  gelegentlich  findet,  zur  Grundlage  seiner 
Wertlehre  gemacht.  iVhnliche  Gedanken  wirken  nach,  wenn  Buri- 
danus den  Gewinn  des  Wechslers,  der  bei  seinem  Handeln  das 
allgemeine  Wohl  zu  fördern  beabsichtigt,  für  erlaubt  erklärt,  weil  er 
»omnibus  compensatis,  scilicet  labore  et  expensis  non  recipit  plus 
quam  dat«3).  Oder  wenn  er  der  überlieferten  Behandlung  des 
Handels  folgend,  nur  dann  einen  teueren  Verkauf  als  Einkauf  für 
berechtigt  erklärt,  wenn  inzwischen  eine  »Werterhöhung«  stattge- 
funden hat:   »inspiciendo  laborem  meliorantem  illam  rem«4). 

Buridanus  führt  in  gewissem  Sinne  das  Problem  weiter,  das 
Ricardus  gestellt  hatte:  Die  Kontrahenten,  forderte  letzterer,  müssen 
nach  G.leichheit  des  allgemeingültigen  Marktpreises  tauschen; 
nebenher  laufen  ihre  individuell  verschiedenen  Wertschätzungen. 
Buridanus  zeigt,  wie  sich  aus  den  einzelnen  Bewertungen  ein 
Tausch  nach  Gleichheit  des  Preises  ergibt  und  wie  dieser  Preis 
für  alle  tatsächlich  mehr  oder  minder  derselbe  ist.  Wenn  auch 
nicht  formell,  so  führt  er  doch  materiell  die  bereits  bei  Ricardus 
im  Keim  vorhandene  Scheidung  zwischen  Wert  und  Preis  kon- 
sequenter durch.  Aus  dieser  Weiterführung  ergeben  sich  aber  auch 
zugleich  charakteristische  Unterschiede. 

Die  Schätzungen  sind  individuell  verschieden,  ein  normales, 
•durchschnittliches  Bedürfnis,  das  Ricardus  noch  in  unklarer  und 
widerspruchsvoller  Weise  angenommen  hatte,  existiert  nicht.  Die 
individuellen  Schätzungen  dürfen  sich  frei  betätigen  und  der  durch 
sie   zustandegekommene  Tausch   ist  gerecht.     Daneben  stehen  die 


1)  Pol.  I,   15   (S.   79);  ib  I,   11   (S.  55). 

2)  Eth.  V,   15   (S.   105). 

3)  Pol.  I,   15    (S.  81). 
«)  Pol.  I,   15   (S.   82). 


—      i88     — 

ethischen  Bedingungen  für  die  Preisgerechtigkeit.  Freilich  wird 
das  Problem  von  Wert  und  Preis  nicht  zusammenhängend  erörtert 
und  wenn  auch  im  vorstehenden  ein  Ausgleich  versucht  ist,  so 
soll  damit  nicht  gesagt  sein,  daß  er  bei  Buridanus  völlig  vollzogen 
sei  oder  auch  nur  sich  ganz  klar  und  ungezwungen  vollziehen 
lasse;  neben  Äußerungen,  in  denen  klar  die  Idee  des  communis 
consensus  betont  wird,  stehen  andere,  die  noch  mehr  im  Sinne 
der  Hochscholastik  gehalten  sind.  Gleichwohl  glauben  wir,  die 
Idee  des  communis  consensus  als  die  herrschende  Grundidee  hin- 
stellen zu  dürfen  und  gezeigt  zu  haben,  daß  die  übrigen  Gedanken, 
wie  z.  B.  der  der  »Wertgleichheit«  sich  hiermit  wenigstens  in 
etwa  vereinigen  lassen. 

IV.  Bezüglich  der  übrigen  wirtschaftlichen  Anschauungen 
des  Buridanus  können  wir  uns  sehr  kurz  fassen. 

Bemerkenswert  ist  zunächst  die  Anwendung  der  Wertlehre 
auf  die  Theorie  des  Geldes1).  Der  Wert  des  Geldes,  betont 
Buridanus,  wird  durch  das  menschliche  Bedürfnis  bestimmt,  durch 
die  Schätzung,  die  dem  in  der  Münze  enthaltenen  Metall  ent- 
gegengebracht wird:  »oportet  . . . ,  quod  valor  peeuniae  indigentia 
humana  mensuretur.  Licet  enim  forte  non  indigeamus  ad  nostras 
necessitates  auro  vel  argento:  tarnen  divites  indigent  eis  ad  ex- 
cessus  suos«.  Und  interessanterweise  wird  dieser  Satz  begründet 
durch  den  Hinweis  auf  die  empirische  Tatsache,  daß  der  Preis 
des  Barrenmetalles  dem  Geldwerte  annähernd  gleich  sei:  »propter 
quod  videmus,  quod  aurum  et  argentum  in  massa  tanti  valoris 
sunt  vel  quasi  tanti,  sicut  in  moneta«. 

Die  Erkenntnis  dieses  Satzes  setzt  nun  Buridanus  in  den 
Stand,  die  traditionelle  Geldtheorie  zu  vertiefen  und  aus  ihr  eine 
Unklarheit  zu  beseitigen.  Als  für  den  Geldwert  entscheidend 
hatten  Thomas,  Heinrich  v.  Gent  usw.  im  Anschluß  an  Aristoteles 
neben  der  »materia  utilis«  auch  die  staatliche  Gesetzgebung  be- 
zeichnet und  hierfür  den  Begriff  des  valor  impositus  geprägt2). 
Demgegenüber  betont  Buridanus,  daß  letzterer  für  die  Grundlage 
eines  Münzsystems  nicht  in  Betracht  komme:  »quoniam  si  nulla 
esset  modo  peeunia  et  rex  aliquam  de  novo  fabricaret . . .  eius  non 
esset  imponere,  quantum  valeret  denarius  vel  obolus«.  Doch  bei 
Vorhandensein  einer  andern  Münze  ist  eine  vom  Metallgehalt 
abweichende  gesetzliche  Wertfixierung  denkbar:   »verum  est  tarnen, 


x)  Vgl.  z.  Folg.:  Eth.  V,    17   (S.   106  f.);    Pol.    I,    11  (S.  50  ff.).     Vgl.  die  ange- 
führten Schriften  von   Kaulla  und  Altmann,   ferner  Brants  a.   a.   O.,   S.    180  f. 
2)  Vgl.  S.  133  f;  S.  172;  S.  177. 


—     i8g     — 

quod  iam  aliqua  currente  moneta,  si  rex  aliam  fabricarct,  posset 
ei  in  ordine  ad  praecedentem  pretium  instituere:  v.  gr.  dicere, 
quod  novus  denarius  pro  tribus  ponatur  et  capiatur«.  Ein  Aus- 
einanderfallen des  Metallgehaltes  und  des  Nominalwertes  ist  nur 
entschuldigt,  wenn  es  im  allgemeinen  Interesse  liegt,  z.  B.  in 
Kriegszeiten. 

Aus  dem  Gesagten  ergeben  sich  die  Erfordernisse  des 
Geldes.  Die  Materie  desselben  muß  von  hohem  spezifischen 
Werte,  dauerhaft  und  in  kleine  Stücke  teilbar  sein;  letzteres,  da- 
mit die  Armen  ihre  meist  geringwertigen  Sachen  kaufen  können. 
Ein  behördlicher  Stempel  muß  Garantie  für  ein  bestimmtes  Gewicht 
und  Schutz  gegen  Verfälschungen  bieten.  Dies  sind  zugleich  die 
Grundbedingungen  für  die  Erfüllung  der  Funktionen  des  Geldes, 
Wertübertrager  durch  Raum  und  Zeit  zu  sein.  Die  eigentliche 
Aufgabe  des  Geldes,  die  die  übrigen  Funktionen  in  anti- 
kapitalistischem Sinne  begrenzt,  ist,  daß  »homo  per  monetam 
possit  habere,  illa,  quae  sunt  necessaria  vitae«.  Daher  ist  es  ein 
Mißbrauch:  »ordinäre  monetas  ad  alium  finem,  quam  ad  commu- 
tationem  bonorum  naturalium«. 

Die  Entstehung  des  Geldes  wird  im  Anschluß  an  Aristoteles 
geschildert;  Buridanus  läßt  freilich  einige  selbständige  Beob- 
achtungen einfließen,  so  wenn  er  z.  B.  sagt,  das  Geld  sei  nötig 
zur  Entlöhnung  der  x\rbeiter,  weil  die  Reichen  ihnen  nicht  alle 
nötigen  Naturalien  liefern  könnten.  Des  weiteren  betont  er,  daß 
der  Besitz  von  Geld  eine  Gemeinschaft  nicht  wahrhaft  reich 
mache,  der  wahre  Reichtum  bestehe  nur  in  Gebrauchsgütern1). 

Die  weiteren  Anschauungen  Buridans  über  das  Geldwesen, 
Geldveränderungen  usw.  können  wir  hier  übergehen.  Über  das 
Geldwechselgeschäft  ist  bereits  gehandelt  worden. 

Die  Wucherlehre  weicht  in  mancher  Hinsicht  von  der  des 
Aegidius  Lessinus  ab.  Letzterer  hatte  den  einfachen  Tausch  vom 
Darlehen,  auf  das  er  den  Begriff  des  Wuchers  fast  völlig  be- 
schränkt hatte,  dadurch  abgegrenzt,  daß  er  für  jenen  das  Gewinn- 
prinzip gelten  ließ,  es  aber  für  letzteres  ablehnte,  was  dann  die 
charakteristische  Gestaltung  seiner  Wertlehre  bedingte.  Buridanus 
bestimmt  den  Begriff  des  Wuchers  viel  weiter2):  »Usura«,  erklärt 
er,  »est  ex  pacto  secreto  vel  manifesto  recipientem  obligare  ultra 
sortem  i.  e.  pretium«.  Der  Wucher  kommt  nur  in  Dingen  vor, 
bei  denen  Eigentum  und  Nutzung  nicht  getrennt  übertragen  werden, 

l)  Pol.  III,  21   (S.   163  ff.)  und  sonst. 
*)  Pol.  I,   12  (S.   59). 


—      190     — 

sondern  gleichzeitig.  Letzteres  ist  in  den  verschiedensten  Verträgen 
der  Fall,  wie  Kauf  und  Verkauf,  Darlehen  usw.  Demgemäß  kann 
der  Wucher,  d.  h.  die  Annahme  eines  Entgelts  für  die  Nutzung 
eines  Dinges,  die  nicht  mehr  im  Eigentum  des  Gebers  ist,  in  allen 
Vertragsarten  in  gleicher  Weise  vorkommen1).  Die  Abgrenzung 
gegen  das  Prinzip  der  Vertragsfreiheit  im  Tauschvertrage  geschieht 
durch  den  Hinweis  darauf,  daß  die  Kontrahenten  zwar  freie  Ver- 
einbarung treffen  dürfen,  aber  nicht  über  Dinge,  die  nicht  ihnen 
gehören:  »hoc  addito,  quod  neuter  in  pretium  ponat  illud,  cuius 
ipse  non  est  dominus«2). 

Vor  allen  Dingen  kommt  der  Wucher  im  Darlehen  vor,  wo 
Leistung  und  Gegenleistung  nach  quantitativer  Gleichheit  stattzu- 
finden haben3).  In  der  Begründung  der  Unerlaubtheit  des  Zins- 
nehmens bringt  Buridanus  kaum  etwas  Neues:  er  betont,  daß  es 
der  Unterstützungspflicht  den  Armen  gegenüber,  sowie  dem  Geiste 
der  Freigebigkeit  widerstreitet,  und  sodann,  daß  es  ungerecht  sei, 
wofür  vor  allem  der  Gedanke  des  Zeitverkaufes  vorgebracht  wird, 
sowie  die  thomistische  Beweisführung,  daß  im  Gelde  Eigentum 
und  Nutzung  nicht  getrennt  werden  können,  daß  daher  der  Zins 
ein  doppelter  Verkauf  derselben  Sache  sei. 

Besonders  ausführlich  behandelt  Buridanus  die  Frage,  ob  der 
Wucher  von  Seiten  des  Staates  zuzulassen  sei4):  Er  hebt  die  ver- 
heerenden sozialen  Wirkungen  des  Wuchers  hervor,  indem  der- 
selbe zu  einer  Verarmung  des  Schuldners  und  zur  Ungleichheit 
des  Besitzes  unter  den  Bürgern  führe,  betont  aber,  daß  unter  Um- 
ständen ein  vollständiges  Verbot  noch  schlimmere  Folgen  haben 
könnte,  indem  z.  B.  die  Armen  zum  Stehlen  veranlaßt  würden 
usw.  Sei  letzteres  zu  befürchten,  so  sei  der  Wucher  zu  ge- 
statten. Im  übrigen  bietet  die  Wucherlehre  gegenüber  der  früheren 
Zeit  nichts  Neues.  Erwähnt  sei  nur  noch,  daß  Buridan  es  ablehnt, 
den  Zinstitel  des  entgehenden  Gewinnes  ganz  allgemein  für  alle 
Kaufleute  und  Wechsler  anzuerkennen,  die:  »indigerent  continue 
lucrari  de  sua  pecunia  ad  vitae  necessitatem  et  Status  honestatem 
servandam«6).  Dasselbe  gilt  von  seiner  Stellung  zum  Kauf  oder 
Verkauf  auf  Kredit,  zum  Gesellschaftsvertrage  usw.  Der  Renten- 
kauf wird  gelegentlich  erwähnt,  aber  nicht  näher  behandelt6). 

1)  1.  c.  vgl.  ferner  Pol.  I,  13,  i.  f.  (S.  71  ff.),  wo  einzelne  Beispiele  aufgeführt  werden. 

2)  Eth.  V,   10  (S.    101). 

3)  Vgl.  z.  Folg.  Eth.  IV,  6  (S.  75  ff.);  Pol.  I,   12  f.  (S.   57  ff.). 
«)  Pol.  I,    13   (S.  65  ff.). 

5)  Eth.  IV,  6  (S.   75  f.). 

6)  Pol.  I,   13  i.  f.  (S.  72). 


—      igi      — 

V.  Rückblick.  Die  wirtschaftlichen  Anschauungen  Buridans 
sind  der  Niederschlag  der  außerordentlichen  Steigerung  des  wirt- 
schaftlichen Verkehrs  im  14.  Jahrhundert.  Hierauf  dürfte  zum 
großen  Teil  der  Fortschritt,  den  wir  bei  Buridanus  gegenüber  der 
früheren  Zeit  finden,  zurückzuführen  sein.  Freilich  muß  daneben 
noch  eins  betont  werden:  Buridanus  war  mehr  Philosoph  als 
Theologe :  Die  rein  sittliche  Würdigung  des  Wirtschaftslebens,  die 
in  der  früheren  Zeit,  so  verständlich  sie  bei  Theologen  und  Mora- 
listen sein  mag,  doch  oft  den  Fortschritt  des  ökonomischen  Denkens 
gehemmt  hatte,  man  denke  z.  B.  an  die  Geldlehre  Heinrichs  von 
Gent,  tritt  bei  ihm  mehr  zurück.  Ihn  interessiert  in  steigendem 
Maße  die  empirische  Beobachtung  der  wirtschaftlichen  Vorgänge 
selbst,  was  bei  den  letzteren  nicht  der  Fall  war. 

Dies  tritt  vor  allem  in  seiner  Wertlehre  zutage;  die  Prinzipien 
derselben  sind  keineswegs  von  Buridanus  geschaffen  worden.  Wir 
haben  im  vorigen  ihre  allmähliche  Entwicklung  verfolgt.  Aber 
das  Neue  liegt  darin,  daß  er  die  alten  Anschauungen  tiefer  zu  be- 
gründen sucht,  sich  den  Vorgängen  der  Preisbildung  selbst  zu- 
wendet und  letztere  weit  mehr  als  es  bisher  geschehen  war,  kausal 
zu  erklären  versucht. 

In  der  Betonung  des  Gewinnprinzips  und  der  Freiheit  der 
Preisbildung  steht  er,  wenn  auch  weniger  klar,  auf  demselben 
Boden  wie  Aegidius  Lessinus.  Der  Bruch  der  Scholastik  mit  der 
früheren  Lehre  vom  gerechten  Preise  hängt  sicher  teilweise  zu- 
sammen mit  dem  tieferen  Studium  des  römischen  Rechts.  Teilweise 
aber  auch  kommt  die  Scholastik  dieser  Periode  den  Forderungen 
des  aufsteigenden  Wirtschaftslebens,  das  eben  größerer  Freiheit  zur 
Entfaltung  bedurfte,  entgegen.  Andererseits  ermöglichte  erst  ein 
gewisser  Grad  der  wirtschaftlichen  Entwicklung  ein  volleres  Ver- 
ständnis des  römischen  Rechts,  das  eben  selbst  auf  dem  Boden 
hochentwickelter  wirtschaftlicher  Verhältnisse  erwachsen  war.  Es 
sind  so  wohl  geistige  und  wirtschaftliche  Faktoren  von  gleichem 
Einfluß  gewesen. 

Im  nächsten  Abschnitt  werden  wir  die  rückläufige  Bewegung 
der  Lehre  vom  gerechten  Preis  zu  betrachten  haben. 

§  4.    I.  Nicolaus  Oresmius  (gest.  1382). 
Nicolaus  Oresmius  ist  bekannt  durch  seine  Abhandlung  über 
das  Geldwesen1).     Die  Ausbeute   für   die  Werttheorie   ist   äußerst 


1)  Über   seine  Geldlehre   vergleiche   vor  allem    Röscher:    ein   großer  National- 
ökonom des   14.  Jahrh.  Z.  f.  g.  St.  Bd.  XIX  (1863),    S.  305  ff.     Vgl.  ferner  Brants 


—      192     — 

gering,  sodaß  wir  uns  mit  einem  kurzen  Hinweis  auf  ihn  be- 
gnügen können.  Als  Bestimmungsgründe  des  Preises  der  Edel- 
metalle bezeichnet  er  die  Seltenheit  und  Anstrengung  der  Be- 
schaffung. Im  Hinblick  auf  beide  Faktoren  ist  das  Gold  seiner 
Natur  nach  teuerer  als  das  Silber:  »Nam  secundum  hoc,  quod 
aurum  est  de  natura  sua  pretiosius  et  rarius  argento  et  ad  inveni- 
endum  vel  habendum  difficilius,  ipsum  aurum  aequalis  ponderis 
debet  praevalere  in  certa  proportione ,  sicut  forsan  esset  viginti 
ad  unum«1).  Diesem  natürlichen  Wertverhältnis  der  Edelmetalle 
entsprechend  muß  das  Wertverhältnis  zwischen  Gold-  und  Silber- 
münze festgesetzt  werden. 

Seine  weiteren  Anschauungen  über  das  Geldwesen  kommen 
für  uns  nicht  in  Betracht.  Hervorgehoben  sei  nur  noch,  daß  er 
dem  Geldwechselgeschäft  sehr  wenig  wohlwollend  gegenüber- 
steht, es  sei  eine  vilis  negotiatio,  wegen  der  sittlichen  Gefahren, 
die  damit  verbunden  seien.  Zur  Begründung  seiner  Anschauung 
beruft  er  sich  auf  das  Wort  des  Aristoteles,  daß  Geld  nicht  Geld 
erzeugen  dürfe*2). 

II.  Baldus  de  Ubaldis,  Perusinus. 

Ebenso  kurz  können  wir  über  den  Kanonisten  Baldus  Peru- 
sinus (13 19 — 1400)  hinweggehen3). 

Er  betont,  daß  der  Wert  des  Geldes  nicht  mit  seiner  Substanz 
identisch  sei:  letztere  könne  unverändert  bleiben,  während  ersterer 


a.  a.  O.,    S.   190  ff.,   sowie  Altmann,    Studien,    S.   24  ff.     Die    weitere    Literatur    bei 
letzterem,  sowie  bei  Meitzel,  Art.  Oresmius.  H.  W.  d.  St.  VI,  S.  946  f. 

*)  c.  X.  (Ausg.  v.  Wolowski,  S.  105);  cf.  c.  II  (S.  95).  Von  einer  eigent- 
lichen Wertlehre  kann  also  bei  Oresmius  nicht  gesprochen  werden,  er  gibt  vielmehr 
nur  die  Faktoren  an,  die  den  Preis  der  Edelmetalle  bestimmen.  Kaulla,  Lehrer  d. 
Ores.  a.  a.  O.,  S.  458,  gibt  obigen  Satz  wieder:  »Oresmius  begnügt  sich  dabei  mit 
dem  Hinweis  auf  die  Tatsache  .  .  .,  daß  Gold  aus  dem  Grunde  mehr  gelte  als  Silber, 
weil  es  von  Natur  kostbarer  (!),  ferner  seltener  und  schwerer  zu  erlangen  sei  als 
dieses.  Er  vermeidet  es,  tiefer  zu  begründen,  worauf  der  hohe  Wert  des  Edelmetalls 
seinerseits  beruhe.«  Kaulla  legt  auf  das  »von  Natur  kostbarer«  besonderen  Nachdruck, 
wie  aus  dem  gesperrten  Druck  und  dem  Ausrufungszeichen  erhält.  Der  lateinische  Text 
berechtigt  m.  E.  zu  dieser  Auffassung  nicht.  Wenn  man  der  im  Texte  vertretenen 
Auffassung,  daß  der  höhere  Wert  des  Goldes  in  den  durch  natürliche  Verhältnisse  be- 
dingten Schwierigkeiten  der  Produktion  und  der  vorhandenen  Menge  desselben  verur- 
sacht sei,  nicht  beipflichten  will,  so  könnte  man  höchstens  so  interpretieren,  daß  das 
Gold  deshalb  teuerer  sei  als  Silber,  weil  es  »seiner  Natur  nach«  kostbarer,  d.  h.  ein 
edleres  Metall  als  Silber  sei. 

2)  c.  XVII  f.  (S.  117  ff.),  cf.  c.  XVI  (S.  116);  c.  XXI  (S.  124).  Röscher 
a.  a.  O.,  S.  313. 

3)  Schulte  II,  S.   275  ff.     Hurter  II,  S.   704  ff. 


—     i93     — 

steige  und  falle.  Maßgebend  sei  vielmehr,  daß  dem  Gelde  gegenüber 
ein  »interesse«  des  gesamten  Volkes  vorliege1).  Als  Erfordernisse 
des  Geldes  werden  bezeichnet:  »quantitas,  materia,  publica  forma«. 
Grundlegend  ist  das  Metall,  die  staatliche  Autorität  allein  kann 
kein  Geld  schaffen.  Das  Geldwesen  darf  fiskalischen  Interessen 
nicht  dienstbar  gemacht  werden2).  Während  für  die  Bewertung 
fremden  Geldes  im  Inland  allein  die  Qualität  des  Metalles  in  Be- 
tracht kommt,  kann  im  Hinblick  auf  die  Prägekosten  der  Wert 
des  einheimischen  Geldes  etwas  höher  angenommen  werden,  als 
allein  dem  Metallgehalt  entspricht:  durch  die  Prägung  wird  der 
Nutzen  des  Metalles  erhöht.  Die  staatliche  Autorität  verdient  daher 
ein  »praemium«3). 

Vom  Wucher  befürchtet  Baldus  eine  Beförderung  der  Hab- 
sucht und  eine  Auflösung  der  »vincula  societatis  humanae«4),  nicht 
ganz  mit  Unrecht,  denn  der  Zins  bedeutet  eine  Durchbrechung 
der  mittelalterlichen  Gesellschaftsordnung-. 


!)  Super  decretalibus :   De  iureiur.   c.   Quanto  n.   9   (S.   206  b). 

2)  1.   c.    n.   4. 

3)  1.  c.  n.    11. 

4)  1.  c.  De  vit.  et.  hon.  der.  c.  Cler.  n.   13  (S.   256  b). 


Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  1.  13 

Schreiber,   Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


Dritter  Abschnitt. 

Abwendung  vom  Prinzip  der  Vertragsfreiheit. 

Ä.  Forderung  staatlicher  Preisfixierung,  Rück- 
kaufbarkeit  der  Renten. 

Wir  haben  in  den  letzten  Jahrhunderten  des  Mittelalters  eine 
steigende  Entwicklung  des  Wirtschaftslebens  in  kapitalistischem 
Sinne,  die  sich  vor  allem  in  der  Ansammlung  größeren  Reichtums 
in  den  Händen  einzelner  äußert,  die  von  dem  Bestreben  erfüllt 
sind,  ihren  Besitz  gewinnbringend  zu  verwerten 1).  Dies  zieht  aber 
die  wichtigsten  Folgen  nach  sich:  Einmal  bedeutet  es  eine  Durch- 
brechung des  alten  Standesideals,  indem  an  die  Stelle  des  Be- 
darfdeckungsprinzips das  Streben  nach  Gewinn  tritt2).  Vor  allem 
im  Handel  geht  diese  Entwicklung  vor  sich.  Damit  wurden  aber 
die  alten  Formen  des  Kapitalverkehrs  ungenügend:  der  steigende 
Reichtum  verlangte  nach  neuen  Anlagemöglichkeiten.  Zu  einem 
guten  Teile  fand  das  Kapital  wohl  seine  Befriedigung  im  ver- 
zinslichen Darlehen,  also  in  einer  offenen  oder  verschleierten  Um- 
gehung des  Zinsverbotes;  zum  Teil  wurden  andere  Kreditgeschäfte 
dem  Verlangen  nach  gewinnbringender  Kapitalanlage  angepaßt, 
was  vor  allem  durch  Mobilisierung  des  Rentenkaufs  geschah. 
Die  alte  Form  der  unkündbaren,  ewigen  Rente  genügte  nicht 
mehr,  und  man  führte  deshalb  die  Einrichtung  der  rückkaufbaren 
Rente  ein.  Häufig  wurde  von  seiten  des  Staates  die  Bildung 
ewiger  Renten  überhaupt  verboten,  zunächst  wohl,  um  eine  Über- 
schuldung der  Grundstücke  zu  verhindern3).  Diese  Entwicklung 
bedeutete  nichts  anderes  als  eine  Auflösung  des  alten  Wirtschafts- 
lebens; der  mobilisierte  Rentenkauf  ist  eine  der  frühesten  Formen 
des  modernen  Kapitals. 


*)  Sombart:  Der  moderne  Kapitalismus   I  (S.  398  ff.).    Strieder:  Zur  Genesis 
des  mod.   Kapital.    (S.   29). 

2)  Sombart  a.  a.  O.  (S.   383). 

3)  Neumann  a.  a.  O.  (S.   233  ff.).      Vgl.  Inama-Sternegg  III,   2  (S.  468  ff.). 
Bruder,  Studien   (S.  30  ff.). 


—      195     — 

Parallel  hiermit  geht  eine  andere  Erscheinung:  Die  Ent- 
wicklung der  Preise  während  des  Mittelalters  läßt  sich  im  all- 
gemeinen dahin  charakterisieren,  daß  wir  bis  in  die  Mitte  des 
1 4.  Jahrhunderts  ein  ziemlich  bedeutendes  Steigen  derselben  festzu- 
stellen haben,  woran  sich  eine  Zeit  großer  Schwankungen  schließt. 
Der  nähere  Verlauf  und  die  näheren  Ursachen  dieser  Entwicklung 
sind  hier  nicht  zu  erörtern1). 

Schon  früher  waren  staatliche  Preisfixierungen  nicht  allzu 
selten  gewesen,  aber  gerade  seit  dem  1 4.  Jahrhundert  können  wir 
von  einer  immer  weiter  umsichgreifenden  behördlichen  Preistaxie- 
rung sprechen2),  die  wohl  zum  Teil  durch  die  berührten  Erschei- 
nungen in  der  Preisbildung  veranlaßt  ist,  zum  Teil  aber  auch  von 
dem  Wunsche  getragen  wird,  den  Gewinn  im  Tausch  und  Handel 
zu  begrenzen,  um  so  das  mittelalterliche  Ideal  des  standesgemäßen 
Auskommens  aller  durchzuführen.  Selbstverständlich  lassen  sich 
für  diese  Entwicklung  keine  genauen  Zahlenangaben  machen.  Sie 
erfolgte  hier  früher,  dort  später,  und  auch  für  ein  einzelnes  Land 
lassen  sich  keine  genau  begrenzten  Zahlen  angeben. 

Von  diesen  Vorgängen  im  Wirtschaftsleben  wird  die  scho- 
lastische Doktrin  in  weitgehendem  Maße  beeinflußt3).  Der  vorige 
Abschnitt  hat  gezeigt,  daß  die  Scholastik  den  Forderungen  des 
Wirtschaftslebens  nach  größerer  Freiheit  nicht  ablehnend  gegen- 
übergestanden hatte.  Die  wirtschaftliche  Entwicklung  aber,  die 
die  dort  genannten  Vertreter  vor  Augen  hatten,  dürfte  kaum  die 
Schranken  des  mittelalterlichen  Wirtschaftslebens  überschritten 
haben.  Selbst  Buridanus  lehnt  noch  jegliches  Gewinnstreben  über 
den  standesgemäßen  Unterhalt  hinaus  ab,  obwohl  auch  hierin  sich 
bei  ihm  nicht  die  Schärfe  der  früheren  Zeit  findet.  Jetzt,  wo  der 
Gang  des  Wirtschaftslebens  eine  etwas  andere  Richtung  einzu- 
schlagen scheint,  zeigt  sich  in  der  scholastischen  Literatur  eine 
gewisse  Reaktion.  Sie  lehnt  nicht  nur  die  vorige  Freiheit  der 
Preisbildung  ab,  sondern  tritt  auch  für  staatliche  Preisfixierung 
ein,  macht  also  in  gewissem  Sinne  die  Wandlungen  der  städtischen 
Wirtschaftspolitik  mit.  Zugleich  ist  die  Rückkaufbarkeit  der  Renten 
zu  behandeln. 

Diese  Periode,  in  der  in  die  scholastische  Wert-  und  Preis- 
lehre manche  neuen  Momente  eintreten,  hebt  mit  Heinrich  von 
Langenstein  an. 

1)  Inama-Sternegg  III,   2  (S.  463). 

2)  a.  a.   O.   S.   III,   1   (S.   303  ff.). 

3)  Vgl.  den  Hinweis  a.  a.  O.   (S.   310). 

13* 


—      196     — 

§  1.  Heinrich  von  Langenstein. 

I.  Heinrich  von  Langenstein  wurde  1325  geboren.  Nachdem 
er  in  Paris  studiert  und  daselbst  längere  Zeit  gelehrt  hatte,  wurde 
er  1383  an  die  damals  neu  gegründete  theologische  Fakultät  der 
Wiener  Universität  berufen.  Er  starb  1397.  In  die  Zeit  seines 
Wiener  Aufenthaltes1)  fällt  die  Abfassung  des  »Tractatus  bipartitus 
de  contractibus  emptionis  et  venditionis«,  der  für  die  Entwicklung 
der  Wert-  und  Preislehre  von  allergrößter  Bedeutung  ist2). 

Die  genannte  Abhandlung  ist  hervorgegangen  aus  den 
speziellen  Verhältnissen  des  Wiener  Wirtschaftslebens:  In  WTien 
verordnete  Herzog  Rudolf  IV.  1360  in  übereilter  und  schroffer 
Weise  die  obligatorische  Ablösung  der  Renten3).  Schon  dies  rief 
auf  Seiten  der  Kirchen  und  Klöster,  für  die  eine  ewige  Rente 
mehr  zu  passen  schien  als  die  unsichere,  stets  kündbare  Rente, 
große  Mißstimmung  hervor.  Dazu  kam  noch  ein  anderes.  Im 
Laufe  der  Jahre  war  der  Rentenzinsfuß  allmählich  gesunken,  und 
Rudolf  IV.  nahm  hierauf  Rücksicht,  indem  er  die  Renten  mit 
dem  achtfachen  ihres  Betrages  für  ablösbar  erklärte,  was  gegen- 
über dem  früheren  Rentenpreise  eine  wesentliche  Herabsetzung 
bedeutete.  Auch  dies  brachte  natürlich  mancherlei  Unzuträglich- 
keiten mit  sich4).  Auf  beide  Bestimmungen  nimmt  Heinrich  in 
seiner  Abhandlung  häufig  Bezug.  Besonders  ist  er  unzufrieden 
mit  der  Ausdehnung  derselben  auf  Kirchen  und  Klöster,  tadelt 
jedoch  auch  die  Rentengesetzgebung,  soweit  sie  sich  auf  Laien 
bezog.  Aber  die  in  seinem  Traktat  sich  zeigende  Unzufriedenheit 
mit  den  Verhältnissen  des  Wirtschaftslebens  kann  aus  diesen 
speziellen  Faktoren  wohl  kaum  ganz  erklärt  werden,  schon  des- 
halb nicht,  weil  die  Abhandlung  mindestens  20  Jahre  nach  Erlaß 
jener  Rentengesetzgebung  abgefaßt  wurde,  —  es  zeugt  immerhin 
für  den  tiefgreifenden  Einfluß  der  letzteren,  daß  nach  so  vielen 
Jahren  die  Verstimmung  noch  nachwirken  konnte.  Man  muß 
vielmehr  zum  Verständnis  der  Ansichten  Heinrichs  wohl  auf  die 
allgemeinen    wirtschaftlichen    Verhältnisse     hinweisen.       In     dem 


a)  Näherhin  in  die  Zeit   1383 — 1390.     Vgl.  Bruder,  Studien  (S.   70). 

2)  Aschbach:  Geschichte  der  Wiener  Universität  I  (S.  366  ff.);  besonders 
S.  397  ff. ;  über  seine  wirtschaftlichen  Anschauungen  vgl.  Röscher:  Gesch.  (S.  18  ff.). 
Ende  mann,  Studien  II  passim;  Kaulla,  Lehre  vom  gerechten  Preis  a.  a.  O. 
S.  598  f.).  Bruder,  Studien  passim,  wo  noch  eine  ungedruckte  »epistola  de  con- 
tractibus« benutzt  ist. 

3)  Über  die  Motive  der  Gesetzgebung  vgl.  Bruder  a.  a.  O.  (S.  38  ff.). 

4)  Inama-Sternegg  a.  a.  O.  III,   2  (S.  469  f.). 


—      IQ7     — 

Erlaß  jener  Rentengesetzgebung  haben  wir  ein  sicheres  Anzeichen 
dafür,  daß  die  Entwicklung  des  Kapitalismus  in  Wien  einen  ziem- 
lichen Umfang  angenommen  haben  mußte.  Und  eben  hiergegen 
wendet  sich  Heinrich  von  Langensein,  wie  im  Folgenden  zu  zeigen 
sein  wird. 

II.  Heinrich  wendet  sich  zunächst  in  schärfster  Form  gegen 
jegliches  Gewinnstreben  über  den  standesgemäßen  Unterhalt 
hinaus.  Gleich  im  Eingange  seiner  Abhandlung  zitiert  er  das 
Wort  der  Bibel,  daß  der  Mensch  im  Schweiße  seines  Angesichts 
sein  Brot  essen  solle,  und  tadelt  daher  diejenigen,  die  dieses  Ge- 
bot nicht  beachten1),  vielmehr  »laboribus  dimissis  solum  student 
contractibus  ditari«  2).  Häufig  kehren  die  Klagen  wieder  über  die 
Menschen,  deren  Gott  das  Geld  sei,  über  die  »supercrescens  nimia 
hominum  cupiditas«  sowie  darüber,  daß  »omnes  lucrari  volunt  de 
pecuniis  et  rebus  suis«3). 

Der  Einzelne  darf,  betont  er  demgegenüber,  nur  so  viel  er- 
werben, als  zu  einem  standesgemäßen  Leben  nötig  ist,  und  nur 
aus  drei  Gründen  dürfe  mehr  erstrebt  werden:  Zur  Verrichtung 
mildtätiger  Werke,  zur  Sicherung  gegen  zukünftige  Notfälle,  sowie 
um  den  Erben  durch  Hinterlassung  eines  Vermögens  ein  standes- 
gemäßes Auskommen  zu  ermöglichen.  Aber  alles  dieses  hält  sich, 
wie  man  sieht,  durchaus  im  Rahmen  des  Bedarfdeckungsprinzips, 
und  Heinrich  fügt  hinzu:  »Unde,  qui  quantum  ad  ista  satis  habet 
et  nihilominus  indesinenter  laborat  divitias  acquirere  vel  ut  altiorem 
statum  adquirat  vel  post  sine  laboribus  habeat  abundanter  aut  ut 
filii  eius  abundent  vel  magni  fiant,  omnis  talis  damnabili  agitatur  ava- 
ritia,  voluptate  vel  superbia«4).  Diese  Stelle  ist  äußerst  bezeichnend: 
jedes  Streben  über  den  eigenen  Stand  hinaus  wird  als  unsittlich 
verurteilt.  Es  handelt  sich  um  nichts  anderes,  als  um  eine  Ver- 
teidigung des  wirtschaftlichen  Ideals  des  Mittelalters  gegenüber 
der  eindringenden  kapitalistischen  Zersetzung, 

Heinrich  von  Langenstein  fordert  keineswegs  Gleichheit  des 
Besitzes;  er  erklärt  es  vielmehr  für  gut,  daß  in  der  menschlichen 
Gesellschaft  Reiche  und  Arme  weilen:  beide  könnten  sich  gegen- 
seitig unterstützen,  indem  der  Reiche  sich  durch  Almosen  ewigen 
Lohn  erwerbe  und  der  Arme  von  seiner  Not  befreit  werde,  was 
wieder    zu    einem    festeren    Zusammenschluß    der    Bürger    unter- 


*) 

I, 

c.   1 

2) 

I, 

47- 

3) 

I, 

48. 

4) 

I, 

12. 

—    198    — 

einander  führe1).  Aber  Hand  in  Hand  hiermit  gehen  die  steten 
Klagen  über  die  Abnahme  der  christlichen  Liebesgesinnung,  über  die 
Ausbeutung  der  Armen  durch  die  Reichen.  Mit  dieser  antikapita- 
listischen Tendenz  ist  der  Grundton  der  ganzen  Abhandlung  gegeben. 

III.  Von  dem  gekennzeichneten  Ideengange  aus  ist  es  nur 
konsequent,  wenn  die  Freiheit  der  Preisbildung  abgelehnt 
wird.  Denn  ohne  letztere  ist  ein  Gewinnstreben  undenkbar. 
Heinrich  betont  daher:  »relinquere  rerum  pretium  in  arbitrio  ven- 
dentium  est  relaxare  frenum  cupiditati,  quae  fere  omnes  venditores 
agitat  in  excessum  lucri«.  Daher  kämen  die  Benachteiligungen  der 
Armen  und  die  Bereicherung  einzelner  weniger  Kaufleute  auf 
Kosten  aller  derer,  die  Arbeit  verrichteten2).  Der  Tausch  soll 
demgegenüber  nach  Wertgleichheit  vor  sich  gehen,  und  zwar  solle 
der  Marktpreis  oder  der  sonst  übliche  Preis  zugrunde  gelegt  werden 
(valor  forensis  vel  usualis  seu  consuetudinalis).  Der  Marktpreis 
wird  gebildet  durch  das  menschliche  Bedürfnis  (quantitas  indi- 
gentiae  humanae).  In  der  Begründung  dieses  Satzes  schließt  sich 
Heinrich  von  Langenstein  nahezu  wörtlich  an  Buridanus  an,  frei- 
lich ohne  ihn  zu  zitieren3). 

Übrigens  kommen  beide  von  demselben  Prinzip  aus  zu  ganz 
anderen  Konsequenzen:  war  Buridanus  für  freie  Preisbildung  ein-, 
getreten,  so  verlangt  Heinrich  staatliche  Preisfixierung.  Er 
geht  dabei  von  dem  Gedanken  aus,  daß  für  jede  Ware  unter  be- 
stimmten Verhältnissen  ein  bestimmter  gerechter  Preis  existiere, 
der,  wenn  auch  nicht  »ad  punctualem  praecisionem«,  so  doch  »ad 
rationabilem  et  congruentem  politiae  quantificationem«  bestimmbar 
sei.  Er  beruft  sich  hierfür  auf  das  römische  Recht:  Denn  die 
Bestimmung  desselben,  daß  ein  Kaufvertrag  ungültig  sei,  wenn 
eine  Täuschung  über  die  Hälfte  des  gerechten  Preises  hinaus  statt- 
gefunden habe,  setze  voraus,  daß  letzterer  bestimmbar  sei.  Es 
werden  daher  diejenigen  Behörden  getadelt,  die  die  Preisbildung 
der  freien  Vereinbarung  der  Kontrahenten  überlassen4). 

Zwecks  näherer  Bestimmung,  wie  der  Staat  diese  Preis- 
fixierung vorzunehmen  habe,  unterscheidet  nun  Heinrich  zwischen 
Bedürfnissen  der  Natur,  des  Standes  und  solchen,  die  hierüber 
hinausgehen.  Die  letzteren  werden  verurteilt.  Die  übermäßige 
Genußsucht   wird    unter  den  Ursachen  einer  Teuerung  aufgezählt 

x)  I,   3  f.  und  sonst. 

2)  I,    IL 

3)  *>  5  vgl-   Kaulla,  Lehrer  d.   Oresm.   (S.  461). 

4)  I,   10. 


—     199     — 

und  staatliches  Eingreifen  dagegen  gefordert.  Er  scheidet  ferner 
zwischen  der  Extensität  eines  Bedürfnisses  und  der  Intensität  des- 
selben. Erstere  ist  bestimmt  durch  die  Menge  der  Bedürfenden: 
so  gibt  es  gewisse  Dinge,  die  alle  benötigen,  andere  sind  nur  für 
einzelne  Stände  notwendig  usw.  Die  Intensität  bestimmt  sich 
nach  der  Menge  der  vorhandenen  Güter:  Eine  Sache  die  im 
Überfluß  vorhanden  ist,  erregt  nur  ein  geringes  Bedürfnis;  fehlt 
dagegen  ein  Gut  überhaupt,  so  wird  es  sehr  hoch  bewertet1). 

Hieraus  ist  zu  entnehmen,  worauf  der  Staat  bei  Fixierung 
der  Preise  zu  achten  hat:  Die  Behörde,  erklärt  Heinrich,  müsse 
die  Menge  der  vorhandenen  Güter  schätzen,  wobei  vor  allen 
Dingen  geprüft  werden  müsse,  ob  der  Überfluß  oder  Mangel  durch 
natürliche  Verhältnisse  bedingt  sei  oder  nicht.  Auch  seien  die  zu 
erwartenden  Ernteergebnisse  zu  berücksichtigen.  Dann  müßte 
der  Bedarf  der  Stadt  in  Betracht  gezogen  w*erden:  es  könne 
leicht  ermittelt  werden,  wieviel  die  einzelnen  Handwerker  an 
Material  und  Instrumenten  brauchten,  was  die  einzelnen  Stände 
für  ihren  Lebensunterhalt  benötigten  usw.  Das  Bedürfnis  also, 
von  dem  die  Preisfixierung  ausgehen  soll,  ist  das  standesgemäße: 
»Indigentia  ergo  dicit  carentiam  rerum  cum  necessitate  vel  per- 
tinentia  earum  ad  naturam  vel  statum  aut  artem  vel  officium  ho- 
minis« 2). 

Der  ganze  EndzwTeck  der  Preisbestimmung  läuft  also  darauf 
hinaus,  jedem  einzelnen  den  standesgemäßen  Lebensunterhalt  zu 
sichern.  Der  Wert  soll  bestimmt  werden,  erklärt  Heinrich,  »prout 
omnibus  convenit  statibus«3)  und  gegen  Schluß  der  ganzen  Ab- 
handlung heißt  es  noch  einmal,  der  Nutzen  der  Preisfixierung  sei 
der,  »ut  quilibet  compet enter  suo  statui  habere  possit  vitae  neces- 
saria«  4). 

Unterlasse  der  Staat,  als  dessen  Aufgabe  es  direkt  bezeichnet 
wird,  jedem  den  standesgemäßen  Unterhalt  zu  beschaffen5),  seine 
Pflicht,  so  müsse  der  Einzelne  selbständig  vorgehen.  Er  solle  dann 
darauf  achten :  »pro  quanto  res  suas  vendendo  statum  suam  conti- 
nuare  possit  et  se  in  ipso  competenter  nutrire  et  secundum  hoc  im- 
pensis  et  laboribus  rationabiliter  aestimatis  mensuret  pretium  ope- 


!)   l.   C. 

2I  1.  c.  cf.  I,   ii;  II,   12  und  sonst. 

3)  I,    ii- 

4)  n,  38. 

5)  J,  9;  als  Ziel  des  Staatslenkers  wird  bezeichnet  die   »sufficientia  necessariorum 
secundum  statum  cuiuslibet«. 


—       200       — 

rum  suorum«  x).  Es  wird  hiermit  im  Grunde  die  thomistische  Wert- 
lehre von  der  Wiedervergeltung  von  Arbeit  und  Kosten  wiederholt. 

Die  Wertlehre  Langensteins  ist,  wie  schon  betont  wurde, 
einmal  eine  Reaktion  aus  den  wirtschaftlichen  Verhältnissen  her- 
aus, sie  verteidigt  das  mittelalterliche  Wirtschaftsideal  gegen  die 
Zersetzung  durch  die  Anfänge  einer  kapitalistischen  Entwicklung; 
sie  ist  aber  auch  eine  Reaktion  gegen  die  Entwicklung,  die  die 
scholastische  Wertlehre  genommen  hatte.  Von  Thomas  von  Aquin 
an  hatten  wir  die  allmähliche  Zersetzung  festgestellt,  bis  sie  bei 
Heinrich  von  Langenstein  zu  Thomas  von  Aquin  zurückkehrt. 
Heinrich  von  Langenstein  unterscheidet  sich  aber  von  Thomas 
einmal  dadurch,  daß  er  sich  in  reaktionärer  Weise  gegen  gewisse 
Tendenzen  im  Wirtschaftsleben  wendet;  sodann  durch  Folgendes: 
In  der  ganzen  früheren  Scholastik  war  von  einer  Forderung 
staatlicher  Preisfixierung  keine  Rede2).  Bei  Heinrich  von  Langen- 
stein begegnet  sie  uns  zum  erstenmal:  letzten  Endes  übrigens  ver- 
ständlich, denn  von  der  freien  Entwicklung  des  wirtschaftlichen  Ver- 
kehrs konnte  er  kaum  die  Verwirklichung  seines  Ideals  erwarten; 
wie  immer  in  ähnlichen  Fällen  wurde  daher  die  Staatshilfe  zur 
Rettung  der  alten  Zustände   angerufen. 

IV.  Die  übrigen  wirtschaftlichen  Anschauungen 
sind  von  geringerem  Interesse.  In  der  Wucherlehre3)  steht  Hein- 
rich völlig  auf  dem  alten  Boden,  abgesehen  von  den  unaufhörlichen 
Klagen  über  die  Umgehung  des  Zinsverbotes,  die  sich  in  der 
früheren  Zeit  in  der  Weise  nicht  finden.  Er  geht  sogar  so  weit, 
daß  er  eine  vollständige  Abschaffung  des  Darlehens  für  möglich 
erklärt,  weil  dann  jeder  um  so  angestrengter  arbeiten  würde4).  Scharf 
wird  inbesondere  der  Zinstitel  des  hierum  cessans  eingeschränkt, 
weil  derselbe  praktisch  eine  völlige  Aufhebung  des  Zinsverbotes 
bedeute5).  Heftig  wendet  sich  Heinrich  gegen  die  jüdischen 
und  christlichen  Wucherer0).  Ein  wirtschaftlicher  Verkehr  darf 
mit  Wucherern,  die  nichts  als  erwuchertes  Geld  besitzen,  nur  dann 
unterhalten  werden,   wenn   die  Restitutionsfähigkeit  derselben  da- 

*)  Ii  12. 

2)  Erwähnt  wird  z.  B.  bei  Buridanus  ein  pretium  institutum  als  tatsächlich  be- 
stehend. —  Plato  erhebt  ähnliche  Forderungen  wie  H.  v.  L.  (vgl.  S.  5),  ohne  daß  je- 
doch eine  Abhängigkeit  anzunehmen  wäre. 

3    Cf.  I,   13;  I,   21  ff.  und  sonst. 

4)  I,  49- 

5)  I,   23. 

6)  Über   Juden    und    Lombarden,    Kavertschen    usw.    vgl.    Inama-Sternegg 

a.  a.  O.  (S.  47;  ff.). 


201        

durch  nicht  geschmälert  wird1).  Bei  Verkauf  auf  Kredit  muß  der 
Preis  vereinbart  werden,  den  die  Waren  zur  Zeit  der  Zahlung  wahr- 
scheinlich haben  werden.  Aber  wegen  der  steten  Gefahr  der  Wucher- 
sünde rät  Heinrich,  sich  von  solchenVerträgen  überhaupt  zu  enthalten2). 

Auch  bezüglich  des  Rentenkaufes  können  wir  uns  mit 
wenigen  Bemerkungen  begnügen :  Der  Rentenkauf  erscheint  durch- 
aus eingegliedert  in  die  übrigen  volkswirtschaftlichen  Ideale  Hein- 
richs. Er  ist  nur  solchen  gestattet,  die  aus  Alter  oder  Krankheit 
nicht  mehr  arbeiten  können,  oder  wenn  er  als  Einkommensquelle 
für  staatliche  oder  kirchliche  Beamte  usw.  dienen  soll.  Von 
ersteren  Fällen  abgesehen,  ist  er  also  nur  dann  erlaubt,  wenn  mit 
höherwertiger  Arbeit  vergolten  wird  »dummodo  aliorum  labores 
fideliter  recompensent  operibus  eorum  statibus  debitis« 3). 

Eine  kapitalistische  Verwertung  des  Rentenkaufes  wird  also 
abgelehnt. 

Die  Rente  kann  fundiert  werden  auf  bewegliche  und  un- 
bewegliche Gegenstände,  wenn  nur  dieselben  einen  Ertrag  ab- 
werfen, daher  z.  B.  nicht  auf  Geld.  Die  Rente  ist  also  eine 
dingliche  Last;  hiernach  bestimmt  sich  auch  der  gerechte  Preis 
derselben:  »Census  annalis  redditur  injustus,  si  non  fuerit  notabiliter 
minor  utilitate,  quam  res  ferre  potest  per  annum,  demptis  ab  eadem 
expensis  pro  conservatione  rei  vel  pro  deductione  ipsius  ad  fructum«4). 

Nicht  wohlwollend  steht  er  der  Rückkaufbark  ei  t  der  Renten 
gegenüber5).  Vor  allem,  weil  sie  dann  zur  Umgehung  des  Zins- 
verbotes benutzt  werden  könnten.  Wenn  der  Staat  jedoch  aus 
zwingenden  Gründen  die  Kündbarkeit  der  Renten  einführe,  um 
eine  übermäßige  Belastung  der  Grundstücke  zu  verhindern,  sei 
dies  gestattet,  es  dürfe  jedoch  der  für  diese  Fälle  festgesetzte 
Preis  um  deswillen  nicht  geringer  sein;  denn  das  Recht  des  Rück- 
kaufes habe  mit  dem  Wert  der  Sache  nichts  zu  tun,  und  für  die 
Armen,  die  meistenteils  die  Renten  verkauften,  sei  es  unter  allen 
Umständen  von  Nachteil :  Denn  einmal  kämen  die  Reichen  billiger 
zu  ihren  Renten,  und  andererseits  würden  die  Armen  in  der 
Hoffnung,  die  Renten  ablösen  zu  können,  zu  vermehrten  Renten- 
verkäufen veranlaßt. 


\>  T,  37.     I,  25  ff. 
-)  I,  41,  cf.  I,  45. 

3)  II,    2,   cf.  II,   1 ;    II,    3 :    Hier   ist   er  vor    allem    dagegen,    daß    »plebei    fortes 
laboribus  apti«;   Renten  erwerben. 
*)  II,  \i. 
5)  II,   10  ff. ;  ib.    17  ff. ;  und  sonst. 


202        

Auch  die  Renten  auf  Lebenszeit  oder  bestimmte  Zeit  sieht 
Heinrich  nicht  besonders  gerne1).  Zumal  wendet  er  sich  gegen 
die  Argumentation,  daß  diese  Verträge  als  Ausfluß  des  Eigentums- 
rechtes zu  gestatten  seien,  eine  Anschauung,  die,  wie  oben  ge- 
zeigt, Aegidius  Lessinus  in  mehr  individualistischer  Fassung  des 
Eigentums  vertreten  hatte. 

Die  übrigen  Erörterungen  über  das  Rentenwesen  betreffen 
speziell  die  Rentengesetzgebung  Rudolfs  IV.  und  bieten  für  uns 
wenig  Interessantes.  Den  staatlich  seit  längerer  Zeit  eingeführten 
Preis  für  rückkaufbare  Renten  erklärt  Heinrich  im  Hinblick  auf 
die  gegebenen  wirtschaftlichen  Verhältnisse  für  ungerecht2). 

V.  In  jeder  Hinsicht  finden  wir  bei  Heinrich  von  Langen- 
stein mehr  oder  minder  rigoristische  Anschauungen.  Bezüglich 
der  Wert-  und  Preislehre  ist  der  reaktionäre  Charakter  bereits 
hervorgehoben  worden.  Die  Rentenlehre  ist  scharf  antikapitalistisch. 
Auch  Endemann  findet  bei  ihm  eine  ziemlich  ängstliche  Be- 
schränkung des  Rentengeschäftes3).  Aber  durch  die  Unterordnung 
desselben  unter  das  Bedarfsdeckungsprinzip  bringt  er  am  klarsten 
und    schärfsten    das   scholastische  Wirtschaftsideal  zum  Ausdruck. 

§  2.     Heinrieh  von  Oyta. 

I.  Heinrich  von  Oyta4)  war  ein  Freund  und  Amtsgenosse 
Heinrichs  von  Langenstein.  Er  dozierte  seit  1385  in  Wien,  wo 
er  1397  starb.  In  die  Zeit  seines  Wriener  Aufenthalts5)  fällt  seine 
Abhandlung:  »de  contractibus« ,  die  sich  fast  ausschließlich  mit 
dem  Rentenkaufe  beschäftigt. 

Bezüglich  der  Wertlehre6)  beruft  er  sich  auf  Augustinus 
und  Thomas  von  Aquin.  Im  Anschluß  an  ersteren  führt  er  aus, 
daß  der  Wert  durch  das  Bedürfnis  bestimmt  werde,  und  zwar  sei 
der  Grad  des  Bedürfens  zu  bemessen:  »ex  communi  cursu  et 
consuetudine  patriae«.  Dieser  normale  Wert,  führt  er,  auf  die 
thomistische  Summe  sich  stützend,   weiter  aus,   müsse   an  sich  die 


^  11,  12;  ib.  26  ff. 

2)  Vgl.  z.  B.  II,  38.  Die  Rente  muß  eine  dingliche  Last  sein.  Daher  ist  der 
Vertrag  unerlaubt:  .quo  aliquis  certa  pecunia  ab  alio  recepta  obligat  se  illli  ad  dandum 
annuatim  tot  solidos,  quamdiu  vixerit,  quia  hoc  est  directe  personam  censualem  facere, 
non  habendo  respectum  nee  ad  eius  laborem  nee  ad  rem  aliquam  ipsius.«  H.  v.  L.  ver- 
wirft also  den  census  personalis.     II,  32. 

3)  Studien  II  (S.    110). 

4)  Aschbach,  Geschichte  der  Wiener  Universität  I  (S.  402  ff.);  über  seine  wirt- 
schaftlichen Anschauungen  S.  Röscher,  Gesch.  (S.   21). 

5)  Vgl.  Dub.  ;  f. 

6)  Dub.  3. 


—     203      — 

Grundlage  der  Wertgleichheit  bilden,  abgesehen  von  den  Fällen, 
wo  per  accidens  der  Verkäufer  besonders  scharf  durch  den  Ver- 
kauf geschädigt  werde  und  der  Käufer  einen  besonderen  Vorteil 
erlange.  Dann  müsse  die  Wertgleichheit  genommen  werden  »se- 
cundum  discretam  et  rationabilem  aestimationem  contrahentium 
vel  alicuius  boni  viri  utriusque,  scilicet  vendentis  et  ementis,  dam- 
num  cavere  et  utilitatem  procurare  volentis«.  Das,  was  die  Scho- 
lastik seit  Thomas  von  Aquin  in  der  Behandlung  des  Wertes  ge- 
leistet hatte,  wird  hier  völlig  übergangen. 

In  der  Behandlung  des  Rentenvertrages  ist  er  viel  leiden- 
schaftsloser als  Heinrich  von  Langenstein,  wenn  auch  seine  An- 
schauungen im  Kerne  nicht  allzusehr  von  denen  des  letztge- 
nannten abweichen.  Nur  solchen  Personen  darf  der  Kauf  von 
Renten  gestattet  werden,  die  für  den  Staat  nützliche  Arbeit  leisten. 
Er  tritt  dafür  ein,  daß  auch  die  Form  des  census  realis  erlaubt 
sei,  wo  Renten  auf  die  persönliche  Arbeitskraft  eines  Menschen 
fundiert  werden,  wenn  nur  dem  letzteren  nach  Abzug  der  jähr- 
lichen Rente  noch  ein  standesgemäßer  Lebensunterhalt  übrig 
bleibt1).  Ein  Vertrag  der  nicht  mehr  wesentlich  von  einem  ver- 
zinslichen Darlehen  unterschieden  ist.  Heinrich  von  Langenstein 
nimmt  in  diesem  Punkte  eine  unklare  Stellung  ein2).  Auch  beim 
Kaufe  einer  ewigen  Rente,  betont  er  weiter,  sei  Wertgleichheit 
möglich,  der  Wert  dürfe  nicht  bemessen  werden  nach  der  Summe 
der  einzelnen  Rentenzahlungen,  sondern  »secundum  gradus  utili- 
tatis,  quam  ex  earum  usu  habent  contrahentes«,  wofür  wieder  der 
Marktpreis  maßgebend  sei.  Daß  man  nicht  auf  die  einzelnen 
Rentenzahlungen  sehen  dürfe,  erhelle  schon  daraus,  daß  von  dem- 
selben Standpunkte  aus  der  Verkauf  eines  Ackers  für  eine  be- 
stimmte Geldsumme  unstatthaft  sei,  weil  der  Besitzer  im  Laufe 
der  Zeit  weit  mehr  gewinnen  würde,  als  der  Kaufpreis  betragen 
hätte3).  Rückkaufbarkeit  der  Renten  darf  vereinbart  werden; 
nur  ist  deswegen  eine  Verringerung  des  Preises  nicht  gestattet4). 

Den  Kauf  einer  Rente  auf  Lebenszeit,  den  Heinrich  von 
Langenstein  ebenfalls  nicht  besonders  günstig  beurteilt  hatte,  ge- 
stattet Heinrich  von  Oyta  ebenfalls.  Er  betont  noch,  daß  ein 
etwaiger  Gewinn  des  Käufers  der  Rente  über  den  Kaufpreis 
hinaus    schon    um    deswillen    nicht    ungerecht    sei,    weil   der    Ver- 


2)  Dub.  i. 

2)  Hcnricus  de  Hass.  1.  c.   II,  c.  4,  vgl.  S.   202,  Anm.   2. 

3)  Dub.  3. 

4)  Dub.  6. 


—     204      — 

käufer  durch  Verwendung  der  Geldsumme  möglicherweise  einen 
viel  höheren  Ertrag  inzwischen  erzielt  habe1). 

Die  Klagen  über  Umgehung  des  Wucherverbotes  finden  wir 
auch  hier2).  Hinsichtlich  der  Eigentumsübertragung  am  erwucherten 
Gelde,  sowie  bezüglich  des  wirtschaftlichen  Verkehrs  mit  Wucherern 
werden  keine  neuen  Gesichtspunkte  gebracht3). 

Über  die  Wert-  und  Preislehre  Heinrichs  von  Oyta  dürfte 
kaum  ein  völlig  abschließendes  Urteil  gefällt  werden  können.  Sie 
wird  nicht  ausdrücklich  behandelt,  sondern  nur  flüchtig  als  Grund- 
lage für  die  Erörterung  der  Wertgleichheit  bei  Rentenverträgen 
herangezogen  und  ist  daher  nicht  ganz  durchgearbeitet.  Beim 
Kauf  einer  Rente  auf  Lebenszeit  wird  z.  B.  das  Gewinnprinzip 
im  Tausche  stillschweigend  vorausgesetzt,  während  es  in  der  Wert- 
lehre nicht  erwähnt  ist. 


§  3.  Johannes  Gerson. 

I.  Johannes  Gerson4)  wurde  1363  in  Gerson,  in  der  Diözese 
Reims  geboren ;  er  war  Kanzler  an  der  Pariser  Universität  und 
nahm  in  reichem  Maße  an  dem  kirchlichen  und  politischen  Leben 
seiner  Zeit  teil,  wobei  er  meist  in  ausgleichendem  Sinne  zu  wirken 
suchte.  Als  theologischer  und  philosophischer  Schriftsteller  war 
er  wenig  originell,  suchte  aber  auch  hier  zwischen  den  verschiedenen 
Schulen  zu  vermitteln.  Er  starb  142g  in  Lyon.  Für  seine  wirt- 
schaftlichen Anschauungen  kommt  vor  allem  seine  Abhandlung 
»de  contractibus«  in  Betracht,  die  hauptsächlich  der  Frage  des 
Rentenkaufs  gewidmet  ist5).  Sie  bildet  jedoch  kein  einheitliches 
Werk,  sondern  setzt  sich  aus  mehreren  Gelegenheitsschriften 
zusammen.  Wie  sehr  die  Frage  des  Rentenkaufs  damals  im 
Vordergrund  des  Interesses  stand,  zeigen  außer  der  Tatsache,  daß 
eigene  Abhandlungen  darüber  geschrieben  wurden,  auch  die  Ver- 
handlungen des  Konstanzer  Konzils,  das  jedoch  keinen  endgültigen 
Beschluß  faßte.  1425,  also  noch  zu  Lebzeiten  Gersons,  erfolgte 
dann  eine  Entscheidung  des  Papstes  Martin  V,  die  im  Prinzip  die 


x)   Dub.  4. 

2)  In  der  Einleitung  des  Tractats. 

3)  Vgl.  Dub.    18  f. 

4)  K.  L.   V,  457  ff.;    Hurter  II,   791  ff.;    Stoeckl,    Gesch.  d.  mittel.  Phil.    II, 
1078  ff. 

5)  Vgl.  Opera  omnia  tom.   II   (S.    167 — 196). 


—      205     — 

Rückkaufbarkeit  der  Renten  anerkannte1).  Neben  dem  genannten 
Traktate  sind  noch  einige  mehr  zufällige  Äußerungen  in  den 
übrigen  Werken  Gersons  zu  berücksichtigen. 

II.  Wie  Gerson  auf  dem  Gebiete  des  politisch  kirchlichen 
Lebens  nicht  weniger  als  auf  wissenschaftlichem  Gebiete  nach 
einer  Ausgleichung  der  Gegensätze  strebte,  so  zeigt  sich  dieser 
Charakter  auch  in  seinen  wirtschaftlichen  Anschauungen. 

Scharf  betont  er  das  mittelalterliche  Standesprinzip.  Das 
Ansammeln  von  Schätzen  darf  nicht  den  Zweck  der  Bereicherung 
haben:  es  müsse  erfolgen  »debito  servato  modo  iuxta  statum 
personae«  2).  Eine  tiefer  ausgeführte  Wertlehre  findet  sich  bei  ihm 
nicht.  Er  äußert  sich  darüber  nur  in  gelegentlichen,  durch  den 
Zusammenhang  bestimmten  Bemerkungen.  So  sagt  er  ähnlich  wie 
Aegidius  Lessinus  bei  Behandlung  des  Preises  der  Rente:  »res 
autem  minus  valet,  dum  expectatur  in  longum  quam  dum 
praesens  obtinetur«:  Gegenwartsgüter  haben  also  einen  höheren 
Wert  als  zukünftige3).  Die  römisch-rechtliche  Vertragsfreiheit  lehnt 
er  ab,  betont  aber,  daß  der  gerechte  Preis  einen  weiten  Spielraum 
habe,  und  daß  nicht  jeder  Gewinn  des  einen  Tauschkontrahenten 
auf  Kosten  des  anderen  gleich  schwer  sündhaft  sei,  weil  sonst 
alle  Menschen  zu  verurteilen  wären.  Zum  mindesten  brauche  keine 
Restitution  einzutreten,  wenn  der  andere  frei  eingewilligt  habe, 
auch  wenn  an  sich  vielleicht  der  Tausch  nicht  ganz  gerecht  wäre4). 
Andererseits  erklärt  Gerson  es  als  ideal,  daß  für  alle  Waren  von 
seiten  des  Staates  ein  Preis  fixiert  werde,  und  er  schildert  mit 
einer  gewissen  Wärme,  wie  schön  es  wäre,  wenn  jede  Ware  einen 
bestimmten  Preis  hätte,  wie  es  bereits  beim  Getreide  der  Fall  sei, 
so  daß  alles  Feilschen  über  den  Preis  überflüssig  wäre.  Wohl  sei 
dies  schwer  auszuführen,  aber  doch  möglich,  wenn  die  Menschen 
den  guten  Willen  dazu  hätten5). 

Die  Rückkaufbarkeit  der  Renten  kann  unter  Umständen 
notwendig  und  nützlich  für  ein  Gemeinwesen  sein.  Sonst  bestände 
z.  B.  für   Lehen  die  Gefahr  der  Überschuldung.     Das  Rückkaufs- 


x)  Endemann,  Studien  II  (S.  1 1 1  ff.).  Derselbe:  Grandsätze  (S.  n).  Funk, 
Gesch.  d.  kirchl.  Zinsverb.  (S.  46  f.)  Bruder  a.  a.  O.  (S.  95).  Vgl.  Extrav.  conim. 
1.  III.  t.  5,  c.  1.  Das  Preisverhältnis  zwischen  rückkaufbaren  und  nicht  rückkauf- 
baren Renten  wird  in  der  Bulle  nicht  behandelt. 

2)  Comp.  Theol.  De  7  vit  capit.  (I,  338). 

3)  De  contr.  p.  II  prop.  X. 

4)  1.  c.  prop.  XI. 

5j  1.  c.  p.   I,  quat.  5.  cons.   19. 


20Ö       — 

recht  rechtfertigt  nach  Gerson  im  Gegensatz  zu  Heinrich  von 
Langenstein  einen  geringeren  Preis,  weil  das  Eigentum  ein  weniger 
umfassendes  ist1).  Wertgleichheit  liegt  bei  Rentenverträgen,  so- 
wohl ewigen,  wie  auf  Lebenszeit  auch  dann  noch  vor,  wenn  der 
Summe  der  einzelnen  Rentenzahlungen  nach  der  Käufer  mehr  er- 
hält, als  das  hingegebene  Kapital  betrug,  wofür  sich  Gerson  auf 
das  oben  genannte  werttheoretische  Prinzip  stützt2).  Zum  ersten 
Male  in  der  scholastischen  Literatur  erwähnt  Gerson  Rentenver- 
träge von  seiten  des  Staates:  Der  Staat  verkaufe  gegen  Einzahlung 
eines  bestimmten  Kapitals  Renten  von  bestimmter  Höhe,  und  zwar 
seien  dieselben  fundiert  auf  die  Erträge  der  Steuer,  die  er  mit 
einem  Worte  Ciceros  als  Nerven  des  Staates  bezeichnet3).  Er  er- 
örtert aber  diesen  Fall  nicht  weiter. 

In  der  Wucherlehre  betont  er  vor  allem,  daß  der  Zins 
arbeitsloses  Einkommen  sei:  »Est  ergo  contra  naturam  hominis, 
ut  sine  labore  velit  vivere,  quod  fit  in  usuris«.4).  Auffallenderweise 
erklärt  Gerson,  daß  es  erlaubt  sei,  bei  Verkauf  auf  Kredit  einen 
höheren  Preis  zu  fordern,  als  wenn  die  Zahlung  in  barem  Gelde 
erfolge,  wenn  die  Stundung  des  Kaufpreises  nur  in  der  Absicht 
geschehe,  den  Nächsten  zu  unterstützen  und  nicht,  ihn  zu  be- 
nachteiligen5). 

Auch  bei  Gerson  wirkt  eine  gewisse  Reaktion,  wie  sie  bei 
Heinrich  von  Langenstein  sich  gezeigt  hatte,  nach,  wenn  auch  in 
gemildertem  Maße,  wie  es  dem  Charakter  Gersons  entspricht.  Das 
Standesprinzip  wird  scharf  betont.  In  der  Wert-  und  Preislehre 
sucht  er  zu  vermitteln:  er  will  einerseits  eine  gewisse  Freiheit  ein- 
räumen und  wünscht  doch  andererseits  staatliche  Preisfixierung. 
Seine  Anschauungen  tragen  so  einen  etwas  widerspruchsvollen 
Charakter. 


B.  Ausgleich  von  Freiheit  und  Gebundenheit;  Wechsel,  Versicherung, 

Staatsanleihen. 
Die  radikale  Forderung  der  Preisfixierung  widersprach,  wenn 
sie    auch    gewissen    Tendenzen    der    städtischen   Wirtschaftspolitik 
entgegenkam,    doch    den    Erfordernissen   des  Wirtschaftslebens   zu 


1)  1.  c.  quat.  2,  cons.  5  ff;  ib.  quat.  5.  cons.  17.  P.  II,  häufig.    Vgl.  Funk  a.  a.  O. 
S.  46  f. 

2)  Vgl.  Anmerkung  3   der  vorigen  Seite.     Cf.  p.  III  att.   5. 

3)  1.   c.  p.    11.   i.  pr. 

4j  1.    c.    p.    I,    quat.  4.  cons.   13.  ib.  cons.   15.  p.  II,  prop.  6  f f .  cf.  comp,  theol. 

de  7  vit  cap.   (I,  340);  de  praecept.     Decalog  c.  X.  (I,  435). 

h)  1.   c.   p.   II,  prop.   8;   cf.   p.   III,  att.    7. 


—      207      — 

sehr,  als  daß  sie  auf  die  Dauer  in  der  Scholastik  sich  hätte  be- 
haupten können.  Es  war  vielmehr  psychologisch  verständlich  und 
durch  die  Entwicklung  der  mittelalterlichen  Wirtschaftslehre  er- 
fordert, daß  man  einerseits  die  Idee  des  normalen  Marktpreises 
beibehalten,  aber  andererseits  doch  auch  den  realen,  freiheitlicher 
gerichteten  Verhältnissen  Rechnung  tragen  wollte.  Die  ausgehende 
Scholastik  sucht  daher  gegenüber  dem  Prinzip  strengster  Gebunden- 
heit und  dem  Prinzip  der  Freiheit  nach  einer  Mitte,  in  der  beide 
Momente  aufgehoben  und  zum  Ausgleich  gebracht  seien. 

Hier  bot  sich  nun  die  Möglichkeit,  auf  ein  früheres  Entwick- 
lungsstadium der  Preislehre  zurückzugreifen:  bereits  bei  Duns 
Scotus  fand  sich  jene  gesuchte  Synthese  —  der  Mangel  entwick- 
lungsgeschichtlichen Sinnes  ließ  darüber  hinwegsehen,  daß  hier 
nur  eine  Durchgangsstufe  vorlag  —  und  so  baute  man  seinen 
Gedanken,  daß  innerhalb  einer  gewissen  »latitudo«  des  Preises  freie 
Vereinbarung  gestattet  sei,  weiter  aus.  Die  nähere  Darstellung 
dieses  Prozesses,  sowie  seiner  Folgen  wird  unten  zu  geben  sein. 
Andererseits  mußte  die  Lehre  vom  normalen  Preise  mit  der  Tat- 
sache in  Einklang  g'ebracht  werden,  daß  auf  dem  Markte  ein  gegen- 
seitiges Unter-  und  Überbieten  der  Käufer  und  Verkäufer  vor  sich 
geht,  daß  eine  Konkurrenz  zwischen  beiden  Parteien  stattfindet, 
eine  Beobachtung,  die,  wie  zu  zeigen  sein  wird,  der  Lehre  vom 
gerechten  Preise  ein  weiteres  liberales  Moment  hinzufügte. 

Weitere  Aufgaben  erwuchsen  der  Scholastik  durch  dignfNot- 
wendigkeit,  neue  wirtschaftliche  Erscheinungen,  wie  Wechsel,  Ver- 
Sicherung,  Staatsanleihen,  die,  obwohl  größtenteils  früher  entstanden, 
doch  erst  jetzt  im  Wirtschaftsleben  schärfer  hervortraten,  zu  be- 
handeln und  ihnen  gegenüber  den  Geltungsbereich  des  Zinsverbotes 
abzugrenzen. 

§  1.   Johannes  Nider. 

I.  Unter  denen,  die  an  dem  normalen,  gerechten  Preise  fest- 
hielten und  nur  das  alte  Prinzip  tiefer  auszugestalten  versuchten, 
sei  zunächst  Johannes  Nider  mit  seinem  Traktat  »De  contractibus 
mercatorum«  genannt.  Nider,  um  1380  geboren,  war  zweimal 
Professor  an  der  Wiener  Hochschule  und  starb  als  solcher  14381). 
Sein  Traktat  ist,  wie  übrigens  gleich  im  Eingange  betont  wird, 
zum  größten  Teil  aus  anderen  Schriften  kompiliert.  Besonders 
häufig  werden  Thomas  und  Scotus  angeführt.    Auf  seine  Stellung 


1j  Schulte   II,  S.  441  f.     Vgl.   Endemann,  Studien  II,    besonders  S.   71.,   15, 
25,  32  f.,  351.,   51,  65. 


—       208       — 

zum  Eigentum,  zum  Geldwechselgeschäft,  das  er  als  »quasi  quaedam 
venditio  vel  emptio  unius  monetae  pro  alia«  l)  bezeichnet,  braucht 
daher  ebensowenig  eingegangen  zu  werden,  wie  auf  die  Lehre 
vom  Darlehen  und  von  den  Zinstiteln.  Die  diesbezüglichen  Aus- 
führungen bieten  uns  nichts  Neues. 

IL  Seine  Wertlehre  hingegegen  ist  dadurch  bedeutsam,  daß 
auf  ein  Problem  hingewiesen  wird,  das  die  übrige  Scholastik  meist 
nicht  beachtet:  als  gerechter  Preis  wird  der  Marktpreis,  die  com- 
munis aestimatio  bezeichnet.  Auch  Nider  hält  hieran  fest;  nur 
verfährt  man  nach  ihm  bei  dieser  Bestimmung  »nimis  generaliter«. 
Im  praktischen  Leben  bereite  der  Begriff  Schwierigkeiten:  Häufig 
beständen  für  dieselbe  Ware  verschiedene  Wertschätzungen,  sei 
es,  daß  alle  falsch,  sei  es,  daß  wenigstens  eine  richtig  sei;  für  einzelne 
seltene  Waren  bestehe  gar  kein  allgemeiner  Wert;  der  Marktpreis 
ändere  sich  schnell  und  sei  häufig  dem  einzelnen  nicht  bekannt'2). 

Nider  will  nun  seinerseits  dem  Kaufmann  gewisse  Richtlinien 
für  die  Preisbestimmung  geben.  Der  Wert  hängt  ab,  heißt  es 
im  Anschluß  an  Augustinus,  von  der  menschlichen  Schätzung;  er 
hat  daher  im  Einzelfall  einen  weiten  Spielraum3).  Doch  wird  das 
Prinzip  der  Schätzung  nicht  rein  durchgeführt,  wie  sich  des  weiteren 
ergeben  wird. 

Will  nun  ein  Kaufmann  eine  Ware  verkaufen,  so  ist  zunächst 
festzustellen,  ob  dieselbe  seit  der  Zeit  des  Einkaufes  in  ihren  ob- 
jektiven Eigenschaften  auf  natürlichem  Wege  oder  durch  Verar- 
beitung besser  geworden  ist.  Ist  dies  der  Fall,  so  ist  ein  höherer 
Preis  berechtigt4). 

Vor  allem  aber  hat  der  Kaufmann  zu  prüfen,  ob  die  allge- 
meine Schätzung,  die  das  eigentliche  Wertprinzip  ist,  sich  inzwischen 
erhöht  hat.  Der  Marktpreis  einer  Ware  bestimmt  sich  nach  An- 
gebot und  Nachfrage:  »Quanto  autem  plures  indigent  de  re  et 
eam  habere  desiderant  et  minor  est  eius  copia,  tanto  carius  aesti- 
matur  et  venditur«5). 

Aber  auch  dann,  wenn  der  zu  verkaufende  Gegenstand  »nee 
in  se  nee  in  aestimatione«  verändert  ist,  so  ist  doch  unter  Um- 
ständen ein  höherer  Preis  berechtigt  im  Hinblick  auf  die  Arbeiten, 
Mühen  und  Gefahren,  die  der  Kaufmann  durch  den  Transport  der 


J)  c.  3  (24). 

2)  c.   2  i.  pr.  i.  f.  c.  3  passim. 

3)  1.  c.  (1)  und  sonst. 

4)  1.  c. 

*)   1.  c.  (2). 


—     209     — 

Waren  und  ihre  Bereithaltung  auf  dem  Markte  auf  sich  genommen 
hat1).  Das  Prinzip  der  communis  aestimatio  wird  also  hier  für 
das  praktische  Leben  durchbrochen. 

Wie  soll  sich  aber  der  Kaufmann  verhalten,  wenn  die  allge- 
meine Schätzung  irrtümlich  ist,  und  dem  Kaufmann  die  Ungerechtig- 
keit des  Preises  klar  einleuchtet?  Dann  darf  er  sich  nach  Nider 
nicht  daran  halten:  »tunc  debet  recurrere  ad  rationem  pensando 
sumptus,  labores  etiam  bona  fide  prout  melius  potest  fieri  nee  non 
meliorationem  sive  realem  sive  aestimatam  et  iuxta  ista  rem  ven- 
dere.«  Dasselbe  gilt  in  dem  Falle,  wo  überhaupt  kein  allgemeiner 
Preis  vorhanden  ist2).  Doch  sieht  sich  Nider  zu  einer  Konzession 
gezwungen. 

Der  Kaufmann  muß  und  darf  sich  der  tatsächlichen  Preis- 
bildung anpassen:  »si  nullus  vult  pro  tanto  emere,  sicut  valet, 
oportet  vendi  remissius,  si  debet  vendi.  Ideo  dieunt  leges,  rem 
tantum  valere,  quantum  vendi  potest,  i.  e.  seeundum  quod  haberi 
possunt  emptores«3).  Die  Durchführung  des  justum  pretium  scheitert 
dann  also  an  der  Gewalt  der  Verhältnisse. 

Eng  hängt  hiermit  das  Folgende  zusammen:  Angebot  und 
Nachfrage  lassen  den  Preis  hin-  und  herpendeln.  Zwischen  Käufern 
und  Verkäufern  herrscht  auf  dem  Markte  Konkurrenz.  Die  Käufer, 
die  eine  bestimmte  Ware  haben  wollen,  überbieten  sich  gegenseitig 
im  Preise.  Wie  soll  der  Kaufmann  sich  hierzu  stellen.  Nider  sagt: 
»Itaque  quis  habens  rem,  quam  multi  desiderant  et  pro  qua  unus 
prae  alio  plus  alio  exhibet,  cur  non  venderet  eam  ceteris  paribus 
magis  danti  dimissis  aliis,  qui  minus  darent?«4).  Der  Kaufmann 
darf  also  die  Konkurrenz  der  Käufer  untereinander  ausnutzen. 
Auch  in  diesem  Falle  reicht  der  Begriff  der  »communis«  aestimatio 
nicht  aus. 

Natürlich  will  Nider  die  Lehre  von  dem  »allgemeinen  Werte« 
keineswegs  als  unrichtig  aufgeben;  er  will  nur  auf  Schwierigkeiten 
hinweisen  und  Ergänzungen  geben. 

III.  Die  allgemeine  antikapitalistische  Richtung  der 
Scholastik  zeigt  sich  auch  bei  Nider.  Der  Händler,  betont  er,  solle 
den  Preis  seiner  Waren  »cum  timore«  bestimmen,  da  er  in  seiner 
eigenen  Ansicht   leicht   fehlgehe5).      Der   Handelsgewinn    soll   der 

i)  1.  c.  (4). 

2)  c.   2   i.  f. 

3)  1.    C.    (2). 

4)  1.  c. 

5)  c.   i   (8). 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft   i.  14 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


2IO       

Arbeit  des  Kaufmannes  entsprechen.  Der  Wert  der  Arbeit  aber 
ist  verschieden  nach  ihrer  Bedeutung  für  die  menschliche  Gesell- 
schaft. Ein  Händler,  der  mit  Lebensmitteln  handelt,  ist  wichtiger 
als  ein  anderer,  der  Dinge  von  geringerer  Bedeutung  kauft  und 
verkauft.  Wer  mit  kostbaren  Waren  handelt,  verdient  höheren 
Lohn,  als  wer  nur  billige  Sachen  vertreibt.  Dem  Kaufmann,  der 
Waren  von  auswärts  herbeischafft,  steht  ein  höheres  Einkommen 
zu  als  dem,  der  nur  auf  dem  Markte  weiterverkauft.  So  soll  nach 
Nider  der  Handelsgewinn  abgestuft  sein  nach  dem  Stande,  den 
die  einzelnen  Kaufleute  in  der  Gesellschaft  einnehmen:  »Et  si 
quilibet  secundum  statum  suum  vellet  vivere  et  secundum  meritum 
suum  sie  hierum  reeipere,  omnia  starent  eo  melius.«  Nider  tadelt 
es  daher,  daß  der  geringste  Krämer  nicht  mit  dem  Lebensunter- 
halt zufrieden  sei,  sondern  »continue  plus  sine  ratione  ditari«  wolle. 
Und  weil  alle  immer  höher  hinausstreben,  fährt  Nider  fort:  »hinc 
est,  quod  quasi  omnes  avaritiae,  superbiae  et  voluptatis  morbo  labo- 
rant,  per  quae  sie  excaecantur,  quod  putant  ista  ita  esse  debere«  2). 
Er  fühlte  also  selbst,  daß  sein  Idealbild  des  Handels  nicht  der 
Wirklichkeit  entsprach. 

Für  den  Unterschied  zwischen  mittelalterlicher  und  moderner 
Auffassung'  vom  Wirtschaftsleben  ist  noch  ein  anderes  lehrreich: 
Uns  ist  es  einfachhin  Tatsache,  die  wir  als  »Gesetz«  feststellen 
daß,  wenn  verschiedenwertige  Münzen  im  Umlauf  sind,  die  höher- 
wertigen aus  dem  Verkehr  verschwinden.  Nider  beobachtet  das- 
selbe, erklärt  aber  diese  Erscheinung  für  sittlich  verwerflich:  »quia 
sie  minus  bonis  denariis  manentibus  tandem  moneta  vilificatur  et 
aliam  fieri  monetam  oportet  novam,  per  quam  multitudo  interdum 
plus  quam  per  novam  exaetionem  gravatur«2).  Das  Interesse  des 
Einzelnen  muß  eben  dem  Wohle  der  Gesamtheit  unter  allen  Um- 
ständen untergeordnet  bleiben3). 

VI.  Nider  steht  so  in  der  Beurteilung  des  Gewinnstrebens 
auf  dem  alten  Boden.  Auch  in  der  Forderung  der  Gleichheit  des 
normalen  Wertes  schließt  er  sich  an  seine  Vorläufer  an.  Seine 
Bedeutung  aber  liegt,  wie  gezeigt,  darin,  daß  er  auf  die  Unzu- 
länglichkeit  des  allgemeinen  Begriffes  der  communis  aestimatio 
hinweist  und  durch  dessen  Ergänzung  eines  der  größten  Bedenken 
gegen  die  Lehre  vom  justum  pretium  zu  beseitigen  sucht.  Aller- 
dings leidet  darunter  bei  ihm  die  Geschlossenheit  der  Doktrin. 

i)  1.  c. 

2)  c  i  (7). 
•»)  1.  c. 


2  11        

§   2.  Lauren tius  de  Rodulfis. 

I.  Grundlegend  für  die  Einführung  neuer  Vertragsarten  in 
die  Scholastik  und  ihre  Anpassung  an  die  überkommene  Wirt- 
schaftslehre sind  die  Ausführungen  des  florentinischen  Rechts- 
lehrers Laurentius  de  Rodulfis  gewesen.  Sein  bekannter  Traktat 
»De  usuris«  stammt  aus  dem  Jahre   14031). 

Eine  Behandlung  des  eigentlichen  Wertproblems  gibt  er  nicht, 
und  auch  die  Erörterung  des  Zins  verbotes,  die  sich  reichlich  in 
kasuistische  Einzelfragen  verliert,  bietet  kaum  etwas  Neues.  Ver- 
merkt sei  nur,  daß  er  es  als  nicht  ausreichend  betrachtet,  den  Zins 
lediglich  wegen  des  in  ihm  enthaltenen  Verstoßes  gegen  die  Nächsten- 
liebe, sowie  in  Rücksicht  darauf  abzulehnen,  daß  durch  Abströmen 
und  Verteuerung  des  Kapitals  für  die  Landwirtschaft  schwere 
Schäden  zu  erwarten  seien,  die  sich  vor  allem  in  einer  Preissteigerung 
der  Lebensmittel  zeigen  würden2). 

IL  Einen  Fortschritt  bedeutet  Laurentius  jedoch  hinsichtlich 
der  Behandlung  des  Kampsorengeschäftes.  Er  unterscheidet 
drei  innerlich  verwandte  Arten  des  cambium3):  a)  das  Umwechseln 
verschiedener  Münzen.  Den  Gewinn  sieht  Laurentius  als  erlaubt 
an,  entsprechend  der  früheren  Scholastik:  »ratione  laboris  et  opera- 
rum,  pensionum,  salariorum,  factorum  et  discipulorum«.  b)  das  cam- 
bium per  litteras,  das  uns  hier  zuerst  entgegentritt.  Das  Wesen 
desselben  ist  aus  dem  von  Laurentius  gebrachten  Beispiel  zu  er- 
sehen: Ein  Wechsler  in  Florenz  stellt  dem  Einzahler  einer  be- 
stimmten Geldsumme  eine  Urkunde  aus,  gegen  deren  Vorzeigung 
in  Venedig  von  dem  dortigen  Filialgeschäft  des  Wechslers  oder 
einem  Geschäftsfreund  desselben  die  eingezahlte  Summe  in  der- 
selben  oder  in   der  dort  geltenden  Münze  ausgezahlt  wird.     Wie 

*)  Schulte  II,  393  f.;  vgl.  ferner  Endemann,  Studien  passim;  Funk,  Über 
die  ökonomischen  Anschauungen,  S.  167  ff.;  ligner,  Die  volkswirtschaftlichen  An- 
schauungen Antonins  v.  Florenz,  S.    129  ff. 

2)  P.  I.  (13)  [S.  16].  Die  zurückgewiesenen  Anschauungen  waren  vertreten 
worden  von  Innocenz  TV.  (Papst  1243  —  54)  in  seinem  Apparatus  mirificus:  1.  V.  De 
usuris  [S.  194];  er  bezeichnet  als  Folge  des  Zinses:  »non  intenderent  homines  culturae 
possessionum,  nisi  quando  aliud  non  possent.  Et  ita  tanta  esset  caristia,  quod  omnes 
pauperes  fame  perirent:  quia  etsi  possent  habere  terras  ad  colendum,  non  tarnen  possent 
habere  animalia  et  instrumenta  ad  colendum  necessaria,  cum  ipsi  pauperes  per  se  non 
haberent,  et  divites  tum  propter  hierum  tum  propter  securitatem  peeuniae  potius  in  usuras 
quam  in  minora  et  minus  tuta  lucra  ponerent  peeuniam.  Et  si  aliqui  ibi  sua  expende- 
rent,  ita  cara  essent  victualia,  quod  pauperes  non  haberent,  unde  emere  possent,  et  hoc 
esset  maximum  et  summum  periculum  fidelibus.«  Ebendort  der  andere  Gedanke;  einen 
Anklang  an  letzteren  bei  Mayronis;  vgl.  oben,  S.    172  ff. 

3)  Vgl.   z.   F.:   P.   II.   q.   26   (S.    22  b.);  P.  III.   q.    1    (S.   37  b.,  f.). 

14* 


in  jedem  Tauschgeschäft  ist  auch  hier  Wertgleichheit  zu  beachten. 
Will  z.  B.  jemand  in  Venedig  ioo  Dukaten  ausgezahlt  erhalten, 
so  muß  er  in  Florenz  106  Floren  einzahlen,  »vel  plus  vel  minus, 
sicut  plus  vel  minus  valent  ducati  centum  quam  floreni  centum.« 
Oder  wie  Laurentius  noch  klarer  sagt:  »tantum  hie  solvitur,  quan- 
tum  numeratur  ibi;  nam  tantum  hie  valet  florenus  cum  uno  denario, 
quantum  ibi  florenus  sine  denario.«  Die  ioo  venetianischen  Dukaten 
haben  also  in  Florenz  einen  wechselnden  Kurs.  Abgesehen  davon, 
daß  der  Wechsler  aus  diesen  Kursverschiedenheiten  profitieren 
kann,  darf  er  Anspruch  auf  Gewinn  als  Lohn  seiner  Arbeit  und 
Ersatz  seiner  Unkosten  machen J).  c)  Hierzu  gesellt  sich  ein  dritter 
Vertrag:  das  »cambium  siecum«.  Es  handelt  sich  hierbei  um  nichts 
anderes  als  um  ein  Darlehen,  aus  dem  der  Wechsler  auf  Grund 
einer  stipulierten  Kursdifferenz  Gewinn  bezieht.  Das  Darlehen 
tritt  äußerlich  als  cambium  auf,  ohne  es  jedoch  wirklich  zu  sein. 
Z.  B.  Ein  Wechsler  in  Florenz  leiht  eine  bestimmte  Summe  aus, 
die  dem  Werte  von  ioo  Dukaten  entspricht,  also  etwa  106  Floren. 
Nach  Ablauf  der  vereinbarten  Frist  ist  die  Summe  zurückzuzahlen 
nach  dem  venetianischen  Kurse:  »quantum  intra  dies  computandos 
a  die  celebrati  contracti  valent  10  librae  grossorum  in  civitate 
Venetiarum.«  Der  Wechsler  kann  gewinnen  oder  verlieren,  doch 
wird  meist  das  erstere  der  Fall  sein.  Der  charakteristische  Unter- 
schied des  cambium  siecum  vom  cambium  per  litteras  liegt  also 
in  dem  Fehlen  der  Ortsdifferenz  und  in  dem  dadurch  bedingten 
Wegfall  der  eigentlichen  volkswirtschaftlichen  Funktion  des  Wech- 
sels, eine  Geldsumme  an  einem  vom  Einzahlungsorte  verschiedenen 
Platze  »securius  et  aptius«  zur  Verfügung  zu  stellen.  Laurentius 
denkt  mithin  beim  cambium  per  litteras  an  die  Form,  die  der 
Wechsel  im  Wirtschaftsleben  seiner  Zeit  angenommen  hatte:  an  den 
domizilierten  Eigenwechsel,  der  seinem  Inhalte  nach  eine  »Geld- 
rimesse nach  auswärts«  war2).  Von  diesem  aber  war  das  cambium 
siecum  grundlegend  verschieden:  es  dient  nicht  Remittierungs-, 
sondern  Darlehenszwecken. 

So  klar  Laurentius  diesen  Unterschied  erkennt,  so  ist  er  doch 
in  der  Beurteilung  des  letztgenannten  Vertrages  unsicher:  es  handele 
sich   um    ein   Darlehen,    und    eine  Berücksichtigung  von  Wertver- 

J)  Es  wurde  damit  die  Praxis  gerechtfertigt;  vgl.  Goldschmidt,  Universal- 
geschichte, S.   465. 

2)  Vgl.  Goldschmidt,  a.  a.  O.,  S.  403  ff. ;  ähnlich  Schaube,  Studien.  J.  f. 
N.  und  St.  65,  S.  528  ff.,  der  jedoch  ersterem  gegenüber  betont,  daß  die  Urform  des- 
cambium  vor  dem   14.  Jahrhundert  eine  wesentlich  andere  war. 


—     213     — 

änderungen  der  ausgeliehenen  Summe  widerspreche  der  Wert- 
gleichheit nicht.  Aber  das  Argument  scheint  ihm  selbst  nicht 
durchschlagend,  und  so  schließt  er:  »Et  quia  sub  spe  lucri  et 
intentione  plus  percipiendi  quam  sit,  quod  tunc  mutuatur,  quia  ut 
plurimum  sie  contingit,  et  alias  non  mutuaret  ipse  mutuans,  talia 
perpetrantur,  consulo,  ut  omnes  abstineant.«  Bemerkenswerter- 
weise wird  hier  das  cambium  siecum  noch  nicht  als  schlechthin 
wucherisch  verurteilt,  im  Gegensatz  zur  Stellung  der  späteren 
Scholastik. 

Aber  noch  in  anderer  Hinsicht  verdient  die  Wechsellehre 
des  Laurentius  hervorgehoben  zu  werden.  Einmal  war  nach 
aristotelischer  Anschauung,  der  die  Scholastik  folgte,  das  Geld 
Vermittler  in  Kauf  und  Verkauf,  aber  nicht  selbst  Gegenstand 
derartiger  Verträge 1).  Diese  antikapitalistische  Wesensbestimmung 
des  Geldes,  die  teilweise  zur  Begründung  der  Zinslosigkeit  des 
Darlehens  benutzt  worden  war,  stand  aber  schon  lange  im  Wider- 
spruch mit  den  wirklichen  Verhältnissen  des  Wirtschaftslebens,  in- 
dem gerade  das  Wechselgeschäft  zeigte,  daß  das  Geld  mehr  war 
als  ein  bloßer  Tauschvermittler.  Auch  bei  Laurentius  findet  sich 
die  alte  Anschauung  noch;  aber  zugleich  wird  sie  bei  ihm  über- 
wunden.  Vor  allem  im  Hinblick  auf  das  Schwanken  des  Wechsel- 
kurses müsse  man  sich  dem  Sprachgebrauch  des  Handels  anpassen : 
»non  ergo  inepte  loquuntur  campsores,  qui  dieunt,  se  emere  ducatos 
Florentinos  vel  Januinos« 2).  Ein  größerer  als  sprachlicher  Fort- 
schritt wird  hierin  wohl  nicht  zu  erblicken  sein. 

Mit  dem  Gesagten  ist  bereits  auf  das  Schwanken  des  Wechsel- 
kurses hingewiesen.  Laurentius  unterläßt  es  nicht,  im  einzelnen 
die  Momente  anzuführen,  die  auf  die  Höhe  desselben  einwirken. 
Und  zwar  kommen  nach  ihm  als  solche  in  Betracht  neben  dem 
Umlaufsorte  der  Münzen  —  in  ihrem  eigenen  Geltungsbereich  hat 
die  Münze  einen  höheren  Wert  als  in  der  Fremde  —  die  Güte 
und  Reinheit  des  Metalles,  das  Gewicht  der  Münzen,  das  Schwanken 
des  Metallwertes  selbst,  sowie  Angebot  und  Nachfrage  hinsichtlich 
einer  bestimmten  Münzart:  »sicut  plus  vel  minus  aliquando  valet 
aurum  vel  requiruntur  floreni  vel  ducati.«  Spuren  einer  Preislehre 
des  Wechsels,  die  immerhin  von  ernster  Erforschung  des  Wirt- 
schaftslebens zeugen! 

*)  Vgl.  z.  B.  s.  26,  27,  28,  42,  92,  136,  142,  149,  165,  189. 

2)  Der  Ausdruck  »vendere  monetas«  findet  sich  in  der  Handelssprache  schon 
in  früher  Zeit.  Beispiele  bei  Schaube,  a.  a.  O.,  S.  160  f.  Auch  Nider  spricht  frei- 
lich  ohne  Erörterung   des  Problems    von   einer  »emptio«   des  Geldes,    vgl.  oben  S.   208. 


—     214     — 

III.  Versicherungsverträge1):  Zum  ersten  Male  begegnen 
uns  bei  Laurentius  Verträge,  deren  Gegenstand  lediglich  die  Ver- 
sicherung gegen  bestimmte  Gefahren  als  solche  ist.  Der  Versicherer 
erhält  eine  Prämie,  auf  die  er  unter  allen  Umständen  Anspruch 
hat.  Vor  allem  kommt  hier  die  Transportversicherung  für 
Land-  und  Seeverkehr  in  Betracht2).  Laurentius  hält  dieselbe  für 
erlaubt  und  betont  die  Verschiedenheit  derartiger  Verträge  von 
dem  als  wucherisch  verbotenen  Seedarlehen:  es  sei  gar  keine  sors 
vorhanden,  und  die  gezahlte  Summe  bilde  lediglich  das  Entgelt 
für  die  Übernahme  der  Gefahr:  »non  enim  propter  mutuum,  cum 
nulluni  intervenerit,  sed  propter  id,  quod  assecurat  mercatorem  de 
mercibus  suis,  quas  periculo  marino  vel  terrestri  reponit,  illud 
percipit«3). 

Mit  Bedenken  steht  Laurentius  hingegen  der  Darlehensver- 
sicherung gegenüber.  Immerhin  könne  »in  militanti  foro«  eine 
Restitution  des  für  die  Bürgschaftsübernahme  (»venditio  crediti, 
scripta  securitatis«)   geforderten  Betrages  nicht  verlangt  werden4). 

IV.  Die  Staatsanleihen5):  Das  Wirtschaftsleben  hatte  in- 
zwischen eine  neue  Erscheinung  gezeitigt,  die  die  scholastische 
Wirtschaftslehre  vor  eine  schwierige  Aufgabe  stellte:  die  verzins- 

»)  Vgl.   z.   Folg.   P.   III.   q.   3    [S.   38]. 

2)  Die  Entstehung  der  berufsmäßigen  Prämienversicherung  fällt  in  die  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts;  zunächst  tritt  sie  noch  in  Form  anderer  Verträge  auf,  die  aber  in- 
haltlich als  Versicherungskontrakte  anzusehen  sind.  Die  ältesten  uns  bekannten  Ur- 
kunden, die  auch  formell  reine  Versicherungsverträge  enthalten,  stammen  aus  den 
Jahren  1384  und  1397;  vgl.  Schaube,  Die  wahre  Beschaffenheit  usw.,  J.  f.  N.  und 
St.,  Bd.  LX,  S.  40  ff.,  S.  473  ff.;  derselbe:  Der  Übergang  usw.,  J.  f.  N.  und  St., 
Bd.  LXI,  S.  481  ff.,  S.  488  ff.,  S.  495  ff.,  Laurentius  erwähnt  S.  498,  507;  vgl. 
auch  R.  Ehrenberg,  Studien,  Z.  f.  d.  ges.  Versicherungsw.  I,  S.  375  ff.  Die  kano- 
nistische  Doktrin  wendet  sich  also  dem  neuen  Vertrage  verhältnismäßig  früh  zu,  gleich- 
zeitig mit  Beginn  der  statutarischen  Regelung  des  Versicherungswesens;  vgl.  Gold- 
schmidt,   a.  a.  O.,  S.   362. 

3)  Über  den  allmählichen  Übergang  vom  Seedarlehen  und  dem  ähnlichen  Ver- 
sicherungsdarlehen, die  zunächst  dem  Bedürfnis  nach  Versicherung  dienten,  vgl.  Schaube, 
J.  f.  N.  und  St.,  Bd.  LX,  S.  475  ff.,  482  ff.;  Bd.  LXI,  S.  481  ff.  Laurentius  hebt 
die  wichtigsten  Unterschiede,  Trennung  des  Versicherungs-  und  Darlehenszweckes,  damit 
"Wegfall  der  Kapitalzahlung,  Ausscheidung  des  Zinses  aus  dem  Gewinn,  der  zur  reinen 
Risikoprämie  wird,  richtig  hervor.  —  Ob  Voraus-  oder  Nachleistung  der  Prämie  statt- 
zufinden  hatte,    ist  aus  Laurentius  nicht  ersichtlich;    vgl.  Schaube,    Bd.  LXI,    S.  507. 

4)  Die   Prämie   für   Bürgschaftsübernahme   betrug    i  —  2%.      Laurentius,    1.    c. 

5)  Außer  auf  dem  Wege  der  Anleihe  kann  der  Staat  sich  auch  durch  Verkauf 
fundierter  Renten  Geld  verschaffen;  vgl.  Laurentius,  1.  c.  p.  3  (S.  43).  Der  Renten- 
kauf war  die  allgemein  übliche  Form  der  Kapitalbeschaffung;  vgl.  v.  Kostanecki, 
Der  öffentliche  Kredit,  S.  37  u.  122.  —  Den  Zwangsanleihen  des  Staates  ähnliche  Ver- 
träge werden  schon  Sum.  Astes.  I,  III  a.  5  g.  14  f.  kurz  erwähnt:  Der  Staat  fordert 
von  den  Bürgern  ein  mutuum;  später  »assignat  .  .  .  super  alignibus  redditibus  suis  .  .« 
eine  jährliche  Rente.     Der  Gewinn  aus  diesem  mutuum  ist  erlaubt. 


—     215     — 

liehen  Zwangsanleihen  des  Staates,  wie  sie  in  den  italienischen 
Stadtrepubliken  seit  dem  14.  Jahrhundert  aufgekommen  waren. 
Wäre  die  Theorie  einigermaßen  konsequent  verfahren,  so  hätte 
ihre  Stellungnahme  nicht  zweifelhaft  sein  können.  Aber  sie  zeigte 
sich  auch  hier  den  wirtschaftlichen  Tatsachen  gegenüber  nachgiebig, 
indem  in  kasuistischer  Weise  allerhand  Verschiedenheiten  zwischen 
Darlehen  und  Staatsanleihen  aufgezeigt  wurden,  die  eine  abweichende 
Beurteilung  beider  rechtfertigten. 

Die  Praxis  der  Staatsanleihen  erhellt  zur  Genüge  aus  Laurentius 
selbst1):  Die  Stadt  Florenz  bedarf  zu  militärischen  Zwecken  Geld 
und  macht  deshalb  bei  ihren  Bürgern  eine  Zwangsanleihe  (prae- 
stantiae).  Der  Zinsfuß  betrug  zunächst  15  %,  wurde  aber  später 
auf  10  und  dann  auf  5  %  ermäßigt2).  Die  Stadt  zahlt  den  Gläubigern 
den  Zins  »pro  dono  damni  et  interesse  seu  provisione  vel  merito«, 
die  Gläubiger  sollten  den  Zins  annehmen  »pro  spontaneo  et  libero 
et  mero  dono«. 

So  sehr  die  letzten  Worte  von  dem  Streben  beeinflußt 
waren,  dem  Verdikt  der  kirchlichen  Wucherlehre  zu  entgehen,  so 
bleibt  es  doch  verständlich,  daß  verurteilende  Stimmen  nicht  aus- 
blieben. 

Laurentius  berichtet  z.  B.  von  Guido  de  Belriguardo. 
Dieser  verwarf  die  Staatsanleihen,  indem  er  hinwies  auf  die  große 
Schädigung  des  Staates,  der  oft  ein  Vielfaches  des  erhaltenen 
Geldes  zurückzuzahlen  habe.  Die  Bürger  ferner  würden  zum 
Wuchern  veranlaßt,  und  wenn  die  Stadt  in  Geldnot  wäre,  so 
könnte  sie  sich  vermittels  ihrer  Zwangsgewalt  auf  andere  Weise 
Geld  verschaffen  und  brauche  sich  nicht  eines  wucherischen  Ver- 
trages zu  bedienen3). 

Ein  anderer  Gegner  war  nach  Laurentius  Gregorius  de 
Arimino,  der  von  dem  Gedanken  ausgehend,  daß  überall  Wucher 
vorläge,  wo  aus  einem  Darlehen  Gewinn  erstrebt  werde,  die  ver- 
zinslichen Staatsanleihen  verurteilte:  Hier  sei  die  Gewinnabsicht 
vorherrschend.  Der  erzielte  Mehrwert  sei  kein  Schadenersatz;  denn 
letzterer  müsse  für  jeden  Einzelfall  besonders  festgestellt  werden; 
eine  allgemein  gleiche  Schädigung  liege  nicht  vor.  Er  sei  ferner 
kein  Lohn  für  das  Wohlwollen  der  Bürger,  denn  dieses  bemesse 
sich  nicht  nach  der  Höhe  des  eingezahlten  Kapitals.  Und  auch 
von    einem    freiwilligen    Geschenke    dürfe    man    im    Ernste    nicht 


1)  P.   III.   q.    5    [S.    38,    b.,    f.]. 

2)  Letzteres  seit  etwa   1380,  1.  c. 

3)  1.  c. 


2l6      — 

sprechen:  die  Stadt  zahle  den  Zins  nicht  nach  Tilgung  ihrer  Schuld, 
sondern  mache  Geschenke,  wo  sie  noch  Schuldnerin  sei1). 

Diesen  Stimmen  gegenüber  verteidigt  Laurentius  teilweise 
im  Anschluß  an  Franciscus  de  Empoli2)  die  Praxis  des  Wirtschafts- 
lebens. Zunächst  sucht  er  die  Zweckmäßigkeit  der  verzinslichen 
Staatsanleihen  überhaupt  zu  begründen :  Der  Staat  kann  gewiß 
vermittels  seiner  Zwangsgewalt  von  den  Bürgern  unverzinsliche 
Darlehen  fordern.  Aber  diese  »coactiones  et  violentiae  absolutae« 
führen  leicht  zu  Erbitterung-,  Parteikämpfen,  Unruhen  usw.,  die 
nicht  im  Interesse  des  Staates  liegen.  Durch  das  Vorgehen  des 
Staates  werden  ferner  manche  schwer  geschädigt,  möglicherweise 
der  Verarmung  entgegengetrieben,  während  es  doch  Staatspflicht 
ist,  für  die  Wohlhabenheit  der  Bürger  zu  sorgen.  Diese  Schäden 
aber  werden  vermieden  oder  gemindert  durch  Einräumung  eines 
Zinses3). 

Zudem  darf  letzterer  nicht  als  ungerecht  und  wucherisch  be- 
zeichnet werden4),  a)  Der  Gewinn  wird  nicht  »principaliter«  er- 
strebt; die  Bürger  zahlen  vielmehr  aus  Gehorsam  gegen  die  staat- 
lichen Gesetze  und  aus  Furcht  vor  Strafe,  b)  In  anderen  Geschäften 
lassen  sich  höhere  und  sicherere  Gewinne  erzielen,  c)  Der  Staat 
zahlt  den  Zins  »ex  animi  nobilitate  quadam«.  Seiner  eigenen 
Versicherung  muß  geglaubt  werden,  solange  nicht  Höhe  des  Zinses 
und  Umstände  der  Zahlung  zu  anderer  Annahme  nötigen,  d)  Der 
Zins  hat  den  Charakter  eines  Lohnes  für  geleistete  Unterstützung, 
der  natürlich  nur  allgemein  festgelegt  werden  kann,  e)  Der  Zins 
ist  vor  allem  Schadenersatz,  der  ebenfalls  aus  praktischen  und 
anderen  Gründen  nur  »generaliter«  zu  bestimmen  ist.  Besonders 
betont  Laurentius  den  Zinstitel  des  lucrum  cessans:  »nee  enim 
inficiari  possumus,  quin  saltem  ratione  lucri  cessantis  unusquisque 
cives  damnificetur.«  Auch  das  Zwangsmoment  rechtfertigt  ein 
Entgelt. 

Weitere  Schwierigkeiten  verursachte  noch  der  durch  die  staat- 
lichen Statuten  ausdrücklich  gebilligte  Weiterverkauf  der  Staats- 
renten5). Um  auch  diesen  zu  stützen,  betont  Laurentius,  daß  der 
neue   Käufer   nicht   etwa   in    ein    Gläubigerverhältnis    zum    Staate 

*)  I.  c  (S.  39  ff.). 

2)  cf.  1.  c.  (S.  43  «.)• 

3)  1.  c.  (S.  38,  b.,  f.). 

4)  Vgl.  z.  Folg.  1.  c.  (S.  39  ff.). 

5)  1.  c.  (S.  38,  b.,  f.);  (S.  41  ff.);  Die  Übertragung  wurde  »in  libris  communi- 
tatis«  vermerkt  (cf.  S.  44,  b.). 


trete;  es  läge  einfach  ein  Kauf  und  Verkauf  vor,  die  als  solche 
zu  beurteilen  seien  und  Hoffnung  auf  Gewinn  gestatteten. 

Bedenken  erregte  es  nur,  daß  das  »ius  exigendi  ioo«  bald 
mit  25,  bald  mit  38  oder  40  bewertet  wurde,  welch'  letzteren  Kurs 
Laurentius  noch  für  günstig  zu  halten  scheint1).  Man  konnte  darin 
leicht  ein  »pretium  temporis«  erblicken.  Nach  Laurentius  handelt 
es  sich  jedoch  um  einen  Vertrag,  wo  beides  »gegenwärtig«  sei: 
das  Recht  auf  Rente  und  Rückzahlung  und  die  dafür  zu  zahlende 
Geldsumme.  Der  niedrige  Kurs  erkläre  sich  einmal  daraus,  daß 
das  Kapital  festgelegt  sei  —  »minus  venditur  res  onerata  quam 
liberata« 2)  — ;  sodann  aus  dem  für  Kapital  und  Interesse  bestehenden 
Risiko:  »cum  se  exponat  periculo  iste  emens,  nulla  committitur 
usura«3). 

V.  So  wenig  auch  die  vorstehenden  Erörterungen  das  Wesen 
der  wirtschaftlichen  Vorgänge  erfassen,  so  ist  doch  zuzugeben,  daß 
sie  dem  Wirtschaftsleben  entgegenkommen  wollen.  Anerkannte 
Bedürfnisse  des  letzteren  mußten  vor  den  Folgen  der  überlebten 
Wucherlehre  geschützt  werden.  Freilich  war  dies  nur  unter  will- 
kürlicher  Verwendung  der  einzelnen  Rechtfertigungstitel  möglich, 
wie  die  Rechtfertigung  des  Zinses  der  Staatsanleihen  handgreif- 
lich zeigt. 

§  3.  Antonin  von  Florenz. 

I.  Derjenige,  der  auf  die  Entwicklung  der  Wertlehre  um  die 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  den  entscheidensten  Einfluß  ausgeübt 
hat,  ist  Antonin  v.  Florenz  [138g — 1459,  seit  1446  Erzbischof  von 
Florenz]4).  Er  gab  der  scholastischen  Wert-  und  Preislehre  die 
endgültige  Fassung,  indem  er  nach  einer  Ausgleichung  der  einander 
gegenüberstehenden  Prinzipien  der  Vertragsfreiheit  und  strengster 
Gebundenheit  suchte. 

Die  wichtigste  Quelle,  aus  der  wir  seine  wirtschaftlichen 
Anschauungen   zu   entnehmen   haben,   ist   seine  Summa  theologiae 

')  1.  c.    (S.  48). 

2)  1.    C.     (S.    41,    b.). 

3)  1.  c.  (S.  43,  b.)  aus  Franciscus  d.  Emp.  Derselbe  1.  c,  (S.  44):  »Et  si  quae- 
ratur,  quantum  minus  valere  debeant,  respondeo,  quantum  a  sapientibus  et  probis  consi- 
deratis  circumstantiis  aggravantibus  fuerit  arbitratum  et  appretiatum.  Et  cum  in  propo- 
sito  nostro  sie  communiter  appretientur,  tantum  per  consequens  valebunt«.  Hier  an  ein 
unserer  Börse  ähnliches  Institut  zu  denken,  wie  ligner  (a.  a.  O.,  S.  264),  liegt  kein 
Grund  vor. 

*)  Vgl.  ligner:  Die  volkswirtschaftlichen  Anschauungen  Antonins  v.  Florenz. 
Ferner  Funk:  Über  die  ökonomischen  Anschauungen,  S.   152  ff. 


—      218      — 

(moralis)  die  eine  Gesamtdarstellung  der  Moral  bietet.  Wegen 
ihrer  kurzen  Definitionen  und  der  prägnanten  Zusammenfassung 
wichtiger  Materien  ist  daneben  noch  seine  Summa  confessionalis 
zu  nennen. 

II.  Der  bereits  betonte  Vermittlungscharakter  der  antoninischen 
Wertlehre  bedingt  es  zunächst,  daß  die  Freiheit  der  Preisbildung 
abgelehnt  wird.  Antonin  hebt  den  in  Betracht  kommenden  Ge- 
danken gelegentlich  klar  hervor:  »Sicut  contractus  emptionis  et 
venditionis  est  mere  voluntarius,  sie  etiam  taxatio  pretii  venalium 
rerum  debet  esse  voluntaria  seeundum  voluntatem  vendentis  et 
ementis«1).  Dies  war  eben  der  römisch-rechtliche  Grundsatz. 
Antonin  betont  aber  demgegenüber,  der  Verkäufer  dürfe  nicht 
einen  beliebigen  Preis  fordern:  »quia  tunc  non  imponit  rei  ut 
simpliciter  suae  pretium,  sed  ut  in  alterum  commutandae« 2).  Nicht 
jeder  tatsächlich  erzielte  Preis  ist  also  gerecht,  sondern  nur  der- 
jenige, der,  wie  des  weiteren  sich  zeigen  wird,  der  communis 
aestimatio  entspricht.  Das  soziale  Zusammenleben  erfordert  und 
bestimmt  eine  ethische  Bindung  der  Preishöhe. 

Das  Suchen  nach  den  Normen  der  Preisgerechtigkeit  be- 
dingt eine  Untersuchung  des  Wesens  des  Wertes3).  Der  letztere 
beruht,  heißt  es  im  Anschluß  an  Augustin,  auf  menschlicher 
Schätzung,  auf  dem  Nutzen  eines  Gutes  für  den  Gebrauch.  Für 
den  valor  usualis  ist  nun  das  eigentlich  Entscheidende,  wenn  die 
objektiven  Eigenschaften  eines  Gutes,  seine  Nützlichkeit,  gegeben 
sind  —  daß  letztere  den  Wert  nicht  allein  bestimmen,  wird  an 
dem  Beispiel  des  Wassers  gegenüber  dem  Golde  gezeigt  —  die 
raritas  der  Dinge,  weil  eben  sie  den  Grad  unserer  Schätzung 
bedingt:  »seeundum  quod  res  ex  suae  inventionis  raritate  et  diffi- 
cultate  magis  necessariae  sunt.«  Antonin  denkt  hierbei  an  das, 
was  wir  heute  als  »Angebot  und  Nachfrage«  bezeichnen:  »ex 
earum  (sc.  rerum)  penuria  maiorem  ipsarum  indigentiam  et  minorem 
facultatem  habendi  et  utendi  habemus«.  Bemerkenswert  ist,  daß 
die  Kosten  (difficultas)  insofern  als  wertbestimmend  erscheinen,  als 
sie  die  Größe  des  Angebotes  bedingen.  Wert  und  Preis  sollen 
also  nach  Antonin  der  naturgemäße  Ausdruck  der  in  der  Ge- 
sellschaft vorhandenen  Verhältnisse  von  Angebot  und  Nach- 
frage sein. 


2)  S.  m.  P.  II.  t.  i,  c.  16, 

2)  1.  c 

3)  Vgl.  z.  Folg.  1.  c. 


2IQ       

Den  Momenten  der  Nützlichkeit  und  Seltenheit  tritt  als  dritter 
wertbestimmender  Faktor  die  complacibilitas  zur  Seite1).  Es 
wird  hier  nicht  eigentlich  an  den  Affektionspreis  gedacht,  wenngleich 
letzterer  nicht  ganz  auszuscheiden  ist.  Die  complacibilitas  führt  den 
Wert  zu  individueller  Bestimmtheit:  »unus  equus  est  gratior  uni 
et  alter  alteri«.  Es  soll  also  hiermit  das  Problem  gelöst  werden, 
an  dem  sich  schon  Aegidius  Lessinus  abgemüht  hatte:  Neben  dem 
allgemeinen  Momente,  das  den  gesellschaftlich-normalen  Preis  be- 
stimmt, soll  ein  individualisierendes  Prinzip  gefunden  werden.  So 
bewirkt  die  complacibilitas  es,  daß  »unus  rem  alteri  viliorem  multum 
appretiatur  et  sibi  reputat  pretiosam  et  caram  et  e  converso«.  Von 
der  individuellen  Schätzung  des  Einzelnen  hängt  ein  »non  modica 
pars  valoris«  ab.  Dieselbe  ist  also  etwas  Tatsächliches  und  im 
Tausche  wirksam2).  Damit  hängt  es  zusammen,  daß  jeder  der 
Tauschkontrahenten  das  zu  erlangende  Gut  höher  schätzt  als  das 
Preisgut:  »emptor  vult  sibi  rem  emptam  potius  quam  pretium  eius 
et  venditor  e  converso«3). 

Es  ergibt  sich  aber  nunmehr  ein  neues  Problem.  Bezüglich 
des  normalen  Wertes  der  Waren  ist  gemäß  den  in  Betracht 
kommenden  Faktoren  nur  eine  »coniecturalis  et  probabilis  opinio« 
möglich.  Dazu  kommt  die  »varietas  emptorum  et  venditorum«4). 
Hiermit  muß  die  Lehre  vom  gerechten  Preis  rechnen.  Soll  mithin 
überhaupt  noch  eine  Bindung  möglich  sein,  so  muß  zum  mindesten 
eine  latitudo  des  gerechten  Preises  eingeräumt  werden  »respectu 
temporum,  locorum  et  personarum « 5).  Antonin  mußte  also  an  die 
Entwicklungsstufe  der  Lehre  vom  gerechten  Preise  anknüpfen, 
die  uns  etwa  bei  Duns  Scotus  entgegengetreten  war. 

Aber  die  latitudo  des  gerechten  Preises  ist  nicht  willkürlich, 
sie  muß  —  das  liegt  ja  in  der  Idee  der  Gerechtigkeit  —  »competens« 
sein.  Um  nun  diesem  Begriff  seine  Verschwommenheit  zu  nehmen, 
unterscheidet  Antonin  einen  dreifachen  Grad  des  gerechten  Preises, 
den  pius,  discretus  und  rigidus  gradus,  d.  h.  eine  geringere, 
mittlere  und  höhere  Stufe;  z.  B.  kann  eine  Ware  im  Preise  schwanken 
zwischen  50,  50^3  und  51  Dukaten.  Erstere  bzw.  letztere  Stufe 
bilden  dann  die  äußerste  Grenze.     Nur  in  dem  Ausnahmefall,  wo 


J)  1.  c. 

2)  Es  ist  daher  zum  mindesten  mißverständlich,    wenn  ligner,    a.  a.  O.,   S.   76, 
erklärt,  die  Ware  streife  im   Tausche  ihren  individuellen  Charakter  ab. 

3)  1.   c. 

«)  P.  II.  t.    1,  c.   8,  §   1. 
6)  Vgl.  Anm.  3. 


220       

für  einen  Kontrahenten  das  Gut  einen  besonders  hohen  Wert  dar- 
stellt, gilt  die  thomistische  Regelung,  es  ist  also  dann  für  den 
Verkäufer  eine  Abweichung  von  der  communis  aestimatio,  dem 
currens  pretium,  unter  Umständen  gestattet1). 

Aber  noch  in  anderer  Weise  werden  Ausnahmen  gestattet. 
Findet  eine  Preisverletzung  über  die  Hälfte  des  gerechten  Preises 
hinaus  statt,  oder  liegt  ein  »notabilis  excessus«  vor,  so  ist  natürlich 
eine  Restitution  unumgänglich;  aber  wie  dann,  wenn  die  Über- 
schreitung des  iustum  pretium  nur  gering  ist?  Jedenfalls  leuchtet 
soviel  ein,  daß  eine  bewußte  Verletzung  der  Wertgleichheit  uner- 
laubt ist,  und  daß  Restitution,  mindestens  durch  Almosenspenden 
eintreten  muß.  Wird  aber  »praeter  intentionem  et  propriam 
aestimationem«  die  Grenze  des  gerechten  Preises  um  ein  weniges 
überschritten,  so  möchte  Antonin  dies  hingegen  lassen  im  Hin- 
blick auf  die  Unsicherheit  der  menschlichen  Schätzung,  auf 
politisch  und  moralisch  bedenkliche  Folgen  des  entgegengesetzten 
Prinzips;  zudem  willigten  beide  Kontrahenten  frei  ein,  sodaß 
man  auf  seiten  des  geschädigten  Teils  eine  Schenkung  annehmen 
könne.  Antonin  bemerkt  jedoch  noch,  daß  in  Verkündigung  dieser 
Anschauung  dem  Volke  gegenüber  vorsichtig  vorgegangen  werden 
müsse2). 

Antonin  konnte  glauben,  so  eine  allseits  befriedigende  Lösung 
gegeben  zu  haben:  Das  Äquivalenzprinzip  war  aufrecht  erhalten, 
aber  doch  so,  daß  auch  der  freien  Betätigung  der  Kontrahenten 
sowie  ihrem  Gewinnstreben  eine  gewisse  Freiheit  ermöglicht 
schien.  Er  konnte  darauf  hinweisen,  daß  er  nur  eine  Weiterführung 
scotistischer  Prinzipien  biete,  wobei  freilich  übersehen  wurde,  daß 
das  Wirtschaftsleben  seitdem  in  gesteigertem  Maße  kapitalistische 
Formen  angenommen,  und  die  alte  Theorie  sich  damit  überlebt 
hatte.  Zudem  mußte  Antonin,  um  seine  Prinzipien  etwas  mit 
den  wirtschaftlichen  Verhältnissen  in  Einklang  zu  bringen,  zu  einer 
merkwürdigen  Scheidung  von  Stufen,  die  doch  noch  wieder  Aus- 
nahmen zulassen,  seine  Zuflucht  nehmen,  Scheidungen  und  Zer- 
gliederungen, die  den  Begriff  der  communis  aestimatio  nicht  klären, 
und  ebensowenig  über  die  theoretische  Unzulänglichkeit  wie 
praktische  Bedenklichkeit  einer  derartigen  ethischen  Bindung  des 
Preises  hinwegtäuschen  können. 

III.  Mit  der  Unterscheidung  der  verschiedenen  Stufen  des 
gerechten  Preises  konnte  Antonin  nun  auch  ein  Problem  zur  Ent- 

*■)  P.  II.  t.   i,  c.  8,  §  i;  cf.  ib.  c.  16,  §  3;  c.  17,  §   10.  S.  c.  (S.  205)  und  sonst. 
2)  1.  c. 


Scheidung  bringen,  das  der  Scholastik  bisher  manche  Schwierig- 
keiten bereitet  hatte,  die  Frage  des  Kreditkaufes.  Daß  es  für  den 
Kaufmann  nicht  gleichgültig  war,  ob  ihm  sofort  bezahlt  wurde 
oder  erst  später,  konnte  nicht  übersehen  werden;  aber  gleichwohl 
mußte  an  dem  Grundsatz  der  Unverkäuflichkeit  der  Zeit  festge- 
halten  werden.  Antonin  gestattet  es  jetzt,  eine  Preiserhöhung 
vorzunehmen,  jedoch  nur  innerhalb  des  Rahmens  des  gerechten 
Preises:  »Si  vero  non  vendidit  plus  iusto  pretio,  sed  non  vult  facere 
ita  bonum  forum  ei  sicut  illi,  qui  dat  pecuniam  numeratam  sibi, 
non  est  usura«  1).  Fordert  daher  z.  B.  ein  Kaufmann  bei  Barzahlung- 
die  mittlere  Stufe  des  gerechten  Preises,  so  kann  er  bei  Kredit- 
gewährung' sich  an  die  oberste  Stufe  halten2).  Auch  hier  zeigt 
sich  deutlich  das  Streben,  zwischen  den  überkommenen  wirtschaft- 
lichen Anschauungen  und  den  Forderungen  des  Wirtschaftslebens 
zu  vermitteln.  Auch  sonst  suchte  Antonin  hinsichtlich  des  Kredit- 
kaufes den  wirklichen  Verhältnissen  entgegenzukommen3). 

IV.  Die  übrigen  wirtschaftlichen  Anschauungen  Anto- 
nins  bieten  kaum  etwas  Neues.    Dem  Händler  wird  ein  »moderatum 


!)   s.    c,    (S.    202.) 

2)  S.  th.  P.  IL  t.   i,  c.  8,  §   i. 

3)  Antonin  äußert  sich  P.  III.  t.  8,  c.  4,  §  2  näher  über  die  diesbezüglichen 
Geschäfte  des  Tuchhandels.  Der  "Weber  kauft  vom  Händler  die  Wolle,  der  Preis  ist 
nach  1/2  oder  1  Jahr  zu  zahlen.  Der  Fabrikant  verkauft  das  Tuch  an  einen  Zwischen- 
händler oder  an  Detailhändler  mit  demselben  Kredit.  Auch  die  Abnehmer  warten  meist 
lange  mit  der  Bezahlung.  Regelmäßig  wird  nun  der  Preis  erhöht.  Der  Weber  fordert 
z.  B.  bei  Barzahlung  45  Floren,  jetzt  50.  Wie  ist  nun  dieser  Vorgang  zu  beur- 
teilen? An  dem  Grundsatz  der  Unverkäuflichkeit  der  Zeit  muß  festgehalten  werden. 
Auch  die  latitudo  des  gerechten  Preises  darf  nicht  überschritten  werden.  Die  Differenz 
scheint  nun  doch  etwas  reichlich  groß  zu  sein.  Doch  Antonin  weiß  Auswege  zu  finden. 
Einmal  brauche  man  in  diesem  Falle  das  justum  ptetium  nicht  auf  den  Einzelfall  anzuwenden. 
Der  Kaufmann  habe  Anspruch  auf  einen  normalen  durchschnittlichenProfit.  Weide 
dieses  Maß  nicht  überschritten,  so  sei  auch  das  Vorgehen  im  Einzelfall  nicht  ungerecht. 
Würde  zudem  der  Händler  bei  Stundung  denselben  Preis  nehmen  wie  bei  Barzahlung, 
so  würde  er  nach  Aussage  der  Geschäftsleute  gar  keinen  oder  nur  sehr  geringen  Profit 
machen.  Der  geringere  Preis  bei  Barzahlung  könne  ferner  durch  andere  Momente  ver- 
anlaßt sein.  Der  Kaufmann  verzichte  möglicherweise  auf  einen  Gewinn,  er  brauche  aber 
Geld,  um  z.  B.  seinen  Angestellten  bezahlen  zu  können,  was  er  nur  bekommen  könne, 
wenn  er  durch  den  geringeren  Preis  einige  zu  sofortiger  Zahlung  veranlasse.  Bei  Kredit- 
gewährung habe  der  Kaufmann  ferner  besondere  Mühen,  das  Geld  zu  bekommen;  mög- 
licherweise falle  eine  Zahlung  überhaupt  aus.  Die  Kaufleute  erklärten  endlich,  sie 
würden  gerne  nur  zu  45  verkaufen,  wenn  alle  Kunden  sofort  bezahlen  würden.  Sie 
würden  dann  ihr  Kapital  mehrmals  im  Jahre  umschlagen  können,  wenn  sie  auch  im 
Einzelfalle  weniger  gewinnen  würden.  Kurz,  Antonin  möchte  die  bestehende  Praxis 
nicht  verurteilen,  vorausgesetzt,  daß  der  höhere  Preis  nicht  zur  Erzielung  übermäßigen 
Gewinnes    benutzt    werde.     Er  schließt  aber:    »Est  tarnen  materia    ista  multum   intricata 


hierum«,  ein  »lucrum  competens  officio  suo«  l)  zugebilligt,  was  wie 
früher  durch  Hinweis  auf  die  Arbeit  des  Kaufmannes  begründet  wird. 
Der  Kaufmann  erzielt  seinen  Gewinn  durch  Ausnutzung  der  Preis- 
verschiedenheiten der  Waren  nach  Ort  und  Zeit.  Er  hat  daher 
nicht  unter  allen  Umständen  Anspruch  auf  Gewinn,  sondern  ist 
an  das  justum  pretium  gebunden.  Es  ist  nicht  richtig,  erklärt 
Antonin,  »quod  in  omni  casu  liceat  mercatori  plus  vendere  quam 
ei  constiterit,  sed  aliquando  oportet,  quod  tantundem  vendat,  ali- 
quando  etiam  minus,  aliquando  etiam  plus,  seeundum  quod  plus 
vel  minus  illo  tempore,  quo  vendit,  valet  illa  mercantia,  quod 
procedit  ex  abundantia  vel  penuria  eius  et  seeundum  quod  plus 
vel  minus  [repetitur] « 2).  Hat  ein  Kaufmann  z.  B.  in  Zeiten  der 
Teuerung  gekauft,  so  verlangt  das  justum  pretium,  daß  er  zu 
anderer  Zeit  mit  Verlust  verkaufe. 

Bezüglich  des  Wechselgeschäftes  weicht  Antonin  kaum  von 
Laurentius  ab.  Er  scheidet  klarer  zwischen  dem  Umwechseln  von 
Geldmünzen,  dem  cambium  minutum,  und  dem  cambium  per  litteras. 
Das  cambium  siecum,  vor  dem  Laurentius  nur  gewarnt  hatte,  ist 
für  ihn  direkt  wucherisch.  Auch  sonst  erwähnt  er  noch  einige 
Fälle,  in  denen  es  sich  um  Wucherkontrakte  in  Form  von  Wechsel- 
geschäften handelt3). 

Die  Begründung  der  Zinslosigkeit  des  Darlehens  ist  die 
übliche4).  Insofern  mit  dem  Gelde  ein  Ertrag  erzielt  werden  kann, 
ist  es  Kapital,  »capitale«5).  Doch  ist  der  Mehrertrag  Ertrag  der 
menschlichen  Arbeit6).  Bei  der  Bezeichnung  des  Geldes  als  Kapital 
handelt  es  sich  also  nur  um  einen  andern  Ausdruck  für  den 
thomistischen  Gedanken,  das  Geld  sei  causa  instrumentalis  des 
Gewinnes. 


nee  bene  clara  et  ideo  non  amplianda«.  Die  einzelnen  Bemerkungen  bekunden  eine 
überraschende  Kenntnis  des  Wirtschaftslebens,  wenn  Antonin  auch  nicht  imstande  war, 
die  damit  im  Widerspruch  stehende  Theorie  einer  Revision  zu  unterwerfen.  —  Be- 
merkenswert ist,  daß  bei  Antonin  zum  ersten  Male  das  Op.  67  zitiert  wird,  das  in  ähn- 
licher Weise  die  Schroffheiten  der  Lehre  vom  Kreditkauf  zu  mildern  sucht  [S.  th.  P.  II. 
t.    1,  c.  8,  §  4],  vgl.  S.   119. 

1)  S.  c,  (S.  202,  S.   232  f.)     P.  II.   t.    1,  c.  8,  §  2,  cf.  ib.  c.  16,  §   2  f.     P.  III. 
t.   8,  c.  3,  §  4. 

2)  P.  II.  t.  1,  c.  8,  §  2.     Im  Texte  heißt  es   »reperitur«.     Bei  ligner,  a.  a.  O., 
S.   71,  wie  oben  angegeben.     Vgl.  hierzu  jedoch  S.   221,  Anm.  3. 

3)  P.  II.  t.    1,  c.   7,  §  47  ff.     P.  III.   t.   8,  c.  3.     S.  c.   (S.   202.) 

4)  P.  II.   t.    1,  c.  6  und  7. 

6)  Z.  B.  1.    c.   c.   7,  §    17.     Doch  wird  auch  das  unverzinsliche  Darlehen  als 
Kapital  bezeichnet. 

6)  1.  c.  c.  6,  §   1. 


Als  Zinstitel  werden  die  Konventionalstrafe,  die  Risiko- 
prämie,   das    damnum    emergens    und   hierum  cessans    anerkannt1). 

Die  Lehre  von  den  Staatsanleihen  ist  zum  größten  Teil  wört- 
lich aus  Laurentius  übernommen  und  bietet  daher  prinzipiell  nichts 
Neues2),   ebensowenig  wie  die  Lehre  von  der  Versicherung3). 

In  der  Lehre  vom  gerechten  Lohn  kehrt  das  Standesprinzip 
wieder4).  Bemerkenswert  ist,  daß  betont  wird,  der  Lohn  müsse  der 
Vereinbarung  gemäß  in  Geld  oder  Waren  gezahlt  werden.  Ist 
Geldlöhnung  vereinbart,  und  zahlt  der  Arbeitgeber  in  Waren,  so 
muß  er  für  eine  etwaige  Schädigung  des  Arbeiters  beim  Verkauf 
aufkommen.  Ist  Löhnung  in  Waren  vereinbart,  so  sind  diese  zum 
Marktpreis  abzugeben.  Ein  etwaiger  Schaden  fällt  dann  dem 
Arbeiter  zur  Last5). 

V.  Schluß.  Antonin  ist  als  typischer  Vertreter  der  geschil- 
derten vermittelnden  Richtung  der  Scholastik  anzusehen.  Auch 
die  neuere,  nachtridentinische  Scholastik  folgt  im  wesentlichen 
seinen  Bahnen.  Für  das  Mittelalter  werden  wir  diese  Erscheinung 
jedenfalls  als  berechtigt  anerkennen  müssen:  sie  war  das  notwendige 
Produkt  der  geschichtlichen  Entwicklung,  deren  bestimmende 
Momente  die  traditionellen,  einem  anderen  Wirtschaftsleben  ent- 
sprechenden, aber  von  der  Kirche  geheiligten  Anschauungen  einer- 
seits und  die  Beobachtung  des  zum  größten  Teile  kapitalistischen, 
freiheitsbedürftigen  Wirtschaftslebens  andererseits  waren:  beide 
mußten  nach  einem  Ausgleich  streben. 

§  4.  Bernhardin  v.  Siena. 

Kürzer  können  wir  über  Bernhardin  v.  Siena  (1380 — 1444) 
hinweggehen,  einen  Franziskaner,  der  sich  als  Reformator  seines 
Ordens,  sowie  als  Prediger  Verdienste  erworben  hat6).  Unter 
seinen  »Sermones«  sind  nicht  wenige  der  Behandlung  wirtschaft- 
licher Fragen  gewidmet. 

In  der  Wertlehre  kehren  die  Momente  virtuositas,  raritas 
complacibilitas  wieder7).    Als  gerechter  Preis  erscheint  der  Markt- 

!)  z.  b.  l.  c.  c.  7,  §  18  ff. 

2)  P.  II.  t.  1,  c.  11,  ib.  i.  pr.:  »Novissime  autem  scripsit  super  hac  materia  satis 
diffuse  dominus  Laurentius  de  Redulfis«.     cf.  S.  c,  (S.   204.) 

3)  P.  II.  t.    1,  c.   7,  §  46.     P.    III.  t.  8,  c  3,  §   1  f. 

4)  Z.  B.  P.  II,  t.   1,  c.   7,  §   17. 

5)  1.  c.  c.   17,  §  8. 

6)  Schulte  II,  442  f.  K.  L.  II,  441  ff.  Über  B.  vgl.  Funk:  »Über  d.  ök. 
Ansch.,  a.  a.  O.  Die  Eigentumslehre  Bernhardins  schließt  sich  eng  an  Scotus  an,  vgl. 
Sermo  32. 

7)  S.  35,  a.    1,  c.   1. 


—        224        — 

preis1),  der  auch  hier  in  drei  Stufen  zerlegt  wird2).  Besteht  ein 
solcher  nicht,  so  soll  der  Kaufmann  einen  mäßigen  Gewinn  er- 
streben »pensatis  sumptibus,  industria,  sollicitudine,  periculis  et 
labore«3).  Im  übrigen  sucht  Bernhardin  ähnlich  wie  Antonin 
zwischen  Freiheit  und  Gebundenheit  der  Preisbildung  einen  Mittel- 
weg: »sub  congruis  limitibus«  dürfen  Käufer  und  Verkäufer  frei 
schalten.  Er  wendet  sich  dagegen,  den  Wert  eines  Gutes  nach 
dem  Nutzen  zu  bemessen,  den  es  »particulariter«  bringt:  Ein  Trunk 
Wasser,  der  einem  Verdürstenden  gereicht  wird,  ist  »impreciabilis«4). 
Bei  behördlicher  Preisfixierung  sind  neben  den  natürlichen  Eigen- 
schaften der  Dinge,  dem  Verhältnis  von  Angebot  und  Nachfrage, 
auch  die  für  Herstellung  und  Transport  der  Waren  erforderlichen 
objektiven  Momente,  wie  Größe  und  Qualität  der  Arbeit,  Risiko 
zu  beachten5). 

Das  Gesetz  von  Angebot  und  Nachfrage  gilt  auch  von  den 
Arbeitsleistungen  der  Ärzte,  Advokaten,  Erdarbeiter  usw.:  »ubi 
talium  est  penuria,  possunt  carius  locare  opera  sua«6). 

Den  Handel  bezeichnet  Bernhardin  als  erlaubt  und  nützlich, 
nur  verlangt  auch  er,  daß  Gewinn  erstrebt  werde  »propter  necessi- 
tatem  vel  pietatem«,  nicht  dagegen  »propter  substantias  cumulan- 
das«  7).    Auch  die  Lehre  vom  Wechselgeschäft  bietet  nichts  Neues8). 

Für  die  Unentgeltlichkeit  des  Darlehensverkehres  werden 
nicht  weniger  als  zwTölf  Gründe  angeführt,  ohne  daß  jedoch  ein 
wesentlich  neuer  Gesichtspunkt  beigebracht  würde9).  Wie  sehr 
das  Zinsverbot  im  Widerspruch  mit  den  realen  Verhältnissen  stand, 
zeigt  die  Leidenschaftlichkeit  mancher  Predigten,  in  denen  Bern- 
hardin die  moralische  Verwerflichkeit  des  Zinses  darzulegen  sucht10). 


1)  S.  33,  a.   2,  c.   8. 

2)  S.  34,  a.  3,  c.   i. 

3)  S.  33,  a.   2,  c.  8. 

4)  S.  35,  a.   2. 

5)  S.  35,  a.   2,  c.   2. 

6)  1.  c.  Die  »psychologische«  Wirkung  der  Größe  des  Angebots  betont  Bern- 
hardin deutlich:  »Quanto  .  .  rarius  et  difficilius  rem  adire  possumus  et  habere,  tanto 
supra  nostram  facultatem  altius  et  mirabilius  aestimamus.  Ardua  enim  nobis  et  insolita 
admiramur«. 

7)  S.   33,   bes.  a.    2,  c.   2. 

8)  S.  39,  a.  3.  Die  Benennung  ist  etwas  anders:  »cambium  artificiale«,  im  An- 
schluß an  Aristoteles,  der  vermeintlich  das  Gewinnen  aus  der  »permutatio  denariorum« 
als  ein  Werk  der  Kunst  und  nicht  der  Natur  bezeichnet;  (vgl.  S.  27)  cambium  reale: 
»quia  ut  plurimum  realiter  deducuntur«.  Hierhin  gehört  auch  das  cambium  per  litteras; 
endlich  das  wucherische  cambium  casuale  oder  siccum. 

9)  S.  38,  a.  1,  cf.  36,  a.  3. 
10)   S.   43  ff. 


—       225       — 

Man  wird  sich  daher  auch  von  der  Bedeutung  der  Zinstitel  keine 
übertriebene  Vorstellung  machen  dürfen,  etwa  in  dem  Sinne,  als  ob 
durch  dieselben  die  praktische  Entgeltlichkeit  des  Darlehens  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  anerkannt  wäre1).  Besonders  wendet  sich 
Bernhardin  gegen  Umgehung  des  Zinsverbotes  durch  Benutzung 
anderer  Vertragsarten  [»mutuum  palliatum«]2). 

Die  Behandlung  des  Rentenkaufes  ist  ähnlich,  wie  bei 
Ricardus  und  Aegidius3).  Auch  hier  kehrt  das  bekannte  wert- 
theoretische  Prinzip  wieder:  »Constat  .  .  .,  quod  actualis  possessio 
rei  praesentis  ceteris  paribus  amplius  valet,  quam  solum  ius  rei  futurae 
aut  quam  solum  ius  absque  actuali  possessione  non  statim  tradita 
vel  tradenda.«  Begründet  wird  dies  mit  der  größeren  Sicherheit 
des  Besitzes  in  ersterem  Falle:  »securius  est  rem  habere  et  possidere, 
quam  solum  ius  rei«*).  Eine  kapitalistische  Verwendung  des  Renten- 
kaufes hält  auch  Bernhardin  für  unerlaubt6). 

Die  Erlaubtheit  der  Transportversicherung  wird  in  übli- 
cher Weise  dargetan6).  Dagegen  verurteilt  Bernhardin  eine  Art 
»Aussteuerversicherung«.  Ein  Vater  zahlt  z.  B.  während  des 
ersten  Lebensjahres  seiner  Tochter  70  Dukaten  an  ein  staatliches 
Institut.  Hat  die  Tochter  das  Alter  von  15  Jahren  erreicht,  so 
werden  ihm  500  Dukaten  ausgezahlt.  Im  Falle  eines  frühzeitigeren 
Todes  fällt  hingegen  die  eingezahlte  Summe  dem  Institute  zu. 
Es  handelt  sich  hier  nach  Bernhardin  um  ein  wucherisches  Dar- 
lehen; insbesondere  fehlen  alle  Momente,  die  die  Differenz  der 
beiden  Summen  erklären  könnten,  wie  industria,  labor,  sollertia, 
sollicitudo  auf  Seiten  des  Vaters7). 

Die  Beurteilung  der  Staatsanleihen8)  ist  bedeutend  schroffer 
als  bei  Laurentius.  Nur  diejenigen  dürfen  nach  Bernhardin  den 
ausgesetzten  Zins  annehmen,  die  dem  Staate  gezwungen  ihr  Geld 
geben,  und  zwar  dann   »ratione  dominii  compellentis,  damni  emer- 


x)  Über  die  Zinstitel  vor  allem  S.  42. 

2)  S.   39,  a.   2. 

3)  S.   34,  a.   2. 

4)  S.   34,  a.    1,  c.    2. 

5)  1.  c,  c.  2,  a.  1 :  »puta  si  quis  dives  ad  sufficientiam  habens,  non  propter 
vitae  necessitatem,  sed  avaritia  ductus,  ut  ditior  fiat,  tales  redditus  emit«  ist  der  Ver- 
trag verwerflich. 

6)  S.   39,  a.    1,  c.   3,  jedoch   »salvo  meliori  iudicio«. 

7)  1.  c,  c.  4.  Die  Anfänge  der  Heiratsgutversicherung,  deren  Veranschlagung 
naturgemäß  roh  war,  sind  in  Florenz  im  15.  Jahrhundert  zu  suchen;  vgl.  R.  Ehren - 
berg,  Studien,  Z.  f.  d.  ges.  Versicherungsw.  II,  S.   126. 

•)  S.  41. 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.    Heft  1.  15 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


226       

gentis  und  lucri  cessantis«.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  sei  dies 
anzunehmen.  Erlaubt  sei  auch  das  Vorgehen  der  wenigen  »veri 
rei  publicae  amatores«,  die  mit  ihrem  Gelde  der  Not  des  Staates 
zur  Hilfe  kommen  wollten.  Verurteilt  werden  hingegen  alle,  die 
»ex  intentione  lucri«  Geld  einzahlen  oder  Staatsanleihen  käuflich 
erwerben. 

Bernhardin  geht  trotz  grundsätzlicher  Übereinstimmung  mit 
der  übrigen  Scholastik  in  mancher  Hinsicht  zweifellos  etwas 
strenger  vor,  was  bei  der  Persönlichkeit  des  Ordensreformators 
nicht  weiter  verwunderlich  ist1). 


x)  Häufig  kommt  auf  wirtschaftliche  Fragen  Alphonsus  Thostatus  (f.  1455)  zu 
sprechen  in  seinen  Kommentaren  zum  alten  und  neuen  Testament.  Math.  VII,  c.  25, 
q.  164 — 289  bietet  eine  ausführliche  Abhandlung  über  den  Wucher.  Der  Wert  wird 
subjektiv  gefaßt,  der  Marktpreis  als  gerechter  Preis  bezeichnet  (Gen.  c.  23;  Math.  VII, 
c.  25,  q.  223  u.  s.).  Wie  der  Handelsgewinn,  soll  auch  der  Gewinn  des  Wechslers, 
er  beruhe  auf  Provision  oder  Kursdifferenz,  bemessen  sein:  »ex  commensuratione  ad 
labores  et  sollicitudinem,  difficultatem  habendi  monetas  illas,  quarum  petitur  permutatio, 
et  magnitudine  vel  parvitate  impositionis  eis  factae  a  communitate  vel  domino,  a  quo 
permittitur  campsoriam  exercere«  (Math.  1.  c,  q.  231,  286).  In  der  Begründung  des 
Wuchers  bringt  er  neben  dem  thomistischen  Argument  auch  die  Beweisgründe  Inno- 
cenz  IV.  (vgl.  oben  S.  211,  Math.  1.  c,  q.  167,  178  f.).  Beim  Gelde  unterscheidet  er 
zwischen  hochwertigen  Münzen,  für  deren  Wert  Prägung  und  Gewicht  bestimmend 
sind,  und  geringwertigen,  die  »consistunt  solum  in  figura  et  non  curatur  de  pondere« 
(Levit.  c.   27,  q.  64).     Im  letzteren  Falle  ist  wohl  an   Scheidemünzen  gedacht. 


Ergebnisse. 

Als  das  wichtigste  Ergebnis  der  vorstehenden  Untersuchungen 
kann  wohl  das  bezeichnet  werden,  daß  von  einer  einheitlichen  Wert- 
lehre in  der  Scholastik  nicht  gesprochen  werden  kann;  zwischen 
den  einzelnen  Denkern  bestehen  vielmehr  grundlegende  Unter- 
schiede und  Gegensätze. 

Wir  haben  einmal  die  Verschiedenheit  der  objektiven  und 
subjektiven  Wertlehre:  Albertus  Magnus  und  Thomas  von  Aquin 
sehen  die  Gerechtigkeit  des  Preises  in  der  Wiedervergeltung  von 
Arbeit  und  Kosten;  Momenten,  die  Substrat  und  Inhalt  eines  durch 
das  menschliche  Bedürfnis  bestimmten,  alle  verpflichtenden,  den 
Tausch  psychologisch  beherrschenden  Marktpreises  ausmachen. 
Andere  Scholastiker,  wie  Heinrich  von  Gent,  Ricardus  usw.  tun  nur 
das  letztere  und  suchen  in  steigendem  Maße  die  Tauschvorgänge 
psychologisch  zu  verstehen  und  zu  erklären.  Die  wichtigsten  Er- 
gebnisse dieser  Arbeit  waren  die  Erkenntnisse,  daß  zukaufende  und 
gegenwärtige  Güter  höher  bewertet  werden  als  Preis-  bzw.  Zukunfts- 
güter, sowie  die  tiefgehenden  Untersuchungen  Buridans  über  Wesen 
der  Schätzung  und  ihren  Zusammenhang  mit  der  Erscheinung  des 
Preises.  Heinrich  von  Langenstein  nimmt  die  thomistische  Wert- 
lehre mit  ihrer  eigentümlichen  Verbindung  objektiver  und  subjektiver 
Momente  vorübergehend  wieder  auf.  Das  Bewußtsein  des  Gegen- 
satzes beider  Auffassungen  dürfte  das  Mittelalter  zunächst  kaum 
gehabt  haben,  indem  beide  praktisch  darauf  hinauskamen,  den 
Tausch  durch  Konstruktion  eines  gerechten  Normalpreises  zu  binden. 

Aber  doch  war  damit  der  Keim  zur  Ausbildung  eines  tiefer- 
gehenden Gegensatzes  innerhalb  der  scholastischen  Wertlehre  ge- 
geben. Der  Beobachtung  des  Gewinnprinzips  in  Kauf  und  Verkauf 
trat  die  andere  individueller  Verschiedenheit  der  Bewertung  der 
einzelnen  Güter  zur  Seite.  Beides  führte  zur  Aufgabe  der  Idee 
des  gerechten  Normalpreises,  und  in  allmählicher  Entwicklung  von 
dem  subjektiven  Gewinnstreben  ausgehend,  kam  die  Scholastik 
dahin,  jeden  frei  abgeschlossenen  Tausch  als  gerecht  anzusehen. 
Bewußt  dieser  Theorie  der  Freiheit  der  Preisbildung  sich  widersetzend 

15* 


228       

und  die  rein  subjektive  Wertlehre,  die  für  ersteres  Prinzip  die 
theoretische  Basis  hatte  abgeben  müssen,  ablehnend,  kehrte  Heinrich 
v.  Langenstein  zur  Forderung  gleicher  Marktpreise  im  Tausche 
zurück.  Zur  Verwirklichung  seines  Ideals  wollte  er,  wie  auch 
Gerson,  die  staatliche  Zwangsgewalt  sich  nutzbar  machen.  Die 
ausgehende  Scholastik  sucht  den  Gegensatz  beider  Richtungen 
aufzuheben,  indem  sie  ihrerseits  an  die  von  Scotus  vertretene 
subjektive  Wertlehre  anknüpfte,  die  als  Durchgangsstufe  bereits 
eine  gewisse  Synthese  der  Prinzipien  der  Gebundenheit  und  Frei- 
heit enthalten  hatte.  Zugleich  sucht  sie  diese  Synthese  durch 
weiteren  Ausbau  zu  vertiefen. 

Verschieden  waren  im  einzelnen  die  Momente,  die  den  Ver- 
lauf dieser  Entwicklung  bestimmten.  Neben  Aristoteles,  der  irrtüm- 
licherweise in  objektiv-subjektivem  Sinne  erklärt  wurde,  zeigt  sich 
Augustinus  als  Vertreter  des  ausschließlich  subjektiven  Prinzips. 
Beide  forderten  eine  Gleichsetzung  zweier  als  normal  gedachter 
Werte  im  Tausche.  Ihnen  gegenüber  stand  das  römische  Recht 
mit  seinem  unausgeglichenen  Gegensatz  zwischen  dem  älteren 
Postulat  der  Freiheit  des  wirtschaftlichen  Verkehrs  und  der  späteren 
Statuierung  eines  Normalpreises.  Tieferes  Studium  des  römischen 
Rechts  stellte  also  die  Scholastik  vor  dieselbe  Aufgabe,  wie 
empirische  Beobachtung  der  Tatsachen  und  Bedürfnisse  des  eigenen 
Wirtschaftslebens,  das  mit  wachsendem  Verkehr  eine  individuellere 
Ausgestaltung-  erfuhr  und  ein  wachsendes  Maß  freierer  Betätigung 
forderte.  Das  Produkt  all  dieser  Faktoren  mußte  verschieden  sein 
nach  den  einzelnen  Persönlichkeiten,  auf  die  sie  einwirkten,  und 
hier  ein  Überwiegen  der  strengeren,  dort  der  freieren  Richtung 
bedingen. 

Von  Bedeutung  war  insbesondere  nach  Folgendes:  die  Entwick- 
lung der  Wertlehre  vollzog  sich  nicht  ohne  inneren  Zusammenhang 
mit  dem  durchgängig  antikapitalistischen  Geiste  der  Scholastik. 
So  sehr  im  Beginn  der  Entwicklung  des  Standesideal  nicht  zuletzt 
den  Wirtschaftszuständen  selbst  entnommen  sein  mochte,  so  zähe 
hielt  die  Scholastik  auch  dann  noch  daran  fest,  als  das  Erwerbs- 
streben eine  derartige  Grenze  nicht  mehr  kannte.  Teils,  wie  bei 
Thomas  und  Heinrich  v.  Langenstein,  stellt  die  Wertlehre  eine 
direkte  Kristallisation  dieser  Idee  dar,  teils  wirkt  sie  in  manchen 
Spuren  objektiver  Werttheorie  nach,  teils  tritt  sie  der  Freiheit  der 
Preisbildung  einschränkend  zur  Seite.  Nur  bei  Buridanus  findet 
sich  eine  geringfügige  Milderung  der  alten  Strenge. 

Mit    den    gezeichneten    Strömunoen    und    Wandlungen    der 


—     22g     — 

wirtschaftlichen  Anschauungen  war  die  Beurteilung  des  Handels 
innig  verknüpft. 

Wenn  zunächst  Thomas  auch  gegenüber  der  ablehnenden 
Haltung  des  Aristoteles  die  immerhin  freiere  Richtung  des 
Augustinus  zum  Siege  geführt  hatte,  so  fehlte  doch  der  Scholastik 
das  volle  Verständnis  für  das  Gewinnstreben  im  Einzelfalle,  wie  es 
gerade  beim  Ein-  und  Verkauf  des  Händlers  besonders  deutlich  in 
Erscheinung  tritt.  Hier  wirkte  Duns  Scotus  bahnbrechend;  in 
bewußter  Ablehnung  der  alten  Theorien,  die  durch  Konstruktion 
zweier  nach  Ort  und  Zeit  verschiedener,  aber  normaler  Preise  für 
dieselbe  Ware  einen  Handelsgewinn  herausgerechnet  hatten,  kam 
er  durch  Durchführung  des  Gewinnprinzips  im  Tausche  zu  einer 
freimütigeren  Beurteilung  der  kaufmännischen  Tätigkeit  überhaupt. 
Damit  war  die  im  allgemeinen  wohlwollende  Stellungnahme  der 
späteren  Scholastik  gegeben,  der  gegenüber  nur  die  Anhänger 
staatlicher  Preisfixierung  einen  Rückschritt  bedeuteten.  In  anderer 
Hinsicht  jedoch  kam  die  Scholastik  nicht  weiter;  sie  ließ  nicht 
von  ihrer  antikapitalistischen  Gesinnung,  und  forderte  daher  in 
Konsequenz  ihres  Ideals,  daß  jedweder  volkswirtschaftlich  nütz- 
lichen Arbeit  ein  standesgemäßes  Einkommen  gebühre,  eine  Be- 
schränkung des  Gesamtgewinnes  des  Händlers  auf  eben  dieses 
Maß.  Mag  dies  immerhin  noch  für  den  Anfang  des  Mittelalters 
als  verständlich  erscheinen,  so  stand  doch  die  Scholastik  damit  in 
dauernd  schroffem  Widerspruch  mit  den  sie  umgebenden  realen 
Verhältnissen,  ein  Widerspruch,  der  um  so  größer  und  fühlbarer 
werden  mußte,  je  mehr  Handel  und  Handelsgeist  sich  ausbreiteten. 

Vielfältig  waren  auch  die  Probleme,  die  hinsichtlich  des  Geld- 
wesens zu  erörtern  waren.  Thomas  hatte  hier  die  aristotelische  An- 
schauung vermittelt,  daß  die  wesentlichen  Erfordernisse  des  Geldes 
Materie,  Gewicht  und  staatliche  Prägung  seien.  In  organischer  Weiter- 
entwicklung dieser  Ideen  suchte  Buridanus  Geltung  und  Bedeutung 
der  drei  Faktoren  gegeneinander  abzuwägen,  wobei  er  zu  einer 
Begrenzung  des  staatlichen  Einflusses  auf  den  Geldwert  gelangte. 
Perusinus  berührte  das  Problem  des  Schlagschatzes.  Die  Erörte- 
rung des  Geldhandels  förderte  die  Theorie  des  Geldes  weiter.  Sie 
bedingte  einmal,  daß  die  aristotelische  Anschauung,  das  Geld  sei 
lediglich  Tausch  vermittler,  in  Schwierigkeiten  geriet,  die  dazu 
führten,  daß  Laurentius  das  Geld  auch  als  Gegenstand  des  Kaufes 
und  Verkaufes  anerkannte.  Freilich  wurde  mit  dieser  Preisgabe 
des  Aristoteles  nicht  auch  zugleich  der  antikapitalistische  Geist 
seiner  Lehre  aufgegeben.    Weiter  brachte  es  die  Beobachtung  der 


—     230     — 

Kursgewinne,  sei  es  im  Handwechsel  oder  Remittierungsgeschäft, 
mit  sich,  daß  man  die  Verschiedenheiten  des  Geldwertes  nach  Ort 
und  Zeit  erörterte.  Seinen  Höhepunkt  erreichte  dieses  Streben 
in  der  Wechselkurslehre  des  Laurentius.  Im  übrigen  gilt  das 
bezüglich  des  Handels  im  allgemeinen  Gesagte  auch  hier. 

Sinn  und  Inhalt  des  Zinsverbotes  sind,  wie  sich  bei  Behand- 
lung der  thomistischen  Wucherlehre  ergab,  ebenfalls  mit  dem 
Antikapitalismus  der  Scholastik  gegeben.  In  dem  Bedarf  deckungs- 
prinzip  ist  die  tiefste  Quelle  der  Ablehnung  des  Darlehenszinses 
zu  suchen.  Denn  der  Zins  war  arbeitsloses  Einkommen  und  wider- 
sprach damit,  der  im  Standesideal  liegenden  Forderung,  daß  volks- 
wirtschaftlich nützliche  Arbeit  der  Rechtstitel  wirtschaftlicher 
Existenz  sein  müsse  und  der  Abneigung  gegen  jegliche  rein  »ver- 
tragsmäßige« Bereicherung,  die  besonders  schroff  bei  Heinrich 
v.  Langenstein  sich  zeigte.  Darleihen  konnte  weiterhin  im  allge- 
meinen nur,  wer  selbst  den  erwünschten  Grad  materiellen  Wohl- 
standes bereits  erreicht  hatte;  wie  konnte  es  da  gestattet  sein,  nur 
vermittels  des  Besitzes  weiteren  Besitz  zu  erwerben?  Ein  Darlehen 
endlich  konnte  und  durfte  nach  mittelalterlicher  Anschauung  nur 
aufnehmen,  wer  sich  in  Not  befand  oder  noch  nach  Erreichung 
standesgemäßen  Einkommens  strebte.  Da  mußte  es  als  unsittlich 
erscheinen,  dieses  Ringen  noch  weiter  zu  erschweren,  um  so  mehr 
als  eine  konsequente  Anwendung  der  Gerechtigkeitsprinzipien  auf 
das  Darlehen  mit  unwiderleglicher  Evidenz  zeigte,  daß  der  Zins 
ungerecht  sei,  und  der  mit  dem  Gelde  erzielte  höhere  Ertrag 
lediglich  der  befruchtenden  Arbeit  des  Schuldners  entstammen 
könne.  Der  Darlehensverkehr  sollte  seine  volkswirtschaftliche 
Funktion,  durch  Ausgleich  von  Überfluß  und  Mangel  allen  die 
Erreichung  eines  standesgemäßen  Besitzes  zu  ermöglichen,  so 
erfüllen,  wie  es  seinem  inneren  Wesen  entsprach.  Freilich  mußte 
die  Scholastik  mit  diesem  Ideal  bei  zunehmender  kapitalistischer 
Entwicklung  in  steigenden  Gegensatz  zum  Wirtschaftsleben  geraten. 

Im  übrigen  verhinderte  überragender  Einfluß  von  Tradition 
und  kirchlicher  Autorität  eine  freiere  Entwicklung.  Hierdurch 
war  es  bedingt,  daß  den  Anhängern  der  Vertragsfreiheit  nur  die 
Aufgabe  blieb,  die  Konsequenzen  ihrer  Anschauungen  vom  Dar- 
lehen fernzuhalten,  daß  es  bei  Mayronis  mit  der  Ablehnung  der 
üblichen  Begründung  sein  Bewenden  hatte,  und  daß  der  schüchterne 
Versuch,  den  Zins  als  Arbeitslohn  organisch  dem  Wirtschaftsideal 
des  Mittelalters  einzufügen,  in  den  ersten  Anfängen  stecken  blieb. 
Im  ganzen  war  die  thomistische  Form  der  Begründung  herrschend; 


—     231      — 

die  spätere  Scholastik  beschränkte  sich  darauf,  sie  in  Kleinigkeiten 
zu  verbessern  oder  ihr  andere  Momente  an  die  Seite  zu  stellen, 
wie  die  Idee  des  Zeitverkaufes  oder  die  Innocenz  IV.  entlehnte 
Befürchtung  sozial  übler  Folgen  des  Zinses,  die  von  Laurentius 
jedoch  als  nicht  ausreichend  empfunden  wurde. 

Das  Zinsverbot  mußte  um  so  durchgreifender  die  Gestaltung 
der  scholastischen  Wirtschaftslehre  beeinflussen,  als  es  die  Pflicht 
in  sich  schloß,  auch  von  anderen  Verträgen  Zinserscheinungen 
fernzuhalten.  Freilich  befleißigte  sich  die  Scholastik  möglichster 
Milde:  mit  dem  weiteren  Ausbau  der  Preislehre  gelang  es  ihr, 
für  den  Kreditkauf  eine  Form  der  Beurteilung  zu  finden,  die  bei 
Aufrechterhaltung  der  alten  Prinzipien,  doch  die  wirklichen  Ver- 
hältnisse wohl  im  allgemeinen  anerkennen  sollte.  Im  Wechsel 
übersah  man  die  Zinserscheinungen,  und  selbst  das  Entgelt  des 
Staates  für  dargeliehene  Summen  suchte  man  zu  rechtfertigen. 
Doch  ergab  sich  als  Folge  des  Widerstreites  zwischen  Festhaltung 
des  Traditionellen  und  Anerkennung  des  volkswirtschaftlich  Nötigen 
und  Zweckmäßigen,  daß  in  dem  Maße,  in  dem  letztere  materiell 
den  Sieg  davontrug,  das  Gesamtbild  der  scholastischen  Wirtschafts- 
lehre gekünstelt,  unnatürlich  und  lebensfremd  werden  mußte.  Es 
fehlte  der  Scholastik  eine  innerlich  gesunde  Fortentwicklung,  weil 
es  ihr  an  der  nötigen  Beweglichkeit  fehlte,  Überkommenes  aufzu- 
geben oder  umzugestalten.  Mit  wenigen  Ausnahmen  beschränkte 
sie  sich  darauf,  das  Neue  in  die  alten  Formen  einzukleiden,  was 
sich  oft  nur  gezwungen  vollziehen  ließ. 

In  der  Theorie  der  Zinstitel  ist  die  spätere  Scholastik  kaum 
über  Thomas  von  Aquin  hinausgekommen,  wenn  wir  von  der 
Aufnahme  der  bereits  vor  Thomas  gebilligten  Konventionalstrafe 
absehen.  Von  Wichtigkeit  war  immerhin  die  allmählich  stärker 
werdende  Betonung  des  Zinstitels  des  entgehenden  Gewinnes,  die, 
wenn  sie  auch  keine  Aufgabe  des  Zinsverbotes  bedeutete,  doch 
bedenkliche  Folgen  desselben  verhindern  konnte. 

Zahlreicher  waren  die  Probleme,  die  der  Rentenkauf  stellte. 
Heinrich  von  Gent  erklärte  nur  den  Census  reservatius  und  den 
Zinskauf  für  erlaubt,  wie  vor  ihm  schon  Innocenz  IV.  getan  hatte. 
Aber  schon  Ricardus  ging  über  ihn  hinaus  und  billigte  auch  den 
Census  constitutivus.  Neue  Schwierigkeiten  brachte  die  Mobili- 
sierung der  Rente  und  die  Gestaltung  des  Preises  in  diesem  Falle. 
Die  Untersuchung  des  Wertverhältnisses  zwischen  Kaufpreis  der 
Rente  und  der  Rente  selbst  führte  zu  wichtigen  werttheoretischen 
Erkenntnissen   bezüglich   des  Einflusses  der  Zeit.     Die  Ablehnung 


einer  kapitalistischen  Verwendung  des  Rentenkaufes  war  durch 
die  notwendige  Einordnung  desselben  in  das  allgemeine  Wirt- 
schaftsideal der  Scholastik  erfordert. 

Alles  in  allem  stellen  die  volkswirtschaflichen  Anschauungen 
der  Scholastik  in  ihrer  Entwicklung  und  in  ihren  Problemen  eine 
wichtige  Periode  des  ökonomischen  Denkens  dar.  Die  Verfolgung 
ihrer  späteren  Gestaltung  und  Weiterwirkung  würde  bereits  in  die 
Zeiten  der  Reformation  und  des  Merkantilismus  führen  und  damit 
den  Rahmen  vorliegender  Arbeit  überschreiten.  —  Mögen  weitere 
Forschungen  die  bisherigen  Arbeiten  berichtigen  und  vertiefen 
und  uns  neue  Erkenntnisse  bringen. 


Ä.  Personenregister. 


Abraham    148. 

Accursius  v.  Bologna   136. 

Aegidius  Colonna  42,    108. 

Aegidius  Lessinus  161  — 171,  189,  191,  202, 
205,  219,  225. 

Albertus  Magnus  16,  17,  30,  45,  46 — 52, 
62,  66,  70,  71,  74,  76,  77,  83,  94—97, 
102 — 105,  108,  110,  112 — 114,  146, 
151,  171,  227. 

Alexander  Halensis  45,  62,  75 — 77,  82,  94, 
97,  102,  103,  105,  106,  in,  114,  126. 

Alphonsus  Thostatus   226. 

Altmann   177,    178,    184,    188,    192. 

Ambtosius  6,  8,  59,  90,  91,  94,  96,  97. 

Antonin  v.  Florenz  217 — 223. 

Aristoteles  3,  17,  22,  24—42,  45,  53,  55, 
56,  58,  59,  66—78,  80,  82—84,  88, 
92,  94,  97,  99,  100,  102,  105,  106, 
108,  127,  146,  149,  151,  165,  173, 
177,  181,  188,  189,  192,  213,  224, 
228,  229. 

Aschbach    196,   202. 

Ashley   100,   126,   136. 

Astesana,   Summa  Verf.    171,   172. 

Augustinus  6,  9 — 14,  43,  72 — 78,  82 — 84, 
87,  91,  97,  127,  132,  146,  150,  151, 
176,   181,  202,  208,  218,  228,  229. 

Avicenna  139. 

Baldus  de  TJbaldis,  Perusinus  192,  193,  229. 

Bardenhewer  88. 

Basilius  91,  97. 

Bäumker  3. 

Baumann  80,  94. 

Bernhardin  v.  Siena   223 — 226. 

Biederlack  63. 

Böhm-Bawerk  57,   128,   163. 

Bonaventura   125  — 131,   153,    156,    157. 

Brants  45,    120,   175,   178,   184,   188,   191. 


Brentano  6 — 9,   12 — 15,  66,  68,  81. 
Bruder  126,   194,   196,  205. 
Bücher  73. 
Buridanus  s.  u.  Johannes  B. 

Cathrein  65. 

Cato  90. 

Chrysostomus  6 — 8,  75,  82,  92,   134,   136. 

Cicero  32,  90,  206. 

Decretum  Gratiani  s.  u.   Gratian. 

Diehl   121. 

Diocletian   15. 

Durandus   172,   174 — 176. 

Ehrenberg  214,   225. 

Endemann    15,    88,     110,     III,    116,    118, 
126,   137,   196,   202,   204,   207,   211. 

Endres    18. 

Feugeray   18. 

Franciscus  de  Emp.   216,  217. 

Franciscus  de  Mayronis  172 — 174,  211,  230. 

Funk  6,  7,   11,  89,  93,  94,  116,  118,  126, 

137,    158,    159,    204,    205,  211,   217, 

223. 

Goffredo  de  Trano  103,  105,  III,  137,  145. 

Goldschmidt  212,  214. 

Grabmann   16. 

Gratian  7,   12,  92,  93. 

Gregor  v.  Arim.  215. 

Gregor  v.  Nazianz  6. 

Gregor  v.  Nyssa  91,  97. 

Gregorius  (?)   102,    103,   III. 

Guido  d.  Belrig  215. 

Heckel   126. 

Heinrich  v.  Gent   125,   131 — 140,  143,  145, 

151,   164,   188,   191,   227,   231. 
Heinrich    v.    Langenstein    195 — 203,     206, 

227,  228,   230. 


234     — 


Heinrich  v.  Oyta  202 — 204. 

Hejcl  88,  89. 

Hertling   18,   74. 

Hieronymus  56,  90,  95,  97. 

Hilgenreiner   19,  21,   23,  80,  83,  84. 

Hohoff  68,   100,   121. 

Hostiensis  86,  94,  102,  105,  III,  137,  145. 

Hurter   126,    131,    140,   146,  161,  192,  204. 

ligner  211,   217,   219,   222. 
Inama-Sternegg   194 — 196,   200. 
Innocenz  IV  (137),   211,   226,  231. 
Johannes    Buridanus    177 — 191,    195,    198, 

200,   227 — 229. 
Johannes  Gerson   204 — 206,   228. 
Irenaeus  7. 

Karl  d.   Gr.   93. 

Kauila  14,   15,  66,  68,  177,  184,  188,  192, 

196,   198. 
Keller   114. 

Klemens  v.  Alexandrien  8. 
Klemens  v.  Rom  8. 
Kopp  6,  8. 
Kostanecki  83,   214. 
Kraus  58,  59,  66,  69 — 71. 
Kuhlmann   16,   17,  45. 
Kuhn    18,   58,  65. 

Lactantius   7,  8,  90. 

Lasson  41,  67. 

Laurentius  de  Rodulfis  211 — 217,  222,  223, 

225,  229 — 231. 
Leo  d.  Gr.   7. 
Lessei  93,    94,    99,    102 — 104,    106,    108, 

110,   in,   116 — 119,   130,   145. 
Loening   126. 
Lot   148. 

Martin  V.    204. 

Marx  28,  47,  68,    121. 

Maurenbrecher    17 — 19,    21 — 24,    26,    28, 

29,  45,  84,  87. 
Mausbach  8,   9,    16. 
Mayronis   s.  u.  Franciscus  de  M. 
Meitzel   192. 
Menger   128. 

Neumann   194. 
Nicolaus  III.    156. 


Nider,  Johannes  207 — 210,  213. 
Noe   148. 

Occam    177. 

Oertmann   14,    15,    31,  99,   102,    107,   114, 

163. 
Onken  26. 

Oresmius,  Nie.   191,   192. 
Oyta  s.  u.  Heinrich  v.  Oyta. 

Paludanus  s.  u.  Petrus  P. 

Paulus  (Apostel)  6,   72,  87. 

Paulus   (Jurist)    14,    15. 

Paulus,  N.   20. 

Perusinus  s.  u.  Baldus. 

Pesch  56,  63,   140. 

Petrus  Lombardus  56,  97,   140,    146. 

Petrus  de  Palude   176,    177,   182. 

Philipp  d.  Seh.  42. 

Plato  3 — 6,    8,    12,    25,  29,  79,    172,   200. 

Pöhlmann  3  —  5. 

Pomponius    14. 

Proudhon   121. 

Pseudochrysostomus  s.  u.  Chrysost. 

Pythagoräer  37. 

Quaest.  vet.  et.  nov.  Test.  Verf.    12. 

Ram  sauer  41. 
Ratzinger  89,  91.  92. 
Raymundus  v.   Pennaf.   94,    102,    103. 
Ricardus  de  Mediavilla  140 — 146,  151  — 153, 
156,    171,    183,    187,  225,   227,    231. 
Rodbertus   121. 
Röscher   191,   192,   196,   202. 
Rudolf  IV.    196,   202. 

Schaub  7,   18,  54,  56,  60,  63,  65,  80,  89, 

92 — 94,   in,   118. 
Schaube  212 — 214. 
Scherer   156. 

Schilling  6 — H,   18,  89 — 92. 
Schneider  88,  89,  93. 
Schulte   192,  207,   211,   223. 
Scotus,    Duns    125,     146 — 160,    164,    171, 

172,    174,    207,    219,    220,  223,   228, 

229. 
Seeberg   146. 
Seipel  6,  89. 
Sextus  Pedius   15. 
Silberschmidt    III. 


235     — 


Sombart  72,  81,   115,   194. 
Sommerlad  6,  89,  91. 
Speculum  morale,  Verf.   108. 
Stöckl  53,   172,   204. 
Strieder  81,   194. 
Susemihl  26,  92. 

Tertullian   7,  90. 

Theodoret  v.  Cyrus  6. 

Thomas  v.  Aquin  1,  3,  16 — 25,  28 — 46, 
48,  49,  52 — 66,  69 — 75,  78 — 88,  91, 
94—121,  124,  127  — 131,  134,  140, 
144 — 146,  151  — 157,  161,  168,  171, 
172,  174,  180,  187,  188,  190,  200, 
202,  203,    207,    220,    222,    226 — 231. 

Thomas  v.  Straßburg  172. 

Trendelenburg  36,  37,  40. 

Tröltsch  6,  8,  73. 


Uberweg-Heinze  126,   140,   146. 
Ulpian   107. 

Tincentius  Bellovacensis  86,  94,   102,   103. 

Walter    18,   56,  63,  65,   80,   94. 

Walter  Burlaeus   172. 

Weinand  9. 

Wetzel  40. 

Wilhelm  v.  Auxerre  94,   102,   130. 

Wilhelm  v.  Mörbecke   17. 

Wolowski   192. 

de  Wulf  74. 

Wuttke  88. 

Zeiller  24,  87. 

Zeller  3,  40. 

Zmavc  27,  42,  56,  66,  68,   71. 


B.  Sachregister. 


Actio  35 — 40,  46.  Arbeitskraft,  Vermietung  83,  85,  224. 

Activ-  und  Passivhandel  23.  Arbeitsloser   Erwerb    197,    206,    225,    230. 

Advocaten  84,  86,   173,   224.  Arbeits-(Berufs-)teilung  4,    19 — 22,    24,   25, 
Affectionspreis  15,  58,  59,  62,  63,  73,  119,  28,    45,    46,    48,    50,   52,  63,    71,  84, 

152,   153,  203,  219,   220.  87,   110,   115,   179. 

Almosen  8,    19,    59,    175,    178,    197,   220.  Arbeitsvertrag  34,  83—85. 

Altes  Testament  86  —  90,  95,  96,  129,  156,  Arm,  Armut  —  u.  Arbeit  83. 

173,   197.  —     u.    Darlehen    88,    91,    168,    174,    190. 

Angebot   und   Nachfrage    57,    58,    69,    70,  —     u.  Geldstückelung   189. 

132,    135,    141,    162,    163,    180,    182,  — ,    Ordensideal   127,    128,   156. 

192,    199,    208,    209,    213,    218,    219,  —     u.  Reichtum  6,  8,   18,   197,   198. 

222 — 224.  —     u.  Renten  201,  202. 

Arbeit,    angestrengter   ohne   Darlehen    200.  —     u.  Schätzung  d.  Güter  141,   181,   182, 
— ,    Anrecht   auf  Unterhalt   (Lohn)    6,    11,  183—185. 

12,  52,  53,  72,  83,  86,  87,  115,  121,  — ,    Unterstützung  8,    19,  80,   174,   190. 

187,  229.  Aussteuerversicherung  225. 
— ,    ausführende  u.  leitende  85. 
—     u.  Freude   179. 


Barrenmetall   188. 


—  geringer  bewertet  als  Lohn   183.  Bedarfsdeckungsprinzip    72,    81,    115,    171, 

—  gesellschaftlicher  Character  53.  V*,   *94>   »97.  202,   2i°- 

— ,    körperl.    u.    geist.     12,     82,    84,     121,  Bedürfnis    (Schätzung,    Bewertung)    10,    13, 

128,   135,   184.  J4-  37.  43—46,  49—64,  66—71,  73. 

—  u.  Kosten  (Arbeitswert)  5,  13,  14,  74,  99,  ™7,  ^S,  132,  141,  142,  150, 
36,  39-47,  49—53,  58,  63-65,  I5L  x53,  154,  161-163,  165,  169, 
68—72,  78,  83,  87,  110,  in,  115,  J73,  176,  180—188,  193,  198.  199, 
128,    151,    172,    199,    200,    227,   228.  2°2>    2°3,    208,   218,   220,    224,   227, 

— ,    qualitativ  verschieden   41,    46,   47,    52  22°- 


(vgl.  Arbeitsteilung).  Beginnen    139. 

u    Rente  201     203.  Besitz,  sicherer  höheren  Wert  a.  unsicherer 

— ,    als  Ware  83,  84.  58,   "7- 

— ,    Wert   41,    68,    83—85,    87,    88,  201,    Betrug  im  Handel  5,  7,  9,   14,  47,  61,  62, 

2IO,  224.  64.  82,  91,   129,   133,   150,   164. 

-,    Wertschätzung  6,   20,   127,   128.  ^.^  222 
-,    wechselseitige  füreinander  46,  52,   71,    Commenda   „x< 

II0,  Consumtion  d.  Geldes  i.  Tausche   100,   102, 

— ,    Zweck  8,   20,  72,  86,   114.  ^ 

Arbeiter  83—87,    189,   223,  224.  Contractu  bursalis   143,   144  (cf.   138). 
Arbeitgeber  84,  85,   223. 

Arbeitsertrag,  Recht  a.  d.  vollen   121,  145    Darlehen,    Wesen    98,    99,    102 — 106,    108 

(vgl.  Zins).  —112,    118,   119,    126,    135,  136,  137 


—     237     — 


—  J39.    H3.    x44>  H9.  !56-  l65.  l67< 

169,  170,  189,  190,  200,  208.  212,  215. 

— ,    Wertveränder.  desselben  56,    1 66,  212, 

213- 

Eigentumsrecht  im  allgem.   169,   202. 

— ,    im  Darlehen  94,    103 — 105,   109,    110, 

129,  144,  156,  157,  168,  189,  190. 
— ,  im  Gesellschaftsvertrage  110,  111,  168. 
— ,    im     Pachtvertrag    84.     85,     103,     104, 

m,    129,    148,    149,    156. 
— ,    im  Tausch  34,  46,  62.    148,    149    164. 
— ,    am  Zins   136,    137,    167,    177,   204. 
— ,    i.  Rentenk.   126. 
Ehe,  Enthaltung  178. 
Elvira   7. 

Erwerbsarten    n.    Arist.    26 — 29,    92,    224. 
Erwerb  a.  geist.  Arb.   84,   87. 
Existenzminimum  II,  13,  14,  19,83,86,  154. 

Facere  s.  u.  actio. 
Fructus  civiles   114. 

Geistliche  u.  Handel  7,    12,   77,   79,   82. 

—  u.  Unterhalt  86. 

—  u.   Zins   89. 
Geld,  Begriff  6o,    99. 

— ,    Entstehung  26,  42,   189. 

— ,  Wert  44,  51,  83,  133,  134,  153,  154, 
171,  172,  177,  188,  189,  192,  193, 
210,   226,   229,   230. 

— ,  Wesen  u.  Funktionen  i.  w.  S.  5, 
26—31,  36,  37,  42—45,  51,  52,  55, 
67,  68,  88,  92,  99 — m,  114,  116, 
119,    125,    126,    129,    130,   133,    134, 

136—139.  142— H5.  149,  153,  154. 
I56—I59,  165—170,  173,  175,  183, 
184,  189 — 193,  197,  201,  203,  204, 
206,  208,  210,  211,  213,  215,  217, 
221 — 226,  229. 

— ,    s.  u.   Kauf,   Staat,  Unfruchtbarkeit. 

Geldentwertung   166. 

Geldvorrat  i.   früh.  Mittelalt.  92,  93. 

Geldwechselgeschäft  29 — 31,  83,  134,  149, 
164,  165,  171,  172,  177,  187,  189, 
190,  192,  208,  211,  222,  224,  226, 
229,   230. 

Gerechter  Preis,  Albert.  47,  62,  66,  JJ ,  227. 

— ,    Anton.   218 — 222. 

— ,    Aug.  9—12,   73,   150. 


Gerechter  Preis,  Bernh.   223,   224. 

Bonav.    128,    13 1. 

Burid.    184—186. 

Gerson   205. 

Halens.   62,    76. 

Heinr.  v.  G.  132,    133,    135,    151,  164. 

Heinr.  v.  Lang.    198,    200. 

Kirchenv.   3,   6,   9,    13,  91. 

Nider  207 — 210. 

Plato  3,   5,    12. 

Ricard.  141,  142,  151,  152,    183,    184. 

Rom.   Recht    14,    15,    64,    133,    198. 

Scholastik   128,    141,    161,    170,    188, 

191,   207,   227. 

Scot.    146,    147,    150 — 155,    159,    160, 

207,   219,   220. 

Thom.  1,   3,    16,   25,  43,   61 — 66,   73, 

75,   78,   79,   83,  84,   87,  88,  98,    106, 

112,    115,    119- — 121,   227. 
— ,    Thost.   226. 
— ,    s.  u.  Wert. 
Gerechtigkeit  3,   7,   9,    11,   31 — 41,   43,  46, 

47,  49—52,  61—67,   7°.   73,   75»   77. 

78,   84 — 86,    97—99,   105 — 109,   114, 

115,   127,    133,    134,   147,   150—153, 

157,    163,    164,    171,    173,    176,    185 

— 190,   209,   219,   230. 
Gesellschaft    (Gemeinschaft)    4 — 6,    11,    18 

—  22,  24—26,  32,  33,  45,  46,  49—52, 
59,  60,  63-65,  72.  76—78,  82—84, 
86,  87,  110,  114,  115,  128.  129,  140, 
147,  176,  179,  182,  186,  1^7,  197, 
210    218. 

Gesellschaftsunternehmen     110,     m,     121, 

130,    145,    168,    190. 
Gewinn    (Gewinnstreben)     4,     5>     7 ■>    9>     XI 

—  15,  19,  23,  27.  28,  31,  53,  55,  59, 
72,  75  —  82,  92,  101,  109 — in,  116, 
117,    121,    129— 131,    133— 139,    141 

—  145,  149,  151  — 153.  155,  157,  159. 
160,  164,  165,  168 — 173,  175 — 179, 
183,  186,  187,  189— 191,  194,  195, 
197,  198,  203,  205,  210  —  216,  220 
— 222,   224,   226,    227,   229. 

Gewinnprinzip  im  Tausche   121,    128,   130, 

133.    139,    H1»   I42,   145,  I51 — 153» 
160,  163 — 165,   169 — 171,   183,  186, 
189,   191,  204,  219,  227,  229. 
Gleichheit  6,  8,   11  — 13,   19,   180,  197. 


-     238     - 


Gold  (u.  Silber)  42,    57,    61,   70,  91,    100, 

127,    128,    150,   192,   218. 
Grenznutzentheorie  70. 
Güter,    Bed.    u.    Zweck    io,     18,    43,    49, 

53— 56-    59-    69,    73,    140,   161,   179- 
Gütermenge  u.  Wert  s.  u.  Angebot. 

Handel  i.  Mittelalt.  25,   81,    125,   126,    194, 

195.   229- 
— ,    Bedeut.  u.  Wesen    4 — 6,    10 — 13,    21 
—25,    27—31,    75,    76,    78,    79,    82, 
129,   141,   149,   154,   155. 
— ,    Beurteil,  u.  Ford.,  Alb.  30,   76,  77,  83. 
— ,  Ant.   221,   222. 
— ,   Arist.  27 — 30,  75 — 77,  80,  82,  83, 

229. 
— ,   Astes.   171. 
— ,  Bernh.  224. 
— ,  Bon.   128 — 131. 
— ,  Bur.    187. 
— ,  Dur.    175. 

— ,  Heinr.  v.  G.    134,    135,    139. 
— ,   Kirchenv.  3,  6 — 9,  12 — 14,  82,  129 

[i.  bes.  Aug.  6,  9—14,  72.  75— 78> 

82,    83,    229. 
— ,  Op.    imp.    7,    75,    82,    134,    135]. 
— ,   Hai.  62,    75 — 77,   82. 
— ,  Lessin.   168. 
— ,  Nider  208 — 210. 
— ,  Mayr.   172. 
— ,  Plato  3 — 5,   29. 
— ,  Ricard.   141,    142. 
— ,  Scot.    149,    154,    155,    160.   229. 
— ,   Thomas    22,    23,    25,    75,   78 — 83, 

155.    229- 

— ,  — ,  Thom.  v.  Str.   172. 

Handeln  (Feilschen)  5,   133.    135,    152,  205. 

Handelsgewinn  a.  Arbeitslohn  (5),  11  — 14, 
72,  75,  76,  78,  79,  82,  134,  154, 
155,    164,   209 — 212,   224,   226. 

—    u.  Zins  76. 

Handwerk  5,  25.  41,  46,  47,  50,  52,  72, 
79,   81,    101,    110,    115,    199. 

Juden  95,    115,    136,   200. 
ius  percipiendi   139,    143. 
iustitia  distributiva  33,    34,    36    (s.  u.  Ge- 
rechtigkeit). 

Kanonisches  Recht  7,  12,  77,  90 — 94,  96, 
118,   156,    168,   205. 


Kapitalismus  (4),    (5),   (8),    12,   28—30,   72, 

81,  115,  119,  120,  126,  135,  170, 
171.  189,  194,  197,  198,  200,  201, 
209,   213,   223,   225,   228 — 232. 

Kaufmann,  sittlich  gefährdet  7,   12,  23,  76, 

82,  129,   135,   155,   192. 
Kauf  u.  Verkauf  s.  u.  Tausch. 

—  d.  Geldes  208,   213,   229. 
Kleinhandel  4,   5. 
Konkurrenz    120,    207,   209. 
Konzil,   Konstanz   204. 
Kreditverkehr,    wirtsch.    Bedeut.    30,     102, 

109,    112— 115,    130,    156,    174,   175, 

230. 
Kreditkauf   17,    118,    119,    136,    149,    158 

— 160,   167,   168,   170,  190,   201,  206, 

221,   222,   231. 
Kurs  Verschiedenheit  83,  134,  171,  212,  213, 

226,  230. 

Lohn,  gerechter  83 — 88,   223. 
Lohnzahlung,  sofortige  86,  87. 

—  in  Geld  od.  Natural.   189,   223. 
Luxusbedürfnisse   u.  Wert    181,    186,   188. 

Marktpreis  (normaler  Wert)  9,  13 — 15,  51, 
60—63,    73,    74,    77,    78,    119,    120, 

I31-  !32.  135.  H1«  H2>  145.  r52> 
153,  162 — 164,  168,  171,  172,  182 
— 184,  186,  187,  198,  202,  203,  207, 
208 — 210,    218 — 220,    223,  224,  226, 

227,  229. 
Maximal  tarif   15. 
Messen,  Arten   181,   182. 

Naturrecht  18,  65,  66,  71,  76,  86,  105, 
107,  108,  121,  127,  132,  133,  136, 
140,  141,  144,  147,  148,  150,  166, 
167,   173,   174,   179. 

Neues  Testament  6,    II,    17,    59,    89,    90, 

95—97.   i29>   135.   M5.   J56- 
Not  (Begriff)   19,  54,   112 — 114,    130,    145; 

vgl.  Privateigent. 
Notkredit    114. 
Op.  67     17,  60,   119,  222. 
Op.  imperf.   7,    75,    82,  91 — 93,   102,   103. 

Pachtvertrag  84,  85,  91,  92,  94,  103,  104, 
106,    in,     129,    136,    137,    149,    154, 

156,    157,    173- 
pati  s.  u.  actio. 


—     239     — 


Prägekosten   193,  229. 
Preis  s.  u.  Wert;  in  Kreditvert.  s.   d. 
Preisbildung  i.  Mittelalt.  73,   195. 
Preis,  nur  einer  z.  nennen  5,  8. 
Preisstufen  219 — 222,  224. 
Preisunterbietung  d.  Advocat.  86. 
Privateigentum    8,    18,    21,    127,    131,    140, 

146—  148, 160, 172,  179,  180,  208,  223. 
Produktivdarlehen  91,    113,    114. 
Profit,    durchschn.  221,   222;  s.  u.  Gewinn. 
Proportion  (geom.    u.    arithm.)    34,    35,  37 

— 41,    46,    48,    49,    51,    52,  67,    192. 

Reichtum  (künstl.  u. natürl.)  26 — 28,  55,(1 89). 
remutuatio  97. 

RentengesetzgebungRud.IV.  196,  197,  202. 
Rentenverträge    125,     126,    137 — 139,    142 

— 146,  168 — 172,  177,  190,  194 — 196, 

201 — 206,    214,    225,   231,   232. 
Restitution    61,    64,    91,     110,     116 — 118, 

146,    157.    167,    177,.   205,   213,   220. 
Restitutionsfähigkeit   136;   200. 
Roh-  u.  Reinzins   103. 
Römisches    Recht,    Bestimm,    üb.  Kauf  u. 

Verkauf    14,    15,    64,    133,    164,    191, 

198,   205,   209,   218. 
— ,    üb.    Darleh.    u.  Zins  93,  94,  97,   104, 

107,    108,    114,    136. 
— ,    üb.  Geld  99,    102,    108. 
— ,    Gesellschaftsvertr.    110. 
— ,     Lohnvertr.   85,   87. 
— ,    Studium   d.  r.   R.   93,   94,    191. 
— ,    Wert  d.  Zeit   163. 
— ,    Wert  u.  Preis  31. 

Selbstgenügsamkeit  20 — 24,   28,   29. 
Seedarlehen   168,   214. 
Sklave   10,  87. 
Sozialismus    121,    145,    146. 
Staat   i.    allg.    3,  4,   24,   26,   76,    148,    174, 
178,    179,    199. 

—  u.  Geldwesen    42,    44,    51,    134,    188, 
189,    193,   229. 

—  u.  Preisfixierung  5,    15,  47,   187,   194, 
195, 198 — 200, 205,  206,  224,  228,  229. 

—  u.   Rente   194.   201,   205,   206,   214. 

—  u.  Zins  89,    91,    108,    114,    173,   175, 
176,    190.   215,   216. 

Staatsanleihen   206.     207,    214 — 217,    223, 
225,   226,   231. 


Stadtbewohner   178. 

Stadtgemeinde  21 — 25,   28,   30,  41,  49,  52, 

62,   71—73,    J54.    195-   2o6- 
Standesprinzip  8.    II,    13,    18,    19,   53 — 55, 
59,    71,    72,    81 — 83,    86,    87,    112, 
113 — 115,    117,    120,    121,   131,   145, 
147,    154,    155,    171,    175,   178,    179, 

x94-    x95>    l97 — *99>    2°3>  2°5>  2°6, 
210,  222,  223,  228 — 230. 
Standesunterschiede  8. 

Tausch  3,  4,  9,  21 — 53,  55,  60 — 68,  70, 
73-  74-  77-  83,  84,  98,  100,  102, 
103,  105,  106,  109,  110 — 112,  115, 
120,  127,  128,  130 — 140,  142 — 145, 
H7— 157.  159.  l6°-  163  —  165,  167 
— 171,  173,  176,  178,  180,  181,  183 
— 187,  189,  190,  195,  198,  203,  204, 
206,    208,  212,   217 — 219.   227 — 229. 

Teuerung  77,   79,   174,  175,  198,  199,  222. 

Tradition  u.  Wucherl.  98,  173,  211,  230, 
231. 

Übervölkerung   178. 

Übervorteilung  9,    14,    15,   64,  73,  79,  132, 

133.    198. 
Unfruchtbarkeit  d.  Geldes  (Geld  a.  Tausch- 
vermittl.)    28,    91,    92,    94,    100 — 102, 
106,    108,    114.    130,    133,    136,    142, 

149,  153,    157,    165,    169,    173,    189, 
192,   201,   213,   229. 

yalor,  Begriff  b.  Albert  50,   51. 

Versicherung   206.    207,    214,    223,    225. 

Vertragsfreiheit  14,  15,  133,  152,  153,  161, 
163 — 165,    167,    169 — 171.    176, 
185 — 188,    190,    191,    194,    195,    198, 
205 — 207, 217, 218,  224, 227,228,  230. 

Wechsel    206,    207,    211  —  213,    222,    224, 

226,   230. 
Wert,    Alb.    48,    50 — 52,    62.    71,   74,   75, 

151,   227. 
— ,    Ant.   217 — 222. 
— ,    Arist.  32,  41,   56,  66 — 74,   228. 
— ,    Aug.    9,     10,     14,    43,    72— 74,     132, 

150,  151,    176,    181,    202,    208    228. 
— ,    Bernh.   223,   224. 

— ,    Bon.   127,    128,    130.    131. 

— ,    Burid.   177,    180 — 189,  191,  198,  227. 


—     240     — 


"Wert,   Gerson  205,   206,   228. 

— ,    Hai.  45.   62. 

— .    Heinr.    v.    G.     131  — 137,     139.     151, 

164,   227. 
— ,    Heinr.  v.  L.  198 — 202,  206,  227,  228. 
— ,    Heinr.  v.  Oyta  202 — 204. 
— .    Kirchenvät.   3.    12—14    72. 
— .    Laurent  211,   217. 
— .    Lessin.  161  — 168,  170.  189.  191.  205, 

219. 
— ,    Mayron.   172,   173. 
— ,    Xider  207 — 210. 
— ,    Palud.    176,    177,    182. 


Plato 


144—146,      151. 


— ,    Ricard.     140 — 142 
183.    184,    187.   227. 

—     Rom.  Recht   14     15,   31.    163,   228. 

— ,    Scotus   147,    150 — 155.  160,  207.  228. 

— ,  Schobst  15,  45,  123,  125,  131,  146, 
171,  188,  191,  192.  195  196,  200, 
203,   207,   217,    227 — 229. 

— ,    Sozialis.    121. 

— ,  Thom.  v.  A.  16,  31  32  36.  39.  42 
—44.  52.  53,  55—  66,  70—  75,  78, 
-9,  83 — 85,  87,  105,  108,  109,  III. 
115,  117,  120.  121,  123,  151.  155, 
187,   200.   202,   203.   227    228. 

— ,    Th.  v.  Str.    172. 

"Wertgleichheit  (Äquivalenzprinzip)  31,  33 
—40,  43,  46,  47—49.  5°— 53-  6l 
—63,    67.    68,    73,    85,    88,    98,    99 

IO5  — 107,  IO9,  II9 — 121,  127,  128 

131  — 135.  139,  I4I  —  I45,  147,  148 

150 — 153,  156,  163,  165,  166,  172 

173.  176,  177,  183,  185,  187,  188 

I90,  198.  203,  204.  206,  2IO.  212 
213.  220,  228. 

"Wert  u.  Preis  31,    187,    188    227.   231. 

"Wiedervergeltung  (contrapassum)  36 — 50, 
52  63—65,  67,  68,  71,  72,  78,  83, 
85,  110,  m,  115,  172,  200,  227,  228. 

Willensübereinstimmung  u.  Zins   114. 

Wirtschaftsleben  d.  Mittelalters  22,  24,  25, 
28,    71—73-    75-   8i,   87,  92,  93,  98, 


I02,  IO4,  II3  — II5,  119 121,  125, 

126.  130,  135,  139,  155,  160,  168, 
171,  174.  176,  178,  184,  191.  193 

197,  200,  206,  207,  212 — 2l6,  220 

223,  228 23I. 

Zeitaufwand  u.  Wert  70. 
Zeit,    Wertschätzung   derselben,    144 — 146, 
163,    167,    170,    205,    225,   227,   231. 
Zins  als  Arbeitslohn   174,    175,   230. 
— ,    Begriff    90,    94,    95,    107,    129,    165, 

189,  190. 

— ,    von  Fremden  88,  89,  95,   96. 

Zinskauf   125.   (137),    139,   231. 

Zinsverbot,  Begründung:  Abnutzungs- 
theorie 92,    103.    130. 

— ,  Aneignung  fremder  Arbeit  108 — III, 
115,  121,  130,  145,  157,  165,  166, 
173,    222.    230. 

— ,    arbeitsl.    Eink.     115.    165,     206,     230. 

— ,  doppelter  Verkauf  106 — 108,  136,144, 
145,    156,    190,   226,   230. 

— ,    erwähnt  174.    177,   200,  211,222,224. 

— .    juristische     Unmöglichkeit     103 — 105, 

129,  130,    156,    157.    168. 

— ,    moralisierend.    Betracht.    91,    93,    108, 

130,  200,   211,   224. 

— ,    Risikotheorie   109 — III,    130. 

— ,    soziale  Erwägungen  90,    91,    93,    190, 

193.    211,   231. 
— ,    Widerspruch  gegen  Natur  d.  Geldes  106, 

vgl.  Unfruchtbark.  u.  Kons.  d.  Geldes. 
— .    Unterstützungspflicht  d.  Reichen    174, 

190. 
— ,     Zeitverkauf     94,      (103),      (104),      108, 

(118),    130,    157—159-    166,    16;.  173, 

190,  217,    221,    231. 

— ,    Umgehung  89,    116,    145,    158,    194, 

200,   201,   204,   225. 
— ,    Wirt  seh.  Bd.    s.  u.  Kreditverk. 
Zinstitel    89,     116 — 118,     145,     158,     159, 

167,    172,    190,   200,   208,   215 — 217, 

223,   225,   226,   231. 
Zinszahlung   112,    113,    130.    145,   177. 
Zwischenhandel    15. 


Ä.  Verzeichnis  der  benutzten  Quellenliteratur. 


i.  Die  Kirchenväter  sind  nach  der  Ausgabe  von  Migne  zitiert. 

2.  Plato,  Dialogi  ex  rec.   Hermanni.     Lipsiae   185 1 — 53. 

3.  Corpus  iuris  Civilis  ed.   Krueger,  Mommsen.   I8   1899,   II7   1900,   III2   1899. 

4.  Corpus  iuris  canonici  ed.  Friedberg.      1879  —  81. 

5.  Aristotelis,  Ethica  Nicomachea  ed.   Ramsauer.      Leipzig   1878. 

Übersetzung  von  Lasson.    Berlin  1909.  —  Politik:  ed.  Susemihl.    Leipzig  1874. 
Übersetzung    und  Kommentar    dazu    von    Susemihl    1879.    —    Rhetorik:    ed. 
Roemer,  Leipzig    1899.      Übersetzung  von  Knoebel,  Stuttgart   1838. 

6.  Innocenz  IV,  Apparatus  mirificus  super   5   Ib.   Decretalium.     Lugduni    15 14. 

7.  Raymundus  de  Pennaforte,    Summa  casuum.     Veron.    1744. 

8.  Goffredus  de  Trano,  Summa  in  titulos  decretalium.     Venet.   1586. 

9.  Heniicus  a  Segusio,   Hostiensis,  Aurea  Summa.     Venet.    1605. 

10.  Guillermi  Antissiodorensis,  Summa  in  4  Ib.      Sententiarum.     Paris.    1500. 

11.  Vincentius  Bellovacensis,  Speculum  doctrinale.      Duaci   1624. 
[ — ],  Speculum   morale.     Duaci   1624. 

12.  Alexander  Halensis,  Summa  theologica.     4  voll.      Lugduni   15 15  — 16. 

13.  Albertus  Magnus,  Opera  ed.  Jammy.     Lyon   1651. 

14.  Thomas  v.  Aquino,   Opera  omnia.      Parmae    1852 — 73. 
— ,  Summa  theologica.     Augustae  Taurin.    1913. 

— ,  Opuscula.     Venet.   1508. 

15.  Aegidius   Colonna,  De  regimine  principum.      Romae   1607. 

16.  Bonaventura,   Opera  omnia.      Ad  Claras  Aquas    (Quaracchi)    1882 — 98. 

17.  Henricus  Goethals  a  Gandavo,  Summa  quaestionum  ordinariarum.     Paris    1520. 
— ,  Aurea  Quodlibeta.     Venet.    16 13. 

18.  Ricardus  de  Mediavilla,   In   4   Ib.   Sententiarum.   Quodlibeta.     Brixiae   1591. 

19.  Duns  Scotus,   Opera  omnia.      Paris    1891. 

20.  Aegidius   Lessinus,  siehe  Thomas  v.   Aquin   Op.   73. 

21.  Astesanus,  Summa  de  casibus  conscientiae.      s.  1.  e.  a. 

22.  Walter  Burlaeus,  Expositio  super   10  Ib.  Etbicorum  Aristotelis.     Venet.   1500. 

23.  Durandus  a  S.   Porciano,  Comment.   in   IV  Ib.   Sentent.     Paris    1508. 

24.  Franciscus  de  Mayronis,  Scriptum   super  4  Ib.  Sententiarum.     Venet.    1504—07. 

25.  Thomas  de  Argentina,  In   4   Ib.   Sententiarum.     Argent.    1490. 

26.  Petrus  de  Palude,  Scriptum   super  III  Sent.     Paris    15 17. 
— ,  Scriptum  super  IV  Sent.     Venet.    1493. 

27.  Buridanus,  Quaestiones  super  X  Ib.  Ethicorum  Aristotelis.     Paris   1489. 
— ,  Quaestiones  in  VIII  Ib.  Politicorum.     Paris   1500. 

— ,   Quaestiones  in  Aristotelis  Methaphysicen.      Paris    1 5 1 7. 
Beiträge  zur  Geschichte  der  Nationalökonomie.     Heft  1.  1(> 

Schreiber,  Die  volkswirtsch.  Anschauungen  d.  Scholastik. 


—     242     — 

28.  Oresmius,  De  origine,  natura  et  mutationibus  monetarum.  Herausgeg.  von  Wolowski: 
Traictie  de  la  premiere  invention  des  monnoies  de  Nicole  Oresme.  Texte  francais 
et  latin.     Paris    1864. 

29.  Baldus  Perusinus,  Super  decretalibus.     Lugduni   1547. 

30.  Henricus  de  Hassia,  Tractatus  bipartitus  de  contractibus  emtionis  et  venditionis  (ge- 
druckt bei  Gerson,   Opera  omnia  tom.   IV,   185 — 224.     Coloniae   1483). 

31.  Henricus  de  Oyta,  De  contractibus  (bei  Gerson,  Op.  ora.  t.  IV.     Colon.    1483). 

32.  Johannes  Gerson,  Opera  omnia.     Hagae  Comitum   1728. 

33.  Johannes  Nider,  De  contractibus  mercatorum.     s.  1.  e.  a. 

34.  Laurentius  de  Rudolfis,  De  Usuris.  in:  Tractatus  illustrium  iurisconsultorum 
Tom.  VII.     Venet.    1584. 

35.  Antonin  v.  Florenz,   Summa  confessionalis.     Lugduni   1546. 
— ,  Summa  moralis.     Basil.      151 1. 

36.  Bernhardin  v.  Siena,   Sermones.     s.  1.  e.  a. 

37.  Alphonsus  Tostatus,  Opera  omnia.     Coloniae  Agrippinae   16 13. 


B.  Verzeichnis  der  sonst  benutzten  Literatur. 


Alt  mann,  Studien  zur  Lehre  vom  Geldwert.     (Diss.)     Berlin   1906. 

Aschbach,  Geschichte  der  Wiener  Universität  I.     Wien   1865. 

Ashley,    Englische  Wirtschaftsgeschichte    (übersetzt   von   Robert  Oppenheim).      2  Bde. 

Leipzig  1896. 
Baumann,  Die  Staatslehre  des  hl.  Thomas  v.  Aquin.     Leipzig   1873. 
Biederlack,   Zur  Gesellschafts-  und  Wirtschaftslehre  des  hl.  Thomas.    Zeitschr.  f.  kath. 

Theologie  XX  (1876). 
— ,  Die  soziale  Frage.     3.     Innsbruck   1898. 
Böhm-Bawerk,  Grundzüge  der  Theorie  des  wirtschaftlichen  Güterwerts.    Jahrb.  f.  Nat. 

u.  St.;  N.  F.     Bd.   13.     Jena   1886. 
— ,  Positive  Theorie  des  Kapitals.     3.      1909. 
Brants,  L'economie  politique  au  Moyen-age,  Esquisse  des  theories  economiques  professes 

par  les  ecrivains  des  XUIe  et  XIVe  siecles.     Louvain   1895. 
Brentano,  Ethik  und  Volkswirtschaft  in  der  Geschichte.     München   1901. 
— ,  Die  wirtschaftlichen  Lehren  des  christlichen  Altertums.     Sitzungsber.  d.  philos.-philol. 

u.  historischen  Klasse  d.  kgl.  bayr.  Akademie  d.  Wissensch.     München   1903. 
— ,  Die  Entwicklung  der  Wertlehre.    Sitzungsber.  d.  philos.-philol.  usw.    München  1908. 
Bruder,    Studien   über   die   Finanzpolitik    Herzog   Rudolfs   IV.  von   Österreich.     Inns- 
bruck  1886. 
Bücher,  Die  Entstehung  der  Volkswirtschaft.     3.     Tüb.  1901. 
Cathrein,  Das  ius  gentium  im  römischen  Recht  und  beim  hl.  Thomas  v.  Aquin.    Philos. 

Jahrbuch  d.  Görresgesellsch.  IL     (1889.) 
Diehl,  Sozialwissenschaftl.  Erläuterungen.     2  Bde.     Leipzig   1905. 
Ehrenberg,  R.,  Studien  z.  Entwicklungsgeschichte  d.  Versicherung.     Z.  f.  d.  ges.  Ver- 

sicherungsw.  I,  Berlin   1901;  II,  Berlin   1902. 
Endemann,  Die  nationalökonomischen  Grundsätze  der  kanonistischen  Lehre  (Separatabd. 

aus  Jahrbuch,  f.  Nat.  u.  Stat.,  Bd.  I).    Jena   1863. 
— ,  Studien    in    der    romanisch -kanonistischen   Wirtschafts-    und    Rechtslehre.      2  Bde. 

Berlin   1874—83. 
Feugeray,  Essai  sur  les  doctrines  politiques  de  St.  Thomas.     Paris   1857. 
Funk,  Geschichte  des  kirchl.  Zinsverbots.      (Universitätsprog.)     Tübingen   1876. 
— ,  Zins  und  Wucher.     Tübingen   1878. 
— ,  Kirchengeschichtliche    Abhandlungen    und    Untersuchungen.       3     Bde.      Paderborn 

1897— 1907. 
— ,  Über  Reichtum  und  Handel  im  christlichen  Altertum.     Historisch-politische  Blätter, 

CXXX,   1902. 

16* 


—      244     — 

Funk,  Über  d.  ökon.  Anschauungen  d.  mittelalterl.  Theologen  Z.  f.  d.  ges.  Staatsw. 
XXV,   1869. 

Goldschmidt,  Universalgeschichte  des  Handelrechts  I,   1891. 

Grabmann,  Thomas  v.  Aquin   1912. 

Hejcl,  Das  alttestamentliche  Zinsverbot  im  Lichte  der  ethnologischen  Jurisprudenz  sowie 
des  altorientalischen  Zinswesens.  (Bibl.  Studien,  hrsg.  von  Bardenhewer,  Bd.  XII,  4.) 
Freiburg  1907. 

Hertling,  v.,  Kleine  Schriften  zur  Zeitgeschichte  und  Politik.     Freiburg   1907. 

— ,  Augustinuszitate  bei  Thomas  v.  Aquin.  Sitzungsberichte  d.  kgl.  bayr.  Akad.  d. 
Wissenschaften,  philos.-philol.  u.  hist.  Kl.     München   1904. 

Hilgenreiner,  Die  Erwerbsarbeit  in  den  Werken  des  hl.  Thomas  v.  Aquin.  Katholik 
1901,  Bd.   J,   II. 

Hohoff,  Die  Werttheorie  d.  hl.  Thomas  v.  Aquin.  Monatsschrift  f.  christliche  Sozial- 
reform.     1893. 

— ,  Die  Bedeutung  der  Marxschen  Kapitalkritik.     Paderborn   1908. 

Hurt  er,  Nomenciator  II  3.      1903. 

ligner,  Die  volkswirtschaftlichen  Anschauungen  Antonins  v.  Florenz.    Paderborn   1904. 

Inama-Sternegg,  Deutsche  Wirtschaftsgeschichte.     3  Bde.      1879 — 1901. 

Kauila,  Die  geschichtliche  Entwicklung  der  modernen  Werttheorien.     Tübingen   1906. 

— ,  Die  Lehre  vom  gerechten  Preis  in  der  Scholastik.  (Zeitschr.  f.  ges.  Staatsw.  Bd.  LX,  1 904). 

— ,  Der  Lehrer   des    Oresmius  (Buridanus).     (Zeitschr.  f.  ges.  Staatsw.  Bd.  LX,   1904). 

— ,  Der  Wertbegriff  im  römischen  Recht.  (Zeitschr.  f.  ges.  Staatsw.  Bd.  LVIII,  1902  ; 
vgl.  Die  geschichtl.  Entwicklung  der  modernen  Werttheorien,  S.   5  ff.) 

Keller,  Unternehmung  und  Mehrwert.     (Görresgesellsch.  Vereinsschr.    I.)     Köln   191 2. 

Kopp,  G.,  Die  Stellung  des  hl.  Johannes  Chrysostomus  zum  welüichen  Leben.  (Diss.) 
Münster   1905. 

Kostanecki,  Arbeit  und  Armut.     Freiburg  1909. 

— ,  Der  öffentl.  Kredit  im  Mittelalter.  Nach  Urk.  d.  Herzogt.  Braunschw.  u.  Lüne- 
burg.    Leipzig  1889.    (=  Staats-  u.  socialw.  Forsch.,  hrsg.  v.  Schmoller,  IX,  1;  1890.) 

Kraus,  Die  aristotelische  Werttheorie  in  ihren  Beziehungen  zu  den  Lehren  der  modernen 
Psychologenschule.     (Zeitschr.  f.  ges.  Staatswissensch.  LXI,   1905.) 

Kühl  mann,  Der  Gesetzesbegriff  beim  hl.  Thomas  v.  Aquin  im  Lichte  des  Rechts- 
studiums seiner  Zeit.     Bonn   19 12. 

Kuhn,  Die  Probleme  des  Naturrechts  bei  Thomas  v.  Aquin.  (Diss.  München.)  Er- 
langen  1909. 

Lessei,  Die  Entwicklungsgeschichte  der  kanonistisch-scholastischen  Wucherlehre  im 
13.  Jahrh.     (Diss.  Freiburg  [Schweiz].)     Luxemburg   1905. 

Maurenbrecher,  Thomas  v.  Aquino's  Stellung  zum  Wirtschaftsleben  seiner  Zeit. 
Leipzig   1898. 

Mausbach,  Die  Ethik  des  hl.  Augustinus.      2  Bde.     Freiburg  1909. 

— ,  Der  , Kommunismus'  des  hl.  Klemens  v.  Rom.    Histor.-politisch.  Blätter  CXVI.  1895. 

Menger,  Grundsätze  der  Volkswirtschaftslehre.     Wien   1871. 

Neumann,  Geschichte  des  Wuchers  in  Deutschland.     Halle   1865. 

Oertmann,  Die  Volkswirtschaftslehre  des  Corpus  Juris  Civilis.     Berlin   1891. 

Onken,  Die  Staatslehre  des  Aristoteles.      1875. 

Paulus,  X.,  Die  Wertung  der  weltlichen  Berufe  im  Mittelalter.  Historisches  Jahrbuch 
der  Görresgesellschaft  Bd.  XXXII  (191 1),  S.  725  ff. 

Pesch,  Lehrbuch  d.  Nationalök.  II.     Freiburg  1909. 


—      245     — 

Pesch,    Die    ökonomischen    Lehren    des    Marxschen  Sozialismus.      (Stimmen  aus  Maria 

Laach,  Bd.  XLI.)     Freiburg  1891. 
Pohl  mann,  Geschichte  des  antiken  Kommunismus  und  Sozialismus  I.    München   1893. 
Ratzinger,  Die  Volkswirtschaft  in  ihren  sittlichen  Grundlagen  2.     Freiburg   1895. 
Röscher,  Geschichte  der  Nationalökonomik  in  Deutschland.     München   1874. 
f  Ein  großer  Nationalökonom    des    14.  Jahrh.      (Zeitschr.   f.  d.  ges.  Staatswissenschaft, 

Bd.  XIX.      1863.) 
Schaub,  Die  Eigentumslehre   nach  Thomas  v.  Aquin  und   dem   modernen  Sozialismus. 

Freiburg   1898. 
— ,  Der  Kampf    gegen    den    Zinswucher,    ungerechten  Preis    und   unlautern   Handel   im 

Mittelalter.     Von  Karl  dem  Gr.  bis  Papst  Alexander  DI.     Freiburg   1905. 
Schaube,  Studien  zur  Geschichte  und  Natur  des  ältesten  Cambium.    Z.  f.  Nat.  u.  Stat. 

65-     (I895-) 

— ,  Die  wahre  Beschaffenheit  der  Versicherung  in  der  Entstehungszeit  des  Versicherungs- 
wesens.    Ibid.  60.     (1893.) 

— ,  Der  Übergang  vom  Versicherungsdarlehen  zur  reinen  Versicherung.    Ibid.  61.    (1893.) 

Scherer,  Handbuch  des   Kirchenrechts.     2  Bde.      1885 — 98. 

Schilling,   Reichtum  und  Eigentum  in  der  altkirchlichen  Literatur.     Freiburg   1908. 

— ,  Die  Staats-  und  Soziallehre  des  hl.  Augustinus.     Freiburg  1910. 

— ,  Erwerb  und  Eigentum  nach  dem  Opus  imperfectum.  Theol.  Quartalschrift.  Tü- 
bingen  19 10. 

Schneider,  Das  kirchliche  Zinsverbot  und  die  kuriale  Praxis  im  13.  Jahrh.  In  der 
Festgabe  für  H.  Finke.     Münster  1904. 

— ,  Neue  Theorien  über  das  kirchliche  Zinsverbot.  Vierteljahrsschrift  für  Sozial-  und 
Wirtschaftsgeschichte.    1907. 

Schulte,  Fr.  v.,  Die  Geschichte  der  Quellen  und  Literatur  des  canonischen  Rechts  von 
Gratian  bis   auf  die  Gegenwart.     Bd.   IL     Stuttgart   1877. 

Seipel,  Die  wirtschaftsethischen  Lehren  der  Kirchenväter.  (Theol.  Studien  d.  Leogesell- 
schaft. XVIII.)     Wien   1907. 

Silberschmidt:  Die  Commenda.      1884. 

Sombart,  Der  moderne  Kapitalismus.      2   Bde.     Leipzig   1902. 

Sommerlad,  Das  Wirtschaftsprogramm  der  Kirche  des  Mittelalters.     Leipzig   1903. 

Stöckl,  Geschichte  der  mittelalterlichen  Philosophie  IL     Mainz   1865. 

Strieder,  Zur  Genesis  des  modernen  Kapitalismus.     Leipzig   1904. 

Trendelenburg,  Historische  Beiträge  zur  Philosophie  III.      1867. 

Troeltsch,  Die  Soziallehren  d.  christlichen  Kirchen.  Arch.  f.  Sozialw.  Bd.  XXVI, 
1908;  Bd.  XXVII,   1908;  Bd.  XXVIII,   1909. 

Überweg-Heinze,  Grundriß  der  Geschichte  der  Philosophie  II,  9.      1905. 

Walter,  Das  Eigentum  nach  der  Lehre  des  hl.  Thomas  v.  Aquin  und  des  Sozialismus. 
Freiburg   1895. 

Weinand,  Antike  und  moderne  Gedanken  über  die  Arbeit,  dargestellt  am  Problem  der 
Arbeit  beim  hl.  Augustinus.     M. -Gladbach   191 1. 

Wetzel,  Die  Lehre  des  Aristoteles  von  der  distributiven  Gerechtigkeit  und  die  Scholastik. 
Warburg   1881. 

de  Wulf,  Histoire  de  la  philosophie  medievale.      1900. 

Wuttke,  Die  Lehre  vom  Zins  (aus  Leihkapital).    (Festgabe  für  Schmoller,  I,  X.)    1908. 

Zeil ler,  L'idee  de  l'Etat  dans  Saint  Thomas  d Aquin.     Paris   19 10. 

Zeller,  Die  Philosophie  der  Griechen  in  ihrer  geschichtlichen  Entwicklung.  II,  i4, 
Leipzig   1889;  II,  23,  Leipzig   1879. 


—     246     — 

Zmavc,  Die  Wertlehre  bei  Aristoteles  und  Thomas  v.  Aquin.  (Archiv  für  Geschichte 
der  Philosophie   1899.) 

— ,  Die  Geldtheorie  und  ihre  Stellung  innerhalb  der  wirtschafts-  und  staatswissenschaft- 
lichen Anschauungen  des  Aristoteles.   (Zeitsch.  f.  d.  ges.  Staatswissensch.  LVIII.   1902.) 


Abkürzungen: 
KL  =  Wetzers  und  Weites  Kirchenlexikon  3. 
RE  =  Realencyklopädie  für  protestant.  Theologie  3. 
H.  W.  St.  =  Handwörterbuch  d.   Staatswissenschaften  3. 
W.  d.  V.  =  Wörterbuch  der  Volkswirtschaft  3. 
St.  d.  G.  =  Staatslexikon  der  Görresgesellschaft  3~4. 


Druckfehler  und  Berichtigungen. 


S.   53,  Anm.  3:  Stöckl  statt  Stökl. 

S.   108,  Anm.  3:  staatliche  statt  stattliche. 

Zu  S.  137,  Anm.  1:  Dieselbe  Beurteilung  des  Rentenkaufes  wie  bei  H.  v.  G. 
findet  sich  bereits  bei  Innocenz  IV  (Papst  1243 — 1254).  Auch  letzterer  steht  dem 
eigenüichen  Rentenkauf  (redditus  de  novo  constitutus)  nicht  wohlwollend  gegenüber. 
Dagegen  sind  Erbleihe  und  Zinskauf  gestattet.  Die  Höhe  der  Rente  darf  den  Ertrag 
nicht  überschreiten,  den  der  Käufer  erzielen  würde,  »si  terram  de  tanta  pecunia  emisset«. 
(Appar.  mirif.  1.  V.  De  usuris.  S.  194,  b).  Das  Verdienst  Heinrichs  ist  also  wesentlich 
geringer  als  bisher   angenommen  wurde. 

S.   152,  Zeile  29:  Handelns  statt  Handels. 

S.   177:  §  4  statt  §  3. 

S.   191:  §  5  statt  §  4. 


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