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Full text of "Von nachahmung der Franzosen. Nach den ausgaben von 1687 und 1701"

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Nene Folge No. 


Beuische Litteraturdenkma 
des 18. und 19. Jahrhunderts 


—— von August Sauer 


CHRISTIAN THOMASIUS 


VON NACHAHMUNG DER FRANZOS 


NACH DEN AUSGABEN VON 1687 UND 1701 


® 


STUTTGART 
G. J. GÖSCHEN’SCHE VERLAGSHANDLUNG 
1894 





DPrud von Garı RemboLd in Heilbronn. 


62796 











— 


Akademische Vortrüge 2,15 weist durauf hin, dass un- 
‚gofähr um die gleiche Heit wie T'homasius auch Buddeus 
in Jena deutsche Oollegien zu halten begonnen habe.) 
Aber dieso Voraucho waren von einander unabhingig 
und blieben ohne Folgen. Die Bedeutung des kühnen 
Schrittes des Leipziger Dozenten wird dadurch nicht gc- 
mindert. Pnracelsus hatte seine Vorlesungen deutsch 
‚gehalten, aber lateinisch angokündigt, Thomasius brach 
auch hier mit dem Herkommen, Er zur ersten Mal 
lud seine Zuhörer zu seinen Vorlesungen durch oins deut- 
sche Ankündigung ein, die er am 24. oder 31. Oktober 
(alten Stiloe) 1687 an das schwarze Brott der Leipaiger 
Univorsität anschlagen liess. 

Thomasius hat die Wichtigkeit und Bedeutsamkeit 
seines Vorganges in späteren Jahren mehrmals her- 
vorgehoben, ebenso das Aufsehen, das er damit erregte: 
„Als ich für ohngefehr drayssig Jahren ein tentsch 
Programmo in Loipzig an das schwartze Brot 
schlug, in welchem ich andeutete, dass ich über des 
Grasions Homme do cour lesen wolte, was ware da 
nicht für ein entsetzliches lamentiren! Denkt doch! 
oin toutsch Programma an das Iateinische schwartze 
Bret der lohl. Universität, Ein solcher Greuel 
ist nicht erhöret worden, weil die Univer- 
sität gestanden. Ich muste damahls in Gefahr 
stehen, dass man nicht gar solenni processions das löb- 
liche schwartze Bret mit Weyhwasser bespreugle. Kurtz 
darauf, als ich don ersten Theil meiner Vernunfit-Lehre 
dem Professori Diuleeticos in die Ceusur gab, damit 
ich meinen Lästerern das Maul stopfien könte, die 
mir gefährliche Lehren schuld guben, wurde ich von 
ihm zu dom Profossore des Aristotelischen Orgelwercke 
‚gewiesen. Dieser, da er die ersten Bogen etliche 
Wochen bey sich Behaltoa hatte, gab mir solbigo wieder 
zurlicke, unter keinem andern prwtext, als dass er mit 
‚guten Gewissen koine Schriflt censiren könte, darinnen 
philosophische Lehren in teutscher Sprache tracliret 








Pare 


und unabhängiger Geist der ‚Jugend der Nation Selbst- 
ständigkeit und Wreiheit ans Herz zu legen. Aber 
fern von jedem Ohauvinismus, will er keine Alsper- 
rung von fremden Einflüssen, keine Abwendung von 
fremden Vorzügen, sondern empfiehlt deren Aufuahme 
und Nachahmung un geeignetem Ort, in gumässigter 
und besunnsner Weise, Ein fester teuer Patriot ist 
or nicht blind gegen die Fehler seiner Nation und 
erhebt sich »0 heiteren Geistes über alle Engherzigkeit 
und Kleinlichkeit. Er will seinem Volke die fremden 
Vorzüge einimpfenundes dadurch den vorgeschritteneren 
Nachbarn gleichwertig und ebenbürtig machen. „Eine 
‚jele Nation — sagt er gewissermassen in Erglinzung zu 
unserem Programm an anderem Orte (Kleine Teutsche 
Schriflten. 3. Auge, 5,416) — hut ihren absonder- 
lichon Character, Führet derselbige eines theile etwas 
Gutes mit sich, so hat er gewisslich auch am undern 
Theil etwas vordriessliches darbey, dass also keine 
Nation Ursache hat die andere zu verachten, oder all- 
zuübermässig zu erheben, Und muss man dannenhero 
mehr Mitleyden als Zorn spüren lassen, wenn Baillet 
und Bouhours in Gageneinanderhaltung der Deutschen 
und Prautzösischen Nation diese wegen vines ungumeinou 
Vortheils am Verstande allzuschmeichlerisch erheben, 
‚jene aber wegen der Bohwehre des Vorstandes gur zu 
partheyisch verachten, und nicht schimpflich genug 
davon reden können. Bo wenig aber gescheite Frantzosen 
diese Thorheit ihrer Aundes-Leute approbiren werden, 
s0 wonig muss ein vernünftiger Peutächer dieselbe mit 
einer Gogenschmähnng zuvergelten suchen, Ein weiser 
Mann schmühet seine Feinde nicht wieder, damit er 
sich ihnen nicht gleich mache: sondern er redet un- 
partheyisch von Freunden und Feinden, und übersichet 
jener ihre Fehler noch weniger, als er dieser ihre 
Tugenden zu rühmen vergist, Ps würde viel zu weit- 
läuftig werden, wenn wir die Arten des Fruntzösischen 
und Teutschen Geistes mach Würde der Suche aus- 


a 





dor deutschen Sprache in den akademischen Unterricht, 
und weiterhin in die gelohrte Journalistik, sowie seine 
Fürsorge für die nationale Brzichung der deutschen 
Jugend sind nur oin Glied in der Kette seiner viel- 
seiligen ausgebreiteten Thiitigkeit, welche in letzter 
Zeit oft und berodt gewürdigt worden ist, vl. ausser 
Sehraders Buch noch W. Giesebrecht, Der Biufluss der 
deutschen Hochschulen anf die nationale Entwicklung 
1870; B, A, Wagner, Christian Thomasius, Borlin 1872; 
Minor, Vierteljahrschrift für Litoraturgeschichte 1, 1; 
F, Frensdorff, Halle und Göttingen, Göttingen 1804. 
Don Einfluss des Graciun auf Thomasins und die Ab- 
hängigkeit unserer Schrift von dessen Lehren verfolgt 
in erschöpfender Weise das sooben erschienene Buch 
vou Karl Borinski, Balthasar Gracian und die Hof- 
litteratur in Deutschland, Halle 1894. 


Das Programm, das unser Neudrnck von 8, 1-87 
nach dem Exemplar der Kgl, Bibliothek zu Dresden 
reproduciert, ist ein dünnes Quartheftohen von 39 Seiten 
und Kusserst flüchtig gedruckt: Orthographie und Inter- 
punction sind ganz unregelmässig, manche Namen ut. 
genun widergegeben, die Französischen Cituto nachlässig 
abgeschrieben. Der Eindruck der Roschbeit uud Flüch- 
tigkeit, den die Schrift macht, sollte in diesem Neudruck 
40 wonig wie möglich verwischt werden, Es wurden 
daher nur die Abkürzungen aufgelöst, fehlende Ruch- 
stuben eingesetzt, unmögliche Wortbilder beseitigt; 
ferner folgende Aenderungen vorgenommen: Gyg reits 
lid; statt veimlicd) 101 figtrlicher statt figtelidie 1110 der- 
borgene statt verborgen 1Bjs wurde das Punetum einge 
wotzt 234 wirde statt vurde 275 artige statt artigen 
Han Könten statt Minen 349 vernlinfftig statt vernfnfftige 
3824 honnetete statt honnite. 

Die Nachschrilt 8. 38—50 ist mmch de 
Ausgabe dor Kleinen Toutschen Schrifiton S. 
unverindert reproduzirt, deren voller Titel lautet: 





IX 


Chriſtian Thomafens allerhand bißher publicirte Meine 
Teutfche Schrifften, Mit Zleik colligiret und zufammen ger 
tragen; Nebft etlichen Beylagen und einer Borrede. HALLE, 
Gedrudt und verlegt von Chriftoph Satfeld, Konigt. Breuf. 
im Hergogtfum Magdeburg Hoff» und Reg. vuchtr. 1701. 
Die folgenden Auflagen der Kleinen Teutschen 
Schrifften sind für unseren Zweck ohne Belang. 





Indem diese Sammlung der Deutschen Litteratur- 
denkmale eine neue Folge eröffnet und einen neuen 
reichhaltigen Plan ihrer Fortsetzung vorlegt, ihren Titel 
vereinfacht und ihr Aeusseres umgestaltet, ist es die 
Pflicht des neuen Herausgebers, ihres Begründers und 
ersten Leiters zu gedenken, der ihr ein Decennium lang 
seine besten Kräfte gewidmet, die Grundlinien auch für 
ihre Weiterführung fest und sicher gezogen hat und 
seinen Rat und seine thatkräftige Hilfe ihr auch ferner 
wird angedeihen lassen. In seinem Sinne soll die Samm- 
lung auch weiterhin geleitet werden. 


Prag, im Juli 1894. 


August Sauer. 


Chriſtian Thomas 


eröffnet 


Der 


Stwdirenden Jugend 
zu Leipzig 
in einem Discours 


Welcher Gejtalt man denen Frautzo— 
fen in gemeinem Leben und Wandel nadj- 
ahmen folle? 


ein COLLEGIUM 
uͤber des GRATIANS 
Grund-Reguln / 


Vernuͤnfftig / klug und artig zu leben. 


zufinden 
bey Morig George Weidemannen. 





Gracien Maxim. 67. 


Ans les fonetions de l’esprit, le plausible a tou- 

jours trionfe. Un discours poli & eoulant cha- 
touille les oreilles, & charme l’entendement: au 
contreire la secheresse d’une expression metaphysique 
choque ou lasse les auditeurs. Il y a des employ, 
dont le prineipal exereice consiste ä choisir, & ou 
1a dependance est plus grande, que Ia direction: 
comme sont tous ceux, qui ont pour but d’enseigner 
& de plaire, Que l’Orateur preföre done les argu- 
mens les plus plausibles; que l’Historien entremöle 
Vutile & Vagrenble, & le Filosofe le specieux & le 
sententieux. Qyils #’ötudient tous A rencontrer le 
gout universel d’autrui, qvi est la vraie methode de 
choisir, Car il en est comme d’un festin, ou les 
vinndes ne w'aprötent pas du gout des euisiniers, 
mais ü celvy des conriez. — que les 
‚choses soient fort au gout de l’Orateur, si elles ne 
sont pas à celvy des auditeurs, pour qui elles sont 
aprötöes? Nam con® fereula nostre, dit Martial, 

lim convivis, quam placuisse cocis, 





Ehriftion Thomaſius. 


anſehuliche waere Männer achten; ich meine fie wirben 
uns entweder einen derben und nachdrädlichen Verweiß 
geben; ober aber uns nicht einmahl ihres Zorus wuͤrdig 
adjtende mit einen bittern Gelächter vom ſich ſtoſſen 

Auff diefe Weife pflegt man Sffters don unjerer 
heutigen Lebens-Art und Wandel zu urtheilen; aber 
meines Bebndens, wenn man Feine andere Urſachen 
wieder diefelbige fürbringen fan, möchte man wohl mit 
diejen in Ruhe ſtehen, und die guten alten Teutjchen in 
ihren Gräbern ebenmaßig ruhen laſſen. Es iſt von An- 
fang der Welt in denen meiften Republigven fo herge- 
gangen, daß die Sitten und Manieren zuleben ſich Hin 
und wieder verändert Haben; eines einzelen Menfchen 
Wille ift veränderlich, wie folten denn jo viele Menſchen, 
aus welchen bas gemeine Wejen Leftehet ſtets während 
einerley Lebens-Art behalten? Aenderungen find wohl 
ins gemein gefährlich, aber deswegen nicht allemahl zuver- 
werfen, weil man aud daß gute jelten ohne Gefahr er« 
halten lan. Dannenhero ift ungereimbt, wenn man ein 
gedndertes Leben bloß wegen der Aenderung tadeln will 
ohne zufehen ob man das Gute mit böfen, oder dieſes 
mit jenem verwechſelt habe. Die alten Tentichen waren 
wegen eines umd andern billig fir ums zuloben; aber 
wer wolte leugnen, daB wir nicht auch in vielen Studen 
einen merdlichen Vortheil für ihnen auffzuweiſen hätten? 
Solte mun ein Teutſcher von der Gattung wie fie ums 
Taeitus befchreibet, oder Dieterich von Berne der edle 
Held elende (wie ihn das fo genante Helden-Buch 
au Öfftern betittelt) uns unſere Gebrauche durchhecheln 
woilen; jo halte ich gantzlich dafür, dap ihnen di 
erden folte, ala dem [6] alten Hildebrand geweſen, da 
F ber Rieie bey ſeinem Bart er! 

Achſeln ſchleuderte. Meine — wen 
Bücher, ſo fuͤr ein baar hundert X 

den, geleſen, und babey bie Herrfichen 
merdet haben; jo stellen fie fich mr 
der auff diejelbe altvateriſche Art gelleide 





Bon Nadahmung der Franzoſen 5 


damahlen ü deutſchen dialeetum (4. e. Es 
was ein Jungmanm, Be wasein groß hoffierer 
ber * [dt x redete, und ſich mit denen zu ſeiner 
118 me und Neverengen nichts 

3 an zu ſeyn dunden Kieffe, uns iho reformiren 
—— = — Gratius und M. Irus 

i jener Zeit eine Vieitation 

anf unfenn hoben Schulen anſtellen wolteu; wer wide 
wohl jo dann fr der gantzen erbarı Welt anstachens 
10 würdig ſeyn? So halte ich auch gantzlich daflir, daß die 
— ee —— Fire ſich ſelbſt an uns ohne 
jonberbahre Urjache geicholten werden Line. Eine Nadı- 
ahmung iſt lobens wuͤrdig, wenn die Sache ſelbſt 


An iheltwwiindiges an ſich bat, in Mäitteldingen ver- 
Diener elbige weder Lob noch Tadel. Bey diefer Ber 
— — gleich wie es mit denen Franboͤſiſchen 
ind ſtranckheiten feine geweifete Wege hat, und 

Bari ſolche — wird; auch beyde nicht 

uns, ſondern jene für die derrn Theologos gehören, 

20 dieſe aber. denen Herren Medicis zu curiren gelajien 
werden mäffen; alſo find die Frantzoͤſiſchen Steider, Speifen, 

), Sprachen und Sitten ſolche Dinge, welche wenn 
Ba: Üppigteit Überfiuß, närciicher Affeo- 

‚ondern Laſteru entfernt ſeyn, mit nichten als 

2* — Guligen Geſehen zu wieder ansgeruffen werden 


des. Schottelii [6] teutide Spıochen Schul, 
0 Danpmeifter aufj die Kirmefien, won u 

bern an einen Dorffftrer, oder von 

Soeiſen Wohl zuzurichten willen 


dergleichen Lederbißlein aus denen alten 

ss richten Können, venweijen wolte. Gin u er Mann To 
in der Welt leben muß, muß nicht allein das jenige, jo 
nicht zu Ändern ft, ohne morren mit Gedutt ertragen, 





6 Chriftian Thomafins. 


fondern auch vielmahlen was gutes zuftifften und andere 
zugewinnen allen alterley werben, ober boch meiftens auch 
das jenige, was Teichtlich mißbraucht werden Far, fich 
wiſſen zu mige zu machen und zum beften zufehren. 
Derowegen jey es jo, man ahme denen Franboſen 
nad), denn fie find doch Heut zu tage bie gefchieteften 
Leute, und wiſſen allen Sachen ein recht Veben zugeben. 
Sie verfertigen die Sleiber wohl und beqvem, und er» 
ſinnen folche artige Moden, die nicht nur das Auge be- 
kuftigen, fonbern mit ber Jahreszeit wohl Ibereinfommen. 
Sie willen die Speifen jo gut zu propariren daß jo 
wohl der Gefchmad als der Magen vergiüget wird. Ihr 
Haußrath sit veinlich amd propre, ihre Sprache anmuthig 
und Liebreigend, und ihre obmerzwungene ehrerbietige 
Freyheit tft geſchidter ſich in die Gemuͤther der Menſchen 
einzuſchleichen als eine affectirte bauerſlolbe gravitdt. 
Nichts dejto weniger It and nicht zu leugnen, daß wenn 
man iemand, der hochgeachtet wird, nachahmen will, man 
fih in Meinigteiten, welche nichts zur Sache thun, nicht 
vertiefen muß, fonbern das Hauptwerck ergeiinden, durch 
welches ſich derjenige, jo machgeahmet wird, feine Hoch⸗ 
achtung erworben. Männiglich acht Bassianum aus, 
daß er mit aller Gewalt Alexander den groffen nach- 
‚Affen wollen, jo gar daß er ben Kopff auff eine Seite 
zutragen ſich angewehnet, und des ehrlichen Aristotelis 
Bücher mit grofen Leydweſen derer Herren Peripateti- 
eorum verbrennen faffen, weil [7] man ihn berichtet, ob 
wäre Aristoteles mit urſach geweſen, daß dem Alexander 
mit Gifft vergeben worden; da er doch im fibrigen nicht 
die geringite qyalität, Frafft welcher Alexander fich den 
Namen des Großen verdienet, an fich gehabt: Je 
nicht, Meine Herrn, ob es ums nicht auch jo gehe 
wie fommts doch, dafı wan vom uns Teutichen 
in Frandkreich reifet, ohnerachtet er propre ge , 
und ſehr geichiett von einen SFranplfhen Braten ober 8 
fricassce raisoniren fat, auch perfect parliret und 
feinen Revereng fo gut als ein elbtefftiger Franpoß zur 





Von Nachahmung der Franzoſen 7 


en weiß, er — — a ein einfältiges 

A jegen die Frantzoſen, fo zu 

ums ee durchgehends Liebe und Verwunde ⸗ 

rung au kai siehen? Es fan nicht fehlen, wir milffen mit 

5 imferer Nachahmung das rechte aen nicht getroffen 

', tun iſt dannenhero Hoch möthig, wenn wir ihnen 

die ſte kommen wollen, wodurch fie alle Welt 

ihnen Ehrerbletung zu bezeigen anlocken, daß wir der 

Sachen ein wenig reiffer nachdenclen, ob wir den wahren 
“w — erreichen Können. 

folten wir aber denfelben beſſer erlangen, als 

wenn vir das jenige etwas genaiter Nberlegen, welches 

die Franboſen unter fi in hobem Werth halten, und 

berohalben bie jenigen fo damit begabt finb andern fir 

1» ziehen. Sie machen viel wefens d’un honnöte homme, 

d’an homme scavant, d'un bel esprit, d'un homme 

de bon gonst, & d’un homme galant, welches alles 

ſolche —— ſind, ſo wohl verdienen, daß man 

fie mit obenbin anſehe, noch vermeine, dab man es 

= trefflich erfunden Habe, werm man nach unferer Nebensr 

Urt fagen wolte, fie exfoderten zu einem geſchicten 

Menfchen, daß ex ein ehrlicher, gelehrter, wer« 

ftändiger, Uuger und artiger Kobff ſey, in 

anfehen tie Franhoſen jelbft dieſe Titel nicht allemahl 

25 auf gleiche Urt gebrauchen, Zwar jo viel un honnöte 

[8] homme betrifft; Hatte ich wohl dafür, daß fie ger 

einen ehrlichen und gerechten Mann dadurch 

— — niemand mit Vorſatz beleidiget ober ver- 

gegebenes Wort en beobachtet, denen 

” Nee — Hllffe von nöthen haben, willig und 

unge, auch vom feinen Guth i 

machet, noch dieſelbe wieder vorruͤcket 

wird ohne Zweiffel des Parots Tractätgen welches er 

dun bonn&te homme geſchrieben dieſes alles weiter 

S erläutern; wie wohl jener Franboſe meinte diejes ware 

et honnete homme der zugleich eine efie, einen 

en Procef, und eine qverelle hätte, und fich 





8 Ehriftian Thomaftus. 


bey alfen dreyen wohl betruͤge So bemerden fie auch 
mit dem Titel Scayant einen Gelehrten, aber einen 
ſolchen, der mit ſchoͤnen und den menſchlichen Geſchlecht 
aiplichen Wiſſenſchafften gezieret iſt, dem denjenigen, ber 
im Gegentheil den Kopff voll ımmöthige Grillen und 
Bophistereien Bat, welche zu nichts mit ſeyn, als die 
jo dieſelben Lernen, bet der Augen Welt zu prostituiren, 
nennen fie Scayantas, weldes fait dem klange nach mit 
unferm Wort phantast bereinfommt. So viel un bel 
esprit betrifft, muß mar nicht meinen, daß mit dieſem 
Titel die jenigen beleget werden follen, welche in Bejell- 
ſchafft einen Iuftigen Schwanck artig zu erzehlen ober 
aus dem jteigreiff ein Verfigen oder Liedgen zu machen 
wiſſen, obſchon ins gemein ſolche Leute für beaux esprits 
ausgeruffen werben, jo gar, daß es bey denen Frangoſen 
faſt dahin gefommen, daß verftändige Leute ſich es fuͤr 
eine Schande gehalten mit dieſen Namen geruͤhmet zu 
werben. Le Pere Bouhours ein betanter Jesuite hat 
die Eigenſchafften, welche zu der wahrhafftigen Schönheit 
des Werjtands cigendlich exjordext werden, weitkäufftin 
bejchrieben. Er machet dreyerfey Arten derer Leute, die 
mit fo einem fchönen Geifte begnbet find, derer etliche 
fuͤrnemlich vom studiren unb ber Gelehriamfeit profes- 
19]sion machen, etliche fich in täglicher conversation 
hauptjächlich betiebt zu machen miflen, etliche aber zu 
wichtigen Berrichtungen für andern gebrauchet werden 
tunen. Zu der erjten Art erfordert er, daß ein Ge 
Tehrter, jo ſich diejes Titels wuͤrdig machen will, eine 
BVerftand Haben miffe, qui soit solide, brillant, pene- 
trant, delicat, fertile, juste, universel, elair & mo- 
deste; ba er gejchieht ſey alle Sachen wol 

ſcheiden, und jelbige wie fie am fich ſelbſt 

* trachten, wicht aber wie ber gemeine Voͤbel fich bu: 
euferliche Anſehen betriegen zu laſſen, oder durch 
subtiles nadfinnen fi eitele und ve 

dungen Davon zu machen, daß ev nicht Verde 

mrriſch, Sondern luftig und lebhafft fey; d 





Son Nachahmung der Franzoſen. 


Tage find, durch ungeitiges disputiren 
— Ha 7 er a, nicht — 
unangene! mit fer manier und An— 
ſrzubringen wiſſe dal; ex einen guten Wor- 
all babe von fürjallenden Sachen häuffig und doc nicht 
verſchwenderiſch zu raisonniren, und nicht feine locos 
2 — auff einmahf ausſchutte, ſondern deuen jenigen 
un a: reich und propre gefleidet find, aber 
che Unkoſten auf ihre Kleidung wenden; 
A er —— ‚eigene Geſchicligteit zu Marckte bringe, und 
Fi mit anderer Gelehrten Gute nicht bereichere, ober 
E17 — mit nichts als Sprüdjelgen, die er aus 
denen alten und neuen Soribenten zuianmen geſucht, 
ousichmide; daß er im allen guten Wifienichafften ber 
wandert je; daß ex feine Gedanden andern klar und+ 
deutlich on Tag geben tönne, und wicht fo zweydeutig 
=o ober bundel rede, wie che deifen die Oraoula, oder als 
wolte lauter Nägel auffzurathen geben; endlich 
daß er beicheiben jey und weder zu viel [10] won ſich 
noch ſich affeotirter Welie verberge. Nechſt dielem 
er bie andere Art des beaux esprits, jo War 
or die aber doc durch eine lange Exfi hei 
seiten ich die Geſchiclligkeit zu 
haben, daß fie wohl, leichte, und axtig i 
EHE ontmuen, var net 
ten, eg 
so werfen, Luftige Hitörgen erzehlen, mit Verſtand ich 
in Feöfichen Geſeilſchafften anmuthig ipotten, in ernft 





10 CHriftian Thomafius. 


jelben penetriren, auch das jenige zuvor fehen, was 
daraus entitehen koͤnne; die alsbald die Mittel und Wege 
erfennen, wodurch mar auch das fehwerjte Vorhaben zu 
Werk richte, und alle Verhinderungen aus dem Wege 
rAume; die ſich auch nicht allzuviel Verhinderungen oder 
Aufälle vorftellen, welche zu wicht anders ng find, als 
die Menſchen ohne Not) zage und zweiflelhafftig zu 
madjen. Le bon gout, gleichwie es eigentlich einen 
guten und subtilen Gejchntad bedeutet, und dannenhero von 
ſolchen Leuten gebraucht wird, die nicht alleine das was 
‚gut ſchmedt von andern gemeinen Speifen wol zit unter 
icheiden wiſſen, ſondern auch geſchwinde durch ihren ſcharff ⸗ 
firigen Geſchmack urtheilen Können, woran es einen 
eſſen mangele; Alſo haben die Pranbojen nicht umeben 
dies Wort hernach figͤrlicher Weiſe von allen denen zu- 
brauchen angefangen, bie wohl und vernuͤnfftig das Gute 
bon den Böien oder das artige von dem unartigen unter · 
ſcheiden, daß alfo den Nahmen d’un homme de bon 
goust der jenige verdienet, ber fo viel bie Sinnen be 
trifft, zum Exempel eine artige und geſchickte Lieberey 
auszufuchen weiß, [11] oder der fich Lieber an einer 
anmuthigen Laute oder wohlgeftwichenen Wioline ala an 
den beiten Brumeifen oder der zierlichften Sadpfeiffe 
delectiret; jo viel ben Berjtand anlanget, der mehr vom 
Hoffmanns oder Cafpars Poüsie Hält, als von Hanns 
Sachſens Neimen oder andern Meifter- Geſ igen, der 
Ciceronem, Cujacium, Grotium, Carı höher 
achtet, als die Scholasticos, Glossator Aristotelia 
Ethic, und Petri Lombardi libros sententiarum; fo 
viel den Willen angehet, der eine vergnuüͤgliche und dem 
gemeinen weſen mipfiche Lebens-Art einer verdrießlichen 
Er pedantifchen borziehet ; ja fo viel endlich die Affeoten 
md Gemhtheneigungen berühret,- der zum Erempel ein 
‚galantes und Liebreigendes Frauenzimmer für eine alberne 
amd närrijche coquette fidh zn Hebften mehlet. 4 
ad propos was ift galant ımd ein galanter Menſchꝰ 
dieſes dürfte uns in Warheit mehr zuthun machen als 





Bon Nachahmung der Franzoſen. 1 


aumablen da dieſes Wort bey und Teutichen 
gemifibrauchet worden, daß es von 
von Pantoffeln, von Tiſch und Bänden, 
tb Dinten, und ich weiß endlich nicht, ob 
von Aepffel und Bir zum öfftern gelagt wird. 
ſcheſnet auch, als wenn bie Frangofen felbft nicht 
wären, worinnen eigentlich die wahrbafitige galan- 
ie befiehe. Mademoiselle Seudery bejchreibet befetbige 
abjonderlichen sonversation de Vair galanr, 
«8 eine berborgene natlirliche Eigenſchafft wäre, 
welche man gleichſam wieder Willen gezwungen 
einem Menſchen günſtig und gewogen zu fer, 
an danı die Galanterie, und das 
Im y oo von obgemelter Pere Bouhours 
ipräch verfertiget, einerley wären. Ich 
te meines bebiindens davor, bafı Mons. Vaugelas 
ons, Costar bie Eigenſchafft der Galanterie ein 
ig —— und beutlicher beſchrieben haben, ba 
etwos gemiichtes ſey, jo aus dei je ne scay qvoy, 
aus ber guten Art etwas zutbun, aus ber manier we 
Heben, fo am Hoffe gebräuchlich iſt, aus Verſtond, Ge— 
Tehrjamteit, einen guten judieio, Hoͤfflichteit, und —— 
feit zuſemmen geſetzet werde, und deme aller zwang, 
und unanſtandige Plumpheit zuwieder jey. 
en ich 4 dafs ich nicht irren werde, wenn ich ſage, 
benen Franthoſen bie Gulanterie uud In Poli» 
— ‚eines fer und dannenhero zu beſſern Verſtand der 
Galanterie alles das jenige wohl verdiene gelejen zu 
werden, was — — Maden 


ssgsg®$ 


5 
S 
‚8 


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HBH 
Hirt 


wenih 
es etwas 


wohl und Bee zu Teben, auch gefchiett md } 

Zeit zu reben wife, daß man feine Lebens- 
dem guten Gebraud) der vernünftigen Welt r ichte, 
man miemands einige grob- und Unböffligkeit erweite, 
‚man denen Leuten niemals Das jenige umter Mugen 





12 EHriftian Thomafins. 


age, was man fich ſelbſt nicht wolte gejagt haben, daß 
man in Geſellſchafft das groſſe Maul nicht allein habe, 
und andere fein Wort auf bringen laſſe, daß man bey 
den Frauenzimmer nicht gar ohne Rede fige als wenn 
man bie Sprache verlohren Hätte, oder das Frauenzimmer 
wicht eines Worts wuͤrdig achte; bingenen much wicht 
allzu fühne jen, und ſich mit jelbigen, wie gar vielfältig 
geichichet, zugemein mache; dieſes alles ſage ich, find 
jolhe Eigenfchafften, bie zu einen galanten Menfchen er- 
fordert werden. 

&s iſt aber. nicht genug, Meine Herren, daß wir 
mit dem Verſtand derer Wörter, die bey denen Franboſen 
einen Menichen in hochachtung bringen, richtig find, 
Wir müͤſſen auch ein wenig betrachten; ob denn die 
Frangofen hierinnen einen Vorzug für ns haben, daf 
wir dieſelben in dieſen Stucken nach[18]juahmen beduͤrfftig 
ſind. D'un honnete homins von einen ehrlichen Mann 
machen fie zwar viel weiens, jo gar daß ein befanter 
Hoffmann feinen König auff feine bejfere Axt zuliebfofen 
gewuſt, als daß er au ihm gejagt, wie er ihm nicht. jo 
wohl wegen feiner tapffern Thaten, als daß er ein rechter 
honnöte homme wäre, liebte und ehrete; Alleine ob auch 
bey allen oder deuen meijten die wahrhafftige horinetöte 
jo wohl in der That als in dem Munde anzutreffen ſey, 
it eine kuͤhliche Frage, welche doch auch zu unferen Zwec 
eben nicht mörhig. ift, weitläufftig erörtert zu werden, 
Denn ohne einer von beyden mationen zuſchmeicheln 
oder diejelbe anzuftechen, werden wir gar ficher Tagen 
Bunen; das wenn unter denen Franbojen nicht wenig 
gefunden werden, welche diefe Tugend hindanſehen, bey 
uns Teutſchen an ſolchen Leuten auch Fein Mangel jey, 
amd wenn im Gegentheil die AFrangofen viel Er 
des honndtes gens auffzuweiſen haben, wir eben 
daran wicht arm find, moch von möthen 
bey denen Fraugojen nad) Berfonen, denen man bierinnen 
nachahmen wolte, uns umzuſehen. 7 

Was aber die Gelchriamfeit betrifft, 





Son Nadahmung der Franzojen. 13 


Fein Zweifel, daß es heut zu tage unter denen Frantzoſen 
mit denen ten auff das höchfte fommen, in Anfehen 
bie Magnificentz bes Königs und die Hoch⸗ 

in berer Groſſen bey Hofje angefrlichet Ins geſamot 
bemuͤhet find, amurbige und migliche Wifenichafften 

'b die ohmmöthigen Grillen derer Schul 

und aus dem Lande zu jagen. Petrus 


nice zu achten Find, To iſt doch micht zu Läugnen, 
Tpes das Haupttih der Weltweißheit, welches 
omwei-[i4]fet, wie er jeine Vernunfft 
joll, von den Unflat und Narrenpoſſen 
in Frandveid) gefaubert, md jo viel 
(, fc) euſerſt bemühet, daß die Philo- 
ein taugliches Werdzeug berer höhern Wilfen- 
bramcht werden fönne; wiewohl mit feiner 
abe ja mit Verluft feines Lebens. Ihme find 
andere Mnge Möpffe nachgefolget, und muß ich 
eingigen zuerwehnen geitehen, daß des Port 
‚de penser ob fie gleich durch und Durch 
lmnifch ft, dennoch ſehr viel gute Sachen in 
amd twohl verdiene, daß fie von einen, der 
1 Kopf] ein wenig auffräumen will, mit bi 
werde. Und was milfte ich ffir Zeit und 
1, wer ich alle die Gelehrten Frant 


3 
52 


sophie 
=. qröften 
hierinne 
mr 


u 


Diefes lan ich unangemercit nicht 
ans einen uͤberaus Aigen abfehen nicht allei 
enthells in Frandoͤſiſchet ed 

id 





14 Ehriftian Thomaſius. 


unvermerckt mit groſſen Vortheil jortgepflanget, wenn ein 
ieder das jenige, was zu einer klugen Wiſſenſchaft cr 
fordert wird in feiner Landes Sprache leſen kan, und es 
ſich nicht erit umb frembde Sprachen zuerleruen ſauer 
werben laffen muß. Abſonderlich ift an ihren versionen 
zu Toben, daß — ſich Leute gebrauchen laſſen, welche 
von manniglich fuͤr gelehrt und Flug passiret werben 
muͤſſen; auch, beyder Sprachen jo wohl der Franhoͤſiſchen 
‚als der Griechiſchen oder Lateiniſchen recht mächtig ge- 
wefen; und endlich nicht obenbin, wie die Schiiler die 10 
argumenta zu machen pflegen, die Autores uͤber- 15 
jeßet, ſondern mit guten bedacht und ſcharffen nachfinnen, 
fo gar das mander ber feine version Öffters und fleißig 
überjehen auch wohl in die ziwangig Jahr Damit zuge 
‚bracht, ſich nicht verdrieſſen laſſen, alles zuzerreiſſen und 
von bornen anzufangen, wenn ihm eine beſſere methode 


E} 





durch verbollmetichung des Thucydidis, Frontini, Minueii 
Felieis, Arriani, Csaris, Luciani und Taeiti ihre 
Nomen unfterblich gemacht, und muß ich befennen, daß 
bie Version des Tueiti mir bey fefung diejes Autoris 25 
für einen der beften Commentatorum, jo viel den Ver— 
ftanb Davon anlanget, gebienet Habe, in ber uͤberſetzung 
des Lueiani aber ein ſolches Kunſtſtuͤct verborgen jtede, 
welches einen abſonderlichen weitläufftigen Discurs ver 
dienet, Wannenhero Amelot de la Houssaie weißlich a0 
getban Hätte, wenn er in jeinen Discurs über die 
Commentatores und Versiones Taeiti und in dem 
Traetötgen von ber Schmeicheley fein einfältig Judi- 
olum von bes d’Ablancourt uͤberſehung bey fich behalten 
hätte, denn fo hätte der ungenante Defensor des D'Ab- #5 
laneourt ihn auch zweiffels ohne für einen gelehrten 
Brangofen und geichicten Dollmeticher passiren laſſen, 





Bon Nachahmung der Frauzofen. 15 


er hingegen: bey dleſer — den ne Amelot 
unbannherhig jtvicgelt, auch die geringiten 
— jonften eig zu berfehen geweſen 


mie ms nun auch unter uns annbfehen, 
en Gelehrten für eine Bewandnuß habe. 
noch im Deutichland gelehete Leute, aber 
häufig als in Frandrelch, weil ſich ſehr viel von 
- umferigen uff die Ab-[16]stractiones Metaphy- 
I Schullehrer befleitiigen, (durch welche man 
dem gemeinen bejten was muget, noch feiner Seelen 

it befördert, und bei welttlugen Zeuten mehr ver- 
(6 beliebt ſich machet,) ober bie nöthigen Wiffen- 
nur obenhin amd ohne gruͤndlichen Verſtand twie 
15 bie Nonnen ben Pſalter fernen, und iſt nichts neues, 
bafı wenn zum Exempel ein qut Ingenium an jtatt ber 
Zrebern jeinen Verſtand mit vernänfftigen Speifen, nebren, 
und den Durandum do 8. Porciano &e. wicht für einen 


sE F 
El 


EHE 


Fi 


laſſen, ober bem was ihm in ber 

E} — en worden, nicht nach pfeifſen will, 
felbiges in ja jo ſcharffe Ingvisitiones jält, als Petrus 
Ramus zu jeiner Jeit, der jich fir Roniglichen Com- 
nacorhklich defendiren, mufte, daß er gefehtt, 
definiren, und dod aut Weihe 


J 


verkehert und aus beiligent Nidod un. 
mit denen ihimpfflichften — ber 


B 


BEE 
Hal 


— mischi ; a qui 
ne: von der Sorbone zu Pı 
eine Srammatied liſche Ketzerey begangen hätte, 
en becaubet wurde. So ift auch offenbahr, 
entſchland unſere Sprache 
halten als die Franhoſen bie ihrige 
wir uns befleiffigen folten die guten Wiſſen⸗ 
deutſcher Sprache geichidt zuſchreiben, ſo fallen 


gersr 


— 





16 Ehriftion Thomaſius. 


ir entweber auff die eine Seite aus, und bemühen uns 
die Sateiniihen oder Sriechiichen Terminos technicos 
mit dundelm und lacherlichen Worten zu verdungen, oder 
aber wir fommen in die andere Ede, und bilden uns ein, 
unfere Sproche ſey nur zu denen Handlungen in gemeinen 
Leben nuͤhlich, oder ſchicke fi, wenn es auffs hoͤchſte 
könnt, [ER] zu nichts mehr, als Hiſtoͤrgen und nette 
Zeitungen darinnen zu fehreiben, nicht aber die Philo- 
sophijcen oder derer hoͤhern Faenltäten Lehren und 
Grund-Regeln in jelbiger fuͤrzuſtellen. Denn wieviel find 
unter uns, die da meinen, es jey die Wiſſenſchafft der 
Lateiniſchen Sprache ein weſentliches Stiidte eines gelehrten 
Mannes, und wer ſelbige nicht gelernet habe, ber könne 
ohnmoͤglich gelehret ſeyn; ja ich wolte wetten, daf unter 
denen, jo biejen meinen Discurs fefen werben, fait die 
helffte dleſes ihre erſte censur werden ſeyn laſſen, daß 
ich ungereimt gehandelt, weil ich ſolchen nicht in Lateini- 
ſcher Zunge verfertiget; fo gar wird unter ums felbit 
der verdchtlich gehalten ber mir im geringften in diefen 
Stuͤck zu beförderung guter Künſte chvas im unſerer 
Sprache verfuchen wolte. Dannenhero auch fein Wunder 
iſt, wenn es bey uns in Teutſchland am guten uͤber⸗ 
fegungen mangelt.  Swar jo viel die Frantzöſiſchen 
Schriften betrifft, dörffen wir eben die Exempel ge— 
ſchicter Versionen jo gav weit nicht holen, jo von ber 
zühmten Männern nur bey ihren mühigen Nebenftunden 
verfertiget worden, Dem wer achtet die Dollmetichung 
Mosis Amyraldi von Unterſcheid der Neligionen, und 
Jean d’Espngne von allgemeinen Irrthuͤmern, nicht fir 
ein Meifterftäet? bes Molinwei Seelen-Friede und anderer 
mehr anigo zugejchweigen. Aber was Lateinische und 
Griehiihe Seribenten beteifft, werden wir aud wohl 
einen einigen finden toͤnnen, den wir ohne Pralerey dent 
Vaugelas oder d’Ablancourt toͤnnen entgegen jegen. 
Sind gfeich unter uns einige, die hierzu nicht ungefchidt 
wären, fo wire es doch denenſelben hödift vor übel zu 
‚halten, wenn fie mit jo geoffen Fleiß, als jene gethan 


12 


Von Nachahmung der Franzofen. 17 


eine recht nette Version ausarbeiteten, da man cd ihnen 

band wiſſen, ober mit Mähe und Noth die 

umgetadelt laffen wuͤrde. Die meiften Über- 

ungen berer Autorum Olassicorum ſind von Schul- 

5 fenten ‚ber-{iöffertiget worden, die entweder aus iher- 

Mangel guter Belohnung unb daß fie Öffters 

mehr famis — als füme aeqvirende gratia die 

Feber ergreiffen anffen, ober aber aus Mangel eines 

reinen md Hochteutſchen Styli, als welchen man nicht 

Schulen, ſoudern im Gefellſchaſſt anderer Leute und 

anderer Bücher beqreiffet, ums feine anmuthige 

Version geben u oder 5— —— — 
vielfältig Exenwel koͤnten angeführet werden, wie 

ahlen arme Stümper, die iaum zivey oder drey Worte 

15 von der Sprache, aus welder bie Überfegung geſchehen 

Toll, verftchen, und bey ieder Phrusi das Lexieon 

brauchen ‚ Nich des dollmetſchens — F 


ee und el wieder anffge⸗ 


meiſtens 
fegt werben ſolle, wolte ber Verleger denen jenigen zu 
w mus, jo fein Franhöſiſch verſtehen die Franßoͤſi Wort 
und parageaphos alsbald darbey teutih n 


bee: That eine — Vrobe ablegte, 6 
E} wenigften. be der geradebrechten Version 


‚Hätte auff eine zeitlang abteocne: 
— gelefen hätte. Ich will nur Erxempels weit 
3 die vornehmften hier anführen. (1.) Er \ = dadurch 
den Ruhm d’un homme sage erwerber er ſonſt 
par un emportement brutal ober durch * — 
— oi. 





18 Chriſtian Ehomafius, 


ansführung feiner Sache ſich [19] überall in ͤbeln credit 
jegen wilrbe. (2.) Wie vor biefem ein Polnijcher Seigneur - 
zu Bari feinen dollen Yunahmen bey einer Dame lieh 
anmelben, gab biejelbe ihrem Diener zur Antwort. Het 
qrion mene cet animal A loourie, & qvion luy 
donne du foin. Adınirez cela. Ey lajjet dieſes Thier auf 
die Reitſchule führen, und ihm ein Bund Heu vorlegen. 
Kommet end) diefes frembd vor? (3.) Ahr Herren, 
wir fallen zu weit tn unfern Discursen & il faut rompre 
les chiens, das ift: wir mAfjen bie Hunde fteeichen 
Yaffen. 4) Luxuriosi & Prodigi machen ofjtermahls 
eine depence sourde pour des amourettes, das iſt eine 
helmtiche Anklage fir ihre Courtesien. (5.) Il ne 
taut jamais donner le flanc ou temoigner des bassesses 
ü son ennemy, Man muß niemahls weimen oder 
gegen feinem Feinbe eingige Zaphafftigfeit ſpüren lafſen 
(6.) Un grand esprit tout seul ost un grand instrument 
& faire des fautes. Gin hoher Geiſt iſt einbig und 
allein ein groſſes Werdzeugn krumme Händel damit 
zumachen. (7.) Qvel Hazard faut il courir en prenant 
une femme? da er vermeinet, fie je intacta und wie 
die feufchefte Seele zu ihm ins Ehrenbette geitiegen, & 
un Cousin ou Compere a eu les gans de Madame, 
de i. da hat ein guter Velter ober |20] Gevatter Ihre 
Haudſchuh in verwahrung gehabt. Sitzet nun ein- 
ſolcher ſchon in der höͤchſten Dignitt, ſo wird doch eines 
Weibes unehr des Mannes md der Kinder Ehre feinen 
geringen Flecken abwiichen, und mag die Comedie des 
Moliere oder das Franpöfifche Sprichwort: II a cola 
du commun avec des grands Seigneurs d. i. Er 
halt dieſe mit andern geoffen Herren auff der gemeinen 
Strene andere aber mich wicht tröften. (8.) La mort 
subite est des toutes la plus comniode au sage & 
a un homme de bien. Ein geihwinder Todt ift einen 
Mugen und begüterten Menſchen der  nllerbeqdemite. 
9.) Avec un bon mot Monsieur, l'on me feroit aller 
aux Indes, Mit einem einpigen guten Wort, mein 





Bam Nechahmung ber Frrangofen. 19 


bracht ih es dahin, daß man mich im Indien 
0.) Einer der eine gantz ungejtalte und 
meil er un pauyre Cadot, und fie 
jel Hatte, Heyrathet, und fie hernach fiben 
anders mo und im Haufe mit Cattom 
mit einem Catoniſchen ernſtlichen 
x. 

bierbey zuthun, meine Herren? 
bemühen bie teutfche Spradje durchgehends 
ae zubringen, um baburch ber Ausbreitung 
ben Weg zu bahnen? Diefes duͤrffte 
lich angeben, und win-[21]den-wir wenig ausrichten, 
il bißher ihon eine geraume Zeit fo viel Eluge Köpfe, 
jo viel edele Mitglieder der Fruchtbringenden Gejell- 
2— bergebens daran gearbeitet haben. Was fir Hinde- 
rungen im Wege stehen, waͤre — zu weitlkufftig 
zu erzehlen. Ich wil mm dieſes berühren: In Fraug 
veich redet niemand teutſch, auſſer etwan die Teutſchen 
unterelnander, ſo ſich darinne auffhalten: Alleine bey 
= uns Teutſchen iſt die Franhöſiſche Sprache jo gemein 
worden, da an vielen Orten bereits Schufter und Schnei« 
der, Stinder und Gejinde diejelbige gut genung veden; 
Solche eingeriffene Gewonheit auszutilgen ftehet bey 
feiner privat-Perfon, kommet aud) derſelben im geringiten 
= nicht zu. Wir folten ums Leber derſelben als eines Mittels 
bedienen, bie ————— dadurch jortzupflangen. Der 
‚Sefuite Bonhours vühmet die Frantöͤſiſche Sprache meit- 
Kdujtiq, doß fie fhhig ey, eben dasjenige zu verrichten, 
was man Durch die Lateiniſche und Griechiſche au Ye 

» lan. bieweilen, tie bereits erwehnet. 


Sprache ediret werden. Wir haben ja a 

tentjche Bichet, obgleich nicht jo Häufig. Warum folte 

es nicht angehen, daß man durch Hilffe dev Teutſchen 
* und Bra e Spradje, welche Legtere fait bey ıms 

nnturalisiret worden, Leute, die fonften einen guten 

natürlichen Berftand Haben, in kurber Zeit viel weiter 





20 Chriſtlan Thomafius. 


in der Gelehrfamteit brächte, als daß man fie erſt jo 
viel Jahre mit dem Lateinischen pladet. Sprachen find 
wohl Sierrathen eines Gelehrten, aber an fich felbit 
machen fie niemand gelehrt. 

Man laſſe diejenigen, jo Luſt darzu haben, und die 
von studiven bie Zeit ihres Lebens profession machen 
wollen, Satein und Griechiſch genung Lernen, denen andern 
aber, jo man im gemeinen Leben brauchen wil, oder 
die nichts als Frangöfiih und Teutſch gelernet haben, 
und denen das studiren wegen des Lateinischen ſauer 
und verdrießlih wird, helffe man ohne Verdrieplich-[22] 
feit, mit dem was fie gelernet haben, fort. Ich halte 
adngtich davor, warn man dieſes nur mit wenigen ver⸗ 
fuchte, man würde garbald einen mercklichen Vortheil 
daraus ſpuͤhren. Zum Exempel: Wenn ein Fuͤrſt im 
Reich vom 18, oder 20. Jahren nicht alleine gruͤndlich 
Davon raisonniren fönte: Worinnen das Amt eines 
Ehriftlihen und weilen Fürften insgemein be- 
fehe? Wie er zufdrderft denen Göttlihen Ge— 


ſehen gehorſame Pilicht zu Leiften ſchuldig? Wie 
weit ihn das natärlice Recht gegen alle Men- 
ichen verbinde? Was GOtt über diejes in dem 
allgemeinen Sitten-Gejeg, jo er bald nad Er- 
ihaffung der Welt, oder nad) der Sündfluth dem 
ganpen menjhlihen Geſchlechte pudlielret, von 


jelbigen erfordere? Worinnen das Weſen und 
der Grund der wahren Chriftlichen Religion ber 
ſtehe? Wie das Hirhen-Regiment aeführet und 
der Kirchen⸗Friede erhalten werden muͤfſe? Wie 
der Brofan-Friede jo wohl Auferlich als inner- 
ich zu defeftigen? Wie ein Fürft nad dem ge 
meinen VBölder-Recht mit andern Staaten und 
NRepubligven umbgehen folle? Auff was Art er 
das Interesse feiner Benachbarten beobadten 
mifje? Wie er bey Zeiten und im Frieden da- 
rauff bedacht jeyn jolle, daß er vor alle 

lichen Unfall jiher ſeyn könne? Wie er ſcharffe 





Bon Nachatzmung ber Frangofen. 21 


Seriegs-disciplin ſolle halten, dabeneben aber auch 
guten und richtigen Sold geben? Welderger 
ftalt und zu was Ende er ſich mit andern Fürſten 
ohne Schaden und mit Ruben in Bündnijje ein- 
lafſen jolle? Wie die Unterthanen in guten 
Sitten auffzusichen? Wie nach derſel ben genio 
oder fonft nad) erheiſchender Nothdurfft die civil- 
Gejehe einzurichten? Wie weit diefelbigen zu 
ezegrixen ober in was maſſe ein Fuͤrft ohne Ge— 
fabr darinnen dispensiven Eönne? Wie ferne die 
Stroffe zu mindern oder zu schärffen? Was fir 
Diener einem Fürften zu [28] Unterhalt jeines 
Staats und zur Nothwendigfeit des gemeinen 
Beitene vonndthen, auch mas bdererfelben ihr 
Amt fey? Wie Die Serehtiglelt gehandhabet 
werben mäfje, daß feinem zu furb geſchehe, moch 
die Unterthanen durd; langweilige Processe aus» 
nejogen umd märbe gemadıt werden? Wie Zölle 
umd Contributiones ohne groffe Beſchwerung berer 
Unterthanen oder Hinderung der Comercien an— 
auflegen, auch wie ſolche (öblich und wohl ange» 
wendet erden follen? Und wie endlich derer 
Unterihanen Nahrung merdlid gehäufiet und 
befördert werben fönne? Wenn fage ich, ein Furſt nicht 
‚allein diefes alles wohl verftünbe, und hiernechit fo wohl 
in alten als neuen, jo wohl in Kirchen- als projan- 
Biftorien wohl wersiret wäre, auch fürnehmlich 
den Buftand des H. Nömifchen Rei 
fic) innen Hätte, und mit guter Ar 
eine geihidte Rede nach dem furhe 

stylo jelne Sebanden eröffnen, oder eiı 
ne! verfertigen SE a 

x biejes dasjenige, was insgemein zu dem Ale eines 
Färften geböxet, anff fih und feine Unterthanen 
infonberheit wohl zu appliciren wife; Die inten- 


ton jeiner Benahbarten; Seiner Unterthanen 
nalwrell, bas Thun und Verhalten jeiner Glerifey 





22 Chriſtian Thomaſius. 


und Bedienten, das Vermoͤgen ſeiner Unterthanen, 
die Nupbarkeit ſeines Landes etc. genau be— 
merdete, und aus diefem allen dienliche Mittel 
zu fuchen wüßte, die gemeine Ruhe umd Wohl- 
fahrt zu befördern ete. fo halte ich gänglich dafür, man 
tiirbe einen folchen Heben mit guten Fug für einen ger 
lehrten Fuͤrſſen passiven laſſen miſſen, und wo mir recht 
iſt, jo bat Plato auff einen ſolchen gezielet, wann ex ge- 
jaget: Daß alsdenn die Republigven Höchjt glüͤckſelig 
jeym wixden, wenn entweder die Furſten philosophirten 
oder benen Philosophis die Regiments-Laft aufgetragen 
wuͤrde. Uber ift [24] denn Hierzu fo grofie Mühe von- 
möthen? und woran Kieget es, daß wir dergleichen Proben 
nicht viel auffweiien Können? Warhafftig an denen 
Potentaten ſelbſt nicht, ſondern meiftentheils an der Art 
jelbige zu unterweiſen? Ich bin verfichert, daß wenn 
man einen jungen Herru von 10. bif; 12. Jahren, ber 
nur fein Teutſch amd Franhoͤſiſch verjtinde, anfienge 
täglich zwey biß drey Stunden non dieſen Materien mit 
einem bon Ernſt und Schert gemengten discurs zu unter- 
Halten, und darneben mit guter Art disponirte, ba er 
noch ein paar Stunden mit Luft auff Leſung guter 
Hiftorien, auf die Geographie unb Genenlogien ans 
wendete, man wuͤrde ohne ihm einigen Ekel vor dem 
Studien noch Verbruß fir denen Gefehrten zu machen, 
ingleichen ohne Beſchwehrung des Gedaͤchtniſſes mit vielen 
auswendig Lernen, und Marter des Verftandes, dasjenige 
zu glauben, was man nicht verſtehet, welches zugleich 
denen Menſchen einen haupt-verbriehlichen Eigenfinn ein- 
floͤſſet; in endlich ohne Beybringung vieler nichtstwirdigen 
ragen, welche das Gehirn verwirren und keinen geöffern 
Nusen haben, als Matten und Mäufe zu tödten; 

ſam ſpielende und als durch den angenehmften 

treib noch vor dem achzehenden oder zwangig| 

biejes alles zu wege bringen koͤnnen. l 

Ferner, fo viel eine Privat-PBerfon betrifft, 
den mir verhoffentlich bie Gelehrten gar gerne Beyfall 





Bon Nachahmung der Franzoſen. 23 


gie dafs fich felbige nicht wärde ſchamen duͤrffen mit 
ſchrteſten Männern zu eonversiren: Wenn 

fie — die Regeln qrͤndltich Au raisonniren wohl 
innen hätte, ihre Gebanden füglich und ordenttich 
5 fürzubringen wuſte, von anderer ihren Schriften 
ein gut judieium fällen, auch denenfelbigen dei Ur— 
fprung ihrer irrigen Meinungen und wie weit 
jebige von ber Nichtfhnur der Warheit abe 
on mit guter Urt und Freundlichteit darthun fönte; 
Wenn fie hernadmahls [25] die Rede-Kunſt fo weit 

— —— dafı fie einen wohlgefegten Brieff ver- 
fertigen und einen gefchieten Discurs formiren könte; 
wenn fie in denen Muthematifchen Wiſſenſchafften 
fo weit bewandert wäre, daß fie von niemand in ſelbigen 
as berrathen zu werden ſich befürchten duͤrfftez wen fie von 
lien —— — ne 
jenichafften, jo diel wachheit des menfchlichen 
Berfantes verminfftig vedenz wenn fie von der 
menfhlichen Pflicht fo wohl gegen GOtt als 
» Menfchen in allen Ständen nicht ungefchidte nadı 
richt könnte; wenn fie ferner — was ehe deſſen 
von im allen” Pytha; 


te 

wieder empor fommen, was Ramus che defien in 

0 der Bernunfft Lehre, was nach diejen der be 

— des . 
lich Malebranche in ——— der 


ach· 
folger, oder Wiederſacher in ber © Sitteutehee 
Aheils genenert, theils gebefjert; werm fie von Urjprung 








2 Shriftion Thomafins. 


und Fortgang derer Republigven in der Welt, 
von bererjelbigen heutigen Zuftanb abſonderlich 
aber von Beſchaffenheit des 9, Römischen Reiche, 
unb beijen Haupt und Öliedern, von derer ans 
dern Europwifchen Potentalen und Republigven 5 
dessein und interet wohl informiret wäre: wenn fie 
von dem Zuſtand der Kirchen altes Teftaments 
etwas weniges, don benen Spaltungen [26] neues 
Zeftaments und deren Gelegenheit, abjonderlich aber 
von denen Irrungen jo nad) der Reformation et» 1 
ſtanden genauer und deutlicher zufagen woilite, wenn 
jie von bemen beften Autoren, zuförderjt aber 
von denen nenejten gute Kundſchafft Hätte und in 
deren Schriften nicht frembde wäre u. |. w. Ich dichte 
wer dieſes alles prestirte, dörffte noch wohl ſich ımter 15 
bie Gelehrten machen. Jedoch weiß ich nicht, ob wir 
jo balde unter jungen Leuten, und die nicht unter ben 
studiren faft veraltet find, dergleichen antrefien würden, 
ob wir jie ſchon nicht umter denen, die im deuen hohen 
und niebern Schulen an ftatt der Bücher Wohlluſt und 2 
Ergeplichfeit geltebet, ſondern vielmehr unter Denen, Die 
die freyen Kuͤnſte in denen trivial Schulen wohl ber 
griffen, auch Ihre cursus auf denen Academien absol- 
viret und bie Discurs und Dietata ihrer Lchrer an 
einem Schnärgen herzuſagen wiſſen, hervor juchen wolten, 25 
Und dennoch Aönte gar deutlich dargethan werden, daß 
man Diejes alles einem erwachſenen jungen Menſchen, 
ber mit einen guten natürlichen Verſtand verjehen wäre 
und nebft feiner Ventterſprache einen Frantzoͤſiſchen Autoren 
verjtände, es möge ein Frauenzimmer oder Manns m 
perfon feyn, fo ferne felbige nur vechtichaffene und 
feine laulichte Begierde hätte jolches zu Lernen, mit der 
feichteften und angenchmften Art in jehe wenig Jahren, 
nachdem der Fleiß mehr oder minder wäre, ich wil nicht 
jagen hauptſachlich beybringen, Doch zum wenigften der⸗ 
‚gleichen Anfeitung darzu geben koͤnte, daß fie hernach 
ohne fernere Hanoleitung und fir fich ſelbſt nach beiteben 


Bon Rachahmung der Frangofen. 25 


Vergnugung ohne Anſtoß fort studiren, oder in 
gebraucht werben Eönte, auch allbereit in Gefell- 
fie nur die Regelm zu vechter Zeit zu reden 
ae Ai — in — und 
(te. Es kam jeyn, daß man 
jöxheit oder extravagance [27] deuten 
menzimmer und Mannsperſonen im eine 
ald wenn es eben fo leichte waͤre 
zu machen, da doch bey uns fr 
wird, wenn eine Dame me in einen 
r Gelehrfamfeit etwas beſthet. Aber 
— gerne ſeine Meinung laſſe: alio 
doch nicht allein diefes, was ich geietet, 
‚zubehaupten, jondern gar darzuthun, 
jey und mehr Succes zuhoffen, ein 
von einen guten Verſtande, welche fein 
) ', auch nichts ober wenig von der Ge» 
weiß, als eine and mit quten Verſtande ber 
die aber darneben van Jugend auff 
in gepladt, auch wohl allbereit herrliche 
Sefchidtichleit erhalten Hat, zu unter⸗ 
var er (ie —* Lateiniſche — die 
an hindern folte, mt wer wolte jo under“ 
nlnfftig raisoniten?) ſondern weil durch die durchgehende 
5 gemöhnlice Lehr WUrt viel umgegriindet und ohnnöthig 
zeug webit dem Latein in die Gemünher der Vehrlinge 
eingepröget wird, welches hernachmahls jo feſte Hehet, ı 
merefliche Berbinderungen bringet, daß das tuͤch 
Bee nr haften will. Cine meine Si 
» nimmet das ſenige fo man drauff ſchreit 


aber eit 
blieben, wie ſchwer gehet es doch zu, wen 
das erite auswiſchen will? ift dann ba: 
Eieföhent geicheiehen worden, fo wilde 
werben bie alten Buchſtaben ober 
In z 
man viel (ehren unb lernen. Geſeht min 


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26 Ehriftim Thomafius. 


daß ein Frauenzimmer manchmahl etwas Vanitdt hat, 
welche zuvorhero etwan in einer vierteljährigen Zeit mit 
guter Art auff die Seite geſchafſet werden muß; jo 
mangelt es doch denen jungen [28] Herren daran eben jo 
wenig. Ehe man aber bey diejen wenn fie ſchon studiret 
haben, die prajudieia und vorhergefafte Meinungen, welche 
fi; auff nichts anders als auff ihre Autorität dexer, von 
welchen fie ſolche eingefogen, gründen, ausmiftet, halte 
Ach dafiir, daß man zum wenigften ein dahr mehr Zeit 
haben muͤſſe, welches niemand wunderlich furlommen wird, 
der beym Cartesio geleſen, wieviel derſelbige feinem 
eigenen Geſtandnuͤß nach Zeit angewendet, ſeinen Ver— 
ſtand von dergleichen impressionen zuſaubern, ohner- 
achtet ihm, wenn man ſeine Philosophie etwas genau 
betrachtet, noch unterſchiedene, wie wohl wider ſeine gute 
Intention, zuruͤck geblieben. 

Wir haben uns in Betradhtung bes seavant homme 
ein wenig zu lange auffachalten, wir werben aber den 
Vortheil davon haben in denen Übrigen Stücken befto 
füxher zu ſeyn, weil doch, wenn man es recht heraus 
jagen will, die Wiſſenſchafft der Grund zu einem bel 
esprit und ein möthiges Stuͤck davon iſt, dieſes beydes 
ober das natürliche judieium ober le bon gout trefflich 
fchärffet, und aus biefen dreven enblid ein parfait 
homme gulant werben fan. So viel le bel esprit 
betrifft, dirfften wir die fürgefte Arbeit machen, wer 
wir den Bouhours folgen wolten, mafien wir nur mit 
zen Worten jagen Könten, in Franckreich waͤre felbige 
Wet Heute fo gemein als bie Miden in Hundstagen und 
bey uns Hingegen jo rar, als ein Donnerwetter im kälte- 
ften Winter. Gr faget daß das vorige Jahrhundert 
fir Stalien an ſchoͤnen Geiſtern jo fruchtbar gewefet 
jen, als es nad) Augusti ‚Beiten jemahls ſeyn können, 
Das iehige aber jey für Frankreich, indem man mit 
guten fug jagen koͤnne, daß alle Weißheit und aller Vers 
ftand von der Welt eingig und allem bet denen ran 
hofen anzutreffen fey, und daß alle andere Nationes 





Bon Nachahmung der Franzoſen 27 


J ‚gerechnet den Kopff mit Gribe ge— 
üllet Hätten. Es fönne niemand mehr in Frandeih 
= feinem [29] ichönen Weift empor kommen, und ſich 

‚ bringen, weil icderman davon etwas über» 

= den Habe, und fen — nahe fein Menſch unter ihnen, 
ber ein wenig manterlich erzogen worden, welcher nicht 
wohl m reden und artiq zuſchreiben wiſſe; die Yabt von 


5 die lehrten Verſanuungen ltluger Leute 

lehrten fich nl, ja er wiſſe mit einen Wort nichts, 
einer wire im gangen Königreich als le bel esprit 

ſein fo var darinnen geweſen) in ansehen er 

alleine bey denen Gelehrten anzutreffen ſondern 
4 Soldaten und geoffen Herren. Sie hätten 
— wohl am Verſtande als an Tapfferteit 

deipio und Cesar annehmen koͤnten (bey 

fegenheit er dann einen befanten Bringen ſehr 

und auf Jeſuitiſche Manier zuicmeicheln weih) 

Hertioge, Morggrafen, Grafen, die ſehr geift« 


wären, und bie ja fo wohl mit der 


Ballet anzugeben ober eine Hiſtorie au 

eine Feldſchlacht zu ordnen; Endlich jo 

ihnen an Hergoginnen, Marggräffinnen, umd + 

* — jo inegeſamt mit ſchoͤnen Verſtande begabt 
wären, fo wenig ein Mangel als an denen Herren jelbft. 


benen Moscovitern vergleichet, und 

das gar was ſonderliches wäre, daß 

Mofcoviter einen ſchoͤnen Verſtand 
* allen falls dergleichen Leute di 
— es Kal) Geifter von 


‚habe, gleich als ob es ein Wunderwerd wäre, 
daß ein Teuticher mit Verſtande ver-[80]jchen jey; (Er 





28 ‚Ehriftinn Thomafius. 


ſebet auch die Unſache feiner Meynung darzu, daß nem⸗ 
Ti, ein ſchöner Geift ſich gang uud gar nicht mit dem 
groben temperament und massiv-Leibern derer Nord- 
Röfder eomportiven me. Dieſe offenhersige Gedanden 
des Bouhours jolten uns nun eine gnungſame Materie 
geben, eine Satyre zu fehreiben, wenn es unjer Vorhaben 
wäre; in Anſehen jich der gute Water mit jeinem bei 
esprit ziemlich bloß gegeben, inben er zwar die modestie, 
ale ein nöthiges Stück davon, wie oben erwehnet, er- 
fordert, aber in Warheit ſich nicht allein hierimmen jehr 
immodest bezeuget, jondern auch jeine Praterey (mern 
wir und teutiher Medens>Arten, oder nach feiner Art 
zu ſchertzen, massiv-Worte gegen ihm gebrauchen wollen) 
darinnen merdlich ſpuͤhren LAft, daß er in eben demfelben 
Gejpräd, wo er d’un bel esprit handelt, den einen von i 
denen ſich unterredenden Perjonen alfo einführet. Il ne 
se peut rien voir de plus beau que l’idee que vous 
avez du bel esprit. J’ay pens# dire, qu'il ne se peut 
rien voir de plus boau que votre portait; car om 
dirvit que vous estes peint vous möme daus le 
tableau, que vous venez de faire, tant il vous rag- 
semble. Uber wir wollen den Ehrwuͤrdigen Herr an- 
ietzo passiven laſſen, weil ihm ohne dem einer von feinen 
eigenen Landes · Leulen unter dem verbedten Namen des 
Cleante, wie befant, den Kopff mit allzu ſcharffer Lange 
neaget, welcher auch abjonderlich ihm dieſes fünwiriit 
und fir übel Hält, daf ex ganke Nationen | 

der Welt angetaftet, auch vom denen Teutjchen fi nehmlich 
gefraget, ob fie koͤnten unter les beaux e esp 

werben? Zum wenigſten finden wir unter einen ‚eigenen 
Model, jo ex uns oben d'un bel esprit ger nirgends, 
daß dergleichen [91] Durchhechelungen und 

gegen gange Nationen darzu gehören, jo 

offenbabre und — Schmeicele 





‚Von Racahnung der Franzojen. 29 


® macht, zweiffele ich ſehr, ob es 
21 haben gut fenn Laffen, wenn er noch 
am Leben blieben, als welcher, wie befandt, mit 

— ſich Sffters luſtig gemacht. Und 
J der ehrliche Manu, das in Frankreich alles 
f gar unmäßig oͤberley At, deß 


sehen 
sifge H 


| 


, und dem Bouhours dic Ober- 

esprits wol ftreitig machen folte. 

bé de Gerard ift warbafitig auch Feine 

ben Titel feines Buches In Philosophie 

ir und deſſen Worvede, wie auch den 

berer daſelbſt befinblichen Geſpraͤche lieſet, 

dem Titel ſiehet, daß dieſes Werckgen zum 

auffgeleget worden ſey, ber ſolte drauff 

der Autor habe den rechten Weg getroffen, 

te Leute zu warhafftig Gelehrten und boaux 

‚er Arbeit machen jolle, zumal da er in 

icht allein auf bie barbariichen Wörter 

abstraetiones derer gemeinen Philo- 

', Tonbern auch auff die allzu jubtifen mathe- 

5 Erfindungen und wunderliche Neuerungen derer 

it, und ohme diefe Mängel alles das 
‚uriöfeften in der Physio und am 
der EittenLehre iſt, auff fo eine I 


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Wenn man aber das Wer 
die [82] Hand nimmt, was findet man doch 
und albern Zeug? Ich wil nie 
toren ber finnreiche Baile (ei war 
s esprit) einer ziemlicher derben, wider 
N Unmarbeit beſchuldiget bat, and des 
Lobes nicht erwehnen, daß er fait in 





30 Chriſtian Thomafins. 


Seiten ſich jelbft giebt, und fein groſſes Werd (worvon 
la Philosophie des gens de eour nur ein hurker Aus— 
‚ang if) heraus ftreichet, denen Buchführern, die ſolches 
Zweiffels ohne nicht haben verlegen wollen, das Maul 
swäjerih zu machen, auch von einer Madame la Mar- 
‚quise, bie er wil informiret Haben, viel Nihmens macht; 
wielweniger was bie methode betrifft, allzu genau er⸗ 
innern, daß er wicht mit einen Buchſtaben erwehnet, was 
er eigentlich) durch die Philosophie verftehe, auch die 
Bernunfft-Schre als das nötbigte Stid austäft, uud in 
übrigen die Philosophie und Theologie ziemlich unter- 
einander wirfit; ſondern ich wil nur etliche grobe Fehler 
und Auffſchneidereyen anführen, die mir im Durchlefung 
laum des dritten Theils diefes Buchs vorkommen, Im 
ondern Geſpraͤch, da er bon denen Secten der alten 
Philosophen gehandelt, macht er mehr Auffhebens als 
Die SMopff-Fechter von Vielfältigkeit derer Seoten, und 
daß nodı niemand dieſelben genau eingetbeift habe, und 
verſpricht, wie er eine gant leichte und jo herrliche Art 
weijen wolle, ohne welcher man ohnmoͤglich aus ber 
Verwirrung, worein ſich die Philosophi ſelbſt geworffen 
haben, kommen koͤnne; Endlich koͤmmt es heraus, man 
anhffe zwey DaupiSecten machen, die Dogmatifdhe und 
Sceptifhe, und bahin alle andere zu bringen fuchen, 
gleich als wenn Lipsius zu feiner Zeit, und nach, and) 
mot Fılr ihm viel andere ſich nicht allbereit biefer Ein- 
theifung bedienet hätten. In dem dritten Gejpräch, da 
‚er beweifen will, daß das Frauenzimmer auch die Philo- 
‚sophie ftubieren ſolte, macht er fid) ſelbſt einen Ein- 
tirfi, es habe gleidwohl Chriſtus das Mannli⸗ an che 


genommen 
abe, weil nemlih GOTT an Annehmung der menſch 





Bon Nechahnnmg der Fronzoſen 31 


lichen Natur ſich habe ermtedrigen wollen, die Wamıs- 
ven aber unter allen vernänfftigen Creaturen bie 
und miedrigiten wären. ben fo geicheid 
antwortet ev an jelbigem Orte auff ven Eimvurff, warumb 
= de Banlus denen Weibes-Berfonen das Predigen ver- 
r habe? Denn er jagt, es wäre deftegen geicheben, 

fie mehr Verſtand hätten als die Männer, und 
es nicht das Unfehen gewinnen möchte, als ob das 
sinemer durch ihre Schönheit und natlrliche Beredı- 
jo ieh Leute am ſich zögen. Im vierdten Ger 
er, daß etliche die Meinung behauptet 
item bie Engel etliche hundert Jahr für ber 
worden. Aber dieje jchlägt er alsbald 
m Frage zu Boden: Dem, ſpricht er, 
Drte hielten ſich die Engel auff, da noch 
. dw. Dem ſey aber nun 
', To folten wir Teutſchen uns doch 
Bouhoers uns gethanen Borwurff, als ob 
feine beaux esprits unter ums hätten, wicht nur 
Taffen, daß wir deſto eyffriger ihnen Das 
if in der That erwieſen, fondern daß wir auch 
ſowohl hohes als niedern Standes, ſowohl 


Ba 


IH 


— 


fi) volllommen machen wil, und 
da; die Frantoſen bi 





33 Chriſtian Thomafine. 


gout vollkommen beſaſſe. Wie mander junger Menſch, 
der * ausfliegt, afleerirt mit aller Gewalt für galant 
angejehen zu fenn, und feinen guten Verſtand fehen zu 
laſſen; Aber auff was Weile? Bald Fleivet man ſich 
auff die wunderlichſte Art von der Welt, und duͤrffen 
unfere Schneider nur mit zwey Worten jagen: diefe Mode 
komme nun gan warm aus Franckreich, jo ift es ſchon 
gut, wenn glei) bie Frangojen uns damit hoͤchlich aus« 
lachen. Bald, wenn man ftudiren oder was nöthigers 
th foll, verliebt man fid) fterblich, und zwar zum Öfftern 
in ein qut einfdltig Buttes-Mägdgen, aus deren Augen 
man gleich ſehen fan, dab eime Seele ohne Geift 
den Leib bewohne. Was gehen nun da für galanterien 
vor? Wie zutrampelt man ſich vor dem Fenſter, ob 
man die Ehre haben koͤnne, die Jungfer, oder doch m 
deren ftatt die Magb oder bie Kaye zu gehfien? Wie 
viel verliebte Briefe, die man aus zehen Romans zu⸗ 
fammen gefuchet Hat, amd die mit vielen flanmmenden 
und mit Pfeifen durchſchoſſenen Serben bemahlet find, 
werben ba abgeichieer, gleich als ob man bes guten Kinbes 
affeetion damit bombardiven mwolte? Wie läfjet man 
fichs fauer werben, eine galante Nahe-Mufic zu bringen? 
Wie fpiefet man mit denem verliebten Minen uͤberall, 
auch wohl in dem GOttesHaufe? Daß ja von denen 
galanten Hiftörgen iederman zufagen wiſſe, und auff 
den galanten Menfchen mit Fingern weifen Anne. [86] 
‚Bald, wenn man feine galanterie in eonversation jehen 
laſſen wil, vermeynet man nicht beſſer fi 

als wenn man nur fein viel vebe, es mi 

wie es wolle, ober wenn man einem iede— 

ſchaft eontradicire, und da fan e3 denn nid 

möäfjen manchmal galante faulen mit um 

man zum Grempel aus Stalin fiber die 

Waller reifet, dal 

Fohlen fönmet, daß mar bey 

sophie, bey Sefehrten von a 
Frauenzimmer von feinen Collegiis oder vom feta- 








34 Chriſtian Thomaſius 


viel, auch in etlichen das meiſte thue; Cs wird aber 
aud) hiawlederum alemand verneinen Armen, daß mann 
der Natur durch Kunſt merklich forthelffen könne, die 
Kunft aber am füglichjten durch gewiſſe Grund Regeln 
amd maximen erlernt werde. Weil ich dann jonjt nichts 
zuthum habe, als daß ich Gelegenheit fuce, Meinen 
Herren, nad meinen wenigen Vermögen au dienen, und 
an bie Hand zugehen, barneben aber benihet (che, wie 
ſolches mit eimer guten Manier gefchehen möge, damit 
weber biejelben noch ic) babey verbrichlidh werben; Als 
habe ic) mir fürgejegt, geliebts GO diejen Winter 
durch, denen jo biehfalls meine Lehrart anſtehet, anleitung 
zugeben, wie man obbeſagte Stliete, worinnen die Fran« 
boſen uns Teutſchen zu übertreffen juchen, zu erlangen 
ſein Leben anftellen und feinen Verſtand disponiren 
folle. Zwar was die Gelehriamkeit betrifft, Bin ich 
‚allbereit darinnen begriffen, Meinen Herren zuweiſen 
auff was für Regeln man jeine Gedanden gründen und 
vernünftig raisonniven folle, welche Lehre ob fie wohl 
gemeiniglich obenhin tractivet, und von vielen als zur 
Gelahrheit ohnndthig gar nusgelaffen wird, jo ift fie 
derunoch bei geicheiden Leuten billich Fir das Hauptſtück 
eines gelabrten Mannes angeſehen, deren ich mich auch 
deſtowe gẽ nger zuihämen urſach habe, weiln eine Hoch⸗ 
Adeliche Vorſon unter uns Teutſchen (die bey denen 
Franbojen jelbit pour un veritable bel esprit & — 
homme passiret, und daunenhero von meinen Herr 
billig als ein model d’un homme Säge betrachtet wer- 
den foll;) felbige Ihrer gefehrten Feder wit 

und unter dem Nahmen einer nuͤtzlichen Seelen 

artig und geſchickt davon geſchrieben hat. 

tete anlanget, bin ich geſonnen, die ] 

lichen Mechts, als welches die fin 

derielbigen it, mach Anleitung me 

‚Jurisprudentie divine, wo Ott will, auff dem Mon 
tag nad) ber Zahlwoche nad — all atach 








36 Chriſtian Thomaſius 


ſelbſt die Grund-Reguln des Gracians zuver- 
ſtehen und zubeobachten fähig erkenne? u. ſ. w. 
Aber ic) meine es werde ſich beſſer ſchicken, daß ſolches 
biß auff die Lectionen ſelbſt verſparet werde, theils weil 
diefer mein Discurs über verhoffen unter der Hand 
geöffer worden, als ic) anfangs gemeinet, theils weil ich 
fonften allzuviel von mir jelbjt wuͤrde reden muͤſſen, 
worinnen ich vieleicht allbereit die Negeln der Weißheit 
überfchritten, indem ich gar wohl erfenne, daß ein ge» 
Scheider Mann, jo wenig als möglich, ja wenn es nicht 
die Noth erfordert, gar nicht von ſich ſelbſt reden folle, 
zumablen in öffentlichen Schrifften. 
Sie leben wohl. 


er 


10 


[89] Gracien Maxim. 79. 


"Humeur joviale est une perfection plutöt qu’un 

döfaut, quand il n’y a point d’exes. Un grain 
de plaisanterie assaisonne tout. Les plus grans 
hommes joüent d’enjoüement comme los autres, pour 
se concilier la bienveillance universelle: mais avee 
cette diförence, qu’ils gardent toujours la pröference 
ü la sagesse, & le respect ä la biensöanee. D’autres 
se tirent d’afaire par un trait de belle humeur; 
car il y a des choses qu’il faut prendre en riant, 
& quelquefois celles m&me qu’un autre prend tout- 
de-bon. Une telle humeur est l’aimant des cours. 


158] —— 


Jeſes iſt mein erſtes Teutſches Programma, jo ich 

in Leipzig Anno 87. verfertiget, auch vielleicht 
das erſte Programme, das in Leipzig in Teutſcher 
Sprache an das ſchwartze Brot gefhlagen worden. Ofeich- 
wie aber diefes eben deshalben ein Auffſehen machte, 
und bel genommen werden wolte, daß ein Doctor prie 
vatus folche Neuerungen anfinge, und gelehrte Dinge in 
der Wutter-Spradye vortragen wolte, alſo fanben fich 
auch welche, die fich befchwereten, daß das ehrliche ſchwarhe 
Beet jo bejchimfft und ſiogya latina als lingva eru- 
ditorum jo hintan gejcht worden wäre. Andre hingegen 
beuteten es fir eine groſſe Kühnheit aus, daß ein junger 
Mann von etwa dreyßig Jahren, und zumal der nicht 
gereifet Hatte, fid) umterftlnbe, iiber Gcheimnifie der 
Staats-Sachen, und zwar eines Spanifchen Autoris, der 
jo tieffünnig geſchrieben, daß man Öffters Tehe Meimmg 


aber 2 — es nichts deſtoweniger, — die ohne 
Ordnung gejesten, auch zuweilen ziemlich untereinander 
geworffenen Maximen des Gracians zu etva 6. oder 8. 
General-Regeln, die id) vorher aus ihrem J 
erflärete, gebracht. Es drgerte mich auch die 

berer, bie da meinen, [84] es jey alle Meisheit an has 
reifen, oder den Hoff, oder an bie obseuri 
Spaniers gebunden, bamals dermaſſen, daß ic 

geſehet hatte, ihnen einen artigen Bofien zu ven 

zu zeigen, baß bie Leute auff Universitäten 

Narren, und manchmal capabel wären, auch Leuten bey 





Bon Nachahmung der Franzoſen 39 


Hofe zulählicher Weife eine Nafe zu machen. Menilich 
ich — daß bes Gracians Homme de Cour fo 
in das Tentjche überjeget ıwar, daß id) min 
in ber erſten Oenturie meinen damaligen Auditoribus 
# über 200. fauton jeigete, Die geöften Theils die Meinung 
bes Gracians gang verfehrten. Mo wolte ich ein 
Speeimen einer beffern version geben, und darzu etwan 
zwandig Dif breyßig Maximen aus bem Gracian austejen, 
und wie Gravian jelbjt unterjchiedene Maximen hat, die 
10 einander gan offenbar zu eontradiciren iceinen, aud) ohne 
dem in Bolitiichen Dingen wicht wohl eine Regut gegeben 
werben fan, da nicht die exception fo viel, wo nicht 
mehr ensus in ſich halten folte, als die Negul ſelbſt; als 
EN Fu dergleichen Reguln aus bem Graciun ansjuchen, 
6 und einen jeben derjelben eine andere Maxim ſchnur- 
—— ſehen, and dieſe mit bundeln Redens— 
arten, weit bergeluchten Sentenzen, auch allerhand Gleich“ 
aiffen wub Grempeln, wie Gratian mit den jeininen 
gethan, als es mir möglich geweſen, ausichmilden: 
nnd in einer Vorrede fingiren, als ob ich [56] 
ein Buch etiva bes Don Louis de Haro, ober eines 
andern Spaniers belommen, ber ex professo wider des 
‚Gracians feinen Homme de Cour daffelbige verfertiget, 
einer jeden Maxime eine andere entgegen gie 
„ davon id) durch ſelbe meine Überfegung de 
hätte geben und a} 


Hi 


H 


3 der ne Hs dem — ſchen 
Laffen nicht leicht eine Regul ‚gegeben. werben 
, Davon man wicht variantibus paululu — 
fo viel Erempel antreffen ſolte 
und aljo darauff unſchwer 
machen konte; Alfo ware 
nicht wenige Nachfroge nı 
' de Haro AntiGratian wilrde ae 
bie metften admirationes der Bilde 


I 





40 Chriftian Thomafins. 


ſchledenen prajudieis herzu flieffen pflegen, von welchen 
—— Mons. Baillet in den I. Theil ſeines 
ugement des Scavans einen gautzen Praetat geichrie- 
ben hat, unter folchem aber das prasjudieium von fremnbben 
und vornehmen Autoribus nicht Das geringfte zu ſeyn 
pfleget. Endlich hitte ich die Larve wieber abziehen, und 
die Thorheit gebührend beſtrafſen wollen, die mar in 
unzeltiger Beurtheilung der Gelahrheit und gelehrter 
Schrifften zu begehen pflegt. _ AI-[ös]leine es bliebe wegen 
vieler Derhindernib dieje Erfindung wur in terminis einer 
blofjen ideo. Nach diefen aber wurde id) auch gewahr, 
dab es mir auch nach dem gemeinen Sprichwort ergieng, 
daß ein Gelehrter nichts weniger gilt als in feinem 
Baterfanbe; Denn es geſchach, daß einer von meinen 
ausmwärtigen Freunden und Befandten einen gröſſern 
Staat aus mix und meinem Programmate machte, als 
wir meritivten. Diejer communieirte auch andern jeinen 
gelehrten Freunden daifelbige, und hohlte von felbigen, 
me qvidem inscio, judieia dariiber ein, die er mir auch 
hernach wieder zufendete, und auff etliche meine Autwort 
wieder begehrte. Das Lob, das man mir zulegte, fügelte 
meinen Ehrgeig nicht wenig, und triebe mich noch mehr 
an, aus der obseurität, dariunen td} damalen noch ver- 
borgen Tag, mich durch Schreibung anderer dergleichen 
Schriften hervor zu thun amd befant zu machen, tie 
dann meine monatliche Gedanden bald darauff erfolgeten, 
und ich mehr befant ward, als ich vermuthete, und mir 
viel Verbruß Damit zugleich aufj den Hals zog. Ich 
wolte wohl io viel drum ſchuldig ſeyn, daß ic) wieder 
in die obseuritdt gelangen Eönte, nicht daß mid das 
jenige, das ic) leiden müflen, verdroͤſſe, denn Gtt hat 
mir bierinmen allemal einen froͤlichen Muth aegeben, 
unb mein Leiden mit vielen Segen üffet; oder dah 
mic mein Gewiſſen biſſe einer ſchaͤndlichen [56] That 
halber, dem GOtt hat mic dafir guädiglih behütet, 
amd die jalchen Beichuldigungen meiner Widerwaͤrtigen 
haben mir mehr Ehre als Schande ermorden; jondern 





42 Chriſt ian Thomaflus, 


moins du bon sens & de la raison que celuy 1A, 
Mais Monsieur je vais trop loin de mon raisonne- 
ment. Et noctuns Athenas. Je vous donne le 
bon soir Eo. 


Num, II. 


1: diseours de Mr. Thomas, sur l’imitation des 

manieres Frangoises, a et@ trouv& solide, poli, 
& aggreable de tous ceux ä qui je l’ay eommuniqud. 
On u approuv& Vaddresse, dont il se sert au com- 
mencement pour gagner les lecteurs en prenant la 
parole de l'un & de Vautre parti. II decouvre fort 
bien los qualitös ou les apparences, par ou les 
Frangois s’attirent V'estime de tout le monde, Son 
instruction pour los sciences d’un Prince est bonne 
& & prattiquer; & ies plaintes qu’il (nit [59] sur le 
peu de soin que nous avons A eultiver notre langue 
comme il faut, sont tresjustes. Tin fin ce programma 
est aussi beau & spirituel, que coluy sur les fune- 
railles de feu Mr. le Docteur Schertzer etoit fade 
E miseruble. 

Mais n’y a-t-il rien eu A eritiquer, me dires 
vous? C'est si peu de chose, Monsieur, que cola 
ne vaut pas la peine de vous &tre rapporte. Si 
vous le voulös pourtant, vous serös obey, 

Quelqu’'un a done pretendu, que Mr. Thomas 
aureit pu dire un peu plus ouvertement, ce quil 
pensoit sur lu question, sl y a plus d’hondtes gens 
parmy les Francois que parmy les Allemans, vü 
Ex les Frangois memes ne faisoient point difficult& 
ia nous le eeder, temoins entre Be 1 


Frangoises, les quelles, ceteris paribur 
toniours plutot un Allemand qu’un 

Mais il est dangereux de s 
une question si chatouilleuse. y fu 
point toucher, ny la mettre sur le tapi: 





Bon Nadabunung bes Framolcı. 43 


Um autre ın'a dit qu'il ne voloit pas la raison 
pourquoi la morals d’Aristote devoit ütre releguce 
entre les rabuts de Verudition. Bien loin d’en 
tomber d’aceord il se faisoit fort de puiser de cette 

s mesme Morale les veritables prineipes pour expli= 
quer ce que c'est qu'un honäte homme, un homme 
scarant, un bel espril, un homme de ban goust, un 
homme golant, purce-[60]qus ces qualitös, quoyquo 
habillöes & la Prangoise, m’etoient en efet que 

» virtutes intelleotuales, vel morales vel homiletic, 
ou quelgque chose de meslö de tout cela. 

Il ne püt aussi s'accommoder de Petrus Lom- 
bardus, disant, qu’il ne luy voioit point de rival 
dans autro rang. 

» De plus on ma demund® si Vauteur n’avoit 
| pas trop exultö los Traduetions de Mr. d’Abluneourt, 
& sur tout celle de Taeite, ol il y avoit pourtanı 
gm delegance que de fidelitö., Pour Monsieur do 
on osa dire, qu'il n'avoit pas touiours 
& bien entondu le Latin, en preuve de quoy 
un pussuge du 1. chap. de Quinte 
f d: Olympia quadrigis se vieisse cognovir. 
itons le Frangois: I apprit qwil avoit etẽ vain- 
aux Jeuz Olympigves, ot il avoit envoyk 

hariots. 
on a eru, quo co disconrs donnoit au 
font trop de preference aux Frangois, puisqu'elles 
i modele des plus parfaites vertus 


je ne soueris pas ä toutes oas remarquen. 


itraire je vous puis dire, que jay Iü cette 
ee une entiere approbation, 


Num. III. 


öfiihe censur ber mein Programma it 
gulant, und thut mir mehr Ehre an, als 





44 Efriftian Thomafius. 


ich verdiene, und möfte Ih dev gröfte pedant von ber 
Welt jeyn, wenn mic, das geringiie darinnen touehireu 
folte, ja ich wilniche in Gegenteil, daß dem Herrn 
Autori beliebig gewejen wäre, jeine Meinung über mein 
Programma mit mehrer Freyheit, als er fich gebraucht, 
von fich zu jagen, weil ich Ihn, ohne Ihn zu kennen, 
aus Diefer bioſſen Critigue wuͤrdig achte, von allen 
euriösen Schriften gründlich zu wetheilen, und folder 
geſtalt feine approbarion over censur hoͤher wätimire, 
‚als aller unjerer Gelehrten zu Leipzig. So iſt mir auch 
Höchft angenehm gewejen, daß er micht alleine feine 
Meimmg von meinen Programma, jondern auch anderer 
ihre judiein mit Hinzu ſehen wollen, wiewohl ich Lieber 
gefchen bitte, wenn Er auch darbey hätte andeuten 
wollen, welhe remarque von feiner invention 1Äre 
ober nicht. Nichts deitowenigee till ich verſuchen, ob 
ich vermöge ber id&e, die ich mir von dem Herrn Autore 
‚gemacht, geſchickt fen, feine Anmerckungen von denen Frembr 
den zu unterfcheiden 

Die erfte iſt gar zu artig, daß ich fie iemand andere 
zurechnen folte, als ihm felbft, amd weil es ſcheinen daß 
der Herr Autor dißfalls aus Erfahrung vede, und gutes 
Städt in Frand-[ö2]reid bey denen Dames gehabt habe, 
als zeiget fie zugleich mit an, daß er ber die galanterie 
ein. bollfoimmener honnete home ſeyn uihſſe. Men 
ich philosophiren wolte, wolte id) verſuchen, ob ich ge— 
hit wäre zu pemetriren, was er in denen Morten 
lus Dames Frangoises cholsiroient tousjours, eeteris 
paribus, plutot un Alemand qu'un ıgois, mit ber 
limitation ewteris paribus, die ich n nicht entſinue 
lemols jo wohl angebracht geleſen zu haben, andeuten 
wollen. Ich bilde mir ein, daß ich alle Mi 
doetrinn de interpretatione declarativa, ext 
restriotiva hierbey anwenden wolte, ja auch am meiſten 
von der interpretatione uswali. ob gleich diejelbige nicht 
vor die privatos jonften gehoͤret. Dieweil aber dieje 
Materie jo copids iſt, baf ich mehr davon zu ſagen 








46 Ehriftion Thomafiud. 


homme werben möge, gleichwie mir bie Franhoͤſiſchen 
Bücher hiezu Auleitung geben, ingleichen, ob wir unter 
denen Aristotelieis jo viel Exempel antreffen, Die uns 
zu biefen Tugenden Anleitung geben können, als unter 
denen Franhoſen? Dafi aber eben derjelbe in meinem 
RR nicht finden Fömen, wer in der andern 
Claſſe den Lombardo entgegen geſehet ſey, weiß ich 
nicht, ob mir Die Schuld beyzumeſſen, weil ich meine, 
Dal ich ſolches gar deutlich zu verſtehen gegeben, daß ich 
dleſem Magistro sententiarum Cartesium vorgezogen. 

Was drittens die Franhöfiichen versiones betrifft, 
ſo habe id) des d’Ablaneourt feine Überjegung des 
Daciti nicht ohne Ausnahme gelobt. Dem ich halte vor 
unmöglich, den Taeitum durchgehends zu Aberjegen wegen 
feiner groſſen Dundelheit, jedoch habe ich des d’Ablan- 
courts version beſſer gefunden, als alle andere Frangde 
ſiſche amd taliäntiche Überfehungen, ja gar als die 
Loeieiniſchen Commentatores insgelamt. Wiewohl ich 
mm auch wegen des Vaugelas version des Curtü jagen 
Könte, dab man & potiori feine Verdolmetſchung loben 
mitte, jo will ich doch sincer& geftchen, daß ich den 
Vangelas nicht geleſen, ſondern dem gemeinen judielo 
andern hierinnen nachgefolget, und muß ich bekennen, 
daß mir die faute mit denen quad die dev Herr 
Autor aufgezeichnet, jo gar groß um 185) merklich ge⸗ 
schienen, dab ich Minfftig mein Tage ven Vaugelas nicht 
mehr loben will, und hätte mich es noch nicht ſo ſehr 
verbeieffen ſollen, wenn es Vaugelas nur nicht im erften 
Gapitel fo gröblich verfehen hätte. 

Legfich fo iſt es wahr, daß ich denen 
einen groſſen Worzug vor denen Teitjcher 
bever vornehmften Tugenden, geg: 
joll man tun? dr bin nicht nere Ei 
Autor wirh am beften wiſſen, ob er in Srandreic) unter 
denen Vornehmen und Gelehrten, 3 viel pedanten, fi 





bey ihnen drunten 
den, io a er mır einen Monat fich ımter ums anff- 
zuhalten, jo wird er mir VerSorfentlich wicht unrecht 
geben, daß id von unfern Deuter auf die Teutfchen 
© insgemein geſchloſſen. Maffen wir Meiner und nichts 
neringes in Teutſchland zu ſeyn elnbilden. 


Nom. IV. 


Extr. lit. Fratris mei Albhatis 
de dato 23. Octohr. 1657. 


— Chrictianus ille Thomasius sit oujus pro- 
germanicum diseursum [#6] mihi 
— juxta seio cum ignariasimĩs. Quisqui⸗ 
» sit, certum est virum hune esse valde döetum, & 
in illa eruditionis parte, quam curiosam hodie vocant, 
‚perquam versatum, opermque pretium facturos maxie 
Mmum, qui se in tam eximii Doctoris pliı 
dederint. Interim ut videns & me Cı 
u sicubi cum viro illo notitia aut familis 
et mihi, quererem ex eo, cur pag. IT. Ciceroni 
Cartesio inter alios sibi non pro- 
atom De 's Bthienm opposuerit. 
Recte se habet oppositio prweodens instituta 
= inter Hoffmanni Waldovii & Johannis Sa: ‚Poöi 
quorum uterque poöta audit, & ille q 
— fare prevstantissimus, hie Bavio 
comparandus juro morito, ut adı 
* un homme de bon goust ill 
= multis modis prelaturus. At enim e— 


poni sibi invicem — 


‚Aristoteles op; 
Orationes enim disertissimi illius Romuli 


” — ratione comparatio inter illos institwi nom 











Bon Nachahmung der Framzoſen. 49 


gratä mente arripiam. Quodei tamen ipsi non ingra- 
tum futurum sit, legere, quid loco defensionis ud- 
veraua alium allaturus essem, cui more hominum 
hujus seculi etinm evidentissimas falsitates quocun- 
5 En modo defendere allaborantium, vollem contra- 
icore, id reseriberem, Initio verba Progrummatis 
mei paululum obscurius posita id velle, ut Schola- 
sich Cieeroni, Glossutores Cujncio, Aristotelis Bthion 
Grotio, & Petrus Lombardus Cartesio opponi debeant, 
» adeoque me quidem non ferire en omnin, qua doote 
de comparatione Ciceronis cum Aristotele allata 
sunt. abundanti tamen & quoniam aliis in ei 
opiniono sum, icoronis officia presferri merori 
ie Aristotelew, dicerem insuper, Offieia Cicero- 
ws nis non videri commod& ad. partieulares Ethiew 
materins referri posse, cum ibi Öicero ex hypothesi 
Stoicorum wquo offieia hominum in universum secun- 
dum quatuor vietutes Cardinales aliis Veterum see- 
tis otiam receptas exposuerit, ac Aristoteles in [69] 
su Bihiei secundum eatalogum undeeim amarım 
virtutum; imo magis, quoniam difficillimas contro- 
versias morales in ofliciis resolvit Cicero, quas Ari- 
stoteles ne tangit quidem. Ut adeö Cicero breviter 
& coneinn® Systerna aliquod Ethieum renpse serip- 
= serit, Aristoteles sulteım prolixis verbis non aded 
semper momentis rerum zepletis, systemu alt 
seribere (vel ipso Revarondo Abbate fatente) 
we tamen Ciceronem modern 
omnibus prwferre cuperem. At si 
» Seuderie Ciceronis libro de ami 
est, uti consentio, axistimationi 
parum putarem inde accodere. Qu 
ex ehdem Cleliü auditoribus mei: 
doetrinam ineuleare, quam ex locis Ari 
» bus de amisitia agentibus. Sed hiwo om 
Reverendus Abbas per joeum magl 
‚eibi dieta putabit, certusque quo 
Doutsche Litteraradenkminio. di. 





50 Ehriftian Thomafins. 


ionis mem agnoscere, si per hoc poscem ipsum 
disponere, ut nomen suum mi non ulterius celaret, 
quam cum illo in arenam disputatoriam descendere, 


120] NV. 
Extracum ex literis N. N. 


Ve ad consurım meam Programmatis sui ropo- 
ir Excell, oppido mihi faciunt satis, si 
a cum illo intercedoret ignoseontiam pele- 
rem audaciw, quis enim wquo animo feret vitio 
ereatum operum suorum censorem talem. Summas 
igitur ipsius modestie tribuo, quod tam svaviter pro 
»e suoquo programmate dieere contentus, nullum 
in me verbum gravius adeo non exeidere 
patiatur, ut me potius meaque atudia, supra quam 

forte merentur, commendare 

studio eur@que ha- 
buerit &e, 





Neue Folre No. 2/8. 


— Litteraturdenkmale 
des 18. und 19. Jahrhunderts 


hörausgegeben von August Sauer 


GÖTTINGER 
USENALMANACH AUF 1771 


HERAUSGEGEBEN 


vor 


CARL REDLICH 


STUTTGART 


G. d. GÖSCHEN’SCHE VERLAGSHANDLUNG 
1895 





Trud von Car! Xembo1d, Heilbronn. 


Vorbemerkung. 


In dem vorliegenden Neudrack des aweiten Güt- 
finger Musenalmanachs sind ausser den drei hinter 
dem Register aufgeführten Verbesserungen: 

8.9 [9] Nr. 4 V, 10 Morgemointen, statt Abend- 


winden 

8.20 [32] Nr. 15 2.9 miſche? statt mifche. 

8,73 [155] Nr. 79 V. 8 Püflerer — und er verſchonet 

fiel statt Täfterer entſeelt — ex ſchonet fiel 

nach folgende Druckfehler geändert: 

8.20 [32] Nr. 15 Z. 24 Yugen; in Augen. 

8.22 [39] Nr. 20 V.5 Erbgut; in Erbgut; 

8.23 [41] Nr. 23 V. 4 glieche in gliche 

8.29 [53] Nr. 31 V. 14 unfer in unfrer 

8,29 [54] Nr. 31 V. 20 verjagt: in verjagt; 

8.52 [106] Nr. 62 V. 20 ftehu, in flehn. 

S. 55 [112] Nr. 63 V. 59 Emphelung in Empfelung 

8.57 [117] Nr. 66 V. 26 fleht; im fieht, 


8.91 [194] Nr. 97 V. 21 feindliche 
(wach der briefichen Bemerkung Boi 
A771 in Koebels Nachlass 2, 93: 5 


h anden, 
8. 29 [42] Nr. 24 V. 2 das überliofort Int als 
Druckfehler zu behandeln, da ( u 
lich, aber nicht unmöglich 
iels Worken bietet „Tusculum®. 
Dem Register liegt das des Almanachs zu Grunde, 
©s ist aber ergünzt durch Nachtragung der ausgelussenen 





IV 


Stücke, und im Einzelnen mit dem Texte der Gedichte 
in Uebereinstimmung gebracht. Ausserdem sind die 
Chiffern, so weit es mir möglich war, aufgelöst und 
die Nachweise der früheren oder späteren Drucke der - 
Gedichte hinzugefügt. 


Hamburg, 16. April 1895. 


Carl Redlich. 


Muſen Almanad 


A MDOCLXXI. 








Göttingen, bey J. C. Dieterich. 
[Gestochener Titel von Meil.] 


— — 


[3] Dieje Heine Sammlung wird keiner groſſen Vorrede 
bebürfen. Das Publikum hat bie erſte mit einer jo gütir 
gen Rachſicht aufgenommen, daß der Herausgeber, dadurch 
befdhämt, ſehr gewinfcht hätte, dieſer einen Grad der Voll⸗ 

& fommenbeit zu geben, noch welchem er umſonſt geſtrebt 
hat. Mon wirb es aber feinem Geichmade nicht allein 
zufcreiben, wenn auch dieſe Sammlung ſehr oft den 
ftrengen ingen der Kenner nicht entſprechen jollte. 
Es fonnte feine Abficht wicht ſeym, [4] dieſen nichts als 

10 Meifterjtiide vorzulegen. Deutſchland müßte vor andern 
Ländern einen zu groſſen Vorzug haben, wenn ein jedes 
Jahr, auc mer in biefer Meineren Gattung, jo viele 
Meifterftiide Liefert. Manches vortrefliche Gedicht iſt 
vieffeicht erichienen, und Ihm nicht zu Sefichte gefommen, 

1 und mandes andre hat er vielleicht auch nicht brauchen 
molfen, um mit ondern ähnlichen Sammlungen nicht zu 
Br sufanmmen zu treffen. Mus eben diefem Grunde find 

ber gebructen Stiche Diesmal nicht viele Man Hat bloß 
um des Verlegers willen fie zu bezeichnen unten ſſen, 
> weil man voriges Jahr geſehen hat, daß allzu el 
nicht gut iſt. 


erjten Sammlung. Dieſe war, was ein jeder eı 
ſuch diefer Art, wenn nicht in einer — 
* jammenflufi 


gejepter Ruhm ihm den Zutritt zu * 
ig Hat, feicht macht, nothwendig werben muß 
umvollfommen. Wer aber ſich einen Begriff davon mn 





4 


Tann, ober will, wie ſchwer es ift, Stüce von fo vere 
ſchiedenen Verfaffern, als ein ehrlider Mann, zur 
ſammen zu bringen, ber wird dieſe Unvollfommenhelten 
nicht zu hoch anrechnen. 

(6) Eben weil der Berfaffer jo viele find, mußte bie 
Sammlung Fehr ungleich werden, und dieje Ungleichheit 
ift hier vielleicht nicht einmal ein Fehler. Dem fen aber 
wie ihm wolle, jo it unſre Abſicht erreicht, wer der 
Kenmer Hier einige Stücde findet, die feine Forderungen 
befriedigen, und der Liebhaber eine angenehme geſellſchaft · 
liche Unterhaltung. Auf nichts mehr machen wir Anſpruch, 
md aus dieſem Gefichtspunfte beurtheile man uns. 

Es find, wie in ber vorigen, manche Meberjegungen 
und Nachahmungen aus andern Sprachen in dieſer Samm- 
kung, ohme Daß [7] man nötig gefunden Hätte, es anzue 
zeigen. Wan hat daraus einen Vorwurf gemacht, aber 
uns nicht überzeugt. Der Kenner ſieht es meiltens um⸗ 
erinnert, ob ein Stüc Original ift oder nicht, allein dem 
Biebhaber, ber nicht allemal das Verbienft, einen Fremben 
Einfall qut ansjudrüden, zu jchäben wein, volieden wir 
vielleicht nur jein Vergnügen geitdrt haben. Bey allgemein 
befannten Stüden iſt es ein ganz anderes. Hier weih 
es auch der blofje Liebhaber dem zu verdanten, der ihm 
ein ſolches Stüd in feiner Mutteriprache zu leſen giebt, 
Was bem Dichter nicht erlaubt it, Der bey einer Samme 
lung feiner Werte ohne Vorwurf des Plagiats nicht wohl 
verſchwelgen kan, was ihm nicht felbft zugehört, kann 
ganz wohl einem Sammler erlaubt | der nur einige 
ante Sachen zu erhalten ſucht an ab 
unerachtet eine ſolche Verſchweigun 
man wicht die Dichter, ſondern al 


L ng I 
die der Stolz unſrer Nation 
wüniht, dah es uns erlaubt 





5 





Namen auszubrüden, die unter Buchitaben haben verborgen 
jegn wollen. Senner werden indeß das Gepräge bes 
Meifters, aud) ohne jeinen Namen zu willen, nicht über- 
fehen. Mile Namen, die nur genannt werden fonnten, 
5 find genannt: um den Spähern, die nicht begreifen wollen, 
daß ein Verfaſſer jehr oft jeine Urfachen haben Tann, 
ſich nicht zu nennen, feine Gelegenheit zum Schwaßen zu 
geben. Sie werben freylich an ben Buchitaben ihre Ge- 
ſchicklichkeit im Rathen üben, aber, wie der Herausgeber 
10 fie heilig verfihern kann, meiftens falſch rathen. 
[10] Die Fortjegung hängt von dem Verfall des Publi- 
tums ab. Verlangt man jie, jo winfcht der Verleger die 
Beyträge vor Ende des halben Jahres zu erhalten, weil 
die Verhinderungen, die bisher die Ausgabe verzögert 
15 haben, diesmal wegfallen. 


[Holzstock.) 


[Folgen 18 Blätter Kalender.) 


[Vignette.] 


Dre 
anf die Geburt des Prinzen 
Friedrich Wilhelms 
von Preuſſen. 
Verlün, den 2. Sept. 174. 


Gebt mir den Königlichen Rebenſaft, 
Erzeugt am Rhein, gereift am Letsten Hügel 
Bon Afrika, der meiner Seele neue Flügel 
Und einen kühnern Taumel schaft! 


je] Denn hört ihr nicht? Uns ift ein Brennusſohn, 
Ei König {ft ber jungen Welt gebohren! 
Es rufen dreyßig ehrne Schlinde (meinen Ohren 
Ein ijubelgleicher Donnerton!) 


Daß wir mit Weinlaub unſre Loden heut, 
Mit Anaranten unfre Becher frängen, } 
Und diefe Nacht mit Liedern feyren umd mit Tänzen, 
Bis Phosphor uns die Flucht gebeut. — — 


D wehe! Wie durchrafet mir ber Geijt 
Des Bafjaveus die Seele! Gnade! Gnade! 
Ich will ja fingen, Gott ber taumelnden Mänade, 15 
Was deine trunfne Wut mich heift ! 


[B] _ 3a, fingen till ich von der Serligkeit 
Des fehbelofen Landes, von ber Beute 
Der goldnen Gärten, von ben Spielen junger Braute 
Beym Welnſeſt und zur Ernbtezeit. E\ 





1.2] 7 





Ich ſing, o Cypern, Tyrus und Athen! 
Von Schiffen ſing ich, die, mit jeder Krone 
Der Kunſt, beladen mit der Blüthe jeder Zone, 
Die Wind in deine Thore wehn; 


Und von dem neuen Helikon, umringt 
Mit Galliern und Britten; und von weiten 
Amphitheatern, und wohin von allen Seiten 
Die ganze Flut Europens dringt. 


[4] Ich aber, nicht mehr kämpfend um den Preiß, 


1 


Ermuntre dann durch meinen Zuruf, Fröne 
Durch meinen Beyfall dann des golbnen Alters Söhne, 
Schon längft ein ſchwanenfarbner Oreis. 


Zu glüdlich! wenn id) dann das 2008 erhielt, 
Ich Unbeftechficher, mit milden Händen 
Die theuren Urnen und Tripoden auszufpenden 
Den eblen Barden, die gefpielt, 


Die Flöte füh gefpielt, die Laute füh, 

Und kühn die mäonidiſche Drommete ; 

Die Laute, wie der Greis von Teos, und bie Flöte, 
Die der Siculerhirte blies, 


Und hätte meinem Bufenfreunde dann 
Entzüdt vor allem Volt den Kranz gegeben, 
Und es zerrifje mir die Parze ſchnell mein Leben, 
Und diefer König fäh es an. 
Ramler. 


Auf Guſtav Adolphs Tod. 
Zum Schreden Ferdinands führt Adolph Gottes Krieg, 


Und thränend rächete den Märtyrer der Sieg. 


Käftner. 


19) Gellerts Tod, 
Eine Erzählung. 


Als Gellert jüngit, den manche Schöne 

Mus Mode lief und Kiebt, der eitlen Welt entfloh, 
Beklagten Doris ımd Klimene, 

Die Karten in der Hanb, bes Dichters Aſche fo: 


„Mabam, Sie werben fchon bie ſchlimme Nachricht wiffen?“ — 
Sie geben - = Nein! Was iſt's? — „Ad! Gellert it 
wicht mehr." — 
SE möglih? Ey Madam, das jammerte mich jeher! — 
„Sie heben ab." — So früh ward er der Welt entriffen? 
Er ift Fein Jungling mehr, allein — „Sie haben Recht!“ — 
Ach habe jchtecht gefauft — „And ich wicht minder jchlecht! 
[9] Rein Sechziger will heute mehr gelingen.“ — 
Fünf Blätter! — „Sie find gut!” — Gin niedliches 
Genie! — 
„Bie wirb ganz Deutichland ihn beſingen!“ — 
Ich Tiebt ihn ganz gewiß, Madam, jo jehr als Sie — 
„Die Quart in Coeur, die Terz in Trefle, gelten bie?! — 
3a, warf ich Pick nicht weg, fonnt ich die Quinte haben. 
Dean hat ihn wohl mit vielem Pomp begraben? — 
„So, fo! — Er ftarb, woran? — „Ur der Hypo— 
chondrie.“ — 
Drey Damen! — „Nein, drey Könige find beſſer“ — 
Ib zähle zwölf. = » Nie war ein Dichter geöffer. — 
„And frömmer» = Was er jhrieb erbauet wie ein Spruch," — 
Weiß es Meanthis fhon? - - Sie wird ihn ſehr ber 
Flagen! — 
Coeur Aß!“ — Ich habe noch drey angufagent, _ 
{8 „Sie wufte faft fein ganzes Babelduch.“ 
Und meine Pachterim fingt alle 


Hier tat das Mädchen ein: Mader 


es 
Erſchreden Sie fich wicht, ihr Heiner Hund 
Exblaft führt Doris auf, ihe zittern alle Glieder: 





10 


Schaamhaft zu Gejträuchen, 
Wo, durch zärtliches Bemuhn, 
Männchen fie erreichen. 


Seelen, die der Schöpfer ſchuf, 
Fähig edler Triebe, 
Folgt dem jüfleiten Beruf, 
Schmedt das Glüc der Liebe; 
Sie nur kann euch frendenreich 
Dieje Wallfahrt machen, 
Sie mur führet lächelnd euch 
gu dem ſchwarzen Nachen. 


a] Gott im Donner. 
An die Frau dor + = - 
Gott wandelt auf dem Wollenmeere, 


Und wenn er winkt, find ganze Heere 

Gefpigter Flammen ausgelanbt; 

Mit einem Blide feines Zornes 

Ruft er dem Hagel, und zerilägt den Wald des Kornes, 5 
Und eine Weizenhalmenwand ; 


Mit einem Hauche ſeines Mundes 
Reiht ex, troh ihres Wurzelgrundes, 
Die graugewordnen Eichen aus; 
Das Schiff voll trachenden Geſchutzes 
Wird Einer Welle Ball, das Opfer Eines Blitzes, 
Und Aſche wirb ein Fürftenhaus. 


[12] © Freunbinn, biejem Gotte leben 

Die Sünder, die mit ihrem Leben, 

Wie mit ben Lippen, ihn verneint; 

Der thieriihpbebende Matroe, 

Unb ber zur Spötterey gewöhnte ftolze Groſſe 
Erzittern, wenn fein Grimm erſcheint. 





11 


Doch feine Huld wehrt oft dem Grimme; 


der geſchwinde el, der ſchnell Bethuht und töbtet, 
Eh einer trägen Schäferhund, 


Und oft bie jtadhelgrline Fichte, 
viel zu hoch dem Ungefichte, 
anderer feinen Schatten gab; 
er im der Erde Tiefen, 
Öftrer in die Aut, und Frevler, die ihm riefen, 
w Die ſchleudert er nicht in das Grab. 


D! Mönut ich doch im Ton ber Dbe 
Den fingen, dev nicht Luſt am Tode 


daß auch mich fein Lieben will verfchonen 
en einer groffen Stadt! 


Mid) überfällt ein heilig Grauen; 
u Sofnumg, zitterndes Vertrauen 
auf dev Wetterwolten Thron; 
“ En ben mein Wandel oft betrübte, 
Dit redlich. Wenn er mich nicht jo unendlich lichte, 
Ro führ in Hin vor feinem Drohn? 


[14] Wie, wenn der Blip, fein Diener, lame, 
Und meine Seele von mix nähme, 
So jänell, ols der Gedanke fleucht 
Er Tomme, meinen Kopf zu fchlagen ! 
Bon meiner Geifte wird, auf jenem Feuerwagen, 
Der Himmel im Triumph erreicht! 
Karichin. 





12 


Moſalia. 
1770. 


So biſt du num die Meine, 
Nojalia? — — 
Seit ich dich zu beſihen brannte, 
Verfloß ein Säculum. — 
Und doch — mit jeder neuen Sonne wuchs 
Mein zärtlihes Verlangen, wuchs mein Kummer. 
Zwar Eränzte jedesmal der Lenz 
Mit fchönern Blumen dieſe Duelle; 
Allein, von Thränen finfter, 
Sah fie mein Auge nicht. — 
Im tiefften Hayn, ber, unbepfadet, 
Des bangen Wildes dunlle Freyſtadt war, 
An eines Baches Schleufe, 
Der ähzend über Wurzeln raun, 
Fand ich allein Erleichterung für meinen Harz 
Denn alles fehien mir in die Farbe 
Des Grames Da getaucht zu ſeyn 
Die Lüfte ſchienen da mit mir zu ſeufzen, 
Und jeder Vogel ſchien mein Leiden zu verjtehn. 
Umpifiend nährt ich jo mein Gfend. 
Und, ach! id) hatte feinen Freund 
In diefer weiten Trift, 
Nicht Eine weichgefchafne Seele, 
Die meinen Schmerz empfand. 
So ſtumm, jo todt, und jo verlaſſen fteht 
In dder Ebene ein Fels: 
So ſtumm, jo todt, und jo verlaſſen ſtand 
Ich manchen fangen Tag, empfand uur mehr, 
Ve weniger ich zu empfinden ſchi 
In ftillen Nächten nur, wann aus ze 
Mitleidig Cynthia auf mich herunter 


„Beindjeeige Götter, die Ihr mich verfolge!” 
Rief ich, „was zögert ihr? 





18 


ellen Pfeile, 


langen Lebens Neft? 
entbehr ich meine Liebe — 
fie mir? 
die oje Quasl 
be kennt, Die ohne Hofnung glüht, 
ie meiner gieſcht! 
ch) ſo werfe, 
fie nicht! 


x nn Götter! 


ih 


gran 


Wohlan, gebt meinen Be, gebt meinen heiffen Thränen 
Nojalien, die ihr für mich erſchuft! 
War eures Anblicks je anf Erden 
» Ein — werth, jo wars ein glücliches, 
‚Erfenmtliches Geſchopf, das voll Gefühle hinauf 
Zum Himmel blidt, und euch mit Thränen dantt. 
Und danten will ich euch, Erhort ihr mich, 
Schlich id) Roſalien dereinft in meinen Arm,) 
3 Mit meinem ganzen Leben banfen, — danten 


Ich ſchone nicht des breitgeſtiruten Stiers, 
ichon die Lieb in allen Adern fühlt; 
ichone nicht bes Lammes, das an Weiſſe 
friſchen Schnee beihämt.“ — 


Einjt tlagt id jo, und a umleuchtete 


int“ 


— der plötlich anfloß 

fer Schauer, der durch alle Glieder raun, 
Gefühl von Ruh in meiner Bruſt, 
mie ſelbſt nicht gab; = = das alles lehrte mich: 





AI 
Die Liebe ſey verübt, Rofalia jey mein. 

19] So groß mein Elend war, fo groß war nun mein Glüc; 
Num klärte ſich, wie nach Gewittern, 

Gemach der Himmel auf; 

Nun ſah ich durd mein ganzes eben 

Nur Einen biumenreichen Weg, — 

Und nun — nun bift du fchon bie Meine, — 

Roſalia, — nun drüs ich dich an meine Bruft, 

Und ftammfe bir, ba bu bie Meine bift, 

Im ſchönſten Rauſch der Freude zu, — 

In jedem Blick, in jedem Athemzug, 

In jedem Ausdruck zu, daß du die Meine biſt! — 


So Lycidas der Hirt an einem Sommerabend, 
Er jah am Abhang eines Hügels, 
In feinem Schooß Nofalia. 
Zu ihren Füffen rauſcht ein Bach 
Sanft über Kiefel hin und ward zum Teich; 
[20] Im jeinen Fluten zitterte 
Des fternenreichen Himmels Wieberichein. — 
Der freudetrunfue Jüngling merkt es Kaum, 
Daß ſchon in aufgelößten Wolfen 
Die Falte Nacht herunter floh. Blum. 


An die Feinde eines unbetanntſeynwoll enden 
Krititkus. 


Den bbſen Krititus doch einmal zu entdeden, 
Vemnüht ihr euch, und mit vergebner Wuth; 
Vergönnt ihm nur ſich immer zu verftecen ! 
Das fit das lügfte, was ex thut. ‚Käftmer, 


[21] Die Nachtigall, 


Der Sommerabend führte mich 
Nach einem jchwillen Tag zum Hayn. 
Die milder Sänger in dem Hayn 





16 


Einbilduug und Wahrheit. 


Im diehtelichen Entzucken 
Wallt ich durch jene Flur, 
Und jah, mit truntnen Bliden, 
Die blühende Natur. 


Ein Volt von Heinen Weſten 
Durchflatterte die Luft, 
Und ſchuttelte von Aeſten 
Der Blüthen Balfambuft. 


Raftratenmäßig fangen 
Die Sänger der Natım, 
Und Wolluft und Verlangen 
Durchathmete die Flur. 


Sch, ganz in mich verlohren, 


Sah Paphos iht vor mir, 
Und hätte drauf gejchworen, 
Ich ſey ein Priefter hier, 


Da hört ich in Geſträuchen, 
Ah alaubt ein Feines Reh, 
Und, um es zu erreichen, 
Gieng ich hoch auf der Zah, 


Ich jah — was ich geiehen, 
Denkt nur ein Dichter ſich! 
Ich ſah eim Mädchen ftehen, 
Das einer Göttinn glich. 


Sie iſts — von ben Öbttinnen, 
Dis, aus des Paris Hand, 
Den Apfel zu gewinnen, 
Sich bey dem Wettjtreit fand: 





9. 10) 17 





[25] Nein, eine der Najaden — 
» Vielleicht ift Cynthia, 
Sich in dem Fluß zu baden, 
Mit ihren Nymphen da. — 


Schon beugt ich mid) zur Erben, 
Indem ich zitternd ſchrie: 
s Möcht ich unſterblich werden, 
Wo nicht, doch fterbfich fie! 


Mit zärtlichen Geberden 
Rief mir die Schöne zu: 
Nein, ic) wi fterbfic, werden; 
“ Laß ſehn, wie küffeft du? 


Ich küßt — o Glück! Lucinde, 
Bift dus — Erdichtung, flieh! 
Der Wahrheit, die ich finde, 
Gleicht Teine Phantafie. 
Weiſſe. 
10 [26] Auf die 
Vermählung 
Sr. Excellenz des Herrn 
Generallientenants Freyherrn von Buddeubroock. 
Berlin, im Auguft, 1768. 


Dein weiſer König ſchenkt dir Gold und Edelfteine, 
Vom größten innern Werth, vom ſchönſten äuffern Scheine, 
Und bald ertheift er bir den höchften Ehrenftand; 

Und Ehre gilt dir mehr, als Gold und Diamant; 

5 Und enblid) giebt er dir die kronenwehrte Hand 
Der Würbdigften des ganzen Landes, 
Die glei) an Tugenden de3 Herzens und Verftandes. 
(27) Was dein Monarch zulegt dir zum Geſchenk erfohr, 
Das ift das herrlichfte, mach aller Weiſen Lehre: 

10 Denn Liebe geht jo weit der Ehre 
Als Ehre jedem Kleinod vor. ®. 


Deutsche Litteraturdenkmale, 62:58. 2 


18 


Brutns. 


Uns dur, mein Sohn! fprach Julius; 
Rom meine Mutter! dachte Brutus, 
Und ſtieß dich tiefer, Dolch der Freyheit! 


[Holzstock.] 
Der Wicderruf. 


Zum Henker! fluchte Stolt zu Velten: 
Mußt du mich einen Lügner jchelten ? 
Bum Henfer! fluchte Velt zu Stolten : 
Ich einen Lilgner dich geichoften ? 

Das leugſt du, Stolt, in deinen Hals! 
Das leugſt bu als eim Schelm ımb als — 
Ha! das hieh Gott dich fprechen, Velten! 
Denn Lügner af id) mic) nicht fchelten 


An Daphuen, 


Du frageſt mich, wie lange wohl 
Die Flamme dauren wird, bie ich umfonft bie klage? 
D liche Daphne, welche Frage! 
Weiß id) denn, warm ich fterben ſoll? 2. 


[29] Den 12, Febr. 1766. 


Gutes Mädchen, von dem ftol 
Don dem Sit ber äͤchten Schaverey, 
Sagt dir eine Kleine matte Strophe 
Dak bein Freund belagert jey; 


Wohl umringt von bunten Legionen, 
In ber Kuechtſchaft ſchimpflichen Geftalt, 
Und von kleinen Friehenden Spionen 
Elelhaft umarmt und kalı. 





19 


Ba dem hohen teagijchen Cothurne 
ein Staatsrat; meinen Blick in Acht, 
Hi im Hinterhalt, an einer Urne 
‚Hat "ein Kammerherr die Wacht. 


Am — auf meinen offnen Flanken, 
Schwärmt teichler Leichte Reuterey, 
Ob — ein Ausfall von Gebanten 
Von mir zu befürchten jey. 


Wie erbärmfich find die Leinen Künfte 
Groſſer Höfe dem rechtſchaffnen Mann, 
Der das Schidſal Telbenber Verdlenſte, 
Der den Undant tragen fan! 


Wahre Hoheit täßt ſich nicht verbergen, 
‚Sie verlacht die niederträchtge Brut 
So fchläft ruhig, unter taufenb Zwergen, 
Gulliwer in Lilliput. J 
ſe v 


[Vignette.] 


Die Zephyren. 
— 
Erſter Zephyr 
Was flatterft du fo muhig hier im Ro E 
Komm! Komm! Ich fliege mit bir ins ort baden 
Nymphen ſich im jehattigten Teich. 


[82] Zweyter Zephyr. 
II Nein, ich fliege nicht mit Dir; ein ſuſſer Gefchäft n 
| 3 verrichten, als mifiige Nymphen zu umflattern ; 
| “ — Flügel im Nofenthau, und ſamnue 





20 


Eriter Jevbyr, 
Bas iſt denn dein Gefchäft, das ſuſſer it, als in 
die muthroilligen Spiele der Npmphen fich zu miichen? 


gweyter Zebhyr. 

Bald wird ein Mädchen bier den Pfad vorüber 
gehn, ſchyn wie die jüingite der Grazien. Mit einem 
Korb geht fie mit jeden Morgenroth zu jener Hütte, Die 
dort am Hugel jteht; die Morgenſonne glänzt an das 
bemoofte [#8] Dach; dort veichet fie der Armuth Troſt 
mb jedes Tages Nahrung; dort wohnt ein Weib, fromm 
und frank und arın; zwey unſchuldvolle Binder würden 
Hungernd an ihren Bette weinen. Bald wich fie wieber- 
kommen, bie jchönen Wangen glühend, und glänzende 
Tropfen im duntelblauen Auge, Thränen des Mitleis 
und der jüffen Freude der Armuth Troft zu ſeyn, Hier 
wart ich, bier im Roſenbuſch, bis ich fie kommen jeh; 
mit Fühlenden Schwingen flieg ich ihr dann entgegen, 
mb mit füffen Gorichen, erauiet ihre Wangen, und flffe 
die Thränen von ihren Augen, Sieh, das ift mein Gejchäft! 


Erjter Zephyr. 
Dir rüheft mich. Welch ſuſſes Geſchäft Ift das! Auch 
ich will meine Flügel Fühlen, will mit dir fliegen, [84] 
wenn fie Mnmmt, Doch fich, am Weidenbuſch fmmt fie 
daher! Welche ernſte Unſchuld veizt auf ihren Wangen, 
welch nachlähiger Meiz in jeder Gebärbe! Auf Tchroinge 
beine Flügel! So ſchöne Wangen hab ich noch nie gekühlt. 
Geßner 
Grabſchrift. 
Nach dem Griechiſchen ber Auth 
Saon, Ditons Sohn, n 
Ruhet hier. Er ruhet! Denn man kann 
ou den Guten, die ſich Gtterhulb erwerben, 
Doch nicht jagen, daß fie fterben. 
Gleim. 








22 


Du Fühtft, wie Sephyrs Kinder Hauch 
Den ſchwulen Mittag kühlt, 
Und mit ber Achrenwälder Rauch 
Im blauen Wirbeln ſpielt. 


Du trinkt den ſüſſen Traubenmoft, 
Und fchöpfelt Feifchen Muth; 
Der Feldban wurzet Div Die Soft, 
Und ſchaft bir leichtes Blut. 


Du ruft, zufriebenes Gemilths, 

Und träumft bon deinem Glück; 

Ein heiliger Geſandter fichts, 

Und eilt zu Gott zurüd. 

Thomſen. 
[88] Minerva 20 
bey ber Wiege des wohrnen ich 
 yriehrihr Yeinrig, Nenlitus: Karl, 
Berlin, 21. Octobr. 1770, 
D Beennusfohn! was kunftig dein Schichal ift; 

Ein König, ober Feldherr des Möniges, 
Der nad) bir kommen mag, verhüllet 
Dir und dem Lande mein ernfter Wille. 


[99] Nimm it dein Erbgut: fürſtlichen Genius; 
Und einft erwirb dir hausliche Tugenden 
Des weifen Bürgers; und dann febe 
Zwiefach ein König und mein Erwahlter! 
ED0.R.guM. 


Au einen ftolzen Herrn von Noel. 21 
teund! werndein Stamm ums nurerſt beweiſenkann, 
deinem Ahnherru an 


Meymung bey, 
Daß das Gefchlecht, von dem du abgekonme 
Das ältefte im Sande fe. 





23 


Die Toter, 
Lieb, 
[Mit Musik von Bondn.] 


Mama, dai Sie mich llebreich hüten, 
Das tann ich Ihnen wicht verbieten; 
Und iſt gleich die Gefahr noch weit, 
Dont ich, doch Ihrer Zörtlichteit ; 

Doch mehm ich mich micht felbjt im Acht, 
So werd ich nur umſonſt bewacht. 

Vielleicht, was ich ſonſt nie begehrte, 
Meizt mid) nur, weil man mir es wehrte; 
Frey Toll mich janfte Tugend ziehn, 
Doch Feſſeln brech ich, fie zu flichn; 
Drum mehm ih mich nicht jefbft in Acht, 
Co werd ich doch umſonſt bewacht, 


Nie wird den Müttern Klugheit jagen, 


Was muntre Mädchen liſtig magen, 
Damit ich keine Thorheit thu, 

So trauen Sie miv Weisheit zu; 

Denn nehm ich mich micht ſelbſt im Acht, 
So werb id; ganz umfonft bewacht. 


Käftner. 
Ueber Sylviens Bilpnif. 


Der Maler übertrift durch jeine Zauberftriche 
Selbit alle Schönheit der Natur! 

Züngft malt er Sylvien, und alle woiln 
Daß fie dem Bildniß gliche. 


a2] Au den Beſitzer eines ſchönen Laudgutes, 
ben Gelegenheit einer derumglüdten Beſchrei vi 
Mein Freund! wer Storens DO 
In der er jungſt dein Tusculan geſchildert, 
Der benfet Wunder, wie verwildert 
‚Der Pindus umd dein Landgut ift! dv. Thlmmel, 





24 


Der Herametrift. 26 


Des niedern Fluges Feind, des armen Reimes Haßer, 
Fliegt Dunlel jhwilitig in die Höb; 
Sein Lied — es ſchimmert wie der Schnee; 
Doch oſe beyde auf, was bfeibet Äbrig? — Re 


[#3] An Herrn Michael Denis, 
aus d. 6. J. 
Lehrer om Terefiano zu Wien. 
Im Seuner, 1770, 


Freund, o Freund! du frageſt mich, 
Was ich mache? Freund! ich lente 
Mein Sedantenjchift auf dich, 
Schtwimm auf deiner Donau, denke 
Deinen Kayjer, Freunb! bu biſt 
Priejter Gottes, und ein Wetier! 
Dir vertrau ichs: Joſeph ift 
Mehr ein Menſchenfreund als Kayſer! 


Wär er Kayſer mehr, o Freund! 
Wollt er jeine Staaten mehren, 
Gegen aller Chriften Feind 
Zög ex dann mit feinen Heeren; 
Legle Stambols Mond in Staub, 
Und mit hriftlichen Banieren 
Nähm er des Propheten Raub, 
Und du fähft ihm teiumphiren, 
Und dur jäheft ihn in Wien 
Einen Friedenstempel bauen, 

Und darin befängit du ihn, 

Und die einzige der Frauen, 
Welche mehr als Männer that, 
Gegen meines Friedrichs Siege! 
Wär ich Joſephs Kriegesrath 
Nathen müßt ich ihm zum Kriege! 





26 


Die Beziere Höflichteit (**) 
Und die Muftis Menfchen Lieben. (***) 
Glelm. 
(or) Der Orofwegier jap gu Dem ponichen Orafen Pot: 
(***) Der Mufti raubte durch feine fo genannte Fetfa, ober 
eiflhe Sentenzen, ben Grishen re Glter, unb ben mallahie 
(hen Chriften ihr Sehen. 


[Holzstock.) 


a] Faber. 27 


Mir ftotz erhabner Stien, und nicht durd) Loft gedriidt; 
‚Sprach einjt ein leerer Halm zu einer vollen Achre: 
„ie kömmt es, daf dein Haupt jo nad) dem Boden nickt?“ 
So gleich) verjeßte die, dem Brüberhen zur Lehre: 
Ich ftünde frehlich nicht fo tief herab gebückt, 

Wenn id) fo feer wie bu in meiner Stime — 


An ein Mädchen, das in der Kirche plauderte. 28 


So ſehr dich Zugend, Neis, Wit und Verfiand exheben, 
So ziemt das Plaudern dir ar diefem Orte nicht; 
Dorinde, du vergißt, indem bein Mund jo fpricht, 

Daß ſelbſt vor Gott die Engel beben. Pr 


[#8] Wiegenlied- 29 
; Du, der aus feiner Wiege 
So ftirnefaltend 


Wie Cato in dem Kriege, 
Da Rom an Nom gerüidt, 


Und kaum ein Meines Lachen 
Auf eine Mutter lenkt, 
Die göttlid), wie der Graechen 
Erhabne Mutter, dent; 








28 


Und beine Stirne falten, 
Wie Cato, wenn mans wagt, 
Bon dem bid) abzuhalten, 
Was fie dir dorgejagt. 
Narſchin. 


[51] Der Uueutſchloſſene. 30 


Was mir ihr Blick verſprach, verfaget mir ihr Wort; 
Sie kommt umd fleucht, fie lockt und ſcheuchet wieder fort; 
Sie giebt und nimmt, was fie mir erit gegeben; 
Verzweiflung giebt fie mir und giebt mir wieder Leben; 
It wie ber Felfen hart, ven nie ein Sturmwind beugt, 
ot wie ein Veilchenblatt, das jeder Zephyr neigt, 


Ihr Götter! Lieb ich? — Haß id) fie? — 
D rettet mich aus diejes Hweifels Hölle! 
Ein Tantalus irr ich an dieſer Duelle 
Glaub ewig fie zu haichen, und erhaſch fie nie! = 
v 


[52] Das Feſt des Daphuis uud der Daphue. 
Cin Wettgefang, 
Aın Tage der Bermählng des —* Friedrich Wilhelms 
von Breuffen, 
und der Ra us Friederife Lonije 
on Seflerdarnfabt. 


Der Schäfer. 
Ich wit den edlen Daphnis fingen, der zur Braut 
Die junge Daphne ſich ertohr, 
Und will ein jährig Böcchen, und den beiten Moft 
Vom Nedar opfern und vom Ri 


[58] Die Schäferinn, 
Von Daphne will ih fingen, von dev cdlen Braut, 
Die würdig unfers Daphnis war; 
ir will id) Blumen, und von jeder Sommterfrucht 
in auserleſues Körbchen weihn. 





29 


Der Schäfer. 
Mein Lied jey Daphnis, der die ſüſſen Sapten rührt 
Des — aus ber fremden Alm, 
Be Löwen oder wilde Männer zwang, 
Gr ſelber fpröde Nymphen zwingt. 


Die Schäferinn. 
Lied ſey Daphne die viel fühle Lieder lernt 
Ron Schafern unirer eignen Flur, 
Er unive Schäfer fingen, wie die Nachtigall, 
Die Bremden, wie die Grille fingt. 
[54] Der Schäfer. 
Wo Daphnis hinteitt, fteige 
‚Ein helliger Lorbeerwold auf: 


‚Zur Krone für den Nüngling, 
Der Miuber und Wölfe verjagt; 


Kranze für den Fngling, 


Im 
Der fröhliche Jeſte begeht; 


Der Schäfer. 
meinen Daphnis, ber bie Künſte liebt, 
an fremden Ufern ehrt; 
fie bald in unſre Schäferhütten ein, 
hebt ein goldnes Alter an. * 


Die Schäferinn. 
preiſe meine Daphne, meine Daphne liebt 
—5 Sitten unſrer Flur; 





30 


Aſträa kehrt vom Himmel auf die Flur zurld; 
Dann hebt ein goldnes Alter an. 


Der Schäfer. 
Den Daphnis lieb ich, der bie ſchönſten Heerden zieht, 
As Jungling feiner Fluren Ruhm; 
Der vor Gefahr fie ſchühen, fie vergröffern kaun, 
Im Alter einst ber Hirten Gott. 


Die Schäferinn, 
Ic) Liebe Daphnen, die den Hirten glückich macht; 
‚Broiefacher Honig ift ihr Mund; 
Die feine Sorgen theilen, fie verfüflen Tan; 
Schon jung Gefäng und Dpfer wert. 


[56] Der Schäfer. 
Mit Nedtarbächen tränke, 
D Liebe, dies göttliche Baar! 
Das Alter je der Weisheit, 
Die Jugend ber Freude geweiht! 


Die Schäferinn 
In warme Freundichaft wandle 
Die feurige Liebe ſih batb! 
Die weile Freundichaft dauret, 
Die teunfene Liebe verfleudht. 


Der Schäfer. 
She Himmliſchen, hövet mein Ur 
Gebt einen Sohn bem Daphn 
Des Baters holdjeeliges Bild, 
Den Stolz der teufchen Mutter, 
Die Krone der jerligen Flur! 


[57] Die Schäferinn. 
Ihr Liebenden, böret mein Lieb! 
Umarmt noch Enfeljöhne ; 





Von mir ward Leibnih dir gegeben, 
Bart Sachſen einft Hannover vor; 
Dir, ſprach Eherusfien, hieß ihn cin Zufall Leben, 
Mir jein erfannter Werth, wach dem ich ihm erfohr. 
5 Das Glük gab dir ihm erft; du lieſſeſt dir ihm nehmen; 
IE das zum Pralen rund? Iſts einer fich zu ſchämen* 
Köftner, 


3358] Warunug vor Hymen. 
Lied, 
[Mit Musik von Wolf] 


Wann die Hochzeitfactel Iodert, 
Sehet, welcher Gott fie Hält! 
Hnmen Fönmt, wenn man ihn fodert, 
Amor, wenn es ihm gefällt 


Zu dem zweifelhaften Bunde, 
Der des Lebens Freyheit raubt, 
Schlägt die feperfiche Stunde 
Summer cher als man glaubt. 


Wünfde, Triebe, Vhantaſieen, 
Altes ft euch iht noch Frey; 
Lieben könnt ihr, ihr konnt flichen, 
Ohne Vorwurf, ohne Neu! 


Tauſchet diefe Frühfingstage 
Um die Lockung Hymens nicht! 
Trug iſt feine janfte Slage, 
Träume finds, was ex veripricht! 





32 


[59] Flieht vor feinen goldnen Striden, 
Sieht, mit weiſer Fröblichkeit, 
Bis die Jugend euch den Rüden 
Zur verhaften Warnung beut! 


Aber wenn ein ſüſſes Fener, 
Das nicht Urberlegung ſtillt, 
Täglich mächtiger und neuer 
Euren jungen Buſen füllt; 


Wenn Vernunft, mit Reiz verbunden, 
Euch zum Schwur der Trene zwingt, 
Und, mit Rofen rund umwunden, 
Amor felbft die Fackel bringt; 


Stehet dann, geführt von Scherzen, 
Hymen lächelnd vor euch ba, 
Ad! fo ruft, aus vollem Kerzen, 
Lieber heut als morgen, Ja! 


Die grinplihe Betruͤbniß. 


Auf feinem Tobbett Liegt Lubin, 
Sein Weib iſt voller Jammer! 
Und, ach! aus beyder Vuſen fllehn 
Viel Seufzer durch die Kammer, 





Doch fagt man, bak nor gleicher Noth 
Nicht beyde Gatten beben; 
Der Mann befürchtet jeinen Tod, 
Und feine Frau fein Yeben, 
Lowen. 


Der Reichthum. 35 


Sprich, weich ein ſchatbbor Gut lann Plutus uns erwerben? 
Das Lafter blüht durch ihm und Tugend fAßt er — 
vu. 





36761) Empfindungen bey einer unglädlicen Liebe. 
Armes Herz, warn wird dein Kummer ſchweigen, 


Feder Pule ſchiag, jede neue Stunde 
Mehet mein Leiden, wühlt in meiner Kunde, 
Wird mir neues Gift. 


It es ſtrafbar, was ich it enupfinde, 
So ift Alles Schwachheit, oder Sünde, 
Keine Tugend mehr! 

D! jo wiegt mir dieſe Hand voll Erde, 
Dieſes Leben, fruchtbar am Beihwerde, 
Unerträglich ſchwer! 


[62] Nicht ber Tag, vor dem Monarchen beben, 
t mein Schidjal, nich mein Gluct, mein Leben, 
euget dieſen Schurerz, 
Die Empfindung — zarter Triebe, 
Sagt um eine bintergangne Liche, 
dammert um ein Herz. 


Dies Gefühl, dies mitleidswehrte Sehnen, 
Diefe wahren, untroſtbaren Thränen, 
Rühren fie von mir? 

Deſe Gut, die nagend in mir lobert, 
Bärtlich liebt, und wiltend Rache fodert, 
}, Natur, von dir! 


Race? = » - Schnveig, umrühmlicher Gedante! 
Halte mic, o — went Id) wante; 
Race + du nicht! } 
Segne mal, was Ich heut verliehre, 
Und verzeih a ei ie Schwire, 
Die verlegte Pit 


— — Bd, 





34 


[68] So viel Unſchuld, jo viel Seltenheiten 
ind vielleicht in dieſen ſchwarzen Zeiten 
‚Bu viel Süd fr mich; 
Ach! was jterblich iſt zelgt feine Mängel; 
Ehmals warft dir, thenves Kind, ein Engel, 
It ein Menid), tie ic) a 
been 


Auf einen Kaudidaten. 


Star will ſich nun dem Tempel weihn; 
Wozu wird er wohl tauglich jeyn? 
Beym Tempel Salomons wüſt ich es body zu fagen: 
Da wär er gut, das chrne Meer zu tragen. 
Käfer, 
[sa] Der Romaneunritter. 
Das zarte Fränfein Rofemmd, 
Das jonft von Liebe nichts verjtund, 
Halt, ungefähr feit funfzig Wochen, 
Des Spieles Slihigfeit geroden, 
Das ihre Frau Mama geiptelt, 
Als fie die Exiftenz erhielt. 
Nun gab ein Herr von jechzehn Ahnen, 
Ein treuer Leſer der Nomanen, 
Und Feind von jeden Mugen Buch, 
Ihr alle Tage den Beſuch; 
Der nichts ala Zimmer der Bariie 
on feinen Honiglippen blieſe; 
Die römifhe Detavia 
Dabey des Tags wohl zwier durchſah, 
Sinnreihe Ihränen, ja 


Wodurch ers denn fo ı sacht 
Daß fie ihn zärtlich angeladht, 

Die Blicke Ttets auf ihn gewenbet, 
Ihm heiße ©: [ 

Die ihm verbeutichten, was ihr wär, — — 
Doc wer war fittiamer als er? 





Einjt, als ſich dev Romanenheld 
Amabijirenb eingeftellt, 
Lag fie, entfernt von Weltgetiimmel, 


Des prächtgen 
Und zitterte vor Warten fait, 
Und ſchmolz vor füllen Bangigfeiten, 
Und ioinft ihm immer von ber Seiten, 
Aus Woltuft, weil fie ihn jo nah 
An ihrem Schwanenlager jab. — — 
Er, al# er zitternd fich gebüdet, 
Noch zitternder fie angeblidet, 
Zog mın aus feines Buſens Schrein 
Den alten Senfger: öttinn mein! 
Wär id) mit Div ins Waldes Schatten, 
Wo ſich bie janften Weſte gatten, 
An einem Duell, id) wollte dir — 
Was, jprad) die Schöne, wolltet ide? 
Mir mit den Stal den Hals durchſchneiden? 
Das mag der Henker von euch leiden! 
Sprang, als fie dies im Zorn geredt, 

lm ins nädjte Kabinett. 

D. 


39 Beytrag zu einer Sammlung von Widerſprüchen. 


Der Dberpriefter Michael 
Sagts, und betheurts bey feiner S 
Boltaire jey ein Teufelstind; 
ihn zu verewigen, 
ie Muſen und die Grozien 
Ber Bigat (*) ſchon beyſammen find. 


2 


(#) Der berühmte Bildhauer, der iht mit der Statue des 
— ‚vom Woltaire beſchaftigt it. 





36 


IC Der kurze Prozefi- 

Wohl angebrachte Schmeichefeyen 
Vethören jelbft geiegtev Männer Sinn. 
Dies wußte bie Pariſerinn, 
Die, müde jeht von ihres Gegners Schrehen, 
Abm Sebbaft unterbrad): „Herr Advorat, wohin 
Wit allen den Sophiftereyen? 
Sie müffen jelbft aeitehn, daß ich betrugen bin; 
Denn mein Aeeord war auf Tapezereyen 
Mit menschlichen Figuren, groß und ſchön, 
Wie der Here Präfident, Nun die find micht zu fehn; 10 
Drum darf ich auch dem Kauf nicht haften! 
Es find zwar menjchliche Geſtalten, 
[68] Doc frumm und fteif, wie diefer Abvocat, 
Der aller Welt Gedult jo lang gemisbraucht hat.“ 


Der Abvocat jtaub, wie vom Blitz gerühret, 
Und murmelte den Araiten Fluch; 
Der Pröfipent, durchs jchöne Lob verfilhnet, 
That für die Frau den beiten Spruch. 


Au einen Dichter. 


Kunfteichter werfen dich mit Kath; 
Entfliehe, Freund, du wirſt getroffen! 
Entfliebe dem Werjer, ber grimmig biv droht! 
Der Tempel der Grazien ftehet div offen. 


[59] Das Gfüd der Liebe. 2 


Das Schidfal zeigte mir jüngft auf zweenen blumichten 
Wegen 
Der Lieb und Weisheit mir winfendes Glüd ; 
Wahl Eines! ſprach es. Ich gieng fogleich der Weisheit 
entgegen, 
Doch jah ich immer nach Doris zurüd. 





37 


5 ie gieng mid) fchüchtern vorben, — ya 
zur Seiten; 
Er aber, der meine Wünfche verftand, 
Wie liſtig wuſt er fie nicht durch manchen Untveg zu leiten, 
Bis fie an meiner Seite fich fand! 


[70] Iht war mein Schicſal getäufcht! Mit unausipredi- 
* Blicken 


» Dankt ichs dem Amor, der mächtiger iſt 
Dank jens dem Amor! Was gleicht der Liebe janften 


Entzüden, 
Das man im Wege der Weisheit genieht! 
v. Thftmmel, 


43 Selinde. 


Wohin Selindens ſchwarze Augen rollen, 
Da rollen fie Vergnügen in ein Herz; 
Gejellig ohne Zwang, liebt und veriteht ſie Scherz. 
Ach aber den empfinbungsvollen 
Scherz, der aus der Seele licht, 
In Holden Worten mır, in Blicken ſich ergleßt, 
Den hat fie nie verfteben wollen, 


4 [a] Auf eine Unguade bey Hofe. 
Es geben ſich hienieden veine Tugend 


Und reidies Gfüd gar jelten Hymens Hand: 
Nur im Dfymp und bey dev Erde J 


Gemeiniglich 

Am ehften fort, und hat m acht er lieb, 
Dann fingt bie Welt von ihrer lucht der Matten 
Ein pöttiich Lieb. Doc, liebe Welt, vergieb! 





38 


[?2] Fortuna fühlt zum Wechjel aleichen Trieb, 
Mir zum Beweis fümmt Damis all zu ftatten, 
Wo fie entflob, und nur die Tugend blieb, 


[Die Frauzoſen. 


Wenn übern Rhein die Herren Nachbarn giengen, 
Und wir fie dann nach altem Brauch und Urt, 
Ein wenig hart 
Im wehrten deutihen Vaterland empfiengen, 
Da bauten fie nicht ftets ſich Ehrentempel; 
Bey Rofbah zum Erempel. 


Ps] Au den Heren Kanonifus Jacobi 
ber) feiner Durchreiſe durch 
Gottingen 
den 20. Sept. 1770 


Beym Phöbus wunſcht ich mir Eytheren jüngit zu finben, 
Und jah fie nur mit ihm verſchwinden; 
Doch gern vergeb ich ihr, da fie mir bort enteilt, 
Wenn nur bey ums ihr Dichter igt verweilt. 


[4] An Phobus. 
nach dent Tibu, [IV, 4] 


Komme zu des beiten Mädchens Bette, 
Blonder Phöbus, fomm herab und rette! 
Glaube mir, es wird Dich nicht gereun 
Einer Schönen Arpt zu ſeyn 


In den Adern, 
dedes Nebel tief ins | 


45 








40 


Fififteat, 
eine Erzähhm. 
Dem Frepheren non Buddenhrooct 
zugeeignet, 


Berlin, 13. Der. 1709. 
Du lennſt, mein Fremd, den klugen Pififteat, 

Den tapfern, den beredten Helden: 
Ich will Die itzt von ihm nur eine That vermelben, 

Id) weiß, du billigeſt die That: 

Sie hat ihm einft das Lob von Griechenland erworben. 5 
a war jein vedliches, fein ſchönes Weib geitorbei ; 

78] Da ſprach er bey ſich ſelbſt wie ehr ic) mein Gemahl⸗ 
Durch meine Reden? meine Seufzer? meine Qual? 

Nein, ihre Tugend muß für mich nicht untergehen, 

Ich will ihr holdes Bild ſtets gegemwärtig ſehen. 

Er ſpraches, und fchritt zu einer neuen Mahl. 

Die Söhne hörten ibn von feiner Wahl erzählen, 

Und fie befvemdete der Vorſatz jehr; 

Sie fragten: Vater, fiebft du uns nicht mehr? — 

‚Fa freylich Lieb ich euch, drum will ich mich vermöhfen: 16 
Bon Söhnen ever Art wünsch ich noch mehr zu Bl 


[9] Bacchus und Venus. 40 
Amor ift mein Sieb! 
Schön iſt er befrängt! 
Wie fein Auge lacht! 
Seine Wange glänzt! 
Sehn wie ftol; er da 
Seinen Bogen trägt: 
Ganz gewiß hat er 
Einen Held erlegt! 
Seinen Wagen zlehn 
Baecchus Tiger ber: 
1) S, Lieder nadı dem Anafıwon, 








42 


Du ſchateſt meine leichten Scherze, biſt 
Der Freudengötter, bift der Dichter Freund, 
Rom Hohen Klopſtoch bis herab zu mir, 
Und trägit ein redlich Herz in deiner Bruſt. 
Genug zu einem gültigen Mäcen! 

Denn einen gnadigen verlang ich nicht, 
Und einen reichen noch viel weniger. 


Leotides, der Wechsler, einft ein Fürft! 
Der wäre wahrlich gerne mein Mäcen! 
Gediegen Bolb Hat er im Ueberfluß. 
Er gäbe für mein Meines Büchelchen 
Ein halbes Schod nur leicht befcjnittener 
Dufaten wohl. In Wahrheit gab er mix 
Ein Tönnchen, Freund, ich ſchentte dennoch ihm 
Es nicht! Was jollt er mit dem Büchelchen? 
Konnt er es leſen? Es verftchen? Nein! 


Er erbte ja von ſeinem Vater nicht 
Verſtand, wie du! Was erbt er? lauter Gold! 
Er that auf hohen Sins es aus, er gab 
Dem geoffen Winkelmann, den ‚edlen Abt, 

Dem iv Lendelſohn mich 
Für ihre Weisheit! 
An dem Altar der Dumm 
Ihr Priejter war? Ob 
Den Eid der Treue ſchwurd Das weiß id) nicht. 
Genug! Mein Büchelhen ſchent ich ihm nicht! 
ähm es, ja len, 1 


Und ih? Sch ftünd, ein armer za vor ihm, 
Nähn trüg aber aljobatb das 


guter ‚Herr. t ihm 
m er Ak — 





w- 43 


Vohl eingehänbiget!* — Für ein Gericht, 

Das einen Ledermund befriediget, 

Fit ſolch ein Trinfgeld gut genug! Allein 

‚Ben weitem nicht, o Duns Leotides, 

Für ein Gericht = einem Bücjelchen, 

Dos eine Muje dir zu ſchmaufen giebt, 

Und wäre gleich die Mufe nur, o Duns! 

Ein Mädchen, welches mic, begeifterte, 

So wär es für das Hleinfte Binden nicht genug! 


Bezahlt ein Zeutner Bold ein Quentchen Wig? 


Genug hingegen ift von dir, o Freund! 
2} Ein Winf des Wohlgefallens, wenn, hinauf 
[83] Zum hohen Mopftok, und herab zu mir, 
‚Schönheiten, groß und Hein, und nah und fern, 
Dein fenneriiches Adlerauge foricht. 


Allegorie. 


— heißt die Nymph, um de 
Rönigreiche Phantaſie 

= Schwarm verbuhlter Sylphen ſchwebt, 
Der Fleiß, voll Eifer und belebt, 
Sucht ihre Hand, ſcheint auch allein 
Der reichen Nymphe werth zu ſeyn; 
Sie aber, wie bie Schönen find, 
Flle geiindliches Verdienſt zu blind 
Berihmäht den Edlen, front und kußt 
Der Gnomen jcjlechtiten, der nur Lit 
Und unverjchämt im Betten ift. 


An einen Mufenalmanad). 


Unb du In dem bemalten Klelde, 
Du Heiner Muſenalnanach, 
Wie mmft denn bi, geputzt in Seide, 
‚Hier unter mein gelehries Dad? 





44 


‚Bier unter ber Chikane ſchwere, 
Hochaufgethurmte Aftenbrut, 
Bey welcher ist Eylinder, Sphäre, 
Und Prisma ganz vergeſſen ruht? 


Gieb Acht, daß nicht des Zirfels Spite, 
Der neben dir beftäubet Liegt, 
Dir deinen gildnen Schnitt zerrige, 
Der feinen Meßingglanz befiegt! 


Geh fort aus meinem Sabinekte, 
Das Scherzen feinen Eingang gönnt, 
Zur liebenswürdigen Brilnette, 

Die mehr als ich die Muſen kennt! 


Lueinden meyn ich, deren Jugend 
Aus innerm Hang das Schöne liebt, 
Und Wiſſenſchaft, und ernfte Tugend 
Mit einem Geiſt voll Anmuth übt, 


Sie wird der holden Seine Schäben, 
Die dort vertraulich um fie jtehn, 
Dich, Deutichlands Kind, zur Seite ſehen, 
Und mit Vergnügen auf dich jehn. 


Seh! font wird du mit Staub belaben ; 
Bon manchem mobernden Papier 
Kann haftender Geruch dir ſchaden! 
Geh, Meines Buch, geb flugs zu ihr! 


[Holzstock.] 


z J 
Weint, ihr Kinder der Freude! Weine, Focus! 
Beine, Vhantaſus! Alle des Geſange 
Töchter, alle des jungen Frühlings Brüder, 
Sixenetten amd Zephpretten, weinet! 
AH! die Wachtel ft todt! Maibens Wachtel! 





» 
agr? 
Da: 


@ 
2 


Mädchen verfenkt im Traun und. ſtumm ſaß, 
Gautlerlun dem Pagoben Lama 
Wadelkopf, wiegte mit dem Ropfe 
Des ſich weiblich hin und wieder. 
Ach! fein Vogel war diejem gleich! Der Juno 
© Rogef nicht, ber mır fchön war, and der Pallas 
Vogel nicht, der nur Mlug war, und nicht ſcherzte. 
Unjer Vogel war jhbn und Hu; Naibe 
Scherzt und Fofete gern mit unſerm Vogel, 


eg 
ggr 


— 
EE 


Und ber Vogel verftanb Nalben; gab Ihr 
» Nidend Antwort; ſchlug an, jo bald fie winfte, 
Gieng und fam auf ihr Wort, und ſaß ihr ruſtig 
Ber: Auf der Schulter, und Lich ji türen, ließ fich 
(& ben Lippen bev trauten Wirth äben. 


ichts! Er vedet nicht mehr! € hat 
Stimme ber Tod beraubt, und 


Vögel erwürgt, und alle groſſen 
iedlicher Schnabel jotl nicht ſterben; 
— und. Gold und edle Steine 

das Mädchen ihn wohldurchbalſamt legen, 





46 8-58. 


Dit mit Seufzen ihn anſehn, oft mit Thränen, 

Dft ihn herzlich am ihre Lippen drüden. 

Hier mm ruhe fein laller Leichnam unter 

Dieſem Rofenbaum! Mahyenblumen pflanz id) 

Auf fein Grab, und von bunten Taufendichöndhen 
Einen Kran. Sein vergnügter Geiſt, das weiß ich, 
N gen Himmel geflohn, gleich einen Heinen 
unten! Laß ihn anf deiner Schulter figen, 
Schuittermädchen des Himmels, die dur Weizen 

In den Händen, und Mohn im Mörbehen trägeft! 


[ee] Der Befund). 


Batill beſuchte mich; zu Ehren 
Des gütigen Beſuchs gab mir mein Dämon ein, 
Mit ihm ein Gas Burgunderwein 
Auf gute Freundſchaft auszuleeren. 
Jebt ift er mn mein Freund — allein 
Wie dauret mich mein Wei — mein Wein! 
v. Thilmmel. 


An Leſſiugs jungen Gelehrten. 


Um den Monadenpreiß umſonſt fich zu beſtreben, 
Das, Damis, hat zum Spotte dich gemacht: 
Doc) Zufti'n ward der Preis gegeben, 
Und über wer warb ba gefacht ? 


Raftner, 


[8] Weiffagung der Melpomene 56 
an ehren jungen Dichter. 


Der du im feihften Tobenslenze 
Sobgierig nad) dem Ehrentempel fengit, 
Und, neidiſch auf der alten Dichter Rränze, 
Schon zum Verſuch die Laute 





48 


Sinugebicht. 
Die Damen deinen hier ben eblen Nachtviolen 
Su allem gleich zu jepn; 
Denn Nachts verbreiten fie am Mondſchein, unverhohlen, 
In junger Bühler Arm, ber Schönheit vollen Schein; 
Des Morgens ziehen fie, verftohlen, 
Der ftrengften Tugend glei, Die Reize wieder — 


[9] Der Kanonikus und feine Köchin, 


Gin heiliger Kanonilus begeht, 
Bey feinen wohlbeipidten Pründen, 
In einem Tage geöffee Sünden, 
AS ganz durchs Jahr ein Hungriger Poet. 


Ein folder wars, von bem aus Liebe 
Die Kochinn ihren Abſchied nahm; 
Zu dem, aus einem gleichen Triebe, 
Nanette ſich zu präſentiren fam. 
Könnt ihr, fragt er mit einem frommen Weſen, 
Gut kochen? — Wenig! — Waſchen? — Nein! — w 
Doc; ſchrelben und bie Zeitung leſen? — 
Nein, gar nicht! — Und, fiel er ihr ein 
198] Zum Lohn? — Her, Hundert Thaler! — Sachte! 
Da die Befchictefte aufs Jahr 
Nur zwanzig fodert! — Mecht! rief fie und lachte; [3 
Doch ich, mein Herr! — Nun, ihr? — Here! Ich bin 
unfruchtbar. 
Lowen 
Lied. 5 
Neigend ift 03, feinen Ruhm 
An die Sterne heben, 
Und in Famens Heiligthum 
Unvergänglich leben. 





Mt ber Slche Frumfenfeit 
An Themirens Buſen! 


Die Nachtigall und die Fröſche. 


An einem heitern Abend gieng 
Die fchöne Daphne mit Tiren 
An Fühlen Badı, und fühtete_ 


1) 
Und Sanfte Lüfte wehten ihr 
———— Gerüche zu. 
Des Monden oft erneutes Spiel, 
ER ſchnell it hinter Wolfen fiel, 
Und igt ins Dunfle Blau hervor 
= ‚vollen nn — 
Nacht, 
Die es auf a ae jont, 
Bon ausgelaaner Freude ſchien 
Die Welt ſich zu erhohfen, nur 
Das Volk der Froſche ſchwärmte noch 
Ir Sumpf, und quacte (mit. — „Warum, 
Sprach Daphne, larmt ihe unverjchämt, 
Bar Bhilomele fingen will? 
eigt, derhahte Schreyer, ſchweigt, 
ich fie höre!" — Plbhlich hub 
Die Meine Sängerin ihr Lied 
In Ihmachtendjanften Tönen an. 
It floh es fehmetternd durch das Thal; 
Die Echo fangs geſchäftig nad, 
Und Zephyr trug es Laufchend hir 
Ans jernbejäte Hinunelsfeld. 
‚Entzüdt xief Daphne: „o Tiren! 
Sie fingt! D Höre! Welch ein Lieb! 
Deutsche Lirteraturdenkmale, 5203. 





50 


Mit Unrecht tabelt id; ben Lerm 
Der Fröfche. Weit, weit fühfer ſchallt 
Mir iht das Lieb der Nachtigatt!” 


Wißt es uns ſchlechten Dichtern Dank, 
Ihr guten, daß wir fchlechter find! 


Trinffich. 
{Mit Musik von Kellner.) 


Herr Bacchus ift ein braver Mann, 
Dos lann id euch verjichern, 
Mehr als Apoll, der Leyermann, 
Mit feinen Notenbüchern. 


Des Armen ganzer Reichthum iſt 
Die golbbemalte Leyer, 
Bon der ex pralet, wie ihr wiht, 


Sie jey entjeßlich theuer; 


Doc; borgt ihm auf fein Juſtrument 
Kein Kluger einen Heller; 
Denn ſchoͤnere Mufit ertönt 
In Vater Evans Seller. 


Und ob ſich Phobus gleich vornan 
Mit feiner Dichtlunſt bläbet; 
Co ift doch Bacchus auch ein Mann, 
Der jeinen Vers verſtehet. 


Wie mag am walbichten Parnaß 
Wohl fein Disfant gefallen? 
Hier jollte LAbers Cautorbaß 
ewißlich beſſer ſchallen. 


Auf! Laßt uns ihm für den Apoll 
Zum Dichtergott erbitten! 
Denn er tft gar vortreflich wohl 
Bey groſſen Herrn gelitten. 





Apollo muß gebüdt and trumm 
In Fliſtenſale chleichen 
Allein mit Vaechus gehn ie um, 
Als wie mit ihres gleichen. 


Dann wollen wir auf den Parnaß, 
Bor allen andern Dingen, 
Das groffe Heidelberger Taf, 
Boll Nierenjleiner, bringen! 


Statt Lorbeerhaynen wollen wir 
Dort Nebenberge pflanzen, 
Und, um gefüllte Tonnen, ſchier 
Wie die Bachanten, tanzen! 


Man Lebte jo, nach altem Brauch, 
‚Bisher bort allzunücteen; 
Drum blieben die nenn Jungfern auch 
Bon je und je jo ſchuchterm 


Ha! Zapften fie ſich ihren Tranf 
Aus Vacchus Nektartonnen, 
Sie jagten Blödigfeit und Zwang 
In öfter zu den Normen! 


Firwahe! Sie lieſſen nicht mit Muh 
Zur Heinften Gunſt fich zwingen, 
Und ungerufen würden fie 
Uns in die Arme pringen! 


62 [104] Auf Friederilens Geburtstag. 
Den 10. Aprit 1770. 


Dies ift der Tag, der dich zuerſt geſehen! 
Er tonunt zwwick; frolodend geü ich ih! — 
Deruimm bon mir, o Freundinn, was geſchehen, 
Als er zuerſt erſchien! 








52 


Noch blinfte Schnee auf St** Nebenhügeln, 
‚Den muntern Bach hielt nad; des Eiſes Band; 
Der fanfte Weft fon mit mohlthätgen Flügeln, 
Und Eis und Schnee verſchwand. 


[105] Das Veilchen hob fein Haupt voll füffer Düfte, 
Der freye Bach floß filbern durch bie Flur, 
Die Lerche ſchwang ſich triflernd in Die Lifte, 
Und wedte die Natur. 


Der Frühling ſtieg im lieblichen Gepränge, 
Mit jungem Laub das Hear umkränzt, herab, 
Und mit ihm ſtieg, noch glänzend, eine Menge 
Bon dem Dfymp berab. 


Mißtraue nicht ber Wahrheit der Gedichte! 
Ein Dichter hat den heilgen Pomp gejehn; 
Er folgte nad, und fand die Götter Dichte 
Bey deiner Wiege ftehn, 


[106] &s war Apoll, mit Grazien und Muſen, 
Auch Amor kam, umd Alle freuten ſich, 
Und vrüücten dich wetteifernd am den Guſen, 
Und Alle kühten did. 


Dann gaben fie ber Fleinen Friederile 
Zur Wörterinm die Göttinm Harmonie; 
Und fprachen: Zevs ſorgt ſchon Flle ihr Geihide; 
Du aber bilde fie! 


Sanft ſey ihr Herz, und edel ihre Seele, 
Zaur Redlichteit geſtimmt, und zum Gefühl 
Der Tugenden, und liederreich bie Kehle, 
Und ftark ihr Saptenipiel, 


[107] Aut fühten dic die Götter alle wicder, 
Verwebten Gtit im beinen Lebensfan 
Und ein Gewolt von Golde fuhr hernie 
Und nahm fie wieber auf. 





fo, der Briederife? 
Sie jell — 


ſelbft, was Heut bein — empfinde, 
Der fie erfüllt erblidt! 


her 
[os] WVigneite] 


Philaidilis. 


Phllaldilis, die jüngfte 
Schileriun dev Grazlen, 
Achtete ſich die geringite 
Von den ſchonen Sterblichen. 


Demuth lehrte fie zum Tempel 
rer Gottheit täglich gehn, 
Allen Tugenden Exempel 
Bar fie wohl jo gut, als jchön. 


Gern ſah fie in jene Welten ; 
Diefe Welt war ihr voll Schmerz; 
In den Spiegel ſah fie felten 
Nur fo ſcharf, als im ihr Herz, 

Wett! im dir ift fein Ber; 
Denkt fie ftill, und jagt es Ta 
Sich und fie will fie beftegen, 
Bon dem Himmel eine Braut, 

Sie beilicht dent Weltgetümmel 
Zu entflichn, im ich hinein, 

Um auf Erden und im Himmel 
‚Eine Heilige zu ſeyn. 





54 


Und ſeitdem, o Himmel! fielen 
Ihre Loden ungerollt; 
Iren artigen Geſpielen 
Ließ fie Schmud und Flittergold. 


Ihren Anzug, ihr Geſchmeide 
Theilte fie den Armen aus; 
Ihre Neben, ihre Freude 
War der nahe ofterichmans! 


Dichter fangen ihe Geſänge, 
Dichtern hieß fie Lalage. 
Liebesgötter eine Menge 
Hüpften um bie Grazie, 


Seufzten, weinten, klagten, ſlehlen, 
Hielten ihre Hande feſt; 
Ihre Seuſzerchen verwehten 
Nicht der Nord und nicht der Weit. 


Tief in ſich hineingefehret 
War umfonft die Schöne ſchon; 
Dichter blieben ungehöret, 
Liebesgotter ungefehn. 


Feſt dem ſchreclichen Entfchluffe 
Nimmt fie num die neue Tracht, 
Und mit einem Liebestuſſe 
War die Heilige gemacht. 


Pater nofter aut zu beten 
Sernte feine jo geſchwind; 
Schwetern und Gewiſſensräthen 
Folgete das gute Sind. 

Und, in ihrer Heinen Belle, 
Bor fich einen Tobtenfopf, 
Droht ihr bennod) mit der Hölle 
Pater Zipf und Pater Hopf. 





—— 


er 55 





inmer a fie zu wiſſen 
Prüfen — te Herz 


* Nicht mi Eee Kuſſen, 
Nicht Zuder oder Scherz, 


2] Die Noth auf ihre Stärte 
Vorbereitet kommen fie, 
Mit Empfelung guter Werle, 
“ Jener ſpate, diefer frih. 


Einft an einem Sommermorgen, 
Defto fleifiger zu fen 
In den frommen Seelenſorgen, 
Treten fie zugleich hinein. 


® Hingeworfen auf deu Knieen 
Liegen Patres, Tieget fie; 
rer Wangen Roſen blühen 
Schöner diefen Morgen früh. 


Das Gebet wird angefangen; 
w Vater Zipf und Pater dopf 
Schen ihre Rojenwangen 
‚Lieber, als den Todtentopf. 


[113] Plöplich aber jtöret Schimmer 
Ihr Gebet, fie ftürgen auf. 
* Amor fteht in ihrem Zimmer! 
Patres machen einen Lauf, 


Machen Lerm; die Schweitern kommen; 
Alle jehn den Sieger ſtehn 
Auf dem Altar ihrer Frommen ; 
” Aber fie wird nicht geſehn! 


Eine ſchleyerhelle Wolte 
‚Hatte fie der Zeil entführt, 
Wunderbar bem blöben Wolfe, 
Welches feine Schönheit rührt. —— 
leim 


[u] Der beſtrafte Amor, 


Zevs, rüfte mich mit beinen Wetten, 
Sprach einſt im Zorne Lydia, 
Um jenen Tempel zu zerjchmettern, 
Wo ic) zuerjt den Amor ſah! 


Barum Hab ich Meidens Waffen, 
Und feines Armes Stärfe nicht, 
Der Erde Race zu verſchaffen 
Bon diejem ftolzen Böfewicht? 


Bär ich am ſchwarzen Zaubereyen, 
Wie die Geliebte Jaſons, reich, 
Ihm wollt ich einen Becher weihen, 
‚Der Liebe Todesgifte gleich! 


Der du miv zu entfliehen jucheit, 
Verruchter Frebler, hätt ich did! — — 
„Bier iſt er, Nympbe, dem du flucheſt,“ 
Sprach Amor ſchnell, und zeigte ſich 


„Auf Kühne! Wag es dich zu rächen!" — 
Sie Hört erſchrocken feinen Spott, 
Und eilet Roſen abzubreden, 
Zur Ruthe für den kleinen Gott. 


Ihn aber läßt fie ungebunden, 
Durch Mitleid oder Furcht bewegt, 
Und zittert noch ihn zu verwunden, 
Weil fie mit leiſer Hand ihn Fchlägt. 
Gotter. 


Auf Gellert. 





57 


Amyntas, 
eine Idolle 
Berti, IL. Mercy, 1705. 
Zum Flötenfpieler Daphnis tam 
Die Meine Doris mit —— ‚Haar. 


‚Du, deſſen Sieber, PA] en we —E 
‚Honig, füher find- 


Ss 
| 


fingen heut fein 
— ich Lieb ihn Fehr — und hünn ihn gern 
: aber an Geſang 
me arm, und ſtammlen Lamm ich nur — 
von {hm ein Lied! Denn feiner fingt 
wie du, bu lieber Hirt, 
der Mädchen mit dem blonden Haar!“ 


‚Umpntas, jprad der Hirt, verdient Geſang; 
hätteft du auch nicht, bu holbes Kind 


Fr 


— 
8 


s 28 


Grazien! ein Lied von ihm begehrt, 

Hätt ich dennoch rund umher 

Hlgeln feinen Namen fund gemacht; 

ftoßzen Tannen hätten ſich vor ihn 
Geneigt, und alle Quellen ihm gerauſcht. — 


Sebt an, ihr BE ia: den Büfchen, 

ab im dem. tiefen 1 
Der Abend röthet I — Saum der Wolte, 
Und Echo wartet auf Geſang. — 


Entzliden —— men Buſen, 
Bar 


um ne fe fe, hub einem Dache 
Die Tugend bey dem Glüde wohnt. 
[118] Anuntas! nicht die tauiend Hufen, 
Heerden went, 
© Eind bein Verdienjt; ein menſchlich Herz im Buſen 
Gefeklet dich ben Gottern bey. 





58 


Ber füllte wohl Altar und Tempel 
Dit Gaben; Lebten mur 
Bey Neltar und Aubroſia die Götter 
‚Sich jelder ſeelig; flöffe wicht 


Der Ueberfluß in golbnen Strömen 
Ron ihrer Burg herab; 
Fand Unſchuld nicht, und Elend feinen Netter, 
Und Franke Liebe feinen Troft? 


Du wirft in unjern Liedern Teben, 
Amyntas! bis das Meer 
Verſiegt, und Wälder aus ben Fluten fteigen, 
Und Fiſche ſchwimmen durch die Luft. — 


[119] Verſtummet nun, ihr scheuen Mujen! — 
Die lautre Freud erwacht. 
Anyıt erichallet aus den hohlen Thälern, 
Und von den Bergen ſchallt — Amynt! —“ 


So jang der Hirt, Der feinen Doris ſchlug 
Ihr Herz vor Freude — Lange ſprach fie nicht; — 
Bis des Gefanges fehter Sieberlaut 
om jernften Hfigel wieder fanız 
Da jagte fie gerühtt: — „Nun dank ich bir — 
Num werd ich nicht der Spott der Madchen ſeyn. — 
Erquidend iſt dein Lied, Sonnenſchein 
In talter Luft, wie Morgenthau, 

Der lieblicher die Blumen macht. — 

Und nun — wie kann ich Deine Liebe dir 

Vergelten, o du befter Hirt! — denn, ad! — 
[120] Ein armes fleines Mädchen hat wohl nichts, 

Das deine Lieder div bezahlen kann.“ — 


„Du ſollſt mir tauſend Kuſſe Hutdig ſeyn,“ 
Sprach Daphnis, „bis du ſechszehn Sommer bait, 
Und einen Kuß verfichit!! — — 





Auf einen Necrnten zur 
Neichsnrmee. 
1757. 
Dier liegt Johann, der als Neerute ftard, 
Wär nicht der Rare aus Furcht vor jeinem Tod geitorben, 
Er hätte ſich gewiß; jo vielem Nıhm erworben, 
As jein Herr Oberiter erwarb. 


#8 [21] Hymne, 


Gros ft der HErr der Welt! Der Sphären Chor 
Berkündigt jeinen Ruhm, 
Am Fuſſe jeines Throns fniet die Natur, 
Und betet am dor ihm. 


dv. Thümmel, 


Er winkte in die alte Nacht hinab; 
Urplöglich ſtand vor ihm 
Die grängenloje Schöpfung. Heil und Dank 
Erſcholl von Kreis zu Kreis. 


Was maret ihr, die ihr um feinen Thron 
Die Seeligfeiten trinkt? 
Bon feinem Hauch nehmt ihr Beginn, und nehmt 
Kein End in Ewigteit! 

[22] Wer rief euch, o ihr Sterne, daß ihr flammt? 

Wer wieß euch eure Bahn? 
Wer gab end; Bürger? Wellen Hand umfpannt 
Den Raum, worin ihr vollt? 

Und wer hat dich in dieſe ſchone Welt, 
Exhabner Menſch. geieht? 
Wer jchenfte bir ben Hohen Geift? Und wer 
Gab ihn Unfterblichteit ? 


Dur fichft erſtaunt die Wunder dev Natur, 
Der Weſen Harmonie; 
Exhebe dem, den dir vund um did) her 
So fidhtbar wandeln fiht! 


— 





60 


[128] Wanı feine Sonn dem rothen Dft eutſteigt, 
Und wann ihe Wagen ſich 
Zum rothen Schooß der Abendmeere lentt, 
Laß deine Lieber glühn! 


Und wann, durch ihm geichmictt, die braune Nacht 
Im Sternenkleid ericheint, 
Und deine Seel ein janfter Schauer fat, 
Verehr ihn ftillentzüct! 


Lob ih im Lenz, und wann der Sommer dich 
Mit Laubgewblben dert, 
Und warın dev Herbit, von Nahrung ſchwanger, lacht, as 
And wann der Winter zient; 


[124] 2 feichtem Blut, und warn dich Krankheit beüict, 
Im Glück, und wann e3 flieht, 
Wann did) der Tob zum höhern Leben ruft, 
Verkündige fein Lob! 


Der Schöpfung Kreis, den Tempel feines Ruhms, 
Erfült Ein Lobgejang! 
Ihr Himmel fingt! Ihr Erden ftimmet ein! 
Önos ift der HErr der Welt! 
Thomſen 


[Holzstock.] 


[ass] Elegit 
Auf einem Dorftirchhofe geſchrieben. 
Nach dem Gray. 


Die Abendalode xuft den miüben Tag zu Orabe, 
Mattblödend ehrt Das Vieh im | 
‚Helm von ber Xır, 
Und überläft die Welt 1 
Der Landſchaft zittern in de Dämmung ‚Hülle, © 
Und durd) Die ganze Luft erſcht — Stil 2 
Nur dal; ein fer mi 





um mein. in jenes Lauten irrt, 


in Stral des Tages dringet, 
oll dem blaſſen Monde Hngt, 
fie zu ſthren fich gewagt. 
Ime_tenuxt, der Eibe Schatten ſchredet, 
Hügel Staubs ein durrer Nafen dedet, 
Grab verſentt auf immerbar, 
armen Dorf der Väter rohe Schaar. 
der Morgen num, der büftend niederwallet, 
{be zwliſchernd Lied, das aus dem Strohdach 
ichallet, 
Trompetenton, des Hornes Wiederflang 
vom jchlechten Bett zu Arbeit und Geſang. 
wird nun fir fie bes Heerdes Flamme Lobern, 
om Abend fie mit Angſt zurüce fobern, 
‚Sefchäften ganz fir ihre Pilege weihn, 
feine Kinder mehr nad) ihrem Water ſchreyn, 
je, wann er Fönmt, fich Ähm entgegenbrängen, 
m jeinen Kuß beneidend, an ibn hängen. 
tönete die ln von ihrer Sichel Hang; 
ibr Plug, dev oft die harten Schollen zwang. 
ie froh 309 ihr Geſpann vor ihnen auf bie el . 
10 Wie beugten fih, exlegt durch ihren Streich, die Wälder! 


Der Ehrgeiz fpotte nicht der Arbeit ihrer Hand, 
Serloche nicht ihr Shi, und ihren niedern Stand; 
Der Groſſe höre nicht, Hohnlächeln im — 

ichte! 


237 


2 kerkeg 
But SER 


Kein 
Sich den 
[123] Und 


258 
SE 


88 
Ei 


Dafı im Tempel wicht, durch tiefgewölbte & 
Der Chöre Harmonien vom ihren Thaten ie f 





62 


Ruft einer Urne Pracht, des Künstlers Meifterjtüc, 
Ein jeelenvolles Bild, den Geiſt im Plug zurtic? 

Kann zu des Grabes Nacht der Ehre Stimme dringen? 
Laßt ſich des Todes Ohr durch Schmeicheleyen zwingen? 
Wie manche dedt vielleicht Hier die Verweſung tief, 

In deren ſchwangrer Bruft ein Götterfunken ſchlief! 

Provinzen hätten fie mir wachen Blick befchirmet, 

[120] In hohes Sayhtenſpiel Begeiiterung geftürmet, 

‚Hätt ihnen Wiſſenſchaft ihr groffes Buch entrollt, 

In welches jede Zeit den Schah dev Völter zollt, 

‚Hätt Elend nicht ihr Haupt in tiefen Staub gebrücet, 

Ihr Feuer ausgelöfcht, und ihr Genie erſticket 

Wie manche Noj im Thal errörher ungefehn, 

Haucht ihren Duft umſonſt, und ſtirbt vergebens fchöi! 

Wie manchen edlen Stein hält, vor ber Menichen Sorgen, 

Der unerforjchte Grund bes Deeans verborgen; 

So vuhet mancher bier, der einſt mit Fühner Hand, 

Ein Hambden jeines Dorfs, dem Frevel widerſtand, 

Und mancher Milton ſtumm, vermiſcht mit andern Todten, 

Und mancher Eromwell, vein vom Blut der Batrioten. 

[180] Sie fonnten nicht voll Mut Gefahr und Tod ver- 
Ichmähn; 

Gehorſam ihrem Wint Senate zittern Tehn, 

Dit Ucberflufe nicht ein ſeelig Land beglücken, 

Nicht Lejen ihren Werth in eines Woffes Blicen. 

Und doch verbot ihr Glüd Tugenden allein, 

Auch Lajter wurden jelbit i er Hütte Mein; 

Sie durften nicht mit Blut die Thronenvege gieflen, 

Die Thore bes Gefühls vor Men] 

Erftiden in der Bruft der Wahrheit © 

Den Zeugen ebler Scham nicht tigen von Geſicht 

Noch, im der Wolluft Schooß, des ——— ſich er⸗ 
reuen, 

Den, zu der Muſen Schmach, ertaufte Schmeichler freuen. 


[181] Bon der unedlen Bahn des Städtevolls entfernt 
Hat ihe beſcheidner Wunfd Ausfchweifung nie gelernt; 





[23 


SEühl war ihr 2ebensthal, und dem Geräujch entlegen, 
‚Zufrieden wallten fie anf ihren jtillen Wegen. 


Doch ruft ein Denkmel noch, das Die Gebeine ſchutzt, 
‚aufgebaut, harbariſch ausgeichnitt, { 


dieſes arme Volt die Kunſt zu fterben lehret. 
Denn welcher Sterblicher wirſt jehnend nicht den Blict 
132] In eine Schöne Flur, bie er verlieh, zuvlid? 
‚hat mit jener Nacht, von Sicherheit berauſchet, 
m Dies Ängitlichjüfe Seyn gebantuntos vertanfchet ? 
Ein ae, das ich fchlicht, ein halbgebrochnes Herz, 
hoch, und eines reundes Schmerz; 
Vale Er Natur aus unſrer ruft; es lodert 
Bor Feuer umverlöfcht, wenn unfre Aſche mobert. 


Noch deinen Hügel anf, ımd fragt: wer dir Remefen? 
Dann fpricht ein grauer Hirt: — 
öhn 
10 Der Morgen zitterte, Hab ich ihn oft gefeh 
[123] Durch das bethaute Gras vanicht 
Bllffen 
Auf jenem Hügel dort die Sonne zu be 
Dort, an der Buche Fuß, die ji J 
Die a aufwärts dreht, un \ 
en er am Mittag fich, verbroffen, unbelaufchel ; 
h er in den Bach, der dort vor jet; 
— ich er in den Hahn, und höhnlſch 
Bald murnelt er vor fid) verworrne Träume her, 





64 Lus. =D. 


Bald hieng er bleich fein Haupt, wie ein Verfaßner trübe, 

Genagt von inmerm Gram und hofnungsloſer Liebe. 10 

An einem Morgenroth eilt ich zum Hügel bin, 

Wo ic) ihn tmmer fand, und ba vermißt ich ihn. 

Ich eilte zu der Au, zu feinem Lieblingsbaume, 

[184] Alten ich fand ihn nicht, mie ſonſt, im jilffen Traume, 

Ein zweyter Morgen kam; weit jehaut ich um mich her, 11 

Doch ich erblickt ihm micht im Hay, om Bache mehr; 

Tags drauf, ach! jahn wir ihn, bet) Liedern und bey lagen, 

Im feyerlichen Pomp, nad unſerm Kirchhof tragen. 

Siehſt du den Dornſtrauch dort? Komm! (Leſen kannſt 
bu ja!) 

Lies: Hier an dieſem Stein ſteht jeine Grabſchriſt! Da!“ 1m 


Ein Füngling ruhet bier, in unfrer Mutter Schoof,! 
Dem Glüiche nicht bekannt, durch feinen Nadruhm groß. 
Sein niedrig Wiegenbett verſchmähten nicht die Muſen, 
Und Schwermuth weihte fich zur Wohnung feinen Bufen. 
Boll Güte war fein Herz, und der Verftellung feind; 1m 
[185] Boll Güte Mönete der Himmel fein Begehren. 

Er jhenfte Leidenden jein ganz Vermögen — Bähren; 

Gemwährt warb ihm bafür fein ganzer Wunſch — ein 
Freund, 

Wag in das Heiligtum nicht tiefer einzufchauen, 

Das feine Tugenden und Fehler mißt! 

Ad! Beyde liegen fie mit zitterndem Vertrauen 

In deſſen Brut verjenft, der Gott und Water iſt. 

Sotter. 


Au Doris. 70 
Zum Spiegel beiner Schönheit ertwähle bir mein Lieb! 


D Doris, dort vergeht fie, werm fie hier ewig bluht. 
of 








66 


Das Gejpenft. 


Den Beift des Stutzers Liſimon 
Sad Phyllis jüngit und floh davon. — 
„So flicht fie den, der einft ihr Zeitvertreib geweſen, 
„Ihn, den noch jeder Ball und jeder Spielttich preit?" — 
Sie hatte Recht; es war von feinem Weſen 
Auch nicht der befte Theil, es war ja nur — ſein Ben 


1189] Zu ein Stammbuch. 73 
Den 22. Zul. 1770. 


Sohn, reize nicht durch deinen Wig die Thoren! 
Die Warnung hat bett mir mein Vater oft verlohren. 
Left auch, warum fein Wort bey mir fo wenig galt: 
Er, ohne ſalſch, wohlthätig, gottergeben, 

Wenn ic) nur Thoren veimend ſchalt, 
Schalt gar Juriſten durch jein Leben. 


Wie mander würde mich um diefen Vers verklagen! 
Dir, W-+ den er nicht trift, fomnt ich ihm ficher jagen. 
‚stäftner, 


[110] Empfindungen bey Nacht. 74 


Der Gott des Schlajs umbüllt mit leiſem Flügel, 
Was auf des Erbballs Hälfte wohnt, 
Stillſeyernd glänzt in heller Bäche Spiegel 
Der flberfarbne Mond. 


In bes Olymps gewblbter 
Verliehrt mein Auge ſich entz 
Bo jebt vielleicht Amint, 
Mitleidig mach mir blickt, 


Geflügelt eilt 
Sohn der Unfterblichteit, zu die! 
Mein Buſen nährt, gleich einer Feuerflamme, 
Des Ewigen Bei 





67 


[141] Denn überall, — die Ede aränzet, 

Herrjcht qualen 
Was unſerm Eu a ala Gold entgegen: glänget, 
St, mahgeprüfet, Te 

Beglucte Beit, wenn num vom meinen Bilden 
Der Vorurtheile Nebel Fällt, 
Und 2eibenichaft nicht mehr in ihren Striden 
Den Geiſt gefeſſelt hätt! 

Das ift mein Troft; den Traum von unſern Tagen 
Verweht ein Fühler Abendwind; 
Wie Blumen, die der Sonne Lajt getragen, 
Verbfühen wir geſchwind. 

* [142] Stets eift der Tob, damit er uns erhaſche, 

Kurz hinter unferm Schritte drein; 
elingt es ihm, jo werd ich morgen Aſche, 
Und = Fabel jeyn. 

Die Menjchheit mag beym Grabe fih emporen; 
Setroft lern ich hinunter ſehn 
Der freye Geiſt wird, unter Himmelschören, 
Dort mit Aminten gehn. 


75 [148] Die Brille, 
Eine Erzählung, 


Den alten Feepheren von Chryfant 
Bagts Amor einen Streich zu ſpielen. 
Für einen Hageftol; bekannt, 
Fe um die Sechzig er fi bieder an zur Fühlen. 


Es jlatterte, von Alt und Jung begoft, 
Mit Reizen ganz beſondrer — 
Ein Bucgermädchen durch die Nachbarſchaft. 
Das Burgermadchen hieß Finette 
Finette vord des Fredherrn Siegerin 
0 hr Bild ftand mit ihm auf, und gieng nie km zu Bette 





Da dacht in feinem Sinn 
Der Freyherr: und warum denn wur ihr Bild? 
[148] For Bild, das zwar den Kopf doch nicht die Arme füllt; 
Sie jelbft ſteh mit mir auf, und geh mit mir zu Bette! 
Sie werde meine Frau! Es fchelte, wer da fchilt; 
Genäbge Tant und Nicht und Schwägeriun, 
Finett (ft meine Frau, und — ihre Dienerinn. — 
Schon fo gewig? Man wird es hören. 
Der Freyherr lonunt, ſich zu erklären, 
Ergreift das Mädchen bey ber Hand, 
Thut, wie ein Freyherr, ganz befamnt, 
Und jpricht: „Ach, Freyherr von Chehfant, 
Ich habe fie mein Kind, zu meiner Frau erſehn! 
Sie wird fich Hoffentlich nicht {elbft im Lichte ftehn. 
Ich babe Cuts die Hitll und Fülle.“ 
Und Hierauf laß er ihr durch eine groſſe Brille, 
Bon einem groſſen Fettel ab, 
[145] Wie viel ihm Gott an tern gab; 
Wie veich er fie beichenfen wolle; 
Welch groffen Wittwenſchatz fie einmal haben Tolle. 
Dies alles laß der reihe Mann 
Ihr von dem gettel ab, und gute durch bie Brille 
Bey jeden aus fie begierig an. 
, was iſt ihr Mille“ 

Mit Biefen "onen ſchwieg der Freyherr ftille, 
Und nahm mit dieien Worten jeine Brille — 
(Denn, dacht ex, wird Das Mädchen nun 
So wie ein Muges Mäbchen thun; 
se mich umd fie ihr ſchuelles Ri beglucken; 

Werd ich deu erſten Muh auf ihre Lippen brüden; 
& tonnt ich, im Entzüden, 





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| 


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u 


ges 
gi 


tie gefagt, dns alles wär ſehr jchön! 
ich, — wenn ich —“ 


J 


‚Here ſih blahn 
Ir ein mn mir denn ſtehn?“ 
„Wenm ich nur nicht ver — 
? Was? —— — 
nicht zu freyu⸗ —“ ” 
D Brille! rief der Freyherr, Grille! 
nach feiner Br 


E 
= 


SEE 
= 


Nocmal in Augenfchein, s 

= Und vief ns Grille! 
— en, Dann zu freyn, 
Der jo, wie Eure Gnaden pflegt, 

= Die Augen in der Taſche trägt.“ 


“ Das jhöne Kind einer jhönen 
Mutter, 


D meld) ein ſuſſes Knäbchen feherzt auf bem Blum 
Betrachte feine ter! Sollt es nicht Amor 


Nus Die Elſter, 
Eine Fabel, 
Singen kann ich num frehlich nicht, das ertan 
die Elfter, aber cs wäre doch Schade, wen ich meine 
fertige Zunge nicht brauchen joltte! Ich weiß, was ich 





70 — 


thun will. Ich will den Sangvögeln zuhören und Lob 
und Tadel unter fie austheilen. Ehrt mich die Nachtigall, 
ober bringt fie mir manchmal ein Wilrmden; gut! jo 
foll feine liebenswurdigere Sängerimm unter den Wolken 
ſeyn. Aber Apollo jey der Lerche gnädig, wenn fie mich 
beleidigt! — 


Die arme Elſter! Ihr Anschlag mislang. 

[149] „Ufo meineft du, daß wir ſelbſt fein Gehör 
haben, jagten bie andern Vögel, und von dir follen wir 
erſt Iernen, was ſchon Mingt? Won Dir, die du nicht 
einmal fingen fannit, jondern nur jehrwagen, und — fteblen, 
und den Gutut Lobeft, wenn ex dein Freund ift? Selbſt 
die Fehl * der Lerche ſind harmoniſcher, als dein Ge— 
plapper!® Wenn die Nachtigalt Eng ift, fo ift fie gegen 
dein Lob gleichgültig.“ 

So ſprachen die Wachtel, die Turteltaube und ber 
Stieglig. Aber der Gimpel und die Gans horchten auf zo 
dle Funfteichternde Elſter. Käfer. 


| 
1150] Au Sined, 78 
Den Druiden der darfe. 

Wo bin ich? — Schlief ich nicht im Walde 

Arbeitermüber ein? 

Im Walde, wo des Lenzes 

Tonvoller Vogel nicht miftet; 

Im Walde, wo fein Barde 

Nod; feine Harf in die Schatten trug? 


Der Wald voll brütender 

Als wär er hint 

Grotte, gegen Walhalla gepflanzt. 
Denn, wie vom Felde ber Seeligen, 
Tönt mir durch feine Fichtengänge 
Der Bordenborfe Geräufch; 

Mid; ummandelt der Geiſt der Lieber, 





20 


7) 


lisi] 


[152] 


71 





Wie die Seele des Brünftiggeliebten 
Um den einfamtraurenden Jüngling ſchwebt. 


„O fey du mir willkommen!“ 
Auft der Verzweifeinde. 
„O ſey du mir willfommen !” 
Ruf ich, und raffe mich auf, 
Dab die zweigichte Fichte ſchwankt; 
Und eile windſchnell über das Hepdenfraut, 
Und eil und fliege gegen den Harfenruf, 
Der, bey jedem von Felſen 
Zu Zelfen gewagten Sprunge, 
Immer näher und näher tönt. 
Da raufchet mir gewaltig 
Joſephs Nam entgegen; 
3 rufen dort oben die velſen, 
Dort unten die Fichten rufen 
Joſephs Namen zurüd; 
Und hier find Nachtigallen, 
Hier jcherzt das kühle Lüftchen 
Um junge Wiejenblumen; 
Weidende Rehe hüpfen 
Fröhlich am Bad! 


Heil mir! Nun bin ich am Biel! 
Heil mir, da ift der Sänger! 
Götter! Da ift bie Harfe! — Durftig 
Trink ic) al ihre Töne hinab. 


Vergieb dem Barbenjohne, 
Vergieb, du Bindengejhmüdter, 
Ber bift du? 
Druide mit der goldnen 
Sichel in deinem Prieftergürtel, 
Wer bift du, Sänger Jofephs? — 


Du Lächelft, teurer Sänger? 
Aber ich kenne die Harfe, 


7 


Und mm fern ih dich; Sined, 
Den Freund an Dffians Buſen, 
Dem er am Abend 

Seiner Augen die Harfe hei! 


O finge, ſinge, 
Jo ſeph den Fruͤhgeliebten, 
Wie er, im Frieden groß, 
358] Seegen um ſich ud über ſich hat! 
D finge, finge, 
‚So fange diefjeit Walhallas 
Er jeine Schritte verweilt, 
Sofephs Striegsgefang mie! 
Yıvar wie der Adler 
Liegt er am fühlen Mondenticht, 
Brütend über feinen Geliebten, 
Und feheint im Leifen Träumen zu ruhn; 
Aber, waget der Geyer, waget ber Habicht ſich 
Seinen Geliebten zu drohn; Huy! dann erhebet er ſich, 
Und wird, hoch aus ber Gegend des Mondes, 
Seinen Räuber herunterftitrzen! 
Drum jinge, jinge, 
Daß er bis an das Morgenroth 
Ueber feinen Geliebten vubt! 


Aber, ach! Kenn ich dem nicht, 
Sined, Dffians Harfe, 
Die vom Naufchen ber Speere, 
[154] Vom Säufeln des Schwerdtes germ begleitet wird⸗ 
Wie der Friegeriiche Nngling, J 
Des dauernden Friedens ſatt, 
Wird fie, wenn du ein Friedenslied willſt, 
Harte Triumphtüne ‚geben 
Aber dann finge vor Kofeph nicht! 


Trage dein Saptenipiel i 
Geh zu dem Örabe Dauns, 








am 2 


Dort, wo —— wachen: 
Singe, dort Ruhm, den er i S 

5 Auf die — a, — 
Der delbenmutier Jofephs, erſtegt Hat! 


79 (155) Syume. 


Der HErr ift BO! Ihn gugubeten 
Bededen Eherubim ihr flammend Angeficht; 
Des Himmels Beſte bebt, des Meeres Wogen treten 
urücd, wann ev im Donner fpricht. 


Der Abgrund heuft vor BR Sein Finger riſhrt die Spige 
jen fie; 


Da ftehm die Läfterer — und er verfhonet fic. 


Soll euch der HErr im Zorn befiegen, 
© Elende! War er euch nlcht ſchon durch Wohlthun fund? 
Sr — die Vernumft euch grauſam zu betrügen; 
Ihr Fühler Ott — — Noch fügt der Mund! 


us] Ex hie das wege Herz des Lebeus Ström ergieffen 
täglich neugebohrner Kraft; 
» = Ähentte ber Natır, Vergnügen zu genieflen, 
In jedem Sinn geheime Wiſſenſchaft: 


Hög er die Schöpferhand zurüce 
Bon biefem Wunderbau, jo jtärh aus jedem Sim, 
ſchreclichſten der Augenblicke, 
dung und Genuß der fanften Freude bin. 


Der mic, aus Liebe ſchuſ, erhält mich au 
Dein Ecjiefal tt fein Ungefähr 
> Erfen 28, 0 mein Hech, uud weit, ihm 
Einf preijeft du ihn herrlicher! 





— 


157] Die gute Antwort. 


Gin junger Graf von Tiegertak 
Nitt auf die Jagd. Sein Neitfnecht Mag 
Mitt mit ibm, boch, wie billig, hinten, 
Mit einer Damascenerflinten, 
Mit feinem Silber eingelegt, 
Die er queer überm Sattel trägt. 
Indem fie nun mit Pfeifen, Singen, 
Die Stunden fuchen umzubringen, 
Begegnet ihnen, guter Zaun, 
Ein Mädchen an dem Zollhauszaun, 
Das ein geöbrtes Thier, mit Rüben 
Beladen, vor ſich her getrieben; 
Ein Maͤdchen, wahrlich wohlgemacht, 
Mit Augen, wie die Mitternacht, 
Die, wenn fie fich im Kopfe drehten, 
Mehr Einfluß hatten als Planeten 
Gleich ward das Grafenherz verwundt, 
Das Waſſer ftieg ihm in den Mumd. 
F frug: mit deinen Gartenwaaren, 
J. Mein Kind, wo dentſt du hinzufahren? — — 
Zum nächften Fleden, Holder Herr! — — 
Kennft dur bafelbit, ‚verfeget er, 


Die Baurinn neigt fich tief e 
Ey nun, ſprach Graf von —— 
Und gab ihr hurtig einen Schmatz 
Auf ihren runden braunen Bad 

‚Sie feſt umfaſſend m den Nac 
Bring ihr, nebft einem Gonen 

Von unſertwegen dieſen 

Worauf die Dirne, zwar bi chamet, 
Doch an der 6 nicht gelähmet, 
Erwiederte ; ihn nicht m 

‚Herr dar, i, gebt ihm "meinem Thier, 
Beliebt es euch, auf jene Wangen; 
Es denkt noch vor mir anzitlangen. 





si) 75 


81 [150] Auf die Statiten der Muſen 
im Garten zu Saneſouci. 
Ast Mufen ſeh ich hier. Doch ach! 
Die neunte fehlt. Hat Glume fie vergefien? 
Nein! Nur er konnte nicht der legten Schönheit meſſen, 
Denn die folgt ungeſehn dem groſſen Friedrich nad, 
Lieberküht. 
82 Der Gompilator. 
D sprüche doch der Sammler Fulvius 
Nicht ſelbſt nunmehr als Krititus! 
So lang er uns nur andrer Meynung gab, 
Schrieb er manchmal doch noch was Kluges ab. 
Käftner, 
83 [160] Klage eines Ephemerispoeten. 
Gleich nach der Leipziger Meſſe gelungen. 
Gern ſang ih meine Rage, 


Hau ich zum Singen Kraft! 
Denn, kurz; wie ımfre Tage 
Bar meine Autorſchaft. 
eh mir, dab ic am duſſe 
Des Pindus naſchen gieng, 
Wie meine junge Muſe 
Zum erſtenmol empfieng! 


‚Dat wer zu hören Ohren, 
Der Höre meine Roth! 
Shr Rind war ſchnell gebohren, 
Geſangt, verurtheilt, tobt! 
Uns ftxeden auf die Bahre 
Nicht Seuchen jo geichwind, 
Als Bibliothefare 
Jot monches Mujenfind, 


Die ihr die Lorbeerhahne 
Der Muſen auch durchirrt, 





76 


Wenn ich verſchwiegen weine, 
Laut wie ein Kranich girrt, 
Hat über euch mehr Leiden 
Apoll im Zorn verhängt, 
Getroft! nicht an die Weiden 
Die Harfe gleich gehängt! 


Harrt, wie in Landesplagen, 
Auf befire Dichterzeit! 
Dft, wenn wir hüljlos Hagen, 
I Hilfe nicht mehr weit; 
Singt Auttorlitanenen, 
Und betet Wilrger fort; 
Siugt: Gott woll uns befreyen 
Vom Rezenjentenmord! 


ee] Auf Gellerten. (*) 


Er Lehrte dreyhig Jahr die Schönen Wih und Tugend; 
Doch höret, welchen Dank ihm eine Freundinn gab! 
Seren verwahrte fie die Schwächen feiner Jugend, 
Und ſetzte fie dem guten Mann aufs Grab. 


Käfiner, 


(9) S. bie Borrede zu den verhüſchten Gedichten, womit 
imanı nach dem Tode des verebningstwicbigen Maunes fein Ar 
deuten Defchimpft hat. 


[168] Lied des Orpheus, 
als er in Die Hölle gieng. 
Witze dich hinweg, du wildes Feuer! 
Meine Soyten hat ein Gott gekrönt, 
Er, mit welchen jedes Ungeheuer, 
Und vielleicht die Hölle ſich verjöhnt. 








78 


[166] Lied der Gräfin von» + -(*) 
Hofdanıe zu »r= 


Verguügt mit meinem Schäferleben 
Will ich fein Feld für Hof und Stadt, 
Fr Kronen feine Sränge geben; 
Behalte fie, wer Kronen hat! 


Die Kronen brüden ſchwer, die Stränge 
Sind Leicht, und Hauchen ſüſſen Duft! 
Ich liebe Scherze, Spiele, Tänze, 
Geſunde Kräuter, friſche Luft! 


46%) Ich Tiebe Freyheit, liebe Thäler 
Und Bäche, fpiegle mich darinn, 
Und find ich meinen Wangen Fehler, 
Dann werf ich mic ans Ufer Din, 


Erforſchend, ob mein reines Herze 
Den flieffenden Exiftallen gleicht; 
Glücjeelig, wenn es feine Schwärze 
Dem Aug und dem Gewiſſen zeigt. 


Die ſolſche Göttin mit dem Made, 
Die Weife haft, und Thoren liebt, 
Die bitt ich ale um eine Onabe, 

Nie um die Stetten, die fie giebt, 


IH jehe meine Lämmer weiden, 
Und freue mich, wenn ich fie jeh, 
Und teile Heine Schäferfreuden 
Mit einer Lieben Lalage! 
[166] Man hält für beffer, fie zu teilen 
Mit einem lieben Tityrus; 
Man rühmet mir ben Gott mit Pfeilen, 
Man redet mir von Lieb und Sub; 





(*) Die nebft der Fränlein von -- -fich a 
hatte, da fie gebeten wurde in die Etadt zu 





87 


Umſouſt joll mir der Saft der Neben, 
Die mir ihr Blick entführt, die Ruhe wiedergeben! 
Nein, Freund! mein Herz wird wart, es glühet, es zerflicht, 
Ie mehr ich meinen Becher filte; 
s Der Wein jagt mir von nichts, als da fie aöttlich it, 
Und ach! von ährem Stolz ſchweigt dev Verräther ſtille! 
T. 


88 [169] Die Wittwe, 
Eine Romanze, 
Dem Herr Ranonitus Gleim geribinet, 


„Grauſamer Tod pi feige Scelen, 


„Dich fich 
„Bu Früh kannſt jr ib nicht vermäblen 
it meinem Mann! 
„Nichts Tann der Armen Freude geben, 
„Die faut dir ruft, 
„O tom, und enbige mein Leben 
„Auf jeiner Gruft!“ — 


[170] So rief, von Sagen ganz exmattet, 

Dem Tode nah, 

Bon Nacht und Schreden noch umſſchattet, 
Angelika. 

Ein Ritter, im Vorübergehen, 
Hört ihe Geſchrey: 

von Mitleid bleibt er jtehen, 

Und tritt herbey. 





so 


Des Morgen 
Er blidt mit ftratendem Geſichte 
Aus Duft und Thau, 
Und Lindor fieht, bebedt von Sträuchen, 
Ein Weib, jo ſchön, 
Daß ihr die fchönften alle weichen, 
Die er geichn. 


Von welchen Pfeil wirb ex getroffen! 
Berftöhet ihr Seid, 

Verwirrt das „Saat, der Bufen offen, 
Im Auge Leib, 

Doc daß daraus ein Funke blintet, 
Der Liebe ſpricht 

Ber Schönheit noch und Jugend. winfet, 
Braucht ſoviel nicht! 


Und ſchon zerflieht im Roſenlichte 
ns Grau— 


„Bier, ruft er aus, hler wiederſiehet 


„Sein Felſenherz! 

„Nur Einen Blick, und es zergehet 
In Lich und Schmerz! 

„Bott Amor! Wenn dein Wint auch nimmer 
„Mir Wih verlich = - - 

„Doch darf ic) fie betrüigen? Immer! 
„Sch rette fiel“ — 


Und, ganz der Schönen hingegeben 
In feinem Sinn, 

Wirft er, ihr unbemerkt, ſich neben 
Dem Grabe hin; 

Und, ſicherer ihr zu gefallen, 
Als ſpräch ur, 

Laßlt er von feinen Seufzern ſchallen 
Die ganze Flur. 


Angelika bört ihn exichroden, 
Sieht ſich umher; 








zu abe ale Mngen 
Sen Himmel ſchicti 


[473] Zu elend, um A ſich zu Beben, 


den Man, 
Der —— Seufʒet hier erheben, 
So jammern farm; 
Neugierig Jekien Sram zu willen 
Tritt 


„Von zerriſſen 
Erſeufgeſt 


" 


„Die Frau, die ich verlohren habe, 
„In meine Quaal!“ — 

„Und ach! ſpricht fie, in biefem Grabe 
„Liege mein Gemahl!“ — 

„Die Zeit wird euer Unglück mindern; 
— Troft habt Ihr! 

ch nichts kann meinen Nammer lindern; 

ns ſchuf ihn mir!“ — 


„Grauſamer! Deine Hand verübte 
„Die Unthat? » « Wie?" — 
„Nein, weil ich In a feurig liebte —“ 
or fie? 
„Bey jeder Schönheit, die euch ſchmucet; 
Ich ſchwor es euch! 
„Die mich am ihren Buſen drücket, 
Erblaſſet gleich!“ — 


„So tomm! Der Tod verſchmaht das Leben, 
„Das ich ihm bot; 
„Er weigert ſich mir Troſt zu geben; 
„Sen dit mein Tod! 
Donteche Littorarurdenkmulo. LBjER. 





82 


„D komm! Ich geb in deine Hände 
„Hin meinen Harm; 

„Es find Angelika ige Ende 
„In deinem Arm!“ — 


[475] Der du die Einfalt der Empfindung 

So edel fingit, 

Und Witz und optiaut in Verbindung, 
Mit Stärke bringit, 

GLeim, könnte von den Huldgöttinnen 
Dies "Siedchen mir 

Ein kleines Lächeln abgewinnen, 
So banft ichs bir! 


Die Grazien. 
Bey Grazien und Muſen Faß Apoll 


In feinem dorbeerhayn. 

Söttunnen, fragt ex fie, wer ſoll 

Der Dichter der Grazien fenn? 

Die Grazien famen den Muſen zuvor, 

Und füpelten: Wieland! dem Gott in das Ohr. 
G. 


Der krauke Amor. 


Bey Gelegenheit eines Gemaͤldes von Herr 
B. Node zu Berlin, 


Selbſt die Götter und Göttinnen 
‚Haben eines Schidſals Macht erkannt; 
Venus ſah ihr Blut einft vi 
Aus der wundgewordnen Hand, 

Mars warb von dem Arm bes Griechen 
So getroffen, daß cr fan, 

Und vor Herzeleld um Binden, 

Ward auch Amor einmal Mont. 





0] 


177) 


178] 


179] 


83 





Mit verloſchnem Augenlichte 
Lag er in der holden Mutter Schooß; 
Auf ſein blafjes Angefichte 
Roilten Thränen, ſchön und groß, 
Wie der Thau von Roſen zittert, 
Von Cytherens Wang herab, 
Und fie rief, von Angſt erſchüttert, 
Dem hülfreichen Yefculap. 


„Sohn Apoltens, Hilf! Ad) rette, 
„Nette mein geliebtes krankes Kind! 
„Siehe, wie bey feinem Bette 
„Selbit die Tauben traurig find, 
Die ſich fonft jo fröhlich ſchnäbeln! 
„Ach, mein armer lieber Sohn! 
„Einer von de Drcus Nebeln 
„Ueberzieht fein Auge ſchon! 


„Komm, und heil ihn, Arzt der Götter! 
„Mit gelähmten Glievern liegt er hier! 
„Werde mein und fein Erretter; 

Ich verſpreche dir dafür 

„Alles, was man nur begehren, 
„Alles, was ich geben kann!“ — 
Venus fagte dies mit Zähren, 
Und der Götterarzt fam an. 


Freundlich trat er zu dem Knaben, 
Wie noch igt die beiten Aerzte tun, 
Wenn fie zarte Kranken haben, 

Hieß ihm ftille ſeyn und ruhn, 
ZFühfte nach des Bulfes Gange, 
Nahm ein heftig Fieber wahr; 
Und bedachte ziemlich Lange, 
Ziemlich ernftgaft die Gefahr. 


Endlich ſprach er: „guter Dinge! 
„Mit drey Worten mac) ich ihn gejund; 


84 


„Aber unter dene Bedinge, 
„Daß dein roſenfarbner Mund 
„Mir dafür drey Küſſe gebel! — 
Venus rief ihm lächelnb zu: 
Aesculap, jo wahr ich Lebe, 
AAUfzubittig. foberft du!“ 
Sarichin. 


Die Schöne am Morgen, 


In ihrem Negligee 
Sah ich fie jüngſt beym Thee; 
Doch ihr Geficht, 
Das ſah ic nicht; 
Das lieget, an jo frühen Morgen, 
Auf ihrem Nachttiſch moch verborgen. 


Die Kayferinn und der Pabſt. 


Nach einem alten Dichter. 


Der heilge Vater Pabjt zu Nom, 
Des Allerhochſten Vicedom, 
Und unſre Kayjerinn Frau Mutter, 
r Erde Häupter, beyde fromm, 
durch der Aerzte ftrengen Orden, 
Bu gleicher Hand verdammet worden, 
Mit Ruhm und Strafen überſtreut, 


Ans obre Paradies zu wandern, 
Die Wohnung der Kottommenheit, 


Die Reife war cin bischen weit, 
Drum ftund für einen, wie den ander, 
Ein janfter Trageftubl bereit. + 


Die Kayferinn, die Luft der Frommen, 
Hat auch, von Traurigkeit beklommen, 
Doch ſtandhaft und nicht heidntich meld, 





85 


un dom Kapjer und dem Reich, 
Das jo in Thränen nie geſchwommen, 

Den lehten Hänbeluß befommen ; 

Und wollt ihr göttlich Auge gleich 

Zur goldnen Meifejänfte dreben; 

Allein wie fie verwundernd jah 

Des Pabftes feine ftille ſtehen. 

In tristi eaeremonia 

Der ihrigen nicht vorzugehen, 

Entjchloß fie fh: Wir bleiben ba! 


Bar je auf Erb ein ihöner Streit 
Von Demuth und Gefälligteit, 
So war es dieſer ſchone Streit! 
Die ganze Welt wünicht ihretwegen, 
Daß man, jo oft er fich erneut, 
Nie fähig fey ihn beyzulegen. 
Der Himmel gebe feinen Seegen, 
Daß im der wehrten Chriſtenheit 
Die hoben Häupter allezeit 
So fonft zufammen ftreiten mögen ! 


Commentarius 
Aber mein Sinngedicht don den Chapeaux (*) 


Verbeſern Sie Ihe Sinmgedicht; 
„Der Schnelber macht ja feine Hüte 
& fprad) ein junger Herr. Ich dauft ih 
Und fragte: Kennen Sie denn Ihren © 


() ©. Mujenalm. 1770. SM. 





86 


[13] Muſarion. 


Nimum die Leyer, und tanze voran mit geſlligeltem Schritte, 
Du jüngfte der Muſen! Ich folge dir. 
D welche Geſilde! Wie ihön! Hier iſt Mufarions Hätte; 
Der Weisheit offener Tempel ift bier! 


Die Lebe führt in leichten Stetten, 
Gebunden, jene Leidenichaft, 
Die uns, auf Rofenbetten, 
Den Frieden aus ber Seele vafft. 


An dieſen Bachen wohnt ein ruhiger Genuß 
Von zartlichen Vergnügen, 
Roll Unſchuld, wie der Taäubchen Kuß, 
Die ſich auf einer Myrte wiegen. 


[184] Im ſchonſten Blumenkranze gebt 
Die Tugend unter Charitinnen, 
Verbergend ihre Majeftät, 

Und ohne Kunſt, wie Schäferinnen; 


Wie, mit geſchmücktem Haar, 
Im dünngewebten Schleyer, 
Bey ihrer Hochzeitfeyer 
Die fleine Pſyche war. 


Sie vedet lieblich, wie Eythere: 
Die bange Witte lacht, 
Wenn ihre Götterlchre 
Das Leben füffer macht, 


Und aud; den Tod! Hinweg, du ſtummer Knabe, 
Der du bie Wange betheänft, 
Und an Cypreſſen, bey dem Grabe, 
Die umgetehrte Facel lehnſt! 





87 


— Tod ift ſuühl — — er in bie Palläfte 


— Lömmt für mid ber ut, ber beſte 
Bon meinen Geſpielen der Künftigen Welt, 


Er fönmt mit heiteren Mienen, 
Und bietet mir die Hand 
3 Cr löfht die Lampe mr aus, bie mehren Freuden geſchlenen, 
Und bringt mid; in ein ſchͤneres Land, — 
jacobi. 


[Holzstock.] 


95 [186] An die Meine Lucinde, 
Vey ihren neunten Geburtstage. 

Dir Meine Orazie, fage mir, 

Was wünſcheſt du dir 

An diefem Tage? — 

„Yon meinen u — 
„Die gllerſchonſte zu 

AT das noch eine akeee * 
Die gütige Natur 

Gab bir nicht ine Schönheit nur; 

Sie gab dir Arte! 


Geſchlant iſt deiner Glieder Bau, 
Dein freyes Aug iſt himmelblau, 
Die Wange, wie die Roſ im Thau, 
Dein Hand), wie Veifchen in dent Klee, 
1187| Die Bruft, wie neugefallner Schnee; 
Dein allerfichfter Mund 
Dit Hein und rund, 
Unb deiner Wangen ſriſches Noch 
Beſchämt das junge Morgenroth! 
Rum ja! Was wird mir denn noch fehlen?“ — 
Nur nicht fo geichtwind, 
Entzüdendes Kind! 
‚Hör an, ich will dir was erzählen: 





Es war einmal in Griechenland 
Ein Meifter, weit und breit bekannt, 
Durch jene Kunſt im Erz und Stein, 
Der ſchuitzte ſich aus Elfenbein 
Ein wimderſchones Mädehen, — 
Sucinde, för wie dur, 

Und geöffer noch dazu! — 

Ein alter Dichter hats beichrieben — 
[188] Pygmalion, fo hieß der Mann — 

Und Herr Bygmalion fieng an 

Sich in das todte Mädchen zu verlieben; 

Feng an, fie voll Eitzüden 

Zu herzen und zu drücken, 

Und oft jo zärtlich angufchn, 

Als könnte fies verſtehn, 

Und immer bean zu beufen, 

Und ihr vecht viel zu fchenfen, 

Bald Blumen, bald ein buntes Band, 

Bald einen Ming an ihre Hand, 

Sie anzuffeiben, fie zu jchmüren — 

(Nicht {hniiven, wie mar ibo ſpricht; 

So ſchuüren that man damals nicht ; 

Man wußte ſich wohl jonft zu zieren!) 

Ich wollte fagen: fie zu gürten, 

Mit goldnem Gürtel fie zu girten. = - 

Er ſchmückt ihr Haar mit Myrten, 

Den Leib mit Gold und Seide, 

Die Arne mit Geichmeide, 

Der Hals mit eimer Perlenſchuur — 

O febte doch das Mädchen nur! 


1189] Sieh! plöglich warb in feinem Urne 
Die folte Säule weich und warm; 
Das Herz fieng an, fi zu bewegen, 
Der finger, fich zu regen; 
Die Hand fieng an, zu drücken, 
Die matten Augen, aufzublicken, 





im 59 


Di weiſſe Bruft, J 
Kr 


Und Here Pygmalion ward bfeih und blaß — 
Die qute Fee Venus machte das! (*) 


Sich, Heine Schönheit, fich! das Leben fehlt dir noch! — 
Wer giebt es mir, ſprichſt du, ich Bitte, ſag es doch!" — 


s [190] Find, laß mic nur noch ficbenmal, 
Um deine fhöne Bruft zu schmiden, 
Des jungen Frühlings Erftling pflüden, 
Sie wirb nicht mehr jo fühltos feyn, 
Us jene Bruft von Elfenbein! 

“© Dein Auge, — Sommer alt, 

Nicht mehr fo unberedt und kalt, 
Wird hald, auf meines Auges Fragen, 
Mir deines Herzens Antwort jagen, 
Und beine Hand, mit meiner Hand 

sw Nicht mehr jo fremb und unbekannt, 
Wirb mic, o Wolluft! o Entzücken! 
Wer ich fie deilde, wieberdriden. - + 
Dir bargereicht zum Rhſſen 
Wird fie zu jagen wifjen: 

© „Ach bin zwar jchbn ad rund, 

„Doch choner ift der Mund!“ 

Und wag ic) dann, aus Lüſternheit, 
Den jhönen Mund zu Kiffen, 
Wird fie, voll ſuſſer Grauſamteit, 

3 Den Weg zu ſperren willen. 

Dann wirft du nicht durch Schönheit wur allein 
[191] Die Königinn der jdönen Tugend; 
Dann wirft du durch Verjtand und Tugend 

in meines Herzens fen; 

© Dann wird dir Venus biefes Leben 
Der groſſen Schönen geben! 


*) Zucinbe of gerne eenmärchen, 





fr) me. 


Ueber ein Gedicht der Fran Karfmin. (H 96 


So wie zum Salomo des Sidens Königin 
So reift **** zum geoflen ** bin; 
Nur konnte fie wohl nicht mit Centnern Goldes fommen; 
Die hatte Salonio vor furzem ſelbſt genommen, 
Kaſtuer. 


) Mufenalm, 1770, ©. 157. 


[192] Ode 
au die Venus Urania. (9) 
Bertin, ben 2. Nov, 1770. 


Göttin Liebe! Dir weiht heute dein Analhon, 
Unjers Cyneas (**) Sohn, feinen vollendeten 
Tempel: Zeuch in bein Haus, Venus Urauia, 
Erjtgebohrne des Himmels, ein! 


[193] Freude hüpfe dir vor, Unſchuld begleite dich, 
Unauflbslich vereint folge dir, Urin in Arm, 

Holde Sanftnuuth und nie täufcende Wahrheit und 
Unbeftechlihe Treue nad). 


Keine reinere Hand beachte bir Weihrauch dar, 
As dein Diener und Fremd, mit ihm Arfinoe, 
Rom an Tugenden, ihm gleich an erhabnem Geiſt, 
hm am beyderley Grazien. 


Keinen heifigern Sit beut dir ein ſterblich Baar: 
Schaudernd wird ihm, ibn wird eig. die ihmeihelnde 
Aftergöttiun, nach dir fälichlich genannt, und ihr 
Unhoidinnengefolge fliehn: 

(*) Ben ber — nn hungen Orai 
fein, Äitehen — ich preußifhen Staataninifters. 
meije Far und Vertraute des Mdwigs 
Pyrr hus vun Cyneas 





9. 91 


[194] Frechheit blutlos von Stirn, Reue mit ſchlafender 
Natter, Falſchheit verlarbt, Eiferjucht immer wach, 
Und mit rajendem Dolch und mit medeiſchem 

> Becher Rad) und Verzweifelung; 


Wann der ſchädliche Trupp aus den Hejperiichen 
Myrten, oder von dir, eitles Lutetien, 
Ausgezeucht, oder den Weg aus dem Auranzien- 
Hayn der heiſſen Iberer nimmt, 


3% Durd Teutonien irrt, dort ein beglücktes Volt 
Zu verderben, daß 'noch fittfame Töchter zeugt, 
Noch, vom beiferen Blut Siegmars entiprofjene, 
Bieberherzige Söhne nährt. 


[195] Aber täglich begrüßt did) die Gerechtigkeit, 
» Die num unter uns bfeibt; dich die tiefforichende 

Weisheit, leichtes Geiprächs; did die verſchwiegene 

Freundſchaft, deinen Huldinnen gleich; 


Immer wechſelnd beſucht jede der Muſen did); 
Und zur glüdlichen Zeit eilet die helfende 
% Muttergöttinn herbey, daß fie die Lieblinge 
Deines Bufens veremwige. 


Nimm dein Heiligthum ein, Tochter des Himmels! Hier 
Sey bein erfter Altar! Wohne bey diefem Stamm, 
Bis im Jahrbuch der Welt Friedrich, der Brennen Stolz, 
40 Und am Himmel die Sonne jtirbt. 
Ramler. 


92 


1196] An eine Freundin, 
über die Wiederkunft ihres Geliebten. 
Den 2, Nov. 1764, 


D du, vor mehr als zehentaufend Frauen 
Beglüdt gewordne Gattin, wirft 
Ibt wieder froh gemacht, da Garten, Wald und Auen 
Berarmet find, tie ein vertriebner Fürſt. 


Dich Lächelten des Baumes krante Blätter, 
Mehr, als die Roſentnoſpen, an; 
Dich reizte mehr des rauhen Herbftes Wetter, 
Us je der Lenz den Schäfer reizen lann. 


[197] Des Kranichs Zug, der wilden Ente Schreyen, 
Selbſt das verſtummte Lerchenchor 
Weiſſagte dir nun wieder lange Reihen 
Bon Freuden, die dein liebend Herz verlohr. 


Des Traubenmonats graubereifter Morgen 
War dir jo lieblich, als der May, 
BVerfündigte das Ende deiner Sorgen, 

And wie fo nah bir deine Sonne fen. 


Oft ſpracheſt du mit deinem ſüſſen Kinde 
Von ſeines Vaters Wiederſehn, 
Und oft beſchworſt du die Oltoberwinde 
Ihn freundlich, wie Zephyren, anzuwehn. 


[4198] Ex fan, und ließ von feiner ernften Wange 
Zwo Thränen rollen; ſchmelzend weich 
Ward ihm das Herz, als beine Lippen fange 
An jeinen Lippen biengen, are und bleich, 


Als du ihn feſt am beinen Buſen drüdtejt, 
Un welchem feine Seele bieng, r 
Un zärtlich matt auf jene Stelle blidteft, 
Auf welcher dic) fein Arın zulept umfieng. 





10) 93 





Er küßte die verlohrne Sprade wicder 
so In deinen Honigmund; er ſank, 
Von dir umarmt, jo taumelnd, wie ein müber, 
Erquidter Wandrer, auf die Ruhebant. 


[199] Und tHeifte feiner Zärtlichkeit Liebkoſen 
Gehörig unter Dich, und bein 
3 Geliebtes Kind, dir gleichend, wie auf Roſen 
Die Tropfen Thau beym Morgenſonnenſchein 


Einander gleichen, und zwey ſchweſterliche 
Schneeweiffe Lilien, und zwey 
Bom Raphael gemalte Pinfelftriche 
© Auf einer tadellofen Schilderey. 
Karſchin. 


99 Grabſchrift eines Wucherers. 


Hier liegt ein Vöfervicht, hier liegt ein Miffethäter, 
So fpricht die Welt. Sein Schwiegerjohn 
ANein nur denkt: hier ruht die Krone aller Väter, 
Der Vater meiner Million. 


Hr. 
100 [200] Der gute Ruf. 


Cleant, dem niemand borgen will, 
Iſt auſſer ſich, beneidet den Pedrill, 
Dem froh die halbe Stadt 
Ihr Geld geliehen hat. 

5 Schnell wendet ſich das Blatt: 
Pedrill, mit Feſſeln an der Hand, 
Schreibt igt im Kerker au die Wand: 

„Glüdjeefiger Cleant! 
„Mein Unglüd ſchuf 
0 „Der gute Ruf!“ 


[Holzstock.] ke 


Verzeichnis der Gedichte. 


A Bolor?); HeinriehÜbristiun 
(Die Franzomn] . » 


— Fuuchtn Obstsen 
as. 'elme ldylio. berl 
Te 


Blum, Jonehlu Christian 
Rosalia, eine fdylle. 1770. 


© =Crome. Ludwig Gottlieb, 
Reetor zu Hildesheim 

An die kleine Lucinde. Bey 

Ahrom neunten Goburtstage 


HD. v.Doring, Johann 
‘Der kürze Procesa, eine Er- 
— on 


— au dem 
Thal) 


DasGespenn . . . 
F=Plügeo, Geh, Rog. Seoro- 
tär zu Hannover 
An oinon Mussnulmannch 
Frhy.os sv Gemmingen, 
Eberhard Priedrich 
(Ant am Mo) Den 19. Kan, 
vm 3. ner un: 
Au Priedarikenn, — 
Den 20, April 170. 


©») Oleim, Tobann Wil: 
heim Lmawıi unten, 
Peieurien Wine 
‚An sinen Dichter . = 


Die Grazten . ; 
Gonanor, Salomon 
Die Zephyren . « 


von Gerstonbarg, 
zich Wilhelm 
Bacchus und Venus 


Hotn- 


Seite 


ra 


Sämtliche edichte, 1, 
EuelicheOodishteLalyele 1770 


Sfnmulohe@eaiste.Letpalg 770 


180 Gedichte, Lelpal 1799. 8. 68. 


Knebel, Nachlass 
Vol. Küstners Werke, Berti ısit. 


‚Knebel, Naclılass %, 92, 


Knobel, Nachlass 9, 02, 


Te. 
Hiscihon Vi ieleriey. Hamburg 170, 
Vormischte Schriften. Altona, 
116. 8, 218, 








Solte 
An eine Freundin, über die 
derkunft ihres Gelteb- 
won. Den 2. Nov. 17  . 1 
Kästner, Abraham Gottheit 
‚Auf Onstav Adolphe Tod. & Vermiichte Schriften. Hand 2 


Altenburg A772 S 
An die Feinde eines unbe- 
kanatasynwollenden Krit- 


Die Toner, ein Lid 


Aut einen Kandidaten 
Au don lem Ku 
Sal Boy niner 
Surtı fingen. D.2. 
Au Leedtags Jongen Betten. 9 
— Don an 
Juli 1770 * 
Die Elster, eine Fi 
F FRE 


ü 
Eh en Ai 2 > 
er der Hruu © 


14 — hr, Chriatian Gott 
Auf die Station der Musen 


BESB 


ga REES ER 


Am Garten zu Banssonei „100 (Lie Zum 
* Ale RED 


Beyırag zu einer Sammlung x 
ereprüchen . . 00 
Löwen, Johann Fric 
Die — Hetrltnies . @ Itomanzen. Neun verbesserte Auf- 
— Leipzig IT. 8. 180, 


A DLe, Heinrich Christ 
Die Witwe, eine Romanze, 
dom Horın 
119 Nach de Ia Placo, La Matrone 
— Kuobel, Nuchlans 2, 





Be 


*a · 


Tas Past ans Dank ma er 
au — Ver 
7 ren. Peliri 


— 


Laser *} 
Zeisung Lessing, 


Metorich Obrktian 


10, Heinrich Chrintan 
ion Fround 


Pr 
Der gute Ruf . 


r 200 
Q #ötr, Johonn Nikolne 
Fall. , 2. . 


J 
* 


—* — 
sine Unena ote 
Allegro * 


gedicht 26 
Ben” 
Nach’ nem dur! m 
a wald, Wilhelm Priod- 
Hermann 
— Sucht „140 
Kaml ‚arı Wilhelm 
‚öde ‚die Geburt don Prin- 


zen Friedrich Wilhelms von 
Preussen. Berlin, d.ü8, Boy. 


ag au ie Yopus Urania, Dr. 
lin den 3, Novbr. 1770 
— "von Schantne. 


Die Sacbtigaliunddte Frösche m 
Mymno —* 


reerer P),Felsdrich vu. 


—8 
Thomson, Johan nlurion 
Dio Nachtigall. . 


Des Landieben © 
ni 


Vorfasnor üloser schönen 
Sißeke wird den melstan uaarer 


Doutache Iitteraturdonkmule. 


18 Vi 


Hamburgisehe Keue Zeikang ıres- 


Pootische Werke #8, 


Neue Zeirume, 1101. Brück 1. 
rasche Sehriften 3. 


70 Vel Vomsisuhn usenilh 13 
or, 10 —X — 


Fooret Moment 
142. 5. Der Wein 
—* 


7 Vermischte Gedichte, Horaı 


© 
ben von Karl Wilh. Ranlar. 
fanuheim 1780. &, 80. 


3,10. 
2,100. 


Knebel, Nachlass 9, 98. 


1 Foeiische Werke. 


1001, 1,0, 


cebon. 


— 


— 





Ei 


Seite 
hesar ein ganz unbekannter Mans 
slo worden alch 


und noch 
Unbeksnat nnd "unbelohnt. any 
kunn. Es ist abor nicht nalen 


‚goln, und Ter- 
inen Talenien sur 


— worlan ar es auch eben 
40 welt gebracht hat. Wir wür- 
den uns glücklich schätzen, wenn 
die Bekanntmachung dinser Go- 
dichte irgend einen Menschen- 
fround voranlanate, wolter nach 
dem Yorfasser zu fragen, desm 
— obon »0 welt übar velns 
Stand int, als seln Genie. Man 
‚bnsoh * 


hörig bearbeit 
lnom Dichtar u 


mashung sollte wuglolch eins An- 
— SD dus Fabian 


Stücke wird zelnen Entschluss be- 
stimmen. 


von Thtmmel, Harlız Au 
Das glelche Gliick der Ehe , 95 Simtliche Werke, Achter Hand 
Leipzig IND4. 18. 
An einen stolgen Horn vom 
Ad . . 
Tandgutes, bey Gelegenheit 
einer verunglückten De- 
schruitung davon 
Dur Glück der Liebe; 
Der Besuch 


Auf el Koeraien "zur 
Meichsarmee . . 


v Bürger, Gotttrind Au- 
st h 
reinklien 22.108 edlehte. Göttingen 1776, SR 





99 


Sette 
V=Ramler, Karl Wilhelm 
Auf die Vermählung_ Sr. Ex- 
(cellenz des Herrn General- 
Meutenants Freyherrn von 
‚Buddenbroock. "Berlin, im 
August 1768 . "26. Knebel, Nachlass 2, 93. 
Weisse, Christian Felix 
Finbildung und Wahrheit . 28 


X=Ramler, Karl Wilhelm 
Pisistrat, eine Erzählung an 
den Froyherrn von Budden- 
broock, boy Gelegenheit der 
Termkktung seta Vaters, 


Borlin, 18. Dec. 1799 . . 77 Knebel, Nachlass 2, 93. 
YBo18, Heinrich Christian 
An Daphnen . 8 
Veber Bplviens Bildnis”. 41 
An ein Mädchen, das in der — 
Kirche plauderte.. . . 47 Nach Montreuil 


Z=Bo1e, Heinrich Ohrlstion 
‚Gellerts Tod, eine Erzählung 8 („Ist von einem jungen Menschen, 
ber freilich nar mach der Idee; 





1. März 1771 in Knebels Nach- 
lass 2. 92) 
Der Hexametrit . .  . 48 


Ungenannte 
Nänle auf den Tod einer 
Wachtel... . 8 Ramler. Almanach der deut- 
schen Musen 1771,48. Poetische 
Werke, Berlin 1800. 1801. 1, 18. 
‚Wir haben den nı 
burgischen Zeitungen 
trefiche Stück 










habt 
ler Dichter-und 





Augen al 


unbekannter Dichter der würkliche, 


Vorfassor eins solchen Stich 
wäre, 





Auf Gellert 115 
Hochzeitlled, den '0. betd. 
a —— . 186 Remler. Hamburgischer Corre- 


'spondent 1770, Nr. 86. (Auf Gil- 
berts Hochzeit.) Almanach der 
deutschen Musen 1771, 48. Po- 
tische Werke. Berlin 1800, 1801. 





fassers In einer Hambarglschen 
Zeitung abgedruckt. Da der 





Fohlor einmal ges 
wir uns demelben nl 





hafılg, wenn wir os hier von den 
Druckfehlern und Unrichtlgkelten 
genkaben 


die es dort ontstollen, 


„eine Erzäblung „148 Lessing, Gotthold Ephraim, 
Neue Zeitung 1767, Stück 138. 
Vermischto Schriften 2, 74. 








an Sined, den Druiden der 


Bere . . „160 Kretschmann, Karl Friedrich, 
Sämtliche Werke. Leipzig: 


‚Wir hätten, vielleicht nicht 
nöthlg, den Verfasser dios 

Weichen 
sollte dor 








= 545. Nene Folge No. 4/6. 


Deutsche Litteraturdenkmale 
des ı8. und 19. Jahrhunderts 


herausgegeben von August Sauer 





FORTUNATI 
G6LÜCKSECKEL UND WUNSCHHÜTLEIN 


EIN SPIEL 


: vor 
\ ADELBERT. VON CHAMISSO 
1 

H (1806) 


bs DER HANDSCHRIFT ZUM ERSTEN MALE HERAUSGEGEBE! 


vor 


E. F. KOSSMANN 





STUTTGART 
G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG 
189 


DasRocht der Debersetzung vorbehalten. 





Druck von Carl Rombold, Heilbronn. 





w 


das Dichtisieren' durfte nicht mehr die s»0 wichtige 
Zeit (zerfetzen‘. Der unter der Presse befindliche dritte 
Jahrgang des Musenslmanachs sollte der letzte sein. 
Zu diesem Entschluss führte vor allem die Erkenntnis, 
dass die meisten seiner bisherigen Gedichte “gemacht” 
waren: "Werde ich einmal von innen heraus missen, 
wird mich ein anders gestalteter Wille ergreifen! — doch 
mögen der entschiedene Misserfolg des Almanachs und 
speziell die höhnischen Revensionen, so leicht man sie 
auch zu nehmen versuchte, diese Erkenntnis nicht wanig. 
‚gefördert haben. 

"Der Krieg scheint alle meine nächsten Hoffoungen 
sus dem Grunde Ausgerottet zu haben, ich habe gelitten, 
und ‘habe mich endlich darin gefunden, — nber mein 
redlicher Wünsch wird mir vielleicht auch nicht 'ge- 
wätirt, dass ich doeh zum Lohne ulles Hingeopferten, 
den Bohnuplatz der wildesten Wirksamkeit ‘der Krfte 
sich mir ‚eröffnen sehe, und des stürmische Gewirm des 
Krieges. Die Befürchtungen des Jünglings wollten 
sich wor allzusehr wrfüllen, Dreizehn Monate dauerto 
‚der Feldzug, erst lächerlich langweilig, dann 
zulotät achlindlich 'endigend mit «dar feigen Uebergabib 
Homelns, Nicht in neu Bahnen, aufs Peld dor Ehre, 
wurde (der Bahnsüchende (gerissen, er wurde nur mif- 
‚gehalten auf dem ihm vorschwebenden Wege; nicht mit 
‚grossen Erlebnissen durfte ‘er sein inhaltbedi 
Inueres füllen, zur Jämmerliches bot sich ihmdar, Die. 
einzige Gefahr, in die ‘ar geriet, war die elenda, all. 
Franzoso im preussisclion Hsere atundrechtlich'erschossen. 
zu werden, 

Der Anfang freilich liess sich, im Ganzen botruchtet,. 
‚so übel nicht an. In mehreren Quartieren ‚sehen wir 
ähn. seinen Homer weiterlesen und sich in ds news 
Destäment wertiefen, und auch # 

Träumereien sotzt er fort (an Now ? 
1805); ‚ja er wünscht sich den gottsaligan Böhme, um 
ihn zu ‚geniosseti, und bestellt Alschylos und Gostld 


— 








—— 


er gehe zu Grunde, Kein Vers entsteht, seine einzige 
Lektüre isb Tausend und eine Nacht, Endlich kommen 
die Freunde ihn zu besuchen, die zweite Osternacht 
besiegelt seinen Entschluss; Abschied und Universität, 
Das Abschiedsgesuch wird eingereicht. Er fühlt eich 
schon neugeboren, und schreibt sich in Adelberta 
Fabel die gewaltige innere Bewegung vom Herzen 
(8-25. April 1806). 
ber das dritte Vierteljahr brachte nen Not. First 
das en Warten auf den königlichen Bescheid 
‘wie oin armer Teufel, der auf der Firde sitzt mit 
rücklingsgebogenem Haupte und weit aufgesperrtem 
Maule, indem der Zahnbrecher hinter ihm den Zahn 
gefasst und — noch nicht ouszicht", “Herzenslange- 
weile‘ nennt: er seinen Zustand, weil ihm die Ruhe zı 
jeder Beschäftigung fehlt, Er liest Märchen, leichte 
Tiektüre, und beginnt: selbst auch ein symholisches Hr- 
lösungsmärchen in Goethe-Novalisscher Art zu schrei- 
a n dem lieben Ginslein.‘) 
Am liebsten aber st Homoln hinaus ‘von 
den Tamlours weg 2 ıchtigallen,' bald hierhin 


schied vorweigert sei, 

Aus der Betäubung rüttelte den Enttluschten 
eino Einladung nach dem bonach barten Bade Nonn- 
dorf, Dort weilten zwei jüngsterworbens Freunde im 
Apoll, Boiträger zum 
durch einen Besuch im 


* 
hinüber, und wundoffen wie selne 8 
aufs heftigeto errogt durch ‚das Aussp 


strebe 








VEIT 


lor er den Boden unter den Füssen. Ein äusserlicher 
Umstand kam zu Hilfe: Von Mitte August bis Anfang 
Oktober nötigte ihn ein Fussleiden, das Zimmer zu 
hüten. In Zeit einer unverhoflten Muse kam 
‚dem Unschlüssigen das Volksbuch von Fortunatns 
su Gesichte,‘) und er besohloss, seine Kräfte an diesem 
Stoffe zu versuchen, und zwar nach dem Muster von 
Tiecks Oktavian. Weder der Stofl noch das Muster 
sind wufillig, ist es doch die Zeit der romantisch-er- 
neuerten Volksbücher und -mürchen, und war doch fir 
die dramatisierten der Oktavian das unbestrittene Muster, 
Es sei nur an Oehlonschläger erinnert, der gerade in 
derselben Zeit mit dom Manuskripte seines vardsutsch- 
ten Alnddin Deutschland bereiste, und in der deutschen 
Vorrede zu diesem Werke das Vorhältnis der einge- 
sohlagenen Richtung zu Tieck litterarhistorisch festzu- 
‚stellen sucht.‘) Dass in aeln nicht einmal ein Ok- 
tavlan aufzutreiben ist, scheint Ohamisso ein Charak- 
der er sich befindet, 


‚hhütlein! in awei selb- 
Fortunats und die seiner 
alle Bearbeiter sich von 





Fr 
= 
9 





— 


und „märchen zur Genüge beweisen,') Und gerade 
Agrippina ist sicherlich viel weniger Chamissos Lieb- 
lingsfigur als die Quelle aeiner Leiden gowasen, 
“Agrippina hat mir am meisten Kummer gemacht‘, 
schreibt er gegen Ends der Arbeit, und drei Monate 
nach dem Abbruch derselben (Walzel agt unrichtig „ala 
der Plan beinaheschon aufgogoben war)schenwirihnnsch 
Zügen aus dem Leben für seine Agrippina spähen. 
Der Grund liogt auf der Hand: der Dichter sah hier 
die Grenze seiner Kraft. Eine solche Prinzessin Urraca‘) 
aus der Erzöhlung zu dramatischer Sinnlichkeit zu ber 
leben, ist eine ganz andere Aufgabe, als die Rolle des. 
Helden mit schöneu Rednorblumen zu umkrünzen. Und 
von Cörds sollen gar die Farben zum Bilde genommen 
sein, von Obrds, mit der seine Korrespondenz eben “die 
höchste Wichtigkeit’ für ihn bekam (Brief vom 7. Sep- 
tomber)! Gerade als er an den Fortunat ging, muss 
ja jener wunderliche Brief von Cör&s angelangt sein, 
der ihn veranlasste, ihr seinen treuberzigen Heirate- 
untrag zuzuschieken. ‘Ta commais In simplieits de mas 
goüte, In fortuno no — 6 tenter, uno chaumidre, 
une bibliotaque et 
[mon] bonheur, 
während er a 
“trouvons ia chaum; 
Und sis sollte ihm nls 

Freitag den 22, 
Srischweg den ( ersten Din, 
sich im klaren zu Bei 
bauen solle. 
nicht gebnnet, 


#ı Briefe von — un w. Aus dem N 
2100 MM, 





li = 
a 





Hoftnungen e 
was ioh ahnden kaun, sehr demütigend 
me ich mich damum, nicht zu tor 
köstlichen Besita der schöpferi 
zieht tbun, bleibt mir doch, die nichts. mis 
kann, die empfangende, und alko wenne ich 
au noch einen Dichter, Lust und Schmore 
anühungen selbst haben sich selber reich helohnt.. „ ei 
dickes Buch; wird @s wahrlich oder nichts’. 
Wochen später (28. September) begleitete er die ante, 
Fortunataendung mit einigen Worten, dio ausser dem 
un über den ueugefornlen Plan des Werkes 


Bett 


seien 
yarskr 


*) in Aloxundrinarn rodot de 
sich dahar dnr witzige 





Stunden der Nacht, die ich dem Schlafe abborge, kann 
ich zu meiner Feder kommen’, ‘*Hunde-Arbeit muss ich 
zollen, und darf fast nur für die Zeit des Schlafos 
'heimkommen — zu, rag od nark aan‘. Am 21. No- 
vember fiel Hameln, Unterdessen hatte der Sturm auch 
die Freunde ergriffen, die Universität Halle war aufe 
gehoben worden, sie stoben flichend auseinander, Cha- 
misso ailte, sowia ar seinen Pass hatte, direkt nach Frank- 
reich; durch seinen Diener Bondel lioss or abor, was seit 
‚der erston Sendung am Fortunat gearbeitet war, un Varn- 
hagen besorgen. “Da ich nun ganz vereinzelt bin‘, schreibt 
ar diesem noch auf der Reise (3, Dezember), ist e— 
mir wichtig, ein gründliches Wort darüberzu vornehmen; 
ich werde vielleicht dort auf dem Land» Zeiten haben, 
‚da ich daran wacker arbeiten können werde." Ob Varn- 
hagen diese Sendung erhalten hat, ist: nicht, bekannt, 
kein einziges, den Forkunab betreffondes Zeugnis von 


ähm ist aufaufinden, Es sieht aus, als hätten Unter- 





il ee je nachdem Een mir 
Aber Deine Aakuntt Nachricht geben wirst, Ich habe 
‚auch sehr viel darüber nachgedacht, und guter Rath 
ist hier also nichb iheuer. Schlegel lässt dich fround- 
lieh grüssen und höchlich Dich und Dein schönes Ta- 
Jent ermuntern. Br hofft, durch mich bald von Dir 


Bo blieb das Werk liegen, unvoll 
auch unvergessen; unvergessen vom Die 





allem uuvergessen von einigen Freunden, (die #3 kennen 
gelernt, Für ersteres zeugt, dns Uhland, ale er im 
Frühling 1810 Chamisso in Paris kennen lernte, ‘den 
Fortanat zu lesen bekam; für letzteres, daas eben dieser 
Uhlund infolge dieser Lektüre Chomisso für einem 
Dichter hielt, der dem Musenälmannche seines Freundes. 
Kerner besondre Ehre mache, “Wie sehr würde es 
mich freuen, wem ich ihn [Kerner] — 
von Ihren überraschen könnte, was Sie gerade haben, 

‚etwa Einiges aus Ihrem trefllichen Fortauat, denn aus 
dem Findrucke, der mir geblieben, weiss ich, dass 
‚schon die Fragmente dieses Codichtos nich lebendig genug 
sprechen’ (Uhland an Ohamisso, 93. Dezember 

Und noch ein Andrer, den Ohamisso den Paten soimes 
Vortanat genannt (28. September 1806), Fongus, ‚der dan 
Manuskript, d. h. vermutlich die Abschrift während Oha- 
‚mirsos ersten Anfenthaltes in Frankreich in 

'hatto (vgl. Chomissos Brief, November 1807), behieltdaszo 
Yrisch begormene Werk lieb undschüttelte den Kopf, alsor 
sah, wie Ohamisso seinen Andolosin liogen liess, ıım sich. 
bei Fra von Staäl mit der Rolle eines Webersetzens 
and zweiten Liebhabers zu 'begnügen oder um sich in 
der Uebersetzung Französischer Tageskustspielo zu g0- 
allen, Er schreibt ihm am 28. Januar 1809: Indem ich 
‚gestern Abımd (die Feder miederlegte, umd mich der 
Naokiklang des Dichtens lieblich durchbebte, amd (die 
Gestulten der künftigen Composizion vor mir anf und. 
niederwogten, ergrift es mich plötzlich, wie es möglich 
‚sei, dass Du nun schen seit.:so langer Zeit michta go-⸗ 
dichtet habest, Du, der die Fülle dieser stillen Beelig- 
keit aus Bridbrung kennst. Ich bitte Dich herzlich, 
nein lieber — +timme (lie Leier wieder, und ainge 
dus wackre, krüftige Lied von Fortunatus weiter. Zwar. 
wird ‚or Dir nun wohl ein ernstes ‘Gesicht machen, 
unch der Iangen Eutfernung, aber ruf nnr Deine 

innre Liebe auf und Du wirst ihn Dir schon wieder 
‚zum beitern Gelährben ‚gewinnen’ (ungedruckt), und am 








Xu 


deckte. Das saubre, oigenhändige Manuskript hat er 
‚aber trenlich unter seinen Papieren bewahrt. Der Güte 
sainos jüngsten Sohnes, meines unvergesslichen Freundes 
Hermann von Chamissc, sowie der Liberalität des 
jetzigen Hüters des Nuchlussos ist diew erste Publi- 
kation zu danken. 


I. Analyse des Werkes. 


T, Ohamissos Stück hebt an mit dem Gespräche 
#wischen Fortunats Söhnen Ampedo und Andolosin, 
welches zur Teilang der beiden ererbten Schätze führt, 
(in der Simrockschen Ausgabe des Volksbuches 8, 152). 
Bald wörtlich der Vorlage folgend (so 11, 80 f., ja 
sogar 49), bald weiterausführend, arbeitet der in Blank- 
versan geschriebene Dialog die heiden entgegengesetztem 
Charaktore möglichst heraus, Diesem Zwecke wird 
geschickt ein Teil der Vorfabel nutzbar gemacht, in- 
dem joder der Brüder Erlebnisse des Vaters zur Bo- 
gründung seiner Tebensansieht anführt. Was der 
Diehter so aus den früheren Teilen des Volksbuches 
einflicht, die Brwerbung des Seckels, die Wahl zwischen 
Reichtum und Weisheit, die bostandenen Gufahren, wird 
jedoch mr ohenhin angedeutet. 

U. Mit dem Hinzutreten des Probstes erhält das 
Gespräch eine frei erfundene Fortsetzung, welche angen- 
soheinlich dio Exposition durch Realien aus dom Volka- 
buche kriftigen soll. Der Probst selbst ist aus den 
Angaben des Volkabuch eschöpft, wonach For- 
tunat nnch seiner ersten Rückkehr unter anderm eins 
Probstei stiftete (Simtock S, 118), Vers 11 Medusa ist 
aus dem Einde des Volksbuch imrock $, 200) har= 
ühergenommen, Vora 47 l,organub Zum Rogenbogen 


>) "Ich werde geln In fremde Land’ oto, Diese aus einem Driefo 
‚Chnimissos bekannte, und in Kochx Ausgabe unter die Fortunnkfragt- 


‚verleitet, das Worspfel' beimndie Forkumuts Abenteuer, Unvorsichtig 
genug wendet er sich dnbet gegen Palın, dom doch dus Stick vorlag, 








Volksbuch einer der Mörder Andolosiae, aber erst vor 
der Katastrophe selbst erwähnt (Simrock 8. 201), er- 
hält hier in der Bevorzugung Andolosias und in dem 
spöttischen Wort des Prinzen einen Grund zu Neid und 
Hass gegen den Helden. 

IV. Abfahrt, Deu eigentlichen Abschied ‘Gut 
Abenteuer geb euch Gott, Herr Ritter’ (Vers 29) umspielt 
ein Wechselgesang von sieben vierzeiligen Strophen 
(4füssige Trochien Reim a” ba° b), in welchem das Leben 
und die Gefahren der sich Hinauswagenden denen der 
Zurückbleibenden gegenübergestellt werden, Man be- 
merkt, dass in der fünften Strophe 1d x00 z6Aov drigav als 
Hort. der Wandrer aus dem Leben des Dichters in die 
Dichtung hinübertritt. An diese Strophen schliesst sich, 
eine Art Epodos, eine zwölfzeilige Doppelassonunz 
(eieo: ar), in welcher das Grundmotiv alles irdischen 
Strebens echt romantisch angeschlugen wird.‘) Hesekiet 
(Hempel 1, 448) hat das Gedicht dunkel gensnnt, doch 


das kann höchstens noch für einen einzelnen sprach- 


lichen Ausdruck zugegeben werden, wenn man den Zu- 
22 u. ö,) in Botracht zieht, zu- 
er den Fortunat hinausschaut, 


Kammengotamst! 
— Redaktion 1885, 

rechtfertigen diese Talluny, und ———— Aesonanz. wider- 
strebt dnreniten durchune. 








‚Gespräch derselben beiden Ritter mit einem frunzösi- 
schen Waffeugenossen vsponiort (36—61). Andolosie 
zeigt sich beschsiden in seinem Glück und erwirbt sieh 
durch seine ritterlicho Tugend und Grossmut in dem 
besiegten Gegner Rinaldo einen jungen Bewunderer und 
Bruderfround (dieser Rinaldo ist dem "Theodor ebonso 
‚gegenüibergestellt wie in III. der Prinz dem Lymosiz 
welche Rollo diesen — frei erfundenen — Freunden im 
Stück bestimmt war, ist uabekaunt). Sein Inneres stuft 
jedoch sein Kuasores Siogesglück Lügen, soi ar, dass or 
wur, wegen seiner Geburt, an Agrippinens Gegenliebe 
vorzwoifelt (91 #), sei os, dass ar fühlt, dass hier sein 
Lebensgsschick auf ihn lauro (106 #.). 

VI Thronsal, Die Pracht des Hoflestos stellt 
sich in romnutischem Versfeuerwerk dur. In dem kou- 
ventionell gehaltenen Kedeturnier treten die Einzel- 
charaktere nicht nur zurück, sie sind vielmehr 
hoben, nur König und Narr (Prosn) heben sich von 
den andern ab, und zwar wird durch sie ein Schein 
von romantischer Ironie über das Ganze geworfen, 

1) dankt den Rittern für ihre 


n nur scheinbar seien diese Feste 

‚orbei und die Thateu der Ritter verklungenz 

wie alles in der Welt sie Samonkörner der Zeitz 
die um Tege der Erfüllung England Frucht tragen 


märchen 

reimt) weist diesen z Di 

die hier geschehen, seien der notwendigen 
Asusssrungen der thatbedürftigen Mannestugend; wenn 
in der Zukunft Gutes daraus enispriesse, s0 sei nichb 
ihnen, den unbewusst Handelnden, sondern Gott für 
dessen wunderbare Pügung zu dnuken, Sie dagegen 
seien England zu Dank verpflichtet, weil es ihnen 
diese festliche Gelegenheit zur Kraftentfaltung gegeben 





XIII 


habe (41-54). Im Namen der Frauen, zu deren 
Ruhm gekämpft wurde, erstattet die Königin (Stanze) 
den Kampfeslohn: der Frauen Dank (55—62). Doch 
Theodorus (Stanze) weist auch dieses zurück; nicht 
um Lohn, nur zum Ruhme der Frauen hätten sie ge- 
kämpft, dagegen nähmen sie ihn gerne als köstliches 
Geschenk an (63—70). Agrippina schildert als 
die treibende Kraft aller Feste und ihren eigentlichen 
Reiz: die Wechselwirkung der Geschlechter; und be- 
zeichnet den Rittern als der Mühe Lohn: das Andenken 
an diese schönen Stunden (71—102; die künstliche 
Strophe ist die der Leslia in Tiecks Octavian, Ausgabe 
1804, 8. 395, und ist von dort entlehnt). Den ersten 
Teil von Agrippinens Weise nachahmend, nehmen die 
Ritter diesen Lohn an, indem sie ihr Gedenken auf 
Agrippinens Schönheit beziehen, der fränkische Ritter 
nur als Franenkenner, Rinaldo resigniert, Andolosia im 
Liebeskampf (103-116). Der Narr fällt höhnisch in 
die Melodie ein, und der König sagt in zwei platten 
Alexandrinern alles, was eigentlich zu sagen war. 
VII. Agrippinens männergefährlicher Charakter 
stellt sich in besondrer Scene und künstlicher Form 
(Decarimen’) anfangs monologisch, dann dialogisch (mit 
der Amme) dar. Anknüpfend an das eben Erlebte er- 
scheint ihr das ganze Leben als ein Kampfspiel zwischen 
den natürlichen Feinden Weib und Mann, der List 
und der Stärke — und die Frau bleibt Siegerin 
(21-40). Den unterliegenden Mann aber hat die 
Natur so gut zum Spiel der Frau bestimmt als die 
Fliege zu dem der Spinne (1 f.) oder den gefangenen 
Vogel zu dem des Vogelstellers (11 ff.). Der Hybris 
stellt sich in der Amme die Warnerin gegenüber, 
deren — jetzt verhöhnte — Worte auf den drohenden 





') Chamissos erster Versuch in Dezimen ist wohl die derbe Ant. 
wort über Merkel’ aus dem Dezember 1805, die in dem Brief vom 
17. Februar 1908-erwähnt wird. 


Schicksnlswochsel, ja vielleicht auf den tragischen Aus- 
geng weisen. Denn der dem Volksbuch fremde Ernst 
der Amme an dieser Stelle kann seinen Grund in der 
Aenderung des Planes haben, zu der sich der Dichter 
erst in der’ zweiten Hälfte seiner Arbeit entschloss (er 
teilt sie am 28. September den Freunden mit; unsre 

Scans ist kurz vor dem 22. September gediehtet): Unter- 
Kang aller Boteiligten. 

VII. Des Königs Neugier und der Plan 
(Alexandriner, vermutlich um in den aocontuierten 
Reimen das Königs Tiippischkeit zu malen; vgl. oben 
8. XII Anm, 2 und den Schluss von VL; das Seonar fehlt, 
weil die Scone sich direkt an VIT anschliesst). Als Mo- 
mont ist dom Volksbuch eutsprochend die erste Ueber- 
raschung über das beim Zimtfeuer gekochte Mahl ge- 
wählt, Während dort jedoch des Königs Neugier sich 
gleich an die richtige (Quelle wendet (Simrock, 8. 100), 
fügt Chamisso orst en königlichen Rat ein, der, wie 

mt, ra blos ist — dann 
rn zwar" (vgl, V 48) an 


u 
"ou des Königs, die Geld- 
sinom Brunnen, und 

jeld zu schöpfen wäre, 

ut Chamisso kaum 








dass mit diesem Liede Agrippina Andolosia am achick- 
saligen Tage selber in die verderbliobe Ruhe ein- 
wiege (28. Septsmber 1806), beweist, dass es seine 
Stelle in einer grösseren Scene finden sollte. Die (min» 
lestens eine Woche früher gedichtete) Soene IX mag 
ihn haben zaudern lassen, sich augenblicklich schon 
weiter zu wagen in der Darstellung des Kampfes von 
sinnlichen Ungestüm mit der kalten List; sicher fühlte 
er den Mangel an Erfahrung (s. oben), vielleicht anch 
den des Gesichtspunktes, der ein postisches Bild dieser 
Scenen möglich macht; denn das Volksbuch berichtet, 
dass sie ‘gar zärtlich mit einander redeten' und Agrippina 
“ihm der zirtlichen Trünke einen nach dem andern 
brachte. (Trefllich bei Decker LI, 2: “And whilst 
my fingers wantoned with his hair.) 

Die Anrogung zu diesem Gedichte gab vermutlich 
Ta Fontaines Te cochet, le chat et la sonricenn,' Hier 
ist der Edelmansjüngling, welcher von der Schönheit 
einer Katze eingenommen ist, gegeben. Diese Ver- 


mutung wird noch gestützt durch die französische Ueber- 
setzung, welche sich vi amissos Hund unter dessen 
ii Dass die französische 


gelnufsn, so none 
tuines Lo chatt 
Falls erinnert, dies 
‚ot dölicate.' A = 
Auch die folgende Scene, in welcher die künig- 





XXVII 


‚Selbsteinladung des Königs, deren alberne Motivierung 
‚aber weggelassen ist, Die zehn Pfonnige, die Ando- 
Aosig — entgegen dem Volksbuch — in dem falschen 
Sockel findet, hat Aygrippina aus leichteinnigem Ueber- 
nut’ in denselben gelegt (Chamisso an Varahngen, 
28. Soptember 1806*). 

15—54: Andolosius Monolog (Trimeter, die 
Fünfmal in eine iombische Dipodie ausklingen). Die 
einzige Betrachtung Andolosius im Volksbuch, wonach 
das Unglück sich als Strafe für das übertretene väter- 
liche Gebot darstellt, hat Chamisso an dieser Stelle 
‚nicht benutzt (vgl. XIV); esscheint, dass or Agrippinens 
Treubruch nicht durch die Schuld Andolosins habe 
schwächen wollen. Dieser ist entsprechend seiner ro- 
mantischenystischen Liebosuuflussung (vgl. IX) nicht 
nur um sein Gold und don Liebesgenuss betrogen, son- 
dern um sein Tch und dessen Welt. Auf deu Trümmern 
eeines Glücks wendet er den Blick zurück, zu über- 
schauen, wie es so hat kommen können, und findet 


einen To; s gorado seine Reinheit war, 
welche der Teufl , die er für einen Eugel 
gehalten, die Wufl d gogeben; ja or über- 
windet den srlichen ‚ indem er sich in eine 
zein ethische Sphär. bis ihn der Godanko an 
den mitbernubten Bı Kumpf um das Ver 


r. Der erste Schritt 





j Ampedoe, oin Preis. 
fe Schon viel früher rechnete Ohn- 
„untürlich zum Brode“ (Briei vom 


XIV, Palast zu Fomaguata. Die Brüder 
unterhalten sich (1—40) über das Unglück ziemlich 
mit den Worten des Volksbuches, wobei nur auflällt, 
dass Ampedo, Vers 16 fl, seinen Bruder wie in der Vor- 
lage tröetot, während der Verswoillungsausbruch Ando- 
lasias weggelassen ist, der sowohl bei Simrock, als in den 
ei md — Volksbüchern die Vor- 
anlassung ‚giebt. Vermutlich fehlte dieser al u 
Ubaminsos Vorlage, wis er auch in der Reatlinger. = 
fehlt. Ferner bemerkt man, dass Andolosin (6 
Volksbuche dio Verlotzung dos väterlichen Geb 
Grund seines Unglücks angiebt, während ii x 

‚Ikabue) 


wünscht sich gleich much 
lianten), während ı 
Decker) Genua nennen, uns 





Venedig nur nebenher erwähnen, Finen witzigen Ab- 
schluss erfindet sich Chamisso in den Schlusszeilen, in 
welchen der bedächtige Ampedo sich ala wahrer Raucher- 
philosoph zeigt. 

XV. Gewölbe der Edelsteine zu Venedig, 
nach der Hächtigen Erzihlang im Volksbuch (Simrook, 
8. 170). Die einleitenden Worte dienen nur duzu, die 
Kostbarkeit der Juwelen anschaulich zu machen. Eins 
heitre Abrunduug erhält die Scene dadurch, dass sich 
der böse Handel ale Erfüllung einer leichtsinuig aus- 
gesprochenen Verwünschung (#, 39) darstellt, 

Andolosins Ankunft in London, die ‚Inwaliers- 
komödis bis zum Zauberwort ‘In cine (wilde) Wüste! 
(Simrock, 8. 172) hat, der Dichter noch offen gelassen. 
Aus der folgeuden Scene, sowie aus dem Briefe vom 
28. September 1806 erhellt, dass Andolosla sich auch 
noch taub stellen sollte; und aus domaelben Briefe orsicht 
man, dass Chamissos Vorlage ihn “Edelgesteiner" nennt, 
also, wie der Rentlinger Druck, zur Frankfurter Text- 
familie gehört (Harıns, die deutschen Fortunatusdramen, 


Apfolbäume i in die Soono gestellt werden, wird zwischen 
IX. die Einheit des Ortes 
'£, die auch Tieok vorge- 
nommen —* — Der Dinlog hält sieh bis. zum Ver- 
schwinden Agrippinas an die Vorl 


Istzte Torzine, welche 
Glücksrades die Rede trinmphierend beschliessen sollte, 
in wieder verschobener Bedeutung von dem Souffleur 





en weil der arme Held 


Sy De Fra, a hedelonin hierauf nach 

‚austeilt, sowie der Wunsch, sich und seinen 

en ee an 173 £), ist — 
a⸗onioroudon Trimetei 


1806 dass or ale diabolischer Hohn über 
die Euttäuschung aufzufassen ist; Wie der Mür- 
— ‚vermieint die 


ZLiebe-Gänsloin-Insul orreicht zu 


 eafen, ob — die verlorne Mühe Funde 
wer sie hätte®,") — Es scheint mir sicher, 
Dichter dieser höhnende Ruf so gut gefiel, dass er 





XXXH 


Als der Dichter später die sich auschliessende Ere- 
itenscone iu Angrif® nahm, und das Lied (XVII), 
noch nicht aber die Scone selbst (XIX) gedichtat hatte, 
fügte er einige Vebergungszeilen bei (106— 111): 
Trefflich in dem angeschlagenen Ton der Selbstironie 
verharrend, summt sich Andolosia mit dem Refrain seiner 
Delilaliedes in den Schlaf, Dagegen entsprechen die 
jauchzenden Worte, mit denen er infolge des Eremiten- 
liedes erwacht, besser dem Monologe des Volksbuchen 
als dem Ohamissos, der eine solche Sehnsucht nach 
Monschen kaum flüchtig andentet (65) oder solbst ironisch 
wendet (98 f.); diese Zeilen sind übrigens merkwürdig 
als Vorhall einiger berühmter Vorse im Salas y Gomez, 

XVII. Das Klausnerlied (vier siebenzeilige 
Strophen, dreifüssigo Inmbon mit willkürlich. doppelter 
Senkung, Rein u bab), dus äusserlich au einen Vers in 
Andolosias Monolog ankaüpft (XVI 90), soll im Kon- 
trast zu Andolosias rein irdischen Lebenskimpfen den 

ssero Zufriedenheit dos vom Irdi- 


ebenso gut einmal aus lem gegeben wie den 
Wechselgesung und die Katzennatur, — 

ZIX. Das Gespräch zwischen Andolosia 
und dom Eremiten folgt genau, öfters wörtlich dem 





EXIT 


Volksbuche; nur kleine ironische Wendungen sind bei- 
und dem armen Waldbrader ist auch noch seine 
‚nommen, er wohnt unter freiem Himmel, 
Teommschlichte Erklärung der Wunder- 

bäume ist in eine Stanze gegossen (die mit einem Hieh 
auf allen Rationalismus beginnt), und nach Andolosias 
frisch vorgetragener Ditte um die andern Acpfel, kri- 
stallisiert sich das gunze Gespräch in dieser Strophen- 
form. Erst antwortet in vier Strophen der Eremit: 
Den schönen Gedanken der ersten (75 fi.) hut dor 
Dichter der Vorlage entnommen, und nur mil Gewalt- 
thätigkeit iet os ihm gelungen, ihn in die Form zu 
zwängen; aber in don folgenden, welche die warnende 
des Eremiten enthalten, schöpft er frei aus 

der eigenen Brust hinzu: Das Ideal, das der Eremit 
den im Trdischen Befangenen hinstellt, dia Freiheit, *mit- 
wollend ruhig, klar des Schöpfers Willen’ ist der Mittel- 
‚punkt seiner eigenen damaligen Lebensauffnssung, das 
ZINGEAEIN aus Adelberts Fabel, Und wenn er Ando- 


losin zum Kampfe gegen dns *Ungetüm’, das teitle 
Preiben, welches das Licht beleidigt’ aufruft, lüsst 

an die allegorischen Weberinnen in demsalben Mil 
erinnora, von welchen die innere Selbatmacht d. 

giebt und die änssera Weltmacht finstern Wie 
bietet. — In Andolosias Antwort, welche 


ochten: Tch Icbe nur so — ich 
wenn mir Erreichung gegönnt i 

Treiben’ verblasst, ich dumpf ersterben mı 

Betonung, die diese Worte durch die ‚Folgen: 

erhalten, sowie die noch deutlicheren | 

die Vermutung, dass Chamisso seine 

That. im Prübsinn enden zu lassen“ 


*) Veranlassung zu einor solchen Idoo I 
kanns den gemütskranken Buchhändler 
Gutien der vielgellobten Sophie Sander nun hutte ein 
Deutsche Litternturdenkmale Nr, 64/85. 





XX 


Der Abschied vom Eremiten beschliesst diese Soenej 
die Beschreibung des Weges nach London ist: wegge- 
lassen, sie war vielleicht einer eiguen Soene vorbehalten, 
Der ganze zweite Londoner Aufenthalt Andolosias, mit 
den boiden Verkleidungen ala Apfelkrämer und als 
Doktor, fat nieht ausgeführt (Simrock 8. 177187). 

XX. Das Godicht setzt wie in XVI mit der Ver- 
wandlung der Scene wieder ein, Den wilden wüsten 
Wald hat dieses Mal der moderne Dichter an dus 
Meeresufer verlegt. Das Gesprich bewegt sich in vier- 
düssigen Trochäen mit u-Assonanz in den geraden Versen, 
— Die lange Ansprache Andolosis an Agrippina 
(Simrock, 8, 188) ib mit den aus dem Zusammenhang 
notwendig. gewordenen Aendernngen (besonders 52 fl. 
entsprechend XLI 12 £. gegen das Volksbuch) wieder- 
gegeben, mehrfnch unterbrochen von kurzen Ansitzen 
Agrippinas. Agrippinens schwerfällige Bitte um Ver- 
gebuug (Simrock 8. 188 1.) ist in einen kurzen Augstruf 
vorändort, über deu hinwog Andolosia wieder dio ganze 
Bedeutung des Vertranensbruches für sein Teben in 
Worton erschöpft (entsprechend IX 15 #.) und darch 
Verachtung ihre Verzweiflung schürt (61—#0); auch die 
folgende Antwort Andolosias (Simrock 8. 189) ist er- 
weitert durch den erneuten Hinweis auf den Für beide 
tragischen Ausgang (99—104), Im Folgenden ist der 
Anschluss au dus Volksbuch genauer, nur dass gegen 
Ende die Dialogisierung lebhafter wird, 

XXI. Auch in der sich anschliessenden Verhand- 
lung vor dem Frauenkloster folgt der Dichter dem 
Volksbuche Schritt vor Schritt, er steigert aber hier 
mehr als irgend sonst die naive Darstellung desselben. 
‚Feierliche Trimeter, die orrige Diktion noch 
beschwert am Schluss tige anapästische 


kurs zuvor in Pyrmont aufgesucht, weil dor Kranke in don 'orsckrock- 
licbsten Zustand surlickgesunken' war (Briof vom 27.138. Juli, 0. August 
1806, vel. Z. Werner un Ubemieso, 14. Februar /urnhagen, Denk- 
würdigielton® 4, 428, Dorow Denkschriften und 





XERV 


ausmündend in einen Binmesser, bilden die 
‚Form für die wahrhaft pathetisch aufgefassto 
Ba Gleich der Beginn greift weit hinüber ins all- 
‚gemein Menschlich-Pragische, später in der Schilderung, 
‚der das Kloster umgebenden Natur schwelgt der Dichter 
im Gigantischen, von Bildern und Gedanken ist übernll 
die Sprache achior überaättigt, ja, in den letzten Worten 
‚Agrippinas schiehen sich die Bilder für ein und die. 
'ahrheit in- und übereinander, Es ist freilich 
auch die Hauptwahrheit des Stückes, die den Dichter 
0 mit sich fortriss: Die Warnung der Amme (VII 41, 
61 ff.) ist Wahrheit geworden, der Webermut: ist zu 
Full gekommen, und der unorbittliche Zusammenhang 
alles Trdischen, auf den der Kanzler (VI 25 7) leise 
wien, hat sich ihr entachleiert, 

Diree Annpliste sind dns Letate, was Chamisso un 
seinem Fortunst dichtote, sio sind nicht mitgesählt bei 
der Versberechnung, die aın 22. Oktober abschloss. Das 
Stück bricht bier ab; wie os weitergeführt worden 
sollte, ist unbekannt, Nur das Eine berichtet der 
Dichter don Freunden: Ein völliger Untergang be- 
‚schliesst, Agrippinn geht um Ende mit zu Grund, und 
selbst das königliche Haus in Cypern. Auch Ar 
Tosias Schicksal sollte sich, so scheint es nach de 
deutungen im Stücke, andere vollziehen als. im 


gierig gestürzt hatte, sind durch den — 
da er aber als Werkzeug der Nomeris v 
loben muss, zeigt eich der Zusammen! 
dem er seine wahrhuft tragische Auf; 
in Geistesumnachtung sollte sich vielleicht 
scher Tod äussern; für den körperlichen sorgten wohl 
die Feinde wie im Volksbuche. 

Die unvollendete, zurückgelegle 


gehend zu würdigen, iet hier nirht | 
wird gerne einen neuon Blic) thun in die Werkstatt 


— 





Be 


der jüngeren Romantiker,*), in das Dichten und Trachten 
des Nordsternbundes; vor allem erwünscht aber mag 
erscheinen, dass dieser Versuch an dem Jugendringen 
einer #0 merkwürdigen und scharfen Dichterindividun- 
lität, wie Chnmisso ist, lebendiger und erfrenlicher An- 
toil zu nohmen gestattet als die bisher bekannten Ge- 
dichte seiner Strabezeit' (Hempel 1, 458—494). Man 
wird Fonqus beistimmen, dass er hier “Eigenes aus 
treuer, tiefer Brust! gedichtel hat, und duss die deutsche 
'racho sich im allgemeinen ‘mit Freudigkeit seinem 
kühnen Wollen’ fügt (s. oben 8. XVIT). Gerade 
dieser Kampf mit der Sprache ist gewiss eine der hor- 
vorstechendsten Eigenheiten wie des Mannes überhaupt 
— denn erstreckte orst im Tode die Watſon — so auch 
dieser seiner Arbeit. In Faust und Fortunnt ist den 
Nachlebendon jener eigentümliche Reiz lebendig or- 
hulten, den schon der Zwanzigjährige auf seine Freunde 
ausübte: ‘Am meisten aber und sichtbarsten kämpfte 
er mit der Sprache, die er unter gewaltigen Anstren- 
gungen mit einer Art von Meisterschaft und Goläufigkeit 
vndebrechte.” (Varnhagen, Denkwürdigkeiten* 1, 284). 


") Ks ist bedanerlich, dass die Vorarbeiten fehlen, um ohne um- 
fassondo eigene Untersuchungen den Jünger un seinen Meistern zu 
messen; an 3. Steiners ‘Ludwig Tieck und die Volksblicher" (Berlin 
1899) kann man sich nlcht lohnen, da or nur den klofnsten und nicht 

Teil meiner Aufgabe behandelt, 





Inhalt. 


Sette 
Einleitung . . » Di seo. .IH 


I. Die Entstehung von Chamiseos Fortunat . . II 
I. Analyse des Werks . 2. ..... . . RVIH 
Fortunati Glückseckel und Wunschhütlein, ein Spiel 
von Adelbert von Chamisso (1806) I-XXI . . 1 
Anhang: Chamissos französische Uebersetzung des Ge- 
dichtes „Katz 64 
Anmerkungen ........ · · · · . 66 
— 2 22220 68 


— — 





FORTUNATI 


6LÜCKSECKEL UND WUNSCHHÜTLEIN 


EIN SPIEL 


ADELBERT VON CHAMISSO 








Wrochtvolles Zimmer ine Palafte Fortunati zu Famagufia) 
(Ampedo. Andolojia.) 


Andolojia, Es ift feit unfers Herren Baters Tod 
ae Trauer Jahr verftrichen, und den Zoll 
Der Thränen, in der Wohnung engem Raum 
— haben wir ihm dargebracht, 
Wie frommen ſtindern es bie Pilicht aebeut. 
hm warb die Ehre, Die den Todten ziemt. 
Zah Bruder nun der Trauer uns vergeijen, 
Des Lebens und bes Muhmes uns genen, 
Sur fremde Lande ziehen, und das tüc 
Berfuchen, das ihm günftig war ı 
Ampedo. er wandern will, der war 
Nach Ehren nicht und Ruhm ein 


—— Es iſt nicht ruhmlich, 
= wartbegabten Jugend !hateı 
trägen Schlafes Wente zu de 





4 Abelbert von Epaniffe. 


Andolofia. Mir ſcheint Hemuf mır Kampfes Ehrenpreis, 
Ampebo, Nur in der Ruhe Schatten blüht er mir. 
Andolofia. Es ſchuf mich andern Sinnes die Natur. 
Ampedo. Drum geeifft du mich umfonft mit Worten an. d 
Andolofia. Mich reizt die Melt, die offen vor mir Liegt; 

Sie zu erſchauen treibet mich das Herz, 

Die Kraft begehrt in fremder Sräfte Streit, 

Mit Lich! und Haß eingreifend, fih zu milden, 

Dem nur in Kampfes Mitten reift der Mann, 

Und laſeſt du nicht, Bruder, jene Schrift, 

Wo in des Alters Tage umfer Vater, 

Sein Herz erfreuend, ſeines Schidjals Bahn, 

Was er erfuhr und lebte, aufgezeichnet, 

Die, uns zur Lehre, ſterbend er uns gab. 

Ein Füngling no, da ſprach er zu dem Ahnheren: 

Ich werbe geh’n im fremde Land, es iſt 

Des Gluckes im der Welt noch viel, id Hoffe 

Bu Gott, es wird mir fein auch noch ein Theil. 

Er ſprach's und ging. Es trug der Strom des Lebens 

Ihr Kiebend, den er ſiarlen Armes ſchlug, 

And als ein falſcher Stumm ihn nieberftieh, 

Daß ex des Todes nur gewärtig var, 

Da ob ihn freubi Hoc) empor die — 

Fi \ ber er hieß, und gab 

Den Schat ihm, den ex treulich uns bewahrt, 
Ampedo. ‘ ai vericherzen beines Trachtens Biel. — 

Und fahjt du, Bruder, nicht aus jener Schrift, 

Wie in Roth und Angft auf feiner Bahn, 

Das Kleinod N er fich erwählt, 

er z 


Herftte. gezogen 

Und mit Bedacht ich felbe 

D hätt er doch Herfürgego 

Und wie den Meichthum jie 

Betrachte doch, auf welche ſe 
Unſinnig dein Beginnen! Glüd und Nubm, 
Du tannſt in Enpem ihrer dich erfreim, 





iucſocel und Wunſchhatlem. 


Cypern ich des Gutes, das eu reizt. 
in Riterſpielen an He 
Ken Sans ‚geniehen, 
Denn dies zu fchägen warb mir der Verftand. 
„ Andotofin. Der jedes Ungemöhntide vertaßt, 


Selbſt die Extreme überjchweifen. Drum 
Die Heinod Ich uns thellen, und uns trennen. 
— Wilft dur denn brechen deines Waters Wort, 


13 auf dem Stexbebett” er ums geboten? 


Ampedo. So nimm des Soldan’s Hitlein. — 
Wnrbolofia. Das nimm, und laß Fortune 


Bad! * Raumes Granz 
. Ein Niüplicheres bleibet 


— 





[5 Adelbert von Ehamifie. 


Ampedo. Es hüte unſern Schat Verſchwiegenheit. 
Andoloſta. Wohl, Ampedo, drum horche meiner Nede. 100 
So la uns aus bem Sedel hundert Truben 

Mit Gulden füllen, die behalte dır. 

Und bleibe hie, und lebe wohl, — die wirft 

In deinem Leben du doch nicht exjchöpfen, — 

Und and des Soldans Hütlein bleibe dein, 108 

Du lannft damit dir manche Kurzweil gebem. 

Dir aber laß den Sedel, und ich will, 

Nach, Ehren ftrebend, wandern durch bie Welt, 

Sechs oder ſieben Jahre bleib ih aus, 

Unb wann ich wiedertomme, ſoll hir banıı 

Auf eben ſolche Yeit der Sedel jein. 

Und alio laß uns, nad des Wortes Sinn 

Des Vaters, ungetheilt den Schab bemuben, 
Ampedo. Ich wills — Doc) deiner zu entbehren wird 

Ein Schweres mir, ein Ungewohntes fein. 16 

Bleib die! — Was zieht dich in die Ferne, fprich? 
Andoloſia. Es paßt für alle nicht Ein Glüch, es it, 

Wie jeber fie erfchaut, doch ihm bie Welt, 

De 1 wir icht aus denſelben Yigen 

den eignen Sin ein jeber? 


bem mir vielleid)t 
ber Schmerz 
wenn der Zwang Mich bände, 120 
bi intergehn. 
die Schwingen 
h ich in die Welt, 
ich heim, im Ringen 
iv geftllft, 10 


id) gefeilt, 
ine Soofe halfen, 
Buch entfalten. 





> s * I. 
ob it anf) 
— 


Trenmmmg Schmerz, und freudenleer 
ii Valaſt mir veröber feinen. 
Frobit. Mit — Segen Gottes, edler Herr. 
* x? 
Nach Medufa zeit ich morgen, 
Königs Dof, von meinem Herrn 
und der dritte Morgen 


Zu unfers 
Urdanb zu 
BT 


2 


diejes Haus verborgen, 
muß verfuchen meines Glüdes Stern. 
zeihen feiger Trägheit mich die Wellen, 
'8 mie wohl, warn ſich die Segel ſchwellen. 
es ſoll, jo der Bruder ausbleibt, 
Kirche für 17 oh und Gtüc 
Fromm. erichallen. Trefft die Ordnung. 
Hud; ben Bebürfiigen in Famagufta 
id) durd) eure Hand Almoſen ſpenden, 
Auhell fie an meinen Winfhen nehmen. 
die Probjtei zu euch ſenden 
fiebzigtaufend, das Geſoll 
und enre Chorheren auf ſechs Sabre, 
in ihr voraus, und für die Armen 
utfend, fo ihr mit erhaltet, 
don umfernt Meberfluß, beftinmt. 


B 


——— 


Rn 


ung 


Alles. 
Rechnet drauf. 





8 Adelbert von Chamiſſo 


Probſt. Der Wille meiner Herren wird erfüllt. 
Das feinen Armen mild erwieſne Gut 
Mög’ ihnen reich vergeltend lohnen Goit. 
Es werden gerne alle Herzen ſich 
Geſellen unſerm Chore, denn ter liebt 
Den milden, tapfern, jugendlichen Mitter 
Den wirdgen Sohn nicht des hochſeeligen 
Herrn Forhimati? Und wie biefer war 
Selbft-Stifter feines Hauſes hohen Glüds, 
Das ungetritbt ex felber lang genoß, 
Fort mög’ es anf die Spröhlinge vererben: 
Und mögt ihr, Ritter, balde wieberfehren 
Mit Ruhm gekrönt, ein Glucklicher, daheim, 
Ampebo. Der Himmel höre euren frommen Wunſch. 
Andolojia. Ich dank ihn euch, Herr eh “ 
Amıpebo. Du reiteft doch 
Durch unſrer Mutter gräflich Schloß und Stadt 
Zu Lorganub genannt zum Regenbogen. 
Andolofia. Den Burgen werd ich frommen Grußes nahen, 
Daß feru nicht ihre Bilder einft mich teilben; 
Und, mo vom Vater Lehre ich empfahen 
In ritterlichem Thun, der Wieſe brüben; 
Und den Borften, die mich oftmals jahen, 
€ oc), bie Luft des Waibiverfs üben: 
meiner Kindheit will ich ſchelden, 
Sie Freund behalten fern in Luſt und Leiben. 
Doch nicht die Stunde ift es nur ber Worte, 
Selbft jehen muß ich nad) dem Glanz der Waffen; 
Und niederjteigen muß ich zu dem Borte, 
Im unfere Gafee die Maunen raffen; 
Mus vierzig Reifigen on fremdem Orte 
Ein ftandesmähiges Geleit mix Schaffen; 
‚Sur Wbfahet müfje alles ſchnell ſich rüften, 
dinüber hoffend zu den fernen Küften. 
Ihr ſehl bie Sorgen, welche meiner warten, 
Drum gönnet, bafı ich mic) von euch entferne. = 6 





tapfre Jüngling wird 
Bun te el ber Vorficht Rath. 
Ampedo. Verzeibt, mir jelber häufet die Gefchäfte 
* Der raſche Bug. 
Probſt. Ich laß euch, edler Herr! 


Ampebo. Bei feiner Abfahrt jehen wir uns wieber. 


Brobft ab. Mmpebo, wie er atlein it, zieht den Otiicts-Eedtel 
Demon amd. geht Tem er Dee Map hebt Ja; gu einer 
ander ‚mach dem Innern des Hauſes ad.) 


don Gopern zur Medufa, Der Bouig. Zu 


IL 
(Den Soden Sana on Cu ‘ I 
a 


König. Steh auf. — Ich ſehe, Andol 
An meinem Hofe gern, dein We 





1m Abelbext von Ehamiffo. 


König, Rebe bır. 
% es in unfeer Macht und billig üft, 
Wird gerne dir bewilligt dein Begehr. 
Andolofie. Wollt Urlaub mir gewähren, guäb'ger Herr, 
Daß id) in fremde Sande zichen mag, 
In ritterlichem Wandel meine Jugend 
Zu fiben mm beginne, und der Spur 
Des guten Vaters folge, den ihr lobt. 
König. Du fprachit ein bill ges Wort, drum, ob mit Luft 
Wir di an unſerm Hofe bielten, zeich. 
Und mögen deine Thaten Cypern's Ruhm 
Erhöhen, aber nicht dein Herz vergeſſen 
Der Heimath, und zurüd dich balde Fit 
Andolojia, Es rufen heimmwärts mich ein theurer Bruder 
Die vaterländ'sche Exde, eure Huld. 
Prinz. Von hinnen, Andoloſia, willt du zich'n? 
Die Kunde zu vernehmen macht mir Schmerz. 
Der ich zum Manne bald erwachſen till, 
Gedachte nur allein von dir zu lernen, 


Wie man * Lanze bricht, das Roß bezwingt, 
Wie i mir Luft dich ben ſah und auch 
(6, ziemt zu thun. 
junger ‚Herr, am eure Gnaden 


eu J Lanze 
Und wundert Her wie leicht ein Spiel, das euch 
Den Durft nad) befferw Thaten auch erwwedt. 
Denn euer Arme No En Sa er start, 


in Wir 
<o Sott es geht. 





W. 
u Pamı Morgenbänmerumg. Die Malce 
a m Eeutreuber Fb, rg 
J 


(Ser 
fenefeiig, km auge RK fin Sa. Sl 
yon jein Bolt. tom 
am Mechjelgefang.) IR 


Auf dem Waffer. Ausgefvannt das That der Wogen 
ber Hoffnung Bahn; 
Sterne am des Himmels Bogen, 
Sterne auf dem feuchten Plan. 
= Huf dem Feten, Selbft dem Grund der feiten Erden 
It 05 weile nicht zu teau'ns 
t uns, Mir werden 
Unfrer Saaten Halme ſchau'n 
Auf dem Waffer. Feſtes Land mit deinen Bergen 
” Wirft du unferm Aug’ entlichn; 
Dich im tiefe Fluth verbergen, 
Stets der Himmel uns umgieh'n n 
Auf dem Fejten. Schweifend durch die öde Weite, 
Ber doch hielte da dem Wen; 
[3 Selbſt oft an des Führers Seite 
Fert ein Wandrer anf dem Steg. 





12 Abelbert von Chamiſſo 


Auf dem Waſſer. Schauet, dort im ftrengen Norden, 
Jenes Sternes feſtes Bild; 
Solch ein Führer ift uns worden, 
Ewig eruft und ewig mild. 

Auf dem Feſten, Wollt ungleichen Sanıpf begehen 
Mit der Elemente Wuth 
Rechten mit de3 Sturmes Wehen, 
Nechten mit empdrter luth. 

Auf dem Bafjer. In den Kampf auch freudig zichen 3 
Wir, wie in die Männerfchladht; 
Willen, daß dem Muth verliehen 
Neber alles Wefen Macht 


ah ei Dat 
{age Amar, Yet mad, na 1 mo Gehein jene jene 


Stimmen im Vohl. Gut — geb euch Gott, 
eerr Mitter. 


(&abofofin Bat ihnen anihend, ef vom Werbe bed Be ae 
aelchut an dem Wilde des 
alsbald in bie See mil SE — 5 " 
Beficht in die Bruft des Probites.) 
Sefang auf, bem ‚Schifje bie Entfermmg macht ihn balb 
unvernedmfich, Das Lied verhallt m der Ferne). 


Fernher, mus gehen So 

ein Schat jo wunderbar. 
Bei allein jetbft w 
Und den“ Dt, ı wo 


verad) 
Wir begehren nur das Eine, 
Wir begehren Ämmerdar, 
Jumerdar auch will’s erſche 
Ach! verſchwinden immerdar. 





und Wunſchhatlein. 13 


in Sondon. Eh 
So —— in Ag BE 


Ein fremder Ritter, Beendet ift das Feſt, es haben ſchon 

Fin Fürſten ſich entfernt, und, —* 
Aus weit men Landen gegen London, 

Im freudgen zu leſen Ruhmes Ähren 

Auf diefem ſonn gen Plane, ja vielleicht 

‚Hervor aus leuchtenden Gewimmel funtelud 

Den Blick zu Rau felkie ‚ber Bewunderten, 

‚Der alle Liebe hulbigt, Agrippinens, 

Mit Unmuth im getaufchten Aula — 

Nun ſelber — verbunfelt, übe 


Hoffnung 
Ein Sweiter. Die Loft iſt ſtets 
EEE 


Nicht Anbolofin’s werd’ id) je 

Und nicht der Spiele, welche | 

% Der Zweite. Daß Er auch Hat den ( 
ne ergrimmt Aha Leichte 





u Adelbert von Ehamifjo, 


Graf Theodorus. Um zweiten 
Beim erſten Anlauf bieltet ihr euch feit. 
Der zweite Ritter, Beim dritten Nennen ward ich 
bügellos, 


Der Erfte. Bei welchem aber gegen Andolofia 
Bar't ihr, Herr Graf, zur Erbe doch getragen. 
«Der Grof entfernt fi.) 
Der Zweite. Dir nannteft, was er eben nicht begehrt. 
Der Erfte. Dom folgen Uebermuth und Neid fein Recht, 
Fraäutſcher Nitter. Der Kanzler läßt uns auf ben 
König warten. 
Der erſte Nitter. Dasiftder uft'ge rafchgewandte Franke, 
Der beim Turnier fein Schlechtes auch gethan. 
Der Zweite. Zu welder Zeit erhalten wir denn Zutritt 
Urlaub zu nehmen von der Königin, 
Und biefer Erbe wunderſamen Blume? 
And) den erfreut, der feiner Dame dient, 
Das hohe Licht zu fan, der Alrftin Auttit 
Der Erfte, Mitſammt dem König werden fie vielleicht 
In diefem Saal erſcheinen. Nicht fünvahe 
Um ſeinetwillen tamen edle Ritter 
der Ferne her. 


2 eignen Sof. 
ii It gefiellt ı und holpricht feine Worte, 
Der Trante Verzeibt, Die Sprache möcht" ich ihm nicht 
_ tabelı 


Die wäre, wahrlich! fetbt d 
Ninaldo (Ein junger Nitter). Be, — 





derfchmähen mei mit 
be Hacken Br bar ern 


Fein 


mit Sicherheit mir das Bft 

x nicht ein würd'ges, euer Roß 
euch vom Arft/gen Stoß 
er Gewalt allein des — 


AH 


Der — Rinaldo möge bes 16 
‚Es ift ber Rappen viele Hum 
® Rinaldo. Es fei, doch Mitter, wie id 
Arch Inn’ge Diebe mn ich — 
ſien das Herz auf 
wandeln, Ritterruhm 
Ü nicht den Neid, die Freude 
ihr, ein Würdiger, much 








it 
Schicjal zu erfafien, 
Thalen zu entleben. 


—— Spuren —— 
horret, was einft rieie 
— ans des Nichtſeins Orte, 
es lautlos annoch jchliefe- 
—— Wort int durch des Ohres Pforte, 
Icbt jein Sehen in des Buſens Schreine, 
In Thaten find au's Licht erblühte Ber 
Kr Scamen fhieht, was in des Tages Schen 
Geblünet einft, das Neue zu gebähren, 
Und — Er ber —— — 
Ihren, 
Hi an een exreife Feoher Saaten, 
Nitterfinn unb Tugend fortgeroähren. 
u en dauftt Engeland, ob jelber Thalen 
Des eig nen Dantes Kleinod An ſich fehltenen, 
Erd, Bali aus euch bie Frohen Keime traten 
Auf Helmfchen Grunde herrlich einſt zu Tpriehen 
Deutsche Litseratundonkmals Sr, 6455, e 





18 Adelbert von Chamiffo, ya 


Der Narr. Hör mal Papa, Id) habe ihn zwar eben fo 
wenig verjtanben wie bu, aber er ſpricht doch gut, 
dein Kanzler, und mich dunlt, dab er im vielen 
Worten gejagt hat, was ohme die vielen Worte ganz 
tlar geblieben wäre, 

König. Schweig, Narr, was ſollen Die Beute benfen? 

Der Narr. Ho Sol 


Andolofta. Es Fänpft ihr Kampf bes Mannes Tugend 
tool, 


ma⸗ 
Gebahreud ih in wechſelnder Sejtaltung, 
Sie giebt dem eignen Blumentelch Entfaltung 
Und tritt Herfiir an Tagesſtrahlen prachtvoll. 
Geordnet ward vom Waltenden bedachtvoll, 
Daß fpielend fie bie Sant der Forterhaftung 
Selbſt achtlos freue, duch bie Weltverwaltung, 
Auf daß fie fpriehe, pfleget ihrer achtvoll. 
Und nicht ift Dankes Engeland uns ſchuldig 
Ob Saat entiprang des Spieles freud'ger Regung, 
Wir wälzen ab von ums ihm ungeduldig 


Dem Baltenden allein des Dantes Spendung, 
Und ums vor allen ziemet die Erlegung 
Denn unfrer Freude word bie Hohe Sendung. 


Der Narr a, der kann es doch noch beſſer! 
König. Stil! 
Königin. Den edlen Franen habet ihr zum Nuhme 
Gebrochen eure Langen, und es follen 
Die edlen Frauen wohl des Danfes Bnme 
Gebührlid euch und treuen Sinnes zollen. 
Erfteltten ift fie eud) zum Cigenthume, 
Bon euch fie weiſen durfet ihre nicht tollen. 
Der ebfen Frauen Dank auf Englands Grunde 
Empfanget, Ritter, aus der Mn’gin Munde. 
Theodorug. Ob edlen Frauen wir zum Ruhme braden 


Die Lanzen nah der alten frommen Sitte, 
Doch Dantes nicht und Lohnes wegen ſtachen 





| 


iden ges 
ſtceben raſch empor 
rien zu ber Frauen Chor, 
Die bang athmend ber ug Darren und des 
Woffentanzes. 


Wie die Blide ſich begegnen, 
Wird der Spiele Luft geboren; 


Strömen ans des Morgens Thoren 5 
n und beregnen J 
Ale die Dlüthen. - —* 
Bewer, 
ame 
Oder weiße Lilien ſchimmern en Roſen fonft er 


Alammet him 

Da duch, fefterhellte Zimmer 

Damen, Ritter, Herz am Deren, 
Fliegen den Reigen. 


eigen. 
die Schranfen find aeihloffen, 
Sin Me ee Wract Dr Harte. 





E9 Abelben bon Chanie. mv. 
BE en OT nee 
er RT Sr un mehr be 


uf, 
Nehmt zum Dank das Angedenten an bie Freuden, die er 
> Hfiunden, 


Der fränfifche Ritter. Dank und Angebenfen fragen, 
Herrin, wir aus dieſem Lande, 
Die wir ſah'n auf frembem Straude 105 
Solcher Schönheit Sonne tagen 
Blendender Strahlen. 
Rineldo, — ſtahlen 
ercin, Mugen bie eud) Tuben; 
es mi en, die cuch mahen, 
Stummer Sehnſucht füher Qualen 
Ewiglich harten! 
Anbolojta. Herrin, nicht im Lanzengarten 
=g die hartſten Kämpfe hatten 
In ber Nächte ſtummem jatten 
Bange ‚Kämpfe ihrer härrten, 
Denen ihr nab'tet, 
Ratr. Narren, Narren, Narren, Narrethei! 
Sengt euch an gemafter Lichtflamm' arıne Fliegen frei. 
Habt zum Dirt das Angedenten, Narrenſtreiche, bie 1 
ihr thatelt. 
auft davon.) 
König. Genug! es haben uns die Spiele ſchr erfreut 
Und ift ums jelber Teid, daß fie geendet heut. 


vH. 
Agrippina. Weh' der Miüce, da bie Spinne 
Ihrer Nehe Füben ziehe, 
Sumſend flengt fie Hin und ſiehet 
Die Gefahr nicht, die ſich pinnt 





[91 


Fortunati Glüdjedel und Wunfhhütlein. 


Weh dem Nitter, da der Minne 
Fäden zieht mit ſchlauem Sinn 
Eine Schöne, wohl darin 
Unbefährbet, unbefangen, 
Spielend ihn zur Luft zu fangen. 
In die Nebe fleugt er hin. 


Wurde do uns nur zum Spiele 
Diefe Bogelart erichaifen, 

Und wir üben unjre Waffen, 
Uns ergögend, nach dem Biefe. 
Beute unjrer Jagden, viele 
Eingefperrt im Bauer müſſen 
Für die flatternden uns büßen, 
Die nicht ihre Freiheit gaben. 
Einen folden Vogel Haben 
Kann die Stunden uns verfüßen. 


Und ein Recht ift dies Verfahren. 
Gilt euch doch ber Stärke Recht, 
gift ift unferem Gejchlecht 

Stärke, müfjet ihr erfahren. 

Drum ſich hüte vor Gefahren, 

Und gehalten und beſcheiden 

Wolle Spiel und Kampf vermeiden 
Mit dem Feind der ſchwache Theil; 
Jeder fucht das eigne Heil, 

Feinde wir durch Luft und Leiden. 


Kämpfe, Spiele, andre Namen; 
Kampfipiel ift das Leben mur. 
Alſo folg ich deiner Spur, 

Tapfre Feindesihaar der Damen. 
Und die Minne muß den Saamen 
Bu den Rampfesipielen ftreuen, 
Die mid Siegerin erfreuen, 

3, ide nur euch ftellet muthig; 


21 


Adelbert don Chamiljo. 


Leichter auf bem Felde blutig 

Mag ber Sieg ſich euch erneuen. 
Amme (hat die letten Worte gehört). 

Siegesfuftig annoch heute, 

Pflegeſt du des Uebermuthes, 

Doc; es bringet nimmer gutes, 

Einmal wirſt du noch Die Beute, 
Agrippina. Alfo reden alte Leute! 

Wiltfe du noch mic quälen, Närchen, 

Mit der Wucht dev alten Märchen? 

Fanget doch den Wogelfteller 

Nicht der Vogel! freudger, heller 

Blick ichs an, mein trautes Clärden. 

Wulſt hu alt die Jugend fhugen, 

WU ich ihrer jo genichen: 

Doch bie Lehren laſſe fliehen, 

Manches Wort kaun ich benupen, 

Andre Narren ziehen Rutzen 

Ron der Weisheit andrer Thoren, — 

Weisheit, Ti Lange Ohren, — 

Nur die find zu ehren; 

Drum ergiehe Deine Lehren, 

Nicht doch gehen fie verloren. 


Amme. Magit du immer, theures Sind, 
Unbefonnen mic verlachen, 
Klugheit führt des Ulters Nachen, 
Und die Jugend fahret blind. 
Tag’ die Worte in den Mind, 
Audre Tage werden Fommen, 
Deine Scherze ſchlecht Dix frommen, 
Und du meiner noch gebenfen. 
Nicht lann ſolches Wort mic fränfen, 
Wohl der Leg, ben du genommen, 


Agrippina. Hört ich boch dich üfters fagen: 
Alte Wege gehn zum Biel. 





Ba8 


tet 


ee 


jeben 
wahrlich unerhört, Wie will er dns 
SERHE ENDE 


essset 
En 


—— 
— 


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2 





Adetbert von Ghamifie. Ta 


Mit voller Freube nahm, mit halber mr ach meines. 
Drum trafeit du ſehr — nicht rathe jo Gemeſues. 
Rath. Ein ſchwieriger der Buntt ich finne hin und her 
Und weiß; wicht aus und ein, drum gömmer mir, 


a Hear, 
Um nachzudenken Zeit. Ich felber unberatben, 
Bir eurer Majeftät fürbab Geſcheites rathen? 
König. So ſeid ihr, tluges Volk, wann eurer man bedarf, 
Dann ſeht ihr fehief; wenn nicht, daun, Ja! dann 
ſeht ihr scharf, 
Ein ſchwieriger ber Buntt, das kann ich ſelber ſchauen;, 
Doch endet deine Kunſt, jo geh ich zu den Frauen. 
IA Au 08 ungern zwar, und ift e3 air fatal, 
Doch muf; ich wohl es than, ich Habe micht Die Wahl. 
Den, hab ich's doch im — —* will uud muß 


Es läht mir feine Rub'. — * dem vorgen 
Win 


ter 
Zreibt er das tolle Spiel, und lebt in Saus und 
VBraus, 
Ihn fichtet es wicht an, ihm gebt das Seid wicht aus, 


ie lommt zur rechten Stunde. 
Laß uns allein. 3 weiß, fie hilft mtr zu dem Funde. 
(Der Rath ob, Die Königin tritt auf.) 
— ‚Heil werde meinem Herrn! 
IG danfe dir — 


wie er es augerichtet 
Köntgim. Jeh we jchon, es wurde mir. berichtet. 
Könige — wer jo — Deren | 


Das raubt mir 
a Schlummer, 
Du tannſt, du font, ich nie das Ding, 
So dir mir da begmügft, derehir ich dir den Ming, 





Du fichft, er iſt von Werth. Wem fan er denn 


Was alles er werthut? Es lit j 
Königin Rod weih ih's jelber u ha une 


‚herrlich, feſtlichen Getag 
ihr empfangen, edler Ritter, 


Nichts gleicher eurer Pracht, wichts. eurem Muthe 
Andolojia, Mein anäd'ges — vedet nicht im 


— Mich quälet nicht Die Eoı J 
Purpur eurer Lippen jolches Wort, 
Verächtlich ift das Gold, wenn man es hat. 
Agrippäina Gejeguen mödgt ihr euren Bater, dab 
foldhem Hinterlab er euch erfreut, 
Unbolofia. So reich als er gewefen, bin ich noch. 





26 


Abelbert von Ehamiffo ux. 


Agrippina, Auch er durchzog sa Welt? 
Andolojia. Doch andern Sinnes. 
Agrippina. Wie Ritter, meint ihr das? 
Andolofia. hr feente nur 


Das frenbe Land zu ſchauen, umd bie Sitten 
Der Völker zu erkennen, die er jah. 

Der Arme kannte nicht ein andres Gluck 
hm ward zu Theil der dürftige Genuß; 
Befrledigt zog er heim von Diefer Erben. 
Ein quälend unbegriffnes Schnen trich 

Mich im die weite Welt, und ohne Raſt 
Durch vieler Herren Höfe muhl ich zieh'n, 
Und fort mich fehmen, weit und weiter zieht, 
Und unbefriebigt ein verzehrend Durſten 
Nach, Unbekannten tragen mit mir fort. 

So fleugt ein muthig ungebändigt Roß 

Den mitgetragnen Stachel, ber es treibt, 
Want über Felder es den Lauf vollbringt. 


Und alfo Tam ich an bes Künigs Hof 
In Engeland. — lernt ich erſt nich fernen, 
— ich, — und bie Welt. 


1.4 n " Rebet weiter, Ritter. 

Ich ſah euch, und ihr mühet mich verfteh'n. 
Empfand, wie fi des Mannes Namen, Kraft, 
Des Weibes Namen, Schönheit, offenbart. 

Wie bon einander ewig angezogen, 
Entgegen kämpft Kraft, entgegen blüht 
Die Schönheit, und 

Am ‚Biebeleben, welches ſie vern —* 


Gelbſt das Rothſel mir zu ew gem Grauen, 
Muß mein begrifnes ‚Sehnen mich, verzehren, 


And nicht verflären bes Perfangens Hähren, 
Das nur vermehren kann der Stern der Frauen 
Straſend niit Zorn verwegenes 8 





das Licht erfchien 
Inder ee 


Der Schranten umd der Feſſeln weiß zu — 
Zorn auch ſtürme das Gewitter, 
‚Liebefeben laſſe fühn uns frühnen, 

Wi bat fo hart die Swanges-Macht geichlagen, 

Nicht wollt, um was ich werbe, mir verjagen. 


Agripppina. Wohl hold der Hang * Worte, edler 
ter, 


Die an aus eurem Munde mir ertömen; 
ak der Saiten Klang der 

ne bald verweht des Windes Aug 

&s ift der Glaube füh, der loben bi 


Agrippt —— Eh er N 
rippina, men! en glü’n 
SE ct be Ya, 16 pre 
m Sarateiis, Ru den Muth die 


— ina. Die Duelle nennet eune 
fohnt mit reichen u: 





Adelbert von Chamifie- mE 


Berkündet werde weblbebachten Mulhes 
Und freudereichen Herzens, Quell des Gutes. 
(Anbolofia zleht ben Sedel hervor und wirft Gold in ihren Schon) 

Arf dir mein Glaube, Werde mie bereuet, 

Was reiche Liebe wohlberußt gehandelt. — 

&o fang der Sonnen mildes dr mich Freuch, 

In ihrem lange noch mein Bruder wandelt, 

Wird biefes Goldes reicher Born erneuet, 

Bon feiner nledern Sorge wir ummandeft. 

Dies armſelige Gold jei dir werehret, 

And mehr moch, und jo viel dein Her begehret. 


X. 
v war wal J Kahen⸗ Konigin. 
Die hegte cu Kapen-Sim, 
Verſtund gar wohl zu maufen, 


Liebt koniglich au — 
— Kapen-Natur. 


Sa ja 
Schlafe, weit en ichlafe du nur! 


Die hatt " — Leib, 
So jhlanf, ER u die Hände jo weich, 


a ja! 
Die Augen wie Sarfunteln, 
Sie leuchtetem im Dunteln, 


Ja h 
Schlofe mein Mänschen, fhlafe du nur! 
gfing lebt. zur. Bell, 
Gr job die Kon’gin.mopl von weit, 
da jal » 








Adelbert von Chamuſſo. 


AL 


I Sammer Ip Inens am Mo: Ani 

Aa pm ngeiee un Gonfeten Oetin Allee Di 

gelegnt. Die Amme binnt am enter, wie Andotofia id) er- 

muntert- tritt fie hinzu.) 

Undolojia (gähnt, wacht auf, ſchauet um ſich und richtet ſich 
auf) Huaa! — wo? — was? Wo ift Agrippina 
hingefommen ? 

Amme. Selb ihr, Mitter, wach geworben? 

Wie jo feite fehlafen Könnt ihr! 

Was ih geſtern auch mich milhte, 

Euch zu werden war nicht möglich. 

Ihrem Lager erſt entitiegen, 

Meine Herrin zu dem König 

Mußte eilen, da nicht etwa 

Er erſchiene hier berjönlich; 

Den daß euren Schlaf er jtöre, 

Fand fie rathſam nicht noch nothig I 

Anbolojio. Daß bu vergingeit, du alte KRuppferin, 
warum haft du mich nicht geweckt? Mein Schlaf 
ft nimmer jo hart geweſen, hätteft du mich m 
ein wenig angerühet, jo wär ich erwacht. 

Amme. Hab ich alles bar verjuchet, 

Schutteln, Pfetfen. — Ungewöhnlid) 
wohl folder Schlaf zu nennen, 
O0 er mit gar merhbri ift. 
Habt ihre doch mit taujend Kronen 
Geſtern mich bejchenft gar hoͤchlich, 
Hatt ich deſſen ſchon vergeſſen 
Bär id wahrlich eine Thorin 
Nein, ich war zu euren Dienften, 
Wie air Pflicht iſt, angehöria. 
‚Hätte gern auch euch ernumtert, 
Doß end) jei die Racht ergöplich. 
Aber ja, euch ſchien ein Be 
Schlafen, als ein Slüc jo Föftlich. 





— was fügte fie deun ? 


Sie ward roth, und ward verlegen, 
— euch — — 


Dann ergeimmt ob 
Nichts für ungut, Br — thlpiſch: 
Wiederum mit guter Laune 
Lobte fie end, zwar. ſehr höhrnſch; 
Sagt’, es wär ihr gut —5 — 
Uud der Vorfall wäre göttlich. 
Legte dann ſich leiſe nieder, 

Doch der Schlummer war geſthrt ihr. 
— — Daß ich doppelter ah. 3 
aber mein! was hatt’ id) dem getrunfen? 

“ — Ob die green ihr verjchlafen, 

Seib auch darum nicht unlroͤſtlich 
Sic) zu harmen oder fluchen, 

St zu Nichts 2 ift nur Möricht. 
— — gehabet euch jo übel, 

Was verborben, fan beſchhnigt 
Werden noch, und euch zu bienen, 
Vin ich jederzeit exbötig. * 
Loſſet allen Summer fahren, 

Gutes Mulhes jeid und Fakt, 
Glaubt nr, die ich wohl jie kenne, 
Auf mein Wort, Herr, ihr verfühnt fie, 
Und ich wende fie zum Guten, 





"Wbelbert von Chamifio. 


Und ſie bleibet 
Weüffet ferner um 
And 


Liebeshadern, Fri 
Zieht vorüber ur verjährt fich. 
Doch Dah wer euch Hier micht jche — 
Kommet, Mitter, und vergönnt mir, 
Daß ich euch von dannen Leite; 
Deu der Leiste Mımd gar fehndd ift. 
Aber werdet ihr geladen 
Hier zum Andern und beröfligt, 
Nütet beffer and) die Stunden, 
Und verhaftet euch achörig. 
Einer Sünden Angeventen 
Iſt nicht, glanbet, unausloſchlich; 
Aber wer zum ziveiten Fündigt, 
Wie ihr —— ia, da möcht ih, 
Selber jagen, es Hr Abel, 
‚Sit vielleicht der Liebe tbbtich. 
Und wer eines andern vathet 
I an Troft wohl unerichbpilich- 
Andolofia. Aber . 
Amme. Kommt nur 
Andoloſta. Aber 
Amme. Kommi doch! 
Bas ich ſage, gloubet wortlich 
Sie führt ihn hinaue 
Andol Weiß id) doc) richt, wie es zuging; 
Und es bleibt mir umauflöstich, 
Antme. Sagt ich euch doc, wie &8 zuging; 
Mu ichs end beichtußren ſormlich 
Aber Laffer euch nicht horen 
Nicht ein Wort mehr, euch beſchwor ich, MM.) 





* 

Audoloſig tritt ach en Heftigen Schritt 
a TE rakıra Sen 
Eupoldus. Der König, gnad' Keß euch entbieten, 

Er El urn ob rs ———— 

bei euch einnehmen. Dente noch. 
atndotofin. wettet nicht anf.) 
— Ber König, edler Der, ap eine Botfchaft 
An euch nejendet, ex begehrt mit. euch 

ſſen heute. 


Zu fpel 
Andolojia. Gut, ich lomme hin, 
Zupolbus, — er, gnäb’ger Herr, er will bei euch, 
Betöftigt 


Anbolofia, "tun, jut, bereite denn 
'ich Mahl, id laſſe dir die — 
! mache Auftalt. 


Supolbus. 


S 2 
‚bes Selbes. Denn es foftet viel. 
en So * bir — 


— ee en 
(Supofdus ab. 
aus · und Ne wirft ine ba 
Des alfo War die Meinung, Agrip 
Um Diebestohn, die ftolze Mörigst 
Der heil gen Liebe hohe 8 
— Sn — 
Nicht ſchnodes Gold hoſt, faiſch 
Bereicherub Dich afteln, o nein, es tere 
Dein Frevel mir bes Herzens ca Ch 
Daraus mir Glaube, Hoffnung, Leben, 
— dhtern Telimneern fngt de 
Anbricht die dunkle Winternacht, und 
‚Deutsche Kutteratundenkumlo Nr, 





Adelbert bon Chamiffe. 18 


Erſtarrt von feinen Schauer, ein Vereinzelter, 
Den trüben Blit mn ge ich in den tiefen Schoofi 
Der Finfterni 
Es Lehrte kuhn mich Köftlicheres verichmäh'n das Bold, 
Das Raubgeword'ne deiner Trugkunft. Lügend did) 
Entftiegen reichen Herzens Grund Traumbildungen, 
Die waren lictrein, Die berüdten mir das Herz, 
Daß gut id) war, gab über mid die Macht allein. 
Ich reichte bir die Waffen, Raubneh, flochteſt du, 
Mic zu umgarnen, jener Träume behren Glanz; 
Und jelbit dev Lanzen Splitter, die zu deinen Ruhm 
Dein Ritter brach, fie gaben ber perfiden Hand 
Der in der Bruft arglojen Grund zu ſenkenden 
Geſchoſfe Schaft. 
Ob mir veröbet ift die Welt, die Freude hin, 
And nimmer Hoffnung ſcheinet, bleibt mir dieſes doch, 
‚Bu achten mic), daß ich ein Thor, ein Schlechter nicht 
In meinen Wahn war, deſſen ich mich rligme reich, 
Du aber bift an, Aprippina, ſoll ich dich, 
Bellagen, dich verachten, wehe, weh! o ſchones Bild! 
DO Schmerzens-stelh! 
Ein anbres büftees Bild erwacht auch ängftigend; 
Auch) dir zum Diebwarb, theurer Ampedo, mein Wahn, 
Ad) dein das Stleinod, welches hinvarf meine Band. 
Nicht dacht ben Lohn du theilen meiner raſchen Schuld. 
Begonnen jei der Kampf um Gold, des Lebens Glanz 
At doch erloſchen! — ſchaue, frechgemeines Weib, 
Daf; wie bes Eruften, du bes Spielenden 
Auch fiegen mögeft. Nicht in Siegesſchoh zu ruhn 
ft weil‘, und höhmeft? warnend ruf ic): chre bi 
Die Nenefis. 


(Er geht nach der Thar und ruft) 
Lupold! 
(kritt auf), Was, gnäd "ger Herr, befehlet ihr? 
Yubolofia. Es follen alle meine Diener ſich 
In dieſem Saal verfammeln, ſchnell! 





— im in feines Schud 
— Nun ift der —— 
ou nicht halten Tann, 


Andstofte. Für mid) darf niemand a 


Diener. — 
und ſtehn bei. 
Andolojia, — RI 


Noch ſechs zehn Kronen, d 
® Aubolofio. Dein PR — Lebt 


Diener. Wo zieht ihr, Herr, wo richten 





36 Abelbert von Chamifje. NIE xiu 


Anbolofie. Iſt Gott mir —* ſuch ich ſelbſt euch auf 
Nicht ohne Troſtung will ich von wandern. 
Diener. Wir harren eurer Herr, in Brügt in Flandern, 


Anboloſla an fich ich ger a — bie Schoar 


XIH. 


(Der Walaft zu 
(Ampedo fipt ae A An a und rauchet aus 
‚einer irdenen Pfeile.) 
Ampedo (zu ben Leuten, jo ihm zufchanen). 
Ihr lacht. Ein Sonderbares danket euch 
Mein Kalumet, — nicht die geit ihn keunt, 
Worin ich lebe. Gerne gbun ich euch, 
D lacht, die feine Freude, aber wiht: 
Es ift micht weiſe Ungewöhrtlices 
Verlachen, weil es ungewohnt une lit; 
In dleſem Puntte Hat dee Bruder Recht. 
Ich eilte meiner Zeit voran, erfindend 
Au eigner Luſt dies Kalamos. Es wird, 
Sie nahet, fommen eine Zeit, da Rand) 
Aus folhen Röhren nur allein mod) Luft 
Der wohlgewohnten Menſchheit Dampfen wirb, 
Bei ber das rege Ungethim erſtirbt. 
Santt Lorenz! muß; bie Rebe, die zum Schup 
Ich mir erſinne, nich das argſte foften 
Das nur mic) au tann, das Feuer ift 
Indeß mie ausgegang⸗ bleibt man doch, 
Wie alt mar in ber Welt nur wird, ein Thor. 





PAY ou el) 





38 Abelbert von Ehamifie. 


Ampedo (ehnt ſich erſchrocen an eine Stufe). 
So! — Haft dit, Sale Ah 
Verloren, oder wurde mit Gewalt 
Er dir geraubt? 
Andolofia. Ich Habe das Gebot 
Des Vaters übergangen, ihn gezeigt 
Dem Weibe, das ich liebte, doch ſobald 
Ich deffen Kraft geoffenbaret, hat 
Sie mich darum gebradit, jo jegt mic tummert. 10 
Ampedo. So geht es wohl mit Recht, wenn in den Wind 
Man treuer Eltern Warnung ſchlagt und ſelbſt 
Ein großer Hans jein will; fich, hätteft du 
‚Gefolget, wäre unfer Kleinod ba, 
Und ich mit dir in gleichem Unglück nicht. 
Andolofia. Ich weiß es 
Anpedo. Lieber Bruder, laſſe die 
Es nicht jo jehr zu Herzen gehen, denn 
Wir haben noch elf Truhen voller Goldes, 
Und noch das Hütlein, wenn bem König Soldan 
Wir es anbieten, giebt ein großes Gut 
Er ums dafür, und alfo, nicht gerechnet 
Das gräflic, Schloß und Stabt zu Lorganub, 
St uns genug ba, mb jo fang wir Teben, 
Kit ums zu führen einen guten Stand, — 
Drum laß ben Sedel fahren, freue dich! 
Andolojia. Gewonnen Gut ift böfe zu verlaflen, 
Dies mein Begehren: qieb das Hütfein mir, 
Und ich getraue mir mit ihm den Sedel 
Noch wieder zu erwerben. 
Ampedo. Hm! mar fagt 
Wer Gut verfiert, verliert and) ETW Vewahrt 
Sid; doch an dir auch dieſer Spruchl Du haft 
Uns um ben Sedel ſchon gebracht, und willit 
Uns auch noch um das Hitlein bringen. Nein! 
Ich loſſe dich es nimmermehr wegführen. 
Erluftige dein Herz mit feinen Spiele 
Um unfre Wohnung, gerne ſei's gegönnt. 





Da Freude dur 
Ampedo. Vergeſſen und — mu Freude jebt. 
Andofojia. Drum vom dem Freunde a wie lebt 


Ampebo. Erfreut von Gott mit Bene: Geſundheit. 
Er ſtets zu und. 


Antpedo (holt das Hütlein aus einem Schrein hervor). 
Mir nimm‘ es. 


Freude 
Andolojia (ent das Hitlein auf). 
Noch Venedig! 
(Wird buch bie Luft entführt.) 
Ampebo (beftürgt hinſchauend, wo er geft 


(Bann geht or nad) dem Fenſter zu dem | Banceug) A 


heut’ mein Ralamos zeubrochen, 
Sau ‚ein andres wählen und Ban 


+ “. 
XV 
(Bmd —5 Gewolt ber — Bat zu Bea), 5 am 


1. — — und fie will die 
Bir find gefchlag'ne Leute, gehn 





Adelbert von Chamiſſo. 


Sie muB fie nehmen, muß gezwungen 

Wenn noch Bere t ift in der Welt, 

Sie bat fie ja 
2. Raufherr. 

Und eine Kaiſerin? 

4. Kaufberr. So möge denn 

Bur Stunde fie der Teufel boblen, ſammt 

Was im Gewolb nur iſt von gutem Werth. 

2. Kaufherr. Die Rede ift ja jündlich, ſchweig 

(Mndolofie tritt auf, von einem Diener gefäfet;) 
Diener. ‚Dier, Herr, 

Hier findet ihr das Köſtlichſte der Axt, 

Das nur Venedig aufzuweiſen bat. (Mb.) 
Andolofia. Zeigt Evetfteine mir und Damenfehnud. 
1. Kaufberr. Euch Edelfteine? 

AUnbolojia. Da. 
1. Kaufberr. Bon welcher Art? 
Audolofia. Das thenerfte an Preis. 
1. Kaufberr. Das wollt ihr faufen? 
Andolofta. Das will ich kaufen, wenn es mir gefällt. 15 
B% — r. Den Halsſchmucknebſt den Spangen bier, ettiva? 

Kaiſerin, die fie beſtellet hat, 

nten fie zu fojtbar. 

ofia (minumt fie in bie Yanb), 

— Sagt den Preis, 
1. Kaufherr. Zweihundert Unzen feinen Golbes. 
Andolojia. Wohl. 

Zeigt mehr. 

1. taufhere (öffnet 


Und andre zu 
Die find bere 








42 Adelbert von Chamiffo. 


Andotofia. Das wirb fi) alles finden. 
Agripping (cheeiend). 
D gieb mir Hunde, welcher Ort ift dies? 
Wie famen wir dahin ? 
Anbolofia. Nur fachte, jachte, 
Ich bin wicht taub, ich kann jet wieder hören. 
Bir find Gier unter einem Apfelbaum 
Und kamen raſch. 
Agrippina. O heil'ge Mutter Gottes! 
Es raubet alle Kräfte mie die Ungft. 
Anbolofia. Du ſollſt dich faſſen mb mein Wort ver- 10 
nehmen. 
Agrippine. Es brennet hier der Sonne Strahl jo heiß! 
Und Durſt umd Müdigkeit, ich bin fo ſchwach 
D gäbft dur mir der Hepfel einen, daß 
Ich mic erlaben möchte, 
Anbolofia. Wohl, ich wills. 
9— habe Zeit, es ſoll die Frucht dich laben, 
Indeß verwahre bie Juwelen du, 
Ich muß den Baum erklettern, da, Das Hütlein. 
68 ihliget gegen Sonnenhitze dich 
Es wirde durch die Zacken nur mid) hindern. 
er bat iht bie Meiwode in ben und das dutlein au 
eu Ya I of geſeb. Er Teen ben Sun), i 


ke D wär ich nur daheim in meiner Kammer! = 


(Das Hitlein entführt fie famt den Meinodien und dem Gfüds- 
jedel an ihrem Gfirtel.) 
Andolofin (auf dem Bann, führt fort, ohne aufgemexft zu 
haben, er wirft Wepfel herab): 
Da haft du Aepfel. Iß nar die mit Frieden. 
Ein andres Wort, ein ernftes, ſollſt du bald 
Aus meinem Munde hören, — Denn die Beit 
= nunmehr Fommen, und Die Rache reif, 
Andolofia's Macht bift du ae: 
Du, Schlange, dunfteft wohl mit fredhem Mu 
An arger Ranken Seilen ſeſt mic binden, 





‚ Gifrbeteunfnen 
Und reich dich rühmen von qeranbten Gute 
ö i ie Bruft mit Übermuthe, 
ft die Sinne ſchwinden, 


Sonne rubte. 
meinen Händen, 
kam ih nun das Haupt der Schlange. 
entflohnen Siege magft dur ftaunen, 


Der Soufleur (liftert ihm zu und wieberhoit immer Tauter), 
Es freut... Es —— Es freut die 
MM... 


Aunbolofia wi , fo firede b 
Seen ac 18 ame De Bulle au at Ws 


Es frent die Jungfrau ſchnell ihr Rad zu wenden, 
unerwartet jähen Uebergange 17 
Verherrlichet Fortuna ihre Launen. 


XVIL. BE 


Anbotofia.keaft 6, anf. Ein Kut fingt I dem Wiplel 
des Baumes). 

Die Baume ſluch ih, fluche ti 

Des Hurenfohnes morſchen 

Gepflanzt dich hat inmitte 

Mitfammt der Hahnereien 

‚Die je gefoftet oder foften 

, welcher deit 





44 Abelbert von Chamiſſo. iv 


Und Fluch der tückenſchwang'ren Stunde der Geburt, 10 

Wo freudig mich die Eltern grüßten, unbewußt 

Der Gegenwart geworb’nen Zukunft, welde nun 

Auf mir mit Mordwucht bfeiern laſtend ſchrecklich 
ruht. 


O Vater, deines Bettes ſei die Luſt verflucht, 

Der meines grauenvollen Dafeins fiel die Schuld, 

Und daß fie Gift nicht ward, die Er der Mutter- 
bruft. 

O Hätteft du mich, grimm'ger Tod, gewürget dann, 

Bevor noch diefer Stunde fommen Noth und Ungft! 

Verflucht der Tag, die Stunde, da zum erften Mal 

Ich dich gejehen, mir entſponnen jolhe Schmad. ® 

D Agrippina, falſches Herz, Hinfort nun mag 

Die, freun der öftliche Velig, der Toppelfchap, 

Und dic, Unholdin, ihre Mutter alt und farg. 

Mein Ampebo, mein Bruder, der geliebt du warſt 

Bor allen meinem Herzen, Ynnt an biefen Plap 2 

Dich) meine Mordgier bannen, ſchnell mit eigner Hand 

Die, würgen wollt id), jelber mich erhenfen dann, 

Und Hohn im Selbftmord grinzen, daß des Seckels 
Kraft 

Aufhöre und in ihrer Hand verfieg der Schaf. 

D Schidjal, Schiejat, böfes, fehlugft bu mich jo Hart, o 

Daß härter mic) zu Schlagen, du die Macht bir 
brachſt! 

Nichts, ſiehe, Nichts iſt, das annoch ich fürchten kann. 

Verzweiflung durdhzuct meine Seele [hwvarz und falt. 

Ich will mich faſſen, will es, feit fein, fein ein 
Mann, 

Mein Haupt behelmen, meine Bruſt umziehn mit s 
Stahl. 


(Er geht Heftig umher und fpeift in Gedanfen zwei ber Wepfel 
des Baunıes, die er von der Erde aufnimmt. — zugleich wadjfen 
ihm an der Stirne zwei mächtige Hörner, deren Schein ihn 
nachher beunruhigt, er et ‚mer den Kopf, um banadı 
zu fehen, 


x gortunati Giuchedet und Wunſchhatlein. 45 


Um meine Stirne ziehen düſtre Schatten fich, 
Dem Aug entweichend, wenn id; ſcharf fie ſchauen 
will. — 
Sind böfe Spiele der Gedanken. ern von mir! 
(eine Seit darauf im Wahne, er habe das Wunfchhütfein) 
Nach Famagufta! — Wehe! grauenvoll! du ſprichſt 
Im Bahnfinn. Selbft zericellet Haft du eben iht 
Des Baterhaufes Pfeiler, und anrufen willſt 
Verſcherztes Glück du, welches nie rüdfehren wird. 
Verſchwinde, arges Dunkel, oder fteh dem Blid. 
Nur Hohngeftaltung eig’nen finſtern Sinnes fliehit 
Und fehreft du verfofgend ftet3 zurüd, und nicht 
Die Ruhe gönnft du, die ic) mir erzwingen will. 
Mic ſchrecket leeres Scheinen er bin ein furchtfam 
ind 
Ich denn geworben? wie jo wüft und leer um mich 
Die Fläche diejes üben Landes fich ergießt! 
Unaufgehalten überjchwebet fie der Bid. 
Die todte Einfamfeit ift furchtbar, ihr erftirbt 
Ob kühn, der Traum der Rettung und der Muth 
erliegt. 
Nichts lebt, e3 regt fein ſcheuer Laut ſich, einzig fingt, 
Verhaßter als das Schweigen, der Kudud fein Lied. — 
Du würdeſt nie mehr fingen, wenn ic) nur dic fing! 
Wirſt du denn, Plagefchatten, mit dem Luftgen Krieg 
Ermüden nie, beftürmend meinen franten Sinn? 
Du wirft dod) wie dem Auge dich der Hand entziehn? 
(Er greift darnadı, fühlt bie Hörner und erfchridt) 
DO weh mir! — Nein, verfachen muß; ich jelber mich, 
Es war mir — 
(er faßt bie Hörner an) 
nein! ad) Hörner find es ganz gewiß. 
(er verfucht fie abzureißen) 
Verwünſchter Mißwachs, Fluch und Tod! fein 
Mittel wird 
Mic, deiner zu erlöfen heifen! ftofen, zieh'n. — 
Dir ift, wie Wachathums Schnelle, Feftigfeit verlieh'n. 





46 


Abelbert von Chamiſſo. xvu 


- Mir ſelbſt zum Abſcheu worden, nun ein ſcheues Thier, 


Zu denen ich mich jehnte, Menjchen muß ich fliehn. 65 

D Sceufal, Agrippina, faljche Zauberin, 

Die doch ich nicht gefreiet, aber mir verlieh 

Dies Ungebenten, Rache, Rache über dich! 

Es möge deiner ftolzen Schönheit folder Schimpf 

Zur Krone werden, Edel vor dem eignen Bid m 

Bu flieh'n dich treiben, aber welche du beftridt 

Mit Hohn dich ängften, bis in’s Grab du dich ver- 
birgft. 

IH renne mit dem Kopf den Baum an, ob Getvinn 

Es mir wohl bringet, und das Schandbing doch 
zerbricht. 

(Er verſucht e8) 

Nichts — Wieder nichts, o Hölle, Wuth! wie feit 7 

es figt! 
(Er rennt noch einmal) 

So brich! o weh’! das that mir hölliſch weh! 

Nicht anders war's, als ob die Seele mir 

Zerkracht im Leibe wäre; de3 genug, 

Ich will geduldig tragen umd ertragen. 

€3 Hat der Zorn ſich mir gefühlt, und anders 60 

Erſcheinen mir die Dinge; nun fürwahr, 

Von Ritter, der ich hieß, bin Fürjt ich worden: 

Mic, freut der liebenswürd’ge Schmud der Krone. 

Ih fpiele eine Luftige Figur! 

Das fiehet, traun! um vieles befjer aus s 

Als der verdammte alte Filz, der fo 

Gefällig eilend über Hals und Kopf 

Mich Hergepflanzt, und jollt id) an ben Galgen 

Mic, Heute wünjchen, ſammt dem Hörnerpaar 

Blieb ich doch figen, hier auf grünen Matten, ” 

Im duftgen ee, wie die Poeten rühmen, 

Für meiner Klugheit Streiche bin id) fidher, 

Und was des Sedels ift, den fann ich miffen. 

Mit diefem Hanpiſchmug angethan, da hat 

Es feine Noth. — Ein Goldquell werd ic) ſelbſt mir. 9 


XVILXVOL) Sortunati Glücjedel und Bunjchgütlein. 47 


Ich ziehe, wo nur Menjchen find, umher 
Und Iafie mich für Geld beihaun — wohlan! 
Ei Leute! Leute! will fein Hurenkind 
Sich bliden laſſen, das der erite jei? 
100 Es ift doch aller Dinge Anfang ſchwer! 
Ich bin mit meinen Hörnern hier zu Land 
Und meiner guten Laune ganz allein. 
Ein König diefer Erden. — König? — ei 
So will ich auch mich freuen föniglich, 
105 Und önigliches Leben führen. — wohl! 
Zu gutem Anfang leg ich Hier mich {hlafen. 
(Er legt fic) nieder) 
Ja ja! — — — — 
Ja ja!— — ſchlafe du nur. — Wie ging es doch? 
Schlafe du nur, ſchlafe du nur. 


(Er ſchlummert ein.) 
(Saiten tönen hinter — — ſpriugt auf. Der 





Andolofia. D füßer Ton der — den 
uo Nicht gier'gen Ohres noch zu trinken ich 
Gedachte, güt’ger Gott! o Freuden-Wahnfinn ! 


XVII. 


Gefang. Der Klee, die grünen Matten 
Inmitten dem öden Sand, 
Der Apfelbäume Schatten — 
Auf Erden fein anderes Land! 


5 Und mögen dem trügfichen Winfen 
Gehorchen der Meeresfey 
Die Erdenföhne, und ſinken 
In Sturmes-Drang mit Gejchrei. 


Entwandt den Eitelfeiten 

1 Hat fi mein jehnendes Herz. 
Bon gottgeweihten Saiten 
Der Klang ftrebt himmelwärts. 


Adelbert von Chamiſſo wir 


+ Mir ſelbſt zum Abjchen worben, nun ein ſcheues Thier, 

Bu denen ich mich jehnte, Menſchen muß ich fliehn. — 
D Sceufal, Agrippina, ſalſche Zauberin, 

Die doc) ich nicht gefreiet, aber mir verlieh 

Dies Angedenlen, Rache, Rache über dich! 

Es möge deiner ftolgen Schönheit ſolcher Schimpf 

Zur Some werben, Edel vor bem eignen Bilb 70 | 
Zu jlieh'n dich treiben, aber welche du beſtridt 

Mit Hohn dic) ängiten, bis in's ei du did) ver- 

birgſt. 
Ich renne mit dem Kopf den Baum an, ob Gewinn 
Es mir wohl bringet, und das Schandding doch 


jerbricht. 
(Er verſucht ee 
Nichts — Wieder nichts, o Hölle, Wuth! wie feſt 7 
es fit! 
(Er rennt noch einmal 
Sp brich! o weh)! das that mir hölliſch weh! 
Nicht anders war's, als ob die Seele mir 
Zertracht im Leibe wäre; des genug, 
Ich will geduldig tragen und ertragen. 
Es Hat der Zorn fid) mir gefühlt, und anders * 
Erſchelnen mir die Dinge; nun fünvahr, 
Ron Ritter, dev ich hieß, bin Fürft id) worden: 
Mic; frent dev liebenswuͤrd'ge Schmuck der Krone. 
Ich fpiele eine luſtige Figur! 
Das fiehet, traum! um vieles. beſſer aus 
Als der verdammte alte Filz, dev fo 
Sefällig eilend über ‚Hals und Stopf 
Dich Hergepflanzt, und follt ic) an den Galgen 
Mic heute wünſchen, ſaumt dem Hörnerpaar 
Blieb id) doch ſihen, hier auf geünen Matten, ” 
In duftgen Klee, wie die Voelen rühmen, 
Für meiner Stlugdeit Streiche bin ich fidher, 
Und was dos Sedels ift, den dann ich miflen. 
Mit biefem Hauptſchmuct ethan, da bat 
Es keine Roth. — Ein Goldquell werd ich jelbit mir. 9 








Adelbert von Ehamifo. [RYI. XIX. 


Und wie ber Klang aufftrebet 

it, ibm mein Herze geiellt; 

Auf tönenden Schwingen es hebet 
Sic; liebend zum Sternengelt. 


Der Gottheit Sehnfuchtsnugen, 
Der Sterne mahnender Chor, 
Sie bliden, und tönen, und ſaugen, 
Den dimftenden Athem empor. 


Genefung der irdiſchen Qualen, 
Gewährung der Sehnſucht, mur dort; 
Dort aller Verheihungen Zahlen, 
Dort meiner Schnfucht Ort. 


Der Mer, die genen Matten 
Inmilten dem Öben Sanb, 

Der Apfelbäume Schatten — 
Auf Erden fein anderes Land. 


XIX, 


(Ein Exemit mit Seueifig und, a) tritt auf, ein Saiten 
fpiel im Händen haltend.) 
Undolofin (auf den Bruder zueilend). 
Co du vom Weibe Gift gezeugt, ein. Menfch, 
Bei deiner Wutter Bruft beichtdr ich dich, 
D übe du Erbarmung gegen mid). 
Eremit. D armer Menfch, wer hat Did; hergebracht, 
Und was in biefer Wilbnif ſucheſt bu? 
Andolofim. Ich kam... ich ſuche .. — fronmer 
Bruder, nicht 
So ſeltſam fraget mich — Nur Hülfe ſchafft, 
Daß zu den Menfchen ich mich vetten Tann. 
Und euch beſchwerlich werd id) nimmer mod). 
Eremit. Ju dreißig Jahren feinen Menſchen hie 





2X.) Fortunati Gtüdjedel und Wunſchhütlein. 49 


Geſehen hab ich noch gehört, und wollte 
Geblieben wärft auch du von diefer Wüfte. 
Andoloſia. Mic reut es, daß ich jemals fie betrat. 

Eremit. Doc rede du, o Sohn, wofern id kann 
Dir dienen, bin ich willig «8 zu thun. 
Andolofia. Ein Becher Weines, lieber Bruder — ad! 
Ich Habe, eh’ du fameft, ſchlechtbedacht 
Bu ſchonen meine Bruft, dem Baume da 
Gar manches anzureden mich bemüht, 
O fühle meinen Durft, erquide mich, 
In deine Zelle nimm mich gaſtlich auf. 
Eremit. Mein Haus ift biefer Raum, des Himmels 
Wölbung 
Der Tempel meiner Andacht vor dem Herrn, 
Und Speif’ und Trank empfang ih nur allein 
Bon diefen Bäumen. OD mein theurer Sohn, 
Die Koft, die mich erhaltet, theile du, 
Nicht Wein noch anders kann ich dar dir reichen. 
Andolofia. Hm! — Sage Bruder mir, wie fomm ich nun 
Aus diefer Wüſtenei, dem Unglüdsboden, 
Bu zahmen Menſchen meines Gleichen hin? 
Eremit. Fern, über diefen Sand, am Horizont, 
Erjhauft du jenen blauen en 
Anbdolofia. 
Eremit. Ein waldbewachſenes Gebürg m oil; 
Und Hinter dem im Thale wohnen Menfchen. 
Andolofia. Was aber, frommer Bruder, Ichre mich, 
Bas mit den Hörnern, die in deinem Haus 
So elegant ſich meiner Stien amvucjjen 
Und raid}, daß deffen ich mich nicht derſah 
Iſt mir nun anzuftellen? Menſchen — gut. 
Meerwunder aber anzujehen muß 
Ich ihnen alfo jein, ich möcht" e3 meiden. 
Eremit. (pilüdt und reicht ihm zwei Aepfel vom andern Baume.) 
Nimm hin und if. Von jenes Baumes Frucht, 
Die du gewiß gefoftet, ift allein 
Dir ſolches wiederfahren, dieſe hier 
Deutsche Litteraturdenkmale Nr. 54155. 4 


50 Adelbert von Chamiffo. (IE. 


Hegt eine andre Tugend und man barf “ 
In gleicher Anzahl beide nur genießen. 
Andolofia. Wie, Henker! kommt das Obſt an dieſes Lafter? 
(Ex verzehrt die Aepfel, indem er ſtets nach feinen Hörnern fühlt, 
er freut fich, wie fie immer fürzer werben und zulegt ganz ber- 
jchwinden) 
Eremit. Wie ſtolzen Wahnes Weiſe ſich geberden, 
Die Urkraft höhnet bildend ihrer Träume. 
Deß Wort die Himmel ſchaffend rief, die Erden, 
Und was erfaffen aller Welten Räume, 
Der ließ an Tugend wunderbar auch werden 
Auf hiej’ger Sandung diefe beiden Bäume 
Und nirgends andre noch von ihres Gleichen 
So fern und weit de3 Erdreichs Örenzen reichen. 55 


Andolofia. Nicht zürne mir, o guter Bruder, daß 
Nicht fragend, ob du mir die Frucht erlaubeft 
Bon deinem Hörnerbaum ich Acpfel fpeifte. 
Ich twuhte wahrlich nicht dein Cigenthum, 
Und fonnte nicht vermuthen auch, daß wer “ 
In dieſer Dafis Beſitzer war. 
Vergieb den Fehl mir, guter Bruder, und 
Sei herzlich auch gedankt, daß du jo mild 
Bereit warſt alle Spuren zu vertilgen, 
So an die Stirne mir geihrieben hatte 6 
Verrätheriſch die Frucht — ja, thue mehr, 
Erlaube du, o guter, lieber Bruder, 
Erlaube du mir, — wüßteſt du wie gut 
Ich ſolche anzubringen nun gedenfe 
Geiprochnes Wort auch Löfend, o 0 
Erlaube du mir, daf ich pflücen darf 
Und mit mir nehmen des foftbaren Obſtes 
Nur wen'ge Stüde, theurer, lieber Bruder 
Nicht hart, nicht graufam fei, es gilt mein Leben. 
Eremit. O theurer Sohn, wonad) dein Herz ſich wende, 75 


Das nimm, du brauchit mich nicht darum zu bitten; 
Den Erdenfindern allen Gottes Spende, 


& 


zIX.] Fortunati Glückſeckel und Wunſchhütlein. 51 


Nicht eignes mir in dieſes Gartens Mitten; 
Mein Eine Seele, kann ich in die Hände 
” Des Herrn fie geben, hab ih gut geitritten. 
Zu meinem Schöpfer die Gedanken flammen 
Nicht Irdſches Hegen jolle mid verdammen. 


Ich kann an dir wohl merfen, daß umfangen 

Dein Sinn und Herz von eitel irdſchem Gleißen; 
s Vergänglices wur heget bein Verlangen, 

Entfernt des Ewigen dich zu befleißen; 

Es gleicht dem Irrlicht, nicht es zu erlangen 

Wirſt du dem Wahren frevelnd dich entreißen. 

O theurer Sohn, du fröhneſt der Vernichtung, 
no Abtrünnig deiner Seelen Urverpflichtung! 


O hätteſt du getrunken aus dem Bronnen 
Aus dem lebendige Gewäſſer quilten ; 
Der Wunden Schmerzen in des Himmels Wonnen 
Bu fehren, und den ew'gen Durft zu ftillen; 
» Da wäre Freiheit dir und Heil gewonnen, 
Mitwollend ruhigffar des Schöpfers Willen ; 
Auf Feljen feit gegründet deine Wohnung, 
In Herzens Frieden wahrend die Belohnung. 


Zum Kampf denn! woll aus deinem Herzen ſchlagen 
100 Ein eitles Treiben, das das Licht beleidigt; 
Unfrieden fühnt der Kampf, Sieg wirt du tragen, 
O6 fid) im Zorn das Ungethüm verteidigt; 
Der Streiter Schiem, das hohe Kreuz fich' ragen, 
Bei der Geburt auch du warft ihm beeidigt. 
105 O theurer Sohn, nicht zu beſtreiten trachte 
Die Vorfiht, die an diejen Ort dich brachte. 
Andolojia. Nicht kann ein wohlgemeintes Wort dir 
frommen, 
O heilger Mann, auf Feljengrund zu jäen. 
Ich weiß, wie ich an diejen Ort gekommen, 
10 Den Kampf, in den des Herzens Flammen wehen, 
Augftreiten muß ich, hab’ ich unternommen, 


Abelbert von Chamiſſo XIX. xx 


Und ſollt' ich jelber aud zu Grunde geben, 
Der Kampf ift Leben — ſoll ich einft erwerben, 
Verblaft mein Treiben, muß ich dumpf erſterben. 
Geſflligelt Wort, du nannteft mein Verhängniß! 
Es reift, ich fühl’s, hinab mich unaufhaltiant. 
Du Bruder riefft das Wort aus dem Gefängiiß 
Das jelbit ich zu erbredhen war enthaltjaut. 
Eremit. O Men, der Leidenſchaften Schmachbeorängnif; 
Dies Schichal ſpinnſt du jelber dir gewaltjam. 120 
Andolojia. Auch alfo. — Doch nad) London muf ich eilen 
Den Boden nenne mir, wo wir beriveilen. 
Eremit. Hibernia 
Andolofin. D Fluch! wie lang noch ſchweiſen 
Durch Land und Meer bis ich bas Fiel exit habe. — 
Zum erften Nächjten! — Fur dem blauen Streifen, 125 
Den Bergen dort. — Div Dant der hohen Gabe 
DO frommer Bender, und, ob nicht ergreifen 
Es mic, gefonnt, bes Wortes. — Bis zum Grabe 
Mit dir der Frieden Gottes und fein Segen. 
Eremit. Des Himmels Gnade feuchte deinen Wegen. 130 


XX. 
Wildniß. Waldhewa hſene Rippen a Meeres Ufer, Andoloſio 
 fept Agriobnam nleber.) 
Agrippina. Was ift mit mir boch geworben! 
Weh mir! welcher Ort! 
Anbolofia. Vollbracht mn! 
Agrippina. Welche ſchauervolle Wilbuif! 
Anbolofia. Abgemworfen bie Verfappung! 
(wirft he Doftorfleib, ſatſches Haar ab falf Pat ab, das 
Ye He nn ‚ Früßen S i 
Agrippina. eh mir! Andolofia! weh * 
Anbofofin. Ja, du ſtehſt in feiner Macht nun. 
(geht mit entblöfiten Meffer anf fie zu.) 
Agrippina. Zudft ben Dolch du mich zu morden? 
Wed mir, weh mir! hin mich raffft du 





w v 
are nln Man a dub {ae Seel m rn Or) 
Ben; 
Und Vergeltung folt bir werben 


Der an mir verübten Handlung. 
I a ac geftvenger Ritter! 


‚gen Rath weiß zu entipinmen 
Und zu mifhen Gift und Schlaftrunt. 
Wären and) bie hier — der Scart, 
Siehe, ruht am alter Statt mın — 


Agrippina. Git’ger = 
Andolojia, (8, Agrippim 
Darhte doch bein Be dafs du 
Ahſo grofie Untren übteft 
Gegen mich, der ich fo ganz nur 
Treuer Liebe hingegebeit, 
Lebte in ber Trugumgarnung. 


mic) geftärgt in Stampffturm 
teudig-ftart, tie im Turniere 


Ruhm ich Langen brach und 
ward in jeden Strauße, 
ot eines Traums Umarnumg. 





Adelbert vor Chamifo, 


Welches Herzens Ygripplita 

Konnteſt du mit fofches authun, 

Mir dem männlich guten Ritter 

Sole schmählihe Verhandlung: 

Faſchingſpiel mit mie die triebeſt 

Gierig frohnend niedrer Habjircht, 

Meines Herzens Blut dir ſaugteſt 

Und verftieheft mich in Memuth; 

Meiste ſchier mich dann zum Selbitmord 

Der Verzweiflung geaufer Anfturm, 

Hatteſt Hohn du, feinen Mitleid: 

Eine Zehrung auf bie Wantrung — 

Unverloren jieh die Gabe — 

Diefe Minze bier mir gabſt du. 

Hin die Gabe nimm zur Stunde 

Nirmm die rechtliche Erftattung. 

Und gedenf gerechten Urtheile 

Sprich den Spruch der Selbfiverbammung. 

(Er wirft ihr den Falfchen Seckel zu.) 

Agelppina. HUF mir Himmel! ach bes Blices 

Unheilichwangre Zornentſlammung! 
Andolofia. Weh mir, weh dir, daß bem beiten 

Ernſt du argen Herzens abſchwurſt. 

9, du Haft mich herb gefchlagen! 

Mir yerfchellt von jäher Spaltung 

Sant ber Himmel, bem ich traute, 

Und verftoßen zu dem Abgrund 

Muß mit Grauſen ich nun Haufen 

Unter ew'ger Nachtumſponnung. 

Liebeswort ijt Nebellappe, 

Duntelſchleichend ſinnt Verrath mr, 

Sinnt Verrath um ichnöbes Gold die 

Tochter Ariglicher Abkunft. 

Meicher Glaube, fefte Liehe, 

Tlammen himmliſcher Abſtammung, 

Strebet zu bes Himmels Sternen! 

Dies auf Erden eure Zahlung! 





x] 


Fortunati Gfüdfedel und Wunfchhätlein. 


Was doch haucht die raſchen Worte 
Thörigt meines Bufens Wallung! 
Leere Schallen, fie verhallen, 
Nicht doch fie verftehen kannſt du. 


Mgrippina. Weh mir! das noch! harte Erde 


Bift auch taub du meinem Angitruf, 
Willſt hinab denn mich zu ziehen 
Reißen feinen tiefen Spalt du? 
Liebesringen, Höllenflammen 

Veh! im Zorne furchtbar nahſt du 
Nichter der gerechten Rache, 

Gott des Himmels! weh mir, Schmach num, 
Schmach gerecht von ihm nun trinfen 
Und den Becher der Beratung! 
Nitter, Ritter! könnte feuchten 
Meiner Schmerzen Offenbarung! 


Andolojia. Nein, zu friihen Angedenkens 


Sind die Thaten, und die Langmuth 
Bricht die Saft der müßgen Worte, 
Spare deiner Kunſt Entfaltung. 

Sieh, die Stunde jchlägt, die Rache 
Schwingt ſich auf, es wird die Schapung 
Ausgezollt gehäufter Schulden. 

BWeih ich doch, gefühlt der Rachdurſt 
Erſt des Buſens, finft mein Leben 
Mang- und farblos in Ummachtung 
Zumpf hin müden, müß'gen Schleihens 
Big der Tod mir reicht den Labtruuk. 


5 Agrippina. Und dein Wort macht mid) ergraufen! 


Eigner Tugend jei bedacht mur, 
Nicht ein Schredliches beginne, 
Nicht die dunfle That der Rachſucht. 
Wehrlos fieh ein Weib zu deinen 
Füßen weinen, fich der Waldung 
Wilde Nacht um uns fich ziehen, 
Dich zum Zeugen deiner That nur; 
Andolofia, Ritter, denke 


55 


Adelbert von Ehamilio. 


Eigen Hochgefülhls Bewahrung: 
amd nicht leg am die Gefangne 
ländige mit mächt'ger Faſſang 
Beinen Zorn, in deinen von 
Meines Yeib’s und Ehr Erhaltung. 
Undolojia. Meiner, ja, till ich bedacht fein 
Unb es wurgelt bie Ermahnung 
Burg um Leib und Ehre jet die 
Nitterliches Wort. Doch abthun 
Kann ich nimmer mid) des Zornes 
Nicht berüdit du mich zur Sanftmuth. 
Trägft du meiner noch ein Beichen, 
Nimmt wohl jolches mit ins Grab du: 
Wie befränger deine Schönheit 
Doch der Stimme nener Hanzichmud, 
Wohl dem Monde nur vergleichbar, 
Mit der Hörner ftoßzer Pilanzung. 
Agrippina. (fühlt nach RT an ihrer Stirne und er- 


Weh, dem Schreden ich gebändigt, 

Dachte nicht der Schmachgeftaltung ! 

YAndo Tofia! 
Andolofia. Agribpina! 
Agrippina. In der gränfigen Verwandlung... 
Anbolofia. Lebe firder nöch nach Herzen 

Und nach Bold die upp'ge Yagdluft, 
Agrippina. Wär ich, Gott, der Hörner ledig 

Bei dem Vater in der Stadtburg! 
(Anbolofia bei dem Worte beſiunt fid des EN das bei 
grippina zur Erde fient, er jan hinzu, fie bemert bie Ber 
wedung und greift mac) — Andoloſia iſt ihr yunor- 

getomm 


fin. Weh mie Toren! 
Wel 





xx Fortunati Gfüdfedel und Wunſchhutlein. 57 


Wäre nicht mein Eid, du müßteft 
Strads mir büßen die Anwandlung. 


(Er rüftet fich zur Abfahrt und will das Hütlein aufiegen.) 


145 Agrippina. Ritter, Ritter, jeid barmherzig! 
Muß ic, fremd der Menſchen Gattung, 
Mit dem Wild an wüſtem Orte 
Haufen Hier in rauher Waldiuft, 
Mic der Hungerstob erichleichen? 
180 Sie doc willen ihre Nahrung; R 
Schaut zu der Verzweiflung Thränen, 
Die find meine einzige Labung. 
Andolofia. Bild der mir entſchwundnen Liebe 
Laß von ſolchen Worten ab nur. 
1 Denn es trauert meine Seele 
Und mein Herz finkt in Ermattung. 
Mitleid muß ich doch dir zollen 
Und mic) rührt die holde Unmuth 
Der Geftalt, ob trüglih Gleißen 
160 Sie umfchleiert nur Entartung. 
Und du follft nun zu den Deinen. — 
Dicht vor London, von dem Wartthurm 
Bill ih nur fo weit dich tragen, 
Wie der Schuß ift einer Armbruft. 
165 Denn den Unglüdsort erſchauet 
Nie mein Aug’, dei ftumme Mahnung 
Mir die Frevelthaten zählet. 
Agrippina. Nein nicht alfo! ift im Anbruch 
Doc der Tag ſchon deiner Gnade, 
1m Andolofia, o den Schmachfluch 
Sfe, tilge dieſe Hörner, 
Gieb vom ſchweren Bann Erlafjung! 
Andolofia. Thörigte, gebeut den Lippen 
Von dem eiteln Wort Enthaltung. 
175 Ygrippina. O du Täßt dich noch erflehen 
Andoloſia. 
Andoloſia. Eh'r den Rathſchluß 


58 Adelbert von Chamiffo. [3 


Brichſt du des unbänd’gen Schichals. 
Agrippina. Von der Hoffnung ift Entjagung 

Schwer dem Herzen, Andolofia, 

Welch ein eijern Wort doch ſprachſt du! * 
Andolofia. Wie Nothwendigtkeit jo eiſern 

Fällt des Mannes-Willen Machtſpruch. 

Doch die Stunden nieder eilen. 

Auf nad) London, auf und laß uns 

Schleunig zu der Reife. 18 
Agrippima. (mit einer Betvegung nach bem Meeresufer.) 

Nein nein! 

Eh'r verſchlinge mic, die Salzfluth! 
Andolofia. Halt an! Weib. Du rajeft Wahnfinn. 
Agrippina. Vor befannten Volks Verſammlung 

Spott und Spiel und Mahrchen werden, 

Der Gedanke heiſcht Erftarrung. 10 

Eh'r aus bangem Traum errette 

Mich vom fteilen Riff der Abfturz. 
Andolojia. Wo denn fonft begehrt dein Herz Hin? 
Agrippima. In die Fremde, in Verbannung, 

Wo fein Aug mic) je gefehen, 1x 

Tief und tiefer! J 
Andolojia. Ohne Ahndung 

Welches Simmes, fprichft ein Wort du, 

Hör das Wort an der Erfahrung: 

Nirgends wäre dir es befler, 

AS in Eltern Schooß, der Warnung 0 

Trauc, die aus treuem Munde. 
Agrippina. Berge tief mich Mlofternacht und 

Unter Menjchen fei mein Name 

Dumpf verſchollen. 
Andolofia. Haft bedacht du, 

Agrippina, bein Begehren, 20s 

Und bedacht, was ich dir antrug? 
Agrippina. Lab im Klofter hoffnungslos mich 

Weinen. 


xxi] Fortunati Gtücjedel und Wunjchhütfein. 59 


Anbdolojia. it es Ernſt dir? 
Agrippina, Ja! 
Andolofia. Nun! 
(Indem er das Hütlein aufjept und fie anfaßt.) 
Hütlein! vor ein Frauen-Klofter. 


XXI. 


(Hibernia. Bor einem Nonnenffofter an einfamen Ext, Gletjcher, 
Berge und Wälder, Ausficht über die Ger.) 


Andolojia (jet Agrippinam nieder). 


no Sieh erfüllt dir die Erwartung. 
(Agrippina verhült ihr Geſicht. Andoloſia fährt fort.) 
ı Und dieſem feiten Thore will ich nahen, das 


Sich hinter dir bald dumpfen ernften Klanges ſchließt 
Des Grabes Thor gleich, während zu den Lebenden 
Entjagter Rüctehr Hoffnung. Wollte dein Geichi 

® Aus deiner Bruft ſelbſt ziehen diejen Rath, gefällt 
Nun über dic, nicht rechte mit dem Waltenden! 
Der äußern Willfün herber Zwang verfündet oft 
Vollſtredend ihr Geſchickesloos den Sterblichen. 

Agrippina. Verdarben jeden Hoffnungsſchimmer Unglüd- 
ſeelige, 

» Erfaßt ihr Herz des Todes legte duͤſtre Wahl. 
Andolojia (geht dem Kloſter zu; ex betradjtet Gitter und 

nefchloffene Thore). 

Wer giebt aus diefen Mauern Anttvort meinem Ruf? 

(&3 erfolgt feine Antwort, er bemerkt den Hammer des Thores 
und pocht; es brößnt Durch die Hallen des Klofters) 

Agrippina. Mir wehe, weh! 
Pförtnerin (innerhalb). 

Wer ftört die Ruhe diejer Gott geweihten Statt? 
Andolojia. Der weitentleguen Erden Sohn, ein Ritters- 

mann. 

5 Bförtnerin. Richt öffnen gaftfrei dieſe Tgore Männern fich. 
Andolojia. Gehör begehrend von der edlen Abtiffin. 
Pförtnerin. Sie nahet dieier sw horchend eurem 

ort. 


60 Mdeldert von Chamiſſo ixxn 
Die Tore öffnen ſich, die Abtiſſin erfheint von anderen Nonnen 
Degteitet.) 


Abtifjin. Was treibt den Weltſohn dieſen fe file mern ya? 
Andolofin Der Wunſch, daß eine — mir ges 


Der Welt entrüdet, in ber Pe ſtillem Haus 
Begehrte Zuflucht finde. Ste, uralten Stamm 
Eutjproffen fleucht das Mutterland und heim ſche Dach, 
Weil ihren ſchon anfblüh'nden jungen Leib entftellt 
Miffillig. ploglid ihrem Haupt eutwachjen, ein 
—— Gezweige. Kloſtereinſamteit 
jerlanget frommen Wunjches ihr gebengtes Herz, 
Und unerkannt zu bleiben treibet fie die Scham. 
Abtiffin. Nur edlen Jungfvaum Öffnen diefe Thore fidh, 
Doch welche Pfründe hier begehrt, erlege denn 
Zweihundert Kronen nad) des Haufes Sapungen. *0 
Andolofia. Die Pfrunde zehnfach Fahend, nehmt Die 
Tochter auf. 
Abtiſſin. Es tete ſelbſt uns näher diefe Bittende. 
Anbolofia (Agrivoinom herbeihotend), 
Komm Wgrippina, deiner harrt die Abtiſſin 
Abtiffin. (Zu deu Nomen.) 
DO jeht! erbarmt euch ——— daß dies 


Entftelle ihrer fünen Bildung Ebenbau? 

An Schöne gleid wär einer Heilgen ſie zu ſchaun, 

Es zeugt der Anftand hoher Abluft; zlichtiglich 

Berweilt fie zögernd noch zu nahen und beichämt. 
) 


Tritt nähen, edle Torhter, iprich, begehreſt du 
unjers Ordens Joch zu leben fromm 
ungfran unter ung? 
ten Lepten Wunſch ehrwüurd ge 
Frau 
Abtiſſin So laß zuvor dic) lehren, wie Dies Hans beſteht, 
Dein Herze prüfend und bie Hutunft deiner Wahl, 
Denn vofches Zornes handeln, ı will”, it weiſe micht, «5 





zu Fortunati Gfüdjedel und Wunfhdütlein. 61 


Ein Vorgebürg Hibernias, am weiteſten 
Hervor ſich werfend aus der Erden feitem Bau, 
Trägt nur allein dies Kloſter, von der Sterblichen 
Anfiebelein geſchieden, ſelbſt die äußerfte. 
Der Erden legte Säulen find die Rieſen dort, 
In büftee Nebel tauchend ihre Häupter, da 
Herftörungsfroh der alte Winter hauſt und herrſcht 
In ew' gem Menſchenhaſſe. Ferne meidet ſcheu 
Der Seegler dieſen ihre Füße badenden 
Okeanos, denn nordlich endet nah die Welt 
Die aufgethürmte, helle, unnahbare Wand 
Demant'ner Felfen; weitlich fie der Königin 
Des Tages annoch unbelaujchtes feuchtes Grab. 
Dies Haus in ſolcher ernfter Abgeſchiedenheit 
Nimmt auf in feine Mauern edle Töchter, die 
Erfannt der Erben eitlen Scheinens Nichtigfeit. 
Und fie vereint Iobpreifen nur den Einzigen 
In Hohem Chor anbetend feine heil’ge Macht. 
Und ihnen ſtets unfreundlich zeigt die Erde ſich, 
Aus dunklem Boden trüber Nebel grauen Flor 
Zur Bläue hebend, aber den Begierigen 
Nur innern Lichtes ſcheinet herbe nicht zu fein 
Ein friedlich Andachtsleben hier zu Leben, denn 
Nicht eines harten, diejes Ordens Sapungen. 
Und welche treibt zu gehen in ein andre Haus 
Der Unbeftand des Herzens, ja ſelbſt in die Melt 
Zurüd zu treten ſich dem Ehhern einigend — 
Sie mag e3 thun, denn, nicht dem fargen Grabe gleich, 
Giebt diefes Haus die Abgejchiebnen wieder frei, 
Und nicht die ziwangesharte Macht darf walten hier. 
Dem Kloſter ift verfallen nur das Pfründe-Beld, 
Denn alio will es des Gejeges ftrenges Recht. 
{grippina. Veränbert darf nicht werden meinettvegen was 
Herkommen iſt geweſen. Brauch), Gewohnheit, Sitte des 
Ehrwürdgen Kloſters gänzlich unterwerf ich mich. 
Abtiffin. Du wirft gehorfam meinem Wort fein jederzeit, 
Zur Metten und zu allen Horen in dem Chor 


62 Abdelbert von Chamiſſo. xxi. 


Andähtig beiſein, wirſt befliſſen fein, was nicht 
Du weißt beim Eintritt, lernend wie du nur vermagit. 
Agrippina. Ich werd es. s 
ifſi Sei denn dieſer frommen Schaar vereint. 
(Agrippina tritt zu den Nonnen, Andoloſia zählt Geld auf einen 
Stein am Klojtergebäube.) 
Andolofia. Und diejes Gold aufzähl ic, Pfründen ihr 
zu fein. — 
Mic) treibt es aber euch zu flehen, edle Frau, 
Wollt jagen, und verfichern mich, den Scheidenden, 
Ihr Lafjet gerne dieſe hohe Tochter euch 
Empfohlen jein, wollt ihrer liebend achten, wollt ® 
Sie nicht gering, bei allem was euch heilig ift, 
Sie nicht gering, unmürdig nicht behandeln; fagt's! 
Abtijfin. Ich werde jorgjam ihrer warten. Selber fie 
Beſtimme, ob ich ihrer Freundſchaft mich erfreu'n, 
Für fie nur Achtung hegen darf, denn mächtig zieht 5 
Mich an die Anmuth ihres Leibes. Diefes noch 
Gefob ich gerne wie e3 auch gehalten wird: 
Abgehen, wo die Regel zuläßt, Möglichfeit 
Nur veichet, wird ihr nimmer, was nur wünſcht ihr 





‚Herz, 
Der Sorg' entnommen, edfer Ritter, reift mit Gott. 100 
(au Agrippinam.) 
Qu aber jolfit dem Freunde geben das Geleit, 
Den Ernit der Abichiedsftunde chlurfend unbelaufcht. 
(zu den Nonnen.) 
Ihr, Schweitern, folgt mir, heller Zunge mahnet uns 
Tas Erz der Stunde des Gebetes. Nehmt dies Gold. 
(die Glode Hat zu läuten angefangen. Die Abtiffin und die Nonnen 
treten in dad Softer wieber ein; eine der Schweftern hat das 
Gold aufgenommen; das Thor bleibt offen.) 
Andolofin. Nun ſegne Gott did), gebe daß du Lang geſund 105 
In diefen Mauern Iebejt, für vergängliche 
Eriwerbend ew'ge Freuden, und nicht ſchlimm dein 
Theil. 
Agrippima. Das wolle Gott! 


XL] Fortunati Glüdjedel und Wunſchhütlein. 63 


(Sie Hebt an heftig zu weinen; Mnbolofie wendet ſich ab und 
verhülft fein Geficht in feine Meiber.) 
O tapfrer, ftrenger Ritter, denfet meiner bald, 
210 Nicht euer Antlig wendet ab der Elenden, 
Nicht Bott, der Welt nicht dienen kann doch, deren Herz 
Umf—nürt mit Scham in ftummer Angftverzweiflung 
nagt. 
Andolojia (abgemandt). 
Geſcheh der Wille Gottes, des Allmächtigen. 
Agrippina. (weicht zurüd.) 
Wildgrimmiger Leu, bu verdarbſt in der Bruft 
115 Und der Liebe Gewalt und den Mitleid ganz, 
Nichtender Gott, weh, weh Rafender mir, 
Die zum Zorn ich gereizt den verderblichen Manu! 
Denn raubte die That die entfliehende Beit, 
Hält karg fie den Raub, und die Saat trägt Frucht, 
w Und entfehneltt fleugt, trifft der befieberte Pfeit. 
Spiel kindiſcher Luft, ich bervege das Rad, 
Es im Schwung hinrollt und erfaßt und entrafft 
Die erihrodene bangaufigreiende mich 
Bu der Tiefe hinab 


Anhang. 


ce 





it un jour Ia reine chatte, 
oui dal 
Qustait altiöre et dölicate, 
oui da! 
Aimant & faire bons repas 
De sonris et de petits rat, 
oui da! — nature de chat. 
Dormez mon chou, mon chat, mon rat- 


Elle avait Ia peau blanche et fine, 
oui da! 

Main fort douce et fort douce mine, 
oui da! 

Regard tendre, les yeux brillante 

La nuit comıne de fins diamants, 
oui da! — nature de chat. 

Dormez mon chou, mon chat, mon rat. 


Un souriceau de noble race 
ete. 

Vit de loin la reine & Ia chasse, 

La bonne päte de souris 

Sortit aussitöt de son nid. 


II dit: non jamais de ma vie 
ete. 

Je n'ai vu fomme aussi jolie, 

Elle aura de l’amour pour moi, 

Car elle a un trop doux minois. 


Anhang. 65 


Veux tu m’aimer je t'aimerai, 
etc. 

Seul & seul te röponderai, 

Prös de ti venz dormir ce soir, 

Pres de moi viens dormir ce soir.') 


Le souricaau pas n’y manqua, 
etc. 

Sa chatte s'en rit aux 6clats, 

Un amonreux la bonne pidce, 

Je veux le manger de caresse, 

On vous mange lä de carasse.*) 


») Lesart: dormirai-je aveo toi ce solr | viens dormir avec [chez? 
nous co solr. 
9) Die Istzte Zelle lat vermutlich Lesart zu der vorhergehenden 


Deutsche Litteraturdenkmale Nr. 54155. 0 


—— 


8. XXVI Z. L. x. o. achickaulig] d diese hübsche Wortbildung 
Chamissos (s. Deutsches Wörterbuch; aualog fu 
talis, holl. noodlottig) findet afch noch nls Variante 
in einer Schlemillhandschrift, &, Walzole Ausgabe 

S. 508, Anmerkung. 
— = vorziehen (s. Deutsches Worter- 
buch), mit Dativ wohl nicht zu helagen. 

. Weder in dem deutschen noch io dem französi« 
schon Sprichwort (tant va In eruche & Yeru, qu’h 
1a fin elle se cusse, Der Krug geht s0 lunge zum 
Brunnen bis er bricht) kann ‘gehen zu” die Be- 
deutmg ‘schwimmen auf’ haben, im Deutschen 
Wörterbuch ist eine solche Auffassung gar nicht 
erwähnt. Der moderne Niederländer ist dagegen 
geneigt, seinem Sprichwort: "De Kruik gaat zoo 
lang te water, tot aij broekt’ diese Bedeutung zu 
unterlegen. Wie kommt nber Chamisso dazu? 

38, fichtet] vgl, birstet [?] Werke 5, 822; ühnlich fahret 
VIT 64, ratet XI AT, erhaltet XTX 26, haltet IV 14 
(Lesart), 

XI 96-80. Der Raub des Goldes lohrt mich nicht nur, 
mich über den Reichtum kühn hinwegzusetzen, 
sondern auch ühor Köstlicheres ale Reichtum: über 
das Vers20—29 genannte. Wasmich an dir berückte, 
dns warst gar nicht du, sondern eine lichtroine 
Traumbildung, die ausdem Grunde mein esreichen 
Herzens (vgl. Vers 38,37, XX 146, XX1 9, 40, 49 
und in anderen Jugendgedichten) entstiegen war 
und trügerisch vorgab du zu nein (dich log' schon 
in Ohamissos Faust, Dontsches Wörterbuch: lügen). 
übergehen — übertreten (#0 im Volksbuch) nennt 
schon Adelung veraltet, der spätere Heinsius frei- 
ich führt ea ohne Einschränkung an; dem Dichter 
wahrscheinlich aus der Lutherbibel bekannt, deren 
"üchtesdeutsches Deutsch’ Eindruck auf ihn machte 
(Brief vom 28. November 1808). 








Xx v.d. h. Wenn Unglückselige den letzten Haffnunya- 

‚schlimmer zenstört hattonodersahen, wel. Vers 111 

‘Du verdarbat in ‚der ‚Brust (der Liebe Gewalt‘. 

60, d.h. Die Nichtigkeit des eitlon Scheines der Eile, 
vgl. 11:39: *Mitstifter seines Hauses hohen Glücks), 
Nachzutragen &, IN Anmerkung 1. M. Stegmmyer, 
Fortanntas Wunschhütlein. Zauberposse, 1819 in 

Wien aufgeführt (vgl, Abendzeitung 6, Apzil 1819: 

‘Von inneren Gehalte ist hier gar icht.die Rede"). 


Lesarten. 


(Die Haupthandschrift besteht aus27 losen Quartbogen 
zu je 4 Seiten und ist ohne Titelblatt oder Veberschrift; 
auf dns Convert, in dem sie sich nebst, andern Werken 
befand, hat Chamisso einfach *Fortunatue' motiert. Der 
ausführlichere Titel, den diese Publikation trägt, war aus 
Chamissos Briel vom 28. September 1806 zu entnehmen ; 
Charaktere 9 Saiten 
in lateinischen Bachstaben, enthaltend IX 1-40 und XII 
1-XII 28, — Beide von Chamissos Hand): I 29, aubern] 
korriglort aus: andres 78. mag) ana: ſoll IV 14. hielte] aus: 
haftet W185. Ha. flamen, Mes: lnmmen? 88. Hs. Farben 
{tjiunmer Mos: Schimmer?” VIT 40. Wopel!] Loge, IX in F 
Veberschrift: Agrippina, Andoloſia. 4. Ei korrigiert in 
teich F 14. Weit?] Welt. beide Has, Die Wohnung 
Andolofias am andern Morgen Fntit Heffigen Schritten F, im 
Erde ger FE 1, Supoldus (Nndelofias Haushofmeifter) F 
® — F 46. Ampedo] Bruder ja P_4. (Ex ruft hinaus) F 
28. Jahre beide Ins. NIIT2. Tatubet beide Hs. 9. dies] 
ben F XIV 19 korriglert aus: Er ftarfer Meift fich duntet. 
Er du RVIT® Surcenfohmes 4. Hodhgehfiinte 7. Poren] 

laren oder Palmen? dor vierte und fünfte Buchstabe un- 
deutlich 11. mir 35. Odruerſ Hcier durchweg VIE 
15. am Rande noriert: ber Fittig XIX R2 korrigiert aus: 
Und Jedſches Hegen Jo mich wicht verdammen. 301. feine] 
eorrigiert an: Hlgt TIA. Der Hampf ift Veben) korrigiert 
aus: Wh vingend Ich ih IX 44. jhäfine 45 M- ohne 
Was doc loſt bie raſchen 


fleug‘ ! 
Shönheit Ebenmaah, Iron edlen Ban? 101.75. den Kofler. 





Neue Folze No. 67. 


— Litteraturdenkmale 
des 18. und 19. Jahrhunderts 
herausgegeben von August Sauer 


DER 


BOOKESBEUTEL 


LUSTSPIEL 


vos 


HINRICH BORKENSTEIN 


(1742) 


LEIPZIG 


G. J. GOSCHEN’SCHE VERLAGSHANDLUNG 
1896 





Eos sind genau zehn Juhreher, dass PaulSchlenther 
in seinem vortrefflichen Buche „Frau Gottsched und die 
bürgerliche Komödie“ (Berlin 1886) einen Neudruck des 
„Bookesbeutel® ankündigte, „eines Lustspieles, welches 
der Hamburger Buchhalter Borkeustein schon 1742 
herausgab und welches, von Gottscheds Regeln nicht un- 
abhängig, sich durchaus vor Allem auszeichnet, was 
Gottscheds Deutsche Schaubühne gleich darauf beige- 
bracht hat“ (9. 2911.) Solche Worte, die mit sichten- 
dem Lobe den Nagel auf den Kopf trafen, haben dem 
Werk allgemeinere Teilnalıme wieder zugewandt uud 
man hat sich seither gemüht, über den Verfasser dieser 
Komödie, dem man aber vielleicht den Namen eines 
Dichters immerhin wird vorenthalten wollen, näheres 
zu erfahren. Mich selbst haben ein paar Jahre später 
meine Studien zu Borkenstein geführt und heute ist 
man sich wohl darüber einig, dass dieser wilde Schüss- 
ling, den noch Gervinus ohne rachtes Verständnis bei 
Beite warf, der erneueten Aufmerksamkeit wert war. 
Man weiss, dass aus diesem schwellenden Keim ein statt- 
licher Baum erstanden ist, der noch heute im heimischen 
Mutterboden fest wurzelt und dessen dichtbelaubte Krone 
noch houte grünt und blüht und Frucht bringt. Der 
Bookesbeutel ist der Stammvater der ham. 
burgischen Lokalkomödie, Bis heute hat sich 
das Hamburger Lokalstück mit seinem behäbigen Platt, 
wenn auch in gewisser Hinsicht entartet, selbständig 
erhalten. Mit der simplen Technik Borkensteins, mit 
dem naivon Naturalismus seiner Sprache werden noch 
heute auf den Brettern der Vorstadtbühnen volkstümliche 
Typen aus dem Hamburger Leben vorgeführt und wie vor 
hundertundfünfzig Jahren belacht und bejubelt. Nur dass 








| a — wi 


— 


heute das Lokalstück, wie es natürlich erscheint, durch 
aus sozial gefärbt ist, dass heute nicht der Gegensatz 
‘von guter (Leipziger) und schlechter (Hamburger) Lebens- 
art, sondern der von Reich (Böse) und Arm ((ut) den 
Stofi der losc verknoteten Handlung hergiebt, Es be- 
darf hier keiner Betenerung, dass alle diesa jüngsten 
Lokalstücke, deren Titel man in Kürschners Literatur 
kalender untar dem Namen ihres ITrhobars Tob. Harm. 
Christ, Bischof? findet, künstlerisch ohne Wort sind, 
aber ihre Erwähnung gehört deshalb hierher, weil sio 
als die letzten Ausläufer einer durch den „Bookosbeutelt 
in Hamburg hervorgorufenen dramatischen Richtung an« 
zusehen sind, Weber allo diese Pheaterstücke, von denen 
gar manche es auf hunderte von Vorstellungen auf den 
volkstimlichen Vorstadtbühnen Hamburgs bringen; über 
Julius Stinde's „Hamburger Leidon“, welche wohl 
an tausend Aufführungen — natürlich mit entsprechenden 
Aanderungen — in Deutschland und Oesterreich erlebt 
haben; und über die zahlreichen andern plattdontschen. 
Komödien hinaus, die zu Anfang der sechziger ‚Jahre 
im Oarl Schultze-Theater auf St, Pauli einon fronetischen. 
Jubel fen, führt uns die heimische Theater- 
g t don vielen beute längst ver- 
gessonen die in den dreissiger ‚Jahren 
ik Theaters in der Steinstrasse 
entzückten. Bis zu den Befreiungskriegen etwa läuft 
hior ununterbrochen ein roter Ariadnofaden, dor freilich 
mun den tastendeu Händen entgleitet und sich in das 
inthische Dunkol des vorigen Jahrhunderts ver- 
tens. Wer aber unter Gnedertz’ 

kundiger a it ö 


iederdeutsche Drı ‚den Anfünj bis 
enzeit. Von £ Mieter Oder, Bl, 





— — 
2 


spürt, bald genug den Faden in seiner Hand wieder: 
‚finden, der ihn.sicher zurückleitet bis in das Jahr 1741 
‘Von ihm strahlt ein stilles Leuchten aus: Es ist das 
Geburtsjahr des hamburgischen Lokalstücks, 

Ich habe früher") des nähern auszuführen versucht, 
wie.gerade in dem litterarisch damals 30 rührigen Ham- 
burg, das sich eigentlich immer in züh an seine Eigenart 
fezthaltendem und vor jeder Uniformierung des Geistes- 
lebens starke Abneigung bekundendem Gegensatze zu 
Leipzig und dem litteraturgewaltigen Gottsched empfun- 
den hatte, der Boden ein besonders günstiger für das 
Entstehen einer neuen Komödienart yon vornherein war, 
Wie er, planvoll und geschickt vorbereitet, jetzt diese 
'hoffnungsvolle Frucht trogen konnte, „Das eigenartige 
Leben des niedersächsischen. Gemeinwesens bot eine 
Fülle von köstlichen komischen Motiven da, die Stoffe 
Ingen gleichsam in der Luft; auch waren durch den 
sielgelesonen „Patrioten“ seit 1724 eine Reihe Lokal 
typen, scharf und eckig ausgeprägt, in die Litterutur 
eingeführt worden, welche, weil sie aus dem Leben go- 
nommen, nur auf die Bühne verpflanzt zu werden 
brauchten, um des Erfolges sicher zu sein, Der Mann, 
der dieselben zuerst mit vielem Humor für das Lokal« 
stück verwandte, war eben der Verfasser des Bookes- 
beutel, Hinrich Borkenstein.“ Auf diese Er» 
innerung darf ich mich hier beschränken. 

"Während wir den Spuren der littersrischen Her- 
kunft dieses scharf blickenden Mannes fast Schritt um 
‚Schritt nachgehen können, liegt sein eigentliches Leben 
für uns noch immer im Dunkel und wird es auch wohl 


*) Hamburgische Dramatiker zur Zeit Gottscheds und 
ihre Beziehungen zu ihm. Ein Beitrag zur Geschichte des 
Theaters und Dramas im 18. Jahrhundert. Von Dr. Fer- 
dinand Heitmüller. Dresden und Leipzig 1891. — Teil- 
weise benutzt für die folgende Darstellung ist ferner auch 
ein von m J —— — — au 
Hamburg gehaltener (ungedruckter) Vortrag über „Hum- 
burgiseits Lokalkomtidlene. 


— 4 — — 


vr 


immer bleiben. Nur wonig davon hat sich in Zeit- 

schriften und Büchern niedergeschlagen und ist noch 

für uns nachweisbar. Man wird annehmen dürfen, dass 

namentlich die zweite Hälfte in den ruhigen Gleisen 

eines bürgerlichen Daseins dahinfloss. Dass dieses Leben, 

ii 'e Hälfte, nicht in der Oeffentlichkeit 

ass e4 still verklang, Dass sein Tod 

keine Lücke ries in einer schon ganz anders gearteten 

Zeit, die bereits Goothes aufgehender Stern durch- 
strahlte und erleuchtete. 

C. C. Redlich in Hamburg hat sich, angeregt 
durch meine Monographie, der dankenswerten Mühe 
unterzogen, die hamburgischen Kirchenbücher über 
Borkensteins Geschlecht zu befragen. Auch war er in der 
Tage, zwei mit dieser Quelle ziemlich genau überein- 
stimmendo Stammbäune der Familien Borkenstein und 
Bruguier zu benutzen, sodass man seine Mitteilungen, 
welche die meinigen teilweise bestätigten und erweiter- 
ten, durchaus als abschliessende betrachten darf, 


„Hinrich Borkenstein war das sechsto von eilf Kindern 
des Kaufmann. lius Borkenstein, der als Zeuge bei 
der Verhand! i 
am 27. Sept. 

Baltzer Stieloken aufgetreten war.*') Als dieser Prozess 
3 spielte, war der ebenfalls zu Hamburg 


m Johann Matthias und 

Frau Ann Dorothea Borckenstein. Seit 1697 war er 
mit Anna von Rönne — des 1690 verstorbenen Heinrich 
von Rönne und Cäcilie geb. Tecklenburg Tochter, welche 
W März 1719 stirbt — verheiratet und 

inom im September 1714 erfolgten Tode”) 


—— Deutsches Alter⸗ 
‚geben von Edward 

. Band 37, 8.1684. 
Petri ist er am 





— 





in der kleinen Bäckerstrasse. Der Knabe Hinrich, am 
m Jacob Brummer, 
ie Bötofsur zur Taufe 
„gehalten, ist damals also neun Jahre alt, Er wird eben- 
falle Kaufmann. Im Jahre 1741 bezeichnen ihn die 
Quellen noch einstimmig als Buchhalter (Bookholler) 
und Redlich nimmt an, dass er „bis ungefähr 1745% in 
dieser Stellung zu Hambury verblieb, dass er dann aber 
nach Spanien ging und 1764 als reicher Mann in seine 
Vaterstadt zurückkam. Auf dem Jungfernstioge schafft 
er sich in prächtigem Stadthause ein behagliches Heim, 
nicht mehr erwerbend und schaffend, auch litterarisch 
nicht, nur geniessend. Der „Rentenierer“, der 1766 
den Titel eines „kön. dänischen Kommerzienraths“ er- 
halten hat, heiratet noch mit dreiundsechzig Jahren: 
am 16, Mai 1768, Seine Gattin Susanne, am 8, Juli 
1741 zu Hamburg geboren, ist eine Tochter des vor- 
storbenen Kaufherrn ‚Jean Alexandre Bruguier und dor 
Johannn Susanne, geb. Sarrasin aus Frankfurt a. M, 
Droi Töchter und ein Soh, m geboren‘), als der 
Tod an den Zweiundsiebenzigjährigen herantritt und am 
29. November 1777 dem glücklichsten Familieukreise 
‚entführt. Seine Witwe schildert der sonst freilich nicht 
immer zuverlässige Jügel*) als eine schöngeistige Dame, 


') Redlich macht sie nambaft: 1) Susanne oder 

Suseie, 2) Dorothea Amalia, get. 11. März 1770 

— Frau Charles Louis Thierry, + ca 1830, 

51 Ba: atharina, geb. ca. 1771, gest, unverheiratet 

Heinrich, späler Kaufınann und Weinhänd- 

er in Hamburg, geb. ea. 1173, gest, 14. Febr. 26, Jemen 

el Btadse [Wein Bohn, Kaufnaun in London; b) eine 

Tochter, Guttin des französischen Landschafters 

— in Fontainebleau ; c) eine jüngere, Wittwe des 

— — Jahren verstorbenen Hamburger Lithographen 
— itter] Ende 1892 noch alle am Leben waren. 

*) Das Puppenhaus, ein Erbstück in der Gontard’schen 

0. st den Erinnerungen und Familien- 

ers; zusammengestellt von Carl 

. Frankfart a. M. 1867, S. 880 £. 




















eines 
Jügel. Mit Lillis Por! 





— a wu —— 


ERBEN 


walche, „angesehen und sehr vermögend“, auch „in den 
froundschaftlichsten Beziehungen“ zu dem seit 1775 
dauernd nach Hamburg zurückgekehrten Klopstock 
standen habe. ‚Neun Jahre nach ihres Eheherrn Tode 
Tolgt sie ihrer ältesten, damals siebzehnjährigen Tochter 
Susanna (Susette)') nach Frankfurt a, M., nachdem diese 
am 9. Juli 1786 „in der französisch-reformierten Kirche 
in der Königstrasse, dem bekannten städtischen Wohn- 
hanse Klopstocks gegenüber, von Pastor Dumas dem 
Frankfurtor Bankior Jacob Friedrich Gontard®) ange- 
trant* worden war. Diese junge Frau Gontard ist 
Friedrich Hölderlins „Diotima“.°) Im Jahre 1793 stirbt 
ihr die zärtlich geliebte Mutter. Schon in Hamburg hatte 
sie „zuweilen heftige, Besorgnies erregendo Schmerzen 
in der rechten Brust: empfunden,“ aber immer das Leiden 
zu verheimlichen gewusst. Als der Frankfurter Arzt, 
der mit den Gontards engbefreundete Dr. Ebel zur Ampu- 
tation der Brust schritt, war es bereits zu spät: „das 
Gift hatte sich bereits dem übrigen Körper mitgetheilb 
usste den Folgen davon unterliegen.“*) Das 


us ———— am 9. Februar 1769 getauft, in 
— — Johanna Sur 
Schacht und’Okto Heinrieh Rnorre), 


Ber 
Namens 


die Anmerkung 
— die beiden 


‚ornehm 
ten Heirat Borkensteins be- 
er: ‚diesen Irrtum endgeltig 


W 





— 


etea iat das, was heute tiber Borkensteins Vawilie, ) 
‚die mit alteingesossonen Hamburger Geschlechtern ver- 
‚schwägert war, mit Sicherheit faststeht. Und nun zurlick 
mach Hamburg und zu des Dichters Stück! 

Ein paar Bemerkungen über den Titel des Lust- 
spiels kann ich mir hier nicht versagen, obwohl ich achon 
früher auch über die Etymologie des Wortes ausführlich 
gohandelt habe, Ich muss aber hier darauf zurückkommen, 
‚weil neuerdings H. Paul in seinem Deutschen Würter- 
buch”) die Annahme, Bookesboutel stamme vom nnd, 
Books-Büdel für „unwahrscheinlich“ erklärt hat. . Mit 
‚grosser Mühe habe ich seiner Zeit so viel erschöpfendes 
Material ans der zeitgenössischen Litteratur über diesen 
Pankt zusammengetragen, dass ich wirklich nicht weiss, 
wie eine Annahme, ‚die in ihrer schlichten Natürlichkeit 
‚echon von vornherein viel für sich hat, durch Litteratur- 
belege noch mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnen 
könnte. Ich muss deshalb annehmen, dass Horrn Pro- 
fessor Paul die Darstellung meiner quellenmüssigen Er» 
mittelungen hierüber, die auch mein verehrter Lohrer, 
Professor Friedrich Kluge, für sein Etymologisches 
"Wörterbuch anstandslos acceptiert hat, entgangen sei, und 
setze deshalb die Hauptbelege, weshalb man allerdings 
‚das Wort von „Beutel‘sur Aufbewahrung des Gesang- 
buchs“ herleiten muss, nochmals hierher. Bookenbeutel, 
niederslichsioh Booke-Büdel, ist ein speziell hamburgi- 
sches Wort und etwa gleichbedeutend mit Schlendrian, 
d. b. mit den in Gesellschaftskreisen für „gut befun- 








3 Vgl. die Stammbaumtafel. 
8. 77 heisst es unter „Bockabentel“: 1) Eine Flaschen- 
art, — Aehnlichkeit mit dem Hodensack eines 
it ist, verwendet für die edelsten Franken- 
weine in der Umgebung von Würzburg. 2) Im 17. und 
18, Jahrhundert soviel als Schlendrian, Beibehaltung eines 
Herkommens, noch nicht. befriedigend erklärt; 
unwahrscheinlich ist die Annahme, dass ‚es ans nnd. Boks- 
büdel (Beutel zur Aufbewahrung des Gesangbuchs oder 
Statutenbuchs) stamme. 


— m | 1 





x 


denen und festgestelleten, obgleich nimmer schriftlich 
zecessirten Gewohnheiten und Gobräuchen,“ Zu Borken- 
steins Zeit war diese Bedeutung in Hamburg natürlich 
allgemein bekannt; doch kommt dor Name — beilänfig 
gesagt — schon hundert Jahre früher in zwei ham- 
burgischen Hochzeitsgedichten vor.‘) Ich gebe noch 
ein paar Beispiele aus der Presse. Im Patrioten) von 
1725 findet sich eine humoristische Auslegung des für 
Nichthamburger unverständlichen Begriffes. Ein Frem- 
der, welcher meint, der Bookesbeutel sei ein hamburgi- 
aches Gesetzbuch etwa in der Art des Schwaben- oder 
Sachsenspiegels, wird von einom Hamburger an die Süd- 
seite der Petrikirche geführt und sieht „an selbiger 
Wand, nicht weit von der Thür, ein gehauenes Bild 
einer heiligen und andächtigen Frau, die in der linken 
Hand ein Buch in einem Beutel trägt.“ „Da sehen 
Bie“ — s0 lauten in der Notiz die Worte des Erklürers — 
„eine Mode, die noch kaum vor 50 Jahren erst gänzlich 
bey unserem Frauenzimmer in Abgang gekommen, dass 
sie nämlich Andachts-Bücher, welche gemeiniglich gar 
auuber gezieret gewesen, in einem Beutelförmigen Ueber- 
zug zur Kirche tragen.“ Leider hat der grosse Brand 
von 1842, welcher bekanntlich auch die Petrikirche heim- 
suchte, diese i in Stein gehauene Etymologie des Namens 
vernichtet.*) Als aber später der Brauch, dus Kirchen- 
buch in einem an der Hüfte mit kunstvollen Ketten be- 
festigten Boutel zu tragen, aus der Mode gekommen 
war, blieb der Begriff in der weiteren Bedeutung 
des Schlendrinn lebendig. Alle althergebrachten, 


‚) Die Titel derselben findet man, in meinen „Ham- 
Durgischen Drumatikern“ S. 68, Anmerkung 147, 

%) 6. Juli 1725 (Nr 

doch das alte W 

‚kannte Bocksbeutel (eina weibliche Figur an 
ki irche mit einem — im Beutel, plattdeutsch 
„Booksbüdel® d. h. Buchbeutel) in den Flammen = 
—— Allgemeine Zeitung für 1842 (Stuttgart 1849), 


zeichen ae der welt» 
der Petri- 





x 


nicht mehr zeitgemässen und deshalb verderblichen und 
lächerlichen Gewohnheiten wurden mit ihm „in Hamburg, 
wo der Schlentrian den Vorzug für den Wohlstand heget*'), 
—— So richteten sich beispielsweise „Frauenzimmer 

nach dem Bookabeutel“, was ein „Compli- 
— der Haub. Weiber nach dem Books Beutel“ 
überschrieboner Artikel im ersten Jahrgang des Pa- 
trioten*) in sehr interessanter Weise illustriert, Ds heisst 
da u. u.: „Wegen des Ranges im sitzen entstund bey 
der übrigen Gesellschaft zwischen zwo Frauens-Personen, 
ein höflicher Streit, weil beide auf einen Tag geheirathet 
hatten, welcher von ihnen, nach der Gewohnheit, der 
Vorsitz gebührete, Endlich that die Frau Boocka. 
‚eine alte Matrone, don Ausspruch“ — u.s. w 
genau, wie ein so alberner Schlendrian, | 
auch heute noch nicht völlig überwunden haben, s 
damals durch sein Alter ehrwürdig gew: 
Hamburger Damen befolgten ihn bei Vorfällen iın bi 
lieben Leben, in der Gesellschai 
genau. Auch Adum Gottfried Uhlich ei 

ın zum „Bookesbeutel“ lieferte, 

in der Vorrede seines Stücks ähnlich über 
Niedersächsischen und vornehmlich in Hamb 
dem herrschenden Gebrauch, das Gesa 
Beutel zu tragen. „Da sie nun | g 
w &., „auf den Kirchwegen — 
mit einander von vielerlei und oft lüg 


alles, was wir etwann Schlendei 
beutel, von Boock (Buch) und F 


) Vgl. Uhliche Poetische Gt 
ber 177). 


PER auch noch J 
buch (eo nes, 3 





x 


halten“, Klatschen, durch die Hechel ziehen, ist auch 
in einer kleinen niedersächsischen Arie persifliert, welche 
in einem in Hamburg 1716 aufgeführten „Musicalischen 
Schau-Spiele“ des Schwaben Ulrich von König, dem 
Singspiel „Dio Römische Grossmuht, Oder Cnlpurnia® 
vorkommt und bei K. Ih. Gacdertz‘) abgedruckt ist, 
Die beiden ersten Strophen lauten: 

As ick noch Jumfer was, yärwahr, 

Do hebelt ick dnt hele Jahr, 

lek trock de Nüstern in de Höh 

Un sedo nicks as Ja un Ne. 

Doch as ick kam in Fruen-Stand, 

Wur de Bocks-Bildel mi bekant, 

Do.mug ick ock so gern als con 

De Lüde dor de Hehckel theen. 


Das etwa ist mir von zeitgenössischen Belegen ber 
kannt geworden und es soll nur noch im Vorübergehen 
erwähnt werden, dass es such an einsichtigen Lenten 
nie gefehlt hat, welche dem hartlebigen Bookesbeutel 


schon früh zu Leibe gingen. Man mag darüber z. B, 
die von Hamann 1728—1730 in Hamburg herausgegebene 
„Matrone“*) nachlesen. Man wird aber auch nach diesen 
Proben nicht fehlgehen, wenn man annimmt, Borken 
stein habe die erste Anregung zu seinem Stck viel 
leicht in diesen Wochenblättern, zumal im Patrioten, 
empfangen. An Stoff mangelte es wahrlich nicht und 
es bedurfte nur des scharfen Blickes und der Gestaltungs- 
kraft eines Dichters, der eben im stande wur, diese 
sinnlosen Gebräuche eingesessener 

Familien zu verdichten, zu einem lebensvollen Gebilde 
zusammenzufassen, der im stande war, die Albernheiten 
\ t auben des vaterstädtischen Lebens humo- 
‚In oder, wo es nötig schien, aueh seinen 


. 6, 0. 8.122, wo sich auch die —— ab · 
in einer Anmerkung unter dem Texte findet. 
ie  Mateone, ‚1188, 6. . 49. Von mir wieder abge 





Spott und Hohn darüber auszugiesen. Der Umstand, 
dass Borkenstein sein Sujet mit ungezählten Lokalismen 
zu durchsetzen wusste, macht sein Work kultarhistorisch 
noch heute ausserordentlich wertvoll. Das „Milieu“, 
wie wir heute sagen würden, ist entschieden seine starke 
Seite und lässt ihn uns vor andern mitdichtenden Zeit- 
‚genossen merkwürdig erscheinen. Das Konventionelle, 
in dem der Zeitgeist stärker war als or, steckt in dem 
Typiaöken seiner Charaktere. Es sind keine Men- 
schen, keine Individuen, sondern Figuren, die or will- 
kürlich achiebt und leitet, wie es das pädagogische End- 
ziel, das er verfolgt, gerade erfordert, Doch ich muss 
die „Handlung* in wenigen Strichen skizzieren, 
"Vater, Mutter und Tochter der Familie „Grobian“ 
eind die Vertreter des hamburgischen Bookesbautels: 
Der reiche, auf Pfünder leihende, kostspielige Geistes- 
bildung verachtende und geizig wuchernde Geldprotz, 
seine abergläubische, auf das „Herkommen“ pedantisch 
haltende, klatschsüchtige und bei jedem Aerger aus 
Angst um das teure Leben zum Apotheker schickende 
Fran „Agneta" und ihre ungebildete, geldstolze und 
patzige Tochter „Susanna“ werden mit naturalistischen 
Details geschildert. Das einzige Gute an der Frau 
Grobians ist eigentlich nur ihre snubere Akkuratesse 
und die liehende Sorge, mit der sie ihre Tochter vor 
der brutalen Gewalt des jühzornigen Gatten zu beschir- 
men sncht, aber im allgemeinen erscheinen alle drei, 
vorzugsweise in den orsten Akten, als dumm und schlecht, 
Namentlich diese Susanna vorfügt über alle möglichen 
Untugenden und ist ein wahres Monstrum von Unweib- 
lichkeit und Herzensroheit: Sie singt vor und nach 
Mittag mit Mutter und Domestiquen „neue weltliche 
Lioder*, sie spielt mit Kutscher und Mägden Hahnrei 
in dor Karte um einen Kuss und trinkt zu alledem 
noch Schnaps. Die Tinsitte des Branntweintrinkens 
damals unter Hamburgs Frauen und Jungfrauen 
leider überhaupt stark im Schwange gewesen zu sein, 








— A MM Mi m 


siv 


‚denn auch die vorhin erwähnte plattdeutsche Arie geisselt. 
diese nicht gerade weibliche Eigenschaft, In der letzten 
Strophe heisst es nämlich: 

Man as ick oono Witwe was, 

Do war min Trost een Brunwyns-Glas, 

Do find ick mi recht wohl daby 

Un dob wat in de Hebely. 
Das lässt an Deutlichkeit nichts zu wünachen ührig.‘) 

Diese drei gewiss za schwarz gezeichneten Personen 

also sind die Vertreter des hamburgischen Schlendrians. 
Um so lichter sind die Kontrastfiguren, in denen das 
Prinzip der guten, feinen und galanten Leipziger Lebens- 
art verkörpert ist, ausgefallen: Sio sind klug und gut. 
„In ihnen offenbart sich alle Tugend, Unschuld, Bildung 
und der beste gesellschaftliche Tact.“ Da ist besonders 
der treffliche, auf der Leipziger Hochschule gebildete 
Sohn Grobiens, „Sittenreicht, und dessen eleganter 
Universitätsfreund „Ehrenwehrt‘; zu ihnen gehört 
auch Grobians Schwager, „Gutherz“, der lange das 
Haus gemieden hat. Mit der Ankunft Ehronwehrts 
sotzt die Handlung ein. Dieser hat, von seiner liebens- 
würdigen Schwester ‚Oaroline“ begleitet, die be- 
schwerliche Reise von Leipzig her nicht geseheut, um 
des Freundes Schwester Hand zu gewinnen. Da er 


nd unerlaubten Mitteln anzulocken 
und drängt ihm in oft sehr drastischen Scenen ihre 
Tochter förmlich auf, Dieser aber zieht alsbald die 
sittige und in der gulanten Lebensart den Leipzigern 
nichts nachgebende „Oharlotte‘ aus Hamburg vor 
und die böse Susanne muss sich mit einem vom Dichter 
für diesen Zweck erfundenen Reservebräutigam („Roth- 
bart“), der im Stück aber nicht auftritt, trösten, Auch aus 


*) Ueber das Branntwointrinken zioht auch Uhlich in 
soinerm Dreiakter „Der Schlendrian oder des berühmten 
Boockesbeutels Tod und Testament“ har; es iat hier ein 
Hauptcharaktersug der Frau „Alrune“, 





xVv 


Sittenreich und Onroline wird trotz des Widerstandes des 
alten Grobian ein Paar, und wenn der Vorhang füllt, 
nehmen wir die Hoffnung mit, dass in künftigen Zeiten 
auch in Hamburg die gute feine Lebensart der Leipziger 
in Kindern und Enkeln lebendig werden wir. 

Wie ganz neuerdings wieder ein moderner Dichter 
ein wirksames Drama auf den Gegensatz zwischen 
Vorder- und Hinterhaus aufgebaut hat, so entspringen 
hier aus dem Widerstreit der feinen Obersuchsen und 
und ‚der ‚groben ‚Niedersachsen eine Reihe von köstlichen 


Schlechten bestraft — m Ehren. die 
bemerkt denn auch schon Schütze,‘) — 


— die Blossstellung veraltei 
‚schauungonund abgelobter „Wahrh 
durch einen humorvollen, übe 

das eigenste Gebiet der Komödie 
fahrung aber wissen wir auch, 
dichter nur zu leicht ein 

dürfen wir, meine ich, mi 


*) Hamburgische ee 5.2 


4 4 





psychologische Entwicklung und Motivierung nennen, 
ist ihm noch ganz unbekannt, DieCharaktoristik ist dos- 
‚halb auch noch eine sehr fusserliche und naive; kein Ein- 
sichtiger wird lougnen wollen, dass hier manches über- 
trieben und mit zu dieken Farben nufgetragen ist, weun- 
gleich Schütze’) bezeugt, dass derartige Charaktere 
damals im Leben selbst sehr wohl möglich gewesen 
sind, Die grobe Holzschnittmanier alter Meister fällt 
einem ein, Man muss aber Schütze auch zugestehen, dass 
von „Ookonomie und Sconenverbindung kein Godanke« 
sei. Im grossen Ganzen wenigstens. Auch die Akt- 
schlüsse sind gewiss matt und kraftlos. Der Leser hat 
‚das Gefühl, dass die dramatische Situntionskomik, welche 
das Stück im übrigen nieht vermissen lüsst, nicht dem 
vorbedachten künstlerischen Scenenaufbau entspringt, 
‚sondern jener unverwüstlichen, rücksichtslosen und vor 
nichts zurückscheuenden Satire, welche die erkaunten 
Schäden der damaligen Gesellschaft in krassester Form 
und um jeden Preis blosszulegen und zu verspotten 
trachtet. Also ein ganz modernes Prinzip, das von dem 
Verfasser in künstlerisch allerdings recht weit gesteckten 
‚Grenzen auf eine naturalistische Art, möchte man sogen, 
vertolgtwird. Die Wahrheithatauclıschon Borkenstein 
auf seine Fühne geschrieben; in ihrem Zeichen will ar 
siegen. Sein Stück soll die Bühne reformieren und von 
der alten Har] de, die noch immer mächtig war, be- 
freien. Gemeine Bitte und Denkart sollen unterliegen, 
Geschmack und Vernunft triumphieren. Die Zoten und 
Unflätereien des Harlekins will er verbannt schen und 
Anfür „die Wahrheit“ — wie er im Vorbericht ausführt — 
eingesetzt wissen. Seine Diktion wird man als eine 
kräftige, wenn auch bisweilen ungefüge bezeichnen 
müssen; aber sie hebt sich so wirkungsvoll und wohl- 


RA ‚adelt auch er die — ‚als „übertrieben“, 
über er giebt zu, dass „Ch 'ro wie diese damals (dus 
—— abgerechnet) keine Seltenheiten gewesen" sein 

‚en, 





? — 

thuend von —— den gereimten 
Alexandrinerstücken der Zeitgenossen ab, dass man 
manches Rohe und Zotige — schon von Schütze als 
„unleidlich* getadelt — gern mit in den Kauf zu neh- 
men igt wird. Zudem war das Publikum von den 

a her, die mindestens bis 1740 hestimmend 
uuf seinen litterurischen Geschmack eingewirkt hatten, 
au eine viel stärkere Kost gewöhnt und musste fust 
unmerklich und ganz allmählich zu Freuden höherer 
Art im Schauspielhause erst erzogen werden. 

‚Inwieweit Borkenstein in Wahl des Stoffes, Anlage 
der Charaktere und Scenenführung von dem seinerseita 
wieder stark von Moliöre beeinflussten Dünen Hol- 
berg abhängig ist; inwieweit schliesslich auch er von 
Gottsched mit äusseren Regeln und dramatischen 
Rüsteoug ausgestattet wird — dus bier nochmals zu 
wiederholen dürfte kaum angezeigt sein.‘) Dass er 
selbst Beziehungen zu Dünemark gepflogen habe, viel- 
leicht gar selbst der fromden Sprache mächtig gewesen 
sei, isb wegen des ihm vom König von Dünemärk ver- 
lishenen Kommerzienrattitels nicht durchaus unglaub- 
lieh. Der Umstand sodaun, duss in dem ben. 

‚Altona gerade in jenen Jahren Detharding # 
Aufmerksamkeit der deutschen Bühne durch 
Uebersotzungen auf jenen nordischen Poctan 
nacht es zudem wahrscheinlich, 


Ich habe vorhin schon gesagt, di 
mancherlei Anregung sicherlich der 

dos bamburgischen „Patrioten® 

ge davon, dass diese Wochensobrift schon früh 


RR} daröber meine frühere Schrift S, 60 #., 67, 
besonders 79. 
en ser v 





xviiu 


angefangen hatte, im allgemeinen für die Veredlung 
dos littorarischen Geschmacks und für eine ornstgemointe 
Sittenverbesserang der Mitbürger iu die Schranken 
zu treten, zeigt sich ihr Einfinss auf Borkensteins 
Deukweise in einem Punkte besonders deutlich, wus 
auf den ersten Blick freilich nieht viel zu besngen 
scheint, Es ist dies da, wo der humburgische Schrift- 
steller auf die verkahbrte Erziehung der Tochter seiner 
Helden, der Susanua Grobiau, und damit auf die Kinder- 
zucht im allgemeinen — dieses beliebte und viel von- 
tilierte Thema der Hamburger Presse und besonders 
des genannten Organs! — zu sprechen kommt, Gut- 
herz, Grobians Schwager, ein vielerfahrener, weitblicken- 
der, weiser und vorurteilsfreier Mann, vertritt in un- 
sorer Komödie, wenn man »o will, die Rolls des autikun 
Chors und ist offenbar auch einer der vielen Vorfahren 
des Grafen Thrast in Budermanus „Uhre“ Er ist os, 
der im fünften Auftritt des zweiten Aktes (S. 40 4 
und 41 1-1) auch jetzt auf Frau Aguetens Vorwurf, wenn 
er in ihr Haus komme, so sei immer gleich genug über 
sie zu klogen, in die bezeichnenden Worte — ganz im 
Sinne des „Patrioten — ausbricht: „Ich habe dann 
uod wann von der schlechten Kinderzucht gesprochen, 
dazu bat mich mein Gewissen verbunden: denn hievon 
entstehet alles Böse, was in der Welt ist,“‘) Man 
sieht, der philosophierende Mensch war niemals vor- 
legen, eine Erklärung für die Existenz des Schlechten 
in dieser besten aller Welten zu finden und aussu- 
sprechen! Wer aber geneigt ist, diesen Spuren nach- 
zugehen, wird unschwer eine Menge interessanter Bo- 
lege für meine Beobachtung sammeln können, — 
Weber die verschiedenen Drucke ist nicht viel zu 
sagen, Die Originalausguben des Lustspiels sind heute 


') Vgl, hierzu Karl Jacoby, Die ersten moralischen 
Wochenschriften Hamburgs am Anfange des 18. Jahr- 
hunderts. (Programm des Wilhelm-Gyınnsiums zu Ham- 
burg. 1888. Nr. 687.) 8. 15 und 16. 





NIX 


ziemlich selten, Ein Unicum') scheint das Exemplar dor 
ersten Auflage (Frankfurt und Leipzig 1742), welche 
unserm Text zu Grunde liogt, zu sein, Ausser den drei 
won mir herücksichtigten Drucken existiert das Stück 
in einem „siemlich diekon Octavband von Schau- 
spielen“, welche Sammlung Martini, der Veranstalter 
der Hamburger Ausgabe von 1746, 1748 herausgab, 
Man darf aber vermuten, duss das populire Stick sicher 
noch in weiteren Drucken verbreitet worden sei. In 
welchem Verhältuis dis drei Haaptlrucke zu einander 
stehen, soll die folgendo Uebersicht dartkun. Ganz 
Abweichungen sind nicht natiert, offenbar 

Druckfehler stillschweigend verbessert worden. Der 
Vorbericht von A und 4' fehlt in B, Ich bezeichne mit: 


A Der | Boofesbeutel, | Ein | Fuftfpiel | von | Drey Auf- 
Sr | Branffurt und Leipzig. 1742. 18°. VIII und 


4. da | ooteöbeutel | Ein | Sufipiel | in | Drey Auf- 

iger | j Hamburg 1 bey Johann Adolph Martini | 1746.) 
VIIT und 104 Seiten. 

B Der | Boofesbentel, | Ein Luftfpiel | von dreyen Hand— 
ungen. | Mad} dem Originale, wie es auf der | Echöne- 
mannifchen Schaubithne | zuerft aufgefligret worden. | Hantz 
bung, 1747. | 8% 95 Seiten, 


') Ee befindet sich in der 
zu St Patereburg, Trotz 
verschiedenst 


ei 

— eins der 1. Auflage, 
vorkommenden 3. Au 

jetzt im Besitze des Adelber! 
are habon mir ı 


4 





— 
9 gelermet, unb) gefermet. Mit B 


rember B 
genanaen] gegangen wäreft A’ 
1) au der AIR 


so Nach Gehet ab: 

Agneta. Nun, meit Sohn, fehet vor allen Bingen ja 
zu, daß mit feine ünorduung in meinem Hansweſen daraus 
enefet. B 

1des jAäge] Liebe B 
un Ähnen] fie AZ ich] ichs 4 
wicht nach noch ZB 
tott) tolles B 
da mich] mich daſelbſt A'B 
16. merhoürbigftel merlwürdigſte iſt 416 

as mit) auch mit B 

.. Um] In 418 
En geich zu — und gleich , . , verunjacdhen 3 

wort] Sprüctwort 

* . fairen] Sachen A'B nicht wach gar Z 

18a er fehlt B 
ad Werben; D 

104 Nach I 

Gro! Liebe Fran, vergieb mir, wer ich Schuld 
daran hin ch Habe mich übereilet. Verdirb mir aber 
1 efesm Handel mit Lege Did) mr zu Bette: 
Rt von Herzen gute Veſſerung. 2 

li) wei B 

'raut nach Juugfer wäre und eine B 

„. und so Ein Bräntigam!] Ein Bräutigam! Ein Bräutigam! B 
ar ihnen] fie 2 

2lır angenehm] ihnen angenehm A'Z 

Er} t ht B 


1 
nicht “ nie nicht u 2, 
noch alfo) alfo no # " 
sn filr weichen] dor welchem 2 
sa jo Lange er fcbet, nimmer] nimmermehr 2 
26... belieben werben] belieben B 





ZxI 


26. folde] fie B fogleidj] zugleich B 
27. Stählen) Stüflen inne B 
14 einer] ber B 
a: nicht) wohl 2 
28,, Mojcowitern] Tartarn B 
1« Steinen] Reimen B 
29 Da] Aber ba B 
17 nichta] ihm nichts B 
ae. oa fo glaube ich] ich glaube B 
.. mein] fein B 
30, leben] leben als er B 
31: 3a] Ja, ja B 
«+ Einhigen] Einheigen B 
3%. » anhören] länger anhören B 
se denen] ben A'B 
se nicht] nichts B 
se nun fehlt B 
sı beine] deiner B Tegen] legen müfen B 
«u gehet] tommt B 
334 vertrodneten] vertrodnen müßten B 
34 Ja] Je B 
«s niemals] nicht B 
as Dem opngeachtet find wir] Wir find dem ohngeachtet 2 
ae genug fehlt B 
35s Ehen] Heirathen B 
s« ſchonj jung, ſchön B 
36. Witt) Wink B 
» Ja] Je ja 3 
1. das Gewiffen] ein Gewiffen B 
ne gutes] recht gutes B 
dorfchiebt] borfchieft B 
vorige fehlt B 
3%} Junge! ih B 
37% til) wi ih B . 
1u Schtwager] Herr Schwager B 
38. Gefallen] Dienft B 
se fonft no] noch fo B 
su biefeß oft] &8 oft fo B 
3% ihnen) fie B 
« anftehe) anſtehet, B 
» allzueilig] gar zu eilig B 








XXI 


394 wo ed... bedarf] bie... bedurfen 2 
eı ihnen] fie 2 
as nur] nun 2 
4211 Ofeim) Herr Oheim 2 
1» Vruber) Herr Bruder Z 
ift fehlt 2 
Teufel] gewiß A'B 
48, Wochenbette) erſten Wochenbette 3 
49: Sorge) unnöthige Sorge B 
s mur] nur nit A'B 
su wehrten] jchönen 2 
50, an) aber an B 
ss Dingen) Sachen B 
5lse begehre ihr nicht] begehre nicht, ihnen A'2 
521 Rache) Strafe B 
584, in] vor B 
54a Jungfer fehlt B 
e wahrgenommen Habe) wahrgenommen A' B 
56». 10 ich ließ ihr einen] ber lieh ich den Z 
1a Srembden lauter] fremden Zeuten, nichts ala B 
14 ben] daß fie den 2 
deine] die * 
su mit beiner] um deine B 
57 dich fehlt B 
1» Sandesweife] Sanbesart B 
en Sprücwort] Sprichwort 423 
5844 friegt] befommt 412 
20 nicht] ob er nicht B 
Orr zu] gar zu B 
6ls geringen] ſchiechten B 
621« Nach möge: 
Agneta, Da tommt mein Mann. Iht Knnts ihm 
{e6R anbringen. om meine Tuer wir molen gen 
I) will fein trauriger Bothe fen. B 
634» anfieng] angieng 3 
64 viel) lang B 
» ihre beften Freunde] ihren beften Freund B 
ıs um fehlt 4’B 
#. und 4 üble) boſe B 
65r Dinge fehlt B 
„u O Himmel!) Die Charlotte, O Himmel! B 





KIT 


bdas ein ein Nein Clyſtu! 4 
—— 


* fehlt RB 
Giecht 3 
As Di je] die A'B 
* Sprichwörter] Sprichwörter B 
eher ala id) einen Mann befommt] eher einen Mann ber 
Kommt als ich 2 
doch fehlt Z 
34. * baflie verlangen, und nichts bavon abbingen.] fordern, 
ohne etwas davon abzudingen. 7 
73 gegen] zu B 
» allerbefte] allerliebſte B 
Bevor ich hiermit meine Betrachtung abbreche, 
a0i noch ein kurzes Wort über die vielen Aufführungen, 
deren sich allein in Hamburg achtundachtzig’) nach- 
weisen lassen, verstattet. Die Premiere fand am 16. 
August 1741 im alten Opernhause auf dem Gänse. 
markt, wo Schönemann damals spielte, statt und die 
Aufnahme war eine geradezu enthusins # 
digos Ropertoirstück macht es dann in den ersten di 
Monaten immer volle Häuser. Man 
klar darüber, dass es sich hier um et 
‚dahin Unbekanntes handelte. Inter Schöi 
tion (1747) Horiert es weiter durch „Ekl ls und 
manns treffiches — ‚Ja sogar 17 
beutel noch immer,“ wie Schütze b 
später giebt es auch Kuniger in Hambu 


settel ch 
Schrift 8, 76 £.; ferner F.F, 
\ ; ‚Schmid, Uonol 
ütze 





— 


Titel „Der Grobian" erscheint eg noch am 22. November 
1765 auf den Brettern des nenen, in diesem Sommer 
eröffneten Schauspielhauses am Gänsemarkt, Den Gro- 
bian zählte noch 1764 Ackormann zu seinen besten 
Leistungen, die „Susanna“ war eine Glanzrolle seiner 
Frau. Vor allen andern ‚uber het Konrad Bunt 
die nachhaltigsten Triumphe in seiner 

„Rentenierer Grobian« gefeiert, den er nach een 
Tiengnis „sehr gemein“ darzustellen liebte — und zwar 
wie sine Vorgänger in plattdeutacher Sprache. Das 
war ein überaus feiner Zug, denn zu diesem Stück, das so 
iotim Hamburger Verhältnisse „auf eine comische Weise“ 
durchzog, gehörte ohne Zweifel die „eogene Fruu-Mooder 
Spraak.“ Diese Muttersprache — heuto fast ganz auf 
die Strnsse verbannt — war aber das Plattdeutsche, 
Im Munde des Arbeiters und kleinen Mannes klingt os 
zwar raulı und ungefügig, von den Gebildeten und Vor- 
nehmen, besonders uber von Damen gesprochen, soll es 
eine angenehme, weiche und leicht bewegliche Um« 
gangsspracho gewosen sein. In Geschäfte- und Seo- 
mannskreisen spielte daneben das Holländische eine 
grosse Rolle‘) und man war gewöhnt, dieses dem Ham- 
burger Platt s0 nah verwandte Idiom wuch von der 
Hamburger Bühne herab zu hören, Gerade eben jetat, 
1740 und 1741, hatten wiederum zwei bedeutsame hol- 
ländische Schauspielertruppen mit nachhaltigstem Bai- 
fall in der Fuhlentwiete gespielt,') Genau zwei Monate 
später findet der plattdentsch aufgeführte Borkanstein 
ein ihm stürmisch zujauchzendes Publikum, und noch 
heute gehört zu dem im Eingang charukterisierten Lokal- 
stücken der Lokuldialekt, eben das Plattdeutsche, das 


’) 80 wurden beispielweise auch die kaufnäonischen 
Bücher in Hamburg 2, T. bollündisch geführt, 

*) Ich habe ihr Repertoir in einer kleinen Studie 
„Holliindische Komödianten in Hamburg“ ee 
Tiche Forschungen. Herausgegeben von Berthold 

T. Hamburg und Leipzig jEsı. 8.97— 128) veröffentlicht, 





xxv 


sich schnell in der Gunst der Bevölkerung fontsetzte.') 
Wenn auch der ausdrückliche Vermerk, dass in diesem 
Stücke „drey Rollen in niedersächsischer Sprache ge- 

halten® würden, erst auf den Zotteln aus späterer Zeit ] 
‚erscheint, so hat doch auch achon Gaedertz sehr fein und 

‚empfunden, dass man sich diose Personen schlechter- 

nieht anders als platt oder missingach redend danken 
könne. Mag dor Vertasser seinen Test bei der Concop- 
tion anch wohl hochdeutsch zu Papier gebracht haben, 
»0 sind doch manche Parthien in den Reden des Gro- 
bien, der und der Susanna durchaus platt- 
deutsch ompfunden und es mutet den Hamburger, 
dem schon von Kindesbeinen an dieser Laut vertraut 
ist, zuweilen an, als ob Borkenstein bei der Nieder- 
schrift sich geradezu einen Zwang hüitte anthun müssen. 
Man hört deutlich das Platt überall zwischen den Zeilen 
heraus und mancherlei Wendung und Redensart, die 
im Platt gung und gäbe ist; macht in dor hochdoutschen 


Form ein fremdes Gesicht, an das man sich erst ge 


galante Charlotte ee ebenso wie ie — 
als hochdeutsch konversierend vor. 


‚gefärbten Werkes auf den Boden, ü 
beschränkt geblieben wären. Aber 
teil ist der Fall,’) Heute freilich kö 


der itel 
FH Der — 


nie Sm 





XvI 


vorhältnismäseig wenige auswärtige Darstellungen nach- 
weisen, aber dass os im Triumphzuge über viele Bühnen 
ging, bekundet ausdrücklich auch der von Ganedertz.a, 5.0, 
abgedruckte Zettel von Johann Ludwig Meyer in Lüne- 
burg. In Breslau, wo Schönemann 1744, und zu- 
mal in Berlin, wo er 1748 und 1749 spielt, findet 
neben den Gellert'schen und Krüger'schen Stücken unter 
den Originalen besonders der „werkwürdige“ Bookes- 
bentel, nach Plümickes Zeugnis, „ungsmeinen Beifallt, 
und 1755 hat ihn Ackermann auch in Halle gegeben, 
Noch vier Jahre später ala die Lüneburger Aufführung 
von 1764 füllt eine von Döbbelin iu Berlin veran- 
staltete, worüber Karl Lessing von hier am 11. April 
1768 au seinen Bruder in Hamburg berichtet. Br 
erzühlt ihm, dass aus Ehrfurcht vor dem bei der 
zehnten Aufführung der „Minus von Barnhelm“ am 
dritten Ostertage anwesenden Königlichen Hof des 
Bruders Lustspiel „nicht laut vom Parterre wieder- 
vorlangt* worden sei. „Mein zerstreuter Döbbelin,* 
fährt er daun fort, „kündigte ulso das erste beste Stück 
an, das ihm einfhiel: — den Bocksbeutel Der Bocks- 
beutel auf die Minna! murrte an und schimpfte 
den gekrönten Wachtmeister einen unwissenden Narren, 
Aber mit Unrecht; es war von Dübbelin weislich ge- 
handelt. Er kennt die Grossen, denen der Books- 
beutel eiu sehr schönes Stück ist, Ich war sehr be- 
gierig, ob es da voll sein würde. Ich kam und fand 
im Parterre etliche zwanzig Personen, von denen ich 
als ein leissigor Komödiengänger weis 
bessern Erholungsort wissen und bei einem albernen 
deutschen Stücke ebenso gern gühnen als bei einem 
französischen, Auf der Galerie befanden sich die 
Kenner und Gelehrten. Sie wussten auf ein Haar, 
wenn der Schauspieler nicht recht Hamburgisch kauder- 
wälschte.“ (Dessings Werke, Hempel 20, 236 f.) 

Das war im Jahre 1768! Aber schon viel früher 
hatte die derbe Burlesque Anstoss und Bedenken er- 





KXVIT 


regt. Fin vernichtendes Urteil aus dem Jahre 1748 
(„Gocttinger Zeit. von gelehrten Sachen“, Stück 88, 
8. 703) habe ich in meiner früheren Schrift 8. 81 
wioderubgodruckt, Ein andoros, dus mir damals ent- 
ist, sei hier nuchgetragen. Es findet sich in 
den „Hamburgischen Beyträgen zu den Worken des 
Witzes und der Sittenlehre“) und knüpft an eine 
dortige Aufführung im „Jahre 1752 an. „Am 2. An- 
güst,“ sagt der Verfusser, „snhen wir das vor vielen 
Jahren hier in Hamburg verfertigte Lustspiel: Der 
Bookesbeutel. Es ist dieses ein satyrisches Stück 
auf dio übertriebonen Gebräuche unsrer Einwohner, 
Doch die Sitten bessern sich allemal mit den Wissen- 
‚schaften, und man wird kaum den Schatten mehr von 
diesen groben Unauständigkeiten in unsern Gegenden 
wahrnehmen. Ein lücherliches Coremoniel, und andro 
etwas leinre, doch aber uuch zugleich lächerliche Ge- 
wohnheiten haben itzt die Stelle der alten Sitten ein- 
genommen, und wer itzt den Bookesbeutel ei 
wollte, der müssto seinen Plan ganz anders 
wenn er wuhrscheinlich bleiben sollte.“ Nicht durchaus 
verurteilend, aber doch tadelnd äussern sich auch Löwen) 
und das „Hann. Magazin“ aus dem Jahre 1768 (8. 372), 
während Schütze viele Jahrzehnte r t 
nicht geringfügigen Ausstellungen, 
schliessend gesteht; „Wer weiss ob di 


würde, als manches fnde Lustspiel der noucı 
Bühne.“ — 


Feen Hamburg 1759. 5. 200 f, 
Schriften, 4. Theil, 8, 3. 


4 





RUE 


zu wocken, obwohl die im Fluge beliebt uud bekannt 
gewordenen Vertreter des Bookeshentels (Grobian, 
‚Agneta, Susanna) darin wieder auftraten, Ein Druck des 
Stückes, dessen Verfasser Borkenstein auch wohl nicht 
war, ist mir unbekannt geblieben. Abschliessend zei 
aber noch an ein anderes Stück Borkensteins mit 
orte- und zeiteigentümlichem Gopräge, „Der Misch- 
Masch#, erinnert, von dem nichts ala der Titel auf 
uns gekommen ist, Die Schröder gub das gogen dis 
Sprachvermengung, das Durchsetzon dor Rede mit fran- 
zöwischen Floskeln und Phrasen zu Felde ziehende 
Stick nach dem Manuskript in Hamburg viermal, 
zuerst am 28. November 1742, Es fand keinen Bei- 
fall und ist auch nie gedruckt worden.') Wie es scheint, 
hatte sich mit dom Bookesheutel Borkenstoins dramati- 
sche Kraft: erschöpft. Dieser aher war ein Treffer 
erston Ranges gewesen. Unzählige Nachahmungen und 
Fortsetzungen, von denen die Uhlich"sche am be 
kanntesten geworden ist,") reden noch heute eine deut- 
liche Sprache von seinem tiefen und nachhaltigen Ein- 
Hass auf die Zeitgenossen, Ale Borkenstein aber 1777 
stirbt, war soin diehterischer Ruhm schon längst zu 
Grabe getragen: Die Presse geht mit Stillschwoigen 
durüber hinweg. Kulturhistorisch betrachtet jedoch ist 
mBorkensteins Fareo", wie die „Chronologie des deut- 
schen Theaters“ (8. 125) es wegwerfend nennt, ein 
merkwürdiges und interessantes Produkt aus der Früh- 
zeit deutschen Theaterlabens. Aber auch die Litteratur- 
geschichte wird nicht vergessen, dass in der Ent- 
wicklung von den Veltheim’schen Possen nnd Harle. 
kinaden bis an Lessings „Minna von Barnhelm* „Der 


9) Val. darüber. anssr Litamanns Schröder TS. 82, 
meine frühere Schrift S. 2—®6, wo sich auch ein Abdruck 
des Zettels der ersten Aufführung findet, 

") Ebd, 8.87 fl. ER auch meine Monographie „Adam 
Gottfried Uhlich“ (Theatergeschichtliehe Forschungen. 
VIEL. Hamburg und —— — 8.67 £ 





— 


Bookesbeutel“ einen hochragenden Markstein bezeichnet, 
dass sein Erscheinen einen grossen Schritt nach vor- 
wärts bedeutet. 


Zum Schluss darf ich noch ein Wort des Dankes 
sagen, Meine sehr mühsamen und langwierigen Nach- 
forschungen nach dem ersten Druck wären wohl erfolglos 
‚geblieben, hätte nicht Herr Dr. Johannes Bolte in Berlin 
‚mich damals, als ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, 
‚auf dessen Vorhandensein in der Kaiserl, Oeffeatl, Biblio- 
thek mußt, Patereburg aufmerkuam gemacht. Nachträglich 
‚erst hatte er diese Notiz unter de» ii 
Reise gemachten Aufzeichnungen wi ! 
teilnehmende Liebenswürdigkeit Professor 
Suphana vermittelte die Ucbersendung dins 
von St, Potersburg an das Goothe- un! 
in Wei Dem Entgogenkomn 
Rats Professor Dr. A. W 
tora der Kgl. Bibliothek in k 
lichkeit der Einsicht in das or'sche — 
welches darselbe auf meine Biti dem Adelbert: 
College in Cleveland (Ohio), dessen Büchersummlung 
es gegenwärtig besitzt, nach Deutschland kommen liess. 


wi 





Der 


Bookesbeutel. 


Ein 
Luſtſpiel 
von 


Drey Aufzügen. 





Frankfurt und Leipzig. 1742, 


[Vignetta,] 
Dies] Vorbericht. 


ie die Schaubühne von jeher als eine Schule guter 
Tugenben und Sitten von allen vernünftigen Leuten 
angejehen ift; aljo haben auch feit einiger Zeit ſich 
verjchlebene bemüher, en fiblen Geſchmack in Dentjchland 
© dom derjelben zu vertreiben. 
Die») Ungenchtet aber alter jolher Vemtihungen, ſcheinet 
eö doch, als wenn die geiunde Vernunft in diefem Stüde 
wicht jo Leicht wie in andern ändern, und infonberheit 
im Frandveich geicheben ft, die Herrſchoft erhalten wird. 
30 Denm obgleich man fidh bemfhet hat, fo wohl durch me 
als aus andern Sprachen überſehte Stüde 
unſern Landslenten ben guten Gejchmact beyzubringen; fo 
fiehet man doc), daß noch an den mehreften Dextern unſers 
Boterlanbes, die Zotten und Unflätereyeu des Harlefin, 
15 die Vetriegerepen und Ranke Scapins, ftatt der Wahrheit, 
wo micht ganz und gar, doch zum b 
behalten. Die Urfache, warum man noch immer 
vermfinftige, das Pöbelhafte, und das 
jet, dem Gefitteten und — 
=0 siehet, iſt von jo weitem Umfange ur a au 
jelbige hier in einem kurzen zuführen, 
— weitfäuftig fallen würde Und man zweifelt micht, ba 
und amt bie deutſche 
ei verdient gemachte Herr DR] Pro he, 
* joldes bereinft in den Fortiehungen feiner Deutfchen Shm- 
bühne mit mehrerm thum wird. 





Hinrich Bortenftein. Worberichk, 


Gegenwartiges Stüd ift Thom vor Jahr und Tag 
von der geichidten Schhnemanniſchen Gejellichaft auf der 
‚amburgiichen Schaubühne zum öftern aufgeführet worben. 
'* hat den Beyſall derer, welche die Vernunft und Bu 
guten Geſchmac Lieben, erhalten. Aus ber ganzen Gi 
richtung fiehet man wohl, daß der Herr Verfajler hefelben 
bejondere Geſchicklichteit befigen mul. Die Einrichtung 
it ordentlich und vegelmöhig; und der ganze Sunbalt 
mahlet uns jo wohl die Abſcheulichteit der Laſter als auch 
bie Aunchmlichteit der Tugenden mit jo lebendigen Farben 
ab, dat nic daffelbe ohne Gemuthsbewegung Lejen 
ober hören wird. Denn an ber Perfon bes Grobians 
bemertet man einen Sanmelplag verjchtebener Laſter, welche 
alle in folder Gröffe bey ihm anzutreffen find, daß man 
im Zweifel jtehen wird; ob der Geiz oder die Grobheit, 
— * — Bun in Fr 
ie Oberhand Haben. jeimet es a 
dafı dev Geiz, fir alle andere Lafter die Oberherrichaft 
über ihn Hat, welcher ihm dermaffen bemeijtert, daß er 
auch ſo gar die allerempfindlichite Beſchinpfung nichts 
achtet, wenn er nur Geld bekommt, Nichtweniger findet 
ter Bar und Tochter die Spuren einer pöbel- 


je zu vermeiden und zu derab« 


den Sittenreich, Gutherz, 

d wohlgefittete Lebensart. 

Eindrud von der Hufe 

und Bejcheibenheit. Und 

er einige geringe Fehler 

m ihnen die mit einer ſcharfen 

Norat nicht bi ſo wird einjeber, jo lange er an fich, 

felbft fühlet, H — bedenlen. doß 
niemand ohne Schn 


ſes 
Führungen Thon zlemlich bekannt * und mit becht vers 





a 


Vorbericht.) Der Boofesbeutel. 5 


dienet, daß e3 noch befannter gemacht werde; fo hat man 
ſich nicht entlegen können, es hiemit vielen Leſern in die 
Hände zu liefern. Man wünjchet zugleich, daß viele da- 
durch aufgemuntert werden mögen, mehrere dergleichen 
Stüde zu liefern; fo wird unfer Vaterland endlich fehen, 
daß auch auf der deutjchen Schaubühne die gefunde Ver- 
nunft und der gute Gejchmad den abgejchmadten Poſſen 
vorzuziehen find. 


D@®] Perſonen: 


Grobian, ein Rentenierer. 
Agneta, deſſen Frau. 
Sittenreidh, fein Cohn. 
Sufanna, feine Tochter. 
Gutherz, des Grobians Schwager. 
Ehrenwehrt, ein Fremder aus Leipzig. 
Carolina, deſſen Schweiter. 
Charlotte, Freundin der Sufanna. 
wo Mägde. 
Der Schauplag ift in Hamburg in des Herrn Grobians 
Haufe, fängt vor Tiſche an und währet bis gegen Abend. 


[Kopfleiste.] 
Erjter Aufzug. 


Erſter Auftritt, 
Agneta, Sujanna, in Haustraht, jwo Magde 
—— ſtrict, — a 353 Jede hat ein 
a = — ihm das, 
Wenn im grünen Grab 
Unfer Hänsgen Gretgen ‚ur: 


Bon vorne. 


Zweeter Auftritt. 
Sittenreid, bie vorigen. 


‚Sie fieden geihtwinde die Blätter in die Taſche, eine aber läft 
es fallen. 


Sittenr. Ey, mern wirb denn das unzeitige 


dat ich mitfinge? Ahr habet ar 
vorgefehen, denn Hier lieget 
nimmt 68 geſawinde auf. Laß chen, 





8 Hinrich Vorkenftein. 1.23 


Er lieſt. Sechs jhöne, neue, weltliche Lieber. 1. Hat dich 
denn das Ungelüde wieder in den Krug geführt? 2. Ge— 
jellen Höret an, was mich für Jammer quälet. 3. Ihr 
Schtwäger ftellt euch nut bey Tag und Nächten ein. 4. Hans 
und Öreigen will, morgen in der Still, eines mit ein 6 
ander wagen. 5. Ich bin der Arzt, ich bin dev Dann, 
ber allen Madgen helfen lann. 6. Liebjtes Liesgen Iege 
dich, Aber faget mir, ſchamet ihr euch nicht? Wenn das 
die Nachbarn merken, jo werben fie erſt jchmälen. Bisher 
stehen fie im den Gedanken, daß ihr Sauter erbauliche Lieder 10 
finget; wenn fie aber Hinter den mahten Inhalt derſelben 
lommen werden; was haben fie nicht Bde zu fprechen? 
Schöne neue weiktiche Lieber. Ex left 1. Ich bin ein 
rechter Engel, ich bin ganz ohne Brangel vom muß bis 
auf das Haupt, und wer mir bas nicht glaubt, der darf 1 
mid mır — ꝛc. Trefliche Moralia. Dentt doch! 
Mutter, Tochter und Mägde ſihen und fingen weltliche 
Lieder, dazu jo vortreflich Zeug, welches ſich recht [3] vor 
Leute ſchidet, die ſich jo viel einbilden, als ihr thut. 
Sufanna. Je mu, was gehts euch an, Bruder, 20 
wenn bie Dana es uns gut heiffet? Der Papa hat mir 
am Sonntage Sechsling verehret, dafır habe ich 
ti Sieber gekauft, und finge fie zu feinen Ehren. 
ſchidet ich nicht, daß der Sohn die 
= war in meiner Eltern Hans die 
alfe Tage eine Stunde vor und nad 


gut 
ea als ich Lebe, will ich auch 

0 zwar fonft alle Neuerungen, denn das 

Alte iR ‚immer ber er, als das Neue: aber das muß Ich 

Lange bear Neues aufgelommen it, 

allen, als dieſe neue melttiche Lieber; 


men, wenn ich nit etwas nothwendi s anzubringen hätte. 
Agneta, Und was denn? 





Ja Der Boolebeutel. £} 


Sittenreid, Ich Habe vor einiger Zeit mit meiner 
von einem jungen und veichen Menſchen ner 
prochen, ben ich in Leipzig habe keunen gefernet, und mit 
‚melchene ich eine [4] ſolche genaue Freundſchaft geſtiftet, daß 
‚er bios deswegen gewünſchet, mein Bertuandter zu werben. 
Und auf Vernehmen, dah ich eine Schweiter hätte, hat 
er fich entſchloſſen hierher zu reifen, um zu fehen, ob fie 
ihn gefiele, und ſodann zu erfuchen, ob fie Belieben trüge, 
ſich ihm zu verbeivathen. Ich möchte ihr dies Gläi 
‚gerne gönnen, denn mein Freund iſt fo tugendhaft, als er 
reich ift. Auletho eben hat er mir feine unvermuthete 
Ankunft willen laſſen, und ich habe nicht umhin tönen, 
ihm noch vor dev Mahlzeit zu mir zu bitten. 

Aguneta. Ich wollte, daß ihr was anders gethan 
hättet: Es ift fein Zimmer im ganzen Haufe reim; alle 
Vorhänge find in der Wäſche, und überdem, jo habe ich 
geböret, baß feine Ehe glüdtich ſeyn faun, wo der Bräuti— 
gam zum erſtenmal in ein Haus kommt, das micht vein 
gemacht ift. Welche Unordnung! Eine Stunbe vor ber 

Mahlzeit Fremde zu nöthigen! das iſt ja unerhört! 

ame, Die Leute find am andern Drten 
nicht fo thöricht, daß fie auf dergleichen Kleinigteiten achten. 
Mein Freund fonmnt weder um das Haus zu fehen, noch 
ums on ber Mahlzeit zu ftören. Die dran Mutter wird 
aber — Zweifel auch wohl ehe gehbret haben, daß 


nicht gejchiet haben, meinen Freund 
Head zu laffen, Weil ich aber Kopfich 


e mert ihu 
9 als eine 


daß das Haus nicht vein fit. m ih bey Leibe 
nicht Hier, denn ich habe nichts ; Ir Dägbe, 
‚packt euch geſchwind mit euren Spinnrii em Re 

‚ober auf dem Boden, daß man euch nicht hd 





Srobian und die Borigen. 


Grobian. Was tits? was giebts? Wohin führet 
ber Teufel bie Mägbe und Sufanmma? 

Sittenreid, ES fommt ein Fremder zu mir, 
‚Herr Pater! w 
[6] Grobion,. Win Fremder! was will der Kerl? 

Sittenreid. Er will meine Schweiter heirathen, 


Binz, Vesziten if, er Perle 
Sittenreid. Ich ſage ja, hai er frentb ift, — 


Bater. 

Grobian Gin Frember, ein Schelm, ein ‚Dich 
will meine Tochter heirathen? Hat der Hund Geld 

Agneta. Ey nun, Dann, alle Fremde — » 
doch wohl feine Schelme und Diebe jeyn. Wenn darum 
unfere Tochter eine gute Heirath treffen Ernte: jo ließ 
ſich doch die Sache wohl unterfuchen. 

Grobian. Darum frage ich jo, ob er Gelb hat. 

Sittenreich. Derr Vater, bejtehet denn das menſch⸗ 3 
liche Vergnügen mtr im Gelbe? 

Grobian. Ja, du Galgenvogel, wart, faf mir 
ben Kerl herfommen, ich werde ihm willfommen heiſſen, 
daß ex fich wundern joll. Ich will ihm fragen, ob ex den 
Haden wohl fichet, woran ſolche Diebe hängen müffen: 3 

Ugneta. Ey, lieber Dann, jen doch nicht gar zu 
unchöflich. 

Srobtan. Unhöflich! mas habe ich nör [7] thig 
einem Fremden Höflichkeit zu erweilen? überbem will er 


— 








en 


Der Vooledbentel. 11 


‚ja nichts beingen, er will was bolen. Zum Sutenreich. Doch 
fage mir, wie ift ber Merl auf bie Gebanfen gefunmen. 
ittenreic, Bor drey Jahren, Herr Vater, als 

Herr Gutherz, mich in Leipzig. ſtudiren 
ic) mit ihm befanmt geworden, Wir haben uns, 
Uebereinitimmung der Semither willen, ewige 
and Brüderihaft geihtworen; und auf Benehmen, 
‚eine Schweiter hatte, pflegte er jo wohl der Seit, 
nachhero in allen Briefen zu herzen: er wünfchte 
in Schwager zu Werben. Anietzo möchte aus bem Scherz 
denn er ijt herüber gexeifet, ohne 

jet zu Schreiben, und hat fich jo eben 

[den laſſen daher ich nicht umhin gekommt, 


anzun 3 - 
1 Ach wollte, daß meinen Schwager und 


1er # 


zu 
‘ 


i 
8 
3 


dich 
nad) 
bein 
wurde. 


b bein Meifen nichts 


in 


ic ans jeinem Wentel unterbalt . 
ern ich bie Unfoften Hätte tragen jollen, 

feit [8] nicht geichehen tod 

napofji v 


y reibung gegeben, 
A 1 bezahlen schule 


& 


deyeft, it 
Siltenreich. Hievon ift mi 


)- fe 
amix,, waren du wicht wehrt, daß ich 
2 ‚Hat dich mein Schtwager darum nad) 

Sdah du mix, einen fremden Re 
folit, ber mir Ungelegenbeit 
ing deiner geofien 
gern 
it glüdki, 


KRERERGT 





12 Siurich Vorlenftein. [023 


Agneta Mein Sohn, ihr — mir ja vorhin viel 
Nühmens von dem Reichthum dieies Fremden gemacht. 
Sittenreich. Ach muß den Herrn Water wohl bes 
felebigen. Der Fremde, dev icht bier fommen will, it 
ein Sohn des alten Ehrenwehris, der oft in Hamburg ger 5 
weſen, und vor einen Jahre in Leipzig geftorben if. Der 
Rede nad), foll er vier Tonnen Goldes hinterfaffen Haben. 
Ich zweifle nicht, ber Herr Vater wird ihn Fermen. 
[9] ®robtan Je, du Teufelstind, was wollte ich ben 
alten Ehrenwehrt nicht gefannt haben! Muſt du mich, 
denn erft zum Horn reizen? SHättejt du mir das micht 
jagen follen? Auf die Weiſe hat ja mein Schwager was 
Sutes geftiftet: Ich habe mich zwar feit drey Jahren mit 
ihm veruneiniget, allein ieht till ich fo gleich zu ihın gehen, 
und er foll fich mit mix verföhnen, und dieſen Nachmittag 
hier kommen. Du aber, wenn der junge Ehrenwehrt kommt, 
To Halte ihn To fange auf, Bis ich wieder da bin. Ich 
will ihn felber ſprechen. Das Eifen muß man jehmieden, 
weil es warm Äft, Bier Tonnen Goldes iſt fein Dred. 
Gehet ab. 
Sittenreid. Ich werde mein Boftes thun. 
Agueta gehet ab, 
Mein Freund könnte wie es fchelnet, leicht zu Tel 
nem &efuche gelangen; aber Ic) fürchte, wenn er meine 
Schweſter jehen und fprechen wird, daß ihr Umgang und = 
ihre Erziehung ihm ſchlecht aefallen möchte, Ich hätte 
nimmer geglaubet, daß mein Water bey feiner olten Miete 
nung, die Kinder nicht das geringite lernen zu laſſen, ver⸗ 
harren würde, und ich bin daher glüdtic), daß mein Oheim 
ſich meiner angenommen hat. Ja, wehrſter Gutherz, dir 20 
bin td) mehr Dan ſchuldig für die Erziehung, als meinem 
Teibfichen Vater [10] für Das Leben und die zeitlichen Mittel, 
jo er mir einmal nochläßt. Zu meiner völligen Bernhls 
gung fehlet mir nur noch der Beſih der ſchönen Charlotte ; 
alfein Hiezu weiß ich nicht zu gelangen. Cie iſt tugend» 5* 
haft und ſchon, klug und wohl erjogen, mit einem Worte, 
fie Hat alte Eigenſchaften eines vollfommenen Frauengimmere. 





e ——— rühmen, ihre Gunſt zu beſihen, allein fie 

die Gunſt meines Vaters. Warum? fie hat 

Verdammie Geldjucht, wie ſchädlich biſt du 

—E Vergnügen! Olme ſeine Eimvilligung 

5 Tann ich gleichwohl wichts anfangen. Er würde mich on 

febtbar enterben. Die Iehte Zuflucht ſoll zum Haren Gutherz 

ſehu. Doc) da fommt mein Freund von einen Frauen» 
‚zimmer begleitet. 


Vierter Auftritt. 
10 Ehrenwehrt, Carolina und Sittenreid. 
Ehremwehrt und Sittenweich umarmen ſich. 
Ehrenw. Die angenehme Borftelhung, meinen ge— 
‚ehrteften Freund zu jehen, hat mir den Weg von Leip- 
‚sin bis bier tauſendſach verlängert, und bie Freude, fo ich 
35 empfinde, da ich meinen liebſten Bruder umarme, iſt un 
ibli 


m) Sittenreicd. So angenehm es mix jederzeit ges 
ivejen ift, von des Herrn Bruders Wohlſeyn schriftliche 
einzuziehen; jo ſehr vergrüget nuch, daß ich deſſen 

30 amieho fo unbermuthet perjönlich von ihm verfichert Werde, 
Aber darf ic; fragen, was für ein artiges Frauenzimmer 
bee Herr Bruder miigebracht hat? 

Ehrenwehrt. Es ift meine Schweiter. Sie war 

das ganze — der — — ee uns fubirte, 

= bestlägerig, jo, daß man auch an ihrem Auftommen zweifette; 

allein fie bat ſich nad) dev Zeit völlig exholet, und wer 

weiß, went der Himmel fie vorbehalten hat. Ihre zärt⸗ 

Tiche Liebe zu mir. hat verurſachet, daß fie mir auf biefer 
Meile, Geſeliſchaft geleiftet. 

” Sittenreih, It es möglich, daß ich in ‚einer 
‚ganzen Fahresfrift nichts hievon vernommen habe? Ich 
ichäbe mich inzwiichen beglüdt, die Schweſter eines voll“ 
fommenen Bruders kennen zu lernen, und in Anſehumg 
der gemachten Freund⸗ und Brüderichaft mit dent Herren: 

5 CEhrenwehrt, nehme id; mic bie Erlaubniß, mie auch dero 
Gewogenheit auszubitten. 





14 


Carolina. * Et —— 
wovon mir mein Bruder fo vo 
bat, lann mir nicht anders als hochſtangenehm ſeyn, um fo 
vielmehr, da ich gebdret, daß fie eine artige Schwefter Haben. 
[12] Sittenveicd. Gtvas verwirrt. Bon ihrer Artig- 
feit wird nicht viel zu ruhmen ſeyn. Das Frauenzimmer 
in —— einige — — wird mehr 
zur sarbeit, als zum Umgang Leuten angehalten, 
Wir müfjen den Oberjachfen, was Ye Gerlhung des drauen· 
— anbetrifft, den Vorzug laſſen Da kommt mein 

jater. 


Fünfter Auftritt. 
Srobian und die Borigen. 


Srobian. Gehorſamer Diener, gehorjamer Sucht, 
mein wehrtgefchägter Here! Sind fie nicht der Ehren- 
wehrt aus Leipzig? Wein Sohn hat mir vor einer 
Hatben Stunde gejagt, Daf fie hier fommen würden, fonft 
hätte meine Frau ein und andere Anftalten zu ihrer Ber 


wirthung machen follen. Sie laßt ſich auch ent 
daß en Daus nicht vein iſt. Ste hat mit der Wil 


Ich bin von Herzen erfreuet, beit 
—— lernen, den ich über alle 


Grobtan, Ja, ja, er ifts auch wehrt, er ift ein 
guter Junge. Gr hätte aber noch beifer werden follen, 
wenn ich ihn felöft erzogen hätte. [13] Zum Gittenzeidh. 
Was ift das für ein Menfch, das ber Herr bey ſich hat? 

Caroline. Zum Epremsehet, Ein Menfih, lieber 
Bruder! 

Grodian. Was ifts, was ifts? 

S Zur Carolin. Sie Jurnen nicht, 

* ter it niemals im Oberfachjen ge‘ 
en. Er mimmt das Wort im guten Zune 
Oroblan. Herr Vater, das Wort Menſch beveutet in Ober · 1 

ſachſen gar etwas Böſes 





Der Vootesbeutel. 


- Grobiam Und was benn? 
- Bittenreicd. Es bedeutet jo viel als eine lieder ⸗ 
fie im, oder mit einem Worte, eine Hure. 
 Örobiam. Ie mum, kann ich dem Leuten anſehen 
a —— Eine Hure ift ein Menfch, und eine Jungfer 
it auch ein Meuſch, und damit it es aus. Sage mir 
nee, wer fie 
Sittenreid. Es ift des Her Ehrenwehrts 


” Grobion. Meine Tiebe Jungfer, ich will nicht 
— daß fie bbſe geworden find. Cs wäre fahr 
1, denm ich verfichere ihnen, dab ich nicht gewuſt 
I auch Dieje Stunde nicht glaube, daß in ihren 
— ne eine Hure bedeutet, zum Teufel, 
e 
“in Carolina. — ſundiget man nicht. Ich bitte 
, daß wir Ihnen ſo frey zugeiprochen. 
Grobian, D, daran haben fie wohl gethan. Bum 
Sittenveidh feife. Das iſt ein gutes Miädgen vor dich. Zum 
© Ehrenmwehrt, Aber jagen fie mir doch, mein Herr, aus was 
Urfache haben fie eine jo weite Neife angetreten? 
und Carolina jprechen beſonders. 
Ehrenwehrt. Die Reife ift ja fo groß nicht. 
Grobian. on Leipzig bis bier follen doch über 
Meil Weges fen. 
Ehrenwehet: D, nein, es find nur einige vierzig. 
&robian. * Habe mic; mein Tage ı 
er it 


Örobtan. Ey was Baris, was 
einen Better, der ft ͤt Paris und Londo 


da mich micht todt wäniden 7 Bum Erempel: 
Paris Hat er vor Geid Feine Eyermonden friegen 





16 


können. In London haben 
Fu» [15] hen vor Dinge find. ie 
Federbett daſeldſt gehabt. Der Wein ift — 
— Sen, — er — 
te, und was unter 
fonen ift manchmal kaum einer geweſen, ber deutich ver“ 
ftanden. Kaunn man das geofe Derter nennen ? 
Ehrenwehrt. 


und unbefannt find, Unter hundert von unfern 
von wird auch faum einer englüch oder franzoſiſch ver“ 
chen. 

Grobian. (En, wozu ift das nöthig. Nach meinen 
Willen follte die ganze Welt deutfch reden. Was Teufel, 
bie bentfche Sprache fofter ja nichts. Die andern muß 
man vor Geld und mit groſſem Kopfbrechen lernen, und 
alsdenn Mingts, als wenn Hunde und Sagen Heulen. Kein 
Menich veritchts. 

Ehrenwehrt, ine jede Natiom verfteher Ahre 
Sprache jo aut, als wir Deutiche die unſere. Ju London 
koftet den Einwohnern, das Engliſche zu lernen, ſo viel, 
als ums Deutjchen, das Deutſche, und fo iſts in Baris 
mit dem Aranzöfifchen. 

Grobian. Reden fie denn in Paris und London 
nicht einerfen Sprache? Nach meiner Meinung Hegt Baris 
und London fo bey einander, als Hamburg und Altona. 
[16] Ehrenmehrt, Nein, mein Herr, fie Itegen 0, 
Meilen von einander, London ift die Hanptitadt in Engel- 
Kand, und Baris die Hanptitadt in Frantteich, Beyde 
aber find die Reſidenzen der Könige. 

Grobian: Das ift mir zu weitläuftig und ber 
Schnickſchnad bringt nichts ein. Um einer halben Stunde 
werben wir ſpeiſen, und till bee Hert bie Ehre haben, 
amd mein Gaſt fen, und mebit feiner Rungier Schtweiter 
mit uns vorkteb nehmen; ſo joll er mwillfonmmen feym. 35 
Was wir über der. Tafel reden werden, joll vielleicht 
mehr einbrängen. 





Der Voolesbentel. 17 


un Wir werden nicht ſo unhbflich ſeyn, 
‚gleich, das erſtemal — zu verurſachen. 

Grobian. Ey, was Ungelegenheit! Machen fie 

nur feine unndthige Complimenten. Ein Schelm, der ihrent⸗ 
5 wegen Umftände macht. 

Ehrenmwehrt. Das wollen wir ung denn von ihnen 
ansbitten. 

Orobian. D, jo was gebrauche ich nicht. Wenn 
der Babjt oder der Türkiiche Kahſer, oder der Teufel und 
0 jeine Großmutter auf ben Stutz zu mir fämen, und Hätten 

— — — zum Eſſen bäte; jo müßten fie mit 


Ehrenwehrt. Das ift auch billig, wenn [17] mans 
To gut hat als ber Wirth jelber, jo muß man zufeieben feym. 
15 Grobian. Der Herr fit mein Mann, ich höre es 
ſchon Ih habe das Sprichwort: Wer das nicht eſſen 
will, was ch eſſe, der frefie das, woben cs nekocht üft. 
Den ihnen wohl vorher jagen, was wir ſpeiſen werden: 
ſchen, e3 iſt heute Montag, Dienſtag, Mitttoochen . , 
= Noden Warmbier und Wlüctefinfen. Wir effen, Jahr aus 
Jahr ein, einerlen. R 
Ehrenwehrt. Die Gerichte find mir unbefannt; 
jeboch es jey was es wolle, gute Geſellſchaft iſt immer 
mein bejtes Gericht. 
= Grobian. Ey, ey, ich mag dod) gerne was Leclers 
freffen, wenn es mm nicht jo viel ee Rh wollte 


wehrt und ſeine Jungfer Saweſ immer, und ver⸗ 
ie ihnen * ‚geit. Ich mil r bey euch ſeyn. 
ättenzeich, Ehrenwehrt und Carolina gehen ab. 

esse Es foftet mir Mühe dom & 
icht dabey — ment, und 


Deutsche Lätteraturdenlmnis Nr. &6] 





18 Hin Vortenftei, 223 


gleich das Maul anfthun fönnen. Mein Sohn wird es 
ihm doch wohl gejagt haben, daß ic) es fchon weiß. Ueber 
Tiſche werbe ich nicht Lange hinter bem Berge halten, und 
wer mir ber Kerl Lange um ben Brey herum geben. toill 
jo werde ich ähm Ins Facit jagen: daß er ein Narr ift. 


Sedjfter Auftritt, 
Agneta. Örobian, 


Agneta. Was Teufel, Dan, ſchämeſt du Dich nicht, 
Fremde auf ſolche Traftamente zu möthigen?® Ich mitt 
durchaus der Goſte loß ſeyn, und follte id) alles Eſſen 
anbrennen laſſen 

Grobian. Biſt du toll, Frau, oder was jchadet 
dir? wilft du mich sunmmünbig machen? Ich Habe ihnen 
ſchon geſagt, was wir zu eſſen haben. Es find Auſſen- 
Tente, fie verſtehen nichts Davon, und finds wohl nicht eins 
mal jo gut gewohnt. 

Agneta. So magft bu mit ihnen allein effen: Ich 
und meine Tochter wollen uns bey dem Geſinde Debelfen, 
denn es Kit nicht Efjen genug. 

Wrobian, Das jollt ihr wohl bleiben laſſen. Der 
Fremde hat viel Geld, und will er [19] mein Schwiegere 
ſohn werden, fo muß er ja wohl feine Braut sehen. 

Agneta, Umd wem meine Tochter ewig follte un» 
verhetrathet —— jo ſoll fie heute nicht am der Tafel 
foumen. Es ifl in unferer ganzen Freunbjchajt fein Ger 
brand), daß wir anders, als des Sonntags Gaͤſte haben, 
und jo will id es durchaus gehalten willen. 

Grobian. Di ficheft aber, daß es micht mehe zu 
andern jtehet, 

Agneta. Sollte ich in der Mode rein Tiſchzeug 
and ginnerne Teller auflegen? das laffe ich wohl bleiben. 

Srobian. Gieb uns das faule Tiſchzeug und die 
holzernen Teller. Es ift nichts baran gelegen, fo fehen 
fie, daß wir jparjam find, 


Agneta. Nein, id toill auch auſſerdem feine Un * 





za Der Bvotesbeutel, 19 


‚ordnung im meinem Haufe haben, und icht will ich felber 
und ihnen die Thure weiſen. Will weggehen. 
Grobian. Hält ſie. Wo dich der Teufel wicht re— 


Siebender Auftritt, 
Sufanna, Charlotte und die Borigen. 


Suſanna. ch! Mama, Mama! 
Agneta. Was wiljt du? 
[RO] Suſanna. Das ift ein artiger Menſch. 
Ei Srobian. Haft du ihn gefehen? 
Sujanna. Ja bon ferne. 
Grobian. So gefüllt er div? 
Sujanna. Ad ja, er ift fo artig, als mein Bruder 
ihm mir bejchrieben hat. 
E12 Grobian. Da, gieb deiner Mutter gute Worte 
Sie will ihm eben die Ihre weiien. 
Sujanna. Ey warum denn, Mama? 
Ugneta. Darum, daß dein Vater ſich unterftanden 
bat, ihn heute zu Gaſte zu nöthigen, da es doch nicht 
Sonntag it. 


Sufanne. Ey nun, Mama, es ift ja etwas auſſer⸗ 
ordentliches Ein Bräutigam wird ſich ja eben nicht om 
Sonntage melden, 

Agneta. Dir zu gefallen will ich es biesmal ge- 

25 fchehen ĩaſſen, dur magſt did) anfleiden, und mit eſſen. Ich 
will fo gleid; für die Uergerniß was einnehmen, und mid) 
bamit zu Bette legen. 

Aaneto gehet üb. 


Sufanna. Papa, ich habe Charlotte holen 
w laſſen. Sie ſoll mir jagen, was it meinem Bräuti= 
gam ſprechen muf. Sie hat es ans den Büchern, und 

aba weiß, baß ich nicht vecht leſen tann 
Grobian. Du haft wohl gethan. Jungfer Char 
fotte, fage fie ihe doch, wie fie mit dem Fremben und 
feiner Sapweiter umgehen muß, und was [21] fonft nöthig 





20 


ift, ſo gut als fie es feibft machen würde, wenn fie eine 
reiche Braut werden ſollte. Wenn bie Heirat, 

kin Zweifel ift, vor ſich gehet, fo will ich Ihe das Schaur 

flüt verehren, fo ich neulich gefunden habe. Es ift ſhön 

vergölbet, und ein Jude hat mir ſchon 20 Schillinge bar 

für geboten, 

— Rh Ihnen zu gehorſamen, ijt meine Schul⸗ 
ll 

——— Zur Sufanna. Bu 5 
du dich anlleiden, und wenn du zu 
tomunſt. jo Halte dich habſch zu ihm, a A freundlich). 
Jungſer Charlotte foll ſich neben dich ſehen, 
dir dann und wann einige Redensarten Ins Ohr ſagen 
Mache nur nicht, daß * Schimpf einlegeſt, und verblte 
= ei Dingen, daß dir der reiche Bräutigam nicht 
entgehet. 

Sufannn. Wir wollen es jo gut machen, als wir 
können. Grobian neht ab. 
Ach! Jungfer Charlotte, ein Bräutigam! das Wort Hinget 
doch unvergleichlich! Ein Bräutigam! Ha, ha, hal... Aber 
was ſoll ich ſagen, weun ich zu Ahm ins immer — 

Eharlotte. Er wird fie ohne Zweifel erſt am 
— und jagen: Er ſchatze fich gütdlich, fie kennen zu 
ernen. 

Sujanna. Sollte er mich nicht erft Füffen? 
——— Behüte der Himmel, wie würde ſich 

8 fchien 
Suſanna. Ey, warum nicht? mein Vetter Mothe 
bart Tüffer mich ollezeit wenn er zu mir lommt, und ſaget 
kein Wort. 

Sharlotte. Ihr Herr Better Rothbart weiß nicht 
zu Teben 

Suſanna. Ey, er mag zu eben wiſſen oder nicht, 
die Mode gefällt mir aleihwel, Was habe ich von den 
Eompttmenten? 

Charlotte. Wenn es ihnen min gleich noch fo 
wohl gefältt, fo verfichere id) ihnen, ihr nener Vräutigant 


— 





‚Der Boofesdeutel. 21 


— thun, — a wird fie auf die Weiſe 
‚onreben, wie ih vorhin erwähnet habe. 
Suſanna, Was joll ich denn antworten? 
Eharlotte. Was meinen fie wohl? wenn er zum 
s Erempel fo zu ihnen fagte: Ich habe ein befonderes Ver- 
—— ‚eine Perſon kennen zu lernen, von ber ich mir 
—— ihres Herrn Bruders viel Gutes verſpreche, 
und werde ac glücklich [hägen, wenn dieſe Befauntichaft 
künftigen genauern Verbindung etwas beytragen Fönnte. 
2 wollen fie hler auf antworten? 
Snjanna. Ich wollte antworten: Ich bedante mich), 
Charlotte, Gy, das wäre eben iv viel als gar 
nichts, Zum wenigiten müffen fie jagen: Site[23] wären 
wicht weniger exfreuet, feine Belanutichaft zu erhalten. Ihr 
1 Bender hätte ihnen ebenmaßig jo viel Lutes von ſeiner 


Schweiter 

Ken beiifen; fie Tragen: wie fie fih auf ber Neie 

befunden, wie es ihr in Hamburg acfiefe; und hören: 

* was fie daranf zur Antwort giebt, alsdenn giebt ein Wort 
das andere, [ 

Sufanne. O! das it mic viel zu hoch, Das 

Tartte ich unmöglich behaften; und wenn ich es nicht um 

bes Bräutigas Willen thäte, ich gienge wahrhaftig nicht 

= ins Zimmer. Ich ſtehe Todes Angit aus, werm ich daran 


3% Charlotte, Sp gehts, wenn man 
IE habe: jie ‚genug gebeten, | 
Bra gute Lebensart angemwöhnen. 


einen aus unſerer Benvanbichaft heirathen. 


Di ale hal “h ge 

1, ich hätte es nicht: nötbig. Di ſere Ver— 
= wandte, ‚Herr Murtopf nd er Nr hier rt 
jo geben wir. una einander die Hände, und der-eine jagt: 
guten Tag, wie gehts? Der ai mtwortet: groſſen 





22 ‚Hinrich Borkenftein. — 


Dant, Gottlob jo ziemlich. Denn ſetzen wir uns nieder 
und effen jo vor uns weg. So bald [24] wir fatt find, 
fo ftehen wie auf und geben ums wieder bie Hänbe, und 
ber eine jagt: geoffen Dank, gute Nacht; der andere ant- 
mortet: wiederum bo; und damit geht ein jeber feiner 
Were. Hätte ich mir das vorftellen Lnnen, da; mein 
Papa mic; wihrde auffer der Verwandſchaft verheirathet 
haben; So hätte ich leicht ein Paar Gomplimente lernen 
Lnmen. Aber fage fie mir doch, fiebe Jungfer Charlotte, 
kann ich nicht damm und wann meinem Bräutigam einen 
guten Biſſen von meinem auf feinen Zeller Tegen? Menn 
mein Papa und Mama auf den Garten find, jo mufı ich 
mit bem Geſinde ſpeiſen; und ba Habe Id) wahrgenommen, 
daß der Kutſcher, wenn er ein gut Stiid auf feinen Teller 

fand, ſolches bem einen Mäbgen, welches die andern vor 
jeine Braut halten, auf ihren Teller legte. Bisweilen 
biß fie die Hälfte bavon, und fegte ihm bie andere Hälfte 
wieder auf feinen Teller, die ah er denn auf; das gefiel 


mie, und fo meinte ich, wollte ich es auch machen. 
Charlotte. Dergleichen Careſſen hält man Kut⸗ 
1 » Mägden zu gute; vor Leute von ihrem Stanbe 
ches nicht. 
Aber ich wollte ihm gerne etwas zu 
er merlen khunte, dab ich ihn Lieb Hüte, 
ge num, bas muß mit 


fie ieh. en — ift es geit, ihm Darauf zu andworlen. 

Sufanna. Je, wenn er mat gar nicht jagt, bafı 
er mich lieb Hai 

Charlotte. So ifts ein Unglüd, und denm hat 
fie micht ndthig darauf zu antworten; oder will fie nach, 
der neuen Di etwan ſich ſelbſt anbieten. 

Sufanna. & nun, das tote mir ungelegen. Ich 
riſſe mir die Haare aus dem Mopfe. Mein Jungfer Char- 
fotte, fie räthet mir nicht recht. Sie will mir nur das 
Gluck micht gönmen. Ich will zu unferer Köchin — 
und will die fragen, wie ſie es gemacht hat, daß 





vr Der Voofeöbeutel. 23 


Kutjcher fie 0 Lieb gewonnen, bie wird nich gewiß beſſer 
—— Neulich ſpielten wir nach der Mahlzeit im der 

Karte Hahnren; wer das Spiel verlohr, mufte feine Nach« 
barn zur Rechten und zur Linken küffen, und da wuſte 
fie es Be fo zu farten, baß her Kutſcher Hahney 
wurde, denn mußte er uns begbe, weil wir — Be faffen, 
Kiffen. Die andern friegten nichts, ha, hi 

Charlotte. Um des Himmels Be täht fie 
ich denn vom Kuticher tüfjen? 

” Sufanna, Je, warum nicht? Iſt er nicht eim 
ehrlicher Menſch? Meine Mama hat fon [26] einmat 
dem Spiel mit zugejehen, und wenn der Papa nicht 
eben gerufen Hätte, jo hätte fie gewiß mit gejbiefet. 

Charlotte. Ey, ey, Jungſer Sufanna! fo vielen 

15 Rerftand traue ich {he doch zu daß fie einfehen wird, wie 

unter ihr und dem Kutſcher ein aroffer Unterſcheid iſt. 
Sujanna Wie groß denn? meine Mama hat mir 
wohl zehnmal gejagt, dah ich darum nicht hoffärtig ſeyn 
müffe, weil unjere Abtunft von fchfechten Leuten ift; und 
= wenn ich nicht irre, jo ift mein Aelter-Vater ein Schur 
flider gewefen, daß num ber Himmel meinem Vater ger 

davor farm der Kutſcher ja nicht. 

Charlotte. DerSaphatfeine Richtigkeit. Nungfer 
Suſanna, nehmen fie mins nicht übel, Ach ſage alles aus 
= guter Meinung. a fie es aber nicht annehmen, das 


Yes ift Schon gut. Alle Leute wiſſen 
es ſchon, dab fie gerne hofmeiſtern e 
nichts anders jagen wollte, fü ge 
»0 jchtwiegen haben. So tas brauch ich nich 
felber ſchon, was ich fagen E 
Charlotte. Allein. 4 iebe Jungfer Sufantta, 
ich merfe wohl, Herr Nothbart, Ehrenwehrt und der 
Sutjcher find alle [27] Mannsteute bey euch. Jedoch, 
© mas foll ich jagen? Der Apfel fällt felten meit vont 
Stamme, umd wie die Mutter ift, fo erziehet fie auch die 
Tochter. 





Achter Auftritt. 
Sittenreich, Charlotte, 


Sittenreih, Wie! allein, liebſte Charlotte? & 
iſt · meine Schweiter? 

Charlotte. Sie ift fo eben von mir gegangen. 
Ich habe fie erzurnet, und es iſt mir leid, 

Sittenreid. Es ift unmöglich, daß fie jemand 
erzurnen können. 

Charlotte. Sie erzählte miv eins unb das anbere 
vom ihrer Lebensart, und ic war jo unvorſichtig, 
feinen Beyfall zu geben. 

Sittenreid. Es üt ihrer Aufeichtigfeit und micht 
ihrer Unvorfichtigleit zuzuſchreiben. Vergeben fie meiner 
Schweſter einen Fehler, dev von fchlechter Erziehung her⸗ 
rühtet. Ste weiß es nicht beffer. 

Charlotte. Es hat auch nichts zu bedeuten. Ich 
bin es jchon mit ihr gewohnt. Ich werde ihr bem * 
geachtet, ſogleich machachen. Will wegt 
28] Sittenreich, ESlauben fie, ſchönſte — 
ic) fie eine Heine Weite aufhalte. Es hat feine Urſachen. 
Sie wiſſen, daß ich mich nun ſchon Jahr und Tag um ihre 
Gunſt bemübet habe. Ste ſpeiſen mich ftets mu zioeifel« 
hajter Hoffnung ab. Sie lüugnen ihre Zuneigung nicht, 
und jagen doch gleichwol nicht ja. Wie lange jo id) 
denn in Ungewihbeit leben? entbeden fie mic Kürzlich bie 
Urſachen hiervon. Zweifeln fie an meiner Aufrichtigkeit? 
oder misfällt ihnen meine Perſon? oder haben fie ihr 
Herz bereits andersiwo verjchentt? (3 jcheinet gleichtwol, 
daſerne ich mich nicht Io ſehr ſchmeichele, daß feines von 
diefen allen ihre Einwilligung in mein, auf Tugend und 
Ehre gegründetes Verlangen, hindere. Sie mühlen noch 
alfo ein Bedenken tragen, fo mir unbetannt, und welches 
gleichwol ihre aufrichtige Erklärung zurlid hält: Sie werben 
aber zu gleicher Zeit nicht unbillig finden, wenn ich mir 
bie Entdedung deſſen, won ihnen ausbitte, 

Charlotte. Ihre Forderung, mein Herr Bitten 





Der Bootesbeutel. 25 


Ara haben recht, es ift munmehro 

ihre Zuneigung zu meiner Perſon ent ⸗ 

begleng ben Fehler, ihnen Gehör zu geben; 

die allerſtrengſte Damen werden jolden 

, werm fie betrachten, daß ein reicher Herr, 

29) on — und Aufführung nicht das Geringſte 
ſich einem armen Be anbot. So 
hatte nachzuſinnen, mahm ich mir vor, 

ine Megung ftandhaft zu widerſehen, 

die Ummdglichteib ihres Verlangens vorzuftellen; 
‚aber Gelegenheit hiezu fuchte, wurbe ihr Herr 
Fran. Dieje Krankheit dauerte über ein halbes 
+ balbı war Hoffnung zu feiner Genefung, bald zu 
Tode, Währende diejer Zeit jchmitte ich ihnen 
‚Gelegenheit ab, mit mir zu deden, denn die Wahrs 
zu geftehen; wollte erſt jehen, wo es mit der 
— ihres deren Vaters hinaus wollte. Arie da 
‚er völlig geneſen ift, kann ich nicht uunhin fie zu bitten, 
dab fie ihre Diebe von mir ab, unb berjenigen Perſon 
2 Bear mögen, welcher ihr Herr Water ihnen aus— 


* ——— So höre ich wohl, ſchonſte Char ⸗ 
Totte, mein Vater it derjenige, fr welchen fie fich fürchten, 
und um fie auch mir. gehaßig find. 

Gharlotte.. Diefes nicht allein. Bebenten fie nur, 


nei 


würde, wenn ihr Herr Ba 
auf eine ihm nicht anftändige Art 
Sie lennen jein hartes und 
5 würbe fie ohnſehlbar enterben. 





26 Himrich Bortenftein. 3 


‚einer übereilten Verbindung ſeyn. Ich Hoffe, bafı fie mit 
diefer Erklärung vollfonmen zufeieden ſehn werben, fo 
bald fie die Sache auf eben die Art einzufehen belieben 
werben, als ich foldhe bereits eingefehen Habe: fogleidh 
werben fie auch meine Aufrichtigfeit enticjuldigen. Den 
die Wahrheit zu jagen; ich babe mir ein Gewiſſen ge 
macht, ihnen das Geringfte zu verhelen: und Uberdem, 
mit Leuten von ihrer Art, kann man aufrichtig feyu, ohne 
zu beforgen, daß es übel ausgelc * werde. 

Sittenreih. Ihre Aufrichtigkeit gefällt mir ums 
gemein, und machet, daß ich fie noch weit ftärter Liebe, 
Ihre Entſchlieſſung aber, welche aus biefem Nachfinnen 
entftehet, misfällt mix aufs äufferftes denn wenn fie mic), 
jo, wie ich fie, Lieben; fo bin ich entichloffen, auch wider 
Willen meines Vaters mich mit ihnen zu verhei- [31] rathen, 
und alles mit ihnen auszuftehen, was das Schidſal über 
ung verhänget hat. 

Charlotte. Hiezu wird aber erft meine Ein- 
willigung gehören. 

Sittenreid. D! daran zwelfele ich. nicht mehr, 
nachdem fie fich einmal fo gätig ertlaret Haben. 

Charlotte. Verzeiben fie, mein Herr, das Erempel 
einer meiner Freundinnen, welche ſich auf eben die Art, 
an einen jungen Herrn verheirathet, welder deßhalben 
von feinem Water, drey Tage vor feinem Ende, enterbet 
worden, aus Verzweifelung Kriegesbienfte genommen, meine 
Freundin erft in Armuth, und furze Heit barauf vor 
Sram und Sorge ins Grab geftürzet hat, — mir in 
gar zu friſchem Andenlen, als daß ich ihr fo bald nach-⸗ 
ahmen follte. 

Sittenreich, Alle Unternehmungen haben Keinen 
gleichen Ausgong, und alle Menſchen haben nicht einerley 
Schigſal. Schönfte Charlotte, haben fie guten Muth, und 
entziehen mir nur ihre Gunſt nicht. Das übrige wird 
ich fchon finden. 

Charlotte. Ich weiß hierauf melter nichts zu 
jagen, als: wollte ber Himmel, ihr und mein Glud ftünde 





in meinen Händen. Jedoch der Wohlſtand erfordert, daß 
a en Ih werde ihnen ſoleich an de 

e 5 0 J an T 
Ih Geſellſchaft leiſten. 


Vegleitet fie bis an bie Thure 

Allein, Nun ſihe ich recht zwiſchen zween Stühlen. Der 
Charlotte habe ich meine Liebe angetrogen, fie 

ſoiche nicht ab, und nimmt ſie auch nicht an. 

liebenswurdig, aber zu meinem Ungtide verjtehet fie voll- 

0 fommen die Kunit, die Liebhaber mit guter Hoffnung aufs 

‚Mein Freund, der Herr Ehremwehrt, giebt mir 

— zu verſtehen, daß er jeine Schweſter zu meiner 

it beftimmt. Sie ift nicht weniger hebenswuürdig 

und aus eimer kurzen Unterredung, fo ich it ihr ge» 

15 pflogen, habe ich jo viel Gutes wahrgenommen, daß ich 

| Urſache hätte zu winjden, bie Charlotte nicht cher ge» 

font, und mich nicht mit ihr jo weit eingefaffen zu Haben. 

diefer wird mein Vater mir aud im Wege ſeyn, fo 

wie er gerne fichet, daß ich bie Carolina Heirathe. Sollte 

mic; auch wohl recht lichen? Sollte es nicht 

Verftellung feyn? Sollte ich nicht einen Nebenbuhler 

haben? ... Nein, He ift zu aufrichtig. Sie liebet mic), 

aber gar zu vorfichtig. Ohne Vorwurf kann ich fie nicht 

verlaſſen. Ich habe mir aber einmal ſeſt vorgenommen, 


Entfehlieffung 

it gar ſehr ver 

J lachen, wie Die 

heutigen neumodiſchen Freyer, bie fi 9, beey und 








mehr Bräute auf einmal anſchaffen. Ja, ja, daß wird 
bas Defte ſeyn. Das Glüd mag den Ausichlag gebe. 
Gehet ab. 

Ende bes erſten Aufzuges. 





Dinrich Vorteuſtein 


Zweeter Aufzug. 


Erſter Auftritt. 
Agneta, Suſanna, Beybe gepupt. 


Sufanno. Mama, id) habe — 
der Tafel bleiben fünnen, Ich weil nicht, ob 
rathen oder berfauft bir. 

Agneta. Wie fo, meine Torhter? 

Sujanne. Der Fremde und mein Bruder 
Tauter Zeug gefprochen, wovon Id) mein Lebtage fein Wort 
nehöret habe, Sie redeten von Hönigen und Kürften, die 
‚alle wunderliche [34] Namen ehe fie ſprachen von Krieg 
und Blutvergiefien, von Türden und Mojcowitern; 
nad) fiengen fie von Sonne, Mond und Sterne an; Hemadı 
von Steinen, hernach vom Calender und dergleichen albern 
Zeug mehr, and da waren fo. viele lateiniſche Wörter mit 
eingennſcht, dab mir übel abe wırrde: Was mich aber 
am meiften verbroß, war biefes: Daß bie frembe Jungfer 
und Charlotte allenthalben mit einvebeten, und daß ber 
Frembe und mein Bruder fie kunner lobeten. Ich glaube 
and) feſt, die fremde Jungfer bat ſich nur jo. mufgepuht- 
Sie wird wohl eben. jo ein armes Mädgen- jeyn, als die 
Charlotte iſt. 

Agueta.“ Wöoher ſchlieſſeſt du diefes? 

Sufanna Ja, Mama! weil fie von allen Sachen 
zu planbern weiß, fo wird fie auch fonber Zweifel viel 
geleſen und gelernet haben; und Mama hat mir ja immer 
gejagt, daß Pie armen Leute viel lernen mühten, und daß 
die Neichen ſolches nicht nötbig hätten. 

Agneta. Es giebt bisweilen auch reiche Leute, bie 
eine Ehre darin ſuchen, daß ihre Stinder viele Wiſſen⸗ 
ſchaſten befigen. Ich halte «6 für bie größte Thorheit, 
und weih meinen Citern noch diefe Stunde Dank, daß 
fie mich mitsvielen Kopfbrechen verfchonet Haben. Mein 
Mann ift Dart, Gottlob, mit mir einerley Meinung. Aber 





29 


[85] fage mie, mie führete dein Water fi) bey biefer 
Mauberen auf? 


Sufanna, Er hat im Anfange fih alle Mühe ger 
„oc, mit zu ſprechen. Da er merkte, daß bie fremde 
und mein Bruder einmal über feine Reden helmlich 
, monede er gang böje; ja ich war bange, dafı cs 
nicht gut gienge; denn er fieng ſchon an auf meinen Bruder 
Ihmälen, allein ber Arembe brachte ihm geſchwinde 
die Sefunbheit aller wilden Männer; ich glaube er ver— 
30 funde die Thaler, morauf wilde Männer gepräget find, 
denn mein Water winjchte fie alle zu haben, die in der 
Welt find; darüber fam er auf andere Gedanlen. 
Agnete. Das war ein Sfüd. Aber wie führte 
ich der Fremde gegen dich auf? 
= Sufanna. Sehr ſchlecht. Er Hat mich kaum an- 
geſehen; und wenn er ja einmal mit mir vedete, fo waren 
feine Worte fo hoc, daß td) nichts darauf zu antivorten 
wuſte. Dagegen blieb Jungfer Ci ihm nichts 
ſchaldig, md er har hundertmal mehr mit ihe, als mit 
n — Die Narrin! wenn fie Geld hätte, fo glaube 
ich, fie unterftlinde fid mich anszuftehen. 
Agneta. O, dafür it dein Brantihab Biürge, Aber 
wir gefällt dir fonft dein Bröutigam ? 
Sufanna. Recht gut, ic möchte ihm gerne [36] haben, 
= Er fleht wohl aus. Gr ift aud) reich, — er nur beffer 
Beſcheid würte. 
Ugneta, Dein Bruber Hat ja 2 
auten Vebensart gerühmet, 


— mg —* Si 

» ey jeden N 

hätte ja müffen hungerig vom 
niemand genöthiget Hätte- Cein 


4 





30 Dintich Bortenflein. 


ſchlecht zu leben. Sie hat Immer Ihren Teller vein ledig 
EN amd bier ift gleichwol die Mode, Da man nie 
mals alles aufißt, was einem vorgeleget wird, ,  Jondern 
allezeit ein Stüc auf dem Teller Liegen läßt: ja wenn 
fie nichts mehr vor ſich hatte, jo Langte fie a und 
nahm fih etwas. Sie ſchentte fich much bisweilen ſelber 
ein Glas Wein ein. 

Agneto. Pfuy, it das die Lebensart, bie dein 
Bruder jo geriihmet hat? 

Sufjanna. Noch mehr, Mama, er bat mich nicht 
einmal mit dem Fuſſe angeftofjen. Wenn mein Better 
Mothbart ben mir ſihet, und es ſich eben nicht ididen 
till, daß wir uns oft die [37] Hände geben; fo weiß er 
mich jo ſachte mit dem Fuſſe anzuftoffen, daß miche wecht 
erfrenet. Fa als ich heute desſals verdrießlich wurde, 
and um dem Fremden Gelegenheit zu geben, ihn endlich 
mit meinem Fuſſe anftieh, fo zog ex feinen gar weg. 

Agneta. Der Kerl fit wohl gar ein Alegel Doc) 
laß dic) den ſchlechten Anfang deiner Heirat, nicht ver⸗ 
drieffen, wenn darum ein Paar aus euch geworden ift: 
jo wollen wir deinem Liebſten bald unfere Weiſe beys 
bringen. Hat er nur erſt die Anwerbung gethan, und 

Jawort erhalten; hernach joll er ſchon nach unſerer 

‚Hal Vater allein können N 
biefen auch wohl zwingen, 


mwohnheiten am jich, allein 1 wuſte fie Ihm mit Liſt bald 
abzugewöhnen, Bors erſte jagte ich alle jeine alte Ber 
diente, fie mochten jo gut feyn als fie wollten, einen nad) 
den andern zum. Haufe hinaus, und ſchaffte mir neue 

dere hielte id) ihm mit guten Worten 


gegangen wat, ab. Rum hatte er noch ein paur gute 
die ihm dann und warn Im Haufe befuchten, dieſe 

i ich fo lange, bis er auch die abfchaffte. Pferde, 
nde, und alles tooran er. bisher Bergnügen gefunden 
hatte, woufte ich ihm mach und mad) fo feib. zu machen, 





Det Boofebentel: 31 


er zufegt niemand, ala mich Hatte, mit bem er 

, Mit Hülfe meiner andten habe ich 
ich jo weit gebracht, dab er alle Gewohnheiten, jo 
— find, angenommen bat; und nun iſt 


ſillen zu thun. 

Tanne. Na, Mama, wer es erſt fo weit wäre, 
das vielleicht mit mir und meinen Bräutigant 
‚aber die Sache fichet noch verzweifelt meit- 

ig aus. 


2g 538 
a 


te mir des Morgens, "hafı wir Frenide friegen 
E machte darum eine Meine Baftete, und ſehte 
iſeiammer. Es fanten zwar Feine Fremde, 
darüber: allein, als ich des Abends nach 
sh wollte, ſaß ordentlich; eine Fremde 

fraß, was jie konnte; und alfo war 

* * eingetroffen. Dieſe Nacht hat mir 
als faulen Eyern geträumet, und alle meine 
jagen, daß diefes eine Brant im Haufe ber 
nur gutes Muths, die Sache wird ſich bald 


Zwetter Anftritt. 
Grobian. Und bie Borigen. 


Grobian. Zelt meines Lebens hat mir feine Mabts 
ie fo jchlecht geichmedet, als die heutige. 
der Höfe hat den Schnidichnad er 

o u habe anhören muſſen. We 

Sterne und bie Confuſion der e 

mag der Türke ſechs oder fieben 

er einen groſſen Ofen hat, fo mag er auch 

Holz zum Einhigen kriegt. Ich wollte, FA dent exften, 
25 ber im meiner ee von Staatsfahen rebet, bie 





32 ß m. 


unge im Halfe verlähmte. Zur Sufanna. Du haft ji 
auch Barrel mie ein Beeſt. Fänfft vom Tiſche, wie 
bie Mablzeit Halb war, 

Sulanma. Ey, Papa, wer konnte den Winb am 
hören? es war mir pleichfalls ärgerlich. Wenn noch einer 
jo vernünftig geweſen wäre, und hätte das Eſſen gelobet, 
wie unfere andere Freunde tun, die Hier bisweilen kommen, 
‚ober Hätte nach unferm Geſinde gefraget, ober ob umfere 
Huͤner gut legten, jo hätte man nod mit einſprechen 
Brnen: allein von allen, was heute vorfiel, habe ich 
fein Wort verftanden, und als mix endlich bie Heit lang 
wurbe, llef Id) gar bavon. 

[40] Srobion. Da, ruf mir deinen Bruder hevans, 
amd bfeibe fo fange bey denen Fremden, und höre wohl 
au, was dein Bräutigam faget: Stelle dich nur freund- 
Nih gegen ihn, fo wird er ja endlich Das Mauf aufthun, 
und fein Gewerbe anbringen, warum er hergekommen it. 

Sufarmıa gehet ab. 
it das nicht ein Leben, die Hmptjache verfäunen wir, 
mb plaudern von Dingen, bie uns nicht angehen 
Bon der Philojophie, von der Mathematiichen Boejie, 
vom geofien Gometen und Klipfiſch am Himmel, und wie 
der Quart alle heißt. Ich Hätte meinem Sohne gerne 
ein paar Ohrfeigen gegeben, wenn ich es nicht aus Furcht, 
bie Fremden möchten ſich daran ftofien, unterlafen hätte, 
Zur Agueta, Nun, Lebe Frau, wie fiehts mit deiner Ger 
ſundheit? 

Agueta, Es ift ein wenig beſſer 

Grobian. Gottlob! Ich bin deinetwegen recht be⸗ 
ſorgt geweſen. Ich gedenke aber, ich werde mich num an 
deine Stelle müſſen ins Bett legen. 

Agneta. Haft dur dich denn fo ſehr geärgert? 

Grobian. Je, das möchte den Henker nicht wer- 
brieffen. Der Kerl fommt ba her und will meine Toter 
heivarden, und wenn es ans Mappen gebet, fo fängt er 
ein Wiſchewaſche von Dingen an, bie feinem vernünftigen 
Menfchen [41] etwas angehen, Mein Sohn desgleichen. 





Der Boolesbeutel. 33 


ihm hinters Ohr geftedt, ex folle ſich an bie 

je, jo ſibt er da und unterftügt den andern 

in feiner albernen Plaudereh, unb haben mid) zum Narren. 

Wo die Schurfen fich einbilden, dab fie ihre Gelehrſamteit 

© dor mie wollen jehen laſſen; fo wollte ich, dah fie jamt 
Ährer Gelehrjamfeit im Galgen vexrtrodneten. 

Agmeta. Le, min, Keber Mann! äugerr dich mr 
nicht mehr. Es liegt blos daran, daß ich mer nicht babe, 
geweſen bin. So bald ich mich ins Spiel mifchen werde, 

20 ſoll es ganz anders fommen. 

Grobian. Nım, man, mid jofl denn verlangen, 
was du wirft für Kunſte jehen alien. 

Agneta. Ey, ey, beſinne dich nur, mie es uns 
felber ergangen ift, als wir uns heirateten. Mein Lebtage 

© wäre aus uns fein Paar geworben, term meine Mutter 
nicht Das Befte gethan hätte. Ja wer Die Eltern nicht 
Hüger wären, als bie Kinder. jo würde es oft toll ausjchen. 
Grobiam. a, wenn ic) zuruch denke, jo habe 
Ach Urjache deiner Mutter zu danten. Denn als ich nicht 
© tmufte, wie ich die Sache angreifen jeltte, und uniere 
‚Heirat vor jehr weitlänftig, ja vor ungewißi anjahe, über 
ruempelte deine Mutter mic und meine Eltern. und die 
war wichtig, ehe ichs mich verjahe. Si 
[42] eine vernünftige Frau in Puneto des Kuppelns. Es 
3 it Schabe, dab fie in der Erbe verjaul 

Agueta, Meine Mutter Hat mir e 
Kuppelns ſelber beugebraht, und are werde ich das Hand- 
werk ja wol verſtehen. wir jego 
werben Cafjee trinten, jo mi 

0 da joll es wicht funf Meinten too 
‚eigene Tochter, in des Fremden Namen, 
fprechen. ©, wie lange ift 
bie Heirathen von Seiten ber 
die Mädgen immer io lange warten | 
* ee fie ſelber anfpriht, jo wiirde aus — Seite 
in Ewigteit nichts werden. perſonen find oft 
blöbe, da muß man ihnen zu Hülfe fommen, 


Deutsche Littoraturdenkmnlo Nr. 80/87. 





a Sinic) womtennem. was 


Srobiam. Ich wünſche dir Glück zu deinem Vor⸗ 
haben. Ich habe dich immer vor eine vernünftige Frau 
gehalten, und die Wahrheit zu Sagen, bas Kuppeln Fleidet 
auch bie Frau beſſer, als ben Mann. 


Dritter Auftritt. 
Sittenrei und die Vorigen. 


Sittenr. Was beliebet dem Herrn Vater? 
43] Örobian. Ge ift dein Gfüc, daß du nicht ein 
paar Minuten cher gekommen bit. Deine Mutter hat 10 
mich eben befänftiget; fonjt würde es toll musgejehen 
haben. Habt ihr Teufelsfinder euch bexedet, daß ke mich 
zum Narren haben wollt? Was vor Poſſen habt ihr biefen 
Mittag vorgebabt? Meinet ige, dat mit euerer Freierey 
ein ganzes Jahr vergehen joll? Ich will noch Heute eim 16 
Ende darin willen, oder dns Wetter joll darein ſchlagen 

Sittenreih, Ja, Herr Vater, das fäßt fich ja 
nicht zwingen. Herr Ehrenwehrt muß ja erft meine 


Schywefter ennen lernen. Er wird ja nicht fo hinein plagen. 
Biſt du toll, oder was ſchadet Die? 20 
Bertranen zu bir, doß er glaubet, 


Sittenreidh. So dentt ber Herr Ehrenwehrt 
nicht, Es iſt ihm nicht ums Geld zu thun. Er fichet 
hauptſächlich aufs Öemäth. » 

Brobian. So ift er ein Narr, wie du bift. Was 
Zenfel, als ich meine Fran heirathete, war feine anbere 
Frage, ala: Wieviel Geld iſt da? Wir hatten uns wohl 
von ferne gefehen, aber niemals geſprochen Ihre umb 
meine Eltern m zuſammen, und wir hatten ein * 
einen Ming mitgebracht. Die Eltern führten [44] das 
Wort und vertauſchten die Ringe, ohne das Geringſte 
zu fpreden. Da ich erinnere mich, daß umjere Berwandte 
und Brad verieten, da wir fo gar denjelben ganzen Abend 
nicht mit einanber ſprachen. Den ohngeachtet find wir © 

hero befannt gemig geworden, ımd da war mehr als 





Der Boolesbeutel 36 


zu viel Zelt, dasjenige mit einander zu fprechen, was 


der auf unſere Lebensart was zu fagen hat. 
werben im Himmel gemacht, Aber ihr junge Narren 
s wollet olles vorher unterjuchen. Darüber gehet manche 
th zur, 

Sittenreih, Aber Herr Vater, woher kommen 
denn bie unglüctichen Ehen? Ich follte meinen, aus Uns 
‚gleichheit der Gemüther. 

wo Grobian. Halts Maul Ich habe dir ſchon oft 
pt, du ſollſt nicht vaifonieen. Wenn Geld und Geld 
Tommt, bas giebt die bejten Ehen. Die Ge— 
mither find eine Nebenjache- Aber fage mir, Haft du 
anf Univerfitäten and) gelernet, dab ber Sohn dem Bater 

38 gehorjam jenm jolt? 

Sittenreid. D, das verftehet fich, in Bilfigen Dingen. 

Grobian. So will ich, daß dir nod heute des 
Deren Ehrenwehrts Schweſter um bie Ehe anfprichit. 
145] Sittenreich, Herr Vater, ich habe feine Luft zum 

20 Helvathen. Ich finde mehr Berguiigen am Ledigen Stande. 

Grobian. Vergnügen Hin, Bergnügen her. Ich 
befehle es bie, und beine Mutter will es aud). 

Agneta. Ta, lieber Sohn, wenn ihr wünscht, daß 
8 euch wohl gehen folk; fo tut eurer Eltern Willen, 

= Ihe felegt ja alles, was ihr verlangen fünnet. Cure Braut 
Ajt, wie ich höre, ſchön und reich 

Sittenreicdh, Wenn der Herr Vater und die Frau 
Mutter jo hart baranf dringen, jo will ich mein Heit 
verfuhen. Wie aber, wenn fie mir eine abichlägige 

0 Antrort giebt? 

Ugneta. D, dafür laßt mich forgen. Ich will 
fogfeich Eaffee mit euch teinfen, und ba follt ihr jeben, 
wie ich das Wort für euch führen will. Gehet ab, 

Geobian. Ih muf dod gewiß ein gedoppelt 

3 rechtichaffener Mann ſeyn; weil der Himmel mir auf 
einmal ein geboppeltes Glüd beſcheret. Num, du haft 
ftwdiret, lege mir das einmal aus. 





Sittenreich, Der Herr Vater iſt reich und... 

Srobian. Heraus bamit. 

Sittenreid, Weich und gei.. . 

[46] Orobian. Willt du es jagen ober nicht? 

Sittenreich. Reich und ſparſam. 

Örobian. Gelt, bu bift nad) gerade mit kr einerley 
Meinung, dab nichts mehr Vergnügen bringer, als wenn 
man viel Gelb Hat, und täglich wos dazu erobert. 

Stttenreid, Ja, wenns mit gutem Gewiſſen ges 


ehe 

Srobian. Was ift das vor ein Ding, das — 

Sittenveid, Das Gewiſſen überhaupt iſt eine be> 
ſtandige Erinnerung des Guten und Böfen, ſo wir vers 
richtet haben; und eine Wucherer, wovon bier bie Rede 
iſt, wird es fleißig vorhalten, ob er erlaubte oder ums 
erlaubte Binfen von feinem Gelbe genommen hat: In dem 
erſten Falle heißt es ein gutes, und in dem zweeten ein 
böfes Gewiſſen. 

Groblan. D, jo habe ich ein qutes Geroiffen, denn 
ich habe mein Qebrage nicht über 10 pro Eento auf and 
genommen. Wenn man einmal minderjährigen, ober andern 
Leuten, die in Noth find, hundert Mthle. vorjchiebt, und 
läßt fich hundert Dueaten dafür verſchrelben, das lann 

ii D erben, dent ſolches find auſſerordentliche 
Yufälle, und fonmen, Leiden! ſehr ſelten vor. Doch wieder * 
Materie zu fommenz jollie es bem Herrn 
Ehren» |47) wehrt wohl ein rechter Ernit um deine Schweſter 
ſeyn? Ich will inner hoffen, dab du mir was weiß 

ht Hal hienge dich ‚auf, und mich babey. 

Ey, Here Vater, was find das für 
jedanken. Was Hätte ich denn vor Urſache, 
dem derrn Bater wos weiß zu machen? 

Grobtan Viellelcht deine Freunde dann und warn 
zu Gaſte zu bitten, und mie auf die Weiſe das Geld 
aus dem Beutel zu beriven. 

Sittemreic, Das wäre eine jchlechte Sache. Es 
verfohnet fi wol Der Mühe, von einer Mahlzeit‘ zu 


— 





Det Voolesbeutel. 37 


reden, Wenn es BR anders geweſen wäre, jo hätte ſch 
es dem Herrn Bater gefagt, Er hätte meinen alten Be 
Tannten doch wol ein paar Mal zum Eſſen genöthiget: 
hen Das hätte ich wohl bleiben laſſen. 
daß Mahlzeiten lein Geld koſten? Iſt mir 
nicht dicſen Mittag eine ganze Boutellie Wein daranf ge 
gangen? Und kurz von der Soche zu reden? Wenn bir 
mich die Wahrheit geſaget Haft, fo will auch noch heute 
ein Ende darin wiſſen, ober 


1 [48) Vierter Auftritt, 
Gutherz und bie Borigen. 
Gutherz. Lieber Schwager, ich freue mich, daß ich 
noch bey guter Geſundhelt fehe. 
Grobian. Num, das geſtehe ich! Ich bachte, fie 
35 mären mir ganz böje; Haben fie nicht wiber meiner Frau 
Be Iqh hätte fie beleidigt? Wie it es denn mönlich, 
mir 


tommen, da fie Ham merfen, bafı ich Fuft 
habe, * mit ibmen zu vertragen? 
Sutherz. Ich habe gehöret, daß fie diefen Morgen 
20 in meinem Haufe geweſen find. 
Groblarn. Ha, ba, ba fonmts her. Ihnen iſt 
mit der Ehre gebiener. 
Gutherz. Keinesweges 
Grobian. Meinen andern Schtwärern ſoll es auch 
2 jo gut micht werden, fommen ji t erſt zu mir: ein 
Schelm, der ſich mit ihnen 
Gutherz RU glaube, fie Habe ihnen eben fo Diet 
zu Teide gethan, als ich. F 
Srobtan. Be hut zur nichts. Ich bin 
0 der Reichſte unter ihnen, und alſo gebühret mir and die 


— Das iſt ein R h Si — Er Er 
guiige amt, wenn fie ns Yeuge 49] mi 

‚geben, daß ich mich jederzeit genen fie als ein rechtſchaffener 
ss Freund bewieſen Habe. 





3 Siuie) Borteuleit. Mu. 


&robian. Ich habe feine andere Urſache, als fie 
für meinen liebſten Schwager zu halten, und werde c# 
ach künftig thun, wenn fie mix nur noch diesmal einen 
Gefallen ermeijen wollen. 

Gutherz. Bon Herzen gerne; jagen fie mir nur, 
worin der Dienft beftehen joll. 

Hrobtam. Der junge Ehrenwehrt von Leipzig und 
feine Schweiter ſind bier gelommen, Mein Sohn hat mir 
geſagt, daß es blos darum geichehen it, weil ex meine 
Tochter beivathen will; und ich bin nicht allein Willens, 
ihm meine Tochter zu geben; jonderm ich ſahe guch gerne, 
dab mein Sohn jeine Schwefter heicathete. Denten fic, 
welch eine vortrefliche Sache wäre das! Ihr Vater hat 
ihnen vier Tonnen Goldes hinterlaflen. 

Gutherz. Herr Ehrenwehrt aus Zeipzig will ihre 
Tochter heirathen? Ich babe viel Gutes von ihm gehöret. 
Gy, beſchreiben fie mir einmal jeine Aufführung. Wie ger 
fällt ex ihnen? 

Grobtan, Er ift mit einem Worte ein Narr, er 
hat jtudieret. 

Butherz. Wollen fie denn ihre Tochter einem 
Narren geben? 

Srobian. Gr ift ein reicher Narr. Wäre [50] er 
ein armer, jo möchte er wieder hingehen, wo er herge- 
tommen Kit. 

Gutherz. So, jo. Aber hat er denn ihre Tochter 
ſchon angeiprocgen, und will ev ihrem Sohne feine Schweiter 


. Das ift es eben, worin fie uns bes 
hulflich ſeyn sollen. Die Sache fichet jonjt noch weit 
läuftig ans. Sie Haben biefen Mittag mit ums gefpeifet, 
und da iſt nichts vorgefallen. Sie kennen mich. Dix iſt 
nichts verbrießlicher, als das lange Janbern, zumal wenn 
es einen Unloſten verurſachet. Da haben fie mir ſchon 
ben ganzen Tag auf bie Sie gelegen, und mir würde 85 
” ſchlechter Gefallen geichehen, wenn dieſes oft Tommen 
jollte. 





3 


Gutherz. Hun Sittenerih, Was ſagen fie beim 
dazu, mein Vetter? Sollte Here Ehrenwehrt ihnen wohl 
feine Schweiter geben, und die ihrine danenen heivathen? 

Sittenreich. Daß er im der Abſicht hieher ger 

5 Eommen if, am fie zu ſehen, das lann ich ihnen ver⸗ 
fihenn; ob fie ihm aber anftehe und ob er fie Heirathen 
wieb, beögleichen, ob jeine Schweiter mich Liebet, das alles 
find Dinge, welche der Exfolg lehren wird. Der Herr 
Bater iſt ein bißgen allzueilig. 

2 Örobian. Und du biſt eine ofte Hure. Was Teufel, 
bier find ja Umftände, wo es feiner [51] Weitläuftigteit be» 
darf. Ahr Habt alle vier Geld. At das wicht genug? 
‚Hören fie, lieber Schwager, ich verlafle mich auf Tie- Sie 
find ein vernünftiger Mann, fie werdens fo machen, Daß 

5 ich noch heute ein Ende darin jehe. Gehet ab, 

Gurherz. Lieber Berter, nochdem fie mich vor 
einiger Heit zum Vertrauten ihrer Geheimniſſe in Anfehung 
des Viebesverftänbnifies mit dev Jungfer Charlotte gemacht 
haben: jo habe ich nicht ermangelt, joldye theils bey mir 

20 zu überlegen, theils auch bey der Jungfer Charfotte mid) 
jelber zu erkundigen, tie fie gegen ihnen geſinnet jey. Um 
ihnen mir alfo mit kurzem meine Meinung zu eröffnen; 
jo wiſſen fie: daß ich fie gleich vor dem Eintritt in dieſen 
Sool geſprochen, und aus ihren Reben jo viel vernommen 

5 habe, daß fie ohne Einwilligung ihres Herrn Vaters ſich 
nicht entjchlieffen will, in ihren Anteng zu willigen. Wenn 
num des Her Ehreuwehrts Jungfer Schweiter ihren 

Eharlotte: jo 


w ıbficht ift doch mr, fich des verbrießtichen Umganges 
Ungehörigen zu entzich da die Aungfer 
— ſie ſchon fo Lange alten hat, ſo ſind ſie 
ſchmeichelten 

mit der Hoffnung, daß ſie dieſelbe endlich überredeten, 

3 wietvol es nicht [52] unmöglich wäre; So ſtellen fie ſich 
dagegen die Schwilrigfeiten vor, ihres Herrn rs Ein⸗ 
tilligung zu erhalten. Ich betenne in dieſem Stůcke mein 





40 Dintich Bortenftein. ma 


Unvermögen. Ueberlegen fle es frziid, Ermwägen fie aber 
hauptfächlich, bad fie nicht alle Tage eine fo jdöne Ger 
Tegenheit Haben, ihren Five zu erreiche. 

Sittenreih, Lieber Herr Obeim, ich habe 
bereits anf eben die Art iiberlegetz ich ann 
die ſelbe Entſchlieſſung gefafet, und — da fie 
durch ihren allezeit treuen Math mich bavin ftärken möchten. 
Ra, ich will der Carolina mein Herz anbieten, und hoffe 
glucttich zu ſeyn. Sie hat eben fo utel veizendes, als bie 
Charlotte, und ihr Befit wird air dur die Einwilligung 
meines Baters Teicht gemacht. Nur Flrchte ich, daß Char- 
Totte mich einer Untreue beichuldigen möchte, und allo er⸗ 
vorher nothwendig zu ſeyn, ihr mein Vorhaben zu 


Ontherz. Nein, das finde ich nicht rathſam. 
will es ſchon bey ihr verantivorten, und hernach mid) 
Ährer annehmen. 

Sittenreih. Ich nehme Ihren guten Natb deun 
als einen Befehl an. 


[53] Fünfter Auftritt, 
Ugneta und die Rorigen. 


Agneta. Guten Tag, mehr lieber Bruder! Es iſt 
mir Ueb euch wohl | zu ſehen. Woher hat man Das ti? 

Gutherz Es ift cin Glück, welches ihr jo oft haben. 
rmet, als ihr es verlanget, Liebe Schwefter. 

Agneta, D, ihr jend immer höniſch 

Gutherz. Gy, verfteht mich doch einmal, 

u Ey, mas verftchen? Alle Leute fönnen 


. Wer den Berftand hätte, der ums beyden 


bin ich zufiteben: Aber wenn Ihr bieher 
immer genug über mich zu Magen. 
 Öntherz. Ich habe dann und warm von ber fchlechten 36 





4 


, dazır hat mich mein Gewi 2 
Sremmern 


— Ste habe bey ber ser meiner Tochter 

Sie kann fo viele Ge⸗ 

ü |der Woche find, und ich 

ee — — dahr aus Jahr ein, immer einerley; 

Das wird jich mein tinftiger Schwiegerfohn auch gefallen 

laſſen. Sie farm ſtricken und mähen. Sie finget Wor- 

und Nachmittage mit mir ein Lieb. Sie lichet die Ein- 

jamteit, und geht lieber mit geringen Leuten um, als in 

jen vornehmen Geſellſchaften. Sie fpielet nicht am 

; rn irgend um einen Kuß oder fo was. Sie 

trinkt nicht, auſſer dann und wann ein Glas Branntwein, 

= um den Wein zu erſparen. Wie ſoll ein Frauenzimmer 
beffer befchaffen ſeyn⸗ 

Butberz. Es ift zu späte ieho Davon zu veden. 

Die Früchte dieſer Erziehung werben fich Ahuftig zeigen. 

Sch bin überdem aus feiner andern Abjicht hergelommen, 

= als unjere Freundſchaft zu erneuern, amd euch zu dem 

eure Kinder zu verforgen, Glück zu wünſchen. 

Agnetn Da jeht ihes nun, daß meine Tochter 

gleichwol einen Mann kriegt, ohngeachtet fie jo ſchlecht er⸗ 


augen Äft. x 
E Gutherz. Dit cs dem damit genug, daß fie einen 
Mann friegt? Daran Habe ich niemals gezweifelt. 
Agneta. Ja was hat das Arauenzim 
Stück im der Welt zu erwarten, als einen Mann zu triegen 
155] Gutherg. Vlelbet nur bey eure E17 
0 werbe doch nicht vermögend jet 


Agneta. Das will ich an 


36 cin Unglüd! Ih babe zu mein 
und fragen laſſen, wie man J 
Sohn md Tochter im einem Haufe zu ‚gleicher Zeit ber⸗ 





42 Dinzich Vorlenſiein. 56 


ſprochen find. Da triege ich zur Antwort: In einigen 
achzin Jahren wäre dergleichen Exempel ihres Willens 
nicht vorgefommen, Nun weit ich mich bey niemand anders 
Raths zu erholen, Denm dies ift die einige Frau, die 
das Herlommen and den Schlenbrian recht aus bem Grunde 
verſtehet. O, was müfien Eltern am ihrer Kinder willen 
nicht manche Sorgemvolle Stunde haben! 

Sittenreih. Ey, Frau Mutter, wir wollens machen, 
fo gut wir fünnen. 

Agneta. Ey, wir wollen uns auslachen laſſen? 

Sittenreih. Wer fraget nad) närrifcher Leute Ger 
lachter? 

Agueta. Ich war neulich af einen Beſuch einer 
Kindbetterin, da waren die klügſte und vornehmite Frauen 
von ber ganzen Stadt, Die Hat- Do) ten Aber Funfzig Sebfer 
angemerfet, die fich bey allerhand Frenden- und Trauer 
füllen zugetragen Hatten. Cofte ich auch, jo über ihre 
Zunge jpringen? ich müßte mich wahrhaftig todt jchämen. 

Gutberz Ja, ja, in den MWochenftuben ift ber 


Sih der Weisheit, 

Agneta, Das geht euch ſchon wleder nichts am. 
Genug. ich will jo Lange nachfragen, bis ich wein, was 
das alte Herfonmmen in biejem Stüde erjorbert. 
anderer kann thun, was er will. 


. Sedjfter Auftritt. 
Ehrenwehrt, Carolina, die Vorigen. 


Sittenreich. Zum Gutherz. Lieber Dheim, ba ft 
der Herr Ehrenwehrt und feine Jungfer Schweiter, Jum 
Ehreuwehrt. Lieber Bruder, bas ijt meine Mutter, and bas 
it der Herr Gutherz, mein Oheim. 

Ehrenwehrt. Rd jhäge mich glüdlich, fie Tennen 
zu lernen, 

Agneta, Neigt fi. Ich bebanfe mich. 

Garolina. Ich erfreue mich nleichfals, mit ihnen 
belaunt zu werden 





5 


1,6) Der Bookesbeutel. 43 


Agneta. Ich bedanke mic). 

Ehrenwehrt. Wir beffagen, daß wir ihrer Ge- 
ſellſchaft bey der Tafel haben entbehren müſſen. 

[57] Agneta. Ich bedanfe mid. 

Carolina. Dan jagte uns, daß fie unpäßlich wären, 
und es foll mir lieb jeyn zu hören, daß es ſich gebeffert. 

Agneta. ch bedanke mich. 

Ehrenwehrt. Wir bedauren inzwiihen, daß wir 
Ungelegenheit verurſachet haben, dod es ift auf Befehl 
de3 Herrn Liebften geichehen. 

Agneta. Ich bedanke mich. 

Carolina. Wir Haben die Güte zu rühmen, fo ung 
dero Herr Liebiter ermwiejen. 

Agneta. IC bedanfe mid). 

Ehrenwehrt. Die Betanntihaft mit dem Herrn 
Sohne, fo ih zu Leipzig erhalten, hat mich begierig ge- 
macht, aud) deſſen wehrte Angehörige zu fennen. 

Agneta. Ich bedanke mid). 

Carolina. Cie haben ein überaus wohleingerich⸗ 
tetes Haus. 

Agneta. Ich bedanke mid. Ich bitte gleichwol 
nicht übel zu deuten, daß e3 jo unrein augfiehet, und daß 
die Vorhänge abgenommen find. Wir Haben mit der 
Wäſche zu thun. 

Ehrenwehrt. D, das haben wir nicht einmal bes 
merfet. Der Umgang mit wadern Leuten ift alles, was 
wir fuchen. 

Gutherz. So ift ihnen die heutige Tiſchgeſellſchaft, 
ohne Zweifel, jehr angenehm gewejen? 

[58] Ehrenwehrt. D ja, wenn man einen alten Be— 
fannten zum erftenmale tvieder fiehet, und ein artiges 
Franenzimmer zugleich antrifft, da Tanıı es nicht anders jeyn. 

Agneta. Mein Herr, fie müſſen fi in Hamburg 
verheivathen, weil ihnen unſer Srauenzimmer jo wohl 
gefällt. 

Ehrenmwehrt. Ich höre, es werden hier viele 
Umftände dazu erfordert. 


Agneta. Ach nein; wenn 
Tochter verheirathen jollte, dazu 
lauftigteit gehören. Ihre ganze Ausfteuer ift fertig. 
gebe ihr von jedem Stücke ſeche Duhend mit, und 
baaren Gelbe, 20000. Rihlt. 7 
schlechte Partbie. Und wenn ein 
ber uns gefiele; To ſollte er noch heute 


Menſchen gönnen, der ihrer wehrt wire. 

Agneta. Ach ja, mein Herr, wenn fie etwa einen 
ten Bräutigam fir fe wiſſen; fo will ich bitten, ums 
then dorzuichlagen. 

Ehrenwehrt. D, ba wirb ſich leicht einer finben. 
Ich will mic nur ein wenig befinnen. 

Agneta. Bor ihre Ehrlichkeit ſtehe ich eim. Hier 
lommt feine fremde Manusperſon ins [50] Haus, nujler 
ein Paar von unſerer Freundſchaft, und von denen ich 
nichts zu befücchten habe. 

&hrenwehrt: Gy, folche Oebanfen mu man ſich 
nicht in den Kopf ſehen. Das Vertrauen zu einer wohl“ 
erzogenen Tochter muß ftärter ſeyn, als bie Furcht für 

A öperfonen in der Welt 
a, aber Gelegenhelt macht doch Diebe. 
ich im meiner Jugend für Anfechtung ge 
Und wer ich bon meiner — ‚Ehre, Gebe 
ntwwort geben voll, fo wuß ich fie ſelbſt hüten, 
Diefes habe viel möglich gethan 1 


© Arme zur Muffeherit beftelfet. 
jo getreu, daß fie eher ihr eben 
daß einer meine Tochter nur ams 
Auf bieje Welſe ft fie In guten 


ie gute Amme tft in ihrer Jugend u 
d alio farm fie aus der 





aber Fommt nicht vor den Nahen; und das 
od) nicht don mir angenommen hat, wird 
it der Zeit friegen. 
— D, fo wird ſie volllommen jo werben, 
j 


Mutter ift. 
(getan. Ich bedanke mich. 
hrenwehrt. Zur Karolina. Liebe Schweſter, vers 
weilet ein wenig bier, und höret, was bie Frau Agueta 
15 euch vor qute Lehren giebt, ich will mw ein paar Worte 
mit ge allein Ba : — 
utherz werde fie begleiten, denn ich hat 
ihnen beyden etwas zu jagen. 
Ehrenwehrt, Sittenreich und Guthetz gehen ab. 
* Nun meine liebe Jungfer Carolina, wie 
gefällt es ihnen in unſerer Stadt? 
Carolina. Ach kaun noch wicht viel davon Tagen, 
Ich bin eine ſehr kurze Zeit hier. 
Agneie: ‚Aber wie gefällt es ihnen denn in meinen 


Earotina. Was ich bisfero geichen, gefüllt mir 
wohl. 


Ugneta. Sie werden einen groffen Unterſcheid 
were fie erſt zu andern Keuter kommen werben. 
lich zu. Sollen 

N 


Lebensart finden, daß fie ſich tu 
‚te fommen da mehr, alz Verwandte; im unferne 
' fein Fremder riechen. H r Eſſen 
I a0 wird da getocht, woron wir unſer &ı nicht einmal 
Namen gehöret haben. Da wir! ‚eite Wein ger 
en. Da ſind 





46 Hinrich Vorfenftein. aus 


bie neuejten Moden in en ne — 
Hochzeit oder auf eine Safteren o borgen- 
den Schmud von den Galanterichändlern, unter dom Vor- 
wende, als wollten wir ihn kaufen, ſchiden ihn aber des 
andern Tages wieder hin, und laſſen jagen: er hätte ums 
nicht angeftanden. Uns darf niemand was übel 
denn wir find reiche Leute Wenn wir nun bes 
gemöhnltchermaffen un neun lUhr, um das Licht zu eriparen, 
zu Bette neben; To fihen fie noch ein paar eu und 
laden. In unſerm Haufe wird gar nicht gelacht, Wenn 
dor der Armen gejammlet wird, geben wir einen Sechs 
fing, und fie einen Gulden. Mein Mann kann fich nicht 
genug. darüber bertvundern. Er hat vor schm Nahren 
ſchon prophezeget, daß biefe Leute zum Thore hinaus 
‚gehen wilrden; fie leben aber noch auf eine Weile, und 
‚bleiben doch Im Sande, 
[62] Earolina. Ohue Zweiſel werden die Leute ſehr 
reich jenm 

Agneta, DO nein! Sowohl der Dann als die Fran 
haben wenig Vermögen t, als fie ſich geheirathet 
haben; und diejes verdriefiet eben meinem Manne, daß 
er vor feinen groſſen Gelde bas nicht thun kann, —— 
dieſe Leute von ihren mittelmäßigen Vermögen 

Garolinn. So werden * {hre — ſonder 
Hweifel auch wohl ersichen? 

Agneta Sie Haben mır eine Tochter, ber Halten 
fie wohl ein halb Dutend Lehrmeiſter. Mein Mann hat 
ausgerechnet, wer man jährlich hundert Reichothaler an 
einen Kinde eriparet, daß ſolches in einer Yeit vom zwölf 
Jahren, nebſt ber Zinfe, Die er mit biefem Gelde erwerben 
ann, wenigſtens dreptaufend Neichsthaler betrüge. Wenn 
man bie zum Brautſchatze Legt, iſt das nicht beffer als 
alle Wiſſenſchaften ? 

Carolina. a, ja, mit Gelb kann man vieles 
ausrichten, aber Geld und qute Erziehung karm auch wohl 
beyſammen ſtehen 

Agneta. Am unſerer Verwandſchaft werden alle 





47 


Töchter nad) einer Weife erzogen. Und denten fie nur, 
wenn wir zufammen fämen, und ein Mädgen wollte es 
dem andern in der Lebensart zuvor thun; wurde es nicht 
Hundert Stichelrebei, je gar eine ewige Feindſchaft jehen? 
s — Hlevon zu urtheilen, Dim ich zu un⸗ 


Agneta. Wenn man ſich im allen Fällen nach 
jeinen Verwandten richtet, das tröget viel zum Haus“ 
feieden bey. Mar hat einerley Ordnung, einerlen Ge— 

10 wohnbeit, einerley Lebensart. Wir halten jo ſtreng dar 
rüber, daß wir. unter uns verabrebet, Feinen fremden in 
unfere Gejellfchaft zu bringen. Wer Henker wollte ſich 
‚alle Augenblide auslachen laſſen? Cs kommen jo viele 
neue Medensorten, jo viele neue Moden bey Tiiche und 

35 andern Gelegenheiten dor, daß man bis an fein Ende 
Ternen müfte, Wozu ſoll die Unglegenbeit? Wenn man 
eg man ift, jo darf man ſich den Kopf nicht 


Carolina. Ganz vet. 
=» Agneta. Ueberbem fagt mein Mar immer, dal 
man von Äremden bie Verſchwendung lernet; und wenn 
wie allein find, jo reden wir won nichts, als von der 
Sparjanteit. 
Carolina. Sole reiche Leute, wie fie find, haben 
= ja nicht möthig, ſich unndthige Sorgen zu machen. Was 
jollen denn die Armen thun? 
Ugneta. Gy, jagen fie das nicht. Es laßt ſich 
ein Konigreich verzehren. Mein Mann jpri 
don ſlechten Zeiten. Cr bat das lette Jahr 50. Reiche 
0 ihaler weniger eingenommen, als das vo die habe 
Fe mäffen in der Saushal⸗ (64) tung eriparen, foftet Das 
Tein Kopfbrechen? Der Himmel gebe meinem Sohne 
eine Frau, die 08 mit ihm fo redlich meinet, als Ich mit 
meinem Manne; ſo wird es ihm fejt wohlnehen. Denn 
das — ſchon bey meinen Voreltern ‚ein Sprichwort ger 
weſen Daß der reichte Mann verarmen mu wenn ihm 
bie Frau nicht fparen Hilft. Und, die Wahrheit zu ger 





48 dinrich Bottenſtein mer 


ftehen, mein Sohn ift eben nicht der Sparſamſte. DO 
‚Himmel! foltte ic; das Ungtüc erleben, daß mein Sohn 
verarmete, ich thäte mir zu nahe. Mängt a zu meinen. 
Garotina Ey, a Ne a OL LI Pag 4 
Agneta. a, ja, das ift meine gröhte Sorge, 
von meinem Wochenbette an bis hieher gewejen, a 
meine Kinder micht an den Bettelitab gerathen möchten. 
Carolina. Das wäre ganz gewiß 
glich, wenn es ſich zuttragen jolkte. 
ſolchen Vermuthung tt ja nicht die allergeringfte Wahr- 
ſcheinlichteit, und alfo thut man unbillig, wenn man durch 
dergleichen Borftellung ſich miederichlägt, am fiat bafı man 
fi, um feiner eigenen Geſundheit willen, aufmunterm umb 
das Geben verfüffen ft ſoll 
Agneta. Ia, ja, wer beſtändig mit ſolchen — J 
haften Gedanten umgehet, als mein Mann und ich, dem 
Toll bie Süfigfeit des Lebens und die Aufmunterung wohl 
vergehen; und es wäre [65] zu — daß alle Leute 
für ihre Wohlfahrt ſorgen möchten, als wie wir, jo 
soiiwden wir nicht fo wiele traurige Exempel haben. » 
Carolina. Daß man für feine Exhaktung Sorge 
ber Diefe Sorge muß fich nicht jo weit 
über krank oder mihvermmgt mind. 
und die Gefunbdheit find doch nicht 
= 


. Siebenter Auftritt 
ich, und die Vorigem, 
rein Sohn ich habe eurentwegen ſchon 


dante der Frau Mutter für alle ao 
; ich, bellage aber, wenn meine 





49 
um Sorge? Wenn der Himmel einfiele, das wäre ein 


— re mir, bie Zeit wird klommen, da 
ihr an mid) gebeı 
s ie ueber Ich werde Zeit Lebens an die Frau 
den, aber nicht an diejen Cinfall, 
— Ich muß erſt recht ausweinen, alsdenn 
ich fie wieder zu jehen. Seht weinend ab. 
Eittenreih. Meine Mutter fo wohl als mein Vater, 
10 Haben eine ganz auffecordentliche Geſchiclichleit ſich jelber 
zu quälen. D, wie bin ich Ihrer Geſellſchaft überdrüßig! 
Ad) habe ſchon oft mir einen eigenen Heerd gewünſchet, 
um mein Brodt in Ruhe und Frieden zu verzehren; allein 
ich habe ſolchen nicht finden fünmen. Schönfte Carolina! 
15 jollte fich qniebo wohl Gelegenheit dazu zeigen? Ich 
‚glaube, ber Hinmel hat fie hergejandt, mid) vum biefem 
berdrießlichen Umgange zu befreyen. 
Caroline. ch wüſte wicht wie biefes zugehen 
follte. Kann ich aber zu ihrem Vergnügen etwas bey- 
20 tragen: jo verfichere id) ihnen, daß ſoiches gerne ger 


Eittenreich, Mein einziges Bergnitgen, meine Bes 

Freyung don einem verdriehlichen Umgange, mein Leben, 

ja meine ganze Wohlfahrt bernfet in dem Befit ihrer 
3 wehrten Perjon. 

Caroline. Ich habe mic nach meiner Ellern 

Tode gänzlich der Aufficht meines Bruders übergeben, und 

au aljo and) eutichloffen, feinen andern Liebften zu wählen, 

als welchen ev mir [87] borſchlagen wird. Sollte ingwiſche n 

» feine Wahl auf ſie fallen; fo wi e ich ihnen für meim 

eil, dab ich am ihrer Perſon nicht das geringfte aus« 


Sittenreid, Ich bin mit dieſer Erklärung voll» 
jeden, und um bero Serem ders Aus» 


lommen 
2 pruch zu hören, wollen wir uns fo gleich zu ihm ber 


Caroline. Da kommt ex fo eben her. 
Deutsche Litternturdenkmale Nr. 66,87. 





Vinrich Vorkenftein, 


Achter Auftritt. 
Ehrenwehrt, und bie Vorigen. 


Sittene. Der Herr Bruder font — — ‚Belt, 
um in einer Sache den Ausſpruch zu thun, woran 
ganze Wohlfahrt hänget, 

Ehrenwehrt. Ich bin begieris —— 

Sattenreich. Ich liebe dero weiter, 
und babe fie fo eben um ihre egenliehe — Sie 
verwieh mid an den Herrn Bruder, um ftatt ihrer, 
von demſelben eine Antwort auf meinen Vortrag zu be 
lonmien. 

Ehrenwehrt. Die Sace iſt von folder Wichtige 
Teit, daß ich nicht jo gleich darauf antworten fan. Ich will 
fie einen Augenblick ver⸗ [68] Laffen, um es bey mir zu 
überlegen. Es foll wicht lange währen ; jo will ich, ie 
bey ihnen jeyn. 

Gehet ab. 


Sittenreich, Bey Selte. Wie ſoll ic) das verjtehen? 
Er hat mir zu dieſer Liebe anfangs ſelber —— 
gegeben, und nun ſcheinet es, als ob er Schwurigteiten 
— wollte? 

aroline. Wie jo tieſſinnig, Herr Sittenreich? 

Sittenveih, In Wahrheit, ihees Herrn Bruders 
Vezeigen macht mich gan verwirret. Ich dachte, bey 
einen ſolchen Heryensfreunde Körmte man Feine Fehlbitte 
thum, und mm erfahre ich das Gegenthell. Ja Id) —— 
er möchte mir gar eine abichlägige Antwort geben, und 
alsdenn würde ich bereuen, daß ich es auf feinen Miss 
ſpruch anlommen laſſen. 

Carolina. Mein Bruder wird ganz wichtige Urs 
ſachen haben, daß ex feinen Ausſpruch verzögert: Ich 
tenne ihm. Er iſt nicht gewohnt, in wichtigen Dingen 
zu fchergen, vielmeniger feine Areunde zu bintergehen. 
m ba fommt er, um ums aus Dem Traume zu 
jelfen. 





Der Voolesbeutel. 


[69] Neunter Auftritt. 
Ehrenwebrt. Charlotte, und die Borigen. 
Ehrenw. Hter bringe ich eine Perſon, welde 
in ihrer Sache den beiten Ausſpruch geben kaun. Was 
5 fagen fie, fchönfte Charlotte! Herr Sittenveich verlanget 
— Kann ich ſie ihm mit gutem Gewiſſen 
g 


Charlotte. Zum Sittenrelch. Ungetreuer, ift es er—⸗ 
laubt ſein Herz mehr als einnal zu verſchentenꝰ 
2 Bekee Eu, mein Herr, das hätte ich mir von 
', den mie mein Bruder jo vorteilhaft be— 
jan, nicht vorgeltelfet. Der Hinnnel bewahre mich 
unbeftändigen Liebften. 
ee Und fr einen ſolchen, der mit 
 Cchmwüren und Eiden ſcherzet. 
Sittenreich. O Himmel! in was für Umstände 
bin id) gerathen? 
Carolina. Wie glüdlich bin ih, daß ich ihre 
Wanfelmuth ber; Zeiten tenmen Lernen. Jungfer Charlotte, 
20 idy begehre ihr nicht ihren Liebften abſpenſug zır machen. 
Charlotte. Ich mag feinen Liebften, welcher in 
Anzer Zeit auf andere Gedanken kann gebracht werden. 
v0) Elttenreih, Ih Kin verlohren 
Ehrenwehrt. Ich ſche wohl, ich muß der Schiebs- 
=> mar fern. Zum Sittenreich. Herr Bruder, diefer Streich 
fommt von mir, doch Gedult! Ich habe der Jungſer Char 
Totte mein Herz angetvagen, erfuhr aber, daß der Here 
Bruber einige Anforderung an dem Ihrigen habe; und daß 
3 — Buriciziehung derjelsen mir ſoiches wicht ſcheuten 
Da mir mum der Herr Bender durch den An- 
es am meine Schtoefter jelbft Gelegenheit an die Hand 
‚gab, Eormte ich nicht umhin, mich jolcher zu bebienen. Der 
‚Herr Bender werde darum nicht böfe. Vlelleſcht mache Ich 
es wieder gut. 
[3 Sirtenreich. Im Wahrheit, Herr Bruder, ber 
Sireich war ein biegen fchlimm. Was inzwifchen meine 





»2 Hinrich, Borterfen. un 


Abficht auf die Jungfer Charlotte betrifft; Co ijts — 
daß ich fie verſchiedenemal um ihre ‚gebet 

aber auch allemal abichlägige Antwort 

olſo, dahı meine Untreue nicht fo groß ſeyn wird, "als mar 
mir bejchuldiget. 

Charlotte. Mei Herr Sittenreich, fie ſehen aber, 
daß ich gewiſſenheſtet bin, els fie find. Ich babe olme 
ihre Cimoilligung mein Herz nicht verſchenten wollen. 

Sittenreid. Es ift wahr, fiebjte Charlotte, ich 
babe einen fehler begangen. Ich er [71] fenne ſolchen, 
nub will zu meiner Gntichuldigung nicht einmal jagen; 
daß die Hitze meines Vaters, und das Zurathen des Herrn 
Gutherz mich dazu verleitet haben. Nur biejes will ich 
Bitten, bafı fie auf feine weitere Rache denfen; denn der 
Schreden, ben fie mir abgejaget, iſt ſürwaht Rache genug. 
Den Heren Ehrenwehrt hätte ich mein Recht an ihrem 
‚Herzen ohueben mit oder wiber Willen abtreten nüflen; 
denn fir einen ſolchen Nebenbuhler Hätten viel geichichtere 
als ich, hinten a stehen müſſen 


Ehrenwehrt. Der Herr Bruder ichmeichelt mir 

gewifi, meiner Schweiter wegen. Ja, ia, 68 ift im ber 
ſchone Sache, wenn man eine hübſche 

Schweſter oder Tochter hat. Mancher wich 

und bilder ſich ein, es gelte Ahne 


Ich habe das gute Vertrauen zu ihn, 


enwarte alfo zur vernehmen, was ber Herr Bruber, nach⸗ 
dem er mich auf eine jo Harte Probe geſeht hat, in meiner 
Liebesjahe vor einen Ausjpruch. thum wird 
enwehrt. gur Carolmo, Liebfte Schweiter, was 
dazuꝰ 
ot na, Ich elle alles in euren Willen, liebſter 
s 


2) Ehr enwehrt. Führet fie dem Sittenreich zu. So em ⸗ 
biangen fie denn bon meiner Hand diejenige Bern, welche 





1 Der Voofesbentel. 58 


— — habe, und ertennen daraus, daß ich 


— Zur Carolina. es möglich, ſchonſte 
Carolina, daf fie denjenigen Lieben tnnen, am deſſen 
& fie vor kurzer Zeit zu zweifeln Urſache ger 


haben 
Carolina. Die Umftände Haben mich überführet, 
daß id) ihnen zu nahe gethan habe. Der Zweifel hat 
völlig aufgehdret, und ich berene meine Webereilung. 
EU Cittenreich, So empfangen fie denn mit der Hand 
leich ein Herz, welches nicht aufhören wird, diejenige 
ion zu lieben, woran mir mehr als an allen Schäben 
der Welt gelegen tft. Zum Ehrenwehrt. Ahnen aber, Herr 
Bruder, ich unendlich verbunden, für ein Geſchent, 
18 welches ich nicht vermögend bin zu erjegen, wie gerne 
auch wollte, 
Ebrenmwehrt: Des Herru Bruders beftändige Ge— 
wogenheit iſt allein veemmögend, mich ihn zu verbinden: 
Charlotte. Num, Herr Sittenreich, haben fie den 
vergeſſen, dem wir ihnen verurſachet haben? 
Cittenreih. O fa, und zwar das daranf erfolgte 
Vergnügen iſt um jo viel angenehmer. 
173] Charlotte. So verzeihen fie mir denn auch, was 
Ach auf Anftiften des Herrn Ehrenwehrts dazu beygetragen 
= habe. Beſchutdigen fie mich aber keiner Unbejtändigfeit ; 
jondern gedenten: bafı ich nicht anders verſahren können, 
mal, da ich erfuhr. day; ic) eine Nebenbuhlerin hatte, 
— aiſo, wie fie, das Gewiſſe, dern Ungewiſſen 


‚eine Rede zu halten, welche fie vielleicht, J 
werben, nicht anhören mögen. 





54 Oinrich Vorkenltehn, 1,830, 


Ehrenmwehrt. (Ey, ey, Herr Bruder! junge reger 
müſſen nicht einmal willen, daß «6 umbeftändiges Frauen 
nnmer giebt. 

Sittenceid. Das iſt wahr, denn Die Liebe wird 
ja blind adgemablet. 


(ma) Zehnter Auftritt, 
Gutherz, und die Vorigen, 


Ehrenwehrt. Es ift gut, mein Herr, daß fie 
fommen, jonft wären wir In Bank geratheit. 

Butberz. Ey, en, wenn Verliebte ſich zanfen, das 
iſt ein gutes Zeichen. Jedoch mir beucht, der Zant muß 
nicht weit her geweſen ſeyn, denn fie jehen alle jo ver» 
grügt aus. 

Ehrenwehrt, Wir haben ums zanlend vereiniget, 
daß Herr Sittenreich der Brautigam meiner Schweiter, 
und Sungfer Charlotte meine Braut fen foll, 

Sutherz Ich glaube, daß ſich mander auf die 
Welſe gene einmal zankte. Inzwiſchen nehme ich gar 
vielen Theil am ihrem Vergnügen, und winfce ihnen vor 
Herzen Gluck; allein das macht mix Sorge, doß mein 
Schwager damit wicht friedlich jenm wird, Er fteher in 
den Gedanken, daß Herr Ehrenwehrt eine Abjicht auf feine 
Jungſer Toter Habe; und ex wird abſcheutich Be 
Wenn er hören wird, daß fie von der Jungfer Ci —* 
ausgeſtochen worden 

Ehrenwehrt. Mein Here Gutherz, es if würllich 
am dem, daß ich die Meinung gehabt [75] habe, die —— 
Tochter des Herrn Grobian zu heirathen. Nachdem ich 
fie aber gefehen, und ihre ſchlechie Erziehung wahrger 
nommen habe, jo habe ich meine Meinung geändert. Im 
Hetrathen muß man feiner eigenen und nicht anderer Leute 
Neigung Folgen, und alfo jagen fie nur meinenthalben dem 
‚Heron Schwager: daß ich zwar gefonnen, meine freiheit 
au verlaufen, aber nicht um einen fo Ichlechten Preis, ale 
feine Tochter. 





Der Booleebeutel. 55 


Charlotte. Sagen fie der Jungſer Sufanna meinet> 
wegen· Sie körme ſich mit guten Gewiſſen einen ſchlechtern 
Freier erwahlen. 


Gut herz. Ich werde ein unangenehmer Bote jeyn. 
5 Yebod, was a zu thun ꝰ 
Ende des zweeten Aufzuges. 


Dritter Aufzug. 
Grfter Auftritt. 


Grobian und Agucta, 


10 Grobian. Dich ſoll doch beym Teufel verlangen, 
was endlich aus der Sache werden wird. 
[76] Agneta. Habe mur guten Muth, mein lieber Dann, 
‚es wird ſich ſchon geben. Seitben ich darzwiſchen gekommen 
bin, Hat die Sache ein ganz ander Anſehen gewonnen: 
Ih —* meinen Sohn mit der Jungfer Carolina allein 
jen. Ich weiß, was das mach ſich ziehet, wenn man 
mit Dannsperionen alleine iſt. 

Grobian. Ha, ha, ſprichſt du aus eigener Er— 

fahrung? Biſt du auch wohl cher mit Mannsperjonen 
= alleiıe gewefen? Nun geftche es nur. Haft du Geld dafiir 
befommen, fo ſoll es nicht darauf ankommen? 

Aguneta. IE glaube, daß du nicht geſchent bift. 
Bin id) nicht oft mit die allein geweſen? 

Grobtan So, fo, lafi es denn gut jeyn; erzähle 

3 mir nut weiter. 

Agneta. Sch gedenfe, unſer Sohn wich id) ber 
Gelegenheit bedienet haben; der habe len, daß 
in einer halben Stunde niemand nen hineln gehen joll, 

Grobian. Die Erfinbum ungeimeht; und wenn 

beine Anſchlage — fo ſollt du Sekt Lebens eine Erz⸗ 
Tupplerin 


Agneta. — derrn Ehrenwehrt habe ich jo ver» 
bfimt zu verftehen gegeben, dafı unfere Tochter ihm une 





56 Hinrich Borfenftein. muıa 


verjagt wäre, und alfo ein vedhter biummer Schöps jeyn 
müßte, wenn er es nicht gemerlet hätte, Es ſcheinet aber, 
als wenn es [#7] ihm fein vedhter Gruft ware; und Ach 
‚glaube, er ift von der Axt, die Lieber plaudern und haſe⸗ 
liren, als heirothen. 

Grobign. Warum gebet ihr ibm Gelegenheit 
andern? Warum habt ihr Die — holen 
Und warum fie annoch nicht zum Haufe hinaus geworfen? 
Wahrhaſtig, wein bie mir ben Handel verdürbe, ich ließ 
ihr einen Stanbbeien im Seller geben. Da kommt es ber, 
wobon wir jo oft geſprochen haben, daß ber Umgang mit 
Fremden lauter nie nach ſich ziehet. ES iſt wicht 
genug, daß einem die Teufelstinder das Haus uncein 
machen, den beften Biffen ans der Schüffel freien, ſondern 
wenn man einmal ernthafte Geſchäfte hat: So figen bie 
verfluchte Hunde einem dazu im Wege. Es wäre genug, 
wenn bie Narriu unfers Gleichen wäre; fo anöchte fie fü 
anf Herrn Ehrenwehrt Rechnung machen. Uber dafür 


meiner, Tochter Brautſchah Bürge. Einen Duart wirft 
dur Friogen. Herr Ehrenwehrt ift aus einem Geſchlechte, 
das den Wehrt des Geldes ſo gut feet, als ich. 


Zweetet Auftritt. 
Sittenreih. Die Borigen. 


Grobian. Nun, mun, wie ftehts, mein, Soht? 
[78] Wie haft dur deine balbe Stunde angewandt, bie du 
mit der Jungfer Carolina allein zugebracht? 

_ Eittenreic. Recht wohl, Herr Vater! Ich habe 
wicht allein ihr Herz erobert, fondern auch die Einwilligung 
Ihres — ‚erhalten. 

. Das dit je unvergleichlich 
Das Habt ihr mir zu banfen. 
ſtehts aber mit deiner Schweiter? 
nwehrt ſich noch nicht heraus gefafjen? 
Die Wahrheit zu geftehen, Here 
Vater, ich habe meiner eigenen Sache wegen nicht Adıt * 





57 


können. Ich glaube aber, es wird ſich 
Bey Selte, Der henter ſoge hhu bie 


obion, Nun höre, weil ber eine Puntt feine 

Wichtigkeit hat, jo bemühet euch alle beyde, daf ihr den 

much jo weit bringet. Du, liche Armı, Haft un- 

im Kuppeln, und du, mein Sohn, haft Ber- 

merfe ich heute zum erfienmale, indem du bich 

Mödgen zur Frau erwählet hat. Wenn ihr 

euch zuſammen wacht, jo wird es ſchon gehen. Mit 

einem Worte: Ich habe viel Vertrauen zu euch. Sch will 

indeſſen unter meinen PBfänbern ſuchen, ob ich micht ein 

‚paar Ninge und andere Sachen, welche fich fiir euch ſchicken, 

finden Tann, die will ich den Eiguern fürs [79) halbe Geld 

28 abdringen. Wan muß jeinen Staat auf anderer Leute 

Rechnung führen Lönnen, Gehet ab. 

Agneta. Nun, mein Sohn, ihr müſſet denn auch 

Binführo mit eurer Braut, ob fie gleich eine Ausländeriu 

ft, nach unſerer Landesweije leben. Bors erfte muß die 

20 Helnath noch vier Wochen verſchwiegen bleiben, hernad) 

müßt ihr fie nicht anders, als Sonntags, Dienstags und 
Donnerstags bei 


n 

Sittenreich. Liebe Frau Mutter, ich werde es 

morgen allen Leuten jagen; und hernach des Montags, 
æVWeitlwoche, Freytags und Sonnabends 





DB 


Ahr seht, daß mein Dann ganz verdrießlich wird, weil 
8 fo lange mähret. 

Sittenreid. Er wird noch viel verbriehlicher 
werden, wenn er hövet, daß gar nichts daraus wird 

Agneta. Barum jollte wichts darans werden? Was 
Henfer! Here Ehremwehrt ift ja blos deswegen bicher 
gefommen. Gr würde fich ja ſchümen, wenn er under 
richteter Sache wieder weggehen follte. 

Sitteureid. Ich babe von jeher baran gesweifelt: 
Denn obwol feine Abficht wurtlich geweſen ift, meine 
Schwefter zu — ER — die Frau — 
dagegen, wenn ein Menich von ſolcher naart, von 
Sitten und von ſolchem Herkonnnen, als Here Ehreuwehrt 
iſt, eim jo verwildertes Madgen zu ſehen kriegt, wie meine 
Schweſter ift, nicht Urfache hat feine Meinung zu änbern? 

Agneta. Schweigt, ſage ich! von eurer 
Lebensart. Sie iſt gut genug. Sie kann zehn Männer 
vor einen kriegen. 

Sittemreich. Das glaube ich gar wohl. Jhres 
‚nleichen, das ift, ſolche Lente, welche man alle Angenblüde 
von der Gaſſe greifen fan, - Aber von ber Art, wie der 
‚Herr Ehrenwehrt ift, das möchte viele Mühe erfordert. 

Aqneta. Der Herr Ehrenwehn wird doch nicht 
mehr Knfte fünnen, als andere Dannsperjonen ? 

Sittenreid. Ja freylich Imın ex bie. Bum Eher 
ſtande gehöret mehr als Ejjen, Trinfen und Schlafen. Es 
wirb ein angenehmer Umgang und eine gute Vegegnung 
beyder Gatten erfordert, weiche die verdriehliche Stunden, 
fo im Eheſtande vorfommen, verjüffen; wodurch einer dem 
andern beftändig aufmumtert, und wodurch die Liebe immer 
wächjet, an ftatt fie bey andern abnimmt. Es wird Ver⸗ 
ftand exfodert, wenn einer dem andern feine Fehler zu gute 
hält. Es follen * wohlgezogene Kinder, und nicht ſolche 
Ungebeuer . 

au aneta. "D, ſchweigt, ſchweigt! Von jo vielen 
Beitfutigte habe ich mein Lebtage nicht gehöret, und 
lebe gleichwol im Ehejtanbe. 





Der Bootesbeutel, 


Dritter Auftritt. 
Snjanna, und die Borigen. 


Sujenne Mana, mein Bräutigam fit immer 
bey ber Charlotte, und Sagt mir fein Wort. 

Agnern. Das Hit nicht gut. 

Sittenreid. Deine liebe Schweiter, wo⸗ [82] von 
foll er mit euch reden? Ihr wiſſet ihm ja nichts zu amt» 
orten. Da fehet ihr mm, daß ich es aut mit euch ge— 
‚meinet Habe, werm ich end) ermahnet, daß ihr euch zur guten 

40 Lebensart gewöhnen jolltet, Wahrhaftig! von Sutichern 
und Mägden lernet man ſolche nicht. Da Habt ihr mn 
ichöne Ehre, daß euch ein armes Mödgen vorgezogen wird. 

Sufanna Das befte ift, daß ich nicht viel bar 


Frage. 
Ugnern Wie jo? geftlt dir veim Brantigam nicht? 
Sufanna. Er gefällt mie awar wohl, aber bie 
Wahrheit zu jagen, er ift mir zu vornehm, 
Sittenreih. Hat jemand fein Lebtage gehöret, 
daß einem Frauenzimmer ein Bräutigam zu vornehm feyn 
= fann? Ich merfe wohl, eure Reden bedürfen einer Er⸗ 
Härung. Se gewiß jagen: Er ift nicht nieder⸗ 
trächtig ſaget lieber? Jhr ſeyd ihm zu geringe, 
denn das luft auf eins hinaus. Jedoch ſaget mir: Wie 
reimet ſich das mit euerer Einbildung? Ich habe euch wohl 
= hmbertmal jagen hören, ihr twöret eine dom ben vor⸗ 
nchmiten Zungfeen im der Stadt? Wifſet ihe aber wohl, 
worin alle eure Vorzüge beftchen? In cuerer und anderer 
Beute ſchlechten Einbildung, und in dem Reichthum, dei 
2 — Sonſt ſeyd ihr nichts wer 18 vor» [83] nehm 
oder edel; und derjenige, welcher 
nee nennen toill, heißt euch Y 
Sufanna. I habe gar nicht nöthin, von euch 
honſche Neben zu vertragen. Wenn ihr jonft 
nichts mollet; önnet ihe nur euerer Wu — 
Eat 1 





fogen, wenn 3 höret, daß unfere 

Sujanna Ih ſelle mi 
vor, Wenn Charlotte mir nur mi 
habe fie Holen laſſen, daß fie mir 
wie ich mit meinem Bräutigem 


die mir im Wege fig. 
Agneta. Ey, he wollen ihr die Thlire weijen. 


Vierter Auftritt. 
Gutherz und die Borigem. 


Gutherz. Wohin fo eilig? 
[84] Ugneta. Wir wollen die Charlotte zum Haufe hinaus 
Ächmeiffen. 

Gutherz. Warum das? 

Agneta. Weil fie meiner Tochter Hinberlich iit, 
und verwejachet, daß ihr Bräutigam wicht mit ihr reden fan. 

Gutherz. Meinet Ihr denn, liebe Schweiter, werm 
Chorlotte nicht gegenwärtig ift, daß er alsdenn eurer Tochter 
fogfeich einen — than wird? 

u 


ja! 
6 verſichere euch das Gegeniheif. 

Agneta. Wie ſo? 

Guͤtherz. Es thut mic leid, daß ich Beige geweſen 
bin. Er Hat ſich in meiner Gegenwart mit der Jungfer 
SHmfotte verlobet: 

Snjanna. Weinend. Ad, Mama! 

Agneta, Ey, das hättet ihr nicht zugeben müffen; 

inte ihr waret ein aufrichtiger Freund unſers Haufes? 

Gutherz. Ich bin aber fein Herr über ben Willen 
bes Herrn Ehrenwehrt. Ich habe das Meinige getban, 
aber bie Antwort, jo ich erhalten, Mingt eben nicht zı vor⸗ 
theithaft. 
Agneta. Was fügte er ben? 





‚Der Boofeshentel, 1 


Gutherz. Er fügte: Ich möchte dem Hexen Gros 
bian nur hinterbringen, daß er jeime Frei⸗ — = 
am einen jo Preis, als die Jungfer Sufaı 


5  Mgneta. Der Narr, verachtet meine Tochter, und 
wahlet fich ein nadtes Madgen! 
Sujanna Meinend, Ad, Mama! ich kriege mun 
mein Lebtage feinen Mann. 
Agneia. D, gräme dich mr nicht! Ich will dir 
10 einem ansfuchen, der beffer nach deinem Stune ift. 
Gutherz. Ihr habt in Wahrheit wenig Ehre dar 
von, dafi Herr Ehremvehrt ein armes wohl erzogenes 
Madgen einer reichen übel geratbenen Jungfer vorge 
en hat. 
Agneta. D, ihr habet immer was zu weiſſagen, 
Butherz. Und ihr wollet nicht einmal durch Schaden 


Agnera, Ihr könnet euer Gewerbe be meinem 
Manne jelber anbringen. Ich babe nichts damit zu thun. 
= Gr wird für Zorn aus der Haut fahren. 
Gutherz. Euer Manıt fürchtet ſich ja ſonſt für 
mlemand mehr, als für feine Frau. 
Unneta. Das ift ein vernünftiger Mann, der ſich 
von feiner Frau regieren laſt. 

“ Gutherz. Und jür einen mwernünftigen [86] Dann 
Üt es ein Blük, wenn er eine vernünftige Armı Hat, die 
ihm vegieren fat. 

Anneta. Es ift feine Frau in ber Welt, bie nicht 
mehr Verftand hat, als ihr Manıt. 

”“ = Gutherz. &s iſt wohl wahr, denn fie haben immer 


Agneta; Wenn id) meinem Du 

nicht gerathen hätte; es wilde gejchen 
Gutherz. Zndem man andern guten Rath) ertheilet, 
ht man ſich gemeiniglich jelber. 
Wgneta. Ich merke wohl, daß 

dafı meine Tochter wicht nach eurem Sinne erzogen ift. 





62 Hinrich Vorkenfein. mas 


Allein, wenn Ich mit ige gufeleben —— 
nicht, was andere davon ſprechen. 

das Arauenzinmmer mn zu en mb ——— ans 
‚Heiraten geht, io heifit es doch: Wie viel Geld it da? 
Die armen Jungfern mögen noch jo viel gelermet haben; 
fo bleiben fie doch fipen. 

Gutherz. Bon bem Gegentheil haben wir heute 
ein Mares Grempel. 

Ugneto. D, bas fit eimas jeltenes, und beweiſt, 
daß Here Ehrenwehrt nicht recht tlug iſt. Ein Erempel 
aber, daß ſich unter hundert tanfenben faum einmal zu⸗ 
trägt, farm wicht geverhmet werden. Genug, meine Tochter 
ſoll gewiß nicht ſihen bleiben. 

[87] Gutherz. ch wünfce, daß fie das Ziel ihres 
Verlangens noch heute erreichen möge. 
Agneta und Suſanna gehen ne 

Gutherz. Soll ich es ihm deun anbringen, jo 
mag es darum jeym; To will ich ihm and alles jagen, 
was ihm zu wiſſen nötig iſt, ev mag fo böfe werben, 
als er will, 


Fuufter Auftritt. 


Wroblan und Gutherz. 


Grobiar So geht mirs immer. Wen id) meine, 
ich habe hundert Reichsthaler verdienet, fo jind es mie 
neun md neunzig. Wenn ich eine Erbichaft von 20000 = 
Neichsthaler Friege; jo muſſen wenigitens 300 Neiche- 
thalet ſchlechte Schulden darunter ſehn. Sein Wunder 
wäre «8, wenn man fich zu nahe thäte Da habe ich 
einen fchönen Schmuck von Perlen und Juwelen, der bey 
mir verjeget tft; da gebachte ich ſeſt, ich wollie ihm dem 
Eigner für das halbe Geld abbringen: fo muß ich zu 
meinem Ungluck hören, dafi er morgen eingelöfet werden 
joll; und bin alſo genöthiget, die Steine und Berlen, jo 
zu meiner Kinder Be erfodert werden, für 
Daares Geld zu kaufen. O, bin ich wicht der unglüde * 





Det Boofezbeutel, 6. 


Sache nach meinen Stme? Es find ohngeſehr acht Tage, 
da jand ich auf der Gaſſe einen Kleinen Beutel, welchen 
jemand vexlohren, darin zählte ich vier Gold⸗ 
wide, Ws ic) ſolche des andern Tages wollte tariven 
war eines darunter, jo mm von Silber und ver 
geidet war; darüber ärgexte ich mich dermaffen, baf man 
mir zur Ader laſſen mufte- 
Gutherz. Das hat ihnen jemand zum Poſſen getan. 
» Grobian. Das iſt möglich, denn es giebt viele 
Verfcwender. Jedoch ich wollte, daß man mir auf die 
Art ojt einen Poſſen joielte. 
Butherz. Das wäre eine Gewiſſensſache. Wiel 
wenn fie ſich einmal tobt ärgerten? 
” Grobian. D, das Hat nichts zu bedeuten. Wenn 
ich Geld dafiix befomme, jo ſchadet mir Die Aergerniß nicht, 
Gutherz. Ich höre, wen fie Stodichläge kriegen, 
ſo ärgern fie ſich auch nicht, um die Procenkoften zu 
ent. 


5 [89] Grobian. Ach merke jchon, worauf fie zielen. Es 
mie {dom andere vorgerücet, daß ich menkich im 
— Geſe —5 — Stodihläge belonmmen; allein das 
ie und Diebe, die es gejagt haben, Wie bie 
„, Shi anfieng, war ich, eben weggegangen. 

Gutherz. Wenn ihre Rüden dantit zufrieden iſt; 
Zr Tann ich es auch Leiden. 

Grobtam Gin jeder muß feine Sachen ausführen, 
wie ers fir ſich felbften am zuträglichiten findet; und 
das find Schurken, die ſich um anderer Leute Schläge 
befümmern. 


Gutherz. D, das find Steinigfeiten, wenn lhnen 
ſonſt jedermann mit Fingern nachwieſe. 





64 dinrich Borkenftein. 


Grobtan. Ey, laß fle mie Hinten fingeeiven, 
viel fie wollen. E 
Gutherz. Aber wollen fie denm ı einmal in 
ſich ſchlogen, und ſich fin fich jelber ſchamen 
fie nur ihre Geſtalt. Sie gehen auf der Gaſſe wie ein 
Bär, und a en el een ie beſtellt wären, 2 
mann zu verfolgen. gruſſen ihre beften Freunde 
Grosian &y, mein Hut foftet Geld. 
Surherz. We Leute Hagen über ihre Unempfinde 


tommen Fünmen, 

Grobian. Ey, Näder often Geld, 

Sutherz. Ihre ganze Verwandſchaft fürchtet ſich 
mit ihnen umzugehen. ie geben ihnen aus dem Wege, 
als einen Raubthiere oder einem Truntenen 

Grobian. Ach glaube, ſie find herlommen, um mich 
toll zu machen. 

Butberz. Cs ft meine Schufbigteit, ihnen bier 
jenige Aufführung vorzuhalten, wodurch fie fi im der 
ganzen Stadt eine Able Nachrede machen. 

Srobian. Nachrede Hin, Nachrede her, Wenn die 
Leute fogen, daf man fein Geld hat, das ift eine üble 
Nachrede. De 

Gntherz. i 
#ft, das if no e Ärger ihnen 
Wahrheit zu fagen: Der Hochmuth in — bie Wurzel 
ihrer Örobheit: Cie bilden ſich ein, daß niemand In der 
Stabt fen, an den mehr gelegen ift, als an ihnen. Wenn 
fie fich im den Finger ‚ichneiben, amd der Nachbar bricht 
‚einen Arm oder ein Bein; jo iſt ihr Unglüd doch das 
größte. @ie meinen, die ganze Wett fen mur allein zu 
dem Ende da, dal; fie ihnen zulle. Wie wäre Font 
möglich), daß fie fid) ärgern fönnten, wenn fie etwas Finden, 
da nicht fo viel [OL] wehrt ift, els fie ſich vorftellen? oder 
wie formen fie mit Fug verlongen, bat ihnen jemand 





Der Voolesbeutel. B5 


lelnodien oder andere Sachen fie den halben Wehrt ver- 

fanje? Und wie tönnen ſie wohl mit Recht ei werden, 

wenn man ihnen dergleichen Thorheiten vorhält, da fie 

doch allen Leuten, bie mit ihnen umgehen, nichts als Grod⸗ 
5 heiten jagen. 

Grobian. Wenn mir jemanb anders dergleichen 
Dinge fagte, den ſollle der Beclgebub ms meinem Haufe 
führen. Weil id aber ihrer Hülfe Heute noch bendthiget 
bin, fo will ich fie mit Höflichteit bitten, das verfluchte 

10 Maul zu halten, und mir jtatt deffen zu fagen: wie meiner 
Kinder Hehrathfadden ftehen. 

Gutherz. Bon ihrem Sohne werden fie vernommen 
‚Haben, daß er der Jungfer Carolina Herz gewonnen hat. 
Was aber ihrer Jungfer Tochter Abficht auf den Herrn 

18 Ghvenivehrt betrifft, daraus möchte wohl nichts werben. 
brobian. Was! nichts werben? 

Gutherz. Nein! Und, um fie nicht aufzuhalten, 
fo wiffen fie: daß dev Herr Ehrenwehrt ihre Tochter nicht 
verlanget, weil fie nicht nach feinem Sinne erzogen Äft; 

20 Dagegen hat er ſich die Jungfer Charlotte zur Braut ers 


BSrobian, O Himmel! Saft den Barbierer tommen, 
daß er mich zur Aber läht! Schidt zum Doctor, daß er 
ein Pulver mitbringe! ac), [92] ein Ciyſtir! Wo tft meine 

2 Pran mit ungarischen Waller? Ha, ich zerueiffe mich! 
ich werde toll! id) bin Des Todes! Ich bin verdammt! 
meine Tochter! Charlotte! Meine frau! Herr Ehren 

wehrt! Mein Son! 


Sedjfter Auftritt, 
Agneta und die Vorige 

Agneta. Was iſts? was giebts? wollen fie dich 
umbringen, Lieber Mann? 

Grobian, Ach, liebe Fran! Haft du das entjehliche 
Ungtüct gehöret? 

Ugneia, Was denn? 

Deutsche Littoruturdonkımalo Nr. 66187. 





Hinrich Vorfenftein. nme? 
Grobian. Herr Ehrenwehrt will die Charlotte 


. De, ſonſt nichts? ich dachte was es toäre, 
Das habe ih ſchon Längft gewuſt. Darum ftelle dic) mr 
nicht jo ungebehrbig au. 

Grobian. Äch, tft die Urſache nicht wichtig genug? 
Die verfluchte, vernafebeyete Charlotte! Halt mich, ober 
ich begehe einen Mord. 

Agneta. Ey ſchäme dich, Mann! willſt du ein 
Narr dazu werben? 

Grobian. Ad, muß ich bas Unglüd erleben, bafı 
es armen Lenten wohl gehet! Ein Strid her! ich will 
mich erhängen. 

[93] Siebentet Auftritt. 
Sufanna und die Vorigen. 


Sujanna. Weinend. Ach, Papa! denk, Pabal wie 
ich heute veradhtet werde. 

Sroblan. ehe mir aus ben Augen, bu Mas, 
oder Ich trete dich mit Fühlen, 

Agneta. Je, was tann bas arme unſchulbige 
Mädgen dafür, dab Herr Ehrenwehrt ein Narr ijt? 

Grobian. Was! fie jolkte ſich beſſer aufgeführet 
haben. Warum hat fie die Charlotte hergerufen? und 
ba fie fahe, baf fie ihr hinderlich war, Avarum- fie nicht 
gleich fortgejcict? Ja komm nur her, du Beſtie, du 
ſollſt das Gelag bezahlen. Bil fie ſchlagen. 

Sufanna. Schreyet. Ad, Mama! Mama! 

Agneta. Teitt vor Ihr. Ey, rühre fie einmal an, 
ich will div weijen, mit wem du zu thun Haft, 

Grobian Stärke fie nur in ihren Lajtern, jo kann 
fie hernach mit dem Sntiher davon laufen, wenn fie ſich 
bie andern Freyer von ber Naſe wegnehmen läßt. Er 
lauft jo ſchon hinter ihr ber. 

AUgneta. Was! willſt du deiner Tochter ſelbſt einen 
böfen Namen machen? Schweige, ſage id) Dir, ober es 3 
gebet nicht gut. 





Der Voofesbeutel, 67 


robian. Der — weiß, was ihr beide wohl 
f, wenn ich nicht zu Haufe bin. 
y Hgneta. Sch fage bie och einmal, du ſollſt ſchweigen, 
oder id) krahe dir die Augen aus. 
» Grobian. Nu, mu, ich will denn ſchweigen. 


After Auftritt, 
Sittenreih. Carolina und bie Vorigen. 


Grobian. Ha, Jungfer Carolina! ihe Bruder ift 
ein Schöner Kerl. 
EU Carolina. Wie jo? mein Herr! 
Grobian. Wiffen fie nicht, was er gemacht hat? 
Earolina. Mir ift nichts böfes bewuſt. 
Srobtan. Jd fa mir auch nicht einbilden, daß 
fie es wiffen, denn fonft hätten fie es nimmer zugegeben. 
E73 Garolina. Sollte mein Bruder etwas begangen 
haben, daß wider ihres Haufes Ehre wäre: jo mill ich es 
ihm ſelber verweifen. 
— Freplich, hat er mein Haus geſchändet, 
und ich werde es ihm mein Lehtage nicht vergeben. 
* Earolina. Behüte der Himmel! worinn beſtehet 
denn fein Verbrechen? 
[95] Grobian. Darin, daß er die Charlotte heirathen 
will. Denten fie doch, ein nadtes Mädgen! 
Carolina. D, das ift mie ſchon bekannt; Aut ex 
* bavan übel? 
Grobian. Ich höre wohl, fie find auch im Kopfe 
verrüdt. Iſt das nicht eine Verachtung meiner Tochter? 
Earolina. Er fann ja aber mr eine nehmen, 
sn ven wohl; aber er 
50 hätte doch wohl Hüger getham, wenn er ftatt eines armen, 
ein reiches Mädgen erwählet 
Bene Sierinn ie 6 keinen Unterſcheid. 
Man heiratet ja die Perfon, und ulcht das Selb, Die 
Aumgfer Charlotte wird meinen Bruder beifer gefallen 
#6 Haben, darum hat ev ihre Zungfer Tochter nicht verachtet. 





68 Dinrich Vortenſtein. us» 


Meines Bruders Abſichten beym deirathen find bios auf 
fein eigen Vergnügen gerichtet. 

Örobtan. So weiß er ſchlecht, worin bas Wer- 
gnügen beftehet. 

Carolina. Ein jeder fucht fein Vergnügen nad) 
ea Einfiht. Was ben einen ergöpt, iſt oft bem andern 
zuwider. 

Groblan. Wer ſich am Gelde wicht ergöht, ber 
muß toll und raſend ſeyn 
196] Garolina, Das Geld ift freilich eine Schöne Sache, 
weil man deſſen nicht — Tan; der Ueberfluß aber, 
welchen man einfberret, und welchen man nicht genieſſet, 
iſt ſchadlich; und wer einen Abgott daraus macht, der 
Handelt gar töriht Mit einen Worte: Der Misbrauch 
einer jeden Sache iſt umerlandt; und das Geld iſt zu Feinem 
andern Eubzwed ba, ala baß wir es zu unferer Bedürſniß 
anwenden, and mit dem Ueberfluffe uns Freunde madjen. 

Srobian. für ben beften Freund in ber Welt 
gebe ich feinen falſchen — Wenn man reich it, 


muß, — unfere reunbfepajt juchen, IB fichs für eine 


Laufen ai und meine Tochter nimmt. 
Caroline. Da fommt ex eben her. Sie werden 
feine Meinung von ihm felber am beften erfahren. 


or] Nennter Auftritt. 
Ehrenweht, Ehartotte und die Vorigen. 


fein Feuer = "der Herrn 
Ich werde ja wohl Macht Haben, in meinem 
eigenen Haufe Lerm zu machen? 





Der Boofeöbeutel. #9 


Ehrenwehrt Sie verzeihen, mein Herr, wenn 
ich jo fuͤrwihig gewejen bin. Es Fam mir zum wenigſten 
vor, als wenn ſich ein Unglüd zugetragen hätte, und ich 
wollte gerne deswegen mein Mitleid bezeugen, 

Orobian. Wir brauchen des Herrn Mitleib nicht. 
Es thut ihm ſelber möthig, daß man Mitleiden mit ihm 


Ehrenwehrt. Wie jo? 

Grobian. St ber Herr wicht fo närriſch geweſen 
und hat fich mit einem nackten Mädgen vertändelt? Wahr- 
haftig, wenn ich es nicht in Betrachtung, daß mein Sohn 
fein Schwager wird, unterlieſſe, ich Inte ihn ins Geficht. 

Ehrenwehrt. Ey, ey, mein Here! nicht fo hihig! 
os] Grobian. Meinet der Herr, daß meine Tochter 

eine Närein tft? 

Ehrenwehrt. Ich habe nicht das geringite an 
ihrer Jungfer Forhter auszuſetzen 

Grobian. Warum will der Herr fie denn nicht 

? Meinet er nicht, daß ich weiß, da er blos 
deswegen. nad Hamburg gekommen ift? Hat den Herrn 
efwan fonft niemand umjonft beherbergen wollen ? 

Ehrenwehrt. Ich geitehe gerne, daf meine Abs 
ſicht — iſt, ihre Jungfer Tochter zu heiraten. Ich 
babe es ihrem Heren Sohne auch ſelbſt gejagt. Allein 
eben — bin ich auch jetbft anhero gefommen, um fie 
erjt zu schen. Daß ich Ihnen nun bie Ürſache nicht ſage, 
toarım ich meine Neigung geändert habe, belleden fie 
meiner Beſcheidenheit zuzuſchre 

Grobian. Beſchedenhe Beſcheidenheit her. 
Der Herr bat einmal meine Tochter verlanget, er muß 
fle and nehmen. Ich Hal it nur file eine 
Mebereilung; wenn der de S dt beſinnet: To 
wirb er bie Charlotte ball M und Dagegen 
meine Tochter mit beyden Händen ergreifen. Umd ihr, 
Bungee Eharfotte, Ihe habt hier nichts zu thum, da fchert 
end) zum Hanje hinaus. 

Charlotte, Ich Habe icho feinen andern [99] Be- 


A u 





70 dinrich Borkenftein. Tun, 3 


fehlshaber, als den Heren Ehremwehet; fobald mid ber 
verſtoßt, will ich gehen. 
Grobiar. Was! in meinen eigenen Haufe? 
Ehrenwehrt. Sie ſoll gehen, doch mit dem Ber 
binge, daß ich fie begleite, 
Grobion. Mein, das ift die Meinung nicht, der 
‚Herr ſoll hier. bleiben. 
Ebrenwehrt Eh, das würde ſich nicht —— 
Sie iſt ein für allemal meine Verlobte, und alſo kann 
uns niemand trennen. 
Grobian. So till der Herr alſo meine Tochter 
nicht haben? 
Ehrenwehrt. Mein Herr, bringen fie wicht To 
ftark im mich; es fchiet ſich nicht, daf Ich mein fage. 
Gutherz. D, es wäre nit das erflemal, daß 
Mannsperfonen dem Frauenzimmer einen Korb geben. 
Grobian. Weiß der Hexe wohl, bafı ne bier 
figen Stadtrechten, wenn es zur Klage fäme, meiner 
Tochter etwas fir den Abteitt geben müfte? 
Ehrenwehrt, Die Sade würde jehr weitläuftig 
auszumachen feyn. Jedoch, wenn es aud) darauf anfänıe, 
jo wollten Die uns ſchon vergleichen. 
Ich rufe euch alle zu Yeugen. Herr 
Ehrenwehrt Hat fh anheiſchig gemacht. [100] meiner Tochter 
etwas für den Abteitt zu geben. Mein Herr! menn er 
ollezeit jo fig mit feinen Gelbe it; fo hätte er Ta au 
meinem Schtwiegeriohne nicht geichieit; denn von 
ſchwendern bin ich ein Todfeind! Er mag alfo mit — 
nadten Braut immer hinlauſen. 
r ehrt. Ich verfichere fie, mein Serr! daß 
er bloſſen Perſon bin, als mit ber 
Erziehung. 
bi Ey, meinchvegen heiralhe ber Herr bes 
— feine nactte Großmutter 
Agueta Unſere Tochter | jo auch ſchon einen Mann 30 
triegen, das ſoll meine Sorge ſeyn. 


| 
| 





Der Boofesbeutel. au 
Ehrenwehrt. Ich wünſche ihr einen Liebften, wie 
t, 


Agneta. egt fie denn feinen, der fo reich ift, 
jo Soll fir auch feinen Verſchwender haben, Meine Tochter! 
= wenn jonft niemand ift, fo jollft du den Nothbart heirathen. 
Sufanna. Ach ja, Mama! mit bem Fönnen wir 
t, Was wir Wolken, ex iſt nicht fo vornehm. 
Siltenreid, Mit bem künnet ihre auf dem Feuer— 
heerd in der Warte fpielen; der kann auch jchöne weltliche 
10 2ieber mit euch fingen. 
COREL & iſt beſſer ein ſchlechter Mann, als 


— Es üt beſſer ein ehrlicher Menſch, dev 
zu rathe hält, als ein reicher Verſchwender. 
is een Liebe Schweſter! der Fuchs halte die 
rauben ſauer, als er fie nicht erreichen Fornte, 
— Habe id; eiwan nicht Aergerniß genug 
15 


Agneta. Ach, leder Mann! du kenneſt ja meiner 

= DBruber, er mag gerne welffagen. Es Ijt bee Mühe nicht 

wehrt, daß man ihn antwortet, Und wenn Here Ehrentvehrt 

fein eigen beftes wicht wiſſen will; jo Aönmen wie ihu 

nicht helfen. Gieb mir nur dein Wort, daß Here Roth- 

hart unfere Tochter heirathen darf; fo will ich Bald Anftalt 

25 dazu machen: Denn diefe Sache habe ich mehr in meiner 

Gewalt. Was fagit du, meine Tochter! was gilts, Here 
Wothbart gefällt Dir: befier, als Herr Ehrenwehrt? 

Sufanna. Mama! id) laffe mir Alles gefalen, 
was fie für gut findet. 

Sittenreld. Liebe Schwefter! menu man bie 
Fliegen von einer mit Speijen on Tafel verjagt, jo 
feben fie fih gemeiniglich auf einen Mifthaufen, und ftilfen 
ihren ge mit eben fo grofiem A 

Gutherz, Darum haben auch bie lieben Alten 
© gejagt: Ein Vater ſoll feinen Sohn verheirathen, wenn 
er will, und feine Tochter, wenn er fanır, 

Ugneta. Haben das die lieben Alten gejagt! 0, 





70 Hinrich, Vorkenſtein. mu, 9 


fehlshaber, al3 den Herrn Ehrenwehrt; fobald mich der 
verftößt, will ich gehen. 

Grobian. Was! in meinem eigenen Haufe? 

Ehrenwehrt. Sie fol gehen, doch mit dem Be— 
dinge, daß ich fie begleite. [2 

Grobian. Nein, das it die Meinung nicht, der 
‚Herr fol hier bleiben. 

Ehrenwehrt. Ey, das würde ſich nicht ſchicken. 
Sie ift ein für allemal meine Verlobte, und aljo kann 
und niemand trennen. » 

Grobian. So will der Herr aljo meine Tochter 
nicht haben? 

Ehrenwehrt. Mein Herr, bringen fie nicht fo 
ſtart im mich; es ſchickt ſich nicht, daß ich nein fage. 

Gutherz. D, e3 wäre nicht das erftemal, daß 
Mannsperjonen dem Frauenzimmer einen Korb geben. 

Grobian. Weiß der Herr wohl, daß er nad) hie- 
figen Stadtrechten, wenn es zur Klage käme, meiner 
Tochter etwas für den Wbtritt geben müfte? 

Ehrenwehrt. Die Sache würde ſehr weitläuftig 
auszumachen jeyn. Jedoch, wenn es aud) darauf anfäme, 
jo wollten wir una ſchon vergleichen. 

Grobian. ZIG rufe eud) alle zu Beugen. Kerr 
Ehrenwehrt hat ſich anheifchig gemacht, [100] meiner Tochter 
etwas für den Wbtritt zu geben. Mein Herr! wenn er 3 
allezeit fo fir mit feinem Gelbe ift; fo Hätte er fich zu 
meinem Schtwiegerjohne nicht gejchidt; denn von Ber- 
ſchwendern bin id) ein Tobfeind! Er mag affo mit feiner 
nadten Braut immer hinlaufen. 

Ehrenwehrt. Ich verfichere fie, mein Herr! daß "© 
ich vergnügter mit ihrer bloffen Perjon bin, als mit ber 
teichften Fungfer ohne Erziehung. 

Grobian. Ey, meinetwegen heirathe der Herr des 
Teufels feine nadte Großmutter. 

Agneta. Unfere Tochter ſoll auch fon einen Mann 36 
Triegen, das joll meine Sorge feyn. 


® 


a 


8 


= 


u, 9) Der Boolesbeutel. 71 


Ehrenwehrt. Ich wünſche ihr einen Liebiten, wie 
fie ihn berlanget. 

Agneta. Kriegt fie denn feinen, der fo reich ift, 
To fol fie auch feinen Verſchwender haben. Meine Tochter! 
wenn fonft niemand ift, jo follft du den Rothbart heirathen. 

Sujanna. Ad ja, Mama! mit dem können wir 
machen, was wir wollen, er ift nicht jo vornehm. 

Sittenreidh. Mit dem könnet ihr auf dem Feuer- 
heerb in der Karte fpielen; der fann auch ſchöne weltliche 
Lieber mit euch fingen. 

Gutherz. Es ift beffer ein ſchlechter Mann, als 
gar feiner. 

Agneta. Es ift beſſer ein ehrlicher Menich, der 
das Seine zu rathe hält, als ein reicher Verſchwender. 
[101] Gutgerz. Liebe Cchwefter! der Fuchs dalte die 
Trauben jauer, al3 er fie nicht erreichen Tonnte. 

Grobian. Habe id) etwan nicht Aergerniß genug 
gehabt? 

Agneta. Ach, lieber Mann! du kenneſt ja meinen 
Bruder, er mag gerne weifjagen. Es ift der Mühe nicht 
wehrt, daß man ihn anttortet. Und wenn Herr Ehrenwehrt 
fein eigen beſtes nicht wifjen will; jo können wir ihn 
nicht Helfen. Gieb mir nur bein Wort, daß Herr Roth- 
bart unjere Tochter Heirathen darf; fo will id) bald Anftalt 
dazu machen: Denn diefe Sache habe ich mehr in meiner 
Gewalt. Was ſagſt du, meine Tochter! was gilts, Herr 
Nothbart gefällt dir beffer, ala Herr Ehrenwehrt? 

Sufanna. Mama! ih laſſe mir alles gefallen, 
was fie für gut findet. 

Sittenreid. Liebe Schweſter! wenn man die 
Fliegen von einer mit Speifen bejegten Tafel verjagt, jo 
fegen fie ſich gemeinigfich auf einen Mifthaufen, und ftillen 
ihren Hunger mit eben fo großem Appetit. 

Gutherz. Darum haben auch die lieben Alten 
gefagt: Ein Water foll feinen Sohn verheivathen, wenn 
er will, und feine Tochter, wenn er Tann. 

Agneta. Haben das die lieben Alten gefagt! o, 


2 Hineid) Vorfenfleit. Im, 8. 


fo laß ich meinen Mann feinen Frieden, bis ers in meine 
Hände ftellet, daß ich meine Tochter am [102) den exjten, 
der mir und ihr anftehet, verheirathen mag; deun a alte 
Sprichwörter und Das — laſſe id) mein Geben, 

Sufanna. Ad, in, Mann! Blos am bed Schimpfed * 
wegen, dal ein armes Mädgen cher als ich einen Dann 
befonunt. 

Charlotte. Ich will aud eine Fürbitte für fie 
einlegen, Jungſer Sana! Bebenfen fie doch, Herr 
Grobian, daß es ihnen den vergöldeten Schaupfennig von 
20 Schill. gefoftet hätte, wenn Here Ähre 
Jungfer Tochter genommen; der wäre ihnen doch hart 
abgegangen. 

Srobian. Ich hätte euch gerne 5 Mard 4 Schill. 
zum Staubbefen gegeben, wenn ihr mie nur heute ans 
dem Haufe geblieben wäret. 

Carolina. Sie find doch ber Here Grohian. 

Ehrenwehrt Nu, nu, mein Herr! geſchehene 
Dinge find nicht zu änbern. Wir mifjen Ins künftige 
doch als gute Freunde mit einander leben, um fo viel 20 
mehr, da meine Schweſter bie Ehre hat ihre Schwiegers 
Tochter zu heiffen. 

Grobian. Erſt thut man alles, was man woill; 
ke fonts man mit jolcher dummen Schmeidheley an⸗ 

Jet. 

Ehrenmwehrt. Ich will ihnen nebft meiner Liebſten 
Abbitte thun, wenn fie e8 verlangen. 

Grobian. Ey, mit Ehre ft mir nichts gedien 
aber das will Id haben, doß fie bie Juwelen [108] * 
andere Sachen, welche fie ihrer Braut ſchenken, von mir 
fanfen. Es werben oft bergleichen Sachen bey mie verfekt, 
und da i 

Eh pehrt. Dies verſpreche ich ihnen, und noch 
dazu will nen geben, was fie dafür verlangen, und 
ulchls baum abbingen. 

Srobian. D, ho! wer man endlich weiß, woſtr 
man eine Sache tut, fo gehet man vft etwas ein, 1vas 





Der Boolesbeutel. 73 


‚man fonft bleiben Tiefe, Ich wunſche ihnen mit ihrer 
ne Braut fit und Segen Selb iſt bie Lofung. 
Earolina Nun, mein Lieber künftiger Herr 
Schwieger-Bater, find fie mir denn auch bbje? 
bh Grobian. Meine Gewogenheit gegen ihmen wird 
ſich nad) der Gröffe ihres Beautichages richten. 

Ehrenwehrt. Fir 10000. Rtylı. jährlihhes Ein- 
tommen Din id) Bürge. 

Grobian. D, fo find fie meine allerbefte Schwieger- 

0 Tochter. Der Himmel ſegne euch beyde und verleihe eud) 
die edle Sparjamteit, jo werdet ihr mit der Zeit ans 
biejen 10000, Rthlr. 20.000. maden. 

Sittenreih. Wir wollen uns bejtreben, den 
Herr Vater, jo viel möglich, jederzeit gefällig zu ſeyn. 

Ei Carolina. Wir wollen hübſch haͤußlich leben. 
[104] Grobian. Der Himmel gebe fein Gedeyen bazı. 

Ugneta. Nun, lieber Mann, laß dod; das arme 
Mäpgen nicht ungetröftet. 

Srobian. Meinenvegen verheirathe fie an den 

» Schinder. 

Agneta, Nun, jo gieb dic) zufrieden, meine Tochter! 
in vier und zwanzig Stunden joll Here Nothbart bein 
Bräutigam feyn. 

Butherz. Es fehlet nichts, als daß ich noch mein 

#5 Vergnügen iiber diefe dreyfache Verbindung an den Tag 
lege. Mid; deucht, feiner unter ihnen hätte beffer wählen 
können, und ein jeder, der davon | rd, muß jagen: 
lei und gleich gefell 


Ende des dritten und festen Aufzuges. 


[Viguette.] 





AM 58/62. Neue Folge No. 8/12, 


eutsche Litteraturdenkmale 


des 18. und 19. Jahrhunderts 


herausgegeben von August Sauer 








SECHS UNGEDRUCKTE AUFSÄTZE 


ÜBER DAS 


KLASSISCHE ALTEATUM 


von 


WILHELM von HUMBOLDT 


HERAUSGEGEBEN 


von 


ALBERT LEITZMANN 


LEIPZIG 
@. J. GÖSCHEN’SCHE VERLAGSHANDLUNG 
1896 


RUDOLF HAYM 


ZUM 5. OKTOBER 1896 


IN DANKBARER VEREHRUNG 


DARGEBRACHT. 


INHALT. 





Einleitung. 

Sechs ungedruckte Aufsktze über das klas- 
sische Altertum. 

I. Über das Studium des Altertums und des griechischen 

insbesondre. 

II. Pindar. . : 

II. Betrachtungen über die 6 Weltgeschichte. 

IV. Über das antiko Theater in Sagunt. An Goethe. 

V. Latium und Hellas oder Betrachtungen über das 
klassische Altertum. : 

VI. Geschichte des Vorfalls und Unterganges der grie- 
chischen Freistaaten. : 

Anhang. Bruchstücke einer spteren. — der 
„Skizze über die Griechen“. . 


Seite 


Einleitung. 


I. Die Skizze über die Griechen. 


Von früher Jugend an trat Wilhelm von Hum- 
'boldt das klassische Altertum In einigen hervorragen- 
den Vertretern der beiden antiken Literaturen nahe: 
‚der eigentlich philologische und Realunterricht lag zwar 
sehr im Argen!), doch holte ‚sich die damals herr- 
schende Anfklärungsphilosophie eines Moses Mendels- 
sohn und Engel, von deren Geiste die ganze Erzichung 
der Brüder Humboldt den Tendenzen der Zeit ent- 
sprechend boscelt war, gorn anregende Muster aus 
dem Altertum. Der arste aus Humboldts Feder orhal- 
tono Aufsatz bringt eine nicht ungewante Üborsotzung 
von Xenophontischen und Platonischen Stellen über 
Gottheit, Vorsehung und Unsterblichkeit mit einer all- 
gemeinen Vorbemerkung, ganz im Geiste Mendelssohns 
gehalten und gowiss unter seinom unmittelbaren Ein- 
Muss noch in Berlin entstanden). Während der Gdt- 


1) Üboe seine ersten Lehrer wel, Schlesior, Brimerungen 
an Wilhelm von Humboldt 1,18; Br ander von Hum- 


aan: 

alle Slade 9,186. &,1; in den Gesammelten Werken 3,103 ist 
— — — die aus dem achten Bande des Lese] 

zur Entstehungazeit — Bricfo von Cha- 

Jalisı Ondbenno langt 110, Daee Hurelde hir-Mondele 

a Engel den Hauptanteil an seiner Bildung zuspricht, 

u seinor eigenen früheren Deutung (Wilhelm 

yon Harald 5 5, 9 nachgewiesen in Hamboldts Briefen an 

Nieoloyius &. 1 





— — 
tinger Studienzeit nahmen danu unter der 


von ihm, er habe lange keinen so tröflichen Philolo- 
gen mus seiner Schule entlassen’); aus seinen Inter- 

des Pindar und des Aeschyleischen Aga- 
memnon erhielt Humboldt damals vielleicht die erste 
Anregung zu seiner intimen, über Jahrzehnte hinaus 


ige "praktische Ausübung 
war nur ein kurze Episode im Loben Humboldte, Vior- 
undzwanzigjährig verliess er im Sommer 1791 den 
preussischen Dienst, heiratete Karoline von Dacherödon 
und beschloss in der seligen Ruhe einer unendlich 
glücklichen Hüuslichkeit fortan nur seiner 
und den Ideen zu leben: „Mir heisst ins Grosse und 
Ganze wirken anf den Charakter der Mensohheit wir- 
ken und darauf wirkt jeder, sobald er auf sich und 
bloss auf sich wirkt; man sei nur gross und viel, 
werden. dio Menschen es schen und nutzen; man Tnbe 
nur viel zu geben, so werden die Menschen os g&- 
uiessen und ( der Genuss wird Yater neuer Kraft sein?) 


‚ger 
ı Nebenresidens mancherlei Störung und 
Abhaltung brachte, kamen nun in bunter Folge, nur 





IX 
des Deneidenswert glücklichen Mannes, 


den Pflichten einos eigentlichen Berufs bemerkon wir 
bei Humboldt ein rastloses Streben nach einer festen 
Konsolidierung seiner Ansichten, zunächst in strenger 
Denkarbeit, dann auch in schriftlicher Form. Im Prüh- 
jahr 1792 entsteht so, unter Dalbergs Anregung und 
aus Össprächen mit ilım erwachsen, in Erfurt die herr- 
liche Schrift „Ideen zu einem Versuch die Grenzen der 
Wirksamkeit des Staats zu bestimmen“"); in ähnlicher 
Weise bringt der Winter 1792/93 die engere Frennd- 
‚schaft mit Friedrich August Wolf in Halle und in 
ihrem Gefolge die erste ausführliche Darstellung der 
ldsen über Wert und Bedeutung der Beschäftigung mit 
‚dem griechischen Altertum, die Skizze über die Griechen. 

—— sich Humboldt und Wolf auch schon früher 

flüchtig begegnet sein, entscheidend für ihr gegen- 
seitiges Verhältniss wurde ein zweitägiger Besuch Hum- 
‚boldts in Hallo im Sommer 1792 auf einer Reise nach 
‚oder von Berlin®); die Gemeinsamkeit in ihren Ansich- 


2 — den — ‚Bericht a Forster vom 1. Juni 
tiefwuchsel 2,324); die, durt 5, 825 erwähnte Kurze- 


2) Die urkeht 
datiorten, aber mit Si 


auch Hayın 8. 
— his 
zu vor N; 

Bear: u .) gedruckt. a unbe 
Fe durch Ahreissen eines Ik Bis beschtldigt, zum 
grossen Teil Be weggelassen ; aufgenommen ist, 
ist an zwei getrennten Stellen (Ge te Wurke 5,01.07) 
‚werlruckt und ganz fulsı 'r gessinmte Briof- 





ton von der Antike und das Gefühl | 
derung trat mit — 
os knüpfte sich eine 
Leben hindurch nerschälirt Enere uadunere Btteme 
tiberdauerte. In seinem ersten (ungedruckten) Schrei- 
ben an Wolf aus dem September oder Oktober 1792 
nennt Humboldt die Bekanntschaft mit ihm und die 
Hoffnung einer näheren Vorbindung eine neue Epocho 
in seinem Leben; er bittet Walf ihn als einen ab- 
wosenden Sohüler anzuschen, Wonige Wochen später 
gesteht er ihm, dass das Studium des Griechischen 
fürs erste seine uusschliessende Beschäftigung sein 
werde und, wenn er auch in rein philologisch-grum- 
matischen Dingen stets oder doch auf lange ein dire 
blaiben miisse, so habe ihn hingegen seine Individun- 
lität auf einen weniger allgemeinen Gosi beim 
Studium der Alten geführt „Es wird mir schwer 
werden,* fährt er fort, „mich kurz darüber zu erklä- 
ren, indoxs ist doch dus Resultat olngefähr folgendes: 
es giebt ausser allen einzelnen Studien und Ausbil- 
dungen des Menschen noch eine ganz eigene, welche 
gleichsam den ganzen Menschen zusammenknüpft, ihm 
nicht nur fühiger, stärker, besser an dieser und jener 
Aa zum grössoren und edloren 
ht, wozu zugleich Stärke der intellek- 
tuollen, Güte der moralischen und Reizbarkeit und Em- 
pfinglichkeit der ästhetischen Rithigkeiten gehört. Diese 
Ausbildung nimmt nach und nach mohr ab und war 
in sehr hohem Grade unter den Griechen. Sie num 
Tan dünkt mich, nicht besser befördert werden als 
u ‚grosser und gerade in dieser Rtick- 
indernswürdiger Menschen oder, um os mit 


wochsol, welehor aus don in Togol befindlichen Papii volle 
w don — verdient a. reinlicho Nounns- 
— und 1810 — — 





xı 


sagen, durch das Studium der Grie- 
glaube durch viele Gründe, die ich 


einer der vorzüglichsten der ist, dnss kein andres Volk 
zugleich soviel Einfachheit und Natur mit soviel Kultur 
verband und keins zugleich soviel ausharrende Energie 
und Reizbarkeit für jeden Rindruck besuss, ich glaube, 
sags ich, beweisen zu können, dass nicht bloss vor 
allen modernen Vülkern, sondern auch vor den Römern 
die Griechen zu diesem Studium taugen. Das Studium 
der Griechen in dieser Rücksicht also und die Dar- 
stellung ihrer politischen, veligißsen und häuslichen 
Lage in ihrer höchsten Wahrheit wird mich für mich #0 
lange beschäftigen, bis meine Aufmerksamkeit gowalt- 
sam auf etwas andres gelenkt wird oder ich damit 
ins Reine gekommen bin, wozu aber meinen Forderungen 
„an mich nach schwerlich ein Leben hinreicht. Da man 
doch nun auch manchmal Lust bekommt scine Idoon 
andern mitzuteilen und diese Behandlungsart der 
Alten mir überhaupt nicht unwichtig und selbst nicht 
gewöhnlich scheint, da alle Bücher, die ich in dieser 
Art kenne, wovon ich nur den Anacharsis!) nennen 
will, schlechterdings kein Genüge tun, so denke ich 
eine ‚Schrift, die, olıne ein Journal zu ein, fortliofe, 
anzufangen, etwa untar dem Titel Hellas, welche allein 
der griechischen Literatur gewidmet wäre und teils 
ingen aus allen Arten der Schriftsteller, teils 

eigene Aufsätze enthielte, die vorzüglich auf die Be- 
‚förderung jenes ersterwähnten Zwecks hinarbeiteten. 
Bigentliche Gelehrsamkeit: würde, wie Sie schon aus 
der Person des Verfassers schliessen werden, nicht zu 
dem Zwecke gohören, aber zweokmässige Boarbei- 
tung der vorhandenen Materialien und vorzüglich reine 


1) Barthölämys Voyage | ne Anacharsis en Gräce 
(Paris 1785) erwähnt Humboldt schon Im Juli 1789 an Forster 
iofwechsel 2,801). 





m 
und treue Darstellung der Quellen, die. doch nicht 


mal vergleicht: Im ersten Heft wiirde ich dann vor- 

züglich den Gesichtspunkt austihrlich zu schildern 

versuchen, von dem mein Studium der Alten allein 
— —————— 

Dieser Plan eines prinzipiellen Aufsatzes über das 
griechische Studium, den Humboldt Wolf gegenüber 
arst im Dezember 1792 genauer auszusprechen wagte, 
ging jedoch schon in «len herbstlichen Anfang des 
Are Aufenthalte zurück und entstand in unmittel- 
barem Anschluss an die beginnende intensive Lektüns 
griechischer Autoren. Schon am 3. September schreibt 
Humboldt un seinen intimen, in Berlin zurückgeblie- 
benen Freund Gustaf von Brinekmann (ungedruckt): 
„Ich gehe damit um einmal mir in einem eigenen _ 


lebhaftes Interesse für irgend ein besonderes Fach, das 
sie bearbeiten, einen Monschen allein würdig zu be- 
schäftigen vermag. Man hat, dünkt mich, diese Gründe 
bisher ri gefühlt, denn das natürliche Gefühl 


geopfert, 

auseinandergasetat. Was mir bis 

st, besteht bloas in den Paar 

Iton sind 3. ‚Schriftsteller bloss zweier 

Nationen en wenn man es genau nimmt, nur einer, 
‚der Griechen, da die römischen Schriftsteller als solehe 
E iem heissen müssen. Indem man sis 
an ılso eine Nation, nicht Biicher, 

m Nutzen müsste es go⸗ 





Xu 


immer ebenso beträchtlich sein, als die Alten origineller 
waren als die Neueren und uls sich in dem Schrift“ 
steller bei ihnen mehr der Mensch als der Schriftsteller 
zeigt. Dann kommt nun auch noch dazu, dass diese 
Menschen an sioh so viel, 30 weit weniger durch Kunst 
und Kultur geformt und so viel mehr der Natur näher 
waren als wir.“ Auch den originellen Plan einer Zeit- 
schrift Holle, bei der wir des oben erwähnten Auf- 
satzes in Züllners Lesebuch gedenken, teilt Humboldt 
brieflich am 30, November Brinckmann mit (ungedruckt): 
„Ich werde nämlich jetzt höchst wahrscheinlich auf 
Michaelis anfangen eine fortlaufende, heftweise ar- 
scheinende Schrift, jedoch kein Journal, Hellas, für 
griechische Litsratur bestimmt, herauszugeben. Für 
die ersten Hefta bestimme ich jene Oden!) und fal- 
gendes noch zu machende: 1) eine Einloitungsabhand- 
über das Studium der Griechen, 2) Stücke aus 
dem Thukydides, 3) das bekannte Lehnssystem, 4) über 
die Kampfspiele zum Behuf des Pindar“ ®). 
'Zu Weihnachten war Wolf Humboldts Gast in Au- 
leben: der Plan jenes Aufsatzas war naturgemäss ein 
stand der Gespräche; Wolf erkannte die 
Wichtigkeit und Förderliehkeit einer solchen Betrach- 
tungsweise ohne Rückhalt an und trieb zur Ausgestal- 
tung, besonders in seinem ersten nach der Rtiekkehr 
nach Halle nach Auloben geschriebenen Briefe vom 
6. Januar 1793. So entstand denn um die Mitte des 
Januar in raschem Wurf die erste Niederschrift, Am 
23. Eins sie zur Begutachtung an Wolf al. In dem 


1) Gemeint sind die Übersetzungen der zweiten olym- 
chen, (eparat Berlin 1798 enäruck) und dieier kleinerer 


2) Des — einer Thucydidesübersetzui denkt Hum- 
hold au Wolf Gesammelte Werke B,21. 0.47 Was mit dan 
stem“ gemoint i nag ich nioht anzugeben, Dis 
Rank den Aa e die Kampfopiele därkien In 

die Pindaralhandlung Ken 





re 


ausführlichen Begleitschreiben m 

„Sie wissen, dass ich mich schon 

die Ideen niederzuschreiben, die mir 

Studium vorzüglich interessant machen. Am grüsseaken 
wurde diese Lust in mir, als in den glücklichen Tagen, 
die Sie uns hier schenkten, wir einigemale über die 
Materie sprachen, Sie mit mir zum Teil ül 

zum Teil meine Ideen berichtigten, und ich mich vor 
allem freute die Wichtigkeit einer ähnlichen Entwick- 
lung von Ihnen anerkannt zu sehen. Zwar sprachen 
wir wirklich weniger darüber, als anfangs Ihre Absicht 
schien und als auch ich wünschte; es rührte aber 
vorzüglich davon her, dass meine Ideen noch nicht 
genug entwickelt in mir waren, nm, da wir im All- 
gemeinen üboreinstimmten, die Verschiedenheiten der 
feineren Nüancen gehörig auseinanderzusetzen. Nach 
Ihrer Abreise habe ich oft wieder an den alten Plan 
gedacht, indess war ich zu sehr — 
um mich zu unterbrechen. Ihr lieber tenrer 

weckte indess meine Lust aufs neue und es. — 


die 
Betrachtung hinzu, dass Sie Ihrem Briefe 0 viele mir 
und lehrreiche Bemerkungen 


Ich versuchte also meine Gedanken so kurz, aber doch 
zugleich so deutlich aufzuzeichnen, als mir möglich 
war, und diesen Ver: die Arbeit «weier Tage, schicke 


‚längeren 
zuarbeiten. Dies sage ii 
aus dem reinlichen Äı 





en 


ich hielte es auch nun für gleich gehobelt in Absicht 
seines Inhalts Um nun noch von diesem oin Paar 
‘Worte hinzuzufügen, so ist es, wie Sie sehen, ein 
‚bloesos Gorippe, woraus allenfalls künftig eine wirk- 
liche Abhandlung entstehen könnte. Es fehlen daher 
nicht allein schr oft die ausführenden und eigentlich 
beweisenden Sätze, sondern auch in den Schlüssen 
manchmal nicht ganz leichte Mittelsätze. Es ist dies 
freilich um so schlimmer, da der Gegenstand gar nicht 
von der Art ist, um bequem in Aphorismen vorgetragen 
zu werden, sondern vielmehr gar sehr der Ausführung, 
vorzüglich auch durch historische Beweise bedarf, 
wenn er die gehörige Wirkung tun soll, Aber ich 
konnte einmal jetzt nicht anders. Denn ausserdem 
dass aus diesen Bogen bei einem andern Zuschnitt ein 
wirkliches Puch hätte werden müssen, s0 besitze ich 
such jetzb gar noch nicht die zu einer wahren Aus- 
führung erforderlichen Kenntnisse, Es ist mir schon 
mehrmalen so gegangen, dass mich, wenn ich in ein 
nenes Fach trete und allonfalls die Aussenlinien über- 
sehe, dieser Anblick dergestalt; begeistert, dass ich mit 
zu reden anfange, als wäre ich längst drin gewesen. 
Nur schade, dass der Zuhörer des Irrtums bald gewahr 
wird. Hier nun 2. B. bin ich erstlich moralisch im 
Voraus gewiss viele historische Data zu übersehen, 
‚fürchte ich zweitens manche aus einem falschen Ge- 
Sichtspunkte anzusehen und fühle ich drittens, dass 
ich mehreres, was ich auch für völlig wahr halte, nur 
aus einem gewissen noch dunkeln Gefiihl habe und 
dass mir die wahren beweisenden Data noch fahlen. 

ade fa Dichter, einzelne 


davon das. Gegenteil 

noch ganz. Ds 

gar meine Absicht nicht jetzt 

oder bald oder nur in den nächsten Jahren diese Apho- 





und nach berichtigen kann. Es kann dies meiner Art 
zu schreiben nach mm so eher ——— 
rade nur 50 lange recht von ldoon überzeugt bin, ala 

ich sie im Kopfes trage, hingegen gleich zweifelhaft 
werde, sobald sie nur auf dem Papier stehen. Wollten 
Sie mir nun, liebster Freund, bei dieser Prüfung und 
Sichtung behilflich ‚sein, #0 orzeigten Sie mir dadurch 
einen in der Tat übemus grossen und 


bei grösserer Kürze für die Klarheit gefürchtet hätte 
Zwur kann es leicht sein, dass Sie den Gang nicht 
billigen, don ich genommen; aber das ist an sich un- 
wesentlicher, Dass der Endzweck des Studiums des 
Altertums Kenntniss der Menschheit im Altertum ist, 
sind Ihre eigenen Worte, und dass diese Kenntniss 
neben andrem Nutzen, den sie stiftet und den ich in 
den ersten Paragraphen abgesondert, auch ganz be- 
sonders zur Bildung des schönen menschlichen Oha- 
rakters beiträgt, daran zweifeln Sie gewiss nicht: Von 
8 18 an aber bis zu Ende sind es meist historische 
Sätze oder das Raisonnement ist doch mit solchen ge- 
mischt. Um nun an Ihrer Zeit so viel als möglich 
zu schonen, die ich wahrlich auch aus 
Absichten so sehr ehre, wünschte ich, Sie schrieben 
bloss richtig ‚oder falsch oder — dazu und, 
noch mehr a »0 — allenfalls 
chtsdatum hinzu, das mich widerlegte, oder 
mich auf einen andern Gesi 
ie, der ganze Aufsatz allein dazu dienen 
soll die Ideen bei künftigem fortwährendem Studium 





XVIE 


eu zu prüfen, so ist mir in der Tat auch die Belalı- 
rung am liebsten, die mir bloss zu zweifeln und weiter 
nachzuforschen befiehlt. Was ich von 
zuge ($ 42), werden Sie keine Trostgründe für einen 
angehenden Ül er nennen und in der Tat ists 
eine undankbare und doch so saure Arbeit. Allein 
bei mir entsteht alle Lust zu übersetzen aus wahrhaft 
‚etliusinstischer Liebe für das Original und, so wie mir 
es der unerträglichste Gedanke wäre so zu übersetzen, 
dass man das Original darum weniger läse, so ist mir 
in Wahrheit der der liebste, dass man meine 
setzung wegwerfe, ‚um! jenes ‚in. die, Hand ‚za .nehmen. 

Der Übersetzer ist allemal in der Gruppe nur die Neban- 
figur und er hat das Höchste getan, wenn die Haupt- 
Sgur durch ihn mehr hervorspringt. Diese Einfälle 
denke ich in der Vorrede zum Menexenus noch mehr 
auszuführen®). Doch genug von meiner Beilage" ?). 
‚Schliesslich ersucht or Wolf ihm den Aufsatz in einigen 
Wochen zurückzusenden, du er davon nur „ein Brouillon 
in halben Hieroglyphen“ habe®). Bei dem skizzen- 
haften Charakter des Ganzen beschlich ihn bald darauf 
Reue das Manuskript in so unfertigem Zustande in die 
Hände des. kritischen Meisters der Altertumskunde 
‚gelegt zu haben: „Hütte ich endlich“, schreibt er am 
6. Febrnar, „den Aufsatz noch einige" Tage länger be- 
halton, so hätten Sie ihn nicht bekommen. Ich tat 
neulich einen Blick in meir 
nich in dor Tat; ao Michti, 
Sie nur auf den guten 
Mieslingan“ 4). 

Wis Wolf sich al 





zvIn _ 
sprach, wissen wir nicht authentisch. Gewiss hob er 
die) vielar Ideen Humbaldts mit seinen 


ihn Schillern, dom ich bald darauf schrieb, und da 
Sie die schönen Ränder so weiss gelassen hatten, bat 
ieh ihn sich ihrer anzunehmen, Dies hat er denn 
auch getan und allerlei zugeschrieben. Es eind sehr 
hübsche Sachen darunter, obgleich Sie denken 

dass er in das Ganze dor Idee, da ihm die alte Dite- 
ratur doch nicht geläufig ist, wenig eingegangen ist. 

Ich schreibe Ihnen hier eine Anmerkung ab, die, dünkt 
mich, eine genievolle Idee enthält; ob nuch eine wahre 
mögen Sie selbst entscheiden. [Folgt 10] 
Von Schiller bekam ich den Aufsatz hier zurdek. 
teilte ihn dem Koadjutor mit, der von meinen Winter- 
arbeiten zu sehen wünschte, und, aufgemuntert durch 


Friedrich Augı 
und zur Pidkeocit 1,80. 9, 





Schillers Noten, hat er noch weit mehr (ie Ränder 
mit Glossen beschrieben. Es wird Sie sehr unterhalten 
einmal dies Werk cum notis variorum wiederzusehen. 
Vorzüglich sind Dalbergs Anmerkungen originell und 
ordentlich komisch ist das durchgängige Bemühen zu 
zeigen, dass die griechische Literatur ein Studium für 
"Wenige sein und bleiben müsse, zu welchen ich, wie 
or zu verstehen giobt, nun eben nicht gehören möchte, 
‚Er selbst hat viel mit mir dariber gelacht und die 
‚Anpreisungen dor Griechen in meinem Aufsatz scheinen 
ihn am meisten zum Widerspruch zu reizen. Wiader 
gesehen habe ich aber bei dieser Gelegenheit, dass 
Jie Gesichtspunkte, die entweder an sich nieht ge- 
wöhnlieh oder nur dem einzelnen jedesmaligen Leser 
fremd sind, hell und klar zu machen eine unglauh- 
liche Schwierigkeit hat und dass sie bei dem Kondjutor, 
der immer, möchte ich sagen, mehr mit: dem Geiste 
seiner eigenen als mit den Augen des Andern Idoon 
Hest, fst bis zur Unmöglichkeit wächst. Bei diesem 
Aufsatz hat er meine eigentliche Meinung, wie jede 
‚Zeile seiner Anmerkungen beweist, abermals ganz miss- 
verstanden, Abstrahiert habe ich mir wenigstens hier- 
aus, dass, hätte ich je die Absicht durch eine Schrift 
‚eigentlich zur Ausbreitung des Studiums der Griechen 
beizutragen, ich mich einer viel andern Methode be- 
dienen miisste. Indess soll auch der Himmel mich 
davor in Gnaden bewahren. Habe ich mir einmal eine 
Idee entwickelt, so okel mich an sie 

äussere Umstände — de ich diesen Ekel 
nicht. Mir salbst ı ; über die Griechen noch 
sehr vieles — 


mir keins diese nn gogehen va und ich 

muss hinzusetzen, dass auch der Schatten von Lust ein 

tätiges Leben in Geschäften zu führen nie so sehr in 
ve 





lung begründet sein®). Dalberg hat sich sonst, soriel 
ich sehen kann, über die Altertumsstudien nirgends 
gelussert: #3 Ist merkwürdig, wie er auch hier wieder, 
wie im vorhorgehenden Jahre bei der politischen Schrift 
Humboldts, gegen dengelhen in direkter Opposition 
steht. Stil und Inhalt seiner Randglossen gewähren 
denselben Eindruck, den man auch sonst von seinen 
Abhandlungen erhält; manche Stellen erinnern an Ge- 
danken seiner 1776 erschienenen Commentatio, quibus- 
llustrari I ‚umanus intelleetus ajusquie 

i promplissime et commodissime 

‚possw is Humboldt im Herbat 1793 in Dresden 
war, | er Körner das Manuskript und schreibt: darfiber 
in einer kurzen Charakteristik Humboldts um 22, Sop- 
tember an Schiller: „Seine Aufsätze haben ntwax 
Trockones und | Unbofriedigondes, was mohr in der Form 
als im. Stoffe. lie t. Er fehlt, däucht mich, in der An- 
spannt di Erwartung nicht, armüdet dureh 

9 Aufthrli keit, fällt ins Schleppende, weiss 


nel 
ETr en eher in seinem Verhiliime zur 
Wissenschaft. — 


und 2 Zeit 3 Kira ee paar! 
hung on zu Hambait ET 1.100.200; Seller u Kekie 





Dalbergs 
Die Dalbergschen Iiaben mich eben nicht erbaut. 
Er hat Humboldt grösstenteils gar nicht verstanden“), 
Als Friedrich August Walt ı im Jahre 1807 den 


lehrten, auuquholoyoürrög runög 109 Aue» xuhod ad- 

bezeichnet; den Namen des Verfissers nennt 
er nicht, Es sind Bruchstücke aus Humboldts Griechen- 
skizze, wie schon früh richtig erkumnt worden ist und 
mit Unrecht von dem neueren Biographen Wolfe be- 
zweifelt. wurde‘); wegen mannigfacher Abweichungen 
von unserm handschriftlichen Texte in Anordnung und 
‚Ausdruck habe ich sie im Anhang mitgeteilt. Inhaltlich 
setzen sie sich folgendermassen aus Stücken unsres 
Textes zusammen: 1) Hauptbegriffe und -sätze von $2, 
8 und 5, Schlusssatz von & 6, Hauptstichworte der 
Kinssiflzierung in 8 7—10, Mitte und Schluss von $ 7, 
ziemlich vollständig 3 11; 2) zwei Anfangssätze nicht 
vorhanden, Anfangssatz von $ 17, zweits Hälfte von 


on“ soi ine Abschrift: 

bel —* ir von der Berliner 
öniglicben Bibliothek, die den Nachlass jetzt bewahrt, Daunde 
fiber gemachten Mitteilungen das Richdige: 


— 





‚ dass die 
Fassung im „Museum“ etwa auf Wolf selbet zuräckzu- 
führen sei. der zu seinen Zwecken Umstellungen und 
Änderungen in Humboldts Texte vorgenommen haben 
könnte, Am einfachsten lässt sich, glaube ich, der 
Zusammenhang so erklären: Wolf, der, wie wir oben 
sahen, nicht durchaus mit Humboldts Ausführungen 
einverstanden war, wenn er auch die Fülle wesentlich 


; 


schrieb ihm mın wahrscheinlich diese Sätze kurz zu- 
sammen und bosserte dabei an vielen Stellen den Aus- 
druck, nahm auch mehrere Umstellungen vor und 
sotzte neue Mittelglieder ein; ich behaupte natürkol 
damit nicht, dass diese zweite Fassung der Skizan, die 





— 


‚Anmerkungen zum Texte. 
fagena Das a ‚dieser Aufsatz ähnlich wie in Humboldtschen 
‚och mehrfuch (111. 14. 20. 136. 14. 3010. 17. 
guenie © Wort — im Sinne von „idenler 
ein — — der Aufklitrun — —— aus 
——— * Inhalt der Abhandlung, schan 


herausgetroton 
109] Aeeführiicher ist dies Mensohhoitsidenl entwickelt 
dan Tdten zu einem — die Grenzen der Wirkaamkait 


der deutschen Vorzeit” zu erscheinen: 
'atz schrieb alne „Doutscho S 
— 1770) und „ die deutsche ‚Sprache ‚fend“ 
alt. 17211770); el Hanmer, Geschichte der germnniachen 


az, „106. 
Grnters und Böckhs ragen, al Mnraeiehen Di 
in 1701 


I ———— der Kunst des Altertums 8. 39 Lessing, 

{TA} Johann Jakob Beuover wird kurs gowiindigt wor 
Y Hering, in der Allgemeinen dettschen Biographie 9207. 
‚Gemeint ist wohl saina Hixtoria eritica philosophiae a 


en ad nostram usque aetatem. dedueta (leipzig 


Ein So fssolt uns in dem Altertum vor allem die 
[Che immer mit dem Leben eines Menschen dahin 


‚Grösse, 
ist, die Blüte der Phantasie, dia Tiefe des Geistes, die Stärke 
‚des Willens, die Einheit des ganzen Wesens, walche allein dem 
"Menschen wahren Wert giebt“ Ideen zu einem Versuch 8. 7. 
225] Ausführlioher spricht Humholdt von der Sklaverei 
in den Ideen zu einem Versuch 8. 25. 
jwio fehlerhaft sein, dann an 


u Fam 
330 
steht bei 


philosoi — en etwas 
Herbst 1793 brachte die Be- 


rege 
wechsel über den Begriff der Schönheit eröffnet wurde. 





künftig einmal ) 

delten Humboldts nuch Jena über; Schiller hatte den 
Wunseh eines ununterbrochenen Idsennustauschs 
Humboldt im vergangenen Sommer ; 


Winter 1794/95 die beiden naturphilosophischen Auf« 


sütze „Über den Geschlechtsunterschied“ und 
männliche und weibliche Porm“, in densn Humboldt 
Lieblingsgedanken schon seiner früheren Jahre?) in 
streng philosophischer Form ins —— zu erheben 
versuchte. Dazwischen brachten die 

der Wolfschen Proles 

von Seiten der Griechen. woron 

Leiden von Humboldts Mutter, die langsam 
entgegensiechte, machten den schönen Jenaer Tagen zu 
früh ein Eude durch einen anfangs nur auf wenige 
Wochen geplanten, dann 6 über. fünf Vierteljahre 


in Berlin und agel, wohin man im Juli 1796. 


J AR — Werke 
* 3 Humboldt an Karol aroline von Wolzogen 1. Bar 1708 


—— in den Ideen zu 





xxv 


übersiedelte. Hier in der winterlichen Einsamkeit 
seines Landsitzes wante sich Humboldt Ausgang des 
Jahres wiederum energischer antiken Studien zu. Den 


Körner 
1. August 1795 folgendermassen; „Allerdings habe ich 
manches aus den Griechen, das ich für die Horen be- 
arbeiten könnte. Aber teils ist es eine Grille von mir 
höchst ungern etwas über die Griechen zu schreiben, 
Sie eind mir zu heilig, um sie anders als mit einer 


von ihnen reden zu dürfen. Ich habe gewisse 

mit ihnen, die aber freilich eben wagen ihrar 
vielleicht ewig Plane bleiben. Aber ich habe 

sie einmal und, ehe nicht das Studium, das dazu ar 
fodert wird, vollendet, ‚ehe nicht bei mir selbst danach 
das Bild des Ganzen entworfen ist, schene ich mich 
das Einzelne zu berühren. Wer von den Griechen 
sprieht, versündigt sich leicht an der Vorwelt oder 
der Nachwelt und, wem die Menschheit heilig ist, soll 
rlıaupt mit 

Ich gehe 


—— halte ich 
selten etwas 


Wichtigkeit. Th 
überhaupt, doch di 
Denken durüber, v 





Da ich jetzt fast sümmtliche 

als einmal und mit grosser Sorgfalt gelesen, x wurde 
ich dndurch anf diese Idee geführt); ähnlich am 
9. Novembor an Wolf: „Es ist mir noch immer ein ange- 


Unter Schillers mahnenden 

sind seine Briefe an Fiumboldt aus dieser Zatt nieht 
orhalten) kam dieser Plan sehr bald zu deutlichsrer 
Ausgestaltung. Bereits am 23. November entwickelt: 
ihn Humboldt brieflich Kömer: „Sie wissen, dam ich 
mich schon sehr lange mit den Griechen 
Sie wissen freilich auch, dass ich eine — 
hatte von diesen Beschilftigungen öffentlichen Gebrauch 
2 chen; aber ungeachtet ich hierüber auch jetzt 

N ike, ‚als ich Ihnen = einigen Wochen 


Ansichten üiber Ästhetik und Literatur 5. 45. 
a Briefwechsel? 8 . 201. 
3) Gesammelte Werke 5,14 





————— 


une ‚Ermunterungen mich anders bestimmt, 

denke nämlich eine Charakteristik dos griechischen 
Geistes zu entwerfen. Dies wäre die Idee des Ganzen; 
fürs erste würde. ich mich nun bloss auf den Dichter- 
‚geist beschränken. Zweitens würde ich den Gegenstand 
mehr ästhetisch als historisch behandeln. Es ist näm- 
ich nicht meine Absicht eine Geschichte der griechi- 
‚schen Dichtkunst zu entwarfen, in die ich jeden ver- 
schiedenen Zug der griechischen Dichter samıneln, 
ordnen und die griechische Poesie von ihren Anfängen 
bis zu ihrem Verfall schildern müsste. Aber trotz der 
‚Verschiedenheiten der griechischen Dichter, ungeachtet 
dessen, dass der Name Griechen ein Kollektivum ist, 
in dem höchst verschiedene Individualitäten verbunden 
sind, giebt es doch in allen griechischen Dichteru 
einen unverkennbaren Geist, durch den sie alle einan- 
—F — sind, denselben Geist, den wir meinen, wenn 

‘vom. griechischen Geist schlechtweg. reden, wenn 
* die Griechen mit den Römern oder die Alten mit 
den Neueren vergleichen. Dieser eigentlich ist es, den 
ich zu schildern gedenke. Alles dagegen, was diesen 
nicht atmet oder wenigstens für ihn gleichgültig. ist 
und ibm nur schwach verrät, übergehe ich ganz, stelle 
zuerst dasjenige hin, was ganz von ihm durchdrungen 
ist, und knüpfe an diese Hauptfigur nun das Übrige 
an. Hier erwähne ich allerdings dann auch die Ver- 

i nicht sowohl um 


— sentanten nonnt Mlumboldt such am 
ei am erschischen Chamnkter 





ist, wie Sie es selbst bestimmen, eine Charakteristik 
des griechischen Geistes. Es ist so der wichtigste Teil 
des Werkes, was ich mir einmal zu liefem vorgesetzt 
hatte: eine mit ausführlichen historischen Beweisen 
belegte Schilderung des griechischen Charakters. Den 
griechischen Geist überhaupt aber zu charakterisieren 
ist ein Gegenstand von sehr grossem Umfang. Um 
mich also nicht gleich in ein zu grosses Ganzes 

verirren, nehme ich bloss für jetzt den dichterischen 


s in einem Aufsatz zu schildern, ohne ent- 
und unvollständig oder zu abstrakt 
rdon. Es würde mir damit wie mit 





XIX 


‚sollen. Auch müsste ich, wenn ich nun nach jenem 
Aufsatz an das Einzelne gehen wollte, mich nur wieder- 
holen und würde in der ersten Abhandlung fast gar 
keine Beispiele bringen können, ohne der Allgemein- 
heit zu schaden. Ich denke also von dem Besondern 

‚, zuerst bloss beschreibend zu Werke zu 


bukolischen, die tragische, komische und Iyrische im 
weitesten Verstande. Am zweckmässigsten würde man, 
glaube ich, mit der epischen anfangen, auf diese die 
Iyrische folgen lassen und mit der dramatischen den 
Beschluss machen. Denn wie Sie mir hoffentlich bei- 
stimmen werden, ist die Haupttendenz der echt grie- 
hischen Stimmung episch und die griechische drama- 
tische Poesie eine sogar nicht immer sehr künstliche 
Zusammensetzung der epischen mit der lyrischen. 
Dennoch will ich mit der Iyrischen den Anfang machen. 
Mein nächster Grund ist hier bloss der, dass von Homer, 
der die Epopöe doch fast allein ausmacht, schon gerade 
jetzt 50 viel gesprochen ist und dass ich meinem Auf- 
satz tiber die minder bekannten Iyrischen Dichter schon 
von selbst mehr Interesse geben kann, Auch habe 
ich in ihnen mehr vorgear An sich aber ist es 
auch nicht übel die griechische Iadiy ät an ihnen 
epischen erscheint 

vesie In 80 ga- 





xxx 


drei Aufsätze teilen? Hätte ich erst einen oder ein 
Paar solcher Aufsätze fertig, so könnten sie einzeln 
für die Horen dienen. Was aber das Ganze betrifft, 
so werden mir die einzelnen Bearbeitungen selbst besser 
die Art in die Hand geben, wie ich diese zusammen- 
ordnen kann. Jetzt habe ich angefangen an den Pindar 
Hand anzulegen, der die Grundlage ausmachen soll. 
Indess werde ich zugleich die Chöre vormehmen, um 
zu sehen, ob diese sich besser dazu schicken. Sie 
sehen, dass ich nun eile mich an eine bestimmte und 
kleinere Arbeit zu binden. Iclı kenne mich, wie leicht 
ich mich durch grössere Plane zerstreue Bin ich aber 
mit dieser Arbeit arst im Gange, so entwerfe ich doch 
vielleicht einen Plan des Ganzen, mich zu leiten und 
ihn Ihnen mitzuteilen. Bei den einzelnen Aufsätzen 
denke ich historische Details, die nicht ganz bekannt 
sind und zur Sache dienen, nicht zurückzuweisen. Tch 
denke immer, die Klarheit gewinnt, wenn ieh der Wirk · 
lichkeit oder der Tatsache nahe bleibe. Ich bitte Sie 
jetzt recht sehr um Ihre Meinung über diesen Plan. 
Ich könnte ihn sehr leicht umändern, wenn Sie es 
für nötig fünden; denn da ich «doch einmal das ganze 
Feld bearbeiten will, so ist nichts verloren und was 
die Dichter betrifft, so bin ich in jede Gattung gut 
genug eingelesen. Dass ich zugleich die lateinischen 
und neueren Hauptdichter derselben Gattung für mich 
studiere und als durch den Kontrast oder die Älmlich- 
keit erläuternd manchmal gebrauche, versteht sich von 
selbst. Die Hauptschwierigkeit ist unstreitig die philo- 
sophische Theorie der Dichtungswerke, die zur Witrdi- 
individuellen vorausgesetzt werden muss und 

den Köpfen der Leser noch in einzelnen 





XXXI 


lieber Freund, dass ich mit Eifer und Wärme ans Werk 
gehe. Auch am Ausharren soll es nicht liegen. 
das Übrige mögen dann günstige Götter walten und 
vor allen Dingen Ihre Teilnahme, die oine ganz eigene 
Kraft für mich besitzt“}). Am 4. Dezember meldet 
‚er Schiller weiter: „Ich suche mich immer mehr in 
meine naue Arbeit hinainzudenken, die mich mit jedem 
Tage mehr interossiert, und die nächste Vorarbeit dazu, 
die mich jetzt beschäftigt, das bloss rmhige Lesen 
einiger Iyrischen Stücke, bei denen ich allein auf den 
Geist und die Manier des Dichters und auf die Wirkung 
des Produkts achte und mich von allem Wuste der 
‚Sprach- und Altertumsgelehrsamkeit, mit denen man 
eich bei dom ersten Studieron eines alten Schriftstellers 
doch immer herumzuschlagen hat, losmache, gewälrt 
mir einen grossen Genuss. Freilich fühle ich auch bei 
jedem Schritt, den ich weiter vorwärts tue, die 
‚Schwierigkeiten lebhafter. Abor os lässt sich je vieles 
überwinden und man leistet wonigstens, soviel man 
vermag“*), Schillers Teilnahme blieb der Arbeit des 
Freundes stats im regsten Masse erhalten und zeigte 
sich auch in amusführlichen kläronden oder wider- 
eprechenden Bemerkungen; ein Brief vom 7. Dezember, 
der sich erhalten hat, empfiehlt Humboldt ein nenes 
‚Einteilungsprinzip seines reichen Stoffas, die Hauptzüge 
des griechischen Charakters einzoin zu entwickeln und 
bei jedem allemal die ganz u durchmustern, 
dem dieser aber keine Folge. er 

So entstand denn um die N 
wie es Humboldts Art entsprach, mi 
rasch hingeworfen, die Charakter 





—— 
‚schreibt er am 14. Dezember an Schiller, 
derung Pindars 


ins Stocken geraten. Am 5, Januar 1706 schreibt er 
an Wolf: „Ich hatte mir vorgesetzt, «la ich jetzt mit 
———— 
machen mir den Charakter der 

zum Thema Ge Anhand 
machen. Um das. Feld zu verengern, hatte ch mich. 
auf die Iyrische beschränkt 


Gunze zu — vor und ich werde an 
erst fürs Ganze genauer denken und Sie 


godoutete: 

Falle. „Sie 

Humboldt am 3, Mni an ‚Körner, „einen #0 gütigen 

Anteil an meinem Plan fiber die Griechen und, wenn 

noch etwas aus der Sache wird, hofle ich Ihre 7 

zu benutzen. Allein Een habe ich sie, wenigstens 

Art aufgogebon. 
tiefer hineinzugehen anfing und die Menge 

iborschlug, fand ich, dass i 


Briefwechsel® 8. 250, 
2) Gesammelte Werke 5,161. 





————— 


dass jch in den nächsten Jahren nicht einmal einen 
fosten Aufenthalt, viel weniger die Nähe einer guten 
Bibliothek haben würde. Es würde daher eine sehr 
unterbrochene und unvellkommene Arbeit geworden 
sein, in der ein Andrer mit den nötigen Hülfsmitteln 
versehener mit der Hälfte der Zeit und Mühe das Dop- 
pelte geleistet haben würde. Indass hat mich dies 
Mokpeschrenkt Die Haspiscten den prichiocken Oh 

. Die ten des griec) ” 
rakters aus einigen — Hauptfaotis herzulsiten 
habe ich immer noch grosse Lust. Nur ist dies ge- 
rade, da es das Resultat jener ganzen grossen Arbeit 
sein müsste, auch doppelt schwer, wenn man sich jener 
überheben will“'), Die Charakteristik Pindars blieb 
unfertig und unyeröffentlicht liegen; auf den Gedanken 
den griechischen Dichtercharakter in derartigen Binzel- 
studien darzustellen ist Humboldt nie wieder zurück- 

* 

‚Humboldts Bemühungen um Pindar, vor allem 
seine Übersetzungen vieler Pindarischer Gedichte, die 
von ungelenken Versuchen zu immer vollendeteren 
Leistungen fortschreiten, in deren Ausfeilung er sich 
kaum je genug tun konnte und von denen die meisten 
erst nach seinem Tode aus den Handschriften veröffent- 
licht wurden®), haben bis heute von Seiten ‚der fach 
männischen klassischen Philologie 
bührende Beachtung gefuni 


» Ansichten übar Ästhetik und. 5 
2) Vel.im — noch Sohl 
Humboldt solb 
zweite olympische sep art (Ben 
in Gontzons Nouor 
hische in Sol 
‚Musonal 





— 
und Würdigung Pindare bei Christ, Geschichte der 
‚griechischen Lätteratur® 8. 141. — 

Leider ist das erhaltene "Manuskript defekt: os 
fehlt das Stück zwischen $ 35 und 40 und damit der 
Eingang des dritten philosophischen Teils der Abhund- 
lung sowie der Schluss des Ganzen von $ 55 an; 
beidemal handelt es sich um die innere ‚eines 


worden und sind vielleieht bei der! Togels 
durch die Franzosen im Jahre 1806 mit abhanden ge- 
kommen*) Die Anmerkungen, nur Zitate und en 
gelehrte Nachweise enthaltend, sind im Abdruck fort- 
gelassen. 


Anmerkungen zum Texte. 


395] „Humboldt meint, die Dorier hätten viel 
kolt mit den Hebriern!! So ar ** ihr IE 
mit schreibt Friedrich Schloge) 


— — 


die Erwähnung im Suldas davon vor und ınag denn dar 
ebango attisch gewesen sein und in Benarlen, als die 
der attigchen Dichter dorisch sind? Ich kann mir eine 
Gewantheit ın zwei verschiedenen Dinlokten und 

ıt in —— aber eh 

ner und na iger im 
Hambeldt an alt 5. Tanaar 1790 —— 
4520] Von der 





ver ihn (den — uren mehrere 
= 


iche zu den —— der Grösse 
rhanpt — stimmen, welche die Feier einen 
— — forderte‘‘ Gesammelte Warke 2, 2,330. 


en „Der junge Apollon an der Saite des Chiron ist 
eine übarauk schöne und vielleicht in der ganzen griechischen 
‚Dichterwelt einzige Gestalt" Gesammelta Warke 2,320. 
‚4916| Ausführlich handelt Humboldt von den Episoden 
Pindar in seiner Vorbemerkung zur vierten piythischen 
Ite Werke 2,297). 
iso] „Ms ist nicht Seine Absicht in dem Gemilte des 
Hörers durch ein ‚durchgeführtes Thema ein bestimmtes Gefühl 
zu machen“ Gesammelte Werke 2,330. 
528] Vel. Gesammelte Werke 2.330. 
531] „Eine solche musikalische Einheit aber ist in allen 
Pindarisc ‚en Hymnen und offenbart sich sehr deutlich iu deu 
nen Stimmungen, welche jeda einzalne hervorbringt. 
Ball schreitet ein nbgemaisaner und volltönender Rhythms 
eig al, Kl hr on ——— 
liger dahin, ırt ein rauherer und mel 
= irnst des Schicksals und die Mucht der 
Gi in FR aa warnonden Sprüchen vor das bewegte 
‚Gemiit, bald endlich reisst ein rascher und feuriger es in 
‚einem leichteren und minder gehemmten Schwunge mit sich 
Tori" Gesammelte Werke 2,531. 
541g] Vgl. Humboldt an Wolf Gesammelte Werke 5,159. 


II. Die Betrachtungen über die Weltgeschichte, 


‚scheinlichkeit behaupten, dass i 
‘vor die Übersiedelung ts 
Gesammtcharakter —* 
in der Führung d 

wann auch ein 


ser Richtung hin 
o* 





hinzu: vor a 
„woyn“ eintritt, 
Worte. Auch innerlich kennzeichnet sich a Ein 
deutlich als ein Jugendontwurf. Zweifelhaft kann 
ob er vor oder nach ee 
ordnen ist: io solbst habe geschwankt und in intimem 
mehrjährigen Zusammenleben mit diesen Betrachtungen 
sie mir bald in den Burgörnerschen Winter eh 
bald mit derselben Gewissheit des Geftihls in dem 
Togelschen 1795/96, bald in den Jennischen 1796/97 
verlegt. So ist denn die schliessliche 
nach dem Pindaraufsatz doch im Grunde willkürlich: 
mir schien #8 passender die beiden antiken Aufsätze 
bei einander zu lassen, da denn doch einmal keine 
Sicherheit zu gewinnen war. Für eine sichere An- 
knüpfung der Betrachtungen an aonst, bekannte Arbeiten. 
und Studien Humbaldts in den in Betracht kommen- 
den Jahren ist, wie schon bemerkt, kein 
vorhauden, man müsste denn au den Plan einer 
der Bildung anknüpfen wollen, den er in einem Briefe 
au Körner vom 19. November 1798 ausführlich ent- 
wickelt %); doch lassen sich hier nur unsichere Fäden 
spinnen. Dass manche der hier vorgetragenen Ge- 
danken bleibende Gmundanschanungen Humboldts über 
geschichtliches und individuelles Leben gewesen sind, 
erweisen die mannigfachen Anklänge an uns Ba 
trachtungen, die wir in der Abhandlung „Über die 
Aufgabe das Geschichtsschreibers“ und in den 
allgemein einleitenden 


1) Ansiohten über Ästhotik und Litteratur S. fl. 





Xxvu 


änden?); überall ist dabei Steinthals vortrefMlicher Kom- 
mantar heranzuziehen. 


in zum Texte, 
357] Gemeint ist Kauts Abhandlung „Idee zu einer 
— Be im ——— aa vom Jahre 
BR licht daran die Gesotze auszuspähen, 
das ewige Schicksal . . . . die Menschen in ewig 

den Kreisen oder einem grossen 

Haven ‚Ziele zu (denn welcher Philosoph oder Qoschichtsforscher 
bat dies je nur mit irgend einem Grade von Wahrscheinlichkeit 
Ion?) führt‘ heisst es in dem oben erwähnten Brief 
net CAnsahlen über Ästhetik und Litteratur 8.9); wel. 


auch 11 
Ei ‚Sans der gleiche Gedauke Andet sich Gesammelte 
Werke 1, 
Bu] Val! Ocammelte Werke ga 
ee ur 
und Zivilisation der Punkt der bi Vervollkommaung der 
lemisiert Humboldt ausführlich Gesammelte 
One] ie ch ——— Humboldts 
15] Hier ist eine Grundü ig Humboldt ausge- 
Sursehen, de ai Ihm m Schr —— — 
'h verweise nar auf 11417 Ton: — 
Werke 1,10. * Di iR 17; Briefwechsel mit Schiller? 9, 179; 
Ansichten {il jetik und Litteratur 8, 12. 90. 41; Briefe an 
ae 


&lio] Val. Gesammelte Werke 031. 

[22 stelle man die ausführliche Analyse des 
Eanzdeinchen ———— EN die ae in 
ein iefe an Jacobi rom 2b. Oktobe ler 

mp Bi, 


in Hun- 
icht ein Gott 
gabe); ähnlich. 


ddreve 
Ken Ähnlich rei ho Geschichts- 
betrachtung an in A Werken 1,13. 6,0. 


2) Gesammelte Werke el. auch im allgemeinen 





IV. Der Aufsatz über das Saguntiner Theater. 


Im November 1797 langten Humboldis zu malır- 
hrigemm Aufenthalt in Paris an. | Von rt anf hatte 


im reichsten Mass Gewährung aller 
ein vieljähriger Aufenthalt in Fraukneich, Span 
lien. Schwer war Humboldt der Absohied von | 
yon Seile und dem Ähm Jets anc fang 
Gootho geworden; seine innerste Soalo war mit dem, 
was jene Männer waren und lebten, untrennbar ver- 
kuüpft; mit ihnon vorband or in Gedanken alles, was 
er usues salı und erfuhr; sie gewissermassen — 
Teilnehmer seiner Reisen zu betrachten erschien 
ein selbstverständlicher Gedanke. So — 3 
zwischen Paris und Thüringen bald ein idaanrwicher 
Briefwechsel. Humboldt selbst ward es in der Fülle 
der fimmden Eindrücke und der dadurch angeregten 
Grdanken mehr und mehr zum Bediirfniss ER 
‚Gebiete Tremden 'Volkstums, einzelne landschaftliche 
oder künstlerische Bilder in geschmackvoll abhandeln- 
der Form, verwabt mit den gedanklichen 
seiner Art die Dinge anzuschen und einzuordnen, zu 
schildern. Der Adrossat dieser kleinen Aufsätze ist 
Goethe; mit ihm hatte er sich bei der Ausarbeitung 
seines Buches über Hermann und Dorothea in den 
ersten Pariser Monaten eingehend und allseitig be 
schäftigt, auf ihn als einen alles Menschliche mit uni- 
verseller Liebe umfassenden Mittelpunkt bezieht er in 
erstar Linie, was er zu schildern sich vormimmt. 80 
entstehen im Jalre 1798 und 1799 in Paris die bei- 
den Aufsätze über das Mnscum der kleinen Augustiner 2) 
über die französische tragische Bühne*). 
twachsel mit Goethe 8. 87. De ee 


ı 5. 18% Anm. nachgewiesen. 
ioethe 8. 87. 15% Er an Wolt 





besonders des geistigen Zustandes der Spanier 
gab es nicht!); bald musste also Humboldt der Ge- 
danke nahe treten seine reichen Erfahrungen und Ei- 


Ein Aufsatz über den Montserrat bei Barcolona, an 
‚Goethe gerichtet, entstand im Sommer 1800 nach dor 
Rückkehr nach Paris und erschien auf Goothes Ver- 
anlassung, da die Propyläen, in denen die Briefe über 
dio französische tragische Bühne seinerzeit erschienen 
waren, inzwischen wegen mangelhafter Beteiligung des 
Publikums eingegangen waren, im Jahre 1803 in 
Gasparis und Bertuchs Allgemeinen geographischen 
Ephemeriden #). 

Der Schluss dieses Aufsatzos lautet: „Ich schliosse 
für heute, mein Lieber. In meinem nächsten Briefe 
erhalten Sio eins Beschreibung berbleibsel des 
"Theators von Murviedro Itan Supunt, das man 


1) VgLdi J el 
in derzeit — 


mit Gosthe & 189. 170; 
leis 15,09. 103. 147; 





XL 


vor #iner von einem Bewohner 

‚schriebenen Abhandlung, aus der i 
zug mitteilen werde, mur ans 

vollständigen Nachrichten 


geht ausser den oben erwähnten Worten auch deutlich 
aus den Anrodestellen des Aufsatzes selbst, | 

aus der Stelle 70, hervor, wo Goethes 

Sizilien erwähnt wird®). Zweifelhaft bleibt es, ob die 
Abhandlung wirklich — ——— 
Hände kam; einen Beweis für diesen | 

ich nicht erbringen, zumal weder in Goctles KR 
spondenz noch auch iu den Beständen des Goethu- 


zu stammen, wo Humboldt wohl während der Var- 
arbeiten zu seinem Buche über die Urbewohner Spa- 
niens vorübergehend an eine Publikation der Arbeit 
dachte. Das erste Manuskript enthält sine grosse Zahl 
von Anmerkungen, meist gelehrte Nachweise und Zitate, 
such hie und da philologisch-archäologische Polemik 
dieselben sind hier fortgelassen, wie auch 

der von Humboldt autorisierten Abschrift go- 





XL 


echehen ist: Die S12, erwähnte Zeichnung des Sa- 
‚guntiner Theaters ist nicht: mehr vorhanden. 


Anmerkungen zum Texte. 
899] „Angulus muri erat in, Hlaniorem Petentioremgue 
quam cetera circa vallem vergens“ 
6923] Die Angabe entstammt —— Buche nOdser- 
—— sobre el reyno de Valencia‘, 
—— —* Gedanken spricht Goetho mehrfach aus. 
Sekten Taormins sort er: „Wenn man die Höhe der 
he uufern dos Meorstrandes in 


. Was dies 
haben mag, die Kunst hi 


Bee bände 


— 


io die 


Neu 


— eomvenisse, ut 


qua aliquid fabr- 


Ten © 
6, 


20] nIva nm * 
— 





patent 
Ovid, Metamorphosen, 
—— 


V. Die beiden Abhandlungen der römischen Zeit. 


Ttalicn zu schen, eine Zeitlang uuf klassischem 
inmittelbarem tüglichem Verkehr mit den 





XLIH 


50 hatten die ungünstigen politischen Um- 

Ahn an der Ausführung gehindert; da bracht 

das Frühjahr 1802 ihm in unerwartetar Form die Er- 
füllung der lange gehegten Wünsche: er wurde an 


Scchs volle Jahre, bie zum Herbst 
1808 dauerte dieser unendlich glliekliche römische 
Aufenthalt, in vieler Beziehung die genussreichste Zeit 
seines Lebeus, zweifsllos diejenige Periode, in der sein 
innorog geistiges Dasein in abgeklärtester Form sieh 
wusleben konnte. Bezeichnend für die Chundstimmung. 
der römischen ‚Jahre ist, was or am 29, Soptember 1804 
au Wolf schmibt; „Ich glaube wirklich, man geniesst 
das Leben nur hier. Der Genuss wird hier ein frucht- 
bares Geschäft und erweckt eine Art von Verachtung 
gegen die Tätigkeit . . . Was giebt as auch eigent- 
Jich Höheres als sich und die Natur, die Vergangen- 
heit und die Gegenwart geniessen? Nur wenn man 
das tut, lebt man für sich und für etwas Wahres. 
Alles Übrige ist ein Treiben und Jagen, bei dem man 
wenigstens nie zurückblicken muss#);“ In unendlichen 
Variationen spricht er sich brieflich über Gehalt und 
Wesen seiner ıömischen Existenz aus, am eingehend» 
sten und grossartigsten in einer längeren Stelle eines 
Briefes an Goethe aus Marino vom 23. August 1804, 
die dadurch allgemeiner bekannt geworden ist, dass 
Goethe sie fast, wörtlich unmittelbar in seine Schil- 
derung Winckolmanns aufnahm 6). 


1) Vgl. Briefwechsel mit Schiller" 8, 1, ar au; 
Briofwecheel mit Go Anziehen über Asiheik nd 
. 70; Bri Gosummelte Werks 


'n zur branden- 
und. 2 und Wilhelm 
von Humboldt 


‚ als Su 
2 ıhagen, 'hriften® 2,241, 
Vgl. Karoline von Be Litterarischer Nachlasst 





den idenlen Wort dos Altertums für uns, immer innig 
gepflegt und doch nie voelt ausgetrugen, aufs neue 
und diesmal nachhaltig in Fluss. „Mon aetinite 


sentir ensuite plus. dögage 

Ja die strömende Überfülle der Gedanken 

Arangta sogar zu poetischer Gestaltung und ws aut 
standen in den ersten Monaten des Jahres 1806 die 
der alten treuen Jugendfreundin Karoline von Ne 
gewidmeten Stanzen „Rom“, tiber deren Schwächen als 
Gedicht Humboldt selbst der strengsto Richter 
deren Gedankengvhalt jedoch einen 

zu bewundernden Bau darstellt. Im ee —— 


34; Diifwechsel mit Gosle 8. 916 (Gcothen, Werke 40,07 
Weimarische Ausgabe); im allgemeinen Hayın 8. 

1) Vgl. Letires & Schweighäuser 8. 9. 103, 121; Brief- 

8, 186; Goethejahrbuch er — 


4. Fehrust 180% bestätigen dies. 
2) Leitres 8. 110. 
® Val, sein Urteil in Karoline von Wol 
rischem ıchlass® 3,10. LISTE 
Lettre ern nd 121. 18: I 1 
& user 5. 1 
168. In⸗ Riemer, Briefe von und au © 





Pocmat) machte nun Humboldt auch wieder einen Ver- 
such seine Anschauung vom Altertum in einen pro- 
seischen Abhandlung auscinandorzusotzen: os sind 
das die uns unter dem Namen „Hellus und Rom“ 
ochaltenen Betrachtungen, die demnach in. den Sommer 
oder Hurbst 1806 gehören. Am 6. September dieses 
Jahres echreibt er an Schweighäuser: „Cette porsie a 
ee pour comsÖquenee de me parter ü 
ATart et aux antiquitis, Je m’en oceı 
fagons et autant que cela m’est possible; et je me 
emvaines de plus en plus, que dans ce domaine tant 
erploiti on peut reneontrer bien des apergus nouveanz, 
ZU doit .y avoir speeialement beaueoup d’ötudes attray- 
anles & faire sur les simililudes et sur les dissem- 
blances dw genie gree et du gönie romain, sur leur 
‚provenance respechive, sur leur influence distinete 
dans le döveloppement ultörieur de la eiwilisation" ?). 
Ant diesen selben Aufsatz beziehe ich auch die Stelle 
in dem Briefe an Schweighäuser vom 6. April 1808: 
zu ya longtemps, que je möditais les idees, qui somt 
— de ma Rome, et jarais eommened ü les 
developper en prose. ‚Je tiens pour exacte et juste 
Bauer je die de Pacetion de la Gröce sur Rome et 
aotion respeotive sur les temps modernes et 
sur Ta eultwe de Uhumanite“*), Yaidır sind die 
jgen Fragment gehlieben. Den Schlnss der- 
selben kildet, was im Hinblick auf Humboldts Alters- 


hauptung, „que 
rnit une 





arbeiten basonders Intervasiart und — 


— 


vergleichen, die Haym*) übersichtlich 
‚hat; man wird hier die Hauptidoen zu dem schon da- 
mals geplanten Werke fiber die — Sprach« 
studiums?), das nicht ausgeführt wurde, wiedererken- 
nen dürfen, 

Seit dem Harbst 1906 bereits suchte Humboldt 
m war ausgebreitete, aber, wie er selbst üfters rilgt, 

loch einigermassen einseitige Kenntniss der alten Lit- 
—* dureh eingehende Lektüre soleher Schriftsteller 
zu vervollständigen, die bisher noch kaum in seinen 
Gesichtskreis getreten waren, ihm jedoch jetzt mancher 
lei Ankmüpfungspunkte auch von antiquarischer Seite 
her boten: Diodor, Dionysius von Halikarnass, 
niag®). Daneben trat im Sommer 1807 ein mens 
hellleuchtendos Gestim, das ihm ebenfalls bis dahin 
noch ziemlich unbekannt gewesen war: Demostlenos, 
dessen Lektüre ihn in helle Begei versetzte 
und sein — Interesse für diese Periode des 


er 


= We "Zen kan — der Finn von nenom auf: Y; 
‚Goethe 8. 244. 247; Ansichton über Ästhetik und 


Val. Kir a ‚Sohueigkäuser 3, 130. An Walt 
mber sitzo. tiefor 

er ee 

Sp aufgegeben. er so lange, — 


Taf ale .""Ioh bouohiftige mich jetz seit mehreren Woohen 
mit gronsen 6 Genuss ES ——— (ungedruckt). 





KXLVIT 


der griechischen Freiheit und Seltetündig- 
and die, in ihr auftretende eigenartige griechische 
erwecktet), 


‚es, que Tai uniquement 
loute Vhistoire de son &poque, quanenn 
in na euposce intigralement 
nd de rgna da Pike 
mengant au ne rögne 
— de Chsronke, est une des 
et des plus remarquables de — groeque. Je 
done exactement note pour mon usage parli- 
Tale adrigum rl Dar Dinvalkenet 
las 


— NE Ze — ‚Schteighäuser 8. 130. 148. 140. Ein 
ae nu (vel. Gosammelte 
are —— ** — nur Plan. 





tr6) constitwe un point central historique pour Ta dif- 
fusion de tout cr qui est chez nous le cötd ewti- 
rieur de la civilisation: ligislation, organisation 
politigue, religion etc, la chute des republiques 


Post ii 
ie ders 





lorsque Uhumanitö veprendra sans 
‚obslacle sa marche progressive. Vous me dires, mon 
‚cher ami, que c'est Forupre d'une vie entiöre; aussi 
Fre de ner, me er sera nennt ma 
joie de —— ——— ouerage. Je 
suis #galement decid@ d ne travailler pour ls moment 
ed jusquWau jour de son impression quü une partie 
diterminde de ma tüche. Je divise Pepoque de deca- 
——— iodes; celle de Philippe et d Alexandre, 

'a decadence dw commencement du rögne 
de 3 des, göniraur d’ Alexandre, enfin 
‚periode romaine jusqwü la reduction de WAchaie en 
‚provinee. Je me borne actuellement 4 mettre la dar- 


Bo de longue — Ne souries pas, tres cher 
ami, du myslöre, que je füis de mon projet. En ve 


— le silence. En premier View il a dt si sou- 

went question de moi & propos de travaı commen- 
eis, que je ne veux pas domner oecasion d’en anugmen- 
ter la liste; en second lieu, eb ici le mohf ne döpend 
‚plus uniquement de moi, mon sujet a, sans quil y 
ait de mon fait, une certaine analogie avec les temps 
presents. Or des gens, qui n’ont wien de mienz d 
faire, donneraient ü entondre, que je Tai choisi ü 
cause de cela, Si le livre parait, il se döfendra 





u | 
J——— 


begonnene Anfgabe im Hinblick anf die ähnlichen 

schicke Preussens und Deutschlands und unter dem 
bittern Eindruck der Tags von Jena und Tilsit noch 
besonders ans Hera wuchs, wie er hier dem Freunde 
vortrnut, beweist das orhalteno Stück dos Aufsatzes an 
mehreren Stellen selbst (1556. 1582. 170g). Wie 


1) Lottres 8, 146, 





mütigen Verlassen des römischen Bodens!) und dem 
Eintritt in das aun folgende Jahrzehnt einer ange- 
stiengten und sewensreichen politischen Tätigkeit 
‚schwindet Lust und Musse den so grausam abgerissenen 
Faden wieder anzuknüpfen und weiterzuspinnen. Hum- 
boldt ist nie wieder zu diesem Thema zurückgekommen, 
Und wenn eı auch, wie Haym so schön geengt hat?), 
den Kem dieses seines hier unter dem Siegel des 
tiefsten Gelheimnisses seinem jungen Freunde unvar- 
trauten Plans wenige Jahre danach vor den Augen 
allar Wolt, nicht in Buchform, sondern praktisch durch 
‚die Schöpfung der Berliner Universität verwirklicht hat, 
so müssen wir es doch aufs schmerzlichste beklagen, 
dnss auch diese reifste Arbeit über das klassische Altor- 
tum “in Torso geblieben ist, Nach Inhalt und Form 
schen wir in diesem herrlichen Fragment, dem klarsten 
Abglanz der Humboldtschen Individualität in Sprache 
und Ideengang, eine seiner allerbedeutendsten schrift- 
stellerlschen Leistungen, die niemand ohne tirfe Rüh- 
rung lesen wird. 


Anmerkungen zu don Toxton. 


Udır] Vgl. obon die Anmerkung zu 611. 
er Bun Val. die ähnliche Ausoinandersotzung Gesammelte 
orko 
114) Ein Lieblingsthoma Humboldte ans früherer Zeit: 
vgl. Ideen zu oinem Vorsuch 8, 26; Gesammelte Warko 1,911; 
die beiden Horenaufsützo Gesammelte Works 4,270. 1,215, 
12126) „So entstand dis ägyptische plastische Kunst, der 
'g dio menschliche Gostalt aus dom organischen Mittel- 
t ihrer Vorhältnisse horaus aufsubnuon und die dadurch 
—— Werken das Gopräge ochter Kunst aufdrückter‘ 
Gesummelte Werke 6,18. 
12535] Von soleben Anschanungen aus erklären sich 
Humoldtsche Aussprüche wie der bekannte von der Wirkung 
— oreos in dor Todosstunde —— Welekor 


ı) Vgl. besonders B an Weloker 8. 5. 
2) In den Gettingischen gelehrten — 1893 8.660. 





13221] Vgl. — 15815. „Das geheime Leben und die 


Be — 


ORAL yag oUHt Bin "Hguxifer ailye wägar Ts 


u. 
133%] Vgl. auch — ‚Schr chen diesen Go« 
danke 2 m — an eine Fa 2 vgl. 1,85. 144. 


3 
Re ee) arorras Ang, ür’ Av mr" daai hose pi iins 


Bun d hadon ir — — — 
Ar] m Zt ri zei * a 
—— 

137 arcortcag⸗ di nal — wol Dürr vambe zer 
14a ndvra ra mode Mor dr@gemuv addulnora, he 
mar wizge rönde row saıgam daulres“ Divdor D,1D, 

14410] Zu Humboldts, wie er salbst einmal &s 
— von der Ähnlichkeit der Griachen uud Pete? a atschen! vol. 

Briefwechsel mit Schiller® 8. 145 tt 
00: Briefe an Jacobi 5. dr —— 


Vgl. oben die Anmerkung zu 6118, 
1523] vol, ‚Gesammelte Werke 6,81. 
1065) Vgl. auch 6028. 
15018] Vel. oben die Annerkung zu 13221, 
1 ent Vgl. oben die Anmerkung zu 12922. 
1] „Hi enim pro nobis comi 
— qwid Tuendum esset, mumentüns Tlıebunis —* 
in angegebenen 
—* ade Henn Die Punk ds dAndüg 
— Di xai zrgorei war de Erg, 
end yadenn ———— Ei Or 


dern 4 
H area, mori op dygdrugar alldr, märrüs 
ae are a — — 
——* dgus algovnen a ai Arepydouodas mwölar“ 
Plötarel, Tysander. Kapitel: 15. 





LI 


— 

Hy sai dmopumönevos: . 

Kapyndöra a 75 yag, us 2 Üßgen mov Ijnor ögüw 
[2 


Zitat in den Ideen sa einem Versumh 8 4 
1803) ar ER düg ae n eur 
od tor dröfine dori 
Boom zer arrob din, Exbr Fe FR 73 — 
Ilias 3,03, 

1006] Humboldt meint, wohl die Stelle Pyrhia 4510; 
Brei 3°’ dumey weder” drapgraeov nad — ——8 
deeig iger mom, Kal may aeivus Arlas oomahrlee 
wow re aurodns dd yüz dad tu weedvm: hi ig due 

Tas Trevas. Ev JE zeöru merafloini Iikarcos — ——— 
Um 
re voor; danluhdar wögumyu 
— — Oeyiner, wie dv rue — — ————————— 
9° aleöe eds derür.“ In seiner vigonen Übersetzung Tautet 
die Stelle (Gesammelte Werke 2,821): 


dos Unglücks 
Eh, das Schae kuman © 


Ringt jetat, ein 
Dieser, von de Hoimat entfernt 
Und avinen Schützen Doch die Titanen 


r rc renden Krankheit 
in Haus zu schen, an Apollons 
Fe an fr — Mahleu 


or £ 
Verderben 
‚on keinem selbst os duldend..- 





ee inte 


Bruins 3,10 4, 
m Movanıs nal "Ya Hoyrect 
ee Bone — 


wohl sine nicht ganz klaro Erinnerung 
von 


” * 
* 


Es erübrigt noch ein Wort über die Provenienz 
der Aufsätze hinzuzuftigen. Die Handschriften, alle 
von Humboldts eigener Hand, befinden sich simmtlich 
in seinem handschriftlichen Nachlass im — Tegel, 
Der immer aufs neue bewährten Güte der Besitzerin, 
Frau Konstanze von Heinz, gebornen ron Bülow, 
oiner Enkelin Humboldts, vordanke ich die Erlaubniss 
zur Veröffentlichung. Ihr haben die Leser den Genuss 
zu danken, den sie bei der Lektüre diegar über aim 
Jahrhundert mit‘ pietätvoller Troue schliteten Schätze 
empfinden. Die hochharzige Liberalität, die mir Jahre- 
lang mit diesen Blättern gleichsam zu leben, sie nach 
frelar Lust un g wieder und wieder zur Hand 
zu nehmen verstattete, ist, mit Humboldt zu reden, 
wie alles, was des Dankos am meisten wert ist, aueh 
am meisten {ber den Dank, wenigstens über den g- 
sagten eıhaben. Möchte die treue begeisterte Hingebung, 
dis ich diesen herrlichen Blättern mit stets wachsender 

für di» Grösse des Geistes, der sich darin aus- 
idmet habe, in vielen Herzen einen, iinmer 
yeren Wiederhall wecken! 


Weimar, 6. Mai 1806. 
Albert Leitzmann. 





SECHS 


UNGEDRUCKTE AUFSÄTZE 


ÜBER 


DAS KLASSISCHE ALTERTUN 


WILHELM von HUMBOLDT. 


I. 


Ueber das Studium des Alterthums, 
und des Griechifchen insbejondre. 


1. 


Studium der Ueberreſte des Alterthums — Dit: 

teratur und Kunſtwerke — gewährt einen zwiefachen 
Nuzen, einen materialen und einen formalen. 

materialen, indem «3 andren Wiſſeuſchaften Stoff har- 

Bietet, ben fie bearbeiten. Infjofern tt daſſelbe, und find 


aljo die humaniſtiſchen Wiſſenſchaften Be OR 
von jenen, und wie wichtig Fe Augen mug, an ſich fein 
mag, fo ift ex ihnen eigentlich fremd, 


2. 

Der formale Nuzen lann wiederum zwiefach fein, ein⸗ 
mal infofern man bie Ueberreſte des Alierthums an fid) 
umb als Werke der Gattung, ‚zu ber fie gehören, betvadhtet, 
und alſo allein auf ſie jeldjt jieht; und zweitens indem 
man fie als Werle aus der Periode, aus welder fie 
ſtammen, betrachtet, und auf ‚ihre Urheber fieht.") Der erfte 
Nuzen it der öfthetifche; er ift überaus wichtig, aber 
nicht der Cinzige. Darin daf; man Ihn oft fiir den ein- 
gen gehalten Hat, liegt eine Quelle mehreren faljcher 
Beurtheilungen der Alte. 


Dieß unterjchelbe ich noch. 





Wilhelm von Humboldt. 


En 

Aus der Betrachtung Der Ueberrefie des Alterthums 
in Ratſicht auf ihre Urheber entjteht die Kenntnii 
der Alten ſelbſt, ober der Menjchbelt im Alteribum, 
Diefer Gefichtspuntt ift es, welcher allein in den folgenden 
Sägen anfgefaßt werben joll, IHeils jeiner Innern tige 
feit wegen, theils weil ex jeltmer genommen zu werden 
pilegt. 

4. 

Das Studium einer Nation gervähet ſchlechterdings 
alle blejenigen Vorthelle, welche le Geſchlchie — 
darbletet, indem dieſelbe durch Beiſplele vom 
und Begebenheiten die Menfchentemmmiß erweitert, ie 
Barrteilungskraft jhärft, den Charakter erhöht und ver⸗ 
beffert; aber 8 Aut och mehr. Indem e8 nirht fomohl 
dem Faden auf einander folgender Begebenheiten mach“ 
ſpürt, als vielmehr ben Zuftand umd die günzliche Lage 
der Nation zu erforjchen verjucht, Liefert es gleichſam eine 
Biographie derſelben 

5. 

Das Auszeichnende einer ſolchen Biographie it vor- 
jüglid) das, daß, Indem der game pafthäe, religtöfe und 
häusliche Juſtand ber Nation geicilbert wir, Ihr Che— 
rakter nad) allen feinen Seiten, und Im fetten 
ganzen Juſammenhange entwillelt, nicht bloß die 
gegenfeitigen Beziehungen der einzelnen Ehnrats 
terzüge umter einander, jondern auch ihre Nelas 
tionen zu den äußren Umſtänden, als Urſachen 
oder Folgen, einzeln unterjucht werden; und die 
Bortheife diefes Harakteriftifchen Kennzeichen eine® foldhen a 


ums verfolge ich hier allein, mit Nebergehung jener 
öfter beriheten 


6. 
Man pil hentenntnif nur zum Ungange mit 
e zu. halten, und man pflegte ce 





Über das Studium des Afterifums. 5 


Menſchenlenninl zu nennen, wenn man eine Menge 
einzeiner Menſchen beobachtet und dadurch eine Fertigteit 
erworben hat, aus ihren dußren Handlungen ihre imeven 
Abſichten zu errathen, und umgekehrt durch fünftlich ihnen 
‚gegebene Berveggründe fie zu Handlungen zu beftimmen, 
and in einem gewiſſen politiſchen Siune mag beides wahr 
fein. Allein tm vhiojophifchen kann Menfcentenntnik — 
Kenn des Menjcen überhaupt, wie der einzelnen 
wirlllchen Individuen — nichts anbers heißen, als Die 
Kenntniß dev verſchiedenen intelleftuellen, en=- 
vfindenden, und moralijden menſchlichen Kräfte, 
der Modifikationen, die jie durch einander ge— 
mwinnen, der möglichen Arten ihres richtigen und 
unzihtigen BVerhältniffes, der Beziehung ber 
äußeren Umftände auf fie, deſſen, was biefe in einer 
gegebnen Stimmung unausbletblich wirken miiſſen, und 
was fie wie zu wirken vermögen, fur; ber Geſeze der 
Nothwendigfeit der von innen, und der Wöglich- 
feit der von außen gewirlten Umwandlungen. 


Dieje Kenntniß ift, oder vielmehr das Streben nad; dieſer — 
da bier mir Streben möglid) ift — führt zur wahren 
Menſchenlenntniß, und dieß ift jedem Menſchen, als Men- 
chen, und febte er auch ganz von Menſchen abgejonbert, 
nur In verjchiedenen Graden der Intenſion und Extenfion 
anentbehrlich 


ti 


Buerft — um vom eichteſten anzufangen — dem 
bandelnden Menjchen, bem ich in der Folge den nur 
mit Ideen Veichäftigten, jo wie endlich beiden Den bloß 
Geniehenden enigegenfe; 
von Umgange in der 
dem Megieren des aröhet je 
minder unmittelbar At hen; und wer feiner 
moralifchen Würde wahrhaft ein wird in Keimen 

3 diefer Verhältnifie des höchften Zoels aller Moralität, 
der Veredlung Und fleigenden Ausbildung des Menſchen 





6 Wiitelm von Qumbolbt, 
vergeflen. Dazu ft jeue Kenntniß Ihr 


Seiten Einfhränkungen in den Weg 
immer das Hödft mögliche Minimum bi 
gen zu beivahren. So lehrt fie ihn, 
wen dürſe und politiſch mit Erfolg 
tonne und leitet dadurch feinen Verſtand. — Aber auch 


chung, jo daß dad, vorher einfeitig Detradhtete 
durch diefen alljeitigen Ueberbfit gleichſam in eine andre 
höhere Mafje verjezt wlrd 


8. 


Der mit Ideen Beſchaftigte iſt — da id; mic) Hier 
der Genauigkeit logischer Eintheilungen überheben kann — 
‚Htitoriter Im allerweiteflen Sinne des Worts, ober 
ſoph, ober Künſtler. Der Hifloriker, Infofemm id) von 
dem im eigentlichten Verftande — den Vejchreiber der 
Menfhen und menichliden Handlungen — abiirabire, 
bedarf jener Kenntniß vielleicht am wenigjten. Wenn in- 
dei auch der Forſcher des am mindeften mit Hy 
ühnlichteit begabten Theils der Natur nicht bloß die 
Erihelnungen aufzählen, fondern auch den innern Baur 

jähen will; fo laun ex derſelben ſchlechterdings nicht 
lich, entbehren. Denn nicht bloß dafı alle unfre Ideen 

Drganlfation urfprünglid) vom Menicen ausgehen; 

Fe die gange Natur eine Analogie wie 
ten, fo des inneren Baues. Es läßt 
‚tiefer ONE in die Beſchaſfenheit der Dre m 
auch der Teblofen Natur ohite phyſiologiſche 





Über das Studium des Alterthums. 7 


‚Semuniß des Menſchen thun, und biefe ift wieberum wicht 
ohne pſychologiſche möglich; und cbenjo fteigt umgelehrt 
mit dem Umfange biefer lezteren die Schärfe jenes exjten 
Vils, wenn gleich fretlich in oft ſehr Heinen Graden. 
Endlich muf id bemerlfidh machen, dafı ich bier den Bit 
auf den Zuſammenhaug der ganzen Natur, und Die Be— 
Jehung ber lebloſen auf bie menſchliche — die fein 
großer Naturfündiger verfünmen wird — ganz übergehe, 
wie es denn überhaupt meine Abficht it, aur zu verfuchen, 
das für fich minder SMere in ein helleres Sicht zu ftellen. 


9. 


Diefem Grundſaze getven, bleibe ich bei dem Philo- 
fophen nur bei dem abjtrakteiten Metaphyfiter jtehen. 
Aber wenn auch diejer das ganze Erlemunißvermögen 
ausmefien joll, wenn es ferner von dem Gebiete der Er— 
ſchemungen in das Gebiet der wirllichen Weſen feinen 
andren Weg, als durd) die praktiſche Vernunft giebt, wenn 


‚Freiheit und Nothwendigleit eines allgemein gebietenben 
Bejezes allein zu Beweilen für die wigtigfien, überfinn- 
Uchen Prineipien führen können; jo muß Die mannigfaltigite 
Beobochtung der, in andren und anbren Graden gemijchten 
menſchllehen Krafte auch dieß Geſchaft um vieles erleichtern, 
md am ſicherſten das ſehen laſſen, was allgemein it und 
ſich im jeder Miſchung gleich erhält, 


Des Künitlers ein; e önbeit. Schöne 
heit iſt das allgemeine, nothm reine Wohlgefallen 
an einem egenftand ohne Ein Wohlgejallen, 
das nicht durch Ueber J g erden Fan und 
doch abgenörhigt | dad allgemein fein muß, und 
deſſen Gegenſtand ni ch den Begriff reizt, muß ſich 
notbtendig auf die ganze Seelenftinmung des Empfin- 

5 Ha 





Wilhelm von Humboldt: 


urthellen zeigt. Wer es alſo hervorbringen will, muß 
fein Wefen mit ben einften und eye "Wefen 
gleichjam ibentifieitt haben, und wie Iit Dieh ohne tiefes 
mb anhattenbes Studlum möglih? — Auch außer 
zwar allgemein beweifenden, aber auch 
Örterung, gehört der Kimftler gleichſam zux Klaſſe der 
prattiſchen Menfchen, und bedarf umſomehr alles des- 
jenigen, wos jenen unentbehrlich ift, als er unmittelbar 
auf das Hödjfte und Edelfte wirkt, Nicht aljo bloß um 
ats Menſch moralifch, fondern auch um ale Künjtler mit 
Erfolg zu wirken, muß er den Gegenjtand tief lennen, 
auf welden er wirft, — Endllch ift ſein —— entweder 
Ausdrut oder Schilderung, Das Ecſtere bezieht ſich 
allein uud unmittelbar, das Leztere, da die Schilderung 
fonft nicht gefaht wird, mittelbar auf Empfindung, und 
jo bleibt biefe und ber empfinbenbe Menjch überhanpt 
immer fein Haupfftudiun. 

11. 


Von dem bloß Geniefenden endlich lleße ſich — 
fi nichts jagen, da ber Eigenſinn bes Genuſſes Teine 
Negel annimmt, Aber ic jtelle mich billig hier in die 
Stelle idit ‚gerade der edelſten Menfchen, aber ber Mens 
jchen überhaupt in ihren ebleren Momenten. In dieſen 
men find bie Freuden ber höchften Gattung bie, welche 
man durch ſich und andre empfängt, durch — 
tung, Ungang In allen Abſtuf ungen. Freimdſchaft. i 
Je höher dieſe find, deſto eher find fie zerſtert 
ſcharſes Auffaſſen bes wahren Seins jeiner jelbit 


Zu 10: — d Dichter Genie eines Schaleſpeart — 
jo mandjer andern waren durg 
Ex en Studium gebildet, Dieſe männer würden durch 
‚anbaltendes Studium an Vollendung gewonnen an — 
aber eclohren haben. Dem ungeachtet bin 

exe vollfommener geworden wien — 

doch nicht zuviel fi A 
‚Studium fremder mufter ma 

er unten bes tigten Ge⸗ erifdht algbanıı. Dalberg: 





Über das Studium des Witerifums. 


derer Dieß aber iſt nie möglich, ohne tiefes Studium 
bes Menjchen überhaupt. — Diefen Freuben an bie Seite 
treten wicht unbillig, diejenigen, welche dev äſthetiſche Genuß 
der Werle der Natur und ber Kunft gewährt. Dieje 
wirlen vorzüglich durch Erregung der Empfindungen, welde 
durch die Aufren Geftatten, oleichſam als durch Symbole 
gewelt werden. Je mehr lebendige Anſichten möglicher 
menfhlicher Empfindungen num das Stubiunt des Menfchen 
verſchoſt Hat, deito mehr äußter Geftalten it die Seele 
10 embfänglich. — Da ich des, aus der eignen Thätigleit 
entipringenden Genuſſes ſchon mit diefer Thätigteit ſelbſt 
im Borigen erwähnt habe (7—19.) jo bleibt mix mer 
noch der ſinliche übrig. Aber oud) dieſer wird, indem 
die Phantafie ihm das reiche Schaufpiel feiner möglichen 
1 Manmigfaltigkeit nad) der Verſchiedenheit des genichenden 
Inbioidurms zugefellt, amd indem fie ſo gleichfam mehrere 
Indibiduen in Eins vereint, verbieljacht, erhöht und ver⸗ 
feinert. Endlich mindert ſich durch eine folde Anficht 
das Gefühl auch des wirtlichen Unglüls. Das Leiden, 
0 wie das Lajter, iſt elgentlid mm parttell, Wer bas 
Ganze vor Augen hat, fieht, wie es dort erhebt, wenn es 
‚hier nieberkchlägt. 


Zu 11; Der Geſchmac des Als ſorſchenden Kunſileuners 


Üft feiner und zwverläfliger ais ber Gejchmad desjenichen 
der ſich immer und — ialich — eindrlicen über» 
dajien hat, fo bie Öegenftlnde, uch. zufällige Einvir- 
un und feine eigme ı nesjontice innere Anlage in ihm 

‚ Allein das Gefühl des erſſern wird im ſehr 


jamteit verloren. 
bat er durch S 
führen auf, — 





Wilden don Humboldt. 
12, 


Ich Habe biß jept den Menfcen mit Fle — 
dert im einzelnen Energien betrat Zelgte 
auch im feiner bie — — Dom. * 
ich hier vede, fo würde fie ſich doch gerade dadurch bes 
währen, daß jle vorzüglid; nothwendtg lit, um Das 
einzelne Bejtreben zu Einem Ganzen und gerade 
zu ber Einheit des edeljten Zmwels, der * 
— Ausbildung des Men 
zu bereimen. Denn das Bejchäftigen einzelner Geiten 
Hr — — — BEN a 
jes Bei igens, als Energie, un g en 
Nuzen — als es rem, und nur 
jänfiges Betrochten des Menfhen in ber Schönhelt jelner 
heit Führt den zerjlveuten Blik auf den wahren Ende 
zwet zurlit 


13. 


Sp wirkt jene Keuntniß, wenn fie erworben tft, glelch- 
fam als Materiot; aber gleich heilſam und vielleicht noch 
beilfamer wirkt gleichjam ihre Form, bie Urt jie zu 


{blntern, und deswegen verdient died Stublam des men“ 
i6en Empfehlung. Dalberg, 
Zu 12: Sollte nicht von bem Forfritt dev — Kultut 
eingeht eben das gelien, was wir bey jeder Erfahrung 
I einerten Gelegenheit haben. Hler aber bemerkt man 
Momente. 
1. Der Gegenſtand ficht gs vor und, aber verworren 
„und ineinanber flichenb 
Bir trennen einzelne Merkmale und — 
Gtenninih ih Deutlich aber vereingelt ab 


De das man und dad Ganze ſieht 
nd, — — mehr venporren 


f aberma 
. A 





Über das Studium des Alterthums. — 


erwerben. Um den Charalter Eines Menſchen und noch 
mehr elnex noch vielſeltigeren Nation in ſeiner Einhelt zur 
je, — man auch ſich ſelbſt mit ſeinen vereinten 
Beweg ſezen. Der Auffaſſende muß ſich 
immer — auf 36 Weiſe ähnlich machen, das er auf⸗ 
faffen will. Daher entfteht aljo größere Webung, alle 
Kräfte gleichmähig anzuſpannen, eine Uebung, die ben 
Venſchen jo vorzüglich Bilder. — Wer ſich mit diefem 
Studium anhaltend beichäftigt, faht ferner eine umendliche 
Monnigfattigteit der Sormen auf, und fo ſchletfen ſich 
‚gleichjam die Ellen feiner, eignen ab, und aus ihr, vereint 
mit den aufgenommenen entftehen ewig wiederum neue — 
So ift jene Kenntniß gerade darum beilfem, warum jede 
andre mangelhaft jein würde, darum, daß fie, nie ganz 
erreichbar, zu umaufhörlichem Studium zwingt, und fo 
wirb die Höchfte Menfeplichteit Dincch das tieffte Studium 
des Menſchen gewirkt. 


Zu 19: lie den Lehrer bumankitlicer Wihenſchaſten einen Wolf 
seneftt umd f. m. It Biees Stubnm Hauptgeichdft. — 
für den man der jid, deu thätigen Leben witmet; it «6 
wie mir dünft neben ſache. Anhaltendes nachdenken laun 
feidenfhaitlices BVergnigen werden; und dann ift bie 
Berriebfamfeit des practiichen Gefchäftsmmanns gefäwädht. 
== ade iſt, auch fühe ihn Silfswifenihaft; aber fo viel 
Hann ex in ber Jugend erlernt haben, und 
allemah ifto8 für ib benftunden angenehme Er 
bobfung und fh eiftes; aber nicht 
anbaltenbes w 
mean alle Eden 


Stun 
in ‚ feiner | om! — ven en: 
bafı er viele faceten erhaltet olme ganz abgerundet 
zu werben. — = hahmen, — hinindenen 
in fremde Sefinmungen und funfiweife oenoifcht das 
(dh bierin ent mu- 
* Sache Inge le 
Wi un ie ſelbfigeda ie» 
ben, ware — nühig, Dalberg, 





Wiljetm von Yumbotkt. 


14, 


Das bis jezt bettadhtete Studium des — me 
haupt an dem Charakter einer eingelnen Nation, aus 
von ihr hinterlaffenen Denfmälern, it ziwar bei einer — 
Nation in gewiſſem Grade möglich, in einem vorzüglicheren 
uber bei einer ober der andren nad) folgenden vier 
Momenten: 1., je nachdem die von ihr vorhandenen 
Ueberreſte ein treuer Abdrul Ihres Delftes und 
thres Charakters find, oder nit Jedes Produkt 
der Wiffenfchaft oder der Kunſt Hat feine bi 
feine Natur beftinmmte, gleichjam objektive, idea! ce Bol 
tommenbeit, aber ſelbſt bei dem dußerſten Annähern an 
diefe Volllommenheit prägt ſich dennoch die Snbivibnafttät 
des Geiſtes ber es herorbringt, mehr ober minder darin 
aus, am meiſten aber freilid da, wo am mindeften ab⸗ 
ſichtlich auf die Eneldung jener Volllommenhelt geſehen 
it. Daher dex objektive Werth und die Individualität 
eines Selftesprodufts nicht felten im umgefehrien Verhalt 
niffe ftehen, Am auffallendften ift dieſer Unterfe bei 
den eigentlichen eifteäprobuften, weniger bei den 
und unter diejen mehr bei den energiſchen Muſit, Tanz) 
618 bei den bilpenden (Maplerei, Bilphauerkunft). 


jeder Dejenidhe nation 
k Me die A 


Hannte noh er 
—— — 


—— — 
2 3*8 


ft 
Es 





Über dod Stublun des Alterthums. 18 


15. 


2, je nachdem der Charakter einer Nation 
Bielfeitiglelt und Einheit — welche Im Grunde Eins 
find — bejlzt. Einzelne große und ſchöne Charalterzüge 
mb ihre Veirachtung hat ihren unbejteittenen, aber hie— 
‚ber nicht gehörigen Nuzen. Dos Studium des Menſchen 
überhaupt an einem einzelnen eifpiel erfordert Mannigs 
faltigkeit der verſchiednen Seiten de3 Charakters, und Ein 
heit ihrer Verbindung zu Einem Ganzen. 


16. 


3, je nachdem eine Nation reich) ift an Mannigs 
faltigteit der verjdiedenen Formen. Es fommt 
aljo hier wieder nicht jomohl darauf an, ob bie Nation, 
deren Studium jenen Nuzen gewähren foll, auf einem 
vorzüglicen Grade der Ausbildung oder der Citilichfeit 
ftehe, ſondern bei weiten mehr darauf, ob fie von aufen 
veigbar, md von innen beiveglid) gemig if, elues geoen 


Reichthums der Gejtalten empfänglic zu fein. 


17, 

4, je nachdem der Charakter einer Nation 
vun der Art ift, Daß er demjenigen Charalter des 
Menſchen überhaupt, welcher in jeder Lage, ohne 
Rütſicht auf inbivipuelle Verjhiedenheiten da 
fein kann und da jein jollte, am nächiten kommt. 
Verjchiebenheiten dieſer Art unter Nationen zeigt nud) eine 
oberflächliche Wergleihung; Nationen, die eine ſo Lokale 
Ausbildung haben, dab ihr Studium mehr Stubium einer 


einer nähern Cıtlänmg. Bielfeitigteit 
n Theil unfrer Beitgenofien nirit adges 
ſprochen werden — aber Einheln? Schiller. 





14 Wilhelm von Humboldt: 


Km ” hier — — en —— ent⸗ 
ſtehen, einmal buxı angel ber II 
Wähtigeit, yweltans dunch Einfadjbeit des — Ko 
das Sezlere it hellſain. — Das Etubium des Menſchen 
gewonne am meiften duch, Studium und Vergleichung AS 
Nationen aller Linder und Zeiten. Allein außer ber 
Immenſitat dieſes Studiums kommt es mehr ne 
Grab der Antenfion an, mit bem Cine Nation, auf 
dan der Ertenfion, mit weldem eine Menge bon Nationen 
ftubirt void. Iſi es alfo ralbjam, bei Einer ober einen 
Baar jtehen zu bleiben; jo ift es gut, diejenigen zu wählen, 
welche gleichlam mehrere andre repräfentiren. 


18, 

Daß nach dieſen 4 Momenten bie alten Nationen 
bie find, deren Studium jenen hier allein ausgeführten 
Nuzen der Kenntniß und Bildung des Menfchen am 
relchſten gewähret, ſoll bie Folge zu zeigen bemüht fein. — 
Alte nenne ich hier ausichliehend die Griechen, umd unter 
biejen oft ausfchliehend die Athener, Die Grlinbe hie— 
bon werde ich, tmenn fie ſich micht durch Die Felge des 

von jelbft entdellen, weiter unten noch mit 
ill 


ragen bie melften Spuren ber Jubie 

vidualität ihrer Urheber an fi. Die betrachtlichſten find 

bie fitterarlichen. biejen Fällt ber Betrachtung ae: 
die Sprache auf, In einer Sprache entjtchen be 

hungen von ber Individualität der Spredenden ver⸗ 

aus folgenden 3 Gründen: 1., durch (Entlehnen 

Wörtern oder Nedensarten aus freinden 
völlig allgemeine und obftratte 


h völlig neugebildete, oder ger 


üfte zu bezeſchnen. wobel bie 
133 5 immer in dem Grade 





Über dos Studium des Aterthums, 15 


ſelnem — Vorrath genommenen ſinnlichen Bilde 
‚zu ſaſſen. durch Nachdenken über die Natur der 
Spradie et und die Analogie der eignen insbe 
jondre, woraus viele Mbänderungen des durch den Sprach -⸗ 
5 gebraud; Cingeführten, und näher mit ber Indivibunlität 
der Lage der Redenden Verfnüpften vorzüglich im Eyntar 
und in ber Grammatll überhaupt enljpringen, Nun wareı 
die Griechen mit feinem einzigen höher gebildeten Volle 
vor ober neben ihnen in ollgemeiner und vertrauten Bes 
10 lanniſchaft; es finden fi daher im ihrer Sprache nur 
fremde Wörter, und aud) dieje gegen doS Ganze nur in 
unbedeutende Anzahl, von fremden Beugungen und More 
Ntruftionen wenigitens feine deutliche Spur. Co füllt 
jener erfte Grumd hinweg. Nicht minder aber die beiden 
15 [exteren, da in Vergleichung mit Der ſeht frühen Ausbildung 
der Sprache ſehr ſpat eine beſtimmtere Philoſophie und 
noch jpäter Philoſophie der Sprache entſland, und in Rük— 
ficht auf den zweiten Grund insbefondre fein Wolf Leicht 
eine fo reiche Phantafie im Schafjen — Aus 
© brüfte befizt, als den riechen eigen war. — Eingelne 
Beiſblele in Abficht der Bildung der Wörter, der Beuge 
ungen und Verbindungen lonnten hier Die Nebereinftimmung 
ber Sorache der Griechen mit ihrem Charakter zeigen. 


19. 

* Die Geiſtesprodutte ſelbſt find Gefchichte, Dichtung 
Wozu ich Hier Kumft überhaupt vechne) und Philofophie. — 
Die Die Befgiihte ift großentheifs Griechiſche, und wo fie es 
Zu 18: ae aealeie jltet fichere Spuhren daß die Tisler 


nilden Grlegen zum gefitteten Menfchen. bifbeten, 
w 


biinft die Oriegifdie Literatur feinen 
2 je fan man wie 


— —— 
von. Überzeugen. 

6 e jeden Cpruche eines jebem aus 
dat die nernliche ftufen exftiegen. Dulbarz, 





16 Wilhelnt von Humboldt, 


Hi — a die — ae 
er noch zu wenig gewohnt, mei 

zu bergleiden, umd Eigne® und Fremdes von einander 
abzujondern, auch zu ſehr mit allen Wate je 1. 
ſchaftigt, als daß ſehr oft der Grieche du— 

ſollte. In der Griechiſchen Geſchichte ſelbſt aber Se 
eine Anfammenkunft mehrerer Umſtände, wozu ich vor⸗ 
züglich dem größeren Einfluß einzelner Perſonen auf die 
Öffentlichen Ungelenenheiten, die Verbindung des religiöfen 
Buftandes mit dem politiichen, und des häuslichen mit 10 
dem religiöfen, ferner den Heinen Umfang der Geſchichte 
feloft, ber ein gröheres Detail erlaubte, Kae die noch 
mehr Endijchen Ideen don Merkvirbigkeit und Wichtig- 
feit rechne, daß die alte Geſchichte unendlich mehr Chas 
ralter⸗ und Sitienfchilderungen enthält, als die neuere. 16 


20, 


Wenn Dichtung und Geichichte gejondert fein I, 
fo ſegt dieß ſchon beftimmtere Ideen über FEN 
Unmögtichteit, Wahrſcheinlichteit ımd Unwahrſẽ 
mit Einem Worte Kritit vorayd. Diele erl De die m 
Griechen exft fpät, und vorzüglich durch Die Verbindung 
Ährer Fabel mit Neligion und Nationalitolz Ipäter, als fid 
fonjt hätte erwarten faffen. Sehr Iange {ft affo Dichtung 
und Geſchichte gar nicht gelondert, und als fie toirkfich 
ſich mehr von einander en durfte bev Künitler, ber 3 
micht fowohl für Kenner und Dilettanten der Ka 
Künfte, als für ein Volt arbeitete, das in dem Kunſtwert 
nicht die Kunft allein, auch fich und feinen Ruhm fehen 

ſich nicht von dem entfernen, wos Cinbruf auf 


Alleſte Weichichtfähreiber ber Oriegen Hit Herobot zu 
x bie — aller Bölter unb Gogenden aufzufaffen 


ite. Dall 
fee =, unb Srchiſtſtelet des mitelalters 
en noch ı Ki reichhaltiger: und mancıe 
tonifen En in Bügen des Ebel- m 
. Dalbarg, 





Über das Studium des Alterthums. i7 


hieß Voll zu machen im Stande und alſo mit feiner 
Fudividualität nal verwandt war, Wie hätten aud) wirt 
berungen der Babel durch den Künſtler nicht 

wieder im höchjten Grade Griechiſch werden follen, da er 
5 feine fremde Mufter vor fich hatte, und felbft bie eigent- 
lie Theorie der Künſte ext ſpäter entjtand? — Ferner 
entprangen alle vorzüglichſte Arten der Dichtung — epifche, 
wagifche, lyriſche — bei den Griechen aus Citten und 
Üffentlihen Einichtungen, bei Saftmähleen, Seiten, Opfer, 
10 umd fo behielten fie bis im die fpäteften Beiten einen 
— dieſes hiſtoriſchen, nicht eigentlich Afthetifchen Urs 

98. 


21. 


Die Philojophie jollte am wenigjten Spuren der 
» Eigenthinnlichleit bes Philofophirenden tragen. Aber die 
‚pratijche zeigte bei den Griechen immer im einem jehr 
hohen Grade den Griechen, und die jpefulative that dieß 
wenigſtens auch ſehr lange. 
Gegenbfil auf moderne Nationen. — Ihre Sprache 
18.) durch) Entlehnen don fremden, amd Hhiloſophie in 
ent Grade umgebildet. — Selbit ihre vaterlänbifde 
Geſchichte (19.) durch Vertrautheit mit allen Zeiten und 
Erbftriden, und andre zujanmenkommende Urſachen minder 
individuell erzählt. — Ihre Dichtung (20.) fait ganz aus 


5 Zu 20: $% Biatneptanniis Hatten die Griegen Epibtide — 
ie Hohen Gefdhnadl und Ebenmaaf; in ande 

Bars — ‚wie Winfelman fehr ſcharffinnig gezeigt 
at. Dal 
überhaupt bim ich mit dem Seren Verfafjer — 
das im beziehung auf Geſchuiack bildende Künſte und 
tmahre Bey FH vi nei F die Griegen eine fehr hohe 
ftufe, der Bolltommenpeit erreicht haben; und hierin Ihre 
— der — Gegenſtand eines bauptitudiums 


Dalber, 
w Zu 2: ir (uch {n der Döllo F entlehnten die Orlegen ſehr viel 
= alte; tale Bruder und andre gejelgt haben 


Dowtscho > — Nr. van2. 2 





18 Wilhelm bon Humboit, 


fremder Mythologie genommen, und nach objeltiven allge 
meinen Theorien geformt: — Ihre Philofophie (21.) ab- 
ſtralt und allgemein, 

22. 


2. Moment. (15.),Der Grieche in der Periode, 5 
wo wir die erite vollftändigere Kenntniß von ihm 
haben, ſteht nod auf einer jehe niedrigen Stufe 
der Kultur In dieſem Buftonbe wird, ha her Bevliufe 
niſſe und Bejriedigungämittel nur wenige find, immer weit 
mehr Sorgfalt auf die Entioifffung der perfönlichen Kräfte, 
als auf die Bereitung und den Gebrauch von Sachen verwandt 
Der Mangel biefer Hülfsmittel macht auch jene Entwilts 
lung nothwendiger. Da überhaupt noch keine Veranlaffung 
vorhanden it, einzelne Seiten vorzüglich zu beiäftigen, 
da der Menſch mu schlechthin dem Gange der Natur 10 
folgt; jo ift, mo er hanbeinb ober feibend wird, fein 
ganzes Weſen um jo mehr vereint in Thätigleit, als er 
vorzüglich durd) Sinnlichkeit afficket wird, wıd gerube 
diefe am jtärkften das ganze Wejen ergreift. Es iſt 
daher bei Nationen auf einer niebrigeren Stufe 
der Kultur verhältnigmäßig mehr Eutwitklung 
ber Berfünficgteit in ihrem Ganzen, als bei Nas 
tionen auf einer höheren. 

23, 

Bei ben Griechen zeigt fi aber ein boppeltes, 
äußerft merkwitrdiges, — vielleicht in der Geſchichte 
einziges Phänomen. Als ſie noch ſehr viele Spuren 


Nationen dutch Negeln, “ 
antler ur Orth 


A zeigt Einien uud dar 
der Sinn beingt Manrlglaltig- 


En Er vebin: Grlutcung, &4 3, 
fe E) um = wann eigemt ee 
h er Inc J ige 





Über das Studhum des Altertum, 19 


der Mohheit anfangender Nationen verriethen, 
befaffen fie Schon eine überaus große Empfäng- 
lichkeit für jede Schönheit der Natur und der 
Kunft, einen feingebildeten Takt, und einen 
wichtigen Geſchmat, nit der Mritil, aber der 
Empfindung, und finben ſich Inſtanzen gegen biefen 
Tatt und diefen Geſchmat, jo ijt wenigſtens jene Aeiz- 
barkeit und Empfünglichteit unläugbar; und wicberum 
als bie Kultur fon auf einen jehr Hohen Grad 
geftiegen war, erhielt ſich dennoch eine Einfach— 
heit des Sinns und Gefhmals, den man jonft 
nur In der Jugend der Nationen antrift Die 
Entwittlung der Urſachen hievon gehört nicht hleher. 
Genug das Phänomen iſt da. Ju ſeinem erſien Lallen 
verrath der Grieche feines und richtiges Gefühl; und im 
dem zeifen Alter des Mannes verliert er nicht gang feinen 
erften einfachen Finderfinn. Sterin, duͤntt mich, liegt ein 
großer Theil des eigentlich Chavakteriftiichen ber Nation. 


24. 


Da ſich die den Griechen eigenthumliche Reizbarteit 
für das Schöne (23.) mit dev, bei allen minder kultivirten 
Nationen gewöhnlichen größeren Aufmerlkſamleit auf die 
Entwitllung der verfönfichen, und vorzüglich der kürper- 
lichen Kräfte (22,) und mit dem im griechifchem Slktma 
bejonders ſtarl wirkenden Hange zur Siunlichieit verband; 
mußte Sorgfalt für die Ausbildung des Nörpers zu 


Die Kultite der Griechen war bloß äfthetifc und da- 
von glaube ich meiihte wögehen, zum Diejes ‘Phänomen 
au erfflieen. Wud) man nicht vergeffen, da die 
Griechen es auch im Polltiſchen wicht über das gu ende 
Hiche Alter brachten, und es iſt je die Frage ol fe in 
einen männlichen Mlter diefes Lob noc) verdient haben, 





20 Wilhelm don Humboldt. 


Stärke und Behendigleit um jo entjoringen, 
a die Beides unen und 
in t 1 * 
& —— es die Aıltr Kar is 

mar, und läny 
Birpeien Saft vehrkngt Inte, el 


Vehendigteit und Sch 
und trat Vegriffe jelten find, und bie 
feit für das Schöne in jo hohem Grabe präbominiet, ba 
un mon ſich auch die bloß geiftigen Vorzüge natürlich) 
merft unter biefem Bilbe barjtellen, und in einer gries 
Sifen Seele verſchmolʒz Lörperlihe und DIE — 
jo zart in ehnander, daß noch jezt bie 
Verſchmelzens 3. ®. die Raijonnements — re in 
Platon ein wahrhaft entzüftendes Vergnügen gewähren, 
War aber auch diefe Stimmung in diefem Grade nur 
einem und individuell, fo Lift fid doc) foniel überhaupt 
als hiſtoriſches Faltum aufftellen, da die Sorgfalt für 
bie fürperfide und geiftige Bilbung In Griechen⸗ 
ſehr a und vorzüglid don Ideen ber 
Schönheit Afehtet war. 


von eigen 
ıslun, = Anwurtſam werden, meine® erache 
chen bie. — lterotut Haupt 

Ian 


iegifcher biumen blene 
tünliche 





Über das Studlum des Alierthums. 21 


25, 

Wenn nun irgend eine Vorſtellung menſchlicher Voll⸗ 
lommenhelt Bieljeitigfeit und Einheit herborzubringen in 
Stande ift; jo muß dieß diejenige fein, die von dem Be— 
if der Schönheit und der Vorjtellung dev ſinnlichen 
ausgeht. Diejer VWorftellungsart zufolge darf es dem mora- 
chen Menſchen ebenfowenig am richtigen Ebenmaake der 
einzelnen Charakterjeiten mangeln, als einem jchönen Ge— 

de oder einer ſchönen Statue an dem Ebenmaafie 
ihrer Glieder; und wer, wie ber Grieche, mit Schönheit 
der Formen genähet, und jo enthufigftiich, wie ex, für 
Schönheit und vorzüglich auch für finnliche geftimmt it, 
der muß endlich gegen die moraliſche Disproportion ein 
‚gleich feines Gefühl befizen, als gegen die phyſiſche. Aus 
allem Gejagten it aljo eine große Tendenz; der 
Griechen, den Menfhen in der mögligiten Biel- 
feitigfeit und Einheit auszubilden unläugbar. 

Bemerken muß ic Hier — ımd zwar gerade hier, 
teil hier am feihtejten der Einwinf entjtehen lann, dent 
bie Bemerkung begegnen ſoll — daß was hier von den 
Charakter der Griechen gejagt üt, zwar unmöglich von 
einer ganzen Nation in allen ihren einzelnen Individuen 
bucjitäblih wahr fein kann. Gewiß iſt es aber doch, 
daß «8 einzelne Individuen der beſchriebuen Stimmung 
wirklich ar dafs dieſe wicht allein häufiger, als auderswo 


eriftirten, fondern daf aud) glei Nüancen biefer 
Stimmung in ber ganzen Nation verſtreut waren, und 
ft (ih die Dichter und Phllo— 

if des Geiftes des edelſten 

ſolche Charaktere vorzüglich, 

thwendig, um die Erreichung 


Zu 25: Diefe jchöne für mich ſehr lehrteiche Stelle heweiſt bafı 
ganz gevif viegen in beiehung auf Schönheit die 





Biljelm von Humbolbt. 


28 


Diefe Sorgfalt für die Ausbildung und dleſe Art 
ber Ausbildung des Menſchen zu bejörbem, trugen 
andre, in der Anfiren age der Poren — 
ſtande bei Bu dieſen Iron, id) a) folgende: 
1, die Sklaverei Diefe itberhob den Freien eines 
großen Theild der Arbeiten, deren Gelingen einfeitige 
Uebung des Körpers und des Geiſtes — mechanifd 
len — erforbert. Er hatte nun Muße, ſeine 
zuv Ausbildung jelnes Körpers durch Gymnaſtit, feines 
Seiftes durch Künſte und Wiffenfchaften, feines Charakters 
überhaupt durd) thatigen Antheil an der Staatswerfaffung, 
nn und es es a * — dann 
erhob ar den Freien Die m er 38 
vor dem Sklaven, bie er nicht bloß dem 1 Oi su be zu dan 
glaubte, ſondern auf bie er — — 
und — der, er ent je 
vabwärdigung ber laven — mit Necht, Ani 
—— die a zum Theil, wie bei vr BVerthetdigung 
des Vaterlandes, mit Gefahren und Beſchwerden erkaufte, 
die der Sklave nicht mit ihm theilte — Hieraus zus 
janmengenommen bilvete ſich die Siherafität, bie fi, bet 
feinem Volle wieder in dem hohen Grade findet, das it 
dleſe Herrjchaft edler, großer, eines Freien wahrhaft 
witrbiger Gefinmungen in der Seele, und biefer lebendige 
Ansdrut derſelben in der Stattlichtett ber Vildimg und 
der — der Bewegungen bes Körpers, 


ollfouum zerte welche mit recht ſate 
— — F boh F SB, at “4 — 
‚alter feine eines t- 

—— der — Umjttinde An —— 


nerten Lit ſi tie, mie, duntt manches 
laven wilmeten ſich oft denen hönen as 
den waren Sriegäger 
füngene von ſeht edlem urforung is j. tu,  Dalbeng. 





Über das Stubium des Altertkums. 23 


9: 

2, bie Negierungsverfaflung und polttiſche 
Einrichtung überhaupt. Die einzige eigentlich gejeg- 
mäßige Verfaffung in Oriechenland war die vepublifanifche, 

5 om welcher jeder Bürger mehr oder minder Antheil 
nehmen iennte. Wer oljo etwas durchzuſezen wünſchle, 
mußte, da ihm Gewalt fehlte, Ueberredung gebrauchen. 
Er konnte aljo Studium der Menſchen, und Fähigkeit 
fi) ihnen anzupaſſen, Gewandtheit des Charakters, nicht 

10 entbehren. Aber das oft überfein ausgebildete Voll ver- 
langte noch mehr. Es gab nicht blof der Stärke oder 
ber Natur der Gründe nad), es jah auch auf die Form, 
die Beredfamteit, das Organ, den türperlichen Unftand. 
Es blieb aljo beinah feine Seite übrig, welde der 

1 Staatemam ungeſtraft vernachläffigen durfte. Dann er— 
‚forderte die Staatsverwaltung mod) nicht abgejonderte 
weitläuftige Fächer von Kenntniſſen, noch Talente dieſer 
Art, Die einzelnen Theile derielben waren mod nicht 
jo getrennt, daß man fich ausſchliehend für fein Leben 

» mr Einen gewidmet hätte. Diejelben Elgenfchaften, die 
den Griechen zum großen Menden machten, machten ihn 
auch zum großen Staatsmann. So fuhr er, indem er 
an den Geſchaſten des Staats Theil nahm, mn fort, ſich 
ſelbſt höher und vielfeitiger auszubilden. 


28, 


3., die Religion. Cie war ganz finnlich, beför- 
derte alle Künfte, und erhob fie durch ihre genaue Ver— 


Zu 27: Es gab bey 
Die 


5 ſondern die freiejte Tochter der 
Lhantaſie v fein Kanon vorhanden, der der 
Dichtungäftaft Foſſein anlegte. Sabillor. 





24 Biel von Kaniholdi. 


eu 


Kühtine and gleihnkiine 
förberte, trug fie mittelbar en ganz, — ‚bei, 


29. 

4, den Nativnalftolz. Wie der Grieche übers 
haupt einen hohen Grad vun Lebhaftigleit und Meipbarkeit 
beſaß, fo drulte ſich dieſe vorzüglid) ftart In dem Gefühl 
für Ehre und Nachrehm aus, und bei der engen Vers 
bindung des Bürgers mit dem Staat in Gefühl für Ehre ıs 
der Nation Da num ber Werth der Nation auf dem 
Werthe ihrer Viürger beruhte, und von Diefent verztgfi 
D Siege im Kriege und ihre Blüte im drieden abs 

hieng, jo verdoppelte dieſer Nationalftol; Die Aufmerkfams 
keit auf die Ausbildung des perjönliden Werths. — Dan 
eignete ſich der Ruhm der Nation jedes Verdienſt ober 
Talent eines Einzelnen ihrer Mitbürger zu. Die Nation 
nahm alſo jedes in Schuz, und hieraus entjtand ein newer 
Grund bee Achtung für Fünfte und Wiſſenſchaften. 


30, * 
5, die Trenmung Öriehenlands in mehrere 
Heine Staaten. Wenn ein Staat allein und für ſich 
eriftiet; jo nimmt die Ausbilbung jener Sräfte den Weg, 
den eine einzelne Kraft nehmen muß. Sie erhöht fich in 
ich, und wenn fie ein gewiſſes Mani erreidjt hat, axfet zo 
fie in twas andres aus. Ihre Ausartungen find aber 


Zu 30: Dieſe fahöne Vemetlung — wie mie dontt auch auf 


Zeutfchland — ‚Europ 


(ce Republic eimicher Be 
anwendbar. 





immer in ihr allein motivirt, und dauut ft allemat Ele 
Teitigfeit, nur mehr oder minder, verbunden, In Griechene 
land aber machte bie gegenfeitige Semeinichait der vers 


ſchiednen Nationen, die fait alle auf verſchiednen Graden 
der Kultur ftanden, und eine ehr verſchiedne Art der 
Ausbildung beſaßen, daß ſich bon einer Nation auf die 
ambre manches übertrug, und wenn and), bei ber Ehre 
richtung der alten Nationen, das Fremde nur ſchwer bei 
ihnen Cingang finden lonute, jo gieng doc) immer mehr 
über, als wenn jede abgejondert erütirt hatte, Dich 
geſchah aber um jo mehr, ols doch alle immer Griechen, 
und aljo in der unſprunglichen Anlage der Gharaltere 
einander gleich) waren, jo daß dadurch Ucbergänge der 
Sitten yon der einen zur andren erleichtert wurden. — 
Ja wenn aud) biefe wicht Statt fanden, machte dennod) 
das bloße neben einander Exiſtiren und die gegenjeitige 
Eiferfucht, daß die eine Vorzüge nicht vernachläffigen 
durfte, Durch welche die andre überlegen werden konnte, 
und auſs mindefte ſezte dieſe Eiferfucht die Kräfte einer 
jeden in thätinere Bewegung. 


31. 


3. Moment. (16.) Viele zufanmenkommende Urſachen 
bradjten zwar bei ben Alten ſeht entſchiedene Nationale 
qharaltere und daher weniger Diverfität in dem Charatter 
und der Ausbildung ber einzelnen Bürger hervor, nd 
jo herrſchie unter diefen von diefer Seite eine verhält 
nlindßig geringere Mannigfaltigleit, als unter den Neues 
ven, Allein auf der andren Seite machten doch auch 
bievon die mehr wiſſenſchaftlich gebildeten Nationen eine 
beträchtliche Ausnahme, und auherdem famen 2 Umftände 
zufammen, jene Mamvigfaltigfeit wieder, und vielleicht um 
mehr zu befördern, als von jener Seite her Fit, 
1, bie Bhantafle be hen war jo reizbar von 
außen, amd er | jid) jo beweglid), daß er 

= nicht bloß fr jeden Eindruk in hohen Grade empfüng- 





26 Wilhelm von Humboldt. 


lid) war, fondern auch jedem einen großen Einfluß auf 
jeine Bildung erlanbte, durch ben wenigjtens bie ihm am 
ſich eigenthümliche eine veränderte Geſtalt annahm. 


82. 

2, die Neligion übte ſchlechterdings Feine 
Herrichaft über den Glauben und die Gefin- 
nungen aus, jondern ſchränlte fi auf Carimonien ein, 
die jeder Bürger zugleich immer don der politijchen Seite 
betrachtete; und ebenjowenig legten die Ideen bon 
Morslität dem Geiſte Feſſeln an, da diejelbe nicht 10 
auf einzelne Tugenden und Lafter, nad) dem Maaße einer 
einfeitig abgewagten Nüplichteit ober Schädlichteit der 
Ichränft war, jondern vielmehr überhaupt nach Ideen der 
Schönheit und Liberalität beftimmt wurde. 


38. 

4. Moment, (17.) Ein den Griechiſchen Charakter 
vorzüglich auszeichnender Zug ift, wie oben (23.) bemerft 
worden, ein ingewöhnlicher Grad der Ausbildung des 
OGefſlhls und dev Phontafie in einer nod) jehe frühen 
Periode dee Kultur, umd ein treueres Bewahren der 
Kinblichen Einfachheit und Naivetät in einer fahen ziemfic) 
jpäten. E38 zeigt fih daher in dem Öriehifchen 
Gharatter meiftentheils der urfprünglide Chas 
vakter der Menjchheit überhaupt, nur mit einem 
fo hohen Grabe ber Verfeinerung verſezt, als vielleicht 
nur Ammer möglich jein mag; amd Vorzüglich it der 
Menſch, welchen die Grlechijchen Scheiftiteller darjtellen, 
aus Inter höchit einfachen, großen ımd — wenigſtens 
aus gewiſſen Gejichtspunkten betrachtet — immer. ſchönen 
Zügen zuſammengeſezt. Das Studium eines ſolchen Char 

(8 muß in jeder Lage und jebem Zeitalter allgemein 


Zu 33: Diefe Stelfe enaltet bie ſeht fnuchtGare wahebeit, ba 
man die Nufmerkjamfeit in neuern Jeilen viel zu wenig 
auf iunem Iebensgenus richtet. cin fürtrefliches Stublanm 





Über das Studium des Alterthums, 


beiffon auf die menjchliche Bildung wirken, da- derjelbe 

jam die Grundlage des menſchlichen Charakters über» 

t ausmacht, Vorzügkid aber muß es in einem Zeit 
alter, wo durch unzählige vereinte Umftände die Aufmerk- 
ſamtelt mehr auf Sachen, als auf Menfhen, und mehr 
auf Maſſen von Menden, als auf Indibiduen, mehr 
auf äußren Werth und Nuzen, als auf innere Schönheit 
und Genuß gerichtet ift, und wo hohe ımd mannigfaltige 
Kultur ehr weit von der erſlen Einfachheit abpeführt hat, 
heilfem fein, auf Nationen zurützubtitten, bei weichen dieß 
alles beinah gerade umgelehrt war. 


3. 


Ein zweiter vorzüglid darakterijtiider 
Bug der Örieden iſt bie Hohe Musbilbung des 
Skhönheitsgefühls und des Geſchmalts und vor- 
ziüglih die allgemeine Ausbreitung biejes Ge— 
fühls unter der ganzen Nation, wovon fi Bei- 
viele in Menge aufzählen laſſen. Nun ober ift Leine 
Art der Ausbildung in allen Zeiten und Erdſtrichen 
jo unentbehrlich, als gerade diefe, die das ganze Weſen 
des Menſchen, wie es an fich beſchaffen ſein möge, erſt 
oleichſam in Eins vereint, und ihm die wahre Politur 
und den wahren Adel ertheilt; und nun ift auch gerade 
feine jegt und bei uns jo nothwendig, als biele, ba «8 
bei uns jo eine Menge von Tendenzen giebt, die geradezu 
bon allem Geſchmat und Schöuheitsgefühl entfernen müſſen. 


30, 


So tft die Stimmumg des Charakters der Griechen 
ad) allen oben aufgezählten Momenten überaus vortheil 


beftehet: tie mir duntt in Beobadittng dev Sinber und 

Aprer fortfehreitenden Entoiffung, da Lieft mar tägtid, 

N marır und Terme dem menfchen 
Datbarg. 





28 Wilbelm von Humboldt: 


haft für das Studium des Menſchen überhaupt am ben 
ſelben, als einem eingelnen Beiſpiele. Aber dieß Stu— 
dium Ät aud) bei ihnen vorzüglich möglich aus folgen: 
den 2 Umſitanden: 1., hat ſich überaus 

Menge don Denfwälern ber Griechtſch ilten, 
vorzüglich eine Menge litterarifcher, welche in jeder Rutficht 
zu dem gegenwärtigen gwetle die wichtigiten find. 2,, ex 
fordert das Studium einer Nation, und vorzüglich aus ihren: 
Dentmälern, ohne lebendiges Anſchauen, wenn 8 irgend 
gelingen joll, fowohl an ſich einen entjehiebenen Nartonat- 
Charolter, als auch überhaupt abgejchnittene, at denen 
des Studirenden fontraftirende Züge. Nun aber geht 


Zu 3: Nach meiner Überzeugung mu der wmenich biej 
Gegenſtande am genauefien teumen am 
ftubierem die ihm am nächiten legen; mei 
iefe — blejenien finb. wei 
ifim wirten, unb auf bie er unaufhl 
weilen in witrfen und rlidwlirfen ber Oh 
Hicher Kräften und ber Ent; En 


it; und en * —— Be 
ann ʒwed mai — Teiten, 
I en ie dung) ‚anbaltenbes Studium 
femme auf welche ex vermög Belr und 
und immern Anlagen om meiſten 
wollt vechjelirig mad) biefen memlichen ums 
NE A ibn mürten, nach diefem (rumbjap 
Die Gegenftlinbe ber Stublen fir a Ar 


anne It bat 
je ein 
in han Im beim ie 
vichtig 1 fi En] —F re 
a ah, ftegen. ?.) mach Diefem 
verdient meines eradhtend bie Oriegifche Iteratur 
weit einen Vorzug als fie die voflfommenjte 


ie di tet; umb zu de 
en le al Bade 





Über das Studium des Aiterthums. 29 


bie Bildung des Menfchen in Maſſen immer ber Bildung 
der Individuen voraus, und darum umd aus andren hin- 
zufommenben Urſachen haben alle anfangende Nationen 
ſehr entſchiedene und abgejchnittene NationelCharaltere, 

5 Bei den Griechen aber vereinigten ſich, dieß zu befördern, 
noch andre, ihnen eigenthünmliche Umjtände, 


30. 


Giebt man zu, daß man in dev That zu dem hier 
ins Licht geftellten Endzwel des Stubiums Einer Nation 
10. vorzugsweiſe bedarf; jo laßt ſich nun auch bald entjchei- 
den: ob leicht eine andre an die Stelle der Grie— 
lan treten könne? Es mühten nemlid, von einer 
Br alle bier aufgeftellte Gründe und zwar, welches 
zu bemerken tft, zujammengenommen gelten, oder 
15 bie mangelnben durch anbre gleich wichtige erſezt werden. 
Die ftärkften unter denſelben aber Gerußten alle mittelbar 
und unmittelbar darauf, daß die Griechen, wenigſtens für 
uns, eine anfangende Nation find. (18-23. 33. 35.) 
Die Erſorderniß wird alfe aud unumgänglich noth- 
zu wendig und amerlaplich fein. Ob fi mm in iegend 
einem nod) umentdeften Exdftrid; eine ſolche Nation zeigen 
wird, welche mit diefer Eigenthuͤmlichteit die übrigen, oder 
ähnliche, oder höhere Vorzlige, als bie Griechiſche, ver- 
Bände, oder ob genauere Bekanntſchaft mit den Chineſern 
= und Indianern dieſe al3 ſolche Nationen zeigen wirb? ift 
im Voraus zu entfcheiden nicht möglich. Daß aber weder 
die Nömifche, noch gar eine neuere Nation an ihre Stelle 
freien fünne, berpirkt {dom der einzige Umland, daß Diele 
alle aus den Griechen mittelbar unmittelbar Ichöpften; 
so und von den übrigen, ae alten Nas 
tionen haben wir 


m. Die Grlogen ſcopflen won 
mer von (regen, wir von 
r von ums. Dalborg. 





30 Wilheln von Humboldt: 


einzig bleiben; nur daß dich gerade ein — Bu 
Vorzug, fondern mehr eine uf 
relativen Tage ift. GVergl. Kants Kritik ber Te 
©. 258—260.) 
37 

Wenn das Srubium der Griechen in der Abſicht 
unternommen wird, die ich hier dargeſtellt habe, ſo er⸗ 
fordert natüruch feine eignen allgemeinen und befonde 
ten Borjehriften. Die allgemeinjten und hauptjächlichiten 
möchten ehon folgende fein: 1,, der Nuzen eines 
Studiums kann nie durch eine, and von dem gelehri 
Manne und dem größejten Kopfe entworfene Sch 
der Griechen erreicht werden, Denn einmal wird dieſelbe 
immer, wenn fie völlig treu jein joll, nicht individuell 
genug fein Hnmen, und wenn fie völlig individuell fein 
joll, wird es ihr an Treue mangeln müfjen; und zweitens 
befteht auch der gröpeſte Nugen eines jolchen Studiums 
nicht gerade in dem Anſchauen eines ſolchen Charakters, 
als der Grichiiche tar, fonderm in dem eignen Aırfe 
juchen befjelben. Denn durch biefes wird ber Äufſuchende 
ſelbſt auf eine ähnliche Weile geftinmt; Griechiicher Geiſt 
geht in ihn ‚ber; md bringt durch bie Art wie er jüh 
mit feinem eignen vermilht, ſchöne Gejtalten hervor. E— 
bleibt baher nichts, als eignes Stubium übrig, 
in unaufhörlicher Mühjiht auf dieſen Zwek— 
unternommen. 

38. 


2., muß das Stubium der Griechen jelbit 
gewiſſen fpitematiihen, und auf diejen 
bezugenen Orbnung vorgenommen wWers 

Dem wenn gleich alle Schriftiteller in Nüchicht 

jen Aue wichtig find; fo hält man ſich doch billig 

füns exfte allein an die veichften, und wählt in dieſen eine 


Zu 97: Thom und wahr; und auf alle Studien anwendbar Dalbarg. 





Über das Stublum des Alletihunis a1 


ſeſte Ordnung, die aber hier ſchwer zu finden iſt, da,, 
wenn man auf die Materien ſehen will, man hier eigent⸗ 
Uch nicht Die Gattung ber Schriftſteller, ſondern ber 
Sachen, die fie behandeln, betvachten mußte, umd wenn 
man ber Zeit folgen will, es ſchwer iſt, nur zu bejtims 
men, ob man auf die Periode des Lebens des Schrift- 
ftellers, ober auf die der don ihm behandelten Öegenftände, 
oder auf beides gewiſſermaaßen zugleich jehen ſolle⸗ 


39. 


2, muß man am längſten nicht allein bei den 
Perioden verweilen, in welchen die Griechen am 
ſchönſten und gebildetiten waren, jondern auch 
gerade im Oegentheil ganz vorzüglich bei den 
eriten und jrübeiten Denn in diefen liegen eigent> 
lich die Keime des wahren Griechiſchen Charakters; und 
es iſt leichter und intereffanter in dev Folge zu fehen, 
mie er nad) und nad) ſich verändert, und endlich aus— 
ariet. — Äuch polen mehrere der im Vorigen ausges 

Ihrten Gründe (22. 23. 33.) ganz vorzüglich nur auf 
Dieje früheren Berioden. 
40. 

Die Hülfsmittel zu diefem Studium und insbefondre 
in der hier entwilleften Abjicht find vorzüglich, folgende; 
1., unmittelbare Bearbeitung der Quellen ſelbſt 
durh Mritil und Interpretation. Diefe berblent 
natürlich die erſte Stelle, 





Wilhelm von Humboldt. 


4. 

2, Schllderung bes Zuſtandes der Griedhen, Grie— 
chiſche Antiquitäten im weiteften — des 
Boris, welden ber hier aufgeftelkte ——— ‚böchite 
Ausdehnung nieht Dieſe Hülfsarbeit iſt methiwendig 4 
theil$ zum Verftändnif; der vinzelnen Tuellen, tGeils zur 
allgemeinen Ueberficht, und zur Einleitung im das ger 
fanımte Studium überhaupt. Jeder Schriftfteller behans 
delt nur einen einzelnen Gegenjtand, und man iſt das 
Einzelne nicht im Stande In feiner ganzen Anjchaulichteit 10 
auf zuſaſſen, ohne von der Lage Überhaupt gehörig unters 
richtet zu fein. 

a2, 
3, Weberfezungen. Diefe Binnen in Abficht bes 
übefen Schriftſtellers einen dreifachen Nuzen haben. 15 
Um Diejenigen fernen zu lehren, Die fein Original 
zn ſelbſt zu lefen im Stande find. 2, file denjenigen, 
ber das Original felhft Neft, zum Verſiandalß beffelben 
zu dienen. 3,, denjenigen, der das Driginal zu leſen im 
Begriff üit, vorläufig mit ihm Defannt zu machen, — in 
feine Manier, ft einzuwen Beftimmt man 
die Wihtinfeit diefe$ berichiebmen Nugens noch, dem Iier 
genommenen Sera vuntt jo ift der INe der Eleinfte und 
geringfügiglte; bei twichtiger, aber immer Hein, Da 
gerade biezı Ueberfezungen Die ſchlechtern HüljEnikttel 
find; der 3% aber ber wichtigſte, da durch Ihn bie Uebere 
fezung zum Leſen des Originals reizt, und bei dem 
Leſen ſeibſt auf eine Höhere Art unteritügt, indem fie 
nicht einzelne Stellen verftändigt, ſondern den Geijt Des 
Lefers gleichfem zum Geift des Schriftftellers tim, 
2 der Ieztere noch Härer erſcheint, wenn man ihn im 


ee St tubium erfordert das ee leben eines Manes, 
— 

a 

Zu 42: firkehtar Dulleng Ex 





Über das Studium des Alierihums. 


dem zioiefa Medium zwei verſchiedner Sprachen ers 
Bl. "Die en dickes En Nuzens allein 
auf die Schäzung des Originals führen, und jo iſt ber 
ſie Nugen einer Ueberſezung derjenige, welcher fie 
Sf zerftört. Die Haupterfordernifje einer Ueberſezung 
wechslen nun nach dieſem dreifachen Zwelle. Ju dem 1er 
wird Anpaſſung des überſezten alten Schriftſtellers auf 
ben modernen Leſer, alſo oft abſichtliche Abweichung don 
der Exene erforbert; zu dem 2 Trene ber Worte und 
10 des Buchitabens; zu dem ZEN Treue des Geiſtes, wenn 
ich fo jagen darf, und des Gewandes, worin er geffeivet 
it, wobei aljo vorzüglich viel auf die Nachahmmg der 
Diltton bei Brojaifern und des Rhythmus und bes Vers: 
baues bei Dichtern ankonunt. 


43, 

Um den im Vorigen dargeftefften Nuzen in feiner 
‚ganzen Größe hervorpubringen, erfordert das Studium 
des Alterthums die gröfefte, ausgebreitetfte, und genaueſte 
Gelehrſamteit, die ſich natürlich nur bei jehe Wenigen 
© finden kann. Allein der Nuzen iſt immer, wenn gleſch 
in geringeren Graden auch da vorhanden, wo man ſich 
nur Überhaupt, wenn gleſch mit minberm Streben nad) 
Gründlichkeit, mit diefem Studium beichäftiat; und ev 
theilt fih endlich auch ſogar allen denen mit, welchen 
> die Studium mich ewig ganz fremd bleibt. Dem im 
der Verbindung einer hoch Lultivirten Geſellſchaft kann 
im genaueſten Verſtande jede Kennt eines Einzelnen 

ein Eigenthum Alfer genannt werben. 


Zu 43: er meinung des vobs = 


7 e cren trinfen motll der ſhopſe recht 
Ni bgelarte find verjtimmte 
(ft ir joldhen menfdjen 
ing tann mon in Minis 
bildung De& is famm mer duch ambaktendes 
Studtum erreicht werben. Dalbarg- 
Deutsche Litteraturdonkmalo Nr. E02, 3 








Finder. 3 

Gott einpfieng — und fein oußgebreiteter Ruhm machte 

ihn zum Organ jeder öffentlichen Feier bei Siegen und 
Feten im ganzen Griechenland. 
3 


Daher entipringt die feitliche Wirbe und Erhaben— 
heit, die ihm fo vorzügtic) auszeichnet, und die vermehrt 
wurde durch feinen nationellen umd individuellen Charakter, 


4 


en des Möotifhen Charakters anf ihn.) 
Der Hanptzug des Böotijchen Charakters ift unbe 
büfjliche Schwere, und fürperlihe Starfe. Dann Hang 
zur Mufit, insbefondre dev Flöte, 


5. 


Wenn man dieß verbindet, ſcheint Hang zu Eörper- 
iger Thätigkeit umd förperlichem Gen; hervorzugehn. 
Ueberhaupt fann man wohl die Bbotiſchen Nationalzüge 
nad) andern Nationen desfelßen Heoliihen Stammes be- 
urtbeilen. Im Ganzen kam der Aeoliſche Charakter dem 
Doriſchen unftreitig näher, als dem Attiſchen. Schon die 
größere Achnlichleit dev Mundarten fpricht dafiir, jo wie 
dan beide Stimme jovtele und faſt bloß fpriiche Dichter 
beſaden. Man barf daher wohl den Aeoliern den Haupt 
zug der Dorier gleichfalls beilegen, vermöge beffen dieſe 
weniger der Phantaſie und einer müffigen Speculation, 
als der Mirtifet und den xeelfen Werhäftuiffen des 
praktifchen Lebens angehörten. ben Dorletn. wenigſtens 
im dem Sacedämpnrien, aber hatten biefe Züge eine ehr 
bexedelte Geftalt gewonnen. herrſchte daher auf dev 
einen Seite mehr Seelengeöße und Strenge der Eitten, 
aber auf der andern auch, mehr Nigieitit umd daher 
weriger Neigung zu Kinftlerifchem Talent. Bon beiden 
dad Gegentheil zeigen in Lesbos die Aeoliſchen Sitten, 

ge 





36 Wilhelm von Humboldt; 


an Menu u DR In dc chnen Ben 
bie] eich Himmelsfteid, 
Shasa —— Anlage in unglnftige Schronten 


6. 


Nachdem es auf dieſe Weife, durch Hilfe der Lese 
bifchen Dichterſchule begreiflich geworden ift, wie 
Pindar In Theben aufſtehen konnte, fieht man zugleich, 
daß eine entſchleden lyriſche Stimmung und Hang zu 


häufigeren Einmlſchen De eignen Perfon, dem 
Schuld nenebenen Eigennuhh, und der Peierlichteit ober 
‚Heftigfeit feines Ganges entdedten. 


7. 
* indlvibuelfer Eharakter.) * 


‚Bu einem He der Götter und Helden paßt auch 
Pindars Inbioibne Mer. Charakter. Tiefe Ehrfurcht für 
Seelengröhe umd Tugend; mit edlem Stol; verbundenes 
Beawuftenu feiner eignen Würde; endlich, der müde und 
ae Frohſinn, welcher zum ferien Erguß der Empfine 20 

einlabet machen die Hauptzüge ans, welche feine 
HR verrathen. 


et ich ſeine Frömmigkeit aus, bie mehr 
Furcht zeigt, als mon jonit bei Grie- 
bil rn gewohnt ft. Daher feine Beft 
die Wotthelt duch irgend einen Ausdruck zu beleidigen, 





Pindar. 37 


und feine Vorſicht in ber Verwerfung unheiliger ober 
abgefegmadter Fabeln. — Hiitorifche Beweiſe 


9. 


An diefe ſchließt ſich zunächſt die Verehrung der 
‚Helden der Vorzeit an, die er oft als Mittelperjonen 
wiſchen den Göttern und feinen Siegern braudt. In 
diefen ſchätzt er am meiften gerade Tapferkeit und ofne 
Stärke. Daher find Herkules, Achill, Ajax, Jaſon mehr: 
mals bei ihm wiederkehrende Figuren; Dagegen LyE 
jelft durch Homer: Namen nicht gegen feinen Tadel 
geſchützt wird. 


10. 


Ebenfo ift feine ganze moraliſche Geſinnung auf 
Offenheit, Treue und Genügfamfeit, auf Bürgereintracht, 
Friedfertigfeit und Familienglück, dabei aber auf ein edles 
Streben nad großen Thaten, nur verbunden mit Be— 
ſchrantung unmäßiger Wünfche gerichtet. Neid, Selöftfucht 
und Sinterfijtige Öfeifmerei erbittern ihm bis zur Härte, 


11. 


Aber jede Größe verſchwindet umjonft, wenn nicht 
die Stimme des Nechruhms fie verherrlicht. Dieſe er- 
tönen zu lafien, ift ex beftimmt; bei dieſem Gefchäft ſtehn 
ihm die Mujen vorzüglich bei; und wenn er dem Haufen, 
der ihm nicht faht, misfält, jo hat ex doch den Beifall 
der Weiſen 

12. 


In dieſem ernſten, jtrengen, feierlichen Charalter 
herrſche doch durchaus milde Sanftmuth und heitre Fröß- 
fichfeit. Die Charitinmen find es melden der Dichter 
am häufigften opfert, und wo ex die wünjchenswürbigiten 
Dinge nennt, vergiht ex nie des finnlichen Cchenägenufieß, 
erhöht durch die Freuden ber Mufit und des Geſanges. 


38 Wilhelm von Hundert 


Dich ſchloß eh) an feine nn un, da der Gotie⸗ 
dienft zugleid) immer mit Kunftgenuß verbunden war, — 
Gefang feiner Töchter bei Naht, Schöne Stimmen ber 
Bbotlerlnnen 
13 
Bon Pindars janfteren Gefühlen 
zum fchönen Theoxenus. So viel 
Derufte fie auf dem begeifteten Mefüht 
und empfänglichen Seh fi für Schönheit 
ab Hat mit Wintontfcher und Sofratifcher Sm 
keine Aehnllichteit. In Theozenus Armen und im Theater 
ſtarb er. 
1. 


Auf dieſe Weife war über Pinbars ganzes Leben 
ein Glang verbreitet, in welchem Sröfie und Anmuth fi ” 
gatteten. Hiermis muß man es fi erllären, menm 
öfter auf das Lob des Meichtbums in feinen —— 
zurücktommt, und wenn er bie Macht ber — 
erhebt, als ehnem Griechen zu geztemen ſcheint. 
baupt war ex wohl der eigenifidjen a 
geneigt, loßt ſich aus dem Ganzen feines Eharatı 
ters fchliehen, 4 er den ruhigen Lebensgenuf kn ber 
Sicherheit des Friedens unfihern Gefahren — 
vorziehen mußte. Vielleicht Daher fein Abrathen om 
Perjerfvieg. Wenn am den Anekdoten von jeiner Ber 8 
glerde nad) Relchthüumern eiwas Wahres ift, wie fih 
alles wohl taum ablüngnen laßt, jo gehört dieſer Chara- | 

bieher, und die Tempel und Bilojäufen, Die er | 
ig Neigung mit ſeinem 
it feinen moroliichen 3 
Oefinnungen ylamamenhieig, | 


15. 


So Il Pinbar, von bem es wicht bekannt ift, ba 
er fonft ein bügerliches Amt betteidet hätte, im genauer 





Pindar. 39 


fien Berſtande als ein öffentlicher Sänger, und als ein 
heiliger Dichter, gleichjan als Priefter anzufehen. Dadurch 
amd durch einen Antheil Vöotiühen und Aeoliſchen Nas 
turels Gefommt er eine Würde, einen Ernſt, und eine 
Sternge, die ihn den Hebräiſchen Sängern auch im 
Charakter beinah ghulich machen würde, wenn nicht Die 
Griechiiche Leichtigkeit, Milde und Sumlichkeit wieder alle 
Spur eigentlicher Gleichheit verwiſchten. 


10, 


Ueber feine intellecruelle Ausbildung giebt die Ge— 
ſchichte fo gut ls feinen Mufichluß, Imdeh find feine 
Lehrer, Beitgenofien zu erwähnen, fein Umgang mit 

ſchylos und feine Reiſen zu unterfuchen. — ort 
fchreitung feiner Bildung; Beitfolge der Oben. 


17. 
(Beufre Befhaffengeit feiner Gedichte;) 

Außer der individuellen Lage des Dichters ſelbſt 
wu zur Beurtheilung feines poctifhen Charakters auch 
mod) die zufällige und außre VBefchaffenpeit feiner Gedichte 
Hitzugenommen werben. 

18. 
alter Corifhen überhaupt) 

Alle lyriſchen Gedichte waren für den Geſang, die 

meiften für eine Art iſcher Aufführung bejtimunt, 
f, häufig mit Tanz begleitet 

ji diejenigen, welche fie aufe 

führten, und mt ftentheils war er jelbit ber Tonktiuftler. 
Amiefetn gilt das alles auch von Pindar? Echidte er 


bloß jeine Gedichte, oder unterrichtete Ehre mach den 
so auswärtigen Ländern, für bie ex dichtete? 


kn M 








Finder, a 


wovon im Pindar mr Ein Beifpiel vortommt) iſt es 
iehr zweifelhaft, ab ber Preis mehr der Stürle ober 
mehr dem Talent gebührte. 


22. 


Uber auf der andern Gelte war dex Preis, der in dieſen 
Splefen errungen wurbe, ber höchſte, deſſen ein Grieche 
fi vühmen fomte; und gegen ihn blieb felbjt das 
peößefte Bürgerverbienft und der ſchönſte Kampf fürs 
Vaterland zurücd, Griechenland kannte für jede Gräfe 
einen eignen Dank. Stille Ehrfurcht, Liebe md Vertrauen 
belohnten das achte Verdienft; aber lautes Frohlocken, 
eraltitte Begeifterung, und ein Preis, an dem bie Stunz 
Uchtelt und die Phantafie mehr, als Geift und Herz, Anz 
heil nahmen, erhoben den Eleger ber Rampfipiele, 


23. 

Ihre Feier war eine Feier der Phantafte, Ales 
wos die fo zeibare Cinbilbungstraft des Griechen au 
beſenern vermochte, kam bei den Kampfſplelen zufammen: 
bie ungeheure Menge des Volls, das nationale Vorur— 
theil, da nur Hellenen dieſe Feler thellen durften, Die 
nahe Verblndung der Spiele mt heiligen Gebräuden, 
das ehrwürdige Alter der Einvichtung, dns ſich bis in 
das Dunfel der Heldenʒeit verlor, der Wettlanpf ber- 
ſchledener Griechiſcher Stämme in der Perſon ihrer Kam- 
pfer, endlich die Gräfe des Schauſbiels felbft, die Schönheit 
und Stärke der Ningerförper, die Pracht der Geſpanne, 
bie welteifernbe Anſtrengung der 3 


24 


Diefe ſinnliche und phautaſtiſche Stinmumg zu er= 
md nicht wenig bei, da der 

fondern ein bloies Spiel, eine 

ra Jeder ernitliche 





42 Wilgelm von Humbofbt. 


— itte durch bie glelt 
Er re ee 
— niedergedrlickt, oder a Ale 

06 fie vielmehr in leichtem Spiel in Die ei, ba er 


mr gleichjam die Form eines Fi Halten Hatte, a 
md. der Sieger in ihm mur dem blofen Pa des 
Nuhmes verfolgte, 

2ab. 


Was den Ruhm in Ze noch vor jeber 
andern Gattung der Ehre auszeichnete, und ihn bejonbers 10 
x einem Gegenſtande der Bhantafie und einer 
— an — wie ex — * 

jeber andre Ruhm ſam, mach ml * 
mehrere zuſammentreffende ee Umftände, die 
immer noch eine imgleiche Beurthellung und Würdigung 1 
sulaffen, errungen; und wenn er elumal erworhen fi, 
mu er erhalten werben, er leht mur in der fortbaurene 
den Meynung der Menichen, auf die alſo aud) fortgeroirkt 
erden muß, Bel den Kampffpielen war nur Ein 
zu thun, amd ch war alles gewonnen. Der Sieg mufte zu 
errungen werben; dieß Bein auf eine iedene un⸗ 
vertennbare Weile. Alle Meyhnung des Ruhms hieng 
jept allein an der Meymug bes Sſeges und hier war 
it mehr Unficerheit der Beurtheklung ober Beforguif 
des Verluſtes zu fürchten. (Zu unterjucen, ob nadjberiges 2 
Unterlienen, odex irgend eine Art der Aufführung und 
des BVetragens bie Ehre eines Olympioniten tieber zu 
ſchmalern dermochte.) Dadurch wurde die Lrkümpfung 
eines Kampffteges jo jehr einer Vergätterung ähnlich, amd 
dieh hat Pindar vorkueflic benuht. 2 


25, 
der Run, deſſen bie Sieger in den vier großen 


jen, nun einmal aus der Neigbarteit der Phans 
tafte der. Ösriechen, auf bie hier von allen Seiten eingewirtt 





Pindar, 43 


wurde, erllarbar, jo verwebte jich num diefer Gedanke in 
alle gejelfcjaftliie und bürgerliche Einr chtungen Seht 
war der Ruhm des Siegers, durch den er zugleich. fein 
Baterland verherrlichte in der That etwas Großes, und 
ie gering fein wirkfiches umd perſönliches Verdienſt ſeyn 
mochte, jo ſtand er dennoch bloß durch den Platz, auf 
ben er fi geſchwungen hatte, auf einer unendlichen 
‚Höhe. — Veränderungen in dev Meymmg von der Größe 
der Kampfipiele. Stviefern ſchon zu Pindars Zeit? 


26. 

Anftatt alſo daß die Beringfügigfeit des Gegenſtandes 
dem Dichter Hätte zu ſchaffen machen follen, hatte ex viel- 
mehr jebe Kraft anguftrengen, bemjelben gleich zu bleiben. 
Da indeh die Größe deſſelben mr eine finnlihe war, 
fo Geftimmte bie zugleich den Charakter ber Siegshymnen, 
und jo ſtimmt dieſer Gegenſtand micht wenig mit dem 
inbividuellen und nationellen Charalter Pindars, feiner 


Lebensart und feiner Veichäftigungen üherein — obgleid) 
fi, der ganze Umfang feines Genies und Charakters wldht 
genau ausmeſſen läßt, da die Vehandlung diefer Gegen 
fände fajt die einzige Quelle ift, aus ber man fchöpfen lan. 


IT. 
AR, 


(Dumnere Natnr und Bserhaffendeit der Stegehymnen 
tm Ganjen.) 


zu Schildern ift nur am dem 
Siegs hymnen mb — feiner übrigen 
Stüde geben nur Mt 
Siegehummen follten ben 
& den Hubm des Sieg 





u Wilhelm von Humbolbt. 


Ausdrut der Freude und Auxuß bie Gothen bie 
Sein Deb Eieaeb zu Bgehen Men, — 


28. 

Die Stimmung, in welche ber Di — 
Zuhdrer verſehen mußte, m daher aus ——— 
ber Größe und ber Freude vermiſcht — 
bringen gab der einzelne ſpecielle Sieg en, 
wenig her; biefer Gegenſtand mar 
nad und zu bekannt, als daf der Di 
verweilen dürfen, Daher Fommt — 

Ba der Rampfipiele ſelbſt im Vindar vor; en 

befondre einzelne Umfände ſpielt er hie und da am. 
Das Einzige, was er bon feinem Gegenftande entlel 
Tau, iſt bie allgemeine Ider bes Ruhms und ber Ob 
die mit den Siegen verbunden war, und die Gejchihte ı 
der Vorfahren ud der Vaterſtadt des Siegers 


20. 

Hier aber exöfnet ſich ihm auch ein weites Feld für 
die Phantaſie. Won der Familie des Siegers oder feiner 
Boterflabt geht er leicht zu den berühmteſten Helden — 
Srlechenlands Über. Durd) Phiefe bahm ex ſich den Weg 
zu ben Göttern, und jo Müpft ev ben Sieger zulegt au 
diefe am. Nun ift er in dem Gebiete, welches mehr, alt 
irgend ein anderes der dichteriichen Einbildungskraft, = 
befonders der begeifterten phantaftifhen Stimmung 
meſſen iſt, welche die Kampfſpiele jo ausgezeichnet 

gleiteten. Im dieſem verweilt er daher aud) am Hufgften 
Hi längften, indeß er dagegen der größeren und ber« 
Dienftvolleren Thaten der näheren Vorfahren, ſelbſt des 
Kampfs für die Freiheit nur ſoarſam und vorübergehend m 


30, 
Doedurch alſo wird der Hauptcharatter des Dichters 
glängend, erhaben und feierkich. Aber inde er bie Phans 





Finder. 4 


tafle anf diefe Welſe leicht erhebt und beſchaftlgt, miſcht 
ec ber Empfindung zugleich noch einen größeren und 
soliwbigeren Gehalt bei. Der Sieg, der nit anders als 
durch Kampf zu ewringen war, führte natürlich die Bor— 
frelfung der Anftrengung Herbei, die er foftete, und die 
chwin delnde Böhm auf welcher der begeifterte Dichter 
ben Sieger ſah, erinnerte an Die Gefahr, ſich des Sieges 
zu überheben. Aus biefen beiden Quellen entipringen 
vorzüglich) die ernten Verrachtungen, durch melde das 
Gefühl der Freube auf ber einen Seite zwar gemäßigt, 
aber auf der andern auch würdiger und dauernd ge— 
macht wird. 
a. 


Allein auch Hier herrſcht dieſelbe Erhabenheit, welche 
den Dichter überall auszeichnet. Die Unveränderlidhkeit 
des Schiejals, die Vergleichung dev Nichtigleit ber Men— 
ſchen mit der Macht und Größe dev Götter find das oft 
in monnigfaltiger Behandlung wiederkehrende Thema, So 
verbindet jich überall in der Wirkung, die Pinder her— 
vorbringt, gehaltvolle Tiefe mit anmuthiger Fülle und 
Leichtigkeit, (Nemeen IV, 10—14,) Die Stimmung, in 
Die jene Beften Gticde den Leſer verfeßen, ift nemein- 
Ichaftlich durch die größeſten und exhabenften Ideen der 
Vernunft, und bie glängendften und lachendſten Bilder 
der Phantafie bewirkt, und durch den Gebrauch vom 
beiden jtrebt ev Einem und demjelden Ziele entgegen. 


Gefühl der Nuhe und. 
jre und große Grundlage 
eift er zuerſt daB Gefühl 
0 ng der furdtbaren 


günftige Schiele 
ie zu vermeiden, 
arm fuhr ex jelbt bie 





46 Wilhelm vom Humboldt 


Einbildungstraft jo oft, as es — 
Gegenſtand feiner Schil durch di J 
ſtellung und die u des re — 

— — — = 
Ende werden dieje beumrubigenden Pre 61 
um ausgeglichen und in eine gleichſdemige 

aufgelöft, die, zufrieden mit dent fteten Gange bes 

jals ımb dem Willen her Götter, fich dem Genuß der 
Gegenwart, aber mit weiſer Möfigung überlöht, Weit 
dem Oenuß wird immer zugleid) mıf eble — 
gewieſen, und innere Größe und äußerer Ruhm immer 

als wechſelswels ſich erwerbend und belohnend Dargefteift. 


33, 
ö au die — en a. 
Jette gen gewinnt ar, e Stimmung 113 
Größe, in die er den Leſer verſeht, mehr Würde und 
Feierlichfeit empfängt. CS ift feine ierdifche, fondern eine 
hinmliiche Höhe, auf die fich der Dichter berfeht fteht. 
Dieje aber mahlt er mehr für ven äußern, als bem 
inneren Sinn aus. Daher der jtrahlende Glanz, der » 
über alle jelne Schilderungen ausgegoſſen ift, und bie 
File der Bilder und des Auspruds, die mit erhabner 
Leichtigkeit dahinrollt. Daher vermeilt er jo gern mu) 
bei Begenftänden jinnlicher Pracht und röfer und dev 
lanz bes Gothes, die Macht der Mönige, der Scholl = 
des Ruhms, lauter Objecte, auf die ihm der Gegenſtand 
feiner Dichtungen ſo notbwenbig führen mußte, verwebt 
= dadurch jo fehr in den Choralter feiner Poeſte, dab, 
fie nicht von felnem Stoff zu empfangen, ſondern 
in ühelldh zu wählen ſchein » 
34. 
Irbße, deren Gefühl der Di herborbringt, 
nicht gerade Grüße der — —— der Empfin⸗ 
dungen, eingelner Thaten, e8 ijt Größe der: Gpie 
ſteng, des Dafeyns, des Leben? überhaupt. Wer fie = 


a 





befigt | ungettübte Ruhe, ift mit allem moraliſch 
und phufiih Großen und Glängenden verwandt, elnlg 
mit ben Oöttern unb mit dem Schlcſal. Daher ftammt 
bie Ruhe, die Heiterleit, bie ſtrahlende Erhabenheit, die 
5 ben Pindar vorzugswelje ausgeldnet, und bie ſich jo 
ganz bom jener andern Gattung ded Erhabenen unter» 
jeidet, welche die moralifc;e Größe im Kumpf gegen 
die phofiche darftellt, und fonft von den lyriſchen Dichterit 
oft gebraucht wird. 
al 30. 
Damit hängt es zufammen, baf .. . 


[mr 40, 
dor allen andern Jaſon, und Herkules heim 
Zelamon. Auf ähnliche Weiſe ſind auch alle übrigen 
15 Gegenflänbe behandelt, bie er aufführt, wenn fie much 
nicht Icbendige Wefen find. Alles tritt in einem gewifjen 
Charakter auf; nichts wird Stoß ben Sinnen, alles zus 


gleich dem Gemüth und der Empfindung geſchlidert. Haft 
bie treflichite Charaktericene, der Geſang Apolls und der 
9» Mufen in der 1. Pythiſchen Ode, 


4. 

Der Umfang, aus welchem die Pindariihen Charat⸗ 
tere genommen finb, ift freilich nicht groß. Oöttermacht, 
‚Heldengröfe, ımeigennüßige Nuhmbegierde, Verfolgung 

> bes Laſters, Beihügung alles Öuten, ftrenge Offenheit 
und Gerechtigtelt, Neigung zu Bürgereintracht und 
Fumilienfiebe, und Frögliche Stimmung zum Genuß bes 
Xebens, mit den en, die dieſen entgenengejept Find, 
umjchliehen ihn 3 genau, Dennoch fehlt es immer 
0 halb dirfes Kreiſes nicht an Mannigfaltigteit 


413. 


iguren Binde Die Götter: im Ullgemelnen, 
bie sehe na, tabello| beit, 6 





‚großer Heftigkeit, aber vor 
Weisheit begabt, Eine ganz 
fonft irgendwo borkommt?) Mor 
Chiron. Die Götternatur, ihre Kraft 
‚Hier mit der Unerfahrenheit 
und der weiſe Grels ehrt bie eine, 
belehrt. Die Charitinnen, janfte und | 3— 
bie Geberinnen alles Glamzenden, Lachenden 
lien. Einige allegorifche Figuren 3. ©. 9 H 
übrigen Götter nur im jeigehn, mach hren ge 
lichen Eharalteren erwähnt, 


43, 


Die Helden. Herhules, der Inbeguff 
und Tapferlei. Jaſon, neben jenen 


an zum Frieden geneigt, und von 
Erelmuth. Mar, eine merhvicbige, in 
Die Diosfuren, fanft, a 
ollen und zur Hülfe 


= eftechende Ch 
Soryig lich ift der enftere ſchön 
ai er Be diefer den 


tere werden ee ge 
den Gelenaratter 
der Kyrene. Wenige aber L 
ibfichfeit komnen bei (bes w 





Binder. 49 


chen a ‚Die und da ſchenen Charaktere, die beſſer 
hätten bemußt werben Armen, vernachläfigt 5. B. Meben. 


44. 


Wo alfo die Einmiſchung des Epifchen im Pindar 
wirklich gelungen ift, ba ftellt ec einzelne Wilder — 
wirkliche Werfonen und Charaltere oder Handlungen und 
Begebenheiten — auf, die, indem fie die Phanlaſie be— 
ihöftigen, zugleich das Gemüth feinen lyriſchen Abſicht 
gemäß itinmen. Die Eigenthünilichtelt des Dichters zeigt 
Ih aledann darin, daß ec auf der einen Seite der 

itajie ein ausführliceres, glänzenderes, reicheres Ge— 
mählde baxbietet, und auf der andern dennoch das Genuith 
Dur) den feiten und beftimmten Charalter feiner Züge 
ſarler erichlittert, jo daß durch beibes zuſammengenommen 
bie Stimmung, bie er hervorbriugt, und In ber extenſwer 
Neichthum ſich mit intenfiver Stärke verbindet, zwar minder 
heftig und plöplid, aber voller, dauernder, und mehr über 


die ganze Seele verbreitet it, als bei andern hriſchen 
Dichtern. Fehler hingegen, iu welche er nicht jelten ver— 
fälkt, find theils epifche Cpifoden da einzuiveben, two fie 
der Ipriichen Abficht eher ſchaden, al nüßen, oder fie 
weiter, als in dieſer Ruckſicht vorthellhaft ift, fortzuführen. 


45. 
(Findars didantifher Theit, feine Sentengen.) 
Das zweite Hauprjächliche Mittel, deſſen ſich der 
Eh fer zu jeiner Abſicht bebient, find Die Sentenzen. 
Dieſe braucht er zuweilen beinah mit zu freigebiger Hand, 
and faft überall dienen fie ihm, bie derichiedenen Theile 
längerer Abfchnitte feiner Gedichte, oder Des Ganzen ſelbſt 
zu verbinden. 


Ihe Juhalt ift wicht von jchr grohem Umfang und 
ganz aus dev nommen, aus welcher er zugleich 
Deutsche Littorstanlankmalo Xe. 39/02. 4 








Pindar. 51 


—* Zotaleindrud wird nun mr un jo größer, da die 

Stimmung, in welche die Einbildungskraft ver- 
= wird, dur die Wahrheit und Junigleit des matür- 
üchen Gefühls, an das fi der Dichter zuerſt wendet, 
mehr Gehalt und Dauer empfängt. Plndars EigentHimlich- 
feit — denn im Ganzen bezeichnet derfelbe Chavakter alle 
frühere Grlechiſche Dichter — liegt hiebei darin, daß feine 
Weisheit noch gediegener und fraftvoller, aber auch noch 
einfaher umd auf einen noch Heineren Kreis beſchrünlt, 
die Ausficht ins Sdealiihe aber mehr für die Phantafie 
und Die Sume, glängender und lachender ausgemahlt fit. 


48. 
(Einheit der Pindarifhen Gedichte.) 

Nichts mußte bei den Siegshymnen jo jchwierig 
jeyn, als in dieſem Stoff ein lyriſches Ganzes hervorzu- 
bringen. Der Sieger jollte gepriefen werben. Das Thema 
war bier immer der Ruhm, die Hauptempflindung Die 
Freude. Aber beides war zu einförmig und unbeſtinmt, 
os daß Leicht ein individuelles Iyrifhes Ganze daraus 
hätte gebildet werben lünnen, Much giebt es mehrere 
Sden im Pindar, die im eigenttichften Verſtande biofe 
Siegesfeier find, einzelne poctiſche Schönheiten befiben, 
aber im Ganzen, und vor allem, von Mufit entblößt, keine 
Wirkung machen, Auch findet ſich in ſehr vielen eine 
geroiffe Ginförmigleit der Anlage, Die fie in drei Stüde, 
eine Erpofition, Verkündigung des Steges, eine hiſtoriſche 
oder jententiöfe Digrejfion, ımd ein Zurüdtehren zu dem 
Sieger und feinen Lobe, ſehr natürlich abiheit. 


40. 

An eine Einheit, wie man fie in andern lyriſchen 
Dichten findet, die eine einzelne Empfindung, ein einzelnes 
BD, einen einzelnen Gebanfen aufftellen, zu denfen vers 
Bietet daher ſchon die epiich-Wyriidhe Gattung, bie und allein 

ir 





In den Uebergängen hereſcht die 
eiheit. Die Phantafie alein bringt fie 


Manchmat find die Mebergänge lojer, als fid 
eine Weiſe vertheidigen läßt. Allein au 
Der he Kir Mintkafe In der Slim 
ter it feine fie in der 
ex fich verfept hat, frei Herumfimeifen; ergreift 
was fi, derjelben gemäß, auf feinem Wege ihm 
und bricht am Erbe willfihelid ab, wenn er fich 
verlert hat. 3 


51. 
— 2 
Indeß iſt hierin doch mi ſoviel Wi 4— 
als es auf — — ſcheinen e 5 
Zwar ift 08 gewiß, Daß Pinbars Gejänge feinen fo 
Plan, und nicht jo forafältig einander 
ennen, 


andre ſpãtere lytiſche 


Nyvthmus Di 
— ieges zu ſtimmen, und ald habe ex nur 
allgentein das Gebiet überjchlagen, das ihm bie jedes 
malige Weronlaflung üfnete und bier mit willtührlicher a 





Frelhelt bie einzelnen Gegenftände gewählt. Jndeß wirlen 
dennoch wenn wicht alle, dod) die ſchönſten Oden als ein 
Ganzes auf die Elmbildungsfcaft, indem entweder Ein 
Thema durchgeführt oder wenigitens Eine dauernde Ente 
[1 — durch alle Theile des Stüds hindurch unterhalten 

Diefer Leiten Art der Einheit bedient FH der Dichter 

— mit vorzůglichem Glücke. Jede Ode hat im dieſer 
t ihren eignen Ton, ihre eigne Haltung, bewegt 
ſich ſchneller oder langiamer, erhebt ſich färker oder 
10 fließt fanfter dahln. Voczuglich zeichnen fc Hierin einige 
wie andre Fr —— a = — F 
andeuten, doß es um mit Genauigkeit be— 

ftimmen läßt. (Buthien 1) 

52. 

Sind alſo Pindors Gedichte felten als Ausbrüde 
eingelner und beftimmter Empfindungen anzujehen, jo find 
‚fie doch Ergleßungen ber Seele in einzelnen und bauernben 
Stimmungen, die ihren Charakter der Behandlung jedes 
un aufprüden, ben ev berührt. Bei der Eins 

fürmigfeit jeine® Stoffs laßt ſich bier keine grofe Mannig⸗ 

ar erwarten. Feierliche Bünde verbunden mit jröhlicher 
Unmuth verrathen fi fo gut als überall, Allein auferdem, 
dahı bald mehr die eine, bald bie andre das Mebergeivicht 
hat, auch beide ben Graden nach verſchieden find, jo 
> finden ſich auch ganz eigenthämliche hejtigere oder janftere 
Stlmmungen, Die legteren zeichnen ſich alsdann durch 
— Bun und Lieblichtelt aus, und merlwürdig 

8, daß auch die eriteren, ſelbſt wenn der Dichter 
* Neid und Misgunſt kümpft, dieſe Eigeuſchaften 

0 dennoch nie verlaugnen 


Pindars on] imen eigenthümlichen Tyrifchen 


Charakter. Stühne ern, ungenögntiche Qufammenz 
5 fehumgen, neue Verbindungen der Cähe geben dem vor— 





54 Suhhenn von Gumbolt, 


mb prächtig dargejtellt; anbre um fie 
Daher wohl die —— 


des Dichters wechſelt, verändert ſich auch mi 
Fon des Vortrags. 
dä, 
Rhottuuus. 

Ueber das Silbenmaaß it es ſhwer zu lem, 
da mir es nur ohne begleitende Mufit fennen. Pindar 
ift darin erſtaunlich genau, und bewahrt nicht bloß die 
Bahl und das Maaf; der Silben, jonbern auch die einmal 15 
gewählten Abichnitte im ſehr vielen Slilbenmasßen. 
vhythmtiche Periode hat einen jehr großen Umfang. ben 
unjer Ohr faum noch zu faſſen vermag. Nie, cin einziges 
mol ausgenommen, haben zwei Oden dasſelbe 
(Ueber den Unterſchied dieſer Silbeumaaße von den Kirzen, 3 
die ordentliche Sanons geworden find, und ihre i 
ist genauer nachzuſuchen, wie auch über alles hiftorifche, 
was das Sllbenmaaß betrift) Gewiß war jeher 
mus dem Ton ber Dde angemefjen; ein 
fich dieß auch jept nor) zeigen, und man mu; mie were a 
geſſen, daß es hier auf die Muſil eigentlich ankam, und 
das Silben maaß ſich nur infofern zur Beurteilung brauchen 
laßt, als es mit dev Muſit übereinftimmte, 


55. 


(Beflimmter Begrif der Siegshymisen, als Mecapitnlation 5 
des Borigen.) 


Am richtigſten ſtellt man ſich Daher die Pindariſchen 
Siegshymnen als muſilaliſch-poetiſche Ganze vor, In welchen 
der Dichte, ... » 





In. 


Betrachtungen über die Welt- 
gejchichte. 


Es giebt mehr als Einen Verfud), die einzeln zer- 
5 ftrenten, und ſcheinbar zufälligen Weltbegebenheiten unter 
Einen Oefichtspuntt zu bringen, unb nad) einem Princip 
der Nothwendigfeit aus einander herzuleiten. Kant hat 
bies zuerjt am meiften ſyſtematiſch und abftract gethan; 
mehrere find ihm nachher hierin nachgefolgt; alle ſoge⸗ 
nannte phlloſophlſche Geſchichlen find Verſuche dieſer Art, 
md die Sucht, Betrachtungen über die Geſchichte anzu— 
ftelten Hat faft die Befhlähte, wenigitens ben geicjichtlichen 
Sim, verdrängt, 

Aber biefe Cyfteme Haben meiftentHeils, außer dem 
Fehler, nicht gefchichtlich und am twenigften weligeſchicht 
Tich zu feyn, d.h. die Begebenheiten gemaltfam zu bes 
handeln, und ganze Theile, die nicht in dem ſichtbarer 
verknüpften hinelnpaffen, zu übergeben, noch ben, das 
Wenſchengeſchlecht zu ſehr Intellectuell, nach feiner indivi- 

duellen, ober gej ı Vervollfommmung, bie oft 

auch moch, als bio tur, einjeitig aufgeſaßt wird, 
und nicht genug nach ‚feinem Huſammen hange nit dem 
Erdboden und dem Weltall, rein naturgeſchichtlich, zu 
betrachtet. 





Die Aufgabe indek läßt 
weiſen. Es ijt einmal offer 
ern, 

But 
Die Mast, welche Ken Jah 
Menjehelt ausüben, gun u fi 


—— zu ind diefe Ge A 


des Gingelnen um — 

die Beantwortung der Frage ans 

Zuſtand ſich aus dem jepigen, fo tie Diefer a 

zunächit vorhergepangenen, entiwidelt wird? * 
Um daher eine jo auglehende Unterſuchung 
weltgejchichtli en! tz 

An, len wir im Fe Bell, ſowohl von. Eeiten ber: 

ee, als der Erfahrung, Alles fi 

freulich ae: RN. a 

Umänderungen des Denfchengefchlehts, ver 

Dort Unendliche, obe le in 


leren Händen ee 
bie Stellen zu zeigen, wo ber 

bares und feftes erlaubt, 
gebheſte 


ft Bugleid) — cf 
leich ei ſas en 
enwart verfchmähend, zeigt in wie daß 





Betrochumgen über die Weltgejchichte. 57 


oft groß Geachtete Hein iſt, und wie am Meinten und 
minzigiten gegen die Schidjale des Menſchengeſchlechts 
im Ganzen und Wefentlichen die Herrſche und Streitſucht 
der angeblich civiliſirten Nationen, das Zerſtbren und 
Gründen mar auf politiſcher Eintheilung beruhender 
Stnaten, und Alles, was einzelne Willtühr fchaft, micht 
getragen vom jelbjtftändigen Willen ganzer Nationen. 


1, Einleitung. — Phitofophüücher, — Hiftorijcher Theil. 

2. Einleitung. — Was tft zu erwarten umd zu 
tum? — Ras jind die treibenden Sräfte dev Waltge- 

ſchichte) — Worin hat man bis jebt bei ihren Bear— 
— gefehlt? 

3. Bas if zw erwarten md zu tun? — Das 

Menſchengeſchlecht iſt eine Naturpflanze, wie Das Ge— 

5 ichlecht der Lzwen und Elephanten; feine verſchledenen 
Stamme md Nationen Naturproducte, wie die Macen 
Arabiſcher und Islandiſcher Pferde, mır mit dem Untere 
Achied, dad fich im Keim der Bilbung felbit zu den Kräften, 
die ſich in jenen, uns fichlbor, allein zeigen, die Ahee 
der Sprache und Freiheit gefellt, und ſich beſſer oder 
ichlechter bettet. nr. 4. 

Der Einzelne ift im Verhältniß zu feiner Nation 
uur In ber Art ein Inbivibuum, wie ein Blatt im Ders 
hültwiß zum Baum, ebenſo kann die Gtufenfolge der 

> Individualität weiter gehen, von ber Natlon zum Völler— 
ftamm, von. diejent zur Race, von ihr zum Wienſchenge- 
ſchlecht. Nur inmnerhalb eines gewiſſen SKreijes kann baum 
der Untergeordnete vorärts gehen, zurüchſchreiten, oder 
auders ſeyn. ar. 5. 

Es giebt einen Moment der moraliihen Erzeugung, 
auf bem das Judivlduum (Nation, ober Cingelner) wird, 
was es jenm fell, nicht itufenweis, fondern plöglich. und 
auf einmal. Asdanı es am zu jeyn, deun vorher 
war es ein Andres. tejer Anfang num {it auch jeine 





58 Saltyelm vom Sumborbt. 


Vollendung: von da geht es —— — 
wlclelung Vorhandenen, und mil | 

wärts. Aber zwiſchen ben eig 

Dipfelß, und dem Sichtbarwerden der 

ein Schwanken, und Dies {ft Die fe Periode, 

Die Natur im Großen, wie im erzeugt 
An einer gewiffen Periode der Fruchtbarkeit, die man i 
Jugend nennen kann, und was ich, ohne neue 
nur fortentwidelt und bilder, nähert fein 
gang. Die Veredlung des Inning ehe fe 
nicht eigentlich von ftufenweifer Uusbildung, und an 
jelben Smdiotduum, nicht einmal Complerus von Jadibi⸗ 
duen zu erwarten, fondern nur durch immer neue — 
der mit Kraſt zeugenden Natur, und überraſcht mtr 
durch Neuheit, Allein es erhalten fi bisweilen von ın 
den Untergegangenen Ideen, welche die — Natur · 
erzeugung befördern, oder ihr aufhelſen, 0 
nur fruchten, wenn fie mit junger oder erneuter 
ergriffen werben. 

Auher ber Vereblung bes Wege giebt m 
es ein Leben deſſelben, das im verſchiednen und nahen 
Beziehungen sit fie ſieht, und zuglelch einen unabhangigen 
Werth für ſich Hat. Diefes Liegt innerhalb der — 
menſchlicher Erhaltung und Beſrderung. und ift, mer 
&5 nicht durd) Die (ut) des Schifals Puxchbrodhen wird, a 
einer regelmöfiigen, ftufenwveifen Berbefferung fähig. 

Aus beidem num, aus der Entridhung, deren Stufen 
ſich verfolgen faffen, und den neuen Erzeigungen = 
Revolutionen iſt Die Weltgejcichte aufammengejept, und 

fi Beides muß ihr Gang beobachtet und — 


Tg 

muß aber durchaus aufhören, mit einer ges 

utiven Gerechtigteit immer die Individuen zu 

un auf das Ganze — und den Gang der 
w am ihm bemerken. Dem alle Krofi des m 

E Schöpfung macht nur Eine Mafje aus, 
und — bie Jubivipualität, ois etwas gleichſom Nelatives, 


0 * 


— 





Betrachtungen über die Weligeſchichte. 59 


‚einer ſtufenweiſen Erweiterung fähig it, jo iſt ihr Be— 
wußtſeyn auch nur das eines individuellen und momen- 
tanen Daſeyns, und ſelbſt nur den Zuſammenhang des 
Daſeyns verloren halten, wenn die Indviduolliäten anders 
sufammenfllehen, Heißt über etwas aburtheller, wovon 
weder Anſchauung, noch Begriff möglich iſt. Das Seyn 
in der Beit ift ein bloßes Erzeugen und Untergehen, und 
die Erhaltung im demfelben Zuftand ift nur ein trügender 
Schein. Die Weltgeſchichte it daher und im dem ger 
theilten irrdiſchen Dafeym nur die ums ſichtbare Auflöfung 
des Problems, wie — ſey es bis zur Erfchöpfung bes 
Begriffs, oder bis zu einem, nad) unbefannten Gejeen 
gefterkten Diele — bie in der Menſchheit begriffene Fülle 
md Mannigjaltigfeit der Kraft noch und nad; zur Wirke 
Tichleit fommt. Die Menſchhelt aber kann nur Au ber, 
der Erfcheinung nach, ganz förperlichen Natur Leben 
amd eben, und trägt jelbft einen Theil diefer Natur in 
fich. Der Geift der diefe beherrfiht, überleht den Einzel- 
nen, ımd fo iſt das Wichtigfte im der Weltgeſchichte die 
Beobachtung Diefes, ſich forttragenden, anders gejtaltenden, 
aber auch jelbit manchmal wieder untergehenden Gelſtes 
Die Natur und er find aber nicht im Kampf mit einander, 
indem er ſich vielmehr Ihrer und Ihrer Zeugungskraft 
bedient. Ihre Verſchiedenheit ſelbſt if vermuthlic; aufer 
ihrem — eigentlich Eins jeyenden — Wejen, und nur 
An der Bejchranktheit unfrer Unficht. VL nr. 
Zu erwarten iſt alfo nicht eine immer fortichreitende 
ti tüchvert don Zeit, Raum und 


he abhfingende der 

it, und ſich immer 

Grab grabt jondern nur zu 

vertrauen, daß die MM Natur und der Ideen ums 
erſchopft bleibt, daß nmirgend etwas Neues erzeugt werden 
lann, ohne nicht au unſer mit dem Ganzen eng ber— 
einigtes Wejen, un Genuß überzugehen, und daß 
in der Gegenwart ın und gelommenen Vergangen- 





‚au behandeln. und joniel 
Semüth zu beleben. 
4.ad nr. 8.8.5 Re 


nad) \ 

Bedurfniſſen ober Smaginationsgelüften, hat. 

dleſe Bedurfniſſe, verbunden mit ben Lelden 

volutionen, Kriege u. ſ. f in Allem diejem muß man 

nad den Endobfihten, jondern nad) den Mao v 

und dieje find oft phyſiſch und animaliich, 

gung des Menfchengefchlechis, melche bie 

zeigt, entſpringt, wie alle Bewegung in ber Natıre, 

dem Drange zu wirken und zu zeugen, und bem 
ie Diefer Drang erleidet, und folgt Gele 


da der Menſch einmal eine 
leiſt Foce an, gelingt, uber mise m 
alückt, pflangt ſich in gewiſſen don Nationen zur 
— 5 fort, umb. Ändert, erweitert 





Betrachtungen über die Weligeſchichte. 61 


Fluten zur Klarheit bringt. Jede noch jo rohe und 
wilde Naturbewegung begleitet aber bie nie untergehende 
Idee, Wo ein Krater einſtürzt, ein Vulkan ſich echebt. 
hängt ſich Schönheit, oder Exhabenheit um feine Formen; 
wo eine Nation auftritt lebt gelitige Form, und Phantafie 
und Gemith rührender Ton in ihrer Sprache, 
At in jedem Untergang Troft, ımb in jedem Wechſel Erjag. 
5. ad nr. 3, ©, 5 [57]. Leben heifit durch eine ger 
Heimnivolle Hraft eine Gebanfenform im einer Mafie don 
Materie, als Geſetz, herrſchend erhalten, In der pe 
ftfchen Welt Heift dieſe Form und bies Geſetz DOrgantjatton, 
in ber intellectuellen und morallſchen Charakter, Zeugen 
heißt, jene geheſmnißvolle Kraft beginnen loſſen, oder mit 
andern Worten eine Kraft anzünden, die plöglid eine 
gewiſſe Quantität von Materie im einer durchaus bes 
timmten Form von der Maſſe loſreißt, und nun fort 
dauernd dieſe Form in ihrer Eigenthämlichteit allen andern 
Formen entgegenjtellt. Die wahre Indivldualität entjtcht 
aljo von innen heraus, plöglid und auf Einmal, und 
twird jo wenig durch das Leben hervorgebracht, da jie 
nur {m Leben zum Bewußtſeyn formt, unb oft nod) ver— 
Dunfelt, oder verbreht. Da aber der Menid ein Thier 
ber Sejelfigfeit iſt — jein diſtinetiver Charalter — weil 
er eines Andern nicht zum Schub, zur Hülfe, zur Beugung, 
zum Semohnheitsteben (mie einige Thlerarten) jondern des— 
halb bedarf, weil er fi zum Bewußtſeyn des Ichs 
erhebt, umd id) ohne Du dor feinem ud feiner 
Empfindung ein Unding find; jo fih in jehrer 
Inbivipualität (in feinem ch) zugleid; bie feiner BE 
ichaft (feines = 108. Die Nation fit aljo auch ein 
Inbivipuum, ‚der * Ind widuum vom 
jonden, aber darum 
doc). unfäugba men) Drganifation mit 
dem Charakter Zodi dualität ſeſter, und es 
find verſchiedene Kreiſe derfelben möglich, in deren jebem 
entfernferem dmmer, ieh Degenlfekton eine wichtigere 
Rolle fpielt. 








Velrachtungen Über die Wellgeſcichte. 63 


dies dor allen diejenigen, auf welden Religion, Verfajfung, 
Öffentttdyes, Häusliches und einfames Leben (aljo zugleid, 
Vergnügungen, Kunſt, Philoſophie und — Ban 
Sie vorzüglid) find die Bildenden Nräfte der 

Aber Wehnlichleiten ber lettteren in ihnen führen it 
immer auf Abftammung, oder Mittheitung, b wenig als 
Aehnlichfeit in den Spradien. 

Die Kraft der Trügheit zeigt ſich in dem anima· 
liſchen, und int imtelleftuellen moralischen durch Gewohnheit 
und Leldenjchaft animaliſch werdenden Leben ber Nationen 
und Einzelnen, Die Enförmigleit der Xegypter, Indlaner, 
Mexieaner, u. |. f ift eine Frucht diefer Kraft, 

Aus dieſen verſchledenen, einzeln ober zufammen 
wirlenden Nräften, deren Wirkung aber oft ſchwer zu 
erlenmen ft, gehen die Schiekfale des Menfchengefchlechts 
hervor, ımd bei jeder in demjelben auffretenden merkwirr- 
digen Oeftalt (je) es einer Nation, ober eines Judiiduums) 
läßt ſich, außer ihrer Beihreibung und Würdigung. nur 
fragen, wie fie entjlanben, wie zu bem geworben ift, was 
wie im ihr enbliden? 

7. ad nr. 3, &. 7 [59]. Unter dem Ganzen, auf bas 
man jehen joll, wixd aber hiex nicht die jept oder jedesmal 
febende Menjchheit, fondern der Begriff bes Menjchenges 
ſchlechtes verftanden. Dieſer ſtellt fich theilweiſe in jeder 
einzelnen Nation und jedem einzelnen Individuum, allen 
falls wegen des möglichen Yufammenhanges aller zugleid, 
Tebenben in jebem einzelnen Zeitalter, aber als Ganzes 
me in der nie zu erveichenden Totalität aller nach und 
nad zur Wirklichkeit Tommenben Einzelheiten bar. Daß 
der Begriff der Menfehheit, uch durch die jo ganze Totalie 
tät, jemals wirklich ern die alten Markſteine der 
Schöpfung derrüdt würden, it in der Beit möglich, 
Mn wareve Weos zer! Aber möglich und. wol 
wendig it, — der Subegriff ber Menfchheit, die Tiefe 
unerhalb Ihrer Grün unb nad) zur Klarheit des 
Bewußtſeyns komm er Geiſt durch das Streben 
danach, und das Lhelfweije Gelingen bie Jdee der Menfd- 








5 


5 


Betrachtungen über die Weltgeſchichte. 65 


denen man gleichfam eine Reife von Monographien, ſoviel 
möglich, nach ihren Wbitammungen geordnet aufitellen muß: 

auf die Einwirkung, die fie auf einander und auf 
ihre Bildung ausgeübt haben; 

auf das Zerhältniß, in dem fie einzeln und zufammen 
mit dem Begriff der Vienſchheit überhaupt und den einzelnen 
durch ihn gegebnen allgemeinen Jdeen, und ‚mit einander 
n Beziehung hierauf jtehen; 

auf den Einfluß der jedesmal zugleich exiftirenden 
auf die ganze Maffe und die ganze Dauer des Menfchen- 
geitegts; 

auf die Entftehung neuer intereffanter Erſcheinungen 
in ber Menfchengefehichte, und auf das Sortleben der 
einzelnen Völlerhaufen in dem einmal betretenen Gleife. 

Bei diefer Methode werben zugleich alle Fäden des 
Zufammenhanges menfchlicher Begebenheiten von ihren 
Anfängen Bis zu ihrem Ende verfolgt, und aud) da, wo 
diefer Zufammenfang nicht vorhanden, oder nicht fichtbar 
ift, die ganze Dannigfaftigkeit menfchlicher Geftalten, jo 
weit fie anziehenb, oder belehrend jein Kann, durchmuftert. 
Die Weligeſchichte wird unter einem dreifachen Gefichts- 
punkt: 

als einer der wichligften Theile der Wirkjamfeit der 
Kraft de3 Univerfums; 

als ein durch Stubium umb Scharffinn zu ent- 
twirrender Knäuel oft kurz abgerijjener, oft aber aud) 
Lang zufammenhängender Fäden; 

als ein Mafftab der für das Menſchengeſchlecht zu 
erwartenden Glüdjeligfeit und Wolltommenheit, und eine 
Lehre beide zu erhalten und zu erhöhen 
betrachtet. 

Um aber dieje Betrachtungen an der wirklichen Ge— 
ſchichte anftellen zu Können, müffen erſt viele philofophiiche 
Unterfuhungen vorhergehen, um vorher im Allgemeinen 
die Mögligfeit der Erfheinungen und ihres Zujammen- 
hanges zu prüfen, und ihren Werth an ſich und Einfluß 
um fid her vihtig zu würdigen. Diefe Prüfung und 

Deutsche Litteraturdenkmalo Nr. 58/62. 5 





66 Wilhelm von Humboldt. 


Würdigung ift es aber beffer, immer zugleich an ber 
Hand der Erfahrung anzuftellen, und gleich in fie, fopiel 
al3 irgend nothwendig ift, von der Geſchichte aufzunehmen, 
da Hier immer zugleid) mit von Erfahrungsgegenftänden 
die Rede ift. Auf das, nad) diefer Methode, in dem 
raiſonnirenden Theil ſchon hiſtoriſch Ausgeführte darf fi 
der gefcjictliche alsdann nur kurz beziehn. 


IV. 


[Über das antike Theater in Sagunt] 
[An Gosthe.] 


Murviedro, das ehemalige Sagunt, liegt vier Meilen 
5 von Volenca, eine halbe Stunde dom Meere entfernt, 
am rechten Ufer des Fluſſes Palancia. Der Higel, am 
deſſen Abhang die Stadt fich anfehnt, iſt oleichlam das 
degre Glied zwei Beträchtlicher aus dem mern des 
Landes tommender Gebirgsletien, die hier, ſich gegen das 
Meer Hinabjenkend, zujammenftoßen. Die eine an ber 
rechten Seite des Fluſſes hängt mit der Sierra da Period» 
cola, die andre, .an der Linken, gegen Almenara zu, mit 
ben Bergen don Esbadon zuſammen, und beide laſſen 
bem Steome zwiſchen ſich ein oben breites, aber nachher 
immer ſchinaler zulaufendes Thol 
Keine andre Gegend am biefem ganzen Theile ber 
Süfte bot antommenden Pilanzvöltern fo viele und reizende 
Socmgen bar: Sich auf den Vorhügeln diefes Gebirges 
feſtſehend lonnten fie der vereinigten Vorzüge der Meeres- 
mäße, der fruchtbarften Ebne Spontens, und eines milden 
und ſchonen Himmelsftriche: ſeſen. und fanden zugleich 
in der natürlichen Sage | ‚Drts eine bequeme Schupe 
wehr gegen feindliche Angriffe. Auch gehört Sagunt 
mftreitig zu den äfteften ſpaniſchen Pflanzitäbten, und ihr 


5* 





63 Wilgelm von Humbondt. 


Urfbrung verliert ſich in den 

Alterthums. Ihre Gruͤnder und erften 

ben Zeugniſſen der Geſchichtſchreibet Aufolge, | 

und von then ſchrelbt fid) vermuthlich and) der Nam 
der Stadt her. 

Bel dem Anblicke dieſes Hügels, von dem der Bat” 
Karthagos umd die Größe Noms ausging, und den — 
in einer weiten Strecke hin die Trümmer 
Jahrhunderte ımd Nationen bedecken, drängten Re 
Bilder der alten Geſchichte auf einmal in mir zufanımert. 
Unläugbar — die Zerſthrung Sagunts das Schigſal 
der damaligen Welt, inven fie das Loos zu bem ers 
bitterten Stumpf der beiden mächtigiien Notionen warf 
Dieſer Kampf endigte ſich auf eine, wie man mit — 
annehmen Zaun, wohlthätige Weiſe für die Men| 
die unter ber Herrſchaft der mistrauifihen und — 
tigen Harager [hmerlich hätte ‚gedeihen Einnen, 
bebanern muß man immer, Daß dieſe Entfeheibung 
das Ende der Treibeit jo vieler Griechiſcher Colonten an 

en bes Minelmeerd nad) fich zog, heren umges 


ft gegeben haben würde 
) gem ae twiethlichen Buſen des 
em ehrflichtigen Eroberungds 


2 Noms nicht nad) und nad 
eorilet, jo würen eine grofie 
en entjtanden, die Einfälle der Barrı 


te nie en uns 

Hücher Stege, das Mihtelalter jelbft 

pre Geftalt gewonnen und unfte 

jen Sprachen waren aus ber reihen Fülle 





Über das antile Thenter in Sagunt. ss 


der Griechifchen, wicht aber aus ber äymeren und rauheren 
Sateinifchen aefloffen. 

Die alte von den Zatynthern gegriindete Stabt 
fand auf dem Gipfel des Hügel, und oft mögen, während 
ber entjeplichen Bebrängniffe der fürchterfichen Belagerung 
bie unglüdlihen Sagunter ihre Mugen mit ſchmerzlicher 
Sehnſucht mach dem Meere gerichtet haben, auf dem jie 
eine Nömiiche Flotte und von diejer ihre Rettung erwar— 
teten. Mn eine Erfe der Mauern, jagt Livius, meigte 
id) im Das ofnere amd freiere Thal, md am einigen 
Stellen erlaubte die Page des Orts nice einmal die 
‚Heranbringumg der Belagerungswertzeuge Die nach⸗ 
malige Mönreritadt erftrechte fid) zugleſch über ben Hügel 
und die barumter llegende Ebne, wie die Ueberreſte mich- 
xerer Romiſcher Sehäude, unter andern der Rennbahn be— 
weiſen. Die Mauren hatten ihre Burg und ihre Feſtunge 
werte auf der Spige des Hügels Die heutigen Bewohner 
haben diefe der verwüſtung und den Truͤmmern über- 
faffen, deren Einfanfeit nm ein einzelner Cinfiebler teilt, 
und nur einige wenige Häufer ftehen gegen das Theater 
zu om Abhange der Anhöhe 

Die Stadt iſt Klein, aber reinlich umd Hibjch gebaut, 
und zählt, nad; Gavanilles 1525. Samitiendäupter, Cs 
muß ihr weder an Gewerbe, noch an Wohlitand fehlen; 
menigftens hat fich ihre Beuöfferung feit 1749. um 800 
Bantımn vermehrt. 

Der merhvärbigfie Ort in Muwiedro find bie Ueber— 
vefle des alten Theaters, dos in feinen 


zu, und hätte uns 
Ahums md die 


üdend [hönen Ausficht auf di ie reihbenatane Ebne und 
das Meer losrelßen Lönnen. Ionen zwar, Liebfier Freund, 





70 Wilßelm von & 


Kann dieſe Gegend nur eine noch 
zurhckruſen. Sie waren in Taorınina, 
= noch wundervolleres Scauſpiel 
dem Anblid des Meeres und einer 
über den Trümmern ber halb bi 


jo fuchtbar exhabe 
eh —— — einen befto fdönexen 
& der Liebfichteit an 
F das Taomminer It dad Sogunt 
dent nedpten Theile mach im Felſen ausg 
fehlen mm die beiden Felsſtücke, welche in jenem a 
Enden der Seene begrängzen, und dadurch Die 
zurüsprallende Stinume noch mehr zu verflärken bei 
Es ift wunderbar, daß bie — Stunt ae » 

Vorteil verichmäht, ſch Ihe Gefchäft bu, die Bug 
— gewählter Patunlagen zu erleichtern. 

fie — — wenn der eignen —— 
hret Werte —— Größe fügte, em« 


m des Ebenmaßes und der a 


zu äufammeng: ſcheinen. und natürlichen 
Srotten eines Aigen Berges ‚gleichen. 

— Ren egt etwa auf der Mitte 

uternocht und — 


Sid und Beit geübt. 
man auf dem Wege von dem Marltpfafe 
end aus , tritt man zur Rechten 
Drc) e en der Seitengebaude a 
großer Theil, und eine 
noch jegt, mie es ſchein 


Au 





Über das umtite Theater in Soqunt. 7 


öde, welche ehemals das ganze Theater Hatte, Zum 
Theil aber find die Bogen eingeftürzt und einige der 
vordern diejer verfallnen Gemäner dienen Wohnungen 
der jehigen Bewohner zur Stühze. Man ficht hier in 
die Thiven zu ben inneren Treppen und Zugliungen hin— 
ein, aber erſt in ber Mitte ber Orcheſtra gewinnt man 
einen beftinmten Ueberblick des Ganzen. 

Denn ber Halbeirkel der Sipe mit feinen verſchie- 
denen Treppen und Thüren ift noch größtenteils unver- 
jehrt. Nur ein Theil des oberen ET. durch den 
man zu den Höchiten Voltsfigen einging, ein etwa gleich 
großer der oberften, wie man glaubt, den Weibern bes 
ftimmten Stufen, jo wie des Ganges, durch den bieje 
fid; zu ihren Sipen begaben, und der ben Gipfel des 
Gebäudes umtränzt, iſt — Da die Sitze ſammt- 
Hi; Im Felſen gebaut find, fo dient ihnen der Berg ſelbſt 
zur Hinterwand, bie äufere Mauer wird von ben Seiten 
an, jo wie die Anhöhe altmählig auffteigt, immer nied⸗ 
tiger und Hat zulegt nur eine fehr unbeträchtlice Höhe. 
Von den Seitengebäuden, welche die Hanpteingänge aus- 
machten, fprach ich Ihnen jo eben. Sie ſind haib vers 
fallen, allein zum Theil ſtehen noch hohe Mauern derjelben, 
und überall genug, um die Thlren mb Verbindungen 
der innen Gänge zu ertennen. Die Seenenwand — 
welche bei den Alten eigentlich und fait ausjchliehend 
scona heißt, da die Schaubühne, die wir Scene ober 
Theater benennen, ihnen Die Vorjcene und das pulpitum 
ft — dieſe nebſt den zu i it 
Wor ganglich zerftört, aber 
Stücde niedriger 


at daher wenig⸗ 

oft ubige diefes dımlele 
Theile der alten Theater. 

indet ſih das Deuter jeht: 

icſicht Eu es nicht — 





72 Wilhelm von Humboldt 


mon fonft gewöhnkid findet, oben einen eignen Stulen-⸗ 
gang gehabt, und man fieht ebt feine Spur elgentlicher 
Berzterung, welche jedoch der Scenenwand gemangell 
haben wird. ch begreiſe nit einmal, woran man en 
lennen will, dafı wie man anzugeben pflegt, feine Bauart s | 
Toscantf—er Ordnung geweſen fey. * 

Für die Veurtheilumg der inneren Einrichtung diejer 
Sebäude aber find mer wenige anbere — 
Soviel ich wenigſtens Die Reſte der übrigen, T 
Spanlen, Frankreich, Itallen und Griechenland amtrift, 10 
nad) ben derſchlednen Neifebeichreibeen habe vergleichen 
fönnen, ‘jo gewährt faum ein einziges einen ſo vollftäns 
digen Begriff aller Theile auf einmal Die Scenenwand 
(ein hobes und ſchmales Gebäude) muf; ihrer Natur nach, 
leicht der Herftörung ausgeſeht ſehn, und ſelbſt ihre Bun: 1 | 
damente wirden hernach durch Die fie bedeckenden 
unkenntlich. Denn allerdings liche ſich durch Nachgraben 
am dieſem Thell noch wohl einige Auftlarung über 
Puntte erhallen. An den wmeiſten Orten ſieht olſo 
das Gerippe der Sige; denn auch fie hat man grofien 3 
theils zeritdrt, um jich der breiten Steine zu bediewen, 
mit welchen fie gemöhnfic belegt waren. So ift vom 
größeſten Theater Griechenlands, dem in Epidaurus, nur 
noch). ein Theil der Marmorftufen unter verwachsnem 
Geſträuch übrig geblieben. Unter den 30 bis 40 Thenterm 3 
von denen man Nachrichten ſommeln kann, find nur etwa 
das Oranger, das Taorminer, und das Hereulaner (vott 
dem es aber nur leider ganz und gar am einer guten und 
vollftändigen Beſchreibung fehlt) für die Scene, den wich⸗ 
tigfien Theil, und für die Ueberficht des Ganzen lehrreich, 
Die übrigen dienen fat blof, das ſchon font bekannte zu 
betätigen. Doc) geben manche von ihnen noch über eins 
zelne Bunkte intereffante Aufſchlüſſe. Das Sagunter ift 
das Einzige bei dem ſich noch zugleich die Sige ganz und 
gar, und die Scene wenfgftens nach ihren Fundamenten ao 
beurtheilen lift 

Wenn man fich erinnert, wie ähnliche Ueberrefie des 


An 





Über das antike Tpcater in Sagumt. 73 


Alterthums on andern Orten vernachlaſſigt werden, wie 
fie mit Schutt bedeckt liegen, wle man fie von allen 
Seiten plündert und zertrümmert, wie man oft ihre ver⸗ 
ichiedenen Theile auf Höfen und foger in Sellern neuerer 
Wohnungen nachſuchen muf, jo freut es Doppelt, dies 
Denkmal mit fo ausgezeichneler Schonung behandelt zu 
jehen. Es iſt durchaus von Schutt gereinigt, und fteht 
von allen Seiten frei, Glnige wenige Heine Häuſer, bie 
ſich am die Außeren Grundmauern der Scene anlehnen, 
liegen fo viel tiefer, daß fie dem Auge auf feine Weife 
Himderlich Find. 

Einer ſolchen Sorgfalt genießt dies Theater Inden 
freilich erſt ſeit etwa 15 Jahren. Bis dahin verdeckten 
rohe Schutthnufen nicht bloh den Plah der Scene, fons 
dern and) die Orcheſtra und ſogar einige der unteren 
Stufen, und daher iſt die Beſchreibung deſſelben, welche 
en Marti, Derhant in Alicante, 1705. dem dama⸗ 

igen Päbjllihen Nuncius am Spaniſchen Hofe Antonio 
3 Yondadari überſchickte, und welche bisher die einzige 
belannte, und überall ausgefchriebene war, teils unvolle 
— theils falſch Doch bewirlten die Bemühungen 

Marti's, daß da man das Theater bis auf ſeine Jeit 

Bau don Kloſter und Privatgebauden geplündert 
Haie; wenigſtens nachher ber muthwilligen Serjlürung 
Einhalt geſchah. Noch mehr aber leiftete der thätige Eifer 
eines heutigen Bewohners von Minviedro, Don Enrique 
Valos 9 Navarıo, Dieſer verbienftvolle Mann ließ auf 
jeite Koſten den Schutt von — jeften und der Scene 

Theile des Gebäudes, 
eine ausführliche Beſchreibung 


und überall volllommen wahr gefimben habe. Bw Ber 
ihn der Köntg von 

u Aufſeher c bon Murviedro, 

Stelle ein ordentliches Jahr&chaft an 

dar Palos hatte das Berpnügen im Jaht 1785. 

in den lepten Tngen dee ſufi und dem erfien des 








Über das antite Thenter in Sagunt. 75 


Schaubühnen anf die idrigen übertengen, da es doch gewiß 
üt, doß biefelben nicht bioß ihrer Bauart, ſondern auch 
ihrer urjprünglichen Beſtimmung nach einander durchaus 
amähnlih waren. 

Die Theater der Alten waren im eigentlicften Ver⸗ 
Fande Berfammfungspläße des Wolle. Nicht bloß un fich 
zu ergögen, jondern and), um bei dringenden Vorfällen 
zu berathichlagen, um einen erlauchten Verbannten wieber 
in feine Mitte aufzunehmen, um eine politiiche Neuerung 
durchzuſehen, Fam es hier ganz oder zum Theil zujammen, 
Wenigftens one das der Fall in den griehifcen Städten. 
Unſte erſten Schaufpielfäle dagegen, wenn Sie Marionettenz 
gerüfte abrechnen, um die fi) zufällig ein Haufen Pöbels 
verjammelte, waren Säle in welchen ein Fürſt feinem 
‚Hofe, ein nur für eine mäßige Gejellichaft beſtimmtes Feſt 
gab. Daher wurben in Frankreich, und mod) zu Ludwigs Id. 
Zeit gewöhnlich die Ballhauſer, alfo lange viereckte Balle- 
zien, zu dieſen Behuf eingerichtet, und das wenige Volls- 
mäßige, was unfre jegigen Schauſpiele noch haben, Haben 
fie erit fpäter, als man ftehende Schaufpielyäufer errich- 
tete, umd regelmäßig und für Geld fpielte, erhalten. Wei 
ben Alten nahmen Zehntaufende don Menjchen in auf 
ſteigenden Halblreiſen die ganze Seite eines Berges ei. 
Sie erfreuten ſich außer dem zeichen Schaufpiel der Kunft 
zugleich des Anblids der Natur, und fügten zu dent 
matiirligen Genuß ber freien Luft Im Griechtſchen und 
Staltichen Himmolsſtrich noch vielerlei andre künſiliche 
hinzu. Gegen die St & iften fie aus- 
geſpannte reichgeftiekte ‚ die Si dus Sommers 
fühten überall und 
oberen Bogen; Boae ang 

ohlger 
gaben fie ſich zuglei 
Natur dem Auge = 
abs 








Über das antife Theater in Eagunt- m 


befränzt biefen Abſchnitt cin Porticus zu beſſen Thüren 
die Treppen führen. Diejer Theil war, nad) ber Eitte 
ver Römer unten den Mitten und oben bem Wolf bes 
ſtimmt. Die erfiexen nohmen bekanntlich 14 Stufen ein, 
bie hier durch einen Abjab welcher die boppelte Breite 
der Site hat, im zwei gleiche Haufen verteilt ſind. Man 
gelangt zu ihnen theils dinch bie fehmalen von dem ubern 
Bogengang herumierfteigenden Treppen, theils Durch einen 
inneren Porticus, der jeine Eingänge an den Seitenwänden 

0 bes Thenters, und zwei Ausgange auf dem ebenermähnten 
Abiag Hat. Auch führte zu jeder Selte eine eigne Heine 
don aufen angebrachte Treppe zur 7ten Stufe, die zur 
Bequeinfichteit ber Ein- und Ausgehenden von gleicher 
Breite mit den Abfägen iſt. 

Dem Volke, defen Sie ein zweiter Abfog von ben 
Rittern trennt, find hier 10 Gtufen angewieſen. Es 
itrömte zu denjelben duch die 6 Thliren des oberen 
Bogenganges ein welche auf eben jo viel Treppen ftoßen, 
und eud in der Mitte ber Stufen hat man hier file 
mehrere Eingänge nelorgt, vermuthlich weil man unter 
dieſem Theil ber Verſammlung das meifte Gebränge und 
am wenigjten Ordnung erwartete. 

Der oberjte Theil des Theaters endlich erhebt ſich 
mit bier Stufen und einem Eingangsporticn® zu benfelben 
über ben mittleren. 

So find in allem 31 Kreisſihe und zwei Abſaäbe, 
alfo zuſammen 38 Stufen gerabe wie im Hereulaner 
Theater. 

In ber Mitte des ‚hat ber zufeßt erwähnte 
Theil fo wie der obere Portieus des mittleren einen ber 
1näcptlichen Ginfch 
befindlich iſt. Vert 
Bildfäule. Saßen 
Bußgeitell die Ge 
Drbnung unter der enge zu halten befliuum waren, 
fo fonnten fie durch mittlere Treppe zu allen Eigen 
ber Verſammlung unter ſich, und durch zwei kleinere 








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Über das antife Theater in Eagunt. 79 


Nachrichten wir ung verlaffen müffen, in den Angaben dieſer 
Heineren Umftände gemejen jind. Die Treppen gehen, 
wie Sie bemerft haben werden, gegen Vitruds Torferift 
in gerader Linie von oben bis unten, und wechſeln nicht, 
wie er verlangt, jo ab, daß die oberen, bis zum mittleren 
Abjape Hin, gerade auf die Mitte der gwiſhenraume der 
untern fioßen. Allein alle mir befannten Theater ftimmen 
hierin mit dem Saguntiſchen überein, und auch unter ben 
Amppitheatern erinnere ich mich feiner Ausnahme hievon. 
Zwar werden Sie in vielen Abbildungen der Iegteren bie 
Vitruviſche Anordnung finden; allein die Beſchreiber der— 
jelben Haben aud) fait fümmtlich die Unart gehabt, nad) 
feinen Angaben zu ergänzen, was bie Belt zeritört hatte. 
Maffei, der fich oft hierüber beklagt, findet es fogar nöthig. 
um feine mandmal unvolltommener jeheinende Zeichnungen 
zu retten, ausdrücklich binzuzufegen, daß er nun einmal 
nicht zeichnen Könne, was er nie mit Yugen gefehen habe. 
Wie gut erhalten, und zue Erllärung der Vauart der 
alten Theater mertwurdig daB Saguntifche iſt, fieht man 
daher exit dann recht ein, wenn man von dem Plane der 
übrigen daS wegnimmt, mas Bloß die Einbilbungsfraft 
des Zeichners Hinzugefügt hat. - 

Was Maffei vermuthete und für die Amphitheater 
durch das Veronijhe unfäugbar darıhut, daß nemlid an 
der unterften Stufe auf der Ebne der Orcheſtra bei 
Theatern, ober des Kampfplahes bei Amphitheater, nicht 
(mie «8 die Ueberfeger und Commentatoren des Bitrud 
gewöhnlich zeichnen) von innen kommende Eingangstgüren 
Zewefen find, dies beiweijt für die Theater das Saguntiiche 
volltommen, da die drei völlig unverjehrt erhaltenen Sena— 
torftufen nicht die mindefte Spur einer Unterbrechung 
durch eine Thür oder Treppe zeigen, ja jogar bie großen 
9 Treppen nicht einmal 6i8 auf bie erite von ifmen, 
fondern nur bis auf bie legte darüber führen. 

Für die Bequemlichkeit, die Füße dergeitalt auf die 
untere Stufe aufzujeßen daß dadurch die auf ihr befindlichen 
Zuſchauer nicht gehindert wurden, ſcheint hier nicht geforgt 





Über das antite Thenter in Sagunt. 8 


beiden ae Seele — er he 
en lern welche ſen Gegenjtand 
ausdrüdlich abhendeln, Vitruv und Pollız, der erftere 
nur den Architekten zum Zweck hatte, und aljo alle — 
een Eiriatngen entweder gang übergeht, ober 
nur mit wenigen Worten berührt, Dex lehtere nur zum 
Theater —5 — Ausprüde erlluͤren wollte, und alſo ohne 
je Scheidung der Orte, Umſſande umd Seiten 
loß einen Haufen derſelben zufanmenjtellt, beibe aber 
einer. Zeit lebten, wo fie ſelbſt ſchon von gewiſſen 
len feinen deutlichen Begriff mehr hatten, Die mangels 
Höhe und dunklen Vorftellungen aber auch — 
lt es unſern Nachrichten noch an Vollſtändigieit. 
lonnte noch viele theatraliſche Einrichtungen geben, und 
gab beren, aller Wahrjheinlichteit nad, in bev That, von 
denen uns weder, in den alten Schrüftitellerm, noch iu 
ben Ueberreſten dev Gebäube die mindeſte Spur übrigbleibt 
Viele Tpeile der Briechifehen und Nömiihen Tpenter 
waren offenbar aus Holz aufgeführt; die Natur der Sache 
exforbert es; das Zeungnif; der Eriffteller befrätigt 65; 
und das Heveulaner Theater zeigt noch — die deutlichen 
Ueberbleibſel der zu Kohlen und Uſche verbrannten Balken 
und Bretter. Was wir baber von den alten Theatern 
noch jept übrig jeden, iſt (wenn auch unfre Einbildw 
traft alles Mauerwerk bis zu feinem Gipfel wicderherfiellt 


den) theils die Stellung 
ſeibſt ein Berchlihes 


) das an, mas bie Alten scona 
chlichen Gruner} welche bie 














Über das anılte Thenter in Sagunt. 89 


nicht ſehr nah an die Sipe der — Anangegangen 
‚zu ſen⸗ denn hinter ihr war noch für die Thymele ih, 
und Hinter dieſer ſogar blieb noch ein Raum übrig, dev 
‚groß genug war, einen eignen Namen zu verdienen. Auf 
dieſe Welje aber fällt die Nothwendigteit — 
Bühne des Chors eine geringere Höhe, als der Bühne 
der Schauſpieler zu geben. 

Immer indeß waren beide getrennt, jeder hatte — 
obgeſonderie Stellung und Dies mußte wenigitens 
Molle, weiche der Chor in der jpätern Traghdie —* 
eine jehr gute Wirkung thun. Wie das verſammelte Volk 
bei dem Schaufpiel, jo ift er bei der Handlung jelbit, 
theifnehmender, aber nicht weſentlich mithandlender Zu⸗ 
ſchauer; und in diefer Eigenſchaft it ihm feine Stelle 
fehe zwechkmaßig zwiſchen den Schaufpieleen und dem 

angewieſen. Nur beitimmt, die Handlung, wo es 
nöthig war, zu imterbrechen. oder ihre Lacken auszufüllen, 
den Juſchauer in feinen Betrachtungen und Ahndungen 
Ientend, ven handlenden Perſonen bloß feine mitladännte 
Theilnahme — —* ſich durch die Trugſchlüſſe 
ühres leidenſcha Wahns beſtechen zu laſſen durfte 
ee ſich nicht in ihre Wirte mifchen. Seine Stimme hatte 
‚ein boppeltes Gewicht, wenn fie von einem andern Plage, 
oleichſam als der unmittelbare Ausſpruch des Schickſals 
amp der Gottheit ſelbſt ertänte. 

Allein much fo tonnte es nur erjt in jpäteren Zeiten 
feye In ber früheren Teagdbte darf man fic ben Chor 
———— nicht von den Stoujoielern abgeſondert 


er nothtoendig auf demfelbe te der. Bühne mit ihnen 
exfiheinen. In den Eumeniden jagt die Pythia ansdeikeke 
10: a fie die fu r Racpegdttinnen anf 

jlafen exbliche. Indeß 








Über das annte Thenter in Sagunt, 1 


Mit mehrerem Nechte liche ſich vermuthen, daß diefe 
Erh entweder ein Altar war, uber einer Gruppe 
von len zum Fußgeftell diente, im welchem fall fie 
gerade in der Mitte dis Theaters und vor dem Haupte 
thore der Scone eine ehichliche Stelle fand, Bas Theater 
in Catana zeigt ſogar zwel derglelchen Erhöhungen, 
deren jede, wie man noch deutlich ſieht, don vier Säulen 

war, Nur muß man geſiehen, daß die Sagımz 

tiſche —* dieſen Gebrauch, viel zu groß ſcheint 
Da die Bühne aus Holz aufgeführt war, und und 
daher Hier dieles fehlt, woraus ſich die Eimeichtung bes 
Ganzen fonft überfehen ließ, fo Darf es 1m, duͤnlt mich, 
wundern, wenn uns Hier Ungewipheiten in ber Er— 
Mldrung eines einzelnen Mauerftücds übrigblelben. Vlel- 
leicht diente dieje Erhöhung bloß den Bolten der Scene 
zu einem ſillhenden Fundament: Gerade aus den Thüren 
urden befanntlid) die Mafcjinen Hervorgerolt, welche 
die Griechen Ekllytlemata nannten, und welche das Aus 
nere ber Gemächer zu zeigen Beftimmt waren, und Da fich 

0 au dem gröfeften Thor auch die fchwerfte und größefte 
Maſchine erwarten ließ, jo war nur vor diefem vorzüglid) 
eine Unterlage notwendig. 

In den Funbamenten dev Seenenwand erfenmt mar 
noch deutlich die Schwellen zwei großer Niden, zu denen 
man, wie es ſcheint, durch Stufen emporſtieg. Die 
‚größere, in dev Mitte befindliche hat über 25 (40. Kaftir 
Lianifche Walmen) die Heinere zur Unfen Seite über 20 
Branzöfilche Fuß (32 Saftilianifche Palmen) im Durd- 
meſſer. Won der dritten, wei der Symmetrie zufolge 
mothwenbig zur rechten Seite vorhanden war, Fit jet 
nichts mehr zu jche 

Als ich dies zuerſt bemerkte, wunderte ich mich, Tate 
der bloßen Thore, die Alten gewöhnlich Ihrer 
Scenenwond gaben, zu finden Allein jet 
nad) genaueren Na n über de 
itjeint mir fogar jtalt Sei weitem. vortheilhafter 
mb bequemer, als andre, 











Iber das antike Theoter in Sagunt- 


Unrung immer mislungen iſt. Wenn der — 
abging, verſchwaud die Decoration wieder mit ihm. Di 

bie Thenterkunft fein mod fo fehr in ihrer inbgeit 

gereſen zu jeyn, daß man nicht bloß das zeigte, was der 

* — aus jeinem Standpunkt natlirlich auf einmal 

fondern auch entferntere Dinge, indem man 

= dem Begriff nur das Gemälde beifügte. So 

een n balbeixkefförmigen Derorntionen, die 

geſtellt wurden, umd in einiger Euntfer⸗ 

0 — von ber Stadt vorgehende Dinge, z. B. im Meere 

ſchwimmende Perjonen vorftellten. 

Auf diefe Welfe, dünft mich, hieng die Moglichtett 
fremde, und nicht natürlicherweiſe in dem Hauptgebäude 
der Scene mohnende Perjonen einzuführen von einer 

5 eignen Einrichtung ded Theaters ab, und jo wird es ber 

wie eine jo einfache ımd natürliche Cache, als 

Anlunft eined Boten in einem Schaufpiel it, olB eine 

 eigne Erfindung und als ein Fortſchrut in der Schau- 
ſpiellunſt angegeben werben lann. 

Wenn man die Biehergebörigen Etellen der Alten 

dm Bufanmmenhange lieſt. jo wird es über jeden Zweifel 
hinaus Mar, daß jene dreiecigen Mafchinen alletr zur 
Seite ded Theaters jtanden, und bloß dazu dienten theils 
die Gegenden anzudeuten, aus welchen fremde Berfonen 

; herfamen, theils fie jelbit auf die Bühne zu führen. 
Dr Griechiſcher Name: Perlaeten deutet ſogar michts 

anders als „umdrehbare Mege* am. Es ift daher um! 
oreiflich, wie die Borellingart hat entftehen tönen, Die 
wendafiens in een — über die Thenter 
der Witen durchaus die herrſchende ſoblel Ich. mei, 
‚noch don niemand beftii dafs meimlich j —— Maſchinen 
auf ihren drei Seiten — 
ſpiel angezeigt, 


haupt⸗ 

wir ift feine 
die wunderbare 
orjtellung auf 

>; vielmehr. geben 

















Über das antite Theater in Sagunt. 9 


In biejem flanb gewöhnlich neben ber Wohnung ein 
and Teppichen gebildetes Zelt, das ein landliches Ge— 
bhude mit weiten Thorweg vorftellte: Als aber Antl- 
phaues jeine „Schneiderin" gab, änderte er dies ab, 

» mb Was vorher ein Stall gewejen war, wurde nun 
eine Wertftatt. 

Wie aber vertrugen ſich dieſe wechſelnden Decorationen 
mit der ſteinernen und alſo underänderlichen Scenenwand? 
Dieſe Frage, die man fich nicht enthalten kann aufzuwerfen, 

70 ft in der That ſchwer zu beantworten, folange man ſich 
diefe Wand durchaus unverbedt dem Auge des Zuſchauers 
‚frei Dargeftellt denkt. Allein wenigſtens in der Epoche, 
wo bie Thenterkunft einen höheren Grad der Volllommen- 
‚heit erreicht Hatte, fcheint dieſelbe entweder ganz, ober 

10 doch großentheils durch Teppiche verbedt geweſen zu jeyn, 
— auch davin gewiß, je nachdem mehr oder weniger 

ömmdvolle und richtige Ideen über Theateranorbnung 
rei waren, zu verfchiednen Zeiten und in verſchiednen 
große Verichiedenheiten obmwalteten. 

» Zwar waren Die Teppiche deren Die Alter bei den 
‚Theatern erwähnen allerbing3 von verſchiedener Art, und 
derjenige, deffen am gewöhnlichſten gedacht wird, ift nichts 
anders, als unjer Vorhang, der vor dem Spiel und 
während ber Soifchenatte Heruntergelafien wird, nur dafs 

= die Alten denjelben von unten auf in die Höhe rollien. 
Denn dieſer in e8, mit deffen Figuren Did die Draden- 
ſaat bes Kadmos vergleicht, wenn er jagt: 

Ufo, wenn fi, euhebt dem Fejtihente 

Steigen die Bilder empor und emhi han 

er, 
Dann — den — und in | re ie 
& 


w Allein es bleibende In Hintergrunde 
des Theaters, | 1 waren, dem Aufchauer die 
Burlftungen der it verberfen. Diejer wird 
ar verſchlednen D) an Einer Eu aber jo 


Deutsche Litteratu: 








Über das amtite Theater in Sagunt. 99 


Tanıen gemöhnlich gus ihren Wohnungen, aljo aus ben 
Mittelthore. und den beiden Nebenpforten des Scenenge- 
böndes hervor, Es jceint, daß fie in dasjelbe durch die 
Seitenflügel, und zwar dergeftalt don oben eingingen, daßz 
fie an ben Thoren durch eine Treppe wieder herabitiegen. 
Wenigitens beſchreiben es uns einige Schriftiteller auf 
Dieje Welje, und im Taorminiſchen Theater finden ſich 
nod ein ſolcher Gang und eine jolde Treppe, melde 
aus den Seitengebäuden in das Hauptgebäude führen, 
Daher fonumt es auch, daß die drei Thore die Stellung 
der verſchiednen Theile ber Decoratiouen bejtimmten. Denn 
mir jehen aus ben Beichreibungen der Alten deutlich. daß 
das haupiſachlichſte Stüd derſelben immer vor dem Mittel- 
thore jtand, das nüchit dieſem wichtigfte vor Dem rechten, 
endlich ein andres (denn auch hier janb ſhunmetriſche Anz 
ordnung jtatt) vor dem finfen, Außer dan BVorftellungen 
lonnten die Thore in diefen Nichen zugleich zu Zugängen 
für das Wolf dienen. Zhre Slügel f—heinen vom Hol 
geweſen zu ſeyn, da Vitrubius jagt, daß ſich die Flötene 
fpteler, wenn fie ſehr Hohe Töne anftinnmen wollten, gegen 
fie wendeten, um ihre Stimme durch das leicht wieder⸗ 
ballende Holz zu verftärten. 

Uebrigens iſt das Sagunter Theater nicht das Einzige, 
welches dieſe Einrichtung zeigt. Auch in dem des Pom— 
eins, in einem andern zwiſchen Ferento und Vetulonio 
bei Biterbo, in Dem Oranger, Arler, Cataner, einem mur 
noch ſehr wenig erhaltenen in Vieenza und anbern find 
die ſogenannten Scenenpforten entweber ſelbſt Nichen, ober 


bei dem Sagunz 

‚hen, noch ver⸗ 

jenen zu beiben 

: Chor gia geweſen zu. jeym 

feinen, welche de jenen Worübumgen und, 

Zurüftungen dien e er iſt es zu beitinmen, 

wozu bie dreizehn [2] bienten, bie Ste 
unmittelbar hinter 











Über das anlife Thenter in Sagunt, 101 


fugungen bon ben Zwiſchenmauern eingenommen werden, 
und nur ba jet Leer fichen, wo dieſe Mauern umgeſtürzt 
find. Indeß ſcheint es übrigens gewiß, daß ühnllche 
Vertiefungen dazu dienten Ballen in fie einzulaffen, die 
wenn auch nicht Decorationen, doch den Bretterboben ber 
Bühne zu tragen beftimmt waren, Houdl hat dieſe Ver-⸗ 
tiefungen im Xaorminer Theater mit großer Sorgfalt 
unterſucht und beſchrieben; und eine gleiche Beſtimmung 
mögen die Löcher gehabt Haben die man im Delifchen 
Theater, im Telmiſſer und Herkulaner antraf, obgleich 
hiejefben genauere Unterjuhung und mehr Aufmerkamz 
feit verdient hätten, als die Reiſebeſchreiber ihnen ge— 
widmet haben. 

Die Vertiefungen unfres Theaters aber können dieſe 
Veftimmumg nit gehabt haben. Ste befinden fich nicht 
vor, jondern Hinter der Scene, und ftehen, ſoviel ſich 
fehen fäfit, mit feinen andern Gewölbe in Verbindung. 

Kalos iſt auf dem Einfall gerathen, daß vielleicht 
dieje Vertiefungen für bie Schallgefäße befiinmt gewejen 
jeyn möchten, vom denen Vitruv erzählt, und glaubt daß 
fie vielleicht mit andern nod) in den Pröcinetionen befinde 
lien zuſammengewirtt hätten. Er beruft ſich dabei auf 
ein Soc), das fich auf der 1er der 14 Mikterilufen ber 
findet, und gerade nach dev Wölbung dev erften Präcinetion 
gerichtet it. Ich lafje es babingeflellt jeyn, ümviefern 
diefe Muthmaßung Beifall verdient oder nicht. Allerdings 
ilt die Uebereinftimmung der Anzahl, da aud, Bin 18 
Gellen für feine Sc) fordert, auffallend. Allein 
wunderbar bleibt es al diefe Vertiefungen gerade 
hinter den Schauſpielern find, Daß fie eine fo fehr be— 
trächtliche Tiefe hal af a deu Präcknctionen, 
dem einzigen vechtmi Si diefer Saclnenteguug 
nicht eine einzige 


uthn Be: das ſchon 

le din Eleres ertlärt, Denn 
in der That iſt Begriff davon zur 
machen, wie durch je aeftellte eherne Vaſen nicht 








Über dns antife Theater in Sagunt. 103 


babe die Probe gemacht, dicht an der Mittelpforte der 
- Scene mit gewöhnlich lauter Stimme vorzulefen, und 
Perfonen, die auf der oberſten Stufe in einer Entfernung 
vor etwa 120 Franzöfiihen Fußen von mir, jahen ver 
nahmen jebes Wort mit vollfommener Deutlichleit, Das- 
ſelbe bemerkt man auch in dem Taorminifchen. Ich glaube 
aber nicht. daß bei der Bauart der Theater der Alten 
noch Lünjtliche Mittel notwendig waren, den Schall zu 
veritärten. Da fie dasjelbe gewöhnlich an Felſen anlehnen, 
jo mußten natürllich mehrere Gänge in biefen gehauen 
ſeyn, und dieſe Hölen verjlärkten notbwendig zugleich bie 
Stimme. Zu ber gleichen Wirkung trugen die Gewölbe 
bei, die. falt bei allen teils zum Abſſuß des Waflers, 
theils zu anderm Gebrauch unter der Vorfeene und der 
Drcheftra vorhanden waren, Endlich aber lam noch das 
amphitheatratifche Auffteigen der Site Hinzu, und es tft 
belanut, daß die Stimme immer mit Leichtigkeit von der 
Tiefe aus in der Höhe vernommen wird. Auch anders 
mwärts findet man hievon merkwürdige Beiiplele In der 
‚Einfiedelei von Santiago im Monferrat bei Barcelona, 
die gerade Über den Kloſter in ſehr betrüchtlicher Ent- 
fermmng in Selstlüften hängt, hört man mit volltommener 
Dentlicpleit die Orgel und den Ehorgefang der Mönche, 
ja, wie man berfichert, das gemöhnliche Sprechen auf dem 
Kloſterblatz amd ähnliche Erfahrungen hat man neuerlich 
am ven Negyprifhen Poramiben gemacht. 

Wenn es dem Wunſche geroähet werben könnle, ſich 
auf einige Stunden nad) dem n Athen und aitten 
umer die Griechen zu veriepen; jo oilfite ich mir feinen 
intereffanteren Zeitpunkt auszur (8 den einer theatra⸗ 
Ulcen Borftellung. Nirgen ware es möglich aleich 
ſtart und vollſtandig en ren Anterſchied zu. ems 

nd. ums herrſcht. Soviel 
te davon zeigt, ſo 


jfeit weniger, weil 
verjtehen, und jie 








Über das antite Theater it Sagunt 105 


weſenheln des Gefanges und der Mufil: Das Griechiſche 
Schaufptel wor ein Feft, ımd zwar ein Vollsfeſt, & beſaß 
und verlangte einen ſinnlichen Gehalt, der fich mit unfrer 
Intellectnalität nicht vertragen würde. Die Griechen, vor 
dem Verfall ihrer Kunſt, jahen alles im Großen an, fie 
forderten einfache, aber mächtig ergreifende Eindrüde; wir 
bringen überall auf Feinheit, und alles verwidelt ſich vor 
unſern Augen, weil wir eine andre Art das Einzelne zu 
verknüpfen haben, als fie. 

Der indioiduelle Unterſchied von einem Menſchen zum 
andern {ft ſtarter und feiner unter uns, als bei ihnen, 
und unſer Blick mehr darauf geübt, als der ihrige. Diejer 
Hauptunterſchied zwiſchen ihnen umb ums aber, ber vor— 
züglic; durch den Fortſchritt der Bildung entſteht, iſt 

is gerabe ber, welcher anf das Theater den wichtigiten Ein— 
Fluß ausübt. Wir verlangen immer die dealiſche Schilderung 
bes Individuums, fie begnügten ſich an dem Bilbe ber 
Menfchheit, 

Wie aber verftanden fie, dieſes Bild aufzuftellen, mie 
den einfachen Begriffen der Menfchheit und der Gottheit, 
der Tugend umd des Schicjals eine Erhabenheit und eine 
Macht zu geben, hinter der unfre Dichikunſt ebenſo weit 

iblelben muß, als unſre bildende hinter der Vefttmmt- 

jet und bee weinen Größe ihrer Formen! Und dazu 
eng ir Theater und ihre Schauſoteltunſt umläugbar jehr 


Wir mit unſern Bor on müſſen zwar Freilich 
über Steifheit und Um ſchre ſobald wir von 
helmartigen Masten und N e 

0 That ift e& ſawer mit der eh ifthetifchen Gefühls 
i je Hön er das Geweih Aftäong 
rbarer kommt es und 
des Sophoffes auf ihrer 
Striemen der Schläge 
5 ihrer Stiefmutter a r 

Wie abe 

bie riefenmtißige 


[9 








Über das antite Theater in Sagunt. 107 


mäßig weite Entfernung dev Scene von ben Sthen feine 
Ri Anorbnumg zu berratben 

Palos, welcher das Theater gleichfalls Griechtſchen 
Urfprungs Hält, ihm aber ein bei weitem zu hohes Ater 
beimißt, gründet fich vorzüglich auf eine Seiteift in unbe· 
tannten MiSpanticen Charakteren, die man auf einem Bad- 
ſtein in einen Fenſter eines ber Choragten fand. Er beruft 
ih zugleich auf eine Neihe Btegel, die in der Mauer, 
‚welche die Bühne von der Orcheſtra ſchied, eingemauert 
Find, amd die von ben früheren Bewohnern herzukonmmen 
ſcheinen dein ſchon der Ort, wo man dieſe Juſchrift 
fand, Läht nicht glauben, dafs dieſelbe auf das Theater 
Bezug hat, Vielmehr ift es wahrſcheinuich, daß die Mömer, 
‚bon denen, wenn auch das Theater an ſich Griechiſchen 
Urfprungs fit, doch unftreitig alles noch jegt vorhandne 
Treifiehiende Mauenwert herrührt. dieſe alten Steine gerade 
ebenſo einmauerten, als es die Araber und Spanier nach- 
ber mit den Nömifchen Inſchriften thaten, 

Die Spitze des Hügels ift nur um einige Hundert 

jrikt vom Theater entfernt. Co wie man aber durch 
Das Thor des Kaſtells hindurch, dieſelbe betritt, fühlt man 
ich aus Griechiſcher und Römiſcher Größe, in die öde 
Barbarei des Mittelalters verfept. Alle Völkerhaufen, die 
vom bier bis ins 13° Jahrhundert bieje Stüfte hinauf und 
hinunterzogen, bemächtigten ſich wechſelsweiſe dieſes Hügels, 
a eines bequemen Beſeſilgungsblates und fügen der 
gerftörung immer neue Tri 


und die um⸗ 
Kiegende Gegend Bald ü J nt = hnen gelangte 
Murviedro wieder zu ı N dach dem Heug- 
niſſe Arabiſcher va fogar mehr, als 
Valencia felbit, $ der Ge Allein immer war 


—E 








Über das onute Teater in Sogunt- 109 


\ nicht chen dauernd wieder, als bis Jalob der Eroberer 
von Aragonien bie Araber 1238. daraus vertrieb. Seit 
diefer Heit ift das Arogonifce Wappen über der Tpiwe 
des eingehauen, unter dem man noch jeht in die 

5 Mauern desfelben eintritt. 

Man theilt die Muinen bes Koftells bie ſich wohl 
eine Biertelftunde weit exftreden in fünf verſchiedene Platze 
el, been man eigene Namen giebt, man zeigt Ihnen 
Ueberrefte von Säulen, und Altven, Fußbbden von 

30 Zempeln, auf deren einem man noch die Rinne zu ſehen 
alaubt, in welcher das Opferblut abfloj, Eifternen, Mauern 
manmigfoltiger Gebäude; Sie erlennen an einigen Stellen 
noch einzelne Figuren von halb zerftörten Mofailpavimentem; 
‚aber vergebens würden Sie verfuchen, etwas Einzelnes 

15 genau zu unterſchelden. Meberall ijt mr Graus und 

.  Bermoüflung. Der gröhle Theil der neuern Mauern ift 
von den Arabern aufgeführt, die ſich aber dazu Romiſcher 
Steine bedient haben. jo daß Sie mitten in neuem 
Mauerwert Romiſche Kapitäle, verlehrt eingemauerte In⸗ 

* ſriften u. ſ. f antreſffen. Ueber einer Thür in einer 
Nifhe ſteht noch eine befleidete marmorne Bildſaule, 
welcher aber ber Kopf fehlt. Aus den niedrigeren Trümmern 
heben ſich von Strecie zu Strafe Hald eingeftürzte Thitume 
bewor. Der erſte it. wenn ich mid, mit irre, ber, 
welchen man den Mi ggthurm ment, Ev fcheint tein 
Berk der Araber; er ijt Imvenbig mit Erde ausgefüllt; 
von allen Seiten ine ‚Stufen und man hält ihm 
für ein Grabmal. t 
man den Namen 
unſtreitig von ben 


nur zwei bilune, 
orragen, Etwa int 
mertwärbigften Cihos, 
Die Stimme des 
nteit dieſer verlaffirem 








Über dns antite Thenter im Sagumt. 111 


man weiter muf dem Hügel gegen den Hertulesthurm Hin, 
ſo verliert man die fruchtbare Ebne aus dem Geficht, 
amd [haut tiefen in die waldbewachsnen Berge hinein, aus 
Fluß hexvorjtrimt, Dean Fieht ihn über die 

‚ die er im Zeiten von Ueberſchwemmungen 

Sud und Steinen bededtt hat, und folgt ihm gern bis 


denen noch jet bei den ſüdlichen Spaniern, wie ehmals 
bei ihren Vorfahren, den Rbmern, das Getreide unter 
freiem Himmel ausgetreten wird, laßt man ſich, mit williger 
Dauſchnua in die Sitten des Alterthums verjegen, 

Bon dem Circus, don dem kaum noch einige Ueber— 
zefte ftchen, von dem Fragmenten von Statuen, die man 

‚gefunden hat, von ber Menge theils Römijcher, theils 
‚unbelannter AltSbaniſcher Inſchriften, von den Gefäßen 
umd Scaalen aus Zöpferarbeit, über die man eique 

© Wnterfuchungen angefiellt hat, von den Etlüden ber 
Widder, die man auf dem Kaſtell als Reſte ver Ve— 
Ingerungswerlzeuge Hannibals zeigt und andern Alter 
ern diefer Art fage ich Ihnen nichts, weil dns 
ige, was ſich darüber bemerken läßt, ſchon ſonſt 

> gehörig gefammelt ift. 

Laſſen Ste mich dafür die Schilderung eines Drts, 
den, von dem Augenbtid an, da er in ber Geſchichte 
erſcheint, mehr ald alles Andre, 
mit einer. Römifchen Grabichrift 


Neunzehn Jabre durchlebt’ er; da Iehieb vom Lichte 
er Sag, 
Weider mit güßendem Deut früh Aäı dem Iiepe 
be ich dontſnus 





Latium und Hellas. 113 


daß von ihm aus alle mannigfaltigen menſchlichen 
Sinnes und Borfiellungsarten verftändfic werden, die 
man, werm man unmittelbar von einer zur andern über- 
‚gienge, nicht leicht verſtehen würde 

daß viele anbre Gegenftände auf vielfache Weiſe 
ergreifen, allein keiner jo alle Anfprüche befriedigt, jo in 
nichts antößt, jo eine vollkommene und zugleich energijche 
Ruhe einflöt, 

dof; die Weicpäftigung mit dem Altertfume bie e al 
ſuchung nie zu einem Ende und den Genuß nie zur 
Sättigung führt, daß es ſcheint, als könne man auf einen 
Heinen, eng begrenzten Felde in immer unergründlichere 
Ziefe groben, um immer größere Anfühten zu erhalten, 
dab die Längft belannten Formen immer zu neuer Er— 
habenheit und Lieblichteit fibergehen, und zu neuem Ein— 
Hong zufammentreten. 

Wos diefen Eindruck hervorbringt, lann man bie 
Behandlungdart der Alten nennen. 

Das Eigenthümfiche dieſer Behandlungsart num ilt: 

die menjchliche Natur in ihren individuellſten und 
einfachften Wirlungen, bloß durch Läuterung und Bus 
———— uͤberall das Ideollſche anfpielen zu 


FERN der höchſt möglichen Freiheit von jtofjartigem 
Jutereffe immer mi biefe Form dor Augen zu haben, 
dieſen Webergang vom udividuellen zum Ideglen, vom 

Einfachften zum Hödhften, vom Einzelnen zum Univerfum, 
ihn wie einen freien Rhythm mit. ewig verſchlede⸗ 
nem ıntergelegtem Ti erall ertönen zu Taffeı; 

daher alles im Ganzen und yelnen, nur mehr 

‚ober minder, ſymbolſch zu behandeln, und darin mit jo 
jeyn, daß 

heit ber Idee, f Bi dunlität der Wirklichkeit 

aefdont wird. — Hierbei timmung. des Begriffs des 

4 nicht di —— und. Unſicht⸗ 

ſey eins bloß) Die Hpillle des jonft 


 DanR, 8 





114 Wilhelm von Humboldt. 


Der Geift, der ſich eine ſolche Behandlungsart er- 
ſchafft (denn Schöpfer derjelben waren die Grie—en un- 
täugbar) muß ihr jelbit ahnlich jegn. uf eine wenig 
derſchiebene aber bie Anficht weiter führende Weife läht 
fi num der Griechiſche (dev, welchen allein man ſich al 
Urheber der ächt griechiſchen Werfe denten Tann) aug jo 
beichreißen: 

daß fein weſentlicher Charakter darin befteht, bie 
Form der menſchlichen Individualität, wie fie ſeyn follte 
darzuftellen, und zmar, welches eine mehr zufällige Neben- 
bejchaffenheit ift, bie vorzugsweiſe an Gegenjtänden ber 
Anſchauung zu thun. 

Dies zu erklären wird eine Epifode über Individua- 
fität, wie fie ift und ſeyn jollte erfordert. 

Eine faitoberflächlihe Betradtung und ein geringes 
Nachdenken geben ſchon folgende Säge an die Hand. 

Soviel ſich aud; ein Charakter nad; feinen Yeufe- 
rungen und felbit feinen Eigenſchaften fchilbern läßt, jo 
bleibt die eigentliche Individualität immer verborgen, 
unerflächie, und unbegreiflich. Cie ift das Leben des 
Individuums felbft, und der Theil, der von ihr erjcheint, 
ift der geringjte an ihr. 

Auf gewiſſe Weile läßt fie ſich indeß doch als bie 
Eonjequenz eined gewiſſen Strebens, dad eine Menge 
anderer ausſchließt, erkennen; als etwas poſitiv Werdendes 
durch Beſchränkung. 

Diefe Veſchrankung führt vermöge der Einrichtung 
unfrer Vernunft auf ein über dem Individuum ftehen- 
des Ideal 

Die Vergleichung mehrerer Individuen mit dieſem 
mb unter fid) macht die Anfiht ber gegenfeitigen Er- 
gänzung verjchiebener zur Darftellung des Ideales möglich, 
und einige Individuen führen ausbrüclich zu berieben. 

Das auffallendfte Beiſpiel hiervon ift die Verſchieden- 
heit der Gefchlechter, und ein auf dieſelbe vorzüglich 
aufmertfames Gemüth Tann durch fie am volftändigften 
das Verhältniß des Individuums zum Ideal kennen fernen, 


= 


= 


® 


® 


Sortıra und Hellas. 


und von ihr aus am leichteften alle andre ähnliche in der 
Schöpfung borlommende Fülle auffinden. 

Beſonders an diefem Belfpiele lernt man, bafı es 
Ya für die beſchränltere Klaſſe, und endlich jogar fir 
das Individuum ein deal giebt, das man dadurch er— 
ie daß man die — des Strebens ſtrenger 
weniger einfeitig macht, oder anders ausgedrüdt die Cigen 
thümlichteit er duch das, was fie ift, als was fie aus 

am den Tag legt. 

Da aber jedes Weſen nur dadurch etwas ſeyn Far, 
daß es etwas anderes nicht ift, fo ift ein wahrer, nicht 
aufzuhebender Widerftreit, und eine ımüberfpeiugbare Kluft 
zwilchen jedem und jedem auch der verwandtejten Indi— 

viduen und zwifchen allen und dem deal, und das Gebot 
im der Individirafität das Ideai zu erreichen ift von un⸗ 
möglicher Ausführung. 

Dennog, — Dies Gebot nicht aufgehoben werben, 

Jener Widerſtrelt muß daher mur ſcheinbar jeym, 
und in der That entfteht er nur aus einer unrichtigen 


Trennung deſſen, was, richtigen gefühlt, Eins und das 
ſelbe iſt 


Nichts Lebendiges und daher Feine Kraft Feiner Art 
fann als eine Subftanz angejehen werden, die entweder 
jelbft, oder in der irgend etwas ruhte; ſondern fie iſt 
eine Energie bie einzig und allein am ber Hanblung hängt, 
bie fie in jebem Mı ausübt. Die ki 

exlfttrt mur mod) in dem geg noärtigen Moment, and 


ki 








Latium und Hellas, 117 


fie aber nicht Kraft befipt als Wirllichteit das ft als Leben 
gelten zw machen. Daher ift zwiſchen Idee und Leben 
ein ewiger Abſtaund, aber auch ein ewiger Wett- 

f. Seben wird zum Idee erhoben und Idee im Leben 
verwandelt. 

‚So it, um näher zu unſerm Vorwurf zurticdzufommen, 
bie Form der Sndividwalität, wie fie ſeyn follte, das 
Aufftreben einer von dem Iebendigen Bewußtſeyn, daß fie 
anf das engite mit dent geheimnißvollen, und unergrlind- 
Kichen, aber and; unendlichen Vermögen ber Natur zu= 
fammenhängt durchdrungenen Kraft innerhalb der Grenzen 
einer beftimmten Wirklichteit zu demjenigen, was jenem 
verborgnen Vermögen entipricht, aber bloß als Ahndung 
gefaßt und bloß als Idee bargeftellt werben ann. 

Zu dem Ücbergange vom Endlichen zum Unenblichen, 
der immer mur beat) ft, taugen ausfchliehend die 
Ähaffenden Kräfte des Menfchen: Emnbildungstraft, Ber 
munft und Gemüt, mb dieje Gebienen fi gewiſſer 
Formen, welche nur ſoviel vom Stoff anmehmend, wm 
mod) finnfich zu bleiben, mit eigentlichen Ideen in genauer 
Verwandiſchaft ftchend, und daher allbeftimmbar, immer 
einen ſolchen Eindruck hervorbringen, daß ihre Bejtinmt- 
heit niemals beichränfende Gränze jcheint. 

Dieje Formen find Geftalt, Nhytömus, und Empfindung. 
E läßt ſich aber wo ch eine vierte, aber ſchwer exklär- 
bare binzuffgen, die dem ächten Philefophtren fo vorher— 
Ächmwebt, wie das Silbenmah dem noch micht nefundnen 
Seit 2 — 

Die Geftalt ſteht unte Geſehen ber 
Mathematit des Ren h 


Der Ryhythmus ent) aus den geheimmigvollen, 
er 


‚aber nothwendigen Hl N ht, beherrſcht die 
ganze tönende Natın er beitändige, unfichtbare 
Begleiter des 


Die Empfindung. 








Latium und Hellas. 


erreichbarſten Schönheit und Erhabenheit ewig von neuem 
beghnen und zurüclegen loßt, und ſeine Eigenthündichteit 
in die Berbindung eines Höchit praltifchen amd. höchft 
ideafifchen Charakters feht. 

Neberhaupt läft ſich jede bedeutende menichliche Eigen- 
Ahümtichfeit durch manmigfaktige Anfichten fchildern, von 
denen eine nur bald beftinnmter, bald leichter erllärbar, 
bald fruchtbarer tt, als die ander. Etne die ſich un— 
mittelbar aus dem Vorigen exgiebt, und ich durch vielfache 
Anwendbarteit empfiehlt, iſt noch folgende: 

AUS, was Örichticher Geift Hervorbrachte, athmet 
tief aufgefaßte Anſicht der Form der Natur, und unver 
wandte Richtung der Phantofie auf die ewigen und jteten 
Sefepe des Raums und des Rhythmus. Beides Tommt 

5 in dem Begriffe der Drganifation zujammen, der die 
ganze lebendige Natur beherrſcht, und ſelbſt wieder durch 
die Höheren Verhaltniſſe des Raums und der Zahl beherrſchi 
mird. Da zugleich Sehen und Organifation ſich wedjjel- 
jeitig fordern, fo ſorach den Griechen in dem Diganiſchen 
zugleid) die von innen aus bildende Kraft an, Dieſer 
vorherrichende Begriff ded Organismus in ihm machte 
mm, daß er alles ſcheute ımd vorochtete 

was ſich nicht in Maren Verhälmiſſen zu Theilen 
unb Ganzen aus einander legte, 

was nicht feinen hof und felbft feine Form der 


Idee eines Ganzen unterorbiele, 
ich innere, frei wirlende Kraft athmete. 
Alectueller Natur liebt 
E 1 uſammenfügt, und 
die Ider umendlicher, fid) organifeher Theile, 
die ſich leicht an und eines Ganzen, 
zur Schilberung 
lichleit überaus Feuchte 


in Allgemeinen boraus⸗ 
geſc bie hauptſtichichſten 
——— 6, N [ ver Griechiiche Geift noch 











Latium und Hellas, 


ber unmerfbariten Theile aller Umriſſe entitehen, die jedem 
Maß und jeder Andentung im Einzelnen entflicht, und 
jelbit an der Stärke und Zartheit, mit dev zwei übrigens 
volltommen gleiche Linien Busen —* tft Die verſchiedene 
Phantafieftaft des Künſtlers erlenub 

Worauf aljo der Griechiſche ler dorgüglich hin⸗ 
arbeitele, war etwas, dad er ber Tiefe jelnes Werls ans 
vertraute, Damit es aus ihm wieder als freies Leben 
al: er hielt ſich gem innerhalb beitimmt abges 

0 ‚Grenzen, weil er. dies Heine Feld anders und 
anders fruchtbar zu machen ee ſuchte mehr Eins 
heit, als Mannigfaltigkeit, 

Strenge, als Leichügleit a Reiz. Dadurı 
durch die äußere religiöfe oder doc öffentliche Beſtimmung 

15 der ſtunſt, durch die Lehrmethode in Schulen, und durch 
eine edle Scheu, das einmal tveflich Exfundene zu der- 
umeblen entfiond das Arbeiten in beſtinunten Ehaxakteren, 
und da man unverrüctt die gröfiejten und reinſten Ver— 
hültmiffe der Geftalt umd das tieffte Leben im Auge 

0 behielt in idealen Götterdharakteren. 

Was aber am meilten Bewunderung verdient, iſt 
daß ſchon in der Epoche der ftrengeren Kunſt immer 
Teockenheit und Härte vermieden blieb, und hlernach alle 
Fülle des Lebens jo ſehr jene urſprünglichen großen 

> Formen umgoß daß bie ſchlichieſte Ber bioß 
in einem edieren Element t ihre ‚sedifche Durftigteit ausger 
ER — haben ſchien. feiner Nation und 


Meichthum 
2 einer. foldhen 
bewährt fid) aufs neue 
Grundmethode. Den 
Leghpter * 








——— 
w - Latbum und Hellas, 127 


zu faſſenden Abſchnitten dem Ohr vortragen zu 
* Sr fie beſonders bei ben neueren Nationen 
die Armuth des Wohllauts jelbjt vertreten mufi, 
Dahı in dev That die Griechiſche Poeſie diefen Weg 
genommen hat, zeigt die Sprache felbit. Seine unter 
allen uns belannfen ift jo reich am mannigfaktigen Rhyth- 
men, bietet den Verseinſchnitten jo paſſende Worteinjchntrte 
dar, und trägt jo weit mehr den Charakter ber tönenden 
— als einer einzelnen menſchlichen Empfludungsart, 
wie z. hen * Lateinlihe in der Felerlichtelt, die Jialie- 
der Weichheit, die Engliihe in der Kraft ans 
‚Der zu — und zu ruhren an ſich 
Em welche Weife nun wäre dies möglich, ten 
mon nicht ammähme, daf ein großes, noch außerdem in 
verſchiedene Stämme getpeiltes, unendlich Lebhaftes, ewig 
jendes und fingendes Volf von einen von Natur 
auf Ryhythmus und Wohlklang gerichteten Sinne beſeelt 
geweſen jey? Nur in dem Munde eines ſolchen Volls 
fomten fich bie Härten zufammenftoßender Silben, vie 
N ganz andre Orunbjähe, als die des Ohres, zufammenführten, 
abjchleifen, mußten ſich von ſelbſt Laute zujammenziehn 
und verlängern. 
Das hauptfächlichfte und urfprüngfiche Streben des 
griechiſchen Rhythmus geht auf Fülle und Reichthum 
} leichtgeregelter Elemente, ımd wenn man mit dem vorhin 
über bie Empfindung Geſagten einig ift, daß nemlic, wo 
fle ben Impuls giebt, die form mehr naft und trocken 
dafieht, jo fieht man, daß bies Streben zugleich, wie 
überall bei den Griechen, ein Streben as ſich heraus, 
I nad) der Natur bin, nad) der Annäherung an ihr allbes 
Princip it. 
Denn es it immer dasjelbe Suchen des Unendlichen 
im Enbticen, der Gottheit im Irrdiſchen, va einmal unleug⸗ 
bar ift, daß in diefem mehr al bloh Irrdiſches lieat und 
5 biefes Wehr doch nur der BVegeifterung zugänglich ift. 
Meberall bezeichnet diefer Trieb mac) dem örtlichen beit 
Grlejifcgen Charakter. In den edien Veftrebungen ber 


1 


I 


A a üüü 





auf le Hefften und elugtelſendſten en 
— — aus der der 
— x Seine ie tn ac 


eines! das 
ne Bien = 


dieſe Er ‚zu ertennen, 
Alle Tichtung, die ſich. erreichte fie aud) 

Seiten einzelne Vorzüge dor ihr, von der 
entfernt, oder hinter ihr zurücbfeißt, 
einfeitig auf Die Idee, oder klebt an ber 
bat uldt Kraft biefe mit voller Sinnlichteit — 
Uſch zu erhalten. Die Eigenthumlichten der 
Bam me darauf — und alle E77 

‚u erreichen, zu befiger, wozu, um 
ae fagen,, Gehört!" Der Arıs der die ganze | 
— belebenden Pak fühlen. Denn * 
Typus beſteht darin, bei ——— Moment 
Kung wicht die fie fich bedeutend umd tolter, fondern als 
Ausdruck der ganzen Unenblichleit ber Kraft Kin 
deren ſchon entwickelte Aeußerungen er als 
trägt, unb beren noch nic geiehene ex in feiner 

3. an der Neligion. 

Der Geift der Griechen offenbart ſich theils im ber 
Belchaffenheit ihrer Meligton, theils in Der Art, — 
zu gebrauchen. 

Xu beiden wird far, daf der Grieche ſich dert 
‚zum Meberfinnlichen erhob, 

daß er dies micht bloß aus abergttuttfen Beraege 
gründen, ſondern aus reiner Freude an Ideen that, bemen 
ex durchaus freies deld lief, 

deß er die Natur des Ueberfinnlichen in den veinen 
Ideen fuchte, die in dee That die Wirklichtelt, wie große 
und ewige Geſehe beherrichen, 





be Lanum md. Hellas. 131 


daß er aber endlich doch mit ihmen wiederum auf 
wundervolle Weife die lebendigſte Sinnlichkeit verband, 
und alfo auch hier 
fonbolifch beb 
5 Daß den Griechen die Religion nicht bloß ein drm⸗ 
des Bebürfulß des Aberglaubens war, jonbern daß fie 
Ähren ganzen Geift und ihren ganzen Charatter in dieſelbe 
verwebten, ba der Einzelne dazu in ſich Betreben fühlte, 
amd die Stanten Freiheit gewährten, zeigt fi, wenn man 
»0 fieht, wieviel der Grieche eigentlich in Acker etigion fand, 
1., den eigentlich religtöfen und moraliſchen Gehalt, 
vor allem die Scheu vor dem Unbegreiflichen, Ueberſiun— 
lichen, ohne die an feine wahre Größe und Schönheit des 
menschlichen Weſens gedacht werden kann 
E 2., eine lebendige Welt von Weſen, die, ihrer ganzen 
Beſchaſſenhelt nad, Menichen bio von ihren Mängeln 
frei find, ja felbft vom diefen moch das an fid) tragen, 
was groß, ſtart und üppig ift, und nur auf eine wunder⸗ 
bare Weife dns moralijch Misfällige daran durch bie eine 
© Borausfegung, daß fie Götter find, austilgen. Der ächt 
Griechiſche Geiſt kennt im Olymp feine moraliſche Impu— 
tation, bie Götter find ihm nur bloße Sumbole ber 
Naturkeäfte in ihrem freien Walten; find die Kinder der 
Unendtichleit und himveg über den traurigen Ernſt des 
35 Grtenmens des Guten und Böfen, aus weldem ber Begriff 
der Schuld entſoringt. Von der Zeit an, da beſonders 
— denn der Scherz der Dichter glitt umſchadlich 
ab) gegen die Immoralitat der alten Götter elſerten, wie 
uerſt Socrates und Plato that, war es um die Unſchuld 
50 des Griechiſchen Geiſtes geſchehen, und bald darauf erhielt 
auch Funft nd Poefie einen töbtlichen Stoß in dem fie 
um ihren Ernſt und ihre Wahrheit gebracht wurden 
Denn Übrigens ruhte das ganze Gebiet der Kunſt fo auf 
ber Neligion, als feiner Grundlage, daß beibe ſich wechſels— 
3 weis in einander wieberfanden. 
3., dunkle, aber jelbft dadurch nur mächtiger wirkende 
Ideen über die Yufammenfügung und die Entjtehung bes 
y ” 


ku A 


moralifcen, phyftichen und — 
Philoſobhie und ol 


wo Die dichtende Phantafie, — 


td bie allegorifirenbe Myftit gl sb Ba 
Bed Be an 


Die einzige Idee don daß — m 
ein Sieial | ftand, dem ——— 2; 
unterworfen waren, und bad — — DE 
amderftondenen Mail 
für Volk von oem ach Geiſt Eu 
pfindung eine — Tiefe. Sie zog Fe 


ia 
icher Weiſe 
er dem Nomen 





’ Latium und Hella, 133 


Welt dauert und wirkt, ımd mit Muth dev Gedante ums 
faßt, daß das menſchliche Daſeyn ein hinjälliges ſchatten— 
ähnliches und jemmervolles, aber mit großen und reichen 
Freuden durdfictes ft, und duxd) die Exhabenheit eben 
dieſer Idee Löfte fich die Unruhe und der Schmerz, den 
tung erweclen mußte, in milbe Wehnuth; auf. 
‚Kein Volt dat das Gefühl der Melandolie fo zu ſteigern 
gewußt, als bie Griechen, weil fie in ber Tebenbigjlen 
jülderung des Wehs, dem üppigften Genuß fein Recht 
30 nicht verſagen und dem Schmerz ſelbſt Heiterfeit und 
Größe zu erhalten verftehen. Um hiermit durchaus ein— 
mben zu werden, eriimere man ſich mer, ein wie viel 
beſſerer Troftgrund das Homeriſche: auch Heralles Kraft 
entfloh nicht dem Tode! al3 bie unfrigen find, die, beim 
15 Schmerze zum Hohne jedes Unglitk in ein Gut verwan⸗ 
deln; und wie Lebendig ſelbſt In ben wehmüthigften tra— 
giſchen Chören doc) die Luft zu Licht und Luft und Leben 
uegeſprochen ift, und Derichtige die Ideen über Glück 
md Unglüd, Heiterkeit und Melancholie. Wenn man die 
20 Teßtere mehr in den Neueren findet, jo verwechſelt man 
das Phyſiſche Unidealiſche mit dem Stärferen und Höheren. 
Auch it es nicht richtig (und Dies berbient bier vor 
Allem Beberzigung) daß der Menſch nur immer nach 
Genuß und Glüdſeligkelt jagt. Sein wahrer Inftind, 
3 feine tiefe, innere Leidenfchaft ift, feine Beſtimmung, und 
feh es auch eine unglückliche zu erfüllen, wie die Raube 
id) einfpinmt und andre Thiere auf andre Weife ihrem 
Tode entpegeneilen. ES giebt fein Köheres, thätig und 
feibend jtarles und mit edler Scheu vor einer überfinn- 
5 Fchen alles beherrſchenden Macht ergebenes Gefühl, als 
das, in dem Hektor auswuft: denn es kommt einjt ber 
Tag, an bem die heilige Illos finkt! umd doch feinen 
Augenblick vom muthvollften Kampfe ablat. 
Ein zweites, Uberaus wichtiges Moment iſt es, daß 
3 die Meligion nicht in einer Rethe erweisbarer ober ge— 
offenbarter Wahrheiten beſtand, jondern ein Inbegriff von 
oft widerſprechenden Sagen und Meberlteferungen mar. 


lu — — 


ſchaftigung mit einer überivrdif Melt, 
der Natur jeines Geiſtes Tinm — 


and 
eingehen Tonnte, Di rien fit { 
en daß ein großer heil her Mythen 


das aan der — dag Unendliche u 
prechen. Was ifolirt notwendig bätte verlieren 
hülkte fih wun in die Ehrwirrbigfeit der Zeit, Bee ale 
und entfenteften Nationen. 3 

— aules grende Immer 
Eigentbi t in ben fpäteren Selten | 

— fremde, von dem 

herbeigefüh⸗ — ohne Verbindung neben ein 
ander * 





Satium und hellas. 135 


Der, jere und jhönere Glaube fragte nicht nad) der 
Serien ——— oder en hiſtoriſchen Bit & 
te ſie jet, wo die Elemente der 

nicht Aa — die Loſe noch nicht ſo — 

waren, wo ſich der Olymp umb bie Erde noch 

elnander vermiſchten, und jeder Stamm verwebte Diele 

in die Geſchichte feiner Vorwäter. Das unmittelbare 

halten der Natwelräfte wurde nicht einmal fir durchaus 

geenbigt gehalten; e8 dauerte einzeln noch fort, und warb 
nur im entfernte oder einfame Gegenden berjeht. 

An das Sehen ber Götter auf Erden Mmüpft ſich 
unmitielbar das Geſchlecht der Herven an, ihre Geſchichte 
und Ihe Dienft. Die Negypter Fannten dieſe nicht. 

Wohl alle Nationen Haben Menſchen in den Himmel, 
und ifre Götter auf die Erbe verjept, mehrere haben 
vergötterte Menjchen den Göttern gleich geitellt oder 
untergeorbmet. Aber daß feins dies jo meit ausgedehnt, 
ſo genau anögelponnen, To tief in alle ſeine Umgebungen 
vermebt, Feins jo für bie Bereicherung der Kunſt und ber 
Dichtung und die Belebung bes Nationalgeiites benuhl 
hat, als bie riechen, zeigt, daß nur fie eln ewig leben- 
diges Streben bejahen, zu dem Höheren und Ueberierbifdien 
überzugehen, und «i fe und ſchöne Formen der Anz 
ſhaulichteit zu prägen, 

Wie die Neliglon der Griechen auf der einen Seite 
auf die eben. gejagt Weiſe ſewiſſermaßzen üppige 
und überjchießende Ausbil ü 
bildungs traft erhielt 
Vedinniß mac 


fi, ein — einer 
‚Beige, als der ges 











v Sattum und Hellas. 139 


Meppigteit der Begierde ein fveieres Spiel liefen, zeigt 
gerade, wie fie, nicht einfeitig in beftimante Formen ges 
jen, zwar die Stufenleiter aller menſchlichen Empfins 
durchgingen, aber fie immer zum Edleren und 

\ Hößeren führten. 

Man hat die Knabenliebe oft aus ber geringen 
Ausbiſdung des weiblichen Geſchlechts herleiten wollen. 
Allein es möchte ſchwer zu beweiien feyn, daß dieſe 
wirffich jo gering geweſen jey. Die Geſchichte Bietet 

} Beifpiele genug dar, daf Weiber, theils im Ganzen ſich 
Fi ihr Vaterland thätig bewieſen, und im Einzeinen in 
mehr als Einer Gattung hohes Talent verrietben. Ich 
wiirde daher jenen Geſchmack mehr aus einer größeren, 
gleichfam überictefenden Fülle der Grichiiden Sinnlich- 

d feit mb äußerlich aus dem Umſtand exfläven, daß da ber 
geſellige Umgang des Griechen vorzüglich durch die natiir- 

‚allein ven Männern ofnen Gpmnafien und Philoſophen- 
ulen entftand, die Frauen davon, jo oft derſelbe ſich 
nicht auf bie mächjten Verwandten befchränfte, ausge 

ſchloſſen blieben. 

Uebrigens waren aber unſinnige Prachtliebe und 
Ausſchweinmgen bei den Griechen bei weiten wicht jo 
herrichenb, als im Drlent und bei ben Nömern. Gin 
gewiſſer von Natur feinerer Geſchmack und ein mehr 

4 lebenbiger Trieb, die Sinnlichkeit durch Kunſt zu lautern 
und zu verfeinern beivahrten fie vor diejen Abwegen. 

Indeß ift 8 nicht zu Mugnen, doß das meihliche 
Geſchiecht in Griechenland einer geringeren Achtung genoß, 
unb bafı fi, Hierin der Nömer bei weitem ebler benies. 

FR glaube nicht daß dies durch einen ſtärleren Einfluß, 
‚ben morgenlandiſche Sitten in Griechenland ansühten, ent 
Mond, Denn im Heroenalter verhielt es fich damit in 
hohem habe anders, unb id; jehe nicht, woher in ber 
Bolge jener Einfluß entiprungen wäre. Die an ſich auf 

+ fallende Erſcheinung far, dünft mich, Himeichend davaus 
erklärt werden, daß die Griechen in der Zeit ihrer 
Bollsregierungen weder ein patriordjalifdes, noch ein 





ke — 





v Latium und Hellas. 141 


— unfdugbar Mongel an Stätigtelt und oft 
Leichtſum. 


verllugneten ſich doc) niemals zwei Dinge In 
demfelben: Anhanglichleit an Volksgleichheit und vater⸗ 
landiſchen — 
ie Bedrüclung der niedrigen Bürger durch Die 
vornehmeren, und ber Armen buch die Reichen war ben 
Griechiſchen Staaten durchaus fremd, umd ſchlich ſich in 
feiner Zeit ein. 

Untergang der Freiheit in einheimiſcher und fremder 
Tyrannei Hatte zwar don Zeit zu Zeit Statt, aber niemals 
auf eine dauernde Weife, und wenn man fich fragt, was 

ullch Im Ganzen namentlich In Athen immer herrſcheud 
‚blieb, jo mar es Demagogle, aljo zwar Herrfchaft, aber 
Dun) das Voll jelbft. Seldit gegen fremde Mebermacht 

ſich der alte Freiheitsgeiſt immer wieder, und fein 

Volt kann Leicht einen jo bartnädigen, ohne alle 

auch. die mindefte Wahrfcheinlichleit eines günftigen Er— 

folges geleifteten Wiberftand auftveifen, al3 Athen in feinem 
legten Sampfe den Nömern unter Sylla entgegenſehte. 

Auch ift nicht zu übergehen, daß die Griechen fehr 
gut den Wert) einer edel Abftammung und großer 
Neichthämer Fannten, ohne dennoch weder bas eine, noch 
das andre diejer Gefühle im öffentlichen oder im Privat- 
Teben zu misbrauchen. 

| Unter der Mannigfaltigfeit vom Charakteren, die eine 
aus fo vielen Stämmen zujammengefehte Nation in einer 
Nelge von Jahrhunderten nothwendig aufreifen muf, 
faffen ſich einige auszelchnen, Die vorzüglid die Eigen— 
thlimlichkelten ihrer Nation an fid) tragen. 

In der edelſten Art thun dies Uriftomenes, den noch 
‚geroiffermahen der Glanz des noch nicht zu femen Helden 
‚alters umgiebt, Epaminondas, der Milde und Zartheit 
mit edler Nuhmbegierde und tiefem Edelmuth verband, 
umd Philopömenes, der zeigte, was ein grofier Charakter 
noch in der Entartung vermochte, 

Unter den glänzenden Charakteren, bie den (befon- 





ie | 








— 


Latium und Hellas, 143 


um 2 nicht im Ihrem Streben gehemmt zu jehen, 

ſich Tieber an die Leichter zu vermäpfende finnliche Welt 
‚hielt, als ſich zu ſehr in bie noch tiefer liegende verjentie; 
wodurch ev, nad den verſchiedenen Etufen feines Werthes 
und feiner Vildung bald chimäcifh und prahlerifch, bald 
zuhmbegierig und beldenmäßig, bald erhaben und idealiſch 
im Denken, Dichten und Bilden wurde. 

Die Angeln feiner wundervollen Eigenthümlichteit 
find alſo bie Intenſität dleſer Teaftvollen Beweglichkeit, 
md ihre natürlich vichtige und gleichförmige Stimmung 
bie ihn im Aeußern zu Klarheit und Nichtigkeit, im 
Imern zu Seftigfeit, Conjequenz und der hödjiten Klar- 
‚beit des inneren Sims, der Ibeofitöt fühig machte. 

Auf diefe Weile konnte der Griechiſche Charakter 
U bie fonft unbegreiflicften Widerſprache in fid) vereinigen: 

auf ber einen Seite Sejelligfeit und Trieb nad 
Mittellung, wie Ihn vielleicht feine Natlon je gelanni 
—* — der andern Sucht nach Abgezogenheit und Ein- 


auf der einen beftändiges Leben in Sinnlichteit und 
Kunft, auf ber andern in der fieffirmigften Speculation; 
auf der einen der verächtlichite Leichtſinn, die unge 
heuerſte Juconjequenz, die unglaublichite Wandelbarleit, 
mo Die Berveglichfeit und Neizbarkeit allein herefdjten, 
auf ber anben die muſterhafteſie Beharrlichleit und bie 
Bi Tugend, wo ſich ihr Feuer, als eenjte Kraft, in 
en Grunbveiten bes Gemülhs ſammelte. 
Vorzüglic) aber begreift man wie bei einem ſolchen 
Sharakter Begeifterung für Vaterland, Freiheit und Grie- 
Re Ruhm mächtig ſeyn muften, da ſich in biefem 
hl die natürlichflen und urfprünglichiten Empftndungen 
der Menfchheit, die glanzendſten Bilder der Einbilbungs- 
Fraft, und die erhabenften Ideen bes Gemtiths verbanben, 
Ganz und gar entbehren aber aud) die Griec 
Überjenigen Vorzüge, die man nur durch Jſolirung der 
Kraft erhält. 
Das hier Vorgetragene wird vielleicht durch eine 


Ian | 





| Larium und Hellas. 145 


Die Befchichte der Griechen iſt mehr, als irgend 
etwas Anderes ein triftiger Verweis bed hiec über den 
‚Charakter der Nation Gefagten. Denn fie verrath überall, 
da die Öffentlichen Vegebenheiten Griechenlands nur ein 

5 Mefultat Des Zujammenwirkens des eben gefhilderten 
‚Charakters mit ben jebesmallgen Umſtäuden waren. 

Man kan fie in vier Perioden adtheilen, in denen 
fie vorzüglich eine verfhjiedene Geſtalt annimmt. 
Bor den Perfiichen Kriegen fielen überaus wenig 

ko merkwürdige Begebenheiten vor; die Staaten bedurften 
Mufe und Heit um fi mit ihren näcften Nachbarn in 
Öleichgewicht zu ſehen, und fid eine etwas dauerhafte 

ing zu geben, . 

Während der Perfifchen Kriege verichlang die gemeitt= 

15 Scaftliche Bertheidigung des Vaterlandes jede andere Sorge, 

Den Zwiſchenraum zwiſchen biefen Kriegen und ber 
Magedonichen Uebermacht nahm die Eiferfucht der Athe- 
nienfer und Lacedtmonier ein, bei der ſich aber, aufer 

dem Streit über die Oberherrſchaft Griechenlands mod) 

» Hab und BWeiteifer der Heineren Staaten gegen einanber 
Auf vielfältige Weiſe zugleich mit offenbarte, 

Bon Philipp an wor die Zelt der Entortung. Ohn- 
macht und Verrath brachte mach und nad) alle Staaten 
unter das Joch des gemeinfchaitlihen Feldes, und von 

85 Zeit zu Zeit ſchuttelte nur augenblicklich wieder aufleben- 
ber Frelhellsſinn es wiederum ab. 

‚Im diefer ganzen Reihe von Begebenheiten würde 
man vergebend Einheit fuchen, die nur da Statt finden 
En, wo die Nation eigentlich, politifchen Chavatter befipt. 

© Über feine zeigt eine ſolche wundervolle Mannigfaltigteit, 

mb die feiner gewinnen die an ſich unwichtigſten Bes 
gebenheiten bloß durch den Charakter dev auftwetenden 
Menjcen eine ſolche Wichtigkeit und Größe. Die Be 
‚gebenbeiten entitehen meiftentheil® durch die Beweglichleit 

» des Voltscharalters und werben geadelt durch die Hands 
Lmgöweife der Einzelnen. Reizbarleit und Heftigleit des 
Enigegenwirlens ſpielen auch hier die Hauptrolle, und 

0 


Dontsohe Litteraturdenkmalo Nr. 5362. 1 


1 a i 








— 
Latium und Hellas. 147 | 


as abhängig, fo ift dieſe Neihe verborgen 
( —— für ums nicht vorhanden. Wie im Geiſte ſeibſt 
ein Gedanke, wie auf ber Leinwand des Malers eine 
' Figur, jo entfieht in der Natur durch das Wirken großer, 
‚oder gerade glüdlich begelfterter Kräfte eine Form des 
' Sebeng, die auf einmal eine neue Reihe geiftiger Erfchei- 
mungen beginnt. Erſt wenn fie exfehienen iſt, begiumt das 
und ber Einfluß der Umftände, bie fie —— 
und zerflören, aber auch beſchühen und ausbilden Können. 
a der MWirklicfeit mögen vielleicht, ehe eine Form 
"bes Geiftes in ihrer ganzen Beſlinunthell auftritt, unzäh- 
I Verſuche vorhergehen, die gewiffermaßen eine Stufen- 
zu dem exften aelingenden abgeben. Allein da don 
h Es ‚zu ben verfehlten immer eine Kluft vorhanden jeyn 
für die jede fung nad Graden unrichtig wäre, 
fo fteht in der Erſcheinung eine ſolche Form immer 
Hlöplih und auf Einmal da, umd es bleibt nicht? zu thun 
ibrig, als den Moment bes Erſcheinens zu ftriren, umb 
vom da an die beglinftigenden ımd hindernden Unftände, 
U woht nerftanden aber, daß dieſe much zum heit durg 
"jene Form beftimmt werden, aus einander zu ſehen. 

Auf die Frage alfo, wie lommt es, daf jene Hin: 
reipenb ſchöne Form der Menfchheit allein in Griechenland 
aufblithte? giebt es an ſich feine befriebigende Antwort. 
® war, weil es war. Selbit der Augenblick, wo? und 
bie Art, wie? Griechheit zuerft auftwat, find hiſtorlſch 
ſqwer zu beftimmen, und bie Urſachen, bie zu ihrer Ente 
Üiuielefung beitcugen, Tisgen, infofern fie moralifc) find, 
borzüglich in ihr ſelbſt. Ehe wir ung aber hierüber im 
irgend eine Unterjuchung einlafen, müffen wir borher 
noch einen andern vorzüglich wichtigen Punkt erörtern, 

Die meiften das Leben einer Nation begleitenden 
Umitände, dev Wohnort, das Klima, die Mellgion, bie 
Staatöverfaffung, die Sitten und Gebräuche, laſſen ſich 
gewiſſermaßen don ihr trennen, es Tann, jelbft bei reget 
Wechfehivirhung nod), was fie an Bildung gaben und ems 
pfingen, gewvifjermahen nbgefondert werden. Allein einer 

108 


I u \ 








welche den Gipfel eines Berges deckt, wohl von ſern 
eine ſeſte Geftalt zeigt, aber in Nebel zerflicht, jo wie 
—* in dieſelbe Hineintritt. Es wird daher, um dlieſe 
Schwierigkeit dennoch glüsklich zu überwinden, nothwendig 

— eine Bel Abſchweifung iiber Sprache 

lad bie Moglichteit ber Verſchledenheit einzelner 


Latium und Hellas. 149 


* ri "nachtheiligften Einfluß; auf die intereffante Be- 
 Handfung jedes Sprachftudiums hat bie beiehehnfte Vor— 
y ausgeübt, daß die Sprache durch Convention ent- 
und das Wort nichts als Zeichen einer umabhängig 
von ihm vorhandenen Sache, oder eine® eben ſolchen Bes 
geiffs if. Diefe bis auf einen gewiffen Punkt freillch 
 unläugbar richtige, aber weiter hinaus auch durchaus 
5 faljche Anſicht rödtet, ſobald fie bereichen zu werden 
anfängt allen Geiſt und verbannt alle& Leben, und ihr 
danft man die fo häufig wiederhoften Gemeinpläge: daß 
das Sprachjftudium entweder nur zu Auferen Zwecken, 
‚ober zu gelegentlicher Entwickelung nod) ungeübter Krufte 
v noihwendig; daß die befte Methode bie am Fürzeften zu 
dem mechaniſchen Verſtehen und Gebrauchen eher Sprache 
I führende; daß jede Sprache, wenn man fi ihrer mr 
. recht zu bedienen weiß, ungefähr gleich gut ift; daß es 
beſſer jeyn würde, wenn alle Nationen fi nur über den 
b Gebrand) einer und ebenberfelben verftnden, ımb was es 
noch ſonſt für VBornrtheile diejer Art gebem mag: 
[ Genauer unterſucht zeigt fid) min aber von allem 
dieſem das gerade Gegentheil. 
| Das Wort ift freilich infofern ein Heiden, ala es 
für eine Sache ober einen Begriff gebraucht wirb, aber 
nad) her Art jeiner Bildung und feiner Wirkung it es 
ein eignes und jelbititindignes Wejen, ein Individuum, 
bie Summe aller Wörter, die Sprache, iſt eine Welt bie 
der ericheinenden außer, und der wirkenden it 
5 ums in der Mitte liegt; fie beruht freilich auf Convention, 
infofern ſich alle Glieder eines Stammes verftehen, aber 
bie einzelnen Wörter find zuerſt aus dem natlirlichen 


ie f | pas 





Katitm und Helas. 151 
Teit beide Ideallich zu Begriffen zu berbinden leicht er 
Halten. 


Denn der reale aufgefafte Stoff joll idealiſch ver- 
‚arbeitet und beherrſcht werden, und weil Objectivität und 
Subjectivität — an ſich Eins und dasfelbe — nur dadurch 

werden, daß die jelöftthätige Handlung ber 

Neflerton fie einander entgegenjeht, da auch das Auffaſſen 

wirtlide, nur anders modifieirte Seldftthätigfeit ift, jo 

ſollen beide Handlungen möglichit genau in Einer vers 
" bunden werben. 

‚Das heißt: es joll eine freie Nebereinftinmmg zwiſchen 
den urſprunglichen das Semüth und die Welt beherrfchen- 
den Gruudformen geben, die am ſich wicht deutlich angeſchaut 
werben Können, bie.aber wirlſam werden, ſobald ber Geiſt 
An die richtige Stimmung verfebt iſt — eine Stimmung, 
‚die Heworzubringen gerade die Sprade, als ein abfichtlos 
aus der freien und natürlichen Einwirlung der Natur 
auf Millionen von Menjchen, durch mehrere Jahrhunderte, 
und auf weiten Exditrichen entitandenes Erzeugniß, als 

0 eine eben fo ungeheure, unergründliche, geheimnißvolle 
Mafle, als das Gemüth und die Welt ſelbſt, mehr, wie 
irgenb etwas andres hervorzubringen im Stande At. 

So wenig das Wort ein Wild ber Sache it, die es 
begeldiet, eben jo mentg ft e8 auch gleidhfam eine bloße 
Anbentung, dab dieje Sache mit dem Verſtande acbadıt, 
ober ber Phantafie vorgefteift werden foll. Bon einem 

il fü ih unter ihm Die 
hten mb auf bie 


Be 9 fteht, Tann A 4 
len, amd läuft Leine Gefahr, fih 





Lottum und Hellas, 153 


den übrigen Spradjelementen den Zuſammenhang vorbe- 
zeitet, den das Denten in der Welt zu finden, umd in 
feinen Erzengniffen hervorzubringen bemüht ift, und endlich 
durch feine Flüchtigtelt auf leinem Punkt zu berweilen, 

5 fonbeen von allen bem jebesmaligen Ziele zuzuellen ge 
bietet. In allen biejen Hinſichten ift die Art der ſinnllchen 
‚Form, die nicht gedacht werden kann, ohne nicht auf eine 
weiter unten zu unterſuchende vielfache Weiſe ſelbſt als 

ie eine Wirkung auszuüben, auf feine Weife gleide 

10 gültig, und es läht ſich daher mit Grunde behaupten, daß 

auch bei durchaus finnlichen Gegenftänben die Wörter 
en Sprachen nicht vollkommene Synonyme find, 
und baß wer Zumos, aqmıs und Pferd ausfpriät, nicht 
durchaus und volllommen basjelbe jagt. 

10 Wo vom unſinnlichen Gegenſtünden die Nede iit, iſt 
dies mod; weit mehr der Fall, und das Wort verlangt 
eine weit größere Michtigleit, indem es ſich noch bei 
weitem mehr als bei jinnlichen von dem gewöhnlichen 
Begriff eines Zeichens entfernt. Gedanken unb Empfin= 

9 dungen haben gewiffermahen noch unbeftimmtere Umriſſe, 
fönmen von noch mehr verfchiebenen Seiten gefaßt und 
unter mehr verſchledenen finnlichen Bildern, Die jedes 
wieber eigue Empfindungen erregen, dargeftelft werben. 
Wörter diefer Art find daher, aud wenn fie Begriffe 

= amzelgen, die ſich volltommen in Definitionen auflhſen 
Tafien, noch weniger gleichbedeutend zu nennen, 





Geſchichte des Verjalls der griechiſchen Freiſtaaten. 155 


erhebenden Anblids nichts Einzelnes zu unterſcheiden; das 
Nachdenken wird weniger, als die Mitempfindung erregt; 
die zuſammen wirkenden Kräfte werden nur in ihren ein⸗ 
ſachen Refultaten wahrgenommen; viele ſcheinen zu ſchlum 
mern, da nicht in die Augen falfender Widerſtand fie 
einzeln erwedt. Warn aber ben Fünjtlihen Bau bie 
Klippe des Unglüds zerjchellt, fpringen augenblidtic, die 
verſchiedenartigen Veftandtheile ind Auge; die Betrachtung 
erwacht; an bie Stelle frohen Mitgefühls tritt tief er- 
greifende Wehmuth; mit dem Falle des Einen ſcheint 
Alles zu wanten; und Gedanke und Empfindung ſchweiſen 
in weitere Zerne. Daher ift die Geichichte des Verfalls 
der Staaten meiſtentheils anziehender, als bie ihrer Blüthe, 
ober vielmehr bie lebtere erit Dann recht anzieend, wenn 
fie von dem Verfall aus betrachtet wird. 

3. Der Untergang der Griechiſchen Staaten hat aber 
noch das Eigenthümliche, daß er mehr einem gewaltfamen, 
al8 einem Krankheitötode gleicht, wo das Leben erft meicht, 
nachdem die Kraft ſchon erloſchen iſt. Die wahre Periode 
des Berfallg Griechenlands war fon die Regierung 
Philipps umd Wleranders; nicht Bloß die innere Freiheit, 
fondern auch bie äußere Unabhängigkeit war bamal 
ſchon zum Namen geworden; und doch lebten in diejer 
Periode Praziteled und Apelles; die feinfte Bfüthe Ather 
nienfifjer WVerebjamfeit entwidelte ſich in SJiocrates, 
Aefchines und Demofthenes; Ariftoteles erftieg ben Gipfel 
feiner Größe, und Plato reiht bis an dieſe Zeit. Auch 
an weifer und unternehmenber Staatsklugheit, an reiner 
Vaterlandsliebe, an außharrendem Muthe, an ewig gegen 
feine Seffeln initſchendem Sreiheitsfinn fehlte e8 weder 
damals, noch lange nachher, wie die Schlachten von 
Chäronea und Cranon, die Unbiegjamfeit der Thebaner 
gegen Aleranber, fpäter Philopömenes und Aratus, und 
bie verzweifelte Gegentwehr Athens gegen Sylla bezeugen. 
Gegen die Aihentenfer, jelbft gegen die Thebaner und 
Spartaner waren die Macebonier und Römer, die Unter- 
jocher und Eroberer Griechenlands, nur Barbaren zu 











Weichichte des Verjalls ber griechiſchen Freiſtaaten. 161 


mentern überwundenen Athens ber Thebaner Euanthus 
vorſchlug, die Stadt zu zerſthren, und den Boden, der 
bie Trophaeen der Griechiſchen Freiheit und bie Meifters 
ee Kunjt trug, — wi 
. erhoben vener, 
en —E— fagten, man müffe Hellas 
einäugig werben laffen.*) Wenn Scipiv Naftca**) 
ieafale: ber Zerjtörung don Carthago widerjepte, 
‚hatte ec dagegen nur zur Abſicht, ſeine [don ausartenden 
Metbüirger durch die Erhaltung eines mächtigen, und doch 
nicht mehr weſentlich geiührlichen Feindes im Baume zu 
halten; jonft findet man feine Spur, daß man darauf 
bebadjt geivefen jey, zwiſchen Nom und Carthago. ober 
0 und Syracus, oder Griechenland und Perfien, 
ober andern fremden und welteifernben Staaten ein Bi 
hältni des Gleichgewichts herborzubringen, das die Müg- 
Lihleit eines jurchtlofen, friedlichen und ruhigen Nebenz 
einanderbeftehens zur Abſicht gehabt hätte. 18. Die po- 
tische Richtung dev Stanten des Altertfums nad) aufen 
0 hin konnte nicht auf Freiheit, jondern mußte nothwendig 
auf Gerrſchaft gehen, und die Sicherheit war für fie nur 
in der Weltperrfchaft anzutreffen. Dies hat bie Erfahrung 
durch Berſuch und Gegenverſuch bewviefen, an ben Nömern, 
welche dieſe Maxime, wenn aud) nicht Mar gedacht, be— 
5 fulgend, glüdlic) waren, und an ben Spartanern, — 
von der entgegengejegt ausgehend, mit der pokitifchft 
— ſich je ein 
berdammt hat, vorzi ai weil * 
Lylurgiſche Einrichtunt 9 
Maren; als wäre ei 
geivefen, fo wie di L 1 
Hevolutton konnte und that, jeine Freiheit innerhalb feiner 


*) Ulplon zu Demofthenes Mebe ilber die Sure 
„fen Meistifehe ab 1. Belle 26. Piutardy ee 
Kittlo Londinensi Be 
* . Rditio Londinansis. 
Doutsche Littersturdonkmale 3 102. 1 








Geſchichte des Verſalls dev gritchiſchen Freiftanten. 168 


mit ſich brachte, jeder Bürger eintreten mußte. 
Denn wos Sylurg don feiner Vaterftadt gejagt haben 
ſoll, daß ihre Ningmauer die Bruft ihrer Binger ſeyn 
müffe, das galt mehr oder minder von jeder, auch wohl 
ten Stabt des Alterthums. Man lannte damals 
noch weder bie Hinderniſſe, noch Schupmittel, welche die 
neuere Zeit in den Nerhten dev Völfervereine, in Maxrimen 
der Schidlichleit, Gewohnheiten und ſelbſt Vorurtheilen, 
bie mit jenen Nechten, jogar afme doß man es fich fethft 
‚geftand, zu gleichen Anſehen gedichen waren, den Unter- 
drüdern entgegenftellte, und den Unterdrückten gewährte; 
es war damals noch nicht daran zu denen, daß der Krieg, 
wie Im 18. Jahrhundert, nur zwiſchen einer vorher bes 
tannten Anzahl von Bürgern, mit Schonung ber übrigen, 
5 nur mit Benutzung gewiſſer Vorthelie, mit fveimilligem 
Aufgeben ondrer, gewifiermaßen bloß wie ein blutiges 
Scyachjpiel geführt worden wire; die Gefahr traf jeden 
Einzelnen, jeinen Heerd, fein Weib, feine Sinder; und 
der Mangel an Kriegswertzeugen und eigentlicher Tattit 
0 machte, dafı fich doppelt mehr, als bei uns, jeder Einzelne 
ihr entgegenftellen mußte. 

18. Vielleicht noch nothwendiger aber ward Bürger- 
erztehung zur Erhaltung ber inneen Verfaffung. 19. Wenn 
8 bei uns jelten geworden üt, daß ein Einzelner mit 
Umſturz der Öejege, oder Hinwegrhumumg des rechtmäßigen 
Serrſchers die oberſte Mi jelbjt am ſich zu reihen 
derfucht, ober baı entgegen ien die Öffentliche 
Nuhe in Gefahr 


und mit dief 

Nebel, beglet \ 

en und eſſe ſind durch eine weite 
e d Schande der Nallon 


‚lüc und eigne Schande 

Arbeit und Sorge für die 

ift don den Echultern dev Sklaven 

un bes Volles gewälgt, der Wohl 
u⸗ 





£ 


— ne 





Geſchichte des Verſalla der griechiſchen Freiſtaaten. 165 


Uchen Aders; 26. eine ſolche ebendaſelbſt für die äußeren 
Verhaltniſſe die Oberherrichaft Noms über alle andre 
Nationen. Ein ganzes Bolt konnte nicht, wie ein einzelner 
Eroberer, am Weltherrſchaft denlen; die Nömer hatten auf 
der andern Seite ebenfowenig die wohl neueren Staaten 
eigne Polltit, ihre Gränzen durch die verbundenen Rück- 
fichten auf äufre Sicherheit und inne Erhaltung, auss 
dehnend und einjchräntend, zu Beftinmen; 27. exit bie 
‚Salier kamen, gewihigt durch Aufere Einfälle und innere 
Umuben, auf eine jolhe, bier Provinzen hinzunehmende, 
dort Provinzen verlaffende Grenzbeitimmung; die Alte 
fiepen. dermuthfich die mögliche Ausbreitung ihrer Herrichnft 
dahingeſtellt. Aber llar ausgeiprochner und unabwveichlicher 
Grmbfah in ihnen war es, Schiedsrichter der Nationen zu 
5 fein, und wo fich, was im Laufe der Zeit niemals Fehlen 
fonnte, gerechte ober ımgerechte Bitte an fie wandte, ba 
miſchten fie jich ein, und endigten gewöhnlich mit ber 
Ihnterjocpung der Unterbeiider und Unterdrlickten zugleich. 
28. Dieje beiden Moximen, verbunden mit vielen andern, 
bald Allen gemeinfcoftlichen, bald einzelnen Ständen 
eigenthünli—hen, jepten dem Liberalen Umgange mit Brem- 
den, und ber eignen vielſeltigen Ausbildung unüberwind⸗ 
Ache Hinberniffe entgegen. Aehnliche Beichränkungen kannten 
ambre Nationen, 29. und da, bei dem oft müßigen, und 
faft immer gemeinfchaftlihen Leben der Alten, die Sitten, 
auch in moraliſch gleihglttigen Punkten, von ganz andrer 
Wichtigkeit, als bei waren, jo erſtredten ſich dieſe 
Beihränkungen au inge, bie, wie die Unterfagung 
dieſer oder jener M jetah unbegreiflich ſcheinen 
30. Für jolde, nach Vorigen, dennoch zur 
dauernden Erhaltung dei staaten jo nothwendigen 
Beihrintungen nun nam die Oviechen zu ebel und 
frei, und wenn 
die Athenienfer. 
mit Athen; nur \ teihe von Jahrtzehen - 
den hindurch gen enehmunggeift und Ruhmbegierbe, 
Muth, und Klugheit, und troß vieler ſchrelender Unger 








Geſchichte bes Verſalls der giiechtſchen Jreiſtaaten. 167 


ganſtigt. 84. Die Griechen Hatten eine entſchiedene Ne 
zum Föderalismus, — beſaßen fie — 5 
bie, Die Sömer, für ftrenge, umveränberte Stantsverfaffung, jo 
—— ſie — mehr für bürgerliches Leben und 


35. Nur aus dieſer Geneigtheit zur Bildung gleich 
dom von jelbjt an einander tretenber Maffen Lafjen ſih 
die muffallendften Erſcheinmgen Griechiſchen Lebens und 
Grierhifcher Geſchichte ertlären , und nus ihr entforingt 
fogar größtentheild jene glüdliche Organifation des Griechie 
Ihen Geiftes und Charalters, die eig bie Bewunderung 
der Nachwelt bleiben wid, 36. Allein in politijcher 
Hinfiht Lnnen jo gebildete Maffen unmöglich gleid) halt: 
bar weder gegen äußere Angriffe, noch gegen die Utſachen 
fen, bie jeber menjchlichen Verſoſſung den Untergang 
allmählich von innen bereiten, 

3, 37. Es ift unmöglich, bei Ratjonmements, wie das 
enmwärtige, der Begierde zu widerſtehen, alte und neue 
it, dergleichend, zu Mefultaten für Das Außere, mod) 

8% mehr aber für das innere, tiefere Veben in Ein Ganzes 
un Die Schitfale des Menfchengefchledhts 
jaupt und nothwei t Welſe als eine munterbrochene 
‚Stette auzuſehen, und ihnen ein beſtimmtes Ziel zu jehen, 
ft wielleicht ein misliches Unternehmen, da die Reihe jo 
= oft, jelbft 616 zum Grlöjchen jeder mündfiden Neberfieferiumg, 
aumterbrochen ift, und wii 
Fheit- aller Exeigniffe 
{ft daß eingel 


fh) in einem. wirtlichen 

hen, und eine ſolche Weriode 
ven erften nicht ganz anges 

die Aeghpuer und bie Vorder · 
auf unjve Zelten dor Augen 





Weiciice des Verſalls der grichifchen Frelſtacten. 189 


die Nömer fi ihnen näherten; bie Hand der Römer 
aber näherte ſich nie anders, als um zu unterjodhen, uber 


aut zerftören, , 

42. Seit diefer Zeit warb Hellas dergeftalt in . 
Latium verwebt, da man nod) jeht kaum einen Schritt 
in den Trümmern Noms machen fan, ohne des Landes 
mit NRührung zu gedenken, das, noch graufamer, als 
Satin, dom. Schicjal behanbelt, von Barbaren vermüftet 

da liegt. So in dem Namen des klaſſtſchen Alterthums 
vereint, gingen beide auf bie neuere Zeit über, unb lange 
Ichied man nicht rein und jorgfältig was Griechiſchem und 
Röndjchen Geiſt angehörte; oft werden noch jept beibe 
verwechſelt. 43. Die Deutichen beſihen das unſtreitige 
Berbienft, die Griechiſche Bildung zuerit treu aufgefaht, 
amd tief gefühlt zu haben; zugleich aber Ing im ihrer 
Sprac)e fchon vorgebifdet dus geheimnifiwolle Mittel da 
ihren wohlthätigen Einfluß; weit über den Mreis der Ge» 
feljeten hinaus auf einen beträchtlichen Theil der Nation 
zu lonnen. Undre Nattonen find hierin mie 
‚gleich gluctlich gewejen, ober wenigitens haben Ihre Vers 
Heanlichkeit mit den Griechen weder in Commentaren, 
nad). Ueberſehungen, noch Nachahmungen, noch endlich 
Gorauf es am meiſten ankommt) in dem übergegangenen 
‚Geifte des Alterthums auf ähnliche Art bewieſen Deutiche 
fnüpft daher feitdem ein ungleich fefteres und engeres 
Band an die riechen, als an irgend eine andere, auch 
bet weiter näher liegend: oder Natlon. 
eſer B ben Verfall der Griechſſchen 
‚der Geſchichte mehmend, möchte 
1, zu welden alle 
wcehmen cm Ende 


taufend und aber 
Runkt zu finden 
Dieſer Ruhepuntt 


und fruchtbarſten auffaßt, und im der Richtung in der er 








Geſchichte des Verſolls der griechifcien Freifianten. 171 


einem Anloſſe misbraucden wollte, ihr fremdartige Ber 
ü jen om fie am zu Mmüpfen. Die eit der 

> een de ir je Weihe Menfäen exhaben; der 
Gang des Schikjels foll an dem Leitfaden der Erfahrung 

‚5 gezeigt, der Sinn durch fie gejtärkt und genäßrt werden; 
das Erjte aljo ift, fie vein md treu zu überliefern, und 
das bisher Gejagte ift bloß Nechtfertigung der Wahl des 

| des und der Art ber Musführung, wo ber 
A Geſchichtszweck mehrere zuliehe. 50. Der haupt 
üchfte Theil der Arbeit Kfclbt immer einzig und allein 

Barftellung Griechenlands in feinem Berfall, und 

blefem werde ich daher alle Hiftorifhe Genauigkeit, Aus- 
führlichtelt und Unpartheilichleit widmen, beren ich fähig 
bin. 51. An ihn jchliept fich der zweite nur am. 

52, Die Geſchichte des griechiicen Verfalls theilt 
von ſelbſt in drei Perioden ab, in deren erjter bie 
üheit und Unabhängigkeit untergraben, in dev zweiten 

(id) zu retten verfucht, und in ber dritten auf immer 


ve 
Mleranderd; von des erſteren 
‚lacht bei Cranon; ba Alerander 
Verbannten ber griechljchen 








hi. u 


Geſchihte des Verſolls der grledifchen Freiftnnten. 173 


es it leinesweges die Abſicht, diefen als Belag zu einem 
ihm fremden Raifonnement zu gebrauden, fonbern mur 
die, den im ihm liegenden Reichthum an Folgerungen 
mögkichft gut zu benugen. 

62. Um aber den hier in feinen äußerften Umriſſen 
vorgezeichnelen Plan auszuführen, muB man auf gewiſſe 
Thatfachen und Meberzeugungen, wie auf Grundlagen 
fußen Können. Zuerſt ift es mothiwendig, zu der Leſung 
dieſes Werls einen bejtimmten Begriff von dem Charakter 
und ber Lage ber grlechifchen Völlerſchaſten mitzubringen; 
dann über gewiffe Grumdjähe von demjenigen, mas 
Nationen uripringlich ſeyn und ſpüter werben Minen, 
über die Mittel durch deren Gebrauch jie ſich von ihrem 
‚Biele entfernen, oder ihm nähern, und über den Werth 
der Mafje von Cultur, die fie ftufenweis erwerben, ein⸗ 
werftanben zu feyn. 68. Denn moralifhe Exjheinuugen, 
wie der Charakter, das Wachsthum und dev Verfall ber 
Nationen, Laffen ſich nicht bloß einfad) erzäbfen, fondern 
müfen Bee aus allgemeinen Gründen erklärt werden; 
und auben verjchiedene Unfichten, von welden bie 
Am Wortrag gewählte eben jo wohl raifonmirender, als 
geſchichtlicher Nechifertigung bedarf. 

64. Ich werde daher damit anfangen, eine Darftellung 
dei gieihifchen Charakters, mit Berührung der Umftänbe, 
welheign bildeten und mit Hinficht ſowohi auf die andern 
Vollerſchaſten des Alteriuns, als auf die Befdhaffenhelt und 
die Entjtehungsart des Charalters der Nationen überhaupt 
und die Mittel ihrer Kenntuiß, Beurlhellung und Bildung, 
dem Ganzen voranzuichieen. 65. Ich werde hierbei noch 
beſonders bemüht feyn, das exit allgemein gezeichnete Bild 
madhher nad) den Verjchiedenheiten der Zeiten und ber elite 
zelnen grlechifchen Stänune abzuftufen. 00. Von da aus werbe 
id) mir alsdanı durch eine Schilderung des polltiſchen umd 
filtlichen Zuſlandes Grlechenlanbs unmittelbar vor ber Throne 
Befteigung BHilipps zu der geſchichtlichen Darſtellung ſelbſt 
den Weg bahnen; 67, und dieſe beiden Gegenjtände in einer 
und berfelben Einleitung umfaffen, zu der ich jept übergehe. 


4 [| | 





Geſchihte des Verſalls der griegifchen Feeiftnaten. 175 


und bervorbringen möchten; wenn jeder ande Theil der 
Geſchlchte uns mit menjchlicher Mugheit und menſchlicher 
‚Erfahrung bevelchert, ſo ſchöpfen wir aus ber Betradh- 
dung der Griechen etwas mehr als Jrrbiſches, ja beinah 


Denn melden andern Namen joll man einer Er— 
babenheit geben, deren Unerreichbarkeit, ſtatt muthlos zu 
machen, aufrichtet und zur Nacheiferung anfpornt? Wenn 
wir unfere beſchränlte, engherzige, durch taufend Feſſeln 
ber BWilltühe und ber Gewohnheit gedrüdte, durch zaht- 
loſe Heinliche, nirgends tef ins Leben eingretfende Bes 
ann zerfplitterte Tage mt ihrer freien, rein nach 

dem Höchften in der Menſchheit fteebenden Thätigleit, 
umjere mühvoll durch wiederholte Verfuche langſam veifene 
den Werke mit ihren, die dem Geift, wie aus freier Fülle, 
entftrdmten, unfer dumpfes Hinbrüten in Möfterficher Ein 
Jamlelt, ober gedanfenlofes Umtreiben in loſe verknüpfter 
Öefelligkeit mit bem heiteren Srohfinn ihrer, durch jede 
helligite Bande befeftigten Bürgergemeinjcaft vergleichen; 
jo müßte, jollte man benten, das Anbenfen an ſie ums 
raurig und niedergeſchlagen a, wie den Gefaugnen 
die Erinnerung an hr ten 2ebensgenuß, den 
Kranten das Andenlen an ungeſchwachte Gefundheit, den 
Sewohner des Nordens das Bild eines Italienſchen 
Brühlingstags, 

Werade im Gegentheil aber ift es nur daS Verjepen 
An jene Jeiten des Yllten de ae ‚Herz erhebend 

rin unfre ur 


ıg Ichöpfen, und gexade bie 
Fe das — auf 








Geſchichte bes Werlats ber griedlfchen Freiftnaten. 177 


ächt entfprungen aus der Natur und ber Menfchheit, daß 
fie und nicht, zwingend, auf ihre, jondern begeifterub, 
af unfve Weife anregt, uns anzieht, indem fie unſre 
Selbitftändigkeit erhöht, und und mit ſich verkuitpft nur 
5 im der Idee letzter Volllommenheit, von der fie ein un— 
lauabares Vorbild, mad) der aber aud) uns, menu gleid) 
auf anbern Wegen a Streben erlaubt iſt. 
Es gehört vielleicht eine innigere Wertrautheit mit 
den Werfen der Alten dazu, um bie Behauptung der 
10 Unerreihborkeit ihrer Vorzüge nicht für bartgellige Ueber» 
treibumg zu halten. Was jedoch ſchon ein günftiges Vor - 
urtheil für diejelbe erregt, fit daß es föledterbings nicht 
gerade mıf Gelehriemfeit oder Studium anfommt, um an 
den Werken der Alten Geſchmack zu finden; ſondern dies 
15 felben den tiefften Eindruck vielmehr in den umbefangenften, 
moch feiner eigenthümlichen Denkart oder Kunſtmanier 
fröhnenden Gemathern zurucklaſſen. Es iſt ferner be— 
merlenäwerth, daß fie bei jeder Natiom, jedem Alter, jeder 
Loge des Bemüths Eingang finden, da das Moderne, ſo wie 
> 8 aus einer minder allgemeinen und objectiven Stimmung 
entfpringt, ebenfo duch eine mehr eigenthümliche und jub- 
feetive verlangt. Shatefpeare, Dante und Cervantes 
werben nie eine jo allgemein. verbreitete Wirkung hervor— 
bringen, al® Homer, Äeſchylus oder Ariſtobhanes 
2 2. Das Moderne, in irgend eimer Gattung, ſobald 
nicht don bloß pofitlver Nenntniß und medaniicher Ge- 
jehictficgteit die Rede it, ten zu vergleichen, 
beweiit eine eben ſo J des Alterthums. 
a8 es unrichtige Annicht anzeigt, wenn je ehr 
= beftimmter — 


mie die Anfchauung reicht, in 
der Urkenft der Natur und der Menfchheit, don der 
jene beiden verſchiedene Bilder, dieſe beiben verſchie— 


Dontsche Lättorasurdonkmale Nr. BSR. 12 





ee 
— 





Gecſchichte des Berfalls der griechiſchen Freiſtaaten. 179 


— Grängen beſchränkt Halten — Jrrthümer, bie bei 
der Kunſt darum — weil ſie uns das Weſen 
der Natur nicht an ſich, ſondern auf eine unſern Organen 
une fir fie Harmonife vorbereitete Weiſe darſiellt. 
Dwar iſt unſer Leben nicht jo karg von dem Schlck- 
ſal begabt, daß es nicht auch mitten in demſelben, umd 
— aufer dem Gebiete der Kumft etivas geben jollte, 
wodurch man dem Weſen der Natur näher zu treten 
bermag, und bies Etwas iſt die Leidenichaft. Denn 
feinesiweges jollte man dlejen Namen an die untergeord⸗ 
neten Afjecte verſchwenden, mit welden man gewöhnlicher- 
meife liebt amd Hafıt, ftrebt und vernfdent; tiefe amd 
reiche Gemüther kennen ein Begehren, für das der Name 
des Enthuſiasmus zu Talt mb ber der Sehnſucht zu 
rcahig und milde fit, und bei weldiem der Menfch doch, 
In vollfommenee Harmonie mılt der ganzen Natur blelbt, 
in dem Trieb und Idee auf eine auf dem Falten und 
projatfchen Wege unbegreifiihe Welfe In einander were 
ſchmolzen find, und welches dadurch die ſchönſten Geburten 
orbringt: In diefen Stimmungen wird die in der 
fichteit erſcheinende Idee im der That richtiger er⸗ 
fannt, und man kann m Wahrheit fügen, daß Freund · 
oft und Siebe in hoher und reiner Begeiſterung ihren 
. Begenftand mit tieferen und gleichlam heillgeren Bitden, 
als die Kunſt, betrachten. Aber fo it das Schichal ber 
Wirtlichteit ba fie, bald zu boald zı Hoc) geſiellt 
mie das volle und haewicht zwiſchen der Er 
em Auffafjungsver« 
er begeifterte 
mb ruhige Genuß 
‚die Schuld der Natur 
fie dem Kunftwerte 
ung der Bunt 
fo fit Achting 

‚ höher geftiegenen, 
leichgewicht treffen mir 
nie im Modemen, an In 

12% 








Geſchichte des Derfalls dev geiehlihen Freifinaten. 181 


ſchaſt, jener dunch feine eigenen Strahlen alles erſt feſt 
zufammenfaffende, exjt innig verfchmelzende Glanz. 

Denn ber Menſch mag finnen und wählen und 
mühen, wie ev auch wolle, jo dantt er das Zarieſte, wie 
bas Höchfte in jeinen Werfen, dasjenige, das der Hand 
entitrömt, ohne daß der Bildner es weiß, und in dem 
Sinn übergeht, ohme daß der Vetrahter davon Rechen— 
Ihaft zu geben vermag, doch nur der glüdlichen Anlage 
feiner Natın und der güinjtigen Stimmung des Augens 
blicks; und ex mag ausgerüftet ſeyn mit Genie und That 
kraft, mie es bie Orängen der menfchlichen Natur mur 
verjtatten, jo iſt doc dasjenige was om meiiten am 

m hexvorftrahlt, nur das, was nicht unmittelbar Ex ifi, 
saft des Geſchlechts, das ihn zeugte, der Boden, 
ber ihm trägt, die Notion, deren Eprache ihn umtönt. 
Der Menjch gehört dev Natur an, und tft nicht beftimmt, 
ulfein und vereinzelt ba zu Stehen; das Wort feines 
Mundes iſt Element oder Nachtlang des Schals der 
Natur; das Bilb, das er hinwirft, Umriß des Stempels 
in den auch fie ihre Geftalten gof, fein Wollen unmittel- 
barer Anjtoß ihrer Schöpfungskraft Seine Selbftftändig- 
feit wird darum nicht geringer; dem in der Totalttät 
der Wirklichleit ift die Kraft der Natur feine eigene, und 
An ber Erfheinumg ift ihm Alles, Nation, Boden, Himmel, 
Unngebung, Borwelt und Mitwelt, verjchloffen, fpradlos 
und todt, wenn er es nicht durch eigene, innere Praft zu 
Öfen, zu vernehmen, zu befeben verftcht. Darum {it 
es das ficherfte Me ‚Genies im jeder os 
äußerung, und am der berwidelteften, im 
Sehen, überall, dur ng ob 
Siebe oder Haß, di 
herauszubeben, und, wi ichtel 
eine nee und ſchönere Belt aus der Vergangenheit um 
— her zu ruſen alfsn zu welchen die Neueren 
ie Alten alles, deſſen 


Ri gebung und * ihrem 








Ceſchihte deb Werjai der giedien Grefaaten. 188 


wenſchliche Bruſt ſich ſehnt, ober wenn dieſe Ideen fie 
nicht lebendiger durchglühten, als man je ſonſt zu ahnden 
it in. Jener Hauch des Altertbums it alſo 

ıh ‚einer hellen von Göttlichfeit — denn 1vas, werm 
die dee, iſt göttlih? — durdhitealten Menſchheit, 
———— ſolche iſt es. die aus den Kunſtwerten, Dich 
tungen, Burgerverfaſſungen, Schlachten. Opfern und Feſten 
der Alten gegen unfre Dumpfheit und Eigherzigtent aber 
auch zugleich fire das, was Menſchen ſeyn. und wonach 

10 wir auf anders vorgezeichneter Bahn ringen khnnen, laut 
umd ig zeugt. Denm es wäre ınmglücklich, wenn ſich 
der Vorzug Des Alterthums nur in todten Mormorger 
bilden, und wicht auch, gleich erhebend und begeifternd, 
‚ht Sitten, Geſinnungen und Thaten ankimbete, 

a6 Alſo noch Einmal: nichts Mobernes iſt mit etwas 
Antttem vergleichbar; 

mit Gotern 
fo ſih wicht meifen 
Argenb ein Menjch; 

ZU md mas das Mterthum unterſcheidet, ft nicht bloß 
Eigenthümlichteit, ſondern allgemein geltender, Aner⸗ 
fentung erzwingenber Vorzug: es war eine einzige, aber 
gladliche Erſche nung In der Bildungsgejchichte der Menjch- 
beit, daß ben Zeitalter, bie durch Mühe reifen joflten, 

25 ein Geichlecht voransging, dos mühelos und gleichſam im 
ber fhönften Blüthe, dem Boden — Auf weldem 
Wege dies begreiflich | ſeigt ſchon das bis 
jept Entwictelte an, allein bie ganze t, Bejonders in 
ihren einzelnen Anwend m 


old wahr annimmt, 
Der — der m 


in dieſem Griechen und 


umgelelrtem Berhältniße 








Geſchichte bes Verſallo ber grlechifchen Breifianten. 185. 


immer mit bem Göttlichen zu vermäßlen, hatte ihr Cha- 
‚auch noch in feiner Form das Cigenthümliche, 

Are ihm lag, das ſich wicht rein und glücklich 

‚und alles, was fich Auferlich in ihm Darftellte 
en Schalt mit Haren und bejtimmten Umrißen 


Wir bleiben einen Augenblick bei dieſem Letzteren 
fiehen. Dadurch, daß das charakteriitiiche Merkmal der 
mod, mehr in der Darftellung beffen, wos fie 

', als in dieſem ſelbſt, oder doch nur dadurch im 

egt, verbienen fie ſchlechtweg das Ideal zu heifien, 
auch ber Begriff des Ideals es nothwendig mit ſich 
Srhngt, bafı ſich die Ider der Möglichteit Ihres Erſchelnens 
umtertverfe; md ebendadurch {ft dev vorherrſchende Bug 
5 im ihrem Geift, ja der, welchen man immer wählen warde 
Denm man nur einen einzigen anzuführen hätte, Achtung 
und Freude an Ghenmaß und Ofeichgewidt; auch das 
Edelfte und Exhabenfte nur da aufnehmen zu wollen, wo 
8 mit einem Ganzen — Dos Misverhältnif, 


bare Quelle erſchutternder oder hnreißender Gefühle für 
fe wird, war ben Griechen ſchlechterdings fremb; fie 
nicht dad Umtreiben in Gedanten und Empfür 

1, hinter denen jeber Ausdruck zurüchleibt, und was 

nicht freiwillig und natürlich in das zwiefache Reich 

des Lebens und der Di ung | tellte, gehörte nicht im 
Die — war eine 


I allen Seiten und Na 

murbe ex nirgends“ 

‚gearbeitet als in Hellas. Diee ille gegen dad 

Unperhältnifmößige entiprang. aber bei den Griechen nicht 

eigentlich aus einem o r von Schwäche und Wer 

weichlichung zeugenben Ab ben übermäßig Her⸗ 
m der gewohnlichen Natur 

Entfernenben, jonbern unmittelbar aus dem Bebärfnif, 








Geſchichte des Verjalls ber griedifhen Freiftaaten. 187 


| ren a Süden Zeben, gelang, mas ſelbſt In 
orbneten bloß das Werk des Genies ift, nur 
en — Triebe, dem fie ſich frei und ohne Ruck⸗ 
t hingal 

Alle ee beruht, uber vielmehr ſpricht fich 
aus in einem Triebe, und iſt Eins mit dem ihr eigen 
thlimlichen. Won ben mmterjten bis zu ben höchjten 
Elofjen des Lebens hinauf erkennen wir in jenem Ganzen 
umb in bem Begriff feiner Natur jedes Beicöpf weniger an 

30 feiner Art des Seyns als an feinem Streben, in welchem ſich 
erft alle jeine vergangenen, gegenmärtigen und zulinftigen 

in eine Einheit zujammenkmüpfen. Wie das 

Leben weber jtilljtehend, noch durch ehe ünfere Urſach 
bewegt gebacht werden kann, jo beiteht das ganze Unt- 
45 verjum mar durch ven Trieb, jo Lebt und iſt nichts, als 
inſoſern es zu leben und zu ſeyn ringt, und dev Menjch 
imäre fehlechterdings Herr und Meifter feines Dafeyns 
und feiner Fortdauer, wenn er durch ein Machtgebot 
Teims Willens feinen Pebenstrieb zu vernichten vermöchte. 

© Der Trieb it naturlich ſelbſt beftimmt, und beftinmmt 
wieberum bie Form bes Lebens, Aller Unterſchied unter 
dem Lebendigen, zwiſchen Pflanzen und Thieren, zwiſchen 
ben monnigjaltigen Geſchlechtern dieſer Tepteren, und unter 
den Menſchen zwiſchen Nationen und Andividuen beruht 
25 alfo allein auf der Verſchiebenheit des Lebenstriehes und 
feiner Mönlichleit, ſich durch den Widerftand, den er findet, 

durihzuarbeiten. — 

Bel den Griechen git gerade darauf 
hin, rein und vofl e 
= dajeyns in Heite 


genieen, 
daß er jejt auf der Erbe murzeli, 
ji) zum Simmel zu erheben vermag, fo it eigentlid) 
feine, noch) fo erhabene Eigenfhaft in if etwas anders, 
al8 Frucht eines durch wfung göttlicher Ideen ders 
= enelten Naturinftincts. Nun hatte aud; ber zohe unb 
ganz umgebildete Grieche unläugbar zwei Eigenjcaften, 
bie, wie gefährlich fie in vieler Midficht jeyn mögen, doch 








Seidichte des Verſallo der griedilfchen Freiſtaaten. 189 


ſchaft und Kunſt. Weit regſamem Stan für alles begabt, 
war ihm endlich, einfeitige und vorurthellvolle Chung 
der Dinge fremd, md ſchon bei Homer erinnert Paris 
den Heelor ſehr Ihn bie Gaben feines und feiner der 
Himmlifchen zu verſchmahen. Die evelften Vorzüge einer 
Nation zu erkennen, iſt «8 manchmal müßlich, fie in ihrer 
Entartung entftellt zu fehen. Wie num befchreißen uns 
die Nömer, nicht, wollen wir Hoffen, alle Griechen, unter 
denen die ber PVorältern noch Witroigen ſich wohl, wie 
noch jeht der Ueberwundne, ber ſich zu ehren berjicht, 
werben im ihren durch jene zerftörenden Weltbeherricher 
zur Eindbe gemadjten Mauern verborgen gehalten haben, 
aber jene, die nur als eine vornehmere, und da fie fich 
jelbjt jeden Tag aufs Neue verkauften, verächtlichere Art 
bon Sklaven, in den Häufern ihrer Reichen umhergingen? 
Als mäßige, neugierige, geſchwätzige, unruhige und ewig 
veränberliche Prahler Aber jelbft in dieſen mit Recht 
verachteten Fehlern iſt noch immer ein Funlen bes alten 
Geiſſes ſichtbar, mod Freihelt vom der Nothdurft des 
9 Lebens, noch ein gewiſſes Hängen am den, was nicht 
Lörperlich den Sinnen, jondern als Hauch gleihjam und 
Duft nur dev Phantaſie und dem Gifte ſchmeichelt, übrig, 
noch etwas. das, wenn es auch der Seele nicht himmliſche 
Flügel Leiht, doch die Bürde des Körpers abwirfl, über 
bie in der fchönften Zeit Griechenlands Plate jo Häufige 
und beredte Klage führt: Der Milßiggang laun wieber 
zu jener edlen welche noch ber ehrwurdigſten 
Wrbeit bei ums den ren giebt, die Neugier und Ber 
fchwäßigfeit zu Unterfuchungsgeift, Berediomteit und Poefie, 


8 die Unftätigkeit zu ſchönen Auffaſſen alles auch noch jo 


verſchiedenen Großen und Berunbernsmärbigen in ber 
Menichheit und der Natur zurückichren. Auch in ben 
ſWonſten Zeiten Griechenlands find Nuhmbeglerbe und 
Diebe zur Gejelligteit fo mit einander verſchwiſtert, daß 
jene, ftatt weit ouszujchweifen, umd ihre Befriedigung im 
der Ferne zu ſuchen, ſich auf diejenigen Gegenftände ber 
Ährtmtte, die unmittelbar im Streife der Bürger und 








. u 


Weldiichte des Berfallß ber griechifchen Sreiftnaten. 191 


Br fremden Geſialt, oder einem trügeriichen 
‚Die Griechen waren aber auch außerdem F 
im fi) gebildet, und fo wohlthätig durch das 
von außen begünftigt, dafs jener borhinermwähnte 
jelten ober nie von feinem Biel abierend, ſich and) 
herrſchend zu machen berftand. Was ſchien, 
E Wert bes Genies feyn zu Lünen, war demnach mehr 
rl der Natur, wie fich überhaupt immer im Menjchen 
& am feinften Ausgebildete unmittelbar em das Ur— 
üngliche anfchlicht, das darin mur gleichſam in eine 
dre Klarheit des Bewußtſeyns gejept wird; und wie 
im gejellichaftlichen Leben die edelſten und zarteſten 
je nur mit den niedrigſten, noch in matielicher 
it lebenden Vollselaſſen In unmittelbarer Bes 
bes Sinnes und der Empfindung ſtehn, und 
& die in ber umjeligen Mitte Schwebenden, bald ohne 
fraft, bald im verzereter, beides der Achten Natırr und 
F üchten Verfeinerung gleich fremd find, 
7 Dem allen ungeachtet wird niemand leicht den Trieb, 
© dem bier die Rede ift, mit inftinctartigem Naturzwang, 
x untergeordneten Begierben verwechelen ober veriennen 
be bier nur darauf anfam zu zeigen, daß, da einmai 
amflicher und frrbijcher Stoff Im Menjcen gepanet find, 
ungerecht ift, beide einjeitig zu ſchelden. Nicht? des 
enjchen Witrbiges kaun in ihm, ohne Freiheit, d.h. 
he Ycte, die einzig dev Perfönlichteit angehören, empor» 
amen, olfo am menigften das, worauf feine ganze Ibis 
hmalttät d. 5, feine Perfönlichteit felbjt beruht: Allein 
f ber andern Seite fann auch das Princip des Lebens 
HE anders als thätig, und jo wie das in und Gejeke 
benbe und Herrſchende der Idee entipricht, ber Enipfinbung, 
dem erſten Anſioß zu allem Handien, entjpredjend fen; 
Hann ferner nicht durd) eine gfeichham willtührliche Bes 
mmung des Willen® gejeht werden, da es vielmehr allem 
Sbrüdlichen Wollen vorhergeht. 
I men nur einmal ſicher den Grundtrieb der Indie 
dmalität (dev als etwas Nnenblices fid) nie rein und 


4 1 


Geſchichte bes Verfalls ber griechiſchen Freiftaaten. 193 


Gemuths in dent nur das ſelbſtgegebne Geſetz herrſcht, 
enlſoringenden Trieb nennt der Deutjche mit einem leiner 
andern Nation (ba feine Sprache vorzugsweife in dem 
Gebiete einheimiich it, das, um gun ausgemeflen zu 
werben, ber Hülfe ber Empfindung ‚ebarf) betannten 
Worte) Sehnfucht, und der Menſch Hat daher nur injofern 
einen bejtimmten Charakter, als er eine bejtimmte Sehn- 
ſucht ferne. In jebem Menjhen regt ſich eine ſolche, 
aber wenige find glacklich genug, daß [fie] fie, ſich micht in 
widerjprechenden Affecten zerſtreuend, rein und beftimmt 
em, mod) weniger, def fie auf Acht tbeafifchem 
je den Urformen der Menfchheit entgegengehn, ımd 
am feltenften ift das Glücd, daß, ift diefe zwiefoche Be— 
dingung erfüllt, auch die äußeren Umftände ihr hinlänglich 
‚zufagen, durch Befriebigung nene Kraft zu gewinnen. 
Die Kbealität eines Charakters hängt von nichts jo 
fehr ab, als der Tiefe, und ber Art der Sehnfucht, bie 
ihm begeiftert, Denn der Ausdrud des Idealiſchen fügt 
ber Moralitit nod) etons Anderes, nicht Höheres (bemm 
fie bleibt immer das Höchfte) aber mehr Umfafjendes 
hing, da ein ibenfifcher Charakter ſich nicht bloß Einer 
Idee, wie der fchlicht moraliſche der der Pflicht, untere 
toirft, ſondern fid) gleichjam allen been, ber ganzen 
umfichtbaren Welt, anbildet, da ev, wie der Künſtler ein 
Kumjtmert, jo eine Geftunung hervorzubringen ftrebt, bie 
wie jenes die Schönheit, fo die Menfchheit (im ihrem 
Abel und ihrer Würde) in einem einzelnen Fall baritelle, 
amd da er endlich im wahren Werftande fchöpferifch ft, 
indem ex bie, fonft mm ben Gebanfen vorſchwebende Idee 
höchfter Menfchheit in eine Thatſache der Nat dere 
manbelt. Dazu t bloß Berichtigung des Denlens 
und Übung de 3 Hin, das Gemürh muß fähig 
gemocht werben für bas, woran Ten Begriff und. Teine 
Empfindung reicht, und tvas, wenn es die Einbildumgskraft 
frei zu bilden feheint, don ihr auß ber Tiefe ber Natur 
geſchöpft wird; mit anderen Worten, Die Idee, welche Die 
Seele und das Deben ber Natur ausmacht, und don ber 
Dintschs Litteraturdenkmalo Nr. do de 19 








Geſchichte des Verfalls dev griechtſchen Frelſtaaten. 195 


müßte an einem andern Orte ausgeführt werben, mei 
es nicht ſchon von ſelbſt Har wäre. 

Trägt man dieſe Ideen in die aufmerlſame Be— 
trachtung des Lebens über, jo wird man, am meiften an 
Sich felber, Bald gewahr, doß es eine dreifache Art der 
ee giebt, die der jellung des Berftandes, der 
Stärkung des Willens, und des Hinneigens zu beim 
nimmer Ausgejprochnen und ewig Unausfprechbaren, der⸗ 
gleichen bie Urperliche und geiftige Schönkelt, bie Wahr- 
heit im ihren lehten Ortnden, und die Freihen if, bınch 
die im der feblojen Natur die Form die Maffe, im der 
febendigen der freie Gedanke die blinde Gewalt überroindet. 
Die lehte würde am beiten die des Gemüth3 zur Religion 
genannt werben, ıäre biefer Ausdruck zugleich fo 
edel amd jo gemisbraucht, daß man immer beforgen mir, 
bald durch das Erhabenſte ihm ſelbſt, bald durch ihn (im 
ſehner Herabjehung) das höher Gedachte zu entweihen 
Die belden erſten Erziehungen fünmen das Wert der Bes 
lehrung und des Beiipiels jeyn; aber die Ichte gehört 
allein der Secle jeibit umd der Erfahrung des Lebens 
an, vorzüglich dem glüdlihen Gange die Welt auf fich, 
wirken zu laſſen, und ihr Wirken in felbjt gejchaffener 
Einſamleit zu verarbeiten; und hier offenbart es fih, mas 
ein recht geftimmmtes, zugleich, ftartes und mildes Semi 
aus ben mannigfaltigen Negungen zu machen verſteht, die, 
mie Begierde, Liebe, Bewunderung, Anbetung, Freude, 
Schmerz und welchen Namen fie führen mögen den Buſen 
Salb freunbfich befuchen, bald heftig beftikmen. Den 
diefe und alle andern Affecten find die wahren (rs 
weckungsnntiel jener hohen und eblen Sehnſucht, jo wle 
fie ſelbſt wiederum, fie durch Stärkung läuternd, ala die 
Beinigung derſelben angefehen werben Kaum, und weſſen 
Bruſt (dozu Frauen meljtentheils beſſer geſtimmt 1md 
dnmeeh; ihre Sage mehr begünftigt find als Männer) fie 
am bäufigiten und mächtigiien durchwogt haben, in dem 
zeift fie zur ebelften und wohlihätigften Stürke. 

Wie daher jeder irgend würdige Charakter ſKtraft 

ı13* 








Geſchichte des Verfals der geiechiichen Freiſtaaten. 197 


übrigens eigentlich idealiſche Charaktere allerdings dos 
Vorrecht befigen, einzeln zur Gattung zu werben. Viel- 
mehr wird alle Seiten hindurch ihre Anzahl aur Mein 
jeyn, am Heinften die derer, die auf bedeutende Weiſe 
im banblenden Leben auftraten, wie unter ben Griechen 
Ariftides, Socrates, Epaminondas, Philopömenes und 
andre, Scipio und Cato unter den Nömern, Luther und 
Briedeid) in der neuen Geſchichte; bei mehreren wird ſich 
wie Bei jo vielen Dichtern und Weifen, die mehr in Ge 
fumung als Handlung übergegangene Form nur In ihren 
Berlen jptegeln, und bie melſten werden nur einzelne, 
hervorſtechend ausgemrbeitete Züge, nur Elemente ber 
Idealitat, nicht fie ſelbſt zeigen, und nicht beſſer wird es 
ganzen Nationen ergehen. 

Nationen indeh gehören zu den gröheren Exzeugs 
nißen der Naturkräfte, in denen ihr Wirken fich In Dem 
Grade mehr gleich bleibt und das Gewirlte ähnlicher ins 
Auge füllt, in welchem der Wille des Einzelnen ſich in 
der Maſſe verliert: Wie bie Natur an gewiſſen Küſten 
Korallenriffe zufammenhäuft, im gewiffen Erdſtrichen 
Bamilien don Pflanzen ſoroſſen laßt, jo verſtreut jic Ges 
chlechter ımd Stämme, und mern dieſe auch bald die 
Hügel und Flüffe, und endlich auch die Gebirge und 
Meere überwandern, welche fie abſondern, fo wirkt dad) 
immer‘ fie in zwei mächtigen Dingen, der Jeugung md 
der Sprache fort, Im deren erftem ihre dumfeln umd ge— 
heimnißvollen Sträfte ganz jchalten, und von welchen bie 
deptere gleichfalls durch das, was ihr erit Nachdruck und 
Barbe giebt, den Ton, die Weile, und das uripränglich 
anwilltuͤhrliche Vertnüpfen des Hörperlichen und Geiftigen 
hr angehört. Wenn «5 daher auch ſchwerer iſt, einen 
Idenfifchen Nattonenchorakter zu finben, umb wenn mam 
auch, um gerecht zu ſehn, mc ben Grlechen ansichliehend 
dieſen Vorzug einrdunen barf, jo muß man dennoch ges 
stehen, daß, um fich idealiſche Charakterforn bor dem 
Gernäthe zu Bilden, um fic durch einzeln erbficte Seiten 
und Beitrebungen zu ihrer eignen Erzeugung zu begeifterm 








Geſchiie bes Verſalls der griechſchen Freiſiaaten. 199 


— Unwerth ber Einzelnen ganz unabhangigen 
Neiz bat. 

x Aber wenn die Individualität idealiſch feyn Toll, muß 
fie durch mehr, als bloß Neuhelt, überrajchen, eine grofie, 
wurdige, allgemeine Idee von der Menſchheit dergeftalt 
offenbaren, daß fie, mur durch ihre Form begveiflich, durch, 
fie mur gejhaffen ſcheint in ideatif—her Charakter muf 
Schwung genug haben, ſich und mit ihm feine Beſchauer 
ous den engen Geblete der Wirklichkeit in das weite 
Reich des Sebnntens zu verſehen; er muß ben Ernſt bes 
Lebens nur in dem Ernſt der Ideen erbflden, die es 
erivedt, feine Schreckalſſe und Schmerzen zur Erhabenheit 
retten, feine Freuden und Genüfle zur Grazie und ie 
tellectuellen . Heiterlelt erweitern, in allen Kimpfen und 
Gefahren desjelben als ein Minger erfcheinen, der bes 
ſtimmt ift dem Großen, Edlen und Unvergänglichen in 
der Menjchheit den Steg über das Niedrige, Bejchränfte 
und Vergängliche zu erftreiten. Daher iſt Freiheit In jedem 
edleren Stune des Worts jeine unerlaßllchſte Bedingimg, 
tiefe Liebe zu Weisheit und Kunſt feine trene Begleiterin, 
Milde und Anmuth feine untrüglichen Merkmale, 

Wir Haben im Vorigen des Epaminondas, als eines 
deoliſchen Charakters erwähnt, umd wenn man von dem 
‚Heldenzeiten zurüdgebt, wo Fabel und Gedichte ſich mit 
einander vermifchen, fo weiß id In der That nicht, ob 
das ganze Alterthum einen mehr vollendeten und mehr 
dichtertjcyen aufweift. Edelerworbener Ruhm feiner Vatere 
ſtadt, und die Freiheit von Helles find die einzigen Ges 
fühle, die ihn befeelen; fein Blut farbt fein Schwert, als 
das dafür vergoßme; wie der Sieg errungen it, wird er 
frögtiner Gründer feiehliher Städte; wie Öriehenland 
jeiner nicht mehr bedarf, lehrt er in den beicheidenen 
Kreis feiner Bürger zurüc, ımb übt genügfam Weisheit 
und Kunſt. Die Gefahren des Vollsgerichts und bes 
Todes zerftreut er durch ruhige Heiterkeit, und ftlll ernſten 
Stolz md Löft fie im gefälligen Scherz auf; lein Glüd 
macht ihn vermeſſen, ımd fein Mißgeſchla teiibt ben 








Gelchichte des Berfatts der grlechtſchen Zreiftanten. 201 


weſentlichſte Zug des Griechiſchen Charakters, noch amfre 
Anficht des Berhäftniffes di en zu der neueren Zeit, 
deutlich erkannt werden Fönnen. 
Senn wenn nidt das Daſeyn einer folden tiefer 
amd reinen Sehnfucht in jeder edleren menf: 
gehörig berührt worden wäre, wenn wir nicht darauf aufs 
mertſam gemacht hätten, daß fie das Prineip iſt durch das 
jede Individualität die ihr zuſtehende Vollendung erhält, 
jo wäre nie hinlanglich Hat geworben, wie die Foealität 
10 de8 Grieilchen Charakters ma von der Natur und Be» 
ſchaffenheln diefer ununterbrochen Iodernden, ewig erwar⸗ 
menden und begeifternden Flammen möglich wor. Wir 
haben km Worigen die eigenthümliche Eigenfcaft der Grlechea 
in einen gewoiffen, fie befeelenden Drang gejet, bas höchfte 
Leben, als Nation, dayzuftellen, und wir haben fer 
‚glei türfiche Anlage ihres Weſens 
das Streben, nur ſchlechthin 
zu ſeyn, bei ihnen imnexlid; be 
mehr von den Umftänden be— 


en trug won den fraheſten Selten, 
a3 Gepräge jener höheren Sehn 
a 
un ben Voben aur mit dei 

den Geift übe 


orzügltc; die letzteren ges 








Geſchchte des Verfall der grischifchen Freiſtaaten. 209 


von der wir ausgeben. Das Leben joll, durd) die Fülle 
jeiner Bewegung, Ideen, erhaben über fich jeldft und über 
jede Wirklichteit, helfen zu erſchaffen; der Menſch eine 
Kraft befiten, zugleich) durch eigne Anftrengung und Gunft 
des Schidchals, geiftige Erfcheinumgen hervorzubringen, die, 
gegen die Vergangenheit gehalten, neu ımd für Die Zukunft 
fruchtbar find; und wie bie Kunſt in der ideallſchen Schün- 
heit eine reine und unkbrperliche Idee aufſucht oder beſſer 
erzeugt, nicht anders ſoll die Philojophie die Wahrheit, 
und das handelnde Leben die Charaktergröße zu erzeugen 
im Stande feyn; alles joll alſo immerfort in Thätigkeit und 
in [höpferifcher Thätigleit verharren; alles auf Ergritndung 
des noc Unbekannten, ımd Hervorbringung des noch nicht 
Gejehenen Hianslaufen; jeder auf einent Punkte zu ftehen 
glauben, den er noch weit hinter ſich zurüdlaffen muß. „ 

Wer Hiermit nicht übereinfilmmt, wer ſich einbitbet, 
daß die höchſte Kunſt nur in Erreichung gefälliger Wahr 
heit, die Höchite Philoſophle mır im Zuſammenordnen 
deutlich entwickelter Begrific, der höchſte moraltiche Werth 
me in mwohlgeoröneter Glücjeligfeit, oder einer durch 
bloße Gejegmähigteit erreichbaren Privat und. gefellichaft 
fidjen Volllommenheit beftehe, ohne zu empfinden, Daß 
Schönheit, Wahrheit und Charaktergehalt aus einem in 
feiner Bejchaffenhett und Wirtungsart unbegreiflichen Stres 
ben entipringen, und ftatt nad) vorhandenen Maßſiabe 
beurteilt werben zu fönmen, jelbit Durch bie That bem 
Maßſtab zu eigner umd fremder Beurtheilung aufitellen, 
don dem mifjen wir gleich hier feheiben. hm mul 
ſchon alles bis jegt über die Griechen und Ihr Verhältniß 
zu uns Geſogte übertrieben und chlmärlſch erjcheinen, und 
da der Punkl, in welcher fir uns erſt die Wahrheit Der 
gimt, Ihm gerabe das Ente berjelben bezeichnet, jo Armen 
unfre beiderjeitigen Wege ſich ſchlechterdngs in feinem 
Schritte begegnen. 

Nachdem nun Bisher nicht ſowohl beiviefen, da es 
eigentlich) Teines Berweijes bedarf, als mır nad) dem allge- 
melnen und von feinem abgeläugneten Eindruck gezeigt 








Sefchiehte des Veiſalls der griechiihen Ferifianten. 205 


An feiner ganzen Mannigjaltigkeit aufzurollen, die Bruft 
in ihren gewaltigiten Tiefen zu erſchüttern, und dann das 
Wogen der fo aufgeregten Phantafie und Empfindung 
durd) einen immer zugleich betvegenden und beruhigenben 
Rhyihmus zu beherrſchen. Man muß ihnen gewißermafen 
fon ahnlich geſtimmt feyu, um fie zu werftehen, nicht 
bald ihre Tiefe zu überjehen, bald ihre Zartheit zu vers 
fennen; aber es ift merfoindig, daß dieſem Verſitindniß 
mihts jo madıtheifig, als einfeitige Wildung, und nichts 
aninder nothroendig, als Kenntnif ober Gefehrfamkeit: ift 
Von den Nömern z. B. tft es ſchwer zu glauben, dah fie 
in ben Geift der Griechen je mir einigermaßen tief 


hr zu erkennen; und doch waren Die 
ge ber Griechen, Tebten zu gleicher 
beſaßen HE Svyrache die gewiſſer⸗ 


je amd Leiden, fein ußer 


welche dic Teilnahme des 








Geſchichte des Verſalls der griechiſchen Freiſtaaten. 207 


Schlaf, den Muſen als Liebling beigejellt (Baufanias EL 
31, 5.) ımd fo viele andre Seflaften des Allerthums ſind 
wahre und eigentliche Symbole. Denn indem jie von 
einfachen umb natürlichen Gegenftänben ausgehen, von 
einem von wohlthätig üppiger Kraft überfliehenden Jüng⸗ 
ling, einem Mädchen, dns, eben aufblühend, ng biefes 
Aufblühens mit Vefremden bewußt wird, der Kreiheit, 
mit der die Seele im Schlaft, aller Sorgen entfeffelt 
durch das leije verknitpfte Weich der Truume ſchweift, 
inbene fie, ſage id, von biefen Gegenflänben ausgehen, 
lommen fie zu Ideen, die jie vorher nicht fannten, ja die 
ewig an fid) unbegreiflich bleiben, und ſich abgefonbert 
niemals vein auffaffen laſſen, ohne wenigitens ihrer Indivi- 
dualitat und ihres eigentlichen Weſens beraubt zu werben, 
wie z.B. die der Quellen der dichteriſchen Begeifterung, 
bie, wie es Schiuer fo |chün ausbrüdt, Hervorbrit, exrjt 
dann fid) mächtig regt, wer, wie Im Schlafe die Glieder, 
die fälteren Kräfte gleichlom erftarıt ruhen, und bas 
Leben, wie der Traum, mit einem neuen Glanz über 
left. Je tiefer und ſchöner man z. DB. in dem iehteren 
Fall die Idee des Schlafes faht, wo der Menſch, im 
Vertrauen auf die ſchützende Gottheit das wachlame Auge 
ihließt, die ſchůhende Medhte entftriett umd fich nackt und 
wehrtos Hingiebt, wo er freudig fich vom Getünmnel des Le- 
bens in den Schooß einfamer Nacht zurückzleht, feob ſelbſt 
ben Gemufe entfagt, und ſich mur bem reinflen und üthe— 
rifchften Theil feines Weſens, der nie ſchlummernden Ein- 
bildungstcaft überläßt, wo er erwacht bald aus entzüdenden 
Träumen mit wehnrüthiger Rührung, daß ex erjt fein 
Dafeyn gleihfam vernichten muß, um Götterfeligteit mit 
inühelofer Ueberwindung der Schwierigkeiten zır jdmeden, 
bald aus furdtbaren, tief exfcüttert, daf Geiler und 
Schicſale vielleicht tuckiſch ihm auflauren, die Ihm die 
blendende Helle bes Tages verbirgt, wo er endlich mit 
jedem Auf⸗ umd Niedergange der Some, wie im einen 
hurzen Borfplel die große Bahn feines Daſeyns immer 
von neuem vollendet und wieder beginnt — je tiefer und 





208 Wilhelm von Humboldt. 


gehaftvoller erſcheint ihm auch die in diefem Bilde ausge⸗ 
brüdte Idee. Denn das Symbol hat das Eigenthümliche, 
daß bie Darftellung und das Dargeitellte immer wechjel- 
weife den Geift einladend nöthigen länger zu verweilen 
und tiefer einzugehen, ba bie Allegorie Hingegen, wenn 
einmal bie vermittelnde Idee aufgefunden ift, wie ein 
gelöftes Näthjel, nur falte Bewunderung ober leichtes 
Bohlgefollen an anmuthig gehmgner Geltalt zurüdläßt. 

Die bloße und eigentliche Allegorie ift den Griechen 
fer fremd, und gehört, wo fie fich findet, wohl noch 
meiftentheil8 fpäten Zeiten an; denn mo der Sinn ge 
wichen it, die Shmbole zu erkennen, werben fie leicht 
zur Alegorie Herabgemürbigt. 


0 


Anhang. 


Bruchstücke einer späteren Fassung der „Skizze 
über die Griechen‘ 
(Wolf und Buttmann, Museum der Altertunswissenschaft. 
1, 126—120 Anmerkung; 133—137 Anmerkung). 


1. — 


Das allgemeine Intereſſe der obigen Tendenz wird 
vielleicht manchem Leſer näher gerückt, wenn ich hier 
einige im einem Wriefwechjel verftreute Gedanten eines 
Gelehrten ie auuqıkohoyoisrös rırös moi iin 
zah5 xy, wie man deren in unſern Beiten höchſt 
felten unter Männern feines Standes findet, Die durch 

Zufall mir vorliegenden Bruchſtücke 

ihre 1788, doch geht ihnen dadurch 

— b, bie alles das haben wird, tab 

il pbie mit dem helleften Blic 

Fr — Verfaſſer dem Vublienm 


Fruchtöniten, wenn man nicht ſowohl auf 
15 auf ihre Urheber ımd die Perkos 
herſtammt. Nur dieſe Betrach⸗ 
ahrer philoſophiſcher Menntnig des 
ofern fie uns nöthigt, den Quftand 

1 





210 Wilhelm von Humboldt. 


und die gänzlicde Lage einer Nation zu erforſchen und 
alle Seiten davon in ihrem großen Zujammenhange aufs 
zufaſſen. Das Streben nad) einer jolden Kenntniß (da 
niemand eigentliche Vollendung derſelben Hoffen darf) 
Tann man jedem Menfchen, als Menden, in verfdjiebenen 5 
Graben ber Intenfion und Ertenfion unentbehrlich nennen, 
nit nur dem handelnden, fondern auch dem mit Ideen 
beihäftigten, dem Hiftorifer im meitejten Ginne des 
Bortes, dem Philofophen, dem Fünfter, auch dem bloß 
Genießenden. Um von dem Manne im größern praftiz 10 
fchen eben zu reden: wenn er wirklich des Böchiten 
Zwvedes aller Moralität, der wachſenden Vereblung bes 
Menschen, eingebent ift, fo wird er durd) fein Stubium 
beſſer befehrt, was er moralifch unternehmen dürfe, und 
politiſch mit Erfolg unternehmen fönne; jo daß von dieſer 
Seite jein Verjtand geleitet wird. Aber auch fein Wille 
wird dadurqh geleitet. Alle Unvolltommenheiten bes Men- 
ichen laffen fi auf Mißverhältnifie feiner Mräfte zurüd- 
führen: indem nun jenes Studium ihm die Totafität zeigt, 
werben die Unbolffommenheiten gewiffermaßen aufgehoben, » 
und es erſcheint zugleid; die Nothwendigkeit ihres Ent- 
ſtehens und die Möglichkeit ihrer Ausgleihung, wodurch 
das vorher einfeitig betrachtete Individuum nach diefem 
Ueberbfid gleichfam in eine Höhere Glafie verfegt wird.“ 
„Von dem Bloß geniehenden Menfchen liehe fih 3 
eigentfic) nicht fagen, da der Eigenfinn des Genuffes 
feine Regel annimmt. ber ich fege mich hier in bie 
Stelle, nit gerade der ebelften Menfchen, aber der 
Menfcen in ihren ebefften Momenten. Zr dieſen num 
find bie vollfommenften Freuden diejenigen, welche man 
burch Gelbtbetradjtung und durch Umgang in feinen 
mannichfachen Abftufungen empfängt. Ye Höher foldhe 
Freuden find, defto eher find fie zerftört ohne ein ſcharfes 
Auffaffen des Seyns unferer felbft und Underer: aber 
dies iſt nicht möglich, ohme eindringendes Studium des 8 
Menſchen überhaupt. Diejen Freuden an die Seite treten 
Billig diejenigen, welche der äfthetiiche Genuß ber Werke 





0 


Anbang. 211 


der Natur und der Kunſt gewährt, Dieje wirken vor— 
zuglich durch Erregung der Empfindungen, welche von den 
— — an — an ‚geweckt — 
Je iv num lebendige item menſcht 
Empfindungen uns zu Gebote ſtehen, deſto mehr äuferer 
Seftelten it die Seele empfünglih. Selbft ber frnliche 
Genuß wird jo bervielfacht, erhöht und berfeinert, Inden 
die Phantaſie ihm das reiche Schaujptel feiner möglichen 
Mannichfaluglelt nach der Verſchledenheit des Genichenden 
zugeſellt, und indem fie dadurch gleichſam mehrere Indie 
viduen in eins bereinigt Endlich mindert fich durch eine 
folhe Anficht das Gefühl ouch des wirklichen Unglück. 
Das Leiden, wie das Lafter, fit, näher betrachtet, immer 
nur partiell: wer das Ganze vor Augen hat, fieht, wie 
es dort exhebt, wenn es hier niederjchlägt." 


2, 


Laſſen Sie mich iht nur einige don den Seiten bes 
rühren, wodurch bie Griechen ſich vor andern Bölfern 
auszeichnen, und die genauejte Kenntniß ihrer Nationalität 
zu ben ſchonſten Abſichten x Stubien wihtig machen. 
Ich möchte dahin zuerſt den Neichthum an mamichjaltigen 
Formen rechnen, ber ſich im ihrer ganzen Cultur zeigte; 
womit eine ſolche Ausbildung des Charalters verbunden 
ft, wie er in jeber Sage des. Menfchen da ſehn dann 
und da ſeyn jol it auf individuelle Ver⸗ 
fchiebenpeiten. und Verhüttnife. Der Meufd, 

und Die heiftiteller daritellen, ift doch 

u und großen und, von vielen 

Ihnen Bügen zufammenge 

das Stubium eines Charakters, 

einem Beitalter wirken, wo durch 

Aufmerkfamfeit vielmehr auf Sacjen 

uf Maflen von Menjchen als 

äufern Werth und Nuhen als 

und Genus gerichtet ift, und wo hohe 
148 








Anhang. 213 


jeine größte Sorgfalt nur auf die Entwicelung feiner per- 
föntichen Sträfte: daher war, wo er handelnd uder Leidend 
wurde. ſein ganzes Weſen um jo mehr in Thätigfeit vers 
eint, als er vorzüglid) durch Stnnlichteit afficet und vor 
diefer am ftärkjten ergeiffen wurde. Mit dieſer Stunlich- 
tett aber, bie ihm eine fo große innere Beweglichkeit gab, 
bing genau etwas zufammen, das vielleicht in aller = 
ihihte einzig ift. AS die Nation ſich mod) micht 

ans dem Buftande der Rohheit hevausgeholfen hatte, Ru 
fie ſhon eim ungemein feines Seh! für a Schöne 
der Natur und der Kunſt ımd einen richtigen Gefchmad, 
nicht der Kritik, jonbern der Empfindung; um tleberum, 
als fie ſchon das männliche Mlter überjritten hatte, 
finben wir bei Ihe noch ein treues Aufbewahren jenes 
eiprünglichen einfachen Sinnes. Daher bließ auch auf 
immer bei ben Griechen bie Sorgfalt fir die geiftige 
Bildung ungetvennt bon dex für die Körperliche, umd ftets 
don Seen ber Schlinheit geleitet. Berounbernswerth ift 
bier befonders die jehr allgemeine. Verbreitung des Ger 


Schönheit untet ber ganzen Natton; umb nichts 
N Kat iger ſeyn, als ein Auffaſſen 
en Zuges. Denn feine Art ber Mus 


"den wahren Abel extheiltz zumal bei 
Menge von Nichtungen giebt, 
eſchmad und Schönheitsgefühle 


ten von Athen (und auf dieſen 

ben am höchſten gebildeten, 

,) in Athen machte bei einer 

freie Berfaifung jelbit eine jo viel 
thwendig. Das Wolf, bor dem der 

trat, gab nicht Bloß ber Natur und Stärke 
® auch auf die Form, auf das 
Anftenb: jo blleb für jenen eine 

er ungeftenft vernachläfjigen direfte. Allein 


A wi 





214 Wilhelm von Humboldt. 


die Eigenfchaften, nad} denen er zu jtreben hatte, bezogen 
fih alle eigentlich auf rein menſchliche und allgemeine 
Bildung, nit auf die Cultur bejonderer Talente oder 
Kenntniffe. Diefelbigen orzüge, bie den Griechen zum 
großen Menſchen machten, machten ihn auch zum großen 
Staatömanne. So fuhr er, indem er an ben öffentlichen 
Gefäften Theil nahm, nur fort, ſich feibit Höher aus- 
zubilden.“ 

„Um aber den vollſtändigſten Nutzen aus der Kenntniß 
der Griechen zu ziehen, muß man am längſten nicht allein 
bet den Perioden verweilen, in melden die Nation bie 
feinfte Ausbildung gewann, fondern aud;, gerabe im Gegen 
theif, ganz vorzüglich bei den früheiten Perioden. Denn 
in diefen liegen die fruchtbariten Keime des eigenthümlich 
ſchönen Charakters ber Öriechen; und es ift belehrenber 
und leichter, in der Folge wahrzunehmen, wie diejer Cha- 
takter fi} nad) und nach veränderte und enblich auSartete, 
als umgefefrt.“ Aus dem vorhin erwähnten Briefmechfel. 

Indem dieſe zum Theil ausführlicher enttwidelten 
Gedanken gleichfam über ein Stüd unſeres Textes commen- 
tiren, mögen fie zugleich beweiſen, wie viel der Verfaſſer 
desfelben aus den mündlichen und fchriftlichen Unter 
tedungen eines ſoichen Freundes gelernt Hat. 


Kelyalg, Aerander Eheimann. 


= 








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