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gaUfreicn Paftor
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Otto £riiti baTtlcbm
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VOB OTTO BBICH HABTLSBBN «ndUMMB Miher:
Aag ele. GomOdie. 1890. S. Fiiebar, Yerlag» Bcriin.
Dl* SM>foyL Zwei Tanchtodeae GeMUehtea. 1881.
in.A«lL1901. B. Fiaolier, VerUg» BerUiL
Dar Frosch. FamiliendnuBA UMh Heailk IpM. 1891.
m. Aufl. 1900. B. FlBOher, Verlair. Bwlln.
▲Ibert Girand, Pierrot Lanalre. Rondell. 1888.
8» Fischer, Verlag, Berlin.
Haona Jagert. ComOdie. 1898. IL AniL 1901. B. Fiieher,
Verlag, Berlin.
Die Bniehung aar Bhe. Batire. 1898. IL Anfl. 1898.
B. Fischer, Verlag, BerUn.
Die Qescfalcbte vom abgerissenen Knopfe. 1898.
DL— X.A11JL 1901. B. Fischer, Verlag, Bellte.
£ln Ehrenwort. BohanspieL 1894. B. Fischer, Vedag,
i Berlin.
Ooothe-Brevier. Goethes Leben ia seinen Gediehtea*
heransgegebea yob O.B.H. 1885. Mtnehw, Karl
Bchfller, MaziBiliaastrasse 8.
Meine Verse. 1895. 8. Fischer, Vertag. BeiUn.
Aaalie Bkram, Ag noto. DeatMh von Theress Krilger
and 0. B. H. 1895. Belbstreriag. Beriia W.
Aagelns Silosins. 1896. Georg Bondl, BerUa.
Vom gastfreien Pastor. 1895. DL— X. Aai. 1901.
B. Fischer, Verlag, Beriia.
Oor rSnüsche Maler. 1898. IIL— IV. Aal. 1900.
a Fischer, Yedm, Bsrlia.
Olo Bofk«iten. Bin Binakter-Cydna. (lahalt: Die Lore
— Die sittliche Fordening — Abschied toh BegisMat
— Der Fremde). 1899. IL AoiL 1901. B. Fischer,
Veilag, Berlin.
6ta wahrhaft gnter Mensch. OonOdle. 1889.
B. Fischer, Verlag, Berlin.
Kosenmontag. Blas Oflliiers-TragOdie. 1900. X. Aefl.
1901. B. Fischer, Verleg, BerUa.
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Vom gasl/reien paslor
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Berlin 1902
S. Fischer, Verlag
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Alle Rechte vorbelialten
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V
Seinem lieben
Cheodor 5ch>^2irz
in Leipzig
mit fröhlichen Grüssenl
ROM, Mai 1895.
BERLIN, November 1897.
BERLIN, NoTember 1899.
M82414
' *
INHALT
Vom gastfreien Pastor S. 13
Der Einhorn-Apotheker . . . . „ 57
Ich erbte „121
-~<- — — <-
Vom gastfreien pastor
c •
J
C J
J j • o
Menschen, welche niemals Refe-
rendar gewesen sind, flössen
nur eigentlich stets ein unbe-
grenztes Misstrauen ein. Ich kann
mir nämlich gar nicht vorstellen, wie
in solchen Menschen jenes wünschens-
werte, gesunde Gefühl für die per-
sönliche Würde heranreifen kann,
das ich den Vater aller Tugenden
nennen möchte.
Hab ich es doch an mir selber er-
fahren. Ich hatte es als Student,
selbst in den höchsten Semestern,
niemals zu einem Zustande des Be-
wusstseins gebracht, der auch nur
annähernd den Namen Würde ver-
dient hätte. Zu den Gaben, welche
mir die gütige Natur versagt hat,
zählte ich das Talent zur Feierlich-
keit. Mit bitterem Neide sah ich
i3
• • •
VON DER MENSCHLICHEN WÜRDE,
auf die Menschen, welche, mit diesem
Talente geschmückt, keines weiteren
*W J^P^iy^^ schienen. — Und doch!
• Kaum *w€^ ich Referendar — so fing
:*: .•*tch: ^ucb Jjereits an, mir selber von
/ : '•••Tag: zit /Tag mehr Achtung abzu-
nötigen, und es dauerte gar nicht
lange, da war ich, wenigstens wenn
ich mir Mühe gab, und zumal wenn
die weite Robe des Gerichtsschrei-
bers meine jungen Glieder umrausch-
te, sehr wohl im stände, mich selber
für den Königlich Preussischen Be-
amten zu halten, den zu markieren
mir das Schicksal vorschrieb. Es ist
nicht zu sagen, wie eminent erziehe-
risch solch ein innerer Vorgang
wirktl Ich war noch keine sechs
Monate Referendar, als ich bereits
mit ungeheucheltem sittlichen Ab-
scheu auf die Opfer der Alimenten-
prozesse herabzublicken gelernt
hatte. —
Der Ort, an dem sich diese ethische
Wandlung in mir vollzog, war Stol-
berg am Harz. Die stolzeste Erinne-
14
DER COJLLSGS TRÄGER,
rung, die ich aus jenem lieblichen
Waldthal ins Leben mitgenommen
habe, will ich hier gleich vorweg-
nehmen — gewissermassen in Sicher-
heit bringen. Man denke: Albert
Träger, der deutsche Dichter Albert
Träger, damals noch Rechtsanwalt
in Nordhausen, kam eines Tages,
um jemanden vor unserm Schöffen-
gericht zu verteidigen, und bei dieser
Gelegenheit hat er mich damals
wiederholt „Herr College* ge-
nannt. Auf Ehre 1 Man muss so etwas
gefühlt haben, um es zu begreifen.
Stolberg liegt an einer Post-
chaussee, die aus der nahen Ebene
aufsteigt und weiter ins Gebirge
führt. Gleich hinter den alten und
schiefen, so wunderlich malerischen
Häusern und Hütten, die da rechts
und links an dieser Postchaussee
liegen, steigen sofort die Berge
hinauf, die fast von unten an be-
waldet sind.
Eng und begrenzt wie diese ört-
liche Lage Stolbergs ist auch der
15
DIB STOLMSRGSR UND
Sinn und das Gehirn der armen
Stoiberger. Sie kommen nicht her-
aus, Draussen, in der ebenen Gross-
stadt, befallt sie Platzfurcht, und
wenn es wirklich einmal einer fertig
bringt, draussen im Strome mit zu
schwimmen — lange hält er*s nicht
aus, und führen ihn schliesslich Heim-
weh, Sehnsucht oder andere profa-
nere Mächte in die Vaterstadt zu-
rück» so kann man sicher sein, dass
er es inzwischen zum Ortsarmen
gebracht hat, den die heimische Ge-
meinde zu unterhalten verpflichtet
ist«
Dem Fremden, der in Stolberg
einzieht, fallt es sofort unangenehm
auf, wie zahlreich kleine, verküm-
merte Kretins, kröpfige Untiere
aller Art aus dem Kot der Strasse
hervorzukriechen scheinen. So er-
hält er gleich ein richtiges Bild von
dem Menschenschlage, der in diesem
schönen Erdenwinkel gedeiht.
Hoch oben über der Stadt, diese
weithin beherrschend, ragt aus
i6
IJiRB DYN^dSTIB.
schwarzen Tannen das Schloss auf.
Ein weitläufiger Komplex verschie-
den alter weissgetünchter Häuser
mit hohen Schieferdächern, zahllosen
Mansardenfenstern und niedrigen,
klotzigen» jichteckigen Türmen — ^
so steht es da oben und scheint
eine Stadt, eine Welt für sich zu
sein.
In diesem Schlosse haust seit
Menschengedenken das Geschlecht
der ^regierenden" Grafen von Stol-
berg-Stolberg, ein Geschlecht, so
alt und vornehm, wie der liebe Gott
kaum selber. Eine schier unendliche
Reihe edler und grosser Herren hat
hier gesessen und — geherrscht.
! Jeden Nachmittag, punkt zwei
Uhr, fahrt, solange es eine Geschichte
giebt und eine Überlieferung unter
den Menschen, der jeweilig Regie-
rende wit seiner Gemahlin im offe-
nen Wagen oder Schlitten, von
zwei feurigen, schwarzen Rossen
gezogen, den Berg herab durch
die Stadt Es geschieht dies einer-
17
EINE TAKTLOSIGKEIT.
seits der Gesundheit wegen, haupt-
sächlich aber, um die ehrfürchtigen
Beg^rüssungen der oben geschilderten
«Unterthanen** erwidern zu können
und das freundliche Verhältnis zu
diesen dadurch aufrecht zu erhalten.
Ganz erstaunlich ist es und nahe-
zu unglaublich, wie vornehm die
Grafen von Stolberg-Stolberg sind!
Und wie vornehm sie zu allen Zeiten
gedacht und gefühlt haben. Man
erzählt sich davon viele und herr-
liche Beispiele. Waren sie doch
beispielsweise die einzigen unter
dem hohen Adel Deutschlands, die
damals, als der streberhafte „regie-
rende Graf von Habsburg", der
nachmalige König Rudolph, sich so
weit vergessen hatte, einen ganz
gewöhnlichen Priester auf sein Pferd
zu setzen — eine Begebenheit, die
durch Friedrich von Schiller dann
in weitere demokratische Kreise
getragen wurde — den Mut be-
sassen, mit jenem wegen dieser un-
erhörten Taktlosigkeit jeden offi-
ziellen Verkehr abzubrechen.
i8
ADOLPH XXIV,
Ein Stolberg-Stolberg soll auch
:zur Zeit der Bauernkriege, als sich
-eines Tages, kurz vor zwei Uhr
Nachmittags, ein wütender, blut-
dürstiger Haufe hungernder Bauern
zum Schlosse gewälzt hatte, ruhig
das Fenster geöffnet, seinen Schnurr-
bart gedreht und ihnen erklärt
liaben, dass es ein für allemal nicht
45U seinen Gewohnheiten gehöre,
mit Leuten ihres Standes persön-
lich zu verhandeln; ausserdem
müsse er gleich spazieren fahren
— worauf dann die Bauern natür-
lich tief beschämt und begossen
wieder abzogen.
Der zur Zeit „regierende" Graf
heisst, wenn ich mich recht entsinne,
-Adolph XXIV. Denn — so un-
wahrscheinlich es klingt — auch in
dieser erlauchten Familie gehen
immer zwölf auf ein Dutzend, also
vierundzwanzig auf zwei Dutzend.
Adolph XXIV. ist ein seelens-
guter alter Herr, wohlthätig und
«parsam, edel und milde. Er reiht
2*
DAS SCHRECKLICHE.
Sich würdig den hehren Gestalte»
seiner Vorfahren an und ist in keiner
Beziehung ein Neuerer. Seine Grund-
stimmung ist eine tiefe, aber harmo-
nisch abgetönte Melancholie; er hat,
auch wahrlich Grund genug, sich
über die Zeit, in der zu leben er
gezwungen ist, zu beklagen. Zwar"
hat er selber ja das Schreckliche-
nicht mehr erlebt, nämlich dass die
durch Gottes Gnade seinem Stamme
verliehene Souveränetät diesem im
Verlaufe schnöder, profaner Zeiter-^
eignisse plötzlich abhanden kam;
er hat es selber nicht erlebt, aber
er hat den ganzen ungeheuren
Schmerz über dieses unerforschlich-
furchtbar- tief- geheimnisvolle Ge-
schehnis gleichsam vererbt bekom-
men« Wie versteinert liegt auf
seinen offenen, sanften Zügen die
erstaunte Frage : wie ist es möglich,,
dass Stolberg-Stolberg nicht mehr
mitgezählt wird unter den deutschen
Staaten — Wie ist es möglich, dass
ich, Adolph XXIV., nicht mehr
20
DIE LANDESFARBEN,
Tnitgelernt werde von den deutschen
45chulbuben — wie ist es möglich?
Seia hochseliger Vater, dessen
Namen und Nummer ich vergessen
habe, war wenigstens im Anfehg
seiner Regierung noch mitgelernt
worden: später, als er mediatisiert
w^ar, pflegte er sich dann mit dem
'Gedanken zu trösten , dass ihn
wenigstens die gute, die alte Ge-
neration noch — auf der Schule
Tjgehabt" habe.
Auch Adolph XXIV. sucht sich
tö seiner Weise zu trösten. Er
macht das so. Wo er auch immer
in der Umgebung seines Schlosses
«inen Pfahl oder aufrecht stehenden
Balken findet, der zu irgend welchen
Verkehrszwecken dient — zum Bei-
spiel eine Tafel zu tragen, auf der
geschrieben steht: „Verbotener,
herrschaftlicher Weg.* — da lässt
*er ihn flugs mit den „Landes^
färben* — gelb und schwarz —
4>emalehl
Das ist doch immer etwas, und
91
MIT MIR IST ADOLPH BOSS.
der Preussische Staat in seiner be-
kannten liebenswürdigen Jovialität
lässt sich das ruhig lächelnd ge-
fallen und gönnt dem guten Adolph
dies „landesherrliche* Vergnügen^
Die Salamander sind in der Graf-^
' Schaft Stolberg-Stolberg ebenfall»
gelb und schwarz, doch ist es eine
böswillige Verläumdung, wenn er-
zählt wird, der Graf liesse auch sie
anstreichen. Vielmehr thut man
gut, diesen Umstand einfach auf
eine besonders devote Gesinnung
der fraglichen Bestien zurückzu-r
führen.
Mit mir ist Adolph böse. Und
im Grunde kann ich es ihm nicht
verdenken. Ich war nämlich, solange
die Welt steht, der erste Referendar»
der nach Stolberg kam und ihm
keinen Besuch machte. Das heisst^
Pardon: Besuch . . es handelte sich
dben nicht um einen Besuch, sondern
um eine Audienz, um die man schrift-
lich einkommen mnsste. Man wurde
dann auf eine bestimmte Stunde be-^
38
DJB GESTÖRTE ORDNUNG.
fohlen, lind nachdem man diese be*
stimmte Stunde lang im Frack ge-
wartet hatte, wurde einem durch
eine gelbschwarze Hofschranze mit-
geteilt, dass Illustrissimus von den
heutigen Audienzen schon zu er-
müdet sei und . . nun ja: man möchte
ein andermal wiederkommen.
Solche Vergnügungen haben für
mich nun immer verflucht wenig
Reiz gehabt, und ich verzichtete
daher leichten Herzens darau£ Die
Folge war, dass man alsbald bei
Hofe von mir als von einem revo*
lutionären Verbrecher sprach und
die Frage in ernstliche Erwägung
zog, ob man nicht durch eine diplo-
matische Intervention beim König-
lichen Hofe zu Berlin die gestörte
Ordnung wieder herstellen, beae-
hungsweise Genugthuung fordern
solle. Man kam jedoch von diesem
Gedanken wieder ab, weil man sich
überlegte, dass die HohenzoUern
doch noch ein zu junges Geschlecht
seien, als dass man sich mit ihnen
«3
\
\
EINS GNADBk
in einen standesgemässen Connex
setzen könnte.
Statt dessen wusste man es durch-
zusetzen, dass die „guten" Stolber-
ger Familien mich nach und nach
boykottierten, dasheisst, auf meinen
Besuch hin nicht mehr einluden.
Wer mich kennt, wird nun denken,
iiierauf hätte ich es eigentlich abge-
sehen gehabt, aber ich kann auf
Ehrenwort versichern, dass ich auf
eine solche Wirkung ursprünglich
nicht zu hoffen gewagt hatte^ son-
dern sie später als reine, unverdiente
Gnade empfand.
Aber was red* ich denn so viel
von Stolberg-Stolberg; ich will ja
eine Geschichte erzählen, die Ge-
schichte vom gastfreien Paston
»4
J
n.
Der einzige Freund, den ich in Stol-
berg zurückgelassen habe und
mit dem ich jetzt noch hin und
wieder fröhliche Karten wechsele^
ist merkwürdigerweise der Hotel-
besitzer und Weinhändler Eberhard.
Bei ihm, in dem alten Gastzimmer,
fand ich bald die Gemütlichkeit, um
die mich die „Gesellschaft* Stol-
bergs durch Verschliessung ihrer
„Häuslichkeit* zu bringen den Ver-
such am untauglichen Objekte ge-
macht hatte.
Es war etwas Besonderes, dieses
alte Gastzimmer. Es hatte seine
verborgenen Tiefen und gefahr-*
liehen Heimlichkeiten wie ein Buch
von Friedrich Nietzsche, Da ging
es plötzlich ein paar Stufen in 'die
Höhe, dann wieder unvermutet uni
»5
DER HORT DER OPPOSITION.
die Ecke, und auf einmal stand
man staunend vor einem niedrigen,
breiten Block oder Kasten, der in
seiner geheimnisvollen Einfachheit
alles begriffsmässige Denken zu sus-
pendieren drohte. Man atmete er-
leichtert auf, wenn einem Eberhard
nach Aufheben eines ungeheuren
Deckels den Einblick in ein fried*
liches Lager von Rotspohn und
Cigarren gewährte.
Den Mittelpunkt dieses alten ro-
mantischen Raumes bildete natur-
lich der Stammtisch der Honora-
tioren von Stolberg. Dieser Stamm-
tisch, an dem sich die Hausväter
der „guten^ Familien kaum sehen
liessen, bildete gewissermassen den
Hort der geistigen Opposition gegen
das regierende Grafenhaus. Da
residierte und räsonnierte der alte
Oberstabsarzt mit dem riesigen Ritt^
meister-Schnauzbart und gab mit
seinem blutigen Witze, dem ausser '
dem Weberschen Demokritos nichts j
heilig war, den Ton an. P^n. war
26
EINE DÄMONISCHE NATUR.
da der Amtsanwalt, der sich seine
Weltanschauung aus JohannesScherr
gebildet hatte, dabei aber äusserlich
ein korrekter, formlicher Beamter
geblieben war, der immer recht
hatte. Er besass eine grosse natür-
liche Beredsamkreit, und da er
ausserdem ein guter und gescheiter
Mensch war, so verkehrte ich mit
ihm trotz mancher wimderlichen
Schrulle, die ihm eigen war, am
allerliebsten. Er war nicht in dem
Thal geboren, sondern viel herum-
gekommen, und besass eine Freude
an Paradoxen, die durchaus nicht
kleinstädtisch war, durch die er sich
vielmehr in den Ruf einer dämo*
nischen Natur gebracht hatte«
Der Oberstabsarzt, der Amtsan-
walt und ich hatten uns bald ge-
funden und bildeten demnächst
stillschweigend einen engeren Ring
und den eigentlichen Stanmi des
Stammtisches. Wir verstanden ein-
ander alsbald schon durch Blicke
und rächten uns für unseren Zwangs-
»7
PASTOR VIEMBY&R.
aufenthalt in diesem Wust von
Rittertum und PfafFerei, wie wir
das fromme Stolberg ein für alle-
mal getauft hatten, durch manches
feinere oder gröbere Possenspiel,
in dem wir die Rollen mit einge-
borenen Stolbergern besetzten.
Unserer ganz besonderen Beach-
tung erfreute sich der juiige Pastor
Viemeyer, der dritte Geistliche am
Ort. Er war der Sohn des Stol-
terger Materialwarenhändlers Vie-
meyer und vereinigte in sich so
ziemlich alle glänzenden Eigen-
schaften des Stoiberger National-
charakters. Seit einigen Jahren war
er verheiratet und bewohnte den
zweiten Stock seines geräumigen
Elternhauses; parterre war der
Laden, und eine Treppe hoch
wohnten die Alten.
Eines Abends im Hochsommer
war das Eberhardsche Gastzimmer
überfüllt Es waren viele Fremd«
in Stolberg, und so herrschte ein
s8
SIN HUU^-OUVERJ.
ungewohntes Leben, Der Ober-
stabsarzt und der Amtsanwalt spiel«
ten mit dem Pastor Viemeyer Skat
um die Zehntelpfennige. (Höher
spielt kein Stoiberger.) Ich sass
bei einer Flasche Moselwein in dem
grossen Ledersessel und sah zu.
Der Pastor war schlechter Laune,
er hatte schon gegen dreissig Pfen-
nige verloren.
Da schlug es Neun, und alsobald
fuhr regelmässig wie jeden Abend
die Post vor. Alle Stoiberger
stürzten nach uralter Sitte an die
Fenster, Pastor Viemeyer gab mir
schnell seine Karten» und es gelang
mir, in der Eile einen NuU-ouvert
für ihn zu verlieren.
Der Post entstiegen zwei Damen,
die jetzt unter Eberhards Führung
in das dichtbesetzte Gastzimmer
traten, eine ältere und eine junge
— wie es schien, Mutter und
Tochter. Eberhard wusste einen
Platz für sie ausfindig zu machen,
und sie bestellten sich das Abend-
essen.
29
DAS WAR ZU VIEL FÜR IHN,
■)
Die jüngere Dame war eine pi-
kante Erscheinung: sehr schlank,
fast mager mit vollem, üppigem,
blassrotem Haar, ein paar dunklen,
wie versteckten Augen und frischen,
starken Lippen. Ein eigentüm-
licher Reiz ging von ihr aus . .
Die ältere Dame war sehr dick
und behäbig. Ihre lebendigen Augen
blickten freundlich und liebenswür-
dig allen Menschen ins Gesicht.
Beide waren mit grossstädtischer
Eleganz gekleidet.
Während ich mir sie in aller Ruhe
besah und mich zugleich an der
Neugier aller andern erfreute, ver-
lor der Pastor ein Spiel nach dem
andern. Denn das war zu viel für
ihn: diese beiden Damen, die so
plötzlich da hereingekommen waren,
und über die man doch nun nach-
denken musste, und dabei Skat
spielen — nein! Das war zu viel
für ihn.
— Vergeben Sie so viel Sünden,
wie Sie Lust haben, Herr Pastor,
30
SOGAR DAS BJLLARD . . .
aber hier die Karten nicht! —
schnauzte der Oberstabsarzt und
warf die Karten auf den Tisch.
Jetzt fragten die Damen Eber-
hsurd nach einem Zimmer. Der aber
zuckte in grösster Höflichkeit die
Achsehi, bedauerte unendlich und
versicherte, dass er für diese Nacht
schon alles, alles vergeben habe,
sogar das Billard, auf dem zwei
Touristen aus Sondershaüsen schla-
fen würden.
— Aber was machen wir denn
da? ~
— O, Sie werden schon noch
unterkommen, gnädige Frau. Ich
werde Ihnen nachher Friedrich mit-
geben; der wird Sie in eins der
andern Gasthäuser bringen; irgend-
wo wird wohl noch Platz sein. —
Als die beiden Damen mit Essen
fertig waren, gingen sie mit Friedrich.
Kaum waren sie draussen, sagte
ich:
— Herr Pastor, ich begreife Sie
nicht. —
— Wieso? —
31
^I^SER FASTOR IST ßlNE SFMINX,
Ich hatte' einen Blick mit dem
Amtsanwalt gewechselt. Er hatte
mich verstanden, und indem er
seine Karten musterte, sagte er:
— Ja, ich muss auch sagen, Herr
Pastor, manchmal sind Sie mir ganz
unverständlich.
— Aber was denn?
Der Oberstabsarzt hatte die Si-
tuation überschaut. Er drehte sei-
nen Riesen'^chnauzbart und meinte:
— Ja, unser Pastor ist eine Sphinx.
— Aber meine Herren, was wollen
Sie denn? —
Nun kam ich wieder dran:
— Ja, mein lieber Herr Pastor,
wenn Sie das nicht fühlen • • •
Dann der Amtsanwalt, der den
Faust gern citierte:
— Wenn Ihr*s nicht fühlt: Ihr
werdet's nie erjagen I
Und schliesslich wieder der Ober-
stabsarzt;
— Schad*t nichts, Herr Pastor:
wenn's Herz nur gut ist, Hauptsache
ist, dass 's Kind Luft hat —
32
GJiSTFRSI, HERR PASTOR/
— Nämlich — sagte ich — Sie
haben sich da eine der herrlichsten
Gelegenheiten entgehen lassen, der
Aussenwelt zu erweisen, was die
Stoiberger für weltmännische und
liebenswürdige Menschen sind. In
Ihres Vaters Hause sind viele Woh-
nungen: wie Sie hörten, dass Eber-
hard für die Damen kein Zimmer
mehr hatte, mussten Sie als Stol-
berger Patriziersohn aufstehn, sich
den Damen vorstellen und sie bitten,
gütigst bei Ihnen absteigen zu
wollen; sehen Sie, das mussten Sie
thun. Gastfrei, Herr Pastor! Immer
hübsch gastfrei!
— J^i ja, — fügte der Amtsan-
walt hinzu, — schon die Alten
schätzten die Gastfreundschaft für
eine Tugend. Aber freilich: das
waren Heiden.
— Jawohl, — knurrte der Ober-
stabsarzt, — liebe deinen Nächsten^
aber halte ihn dir vom Leibe. —
— Also, Sie meinen wirklich,
meine Herren . . .
33
DER HANHOVSRSCHB COURIBR.
— Reden wir nicht mehr davon,
die Sache ist erledigt. Jetzt werden
die Damen schon in irgend 'ner
Winkelherberge untergekrochen
sein — sagte der Amtsanwalt und
fugte in gleichgültigem Tone hinzu:
— Es thut mir nur leid um die
schöne Notiz, die ich an den „Han-
noverschen Courier*' hätte senden
können; Unser Städtchen erfreut
sich in diesem Sonuner einer ganz
besonderen Beliebtheit beim verehr-
lichen Reisepublikum. Der Zudrang
ist augenblicklich ein so grosser,
dass er nur durch die selbstlose
Opferwilligkeit unserer privaten
Mitbürger, an ihrer Spitze der Herr
Pastor Viemeyer . . . Schade, wirk-
lich schade . . . Übrigens: Tourne. —
Man spielte weiter. Der Pastor
war tief niedergeschlagen.
Nach Verlauf einer halben Stunde
kamen die Damen jammernd zurück.
Friedrich berichtete, dass alles be-
setzt sei — auch alle Billards, fügte
er gewissenhaft hinzu« Eberhard
34
EINE WELTMANNISCHE SCENE
■war ratlos, die jüngere Dame dem
Weinen nah.
Aber nun kam unser Pastor. Wie
die Damen wieder erschienen, hatten
wir ihn nur stumm und mahnend
-angesehen. Er stand auf.
— Gestatten Sie . . mein Name
ist Viemeyer. —
Erstaunt blickten die beiden Da-
men auf und — lächelten. Die Vie-
: mey ersehen Verbeugungen waren
berühmt.
Er erklärte ihnen nun, dass er
Seelsorger sei. — Auch bin ich ver-
heiratet und wohne im Hause mei-
ner Eltern, gleich hier links an der
Ecke. — Schliesslich lud er sie dann
'höflichst ein, vorlieb nehmen zu
wollen u. s. w., mit einem ganzen
Schwall kleinbürgerlicher Redens-
arten.
Es entstand eine atemlose Stille.
^Das ganze Gastzimmer hatte schwei-
•gend die Scene verfolgt, die guten
Stoiberger sahen mit Stolz auf ihren
jungen Pastor und bewunderten
"«eine weltmännische Kühnheit.
35
3»
eXOSSER ABGANG.
Als er geendet, sahen die beider»
Damen sich an, lächelten noch ein-
mal flüchtig, und dann nahm die
Altere von ihnen die Einladung mit
würdevollen Worten an.
Ganz glücklich, triumphierenden
Blickes, zog der Pastor mit ihnen
ab. —
Wir drei aber knobelten — nach-
dem sich der Schwärm verlaufen»
hatte — zur Feier eines solchen
Tages noch drei Flaschen Sekt aus..
Ich fin^ sie alle dreL
l^
HL
Den Damen schien es im Hause
des gastfreien Pastors ganz gut
zu gefallen, sie blieben ziemlich
acht Tage da. —
Am Tage vor ihrer Abreise traf
ich sie zufällig auf einem Spazier-
gange; er mit der alten Dame voran«
^eine Frau und das junge Mädchen
vergnügt hinterher. Ich grüsste ach-
tungsvoll, ging aber schnell vor-
über, denn ich verspürte einen
plötzlichen , unmotivierten Drang,
zu lachen. —
Solange die Fremden bei ihm
wohnten, liess sich der Pastor am
Stammtisch nicht sehen. An dem
Abend, wo sie abgereist waren, kam
^r.
Er war ganz voll von ihnen und
«erzählte eifrig drauf los. Die alte
37
EIN MÄDCHENPBNSIONAT.
Dame — übrigens war sie noch gar
nicht so alt, höchstens 50 — war
die Witwe eines Oberförsters, die
nach dem Tode ihres Mannes nach
Magdeburg gezogen war und dort
ein Mädchenpensionat eröflfnet hatte,,
das nun schon zwanzig Jahre bestand
und sehr gut ging. Das junge Mäd«
chen, eine Gutsbesitzerstochter aus
der Umgegend von Magdeburg, war
bei ihr in Pension. Ach, und beides
wären so reizend liebenswürdige
Damen, wirklich, sie hätten eine
entzückende Woche verlebt. Er war
ganz begeistert.
— Sehen Sie, meine Herren — rief
er aus '— ich bin ja gewiss ein guter
Stoiberger und liebe mein schönes-
Vaterland wie einer, aber ich muss-
doch sagen: hin und wieder ist so
ein Hauch von aussen riesig er-
frischend. Sie können sich zum-
Beispiel gar nicht vorstellen, wie
bildend der Umgang mit den Damen^
speziell auf meine liebe Frau ge-
wirkt hat, die ja noch nie aus Stol*
berg herausgekommen ist.
38
DER VEREIN FÜR JUNERE MlSSIOJf.
-^ Und ausserdem hat die Sache
für mich noch einen sehr praktischen
Erfolg gehabt. Nämlich beim Ab-
schied hat uns die Frau Oberförster
eingeladen, falls wir jemals nach
Magdeburg kämen, doch ja bei'
ihnen abzusteigen; sie bewohnten
ein ganzes Haus für sich, 3 Etagen . •
und wären immer auf Besuch ein-
gerichtet. Wie sie das sagte, hielt
ich es bloss für eine liebenswürdige
Höflichkeit, denn wie sollten wir
jemals aus unserm schönen Stol-
berg herauskommen? Nachher ist
mir erst eingefallen, dass ja im
nächsten Monat die Provinzialver-
sanmilung des Vereins für innere
Mission in Magdeburg tagt. Ich
hatte zwar eigentlich nicht die Ab-
sicht, hinzufahren, denn sowas kostet
immer schredilich viel Geld — aber
unter diesen Umständen — : selbst-
verständlich fahr* ich hin! Nicht
wahr, meine Herren, das würden
Sie doch auch thun? —
Wir drei hatten uns längst an-
gesehen und verständigt.
39
ALS SYNDICCrS ODBR SO.
— Aber sicher! — sagte der
Oberstabsarzt«
— Ich führe sofort! — behaup-
tete der Amtsanwalt.
— Und Sie, Herr Referendar? —
— Ich? — Wenn ich nicht preu*
ssischer Beamter wäre, würd' ich
mich überhaupt in der Pension fest
anstellen lassen. Als Syndicus oder
so.
Pastor Viemeyer lachte:
— Ach, Sie Schäker — nicht
wahr? Die Kleine war nett? Wissen
Sie, wie sie in der Pension genannt
wird? — Lilith! —
— Na also. —
— Wir lachten alle, und der
Abend schloss wiederum in Fröh-
lichkeit.
IV.
Wenn ein Stoiberger Pastor
nach Magdeburg fährt, so ist
das ungefähr eine Begeben-
heit, als wenn unsereins Venezuela
besucht. Schon vierzehn Tage vor
dem Beginn der Provinzialversamm-
lung des Vereins für innere Mission
unterhielt uns Pastor Viemeyer von
aichts anderem als von seinen Vor-
bereitungen zur Reise. Das erste,
was er sagte, wenn er abends an
den Stammtisch trat, war etwa: —
Wissen Sie, ich hab* es mir über-
legt: ich werde doch keinen Koffer
nehmen, sondern meine grosse ge-
stickte Reisetasche von meiner
Mutter; wissen Sie, es ist so*n Adler
drauf, d. h. eigentlich ist es kein
41
DIB RÜCKKEHR.
Adler . . es sieht mehr so aus wie
eine Wildsau ... —
Wir kannten die Tasche.
Mit ihr bestieg er denn auch
schliesslich eines schönen Tages die
Postkutsche und fuhr nach Nord-
hausen. Jetzt kann man schon von
Rottleberode an mit der Bahn fahren.
Schon nach drei Tagen war er
wieder da. Bleich und verstört trat
er an den Stammtisch. Er setzte
sich still in eine Ecke und gab auf
alle Fragen nur kurze, ausweichende
Antworten. Dabei trank er ziem-
lich schnell einen Schoppen nach
dem andern und zwischendurch, was
sonst gar nicht seine Art war, meh-
rere Schnäpse. Doornkat.
Schliesslich, ziemlich spät in der
Nacht, als alle andern gegangen und
wir drei Säulen des Stammtisches
mit ihm allein waren, fasste er sich
ein Herz und erzählte:
— Ach, meine Herren! Wir Stol-
berger sollten wirklich unsre schöne
Vaterstadt nicht verlassen. Ich bin
43
IM SALON.
nun kaum hinausgekommen, und
schon ist ein fürchterliches Unglück
über mich hereingebrochen. Und
was das Schlimmste ist, ich verstehe
es gar nicht . . ich kann es mir nicht
erklären • * ich weiss gar nicht, was
mir eigentlich passiert ist. Also bitte
hören Sie mich an: ich werde ganz
ruhig erzählen. Bevor ich fortfuhr,
hatte ich zwei Tage früher einen
Brief an die Frau Oberförster ge*
schrieben, dass ich dann und dann
ankäme. So fand ich denn alles zu
meinem Empfange bereit. Es war
nachmittags so gegen fünf Uhr, als
ich ankam. In einem Salon, eine
Treppe hoch, fand ich das ganze
Pensionat beim Kaffee versammelt.
Ich wurde wie ein alter Freund
begrüsst, mit einer ungenierten
Herzlichkeit . . wirklich sehr nett.
Überhaupt herrschte in der Pension,
wie ich gleich von Anfang an be-
merkte, ein viel freierer und unge-
nierterer Ton, als wir ihn hier ge-
wohnt sind. Hier bei meinem Amts-
43
UND DIB MÄDCHEN LACHTEN
bruder Pfitzner zum Beispiel geht
alles unendlich viel steifer zu. Da
merkt man eben die Grossstadt.
— Also ich musste nun mit ihnen
KafFee trinken. Die jungen Mäd-
chen, es waren so gegen zehn, alle
sehr hübsch und riesig geschmack-
voll angezogen . . allerdings: unsere
Damen würden da nun wieder als
Prüderie manches auszusetzen ge-
habt haben . . na, Sie wissen ja,
wie das ist. — Wir amüsierten uns
sehr gut; ich plauderte, erzählte
ihnen von Stolberg, und die Mäd-
chen lachten darüber in einem fort,
ich habe noch nie so viel lachen
gehört.
Schliesslich kam Besuch. Sie
meinten alle, das wäre nichts für
mich, und ich war auch wirklich
zu abgespannt von der Sache. Lilith
führte mich eine Treppe höher in
ein kleineres Zimmer, wo ich dann
zu Abend ass. Die Zimmer waren
übrigens alle riesig gemütlich und
anheimelnd. Nur standen überall
44
AM OFFENEN FENSTER,
Betten. Daran merkte man, dass
man in einer Pension war.
Die Frau Oberförster sah ich den
Abend nicht mehr, sie blieb untea
bei ihrem Besuch . • ebenso die
andern Mädchen. Nur Lilith leistete
mir noch Gesellschaft, und da ich,
wie gesagt, müde von der Reise
war, brachte sie mich schon früh zu
Bett — noch eine Treppe höher.
Sie sagte mir, dass sie in dem
Zimmer nebenan schliefe, und wenn
ich noch was brauchte, sollt' ich
nur klopfen. —
Ich schlief wie ein Stein bis zum
andern Morgen, wo ich wie ge-
wöhnlich punkt sieben Uhr auf-
wachte. Da noch alles ganz still
im Hause war, mocht ich nicht
stören, sondern nahm aus meiner
Reisetasche meine Patentpfeife,
schraubte sie mir zusammen und
rauchte. Und zwar — wie das hier
jeder Mensch thut — indem ich
mich ans offene Fenster setzte und
die Pfeife zum Fenster hinaushängen
liess.
45
SPÜLEBOOM LAUFT DAVON.
Es war ein wunderschöner Mor-
gen. Ich träumte so recht behag-
lich und blies den Rauch in den
Wind. —
Da auf einmal: wer biegt um die
Ecke? Mein alter Freund und
Studiengenosse Friedrich Spüle-
boom aus Halberstadt, mit dem ich
vier Semester lang in Göttingen
jeden Tag zusammen gegessen hatte.
Ich wusste: er war inzwischen Pastor
in der Nähe von Halberstadt ge-
worden, aber wir hatten uns seit
der Zeit nicht mehr gesehn.
Ich rufe also in der Freude
meines Herzens herunter: „Spüle-
boom, Bruder, bist Du's denn
wirklich?"
Was glauben Sie, meine Herren,
was thut Spüleboom? Wie er mich
sieht, starrt er mich erst einen Augen-
blick wie entsetzt, wie entgeistert
an und dann — läuft er davon.
Was sagen Sie?l Läuft wie ein
Dieb, so schnell ihn seine Beine
tragen! —
EIKB WEICHE HAND,
Wissen Sie: er war ja inuner
schon ein bisschen verrückt, schon
auf der Universität — machte Ge-
dichte und alles Mögliche, aber —
dies könnt ich mir denn doch nicht
erklären. Ich schimpfte laut vor
mich hin.
Da fühle ich plötzlich eine weiche
Hand auf meiner Schulter. Ich
drehe mich um — war's Lilith.
Ich muss sagen y dass ich mich
ordentlich genierte. Sie war noch
nicht angezogen, ihr schönes rotes
Haar war noch nicht gemacht, und
sie lächelte mich so freundlich an • • .
Ich war verlegen und wusste
nicht recht, was ich sagen sollte . •
Sie schloss zunächst die Fenster-
läden. Die Morgenluft war auch
wirklich recht frisch. Dann fragte
sie leise:
— Darf ich Ihnen den Kaffee hier
in Ihr Zimmer bringen?
— Ja gewiss, sagt' ich, gern,
wenn Sie so freundlich sein wol-
len • . •
47
ZIEMLICH VIEL KÜCHEN,
— Und darf ich auch mit Ihnen
trinken, Herr Pastor? —
Das gute Kind war so zutrau«
lieh . . wirklich reizend!
Na also: sie kam dann mit dem
Kaffee wieder, und wir setzten uns
zusammen aufs Sofa und tranken
ihn. Auch sehr schöner Kuchen
war da, von dem ich ziemlich viel
ass — wie meinen die Herren? —
— Nichts, nichts, Herr Pastor.
Also — : Sie assen ziemlich viel
Kuchen? —
— Ja, na und dann war die
Stunde herangekommen, wo ich in
die Versammlung musste. Und nun
kommt das Unglaubliche: der erste,
den ich erkenne, ist wiederum mein
alter Freund Fritz Spüleboom. Wie
ich aber auf ihn zugehen will, zieht
er sich schleunigst zurück in das
Gedränge der andern. Und nun
dauert es gar nicht lange, da be-
merk* ich, wie mich bald der eine,
bald der andere so scheu und finster
von der Seite ansieht • • Und wenn
48
WAS ZUVIEL IST, IST ZUVIEL,
ich einen anrede, antwortet er nicht,
sondern thut, als wenn er nichts
gehört hätte, und wendet mir in
aufialliger Weise den Rücken . • .
Ganz scheussliche Situation! Ich
besehe mich von oben bis unten,
ob ich was an mir habe • • ich
prüfe meine Stiefelsohlen . . spüre
nichts, absolut nichts.
Die Verhandlungen nehmen ihren
Verlaut Obgleich ich mich für den
Verein für innere Mission stets leb-
haft interessiert habe, höre ich nur
mit halbem Ohr zu, denn ich bin
yiel zu sehr mit mir selber be-
schäftigt. Als dann endlich die
Sache zu Ende ist, und ich gehen
will, werde ich ztun Präsidenten des
Landeskonsistoriums gerufen.
Ich komme hin: „Herr Pastor
Viemeyerl Es scheint mir doch, dass
Ihnen eine würdige Auffassung der
ernsten Aufgaben des Vereins für
innere Mission abgeht. Ich will
keine langen Worte machen. Die
Sache widert mich an. Was zuviel
ist, ist zuvieL Einstweilen werdet
49
MIT DER LANGEN PFEIFE.
Sie sich unverzüglich nach Stoiber^
zurückbegeben. Dort werden Sie
das Weitere von mir hören,* Damit
dreht* er sich um und ging • • •
liess mich stehn.
Und nun frag' ich Sie, meine
Herren 1 Beschwöre Sie: sagen Sie
mir, ich bitte Sie: was kann das
sein? Was kann dem zu Grunde
liegen? Dass man sich am frühen
Morgen mit der langen Pfeife zum
Fenster hinauslegt, du lieber Gott,
das mag ja kleinstädtisch sein,,
meinetwegen auch ungehörig, wenig-
stens für einen Geistlichen. Aber
unmöglich kann das doch ein solches
Verbrechen sein . . . Wie? —
Wir verharrten nach Schluss dieser
Rede eine Zeit lang in tiefem
Schweigen. Die Situation war doch
precär geworden . . .
Schliesslich ergrijGT der Oberstabs-
arzt das Wort:
— Sagen Sie, Herr Pastor, haben
Sie die Sache mit der • • der Frau
Oberförster besprochen? —
50
SIE HAT BEZIEHUNGEIf.
— O doch, gewiss! Die gute Frau
war ganz unglücklich, ganz unglück-
lich, — sie hat sogar geweint. —
— So.
— Ja, und hat immer versucht,
mich zu trösten. Und ganz zum
Abschied sagte sie: Ich möchte mich
nur beruhigen: sie würde die Sache
^chon ins Reine bringen. —
— Sie. — —
— Ja, — Sie war ganz erregt.
Sie versprach mir, sie würde persön-
lich zu dem Herrn Präsidenten gehen.
Sie würde ihm bezeugen, dass wir
das hier alle so machen. Ich meine
mit der Pfeife morgens. So zum
Fenster hinaus. — Sie hätte Be-
ziehungen zu dem Herrn Präsidenten.
Sein Sohn, der Landrat, wäre öfter
bei ihr gewesen, und ein Bruder
Von ihm, dem Präsidenten, hätte
sogar mal ein Mädchen bei ihr
gehabt. — Auch kenne sie eine
^anze Anzahl von meinen Amts-
brüdern persönlich. Sie würd*
«s schon machen!
5«
BIN KLEINSTÄDTISCHES VORURTEIL,
Wir atmeten erleichtert auf.
Nachdenklich sprach der Amts-
anwalt:
— Wissen Sie, Herr Pastor, wie
ich hiernach die Verhältnisse be-
urteile — Sie wissen: ich war früher
Lazarettinspektor in Magdeburg und
weiss also dort Bescheid — nach
meiner Überzeugung können Sie
hiernach — voll und ganz beruhigt
sein. Wenn sich die Frau Ober-
förster bei ihren sicherlich sehr
weitgehenden Verbindungen in dieser
energischen Weise Ihrer annimmt
— dann kann Ihnen nie und nimmer
was geschehn. —
Ich pflichtete dem Amtsanwalt
eifrig bei und fügte hinzu:
— Aber da sehen Sie's nun mal
wieder, Herr Pastor: die eigent-
lichen Kleinstädter leben doch nur
in der Grossstadt. Denn sagen Sie
selbst : giebt es etwas Kleinlicheres^
als sich an eine solche Ausserlich-
keit, wie dieses zum Fenster Hinaus-
rauchen, zu stossen? -^ —
53
K^ÖTTINGEN JST EINE WELTSTADT.
— Nein, das muss ich auch sagen:
■das haben wir doch als Studenten
in Göttingen ganz ruhig gethan. —
— Ja Göttingen — rief der Ober-
stabsarzt — Göttingen ist eine
Weltstadt im Vergleich mit Magde-
burg!
Nun wurde es sehr fidel.
Wir tranken auf das Wohl des
Vereins für innere Mission.
Der Pastor, von seinen Sorgen
befreit, geriet schnell ausser Rand
und Band — wir mussten ihn von
Friedrich in seines Vaters Haus
geleiten lassen. —
Wir drei aber knobelten wiederum
^ur Feier des Tages drei Flaschen
4Sekt aus, und ich fing sie wiederum
alle dreL
53
^^^"^OF'^I^
Per €inhorn-)\pothßker
Die Thätigkeit eines Referendars
ist schon deshalb eine der vor-
nehmsten unter allen mensch-
lichen Thätigkeiten, weil sie niemals
durch Maschinen- Arbeit ersetzt und
überflüssig gemacht werden kann.
Während nämlich auf allen anderen
Gebieten mit jeder neuen Erfindung
eines geriebenen Mechanikers so
und so viele „Hände", welche doch
nicht bloss arbeiten, sondern auch
Lohn empfangen wollen, erspart
werden, trotzt der Referendar mühe-
los allen Erfindern noch so guter
und billiger Schreibmaschinen; denn
wie billig eine solche auch sein
mag: er ist noch billiger; er ist
gratis. Darin besteht seine unein-
nehmbare Stellung, darauf beruht
seine Würde, das ist sein Rang«
57
ICH SCHRIEB,
So oft ich Über den mir ge-
wordenen Beruf nachdachte, um so
sinnvoller erschien mir die Ver-
knüpfung meines Schicksals. Was
war seit meinen Kinderjahren mein
Traum, meine Sehnsucht gewesen?
Schreiben! Schreiben zu dürfen,
womöglich ein richtiger Schrift-
steller zu werden. Nun, das war
mir im wesentlichen in Erfüllung
gegangen. Schreiben durfte ich,
schreiben konnte ich, schreiben
musste ich sogar. Und wenn es
einstweilen weniger meine eigenen
Gedanken und Gestalten waren,
die ich auf das Papier brachte,
sondern meistens diktierte Proto-
kolle, so musste ich mich mit dem
Gedanken trösten, dass nicht alles
auf einmal kommen könne. Jeden-
falls : das Sinnfaltige, das Materielle
meiner Wünsche hatte ich erreicht:
ich schrieb.
Und das in Stolberg. Länger
als neun Monate habe ich in diesem
süssen Erdenwinkel dem preussi-
58
EINE EMREN'ERKLARUNG,
sehen Staate meine bescheidenen,
aber unbezahlbaren Dienste leisten
dürfen. Ist es da ein Wunder, dass
mir das Städtchen ans Herz ge-
wachsen ist, und dass meine Ge-
danken oft und mit Vergnügen zu
jenem Referendariats-Idyll zurück-
kehren?
Aber auch die lieben Menschen,
die dort wohnen — es sei ferne
von mir, dass ich ihnen etwas Bos-
haftes oder Unrechtes nachrede.
Vor allem muss ich zu ihrer Ehre
und um sie vor Zweideutigkeit zu
schützen, rühmend hervorheben,
dass sie, wenigstens soweit sie der
„besseren" Gesellschaft angehörten,
sehr bald, nachdem sie mich kennen
gelernt hatten, den offiziellen Ver-
kehr mit mir abbrachen — es kann
auf sie auch nicht der Schatten
eines Verdachtes fallen, als ob sie
jemals mit mir sympathisiert hätten.
Ich glaubte diese Erklärung dem
Rufe jener ehrlichen Leute schuldig
zu sein und will nun auch erzählen,
59
VOM RINGBSTBCHEN,
was den ersten Anlass dazu gab,
dass ich es mit ihnen verdarb.
Der Konsistoriakat Pfitzner, der
ältere Amtsbruder des gastfreien
Pastors Viemeyer, hatte auch ein
Mädchenpensionat« Jedoch war
dieses von anderer Art als jenes
der Frau Oberförster in Magdeburg:
der Unterschied war sogar dem
Pastor Viemeyer aufgefallen, der
sich dahin äusserte, dass ihm die
Mädchen in Magdeburg „wesentlich
geweckter" vorgekommen wären.
Zu den erlaubten Ausschweifun-
gen dieses Mädchenpensionats ge-
hörte das herzerquickliche Ringe-
stechen oder Reifefangen. Es ge-
schah dies aber also. Man verteilte
sich auf einer Wiese in zwei Gruppen,
und jeder nahm ein kleines Rohr-
stöckchen in die Hand. Mittels
dieser Rohrstöckchen suchte man
dann kleine Reifen, welche eben-
falls von dünnem Rohre gefügt
waren, teils einander zuzuwerfen,
teils sie aufzufangen. Wenn man
nämlich einen in hohem Bogen auf
60
BIN SCHÖNES WORT.
einen zufliegenden Reif kunstge-
recht aufgefangen hatte, empfand
man eine sanfte Genugthuung; wenn
es misslang, hatte man das Gefühl
eines leichten Argers, und im ganzen
war es eine sehr gesunde Be-
wegung.
Die jüngeren Herren vom Gericht
wurden zu diesen Vergnügungen
mit Vorliebe kommandiert; sie
standen in dem Rufe einer beson-
deren Begabung für jenes sinnige
Spiel, was der geistreiche Assessor
Rothe in das schöne Wort fasste:
Ein richtiger Jurist trifft nicht bloss
stets ins Schwarze, er weiss auch
ins Weisse zu treffen. Mit dem
Weissen meinte er aber den leeren
Raum innerhalb der Rohrreifchen.
Dieser Scherz wurde häufig wieder-
holt.
An der wundervollen Chaussee,
die von Stolberg nach Rottlebe-
rode aus dem Harz hinausführt,
liegt, etwa eine halbe Stunde von
Stolberg entfernt, ein einsames
Wirtshaus, hart an der Felsenwand,
6i
FRÄULEIN HANNCHBN AUS BREMEN.
in die der Wirt seine Keller ge-
schlagen hat. Dem Wirtshaus ge-
genüber, an der anderen Seite der
Chaussee, breiten sich einige Wald-
wiesen aus, und diese waren zur
Sommerzeit häufig der Schauplatz
der erwähnten kindlichen Spiele.
An einem herrlichen Juni -Tage
hatte dort bis zur sinkenden Sonne
der Kampf getobt, und man schickte
sich schliesslich einträchtiglich zum
Heimgange an. Hierbei geschah
es, dass ich mit Fräulein Hannchen
aus Bremen und dem Einhorn-
Apotheker zusammengeriet und mit
diesen beiden trefflichen Menschen-
kindern vereint die Strasse fürbass
schritt.
Fräulein Hannchen war, wie ge-
sagt, aus Bremen, und das war
wohl das Charakteristischste an ihr.
Im übrigen war sie jenes junge
Mädchen, das schon so unzähligen
Komödienschreibern den Vorwurf
schablonenhafter Mache eingetragen
hat, weil — ein jeder von ihnen — mit
62
DER EINHORN-APOTHEKER.
heiaeem Bemühen, danach gestrebt
hatte, es möglichst echt und natur-
getreu wiederzugeben.
Sie hatte einen blonden Mozart-
Zopf, hellgraue Augen und einen
gewissen schwärmerischen Zug im
Schnitt ihrer Taille. Ihre Rede war
Ja, Ja und Nein, Nein, was darüber
war, war meistens vom Übel. Sehr
häufig sagte sie jedoch auch Ach*
Wesentlich interessanter und con-
tourenreicher war da schon der
Einhorn-Apotheker. Er hatte vor
allem eine , Weltanschauung", auf
deren Besitz er viel Wert legte.
Worin diese bestand, kann ich jedoch
nicht mit wünschenswerter Klarheit
angeben, da er meist erst in vor-
gerückter Nachtstunde darauf zu
sprechen kam. Ich erinnere mich
nur, dass er durchaus auf dem
Boden des kategorischen Imperativs
unseres grossen Kant stand : „durch-
aus".
Auch sonst war er ein ernster
Mensch und für ein durchschnitt-
63
FREMDARTIGE GEWACHSS,
liches Alltagsgespräch schwer zu-
gänglich. So kam es denn auch,
dass er jetzt schweigsam neben
Fräulein Hannchen aus Bremen ein-
herging, und es mir überliess, das
liebe, junge Mädchen zu unterhalten.
— Ach sagen Sie doch, Herr
Referendar: was sind das eigentlich
für merkwürdige Bäume, die hier
überall an den Chausseen wachsen ? —
Die Bäume, die sie meinte, waren
ganz gewöhnliche Buchen, die jedoch
der herrschaftliche Geschmack der
regierenden Grafen von Stolberg-
Stolberg zu allerlei stereometrischen
Figuren, Pyramiden, Kegeln, CyKn-
dern und dergleichen hatte zu-
stutzen lassen.
Fräulein Hannchen aus Bremen
hatte sich wohl dadurch irreführen
lassen und sah die Bäume für fremd-
artige Gewächse an, nach deren
Herkunft sie sich bei mir erkundigte.
Da ich meine Mitmenschen nur un-
gern in ihren Illusionen störe, er-
widerte ich nach einigem Nachsinnen
64
ZUR BEFREIUNG DER JUDEN.
und nachdem ich einige botanische
Forscherblicke um mich geworfen
hatte:
— Ja, wissen Sie denn das noch
nicht, mein gnädiges Fräulein? Diese
Bäume sind ja eine der grössten
Merkwürdigkeiten des Stolberg-
schen Vaterlandes. Sie haben doch
gewiss schon davon gehört, dass
einer von den erlauchten Vorfahren
unseres Herren Grafen einen Kreuz-
zug mitgemacht hat*
— Achl — rief Fräulein Hannchen,
— welchen denn? —
Ich geriet in Verlegenhdt. Um
mir jedoch keine Blosse zu geben,
sagte ich rasch:
— Den Kinder-Kreuzzug. —
— Ach ! — rief das wissensdurstige
Fräulein Hannchen, — wozu wurde
der denn eigentlich unternommen? —
— Nun . . also . . hm . . zur Be-
freiung der Juden. Jawohl. — Adolf
war damals noch recht klein. Er
hiess nämlich auch Adolf — der
'Vorfahr. Wie Sie wissen, ging es
6s
DER HEILIGE GEORG,
mit dem Kinder-Kreuzzug damals
ziemlich schief: auch der kleine
Adolf wäre beinah umgekommen.
Seine Beinchen thaten ihm so weh,
dass er schliesslich mitten im ge-
lobten Lande liegen blieb und gar
nicht mehr weiter wollte. Wenn
er aber da so allein zurückgeblieben
wäre, hätten ihn ganz sicher die
wilden Tiere gefressen. Da erschien
ihm der heilige Georg wissen
Sie, gnädiges Fräulein, so erzählt
es die Legende, Thatsächlich wird
es wohl irgend ein älterer, wohl-
wollender Herr gewesen sein. Der
sprach: Komm, kleiner Adolf, hebe
deine Batterbeinchen auf und lauf
noch ein Endchen mit, bis wir ans
Meerkonunen. Aber der kleine Adolf
war verzagt und weinte und sagte:
Nein, hier muss ich bleiben und
sterben. Da riss der heiUge Georg,
oder wer es nun war, ein ganz
dürres Reis aus dem Boden, reichte
es dem kleinen Adolf und sprach:
Du wirst nicht eher sterben» als
66
DAS WUNDERREIS.
]>is Du dies Reis in den Boden
Deiner Heimat eingegraben und
<laraus einen stattlichen Baum hast
erstehen sehn.
— Ach, wie nett! —
Ja: dieser heilige Georg der Le-
bende muss zum mindesten ein guter
Menschenkenner gewesen sein, denn
der kleine Adolf fasste krampfhaft
nach dem dürren Reis und stapfte
wieder mutig weiter. Er ist denn
auch glücklich wieder nach Stolberg
heimgekommen. Das erste, was er
that, war natürlich , dass er das
Wunderreis einpflanzte — und siehe
^a, es wurde ein seltsamlich ge-
formtes Bäumchen, dergleichen man
vordem niemals dahier gesehen.
Und von dem ersten Bäumchen
stammen alle ab, die Sie hier —
und nur hier so häufig sehn* Es
wundert mich wirklich, dass Ihnen
der Herr Konsistorialrat diese Ge-
schichte von den Bäumen aus Judäa
noch nicht erzählt hat. —
— Ach der — was Hübsches er-
zählt der einem ja nie, —
6*
FAGUS SYLVATJCA,
Der Einhorn - Apotheker hatte
unser Gespräch schweigend mit an-
gehört, und obwohl er doch i»
botanischen Dingen erfahrener sei»
musste, als ich, nahm er keine
Gelegenheit, sich einzumengen, son-
dern sah ernsthaft vor sich hin.
Als wir uns später von den Damen
und der übrigen Gesellschaft vor
der Thür des Herrn Konsistorial-
rats verabschiedet hatten und in
Eberhards gemütlichem Gastzimmer
beim Weine sassen, sagte er:
— Nun sagen Sie mir mal offen^
glauben Sie an die Geschichte«
die Sie dem Fräulein Hannchen
vorhin erzählt haben?
— Aber lieber Herr Constantinr
was denken Sie von mir: sie ist
mir- beim Sprechen so eingefallen.
— Nun ja: das dacht* ich min
Aber sehen Sie, das find* ich nun
nicht recht von Ihnen. Das ist
nämlich die ganz gemeine Buche^
Fagus sylvatica.
— Aber lassen Sie mir doch meinea
Spass.
68
NEUTRALiB DINGE.
— Ja: Sie verwirren dieses junge
Mädchen, das in seinen botanischen
Kenntnissen offenbar noch nicht
recht sicher ist . • •
Ich brach das Gespräch ab, und
wir redeten bald über harmlose und
neutrale Dinge • • • Monarchie,
Religion, Ehe, Eigentum und der-
gleichen.
Zu derselben Zeit aber wollten
es meine Sterne, dass die Familie
des Konsistorialrats Pfitzner mit all
ihren Pensionärinnen um den grossen,
runden Tisch beim Abendessen ver-
sammelt sass und dass Fräulein
Hannchen aus Bremen ihr Münd-
chen aufthat und fragte:
— Ist das wirklich wahr, Herr
Konsistorialrat, der Herr Referendar
hat mir erzählt, die beschnittenen
Bäume an der Chaussee wären
alle von jüdischer Abstammung? —
Das entsetzliche, qualvoll lange
Schweigen, das nach dieser un-
geschickten Frage eintrat, wurde
69
so LASS7 UNS DENN BETEN.
erst unterbrochen, als der Herr
Konsistorialrat wie allabendlich die
Hände faltete und sprach:
— So lasst uns denn beten • • •.
70
i
n.
Damit war es mir geglückt^ in
den erfreulichen Ruf zu ge-
raten, dass man mich nicht
gut mit jungen Mädchen zusammen
einladen könne, weil ich zu wenig
Respekt vor ihrer Unschuld an den
Tag lege« Und so kam es, dass
man mich von Stund an von dem
Ringelchen- Werfen dispensierte. Ein
älterer Assessor, der das Grund-
buchwesen bearbeitete, und von
dem man bereits geglaubt hatte,
absehen zu dürfen, wurde wieder
hervorgesucht und musste an meiner
Stelle auf der grünen Wiese hüpfen.
Ich aber begann mich mehr und
mehr für den seltsamen Einhorn^
Apotheker zu interessieren. Seit
jenem Abend musst ich ihn im
Stillen stets mit jenen Bäumchen
71
EINE MANNERSCHÖNHEIT,
aus Judäa vergleichen, die so künst-
liche Contouren trugen und im
Grunde doch gemeine Buchen
waren.
Er war einige Jahre älter als ich,
etwa dreissig Jahre alt und von
tobef stattlicher Figur. Er hatte
einen dicken Kopf und ein volles
Oeisicht, das von einigen Schmissen
verziert war. Grosse, runde, etwas
blöde Augen, ein strammgezogener^
starker Schnurrbart und ein Grub-
chen im Kinn machten ihn ent-
schieden zu einer Männerschönheit.
Sein dunkelblondes Haar trug er
in der Mitte gescheitelt und fest
anliegend. . Er lachte fast nie, und
seine grosse, breite Stirn zeigte
eine starre, unbewegliche Glätte.
Er stammte aus einer wohl-
habenden Familie aus Duisburg im
Rheinland.' Sein Vater, der auch
eine Apotheke hesass und dessen
Nachfolger Constantin eigentlich
hatte werden sollen, hatte ihm die
Einhorn- Apotheke zu Stolberg ge-
73
NAPHTUALIir,
kauft, da er sich selber noch rüstig
fühlte, und da zwei Apotheken ein-
träglicher sind denn eine.
Constantin war unverheiratet, ein
spröder Junggeselle. So viel Mühe
sich auch begreiflicher Weise alle
Stoiberger Familien, die mit ehe-
benötigten Töchtern behaftet waren,
um ihn gaben, so uneinnehmbar
und wacker hielt er aus. Selbst
Müttern gegenüber, deren Wesen
so lieblich war, dass man sich
ordentlich danach sehnen musste,
sie zu Schwiegermüttern zu besitzen,
wusste er seine Standhaftigkeit zu
bewahren. Als ihm eine von diesen,
die Frau Obersteuereinnehmer Stiel-
chen, die immer stark nach Naph-
thalin roch, weil sie eine aber-
gläubische Angst vor den Motten
hatte, als ihm diese einmal eines
Abends eine etwas breite, aber
anschauliche Schilderung der häus-
lichen Tugenden ihres Clärchen ent-
worfen hatte, erwiderte er schliess-
lich mit ernster Bescheidenheit:
73
NOCH ZU JUNG DAZU.
— Ja, ja . . . aber ich glaube,
ich bin noch zu jung dazu. —
Diese in höchster Not und Enge
gefundene, höchst mangelhafte Ent-
schuldigung wurde natürlich von
der entrüsteten Frau Obersteuer-
einnehmer weiter erzählt und wurde
der Ausgangspunkt für eine ganze
Reihe abenteuerlicher und unge-
rechter dunkler Gerüchte über den
Einhorn- Apotheker.
Obgleich in Stolberg nicht der
geringste Boden war für die Be-
thätigungen einer unverheirateten
Mannesseele, und es ihnen daher
eigentlich gleichgültig sein konnte,
hielten doch die Stoiberger mit
Entschiedenheit darauf, dass sich
ihre Jünglinge im Besitze der all-
gemeinsten männlichen Fähigkeiteil
befanden : sie dachten darüber etwa
wie mein philosophischer Freund,
der Papa Heilmann, über die all-
gemeinen bürgerlichen Ehrenrechte,
von denen er sagte: Ich mache
zwar keinen Gebrauch davon,
möchte sie aber doch nicht missen.
74
DIE ANIMALISCHE EHRE,
Die verletzten Eltern der ver-
schmähten Töchter zögerten also
nicht lange, den rätselhaften Ein-
horn-Apotheker in ihren frommen
Conventikeln durch allerlei ver-
stekte Andeutungen, durch Aus-
brüche christlichen Bedauerns und
dergleichen nach und nach um seine,
wie soll ich sagen? — animalische
Ehre zu bringen.
Eines schönen Abends kam der
alte Oberstabsarzt aus so einer gott-
gefälligen Gesellschaft zu uns nach
Eberhard an den Stammtisch, und
nachdem er sich einige Male
wichtig den Schnauzbart gedreht
hatte, sag^e er mit der ihm eige-
nen, gewinnenden Offenheit:
— Wissen Sie denn das Neueste,
meine Herren? Unser Einhorn- Apo-
theker soll ja ein Castrat seini
— Ach was!
Eberhard und ich lachten laut auf.
Nicht so der Amtsanwalt, dessen
Halsadern anschwollen. Zornrot
rief er:
75
DAS HEILIGSTE,
— Ich begreife nicht, wie Sie
darüber lachen können, meine
Herren. Beim heiligen Sebastian:
es ist eine Gemeinheit! Nichts
ist mehr sicher vor den Pfeilen des
boshaften Klatsches dieses bornier-
ten Kleinstadt-Gesindels! An. das
Heiligste tasten siel Selbst an
unsere Manneswürde wagen sie zu
greifen, o pfui, pfui über sie!
Während wir noch lachten, trat
der Einhorn-Apotheker selbst ins
Zimmer. Er pflegte um lo Uhr
abends seine Apotheke zu schliessen
und sich dann zwar nicht jeden
Abend, aber dreimal in der Woche
zu Eberhard zu begeben.
— Guten Abend, meine Herren.
— Guten Abend ! — Wir schüttel-
ten ihm mit besonderer Herzlichkeit
die Hand, und es herrschte an diesem
Abende von vornherein eine vor-
zügliche Stimmung. Wir beschäftig-
ten uns fast ausschliesslich und un-
gewöhnlich liebenswürdig mit ihm,
dem böse Menschen hinterrücks so
übel mitspielten.
76
DIE REIHE DES EHEBETTS,
— Nun sagen Sie mal, mein Ver-
ehrtester — sagte plötzlich der Ober-
stabsarzt mit erhobener Stimme —
wie steht es denn nun eigentlich
mit Ihrem werten Liebesleben?
— Womit? — fragte der Einhorn-
Apotheker ganz erschrocken.
— Mit Ihrem werten Liebesleben,
wiederholte der Oberstabsarzt und
kaute mit ingrimmigem Behagen an
seiner Cigarre.
Constantin lächelte verduzt, und
ich legte mich ins Mittel. Im Ton
des Vorwurfs sagte ich:
— Aber Herr Oberstabsarzt, wo
denken Sie hin! Meinen Sie denn,
jeder junge Mann müsste eine so
stürmische Jugend durchkosten, wie
die ihrige war. Nein, Gott sei Dank.
Noch giebt es deutsche Jünglinge,
die da hübsch warten, bis die Reihe
des Ehebetts an sie kommt.
Das half.
— Oho! rief der Einhorn- Apo-
theker — halten Sie mich nicht für
einen solchen Duckmäuser. Auch
ich bin . . . hm . • •
77
KELLNER t
Er wollte wohl sagen : in Arcadien
geboren, aber es fiel ihm nicht ein.
Auch unterbrach ihn der Oberstabs-
arzt mit der schmetternden Stimme
des Triumphes:
— Recht so, junger Mann! Ich
sehe: ich habe mich in Ihnen nicht ge-
täuscht. Also vorwärts! Legen Sie
los. Enthüllen Sie uns die Mysterien
Ihrer gährenden Leidenschaft. Wir
sind masslos gespannt. — Kellner!
Der Einhorn-Apotheker zögerte
noch, so dass sich nun auch der Amts-
anwalt veranlasst sah, einzugreifen:
— Mein lieber Herr! Vergönnen
Sie, in Ihre tiefe Brust, wie in den
Busen eines Freundes zu schauem
Zwar: sie thun recht, zu zögern.
Ich kenne den hämischen Geist
des Klatsches, der in diesem von
Frömmigkeit durchseuchten Wald-
thal herrscht. Aber seien Sie un-
besorgt. Hier sehen Sie drei ernst-
hafte Männer vor sich, alle drei
verschwiegen wie • • . wie mein
Privatconto bei Eberhard. Uns
können Sie sich anvertrauen.
78
SIE IfEISST ELSE.
Der bedrängte Constantin holte
tief Atem und begann, anfangs etwas
befangen, zu erzählen:
— Ja, also, meine Herren: es ist
eigentlich eine sehr einfache Ge-
schichte und gar nicht interessant.
Sie heisst Else.
— Constantin und Else — nicht
übel — sagte der Oberstabsarzt und
nickte befriedigt mit dem Kopfe. —
Nicht übeL
— Wenn ich auch selber kein
Instrument spiele — fuhr der Ein-
horn-Apotheker fort — so bin ich
doch sehr musikalisch und höre
furchtbar gern Musik. Als ich nun
das letzte Mal in Berlin war» und
eines Nachmittags gar nicht wusste,
was ich anfangen sollte, auch gar
keine Gesellschaft hatte, bloss so
durch die Strassen bummle, hör
ich auf einmal aus einem Lokal,
das äusserlich nach gar nichts Be-
sonderem aussah, Orchestermusik.
Na nu, denk ich, wie ist das möglich.
Und da ich, wie gesagt, absolut
T9
ALLE NEU NB,
nichts Besseres ru thun hatte, geh
ich rein. Hm.
Er räusperte sich und trank. Wir
tranken alle schweigend mit. Es war
ja sehr spannend. Er fuhr fort:
— Gott, es war ganz nett. Wirk-
lich. Bloss das Podium war ein
wenig recht klein. Nämlich die
Musik wurde von einer Damen-
Kapelle gemacht. Es waren fünf
Geigerinnen, eine Klavierspielerin,
eine Cellistin und ein Mann, der
immer in so*n Ding blies . • von
Blech • • ich weiss nicht, wie man
das nennt.
— Eine Posaune — bemerkte der
Oberstabsarzt.
— Also im ganzen acht Personen
und ein Klavier, die mussten alle
acht ....
— Alle neune — warf der etwas
pedantische Amtsanwalt dazwischen.
— Meinetwegen, also alle neun
auf einem Podium sitzen oder stehen,
das kaum grösser war, als der Tisch,
an dem wir hier sitzen. Ja, richtig:
80
DjiS FODIUJi.
und eine Trommel oder Pauke
stand ja auch noch drauf. Das bätt'
ich bald verg^essen. Wer die eigent-
lich schlug, ist mir nie recht klar
geworden.
— Ich denke mir — sagte der
Oberstabsarzt — das wird der Mann
von der Posaune gewesen sein. Der
wird ihr so gelegentlich einen heim-
lichen Knuff versetzt haben.
— Das ist möglich. — Also nun
stellen Sie sich vor, meine Herren,
dieser ganze Apparat aufis engste
zusammengepfercht auf einem zwei
Fuss hohen, an drei Seiten freien
Podium ohne Geländer . . .
— Hören Sie aufl — rief ich
dazwischen und leg^e die Hand vor
die Augen — ich habe niemals
Gletscherpartien machen können,
weil mich der Gedanke an die
blosse Möglichkeit des Abstürzens
schon nervös macht.
Aber der Einhorn- Apotheker war
im Zuge:
— Und nun denken Sie sich: in
8i
EINS PltBKÄRB SiTUATIOir.
der ersten Reihe, wo die fünf
Greigenspieleiinnen nebeneinander
gereiht, Stuhl an Stuhl an Stuhl,
dasassen, an der rechten Ecke, hart,
ganz hart an der rechten Ecke, so
dass das rechte Vorderbein ihres
Stuhles nur noch zur Hälfte auf
dem Podium stand — sass ein
Mädchen. Ein Mädchen, sag* ich
Ihnen • • • Also wie gesagt, Else
heisst sie.
— Aha — sagfte der Oberstabs-
arzt — also in dieser prekären
Situation haben Sie sie kennen ge-
lernt.
— Ja. Ich hatte fortwährend das
Gefühl : jetzt — jetzt muss sie runter-
fallen. Nichts ist unangenehmer als
eine solche andauernde Beängsti«
gung. — Ich fühlte ein lebhaftes
Mitleid mit dem zarten Geschöpf,
das ganz in ihre Kunst vertieft war
und die Gefahr gar nicht zu be-
merken schien. Ich betrachtete sie
voller Teilnahme. Ein ovales Ge-
sichtchen, ein Kinn, das fast spitz
8a
ROKOXO-KÖPFCHBir.
2U nennen wäre, wenn es nicht von
einem entzückenden Grübchen ge-
kerbt würde. Eine feine, längliche
Nase mit schmalem Rücken. Bin
kleines, wie zu Kuss und Spott ge-
^spitztes, hochgeschürztes Mündchen
und lebendige, hellbraune Augen,
:8chmal und pikant, die ganz leise
an den Typus der holden Japane-
Tinnen erinnern • • • oder lag das
-an den seltsamen, wie von einer
LaunehochgezogenenAugenbrauen?
Ich weiss es nicht. Ihr braunes Haar
war zierlich gewellt und hochge-
steckt • • Ach, meine Herren, was
soll ich Ihnen viel sagen: es war
*das allerliebste Rokoko-Köpfchen,
das Sie sich vorstellen können. Ihr
ganzes Wesen sprühte einen Mut-
willen, eine neckische Laune • • .
•es war entzückend i Und dabei führte
-sie den Bogen mit einer Grazie . • .
— Na, nun trinken Sie erst mal.
Der Oberstabsarzt klopfte dem
Einhorn-Apotheker, der gar nicht
wieder zu erkennen war, so bc-
6*
SEJfR MUSIKALISCH,
geistert schwärmte er, mit onkelhaf-
tem Wohlwollen auf die Schulter :.
— Wir glauben's Ihnen schon. —
Constantin that einen tiefen Zug.
Der Amtsanwalt ergriff das Wortt
— Gestatten Sie mir, Ihnen gegen-
über unverhohlen meiner Freude
darüber Ausdruck zu geben, dass Sie
sich ein so warmes Empfinden zu:
erhalten verstanden haben. Es ist
dies gewiss eins der köstlichsten^
Güter im Leben — wohl Ihnen, Sie
bewohnen ein glückliches Land!
Ich unterbrach ihn, ich war neu-
gierig geworden:
— Ach bitte, erzählen Sie weiter. — ^
— Nun, ich fing eben an, mich zu»
interessieren. Und zwar: anfangs*
war es wohl mehr ihr Spiel, in daa
ich mich verliebte. Ich erzählte
Ihnen schon, dass ich sehr musika-^
lisch bin, und . . so klein das Dameri-J
Orchester auch war . . es wurde
ausgezeichnet gespielt. Ganz aus-
gezeichnet. Und dann hatte es aa
jund für sich so einen ganz eigeh-
84
UNERHÖRTE FÄHIGKEITEN.
..............k....... .......... ................
tümlichen Zauber und Reiz, diese
jungen Mädchen da so selbständig
ihre Kunst üben zu sehn. Es lag
^arin doch etwas echt Grossstädti-
«ches. Die Grossstadt zeigt einem
<lie Frauen in den merkwürdigsten
Berufen . . . ich kann nie den Bin«
^ruck vergessen, den es auf mich
machte, als ich zum ersten Male eine
Dame hinterm Schalter sah. Ich bin
deshalb immer mit Vorliebe Stadt-
bahn gefahren ... in der ersten
2eit. So ähnlich wirkten jetzt auch
wieder die Geigenspielerinnen auf
meine Phantasie. Sie kamen mir
vor wie Geschöpfe aus einer neuen
Welt — mit ungeahnten, unerhörten
Fähigkeiten.
— Ja, ja — brummte der Ober-
stabsarzt — es steckt doch mehr in
den Weibern, als man früher gedacht
hat. Man soll sie jetzt sogar schon
zum Telephondienste verwenden
können.
Es schien jetzt, als ob den Ein-
horn-Apotheker seine plötzliche
«5
INFOLGE DSR BE7CA1TNTSCHAFT.
Offenheit gereut hätte. Er hörte
auf Äu erzählen, und wir kriej^eki
nur mit Mühe uhd Not noch soviel
aus ihm heraus, dass er infolge seiner
Bekanntschaft mit der talentvollen^
jungen Geigenspielerin seinen Auf-
enthalt in Berlin um beinah vierzehfii
Tage verlängert hattö.
Seitdem korrespondierten sie mit-
einander • • •
8»
IIL
Ich wohnte in Stolberg m einem
alten, hohen Hause, das in halber
Höhe am Berge lag: unter mir
die Kirche, über mir das Schloss.
Das Haus lehnte mit dem Rücken
gegen den Berg, und das dritte
Stockwerk, in dem meine Zimmer
lagen, schien nach hinten hinaus zu
ebener Erde zu liegen.
Zu den zahlreichen lasterhaften
Gewohnheiten, die mich in den
Augen der guten Stoiberger als eine
Ausgeburt der Hölle erscheinen
Hessen, gehörte auch die, dass ich
an Tagen, wo ich vormittags k^e
Schreiberdienste zu verrichten hatte,
ziemlich lange schlief. Es war ruch-
bar geworden und für ruchlos be-
funden, dass ich, zumal an Sonn-
tagen, noch gegen zehn Uhr, wo der
87
DER SCHLAF AU MORGEN.
heilige Gottesdienst längst begon-
nen, nachweislich im Bette gelegen
hatte.
Süss ist der Schlaf am Morgen
Nach durchgeweinter Nacht
SO beginnt eins der schönsten Lieder
Platens aus seinem letzten Lebens-
jahr. Auch wir empfanden, nachdem
wir uns die ganze Nacht mit Weinen
beschäftigt hatten, den Schlaf am
Morgen als eine süsse Gottesgabe.
Ich war daher durchaus nicht an-
genehm berührt, als mich eines Mor-
gens gegen neun Uhr der Einhorn-
Apotheker aus den lieblichsten
Träumen riss.
Erstürmte schweratmend, mit dem
Hute auf dem Kopf, mit einem hoch-
roten Kopfe in mein stilles Schlaf-
gemach und stand, nach Worten
ringend, vor meinem Bette, während
ich mir ärgerlich die Augen rieb.
. — Verzeihen Sie . . . verzeihen
Sie — brachte er schliesslich heraus
und nahm den Hut ab.
— Mein Gott, was ist denn los ? —
Er schnappte nach Luft:
83
SIE SIND DER EINZIGE,
— Sie • • sie ist da. Hier • • in
Stolberg 1 —
. Er musste sich auf den Stuhl
niederlassen, auf dem noch meine
Unterhosen lagen. Seine Arme san-
ken schlafif herab.
Ich richtete mich auf:
— Achl Ihre Virtuosin? Das ist
ja famosi —
— Lieber Herr Referendar: ich
bitte, ich beschwöre Sie» nehmen
Sie die Sache ernst. Sie sind der
einzige, an den ich mich in meiner
Not wenden kann, der einzige, der
mir vielleicht zu helfen vermag*
Verlassen Sie mich nicht.
. Er hatte meinen linken Oberarm
umklammert, und eine aufrichtige
Angst sprach aub seinen gutmütigen
Zügen.
Ich konnte ihm mein Mitleid nicht
versagen. Beruhigend sprach ich:
— Vielleicht ist noch Rettung
möglich, lassen Sie den Mut nicht
sinken. Was an mir liegt, soll ge-
wiss geschehn. At>er nun sagen Sie,
wie ist denn das zugegangen?
89
DIE SEHNSUCHT. . . •
— Ach es ist ja ein gar zu launen-
haftes Geschöpf. Also stellen Sie
sich vor: heute Morgen, vor einer
halben Stunde, hringt mir der Eber-
hardsche Hausdiener diesen Brief.
Hier, lesen Sie, bitte. —
Ich las:
Geliebter ConstantinI
Die Sehnsucht liess mir kdne
Ruhe! Wir sollten auf einmal
Kostüm tragen und im Kostüm
dasitzen und spielen. Und die
sollten wir auch noch selber be-
zahlen. Na so dumm. Wenn ich
schon sowas mache imd setzte mich
da hin vors vergnügte Publikum
mit nackten Armen zur Belustigung
der Einwohner, denn kann er das
auch aus seiner Tasche bezahlen.
Lieber Schatz, es zog midi so
za Dir hin! Wir haben uns nach
einer andern Stellung umgesehen,
haben aber keine gefunden, und
weil es doch jetzt so schönes Wet-
ter ist, sitzt man doch auch nicht
gern in der ollen räuchrigen Bude.
^
FUHFZiG PfMNNIGS.
Das Geld, das Du mir geschickt
hast, langte noch gerade zu eifiem
Billet bis Nordhausen, und weil Du
doch immer gesagt hast, es soll so
nett in Stolberg sein, bin ich her-
gekommen.
Wie schön, dass wir uns wieder-
sehen! Fünfzig Pfennige hab ich
zwar noch gerade, aber bitte, gieb
Du lieber dem Friedrich das Trink-
geld, denn sonst hab ich gar nichts
mehr, und ich weiss doch nicht,
wann Du abkommen kannst*
Am liebsten möchte ich aewar
gleich selber in Deine Arme
fliegen, aber da Du gewiss hinter
dem Schalter beschäftigt bist und
wer weiss, vielleicht ist gerade
die Frau Gräfin da und kauft
Schweizerpillen, da will ich nicht
stören.
Bitte, mein süsser Schatz, laiss
mich nicht so lange warten, son-
dern komme bald zu Deiner Dich
innig liebenden Else.
P. S. ins Hotel Eberhard,
Zimmer Nr. 6.
91
DIB STO^^RGER,
— Ein heiter gemütvolles Mäd-
chei^. Was gedenken Sie nun zu thun?
— Nichts. Um Gotteswillen! Gar
nichts. Ich will still und unbefangen
Medizin verkaufen und meine Offizin
nicht verlassen, weder bei Tage noch
bei Nacht. Denken Sie doch, wenn
die Stoiberger auch nur eine Ahnung
bekämen • • was mir da bevorstände.
Nein, nein, ich darf mich gar nicht
sehen lassen. Sie müssen für mich
handeln. Sie müssen — wenn Sie
mich retten wollen — das Mädchen
auf sich nehmen.
— Auf mich nehmen? Na nul
— Ja. Sehen Sie: ihre Existenz
kann den Stolbergern ja nicht ver-
borgen bleiben. Und sofort wird
gefragt werden: wieso, woher, für
wen, wozu. Und sie werden, sie
müssen auf mich verfallen, denn auch
der Botengang Friedrichs zu mir
kann nicht lange verborgen bleiben.
Wenn Sie nun aber so edelmütig
sein wollen, den Verdacht auf sich
zu lenken, so wird den Stolbergern
9»
IMMERHIN BIN OPFER.
die Sache sofort so — entschuldigen
Sie — so plausibel vorkommen, dass
man nicht weiter nachfragen wird.
Und ich bin gerettet. Liebster, bester
Herr Referendar, sehen Sie: bei
Ihrem Rufe kommt es auf etwas
mehr oder weniger weiss Gott nicht
mehr an. Sie verlassen diesesjammer-
thal in wenigen Monaten, und es
bleibt Ihnen höchstens eine ange-
nehme Erinnerung . . .
--- Eine angenehme Erinnerung?
Nun erlauben Sie mal, es wäre doch
immerhin ein Opfer, das ich Ihnen
brächte. Oder meinen Sie, dass es
mir gleichgültig wäre, wenn dem-
nächst bei Hofe etwa von mir er-
zählt würde, ich hätte mir Bruchstücke
meines Berliner Harems hierher nach-
kommen lassen?
- Jal
Dieses „Ja" kam dem Einhorn-
Apotheker aus so tiefem, oflFenem
Herzen, dass ich laut lachen musste
und also besiegt war.
— Na, also gut. Verfügen Sie über
mich. Womit kann ich Ihnen dienen?
93
ICHKB^NE SJB,
— -Zunächst müssten Sie aufstehen
und sich anziehen. Dann aber zu
Eberhard gehen, sich auf ihr Zimmer
führen lassen und darin möglichst
lange verweilen . . . mit ihr allein
bleiben, ....
— Na, hören Sie mal, das ist aber
eine starke Zumutung! Fürchten
Sie denn da nicht . . ,
— Nein ! — versetzte der Einhorn-
Apotheker mit Bestimmtheit. — Ich
brauche nichts zu fürchten. Else
wiird mir niemals untreu werden. Ich
kenae sie! Dazu hat sie mich viel
zu lieb. Aber sie muss vor allen
Diageo machen, dass sie wieder aus
Stolberg herauskommt, sie stürzt
mich sonst ins Unglück. Sie müssen
sie unter allen Umständen dazu brin-
gen, dass sie augenblicklich nach
Berlin zurückfahrt. Augenblicklichst.
Er zog sein Portemonnaie und
füllte meine Hand mit Gold.
— Hier haben Sie 200 Mark,
geben Sie ihr, was sie verlangt.
— Sie sind sehr grossmütig. Und
wo treffe ich Sie nachher?
94
MANCHMAL ZU UNANGENEHM,
— Ich verlasse die Apotheke nicht
eher, bis sie . . weg ist. Bitte kommen
Sie sobald als möglich. O Gott« wenn
nur alles gut geht . • es ist doch
manchmal zu unangenehm sowas.
Also adieu. Stehen Sie jetzt auf,
ja? Bitte!
Er drückte mir die Hand, seu£cte
noch einmal tief und ging von
dannen*
95
IV.
Ich kleidete mich mit möglichster
Sorgfalt an, säuberte und glättete
meinen Cylinder und ging zu
ihr . • .
Als ich das Hotel betrat, fiel mir
ein, dass ich ja gar nicht wusste,
wie die Geigenfec mit ihrem elter-
lichen Namen hiess, und dass es
doch einen demoralisierenden Ein-
druck auf die Seele des Ober-
kellners machen würde, wenn ich
einfach nach Fräulein Else fragte.
Ich wurde jedoch meiner Bedenken
alsbald enthoben, denn kaum hatte
ich die Hausflur betreten, so fühlte
ich, wie mich jemand auf die
Schulter klopfte: es war Eberhard,
der mir mit einem schlauen Zwin-
kern seiner weinfröhlichen Augen
zuflüsterte:
96
NUMERO SECHS.
— Sie wartet schon. Numero
sechs. Pst
Später gestand er mir: er habe
von vornherein gewusst, dass es
sich bei diesem Besuche um mich
handelte, und ich hätte daher nicht
nötig gehabt, erst den unschuldigen
Einhorn- Apotheker vorzuschieben.
Ich liess ihn natürlich dabei. Der
Gerechte hat viel zu leiden.
Auf mein Klopfen:
— Herein! —
Ich war doch etwas beklommen.
Die Stimme klang so gut . . .
Nun weiss ich wirklich nicht
mehr ganz genau, wie es dann
weiter zugegangen ist. Ich bin ja
auch absolut nicht verpflichtet,
irgend jemandem darüber Rechen-
schaft zu geben. Den Teufel auch
— das wäre noch schöner! Wenn
ich jemandem eine Geschichte er-
zähle, so ist das mein guterWille —
was ich nicht erzähle, gebt keinen
was an. Ich stehe hier nicht als
Angeklagter I habe auch nicht
97
l
IM LAUFE DES GESPRÄCHS.
sdiwören müssen, die lautere Wahr-
heit zu sagen, nichts zu verschweigen
und nichts hinzuzusetzen — ich
fühle lediglich das Bedürfnis, mein
Lächeln über dies scherzhafte Dasein
nicht allein zu lächeln, denn es ist
eine alte Erfahrung, dass man
peinlich wirkt, wenn man schwei-
gend und einsam lächelt.
Übrigens der Einhorn- Apotheker
hatte die Wahrheit gesprochen: sie
war wirklich allerliebst. Auch war
sie recht nett und elegant gekleidet,
nur ihre Haartracht gefiel mir nicht.
Ich zeigte ihr . • • (im Laufe des
Gesprächs), wie sie sie nach meiner
Ansicht tragen müsse, und sie ver«
sprach mir, sich von nun an so zu
frisieren, wie ich es ihr angegeben
hatte.
Überhaupt war sie durchaus ent-
gegenkommend, ich fand bei ihr
viel weniger Widerstand, als ich
nach den Worten des Einhorn-
Apothekers annehmen musste. Sie
willigte ohne weiteres ein, die zwei-
98
DJB QUITTUNG.
hundert Mark von mir anzunehmen,
und unterschrieb mir lachend fol-
jrende in der Eile von mir ent«
worfene Quittung:
200 Mark.
Endesunterzeichnete bestätigt hier-
mit, die Summe von 200 Mk. (Zwei-
hundert Mark) aus den Händen des
Herrn Referendars Otto Erich er-
halten zu haben. Sie erklärt, von
ihrem Besuch in Stolberg am Harz
vollkommen befriedigt zu sein und
spricht bei ihrem Scheiden von
dort allen denen, die ihr Wohl-
wollen entgegengebracht haben,
ihren herzlichsten Dank aus.
Else.
Nur eine Bitte hatte sie noch:
ich sollte sie nach Nordhausen auf
<lie Bahn begleiten. —
— Aber mein liebes Fräulein . . .
— Ach gehn Sie weg: wenn Sie
das nicht mal für mich thun können,
<iann sind Sie nicht besser, wie die
andern auch . • wie alle die Phi-
lister, über die Sie sich lustig
machen, gehen Sie weg . . •
7*
DIB ABEND POST,
Ich hatte dem Einhorn- Apotheker
versprechen müssen, mehrere Stun-
den mit seiner Geigenspielerin alleia
zu bleiben. Da ich ein Mann voa
Wort bin und lieber mehr thue,.
wenn ich etwas versprochen habe»
als zu wenig, war es während un-
seres Zusammenseins Spätnach-
mittag geworden und nur noch eine
halbe Stunde Zeit bis zur Abfahrt
der Abendpost, mit der Fräulein
Else unter allen Umständen nach
Nordhausen zurückfahren musste»
— Liebes Kind — sagte ich da-
her — ich begleite Sie gewiss herz-
lich gern, aber Sie wissen: die Post
fahrt ihre vier Stunden . . . wenn
ich jetzt mit Ihnen fahre, kommen
wir erst gegen zehn Uhr in Nord-
hausen an, und es ist dann für mich
ganz unmöglich, heute noch nach
Stolberg zurückzukommen. Ich
müsste schon die Nacht in Nord-
hausen bleiben, und da ich morgen
früh Dienst habe, mit der Frühpost
um 6 Uhr von dort wieder abfahren.
Das würde eine heillose Strapaze . . .
lOO
AUCH DJBSBS OPFER NOCH.
Aber sie würdigte meine Ein-
wände nicht; im Gegetneil: sie
schlug die Händchen zusammen und
rief:
— Ach, das trifft sich ja famos!
Da können wir ja in Nordhausen
noch zusammenbleiben! Nein: Du
musst mit: bitte, bitte, bitte • . .
Ich brachte also auch dieses
Opfer noch.
*
Als ich dann am andern Morgen
um neun aus der Postkutsche stieg
und mich direkt auf das Bureau
begab, hatte ich trotz meiner
grossen Müdigkeit und Zerschlagen-
heit das angenehme Gefühl einer
guten That und einer freudig er-
füllten Pflicht.
tot
• • • fc k t. k
«tob "
V.
Sobald die Termine beendet
waren, ging ich in die Einhorn^
Apotheke und erlöste den seit
nunmehr fast siebenundzwanzig
Stunden in Zweifelsängsten hangen-
den Apotheker.
Er gestand mir, dass er die ganze
Nacht nicht geschlafen hätte, und
ich erzählte ihm, wie auch ich die
Nacht nur wenig geschlafen habe^
wie aber sonst die Sache glücklich
und zu unser aller Zufriedenheit ab-
gelaufen sei.
Ich machte ihm vor allem mein
Compliment wegen seines guten
Geschmacks und gestand ihm, dass
ich alles nur zu begreiflich fände,,
dass jemand, der von einem so hold-
seligen Geschöpfe beglückt würde,,
kein Gelüst verspüren könne, mit
lO»
WIS MEINEN SIE DAS? ^
einer dieser korrekten Stolbergtf
Gänse zusammen in das Joch der
Ehe gespannt zu werden.
Da machte er ein sehr merkwür-
diges Gesicht«
— Wie meinen Sie das, Herr Re-
ferendar? —
Ich versuchte deutlicher zu wei>
den. Da wies er mich mit einer
traurigen Entschlossenheit zurück.
So weit wäre er mit ihr noch
nicht. Er scheue es, das Gefühls-
leben eines Weibes, das offenbar
seinen ganzen Anlagen nach eine
Künstlerin sei, mit voreilig plumpen
Fingern zu betasten. Er wisse zwar,
dass es ihr vielleicht nicht unlieb
sein würde, wenn er ungestümer
vorgehe ... jedoch einstweilen
habe er noch widerstanden • . • •
Ich nahm das alles schweigend
hin, denn wir befanden uns in einer
Apotheke, und wenn ich meiner ab-
weichenden Überzeugung den Aus-
druck gegeben hätte, zu dem mich
in dem Momente mein Naturell
103
DBR APOTHBXBRSCffNAPS,
:drängte, wäre es ihm, der mir gerade
einen der von mir so geliebten Apo-
thekerschnäpse zusammengoss, ein
Leichtes gewesen, mich zu vergiften.
So wird sich ein verständiger Mann
stets hüten, einen wegen seines Jäh-
zorns bekannten Barbiergehilfen un-
nötig zu reizen, solange er sich
noch unter dessen Messer befindet.
Als ich dann den Schnaps ge-
trunken hatte, übergab ich dem Ein-
horn-Apotheker die Quittung, die
ich mir von Else hatte ausstellen
lassen, und gewahrte alsbald, dass
ihn darob eine peinliche Empfindung
überkam.
•*- So hat sie also gleich die
ganze Summe verlangt? — fragte er.
Da fiel es mir schwer aufs Herz,
.dass ich ja ganz vergessen hätte,
erst zu handeln. Was sollte ich
•nun sagen? Ich war in grosser Ver-
legenheit. Schliesslich stammelte
ich:
— Ja, ich muss um Entschuldi-
gung bitten, aber sie war ihrerseits
104
LIBBSR NICHT/
«o coociliant und loyal, dass ich • •
übrigens I wenn es Ihnen zu viel
ist • • es ist ja meine Schuld, und
ich bin natürlich gern bereit . • •
Er unterbrach mich grossmütig:
— Wo denken Sie hin, lieber
Herr Referendar: im Gegenteil: ich
fühle mich noch tief in Ihrer Schuld.
Nehmen Sie meinen herzlichsten
Dank für diesen wahrhaften Freun-
desdiensti und wenn ich Ihnen
jemals einen ähnlichen Dienst er-
weisen kann • • •
Aber jetzt unterbrach ich ihn:
— Ach nein! Lieber nicht! Das
heisst: ich will hoffen, dass ich nie
in eine ähnliche Verlegenheit ge-
rate. —
Der Einhorn- Apotheker schüttelte
noch immer mit beiden Händen
meine rechte. Er war wirklich ein
braver Mensch mit einem dankbaren
Herzen* Ich konnte ihm auf die
Dauer nicht böse sein.
Sobald es anging, machte ich
aber doch, dass ich fortkanu Die
«OS
WUNGRIG INS BBTT.
einhundertundfünfzig Steinstufen, die
den Berg hinauf, an der Kirche
vorbei, zu meiner Wohnung fahrten,
würden mir recht sauer. Sobald
ich daheim war, legte ich mich
hungrig, wie ich war, ins Bett und
schlief den Schlaf des Gerechten.
lOC
VI.
\l
on den vielfachen Thorheiten,
Y zu denen mich die geigen-
spielende Else verleitet hatte,
verdient noch die einer besonderen
Erwähnung: dass ich nämlich der
Bitte, ihr einen feschen Freund
von mir in Berlin, der nicht so
ernsthaft wäre wie ihr Constantin,
zu empfehlen, nachgegeben und ihr
die Adresse meines Freundes, des
Kleinen, verraten hatte.
Man wird dies vielleicht unbe-
greiflich von mir finden, aber einer-
seits hatte sie mir in so ergreifenden
Tönen ihr Leid geklagt, dass sie
so gar niemanden hätte, der sie
„verstände*, und andrerseits wusste
ich ja von dem inzwischen völlig
zum Teufel gewordenen Kleinen,
dass es bei ihm keine Gefahr hatte.
107
DBR KLEINE,
Sek den Tagen der lieben Lore
glaubte ich überzeugt sein zu dür-
fen, dass ihm, was mir vordem ge-
fallen hatte, auch wohl gefallen
würde, und hoffte daher auf ein
freundliches Einvernehmen zwischen
den beiden.
Nach etwa acht Tagen erhielt
ich folgenden frischen Brief vom
Kleinen :
„Alter Esel!
Wann wirst Du mal verstandig
werden? Glaubst Du, dass die
preussische Regierung Dich zu
dem Zwecke nach Stolberg am
Harz (NB. Etwas Fauleres war
für Dich schon nicht aufzutreiben!)
geschickt hat, dass Du da eine
Versuchsstation errichtest? Arbei-
ten sollst Du, Gott verdamm mich,
die Nase in die Bücher stocken
und Deinen Vorgesetzten Freude
machen. Verbeugen sollst Du Dich
und allem weiblich Gnädigen die
Hand küssen: meine Weiber such'
ich mir schon von alleine, ich ver-
108
DER LEBERFLECK.
bitte mir da jede Einmischung*
Für diesmal will ich es Dir noch
verzeihen, denn sie hat auf dem
Rücken, oberhalb derlinkenHüfte,
einen berauschenden Leberfleck.
Prosit Du altes, aber ehrliches
Stück Unglück!
Dein Kleiner.
Der Brief hätte stofflich reichhal-
tiger und klarer sein können, inuner-
hin entnahm ich daraus die That-
sache, dass die Annäherung zwischen
den beiden inzwischen erfolgt war.
Ich wusste nur nicht recht, ob ich
mich darüber freuen sollte.
In Stolberg, am Stammtisch bei
Eberhard war ich inzwischen der
Gegenstand neidischen Hohnes ge-
worden. Der Oberstabsarzt war un-
erschöpflich in bösartigen Wen-
dungen.
— Sagen Sie, mein lieber Refe-
rendar, wie wäre es, wenn Sie den
Staatsdienst quittierten und sich
dauernd in Stolberg niederliessen?
109
VERSTECKTE SCHMEICHELEI,
Sie sehen: die Bevölkerung geht
hier nicht nur numerisch zurück, sie
wird auch durch die herrschende
Inzucht immer mangelhafter. Da
wären Sie doch eigentlich ganz der
kommende Mann u. s. w.
Der Einhorn- Apotheker hörte all
diese Angriffe auf meine Tugend
mit einem milden, aber doch ver-
schmitzten Schmunzeln an, in sei-
nem Incognito empfand er das alles
offenbar als versteckte Schmeichelei.
Endlich kam einmal wieder die
Zeit, wo ich mich auf ein paar
Tage frei machen und nach Berlin
fahren konnte. Urlaub hatte ich
zwar nicht bekommen, aber es
passte so • • ich weiss nicht mehr
wie.
Der Kleine empfing mich auf dem
Bahnhofe mit einem schallenden
Gelächter, als ob meine Ankunft
ein guter Witz sei.
. — Du bist ein Kerl! — rief er
ein übers andre Mal. — Du bist
ein Kerl! —
HO
DJS BLINDSPISLBRIH.
Dann, nachdem ^ sich endlich
satt gelacht, fing er an in seinem
rasenden Tempo zu erzählen.
Also die Else hatte zu ihm ge-
schickt« Er — aus Neugierde —
war hingegangen — in das Lokal,
in dem sie ihre Kunst übte « . •
^- Weisst Du, was eine Blind-
spielerin ist?
Ich verneinte.
— Natürlich. Du hast keine
Ahnung.
— O doch, halt mall Blindspielen
beim Schachspielen ist, wenn
man • • •
— Halt die Schnauze. Du hast
keine Ahnung. Also, das ist ein
sehr ehrenwerter Beruf, dem so
und so viel hundert junge Mädchen
angehören. Bei den zahllosen
yDamenkapellen", die heutzutage
in Berlin spielen, ist es ganz un-
möglich, dass alle Damen auch
wirklich spielen können • . ist auch
gar nicht nötig, denn der Radau
ist so schon elend genug. Da hat
III
HANNCHENS LETZTE LIEBE.
sich nun das Gewerbe der Blind-
spielerinnen herausgebildet. Junge
Mädchen, die sich äusserlich von
wirklichen Geigenspielerinnen ab-
solut nicht unterscheiden, höchstens
manchmal hübscher und jünger sind,
sitzen . in der ersten Reihe solcher
Kapellen und ahmendieBewegungen
eines Joachim täuschend nach. Die
Senne ihres Bogens ist mit Schmalz
beschmiert : Lautlos gleitet Sie über
die zartesten Saiten!
Er sah mich nach dieser Erklärung
mit herausfordernder Fröhlichkeit
an. Ich wusste nicht recht, was ich
sagen sollte. Er aber fuhr fort:
— Und ich kann Dir versichern,
auf diese Weise spielt die Else die
schwierigsten Sachen. Auf ihrem
Notenpult liegt unverändert „Hann-
chens letzte Liebe", und ich habe
darnach die Teil- Ouvertüre gehört,
dass es eine Freude war.
— Ja so : uQser Einhorn- Apotheker
war ja auch ganz entzückt; er hat
sich zu allererst in ihr Talent verliebt.
IIS
COLOPHONIUM,
— Nun erlaube mal ; sie hat auch
Talent. Bei den andern merkt man
es sofort, wenigstens wenn man nicht
allzu heftig auf den Kopf gefallen
ist, dass sie keinen Schimmer vom
Violinspielen haben. Bei ihr mufis
man schon ganz genau aufpassen,
eh man*s merkt: so täuschend T«r-
mag sie den Bogen zu fahren. —
Ach, neulich, das hättest Du erleben
müssen! Da haben rohe Menschen
eine Kollegin von der Else um ihren
musikalischen Ruf gerächt, indem
«iC: ihr heimtückischerweise den
Bogen mit Colophonium eingerieben
haben. Denk Dir das Entsetzeni
wie ihre Geige da ^uf einmal tönte.
Es war ergreifend.
Wir sassen während dieses Ge<
spräches in einer Kutsche und fuhren
ins , HöteL Der Kleine begleitete
mich, und während ich mich von
den Spuren der Reise reinigte, lief
er in dem langen, einfenstrigen
Zimmer auf und ab und räsonnierte
in einem fort. Nicht alles von dem.
113
8
SCHWERE ORCHESTERMUSIK.
was er rastlos hervorsprudelte, lässt
sich hier wiedergeben. Sein Schimpf-
lexikon hatte, seit er Soldat gewesen
war, etwa so zugenommen, wie der
Kärschnersche Litteratur-Kalender
in den letzten zehn Jahren, aber
was ihm von den Lippen kam, waren
nicht die stillen Nainen guter, stiller
Dichter, sondern allerlei Dinge, die
Menschen ohne militärische Vorbil-
dung leicht zu derb finden möchten . »
Dann gingen wir zum Abendessen
und gedachten in behaglichem Zwie-
gespräch unserer gemeinschaftlichen
Vettern in Hannover und ihres so
verschiedenartigen, buntschinunern-^
den Stumpfsinns.
Aber plötzlich unterbrach der
Kleine mich, er hatte nach der Uhr
gesehii und rief:
— Du, es wird die höchste Zeit!
die Polizei ist. der Ansicht, dass man
so schwere Orchestermusik, wie sie
die Kapelle ^l^^ernando" verzapft,
bloss bis elf Uhr abends vertragen
114
OASE FÜR JUNGGESELLEN.
Iconne. Wenn wir die Else also
heute noch treffen wollen • . .
Wir brachen auf. —
Das Lokal, in dem die Geigenfee
wirkte, hiess „Oase für Junggesellen".
— Ich war sehr froh, dass wir kürz
^orThorschluss anlangten, und habe
-selten eine widrigere Enttäuschung
«erfahren, als da ich das niedliche
Geschöpf in dem elenden, von Pro-
leten vollgepfropften Raum, in einer
entsetzlichen, von schlechten Ci-
garren stickig und stinkig gewor-
denen Luft wiedersah. Da sass sie
auf einem engen Podium in einem
.geschmacklosen, offenbar gemieteten
und deshalb gar nicht sitzenden
Kostüm und spielte zum Gespött
^er denkenden Menschen mit einem
geschmalzten Bogen auf einer Kinder-
geige. Ich brachte kaum das Lächeln
der Begrüssung fertig, mit dem ich
auf ihr unbefangen freudiges Kopf-
nicken antwortete, während sie mit
kindlicher Seelenruhe ihr falsches
-Spiel fortsetzte.
"5
8*
MEINE L,IEBE ELSE,
Der Kleine ehrte mein Schweigen:
und mein ernstes Gesicht« Er sagte
mit einem Seufzer:
— Ja, ja: so sind die Weiber . •.
Endlich sassen wir, Gott sei Dank^
bei Wildgrube, einem stillen Wein-
lokal in der Mittelstrasse, wir drei^
allein, der Kleine, die Else und ich»
Man gelangte langsam wieder za
seinem Humor,
Wir hätten ja nicht drei im Grunde
so vergnügte Menschenkinder sein
müssen, wenn nicht allmählich eine
gute, gesunde Stimmung über uns
gekommen wäre.
— Nun sag' mir, meine liebe Else,,
erkläre mir das eine: unser guter
Einhorn- Apotheker schickt Dir doch,
monatlich Geld, wie?
— Jawohl 1 Natürlich! Jeden ersten^
— Na also: aus Not machst Du
doch diese lächerliche Sache da
nicht mit« Wie kommst Du nur
darauf?
— Ja, meinst Du denn, ich will
vor langer Weile umkommen? Ich
Ii6
im
EX LSBS NOCH/
liäbe mich so, so unglücklich ge-
iiihlt, als ich keine Stellung hatte?
Wenn Du nicht so nett gewesen
wärest, mir die Adresse vom Kleinen
•zu geben • . .
Die beiden wechselten einen
innigen Händedruck. Es war mir
überhaupt schon aufgefallen, dass
•ein recht herzlicher Ton zwischen
ihnen herrschte.
— Bloss schade, dass er nie Geld
iatl — rief die Else und wollte sich
•totlachen.
Wir tranken Porter, und ich er-
liob meine Schale.
— Meine Herrschaften! — sprach
ich gewichtig — gedenken wir auch
der Abwesenden. Unser Einhorn-
Apotheker: er lebe hochl
— Hochl
— Hoch!!
Die Else war die lauteste. Die
<jrläser klangen nicht gut zusammen.
Wir tranken lange. Dann wischte
"7
WARUM}
sich der Kleine den Schnurrbart
und sagte nachdenklich:
— Es muss ein guter Mensch sein^
Ich möchte nur wissen, warum er-
der Einhorn- Apotheker heisst?
fftS
3ch erbte . . .
Nach unserem glorreiclien Feld-
zuge der Jahre siebzig und
einundsiebzig ergab sich nach
Schluss des «Friedens" als nächste
Notwendigkeit, dass man sich nun
aber — rüsten müsse. Wenn Du
den Frieden willst — rüste den
Krieg« Hast du aber den Frieden
erlangt — so rüste erst recht den
Krieg. So oder ähnlich muss es
wohl in der Bibel stehn.
Die französischen Milliarden wur-
den, nachdem Bismarck und seinen
Leuten ihre baren Auslagen, Porto,
Reisekosten und dergleichen, zu-
rückerstattet waren, in erster Linie
zum Bau der spgenannten Kanonen-
Bahnen verwendet) damit man in
dem nun bevorstehenden nächsten
Feldzuge womöglich noch schneller
191
MOLTKES IDEAL,
und bequemer nach Frankreich hin-
einfahren könne.
Bei dieser Gelegenheit legte
Moltke eines schönen Tages das
Lineal auf die Karte des neuge-
einigten Vaterlandes und zog einen
dicken Strich von Berlin nach Metz,
Von der alten Annahme ausgehend,
dass die gerade Linie der kürzeste
Weg zwischen zwei Punkten sei,
wollte er diesem dicken Strich ent-
lang eine Bahn bauen.
Da ergab sich, dass Stolberg-Stfol-
berg am Harz genau auf dieser
geraden Linie lag! — Als Moltke
dieses sah, wurde er nafch^enklich
und brach wider Gewohnheit sein
Schweigen:
— Wenn mir da nur Adolph keine
Schwierigkeiten macht, — rief er
aus, — wir wollen ihm lieber gar
nichts sagen. —
So that man denn, als ob Stol-
berg-Stolberg schlechthin preu-
ssisches Gebiet sei und begann un-
verzüglich mit den Vorbereitungen
123
ADOLPH KOMMT DAHINTER,
zum Eisenbalinbau. Auf der einen
Seite des engen Thaies sollte die
Bahn aus dem Berge hervorbrechen,
in einem stolzen Bogen über das
Städtchen hinweggeführt werden
und dann auf der andern Seite in
halber Höhe des Berges wieder im
Tunnel verschwinden.
Da man Ulustrissimus nichts sagen
durfte, wonach er nicht gefragt
hatte, so erfuhr er anfanglich that-
sächlich nichts von dem Attentate,
das man gegen sein Land plante.
Als er jedoch eines Nachmittags
bei seiner Spazierfahrt einen hohen
Stoss £isenbahnschwellen am Wege
gewahrte, wurde er ob des unge-
wohnten Anblickes stutzig und
fragte, was denn das da seL Da
kam die Geschichte dann heraus.
Man kann sich Adolphs Schreck
denken. Die Eisenbahn! Diese
fluchwürdige Neuerung, diese durch
und durch liberale Institution —
in seinem Lande! Das war zu viel.
Er setzte nun alle Hebel in Bewe-
»«3
MOZ,TJCB GIEBT NACH,
gung. Es entspann sich alsbald ein
internationaler Depeschenwecbsel
grössten Stiles. Im Laufe der Jahr-
hundertewaren die Stoiberger natür-»
lieh mit einer ganzen Anzahl besseret
Familien des älteren hohen Adels ver-
wandt und verschwägert geworden.
Diese FamiUenbeziehungen nutzte
Adolph nun in ihrem ganzen Um-
fange aus — und da der alte Kaiser
Wilhelm von dem letzten Feldzuge
Qoch zu müde war^ die Sache auch
wohl nicht für wichtig genug hielt,
um ihretwegen einen neuen Völker-*
krieg heraufzubeschwören, so musste
Moltke seufzend nachgeben. Er
zog einen Halbkreis unten um den
Harz herum, und Stolberg ist —
Gott sei Dank! — bis auf den
heutigen Tag — ohne Eisenbahn.
I«4
IL
Zu meiner Zeit, also im Jahre
neunundachtzig, war es daher
noch ziemlich schwierig, nach
Stolberg zu gelangen. Man fuhr
mit der Bahn bis Nordhausen —
einer Stadt, die wegen des vielen
Schnapses, der in ihr fabriziert
wird, ihren Namen vollauf verdient.
Dort musste man sich in einen kai-
serlichen Postkutschkasten setzen
und hatte dann noch über drei
Stunden zu fahren, ehe man in der
Residenz der regierenden Grafen
von Stolberg-Stolberg ankam.
Heute ist es nicht mehr ganz so
schlimm* Man hat von Berga-
Kelbra, einer Station kurz vor Nord-
hausen, eine Sekundärbahn bis Rott-
leberode gebaut. Und von dort
bis Stolberg ist es nur noch eine
125
STOLB ERG— BERLIN.
Stunde, und zwar von Anfang an
ein ganz herrlicher Weg. Ich bin
ein Harzer und kenne und liebe
den Harz: man darf es mir also
glauben.
Schon damals Hess ich mich je-
doch durch die Ungunst der Ver-
kehrsverhältnisse nicht abhalten,
dem schönen Stolberg von Zeit zu
Zeit den Rücken zu kehren. Öfter,
als es meinem doch so milden Vor-
gesetzten, dem Herrn Amtsgerichts-
rat, lieb war, sah ich mich mit und
ohne Urlaub in menschenreichere
Gegenden versetzt.
Speziell war es ein in der Nähe
ansässiger Weinreisender, in dem
ich einen sehr brauchbaren Men-
schen erkannt hatte, der mich mit
Vorliebe von dem Pfade der Tugend
und des Amtsgerichtes ab und mit-
tels seines vortrefflichen und be-
quemen Privat-Fuhrwerks auf den
Bahnhof von Nordhausen brachte.
Von dort waren es nach Berlin nur
noch vier Stunden,
■ 36
DER GBNIE-CQNVENT,
Meine Berliner Freunde wunderten
sich denn auch gar nicht, wenn ich
von Zeit zu Zeit unter ihnen er-
schien,. Wenn ich ihnen erzählte,
dass ich Referendar in Stolberg sei,
mochten sie diesen Ort für einen
Vorort von Berlin halten. Sie
wohnten ja selbst zum Teil in
Friedrichshagen.
Gelegentlich einer solchen An-
wesenheit in Berhn machte ich die
Bekanntschaft eines jungen Mannes,
der seinem ganzen Ausseren nach
keineswegs in den Kreis meiner
Freunde zu gehören schien. Er
war ziemlich anständig gekleidet,
sogar mit einer gewissen billigen
Eleganz f war nahezu bescheiden
und schien immer Geld zu haben.
Er erinnerte eher an einen stillen,
sanften Kaufmannsjüngling, als an
ein Genie — kurz er war in dieser
Gesellschaft ,-7- dem sogenannten
Genie-Conv^nt — eine auflfallende
Erscheinung.
Auf dem Heimwege erkundigte
127
SRÜEISST STBRNSERG,
icli mich denn bei dem Obergenie
unserer Gruppe, das auf den Namen
Heinrich hörte:
— Nun sag' mir mal: wer ist
denn, eigentlich dieser neue Jüng-
ling, den Ihr da bei Euch habt. —
— Das — o das ist ein sfehr
nützliches Mitglied der mensch-
lichen Gesellschaft. Hast Du nicht
gesehen, dass er heute wieder ein
Zwanzig-Mark-Stück wechseln liess?
Eine Seele von einem Menschen.
Wir glaubten es ihm schon ab*
gewöhnt zu haben — aber nein!
Siehst Du: das ist einfe jener G-e-
stalten, die einen immer wieder mit
der Bourgeoisie aussöhnen . . •
' — Nun ja . . . aber ich- möchte
gern wissen: was ist er denn eigent-
lich. —
■ '^— ^ Ach, das ist das wenigste.
Er h^isst Sternberg. Sein Vater
hat natürlich Geld , • handelt mit
Wolle, Zwirn, Draht '. . kurz allem,
was länglich ist. Und er, der kleine
Sternberg, misst es, bevor der alte
128
MIT EINBU MSTSRSTABS,
es verkauft. Na • • und dabei ist
er aufs Dichten verfallen. Wie? —
kann ich Dir beim besten Willen
nicht verraten. Aber Du musst mal
herkommen, wenn er was vorliest.
Dann ist es immer sehr gemütlich.
£r bezahlt dann stets freiwillig das
Bier. Wir finden dann auffallend
viel Talent in seinen Sachen und
bestärken ihn natürlich eifrigst im
Dichten. Willy hat ihn neulich in
einer Ansprache den „Petrarca der
Spandauer Strasse" genannt und
hat ihn gezeichnet > wie er mit
einem Meterstabe Lorbeer-Guir-
landen misst.
— Ihr seid Ungeheuer!
— Erlaube mal: wir sind sein
einziger Herzenstrost, denn seine
Familie will von dem Saitenspiel in
seiner Brust absolut nichts wissen,
er muss es ängstlich vor ihr ge-
heim halten. Also — was willst Du?
129
9
IIL
In Stolberg hatte ich im Gedränge
meiner Amtsgeschäfte nicht wie-
der an den dichtenden Jüngling
gedacht. Um so erstaunter war ich
über die Dinge, die ich nach einer
längeren Abwesenheit von Berlin
dort von ihm vernahm.
Sein Vater war gestorben und
hatte ihm zwar nicht das Geschäft,
das sein älterer Bruder übernahm,
wohl aber ein beträchtliches Ver-
mögen hinterlassen. Sofort mussten
die seltsamsten Wandlungen in ihm
vorgegangen sein. Man erfuhr je-
doch nichts Bestimmtes darüber.
Er war verschollen.
Es vergingen wiederum einige
Monate, da hörte ich, dass er in
einem Vororte von Berlin in einer
Maison de sante untergebracht seL
130
RINS ART DSNKSCBRJFT.
Durch den Arzt der Anstalt war
an unser Obergenie eine Art Denk-
ischrift gelangt, die geeignet war,
<iie widerstrebendsten Gefühle zu
erwecken. Sie trug die Aufschrift:
«Ich erbte • • •*• Indem ich mich
für den getreuen Wortlaut yer-
bürge« gebe ich sie im folgenden
wieder.
•3»
IV.
Ich erbte ....
Meine Gedichte, welche bisher
unten in einer Schublade meines
Schreibtisches gelegen hatten — auj
einmal lagen sie obenauf, mitten auj
dem grünen Tisch.
Es war ein Heft in Grossoktav>
in rote Leinwand gebunden, nicht
sehr stark und ohne Goldschnitt —
denn die Menschen verspotten den«
Goldschnitt.
Ich notierte mir die Adressen
einiger namhafter Berliner Verleger
und nahm eine Droschke erster
Klasse auf Zeit. Die Sache wurde
mir weniger teuer, als ich befürch-
tet hatte: schon nach einer Stunde
hatte ich alle Besuche erledigt.
Was nun?
Mir fiel ein, dass ich neulich in:
»32
DBR SOHN DBS KRITIKERS.
einer grösseren Gesellschaft die
flüchtige Bekanntschaft des ältesten
Sohnes eines unserer berühmtesten
Kritiker gemacht hatte. Der junge
Mann stand in dem Alter von etwa
21 Jahren und war StudenL Ich
schrieb einen sehr höflichen Brief
an ihn, legte einen 50 Mark-Schein
bei, und da ich 2 Jahr älter war«
glaubte ich dem jungen Mann einen
ebenso nützlichen wie wohlgemein-
ten Rat erteilen zu dürfen. Ich legte
ihm nämlich nahe, seinem Vater ein
diesem gewiss hocherfreuliches selb-
ständiges Interesse an schöner Litte-
ratur dadurch zu verraten, dass er
ihm meine Gedichte, als eine eigene
Entdeckung, zeige, vorlese, oder
wie er das nun wolle • • •
Tags darauf erhielt ich den Be-
such eines mir bis dahin völlig un-
bekannten Herrn, der sich mir als
Studiosus juris Soundso vorstellte.
Derselbe überreichte mir einen
50 Mark-Schein und teilte mir sodann
in einem sehr gleichgültigen Tone
»33
DIB SÄBELFORDBRUNG,
mit,'dass er mir eine Säbelforderung^
seines Freundes F. zu überbringen
habe. Er legte dabei eine Karte, auf -
der seine Adresse verzeichnet stand^
auf den Tisch, und eh ich in meiner •
Verwirrung ihm noch meinen Dank •
aussprechen konnte, war er schon mit '
einem höflichenGruss verschwunden»
Ich schrieb nun einen zweiten Brief *
an den jungen F., in dem ich ihm für \
seineForderung höflich dankte. Aus
Ironie fügte ich hinzu, dass ich leider
keinen Bedarf hätte, jedoch würde '
ich seine Wünsche insofern respek« '
tieren, als ich unter diesen Umstän- '
den von einer Zusendung meiner
Gedichte an ihn absähe. Ausserdem -
bestätigte ich ihm den Wieder»
empfang der 50 Mark.
Einige Tage war ich nun ganz-
lieh ratlos — fast verzweifelt. In
«
besonders düsteren Stunden dachte'
ich sogar an Selbst- Verlag. Doch'
kam ich hiervon immer wieder zurück
— denn die Menschen verspotten-,
den Selbst- Verlag, und ich konnte ia
134
DSR bsdrAngte familibnvatsr,
Anbetracht meiner kaufmännischen
Stellung nicht einmal als Autor mit
meinem eigenen Namen hervortreten.
Ich nannte mich als Dichter mit
Anlehnung an meinen bürgerlichen
Namen ,Stellamons".
Da las ich eines Morgens in der
, Vossischen Zeitung", dass ein edler
Menschenfreund gesucht würde, der
einem bedrängten Familienvater mit
einem Darlehn aus der Not hülfe.
Ich hatte derartigen Anerbietungen
bisher wenig Beachtung geschenkt,
jetzt aber kam mir plötzlich eine Idee,
und ich schrieb sofort unter der an-
gegebenen Chiffire an die Expedition.
Am andern Tage kam ein Mann
zu mir, der schon durchsein Äusseres
das allgemeinste Mitleid erregen
musste. In einem abgetragenen
schwarzen Rocke schleppte er eine
Kollektion Gebeine mit sich herum,
von der man sich wunderte, dass
sie nicht klapperten. Dieser Mann
erzählte mir, dass er zu Hause elf
lebendige Kinder habe« und dass
»35
DIB VERSUCHUNG.
seine Frau auf dem besten Wege
sei, das Dutzend voll zu machen.
Wenn der Mann nicht sonst einen
überaus bescheidenen Eindruck ge-
macht hätte, würde ich mich des
Verdachts nicht haben erwehren
können, dass er renommiere.
Ich gab ihm meine Gedichte und
sagte ihm folgendes:
— Mein lieber Mann, ich bin gern
bereit, Ihnen durch ein Darlehn in
der Höhe von loo Mark aus der
Not zu helfen. Ich verlange von
Ihnen nicht, dass Sie mir diese loo
Mark verzinsen, auch mögen Sie sie
mir zurückgeben, wann es Ihnen
passt. Nur eins verlange ich von
Ihnen als Gegenleistung : Sie müssen
meine Gedichte verlegen. Er-
schrecken Sie nicht, lieber Mann,
auch das soll for Sie nicht mit den
geringsten Unkosten verknüpft sein^
Im Gegenteil, ich hoffe, wenn ich
Ihnen alles zur Eröffnung eines
kleinen Verlages eingerichtet habe,
werde ich Ihnen damit eine Existenz
136
SCHWERER KAMPF.
schaffen können. Ich denke mich
mehr und mehr auf die eigentlich
dichterische Produktion zu werfen.
Also nehmen Sie diese Gedichte
jetzt mit nach Hause, lieber Mann,
lesen Sie sie sich durch. Sie sehen,
ich gedenke nicht, Sie zu überrum-
peln und ihre Notlage auszubeuten.
Morgen erwarte ich Ihre Entschei-
dung. —
Der Mann ging und kam andern
Tags um dieselbe Zeit wieder. Er
schien mir noch gedrückter und ver-
störter als das erste Mal. Mit zittri-
ger Stimme begann er:
— Mein Herr! Das Leben hat
mir böse mitgespielt. Schon seit
meiner frühesten Kindheit verfolgt
mich das Unglück. Mein bescheide-
ner Verdienst steht in gar keinem
Verhältnis zu meiner natürlichen Ver-
anlagung als Vater und zu der uner-
schütterlichen Fruchtbarkeit meiner
Frau« Oft genug fehlt uns das Brot
im Hause, und unser Herz blutet
und will fast zerreissen, wenn wir
»37
SJSGf
unsere Kinder vor Hunger wimmern
hören. Aber, mein Herr, das eine
wenigstens hab* ich mir in all dem
Jammer bewahret. Das eine ist mein
Trost in trüben Stunden und richtet
mich auf, wenn ich schier verzagen
will. Ich bin trotz aller Anfechtung
ein ehrlicher Mensch geblieben, mein
Herz ist rein von bösen Thaten, und
was ich auch im Leben schon Schwe-
res erduldet habe, ich konnte mir noch
immer sagen: Du leidest Unrecht,
Du hast es nicht verdient, Gott muss
Dich einmal entschädigen. Mein
Herrl Nehmen Sie Ihre Gedichte
zurück. Ich habe diese Nacht einen
schweren Kampf mit mir gekämpft,
vielleicht den schwersten meines
Lebens. Doch ich bin als Sieger
daraus hervorgegangen, und ich ver-
zeihe Ihnen die Versuchung, in die
Sie mich gebracht haben. Auch Gott
möge Ihnen verzeihen 1 Leben Sie
wohL —
Der Mann verliess mit einer ge*
wissen Würde mein Zimmer.—
138
»^ ^^^^mmmm^aB^rssrnm^ammma^mmmBami
SBLBSTVSiULAGf
Auch diese Hoffnung hatte mich
betrogen. Ich war trostlos.
Ich hatte meinem Vater auf dem
Sterbebette versprechen müssen,
dem kaufmännischen Berufe treu zu
bleiben. Ich war daher, weil ich
mich mit meinem Bruder nicht ver-
tragen konnte, in ein Konkurrenz-
geschäft eingetreten und konnte mit
meiner Stnllung ganz zufrieden sein.
Freilich war mein Chef ein streng
denkender Kaufmann, und ich hatte
daher meinen Verkehr mit dem
Genie-Convent einstweilen aufge-
geben. Hätte ich eine Ahnung ge-
habt von der Flamme meines Busens,
oder hätte er nur einen Hauch Eures
genialen Wesens verspürt, so glaube
mir, mein lieber Heinrich, würde er
mich auf der Stelle wegen Unzuver-
lässigkeit entlassen haben. Ach, die
Philister sind gar zu brutal , . .
Aber trotz dieser schwerwiegen-
den Bedenken reifte nun tief in
meinem Busen ein gewaltthätiger
Entschluss. — Selbstverlag. — Es
gab nichts anderes.
139
WOLLUST DBS KORREKTURENLESENS.
Schliesslich: es brauchte ja nur
der Name des Druckers auf dem
Titelblatt zu stehen. Und dann —
musste es denn herauskommen?
O nein! Wenn ich nur recht ge-
schickt war • . • Ich vergegenwär-
tigte mir alle mir erinnerlichen Fälle,
in denen man nach einem Morde
niemals auf die Spur des Mörders
gekommen war. Solche Fälle gab
es doch, und zwar in ziemlicher An-
zahl. Weshalb sollte ich nun gerade
der Ungeschickte sein?
Es begann nun für mich eine Zeit
der heimlichen Wonne. Hinter ver-
schlossenen Thüren, wenn alles
schlief, kostete ich die Wollust des
Korrekturenlesens bis zur Aus-
schweifung. Dabei steigerte sich
das Gefühl meiner inneren Grösse
von Bogen zu Bogen. Es erreichte
schliesslich eine Höhe, die mich erbe-
ben machte. Einsam in meiner Grösse,
gross in meiner Einsamkeit, wuchs
ich vor meinen geistigen Augen all-
mählich zum Giganten heran. Ja,
140
DA LACHTE SR....
es gab Stunden, wo ich mich schon
mit Dir, mein Heinrich, zu vergleichen
wagte. Verzeih!
» Um jene Zeit war es auch, dass
ich mir meinen Todfeind gewann.
Ich sass eines Abends allein in einem
Lokal. Er sass in grösserer Gesell-
schaft an einem Nebentisch und hatte
wohl schon eine Stunde lang immer
und immer wieder von Goethe ge-
sprochen. O, ich hatte die beleidi-
gende Absicht sofort bemerkt, hielt
mich aber lange mit Macht zurück.
Da er aber gar nicht aufhörte, be-
gann ich schliesslich denn doch —
in bescheidener Weise von mir zu
sprechen.
Da lachte er . . .
Infolge eines Meineides, den er
nach einiger Zeit in dieser Ange-
legenheit schwur, wurde ich wegen
Körperverletzung zu einer Geld-
strafe von fünfhundert Mark verur-
teilt. Der Staatsanwalt hatte drei
Monate Gefängnis beantragt.
141
DER TODFEIND t VERRAT f
Mein Todfeind verfolgte mich nun
erst recht mit allen Mitteln . . .
In meiner Gegend hatte er sämt-
liche Droschkenkutscher in seinen
Dienst genommen und ihnen zuge-
raunt, sie sollten mich in eine un-
heimliche unbekannte Gegend fah-
ren, wo er mich erwarten würde • • .
Ich war aber schlau und fuhr
stets mit der Pferdebahn,
Doch er ging in seiner teuflischen
Bosheit noch weiter . . .
Endlich waren meine Gedichte
erschienen • . •
Da, etwa vier Wochen darauf,
rief mich eines Abends nach Schluss
des Geschäftes mein Prinzipal zu
sich.
Er betrachtete mich lange mit stil-
ler Teilnahme, Dann sprach er;
— Mein lieber Freund! Es thut
mir herzlich leid, aber jener hat
mir alles verraten. Und nicht bloss
mir. Die Sache ist bereits ruchbar
geworden. Sie begreifen daher . .
die Rücksicht, die ich dem guten
Rufe meines Hauses schuldig bin . .
142
VORBEIGESCHOSSEir,
Ich war entlassen. —
Von nun an gehört mein Leben
der Räche! — — — — • —
Einstweilen hält man mich hier
fest. Ha, ich weiss! Das Geld
meines Todfeindes ., • •
Wenn mein Verteidiger auch be-
hauptet hat, der Mordversuch, so
wag^e er meines Herzens heilige
That zu nennen, sei in einem Geistes-
zustände begangen, der die freie
Willensbestimmung ausschliesse • • •
ha, ha! Ich weiss es besser. Lach-
haft, höchst lachhaft • • •
Ich weiss, was ich will. Ich weiss
es. Klar steht es vor meiner
Seele, als mein Schicksal, als meine
Pflicht.
Und wenn ich auch dies erste
Mal vorbeigeschossen habe • . .
Pah, was will das bedeuten! Das
kam nur von meiner Dummheit,
dass ich nicht näher an ihn heran-
gegangen bin.
Das nächste Mal . . . hm . . . wir
»43
ICH MUSS NACH BERLIN . . .
werden ja sehn. Dann wird*s schon
besser gehn.
Lasst mich nur erst mal hier
heraussein, dann werdet Ihr was
erleben!
Der Doktor lachte immer so
leise . . so als pb er eine Ahnung
hätte . • • •
Ich glaube, er ist mein Freund.
Ja! Wenn er mich heute besucht,
werd' ich ihm meinen Plan ent-
decken.
Er wird mir helfen, mich heraus«
lassen.
Ich muss nach Berlin . • •
Als ich Heinrich das Schriftstück
schweigend zurückgab, sagte dieser
achselzuckend:
— Ja, du mein Gott, wer konnte
ahnen, dass der dumme Kerl keinen
Spass verstehen würde.
A. Seydel & Qe., Gv m. b. H., Berlin S.W.
mh
Rotiiane
pon gabrfele D^JUtumiziO:
. . . . @d ift ein ^ugenbrnerl^ oon ber gti^ten Setbenfc^aft
eingegeben, ftra^Ienb oon bev SBoOfuft bed Schaffend unb bte
äOoQuft felbß oev^ertlt(^enb in bem ®egenfa| bed fc^vanfenlofen
(^enie^eniS unb bet 7&nt|>fenben 6el^nfu(^t. @d x\t gebtibet nn
bte 9^ergangen§eit StaKeniS. ^ev ©etft bed grojiSfen unb mtebev
tiefen SBanbeQo (ebt auf unb bte gftrtlic^e^ niemald fraftlofe
fipptgfett bet großen 92aler. @d ift angefüflt mit ben Sd^&ten
bet Sergangenl^ett unb burc^Ieud^tet von bet @eele bet ©egen«
»att. @d geigt eine übetaud loftbare Spnt^efe altet llunft unb
neuer Sbeen. @o ift ed, mie jebed biefer SBerfe ^D'^nnungioS,
ein S^H^^^f ^<>6 ^^^ ©ri^e Staliend, toenn auäf nut in einem
SJ^anne, lebenbig ift ... .
a>ie Seit (SBien).
.... 5DaS ift ein Sßunberbuc^, feine Srg&^Iung mel^r,
bie Sd^ilbetung be9 mobemen ^om§, ein ©emftibe ber „großen
2BeIt" am @nbe biefe» 3a§t§unbert«. 5Die SBelt ber „Gardenias-
unb ber „grandes dames", bie l^eute mit einem 8ä(^eIbU(f alle9
oerl^eigen unb morgen am 9lrm be9 Ruberen oorüberraufd^en,
fremb, tü^l, unnahbar.
@in äBunberbuc^, au0 bem t» mie ein Sf^aufc^ aufftetgt, ber
Sftaufd^ ber @Iegana unb ber Sorne^ml^eit, bad artftofratifd^e
«Belbflgefül^I einer SBelt, bie mirfli(^ erft mit bem Saron an«
^"^ ' ' ' * »etitnct e^ttttet.
.... ^'SCnnungio ift immer me^r gu bem längft eric:;r..t.»
maleren mobemen 9%omangier gemorben, ber eS oerftel^t, baS
Seben unferer 3«t fü^n unb lebenbig in ^oefie gu giefeen. ^er
3fJoman „Öuft" geigt in reinfter SRomanform bie groge Äunft
be3 3taliener3, neben einer fpannenben ^anblung »on ergreifenbcr
Seben^ma^r^eit bie »ielen unb üicifeitigen gormen moberner
^uftut unb aud) Itberfultur bem liefet ret50oQ na^e gu bringen
^'Slnnunato fd^cut in bicfer fa^ainicrcnbcn SicbeSöcft^it^tc x)or
feinem @;trem Burücf, er tagt uni5 gletd^ermeife auf bte Gipfel
tok in bie ^bgrünbe ntenfci^lid^er @mpfinbung bliden. X)er $elb
beS SRomaniS ift ein Xröger mobemer Dua(itaten in il^rem guten
unb fd^Ied^ten @inne, wie il^n nod^ fein ^td^ter gefc^ilbert ^at,
unb bte ©enfioitöt beS ^'2lnnun5tof(i^cn ©eifteiS §at e§ fertig
gebrad^t, bem Sefer l^ier ein unerl^ört uberrafd^enbeS Silb aller
unferer Äulturfrüd^te gu geben, »on bcr ifunftaüftion bis gunt
Slennfport, »on ber Unergrünblic^fcit ber SiebejJftürmc hi§ gur
intimen Sflul^e in ber großen Saubfc^aft.
flSBtencY XagiblatU
6g ift ein Äunftmerf erften SiangeS, biefer 9?oman mit
feiner Sflealifttf unb bo(§ feiner Unfummc »on tiefem, abgrunb«
tiefem ©efül^Ic, feinen imrfenben unb bod^ fo munberbar ah^
getönten ©d^ilberungen, feiner ffaren ^fvd^ologie. @g ift ein
S3ud^ für gereifte ©l^araftere, bie e« mit mac^fenbem Sntereffe
lefen, bie e« nid^t el^cr au« ber §anb legen werben, al§ bis fte
am @nbe angefommen
^te rebenben fünfte«
„Trionfo de la Morte" ift üielleicf)t ba5 bebeutcnbfte SBerf
nid^t nur ber neueren italienifd^en Sitteratur. ®S ift ein fünft*
lerifd^eS SBerf, in bem baS mobcrne ^enfcn unb gül^Ien il^rcn
t^pifc^en, poetifc^cn unb plaftifd^en SluSbrudf gefunben l^abcn.
^er SBiber^aH faft attcr Sbeen, »on benen bie gmeitc $älfte
unfereS 3a^rl^unbcrtS bel^errfd^t mirb, in ber Seele eines
.^rrjönglic^en, nad^ bem ©nbatoedf beS SebenS, nac^ inbimbueller
^ifcnntniS ringenben SKenfd^en ift l^ier »on ^'STnnunaio mit
feltener Xiefe unb ©id^erl^eit bargeftellt. Slid^t in toten 6i;mboIen,
fonbcm in Tcbenbigen ©eftalten fommt §ier ber ßJeifteSfampf
bcr oieDeid^t überreifen, aber iebenfaDS nid^t unreifen mobemen
©eele jum 2(uSbrudf.
9ltut 2)eiitfc4e 9lunbf4au
Romaiie pon Bermaii Bang:
üRtn (P^ege* Homan.
^er Scrfaffcr !ann in bic Jlei^c bcr Bcften ©c^riftftcfler
ßcftcUt merbcn. „3lm Söegc" ift eine eigenartige Slrbeit oon
intimem Sleig. ^ie i^efer werben unbeioult unter ben SBiÜen
bcS &xiaf)Ux§ gezwungen; er toe\% i^nen feine SBelt fo anfd^au»
lic^ unb vertraut gu machen, ba| fie ^ören unb fej^en mit er,
als i^ätten fte unter aE ben Seuten beS fletnen ^trc^fpield in
befd^aulic^er greunbfc^aft gelebt. Xro^ be§ gefunben diealx^mnß^
unb ber frifc^en ^xt bed @r$ä^[end mirft ba^ (^ange rul^ig*
abgeflärt; wie eine ftiDe SWefobie, bie ein l^eimlic^eg Xrauein
ipedt, baä über perfönlic^em ßeib unb |)erfönlic§em ©lüdfe fte^t.
^a3 33u(§ wirb reife, benfenbe Sefer biö gur lel^Un ©eite
feffeln, e§ bietet eine gütte prächtiger c^arafteriftifd^er ©djilbe-
rungen allerlei 2then^ ; leife, fc^mermütige, mübe, wie bie 33ilber
bei Äatl^infa« ©eimatsbefut^, unb luftige, frö^Iicb-berbe, wie bi^
3a§rmarft^fa§rt unb bai5 geft im ^farr^au^. ©rwoftnt fei aucb
no(^ ber SBei^nac^tSabenb hd SBaiä mit ber ffeinen 3enfen. 63
ift unmj^glic^, ftc^ ber jeweiligen (Stimmung gu entgie^en.
4^amburgtf(^tr 6!omf)ionbent*
®ie VXtt V^tufet (Ejcentrif^^e Hooette.
.... ^aS ift mit einer ^napp^eit erga^lt, bie bewunbe«
runggwürbig ift; fein SBort guoiel, feine Sentimentalität ftört.
@ine feine Äünftler^anb f)ai §ier bie geber geführt unb mit un»
erbittlid)er Äonfequeng »on bem %ot> gweier armen (Stown^ er»
gä^It, e^e fte ))om !^eben ttxoa^ Ratten. (Sin Kunftwerf aüe§ in
ött^»»- »Iftttcr ffir attcturifi^e ttnfer^oltitng*
J^offnungefofe <Befc$fec$(cr. Homan.
.... ©er ©efamteinbrucf ift ein gemaltig pacfenber, ein
in gerabegu fc^merg^aftcr SBeifc erfd)ütternber. ©er SJerfaffer
fdjilbert bie legten 6proffen einer begenerierten Slbersfamilic:
einen im SBa^nfinn enbenben SJatcr unb beffen @ol^n, ber al§
traurige^ ©rbteil oon ber gamilie l^er eine übergroße ©mpfinb»
famfeit erhalten f)at unb an beren golgen gu ©runbe ge^t.
„Sf^erDöfe ©ponnfraft" an ©teile bcr gefunben SebenSfraft in
anberen 3ünglingen, ba^ ift baS d^arafteriftifc^e unb tragifd^e
^JlgcnS im Seben biefe^ ©elben, unb alle üKerfmale beSfelben
jinb von bem SBerfaffer ebenfo fein ber S^latur abgelaufd^t wie
marfig bargefteHt. 3^ ^^n wirffamften ©teilen beS 93ud^e§ ge«
^ören bic, in benen bie ©eclenangft ber ^Äutter unb ber beiben
Äinber um ben fo merfwürbig oerwanbelten §ög3 gefd^ilbert
wirb, unb bonn ber 2öal^nfmnSauSbruc§ bei lefeterem. 3n biefer
©genc geigt Sang beutlic^, bafe er fowol^l über Die ^raft wie
über ben ilbel wahren ©id^tertumS verfügt : roa^ auS il^r gu
bem Sefer fpric^t, ift e^te, marferfd^ütternbc 2^ragif.
Setpi(tgcr 2^aoeBIatt.
£tzMmm
(^on Otto €ricb Rarfleben:
&c\d^\d^U pom aSgeiriffenen IKnopfe«
8. ^(uflage. Vfixt Umfc^IagbUb oon f^. Sc^Iitt^en.
^artleben Bebarf ttid^i ber fomifd^en Situation/ et f)at ben
^umoriftifd^cn Xon, ber immer mirft, fo »ie gemiffe Äomifer
fd^on $eiterfett erregen, menn fie nur bie Sül^ne Betreten. ®r
iDirft burd^ bie oerBIüffenbe Stulpe, mit ber er ergäl^It/ unb man
ia^t fd^lieglid^ auiS reiner f^reube an ber ©emütlic^feit bed @r«
3ttfii|attt( (^amBurg).
eine rid)ti0e ©tubentengefd^id^te, frifd^, frei — nein, fromm
nid^t/ aBfolut nid^t, aBer üBermütig, launig, fedP. ^e @prad^e
eBenfo fein unb fünftlerifd^ gefd^Iiffen, alg bie gefc^ilberten SBor»
gonge berB unb gan3 unge!ünftelt«natürli(^.
berliner SageBlatt*
8. ^luflage. mit Umfc^Iagbilb oon (D. £agemann.
. . . ©artleBen §at eS tjerftanben, feine ©efd^id^ten »om
gaftfreien ^aftor unb t)om @inl^om>^pot](ie!er gu maleren ItaBinett«
ftüdPen fröl^Iid^en ^umorS gu geftalten, unb mir banfen il^m oon
bergen für bie freunblid^e ©aBc . . .
S3red(atte( S^^^^^H*
i&ier offenbart fi(§ ein l^umoriftifd^eS ®enie erften 9lange§.
^artleBen mad^t feine SBi^e; feine fd^arfen, audgeflügelten Sßort*
fpiele, feine raffiniert Berechneten Situationen fotten bie Äoften
ber SBirfung Beftretten. @d ift clngig uub adetn fein golbencr
^umot, ber aOed burd^trftn!t; il^n {(^lürfen wir hinunter wie
einen eblen, flaren, fc^immemb ^eQen St^einmetn (eften ?^a^x*
gangd, unb wohlige Se^aglid^feit umfängt und 6etm ^cnug.
füti^^an^txqn (Berlin).
$artle(en ift ein @pj$tier, unb ba er vor ben geheiligten
Srabitionen ber ©efeUfd^aft unb ber ^RoxqI gar feinen 9tefpeft
8u l^aben fd^eint, fogar ein lofet @|>dtter, bem aber aUe, bie
nic^t oerbtffene 9RoraIiften ftnb, mit Sergnfigen gu^ören werben,
weil er anmutig, geiftreic^ unb luftig au gleicher geit ift.
4^amHttrgt( gf^embtttülatt
©er (Böttitfcile (ttlafer.
Uuifc^Iag von £. Petter.
^. 2tnflage.
. . . IBenn wir ntd^t in Deutfd^Ianb lebten, würbe id^ vor«
au^fcften, bafe fein neuefter »anb C,5)er römifd^e SKaler") in
aüm 4>änben ift, ein echter Otto ©rid^, brittant ftilifiert troft
fc^einbarcr Si^adiläffigfeit, wi^ig, gefd)madfpoll wie immer, leicht
unb fräftig, fomifd^ unb emft, ungemein er^eitcmb, unb läfet
5um @(I)lug nod^ einen Steft oon S^ad^benütdifeit gurüdf . . .
9leue ^eutfil^e Siunbfi^att.
. . . ^artleben ergöldlt aUerbingd Dorwiegenb beutfc^e (S^ri«
fettengefdjid^ten, wie SKaupaffant franaßfifd^e gu ergöl^len wußte.
5lber wie 3Raupaffant burd^ feine ©ragie unb burd^ bie geinl^eit
feined SBi^eiS ben ©egenftanb abelt, fo C^artleben oornel^mlid^
burd^ ed^t beutfd^en $umor . . .
ferner ^unb*
Romane pon Gabriele Remer:
Cei&engefc^ic^te eines Hläbd^ens.
\0, 2luflage.
©Itern, bie tl^re Äinber anber^ liehen aI3 mit ber
banalen „Elternliebe", foHten biefe^ 93ud^ lefen, unb bie uor»
urteil)3freien 3Serftänbigen unter il^nen — freiließ aud^ nur biefe
— werben mel^r barauS lernen fönnen al3 au3 ben fd^önften
Xraftaten über ^inberergic^ung.
@3 ift me^r al^ ein gutes, e3 i[t ein gro^c^ 33uc§, mit bem
(SJabriele SReuter bie beutfd^e Seferoelt befd^enft ^at. 9Köge fic^
biefe ber Q^cihe njürbtg erweifen.
S3tcdlnucr 9Korgenaettiittg*
GS ift bieS ein 93ud^ Don fo aufrüttelnber 2öa^r*
6eit, fo gana unb gar überaeugenb, eS fc^reit feine oernid^tenbc
5lnffage mit fo burd)bringenber Stimme in bie aSelt, bafe man
8unäd)ft öon3 uergeffen roirb, nad) feinen fünftlerifi^en @lgcn»
f(^aften ju fragen. Unb bcnnod) ift eS fünftlerifd^ in |^o|em
©rabe, — einfach ein SWeifterroerf. . . .
©ruft ü. aßohogen
im Tla^a^xn für l^tttcratur.
ZToDellen. 2. 2luflage.
^iefe S^oocHe „Xer fiebenSfünftler'' giebt eine gerabeju
flaffifc^e 6d)ilt)erung jener egoiftifd)en Biegungen, bie baran fd^ulb
finb, 'Dai fo Diele 5Wänncr gar nic^t ober fe|r fpät heiraten unb
gerabe burd) foId)e 93ebenf(ic^feit baS roal^re SebenSglüdf, baS fic
fid^ gu fidlem I;offen, am grünblid)ften oerfe^Ien. Xiefe ?looeIIe
be^anbelt fomit ein Problem, baS üKänncr unb grauen angebt;
fie burfte roo^l bem 93uc^e ben Xitel geben. €inb bod^ auc^ bie
§au|)tc^araftere mit berounbcrnSroerter SWeifterfd^aft gefd^ilbert.
5luc^ bie belben fürgeren 9^oo.encn: „®oi3 TlaleV unb „Xev
^^ätfd^elfünber" finb burc^ feine S^arafteriftif unb eine eble, ge*
funbe SScItanfd^auung auSgcgeic^nete 3lrbeiten.
ferner S3unb.
Stau (güiVQdin un5 i^vc ß6^iM.
4. 21uflage.
„grau Sürgclitt unb i^rc Sö^nc" tft ein 9?oman oon SBcrt.
©a^ SSdter unb ©ö^nc etnanber nic^t cerfte^en, boS i^ fc^on
l^unbertmal bagen)efen. ^ber bag eine [tebeoolle Butter i^ren
Söhnen jur Xi)rannin n)irb, bag eine %xau Don ^ol^er ^ilbung
unb ^ol^er (SJefinnung in ber ©rjie^ung i^rer ©ö^nc baS furd^t*
barfte gia§!o erlebt, an bem fic — unb ber ältere ©ol^n bei*
na^e ebenfalls — ju ©runbe gcl^t, ba^ in einem f)öä)\t feffeln«
ben unb- bie gange Xragif eines foId}en 93erl^ältnif[e3 erfd^öpfen«
ben Spontane bargufteClen, war ber tafentDoHen unb fünftlertfc^
gcroiffen^aften ©abriefe 9?cuter vorbehalten.
S3crner S3ttttb*
(Bffcn von 5er (K)et5en.
Homan in QIagebuc^auf5ei(^nungen.
3. ^luflage.
3u ben feinen Äennem ber weiblichen @eclc gehört un«
ftreitig Öabriele Sieutcr, beren pfvc^ologifc^er S^loman „SluS
guter gamilie" in wenigen Solaren gel^n 5luflagen erlebte. %ud)
i^r neuefter 3?oman „©Den »on ber SBeibcn" ift in erfter SReiße
ein ©eelengemälbe von fd)ier unübertrefflid^er gcin^eit ber 9(uä*
fü^rung. ©^araftere t)on ber ^rt ber ^elbin f)at man oft als
unmöglich unb unma^r be3eid)net; bod^ in unfercm Sal^rl^unbert
be§ raffinierten, unnatürlid^cn ©enuffeS, ber überreijten ^ercen,
beS !ranf^aften ©rübclnS über fidj fclbft, fmb 3Wenfd^en, be«
fonberS grauen, mit bem fcc^ftcn ©inn, bem ©ti(§ inS ?fi;c§0'
pat^ifc^e, nur gu ^äufig anjutreffen. 3n ©Hcn »on ber SBeiben
fd^ilbert unS Gabriele Sieuter einen fold^en XypuS mit ber ©e»
nauigfeit eineS 5(natomen. 5)er Sefer lernt (SHenS ©mpfinben
hei jebem St\x% bei jeber Umormung fennen, er wirb in i^rc ge»
^eimften ©eelenregungen eingeweiht unb erfäl^rt il^re gel^eimften
©cbanfen über Siebe unb ®^e, über baS Sföefen be§ SBeibe-S
unb SKanneS, i^re Slnfidbten über bie Stellung ber ©efc^led^ter
3U cinanber, über Äunft, Sittcratur u. f. w. 2^ro^ be§ »or«
wiegcnb refleftierenben 3"^öttS ift feine Qexlt langweilig, übcratt
begegnet man tiefen unb wahren ©ebanlfen unb, toa^ bie Qa\xpU
faie ift, aud^ wo bie SBerfaffcrin bie l^eifetften tl^emata berül^rt,
bleibt fie immer bereut, fo bafe baS 93ud^ audö benfenbcn jungen
tarnen unbeforc^t in bie ©önbc gelegt werben barf. ®a§ 93ud)
fann als ein geiftDoUeS, burdö feine ßaSsiDität getrübtes Äom*
penbium beffen betrad^tet werben, waS von ben grauenret^t^'
lerinnen über bie grauenfrage unb aUeS, waS mit i^r aufammen*
l^ängt, gefd&rieben worben ift.
@t ^eterdbttrger Bettung.
üakob massermanii:
k &t\cixciU der jungen (Sitnatt S^d^^.
Koman.
4. 21uflage.
„. • . • 3Ranä)e fmnenbe @ttm loirb ftd^ barüber Beugen,
manc^eiS 9uge loirb ftd^ feud^ten uttb aud oerfd^ütteten S^tefen
n)irb eine loel^müttge Sejal^uttg aufftetgen* UeBer ben (Solang
feiner Btlbnertfd^en ^l^antafte, über bte ^rad^t feiner €prad^e
tDxU i(6 ntd^t weiter reben, nad^bem id^ fd^on einige groben ge*
geben l^aBe. (SS tarn mir aud^ nid^t barauf an, baiS Sud^ nodi*
Suersö^len ober 8U analpfteren, fonbem if)m t^reunbe ju errcerBen
unb bem Sefer 9U fagen, »ad i^n an äftl^etifd^er f^reube unb
menfd^Iid^em (^en)inn ermartet. €ettbem bev. altt Fontane tot
ift, ber baiJ ©c^irffol ber Keinen ®ffl ©rieft in bie »erftel^enbe
9)'{tlbe ber ^IterSerfal^ning gel^üHt §at, ift in biefem ^^vauen«
roman sunt erften S^ale n)ieber ein Kunfttoer! 3U Begrüben unb
ein 5tünft(er, ber menfc^lid^ tief unb reic^ genug fc^eint, um eine
@ntn)idP(ung 5U nod^ reiferen SBerfen su oerfpred^en.''
S^offtfd^e Bettung (»erlin).
„. . . @tn fuBjefttoeS ^ntjüdfen ifi ed etgentlid^, baS an
biefeg 5bu(^ feffelt. ©in fuBjeftioer, männlid^ empfunbencr
grauenroman — bamlt fann man baS Sud^ KtterarifdJ fenn*
3eic^nen.
3d^ IJialte es für ein (SreigniS. Sei SBaffermannS ^ar»
fteUungSfunft im einseinen !ann id^ nid^t lang oem^eilen. ©einer
2[rt »on ;)|:Dd^olo4ifd^er iDiale!tiI »tberftel^t man nic^t: fte rül^irt
ans i^einfte unb oft faum mel^r @agBareS. Seine @rfinbung
im Keinen im 3wfammen§ängen, 6d^affen unb SSermeBen Don
ÜWotioen ift für ben mitftreBenben SlrBeitSgenoffen BemunbernS*
mert. Unb feine @prad^e, baS eigentltd^ 6d^önfte unb p](iantafie«
ooQfte an i^m, mäd^ft auS fd^lid^teften ©inaell^etten 3U n)unber«
xjollen Söirfungen."
^le Seit (Söten).
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