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Beiträge
zur
Geschichte der Nationalökonomie
Herausgegeben von
Geh. Hofrat Professor Dr. Karl Diehl
Freibunr i. Br.
Erstes Heft:
Die volkswirtschaftlichen Anschauungen der Scholastik
seit Thomas v. Aquin
Von
Dr. Edmund Schreiber
Jena
Verlag von Gustav Fischer
1913
Die volkswirtschaftlichen
Anschauungen der Scholastik
seit Thomas v- Aquin
Von
Dr. Edmund Schreiber
Jena
Verlag von Gustav Fischer
1913
Alle Rechte vorbehalten
Fürstlich priv. Hofbudidruckerei (F. Mitzlaffl Rudolstadt
Meinem Lehrer
Herrn
Geh. Hofrat Prof. Dr. K. Diehl
in Dankbarkeit gewidmet
Zur Einführung.
Es ist eine allgemein bekannte und anerkannte Tatsache, daß
es an einer guten Geschichte der Nationalökonomie zurzeit noch
fehlt. Die vorhandenen Darstellungen, sowohl die in deutscher
Sprache als die in fremden Sprachen erschienenen, sind mehr oder
minder unzureichend, und auch die besten unter ihnen weisen
große Lücken auf. Dieser Zustand ist teilweise den Verfassern
nicht zum Vorwurf zu machen, denn es fehlt noch in großem Maße
an den nötigen Vorarbeiten. Die neue Sammlung, deren erstes
Heft hiermit der Öffentlichkeit übergeben wird, soll diesem Mangel
dadurch abzuhelfen suchen, daß sie Bausteine für eine künftige
wissenschaftlich vollständige Geschichte der Nationalökonomie liefern
will. Das erste Heft, verfaßt von Dr. Schreiber, behandelt die
Scholastik seit Thomas von Aquino, das zweite Heft, verfaßt von
Dr. Zielenziger, die alten deutschen Kameralisten. Auch die
künftigen Beiträge sollen entweder ganze Epochen oder einzelne
besonders markante Autoren hehandeln, die für die ideengeschicht-
liche Entwicklung der Nationalökonomie von Wichtigkeit sind.
Wenn auch die Sammlung in erster Linie Arbeiten meiner Schüler
bzw. von Mitgliedern des von mir geleiteten Seminars enthalten
soll, so können doch auch andere Arbeiten Aufnahme finden,
soweit -sie quellenmäßige Darstellung und streng wissenschaftliche
Objektivität aufweisen.
Freiburg i. B., November 1913.
Karl Diehl.
Vorbemerkungen.
Die wirtschaftlichen Anschauungen des Mittelalters sind in
den letzten Jahren in steigendem Maße von Seiten der National-
ökonomie Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden.
Die Ursachen dieser Erscheinung liegen wohl zum größten Teil
in Problemen, die das moderne Wirtschaftsleben gestellt hat und
die zu ihrer Lösung eine Kenntnis des Mittelalters dringend er-
fordern.
Einmal zeigen sich manche soziale Strömungen der Gegen-
wart in hohem Maße durch das Mittelalter beeinflußt, indem
manche Prinzipien, die sie auf moderne Fragen anwenden, von
der Scholastik zuerst aufgestellt sind. Es sei hier nur auf den
Einfluß hingewiesen, den die thomistische Staats- und Gesellschafts-
lehre auf die katholisch -soziale Bewegung ausgeübt hat. Man
wird letztere nicht voll verstehen und die Aufgaben, an deren Er-
füllung sie arbeitet, nicht voll begreifen können, wenn man nicht
auf Thomas von Aquin zurückgeht.
Dazu gesellt sich ein anderes, viel erörtertes Problem: Die
wirtschaftliche Inferiorität der katholischen Bevölkerung gegenüber
der protestantischen. Hat sie vielleicht darin ihren Grund, daß
der Protestantismus gegenüber dem Katholizismus des Mittelalters
neue ethische Gesichtspunkte brachte, die dem Individuum eine
andere Stellung zum Wirtschaftsleben ermöglichen? Oder ist sie
vielleicht dadurch veranlaßt, daß der Katholizismus im Mittelalter
einem Wirtschaftsleben gegenüber gestanden hatte, das im Som-
bartschen Sinne auf dem Bedarfsdeckungsprinzip aufgebaut war,
und daß die dort gebildeten wirtschaftlichen Anschauungen bei
der Kontinuität der Entwicklung nicht abgestreift werden konnten,
als das kapitalistische Gewinnstreben sich an die Stelle des mittel-
alterlichen Standesprinzips setzte, während dem Protestantismus,
der jene Verbindung mit dem Mittelalter nicht in dem Maße hatte,
von vornherein eine andere Stellung ermöglicht war? Man mag diese
— VI
\
Fragen beantworten, wie man will, sie werden ohne gründliche
Kenntnis der wirtschaftlichen Anschauungen des Mittelalters nicht
gelöst werden können.
Aber von diesen Gegenwartsfragen abgesehen, erregt auch vom
rein geschichtlichen Standpunkt aus das Mittelalter hohes Interesse.
Ich denke hier nicht an die Bedeutung der ökonomischen An-
schauungen für das Wirtschaftsleben des Mittelalters selbst; die
Wirtschaftsgeschichte wird an ihnen nicht achtlos vorüber gehen
können. Ich denke hier vielmehr an die Dogmengeschichte der
Nationalökonomie. Man wird freilich von einer Nationalökonomie
des Mittelalters im eigentlichen Sinne nicht sprechen können. Aber
unzweifelhaft nimmt die Scholastik in der Entwicklung des öko-
nomischen Denkens überhaupt eine Stellung ein, die nicht über-
sehen werden kann. Und die Geschichte der Nationalökonomie
wird gern auch Keime wirtschaftlicher Ideen verzeichnen, die
sich mit manchen modernen Fragen berühren, auch wenn man
heute weit über jene ersten Spuren hinausgekommen ist. Nicht
zuletzt ist von diesem Gesichtspunkte aus eine Erforschung der
wirtschaftlichen Anschauungen des Mittelalters unumgänglich.
Zur Erfüllung der Aufgabe, auf die soeben hingewiesen ist,
möchte die vorliegende Arbeit einen kleinen Beitrag geben. Sie
behandelt die Wert- und Preislehre der Scholastik seit Thomas
von Aquin, wobei zugleich dem letzteren seiner überragenden
Bedeutung, zumal auch für das ökonomische Denken des Mittel-
alters selbst, entsprechend, der Hauptteil der Untersuchung ge-
widmet ist. Sie schließt mit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Das
Ziel, das sie sich stellt, ist das, die Entwicklung der wirtschaft-
lichen Anschauungen der Scholastik, soweit sie das genannte Ge-
biet berühren, darzustellen. Es mußte daher auch auf den Handels-
gewinn, den Zins usw. Rücksicht genommen werden, weil es sich
auch hier letzten Endes um Preisprobleme handelt. Der an sich
etwas weite Titel der Arbeit — »Die volkswirtschaftlichen An-
schauungen der Scholastik seit Thomas von Aquin« — dürfte
daher wohl gerechtfertigt sein.
Alles weitere wird sich im Verlaufe der Darstellung selbst
ergeben.
Inhaltsangabe.
Seite
Vorbemerkungen v— vi
Inhaltsangabe vn— vm
Erster Teil. Die Lehre vom gerechten Preis bei Thomas
von Aquin i — 121
I. Die Lehre vom gerechten Preis im Altertum . . . 3 — 15
IL Die Lehre vom gerechten Preis bei Thomas von
Aquin 16— 121
Leben und Schriften 16 — 17
A. Allgemeines aus den wirtschaftlichen Anschau-
ungen des Thomas von Aquin 18 — 25
a) Eigentumslehre und Standesprinzip 18 — 19
b) Arbeitsteilung 19 — 21
c) Tauschverkehr und Handel in der Stadtwirtschaft 21 — 25
B. Tauschverkehr und Handel unter dem Gesichts-
punkte des gerechten Preises 25 — 119
§ 1. Ökonomischer Charakter des einfachen Tausches und
des Handels 25 — 31
§ 2. Die Wertgleichheit als Forderung der Gerechtigkeit . . 31 — 45
§ 3. Der Tausch nach Albertus Magnus 45 — 53
' § 4. Die nähere Ausgestaltung des Prinzips der Wertgleich-
keit 53— 65
§ 5. Die Quellen der thomistischen Wertlehre, insbesondere
ihr Verhältnis zu Aristoteles 66 — 75
§ 6. Der gerechte Preis im Handel 75 — 83
§ 7. Die Lehre vom gerechten Arbeitslohn 83 — 88
§ 8. Gerechter Preis und Zins 88 — 119
C. Schluß
120 — 121
Zweiter Teil, Die Entwicklung der Wertlehre in der
übrigen Scholastik seit Thomas von Aquin . . 123—232
VIII
Abschnitt:
Die allmähliche Ausbildung- der subjek-
tiven Wertlehre
§ i.
§ 2-
§ 3-
§ 4-
Bonaventura
Heinrich von Gent . .
Ricardus de Mediavilla
Duns Scotus
2.
Abschnitt:
§ 3
§ 4
§ 5
Die Auflösung der Lehre vom gerechten
Preise; Prinzip der Vertragsfreiheit ....
Aegidius Lessinus
Franciscus de Mayronis und Durandus a. S. Porciano . .
Petrus de Palude
Johannes Buridanus
I. Nicolaus Oresmius, II. Baldus de Ubaldis, Perusinus
Abschnitt: Abwendung vom Prinzip der Vertrags-
freiheit
A. Forderung staatlicher Preisfixierung, Rückkaufbarkeit der Renten
§ i. Heinrich von Langenstein
§ 2. Heinrich von Oyta
§ 3. Johannes Gerson
B. Ausgleich von Freiheit und Gebundenheit; Wechsel, Versicherung,
Staatsanleihen
§ 1. Johannes Nider
§ 2.
§ 3-
§ 4-
Laurentius de Rodulfis
Antonin von Florenz .
Bernhardin von Siena .
Seite
125 — 160
126 — 131
131— 139
140 — 146
146 — 160
161— 193
161 — 172
172 — 176
176—177
177 — 191
191— 193
194—226 0
194 — 206
196 — 202
202 — 204
204 — 206
206 — 226
207 — 210
211 — 217
217 — 223
223 — 226
Ergebnisse 227—232
A. Personenregister 233 — 235
B. Sachregister 236 — 240
A. Verzeichnis der benutzten Quellenliteratur 241—242
B. Verzeichnis der sonst benutzten Literatur 243—246
Druckfehler und Berichtigungen 247
Erster Teil.
Die Lehre vom gerechten Preis bei
Thomas v. Aquin.
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft i.
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
I.
Die Lehre vom gerechten Preise im Altertum.
Bevor wir auf die Lehre vom gerechten Preis bei Thomas
eingehen, müssen wir einen kurzen Blick in die vorhergehenden
Zeiten, zumal des christlichen Altertums werfen.
Das christliche Altertum hat den gerechten Preis der Dinge
nicht in tieferer Weise bestimmt. Gewiß wird die Idee der Ge-
rechtigkeit im Handel vertreten. Aber wenn von einem gerechten
Preise gesprochen wird, so geschieht es doch mehr im Sinne des
täglichen Lebens, das wohl von gerechten und ungerechten Preisen
spricht, aber doch die zugrundeliegenden Probleme nicht erfaßt.
Insbesondere findet sich von einer eigentlichen Wertlehre in der
Patristik so gut wie nichts. Aber so unbedeutend auch die Spuren
sein mögen, sie sind doch für die Folgezeit von Bedeutung ge-
wesen und dürfen daher nicht übergangen werden.
Dieser Mangel an tieferer Auffassung und Begründung der
Lehre vom gerechten Preise ist um so bemerkenswerter, als be-
reits mehrere Jahrhunderte zuvor Aristoteles in tiefgehender
Weise das Wesen der Gerechtigkeit im Tausche erörtert hatte.
Aber seine diesbezüglichen Untersuchungen haben auf die patri-
stische Literatur keinen Einfluß ausgeübt. Wir können sie deshalb
zunächst übergehen und sie später im Zusammenhang mit den
thomistischen Kommentaren behandeln, wenn dies auch an sich
der historischen Reihenfolge nicht entspricht.
Dagegen zeigt sich die Anschauung des christlichen Alter-
tums wesentlich von Plato beeinflußt. Wir müssen daher auf
seine Stellung zum gerechten Preise und Handel eingehen1).
Der Staat hat, so äußert sich Plato in der Politeia, seinen
Ursprung im Bedürfnis2). Denn der Einzelne kann nicht für sich
allein leben, sondern bedarf zur Stillung seiner Bedürfnisse vieler,
x) Über Plato vgl. Pöhlmann, Geschichte des antiken Kommunismus und
Sozialismus. I. 1893, S. 184 ff. Ferner Zeller, Philosophie der Griechen II, I, vor
allem S. 968 ff. Bäumker, Art. Plato. St. d. G. IV, 159 ff.
2) Pol. 369 C: »Ttoifjoei de avirjv (sc. nöhv). . . f) rffierega xgsia.z
1*
— 4 —
einer Gemeinschaft1). In dieser Gemeinschaft muß Arbeitsteilung
herrschen, denn es ist besser, wenn einer nur ein Erzeugnis her-
stellt: Es entspricht das der Verschiedenheit der natürlichen An-
lagen des Menschen und bietet zudem die Gewähr für bessere
Qualität der hergestellten Güter2). Als Glied dieser volkswirt-
schaftlichen Arbeitsteilung erscheint auch der Handel. Da sich
kaum ein Staat denken läßt, der nicht Zufuhr von außen nötig
hätte, weil er nicht alle notwendigen Gebrauchsgegenstände in
sich besitzen kann, sind eben Kaufleute nötig, die in verschie-
denen Staaten umherziehen und in den eigenen Staat einführen,
was dort mangelt3). Damit ferner der mit der Arbeitsteilung
innerhalb der Stadt sich ergebende Austausch sich vollziehen kann,
ohne daß die einzelnen Produzenten gezwungen sind, selbst auf
dem Markte zu erscheinen und so ihrer Tätigkeit entzogen werden,
ist der Krämer- oder Kleinhandel erforderlich, dessen Aufgabe
also in der Vermittlung des Umsatzes innerhalb des Staates be-
steht4).
Die wenigen Bemerkungen zeigen immerhin, daß die volks-
wirtschaftliche Bedeutung des Handels von Plato in durchaus
richtiger Weise und im Vergleich zu seinen sonstigen wirtschaft-
lichen Anschauungen, wie Pöhlmann bemerkt, mit »großer Un-
befangenheit«5) gewürdigt wird, wenn aus ihnen auch keineswegs
ganz Piatos Stellung zum Handel entnommen werden kann.
Ausführlicher und mehr ins einzelne gehend, äußert er sich
jedoch in den Nomoi, der Schilderung seines zweitbesten Staates.
Hier ist er in der sittlichen Beurteilung des Handels seiner
Zeit sehr schroff. Die Stellung Piatos zum Wirtschaftsleben über-
haupt charakterisiert sich als eine Reaktion gegen den Mammo-
nismus und Luxus seiner Tage, gegen das Vorherrschen des Er-
werbstriebes, der die Bestrebungen höherer, geistiger und sittlicher
Art unterdrückt und so die Gesellschaft in einen Fieberzustand
versetzt6): »Xeyo/uev dr] jurjie %qvoov elvai öeiv /xf)re ägyvQov ev rfj nöXei,
urjx av yQrjjuartojuov noXvv öid ßavavolag xal roxcov jutjöe ßooxrjjudxcov
1) 1. c. B: »ylyvEzai zocvvr . . nöXig . . . etieiötj zvyiävEi rjfiwv sxaozog ovx avzdgxrjg,
äXXa noXXwv ivdetfg.«
2) Pol. 369 D. cf. pol. 370 C: »ix dr) rovrcov n\ti<x> re i'xaoza yiyvezat xal xäXXiov-
xai qöov, Szav eig ev xazä tpvotv xal ev xcuqcö oxoXtjv zwv äXXcov äycov, ngäzzfl.*
3) Pol. 370 E. 371 A. B.
4) Pol. 371 CD.
6) a. a. O. S. 221.
«) Vgl. Pöhlmann. a. a. O. S. 218.
— 5 —
moxQ(öv> dXX' öaa yecogyia didcooi xal cpegei xal tovtcov ojioool fj,t] XQV'
/bianCojuevov dvayxdoei ä/ueÄeiv, wv evexa 7ie<pvxe xd xQVIuaxa- i<*via
ö'eaxi yvyr) xal ocöjua1).«
Diesem Geiste entsprechend verurteilt Plato nichts schärfer
als den Handel des Gelderwerbes wegen, d. h. den Handel, wo
es dem Kaufmann nicht um die Befriedigung der Bedürfnisse der
Volkswirtschaft zu tun ist, sondern lediglich um seine eigene Be-
reicherung. Der unersättliche Durst nach Gewinn ist es, der den
Handel unehrenhaft macht2).
Zur Fernhaltung dieser Auswüchse werden strenge Forde-
rungen aufgestellt: Die Zahl der Kleinhändler soll möglichst be-
schränkt sein3). Die Einfuhr von Waren soll nur insofern ge-
stattet werden, als es sich um notwendige Bedarfsgegenstände
handelt4). Die Staatsgewalt soll einen wahren Wert der Dinge
festsetzen in Verbindung mit Sachverständigen aus dem Gewerbe
und Handel. Über das Wesen dieses wahren Wertes läßt sich
Plato allerdings nicht näher aus5).
Der Händler soll ferner auf dem Markte nur einen Preis
nennen und, wenn er diesen nicht erhält, nicht feilschen, sondern
seine Ware wieder mit nach Hause nehmen6). Durch alle diese
Bestimmungen soll jeder Betrug vom Handel ferngehalten und
dem Händler ein mäßiger Gewinn, ein xeqöos /biexgcov1), gesichert
werden, der ihm seine Existenz ermöglicht. »Seines spekulativen
Charakters völlig entkleidet soll der Handel zu einer Art Amt
werden, das seine Aufgabe nur darin zu sehen hat, gewisse volks-
wirtschaftliche Funktionen dem Bedürfnisse der Gesamtheit ent-
sprechend durchzuführen, und welches sich mit dem begnügt, was
ihm die Allgemeinheit für die Ausübung dieser Funktionen wie
eine Art Gehalt zuerkennt«8).
\) Leg. 743 D.
2j Leg. 918 D.E.
3) Leg. 919 C.
«) Leg. 847.
5) Leg. 921 A. B: »xcu dvaigov/ueva) d sgyov l-vftßovXsvzrjs vö/iog, cbteg zcö tko-
kovvzi £vveßovheve fit) nXiovog zifiüv dianeigcöfievov akk' d>; ajzkovozaza zrj$ a^iag,
zavzov drj TiQoozdzzEi xal zw dvatgov/nsvco. yiyvaSoxei yaQ 6'ye dtj/uiovgyog zrjv d£iav.«
Pohl mann schließt aus der letzten Bemerkung, daß der Handwerker den Preis kenne,
Plato habe an den Arbeits- oder Produktionswert gedacht (vgl. a. a. O. S. 224), was
möglich, aber keineswegs zwingend ist.
6) Leg. 917 B. u. C.
7) Leg. 920 C. : Die Gesetzesrichter sollen mit Männern aus dem Handel zu-
sammentreten und dann: »ideTv Xfjfi/xd zs xal dvakoi/ua zl nozs zcö xanrjkw xegdog noieT
zö fiszgiov.t cf. 918 D., wo das »xegdaiveiv zd /uezQia« als richtig hingestellt wird.
8) Pöhlmann, a. a. O. S. 225.
— 6 —
In der Stellung der Kirchenväter zum gerechten Preise und
Handel läßt sich eine gewisse Ähnlichkeit nicht verkennen. Ein-
mal liegt in manchen Punkten ohne Zweifel ein direktes Anlehnen
an Plato vor, wozu noch eine gewisse Ähnlichkeit in für die
Stellung zum Wirtschaftsleben grundlegenden Anschauungen
zwischen Plato einerseits und Christentum andererseits kommt. Der
Vorrang geistiger und vor allem sittlicher Güter vor den mate-
riellen, die Notwendigkeit der inneren Losschälung von irdischem
Streben, die unbedingte Herrschaft sittlicher Gesetze auch im Wirt-
schaftsleben waren im Neuen Testament scharf betont worden1).
Wichtig sollte vor allem die bei Paulus ausgeprägte Idee
einer religiös - sozialen Gemeinschaft (xoivcovia) werden, unter
deren Gliedern eine relative soziale Gleichheit (loÖTijg) herrschen
solle. Es solle weder übermäßig Reiche noch übermäßig Arme
geben. Für die innere Regelung solle der Gemeinschaftsgedanke
maßgebend sein. »Wir sind zwar viele Glieder, aber ein Leib«2).
Nicht minder bedeutungsvoll wurde der Satz, daß die Arbeit als
solche ihres Lohnes wert sei — »der Arbeiter ist seines Lohnes
wert«, — wie überhaupt das Christentum für die erhöhte Wert-
schätzung der Arbeit nicht wenig gewirkt hat3).
Die wirtschaftliche Funktion des Handels wird in der patri-
stischenLiteratur4) durchweg vorurteilsfrei gewürdigt 5). Er bildet
x) Vgl. hierzu Sommerlad, Das Wirtschaftsprogramm der Kirche des Mittel-
alters, S. 6 ff. Schilling, Reichtum und Eigentum, S. 4 ff. cf. Matth. 6, 24 f. und
sonst. i.Thess. 4, 6: »T6 firj vzzeQßatveiv xal nXzovzxxziv iv reo 3iQO.yj.iaxi xöv ädskcpov
aviov.«
2) 2. Kor. 8, 4; 14 ff. 1. Kor. 12, 12. Vgl. Schilling, a. a. O. S. 12 ff.
Troeltsch, Soziallehren der christlichen Kirchen. Arch. f. S. u. St. XXVI, 299 ff.
3) Luc. 10, 7. Matth. 10, 10. 2. Thess. 3, 10. 1. Tim. 5, 18.
*) Für die Stellung der Kirchenväter zum Handel kommen wesentlich folgende
Schriften in Betracht: Schilling, Reichtum und Eigentum, 1908. Derselbe, Die
Staats- und Soziallehre des hl. Augustinus, 191 o. Sommerlad: Das Wirtschafts-
programm der Kirche des Mittelalters, 1903. Seipel, Die wirtschaftsethischen Lehren
der Kirchenväter, 1907. Funk, Kirchengeschichtliche Abhandlungen und Untersuchungen.
I — II, 1897, 1899. Brentano, Ethik und Volkswirtschaft in der Geschichte. Rek-
toratsrede. 1901. — Die wirtschaftlichen Lehren des christlichen Altertums. Sitzungs-
berichte 1902 (München 1903). — Entwicklung der Wertlehre, 1908. Troeltsch, Die
Soziallehren der christlichen Kirchen, sowie die weiter unten angeführten Schriften.
Wesentlich zugrunde gelegt sind die Schriften von Schilling.
6) z. B. Chrysostomus (in ep. I ad. Cor. hom. 34, 4 [M, LXI, 291]); Gregor v. Nazianz
(Or. 43, 34 [M. 36, 544]); Theodoret v. Cyrus (Or. 2 [M. LXXXIII, 584]); Am-
brosius (De. Tob. 13 [M. XIV, 776]). Vgl. hierzu die oben angeführten Schriften von
Seipel, Schilling, Sommerlad. G. Kopp: Die Stellung der hl. Joh. Chrysostomus
zum weltlichen Leben, 1905, S. 40. Über Augustinus siehe weiter unten.
an sich eine berechtigte Art des Erwerbs, und war nach der
Synode von Elvira (um 300 n. Chr.) Bischöfen und Geistlichen
nicht durchaus verboten1), wenn auch später hinsichtlich der
letzteren eine andere kirchliche Praxis eingriff2). Aber er war nur
dann gestattet, wenn gewisse strenge ethische Voraussetzungen
erfüllt waren. Wie Leo der Große (f 461) bemerkte: »Qualitas
lucri negotiantem aut excusat aut arguit, quia est et honestus
quaestus et turpis«3). Die geforderten Beschränkungen, die zu-
weilen nahezu an eine Verurteilung grenzen, bewegen sich vor
allem in zwei Richtungen: Einmal muß der Grundsatz der Ge-
rechtigkeit unbedingt gewahrt werden; Anwendung unredlicher
Mittel, Ausbeutung des Nächsten zu eigenem Vorteil ist unter
keinen Umständen gestattet4). Sodann darf das Streben nach Gewinn
das im Handel zum Ausdruck kommt, nicht maßlos sein. Das
Streben nach dem größtmöglichen Gewinn wird verworfen : Es liegt
vielmehr im ganzen Ideenkreise der Kirchenväter die Forderung
nach Beschränkung des Gewinns6).
J) Funk, Abhandlungen II, 63. Vgl. Funk, Historisch-politische Blätter
CXXX, 1902, S. 898.
2) Funk, Abhandlungen II, 73 ff. Vgl. Brentano, Die wirtschaftlichen Lehren,
S. 173 ff-
3) Ep. 167 (M. LIV, 1206). Eine völlige Ablehnung des Handels findet
Brentano als Ausnahme bei Tertullian (Die wirtschaftlichen Lehren des christ. Alter-
tums, S. 164), vgl. dagegen Schilling, Reichtum und Eigentum, S. 55 ff. Über das
fälschlich dem Chrysostomus zugeschriebene Werk: Opus imperfectum in Matthäum, vgl.
Schilling, Erwerb und Eigentum nach dem Opus imperfectum. Theolog. Quartalsschr.
1910, S. 2i4ff. Es findet sich hom. 38 (M. LVI, 839O der Satz: »Nullus Christianus debet
esse mercator, aut si voluerit esse, proiciatur de ecclesia dei.« Oder in ähnlicher Fassung:
»Qui autem comparat rem, ut illam ipsam integram et immutatam dando lucretur, ille est
mercator, qui de templo dei eicitur.« Mag hier der Handel völlig verurteilt sein (wie
Schaub, Kampf gegen Zinswucher usw., 1905, S. 1 5 8 f f . annimmt), oder nicht, was
Schilling a. a. O. zu erweisen sucht, die Stelle wäre jedenfalls im ersten Falle für
die Patristik als solche nicht charakteristisch. Sie ist veiwendet im Decretum Gratiani
(c. 11 d. 88), wird aber in der späteren Literatur in einem Sinne gedeutet, daß sie nicht
mehr als absolute Ablehnung des Handels erscheint. Siehe hierüber Schaub a. a. O.
Später wird die scholastische Auffassung über diese Stelle zu erwähnen sein.
*) S. z. B. Lactantius, Inst. 5, 16; vgl. dazu Schilling, Reichtum und Eigen-
tum, S. 73 f.
5) Vgl. die Äußerungen von Tertullian (De idol. c. 11), Irenaeus (cont. haes. IV, 30,
1); Lactantius (Inst. V, 18). Leo der Große verbietet den Pönitenten den Handel wegen
der damit verbundenen sittlichen Gefahren: »Verum tarnen poenitenti utilius est dis-
pendia pati quam periculis negotiationis obstringi, quia difficile est inter ementis venden-
tisque commercium non intervenire peccatum« (an der in Anmerkung 3 zitierten Stelle) ;
vgl. Funk, Abhandlungen II, S. 66 f., S. 71. Über manche handelsfeindliche Stim-
mungen im christlichen Altertum, vgl. denselben: Historisch politische Blätter, CXXX,
Die Reaktion gegen das Vorherrschen des Erwerbsstrebens
hatte Plato zu dem Worte vom »Fieberzustand« der Gesellschaft
veranlaßt. Ähnliche Gedanken werden von den Kirchenvätern oft-
mals geäußert; zum Teil wird, wie z. B. bei Chrysostomus und
Ambrosius, der zitierte Ausspruch Piatos wörtlich wiederholt x). Es
hing dies eng mit ihrer Stellung zum Privateigentum und Maß
des Besitzes und zu dem Unterschiede von Reich und Arm zu-
sammen, welch' letzterer zur Zeit der Kirchenväter nicht weniger
scharf war wie zur Zeit Piatos2).
Nun sind die Kirchenväter im allgemeinen keineswegs Gegner
des Privateigentums3). Es wird auch ein gewisser Reichtum und
standesgemäßer Luxus nicht verworfen, wenn man auch die Ge-
samtanschauung dahin kennzeichnen kann, daß ein mittelmäßiger,
hinreichender Besitz als wünschenswert bezeichnet wird4). Was
darüber hinausgeht, soll als Almosen an die Armen verteilt werden.
Ein Gedanke, der oft in einer Form vertreten wird, die an kom-
munistische Ideen erinnert oder direkt in solche ausmündet, wie
z. B. bei Chrysostomus6). Doch geht man im allgemeinen nicht
so weit, daß die Standesunterschiede und der Unterschied von Reich
und Arm beseitigt werden sollen 6). Wenn z. B. Lactantius von der all-
gemeinen Gleichheit der Menschen spricht, so geschieht dies nicht im
Sinne einer Aufhebung der sozialen Unterschiede, sondern im Sinne der
Anerkennung des Nächsten als »gleichwertiger Persönlichkeit«7).
S. 898. Klemens v. Alexandrien wiederholt die platonische Forderung, der Kaufmann
solle keine zwei Preise nennen (Paed. 3. n [VIII, 656 f]); vgl. Schilling, Reichtum
und Eigentum S. 45 f.
*) Vgl. Schilling, a. a. O. S. S.114 u. 136.
2) Vgl. die Schilderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse bei Schilling,
S. 27 ff. u. 209.
3) Vgl. die oben angeführten Schriften, wo die Stellung der Kirchenväter zum
Eigentum ausführlich erörtert wird; vor allem das Resultat, zu dem Schilling (a. a. O.
S. 208) kommt; damit übereinstimmend Troeltsch, a. a. O. S. 332. Über Klemens
v. Alexandrien siehe noch Funk, Abhandlungen II, S. 45 ff. Über Klemens v. Rom:
Mausbach, Der Kommunismus des hl. Klemens v. Rom. Hist.-pol. Blätter CXVI,
1895, S. 340 ff.).
*) Schilling, a. a. O. S. 208.
6) Vgl. Schilling, a. a. O. S. 109 ff. Die Stellung der Kirchenväter ist keines-
wegs eine unbedingt einheitliche, wenn sich auch ein gemeinsamer Grundton nicht ver-
kennen läßt. Wir suchen die Anschauungen darzustellen, die man als die herrschenden
bezeichnen kann, die vor allem für die Folgezeit maßgebend gewesen sind.
6) Schilling, S. 207 ff. Als Ziel der Berufsarbeit bezeichnet Chrysostomus
»die tägliche Nahrung, das ehrliche Auskommen«. Kopp, a. a. O. S. 42.
7) Schilling, a. a. O. S. 72 f.; anders Brentano, Ethik und Volkswirt-
schaft, S. 9.
— 9 —
Wenn so das Streben nach Gewinn in dem Maße des zu-
gebilligten Besitzes eine Grenze findet, so dient die scharfe Be-
tonung des Prinzipes der Gerechtigkeit in Handel und Wandel
zugleich auch demselben Ziele. Handel und Tausch sind nur dann
gerechtfertigt, wenn die Tauschkontrahenten sich von jeder Un-
redlichkeit fernhalten und wenn ein gerechter Preis bezahlt wird *).
Das ist der Grundzug aller Äußerungen der Kirchenväter über
den Handel. Freilich wird, wie schon eingangs betont, das Wesen
dieses gerechten Preises nirgends näher bestimmt.
Bei der Unmöglichkeit, auf alle Kirchenväter einzugehen, be-
schränken wir uns auf eine kurze Skizze der augustinischen An-
schauungen2). Augustinus ist auch derjenige Kirchenvater, der auf
die Folgezeit bestimmend eingewirkt hat.
Beim unmittelbaren Tausch dürfen die Kontrahenten nicht
von dem Wunsche erfüllt sein, möglichst billig einzukaufen bzw.
teuer zu verkaufen. In beiden Fällen soll vielmehr der Wille
herrschen, den gerechten Preis, das iustum pretium zu zahlen bzw.
zu fordern. Eine Übervorteilung soll ausgeschlossen, und nur der
Grundsatz der Gerechtigkeit maßgebend sein. Die entgegen-
gesetzte Stimmung ist unerlaubt, ein »Vitium«. Augustinus führt
als nachzuahmendes Beispiel den Fall an, wo einer ein Buch kaufte,
und dem Verkäufer desselben, dem der Wert des Buches unbe-
kannt war, gegen dessen Erwarten einen höheren als den ge-
forderten Preis, das »iustum pretium« zahlte3). Worin allerdings
das iustum pretium besteht, was die Höhe desselben bestimmt,
wird an der in Betracht kommenden Stelle in keiner Weise näher
erörtert. Unzweifelhaft wird aber hier ein für alle Tauschenden
gleicher und für alle maßgebender Wert statuiert.
x) Vgl. Brentano, Die wirtschaftlichen Lehren, S. 178 f.
2) Über Augustinus siehe das oben angeführte Buch von Schilling. Ferner
Mausbach, Die Ethik des hl. Augustinus, I und II, 1909 (S. 298, Anmerkung).
Weinand, Antike und moderne Gedanken über die Arbeit, dargestellt am Problem
der Arbeit beim hl. Augustinus, 191 1, S. 43 ff.
3) De trin. XIII, 3 (M. 42, ioi7f.): Ein Schauspieler erklärte es für einen
Wunsch aller Zuschauer: » Vili vultis emere et caro vendere.« Doch braucht dies nach
Augustinus nicht der gemeinsame Wunsch aller zu sein: »Sed quoniam revera vitium
est, potest quisque adipisci eiusmodi iustitiam vel alicuius alterius vitii, quod huic
contrarium est, incurrere pestilentiam, qua huic resistat et vincat. Nam scio ipse ho-
minem, cum venalis codex ei fuisset oblatus, pretiique eius ignarum et ideo quiddam
exiguum poscentem cerneret venditorem, iustum pretium, quod multo amplius erat, nee
opinanti dedisse.« Es ist hier zunächst nur vom Tausche die Rede, nicht vom Handel,
wie z. B. Weinand (a. a. O. S. 45 f.) irrtümlicherweise annimmt.
IO —
An einer anderen Stelle sucht Augustinus den Wert der
Waren tiefer zu begründen1).
Er spricht hier zunächst davon, daß lebende Dinge vor leb-
losen, vernünftige vor unvernünftigen einen Vorrang haben, der
in der Ordnung der Natur, dem ordo naturae begründet ist. Dieser
Art der Schätzung steht eine andere gänzlich von ihr verschiedene
gegenüber, die nicht auf der natürlichen Rangordnung fußt, sondern
stattfindet in bezug auf das menschliche Bedürfnis. Das Bedürfen
der Menschen bildet den letzten Grund dafür, daß z. B. ein Pferd
teuerer bezahlt wird als ein Sklave, obwohl der letztere nach
der Rangordnung der Natur bedeutend höher steht: »Est autem
alius atque alius pro suo cuiusque usu aestimationis modus, quo
fit, ut quaedam sensu carentia quibusdam sentientibus prae-
ponamus in tantum, ut si potestas esset, ea prorsus de natura rerum
auferre vellemus, sive quem in ea locum habeant ignorantes, sive
etiamsi sciamus, nostris ea commodis postponentes. Quis enim non
domi suae panem habere quam mures, nummos quam pulices malit?
Sed quid mirum, cum ipsorum etiam hominum aestimatione, quorum
certe natura tantae est dignitatis, plerumque carius comparetur
equus quam servus, gemma quam famula? Ita libertate iudicandi
plurimum distat ratio considerantis anecessitate indigentis seu
voluptate cupientis, cum ista quid per se ipsum in rerum gradi-
bus pendat, necessitas autem quid propter quid expetat, cogitet;
et ista quid verum luci mentis appareat, voluptas vero, quid iucun-
dum corporis sensibus blandiatur, exquirat.« Unzweifelhaft wird
an dieser Stelle die Preisbildung zurückgeführt auf den verschie-
denen Grad des menschlichen Bedürfens; es liegt hier der Keim
zu einer subjektiven Werttheorie vor. Allerdings hat Augustinus
die Bedeutung des hier ausgesprochenen Satzes für die Lehre vom
gerechten Preis nicht erörtert. Es handelt sich um eine mehr zu-
fällige Äußerung, die freilich in der Folgezeit unzählige Male
wiederholt wurde.
Wie stellt sich Augustinus zum Handel? Zunächst ist ihm
die volkswirtschaftliche Funktion desselben durchaus bekannt. Sie
besteht darin, daß Waren aus Gegenden, wo sie häufig vorhanden
sind, dahin geschafft werden, wo Mangel herrscht. Der Handel ge-
hört also zu den Erwerbszweigen, die in der menschlichen necessitas
et indigentia Grund und Berechtigung finden2). Dementsprechend
gehört der Handelsgewinn zu den erlaubten Erwerbseinkünften.
2) De civ. Dei XI, c. 16 (M. 41, 331).
2) En. in. ps. 83,8 (M. 37, 1062) Schilling, a. a. O. S. 249.
So läßt Augustinus einen Kaufmann den Gedanken, daß der Handel
sittlich nicht gestattet sei, zurückweisen1): »Ecce ego affero qui-
dem ex longinquo merces ad ea loca, in quibus non sunt ea, quae
attulero; unde vivam, tanquam mercedem laboris mei peto, ut
carius vendam, quam emerim. Unde enim vivam, cum scriptum sit:
Dignus est operarius mercede sua (Luc. 10, 7)«2). Der Handels-
gewinn erscheint also als berechtigtes Arbeitseinkommen. Natür-
lich liegt es im Sinne Augustins, daß auch der Kaufmann streng
an die Prinzipien der Gerechtigkeit gebunden ist. Auch der
Händler darf nicht von dem Wunsche erfüllt sein »billig einzu-
kaufen und teuer zu verkaufen«. Sowohl als Käufer wie als Ver-
käufer muß er einen gerechten Preis zahlen bzw. fordern. Da-
von zu trennen ist das Streben teuerer zu verkaufen, wie man ge-
kauft hat. Das letztere ist gestattet, wenn die Forderungen des
iustum pretium beachtet werden, entspricht auch durchaus dem
allgemeinen sittlichen Empfinden: »Possem enim dicere«, verteidigt
der oben erwähnte Kaufmann sich weiter: »tanto emi, sed tanto
vendam; si placet, eme. Non enim istam veritatem audiens emptor
repelleretur, et non potius omnes accurrerent, quia plus fidem quam
mercem diligerent«.
Die erlaubte Höhe des Handelsgewinnes findet seine Grenze
in dem Maße des zugebilligten Besitzes überhaupt. Wenn nun
auch Augustin den Gedanken der allgemein-menschlichen Gleich-
heit hervorhebt und auf den sozial bedeutungsvollen Gedanken
hinweist, daß alle Menschen »socii« sein sollten3), so fordert er doch
keineswegs eine absolute Gleichheit des Besitzes und will nicht
etwa alle auf den absolut notwendigen Lebensunterhalt, das
Existenzminimum beschränken. Das Erwerbsstreben überhaupt
soll seine Grenze finden mit der Erlangung des standesgemäßen
Einkommens, des »congruens habitus personae hominis, quo habitu
non sit inconveniens eis, cum quibus honeste officioseque viven-
dum est«4).
Es liegt also der Gedanke vor, daß der Gewinn erlaubt sei,
weil die Gesellschaft des Handels bedürfe und deshalb dem Kauf-
mann eine wirtschaftliche Existenz ermöglichen müsse. Dies ge-
schieht eben in Form des Gewinnes.
J) En. in ps. 70. s. 1, 17 (M. 36, 886 f.). Vgl. dazu Funk, Abhandlung II,
S. 68 ff.
2) a. a. O.
3) Ep. 155, 4. 14 (M. 33. 672); vgl. Schilling, a. a. O. S. 217.
«) Ep. 130, 6, 12 (M. 33, 498 f.). Schilling, a. a. O. S. 246.
12
Doch betont Augustinus häufig die sittlichen Gefahren, die
mit dem Handel verknüpft sind. Wenn auch alle Erwerbstätig-
keiten Veranlassung geben können, die Gebote der Ethik zu über-
treten, so liegt dies doch dem Handel besonders nahe l). Weil das
Streben nach Gewinn leicht maßlos ist, die Seele ausschließlich
gefangen nimmt2), so daß die Erfüllung höherer Aufgaben un-
möglich wird und so zur Habsucht und den daraus sich ergeben-
den Sünden führt.
In der Idee, daß jede Ware einen gerechten Wert habe,
in der Erfassung der volkswirtschaftlichen Funktion des Handels,
in der Rechtfertigung des Gewinnes als Arbeitslohnes vom
Standpunkt der Gesellschaft aus, sowie in der Forderung
nach Beschränkung des Gewinnes zeigt sich deutlich ein
platonischer Einfluß, wenn auch im einzelnen die extrem -anti-
kapitalistischen Forderungen des griechischen Philosophen bei
Augustinus nicht wiederkehren. Die Verwendung des Gedankens,
daß jeder Arbeiter seines Lohnes wert sei, sowie die Warnung
vor den sittlichen Gefahren verleihen der augustinischen Lehre
vom Handel ein christliches Gepräge.
Wenn auch Augustinus sich von allen Kirchenvätern durch
maßvolle Ruhe seiner Ansichten auszeichnet, so entspricht doch
seine Stellung zum Handel durchaus den Anschauungen, die in
der altkirchlichen Literatur im allgemeinen herrschen und im prak-
tischen Leben der altchristlichen Zeit betätigt sind. Jedenfalls ist, wie
schon bemerkt, Augustinus für die Folgezeit maßgebend geworden3).
Mit dem, was im Vorstehenden über die Wertlehre der Kir-
chenväter gesagt ist, stimmt die von Brentano gegebene Dar-
stellung nicht überein4). Nach ihm gehen die Kirchenväter aus
von der natürlichen Gleichheit aller Menschen und setzen so einen
x) En in ps. 70, s. 1, 17 (M. 36, 886 f.).
2) De op. Monach. 15, 16 (M. 40, 561): »aliud . . est corpore laborare animo
libero sicut opifex, si non sit fraudulentus et avarus et privatae rei avidus; aliud autem
ipsum animum occupare curis colligendae sine corporis labore pecuniae, sicut sunt vel
negotiatores vel procuratores vel conductores.« cf. serm. 344, 7 (M. 39, 15 17): Hier
erscheint der Kaufmann als Beispiel eines habsüchtigen Menschen.
3) Die für die Stellung Augustins zum Handel maßgebende Stelle En. in ps. 70,
s. 1, 17 findet sich als Palea im Decretum Gratiani wieder (c. 12, D. 88). Gratian
selbst führt als von Augustinus stammend noch den Satz an: »negotiari . . . aliquando
licet, aliquando non licet; antequam enim ecclesiasticus quis sit, licet ei negotiari, facto
iam non licet« (c. 10. D. 88). Derselbe ist den Quaest. veteris et novi testamenti c. 127
i. f. (M. 35, 2385) entnommen, die jedoch nicht von Augustinus stammen.
*) Vgl. Brentano, Ethik und Volkswirtschaft, S. 8 ff; Die wirtschaftlichen
Lehren des christlichen Altertums, S. 178 ff.; Die Entwicklung der Wertlehre, S. 13 ff.
— 13 —
normalen Menschen voraus mit normalen Bedürfnissen. Die Be-
deutung, die einem Gute für die Befriedigung dieses normalen
Bedürfnisses zukommt, ist dessen Wert, der also für alle Menschen
derselbe ist. Die subjektiven Momente, die abweichend hiervon
die Bedeutung, die ein einzelner einem Gute beimißt, beeinflussen,
müssen für die Preisbestimmung ausscheiden. »Der konkrete Ge-
brauchswert eines Gutes erscheint somit als etwas Gegebenes. Alle
subjektiven Wertbestimmungsgründe werden als gleich gesetzt und
damit eliminiert, und somit bleibt als einziges wertbestimmendes
Moment nur mehr das objektive der Herstellungs oder Be-
schaffungskosten«1). Es darf also für ein Gut nur so viel genommen
werden, als dem Kostenwert entspricht. Die Kirchenväter sind
Vertreter einer objektiven Werttheorie. An einer anderen Stelle
wiederholt Brentano dasselbe: »Nur der Handel war gegen den*
Vorwurf der Gewinnsucht geschützt und galt daher als erlaubt,
bei dem der Händler dem Verkäufer einen gerechten Preis zahlt
und beim Wiederverkauf nur so viel zum Einkaufspreis zuschlägt,
als zu seinem und seiner Familie Unterhalt absolut notwendig ist.
Damit waren die Beschaffungskosten eines Gutes zum Maßstab
seines Wertes gemacht, und dabei war es nicht gestattet, die Kosten
des Lebensunterhaltes individuell verschieden zu berechnen«2).
Daß die Kirchenväter von der natürlichen Gleichheit aller
Menschen ausgehen, in dem Sinne, wie Brentano es hier annimmt,
ist nicht richtig, wie schon oben bemerkt wurde. Der gerechte
Preis der Kirchenväter ist keineswegs das Ergebnis abstrakter
Deduktion aus allgemeinen Prinzipien, sondern eher der Bestim-
mung seiner Höhe nach ein vulgärer, aus dem Leben entnommener
Gedanke. Es bildet sich auf dem Markte ein mehr oder minder
bestimmter Preis, von dem abzuweichen als ungerecht erscheint.
Daß die Kirchenväter den Preis der Güter nach den Herstellungs-
kosten bestimmt wissen wollen, dafür findet sich in der patristischen
Literatur kein Zeugnis. Höchstens könnte man darin einen Ansatz
zu einer objektiven Werttheorie sehen, daß z. B. nach Augustinus
der Gewinn des Kaufmanns als Arbeitslohn gerechtfertigt wird
und auf den standesgemäßen Lebensunterhalt beschränkt erscheint.
Der Kaufmann darf also in seinen Preisen die Beschaffungskosten
der Ware und seine Arbeit berechnen, also die Herstellungskosten.
Aber in dieser Form findet sich der Gedanke bei Augustinus
nicht: Er betont nur, daß der Handel volkswirtschaftlich notwendig
J) Die -wirtschaftlichen Lehren des christlichen Altertums, S. 178 f.
2) Entwicklung der Wertlehre, S. 14.
— 14 —
sei, und daß man damit auch den Gewinn gestatten müsse, ohne
den der Händler eben nicht bestehen könne, ganz abgesehen davon,
daß von einer Beschränkung des Handelsprofits auf ein für alle
gleiches Existenzminimum keine Rede ist. Von einer Wertlehre
wird gar nicht gesprochen. Auch vom Standpunkt einer subjek-
tiven Werttheorie wäre der gekennzeichnete Rechtfertigungsver-
such des Handelsgewinnes durchaus verständlich. Die einzige Spur
einer Werttheorie, die bei Augustinus zu finden ist, läßt in ihm
eher einen subjektiven Werttheoriker sehen, indem der Wert der
Dinge auf das menschliche Bedürfnis zurückgeführt wird. In
letzterem Sinne hat Augustinus auch auf das ganze Mittelalter
eingewirkt. Gewiß ist es richtig, daß ein normaler Wert ange-
nommen wird, indem die subjektiven Wertbestimmungsgründe, so-
weit sie ein Abweichen von dem allgemeinen Marktpreis bewirken
könnten, von der Beeinflussung des Wertes ausgeschlossen werden.
Aber damit liegt noch nicht die Notwendigkeit vor, auf das objek-
tive Moment der Herstellungskosten zurückzugreifen. Es könnte
doch auch die allgemeine Schätzung wertbestimmend sein, wenn
auch die individuellen abweichenden Schätzungen den Preis nicht
bestimmen würden. Aber, wie gesagt, kann von einer eigentlichen
Werttheorie in der Patristik keine Rede sein.
Das römische Recht kennt im Gegensatz zu den bisher be-
handelten Lehren an sich das Ideal eines gerechten Preises, der
im Wirtschaftsleben eingehalten werden soll, nicht. Es gilt viel-
mehr der Grundsatz unbedingter Freiheit des Kaufvertrages, auch
dann, wenn eine Übervorteilung des einen Teiles durch den anderen
vorliegt. So sagt Paulus: »Quemadmodum in emendo et ven-
dendo naturaliter concessum est, quod pluris sit minoris emere,
quod minoris sit, pluris vendere et ita invicem se circumscribere,
ita in locationibus quoque et conductionibus iuris est«2).
Eine Modifikation dieses Grundsatzes erfolgte dann dahin,
daß unter gewissen Umständen durch das Recht ein bestimmter
Preis durchgesetzt werden müsse, wenn z. B. ein Gut die verein-
barte Qualität nicht hatte, oder wenn sonst eine Täuschung eines
Kontrahenten vorgekommen war. Dann hatte der Richter ein
Urteil über den Wert zu fällen, ein »iustum (verum) pretium« zu
:) Kaulla, Der Wertbegriff im römischen Recht. Z. f. g. St. (1902), S. 385 ff.
(vgl. die Gesch. Entwicklung der modernen Werttheorien, S. 5 ff.), femer Oertmann,
Die Volkswirtschaftslehre des Corpus iuris civilis, S. 37 ff.
2) 1. 22, § 3 D. 19, 2; cf. 1. 16, § 4 D. 4, 4: »Idem Pomponius ait, in pretio
emptionis et venditionis naturaliter licere contrahentibus se cir cum venire«.
— 15 —
bestimmen. Über die Bemessung desselben verlangt Paulus im
Anschluß an Sextus Pedius: »Sextus quoque Pedius ait, pretia
rerum non ex affectione, nee utilitate singulorum, sed communiter
fungi«1). Es wird also hier der Affektionspreis zurückgewiesen
und verlangt, daß der Richter einen normalen, für alle gleichen
Wert seiner Entscheidung zugrunde lege. Es wird aber nicht
davon gesprochen, daß dieser etwa im ganzen Wirtschaftsleben
durchgeführt werden solle.
Das Prinzip der Vertragsfreiheit erlitt zur Zeit Diokletians
eine Ausnahme2): In dem Falle, wo eine Benachteiligung über die
Hälfte des gerechten Preises hinaus stattgefunden hat, ist der
Vertrag anfechtbar im Hinblick auf die Ungerechtigkeit des Preises3).
Noch weiter ging das Preisedikt Diokletians, indem hier ein
Maximaltarif festgelegt wurde. Dasselbe taten einige spätere römi-
sche Kaiser, die eine Beschränkung des Gewinnes des Zwischen-
handels zu erreichen suchten4). Diese Tendenz wiederstrebt dem
ursprünglichen Geiste des römischen Rechts durchaus.
Das römische Recht gerade in seinem ursprünglichen Geiste
hat aber, wie noch zu zeigen sein wird, die scholastische Preis-
lehre im Verlaufe ihrer Entwicklung wesentlich beeinflußt.
2) 1. 33 D. 9, 2. Vgl. Kauila, a. a. O. Hiernach Brentano, Entwicklung
der Wertlehre, S. ioff.
2) Vgl. Endemann, Studien II, S. 30. Oertmann, a. a. O. S. 40. Kaulla,
a. a. O. S. 35 ff.
») 1. 8 C. 4, 44.
«) Kaulla, a. a. O. S. 42 ff.; S. 45.
II.
Die Lehre vom gerechten Preis bei Thomas v. Äquin.
Leben und Schriften.
Bezüglich des Lebens, der Schriften und der allgemeinen Be-
deutung des Thomas von Aquino, des größten Theologen des
Mittelalters, begnügen wir uns mit ganz wenigen einleitenden Be-
merkungen, soweit sie zum Verständnis der folgenden Darlegungen
unbedingt erforderlich sind1). Thomas wurde 1227 geboren, war
zunächst in Paris, dann in Köln Schüler des Albertus Magnus
und starb als Mitglied des Dominikaner-Ordens im Jahre 1274.
Die zerstreuten Äußerungen über wirtschaftliche Dinge, die
sich in seinen Werken finden, sind in neuerer Zeit Gegenstand
eifrigen Studiums gewesen. Vor allem wohl deshalb, weil gewisse
Elemente der thomistischen Gesellschafts- und Staatslehre auf manche
soziale Strömungen der Gegenwart in bedeutendem Maße eingewirkt
haben. So wird demjenigen, der sich mit der Erforschung der
modernen sozialen Literatur beschäftigt, der Name Thomas von
Aquin ungezählte Male begegnet sein. Auch im Verlaufe unserer
Darstellung werden wir wenigstens kurz darauf hinzuweisen haben,
daß auch die thomistische Wertlehre der Ausgangspunkt wichtiger
Forderungen an das moderne Wirtschaftsleben gewesen ist. Im
übrigen gehört eine eingehendere Behandlung dieser Frage nicht
in den Rahmen vorliegender Arbeit.
Für die Wertlehre des Thomas v. Aquin kommen als Quelle
mehr oder minder alle seine Werke in Betracht. Wir beschränken
uns darauf, die im folgenden am meisten benutzten anzuführen,
wobei zugleich die Abfassungszeit angegeben wird. Das letztere
ist deshalb nötig, weil in manchen Punkten, wie z. B. die Behand-
lung der Wucherlehre zeigen wird, mit einer Entwicklung der
thomistischen Ansichten zu rechnen ist, die sich naturgemäß ohne
Kenntnis der Chronologie seiner Werke nicht ermitteln läßt.
Neben seinen beiden Hauptwerken, der Summa theologica
(1265 — 1273) und der Summa contra gentiles (1259 — 1264), die
manches hierher Gehörende enthalten, sind vor allem seine Kom-
*) Vgl. zum folgd. Grabmann, Thomas v. Aquin, 1912. Mausbach, Art.
Thomas v. Aquin im K. L. XI, 1626 ff. Eine eingehendere literarkritische Behandlung
der thomistischen Schriften, soweit sie für seine Rechts- und Wirtschaftslehre in Betracht
kommen, siehe bei Kuhlmann, D. Gesetzesbegriff usw. S. 75 ff.
— 17 —
mentare zu Aristoteles zu berücksichtigen. Thomas gilt als der
beste Aristoteleskenner des Mittelalters. Er veranlaßte selbst seinen
Ordensgenossen Wilhelm von Moerbecke, eine wortgetreue Über-
setzung der aristotelischen Schriften herzustellen, die er dann seinen
Erläuterungen zugrunde legte. Gibt noch Albertus Magnus in
seinen Kommentaren eine freie Umschreibung des aristotelischen
Textes, die er mit eigenen Gedanken durchwebt, so legt Thomas
das Hauptgewicht darauf, den Gedankengang des Aristoteles wort-
getreu und übersichtlich seinem inneren Zusammenhange nach zur
Darstellung zu bringen. Von den auf diese Weise verfaßten Kom-
mentaren kommen für uns in Betracht der zur nikomachischen
Ethik, der wohl in den Jahren 1261 — 1264 verfaßt ist, sowie der
Kommentar zur Politik (1272), von dem jedoch nur die ersten
vier Bücher echt sind. In der Art der thomistischen Kommentare
liegt es begründet, daß das in ihnen Gesagte nicht ohne weiteres
als eigene Meinung des Verfassers angesehen werden kann. Man
wird daher im allgemeinen die Kommentare zur Feststellung der
Gedanken des Thomas v. Aquin nur dann verwerten können, wenn
dieselben Ansichten in seinen selbständigen Schriften wiederkehren,
oder sich sonst aus dem Zusammenhang ergibt, daß Thomas den
betreffenden Gedanken selbst zustimmt1). Von den übrigen Schriften
sind neben dem umfangreichen Sentenzen-Kommentar (1253 — 1255)
die Quaestiones quodlibetales (1269 — 1274), sowie die Quaestio dis-
putata de Malo (1260 — 1268) zu nennen. Unter der großen Zahl
der kleineren Schriften sind besonders wichtig: De regimine prin-
cipum, wovon jedoch nur I — II, c. 4 echt sind [1266?]2); sowie de
regimine Judaeorum (1263 — 1267?), die in den Ausgaben als opus-
cula XXI bzw. XXII sich finden. Das op. LXVII de emptione et
venditione, das wichtige Erörterungen über den Kauf auf Kredit
enthält, wird im allgemeinen Thomas zugeschrieben, wenn dessen
Autorschaft auch nicht unbedingt sicher ist. Unter den thomistischen
Kommentaren zum Neuen Testament ist häufiger verwendet die
Catena aurea, die in Form einer Zusammenstellung von Väter-
Zitaten eine Erläuterung der vier Evangelien bietet, weil aus ihr zu
einem guten Teile das Maß der Beeinflussung der thomistischen
Gedanken durch die Patristik erschlossen werden kann.
*) Vgl. Maurenbrecher, Thomas v. Aquinos Stellung zum Wirtschaftsleben
seiner Zeit, S. 24Ü.; vgl. Kuhlmann, a. a. O. S. 94f., der etwas kritischer ist, aber
mit ersterem doch im Prinzip übereinstimmt.
2) Daß wenigstens diese Teile unverfälscht thomistisch sind, betont Kuhlmann,
a. a. O. S. 85.
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft 1. 2
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
Ä. Allgemeines aus den wirtschaftlichen Anschauungen
des Thomas v. Aquin.
a) Eigentumslehre und Standesprinzip.
Es ist alsdann ein kurzer Überblick voranzuschicken über
einige Anschauungen, die für das Wirtschaftsbild des Aquinaten
grundlegend sind, auf die auch im folgenden mehrfach hingewiesen
werden muß, zunächst über die thomistische Eigentumslehre1).
Thomas folgt in seiner Eigentumslehre im wesentlichen den
Anschauungen der altkirchlichen Zeit. Der natürliche Zweck der
Güter ist der, dem Unterhalte, dem Gebrauche aller Menschen zu
dienen. Diesem Ziele widerspricht das Privateigentum, soweit man
darunter die potestas procurandi et dispensandi versteht, nicht, es
dient vielmehr seiner besseren Erreichung. Denn das menschliche
Zusammenleben erfordert Privateigentum, weil dann jeder für seinen
eigenen Besitz in erhöhtem Grade sorgt und nicht die Nachlässig-
keit eintritt, die Kommunismus zur Folge haben würde, und weil
unter Herrschaft des Privateigentums das Wirtschaftsleben besser
und friedlicher von statten geht.
Jedoch geht die Aufgabe der Güter, allen Menschen zum
Unterhalt zu dienen, individuellen Zwecken vor2). Hieraus ergeben
sich für die Verteilung der Güter wichtige Prinzipien.
Übermäßiger Reichtum einzelner ist, so betont Thomas, ohne
die Armut anderer nicht möglich: »in exterioribus divitiis non
potest unus homo superabundare nisi alter deficiat, quia bona tem-
poralia non possunt simul possideri a multis«3), und deshalb als dem
natürlichen Recht widerstreitend abzulehnen: »res, quas aliqui super-
abundanter habent, ex naturali iure debentur pauperum sustenta-
tioni«4). »Quoad proprietatem« gehören die Güter zwar einzelnen,
»quoad usum« aber allen5).
1) Maurenbrecher, a. a. O. S. 96 ff. Walter, Das Eigentum nach der Lehre
des hl. Thoraas v. Aquin, S. 12 ff. Schaub: Eigentumslehre nach Thomas v. Aquin
usw., S. 259 ff. v. Hertling, Kleine Schriften, S. 140 ff. Schilling, Reichtum und
Eigentum, S. 209 ff. Vgl. auch Walter, Art. Thomas v. Aquin im H. W. St. VII,
1186 sowie den Art. von Endres über Thomas v. Aquin. St d. G. V, 443 ff. Kuhn,
Die Probleme usw., S. 67 ff. In den angeführten Schriften zugleich Näheres über die
rechtsphilosophische Stellung des Privateigentums bei Thomas, deren Behandlung hier
zu weit führen würde.
2) II, II 66, a. 2, a. 7.
3) II, II 118, a. 1, ad 2.
*) II, II 66 a., 7 c.
B) II, II 32, a. 5, ad 2. Feugueray, Essai etc., S. 179 ff. sieht in dieser
Scheidung mit Recht den Kern der thomistischen Eigentumslehre.
— ig —
Soll so der Einzelne nicht übermäßig reich sein, so verlangt
Thomas doch andererseits keineswegs Gleichheit des Besitzes.
Sein Ideal ist das standesgemäße Auskommen aller. Thomas
scheidet nämlich zwischen dem Status individui, worunter er etwa
das versteht, was wir heute als Existenzminimum bezeichnen,
und dem Status personae. Im Begriff des letzteren liegt das
Standesgemäße1). Man soll dem Kreise, dem man zugehört, ent-
sprechend leben, wie es die Sitte heischt, »decenter«. Daraus er-
gibt sich für Thomas das wichtige Prinzip: »necesse est, quod
bonum hominis circa ea (sc. bona exteriora) consistat in quadam
mensura, dum scilicet homo secundum aliquam mensuram quaerit
habere exteriores divitias, prout sunt necessariae ad vitam eius
secundum suam conditionem.« Ein Überschreiten dieses Maßes
ist sündhaft2).
Nun erfahren allerdings diese Forderungen gewisse Ab-
schwächungen, auf die wenigstens kurz hingewiesen werden muß.
Einmal ist der Begriff des standesgemäßen Unterhaltes seinen
Grenzen nach etwas flüssig: »Huiusmodi necessarii terminus non
est in indivisibili constitutus; sed multis additis non potest diiudi-
cari esse ultra tale necessarium, et multis subtractis adhuc rema-
net, unde possit convenienter aliquis vitam transigere secundum
proprium statum«3). Sodann besteht eine strenge Verpflichtung
zum Almosengeben im einzelnen Falle nur dann, wenn auf Seiten
des Armen wirkliche Not vorhanden ist, was der Beurteilung des
einzelnen überlassen bleibt4). Aber wie Maurenbrecher mit Recht
hervorhebt, bedeuten diese Momente keine Aufhebung des allge-
meinen Gedankens, daß jeder auf den standesgemäßen Unterhalt
sich beschränken solle. Die Idee einer Entwicklung, eines Auf-
steigens von Stand zu Stand kennt Thomas nicht6).
Auf die Quellen des thomistischen Standesprinzips wird im
Folgenden vielfach hinzuweisen sein.
b) Arbeitsteilung.
Der Mensch ist von Natur zum Gemeinschaftsleben bestimmt:
Das ist das Grundgesetz der thomistischen Gesellschaftslehre:
»Naturale . . est homini, ut sit animal sociale et politicum, in mul-
x) II, II 32, a. 5, c. quodl. VIII, a. 12 vgl. Maurenbrecher, a. a. O. S. 48 ff.
Hilgenreiner, Die Erwerbsarbeit usw., S. 537 f.
2) II, II 118, a. 1 c.
3) II, II 32, a. 6 c. Vgl. Hilgenreiner, a. a. O. S. 547 f.
*) II, II 32, a. 5.
5) Vgl. Maurenbrecher, a. a. O. S. 50.
— 20 —
titudine vivens« x). Die »naturalis necessitas« aber, die ihn im
letzten Grunde zum Gemeinschaftsleben zwingt, die das tiefste
Fundament des Gesellschaftslebens bildet, ist wirtschaftlicher Art.
Während die Natur die Tiere mit dem ausrüstet, was sie an
Nahrung und Mitteln zur Verteidigung brauchen, besitzt der Mensch
von Natur aus nichts von alledem; er besitzt an Stelle dessen die
Vernunft, die ihn in den Stand setzt, sich vermittelst seiner Hände
zu erarbeiten, was er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse braucht2).
Aber der einzelne Mensch kann sich allein nicht in ge-
nügender Weise seinen Lebensunterhalt erwerben. Die Zahl seiner
Bedürfnisse ist zu groß, als daß für ihn eine Selbstgenügsamkeit,
ein »sufficere per se« möglich wäre. Und daher ist der Mensch
von Natur gezwungen, mit anderen zusammenzuleben, um in der
Gemeinschaft seinen Bedarf an dem, was zum Leben notwendig'
ist, in ausreichendem Maße decken zu können. Hier liegt der
tiefere Grund des Satzes: »Naturaliter inditum est homini, ut in
societate vivat«3).
Der Vorteil, den das Gemeinschaftsleben mit sich bringt, der
ihm eben seine fundamentale Bedeutung verleiht, liegt aber darin,
daß es eine Arbeitsteilung, eine Berufsteilung ermöglicht.
Wie bei den Bienen, sagt Thomas v. Aquin, die einen Honig
sammeln, die anderen Zellen bauen4), wie im menschlichen Körper
zwischen den einzelnen Gliedern eine Teilung der Verrichtungen
stattfindet5), so haben wir auch in der Gemeinschaft eine Teilung
der Arbeit: Die einen sind Ackerbauer und Viehzüchter, die
anderen Schuster, Baumeister usw.6). Die nächstliegende natür-
liche Ursache dieser Berufsteilung ist die Verschiedenheit der
Neigungen bei den einzelnen Menschen, der letzte Grund aber
liegt in der göttlichen Vorsehung, der »divina Providentia, quae
ita hominum Status distribuit, ut nihil unquam deesse inveniatur
de necessariis ad vitam«7). So findet der einzelne in der Gesell-
schaft eine Ergänzung seiner persönlichen Schwäche und Unzu-
länglichkeit.
*) De regimine principum I. c. i.
2) 1. c.
3) S. c. G. c. III 134.
4) 1. C.
6) Quodlib. VII, 17.
6) S. c. G. c. III 134.
7) Quodlib. VII, 17; S. c. G. III c. 134. Über die religiöse Wertung der Arbeit
bei Thomas v. Aquin, vgl. N. Paulus, Histor. Jahrb. XXXII, S. 727 ff.
21
Die gesellschaftliche Arbeitsteilung bringt aber eines mit sich :
Die Bedarfsdeckung für den einzelnen innerhalb der Gesellschaft,
die auf Privateigentum fundiert ist, ist nur möglich auf dem Wege
des Tauschverkehrs: »Der Verkehr ist die Grundlage jeder Be-
darfsdeckung geworden«1). Der Austausch der Dinge wächst so
gewissermaßen aus dem Wesen der menschlichen Gemeinschaft
hervor. Der Zweck des Gesellschaftslebens, die volle und bessere
Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, wird erreicht durch
Kauf und Verkauf. Daher der Satz: »Emptio et venditio videtur
esse introducta pro communi utilitate utriusque, dum scilicet unus
indiget re alterius et e converso«2).
Und wie einerseits das Gemeinschaftsleben den Tauschver-
kehr mit sich bringt, so bildet er andererseits wieder ein Band,
das die Mitglieder der Gesellschaft untereinander eint. »Societas
hominum«, bemerkt Thomas gelegentlich einmal, »maxime con-
servatur per hoc, quod homines emendo et vendendo sibi invicem
res suas communicant, quibus indigent«3).
c) Tauschverkehr und Handel in der Stadtwirtschaft.
Wir haben die Bedeutung dargelegt, die nach Thomas
v. Aquin dem Warenaustausch innerhalb der Gesellschaft zukommt.
Gehen wir jetzt weiter.
Die societas, die Thomas v. Aquin vorschwebt, und der im
wesentlichen die geschilderte wirtschaftliche Bedeutung zukommt,
ist die Stadtgemeinde, die civitas. Sie erscheint ihm als wirtschaft-
liche Einheit, sie soll im Kerne die Funktionen erfüllen, die Thomas
der menschlichen Gesellschaft im allgemeinen zuschreibt.
Damit ergibt sich eines: Die Selbstgenügsamkeit, die dem
Einzelnen nicht zukommt, deren Unmöglichkeit ihn zum Gemein-
schaftsleben, das in der civitas seine eigentlichste Verkörperung
findet, zwingt, sie muß der Gemeinschaft als solcher zukommen:
»Cum autem homini competat in multitudine vivere, quia sibi
non sufficit ad necessaria vitae, si solitarius maneat, oportet,
quod tanto sit perfectior multitudinis societas, quanto magis, per
se sufficiens erit ad necessaria vitae«4). Wenn es selbstverständ-
lich ist, daß in einer Stadt alles vorhanden sein muß, was zum
Leben nötig ist, so liegt es doch mehr in der Idee der civitas,
J) Maurenbrecher, a. a. O. S. 59. Vgl. ferner Hilgenreiner, a. a. O. S. 1 1 4 f f .
2) II, II q. 77, a. 1 c.
') I, II q. 105, a. 2, ob. 3.
4) De reg. princ. I. c. 1.
22 —
daß dieses »Genügen« ein »Aus-sich-Genügen«, eine »per se suf-
ficientia» sei, die nicht auf den Handel, auf Zufuhr von außen,
als Quelle ihrer Verwirklichung angewiesen ist. Daher der Satz :
»Dignior . . est civitas, si abundantiam rerum habet ex territorio
proprio, quam si per mercatores abundet«1).
Der natürliche Zustand der Versorgung einer Stadt ist also
der, daß sie alles zum Leben Nötige in eigenem Besitze hat. Aber
dieses mehr oder minder große Selbstgenügen baut sich selbst-
verständlich auf Arbeitsteilung und Tauschverkehr auf; es wird
durch gemeinsame Arbeit aller Bürger hervorgebracht2).
Diesen Tauchverkehr unter den Bürgern der Stadt selbst,
haben wir uns als unmittelbaren Austausch zwischen Produzent
und Konsument zu denken3), ohne Vermittelung eines eigenen
Händlerstandes. Das ist nach der ganzen Wirtschaf tsverfassung
des Mittelalters klar und geht deutlich auch aus der Art und
Weise hervor, wie Thomas Zufuhr von außen und Händlerstand
als entsprechende Begriffe hinstellt und kritisiert. Die Schäden,
die der Handel mit sich bringt, erscheinen lediglich als Schäden
des interlokalen Austausches4). Die Form des unmittelbaren
Tausches wird unten näher zu besprechen sein.
Ein volle Selbstgenügsamkeit ist aber nicht zu erreichen;
ohne Zufuhr von außen und ohne Handel auszukommen, ist un-
möglich und zwar aus zwei Gründen: Einmal läßt sich kaum ein
Ort finden, an dem alles vorhanden wäre, was zum Leben not-
wendig ist. In irgendeiner Hinsicht wird stets ein Mangel vor-
handen sein und deshalb Zufuhr von außerhalb nötig werden5).
Sodann ist häufig der eine oder andere Gegenstand in der Stadt
selbst im Überfluß vorhanden, so daß er von den Einwohnern selbst
nicht konsumiert werden kann, also verderben müßte, wenn er
nicht durch den Handel anderswohin transportiert würde6). Für
beide Fälle tritt ein eigener Händlerstand in Erscheinung; der
1) De reg. princ. II. c. 3.
2) Man vgl. Com. in Pol. Arist. III, 1. 5, d (zu Ar. III, 4, 3), wo Thomas den
aristotelischen Gedanken, der Nutzen des Zusammenlebens bestände in der Verwirk-
lichung des bene vivere, dahin erklärt: »ad quod (sc. bene vivere) unusquisque affert
suam partem, sicut videmus in qualibet communitate, quod unus servit communitati de
uno officio, alius de alio et sie omnes communiter bene vivunt.« Über das Verhältnis
zu Aristoteles vgl. Maurenbrecher 1. c. S. 44.
3) cf. Maurenbrecher, a. a. O. S. 52.
*) De reg. princ. II, c. 3. Übrigens siehe unten.
6) 1. c.
e) 1. c.
— 23 —
interlokale Austausch vollzieht sich unter seiner Vermittlung, nicht
unmittelbar. Auch auf das Wesen des Handels wird unten zu-
rückzukommen sein:
Natürlich gibt Thomas der Selbstversorgung vor der Ver-
sorgung durch den Handel den Vorzug1). Er führt die verschie-
densten Gründe dafür an: Die Selbstgenügsamkeit hat den Vorteil
größerer Stetigkeit und Sicherheit in der Versorgung mit Lebens-
mitteln in Kriegs- und Friedenszeiten; das Leben der Kaufleute
verweichlicht und entkräftet; Zerstörung der heimischen Sitte
durch Berührung mit fremden Völkern; sittliche Gefahren, die
mit dem Handel verknüpft sind. Vor allem findet, wenn die
Bürger selbst Handel treiben, im ganzen städtischen Leben eine
Umwälzung statt:
»Rursus, si cives ipsi mercationibus fuerint dediti; pandetur
pluribus vitiis additus; nam cum negotiatorum Studium maxime ad
lucrum tendat, per negotiationis usum cupiditas in cordibus civium
traducitur, ex quo convenit, ut in civitate omnia fiant venialia et
fide subtracta locus fraudibus aperitur publicoque bono contempto
proprio commodo quisque deserviet deficietque virtutis Studium;
dum honor, virtutis praemium omnibus defertur; unde necesse erit
in tali civitate civilem conversationem corrumpi« 2).
Maurenbrecher möchte hieraus den Schluß ziehen: »Ja, es
ist sogar aller Handel, der die Stadt überhaupt berührt, vom Stand-
punkt der Stadt aus lediglich Passivhandel; es würde den Ruin
der Stadt bedeuten, wenn die Bürger selbst sich an Handels-
geschäften beteiligen wollten«3). Die vorliegende Stelle scheint
mir keine Berechtigung zu diesem Schlüsse zu enthalten. Thomas
beurteilt den Handel überhaupt nicht minder scharf als das Handel-
treiben der Bürger selbst, ohne im ersten Falle zu einem ver-
werfenden Urteil zu gelangen4).
Gewiß, das ist das Resultat, zu dem Thomas kommt, ver-
dient die Selbstgenügsamkeit unbedingt den Vorzug vor der Ver-
sorgung durch den Handel. Doch ist letzterer nie völlig zu ent-
behren: daher: . . »oportet, quod perfecta civitas moderate mer-
cationibus utatur«5).
Zusammenfassend ist über den Tauschverkehr in der Stadt
*) 1. c. cf. Maurenbrecher, Hilgenreiner, a. a. O. u. sonst.
2) De reg. princ. II., c. 3.
s) Maurenbrecher, a. a. O. S. 52, ferner S. 45, Anmerkung 2.
*) Vgl. im folgenden S. 79 ff.
6) De reg. princ. 1. c.
— 24 —
zu sagen: »Dem . . . Handel kommt nur eine untergeordnete Be-
deutung zu: er hat nur die Aufgabe, den mäßigen Verkehr mit
anderen Städten zu vermitteln, den man doch nie ganz wird ent-
behren können; für den Verkehr innerhalb der Stadt aber, also
für den Verkehr, auf dem die ganze Berufsgliederung der städti-
schen Gesellschaft sich aufbaut, kommt er überhaupt nicht in Be-
tracht: innerhalb der Stadt stehen Produzent und Konsument
einander unmittelbar gegenüber«1).
Diese Ideen sind mehr oder weniger der aristotelischen
Politik entnommen2), wenn sich auch gewisse Verschiedenheiten
nicht verkennen lassen. Vor allem liegen solche in der Auffassung
vom Wesen des Staates vor. Während der Gedanke der Selbst-
genügsamkeit des Staates, der avraQKEia, bei Aristoteles wesent-
lich sittlichen Inhalt hat, — im Staate findet der Mensch seine
volle Glückseligkeit, welch' letztere in der Tugend besteht, — und
dieser Bedeutung das wirtschaftliche Selbstgenügen untergeordnet
erscheint, steht letzteres umgekehrt bei Thomas mehr im Vorder-
grunde: Die Notwendigkeit des Staates ist in letzter Linie durch
wirtschaftliche Momente bedingt3), so daß im Kommentar zur
Politik die Gedanken des Aristoteles über den Staat zuweilen
nicht richtig wiedergegeben sind4). Zum Teil hat dies allerdings
darin seinen Grund, daß der griechische Begriff nolig in der Über-
setzung mit civitas, Stadt, wiedergegeben wird. In der civitas
aber spielte sich für Thomas nicht mehr der volle Kreis der
menschlichen Betätigungen ab; schon in militärisch -politischem
Sinne kennt er eine höhere Einheit, in der der Mensch eine vitae
sufficientia findet5); die civitas hatte zu seiner Zeit eine wesentlich
wirtschaftliche Aufgabe. Doch liegt ein gewisser Gegensatz hin-
sichtlich der Auffassung von der Bedeutung des Staates vor. Doch
ist dieser hinsichtlich des Begriffes der Selbstgenügsamkeit keines-
wegs ein durchgehender: auch Aristoteles braucht gelegentlich
den Begriff avraQxeia vom Staate in rein wirtschaftlichem Sinne6).
Zeigt sich schon hierin deutlich der Unterschied der wirt-
schaftlichen Verhältnisse im griechischen Altertum von denen des
J) Maurenbrecher, a. a. S. 52.
2) Pol. 1, c. 1; IV passim Im einzelnen vgl. Maurenbrecher, a. a. O.
3) Maurenbrecher, a. a. O. S. 43, hebt dies sehr hervor.
4) Vgl. Maurenbrecher, a. a. O.
6) De reg. princ. 1, c. 1: »Habetur vitae sufficientia adhuc magis in provincia
una propter necessitatem compugnationis et mutui auxilii contra hostes.« Vgl. hierzu
Zeiller, L'idee de l'etat dans St. Thomas d'Aquin, S. 56.
a) Ar. Pol. IV. c. 5.
— 25 —
Mittelalters, so tritt dieser auch sonst unverkennbar zutage. Die
ganze Art der Anordnung der Gedanken, die Hervorhebung der
Arbeitsteilung innerhalb der civitas können in dieser Weise nur
vom Boden der wirtschaftlichen Verhältnisse des Mittelalters völlig
verstanden werden. Nicht, als ob Aristoteles den Gedanken der
Arbeitsteilung nicht gekannt hätte. Schon Plato hatte ihn scharf
hervorgehoben1), und Aristoteles selbst weist bald ausdrücklich
darauf hin, bald liegt er seinen Ausführungen zugrunde2).
Und doch wird der Gedanke der Arbeitsteilung bei Thomas
bedeutend schärfer betont und bewußt in den Vordergrund ge-
stellt. Durchaus, wie es dem Bilde entspricht, das wir uns von
der mittelalterlichen Stadt mit ihrer Trennung der einzelnen Hand-
werke machen.
Ähnlich steht es mit den Gedanken, die Thomas über den
Handel äußert. Auch sie finden sich mehr oder minder bereits
bei Aristoteles, und doch zeigt die ganze Art der Darstellung
durchaus den Einfluß der wirtschaftlichen Verhältnisse des Mittel-
alters, wo wir im Kerne wohl »Stadtwirtschaft« haben, ein Handel
aber keineswegs gänzlich ausgeschlossen ist.
B. Tauschverkehr und Handel unter dem Gesichtspunkte
des gerechten Preises.
§ 1. Ökonomischer Charakter des einfachen Tausches
und des Handels.
Wir haben im vorhergehenden Teile die ökonomische Be-
deutung von Tauschverkehr und Handel innerhalb der mensch-
lichen Gesellschaft behandelt. Wenn wir jetzt dazu übergehen,
beide unter dem ethischen Gesichtspunkte des gerechten Preises
zu betrachten, so müssen wir uns zunächst den ökonomischen
Vorgang selbst im einzelnen vergegenwärtigen, denn die Bestim-
mung des gerechten Preises wächst aus der ökonomischen Struktur,
aus dem Wesen von Tauschverkehr und Handel selbst hervor, ja
ist damit schon zu einem guten Teile gegeben.
Auch in Darlegung dieser Verhältnisse fußt Thomas völlig
auf Aristoteles. Es sind daher zunächst die aristotelischen Ge-
danken darzulegen, dann die Übernahme derselben durch Thomas
zu verfolgen.
*) S. oben S. 4.
a) Pol. II, 8 (8): Der Gesetzgeber: »3« . . (atj nQoatäxxsiv, rör avrov avXeiv xai
oxvxorofieTv.« Vgl. Pol. I, 3 (12 — 14). Nie. Ethik: V, c. 8.
— 26 —
a) Aristoteles: Im ersten Buche seiner Politik behandelt
Aristoteles das Haus als den kleinsten Bestandteil des Staates und
widmet insbesondere der wirtschaftlichen Seite desselben eine ein-
gehende Betrachtung1). Die hier geäußerten Gedanken lassen sich
etwa so zusammenfassen2):
Aristoteles unterscheidet zwischen der Haushaltungskunst
{oixov fiixi]) und der Erwerbskunst (iQrltJLaTl0TlxV *• w- S.). Jene hat
es mit dem Verwenden und Gebrauchen zu tun, diese mit dem
Erwerben. Die Erwerbskunst gliedert sich wieder in die unmittel-
baren und mittelbaren Erwerbsarten; zu ersteren gehören alle jene,
die wie die Nomaden, Jäger, Fischer, Ackerbauer ihre Nahrung
unmittelbar der Natur entnehmen3). Sie sind eng mit der Haus-
haltungskunst verwachsen, mag Aristoteles sie nun direkt für einen
Teil derselben erklärt haben oder in ihnen nur einen Hilfszweig
der Haushaltungskunst erblickt haben, was unter den Erklärern
strittig ist4).
Diesem unmittelbar natürlichen Erwerb steht der mittelbare
gegenüber: Hier wird die Bedarfsdeckung des Hauses auf dem
Wege des Tausches erreicht. Der Tausch ist etwas durchaus
natürliches und notwendiges, wenn er auch selbstverständlich in
der ersten ursprünglichen Gemeinschaft, dem Hause noch nicht
bestand6). Er bleibt auch noch durchaus natürlich und notwendig,
als zu seiner leichteren Abwicklung das Geld eingeführt worden
war. Die Erfindung des Geldes geht hervor »aus einem unent-
behrlichen Bedürfnis des Tausches«6). Der Erwerb wird in diesem
Falle für das Haus ein mittelbarer, und zwar nimmt er die Form
des Gelderwerbes an. Aristoteles steht auch dieser Erwerbsart
keineswegs ablehnend gegenüber; auch sie ist für ihn noch durchaus
natürlich. Der Reichtum, der hier erstrebt wird, ist ein durchaus
natürlicher: man faßt ihn auf als eine Summe von Bedarfsgegen-
ständen, die der Haushaltung als Werkzeuge zur Bedarfsdeckung
1) Pol. I, c. 3. § 1—23.
2) Vgl. F. Onken, D. Staatsl. d. Ar., 2 Bd., 1875, S. 80 ff. Auszug hieraus
bei Susemihl, Einleit. Politik, I. Teil, Leipzig 1879. Ferner Maurenbrecher, a. a. O.
S. 54 f.
3) 1. c. § 22: »vor allem aber muß .... die Natur selber den erforderlichen
Stoff bereits gewähren, denn ihre Sache ist es, dem, was sie erzeugt hat, auch den
Unterhalt zu geben. Und daher ist denn der naturgemäße Erwerb für alle Menschen
derjenige, welchen sie aus den Früchten der Erde und den Tieren ziehen.
4) Susemihl, Aristoteles Politik. Anmerkung 69 ab.
B) cf. Pol. I. c. 3, § 11 ff.
•) I. 3, § 15 (§ 14).
— 27 —
dienen. Und in diesem Endzwecke findet der Reichtum seine
Begrenzung1).
Eng verwandt mit dieser mittelbar-natürlichen Erwerbsart
ist eine andere, die sich aus erster entwickelt, der eigentliche Handel
[xajirjleia, xajirjlixrf\-)- »Dieser ist ein Werk der Kunst und Übung,
aber nicht der Natur« 3). Er ist darauf gerichtet, beim Umsatz der
Waren möglichst viel Gewinn zu machen. Zweck des Tausches
ist nicht Deckung eines natürlichen Bedürfnisses, sondern Erstreben
von Reichtum, der insgeheim in eine Masse von möglichst viel
Geld gesetzt wird und kein Maß und keine Grenzen kennt4). »Und
so entsteht denn der Glaube, daß die Erwerbskunst es hiermit
zu tun habe und im eigentlichen Handelsgeschäft bestehe«5).
Aristoteles hält es daher für richtig, diese Art von Erwerbskunst
vorzugsweise als Bereicherungskunst zu bezeichnen, als iqi]ixo.tiotim]
im engeren Sinne6).
Zwei Erwerbsarten stehen sich also schroff gegenüber: »In
etwas anderem besteht der natürliche Reichtum und die natürliche
Erwerbskunde, und nur diese letztere ist die zur Haushaltungs-
kunde gehörige, während die künstliche im eigentlichen Handels-
geschäft besteht, indem sie nicht auf den Vermögenserwerb über-
haupt, sondern nur auf den durch den Vermögensumsatz gerichtet
ist. Und diese hat es augenscheinlich mit dem Gelde zu tun,
denn das Geld ist beim Handel Anfang und Ende«7). Dieses
Streben nach Gewinn ist es, was Aristoteles ablehnt. Es ent-
springt dem Streben nach sinnlichen Genüssen. Die Kräfte des
Menschen werden dabei entgegen ihrer eigentlichen Bestimmung
angewandt: Die Tapferkeit ist nicht dazu da, Geld zu erzeugen,
sondern Heldenmut zu zeigen8). So sehr also Aristoteles dem
Tauschverkehr gerecht wird, wenn er einem natürlichen Bedürfnis
dient, so schroff lehnt er ihn ab, wenn er, wie in der Gestalt des
eigentlichen Handels, zur Erzielung eines Gewinnes vorgenommen
wird9).
*) I. 3, § 8, b. 9. Vgl. hierzu Zmavc, Die Geldtheorie und ihre Stellung usw.
Z. f. d. g. St., Bd. 58, S. 75 ff.
2) I, 3 § 15-
3) I, 3 § 10.
«) I, 3 § 15 u. 16.
5) I, 3 § 16.
6) I, 3 § 10.
7) I, 3 § 17: »rö yag vö/iio/ua ozoi%eiov xai jisqü? zfjc dkkayfjg eaxtv.
8) cf. § 19 u. 20.
8) Der Unterschied zwischen dem einfachen Tauschverkehr und dem Handel, der
einen Gewinn machen will, ist in scharfer, aber prinzipiell ähnlicher Weise dargelegt
— 28 —
b) Thomas v. Aquin. Zur Bestimmung der thomistischen
Ansichten ist einmal zu prüfen, wie Thomas die aristotelischen
Gedanken in seinem Kommentar zur Politik dargestellt und ent-
wickelt hat, dann ist die Verwertung derselben in Thomas selb-
ständigen Schriften zu untersuchen.
Im Kommentar zur Politik sind die Ausführungen des
Aristoteles im allgemeinen richtig wiedergegeben. Nur sind zwei
Punkte hervorzuheben:
i. Der aristotelische Begriff yQ^/xariorixt], Erwerbskunde wird
bei Thomas regelmäßig wiedergegeben durch ars pecuniativa im
Sinne von ars acquirendi pecuniam. Erwerb und Gelderwerb sind
nach Thomas identisch1).
Maurenbrecher möchte hierin eine Einwirkung der wirt-
schaftlichen Verhältnisse des Mittelalters und ein Abweichen vom
aristotelischen Gedankenkreise erblicken: »Es ist augenfällig, wie
Thomas in diesen Ausführungen von der von Aristoteles auf-
gestellten Wirtschaftslehre sich entfernt. War für diesen jedes
Streben nach Gelderwerb unsittlich, weil der natürliche Reichtum
des Hauses in seinem lediglich Gebrauchsgüter enthaltenden Besitz
dargestellt ist, so ist für Thomas gerade Geldbesitz eine notwendige
Voraussetzung für die Existenz der Familie«2). Nach Mauren-
brecher denkt Aristoteles an eine Autarkie der Familie3), an einen
Zustand der geschlossenen Hauswirtschaft. Nur die Aneignung
des naturalen Ertrages des eigenen Besitzes sei für ihn natürlich
und notwendig, nicht der verkehrsmäßige Erwerb, der Handels-
gewinn4). Hingegen sei das Mittelalter mit seiner städtischen Be-
rufsteilung auf den Verkehr als Grundlage seiner Bedarfsdeckung
angewiesen.
von Karl Marx (Kapital, i. Bd., S. 113 ff.), der übrigens ausdrücklich Aristoteles zitiert.
Marx unterscheidet eine doppelte Form des Tausches ;■ einer vollzieht sich nach der
Form : Ware — Geld— Ware, W — G — W. Hier handelt es sich, wenn man einen Tausch-
kontrahenten betrachtet, um die Befriedigung eines tatsächlich vorliegenden Bedürfnisses,
wobei das Geld die Vermittlerrolle übernimmt. Die andere Form ist die: G — W — G,
also die Form des eigentlichen Handels, wo G im zweiten Falle größer sein muß als
anfangs, sonst hätte der Tauschprozeß keinen Sinn. Geld erzeugt hier also einen Mehr-
wert, erzeugt größeres Geld. Wir haben es also hier mit einer wirtschaftlichen Er-
scheinung kapitalistischer Natur zu tun, dem »Kaufmannskapitalismus«. Offenbar wird
gerade der letztere von Aristoteles gemeint und als unsittlich verworfen, weil er der Be-
stimmung des Geldes, lediglich Tauschmittel zu sein, widerstreitet.
x) C. in Ar. Pol. I. 1. VI.— VIII. passim.
2) Maurenbrecher, a. a. O. S. 58.
3) 1. c. S. 59.
*) 1. c. S. 54 f.
— 2Q —
Ich halte dies nicht für richtig. Daß Aristoteles den Erwerb
durch Tausch für nötig und sittlich zulässig hält, ist oben dargelegt
und belegt worden. Von einer »Autarkie« des Hauses kann bei
ihm keine Rede sein1). Und wenn Thomas die Erwerbskunde
schlechthin als ars pecuniativa faßt, so steht er damit lediglich auf
seiten derer, die, wie oben angedeutet, den unmittelbar natürlichen
Erwerb zur Hausverwaltung rechnen und diesem den mittelbaren
Erwerb durch Tausch gegenüberstellen, der je nachdem ein natür-
licher oder widernatürlicher, ein eigentliches Handelsgeschäft, sein
kann. Bei dieser Gliederung der aristotelischen Ansichten wird
tatsächlich die Erwerbskunst zu einer ars acquirendi pecuniam,
sobald der Tausch sich vermittelst des Geldes vollzieht, was nach
Aristoteles der Fall ist oder doch erlaubtermaßen sein kann2).
2. Sodann ist auffallend, daß die Ausführungen des Aristoteles
über den Handel bei Thomas auf das Geldwechselgeschäft umge-
deutet werden, die ars campsoria oder ars nummularia, deren
Wesen dahin definiert wird, »quae est permutatio denariorum « 3).
Der Grund hierfür liegt in der Übersetzung, die Thomas
seinem Kommentar zugrunde legt: Hier wird anfangs der aristo-
telische Begriff xamjkeia richtig mit negotiatio wiedergegeben,
während später regelmäßig die damit identischen xamqXixi], xanrjXixov
mit ars campsoria oder nummularia übersetzt werden4).
Es dürfte nicht angängig sein, hieraus irgendwie auf Thomas'
eigene Ansicht zu schließen5); die berührte Tatsache ist vielmehr
1) Siehe oben S. 25 ff.
2) a. a. O. Zudem ist wohl kaum anzunehmen, daß Aristoteles den Handel
seiner wirtschaftlichen Funktion nach für überflüssig hält. Dies tut nicht einmal Plato,
den Aristoteles doch an Verständnis für die realen Verhältnisse des Lebens weit über-
trifft. Aristoteles verurteilt nur den Handel, wie er ihn tatsächlich geübt sah, und wäre
wohl der letzte gewesen, der das Berechtigte an der als Ganzem verurteilten Erscheinung
des Wirtschaftslebens verkannt hätte. Nur war er zu sehr Realpolitiker, als daß er
sich mit den platonischen Reformplänen hätte befreunden können, wenn er auch dem
antikapitalistischen Geiste seines Lehrers treu blieb.
3) C. in Ar. Pol. I. 1. VII. c. cf. VIII. g.: »Et ideo omnibus hominibus est
naturalis pecuniativa i. e. aquisitiva ciborum vel denariorum pro cibo ex rebus naturalibus
sive ex fructibus et animalibus, quod autem aliquis acquirat pecuniam non ex rebus
naturalibus, sed ab ipsis denariis, hoc non est secundum naturam.«
4) Man vgl. folgende Stellen : Aristoteles : »fir/ öt' älXayqc xai xa.7ir}leia.g xo/ni-
tovrai rt]v Tgoqctjv.« Übersetzung: »non per commutationem et negotiationem ferunt
alimentum.« Ferner: Aristoteles : »dijlov, Sri ovx sazi <pvo£i trjg xgt]fiaTiOTixfjs i) xanrjXda.*.
Übersetzung: »palam, quod non est secundum naturam pecuniativae campsoria.« (Ar. I.
3, § 5. C. in Ar. Pol. 1. VI. g.; Ar. I. 3, § 12. C. in Ar. Pol. 1. VII. c).
5) Maurenbrecher, a. a. O. S. 60, zieht aus diesen sowie den bei Aristoteles
und Thomas später folgenden Darlegungen des Kreditgeschäftes den Schluß: »Man sieht,
— 30 —
lediglich auf die fehlerhafte Übersetzung zu setzen, was, wie
wir unten sehen werden, aus Thomas selbständigen Schriften her-
vorgeht1).
Die thomistischen Ausführungen im Kommentar zur Politik
werden infolge der Mängel in der Übersetzung in sich wider-
spruchsvoll und unzulänglich. Anfangs, wo die Übersetzung den
Begriff negotiatio bringt, schließt auch Thomas sich an dieselbe an
und fügt die Bemerkung bei: »worüber unten gehandelt werden
wird«, »de qua infra agetur« 2), während tatsächlich nur die Er-
örterung über das Geschäft der Geldwechsler folgt3), 4).
In seinen selbständigen Schriften hat Thomas seine
eigene Ansicht scharf und klar dargelegt und zwar im engsten
Anschluß an Aristoteles, den er wiederholt ausdrücklich nennt.
Thomas sagt wörtlich:
»Ut autem Philosophus dicit, duplex est rerum commutatio:
una quidem quasi naturalis et necessaria; per quam scilicet fit
commutatio rei ad rem vel rerum et denariorum propter neces-
sitatem vitae, et talis commutatio non proprie pertinet ad nego-
tiatores, sed magis ad oeconomicos vel politicos, qui habent pro-
videre vel domui vel civitati de rebus necessariis ad vitam«6).
Hier ist das Wesen des einfachen Tauschverkehrs scharf be-
stimmt. Er ist nicht spekulativ, nicht kapitalistisch, das Wesen
des Handels besteht nicht in ihm. Er mag sich mit oder ohne
Zuhilfenahme des Geldes vollziehen, immer ist der Endzweck des
daß auch für ihn das Geld- und Kreditgeschäft eine wirtschaftliche Bedeutung noch
nicht hatte, wenn er natürlich auch weiß, daß es häufig genug vorkommt.« Daß Thomas
das Geldgeschäft für erlaubt hält, gerade im Gegensatz zu den von ihm im Kommentar
dargelegten vermeintlichen Ansichten des Aristoteles, wird unten darzustellen sein.
x) Siehe S. 31.
2) cf. C. in Ar. Pol. I. 1. VI. g.
3) C. in Ar. Pol. I. 1. VII. u. VIII.
4) Albertus Magnus gibt in seinem Kommentar zur Politik (1. I., c. 7. Alberti
Magni Opera omnia. Vol. 8., Paris 1891), der nach dem thomistischen verfaßt ist,
die Darlegungen des Aristoteles über den Handel ebenfalls als auf die ars campsoria
bezüglich wieder, auf Grund derselben Übersetzung: I. c. 7 c. campsoria, id est, quod
cambiatur pecunia in pecuniam. Ibidem s. : »Et illa pecuniativa est secundum naturam
omnibus, quae est ex fructibus et animalibus (Zitat aus Aristoteles!): pecunia enim ad
hoc inventa est, ut inter vendentem et ementem talium fiat commutatio et non est
inventa ad hoc, quod pecunia in maiorem pecuniam convertatur; hoc enim non est
secundum naturam pecuniae, sed est de pravitate avaritiae humanae.« Es gibt also
zwei Arten des Geldtausches: qua scilicet convertitur pecunia in victum et vestitum et
alia necessaria (t) und qua scilicet pecunia commutatur in pecuniam ampliorem (g).
Letzteres ist die ars campsoria.
6) II, II q. 77, a. 4 c.
— 3i —
Tauschprozesses die Befriedigung eines tatsächlich vorliegenden
Bedürfnisses :
Dann heißt es bei Thomas weiter:
»Alia vero commutationis species est vel denariorum ad de-
narios, vel quarumcumque rerum ad denarios non propter res
necessarias vitae, sed propter lucrum quaerendum; et haec quidem
negotiatio proprie videtur ad negotiatores pertinere, secundum
Philosophum« x).
Das Wesen des Handels besteht also darin, daß beim Tausche
ein Gewinn, ein lucrum erzielt wird2). Nur der handelt (nego-
tiatur), der, wie Thomas später sagt: »ad hoc emit, ut carius vendat«3).
Offenbar unterscheidet Thomas zwei Arten des Handels:
Das Geldwechselgeschäft (»denariorum ad denarios«) und den
Warenhandel (»quarumcumque rerum ad denarios«). Beide werden
unter dem allgemeinen Begriff negotiatio zusammengefaßt. Es liegt
hierin eine gewisse Erweiterung der aristotelischen Gedanken, wie
sie Thomas in der oben zitierten Übersetzung vorlagen und von
ihm in seinem Kommentar entwickelt waren. Er schreibt Aristo-
teles nicht nur eine Erörterung des Wechselgeschäftes, sondern
auch des eigentlichen Handels zu. Vielleicht fühlte er selbst die
Mangelhaftigkeit der Übersetzung und nahm so eine Ergänzung
vor. Aristoteles erwähnt allerdings das Geldwechselgeschäft über-
haupt nicht4).
§ 2. Die "Wertgleichheit als Forderung der Gerechtigkeit.
Eine klare, ausdrückliche Begriffsbestimmung des Wertes
finden wir bei Thomas nicht. Zudem werden die Ausdrücke
valor und pretium unterschiedslos für denselben begrifflichen In-
halt gebraucht, also zwischen Wert und Preis kein Unterschied an-
genommen, was übrigens auch im römischen Recht der Fall ist6).
Was macht nun das innere Wesen des Wertes aus?
Thomas kommt ausschließlich darauf zu sprechen, im Zu-
sammenhang mit seinen Untersuchungen über das Wesen der Ge-
rechtigkeit, die einen Tausch nach Wertgleichheit verlangt. Das
») l. c.
2) cf. ib. »Lucrum . . , quod est negotiationis finis«.
3) II, II q. 77, a. 4, ad 2.
4) Vgl. die Darlegung der aristotelischen Ansichten und des thomistischen Kom-
mentars, oben S. 26 ff.
6) Siehe II, II q. 77, a. 1 c. Zum römischen Recht; vgl. Oertmann, a. a. O.
S. 38 f.
— 32 —
Endziel seiner ganzen Betrachtungsweise ret nicht, das Wirtschafts-
leben als solches seinem Sein nach zu e#kennen, vielmehr es zu
regeln gemäß den Forderungen der Gerechtigkeit. Über die Be-
deutung der letzteren für das Wirtschaftsleben wird weiter unten
ausführlich zu sprechen sein. Wir müssen hier zunächst die Form
des Tausches, wie sie von der Gerechtigkeit gestaltet wird, ein-
gehender behandeln.
Die allgemeinen Grundsätze hierfür finden sich an mehreren
Stellen der selbständigen Schriften des Aquinaten1). Thomas hat
sie ohne wesentliche Abweichungen aus Aristoteles nikomachischer
Ethik übernommen2). Näher auf das Wesen des Wertes kommt
Thomas fast nur in seinem Kommentar3) zu dem eben genannten
Werke des Aristoteles zu sprechen. Nun bieten zwar die thomisti-
schen Kommentare nicht ohne weiteres die eigenen Ansichten
des Autors. Doch stellen sich die näheren Ausführungen über
den Wert so sehr als bloße Erläuterungen und Erweiterungen der
von Thomas sonst häufig verwendeten allgemeinen Prinzipien dar,
daß wir die Auffassung darüber, die Thomas Aristoteles zuschreibt,
auch als eigene Ansicht des Aquinaten in Anspruch nehmen
müssen. Das Nähere wird sich in der folgenden Darstellung
ergeben.
Im Tausche soll also nach Thomas Gerechtigkeit herrschen.
Die Gerechtigkeit im allgemeinen wird definiert: »justitia est ha-
bitus, secundum quem aliquis constanti s et perpetua voluntate ius
suum unicuique tribuit« 4). Sie beschäftigt sich mit den Handlungen
der Menschen, die auf einen anderen bezug nehmen 5). Insofern sie
diese regelt, kommt ihr innerhalb der menschlichen Gemeinschaft
eine außerordentlich wichtige Aufgabe zu. Thomas führt daher
zustimmend das Wort Ciceros an: »Justitiae ea ratio est, qua socie-
tas hominum inter ipsos, et vitae communitas continetur« 6).
In der Gemeinschaft sind zwei Arten von Beziehungen vor-
handen: Einmal steht der Einzelne als Glied der Gesamtheit aller
gegenüber und ist verpflichtet, sein gesamtes Tun mit dem Wohle
2) Besonders kommen in Betracht: II, II 58 f.; II, II 61 f.
2) cf . Aristoteles : Eth. Nie. 1. V, c. 1 ff.
3) Com. in Eth. Nie. Aristotelis lib. V, lect. Iff.
4) II, II q. 58, a. 1 c. Die Definition deckt sich mit der des Aristoteles,
wie Thomas weiter ausführt: »Et quasi est eadem definitio, cum ea, quam Philosophus
ponit (Ethik IV, c. 5, a. m.), dicens quod: »justitia est habitus, secundum quem aliquis
dicitur operativus secundum electionem justi.«
5) cf. II, II q. 58, a. 2, sowie die folgenden Zitate.
«) II, II q. 58, a. 2.
— 33 —
derselben in Übereinstimmung zu bringen. Insofern nun die Ge-
rechtigkeit den Gesamtkreis der menschlichen Handlungen auf das
bonum commune hinlenkt, schließt sie in gewissem Sinne alle
anderen Tugenden in sich, ist sie eine virtus generalis, und insofern
diese Forderung im Gesetze niedergelegt ist, wird die Gerechtig-
keit selbst auch als justitia legalis bezeichnet1).
Sodann gibt es in der Gemeinschaft Beziehungen, aus denen
einer einzelnen Person Rechte erwachsen, sei es der Gemeinschaft
oder einer anderen Privatperson gegenüber. Die Feststellung und
Gestaltung dieser Rechte ist die Aufgabe der Gerechtigkeit, inso-
fern sie eine besondere Tugend, eine virtus particularis ist2).
Diese Beziehungen werden begründet durch äußere Hand-
lungen, die einer einer anderen Person zufügt, oder durch Über-
tragung von äußeren Dingen, von Gebrauchsgegenständen3).
Stehen sich zwei Personen einander gegenüber, so soll die
Handlung der einen oder die Sache, die sie hingibt, dem, was die
andere Person fordern kann4), angemessen, gleich sein. Die Ge-
rechtigkeit erfordert also ihrem Wesen nach Gleichheit (adaequa-
tio5), so daß die Mitte zwischen dem zu Großen und dem zu
Kleinen gewahrt bleibt. Das Gerechte selbst ist ein Gleiches6).
Diese Gleichheit nimmt nun eine verschiedene Form an, je nach-
dem ob dem Einzelnen von Seiten der Gesamtheit etwas geschuldet
wird oder von seiten einer anderen Privatperson.
Im ersteren Falle handelt es sich um eine Verteilung von
gemeinsamen Gütern, sie wird geregelt durch die justitia distribu-
tiva, im letzteren Falle um einen wechselseitigen Austausch von
Gütern, wie Kauf, Verkauf usw.; ihn will die justitia commutativa
nach ihren Prinzipien gestalten7).
Was dem Einzelnen einem Ganzen gegenüber zusteht, ist
nicht für alle dasselbe, vielmehr verschieden nach der Bedeutung,
die dem Einzelnen innerhalb der Gemeinschaft zukommt. Die ver-
teilende Gerechtigkeit fordert keine aequalitas rei ad rem; sondern
es muß, wenn z. B. zwei Personen einem Ganzen gegenüberstehen,
J) 1. c. a. 5 c. cf. Aristoteles Eth. 1. V, c. i.
2) 1. c. a. 7. c.
3) 1. c. a. 8. c.
4) Demgemäß besteht die Gerechtigkeit darin, jedem das Seine zu geben, »pro-
prius actus justitiae nihil aliud est quam reddere unicuique quod suum est.« II, II q.
58, a. 11 c.
5) C. in III. 1. Sent. d. 33, q. 3, a. 4, sol. I.
6) 1. c.
7) II, II q. 61, a. 1 c: Vgl. Nik. Ethik V, c. 5—7.
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft 1. 3
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
— 34 —
dieses Ganze derart unter sie verteilt werden, daß, wie die Per-
sonen zueinander sich verhalten, nach ihrer Bedeutung dem Ganzen
gegenüber, so sich auch die Sachen, die ihnen zuerkannt werden,
verhalten. Sind A und B die beiden Personen, C und D die ihnen
zugeteilten Güter, so müssen nach Gerechtigkeit die Verhältnisse
einander gleich sein:
A:B = C:D.
Eine derartige Gleichheit zweier Verhältnisse ist eine geo-
metrische Proportion; eine solche liegt der justitia distributiva
zugrunde1).
In anderer Form vollzieht sich die justitia commutativa. Ihr
Gebiet sind, wie schon dargelegt, die Beziehungen einzelner Privat-
personen untereinander, vor allem die wirtschaftlichen Beziehun-
gen, wie Kauf und Verkauf, Arbeitsvertrag usw.2). Für uns
kommt zunächst lediglich der Tauschverkehr in Betracht.
Wenn im Tausche eine Person einer anderen eine Sache
überträgt, so entsteht auf Seiten der ersten Person der zweiten
gegenüber eine Forderung nach einer Sache, die der weggege-
benen gleich ist3). Eben darin liegt nach Thomas das Wesen des
Kaufes und Verkaufes, daß in ihnen zwischen den beiden Tausch-
kontrahenten ein contractus non gratuitus4) geschlossen wird. Im
Tausche entäußert sich einer des Eigentums an seiner Sache zu-
gunsten eines anderen in Rücksicht auf geforderten gleichwertigen
Ersatz: »Unus transfert dominium rei suae in alterum propter
pretium inde acceptum«5).
Die Tauschkontrahenten stehen sich als gleich gegenüber6).
Die Gerechtigkeit erfordert nur eine aequalitas rei ad rem7). Auf
keiner Seite darf im Tausche Gewinn oder Verlust entstehen.
Das aequale, worin das justum commutativum besteht, ist ein
medium inter maius et minus8); d. h. es liegt dem Tausche eine
arithmetische Proportion zugrunde. Eine solche besagt die Gleich-
heit zweier arithmetischer Verhältnisse, z. B.: 6 — 5 = 5 — 4. Der
Vorgang des Tausches stellt sich nach Thomas9) in folgender
!) 1. c. a. 2. c. (Eth. lib. V, c. 6).
2) 1. c. Vgl. noch II, II q. 61, a. 3 c.
3) II, II q. 6l, a. 3 c.
4) II, II q. ioo, a. I, ad 5.
5) C. in Ar. Eth. V, 1. IV. c. cf. Anmerkung 3.
«) C. in Ar. Eth. V, 1. VI, d.
7) Man vgl. zu diesem Gedanken sowie zu den folgenden: II, II q. 61. a. 2 c.
8) C. in Ar. Eth. V, 1. VII. a.
9) Vgl. Anmerkung 7.
— 35 —
Weise dar: Überträgt z. B. der Verkäufer dem Käufer eine Sache,
die wir = 5 setzen, der Käufer gibt seinerseits aber nur 4 als
Preis zurück, so wären auf seiten des Käufers jetzt 6 vorhanden,
nämlich 5 + 1, auf seiten des Verkäufers dagegen nur 4; ersterer
würde 1 gewinnen, letzterer 1 verlieren. Damit nun Gerechtig-
keit herrsche, muß in diesem Falle die Mitte zwischen Gewinn
und Verlust festgestellt werden, d. h. es muß eine Zahl gesucht
werden, die ebensoviel von 6 übertroffen wird, wie sie ihrerseits
4 übertrifft; d. h. es muß eine arithmetische Proportion aufgestellt
werden, nach der sich in diesem Falle 5 als Mitte ergibt. Der
justitia commutativa ist genügt, wenn der Verkäufer 5 wieder-
erhält, wie er 5 hingegeben hat.
Die hier wiedergegebenen Gedanken, die fast ausschließlich
Thomas selbständigen Schriften entnommen sind, sind im wesent-
lichen eine kurze Wiederholung dessen, was in der Nikomachischen
Ethik1) ausführlicher dargelegt und im Kommentar zu derselben2)
von Thomas selbst erläutert ist. Im letzteren findet sich auch
eine Weiterführung des eben entwickelten Prinzips der justitia
commutativa und eine Anwendung desselben auf das Wirtschafts-
leben. Nachdem Thomas die Ausführungen des Aristoteles über
die Gerechtigkeit im Tausche wiedergegeben hat, fährt er nämlich
in der Darlegung des aristotelischen Textes fort:
„Ostendit3) quod illud, quod dictum est4) observari oportet
in commutatione diversarum artium. Destruerentur enim artes si
ille, qui fecit aliquod artificium, non pateretur i. e. non reeiperet
pro illo artificio tan tum et tale, quantum et quäle fecit. Ideo
oportet commensurari opera unius artificis operibus alterius ad
hoc, quod sit justa commutatio." D. h. also: Wenn jemand ein
Produkt von bestimmter Quantität und Qualität hergestellt hat
und dieses im Tausche hingibt, so verlangt die Gerechtigkeit, daß
er ein Arbeitsprodukt von gleicher Quantität und Qualität zurück-
erhält. Vergleicht man diesen Gedanken mit dem des Aristoteles,
so ist eines bemerkenswert: Aristoteles spricht an der betreffenden
Stelle5) von einem Tioietv und naoyeiv beim Tausche im Sinne des
:) cf. i. Ar. Eth. Nie. V, c 5 — 7.
2) cf. C. im Ar. Eth. V, 1. IV ff.
3j sc. Philosophus. Die Stelle steht: C. in Ar. Eth. V, 1. VII e. Es wird
Bezug genommen auf Aristoteles : Nie. Eth. V, c. 7 : ean de xal ml rcöv aklarv tsyvöjv
tovto. avflQovvTO ya.Q av, et /.itj ijToiet rö noiovv xal oaov xal olov xal xö näoypv maaye
zovxo xal xooovxov xal xoiovxov.
4) sc. de justitia commutativa!
6) Vgl. das Zitat in Anm. 3.
3*
- 36 -
Übertragens eines Gutes und der Annahme desselben. Bei Tho-
mas hat der Begriff facere eine von Aristoteles abweichende Fär-
bung. Er enthält wenigstens etwas, was bei Aristoteles kaum
vorliegen dürfte: Der Begriff facere wird von Thomas nicht nur
auf den Tauschakt selbst angewendet, sondern bereits auf den
vorhergehenden Produktionsprozess. Er umfaßt i. wesentlich die
Arbeit des vorhergehenden Produktionsprozesses, 2. Die Übertra-
gung dieses Produktes im Tausche. Das pati soll dementsprechend
in der Annahme eines dem übertragenen gleichen Arbeitsproduktes
bestehen. Es findet sich bereits hier die Berücksichtigung des
objektiven Arbeitsmomentes im Tausche, die, wenn sie auch von
der justitia commutativa erfordert wird, doch erst aus einer zwar
identischen, aber tiefer gehenden und später darzulegenden Auf-
fassung der Gerechtigkeit in ihrer vollen Bedeutung hervorwächst1).
Die Arbeitsprodukte sollen ferner durcheinander gemessen
werden. Das eine Gut wird der Preis des andern2). Die Gerech-
tigkeit erfordert also, wie Thomas in der Summa ausführt, Gleich-
heit des Tauschwertes: »Et ideo, sie vel pretium excedat quanti-
tatem valoris rei vel e converso res excedat pretium, tolletur
justitiae aequalitas«3).
Soweit erläutert Thomas die Gerechtigkeit im Tauschverkehr
im Zusammenhang mit dem Begriff der justitia commutativa. Er
will mit seinen Darlegungen im wesentlichen nur das wiederholen,
was Aristoteles vor ihm ausgesprochen hatte. Der justitia parti-
cularis, die sich bei Thomas in die justitia distributiva und commu-
tativa gliedert, entspricht bei Aristoteles 1) xaxa /uegog dixaioovvrj, die
in das öiy.aiov diav£[.wjTiybv und iTiavog&MTixdv (zo ev rölg ovvaXXdy juaot
dty.aiov, dioodwrixov) zerfällt4). Freilich weicht die Auffassung,
die Thomas bei Aristoteles findet, in manchen Punkten ab von
1) Nämlich der Gerechtigkeit als einer Wiedervergeltung. Siehe S. 37 ff. —
Nach Trendelenburg (Historische Beiträge z. Philosophie II, 1855, S. 359 ff.) finden
sich die Äußerungen des Aristoteles, die auf voriger Seite angeführt sind, und die von
Thomas in der angegebenen Weise aufgefaßt werden, hier (Nie. Eth. V, 7) im Zu-
sammenhang mit den Untersuchungen über die ausgleichende Gerechtigkeit nicht an
rechter Stelle; sie werden c. 8 in derselben Weise wiederholt und sind dort im Zusammen-
hang begründet, was bei c. 7 weniger der Fall ist. Die Übersetzung, die Thomas seiner
Erklärung zugrunde legt, bringt die Stelle zweimal, c. 7 u. c. 8.
2) II, II q. 77, a. 1 c. : »Quantitas autem rei, quae in usum hominis venit,
mensuratur seeundum pretium datum.« Besonders geschieht dies durch das Geld. Thomas
fährt daher fort: »ad quod est inventum numisma«.
3) 1. c.
4) cf. Arist. Nie. Eth. V, c. 1 — 7.
— 37 —
dem Sinne, in dem einige moderne Erklärer dieselben Stellen
der Nikomachischen Ethik interpretieren1).
Im weiteren Verlauf seiner Darstellung bringt nun Aristote-
les für das Wesen der Gerechtigkeit einen neuen Gesichtspunkt.
Im Anschluß an die Phytagoräer führt er aus, die Gerechtigkeit
im Tausche bestehe in einer Wiedervergeltung; das Gerechte
im Tausche sei ein ävzmejiovdög und zwar ein Wiedervergelten
xax ävaXoyiav xal /urj xax loöxiqxa, also nach geometrischer Pro-
portion2).
Es gibt nun wohl kaum ein Kapitel in der Nikomachischen
Ethik, das der Erklärung solche Schwierigkeiten böte, wie dieses3).
Dementsprechend finden sich bei den einzelnen Erklärern durchaus
verschiedene Auffassungen. Wir haben hier die thomistischen
Ansichten darzulegen und nicht in erster Linie den Sinn des
Aristoteles festzustellen. Aristoteles und die verschiedenen Erklä-
rungen, die von ihm gegeben werden, sind daher hier nur soweit
zu berücksichtigen, als dies zum unmittelbaren Verständnis der
Ansichten des Aquinaten erforderlich ist.
Wir werden im Anschluß an den thomistischen Kommentar4)
der Reihe nach behandeln: i. Begriff und Form der Wiederver-
vergeltung. 2. Verwirklichung der Wiedervergeltung vermittelst
des Geldes. 3. Bedeutung des Bedürfnisses im Tausche; Bedürfnis
und Geld als Masse der Güter.
1. Begriff und Form der Wiedervergeltung. Der Be-
griff der Wiedervergeltung erfordert eine aequalitas actionis et
passionis; es gehört zum Wesen des contrapassum, »ut . . aliquis
pateretur, secundum, quod fecerat«5) oder, wie Thomas in der
theologischen Summe ausführt: » . . hoc, quod dicitur contrapassum,
importat aequalem recompensationem passionis ad actionem prae-
cedentem«6).
Es ist somit vor allem festzustellen, was Thomas unter den
a) Vgl. unten S. 40 f.
2) Nie. Eth. V, c. 8: »öoxeT de xioi xal xo dvziJiSTtov&dg eivai ouiXcüg dixatov,
wojzeq 01 IIv&ayÖQeioi k'qpaoav.« Nachdem Aristoteles dann dargelegt, daß dies nicht
in vollem Umfange zutreffe, weder bei der verteilenden noch bei der epanorthotischeD
Gerechtigkeit, fährt er fort: »ixXX ev fiev zaig xoivcoviaig xaig akkaxxixalg ovvsxEl T0 *ol°vxov
dixaiov tÖ dvxtTisjtov&dg xax' avakoyiav xal fir] xax laöxrjxa.«
3) Zudem ist die textliche Überlieferung des 5. Buches der nikom. Ethik sehr
fehlerhaft. Vgl. Trendelenburg, histor. Beiträge zur Phil. III, 1867, S. 413.
4) Com. in Ar. Eth. Nie. V, 1. VIII u. IX.
5) C. in Ar. Eth. V, 1. VIII a.
6) II, II q. 61, a. 4 c.
- 38 -
Begriffen actio und passio versteht. Am klarsten hat er sich
darüber an einer Stelle ausgesprochen, wo er zugleich das Ver-
hältnis der Wiedervergeltung zur justitia commutativa darlegt,
und die für den ganzen hier vorliegenden Ideenkreis von entschei-
dender Bedeutung ist. Es heißt dort1): »Dicit2) ergo, quod in
communicationibus commutativis verum est, quod tale est justum,
quod continet in se contrapassum , non quidem secundum aequali-
tatem, sed secundum proportionalitatem. Videtur autem hoc esse
contra id, quod supra dictum est, quod scilicet in commutativa
justitia medium accipitur non quidem secundum geometricam pro-
portionalitatem, quae consistit in aequalitate proportionis, sed secun-
dum arithmeticam, quae consistit in aequalitate quantitatis. Dicen-
dum est autem, quod circa justitiam commutativam semper quidem
oportet esse aequalitatem rei ad rem, non tarnen actionis et passi-
onis, quod importat contrapassum. Sed in hoc oportet adhiberi
proportionalitatem ad hoc, quod fiat aequalitas rerum, eo
quod actio unius artificis maior est quam actio alterius
sicut aedificatio domus quam fabricatio cultelli, unde si
aedificator commutaret actionem suam pro actione fabri-
cationis, non esset aequalitas rei datae et acceptae: puta
domus et cultelli.»
Hiernach ist zunächst soviel klar: Der Begriff actio hat, wie
sich oben bereits bei dem entsprechenden Ausdruck facere ergab3),
einen durchaus objektiven Inhalt. Das Maß der Leistung der
Tauschkontrahenten wird durch den vorhergehenden Produktions-
prozeß bestimmt: actio ist der allgemeine Begriff zu den speziellen
aedificatio usw. Darüber hinaus besteht die actio im Tausche
darin, daß die beiden Tauschkontrahenten ihre eigenen Sachen
dem anderen übertragen und demgemäß die passio in der An-
nahme des Übertragenen4). Naturgemäß kann im Tausche von
einem »Leiden«, einem pati nur in übertragenem Sinne gesprochen
werden, wie Thomas bemerkt6).
*) C. in Ar. Eth. V, 1. VIII f.
2) sc. Aristoteles.
3) Vgl. oben S. 36.
4) Vgl. hierzu auch II, II q. 59, a. 3, c. : »actio de sui ratione procedit ab
agente; passio autem secundum propriam rationem est ab alio.«
6) Ein Leiden im eigentlichen Sinne liegt zunächst bei Verletzung einer Person
z. B. durch Schlagen vor; dann bei einem Bestohlenen im Falle eines Diebstahls
»Tertio vero transfertur nomen contrapassi ad voluntarias commutationes, in quibus utrius-
que est actio et passio; sed voluntarium diminuit de ratione passionis.« II, II q. 61, a. 4 c.
— 39 —
Ferner soll im Tausche Gleichheit von Leistung und Gegen-
leistung herrschen. Darin besteht eben die Wiedervergeltung,
darin besteht aber auch das Wesen der justitia commutativa, wie
sich schon oben bei der Behandlung derselben ergab und wie
Thomas überdies ausdrücklich hervorhebt.
Um nun diese arithmetische Gleichheit von Leistung und
Gegenleistung zu bestimmen, bedarf es einer geometrischen Pro-
portion: Daß von den Tauschkontrahenten jeder ein Einheits-
produkt seiner Tätigkeit übertragen würde, z. B. ein Baumeister
ein Haus, und ein Schuster, der mit ersterem tauschen will, ein
Paar Schuhe, würde der Gerechtigkeit nicht entsprechen: »nam
plures expensas facit aedificator in una domo quam coriarius in
uno calciamento«1). Vielmehr muß zunächst der Unterschied, der
zwischen den beiden Personen hinsichtlich ihrer Aufwendungen
besteht, bestimmt werden; hierdurch ist dann auch das Wertver-
hältnis ihrer Einheitsprodukte bestimmt: Bezeichnet man Bau-
meister und Schuster mit A und B, ihre Produkte mit C und D,
so muß folgende Proportion aufgestellt werden:
A : B = C : D.
Ist so das Wert Verhältnis zwischen dem Produkte des Bau-
meisters und dem des Schusters gefunden, so ist damit zu gleicher
Zeit bestimmt, wie viele Schuhe für ein Haus gegeben werden
müssen, damit Wertgleichheit erzielt werde. Für den Tausch
erscheinen also die Produkte in ihrem Wertverhältnis durch das
Verhältnis der zur Produktion nötigen Aufwendungen bestimmt.
In bezug hierauf wird Gleichheit von Leistung und Gegenleistung
gefordert2). So sagt Thomas in einem etwas anderen Zusammen-
hange, aber in demselben Sinne: »Oportet igitur ad hoc, quod
sit justa commutatio, ut tanta calciamenta dentur pro una
domo vel pro cibo unius hominis — es wird hier von einem
Tausche zwischen Baumeister, Schuster und Landmann ge-
sprochen — , quantum aedificator vel agricola excedit coriarium
in labore et in expensis«3).
In prinzipieller Kürze hat Thomas das Wesen der Wieder-
vergeltung und ihr Verhältnis zur justitia commutativa in der
theologischen Summe zusammengefaßt:
»Similiter etiam nee in commutationibus voluntariis esset
semper aequalis passio, si quis daret rem suam, aeeipiens rem
1) C. in Ar. Eth. V, 1. VIII h.
2) C. in Ar. Eth. Nie. V, 1. VIII h. cf. Ar. Nie. Eth. V, c. 8.
3) 1. c. 1. IX b. Den Text des Aristoteles s. S. 41.
— 4Q —
alterius, quia forte res alterius est multo maior quam sua. Et ideo
oportet secundum quandam proportionatam commensurationem
adaequare passionem actioni in commutationibus« J).
Daß Thomas das Maß der actio bestimmt sein läßt durch
das Maß der Kosten und der Arbeit, ergibt sich, wie oben dar-
gelegt, aus den weitergehenden Ausführungen der Nikomachischen
Ethik, wie Thomas sie in seinem Kommentar zu derselben inter-
pretiert hat.
Es entsteht nun zunächst die wichtige Frage, wie sich die
hier entwickelten Gedanken zu denen des Aristoteles verhalten.
An dieser Stelle nur soviel:
Was die Auffassung angeht, die Thomas hinsichtlich des
Verhältnisses zwischen der justitia commutativa und des contra-
passum vertritt, so dürfte eine genauere Untersuchung darüber,
ob Thomas die aristotelische Meinung damit richtig wiedergibt,
weit über den Zweck vorliegender Arbeit hinausgehen. Bei den
modernen Erklärern ist die Frage der aristotelischen Einteilung
der Gerechtigkeit durchaus umstritten. Während z. B. Trendelen-
burg2) das öly.aiov ijiavog&cüuxöv nicht als eigentliches Gerechtig-
keitsprinzip des Tausches gelten lassen will, vielmehr in ihr nur
die Form der richterlichen Tätigkeit sieht, die eine vorausgegangene
Vertragsverletzung ausgleichen soll, und als eigentliche Tauschge-
rechtigkeit lediglich das ävxuiexov&os annimmt, verteidigt Wetz el3)
demgegenüber die Ansicht, die auch Thomas einnimmt.
Ungleich wichtiger für den Nationalökonomen ist die andere
Frage, die bei einem Vergleich zwischen Thomas und Aristoteles
auf zuwerfen ist: findet sich die Auffassung der Tauschgerechtigkeit
als einer Wiedervergeltung von Arbeit und Kosten, die Thomas
Aristoteles zuschreibt, tatsächlich bei letzterem. Soviel ist jeden-
falls klar, daß Aristoteles diesen Gedanken nirgends formell aus-
gesprochen hat. Andererseits finden wir bei ihm doch Spuren,
die zu einer derartigen Deutung zu berechtigen scheinen. So
*) II, II q. 61, a. 4 c. Zur Erklärung des Begriffes maior vgl. C. in Ar. Eth.
V, 1. VIII, f. et h.
2) Trendelenburg, Hist. Beitr. z. Phil. III, 1867, S. 399 ff.; vgl. auch Zell er
Gesch. II, 2, 642 f., der gegen Trendelenburg polemisiert, selbst aber keine klare
Stellung einnimmt, vielmehr das ävzuzEJiov&ög in der eigentlichen Darstellung der aristo-
telischen Lehre ganz ausscheidet.
3) "Wetzel, Die Lehre des Aristoteles von der distributiven Gerechtigkeit und
die Scholastik. Anhang: Widerlegung der Ansicht Trendelenburgs über die aristo-
telische Einteilung der Gerechtigkeit, S. 1 7 ff.
— 4i —
spricht er davon, daß im Tausche die beiden Kontrahenten ihre
EQya x) austauschen. Er schreibt der Beobachtung der Wiederver-
geltung eine grundlegende Bedeutung für die nöhg zu, »tö> ävn-
jzoieiv yaQ ävakoyov ov/u/uevei f\ nohg2)«.
Ähnlich legt er die Bedeutung der Gerechtigkeit für die
Handwerke (rexvai) dar3). Zu einer xoivoovia, meint er ferner, ge-
hörten zwei verschiedene Personen, z. B. ein Arzt und ein Landmann,
zwei Ärzte hingegen könnten dieselbe nicht bilden4). Vor allem
aber scheint sich jene Berücksichtigung objektiver Faktoren an
einer anderen Stelle zu finden, wo er die Proportion des Tausches
darlegt: „dei toivvv ojzeq oixodö/uog Jigög oxvtotojuov, xooddi vnodrjfia-
ra TiQog olxiav i) TQO<pi]v5).
Ramsauer6) deutet in seinen Anmerkungen zur Nikomachi-
schen Ethik wenigstens die Möglichkeit an, den Unterschied, der
hier zwischen den tauschenden Personen angenommen wird, als
einen Unterschied hinsichtlich der Herstellung ihrer Produkte auf-
zufassen: »ut eodem jure dici potuerit öneg olxodo/uia ngög oxvxoxo-
juiav«. Er lehnt freilich selbst diese Erklärung ab, und ohne hier
ein endgültiges Urteil fällen zu wollen, scheint auch mir die thomi-
stische Auffassung kaum richtig zu sein; jedenfalls leuchtet soviel
ein, daß die thomistische Deutung wenigstens zu einem Teile ihren
Grund im Texte des Aristoteles selbst hat, wobei freilich die Ein-
wirkung anderer Faktoren auf die Entstehung derselben noch
dahingestellt bleiben muß. Doch um dieser Frage näher treten
zu können, müssen wir erst den ganzen Ideenkreis bei Thomas
und Aristoteles überblicken.
J) Nie. Eth. V, 8.
2) 1. c.
3) 1. c.
4) 1. c.
5) 1. c.
6) »In hominibus . . . artifieibus vel operariis nil quaeritur nisi ars eorum seu
opera vel etiam id, quod illa arte operaque conficitur. Annon id tandem agitur, ut rerum
summa diversitas xaxa to jtoiöv inventa ratione aestimandi eam, numeri vel copiae diffe-
rentia (iw nöoio) exaequetur? Neque obloquitur Aristoteles.« Ramsauer lehnt freilich
diese Auffassung ab. Er fährt nämlich fort: »Atqui rö /lietqeTv illud, unde omnis res
pendet, ipse ubique ad res neque ad homines retulit. Quare cavendum est, ne in inter-
pretanda eius sententia nimium nominibus: olxodö/uog, oxvxoxoßog, yswgyög . . . tribua-
tur« (G. Ram sauer »Aristotelis Ethica Nicomachea.« Leipzig 1878, S. 319/20.
Lasson in seiner Übersetzung, S. 247, gibt die freilich nicht übermäßig deutliche Er-
klärung: »Das Wertverhältnis zwischen qualifizierten Arbeitskräften kehrt wieder im
Preisverhältnis ihrer Erzeugnisse.« Im allgemeinen wird die Stelle jedoch im Sinne einer
subjektiven Werttheorie erklärt, was weiter unten gezeigt werden wird.
Wir fahren daher in der Darstellung fort und behandeln
2. Die Verwirklichung der Wiedervergeltung vermittelst
des Geldes.
Über Entstehung und Wesen des Geldes hat sich Aristoteles
in seiner Politik ziemlich ausführlich geäußert1), und Thomas hat
die aristotelischen Ideen in seinem Kommentar entwickelt2):
Der Tausch erfordert, sobald er allgemeiner geworden ist
und insbesondere von größerer örtlicher Ausdehnung, einen Gegen-
stand zur Vermittlung der Umsätze. Als solcher dienen die
Metalle, wie Eisen, Silber und Gold, die in sich selbst Wert
(utilitas) besitzen, insofern sie, wie Thomas hinzufügt, zu Gefäßen
und ähnlichen Dingen verwandt werden können, und die ihres
hohen spezifischen Wertes wegen sich zu dem besagten Zweck
vorzüglich eignen3). Die anfängliche Mühe des Abwägens ersparte
dann ein Prägezeichen (character), das das Gewicht des Metalles
beglaubigt. Damit aber diese Münze als allgemeines Tauschmittel
gelten kann, ist Anerkennung von Seiten des Staates (des rex
oder der communitas) nötig; wie entsprechend der Staat ihr auch
diese Funktion wieder nehmen kann4).
Diese Funktion des Geldes als Tauschmittel wird nun in der
nikomachischen Ethik eingehender besprochen. Im Tausche soll,
das war das Ergebnis unserer früheren Darlegungen, eine Wieder-
vergeltung von Arbeit und Kosten stattfinden. Damit diese ver-
wirklicht werden kann — so geht der thomistische Gedanken-
gang weiter — müssen alle Gegenstände, die getauscht werden
sollen, irgendwie vergleichbar sein. Es muß festgestellt werden,
welches Gut mehr wert ist als das andere: »Et ad hoc inventa est
moneta, id est denarius, per quam mensurantur pretia talium rerum«.
Das Geld mißt also gewissermaßen die Güter und bestimmt damit
deren Preis5). Ist dies geschehen, so findet der Austauch nach
J) Ar. Pol. I., 3 § 13 — 16. Vgl. hierzu Zmavc: Die Geldtheorie und ihre
Stellung usw. Z. f. g. St., Bd. 58, S. 56 ff.
2) C. in Ar. Pol. I, 1. VII, f— k.
3) Inhaltlich hiermit übereinstimmend: Aegidius Colonna (Romanus), ein
Schüler des Thomas v. A. (vgl. K. L. III, 667 ff.) in seiner für Philipp d. Schönen,
dessen Erzieher er war, verfaßten Schrift: De regimine principum: 1. II, p. 3, c. 9.
4) cf. Anm.2.
5) C. i. Ar. Eth. V, 1. IX a.: »Dicit (sc. Arist.) primo, quod ad hoc, quod opera
diversorum artificum adaequentur et sie commutari possint, oportet, quod omnia illa, quorum
potest esse commutatio, sint aliqualiter adinvicem comparabilia, ut scilicet sciatur, quid
eorum plus valeat et quid minus«. Es folgt dann obiges Zitat: »Et sie denarius fit
quoddam medium, inquantum scilicet omnia mensurat et superabundantium scilicet et
— 43 —
Gleichheit statt, und zwar muß der Preis in der Weise festgesetzt
werden, daß die Forderung der Gerechtigkeit, die Wiedervergel-
tung, von Arbeit und Kosten verwirklicht wird1). Das pretium
muß ein justum pretium sein.
3. Bedeutung des Bedürfnisses im Tausche: Bedürfnis
und Geld als Maße der Güter.
Nach dem bisher Gesagten läge nun der Gedanke nahe, das,
was nach Thomas subjektiv in den Gütern gleichgesetzt werde,
sei der objektive Aufwand an Arbeit und Kosten; darauf beruhe
die Vermittlungsrolle des Geldes. Doch liegt das Wesen der Funk-
tion des Geldes als eines Wertmessers in etwas ganz anderem.
Die ratio praedictae commensurationis ist darin begründet, daß
alle Güter durch ein bestimmtes Etwas gemessen werden2). Dies
ist aber das Bedürfnis: »Hoc autem unum, quod omnia mensurat,
secundum rei veritatem est indigentia, quae continet omnia com-
mutabilia, inquantum omnia referuntur ad humanam indigentiam.
Non enim appretiantur secundum dignitatem naturae ipsorum;
alioquin unus mus, quod est animal sensibile, maioris pretii esset,
quam una margarita, quae est res inanimata, sed rebus pretia impo-
nuntur, secundum quod homines indigent eis ad suum usum«3).
Scharf wird hier die Bedeutung des Bedürfnisses im Tausche
hervorgehoben. Sie liegt nach Thomas zunächst darin, daß ohne
Vorhandensein eines Bedürfnisses zum Tausche bei den beiden
Kontrahenten ein Tausch überhaupt nicht zustande kommen könnte;
z. B. ein Besitzer von Getreide und ein Besitzer von Wein werden
nur dann zum Tausche kommen, wenn sie wechselseitig ihrer Pro-
dukte bedürfen.
Aber hierüber hinaus übt das Bedürfnis auch als Maß einen
bestimmenden Einfluß auf die Umsätze aus: Der Preis wird be-
stimmt nach dem Maße des Bedürfens: Die Güter werden nicht
gleichgesetzt nach ihrer Rangordnung in der Natur, sondern nach
ihrer Beziehung zum menschlichen Bedürfnis. — Man sieht, der
Gedanke, daß die tatsächliche Gleichsetzung der Güter etwa
nach dem Aufwand von Arbeit und Kosten erfolgen könne, liegt
hier völlig fern. So kann Thomas einen Beweis für die darge-
legte Bedeutung des Bedürfnisses in der Natur des Geldes finden :
defectum, inquantum una res superexcedit aliam, sicut supra dictum est, quod medium
justitiae est, quasi dicat, quae mensurat superabundantiam et defectum.« cf. S. 36, Anm. 2.
*) 1. c. !. IX b. cf. S. 39, Anm. 3.
2) 1. c. c.
s) 1. c. Die Stelle geht auf Augustinus zurück. Vgl. oben S. 10.
— 44 —
Das Geld ist das Maß der Güter nicht von Natur, sondern kraft
menschlicher Satzung. Kraft menschlicher Übereinkunft dient es
dem Austausch der Gegenstände des Bedürfnisses: »Est enim
condictum inter homines, quod afferenti denarium detur id, quo
indiget«1). Das Geld ist seinem Wesen nach Vertretungsgut für
die Bedürfnisgegenstände. So sagt Thomas einige Abschnitte
später: »Oportet enim esse istam virtutem denarii, ut quando ali-
quis ipsum affert, statim contingat accipere illud, quo homo indi-
get«2). Aus dieser Natur des Geldes, die für Thomas feststeht, folgert
er, daß der Preis bestimmt werde nach dem Maße des Bedürfens.
Wenn z. B. ein Besitzer von Wein und ein Besitzer von Ge-
treide einander gegenübertreten, so hat ersterer vielleicht an Wein
Überfluß, bedarf aber nicht des Getreides, sondern vielleicht eines
ganz anderen Gutes, während letzterer den Wein nötig hat. Oder
der Weinbesitzer bedarf für den Augenblick des Getreides nicht,
voraussichtlich aber in Zukunft. In Zeiten des Naturaltausches
käme es in allen diesen Fällen überhaupt nicht zum Tausche.
Anders im Zustande der Geldwirtschaft, wo das Geld als Unter-
pfand des Bedürfnisses auftritt, als ein fidejussor futurae necessitatis3).
Das Geld hat also für die Zirkulation der Güter eine außer-
ordentliche Bedeutung. Aber diese Bedeutung ist ihm verliehen
durch menschliche Satzung. Sie kann ihm daher auch wieder ge-
nommen werden; es würde damit seinen eigentlichen Nutzen ver-
lieren. Die Funktion des Geldes wird ferner erschwert durch die
Veränderlichkeit des Geldwertes. Freilich ist letztere geringer als
die Wertänderung anderer Güter; wenigstens muß das Geld so
eingerichtet werden, daß sein Wert möglichst stabil bleibt4).
Der tatsächliche Vorgang des Tausches ist also der, daß die
Güter gemessen werden durch das Bedürfnis. Hierauf ruht gemäß
menschlicher Übereinkunft die Funktion des Geldes. Aber indem
die Güter in dieser Weise ausgetauscht werden, muß nach Thomas
die alte Forderung der Wiedervergeltung von Arbeit und Kosten
erfüllt werden. Der Wertunterschied, der zwischen Schuster und
Landmann besteht, muß im Austauschverhältnis ihrer Produkte
wiederkehren. Vollzöge sich der Tausch nicht in dieser Weise, so
würde einer der beiden Tauschkontrahenten mehr gearbeitet haben,
als der andere und würde so einen größeren Verlust erleiden:
1) 1. c.
2) 1. c. g.
3) 1. c.
«) 1. e.
»puta, si agricola daret modium tritici pro calciamento, haberet
superabundantiam laboris in opere et haberet superabundantiam
etiam damni, scilicet plus vellet dare, quam accipere« x).
Soweit legt Thomas die Bedeutung des Bedürfnisses und die
Funktion des Geldes im Tausche dar. Auch diese Ausführungen
sollen ohne Zweifel nur eine durchaus sinngemäße Wiedergabe der
aristotelischen Gedanken sein.
Doch die zunächst auffallende Verbindung der objektiven
und subjektiven Momente, insbesondere die Bedeutung der Wieder-
vergeltung von Arbeit und Kosten treten uns bei Thomas nicht
in voller Klarheit entgegen. Es bleibt hier manches dunkel und
zweifelhaft. Wir werden daher zunächst die Ausgestaltung des-
selben Ideenkreises bei einem anderen mittelalterlichen Denker,
bei Albertus Magnus untersuchen, um uns später wieder Thomas
zuzuwenden.
§ 3. Der Tausch nach Albertus Magnus.
Thomas von Aquin hat seinen Kommentar zur Ethik jeden-
falls unter Berücksichtigung des Kommentars des Albertus ver-
faßt2). Eine Gegenüberstellung der Ansichten beider dürfte des-
halb unumgänglich sein, um so mehr als im Kommentar des
Albertus, der eine ausführliche Paraphrase des aristotelischen
Textes, untermischt mit eigenen Anschauungen, bietet, manche Ge-
danken schärfer und ausführlicher entwickelt sind, als im Kom-
mentar des Aquinaten, wo jeder Gedanke des Aristoteles für sich
betrachtet und dargestellt wird und Thomas seine persönlichen
Ansichten völlig zurücktreten läßt.
Wir versuchen gleich die Ansichten des Albertus in syste-
matischer Zusammenfassung wieder zu geben.
Das menschliche Gemeinschaftsleben beruht auf der Arbeits-
teilung. Nur durch sie kann für alle eine Befriedigung ihrer Be-
x) 1. c. d.
2) Der thomistische Kommentar ist aber nicht nur eine Jugendarbeit, die nur eine
Nachschrift der Vorlesungen des Albertus enthielte, sondern ein durchaus selbständiges
Werk aus Thomas' späterer Lebenszeit, wie Kuhlmann a. a. O. S. 95 f. gegenüber
Maurenbrecher a. a. O. S. 24 nachweist. Ein Hinweis auf Albertus Magnus bei Brants,
a. a. O. S. 194 f. Erörterungen über das Wesen des Wertes finden sich in der Scho-
lastik vor Albertus Magnus und Thomas v. Aquin so gut wie gar nicht. Nur
Alexander Halensis ("j" 1245) unterscheidet in seiner Summe zwischen »res, cuius valor
totas est ex artificio« z. B. Binsenmatten; »res, cuius valor est ex materia et artificio«
z. B. Holzschränke; und »res, cuius valor totus est ex se ipsa.« (1. c. III, q. 5°>
m. 2), was immerhin schon von einer Beschäftigung mit dem Wertproblem zeugt.
- 46 -
dürfnisse erreicht werden, die den einzelnen, wenn sie nur für
sich arbeiten wollten, nicht möglich ist1). Die einzelnen Glieder
der Gemeinschaft müssen also ihrer Tätigkeit nach verschieden
sein, in gegenseitiger Ergänzung aber für einander arbeiten: sie
müssen ihre verschiedenen Arbeitsleistungen austauschen2). Ohne
diesen Tausch der Arbeitsleistungen ist ein Gemeinschaftsleben
unmöglich; vielmehr: Commutatione . . existente semper manet
communicatio 3).
Bei einer solchen commutatio communicativa wird im Wege
einer freiwilligen Übereinkunft die Sache des einen gegen die des
anderen getauscht (»per contractum voluntarium res unius pro re
alterius commutatur« 4); es findet ein Eigentumswechsel statt:
»quod unius est, aliquo modo transit ad potestatem alterius«5).
Form und Bedingung dieses Tausches sind näher zu unter-
suchen.
Allgemein gesprochen soll im Tausche Gerechtigkeit herrschen
und zwar sowohl im Sinne der justitia commutativa wie des justum
contrapassum.
Die justitia commutativa besteht in der Mitte zwischen Ge-
winn und Verlust: eine Mitte, die bestimmt wird durch das Prinzip
der Wertgleichheit6). Der Ausgleich vollzieht sich nach arith-
metischer Proportion, deren Wesen schon bei Thomas dargelegt
ist7). Die Wertgleichheit besteht aber dann, wenn sowohl auf
Seiten des Käufers wie des Verkäufers Gleichheit der labores
et expensae hergestellt wird. Der Käufer, der agens in con-
tractu emptionis et venditionis, muß mit dem Gegenstande, mit
dem er bezahlt, so viel an Arbeit und Kosten übertragen, daß
der Verkäufer, der patiens, seine Aufwendungen vergütet erhält.
Wäre das nicht der Fall, so würde der Verkäufer zusetzen und
bald sein Gewerbe aufgeben, das damit dem Untergang entgegen-
ginge8). Die Gerechtigkeit bildet so das Fundament für das Be-
*) Eth. Hb. V, tract. II, c. 9 (31).
2) 1. c.
3) 1. c. c. 10 (36). Ebenda: . . . »commutatione operum non existente communi-
catio civium non erit.«
4) 1. c, c. 9 (31).
5) 1. c, cap. 3 (18).
8) 1. c. c. 6 f. (25 ff.).
7) cf. 1. c, c. 5 ff . S. oben S. 34 f.
8) »Talis autem coniectatio medii (sc. nach arithm. Proportion!) in commutatione
artium mechanicarum est. Artes enim illae destruerentur utique, nisi faciens, qui per
modum agentis se habet in contractu emptionis et venditionis, tantum et tale faceret,
— 47 —
stehen jeden Gewerbes. Letzteres selbst erfordert seiner wirtschaft-
lichen Natur nach einen »gerechten« Tausch.
Der Begriff des Gerechten als einer Wiedervergeltung scheint
zunächt völlig dasselbe zu fordern. Jeder der Tauschkontrahenten
fordert, »ut tantum et tale recipiat secundum quantitatem et mo-
dum, quantum et quäle fecit alteri«1), also im allgemeinen einen
Tausch nach Wertgleichheit. Doch ist der Begriff des contra-
passum zunächst etwas umfassender. Bei behördlicher Festsetzung
des Preises z. B. wird nicht nach Wertgleichheit vergolten, sondern
gemäß dem Gesetze, »ad judicatum«; oder bei Privatverträgen,
die nicht auf Wertgleichheit, aber ohne betrügerische Absicht ge-
schlossen werden, gemäß der Vereinbarung, »ad pactum« 2).
Aber die beiden genannten Fälle sind doch mehr als Aus-
nahmen zu betrachten. Im allgemeinen erfordert auch die Wieder-
vergeltung, einen Tausch nach Wertgleichheit »ad rei paritatem«3).
Sodann aber gibt, was ungleich bedeutsamer ist, die Auf-
fassung der Gerechtigkeit im Tausche als eines contrapssum, Ver-
anlassung und Möglichkeit, Wesen und Bedingungen des Tausch-
prozesses selbst schärfer zu bestimmen.
Im Tausche soll also Gleiches mit Gleichem vergolten werden.
Aber diese Wiedervergeltung soll nicht etwa in der Weise statt-
finden, daß dem Verkäufer einer Sache die gleiche Sache zurück-
gegeben würde; sie vollzieht sich nicht secundum aequalitatem
rei4). Wenn ein Schuster z. B. seine Schuhe tauscht, so will er
nicht etwa dieselbe Zahl Schuhe dafür wieder erhalten. In diesem
Falle wäre der Tausch sinnlos. Vielmehr treten sich im Tausche
Produzenten gegenüber, deren Produkte völlig verschieden sind5).
quantum et quäle patiens passus est, hoc est vendens, qui per modum patientis se habet
in artificiati, quod operatus est laboribus et expensis, commutatione. Si enim lectorum
factor pro lecto non tantum et tale accipiat, quantum et quäle posuit in expensis, lec-
tum de caetero non faciet: et sie destruetur ars, quae lectorum factrix est. Similiter
autem est in aliis artibus.« 1. c. c. J (28).
!) 1. c, c. 8 (31).
2) L c, c. 9 (31).
3) 1. c.
4) 1. c, c. 9 (31) »non per aequalitatem rerum commutatarum . . .!« Man vgl.
hierzu Karl Marx, Kapital I (3), S. 8: »Wie Rock und Leinwand qualitativ ver-
schiedene Gebrauchswerte und so sind die ihr Dasein vermittelnden Arbeiten qualitativ ver-
schieden — Schneiderei und "Weberei. Wären jene Dinge nicht qualitativ verschiedene
Gebrauchswerte und daher Produkte qualitativ verschiedener nützlicher Arbeiten, so
könnten sie sich überhaupt nicht als Waren gegenübertreten. Rock tauscht sich nicht
aus gegen Rock, derselbe Gebrauchswert nicht gegen denselben Gebrauchswert.«
6) 1. c.
— 48 -
Das liegt ja, wie wir oben sahen, im Wesen des Tausches, der
die durch die Arbeitsteilung getrennten Wirtschaften wieder zu-
sammenführen soll1). Ganz verschiedene Dinge müssen also ein-
ander gleich gesetzt werden. Der Wiedervergeltung liegt also
eine Proportion zugrunde; sie fordert eine aequalitas proportionis2).
Da die Darstellung derselben bei Albertus in mancher Hin-
sicht geeignet ist, das über Thomas Gesagte zu verdeutlichen,
wollen wir sie, selbst auf die Gefahr einiges dort bereits Erörterte
zu wiederholen, etwas ausführlicher wiederzugeben versuchen.
Albertus legt den Vorgang des Tausches in folgender Weise
dar: Ein Baumeister und ein Schuster wollen ihre Produkte
tauschen. Dann läßt sich ihr Tausch in der Figur eines Quadrates
darstellen. Der Baumeister sei A, der Schuster B, das Haus,
dessen der Schuster bedarf, C, und eine dem Werte des Hauses
entsprechende Zahl Schuhe D. Demgemäß sei ein Quadrat ge-
zeichnet A B C D.
(Baumeister) A
(Haus) C
B (Schuster)
D (Schuhe)
In diesem bedeutet die Linie AB die beiden Tauschkontra-
henten, die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse aufeinander an-
gewiesen sind. Das Haus C ist die Arbeit des Baumeisters A
und hängt insofern von ihm ab, was A C darstellt. Entsprechendes
versinnbildet die Linie B C. Die gegenseitige Austauschbarkeit
von C und D wird durch C D angedeutet.
Dann findet die Wiedervergeltung nicht gemäß den Seiten
des Quadrates statt: A gibt nicht C hin und bekommt C wieder
und B erhält entsprechend nicht D zurück. Der Tausch vollzieht
sich vielmehr nach den Diagonalen des Quadrates: A bekommt D
für die Hingabe von C, B demgemäß (für D) C. Der Tausch
wird also durch die beiden sich kreuzenden Diagonalen AD und
BC dargestellt. Wir haben es also mit vier Größen zu tun, die so
gruppiert wTerden müssen, daß das Verhältnis von A und D gleich
dem von B und C wird3). Diese proportionale Gleichheit besteht
x) S. oben S. 45 f.
2) 1. c.
3) Der Begriff der Wiedervergeltung nach Proportion ist bei Thomas schärfer
entwickelt. Nach Albertus besteht die Proportion eigentlich nur darin, daß die vier
Größen im Tausche angeordnet werden, wie die Glieder einer geometrischen Proportion.
Daß ihr "Wertverhältnis selbst durch die Proportion bestimmt wird, ist nicht klar ersichtlich.
— 49 —
aber in der Gleichheit von Arbeit und Kosten, die unter Zugrunde-
legung obiger Proportion gleichgemacht werden müssen. »Secun-
dum hanc igitur descriptionem aedificatorem a coriario oportet
accipere opus eius et vice versa aedificatorem retribuere coriario,
quod secundum contrapassum iustum est ipsius coriarii : quia aliter
in laboribus et expensis non respondebit.« Die Beachtung der
Wertgleichheit im Sinne der dargelegten Proportion bildet das
Fundament des Tausches und damit des Gemeinschaftslebens über-
haupt, wie Albertus an derselben Stelle ausführt1).
Das aber, was den Tausch überhaupt erst ermöglicht, was
die dargelegte Proportion erst zustande bringt, ist das Bedürfnis
der beiden Tauschkontrahenten nach den gegenseitigen Gütern.
Würde der Baumeister nicht der Schuhe bedürfen, und der Schuster
nicht des Hauses, so wäre an einen Tausch nicht zu denken2).
Das Bedürfnis erscheint so zunächst als die »causa commutationis« 3).
In der gegenseitigen Befriedigung ihrer Bedürfnisse sehen die
Tauschkontrahenten Ende und Zweck des Tausches: »In utroque . .
ex utroque suppleta est indigentia: et hoc vocatur figura propor-
tionalitatis« 4) ; das ist Ende und Form des Tausches.
Aber weiter: das Bedürfnis ist den Kontrahenten nicht nur
die causa ihres Tausches. Sie nehmen jedes auszutauschende Gut
nicht als solches, dem Grade seiner Wesenheit nach betrachtet —
ein Gedanke, der bei Thomas klarer entwickelt ist, weshalb wir
auf die dortigen Darlegungen verweisen — , sondern nach seiner
Beziehung zum menschlichen Bedürfnis, »secundum relationem ad
usum, hoc est, secundum quod valet in usu supplere indigentiam« 5).
Sie messen6) die Güter auch nach dem Maße ihres Bedürfens;
das Bedürfnis erscheint im Tausche als die wahre mensura commu-
tabilium. Wenn ein Tausch zustande kommt, so ist auf beiden
Seiten ein gleich starkes Bedürfnis vorhanden. Ohne diese Gleich-
heit wäre ein Tausch undenkbar. Wenn z. B. von zwei Tausch-
x) 1. c. »non salvatur aequalitas proportionis, qua non salvata, civitas non com-
manet: quia non retribuitur in laboribus et expensis.«
2) 1. c. c. io (34).
3) 1. c. c. 9 (31).
4) 1. c. c. 10 (33).
5) 1. c.
6) 1. c. (32): »Proportionata autem non erunt, nisi aliquo uno mensurentur quem-
admodum prius dictum est, quia in se proportionalia non sunt. Oportet ergo uno aliquo
omnia commensurari commutabilia (33). Hoc autem unum quidem secundum veri-
tatem in omnibus acceptum est, quod dicimus opus sive indigentiam. Hoc autem quidam vo-
cant usum vel utilitatem: hoc enim opus continet omnia, ut permaneant et sint in civitate.«
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft I. 4
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
— 5o —
kontrahenten der eine den Gegenstand des andern unbedingt nötig
hätte, der andere aber des Produktes des ersteren weniger bedürfte,
so würden sie ihre Sachen nicht tauschen oder wenigstens nicht
nach Wertgleichheit tauschen: »vel non esset eadem, de qua diximus,
(sc. commutatio) quod res in rem commutatur secundum valorem«1),
was wohl in folgender Weise zu verstehen ist: Ein Haus sei
hinsichtlich der Beschaffungskosten 5 Betten gleichwertig. Dann
wäre zu einem gerechten Tausche erforderlich, dass das Bedürfnis
des Bettfabrikanten nach dem Hause und das des Baumeisters
nach 5 Betten gleich stark wären. Sonst käme es nicht zum Tausche.
Läge z. B. der Fall so, daß der Baumeister 6 Betten für
sein Haus begehrte, so würde entweder der Bettfabrikant auf das
Haus verzichten oder, wenn er desselben dringend bedürfte, den
verlangten Preis zahlen, aber von Wertgleichheit könnte dann
keine Rede sein. Allerdings würde in diesem Falle der Tausch
zustande kommen, aber auf die Dauer wäre ein solcher Zustand, wo
der Bettfabrikant seine Aufwendungen nicht vergütet erhielte, son-
dern zusetzen müßte, undenkbar, wie schon dargelegt wurde a).
Damit ist die Stellung des Bedürfnisses gekennzeichnet. Die
indigentia humana — opus, usus, utilitas3) sind die sonstigen Be-
zeichnungen, die Albertus noch kennt — ist das Bindemittel der
menschlichen Gemeinschaft und des Tausches, den es veranlaßt
und regelt, den es aber so bestimmen muß, daß gemäß der For-
derung der Gerechtigkeit Arbeit und Kosten in gleichem Maße
wiedervergolten werden und damit das Fundament der Arbeits-
teilung gewahrt bleibt.
Diesem Doppelcharakter des Tausches entsprechend bezeichnet
der Begriff valor bei Albertus ganz verschiedene Dinge. Abge-
sehen davon, daß Albertus schon in der Bedeutung eines Gutes
für das menschliche Bedürfnis ohne Rücksicht auf den Tausch ein
valere sieht4), besitzt auch der Begriff valor im Sinne unseres
Tauschwertes einen ganz verschiedenen Inhalt; einmal erscheint
letzterer bestimmt durch das objektive Moment der Kosten6), bald
aber auch durch das subjektive Moment des Bedürfens. Auch der
a) 1. c. (33)
2) Vgl. S. 46.
3) Vgl. Anm. 6 d. vor. S.
4) Vgl. das Zitat auf d. vor. Seite.
5) Eth. 1. V, tr. II, c. IX (31). In talibus (scilicet artificibus) nihil prohibet
opus unius melius esse in valore quam opus alterius et magnam habere differentiam
secundum labores et expensam.
— 5i —
Gebrauchswert ist ja für den Tausch von außerordentlicher Be-
deutung; findet doch im Tausche eine comparatio der Güter »ad
valorem secundum usum indigentiae« x) statt.
Durch die Einführung des Geldes werden Form und Be-
dingungen des Tausches nicht wesentlich geändert. Das Geld
selbst hat Wert, der, wenn auch weniger als der der übrigen
Dinge, schwankt2).
Das Geld hat im Tausche die Funktionen eines Wertmessers3),
allgemeinen Tauschmittels und Wertaufbewahrungsmittels4), Funk-
tionen, die ihm freilich nicht von Natur zukommen, sondern durch
menschliche Satzung festgelegt sind5).
Auch dem Tausche, der sich vermittelst des Geldes vollzieht,
liegt die oben dargelegte Proportion zugrunde6). Zwar tauschen
die Kontrahenten ihre Produkte nicht mehr aus, indem sie un-
mittelbar ihre Bedürfnisse nach denselben wechselseitig befriedigen.
Schuster und Landmann tauschen nicht mehr Schuhe gegen Ge-
treide. Beide verkaufen ihre Waren gegen Geld: im Hinblick auf
einen einzelnen bestimmten Landmann und Schuster kommt der
proportionale Tausch der Produkte vielleicht gar nicht zustande.
Aber doch ruht die Proportion, wenn man die Gemeinschaft als
Ganzes betrachtet, innerhalb derselben in dem Gesamtkreis ihrer
Bedürfnisbefriedigung, so daß der proportionale Tausch im Hin-
blick darauf zustande kommt, »secundum urbanitatis indigentiam«.
Auch hier muß dann wieder die Forderung der Gerechtigkeit, die
Gleichheit von Arbeit und Kosten verlangt, erfüllt werden7).
*) 1. c. i. f. Vgl. den Anfang des folgenden Kapitels, wo derselbe Gedanke
wiederholt wird.
2) 1. c, c. X (35).
3) 1. c, c. X (32).
4) 1- c. (35).
5) 1. c. (37): »Unura ergo aliquid erit mensurans omnia (sc. numisma) relata ad
umim (sc. indigentiam): et cum non possit unum ex natura, oportet, quod sit unum
ex suppositione et legis institutione.« An anderer Stelle (33) wird das Geld mit der
Elle, dem Scheffel usw. verglichen, die ihre Eigenschaft als Maße ebenfalls menschlicher
Einrichtung verdanken.
6) 1. c. (33): »Sicut scilicet agricola ad cibum, sie coriarius ad calceamentum
secundum urbanitatis indigentiam et sicut agricola ad coriarium, sie eibus ad calceamen-
tum secundum eundem indigentiae modum. Et sicut agricola cum eibo ad communi-
cationem se habet, sie coriarius cum calceamento: utrumque enim est secundum commu-
tationem indigentiae sive operis, quod opus vel utilitas vocatur. Et secundum diametros
sicut agricola cum calceamento, sie coriarius cum eibo; in utroque enim ex utroque
suppleta est indigentia et hoc vocatur figura proportionalitatis.« Der etwas unklare
Begriff urbanitatis indigentia ist vielleicht in der oben dargelegten Weise zu erklären.
Möglicherweise ist aber auch an den Marktpreis gedacht.
7) cf. 1. c. (32). Es wird hier zunächst von der Gleichsetzung von Schuhen mit
einem Hause bzw. Getreide vermittelst des Geldes gesprochen Albertus führt
4«
— 52 —
Ein näherer Vergleich der Ansichten des Albertus Magnus
mit den von Thomas vertretenen würde im einzelnen manche Ver-
schiedenheiten der Auffassung ergeben. Was aber die Werttheorie,
speziell die eigentümliche Verbindung des objektiven und subjek-
tiven Momentes, worauf es hier allein ankommt, betrifft, so stimmen
hierin die beiden Denker völlig überein.
Mir scheint sich daher als Ergebnis unserer etwas weitläufigen
Untersuchung folgendes herauszustellen:
i . Das unmittelbare Maß der Güter ist das für alle gleiche Be-
dürfnis. Nach Gleichheit der Bedürfnisse zweier Tauschkontrahenten
erfolgt im Tausche die tatsächliche Gleichsetzung, muß sie erfolgen,
wenn Gerechtigkeit herrschen soll.
2. Aber dieses subjektive Moment des Bedürfens ist kein
willkürliches, ist nicht in das Belieben der Tauschenden gestellt.
Der Tausch findet innerhalb einer Gemeinschaft statt, die auf Ar-
beitsteilung gegründet ist. Er muß sich daher so vollziehen, daß
dieses Fundament der Arbeitsteilung bestehen bleiben kann, und
damit eine Fortdauer der Gemeinschaft überhaupt ermöglicht wird.
D. h. jeder, der für die Gemeinschaft produziert, muß seine Auf-
wendungen an Arbeit und Kosten vergütet erhalten. So wäre es
z. B.. einfach undenkbar, daß ein Schuster mit der Herstellung von
Schuhen fortführe, wenn er dabei zusetzen müßte. Die Wieder-
vergeltung von Arbeit und Kosten erscheint als das notwendige
Korrelat der Arbeitsteilung; besonders bei Albertus kommt dies
zum Ausdruck. Die Idee des objektiven Wertes, der das gesell-
schaftliche Substrat des subjektiven bildet, ist erwachsen aus einer
tief sozialen Auffassung des Gemeinschaftslebens: Die Bürger sollen
in gleichem Maße für einander arbeiten und damit eine Ergänzung
ihrer eigenen verschiedenartigen und in sich unzureichenden Tätig-
keiten, d. h. eben ein Gemeinschaftsleben ermöglichen. Ihr tieferer
Sinn ist kein anderer als der: »multitudo artificum sibi invicem sub-
serviens commanere facit civitatem«1). Weiter: Die Preise der
Waren müssen so bestimmt werden, daß der Produzent außer
den Kosten, die er für Herstellung der Waren aufgewandt hat,
noch seine Arbeit vergütet erhält. Nun weist allerdings Thomas
an der Stelle, wo er das Prinzip der Wiedervergeltung von Arbeit
dann fort: »In tali autem proportione oportet, quod sicut aedificator se habet ad cori-
arium in laboribus et expensis sui operis secundum excessum, tot et tanta calceamenta
per additionem numismatis commutentur ad domum vel cibum habendum: ad domum
quidem, si comparatur ad aedificatorem, ad cibum, si comparatur ad agricolam.«
a) Alb. Mag. 1. c. 9 (31).
— 53 —
und Kosten entwickelt, nicht ausdrücklich darauf hin, aber wir
können doch aus seinen allgemeinen wirtschaftlichen Anschauungen
darauf schließen, daß er unter der Vergütung der Arbeit nichts
anderes als den standesgemäßen Unterhalt begreift. Denn wie
in der Einleitung gezeigt wurde, ist darauf der Umfang des Be-
sitzes sowie das Maß wirtschaftlichen Strebens beschränkt. In
dem thomistischen Wertgesetze kommt also nichts anderes zum
Ausdruck, als daß jeder, der an der Produktion beteiligt ist, seinen
standesgemäßen Lebensunterhalt gewinnen soll. In dem gleichen
Anrechte hierauf besteht der »abstrakt gesellschaftliche« Charakter
der qualitativ verschiedenen Arbeiten.
§ 4. Die nähere Ausgestaltung des Prinzips der "Wertgleichheit.
Die bisherigen Erörterungen haben über die Grundsätze des
Tausch verkehrs im allgemeinen Klarheit gebracht. Es handelt sich jetzt
darum, das dort Gesagte tiefer zu begründen und weiter auszubauen.
Als Wertmaß trat uns oben die Beziehung der Güter zum
menschlichen Bedürfnis entgegen. Diese Anschauung hängt mit
dem Grundcharakter der thomistischen Philosophie zusammen.
Wie alles, was tätig ist, durch bestimmte Zwecke zu seinem
Streben veranlaßt wird1), so geht auch der Mensch in seinem wirt-
schaftlichen Handeln bestimmten Zwecken nach. Und insofern
materielle Dinge den Gegenstand menschlichen Strebens ausmachen,
insofern sind die Güter, bona im eigentlichen Sinne. Denn wie
Thomas im Anschluß an Aristoteles sagt: »Bonum est, quod omnia
appetunt«2). Ein Gut bringt die Stillung eines Strebens, eine
»terminatio appetitus« mit sich3).
Der Grund aber für das Streben des Menschen nach materi-
ellen Gütern liegt darin, daß sie, worauf das Wesen des »bonum«
überhaupt beruht4), der menschlichen Natur angemessen sind, und
menschlicher Vervollkommnung dienen. Und zwar dienen die wirt-
schaftlichen Güter zur Hebung gewisser Mängel, die von Natur
im Menschen vorhanden sind 5), vor allem zur Erhaltung des körper-
*) S. c. g. III., 2. »Oportet igitur, quod omne agens in agendo intendat finem.«
2) I, 5 a. 1. c. ; »Ratio enim boni in hoc consistit, quod sit aliquid appetibile.
Unde Philosophus dicit, quod: »bonum est, quod omnia appetunt.« (Eth I, c. I.)«
8) I, 5. a. 6. c: »bonum est aliquid, inquantum est appetibile et terminus
motus appetitus.« Vgl. Stökl: Gesch. d. Philosophie des Mittelalters. II. 655 ff.
4) S. c. g. III., 3. »Id autem, ad quod agens determinate tendit, oportet esse
conveniens ei, non enim tenderet in ipsum nisi propter aliquam convenientiam ad ipsum.
Quod autem conveniens est alicui, est illi bonum.« De verit, q. 21., a. 2. »Ratio boni
in hoc consistit, quod aliquid sit in profectionem alterius per modum finis.«
B) I. II., q. 2. a. 1. c. Vgl. S. c. g. III, 134.
— 54 —
liehen Lebens1) und, wie dieses wieder die Grundlage für das höhere
geistige und sittliche Leben des Menschen bildet2), so stellt der
Besitz sachlicher Güter für den Menschen eine unbedingte Not-
wendigkeit dar hinsichtlich seiner ganzen Betätigung für die Auf-
rechterhaltung des menschlichen Lebens überhaupt, insofern dieses
eben äußerer Dinge bedarf3). Und somit liegt die eigentliche Be-
deutung der wirtschaftlichen Güter darin, daß sie den Menschen
durch Stillung seiner Bedürfnisse Vorteil und Nutzen gewähren4).
Diese Bedürfnisse können wichtiger und weniger wichtig sein:
Thomas unterscheidet unbedingt notwendige und weniger not-
wendige, Existenz- und standesgemäße Bedürfnisse5).
Der Mensch erstrebt also die wirtschaftlichen Güter nicht
um ihrer selbst willen; sie sind der körperlichen Gesundheit, vor
allem aber dem geistigen und sittlichen Handeln untergeordnet6).
Sie gehören nicht zur Art des bonum honestum, sind nicht die
endlichen Gegenstände menschlichen Strebens; sie gehören auch
nicht zur Art des bonum delectabile, d. h. sie bilden nicht die
Gegenstände, in denen der Mensch schließlich ruht und sich er-
götzt, sondern sie sind bona utilia, sie werden als Mittel zu dem
dargelegten anderen Zwecke erstrebt7).
In der Bedürfnisbefriedigung liegt also der eigentliche Wert
der Güter. Bona in diesem Sinne sind zunächst solche Dinge, die
dem angegebenen Zwecke unmittelbar dienen, mögen sie beim
einzelnen Befriedigungsakte ihrer Substanz nach ganz verbraucht,
oder nur abgenutzt, gebraucht werden8). Bona sind ferner solche
J) I. II., 59. a. 3. c. Über die Stellung des Menschen zur materiellen Güter-
welt, s. Schaub, a. a. O. S. 3 14 ff.
2) Cg. III., 141: »Cum enim omnia exteriora ad interiora ordinentur, corpus
autem ad animam, intantum exteriora et corporalia bona sunt homini bona, inquantum ad
bonum rationis proficiunt.«
3) I. IL, q. 4. a. 7.
4) Cg. III. 127. cf. I, IL q. 2. a. 1. c.
5) Quodl. IV., a. 24: aliquid ad finem ordinatur dupliciter. Uno modo ut ne-
cessarium ad finem, sine quo finis esse non potest sicut eibus ad vitam corporis obser-
vandam. Alio modo sicut necessarium ad finem, sine quo ad finem non ita bene perveniri
potest, sicut equus ordinatur ad iter.« IL IL, q. 32, a. 6. c: »Necessarium dupliciter
dicitur: uno modo, sine quo aliquid esse non potest . . . Alio modo dicitur aliquid esse
necessarium, sine quo non potest convenienter vita transigi seeundum conditionem et statum
propriae personae et aliarum personarum, quarum cura ei ineumbit.« Vgl. hierzu S. 18 f.
6) Vgl. Anmerkg. 2.
7) cf. I, q. 5, a. 6. c.
8) Quodl. III, a. 19: »rerum in usum hominis venientium quaedam sunt quarum
usus non et ipsius rei consumptio, et si contingat rem deteriorari vel consumi per usum,
hoc est per aeeidens, sicut domus, vestis, liber, equus et huiusmodi« — »Quaedam vero
res sunt, quarum usus nihil est aliud quam consumptio ipsarum rerum.«
— 55 —
Güter, die im Gegensatz zu Konsumtivgütern nur mittelbar der
Bedürfnisbefriedig'img dienen, sei es, daß sie als Produktivgüter
verwendet werden 1), sei es, daß sie als Metallgeld, als künstlicher
Reichtum (divitiae artificiales), i. G. zum natürlichen (div. naturales)
der in Gegenständen des Konsums besteht, eine Erleichterung des
Tausch Verkehres bezwecken2), der eben seinerseits wieder seineVeran-
lassung und Rechtfertigung in dem Ziele besserer Bedürfnis-
befriedigung findet.
Durch diese Auffassung der Güter als »instrumenta deser-
vientia beatitudini«, welch' letztere in den höheren Werten des
geistigen und sittlichen Lebens liegt3), gewinnt Thomas ähnlich
wie Aristoteles eine ethische Begrenzung für das Maß wirtschaft-
lichen Strebens. Wie die Mittel überhaupt nach dem zu erreichen-
den Ziel bemessen werden, so soll das Streben nach materiellen
Gütern durch das Ziel derselben, die Aufrechterhaltung des mensch-
lichen Lebens, > secundum conditionem et decentiam« beschränkt
sein. Schon Aristoteles hatte als Beispiel die Verwendung der
Medizin nach der damit zu erzielenden Gesundheit angeführt4).
Freilich stimmen die tatsächlichen Verhältnisse mit dieser Forde-
rung sehr oft nicht überein, indem das Streben nach Reichtum, zumal
seit Einführung des Geldtausches praktisch meist unbegrenzt ist5).
Dieses subjektive Moment des Bedürfnisses ist nun weiterhin,
wie für die ganze Ausgestaltung der Produktion, so für das Zu-
standekommen und die Art der Zirkulation, des Tausches, maß-
gebend. Daß die necessitas oder indigentia es ist, welche den
Tauschverkehr beherrscht, ist bereits oben eingehend dargelegt
worden6). Indem nun aber die durch das Bedürfnis bestimmten
Güter ihrem eigentlichen Wesen und Werte nach getauscht werden7),
— der valor, die bonitas der Dinge tritt gerade beim Tausche sicht-
a) C. i. Ar. Pol. I, 2 (f.)
2) II, II q. 187, a. 7, ad 5. Vgl. Aristoteles Pol. I, 3, § 12, cf. II, II q. 117,
a. 3. c.
3) I, II q. 4, a. 7. c.
4) Arist. Pol. I, 3, § 17; cf. III, q. 52 a 2 ad 3; II, II q. 1, a. 1. c.
5) I, II q. 2, a. I. ad3. »Appetitus naturalium divitiarum non est infinitus, quia
secundum certam mensuram sufficiunt naturae, sed appetitus divitiarum artificialium est
infinitus, quia deservit concupiscentiae inordinatae.«
6) S. oben S. 43 f., vgl. S. 49 ff.
7) Com. in Ar. Pol. I, 1 VII, b: »Est enim uniuscuiusque rei duplex usus . . . unus
eorum est proprius usus rei, alius autem non est proprius, sed communis, sicut duplex
est usus calciamenti, unus quidem proprius, scilicet calceatio, alius communis, scilicet
commutatio . . sed quamvis commutatio non sit proprius usus calciamenti, est tarnen
usus eius per se et non secundum accidens, quia ille, qui commutat ipsum, utitur eo
- 56 -
bar in Erscheinung — bedeutet der Austausch hinsichtlich der
weggegebenen Güter zwar nicht den »usus proprius« derselben,
wohl aber einen »usus per se«; die Verwendung der Güter ist
nicht äußerlich und zufällig, kein »usus per accidens«1).
Das Maß des Bedürfens ist nun keineswegs unter allen
Umständen gleich, vielmehr nach Zeit und Ort wesentlichen Schwan-
kungen unterworfen. »Pretium rei est mutatum secundum diver-
sitatem loci vel temporis«2). Interessant dafür, in welchem Maße
Thomas eine Wertänderung für möglich hält, ist eine Stelle im
Sentenzenkommentar3). Petrus Lombardus spricht über den Be-
griff des Wuchers und zitiert zustimmend den Satz des Hiero-
nymus, daß es z. B. Wucher sei, wenn jemand zu bestimmtem
Zeitpunkt 10 Scheffel Getreide hingäbe und nach bestimmter Zeit
sich 15 wiedergeben lasse. Thomas schließt sich dem durchaus
an, fügt aber einschränkend hinzu : es wäre möglich, daß an jenem
späteren Zeitpunkt der Wert des Getreides so weit gestiegen
wäre, daß die früheren 10 Scheffel jetzt den Wert von 15 hätten,
dann liege kein Wucher vor.
Für die Bestimmung der Wertgröße sind folgende Momente
namhaft zu machen4):
1 . Für die Tatsache und Höhe des Wertes kommen vor allen
Dingen die objektiven Eigenschaften der Güter in Betracht, die
sie befähigen, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Käufer und
Verkäufer müssen über die » . . rei . . qualitates . . per quas redditur
humanis usibus apta«5) unterrichtet sein; sie müssen die »conditiones
rei« kennen, »secundum quas est bona et utilis«6). Ein Fehler in
den objektiven Eigenschaften eines Gutes macht dieses weniger
secundum valorem suum.« Die Beziehung auf die Werttheorie kommt bei Aristoteles
nicht zum Ausdruck (Arist. Pol. I, 8). Vgl. hierüber Zmavc: »Die Werttheorie bei
Aristoteles und Thomas v. Aquin.« Arch. f. Ph., 1899, S. 411 ff.
a) S. d. vor. Anmerkung.
2) II, II q. 77, a. 4, ad. 2.
3) Comm. in III lib. Sent. d. 37, q. 1, a. 6. Das Zitat ist aus Hieronymus
(sup. Ezech. c. 18); cf. in lob. 28, b. 2: »pretia lapidum non sunt eadem nee in
omnibus locis nee in omnibus temporibus.«
4) Vgl. Schaub, a. a. O. S. 178 ff., Pesch: St. a. M-L. XLI 1891, S. 48
Anmerkung 3, Walter, a. a. O. S. 46 ff. Es fehlt in den genannten Schriften meist
an einer tieferen Verarbeitung der mehr oder minder vollständig angeführten einzelnen
Momente.
5) II, II q. 77, a. 2, ad 3.
c) I. c. a. 3, ad 2.
— 57 —
wertvoll1). Der höhere Wert des echten Goldes und Silbers gegen-
über dem von Alchimisten nachgemachten beruht zum Teil darauf :
»cum sint aliquae utilitates auri et argenti veri, secundum naturalem
operationem ipsorum, quae non conveniunt auro per alchimiam
sophisticato«2).
2. Ist die abstrakte Art der Bedürfnisse, die Skala der Bedürfnis-
gattungen3) würde man heute sagen, in Betracht zu ziehen. Brot
befriedigt wichtigere Bedürfnisse wie Edelsteine. Und wenn gleich-
wohl für gewöhnlich die letzteren im Werte höher stehen, so liegt
dies daran, daß dieses Moment der Wichtigkeit, meist durch andere
Faktoren überkompensiert wird, was nach deren Beseitigung, z. B.
in Zeiten der Hungersnot, klar zutage tritt4). Die Wirkung dieser
anderen Momente wird gleich zu erörtern sein.
3. Die Art und Weise, wie diese abstrakten Bedürfnisgattungen
befriedigt werden, bedingt einen Unterschied im Werte der Güter.
Gold und Silber werden in ihrer Werthöhe nicht nur dadurch
bestimmt, daß sie z. B. das Bedürfnis des Menschen nach Gefäßen
überhaupt stillen, sondern vor allem dadurch, daß sie diese Auf-
gabe in besonders vollkommener Aufgabe erfüllen. »Propter
dignitatem et puritatem substantiae ipsorum«5).
4. Wesentlich sind Angebot und Nachfrage, die »diversitas
copiae et inopiae«6) für die Stärke des Bedürfnisses maßgebend.
Das Gold ist zumal auch deshalb wertvoll, weil es selten ist7). Das
Brot steigt im Werte, weil an ihm Mangel vorhanden ist, »in
tempore necessitatis«8). Auf dieser Tatsache beruhen vor allem
die örtlichen Preisverschiedenheiten, indem die Güter dort, wo sie
häufig sind, geringere Werte darstellen, als dort, wo sie weniger
häufig sind9). Verstärkte Zufuhr zum Markt führt zu Minderungen
des Preises; ja, schon die Erwartung einer so begründeten Preis-
*) Ein Käufer erleidet Schaden: ». . . si propter . . . vitium res quae vendenda
proponitur, minoris sit pretii, ipse (sei. d. Verkäufer) vero propter hiusmodi vitium nihil
de pretio subtrahat«, 1. c. c. cf. quodl. II, a. 10: »si ergo vitium rei venditae faciat rem
minus valere, quam pretium impositum a venditore.«
2) II, II q. 77, a. 2, ad 1.
3) Vgl. z. B. Böhm-Bawerk: Grundz. d. Theor. d. subj. Güterw. J. f. N.
u. St. N F., Bd. 13, S. 12 f.
4) Quodl. I, a. 14: »et aliqua preciosa margarita est carior uno pane; et tarnen
in aliquo casu famis panis praeeligeretur.«
5) II, II q. 77, a. 2, ad 1.
•) 1. c. ad 2.
7) c. l Pol. 1, 1. vnf.
8) Quodl. I, a. 14.
9) IL II q. 77, a. 2, ad 2.
- 58 —
Senkung dehnt letztere Erscheinung auch auf die Gegenwart aus1).
Daher muß derjenige, der Rinder, Pferde usw. mit Gewinn ver-
kaufen will, wissen, ob dieselbe infolge Überflusses oder Mangels
billig oder teuer sind2). Ein zu großer Überfluß an bestimmten
Dingen kann zu völliger Nutzlosigkeit derselben führen: »sicut de
fistula apparet, quoniam si sint maiores aut plures, quam possint
moveri a fistulante, nocent aut non proficiunt«3).
5. Arbeit und Kosten sind insofern wertbildend, als durch
sie die objektiven Eigenschaften der Güter, die letztere für die
Bedürfnisbefriedigung verwendbar machen, verbessert werden: sie
führen zunächst zu einer »melioratio rei« und damit zu einer Wert-
steigerung4). Von dieser immerhin dürftigen Bemerkung abgesehen
hat aber Thomas den Zusammenhang der subjektiven Bewertung
der Güter mit den zu ihrer Herstellung erforderlichen Kosten nicht
näher untersucht.
6. Ein sicherer Besitz hat einen höheren Wert als ein unsicherer.
Wem die Möglichkeit eines Gewinnes genommen ist, verliert nicht
die ganze Höhe des möglicherweise erreichten Wertes, sondern
weniger: »minus est habere aliquid virtute quam habere actu«. Dieses
liegt in der Unsicherheit begründet5).
7. Die Bedürfnisse einzelner Personen denselben Gütern gegen-
über sind der Größe nach verschieden; der Wert ist nicht etwas
Abstraktes, für alle Menschen Gleichförmiges, vielmehr etwas indi-
viduell Relatives. So erörtert Thomas den Ausnahmefall, daß
beim Tausche dem Empfänger der Ware ein besonderer Nutzen
erwächst, und zwar »ex conditione ementis«, oder umgekehrt der
Verkäufer einen besonders großen Schaden erleidet6).
Und zwar beruht diese individuelle Verschiedenheit z. T. auf
den im Vorstehenden angeführten, den Wert beeinflussenden Mo-
menten. Insbesondere bestimmt das Maß des Besitzes die persönliche
Wertschätzung der Güter. So zitiert Thomas zustimmend die Stelle
*) II, II q. 77, a. 3, ad 4; ob. 4.
2) »oportet autem eum, qui ex bis vult lucrari pecuniam, esse expertum, quae
eorum sint maxime cara et in quibus locis, quia alia istorum in aliis regionibus abundant,
ut seil, emat in loco, ubi abundant, et vendat in loco, ubi sunt cara«. C. in Ar. pol.
I, 1, IX b.
3) C. in Ar. Pol. VII 1, if; vgl. Kraus, Die arist. Werttheorie, Z. f. St., 61
(1905), S. 582 f. Allerdings stammt das 7. Buch von einem Schüler des Thomas v. A.
Kuhn a. a. O. S. 96 ff. s. o. S. 17.
4) 1. c, a 4, ad 1 : »si enim rem in melius mutatam carius vendat, videtur prae-
mium sui laboris aeeipere.« cf. ib., ad 2.
5) II, II q. 62, a. 4 c.
6) II, II q. 77. a. 1. c.
— 59 —
bei Ambrosius, wo dieser bei seinen Ausführungen über die Frei-
gebigkeit an die Erzählung vom Scherflein der armen Witwe
anknüpft und bemerkt: »Denique duo aera viduae illius muneribus
praetulit (Luc. XXI, 3) (seil. Dominus) quia totum illa, quod habuit
contulit, Uli autem ex abundantia partem ex iguam contulerunt.
Affectus igitur divitem collationem aut pauperem
facit et pretium rebus imponit«1). Die Größe eines Almosens
bemißt sich nicht nach der quantitativen Menge des Gegebenen, son-
dern nach dem »habitus dantis«, wie Thomas im Anschluß an
Aristoteles sagt'2). Ein Almosen wird, heißt es an anderer Stelle,
»ex parte dantis« dann groß genannt: ». . . cum scilicet aliquis ali-
quid dat, quod est multum seeundum proportionem propriae facul-
tatis«3).
Die Bedürfnisse der einzelnen sind ferner verschieden dem
Stande nach, den die einzelnen in der Gesellschaft einnehmen. Leute
von vornehmem Stande bedürfen, wenn sie in Not sind, ebenso
dringend kostbare Kleider und Speisen als Almosen, als Leute von
geringerem Stande in gleicher Lage weniger wertvolle Dinge4).
Ferner sind ethische Anschauungen von großem Einfluß auf
die verschiedenen Schätzungen der einzelnen. Wer der oben er-
wähnten ethischen Lehre genügt und die wirtschaftlichen Güter
als Mittel zu höheren Zwecken ansieht und ihr Maß hiernach
begrenzt, indem er das darüber Hinausgehende für überflüssig und
schädlich hält5), schätzt die Güter anders wie andere Menschen,
die ihrer »coneupiscentia« 6) keine Schranke auferlegen, welch letzteres
übrigens meistens der Fall ist, wie Thomas hervorhebt: »in exte-
rioribus bonis, quae communiter homines maxime cupiunt« 7). Aber
von dem an erster Stelle erwähnten Ausnahmefall abgesehen,
*) Ambrosius, de offic. ministr., I. c. 30 (149). (Migne S. L. XVI, 72). cf.
Thomas II, II. 117, a. 1. ad 3.
2) L c. Similiter etiam nihil prohibet, aliquos virtuosos, licet sint pauperes, esse
liberales. Unde Philosophus dicit (Nie. Eth. IV, 1), >Secundum substantiam, id est,
facultatem, divitiarum, liberalitas dicitur: non enim consistit in multitudine datorum, sed
in dantis habitu.« Zu Arist. vgl. Kraus, a. a. O. S. 581 f.
3) II, II q. 32, a. 10, c.
4) 1. c. ad. 3. »cui (seil, dem Almosenempfänger) non est danda eleemosyna, ut inde
luxurietur, sed ut inde sustentetur, circa quod tarnen est discretio adhibenda propter diversas
conditiones hominum, quorum quidam delicatius nutriti indigent delicatis eibis aut vestibus.«
5) cf. Cg. III, 129: »Et autem aliqua mensura determinata seeundum quam usus
praedietarum rerum humanae vitae est conveniens; quae quidem mensura, si praetermit-
tatur, fit homini noeivum, sicut apparet in sumptione inordinata eiborum.«
6) I, II q. 2, a. I. ad 3. cf. S. 55, Anm. 5.
7) II, II q. 117, a. 6, ad 3.
— 6o —
handelt es sich bei den angeführten Stellen über die individuell ver-
schiedene Schätzung der einzelnen Menschen doch mehr um Äuße-
rungen, die auf die Wertlehre nicht unmittelbar Bezug nehmen.
Eine Verschiedenheit des Wertes nach den einzelnen Individuen,
als allgemeine Erscheinung eine individuelle Subjektivität des Wertes,
die auf die Gestaltung des Tausches von Einfluß wäre, kennt
Thomas nicht. Hierüber weiteres im Folgenden.
8. Der Einzelne steht mit dem Besitz seiner Güter nicht für
sich allein da, sondern innerhalb der menschlichen Gemeinschaft,
die in ihrer Gesamtheit nur dann eine Befriedigung ihrer Bedürf-
nisse erreicht, wenn ihre einzelnen Glieder im Tausche ihre Güter
zur Verfügung stellen x). Wenn daher ein bestimmtes Gut für den
Besitzer in seiner Isolierung vielleicht völlig nutzlos ist, so ist es
damit noch nicht wertlos innerhalb der Gemeinschaft. Dann ge-
winnt dies Gut vielmehr den Wert, den es in der Gemeinschaft
hat, auch für den einzelnen Besitzer, indem dieser es gegen für
ihn persönlich wertvolle Güter austauschen kann : ». . usus rei,
etsi non competat venditori, potest tarnen esse con-
v e n i e n s a 1 i i s « 2). Die einzelnen Güter gewinnen dann Geld-
charakter, den Begriff Geld im allerweitesten Sinne genommen:
»Ea vero, quae emittenda sunt ab uno nomine in alium, sunt bona
possessa, quae nomine pecuniae significantur« 3). Dann aber ist
es für den Wert nicht mehr das individuelle Bedürfnis des ein-
zelnen in Betracht zu ziehen, sondern die gesellschaftliche Schätzung;
für den Preis wird bestimmend das »forum commune«4). Es bildet
sich so ein allgemeiner Wert, ein »Wert« der Dinge schlechthin,
der für den Tausch maßgebend ist5). Diese vertiefte Auffassung
1) Siehe oben S. 19 ff.
2) II, II q. 77, a. 3, c.
3) II, II q. 117, a. 2, c.
4) Com. in III, 1. Sent. d. 37, q. 1. a. 6. cf. S. 62. Ferner Op. 67. (De emptione
et venditione ad tempus): »Si mercatores, . .plus vendant pannos, quam debeant secun-
dum commune forum, non est dubium, esse usuram.« Vgl. hierzu Schaub, a. a. O.
S. 206: »Zweitens geschieht die Schätzung meistens durch eine größere Zahl von Ur-
teilenden. Dadurch werden die Fehler der Einzelnen bis zu einem gewissen Grade be-
richtigt, und nach Ort und Zeit gewisse objektive Anhaltspunkte für die Bewertung ge-
wonnen.« Die Bedeutung des »forum commune« liegt nicht in der »Berichtigung« von
Fehlern Einzelner ; in dem Sinne gibt es hinsichtlich der Wertschätzung der Güter kein
Richtig oder Unrichtig; sondern darin, daß auf dem Markte an die Stelle der indivi-
duellen Schätzungen die gesellschaftliche, durch das Bedürfnis der Gemeinschaft be-
stimmte tritt.
5) Dies ist der II, II 77, a. 1. c. genannte valor der Dinge. Vgl. i. F.
— 6i —
und Begründnng des normalen Wertes trotz individuell zunächst
verschiedener Wertschätzungen findet sich vor Thomas nicht.
Halten wir einen Augenblick inne und untersuchen wir die
Bedeutung der angeführten Einzelbestimmungen hinsichtlich des
Wertes für die Lehre vom justum pretium! Wie verhalten sich
die einzelnen dargelegten Momente zum Prinzip der aequalitas
valoris? Sind sie im Tausche geltungsberechtigt oder nicht?
Die Forderungen des »justum pretium« insofern sie die Be-
deutung des Bedürfnisses im Tausche betreffen, lassen sich in zwei
Gruppen auflösen:
i. Der Tausch vollzieht sich faktisch nach Gleichheit der
Bedürfnisse. Wir haben bereits oben darauf hingewiesen1) und
hier die einzelnen Momente untersucht, die die Stärke des Bedürfens
bestimmen. Die Forderung des justum pretium nimmt diese Be-
stimmungen als Tatsachen hin und hat ihnen gegenüber nur die
eine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sie sich im Tausche nach
Meinung beider oder wenigstens einer der beiden Tauschkontra-
henten vollziehende Gleichheit der gewechselten Güter nicht auf
einem Irrtum beruhe über eines der Momente, von denen die
Stärke des Bedürfens abhängt, und nicht durch unredliche Mittel
des Käufers oder Verkäufers erzielt werde. Ein dreifacher Mangel
kann in dieser Hinsicht einen Tauschkontrakt objektiv und eventuell
im Falle des absichtlichen Betruges, auch subjektiv ungerecht
machen: a) ein »defectus secundum speciem« rei. Dieser liegt z. B.
vor, wenn unechtes Gold oder mit Wasser vermischter Wein als
echt bzw. rein verkauft werden; b) ein »defectus secundum quan-
titatem« z. B. bei Verwendung eines falschen Gewichtes oder
sonstigen Maßes; c) ein »defectus ex parte qualitatis«, wenn z. B.
ein krankes Pferd als gesund verkauft wird2).
Ein Fehler an einer Sache braucht natürlich nur soweit im
Preise berücksichtigt zu werden, als er eine Wertverminderung des
Gegenstandes bedingt. Er braucht vom Verkäufer nicht unter
allen Umständen angegeben zu werden, sondern kann durch still-
x) Siehe oben S. 52.
2) 1. c. a 2 c. Außer den im Text angeführten Bestimmungen vgl. ebenda: »Et in
omnibus talibus non solum aliquis peccat injustam venditionem faciendo, sed etiam ad resti-
tutionem tenetur. Bei unabsichtlichem Irrtum begeht der Verkäufer zwar subjektiv kein
Unrecht . . . Tenetur tarnen, cum ad eius notitiam pervenerit, damnum, recompensare emptori.
Et quod dictum est de venditore, etiam intelligendum est ex parte emptoris. Contingit enim
quandoque venditorem credere rem suam esse minus pretiosam quantum ad speciem, sicut
si aliquis vendat aurum loco auricalchi, et tunc emptor, si id cognoscat, iniuste emit et
ad restitutionem tenetur. Et eadem ratio est de defectu qualitatis et quantitatis«.
— 62 —
schweigende Herabsetzung des Preises ausgeglichen werden1).
Doch muß im allgemeinen dem Käufer ein voller Überblick über
die Sache zustehen2).
Von den eben genannten Bestimmungen der Tauschgerech-
tigkeit sind diejenigen zu trennen, die mit dem oben dargelegten
Ersatz der individuellen Wertschätzungen durch die gesellschaft-
lichen Schätzungen zusammenhängen. Der Marktpreis, eine an
sich rein tätsächliche Erscheinung, ist zugleich auch derjenige
Wert eines Dinges, der an sich als gerecht erscheint und dem-
gemäß beim Tausch einzuhalten ist3). So sagt vielleicht noch
klarer Albertus Magnus »Justum autem pretium est, quod secun-
dum aestimatiomem fori illius temporis potest valere res vendita«4).
Aber gleichwohl bleiben Fälle denkbar, wo ein Verkäufer durch
die Veräußerung einer Sache auf Grund besonderer Verhältnisse —
also ein Ausnahmefall — einen Schaden erleiden würde, der größer
wäre, als dem gesellschaftlichen Werte derselben entspräche, und
umgekehrt könnte ein Käufer durch den Kauf eines Gegenstandes
einen über dessen Wert hinausgehenden individuellen Nutzen er-
zielen. Nach Thomas gilt dann folgender Grundsatz: Der Ver-
käufer darf den höheren Wert, den ein Gut für ihn persönlich hat,
im Preise berechnen; er verkauft dann etwas, was ihm eigentüm-
lich zugehört, worüber ihm Verfügungsgewalt zusteht. Dagegen
darf der Verkäufer den besonderen Nutzen des Käufers nicht in
Anschlag bringen; denn dieser bildet nicht sein Eigentum. Im
ersteren Fall findet der Tausch nach Gleichheit der Bedürfnisse
statt, indem auch der Käufer ein stärkeres als das gesellschaftliche
*) Quod II, a. 10: »Si ergo vitium rei venditae faciat rem minus valere quam
pretium impositum a venditore, injusta erit venditio; unde peccat occultans vitium. Si
autem non faciat rem minus valere quam pretium impositum, quia forte venditor minus
pretium imponit propter vitium, tunc non peccat tacens vitium, quia venditio non est
injusta et forto esset sibi damnosum, si vitium diceret, quia emptor vellet habere rem
etiam pio minori pretio quam valeret.«
2) II, II q. 77, a. 3, ad 1: »Judicium non potest fieri nisi de re manifesta . . .
Unde si vitia rei, quae vendenda proponitur, sint occulta, nisi per venditorem manifestentur,
non sufficienter committitur emptori Judicium.«
3) II, II q. 77, a. 1. c. »Et ideo, si vel pretium excedat quantitatem valoiis
rei, vel e converso res excedat pretium, tolletur iustitiae aequalitas. Et ideo carius ven-
dere vel vilius emere rem quam valeat, est secundum se iniustum et illicitum«, cf. S. 36.
4) Sent. IV d. 16, a 46. Albertus Magnus stützt sich wohl seinerseits wieder auf
Alexander Halensis, der verlangt hatte, daß der Handel betrieben werde: »iusta existi-
matione rei et commercii prout communiter venditur in illa civitate vel loco, in quo
negociari contingit.« (S. th. III q. 50, m. 1).
- 63 -
Bedürfniss empfindet; im zweiten hat der Käufer einen besonderen
Vorteil1).
Indem aber die gesellschaftliche Schätzung, der Marktpreis,
maßgebend wird, wird das Fundament geschaffen für die Ver-
wirklichung jener Idee, die bei der Erörterung des Tauschprozesses
in der nicomachischen Ethik durchaus im Vordergrunde steht und
die den Zentralpunkt der thomistischen Wertlehre ausmacht: Die
Idee der Wiedervergeltung von Arbeit und Kosten2).
Die Güter erscheinen also vom Standpunkte der Gesellschaft
aus als Produkte, deren Wert nach den Kosten bestimmt ist.
Hiernach werden sie zueinander in Verhältnis gesetzt und dann
nach Gleichheit des Aufwandes ausgetauscht3). Die subjektive
Werttheorie geht, wie wir oben sahen, von der Stellung des ein-
zelnen zu den Gütern aus und zeigt dann die Gestaltung der
individuellen Schätzung im Kreise der Gesellschaft. Anders die
objektive Werttheorie: Sie geht zunächst vom Standpunkte der
Gemeinschaft aus; sie erscheint als notwendiger Ausdruck des
gesellschaftlichen Lebens der Menschen überhaupt, das auf Arbeits-
teilung gegründet ist.
Hier ist jedoch ein wesentlicher Mangel der thomistischen
Wertlehre hervorzuheben: Die angegebene Parallelität erscheint
als notwendig und durch die Aufrechterhaltung der Arbeitsteilung
bedingt. Wie sie aber des näheren möglich sein soll, wie sich
der nähere Zusammenhang zwischen den objektiven und subjekti-
ven Momenten gestaltet, läßt Thomas ununtersucht, obwohl doch
gerade dies für die Vereinheitlichung seiner Wertlehre von grund-
1) 1. c. Abweichend jedoch de Mal. XIII, 4 ad 14.
2) S. 37 ff. S. 46 ff.
3) Ich halte es nicht für richtig, wenn, wie dies z. B. von Pesch (St. a. M.-L.
XLI 48 ff.) geschieht, Arbeit und Kosten nur als ein Moment neben vielen anderen,
die auf die Stärke des Bedürfens einwirken, aufgefaßt werden. Gesellschaftlich erscheinen
die Güter als in ihrem Werte lediglich durch die aufgewendeten Kosten bestimmt. Ein
Tausch nach Gleichheit der Bedürfnisse wäre »gesellschaftlich« noch nicht gerecht.
Freilich widersprechen kleine Modifikationen des vom Standpunkte der Gesellschaft aus
lediglich in Betracht kommenden Tauschwertes durch andere Momente dem Gesellschafts-
prinzip der Wiedervergeltung der Kosten nicht. Subjektiver und objektiver Wert laufen
einander parallel. Der objektive Inhalt des Marktpreises sind Arbeit und Kosten: sie
machen das sozial -bedeutungsvolle des Preises aus, worüber weiter unten. Dasselbe
gilt von Biederlack, »Zur Gesellschafts- und Wirtschaftslehre des hl. Thomas.«
Zeitschr. f. Kathol. Theol., XX, s. 1876, S. 578 ff. Vgl. desselben Soziale Frage.
3. Aufl. S. 91 f. Auf Pesch fußt Walter, a. a. O. S. 46 ff., ähnlich Schaub,
a. a. O. S. 194 ff.
- 64 -
legender Bedeutung gewesen wäre1). Jedenfalls erscheinen die
Kosten keineswegs nur insofern von Einfluß, als sie eine Verän-
derung der menschlichen Schätzung bedingen, so daß man von
einer subjektiven Werttheorie, die auch objektive Momente berück-
sichtigt, sprechen könnte. Vielmehr stehen die objektiven Momente
für Thomas durchaus im Vordergrunde, und sein Gedanke ist wohl
der, daß die subjektiven Schätzungen unter der Herrschaft der
Kosten stehen und nur die Aufgabe haben, der Durchsetzung des
Prinzips der Wiedervergeltung von Arbeit und Kosten zu dienen.
Die objektive Werttheorie enthält ein Sollen vom Stand-
punkte der Gesellschaft aus. Sie bedingt natürlich keinen absolut
festen Wert der Güter. Individuell abweichende Wertschätzungen
bleiben bis zu einem gewissen Grade durchaus gerechtfertigt.
Kann doch überhaupt der gerechte Preis der Güter nicht unbedingt
fest erfaßt werden: »iustum pretium rerum non est punctualiter
determinatum, sed magis in quadam aestimatione consistit; ita quod
modica additio vel minutio non videtur tollere aequalitatem iusti-
tiae«2). So kann es vom Standpunkte der Gesellschaft aus hin-
gehen, wenn das bürgerliche Recht im Falle der Verletzung der
Tauschgerechtigkeit erst dann zur Restitution zwingt, wenn ein
»defectus ultra dimidiam iusti pretii quantitatem« vorliegt, wenn
auch eine Ungerechtigkeit schon weit eher vorhanden ist, nur
nicht gestraft wird, wie es z. B. im römischen Rechte bestimmt
ist3). Kleine Schwankungen im Preise der Güter können unter
Umständen gerechtfertigt sein; sie müssen freilich in ihrer Größe
dem gesellschaftlichen Grundprinzip der Wiedervergeltung von
Arbeit und Kosten untergeordnet bleiben.
Damit ist im Grunde schon hingewiesen auf die ungeheure
Bedeutung, die Thomas der Lehre vom iustum pretium und damit
i) Vgl. S. 58.
2) II, II q. 77, a. 1, ad 1.
3) 1. 8. C. 4, 44, vgl. S. 15. Ein Tausch darf nicht rückgängig gemacht werden :
»nisi minus dimidia iusti pretii, quod fuerat tempore venditionis, darum esset.« Thomas
II, II q. 77, a. I, ad 1: »Et ideo lex humana non potuit prohibere quidquid est contra
virtutem ; sed ei sufficit, ut prohibeat ea, quae destruunt hominum convictum, alia vero
habeat quasi licita, non quia ea approbat, sed quia ea non punit. Sic ergo habet quasi
licitum, poenam non inducens, si absque fraude venditor rem suam supervendat, aut emptor
vilius emat nisi sit nimius excessus, quia tunc etiam lex humana cogit ad restituendum ;
puta si aliquis sit deceptus ultra dimidiam iusti pretii quantitatem.« Es ist aber zu
beachten, daß das Gerechtigkeitsprinzip als solches weitergeht, als hier im Rechte be-
stimmt ist. Das Recht bringt das iustum pretium wohl im Kerne, aber nicht voll
zur Ausführung.
- 65 -
seiner Wertlehre zuweist. Wir haben es, wenn wir den vollen
Kreis der dargelegten Gedanken überblicken, mit Forderungen
naturrechtlichen Inhalts zu tun.
Hier müssen wir kurz auf die thomistische Rechtslehre hin-
weisen. Dieselbe ist bereits bei Gelegenheit des Streites um den
Charakter der thomistischen Eigentumslehre eingehender behandelt.
Wir können uns daher kurz fassen.
Thomas1) unterscheidet zwischen dem ius naturale, dem ius
gentium und dem ius positivum. Im Naturrecht sind die Bestim-
mungen enthalten, die sich unmittelbar, aus der Natur des Men-
schen ergeben, wie sie vernünftigen und unvernünftigen Wesen
gemeinsam ist. Dahin gehört z. B. die Forderung des Gemein-
schaftslebens für den Menschen, die schlechthin naturnotwendig ist.
Dieses Naturrecht kann nun im positiven Recht vom Menschen in
doppelter Weise ausgestaltet werden: Einmal sind aus demselben
notwendige Folgerungen zu ziehen. Diese machen den Inhalt des
ius gentium aus: es enthält Normen, die notwendig sind, im Hin-
blick auf ihre Folgen für das soziale Gemeinschaftsleben. Die
Ausführung der Rechtsprinzipien zu näherer Bestimmtheit gehört
dem ius civile an2). Inhaltlich gehört das ius gentium noch zum
Naturrecht, zu dem Thomas selbst es an anderen Stellen rechnet3).
Zu diesen also inhaltlich naturrechtlichen Forderungen des
ius gentium gehören auch die Forderungen des gerechten Preises:
»Nam ad ius gentium pertinent ea, quae derivantur ex lege naturae
sicut conclusiones ex principiis, ut justae emptiones, . yenditiones et
alia huiusmodi, sine quibus homines ad invicem convivere non pos-
sunt; quod est de lege naturae, quia homo est naturaliter animal
sociale«4).
Wenn wir an die Begründung des Prinzips der Wiedervergel-
tung- von Arbeit und Kosten denken, so werden wir vor allem
diesem den hier im allgemeinen dem justum pretium zugesprochenen
naturrechtlichen Charakter beilegen dürfen6).
*) Vgl. zum Folgenden: Cathrein: »Das jus gentium im Römischen Recht und
beim hl. Thomas. Philos. Jahrb. II (1889) S. 374 ff. Femer: Walter a. a. O.,
S. 23fr. Schaub a. a. O., S. 259 ff. Kuhn a. a. O., bes. S. 35 f.
2; I, II q. 95, a. 4, c. II, II q. 57, a. 3, c.
3) Vgl. hierzu Cathrein: a. a. O.
*) I, II q. 95, a. 4, c.
5; An anderer Stelle hat Thomas einen etwas anderen Begriff des justum naturale.
11, II 57, a. 2, c. : »jus sive justum est aliquod opus adaequatum alteri secundum aliquem
aequalitatis modum. Dupliciter autem potest alicui homini esse aliquid adaequatum: uno
quidem modo ex ipsa natura rei, puta cum aliquis tantum dat, ut tantumdem recipiat,
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft 1. 5
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
— 66 —
§ 5. Die Quellen der thomistischen Wertlehre, insbesondere ihr
Verhältnis zu Aristoteles.
Im Vorangehenden ist die thomistische Wertlehre zur Dar-
stellung gelangt. Es bleibt jetzt die Aufgabe die dogmengeschicht-
liche Stellung derselben insbesondere ihr Verhältnis zur aristote-
lischen Wertlehre zu untersuchen1).
Ohne Zweifel ist der allgemeine Ideengang bei Thomas von
Aquin und Aristoteles derselbe. Die aristotelischen Anschauungen
über Wesen und Einteilung der Gerechtigkeit sind von Thomas
einfach übernommen. Vielleicht ist hier und dort eine Stelle falsch
und unrichtig erklärt. Jedenfalls handelt es sich dann um
Fragen, die mit vorliegender Arbeit nur in losem Zusammenhange
stehen und für das Verhältnis von Aristoteles und Thomas von
Aquin, wie wir es hier darzustellen haben, ohne Bedeutung sind;
der allgemeine Ideengang hinsichtlich des gerechten Preises trägt
bei Thomas ein spezifisch aristotelisches Gepräge.
Dagegen muß eine Frage eingehender behandelt werden,
die im Mittelpunkt der Lehre vom gerechten Preise steht. Wir
fanden bei Thomas die eigentümliche Verbindung von objektiven
und subjektiven Momenten im Tausche. Geht diese auf Ari-
stoteles zurück oder tritt sie bei Albertus Magnus und Thomas
von Aquin ursprünglich auf oder versuchen hier die beiden
Scholastiker den Ideenkreis früherer Zeiten mit dem des Aristoteles
zu vereinigen?
Xun sind, worauf wir schon oben hingewiesen haben, die
Stellen im 5. Buche der nicomachischen Ethik, die von der Wert-
lehre handeln, nicht durchaus klar. Auch heute noch werden sie
von den verschiedenen Erklärern verschieden erklärt2).
Ohne nun die Frage endgültig entscheiden zu wollen, scheint
mir Aristoteles an den bezeichneten Stellen lediglich vom Bedürfnis
als Wertmaß der Güter zu sprechen. Wir haben bereits oben
et hoc vocatur jus naturale. Alio modo aliquid est adaequatum vel commensuratum alten
ex condicto sive ex communi placito.« Das letztere ist das jus positivum. Hiernach
würde also die Tauschgerechtigkeit unmittelbar dem justum naturale angehören.
x) Zur aristotelischen Wertlehre s. vor allem: Kaulla: Die Lehre vom gerechten
Preis usw. Z. f. ges. St. 1904, S. 582 ff. Brentano: Entwicklung d. Wertlehre.
Sitzungsb. d. k. b. Ak. d. W., München 1908, S. 8 ff. O. Kraus: Die aristotelische
Werttheorie in ihren Beziehungen zu den Lehren der modernen Psychologenschule. Z.
f. g. St. 1905, S. 573 ff. Johann Zmavc: Die Werttheorie bei Aristoteles u. Thomas
von Aquin. Archiv f. Philosophie (Geschichte) 1899. S. 407 ff., sowie die weiter unten
angeführte Literatur.
2) Vgl. oben S. 40 f., vgl. im Folgenden.
— 67 -
darauf hingewiesen, daß manche Ausdrücke Veranlassung geben
könnten, bei Aristoteles eine Berücksichtigung objektiver Faktoren
zu finden x). Aber wenn man diese Stellen im Zusammenhang
erwägt, wonach bei den Erörterungen über den Tausch dem Be-
dürfnis eine zentrale Stellung zugewiesen ist, so lassen sich die-
selben ohne Zweifel restlos und ungezwungen in rein subjektivem
Sinne erklären. Und eben deshalb scheint mir die Einführung
objektiver Momente in die Erklärung des Aristoteles nicht gerecht-
fertigt zu sein.
Aristoteles spricht zunächst davon, daß die Wieder Vergeltung
nach geometrischer Proportion erfolge und Ähnlichkeit habe mit
dem Kreuzen der Diagonalen eines Parallelogramms und fährt
dann fort: »Ist nun zunächst das nach Proportion Gleiche fest-
gestellt und findet danach der Entgelt statt, so ist dieser Vorgang
der von uns bezeichnete. Mangelt es daran, so findet keine
Gleichheit statt, und der Austausch läßt sich nicht aufrecht erhalten.
Denn da hindert nichts, daß das Erzeugnis des einen das des
anderen an Wert übertreffe. Es muß also Gleichheit zwischen
beiden ausdrücklich hergestellt werden«2).
Es muß also Gleichheit zwischen den verschiedenen Pro-
dukten hergestellt werden: »de! ovv xavxa loaoftfjvai«. Oder wie
es gleich darauf von den verschiedenen Tauschkontrahenten heißt:
»dXXd xovxovg dei loao&rivai«. 3).
Alle Tauschgegenstände werden nun durch das Geld gemessen
und vermittels desselben einander gleichgesetzt und zwar muß die
Gleichsetzung in bestimmter Weise erfolgen: -»dei xoivvv öjieq ol-
xodojuog jzqÖq oxvxoxö/uov xooaöi vjiodrjjuaxa Jioög oixiav rj XQO<pr]v« 4).
Das Geld ist aber nur Vertreter eines anderen Maßes; es
ist entstanden als ein »vjidXXay /ua xrjg %Qeia<;«. In Wirklichkeit
werden die Güter nach ihrer Beziehung zum menschlichen Be-
dürfnis einander gleichgesetzt: „Sei äga evi xivi ndvxa juexqeio$cu.
rovxo de l'oxc xfj juev aXrjfteiq fj xQ£^ai *] ^o.vxa övve%ei". Werden die
Güter in dieser Weise gemessen und mit einander verglichen,
dann kann die Forderung gerechter Wiedervergeltung erfüllt
werden: »eoxai drj ävxuiEJiov&ög , oxav ioaofifj, ojoxe öjieq yEcogyög
Jigog oxvxoxöfjiov, xb EQyov xo xov oxvxoxö/uov Jigög xö xov y£cooyov«&).
x) Vgl. oben S. 40 f.
2) Nie. Ethik V, 8 (Übersetzung von Lasson, S. 105).
3) 1. c.
4) 1. c.
6) 1. c.
5*
— 68 —
Es wird also hier von einem Unterschied zwischen den beiden
Tauschkontrahenten gesprochen, der das Austauschverhältnis ihrer
Produkte bestimmen soll. Würdigt man diese Stelle im Zusammen-
hang, so kann doch wohl nur die Erklärung richtig sein, die
Kaulla1) und andere derselben gegeben haben: Das Produkt des
Landmanns befriedigt ein Bedürfnis von bestimmter Größe, ebenso
das Produkt des Schusters. Treten sich nun Landmann und
Schuster einander zum Tausche gegenüber, so hat der Landmann
ein bestimmtes Bedürfnis nach Schuhwerk, der Schuster ein be-
stimmtes Bedürfnis nach Getreide. Setze ich nun das Verlangen
des Landmanns nach Schuhen der Stärke nach = i, so ist vielleicht
das des Schusters nach einem Scheffel Getreide doppelt so stark,
= 2. Dann muß dieser Unterschied zwischen der Bedürfnisstärke
der beiden Tauschkontrahenten, der schlechthin als der Unterschied
zwischen Schuster und Landmann erscheint, im Austauschverhältnis
ihrer Produkte wiederkehren, d. h. es müssen 2 Paar Schuhe
gegen einen Scheffel Getreide gegeben werden. Die Tausch-
gegenstände mögen also an sich verschieden und insofern genau
genommen unvergleichbar sein: Im Hinblick darauf, daß Menschen
ihrer bedürfen, bilden sie eine gewisse Einheit, die eine Ver-
gleichung zuläßt2).
Auf die Frage, welche Momente im einzelnen das Bedürfnis
nach den Gütern bestimmen, geht Aristoteles an der betreffenden
Stelle in der nicomachischen Ethik nicht näher ein. Eingehender
kommt er darauf in anderen Werken, so vor allem in der Pvhetorik
zu sprechen. Er will hier zeigen, woher ein Redner beim An-
*) Kaulla: Die Lehre vom gerechten Preis usw. Z. f. g., St. 1904, S. 585:
Es wird Aristoteles zitiert: »Die Vergeltung wird eine verhältnismäßige sein, wenn eine
Gleichheit vorhanden ist, so daß, wie z. B. der Landmann (seil, zu seinem Bedürfnis
nach Schuhwerk) zum Schuster (seil, zu dessen Bedürfnis nach landwirtschaftlichen Er-
zeugnissen) sich verhält, so die Arbeit des Schusters (im Wert) zu der des Landmanns
sich verhält.« Ähnlich Brentano a. a. O., S. 9.
2) Nie. Eth. 1. c. Atfj fisv ovv äXtj&eiq. ddvvarov ra roaovtov öiacpioorra ov/nfistga
ycvio&at, nQog Sk rtpi yoelav hbsyszai ixavcog.« Karl Marx (Kapitel I, 4, S. 26 f.)
und im Anschluß an ihn Hohoff (Monatsschr. f. Christ. Sozialref. XV, 1893, S. 28gff.
u. S. 303 ff.) erklären diese Stelle dahin, daß, nachdem Aristoteles zunächst das Be-
dürfnis, dann das Geld als gemeinsames "Wertmaß bezeichnet habe, er nun stutze und
diese Gleichsetzung als etwas der wahren Natur der Dinge Fremdes, also nur als »Not-
behelf für das praktische Bedürfnis« ansehe. Die wahre Gleichheit der Tauschgegen-
stände, die menschliche Arbeit, habe Arist. nicht entdecken können, jedoch die Unzu-
länglichkeit der subjektiven Werttheorie gefühlt. Die Unrichtigkeit dieser Erklärung
hebt mit Recht Zmavc a. a. O., S. 415 hervor.
- 6g -
und Abraten seine Beweisgründe zu nehmen habe1), und erörtert
zu diesem Zwecke den Begriff des Gutes und die Gründe, die die
Menschen bestimmen, irgendwelche Güter höher als andere zu
schätzen. Im Zusammenhang hiermit äussert er manche Gedanken,
die für seine Wertlehre von Wichtigkeit sind. Außerdem kommen
noch gelegentliche Äußerungen in anderen Werken in Betracht2).
Wir beschränken uns auf die Hervorhebung des für uns Wichtigen.
Zunächst erscheint auch hier das menschliche Bedürfnis als
entscheidend für das Wesen der wirtschaftlichen Güter.
Ein Gut ist dasjenige, erklärt Aristoteles, wonach alle Wesen
streben, durch dessen Besitz man sich wohl und zufrieden fühlt,
oder das, was diesen Zustand hervorzubringen oder zu erhalten
imstande ist. Ein Gut in diesem Sinne ist auch der Reichtum,
der Besitz äußerer Güter3). Diese Güter lassen Abstufungen zu
nach dem Grade, in welchem sie uns Befriedigung gewähren:
»Das Lustvollere ist ein grösseres Gut, als das geringere Lust
Gewährende« 4). Das ist ein höheres Gut, »dessen Entbehrung
fühlbarer ist« 5). Damit ist gegeben, daß das Gut, das dem End-
zweck der Bedürfnisbefriedigung näher steht als ein anderes, an
sich ein größeres Gut ist6).
Die abstrakte Nützlichkeit und die Seltenheit eines Gutes
sind dann des näheren die Faktoren, die den Güterwert bestimmen.
Dem subjektiven Momente des Bedürfens untergeordnet ist
auch durchaus der Einfluß der Kosten und Aufwendungen. Sie
erscheinen nicht wie bei Thomas als selbständige, an sich den
Wert bestimmende Momente. So hebt Aristoteles hervor: Etwas,
worauf wir viele Mühe und Kosten verwendet haben, erscheint
uns schon deshalb als Gut: »Auch das, worauf man viele Mühe
oder Kosten verwendet hat; denn das erscheint schon als ein Gut
und wird als ein solches zum Endzweck gemacht und zwar zum
Endzweck von Vielem; der Endzweck ist aber immer ein Gut«7).
Hohe Kosten und Seltenheit als wertbildende Momente fallen
nach Aristoteles häufig zusammen und bedingen sich gegenseitig.
Worauf er in folgenden Sätzen hinweist: »Sodann ist das Seltenere
*) Vgl. Rhetor. I, c. 7, i. f.
2) Vgl. des näheren Kraus: Die aristotelische Werttheorie. S. 573 ff.
3) Rhet. I, c. 6.
4) 1. c, c. 7.
6) 1. c.
6) 1. c.
') Rhet. I, c. 6.
— 7° —
ein größeres Gut als das Häufigere; z. B. Gold ein größeres als
Eisen, obgleich es minder ist; denn der Erwerb desselben ist
etwas höheres, weil er schwieriger ist«. . . . Im Allgemeinen wird
das »Schwerere höher geschätzt als das Leichtere; denn es ist
seltener« x). Zur Erklärung der Begriffe schwer und leicht ist
eine Stelle aus dem vorhergehenden Kapitel heranzuziehen: »Leicht
ist, was ohne Beschwerde oder in kurzer Zeit vollbracht wird;
denn das Schwere wird als solches bezeichnet entweder durch
die Beschwerlichkeit oder die Größe des Zeitaufwandes« 2).
Dies sind im wesentlichen die Bestimmungen, die für die
Wertlehre des Aristoteles in Betracht kommen. Sie erinnern
zuweilen an die Sätze der modernen Grenznutzentheorie3). Freilich
hat Aristoteles ihre Bedeutung für den Tausch der Güter und
das in diesem zu verwirklichende Gerechtigkeitsprinzip nicht erörtert.
Vergleicht man nun die aristotelischen Gedanken mit der
thomistischen Wertlehre, so ergeben sich wichtige Gesichtspunkte.
Zunächst müssen wir die Erklärung der Gerechtigkeit im
Tausche im objektiven Sinne als unrichtig ansehen: Thomas er-
klärt den Unterschied, der zwischen den Tauschkontrahenten be-
stehen soll, als einen Unterschied hinsichtlich der von beiden auf-
gewendeten Arbeit und Kosten, sich hierin seinem Lehrer Albertus
Magnus anschließend. Freilich ist diese unrichtige Erklärung
durch den dunkeln und unklaren Text des Aristoteles selbst zum
großen Teil veranlaßt und entschuldigt. Auch moderne Erklärer
interpretieren zum Teil noch die betreffenden Stellen in ähnlichem
oder demselben Sinne. Bereits oben ist hierüber gesprochen
worden4).
Aber trotz der damit gegebenen prinzipiellen Verschieden-
heit kann man die thomistische Wertlehre noch insofern als durch-
aus aristotelisch bezeichnen, als die mittelalterlichen Erörterungen
über den Wert, wie über wirtschaftliche Dinge überhaupt sich
emporgerankt haben an Aristoteles: »Dem Philosophen« meinten
Albertus Magnus und Thomas auch in ihrer Wertlehre und in
den Bestimmungen hinsichtlich der Tauschgerechtigkeit zu folgen,
wenn sie ihn auch tatsächlich unrichtig erklärt haben. Eine ge-
x) Rhet. I, c. 7.
2) Rhet. I, c. 6: y>QÖ.8ia 8e oaa r) ävev Xtuirjg 1} iv öXlym xgovcp. ro yag yaXenov
ogiCetai fj Xvzifl tj jzXrj&si %QÖvov.« Unter Xvjirj kann man mit Kraus a. a. O., S. 589
wohl soviel wie »Opfer« überhaupt verstehen.
3; Vgl. Kraus a. a. O., S. 573 ff., wo interessante Parallelen aufgedeckt sind.
*) Vgl. oben S. 40 f.
— 7i —
wisse Weiterführung aristotelischer Gedanken wird man bei ihnen
allerdings zugeben müssen; denn schon, wenn man die Erklärung
der Wiedervergeltung im objektiven Sinne, wie Thomas sie gibt,
im Prinzip für richtig halten wollte, so bedeutete doch die Auf-
lösung des Unterschiedes zwischen den Tauschenden in einen
solchen von Arbeit und Kosten eine Ausgestaltung1).
Der Kommentar zur Ethik enthält mehr als eine einfache
Wiederholung aristotelischer Gedanken, er will eben ein tieferes
und volleres Verständnis des Stagiriten ermöglichen und bietet
deshalb manches Eigene und Selbständige. Freilich wird in
vorliegendem Falle der Sinn des Aristoteles nicht richtig erfaßt.
Nun scheint mir aber die letztere Tatsache mit dem bloßen
Hinweis auf die Schwierigkeit des Verständnisses der nikomachi-
schen Ethik nicht genügend erklärt zu sein. Wir haben es viel-
mehr ohne Zweifel bei der thomistischen Wertlehre auch mit Ge-
danken zu tun, die ihren letzten Ursprung in den wirtschaftlichen
Verhältnissen des Mittelalters haben. Allerdings tritt dieses Mo-
ment bei dem straffen, sich streng an den Text des Aristoteles
haltenden Text der thomistischen Kommentare etwas zurück.
Anders bei Albertus Magnus, der ausführlich und unter häufigen
Digressionen die aristotelischen Gedanken umschreibt'2). Die mittel-
alterliche civitas erscheint hier mit ihrer berufsmäßigen, arbeits-
teiligen Produktion als Ausgangs- und Mittelpunkt der Betrach-
tung. Die Bürger sollen im gleichen Maße für einander arbeiten.
Die Wiedervergeltung nach Arbeit und Kosten, also Ersatz der
Aufwendungen und Vergeltung der persönlichen Arbeit mit dem
standesgemäßen Lebensunterhalt ist das Prinzip, ohne das die un-
umgänglich notwendige Arbeitsteilung innerhalb der Stadt nicht
aufrecht erhalten bleiben kann3). Thomas gibt derselben Idee
naturrechtliche Form4). Kurz, es sind Gedanken, die man allen-
falls im Keime bei Aristoteles finden kann, die aber letzten Endes
l) Zmavc a. a. O., S. 422. Kraus a. a. O., S. 589, Anmerkung 2: nimmt an,
daß Thomas die in der Rhetorik entwickelten Gedanken über die Bedeutung der Kosten
für die Schätzung der Güter (S. ob. S. 69 f.) zur Kommentierung der nikomachischcn
Ethik benützt habe. Doch weisen weder Albertus Magnus noch Thomas darauf hin.
Zudem ist der Charakter der beiden Stellen so verschieden, daß man sie zu ihrer gegen-
seitigen Interpretierung kaum verwenden kann, selbst dann, wenn man wie Kraus
'a. a. O., S. 591) bei Aristoteles den Gedanken einer Wiedervergeltung von Arbeit u.
Kosten findet. Vgl. zudem S. 59, 63 f.
2^ Vgl. oben S. 45 ff.
3 Vgl. oben S. 5 2 f.
4) Vgl. oben S. 65.
— 72 —
doch von außen hineingelegt sind, und die in dieser Ausprägung
und Form nur vom Boden der wirtschaftlichen Verhältnisse des
Mittelalters aus begriffen und verstanden werden können. Der
Gedanke, der die mittelalterliche Stadtwirtschaft beherrscht, der
zumal auch in der Zunftverfassung zur Ausgestaltung kommt, ist
der, daß in der civitas jedem seine Existenz ermöglicht sein müsse.
Die herrschende Motivrichtung des mittelalterlichen Wirtschafts-
lebens ist, wie Sombart betont, das Bedarfdeckungsprinzip1); es
fehlt der kapitalistische Geist, für den der Reichtum Selbstzweck
und die Aussicht auf Gewinn maßgebend ist. Das Streben des
Handwerkers, der für das Mittelalter typisch ist'2), charakterisiert
Sombart dahin: »ein standesgemäßes Auskommen strebt er an,
nicht weniger, aber vor allem auch nicht mehr. Seine gewerb-
liche Arbeit soll ihm die materielle Basis für seine Existenz: seine
»Nahrung« verschaffen, das Handwerk soll seinen Mann nähren«3).
Die thomistische Wertlehre, die, wie früher gezeigt, jedem den
standesgemäßen Unterhalt garantieren will, ist nichts anderes als
der adaequate Ausdruck der wirtschaftlichen Zustände des
Mittelalters.
So kam es unter Führung des Aristoteles, der freilich aus
den wirtschaftlichen Verhältnissen des Mittelalters heraus verstanden
und erklärt wurde, zum ersten Mal seit der Patristik zu einer
inneren Fortentwicklung der Wertlehre. Die thomistische Wert-
lehre mit ihrem objektiven Charakter ist freilich von der bei
Augustinus im Keime vorliegenden subjektiven Theorie durchaus
verschieden und stellt keine innere Ausgestaltung derselben dar.
Freilich kommen in anderer Weise in dem Prinzip der Wieder-
vergeltung von Arbeit und Kosten augustinische Ideen zur Gel-
tung. Augustinus hatte von einer sozialen Auffassung des Ge-
meinschaftslebens ausgehend unter Anwendung des paulinischen
Grundsatzes, daß jeder Arbeiter seines Lohnes wert sei, den Handels-
gewinn als gesellschaftlichen Arbeitslohn gerechtfertigt. Die Höhe
des Einkommens sollte dem Stande angemessen sein. Die allge-
meinen Grundsätze, die Augustinus hier auf den Handel anwendet,
kehren in der thomistischen Wertlehre wieder, indem auch letzterer
der Gedanke zugrunde liegt, daß die Gesellschaft dem, der für sie
arbeitet, ein standesgemäßes Auskommen sichern müsse. Aller-
dings waren die Ideale Augustins in den wirtschaftlichen Zu-
a) Der moderne Kapitalismus I, S. 6if.
2) a. a. O., S. 71.
3) a. a. O., S. 86.
— 73 —
ständen, die Thomas umgaben, in weitgehendem Maße ver-
wirklicht1).
Noch nach einer anderen Richtung hin führt ein Blick auf
die mittelalterliche Stadtwirtschaft, wie sie aus Thomas selbst
sich uns gezeigt hat, zu einem tieferen Verständnis seiner Wert-
lehre. Die Stadt Wirtschaft erscheint als Wirtschaft des direkten
Austausches zwischen Produzent und Konsument. Auch Bücher
schildert sie in derselben Weise2). Unter diesen Verhältnissen
ist die Preisbildung eine ganz andere als etwa heute. Auf dem
mittelalterlichen Markte bildet sich tatsächlich für die einzelnen
Produkte ein bestimmter Marktpreis, den die Tauschkontrahenten
als gerecht ansehen, und dessen Nichteinhaltung als Übervorteilung
empfunden wird. Wenn Thomas daher als allgemeine Norm die
Einhaltung dieses normalen, durchschnittlichen Wertes der Waren
verlangt, so ist auch das als Spiegelbild der allgemeinen Preis-
bildung verständlich; ebenso wie die früher erörterte Behandlung der
Ausnahmefälle von dieser allgemeinen Regel, die für unser mo-
dernes Empfinden ganz unbegreiflich ist, verständlich wird, wenn
wir uns den kleinbürgerlichen Rahmen der mittelalterlichen Preis-
bildung vergegenwärtigen. Thomas konnte also auch hier die
augustinische Lehre von dem normalen, gerechten Preis vertreten,
ohne mit der Wirklichkeit in Widerspruch zu kommen. Er konnte
endlich auch, was für sein Verhältnis zu Aristoteles bedeutsam
ist, sich dessen Forderung anschließen, daß der Wert der zu tau-
schenden Güter gleich sein müsse, wenn der Tausch nach Gerech-
tigkeit vor sich gehen solle. Denn die Durchführung des Äquiva-
lenzprinzips im Tausche ist bei Annahme eines allgemeingültigen,
normalen Wertes leicht möglich.
Bezüglich der Bedeutung des Bedürfnisses im Tausche konnte
Thomas mit Recht Aristoteles folgen. Sowohl die allgemeinen
Anschauungen über das Wesen der wirtschaftlichen Güter, wie
auch die Bestimmungen bezüglich der Schätzungen derselben im
einzelnen tragen ein spezifisch aristotelisches Gepräge. Thomas
selbst macht in den bei Behandlung seiner Wertlehre angeführten
Äußerungen vielfach auf Aristoteles als seine Quelle aufmerksam3).
Freilich ergibt eine genauere Vergleichung, daß der überraschende
Tiefblick des Stagiriten hinsichtlich der psychologischen Vorgänge
J) Die Übereinstimmung des mittelalterlichen Wirtschaftslebens mit den Forde-
rungen der Patristik hervorgehoben bei: Troeltsch, Archiv XXVII, S. 60 ff.
2) Entstehung der Volkswirtschaft, S. 135 ff.
3) Vgl. s. 53 ff.
— 74 —
bei der Bewertung der Güter von Thomas nicht erreicht wird;
daß er jedoch selbständig eine tiefere Begründung des durch-
schnittlichen, normalen Wertes der Güter zu geben versucht, ist
bereits früher hervorgehoben worden1).
In diesem Zusammenhange ist nun noch auf eines hinzuweisen.
An der Stelle, wo er die für die Stellung des Bedürfens im Tausche
in Betracht kommenden aristotelischen Äußerungen wiedergibt,
schiebt er den oben genannten Gedanken Augustins ein, daß wir
im Tausche die Güter nicht nach ihrer natürlichen Rangordnung
betrachten, sondern nach ihrer Bedeutung für das menschliche
Bedürfnis. Auch bei Albertus Magnus wird dieselbe Stelle an-
geführt 2). Freilich führen beide in ihren Kommentaren sie
nicht ausdrücklich auf Augustinus zurück. Wo Thomas jedoch
in der Summa von der subjektiven Wertlehre spricht, zitiert er
nicht Aristoteles, sondern jetzt ausdrücklich Augustinus3). In diesem
Punkte also traf, so scheint es, die Autorität Augustins mit der
des Stagiriten zusammen, ein etwas äußerlicher Ausgleich, der
aber für das methodische Vorgehen charakteristisch ist, das Thomas
bei inneren Verschiedenheiten der augustinischen und aristotelischen
Gedankenwelten zwecks Herstellung- einer Synthese einzuschlagen
pflegt4).
Die thomistische Wertlehre trägt den Charakter der mittel-
alterlichen Philosophie überhaupt. Sie gleicht dieser in ihrer
receptiven Art, indem sie ausgebaut wird unter reichlicher Ver-
wendung des in früheren Zeiten Geschaffenen. Sie gleicht der
Philosophie des 13. Jahrhunderts in der eigentümlichen Verbindung
aristotelischer und augustinischer Gedanken, wie ja Thomas eben-
sosehr an dem Kirchenvater, wie an dem griechischen Philosophen
orientiert ist6). Freilich hatte Albertus Magnus schon wesentlich
vorgearbeitet, so daß das Verdienst, das speziell Thomas zuzu-
schreiben ist, verhältnismäßig gering ist. Und wie man endlich
der mittelalterlichen Philosophie keineswegs alle Originalität ab-
sprechen kann, so wird man auch hier Albertus Magnus und
*) S. oben S. 60 f.
2) S. oben S. 43 sowie S. 49.
3) II, II q. 77, a. 2, ad 3.
4) Vgl. hierzu im allgemeinen: v. Hertling, Augustinus - Zitate bei Thomas
v. Aquin. S. 558.
5) De Wulf: Histoire de la philosophie medievale, S. 423: »Enfin il a etabli
une etroite fusion de l'aristotelisme avec un groupe important de doctrines reprises de
S. Augustin «.
Thomas von Aquin eine gewisse Selbständigkeit nicht abstreiten
dürfen. Dafür spricht schon die Tatsache, daß ihre Wertlehre
wohl in erster Linie aus den wirtschaftlichen Verhältnissen des
Mittelalters erwachsen ist.
§ 6. Der gerechte Preis im Handel.
Bereits früher ist über die Bedeutung gesprochen, die Thomas
der wirtschaftlichen Funktion des Handels beilegt1). Wir hatten
sodann gesehen, daß die Tätigkeit des Händlers sich in der Weise
vollzieht, daß durch Kauf und Wiederverkauf einer Ware ein
Gewinn erzielt wird2).
Wir kommen jetzt zu der Frage: ist dieser Gewinn sittlich
erlaubt? Darf der Kaufmann einen Gewinn berechnen, ohne gegen
die Grundsätze der Gerechtigkeit zu verstoßen? Schließt nicht
vielleicht die Idee des justum pretium den Handelsgewinn aus?
Die aristotelischen Gedanken bewegen sich entschieden in
letzterer Richtung3). Es ist oben gezeigt, daß Thomas in der
Erfassung der wirtschaftlichen Struktur des Handels durchaus auf
Aristoteles fußt. Doch folgt er ihm in der sittlichen Beurteilung
desselben nicht. Hier schließt sich Thomas vielmehr an Augustinus
an. Es ist früher darauf hingewiesen, wie dieser von der wirt-
schaftlichen Bedeutung des Handels ausgehend, den Handelsgewinn
gewissermaßen als »gesellschaftlichen Arbeitslohn« rechtfertigt4).
Dieser augustinische Gedanke ist für die Folgezeit richtunggebend
gewesen.
Er trat Thomas einmal aus Augustinus selbst entgegen; dann
war aber auch die ganze bisherige Beurteilung des Handels in
der Scholastik vor Thomas von denselben Prinzipien getragen
gewesen.
Alexander Halensis(f 1245) kann hier in gewisser Beziehung
als typisch gelten5). Auf Augustinus sich stützend, nimmt er zu
dem bekannten Worte aus Pseudo-Chrysostomus Stellung, daß der
Kaufmann sündige, der, um zu gewinnen, eine Sache unverändert
weiter verkaufe. Er verlangt einmal, daß der Händler von einer
»necessaria et pia causa« geleitet werde, also zwecks Beschaffung
des Lebensunterhaltes für sich und seine Familie Handel treibe,
1) Vgl. S. 22 ff.
2) Vgl. S. 31.
3) Vgl. S. 26 f. sowie S. 29, Anm. 2.
4) Vgl. S. ioff.
s) Vgl. zum Folgenden Summa theologica III, q. 50, m. I.
— 76 —
sowie daß er auf den Nutzen des Staates sehe, »cui conferunt
negociationes«. Im übrigen sei ein höherer Verkaufs- als Einkaufs-
preis gestattet im Hinblick auf die Arbeit des Transportes und
die Mühe und Sorge, die mit der Übernahme der Gefahr der
Aufspeicherung der Waren verbunden sei. In beiden Fällen ver-
kaufe der Händler die Sache nicht mehr, »ut integram et inmu-
tatam vendendo lucretur«. Die Waren seien vielmehr verändert,
auch wenn sie der Substanz nach dieselben geblieben wären. Ferner
wird vom Kaufmann Einhaltung des gerechten Preises verlangt1).
Zumal letztere Bestimmung, bemerkt jedoch Alexander, werde
häufig nicht eingehalten, so daß der Handel kaum ohne Sünde
betrieben werden könne2). Die prinzipielle Anerkennung des Handels
wird jedoch hiermit keineswegs aufgehoben.
Diese im Kerne augustinische Beurteilung des Handels —
augustinisch in der Einreihung desselben in das soziale Ganze, in
der Rechtfertignng des Gewinnes als Arbeitslohnes — erfuhr auch
unter dem Einflüsse aristotelischer Gedanken keine wesentlichen
Veränderungen.
Die Auseinandersetzung mit Aristoteles beginnt bereits bei
Albertus Magnus. Der Handelsgewinn hat, so hebt er gelegentlich
hervor, Ähnlichkeit mit dem Zins: »Si autem spes facit usuram,
tunc negotiator videtur usurarius, quia sperat accipere ultra sortem«.
Und doch besteht zwischen Handels- und Zinsgeschäft ein tief-
gehender Unterschied; letzteres ist nach natürlichem und gött-
lichem Rechte verboten, ersteres dagegen gestattet3).
Für die Rechtfertigung4) des Handels ist wieder der Gesichts-
punkt entscheidend, daß derselbe für die menschliche Gesellschaft
durch Ausgleichung des Mangels hier und des Überflusses dort
unentbehrlich und von großem Nutzen ist. Vom Boden dieser
wirtschaftlichen Tatsache aus erfolgt die ethische Beurteilung:
»Adhuc negotiationes utiles sunt toti terrae asportando abundantia
in terra aliqua et reportando deficientia: nihil autem utilitati commu-
nitatis deserviens est peccatum. Ergo negotiationes tales non sunt
peccatum : non ergo generaliter dicere debuit de negotiatione, quod
esset peccatum«.
Wenn daher ein Handelsgeschäft als unerlaubt zu bezeichnen
ist, so liegt das nicht am Handel als solchem, sondern an äußeren
1) Die Bestimmung desselben s. S. 62, Anm. 4.
2) 1. c, m. 2.
3) Sent. III, 37; a. 13.
*■) Vgl. zum Folgenden Sent. IV, 16 a. 46.
— 11 —
Umständen1). Als derartige äußere Umstände möchte Albertus
als für seine Zeit (»temporibus modernis«) besonders wichtig folgende
namhaft machen: i. Momente, die in der Person des Handel-
treibenden begründet sind: Ein Geistlicher oder Mönch darf sich
nicht mit Handelsgeschäften befassen2). 2. Umstände, die einen
Handel als zeitlich unerlaubt erscheinen lassen: Das Handeln an
Festtagen ist verboten. Ferner darf dann kein Handel getrieben
werden, wenn dadurch wahrscheinlich eine Teuerung hervorgerufen
würde; wenn z. B. jemand alles Getreide gleich nach der Ernte
aufkaufen wollte, um dann den Preis steigern zu können. 3. Der
Handelsgewinn ist, und darauf kommt es hier an, nur dann erlaubt,
wenn bei Kauf und Verkauf einer Ware das justum pretium bezahlt
und berechnet wird. Dieses justum pretium bestimmt, wie früher
dargelegt, Albertus Magnus dahin: »Justum autem pretium est
quod secundum aestimationem fori illius temporis potest valere res
vendita.« Der erlaubte Handelsgewinn bedeutet also keine Über-
schreitung des gerechten Preises.
Wenn aber Kauf und Verkauf, die beiden commutationes,
die ein Kaufmann vornimmt, sich nach den Grundsätzen der Ge-
rechtigkeit vollziehen, so gilt vom Handel das, was vom Tausche
überhaupt gilt, daß er das Zusammenleben der Bürger, die civi-
litas, nicht nur nicht stört, sondern im Gegenteil begründet und
stärkt. Und wenn es das Streben der Moral ist, das menschliche
Zusammenleben zu ermöglichen, so kann vom moralischen Stand-
punkt aus um so weniger gegen den Handel eingewendet werden.
Den angeführten Gedanken über die Wirkung des Tausches
innerhalb der menschlichen Gesellschaft entnimmt Albertus Magnus
der Ethik des Aristoteles. Er geht jedoch weiter als letzterer
und wendet ihn auch auf den Handel an, den Aristoteles in der
Politik, die Albertus allerdings noch nicht verwertet, verwirft.
In bemerkenswerter Weise aber werden hier schon Augustinus
und Aristoteles verschmolzen: Man sieht, auch bei Aristoteles
finden sich gewisse Prinzipien, aus denen heraus der Handel ge-
rechtfertigt werden konnte.
Hatte die Auseinandersetzung der augustinischen Anschauung
vom Handel mit der des Aristoteles bei Albertus Magnus begonnen,
J) Das folgende bietet Alexander Halensis bereits in ähnlicher Zusammenstellung,
nur fügt derselbe noch hinzu, der Handel könne unerlaubt sein: ex circumstantia con-
sortii: »cum scilicet carius venditur res transeuntibus quam manentibus.« S. Th. III,.
q. 50, m. 1.
2) Vgl. c. 3, C. 14, q. 4. Hier wird den Geistlichen der Handel verboten.
— 7« —
so wird dieselbe von Thomas vollendet und zum Abschluß ge-
bracht, indem er die grundlegenden Ausführungen der aristo-
telischen Politik heranzieht.
Im Grunde ist die Stellung, die Thomas zum Handelsgewinn
einnimmt, der der früheren Scholastik ähnlich. Der Kern seiner
Ausführungen ist wieder der augustinische Gedanke, daß der
Handel für die menschliche Gesellschaft nutzbringend ist und die
menschliche Gesellschaft deshalb dem Kaufmann eine wirtschaft-
liche Existenz ermöglichen muß. Der Handelsgewinn erscheint
wieder als »gesellschaftlicher Arbeitslohn«. Der Handel ist erlaubt,
sagt Thomas, »cum aliquis negotiationi intendit propter publicam
utilitatem, ne scilicet res necessariae ad vitam patriae desint, et
lucrum expetit non quasi finem, sed quasi Stipendium laboris« 1).
An einer anderen Stelle heißt es ähnlich: »illa, sine quibus
non potest respublica conservari, non sunt vitia, sed magis ad
virtutem ordinata.« Zu diesen unentbehrlichen Erwerbszweigen
gehöre auch der Handel: »per quam necessaria populo procurantur« 2).
Der Handelsgewinn hebt die Gerechtigkeit des Preises nicht
auf. Freilich könnte es so scheinen; denn die Erzielung eines
Gewinnes ist mit dem Gedanken unvereinbar, daß ein Gut als
solches einen bestimmten gerechten Preis besitze, einen normalen
Wert habe, so wendet Thomas selbst ein. Beim Handel haben
wir es mit 2 Preisen zu tun, die derselben Ware beigelegt werden.
Der Gewinn scheint nur erzielt werden zu können, wenn eine
Ware zu billig eingekauft und zu teuer verkauft wird3).
Doch bereits oben ist darauf hingewiesen worden, daß Thomas
einen unveränderlichen abstrakten Wert nicht kennt. Der Markt-
preis ist vielmehr nach Ort und Zeit verschieden4). Und wenn
ein Händler durch Ausnützung dieser Verschiedenheiten einen
Gewinn erzielt, so ist dies durchaus gestattet.
Der Handelsgewinn ferner ist nach dem eben gebrachten Zitat
im letzten Grunde Arbeitslohn, und wenn im Tausche nach dem
Wertgesetz eine Wiedervergeltung von Arbeit und Kosten statt-
finden soll, wenn die Güter ausgetauscht werden sollen nach den
verhältnismäßigen Kosten, dann darf auch der Kaufmann für
seine Mühewaltung einen Lohn berechnen, der als Wieder-
erstattung seiner Arbeit erscheint. Und insofern der Handels-
J) II, II q. 77, a. 4. c. Vgl. S. 21 ff.
2) Sent. IV, 16, q. 4, a. 2. 3.
3) II, II q. 77, a. 4. ob. 2.
4) Vgl. oben S. 56 sowie die folgende Anmerkung.
— 79 —
gewinn als Arbeitslohn erscheint, steht er im Einklang mit dem
Wertgesetz, er wird gerechtfertigt aus dem Gesichtspunkt der
Wertlehre heraus. Es liegt hier eine bedeutungsvolle Anwendung
der Grundsätze des iustum pretium vor. Wenn es gestattet ist,
schon dann, wenn jemand durch Zufall veranlaßt wird, ein ge-
kauftes Gut wieder zu verkaufen, ohne an den früheren Preis ge-
bunden zu sein, einen höheren zu fordern, wenn der Preis sich
inzwischen verändert hat, oder der Transport mit Gefahren ver-
bunden war, für die ein Entgelt beansprucht werden darf, so darf
mit noch größerem Rechte im Hinblick auf die volkswirtschaft-
liche Unentbehrlichkeit des Handels der Händler einen höheren
Verkaufs- als Einkaufspreis berechnen1).
Der Handelsgewinn kann also an sich nicht abgelehnt werden.
Ob im einzelnen Falle der Kaufmann in erlaubter oder unerlaubter
Weise Gewinn bezieht, muß nach anderen Umständen beurteilt
werden. Der Handel wird zunächst nur dann erlaubt sein, wenn
der Kaufmann sich fernhält von Übervorteilung des Nächsten2).
Bei Einkauf und Verkauf bleibt er an das iustum pretium gebunden.
Der Gewinn insbesondere soll sich in mäßigen Grenzen halten.
Thomas billigt dem Kaufmann nur ein moderatum lucrum zu3),
ähnlich wie schon Plato nur ein xegöog justqiov gestatten wollte.
Der Handel soll nicht zu übermäßiger Bereicherung führen.
Dazu kommt vor allem ein anderer Gesichtspunkt. Im Handel
verkörpert sich das Streben nach Gewinn. Freilich ist letzteres
nicht allein mit dem Handel verknüpft; es findet sich auch z. B.
beim Handwerker, der einen Gegenstand kauft, um ihn verarbeitet
teuerer mit möglichst viel Gewinn zu verkaufen4). Aber im letz-
teren Fall hat der erzielte höhere Preis doch weniger Gewinn-
*) 1. c. ad 2: »Ad secundum dicendum, quod non quicumque carius vendit aliquid
quam emerit, negotiatur, sed solum qui ad hoc emit, ut carius vendat. Si autem emit
rem, non ut vendat, sed ut teneat et postmodum propter aliquam causam eam vendere
velit, üon est negotiatio, quamvis carius vendat. Potest enim hoc licite facere, vei quia
in aliquo rem melioravit, vel quia pretium rei est mutatum secundum diversitatem loci vel
temporis vel propter periculum, cui se exponit transferendo rem de loco ad locum vel
etiam ferri faciendo. Et secundum hoc nee emptio nee venditio est iniusta.«
2) cf. Quodlib. II, a. io, c. Sent. IV, 16, q. 4. 3. Als Bedingungen, unter denen
der Handel erlaubt ist, werden hier aufgeführt: »quod . . . negotiator non habeat con-
ditionem in se, quae ipsum ab officio hoc prohibeat sicut clericis et monachis non licet
negotiari, quamvis liceat propria vendere, et quod tempore debito mercationes faciant,
non diebus festivis et tempore, quo caristiam inducere possit, tale officium exercetur et
modus debitus, ut sine fraude fiat et secundum licitum contractum.«
3) II, II q. 77, a. 4 c.
4) II, II 141, a. 6, ad I: »aedificatoris finis quandoque est lucrum.«
— 8o —
Charakter1). Vielmehr tritt gerade beim Handel das Gewinnstreben
besonders deutlich hervor. Diesem Streben nach Gewinn steht
Thomas nicht besonders wohlwollend gegenüber2). Der Handel
sagt er, »iuste vituperatur, quia quantum est de se, deservit cupi-
ditati lucri, quae terminum nescit, sed in infinitum tendit. Et
ideo negotiatio secundum se considerata quandam turpidinem
habet«, soweit schließt sich Thomas fast wörtlich an Aristoteles an.
Er weist aber dessen gegen den Handel gerichtete Schlußfolge-
rungen sogleich zurück, indem er seinen Worten hinzufügt: »in-
quantum non importat de sui ratione finem honestum vel neces-
sarium«3). Entscheidend für die Erlaubtheit einer Gewinnerzielung
ist ihm also der innere Zweck, den der Händler verfolgt. Die
äußere wirtschaftliche Tatsache des Gewinnerzielens ist etwas ethisch
Indifferentes: »lucrum tarnen, quod est negotiationis finis, etsi in sui
ratione non importet aliquid honestum vel necessarium, nihil tarnen
importat in sui ratione vitiosum vel virtuti contrarium«4). Das
Streben nach Gewinn um des Gewinnes willen ist unerlaubt. Der
Kaufmann darf den Gewinn nicht als Endzweck, als finis »ultimus«
setzen5). Er muß seinem Streben einen andern Zweck unterlegen,
der im Gegensatze zum ersteren ein finis honestus vel necessarius
ist. So wenn der Händler den Unterhalt seiner Familie oder den
Unterhalt von Armen erzielen will oder, wenn ihn die Absicht
leitet, seinem Vaterlande durch Herbeischaffung der Lebensmittel
zu dienen6). Aristoteles hat recht, so können wir sagen, wenn er
das grenzenlose Streben nach Gewinn um des Gewinnes willen
verwirft, aber unrecht ist es, diese Gesinnung jedem Händler not-
wendig zuzuschreiben. Die äußere Tatsache der Gewinnerzielung
kann sehr wTohl aus einer andern innern Absicht hervorgehen.
x) II, II q. 77, a. 4, ad i : »si enim rem in melius mutatam carius vendat,
videtur praemium sui laboris accipere.«
2) Vgl. zum folgenden: Hilgenreiner, Die Erwerbsarbeit usw., S. 142 f.,
Walter, a. a. O. S. 6of., Schaub, Eigentumslehre, S. 415, Baumann, a. a. O.
S. 194 ff.
3) IT, II q. 77, a. 4 c.
4) 1. c.
5) 1. c, ad 1.
6) 1. c. : »unde nihil prohibet, lucrum ordinari ad aliquem finem necessarium vel
etiam honestum; et sie negotiatio licita reddetur. Sicut cum aliquis lucrum moderatum,
quod negotiando quaerit, ordinat ad domus suae sustentationem vel etiam ad subvenien-
dum indigentibus vel etiam cum aliquis negotiationi intendit propter publicam utilitatem,
ne scilicet res necessariae ad vitam patriae desint, et lucrum expetit non quasi finem,
sed quasi Stipendium laboris«, vgl. S. 78.
Wenn Brentano in seinen früher angeführten Schriften in
diesem Punkte die mittelalterliche und moderne Auffassung vom
Wirtschaftsleben einander gegenüberstellt, daß nämlich das Mittel-
alter das Streben nach Gewinn verworfen habe, die moderne
Nationalökonomie es einfach als Tatsache hinnehme, so ist dies
sicher richtig. Es besteht ein tiefgehender Unterschied zwischen
der thomistischen Ethik und dem modernen kapitalistischen Geiste.
Aber dieses Ablehnen des grenzenlosen Gewinnstrebens und
die Beschränkung des Händlers auf den standesgemäßen Lebens-
unterhalt entspricht bei Thomas in etwa den wirtschaftlichen Zu-
ständen. Mochten die bezeichneten Ideen in der altkirchlichen
Zeit aus einer Reaktion des Christentums gegen das entartete
kapitalistische Wirtschaftsleben entstanden sein, so hatten sich für
Thomas die wirtschaftlichen Verhältnisse dem dort vorgezeichneten
Bilde in bedeutendem Maße angepaßt.
Vielleicht hat Sombart das Bild des mittelalterlichen Handels
etwas verzeichnet. Ganz unrecht dürfte ihm jedenfalls nicht zu
geben sein, wenn er betont, daß der Handel während des euro-
päischen Mittelalters ein durchaus handwerksmäßiges Gepräge
getragen habe1), daß dem Händler nichts ferner gelegen habe wie
Gewinnstreben, daß vielmehr seine ganze Tätigkeit von der Idee
der Nahrung beherrscht gewesen sei2). Es mag sich im Handel
zu jeder Zeit ein gewisses kapitalistisches Gewinnstreben gefunden
haben, und die Zersetzung des mittelalterlichen Wirtschaftslebens,
soweit es auf dem Prinzip der Bedarfsdeckung aufgebaut war,
gerade aus dem Handel heraus erfolgt sein, indem einzelne durch
den Handel zu größerem Reichtum gelangten, den sie dann
kapitalistisch verwerten konnten 3). Ja, es wäre aus diesem Gesichts-
punkte heraus ein Mißtrauen dem Handel gegenüber um so
mehr verständlich, als derselbe in gewissem Sinne ein fremdartiges
Moment im Wirtschaftsleben war. Aber sicher entsprachen die
tatsächlichen Verhältnisse in vielen Fällen dem gewünschten Ideal,
und im übrigen werden wir es auch aus rein wirtschaftlichen
Erwägungen heraus verstehen können, wenn die Forderung erhoben
wurde, den Handel organisch in das Wirtschaftsleben einzufügen,
ihn nach dem Bilde des .Handwerks' zu formen.
Thomas erwartet vom Streben nach Gewinn keine Harmonie
J) Der moderne Kapitalismus, I, S. 165.
2) a. a. O. S. 174.
3) Vgl. die Kritik der Sombartschen Theorie bei Strieder: Zur Genesis des
modernen Kapitalismus, 1904, S. 37 ff.
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft 1. 6
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
— 82 —
des Wirtschaftslebens. Es ist bereits oben die Stelle angeführt
worden, wo er die Wirkungen des Erwerbstriebes, der cupiditas
lucri, für die menschliche Gesellschaft schildert. Das Erwachen des
Handelsgeistes führt zu einer Zersetzung des Zusammenlebens, der
einzelne folgt lediglich seinen Interessen, ohne an das Gemeinwohl
zu denken; Laster, Betrug finden Eingang, »ut omnia fiant venialia« 1).
Hiermit hängt es zusammen, daß den Geistlichen der Handel
verboten sein soll. Dem Gewinnstreben haftet eine species mali an.
Es führt leicht zu sündhaften Geschäften2). Der Handel ist mit
dem geistlichen Stande, der eine Ausnahmestellung einnimmt, un-
vereinbar, weil er den Geist zu sehr in Anspruch nimmt, so daß vor
lauter irdischer Sorge der eigentliche Beruf vernachlässigt würde3).
Hinsichtlich der Stellung zum Handel bedeutet Thomas den
Abschluß der vorangegangenen Entwicklung. In der Auffassung
des Handels seiner wirtschaftlichen Seite nach schließt er sich
wesentlich an Aristoteles an. Auch der patristischen Zeit, besonders
Augustinus werden hinsichtlich der volkswirtschaftlichen Funktion
des Handels wichtige Gesichtspunkte entnommen. In der sittlichen
Beurteilung weicht er von Aristoteles ab, kommt ihm freilich
wenigstens insofern entgegen, als er dem Handelsgewinn eine gewisse
species mali4) zuschreibt. Die Verschiedenheit zwischen der An-
erkennung des Handels hier und seiner Ablehnung dort wird damit
allerdings nicht überbrückt. In der Beschränkung des Handels-
gewinnes auf den standesgemäßen Lebensunterhalt kommt Augustins
Ideal zum Ausdruck, wie auch die prinzipielle Auffassung des
Gewinnes als Arbeitslohnes augustinischen Ideen entspringt.
Finden sich in der patristischen Zeit Äußerungen, die den
Handel völlig ablehnen, oder doch abzulehnen scheinen, so werden
diese bei Thomas dadurch überwunden, daß er sie dahin deutet,
sie bezögen sich nur auf den Handel, dessen letztes Ziel im
Gewinn bestände. Dies geschieht z. B. mit dem oben berührten
Satze aus dem Op. imperf., das auch von Thomas irrtümlicher-
weise dem Chrysostomus beigelegt wird5). In allem waren
freilich die Scholastiker vor Thomas, wie Alexander Halensis,
x) De reg. princ. II, c. 3, vgl. oben S. 23.
2) Vgl. Sent. IV, 16, q. 4, a. 2, 3, wo der Handel zu den Erwerbszweigen gezählt
wird: »quae habent peccatum annexum, quamvis quandoque sine peccato exerceri possunt«.
3) II, II q. 77, a. 4, ad. 3. Ferner Quodl. VII, a. 12: saecularia esse negotia,
quae fiunt causa pecuniae coli igen dae sine opere manuali, ut per mercationem et
huiusmodi, a quibus servi Dei se debent penitus abstinere«.
4) Vgl. Anmerkung 3.
5) II, II q. y/t a. 4, ad. I. vgl. ib. ob. 1.
— 83 -
Albertus Magnus ihm bereits mehr oder weniger vorausgegangen.
Thomas überragt sie jedoch darin, daß er die aristotelischen
Gedanken tiefer auffaßt und eine volle Auseinandersetzung der-
selben mit dem alten augustinischen Ideenkreise herbeiführt, was
speziell Albertus Magnus zwar angebahnt, aber in noch mehr
äußerlicher und unvollkommener Weise getan hatte1).
§ 7. Die Lehre vom gerechten Arbeitslohn.
Über die Höhe des gerechten Lohnes ist im Vorstehenden schon
nach einer Seite hin gehandelt worden. Indem für den Tausch Wieder-
vergeltung von Arbeit und Kosten gefordert wird, wird zugleich damit
verlangt, daß der betreffende Produzent oder Händler außer dem
Ersatz seiner Kosten noch eine Vergütung für seine Arbeit erhalten
solle. Die Höhe derselben beläuft sich, wie gezeigt ist, auf den
standesgemäßen Lebensunterhalt. Der Lohn wird in dem Preise der
Waren bezahlt und ist so ein notwendiger Bestandtteil des Wertes.
Eine ganz besondere Bedeutung erhält aber die Lehre vom
Lohn dann, wenn es sich um einen Lohnvertrag handelt. Hier
wird der einzelne nicht in der Weise betrachtet, daß er innerhalb
der Gesellschaft arbeitend für seine Arbeit ein bestimmtes Ein-
kommen erhält, das er durch Verkauf seines Arbeitsproduktes
gewinnt; sondern hier wird die Arbeit selbst zur Ware, nach
deren gerechtem Preis gefragt wird2). Es handelt sich um den
Lohnvertrag zwischen 2 Personen: Einer überläßt einem andern
seine Arbeitskraft gegen Entgelt.
Ein Lohnvertrag kann bei ökonomisch ganz verschieden
gestellten Ständen vorliegen. Vor allem kommen die Arbeiter,
wie Tagelöhner usw. in Betracht. Ihre ökonomische Lage charak-
terisiert Thomas mit den Worten: »Mercenarii, qui locant operas
suas, pauperes sunt, de laboribus suis victum quaerentes quoti-
dianum«3). Sie sind also auf das Existenzminimum beschränkt.
1) Dieselben Bestimmungen, wie für den Handel, gelten auch für das Geschäft
der campsores (vgl. S. 31). Freilich beachtet Thomas in der Summa in seiner weiteren
Darstellung nur den Warenhandel. Auf die eigenartige Natur des Geldwechselgeschäftes
kommt er nur im Kommentar zur Politik zu sprechen: Hiernach ist dasselbe erwachsen
aus der zufälligen Beobachtung: »quod ex aliquibus terris in alias aliqui denarios trans-
feientes, carius eos expenderint, quam acceperint.« Wie also der Kaufmann durch Aus-
nützung der Verschiedenheit der Warenpreise an den einzelnen Orten seinen Gewinn er-
zielt, so der Wechsler durch Ausnützung der Kursverschiedenheiten der Münzen. (C. i.
Ar. Pol. I. 1 VII g.)
2) Über die Lehre vom gerechten Lohn handelt vor allem Hilgenreiner,
a. a. O. S. 1 39 ff. Vgl. ferner Kostanecki: Arbeit und Armut (Freiburg 1909) passim.
3) I, II, 105, a. 2, ad. 6. Über das Verhältnis von Arbeit und Armut vgl.
Kostanecki, a. a. O. passim.
6*
- 84 -
Ihnen gegenüber stehen die anderen Klassen, wie Aerzte,
Advokaten usw., die ebenfalls von ihren Arbeitsleistungen leben.
Die Existenz derselben ist möglich durch die Arbeitsteilung; sie
leben dann von der wirtschaftlichen Arbeit anderer. Dies ist aber
nur berechtigt, wTenn sie ihre Dienste für die Gesamtheit ver-
wenden. Thomas unterscheidet sich hier von Aristoteles, der den
Gelderwerb aus geistiger Arbeit als unsittlich ablehnt 1). Übrigens
nimmt bereits Augustinus eine freiere Stellung ein 2). Die ökono-
mische Lage dieser Klassen ist selbstverständlich eine ganz andere
wie die der gewöhnlichen Handarbeiter.
Die vertragsmäßige Natur dieses Arbeitsverhältnisses hebt
Thomas deutlich hervor; »pactum intervenit inter operantem et
eum, cui operatur« 3). Es handelt sich näherhin um einen Tausch-
vorgang zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer, in
welchem ersterer dem letzteren zahlt, was seine Arbeit wert
ist: . . . »commutatio proprie est, quando ex mutuis operibus fit
aliquid alicui debitum, sicut ex hoc, quod unus laboravit in vinea
alterius, alter constituitur sibi debitor in tanto, quantum valet
labor eius, et in his dirigit commutativa iustitia« 4).
Die Arbeit erscheint also als etwas, was einen bestimmten
Wert hat: wie für jede andere Ware wird für die Arbeit ein
Preis gezahlt, und eben letzteres ist der Lohn: »Id enim merces
dicitur, quod alicui recompensatur pro retributione operis vel laboris
quasi quoddam pretium ipsius« 5). Und wenn im Tauschvertrage
ein justum pretium gefordert wird, so gilt dasselbe vom Lohn-
vertrage: es gibt auch einen gerechten Preis der Arbeit. So fährt
Thomas an derselben Stelle fort: »Unde sicut reddere iustum
pretium pro re accepta ab aliquo est actus iustitiae, ita etiam
recompensare mercedem operis vel laboris est actus iustitiae«.
Näherhin hat der Arbeitsvertrag den Charakter eines Miet-
vertrages, einer locatio et conductio. Das Wesen des Mietvertrages
— es wird später darauf zurückzukommen sein, — besteht darin,
daß der Eigentümer einer Sache unter Festhaltung des Eigentums
an derselben einem anderen die Nutznießung überläßt. Es handelt
2) Vgl. Aristoteles, pol. i, 3 (§ 19). Ferner Thomas: S. c. g. III, 15; Quod.
VII, 18; Sent III, 37, a. 5 q. 2, ad. 2. und sonst häufig. Siehe hierzu des Näheren
Maurenbrecher, a. a. O. S. 36.
2) Ep. 153. (M. XXXIII, 663 f.).
3) Op. XIX, c. 7.
4) Sent III, 33, 3, a. 4.
6) I, II, 114, 1. c. Vgl. Hilgenreiner, a. a. O. S. 141 f.
- 85 —
sich also um Dinge, die wie Häuser, Acker, usw. dauernder
Nutzung fähig sind: Die Substanz des Hauses bleibt, abgesehen
von etwaiger Abnutzung, bestehen; sie wird dem Vermieter
zurückgegeben. Hiervon getrennt wird der Nutzen vertragsmäßig
überlassen und ihm ein bestimmter Preis zugesprochen1).
Der Lohnvertrag hat nun, sagt Thomas, wohl im Anschluß
an das römische Recht2) Ähnlichkeit mit einer locatio: Jemand
überläßt einem andern gegen Entgelt die Nutzung seiner Arbeits-
kraft. Ja, Arbeitskraft und vermietbare Dinge werden direkt
miteinander verglichen: »sicut aliquis mercenarius locat operas
suas, ita etiam aliqui locant domum vel quaecumque alia
huiusmodi« 3).
In diesem Sinne spricht Thomas sowohl von den höheren
Berufen, daß sie eine locatio ihrer Arbeitskraft vornehmen, als
auch von den »mercenarii, qui operas suas locant«4).
Von seiten der Arbeitgeber entspricht der Vermietung die
conductio: »Manifestum est autem, quod obsequium hominis ad ali-
quam utilitatem ordinatur, quae potest pretio pecuniae aestimarit
unde et pecuniaria mercede ministri conducuntur« 5).
Die Gerechtigkeit des Lohnes besteht wie beim Tausch in
der Gleichheit von Leistung und Gegenleistung6).
Die Bestimmungen, die Thomas über die Höhe des Lohnes
gibt, sind spärlich. Doch finden sich einige wichtige Prinzipien.
Der Begriff der Gleichheit der Wiedervergeltung im Arbeits-
vertrage schließt zunächst ein, daß der Lohn, dem verchiedenen
Wert der einzelnen Arbeiten entsprechend, verschieden bemessen
sein muß: »Merces proportionatur merito, cum in retributione mer-
cedis aequalitas iustitiae observetur« 7). Die leitende Arbeit ist dem-
gemäß höher zu entlohnen als die ausführende, trotz der geringeren
körperlichen Arbeit im ersteren Falle. So ist z. B. beim Bau eines
Hauses dem Baumeister höherer Lohn zu zahlen, als den Hand-
arbeitern, die sich nur mit dem Behauen der Steine und dem
Anfertigen des Bauholzes befassen8).
1) Vgl. II, II, 78 a. 1. c.
2) Vgl. z. B. 1. 38. D. 19, 2: »Qui operas suas locavit, totius temporis
mercedem accipere debet«.
3) I, II, 105, a. 2. ob. 6.
4) Vgl. z. B. De reg. princ. I, 10. Quod. VIII. a. 11. Vgl. oben S. 83, Anra. 4.
5) U, II, 100, a. 5. c.
8) Vgl. i. vor. III, 49, a. 6. c.
7) S. c. g. III, 149. Cf. I. ad. Cor. c. III. 1. 2. »maior labor maiorem mercedem
meretur.«
8) Quodl. I, a. 14.
— 86 —
Die absolute Höhe des Lohnes ergibt sich aus dem ganzen
Zwecke der Arbeit. Soll letztere dem Erwerb des Lebensunter-
haltes dienen, so ist damit schon gesagt, daß eben jener Lebens-
unterhalt der gerechte Lohn der Arbeit sei. In diesem Sinne
sagt Thomas: »ius naturale habet, quod homo vivat de labore
suo. Dignus est enim operarius mercede sua. Hoc enim concessum
est homini a creatore. In sudore etc. Gen. 3«1).
Lebensunterhalt und Lohn werden geradezu gleichgesetzt:
Den Geistlichen wird Unterhalt geschuldet »quasi merces«2). Die
Leistung der Arbeit gibt ein unbedingtes Recht auf Unterhalt :
» . . . constat quod militi cuilibet et plantatori vineae et pastori
gregis debetur victus ex suo opere propter hoc, quod in opere
laborant«3).
Nun ist selbstverständlich der Lebensunterhalt nicht für alle
Menschen gleich. Ein Arzt z. B. stellt höhere Ansprüche als ein
Tagelöhner. Und so kommt in die Bestimmung des gerechten
Lohnes wieder der Standesbegriff hinein : es erscheint also für jeden
Beruf der Lohn als gerecht, der eine standesgemäße Lebenshal-
tung sichert. Es kommt also auf die Stellung an, die dem Berufe
im Rahmen der Gesellschaft zukommt. So erklärt Thomas z. B.
das pretium der Tätigkeit des Arztes für gerechtfertigt: »dum ta-
rnen moderate accipiant considerata conditione personarum et ne-
gotiorum et laboris et consuetudine patriae«4). Von den anderen
Bedingungen abgesehen, ist also vor allem die consuetudo patriae
maßgebend. Fordern daher z. B. Advokaten mehr als ihnen zu-
gebilligt ist, so bedeutet dies einen Verstoß gegen die Gerechtig-
keit: »Si autem per improbitatem aliquid immoderate extorqueant,
peccant contra iustitiam«5). Der Lebensunterhalt, den die Tage-
löhner für ihre Arbeit bekommen, beschränkt sich nach der früher
zitierten Stelle auf den täglichen Bedarf, den victus quotidianus.
Freilich ist damit wenig Bestimmtes gesagt. Thomas lobt im
Anschlüsse daran die Forderung des alten Testamentes, den Ar-
1) Quod. XII. a. 30.
2) Op. XIX. c. 7.
3) 1. c.
4) II, II, 71. a. 4. c.
5) 1. c. Ähnliche Äußerungen finden sich z. B. bei Hostiensis: De poenit. et
remiss. 32 (1784b) oder bei Vincentius Bellov. Spec. doctrinale X, 88 (9451). Ersterer
fügt noch hinzu, die Advokaten könnten auch durch Preisunterbietung sündigen: »quia
ubi est copia advocatorum, ut aliis lucrum subtrahant, qui boni sunt, parvissimo salario
sunt contenti tanqam viles et abiecti«.
- 87 -
beitern den Lohn sogleich auszuzahlen: »Ideo lex provide ordinavit,
ut statim eis merces solveretur, ne victus eis deficeret« 1).
Gerade die Behandlung des Lohnes der arbeitenden Klassen
ist für unser Empfinden ziemlich dürftig. Dies hat wohl darin
seinen Grund, daß ein Arbeiterstand in unserem Sinne in der
damaligen Zeit höchstens in sehr geringem Umfange existierte
und seine Lage im Rahmen der Gesellschaft nicht so war, daß
ein zu erörterndes Problem sich ergeben hätte. Übrigens ist mit
der Einbeziehung des Lohnes in den Ideenkreis der Lehre vom
gerechten Preis ein sozial bedeutungsvolles Prinzip ausgesprochen,
wie sich zeigen wird.
Die Stellung, die Thomas zur Sklaverei einnimmt, kann in
diesem Zusammenhange nicht behandelt werden2).
Der Arbeit wird also ein bestimmter valor zugesprochen und
ein iustum pretium derselben gefordert. Dieses nötigt uns, die
Lehre vom Lohn im Rahmen der allgemeinen Wertlehre zu be-
trachten. Der Wert der Waren bemißt sich, wie wir sahen, nach
der Summe von Arbeit und Kosten, die zu ihrer Herstellung er-
forderlich sind. Ebenso bemißt sich der Wert der Arbeit, die
Höhe des Lohnes, nach objektiven Faktoren, dem Lebensunterhalt,
also nach ihren Produktionskosten. Oben war ferner gezeigt
worden, daß von der Befolgung des Wertgesetzes die Aufrecht-
erhaltung der Arbeitsteilung im Organismus der Volkswirtschaft,
sowie die Erreichung des standesgemäßen Einkommens für den
Einzelnen erwartet wird. Von der Zahlung des gerechten Lohnes
verspricht sich Thomas dasselbe. Es handelt sich also um einen
speziellen Fall des allgemeinen Wertgesetzes, indem im Grunde
nur dasselbe Prinzip aufgestellt wird, ohne dessen Befolgung die
Existenz der arbeitenden Klassen nicht denkbar ist. So betrachtet,
liegt im thomistischen Lohngesetz nichts anderes vor, als eine
Weiterführung des paulinischen Gedankens, daß jeder Arbeiter
seines Lohnes, d. h. seines Lebensunterhaltes, wert sei. Die Gesell-
schaft muß dem, der für sie arbeitet, ein standesgemäßes Ein-
kommen gewähren.
Die bedeutendste Quelle der thomistischen Lohnlehre ist
damit schon namhaft gemacht worden. In der Stellung zu den
liberalen Berufen wirken augustinische Ideen nach. Daß speziell
auf die Bildung der Begriffe das römische Recht von weittragendem
*) Vgl. oben. S. 83 Anm. 4.
2) Vgl. hierzu außer Maurenbecher: Zeiller: L' idee de 1' etat dans St. Thomas
d'Aquin. S. 44 ff.
— 88 —
Einfluß gewesen ist, ist bereits bemerkt worden. Der Einfluß des
Aristoteles zeigt sich in Forderung und Fassung der Wertgleichheit.
Die thomistische Lohnlehre ist also aus den verschiedensten Faktoren
zusammengesetzt, und das Maß dessen, was Thomas selbständig
geleistet hat, ist verhältnismäßig gering. Immerhin gibt er noch
mehr, als die spätere Scholastik über den gerechten Lohn lehrt, die
dieser Frage kaum Beachtung schenkt.
§ 8. Gerechter Preis und Zins.
In der Entwicklung der Wucherlehre bedeutet Thomas einen
gewissen Abschnitt; die Ideen der vorausgegangenen Epoche wer-
den von ihm zusammengefaßt und in ihrer speziell thomistischen
Form haben sie dem Denken der Folgezeit ihren Stempel aufge-
prägt1). Ein kurzer Hinweis auf die Quellen und die Entwick-
lung der christlichen Wucherlehre überhaupt ist deshalb un-
umgänglich.
Von entscheidender Bedeutung sind die Wucherbestimmungen
des alten Testaments gewesen2). Die älteste Form des Zinsverbotes
findet sich Ex. 22, 25: »Si pecuniam mutuam dederis populo meo
pauperi, qui habitat tecum, non urgebis eum quasi exactor nee usuris
opprimes«. Später tritt es in schärferer Fassung auf, indem es
nicht nur auf Darlehen an Arme bezogen, sondern auf das Dar-
lehen überhaupt ausgedehnt, und zum Darlehnsverkehr mit frem-
den Stämmen Stellung genommen wird. Dies geschieht Deut. 23, igf. :
»Non foenerabis fratri tuo ad usuram pecuniam, nee fruges nee
quamlibet aliam rem, sed alieno. Fratri autem tuo absque usura
id, quo indiget, commodabis«. Bemerkenswert ist hier vor allem
die Erlaubnis, von Fremden Zins zu nehmen, was von der alt-
christlichen Zeit bis in unsere Tage hinein zu den verschiedensten
*) Vgl. Endemann, Studien I, S. l6f.
2) Das Folgende nach Hejcl: Das alttestemantliche Zins verbot im Lichte der
ethnologischen Jurisprudenz, sowie des altorientalischen Zinswesens. (Bibl. Studien,
herausg. von Bardenhewer XII. 4) 1907. Die Zitierung des A. T. nach der Vulgata
dürfte in diesem Zusammenhange gerechtfertigt sein. Vgl. F. Schneider: Das kirch-
liche Zins verbot und die Kuriale Praxis im 13. Jahrh. Festsch. für H. Finke 1904,
S. 129 — 167. Über die Stellung des A. T. vergleiche ferner die betreffenden Artikel
in Herzogs Realencyclopädie f. prot. Theol. und in Wetzer und Weite's Kirchen-
lexikon. Eine kritische Besprechung der neueren Literatur über das Zinsverbot gibt
Wuttke, Festgabe für Schmoller.
- 89 —
Erklärungsversuchen Anlaß gegeben hat1). Eine weitere Ent-
wicklung ist Lev. 25, 35 — 362) festzustellen, indem hier nicht nur
das Zinsverbot wiederholt wird, sondern, wie Hejcl wahrscheinlich
gemacht hat3), auch eine bestimmte Umgehungsform desselben,
die Konventionalstrafe bei Zahlungsverzug, als unerlaubt bezeichnet
wird. In den späteren alttestamentlichen Schriften wird der Ge-
danke der Sündhaftigkeit des Zinsnehmens oft hervorgehoben4).
Aus dem neuen Testamente5) wurden, abgesehen von dem
Gedanken, daß das neue Testament keine Aufhebung, sondern
eine Erfüllung des Alten sei, womit es nahegelegt war, die alt-
testamentliche Vorschrift, die in der Liebe der Stammesbrüder
untereinander ihre Quelle hatte, im neuen Testamente in erhöhter
Geltung zu lassen6), vor allem zwei Stellen für die Begründung
der Wucherlehre wichtig: Math. 5.42, wo lediglich von der Bereit-
willigkeit, ein Darlehen zu geben, gesprochen wird7), und sodann
die bekannte Stelle Luc. 6. 35: »Mutuum date nihil inde sperantes«.
Doch werden die letzteren Worte in späterer Zeit nicht einheitlich
erklärt, wie sich im folgenden ergeben wird.
Die kirchliche Praxis der ersten Jahrhunderte8) stand einer
gewissen Schwierigkeit gegenüber: nach dem weltlichen Rechte
war das Zinsnehmen gestattet und ohne Zweifel hatten sich weite
Kreise damit als einer zu Recht bestehenden Institution abgefunden.
Die Kirche trug diesen Verhältnissen Rechnung indem sie nur den
Geistlichen schlechthin das Zinsnehmen verbot und mit bald schär-
feren, bald milderen Strafen belegte. Dagegen wird das Zins-
nehmen der Laien im allgemeinen — von einigen wenigen Synodal-
beschlüssen abgesehen — nicht unter Strafe gestellt, wenn es auch
sonst oft getadelt wird.
Die Kirchenväter9) sind sich in der Verwerfung des Zinses
') Hejcl, a. a. O. S. 74. Siehe desselben Erklärung unter Zuhilfenahme ethnolo-
gischer Gesichtspunkte 75 ff.
2) »Si attenuatus fuerit f rater tuus et infirmus manu, et susceperis eum quasi
advenam et peregrinum et vixerit tecum: ne accipias usuras ab eo, nee amplius quam
dedisti«.
3) a. a. O. S. 77 ff. S. 92.
4) z. B. Ps. 15. 5; Ez 18. 8; vgl. Hejcl, a. a. O. S. 90; 92.
6) Vgl. Schneider, a. a. O. S. 134.
•) Vgl. Math. V, 17.
7) »Qui petit a te, da ei et volenti mutuari a te, ne avertaris«.
8) Funk: Gesch. d. kirchl. Zinsverb. S. 7 f f .
9) Vgl. Funk, a. a. O. S. 2 ff. Ferner Seipel, a. a. O. S. 162 ff, sowie
die oben angeführten Schriften von Schilling, Sommerlad. Ferner Ratzinger: Die
Volkswirtschaft in ihren sittlichen Grundlagen. Wichtig auch Schaub: Der Kampf
gegen den ungerechten Preis usw.
— 90 —
einig. Bei aller Verschiedenheit im einzelnen, sind die vor-
gebrachten Gründe doch im allgemeinen dieselben. An erster
Stelle steht der Hinweis auf das alte Testament: die in Betracht
kommenden Stellen, die in fast allen Schriften wiederkehren, sind
bereits oben angeführt. Dagegen wird das neue Testament nirgends
zur direkten Begründung des Zinsverbotes angeführt; speziell die
erwähnte Lucasstelle wird regelmäßig in dem Sinne erklärt, daß
dort nicht der Verzicht auf das Zinsnehmen gefordert, sondern von
unentgeltlichem Darleihen ohne Hoffnung auf Rückzahlung des
Kapitals gesprochen werde.
Schon Tertullian, der jede foeneris redundantia als Wucher
bezeichnet, verwendet das neue Testament in diesem Sinne: »Prius
igitur fuit, ut fructum foeneris eradicaret, quo facilius assuefaceret
hominem ipsi quoque foenori, si forte, perdendo, cuius fructum
didicisset amittere. Hanc enim dicimus operam Legis fuisse procu-
rantis Evangelio« 1). Und ähnlich deutet Ambrosius, für den
Wucher ist: »quodcumque sorti accedit«, in seinem Buche de Tobia,
das wohl die ausführlichste Behandlung der Wucherfrage in der
patristischen Literatur enthält, die Lucasstelle dahin: »Date mutuum
iis, a quibus non speratis vos, quod datum fuerit, recepturos« 2).
Das neue Testament erscheint ihm als die Vollendung des Alten;
in diesem Sinne benutzt er Math. 5, 17 zur Begründung des Zins-
verbotes: »audistis foeneratores, quid Lex dicat, de qua dixit dominus:
non veni Legem solvere, sed adimplere« 3). In derselben Weise
bedient sich Hieronymus der neutestamentlichen Schriften, um den
Wucher, die omnis rei superabundantia, als unerlaubt hinzustellen4).
Daneben finden sich gelegentliche Hinweise auf die gleiche
Überzeugung des heidnischen Altertums. So zitiert Ambrosius
die bei Cicero (De off. I, II) angeführten Worte Catos »quid est
foenerare? Hominem inquit occidere«5).
Am wichtigsten sind aber für die Ablehung des Zinses soziale
Erwägungen, die das Bild der trostlosen wirtschaftlichen Zustände
des ausgehenden Römerreiches wiederspiegeln und nur aus letzteren
verstanden werden können. So betont Lactantius die im Zins-
*) Adv. Marc. IV, c. 17 (M. II, 398 f.).
2) De Tob. c. 16 (M. XIV, 780). Die Begriffsbestimmung des Wuchers findet
sich c. 14. (778); auch: C. 14. q. 3. c. 3.
3) 1. c. (M. XIV, 777.) Vgl. hierzu, sowie zum folgenden Schilling Reicht,
u. Eigent. S. 137 ff.
4) Super. Ez. VI, c. 18. (XXV, 176). cf. C. 14. q. 3 c. 2.
5) De Tob. c. 14 (M. XIV. 777).
— QI —
nehmen liegende Unmenschlichkeit; »Quod qui facit, insidiatur
quodammodo, ut ex alterius necessitate praedatur«. Und ähnlich
läßt sich Ambrosius an verschiedenen Stellen aus1). Dieser Vor-
wurf der Ausbeutung wird auch ausgedehnt auf das sogenannte
Produktivdarlehen, wie es vor allem im Handel vorkommt: Entweder
geschehe dem Kaufmann Unrecht, oder letzterer werde zu Betrü-
gereien veranlaßt, indem er ungerechte Preise fordere: »Inde
ille fraudem facit in mercium pretio, unde tibi solvit usuram«2).
Und Basilius hält den wenigen, die aus einem Darlehen Vorteil
ziehen, die große Menge jener entgegen, die es zu wirtschaftlichem
Ruin führe. Der Reiche bedarf eines Darlehens nicht, der Arme
soll arbeiten und kein Darlehen aufnehmen3). Augustinus tadelt
aus demselben Geiste heraus, das weltliche Gesetz, das das Zins-
nehmen, die Ars nequitiae4), gestattet: »quid dicam de usuris, quas
etiam leges et judices reddi jubent? An cruclelior est, qui subtrahit
aliquid vel eripit diviti, quam qui trucidat pauperem foenere. Haec
atque huiusmodi male utique possidentur, et vellem restituerentur,
sed non est, quo judice repetantur« 5).
Den sozialen Erwägungen tritt der Hinweis auf die Un-
fruchtbarkeit des Geldes zur Seite. Schon Basilius bedient sich
dieses Argumentes6), indem er die Entstehung des Zinses mit
dem Gebären der Tiere vergleicht. Und schärfer noch wird es von
Gregor von Nyssa betont: Das Zinsnehmen, heißt es bei letzterem,
ist wider die Natur, jiagd cpvoiv; der Zins wird genommen von un-
fruchtbaren Stoffen: tüv äyovcov vl&v1). Thomas zitiert in seiner
Catena in lateinischer Übersetzung dieselbe Stelle: »Debet autem
homo vitare damnosam sollicitudinem, ne quaerat ab inope divi-
tiarum augmenta, aeris et auri, metallorum sterilium, exigens fruc-
tum«8). Im Op. im per f. in Math, werden Pachtzins und Mietzins
!) Inst. VI, 18 (M. 6, 699) Schilling, a. a. O. S. 77. Sommerlad, a. a. O.
S. 114. Ferner de Tob. c. 3 ff. (M. XIV, 763 ff.).
2) 1. c. 14. (M. XIV, 778). Daß mit der Auffassung also, die Kirchen-
väter hätten nur das Konsumtivdarlehen im Auge, ihre Stellungnahme nicht erschöpft
ist, bemerkt mit Recht Ratzinger, a. a. O. S. 120 f. Daselbst eingehendere
Nachweise.
3) Hom. In ps. 14 (M. 29, 272 f.) Schilling, a. a. O. S. 91 f. Zitiert wird
dieselbe Stelle von Thomas Cat. aur. sec. Luc. VI, h.
4) En. i. ps. 128, 6. (M. 37, 1692).
5) Ep. 153, 6. 25 (M. 33, 665). Die Stelle findet sich C. 14. q. 4 c. 11.
8j Hom. In ps. 14 (M. XXIX, 273 ff.) vgl. Schilling, Reicht, u. Eigent.
S. 91 f.
7) Contra usur. (M. S. G. XXXXVI, 441).
8) Sec. Luc. Vi, h.
der Geldleihe gegenübergestellt und drei Verschiedenheiten hervor-
gehoben. Das Geld werde nur als Tauschmittel gebraucht, eine
eigentliche Nutzung desselben fände nicht statt; »pecunia non ad
aliquem usum disposita est nisi ad emendum« beim Verkauf des
Nutzens eines Ackers werde Gewinn gegen Gewinn getauscht:
»ex pecunia reposita nullum usum capis«. Endlich wird darauf
hingewiesen, daß bei verpachteten Gegenständen Amortisation statt-
fände, beim Gelde dagegen nicht1). Das Op. imperf. wurde im
Mittelalter dem Chrysostomus zugeschrieben und die zitierte Stelle
gegen Ende des 12. Jahrhunderts als Palea in das Decretum Grati-
ani eingeschoben2).
Die zuletzt angeführten Argumente berühren sich etwas mit
dem von Aristoteles Pol. 1, 3 (§ 23) über das Zinsgeschäft Ge-
sagten. Das verzinsliche Darlehen ist ihm verhaßt: »weil dieses
unmittelbar aus dem Gelde selber den Erwerb zieht und nicht
aus dem, wofür das Geld doch allein erfunden ist. Denn nur zur
Erleichterung des Tausches kam es auf, der Zins aber vermehrt
es an sich selber, und daher denn auch der griechische Name
»Zins« so viel als Junges bedeutet, denn das Junge pflegt seinem
Erzeuger ähnlich zu sein, und so ist der Zins wieder Geld vom
Gelde und diese Art von Erwerbskunst ist demnach die wieder-
natürlichste von allen«3). Vielleicht sind die Kirchenväter unmittel-
bar von Aristoteles beeinflußt, vielleicht waren auch die genannten
Ideen, möglicherweise unter Einwirkung der Aristotelischen Politik
mehr oder minder allgemeine Anschauungen der damaligen Zeit4).
Überblickt man die Gesamtheit der patristischen Lehren, so
wird man mit Ratzinger die Bekämpfung der Ausbeutung der Not
des Nächsten, sowie die Ablehnung des rein lukrativen, arbeitslosen
Erwerbs als ihre Haupteigentümlichkeiten bezeichnen können5).
Sie stellen die Reaktion gegen ein relativ hochentwickeltes Wirt-,
schaftsieben dar.
Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches haben
wir im Abendlande eine Rückehr zu naturalwirtschaftlichen Zu-
ständen. Geldvorrat und Geldverkehr sind auf ein Minimum
x) Hom. 38 (M. 46, 840). Zitiert ist nach dem etwas abweichenden Dec. Grat.
2) Die Stelle steht c. n D. 88, § 3, 4. Vgl. Schaub, a. a. O. S. 139,
Anm. 2. ferner Schilling, Erwerb und Eigentum. S. 229L
3) Pol. I, 3. Übersetzung von Susemihl.
4) Die Begründung des Zinsverbotes, die das Op. imperf. gibt, steht mit ihrer
Gegenüberstellung von Geld und vermietbaren Dingen immerhin in der alten Literatur
einzig dar.
5) a. a. O. S. 223 f.
— 93 —
beschränkt1). Praktische Bekämpfung und theoretische Erörterung
des Wuchers treten demgemäß zurück. So bleibt es bis in das
12. Jahrhundert, von einer kurzen Unterbrechung zur Zeit Karls
des Großen, abgesehen, mag dieselbe nun in den spezifischen wirt-
schaftlichen Verhältnissen des Karolingischen Reiches ihren Grund
haben oder eine durch konkrete Bedürfnisse nicht motivierte Er-
scheinung sein und nur als Glied der allgemeinen Renaissance
des Altertums am Hofe Karls verständlich werden2).
Seit Beginn des \z. Jahrhunderts ändern sich die wirtschaft-
lichen Verhältnisse. Geld und Darlehn s verkehr nehmen zu.
Damit wird das Wucherproblem von neuem aufgeworfen. Die
kirchliche Gesetzgebung verbot den Wucher wieder, indem sie die
alten Bestimmungen erneuerte3). Es war natürlich, daß man auch
in der Begründung des Zinsverbotes auf das christliche Altertum
zurückgriff.
Waren freilich die Kirchenväter mehr darauf ausgegangen
den Zins, der eine das Wirtschaftsleben beherrschende Erscheinung
bildete, praktisch zu bekämpfen, was ein Hervortreten sozialer und
moralisierender, dagegen ein Zurücktreten rationaler Momente
für die Begründung des Zinsverbotes mit sich brachte, so ist der
Scholastik, für die der Zins etwas Fremdes, im Gegensatz zum
bisherigen Wirtschaftsleben neu Aufkommendes ist, eine syste-
matisch-theoretische Durchdringung des Zinsproblems die Haupt-
sache, ihrem allgemeinen Ziele, eine rationale Ausgestaltung und
allseitige Begründung der überkommenen christlichen Lehre zu
liefern, entsprechend. Die Weiterbildung der Keime einer ratio-
nalen Begründung des Zinsverbotes, die von der Patristik hinterlassen
waren, ist die Hauptaufgabe der scholastischen Wucherlehre, die
daher der Verschiedenheit der Aufgabe entsprechend ein anderes
Gepräge zeigt als die patristische trotz innerer wesentlicher Über-
einstimmung.
Es wurde schon erwähnt, daß um diese Zeit die zitierte
Stelle aus dem Op. imperf. in das Gratianische Dekret eingeschoben
wurde. Dieselbe wurde die Grundlage der theoretischen Recht-
fertigung des Zinsverbotes. Zugleich vollziehen sich andere wich-
tige Wandlungen im Geistesleben: das tiefere Studium des römischen
J) Schneider, Das kirchliche Zinsverbot S. 138 ff. ; weitere Literatur ebenda.
2) Die erstere Ansicht vertreten von Schaub, a. a. O. S. 33 ff-, gegen
Schneider, a. a. O. S. I39f.; vgl. hierzu Schneider, Neue Theorien über das
kirchliche Zinsverbot. Vierteljahrsschr. f. soz. und Wirtschaftsgesch. 1907.
3) Funk, Gesch. S. 1 7 ff. Vor allem Lessei, a. a. O. S. 9 ff.
— 94 —
Rechts, sowie später das Bekanntwerden des Aristoteles. Beide
Faktoren werden für die Ausbildung der scholastischen Wucher-
lehre gleich bedeutungsvoll. Die theoretische Begründung des
Wucherverbots erhält damit eine breitere Basis: die verschiedenen
Beweise aus der Gegenüberstellung der vermietbaren und unver-
mietbaren Gegenstände und der bei letzteren erfolgten Eigentums-
übertragung, sowie aus der Unfruchtbarkeit des Geldes, dem Verkauf
der Zeit kommen allmählich auf1). Raimund von Pennaforte,
Wilhelm v. Auxerre, Alexander Halensis, Vincenz v. Beauvais sind
die wichtigsten Namen dieser Epoche. Die Stellung der einzelnen
Autoren zum Zins zu verfolgen, gehört nicht zu den Aufgaben
dieser Arbeit; ebensowenig ist hier die Geschichte der kirchlichen
Gesetzgebung zu behandeln. Thomas bedeutet einen gewissen
Abschluß der Entwicklung. Auf seine unmittelbaren Vorgänger
wird nur soweit zurückzugreifen sein, als dies zum besseren Ver-
ständnis und zur schärferen Heraushebung seiner Gedanken nötig
ist. Vor allem werden wir Albertus Magnus im folgenden häufiger
zum Vergleiche heranziehen. Hier dürfte soviel genügen, daß
Thomas weniger schöpferisch, als vielmehr ordnend, systemati-
sierend und ausbauend tätig gewesen ist. Wir wenden uns nun-
mehr ihm zu2).
i. Die autoritäre Begründung des Zinsverbotes
bei Thomas v. Aquin.
Der Darlehnsverkehr hat nach Thomas zinslos zu sein, d. h.
der Entleiher darf nur den Wert seines Kapitals zurückfordern, nicht
mehr3). DieBegründung des Zinsverbotes ist zunächst autoritärer Natur.
*) Lessei, a. a. O. S. 13 ff.
2) Für die thomistische Wucherlehre kommen vor allem in Betracht: Funk,
a. a. O. S. 35; Lessei, a. a. O. S. 33 ff. Sowie die zitierten Schriften von
Schaub und Walter über die Eigentumslehre des Thomas v. A. ; ferner Baumann:
Die Staatslehre des hl. Thomas v. Aquin. S. 196 ff.
3) Eine formelle Definition des Zinses (usura) gibt Thomas nicht (vgl. L es sei,
a. a. O. S. 34), schließt sich aber materiell an seine Vorgänger an, die ihrerseits in
allen wesentlichen Punkten übereinstimmen. So heißt es c. 3. C. 14 q. 3 mit Berufung
auf Ambosius: »Quodcumque sorti accedit, usura est«. Die Scholastiker schließen
sich meistens hieran an. (Vgl. Lessei, a. a. O. S. 10 f.) Am klarsten und der
späteren thomistischen Anschauung am nächsten kommend, sieht Heinrich v.
Segusio, Hostiensis, als usura an: »quodcumque solutioni rei mutuatae accedit ipsius
rei usus gratia« (Aurea Summa 1. V. De usuris. n. 1. [i6i2f.]). Danach ist das Zins-
verbot auf das Darlehen beschränkt und die usura der Preis für die Nutzung des dar-
geliehenen Gegenstandes. Hiermit stimmt Thomas völlig überein, wenn er als Ver-
gütung im Darlehen tadelt: »pretium usus, quod usura dicitur«, oder wenn er ebenda
— 95 —
Und zwar stützt sich Thomas vor allem auf das alte Testament1).
Im Mittelpunkt seiner Erörterungen steht die schon erwähnte
Stelle Deut. 23, 19, nach der den Juden das Zinsnehmen von den
Stammesangehörigeu verboten, dagegen den Fremden gegenüber
erlaubt ist. Diese Stelle dient direkt zur Begründung des absolu-
ten für alle geltenden Zinsverbote. Wenn den Juden verboten war,
von den Brüdern Zins zu nehmen, so hat dasselbe Gebot im neuen
Testament allgemeine Geltung: »debemus enim omnem hominem
habere quasi proximum et fratrem praecipue in statu Evangelii,
ad quod omnes vocantur«. Das Nichtgelten des Zinsverbotes
Fremden gegenüber erscheint als eine Unvollkommenheit des alten
Testamentes, die zur Verhütung größerer Übel, nämlich des Zins-
nehmens von den eigenen Stammesangehörigen, den Juden gestattet
war »non quasi licitum, sed quasi permissum«2). Es wird so in
eine Linie gestellt mit dem libellus repudii. Oder es wird eine
andere Deutung versucht: unter den Fremden seien die Völker
zu verstehen, die das den Juden nach göttlichem Rechte zustehende
gelobte Land widerrechtlich noch im Besitz gehabt hätten. Die
Erlaubnis des Zinsnehmens habe den Zweck gehabt, die Juden in
den Besitz des ihnen rechtlich Zustehenden zu bringen. Albertus
Magnus hatte freilich diesen schon älteren Erklärungsversuch in
seinem Sentenzenkommentar zurückgewiesen3). Ferner weist
Thomas, wie schon Hieronymus getan4), daraufhin, daß das Zins-
verbot im alten Testament eine Entwicklung im Sinne absoluterer
Geltung erfahren habe: an den Stellen Ps. 15, 5; Ez. 18 usw. werde
das Zinsnehmen schlechthin verboten: »Sed postmodum per pro-
phetas admoniti sunt, ut totaliter ab usuris abstinerent»5). So
verwendet Thomas in Übereinstimmung mit der kirchlichen Tra-
sagt: »secundum se illicitum est, pro usu pecuniae mutuatae accipere pretium, quod
dicitur usura« (II, II, 78 a. i. c). Das Nähere wird sich im Laufe der Darstellung
selbst ergeben.
x) S. th. II, II q. 78 a. I. Ob. 2; ad 2. Sent. III, 37, q. I. a. 6. ob. I;
ad I. De malo XIII, 4 ob. I ; ad I.
2) 1. c. cf. de. Malo 1. c.
3) Sent. III, 37 a. 13: Albertus Magnus bringt zunächst den von uns bei Thomas
an erster Stelle angeführten Gesichtspunkt, dann den, daß die Juden den Kananäern
gegenüber ein Anrecht auf das gelobte Land gehabt hätten und daß ihnen deshalb das
Zinsnehmen gestattet wäre, sagt aber zu letzterem: ». . . tarnen, quia malum exemplum
esset, reputo primam solutionem meliorem«.
4) In ez. VI, 18, vgl. S. 90, Anm. 4.
5) De mal. XIII, 4 ad. i; cf. II, II 78 a. 1 ad. 2.
- 96 -
dition das alte Testament für die autoritäre Begründung des Zins-
verbotes1).
Hinsichtlich der Stellung, die Thomas zum neuen Testamente
einnimmt2), ist vor allem bemerkenswert, daß er die bekannte Lucas-
stelle nicht ohne weiteres zur Begründung des Zinsverbotes ver-
wendet, wenn er auch selbst darauf hinweist, daß es sonst vielfach
geschehe: »in quo prohibetur usura, ut multi exponunt«3). Er
findet vielmehr in den Worten: »Mutuum date nihil inde sperantes«
eine gewisse Schwierigkeit, die sie nicht ohne weiteres zur Begrün-
dung des Zinsverbotes geeignet erscheinen lassen.
Dem Zusammenhange nach, in dem die Worte Lucas 6, 35
stehen, so wendet Thomas selbst ein, scheinen sie mehr ein con-
silium, denn eine strenge, alle verpflichtende Vorschrift zu enthalten.
Die Nichtbefolgung eines Rates aber sei an sich noch nicht sünd-
haft; also könne man ohne gegen das neue Testament zu verstoßen,
wenn man ihm auch nicht ganz nachkomme, Zinsen nehmen4).
Von den verschiedenen Lösungen dieses Einwandes, die Thomas
anführt, übergehen wir die ersten, die noch eine direkte Beziehung
der Lucasstelle auf den Zins bestehen lassen und betrachten nur
die von Thomas angeregte dritte andere Möglichkeit. Die Stelle
bei Lucas könne dahin aufgefaßt werden, daß dort überhaupt nicht
von der Hoffnung auf Wucherzins gesprochen werde. Der Sinn
der Worte sei vielmehr der: der Darleiher solle für die gute Tat,
die er verrichte, nicht irdischen Lohn von seiten der Menschen
erwarten, sondern seine Hoffnung einzig auf Gott setzen5). Hier-
mit würde aber eine direkte Bezugnahme der Lucasstelle auf den
Zins wegfallen, wenn auch das Wucherverbot sich indirekt aus
*) Ambrosius (de Tob. 15. M. 14, 779) (vgl: c. 12. C. 14. q. 4) erklärt die
Erlaubnis vom Fremden Zins zu nehmen dahin: »Cui merito nocere desideras, cui jure
inferuntur arma, huic legitime indicantur usurae ... ab hoc usuram exige, quem non
sit crimen occidere, . . . ergo ubi jus belli, ibi etiam jus usurae. Frater autem tuus omnis,
fidei primum, deinde romani juris et populus«. Thomas nimmt hierzu nicht Stellung.
Albertus (sent III, 37 a. 13 ad. 3) erklärt, in zweifellos unrichtiger Weise:
»Ambrosius loquitur per ypothesim impossibilis, quia impossibile est, quod alicui nocere
possumus desiderare: ergo impossibile est, quod ab aliquo accipiamus usuras«.
2) II, II 78 a. 1 ob. 1; 4; ad. 1; 4 de Malo XIII, 4 ob. 3; ad. 3. Sent. III,
37 q- 1 a. 6.
3) De Malo 1. c.
*) II, II 78 1. c.
5j De Mal. 1. c. : »Vel potest dici, quod non loquitur ibi de spe usurarii lucri,
sed de spe, quae ponitur in homine; non enim debemus bona nostra facere sperantes
ab homine retributionem, sed solo a Deo«. cf. II, II 78 1. c.
— 97 —
dem Geist der Stelle vielleicht noch ableiten ließe1). Im Sentenzen-
kommentar, seinem Jugendwerk, verwendet Thomas noch schlecht-
hin die Lucasstelle als autoritäre Begründung des Zinsverbotes2)
in Übereinstimmung mit der früheren Scholastik, wie z. B. auch
Albertus in seinem Kommentar zu Petrus Lombardus auf Lucas
6, 35 Bezug nimmt3). In seinen späteren Werken jedoch sucht
Thomas das Zinsverbot nicht mehr unmittelbar aus dem neuen
Testamente zu belegen, läßt letzteres vielmehr ersichtlich zurück-
treten infolge exegetischer Schwierigkeiten, die er nicht ganz zu
lösen vermag. Vielleicht haben wir hier eine Entwicklung in den
thomistischen Anschauungen festzustellen.
Auf die Kirchenväter beruft Thomas sich oft. Gregor von
Nyssa, Basilius, Hieronymus, Ambrosius, Augustinus werden an
verschiedenen Stellen seiner Werke zitiert4). Daß sie auf Thomas
nicht nur durch die Tatsache der Ablehnung, sondern auch durch
die Art der Begründung des Zinsverbotes tiefgehenden Einfluß
gehabt haben, wird im folgenden zu zeigen sein.
Ebenso wird die Bedeutung, die Aristoteles für die Ausbil-
dung der thomistischen Wucherlehre gehabt hat, sich aus der
späteren Darstellung ergeben. Dazu war Thomas selbstverständlich
die kirchliche Gesetzgebung bekannt, auf die er überdies gelegent-
lich hinweist5). Vom römischen Rechte zunächst abgesehen, stimm-
ten Vergangenheit und Gegenwart, wie Thomas sie kannte, im
Verbot des Zinsnehmens überein.
x) Zur Erklärung der immerhin etwas unklaren Stelle kann vielleicht Alex. Hai.
herangezogen werden. Dieser hält es für erlaubt, daß der Gläubiger sich ausbedingt,
daß der Schuldner ihn umgekehrten Falles gleichfalls mit einem unverzinslichen Dar-
lehen unterstütze, fügt aber hinzu: »tarnen si hac inten tione tradit sibi mutuum non
est meritorium, quia non ponit Deum finem. Ideo dicit Dominus: Date mutuum nihil
inde sperantes: scilicet ab nomine, sed a Deo retributionem« (III, q. 36 m. 1. ad. 4).
im Hinblick auf diese Stelle, die Thomas vielleicht vorgeschwebt hat, wäre dann der
Sinn der thomistischen Erwiderung folgender: Die Lucasstelle bezieht sich nicht auf
das Zinsverbot, sie enthält nur den Rat, bei Gewährung eines Darlehens auch von
solchen Motiven abzusehen, die noch nicht der Gerechtigkeit widersprechen, vielleicht
von der Hoffnung auf irgendeine Dankbarkeit von Seiten des Schuldners. — Die Aus-
bedingung der remutuatio lehnt Thomas als sündhaft ab. — Das Darlehen wäre von
der Lucasstelle dann als Akt des Wohltuns aufgefaßt; daß das Zinsnehmen direk
sündhaft sei, würde sich dann wohl nicht mehr ganz stringent daraus folgern lassen.
2) 1. c.
3) Sent. III, 37 a. 13.
4) Vgl. vor allem Cat. aur. sec. lue. 6, h. Teilweise ist schon früher darauf
hingewiesen worden.
5) cf. II, II 78 a. 3 ob. 2.
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft I. 7
Schreiber, Die yolkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
- 93 -
Die vorstehendenden Erörterungen haben an sich gewiß wenig
mit dem speziellen Gesichtspunkt des gerechten Preises zu tun,
unter dem hier die thomistische Wucherlehre zu betrachten ist.
Sie waren aber doch nötig, weil der Hinweis auf die Tradition,
unter deren Einfluß Thomas steht, zum vollen Verständnis unum-
gänglich ist: die Tradition war für ihn und die spätere Scholastik
maßgebend. Ihr Einfluß konnte leicht auch dann noch nachwirken,
wenn die Betrachtung der wirtschaftlichen Verhältnisse in mancher
Hinsicht eine andere Stellung nahelegte.
Für Thomas selbst steht allerdings unmittelbar die rationelle
Begründung des Zinsverbotes im Vordergrunde: das Zinsnehmen
ist unerlaubt, weil es der Natur des Darlehens widerstreitet und
vor der Einsicht der menschlichen Vernunft nicht standhalten kann.
Eben deshalb wird es auch allseitig verurteilt und bekämpft1).
Thomas konnte an den relativ einheitlichen Gedankenkomplex an-
knüpfen, den die früheren scholastischen Philosophen bei ihrem
Bestreben, das Wucherverbot vor der Vernunft zu rechtfertigen,
bereits geschaffen hatten.
2. Die rationale Begründung des Zinsverbotes.
a) Allgemeines. Beim Mutuum handelt es sich dem Kerne
nach um eine commutatio, die auf Grund eines Vertrages der
zwischen zwei Personen, dem debitor und dem creditor geschlossen
wird, vor sich geht. Dieser Tatsache entsprechend, daß es sich
um einen Tauschvertrag im weiteren Sinne handelt, sind dieselben
Grundsätze der Gerechtigkeit in Anwendung zu bringen, wie für
den Tausch schlechthin. Es muß also gefunden werden, was nach
dem Prinzip der iustitia commutativa jedem zusteht, d. h. mit anderen
Worten, es muß das justum pretium für den im Darlehen vorsich-
gehenden Tausch bestimmt werden2).
Wird nun aber der wirtschaftliche Vorgang, der sich im Dar-
lehen vollzieht, daraufhin untersucht, was in ihm der Darleiher leistet,
und dementsprechend als Gegenleistung rechtlich fordern kann,
so ergibt sich folgendes: die Leistung des Gläubigers bemißt sich
ausschließlich nach der Höhe der von ihm dargeliehenen Summe.
Und wenn die Gerechtigkeit Gleichheit von Leistung und Gegen-
leistung verlangt, so hat er nur ein Recht auf den gleichen Betrag,
nicht mehr. So sagt Thomas vom Gläubiger: » recompen-
sationem potest accipere eius, quod fecit, sed non amplius debet
x) De Mal. q. XIII a. 4 c.
2) 1. c. vgl. ferner die späteren Darlegungen.
— 99 —
exigere. Recompensatur autem ei secundum aequalitatem justitiae,
si tantum ei reddatur, quantum mutuavit«1). Ein darüber hinaus-
gehender Zins, er bestehe in Geld oder Geldeswert, widerspricht
der Gerechtigkeit, sobald der Darleiher ihn vertragsmäßig fordert2).
Das Darlehen kann in Geld oder in Dingen, die demselben in
bestimmter später zu behandelnder Weise gleichstehen, gewährt
sein. Doch erörtert Thomas in erster Linie das Gelddarlehen.
b) Die Funktion des Geldes. Eine bestimmte Vorstellung
vom Wesen des Geldes bildet den Ausgangspunkt der thomistischen
Wucherlehre: wie früher dargestellt, unterscheidet Thomas zwei
Arten von wirtschaftlichen Gütern, wenn dieselben in ihrer Bedeu-
tung für die menschliche Bedürfnisbefriedigung betrachtet werden:
Verbrauchs- und Nutzungsgüter; letzteres sind solche, die wie ein
Haus oder ein Acker einen dauernden Nutzen abwerfen, erstere
dagegen werden in den einzelnen Akten der Bedürfnisbefriedigung
verbraucht. Wenn ich z. B. Wein konsumiere, so ist damit eine
Zerstörung der Substanz des Weines verbunden. Der Wein bildet
also keine dauernde Nutzquelle3).
Zu den Dingen, »quarum usus est ipsarum consumptio«, ge-
hört nun auch das Geld, freilich in besonderer Weise: andere Güter
nämlich sind in sich nützlich, insofern sie unmittelbar der mensch-
lichen Bedürfnisbefriedigung dienen. Dies ist beim Gelde nicht der
Fall: es stillt nicht unmittelbar ein menschliches Bedürfnis, sondern
mißt den Nutzen anderer Güter, es ist eine »mensura utilitatis
aliarum rerum«. Diese Eigenschaft Maß zu sein, liegt aber nicht
im Gelde selbst — etwas kann nicht aus sich selbst Maß sein — ,
sondern sie setzt andere Güter voraus, die durch das Geld gemessen
werden. Indem jemand da ist, der andere Güter in Beziehung
zum Gelde setzt, sie gegen Geld tauscht, erhält letzteres seinen
Charakter als Maß. An sich ist es nutzlos: daß das Geld in sich
*) II, II 78 a. 1 ad. 5.
2) 1. c. a. 2 c. : »Omne illud pro pecunia habetur, cuius pretium potest pecu-
nia mensurari: et ideo sicut si aliquis pro pecunia mutuata vel quacumque alia re, quae
ipso usu consumitur, pecuniam accipit ex pacto tacito vel expresso, peccat contra
justitiam, ut dictum est; ita etiam quicumque ex pacto tacito vel expresso quodcumque
aliud acceperit, cuius pretium pecunia mensurari potest, simile peccatum incurrit«. Der
Überschußbegriff ist bei Thomas, wie Lessei, a. a. O. S. 35, 64 hervorhebt, schärfer
formuliert als bei seinen Vorgängern dank der Verwendung der aristotelischen Begriffs-
bestimmung des Geldes, die, wie Thomas selbst angibt, der Nik. Eth. (IV, c. 1) ent-
nommen ist. Übrigens braucht auch das römische Recht das Wort pecunia im Sinne
von Vermögensobjekt überhaupt. Vgl. Oertmann, a. a. O. S. 88 ff.
3) S. o. S. 54.
7*
IOO —
wieder aus nutzbaren Stoffen, wie Gold und Silber, besteht, was
den Grund der Möglichkeit der Funktion des Geldes bildet, ist
ein hiervon scharf zu trennender Gesichtspunkt1). Das Geld als
solches ist, wie gesagt, an sich nutzlos. Es ist nur Form und erst
in Beziehung zu anderen Gütern gesetzt, gewährt es Nutzen, indem
es dieselben mißt und repräsentiert.
Der Nutzen des Geldes kann also nur realisiert werden im
Tausche. Gewiß kann das Geld auch in anderer Weise verwendet
werden: ich kann es z. B. ausstellen und als Seltenheit sehen lassen2).
Aber hier kommt es nicht seiner eigentümlichen Bedeutung nach
zur Geltung: »pecunia secundum Philosophum prin-
cipaliter est inventa ad commutationes faciendas«3). Und in dem-
selben Sinne sagt Thomas an anderer Stelle: »Proprius usus pecuniae
est, ut expendatur pro commutatione aliarum rerum«4).
Ein Tausch der Dinge ist aber in gewissem Sinne gleich-
bedeutend mit einem Verbrauche derselben. Das gilt von allen
anderen Gütern6) ebenso wie vom Gelde. Thomas begründet
diesen Satz mit den Worten: »Commutatio autem est usus quasi
consumens substantiam rei commutatae, inquantum facit eam ab-
esse ab eo, qui commutat6).
Der Nutzen des Geldes ist also ein ganz bestimmter: wie
der Nutzen des Weines, Getreides usw. ist er beschränkt auf
den Akt der Konsumtion, d. h. er ist mit dem Tausche beendet.
Das Geld bildet keine dauernde Quelle wirtschaftlichen Nutzens:
»usus pecuniae non est aliud, quam eius substantia7)«.
Eine Kritik dieser Anschauungen dürfte nicht nötig sein. Das
Geld wird hier lediglich im Sinne eines konkreten Einzeldinges,
nach seiner äußeren Erscheinung, als Münze betrachtet8).
Nun konnte aber auch im Mittelalter die Möglichkeit pro-
duktiver Verwendung des Geldes nicht verborgen bleiben. Wie
stellt sich Thomas hierzu?
Daß das Geld als Mittel des Erwerbs benutzt werden kann,
ist ihm ein durchaus geläufiger Gedanke. Der Ausdruck »lucrari
a) Übersehen von Hohoff, Die Wertlehre des hl. Thomas v. Aquin, a. a. CK
2) II, II 78 a. 1. ad 6.
3) 1. c. c.
*) De Mal. XIII, 4 c.
5) II, II 78 a. 1, ad 6 wird dies z. B. an den vasa argentea erläutert.
6) De Mal. XIII, 4 ad. 15. cf. II, II 78 a. 1 c.
7) De Mal. 1. c. c.
8) Vgl. Ashley, a. a. O. II, S. 425.
lOI
de pecunia« kehrt häufig wieder1). Die Bedeutung des Geldes
für den Handwerker oder Kaufmann wird betont'2), und speziell
beim Darlehen wird anerkannt, daß dem Gläubiger ein Nutzen,
ein commodum, eine utilitas zuwachsen kann, ein Nutzen, der den
des Geldes in dem eben angegebenen Sinne unter Umständen
weit übertrifft3). Das Geld ist nach Thomas zwar in gewissem
Sinne die Wurzel (radix) des Erwerbs, jedoch nur ratione materiae,
die Ursache des Gewinnes als causa instrumentalis. Hinter ihm
steht aber dasjenige, was den Gewinn eigentlich erzeugt und pro-
duktiv tätig ist, das ist die menschliche Arbeit. Letztere ist die
causa activa des Gewinnes und damit die causa principalis des-
selben. Die Tätigkeit des Menschen gebärt den Gewinn, sie ist
gewissermaßen seine Nahrung, sein nutrimentum. Wenn dem
Gelde also auch eine gewisse Bedeutung zukommt, so ist dieselbe
hinsichtlich der Gewinnerzielung doch beschränkt auf den in der
Hingabe im Tausch bestehenden Verbrauch. Erwächst mithin
dem Gläubiger durch das Darlehen ein Nutzen über den im ange-
gebenen Sinne begrenzten des Geldes hinaus, so ist dieser Ertrag
Ertrag der menschlichen Arbeit. So sagt Thomas ausdrücklich
im Sentenzenkommentar: »Quidquid autem de utilitate contingit
ei, cui mutuum dedi ultra mensuram mutui ex pecunia mutuata,
hoc est ex industria eius, qui sagaciter pecunia usus est«4).
Diese Vorstellung von der Funktion des Geldes zieht sich
durch Thomas sämtliche Schriften, soweit sie für seine Wucher-
lehre in Betracht kommen. Nur in den Quaestiones quodlibetales
ist die Formulierung desselben Gedankens insofern eine etwas
andere, als dort der Begriff radix auf die causa activa beschränkt
und daher dem Gelde abgesprochen wird5). In den anderen
Schriften wird er gleichmäßig auf das Geld und die menschliche
Arbeit angewandt und dann geschieden zwischen der radix ratione
materiae und ratione causae activae. Sachlich besteht kein Unter-
schied. Nur kommt im letzteren Falle die Anerkennung der
»Produktivität« des Geldes noch deutlicher zur Geltung.
Das Geld, das ist das Ergebnis, ist seinem Wesen nach eine
unfruchtbare Sache, eine »res, quae non fructificat«6).
*) z. B. II, II 62, a. 4 ob. 2.
2) Sent. III, 37 q. 1 a. 6 ob. 2 »constat, quod ille, qui alicui pecuniam mutuat,
aliquod commodum ei facit«. Vgl. ferner die folgenden Darlegungen.
») II, II 78 a. 3.
4) 1. c. ad. 4.
8) Quodl. III. a. 19.
6) II, II 61 a. 3 c.
— 102
Die Vorstellung von der Unfruchtbarkeit des Geldes ist alt.
Schon von Aristoteles wird sie vertreten. Bei den Kirchenvätern
sind wir ihr zu wiederholten Malen begegnet. Unweifelhaft hat
das Mittelalter sie zuerst aus der patristischen Literatur über-
nommen. Nach Bekanntwerden des Aristoteles findet sie dann
in dessen Anschauungen eine erwünschte Bestätigung. Thomas
faßt auch hier die gesamten Ideen zusammen und bildet sie syste-
matisch durch, indem er sie zu gleicher Zeit mit der dem römischen
Recht entnommenen Vorstellung von der Konsumtion des Geldes
im Tausche verbindet1). Ebenso ist der Gedanke, daß der bei
Verwendung des Geldes erzielte Mehrertrag nicht wesentlich dem
Gelde zu danken sei, bereits vor Thomas vertreten worden2). Letz-
terer formuliert ihn freilich in weit klarerer Weise, als dies vor ihm
geschehen war. Wir dürfen darin wohl einen Einfluß der all-
mählich schärfer hervortretenden wirtschaftlichen Bedeutung des
Kreditverkehrs erkennen, die eine genauere Präzisierung des Be-
griffes der Unfruchtbarkeit des Geldes erforderte3).
Die Stellung, die Thomas zum Darlehensvertrage einnimmt,
ist mit der dargestellten Geldtheorie bereits bestimmt. Es ergeben
') § 2 J. II, 4 heißt es vom Gelde: »ipso usu assidua permutatione quo-
dammodo extinguitur«. Näheres bei O er t mann, a. a. O. S. 96.
2) L es sei, a. a. O. S. 16. Vgl. d. folg. Anm.
3) Die Anschauung, daß das Geld nur im Tausche Nutzen stiften könne, nur
als Tauschmittel zu betrachten sei, liegt ja der Bekämpfung des Zinses als deren eigent-
licher Kern zugrunde und ist darum so alt, wie das Zinsverbot überhaupt. Immerhin
bildet Thomas den Gedanken in eigenartiger Weise weiter, wie ein Blick auf seine
scholastischen Vorgänger zeigt. Raymundus (Sum. de poenit. 1. 2. t. 7. § 5) bringt
lediglich die früher erörterte Stelle aus dem Op. imperf., dazu einen ähnlich lautenden
Satz aus Gregorius (?), dessen Ursprung ich nicht näher habe nachweisen können. Es
heißt hier: »usus pecuniae nullum fructum vel utilitatem parit utenti«. An Raymundus
schließt sich Vincentius Bellov. in seinem Specul. doctrin. an (X, c. 104. S. 961).
Hostiensis bringt bereits den Gedanken, daß das Geld im Tausche »konsumiert«
werde (Summa 1. V. De usur. 1. (Sp. 1613). Am klarsten äußert sich Alex. Hai.:
»pecunia concessa ad usuram numquam excedit pretium sive valorem suum ... de
natura enim sua non habet usum aliquem, de quo fructificare possit«. (IV. q. 110. m.
3 ad. 4.) Der Tatsache, daß mit dem Gelde sich ein Mehrertrag erzielen läßt, wird
wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Nur Wilhelm von Auxerre (Summa 1. III. De
poen. et rem. 6) bemerkt, der Mehrertrag sei seinem Wesen nach (ex se) nicht dem
Gelde zu danken, sondern höchstens accidentell »per accidens«. Albertus Magnus
bringt nur den Gedanken, daß das Geld im Gegensatz zu den vermietbaren Dingen
unfruchtbar sei (Sent. III, 37. 13). Thomas faßt das Problem tiefer, indem er die
aristotelischen Anschauung vom Gelde, sowie die römischrechtliche Idee von der
Konsumtion des Geldes im Tausche zur Durchbildung der überkommenen Gedanken
verwendet. Das Problem des mit dem Gelde erzielten Mehrertrages behandelt er zuerst
in tiefer und der Form nach durchaus origineller Weise.
— 103 —
sich aus letzterer eine Reihe juristisch und wirtschaftlich gleich-
bedeutender Folgen.
c) Das Zinsverbot als Konsequenz der thomistischen
Geldtheorie.
a) Juristische Unmöglichkeit des Zinses.
Zunächst ist darin ein wichtiger rechtlicher Unterschied
zwischen der Leihe von nutzbaren Dingen und der Leihe von
Geld begründet: vermiete ich z. B. einem anderen ein Haus, so
geschieht es in der Weise, daß ich mir die Zurückgabe des Hauses
ausbedinge; nur den Nutzen, der sich sinnenfällig aus dem Objekte
ergibt, verkaufe ich; das Haus selbst bleibt in meinem Eigentum.
Die locatio ist so ihrem Kerne nach nichts anderes als ein Tausch-
geschäft: der Nutzen eines Gegenstandes, der im Eigentum des
Entleihers bleibt, wird gegen Geld getauscht1).
Beim Gelddarlehen aber ist der Vorgang ein wesentlich
anderer: übergebe ich einem anderen Geld, so bedingt der Ge-
brauch desselben von seiten des Entleihers zugleich dessen Ver-
brauch. Das Geld wird, wie oben gezeigt, seiner Substanz nach
vernichtet. Damit ist aber gesagt, daß dem Entleiher ein Eigen-
tumsrecht an dem entliehenen Gelde zustehen muß: »cuicumque
conceditur usus, ex hoc ipso conceditur res, et propter hoc in
talibus per mutuum transfertur dominium2)«. Das Darlehen ist
nichts anderes als ein Tausch zweier verschiedener Summen von
Münzen. Der Unterschied vom Tausche liegt nur darin, daß
Leistung und Gegenleistung zeitlich auseinanderfallen. Diese
Zwischenzeit verändert aber für Thomas den Tausch vertrag" nicht
a) II, II 78 a. 1 c. cf. de mal. XIII, 4 c. In diesem Zusammenhange sei
noch auf einen Punkt hingewiesen, in dem bei Thomas eine Fortbildung der scholastischen
Wucherlehre zu erkennen ist. Die frühere Scholastik bringt in der Regel, um die
Zinslosigkeit des Darlehens zu begründen bei der Gegenüberstellung von Mietvertrag und
Darlehen auch den Gesichtspunkt: bei vermieteten Gegenständen fände eine Abnutzung
statt, für die der Zins einen Ersatz biete; beim Gelde sei dies jedoch nicht der Fall.
Schon das Op. imperf. argumentiert in dieser Weise: »ager vel domus utendo veterascit.
Pecunia autem, cum fuerit mutuata, nee minuitur nee veterascit«. Ähnlich heißt es in dem
S. 102 Anm. 3 erwähnten Zitat aus Gregorius, das Raym. u. Vincent, bringen. Gof-
fredus de Trano sagt ähnlich: »res locata usu deterior redditur, quod in mutuo non con-
tingit« (De usur. n. 29. (S. 214). Alex. Halensis steht auf demselben Standpunkt
(cf. III, 36 m. 1. ad. 8). Alb. Magnus bezeichnet das Argument bereits als »non ge-
neraliter necessario verum« (Sent. III, 37. a. 13). Thomas lehnt es jedoch bereits im
Sentenzenkommentar (III, 37. q. 1. a. 6. c.) und ähnlich quodl. III. a. 19 c. als völlig
unrichtig und nicht zum eigentlichen Zinsproblem gehörig ab (vgl. auch De mal. 13. 4.
c). Er bringt also den Scheidungsprozeß zwischen dem Rohzins, der auch eine Amorti-
sationsquote enthält, und dem reinen Zins zum Abschluß. Vgl. auch Lessei, a. a. O. S. 40-
2) II, II 78 a. 1 c. und sonst.
— 104 —
grundlegend. Er weist kaum darauf hin, in Übereinstimmung mit
den Anschauungen relativ noch wenig entwickelter Wirtschafts-
perioden, für die die Zeit zwischen Leistung und Gegenleistung
von geringerer Bedeutung ist1).
Der Gedanke, daß im Darlehen eine Eigentumsübertragung
stattfindet, ist dem römischen Recht entnommen2).
Diese juristische Erfassung des Darlehens beruht auf der
oben geschilderten Auffassung von der Natur des Geldes. Der
Vorgang wird sofort ein anderer, wenn das Geld entgegen seiner
eigentlichen Bestimmung verwendet wird, wenn es z. B. aus-
gestellt oder als Pfand hinterlegt wird. Dann liefert es tatsächlich
einen Nutzen, der unter Zurückbehaltung des Eigentumsrechtes
verkauft werden kann. In diesem Falle aber handelt es sich nicht
mehr um ein mutuum, sondern um eine locatio, wie umgekehrt
es keine locatio, sondern ein Darlehensvertrag wäre, wenn jemand,
z. B. einen Schuh, leihen würde, damit dieser ihn als Tauschmittel
gegen andere Dinge benutze3). Dieser Vorgang wäre ohne Eigen-
tumsübertragung nicht denkbar. Der wirtschaftliche Inhalt des
Vertrages entscheidet also in jedem Falle über die juristische Form
desselben.
Schon für die rein juristische Betrachtung ergibt sich aber
damit schon die Unmöglichkeit des Zinses: das dargeliehene Geld ist
nicht mehr Eigentum des Verleihers; es ist juristisch undenkbar, ihm
das Recht zubilligen zu wollen, Nutzen aus einer Sache zu ziehen,
die ihm nicht mehr gehört. So sagt Thomas: »Pro usu pecuniae,
quae fit alterius ex hoc ipso, quod mutuatur, aliquid accipere nihil
aliud est, quam accipere aliquid ab aliquo pro usu rei propriae«4).
Diese mehr formal-juristische Begründung für die Uner-
laubtheit des Zinsnehmens — vor Thomas wohl das Hauptar-
gument der Scholastik für die Zinslosigkeit des Darlehens, — be-
zeichnet Thomas in seinem Sentenzenkommentar noch als satis
probabilis5). Sie steht hier für ihn noch im Vordergründe gegen-
über anderen Argumenten. In seinen späteren Schriften tritt sie
x) Vgl. Lessei, a. a. O. S. 18.
2) Albertus sagt ähnlich: »dicitur mutuum quasi de meo factum tuum. Nisi
enim de meo fieret tuum, tu tuam voluntatem et utilitatem de mutuo facere non posses«.
In Ev. Luc. IV, 35. Auch das etymologische Wortspiel ist aus dem römischen Recht
entnommen. Vgl. z. B. 1. 2 § 2 D. 12, 1. Über die Auffassung der früheren
Scholastik vgl. S. 105. Anmerk. 1.
3) z. B. II, II, 78, a. 1 ad 6.
4) Sent. 1. c.
5) 1. c. Vgl. Lessei, a. a. O. S. 38.
— 105 —
dagegen völlig zurück. Hier argumentiert er in der Weise, daß
er auf den wirtschaftlichen Vorgang, der sich im Darlehen voll-
zieht, die Prinzipien der Gerechtigkeit anwendet und aus ihnen
die Ungerechtigkeit des Zinses folgert. Im Sentenzenkommentar
findet sich hingegen diese spätere Begründung noch nicht. Es
ist also hier eine bedeutsame Entwicklung der thomistischen
Wucherlehre festzustellen J).
ß) Der Zins im Widerspruch mit der justitia com-
mutativa.
Worin das Wesen der Gerechtigkeit im Tausche besteht, ist
früher erörtert worden: sie erfordert Wertgleichheit, Gleichheit von
Leistung und Gegenleistung. Im Darlehensverkehr wird also dann
Gerechtigkeit herrschen, wenn der Gläubiger das Gleiche an Wert
zurückerhält, wie er dargeliehen hat. Die Höhe dessen aber, was
der Darleiher leistet, ergibt sich aus dem bisher Gesagten mit
logischer Konsequenz: sie beschränkt sich auf den im Gelde lie-
genden Nutzen, der mit der Substanz, dem Werte des Geldes
identisch ist. So sagt Thomas: »non autem aliquis plus accepit,
quam ipsam quantitatem pecuniae, quia eius usus, qui est pecuniae
consumptivus, non est aliud quam ipsa pecunia. Et ideo non debet
ad plus obligari quam ad restituendum pecuniam«2). Wird mehr
gefordert, so liegt eine Ungerechtigkeit vor: »Beneficium mutui
non est amplius quam pecunia mutuata, unde si plus exigitur,
exigitur plus quam debitum et ideo est injusta exactio«3). Der
Schuldner muß sich also verpflichten, den Wert dessen zurück-
x) Ein Vergleich der thomistischen Ansichten mit denen der scholastischen Vor-
läufer zeigt Thomas noch völlig im Kreise der letzteren, z. B. bemerkt Hostiensis:
»ratio enim naturalis, quod pro mutuo non possit exigi ultra sortem, haec videtur esse,
quia res mutuata transit in dominium recipientis ... et suum est periculum, unde contra
naturam est, quod rem propriam sibi locem: si enim petam a te 10, quia cum pecunia
tua lucraris, numquid tibi apparebo furiosus?« (Sum. De usur. 8. (S. 1623). Ähnlich
heißt es bei Goffredo (1. c. n. 1; 2 [S. 212]). Alex. Hai. erklärt: »contra ius
naturale' est, ut aliquis percipiat emolumentum de usu rei, quae non est sua« (III, 36
m. 1. ad. 8). Albertus erklärt über dies juristische Argument: »Et haec omnibus
solutionibus probabilior videtur mihi«. Auch in dem Jugendwerke des Aquinaten, dem
Sentenzenkommentar, ist diese Beweisführung noch ausschlaggebend. Später verschiebt
er aber den Schwerpunkt der Argumentation, indem er nunmehr die aristotelische Idee
der justitia commutativa mit aller Schärfe auf den Darlehnsverkehr anwendet und
Gleichheit von Leistung und Gegenleistung fordert. Man kann insofern in Thomas
späteren Schriften von einem »Aristotelismus« seiner Wucherlehre sprechen, durch den
er seine scholastischen Vorläufer überragt. Über ein mit der Eigentumsübertragung
zusammenhängendes Argument der Summa vgl. unten S. III. Anm. 1.
2) De mal. 1. c. ad. 5.
3) Sent. III, 1. c. ad. 2. cf. quodl. V, a. 17.
— io6 —
zuzahlen, was er erhalten hat. Geschieht dies, dann ist der For-
derung des justum pretium im Darlehensverkehr genügt.
Die Ungerechtigkeit des Zinses ergibt sich also einmal aus
dem positiven Nachweise dessen, was gerecht ist. Sodann aber
noch durch weitere Überlegungen.
a) Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß Thomas
im Darlehen einen Tausch von Geld gegen Geld sieht. Bedingt
sich nun der Gläubiger einen Zins aus, so ist dies nichts anderes,
als ein Verkauf von Geld gegen Mehrgeld, was natürlich eine
Ungerechtigkeit in sich schließt. In diesem Sinne sagt Thomas
in der Summa: »pecunia non potest vendi pro pecunia ampliori,
quam sit quantitas pecuniae mutuatae, quae restituenda est1).
b) Im Sentenzenkommentar findet sich ein ähnlicher Gedanke,
jedoch in etwas anderer Fassung, indem er hier verknüpft wird mit
der Vorstellung vom Gelde als einem Maße aller Dinge. Der
Gläubiger entleiht eine bestimmte Quantität der mensura utilitatis,
der Schuldner gibt eine andere von gleicher Größe zurück. Würde
anders verfahren, so bedeutete dies eine Veränderung und Ver-
fälschung des Maßes: »unde accipere maiorem pecuniam pro minori
nihil aliud esse videtur, quam diversificare mensuram in accipiendo
et dando«2). Diese Einkleidungsformel des Gedankens von der
Ungerechtigkeit des Wuchers findet sich vor Thomas nicht3). Sie
hat, wie leicht ersichtlich, und, wie Thomas selbst hervorhebt, ihre
Quelle in der aristotelischen Geldtheorie. Die spätere Scholastik
hat diesen Gesichtspunkt nicht verwertet; auch bei Thomas hat
sowohl dieses als auch das vorige Argument nur eine untergeord-
nete Bedeutung.
c) Die Ungerechtigkeit des Zinsnehmens ergibt sich aber
auch aus einem anderen Gesichtspunkt, der mit dem Vergleich
des Darlehens mit der Vermietung enger zusammenhängt. Auch
für das mittelalterliche Denken zeigen der Pacht- oder Mietzins
und der Leihzins eine gewisse Verwandtschaft, wenn es sie auch
grundverschieden beurteilt. Bei der locatio wird der Gebrauch,
der Nutzen eines Gegenstandes gegen Geld verkauft. Leiht jemand
Geld auf Zins aus, so wird damit ein äußerlich ähnlicher Vorgang
geschaffen. Der Gläubiger verlangt eine doppelte Vergütung',
*) II, II 78 a. 2, ad. 4. cf. ib. 4. Übrigens zieht schon Alex. Hai. dieselbe
Folge aus seiner Anschauung vom Gelde, indem er bezüglich desselben äußert: »Est
enim ordinata ad aequalem commutationem (IV. q. 110 m. 3. ad. 4.).
2) Sent. III, 37, 1, 6 c.
3) Lessei, a. a. O. S. 47.
— 107 —
zunächst die Rückzahlung des Kapitals, darüber hinaus aber dann
noch einen Preis für die überlassene Nutzung des Geldes. Der
Preis dieses stipulierten Nutzens ist eben die usura, welchem
Worte eine tadelnde Bedeutung innewohnt: »Dicitur enim usura
ab usu, eo scilicet, quod pro usu pecuniae pretium quoddam acci-
pitur, quasi ipse usus pecuniae mutuatae vendatur«1). Der Zins-
nehmer verlangt, wie bereits betont, eine doppelte Vergütung. Nun
liegt es aber in der Natur des Geldes, daß Sache und Nutzung des-
selben nicht voneinander getrennt werden können. Mit der recompen-
satio rei ist zugleich die recompensatio usus verbunden. Handelt
der Gläubiger anders, so verkauft er dasselbe zweimal oder rich-
tiger, er verkauft etwas, was gar nicht vorhanden ist: »quia ergo
usus rei est inseparabilis ab ipsa re, quicumque vendit usum talium
rerum retinendo sibi obligationem ad sortem reddendam, mani-
festum est, quod idem vendit bis«2). An anderer Stelle äußert
sich Thomas in ähnlicher Weise3). Ein Zins für ein Gelddarlehen
wäre dasselbe, wie wenn jemand einem anderen Wein liehe und
sich dann dessen Substanz und Benutzung bezahlen lassen wollte.
So sagt Thomas in der Summa: »Si quis ergo seorsum vellet ven-
dere vinum et vellet seorsum vendere usum vini, venderet eandem
rem bis vel venderet id, quod non est«4). Diese Form des Beweises
für die Zinslosigkeit des Darlehens war nahe gelegt durch das
römische Recht, das an manchen Stellen den Zins als fructus des
Geldes auffaßt, oder von einem ususfructus des Geldes spricht5).
Hieraus erhellt, daß der Zins seiner inneren Natur nach un-
gerecht ist. Weil er zwischen den beiden Tauschkontrahenten Un-
gleichheit hervorruft6). Damit ist bereits ein anderer Punkt be-
rührt. Das Recht enthält seinem Inhalte nach die Forderung der
Gleichheit zwischen zwei Personen. Ergibt sich diese Gleichheit
unmittelbar aus der Natur des unter Rechtsnormen zu bringenden
Vorganges ex ipsa natura rei: »puta cum aliquis tantum dat,
ut tantumdem recipiat«, sagt Thomas — so ist die sich ergebende
Forderung eine solche des Naturrechts7).
*) De mal. XIII, 4, c.
2) Quodl. III, a. 19.
3) De mal. XIII, 4, c.
4) II, II 78 a. 1 c. cf. op. IV, de 70 praecepto.
5) Vgl. z. B. 1. 34 D. 22, 1. Hier sagt Ulpian: >usurae vicem fructuum
obtinent et merito non debent a fructibus separari«. Vgl. Oertmann, a. a. O.
S. 147. Vgl. auch S. 114 Anmerk. 2.
«) II, II 78 a. 1 c.
7) II, II 57, a. 2 c.
— io8 —
Es ist nun im Vorhergehenden bereits gezeigt worden, daß
das Zinsnehmen nicht etwa unerlaubt ist infolge positiven gött-
lichen oder menschlichen Gebotes, sondern die Ungerechtigkeit
des Zinsnehmens folgt mit logischer Konsequenz aus der Natur
des Darlehens selbst. Es ist gegen die »ratio naturalis« x) es ist
»secundum se iniustum«2); mit anderen Worten, das Verbot des
Zinsnehmens ist eine Forderung des Naturrechtes. Demgemäß
erklärt Thomas, es sei: »manifeste contra rationem justitiae
naturalis«3).
Dieses Argument für das Wucherverbot von Thomas ist
das eigentlich thomistische4). Es ist leicht ersichtlich, daß hier
Momente zu einer Einheit verbunden sind, die bereits vor Thomas
vorhanden waren. Die Anschauungen über die Natur des Geldes
und des Darlehens, wie sie vom römischen Recht, den Kirchen-
vätern, Aristoteles vertreten werden, sind hier vereint mit der
aristotelischen Auffassung vom Wesen der Gerechtigkeit. Zweifel-
los enthält es die schärfste Ausprägung der scholastischen Wucher-
lehre. Thomas selbst legt ihm die größte Bedeutung bei, wie
sich aus der häufigen Wiederholung gerade dieses Argumentes
ergibt. Im Sentenzenkommentar findet es sich allerdings noch
nicht. Seine Ausbildung fällt also in Thomas spätere Lebenszeit.
Die Scholastik nach ihm bedient sich häufig gerade dieses Argu-
mentes5).
y) Der Zins als Aneignung fremder Arbeit. Zins und
Wertgesetz.
Es ist also bisher gezeigt worden, worin nach Thomas die
*) Quo dl. III, a. 19 mit Berufung auf Aristoteles Politik.
2) Vgl. Anm. 6 d. vor. S.
3) De mal. XIII, 4 c. cf. quodl. III, 19. Albertus Magnus äußert sich ganz
ähnlich. "Vgl. Sent. III, 37 a. 13.
4) Lessei, a. a. O. S. 39. Daß in der Summa jedoch auch andere, als der in
Frage stehende Gesichtspunkt für die Unerlaubtheit des Wuchers geltend gemacht
werden, und dies nicht, wie L es sei annimmt, der einzige ist, dürfte die Darstellung
gezeigt haben und noch des weiteren zeigen.
6) "Wörtlich wird die thomistische Wucherlehre wiedergegeben im Speculum
morale, III, d. 11, p. 7 (S. 1295 ff.). Hinzugefügt sind hier noch moralisierende Be-
trachtungen über die Schlechtigkeit des Wuchers (S. 1299 ff.). Auch bedient sich der
Verfasser des Argumentes von der Unverkäuflichkeit der Zeit (S. 1301), das sich bei
Thomas nicht findet. Auch ÄgidiusColonna Romanus bringt neben dem aristotelischen
Gedanken, daß das Geld nicht wie lebende Wesen Junge erzeugen könne, vor allem
die thomistische Begründung des Zinsverbotes, teilweise in wörtlicher Wiederholung.
Das Zinsnehmen, heißt es weiter, widerstreite dem Naturrecht, deshalb sei es auch von
der stattlichen Gewalt zu verbieten. De reg. prine. 1. II. p. 3. c. II.
— ic>9 —
Gerechtigkeit im Darlehen besteht. Der Wucher ist ungerecht,
weil durch ihn eine Ungleichheit konstituiert wird. Doch ist die
Untersuchung noch nicht zu Ende. Die bisherigen Argumente
waren mehr negativer Natur, insofern sie zeigten, daß im Zins-
nehmen ein ungerechter Mehrwert liegt. Es entsteht nun natur-
gemäß die Frage: was bildet die Substanz dieses Mehrwertes, wo-
her stammt derselbe? Die Frage hängt zusammen mit der nach
dem eigentlich ökonomischen Inhalt des Zinsverbotes und nach
seiner Bedeutung für den wirtschaftlichen Organismus, die ihm
nach den thomistischen Anschauungen zukommt. Das Zinsverbot
hat sich bisher als spezieller Fall des allgemeinen Wertgesetzes
erwiesen, es ergibt sich aus dem Prinzip der Wertgleichheit im
Tausche. Die Verwendung dieses Prinzips wird im folgenden
eine tiefere Begründung erfahren.
In welchem Sinne das Geld produktiv ist, hat sich oben
ergeben: Der Überschuß über den Nutzen seines unmittelbaren
Verbrauchs stellt sich dar als Ergebnis menschlicher Arbeit, er
ist behaftet mit einem persönlichen Momente. Läßt sich nun der
Darleiher einen Zins geben, so bedeutet dies nichts anderes, als
daß er die Arbeit des Schuldners ausbeutet, indem er sich einen
Teil seines Arbeitsertrages aneignet. Dies ist aber offenbar un-
sittlich. So sagt Thomas in prinzipieller Kürze: »industriam autem
eius sibi vendere non debeo«1).
Insbesondere ist für Thomas folgender Gesichtspunkt maß-
gebend: Der Gewinn gebührt dem Entleiher deshalb, weil er die
Gefahr des Unternehmens, in dem das Geld verwendet wird, trägt.
Die Übernahme des Risikos ist ebenfalls wirtschaftliche Arbeit,
die mit Recht Anspruch auf Gewinn als ihren Lohn machen
kann. Von der Gefahr aber, die mit der Verwendung des Geldes
in einem Unternehmen verknüpft ist, ist der Darleiher völlig ge-
trennt, .denn die entliehene Summe ist nicht mehr sein Eigentum.
Das Unternehmen mag gelingen oder nicht, ihm steht der An-
spruch auf die gleiche Summe Geldes zu. Das Zinsnehmen be-
deutet eine Ausbeutung der Tätigkeit des Schuldners. So sagt
Thomas: »ille, cui pecunia mutuatur, sub suo periculo tenet eam
et tenetur eam restituere integre, unde non debet amplius exigere
ille, qui mutuavit«2).
Dieselbe Stellungnahme zeigt sich in einem anderen Fall:
hat jemand unerlaubter Weise Zinsen genommen, so ist er zur
a) Sent. III, 37, i a. 6 ad 4.
2) II, II 78 a. 2 ad 5.
— I 10 —
Restitution verpflichtet. Es liegt dann tatsächlich eine Art Dar-
lehen vor, indem der unrechtmäßige Besitzer der Zinsen gewisser-
maßen Geld geliehen hat von dem, der ihm den Zins zahlte1).
Die zu leistende Restitution umfaßt aber nach Thomas nur die
Rückgabe des Kapitals, d. h. der gegebenen Zinsen, nicht etwa
auch den Gewinn, der inzwischen mit dem Gelde erzielt wurde.
Der letztere verdankt seinen Ursprung der Arbeit des unrecht-
mäßigen Besitzers und steht deshalb ihm zu. »Non tenetur«
heißt es in der Summa, »homo ad restitutionem, nisi id, quod
accepit, quia id, quod de tali re est acquisitum, non est fructus
huiusmodi rei, sed humanae industriae«2).
Es kommt hier derselbe Gedanke zum Ausdruck, den Thomas
hinsichtlich des einfachen Tausches aufstellt. Das Zinsnehmen
widerspricht dem allgemeinen Prinzip, daß das Fundament der
Arbeitsteilung bildet: der Wiedervergeltung von Arbeit und Kosten.
Es widerspricht der Idee, die den volkswirtschaftlichen Organismus
durchdringen sollen: daß nämlich die einzelnen Glieder füreinander
in gleichem Maße arbeiten sollen. Albertus Magnus hebt den-
selben Gedanken hervor3). Für den Zins fehlt also der Rechts-
grund der Arbeit, er wird als Aneignung fremder Arbeit ab-
gelehnt.
Daß dieser Gesichtspunkt eine zentrale Stellung in der thomi-
stischen Wucherlehre einnimmt, zeigt die Erörterung des Gesell-
schaftsvertrages. In diesem bleibt der Kapitalist Eigentümer des
Geldes, daß er für das Unternehmen hergibt; dies zieht aber die
wirtschaftliche Folge nach sich, daß er das Risiko des Unter-
nehmens mitträgt. Gerade das, dessen Fehlen im Darlehen den
Zins unerlaubt macht, ist hier verwirklicht: der Besitzer des
Geldes nimmt in gewissem Sinne teil an der Arbeit des Kaufmanns
oder Handwerkers. Er darf deshalb als Gegenleistung der Höhe
des eingezahlten Geldes entsprechend, die eben das Maß seiner
Leistung bestimmt4), Anspruch auf Anteilnahme am Gewinn erheben.
Dieser Gewinnanteil hat dann ein gewisses persönliches Moment
und wird deshalb von Thomas durchaus gestattet6). Die thomi-
stische Stellung zum Gesellschaftsvertrage soll also nicht etwa eine
Ausnahme vom Zinsverbot in sich schließen, sondern sich aus
*) Vgl. hierzu quodl. III, a. 19.
2) II, II, 78, a. 3. c.
3) Albertus Magnus in Ev. Luc. IV, 35. Vgl. Lessei, a. a. O. S. 42 f.
4) Cf. In Eth. Nie. V, 1. 1. Zum Gesellschaftsvertrage vgl. Endemann, Studien I,
S. 346. Über den Zusammenhang mit dem römischen Recht daselbst S. 334.
6) II, II 78, 1. c.
— III —
denselben Prinzipien ergeben, die für die Behandlung des Dar-
lehens maßgebend sind1).
Der Zusammenhang zwischen der thomistischen Wert- und
Wucherlehre ist aber noch nach einer anderen Seite zu betrachten.
Der Zweck der geforderten Wiedervergeltung von Arbeit und
Kosten geht darauf hinaus, den Tausch in seiner volkswirtschaft-
*) Unter der societas quaedam versteht Thomas möglicherweise die sog. Commenda,
eine im frühen Mittelalter zumal in den italienischen Städten gebräuchliche Gesellschafts-
form. Über letztere vgl. Silberschmidt: »Die Commenda in ihrer frühesten Ent-
wicklung bis zum 13. Jahrhunderte. Hiernach Schaub: Der Kampf usw. S. 159 f.
Vgl. auch Endemann, a. a. O. I, S. 361 ff. Daß Thomas das Tragen des Risikos
als wirtschaftliche Arbeit auffaßt, die ein besonderes Entgelt verdient, ist bereits bei
Erörterung des Handelsgewinnes betont (S. 79). Gleichwohl ist die Rechtfertigung
des Gesellschaftsunternehmens ungenügend und steht in gewissem Sinne im Gegensatz
zu der sonst von Thomas eingehaltenen Argumentation. II, II 78. a. 2. ad. 5 heißt
es: »ille, qui mutuat pecuniam, transfert dominium pecuniae in eum, cui mutuat; unde
ille, cui pecunia mutuatur, sub suo periculo tenet eam et tenetur restituiere integre: unde
non debet amplius exigere ille, qui mutuavit. Sed ille, qui committit pecuniam suam
vel mercatori vel artifici per modum societatis cuiusdam, non transfert dominium
pecuniae suae in illum, sed remanet eius; ita quod cum periculo ipsius mercator de ea
negotiatur vel artifex operatur; et ideo sie licite potest partem lucri inde provenientis
expetere tanquam de re sua«. Der Darlehenszins wird hier deshalb als unerlaubt
erklärt, weil infolge der Eigentumsübertragung im Mutuum der Gläubiger von jedem
Risiko befreit sei, und der Gesellschaftsvertrag hierzu in Gegensatz gestellt. Thomas
bringt hier eine Begründung des Zinsverbotes, die sich schon in der erwähnten Stelle
bei Gregorius findet und auch von Goffredo v. Tr. und Alex. Hai. bei der Gegen-
überstellung des Miet- und Darlehenszinses gebracht wird. Der Vermieter eines Gegen-
standes dürfe ein Entgelt beanspruchen, weil er Eigentum und damit Risiko behalte,
was im Darlehen nicht der Fall sei, eine Auffassung, die auf einer unklaren Erfassung
des Wesens des Zinses beruht. (De usur. 2. [212] S. th. III, 36 m. 1 ad. 8). Eine
größere Bedeutung hat dies Argument in der Scholastik nicht gehabt. Auch Thomas
bringt es nur im Zusammenhang mit der Behandlung des Gesellschaftsvertrages. Die
letztere ist also ungenügend, insofern als ein Gedanke verwendet wird, der sonst bei
Behandlung des Zinses völlig zurücktritt. Zudem dürfte es kaum ausreichend sein,
den Gewinn, den ein Kapitalist aus einem Unternehmen bezieht, lediglich als Prämie
für das Risiko, das er infolge der Rückbehaltung des Eigentumsrechtes an der einge-
zahlten Geldsumme übernimmt, aufzufassen. Thomas steht hier unter dem Einfluß der
Tradition, dem er sich nicht zu entziehen vermag. So sagt z. B. schon Goffredo r. Tr. :
»Vis autem dare pecuniam naviganti vel eunti ad nundinas seu alii mercatori sine
peccato: pone tu pecuniam et alius operam personalem et pecuniam tantam vel minorem:
plerumque enim, quod pecuniae deest, opera supplet ... et communicetis pericula,
lucra et damna« (1. c. n. 29. [214^]). Ähnlich Hostiensis vgl. Lessei, a. a. O.
S. 31. Zudem ist die Auffassung, daß der Gesellschafter Eigentümer des Geldes bleibe,
schwerlich mit den sonstigen thomistischen Anschauungen vom Gelde vereinbar. Denn
auch im Gesellschaftsunternehmen muß das Geld verausgabt werden. Es kann also dem
Kommittenten nur ein Forderungsrecht, kein Eigentum verbleiben, wie schon häufig
hervorgehoben ist. Vgl. L es sei, a. a. O. S. 61.
112
lieh unentbehrlichen Funktion auf eine dauernd sichere Basis zu
stellen. Wir können vermuten, daß die Anwendung der Prin-
zipien des gerechten Preises auf den Darlehensverkehr, der ja
nur eine andere Form der commutatio ist, hinsichtlich desselben einen
ähnlichen Zweck verfolge. Es ist zu dem Zwecke zunächst die
Bedeutung festzustellen, die nach Thomas dem Darlehensverkehr
im volkswirtschaftlichen Organismus zufällt. Wenn hierüber
Thomas sich auch nicht ausdrücklich äußert, so kann man doch
aus manchen Stellen dahingehende Schlüsse ziehen.
Es fehlt bei Thomas vollständig der Gedanke, daß die
Kreditgewährung für den normalen Verlauf des Wirtschaftslebens
notwendig sei. Es geht dies deutlich hervor aus der Art und
Weise, wie Thomas die Stellung des Schuldners im Darlehensver-
kehr behandelt. Diese war für ihn zumal unter moraltheologischem
Gesichtspunkt zu erörtern. Wurde das Zinsnehmen als sündhaft
hingestellt, so konnte leicht der Gedanke aufkommen, auch das
Zinsgeben sei ungerecht, weil der Schuldner Veranlassung und
Möglichkeit zur Sünde gäbe1). Die Stellung, die Thomas zu dieser
Frage einnimmt, ist wichtig; er hält das Zinsgeben unter be-
stimmten Verhältnissen für sittlich erlaubt. Jener rigoristischen
Anschauung gegenüber, die es als sündhaft ablehnt, weist er zu-
nächst auf die »contraria consuetudo multorum bonorum« hin, die
sich am Zinsgeben nicht stoßen 2). Der Schuldner, erklärt er
weiterhin, befindet sich in einer necessitas3). Letzterer Begriff ist
keineswegs ein engbegrenzter. Es kann ein Darlehen absque
magna necessitate aufgenommen werden4). Unter dem necessarium
v ersteht Thomas einmal dasjenige, ohne welches eine Existenz
unmöglich ist, wie z. B. die Nahrung; dann aber auch dasjenige,
was zum standesgemäßen Lebensunterhalt gehört5). In einer von
beiden Beziehungen leidet der Darlehensnehmer stets Mangel:
»semper autem ille, qui mutuum aeeipit, patitur necessitatem vel
primo vel seeundo modo«6).
Sieht sich nun jemand veranlaßt, ein Darlehen aufzunehmen,
M II, II 78 a. 4 ob. 1.
2) de mal. 1. c. ob. 17.
3) II, II, 78 a. 4 c. und sonst.
4) De mal. 1. c. ob. 8.
B) Siehe oben S. 18 f., S. 54.
6) De mal. 1. c. ad. 8. Albert Magnus wagt (III, 37 a. 15) den Umfang der
necessitas nicht näher zu bestimmen, überläßt es vielmehr dem Gewissen des Einzelnen
und der Entscheidung der Obrigkeit, wann die Aufnahme eines verzinslichen Darlehens
gerechtfertigt sei.
— H3 —
so ist der Gläubiger zwar an sich verpflichtet, es ihm zinslos zu
geben. Es ist aber der Fall denkbar, daß er hierzu nicht bereit
ist. Dann darf der Entleiher, vorausgesetzt, daß er sich in der
gekennzeichneten Zwangslage befindet, Zinszahlung versprechen,
jedoch nur unter der Bedingung, daß der Gläubiger bereits zum
Zinsnehmen entschlossen ist und nicht etwa erst durch den Schuld-
ner dazu veranlaßt wird1). Der Darlehensnehmer will dann nicht
das Zinsgeben, sondern nur die »mutuatio, quae est bona«2). Er
zahlt den Zins nicht schlechthin freiwillig, sondern »quasi coactus
necessitate« s). Die Schuld liegt einzig auf seiten des Gläubigers:
»qui licet ei non inferat violentiam absolutam, infert ei tarnen
quandam violentiam mixtam«: diese Gewalttätigkeit liegt eben in
der Ausnützung der Notlage des Schuldners4). Es wäre unerlaubt,
wenn jemand ohne in Not zu sein, ein verzinsliches Darlehen
aufnehmen wollte5).
Die Gestattung der Zinszahlung in Not hat natürlich nur
dann Sinn, wenn das Darlehen trotz der Verpflichtung zur Zins-
zahlung dem Schuldner noch Nutzen gewährt. Daß dies der Fall
sein kann, ist Thomas durchaus bekannt. So hebt er den großen
Vorteil hervor, die »multae commoditates, quas interdum aliqui
consequuntur ex pecunia mutuata, licet sub usuris«6).
Man sieht deutlich, daß Thomas dem Darlehnsverkehr
immerhin eine wichtige wirtschaftliche Funktion zuerkennt: es
erscheint ihm berechtigt für den, der sich in Not befindet, sei es
im absoluten Sinne oder in dem Sinne, daß er das standesgemäße
Einkommen nicht genießt. Die Kreditgewährung soll also der
Heilung anormaler Zustände, die im volkswirtschaftlichen Orga-
nismus zutagetreten, dienen. Die Erlaubnis des Zinsgebens von
seiten des Schuldners hat in der volkswirtschaftlichen Unent-
behrlichkeit des Darlehens ihren Grund.
Es dürfte klar sein, daß die Theorie, die das Verständnis
des mittelalterlichen Zinsverbotes fördern wollte durch den Hin-
weis darauf, der Kreditverkehr habe im Mittelalter wesentlich kon-
sumtiven, nicht produktiven Zwecken gedient, aus den thomi-
*) II, II 78 l. c.
2) ib. ad. 1.
3) Sent. III, 37 1 a. 6 ad. 6. De mal. 1. c. ad. 9. Vgl. Albertus Magnus
Sent. 111, 37 a. 13 ad. 1.
4) De mal. 1. c. ad. 7.
5) ib. ad. 18.
G) Ib. ad. 6.
Beitrüge zur Geschiebte der Nationalökonomie. Heft I. 8
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
— ii4 —
stischen Gedankengängen keine Bestätigung, vielmehr eher eine
Zurückweisung erfährt.
Die geschilderten Vorstellungen von der Bedeutung des
Kreditverkehrs sind auch für die Stellung entscheidend, die Thomas
zur weltlichen Gesetzgebung, teilweise im Anschluß an seine
scholastischen Vorläufer einnimmt1). Thomas weist zunächst darauf
hin, daß das römische Recht, das Zinsnehmen zwar gestatte, aber
nicht in dem Sinne, als ob es voll innerlich berechtigt sei. Auch
nach dem bürgerlichen Rechte gehöre das Geld zu den Dingen,
»quae ipso usu consumuntur«, die deshalb keine wirtschaft-
liche Nutznießung gestatteten. Für die Einrichtung einer Nutz-
nießung seien lediglich bestimmte Zweckmäßigkeitsrücksichten maß-
gebend2).
Die gewaltsame Unterdrückung alles sittlich unerlaubten,
erklärt Thomas, könne für die menschliche Gesellschaft die Ver-
hinderung wesentlicher Vorteile mit sich bringen, ja bedeutenden
Schaden zur Folge haben. Und so erlaube das bürgerliche Recht
das Zinsnehmen »dispensative«, »non quasi existimans eas esse
secundum justitiam, sed ne impedirentur utilitates multorum«3;.
Diese Erörterungen bleiben völlig unverständlich, wenn nicht
angenommen wird, daß Thomas von der wirtschaftlichen Bedeu-
tung des Darlehens überzeugt war und es im volkswirtschaftlichen
Organismus für notwendig erachtete. Der Kredit, der ihm vor-
schwebte, kann mit Keller als Notkredit bezeichnet werden. Er
soll der Hebung der necessitas, d. h. eben der besseren Erreichung
des Zieles dienen, daß das Ziel der wirtschaftlichen Arbeit ist,
nämlich der Erlangung des standesgemäßen Einkommens, die in
dem Fall, wo ein Darlehen begehrt wird, durch irgendwelche
anormalen Verhältnisse als nicht möglich erscheint4;.
*) Vgl. z. B. Alex. Hai. III, q. 66 m. 3 ad. 4. Albertus Magnus 111,
37 a. 13: »Dare autem ad usurarn multum confert ad bonura statum temporalem illum
et ideo Imperator permittit et reges similiter«.
2) II, II, 78 a. 1 ad. 3. Er nimmt hier Bezug auf § 2 J. 2, 4, wo es vom
Senate heißt, er habe »per cautionem« einen »quasi ususfructus« des Geldes festgesetzt.
Man hat in späterer Zeit im Sinne des römischen Rechts die Zinsen als fructus civiles
bezeichnet. Auch das römische Recht verkennt die Produktivität des Kapitals und
sieht letzten Endes nur die Willensübereinstimmung über den Credit als Grund des
Zinses an. Der Zins ist also tatsächlich nur geduldet, obwohl er im übrigen nicht
wohlwollend beurteilt wird. Senatoren war z. B. das Zinsnehmen verboten. Vgl.
Oertmann, a. a. O. S. 148 ff., S. 75.
3j 1. c. f. De mal. 1. c. ad. 6.
4) Unternehmung und Mehrwert (191 2), S. 24 ff., ohne daß damit den übrigen
Ausführungen, auf die hier nicht eingegangen werden kann, zugestimmt werden soll.
— ii5 —
Diese Funktion des Darlehensverkehrs soll durch die Durch-
dringung mit den Forderungen des gerechten Preises geschützt
und bewahrt werden. Freilich wird sie durch das Zinsnehmen im
Einzelfalle nicht gestört, wie ja auch ein Tausch, der nicht den
Prinzipien der Gerechtigkeit entspricht, nicht gleich den ganzen
Organismus der Arbeitsteilung zerstört. Wie aber der Tausch,
wenn anders er auf dauernder Grundlage ruhen will, seiner ganzen
Idee nach die Einhaltung des gerechten Preises fordert, in der-
selben Weise verlangt auch der wirtschaftliche Inhalt des Dar-
lehens, das ja nichts anderes als ein Tausch ist, die Zinslosigkeit
desselben, weil nur letztere der Wiedervergeltung von Arbeit und
Kosten entspricht. Die Basierung des Kreditverkehrs auf die
Forderungen des gerechten Preises bietet zugleich die Gewähr
dafür, daß derselbe seine volkswirtschaftliche Funktion, die Er-
möglichung des standesgemäßen Einkommens, in geregelter Weise
erfüllt, wie es seiner inneren Natur entspricht. Das ist offenbar
der tiefere Sinn der thomistischen Wucherlehre, die durch die
Einreihung in den Gesamtideenkreis des gerechten Preises eine
bedeutsame Vertiefung erfährt.
Das Zinsverbot entspricht auch insofern den wirtschaftlichen
Verhältnissen, die Thomas vor Augen hatte, als der Zins eine
Durchbrechung des Ideals bedeutet, daß jeder durch Arbeit seinen
Unterhalt sich erwerben soll. Mit Recht sagt Sombart: »Es kommt
doch wohl in jenem Rechtssatze des Zinsverbotes nichts anderes
zum Ausdruck, als die prinzipielle Anerkenntnis des dem hand-
werksmäßig organisierten Wirtschaftsleben adäquaten Wirtschafts-
prinzips der Bedarfsdeckung durch Werkschaffung«1). Das Wirt-
schaftsleben selbst verlangte seiner innern Natur nach Schutz gegen
den rein lukrativen Erwerb, gegen den Kapitalismus. So tadelt
Thomas es an den Juden, daß sie »ociose viventes solis usuris
ditentur« und hält es für besser, sie zum Erwerb des Lebensunter-
haltes durch Arbeit zu zwingen2).
Der Wertlehre liegt die Idee zugrunde, daß der Arbeit ein
standesgemäßer Unterhalt gebühre. Wenn dem nicht genügt ist,
soll das Darlehen korrigieren. Diesen Vorgang benutzt der
Wucherer, um ohne Arbeit vermittels seines Überflusses ein über-
standesgemäßes Einkommen zu erzielen. Das widerstreitet dem
in der Wertlehre niedergelegten Organisationsprinzip der Ge-
sellschaft.
1) Der moderne Kapitalismus I. S. 184.
2) Op. XXI.
8*
— n6 —
3. Die bisherigen Erörterungen haben sich lediglich mit
dem Schutze des Schuldners beschäftigt. Nun ergibt sich aber
zuweilen die Notwendigkeit, auch die Rechte des Gläubigers zu
schützen. Bei Thomas geschieht dies einmal durch Einschärfung
der Restitutionspflicht des Schuldners, sowie durch Hinweis auf
die für letzteren bestehende Pflicht der Dankbarkeit. Vor allem
aber wird der Darleiher gegen eigenen Schaden geschützt durch
die sogenannten Zinstitel, die an sich organische Bestandteile
des Zinsverbotes sind, allerdings wohl auch häufig zur Umgehung
des Zinsverbotes verwendet wurden. Thomas hat sich mit der
Theorie der Zinstitel eingehender beschäftigt, als die Scholastik
vor ihm1). Freilich ist die diesbezügliche Lehre auch bei ihm
noch relativ unentwickelt. Von einer Scheidung verschiedener
Zinstitel, wie sie später gebräuchlich wurde2), ist bei ihm noch
kaum, wenigstens nicht formell die Rede.
Man kann vom Gläubiger nicht verlangen, daß er sich durch
Gewährung des Darlehens selbst einen Schaden zuzieht, während
dem Schuldner ein Vorteil erwächst. Nun ist es aber wirtschaft-
lich möglich, daß der Gläubiger zwar einen Schaden, der Schuldner
aber durch Benutzung des entliehenen Kapitals einen Gewinn er-
zielt, der größer ist, als der genannte Schaden, so daß der Schuldner
diesen ersetzen und darüber hinaus noch genügenden Gewinn erzielen
kann3). Es ist in dem Falle wünschenswert, den Gläubiger, trotz des
Verlustes, den er erleidet, zum Darleihen zu veranlassen. Freilich
muß ihm dann ein Anspruch auf Schadenersatz gewährt werden.
Für den Schaden, der dem Gläubiger erwachsen kann, ge-
braucht Thomas das Wort damnum, das jeden Nachteil der irgend-
wie entstehen kann, umfaßt. Dieser Schaden kann in zwei Formen
auftreten. Einmal kann dem Gläubiger durch die Darlehensge-
währung ein Teil seines tatsächlichen Besitzes entzogen werden:
ein damnum, »per quod subtrahitur sibi aliquid, quod debet habere«.
Andererseits wird ihm die abstrakte Möglichkeit, einen Gewinn
mit seinem Gelde zu machen, genommen; dies ist ein damnum,
»quod consideratur in hoc, quod de pecunia non lucratur«4).
Ein eigengearteter Schaden ist das »interesse« das nicht von
vornherein feststeht, sondern sich zwischen der Leihe und Rück-
!) Vgl. Lessei, a. a. O. S. i8ff., 48ff., S. 66f.
2) Vgl. Funk, Gesch. d. Kirchl. Zinsverb. S. 40ff. Derselbe, Zins- und
Wucher S. 78 ff. Endemann Studien II, S. 24611.
'') II, II 78 a. 2 ad. 1.
4) 1. c.
— ii7 —
gäbe des Kapitals ergibt, also erst bei Beendigung des Darlehens-
geschäftes in seiner Höhe festgestellt werden kann1). Auch hier
sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: der Gläubiger wird
geschädigt im Hinblick darauf, daß ihm die abstrakte Gewinn-
möglichkeit genommen war; oder er erleidet in dem Sinne Nach-
teil, daß ihm etwas, was er bereits hatte, entzogen wurde2;. Für
die abstrakte Möglichkeit des Gewinnes darf auf keinen Fall Er-
satz gefordert werden, weder gleich bei Abschluß des Vertrages,
noch später bei Rückgabe des Kapitals wegen völliger Unsicherheit
desselben3). Der tatsächliche Schaden zeigt sich, wie erwähnt
stets darin, daß dem Gläubiger etwas entzogen ist »de hoc, quod
habebat«. Dieses »habere« kann nun wieder doppelter Art sein:
ein »habere actu« und ein »habere virtute«4): im mutuum kann
der Darleiher etwas von seinem tatsächlichen augenblicklichen
Besitz einbüßen oder es kann ihm die Möglichkeit genommen
werden, einen an sich sicheren Gewinn zu realisieren. Dasselbe
gilt hinsichtlich des Interesses, wo für das »damnum rei jam habitae«
ebenfalls die beiden angegebenen Möglichkeiten anzunehmen sind.
In beiden Fällen muß der Schuldner den Schaden ersetzen nach
Maßgabe des Wertes5), wobei freilich zu bedenken ist, daß für
die Entziehung des Besitzes im ersten Sinne eine recompensatio
ex aequo stattfinden muß, des virtuellen Besitzes dagegen unter
Berücksichtigung des Satzes, daß »minus est habere aliquid actu
quam virtute«, die Wiedererstattung demgemäß erfolgen muß:
»secundum conditionem personarum et negotiorum«6).
Freilich ist hier eine Ausnahme zu machen, wo es sich um
das Interesse handelt, also um einen Schaden, der nicht vorher
*) De mal. 1. c. ob. 14; »duplex est interesse; quoddam quidem ex eo, quod
aliquid non adest, quia scilicet aliquis non acquisivit, quod acquirere potuisset . . . Aliud
est interesse ex eo, quod aliquid abest, quia scilicit aliquid subtractum est alicui de hoc,
quod habebat«. Man beachte acquisivit, potuisset, Ausdrücke, die zu der im
Text gegebenen Deutung berechtigen. Vgl. ferner ib. Ad. 14: »debebat enim ille, qui
pecuniam mutuavit, sibi cavisse, ne detrimentum incurreret«. Quodl. III, a. 19 c.
»damna et interesse« setzt einen Unterschied zwischen beiden Begriffen voraus. Die
Darstellung von Lessei, a. a. O. ist ziemlich unklar; die Scheidung zwischen damnum
und interesse wird nicht genügend durchgeführt. Ferner wird nicht beachtet, daß
zwischen dem Gewinn, der eine res habita ist (vgl. im folgenden) und der abstrakten
Gewinnmöglichkeit zu scheiden ist.
2) Siehe d. vor. Anm.
3) J I, II 78 1. c. : »quia non debet vendere id, quod nondum habet et potest
impediri multipliciter ab habendo«.
4) 11, II 62 a. 4 c.
5) Vgl. Anm. 3.
6) Vgl. Anm. 4.
— n8 —
bestimmt ist, sondern sich zwischen Leihe und Rückgabe des
Kapitals herausstellt; hier ist zu scheiden, je nach dem ob der
Schuldner das Kapital »infra tempus deputatum« zurückgegeben
oder »ultra statu tum terminum« behalten hat1). Im ersteren
Falle trifft die Schuld an dem eingetretenen Verlust lediglich den
Gläubiger, der sich bei Abschluß des Vertrages hiergegen hätte
sichern müssen und für seine eigene Nachlässigkeit nicht den
Schuldner aufkommen lassen darf 2 ':. Anderenfalls tritt Restitu-
tionspflicht ein. Unter Berücksichtigung der angegebenen Ein-
schränkungen kennt also Thomas im Sinne der späteren Termino-
logie das damnum emergens; das lucrum cessans, je nachdem,
ob man in ihm bereits eine res habita erblicken kann oder nicht3.
Die im vorhergehenden dargelegte Schadenersatzpflicht des Schuld-
ners fügt sich durchaus harmonisch in das Gesamtbild der thomi-
stischen Wucherlehre ein. Sie bildet nicht etwa eine Ausnahme
von dem allgemeinen Wucherverbote, wie Thomas ausdrücklich
hervorhebt4).
4. Zum Schluß ist noch kurz hinzuweisen auf die Verträge,
die zwar nicht Darlehensverträge sind, in denen sich aber
doch, wie Thomas sagt, eine gewisse »ratio mutui« findet«5).
Es sind die folgenden:
1. Die exspectatio pretii solvendi6). Sie liegt dann
vor, wenn der Verkäufer seine Ware dem Käufer eher übergibt,
als dieser zahlt. Es handelt sich hier um einfaches Tauschge-
schäft, das mit dem Darlehen insofern Ähnlichkeit besitzt, als
Leistung und Gegenleistung zeitlich auseinanderfallen. Wie aber
im Darlehen die Zeit nicht in Anschlag gebracht werden darf, so
auch in diesem Falle. Ein »augere pretium pro dilatione«7) wäre
Wucher, ein »quasi pretium mutui, quod pertinet ad rationem
usurae«8).
*) De mal. 1. c. ad. 14.
2) 1. c.
a) Man kann also Funk, Zins und Wucher, S. "8 f. sowie Schaub, die
Eigentumslehre usw., S. 362 beistimmen, wenn sie den Zinstitel des lucrum cessans
wenigstens implicite bei Thomas anerkannt sehen.
4) II, II, 78 a. 2 ad. 1.
5) Ib. ob. 7. Vgl. Lessei, a. a. O. S. 26 ff. S. 561.
6) 1. c. ad. 7. Über die diesbezüglichen Bestimmungen des kanonischen Rechts
vgl. Endemann, Studien II, S. 4; Grundsätze S. 9. Einige Bemerkungen über Thomas,
Studien II, S. 48.
7) Ib. ob. 7. Über das Verhältnis von ob. 7 und ad. 7 vgl. Lessei, a. a. O.
S. 58 f.
8) 1. c.
— i ig —
2. Die anticipatio solutionis1). Sie ist das Gegenstück
zu dem vorigen Vertrage. Der Verkäufer übergibt eine Ware
erst später, während vertragsmäßig die Zahlung des Käufers früher
erfolgt. Es gilt hiervon dasselbe, wie von dem eben genannten
Vertrag: Der Käufer muß auch dann den gerechten Preis zahlen
und darf »pro acceleratione pretii< 2) keine Verringerung desselben
fordern.
3. Hiervon zu scheiden ist ein ähnlicher Fall3): der Käufer
ist verpflichtet, später bei Übergabe der Ware einen bestimmten
Preis zu entrichten. Der Verkäufer wünscht jedoch entgegen
seinem rechtlichen Anspruch aus irgendwelchen Gründen frühere
Zahlung. Dann darf letzterer zur Erreichung seines Zweckes
etwas von dem ausgemachten Preise ablassen. Thomas sieht in
diesem Abzüge kein pretium mutui : weder Käufer noch Verkäufer
wird geschädigt. Ersterer nicht, weil er weniger zahlt als er
mußte, letzterer nicht, weil ihm durch die frühere Zahlung ein
Vorteil erwächst, indem er z. B. das Geld zu neuen Geschäften
verwenden kann; er darf an diesem Vorteil den Käufer durch
Verringerung des Preises teilnehmen lassen, wenn auch letzterer
nicht berechtigt ist, einen Nachlaß vom Preise zu fordern. Diese
Bestimmung steht durchaus im Einklang mit den oben bei Behand-
lung der Wertgleichheit im Tausche erörterten Affektionspreisen4).
Auch die Unentgeltlichkeit der Kreditgeschäfte ist nur ver-
ständlich, wenn man sich den kleinstädtischen, antikapitalistischen
Charakter des mittelalterlichen Wirtschaftslebens vergegenwärtigt.
!) 1. C.
2) 1. c. ob. 7.
3) 1. c. Zur Erklärung ist das op. 67 benutzt worden, wo der in Betracht
kommende Fall, wenn auch mit gewissen Bedenken, für erlaubt erklärt wird. — Ebendort
wird es den Kaufleuten erlaubt, innerhalb des Marktpreises bei Stundung der Zahlung
eine Preiserhöhung vorzunehmen: »si autem non plusquam valent, plus tarnen, quam
acciperent, si eis statim solveretur, non est usura«. Diese Ideen finden sich allerdings
erst in späterer Zeit in der Scholastik wieder, so daß ihr Vorkommen bei Thomas —
die Echtheit des op. 67 vorausgesetzt — immerhin auffallend ist.
4) Lessei, a. a. O. sieht in den auf diesen Fall bezüglichen Worten eine weitere
Beurteilung der anticipatio solutionis: der Diskontnehmer sündige zwar, der Diskontgeber
dagegen nicht. Im Texte ist dies als ganz neuer Fall behandelt, in dem nicht nur der
Verkäufer von der Wuchersünde freigesprochen, sondern das Geschäft als solches als nicht
wucherisch hingestellt wird. Die Summa spricht klar vielleicht weder für das eine noch
für das andere. Doch setzt die Deutung Lesseis voraus, daß der Verkäufer unter einem
Zwange von Seiten des Käufers handelt, was aus Thomas' Worten kaum geschlossen
werden kann.
C. Schluß.
Im Vorstehenden ist die thomistische Wertlehre zur Dar-
stellung gelangt. Was Thomas selbständig geleistet hat, ist ver-
hältnismäßig gering. Er ist mehr receptiv als produktiv. Daß
hier und dort Verbesserungen und Weiterführungen alter Gedanken
vorliegen, ist mehrfach erwähnt worden. Vor allem fanden wir
in der Wucherlehre in mancher Hinsicht ein selbständiges Vor-
gehen. Wesentlich Neues hat Thomas jedoch nicht geschaffen.
Daß er aber gleichwohl in allen Dingen die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse seinerzeit vor Augen hatte, ist an mehreren Stellen zu
zeigen versucht. Seine Wertlehre ist nur vom mittelalterlichen
Boden aus verständlich, und in der Wiederspiegelung des mittel-
alterlichen Wirtschaftslebens liegt ihre Bedeutung. Man kann in
Thomas immerhin einen charakteristischen Vertreter der objektiven
Wertlehre des Mittelalters sehen1).
Daß die thomistische Wertlehre für die heutigen Verhält-
nisse, wo wir ein kapitalistisches Wirtschaftsleben haben, ihre
Bedeutung verloren hat, braucht kaum erwähnt zu werden. Es
ist dies schon mit dem Nachweis gegeben, daß sie dem Boden
I der mittelalterlich wirtschaftlichen Verhältnisse entsprungen ist.
Für die Idee eines standesgemäßen Einkommens haben wir kein
Verständnis mehr, und an die Stelle ruhigen Beharrens ist das
Streben nach ruhelosem wirtschaftlichen Fortschritt getreten. Der
modernen Preisbildung ein iustum pretium im thomistischen Sinne
aufzwängen zu wollen, wäre ein vergebliches Bemühen. Ein all-
gemeiner Marktpreis, der alle verpflichten soll, ist ebenso undenkbar,
wie es unmöglich ist, an die Stelle der modernen Volkswirtschaft
mit ihrer freien Konkurrenz wieder die mittelalterliche Stadtwirt-
schaft zu setzen. Und was die Forderung der Wertgleichheit im
Tausche angeht, so bietet, wie wir noch sehen werden, die spätere
2) Es geht entschieden zu weit, wenn Brants, a. a. O. S. 69 mit Rücksicht auf
Thomas v. Aquin bemerkt: »il n'y a point de vrai analyse de la valeur«. Allerdings gibt
Thomas keine geschlossen-systematische Darstellung seiner Wertlehre.
121
Entwicklung der scholastischen Wertlehre die beste Kritik, indem
sie an die Stelle derselben das Prinzip setzt, daß das Preisgut von
dem Käufer weniger hoch geschätzt wird, als das zu kaufende
Gut, was schließlich überhaupt zu einer Preisgabe der Idee des
gerechten Preises führt.
Und wie so die thomistische Wertlehre sich mit den wirt-
schaftlichen Verhältnissen überlebt hat, so wird auch die Wucher-
lehre trotz ihrer naturrechtlichen Färbung kaum noch Anhänger
finden.
Ganz unverständlich ist es aber, wie man bei Thomas sozia-
listische Gedanken hat sehen können. Die sozialistische Wertlehre,
wie sie bei Proudhon, Rodbertus usw. vertreten ist, erblickt in
der Arbeit die Quelle des Güterwertes und knüpft daran die
Forderung eines natürlichen Rechtes auf den vollen Arbeitsertrag.
Thomas räumt der Arbeit nur ein Recht auf den standesgemäßen
Lebensunterhalt ein. Zu den Problemen, die sich in moderner
Zeit aus dem Verhältnis von Kapital und Arbeit ergeben haben,
nimmt er in keiner Weise Stellung. Höchstens könnte man auf
seine Behandlung des Gesellschaftsvertrages hinweisen, um zu
zeigen, daß Thomas sozialistische Gedanken im modernen Sinne
völlig fern gelegen haben. Schon die bloße Tragung der Gefahr
sieht er als Arbeit an. Auch der Händler darf für sein Risiko
einen Gewinn beanspruchen. Daß die rein körperliche Arbeit also
allein den Wert der Ware bestimme, wie Rodbertus annimmt,
liegt ihm völlig fern. Und wenn man endlich auch hier die
Unterschiede zwischen dem mittelalterlichen und dem modernen
Wirtschaftsleben beachtet, so wird man auch in der Ablehnung
des Zinses keine sozialistischen Gedanken sehen können1).
Eine Gleichstellung mit der marxistischen Wertlehre ist
schon um dessen Willen unmöglich, weil bei Marx die ethisch-
naturrechtliche Färbung der objektiven Wertlehre fehlt. Marx
hat aus seiner Wertlehre nie sozialistische Schlüsse gezogen2).
x) Hoho ff sieht bei Thomas eine sozialistische Wertlehre; vgl. seinen mehrfach
angeführten Aufsatz: Die Wertlehre d. hl. Th. v. A. Dieselben Gedanken kehren wieder:
Die Bedeutung der Marxschen Kapitalkritik. Hohoff selbst ist infolgedessen »Marxist«!
2) Vgl. Diehl, Soziahvissensch. Erläuterungen zu Ricardos Grundsätzen der Volks-
wirtschaft I, S. 143.
Zweiter Teil
Die Entwicklung der Wertlehre in der
übrigen Scholastik seit Thomas v. Aquin
Erster Abschnitt.
Die allmähliche Ausbildung der subjektiven Wertlehre.
Die hier behandelte Periode schließt sich zeitlich unmittelbar
an die vorhergehende an, ja in dem an erster Stelle behandelten
Bonaventura läuft sie derselben parallel. Sie schließt mit dem
Tode des Duns Scotus in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahr-
hunderts. Die folgende Darstellung wird zu zeigen haben, daß es
gerechtfertigt ist, diese Zeitspanne als einen besonderen Abschnitt
abzugrenzen.
Die geistigen Faktoren, die die Entwicklung des ökonomi-
schen Denkens in dieser Periode bestimmen, sind dieselben wie in
der vorigen. Auch in den wirtschaftlichen Verhältnissen tritt keine
wesentliche Änderung ein; nur werden wir ein allmähliches weiteres
Aufblühen des Wirtschaftslebens anzunehmen haben, das sich vor
allem in einer Ausdehnung des Handels äußert.
Ausführlicher werden in der Scholastik seit Heinrich von
Gent Rentenverträge behandelt und die Erlaubtheit ihres Kaufes
bzw. Verkaufes erörtert. Doch fehlt es noch an einer klaren
Terminologie, sodaß es häufig kaum möglich ist, ein genaues Bild
von den behandelten Verträgen zu gewinnen. Es kommen Renten-
käufe und -verkaufe auf eine bestimmte Reihe von Jahren oder
auf Lebenszeit oder sogenannte ewige Rente (census haeredi-
tarius) vor. Es handelt sich teilweise um Renten, die auf ein be-
stimmtes Grundstück fundiert sind, oder deren Grundlage das ge-
samte Vermögen des Rentenschuldners bildet. Auch bezüglich der
Entstehung der Renten liegen mannigfache Unterschiede vor: Über-
tragung eines Grundstückes von seiten des Eigentümers unter
Vorbehalt des Obereigentums, dessen wesentlichen Inhalt die Rente
bildet — die für das mittelalterliche Wirtschaftsleben so bedeutungs-
volle Form der Leihe (census reservativus); Überlassung einer Geld-
summe, die als Kaufpreis einer Rente erscheint, mag dieselbe
schon bestehen (Zinskauf) oder neu errichtet werden (der eigent-
liche Rentenkauf, census constitutivus). Alle diese Unterschiede,
die in der späteren Literatur für die Stellung zu den einzelnen
I2Ö
Vertragsarten von außerordentlicher Bedeutung werden, liegen
hier bereits vor, treten aber nicht klar zutage, so daß es, wie be-
tont, häufig schwierig ist, zu ermitteln, welche Vertragsart im
Sinne der späteren Terminologie behandelt wird1).
Der allmählichen kapitalistischen Entwicklung des mittel-
alterlichen Wirtschaftslebens entsprechend, wurde der eigentliche
Rentenkauf am wichtigsten. Derselbe besteht in der Zahlung einer
Geldsumme, wogegen der Empfänger derselben an seinem Grund-
stücke einen dinglichen Zins bestellt. Das belastete Grundstück
bleibt Eigentum des Schuldners. Der Rentenkauf ist aus den Be-
dürfnissen des mittelalterlichen Wirtschaftslebens heraus entstanden,
zuerst in den Städten seit dem 12. Jahrhundert, wo einerseits die
aufblühenden Gewerbe und vor allem der Handel der Benutzung
fremder Kapitalien bedurften, und wo andererseits Bedürfnis nach
der Anlage erworbener Kapitalien bestand. Der Rentenvertrag
war wenigstens anfangs von beiden Seiten unkündbar; es handelt
sich also um einen census haereditarius.
Juristisch ist der Rentenkauf vom Darlehen verschieden:
Das Kapital ist nicht zurückzuzahlen, sondern bildet den Kauf-
preis für die ewige Rente. Die Rente ruht ferner auf dem Grund-
stücke, ist eine dingliche, keine persönliche Last. Die juristischen
Verschiedenheiten ermöglichten der kanonistischen Literatur eine
grundsätzlich andere Stellungnahme, als sie zum Darlehen einnahm.
§ 1. Bonaventura.
I. Bedeutung und Leben2). Die Stellung, die Johannes
Fidanza, mit seinem kirchlichen Namen Bonaventura genannt, in
der Entwicklung des mittelalterlichen Geisteslebens einnimmt, ist
in erster Linie für die Geschichte der Mystik bedeutungsvoll.
Gleichwohl dürfen seine Leistungen auf dem Gebiete der Scholastik
nicht unterschätzt werden; man zählt ihn vielmehr zu deren größten
Vertretern.
1221 zu Bagnarea im Kirchenstaate geboren, wurde er Mit-
glied des Franziskanerordens, war ein Schüler des Alexander v. Haies,
und starb 1274 in Lyon.
x) Vgl. die diesbezügliche Bemerkung von Funk, Gesch. des kirchl. Zinsverbots,
S. 45 Anm. 3. Zu den Rentenverträgen vgl. Loening, Art. Rentenkauf und Renten-
schuld H. W. d. St. V, S. in ff.: v. He ekel, Art. Rentenkauf W. d. V. II, S. 680 ff.;
Ashley, a. a. O., II, S. 436 ff. ; Endemann, Studien II, S. 104 ff.; Bruder,
Studien S. 15 ff.
2) K. L. II, ioijff.; R. E. III, 282ff; Hurter II, 32off.; Überweg-Heinze
H, 279 ff.
— 127 —
Bonaventuras Äußerungen über wirtschaftliche Dinge sind
im Gegensatz zu Thomas von Aquin äußerst spärlich. Am ein-
fachsten dürfte dies aus der mystischen Richtung seines Geistes
zu erklären sein, sowie daraus, daß er die Schriften des Aristoteles,
die für Thomas den Quell seiner wirtschaftlichen Anschauungen
gebildet hatten, noch nicht verwertet. Insofern ist er also noch
vorthom istisch. Ausführlicher kommt er nur auf Arbeit, Armut,
Betteln usw. in den Schriften zu sprechen, in denen er das Ideal
seines Ordens gegen Angriffe verteidigte; die aber für unsere
Zwecke kaum etwas enthalten. Im übrigen sind wir zum größten
Teile auf mehr oder minder zufällige Äußerungen angewiesen, die
aber manche wichtige Prinzipien enthalten, die ihn weit über
Thomas hinausheben. Häufiger wird sonst noch die Frage des
Wuchers behandelt, ohne daß indessen die thomistische Begründung
des Zinsverbotes erreicht würde. Man wird sich hüten müssen,
aus den meist zufällig geäußerten Gedanken zuweitgehende Schlüsse
ziehen zu wollen.
IL Das Eigentum. Der Besitz der Güter ist eine wesent-
lich greistiee Funktion , indem allein durch den menschlichen
Willen Eigentum begründet wird1). Während vor dem Sünden-
falle Gemeineigentum als Naturgesetz bestand, ist jetzt das Privat-
eigentum ein dictamen naturae; es hat die Verhinderung der con-
tentiones et lites unter den Menschen, zum Zwecke2). Den Be-
eriff des Naturgesetzes bestimmt Bonaventura unter Berufung auf
verschiedene augustinische Schriften dahin: »Lex naturalis est im-
pressio facta in anima a lege aeterna; lex autem aeterna est illa,
qua incommutabili permanente cetera ordinantur« 3). Für den in
äußerster Not Befindlichen hört das Privateigentum auf4;.
III. Wert lehre. Der Tausch erscheint als notwendig, weil
sonst dem einzelnen eine volle Befriedigung seiner Bedürfnisse
nicht möglich wäre5). Über die Gerechtigkeit und Wertgleichheit
im Tausche äußert sich Bonaventur nicht. Immerhin finden sich
einige Äußerungen zur Wertlehre, auf Grund deren man ihn als
Anhänger einer subjektiven Wertlehre bezeichnen kann. So
betont er: »cupiditas hominum valorem rebus imposuit vel opinio, quia
si opinio hominum vellet, stannum plus valeret sicut aurum vel argen-
J) Apol. Paup. c. XL, 9 (VIII, S. 313).
2) Sent. II, 44, 2 ad IV (II, S. 1009).
3) De perf. Evang. q. IV, a. 1. (V, S. 181).
4) Apol. Paup. c. X, 13 (VIII, S. 309).
5) Determin. Quaest. P. II, q. 14 (VIII, S. 367).
— 128 —
tum « l). Jeder, heißt es an einer anderen Stelle, erwartet vom Tausche
Gewinn : das Gut, das man zu erlangen hofft, wird höher geschätzt,
als das, welches man hingibt: »carius habetur illud, quod
emitur, quam pretium, quo emitur«2). Es ist hiermit ein
Prinzip aufgestellt, das für die spätere Entwicklung der Lehre
vom gerechten Preise von großer Bedeutung geworden ist. Bona-
ventura selbst untersucht diese Frage nicht. In einem anderen
Zusammenhange erörtert er die Bedeutung der Kosten für den
Preis: »in terra sterili et saxosa agricola plus laborat etsi fructus
paucior, sed precium maius, etquae difficilius elaborantur,
saepe cariusvenduntur«3). Die Betonung der Arbeit als preis-
bildenden Momentes trägt aber ersichtlich einen subjektiven Cha-
rakter. Die Kosten erscheinen nicht als die Grundlage des Preises
schlechthin.
IV. Der Handel. Wenn Bonaventura auch das Ideal seines
Ordens, die volle Armut des einzelnen und der Kommunität, das
Leben von milden Gaben der Gläubigen mit Eifer verteidigt, so
will er dies doch keineswegs als allgemeingültiges Ideal hinstellen.
Er betont vielmehr die Notwendigkeit und Verdienstlichkeit wirt-
schaftlicher Arbeit für die menschliche Gesellschaft. Auch hebt er,
wie schon Thomas, die Bedeutung der körperlichen Arbeit für das
sittliche Leben hervor, wenn er auch die rein geistige Arbeit höher
schätzt4). Ein näheres Eingehen auf diese Fragen ist hier nicht
möglich.
Den Handel rechnet Bonaventura nicht zur körperlichen
Arbeit; er bezeichnet ihn vielmehr als opus civile, das von der
körperlichen Handarbeit einerseits und den opera spiritualia anderer-
seits verschieden ist5). An anderer Stelle rechnet er den Handel
jedoch zu den opera servilia oder mechanica, von denen man sich
am Sonntage zu enthalten hat6).
h Serm. de Temp. Fer. II, pr. Pascha (IX, S. 288).
2) Sent, III, 32 q. 5 ad. 1 (III, S. 705 ff.). In diesem Prinzip sieht Böhm-
Bawerk das Grundgesetz der Preisbildung (vgl. Grundzüge der Theorie des Subjekt.
Güterwerts. J. f. N. u. St., N. F., Bd. 13, S. 489 ff.; Positive Theorie des Kapitals,
S- 35/ ff.). Vgl. auch Menger, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, S. 173 ff.; hier
wendet er sich gegen das Äquivalenzprinzip. Dasselbe ist also schon vor der öster-
reichischen Schule überwunden gewesen.
3) De sex aliis Seraph, c. V, 10 (VIII, S. 140).
4) Vgl. z. B.: Apol Paup. c. VII, 20 (VIII, S. 279); De perf. Evang. q. II,
a 3 (V, S. 162 f.); Expos, sup. Reg. Frat. Min. c. V, 1 (VII, S. 419) und sonst häufig.
5) De perf. Evang. q. 2, a 3 (V, S. 161).
6) De dec. praecep. IV, 9 (V, S. 521).
— 129 —
Der Kaufmann erstrebt in erster Linie für sich Bereicherung:
»habet indigentiam pretii et potius intendit in mercando se
ipsum ditare quam alienam inopiam relevare«1). Daneben
betont Bonaventura die wirtschaftliche Notwendigkeit des Handels
für die menschliche Gesellschaft, ohne den »multae terrae non
possent vivere«2).
Der Handel an sich ist etwas ethisch Indifferentes3); er kann
je nach der Art, wie er ausgeübt wird, als sittlich gut oder schlecht
zu beurteilen sein. Gegen eine Betreibung des Handels, wie sie
dem Zwecke desselben entspricht, ist nichts einzuwenden. Freilich
liegt die Gefahr des Mißbrauches sehr nahe4), indem der Kaufmann
leicht seine Kunden an Gewicht, Zahl oder Maß betrügt. Bona-
ventura fügt das scharfe Urteil hinzu: »et de hoc rarissime eva-
dunt mercatores« 5). Er sieht also den Handel an sich als erlaubt
an, steht aber der praktischen Ausübung desselben nicht wohl-
wollend gegenüber. Vielleicht wirken hier die Anschauungen der
Patristik nach, deren Stellung zum Handel im allgemeinen von
ähnlichen ethischen Erwägungen bestimmt ist. Über die Höhe
des erlaubten Handelsgewinnes äußert sich Bonaventura nicht.
V. Das Darlehen. Die Darlegungen Bonaventuras über das
Darlehen sind nur kurz, und häufig sind seine Anschauungen mehr
angedeutet als ausgeführt6). Wucher liegt nach ihm dann vor,
wenn der Gläubiger aus dem Darlehen Gewinn erzielen will. Um
die Unerlaubtheit desselben darzutun, beruft er sich neben dem
alten Testament auch auf die bekannte Lucasstelle. Aber wie
Thomas erklärt er: »Quidam dicunt, quod usura sit mala, quia
prohibita, sed certe est prohibita, quia mala.« Die Gründe, die
er zum Erweis der Unerlaubtheit des Zinsnehmens vorbringt, sind
im allgemeinen denen ähnlich, die wir bei den Vorgängern von
Thomas von Aquin angetroffen haben.
Er stellt das Verleihen von Geld und anderen nutzbaren
Gegenständen gegenüber und betont, daß bei letzteren nicht wie
bei ersteren eine Eigentumsübertragung stattfindet: »Et huius
Signum est, quia non tenetur illam eandem numero reddere, sed
Uli consimilem«; womit wohl die juristische Unmöglichkeit des
J) Sent. IIT, 32 q. 5 ad. 4 (III, S. 706).
2) Sent. IV, 16 p. I, dub. 15 (IV, S. 402).
3) In Ev. Luc. 19, 20 (VII, S. 479).
4) Sent. IV, 16 p. I dub. 15 (IV, S. 402).
5) De dec praecept. 18 (V, S. 528).
6j Vgl. zum Folgenden: In Ev. Luc. c. VI, 80 ff. (VII, S. 157), ferner de dec.
praecep. 19 (V, S. 528). Sent III, 37. d. 7 (III, 836).
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft 1. 9
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
— i3o —
Zinses dargetan werden soll. Übrigens ein deutlicher Beweis, daß
das Geld rein nach seiner äußeren Erscheinung im Sinne von
Geldstücken betrachtet wird. Beim Gelde ferner finde durch den
Gebrauch keine Abnutzung statt, als deren Ersatz etwa ein
Überschuß über das Kapital zu zahlen wäre. Das Geld ist nur
fruchtbar in Verbindung mit der menschlichen Arbeit: »tota ratio
utilitatis est ex parte utentis.« Ebenfalls vor Thomas war uns
schon der Gedanke begegnet, daß die ganze Gefahr, die mit der
Verbindung des Darlehns verbunden sei, den Schuldner treffe, nicht
den Gläubiger. Thomas verwendet die umgekehrte Tatsache zur
Rechtfertigung des Gewinnes aus der Sozietät.
Eigenartig ist ein anderer Gedanke, der freilich schon vor
Bonaventura vereinzelt aufgetreten war, sich aber bei Thomas nicht
findet1): zwischen dem Darleihen und der Rückzahlung des Geldes
liegt ein bestimmter Zeitraum, als dessen Vergütung der Zins
aufgefaßt werden könnte. Bonaventura wendet sich hiergegen mit
der Argumentation, daß die Zeit Gemeineigentum sei: »id, quod
venditur, est commune, scilicet tempus.« Im Zins liege also eine
»appropriatio communitatis« vor und damit eine »perversio ordinis«.
Es ist dies ein Gedanke, der später noch häufig wiederholt wurde.
Das Darlehen erscheint Bonaventura als eine Unterstützung
des Nächsten, der sich in Xot befindet. Er weist darauf hin, daß
der Begriff »Not« den verschiedenen Verhältnissen der einzelnen
Menschen entsprechend verschieden angenommen werden müsse.
Nur das Vorliegen einer Bedürftigkeit rechtfertige das Zinszahlen
von seiten des Schuldners, weil er dieses dann nicht freiwillig tue,
sondern wenigstens in gewissem Sinne gezwungen, indem er eben
sonst auf die Unterstützung durch das Darlehen verzichten müßte.
Bonaventura tadelt es aber, das, wozu man ex amore proximi ver-
pflichtet sei, zum Gelderwerb zu benutzen2).
VI. Rückblick: Wie betont, sind Bonaventuras Äußerungen
speziell über die Wertlehre nur gelegentlich und unzusammen-
hängend; gleichwohl zeugen sie von scharfer Beobachtung der
ihn umgebenden wirtschaftlichen Verhältnissen. Bei ihm wird,
soweit ich sehe, zuerst erkannt, daß der Tausch vom Gewinnprinzip
beherrscht ist, und daß das Streben des Händlers in erster Linie
x) So sagt Wilhelm v. Auxerre in seiner Summa vom Wucherer, er ver-
kaufe das, »quod de necessitate est omnium creaturarum commune«. (Fol. 225b.) Vgl.
Lessei, a. a. O. S. 17 f. Vgl. auch oben S. 108, Anm. 5.
2) Sent III, 37, dub. 7. (III, 835 ff.); cf. Sent. IV, 15 q. 1 (IV, S. 371). Vgl.
die auf S. 129 Anmerkung 6 angegebenen Stellen.
auf Gewinn gerichtet ist. Es sind, wie nochmals hervorgehoben
sei, zufällige Bemerkungen, und man wird Bonaventuras Stellung
zur Lehre vom gerechten Preise nicht daraus bestimmen können.
Aber gleichwohl ist damit das Moment berührt, an das die weitere
Entwicklung der Wertlehre in erster Linie anknüpfen konnte.
Zunächst haben wir uns freilich einem Scholastiker zuzuwenden,
der die Ideen des normalen Wertes und des Äquivalenzprinzips,
wie Thomas sie vertrat, am schroffsten zur Ausbildung brachte,
Heinrich v. Gent.
§ 2. Heinrich von Gent.
I. Leben und Schriften1). Über das Leben Heinrichs von
Gent besteht in vieler Beziehung Unklarheit. Wahrscheinlich
wurde er um 12 17 geboren; er starb 1293. In der Hochscholastik
nimmt er eine bedeutende Stellung ein. Von seinen Zeitgenossen
wurde er als Dr. solemnis gefeiert. Von seinen Werken kommen
für uns in Betracht vor allem die Ouodlibeta, der Niederschlag-
seiner in Paris in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren seit 1256
gehaltenen Disputationen; daneben, freilich in bedeutend geringerem
Maße seine Summa quaestionum ordinariarum, die wohl zu derselben
Zeit entstanden ist. Sein Wirken ist also unmittelbar in die Jahre
nach dem Tode des Thomas von Aquin und Bonaventura anzu-
setzen. Seine wirtschaftlichen Anschauungen sind in mancher Hin-
sicht von hohem Interesse.
IL Eigentum: Hinsichtlich der Frage des Privateigentums
steht Heinrich von Gent ganz auf demselben Boden, wie seine
Vorgänger: Wäre auch das Gemeineigentum an sich besser und
wünschenswert, so ist doch das Privateigentum für den gegen-
wärtigen Zustand nicht zu entbehren2). Wir können die näheren
Ausführungen, da sie nichts Neues bieten, überschlagen. Dasselbe
gilt von seinen Anschauungen bezüglich des standesgemäßen Be-
sitzes3), die ebenfalls von den thomistischen Gedanken nicht ver-
schieden sind. Wir gehen daher gleich zur Behandlung seiner
Wert- und Preislehre über.
III. Tausch und Wert: Das Bestehen des Privateigentums
und die Tatsache, daß jeder einzelne zur Befriedigung seiner Be-
dürfnisse auf die Unterstützung der anderen angewiesen ist, machen
den Tausch notwendig4).
x) Cf. Hurter II, S. 396 ff. R. E. VII, 602. K. L. V, 1704 ff.
2) Vgl. z. B. Quod IV, q. 20 (S. 197 b ff).
8) Vgl. z. B. IV, 26 (S. 21 ib f).
4) Quod. I, 40 (S. 42b). Quod VI, 22 (S. 367).
9*
— 132 —
Der Tausch hat nach Wertgleichheit vor sich zu gehen. Be-
züglich seiner Anschauung vom Werte folgt Heinrich völlig den
von Augustinus vorgezeichneten Richtlinien. Die von diesem für
Tausch und Wertgleichheit aufgestellten Prinzipien sind in keiner
Weise fortgebildet, werden vielmehr im alten Sinne nur in ausge-
dehnterem Maße für die Beurteilung der einzelnen Vertragsarten
verwendet. Wie Augustinus jedes billig einkaufen und teuer ver-
kaufen als sündhaft verwarf, so fordert auch Heinrich v. Gent
absolute Wertgleichheit im Tausche. Käufer und Verkäufer
sollen sich verhalten wie zwei Wagschalen, die nach möglichster Aus-
gleichung streben; es ist nicht gestattet über die Gleichheit hinaus
zu nehmen1). Er stützt sich hierbei auf Augustinus De Trin. 13,3 2).
Der Wert der Güter wird bestimmt, wie ebenfalls wohl in
Anlehnung an Augustinus ausgeführt wird, durch den Nutzen, den
sie dem Menschen gewähren3). Der Wert ist nach Ort und Zeit
verschieden, besonders ist die vorhandene Menge von Einfluß. Er
kann erhöht werden durch menschliche Arbeit usw.4). Immer aber
erscheint der Wert unter gegebenen Verhältnissen als fest bestimmt5).
Dieser normale Wert liegt allen weiteren Ausführungen bei Heinrich
von Gent zugrunde. Die Gleichheit dieses festen Wertes ist für
den Tausch anzustreben und naturrechtliche Forderung der aequitas
naturalis: »quae stat in medio indivisibili secundum naturam
inter emptum et venditum, sicut lingua librae stat perpendiculariter
inter brachia librae aequaliter ponderantia« 6). Freilich können wir
diese Gleichheit, wie sie an sich erfordert wird, nicht einhalten:
ex parte nostra ist jenes medium divisibile, weil wir den wahren
Wert der Güter nicht absolut genau zu schätzen vermögen7). Die
Tauschkontrahenten sind aber verpflichtet, demselben möglichst
nahe zu kommen. Die Bestimmung des römischen Rechtes, die
einen Vertrag erst dann für ungültig erklärt, wenn eine Übervor-
a) I, 40 (S. 42 b): »aequale debet esse omnino in valore datum et receptum hinc
et inde et in hoc ambo debent esse iudices tanquam duo brachia librae et animatae
iustitiae, ut qui in pondere pretii sentiat se plus recepisse de eo, quod est alterius, res-
cindat et reddat ei de suo, quousque fiat aequale, et sie Stent quasi brachiis librae ele-
vatis et depressis aequaliter.« Vgl. ferner: VI, 22 (S. 367). VIII, 24 (Bd. II, S. 46 b).
2) I, 40 (S. 42 b).
3) VI, 22 (S. 367).
4) Hierüber im folgenden.
5) Hein. v. G. betont z. B., daß wenn jemand Schafe zum gerechten Preise ge-
kauft hat, es nicht gestattet ist, dieselben sofort teurer zu verkaufen, weil der Preis
noch derselbe ist. VI, 22 (S. 367).
6) II, 15 (S. 68 b).
7) 1 c.
— 133 —
teilung über die Hälfte des gerechten Preises hinaus stattgefunden
hat, mag für das positive Recht passend sein, die natürliche Ge-
rechtigkeit begnügt sich damit nicht1). Diese verlangt eine mög-
lichst genaue Einhaltung der natürlichen Gleichheit. Andernfalls
kann nur eine invincibilis ignorantia die Tauschenden vor Begehung
einer Sünde schützen2). So ist der Zweck des »Handelns« der,
dem gerechten Preise möglichst nahe zu kommen3). Und dem
Satze: Tantum res valet, quantum vendi potest stellt er den anderen
Satz gegenüber, eine bestimmte Sache bemesse ihren Wert darnach
»quantum vendi debet«. Jenes »Können« des ersten Satzes sei als
ein Können im Sinne der Gerechtigkeit, soweit letztere nicht ver-
letzt werde, aufzufassen. Eine Übervorteilung könne ihren Grund
nur darin haben, daß z. B. der Käufer den wahren Wert nicht
kenne oder darin, daß der Verkäufer die Not des Käufers aus-
beuten wolle4). Bei voller Freiheit der Entschließung und klarer
Kenntnis des Wertes einer Sache würde keiner mehr geben wollen,
als er empfängt5). Man sieht: Die ethische Bindung des Tausches
ist hier in schroffster Weise durchgeführt. Das Äquivalenzprinzip
ist mit dem Gedanken eines Gewinnes unvereinbar.
Wie schon erwähnt ist die Wertlehre für die übrigen wirt-
schaftlichen Anschauungen Heinrichs entscheidend. Dies zeigt
sich zunächst in seiner Behandlung des Tausches verschiedener
Münzen gegeneinander.
Die Lehre vom Gelde enthält gegenüber der früheren Zeit
eine gewisse Weiterführung und Vertiefung. Als Erfordernisse des
Geldes werden die materia preciosa et utilis sowie das nötige Ge-
wicht, als dessen Garantie der Stempel erscheint, bezeichnet. Der
Wert des Geldes beruht auf denselben Faktoren wie der Wert der
anderen Dinge. Im Tausche freilich fungiert es als abstraktes
Wertäquivalent, oder wie Heinrich sagt: »Habet, inquantum num-
mus est, cursum suum habens, rationem pretii, non substantiae, ut
per pretium nummorum adaequentur pretia rerum venalium«6).
a) I.e., ferner II!, 28 (S. 138): Die vom römischen Rechte geforderte Gerechtig-
keit ist »inchoata et imperfecta«.
-) III, 28 (S. 138).
3) 1. c. Unde popter hoc permittuntur placitationes inter ementes et vendentes,
ut scilicet venditor rem' appreciet plus et emptor offerat minus, quousque venditore
auferente de appreciato et emente apponente ad oblatum sine omni coactione et deeep-
tione deveniatur ad aliquod medium, in quo ambo consentiunt et putant esse medium
et p.equale.«
4) I, 40 (S. 42 b.) cf. XIV, 14 (II, S. 357 bf.).
5) II, 15 (S. 68 b).
6) VI, 22 (S. 367).
— 134 —
Bei einem Tausche von Geld gegen Geld muß daher an sich
nach Gleichheit der Preise getauscht werden, wenn nicht besondere
Umstände eine höhere Forderung rechtfertigen1). Die Erörterung
dieser einzelnen Fälle führt Heinrich zu manchen wichtigen neuen
Aufschlüssen über das Geldwesen2). Wenn in einem Lande durch
staatliche Zulassung oder Anordnung mehrere Münzsorten um-
laufen, so kann das Wertverhältnis so festgesetzt werden, daß dem
Gewichte nach die eine Münze mehr wert sein müßte, als dem
pretium institutum entspricht. Dann darf der Besitzer diese höher-
wertige Münze aus dem Verkehr ziehen und das »pondus super-
excrescens« verkaufen und zwar in »forma ponderis« und nur in
dem Falle »nisi specialiter et publice a principe fuerit interdictum
vel ex natura institutionis numismatis per impressionem characteris
de iure communi sit interdictum, quemadmodum interdicta est
decopatio nummorum.«
Wäre das Wertverhältnis hingegen gerecht festgesetzt, so wäre
eine Mehrforderung nur berechtigt, wenn eine besondere Mühe-
waltung vorgelegen hätte. Der Wechslerstand hat mithin ein Recht
auf Existenz.
Eine Münze hingegen, die am Tauschorte nicht umläuft, ist
eine Ware wie alle anderen Dinge auch, kein pretium, sondern eine
»res apprecianda«. Sie kann daher nach ihrem inneren Metallwerte
gekauft bzw. verkauft werden, und wenn sie an ihrem Ursprung's-
orte einen höheren Kurswert hat, so kann der Käufer sie dorthin
bringen und zu einem höheren Werte »in usum ponere«. Der er-
zielte Gewinn ist eine Belohnung seiner Tätigkeit, seiner Industria.
Der Gewinn des Wechslers aus der Kursverschiedenheit der Münzen
wird also hier als »Arbeitslohn« aufgefaßt
Heinrich besitzt in mancher Hinsicht tiefere Kenntnisse des
Geldwesens als Thomas. So ist es ihm z. B. bekannt, daß ver-
schiedenwertige Münzen im Umlauf seien und die höherwertigen
aus dem Verkehr gezogen werden können. Freilich beschäftigt
ihn nicht das Problem als solches, sondern er sucht nach einer
ethischen Normierung des Vorganges.
Doch die letzten Erörterungen über den Gewinn des Wechslers
haben uns bereits zum Handel hingeführt.
IV. Der Stellung zum Handel3) liegt bei Heinrich von
Gent das bekannteWort aus (Pseudo-) Chrysostomus zugrunde, daß der-
*) 1. C.
2) Vgl. zum folgenden: 1. c. (S. 367 b.).
3) Vgl. zum folgenden: I, q. 40 (8.42b ff.).
— 135 —
jenige, der eine Ware unverändert weiter verkaufe, sündige. Hieran
anschließend erklärt er nur den Mehrwert für gerechtfertigt, der durch
eine zwischen Kauf und Verkauf stattgefundene Wert erhö hu ng
erzielt ist. Eine solche Werterhöhung kann in verschiedener Weise
vor sich gehen: durch Zusetzung körperlicher Arbeit, oder wrenn
der Kaufmann die Ware von einem Orte, wo sie infolge größerer
Menge weniger wert ist, nach einem Platze bringt, wo er einen
höheren Preis erzielen kann, oder wenn er eine Ware zu einer
Zeit, wo sie billig ist, aufkauft und zu einer anderen Zeit, wo sie
teuerer ist, verkauft. Ferner ist ein teuerer Verkauf erlaubt, wenn
z. B. ein Händler eine Ware, die auf dem Markte an sich zu ge-
ring bewertet ist, ihrem wahren Wert nach erkennt; er darf dann
die Ware zum Marktpreis kaufen und mit einem Aufschlag so-
gleich wieder verkaufen, weil durch seine Tätigkeit der Wert der
Ware allgemein erhöht ist — eine durchaus organische Ausge-
staltung des Äquivalenzprinzips, nicht etwa eine Durchbrechung
oder Lockerung desselben1). Also nur dann ist der Handel er-
laubt, wenn er zu einer Werterhöhung der Waren geführt hat, sei
es ratione substantiae, loci, temporis oder ementis. Auch er ist
also an die Forderung des gerechten Preises streng gebunden.
Im übrigen ist der Gewinn auch nur dann erlaubt, wenn er nicht
als Selbstzweck erstrebt wird, sondern wenn die Kaufleute darauf
ausgehen, »ut ... de lncro vivant«2).
In der Nichtbeachtung des gerechten Preises liegt die Gefahr
des Handels: »Unde, cum pauci sint mercatores, qui cum tanto
studio servandae aequitatis vendant et emant, summe periculosa
est venditionis et emptionis negotiatio«3).
Die Ausführungen über den Handel sind nichts anderes als
die scholastische Wirtschaftsethik in ihrer vollen Konsequenz; sie
sind aber ein getreues Spiegelbild der früher geschilderten anti-
kapitalistischen Motivrichtungen des mittelalterlichen Wirtschafts-
lebens und daher unverständlich, wenn sie nicht ergänzt werden
durch einen Blick auf die Verhältnisse des mittelalterlichen Marktes,
die Heinrich von Gent vorgeschwebt haben mögen.
V. Wucherlehre. Das Mutuum ist unter Bezugnahme auf
Luk. VI, 35 seiner Natur nach ein unentgeltlicher Vertrag: Jede
Hoffnung auf Gewinn ist daher in ihm unerlaubt4). Ein Darlehen
1) Der Betreffende hat dem eigentlichen Zweck des Handelns, der Feststellung
des natürlichen Wertes gedient. Vgl. S. 132 f.
2) 1- c. (S. 43).
:<) 1. c. (S. 42 b).
*) Quod. VIII, q. 24 (II, S. 46 b f.) und sonst.
- 136 -
liegt nun überall dort vor, wo das Geld nicht seiner eigentlichen
Natur entsprechend als medium emptionis et venditionis, sondern
tanquam extremum dient, wo also Geld gegen Geld getauscht
wird 1). In allen derartigen Verträgen ist jede Hoffnung auf Ge-
winn wucherisch, mag der Mehrwert in Geld oder in anderen
Dingen bestehen 2). Der Grund hierfür liegt nicht allein in einem
positiven kirchlichem Verbote, wie wohl Juden und Legisten be-
haupten3), die ersteren zur Rechtfertigung ihres Tuns, letztere im
Anschluß an das römische Recht4), sondern das Zins verbot ist in der
Natur der Sache begründet. Heinrich von Gent beweist dies vor
allem dadurch, daß beim Gelde Gebrauch und Verbrauch identisch
seien, daß daher nicht wie bei nutzbaren Gegenständen Substanz
und Nutzung getrennt verkauft werden könnten. Auch das Zitat
aus (Pseudo-)Chrysostomus5) kehrt wieder. Eine Eigentumsüber-
tragung am erwucherten Gelde lehnt Heinrich ab. Daher ist ge-
schäftlicher Verkehr mit solchen, von denen bekannt ist, daß sie
nichts als zu Unrecht erworbenes Geld besitzen, nicht gestattet,
wenn sie durch Ausgabe ihres Geldes in ihrer Restitutionsfähigkeit
geschädigt werden6).
Diese Lehre wird zunächst auf den Kreditkauf angewendet7):
Bei Stundung der Zahlung ist der Preis anzustreben, den die Ware
im Augenblick der Zahlung haben wird. Erwartet nun der Ver-
käufer z. B. eine Preissteigerung, so darf er bei Abschluß des Ver-
trages sich einen höheren Preis ausbedingen, als die betreffende
Ware zur Zeit des Abschlusses hat: Er muß sich aber bemühen,
möglichst genau den Wert in der späteren Zeit zu schätzen. Hat
er dann tatsächlich etwas mehr gefordert, so sündigt er zwar nicht,
muß aber — auch hier wird nur eine allerdings schroffe Konse-
quenz aus der Wertlehre gezogen — bei Erkenntnis seines Irrtums
den Überschuß zurückgeben, ebenso wie im umgekehrten Falle
der Käufer aufzulegen hätte. Eine Mehrforderung wegen der
Zahlungsverschiebung als solcher ist nicht gestattet.
!) l. C.
2) III, q. 28 (S. 138 f.). Es wird hier betont, daß ein Darlehen auch in
anderen Dingen gewährt werden kann als in Geld, was aber in den weiteren Ausfüh-
rungen kaum beachtet wird.
3) I, q. 39 (S. 40 b). VI, q. 26 (S. 374b).
4) Möglicherweise ist hier an den Glossator Accursius v. Bologna (1182 — 1260)
gedacht, der auf das römische Recht sich stützte und einen Zins an sich für erlaubt er-
klärte. Vgl. Ashley, a. a. O. I, 152.
5) I, q. 39 (S. 40).
6) IV, q. 27 (S. 212 f.).
7) Vgl. zum folgenden III, q. 28 (S. 139 f.).
— 137 —
Ähnliches gilt z. B. bei Verabredung des Pachtzinses auf
längere Zeit: Ändert sich der Wert der Nutzung eines bestimmten
Hauses, so muß der zu zahlende Preis dieser Veränderung ange-
paßt werden.
VI. Rentenverträge: Zum ersten Male in der Scholastik
behandelt Heinrich von Gent ausführlicher den Rentenkauf1).
Funk2) hat in seinen diesbezüglichen Äußerungen eine Wand-
lung angenommen im Sinne einer allmählichen Milderung seiner
Forderungen: Während er zuerst den Renten vertrag an sich über
haupt verworfen habe, habe er ihn später wenigstens in einigen
Formen gestattet Eine solche Entwicklung dürfte kaum vorliegen,
was sich schon daraus ergibt, daß sich Heinrich noch an der Stelle,
wo nach Funk bereits die Änderung vorliegen soll, auf seine
früheren Ansichten beruft und mit seinen dortigen Darlegungen
verbindet. Zu dem stimmen die einzelnen Ausführungen durch-
aus zueinander.
Für unerlaubt3) erklärt Heinrich den Erwerb einer Geldrente
unmittelbar gegen Geld, wenn dieselbe neu konstituiert wird und
nicht bereits vorher bestanden hat; — er verwirft also den eigent-
lichen Rentenkauf — , durchaus konsequent, wenn wir uns ver-
gegenwärtigen, daß er überall dort ein Mutuum sieht, wo Geld
gegen Geld getauscht wird, und für diesen Fall jede Hoffnung auf
einen Gewinn verbietet. Wenn die Juristen, betont er, in diesem
Vertrage einen einfachen Kauf- und Verkaufvertrag erblickten
und ihn deshalb für erlaubt erklären wollten, so sei damit das
wahre Wesen desselben nicht erfaßt, wie es sich bei Betrachtung-
des Theologen und Philosophen ergäbe; für diese läge ohne Zweifel
ein Mutuum vor: Denn der Erwerb einer Geldrente unmittelbar
gegen Geld ist von einem Darlehen in keiner Weise verschieden:
1) Aus der Zeit vor H. v. G. seien von denen, die rentenartige Verträge er-
örtern, genannt: Goffredo v. Tr., der den Fall bespricht, daß von Klöstern oder
Kirchen Besitzungen auf Lebenszeit erworben werden. Er weist die Ansicht derjenigen
zurück, die diese Verträge für erlaubt erklären im Hinblick auf das in ihnen vorliegende
incertura: »Sed puto contrarium eo, quod homines sperant vivere et sie taliter contra -
hentes credunt se amplius pereepturos de possessionum proventibus quam sit peeunia
quam dederumt. Et sicut in prineipio dictum est: sola spe contrahitur vitium usurarum
(1. c. n. 30, S. 214b). Hostiensis weist dies zurück, nur Gleichwertigkeit sei nötig.
Ebenso sei das Vorgehen derjenigen erlaubt: »qui oves vendunt vel donant et tradunt
monasteriis sub hoc pacto, quod pro quolibet ove reeipiant in anno duos solidos. (1. c.
8, Sp. 1626.) Vgl. Endemann, Studien II, S. 109 f.
2) Geschichte d. kirchl. Zinsverbotes S. 42 ff.
3) I, q. 39 (S. 40b f.); vgl. ferner II, q. 15 (S. 68 ff.); VIII, q. 24 (II, S. 46b f.);
XII, q. 21 (II, S. 258b f.); an letzterer Stelle Hinweis auf I, q. 39.
— 133 -
ob ich einem anderen eine Summe Geldes leihe und nach Ablauf
einer bestimmten Zeit Geld und Zinsen zurückfordere, oder ob ich
eine Rente erwerbe und in bestimmten Raten allmählich ultra
sortem erhalte, ist nichts wesentlich Verschiedenes; höchstens ist
die letztere Form für den Schuldner noch drückender. Die Hoff-
nung auf einen Gewinn, die im Darlehen die Wurzel des Wuchers
ist, ist von einem derartigen Vertrage nicht zu trennen : Bei Kauf
einer Rente auf Lebenszeit hofft der Käufer solange zu leben,
daß er einen Gewinn erzielt, und der Käufer erwartet das Gegen-
teil, von den ewigen Renten ganz zu schweigen1). Die Ungewißheit
für Käufer und Verkäufer kann nicht als Entschuldigungsgrund
dienen, weil sie die Hoffnung auf einen Gewinn nicht aufhebt.
Auch ein Darlehen kann in der Form gewährt werden, daß der
Gläubiger nach Jahresfrist Kapital und Zinsen zurückerhält, daß
aber, wenn er in der Zwischenzeit stirbt, beides dem Schuldner
verbleiben soll. Wie der letztere Vertrag wucherisch sei, so auch
der erstere. Einen von anderer Seite angeführten Grund gegen
die Erlaubtheit eines derartigen Rentenkaufes weist Heinrich
zurück: Daß der Verkäufer der Rente möglicherweise den
Tod des Käufers wünsche, mache den Vertrag an sich noch
nicht unerlaubt.
In anderen Fällen dagegen hält Heinrich den Rentenkauf
bzw. Verkauf für erlaubt2); z. B. in der Weise, daß jemand ein
Grundstück kauft und dieses gegen eine jährliche Rente in Leihe
oder Erbleihe gibt [haereditarie concedere2)], oder dadurch, daß
jemand einer Kirche oder einer Gemeinde seinen Besitz übergibt
und sich dafür auf Lebenszeit eine Rente vorbehält, oder dadurch,
daß ein Fürst seinen Dienstleuten eine Rente aussetzt, mag dieselbe
auf eine bestimmte nutzbare Sache basiert sein, oder auf das Ver-
mögen (bursa) des Königs schlechthin. In allen diesen Fällen ist
es gleichgültig, ob die Rente auf Lebenszeit oder für immer er-
worben oder gewährt wird. Nur wird natürlich bei einer ewigen
Rente unter sonst gleichen Verhältnissen die jährliche Quote
geringer sein.
Aber Heinrich geht noch einen bedeutenden Schritt weiter:
In allen Fällen, wo so eine Rente erlaubter Weise konstituiert ist,
kann der Besitzer derselben gegen eine bestimmte Geldsumme sie
weiter verkaufen: es wird dann nicht Geld gegen Geld getauscht,
J) VIII, q. 24.
-) Vgl. zum folgenden: VIII, q. 24; XII, q. 21,
— i39 —
sondern mit Geld das ius percipiendi, also an sich eine unkörper-
liche Sache erworben, sodaß in diesem Falle kein Verstoß gegen
das Wesen des Geldes, das als Tauschmittel dienen soll, und kein
Mutuum vorliegt. Eine Unterscheidung, die, wie wir noch sehen
werden, in der späteren Scholastik wiederkehrt. Auch der Zins-
kauf ist also berechtigt. Eine tiefere werttheoretische Durchdrin-
gung der Renten vertrage ist nicht versucht.
VII. Rückblick. Fassen wir die Ergebnisse zusammen, so
hat rein äußerlich betrachtet das Gebiet der behandelten Vertrags-
arten an Ausdehnung gewonnen. Neu treten die Rentenverträge
in die scholastische Literatur ein. Bezüglich der Anschauungen
vom Gelde haben wir eine Weiterentwicklung festgestellt. Im
übrigen sind die althergebrachten Anschauungen nicht weiter ge-
führt. Sie werden im einzelnen etwas rigoristisch durchgeführt.
Heinrich selbst erwähnt, daß nicht nur seine Anschauungen über
den Rentenkauf, sondern auch seine Lehre vom Handel Wider-
spruch gefunden habe1). Das erstere erscheint uns leicht begreif-
lich, wenn wir daran denken, daß weite Kreise mehr oder minder
an einer Aufrechterhaltung der von Heinrich verbotenen Renten-
käufe interessiert waren. Heinrich selbst erwähnt, daß sie von
staatlicher und kirchlicher Seite, wie von Klöstern, Beghinen, viel-
fach angewendet wurden 2).
Was bezüglich seiner Stellung zum Handel Anlaß zum Wider-
spruch bot, bleibt unklar. Wenn wir jedoch die spätere Entwick-
lung der scholastischen Wirtschaftslehre uns vergegenwärtigen, so
können wir vielleicht vermuten, daß die schroffe, jeden Gewinn
ausschließende Durchführung des Äquivalenzprinzips Anstoß erregte.
Heinrich selbst weist gelegentlich unwillkürlich darauf hin, daß
hier ein ungelöstes Problem ruhte: Er stellt einmal das Mutuum,
in dem jeder Gewinn verboten sei, dem Kauf und Verkauf gegen-
über, in dem eine Verletzung der Wertgleichheit verboten sei,
führt also den Gegensatz nicht konsequent durch3). So sind in
seinen Gedanken gewisse Lücken und Unklarheiten, die zum Wider-
spruch herausfordern und nach Ergänzung und Vertiefung ver-
langen. An den bezeichneten Punkten setzt die weitere Ent-
wicklung ein.
i) II, q. 15 (S. 68 f.).
2) I, q. 39 (S. 40b); II, q. 15 (S. 68 f.); VIII, q. 24 (II, S. 46b).
3) VIII, q. 24 (II, S. 46 b). Man vgl. hiermit den Satz aus Avicenna, der
Sum. quaest. ordin. p. I, a. 39 q. I. ad I (S. 244) zitiert wird: >Intendens est minoris
esse, quam quod intenditur.«
— 140 —
§ 3. Ricardus de Mediavilla.
I. Leben, Bedeutung und Schriften1): Ricardus de Media-
villa (Heinrich von Middletown) ist wie Heinrich von Gent ein Zeit-
genosse des Thomas von Aquin. Weder sein Geburts- noch Sterbe-
jahr lassen sich sicher ermitteln. Wahrscheinlich starb er in den
Jahren 1300 bis 1307. Er war Mitglied des Franziskanerordens,
stand aber in seinen theologischen und philosophischen Anschau-
ungen Thomas von Aquin nahe. Die wichtigeren, für uns in Be-
tracht kommenden Schriften des Doctor solidus oder fundatissimus,
wie das Mittelalter ihn nannte, sind sein Kommentar zu den Sen-
tenzen des Petrus Lombardus, sowie ein Reihe Quodlibeta. Für
die Entwicklung der Wertlehre ist er von größter Wichtigkeit.
IL Privateigentum und Notwendigkeit des Tausches:
Die Notwendigkeit2) des Gemeinschaftslebens für die Menschen
ergibt sich aus deren Bedürfnis nach gegenseitiger Aushilfe und
Unterstützung, zumal in wirtschaftlichen Dingen. Die wechselseitige
Unterstützungspflicht greift aber über die Grenzen des eigenen
Landes hinaus: »omnes homines secundum rectum dictamen naturae
debent subvenire sibi invicem in contractibus suis inquantum sunt
viventes sub uno principe, qui princeps Deus est«3). Es hat dies
in der wirtschaftlichen Tatsache seinen Grund, daß die einen
Länder an Gütern Überfluß haben, an denen die anderen Mangel
leiden, und umgekehrt4).
Die Stellung zur Eigentumsordnung ist wie überall von natur-
rechtlichen Erwägungen bestimmt: Es ist die naturgesetzliche Be-
stimmung der irdischen Güter, der Menschheit als solcher zum
Unterhalt zu dienen. Das Privateigentum erscheint im Hinblick
auf den durch dasselbe gewährleisteten besseren und friedlicheren
Verlauf des wirtschaftlichen Lebens als dem ius naturae »consona
pro statu naturae lapsae«. Freilich hört im Falle äußerster Not
für den einzelnen das Privateigentum auf5).
III. Wert und Wertgleichheit. Mit Bestehen des Privat-
eigentums ergibt sich die Notwendigkeit des Austausches. Über
das Wesen des Wertes hat Ricardus sich nirgends ausführlicher
geäußert, er gibt nur eine Reihe einzelner Angaben, die insofern
J) K. L. X. 1180 f. Überweg -Heinze II, S. 327 ff. Hurter II, 467 ff. ein
kurzer Hinweis auf R. d. M. findet sich bei Pesch: Lehrb. II, S. 52, Anmerkung 1.
2) Sent. IV, 26, a. 1, q. 1.
3) Quod. II, 23, a. 1.
4) 1. c.
5) Sent. III, 37, 3, 4; Sent IV, 15, 5, 4.
— Mi —
ein gewisses subjektives Gepräge tragen, als die Verschiedenheit
des Wertes der einzelnen Waren nach Ort und Zeit und nach der
Schätzung der einzelnen Tauschenden hervorgehoben wird und
als bestimmend hierfür regelmäßig der größere oder geringere Vor-
rat der in Betracht kommenden Güter erscheint: »aliquid esset mo-
dicum diviti, quod esset multum pauperi« x).
Aber gleichwohl erscheint die Vorstellung eines normalen
durchschnittlichen Wertes als herrschend: Die vom Naturrecht ge-
forderte reale Gleichheit der getauschten Dinge geht auf den Wert
an sich. Dieser Gedanke eines festen Wertes wird auch durch
den Hinweis auf den weiten Spielraum des gerechten Preises nicht
aufgehoben2). Für bestimmte Orte und Zeiten gilt ein bestimmter
Preis als gerecht.
Mit dieser Auffassung der Wertgleichheit verbindet sich nun
bei Ricardus eine andere Vorstellung: nämlich die, daß jeder im
Tausche gewinnen will. DieFrage, »quomodoiustaemercationes,
in quibus tantum dat emens, quantum accipiat, sunt lucrativae«
bildet den Kernpunkt seiner Preislehre3). Sie war, wie oben ge-
zeigt, bereits durch die Erörterungen seiner Vorgänger über das
iustum pretium brennend geworden.
Ricardus weist zunächst zur Lösung des gestellten Problems auf
den auswärtigen Handel hin: Wenn von zwei Ländern das eine an
Wein Überfluß hat und an Getreide Mangel, so werden dort die
Preise für Wein niedrig, für Getreide dagegen hoch stehen; für
das andere Land, das an Getreide Überfluß hat und an Wein
Mangel, gilt das Umgekehrte. Nun kann ein Kaufmann aus dem
ersten Lande in das zweite gehen und hier zu dem dort geltenden
Preise Getreide kaufen und dasselbe in dem eigenen Lande zu
dem dort geltenden Preise verkaufen. Dann ist hier wie dort der
gerechte Preis bezahlt und doch ein Vorteil erzielt. Ein Kauf-
mann aus dem zweiten Lande könnte im ersten Wein kaufen und
denselben in seiner Heimat verkaufen und so, ohne Verletzung des
gerechten Preises in der gleichen Weise einen Gewinn erzielen4).
»Vides ergo«, so schließt Ricardus, »quando possent esse iustae
in se mercationes lucrativae propter mutuam indigentiam in diversis
partibus mundi«5).
1) Quod. II, q. 29.
2) Quod. II, q. 23, a. 3 ; ib. a. 7, dub. I ; Sent. III, 23, a. 3, q. 4.
3) Quod. II, q. 23, a. 1.
4) Quod. II, 23, a. I; ib. a. 7, dub. I.
5) 1. C.
— 142 —
Was für den Verkehr zwischen verschiedenen Ländern gilt,
gilt in ähnlicher Weise auch für den Tausch verkehr innerhalb des
eigenen Landes: Wenn jemand z. B. an Wein Überfluß besitzt
und an Getreide Mangel und ein anderer umgekehrt, so kann der
erstere seinen Wein verkaufen zu dem geltenden Preise und mit
dem erhaltenen Gelde wieder zum herrschenden Preise Getreide
kaufen ; der andere kann entsprechend verfahren : beide haben dann
einen Gewinn gemacht: »Ille autem, qui pro re, quae non est sibi
necessaria, acquirit rem sibi necessariam, lucratur, quamvis illae
res ex parte sua sint aequivalentes«1). Das einzutauschende Gut
gewährt dem Käufer einen höheren Nutzen als das vorher von
ihm besessene. In diesem Sinne wiederholt Ricardus das Prinzip
seiner Lösung an einer anderen Stelle: »servata iustitia potest esse
commutatio lucrativa tarn ementi quam vendenti, quia pecunia,
quam vendens recepit pro equo vendito sibi est utilior quam esset
equus, et equus utilior est ementi quam pecunia, quam pro equo
dedit, quoniam vendens plus indiget pecunia, quam equo et emens
plus indiget equo quam pecunia«2).
Der Gedanke, daß die Wertgleichheit eine Gleichheit der
normalen Werte verlange, ist also hier organisch mit dem andern
verschmolzen, daß der Tausch vom Gewinnprinzip beherrscht ist.
Über die Anschauungen Richards vom Gelde sind schon
einige Andeutungen gemacht. Er sieht im Gelde das »precium,
mensura et medium in emptionibus et venditionibus«, das daher
weder gekauft noch verkauft werden kann 3). Näher hat sich Ricardus
nicht damit befaßt. Auch über seine Stellung zum Handel ist aus
dem früher Gesagten einiges zu entnehmen: jedenfalls ist der
Handel, der von den Wertunterschieden der Waren in den einzelnen
Ländern profitiert, erlaubt. Näher hat sich Ricardus auch hiermit
nicht befaßt.
IV. Rentenartige Verträge: Zu den Tausch- bzw. Kauf-
und Verkaufsverträgen im weiteren Sinne gehören auch noch
gewisse rentenartige Verträge, auf die im folgenden kurz hinge-
gewiesen sei. Ricardus behandelt zunächst
a) die emptio praedii ad vitam4). Dieser Vertrag ist nur er-
laubt, wenn in Hinsicht auf das Alter des Käufers, seinen Gesund-
heitszustand, überhaupt seine Lebenserwartung, sowie im Hinblick
1) 1. c.
2) Sent. III, 33, a. 3, q. 4.
3) Quod. II, 23, a. 6.
4) Quod. n, 23, a. 3.
— 143 —
auf den wahrscheinlichen Ertrag des Landgutes und die zur Er-
zielung desselben nötigen Aufwendungen und Kosten weder Käufer
noch Verkäufer in bedeutendem Maße im Vorteil zu sein scheint.
b) Die emptio pecuniae ad vitam1): Gegen Zahlung einer be-
stimmten Geldsumme erwirbt der Käufer das Recht auf eine jähr-
lich bis zu seinem Lebensende zu zahlende Geldsumme (redditus);
und zwar ist die Rente fundiert: »super bonis ipsius vendentis«2).
Abweichend von Heinrich von Gent, der den Erwerb einer neu
zu bildenden Rente unmittelbar gegen Geld verworfen hatte, betont
Ricardus, daß auch ein derartiger Rentenvertrag ein wahrer Kauf
bzw. Verkaufsertrag sei, nicht etwa ein Mutuum: Es werde hier
nicht Geld gegen Geld getauscht, sondern das ius percipiendi käuf-
lich erworben. Ricardus erwähnt folgenden Fall, der die näheren
Bedingungen dieses Vertrages zeigt: Männer und Frauen kaufen
sich eine Rente unter der Bedingung, daß sie innerhalb einer Zeit
von acht Jahren das eingezahlte Kapital zurückerhalten. Ricardus
weist darauf hin, daß die Erlaubtheit dieses Vertrages strittig sei.
Er selbst erklärt ihn für erlaubt, indem er auf den früheren Ver-
trag zurückgreift: Ich kann mir ein Landgut auf Lebenszeit kaufen,
kann dieses für Zeit meines Lebens an einen anderen übertragen
mit der Verpflichtung, mir jährlich eine bestimmte Rente zu zahlen.
Auch die Erlaubtheit dieses Vertrages setzt annähernde Wert-
gleichheit zwischen Käufer und Verkäufer voraus. Werde z. B.
der Vertrag, wie es häufig geschehe, in der Weise geschlossen,
daß 25jährige Männer und Frauen gegen eine bestimmte Geld-
summe eine Rente erwürben von der Höhe, daß sie in einer Zeit
von acht Jahren das Kapital zurückerhielten, so sei dies nur dann
erlaubt, wenn die betreffenden Personen so krank wären, oder in
solchen Lebensgefahren schwebten, daß ihre wahrscheinliche Lebens-
dauer sich nur auf acht Jahre beliefe. Im allgemeinen sei daher
diese Form »salvo meliori iudicio« nicht erlaubt.
c) Die emptio haereditariae terrae3). Dieser Kauf auf ewige
Zeiten entspricht dem Kauf eines Landgutes auf Lebenszeit. Er
ist gestattet, wenn für beide Teile, Käufer wie Verkäufer, die
Gleichheit hinsichtlich der Möglichkeit zu gewinnen oder zu ver-
lieren gewahrt ist.
*) Quod. II, 23, a. 4; ib. a. 7, dub. 2. Der Erwerb einer Geldrente wird
1. c. a. 6 als »contractus bursalis« bezeichnet.
2) 1. c. a. 6.
3) Quod. II, 23, a. 5.
— i44 —
d) Die emptio haereditariae pecuniae1) (emptio haereditarii
redditus, contractus bursalis), also der Kauf einer ewigen Geldrente.
Analog dem Kauf einer Geldrente auf Lebenszeit wird auch die
Erlaubtheit dieses Kontraktes gestützt auf die Erlaubtheit des
vorigen Vertrages: Man könnte ein Landgut auf ewige Zeiten
kaufen, dieses einem anderen für immer übergeben und ihm die
Verpflichtung auferlegen, eine jährliche Rente von bestimmter
Höhe zu zahlen. Das Prinzip der Wertgleichheit gilt auch hier,
macht aber Ricardus ersichtlich Schwierigkeiten: Wenn ein anderer
gegen Zahlung eines einmaligen Kapitales für immer, auch für
seine Nachkommen, die Verpflichtung übernimmt, eine Rente zu
zahlen, so könnte es scheinen, daß dieser Vertrag offensichtlich
zugunsten des Rentenkäufers wäre; einer einmaligen Zahlung steht
eine unbegrenzt wachsende Summe gegenüber. Ricardus sucht
die Schwierigkeit durch den Hinweis darauf zu lösen, daß hier
nicht darauf gesehen werde, was der erste Käufer erhalte und was
dessen Nachkommen und sofort, sondern darauf, welchen Wert die
Gesamtrente für den ersten Bezieher habe und da gelte der Satz,
»ius naturale dictat, quod res sit amabilis magis in seipso,
quam in filio et magis in filio quam in nepote et in nepote
magis quam in pronepote« 2). So käme für den ersten Käufer
eine Begrenzung des Wertes zustande und könne die Wertgleich-
heit gewahrt werden3).
V. Darlehen und Wucher. Zwischen Darlehen und Kauf
bzw. Verkaufsvertrag besteht ein grundlegender Unterschied. Beim
Kauf und Verkaufsvertrag gehen die Kontrahenten, wie früher
gezeigt, von der Absicht aus, einen Gewinn zu machen. Beim
Darlehen ist hingegen die Absicht einen Gewinn zu erzielen uner-
laubt4), wenn diese Absicht der Hauptbewegungsgrund zur Ge-
währung des Darlehens ist; sonst ist die Hoffnung auf einen frei-
willig von Seiten des Schuldners geschenkten Zins erlaubt5). Die
naturrechtliche Unentgeltlichkeit des Darlehens wird im Anschluß
an Thomas bewiesen6). Im Mutuum seien Gebrauch und Ver-
!j 1. c. a. 6; a. 7, dub. 3. Sent. IV, 15, 5, q. 5.
2) 1. c.
3) Es ist hiermit, wenn auch unklar, die Bedeutung der Zeit für die mensch-
liche Schätzung anerkannt.
4) Quod. II, 23, a. 2 : »mutuum est aliquid translatum ab aliquo in alterius do-
minium et possessionem obligans recipientem ad aequalia mutuanti. Et est de natura
istius contractus, quod sit gratuitus.«
5) Quod. II, 23, not. 1.
6) Sent. IV, 15, 5, q. 5.
— 145 —
brauch der Dinge identisch. Der Mehrertrag, der mit dem Gelde
(ex pecunia) erzielt wird, wird gewonnen »per industriam et laborem
vel fortunam«1). Hieraus wird dann in fast sozialistisch klingender
Weise gefolgert: »homo dominus est sui laboris et industriae«2).
Auch der Hinweis auf die Lucasstelle fehlt nicht. Die Aufnahme
eines verzinslichen Darlehens ist nur im Falle der Not gestattet.
Not liegt nach Ricardus dann vor, »quando homo notabiliter dam-
nificaretur vel notabilem penuriam pateretur«. Ohne Zweifel spielt
hier wieder die Vorstellung des standesgemäßen Unterhaltes hinein,
die auch sonst bei Ricardus sich häufig findet3).
Von Zinstiteln4) kennt Ricardus folgende: i. die Konven-
tionalstrafe; sie ist erlaubt, wenn sie nicht zur Umgehung des
Zinsverbotes verwendet wird5). 2. Der Zinstitel des interesse: Als
Beispiel wird der Fall angeführt, daß z. B. durch verspätete Zahlung
des Schuldners dem Gläubiger ein Schaden erwächst. 3. Der Zins-
titel der Gefahr: im Falle, daß die Möglichkeit des Verlustes für
Kapital und Gewinn besteht, darf der Gläubiger etwas über
das Kapital hinaus fordern. Es scheint im letzteren Falle an ein
gemeinsames Handelsunternehmen gedacht zu sein6); die Stelle ist
jedenfalls nicht ganz klar.
VI. Rückblick. Die Bedeutung Richards liegt vor allem
in der Durchführung des Gewinnprinzips im Tausche: Er verbindet,
wie gezeigt, diesen Gedanken mit dem alten der absoluten Wert-
gleichheit. Gewiß ist die Durchführung des Gedankens mangel-
haft; vor allem führt der allgemeine, normale Wert eine etwas
merkwürdige Existenz, wo doch die Einzelnen den Wert der Güter
durchaus individuell verschieden bestimmen. Aber geschichtlich
ist der Versuch von allergrößter Bedeutung : Es war damit für die
•Folgezeit das Problem entschieden gestellt, an das die Weiterent-
wicklung der Wertlehre anknüpfen konnte. Werttheoretisch ist
interessant seine Stellungnahme zum Kauf einer ewigen Rente un-
mittelbar gegen Geld. Es gelingt ihm diese Art des Rentenkaufes
organisch in seine übrigen Ideen einzugliedern durch Anwendung
des erwähnten Wertprinzips, was Heinrich von Gent, wie gezeigt,
!) Sent. IV, 15, 5, q. 5. ad 1.
2) 1. c. q. 6.
3) 1. c. q. 5. ad. 2. cf. Quod, III, 20; Sent. IV, 15, 5. q. 4.
4) Sent. IV, 15. 5. q. 5.
5) Die Konventionalstrafe wird bei Thomas nicht behandelt, ist aber der Scho-
lastik vor ihm durchaus bekannt. Vgl. z. B. Hostiensis 1. c. n. 1 (Sp. 1613), Goffred.
v. Tr. (1. c. n. 3 [S. 212]). Näheres bei Lessei a. a. O. S. 20 f.
6) Vgl. Lessei a. a. O. S. 56 f.
Beitrage zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft 1. 10
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
— 146 —
noch nicht hatte erreichen können. Es war damit der Scholastik
der Weg gebahnt, der zur Erkenntnis der werttheoretischen Be-
deutung der Zeit führen konnte.
§ 4. Duns Scotus.
I. Bedeutung im allgemeinen, Leben und Schriften x).
Duns Scotus ist neben Albertus Magnus und Thomas v. Aquin
der bedeutendste Scholastiker des Mittelalters. Sein theologisches
wie philosophisches System ist von einem gewissen Gegensatz gegen
das thomistische getragen. Bei unbedingter Festhaltung des über-
kommenen Glaubens steht er im übrigen der Tradition vorurteils-
frei mit kritischem Blick gegenüber. In verstärktem Maße weist
er auf Augustinus zurück, während Aristoteles und seine schola-
stischen Vorläufer von ihm scharf kritisiert werden. Wegen der
Schärfe seines Geistes erhielt er den Ehrennamen eines Doctor
subtilis.
Das Geburtsjahr des Duns Scotus ist nicht sicher zu ermitteln,
dürfte aber wohl mit Recht in die Jahre 1265 oder 1266 zu ver-
legen sein. Er starb als Mitglied des Franziskanerordens, der
auch die Mehrzahl der Anhänger der an Duns Scotus sich an-
schließenden und nach ihm benannten scotistischen Schule stellte,
am 8. November 1308 in Köln.
Neben mehreren Werken meist logischen, grammatischen und
metaphysischen Inhalts sind seine Hauptschriften und kommen für
uns ausschließlich in Betracht: Das Opus Oxoniense, wohl in den
Jahren 1301 bis 1304 verfaßt in Form eines Kommentars zu den
Sentenzen des Petrus Lombardus, ferner die Reportata, ebenfalls
ein Sentenzenkommentar, der aber kürzer und zeitlich nach jenem
ersten abgefaßt ist. Sie sind eine Nachschrift seiner in Paris ge-
haltenen Vorlesungen; Seeberg charakterisiert das Verhältnis der
beiden Sentenzenkommentare als das »eines Kollegheftes zu einem
größeren Werke«2).
Duns Scotus' Äußerungen über wirtschaftliche Dinge bieten
materiell im Verhältnis zur früheren Zeit wenig Neues. Gleichwohl
sind sie ausgezeichnet durch Klarheit und Unvoreingenommenheit
des Blickes, größere Selbständigkeit gegenüber gewissen traditio-
nellen Anschauungen und klare systematische Formulierung.
IL Die Eigentumsordnung. Über die Lehre vom gerechten
Preise handelt Duns Scotus dort, wo er von der Restitutionspflicht
J) Über Duns Scotus siehe Seeberg: Artikel in R. E. V. S. 62 ff. Ferner K.
L. X., 2127 ff. Hurter II, 453 ff. Überweg-Heinze II, S. 320 ff.
2) a. a. O. S. 64.
— 147 —
spricht. Die Idee der Gerechtigkeit im Tausche setzt das Privat-
eigentum voraus; letzteres ist das »fundamentum omnis iniustitiae
in contrectando rem alienam«. Als Grundlegung einer Theorie
vom gerechten Preise muß daher zunächst die Eigentumsordnung
behandelt werden1): Um so mehr dürfte dies gerechtfertigt sein,
als die scotistische Eigentumslehre wohl die ausführlichste der
Scholastik überhaupt ist.
Als naturgesetzliches Ziel jeder Eigentumsordnung, sie sei
Kommunismus oder Privateigentum, bezeichnet Duns Scotus die
Gewährleistung der »pacifica et congrua conveisatio« der mensch-
lichen Gesellschaft und der Erlangung der »necessaria sustentatio«
des einzelnen. Vor dem Sündenfalle nun und im Hinblick auf die
menschliche Xatur als solche, wenn von deren sündhaften Neigungen
abgesehen wird, wird dieses Ziel in wirksamster Weise durch Ge-
meineigentum erreicht: es fehlen alle Triebe zu widerrechtlicher
Aneignung, jeder deckt seinen augenblicklichen Bedarf und nur
diesen. In diesem Sinne spricht Duns Scotus von einem natur-
gesetzlichen Kommunismus und sagt von der lex naturae: »ipsa
autem determinavit in natura humana hoc, quod omnia essent
communia«2).
Im Hinblick jedoch auf die menschliche Natur, wie sie jetzt
ist, ist jenes praeceptum legis naturae widerrufen worden (revo-
catum est post lapsum)3). Jetzt erfordert die Erreichung des oben
dargelegten Zweckes der Eigentumsordnung als vernunftgemäßes
Mittel das Privateigentum: der einzelne würde sich sonst über
seinen Bedarf hinaus Güter aneignen und würde vor gewaltsamem
Kampfe, der den Sieg des Stärkeren zur Folge hätte, nicht zurück-
schrecken; die Bedarfsdeckung des Schwächeren würde daher ge-
fährdet sein. Damit ist die Rechtmäßigkeit des Privateigentums
gegeben; im Hinblick auf das Naturgesetz ist also die »licentia
appropriandi et distinguendi communia« an sich gewährt: Das Privat-
eigentum ist eine Folgerung aus dem Naturgesetz. Doch ist mit
dem Nachweis der Rechtmäßigkeit des Privateigentums als solchem
noch nicht der Nachweis der Rechtmäßigkeit der konkreten Eigen-
tumsordnung, der actualis distinctio dominiorum, insbesondere noch
nicht der Rechtmäßigkeit der ersten historischen Begründung des
Privateigentums, der prima distinctio, gegeben. Letztere kann
*) Sent. IV, 15. q. 2 (3 — 8). (XVIIL, 256 ff)., Rep. IV. 15. seh. I. (7 — 12)
(XXIV, 233 ff.).
2) Sent. 1. c. (XVIII, 265).
3) Sent. 1. c. (XVIII, 258).
10*
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ihren Grund nur in einem positiven menschlichen, gerechten Gesetz
haben. Damit ein Gesetz gerecht sei, ist neben der Angemessen-
heit desselben für das allgemeine Wohl der Erlaß von Seiten einer
zuständigen Autorität erforderlich. Die Berechtigung zwingende
Vorschriften zu erlassen, besitzt einmal der Vater nach dem Natur-
rechte seinen Kindern gegenüber, dann das staatliche Oberhaupt, sei
es in einer Einzelperson oder in einer Mehrheit solcher dargestellt.
Die Rechtmäßigkeit seiner Autorität hängt, wie Duns Scotus suppo-
niert, ab: »ex communi consensu et electione ipsius communitatis« x).
Ist so die Staatsgewalt rechtmäßig, so ist es auch die von
ihr als Gesetz erlassene Eigentumsordnung. Duns Scotus nimmt
folgende juristischen Konstruktionen vor: entweder habe Noe seinen
Nachkommen nach der Sündflut die einzelnen Länder zugeteilt,
oder die Menschen selbst hätten eine Teilung vereinbart, wofür
an das Beispiel von Abraham und Lot erinnert wird. Oder man
habe sich dahin geeinigt, und möglicherweise ein ausdrückliches
Gesetz erlassen: »quod res tunc non occupata, esset primo occupantis.«
Der Satz also: »Quod nullius est, occupanti conceditur« ist, wie
Duns Scotus übrigens an einer anderen Stelle noch ausdrücklich
hervorhebt, nicht »stricte« naturrechtlichen, sondern positivrecht-
lichen Ursprungs2); eine Anschauung, die in der Scholastik ver-
einzelt dasteht, während man sonst wohl die scotistische Eigen-
tumslehre als typisch mittelalterlich ansehen kann.
III. Tausch und Wertlehre. Hat der einzelne ein Recht
auf sein Eigentum, so kann er dieses Recht auch an einen anderen
abtreten. Wie er durch einen Willensakt die Dinge besitzt, kann
er durch einen Willensakt sie auch auf andere übertragen3).
Dies findet vor allem im Tausche statt. Derselbe ist durch
das Prinzip der Entgeltlichkeit charakterisiert und z. B. von Schen-
kungen unterschieden, »transferens expectat aliquid aequivalens
ei, quod transfert« 4).
Die Gesamtheit der Tauschvorgänge läßt sich nun nach ver-
schiedenen Gesichtspunkten einteilen:
a) Duns Scotus unterscheidet einmal solche Tauschverträge,
in denen volle Eigentumsübertragung an den getauschten Dingen
stattfindet, von solchen, in denen nur ein Recht der Nutznießung
J) 1. c. (XVIII, 266).
2) 1. c. (XVIII, 271). cf. 1. c. (XVIII, 265). Ferner Rep. 1. c. seh. 1. (12).
(XXIV, 235 f.).
3) Sent. IV., 15, q. 2. (11), (XVIII, 277) cf. Rep. 1. c. seh. 2. (13) (XXIV, 236)
«) 1. c. (12) (XVIII, 282).
— 149 —
eingeräumt wird1). Als Arten der ersteren werden bezeichnet:
i. Der unmittelbare Austausch von Nutzgegenständen (permutatio) ;
2. Kauf und Verkauf (emptio et venditio); dadurch von ersterem
unterschieden, daß hier Geld gegen Nutzgegenstand, bzw. Nutz-
gegenstand gegen Geld getauscht wird. Das Geld dient der Er-
leichterung des Tausches: »ad hoc ponitur numisma, ut sit medium
faciliter commutandi.« 3. Das Darlehen (mutuum). In demselben
findet ein Tausch von Geld gegen Geld statt: »numismatis pro
numismate commutatio.« Diese Auffassung trat uns bereits früher
entgegen. Ebenfalls ein Tausch von Geld gegen Geld ist das
cambium, das Geldwechselgeschäft. Es wird in den Reportata
unmittelbar dem Mutuum koordiniert'2). Als Verträge, in denen nur
das Nutzungsrecht an den getauschten Gütern übertragen wird,
erwähnt Duns Scotus nur kurz die accommodatio und die locatio
und conductio, die in ihrem Unterschiede dem zwischen dem un-
mittelbaren und dem durch Geld vermittelten Tausche entsprechen.
b) Nach dem Zwecke des Tausches unterscheidet Duns Scotus,
offenbar im Anschluß an Aristoteles, die commutatio oeconomica
und die »commutatio negotiativa«3); erstere hat die unmittelbare
Deckung eines Bedürfnisses zum Ziel, während bei letzterer ge-
kauft wird, um mit Gewinn wieder zu verkaufen; »commutans
intendit mercari de re, quam acquirit, quia emit, non ut utatur, sed
ut vendat et hoc carius«; er fährt dann fort: »et haec negotiativa
dicitur pecuniaria vel lucrativa«. Mit den letzten Worten wird
deutlich das Gewinnstreben des Händlers betont.
c) Endlich scheidet Duns Scotus zwischen einem Vertrage,
der für die Gegenwart abgeschlossen wird, wo Leistung oder Gegen-
leistung der Vereinbarung und den Absichten der Vertrag-
schließenden entsprechend augenblicklich stattfinden soll, einer
»commutatio statim facta«, einer »commutatio pro praesenti« und den-
jenigen Verträgen, bei denen der Termin der Erfüllung, vor allem
der Termin der Zahlungsleistung der Zukunft angehört. Zu ersterer
Gruppe gehören im allgemeinen die oben angeführten Vertragsarten,
wie Kauf, Verkauf, Darlehen, Verpachtung, bei denen Zahlung
gleich nach beendeter Leistung erfolgt; zu letzterer gewisse Arten
später zu erörternder Kreditgeschäfte4).
*) Vgl. zum folgenden: Sent. 1. c. (12); (XVIII, 282); Rep. 1. c. seh. 2 (18)
(XXIV, 238).
2) Rep. 1. c.
3) Sent. 1. c. (22); (XVIII, 317).
4) Sent. 1. c. (I9f.); (XVIII, 293 f.).
— 150 —
Es dürfte ohne weiteres ersichtlich sein, daß Duns Scotus mit
dieser Systematisierung kaum über das von der Zeit vor ihm Ge-
leistete hinausgekommen ist. Seine Wertlehre zeigt jedoch gewisse
Eigenheiten1).
Es ist nach ihm eine Forderung des natürlichen Sittengesetzes:
»Hoc facias alii, quod tibi vis fieri«. Auf den Tausch angewendet,
fordert dieser Satz Gerechtigkeit, näherhin Wertgleichheit; denn
die Gerechtigkeit im Tausche, die justitia commutativa, verlangt
äußere Gleichheit der Dinge. Dies gilt im allgemeinen gesagt von
allen erwähnten Arten des Tauschvertrages, wenn sich auch bei
der Durchführung im einzelnen gewisse Verschiedenheiten ergeben.
Wir behandeln zunächst den unmittelbaren Austausch, sowie
den Kauf und Verkauf, bei denen sich die Fragen des justum
pretium am einfachsten gestalten:
Duns Scotus faßt die Bedingungen der Gerechtigkeit des
Preises in diesen Fällen dahin zusammen: »quod domini rerum
juste eas permutant, si sine fraude servent aequalitatem
valoris in commutatis secundum rectam rationem«.
Einmal hat also vom Tausche jeglicher Betrug fernzubleiben.
Derselbe kann, wie Duns Scotus der Tradition gemäß ausführt, in
der Substanz der getauschten Dinge liegen, wenn z. B. unechtes
Gold statt echten Goldes gezahlt wird, oder in der Quantität, d. h.
wenn nicht das versprochene Maß, Gewicht oder die versprochene
Anzahl geliefert wird, oder endlich, wenn eine schlechtere als die
vereinbarte Qualität übergeben wird; hält der Verkäufer diese Be-
dingungen nicht ein, so fügt er unerlaubterweise dem Käufer
Schaden zu. Letzterer hat eben unter für ihn günstigeren Be-
dingungen den Tauschvertrag abgeschlossen.
Die folgende hierüber hinausgehende Bedingung ist für uns
ungleich wichtiger: sie verlangt Wertgleichheit. Was versteht nun
Duns Scotus unter dem Werte der Dinge. Die für seine Wert-
lehre entscheidende Stelle lautet: »Sequitur in illa regula, quod
aequalitas valoris est servanda. Hoc probatur per Augustinum.
13. Trin. c. 3: »Vili velle emere et care velle vendere, revera vitium
est.« Et hoc intelligendo de re vili et cara quantum ad usum,
quia frequenter res, quae in se est nobilior in esse naturali, minus
est utilis usui hominum: et per hoc minus pretiosa secundum
Augustinum de Civ. 1. 2. c. 16: Melior est in domo panis quam
mus, cum tarnen omne vivum nobilius sit simpliciter non vivo in
*) Vgl. hierzu Sent. 1. c. (13—15); (XVIII, 282 ff.). Rep. 1. c. seh. 2. (i9ff.)
(XXIV, 238 f.).
esse naturae. Et propter hoc additur secundum rectam rationem,
attendentem scilicet naturam rei in comparatione ad usum humanuni,
propter quem fit commutatio ista«. Seit Thomas v. Aquin finden
wir hier zum ersten Male wieder eine etwas ausführlichere Erör-
terung des Wertes als solchen: sie schließt sich eng an Augustinus
an, während Aristoteles überhaupt nicht erwähnt wird. Das subjektive
Moment des Bedürfens erscheint als Grundlage des Wertes und
beherrscht damit den Tausch. Duns Scotus steht hiermit im Gegen-
satze zu Albertus Magnus und Thomas v. Aquin, die freilich auch
die Bedeutung des Bedürfnisses für den Tausch nicht übersehen
hatten, aber die in der Gleichheit des Wertes bestehende Gerech-
tigkeit des Preises vermeintlich an Aristoteles sich anschließend
auf die objektiven Faktoren von Arbeit und Kosten funda-
mentierten.
Im Tausche wird also eine res utilis gegen eine andere, gleiche
res utilis getauscht1). Worin besteht nun näherhin diese Wert-
gleichheit? Nennen wir zwecks besseren Verständnisses die beiden
Tauschenden A und B, die ihnen gehörenden Güter C und D.
Wenn dann A dem B sein Gut C übergibt und D dafür wieder
empfängt, so setzt A sein Gut C nicht etwa dem anderen Gute D
gleich, sondern letzteres wird höher geschätzt als das eigene Be-
sitztum ; sonst würde A nicht zum Tausche schreiten wollen ; von B
gilt das Entsprechende: beide Kontrahenten erwarten vom
Tausche Vorteil. In geistreicher Weise findet Duns Scotus dies
in dem Worte »contractus« ausgesprochen: »Alia translatio . . .,
ubi transferens exspectat aliquid aequivalens ei, quod transfert,
dicitur proprie contractus, quia ibi simul trahuntur voluntates partium ;
trahitur enim iste ad transferendum in illum a commodo, quod ex-
pectat transferendum in se«2). Eine bewußte Ausgleichung des
Äquivalenz- und Gewinnprinzips finden wir bei Duns Scotus nicht;
beide stehen anscheinend unvermittelt nebeneinander. Ist die
Lösung des Problems vielleicht dieselbe wie bei Ricardus de Media-
villa? Man könnte versucht sein, dies anzunehmen. Bei näherem
Zusehen zeigt es sich jedoch, daß Scotus etwas anders denkt.
Schon Heinrich v. Gent und Ricardus de Mediavilla nahmen
eine latitudo des gerechten Preises an; aber dies in dem Sinne,
daß an sich ein absolut fester Punkt der Wertgleichheit bestünde,
dessen Erreichung Pflicht der Kontrahenten sei; nur infolge mensch-
licher Unvollkommenheit könne das Ziel nicht ganz erreicht werden,
x) Sent. 1. c. (12); (XVIII, 282).
2) 1. c.
und eben deshalb sei ein gewisser Spielraum anzunehmen. Oder
jene latitudo hatte den Sinn gehabt, daß der Preis einer Ware
etwas hin- und herschwanke; an sich aber sei für den Einzelfall
ein einziger Punkt innerhalb jenes Rahmens gerecht.
Diese Gedankengänge lehnt Duns Scotus ab: »Ista . .
aequalitas . . non consistit in indivisibili, sicut dicit quidam Doctor,
motus ex hoc, quia iustitia habet . . . medium rei . . ., immo in isto
medio . . . est magna latitudo et intra illam latitudinem non attin-
gendo indivisibilem punctum aequivalentiae rei et rei: quia quoad
hoc, quasi impossibile esset commutantem attingere: et in quocunque
gradu circa extrema fiat, iuste fit« 1).
Von diesem Gedanken ausgehend kommt nun Duns Scotus
zu einer etwas anderen Fassung des Prinzips der Gerechtigkeit im
Tausche. Es bleibt den Kontrahenten überlassen : »ut pensata mutua
necessitate reputent sibi mutuo dare aequivalens hinc, inde et acci-
pere: durum est enim inter homines esse contractus, in quibus contra-
hentes non intendant aliquid de illa indivisibili iustitia remittere sibi
mutuo, ut pro tanto omnem contractum concomitetur aliqua donatio« 2).
Hier wird zum ersten Male in der Scholastik ein verstärkter
Nachdruck auf die freie Vereinbarung der Kontrahenten gelegt.
Es laufen bei Duns Scotus zwei Theorien nebeneinander her: ein-
mal erfordert die Gerechtigkeit im Tausche Gleichheit eines für
alle maßgebenden, normalen Wertes. Aber indem dieser normale
Wert etwas versubjektiviert wird, legt sich das andere Prinzip
nahe, das die Gerechtigkeit dann erreicht sieht, wenn die Kon-
trahenten in den Preis frei einwilligen.
Der »normale« Wert wird etwas verflüchtigt und damit das
Gewinnstreben in tieferer Weise anerkannt und ihm mehr Freiheit
zur Betätigung gewährt. Der Zweck des »Handels« ist nicht
mehr der, den einzig gerechten Preis zu finden. Die Vereinigung
des Äquivalenzprinzips mit dem Gewinnprinzip ist nicht mehr so
einfach und klar, wie bei Ricardus de Mediavilla.
Die Stellungnahme zum Affektionspreis3) ist ähnlich, wie bei
Thomas v. Aquin. Es liegen zwei Möglichkeiten vor: Der Besitzer
eines Gutes bedarf desselben sehr, legt ihm also einen anormal
hohen Wert bei. Ein anderer wünscht dies Gut zu kaufen. Dann
darf der Verkäufer sich schadlos halten, d. h. über den normalen
Wert des Gutes hinaus fordern.
*) l. c. (15); (XVm, 283 f.).
2 l. c.
3j 1. c (16); (XVIII, 288). cf. Rep. seh. 2. (21 f.); (XXIV, 235).
— ioo —
Der normale Wert wird also in diesem Falle vernachlässigt.
Aber die beiden Tauschkontrahenten werden gleichwohl zufrieden
sein. Der Verkäufer würde sich sonst nicht zur Hergabe des Gutes
entschließen; und daß der Käufer mit dem erlangten Vorteil ein-
verstanden ist, ergibt sich schon aus der »magna instantia«, mit der
er, wie Duns Scotus supponiert, den Verkäufer zum Tausche zu
bewegen sucht: Das auf beiden Seiten befriedigte Bedürfnis
ist gleich.
Anders aber im umgekehrten Fall: wenn der Käufer einem
Gute eine anormal hohe Schätzung entgegenbringt. Dann gilt für
mich, der ich verkaufe, der Satz: »nee res mea est in se pretiosior
nee mihi melior, et ideo non debet mihi maius pretium apportare.«
In diesem Falle verlangt die Gerechtigkeit des Preises die Beob-
achtung des normalen Wertes. Dagegen erlangt der Käufer ein:
»maius commodum« als der Verkäufer. Die Stellungnahme des
Duns Scotus ist hier etwas schärfer wie die des Thomas v. Aquin,
der, wie oben gezeigt, von der honestas des Käufers eine höhere
Zahlung erwartet.
Vom kritischen Standpunkte aus wird man zunächst das
dogmengeschichtlich Bedeutsame hervorheben müssen, das in der
neuen Fassung des Prinzipes der Wertgleichheit liegt, indem dem
Gewinnprinzip verstärkter Einfluß verstattet und der Satz tiefer
durchgeführt wird, daß jeder am Tausche gewinnen will. Freilich
hatte Bonaventura dasselbe Prinzip schon erkannt und Ricardus
de Mediavilla es im Tausche durchzuführen versucht. Aber bei
Duns Scotus besteht, wie gezeigt, das Neue darin, daß das Gewinn-
prinzip nicht mehr harmonisch mit dem Gedanken der absoluten
Wertgleichheit verbunden wird, der normale Wert wird vielmehr
erschüttert und neben dem Äquivalenzprinzip der Nachdruck auf
die Zufriedenstellung der Tauschkontrahenten gelegt. Der scoti-
stischen Wertlehre fehlt also der einheitliche Charakter; sie will
eine Synthese zweier Gedankenreihen bieten.
Kauf und Verkauf unterscheiden sich, wie oben erwähnt, vom
unmittelbaren Austausch durch die Zuhilfenahme des Geldes1).
Über den Zweck, den letzteres im Tausche zu erfüllen hat, ist
bereits gesprochen worden. Das Geld besteht aus einem nützlichen
Metall: »peeunia«, sagt Duns Scotus, »habet aliquem usum utilem
ex propria natura, utpote ad videndum, ornandum. . .« Der Wert
des Geldes beruht also auf denselben Grundlagen, wie der Wert
der anderen Dinge d. h. er wird durch subjektive Schätzungen be-
x) Vgl. z. Folgend. Sent. 1. c. (16); (XVIII, 289}; ib (19); (293).
— 154 —
stimmt. Der gerechte Preis wird beim Geldtausche daher in der-
selben Weise festgestellt, wie beim unmittelbaren Austausche. Den
Unterschied beider kennzeichnet Duns Scotus dahin: »ibi ita oportet
ex una parte considerare numisma, sicut hie rem permutatam.«
Ebenfalls auf menschlicher Schätzung beruht der Wert der
Nutzung eines Gegenstandes1).
IV. Der Handel2). Die Stellung, die Duns Scotus zum
Handel einnimmt, ist in mehrfacher Beziehung bemerkenswert.
Worin er das Wesen desselben sieht, ist bereits dargelegt worden.
Die Bedeutung des Handels für die Volkswirtschaft sieht
Duns Scotus in zwei Dingen: einmal kauft der Händler Waren
zusammen, speichert sie auf und sorgt dafür, daß sie jederzeit dem
Käufer zur Verfügung stehen. Sodann sorgt er dafür, daß Waren,
die im Staate fehlen, — er spricht von einer Respublica, nicht mehr
von einer civitas, womit die eigentümlich mittelalterliche Färbung,
wie sie bei Thomas sich zeigte, etwas zurücktritt — aus dem Aus-
lande herbeigeschafft werden. Fast mit einer gewissen Wärme
wird die industria, diligentia und sollicitudo des Kaufmanns her-
vorgehoben, der die Waren, an denen Mangel besteht, ausfindig
machen und unter großen Gefahren zu Wasser und zu Lande her-
beischaffen muß. So bezeichnet Duns Scotus den Handel als ein
ehrenhaftes und nutzbringendes »servitium communitatis«. Durch die
Tätigkeit des Handels wird eine Werterhöhung der Waren erzielt,
worüber sich Duns Scotus allerdings nicht näher ausläßt.
Der Kaufmann darf daher mit Recht einen Mehrwert fordern,
der eben wegen der Bedeutsamkeit seiner Leistungen sich nicht
auf das Existenzminimum beschränken darf. Duns Scotus billigt
also dem Kaufmannsstande ein hohes Einkommen zu3).
Die Berechtigung desselben erhellt aus seiner Unentbehrlich-
keit für den Staat: »Sed si esset bonus legislator in patria indigente,
deberet locare pro pretio magno huiusmodi mercatores ... et non
tantum eis et familiae sustentationem necessariam invenire, sed
etiam industriam, peritiam et pericula omnia locare; ergo etiam hoc
possunt ipsi in vendendo.«
!) Sent. 1. c. (16); (XVIII, 289).
2) Sent. 1. c. (22 f.); (XVIII, 317); vgl. Keller a. a. O. S. 32, 62.
3) 1. c. »ergo potest iuste ultra sustentationem necessariam pro se et familia sua
ad istam necessitatem deputata reeipere pretium correspondens industriae suae; et ultra
hoc tertio aliquid correspondens periculis suis.« Hiermit soll aber keineswegs das Standes-
prinzip aufgehoben werden, wie es wohl scheinen könnte. Es geht dies aus der häufigen
Betonung desselben in anderem Zusammenhange hervor. Cf . Rep. IV, dist. XV ; seh. 4
(34) (XXIV, 244).
— 155 —
Je freimütiger Duns Scotus in der Anerkennung des Handels
an sich, wenn er die angegebenen Funktionen und Bedingungen
erfüllt, ist, um so schärfer verurteilt er die Ausschreitungen der
Händler, die weder beim Einkauf noch beim Verkauf die Beding-
ungen des gerechten Preises beachten und innerhalb der Volks-
wirtschaft als unproduktive Schmarotzer zu betrachten sind: »pro-
hibent immediatam commutationem volentium emere vel commutare
oeconomice; et per consequens faciunt quodlibet venale vel usuale
carius ementi, quam deberet esse, et vilius vendenti et sie damnificant
utramque partem.« Ebenso tadelt es Duns Scotus, wenn der Handel
zu übermäßiger Bereicherung der Kaufleute führt, so daß ihr Ein-
kommen nicht mehr als Lohn ihrer Mühen angesehen werden kann.
Hatten noch die Vorgänger des Duns Scotus, z. B. Thomas
v. Aquin, mit manchen ungünstigen Urteilen über den Handel zu
kämpfen, die zwar nicht zu einer Verurteilung des Handels führten,
aber doch die volle Anerkennung seiner Bedeutung in etwa
hemmten, so steht Duns Scotus dieser Tradition völlig unbefangen
gegenüber; ja er kommt mit keinem Worte auf sie zu sprechen.
In dem warmen Lobe des Handels liegt fast etwas wie ein be-
wußter, stiller Gegensatz, der wohl die Folge seiner freieren Würdi-
gung des Gewinnstrebens ist. Es muß allerdings daran erinnert
werden, daß Duns Scotus in den ersten Jahren des 1 4. Jahrhunderts
schrieb, als der Aufschwung des wirtschaftlichen Lebens seit seinem
Anfange im 11. und 12. Jahrhundert bereits weitere Fortschritte
gemacht hatte. Die Rechtfertigung des Handelsgewinnes, der als
gesellschaftlicher Arbeitslohn erscheint, könnte an die thomistische
Wertlehre erinnern, die ja, wie gezeigt, darauf hinausläuft, jedem
für das Wirtschaftsleben nötigen Gliede ein standesgemäßes Ein-
kommen zu sichern, indem Thomas vielleicht von der Auffassung
des Handelsgewinnes als Arbeitslohn ausgehend zur Aufstellung
seines den ganzen Tausch beherrschenden Wertgesetzes kam. Doch
ist letzterer Ausbau bei Duns Scotus nicht vollzogen. Zudem trägt
seine Begründung des Handelsgewinnes in der Betonung der
geistigen Unternehmerarbeit, in der Höhe des zugebilligten Ein-
kommens, in der durch den Handel bewirkten melioratio rerum usw.
einen mehr der subjektiven Werttheorie angemessenen Charakter.
V. Das Darlehen. In der Stellungnahme zum Darlehens-
vertrage steht Duns Scotus völlig auf dem Boden der traditionellen
Anschauungen, ja urteilt in mancher Hinsicht noch schärfer als diese1).
1) Vgl. zum folgenden: Sent. 1. c. (17 — 19) (XVI II, 292 ff.); Rep. 1. c. seh. 2
(23—27) (XXIV, 240 ff.).
- 156 -
Außer im alten Testamente sieht er an der bekannten Lucas-
stelle des neuen Testamentes das Zinsverbot ausgesprochen. Wie
seine Vorgänger erblickt er im Mutuum die Übertragung des
Eigentums an einer Geldsumme verbunden mit der Verpflichtung
zur Zurückzahlung einer gleichwertigen Summe.
Die Gleichwertigkeit ist beim Gelde im allgemeinen leicht
festzustellen. Das Mutuum ist nichts anderes als ein Tausch zweier
verschiedener Geldsummen. Bonaventura gibt, wie oben erwähnt,
diesem Gedanken in besonders sinnenfälliger Weise Ausdruck.
Wirtschaftlich ist für Duns Scotus das Darlehen ein Akt des
Wohltuns aus Mitleid; der Darleiher erweist seinem Nächsten, der
sich in Not befindet, eine misericordia. Der Gedanke, daß das
Darlehen eine andere Funktion erfüllen könnte, liegt gänzlich fern.
In der Begründung des Zinsverbotes wendet sich Duns Scotus
zunächst gegen die Meinung eines quidam, der den Zins
deshalb für unerlaubt erkläre: »quia usus pecuniae est eius con-
sumptio« x).
Seine eigenen Gründe sind die folgenden: Im Darlehen
findet eine Eigentumsübertragung statt: »in mutui datione trans-
fertur dominium : hoc enim sonat vocabulum mutuo, do tibi meum.«
Der Darleiher kann dann konsequenter Weise für eine Sache, die
nicht mehr sein Eigentum ist, nichts über die bloße Rückerstattung
1) Duns Scotus wendet sich hier gegen die thomistische Begründung des Zins-
verbotes : Thomas v. Aquin, Ricardus v. Mediavilla usw. hatten in der Weise argumentiert,
daß beim Gelde Gebrauch, gedacht war hier an den principalis usus, die Verwendung im
Tausche, und Verbrauch zusammenfiele. Das Geld könne daher nicht übertragen werden,
ohne daß zugleich das Eigentum an demselben abgetreten werde; eine Verpachtung könne
daher nicht stattfinden, weil es unmöglich sei, unter Zurückhaltung des Eigentums die
Nutzung am Gelde besonders abzutreten. Der Zins sei ein doppelter Verkauf der-
selben Sache.
Er war nun von Seiten der Gegner des franziskanischen Armutsideals der spitz-
findige Einwand gemacht worden, daß der Orden Geld verwende, daß er dies aber nicht
könne, ohne das Eigentum daran zu besitzen ; von einer vollen Armut könne daher keine
Rede sein. (Vgl. z. B. Bonaventura: Apol. Paup. c. XI [VIII, 312, 1 f.].) Nicolaus III
statuierte 1279 das Eigentum der römischen Kirche an allen den Franziskanern zum
Gebrauch oder Verbrauch überlassenen Dingen; also eine Trennung von dominium und
usus. (Vgl. Scherer, Handbuch d. Kirchenrechts II, 738) (c. 3 in VI", 5, 12).
Hierauf beruft sich Duns Scotus, und von der Möglichkeit einer Trennung von
Eigentum und usus ausgehend, behauptet er die Möglichkeit einer locatio des Geldes:
»Pecunia quantum ad suum naturalem usum, qui est quoddam pulchrum ad videndum
et tangendum vel ordinandum aliquid, potest locari.« (Rep. 1. c.)
Er selbst geht dann von der juristischen Tatsache einer Eigentumsübertragung im
Mutuum aus. Die etwas sophistischen Distinctionen sind für die Begründung des Zins-
verbotes nicht von sonderlicher Bedeutung.
— i,57 —
hinaus fordern. Andernfalls verkauft er etwas, was nicht ihm
gehört, »pro non suo recipit sive vendit non suum.«
Aber selbst, wenn diese Eigentumsübertragung nicht statt-
fände, wäre ein Überschuß über das Kapital hinaus noch ungerecht.
Denn, wenn auch dem Gelde für Produktion und Erwerb, beson-
ders für den Handel, Bedeutung beizumessen ist, insofern als
mit dem Gelde sich ein höherer Ertrag erzielen läßt, so liefert
doch das Geld nicht diesen Mehrertrag, wie ein Baum z. B. neue
Früchte hervorbringt, sondern »tantum provenit aliquis fructus ex
industria alterius, scilicet utentis«; und er fügt hinzu »industria
autem huius non est eius, qui concedit«. Auf einen Ertrag aber
aus der Arbeit und Umsichtigkeit des Schuldners hat der Gläubiger
keinen Anspruch.
In Übereinstimmung hiermit steht der für die Restitutionspflicht
wichtige Satz des Duns Scotus1), daß Wucherer nur die Höhe des
erwucherten Geldes zurückzugeben haben, nicht darüber hinaus
noch etwa einen Zins, was allerdings nach dem Vorausgehenden als
selbstverständlich erscheinen wird. Bereits Thomas von Aquin
hatte dasselbe betont. Bemerkenswerterweise macht aber Duns
Scotus darauf aufmerksam, daß dies im praktischen Leben leicht
zu einer Ausdehnung des Wuchers führen könnte, indem manche
erst durch Wucher Reichtum erwürben, dann mit diesem Geld
erlaubte Gewinne erzielten und schließlich nur das unerlaubt er-
worbene Wuchergeld zu restituieren brauchten. Deutlich tritt in
diesen Worten zutage, daß Duns Scotus dem Gelde immerhin eine
gewisse Produktivität zuerkennt, wenn es diese auch nur in Ver-
bindung mit und in Kraft der humana industria besitzt.
Das Argument von der Unverkäuflichkeit der Zeit, das z. B.
Bonaventura vorbringt, wird von Duns Scotus im Sentenzenkommen-
tar auf das Darlehen nicht angewendet und offenbar absichtlich
nicht; denn in anderem Zusammenhange wird es uns später be-
gegnen. Zum Verständnis dieser Erscheinung braucht nur an
früher Gesagtes erinnert zu werden. Das Mutuum ist für Duns
•Scotus ein contractus pro praesenti: Leistung und Gegenleistung
erfolgen gleichzeitig; sobald die Leistung, die allerdings längere
Zeit in Anspruch nimmt, erfüllt ist, erfolgt die Gegenleistung.
Das Mutuum ist ebenso wie die Verpachtung eine commutatio
statim facta.
Sent. 1. c. (31)
- 158 -
Ein unberechtigter Verkauf des allgemeinen Gutes der Zeit
kann also gar nicht in Frage kommen1).
VI. Die Zinstitel. Jeder Überschuß über das Kapital
hinaus ist Wucher; nur in wenigen Fällen ist auf Grund besonderer
Verhältnisse ein superfluum super capitale gestattet2).
a) Duns Scotus kennt einmal den Zinstitel der Conventional-
strafe (poena Conventionalis) bei Zahlungsverzug, der von vorneherein
ausbedungen werden darf. Er warnt vor einer Benutzung dieses
Zinstitels zum Zwecke der Umgehung des Wucherverbotes. Wann
dieses der Fall sei, könne leicht daran erkannt werden, ob der
Darleiher lieber Einhaltung des vereinbarten Rückzahlungstermins
wünscht oder Verpassung desselben3).
b) Der Zinstitel des interesse: Unter demselben versteht Duns
Scotus offenbar den Schaden, der dem Gläubiger durch Zahlungs-
verzug des Schuldners entsteht; der Schuldner ist zum Ersatz ver-
pflichtet, mag ein besonderer Vertrag vorliegen oder nicht.
c) Die Risikoprämie. Mit Berufung auf das kanonische Recht,
das für den Handel (Kreditkauf) im Falle der Unsicherheit einen
höheren Preis billigt, gestattet Duns Scotus auch im Darlehen, wenn
die Rückzahlung" zweifelhaft ist, einen entsprechenden Ersatz.
d) Auffallend ist, daß unter den bisher genannten Zinstiteln
der des damnum emergens fehlt, d. h. der Ersatz des Schadens,
der durch Gewährung des Darlehens entsteht. Duns Scotus scheint
ihn an einer Stelle abzulehnen, wenn er vom Gläubiger sagt: »si
non vult damnificari, pecuniam sibi necessariam reservet, quia
nullus eum necessitat ad faciendam misericordiam proximo; sed
x) In den Rep. 1. c. seh. 2 (22) (XXIV, 239), wo ein höherer Verkauf einer
Sache deshalb, weil der Käufer besonderen Vorteil erlangt, als unerlaubt hingestellt
wird , heißt es : »Patet in usurariis , qui vendunt non damnum , sed necessitatem
alterius, et tempus, quorum neutrum est illorum.« Man wird in dieser im Zu-
sammenhange zufälligen Betonung des Zeitverkaufes im Wucher nur einen Widerspruch
gegen den Sentenzenkommentar sehen können, wenn man nicht die etwas gekünstelte
Annahme machen will, daß hier an den Kreditkauf gedacht wird.
2) Sent. 1. c. (18 f.). — Rep. 1. c. seh. 2. (26 f.) (XVIII, 293 f.) (XXIV, 240 f.)
3) Sent. 1. c. : »verbi gratia, ego indigeo peeunia mea ad mercandum, concedo
tarnen tibi ad certum diem, adiieiens poenam conditionalem, quod nisi tali die solvas,
quia multum damnificabor, solves postea tantum ultra. Haec poena adieeta licita est:
quia licet me servare indemnem sie paemonendo illum, cum quo contraho.« Der Sinn
der Stelle ist offenbar der, daß bei Vereinbarung der Strafe ein berechtigtes Interesse
des Gläubigers an rechtzeitiger Zahlung vorliegen muß. Nicht wird dieser Zinstitel nur
»als Kompensation des durch Zahlungsverzug wirklich entstehenden Schadens« aufgefaßt,
wie Funk: »Über die ökon. Ansch. usw.« S. 159 annimmt. Es wäre doch dann die
Aufstellung eines besonderen Zinstitels nicht berechtigt.
— 159 —
si vult misericordiam facere, ex lege divina necessitatur, ut non
faciat eam vitiatam« 1). Doch will Duns Scotus hier die Meinung der-
jenigen zurückweisen, die ganz allgemein einen Zins für erlaubt
halten »quia licet unicuique in contractibus se servare indemnem.«
Es dürfte bei diesem Schaden wohl mehr an das Entbehren des
Geldes und ähnliches gedacht sein, nicht an eine positive Schädi-
gung. In den Reportata hingegen heißt es ganz allgemein, der
Schuldner sei dem Gläubiger gegenüber verpflichtet, »ut conservet
eum indemnem«, so daß wir hierin wohl den Zinstitel des damnum
emergens anerkannt sehen können2).
VII. Verkauf auf Kredit. Zum Schluß sind noch einige
Verträge zu behandeln, die das Gemeinsame haben, daß der Händler
den Verkauf seiner Ware nicht für den gegenwärtigen Zeitpunkt,
sondern für einen späteren Termin beabsichtigt, sei es, daß dieser
von vornherein für ihn feststeht, sei es, daß er eine Marktlage
abwarten will, wo er möglicherweise höheren Preis und Gewinn
erzielt. Der Käufer dagegen wünscht sofortige Lieferung der
Ware, dagegen Kreditierung des Kaufpreises. Auf letzterer Grund-
lage wird dann der Vertrag abgeschlossen. Es liegt also von Seiten
des Kaufmanns ein Verkauf auf Kredit vor. Die Verwirklichung
des Geschäftes ist für die Zukunft vereinbart.
Duns Scotus stellt für diese Fälle zwei Regeln auf3): einmal
darf die Zeitdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung an sich
keine Erhöhung des Kaufpreises mit sich bringen. Der Kaufmann
darf die Zeit nicht verkaufen »quia tempus non est suum«. Ferner
fordert Duns Scotus, daß der Preis im Hinblick auf die Möglich-
keit eines Gewinnes oder Verlustes nicht einseitig zugunsten des
Händlers festgesetzt werde.
Auf Grund dieser allgemeinen Prinzipien nimmt Duns Scotus
alsdann zu einigen speziellen Fällen Stellung, auf die auch hier
kurz hingewiesen sein möge.
a) Wenn der Verkäufer sofortigen Verkauf seiner Ware beab-
sichtigt, jedoch später Zahlung erhält, dann muß der Preis so bemessen
sein, daß er im Hinblick auf die Preis Verhältnisse im Augenblick
der Ablieferung der Ware als gerecht bezeichnet werden kann. Eine
Mehrforderung wegen Stundung der Zahlung ist nicht zulässig.
*) Sent. 1. c. (26).
2) 1. c. Funk a. a. O. S. 165 meint, im »interesse« seien die Zinstitel des lucrum
cessans und damnum emergens zusammengefaßt. Nach dem Zusammenhang ist jedoch
nur an den Fall des Zahlungsverzugs gedacht.
3) Sent. 1. c. (201.) (XVIII, 303 f.).
— i6o —
b) Wird die Zahlung für einen späteren Termin vereinbart,
wo der Kaufmann auf hohe Preise hofft, so kann der Preis gleich
festgesetzt werden oder der Zukunft überlassen bleiben. Bei so-
fortiger Festsetzung hat der Verkäufer das Recht, über das augen-
blickliche iustum pretium hinaus »ratione dubii« etwas mehr zu
fordern, weil der Wert des Gutes an dem fraglichen Termin un-
sicher ist; jedoch kein »ita immoderatum pretium, quin tempore
solutionis verisimiliter quandoque plus, quandoque minus valeat res
vendita.« Im anderen Falle kann der Preis vereinbart werden,
den das Gut am Zahlungstermin haben wird oder an einem Tage
vorher, wo jedoch der Preis wahrscheinlich geringer sein wird, als
an dem Termine selbst. In beiden Fällen wären die Bedingungen
für den Käufer sehr günstig. Dagegen erklärt Duns Scotus einen
Vertrag" von der Art für unstatthaft, daß der Verkäufer den
höchsten Preis fordert, den das verkaufte Gut bis zum Zahlungs-
termin gehabt hat. Dies wäre usura. »quia ponit se vel partem
suam quoad lucrum ut in pluribus in tuto et illum, cum quo
contrahit, ad damnum.« Zudem würde sich dabei der Verkäufer
in einer Weise sichern, die ihm bei tatsächlich späterem Verkauf
seines Gutes, wenn er keinen Verkauf auf Kredit vornähme, un-
möglich wäre. Später müßte er an einem bestimmten Termine
verkaufen, müßte sich aber der Möglichkeit aussetzen, nicht den
Augenblick günstigster Preislage abgewartet zu haben.
VIII. Abschließende Bemerkungen. Der kritische Geist,
der das ganze scotistische System durchzieht, spiegelt sich in seinen
wirtschaftlichen Anschauungen wieder. In einigen Punkten bei
der Lehre vom Eigentum, Handel, Wucher, hat sich dies gezeigt;
vor allem aber in der prinzipiellen Fassung des iustum pretium,
indem die Durchführung des Gewinnprinzips im Tausche zu einer
gewissen Erschütterung der alten Auffassung vom Werte führt.
Das Nähere ist bereits gezeigt worden. Die Besonderheiten der
scotistischen Anschauungen mögen teilweise in einem etwas über-
mäßigen Streben nach Kritik ihren Grund haben; zum Teil haben
sie aber auch ihren Grund in der Beobachtung" der realen Ver-
hältnisse des Wirtschaftslebens. Vor allem von seiner Wertlehre
und seiner Stellung zum Handel dürfte dies gelten.
Im folgenden werden uns die Wirkungen des Auftretens des
Duns Scotus beschäftigen.
Zweiter Abschnitt.
Die Auflösung der Lehre vom gerechten Preise;
Prinzip der Vertragsfreiheit.
§ 1. Aegidius Lessinus.
I. Aegidius Lessinus1) war ein Dominikaner, der in der Nähe
von Paris in einem Kloster lebte. Die Datierung seines Lebens
ist unsicher. Er ist ein Schüler des Thomas v. Aquin. Wenn
seine wirtschaftlichen Anschauungen an dieser Stelle behandelt
werden, so geschieht es im Hinblick darauf, daß sie über Duns
Scotus hinaus einen derartigen Fortschritt bedeuten, daß sie zum
mindesten sachlich in diesem Zusammenhange zu erörtern sind,
auch wenn vom rein chronologischen Standpunkte die Recht-
mäßigkeit dieser Anordnung sich nicht nachweisen läßt.
Von seinen Schriften ist ganz nur ein ziemlich umfangreicher
Traktat »De usuris« erhalten, der eine Zeitlang Thomas v. Aquin
zugeschrieben wurde und deshalb in der Ausgabe seiner Opuscula
als Op. 73 wiederholt gedruckt ist. Der Verfasser steht an Schärfe
des Denkens weit hinter Thomas zurück. Die Darstellung ist
nicht immer ganz klar, hier und dort reichlich weitschweifig, so-
daß es zuweilen schwer ist, aus seinen Erörterungen den wahren
Sinn herauszufinden. Gleichwohl sind seine wirtschaftlichen An-
schauungen von größter Wichtigkeit, sodaß es unrecht wäre,
etwa diesen Traktat so zu vernachlässigen, wie es bisher meist
geschehen ist.
IL Wertlehre: Wir behandeln zunächst seine Wertlehre.
Dieselbe trägt einen ausgesprochen subjektiven Charakter. Aegidius
geht davon aus, daß es der Zweck der wirtschaftlichen Güter sei,
den Menschen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu dienen2);
und je nach dem Maße, wie sie diesem Zwecke gerecht werden,
bemißt sich ihr Wert: ». . . requiritur, quod commensuratio ipsarum
rerum fieri debeat in magis et minus habere in valore, secundum
*) K. L. I. 254 f. Hurter II. 386.
2) Op. 73, c. 3.
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft 1. 11
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
— IÖ2 —
quod magis et minus habent de utilitate et necessitate ad vitam
humanam«1). Näherhin unterscheidet Aegidius zwischen einem
doppelten Wert: einem valor »secundum rationem substantiae«
und einem valor »secundum rationem usus vel fructus«. Unter
ersterem versteht er den durchschnittlichen, normalen, einem Dinge
an sich inhärenten Wert, in Abstraktion von dem Nutzen und
der Bedeutung eines Gutes für den Menschen unter bestimmten
Verhältnissen; der Nachdruck liegt auf der Substanz der Dinge.
Letzteres ist der tatsächliche, im Augenblick vorhandene Wert,
dessen Größe sich nach der Bedeutung des Gutes für einen be-
stimmten Menschen unter bestimmten Verhältnissen bemißt. Er
ist schwankend und veränderlich, während ersterer seiner Natur
nach sich mehr gleichbleibt: »ex fructu rerum et usu ipsarum
accidit, quod valor ipsarum naturaliter inter homines augetur et
minuitur« 8).
Wenn nun Aegidius auch betont, daß der Substanzwert an
sich unveränderlich sei, so darf dies doch nicht dahin verstanden
werden, als ob nun dieser Wert für alle Zeiten derselbe bleibe,
etwa gleich Nützlichkeit zu nehmen sei. Aus dem eben ange-
führten Worten könnte man freilich schließen, daß die Veränder-
lichkeit des Wertes lediglich auf den Nutzwert gegründet würde.
Dem widerspricht aber, daß Aegidius erklärt, im Darlehen dürfe
nur auf den Substanzwert gesehen werden, und doch eine Ver-
änderung im Werte des dargeliehenen Kapitals in weitgehendem
Maße berücksichtigt3). Der Substanzwert ist vielmehr einfach der
Wert, den eine Sache an sich nach allgemeiner Schätzung hat,
der also unter bestimmten Verhältnissen als fest erscheint, also
gleich dem Nutzen für das menschliche Leben ist4); im Gegensatz
zum Nutzwert, d. h. zu der Bedeutung, die jemand unter kon-
kreten Verhältnissen einem bestimmten Gute beilegt nach dem
Nutzen, den er aus demselben zu erlangen hofft.
Der Wert der Güter kann aus vielerlei Gründen verschieden
und Schwankungen unterworfen sein. Maßgebend hierfür ist die
Natur der Dinge selbst, die Lage der Personen, die den Gütern
gegenübertreten, sowie Ort und Zeit; letztere zumal insofern, als
sie auf die vorhandene Menge des betreffenden Gutes von Ein-
x) 1. c. c. IX, p. I. cf. c. X: »unaquaeque rei aestimatio iusta dependet ab utilitate
vel necessitate ipsius rei.«
2) 1. c.
3) Vgl. z. B. c. VIII.
*) Vgl. c. X, sowie im Folgenden.
- i63 —
fluß sind, und dadurch die subjektiven Schätzungen bestimmen,
so z. B. ist das Getreide im Herbst unmittelbar nach der Ernte
billiger als im Frühjahr1).
Auf dem subjektiven Prinzip des menschlichen Bedürfens
beruhen auch die anderen werttheoretischen Gesetze, die Aegidius
aufstellt, und über deren Verwendung im einzelnen später zu
handeln ist; wie der Gedanke, daß ein vollendetes Gut einen
höheren Wert besitzt als ein unvollendetes3).
Insbesondere wird der Einfluß der Zeit auf die Wert-
schätzung der Güter hervorgehoben: »etiam res futurae per tempora
non sunt tantae extimationis, sicut eaedem collectae in instanti nee
tantam utilitatem inferunt possidentibus, propter quod oportet, quod
sint minoris extimationis seeundum justitiam«3). Gegenwärtige
Güter werden höher bewertet, als dieselben Güter, wenn sie erst
in späterer Zeit nach und nach in einzelnen Raten dem Besitzer
zufallen. Ein Satz, in dem wenigstens im Keime ein Prinzip ent-
halten ist, aus dem in neuerer Zeit Boehm-Bawerk die Erscheinung
des Zinses zu erklären versucht hat4). Aegidius wendet denselben
allerdings, wie wir noch sehen werden, auf den Darlehenszins
nicht an.
III. Das Prinzip der Vertragsfreiheit: Auf Grund seiner
Wertlehre nimmt nun Aegidius zum Tauschvertrage Stellung.
Der Tausch ist beherrscht vom Gewinnprinzip: »de natura huius
contractus potest quis sperare ultra id, quod datur«6).
Für Kauf und Verkauf ist nicht der normale Substanzwert maß-
gebend, dessen Gleichsetzung im Tausche etwa anzustreben wäre,
sondern für jeden der beiden Kontrahenten ist seine persönliche
Schätzung bestimmend, die er einem Gute entgegenbringt: Das
Maß des Nutzens, das er vom Tausche erwartet, ist für sein Ver-
halten maßgebend. So stellt Aegidius den Satz auf: »tan tum
res extimatur juste, quantum ad utilitatem possidentis
a) c. IX. p. i. cf. c. VIII.
2) c. VIII. i. f.
3) c. IX. p. 2. Im römischen Rechte finden sich ähnliche Sätze, in denen der
Einfluß der Zeit auf die Wertschätzung betont wird, z.B. 1. 12. § 1. D. L. 16.: »minus
solvit, qui tardius solvit, nam et tempore minus solvitur.« Weitere Stellen bei Oert-
mann a. a. O. S. H2f. Bei dem verschiedenen Charakter der Stellen dürfte eine un-
mittelbare Beeinflussung durch das römische Recht bei Aeg. kaum anzunehmen sein.
Der von Oertmann a. a. O. den Kanonisten gemachte Vorwurf, sie hätten die Be-
deutung der Zeit für die Wertschätzung übersehen, ist also unberechtigt.
4) Vgl. Positive Theorie d. Kapitals, S. 426 ff. Über das Darlehen S. 486 ff.
6) c. IX. p. 1.
11*
r
— 164 —
refertur et tantum juste valet, quantum sine fraude vendi
potest«1).
Schon der Wortlaut des Satzes verlangt einen Vergleich mit
Heinrich von Gent: letzterer lehnt das römisch-rechtliche Prinzip
der Vertragsfreiheit ab und verlangt möglichste Einhaltung des
normalen Wertes der Güter; ein fest bestimmter Wert erscheint
als gerecht. Dieser Inhalt der Lehre vom gerechten Preis ist bei
Aegidius gefallen. Er kennt zwar noch den abstrakten Substanz-
wert, aber für den Tausch kommt demselben keine Bedeutung zu.
Die Vereinbarung des Preises wird der libera voluntas2) der Kon-
trahenten überlassen. Ein Überschuß des gezahlten Preises über
den normalen Wert hinaus ist an sich nicht ungerecht. Die Ge-
rechtigkeit im Tausche besteht zunächst darin, daß beide Parteien
sich von betrügerischen Manipulationen, die zu einer Täuschung
über den Wert der Güter führen könnten, fernhalten. Bezweckt aber
ist mit dem Prinzip der Freiheit, daß das Ziel des Tausches, die Er-
reichung eines Gewinnes, verwirklicht wird. So rechtfertigt Aegidius
eine Vertragsart: »quia uterque talia facit pro utilitate sua
propria«. Für die Erzielung eines Gewinnes aber sorgen die
Kontrahenten in der Regel selbst. Und so kommt Aegidius dazu,
als entscheidend für die Gerechtigkeit eines Vertrages den »freien
Willen« der Tauschenden anzusehen und daher den Satz aufzu-
stellen: »omnis translatio facta libera voluntate dominorum
iuste fit«3). Hiermit ist noch ein wesentlicher Schritt über Duns
Scotus hinaus getan.
Der Einfluß dieser Auffassung vom Tausche zeigt sich unver-
kennbar in der Stellung, die Aegidius zum Geldwechselgeschäft
einnimmt. Er bringt zwar noch die früheren Gründe zur Recht-
fertigung dieses Geschäftes, daß dem Wechsler ein Arbeitslohn
gebühre usw., aber neu gegenüber der früheren Zeit und ein Aus-
fluß seiner Wertlehre ist der Gedanke, daß die »ars necessaria
et licita« deswegen erlaubt sei: »quia dicit actum iustitiae et
libertatis per ampliorem utilitatem dati apud accipientem
a campsore quam accepti ab ipso«4). Das Geldwechsel-
geschäft findet seine Berechtigung in dem Nutzen und Gewinn,
*) 1. c.
2) 1. c.
3) 1. c. vgl. den ähnlichen Satz: »quidquid emens vel vendens amplius accipiant
quam dederint, iuste accipiunt et ut suum factum libera voluntate dominorum«.
*) c. XIII; ib.: »Ideo illud, quod plus accipi videtur, transit in dominium acci-
pientis per simplicem voluntatem dantis«.
- i65 -
den derjenige, der sich Geld wechseln läßt, von der Umwechslung
seines Geldes erzielt.
IV. Das Darlehen: Das Darlehen ist nach Aegidius Lessi-
nus seinem Wesen nach unentgeltlich: »mutuum gratuitum fieri
debet de natura mutui«1). Diesem Wesen des Darlehens wider-
streitet es, wenn der Gläubiger daraus Gewinn erzielen will: Mutuum
date nihil inde sperantes. Und der Darlehenswucher ist nichts
anderes als die Hoffnung auf Gewinn in diesem seiner Natur nach
unentgeltlichen Vertrag2).
Mit dem Gesagten ist bereits der Unterschied zwischen Kauf
und Verkauf einerseits und dem Darlehen andererseits gegeben;
erstere sind beherrscht von dem Streben nach Gewinn, was bei
letzterem ausgeschlossen ist. Bei ersterem dürfen beide Parteien
die zu tauschenden Güter nach dem Nutzen schätzen, den sie ihnen
gewähren, und sind in der Festsetzung des Preises völlig frei;
bei letzterem ist dies nicht gestattet, hier wird vielmehr Gleichheit
des Substanzwertes gefordert. Der Gläubiger darf nur so viel
zurückfordern an Wert, wie er ausgeliehen hat, und sich nicht
etwa durch den Nutzen bestimmen lassen, den der Schuldner von
den dargeliehenen Gütern erwartet. Fordert er mehr, so liegt
Wucher vor3).
Der Wucher kann seiner Materie nach in allem bestehen,
was durch Zahl, Maß oder Gewicht bestimmbar ist. Er kann in
den Formen des einfachen Zinses oder Zinseszinses erhoben werden.
Besondere Arten sind die centesima (100% des geliehenen Kapitals)
und die emiola [50 %] 4).
Die Verwerflichkeit des Zinses ergibt sich, abgesehen davon,
daß er dem Wesen des Darlehens widerstreitet5), noch aus fol-
genden Gründen: a) das Zinsnehmen geht hervor aus der Sucht
nach grenzenlosem Erwerb, indem das Geld nicht seiner Natur
gemäß als Vermittler des Tausches gebraucht wird, sondern, um
mit ihm wieder Gewinn zu erzielen, ein Gedanke, der, wie bekannt,
auf Aristoteles zurückgeht6), b) Der Wucher ist arbeitsloses Ein-
kommen. Es liegt in ihm eine Aneignung fremder Arbeit vor:
!) c. III, cf. c. VII; c. XIV; c. XV, und sonst.
2) c. XIV.
3) c. IX, p. I: »Et ideo nihil ultra valorem rei sperare debet mutilans ex usu
rei mutuatae, quia ratione substantiae transfertur mutuum et non ratione usus.«
4) c. II.
5) c. III. cf. c. IV.
8) c. IV. cf. c. XX.
— 166 —
Der mit dem Gelde erzielte Mehrertrag stammt »ex propria opera-
tione et sollertia« des Gebrauchers1), c) Dem Wucher liegt eine
pretentio aequalitatis zugrunde, eine ficta aequalitas: Der Zins wird
festgesetzt nach der Dauer des Ausleihens des Kapitals. Es wird
also die Zeit verkauft, die ein allgemeines Gut ist — »a Deo
datur aequaliter«2) — und den Wert der Waren — hier ist an den
Substanzwert zu denken — an sich nicht beeinflußt3). Der Zins
widerstreitet also göttlichem und natürlichem Recht4).
Es sei noch kurz darauf hingewiesen — eine Frage, die weit-
läufig behandelt wird — , daß die Verpflichtung des Schuldners
das Gleiche zurückzuzahlen, was er empfangen hat, sich auf den
Wert der Güter bezieht. Ändert sich dieser in der Zeit zwischen
Leistung und Gegenleistung, so kann der Gläubiger unter Um-
ständen ein größeres Quantum verlangen, das dem hingegebenen
Quantum an Wert entspricht5). Der Gläubiger kann auf diese
Weise z. B. dem Schaden einer Geldentwertung, mag dieselbe in
einem positiven Gesetz oder in der Natur des Geldes ihren Grund
haben, entgehen : Er leiht dem Schuldner eine bestimmte Geldsumme
und verpflichtet ihn das Gleiche an Wert zurückzuzahlen und zwar
gemessen an einer anderen Münzsorte. Tritt nun beim dargeliehenen
Gelde aus irgendwelchen Ursachen eine Entwertung ein, so erhält
der Gläubiger in diesem Falle nominell mehr zurück als er hin-
gegeben hat6).
Im übrigen hat es weder Zweck noch Interesse die verschie-
denen Möglichkeiten, die Aegidius im Hinblick auf etwaige Wert-
veränderungen des ausgeliehenen Kapitals aufwirft und löst, im
einzelnen zu verfolgen. Sie sind im allgemeinen von dem Be-
streben beeinflußt, dem wirtschaftlichen Verkehr das Maß an
Freiheit zu gewähren, das ohne Aufhebung des Zinsverbotes noch
möglich ist.
*) c. XX cf. c. IV: »Constat autem, quod nee labore aliquo fit recompensatio in
contractu vel acquisitione usurae, quia tantum lucratur fenerator dormiens sicut vigilans
et in diebus solemnibus sicut in feriis communibus.«
2) c. IV. cf. c. VI; c. VIII; c. XIV.
3) c. VIII. cf. c. IX, p. I: Die Zeit ist auf den Wert der Dinge von Einfluß,
insofern sie der Natur der Dinge nach eine Veränderung bewirkt; so ist z. B. das Ge-
treide der Jahreszeit nach von verschiedenem Wert, »potest etiam in contractibus tempus
considerari, ut nihil conferens vel auferens de valore rei ex natura temporis, sed tantum
consideratur ut mensura durationis extrinseca.«
4) z. B. c. XV.
5) c. VI und sonst.
6) c. XIV.
— 167 —
Die Theorie der Zinstitel ist nicht weiter entwickelt1). Das-
selbe ist bezüglich der Frage der Eigentumsübertragung am er-
wucherten Gelde zu sagen: Aegidius beschränkt sich auf die Fest-
stellung, daß nach menschlichem Rechte eine Eigentumsübertragung
stattfände, während dies nach göttlichem und natürlichem Rechte
nicht der Fall sei2).
V. Kauf und Verkauf auf Kredit: Die Anschauungen,
die Aegidius bezüglich der Preisfestsetzung für die Fälle, wo Leistung
und Gegenleistung zeitlich auseinanderfallen, vertritt, sind im Kerne
die althergebrachten ; gleichwohl tragen auch sie in gewissem Sinne
eine neue Färbung, insofern als in verstärktem Maße die freie
Vereinbarung der Kontrahenten betont wird.
Wenn wir uns daran erinnern, daß das Mittelalter die For-
derungen des Darlehensverkehrs auch auf alle die Fälle ausdehnt,
wo die Zahlung zeitlich vor Empfang der Ware erfolgt, oder um-
gekehrt eine Stundung des Kaufpreises stattfindet, indem in allen
diesen Fällen ein Tausch von Geld gegen Geld und damit etwas
dem Mutuum Ähnliches erblickt wurde, so werden wir uns nicht
wundern, daß das, was beim Darlehen als Wucher bezeichnet
wurde, auch hier als unerlaubt hingestellt wird. Auch in diesen
Kreditgeschäften muß daher der Substanzwert zugrunde gelegt
werden. Zahlt daher der Käufer früher als er die Ware empfängt,
so darf er wegen dieser früheren Zahlung allein »causa temporis«
einen Preisnachlaß nicht fordern und umgekehrt darf der Ver-
käufer bei Kreditierung des Preises »propter credentiam ipsam«
keine Preiserhöhung vornehmen. Die Zeit verändert eben den
(Substanz-) Wert der Dinge an sich nicht3).
Das hindert aber nicht, daß aus vielerlei anderen Gründen
eine Preisänderung vorgenommen werden kann4): Bei früherer
Zahlung darf der Käufer einen vom Verkäufer »gratis et libera-
liter« gewährten Preisnachlaß annehmen; eine Bestimmung, womit
den früheren Erörterungen wohl die praktische Bedeutung zum
größten Teile genommen ist, indem letzten Endes alles der freien
Vereinbarung der Kontrahenten überlassen ist. Auch darf der
Käufer einen geringeren Preis für die Waren zahlen, wenn ihm
durch die frühere Zahlung ein Schaden erwächst.
*) c. VI; c. VII.
2) c. V. cf. c. XX. Vgl. überhaupt die Restitutionslehre, die in den Kapiteln
XVII — XXI gegeben wird.
3) c. VIII, cf. c. X.
*) Vgl. zum Folgenden die in der vorigen Anmerkung angegebenen Stellen.
— i68 —
Eine Kreditierung des Kaufpreises kann aus verschiedenen
Gründen stattfinden: sie kann mit der Natur des betreffenden
Geschäftes gegeben sein, oder vom Verkäufer freiwillig gewährt
werden, oder in der Armut des Käufers ihren Grund haben. Ab-
gesehen davon, daß in letzterem Falle eine Preiserhöhung gestattet
ist im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die der Verkäufer mit
der Erlangung seines Geldes wegen der Zahlungsunfähigkeit des
Käufers haben wird, ist in allen anderen Fällen eine Preiserhöhung
dann gerechtfertigt, wenn der allgemeine Preis der Waren aus
irgendwelchen Gründen sich in der Zwischenzeit verändert hat;
insbesondere darf der Händler, der eine Ware zu einem späteren
Termin zu verkaufen beabsichtigt, wo »der Nutzen derselben für
das menschliche Leben«, also der Substanzwert ein höherer ist,
bei früheren Verkäufen den Preis stunden und erhöhen; eine Be-
stimmung, die vor allem für den mittelalterlichen Getreidehandel
von größter Bedeutung war, indem der Händler im Herbst nach
der Ernte zu billigem Preise kaufte und im Frühjahr teuerer ver-
kaufte. Es war ihm so bei etwaigen früheren Verkäufen der
Gewinn gesichert. Den teilweise zu sehr ins einzelne gehenden
Erörterungen brauchen wir hier nicht zu folgen.
VI. Das Gesellschaftsunternehmen1): Die Sozietät wird
in ähnlicher Weise behandelt, wie dies schon von Thomas geschehen
war: Der Geldgeber bleibt Eigentümer des eingezahlten Kapitals
und nimmt an der Gefahr des Unternehmens teil. Aegidius faßt das
Gesellschaftsverhältnis mehr als das Verhältnis eines Herrn zu
seinem Diener auf. Er betont, der Kapitalist könne Gewinn er-
hoffen: »quia tunc commissa est pecunia vel res alia sicut servo
et ministro, qui de re domini negotiatur ad utilitatem domini sui«.
Entscheidend für den Charakter des Gesellschaftsunternehmens ist
die Eigentumsvorbehaltung; denn letztere nimmt dem Vertrage
die Eigenschaft des Darlehens und gestattet so die Hoffnung auf
Gewinn. Gewährung eines Darlehens mit Risikoübernahme recht-
fertigt einen Zins nicht: »Et quia in mutuis vitium usurae annexum
est: ex eo, quod fiant spe lucri . . . ideo, quia dubium et periculum de
sua natura non tollunt hanc vitiositatem a mutuo, quando fit spe
lucri, nee dubium nee periculum excusare possunt vitium usurae«2).
VII. Rentenartige Verträge. Die Ausführungen hierüber
bieten in vielen Punkten nichts Neues. Wir können uns daher
J) Vgl. zum Folgenden c. XI.
2) c. VI. Mit Berufung auf c. 19 X. V, 19.
— 169 —
sehr kurz fassen. Aegidius selbst behandelt nur wenige Fälle
von Rentenverträgen.
Zunächst wird die Frage erörtert, ob es gestattet sei, von einer
Kirche oder einem Kloster gegen Zahlung einer einmaligen Geld-
summe bestimmte Besitzungen oder Renten auf Lebenszeit zu er-
werben1). Aegidius tritt für die Erlaubtheit derartiger Verträge ein,
zunächst vom Standpunkte des Eigentumsrechtes aus: die Ver-
käufer in diesen Verträgen könnten frei über ihr Eigentum
verfügen, könnten mithin auch Besitzungen und Renten auf Lebens-
zeit verkaufen; ein neuer Beweis für den mehr liberal-individuali-
stischen Zug, der das ganze System der wirtschaftlichen Anschau-
ungen des Aegidius durchzieht2). Er betont ferner, daß hier ein
Kauf bzw. Verkauf vorliege, daß deshalb beide Parteien Gewinn
erstreben dürfen: Die Güter würden »ad utilitatem possidentis« ge-
schätzt, und wenn auf beiden Seiten freie Einwilligung vorliege,
so mache schon der freie Wille beider Parteien den Vertrag er-
laubt. Zudem sei es wegen der Ungewißheit der Lebensdauer
des Käufers zweifelhaft, wer den größeren Vorteil ziehen werde,
und ein solches dubium mache die Bedingungen des Vertrages
für beide Parteien gleich3). Von einem Darlehen, betont er, sei
ein derartiger Vertrag grundsätzlich verschieden: Der Gewinn,
den Käufer und Verkäufer hier erstreben, hängen mit der gekauften
Sache selbst zusammen, sei de natura sortis, und falle nicht wie
beim Mutuum der Zins äußerlich hinzu4). Der Zins im Darlehen
ferner werde nicht freiwillig gewährt, wie ein etwaiger Überschuß
bei einem solchen Vertrage. Das Geld erzeuge nicht wie beim
Mutuum wieder Geld, das Kapital bleibe nicht unangetastet, was
im Begriff der Zeugung liege, sondern werde allmählich aufge-
braucht, indem der Käufer einer Rente nicht das Recht habe, das
gezahlte Kapital zurückzuverlangen.
*) "Vgl. zum Folgenden c. IX, p. 1.
2) 1. c. : »Dicimus etiam quarto, quod verus dominus rei sicut potest dare vel
vendere proprietatem rei vel usum seu fructus alicuius possessionis simpliciter quantum
"ad omne tempus, sie potest dare vel vendere quantum ad tempus determinatum vel
particulare: Omnia ista probantur per veram rationem dominii.«
3) "Vgl. hierzu noch c. VI.
4) Der Begriff sors wird von Aeg. gleich »res iuste possessa vel debita alicui
personae« bestimmt und erklärt: »hoc .... dicitur sorti aeeidere, quod non pertinet ad
proprietatem sortis.« cf. c. VIII. Auf den Ertrag eines Ackers z. B. hat sich daher
der Käufer desselben ein Recht erworben, das ihm auch dann nicht verloren geht, wenn
er über den Kaufpreis gewinnt. So gehört auch der etwaige Mehrgewinn aus dem
Rentenkauf zu dem, worauf der Käufer einen rechtlichen Anspruch hat.
— 170 —
Die zweite Frage, die Aegidius aufwirft, ist die folgende1):
Es bezieht z. B. jemand aus einer Pfarrei oder einer sonstigen
Quelle ein jährliches Einkommen, eine Rente. Nun verkauft er
dieselbe auf eine bestimmte Reihe von Jahren zu einem geringeren
Preise als die einzelnen Posten der jährlichen Rente zusammen
addiert ergeben. Auch dieser Vertrag wird als erlaubt bezeichnet:
Aegidius geht von der Auffassung des Kaufs und Verkaufs aus,
die das Streben nach Gewinn zulassen: der Verkäufer erwartet
von der Geldsumme, die er sofort bekommt, einen größeren Vor-
teil als ihm die jährliche Rente bringen könnte. Deswegen willigt
er frei in den Vertrag ein, was diesen schon an sich erlaubt macht.
Vor allem stützt sich Aegidius auf das oben erwähnte werttheo-
retische Prinzip, daß eine zukünftige Geldsumme, die erst nach
und nach zusammenkomme, geringer bewertet werde als dieselbe
Summe, wenn sie augenblicklich gegenwärtig ist2). Der Über-
schuß hat deshalb nichts Bedenkliches und gehört zum Inhalt des
Vertrages. Der Käufer der Rente erwirbt den ganzen Ertrag
während der bestimmten Zeit. Der Gewinn ist daher mit der
sors innerlich verbunden und steht nicht nur in einem äußerlichen
zufälligen Zusammenhange.
VIII. Rückblick. Bei Aegidius kommt zuerst die etwas mehr
liberale Gesinnung, deren allmähliche Entwicklung im vorigen Ab-
schnitt dargestellt ist, zur Entfaltung. Sie äußert sich in einer
Aufgabe der alten Lehre vom justum pretium; die Vereinbarung
des Preises wird unter Voraussetzung des Gewinnprinzips der freien
Vereinbarung überlassen, ein Gesichtspunkt, der, wie wir sahen,
z. B. bei den Rentenverträgen mit Geschick verwertet ist. Von
größter Bedeutung ist ferner die Scheidung zwischen dem Werte
secundum rationem substantiae und secundum rationem usus et
fructus, die wie gezeigt, eine Aufrechterhaltung der Zinslosigkeit
des Darlehens und der übrigen Kreditverträge möglich macht.
Das Darlehen nimmt so eine völlig isolierte, von den Tauschver-
trägen gänzlich verschiedene Stellung ein.
Natürlich ist die Idee der Freiheit der Vereinbarung des Preises
bei Aegidius verschieden von den modernen Gedanken des Indivi-
dualismus, der den inneren Kräften eines kapitalistischen Wirtschafts-
lebens freien Lauf lassen will. Die Verurteilung des kapitalistischen
Gewinnstrebens bei Aegidius kommt deutlich in seiner Lehre vom
1) Vgl. zum folgenden c. IX, p. 2.
2) Vgl. oben S. 163 cf. ib.: »pluris valoris extimatur res aliqua praesens et collecta
quam futura et divisa.«
— 171 —
turpe hierum zum Ausdruck. Es ist hierunter jener Gewinn ver-
standen, der zwar nicht direkt ungerecht, aber gleichwohl zu ver-
abscheuen ist. Der Tausch ist nach Aegidius nur berechtigt »propter
necessitatem vitae humanae, quae de se finita est in suis indi-
gentiis«1). In diese Grenze ist also auch das Gewinnstreben gebannt.
Die Überschreitung derselben ist eben das turpe lucrum, das dann
vorliegt, wenn ein Geschäft abgeschlossen wird: »non propter finem
debitum humanae vitae, sed propter avaritiam, cuius non est finis« 2).
Daher wird denn auch z. B. eine kapitalistische Ausnützung des
Rentenkaufes verurteilt. »Vitium autem turpis lucri .... tunc
in ipso ineidit, quando aliquis dives sibi sufficiens ad vitam et
seeundum rei naturam et personae et seeundum statum personae
tales redditus emit, ut divitior fiat et plures divitias sine iusta et
pia necessitate acquirat«3). Dem Gewinnprinzip im Tausche stellt
sich also das mittelalterliche Bedarfdeckungsprinzip einschränkend
zur Seite.
Es mag immerhin die Weitschweifigkeit und gelegentliche
Undeutlichkeit der Ausführungen des Aegidius zu tadeln sein. In-
haltlich gehören seine Ideen zu den fortgeschrittensten des Mittel-
alters überhaupt. Sie kommen jedenfalls den Forderungen des
aufblühenden Wirtschaftslebens in einer Weise entgegen, wie es
bei den übrigen Denkern des Mittelalters selten zu finden ist.
Anmerkungsweise seien verschiedene Werke genannt, denen
für die Entwicklung der mittelalterlichen Wertlehre kaum Bedeutung
zukommt.
i. Die Summa Astesana, von einem unbekannten Franzis-
kaner des 14. Jahrhunderts um 13 17 verfaßt (vgl. K. L. I, 1523 f.).
Sie ist eine zum größten Teil wörtliche Kompilation aus Albertus,
Thomas, Scotus, Ricardus usw. Die einzelnen Lehren über Tausch,
Handel, Rentenkauf usw. können daher übergangen werden. Die
verschiedenen Anschauungen über den Wert werden unausgeglichen
nebeneinander vorgebracht. Einmal wird Gleichheit des Markt-
preises im Tausche gefordert (z. B. P. I, 1. 3, a. 5, q. 3). An anderer
Stelle heißt es vom Wechselgeschäft: »Et servatur ibi iustitia simi-
lis illi, quae est in emptione et venditione, quia fit ibi recompen-
satio seeundum ampliorem utilitatem dati apud reeipientem a camp-
sore quam reeepti ab eo«. Der Kursgewinn des Wechslers beruht
vor allem darauf, daß der Wert des Geldes in doppelter Weise
x) c. IV.
2) c. IX, p. I.
3) 1. c.
— 172 —
bestimmt sein kann: »secundum materiam« und »secundum legem
positivam«. Das Auseinanderfallen beider kann vom Wechsler
ausgenutzt werden (P. I. 1. 3, a. 5).
2. Walter Burleigh (Burlaeus) (1275 — 1337, Schüler des
Scotus vgl. K. L. II, 1542 f; Stöckl, Geschichte II, 1042 f) verfaßte
einen Kommentar zur nikomachischen Ethik, der offenbar von
Thomas abhängig ist. Die Wiedervergeltung erfordert Gleichheit
der beiderseitigen Aufwendungen (cf. 1. V. c. 5. t. 1. pH, [S. 83]).
3. Thomas von Strassburg1) (gest. 1357), Verfasser eines
Sentenzenkommentars. Es finden sich bei ihm höchstens gelegent-
liche Bemerkungen, so wenn er betont, daß der Preis bestimmt
werde im Hinblick »ad materiam et ad opus artificis« 2). Den
Handel billigt er3). Die Frage des Zinses wird kaum erörtert.
Nur erklärt er, daß der Gläubiger im Falle, daß ihm durch Zahlungs-
verzug des Schuldners ein Schaden erwachse, vollen Ersatz bean-
spruchen dürfe, wenn dieser Schaden klar sei: wenn z. B. der
Gläubiger selbst zur Fortführung seines Geschäftes ein verzinsliches
Darlehen hat aufnehmen müssen. Für den bloßen Entgang eines
möglichen Gewinnes soll Ersatz geleistet werden nach den
Schätzungen eines »fidelis et iustus mercator«4).
§ 2. Franciscus de Mayronis und Durandus a. S. Poreiano.
Es sind alsdann zwei Denker zu erwähnen, die, von dem allge-
meinen kritischen Zeitgeiste getragen, in manchen Punkten an den
herkömmlichen Anschauungen über den Wucher gerüttelt haben.
1. Zunächst ist hier ein unmittelbarer Schüler des Duns Scotus
zu nennen; Franciscus de Mayronis [f 1327]5). Inder Behand-
lung des Eigentums, des Handels, des Wechselgeschäftes und
Rentenkaufes bringt er kaum etwas Neues6). Der Forderung der
Wertgleichheit scheint er die Annahme eines allgemein gültigen
Marktpreises zugrunde zu legen7). Freilich wird im übrigen die
Subjektivität des Wertes stark betont, indem er das Wesen der
*) K. L. XI, i689f.
2) Sent. 4 d. 25 a. 4 ad 5.
a) 1. c. d. 16, a. 3.
*) 1. c. d. 15, a. 4. q. 4.
5) Vgl. K. L. VIII, 11 17 f.
6) Über das Eigentum vgl. Sent. IV. d. 16. q. i. i. (fol. 29b): Der platonische
Staat erscheint als vollkommen; M. bemerkt aber bezüglich der Menschen nach dem
Sündenfall: »sicut erant imperfecti, necesse fuit, ut haberent politiam imperfectam.« Über
die übrigen Geschäftsarten vgl. 1. c. q. 4 (fol. 30 b f.).
7) 1. c. q. 3 (fol. 30b), cf. I, 2 (fol. 29b).
— l/j —
Tauschgerechtigkeit nicht mehr, wie Aristoteles, in einer realen
Gleichheit der äußeren Dinge, sondern in einem »medium in ratione«
sieht, eben im Hinblick auf den subjektiven, im Menschen gelegenen
Charakter des Wertes. Das subjektive menschliche Bedürfen ist
also wertbestimmend1).
Von seiner Wertlehre ist auch seine Stellung zum Zinsv erbot
getragen2). Nicht als ob er die Berechtigung desselben bezweifelt
hätte. Dazu war der Einfluß von Tradition und Kirchenlehre zu
mächtig. Das Zinsverbot ist ihm vielmehr von Gott gegeben.
Der Staat darf es daher seinerseits nicht als zulässig erklären.
Nur lehnt Mayronis die bisher übliche naturrechtliche Begründung
der Zinslosigkeit des Darlehens ab.
Sieht man die Gerechtigkeit im Tausche dann erfüllt, wenn
beide Kontrahenten Nutzen haben, so bleibt das Zinsverbot un-
verständlich: »modo usurarius dat 10 pro 12, mercator lucratur sie,
quod reddit et vivit de peeunia«. Ein verzinsliches Darlehen kann
also beiden Teilen von größtem Vorteil sein.
Aus demselben Gedanken heraus wird das Argument von
der Unfruchtbarkeit des Geldes verworfen: Das Geld darf nicht
in der Weise betrachtet werden, daß es rein für sich genommen
nicht fruchttragend sei, sondern der Nutzen des Geldes müsse im
Hinblick auf die soziale Funktion desselben geschätzt werden.
Dann quelle aber aus dem Gelde ein hoher Nutzen3); und es sei
unverständlich, daß der Zins nicht gestattet sein sollte: »quia salus
et utilitas est rei publicae«.
Das Argument von der Unverkäuflichkeit der Zeit wird mit
dem Bemerken abgetan, daß man dann auch den Mietvertrag ab-
lehnen müsse. Unklar bleibt der Grund für die Zurückweisung
des Gedankens, daß der Zins als Aneignung fremden Arbeits-
ertrages verurteilt werden müsse4).
Auch theologische Gründe für den nicht naturrechtlichen
Charakter des Zinsverbots werden beigebracht: Das alte Testament
habe Ausnahmen von Zinsverbot gekannt. Eine Dispensation von
!) Sent. III, d. 37, q. 2 (fol. i8bf.) cf. IV, 16. I, 2.
2) Vgl. zum folgenden: 1. c. IV, l6, q. 3.
3) 1. c. : ». . peeunia sterilis est et ideo non debet reddere fruetum, ut plus reci-
piant, quam mutuatum fuit .... Rendo: usus rei in politia attenditur ad utilitatein rei
publicae, unde in se res non dieuntur steriles, sed ut cadunt in usu, quo peeunia est
multum utilis.«
*) 1. c. : »Alia ratio de industria humana: Contra, advocati reeipiunt ex industria
sua multa et licita.« Soll gesagt sein, die Gläubiger düiften für die mit dem Ausleihen usw.
verbundenen Mühen ein Entgelt beanspruchen?
— i74 —
naturrechtlichen Bestimmungen aber sei nicht denkbar. So kommt
Mayronis zu dem Ergebnis: »non apparet ratio demonstrationis,
quod sit illicita«.
Die einzige Begründung des Zinsverbotes liegt also in einem
positiven göttlichen Gebot. In einem andern Zusammenhange,
wo es sich nicht unmittelbar um das Darlehen handelt, sucht
Mayronis das Zinsverbot dem menschlichen Verständnis dadurch
näher zu bringen, daß er als den natürlichen Sinn desselben den Ge-
danken bezeichnet, der Reiche müsse mit seinem Überfluß den
Armen, der sich in Not befinde, unterstützen. Daß mit dieser »ratio
naturalis« keine neue, andere naturrechtliche Begründung der Unent-
geltlichkeit des Darlehens gegeben werden soll, dürfte klar sein *).
Die Ausführungen des Mayronis sind von einem überraschenden
Verständnis des ihn umgebenden Wirtschaftslebens getragen. Teil-
weise mag allerdings eine gewisse Freude am Kritisieren mit-
wirken. Wie Duns Scotus in Theologie und Philosophie eine
»kritische« Richtung inaugurierte, so auch auf dem Gebiet der
wirtschaftlichen Anschauungen.
IL Durandus a. S. Porciano2) wurde gegen Ende des
13. Jahrhunderts in St. Pourcain geboren und starb 1332. Anfangs
in Theologie und Philosophie Anhänger des Thomas von Aquin
erneuerte er später, freilich nicht in konsequenter Durchführung,
den Nominalismus. Auch sonst nimmt er in vielen Einzelfragen
eine selbständige Stellung ein. Von seinen Schriften kommt für
uns nur sein Sentenzenkommentar in Betracht.
Was Veranlassung gibt, ihn in diesem Zusammenhange zu
behandeln, ist seine Stellung zum Zins, die von scharfer Beobachtung
des wirtschaftlichen Lebens zeugt3). Zwar schließt er sich in der
Verteidigung der Zinslosigkeit des Darlehens durchaus an seine
Vorgänger an, äußert aber im übrigen einen Gedanken, von dem
aus eine Überwindung des Zinsverbotes ohne große Mühe möglich
gewesen wäre. Er geht von der wirtschaftlichen Notwendigkeit
des Darlehens aus: In jedem Staate wären viele, die ein Bedürfnis
nach Darlehen hätten, und wenn sie ein solches nicht erhielten,
schwer geschädigt würden, was auch dem Staate selbst zu schwerem
x) 1. c. : »Sed quid de illis, qui expectant tempus caristiae, pauperes veniunt, ut
emant; ipse non vult vendere; tunc dicunt, quod tan tum dabunt, quantum tunc valebit.
Dicitur, quod fieri potest, licet sit inhumanum, et tenetur illis statim tradere, quod super-
fluit, necessitatem patienti. Et haec ratio naturalis contra usuram: his, qui necessitatem
patiuntur. Tarnen contractus non est illicitus.«
2) K. L. IV, 43 ff.
*) Vgl. zum folgenden Sent. III, d. 37, q. 2, a. 1; ib. a. 2.
— i?5 —
Nachteil gereichen könnte. Zudem könnten die Kommunitäten
selbst zur Erfüllung ihrer schwierigen und kostspieligen Aufgaben
das Darlehen nicht entbehren. Durch das Darleihen von Geld
werde also eine wichtige volkswirtschaftliche Funktion erfüllt, und
diejenigen, die ihr Vermögen zu diesem Zwecke hergäben, leisteten
dem Staate einen Dienst, verrichteten Arbeit im volkswirtschaft-
lichen Sinne. Und als Lohn dieser Arbeit gebührt den Entleihern
eine Vergütung, ein Zins: »ergo servientes, et se ac sua exponentes
pro tali servitio exhibendo rei publicae a singularibus personis
merentur mercedem ex tali labore et servitio.« Ein Zins, der so
als Arbeitslohn »tanquam Stipendium laboris seu servitii ipsius
mutuantis« erscheint, würde von Durandus nicht abgelehnt
werden; er denkt sich die Zahlung desselben etwa in der Form,
daß den Schuldnern von seiten der staatlichen Autorität zugunsten
der Gläubiger, die vom Staate mit der Darlehensgewährung eigens
beauftragt sind, ein »salarium annuatim taxandum« auferlegt wird.
Er fügt noch hinzu, daß er von etwas derartigem weder gelesen
noch gehört habe1).
Wenn Durandus so die wirtschaftliche Bedeutung des
Darlehens ahnt und die Möglichkeit annimmt, daß unter Um-
ständen von seiten des Staates ein Zins festgesetzt werden
könnte, so will er damit das Ideal des mittelalterlichen Wirt-
schaftslebens: Die Erlangung des standesgemäßen Unterhaltes
aller nicht aufgeben. Nur bis zu dieser Grenze ist von seiten des
Schuldners die Aufnahme eines verzinslichen Darlehens erlaubt.
Und Durandus tadelt die cupiditas augendi pecunias der Kaufleute,
die hierüber hinaus verzinsliche Darlehen aufnehmen, in der Hoff-
nung, mehr zu gewinnen, als sie an Zinsen zahlen müssen2). Seine
übrigen Anschauungen sind von geringerem Interesse: er tadelt
den Handel, der eine Teuerung herbeiführt3), tadelt das Almosen-
geben um jeden Preis und verlangt, daß denen fürder kein Almosen
mehr gewährt würde, die dadurch zur Trägheit mit allen ihren
Gefahren verleitet würden4).
*) *Sed istum modum nee legi nee audivi alieubi statutum vel ordinatum.« —
Brants a. a. O. S. 159 sieht bei Durandus den Plan einer Leihanstalt, eines »office
de pret«. Dies ist wohl kaum anzunehmen. Durandus spricht nur von der staatlichen
Regelung des von zahlreichen Privatpersonen besorgten Leihverkehrs. Vgl. die im Text
angeführte Stelle. Der Gedanke erinnert an die modernen Theorien, die den Zins als
Arbeitsentgelt auffassen.
») 1. c. q. 4.
3) Sent. IV, d. 16, q. 5.
4) ib. d. 15. q. 8. a. 3.
— 176 —
Das Bedeutungsvollste aus den Ansichten des Durandus ist
natürlich seine neue Fassung des Zinsproblems, indem er die Mög-
lichkeit behauptet, daß ein Zins unter Umständen vom Staate fest-
gesetzt werden könnte. Es handelt sich hier um die naturgemäße
Rückwirkung des aufblühenden Wirtschaftslebens, daß dem Be-
obachter die Bedeutung der Kapitalsübertragungen vor Augen
führte. Sie zeugt aber auch von einer gewissen Beweglichkeit in
den wirtschaftlichen Anschauungen der Scholastik und von dem
ernsten Streben über die althergebrachten Theorien hinaus das
Wirtschaftsleben kennen zu lernen und seinen Forderungen gerecht
zu werden.
§ 3. Petrus de Palude.
Paludanus, berühmter Theologe und Dominikaner [zwischen
1275 und 1280 geboren; gestorben 1342 in Paris1)] gibt in seinem
Kommentar zum dritten und vierten Buche der Sentenzen einige
Äußerungen über wirtschaftliche Dinge, die aber nur zufälliger
Natur sind und unter denen sich kaum ein Zusammenhang her-
stellen läßt, die aber gleichwohl von Bedeutung sind.
Er verlangt absolute Gleichheit der zu tauschenden Dinge
»in ordine tarnen ad usum contrahentium«2). Er scheint hier also
den Wert im Augustinischen Sinne zu fassen. An anderer Stelle
betont er, daß der Preis der Waren an demselben Orte und zur
selben Zeit von verschiedenen Menschen verschieden geschätzt wird 3),
untersucht aber die Bedeutung dieser Schätzungen für den Tausch
nicht. Der Vereinbarung der Kontrahenten räumt er an anderer
Stelle eine gewisse Freiheit ein: »in justitia commutativa potest
dari alteri plus de lucro et minus de damno sine injustitia; immo
hoc erit liberalitatis, dum tarnen ex consensu sine errore utriusque
procedat«4). Er wendet sich aber dagegen, daß die bedürftige Lage
eines einzelnen (miserabilis indigentia, indigentia particularis) von Seiten
des andern Kontrahenten zu einer Preiserhöhung beim Verkauf bzw.
einer Preiserniedrigung beim Kauf benutzt wird. Nur ein allgemein
höheres Bedürfnis (indigentia communis) rechtfertige eine Preis-
erhöhung, wobei unter dem allgemeinen Bedürfnis aber nicht etwa
das Bedürfnis der gesamten Gemeinschaft verstanden zu werden
braucht, sondern nur das einer Mehrheit von Personen im Gegen-
*) K. L. IX. 1 321 ff.
2) HI, 33- q- 4- a. 4.
3) III, 37. q. 2. a. 2. c. 3.
*) s. Anm. 2, sowie die folgende Anm.
satz zur Notlage eines einzelnen1). Bei Verletzung der Wertgleich-
heit muß Restitution eintreten. Auch für Rentenverträge auf
bestimmte Zeit ist erforderlich, daß keiner den andern zu über-
vorteilen scheint2).
Der Wert des Geldes wird durch drei Faktoren bestimmt:
pondus, auctoritas, usus. Er ist im gegebenen Augenblicke für
alle gleich. Paludanus steht infolgedessen dem Geldvvechselgeschäft
mit schweren Bedenken gegenüber, weil hier ein Gewinn nur mög-
lich sei unter Verletzung der Wertgleichheit. Nur im Hinblick
darauf, daß die Kirche das Geldwechselgeschäft nicht verurteile,
hält auch Paludanus dasselbe für erlaubt3).
Die Unerlaubtheit des Wuchers wird mit den üblichen Be-
weisen dargetan. Die Stellung des zinszahlenden Schuldners wird
etwas anders als gewöhnlich beurteilt: indem Paludanus die Meinung
ablehnt, daß der Schuldner den Zins gezwungen übertrage und
deshalb nicht sündige. Der Schuldner, wird erklärt, willigt in die
Tatsache der Übertragung des Geldes ein, nicht jedoch darin, daß
der Wucherer die Übertragung auf Grund des Darlehens fordere.
Beim Wucher findet daher eine Eigentumsübertragung statt, freilich
ist der Wucherer gleichwohl zur Rückzahlung verpflichtet4).
Paludanus ist vor allen Dingen deshalb zu erwähnen, weil
manche seiner Ansichten über den Wert der Güter auf den im
Folgenden zu behandelnden Buridanus eingewirkt haben.
§ 3. Johannes Buridanus.
I. Leben und Allgemeines: Johannes Buridanus5) wurde
um 1300 in Bethune in der Grafschaft Artois geboren, war in
Paris ein Schüler Occams und lehrte später daselbst Philosophie.
Er starb etwa 1358. Er hat nur philosophische Schriften hinter-
lassen, die sich meist mit der Erklärung des Aristoteles befassen.
Für uns kommen seine Ouästionen zur Politik, nikomachischen
Ethik und Metaphysik in Betracht. Buridanus' wirtschaftliche An-
schauungen haben in neuerer Zeit vielfach Beachtung gefunden;
so ist von Kaulla und Altmann6) vor allem die Bedeutung seiner
Wert- und Geldlehre betont worden.
!) IV. 5. q. 3. a. 3. c. 4.
2) IV. 16. q. 2. a. 4. c. 3; ib. 15. q. 3, a. 5. c. 3.
3) III. 37. q. 2. a. 2. c. 3. Weiteres über das Geldwesen: III. 33. q. 4. a. 5.
4) IV. 15. q. 2. a. 5; ib. q. 3 a. 5. c. 2.
5) K. L. II 1536 ff. R. E. III, 570 f. Sowie die im Folgenden zitierte Literatur.
6) Kaulla: Der Lehrer des Oresmius (Buridanus). Z. f. g. St. Einzelnes in seinem
früher zitierten Aufsatze über die Lehre vom gerechten Preis in der Scholastik, S. 597 f.,
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft 1. 12
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
— i7ö —
Buridanus bedeutet in vieler Hinsicht den Höhepunkt des
ökonomischen Denkens des Mittelalters überhaupt. Nicht als hätte
er grundlegende neue Gedanken gebracht; seine wirtschaftlichen
Anschauungen sind in allem eine organische Weiterentwicklung
dessen, was die Scholastik von ihm bereits geleistet hatte. Aber
was ihn auszeichnet, ist die scharfe Beobachtung des wirtschaft-
lichen Lebens sowie ein feines Verständnis für die psychologischen
Vorgänge beim Tausche, was ihn befähigt, die überkommenen
wirtschaftlichen Anschauungen in vieler Hinsicht zu klären und
weiter zu entwickeln.
Deutlich spiegelt sich in Buridans Schriften das gesteigerte
wirtschaftliche Leben seiner Zeit wieder, so wenn er erklärt:
»viventes in urbe magis solent convivere et colloqui gratiose quam
rurales«1). Und angesichts des Wachstums der Bevölkerung denkt
er an die Möglichkeit, daß die Nahrungsmittel nicht mehr zum
Unterhalt ausreichen könnten, für welchen Fall Enthaltung von
der Ehe eintreten müßte2). Häufig betont er die Bedeutung der
äußeren Güter für das geistige und sittliche Leben der Menschen 3).
Es spricht zum mindesten für eine etwas freundlichere Beurteilung
auch des überstandesgemäßen Reichtums, wenn er den tadelt, der
»ultra sibi necessaria et ultra Status sui exigentiam divitias abun-
dantes immensum« besitzt und davon keine Almosen spendet4).
Immerhin finden sich aber auch Äußerungen, die im altherge-
brachten Geiste gehalten sind und das Bedarfsdeckungsprinzip be-
tonen. So wenn er erklärt, daß die Sorge für zeitliche Güter er-
laubt sei, wenn sie geschehe »propter vitae necessitatem«, daß sie
hingegen unerlaubt sei, wenn der Mensch »excessive et superflue
credit deficere et credit numquam satis habere et propter hoc toto
suo conatu quaerit divitias«5). An einer anderen Stelle6) hingegen
wirft er die Frage auf, ob die staatliche Gewalt jemandem ein
»abundare in possessione, quantum potest« gestatten dürfe und
sowie in seiner Geschichte der Werttheorien. Ferner Altmann: Studien z. Lehre v. Geld-
wert. S. 14 ff. Vgl. dessen Art. im H. W. St. III, 357.
*) Eth. IV. q. 16 (S. 86).
2) Eth. III, q. 30 (S. 68): »Et iterum potest tanta esse populi multitudo, quod si
ulterius excresceret multum, non esset terra sufficiens ministare cibum hominibus, propter
quod illo tempore ius et ordo permittit, immo requirit, ut non omnes fecundentur
specialiter, cum non liceat homines interficere sicut boves.« Vgl. Brants a. a. O. S. 239.
3) Vgl. z. B. Eth. I. 16 (S. 14 b ff.) u. sonst.
*) Eth. IV. q. 4 (S. 72 b).
6) Pol. V. q. 2 (S. 249).
6) Pol. II. q. 2 (S. 96, 98 f.).
— 179 —
entscheidet sie dahin, daß ein sittlich guter Mensch, der für das
Gemeinwohl sorge, und nicht »ultra modum et debitum ordinem«
Besitz erstrebe, nicht an Bereicherung gehindert werden dürfe,
weil von ihm für die Gesamtheit Nutzen zu erwarten sei. Man
wird immerhin aus diesen Worten, wenn auch nicht auf eine
völlige Preisgabe des mittelalterlichen Standesideals, so doch auf
eine gewisse Erschütterung desselben schließen können.
II. Die Notwendigkeit des gesellschaftlichen Lebens wird
vor allem im Hinblick auf die Befriedigung der wirtschaftlichen
Bedürfnisse betont: dieselben sind von so großem Umfange, daß
ein Einzelner sie nicht voll befriedigen, vielmehr ohne Gemein-
schaftsleben und die damit ermöglichte Arbeitsteilung nicht
auskommen kann. Die letztere begründet Buridanus damit, daß
ein Einzelner nur in wenigen speziellen Arbeiten bewandert sein
könne, was eine vielfältige Ergänzung nötig mache1). Eine volle
Bedürfnisbefriedigung gehöre aber zum Wesen der menschlichen
Gemeinschaft2).
Bezüglich des Privateigentums bringt Buridanus keine neuen
Gedanken: Das Privateigentum ist ihm eine naturrechtliche In-
stitution. Das Gemeineigentum lehnt er ab, weil das Fehlen des
eigenen Interesses zur Nachlässigkeit führe, und zu Zwistigkeiten
Anlaß gebe bezüglich der Verfügungsgewalt über die Güter, weil
es ferner die Freude an der eigenen Arbeit aufhebe, zur Unmäßig-
keit in allen Genüssen reize und die Tugend der Freigebigkeit
unmöglich mache. Dies alles würde den Ruin des Staates mit
sich brinoren. Hinsichtlich des Eigentums sollten daher die Güter
getrennt sein, in bezug auf den Gebrauch aber allen gehören3).
Im Falle der Not höre das Privateigentum auf, weil in diesem
Falle die höhere naturgesetzliche Aufgabe der Güter, allen Menschen
zum Unterhalt zu dienen, vorgehe4).
x) Eth. IV. q. 16: »Magnum enim est homini et difficile, si sit bonus textor,
quod ipse cum plurimis sibi deservientibus artibus, quarara exercere non posset opera,
possit nos vestire. Et alteri multum est, si domum aedificare sciat et possit, alteri
navigare aut capere pisces. Alii si ferrum fabricare sciat multa ceteris artibus instru-
menta necessaria ministrans, alteri, si agrum colere sciat et possit intendere et sie de
diversis innumerabilibus artibus induci posset, sine quibus hominum indigentia naturalis
repleri non posset; oportet ergo, quod tanta sit hominum communicatio tarn domestica
quam civilis, quod hominum indigentiae naturales invicem suppleantur.«
2) Pol. L, 3 (S. 12): »quilibet congregatio hominum sufficiens ad vitae necessaria
et ad bene vivere, regulata certis legibus, uni prineipi subdita, est civitas.«
3) Vgl. Pol. IL, 2 (S. 91 ff.).
«) Vgl. z. B. Pul. II., 3 (S. 105) u. sonst.
12*
— i8o —
Hinsichtlich des zubilligenden Maßes an Eigentum fordert
Buridanus, daß nicht alle schlechthin das Gleiche besitzen, sondern
jeder solle soviel besitzen, wie er verdient1). Im Interesse der
bürgerlichen Eintracht wünscht er das Vorherrschen eines mittleren
Besitzstandes2). Seine diesbezüglichen Anschauungen sind also
nichts anderes als eine Wiederholung der thomistischen Eigen-
tumslehre.
III. Auch hinsichtlich der Wertlehre steht Buridanus auf
dem Boden der vorangegangenen Zeit; nur schreitet er in mancher
Hinsicht zu einer tieferen Erfassung und Begründung der alten
Anschauungen fort.
Der grundlegende Satz seiner Wertlehre ist der, daß die
Güter im Tausche gemessen werden durch das menschliche Be-
dürfnis: »Indigentia human a est mensura naturalis commutabilium«.
Genau genommen ist für den Wert bestimmend die tatsächliche
Bedürfnisbefriedigung, die uns die Güter gewähren, das »supple-
mentum indigentiae humanae«, das aber in seiner Größe wieder
von dem Maße des Bedürfens abhängt, wie der Wein, der zur
Füllung eines Fasses nötig ist, an sich seiner Quantität nach be-
stimmt wird durch die tatsächlich eingefüllte Menge, die aber
wieder durch die Größe des Fasses bedingt ist. Man kann also
kurzer Hand sagen, daß die Güter gemessen werden durch das
menschliche Bedürfnis3).
Buridanus sucht diesen Satz durch verschiedene Beweise zu
erhärten, die teils aprioristischer, teils aposterioristischer Natur
sind: Er geht einmal davon aus, daß der Zweck der Güter der
sei, dem menschlichen Bedürfnis zu dienen; nach dem Zwecke
aber sei die bonitas, oder was dasselbe sei, der valor der Dinge
zu bemessen, denn »alles Gute ist gut um seines Endzweckes
willen«. Mithin bemesse sich auch der Wert oder die Güte der
zu tauschenden Güter nach ihrem Endzwecke, also nach dem
Maße, in dem sie das menschliche Bedürfnis befriedigen 4). Ferner
sei es aus der täglichen Erfahrung bekannt, daß z. B. der Wein
zu den Zeiten, wo er selten ist, teuerer wird, weil dann unser Be-
dürfnis nach demselben steigt. Der Wert der Güter und unser
Bedürfnis nach ihnen stehen also in einem ursächlichen Zusammen-
J) Pol. II. q. 2 (S. 92 f.).
2) Pol. IV. q. 17 (S. 221).
3) Eth. V. q. 16 (S. 106). Vgl. ferner ib. IV., 6 (S. 76); V., 13 (S. 103 b); V.,
14 f. (S. 103 b ff.); Pol. I., 11 (S. 55); ib. I, 12 (S. 63); I, 15 (S. 79).
*) 1. c.
— i8i —
hange, wenn letzteres sich ändert, ändert sich auch ersterer1).
Und endlich bringt Buridanus an vielen Stellen den bekannten
augustinischen Gedanken, daß im Tausche die Güter nicht nach
ihrer natürlichen Rangordnung betrachtet werden, sondern danach,
daß sie zu unserem Gebrauche, also zur Befriedigung unserer Be-
dürfnisse dienen2).
Nun ist aber über das Wesen des Bedürfens noch einiges
zu sagen. Das »Bedürfnis« ist nicht etwa als objektive Notwendig-
keit eines Gutes für das menschliche Leben zu nehmen. Dem
widerspricht, betont Buridanus, die tägliche Erfahrung, die zeigt,
daß reine Luxusgegenstände häufig sehr teuer sind; sondern das
Bedürfen — darauf geht die buridanische Argumentation hinaus —
ist ein psychologisches Moment, das mit jener objektiven Not-
wendigkeit eines Gutes nicht zusammenfällt: Auch der Reiche,
der alles zum Leben Notwendige besitzt, bedarf noch der Luxusgegen-
stände, und er empfindet dieses Bedürfnis vielleicht ebenso stark
wie ein Armer das Bedürfnis nach dem notwendigen Lebensunter-
halt. In beiden Fällen ist das Bedürfen nach Buridanus ein wert-
bestimmender Faktor. So erklärt er: »non solum indigentia ne-
cessarii mensurat apud egenos commutabilia, sed etiam indigentia
excessus apud divites«3).
Daran anschließend untersucht Buridanus die Art und Weise
näher, wie die Güter durch das menschlische Bedürfnis gemessen
werden. Zugrunde liegt seinen Ausführungen der aristotelische
Gedanke, daß ein Ding ein anderes seiner Größe nach nur be-
stimmen kann, wenn es von derselben Art ist, wie das zu messende.
Buridanus unterscheidet nun zwei Arten des Messens: Einmal
messen wir ein Gut in der Weise, daß wir von einer unteilbaren
Maßeinheit ausgehend, dieselbe so oft vervielfältigen, bis wir die
Größe des zu messenden erreicht haben. Letzteres ist derselben
Art wie die angenommene Einheit und stellt nur ein Vielfältiges
derselben dar. So wird das Gewicht eines Gegenstandes als ein
Vielfaches der Gewichtseinheit ausgedrückt. Es liegt also eine
rein quantitative Gleichsetzung vor.
Hiervon zu scheiden ist eine andere Art des Messens, wo
der zu bestimmende Gegenstand von dem Maße verschieden ist:
Wenn z. B. eine Bewegung durch die Zeit gemessen wird, so ist
die erste Art des Messens nicht anwendbar, sondern es kann nur
1) l. c.
2) 1. c.
3j 1. c. Vgl. ferner ib. V., 23 (S. III).
in folgender Weise vorgegangen werden: Eine bestimmte Be-
wegung vollzieht sich in einer bestimmten Zeit; eine zweite in
der doppelten Zeit. Dann ist die zweite Bewegung doppelt so
groß wie die erste. Es wird also nur das Größenverhältnis zweier
Dinge ermittelt; es wird gemessen »secundum similitudinem pro-
portionis«. In dieser Weise bestimmt das menschliche Bedürfnis den
Güterwert. Ist das Bedürfnis ein bestimmtes, so ist der Güterwert
ein bestimmter; verändert sich ersteres, so verändert sich propor-
tional letzterer; einem Steigen des einen entspricht ein Steigen
des andern und einem Fallen des ersteren ein Fallen des letzteren.
Es braucht also bei dieser Art des Messens keine Gleichheit der
Art nach zwischen Maß und gemessenem Gegenstande vorzuliegen,
weil nicht nach quantitativer Gleichsetzung gemessen wird, so daß
kein Verstoß gegen die obengenannte Forderung des Aristoteles
vorliegt, weil eine ganz andere Art des Messens angewendet wird1).
Buridanus betont die Verschiedenheit des Wertes der Güter
je nachdem, ob sie in größerer oder geringerer Menge vorhanden
sind. Daraus ergeben sich zunächst Verschiedenheiten des Wertes
nach Ort und Zeit, was nicht näher besprochen zu werden braucht,
und sodann Verschiedenheiten nach den einzelnen Personen, indem
z. B. ein Reicher das Getreide weniger hoch schätzt als ein Armer,
der dessen dringend bedarf2).
Dies gibt Buridanus nun Veranlassung zu einer Unterscheidung,
die uns schon bei Paludanus begegnet war: Er scheidet zwischen
dem Werte der Güter, der durch die »indigentia communis« und
dem Werte, der durch die »indigentiae particulares« gebildet wird.
Ersterem liegt die Tatsache zugrunde, daß in einer Gemeinschaft
zu gewisser Zeit einer bestimmten Art von Gütern ein bestimmter
Preis, ein Marktpreis zukommt: »rei venalis«, erklärt Buridanus,
»mensura est communis indigentia humana. Ob hoc enim videmus
aliquo tempore quartam vini esse maioris pretii quam alio tempore
duae quartae«3). Es wird hier festgestellt, daß es einen allgemeinen
Marktpreis gibt, der sich aus den Schätzungen der Gemeinschaft
ergibt.
Dem für alle gleichen Preis der Güter stehen, wie gesagt,
die indigentiae particulares gegenüber, die ersteren bilden, frei-
x) Eth. V, 16. Inwiefern das Maß im ersten Sinne unteilbar sein muß, erklärt
Buridanus in Meth X, q. i.: »si in panno sint decem ulnae precise, ita quod non
plures quam decem, tunc quaelibet earum est ulna et non est quantitative divisibilis in
plura, quorum quodlibet sit ulna.«
2) Vgl. im Folgenden.
3) Eth. IX, i (S. 191).
— i83 —
lieh selbst voneinander verschieden sind. Buridanus erklärt: »ad
hanc communem mensuram addunt vel diminuunt indigentiae par-
ticulares commutantium.« Und er erklärt dies durch folgendes
Beispiel: »Abundans enim in frumento non daret tantum pro modio
frumenti quantum daret indigens frumento et abundans in peeunia.
Ergo res eadem et eodem tempore apud abundantem est minoris
pretii et apud indigentem est maioris« l). Die Schätzungen der
einzelnen weichen also von der im Marktpreis zum Ausdruck
kommenden allgemein gleichen »Bewertung« der Güter ab.
Mit den ersteren steht das Gewinnprinzip im Tausche im
engsten Zusammenhang. Buridanus erklärt: »oportet utrumque
lucrare saltem seeundum opiniones ipsorum« und er erläutert dies
weiter dahin, daß derjenige, der sein Pferd verkauft, von dem er-
haltenen Gelde Gewinn erwartet; der Käufer hofft seinerseits von
dem Pferde größeren Nutzen zu gewinnen, als das Geld ihm hätte
gewähren können. Ahnlich betont er, daß diejenigen, die ihre
Arbeitskraft vermieten, den Lohn höher schätzen als ihre Arbeit2).
Nun ergibt sich das schwierige Problem: Wie ist bei in-
dividuell verschiedenen Schätzungen ein Marktpreis möglich? Zu-
sammenhängende Äußerungen liegen hierüber kaum vor; wir
müssen daher versuchen, aus den einzelnen zerstreuten, schwer
zu vereinigenden Sätzen ein abschließendes Bild zu gewinnen.
An der Stelle, die hier zunächst zu erwähnen ist, nimmt
Buridanus den Fall an, daß ein Faß Wein und ein Scheffel Ge-
treide dem Geldpreis nach gleich teuer sein. Wenn nun diese
beiden ausgetauscht werden von zwei Personen, von denen die
eine an Getreide Mangel hat, dagegen an Wein Überfluß und bei
der andern das Umgekehrte der Fall ist, dann würde der Fall
eintreten, daß »quamvis simpliciter isti ambo aequalis pretii
tribuant et retribuant, tarnen utrique seeundum suam aestimationem
plus tribuitur, quia pluris aestimamus, quo plus indigemus« 3). Es
handelt sich um die Feststellung der Tatsache, die Ricardus zur
Konstruktion des gerechten Preises verwendet hatte: Die Kon-
trahenten tauschen tatsächlich nach Gleichheit des Preises, nach
Wertgleichheit: beide geben demselben Gute denselben Preis; für
*) Eth. IX, I. cf. ib. (S. 190): »si pauperi daretur denarius et diviti florenus,
denarius esset pauperi utilior, quam diviti florenus: eo quod pauper ob indigentiara
multum iuvatur denario, dives autem forte nihil iuvatur floreno, quia non indiget.«
2) Eth. IX, 1 (S. 191): »indigentes enim peeunia maioris pretii aestimant decem
libras quam suum laborem vel suam oecupationem annualcm.«
3) 1. c. (S. 190 b).
— 184 —
beide aber ist die zugrundeliegende Bewertung der Güter ver-
schieden.
Eine tiefere Begründung dieser Erscheinung wird an einer
anderen Stelle zu geben versucht: Buridanus macht folgenden
Einwand: Wenn das Bedürfnis den Wert der Güter bestimmte,
so müßte der Reiche sein Brot zu billigerem Preise kaufen als der
Arme, weil sein Bedürfnis nach demselben geringer ist, und beim
Armen müßte das Umgekehrte der Fall sein. Buridanus erwidert
in folgender Weise darauf: »indigentia istius hominis vel illius non
mensurat valorem commutabilium, sed indigentia communis eorum,
qui inter se commutare possunt. Vel dicendum, quod pauper quoad
ea, quibus abundat, multo pluri pretio emit ea, quibus indiget,
quam dives: plus enim apponeret de labore corporali pro uno sex-
tario frumenti, quam dives pro viginti: sed plus pecuniae non
apponeret eo, quod indiget ea sicut frumento; universaliter enim
indiget exterioribus bonis«1).
Zunächst kann dem ganzen Zusammenhange nach keine Rede
davon sein, daß Buridanus etwa beabsichtigte, hier einen gerechten
Preis zu konstruieren2). Er will vielmehr einfach eine kausale
Erklärung der Tatsache geben, daß Reiche und Arme das Brot
zu demselben Preise kaufen, obwohl ihr Bedürfnis danach ver-
schieden ist. Hierfür gibt er nun verschiedene Möglichkeiten an,
was schon allein zeigt, daß die Stelle nicht in ethischem Sinne
gemeint sein kann. Er weist zunächst darauf hin, daß nicht die
Schätzung des Reichen allein den Preis bestimmen könne, sondern
die »indigentia communis eorum, qui inter se commutare possunt«.
Der Preis ist das Ergebnis einer Mehrzahl von Schätzungen, und
zwar aller derer, die für den Tausch in Betracht kommen. Die
Bewertung eines einzelnen ist darauf nicht von bestimmendem
Einfluß. Mit dem Ausdruck indigentia communis soll also
allein die Tatsache konstatiert werden, daß den verschiedenen in-
dividuellen Schätzungen ein für alle gleicher Preis, ein Marktpreis
entspringt. Diese Erklärung zeugt von feiner Beobachtung der
wirtschaftlichen Vorgänge, und auch wir können sie kaum als
absolut falsch hinstellen, wenn sie natürlich das Problem auch
keineswegs erschöpft. Buridanus versucht dann noch eine andere
Erklärung: Der Arme bedarf des Geldes eben so sehr, wie des
Getreides; wenn er also ebensoviel zahlt wie der Reiche, so gibt
:) Eth. V, 16 (S. 106).
2) Wie Kaulla und Altmann in ihren angeführten Schriften annehmen. Ähnlich
Erants a. a. O., S. 70.
- i85 —
er tatsächlich mehr, wenigstens seiner Schätzung nach. Er würde,
sagt Buridanus, mehr Arbeit für ein Sechstel Getreide aufwenden
als der Reiche für 20. Die höhere Schätzung des Armen, soll
damit gesagt sein, liegt tatsächlich vor, auch wenn sie im Preise
äußerlich nicht zum Ausdruck kommt; die Schätzung des Armen
und Reichen dem Preisgute gegenüber, ist ebenso verschieden,
wie die . Bewertung der zu tauschenden Güter. Der Preis, der
äußerlich als gleich erscheint, ist im Grunde doch für alle ver-
schieden.
Soweit die tatsächlichen Vorgänge der Preisbildung. Wie
denkt sich Buridanus nun die ethische Normierung des
Tausches?
Die Idee der Gerechtigkeit erfordert Wertgleichheit, zwar
nicht in eigentlichem Sinne Gleichheit der äußeren Dinge, sondern
Gleichheit »quoad nos«, weil die »humana indigentia« den Wert
bestimmt. Und weil hierdurch auch die Dinge selbst in ihrem
Wertverhältnis festgelegt sind, kann man im Gerechten auch ein
»aequale secundum rem« erblicken1) und die Forderung aufstellen:
»res commutandae debent esse aequales, si iusta debeat fieri com-
mutatio« 2).
Der Tausch muß ferner ein Vorgang sein, der aus dem freien
Willen der Kontrahenten hervorgeht. Zu einer »commutatio volun-
taria« aber ist erforderlich, daß beiden Teilen (»utrique parti«) der
Tausch überhaupt sowie die nähere Art und Weise gefällt, und daß
nicht etwa ein Umstand verheimlicht sei »qua existente manifesta
non placeret aut res aut modus«3). Das Wesen des Tausches be-
steht nach Buridanus in einem »pactum secundum communem
consensum et expressum de habendo certum quid et certae quanti-
tatis pro certo quo et certae quantitatis«4).
Mit dem freiwilligen »communis consensus« ist gegeben, daß
beide Kontrahenten demselben Gute denselben Preis beilegen
müssen. Ein Tausch ist undenkbar, wenn sie den Preis einer
Ware verschieden hoch ansetzen wollten, vorausgesetzt, daß beide
frei handeln können. Gleichheit des Preises als ethische Forderung
und Freiheit der Vereinbarung bilden keine Gegensätze, sondern
erstere ist Folge der letzteren; es ist allem genügt: »quando utra-
que pars consentit«5).
») Eth. V, 13 (S. 103).
2) Eth. V, 11 (S. 102); cf. Pol. I, 15 (S. 79).
3) Eth. V, 10 (S. 101).
4) Eth. IX, 1 (S. 191).
5) Pol. V, 21 (S. 304).
— i86 —
Bei dem gleichen Preise, den die Kontrahenten einem Gute
beilegen, handelt es sich, wie früher gezeigt, im allgemeinen um
den Marktpreis. Derselbe ist aber nicht etwa Gegenstand einer
ethischen Forderung: Die Idee eines allgemeingültigen Normal-
preises, dem dann eine gewisse »latitudo« zukäme, kennt Buri-
danus nicht. Seine Preislehre ist vielmehr beherrscht von dem
Gedanken des »communis consensus«. Die Grundbedingung ist
die: »oportet aestimationem vendentis et ementis convenire« x).
Bei Feststellung des Preises gehen Käufer und Verkäufer
ausschließlich von ihren individuell durchaus verschiedenen Be-
wertungen aus. Und diese individuellen Schätzungen dürfen sich
frei betätigen. Dies ist auch der innere Grund, weshalb ein Ge-
winn im Tausche der Gerechtigkeit nicht widerstreitet: »Sciendum
est, cum non contingat, iniustum pati voluntarie . . ., quod in volun-
tariis commutationibus . . . nullum accidit lucrum aut damnum contra
iustitiam immo sie in commutationibus est vera mercatura,
seeundum quam communiter utraque pars aeeipit, quod magis est
utile sibi« 2;.
Und weiterhin wird ausdrücklich der Tausch als gerecht be-
zeichnet, der auf Grund persönlicher Schätzung frei abgeschlossen
wird: Jeder veräußert seine Sache gegen die, die ihm gefällt:
»Si igitur rem suam sie alienat, ipse seeundum suam
aestimationem non damnificatur, sed lucratur; igitur non
iniustum patitur, quoniam commutabilia sunt apprecia-
bilia seeundum aestimationes commutantium iuxta eorum
indigentias, non solum iuxta indigentias necessariorum,
sed etiam iuxta indigentias superfluorum appetituum«3).
Dem gerechten Preise wird also nicht etwa ein durchschnittliches
normales Bedürfnis zugrunde gelegt, sondern bei freier Be-
tätigung der persönlich-individuellen Schätzungen kann
keine Ungerechtigkeit vorliegen4).
Freilich ist die in der Idee des »communis consensus« liegende
Anerkennung des Prinzips der Vertragsfreiheit nicht im liberal-
individualistischen Sinne zu nehmen. Buridanus betont vielmehr
scharf die Einfügung der Preisbildung in das soziale Ganze: die
Preisbildung dürfe nicht dem individuellen Interesse einzelner
dienen, sie müsse sich vollziehen »seeundum utilitatem et necessi-
*) Eth. ix, i (S. 190).
2) Eth. V, 10 (S. 101).
3) Eth. V, 23 (S. in), cf. ib. V, 14 (S. 104b).
4) Vgl. Pol. I, 16 (S. 83), wer tauscht, muß »prudens et cautus« sein.
— i87 -
tatem totius communitatis«, nicht etwa »penes necessitatem ementis
vel vendentis«. Das Wohl der Gesamtheit muß also die Richt-
schnur für die Preisbildung sein: »Ex illo dicunt aliqui, quod
magnum est in politia, quando indigens aliqua re emit illam pluri
pretio, quam valet vel institutum sit«1). Mit der Betonung der
sozialen Funktion des Wertes hängt es zusammen, wenn Buri-
danus darauf hinweist, daß es nicht denkbar sei, daß z. B. ein
Haus gegen ein Kleid getauscht werde, weil der Baumeister viel-
leicht ein Jahr zum Bau des Hauses brauche und, wenn er dafür
nur ein Kleid erhielte, während dieser Zeit der Nahrung entbehren
müsse2). Die Preisbildung hat also noch die Aufgabe, der Arbeit
ihren Unterhalt zu sichern. Thomas hatte diesen Gedanken, der
sich bei Buridanus nur gelegentlich findet, zur Grundlage seiner
Wertlehre gemacht. iVhnliche Gedanken wirken nach, wenn Buri-
danus den Gewinn des Wechslers, der bei seinem Handeln das
allgemeine Wohl zu fördern beabsichtigt, für erlaubt erklärt, weil er
»omnibus compensatis, scilicet labore et expensis non recipit plus
quam dat«3). Oder wenn er der überlieferten Behandlung des
Handels folgend, nur dann einen teueren Verkauf als Einkauf für
berechtigt erklärt, wenn inzwischen eine »Werterhöhung« stattge-
funden hat: »inspiciendo laborem meliorantem illam rem«4).
Buridanus führt in gewissem Sinne das Problem weiter, das
Ricardus gestellt hatte: Die Kontrahenten, forderte letzterer, müssen
nach G.leichheit des allgemeingültigen Marktpreises tauschen;
nebenher laufen ihre individuell verschiedenen Wertschätzungen.
Buridanus zeigt, wie sich aus den einzelnen Bewertungen ein
Tausch nach Gleichheit des Preises ergibt und wie dieser Preis
für alle tatsächlich mehr oder minder derselbe ist. Wenn auch
nicht formell, so führt er doch materiell die bereits bei Ricardus
im Keim vorhandene Scheidung zwischen Wert und Preis kon-
sequenter durch. Aus dieser Weiterführung ergeben sich aber auch
zugleich charakteristische Unterschiede.
Die Schätzungen sind individuell verschieden, ein normales,
•durchschnittliches Bedürfnis, das Ricardus noch in unklarer und
widerspruchsvoller Weise angenommen hatte, existiert nicht. Die
individuellen Schätzungen dürfen sich frei betätigen und der durch
sie zustandegekommene Tausch ist gerecht. Daneben stehen die
1) Pol. I, 15 (S. 79); ib I, 11 (S. 55).
2) Eth. V, 15 (S. 105).
3) Pol. I, 15 (S. 81).
«) Pol. I, 15 (S. 82).
— i88 —
ethischen Bedingungen für die Preisgerechtigkeit. Freilich wird
das Problem von Wert und Preis nicht zusammenhängend erörtert
und wenn auch im vorstehenden ein Ausgleich versucht ist, so
soll damit nicht gesagt sein, daß er bei Buridanus völlig vollzogen
sei oder auch nur sich ganz klar und ungezwungen vollziehen
lasse; neben Äußerungen, in denen klar die Idee des communis
consensus betont wird, stehen andere, die noch mehr im Sinne
der Hochscholastik gehalten sind. Gleichwohl glauben wir, die
Idee des communis consensus als die herrschende Grundidee hin-
stellen zu dürfen und gezeigt zu haben, daß die übrigen Gedanken,
wie z. B. der der »Wertgleichheit« sich hiermit wenigstens in
etwa vereinigen lassen.
IV. Bezüglich der übrigen wirtschaftlichen Anschauungen
des Buridanus können wir uns sehr kurz fassen.
Bemerkenswert ist zunächst die Anwendung der Wertlehre
auf die Theorie des Geldes1). Der Wert des Geldes, betont
Buridanus, wird durch das menschliche Bedürfnis bestimmt, durch
die Schätzung, die dem in der Münze enthaltenen Metall ent-
gegengebracht wird: »oportet . . . , quod valor peeuniae indigentia
humana mensuretur. Licet enim forte non indigeamus ad nostras
necessitates auro vel argento: tarnen divites indigent eis ad ex-
cessus suos«. Und interessanterweise wird dieser Satz begründet
durch den Hinweis auf die empirische Tatsache, daß der Preis
des Barrenmetalles dem Geldwerte annähernd gleich sei: »propter
quod videmus, quod aurum et argentum in massa tanti valoris
sunt vel quasi tanti, sicut in moneta«.
Die Erkenntnis dieses Satzes setzt nun Buridanus in den
Stand, die traditionelle Geldtheorie zu vertiefen und aus ihr eine
Unklarheit zu beseitigen. Als für den Geldwert entscheidend
hatten Thomas, Heinrich v. Gent usw. im Anschluß an Aristoteles
neben der »materia utilis« auch die staatliche Gesetzgebung be-
zeichnet und hierfür den Begriff des valor impositus geprägt2).
Demgegenüber betont Buridanus, daß letzterer für die Grundlage
eines Münzsystems nicht in Betracht komme: »quoniam si nulla
esset modo peeunia et rex aliquam de novo fabricaret . . . eius non
esset imponere, quantum valeret denarius vel obolus«. Doch bei
Vorhandensein einer andern Münze ist eine vom Metallgehalt
abweichende gesetzliche Wertfixierung denkbar: »verum est tarnen,
x) Vgl. z. Folg.: Eth. V, 17 (S. 106 f.); Pol. I, 11 (S. 50 ff.). Vgl. die ange-
führten Schriften von Kaulla und Altmann, ferner Brants a. a. O., S. 180 f.
2) Vgl. S. 133 f; S. 172; S. 177.
— i8g —
quod iam aliqua currente moneta, si rex aliam fabricarct, posset
ei in ordine ad praecedentem pretium instituere: v. gr. dicere,
quod novus denarius pro tribus ponatur et capiatur«. Ein Aus-
einanderfallen des Metallgehaltes und des Nominalwertes ist nur
entschuldigt, wenn es im allgemeinen Interesse liegt, z. B. in
Kriegszeiten.
Aus dem Gesagten ergeben sich die Erfordernisse des
Geldes. Die Materie desselben muß von hohem spezifischen
Werte, dauerhaft und in kleine Stücke teilbar sein; letzteres, da-
mit die Armen ihre meist geringwertigen Sachen kaufen können.
Ein behördlicher Stempel muß Garantie für ein bestimmtes Gewicht
und Schutz gegen Verfälschungen bieten. Dies sind zugleich die
Grundbedingungen für die Erfüllung der Funktionen des Geldes,
Wertübertrager durch Raum und Zeit zu sein. Die eigentliche
Aufgabe des Geldes, die die übrigen Funktionen in anti-
kapitalistischem Sinne begrenzt, ist, daß »homo per monetam
possit habere, illa, quae sunt necessaria vitae«. Daher ist es ein
Mißbrauch: »ordinäre monetas ad alium finem, quam ad commu-
tationem bonorum naturalium«.
Die Entstehung des Geldes wird im Anschluß an Aristoteles
geschildert; Buridanus läßt freilich einige selbständige Beob-
achtungen einfließen, so wenn er z. B. sagt, das Geld sei nötig
zur Entlöhnung der x\rbeiter, weil die Reichen ihnen nicht alle
nötigen Naturalien liefern könnten. Des weiteren betont er, daß
der Besitz von Geld eine Gemeinschaft nicht wahrhaft reich
mache, der wahre Reichtum bestehe nur in Gebrauchsgütern1).
Die weiteren Anschauungen Buridans über das Geldwesen,
Geldveränderungen usw. können wir hier übergehen. Über das
Geldwechselgeschäft ist bereits gehandelt worden.
Die Wucherlehre weicht in mancher Hinsicht von der des
Aegidius Lessinus ab. Letzterer hatte den einfachen Tausch vom
Darlehen, auf das er den Begriff des Wuchers fast völlig be-
schränkt hatte, dadurch abgegrenzt, daß er für jenen das Gewinn-
prinzip gelten ließ, es aber für letzteres ablehnte, was dann die
charakteristische Gestaltung seiner Wertlehre bedingte. Buridanus
bestimmt den Begriff des Wuchers viel weiter2): »Usura«, erklärt
er, »est ex pacto secreto vel manifesto recipientem obligare ultra
sortem i. e. pretium«. Der Wucher kommt nur in Dingen vor,
bei denen Eigentum und Nutzung nicht getrennt übertragen werden,
l) Pol. III, 21 (S. 163 ff.) und sonst.
*) Pol. I, 12 (S. 59).
— 190 —
sondern gleichzeitig. Letzteres ist in den verschiedensten Verträgen
der Fall, wie Kauf und Verkauf, Darlehen usw. Demgemäß kann
der Wucher, d. h. die Annahme eines Entgelts für die Nutzung
eines Dinges, die nicht mehr im Eigentum des Gebers ist, in allen
Vertragsarten in gleicher Weise vorkommen1). Die Abgrenzung
gegen das Prinzip der Vertragsfreiheit im Tauschvertrage geschieht
durch den Hinweis darauf, daß die Kontrahenten zwar freie Ver-
einbarung treffen dürfen, aber nicht über Dinge, die nicht ihnen
gehören: »hoc addito, quod neuter in pretium ponat illud, cuius
ipse non est dominus«2).
Vor allen Dingen kommt der Wucher im Darlehen vor, wo
Leistung und Gegenleistung nach quantitativer Gleichheit stattzu-
finden haben3). In der Begründung der Unerlaubtheit des Zins-
nehmens bringt Buridanus kaum etwas Neues: er betont, daß es
der Unterstützungspflicht den Armen gegenüber, sowie dem Geiste
der Freigebigkeit widerstreitet, und sodann, daß es ungerecht sei,
wofür vor allem der Gedanke des Zeitverkaufes vorgebracht wird,
sowie die thomistische Beweisführung, daß im Gelde Eigentum
und Nutzung nicht getrennt werden können, daß daher der Zins
ein doppelter Verkauf derselben Sache sei.
Besonders ausführlich behandelt Buridanus die Frage, ob der
Wucher von Seiten des Staates zuzulassen sei4): Er hebt die ver-
heerenden sozialen Wirkungen des Wuchers hervor, indem der-
selbe zu einer Verarmung des Schuldners und zur Ungleichheit
des Besitzes unter den Bürgern führe, betont aber, daß unter Um-
ständen ein vollständiges Verbot noch schlimmere Folgen haben
könnte, indem z. B. die Armen zum Stehlen veranlaßt würden
usw. Sei letzteres zu befürchten, so sei der Wucher zu ge-
statten. Im übrigen bietet die Wucherlehre gegenüber der früheren
Zeit nichts Neues. Erwähnt sei nur noch, daß Buridan es ablehnt,
den Zinstitel des entgehenden Gewinnes ganz allgemein für alle
Kaufleute und Wechsler anzuerkennen, die: »indigerent continue
lucrari de sua pecunia ad vitae necessitatem et Status honestatem
servandam«6). Dasselbe gilt von seiner Stellung zum Kauf oder
Verkauf auf Kredit, zum Gesellschaftsvertrage usw. Der Renten-
kauf wird gelegentlich erwähnt, aber nicht näher behandelt6).
1) 1. c. vgl. ferner Pol. I, 13, i. f. (S. 71 ff.), wo einzelne Beispiele aufgeführt werden.
2) Eth. V, 10 (S. 101).
3) Vgl. z. Folg. Eth. IV, 6 (S. 75 ff.); Pol. I, 12 f. (S. 57 ff.).
«) Pol. I, 13 (S. 65 ff.).
5) Eth. IV, 6 (S. 75 f.).
6) Pol. I, 13 i. f. (S. 72).
— igi —
V. Rückblick. Die wirtschaftlichen Anschauungen Buridans
sind der Niederschlag der außerordentlichen Steigerung des wirt-
schaftlichen Verkehrs im 14. Jahrhundert. Hierauf dürfte zum
großen Teil der Fortschritt, den wir bei Buridanus gegenüber der
früheren Zeit finden, zurückzuführen sein. Freilich muß daneben
noch eins betont werden: Buridanus war mehr Philosoph als
Theologe : Die rein sittliche Würdigung des Wirtschaftslebens, die
in der früheren Zeit, so verständlich sie bei Theologen und Mora-
listen sein mag, doch oft den Fortschritt des ökonomischen Denkens
gehemmt hatte, man denke z. B. an die Geldlehre Heinrichs von
Gent, tritt bei ihm mehr zurück. Ihn interessiert in steigendem
Maße die empirische Beobachtung der wirtschaftlichen Vorgänge
selbst, was bei den letzteren nicht der Fall war.
Dies tritt vor allem in seiner Wertlehre zutage; die Prinzipien
derselben sind keineswegs von Buridanus geschaffen worden. Wir
haben im vorigen ihre allmähliche Entwicklung verfolgt. Aber
das Neue liegt darin, daß er die alten Anschauungen tiefer zu be-
gründen sucht, sich den Vorgängen der Preisbildung selbst zu-
wendet und letztere weit mehr als es bisher geschehen war, kausal
zu erklären versucht.
In der Betonung des Gewinnprinzips und der Freiheit der
Preisbildung steht er, wenn auch weniger klar, auf demselben
Boden wie Aegidius Lessinus. Der Bruch der Scholastik mit der
früheren Lehre vom gerechten Preise hängt sicher teilweise zu-
sammen mit dem tieferen Studium des römischen Rechts. Teilweise
aber auch kommt die Scholastik dieser Periode den Forderungen
des aufsteigenden Wirtschaftslebens, das eben größerer Freiheit zur
Entfaltung bedurfte, entgegen. Andererseits ermöglichte erst ein
gewisser Grad der wirtschaftlichen Entwicklung ein volleres Ver-
ständnis des römischen Rechts, das eben selbst auf dem Boden
hochentwickelter wirtschaftlicher Verhältnisse erwachsen war. Es
sind so wohl geistige und wirtschaftliche Faktoren von gleichem
Einfluß gewesen.
Im nächsten Abschnitt werden wir die rückläufige Bewegung
der Lehre vom gerechten Preis zu betrachten haben.
§ 4. I. Nicolaus Oresmius (gest. 1382).
Nicolaus Oresmius ist bekannt durch seine Abhandlung über
das Geldwesen1). Die Ausbeute für die Werttheorie ist äußerst
1) Über seine Geldlehre vergleiche vor allem Röscher: ein großer National-
ökonom des 14. Jahrh. Z. f. g. St. Bd. XIX (1863), S. 305 ff. Vgl. ferner Brants
— 192 —
gering, sodaß wir uns mit einem kurzen Hinweis auf ihn be-
gnügen können. Als Bestimmungsgründe des Preises der Edel-
metalle bezeichnet er die Seltenheit und Anstrengung der Be-
schaffung. Im Hinblick auf beide Faktoren ist das Gold seiner
Natur nach teuerer als das Silber: »Nam secundum hoc, quod
aurum est de natura sua pretiosius et rarius argento et ad inveni-
endum vel habendum difficilius, ipsum aurum aequalis ponderis
debet praevalere in certa proportione , sicut forsan esset viginti
ad unum«1). Diesem natürlichen Wertverhältnis der Edelmetalle
entsprechend muß das Wertverhältnis zwischen Gold- und Silber-
münze festgesetzt werden.
Seine weiteren Anschauungen über das Geldwesen kommen
für uns nicht in Betracht. Hervorgehoben sei nur noch, daß er
dem Geldwechselgeschäft sehr wenig wohlwollend gegenüber-
steht, es sei eine vilis negotiatio, wegen der sittlichen Gefahren,
die damit verbunden seien. Zur Begründung seiner Anschauung
beruft er sich auf das Wort des Aristoteles, daß Geld nicht Geld
erzeugen dürfe*2).
II. Baldus de Ubaldis, Perusinus.
Ebenso kurz können wir über den Kanonisten Baldus Peru-
sinus (13 19 — 1400) hinweggehen3).
Er betont, daß der Wert des Geldes nicht mit seiner Substanz
identisch sei: letztere könne unverändert bleiben, während ersterer
a. a. O., S. 190 ff., sowie Altmann, Studien, S. 24 ff. Die weitere Literatur bei
letzterem, sowie bei Meitzel, Art. Oresmius. H. W. d. St. VI, S. 946 f.
*) c. X. (Ausg. v. Wolowski, S. 105); cf. c. II (S. 95). Von einer eigent-
lichen Wertlehre kann also bei Oresmius nicht gesprochen werden, er gibt vielmehr
nur die Faktoren an, die den Preis der Edelmetalle bestimmen. Kaulla, Lehrer d.
Ores. a. a. O., S. 458, gibt obigen Satz wieder: »Oresmius begnügt sich dabei mit
dem Hinweis auf die Tatsache . . ., daß Gold aus dem Grunde mehr gelte als Silber,
weil es von Natur kostbarer (!), ferner seltener und schwerer zu erlangen sei als
dieses. Er vermeidet es, tiefer zu begründen, worauf der hohe Wert des Edelmetalls
seinerseits beruhe.« Kaulla legt auf das »von Natur kostbarer« besonderen Nachdruck,
wie aus dem gesperrten Druck und dem Ausrufungszeichen erhält. Der lateinische Text
berechtigt m. E. zu dieser Auffassung nicht. Wenn man der im Texte vertretenen
Auffassung, daß der höhere Wert des Goldes in den durch natürliche Verhältnisse be-
dingten Schwierigkeiten der Produktion und der vorhandenen Menge desselben verur-
sacht sei, nicht beipflichten will, so könnte man höchstens so interpretieren, daß das
Gold deshalb teuerer sei als Silber, weil es »seiner Natur nach« kostbarer, d. h. ein
edleres Metall als Silber sei.
2) c. XVII f. (S. 117 ff.), cf. c. XVI (S. 116); c. XXI (S. 124). Röscher
a. a. O., S. 313.
3) Schulte II, S. 275 ff. Hurter II, S. 704 ff.
— i93 —
steige und falle. Maßgebend sei vielmehr, daß dem Gelde gegenüber
ein »interesse« des gesamten Volkes vorliege1). Als Erfordernisse
des Geldes werden bezeichnet: »quantitas, materia, publica forma«.
Grundlegend ist das Metall, die staatliche Autorität allein kann
kein Geld schaffen. Das Geldwesen darf fiskalischen Interessen
nicht dienstbar gemacht werden2). Während für die Bewertung
fremden Geldes im Inland allein die Qualität des Metalles in Be-
tracht kommt, kann im Hinblick auf die Prägekosten der Wert
des einheimischen Geldes etwas höher angenommen werden, als
allein dem Metallgehalt entspricht: durch die Prägung wird der
Nutzen des Metalles erhöht. Die staatliche Autorität verdient daher
ein »praemium«3).
Vom Wucher befürchtet Baldus eine Beförderung der Hab-
sucht und eine Auflösung der »vincula societatis humanae«4), nicht
ganz mit Unrecht, denn der Zins bedeutet eine Durchbrechung
der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung-.
!) Super decretalibus : De iureiur. c. Quanto n. 9 (S. 206 b).
2) 1. c. n. 4.
3) 1. c. n. 11.
4) 1. c. De vit. et. hon. der. c. Cler. n. 13 (S. 256 b).
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft 1. 13
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
Dritter Abschnitt.
Abwendung vom Prinzip der Vertragsfreiheit.
Ä. Forderung staatlicher Preisfixierung, Rück-
kaufbarkeit der Renten.
Wir haben in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters eine
steigende Entwicklung des Wirtschaftslebens in kapitalistischem
Sinne, die sich vor allem in der Ansammlung größeren Reichtums
in den Händen einzelner äußert, die von dem Bestreben erfüllt
sind, ihren Besitz gewinnbringend zu verwerten 1). Dies zieht aber
die wichtigsten Folgen nach sich: Einmal bedeutet es eine Durch-
brechung des alten Standesideals, indem an die Stelle des Be-
darfdeckungsprinzips das Streben nach Gewinn tritt2). Vor allem
im Handel geht diese Entwicklung vor sich. Damit wurden aber
die alten Formen des Kapitalverkehrs ungenügend: der steigende
Reichtum verlangte nach neuen Anlagemöglichkeiten. Zu einem
guten Teile fand das Kapital wohl seine Befriedigung im ver-
zinslichen Darlehen, also in einer offenen oder verschleierten Um-
gehung des Zinsverbotes; zum Teil wurden andere Kreditgeschäfte
dem Verlangen nach gewinnbringender Kapitalanlage angepaßt,
was vor allem durch Mobilisierung des Rentenkaufs geschah.
Die alte Form der unkündbaren, ewigen Rente genügte nicht
mehr, und man führte deshalb die Einrichtung der rückkaufbaren
Rente ein. Häufig wurde von seiten des Staates die Bildung
ewiger Renten überhaupt verboten, zunächst wohl, um eine Über-
schuldung der Grundstücke zu verhindern3). Diese Entwicklung
bedeutete nichts anderes als eine Auflösung des alten Wirtschafts-
lebens; der mobilisierte Rentenkauf ist eine der frühesten Formen
des modernen Kapitals.
*) Sombart: Der moderne Kapitalismus I (S. 398 ff.). Strieder: Zur Genesis
des mod. Kapital. (S. 29).
2) Sombart a. a. O. (S. 383).
3) Neumann a. a. O. (S. 233 ff.). Vgl. Inama-Sternegg III, 2 (S. 468 ff.).
Bruder, Studien (S. 30 ff.).
— 195 —
Parallel hiermit geht eine andere Erscheinung: Die Ent-
wicklung der Preise während des Mittelalters läßt sich im all-
gemeinen dahin charakterisieren, daß wir bis in die Mitte des
1 4. Jahrhunderts ein ziemlich bedeutendes Steigen derselben festzu-
stellen haben, woran sich eine Zeit großer Schwankungen schließt.
Der nähere Verlauf und die näheren Ursachen dieser Entwicklung
sind hier nicht zu erörtern1).
Schon früher waren staatliche Preisfixierungen nicht allzu
selten gewesen, aber gerade seit dem 1 4. Jahrhundert können wir
von einer immer weiter umsichgreifenden behördlichen Preistaxie-
rung sprechen2), die wohl zum Teil durch die berührten Erschei-
nungen in der Preisbildung veranlaßt ist, zum Teil aber auch von
dem Wunsche getragen wird, den Gewinn im Tausch und Handel
zu begrenzen, um so das mittelalterliche Ideal des standesgemäßen
Auskommens aller durchzuführen. Selbstverständlich lassen sich
für diese Entwicklung keine genauen Zahlenangaben machen. Sie
erfolgte hier früher, dort später, und auch für ein einzelnes Land
lassen sich keine genau begrenzten Zahlen angeben.
Von diesen Vorgängen im Wirtschaftsleben wird die scho-
lastische Doktrin in weitgehendem Maße beeinflußt3). Der vorige
Abschnitt hat gezeigt, daß die Scholastik den Forderungen des
Wirtschaftslebens nach größerer Freiheit nicht ablehnend gegen-
übergestanden hatte. Die wirtschaftliche Entwicklung aber, die
die dort genannten Vertreter vor Augen hatten, dürfte kaum die
Schranken des mittelalterlichen Wirtschaftslebens überschritten
haben. Selbst Buridanus lehnt noch jegliches Gewinnstreben über
den standesgemäßen Unterhalt hinaus ab, obwohl auch hierin sich
bei ihm nicht die Schärfe der früheren Zeit findet. Jetzt, wo der
Gang des Wirtschaftslebens eine etwas andere Richtung einzu-
schlagen scheint, zeigt sich in der scholastischen Literatur eine
gewisse Reaktion. Sie lehnt nicht nur die vorige Freiheit der
Preisbildung ab, sondern tritt auch für staatliche Preisfixierung
ein, macht also in gewissem Sinne die Wandlungen der städtischen
Wirtschaftspolitik mit. Zugleich ist die Rückkaufbarkeit der Renten
zu behandeln.
Diese Periode, in der in die scholastische Wert- und Preis-
lehre manche neuen Momente eintreten, hebt mit Heinrich von
Langenstein an.
1) Inama-Sternegg III, 2 (S. 463).
2) a. a. O. S. III, 1 (S. 303 ff.).
3) Vgl. den Hinweis a. a. O. (S. 310).
13*
— 196 —
§ 1. Heinrich von Langenstein.
I. Heinrich von Langenstein wurde 1325 geboren. Nachdem
er in Paris studiert und daselbst längere Zeit gelehrt hatte, wurde
er 1383 an die damals neu gegründete theologische Fakultät der
Wiener Universität berufen. Er starb 1397. In die Zeit seines
Wiener Aufenthaltes1) fällt die Abfassung des »Tractatus bipartitus
de contractibus emptionis et venditionis«, der für die Entwicklung
der Wert- und Preislehre von allergrößter Bedeutung ist2).
Die genannte Abhandlung ist hervorgegangen aus den
speziellen Verhältnissen des Wiener Wirtschaftslebens: In WTien
verordnete Herzog Rudolf IV. 1360 in übereilter und schroffer
Weise die obligatorische Ablösung der Renten3). Schon dies rief
auf Seiten der Kirchen und Klöster, für die eine ewige Rente
mehr zu passen schien als die unsichere, stets kündbare Rente,
große Mißstimmung hervor. Dazu kam noch ein anderes. Im
Laufe der Jahre war der Rentenzinsfuß allmählich gesunken, und
Rudolf IV. nahm hierauf Rücksicht, indem er die Renten mit
dem achtfachen ihres Betrages für ablösbar erklärte, was gegen-
über dem früheren Rentenpreise eine wesentliche Herabsetzung
bedeutete. Auch dies brachte natürlich mancherlei Unzuträglich-
keiten mit sich4). Auf beide Bestimmungen nimmt Heinrich in
seiner Abhandlung häufig Bezug. Besonders ist er unzufrieden
mit der Ausdehnung derselben auf Kirchen und Klöster, tadelt
jedoch auch die Rentengesetzgebung, soweit sie sich auf Laien
bezog. Aber die in seinem Traktat sich zeigende Unzufriedenheit
mit den Verhältnissen des Wirtschaftslebens kann aus diesen
speziellen Faktoren wohl kaum ganz erklärt werden, schon des-
halb nicht, weil die Abhandlung mindestens 20 Jahre nach Erlaß
jener Rentengesetzgebung abgefaßt wurde, — es zeugt immerhin
für den tiefgreifenden Einfluß der letzteren, daß nach so vielen
Jahren die Verstimmung noch nachwirken konnte. Man muß
vielmehr zum Verständnis der Ansichten Heinrichs wohl auf die
allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse hinweisen. In dem
a) Näherhin in die Zeit 1383 — 1390. Vgl. Bruder, Studien (S. 70).
2) Aschbach: Geschichte der Wiener Universität I (S. 366 ff.); besonders
S. 397 ff. ; über seine wirtschaftlichen Anschauungen vgl. Röscher: Gesch. (S. 18 ff.).
Ende mann, Studien II passim; Kaulla, Lehre vom gerechten Preis a. a. O.
S. 598 f.). Bruder, Studien passim, wo noch eine ungedruckte »epistola de con-
tractibus« benutzt ist.
3) Über die Motive der Gesetzgebung vgl. Bruder a. a. O. (S. 38 ff.).
4) Inama-Sternegg a. a. O. III, 2 (S. 469 f.).
— IQ7 —
Erlaß jener Rentengesetzgebung haben wir ein sicheres Anzeichen
dafür, daß die Entwicklung des Kapitalismus in Wien einen ziem-
lichen Umfang angenommen haben mußte. Und eben hiergegen
wendet sich Heinrich von Langensein, wie im Folgenden zu zeigen
sein wird.
II. Heinrich wendet sich zunächst in schärfster Form gegen
jegliches Gewinnstreben über den standesgemäßen Unterhalt
hinaus. Gleich im Eingange seiner Abhandlung zitiert er das
Wort der Bibel, daß der Mensch im Schweiße seines Angesichts
sein Brot essen solle, und tadelt daher diejenigen, die dieses Ge-
bot nicht beachten1), vielmehr »laboribus dimissis solum student
contractibus ditari« 2). Häufig kehren die Klagen wieder über die
Menschen, deren Gott das Geld sei, über die »supercrescens nimia
hominum cupiditas« sowie darüber, daß »omnes lucrari volunt de
pecuniis et rebus suis«3).
Der Einzelne darf, betont er demgegenüber, nur so viel er-
werben, als zu einem standesgemäßen Leben nötig ist, und nur
aus drei Gründen dürfe mehr erstrebt werden: Zur Verrichtung
mildtätiger Werke, zur Sicherung gegen zukünftige Notfälle, sowie
um den Erben durch Hinterlassung eines Vermögens ein standes-
gemäßes Auskommen zu ermöglichen. Aber alles dieses hält sich,
wie man sieht, durchaus im Rahmen des Bedarfdeckungsprinzips,
und Heinrich fügt hinzu: »Unde, qui quantum ad ista satis habet
et nihilominus indesinenter laborat divitias acquirere vel ut altiorem
statum adquirat vel post sine laboribus habeat abundanter aut ut
filii eius abundent vel magni fiant, omnis talis damnabili agitatur ava-
ritia, voluptate vel superbia«4). Diese Stelle ist äußerst bezeichnend:
jedes Streben über den eigenen Stand hinaus wird als unsittlich
verurteilt. Es handelt sich um nichts anderes, als um eine Ver-
teidigung des wirtschaftlichen Ideals des Mittelalters gegenüber
der eindringenden kapitalistischen Zersetzung,
Heinrich von Langenstein fordert keineswegs Gleichheit des
Besitzes; er erklärt es vielmehr für gut, daß in der menschlichen
Gesellschaft Reiche und Arme weilen: beide könnten sich gegen-
seitig unterstützen, indem der Reiche sich durch Almosen ewigen
Lohn erwerbe und der Arme von seiner Not befreit werde, was
wieder zu einem festeren Zusammenschluß der Bürger unter-
*)
I,
c. 1
2)
I,
47-
3)
I,
48.
4)
I,
12.
— 198 —
einander führe1). Aber Hand in Hand hiermit gehen die steten
Klagen über die Abnahme der christlichen Liebesgesinnung, über die
Ausbeutung der Armen durch die Reichen. Mit dieser antikapita-
listischen Tendenz ist der Grundton der ganzen Abhandlung gegeben.
III. Von dem gekennzeichneten Ideengange aus ist es nur
konsequent, wenn die Freiheit der Preisbildung abgelehnt
wird. Denn ohne letztere ist ein Gewinnstreben undenkbar.
Heinrich betont daher: »relinquere rerum pretium in arbitrio ven-
dentium est relaxare frenum cupiditati, quae fere omnes venditores
agitat in excessum lucri«. Daher kämen die Benachteiligungen der
Armen und die Bereicherung einzelner weniger Kaufleute auf
Kosten aller derer, die Arbeit verrichteten2). Der Tausch soll
demgegenüber nach Wertgleichheit vor sich gehen, und zwar solle
der Marktpreis oder der sonst übliche Preis zugrunde gelegt werden
(valor forensis vel usualis seu consuetudinalis). Der Marktpreis
wird gebildet durch das menschliche Bedürfnis (quantitas indi-
gentiae humanae). In der Begründung dieses Satzes schließt sich
Heinrich von Langenstein nahezu wörtlich an Buridanus an, frei-
lich ohne ihn zu zitieren3).
Übrigens kommen beide von demselben Prinzip aus zu ganz
anderen Konsequenzen: war Buridanus für freie Preisbildung ein-,
getreten, so verlangt Heinrich staatliche Preisfixierung. Er
geht dabei von dem Gedanken aus, daß für jede Ware unter be-
stimmten Verhältnissen ein bestimmter gerechter Preis existiere,
der, wenn auch nicht »ad punctualem praecisionem«, so doch »ad
rationabilem et congruentem politiae quantificationem« bestimmbar
sei. Er beruft sich hierfür auf das römische Recht: Denn die
Bestimmung desselben, daß ein Kaufvertrag ungültig sei, wenn
eine Täuschung über die Hälfte des gerechten Preises hinaus statt-
gefunden habe, setze voraus, daß letzterer bestimmbar sei. Es
werden daher diejenigen Behörden getadelt, die die Preisbildung
der freien Vereinbarung der Kontrahenten überlassen4).
Zwecks näherer Bestimmung, wie der Staat diese Preis-
fixierung vorzunehmen habe, unterscheidet nun Heinrich zwischen
Bedürfnissen der Natur, des Standes und solchen, die hierüber
hinausgehen. Die letzteren werden verurteilt. Die übermäßige
Genußsucht wird unter den Ursachen einer Teuerung aufgezählt
x) I, 3 f. und sonst.
2) I, IL
3) *> 5 vgl- Kaulla, Lehrer d. Oresm. (S. 461).
4) I, 10.
— 199 —
und staatliches Eingreifen dagegen gefordert. Er scheidet ferner
zwischen der Extensität eines Bedürfnisses und der Intensität des-
selben. Erstere ist bestimmt durch die Menge der Bedürfenden:
so gibt es gewisse Dinge, die alle benötigen, andere sind nur für
einzelne Stände notwendig usw. Die Intensität bestimmt sich
nach der Menge der vorhandenen Güter: Eine Sache die im
Überfluß vorhanden ist, erregt nur ein geringes Bedürfnis; fehlt
dagegen ein Gut überhaupt, so wird es sehr hoch bewertet1).
Hieraus ist zu entnehmen, worauf der Staat bei Fixierung
der Preise zu achten hat: Die Behörde, erklärt Heinrich, müsse
die Menge der vorhandenen Güter schätzen, wobei vor allen
Dingen geprüft werden müsse, ob der Überfluß oder Mangel durch
natürliche Verhältnisse bedingt sei oder nicht. Auch seien die zu
erwartenden Ernteergebnisse zu berücksichtigen. Dann müßte
der Bedarf der Stadt in Betracht gezogen w*erden: es könne
leicht ermittelt werden, wieviel die einzelnen Handwerker an
Material und Instrumenten brauchten, was die einzelnen Stände
für ihren Lebensunterhalt benötigten usw. Das Bedürfnis also,
von dem die Preisfixierung ausgehen soll, ist das standesgemäße:
»Indigentia ergo dicit carentiam rerum cum necessitate vel per-
tinentia earum ad naturam vel statum aut artem vel officium ho-
minis« 2).
Der ganze EndzwTeck der Preisbestimmung läuft also darauf
hinaus, jedem einzelnen den standesgemäßen Lebensunterhalt zu
sichern. Der Wert soll bestimmt werden, erklärt Heinrich, »prout
omnibus convenit statibus«3) und gegen Schluß der ganzen Ab-
handlung heißt es noch einmal, der Nutzen der Preisfixierung sei
der, »ut quilibet compet enter suo statui habere possit vitae neces-
saria« 4).
Unterlasse der Staat, als dessen Aufgabe es direkt bezeichnet
wird, jedem den standesgemäßen Unterhalt zu beschaffen5), seine
Pflicht, so müsse der Einzelne selbständig vorgehen. Er solle dann
darauf achten : »pro quanto res suas vendendo statum suam conti-
nuare possit et se in ipso competenter nutrire et secundum hoc im-
pensis et laboribus rationabiliter aestimatis mensuret pretium ope-
!) l. C.
2I 1. c. cf. I, ii; II, 12 und sonst.
3) I, ii-
4) n, 38.
5) J, 9; als Ziel des Staatslenkers wird bezeichnet die »sufficientia necessariorum
secundum statum cuiuslibet«.
— 200 —
rum suorum« x). Es wird hiermit im Grunde die thomistische Wert-
lehre von der Wiedervergeltung von Arbeit und Kosten wiederholt.
Die Wertlehre Langensteins ist, wie schon betont wurde,
einmal eine Reaktion aus den wirtschaftlichen Verhältnissen her-
aus, sie verteidigt das mittelalterliche Wirtschaftsideal gegen die
Zersetzung durch die Anfänge einer kapitalistischen Entwicklung;
sie ist aber auch eine Reaktion gegen die Entwicklung, die die
scholastische Wertlehre genommen hatte. Von Thomas von Aquin
an hatten wir die allmähliche Zersetzung festgestellt, bis sie bei
Heinrich von Langenstein zu Thomas von Aquin zurückkehrt.
Heinrich von Langenstein unterscheidet sich aber von Thomas
einmal dadurch, daß er sich in reaktionärer Weise gegen gewisse
Tendenzen im Wirtschaftsleben wendet; sodann durch Folgendes:
In der ganzen früheren Scholastik war von einer Forderung
staatlicher Preisfixierung keine Rede2). Bei Heinrich von Langen-
stein begegnet sie uns zum erstenmal: letzten Endes übrigens ver-
ständlich, denn von der freien Entwicklung des wirtschaftlichen Ver-
kehrs konnte er kaum die Verwirklichung seines Ideals erwarten;
wie immer in ähnlichen Fällen wurde daher die Staatshilfe zur
Rettung der alten Zustände angerufen.
IV. Die übrigen wirtschaftlichen Anschauungen
sind von geringerem Interesse. In der Wucherlehre3) steht Hein-
rich völlig auf dem alten Boden, abgesehen von den unaufhörlichen
Klagen über die Umgehung des Zinsverbotes, die sich in der
früheren Zeit in der Weise nicht finden. Er geht sogar so weit,
daß er eine vollständige Abschaffung des Darlehens für möglich
erklärt, weil dann jeder um so angestrengter arbeiten würde4). Scharf
wird inbesondere der Zinstitel des hierum cessans eingeschränkt,
weil derselbe praktisch eine völlige Aufhebung des Zinsverbotes
bedeute5). Heftig wendet sich Heinrich gegen die jüdischen
und christlichen Wucherer0). Ein wirtschaftlicher Verkehr darf
mit Wucherern, die nichts als erwuchertes Geld besitzen, nur dann
unterhalten werden, wenn die Restitutionsfähigkeit derselben da-
*) Ii 12.
2) Erwähnt wird z. B. bei Buridanus ein pretium institutum als tatsächlich be-
stehend. — Plato erhebt ähnliche Forderungen wie H. v. L. (vgl. S. 5), ohne daß je-
doch eine Abhängigkeit anzunehmen wäre.
3 Cf. I, 13; I, 21 ff. und sonst.
4) I, 49-
5) I, 23.
6) Über Juden und Lombarden, Kavertschen usw. vgl. Inama-Sternegg
a. a. O. (S. 47; ff.).
201
durch nicht geschmälert wird1). Bei Verkauf auf Kredit muß der
Preis vereinbart werden, den die Waren zur Zeit der Zahlung wahr-
scheinlich haben werden. Aber wegen der steten Gefahr der Wucher-
sünde rät Heinrich, sich von solchenVerträgen überhaupt zu enthalten2).
Auch bezüglich des Rentenkaufes können wir uns mit
wenigen Bemerkungen begnügen : Der Rentenkauf erscheint durch-
aus eingegliedert in die übrigen volkswirtschaftlichen Ideale Hein-
richs. Er ist nur solchen gestattet, die aus Alter oder Krankheit
nicht mehr arbeiten können, oder wenn er als Einkommensquelle
für staatliche oder kirchliche Beamte usw. dienen soll. Von
ersteren Fällen abgesehen, ist er also nur dann erlaubt, wenn mit
höherwertiger Arbeit vergolten wird »dummodo aliorum labores
fideliter recompensent operibus eorum statibus debitis« 3).
Eine kapitalistische Verwertung des Rentenkaufes wird also
abgelehnt.
Die Rente kann fundiert werden auf bewegliche und un-
bewegliche Gegenstände, wenn nur dieselben einen Ertrag ab-
werfen, daher z. B. nicht auf Geld. Die Rente ist also eine
dingliche Last; hiernach bestimmt sich auch der gerechte Preis
derselben: »Census annalis redditur injustus, si non fuerit notabiliter
minor utilitate, quam res ferre potest per annum, demptis ab eadem
expensis pro conservatione rei vel pro deductione ipsius ad fructum«4).
Nicht wohlwollend steht er der Rückkaufbark ei t der Renten
gegenüber5). Vor allem, weil sie dann zur Umgehung des Zins-
verbotes benutzt werden könnten. Wenn der Staat jedoch aus
zwingenden Gründen die Kündbarkeit der Renten einführe, um
eine übermäßige Belastung der Grundstücke zu verhindern, sei
dies gestattet, es dürfe jedoch der für diese Fälle festgesetzte
Preis um deswillen nicht geringer sein; denn das Recht des Rück-
kaufes habe mit dem Wert der Sache nichts zu tun, und für die
Armen, die meistenteils die Renten verkauften, sei es unter allen
Umständen von Nachteil : Denn einmal kämen die Reichen billiger
zu ihren Renten, und andererseits würden die Armen in der
Hoffnung, die Renten ablösen zu können, zu vermehrten Renten-
verkäufen veranlaßt.
\> T, 37. I, 25 ff.
-) I, 41, cf. I, 45.
3) II, 2, cf. II, 1 ; II, 3 : Hier ist er vor allem dagegen, daß »plebei fortes
laboribus apti«; Renten erwerben.
*) II, \i.
5) II, 10 ff. ; ib. 17 ff. ; und sonst.
202
Auch die Renten auf Lebenszeit oder bestimmte Zeit sieht
Heinrich nicht besonders gerne1). Zumal wendet er sich gegen
die Argumentation, daß diese Verträge als Ausfluß des Eigentums-
rechtes zu gestatten seien, eine Anschauung, die, wie oben ge-
zeigt, Aegidius Lessinus in mehr individualistischer Fassung des
Eigentums vertreten hatte.
Die übrigen Erörterungen über das Rentenwesen betreffen
speziell die Rentengesetzgebung Rudolfs IV. und bieten für uns
wenig Interessantes. Den staatlich seit längerer Zeit eingeführten
Preis für rückkaufbare Renten erklärt Heinrich im Hinblick auf
die gegebenen wirtschaftlichen Verhältnisse für ungerecht2).
V. In jeder Hinsicht finden wir bei Heinrich von Langen-
stein mehr oder minder rigoristische Anschauungen. Bezüglich
der Wert- und Preislehre ist der reaktionäre Charakter bereits
hervorgehoben worden. Die Rentenlehre ist scharf antikapitalistisch.
Auch Endemann findet bei ihm eine ziemlich ängstliche Be-
schränkung des Rentengeschäftes3). Aber durch die Unterordnung
desselben unter das Bedarfsdeckungsprinzip bringt er am klarsten
und schärfsten das scholastische Wirtschaftsideal zum Ausdruck.
§ 2. Heinrieh von Oyta.
I. Heinrich von Oyta4) war ein Freund und Amtsgenosse
Heinrichs von Langenstein. Er dozierte seit 1385 in Wien, wo
er 1397 starb. In die Zeit seines Wriener Aufenthalts5) fällt seine
Abhandlung: »de contractibus« , die sich fast ausschließlich mit
dem Rentenkaufe beschäftigt.
Bezüglich der Wertlehre6) beruft er sich auf Augustinus
und Thomas von Aquin. Im Anschluß an ersteren führt er aus,
daß der Wert durch das Bedürfnis bestimmt werde, und zwar sei
der Grad des Bedürfens zu bemessen: »ex communi cursu et
consuetudine patriae«. Dieser normale Wert, führt er, auf die
thomistische Summe sich stützend, weiter aus, müsse an sich die
^ 11, 12; ib. 26 ff.
2) Vgl. z. B. II, 38. Die Rente muß eine dingliche Last sein. Daher ist der
Vertrag unerlaubt: .quo aliquis certa pecunia ab alio recepta obligat se illli ad dandum
annuatim tot solidos, quamdiu vixerit, quia hoc est directe personam censualem facere,
non habendo respectum nee ad eius laborem nee ad rem aliquam ipsius.« H. v. L. ver-
wirft also den census personalis. II, 32.
3) Studien II (S. 110).
4) Aschbach, Geschichte der Wiener Universität I (S. 402 ff.); über seine wirt-
schaftlichen Anschauungen S. Röscher, Gesch. (S. 21).
5) Vgl. Dub. ; f.
6) Dub. 3.
— 203 —
Grundlage der Wertgleichheit bilden, abgesehen von den Fällen,
wo per accidens der Verkäufer besonders scharf durch den Ver-
kauf geschädigt werde und der Käufer einen besonderen Vorteil
erlange. Dann müsse die Wertgleichheit genommen werden »se-
cundum discretam et rationabilem aestimationem contrahentium
vel alicuius boni viri utriusque, scilicet vendentis et ementis, dam-
num cavere et utilitatem procurare volentis«. Das, was die Scho-
lastik seit Thomas von Aquin in der Behandlung des Wertes ge-
leistet hatte, wird hier völlig übergangen.
In der Behandlung des Rentenvertrages ist er viel leiden-
schaftsloser als Heinrich von Langenstein, wenn auch seine An-
schauungen im Kerne nicht allzusehr von denen des letztge-
nannten abweichen. Nur solchen Personen darf der Kauf von
Renten gestattet werden, die für den Staat nützliche Arbeit leisten.
Er tritt dafür ein, daß auch die Form des census realis erlaubt
sei, wo Renten auf die persönliche Arbeitskraft eines Menschen
fundiert werden, wenn nur dem letzteren nach Abzug der jähr-
lichen Rente noch ein standesgemäßer Lebensunterhalt übrig
bleibt1). Ein Vertrag der nicht mehr wesentlich von einem ver-
zinslichen Darlehen unterschieden ist. Heinrich von Langenstein
nimmt in diesem Punkte eine unklare Stellung ein2). Auch beim
Kaufe einer ewigen Rente, betont er weiter, sei Wertgleichheit
möglich, der Wert dürfe nicht bemessen werden nach der Summe
der einzelnen Rentenzahlungen, sondern »secundum gradus utili-
tatis, quam ex earum usu habent contrahentes«, wofür wieder der
Marktpreis maßgebend sei. Daß man nicht auf die einzelnen
Rentenzahlungen sehen dürfe, erhelle schon daraus, daß von dem-
selben Standpunkte aus der Verkauf eines Ackers für eine be-
stimmte Geldsumme unstatthaft sei, weil der Besitzer im Laufe
der Zeit weit mehr gewinnen würde, als der Kaufpreis betragen
hätte3). Rückkaufbarkeit der Renten darf vereinbart werden;
nur ist deswegen eine Verringerung des Preises nicht gestattet4).
Den Kauf einer Rente auf Lebenszeit, den Heinrich von
Langenstein ebenfalls nicht besonders günstig beurteilt hatte, ge-
stattet Heinrich von Oyta ebenfalls. Er betont noch, daß ein
etwaiger Gewinn des Käufers der Rente über den Kaufpreis
hinaus schon um deswillen nicht ungerecht sei, weil der Ver-
2) Dub. i.
2) Hcnricus de Hass. 1. c. II, c. 4, vgl. S. 202, Anm. 2.
3) Dub. 3.
4) Dub. 6.
— 204 —
käufer durch Verwendung der Geldsumme möglicherweise einen
viel höheren Ertrag inzwischen erzielt habe1).
Die Klagen über Umgehung des Wucherverbotes finden wir
auch hier2). Hinsichtlich der Eigentumsübertragung am erwucherten
Gelde, sowie bezüglich des wirtschaftlichen Verkehrs mit Wucherern
werden keine neuen Gesichtspunkte gebracht3).
Über die Wert- und Preislehre Heinrichs von Oyta dürfte
kaum ein völlig abschließendes Urteil gefällt werden können. Sie
wird nicht ausdrücklich behandelt, sondern nur flüchtig als Grund-
lage für die Erörterung der Wertgleichheit bei Rentenverträgen
herangezogen und ist daher nicht ganz durchgearbeitet. Beim
Kauf einer Rente auf Lebenszeit wird z. B. das Gewinnprinzip
im Tausche stillschweigend vorausgesetzt, während es in der Wert-
lehre nicht erwähnt ist.
§ 3. Johannes Gerson.
I. Johannes Gerson4) wurde 1363 in Gerson, in der Diözese
Reims geboren ; er war Kanzler an der Pariser Universität und
nahm in reichem Maße an dem kirchlichen und politischen Leben
seiner Zeit teil, wobei er meist in ausgleichendem Sinne zu wirken
suchte. Als theologischer und philosophischer Schriftsteller war
er wenig originell, suchte aber auch hier zwischen den verschiedenen
Schulen zu vermitteln. Er starb 142g in Lyon. Für seine wirt-
schaftlichen Anschauungen kommt vor allem seine Abhandlung
»de contractibus« in Betracht, die hauptsächlich der Frage des
Rentenkaufs gewidmet ist5). Sie bildet jedoch kein einheitliches
Werk, sondern setzt sich aus mehreren Gelegenheitsschriften
zusammen. Wie sehr die Frage des Rentenkaufs damals im
Vordergrund des Interesses stand, zeigen außer der Tatsache, daß
eigene Abhandlungen darüber geschrieben wurden, auch die Ver-
handlungen des Konstanzer Konzils, das jedoch keinen endgültigen
Beschluß faßte. 1425, also noch zu Lebzeiten Gersons, erfolgte
dann eine Entscheidung des Papstes Martin V, die im Prinzip die
x) Dub. 4.
2) In der Einleitung des Tractats.
3) Vgl. Dub. 18 f.
4) K. L. V, 457 ff.; Hurter II, 791 ff.; Stoeckl, Gesch. d. mittel. Phil. II,
1078 ff.
5) Vgl. Opera omnia tom. II (S. 167 — 196).
— 205 —
Rückkaufbarkeit der Renten anerkannte1). Neben dem genannten
Traktate sind noch einige mehr zufällige Äußerungen in den
übrigen Werken Gersons zu berücksichtigen.
II. Wie Gerson auf dem Gebiete des politisch kirchlichen
Lebens nicht weniger als auf wissenschaftlichem Gebiete nach
einer Ausgleichung der Gegensätze strebte, so zeigt sich dieser
Charakter auch in seinen wirtschaftlichen Anschauungen.
Scharf betont er das mittelalterliche Standesprinzip. Das
Ansammeln von Schätzen darf nicht den Zweck der Bereicherung
haben: es müsse erfolgen »debito servato modo iuxta statum
personae« 2). Eine tiefer ausgeführte Wertlehre findet sich bei ihm
nicht. Er äußert sich darüber nur in gelegentlichen, durch den
Zusammenhang bestimmten Bemerkungen. So sagt er ähnlich wie
Aegidius Lessinus bei Behandlung des Preises der Rente: »res
autem minus valet, dum expectatur in longum quam dum
praesens obtinetur«: Gegenwartsgüter haben also einen höheren
Wert als zukünftige3). Die römisch-rechtliche Vertragsfreiheit lehnt
er ab, betont aber, daß der gerechte Preis einen weiten Spielraum
habe, und daß nicht jeder Gewinn des einen Tauschkontrahenten
auf Kosten des anderen gleich schwer sündhaft sei, weil sonst
alle Menschen zu verurteilen wären. Zum mindesten brauche keine
Restitution einzutreten, wenn der andere frei eingewilligt habe,
auch wenn an sich vielleicht der Tausch nicht ganz gerecht wäre4).
Andererseits erklärt Gerson es als ideal, daß für alle Waren von
seiten des Staates ein Preis fixiert werde, und er schildert mit
einer gewissen Wärme, wie schön es wäre, wenn jede Ware einen
bestimmten Preis hätte, wie es bereits beim Getreide der Fall sei,
so daß alles Feilschen über den Preis überflüssig wäre. Wohl sei
dies schwer auszuführen, aber doch möglich, wenn die Menschen
den guten Willen dazu hätten5).
Die Rückkaufbarkeit der Renten kann unter Umständen
notwendig und nützlich für ein Gemeinwesen sein. Sonst bestände
z. B. für Lehen die Gefahr der Überschuldung. Das Rückkaufs-
x) Endemann, Studien II (S. 1 1 1 ff.). Derselbe: Grandsätze (S. n). Funk,
Gesch. d. kirchl. Zinsverb. (S. 46 f.) Bruder a. a. O. (S. 95). Vgl. Extrav. conim.
1. III. t. 5, c. 1. Das Preisverhältnis zwischen rückkaufbaren und nicht rückkauf-
baren Renten wird in der Bulle nicht behandelt.
2) Comp. Theol. De 7 vit capit. (I, 338).
3) De contr. p. II prop. X.
4) 1. c. prop. XI.
5j 1. c. p. I, quat. 5. cons. 19.
20Ö —
recht rechtfertigt nach Gerson im Gegensatz zu Heinrich von
Langenstein einen geringeren Preis, weil das Eigentum ein weniger
umfassendes ist1). Wertgleichheit liegt bei Rentenverträgen, so-
wohl ewigen, wie auf Lebenszeit auch dann noch vor, wenn der
Summe der einzelnen Rentenzahlungen nach der Käufer mehr er-
hält, als das hingegebene Kapital betrug, wofür sich Gerson auf
das oben genannte werttheoretische Prinzip stützt2). Zum ersten
Male in der scholastischen Literatur erwähnt Gerson Rentenver-
träge von seiten des Staates: Der Staat verkaufe gegen Einzahlung
eines bestimmten Kapitals Renten von bestimmter Höhe, und zwar
seien dieselben fundiert auf die Erträge der Steuer, die er mit
einem Worte Ciceros als Nerven des Staates bezeichnet3). Er er-
örtert aber diesen Fall nicht weiter.
In der Wucherlehre betont er vor allem, daß der Zins
arbeitsloses Einkommen sei: »Est ergo contra naturam hominis,
ut sine labore velit vivere, quod fit in usuris«.4). Auffallenderweise
erklärt Gerson, daß es erlaubt sei, bei Verkauf auf Kredit einen
höheren Preis zu fordern, als wenn die Zahlung in barem Gelde
erfolge, wenn die Stundung des Kaufpreises nur in der Absicht
geschehe, den Nächsten zu unterstützen und nicht, ihn zu be-
nachteiligen5).
Auch bei Gerson wirkt eine gewisse Reaktion, wie sie bei
Heinrich von Langenstein sich gezeigt hatte, nach, wenn auch in
gemildertem Maße, wie es dem Charakter Gersons entspricht. Das
Standesprinzip wird scharf betont. In der Wert- und Preislehre
sucht er zu vermitteln: er will einerseits eine gewisse Freiheit ein-
räumen und wünscht doch andererseits staatliche Preisfixierung.
Seine Anschauungen tragen so einen etwas widerspruchsvollen
Charakter.
B. Ausgleich von Freiheit und Gebundenheit; Wechsel, Versicherung,
Staatsanleihen.
Die radikale Forderung der Preisfixierung widersprach, wenn
sie auch gewissen Tendenzen der städtischen Wirtschaftspolitik
entgegenkam, doch den Erfordernissen des Wirtschaftslebens zu
1) 1. c. quat. 2, cons. 5 ff; ib. quat. 5. cons. 17. P. II, häufig. Vgl. Funk a. a. O.
S. 46 f.
2) Vgl. Anmerkung 3 der vorigen Seite. Cf. p. III att. 5.
3) 1. c. p. 11. i. pr.
4j 1. c. p. I, quat. 4. cons. 13. ib. cons. 15. p. II, prop. 6 f f . cf. comp, theol.
de 7 vit cap. (I, 340); de praecept. Decalog c. X. (I, 435).
h) 1. c. p. II, prop. 8; cf. p. III, att. 7.
— 207 —
sehr, als daß sie auf die Dauer in der Scholastik sich hätte be-
haupten können. Es war vielmehr psychologisch verständlich und
durch die Entwicklung der mittelalterlichen Wirtschaftslehre er-
fordert, daß man einerseits die Idee des normalen Marktpreises
beibehalten, aber andererseits doch auch den realen, freiheitlicher
gerichteten Verhältnissen Rechnung tragen wollte. Die ausgehende
Scholastik sucht daher gegenüber dem Prinzip strengster Gebunden-
heit und dem Prinzip der Freiheit nach einer Mitte, in der beide
Momente aufgehoben und zum Ausgleich gebracht seien.
Hier bot sich nun die Möglichkeit, auf ein früheres Entwick-
lungsstadium der Preislehre zurückzugreifen: bereits bei Duns
Scotus fand sich jene gesuchte Synthese — der Mangel entwick-
lungsgeschichtlichen Sinnes ließ darüber hinwegsehen, daß hier
nur eine Durchgangsstufe vorlag — und so baute man seinen
Gedanken, daß innerhalb einer gewissen »latitudo« des Preises freie
Vereinbarung gestattet sei, weiter aus. Die nähere Darstellung
dieses Prozesses, sowie seiner Folgen wird unten zu geben sein.
Andererseits mußte die Lehre vom normalen Preise mit der Tat-
sache in Einklang g'ebracht werden, daß auf dem Markte ein gegen-
seitiges Unter- und Überbieten der Käufer und Verkäufer vor sich
geht, daß eine Konkurrenz zwischen beiden Parteien stattfindet,
eine Beobachtung, die, wie zu zeigen sein wird, der Lehre vom
gerechten Preise ein weiteres liberales Moment hinzufügte.
Weitere Aufgaben erwuchsen der Scholastik durch dignfNot-
wendigkeit, neue wirtschaftliche Erscheinungen, wie Wechsel, Ver-
Sicherung, Staatsanleihen, die, obwohl größtenteils früher entstanden,
doch erst jetzt im Wirtschaftsleben schärfer hervortraten, zu be-
handeln und ihnen gegenüber den Geltungsbereich des Zinsverbotes
abzugrenzen.
§ 1. Johannes Nider.
I. Unter denen, die an dem normalen, gerechten Preise fest-
hielten und nur das alte Prinzip tiefer auszugestalten versuchten,
sei zunächst Johannes Nider mit seinem Traktat »De contractibus
mercatorum« genannt. Nider, um 1380 geboren, war zweimal
Professor an der Wiener Hochschule und starb als solcher 14381).
Sein Traktat ist, wie übrigens gleich im Eingange betont wird,
zum größten Teil aus anderen Schriften kompiliert. Besonders
häufig werden Thomas und Scotus angeführt. Auf seine Stellung
1j Schulte II, S. 441 f. Vgl. Endemann, Studien II, besonders S. 71., 15,
25, 32 f., 351., 51, 65.
— 208 —
zum Eigentum, zum Geldwechselgeschäft, das er als »quasi quaedam
venditio vel emptio unius monetae pro alia« l) bezeichnet, braucht
daher ebensowenig eingegangen zu werden, wie auf die Lehre
vom Darlehen und von den Zinstiteln. Die diesbezüglichen Aus-
führungen bieten uns nichts Neues.
IL Seine Wertlehre hingegegen ist dadurch bedeutsam, daß
auf ein Problem hingewiesen wird, das die übrige Scholastik meist
nicht beachtet: als gerechter Preis wird der Marktpreis, die com-
munis aestimatio bezeichnet. Auch Nider hält hieran fest; nur
verfährt man nach ihm bei dieser Bestimmung »nimis generaliter«.
Im praktischen Leben bereite der Begriff Schwierigkeiten: Häufig
beständen für dieselbe Ware verschiedene Wertschätzungen, sei
es, daß alle falsch, sei es, daß wenigstens eine richtig sei; für einzelne
seltene Waren bestehe gar kein allgemeiner Wert; der Marktpreis
ändere sich schnell und sei häufig dem einzelnen nicht bekannt'2).
Nider will nun seinerseits dem Kaufmann gewisse Richtlinien
für die Preisbestimmung geben. Der Wert hängt ab, heißt es
im Anschluß an Augustinus, von der menschlichen Schätzung; er
hat daher im Einzelfall einen weiten Spielraum3). Doch wird das
Prinzip der Schätzung nicht rein durchgeführt, wie sich des weiteren
ergeben wird.
Will nun ein Kaufmann eine Ware verkaufen, so ist zunächst
festzustellen, ob dieselbe seit der Zeit des Einkaufes in ihren ob-
jektiven Eigenschaften auf natürlichem Wege oder durch Verar-
beitung besser geworden ist. Ist dies der Fall, so ist ein höherer
Preis berechtigt4).
Vor allem aber hat der Kaufmann zu prüfen, ob die allge-
meine Schätzung, die das eigentliche Wertprinzip ist, sich inzwischen
erhöht hat. Der Marktpreis einer Ware bestimmt sich nach An-
gebot und Nachfrage: »Quanto autem plures indigent de re et
eam habere desiderant et minor est eius copia, tanto carius aesti-
matur et venditur«5).
Aber auch dann, wenn der zu verkaufende Gegenstand »nee
in se nee in aestimatione« verändert ist, so ist doch unter Um-
ständen ein höherer Preis berechtigt im Hinblick auf die Arbeiten,
Mühen und Gefahren, die der Kaufmann durch den Transport der
J) c. 3 (24).
2) c. 2 i. pr. i. f. c. 3 passim.
3) 1. c. (1) und sonst.
4) 1. c.
*) 1. c. (2).
— 209 —
Waren und ihre Bereithaltung auf dem Markte auf sich genommen
hat1). Das Prinzip der communis aestimatio wird also hier für
das praktische Leben durchbrochen.
Wie soll sich aber der Kaufmann verhalten, wenn die allge-
meine Schätzung irrtümlich ist, und dem Kaufmann die Ungerechtig-
keit des Preises klar einleuchtet? Dann darf er sich nach Nider
nicht daran halten: »tunc debet recurrere ad rationem pensando
sumptus, labores etiam bona fide prout melius potest fieri nee non
meliorationem sive realem sive aestimatam et iuxta ista rem ven-
dere.« Dasselbe gilt in dem Falle, wo überhaupt kein allgemeiner
Preis vorhanden ist2). Doch sieht sich Nider zu einer Konzession
gezwungen.
Der Kaufmann muß und darf sich der tatsächlichen Preis-
bildung anpassen: »si nullus vult pro tanto emere, sicut valet,
oportet vendi remissius, si debet vendi. Ideo dieunt leges, rem
tantum valere, quantum vendi potest, i. e. seeundum quod haberi
possunt emptores«3). Die Durchführung des justum pretium scheitert
dann also an der Gewalt der Verhältnisse.
Eng hängt hiermit das Folgende zusammen: Angebot und
Nachfrage lassen den Preis hin- und herpendeln. Zwischen Käufern
und Verkäufern herrscht auf dem Markte Konkurrenz. Die Käufer,
die eine bestimmte Ware haben wollen, überbieten sich gegenseitig
im Preise. Wie soll der Kaufmann sich hierzu stellen. Nider sagt:
»Itaque quis habens rem, quam multi desiderant et pro qua unus
prae alio plus alio exhibet, cur non venderet eam ceteris paribus
magis danti dimissis aliis, qui minus darent?«4). Der Kaufmann
darf also die Konkurrenz der Käufer untereinander ausnutzen.
Auch in diesem Falle reicht der Begriff der »communis« aestimatio
nicht aus.
Natürlich will Nider die Lehre von dem »allgemeinen Werte«
keineswegs als unrichtig aufgeben; er will nur auf Schwierigkeiten
hinweisen und Ergänzungen geben.
III. Die allgemeine antikapitalistische Richtung der
Scholastik zeigt sich auch bei Nider. Der Händler, betont er, solle
den Preis seiner Waren »cum timore« bestimmen, da er in seiner
eigenen Ansicht leicht fehlgehe5). Der Handelsgewinn soll der
i) 1. c. (4).
2) c. 2 i. f.
3) 1. C. (2).
4) 1. c.
5) c. i (8).
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft i. 14
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
2IO
Arbeit des Kaufmannes entsprechen. Der Wert der Arbeit aber
ist verschieden nach ihrer Bedeutung für die menschliche Gesell-
schaft. Ein Händler, der mit Lebensmitteln handelt, ist wichtiger
als ein anderer, der Dinge von geringerer Bedeutung kauft und
verkauft. Wer mit kostbaren Waren handelt, verdient höheren
Lohn, als wer nur billige Sachen vertreibt. Dem Kaufmann, der
Waren von auswärts herbeischafft, steht ein höheres Einkommen
zu als dem, der nur auf dem Markte weiterverkauft. So soll nach
Nider der Handelsgewinn abgestuft sein nach dem Stande, den
die einzelnen Kaufleute in der Gesellschaft einnehmen: »Et si
quilibet secundum statum suum vellet vivere et secundum meritum
suum sie hierum reeipere, omnia starent eo melius.« Nider tadelt
es daher, daß der geringste Krämer nicht mit dem Lebensunter-
halt zufrieden sei, sondern »continue plus sine ratione ditari« wolle.
Und weil alle immer höher hinausstreben, fährt Nider fort: »hinc
est, quod quasi omnes avaritiae, superbiae et voluptatis morbo labo-
rant, per quae sie excaecantur, quod putant ista ita esse debere« 2).
Er fühlte also selbst, daß sein Idealbild des Handels nicht der
Wirklichkeit entsprach.
Für den Unterschied zwischen mittelalterlicher und moderner
Auffassung' vom Wirtschaftsleben ist noch ein anderes lehrreich:
Uns ist es einfachhin Tatsache, die wir als »Gesetz« feststellen
daß, wenn verschiedenwertige Münzen im Umlauf sind, die höher-
wertigen aus dem Verkehr verschwinden. Nider beobachtet das-
selbe, erklärt aber diese Erscheinung für sittlich verwerflich: »quia
sie minus bonis denariis manentibus tandem moneta vilificatur et
aliam fieri monetam oportet novam, per quam multitudo interdum
plus quam per novam exaetionem gravatur«2). Das Interesse des
Einzelnen muß eben dem Wohle der Gesamtheit unter allen Um-
ständen untergeordnet bleiben3).
VI. Nider steht so in der Beurteilung des Gewinnstrebens
auf dem alten Boden. Auch in der Forderung der Gleichheit des
normalen Wertes schließt er sich an seine Vorläufer an. Seine
Bedeutung aber liegt, wie gezeigt, darin, daß er auf die Unzu-
länglichkeit des allgemeinen Begriffes der communis aestimatio
hinweist und durch dessen Ergänzung eines der größten Bedenken
gegen die Lehre vom justum pretium zu beseitigen sucht. Aller-
dings leidet darunter bei ihm die Geschlossenheit der Doktrin.
i) 1. c.
2) c i (7).
•») 1. c.
2 11
§ 2. Lauren tius de Rodulfis.
I. Grundlegend für die Einführung neuer Vertragsarten in
die Scholastik und ihre Anpassung an die überkommene Wirt-
schaftslehre sind die Ausführungen des florentinischen Rechts-
lehrers Laurentius de Rodulfis gewesen. Sein bekannter Traktat
»De usuris« stammt aus dem Jahre 14031).
Eine Behandlung des eigentlichen Wertproblems gibt er nicht,
und auch die Erörterung des Zins verbotes, die sich reichlich in
kasuistische Einzelfragen verliert, bietet kaum etwas Neues. Ver-
merkt sei nur, daß er es als nicht ausreichend betrachtet, den Zins
lediglich wegen des in ihm enthaltenen Verstoßes gegen die Nächsten-
liebe, sowie in Rücksicht darauf abzulehnen, daß durch Abströmen
und Verteuerung des Kapitals für die Landwirtschaft schwere
Schäden zu erwarten seien, die sich vor allem in einer Preissteigerung
der Lebensmittel zeigen würden2).
IL Einen Fortschritt bedeutet Laurentius jedoch hinsichtlich
der Behandlung des Kampsorengeschäftes. Er unterscheidet
drei innerlich verwandte Arten des cambium3): a) das Umwechseln
verschiedener Münzen. Den Gewinn sieht Laurentius als erlaubt
an, entsprechend der früheren Scholastik: »ratione laboris et opera-
rum, pensionum, salariorum, factorum et discipulorum«. b) das cam-
bium per litteras, das uns hier zuerst entgegentritt. Das Wesen
desselben ist aus dem von Laurentius gebrachten Beispiel zu er-
sehen: Ein Wechsler in Florenz stellt dem Einzahler einer be-
stimmten Geldsumme eine Urkunde aus, gegen deren Vorzeigung
in Venedig von dem dortigen Filialgeschäft des Wechslers oder
einem Geschäftsfreund desselben die eingezahlte Summe in der-
selben oder in der dort geltenden Münze ausgezahlt wird. Wie
*) Schulte II, 393 f.; vgl. ferner Endemann, Studien passim; Funk, Über
die ökonomischen Anschauungen, S. 167 ff.; ligner, Die volkswirtschaftlichen An-
schauungen Antonins v. Florenz, S. 129 ff.
2) P. I. (13) [S. 16]. Die zurückgewiesenen Anschauungen waren vertreten
worden von Innocenz TV. (Papst 1243 — 54) in seinem Apparatus mirificus: 1. V. De
usuris [S. 194]; er bezeichnet als Folge des Zinses: »non intenderent homines culturae
possessionum, nisi quando aliud non possent. Et ita tanta esset caristia, quod omnes
pauperes fame perirent: quia etsi possent habere terras ad colendum, non tarnen possent
habere animalia et instrumenta ad colendum necessaria, cum ipsi pauperes per se non
haberent, et divites tum propter hierum tum propter securitatem peeuniae potius in usuras
quam in minora et minus tuta lucra ponerent peeuniam. Et si aliqui ibi sua expende-
rent, ita cara essent victualia, quod pauperes non haberent, unde emere possent, et hoc
esset maximum et summum periculum fidelibus.« Ebendort der andere Gedanke; einen
Anklang an letzteren bei Mayronis; vgl. oben, S. 172 ff.
3) Vgl. z. F.: P. II. q. 26 (S. 22 b.); P. III. q. 1 (S. 37 b., f.).
14*
in jedem Tauschgeschäft ist auch hier Wertgleichheit zu beachten.
Will z. B. jemand in Venedig ioo Dukaten ausgezahlt erhalten,
so muß er in Florenz 106 Floren einzahlen, »vel plus vel minus,
sicut plus vel minus valent ducati centum quam floreni centum.«
Oder wie Laurentius noch klarer sagt: »tantum hie solvitur, quan-
tum numeratur ibi; nam tantum hie valet florenus cum uno denario,
quantum ibi florenus sine denario.« Die ioo venetianischen Dukaten
haben also in Florenz einen wechselnden Kurs. Abgesehen davon,
daß der Wechsler aus diesen Kursverschiedenheiten profitieren
kann, darf er Anspruch auf Gewinn als Lohn seiner Arbeit und
Ersatz seiner Unkosten machen J). c) Hierzu gesellt sich ein dritter
Vertrag: das »cambium siecum«. Es handelt sich hierbei um nichts
anderes als um ein Darlehen, aus dem der Wechsler auf Grund
einer stipulierten Kursdifferenz Gewinn bezieht. Das Darlehen
tritt äußerlich als cambium auf, ohne es jedoch wirklich zu sein.
Z. B. Ein Wechsler in Florenz leiht eine bestimmte Summe aus,
die dem Werte von ioo Dukaten entspricht, also etwa 106 Floren.
Nach Ablauf der vereinbarten Frist ist die Summe zurückzuzahlen
nach dem venetianischen Kurse: »quantum intra dies computandos
a die celebrati contracti valent 10 librae grossorum in civitate
Venetiarum.« Der Wechsler kann gewinnen oder verlieren, doch
wird meist das erstere der Fall sein. Der charakteristische Unter-
schied des cambium siecum vom cambium per litteras liegt also
in dem Fehlen der Ortsdifferenz und in dem dadurch bedingten
Wegfall der eigentlichen volkswirtschaftlichen Funktion des Wech-
sels, eine Geldsumme an einem vom Einzahlungsorte verschiedenen
Platze »securius et aptius« zur Verfügung zu stellen. Laurentius
denkt mithin beim cambium per litteras an die Form, die der
Wechsel im Wirtschaftsleben seiner Zeit angenommen hatte: an den
domizilierten Eigenwechsel, der seinem Inhalte nach eine »Geld-
rimesse nach auswärts« war2). Von diesem aber war das cambium
siecum grundlegend verschieden: es dient nicht Remittierungs-,
sondern Darlehenszwecken.
So klar Laurentius diesen Unterschied erkennt, so ist er doch
in der Beurteilung des letztgenannten Vertrages unsicher: es handele
sich um ein Darlehen, und eine Berücksichtigung von Wertver-
J) Es wurde damit die Praxis gerechtfertigt; vgl. Goldschmidt, Universal-
geschichte, S. 465.
2) Vgl. Goldschmidt, a. a. O., S. 403 ff. ; ähnlich Schaube, Studien. J. f.
N. und St. 65, S. 528 ff., der jedoch ersterem gegenüber betont, daß die Urform des-
cambium vor dem 14. Jahrhundert eine wesentlich andere war.
— 213 —
änderungen der ausgeliehenen Summe widerspreche der Wert-
gleichheit nicht. Aber das Argument scheint ihm selbst nicht
durchschlagend, und so schließt er: »Et quia sub spe lucri et
intentione plus percipiendi quam sit, quod tunc mutuatur, quia ut
plurimum sie contingit, et alias non mutuaret ipse mutuans, talia
perpetrantur, consulo, ut omnes abstineant.« Bemerkenswerter-
weise wird hier das cambium siecum noch nicht als schlechthin
wucherisch verurteilt, im Gegensatz zur Stellung der späteren
Scholastik.
Aber noch in anderer Hinsicht verdient die Wechsellehre
des Laurentius hervorgehoben zu werden. Einmal war nach
aristotelischer Anschauung, der die Scholastik folgte, das Geld
Vermittler in Kauf und Verkauf, aber nicht selbst Gegenstand
derartiger Verträge 1). Diese antikapitalistische Wesensbestimmung
des Geldes, die teilweise zur Begründung der Zinslosigkeit des
Darlehens benutzt worden war, stand aber schon lange im Wider-
spruch mit den wirklichen Verhältnissen des Wirtschaftslebens, in-
dem gerade das Wechselgeschäft zeigte, daß das Geld mehr war
als ein bloßer Tauschvermittler. Auch bei Laurentius findet sich
die alte Anschauung noch; aber zugleich wird sie bei ihm über-
wunden. Vor allem im Hinblick auf das Schwanken des Wechsel-
kurses müsse man sich dem Sprachgebrauch des Handels anpassen :
»non ergo inepte loquuntur campsores, qui dieunt, se emere ducatos
Florentinos vel Januinos« 2). Ein größerer als sprachlicher Fort-
schritt wird hierin wohl nicht zu erblicken sein.
Mit dem Gesagten ist bereits auf das Schwanken des Wechsel-
kurses hingewiesen. Laurentius unterläßt es nicht, im einzelnen
die Momente anzuführen, die auf die Höhe desselben einwirken.
Und zwar kommen nach ihm als solche in Betracht neben dem
Umlaufsorte der Münzen — in ihrem eigenen Geltungsbereich hat
die Münze einen höheren Wert als in der Fremde — die Güte
und Reinheit des Metalles, das Gewicht der Münzen, das Schwanken
des Metallwertes selbst, sowie Angebot und Nachfrage hinsichtlich
einer bestimmten Münzart: »sicut plus vel minus aliquando valet
aurum vel requiruntur floreni vel ducati.« Spuren einer Preislehre
des Wechsels, die immerhin von ernster Erforschung des Wirt-
schaftslebens zeugen!
*) Vgl. z. B. s. 26, 27, 28, 42, 92, 136, 142, 149, 165, 189.
2) Der Ausdruck »vendere monetas« findet sich in der Handelssprache schon
in früher Zeit. Beispiele bei Schaube, a. a. O., S. 160 f. Auch Nider spricht frei-
lich ohne Erörterung des Problems von einer »emptio« des Geldes, vgl. oben S. 208.
— 214 —
III. Versicherungsverträge1): Zum ersten Male begegnen
uns bei Laurentius Verträge, deren Gegenstand lediglich die Ver-
sicherung gegen bestimmte Gefahren als solche ist. Der Versicherer
erhält eine Prämie, auf die er unter allen Umständen Anspruch
hat. Vor allem kommt hier die Transportversicherung für
Land- und Seeverkehr in Betracht2). Laurentius hält dieselbe für
erlaubt und betont die Verschiedenheit derartiger Verträge von
dem als wucherisch verbotenen Seedarlehen: es sei gar keine sors
vorhanden, und die gezahlte Summe bilde lediglich das Entgelt
für die Übernahme der Gefahr: »non enim propter mutuum, cum
nulluni intervenerit, sed propter id, quod assecurat mercatorem de
mercibus suis, quas periculo marino vel terrestri reponit, illud
percipit«3).
Mit Bedenken steht Laurentius hingegen der Darlehensver-
sicherung gegenüber. Immerhin könne »in militanti foro« eine
Restitution des für die Bürgschaftsübernahme (»venditio crediti,
scripta securitatis«) geforderten Betrages nicht verlangt werden4).
IV. Die Staatsanleihen5): Das Wirtschaftsleben hatte in-
zwischen eine neue Erscheinung gezeitigt, die die scholastische
Wirtschaftslehre vor eine schwierige Aufgabe stellte: die verzins-
») Vgl. z. Folg. P. III. q. 3 [S. 38].
2) Die Entstehung der berufsmäßigen Prämienversicherung fällt in die Mitte des
14. Jahrhunderts; zunächst tritt sie noch in Form anderer Verträge auf, die aber in-
haltlich als Versicherungskontrakte anzusehen sind. Die ältesten uns bekannten Ur-
kunden, die auch formell reine Versicherungsverträge enthalten, stammen aus den
Jahren 1384 und 1397; vgl. Schaube, Die wahre Beschaffenheit usw., J. f. N. und
St., Bd. LX, S. 40 ff., S. 473 ff.; derselbe: Der Übergang usw., J. f. N. und St.,
Bd. LXI, S. 481 ff., S. 488 ff., S. 495 ff., Laurentius erwähnt S. 498, 507; vgl.
auch R. Ehrenberg, Studien, Z. f. d. ges. Versicherungsw. I, S. 375 ff. Die kano-
nistische Doktrin wendet sich also dem neuen Vertrage verhältnismäßig früh zu, gleich-
zeitig mit Beginn der statutarischen Regelung des Versicherungswesens; vgl. Gold-
schmidt, a. a. O., S. 362.
3) Über den allmählichen Übergang vom Seedarlehen und dem ähnlichen Ver-
sicherungsdarlehen, die zunächst dem Bedürfnis nach Versicherung dienten, vgl. Schaube,
J. f. N. und St., Bd. LX, S. 475 ff., 482 ff.; Bd. LXI, S. 481 ff. Laurentius hebt
die wichtigsten Unterschiede, Trennung des Versicherungs- und Darlehenszweckes, damit
"Wegfall der Kapitalzahlung, Ausscheidung des Zinses aus dem Gewinn, der zur reinen
Risikoprämie wird, richtig hervor. — Ob Voraus- oder Nachleistung der Prämie statt-
zufinden hatte, ist aus Laurentius nicht ersichtlich; vgl. Schaube, Bd. LXI, S. 507.
4) Die Prämie für Bürgschaftsübernahme betrug i — 2%. Laurentius, 1. c.
5) Außer auf dem Wege der Anleihe kann der Staat sich auch durch Verkauf
fundierter Renten Geld verschaffen; vgl. Laurentius, 1. c. p. 3 (S. 43). Der Renten-
kauf war die allgemein übliche Form der Kapitalbeschaffung; vgl. v. Kostanecki,
Der öffentliche Kredit, S. 37 u. 122. — Den Zwangsanleihen des Staates ähnliche Ver-
träge werden schon Sum. Astes. I, III a. 5 g. 14 f. kurz erwähnt: Der Staat fordert
von den Bürgern ein mutuum; später »assignat . . . super alignibus redditibus suis . .«
eine jährliche Rente. Der Gewinn aus diesem mutuum ist erlaubt.
— 215 —
liehen Zwangsanleihen des Staates, wie sie in den italienischen
Stadtrepubliken seit dem 14. Jahrhundert aufgekommen waren.
Wäre die Theorie einigermaßen konsequent verfahren, so hätte
ihre Stellungnahme nicht zweifelhaft sein können. Aber sie zeigte
sich auch hier den wirtschaftlichen Tatsachen gegenüber nachgiebig,
indem in kasuistischer Weise allerhand Verschiedenheiten zwischen
Darlehen und Staatsanleihen aufgezeigt wurden, die eine abweichende
Beurteilung beider rechtfertigten.
Die Praxis der Staatsanleihen erhellt zur Genüge aus Laurentius
selbst1): Die Stadt Florenz bedarf zu militärischen Zwecken Geld
und macht deshalb bei ihren Bürgern eine Zwangsanleihe (prae-
stantiae). Der Zinsfuß betrug zunächst 15 %, wurde aber später
auf 10 und dann auf 5 % ermäßigt2). Die Stadt zahlt den Gläubigern
den Zins »pro dono damni et interesse seu provisione vel merito«,
die Gläubiger sollten den Zins annehmen »pro spontaneo et libero
et mero dono«.
So sehr die letzten Worte von dem Streben beeinflußt
waren, dem Verdikt der kirchlichen Wucherlehre zu entgehen, so
bleibt es doch verständlich, daß verurteilende Stimmen nicht aus-
blieben.
Laurentius berichtet z. B. von Guido de Belriguardo.
Dieser verwarf die Staatsanleihen, indem er hinwies auf die große
Schädigung des Staates, der oft ein Vielfaches des erhaltenen
Geldes zurückzuzahlen habe. Die Bürger ferner würden zum
Wuchern veranlaßt, und wenn die Stadt in Geldnot wäre, so
könnte sie sich vermittels ihrer Zwangsgewalt auf andere Weise
Geld verschaffen und brauche sich nicht eines wucherischen Ver-
trages zu bedienen3).
Ein anderer Gegner war nach Laurentius Gregorius de
Arimino, der von dem Gedanken ausgehend, daß überall Wucher
vorläge, wo aus einem Darlehen Gewinn erstrebt werde, die ver-
zinslichen Staatsanleihen verurteilte: Hier sei die Gewinnabsicht
vorherrschend. Der erzielte Mehrwert sei kein Schadenersatz; denn
letzterer müsse für jeden Einzelfall besonders festgestellt werden;
eine allgemein gleiche Schädigung liege nicht vor. Er sei ferner
kein Lohn für das Wohlwollen der Bürger, denn dieses bemesse
sich nicht nach der Höhe des eingezahlten Kapitals. Und auch
von einem freiwilligen Geschenke dürfe man im Ernste nicht
1) P. III. q. 5 [S. 38, b., f.].
2) Letzteres seit etwa 1380, 1. c.
3) 1. c.
2l6 —
sprechen: die Stadt zahle den Zins nicht nach Tilgung ihrer Schuld,
sondern mache Geschenke, wo sie noch Schuldnerin sei1).
Diesen Stimmen gegenüber verteidigt Laurentius teilweise
im Anschluß an Franciscus de Empoli2) die Praxis des Wirtschafts-
lebens. Zunächst sucht er die Zweckmäßigkeit der verzinslichen
Staatsanleihen überhaupt zu begründen : Der Staat kann gewiß
vermittels seiner Zwangsgewalt von den Bürgern unverzinsliche
Darlehen fordern. Aber diese »coactiones et violentiae absolutae«
führen leicht zu Erbitterung-, Parteikämpfen, Unruhen usw., die
nicht im Interesse des Staates liegen. Durch das Vorgehen des
Staates werden ferner manche schwer geschädigt, möglicherweise
der Verarmung entgegengetrieben, während es doch Staatspflicht
ist, für die Wohlhabenheit der Bürger zu sorgen. Diese Schäden
aber werden vermieden oder gemindert durch Einräumung eines
Zinses3).
Zudem darf letzterer nicht als ungerecht und wucherisch be-
zeichnet werden4), a) Der Gewinn wird nicht »principaliter« er-
strebt; die Bürger zahlen vielmehr aus Gehorsam gegen die staat-
lichen Gesetze und aus Furcht vor Strafe, b) In anderen Geschäften
lassen sich höhere und sicherere Gewinne erzielen, c) Der Staat
zahlt den Zins »ex animi nobilitate quadam«. Seiner eigenen
Versicherung muß geglaubt werden, solange nicht Höhe des Zinses
und Umstände der Zahlung zu anderer Annahme nötigen, d) Der
Zins hat den Charakter eines Lohnes für geleistete Unterstützung,
der natürlich nur allgemein festgelegt werden kann, e) Der Zins
ist vor allem Schadenersatz, der ebenfalls aus praktischen und
anderen Gründen nur »generaliter« zu bestimmen ist. Besonders
betont Laurentius den Zinstitel des lucrum cessans: »nee enim
inficiari possumus, quin saltem ratione lucri cessantis unusquisque
cives damnificetur.« Auch das Zwangsmoment rechtfertigt ein
Entgelt.
Weitere Schwierigkeiten verursachte noch der durch die staat-
lichen Statuten ausdrücklich gebilligte Weiterverkauf der Staats-
renten5). Um auch diesen zu stützen, betont Laurentius, daß der
neue Käufer nicht etwa in ein Gläubigerverhältnis zum Staate
*) I. c (S. 39 ff.).
2) cf. 1. c. (S. 43 «.)•
3) 1. c. (S. 38, b., f.).
4) Vgl. z. Folg. 1. c. (S. 39 ff.).
5) 1. c. (S. 38, b., f.); (S. 41 ff.); Die Übertragung wurde »in libris communi-
tatis« vermerkt (cf. S. 44, b.).
trete; es läge einfach ein Kauf und Verkauf vor, die als solche
zu beurteilen seien und Hoffnung auf Gewinn gestatteten.
Bedenken erregte es nur, daß das »ius exigendi ioo« bald
mit 25, bald mit 38 oder 40 bewertet wurde, welch' letzteren Kurs
Laurentius noch für günstig zu halten scheint1). Man konnte darin
leicht ein »pretium temporis« erblicken. Nach Laurentius handelt
es sich jedoch um einen Vertrag, wo beides »gegenwärtig« sei:
das Recht auf Rente und Rückzahlung und die dafür zu zahlende
Geldsumme. Der niedrige Kurs erkläre sich einmal daraus, daß
das Kapital festgelegt sei — »minus venditur res onerata quam
liberata« 2) — ; sodann aus dem für Kapital und Interesse bestehenden
Risiko: »cum se exponat periculo iste emens, nulla committitur
usura«3).
V. So wenig auch die vorstehenden Erörterungen das Wesen
der wirtschaftlichen Vorgänge erfassen, so ist doch zuzugeben, daß
sie dem Wirtschaftsleben entgegenkommen wollen. Anerkannte
Bedürfnisse des letzteren mußten vor den Folgen der überlebten
Wucherlehre geschützt werden. Freilich war dies nur unter will-
kürlicher Verwendung der einzelnen Rechtfertigungstitel möglich,
wie die Rechtfertigung des Zinses der Staatsanleihen handgreif-
lich zeigt.
§ 3. Antonin von Florenz.
I. Derjenige, der auf die Entwicklung der Wertlehre um die
Mitte des 15. Jahrhunderts den entscheidensten Einfluß ausgeübt
hat, ist Antonin v. Florenz [138g — 1459, seit 1446 Erzbischof von
Florenz]4). Er gab der scholastischen Wert- und Preislehre die
endgültige Fassung, indem er nach einer Ausgleichung der einander
gegenüberstehenden Prinzipien der Vertragsfreiheit und strengster
Gebundenheit suchte.
Die wichtigste Quelle, aus der wir seine wirtschaftlichen
Anschauungen zu entnehmen haben, ist seine Summa theologiae
') 1. c. (S. 48).
2) 1. C. (S. 41, b.).
3) 1. c. (S. 43, b.) aus Franciscus d. Emp. Derselbe 1. c, (S. 44): »Et si quae-
ratur, quantum minus valere debeant, respondeo, quantum a sapientibus et probis consi-
deratis circumstantiis aggravantibus fuerit arbitratum et appretiatum. Et cum in propo-
sito nostro sie communiter appretientur, tantum per consequens valebunt«. Hier an ein
unserer Börse ähnliches Institut zu denken, wie ligner (a. a. O., S. 264), liegt kein
Grund vor.
*) Vgl. ligner: Die volkswirtschaftlichen Anschauungen Antonins v. Florenz.
Ferner Funk: Über die ökonomischen Anschauungen, S. 152 ff.
— 218 —
(moralis) die eine Gesamtdarstellung der Moral bietet. Wegen
ihrer kurzen Definitionen und der prägnanten Zusammenfassung
wichtiger Materien ist daneben noch seine Summa confessionalis
zu nennen.
II. Der bereits betonte Vermittlungscharakter der antoninischen
Wertlehre bedingt es zunächst, daß die Freiheit der Preisbildung
abgelehnt wird. Antonin hebt den in Betracht kommenden Ge-
danken gelegentlich klar hervor: »Sicut contractus emptionis et
venditionis est mere voluntarius, sie etiam taxatio pretii venalium
rerum debet esse voluntaria seeundum voluntatem vendentis et
ementis«1). Dies war eben der römisch-rechtliche Grundsatz.
Antonin betont aber demgegenüber, der Verkäufer dürfe nicht
einen beliebigen Preis fordern: »quia tunc non imponit rei ut
simpliciter suae pretium, sed ut in alterum commutandae« 2). Nicht
jeder tatsächlich erzielte Preis ist also gerecht, sondern nur der-
jenige, der, wie des weiteren sich zeigen wird, der communis
aestimatio entspricht. Das soziale Zusammenleben erfordert und
bestimmt eine ethische Bindung der Preishöhe.
Das Suchen nach den Normen der Preisgerechtigkeit be-
dingt eine Untersuchung des Wesens des Wertes3). Der letztere
beruht, heißt es im Anschluß an Augustin, auf menschlicher
Schätzung, auf dem Nutzen eines Gutes für den Gebrauch. Für
den valor usualis ist nun das eigentlich Entscheidende, wenn die
objektiven Eigenschaften eines Gutes, seine Nützlichkeit, gegeben
sind — daß letztere den Wert nicht allein bestimmen, wird an
dem Beispiel des Wassers gegenüber dem Golde gezeigt — die
raritas der Dinge, weil eben sie den Grad unserer Schätzung
bedingt: »seeundum quod res ex suae inventionis raritate et diffi-
cultate magis necessariae sunt.« Antonin denkt hierbei an das,
was wir heute als »Angebot und Nachfrage« bezeichnen: »ex
earum (sc. rerum) penuria maiorem ipsarum indigentiam et minorem
facultatem habendi et utendi habemus«. Bemerkenswert ist, daß
die Kosten (difficultas) insofern als wertbestimmend erscheinen, als
sie die Größe des Angebotes bedingen. Wert und Preis sollen
also nach Antonin der naturgemäße Ausdruck der in der Ge-
sellschaft vorhandenen Verhältnisse von Angebot und Nach-
frage sein.
2) S. m. P. II. t. i, c. 16,
2) 1. c
3) Vgl. z. Folg. 1. c.
2IQ
Den Momenten der Nützlichkeit und Seltenheit tritt als dritter
wertbestimmender Faktor die complacibilitas zur Seite1). Es
wird hier nicht eigentlich an den Affektionspreis gedacht, wenngleich
letzterer nicht ganz auszuscheiden ist. Die complacibilitas führt den
Wert zu individueller Bestimmtheit: »unus equus est gratior uni
et alter alteri«. Es soll also hiermit das Problem gelöst werden,
an dem sich schon Aegidius Lessinus abgemüht hatte: Neben dem
allgemeinen Momente, das den gesellschaftlich-normalen Preis be-
stimmt, soll ein individualisierendes Prinzip gefunden werden. So
bewirkt die complacibilitas es, daß »unus rem alteri viliorem multum
appretiatur et sibi reputat pretiosam et caram et e converso«. Von
der individuellen Schätzung des Einzelnen hängt ein »non modica
pars valoris« ab. Dieselbe ist also etwas Tatsächliches und im
Tausche wirksam2). Damit hängt es zusammen, daß jeder der
Tauschkontrahenten das zu erlangende Gut höher schätzt als das
Preisgut: »emptor vult sibi rem emptam potius quam pretium eius
et venditor e converso«3).
Es ergibt sich aber nunmehr ein neues Problem. Bezüglich
des normalen Wertes der Waren ist gemäß den in Betracht
kommenden Faktoren nur eine »coniecturalis et probabilis opinio«
möglich. Dazu kommt die »varietas emptorum et venditorum«4).
Hiermit muß die Lehre vom gerechten Preis rechnen. Soll mithin
überhaupt noch eine Bindung möglich sein, so muß zum mindesten
eine latitudo des gerechten Preises eingeräumt werden »respectu
temporum, locorum et personarum « 5). Antonin mußte also an die
Entwicklungsstufe der Lehre vom gerechten Preise anknüpfen,
die uns etwa bei Duns Scotus entgegengetreten war.
Aber die latitudo des gerechten Preises ist nicht willkürlich,
sie muß — das liegt ja in der Idee der Gerechtigkeit — »competens«
sein. Um nun diesem Begriff seine Verschwommenheit zu nehmen,
unterscheidet Antonin einen dreifachen Grad des gerechten Preises,
den pius, discretus und rigidus gradus, d. h. eine geringere,
mittlere und höhere Stufe; z. B. kann eine Ware im Preise schwanken
zwischen 50, 50^3 und 51 Dukaten. Erstere bzw. letztere Stufe
bilden dann die äußerste Grenze. Nur in dem Ausnahmefall, wo
J) 1. c.
2) Es ist daher zum mindesten mißverständlich, wenn ligner, a. a. O., S. 76,
erklärt, die Ware streife im Tausche ihren individuellen Charakter ab.
3) 1. c.
«) P. II. t. 1, c. 8, § 1.
6) Vgl. Anm. 3.
220
für einen Kontrahenten das Gut einen besonders hohen Wert dar-
stellt, gilt die thomistische Regelung, es ist also dann für den
Verkäufer eine Abweichung von der communis aestimatio, dem
currens pretium, unter Umständen gestattet1).
Aber noch in anderer Weise werden Ausnahmen gestattet.
Findet eine Preisverletzung über die Hälfte des gerechten Preises
hinaus statt, oder liegt ein »notabilis excessus« vor, so ist natürlich
eine Restitution unumgänglich; aber wie dann, wenn die Über-
schreitung des iustum pretium nur gering ist? Jedenfalls leuchtet
soviel ein, daß eine bewußte Verletzung der Wertgleichheit uner-
laubt ist, und daß Restitution, mindestens durch Almosenspenden
eintreten muß. Wird aber »praeter intentionem et propriam
aestimationem« die Grenze des gerechten Preises um ein weniges
überschritten, so möchte Antonin dies hingegen lassen im Hin-
blick auf die Unsicherheit der menschlichen Schätzung, auf
politisch und moralisch bedenkliche Folgen des entgegengesetzten
Prinzips; zudem willigten beide Kontrahenten frei ein, sodaß
man auf seiten des geschädigten Teils eine Schenkung annehmen
könne. Antonin bemerkt jedoch noch, daß in Verkündigung dieser
Anschauung dem Volke gegenüber vorsichtig vorgegangen werden
müsse2).
Antonin konnte glauben, so eine allseits befriedigende Lösung
gegeben zu haben: Das Äquivalenzprinzip war aufrecht erhalten,
aber doch so, daß auch der freien Betätigung der Kontrahenten
sowie ihrem Gewinnstreben eine gewisse Freiheit ermöglicht
schien. Er konnte darauf hinweisen, daß er nur eine Weiterführung
scotistischer Prinzipien biete, wobei freilich übersehen wurde, daß
das Wirtschaftsleben seitdem in gesteigertem Maße kapitalistische
Formen angenommen, und die alte Theorie sich damit überlebt
hatte. Zudem mußte Antonin, um seine Prinzipien etwas mit
den wirtschaftlichen Verhältnissen in Einklang zu bringen, zu einer
merkwürdigen Scheidung von Stufen, die doch noch wieder Aus-
nahmen zulassen, seine Zuflucht nehmen, Scheidungen und Zer-
gliederungen, die den Begriff der communis aestimatio nicht klären,
und ebensowenig über die theoretische Unzulänglichkeit wie
praktische Bedenklichkeit einer derartigen ethischen Bindung des
Preises hinwegtäuschen können.
III. Mit der Unterscheidung der verschiedenen Stufen des
gerechten Preises konnte Antonin nun auch ein Problem zur Ent-
*■) P. II. t. i, c. 8, § i; cf. ib. c. 16, § 3; c. 17, § 10. S. c. (S. 205) und sonst.
2) 1. c.
Scheidung bringen, das der Scholastik bisher manche Schwierig-
keiten bereitet hatte, die Frage des Kreditkaufes. Daß es für den
Kaufmann nicht gleichgültig war, ob ihm sofort bezahlt wurde
oder erst später, konnte nicht übersehen werden; aber gleichwohl
mußte an dem Grundsatz der Unverkäuflichkeit der Zeit festge-
halten werden. Antonin gestattet es jetzt, eine Preiserhöhung
vorzunehmen, jedoch nur innerhalb des Rahmens des gerechten
Preises: »Si vero non vendidit plus iusto pretio, sed non vult facere
ita bonum forum ei sicut illi, qui dat pecuniam numeratam sibi,
non est usura« 1). Fordert daher z. B. ein Kaufmann bei Barzahlung-
die mittlere Stufe des gerechten Preises, so kann er bei Kredit-
gewährung' sich an die oberste Stufe halten2). Auch hier zeigt
sich deutlich das Streben, zwischen den überkommenen wirtschaft-
lichen Anschauungen und den Forderungen des Wirtschaftslebens
zu vermitteln. Auch sonst suchte Antonin hinsichtlich des Kredit-
kaufes den wirklichen Verhältnissen entgegenzukommen3).
IV. Die übrigen wirtschaftlichen Anschauungen Anto-
nins bieten kaum etwas Neues. Dem Händler wird ein »moderatum
!) s. c, (S. 202.)
2) S. th. P. IL t. i, c. 8, § i.
3) Antonin äußert sich P. III. t. 8, c. 4, § 2 näher über die diesbezüglichen
Geschäfte des Tuchhandels. Der "Weber kauft vom Händler die Wolle, der Preis ist
nach 1/2 oder 1 Jahr zu zahlen. Der Fabrikant verkauft das Tuch an einen Zwischen-
händler oder an Detailhändler mit demselben Kredit. Auch die Abnehmer warten meist
lange mit der Bezahlung. Regelmäßig wird nun der Preis erhöht. Der Weber fordert
z. B. bei Barzahlung 45 Floren, jetzt 50. Wie ist nun dieser Vorgang zu beur-
teilen? An dem Grundsatz der Unverkäuflichkeit der Zeit muß festgehalten werden.
Auch die latitudo des gerechten Preises darf nicht überschritten werden. Die Differenz
scheint nun doch etwas reichlich groß zu sein. Doch Antonin weiß Auswege zu finden.
Einmal brauche man in diesem Falle das justum ptetium nicht auf den Einzelfall anzuwenden.
Der Kaufmann habe Anspruch auf einen normalen durchschnittlichenProfit. Weide
dieses Maß nicht überschritten, so sei auch das Vorgehen im Einzelfall nicht ungerecht.
Würde zudem der Händler bei Stundung denselben Preis nehmen wie bei Barzahlung,
so würde er nach Aussage der Geschäftsleute gar keinen oder nur sehr geringen Profit
machen. Der geringere Preis bei Barzahlung könne ferner durch andere Momente ver-
anlaßt sein. Der Kaufmann verzichte möglicherweise auf einen Gewinn, er brauche aber
Geld, um z. B. seinen Angestellten bezahlen zu können, was er nur bekommen könne,
wenn er durch den geringeren Preis einige zu sofortiger Zahlung veranlasse. Bei Kredit-
gewährung habe der Kaufmann ferner besondere Mühen, das Geld zu bekommen; mög-
licherweise falle eine Zahlung überhaupt aus. Die Kaufleute erklärten endlich, sie
würden gerne nur zu 45 verkaufen, wenn alle Kunden sofort bezahlen würden. Sie
würden dann ihr Kapital mehrmals im Jahre umschlagen können, wenn sie auch im
Einzelfalle weniger gewinnen würden. Kurz, Antonin möchte die bestehende Praxis
nicht verurteilen, vorausgesetzt, daß der höhere Preis nicht zur Erzielung übermäßigen
Gewinnes benutzt werde. Er schließt aber: »Est tarnen materia ista multum intricata
hierum«, ein »lucrum competens officio suo« l) zugebilligt, was wie
früher durch Hinweis auf die Arbeit des Kaufmannes begründet wird.
Der Kaufmann erzielt seinen Gewinn durch Ausnutzung der Preis-
verschiedenheiten der Waren nach Ort und Zeit. Er hat daher
nicht unter allen Umständen Anspruch auf Gewinn, sondern ist
an das justum pretium gebunden. Es ist nicht richtig, erklärt
Antonin, »quod in omni casu liceat mercatori plus vendere quam
ei constiterit, sed aliquando oportet, quod tantundem vendat, ali-
quando etiam minus, aliquando etiam plus, seeundum quod plus
vel minus illo tempore, quo vendit, valet illa mercantia, quod
procedit ex abundantia vel penuria eius et seeundum quod plus
vel minus [repetitur] « 2). Hat ein Kaufmann z. B. in Zeiten der
Teuerung gekauft, so verlangt das justum pretium, daß er zu
anderer Zeit mit Verlust verkaufe.
Bezüglich des Wechselgeschäftes weicht Antonin kaum von
Laurentius ab. Er scheidet klarer zwischen dem Umwechseln von
Geldmünzen, dem cambium minutum, und dem cambium per litteras.
Das cambium siecum, vor dem Laurentius nur gewarnt hatte, ist
für ihn direkt wucherisch. Auch sonst erwähnt er noch einige
Fälle, in denen es sich um Wucherkontrakte in Form von Wechsel-
geschäften handelt3).
Die Begründung der Zinslosigkeit des Darlehens ist die
übliche4). Insofern mit dem Gelde ein Ertrag erzielt werden kann,
ist es Kapital, »capitale«5). Doch ist der Mehrertrag Ertrag der
menschlichen Arbeit6). Bei der Bezeichnung des Geldes als Kapital
handelt es sich also nur um einen andern Ausdruck für den
thomistischen Gedanken, das Geld sei causa instrumentalis des
Gewinnes.
nee bene clara et ideo non amplianda«. Die einzelnen Bemerkungen bekunden eine
überraschende Kenntnis des Wirtschaftslebens, wenn Antonin auch nicht imstande war,
die damit im Widerspruch stehende Theorie einer Revision zu unterwerfen. — Be-
merkenswert ist, daß bei Antonin zum ersten Male das Op. 67 zitiert wird, das in ähn-
licher Weise die Schroffheiten der Lehre vom Kreditkauf zu mildern sucht [S. th. P. II.
t. 1, c. 8, § 4], vgl. S. 119.
1) S. c, (S. 202, S. 232 f.) P. II. t. 1, c. 8, § 2, cf. ib. c. 16, § 2 f. P. III.
t. 8, c. 3, § 4.
2) P. II. t. 1, c. 8, § 2. Im Texte heißt es »reperitur«. Bei ligner, a. a. O.,
S. 71, wie oben angegeben. Vgl. hierzu jedoch S. 221, Anm. 3.
3) P. II. t. 1, c. 7, § 47 ff. P. III. t. 8, c. 3. S. c. (S. 202.)
4) P. II. t. 1, c. 6 und 7.
6) Z. B. 1. c. c. 7, § 17. Doch wird auch das unverzinsliche Darlehen als
Kapital bezeichnet.
6) 1. c. c. 6, § 1.
Als Zinstitel werden die Konventionalstrafe, die Risiko-
prämie, das damnum emergens und hierum cessans anerkannt1).
Die Lehre von den Staatsanleihen ist zum größten Teil wört-
lich aus Laurentius übernommen und bietet daher prinzipiell nichts
Neues2), ebensowenig wie die Lehre von der Versicherung3).
In der Lehre vom gerechten Lohn kehrt das Standesprinzip
wieder4). Bemerkenswert ist, daß betont wird, der Lohn müsse der
Vereinbarung gemäß in Geld oder Waren gezahlt werden. Ist
Geldlöhnung vereinbart, und zahlt der Arbeitgeber in Waren, so
muß er für eine etwaige Schädigung des Arbeiters beim Verkauf
aufkommen. Ist Löhnung in Waren vereinbart, so sind diese zum
Marktpreis abzugeben. Ein etwaiger Schaden fällt dann dem
Arbeiter zur Last5).
V. Schluß. Antonin ist als typischer Vertreter der geschil-
derten vermittelnden Richtung der Scholastik anzusehen. Auch
die neuere, nachtridentinische Scholastik folgt im wesentlichen
seinen Bahnen. Für das Mittelalter werden wir diese Erscheinung
jedenfalls als berechtigt anerkennen müssen: sie war das notwendige
Produkt der geschichtlichen Entwicklung, deren bestimmende
Momente die traditionellen, einem anderen Wirtschaftsleben ent-
sprechenden, aber von der Kirche geheiligten Anschauungen einer-
seits und die Beobachtung des zum größten Teile kapitalistischen,
freiheitsbedürftigen Wirtschaftslebens andererseits waren: beide
mußten nach einem Ausgleich streben.
§ 4. Bernhardin v. Siena.
Kürzer können wir über Bernhardin v. Siena (1380 — 1444)
hinweggehen, einen Franziskaner, der sich als Reformator seines
Ordens, sowie als Prediger Verdienste erworben hat6). Unter
seinen »Sermones« sind nicht wenige der Behandlung wirtschaft-
licher Fragen gewidmet.
In der Wertlehre kehren die Momente virtuositas, raritas
complacibilitas wieder7). Als gerechter Preis erscheint der Markt-
!) z. b. l. c. c. 7, § 18 ff.
2) P. II. t. 1, c. 11, ib. i. pr.: »Novissime autem scripsit super hac materia satis
diffuse dominus Laurentius de Redulfis«. cf. S. c, (S. 204.)
3) P. II. t. 1, c. 7, § 46. P. III. t. 8, c 3, § 1 f.
4) Z. B. P. II, t. 1, c. 7, § 17.
5) 1. c. c. 17, § 8.
6) Schulte II, 442 f. K. L. II, 441 ff. Über B. vgl. Funk: »Über d. ök.
Ansch., a. a. O. Die Eigentumslehre Bernhardins schließt sich eng an Scotus an, vgl.
Sermo 32.
7) S. 35, a. 1, c. 1.
— 224 —
preis1), der auch hier in drei Stufen zerlegt wird2). Besteht ein
solcher nicht, so soll der Kaufmann einen mäßigen Gewinn er-
streben »pensatis sumptibus, industria, sollicitudine, periculis et
labore«3). Im übrigen sucht Bernhardin ähnlich wie Antonin
zwischen Freiheit und Gebundenheit der Preisbildung einen Mittel-
weg: »sub congruis limitibus« dürfen Käufer und Verkäufer frei
schalten. Er wendet sich dagegen, den Wert eines Gutes nach
dem Nutzen zu bemessen, den es »particulariter« bringt: Ein Trunk
Wasser, der einem Verdürstenden gereicht wird, ist »impreciabilis«4).
Bei behördlicher Preisfixierung sind neben den natürlichen Eigen-
schaften der Dinge, dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage,
auch die für Herstellung und Transport der Waren erforderlichen
objektiven Momente, wie Größe und Qualität der Arbeit, Risiko
zu beachten5).
Das Gesetz von Angebot und Nachfrage gilt auch von den
Arbeitsleistungen der Ärzte, Advokaten, Erdarbeiter usw.: »ubi
talium est penuria, possunt carius locare opera sua«6).
Den Handel bezeichnet Bernhardin als erlaubt und nützlich,
nur verlangt auch er, daß Gewinn erstrebt werde »propter necessi-
tatem vel pietatem«, nicht dagegen »propter substantias cumulan-
das« 7). Auch die Lehre vom Wechselgeschäft bietet nichts Neues8).
Für die Unentgeltlichkeit des Darlehensverkehres werden
nicht weniger als zwTölf Gründe angeführt, ohne daß jedoch ein
wesentlich neuer Gesichtspunkt beigebracht würde9). Wie sehr
das Zinsverbot im Widerspruch mit den realen Verhältnissen stand,
zeigt die Leidenschaftlichkeit mancher Predigten, in denen Bern-
hardin die moralische Verwerflichkeit des Zinses darzulegen sucht10).
1) S. 33, a. 2, c. 8.
2) S. 34, a. 3, c. i.
3) S. 33, a. 2, c. 8.
4) S. 35, a. 2.
5) S. 35, a. 2, c. 2.
6) 1. c. Die »psychologische« Wirkung der Größe des Angebots betont Bern-
hardin deutlich: »Quanto . . rarius et difficilius rem adire possumus et habere, tanto
supra nostram facultatem altius et mirabilius aestimamus. Ardua enim nobis et insolita
admiramur«.
7) S. 33, bes. a. 2, c. 2.
8) S. 39, a. 3. Die Benennung ist etwas anders: »cambium artificiale«, im An-
schluß an Aristoteles, der vermeintlich das Gewinnen aus der »permutatio denariorum«
als ein Werk der Kunst und nicht der Natur bezeichnet; (vgl. S. 27) cambium reale:
»quia ut plurimum realiter deducuntur«. Hierhin gehört auch das cambium per litteras;
endlich das wucherische cambium casuale oder siccum.
9) S. 38, a. 1, cf. 36, a. 3.
10) S. 43 ff.
— 225 —
Man wird sich daher auch von der Bedeutung der Zinstitel keine
übertriebene Vorstellung machen dürfen, etwa in dem Sinne, als ob
durch dieselben die praktische Entgeltlichkeit des Darlehens in der
Mehrzahl der Fälle anerkannt wäre1). Besonders wendet sich
Bernhardin gegen Umgehung des Zinsverbotes durch Benutzung
anderer Vertragsarten [»mutuum palliatum«]2).
Die Behandlung des Rentenkaufes ist ähnlich, wie bei
Ricardus und Aegidius3). Auch hier kehrt das bekannte wert-
theoretische Prinzip wieder: »Constat . . ., quod actualis possessio
rei praesentis ceteris paribus amplius valet, quam solum ius rei futurae
aut quam solum ius absque actuali possessione non statim tradita
vel tradenda.« Begründet wird dies mit der größeren Sicherheit
des Besitzes in ersterem Falle: »securius est rem habere et possidere,
quam solum ius rei«*). Eine kapitalistische Verwendung des Renten-
kaufes hält auch Bernhardin für unerlaubt6).
Die Erlaubtheit der Transportversicherung wird in übli-
cher Weise dargetan6). Dagegen verurteilt Bernhardin eine Art
»Aussteuerversicherung«. Ein Vater zahlt z. B. während des
ersten Lebensjahres seiner Tochter 70 Dukaten an ein staatliches
Institut. Hat die Tochter das Alter von 15 Jahren erreicht, so
werden ihm 500 Dukaten ausgezahlt. Im Falle eines frühzeitigeren
Todes fällt hingegen die eingezahlte Summe dem Institute zu.
Es handelt sich hier nach Bernhardin um ein wucherisches Dar-
lehen; insbesondere fehlen alle Momente, die die Differenz der
beiden Summen erklären könnten, wie industria, labor, sollertia,
sollicitudo auf Seiten des Vaters7).
Die Beurteilung der Staatsanleihen8) ist bedeutend schroffer
als bei Laurentius. Nur diejenigen dürfen nach Bernhardin den
ausgesetzten Zins annehmen, die dem Staate gezwungen ihr Geld
geben, und zwar dann »ratione dominii compellentis, damni emer-
x) Über die Zinstitel vor allem S. 42.
2) S. 39, a. 2.
3) S. 34, a. 2.
4) S. 34, a. 1, c. 2.
5) 1. c, c. 2, a. 1 : »puta si quis dives ad sufficientiam habens, non propter
vitae necessitatem, sed avaritia ductus, ut ditior fiat, tales redditus emit« ist der Ver-
trag verwerflich.
6) S. 39, a. 1, c. 3, jedoch »salvo meliori iudicio«.
7) 1. c, c. 4. Die Anfänge der Heiratsgutversicherung, deren Veranschlagung
naturgemäß roh war, sind in Florenz im 15. Jahrhundert zu suchen; vgl. R. Ehren -
berg, Studien, Z. f. d. ges. Versicherungsw. II, S. 126.
•) S. 41.
Beiträge zur Geschichte der Nationalökonomie. Heft 1. 15
Schreiber, Die volkswirtsch. Anschauungen d. Scholastik.
226
gentis und lucri cessantis«. In der Mehrzahl der Fälle sei dies
anzunehmen. Erlaubt sei auch das Vorgehen der wenigen »veri
rei publicae amatores«, die mit ihrem Gelde der Not des Staates
zur Hilfe kommen wollten. Verurteilt werden hingegen alle, die
»ex intentione lucri« Geld einzahlen oder Staatsanleihen käuflich
erwerben.
Bernhardin geht trotz grundsätzlicher Übereinstimmung mit
der übrigen Scholastik in mancher Hinsicht zweifellos etwas
strenger vor, was bei der Persönlichkeit des Ordensreformators
nicht weiter verwunderlich ist1).
x) Häufig kommt auf wirtschaftliche Fragen Alphonsus Thostatus (f. 1455) zu
sprechen in seinen Kommentaren zum alten und neuen Testament. Math. VII, c. 25,
q. 164 — 289 bietet eine ausführliche Abhandlung über den Wucher. Der Wert wird
subjektiv gefaßt, der Marktpreis als gerechter Preis bezeichnet (Gen. c. 23; Math. VII,
c. 25, q. 223 u. s.). Wie der Handelsgewinn, soll auch der Gewinn des Wechslers,
er beruhe auf Provision oder Kursdifferenz, bemessen sein: »ex commensuratione ad
labores et sollicitudinem, difficultatem habendi monetas illas, quarum petitur permutatio,
et magnitudine vel parvitate impositionis eis factae a communitate vel domino, a quo
permittitur campsoriam exercere« (Math. 1. c, q. 231, 286). In der Begründung des
Wuchers bringt er neben dem thomistischen Argument auch die Beweisgründe Inno-
cenz IV. (vgl. oben S. 211, Math. 1. c, q. 167, 178 f.). Beim Gelde unterscheidet er
zwischen hochwertigen Münzen, für deren Wert Prägung und Gewicht bestimmend
sind, und geringwertigen, die »consistunt solum in figura et non curatur de pondere«
(Levit. c. 27, q. 64). Im letzteren Falle ist wohl an Scheidemünzen gedacht.
Ergebnisse.
Als das wichtigste Ergebnis der vorstehenden Untersuchungen
kann wohl das bezeichnet werden, daß von einer einheitlichen Wert-
lehre in der Scholastik nicht gesprochen werden kann; zwischen
den einzelnen Denkern bestehen vielmehr grundlegende Unter-
schiede und Gegensätze.
Wir haben einmal die Verschiedenheit der objektiven und
subjektiven Wertlehre: Albertus Magnus und Thomas von Aquin
sehen die Gerechtigkeit des Preises in der Wiedervergeltung von
Arbeit und Kosten; Momenten, die Substrat und Inhalt eines durch
das menschliche Bedürfnis bestimmten, alle verpflichtenden, den
Tausch psychologisch beherrschenden Marktpreises ausmachen.
Andere Scholastiker, wie Heinrich von Gent, Ricardus usw. tun nur
das letztere und suchen in steigendem Maße die Tauschvorgänge
psychologisch zu verstehen und zu erklären. Die wichtigsten Er-
gebnisse dieser Arbeit waren die Erkenntnisse, daß zukaufende und
gegenwärtige Güter höher bewertet werden als Preis- bzw. Zukunfts-
güter, sowie die tiefgehenden Untersuchungen Buridans über Wesen
der Schätzung und ihren Zusammenhang mit der Erscheinung des
Preises. Heinrich von Langenstein nimmt die thomistische Wert-
lehre mit ihrer eigentümlichen Verbindung objektiver und subjektiver
Momente vorübergehend wieder auf. Das Bewußtsein des Gegen-
satzes beider Auffassungen dürfte das Mittelalter zunächst kaum
gehabt haben, indem beide praktisch darauf hinauskamen, den
Tausch durch Konstruktion eines gerechten Normalpreises zu binden.
Aber doch war damit der Keim zur Ausbildung eines tiefer-
gehenden Gegensatzes innerhalb der scholastischen Wertlehre ge-
geben. Der Beobachtung des Gewinnprinzips in Kauf und Verkauf
trat die andere individueller Verschiedenheit der Bewertung der
einzelnen Güter zur Seite. Beides führte zur Aufgabe der Idee
des gerechten Normalpreises, und in allmählicher Entwicklung von
dem subjektiven Gewinnstreben ausgehend, kam die Scholastik
dahin, jeden frei abgeschlossenen Tausch als gerecht anzusehen.
Bewußt dieser Theorie der Freiheit der Preisbildung sich widersetzend
15*
228
und die rein subjektive Wertlehre, die für ersteres Prinzip die
theoretische Basis hatte abgeben müssen, ablehnend, kehrte Heinrich
v. Langenstein zur Forderung gleicher Marktpreise im Tausche
zurück. Zur Verwirklichung seines Ideals wollte er, wie auch
Gerson, die staatliche Zwangsgewalt sich nutzbar machen. Die
ausgehende Scholastik sucht den Gegensatz beider Richtungen
aufzuheben, indem sie ihrerseits an die von Scotus vertretene
subjektive Wertlehre anknüpfte, die als Durchgangsstufe bereits
eine gewisse Synthese der Prinzipien der Gebundenheit und Frei-
heit enthalten hatte. Zugleich sucht sie diese Synthese durch
weiteren Ausbau zu vertiefen.
Verschieden waren im einzelnen die Momente, die den Ver-
lauf dieser Entwicklung bestimmten. Neben Aristoteles, der irrtüm-
licherweise in objektiv-subjektivem Sinne erklärt wurde, zeigt sich
Augustinus als Vertreter des ausschließlich subjektiven Prinzips.
Beide forderten eine Gleichsetzung zweier als normal gedachter
Werte im Tausche. Ihnen gegenüber stand das römische Recht
mit seinem unausgeglichenen Gegensatz zwischen dem älteren
Postulat der Freiheit des wirtschaftlichen Verkehrs und der späteren
Statuierung eines Normalpreises. Tieferes Studium des römischen
Rechts stellte also die Scholastik vor dieselbe Aufgabe, wie
empirische Beobachtung der Tatsachen und Bedürfnisse des eigenen
Wirtschaftslebens, das mit wachsendem Verkehr eine individuellere
Ausgestaltung- erfuhr und ein wachsendes Maß freierer Betätigung
forderte. Das Produkt all dieser Faktoren mußte verschieden sein
nach den einzelnen Persönlichkeiten, auf die sie einwirkten, und
hier ein Überwiegen der strengeren, dort der freieren Richtung
bedingen.
Von Bedeutung war insbesondere nach Folgendes: die Entwick-
lung der Wertlehre vollzog sich nicht ohne inneren Zusammenhang
mit dem durchgängig antikapitalistischen Geiste der Scholastik.
So sehr im Beginn der Entwicklung des Standesideal nicht zuletzt
den Wirtschaftszuständen selbst entnommen sein mochte, so zähe
hielt die Scholastik auch dann noch daran fest, als das Erwerbs-
streben eine derartige Grenze nicht mehr kannte. Teils, wie bei
Thomas und Heinrich v. Langenstein, stellt die Wertlehre eine
direkte Kristallisation dieser Idee dar, teils wirkt sie in manchen
Spuren objektiver Werttheorie nach, teils tritt sie der Freiheit der
Preisbildung einschränkend zur Seite. Nur bei Buridanus findet
sich eine geringfügige Milderung der alten Strenge.
Mit den gezeichneten Strömunoen und Wandlungen der
— 22g —
wirtschaftlichen Anschauungen war die Beurteilung des Handels
innig verknüpft.
Wenn zunächst Thomas auch gegenüber der ablehnenden
Haltung des Aristoteles die immerhin freiere Richtung des
Augustinus zum Siege geführt hatte, so fehlte doch der Scholastik
das volle Verständnis für das Gewinnstreben im Einzelfalle, wie es
gerade beim Ein- und Verkauf des Händlers besonders deutlich in
Erscheinung tritt. Hier wirkte Duns Scotus bahnbrechend; in
bewußter Ablehnung der alten Theorien, die durch Konstruktion
zweier nach Ort und Zeit verschiedener, aber normaler Preise für
dieselbe Ware einen Handelsgewinn herausgerechnet hatten, kam
er durch Durchführung des Gewinnprinzips im Tausche zu einer
freimütigeren Beurteilung der kaufmännischen Tätigkeit überhaupt.
Damit war die im allgemeinen wohlwollende Stellungnahme der
späteren Scholastik gegeben, der gegenüber nur die Anhänger
staatlicher Preisfixierung einen Rückschritt bedeuteten. In anderer
Hinsicht jedoch kam die Scholastik nicht weiter; sie ließ nicht
von ihrer antikapitalistischen Gesinnung, und forderte daher in
Konsequenz ihres Ideals, daß jedweder volkswirtschaftlich nütz-
lichen Arbeit ein standesgemäßes Einkommen gebühre, eine Be-
schränkung des Gesamtgewinnes des Händlers auf eben dieses
Maß. Mag dies immerhin noch für den Anfang des Mittelalters
als verständlich erscheinen, so stand doch die Scholastik damit in
dauernd schroffem Widerspruch mit den sie umgebenden realen
Verhältnissen, ein Widerspruch, der um so größer und fühlbarer
werden mußte, je mehr Handel und Handelsgeist sich ausbreiteten.
Vielfältig waren auch die Probleme, die hinsichtlich des Geld-
wesens zu erörtern waren. Thomas hatte hier die aristotelische An-
schauung vermittelt, daß die wesentlichen Erfordernisse des Geldes
Materie, Gewicht und staatliche Prägung seien. In organischer Weiter-
entwicklung dieser Ideen suchte Buridanus Geltung und Bedeutung
der drei Faktoren gegeneinander abzuwägen, wobei er zu einer
Begrenzung des staatlichen Einflusses auf den Geldwert gelangte.
Perusinus berührte das Problem des Schlagschatzes. Die Erörte-
rung des Geldhandels förderte die Theorie des Geldes weiter. Sie
bedingte einmal, daß die aristotelische Anschauung, das Geld sei
lediglich Tausch vermittler, in Schwierigkeiten geriet, die dazu
führten, daß Laurentius das Geld auch als Gegenstand des Kaufes
und Verkaufes anerkannte. Freilich wurde mit dieser Preisgabe
des Aristoteles nicht auch zugleich der antikapitalistische Geist
seiner Lehre aufgegeben. Weiter brachte es die Beobachtung der
— 230 —
Kursgewinne, sei es im Handwechsel oder Remittierungsgeschäft,
mit sich, daß man die Verschiedenheiten des Geldwertes nach Ort
und Zeit erörterte. Seinen Höhepunkt erreichte dieses Streben
in der Wechselkurslehre des Laurentius. Im übrigen gilt das
bezüglich des Handels im allgemeinen Gesagte auch hier.
Sinn und Inhalt des Zinsverbotes sind, wie sich bei Behand-
lung der thomistischen Wucherlehre ergab, ebenfalls mit dem
Antikapitalismus der Scholastik gegeben. In dem Bedarf deckungs-
prinzip ist die tiefste Quelle der Ablehnung des Darlehenszinses
zu suchen. Denn der Zins war arbeitsloses Einkommen und wider-
sprach damit, der im Standesideal liegenden Forderung, daß volks-
wirtschaftlich nützliche Arbeit der Rechtstitel wirtschaftlicher
Existenz sein müsse und der Abneigung gegen jegliche rein »ver-
tragsmäßige« Bereicherung, die besonders schroff bei Heinrich
v. Langenstein sich zeigte. Darleihen konnte weiterhin im allge-
meinen nur, wer selbst den erwünschten Grad materiellen Wohl-
standes bereits erreicht hatte; wie konnte es da gestattet sein, nur
vermittels des Besitzes weiteren Besitz zu erwerben? Ein Darlehen
endlich konnte und durfte nach mittelalterlicher Anschauung nur
aufnehmen, wer sich in Not befand oder noch nach Erreichung
standesgemäßen Einkommens strebte. Da mußte es als unsittlich
erscheinen, dieses Ringen noch weiter zu erschweren, um so mehr
als eine konsequente Anwendung der Gerechtigkeitsprinzipien auf
das Darlehen mit unwiderleglicher Evidenz zeigte, daß der Zins
ungerecht sei, und der mit dem Gelde erzielte höhere Ertrag
lediglich der befruchtenden Arbeit des Schuldners entstammen
könne. Der Darlehensverkehr sollte seine volkswirtschaftliche
Funktion, durch Ausgleich von Überfluß und Mangel allen die
Erreichung eines standesgemäßen Besitzes zu ermöglichen, so
erfüllen, wie es seinem inneren Wesen entsprach. Freilich mußte
die Scholastik mit diesem Ideal bei zunehmender kapitalistischer
Entwicklung in steigenden Gegensatz zum Wirtschaftsleben geraten.
Im übrigen verhinderte überragender Einfluß von Tradition
und kirchlicher Autorität eine freiere Entwicklung. Hierdurch
war es bedingt, daß den Anhängern der Vertragsfreiheit nur die
Aufgabe blieb, die Konsequenzen ihrer Anschauungen vom Dar-
lehen fernzuhalten, daß es bei Mayronis mit der Ablehnung der
üblichen Begründung sein Bewenden hatte, und daß der schüchterne
Versuch, den Zins als Arbeitslohn organisch dem Wirtschaftsideal
des Mittelalters einzufügen, in den ersten Anfängen stecken blieb.
Im ganzen war die thomistische Form der Begründung herrschend;
— 231 —
die spätere Scholastik beschränkte sich darauf, sie in Kleinigkeiten
zu verbessern oder ihr andere Momente an die Seite zu stellen,
wie die Idee des Zeitverkaufes oder die Innocenz IV. entlehnte
Befürchtung sozial übler Folgen des Zinses, die von Laurentius
jedoch als nicht ausreichend empfunden wurde.
Das Zinsverbot mußte um so durchgreifender die Gestaltung
der scholastischen Wirtschaftslehre beeinflussen, als es die Pflicht
in sich schloß, auch von anderen Verträgen Zinserscheinungen
fernzuhalten. Freilich befleißigte sich die Scholastik möglichster
Milde: mit dem weiteren Ausbau der Preislehre gelang es ihr,
für den Kreditkauf eine Form der Beurteilung zu finden, die bei
Aufrechterhaltung der alten Prinzipien, doch die wirklichen Ver-
hältnisse wohl im allgemeinen anerkennen sollte. Im Wechsel
übersah man die Zinserscheinungen, und selbst das Entgelt des
Staates für dargeliehene Summen suchte man zu rechtfertigen.
Doch ergab sich als Folge des Widerstreites zwischen Festhaltung
des Traditionellen und Anerkennung des volkswirtschaftlich Nötigen
und Zweckmäßigen, daß in dem Maße, in dem letztere materiell
den Sieg davontrug, das Gesamtbild der scholastischen Wirtschafts-
lehre gekünstelt, unnatürlich und lebensfremd werden mußte. Es
fehlte der Scholastik eine innerlich gesunde Fortentwicklung, weil
es ihr an der nötigen Beweglichkeit fehlte, Überkommenes aufzu-
geben oder umzugestalten. Mit wenigen Ausnahmen beschränkte
sie sich darauf, das Neue in die alten Formen einzukleiden, was
sich oft nur gezwungen vollziehen ließ.
In der Theorie der Zinstitel ist die spätere Scholastik kaum
über Thomas von Aquin hinausgekommen, wenn wir von der
Aufnahme der bereits vor Thomas gebilligten Konventionalstrafe
absehen. Von Wichtigkeit war immerhin die allmählich stärker
werdende Betonung des Zinstitels des entgehenden Gewinnes, die,
wenn sie auch keine Aufgabe des Zinsverbotes bedeutete, doch
bedenkliche Folgen desselben verhindern konnte.
Zahlreicher waren die Probleme, die der Rentenkauf stellte.
Heinrich von Gent erklärte nur den Census reservatius und den
Zinskauf für erlaubt, wie vor ihm schon Innocenz IV. getan hatte.
Aber schon Ricardus ging über ihn hinaus und billigte auch den
Census constitutivus. Neue Schwierigkeiten brachte die Mobili-
sierung der Rente und die Gestaltung des Preises in diesem Falle.
Die Untersuchung des Wertverhältnisses zwischen Kaufpreis der
Rente und der Rente selbst führte zu wichtigen werttheoretischen
Erkenntnissen bezüglich des Einflusses der Zeit. Die Ablehnung
einer kapitalistischen Verwendung des Rentenkaufes war durch
die notwendige Einordnung desselben in das allgemeine Wirt-
schaftsideal der Scholastik erfordert.
Alles in allem stellen die volkswirtschaflichen Anschauungen
der Scholastik in ihrer Entwicklung und in ihren Problemen eine
wichtige Periode des ökonomischen Denkens dar. Die Verfolgung
ihrer späteren Gestaltung und Weiterwirkung würde bereits in die
Zeiten der Reformation und des Merkantilismus führen und damit
den Rahmen vorliegender Arbeit überschreiten. — Mögen weitere
Forschungen die bisherigen Arbeiten berichtigen und vertiefen
und uns neue Erkenntnisse bringen.
Ä. Personenregister.
Abraham 148.
Accursius v. Bologna 136.
Aegidius Colonna 42, 108.
Aegidius Lessinus 161 — 171, 189, 191, 202,
205, 219, 225.
Albertus Magnus 16, 17, 30, 45, 46 — 52,
62, 66, 70, 71, 74, 76, 77, 83, 94—97,
102 — 105, 108, 110, 112 — 114, 146,
151, 171, 227.
Alexander Halensis 45, 62, 75 — 77, 82, 94,
97, 102, 103, 105, 106, in, 114, 126.
Alphonsus Thostatus 226.
Altmann 177, 178, 184, 188, 192.
Ambtosius 6, 8, 59, 90, 91, 94, 96, 97.
Antonin v. Florenz 217 — 223.
Aristoteles 3, 17, 22, 24—42, 45, 53, 55,
56, 58, 59, 66—78, 80, 82—84, 88,
92, 94, 97, 99, 100, 102, 105, 106,
108, 127, 146, 149, 151, 165, 173,
177, 181, 188, 189, 192, 213, 224,
228, 229.
Aschbach 196, 202.
Ashley 100, 126, 136.
Astesana, Summa Verf. 171, 172.
Augustinus 6, 9 — 14, 43, 72 — 78, 82 — 84,
87, 91, 97, 127, 132, 146, 150, 151,
176, 181, 202, 208, 218, 228, 229.
Avicenna 139.
Baldus de TJbaldis, Perusinus 192, 193, 229.
Bardenhewer 88.
Basilius 91, 97.
Bäumker 3.
Baumann 80, 94.
Bernhardin v. Siena 223 — 226.
Biederlack 63.
Böhm-Bawerk 57, 128, 163.
Bonaventura 125 — 131, 153, 156, 157.
Brants 45, 120, 175, 178, 184, 188, 191.
Brentano 6 — 9, 12 — 15, 66, 68, 81.
Bruder 126, 194, 196, 205.
Bücher 73.
Buridanus s. u. Johannes B.
Cathrein 65.
Cato 90.
Chrysostomus 6 — 8, 75, 82, 92, 134, 136.
Cicero 32, 90, 206.
Decretum Gratiani s. u. Gratian.
Diehl 121.
Diocletian 15.
Durandus 172, 174 — 176.
Ehrenberg 214, 225.
Endemann 15, 88, 110, III, 116, 118,
126, 137, 196, 202, 204, 207, 211.
Endres 18.
Feugeray 18.
Franciscus de Emp. 216, 217.
Franciscus de Mayronis 172 — 174, 211, 230.
Funk 6, 7, 11, 89, 93, 94, 116, 118, 126,
137, 158, 159, 204, 205, 211, 217,
223.
Goffredo de Trano 103, 105, III, 137, 145.
Goldschmidt 212, 214.
Grabmann 16.
Gratian 7, 12, 92, 93.
Gregor v. Arim. 215.
Gregor v. Nazianz 6.
Gregor v. Nyssa 91, 97.
Gregorius (?) 102, 103, III.
Guido d. Belrig 215.
Heckel 126.
Heinrich v. Gent 125, 131 — 140, 143, 145,
151, 164, 188, 191, 227, 231.
Heinrich v. Langenstein 195 — 203, 206,
227, 228, 230.
234 —
Heinrich v. Oyta 202 — 204.
Hejcl 88, 89.
Hertling 18, 74.
Hieronymus 56, 90, 95, 97.
Hilgenreiner 19, 21, 23, 80, 83, 84.
Hohoff 68, 100, 121.
Hostiensis 86, 94, 102, 105, III, 137, 145.
Hurter 126, 131, 140, 146, 161, 192, 204.
ligner 211, 217, 219, 222.
Inama-Sternegg 194 — 196, 200.
Innocenz IV (137), 211, 226, 231.
Johannes Buridanus 177 — 191, 195, 198,
200, 227 — 229.
Johannes Gerson 204 — 206, 228.
Irenaeus 7.
Karl d. Gr. 93.
Kauila 14, 15, 66, 68, 177, 184, 188, 192,
196, 198.
Keller 114.
Klemens v. Alexandrien 8.
Klemens v. Rom 8.
Kopp 6, 8.
Kostanecki 83, 214.
Kraus 58, 59, 66, 69 — 71.
Kuhlmann 16, 17, 45.
Kuhn 18, 58, 65.
Lactantius 7, 8, 90.
Lasson 41, 67.
Laurentius de Rodulfis 211 — 217, 222, 223,
225, 229 — 231.
Leo d. Gr. 7.
Lessei 93, 94, 99, 102 — 104, 106, 108,
110, in, 116 — 119, 130, 145.
Loening 126.
Lot 148.
Martin V. 204.
Marx 28, 47, 68, 121.
Maurenbrecher 17 — 19, 21 — 24, 26, 28,
29, 45, 84, 87.
Mausbach 8, 9, 16.
Mayronis s. u. Franciscus de M.
Meitzel 192.
Menger 128.
Neumann 194.
Nicolaus III. 156.
Nider, Johannes 207 — 210, 213.
Noe 148.
Occam 177.
Oertmann 14, 15, 31, 99, 102, 107, 114,
163.
Onken 26.
Oresmius, Nie. 191, 192.
Oyta s. u. Heinrich v. Oyta.
Paludanus s. u. Petrus P.
Paulus (Apostel) 6, 72, 87.
Paulus (Jurist) 14, 15.
Paulus, N. 20.
Perusinus s. u. Baldus.
Pesch 56, 63, 140.
Petrus Lombardus 56, 97, 140, 146.
Petrus de Palude 176, 177, 182.
Philipp d. Seh. 42.
Plato 3 — 6, 8, 12, 25, 29, 79, 172, 200.
Pöhlmann 3 — 5.
Pomponius 14.
Proudhon 121.
Pseudochrysostomus s. u. Chrysost.
Pythagoräer 37.
Quaest. vet. et. nov. Test. Verf. 12.
Ram sauer 41.
Ratzinger 89, 91. 92.
Raymundus v. Pennaf. 94, 102, 103.
Ricardus de Mediavilla 140 — 146, 151 — 153,
156, 171, 183, 187, 225, 227, 231.
Rodbertus 121.
Röscher 191, 192, 196, 202.
Rudolf IV. 196, 202.
Schaub 7, 18, 54, 56, 60, 63, 65, 80, 89,
92 — 94, in, 118.
Schaube 212 — 214.
Scherer 156.
Schilling 6 — H, 18, 89 — 92.
Schneider 88, 89, 93.
Schulte 192, 207, 211, 223.
Scotus, Duns 125, 146 — 160, 164, 171,
172, 174, 207, 219, 220, 223, 228,
229.
Seeberg 146.
Seipel 6, 89.
Sextus Pedius 15.
Silberschmidt III.
235 —
Sombart 72, 81, 115, 194.
Sommerlad 6, 89, 91.
Speculum morale, Verf. 108.
Stöckl 53, 172, 204.
Strieder 81, 194.
Susemihl 26, 92.
Tertullian 7, 90.
Theodoret v. Cyrus 6.
Thomas v. Aquin 1, 3, 16 — 25, 28 — 46,
48, 49, 52 — 66, 69 — 75, 78 — 88, 91,
94—121, 124, 127 — 131, 134, 140,
144 — 146, 151 — 157, 161, 168, 171,
172, 174, 180, 187, 188, 190, 200,
202, 203, 207, 220, 222, 226 — 231.
Thomas v. Straßburg 172.
Trendelenburg 36, 37, 40.
Tröltsch 6, 8, 73.
Uberweg-Heinze 126, 140, 146.
Ulpian 107.
Tincentius Bellovacensis 86, 94, 102, 103.
Walter 18, 56, 63, 65, 80, 94.
Walter Burlaeus 172.
Weinand 9.
Wetzel 40.
Wilhelm v. Auxerre 94, 102, 130.
Wilhelm v. Mörbecke 17.
Wolowski 192.
de Wulf 74.
Wuttke 88.
Zeiller 24, 87.
Zeller 3, 40.
Zmavc 27, 42, 56, 66, 68, 71.
B. Sachregister.
Actio 35 — 40, 46. Arbeitskraft, Vermietung 83, 85, 224.
Activ- und Passivhandel 23. Arbeitsloser Erwerb 197, 206, 225, 230.
Advocaten 84, 86, 173, 224. Arbeits-(Berufs-)teilung 4, 19 — 22, 24, 25,
Affectionspreis 15, 58, 59, 62, 63, 73, 119, 28, 45, 46, 48, 50, 52, 63, 71, 84,
152, 153, 203, 219, 220. 87, 110, 115, 179.
Almosen 8, 19, 59, 175, 178, 197, 220. Arbeitsvertrag 34, 83—85.
Altes Testament 86 — 90, 95, 96, 129, 156, Arm, Armut — u. Arbeit 83.
173, 197. — u. Darlehen 88, 91, 168, 174, 190.
Angebot und Nachfrage 57, 58, 69, 70, — u. Geldstückelung 189.
132, 135, 141, 162, 163, 180, 182, — , Ordensideal 127, 128, 156.
192, 199, 208, 209, 213, 218, 219, — u. Reichtum 6, 8, 18, 197, 198.
222 — 224. — u. Renten 201, 202.
Arbeit, angestrengter ohne Darlehen 200. — u. Schätzung d. Güter 141, 181, 182,
— , Anrecht auf Unterhalt (Lohn) 6, 11, 183—185.
12, 52, 53, 72, 83, 86, 87, 115, 121, — , Unterstützung 8, 19, 80, 174, 190.
187, 229. Aussteuerversicherung 225.
— , ausführende u. leitende 85.
— u. Freude 179.
Barrenmetall 188.
— geringer bewertet als Lohn 183. Bedarfsdeckungsprinzip 72, 81, 115, 171,
— gesellschaftlicher Character 53. V*, *94> »97. 202, 2i°-
— , körperl. u. geist. 12, 82, 84, 121, Bedürfnis (Schätzung, Bewertung) 10, 13,
128, 135, 184. J4- 37. 43—46, 49—64, 66—71, 73.
— u. Kosten (Arbeitswert) 5, 13, 14, 74, 99, ™7, ^S, 132, 141, 142, 150,
36, 39-47, 49—53, 58, 63-65, I5L x53, 154, 161-163, 165, 169,
68—72, 78, 83, 87, 110, in, 115, J73, 176, 180—188, 193, 198. 199,
128, 151, 172, 199, 200, 227, 228. 2°2> 2°3, 208, 218, 220, 224, 227,
— , qualitativ verschieden 41, 46, 47, 52 22°-
(vgl. Arbeitsteilung). Beginnen 139.
u Rente 201 203. Besitz, sicherer höheren Wert a. unsicherer
— , als Ware 83, 84. 58, "7-
— , Wert 41, 68, 83—85, 87, 88, 201, Betrug im Handel 5, 7, 9, 14, 47, 61, 62,
2IO, 224. 64. 82, 91, 129, 133, 150, 164.
-, Wertschätzung 6, 20, 127, 128. ^.^ 222
-, wechselseitige füreinander 46, 52, 71, Commenda „x<
II0, Consumtion d. Geldes i. Tausche 100, 102,
— , Zweck 8, 20, 72, 86, 114. ^
Arbeiter 83—87, 189, 223, 224. Contractu bursalis 143, 144 (cf. 138).
Arbeitgeber 84, 85, 223.
Arbeitsertrag, Recht a. d. vollen 121, 145 Darlehen, Wesen 98, 99, 102 — 106, 108
(vgl. Zins). —112, 118, 119, 126, 135, 136, 137
— 237 —
— J39. H3. x44> H9. !56- l65. l67<
169, 170, 189, 190, 200, 208. 212, 215.
— , Wertveränder. desselben 56, 1 66, 212,
213-
Eigentumsrecht im allgem. 169, 202.
— , im Darlehen 94, 103 — 105, 109, 110,
129, 144, 156, 157, 168, 189, 190.
— , im Gesellschaftsvertrage 110, 111, 168.
— , im Pachtvertrag 84. 85, 103, 104,
m, 129, 148, 149, 156.
— , im Tausch 34, 46, 62. 148, 149 164.
— , am Zins 136, 137, 167, 177, 204.
— , i. Rentenk. 126.
Ehe, Enthaltung 178.
Elvira 7.
Erwerbsarten n. Arist. 26 — 29, 92, 224.
Erwerb a. geist. Arb. 84, 87.
Existenzminimum II, 13, 14, 19,83,86, 154.
Facere s. u. actio.
Fructus civiles 114.
Geistliche u. Handel 7, 12, 77, 79, 82.
— u. Unterhalt 86.
— u. Zins 89.
Geld, Begriff 6o, 99.
— , Entstehung 26, 42, 189.
— , Wert 44, 51, 83, 133, 134, 153, 154,
171, 172, 177, 188, 189, 192, 193,
210, 226, 229, 230.
— , Wesen u. Funktionen i. w. S. 5,
26—31, 36, 37, 42—45, 51, 52, 55,
67, 68, 88, 92, 99 — m, 114, 116,
119, 125, 126, 129, 130, 133, 134,
136—139. 142— H5. 149, 153, 154.
I56—I59, 165—170, 173, 175, 183,
184, 189 — 193, 197, 201, 203, 204,
206, 208, 210, 211, 213, 215, 217,
221 — 226, 229.
— , s. u. Kauf, Staat, Unfruchtbarkeit.
Geldentwertung 166.
Geldvorrat i. früh. Mittelalt. 92, 93.
Geldwechselgeschäft 29 — 31, 83, 134, 149,
164, 165, 171, 172, 177, 187, 189,
190, 192, 208, 211, 222, 224, 226,
229, 230.
Gerechter Preis, Albert. 47, 62, 66, JJ , 227.
— , Anton. 218 — 222.
— , Aug. 9—12, 73, 150.
Gerechter Preis, Bernh. 223, 224.
Bonav. 128, 13 1.
Burid. 184—186.
Gerson 205.
Halens. 62, 76.
Heinr. v. G. 132, 133, 135, 151, 164.
Heinr. v. Lang. 198, 200.
Kirchenv. 3, 6, 9, 13, 91.
Nider 207 — 210.
Plato 3, 5, 12.
Ricard. 141, 142, 151, 152, 183, 184.
Rom. Recht 14, 15, 64, 133, 198.
Scholastik 128, 141, 161, 170, 188,
191, 207, 227.
Scot. 146, 147, 150 — 155, 159, 160,
207, 219, 220.
Thom. 1, 3, 16, 25, 43, 61 — 66, 73,
75, 78, 79, 83, 84, 87, 88, 98, 106,
112, 115, 119- — 121, 227.
— , Thost. 226.
— , s. u. Wert.
Gerechtigkeit 3, 7, 9, 11, 31 — 41, 43, 46,
47, 49—52, 61—67, 7°. 73, 75» 77.
78, 84 — 86, 97—99, 105 — 109, 114,
115, 127, 133, 134, 147, 150—153,
157, 163, 164, 171, 173, 176, 185
— 190, 209, 219, 230.
Gesellschaft (Gemeinschaft) 4 — 6, 11, 18
— 22, 24—26, 32, 33, 45, 46, 49—52,
59, 60, 63-65, 72. 76—78, 82—84,
86, 87, 110, 114, 115, 128. 129, 140,
147, 176, 179, 182, 186, 1^7, 197,
210 218.
Gesellschaftsunternehmen 110, m, 121,
130, 145, 168, 190.
Gewinn (Gewinnstreben) 4, 5> 7 ■> 9> XI
— 15, 19, 23, 27. 28, 31, 53, 55, 59,
72, 75 — 82, 92, 101, 109 — in, 116,
117, 121, 129— 131, 133— 139, 141
— 145, 149, 151 — 153. 155, 157, 159.
160, 164, 165, 168 — 173, 175 — 179,
183, 186, 187, 189— 191, 194, 195,
197, 198, 203, 205, 210 — 216, 220
— 222, 224, 226, 227, 229.
Gewinnprinzip im Tausche 121, 128, 130,
133. 139, H1» I42, 145, I51 — 153»
160, 163 — 165, 169 — 171, 183, 186,
189, 191, 204, 219, 227, 229.
Gleichheit 6, 8, 11 — 13, 19, 180, 197.
- 238 -
Gold (u. Silber) 42, 57, 61, 70, 91, 100,
127, 128, 150, 192, 218.
Grenznutzentheorie 70.
Güter, Bed. u. Zweck io, 18, 43, 49,
53— 56- 59- 69, 73, 140, 161, 179-
Gütermenge u. Wert s. u. Angebot.
Handel i. Mittelalt. 25, 81, 125, 126, 194,
195. 229-
— , Bedeut. u. Wesen 4 — 6, 10 — 13, 21
—25, 27—31, 75, 76, 78, 79, 82,
129, 141, 149, 154, 155.
— , Beurteil, u. Ford., Alb. 30, 76, 77, 83.
— , Ant. 221, 222.
— , Arist. 27 — 30, 75 — 77, 80, 82, 83,
229.
— , Astes. 171.
— , Bernh. 224.
— , Bon. 128 — 131.
— , Bur. 187.
— , Dur. 175.
— , Heinr. v. G. 134, 135, 139.
— , Kirchenv. 3, 6 — 9, 12 — 14, 82, 129
[i. bes. Aug. 6, 9—14, 72. 75— 78>
82, 83, 229.
— , Op. imp. 7, 75, 82, 134, 135].
— , Hai. 62, 75 — 77, 82.
— , Lessin. 168.
— , Nider 208 — 210.
— , Mayr. 172.
— , Plato 3 — 5, 29.
— , Ricard. 141, 142.
— , Scot. 149, 154, 155, 160. 229.
— , Thomas 22, 23, 25, 75, 78 — 83,
155. 229-
— , — , Thom. v. Str. 172.
Handeln (Feilschen) 5, 133. 135, 152, 205.
Handelsgewinn a. Arbeitslohn (5), 11 — 14,
72, 75, 76, 78, 79, 82, 134, 154,
155, 164, 209 — 212, 224, 226.
— u. Zins 76.
Handwerk 5, 25. 41, 46, 47, 50, 52, 72,
79, 81, 101, 110, 115, 199.
Juden 95, 115, 136, 200.
ius percipiendi 139, 143.
iustitia distributiva 33, 34, 36 (s. u. Ge-
rechtigkeit).
Kanonisches Recht 7, 12, 77, 90 — 94, 96,
118, 156, 168, 205.
Kapitalismus (4), (5), (8), 12, 28—30, 72,
81, 115, 119, 120, 126, 135, 170,
171. 189, 194, 197, 198, 200, 201,
209, 213, 223, 225, 228 — 232.
Kaufmann, sittlich gefährdet 7, 12, 23, 76,
82, 129, 135, 155, 192.
Kauf u. Verkauf s. u. Tausch.
— d. Geldes 208, 213, 229.
Kleinhandel 4, 5.
Konkurrenz 120, 207, 209.
Konzil, Konstanz 204.
Kreditverkehr, wirtsch. Bedeut. 30, 102,
109, 112— 115, 130, 156, 174, 175,
230.
Kreditkauf 17, 118, 119, 136, 149, 158
— 160, 167, 168, 170, 190, 201, 206,
221, 222, 231.
Kurs Verschiedenheit 83, 134, 171, 212, 213,
226, 230.
Lohn, gerechter 83 — 88, 223.
Lohnzahlung, sofortige 86, 87.
— in Geld od. Natural. 189, 223.
Luxusbedürfnisse u. Wert 181, 186, 188.
Marktpreis (normaler Wert) 9, 13 — 15, 51,
60—63, 73, 74, 77, 78, 119, 120,
I31- !32. 135. H1« H2> 145. r52>
153, 162 — 164, 168, 171, 172, 182
— 184, 186, 187, 198, 202, 203, 207,
208 — 210, 218 — 220, 223, 224, 226,
227, 229.
Maximal tarif 15.
Messen, Arten 181, 182.
Naturrecht 18, 65, 66, 71, 76, 86, 105,
107, 108, 121, 127, 132, 133, 136,
140, 141, 144, 147, 148, 150, 166,
167, 173, 174, 179.
Neues Testament 6, II, 17, 59, 89, 90,
95—97. i29> 135. M5. J56-
Not (Begriff) 19, 54, 112 — 114, 130, 145;
vgl. Privateigent.
Notkredit 114.
Op. 67 17, 60, 119, 222.
Op. imperf. 7, 75, 82, 91 — 93, 102, 103.
Pachtvertrag 84, 85, 91, 92, 94, 103, 104,
106, in, 129, 136, 137, 149, 154,
156, 157, 173-
pati s. u. actio.
— 239 —
Prägekosten 193, 229.
Preis s. u. Wert; in Kreditvert. s. d.
Preisbildung i. Mittelalt. 73, 195.
Preis, nur einer z. nennen 5, 8.
Preisstufen 219 — 222, 224.
Preisunterbietung d. Advocat. 86.
Privateigentum 8, 18, 21, 127, 131, 140,
146— 148, 160, 172, 179, 180, 208, 223.
Produktivdarlehen 91, 113, 114.
Profit, durchschn. 221, 222; s. u. Gewinn.
Proportion (geom. u. arithm.) 34, 35, 37
— 41, 46, 48, 49, 51, 52, 67, 192.
Reichtum (künstl. u. natürl.) 26 — 28, 55,(1 89).
remutuatio 97.
RentengesetzgebungRud.IV. 196, 197, 202.
Rentenverträge 125, 126, 137 — 139, 142
— 146, 168 — 172, 177, 190, 194 — 196,
201 — 206, 214, 225, 231, 232.
Restitution 61, 64, 91, 110, 116 — 118,
146, 157. 167, 177,. 205, 213, 220.
Restitutionsfähigkeit 136; 200.
Roh- u. Reinzins 103.
Römisches Recht, Bestimm, üb. Kauf u.
Verkauf 14, 15, 64, 133, 164, 191,
198, 205, 209, 218.
— , üb. Darleh. u. Zins 93, 94, 97, 104,
107, 108, 114, 136.
— , üb. Geld 99, 102, 108.
— , Gesellschaftsvertr. 110.
— , Lohnvertr. 85, 87.
— , Studium d. r. R. 93, 94, 191.
— , Wert d. Zeit 163.
— , Wert u. Preis 31.
Selbstgenügsamkeit 20 — 24, 28, 29.
Seedarlehen 168, 214.
Sklave 10, 87.
Sozialismus 121, 145, 146.
Staat i. allg. 3, 4, 24, 26, 76, 148, 174,
178, 179, 199.
— u. Geldwesen 42, 44, 51, 134, 188,
189, 193, 229.
— u. Preisfixierung 5, 15, 47, 187, 194,
195, 198 — 200, 205, 206, 224, 228, 229.
— u. Rente 194. 201, 205, 206, 214.
— u. Zins 89, 91, 108, 114, 173, 175,
176, 190. 215, 216.
Staatsanleihen 206. 207, 214 — 217, 223,
225, 226, 231.
Stadtbewohner 178.
Stadtgemeinde 21 — 25, 28, 30, 41, 49, 52,
62, 71—73, J54. 195- 2o6-
Standesprinzip 8. II, 13, 18, 19, 53 — 55,
59, 71, 72, 81 — 83, 86, 87, 112,
113 — 115, 117, 120, 121, 131, 145,
147, 154, 155, 171, 175, 178, 179,
x94- x95> l97 — *99> 2°3> 2°5> 2°6,
210, 222, 223, 228 — 230.
Standesunterschiede 8.
Tausch 3, 4, 9, 21 — 53, 55, 60 — 68, 70,
73- 74- 77- 83, 84, 98, 100, 102,
103, 105, 106, 109, 110 — 112, 115,
120, 127, 128, 130 — 140, 142 — 145,
H7— 157. 159. l6°- 163 — 165, 167
— 171, 173, 176, 178, 180, 181, 183
— 187, 189, 190, 195, 198, 203, 204,
206, 208, 212, 217 — 219. 227 — 229.
Teuerung 77, 79, 174, 175, 198, 199, 222.
Tradition u. Wucherl. 98, 173, 211, 230,
231.
Übervölkerung 178.
Übervorteilung 9, 14, 15, 64, 73, 79, 132,
133. 198.
Unfruchtbarkeit d. Geldes (Geld a. Tausch-
vermittl.) 28, 91, 92, 94, 100 — 102,
106, 108, 114. 130, 133, 136, 142,
149, 153, 157, 165, 169, 173, 189,
192, 201, 213, 229.
yalor, Begriff b. Albert 50, 51.
Versicherung 206. 207, 214, 223, 225.
Vertragsfreiheit 14, 15, 133, 152, 153, 161,
163 — 165, 167, 169 — 171. 176,
185 — 188, 190, 191, 194, 195, 198,
205 — 207, 217, 218, 224, 227,228, 230.
Wechsel 206, 207, 211 — 213, 222, 224,
226, 230.
Wert, Alb. 48, 50 — 52, 62. 71, 74, 75,
151, 227.
— , Ant. 217 — 222.
— , Arist. 32, 41, 56, 66 — 74, 228.
— , Aug. 9, 10, 14, 43, 72— 74, 132,
150, 151, 176, 181, 202, 208 228.
— , Bernh. 223, 224.
— , Bon. 127, 128, 130. 131.
— , Burid. 177, 180 — 189, 191, 198, 227.
— 240 —
"Wert, Gerson 205, 206, 228.
— , Hai. 45. 62.
— . Heinr. v. G. 131 — 137, 139. 151,
164, 227.
— , Heinr. v. L. 198 — 202, 206, 227, 228.
— , Heinr. v. Oyta 202 — 204.
— . Kirchenvät. 3. 12—14 72.
— . Laurent 211, 217.
— . Lessin. 161 — 168, 170. 189. 191. 205,
219.
— , Mayron. 172, 173.
— , Xider 207 — 210.
— , Palud. 176, 177, 182.
Plato
144—146, 151.
— , Ricard. 140 — 142
183. 184, 187. 227.
— Rom. Recht 14 15, 31. 163, 228.
— , Scotus 147, 150 — 155. 160, 207. 228.
— , Schobst 15, 45, 123, 125, 131, 146,
171, 188, 191, 192. 195 196, 200,
203, 207, 217, 227 — 229.
— , Sozialis. 121.
— , Thom. v. A. 16, 31 32 36. 39. 42
—44. 52. 53, 55— 66, 70— 75, 78,
-9, 83 — 85, 87, 105, 108, 109, III.
115, 117, 120. 121, 123, 151. 155,
187, 200. 202, 203. 227 228.
— , Th. v. Str. 172.
"Wertgleichheit (Äquivalenzprinzip) 31, 33
—40, 43, 46, 47—49. 5°— 53- 6l
—63, 67. 68, 73, 85, 88, 98, 99
IO5 — 107, IO9, II9 — 121, 127, 128
131 — 135. 139, I4I — I45, 147, 148
150 — 153, 156, 163, 165, 166, 172
173. 176, 177, 183, 185, 187, 188
I90, 198. 203, 204. 206, 2IO. 212
213. 220, 228.
"Wert u. Preis 31, 187, 188 227. 231.
"Wiedervergeltung (contrapassum) 36 — 50,
52 63—65, 67, 68, 71, 72, 78, 83,
85, 110, m, 115, 172, 200, 227, 228.
Willensübereinstimmung u. Zins 114.
Wirtschaftsleben d. Mittelalters 22, 24, 25,
28, 71—73- 75- 8i, 87, 92, 93, 98,
I02, IO4, II3 — II5, 119 121, 125,
126. 130, 135, 139, 155, 160, 168,
171, 174. 176, 178, 184, 191. 193
197, 200, 206, 207, 212 — 2l6, 220
223, 228 23I.
Zeitaufwand u. Wert 70.
Zeit, Wertschätzung derselben, 144 — 146,
163, 167, 170, 205, 225, 227, 231.
Zins als Arbeitslohn 174, 175, 230.
— , Begriff 90, 94, 95, 107, 129, 165,
189, 190.
— , von Fremden 88, 89, 95, 96.
Zinskauf 125. (137), 139, 231.
Zinsverbot, Begründung: Abnutzungs-
theorie 92, 103. 130.
— , Aneignung fremder Arbeit 108 — III,
115, 121, 130, 145, 157, 165, 166,
173, 222. 230.
— , arbeitsl. Eink. 115. 165, 206, 230.
— , doppelter Verkauf 106 — 108, 136,144,
145, 156, 190, 226, 230.
— , erwähnt 174. 177, 200, 211,222,224.
— . juristische Unmöglichkeit 103 — 105,
129, 130, 156, 157. 168.
— , moralisierend. Betracht. 91, 93, 108,
130, 200, 211, 224.
— , Risikotheorie 109 — III, 130.
— , soziale Erwägungen 90, 91, 93, 190,
193. 211, 231.
— , Widerspruch gegen Natur d. Geldes 106,
vgl. Unfruchtbark. u. Kons. d. Geldes.
— . Unterstützungspflicht d. Reichen 174,
190.
— , Zeitverkauf 94, (103), (104), 108,
(118), 130, 157—159- 166, 16;. 173,
190, 217, 221, 231.
— , Umgehung 89, 116, 145, 158, 194,
200, 201, 204, 225.
— , Wirt seh. Bd. s. u. Kreditverk.
Zinstitel 89, 116 — 118, 145, 158, 159,
167, 172, 190, 200, 208, 215 — 217,
223, 225, 226, 231.
Zinszahlung 112, 113, 130. 145, 177.
Zwischenhandel 15.
Ä. Verzeichnis der benutzten Quellenliteratur.
i. Die Kirchenväter sind nach der Ausgabe von Migne zitiert.
2. Plato, Dialogi ex rec. Hermanni. Lipsiae 185 1 — 53.
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4. Corpus iuris canonici ed. Friedberg. 1879 — 81.
5. Aristotelis, Ethica Nicomachea ed. Ramsauer. Leipzig 1878.
Übersetzung von Lasson. Berlin 1909. — Politik: ed. Susemihl. Leipzig 1874.
Übersetzung und Kommentar dazu von Susemihl 1879. — Rhetorik: ed.
Roemer, Leipzig 1899. Übersetzung von Knoebel, Stuttgart 1838.
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7. Raymundus de Pennaforte, Summa casuum. Veron. 1744.
8. Goffredus de Trano, Summa in titulos decretalium. Venet. 1586.
9. Heniicus a Segusio, Hostiensis, Aurea Summa. Venet. 1605.
10. Guillermi Antissiodorensis, Summa in 4 Ib. Sententiarum. Paris. 1500.
11. Vincentius Bellovacensis, Speculum doctrinale. Duaci 1624.
[ — ], Speculum morale. Duaci 1624.
12. Alexander Halensis, Summa theologica. 4 voll. Lugduni 15 15 — 16.
13. Albertus Magnus, Opera ed. Jammy. Lyon 1651.
14. Thomas v. Aquino, Opera omnia. Parmae 1852 — 73.
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15. Aegidius Colonna, De regimine principum. Romae 1607.
16. Bonaventura, Opera omnia. Ad Claras Aquas (Quaracchi) 1882 — 98.
17. Henricus Goethals a Gandavo, Summa quaestionum ordinariarum. Paris 1520.
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18. Ricardus de Mediavilla, In 4 Ib. Sententiarum. Quodlibeta. Brixiae 1591.
19. Duns Scotus, Opera omnia. Paris 1891.
20. Aegidius Lessinus, siehe Thomas v. Aquin Op. 73.
21. Astesanus, Summa de casibus conscientiae. s. 1. e. a.
22. Walter Burlaeus, Expositio super 10 Ib. Etbicorum Aristotelis. Venet. 1500.
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24. Franciscus de Mayronis, Scriptum super 4 Ib. Sententiarum. Venet. 1504—07.
25. Thomas de Argentina, In 4 Ib. Sententiarum. Argent. 1490.
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32. Johannes Gerson, Opera omnia. Hagae Comitum 1728.
33. Johannes Nider, De contractibus mercatorum. s. 1. e. a.
34. Laurentius de Rudolfis, De Usuris. in: Tractatus illustrium iurisconsultorum
Tom. VII. Venet. 1584.
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Abkürzungen:
KL = Wetzers und Weites Kirchenlexikon 3.
RE = Realencyklopädie für protestant. Theologie 3.
H. W. St. = Handwörterbuch d. Staatswissenschaften 3.
W. d. V. = Wörterbuch der Volkswirtschaft 3.
St. d. G. = Staatslexikon der Görresgesellschaft 3~4.
Druckfehler und Berichtigungen.
S. 53, Anm. 3: Stöckl statt Stökl.
S. 108, Anm. 3: staatliche statt stattliche.
Zu S. 137, Anm. 1: Dieselbe Beurteilung des Rentenkaufes wie bei H. v. G.
findet sich bereits bei Innocenz IV (Papst 1243 — 1254). Auch letzterer steht dem
eigenüichen Rentenkauf (redditus de novo constitutus) nicht wohlwollend gegenüber.
Dagegen sind Erbleihe und Zinskauf gestattet. Die Höhe der Rente darf den Ertrag
nicht überschreiten, den der Käufer erzielen würde, »si terram de tanta pecunia emisset«.
(Appar. mirif. 1. V. De usuris. S. 194, b). Das Verdienst Heinrichs ist also wesentlich
geringer als bisher angenommen wurde.
S. 152, Zeile 29: Handelns statt Handels.
S. 177: § 4 statt § 3.
S. 191: § 5 statt § 4.
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