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^'ncMCHUMwin
M. Planck
Thermodynamik
.'Eilt COMP,
-H
?^^^o^k|
FÜNKTMENTHEOßETISCHE VORLESUNGEN
von
Heinrich Burkhardt,
0. Professor an der Universität Zürich.
Erster Teil.
EINFÜHRUNG IN DIE THEORIE DER ANALYTISCHEN PUNKTION
EINER COMPLEXEN VERÄNDERLICHEN.
Mit zahlreichen Figuren im Text.
gr. 8. 1897. geh. 6 J6j geb. in Ganzleinen 7 Ji.
Die zahlreich vorhandenen funktionentheoretischen Lehrbücher berück-
sichtigen fast alle einseitig entweder Weierstrass'sche oder Riemann'sche
Funktionentheorie. Es fehlte seither an einem den deutschen Unterrichts-
verhältnissen angepaßten Buch, geeignet, den Studenten den Zugang zu beiden
Gedankenkreisen zu erschließen. — Der erste Teil enthält die Einführung
in die Funktionentheorie. Die Riemann'schen geometrischen Vorstellungs-
weisen sind darin durchweg in den Vordergrund gestellt; dabei wird aber
versucht, unter angemessener Einschränkung der Voraussetzungen diejenige
Schärfe der Beweisführung zu erreichen, die niemand mehr entbehren kann,
dem einmal in der Schule von Weierstrass die Augen geöffnet sind.
ELEMENTARE MECHANIK
als Einleitung in das Studium der theoretischen Physik.
Von
Dr. Woldemar Voigt,
0. ö. Professor der Physik an der Universität Göttingen.
Mit 55 Figuren im Text.
gr. 8. 1889. geh. 12 Ji.
Auszug aus dem Vorwort des Professor Eugenio Beltrami zu Rom
zur italienischen Übersetzung von Dr. A. Sella:
Das ausgezeichnete Werk des Professor Voigt kommt einem Bedürfnis
entgegen, welches sich unter den deutschen und englischen Studenten schon
seit einiger Zeit fühlbar gemacht hat. Die elementare Mechanik wird im
allgemeinen von zwei sehr verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet, ent-
weder als die herkömmliche Vorschule für das rein technische Studium der
Ingenieure, in welchem Falle sie sich auf die elementarsten und trockensten
Kapitel beschränkt, oder als eine Sammlung geometrischer und analytischer
Übungen, wobei die eigentliche mechanische Grundlage verschwindet, um den
ohne Zweifel sinnreichen Anwendungen der analytischen und projektiven
Geometrie, der Theorie der Differential-Gleichungen und der Variationsrechnung
Platz zu machen. Diese zwei sich fast entgegenstehenden Ansichten haben in sehr
hohem Maße das historische Ziel der Mechanik verwischt, das durch Galilei und
Newton aufgestellt und von den Physikern ersten Ranges, wie Lagrange, Green,
Kirchhoff, Maxwell und Helmholtz, unablässig weiter verfolgt worden ist.
Das Buch des Professor Voigt bietet eine neue Anleitung dar, wie man
sie sich gar nicht besser wünschen könnte, zu diesem Studium der Mechanik,
als der rationellen Wissenschaft der materiellen Welt.
— — " r • ■ - ■
1 :
Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.
LEHKBUCH
DER
ORGANISCHEN CHEMIE.
Von
Dr. Victor Meyer und Dr. Paul Jacobson,
Professoren an der Universität Heidelberg.
/ In z^?vei Bünden.
Erster Band: Allgemeiner TeiL — Verbindungen der
Fettreihe.
Mit Holzstichen im Text und einer Tabelle.
Lex. 8. 1893. geh. 26 ^, geb. in Halbfranz 28 Ji, 50 ^.
Zweiter Band, erste und zweite Abteilung: Chemie
der Kohlenstoffringe.
IMit Holzstichen im Text.
Lex. H. 1895 u. 1897. geh. 13 jH, 20 ^.
Mit der dritten Abteilung des zweiten Bandes wird die Chemie der
Kolilenstoffringe abgeschlossen.
GESCHICHTE DER CHEMIE
von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart.
Zugleich Einführung in das Studium der Chemie.
Von
Dr. Ernst von Meyer,
Professor der Chemie an der Technischen Hochschule zu Dresden.
Zweite, verbesserte und vermehrte Auflage.
gr. 8. 1895. geh. 10 ^, geb. in Halbfranz 12 ^.
In dieser „Geschichte der Chemie" wird die Eutwickelung des chemi-
schen Wissens, inbesondere der daraus abgeleiteten allgemeinen Lehren der
Chemie, von ihren Anfangen bis auf den heutigen Tag dargelegt. In jedem
Zeitalter wird nach einer allgemeinen Darstellung der Hauptrichtungon,
welche die Chemie eingeschlagen hat, die spezielle Ausbildung einzelner
Zweige derselben mehr oder weniger eingehend besprochen.
Bei den allgemeinen Darlegungen ist besonderer Wert auf die Ent-
stehung einzelner wichtiger Ideen und deren Entfaltung zu bedeutsamen
Lehrmeinungen oder umfassenden Theorien gelegt. Dabei sind die Träger
und Förderer solcher Ansichten in ihrem Wirken geschildert, um eine leben-
dige Darstellung der einzelnen Zeitabschnitte und ihrer Eigentümlichkeiten
zu erzielen.
In den speziellen Teilen werden dagegen grundlegende Thatsachen,
nach einzelnen Gebieten gesichtet und eng gedrängt, zusammengefaßt, um
ein mögliclist scharfes Bild des jeweiligen Standes der chemischen Kennt-
nisse zu geben. Dabei ist eine übersichtliche Darlegung der wichtigsten j
Lehren und Thatsachen, welche den heutigen Besitzstand der Wissenschaft \
beerUndet haben, angestrebt worden. ^^ « ^^ '
SCIENCE IDEPT.
T\an6V<
3TDM
Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.
LEHRBUCH
EXPERIMENTAL-PHYSIK
zum eigenen Studium und zum Gebrauch bei Vorlesungen
von
Dr. Eduard Biecke,
0. ö. Professor der Physik an der Universität Göttingen.
Zwei Bände.
Mit gegen 700 Figuren Im Text.
gr. 8. 1896. geh. 18 ^, geb. in Ganzleinen 20 ^.
In diesem ausgezeichneten, durchaus auf dem Boden der netten An-
schauungen imd Forschungen stehenden Werke, welches in xwei handlichen
Bänden das ganxe Gebiet der Physik umfaßt, wird ein wirklich lesbares
Lehrbuch der Physik geboten. Mathematische Entwickelungen sind nur
sparsam darin enthalten und, wo sie nicht zu vermeiden waren, in elemen-
taren Grenzen gehalten. Das Buch wendet sich an alle, welche der Physik
wissenschaftliches Interesse entgegenbringen, an die Hörer an Unirersifäten
und technischen Hochschulen, an den Lehrer, an den großen Kreis derer,
die, auf verwandten Gebieten im Dienste der theoretischen
Forschung oder der technischen Anwendungen thätig, ihre
Kenntnis von der Entwickelung der Physik wieder ergänzen
möchten.
Das Buch ragt weit über die gebräuchlichen Lehrbücher der Physik
hinaus. Manches ist darin im Zusammenhang behandelt, was, oft nur
sehr schwer zugänglich, in Zeitschriften oder Sammelwerken zerstreut
ist; man findet darin aber auch sehr vieles, was man in anderen Lehr-
büchern vergeblich suchen wird (z. B. Strömungen und Wirbel
der Flüssigkeiten, die Maxwell'sche elektromagnetische
Theorie des Lichtes, die Teslaströme, ausführliche Darstel-
lung der Hertz'schen Versuche, Elektrolyse).
PRAKTISCHER LEITFADEN
der
GEWICHTSANALYSE.
^ Von
Dr. Paul Jannasch^
Professor der Chemie an der Universität Heidelberg.
Mit zahlreichen Abbildungen im Text.
gr. 8. 1897. geb. in Ganzleinen 6 ^ 50 ^.
Das Buch enthält außer den gebräuchlichsten und bewährtesten
Methoden auch viele neue, die von dem Verfasser herrühren. Es beruht
auf einer Summe langjähriger eigener Erfahrungen im Laboratorium und
bringt nichts, was nicht von dem Verfasser selbst praktisch erprobt ist.
Es wird sich überall als ein durchaus zuverlässiger Ratgeber erweisen.
VORLESUNGEN
ÜBER
THERMODYNAMIK
VON
Dr. MAX PLANCK,
PROFESSOR DER THEORETISCHEN PHYSIK AN DER UNIVERSITÄT BERLIN.
MIT FÜNF FIGUREN IM TEXT.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1897.
1
THENEWYORK
PUBLIC LIBRARY
A8TOR, LENOX ANO
TILDEN FOUNDATlONS.
1897.
Druck von Metager A Wittig in Leipsig.
Vorwort.
Die erste Anregung zur Abfassung des vorliegenden Buches
empfing ich durch mehrfach an mich ergangene Aufforderungen,
meine in das Gebiet der Thermodynamik fällenden Abhandlungen
gesammelt herauszugeben bez. zu einer zusammenfassenden Dar-
stellung zu verarbeiten. Wenn auch das erstere Verfahren als
das einfachere näher gelegen hätte, zumal ich keine Veranlassung
gefunden habe, an dem in meinen bisherigen Arbeiten befolgten
Gedankengang etwas Wesentliches zu ändern, so entschied ich
mich doch für eine neue Ueberarbeitung des ganzen Stoffes,
einmal aus dem Grunde, weil mir daran lag, manche in dem
knappen Styl einiger Abhandlungen etwas kurz gerathene allge-
meine Ueberlegungen und Beweise ausführlicher und verständ-
licher zu gestalten, hauptsächlich aber deshalb, weil sich auf
diese Weise Gelegenheit bot, mittelst einer entsprechenden Er-
weiterung des behandelten Themas das ganze Gebiet der
Thermodynamik in eine einheitliche Darstellung zusammenzu-
fassen. Hiedurch ist dem Werke allerdings der Charakter einer
Forschungsarbeit genommen und ihm mehr derjenige eines Lehr-
buches gegeben, bestimmt zur Einführung in das Studium der
Thermodynamik für Jeden, der einen Anfängerkurs in Physik
und Chemie durchgemacht hat und mit den Elementen der
Differential- und Integralrechnung vertraut ist.
Immerhin glaube ich nicht, dass mit diesem Buche meine
früheren Publikationen über denselben Gegenstand ganz überflüssig
geworden sind. Denn abgesehen davon, dass dort die Darstellung
in gewissem Sinne ursprünglicher gehalten ist, finden sich auch
manche Einzelheiten der vorgetragenen Theorie dort noch aus-
führlicher entwickelt, als in der hier gebotenen umfassenderen
IV Vorwort.
Behandlung zulässig erscheint. Um daher dem Leser in ein-
zelnen Fällen einen Vergleich oder ein Zurückgehen auf die
ursprüngliche Form zu erleichtern, ist am Schluss des Buches
ein Verzeichniss meiner bisherigen thermodynamischen Schriften
aufgeführt, und jeder derselben ein Hinweis auf diejenigen Stellen
dieses Buches beigegeben, in welchen das gleiche Thema be-
handelt ist.
Die in den beispielsweise durchgeführten Anwendungen der
Theorie benutzten Zahlenwerthe stammen fast alle aus den
Originalarbeiten; nur einige durch häufige Messungen bestimmte
Grössen sind tabellarischen Zusammenstellungen, namentlich denen
in F. Kohlrausch's Leitfaden der praktischen Physik, entnommen.
Doch unterlasse ich nicht hervorzuheben, dass die benutzten
Einzelzahlen, bei aller angewendeten Sorgfalt, doch bei Weitem
nicht denselben Grad von kritischer Sichtung erfahren haben,
wie die mitgetheilten Sätze und Ableitungen allgemeineren Inhalts.
In der bisherigen Entwicklung der Thermodynamik lassen
sich deutlich drei von einander verschiedene Methoden der
Forschung unterscheiden. Die erste greift am tiefsten hinein
in das Wesen der betrachteten Vorgänge, sie wäre daher, wenn
sie sich exakt durchführen Hesse, jedenfalls als die vollkommenste
zu bezeichnen. Nach ihr wird die Wärme bedingt durch be-
stimmte Bewegungen der als diskrete Massen gedachten che-
mischen Moleküle und Atome, die für gasförmige Körper ver-
hältnissmässig einfache Eigenschaften haben, während sie sich
für feste und flüssige Körper bisher nur in rohen Zügen angeben
lassen. Diese kinetische Theorie hat seit ihrer Begründung durch
Joule, Waterston, Krönig und Clausius besonders durch
Maxwell und Boltzmann wesentliche Erweiterung und Ver-
tiefung erfahren, scheint aber in ihrer weiteren Entwicklung auf
vorläufig unüberwindliche Hindernisse zu stossen, die nicht nur
in der hochgradig complicirten mathematischen Durchführung
der angenommenen Hypothesen, sondern vor allen Dingen in
principiellen, hier nicht näher zu erörternden Schwierigkeiten
bei der mechanischen Deutung der thermodynamischen Haupt-
sätze begründet sind.
Derartige spezielle Schwierigkeiten vermeidet eine zweite,
namentlich von Helmholtz ausgebildete, Methode der Thermo-
Vonoort v
dynamik, indem sie sich auf die wichtigste Voraussetzung der
mechanischen Wärmetheorie beschränkt, dass Wärme auf Be-
wegung beruht, dagegen auf ein Spezialisiren der Vorstellungen
von der Natur dieser Bewegungen zunächst grundsätzlich ver-
zichtet. Dieser Standpunkt ist Sicherer als der vorige, er gewährt
auch die volle philosophische Befriedigung, die die mechanische
Naturauffassung überhaupt liefert, aber der Halt, den er bietet,
ist bis jetzt nicht breit genug, um darauf eine Theorie im Ein-
zelnen aufzubauen. Alles, was man von ihm ausgehend erreichen
kann, ist die Bestätigung einiger allgemeiner schon anderweitig
direkt aus der Erfahrung abgeleiteter Gesetze.
Am fruchtbarsten hat sich bisher eine dritte Behandlung
der Thermodynamik erwiesen. Diese Methode unterscheidet sich
von den beiden zuerst besprochenen wesentlich dadurch, dass
sie die mechanische Natur der Wärme nicht in den Vordergrund
stellt, sondern, indem sie sich bestimmter Annahmen über das
Wesen der Wärme ganz enthält, statt dessen direkt von einigen
sehr allgemeinen Erfahr ungsthatsachen, hauptsächlich von den
sogenannten beiden Hauptsätzen der Wärmelehre, ausgeht.
Daraus ergeben sich dann auf rein logischem Wege eine grosse
Reihe neuer Sätze der Physik und Chemie, die sich weitgehender
Anwendungen fähig gezeigt und bis jetzt überall ausnahmslos
bewährt haben.
Diese letzte, mehr induktive, Behandlungsart, welche im
vorliegenden Werke ausschliesslich benutzt ist, entspricht wohl
am besten dem heutigen Stande der Wissenschaft, sie ist aber
kaum als die abschliessende zu betrachten, sondern wird wahr-
scheinlich künftig einmal einer mechanischen oder vielleicht auch
einer elektromagnetischen Betrachtungsweise Platz machen müssen.
Denn wenn es auch eine Zeitlang Vortheil gewähren mag, die
einzelnen Wirkungen der Natur: Wärme, Bewegung, Elek-
tricität u. s. w. zunächst als qualitativ verschieden voneinander
einzuführen und die Frage nach ihrer etwaigen Wesensgemein-
schaft zu unterdrücken, so wird doch unser durch die Ent-
deckung des Princips der Erhaltung der Energie so mächtig ge-
fordertes Streben nach einer einheitlichen Naturänschauung,
sei es auf mechanischer oder auf anderer Grundlage, sich nie-
mals auf die Dauer zurückhalten lassen ; würde doch schon heute
ein Zurücktreten von der Annahme der Wesensgleichheit aller
VI Vorwart.
physikalischen Vorgänge gleichbedeutend sein mit dem Verzicht
auf das Verständniss einer Reihe l)ereits erkannter Gesetz-
mässigkeiten zwischen verschiedenen Gebieten der Natur. Dann
werden selbstverständlich die hier aus den beiden Hauptsätzen
der Wärmelehre abgeleiteten Ergebnisse nicht erschüttert werden,
sondern es werden nur diese beiden Sätze nicht mehr selbst-
ständig eingeführt, sondern ihrerseits aus anderen noch all-
gemeineren Sätzen abgeleitet werden. Es ist aber bis jetzt die
Zeit noch nicht abzusehen, in welcher der weite Weg zu diesem
Ziel zurückgelegt werden kann.
Berlin, im April 1897.
Der Verfasser.
Inhalt.
Seite
Erster Abschnitt. Grundthatsachen und Definitionen 1
I. Capitel. Temperatur 1
II. Capitel. Molekulargewicht 19
III. Capitel. Wärmemenge . 28
Zweiter Absclinitt. Der erste Hauptsatz der Wärmetlieorie . . 34
I. Capitel. Allgemeine Formulirung 34
IL Capitel. Anwendungen auf homogene Systeme ... 41
III. Capitel. Anwendungen auf nichthomogene Systeme . 61
Dritter Absclinitt* Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie 71
I. Capitel. Einleitung 71
II. Capitel. Beweis 80
III. Capitel. Allgemeine Folgerungen 97
Vierter Abselinitt. Anwendungen auf spezielle Gleichgewiehts-
zustsinde 110
I. Capitel. Homogenes System 110
II. Capitel. System in verschiedenen Aggregatzuständen 122
III. Capitel. System von beliebig vielen unabhängigen Be-
standtheilen 163
IV. Capitel. Gasförmiges System ... 196
V. Capitel. Verdünnte Lösungen 210
Verzeichuiss der thermodynamischen Schriften des Verfassers . . . 248
Erster Abschnitt.
Grundthatsachen und Definitionen.
I. Capitel. Temperatur.
§ !• Der Begriff „Wärme" entspringt aus derjenigen Sinnes-
empfindung, die uns bei der direkten Berührung eines Körpers
unmittelbaren Aufschluss über den Unterschied zwischen Warm
und Kalt liefert. Ein quantitatives, wissenschaftlich brauchbares
Maass für den Wärmezustand eines Körpers lässt sich aber aus
der unmittelbaren Empfindung, die nur qualitative und je nach
den äusseren Umständen veränderliche Resultate ergibt, nicht
ableiten. Man benutzt zu diesem Zweck eine andere Erscheinung,
die erfahrungsgemäss bei allen Körpern gleichzeitig mit der Er-
wärmung auftritt, wenn der äussere Druck constant bleibt, und
die den Vortheil einer genauen Messung darbietet: die Volumen-
änderung. Bei den meisten Substanzen ist mit der Erwärmung
eine Volumenvergrösserung verbunden. Sonach lässt sich nicht
blos durch Betastung, sondern auch durch eine rein mechanische
Beobachtung, und zwar durch letzteres Mittel in viel feinerem
Grade, entscheiden, ob ein Körper wärmer oder kälter wird.
Auch lässt sich genau angeben, wenn ein Körper einen früher
einmal innegehabten Wärmezustand wiederum einnimmt.
§ 2. Wenn zwei Körper, die sich sehr verschieden warm
anfühlen, z. B. eine erhitzte Metallmasse und kaltes Wasser, in
Berührung gebracht werden, so findet man immer, dass der
wärmere sich abkühlt, der kältere sich erwärmt, bis zu einer
gewissen Grenze, wo jede Veränderung aufhört Dann sagt
man mit einem aus der Mechanik übertragenen Sprachgebrauch:
Die beiden Körper stehen im Wärmegleichgewicht. Ein solches
Wärmegleichgewicht tritt erfahrungsgemäss schhessUch immer
PLA17CK, ThennodTDamik. 1
Orundthatsachen und Definitionen.
ein, auch wenn nicht zwei, sondern beliebig viele verschieden
warme Körper in beliebige wechselseitige Berührung miteinander
gebracht werden. Hieraus folgt sogleich der wichtige Satz:
Wenn ein Körper Ä mit zwei anderen Körpern B und G im
Wärmegleichgewicht steht, so stehen auch B und G unter sich
im Wärmegleichgewicht. Verbindet man nämlich die Körper
Äf Bj G hintereinander zu einem Ringe, so dass jeder der drei
Körper die beiden andern berührt, so besteht nach der Voraus-
setzung an den Berührungsstellen (AB) und (^(7) Wärmegleich-
gewicht, folglich auch an der Stelle {BC)'^ denn sonst würde über-
haupt kein allgemeines Wärmegleichgewicht möglich sein, was
der durch den vorigen Satz angegebenen Erfahrung wider-
spräche.
§ 3. Hierauf beruht die Möglichkeit, den Wärmezustand
irgend zweier Körper B und G zu vergleichen, ohne sie direkt
miteinander in Berührung zu bringen. Man bringt nämlich
jeden einzeln mit dem als Messinstrument dienenden, zunächst
beliebig ausgewählten Körper A zusammen (z. B. einem in ein
enges Rohr ausmündenden Quecksilbervolumen) und kann so durch
jedesmalige Beobachtung des Volumens von A entscheiden, ob
B und G im Wärmegleichgewicht stehen oder nicht, bez. welcher
von beiden Körpern der wärmere ist. Den Wärmezustand des
Körpers A und somit auch jedes mit A im Wärmegleichgewicht
befindlichen Körpers kann man einfach deiiniren durch das
Volumen von A, oder auch, wie gewöhnlich, durch die Differenz
des Volumens von A und desjenigen Volumens, welches der
Körper A einnimmt, wenn er sich mit schmelzendem Eis unter
Atmosphärendruck im Wärmegleichgewicht befindet. Ist die
Einheit dieser Volumendifferenz so gewählt, dass sie gleich 100
wird, wenn sich A mit dem Dampfe siedenden Wassers unter
Atmosphärendruck im Wärmegleichgewicht befindet, so heisst
sie die Temperatur in Grad Celsius in Bezug auf den Körper
A als thermometrische Substanz. Zwei Körper von gleicher
Temperatur stehen also immer im Wärmegleichgewicht, und um-
gekehrt.
§ 4« Die Temperaturangaben zweier verschiedener thermo-
metrischer Substanzen stimmen, ausser bei 0® und bei 100^, im
Allgemeinen niemals überein, weshalb in der bisherigen Definition
der Temperatur noch eine grosse Willkühr herrscht. Dieselbe
TemipercAur.
kann hier nur bis zu einem gewissen Grade beseitigt werden,
nämlich durch die Benutzung der Erfahrung, dass die verschie-
denen Gase, besonders die schwer condensirbaren, wie Wasser-
stoff, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenoxyd, als thermometrische
Substanzen innerhalb eines beträchtlichen Temperaturbereichs
eine fast vollkommene, für die meisten Messungen genügende
üebereinstimmung in den Temperaturangaben hefem. Ja noch
mehr: auch die absolute Grösse der Ausdehnung ist bei allen
diesen Gasen insofern die nämliche, als gleiche Volumina der-
selben sich bei gleichzeitiger Erwärmung immer um gleichviel
ausdehnen, constanten äusseren Druck vorausgesetzt. Der Be-
trag dieser Ausdehnung ist für eine Erwärmung von 0^ auf 1®
etwa der 273 te Theil des Volumens. Da nun endlich auch der
Einfluss des äusseren Druckes auf das Volumen eines dieser
Gase durch ein sehr einfaches Gesetz dargestellt wird, so ist
der Schluss gestattet, dass diese Begelmässigkeiten auf einer
besonders einfachen Constitution dieser Substanzen beruhen, und
dass es daher rationell ist, die von ihnen angegebene gemeinschaft-
liche Temperatur als Temperatur schlechthin zu detiniren. Es
müssen also die Angaben aller anderen Thermometer auf das Gas-
thermometer (speziell Wasserstoffthermometer) reducirt werden.
§ h. Bei Genauigkeitsanforderungen, für welche die üeber-
einstimmung in den Angaben der verschiedenen Gasthermometer
nicht genügt, bleibt die Willkühr in der Definition der Temperatur
bestehen, da kein Grund vorliegt, ein bestimmtes Gas vor den
anderen zu bevorzugen. Eine von den Eigenschaften einzelner
Körper vollkommen unabhängige Definition der Temperatur,
gültig für alle Wärme- und Kältegrade, wird erst möglich auf
Grund des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie (siehe unten
§ 160 ff.). Bis dahin wird daher nur von solchen Temperaturen
die Rede sein, welche durch das Gasthermometer mit hin-
reichender Schärfe definirt sind.
§ 6« Wir beschäftigen uns im Folgenden vorwiegend mit
homogenen isotropen Körpern von beliebiger Form, die im Innern
gleichmässige Temperatur und Dichte besitzen und einem gleich-
massigen überall senkrecht auf ihre Oberfiäche wirkenden Druck
unterworfen sind, folglich auch den nämlichen Druck nach Aussen
hin ausüben. Von Oberflächenerscheinungen sehen wir dabei
ab. Der Zustand eines solchen Körpers ist bestimmt durch
y
OrundtMtscuskm mtd Definitionen.
sehie chemi6<3he Natur^ seine Masse M^ sein Ydiumen V und seine
TVmperatur t. Alle anderen Eigenschaften des Zustandes müssen
al«o von den angegebenen in bestimmter Weise abhängig sein,
vor Allem der Druck, welcher gleichmäseig im ganzen Innern
harscht und ebenso nach Aussen hin wirkt Der Druck p wird
gemessen durch die Kraft, welche auf die Flächeneinheit der
Oberfläche wirkt, also im d G* S.- System durch Dynen pro
Quadratcentimeter, wobei ein Dyn die Kraft ist, welche der
Ma»se eines &ramm in einer Sekunde die G-eschwindigkeit von
einem Oentimeter in der Sekunde ertheili
§ 7. In der Praxis misst man gewöhnlich den Druck in
Atmosphären, und es soll daher hier der Werth einer Atmo-
sphäre im absoluten CG-S^-System berechnet werden. Der
Druck einer Atmosphäre ist die Kraft^ welche eine Quecksilber-
säule von 0^ Cete., 76 cm Höhe und 1 qcm Querschnitt durch
ihre Schwere auf ihre Grundfläche ausübt, wenn sie an einem
Orte mittlerer geogr. Breite aufgestellt ist Der letzte Zusatz
ist nothwendig^ weil die durch die Erdanziehung bedingte
Schwere «ich mit dem Orte ändert Das Volumen der Queok*
silbersäule beträgt 76, ihre Masse, durch Multiplication des
Volumens mit der Dichte des Quecksilbers bei 0^, 76- 13^596;
daher ihre Schwere, durch Multiplication der Masse mit der
Beschleunigung der Schwere an einem Orte mittlerer Breite:
76 • 13,596 . 981 = 1 013 650 ^ oder ^ ,
Dies ist also der Druck einer Atmosphäre im absoluten C. G S>
System. Würde man als Krafteinheit nicht das Dyn, sondern,
wie es früher in der Mechanik üblich war, die Schwere eines
Gramms in einem Orte mittlerer geogr. Breite benutzen', so
würde der Druck einer Atmosphäre betragen: 76-13,596 = 1033,3.
§ 8. Da der Druck des betrachteten Körpers offenbar nur
von seiner inneren Beschaffenheit, nicht aber von seiner äusseren
Forin und seiner Masse abhängt, so folgt, dass p ausser von
der Temperatur nur von dem Verhältniss der Masse M zum
Volumen F, d. h. von der Dichte, abhängt, bez. von dem um-
gekehrten Verhältniss, dem Volumen der Masseneinheit:
V
weiches wir, wie üblich, als das spezifische Volumen des Körpers
Thrnpenduir^ 5
bezeichnen. Es existirt also eine besümmta^ jeder Substanz
eigenthümliohe Beziehung,
welche die Z^stands^leichung der Substanz genannt wird
Die Funktion f besitzt fiir Gase stets positive, für flüssige und
feste Körper unter umständen auch negative Werthe.
§ 9. Ideale Gase. Am einfachsten gestaltet sich die
Form der Zustandsgieichung flir diejenigen Substanzen, welche
wir oben § 4 zur Deänition der Temperatur benutzt haben^
Wird nämlich die Temperatur constant gehalten, so ist nach
dem Gesetz von Boyle (Mabiotte) das Produkt aus Druck und
spezifischem Volumen constant:
pv=T (1)
wobei T, ausser vom der Natur des Gases, allein von dey Tem-
peratur t abhängt
Wenn aber der Druck constant gehalten wird, so ist nach
der Definition § 3 die Temperatur proportional der Differenz
des jeweiligen Volumens v und des Volumens bei 0** : v^, d. h.
t^{v^v,) P (2)
worin P nur vom Druckj? abhängt. Hierbei ist nach Gleichung (1)
P% = T, (3)
wenn T^ den Werth bezeichnet, den die Temperaturfunktion T
för ^ = annimmt
EndUoh benutzen wir noch die ebenfalls schon oben, § 4,
angeführte Erfahrung, dass der Betrag de? Ausdehnung bei einer
Erwärmung von 0^ auf 1^ für alle idealen Gase der nämKdie
Bruchtheil a (etwa = -— -) des Volumens bei 0® ist (Gesetz von
Gay Lussac). Setzt man also < = 1, so wird v — Vq = (jcVq, und
die Gleichung (2) geht über in:
l = av,P (4)
Durch Elimination von P, v^ und v aus den Gleichungen (1),
(2), (3), (4) ergibt sich die Temperaturfunktion:
also linear abhängig von der Temperatur, und die Zustands-
gieichung (1) wird:
6 Onmdthatsachen und Definitionen,
§ 10. Diese Gleichung nimmt eine wesentlich einfachere
Form an, wenn man den im § 3 willkührlich festgesetzten Null-
punkt der Temperatur um — Grad verlegt, indem man den
« j
Schmelzpunkt des Eises nicht = 0®, sondern =^ (etwa = 273^
setzt. Schreibt man nämlich:
^ + - = i9-
«
(absolute Temperatur), uxid setzt zur Abkürzung die Constante
aTQ = Cf so wird die Zustandsgieichung:
(5) p = ^'&=^C'^.&
Die Einführung der absoluten Temperatur kommt offenbar
im Grunde darauf hinaus, dass man die Temperatur nicht, wie
in § 3, durch eine Volumenänderung, sondern durch das Volumen
selbst misst.
§ II, Die für die Natur eines idealen G^ses charakteri-
stische Constante G ist bestimmt, wenn man für irgend ein
Werthenpaar von & undj?, z. B. 0^ Geis, und Atmosphärendruck,
das spezifische Volumen v des Gases kennt, und zwar verhalten
sich offenbar für verschiedene Gase, bei derselben Temperatur
und demselben Druck genommen, die Werthe der Constanteri C
wie die spezifischen Volumina v, oder umgekehrt wie die Dichten — .
Man kann also sagen: Bei derselben Temperatur und demselben
Druck genommen stehen die Dichten aller idealen Gase in un-
veränderlichen Verhältnissen. Man charakterisirt daher oft auch
ein Gas durch das constante Verhältniss seiner Dichte zu der
Dichte eines Normalgases bei demselben Druck und derselben
Temperatur (spezifische Dichte in Bezug auf Luft oder auf
Wasserstoff). Bei 0^ Geis. {& = 273) und 1 Atmosphäre Druck
ist die Dichte von:
Wasserstoff 0,00008988 gr
Sauerstoff 0,0014291 cm»
Stickstoff ....... 0,0012507
„Atmosphärischer" Stickstoff 0,0012571
Luft 0,0012930
woraus die entsprechenden Werthe von C in absolutem Maass
leicht zu berechnen.
Temperaiwr,
Durch die Zustandsgieichung einer Substanz lasisen sich
alle Fragen nach dem Verhalten > der Substanz in Bezug auf
beliebige Aenderungen det* Temperatur, des Volumens und des
Druckes vollständig beantworten. ^
§ 13. Verhalten bei constantem l)ruck. (Isopiestische
Aenderungen.) Ausdehnungscoeffizient heisst das Verhältniss der
Zunahme des Volumenö bei Erwärmung um 1^ zu dem Volumen
bei 0^ Geis. Für ein ideales Gas beträgt die Zunahme des Vo-
lumens bei Erwärmung um l^nach der Zustandsgieichung (5) — .
Das Volumen bei 0® Geis, beträgt nach derselben Gleichung
CM *
273, also das Verhältniss beider, d.h. der Ausdehnungs-
coeffizient des Gases: 073'^^'
§ 13. Verhalten bei constantem Volumen. (Isochorische
oder isopyknische Aenderungen.) Spannungscoeffizient heisst das
Verhältniss der Zunahme des Druckes bei Erwärmung um 1®
zu dem Druck bei 0® Gels. Für ein ideales Gas beträgt die
Zunahme des Druckes bei Erwärmung um 1 ® nach der Zustands-
gieichung (5) ~yr. Der Druck bei O^Cels. beträgt-F^-273, also
das Verhältniss beider, d. h. der Spannungscoeffizient des Gases:
-— , gleich dem Ausdehnungscoeffizienten a.
§ 14. Verhalten bei constanter Temperatur. (Isothermische
Aenderungen.) Elasticitätscoeffizient heisst das Verhältniss einer
unendlich kleinen Zunahme des Druckes zu der dadurch be-
dingten Contraktion der Volumeneinheit. Für ein ideales Gas
ist die Contraktion eines beliebigen Volumens V bei Zunahme
des Druckes um dp nach der Zustandsgieichung (5)
--dV=—-^dp = —dp
p^ P
Die Contraktion der Volumeneinheit also =- = — , und daher
V P
der Elasticitätscoeffizient des Gases:
d^:-^ = p, also gleich dem Druck
Der reciproke Werth des Elasticitätscoeffizienten, nämlich das
Verhältniss einer unendlich kleinen Contraktion der Volumen-
einheit zu der entsprechenden Druckvermehrung, heisst Com-
pressibilitätscoeffizient.
S Onmdthatseuikitn tmd Definitionen,
§ 16, Die drei Goefüzienten, welohe das Verhalten einer
Substaius bei iaopiestischen^ igochorischen und isothermischen
Aenderungen kennzeichnen^ sind nicht unabhängig von einander,
sondern, für jede beliebige Substanz^ durch eine feste Beziehung
verknüpft Durch Differentiation der Zustandsgieichung ergibt
sich nämlich allgemein:
wobei, wie üblich, der angefügte Index diejenige Variable be-
zeichnet, welche bei der Differentiation constant zu halten ist.
Setzt man nun dp = 0, so erhält man die Bedingimg, welche
ftlr eine isopieatische Aenderung zwischen den Differentialen d %t
und dv gilt, also entsprechend geschrieben:
(dp)
(6) (l^] — v^^A
^ ^ \d &)p "" /dp_\
Man kann daher f)ir jeden Zustand einer Substanz eine
der drei Grössen: Ausdehnungscoeffizient, Spannungscoeffizient,
Compressibilitätscoeffizient, aus den beiden anderen berechnen.
Nehmen wir z. B. Qu^ksilber bei 0^ Gels, und Atmosphären-
druck. Der Ausdehnungscoeffizient ist nach § 12
Der Compressibilitätscoeffizient, bezogen auf Atmosphären,
nach § 14
_ (4^] Jl = 0,000003
Also nach (6) der Spannungscoeffizient (§ 13), bezogen auf
Atmosphären:
( dp \ _ _ (d^\ ( dv \ ^ \d(^)p ^ 0,00018 ^ g^
\d&)v \dv)^'[d^)p ldv\ 0,000 008
d. h. um Quecksilber bei der Erwärmung von 0^ auf 1^ aul
C0nstaQ,tem Volumen zu erhalten, bedarf es einer Druckzunahme
von 60 Atmosphären.
§ 16, ICisohuBgen idealer Gase. Wenn verschiedene be-
liebig grosse Quantitäten eines und desselben Gases von gleicher
Temperatur, 9
Temperatur und gleichem Druck, welche Anüaiigs durch Scheide-
wände getrennt sind, mittelst plötzlicher Beseitigung derselben in
Berührung gebracht werden, so ist und bleibt selbstverständlich
das Volumen des gesammten Systems gleich der Summe der
Einzelvolumina^ Wenn aber die in Berührung gebrachten Gase
verschiedener Natur sind, so zeigt die Erfahrung, dass auch
dann, bei constant gehaltener gleichmässiger Temperatur und
Druck, das Gesammtvolumen dauernd gleich der Summe der
ursprünglichen Einzelvolumina bleibt, obwohl sich gleichzeitig
ein langsamer Mischungsvorgang, die DiflFusion, vollzieht, der
erst dann sein Ende erreicht, wenn die Zusammensetzung der
Mischung in jedem noch wahrnehmbaren Baumtheil überall
die nämliche, d. h. die Mischung physikalisch homogen ge-
worden ist.
§ 17. Man kann sich das entstandene Gemisch von vorn-
herein in zweierlei Weise constituirt denken. Entweder könnte
man annehmen, dass bei der Vermischung jedes einzelne Gas
sich in unwahmehmbar viele kleine Theile spaltet, deren jeder
aber sein Volumen und seinen Druck unverändert beibehält, und
dass diese kleinen Theile der verschiedenen Gase sich bei der
Diffusion nebeneinandermengen, ohne sich gegenseitig zu durch-
dringen; dann hätte auch nach beendigter Diffusion jedes Gas
noch sein altes Volumen (Partialvolumen) und alle Gase hätten
denselben gemeinsamen Druck. Oder aber — und diese Auf-
fassung wird sich weiterhin (§ 32) als die allein berechtigte er-
weisen — man kann annehmen, dass die Einzelgase sich auch
in ihren kleinsten Volumtheilen verändern und durchdringen,
dass also nach beendigter DiflFusion jedes Einzelgas, soweit man
überhaupt noch von einem solchen reden kann, das Volumen
des ganzen Gemisches einnimmt und demzufolge unter einem
geringeren Druck als früher steht. Man kann diesen Druck
eines Einzelgases in der Mischung, seinen sog. Partialdruck, leicht
berechnen.
§ 18. Bezeichnet man die einzelnen Gase durch angefügte
Zahlenindices, während Temperatur & und Druck p ohne Index
gelassen werden, so ist vor Beginn der DifiFusion naoh der Zu-
standsgleichung (5):
10 Oi'undthatsaehen und Definitionen,
Das Gesammtvolumen:
r^Fi + F^ + ...
bleibt nach § 16 diircli die DiflFusion unverändert Da nun
nach beendigter Diffusion jedem einzehien Gas das ganze
Volumen F zugeschrieben wird, so sind dann die Partialdrucke
nach der Gleichung (5) und nach den letzten Gleichungen:
l*) Pl = V — "V^^ ^2— y — — -y^P' •••
Durch Addition ergiebt sich:
(8), P^ +P^ + . . . = y. P=^P
Das Gesetz von Dalton, welches besagt, dass in einer homogenen
Gasmischung der Druck gleich ist der Summe der Partialdrucke
aller einzelnen Gase. Gleichzeitig sieht man, dass
(9) p^ : p^ : , . . = F^ : F^ : . . . =s 0^ M^ : C^ M^ : . . .
d. h. die Partialdrucke der Einzelgase stehen in demselben Ver^
hältniss wie die Volumina, welche die Gase vor der Diffusion
hatten, bez. wie die Partialvolumina, welche die Gase nach der
im § 17 zuerst geschilderten Auffassung in der Mischung ein-
nehmen würden.
§ 19. Die Zustandsgieichung der Mischung lautet nach
(8) und (7):
(10) p=^(C,M,+C,M, + ...)^
entspricht also ganz der Zustandsgieichung (5) eines idealen
Gases, dessen charakteristische Constante ist:
Daher kann durch die Untersuchung der Zustandsgieichung
niemals entschieden werden, ob ein ideales Gas chemisch einfach
ist oder eine Mischung verschiedener chemisch einfacher Gase
bildet.
§ 30. Die Zusammensetzung einer Gasmischuüg definirt
man entweder durch die Verhältnisse der Massen M^^ M^ . , .
oder durch die der Partialdrucke /?j, /?2 • • • bez. Partialvolumina
Fj, Tg . . . der Einzelgase. Je nachdem spricht man entweder
Temperatur. 11
von Gewichtsprozenten oder von Volumenprozenten. Nehmen
wir z. B. atmosphärische Luft, eine Mischung von Sauerstoff (1)
und von „atmosphärischem" Stickstoff (2).
Das Verhältniss der Dichten von Sauerstoff, atmosphärischem
Stickstoff und Luft ist nach § 11
0,0014291 : 0,0012571 : 0,0012930 = ^:^:^.
Unter Berücksichtigung der Beziehung (11)
berechnet sich hieraus das Verhältniss
M^:M^ = 0,2998
d. h, 23,1 7o Sauerstoff und 76,9 7^ Stickstoff nach Gewichts-
Prozenten. Femer das Verhältniss
G,M, : C^M, =.p^:p^=.V,:V, = 0,2637
d. h. 20,9 7^^ Sauerstoff und 79,1 7^ Stickstoff nach Volumen-
Prozenten.
§ 31. Znstandsgleichung anderer Substanzen. Stellt schon
für die bisher beispielsweise behandelten Substanzen die Zu-
standsgleichung idealer Gase nur eine, wenn auch bedeutende,
Annäherung an die Wirklichkeit dar, so zeigen die anderen
gasförmigen Körper, besonders diejenigen, die sich leicht con-
densiren lassen, und die daher früher in die besondere Klasse
der Dämpfe zusammengefasst wurden, ein von den Eigenschaften
idealer Gase deutlich abweichendes Verhalten, so dass für sie
eine Modification der Zustandsgieichung eintreten muss. Dabei
ist jedoch bemerkenswerth, dass die Abweichungen von dem
Verhalten idealer Gase um so geringer auszufallen pflegen, je
kleiner die Dichte genommen wird, weshalb man im Allgemeinen
sagen kann, dass sich die gasförmigen Substanzen bei genügend
geringer Dichte wie ideale Gase verhalten. Die Zustands-
gieichung beliebiger Gase und Dämpfe wird sich also als eine
Verallgemeinerung derjenigen für ideale Gase darstellen müssen,
welche für grosse Werthe von t? in die spezielle oben behandelte
Form (5) übergeht.
§ 23. Von dem Sinn und der Grösse der Abweichungen
von dem idealen Gaszustand kann man sich auf graphischem
Wege eine Vorstellung verschaffen, und zwar auf verschiedene
12 Orundthatsc^chen Whd Definitionen,
Weise. Mun kwm ^ 6. eine isotbenoisiQbe Curve au&eichnen,
indem man für eine beliebige oonstant gehaltene Temperatur i^
je zwei zusammengehörige Werthe von v und p als Absdisse
und Ordinate eines Puixktes in einer Ebene auffas^b Die Scbaar
aller Isothermen liefert ein vollständiges Bild der Zustands-
gieichung. Je mehr nun sich das Verhalten des betrachteten
Gases dem idealen nähert, um so enger schliessen sich die
Isothermen an die gleichseitigen Hyperbeln an, welche die
Coordinatenaxen zu Asymptoten haben. Denn für ein ideales
Gas ist die Gleichung einer Isotherme: pv = con8t. Die Ab-
weichung von der Form dieser Hyperbel gibt also zugleich ein
Maass für die Abweichung von dem idealen Gaszustand.
§ 33. Augenscheinlicher noch werden diese Abweichungen,
wenn man die Isotherme in der Art zeichnet, dass nicht p,
sondern das Produkt pv ais Ordinate, und als Abscisse etwa
p erscheint. Für ein ideales Gas sind dann die Isothermen
offenbar gerade, der Abscissenaohse parallele Linien. Für die
wirklichen Gase zeigt nun eine solche Linie ein allerdings flach
verlaufendes Minimum, dessen Lage und Betrag natürlich von
der Temperatur und von der Natur des Gases abhängt Für
kleinere Drucke (links vom Minimum) nimmt also das Volumen
ndt steigendem Druck schneller, für höhere Drucke (rechts vom
Minimum) nimmt es mit steigendem Druck langsamer ab als bei
idealen Gasen. Im Minimum selber ist die Compressibilität
gerade die eines idealen Gases. Beim Wasserstoff liegt das
Minimum sehr weit Unks, und konnte bisher nur bei sehr tiefen
Temperaturen nachgewiesen werden.
§ 34. Die erste auch für den flüssigen Zustand brauchbare
analytische Formiilirung der verallgemeinerten Zustandsgleiohung
rührt her von van dbb Waals, der zugleich auch eine physika-
lische Erklärung für die Abweichunigen vom idealen Gaszustand,
vom Standpunkt der kinetischen Gastheorie aus, gegeben hat« Da
wir uns hier von den Voraussetzungen der kinetischen Theorie frei
halten woUen, haben wir es nur mit der van DEnWAALs'schen Formel
selber^ als einem angenäherten Ausdruck der Thatsachen^ zu thun.
Sie lautet: __ R& a
wobei Rj a und b Constante sind, die von der Natur der Substanz
abhängen. Für grosse v geht die Gleichung in der That in die
Temperatur, 1 3
eines idealen Gases über; für kleine v und entsprechende &
stellt sie die Zustandsgieichung der tropfbar flüssigen Sub-
stanz dar.
Wenn der Druck p in Atmosphären ausgedrückt und das
spezifische Volumen t? für i9- = 273 und ;? = 1 gleich 1 gesetzt
wird, so ist nach van dee Waals für Kohlensäure:
R = 0,00369 a = 0,00874 h = 0,0023.
Da das Volumen von 1 gr, Kohlensäure bei 0® Geis, und
Atmosphärendruck 505 ccm beträgt, so hat man die aus der
Formel sich ergebenden Werthe von v noch mit 505 zu multi-
pliciren, um die spezifischen Volumina in absolutem Maasse za
erhalten.
§ 35* Da die van deb WAALs'sche Formel sich als nicht
vollständig exakt herausgestellt hat, so ist sie von Clausius
durch Einführung einer weiteren Constanten einer Ergänzung
unterzogen worden. Die ÜLAUSius'sche Formel lautet:
^ ~ V^^ "" ^{v -k- 6)« ^ ^
Auch diese Formel ergibt für grosse v die Zustandsgieichung
eines idealen Gases. In denselben Einheiten wie oben ist nach
Clausius flir Kohlensäure:
R = 0,003688 a = 0,000843 h = 0,000977 c = 2,0935.
Die ANDEBWs'schen Beobachtungen über die Compressibilität
gasförmiger und flüssiger Kohlensäure bei verschiedenen Tem-
peraturen werden durch die letzte Formel ziemlich befiriedigend
dargestellt.
§ 36. Wenn man die Schaar der Isothermen, wie sie
durch die Clausius' sehe Formel für Kohlensäure dargestellt
werden, aufzeichnet, indem man für je einen constant gehaltenen
Werth der Temperatur die Werthe von v als Abscissen, die von
p als Ordinaten der Punkte einer Curve aufträgt, so erhält man
ein eigenthümliches, in Fig. 1 versinnlichtes Bild.^)
Für hohe Temperaturen erscheinen gleichseitige Hyperbeln,
wie auch aus der Zustandsgieichung (12) zu erkennen; im All-
gemeinen aber ist eine Isotherme eine Curve 3. Grades, da
einem bestimmten Werth von p im Allgemeinen 3 Werthe von
*) Die Berechnung und Zeichnung der Curven ist nach der Clausius-
schen Zustandsgieichung von Herrn Dr. Richard Apt ausgeführt worden.
ao
w
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*■
CubitceHtinatT p
Temperatur. 15
t; entsprechen. Mithin wird eine Isotherme im AUgemeinen in
3 Punkten Ton einer der Abscissenaxe parallelen Geraden ge-
schnitten. Zwei derselben können aber imaginär sein, wie das
für grosse Werthe von & thatsächlich zutriflfL Für hohe Tem-
peraturen gibt es also bei gegebenem Druck nur ein einziges
reelles Volumen, während für tiefere Temperaturen einem be-
stimmten Werth des Druckes 3 reelle Werthe des Volumens
entsprechen können. Von diesen 3 Werthen, die in der Figur
beispielsweise durch die Punkte a, ß, y dargestellt sind, können
nur der kleinste {u) und der grösste (y) einen stabilen, in der
Natur herstellbaren, Zustand der Substanz bedeuten. Denn für
den mittleren (ß) steigt offenbar auf der Isotherme der Druck
mit wachsendem Volumen an, die Compressibilität ist also nega-
tiv. Ein derartiger Zustand hat daher zunächst nur theoretische
Bedeutung.
§ 37. Der Punkt ce entspricht der flüssigen, der Punkt y
der gasförmigen Kohlensäure bei der Temperatur der Isotherme
und bei dem Druck der Geraden aßy. Doch ist im Allge-
meinen auch von diesen beiden Zuständen nur einer stabil (in
der Fig. der Zustand u). Denn wenn man gasförmige Kohlen-
säure, die etwa in einen Cylinder mit beweglichem Kolben ein-
geschlossen ist, comprimirt und dabei die Temperatur der be-
trachteten Isotherme (in der Fig. 20^) constant aufrecht erhält,
so werden die aufeinanderfolgenden Zustände zunächst durch
die ganz rechts gelegenen Punkte der Isotherme bezeichnet. Mit
Verkleinerung des Volumens rückt der den Zustand bezeich-
nende Punkt auf der Isotherme immer weiter nach links, bis
er eine bestimmte Stelle G erreicht. Bei weiterer isothermer
Compression der Substanz rückt nun der Punkt über diese Stelle
nicht hinaus, sondern die Substanz condensirt sich zum Theil,
d. h. sie spaltet sich in einen flüssigen und einen gasförmigen
Theil, die selbstverständlich gemeinschaftlichen Druck und ge-
meinschaftliche Temperatur besitzen. Der Zustand des gas-
förmigen Theils wird bei fortschreitender Compression nach wie
vor immer durch den Punkt C, der des flüssigen Theils daher
durch den Punkt Ä der nämlichen Isotherme charakterisirt.
G heisst der Sättigungspunkt der gasförmigen Kohlensäure. Bei
dem ganzen isothermischen Compressionsvorgang besteht die
einzige Aenderung darin, dass sich immer mehr Dampf nieder-
16 Orundthatscu^ten und Definitionen,
schlägt, während die inneren Zustände der heiden Theile der
Suhstanz (Druck, Temperatur, spezifische Volumina) während
des ganzen Gondensationsprozesses immer durch die nämlichen
Punkte A und C dargestellt werden. Schliesslich, wenn aller
Dampf condensirt ist, befindet sich die ganze Substanz im
flüssigen Zustand A, verhält sich also nun wieder homogen. Die
weitere isothermische Compression ergibt dann wieder Zunahme
der Dichtigkeit und Steigerung des Druckes längs der Isotherme,
wobei auch der Punkt a der Fig. überschritten wird. Auf dieser
Seite ist, wie aus der Fig. zu erkennen, die Isotherme viel
steiler als auf der andern, d. h. die Compressibilität viel ge-
ringer. Bisweilen gelingt es bei der Compression eines Dampfes,
die Isotherme über den Punkt G hinaus nach y hin eine Strecke
weit zu verfolgen und sogenannten übersättigten Dampf herzu-
stellen. Man erhält aber dann nur mehr oder weniger labile
Gleichgewichtszustände, wie sich daraus zu erkennen gibt, dass
bei minimalen Störungen des Gleichgewichts eine plötzliche Con-
densation, also ein sprungweiser Uebergang in den stabilen Zu-
stand erfolgen kann. Immerhin erhält durch das Studium der
übersättigten Dämpfe auch das theoretische Stück der Isotherme
zum Theil eine unmittelbare Bedeutung.
§ 38. Nach dem Gesagten besitzt jede Isotherme, die für
gewisse Werthe von p 3 reelle Volumina zulässt, zwei bestimmte
Stellen Ä und G, die den Zustand der Sättigung angeben. Ihre
Lage lässt sich aus der Zeichnung der Isotherme nicht ohne
weiteres ersehen. Doch führen die Sätze der Thermodynamik
zu eiiier einfachen Construktion dieser Punkte, die im vierten
Abschnitt (§ 172) abgeleitet werden wird. Je höher die Tem-
peratur genommen wird, um so mehr schrumpft das Gebiet der
Geraden zusammen, welche die Isothermen in 3 reellen Punkten
schneiden, und um so näher rücken sich diese 3 Punkte. Den
Uebergang zu den hyperbelähnlichen Isothermen, welche von
jeder zur Abscissenaxe Parallelen nur in 1 Punkt geschnitten
werden, bildet eine bestimmte Isotherme, für welche jene 3
Schnittpunkte in einen einzigen zusammenfallen. Dieser Punkt
stellt also einen Wendepunkt der Isotherme vor, in welchem die
Tangente der Curve parallel der Abscissenaxe verläuft. Es ist
der kritische Punkt K der Substanz (s. Fig.), er bezeichnet
die kritische Temperatur, das kritische spezifische Volumen, und
Temperatur, 1 7
den kritischen Druck; für ihn wird der gesättigte Dampf mit
seinem Niederschlag identisch. Oberhalb der kritischen Tem-
peratur und oberhalb des kritischen Druckes gibt es überhaupt
keine Condensation, wie leicht aus der Fig. zu ersehen. Daher
mussten alle Versuche scheitern, Wasserstoff, Sauerstoff und
Stickstoff zu condensiren, solange die Temperatur nicht unter
die kritische Temperatur, die bei diesen Substanzen sehr tief
liegt, erniedrigt wurde.
§ 29. Man sieht aus der Fig. 1 auch, dass es garkeine
bestimmte Grenze gibt zwischen dem gasförmigen und dem
flüssigen Zustand, da man leicht aus dem Bereich der ent-
schieden gasförmigen Zustände, z. B. vom Punkte G aus, auf
einer Curve, die um den kritischen Punkt oben herumführt, in
das Gebiet der entschieden flüssigen Zustände, z. B. nach A
kommen kann, ohne irgendwo einen gesättigten Zustand zu
überschreiten. Man erwärme z. B. den Dampf bei constantem
Volumen über die kritische Temperatur hinaus und kühle
ihn hierauf bei constant gehaltenem Drucke bis unter das
kritische Volumen ab. Dann tritt niemals Gondensation ein, und
doch befindet man sich schliesslich im Gebiet der unzweifel-
haft flüssigen Zustände. Die frühere principielle Unterscheidung
zwischen Flüssigkeiten, Dämpfen und Gasen muss daher als
nicht mehr durchführbar fallen gelassen werden.
Auch der in neuerer Zeit gemachte Vorschlag, diejenigen
Zustände, welche einer höheren Temperatur als der kritischen
angehören, als gasförmig, die übrigen dagegen als dampfförmig
oder flüssig zu bezeichnen, je nachdem sie in der Fig. 1 rechts
oder links yon den theoretischen Gebieten liegen, hat gewisse
Unzuträglichkeiten im Gefolge, da hiedurch namentlich eine
Grenze einerseits zwischen Flüssigkeit und Gas, andrerseits
zwischen Dampf und Gas festgesetzt wird, die keine unmittel-
bare physikalische Bedeutung hat. Denn das Ueberschreiten
der kritischen Temperatur bei einem anderen als dem kritischen
Druck unterscheidet sich in keiner wesentlichen Hinsicht von
dem Ueberschreiten irgend einer anderen Temperatur.
§ 30. Der kritische Punkt lässt sich leicht aus det allge-
meinen Zustandsgieichung berechnen. Denn für ihn gelten nach
§ 28 die Gleichungen:
, Planck, Thermodynamik. 2
18 Orundtkatsachen und Definitionen.
TOD denen die erste besagt^ dass die Tangente der Isotherme
in K parallel der Abscissenaxe verläuft, die zweite, dass die
Isotherme in K einen Wendepunkt besitzt Legt man die
CLAüSius'sche Zustandsgieichung (12) zu Grunde, so ergibt sich
hienach für den kritischen Punkt:
also für Kohlensäure nach den mitgetheilten Zahlen:
i?. = 304 = 273« + 31% i? = 77Atm., «; = 2,27^^.
gr
Qualitativ gelten für jede Substanz dieselben Gesetzmässigkeiten
wie für Kohlensäure^ aber die Werthe der Constanten sind sehr
verschieden.
§ 31« Auch bezüglich des Uebergangs aus dem flüssigen
in den festen Aggregatzustand lassen sich genau dieselben Be-
trachtungen anstellen, wie für den aus dem gasformigen in den
flüssigen, auch hier kann man das System der Isothermen zeich-
nen, und auch hier würde man wahrscheinlich, wenn die Hilfs-
mittel der experimentellen Forschung so weit reichten, sowohl
„theoretische" Gebiete der Isothermen als auch einen kritischen
Punkt constatiren können, dessen Umgehung einen continuir-
lichen Uebergang aus dem flüssigen in den festen Aggregat-
zustand ermöglicht. In der That gibt es ja gewisse Substanzen,
die schon unter gewöhnUchem Druck beim Erwärmen ohne
jeden erkennbaren Sprung aus dem festen in den flüssigen Zu-
stand übergehen, wie z. B. Pech, während wieder bei anderen
Substanzen einer bestimmten Temperatur ein ganz bestimmter
Schmelzdruck (oder Erstarrungsdruck) entspricht, bei welchem
sich die Substanz in zwei diflferente Aggregatzustände spaltet;
doch ist der Schmelzdruck mit der Temperatur ausserordentlich
viel stärker veränderlich als der Druck des gesättigten Danipfes.
Für die physikalische Berechtigung der geschilderten Auffassung
sprechen besonders die Versuche von Baeüs und die von Spbing,
bei denen die Drucke innerhalb weiter Grenzen variirt wurden.
Die vollkommenste Zustandsgieichung wäre eine solche,
welche zugleich den gasförmigen, flüssigen und festen Aggregat-
zuständ umfasste. Die Aufstellung derselben ist aber bis jetzt
für keine Substanz versucht worden.
Molekulargewicht. 19
§ 32« Miflchnngen verschiedener Substanzen. Während sich
die Zustandsgieichung einer Mischung idealer Gase, wie wir in
§19 sahen, in einfacher Weise auf die der einzelnen Com-
ponenten zurückführen lässt, ist das bei Mischungen beliebiger
Substanzen im Allgemeinen nicht mehr der Fall. Nur bei Gasen
und Dämpfen gilt^ wenigstens mit grosser Annäherung, das
ÜAiiTON'sche Gesetz, dass der Gesammtdruok einer Mischung
gleich ist der Summe der Einzeldrucke, welche jedes Gas (oder
Dampf) ausüben würde, wenn es allein bei derselben Temperatur
das ganze Volumen ausfüllte. Dieser Satz gestattet es offenbar,
die Zustandsgieichung einer beliebigen Gasmischung anzugeben,
falls die der einzelnen Gase bekannt ist, er liefert ausserdem
auch die Entscheidung der oben § 17 unbeantwortet gelassenen
Frage, ob man den einzelnen Gasen in einer Mischung gemein-
samen Druck und verschiedene Volumina, oder ob man ihnen
gemeinsames Volumen und verschiedenen Druck zuschreiben
muss. Dass die letztere Auffassung die allein zulässige ist, folgt
aus der Betrachtung eines Dampfes, der sich weit von dem
idealen Gaszustand entfernt: Nehmen wir z. B. eine Mischung
atmosphärischer Luft und Wasserdampf bei 0^ Cels. unter Atmo-
sphärendruck, so kann man den Wasserdampf unmöglich als
unter dem Druck einer Atmosphäre befindlich annehmen, weil
Wasserdampf bei 0^ Cels. unter diesem Druck nicht existirt.
Es bleibt also nur übrig, der Luft und dem Wasserdampf ein
gemeinsames Volumen (dasjenige der Mischung) und verschiedene
Drucke (Partialdrucke) zuzuschreiben.
Für Mischungen fester und flüssiger Substanzen ist kein
allgemein gültiges Gesetz bekannt, welches die Zustandsgieichung
auf diejenige der einzelnen Substanzen zurückführt.
II. Capitel. Molekulargewicht.
§ 33« Es ist im Bisherigen immer nur von solchen Zu-
standsänderungen die Eede gewesen, welche allein die Tempe-
ratur, den Druck und die Dichte betreffen, dagegen die che-
mische Natur des betr. Stoffes oder der Mischung ganz unberührt
lassen. Es kommt aber auch häufig, — und viel häufiger, als
man früher annahm — vor, dass durch eine Aenderung der
Temperatur oder des Druckes auch die chemische Beschaffenheit
20 Orundthatsachen und Definitionen,
einer Substanz geändert wird. Dass auch vom thermodynamischen
Standpunkt aus ein principieller unterschied zwischen physika-
lischen und chemischen Aenderungen einer Substanz, der einen
continuirlichen Uebergang Ton den einen zu den andern aus-
schliessty constatirt wetden muss, ist im Lauf der neuem Ent-
wicklung der Thermodynamik immer deutlicher hervorgetreten
(vgl. § 42 f. und § 238), wenn es sich auch bis jetzt als unmög-
lich gezeigt hat, ein für alle Fälle geeignetes praktisches Unter-
scheidungsmerkmal aufzustellen. Denn wie auffallend auch oft
die chemischen Aenderungen sich von den physikalischen abheben,
entweder durch die Plötzlichkeit und Heftigkeit ihres Verlaufes
oder durch irgendwelche augenfällige Discontinuitäten (Wärme-
erzeugung, Aenderungen der Farbe und anderer Eigenschafben),
so gibt es doch andererseits zahlreiche Prozesse unzweifelhaft
chemischer Natur, z. B. Dissociationsvorgänge, die sich voll-
kommen stetig und verhältnissmässig langsam abspielen. Es
wird eine der nächsten Hauptaufgaben der physikalischen Chemie
sein, diesen principiellen Unterschied immer klarer herauszu-
arbeiten.
§ 34. Die Erfahrung lehrt, dass alle chemischen Um-
setzungen nach Constanten Gewichtsverhältnissen erfolgen. Da-
her kann man als charakteristischen Ausdruck für die Natur
einer chemisch homogenen Substanz, sei sie ein Element oder
eine Verbindung, eine Gewichts- (richtiger Massen-) Grösse be-
nutzen: das Aequivalentgewicht. Für irgend ein bestimmtes
Element setzt man das Aequivalentgewicht willkührlich fest,
z. B. für Wasserstoff = 1 gr, und findet dann für ein anderes
Element, z. B. Sauerstoff, das zugehörige Aequivalentgewicht als
diejenige Gewichtsmenge, welche sich mit 1 gr Wasserstoff ver-
bindet. Die Gewichtsmenge der Verbindung ist dann zugleich
auch das Aequivalentgewicht derselben. So fortschrritend ge-
langt man leicht zu Werthen des Aequivalentgewichts für alle
chemisch homogenen Stoffe, auch für solche Elemente, die sich
gamicht direkt mit Wasserstoff verbinden, da immer eine An-
zahl von Elementen aufgefunden werden kann, welche sich so-
wohl mit dem fraglichen Element als auch mit Wasserstoff ver-
binden und so den Uebergang zwischen beiden vermitteln.
Das Gesammtgewicht eines Körpers, dividirt durch sein
Aequivalentgewicht, heisst die im Körper enthaltene Zahl der
Molekulargewicht, 21
Aequivalente. Daher kann man auch sagen: Bei jeder che«
mischen Umsetzimg reagiren gleichviel Aequivalente der ver-
schiedenen Stoffe aufeinander.
§ 35« Indessen leidet diese Definition an einem Mangel.
Denn zwei Elemente können häufig mehr als eine einzige Ver-
bindung mit einander eingehen, und dadurch wird die Grösse
des Aequivalentgewichts mehrdeutig. Doch zeigt die Erfahrung,
dass in einem solchen Falle die verschiedenen möglichen Ge-
wichtsverhältnisse immer einfache Multipla oder Submultipla
eines bestimmten Verhältnisses sind. Daher reducirt sich die
Vieldeutigkeit in dem Werth des Aequivalentgewichts auf einen
einfachen ganzzahligen Faktor im Zähler oder Nenner dieser
Grösse, und man muss den Schlusssatz des vorigen Paragraphen,
dass gleichviel Aequivalente aufeinander reagiren, dahin verall-
gemeinem, dass die Aequivalente nach einfachen Zahlenverhält^
nissen aufeinander reagiren. So z. B. verbinden sich 16 Ge-
wichtstheile Sauerstoff mit 28 Gewichtstheilen Stickstoff zu
Stickstoffoxydul, oder mit 14 Theilen zu Stickstoffoxyd, oder
mit 9\ Theilen zu Salpetrigsäureanhydrid, oder mit 7 Theilen
zu Untersalpetersäure, oder mit 5f Theilen zu Salpetersäure-
anhydrid, so dass man, wenn das Aequivalentgewicht des Sauer-
stoffs zu 16 angenommen wird, dem Stickstoff jede beliebige
der obigen Zahlen als Aequivalentgewicht zuschreiben kann.
Dieselben stehen aber in einfachen rationalen Verhältnissen, da
28 : 14 : 9^ : 7 : 5| = 60 : 30 : 20 : 15 ; 12 .
§ 86. Die durch die letzte Zahlenreihe illustrirte Unbe-
stimmtheit in der Definition der für den Stickstoff charakte-
ristischen Gewichtsgrösse wird nun dadurch beseitigt, dass man
aus ihr eine bestimmte Zahl herausgreift und sie als Mole-
kulargewicht des Stickstoffs bezeichnet. In der Definition des
Molekulargewichts als einer ganz bestimmten, .nur von dem
eigenen Zustand einer Substanz abhängigen, von etwaigen che-
mischen Umsetzungen mit anderen Stoffen aber unabhängigen
Grösse, liegt eine der wichtigsten und fruchtbarsten Errungen-
schaften, welche die theoretische Chemie aufzuweisen hat. Die-
selbe lässt sich allerdings bis jetzt nur für spezielle Fälle exakt
aussprechen, nämlich für ideale Gase und für verdünnte Lösungen.
Da der letztere Fall sich, wie in der Folge gezeigt werden wird.
22 Orundthatsachen und Definitionen,
mittelst der Thermodynamik als durch den ersten mitbestimmt
darstellen lässt, so haben wir es hier nur init jenem zu thim.
Die Definition des Molekulargewichts flir ein chemisch
homogenes ideales Gas wird ermöglicht durch den weiteren Er-
fahrungdBatz, dass die idealen Gase sich nicht nur^ wie überhaupt
alle Stoflfe, nach einfachen Aequivalentzahlen, sondern auch, bei
gleicher Temperatur und gleichem Druck genommen^ nach ein-
fachen Völumenverhältnissen yerbinden (Gay Lussac). Daraus
folgt sogleich, dass die in gleichen Volumina yerschiedener Gase
enthaltenen Aequivalentzahlen in einfachen Verhältnissen stehen.
Die Werthe dieser Verhältnisse schwanken ab^, gemäss der
beschriebenen Willkühr in der Wahl des Aequivalentgewichts.
Die Willkühr wird aber beseitigt durch die Definition des Mole^
kulargewichts. Setzt man nämlich diese Verhältnisse allgemein =1,
d. h. stellt man die Bedingung auf, dass die Zahlen der in
gleichen Gasvolumina enthaltenen Aequivalßnte einander gleich
sind, so trifft man damit eine spezielle Auswahl unter den ver-
schiedenen Möglichkeiten und erhält so ein bestimmtes Aequi-
valentgewicht für jedes Gas, das nun als Molekulargewicht des
Gases bezeichnet wird, und ebenso für eine gegebene Gasmenge
durch Division des Geöammtgewichts durch das Molekulargewicht
eine bestimmte Aequivalentzahl, welche die Anzahl der in
der Gasmenge enthaltenen Moleküle genannt wird. In gleichen
Volumina besitzen also alle idealen Gase gleichviel Moleküle
(AvoGADEo). Daher werden in chemisch homogenen Gasen die
Verhältnisse der Molekulargewichte direkt durch die in gleichen
Volumina enthaltenen Massen, d. h. durch die Dichten, gegeben.
Das Verhältniss der Dichten ist gleich dem Verhältniss der
Molekulargewichte.
§ 37. Setzt man das Molekulargewicht des Wasserstoffs = m^,,
so ist mithin das Molekulargewicht irgend eines chemisch homo-
genen Gases gleich dem Produkte von m^ und der spezifischen Dichte
des Gases, bezogen auf Wasserstoff (§ 11). Folgende Tabelle enthält
für einige Gase die spezitischen Dichten, bezogen auf Wasserstoff,
und das Molekulargewicht
Spezifische Dichte Molekulargewicht
WasserstoflP
1
Wo
Sauerstoff
16
16 Wo
Stickstoff
14
14 Wo
Wasserdampf
9
9 Wo
Ammoniak
8,5
8,5 Wo
Molekulargewicht, 23
Da nun Wasserdampf sich aus 1 Gewichtstheil Wasserstoff und
8 Gewichtstheilen Sauerstoff zusammensetzt, so bestdit das
Molekül 9 niQ des Wasserdampfes nothwendig aus m^ Gewichfe-
theilen Wasserstoff und 8 w^ Gewichtstheilen Sauerstoff, d. h.
nach der Tabelle aus einem Molekül Wasserstoff und einem
halben Molekül Sauerstoff. Da femer Ammoniak isich nach der
Analyse aus 1 Gewichtstheil Wasserstoff und 4^/3 Gewichts-
theilen Stickstoff zusammensetzt, so besteht das Molekül 8,5 m^
des Ammoniak nothwendig aus 1,5 w^ Gewichtstheilen Wasser-
stoff und aus 7 w^ Gewichtstheilen Stickstoff, d. h. nach der
Tabelle aus P/^ Molekülen Wasserstoff und einem halben Molekül
Stickstoff. In derselben Weise fortfahrend kann man auf Grund
des AvoGADKo'schen Gesetzes für jedes chemisch homogene Gas,
dessen Dichte und chemische Zusammensetzung bekannt ist^ den
Aufbau des Moleküls aus den Molekülen der Elemente in ganz
bestimmten Zahlen angeben.
§ 88. Die kleinste Gewichtsinenge eines chemisch ein-
fachen Stoffes, welche in den Molekülen der Verbindungen des
Stoffes vorkommt, nennt man ein Atom. Daher heisst ein halbes
Molekül Wasserstoff ein Atom Wasserstoff: H, ebenso ein halbes
Molekül Sauerstoff ein Atom Sauerstoff: 0, und ein halbes
Molekül Stickstoff ein Atom Stickstoff: N. Das Molekül jedes
dieser Elemente besteht also aus zwei Atomen: Hg, Og und Ng.
Bei Quecksilber z. B. dagegen ist das Atom gleich dem ganzen
Molekül, weil in den Molekülen der Quecksilberverbindungen
immer nur ganze Moleküle des Quecksilberdampfes vorkommen.
Setzt man, wie üblich, das Atomgewicht des Wasserstoffs H = 1,
so ist das Molekulargewicht des Wasserstoffs Hg = 2 = m^, und
die Molekulargewichte der obigen Tabelle werden:
Wasserstoff 2 = Hg
Sauerstoff 32 = Oj
Stickstoff 28 = Na
Wasserdampf 18 = HjO
Ammoniak 17 = HgN
§ 39. Allgemein ist also das Molekulargewicht eines
chemisch homogenen Gases gleich seiner doppelten spezifischen
Dichte, bezogen auf Wasserstoff. Umgekehrt lässt sich, wenn
das Molekulargewicht m eines Gases bekannt ist, seine spezifische
Dichte und somit auch die Constante G in der Zustandsgieichung
24 Qrundthaiaachen und Definitionen.
(5) angeben. Bezeichnet man die auf Wasserstoff bezüglichen
Grössen mit dem Index 0, so ist bei beliebiger Temperatur und
Druck für Wasserstoff:
l? =
«'o
für ein anderes Gas bei derselben Temperatur und demselben
Druck: « - ^^
Daher:
(13) FolgKch: Q^^^O^
m
Nun ist Wq = 2, während die Constante G^ sich aus der
Dichte des Wasserstoffs bei O^Cels. und Atmosphärendruck (§11)
berechnet Denn hierfür ist:
«^0
= 0,00008988
Mithin
j9 = 1013650 (§ 7)
& = 273,
(7o=^ und nach (13)
oder:
(7 =
2 . 1013650 82600000
w • 273 • 0,00008988 w
Setzt man zur Abkürzung die Zahl
82 600 000 = Ä,
so ist die allgemeine Zustandsgieichung eines idealen chemisch
homogenen Gases mit dem Molekulargewicht m:
(14) 7^=-.-,
worin R von der Natur des Gases unabhängig ist und daher ge-
wöhnlich als die absolute Gasconstante bezeichnet wird. Mit
Hülfe von R kann man also auch das Molekulargewicht m direkt
aus der Zustandsgieichung ableiten^ da
(15) ^ = "ä-
MolektUargewicht. 25
Führt man in (14) statt des spezifischen Volumens v die
Masse M und das Volumen V ein, so ergibt sich:
p m
Nun ist aber — die Zahl der im Grase enthaltenen Moleküle:
m
M
— = w
m
folglich v=—.n
d. h. das Volumen eines Gases bei bestimmtem Druck und
Temperatur hängt nur Yon der Anzahl der darin enthaltenen
Moleküle, im Uebrigen aber gamicht von der Natur des
Gases ab.
§ 40. In einer Mischung von chemisch homogenen Gasen
mit den Molekulargewichten m^ , m^ , . . . ist nach (9) das Ver-
hältniss der Partialdrucke:
P\ ' Pi ' - ' ' = ^1 ^\ • ^2 -^2 * • • •
Da aber nach (15):
n — ^ n ^ ^
W«, ^ Wj
so ist dies Verhältniss:
V'y • Xro • • • • ~^ • • • • • "~~ IVm • /va • • • •
^^ ^^ nii m^ 12
d. h. das Verhältniss der Partialdrucke gibt zugleich das Ver-
hältniss der in der Mischung enthaltenen Molekülzahlen n^^n^^ . . .
an. Femer ist nach (10)
V =
P
P V^i ^h I
d. h. das Volumen der Mischung bestimmt sich aus der Ge-
samfntzahl n der in der Mischung enthaltenen Moleküle genau
ebenso wie bei einem chemisch homogenen Gas.
§ 41. Dagegen kann man offenbar nicht von einem Mole-
kulargewicht der Mischung sprechen , sondern höchstens von
einem „scheinbaren" Molekulargewicht, indem man darunter das-
26 Orundthaisaeken und Definitionen.
jenige Molekulargewicht yersteht, welches ein chemisch homogenes
Gas hahen würde^ wenn es in derselben Hasse dieselbe Mole-
külzahl wie die Mischung enthielte. Bezeichnen wir das schein-
bare Molekulargewicht mit m, so ist die Molekülzahl
Ml + M^ + ,,. _ M^ , -Mg ,
— -f- "f- • * •
folglich
Ml ■\- M^ -h , . . •
m =
^'+^ + ...
m^ m.
Daraus berechnet sich z. B. das scheinbare Molekulargewicht
der Luft folgendermassen. Da m^ =^0^ = 32 , m^ = N^ = 28 ,
ifj ; M^ = 0,3 nach § 20, so ist
32 "^2B
etwas grösser als das Molekulargewicht des Stickstoffs.
§ 43. Ergibt somit die Zustandsgieichung für jedes ideale
Gas, sei es chemisch homogen oder nicht, nach (16) unmittelbar
die Gesammtzahl der darin enthaltenen Moleküle, so liefert sie,
wie schon § 19 hervorgehoben wurde, kein Mittel, um zu ent-
scheiden, ob die Moleküle gleichartig sind oder nicht. Bei der
Untersuchung dieser Frage ist man auf andere Methoden an-
gewiesen, von denen aber keine in allen Fällen praktisch
brauchbar ist. Häufig führt die Beobachtung der Dififusion,
namentlich durch eine poröse oder noch besser semipermeable
Wand zum Ziele, indem die einzelnen Gase einer Mischung sich
durch ihre ungleiche DifiFusionsgeschwindigkeit, die bei semi-
permeablen Wänden bis auf Null herabsinken kann, von ein-
ander trennen und so die chemische Inhomogenität der Substanz
verrathen. Oft gibt auch die Entstehungsgeschichte des Gases
unmittelbaren Aufschluss über seine chemische Beschaffenheit.
Eine principielle Definition für ein chemisch homogenes Gas
liefert erst der Ausdruck der Entropie, § 237.
§ 43. Wenn ein Gas oder ein Dampf den für ideale Gase
gültigen Gesetzen nicht folgt, mit anderen Worten: wenn es
eine von der Temperatur oder dem Druck abhängige spezifische
Dichte besitzt, so kann man dennoch die AvoGADEo'sche De-
finition § 39 des Molekulargewichts zur Anwendung bringen;
Molekulargewicht. 27
nur ergibt sich dann offenbar keine constante, sondern eine von
dem augenblicklichen Zustand abhängige Molekülzahl. Man
steht also hier Yor der Wahl, für diesen Fall entweder wirklich
eine veränderliche Molekülzahl anzunehmen, oder aber die
AvoGADEo'sche Definition für die Molekülzahl überhaupt nicht
anzuwenden, mit anderen Worten: die Ursache der Abweichung
von dem idealen Gaszustand entweder in chemischen oder in
physikalischen umständen zu suchen. Nach der letzteren An-
schauung bleibt die chemische Natur des Grases erhalten, also
die Moleküle auch bei veränderter Temperatur und verändertem
Druck dieselben, sie unterliegen nur einer complicirteren Zustands-
gieichung als der Boyle-Gay LussAc'schen, z. B. der van beb
WAAiiS'schen oder der CLAUsius'schen. Wesentlich davon ver-
schieden ist aber die andere Auffassung, nach welcher ein Gas,
das Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase zeigt, nichts
anderes ist als eine Mischung mehrerer verschiedener Molekül-
arten (bei Untersalpetersäure NgO^ und NOg, bei Phosphorpenta-
chlorid PClg, PClg und Clg), deren Volumen in jedem Augenblick
genau den durch die Gesammtzahl der Moleküle für eine
Mischung idealer Gase bestimmten Werth besitzt und sich bei
einer Aenderung der Temperatur und des Druckes nur deshalb
nicht wie bei einem idealen Gase ändert, weil durch gleichzeitige
chemische Umsetzungen die verschiedenartigen Moleküle zum
Theil ineinander übergehen und dadurch ihre Gesammtzahl
stetig ändern. Diese Anschauung hat sich am fruchtbarsten in
allen den Fällen erwiesen, wo es sich um bedeutende Aende-
rungen der Dichten handelt, um die sogenannten abnormen
Dampfdichten, und dies namentlich dann, wenn die spezifische
Dichte des Dampfes jenseits eines gewissen Temperatur- oder
Druck-Intervalls wieder constant wird. Dann ist nämlich die
chemische Umsetzung vollständig geworden und die Moleküle
verändern sich nicht mehr. So z. B, verhält sich Bromwasser-
stoffamylen sowohl unterhalb 160® als auch oberhalb 360® wie
ein ideales Gas, doch im letzteren Zustand mit halber Dichte,
entsprechend einer Verdoppelung der Molekülzahl:
C,H,,Br=C,H,o + HBr.
Sind aber die Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase
unbedeutend, so schiebt man sie gewöhnlich auf physikalische
Ursachen, wie bei Wasserdampf und Kohlensäure, und fasst sie
28 Qrundthataachen v/nd Definitionen,
als Vorboten der Condensation auf. Eine principielle Trennung
der chemischen von den physikalischen Einflüssen und damit
eine Vervollständigung der Definition des Molekulargewichts fllr
alle yariablen Dampfdichten lässt sich zur Zeit praktisch noch
nicht durchführen; so könnte man die Zunahme der spezifischen
Dichte, welche viele Dämpfe in der Nähe ihres Condensations-
punktes zeigen, ebensowohl chemischen Vorgängen zuschreiben,
nämlich der Bildung einzelner Doppelmolektile oder überhaupt
vielfacher Moleküle. In der That bestehen über diesen Punkt
noch öfters Meinungsverschiedenheiten, wie z. B. beim Molekular-
gewicht des Schwefeldampfes unterhalb 800^, das gewöhnlich zu
Sq = 192, von Einigen aber auch gemischt mit Molekülen Sg = 256
und Sg = 64, von Anderen noch anders angenommen wird. Im
Allgemeinen wird man in zweifelhaften Fällen am sichersten
gehen, die Frage einstweilen noch offen zu lassen und sowohl
physikalische als auch chemische Veränderungen als Ursache
der Abweichungen von den Gasgesetzen anzunehmen. Nur so-
viel — und dies ist ein wichtiger Punkt, von dem wir später
Gebrauch machen müssen — lässt sich mit Sicherheit behaupten,
dass bei geringen Dichten die physikaüschen Einflüsse hinter
den chemischen immer mehr zurücktreten werden. Denn nach
allen Erfahrungen nähern sich alle Gase mit abnehmender
Dichte dem idealen Zustand (§ 21).
III. Capitel. Wärmemenge.
§ 44. Taucht man zwei gleich schwere Stücke von Eisen
und von Blei, beide auf 100^ erhitzt, in zwei gehörig isolirte, ganz
gleiche Gefässe mit gleichviel Wasser von 0^ ein, und wartet
für jedes Gefäss den Zustand des Wärmegleichgewichts ab, so
zeigt das Gefäss mit dem Eisenstück eine bedeutend grössere
Temperaturerhöhung als das mit dem Bleistück. Umgekehrt
wird ein Wasserbad von 100^ durch ein Eisenstück von 0^ be-
deutend stärker abgekühlt, als durch ein gleich schweres Blei-
stück von 0®. Man unterscheidet daher zwischen Temperatur
und Wärmemenge und nimmt als Maass der von einem Körper
abgegebenen bez. aufgenommenen Wärmemenge diejenige Tem-
peraturerhöhung bez. -Erniedrigung, welche ein mit dem Körper
in Berührimg gebrachter Normalkörper (Wasser) erfährt, voraus-
Wärmemenge. 29
gesetzt, dass andere Ursachen der Temperaturänderung, wie Com-
pression, ausgeschlossen sind. Zugleich setzt man dabei die von
dem Körper abgegebene Wärmemenge gleich der von dem Normal-
körper aufgenommenen Wärmemenge bez. umgekehrt. (Weiteres
vgl. unten § 51). Aus dem oben beschriebenen Experiment folgt
dann, dass ein Eisenstück bei Abkühlung um ein bestimmtes
Temperaturintervall eine grössere (etwa die vierÜEiche) Wärme-
menge abgibt als ein Bleistück von gleichem Gewicht, und um-
gekehrt, dass das Eisen zu einer bestimmten Temperatur- Er-
höhung der Zufuhr einer entsprechend grösseren Wärmemenge
bedarf als das Blei.
§ 45. Als Wärmeeinheit galt früher allgemein diejenige
Wärmemenge, welche einem Gramm Wasser zuzuführen ist, um
es von 0® auf 1^ zu erwärmen (Nullpunktscalorie). Dieselbe
ist nahezu gleich derjenigen, welche 1 gr Wasser von be-
liebiger Temperatur um 1® erwärmt. Seitdem aber die calori-
metrischen Messungen sich soweit verfeinert haben, dass man
den Einfluss der Anfangstemperatur des Wassers berücksichtigen
muss, wird häufig auch die Calorie als diejenige Wärmemenge
definirt, welche 1 gr Wasser von mittlerer Zimmertemperatur
(15^ bis 20®) um 1® erwärmt Dieselbe ist etwa 1,006 mal kleiner
als die Nullpunktscalorie. Endlich spricht man auch von der
„mittleren Calorie*' als dem hundertsten Theil derjenigen Wärme-
menge, welche 1 gr Wasser von 0® auf 100® erwärmt, und
welche ungefähr ebensogross ist wie die Nullpunktscalorie. Jeder
dieser sogenannten ,Jdeinen'* Calorieen entspricht eine „grosse"
Calorie, welche sich auf 1 Kilogramm Wasser bezieht, also den
1000 fachen Werth hat.
§ 46. Das Verhältniss der von 1 gr eines Stoffes aufge-
nommenen Wärmemenge Q zu der durch sie bewirkten Tem-
peraturerhöhung &' -^ ß- := Aß- heisst die mittlere spezifische
Wärme oder die auf 1 gr bezogene mittlere Wärmecapacität
des Stoffes zwischen den Temperaturen & und &'\
Danach ist die mittlere spezifische Wärme des Wassers zwischen
0® und 1® gleich einer Nullpunktscalorie. Geht man zu unend-
lich kleinen Temperaturintervallen über, so erhält man die spe-
zifische Wärme des Stoffes bei der Temperatur xf-:
30 GrundthcUsachen und Definitionen,
Ö =0
welche im Allgemeinen mit der Temperatur veränderlich ist,
jedoch für die meisten Stoffe sehr langsam. Daher ist es ge-
wöhnlich gestattet, für die spezifische Wärme hei irgend einer
Temperatur die mittlere spezifische Wärme in einem henach-
harten massig grossen Temperaturintervall zu setzen.
§ 47. Bei festen Körpern und Flüssigkeiten ist die Wärme-
capacität nahezu unabhängig davon, ob die Erwärmung bei con-
stantem oder veränderlichem äusseren Druck vollzogen wird,
weshalb man bei der Definition der Wärmecapacität in der
Eegel keine besondere Bedingung hinsichtlich des Druckes hin-
zufügt Bei Gasen aber wird der Werth der Wärmecapacität
wesentlich davon beeinfiusst, unter welchen äusseren Umständen
die Erwärmung erfolgt; daher muss hier die Definition der
Wärmecapacität vervollständigt werden durch die Angabe dieser
äusseren Umstände. Als Wärmecapacität eines Gases schlecht-
hin gilt die Wärmecapacität bei constantem Atmosphärendruck,
welche der experimentellen Bestimmung am bequemsten zu-
gänglich ist.
§ 48. Die Reduktion der Wärmecapacitäten verschiedener
Stoffe auf die Masseneinheit ist ganz willkührlich und aus dem
Umstand entsprungen, dass sich verschiedene Mengen eines
Stoffes am bequemsten durch Wägen vergleichen lassen. Man
könnte z. B. ebensogut die Wärmecapacitäten auf die Volumen-
einheit beziehen. Am rationellsten ist aber die Vergleichung
solcher Gewichtsmengen verschiedener Stoffe, welche im Ver-
hältniss der Molekulargewichte bez. Atomgewichte stehen, weil
sich hier auf den ersten Blick gewisse Regelmässigkeiten er-
geben. Die so zu vergleichenden Grössen erhält man durch Mul-
tiplication der auf 1 gr bezogenen Wärmecapacität (der spezi-
fischen Wärme) mit dem Molekulargewicht bez. Atomgewicht,
und bezeichnet dann dies Produkt kurz als Molekül arwärme
bez. Atomwärme.
§ 49. Die Atomwärmen der chemischen Elemente erweisen
sich als nahezu constant = 6,4 (Dulong und Petit) und zwar
besonders für Elemente mit hohem Atomgewicht. Strenge Gültig-
keit kann dies Gesetz schon deshalb nicht beanspruchen, weil
die Wärmecapacität sowohl von der molekularen Constitution
Wärmemenge, 31
des Elementes (z. B. für Kohle) und dem Aggregatzustand
(z. B. für Quecksilber), als auch von der Temperatur abhängt,
und zwar letzteres bezeichnenderweise in besonders hohem
Grade bei denjenigen Stoffen (Kohle, Bor, Silicium), welche die
grössten Abweichungen von dem DuLONG-PETiT'schen Gesetze
zeigen. Daraus ist zu schliessen, dass diesem Gesetz ein allge-
meines Naturgesetz zu Grunde liegt, dessen genaue Formulirung
aber bis jetzt noch nicht gelungen ist.
§ 50. Wie die Atom wärmen der Elemente, so zeigen auch
die Molekularwärmen der Verbindungen, besonders solche, die
eine ähnliche chemische Constitution aufweisen, gewisse Regel-
mäßigkeiten. Nach dem Gesetz von F. Neümann, welches später
von Regnault bestätigt worden ist, haben chemisch ähnlich
zusammengesetzte Stoffe im festen Aggregatzustand gleiche
Molekularwärmen. Dieses Gesetz wurde von Joule und Wobsttn
noch weiter dahin ausgedehnt, dass die Molekularwärme einfach
die Summe der Atomwärmen ist, indem jedes Element in jeder
Verbindung die ihm eigenthümliche Atomwärme behält, mag sie
nun dem DuLONG-PETiT'schen Gesetz entsprechend = 6,4 sein
oder nicht Doch besitzt auch diese Beziehung nur angenäherte
Gültigkeit
§ 51. Da alle calorimetrischen Messungen gemäss der in
§44 gegebenen Definition immer nur die Beträge zugeführter
oder abgeleiteter Wärmemengen ergeben, so liefern sie durchaus
keinen Aufschluss über die Frage nach der Grösse der in einem
Körper von bestimmter Temperatur im Ganzen „enthaltenen"
Wärmemenge. Es würde nämlich widersinnig sein, die in einem
Körper von gegebener Temperatur, Dichte u. s. w. enthaltene
Wärmemenge etwa gleich der Anzahl der Calorieen zu setzen,
welche dem Körper zugeführt werden müssen, um ihn in den
betrachteten Zustand zu bringen, ausgehend etwa von einem
gewissen Normalzustand. Denn die Grösse dieser Zahl würde
ganz verschieden ausfallen je nach der Art und Weise, wie der
Körper aus dem einen in den andern Zustand gebracht wird.
tFm z. B. ein Gas von 0® unter Atmosphärendruck auf 100® und
lOfachen Atmosphärendruck zu bringen, kann man entweder so
verfahren, dass man das Gas zuerst bei constantem Atmosphären-
druck auf lÖO® erwärmt und dann bei constant gehaltener Tem-
peratur bis auf den lOfachen Druck comprimirt; oder man kann
82 OrundthcUaaohen und Definitionen.
das Gas zuerst bei 0^ isotherm bis zu 10 Atmosphären com-
pnmiren und dann isopiestisch auf 100^ erwärmen, oder maü
kann endlich Gompression und Erwärmung gleichzeitig in ganz
beliebig wechselndem Verhältniss vornehmen. In jedem aller
dieser unendlich vielfach verschiedenen Fälle erhält man als
Gesammtzahl der zugeführten Galorieen eine andere Grösse
(vgl. die im § 77 ausgeführte Berechnung von (J), so dass man
in diesem Sinne gamicht von einer bestimmten Wärmemenge
reden kann, die der Körper aufzunehmen hat, um aus dem alten
Zustand in den neuen zu kommen. Will man also die ,,ge-
sammte in einem Körper enthaltene Wärme^^ als eine zahlen--
massig bestimmbare Grösse in die Betrachtung einführen (wie
das z. B. in der kinetischen Wärmetheorie geschieht, wo die
in einem Körper enthaltene Wärme als die lebendige Kraft
seiner inneren Bewegungen aufgefasst wird), so hat man dieselbe
jedenfalls anders zu definiren als durch die Summation der
dem Körper zugeflihrten Wärmemengen. Wir werden aber im
Folgenden dieses Begriffes gamicht bedürfen und daher auch
keiue derartige Definition versuchen.
§ 52. Im Gegensatz zu der soeben geschilderten Sachlage
musste die ältere CAKNOT'sche Theorie der Wärme, die von der
Auffassung der Wärme als eines unzerstörbaren Stoffes ausging,,
mit Nothwendigkeit zu der Folgerung kommen, dass die in
einem Körper enthaltene Wärme lediglich bedingt ist durch die
Zahl der von Aussen aufgenommenen oder nach Aussen ab-
gegebenen Galorieen. Wird daher ein Körper auf andere Weise
als durch Zuleitung von Wärme, z. B. durch Gompression oder
durch Reibung, erwärmt, so blieb nach jener Theorie die im
Körper enthaltene Wärme durch einen solchen Vorgang ganz
ungeändert, und da doch thatsächlich eine höhere Temperatur
entsteht, so war nur die Annahme übrig, dass die Wärmecapacität
eines Körpers sich durch Gompression oder Keibung derartig
verkleinert, dass die nämliche Wärme in ihm eine bedeutend
höhere Temperatur hervorruft, ähnlich wie ein angefeuchteter
Schwamm durch Gompression noch feuchter erscheint, obwohl
die Menge der aufgesogenen Flüssigkeit dieselbe geblieben ist
Doch schon Eümfckd und Davy bewiesen durch direkte Ver-
suche, dass geriebene Kölner, in denen man doch durch ge-
hörigen Aufwand von Arbeit beliebig viel Wärme erzeugen kann^
Wärmemenge, 33
bei nachträglicher Untersuchung nicht die geringste Aenderung
ihrer Wärmecapacität zeigen. Auch hat zuerst Regnault durch
genaue Messungen festgestellt, dass die Wärmecapacität von
Gasen gamicht oder nur sehr wenig vom Volumen abhängt,
sich also auch durch Gompression nicht so stark verkleinern
kann, wie es für die Erklärung der Gompressionswärme nach
der CAENOT'schen Theorie nothwendig wäre. Endlich haben
W. Thomson und Joule durch sorgfältige Versuche gezeigt,
dass ein Gas, wenn es sich ohne Ueberwindung eines äusseren
Druckes ausdehnt, keine oder nur eine sehr kleine Temperatur-
änderung erfährt (§ 70), weshalb die gewöhnlich bei der Aus-
dehnung eines Gases beobachtete Abkühlung nicht der Volumen-
vergrösserung des Gases an sich, sondern der dabei geleisteten
Arbeit zuzuschreiben ist. Jedes dieser Resultate für sich allein
genommen genügt, um den Satz von der ünzerstörbarkeit der
Wärme zu widerlegen und so die Haltlosigkeit jener älteren
Wärmetheorie darzuthun.
§ 58. Während im Allgemeinen die Wärmecapacität sich
stetig mit der Temperatur ändert, gibt es für jede Substanz bei
bestimmtem äusseren Druck gewisse singulare Temperaturpunkte,
für welche mit anderen Eigenschaften auch die Wärmecapacität
unstetig wird. In diesen Punkten kommt eine von Aussen zu-
geführte Wärmemenge nicht mehr dem ganzen Körper zu Gute,
sondern nur einem Theil desselben, und dient ausserdem nicht zur
Erhöhung der Temperatur, sondern zur Veränderung des Aggregat-
zustandes, und zwar zum Schmelzen, Verdampfen oder Subümiren,
je nachdem die Substanz aus dem festen in den flüssigen, oder aus
dem flüssigen in den gasförmigen, oder aus dem festen in den gas-
förmigen Zustand übergeht Erst wenn der ganze Körper bei der
nämlichen Temperatur im neuen Aggregatzustand homogen ge-
worden ist, steigt bei weiterer Wärmezufuhr die Temperatur, und
es wird wieder eine Wärmecapacität definirbar. Die Wärmemenge,
welche nöthig ist, um 1 gr einer Substanz aus einem Aggregat-
zustand in einen andern zu bringen, heisst latente Wärme,
speziell Schmelz-, Verdampfungs- oder Sublimationswärme. Bei
der Rückkehr in den früheren Aggregatzustand wird der näm-
liche Betrag von Wärme wieder frei. Auch die latente Wärme
wird, ebenso wie die Wärmecapacität (§ 48), am zweckmässigsten
nicht auf die Masseneinheit, sondern auf das Molekulargewicht bez.
Planck, Thermodynamik. 3
34 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie,
Atomgewicht bezogen; ihr Betrag hängt übrigens wesentlich
mit ab von den äusseren Bedingungen, unter denen die Um-
waädlung vollzogen wird (§ 47), und von denen ein constant
gehaltener Druck die wichtigste ist,
•§ 54. Aehnlich wie eine Aenderung des Aggregatzustandes
ist auch jeder Mischungs- oder Lösungsvorgang, sowie jede
chemische Umwandlung im Allgemeinen von einer grösseren
oder geringeren, auch nach den äusseren Umständen veränder-
lichen, Wärmeentwicklung begleitet. Dieselbe wird als die
Wärmetönung des betr. Prozesses, speziell als Mischungs-, Lö-
sungs-, Verbindungs-, Dissociations- u. s. w. Wärme bezeichnet,
positiv, wenn Wärme frei oder entwickelt, d. h. nach Aussen
abgegeben wird (exothermische Vorgänge), negativ, wenn Wärme
gebunden oder absorbirt, d. h. von Aussen aufgenommen wird
(endothermische Vorgänge).
Zweiter Abschnitt.
Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie.
I. Capitel. Allgemeine Formullrung.
§ 55. Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie ist nichts an-
deres, als das Princip der Erhaltung der Energie, angewendet
auf die Erscheinungen, welche unter Wärme -Produktion oder
-Absorption verlaufen. Um einen allgemeinen deduktiven Beweis
dieses Princips zu finden, kann man zwei verschiedene Wege
einschlagen. Entweder: man stellt sich von vorneherein auf den
Boden der mechanischen Naturauffassung, d. h. man nimmt an,
dass alle Veränderungen in der Natur sich zurückfuhren lassen
auf Bewegungen materieller Punkte, zwischen denen Kräfte
wirken, die ein Potential haben. Dann ist das Energieprincip
einfach der aus der Mechanik bekannte Satz der lebendigen
Kraft, verallgemeinert auf behebige Naturvorgänge. Oder aber:
— und dieser Weg entspricht der hier eingehaltenen Darstellung —
man lässt die Frage nach der Reduktion der Naturvorgänge auf
AUgemeiThe FormuUrung. 35
Bewegangen ganz offen und geht allein aus von der durch jahr-
hundertelange menschliche Arbeit geprüften und in allen Fällen
stets aufs Neue bewährten Thatsache, dass es auf keinerlei Weise,
weder mit mechanischen, noch thermischen, noch chemischen,
noch anderen Apparaten möglich ist, ein perpetuum mobile zu
bauen, d. h. eine periodisch wirkende Maschine zu construiren,
durch welche fortdauernd Arbeit oder lebendige Kraft aus Nichts
gewonnen werden kann. Inwieweit dieser Erfahrungssatz für
sich allein genommen, ganz unabhängig von der mechanischen
Naturanschauung, dazu dienen kann, das Energieprincip in seiner
Allgemeinheit zu erweisen, soll jedoch an dieser Stelle nicht
näher untersucht werden, und zwar namentlich aus dem Grunde,
weil die Gültigkeit des Princips heutzutage wohl keinem ernsten
Widerspruch mehr begegnet. Anders wird es mit dem zweiten
Hauptsatz der Wärmetheorie sein, dessen Beweis bei dem heu-
tigen Stande der Forschung nicht leicht sorgfältig genug geführt
werden kann, da theils seine Allgemeingültigkeit noch mehrfach
bestritten, theils seine Bedeutung, auch von seinen Anhängern,,
noch recht verschieden beurtheilt wird,
§ 56. Die Energie eines Körpers oder Körpersystems ist
eine Grösse, welche von dem augenblicklichen Zustand abhängt,
in dem sich das System befindet. Um aber die Energie eines
Systems in einem gegebenen Zustand durch eine bestimmte Zahl
ausdrücken zu können, ist noch die Fixirung eines gewissen
„Normalzustandes*^ (z.B. 0® Geis,, Atmosphärendruck) desselben
Systems nothwendig, welche von vorneherein ganz nach WiUkühr
erfolgen kann. Dann ist die Energie des Systems in dem ge-
gebenen Zustand, bezogen auf den nach Willkühr fixirten Nor-
malzustand, gleich der „Summe der mechanischen Aequivalente
aller Wirkungen, die ausserhalb des Systems hervorgebracht
werden, wenn dasselbe auf irgend eine Weise aus dem gegebenen
Zustand in den Normalzustand übergeht". Man bezeichnet da-
her die Energie auch kurz als die dem System innewohnende
Fähigkeit, äussere Wirkungen hervorzubringen. Ob der Werth
der Energie je nach der Art des Ueberganges in den Normal-
zustand verschieden ausfällt, darüber enthält diese Definition
keine Aussage» Dagegen ist zu ihrer Vervollständigung noch
die Abgabe dessen nothwendig, was man unter dem mechanischen
Ae^Tliyftlent einer äusseren Wirkung zu verstehen hat.
86 Der erste Hauptsatz der Wärmetheori^,
§ 57. Wenn die äussere Wirkung mechanischer Natur ist^
wenn sie z. B. in der Hehung eines Gewichts oder in der üeher-
windung des Atmosphärefldrucks oder in der Erzeugung leben-
diger Kraft besteht, so ist das mechanische Aequivalent der
hervorgebrachten äusseren Wirkung einfach gleich der mecha-
nischen Arbeit, welche die von dem System ausgeübte Kraft an
dem äusseren Körper (Gewicht, Atmosphäre, Geschoss) leistet^
positiv, wenn die Verschiebung in der Richtung der vom System
ausgeübten Kraft erfolgt, also wenn das Gewicht gehoben, die
Atmosphäre zurückgedrängt, das Geschoss fortgeschleudert wird;
im entgegengesetzten Falle negativ.
Wenn aber die äussere Wirkung thermischer Natur ist,
wenn sie also etwa in einer Erwärmung der umgebenden Körper
(Atmosphäre, calorimetrische Flüssigkeit) besteht, so ist das
mechanische Aequivalent dieser äusseren Wirkung gleich der
Anzahl Calorieen, welche in den umgebenden Körpern die näm-
liche Erwärmung bewirkt, multiplicirt noch mit einer absoluten,
nur von den Maasseinheiten der Wärmemenge und der mecha-
nischen Arbeit abhängigen Constanten, dem sogenannten mecha-
nischen Wärmeäquivalent. Dieser Satz erscheint hier nur als
Definition, er gewinnt aber einen thatsächlichen, an der Er-
fahrung zu prüfenden Inhalt durch das Princip der Erhaltung
der Energie.
§ 68. Das Princip der Erhaltung der Energie besagt^
und zwar allgemein und ausschliesslich, dass die Energie eines
Systems in einem gegebenen Zustand, bezogen auf einen be-
stimmten Normalzustand, einen ganz bestimmten Werth hat;
oder mit anderen Worten, wenn wir den Wortlaut der Definition
der Energie § 56 hier substituiren, dass die Summe der mecha-
nischen Aequivalente aller Wirkungen, die ausserhalb des
Systems hervorgebracht werden, wenn dasselbe auf irgend eine
Weise aus dem gegebenen Zustand in den Normalzustand über-
geht, unabhängig ist von der Art des Ueberganges. Das System
verursacht also beim üebergang in den Normalzustand eine ganz
bestimmte Summe mechanisch gemessener Wirkungen, und diese
Summe — auch der „Arbeitswerth" der äusseren Wirkungen
genannt — stellt eben die Energie des Systems dar.
§ 59. Die Gültigkeit des Energieprincips in der Natur
lässt sich also an der Erfahrung dadurch prüfen, dass man ein
Allgemeine Formvlirung, 37
System aus einem bestimmten Zustand auf verschiedene Weisen
in einen zweiten, hier als Normalzustand zu bezeichnenden, Zu-
stand bringt und nun untersucht, ob die dabei jedesmal auf-
tretenden mechanischen Aequiyalente der äusseren Wirkungen
in allen Fällen die gleiche Summe ergeben. Dabei ist aber
besonders darauf zu achten, dass das System in allen verglichenen
Fällen auch wirklich von dem nämlichen Anfangszustand aus-
geht und in den nämlichen Endzustand übergeführt wird, und
dass von den äusseren Wirkungen keine übersehen und keine
doppelt in Anschlag gebracht wird.
§ 60. Als örste Anwendung besprechen wir die berühmten
Versuche von Joule. Derselbe verglich die äusseren Wirkungen,
die entstehen, wenn gewisse Gewichte beim Herabsinken um eine
gewisse Höhe einmal nur mechanische Arbeit hervorbringen
(z. B. Hebung einer Last), ein anderes Mal mittelst geeigneter
Vorrichtungen durch Reibung Wärme erzeugen. Hiebei kann
man die Anfangs- und die Endruhelage der Gewichte als ersten
und zweiten Zustand des Systems, die erzeugte Arbeit und die
erzeugte Wärme als äussere Wirkungen betrachten. Im ersten
Falle, wo durch das Herabsinken der Gewichte nur mechanische
Arbeit erzeugt wird, ist die Berechnung des mechanischen
Aequivalents der äusseren Wirkungen einfach und erfordert
keinen besonderen Versuch: es ist nach den Gesetzen der
Mechanik immer das Produkt der Schwere der Gewichte und
der durchfallenen Höhe. Im zweiten Falle ist eine genaue
Messung der Temperaturerhöhung erforderlich,, welche die ge-
riebenen umgebenden Körper (Wasser, Quecksilber) erleiden, so-
wie deren Wärmecapacität, um daraus die Anzahl Calorieen be-
stimmen zu können, welche in ihnen die nämliche Temperatur-
erhöhung bewirkt. Dabei kommt es natürlich gamicht darauf
an, welche Vorstellungen man sich über den Vorgang der Wärme-
erzeugung durch Reibung im Einzelnen macht, sowie über den
Verbleib der in den geriebenen Körpern erzeugten Wärme,
sondern einzig und allein darauf, dass der durch Reibung in
der betr. Flüssigkeit hervorgerufene Zustand identisch ist mit
einem, der durch Zuführung einer bestimmten Anzahl Calorieen
herbeigeführt werden kann.
Indem mm Joule die dem Fall der Gewichte entsprechende
mechanische Arbeit gleichsetzte dem mechanischen Aequivalent
38 Der erste Hauptsatx der Wärmetheorie.
der durch die Reibung erzeugten Wärme, wie sie durch die
Anzahl der gewonnenen Calorieen bestimmt wird, fand er, das&
das mechanische Aequivalent einer gr Calorie unter allen Um-
slÄnden gleich ist der Arbeit, welche durch die Hebung eines
Gramms um 423,55 ^ dargestellt wird. Dass sich bei allen
Versuchen mit verschiedenen Gewichten, Substanzen, Tempera-
turen, stets wieder diese nämliche Zahl ergibt, ist ein Beweis
für die Eichtigkeit des Princips der Erhaltung der Energie.
§ 61. Bei der Berechnung des mechanischen Wärme-
äquivalents im absoluten Maasse ist zunächst zu berücksichtigen^
dass die JouLE'sche Zahl sich auf Zimmertemperaturcalorieen
(§ 45) und auf die Angaben eines Quecksilberthermometers
bezieht. Bei Zimmertemperatur bedeutet aber P des Queck-
silberthermometers ein im Verhältniss von etwa 1 : 1,007 kleineres
Temperaturintervall als P des Gasthermometers; folglich hat
eine auf das Gasthermometer (§ 4) bezogene Calorie ein ent-
sprechend grösseres mechanisches Aequivalent, d. h. das Aequi-
valent 423,55-1,007 =427.
Ferner ist noch die Grösse der Beschleunigung der Schwere
zu berücksichtigen, da die Hebung eines Gramms um eine be-
stimmte Höhe an verschiedenen Orten im Allgemeinen ver-
schiedene Arbeiten darstellt. Der absolute Betrag der geleisteten
Arbeit wird erhalten durch Multiplication der Schwerkraft, also
des Produkts aus Masse und Beschleunigung der Schwere, mit
der Höhe. Hieraus ergibt sich mit Rücksicht auf die oben § 45
über die Grössenverhältnisse der verschiedenen Calorieen ge-
machten Angaben folgende Tabelle der Werthe des mechanischen
Wärmeäquivalents :
Wärmeeinheit
bezogen auf
Gasthermometer
Entsprechende Höhe
in™ der Hebung von 1 gr
an einem Orte mittlerer
geogr. Breite
Absoluter Werth
im C. G. S. System (Erg)
Zimmertemperaturcalorie
Nullpunktscalorie . .
427
430
419.10»
422-10'^
Die Zahlen der zweiten Columne entstehen aus denen der
ersten durch Multiplication mit 98100, entsprechend der Be-
schleunigung der Schwere 981 und der Beduktion von Metern
auf Centimeter. Die Resultate von Joule sind durch die neueren
Allgemeine Formulinmg. 39
sorgfältigen Messungen von Rowland u. A. im WesentUclieri be-
stätigt worden.
§ 62. Man kann die Kenntniss des mechaiiischen Wärme-
äquivalents benutzen I um Wärmemengen, anstatt in Calorieen,
direkt in Erg auszudrücken^ und erreicht dadurch den Vortheil,
dass eine Wärmemenge nicht nur proportional, sondern unmittel-
bar gleich ist ihrem mechanischen Aequivalent, wodurch sich
der mathematische Ausdruck der Energie vereinfacht. Diese
Einheit der Wärmemenge soll in den folgenden Gleichungen
überall angewendet werden; bei Zahlenrechnungen kann man
jeden Augenblick durch Division mit 419-10^ zu Calorieen zu-
rückkehren.
§ 68. Aus der oben gegebenen Formulirung des Energie-
princips ergeben sich sogleich einige weitere Sätze. Da die
Energie U durch den augenblicklichen Zustand des Systems be-
dingt ist, so wird sich ihr Werth ändern, sobald der Zustand
sich ändert. Um den Betrag der Energieänderung zu finden,
die eintritt, wenn das System aus einem Zustand (1) in einen
anderen Zustand (2) übergeht, und die durch die Differenz
C7j — U^ bestimmt wird, hat man nach der Definition der Energie
den Arbeitswerth {§ 58) aller äusseren Wirkungen zu messen,
welche beim üebergang des Systems, einmal aus dem Zustand 1,
das andere Mal aus dem Zustand 2, in den Normalzustand ein-
treten, und diese Beträge, welche die Werthe von ü^ und ü^
darstellen, voneinander zu subtrahiren. Denkt man sich nun
den ersten dieser beiden Uebergänge so eingerichtet, dass er
das System aus dem Zustand 1 durch den Zustand 2 hindurch
in den Normalzustand bringt, so erhellt, dass als gesuchte
Differenz nur der Arbeitswerth derjenigen äusseren Wirkungen
übrig bleibt, welche dem üebergang des Systems aus 1 in 2
entsprechen. Daher ist C^i — ü^, d. h. die Energieabnahme
eines Systems bei irgend einer Veränderung gleich dem Arbeits-
werth der äusseren Wirkungen, welche bei dieser Veränderung
hervorgebracht werden, oder, was dasselbe bedeutet, die Energie-
zunahme des Systems bei irgend einer Veränderung ist gleich
dem Arbeitswerth der bei dieser Veränderung aufgewendeten
oder verbrauchten äusseren Wirkungen:
C^2 - ^1 = + ^ (17)
wo Q das mechanische Aequivalent der ausserhalb des Systems
40 Ber erste Hauptsatz der Wärmetheorie,
verschwundenen, etwa dem System durch Leitung zugeführten
Wärme, A den Betrag der von Aussen auf das System ausge-
übten Arbeit bezeichnet, positiv, wenn die Veränderung im Sinne
der von Aussen auf das System wirkenden Kräfte erfolgt. Man
kann die Summe Q +A auch den Arbeitswerth aller von den
umgebenden Körpern auf das System ausgeübten thermischen
und mechanischen Einwirkungen nennen. In diesem Sinne
werden wir die Grössen Q und Ä stets benutzen.
Der Werth von Q + A hängt nicht von der Art des üeber-
ganges aus 1 in 2 ab, und offenbar auch nicht von der Wahl
des Normalzustandes des Systems; daher ist es, solange es sich
nur um Energiedifferenzen eines und desselben Systems handelt,
gamicht nöthig, den Normalzustand besonders zu fixiren. Dann
bleibt in dem Werth der Energie selber eine additive Constante
unbestimmt.
§ 64. Die Differenz ü^ — U^ lässt sich auch auffassen als
die Energie des Systems im Zustand 2, bezogen auf den Zu-
stand 1 als Normalzustand. In der That: nimmt man 1 als
Normalzustand, so ist U^ = 0, weil es dann überhaupt keiner
Veränderung bedarf, um das System aus dem Zustand 1 in den
Normalzustand zu bringen, und es wird U^ -^ ü^ = U^, Daher
wird der Normalzustand manchmal auch Nullzustand genannt.
§ 65. Wenn der Zustand 2 mit dem Zustand 1 identisch
gewählt wird, so macht das System beim Uebergang von 1 zu
2 einen sogenannten „Kreisprozess" durch. Dann ist ü^ = U^
und daher aus (17):
(18) = + ^
d. h. bei einem Kreisprozess ist der Arbeitswerth aller äusseren
Wirkungen gleich Null, oder mit anderen Worten: Die äussere
Wärme ist der äusseren Arbeit gleich und entgegengesetzt.
Durch diesen Satz ist die Construction eines thermodynamischen
perpetuum mobile, das nothwendig periodisch wirkende Maschinen,
also Kreisprozesse voraussetzt, ausgeschlossen.
§ 66. Wenn bei einer Zustandsänderung des Systems
garkeine äusseren Wirkungen aufgewendet werden (Q = 0,A = 0)
so bleibt nach (17) die Energie constant (Erhaltung der Energie).
Dabei können die einzelnen Grössen, welche den Zustand des
Systems bedingen, sich erheblich ändern, sie unterliegen aber
stets der Bedingung U = const
Awuoendungen, auf homogene Systeme, 41
Ein solches System, welches sich verändert, ohne dabei
äusseren Einwirkungen zu unterliegen, heisst auch ein „voll-
stiLndiges'^ System. Streng genommen gibt es in der Natur gar-
kein vollständiges System, weil sämmtliche materielle Körper
des Weltalls in steter Wechselwirkung miteinander stehen, und
insofern kann man den Satz von der „Erhaltung^' der Energie
auf kein wirkliches System strenge anwenden. Doch ist es
wichtig zu bemerken, dass man durch passende Wahl des
Systems die äusseren Wirkungen^ die bei einer bestimmten ins
Auge gefassten Veränderung auftreten, im Vergleich zu den
Energieänderungen der einzelnen Theile des Systems so klein
machen kann, als man nur immer will. Man kann nämlich
offenbar jede äussere Wirkung dadurch eliminiren, dass man
nicht nur die Körper, auf welche die Wirkung ausgeübt wird,
sondern auch diejenigen, von welchen dieselbe ausgeht, mit in
das betrachtete System hineinbezieht. Wenn z. B. ein Gas
durch ein sinkendes Gewicht comprimirt wird, so wird dabei
auf das Gas, als System gedacht, durch die von dem Gewicht
geleistete Arbeit eine gewisse Wirkung von Aussen her ausgeübt
und die Energie des Systems demgemäss vergrössert. Sobald
man aber das Gewicht und die Erde mit in das betrachtete
System hineinbezieht, lallt jede äussere Wirkung fort, und die
Energie des neuen Systems bleibt constant. Dafür enthält aber
der Ausdruck der Energie jetzt ein neues Glied: die potentielle
Energie des Gewichts, deren Aenderung durch die der inneren
Energie des Gases gerade compensirt wird. Ebenso kann man
in allen anderen Fällen verfahren.
II. Capitei. Anwendungen auf homogene Systeme.
§ 67. Wir wenden nun den ersten Hauptsatz, wie er in
der Gleichimg (17) ausgesprochen ist, zunächst auf eine homogene
Substanz an, deren Zustand, ausser durch ihre chemische Natur
und durch die Masse if, durch 2 Variable, etwa die Temperatur
& und das Volumen F, bestimmt ist. Dabei gebrauchen wir
hier wie auch überall im Folgenden das Wort „homogen*'
schlechthin im Sinne von „physikalisch homogen", d. h. wir nennen
homogen jedes System, welches sich auch in seinen kleinsten
noch wahrnehmbaren Raumtheilen als vollständig gleichartig er-
42 Der erste Hauptsatz der Warmetkeorie,
weist. Es kommt hier nicht darauf an, ob die Substanz auch
chemisch homogen ist, d. h. ob sie aus lauter gleichartigen
Molekülen besteht^ auch nicht darauf, ob sie im Laufe der mit
ihr vorzunehmenden Zustandsänderungen chemische Umsetzungen
erfährt, wie das ?. B. bei einem Dampfe eintritt, der sich bei
Erwärmung theilweise dissociirt, sondern nur darauf, dass der
homogene Zustand durch Temperatur und Volumen eindeutig be-
stimmt ist. Wenn die Substanz ruht, so besteht die ganze
Energie dieses Systems aus der sogenannten „inneren" Energie
U, die nur von der inneren, durch Temperatur und Dichte be-
dingten, Beschaffenheit der Substanz und von ihrer Masse ab-
hängt, welch letzterer sie offenbar proportional ist Im andern
Falle tritt in dem Ausdruck der Gesammtenergie zu der inneren
Energie U noch die lebendige Kraft der Bewegung hinzu, deren
Werth aus der Mechanik bekannt ist.
Um die Abhängigkeit der inneren Energie U von & und V
festzustellen, muss man das System auf irgend eine Weise in
einen anderen Zustand bringen und die dazu erforderlichen
äusseren Wirkungen berechnen. Dann liefert die Gleichung (17)
die eingetretene Aenderung der Energie.
§ 68. Lässt man ein Anfangs in Ruhe und auf gleich-
massiger Temperatur befindliches Gas (Zustand 1) aus einem
Gefäss in ein anderes vorher evakuirtes Gefäss ausströmen, etwa
durch Aufdrehen eines Verschlusshahnes, so werden sich bei
diesem Vorgang innerhalb des Gases zunächst eine Reihe von
verwickelten mechanischen und thermischen Veränderungen voll-
ziehen. Der ausströmende Tbeil des Gases wird in schnelle
Bewegung gerathen, später beim Anprall gegen die Wände des
zweiten Gelasses und bei der Compression durch die nachstürzenden
Massen sich erwärmen, der im ersten Gefäss zurückbleibende
Theil wird sich durch Ausdehnung abkühlen u. s. w. Nimmt
man nun an, dass die Wände beider Gefässe absolut fest sind
und die Wärme absolut nicht leiten, und bezeichnet irgend einen
nach beliebiger Zeit eingetretenen Zustand des Gases mit 2, so
ist nach Gleichung (17) die Gesammt-Energie des Gases im
zweiten Zustand gleich der im ersten Zustand: ü^, weil auf das
Gas weder thermische noch mechanische Einwirkungen von
Aussen stattgefunden haben. Denn auch die von den festen Wänden
vermöge ihres Widerstandes ausgeübte Kraft leistet keine Arbeit.
Anwe/ndungen auf homogene Systeme, 43
Im Allgemeinen setzt sich die Energie im zweiten Zustand aus
vielen Theilen zusammen, nämlich erstens aus den lebendigen
Kräften der Bewegungen aller einzelnen Gastheilchen und
zweitens aus ihren inneren Energieen, wobei jedes hinreichend
klein genommene Theilchen als homogen und von gleichmässiger
Temperatur und Dichte betrachtet werden kann. Wartet man
aber so lange, bis wieder vollständig Ruhe und thermisches
Gleichgewicht eingetreten ist, und bezieht den Index 2 auf den
neuen Gleichgewichtszustand, so besteht die Gesammtenergie im
zweiten Zustand ebenso wie die im ersten nur aus der inneren
Energie ü^y und man hat: ü^= ü^. Nun sind aber die Variabein
& und F, von denen TJ abhängig ist, von den Werthen &^ , T\
auf die Werthe &2 , V^ übergegangen, wobei V^ > V^ ; man
kann also hieraus durch Messung der Temperaturen und Volu-
mina feststellen, wie sich mit verändertem Volumen die Tem-
peratur ändert, falls die innere Energie ü constant bleibt.
§ 69. Einen derartigen Versuch hat Joule ausgeführt
und dabei gefanden, dass für ideale Gase &2 = ^i- Er stellte
nämlich die beiden Gefässe, von denen das eine Anfangs etwa
mit Luft unter hohem Druck gefüllt, das andere evakuirt war,
in ein gemeinsames Wasserbad von der nämlichen Temperatur
und fand nach Vollendung des oben beschriebenen Ausflusses
und Herstellung des Gleichgewichts die im Wasserbad einge-
tretene Temperaturänderung unmessbar klein. Daraus folgt so-
gleich, dass auch bei thermisch isolirenden Gefässwänden die
Endtemperatur der ganzen Gasmenge gleich der Anfangstem-
peratur ist; denn sonst würde sich bei dem ausgeführten Ver-
such die Temperaturänderung dem Wasserbade mitgetheilt haben.
Wenn also die innere Energie eines nahezu idealen Gases
bei stark verändertem Volumen constant bleibt, so bleibt auch
die Temperatur nahezu constant, oder mit anderen Worten: Die
innere Energie eines idealen Gases hängt nur von der Temperatur
und nicht vom Volumen ab.
§ 70. Damit indessen dieser wichtige Schluss bündig er-
scheint, sind noch genauere Messungen nothwendig. Denn bei dem
beschriebenen JouLE^schen Versuch ist die Wärmecapacität des
Gases gegen die der Gefässwände und des Wasserbades so klein,
dass es schon einer sehr beträchtlichen Temperaturänderung des
Gases bedurft hätte, um eine merkliche Temperaturänderung des
44 Der erste Hauptsatz der Wärmeiheorie.
Wassers hervorzurufen. Zuverlässigere Eesultate liefert eine wesent-
liche Modification des Verfahrens, welche von W. Thomson (jetzt
Lord Kelvin) ersonnen und von ihm in Gemeinschaft mit Joule
zu sorgfältigen Messungen benutzt worden ist; sie beruht darauf,
dass man das Gas durch künstliche Verlangsamung des Aus-
flusses unmittelbar in den zweiten Gleichgewichtszustand über-
führt und dann die Temperatur &^ direkt im Gase misst. Es
strömt hierbei nicht eine begrenzte Gasmasse tumultuarisch in
ein Vakuum ein, sondern das Gas wird in einem unbegrenzten
stationären Strom verhältnissmässig langsam aus einem Raum
höheren Druckes p^ in einen Baum niedrigeren Druckes p^ (die
Atmosphäre) übergeführt, indem es durch eine Röhre von Buchs-
baumholz, welche an einer Stelle mit einem schwer durchlässigen
Pfropfen von Watte oder gezupfter Seide verstopft ist, hindurch-
gepresst wird. Was zunächst die Messungsresultate betriflft, so
ergeben sie bei stationär gewordenem Zustand für Luft eine
sehr kleine, für Wasserstoff eine noch sehr viel kleinere, kaum
messbare Temperaturänderung des Gases, weshalb man zu dem
Schluss berechtigt ist, dass für ein ideales Gas die Temperatur-
änderung ganz verschwindet
Hieraus lässt sich nun ein Schluss auf die innere Energie
idealer Gase ziehen. Wenn nach Eintritt des stationären Zu-
standes eine gewisse Masse des Gases vollständig hindurchgepresst
ist, so hat diese Masse beim Uebergang von dem Volumen Fj
auf das grössere Volumen V^ im Ganzen gewisse Einwirkungen
von Aussen erfahren, deren mechanisches Aequivalent Q+Ä
aus den in der Umgebung eingetretenen Aenderungen zu be-
rechnen ist. Der Pfropfen behält seinen Zustand unverändert
bei, er und die Vorgänge in ihm können also ganz ausser Be-
tracht gelassen werden. Li der äusseren Umgebung findet keine
Temperaturänderung statt; denn das Holz der Röhre leitet die
Wärme so gut wie gamicht von oder nach Aussen; daher ist
= 0. Die Arbeit endlich, welche auf das Hindurchpressen
unter dem constanten Druck p-^ verwendet worden ist, und welche,
wie leicht einzusehen, durch das Produkt p^ V^ dargestellt wird,
ist für ein ideales Gas nach dem BoYLE'schen Gesetz gerade
gleich derjenigen Arbeit jOg Fg, welche auf der anderen Seite
beim Zurückschieben des kleineren Druckes p^ durch das grössere
Volumen V^ bei der nämlichen Temperatur wieder gewonnen
Anwendungen auf homogene Systeme. 45
worden ist. Daher ist auch die Summe der von Aussen her
ausgeübten Arbeiten: Ä = und nach Gleichung (17) C^ = C^,
Da aber nach den mitgetheilten Messungen die Temperatur
wesentlich constant geblieben ist, während das Volumen sich
sehr beträchtlich verändert hat, so kann die innere Energie
eines idealen Gases nur von der Temperatur abhängen und nicht
vom Volumen, d. h.
/^ TT\
(19)
M =0
Für nahezu ideale Gase, wie es Wasserstoff, Luft u. s. w. that-
sächUch sind, ergibt die gemessene Temperaturänderung einen
Aufschluss über die Abhängigkeit der inneren Energie vom
Volumen. Doch gehört hiezu auch noch die Berücksichtigung
des ümstandes, dass bei solchen Gasen die äussere Arbeit
nicht verschwindet und daher auch die innere Energie nicht
constant bleibt. Näheres darüber s. unten § 158.
§ 71. Von besonderer theoretischer Wichtigkeit sind die-
jenigen thermodynamischen Prozesse, welche, wie man sagt, un-
endlich langsam verlaufen und daher aus lauter Gleichgewichts-
zuständen bestehen. Wörtlich genommen ist zwar diese Aus-
drucksweise undeutlich, da ein Prozess nothwendig Veränderungen,
also Störungen des Gleichgewichts zur Voraussetzung hat. Aber
man kann diese Störungen, wenn es nicht auf die Schnelligkeit»
sondern nur auf das Resultat der Veränderungen ankommt, so
klein nehmen wie man irgend will, namentlich auch beliebig
klein gegen die übrigen Grössen, welche im Zustand des be-
trachteten Systems eine Rolle spielen. So kann man ein Gas
sehr langsam um einen beliebig grossen Bruchtheil seines
Volumens comprimiren, indem man den äusseren Druck in jedem
Augenblick nur um ein äusserst Geringes grösser macht als den
Druck des Gases, und man begeht, wenn es sich um die Grösse
des äusseren Druckes handelt, z. B. bei Berechnung der zu einer
bestimmten endlichen Compression aufgewendeten Arbeit, nur
einen sehr kleinen Fehler, wenn man statt des äusseren Druckes
den Druck des Gases setzt. Beim üebergang zur Grenze ver-
schwindet auch dieser kleine Fehler, d. h. bei „unendlich lang-
samer** Compression wird das so gewonnene Resultat strenge richtig.
Das Gesagte gilt sowohl für eine Compression bei con-
46 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie,
stantem, als auch für eine solche bei veränderlichem Druck.
Im letzteren Falle muss man dem äusseren Druck, etwa durch
Hinzufiigung oder Fortnahme kleiner Gewichtsstücke, in jedem
Augenblick gerade die erforderliche Grösse ertheilen. Dies kann
durch manuelle Eingriffe (Abschieben der Gewichtsstücke nach
der Seite) oder durch eine besondere Regulirungsvorrichtung
geschehen, welche nur auslösend wirkt und daher ohne Arbeits-
leistung funktionirt.
§ 73. Ebenso wie bei der äusseren Arbeit ist es mit der
Zuleitung öder Ableitung von Wärme. Wenn es sich nicht um
die Zeit, sondern nur um den Betrag der Wärmemenge handelt,
welche das System aus der Umgebung empfangen oder dahin
abgegeben hat, so genügt es, die Temperatur der verwendeten
Wärmequelle um einen beliebig kleinen Werth grösser oder
kleiner als die Temperatur des Systems anzunehmen, je nach-
dem die Wärme zu- oder abgeleitet werden solL Dieser kleine
üeberschuss bestimmt lediglich die Richtung des Prozesses, seine
Grösse kommt aber nicht in Betracht gegen die ganze durch
den Prozess schliesslich herbeigeführte Veränderung des Systems.
Daher spricht man, wie von der Compression eines Gases durch
einen äusseren Druck, der dem Druck des Gases gleich ist, so
auch von dem Wärmeübergang von einem Körper zu einem
andern von der nämlichen Temperatur, und anticipirt damit
nur das Resultat, das sich aus dem Grenzübergang von einer
endlichen kleinen zu einer unendlich kleinen Temperaturdifferenz
beider Körper ergibt.
Auch hier sind nicht nur isothermische Vorgänge, sondern
auch solche von variabler Temperatur mit einbegriffen. Für
letztere kommt man freilich mit einem einzigen Wärmebehälter
von constanter Temperatur nicht aus, sondern man bedarf ent-
weder eines Körpers von willkührlich veränderlicher Temperatur,
also etwa eines Gases, das man durch zweckmässige Compression
öder Ausdehnung beliebig erwärmt oder abkühlt, oder man ver-
wendet eine hinreichend grosse Zahl von Wärmebehältem ver-
schiedener bestimmter Temperaturen und setzt in jedem Augen-
blick gerade denjenigen in Funktion, welcher der gleichzeitigen
Temperatur des Systems möglichst nahe liegt.
§ 73. Die hohe Bedeutung dieser Betrachtungsweise be-
steht darin, dass man jeden „unendlich langsamen" Prozess auch
Anw&ndv/ngen auf homogene Systeme, 47
in entgegengesetzter Richtung ausgeführt denken kann. Besteht
nämlich ein Prozess bis auf minimale Abweichungen aus lauter
Gleichgewichtszuständen, so genügt oflfenbar immer eine ebenso
minimale passend angebrachte Aenderung, um ihn in entgegen-
gesetzter Richtung ablaufen zu lassen, und diese minimale
Aenderung kann durch einen Grenzübergang ebenso ganz zum
Verschwinden gebracht werden. Denn ein bestimmtes Resultat
enthält immer auch einen ganz bestimmten Fehler, und wenn
dieser Fehler kleiner ist als jede noch so klein angenommene
Grösse, so ist er nothwendig gleich Null.
§ 74. Wir gehen nun über zur Anwendung des ersten
Hauptsatzes auf einen solchen aus lauter Gleichgewichtszuständen
zusammengesetzten und daher umkehrbaren Prozess. Derselbe
lässt sich in einfacher Weise graphisch versinnlichen, dadurch
dass die Reihe der nacheinander durchlaufenen Gleichgewichts-
zustände des Systems als Curve in eine Coordinatenebene ein-
getragen wird, auf deren Axen die Werthe der unabhängigen
Variabein gemessen werden. Wir wollen als unabhängige Variable
zunächst das Volumen V (Abscissenaxe) und den Druck p
(Ordinatenaxe) anwenden. Dann entspricht jedem Punkt der
Ebene ein bestimmter Zustand der von bestimmter Natur und
Masse angenommenen Substanz, und jeder Curve eine bestimmte
Reihe von stetig aufeinanderfolgenden Zustandsänderungen der-
selben. Denken wir uns also einen umkehrbaren Prozess, der
die Substanz aus einem Zustand 1 in einen Zustand 2 bringt,
so wird er durch eine Curve cc bezeichnet, die vom Punkt 1
zum Punkt 2 geht (Fig. 2). Dann ist nach Gleichung (17) die
Zunahme der Energie der Substanz:
wobeie die gesammte angewendete äussere Arbeit, die im
Ganzen von Aussen zugeführte Wärme bedeutet.
§ 75. Der Werth von Ä lässt sich unmittelbar berechnen.
Zunächst setzt sich A durch algebraische Addition aus den
Elementararbeiten zusammien, welche während der aufeinander-
folgenden unendlich kleinen, den einzelnen Bogenelementen der
Curve a entsprechenden Veränderungen der Substanz von Aussen
her auf dieselbe ausgeübt werden. Da nun der äussere Druck
wegen der angenommenen ümkehrbarkeit des Prozesses in jedem
Augenblick gleich dem der Substanz p zu setzen ist, so ist die
48
D&r erste Hav^taatx der Wärmeiheorie,
von den äusseren Kräften bei einer unendlich kleinen Ver-
änderung geleistete Arbeit, wie in der Hydrodynamik gezeigt
wird, einfach gleich dem Produkte des Druckes j? und der
Volumenverminderung, unabhängig von der geometrischen Form
der Oberfläche der Substanz, also = ^pdV, und mithin die
während des ganzen Prozesses geleistete äussere Arbeit:
2
(20) Ä^-^JpdV
1
wobei die Integration über die Curve a vom Punkt 1 bis zum
Punkt 2 zu erstrecken ist. Wenn p positiv, wie bei Gasen, und
Fg > Fj, wie in der Fig. 2, so ist Ä negativ.
«F
Fig. 2.
Um die Integration ausführen zu können, bedarf es der
Kenntniss der Abhängigkeit des Druckes p vom Volumen F, d. h.
der Kenntniss der Curve a. Solange nur die Punkte 1 und 2,
nicht aber die sie verbindende Curve gegeben ist, hat das Inte-
gral garkeinen bestimmten Werth. Erfolgt z. B. der Uebergang
von 1 zu 2 auf einer andern Curve /9, so fallt das Integral ganz
anders aus. Daher ist, wie man sagt, das Differential pdV ein
„unvollständiges" Differential. Mathematisch betrachtet rührt
dieser Umstand daher, dass p ausser von F im Allgemeinen
noch von einer anderen Variabein, der Temperatur &^ abhängt,
Anwendungen auf homogene Systeme, 49
die sich auf dem Integrationswege a in gewisser Weise mit-
ändem wird. Solange nun a nicht gegeben ist, lässt sich auch
nichts über die Abhängigkeit des d- von der Integrationsvariabein
V aussagen und die Integration daher nicht ausführen.
Die äussere Arbeit Ä hat in der Fig. 2 eine sehr anschau-
liche Bedeutung. Sie ist offenbar gleich dem negativ genom«
menen Flächeninhalt der ebenen Figur, welche durch die Curve
a, die Abscissenaxe und die Ordinaten in den Punkten 1 und
2 begrenzt wird. Auch hieraus erkennt man, dass der Werth
von Ä wesentlich durch den Verlauf der Curve a bedingt ist.
Nur für unendlich kleine Zustandsänderungen, d. h. wenn die
Punkte 1 und 2 einander unendlich nahe liegen und somit a
auf ein Curvenelement zusammenschrumpft, ist Ä durch den
Anfangs- und Endpunkt der Curve allein schon bestimmt.
§ 76. Die zweite der Messung zugängliche Grösse ist die
von Aussen zugeführte Wärme 0, welche durch eine calori-
metrische Bestimmung zunächst in Calorieen, und durch Multi-
plication mit dem mechanischen Wärmeäquivalent auch in
mechanischen Einheiten ausgedrückt werden kann. Fragen wir
nun nach der theoretischen Bestimmung der zugeleiteten Wärme 0.
Auch sie setzt sich, wie die äussere Arbeit A, durch alge-
braische Summation zusammen aus den unendlich kleinen Wärme-
mengen, welche während der den einzelnen Curvenelementen
entsprechenden Elementarprozesse dem Körper zugeführt werden.
Doch lässt sich eine solche Elementarwärme nicht, wie die
gleichzeitige Elementararbeit, unmittelbar aus der Lage des
Curvenelementes berechnen. Man kann zwar, um eine Analogie
mit dem Ausdruck der Elementararbeit — p dV zu schaffen, die
Elementarwärme etwa gleich dem Produkt der unendlich kleinen
durch sie bewirkten Temperaturerhöhung c^i?* und einer im All-
gemeinen endlichen Grösse G, der Wärmecapacität, setzen ; aber
dann hat die Grösse G im Allgemeinen keine bestimmte Bedeutung.
Denn sie hängt nicht, wie der Faktor p in dem Ausdruck der
Elementararbeit, allein von dem augenblicklichen Zustand der
Substanz, also von der Lage des betr. Curvenpunktes ab, son-
dern zugleich auch von der Sichtung des Curvenelements. Für
eine isotherme Aenderung ist G offenbar ± oo, weil dann d i9-=0,
während die zugeleitete Wärme positiv oder negativ sein kann.
Für eine „adiabatische" Aenderung ist (7=0, weil dann die zu-
PI.ANOK, ThermodyDamik. ^
50 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie.
geleitete Wärme gleich Null ist, während die Temperatur sich
beliebig ändern kann. G kann also, im Gegensatz zu p, für
einen und denselben Punkt alle möglichen Werthe zwischen
+ 00 und — 00 haben (vgL § 47). Aus diesem Grunde ist die
durch die Zerlegung der zugeleiteten Wärme in die beiden
Faktoren d & und G ge&uchte Analogie mit der äusseren Arbeit
in einem wesentlichen Punkte unvollständig, und führt im allge-
meinen Falle nicht zu einer Vereinfachung des behandelten
Problems. Dasselbe gilt von einer anderweitigen Zerlegung der
zugeführten Wärmemenge in zwei Faktoren (i^- und dS, § 12ü),
die nur für ganz spezielle Fälle richtig ist und daher eben-
falls keine allgemeine Eigenschaft der zugeführten Wärme
darstellt.
§ 77. Wenn sich somit der Werth der zugeleiteten Wärme
Q im Allgemeinen nicht von vorneherein bestimmen lässt, so ge-
stattet andrerseits die Gleichung (17) des ersten Hauptsatzes
einige wichtige Schlüsse auf diese Grösse. Zunächst ergiebt
sich aus ihr, wenn man den gefundenen Werth (20) von Ä
substituirt:
2
(21) = Kj- U,+fpdV.
1
Daraus erkennt man, dass der Werth von Q nicht allein durch
die Punkte 1 und 2, sondern auch, ebensowie Ä, durch den
Verlauf der sie verbindenden Curve, cc oder ß, bedingt wird.
Mit diesem Satze ist die CARNOT'sche Theorie der Wärme un-
vereinbar, was schon oben (§§ 51. 52) ausführlich dargelegt
wurde.
§ 78. Vollständig berechnen lässt sich Q für den Fall,
dass die Substanz schliesslich wieder in ihren Anfangszustand 1
zurückgebracht wird, also einen Kreisprozess durchmacht. Dies
kann z. B. dadurch geschehen, dass man sie zuerst auf dem
Wege a in den Zustand 2, und dann auf dem Wege ß wieder
in den Zustand 1 überführt. Dann ist, wie überhaupt bei Kreis-
prozessen, nach (18), § 65
0= -A
Die gesammte äussere Arbeit ist:
1
A^^fpdV,
Anwefndungen auf homogene Systeme, 51
wobei das Integral über die geschlossene Curve 1 e^ 2 /9 1 zu
erstrecken ist. A stellt offenbar zugleich den Inhalt des von
dieser Curve umschlossenen Flächenstücks vor, positiv, wenn der
Ereisprozess in der durch den Pfeil Fig. 2 angegebenen Richtung
vor sich geht.
§ 79. Im Folgenden wollen wir uns näher mit dem spe-
ziellen Fall beschäftigen, dass die für die Zustandsänderung
charakteristische Curve a in ein Element zusammenschrumpft
und somit die Punkte 1 und 2 sich unendlich nahe liegen.
Dann erhält Ä den Werth — pdVj die Energieänderung den
Werth dUf und in Folge dessen die von Aussen zugefährte
Wärme nach (21) den Werth ^) ,
Q^dü + pdV.
Auf die Masseneinheit der Substanz bezogen lautet diese
Gleichung
q =^ du + pdv, (22)
wenn die Quotienten von 0, U und V durch die Masse M mit
den entsprechenden kleinen Buchstaben bezeichnet werden. Für
die folgenden Rechnungen empfiehlt es sich öfter, die Temperatur
& als unabhängige Variable zu benutzen, entweder neben v oder
neben jp. Wir werden die unabhängigen Variabein jedesmal im
Interesse der möglichsten Einfachheit wählen und überall da,
wo Verwechslungen möglich sind, den Sinn der Differentiation
besonders markiren.
Nun wenden wir die letzte Gleichung auf die wichtigsten
umkehrbaren Vorgänge an.
§ 80. Wie schon wiederholt angeführt wurde, kann man
die spezifische Wärme einer Substanz in ganz verschiedener
Weise definiren, je nach der Art, in welcher man sich die Er-
wärmung vorgenommen denkt. In jedem Falle hat man für die
spezitische Wärme nach § 46 und nach (22):
q du . dv ,oQ\
*) Nach Clausius' Vorgang wird dieser Ausdruck gewöhnlich, um
seine unendliche Kleinheit anzudeuten, mit d Q bezeichnet. Dies hat jedoch
nicht selten zu dem Missverständniss Anlass gegeben, als ob die zugeleitete
Wärme das Differential einer bestimmten endlichen Grösse Q wäre. Daher
bleiben wir bei der obigen Bezeichnung stehen. Einige Autoren be-
nutzen auch, um das genannte Missverständniss auszuschliessen, die Be-
zeichnung d^Q,
52
Der erste Hauptsatz der Warmetheorie,
Damit nun die Differentialquotienten einen bestimmten Sinn
haben, ist noch eine willktihrlich festzusetzende Bedingung er-
forderlich, welche die Bichtung der vorgenommenen Verände-
rungen anzeigt. Natürlich genügt eine einzige Bedingung, da
der Zustand der Substanz nur von zwei Variabein abhängt.
§ 81. Erwärmung bei constantem Volumen. Hieftir ist:
dv = , c = c„
die spezifische Wärme bei coüstantem Volumen. Also nach
Gleichung (23)
oder auch:
w «.-(liKlf).
§ 82« Erwärmung bei constantem Druck. Hiefür ist:
dp^O, c^c^
die spezifische Wärme bei constantem Druck.
Gleichung (23):
(26)
oder auch:
Also nach
'd u
p
dv
p
(27)
Durch Substitution von:
p
(du\ , ] ldv\
(du\ ^ /du] fdu] (dv\
in (26) kann man c^ auch in der Form schreiben:
'du\ . [(du\ 1 l^^\
p
di^.
+
ijij^+P
oder mit Berücksichtigung von (24)
du
(28)
= c 4-
dvj^
+ P
m,-
§ 83. Die Vergleichung von (25) und (27) gestattet durch
Elimination von u eine direkte Prüfung der Theorie an der Er-
fahrung. Es ist nämlich aus (25):
'd u\ id&^
ßv)v
andrerseits aus (27)
'd
(
u\ (d ^A
Anwendungen auf homogene Systeme. 53
Folglich durch Differentiation des ersten Ausdrucks nach v bei
constantem p und des zweiten Ausdrucks nach p bei constantem
V und Gleichsetzung beider Werthe:
dvy^dp) " dpypdv ^)
oder:
/ s d^d- dcp d & ^Cr d & - ,^Qv
\ p v^ dpdv dp dv dv dp * ^ '
Diese Gleichung enthält nur Grössen, die der Beobachtung
zugänglich sind und liefert dah^r ein Mittel zur Prüfung des
ersten Hauptsatzes der Wärmetheorie an einer beliebigen homo-
genen Substanz durch Messungen.
§ 84« Ideale Gase. Die obigen Gleichungen erfahren für
ideale Gase beträchtliche Vereinfachungen. Zunächst ist hiefür
nach (14)
p = -^ . (30)
wobei i?= 826-10'^ und m gleich dem (wirklichen oder schein-
baren) Molekulargewicht des Gases. Daher wird:
& = ^pv
und die Gleichung (29) geht über in:
' d Cp d Cy R
P « ^^ dp dv m
Mehr lässt sich für ein ideales Gas, wenn nur das Boyle-Gay
LussAC-AvoGADEo'sche Gesetz als gültig vorausgesetzt wird, aus
dem ersten Hauptsatz allein nicht schliessen.
§ 85. Nun j^rollen wir die weitere, durch die im § 70 be-
schriebenen Versuche von Thomson und Joule festgestellte
Eigenschaft idealer Gase benutzen, dass ihre innere Energie
nur von der Temperatur, nicht vom Volumen abhängt, also
nach (19), auf die Masseneinheit bezogen:
'rl- 1 CD
Daher geht die allgemeine Gleichung:
^"-(ii)/*+(f>
für ein ideales Gas über in:
54 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie,
und nach (24):
(32) du^e^dS-
Femer folgt dann aus (28):
oder mit Berücksichtigung von (30):
d. h. die Differenz der spezifischen Wärme eines idealen Gases
bei constantem Druck und bei constantem Volumen ist constant.
Bezieht man die Wärmecapacität nicht auf die Masseneinheit,
sondern auf das Molekulargewicht m des Gases (vgl. § 48), so ist
(33) mej^ — mc^=^ R,
also die Differenz sogar unabhängig von der Natur des Gases.
§ 86. Direkt messen lässt sich nur die spezitische Wärme
bei constaütem Druck, weil eine in einem geschlossenen Gefäss
von constantem Volumen gehaltene Gasmenge eine viel zu kleine
Wärmecapacität besitzt, um gegenüber den äusseren Körpern,
zunächst den Gefässwänden, hinlänglich beträchtliche thermische
Wirkungen hervorzubringen. Da nun o^ nach (24) ebenso wie
u nur von der Temperatur, nicht vom Volumen abhängt, so
folgt aus (33) dasselbe für c , Dieser Schluss ist zuerst durch
die Messungen von Regnault bestätigt worden, welcher überdies
fand, dass c^ auch innerhalb eines ziemlich weiten Temperatur-
intervalls constant ist. Nach (33) ist also auch c^ in demselben
Bereich constant.
Wenn man die Molekularwärmen in Calorieen ausdrückt,
so ist natürlich auch die Grösse R noch durch das mechanische
Wärmeäquivalent a (§ 61) zu dividiren, und man hat als Differenz
der Molekularwärme bei constantem Druck und der bei con-
stantem Volumen:
(OA^ ig _ 826.10^ -1971
^"^^^ a - 419.10* - i,ya.
§ 87. Folgende Tabelle enthält für einige Gase die direkt
gemessene spezifische Wärme und die Molekularwärme bei con-
stantem Druck, sowie die aus Gleichung (33) durch Subtraktion
von 1,97 berechnete Molekularwärme bei constantem Volumen,
endlich das Verhältniss beider Grössen: ^^ = y .
Ämoendtmgen auf homogene Systeme.
55
■
Spezifische
Wärme bei
const. Druck
Molekular-
gewicht
Molekular-
wärme bei
const. Druck
Molekular-
wärme bei
const.
Volumen
Verhältniss
Wasserstoff .
Sauerstoff
Stickstoff . •
Luft . . .
•
•
•
•
3,410
0,2175
0,2438
0,2375
2
31,9
28
28,8
6,82
6,94
6,83
6,84
4,85
4,97
4,86
4,87
1,41
1,40
1,41
1,41
Bei bedeutender Temperatursteigerung nimmt die spezifische
Wärme in der Regel langsam zu. Innerhalb des Temperatur-
bereichs, in welchem die spezifische Wärme constant ist, lässt
sich die Gleichung (32) integriren und liefert:
u =^ c^& + const, (35)
wobei die Integrationsconstante von der Wahl des NuUzustandes
für die Energie abhängt Für den idealen Gaszustand be-
trachten wir c„ und c„ als durchaus constant und daher die
letzte Gleichung als allgemein gültig.
§ 88. Adiabatischer Vorgang. Hieftir ist charakteriBtisch
q = 0, und nach Gleichung (22):
^ du + pdv.
Setzen wir wieder ein ideales Gas voraus, so ergibt die Ein-
setzung der Werthe von du aus (32) ujid von p aus (30):
= cd& + —-dv (36)
oder integrirt:
R
ß log & -{ log V = const.
Ersetzt man hierin — nach (33) durch c„ — c und dividirt durch
c^, SO kommt:
log i5^ + (r ^ 1) log ^ = const. (37)
(d. h. bei adiabatischer Ausdehnung sinkt die Temperatur)
oder, wenn man bedenkt, dass nach der Zustandsgieichung (30):
log^ + log^' — logi^" = const
mit Elimination von v:
— /logi?- + {y — l)log^ = const
(d. h. bei adiabatischer Druckvermehrung steigt die Temperatux)
56 Der erste Hauptsatz der Wämietheorie.
oder mit Elimination von &i
log ^ + ;j^ logt; = const.
Die Werihe der Integrationsconstanten ergeben sich aus dem
Anfangszustand des Prozesses.
Vergleicht man die letzte Gleichung in der Form:
(38) p'Vf =^ const.
mit dem BoYOj'schen Gesetz : pv = const, so erkennt man, dass
bei adiabatischer Compression das Volumen langsamer mit
wachsendem Druck abnimmt als bei isothermischer Compression,
entsprechend der gleichzeitig eintretenden Temperaturerhöhung.
Die adiabatischen Curven in der /?t;-Ebene (§ 22) verlaufen
daher steiler als die hyperbelförmigen Isothermen.
§ 89. Die adiabatischen Vorgänge können in verschiedener
Weise zur Messung des Verhältnisses y der spezifischen Wärmen
benutzt werden und liefern durch die üebereinstimmung der
Resultate mit den aus dem mechanischen Wärmeäquivalent be-
rechneten Werthe von y eine wichtige Bestätigung der Theorie.
So kann z. B. die Messung der Schallgeschwindigkeit in
einem Gase zur Berechnung von y benutzt werden. Wie in
der Hydrodynamik gezeigt wird, ist dieselbe in irgend einer
Flüssigkeit: l/4x-» wenn ä = — die Dichte der Flüssigkeit be-
deutet. Da nun wegen der geringen Wärmeleitungsfähigkeit der
Gase die mit einer Schallbewegung verbundenen Compressionen
und Dilatationen nicht isotherm, sondern adiabatisch erfolgen,
so hängt bei einem idealen Gase der Druck p von der Dichte
k nicht nach dem Boyle' sehen Gesetz pv = const., sondern nach
der Gleichung (38) ab, also:
^ = const.
ky
woraus durch Differentiation:
dp rp
oder nach (30):
dp ^ CL ^* dp
~dk ~~ '^ "^ ' ^ "" 'Rß^ ' ~dk '
Nun beträgt z. B. in atmosphärischer Luft bei 0^ die Schall-
geschwindigkeit: i/4|^ =33280-^, also ist für Luft mit Hülfe
y dk °®^
Äwupendungm auf homogene Systeme. 57
-
der Zahlenwerthe für m (§ 41), i? (§ 84) und & nach der letzten
GleiCl^ung: . 28,8 33 280* - .,
y = • ^= 1 41
^ 826. IQ» 273 '
in üebereinstimmung mit dem in § 87 berechneten Werth.
Natürlich kann man auch umgekehrt den aus der Schall-
geschwindigkeit berechneten Werth von y = -^ dazu benutzen,
um c^ in Calorieen und dann aus (33) das mechanische Wärme-
äquivalent zu berechnen. Dieser Weg ist zur erstmaligen ziflfer-
mässigen Auswerthung des Wärmeäquivalents eingeschlagen
worden von Eobebt Mater im Jahre 1842. Allerdings gehört
wesentlich dazu die in Gleichung (31) ausgedrückte Voraus-
setzung, dass die innere Energie der Luft nur von der Temperatur
abhängt, oder mit anderen Worten, dass die Differenz der
spezifischen Wärmen bei constantem Druck und bei con-
stantem Volumen lediglich durch die äussere Arbeit bedingt
ist — ein Satz, der erst seit den § 70 beschriebenen Ver-
suchen von Thomson und Joule als direkt bewiesen angesehen
werden darf.
§ 90. Wir wenden uns jetzt zur Betrachtung eines zu-
sammengesetzteren Prozesses, und zwar eines umkehrbaren Kreis-
prozesses von besonderer Art, der in der Entwicklung der
Thermodynamik eine wichtige Rolle gespielt hat: des sogenannten
CAßNOT'schen Kreisprozesses, um auch auf ihn den ersten Haupt-
satz im Einzelnen anzuwenden.
Von einem gewissen Anfangszustand, welcher durch die
"Werthe d-^ und Vy^ charakterisirt sein möge, ausgehend werde
die Substanz von der Masse 1 erstens adiabatisch comprimirt,
bis die Temperatur auf S-^ > &^ gestiegen und das Volumen
auf Vg < Vj vermindert ist (Fig. 3). Hierauflasse man zweitens
die Substanz sich wieder ausdehnen, aber nun. isotherm, indem
sie in Verbindung mit einem Wärmebehälter von der constanten
Temperatur ß-^ gehalten wird, welcher die Ausdehnungswärme
©2 hergibt; dabei möge das Volumen bis v^ wachsen. Drittens
werde die Substanz noch weiter ausgedehnt, und zwar jetzt adia-
batisch, so lange bis die Temperatur wieder auf &^ gesunken
ist; dann habe das Volumen bis v^ zugenommen. Endlich
viertens werde auch das Volumen durch isothermische Com-
pression mit Benutzung eines Wärmebehälters von der constanten
58
Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie,
Temperatur d-^, welcher die Compressionswärme aufiummt, wieder
auf den Anfangswerth Vj zurückgebracht, — Alles auf umkehr-
barem Wege, wie es § 71 ff. beschrieben wurde.
'&.
S'.
V,
V.
v^
v
Fig. 3.
Nach dem ersten Hauptsatz ist für diesen Kreisprozess
(§ 65) die Summe der dem System von Aussen zugefuhrten
Wärme und der von Aussen aufgewendeten Arbeit:
(39) + ^ =
Die der Substanz im Ganzen zugeführte Wärme beträgt hier:
(40) Q^Q^+Q^
wobei Oj und Q^ die von den beiden Wärmebehältem abge-
gebenen Wärmemengen bezeichnen (Oj ist hier negativ). Die
äussere Arbeit A lässt sich aus der adiabatischen und aus der iso-
thermischen Compressibilität der angewandten Substanz berechnen.
Dieselbe beträgt nach (20):
V,^, «g'^Z V^i «1^1
^=— fpdv — Jpdv^ Jp dv — J p dv
wobei die erste und die dritte Integration auf adiabatischem
Wege, die zweite und die vierte auf isothermischem Wege zu
erfolgen hat.
Anwendungen auf homogene Systeme, 59
Setzen wir von nun an ein ideales Gas voraus, so lassen
sich die vier Integrale leicht berechnen. Es wird nämlich durch
Berücksichtigung von (30) und (36):
Ä^jc.dß--fj^^äv+Jc.dß-^}^dv (41)
Die Arbeit bei der adiabatischen Compression im ersten Theil
des Prozesses ist also gerade gleich und entgegengesetzt der
Arbeit bei der adiabatischen Ausdehnung im dritten Theil des
Prozesses und hebt sich mit dieser fort. Es bleiben übrig die
isothermischen Arbeiten;
Nun ist aber der Zustand v^ &^ aus dem Zustand v^ &^
durch einen adiabatischen Vorgang entstanden, also ist nach (37):
log ß'^ + iy -\) log v^ = log ^i + {r - 1) log v^
und ebenso ist für den anderen adiabatischen Vorgang, der von
v^' &2 bis Vj" &^ führt:
log ^2 + ir - 1) log v^' = log ß^+{y - 1) log v^\
Aus diesen beiden Gleichungen folgt unmittelbar:
und daher:
?W ^ ^ ^' ^ V,
f . r
Da in unserem Fall &^ > ü-, und -^ = -^ > 1 , so ist hier die
gesammte von Aussen auf das Gas ausgeübte Arbeit Ä negativ,
d. h. es ist äussere Arbeit im Ganzen nicht aufgewendet, son-
dern gewonnen worden. Dagegen ist in Folge von (39) und (40)
Q=.Q^ + Q^= -A (42)
positiv, d. h. der Wärmebehälter von der Temperatur &^ hat
mehr Wärme abgegeben, als der Wärmebehälter von der Tem-
peratur i^-j aufgenommen hat.
Der Werth von A in die letzte Gleichung eingesetzt ergibt:
= Oj + 0, = A (.^, - ^i)log^. (43)
Die Eichtigkeit dieser Gleichung erhellt sogleich aus der
direkten Berechnung der Grössen Q^ und Q^ einzeln. Während
60 Der erste Haupisatx der Wärmetheorie.
nämlich der Wärmebehälter &^ in Funktion ist, dehnt sich das
Gas isotherm aus, seine Energie bleibt also ungeändert^ und die
von Aussen zugeführte Wärme ist der äusseren Arbeit gleich
und entgegengesetzt. Daher hat man durch Vergleich mit dem
zweiten Integral in (41):
^ Ä n 1 Vf' 9. l/\ ^1
^ ~~ m 2 ^ t;2 ~" m * ^i
und ebenso durch Vergleich mit dem vierten Integral in (41):
0, =^.9-, log^ = -^i^, log^
in Uebereinstimmung mit der Gleichung (43).
Es besteht also zwischen den Grössen Q^^, Q^, A ausser der
Eelation (42) noch die andere:
(44) Q,:Q,:A = {-^ t^): ^2 -(^i " '^>
§ 91. Wir wollen nun das Resultat aller Wirkungen ins
Auge fassen, welche bei der Ausführung des beschriebenen
CAENOT'schen Kreisprozesses in der Natur auftreten. Zu dem
Zweck vergleichen wir den durch den Prozess schliesslich hervor-
gerufenen Zustand mit dem am Anfang des Prozesses herrschen-
den Zustand. Das Gas selber hat durch den Prozess im Ganzen
gar keine Aenderung erfahren, es hat gewissermassen nur als
Zwischenträger gedient, um anderweitige Aenderungen zu ver-
mitteln, wir können dasselbe also bei der Vergleichung des End-
zustandes mit dem Anfangszustand ganz ausser Betracht lassen.
Dagegen haben die beiden Wärmebehälter ihren Zustand ge-
ändert und ausserdem ist eine gewisse positive äussere Arbeit
A' = — Ä gewonnen worden, d. h. es befinden sich am Schluss
des Prozesses etwa gewisse Gewichte, die bei der Compression
und bei der Ausdehnung verwendet wurden, auf einer grösseren
Höhe als am Anfang, oder es ist eine elastische Feder, die zu
dem gleichen Zweck diente, am Schluss stärker gespannt als
sie es am Anfang war. Andrerseits hat der Wärmebehälter &^
die Wärmemenge Q^ abgegeben, der kältere Wärmebehälter iJ-j
die kleinere Wärmemenge Q^' = — Q^ empfangen, und die ver-
schwundene Wärme ist äquivalent der gewonnenen Arbeit. Man
kann das kurz so ausdrücken, dass man sagt: Die Wärmemenge
O2 von der Temperatur ß-^ ist zum einen Theil (Q^') zur tieferen
Temperatur &j^ übergegangen, zum andern Theil (O3 — 0^' =Q^ + Q^)
in Arbeit verwandelt worden. Man hat also in dem CAENOT'schen
Anwendungen auf nichthomogene Systeme. 61
Kreisprozess, ausgeführt mit einem idealen Gase, ein Mittel, nm
einem Körper Wärme zu entziehen und dafür Arbeit zu ge-
winnen, ohne dass irgend eine andere Veränderung in der Natur
eintritt, als dass ausserdem eine gewisse andere Wärmemenge
aus einem Körper von höherer Temperatur zu einem Körper
von tieferer Temperatur übergeht.
Da der beschriebene Prozess aber umkehrbar ist, so kann
man ihn auch in der Weise realisiren, dass bei unveränderten
Temperaturen und Volumina die Grössen 0^, O3, ^ ihr Vor-
zeichen ändern. Dann ist Q^ und Ä positiv, Q2 = — Og iißg^ttv,
d. h. der wärmere Behälter &^ empfängt die Wärme Q^, und
zwar zum Theil {Q^) aus dem kälteren Behälter iJ-^, zum Theil
aus aufgewendeter Arbeit {Ä). Man hat also in dem umgekehrt,
ausgeführten CABNOT'schen Prozess ein Mittel, um Wärme aus
einem kälteren in einen wärmeren Körper zu schaffen, ohne
dass irgend eine andere Veränderung in der Natur eintritt, als
dass ausserdem eine gewisse Arbeit in Wärme verwandelt wird.
Wir werden später sehen, dass für den Erfolg des CABNOT'schen
umkehrbaren Kreisprozesses die Natur des Zwischenträgers
principiell unwesentlich ist, dass also ein ideales Gas darin von
keiner anderen Substanz übertroffen oder unterboten wird,
(vergl. § 137).
III. Capitel. Anwendungen auf nichthomogene Systeme.
§ 92. Ein grosser Theil der im vorigen Capitel besprochenen
Sätze ist ohne Weiteres auch auf den Fall anwendbar, dass die
dort behandelte Substanz im Innern nicht vollständig homogen
ist, und insofern kann für eine Eeihe von allgemeinen Fragen
auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden. Hier werden
vorwiegend nur diejenigen Erscheinungen Gegenstand der Unter-
suchung sein, welche für die Inhomogenität eines Systems
charakteristisch sind.
Wir betrachten im Folgenden ein System, welches aus
einer Anzahl neben einander gelagerter, durch bestimmte Tren-
nungsflächen geschiedener homogener (§ 67) Körper zusammen-
gesetzt ist. Ein solches System kann chemisch homogen sein
oder nicht. Den ersten Fall haben wir unter Umständen bei
einer Flüssigkeit in Berührung mit ihrem Dampf, insofern die
62 Der erste Hcmptsatx, der Wärmetheorie.
Flüssigkeit aus ebensolchen Molekülen bestehen kann wie der
Dampf. Den zweiten FaU haben wir beim Beginn irgend einer
chemischen Reaktion, insofern eine Substanz mit einer chemisch
differenten in Berührung ist Ob ein System physikalisch
homogen ist oder nicht, lässt sich durch Aufsuchung etwaiger
Trennungsflächen innerhalb des Systems, eventuell auch durch
andere Mittel, z. B. bei Emulsionen durch Messung der Dampf-
spannung oder des Gefrierpunktes (§ 223), in den meisten Fällen
zu unzweifelhafter Entscheidung bringen, viel schwieriger und
bis jetzt nur in besonderen Fällen gelungen ist die Beantwortung
der Frage, ob ein System chemisch homogen ist, d. h. aus
gleichartigen Molekülen besteht. Daher legen wir auch die
erstere und nicht die letztere Eintheilung unserer Untersuchung
zu Grunde.
§ 98. Ein Charakteristikum der Vorgänge in nichthomo-
genen Systemen sind die im Allgemeinen beträchtlichen dabei ein-
tretenden Temperaturänderungen, z. B. beim Verdampfen oder
beim Oxydiren. Die Aufrechterhaltung der Anfangstemperatur
und des Anfangsdrucks erfordert dann einen beträchtlichen
Wärmeaustausch mit der Umgebung und eine entsprechende
äussere Arbeit Ersterer ist aber in der Regel viel bedeutender
als letztere, die bei den meisten chemischen Vorgängen ganz
vernachlässigt werden kann. Daher misst man in der Thermo-
chemie die äusseren Wirkungen:
(45) Q + Ä=U,-U,
gewöhnlich in Calorieen (calorisches Aequivalent der äusseren
Wirkungen). Die äussere Arbeit A erscheint darin nur als ein
untergeordnetes Glied. Da femer die meisten chemischen Vor-
gänge mit Temperaturerhöhung, also, wenn die Anfangstemperatur
wiederhergestellt wird, mit Wärmeabgabe nach Aussen verlaufen
(exothermische Vorgänge), so bezeichnet man in der Thermo-
chemie die behufs Wiederherstellung der Anfangstemperatur
nach Aussen abzugebende Wärmemenge als „positive Wärme-
tönung" des Prozesses. In unseren Rechnungen werden wir
daher für einen Prozess mit positiver Wärmetönung (z. B. Ver-
brennung) die von Aussen zugeführte Wärme Q negativ, für
einen mit negativer Wärmetönung (Verdampfung, Schmelzung,
Dissociation) diese Wärme Q positiv zu nehmen haben.
Anwendungen auf nichthomogene Systeme, 63
§ 94, Um die Gleichung (45) thermochemisch zu ver-
werthen, ist es zweckmässig, zur Bezeichnung der Energie U
eines Systems in einem bestimmten Zustand ein Symbol zu be-
nutzen^ welches die chemische Natur des Systems unmittelbar
erkennen lässt Ein solches Symbol hat J. Thomsen eingeführt,
indem er die Formeln für das Atomgewicht oder Molekular-
gewicht der betr. Substanzen in Klammem setzt und dadurch
die Energie der entsprechenden Gewichtsmenge, bezogen auf
einen beliebigen Nullzustand, ausdrückt So bezeichnen [Pb],
[S], [PbS] die Energieen eines Atoms Blei, Schwefel und eines
Moleküls Schwefelblei. Um nun auszudrücken, dass die Bildung
eines Moleküls Schwefelblei aus einem Atom Blei und einem
Atom Schwefel mit einer Wärmetönung von 18 400cal verbunden
ist, während dagegen die äussere Arbeit zu vernachlässigen ist
(§ 98), hat man zu setzen:
ü, = [Pb] + [S]
U, = [PbS]
^ = 0, 0=-18 400cal
und die Gleichung (45) wird:
- 18 400 cal = [PbS] - [Pb] - [S]
oder, in der üblichen Schreibweise:
[Pb] + [S] - [PbS] = 18 400 cal,
d. h. die Energie von Blei und Schwefel in getrenntem Zustand
ist um 18 400 cal grösser als im chemisch verbundenen Zustand
bei gleicher Temperatur. Durch die Benutzung der Formeln
für das Verbindungsgewicht hat man zugleich auch eine Con-
trole dafür, dass die beiden verglichenen Energieen sich auf
das nämliche materielle System beziehen. Einfacher noch würde
die Gleichung lauten, wenn man den getrennten Zustand der
Elemente Pb und S zum Nullzustand wählt. Denn dann wird
(§ 64) [Pb] = und [S] = und man hat kürzer:
[PbS]= - 18 400 cal.
§ 95. Zur genauen Definition des Zustandes einer Sub-
stanz, und somit ihrer Energie, ist aber ausser der chemischen
Natur und der Gewichtsmenge zunächst noch die Angabe der
Temperatur und des Druckes erforderlich. Erstere wird, falls
keine besondere Bemerkung darüber gemacht ist, wie auch schon
64 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie.
in dem obigen Beispiel geschehen, als die mittlere- Zimmer-
temperatur, also etwa 18^ C, angenommen. Ebenso wird der
Druck als Atmosphärendruck vorausgesetzt; derselbe hat übrigens,
bei gegebener Temperatur, nur wenig Einfluss auf die Energie,
bei idealen Gasen überhaupt keinen [Gleichung (35)].
Femer bedarf es noch der Angabe des Aggregatzustandes.
Man kann denselben, falls Verwechslungen zu befürchten sind,
dadurch bezeichnen, dass man für den festen Zustand eckige
Klammem wie oben, für den flüssigen runde, und für den gas-
förmigen geschwungene Klammern anwendet. So bedeutet [H3O],
(H3O), {HgO} die Energie eines Moleküls Wasser als Eis, als
Flüssigkeit, und als Dampf. Daher ist für das Schmelzen bei 0^:
(H2O) - [HgO] = 80.18 = 1440 cal.
Endlich ist es manchmal wünschenswerth, z. B. bei fester Kohle,
Schwefel, Arsen, oder bei isomeren Verbindungen, auch noch
eine Angabe über die spezielle Modification der Substanz hinzu-
zufügen. Das kann jedesmal in besonderer Weise geschehen.
Mit diesen Symbolen lässt sich nun, wie mit bestimmten
Grössen, rechnen, und dadurch manche Betrachtung wesentlich
abkürzen, die sonst nur durch mehr oder minder verwickelte
Ueberlegungen durchzuführen wäre. Vergl. hierzu die Beispiele
weiter unten.
§ 96, Zur Bezeichnung der Energie einer Lösung oder
Mischung mehrerer Verbindungen kann man die Formeln für
die Molekulargewichte mit den entsprechenden Molekülzahlen
direkt nebeneinander schreiben. So bedeutet:
(H3SOJ + SCHgO) - (H2S0^.5H20) = 13 100 cal,
dass beim Auflösen eines Moleküls Schwefelsäurehydrat in 5 Mole-
külen Wasser die Wärme 13 100 cal frei wird. Aehnlich gibt
die Gleichung:
(HgSOj + lOCHgO) - (H2SO4. IOH2O) = 15 100 cal
die Wärmetönung beim Auflösen in 10 Molekülen Wasser. Durch
Subtraktion der beiden Gleichungen erhält man daraus:
(H3SO4.5H2O) + öCHjjO) - (H2SO4.IOH2O) = 2000 cal,
d. h. die Verdünnung einer Lösung von 1 Molekül Schwefel-
säurehydrat in 5 Molekülen Wasser mit weiteren 5 Molekülen
Wasser ergibt eine Wärmetönung von 2000 cal.
\
Anwendungen auf nichthomogene Systeme, 65
§ 97. Erfahrungsgemäss ruft bei sehr verdünnten Lösungen
eine weitere Verdünnung keine merkliche Wärmetönung mehr
hervor. Daher ist es zur Bezeichnung der Energie einer sehr
verdünnten Lösung häufig gamicht nöthig, die Zahl der Moleküle
des Lösungsmittels besonders anzugeben, und man schreibt kurz:
(HjSOj + (aq) - (H^SO^aq) = 1 7 900 cal.,
um die Wärmetönung auszudrücken, welche bei unendlicher
Verdünnung eines Moleküls Schwefelsäurehydrat mit Wasser
auftritt Hierbei bedeutet das Zeichen aq jede beliebige Wasser-
menge, die zur praktischen Herstellung einer unendlich ver-
dünnten Lösung genügt.
§ 98. Das calorische Aequivalent der äusseren Arbeit Ä
(§ 93) ist bei chemischen Prozessen, in denen nur feste und
flüssige Körper vorkommen, wegen der geringen Volumverände-
rungen gegen die Wärmetönung in der Regel zu vernachlässigen.
Dann ergiebt also die Wärmetönung allein die Euergieänderung
des Systems:
^2-^1 =
und ist in Folge dessen nur vom Anfangs- und Endzustaud,
nicht aber von dem sonstigen Verlauf des Prozesses abhängig.
Anders ist es im Allgemeinen, wenn gasförmige Körper an der
Reaktion betheiligt sind. Nur bei den Verbrennungsprozessen
in der „calorimetrischen Bombe", welche durch die Forschungen
besonders von Berthelot und von Stohmann weitgehende An-
wendungen erfahren hat, bleibt das Volumen constant und daher
die äussere Arbeit = 0. Auch hier entspricht also die gemessene
Wärmetönung direkt der eingetretenen Energiedifferenz. Aber
in anderen Fällen kann bei der Mitwirkung von Gasen die
äussere Arbeit A einen merklichen Betrag annehmen; derselbe
ist wesentlich auch durch den Verlauf des Prozesses bedingt.
So kann man z. B. ein Gas sich ausdehnen lassen mit einer
äusseren Arbeitsleistung, die innerhalb gewisser Grenzen jeden
beliebigen Werth, bis Null herab, haben kann. Da nun die
Energiedifferenz Ü^—U^ nur vom Anfangszustand und vom
Endzustand des Systems abhängt, so bedingt eine grössere Arbeit,
die das System bei Ueberwindung der äusseren Kräfte leistet,
immer eine geringere Wärmetönung des Prozesses und umge-
kehrt, und um letztere zu finden, muß man ausser den Energieen
Planck, Thermodynamik. 5
66 Der erste Hauptsatz der Wärme theorie,
auch noch die äussere Arbeit kennen. Hierzu bedarf es also
der Angabe der äusseren Bedingungen, unter denen der Prozess
verläuft.
§ 99. Unter allen äusseren Bedingungen, die einen che-
mischen Prozess begleiten können, ist die praktisch wichtigste
diejenige, dass der Druck constant gleich dem einer Atmosphäre
bleibt: p = Pq» Dann ist die von Aussen her aufgewendete Ar-
beit Ä nach Gleichung (20)
2
(46) A=-fp,dv=p,{r^-r,),
1
also gleich dem Produkt des Druckes und der Volumenabnahme
des Systems. Dies gibt nach (45):
(47) U,-U, = Q+p,{V,-V,)
Die Volumenabnahme V^ — V^ des Systems kann man aber
in der Regel, unter Vernachlässigung der Volumenänderungen
fester und flüssiger Körper, gleich setzen der Volumenabnahme
der gasförmigen Theile des Systems; also nach (16):
wobei n^ und n^ die Anzahl der gasförmigen Moleküle des
Systems vor und nach der Reaktion bedeuten. Daraus ergibt
sich das calorische Aequivalent der äusseren Arbeit bei con-
stantem Druck nach (46) und (34)
A = MVr-V^) ^A^(n^ _n,) = 1,97 -»-{n, -n,) cal.
und die Wärmetönung eines Prozesses bei constantem Druck:
(48) -Q= L\'-'U^ + },97-&'{n^-n2) ^al.
Wenn z. B. ein Molekulargewicht Wasserstoff und ein halbes
Molekulargewicht Sauerstoff, beide von 18®, sich bei constantem
Druck zu flüssigem Wasser von 18® verbinden, so ist zu setzen:
U, = {E,} + i\0,}
U, = (H^O)
»»1 = 4» «3 = 0, ,9- = 291,
also die Verbrenrrangswärme nach (48):
- = {H,} + |{03}-(H,0) + 860 caL,
Änwendu/ngefn auf nichthomogene Systeme, 67
um 860 cal. grösser, als der Abnahme der Energie, d. h. der
Verbrennung ohne äussere Arbeitsleistung entspricht.
§ 100. Schreibt man die Gleichung (47) in der Form:
{U + PoV\-{ü + p,V\=^Q, (49)
so erkennt man, dass bei Prozessen, die unter constantem Druck
Pq verlaufen, die Wärmetönung nur abhängt vom Anfangszustand
und vom Endzustand, ebenso wie das beim gänzlichen Fortfall
der äusseren Arbeit zutrifft. Aber hier ist die Wärmetönung
nicht gleich der Differenz der Energieen U, sondern gleich der
Differenz der Werthe, welche die Grösse {U + Pf^V) am Anfang
und am Ende des Prozesses besitzt. Diese Grösse hat Gibbs
daher die „Wärmefunktion bei constantem Druck" genannt.
Wenn es sich also nur um Prozesse bei constantem Druck han-
delt, so ist es zweckmässig, die Symbole {Hg}, (HgO) u. s. w. ein
für alle Mal nicht auf die Energie ü, sondern auf die Wärme-
funktion bei constantem Druck zu beziehen, deren Differenz
dann immer direkt die Wäimetönung ergibt. Diese Bezeichnung
wird daher auch im Folgenden angewendet werden.
§ 101. Um die Wärmetönung irgend eines unter constantem
Druck verlaufenden chemischen Prozesses zu berechnen, genügt
es also, die Wärmefunktion U + PqV des an dem Prozess be-
theiligten materiellen Systems im Anfangszustand und im End-
zustand des Prozesses zu kennen. Daher kommt die allgemeine
Lösung dieser Aufgabe im Wesentlichen darauf hinaus, die
Wärmefiinktionen aller möglichen materiellen Systeme in allen
möglichen Zuständen zu finden. Sehr häufig bieten sich zur
Berechnung der Wärmefunktion verschiedene Wege der Ueber-
fuhrung aus dem einen Zustand in den andern dar, die dann
entweder zur Prüfung der Theorie oder zur Controlle der Ge-
nauigkeit der Messungen dienen können. So fand J. Thomsen
als Neutralisationswärme einer Lösung von doppeltkohlensaurem
Natron mit Natronlauge:
(NaHCOg aq) + (NaHO aq) - (Na^COg aq) = 9200 cal.
Dagegen als Neutralisationswärme einer Kohlensäurelösung;
(CO, aq) + 2 (NaHO aq) - (Na^COg aq) = 20 200 cal.
Die Subtraction dieser beiden Gleichungen ergibt:
(COg aq) + (NaHO aq) - (NaHCOg aq) = 11 000 cal.
5*
68 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie,
Das ist die Wärmetönung, welche der Verbindung von Kohlen-
säure und Natronlauge zu doppeltkohlensaurem Natron ent-
spricht, und die durch eine Messung von Bebthelot direkt
constatirt wurde.
§ 102. Oft ist von zwei verschiedenen Wegen der Ueber-
flihrung der eine zur calorimetrischen Verwerthung besser ge-
eignet als der andere. So lässt sich die Wärmeentwicklung bei
der Zersetzung von Wasserstoffsuperoxyd in Wasser und Sauer-
stoff nicht gut direkt messen. Thomsen oxydirte daher eine
salzsaure Lösung von Zinnchlorür einmal mit Wasserstoff-
superoxyd:
(SnCla • 2 HCl aq) + (HgOg aq) - (SnCl^ aq) = 88 800 caL,
einmal mit Sauerstoffgas:
(SnClg • 2 HCl aq) + i {O^} - (SnCl^ aq) = 65 700 cal.
Die Differenz ergibt:
(H^O^ aq) - i{0,} - (aq) = 23 100 cal.
als Wärmetönung bei der Zersetzung von gelöstem Wasserstoff-
superoxyd in gasförmigen Sauerstoff und Wasser.
§ 108. Die Bildungswärme des Kohlenoxydgases aus fester
Kohle und Sauerstoff lässt sich deshalb nicht direkt bestimmen,
weil Kohle niemals ganz zu Kohlenoxyd, sondern immer zum
Theil auch zu Kohlendioxyd verbrennt. Daher bestimmten
Favre und Silbeemann erstens die Wärmetönung bei voll-
ständiger Verbrennung der Holzkohle:
[C] + {Og} - {CO2} = 97 000 cal.,
zweitens die Wärmetönung bei Verbrennung von Kohlenoxyd
zu Kohlendioxyd:
{CO} + \[0^] - {CO2} = 68 000 cal.
Daraus durch Subtraktion:
[C] + \ {O2} - {CO} = 29 000 cal. ,
die gesuchte Bildungswärme des Kohlenoxydgases.
§ 104. Hienach führt die Anwendung der Theorie auch
dazu, Wärmetönungen von Prozessen zu berechnen, die gamicht
direkt ausführbar sind. Denn sobald die Wärmefimktion eines
Systems auf irgend einem Wege gefunden worden ist, kann man
sie mit beliebigen anderen Wärmefunktionen in Vergleich
bringen.
Awmendungen auf nicMhomog&ne Systeme, 69
Es handle sich z. B. darum, die Bildungswänne yon
flüssigem Schwefelkohlenstoff aus fester Kohle und festem
Schwefel, die sich nicht direkt verbinden, zu bestimmen. Hiezu
kann man folgende messbare Vorgänge benutzen:
Die Verbrennung von festem Schwefel zu gasformiger
schwefliger Säure:
[S] + {O2} - {SOj} = 71100 cal.
Die Verbrennung von fester Kohle zu Kohlensäure:
[C] + {Og} - {COj} = 97 000 cal.
Die Verbrennung von gasformigem Schwefelkohlenstoff zu Kohlen-
säure und schwefliger Säure:
{CSg) + 3 [0^] - {CO^} - 2 {SO,} = 265 100 cal.
Die Condensation von Schwefelkohlenstoffdampf:
{CSg} - (CS2) = 6400 cal.
Die Elimination aller übrigen Größen auf rein rechnerischem
Wege ergibt die gesuchte Bildungs wärme:
[C] + 2 [S] - (CS2) = - 19 500 caL,
also negativ.
Es ist die wichtigste Methode der organischen Thermo-
chemie, die Bildungswärme einer Verbindung aus ihren Bestand-
theilen dadurch zu bestimmen, dass man einmal die Verbindung,
das andere Mal deren Bestandtheile verbrennt.
Methylwasserstoff (Grubengas) liefert bei vollständiger Ver-
brennung zu Kohlensäure und flüssigem Wasser:
{CHJ + 2 {O3} - {CO2} - 2 (HgO) = 211 900 cal.
Dagegen ist
{H2} + \{0^\ - (H^O) = 68 400 cal. (50)
[C] + {O2} - {COal = 97 000 cal.
Folglich, durch Elimination, die Bildungswärme von Methyl-
wasserstoff aus fester Kohle und Wasserstoffgas:
[C] + 2 {H2} - {CHJ = 21 900 cal.
§ 106. Im Allgemeinen wird die einer bestimmten, unter
constantem Druck verlaufenden Umwandlung entsprechende
äussere Wärme Q von der Temperatur abhängen, bei der die
70 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie.
■ .
Umwandlung sich vollzieht. Hieflir liefert der erste Hauptsatz
der Wärmetheorie folgende Beziehung:
Aus der Gleichung (49) folgt für irgend eine Temperatur &:
für eine andere Temperatur &':
und durch Subtraktion:
Q^' - 0^ = [{U, +PoV,)^ - {U, +i)o^2W
f
I
d. h. die Differenz der Wärmetönungen {Q^ — Q^f) ist gleich der
Differenz der Wärmemengen, die zugeführt werden müssen, um
das System einmal vor der Umwandlung (Zustand 1), das andere
Mal nach vollendeter Umwandlung (Zustand 2), von & auf &'
zu bringen.
So findet man den Einfluss der Temperatur auf die Ver-
brennungswärme des Wasserstoffs zu flüssigem Wasser, wenn
man die Wärmecapacität des Knallgases: IL^ + \0^ vergleicht
mit derjenigen des flüssigen Wassers: Hg^O. Die erstere ist
gleich der Molekularwärme des Wasserstoffs + der halben
Molekularwärme des Sauerstoffs; also nach der Tabelle § 87:
6,82 + 3,47 = 10,29,
die letztere ist
148 = 18.
Die Differenz beider Zahlen beträgt — 7,71. Also nimmt die
Verbrennungswärme eines Moleküls Wasserstoff mit jedem
Temperaturgrad um 7,7 cal. ab.
Einleitung, 71
Dritter Abschnitt
Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie.
I. Capitel. Einleitung.
§ 106. Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie hat einen
von dem ersten Hauptsatz wesentUch verschiedenen Inhalt, da
er eine Frage behandelt, die von diesem gamicht berührt wird,
nämlich die Frage nach der Richtung eines in der Natur ein-
tretenden Prozesses. Nicht jede Veränderung nämlich, welche
mit dem Princip der Erhaltung der Energie verträglich ist,
genügt auch den weitergehenden Bedingungen, die der zweite
Hauptsatz den in der Natur wirklich vor sich gehenden Prozessen
auferlegt; oder mit anderen Worten: das Energieprincip reicht
noch keineswegs aus zur eindeutigen Bestimmung der natür-
lichen Vorgange.
Wenn z. B. zwischen zwei Körpern von verschiedener
Temperatur Wärmeaustausch durch Leitung stattfindet, so ver-
langt der erste Hauptsatz oder das Princip der Erhaltung der
Energie nur, dass die von dem einen Körper abgegebene
Wärmemenge gleich ist der von dem andern Körper auf-
genommenen Wärmemenge. Ob aber die Wärmeleitung in der
Eichtung vom wärmeren zum kälteren Körper erfolgt oder um-
gekehrt, daraus lässt sich aus dem Energieprincip allein nicht
das Mindeste schliessen. Ueberhaupt ist die Frage nach der
Grösse der Temperatur dem Energieprincip an sich fremd, wie
schon daraus hervorgeht, dass man durch dieses Princip nicht
zu einer exakten Definition der Temperatur geführt wird.
Ganz ebenso enthält die allgemeine Gleichung (17) des
ersten Hauptsatzes keine Aussage über die Richtung des betr.
Vorgangs, z. B. die spezielle Gleichung (50):
{Hai + i {0,} - (H^O) = 68 400 cal.
bedeutet nur, dass, wenn sich Wasserstoff und Sauerstoff bei
constantem Druck zu flüssigem Wasser verbinden, die Her-
stellung der anfänglichen Temperatur eine bestimmte Wärme-
72 Der xweite Hofuptaatx der Wärmetheorie.
abgäbe an die Umgebung erfordert, und umgekehrt, dass diese
Wärme gebunden wird, wenn das Wasser sich in Wasserstoff
und Sauerstoff zersetzt; sie ertheilt aber keinen Aufschluss
darüber, ob sich Knallgas wirklich zu Wasser verbindet, oder
ob sich Wasser in Knallgas zersetzt, oder ob der Prozess über-
haupt in irgend einer Richtung direkt vor sich gehen kann
(vgl. § 104). Vom Standpunkt des ersten Hauptsatzes aus be-
trachtet erscheinen also Anfangszustand und Endzustand eines
jeden Prozesses als vollkommen gleich werthig.
§ 107, Es gibt allerdings einen singulären Fall, wo das
Energieprincip allein einem Prozesse eine ganz bestimmte
Eichtung vorschreibt; dieser Fall tritt dann ein, wenn sich das
betrachtete System in einem Zustand befindet, für den eine der
verschiedenen Energiearten ein absolutes Maximum oder ein
absolutes Minimum besitzt Dann kann nämlich eine Ver-
änderung offenbar nur in dem Sinne erfolgen, dass die betr.
Energie abnimmt^ bez. zunimmt. Dieser singulare Fall findet
sich z. Bc verwirklicht in der Mechanik, wenn ein Punktsystem
ruht, wenn also die kinetische Energie ein absolutes Minimum
ist; d. h. in einem ruhenden Punktsystem ist jede Veränderung
mit einer Zunahme der kinetischen, folglich, falls keine Ein-
wirkungen von Aussen stattfinden, mit einer Abnahme der po-
tentiellen Energie verknüpft. Hieraus entspringt ein wichtiger
Satz der Mechanik, der die Richtung von selbst eintretender
Bewegungen charakterisirt und dadurch auch zur Fixirung der
allgemeinen mechanischen Gleichgewichtsbedingung führt. Denn
wenn ausser der kinetischen auch die potentielle Energie ein
Minimum ist, so kann offenbar überhaupt keine Veränderung
eintreten, da sich dann keine der beiden Energieen auf Kosten
der andern vergrössem kann, und das System muss in Ruhe
bleiben.
Befindet sich z. B. eine schwere Flüssigkeit in zwei com-
municirenden Röhren auf verschiedenen Niveauhöhen im Ruhe-
zustand, so muss die Bewegung in dem Sinne eintreten, dass
das höhere Niveau sinkt, das tiefere steigt, weil dabei der Schwer-
punkt des Systems tiefer gelegt wird und dadurch die potentielle
Energie, deren Werth mit der Höhe des Schwerpunkts wächst,
vermindert wird. Gleichgewicht ist dann vorhanden, wenn die
Höhe des Schwerpunkts und mit ihr die potentielle Energie ein
Einleüung. 73
Minimum ist, d. h. wemi die Flüssigkeit in beiden Röhren gleich
hoch steht Sobald aber über den Geschwindigkeitszustand der
Flüssigkeit keine besondere Voraussetzung eingeführt wird, ver-
liert jener Satz seine Gültigkeit, die potentielle Energie braucht
nicht abzunehmen, und das höhere Niveau kann ebensogut steigen
wie sinken.
Würde man in der Wärme auch einen Zustand minimaler
Energie kennen^ so würde für diesen, aber auch nur für diesen
singnlären Zustand, ein ähnlicher Satz gelten. Da jedoch in
Wirklichkeit nicht einmal dieses zutrifft, so ist es aussichtslos,
die allgemeinen Gesetze der Richtung thermodynamischer Ver-
änderungen, sowie des thermodynamischen Gleichgewichts auf
entsprechende Sätze in der Mechanik, die nur für ruhende
Systeme gelten, zurückführen zu wollen.
§ 108. Obwohl aus diesen Darlegungen ersichtlich ist, dass
das Energieprinzip im Allgemeinen nicht dazu dienen kann, die
Richtung eines thermodynamischen Prozesses und damit auch
die Bedingungen des thermodynamischen Gleichgewichts zu be-
stimmen, so haben doch, wesentlich im Anschluss an den im vorigen
Paragraphen besprochenen Satz der Mechanik, die Versuche bis
zum heutigen Tag fortgedauert, das Energieprincip in der einen
oder anderen Weise zu dem bezeichneten Zweck nutzbar zu
machen, und dadurch hat der zweite Hauptsatz, der seinerseits
gerade diesem Zwecke dient, in manchen Darstellungen ein ganz
unklares Ansehen erhalten. Man sucht ihn stellenweise immer
noch gewissermassen als einen Theil des Energieprincips hin-
zustellen, indem man alle Untersuchungen, welche sich mit diesen
Fragen beschäftigen, unter der hierfür zu engen Bezeichnung
„Energetik" zusammenfasst. Der zweite Hauptsatz kommt mit
dem Begriff der Energie nicht aus, er lässt sich keineswegs da-
durch erschöpfend behandeln, dass man jeden Naturvorgang in
eine Reihe Energieverwandlungen zerlegt und nun nach der
Richtung jeder einzelnen Verwandlung fragt. Man kann freilich
in jedem einzelnen Falle die verschiedenen Energiearten nam-
haft machen, die sich gegenseitig umsetzen; denn das Energie-
princip muss ja immer erfüllt sein. Aber es bleibt immer eine
gewisse Willkühr darin bestehen, wie man die Bedingungen der
Verwandlungen ausdrückt, und diese Willkühr lässt sich durch
keine allgemeine Festsetzung eindeutig beseitigen.
74 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
So findet man manchmal den zweiten Hauptsatz dahin cha-
rakterisirt, dass die Verwandlung von Arbeit in Wärme voll-
ständig, die von Wärme in Arbeit dagegen nur unvollständig
stattfinden könne, in der Weise, dass jedesmal, wenn ein Quan-
tum Wärme in Arbeit verwandelt wird, zugleich nothwendiger-
weise ein anderes Quantum Wärme eine entsprechende, als
Compensation dienende Verwandlung, z. B. üebergang von höherer
in tiefere Temperatur, durchmachen müsse. Dieser Ausspruch
ist in gewissen ganz speziellen Fällen richtig; ganz allgemein
genommen trifft er aber durchaus nicht das Wesen der Sache, wie
der Deutlichkeit halber an einem einfachen Beispiel gezeigt
werden soll. Eine der allerwichtigsten mit der Entdeckung des
Energieprincips verknüpften Errungenschaften für die Wärme-
theorie ist der in der Gleichung (19) (§ 70) ausgesprochene Satz,
dass die gesammte innere Energie eines idealen Gases lediglich
von der Temperatur abhängt und nicht vom Volumen. Lässt
man nun ein ideales Gas sich unter Arbeitsleistung ausdehnen,
und verhindert man die Abkühlung des Gases durch gleichzeitige
Zuleitung von Wärme aus einem Wärmebehälter von höherer
Temperatur, so behält das Gas mit seiner Temperatur zugleich
auch seine Energie unverändert bei, und man kann sagen, dass
die vom Eeservoir abgegebene Wärme vollständig in Arbeit
verwandelt wird, ohne dass sonst irgendwo ein Energieumsatz
stattfindet. Gegen diesen Ausspruch lässt sich nicht das min-
deste Thatsächliche einwenden. Nur durch eine veränderte Be-
trachtungsweise, die aber nicht den physikalischen Thatbestand,
sondern nur die Auffassung desselben modificirt, also auch durch
Thatsachen weder gestützt noch widerlegt werden kann, lässt
sich der Satz von der „unvollständigen Verwandelbarkeit der
Wärme in Arbeit** aufrecht erhalten, nämlich mit Hülfe der
Einführung neuer, nur ad hoc ersonnener Energiearten, indem
man die Energie des Gases in mehrere Theile zerlegt, die dann
einzeln auch vom Volumen abhängen können. Diese Zerlegung
muss aber für verschiedene Fälle in verschiedener Weise vor-
genommen werden, z. B. für isothermische Prozesse anders als
für adiabatische, und erfordert auch für physikalisch einfache
Fälle ziemlich verwickelte Betrachtungen. Nun ist von vorn-
herein einleuchtend, dass man aus einer noch so künstlichen
Definition, selbst wenn sie in sich keinen Widerspruch enthält.
Einleitung, 75
niemals eine neue Thatsache ableiten kann; und um eine solche
handelt es sich, wenn man vom ersten Hauptsatz der Wärme-
theorie zum zweiten Hauptsatz übergeht.
§ 109. Um die Bedeutung des zweiten Hauptsatzes klar
hervortreten zu lassen, gibt es nur einen einzigen Weg: man
fuhrt ihn auf Thatsachen zurück dadurch, dass man Sätze
aufstellt, die sich durch Experimente bestätigen oder widerlegen
lassen. Ein solcher Satz nun ist der folgende: es ist auf keiner-
lei Weise möglich, einen Vorgang, in welchem Wärme durch
Eeibung entsteht, vollständig rückgängig zu machen. In aus-
führlicherer Erläuterung, etwa mit Exemplification auf die oben
§ 60 besprochenen, zur Bestimmung des mechanischen Wärme-
äquivalents von Joule angestellten ßeibungs versuche, soll dies
besagen: wenn die herabfallenden Gewichte durch die Reibung
der Schaufelräder im Wasser oder Quecksilber Wärme erzeugt
haben, so lässt sich kein Verfahren ersinnen, das den Anfangs-
zustand jenes Prozesses in der ganzen Natur genau wiederher-
stellt, d. h. die Gewichte wieder auf die ursprüngliche Höhe
schafft, die Flüssigkeit entsprechend abkühlt, und sonst keine
Veränderungen zurücklässt. Was dabei an technischen Hilfs-
mitteln, Maschinen mechanischer, thermischer, chemischer, elek-
trischer Art verwendet wird, ist ganz gleichgültig. Die in dem
Worte „vollständig" ausgesprochene Bedingung soll nur die sein,
dass schliesslich überall wieder genau der bekannte Anfangszu-
stand des ßeibungsprozesses hergestellt ist, wozu auch noth-
wendig gehört, dass alle etwa benutzten Materiahen und Maschinen
am Schluss sich wieder genau in demselben Zustand befinden
wie am Anfang, als man sie in Benutzung nahm.
Dieser Satz ist nicht a priori beweisbar, er stellt auch keine
Definition vor, sondern er enthält eine bestimmte, in jedem
Einzelfall genau zu präcisirende Behauptung, welche durch
Thatsachen geprüft werden kann dadurch, dass man wirklich
Versuche in der bezeichneten Richtung anstellt: er ist also ent-
weder richtig oder falsch.
§ 110. Ein anderer derartiger, hiemit in engem Zusammen-
hang stehender Satz ist der folgende: Es ist auf keinerlei Weise
möglich, einen Vorgang, bei welchem sich ein Gas ohne äussere
Arbeitsleistung und ohne äussere Wärmezufuhr, also mit con-
stanter Gesammtenergie ausdehnt (wie § 68 beschrieben), voll-
76 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
ständig rück^ngig zu machen — das Wort „vollständig^* immer
in demselben Sinn genommen wie oben. Wollte man den Ver-
such dazu machen, so könnte man z. B. das Gas, nachdem es
seinen neuen Gleichgewichtszustand angenommen hat, zunächst
auf sein altes Volumen comprimiren, etwa durch Herabsinken-
lassen eines Gewichts. Dann wird äussere Arbeit aufgewendet
und zugleich das Gas entsprechend erwärmt. Damit ist an und
für sich noch nichts bewiesen, es kommt vielmehr jetzt darauf
an, das Gas ganz in seinen ehemaligen Zustand zu bringen und
das benutzte Gewicht wieder heraufzuschaffen. Leitet man nun,
um das Gas auch auf seine alte Temperatur zurückzubringen, die
Compressionswärme bei constant gehaltenem Volumen ab, etwa
in ein kühleres Wärmereservoir, so müsste, damit der Prozess
vollständig rückgängig wird, dem Reservoir die empfangene
Wärme wieder entzogen und femer das Gewicht auf seine ur-
sprüngliche Höhe gebracht werden, ohne dass anderweitige Ver-
änderungen zurückbleiben. Das ist aber genau dieselbe Aufgabe,
deren Unausführbarkeit im vorigen Paragraphen behauptet wurde.
§ 111. Ein dritter hiehergehöriger Satz betriflft die Wärme-
leitung. Gesetzt, ein Körper nehme durch Leitung eine gewisse
Wärmemenge von einem anderen, höher temperirten, auf, und
es handle sich darum, diesen Prozess vollständig rückgängig zu
machen, d. h. die Wärme zurückzuschaffen, ohne dass ander-
weitige Veränderungen in der Natur übrig bleiben. In der Be-
schreibung des CABNOT'schen umkehrbaren Kreisprozesses (§91)
ist schon darauf hingewiesen worden, dass man es stets in der
Hand hat, einem Wärmebehälter Wärme zu entziehen und die-
selbe auf einen wärmeren Behälter zu übertragen, ohne dass
irgendwelche andere Veränderungen zurückbleiben, als dass eine
gewisse Arbeit verbraucht ist und die ihr äquivalente Wärme
sich in einem der beiden Reservoire vorfindet. Die Aufgabe, den
Prozess der Wärmeleitung vollständig rückgängig zu machen,
wäre also gelöst, wenn man auch noch die letztgenannte Wärme
wieder entfernen und dafür die entsprechende Arbeit gewinnen
könnte, ohne anderweitige Veränderungen, was wiederum auf
das in § 109 als unausführbar bezeichnete Problem hinauskommt
Weitere Beispiele von Prozessen, an die sich ganz dieselben
Betrachtungen knüpfen lassen, wären die Diffusion, das Gefrieren
unterkühlter Flüssigkeit, die Condensation übersättigten Dampfes,
Einleitung. 77
jeder explosive Vorgang, überhaupt jeder Uebergang eines Systems
in einen stabüeren Zustand.
§ 112« Ein Prozess, der auf keine einzige Weise voll-
ständig rückgängig gemacht werden kann, heisst ,,irreversibel<^
alle anderen Prozesse „reversibel". Damit ein Prozess irrever-
sibel ist, genügt es also nicht, dass er sich nicht direkt um-
kehren lässt — das ist auch bei vielen mechanischen Prozessen
der Fall, die nicht irreversibel sind (vergl. § 113) — sondern
es wird erfordert, dass es selbst mit Anwendung sämmüicher
in der Natur vorhandenen Reagentien kein Mittel gibt, um, wenn
der Prozess abgelaufen ist, allenthalben genau den Anfangs-
zustand wiederherzustellen. Danach besagen die in den letzten
Paragraphen besprochenen Sätze, dass die Wärmeerzeugung
durch Eeibung, die Ausdehnung eines Gases ohne äussere Arbeit
imd äussere Wärme, die Wärmeleitung u. s. w. irreversible
Prozesse sind.
§ 113. Grehen wir nun auf die Frage der thatsächlichen
Existenz reversibler und irreversibler Prozesse etwas ein. Re-
versible Prozesse lassen sich, wenigstens in der Idee, unmittel-
bar in grosser Anzahl angeben. So sind alle diejenigen Prozesse
reversibel, welche in der § 71 auseinandergesetzten Ausdrucks-
weise aus lauter Gleichgewichtszuständen bestehen und daher
in allen ihren Theilen direkt umgekehrt werden können, femer
alle vollkommen periodisch verlaufenden Prozesse (ideales Pendel,
Planetenbewegung); denn nach Ablauf einer Periode ist der An-
fangszustand vollständig wiederhergestellt Auch alle mit absolut
starren Körpern und mit absolut incompressiblen Flüssigkeiten
vorgenommenen mechanischen Prozesse, soweit ßeibungshinder-
nisse vermieden werden können, sind reversibel. Denn durch
Einführung geeigneter, aus absolut festen Führungen, reibungs-
losen Gelenken und Röhren, undehnbaren Seilen u. s. w. zu-
sammengesetzten Maschinen kann man stets bewirken dass die
veränderten Systeme wieder vollständig in den Anfangszustand
zurückgeführt werden, ohne dass an diesen Maschinen, die ja
selber niemals Arbeit leisten, irgendeine Veränderung zurückbleibt.
Wenn z. B. eine in zwei communicirenden Röhren auf ver-
schiedenen Niveauhöhen befindliche ursprünglich ruhende schwere
Flüssigkeit, wie in § 107 beschrieben, durch ihre Schwere in
Bewegung geräth, so wird sie vermöge der gewonnenen leben-
78 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
digen Kraft die Gleichgewichtslage überschreiten, nach der ent-
gegengesetzten Seite pendeln und schliesslich, da keine Eeibung
vorausgesetzt ist, genau in ihren Anfangszustand zurückkehren.
Dann ist der Prozess vollständig rückgängig geworden und ge-
hört daher zu den reversibeln Prozessen. Sobald aber die Eei-
bung ins Spiel kommt, ist die Eeversibilität mindestens fraglich.
Ob es überhaupt irreversible Prozesse gibt, kann man von vorne-
herein nicht wissen und auch nicht beweisen; denn rein logisch
genommen ist es sehr wohl denkbar, dass eines Tages ein Mittel
aufgefunden würde, durch dessen Anwendung es gelänge, einen
bisher als irreversibel angenommenen Prozess, z. B. einen Vor-
gang, in welchem Eeibung oder Wärmeleitung vorkommt, voll-
ständig rückgängig zu machen. Wohl aber lässt sich be-
weisen — und dieser Beweis wird im nächsten Capitel geführt
werden — dass, wenn auch nur in einem einzigen Falle einer
der in den §§ 109 ff. als irreversibel bezeichneten Prozesse in
Wirklichkeit reversibel wäre, es nothwendig auch alle übrigen
in allen Fällen sein müssten. Folglich sind entweder sämmt-
liche oben angeführte Prozesse wirklich irreversibel, oder es ist
kein einziger von ihnen. Ifiin Drittes ist ausgeschlossen. Im
letzteren Falle stürzt der ganze Bau des zweiten Hauptsatzes
zusammen, keine der zahlreichen aus ihm hergeleiteten Be-
ziehungen, so viele einzelne auch durch die Erfahrung bestätigt
sind, kann mehr als allgemein bewiesen gelten und die Arbeit
der Theorie muss von vorne beginnen. (Die sogenannten Be-
weise der „Energetik" gewähren keinen Ersatz ; denn sie stellen
sich bei näherer Prüfung sämmtlich nur als mehr oder minder
mangelhafte Umschreibungen des zu Beweisenden heraus, was
darzulegen hier nicht der Ort ist). Aber gerade in diesem
Punkte liegt auch die dem zweiten Hauptsatz innewohnende
Kraft Denn ebenso wie jede einzelne Lücke ihn völlig un-
haltbar macht, so kommt auch jede einzelne Bestätigung dem
Ganzen zu Gute und verleiht den Schlüssen auch auf schein-
bar entfernten Gebieten die volle Bedeutung, die der Satz
selber besitzt.
§ 114. Da die Entscheidung darüber, ob ein bestimmter
ins Auge gefasster Prozess irreversibel oder reversibel ist, nur
davon abhängt, ob er sich auf irgend eine Weise vollständig
rückgängig machen lässt oder nicht, so kommt es dabei lediglich
Einleitung. 79
auf die Beschaffenheit des Anfangszustandes und die des End-
zustandes des Prozesses an, nicht aber auf seinen sonstigen
Verlauf. Denn es handelt sich nur um die Frage, ob man, aus-
gehend vom Endzustand, auf irgend eine Weise den Anfangs -
zustand ohne andei'weitige Aenderung wieder erreichen kann
oder nicht Daher liefert der zweite Hauptsatz für jeden be-
liebigen in der Natur stattfindenden Prozess eine Beziehung
zwischen denjenigen Grössen, welche sich auf den Anfangszustand
beziehen, und denjenigen, welche sich auf den Endzustand be-
ziehen. Bei irreversibeln Prozessen ist offenbar der Endzustand
durch eine gewisse Eigenschaft vor dem Anfangszustand ausge-
zeichnet, während bei reversibeln Prozessen diese beiden Zu-
stände in gewisser Hinsicht gleichwerthig sind. Der zweite
Hauptsatz lehrt diese charakteristische Eigenschaft der beiden
Zustände kennen, er lehrt also auch, falls die beiden Zustände
gegeben sind, von vorneherein bestimmen, ob in der Natur ein
Uebergang vom ersten zum zweiten oder vom zweiten zum ersten
Zustand möglich ist, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen
zurückbleiben. Dazu müssen aber die beiden Zustände voll-
kommen genau charakterisirt werden, insbesondere müssen
ausser der chemischen Beschaffenheit des in Frage kommen-
den Systems auch die physikalischen Bedingungen: Aggregat-
zustand, Temperatur, Druck in beiden Zuständen bekannt sein,
ebenso wie das bei der Anwendung des ersten Hauptsatzes er-
fordert wird.
Die vom zweiten Hauptsatz gelieferte Beziehung wird offen-
bar um so einfacher lauten, je weniger sich der Endzustand
vom Anfangszustand unterscheidet Daher rührt die grosse
Fruchtbarkeit des zweiten Hauptsatzes für Kreisprozesse, die,
so verwickelt sie in ihrem Verlauf sonst sein mögen, doch einen
von dem Anfangszustand nur wenig verschiedenen Endzustand
liefern (vgl. § 91).
§ 115. Da es thatsächlich keinen Prozess in der Natur
gibt, der nicht mit Reibung oder Wärmeleitung verbunden wäre,
so sind, wenn der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie richtig
ist, sämmtliche Naturprozesse in Wirklichkeit irreversibel, und die
reversibeln Prozesse bilden nur einen idealen Grenzfall, der aber
für die theoretische Beweisführung und für die Anwendung auf
Gleichgewichtszustände von erheblicher Wichtigkeit ist.
80 Der zweite HauptacUz der Wärmetheorie,
II. Capitel. Beweis.
§ 116« Da der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, ebenso
wie der erste, ein Erfahrungssatz ist, so kann man von seinem
Beweise nur insofern reden, als sein gesammter Inhalt sich aus
einem einzigen einfachen Erfiahrungssatz von einleuchtender
Gewissheit deduciren lässt. Daher stellen wir folgenden Satz
alß durch die Erfahrung unmittelbar gegeben an die Spitze: „Es
ist unmöglich, eine periodisch funktionirende Maschine zu con-
struiren, die weiter nichts bewirkt als Hebung einer Last und
Abkühlung eines Wärmereservoirs." Eine solche Maschine könnte
zu gleicher Zeit als Motor und als Kältemaschine benutzt werden,
ohne jeden anderweitigen dauernden Aufwand an Energie imd
Materialien, sie wäre also jedenfalls die vortheilhafteste von der
Welt Zwar käme sie dem perpetuum mobile nicht gleich ; denn
sie erzeugt Arbeit keineswegs aus Nichts, sondern aus der Wärme,
die sie dem Reservoir entzieht. Deshalb steht sie auch nicht, wie
das perpetuum mobile, im Widerspruch mit dem Energieprincip.
Aber sie besässe doch den für die Menschheit wesentlichsten
Vorzug des perpetuum mobile : Arbeit kostenlos zu liefern. Denn
die etwa in dem Erdboden, in der Atmosphäre, im Fahrwasser
enthaltene Wärme bietet sich ebenso, wie der Sauerstoff der
Luft, immer in unerschöpflicher Menge einem Jeden zur unmittel-
baren Benutzung dar. Dieser Umstand ist der Grund, weshalb
wir mit dem genannten Satz beginnen. Denn da wir aus ihm den
zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie deduciren werden, so sichern
wir uns damit zugleich die Aussicht, bei jeder etwa entdeckten
Abweichung einer Naturerscheinung von dem zweiten Hauptsatz
sogleich eine praktisch höchst bedeutungsvolle Nutzanwendung
aus ihr ziehen zu können. Sobald nämlich irgend ein Phänomen
aufgefunden werden sollte, was einer einzelnen aus dem zweiten
Hauptsatz gezogenen Folgerung widerspricht, so müsste der
Widerspruch in einer Unrichtigkeit der gemachten allerersten
Voraussetzung liegen, und man könnte, an der Hand der Beweis-
führung zurückgehend, das Phänomen zur Combination der ge-
nannten Maschine benutzen. Wir wollen dieselbe im Folgenden
zur Abkürzung nach einem Vorschlag von Ostwald ein perpetuum
mobile zweiter Art nennen, da sie zu dem zweiten Hauptsatz
in derselben Beziehung steht, wie das perpetuum mobile erster
Beweis. 81
Art zum ersten Hauptsatz. Bei allen Einwänden gegen den
zweiten Hauptsatz ist also daran festzuhalten, dass sie sich in
letzter Linie, falls in der Beweisführung kein Fehler gefunden
wird, immer gegen die Unmöglichkeit des perpetuum mobile
zweiter Art richten (vgl. § 136).
§ 117. Aus der Unmöglichkeit des perpetuum mobile
zweiter Art folgt zunächst, dass die Erzeugung von Wärme
durch Reibung „irreversibel'- ist (vgl. die Definition § 112).
Gesetzt nämlich, die Wärmeerzeugung durch Reibung sei nicht
irreversibel, d. h. man hätte eine Methode, um irgend einen
Vorgang, der in Erzeugung von Wärme durch Reibung besteht,
auf irgend eine Weise vollständig rückgängig zu machen, so
wäre diese Methode eben nichts Anderes als ein perpetuum
mobile zweiter Art. Denn das, was die Methode leisten würde,
wäre identisch mit dem, was das perpetuum mobile zweiter Art
leistet: eine Veränderung, die in nichts Anderem besteht als in
Erzeugung von Arbeit und Absorption der äquivalenten Wärme.
§ 118. Daraus folgt weiter, dass auch die Ausdehnung
eines Gases ohne äussere Arbeitsleistung und ohne Wärmezufuhr
irreversibel ist. Gesetzt nämhch, man hätte eine Methode,
diesen Prozess vollständig rückgängig zu machen, d. h. ein Gas
durch irgend ein Verfahren auf ein kleineres Volumen zu
bringen, ohne dass irgendwelche anderweitige Veränderungen
zurückbleiben, so könnte man diese Methode sogleich zur An-
fertigung eines perpetuum mobile zweiter Art folgendermassen
verwerthen. Man lässt das Gas sich unter Arbeitsleistung aus-
dehnen, ersetzt dem Gase die dabei verausgabte Energie durch
Zuleitung von Wärme aus irgend einem Reservoir von gleicher
oder höherer Temperatur, und verkleinert dann nach der an-
genommenen Methode das Volumen des Gases wieder auf den
Anfangswerth, ohne dass anderweitige Veränderungen übrig
bleiben. Dieser Prozess, beliebig oft wiederholt, stellt eine
periodisch funktionirende Maschine vor, durch die weiter nichts
bewirkt wird, als dass Arbeit geleistet und ausserdem dem Re-
servoir Wärme entzogen wird — also ein perpetuum mobile
zweiter Art.
Auf Grund des so bewiesenen Satzes, dass die Ausdehnung
eines Gases ohne äussere Arbeitsleistung und Wärmezufuhr
irreversibel ist, wollen wir nun zunächst den Beweis des zweiten
Planck, Thermodynamik. 6
82 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
Hauptsatzes durchführen für diejenige Klasse von Körpern,
deren thermodynamische Eigenschaften nach allen Richtungen
bekannt sind: für ideale Gase.
§ 119« Wenn man ein ideales Gas unendlich langsam
comprimirt oder dilatirt und ihm dabei gleichzeitig Wärme von
Aussen zuführt oder entzieht, so ist nach der Gleichung (22) in
jedem unendlich kleinen Theil des Prozesses ftlr die Massen-
Einheit:
q = du + pdv
oder, da für ein ideales Gas nach (32)
und nach (14):
du = e^d ß-
R d
m V
q =z cd& -\ dv.
Wenn nun die Zustandsänderung adiabatisch erfolgt, so ist
y = 0, und durch Integration der Gleichung ergibt sich, wie in
§ 88, dass die Funktion
c^logi9- + — logv
constant bleibt. Nennen wir also den Ausdruck:
(51) s = % log & -\ log V + const.
nach Clausius die Entropie der Masseneinheit des Gases,
definirt bis auf eine additive Constante, die durch Festsetzung
eines Nullzustandes nach Willkühr fixirt werden kann, und dem-
entsprechend:
(52) S= M'S = MLlog x9- + ^logv + const]
die Entropie der Masse M des Gases, so bleibt die Entropie
des Gases bei der beschriebenen speziellen adiabatischen Zu-
standsänderung constant.
§ 130. Bei Wärmezufuhr ändert sich die Entropie des
Gases, und zwar in dem hier betrachteten Falle um:
/RQ\ jo njrl ^^ I ^ dv\ M-q Q
(53) ds = M\c^-^ + --) = -^ = -^
sie nimmt also zu oder ab, je nachdem Wärme zugeführt oder
abgeleitet wird.
Beweis, 83
Es ist jedoch hier hesonders zu hetonen, namentlich auch
mit Eücksicht auf eine neuerdings geltend gemachte Ansicht,
nach welcher die Zerlegung der zugeflihrten Wärme Q in die
beiden Paktoren 3- und dS eine allgemeine Eigenschaft der
Wärme sein soll, dass die letzte Gleichung keineswegs allgemein
gilt, sondern nur dann, wenn die bei der Zustandsänderung vom
Gase geleistete äussere Arbeit den Wert pdV hat. Denn die
Beziehung:
jo url d& , B dv\ dü + pdV
gilt ganz allgemein für jeden beliebigen Vorgang, der das Gas
auf die Temperatur & + dd- und das Volumen V + dV bringt,
da sie nur eine andere mathematische Form für die in (52)
gegebene Definition der Entropie ist
Dagegen gilt die Gleichung
Q = dU + pdV
keineswegs immer, sondern ist im Allgemeinen durch die andere;
Q + Ä = dü
zu ersetzen, wo Ä, die aufgewendete äussere Arbeit, innerhalb
gewisser Grenzen jeden beliebigen Werth haben kann. So ist
z. B. -4 = 0, wenn das Gas, wie in dem § 68 beschriebenen
Prozess, ohne Leistung äusserer Arbeit in einen neuen Gleich-
gewichtszustand übergeführt wird. Dann ist Q = d U, und die
Gleichung Q = & - dS wird ungültig.
§ 131. Nun betrachten wir zwei Gase, die sich gegen-
seitig durch Leitung Wärme mittheilen können, aber im All-
gemeinen unter verschiedenem Drucke stehen mögen. Nimmt
man mit einem dieser Gase oder mit beiden irgend eine um-
kehrbare Volumenveränderung vor, und sorgt gleichzeitig dafür,
dass die Temperaturen der Gase sich in jedem Augenblick durch
Wärmeleitung ausgleichen und dass mit der äusseren Umgebung
keinerlei Wärmeaustausch stattfindet, so ist nach Gleichung (53)
für das erste Gas in jedem Zeitelement des Prozesses:
Ol
dS^ =
Ebenso für das zweite Gas:
dS. =
^1
2 "" ^,'
6'
84 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
aber nach der Voraussetzung ist:
ß-^ = 19-2 und Oj^ + O2 = 0.
Folglich: dS^+dS^ =
oder für eine endliche Zustandsänderung:
(54) 6'i + &j = const.
Die Summe der Entropieen beider Gase bleibt also bei der
beschriebenen Zustandsänderung constant
§ 122. Ein jeder derartiger mit den beiden Gasen aus-
geführter Prozess ist offenbar in allen Theilen reversibel, da er
direkt in umgekehrter Richtung ausgeführt werden kann, ohne
in anderen Körpern irgendwelche Veränderungen zu hinterlassen.
Daraus folgt der Satz, dass es immer möglich ist, die beiden
Gase aus einem ganz beliebig gegebenen Zustand durch einen
reversibeln Prozess in irgend einen anderen von vorneherein
gegebenen Zustand zu bringen, ohne dass in anderen Körpern
Aenderungen zurückbleiben, wenn nur die Summe der Entropieen
beider Guse in den beiden Zuständen die gleiche ist. Zum
Beweis dieses Satzes dient folgendes: Es sei der Anfangs-
zustand gegeben durch die Werthe der Temperaturen ß-^ und ß-^^
und der spezifischen Volumina v^ und v^ der beiden Gase, der
zweite Zustand durch die bez. Werthe &^ ß^ und v^ v^. Voraus-
setzung ist, dass
(55) S^ + S^^ S^ + S^\
Man bringe nun zunächst das erste Gas durch umkehrbare
adiabatische Compression oder Dilatation auf die Temperatur
ß^, stelle alsdann mit dem zweiten Gas eine wärmeleitende Ver-
bindung her und comprimire oder dilatire das erste Gas unend-
lich langsam weiter. Dabei wird jetzt Wärme aus dem ersten in
das zweite Gas durch Leitung übergehen oder umgekehrt, es ändert
sich daher die Entropie des ersten Gases, und man kann es dahin
bringen, dass diese Entropie den Werth S^' annimmt Nun ist
bei dem beschriebenen Vorgang nach (54) die Summe der En-
tropieen beider Gase constant = S^^ + S^ geblieben, folglich ist
dann die Entropie des zweiten Gases gleich
(S, + S,) - 5/
geworden, d. h. nach der Voraussetzung (55) gleich S,'.
Jetzt trennen wir die beiden Gase wieder und behandeln
Beweis, 85
jedes einzelne adiabatisch -umkehrbar, bis es die Temperatur
i?-/ bez. iS-g' angenommen hat. Dann muss das spezifische Vo-
lumen v^' bez. Vg' sein, und der verlangte Zustand ist erreicht.
Der beschriebene Prozess ist in allen Theilen reversibel,
auch sind in anderen Körpern keine Veränderungen zurück-
geblieben, insbesondere ist in der Umgebung kein Wärmeverlust
oder -Gewinn entstanden, die Bedingungen der gestellten Auf-
gabe sind also alle erfüllt, und der ausgesprochene Satz bewiesen.
§ 13S« Ein gleicher Satz lässt sich leicht beweisen für
beliebig viele Gase. Es ist immer möglich, ein System von
n Gasen aus einem beliebig gegebenen Zustand durch einen
reversibeln Prozess in einen anderen beliebig gegebenen Zustand
zu bringen, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen zurück-
bleiben, wenn nur die Summe der Entropieen aller Gase in
beiden Zuständen die gleiche ist, d. h. wenn
S^ + S^ + .,. + Sn= S^' + S^ + --* + Sn (56)
Denn durch successive Combination je zweier Gase des Systems
kann man mittelst der im vorigen Paragraph beschriebenen
Prozesse zunächst die Entropie des ersten Gases, dann die des
zweiten, dann die des dritten, u. s. w. auf den verlangten Werth
bringen, bis auf die des (w— l)ten Gases einschliesslich. Nun
ist bei jeder der einzelnen nacheinander vorgenommenen Zu-
standsänderungen die Summe der Entropieen sämmtlicher Gase
constant geblieben. Haben also die Entropieen der n— 1 ersten
Gase ihre verlangten Werthe: aS/, S^, ... ^n-i» so nimmt die
Entropie des nten Gases nothwendig den Werth:
d. h. nach (56) den verlangten Werth Sn an. Alsdann kann
man jedes Gas einzeln durch umkehrbare adiabatische Behand-
lung in den gewünschten Zustand bringen, und die Aufgabe ist
vollständig gelöst.
Nennen wir die Summe der Entropieen aller Gase die
Entropie des ganzen Systems, so können wir sagen: Wenn das
Gas-System in zwei verschiedenen Zuständen den gleichen Werth
der Entropie besitzt, so lässt sich das System aus dem einen
Zustand in den anderen Zustand durch einen reversibeln Prozess
überführen, ohne dass in anderen Körpern Veränderungen zu-
rückbleiben.
86 Der xweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
§ 124. Nun führen wir den im § 118 bewiesenen Satz
ein, dass die Ausdehnung eines idealen Gases ohne äussere
Arbeitsleistung und Wärmezufuhr, oder, was dasselbe ist, dass
der üebergang eines idealen Gases in einen Zustand grösseren
Volumens und gleicher Temperatur, ohne äussere Wirkungen,
wie in § 68 beschrieben, irreversibel ist. Einem solchen üeber-
gang entspricht nach der Definition (52) eine Vergrösserung der
Entropie des Gases. Daraus folgt sogleich, dass es überhaupt
unmöglich ist, die Entropie eines Gases zu verkleinem, ohne
dass in anderen Körpern Aenderungen zurückbleiben. Denn
gäbe es hierfür irgend ein Verfahren, so könnte man die irre-
versible Ausdehnung eines idealen Gases dadurch vollständig
rückgängig machen, dass man, nachdem das Gas sich ohne
äussere Wirkungen ausgedehnt und seinen neuen Gleichgewichts-
zustand angenommen hat, zunächst mittelst des angenommenen
Verfahrens die Entropie des Gases auf ihren ursprünglichen
Werth verkleinert, ohne dass in anderen Körpern eine Verän-
derung zurückbleibt, und dann durch einen umkehrbaren adia-
batischen Prozess die ursprüngliche Temperatur und damit auch
das ursprüngliche Volumen wiederherstellt. Dann wäre also die
erste Ausdehnung vollständig rückgängig gemacht und somit
nach § 118 das perpetuum mobile zweiter Art fertig.
§ 135. Ebenso verhalten sich in Folge dessen auch zwei
und beliebig viele ideale Gase. Es gibt in der ganzen Natur
kein Mittel, um die Entropie eines Systems idealer Gase zu
verkleinem, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen zurück-
bleiben. Denn jede Vorrichtung, welche dies leisten würde —
sie sei mechanischer, thermischer, chemischer, elektrischer Art —
könnte wiederum dazu benutzt werden, um die Entropie eines
einzelnen Gases zu verkleinem, ohne dass in anderen Körpern
Aenderungen zurückbleiben.
Gesetzt nämUch, die Entropie des Systems, oder die Summe
der Entropieen aller Gase, sei aus dem Zustand, in welchem die
Werthe der Entropieen S^, S^, » . - Sn sind, auf irgend eine Weise
in einen anderen Zustand mit den Entropieen S^', S^\ . . S^ über-
geführt worden, wobei
(57) S^' + S^'+ . . . +Sn<S^ + S^+ . . . +Sn,
ohne dass in anderen Körpern Aenderungen zurückgeblieben
sind. Dann könnte man nach dem im § 123 bewiesenen Satze
Beweis, 87
stets durch einen reversibeln Prozess, ohne in anderen Körpern
Veränderungen zurückzulassen, das System in jeden beliebigen
Zustand bringen, in welchem die Summe der Entropieen den
Werth 8^+8^+.,, + S^ besitzt; folglich auch in einen Zu-
stand^ in welchem das erste Gas die Entropie S^, das zweite die
Entropie S^, . . ., das (n— l)te die Entropie Sn^i^ und das nte
Gas in Folge dessen die Entropie:
(/S'j' + S2'+ . . . +Ä„') — /Sj — ^2 — . . . — aSw-i (58)
besitzt Ist dies geschehen, so lassen sich alle Gase bis auf das
nte durch umkehrbare adiabatische Prozesse einzeln in ihren
ehemaligen Zustand zurückbringen. Nur das nte Gas besitzt
die Entropie (58), und diese ist nach der Voraussetzung (57)
kleiner als die ursprüngliche Entropie Sn war. So ist also im
Ganzen die Entropie des nten Gases verkleinert worden, ohne
dass in anderen Körpern irgend welche Veränderungen zurück-
geblieben sind, und dies hatten wir schon im vorigen Paragraphen
als unmöglich nachgewiesen.
Somit ist der am Anfang dieses Paragraphen ausgesprochene
allgemeine Satz bewiesen, und wir können daran unmittelbar
den folgenden knüpfen.
§ 126. Wenn ein System idealer Gase auf irgend eine
Weise in irgend einen anderen Zustand übergegangen ist, ohne
dass in anderen Körpern Aenderungen zurückgeblieben sind, so
ist die Entropie des Systems im Endzustand jedenfalls nicht
kleiner, also entweder grösser oder, im Grenzfall, ebensogross
als im Anfangszustand, oder; die durch den Prozess verursachte
Gesammtänderung der Entropie ist ^0. Im Fall der Ungleichung
ist der Prozess irreversibel, im Fall der Gleichung reversibel.
Die Gleichheit der Entropieen in beiden Zuständen bildet
also nicht nur, wie in § 123, eine hinreichende, sondern zu-
gleich auch die nothwendige Bedingung für die vollständige
Eeversibilität des Uebergangs von dem einen Zustand in den
anderen, falls in anderen Körpern keine Aenderungen zurück-
bleiben sollen.
§ 127. Dieser Satz hat einen beträchtlichen Gültigkeits-
bereich; denn da über den Weg, auf welchem das Gassystem
in den Endzustand gelangt, ausdrücklich garkeine beschränkende
Voraussetzung gemacht ist, so gilt er nicht etwa blos für lang-
88 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie.
sam und einfach verlaufende, sondern für beliebig complicirte
physikalische und chemische Prozesse, wenn nur am Schluss
derselben in keinem Körper ausserhalb des Systems Verände-
rungen zurückgeblieben sind. Auch darf man nicht glauben^
dass die Entropie eines Gases nur für Gleichgewichtszustände
Bedeutung hat. Denn so gut man in einer beliebig tumultu-
arisch bewegten Gasmasse jedes hinreichend kleine Massentheil-
chen als homogen und von bestimmter Temperatur annehmen
kann, so muss man ihm auch nach (52) einen bestimmten Werth
der Entropie zuschreiben, wobei dann M die Masse, v die reci-
proke Dichte und & die Temperatur des Theilchens sind. Die
Summirung über alle Massentheilchen, wobei v und & von Theil-
chen zu Theilchen variiren können, ergibt dann die Entropie
der ganzen Gasmasse in dem betr. Zustand, und der Satz bleibt
bestehen, dass die Entropie des gesammten Gases bei irgend
einer Zustandsänderung, z. B. beim Ausströmen aus einem Ge-
fäss in ein Vakuum (§ 68) in jedem Augenblick zunehmen muss,
falls in anderen Körpern keine Veränderungen eintreten. Die
Geschwindigkeit der Gastheilchen hat, wie man sieht, gar keinen
Eintiuss auf den Werth der Entropie, ebensowenig wie die Höhe
der als schwer gedachten Theilchen über einer bestimmten
Horizontalebene.
§ 138. Die bisher für ideale Gase abgeleiteten Gesetze
lassen sich ganz in derselben Weise auch auf beliebige Sub-
stanzen tibertragen, wobei der Hauptunterschied nur darin be-
steht, dass man den Ausdruck der Entropie für einen beliebigen
Körper im AUgemeinen nicht in endlichen Grössen hinschreiben
kann, weil die Zustandsgieichung nicht allgemein bekannt ist.
Doch lässt sich stets beweisen — und dies allein ist der ent-
scheidende Punkt — dass auch für beliebige andere Körper
ekie Funktion mit den charakteristischen Eigenschaften der
Entropie wirklich existirt.
Wir denken uns mit einem beliebigen homogenen Körper,
von der Art, wie wir ihn § 67 ff. betrachtet haben, einen ge-
wissen, reversibeln oder irreversibeln, Kreisprozess ausgeführt,
der also den Körper genau in seinen Anfangszustand zurück-
bringt. Die äusseren Wirkungen auf den Körper sollen in
Arbeitsleistung und in Wärmezufuhr oder -Abfuhr bestehen, welch
letztere durch eine beliebige Anzahl geeigneter Wärmebehälter
Beweis, 89
vermittelt wird. Nach Beendigung des Prozesses sind in dem
Körper garkeine Aenderungen zurückgeblieben, nur die Wärme-
behälter haben ihren Zustand geändert. Wir wollen nun als
Träger der Wärme in den Behältern lauter ideale Gase an-
nehmen, die etwa auf constantem Volumen oder auch unter
constantem Druck gehalten werden mögen, jedenfalls aber nur
umkehrbaren Volumenänderungen unterworfen sein sollen. Nach
dem zuletzt bewiesenen Satze kann die Summe der Entropieen
aller Gase nicht kleiner geworden sein, da nach Beendigung des
Prozesses in keinem anderen Körper eine Veränderung zurück-
geblieben ist.
Bezeichnet nun Q die von einem Wärmebehälter während
eines unendlich kleinen Zeitelements an den Körper abgegebene
Wärmemenge, & die Temperatur des Behälters in demselben
Augenblick, so ist die in demselben Zeitelement erfolgte Entropie-
änderung des Behälters nach Gleichung (53):
daher die im Verlauf aller Zeitelemente erfolgte Entropieänderung
sämmtlicher Behälter:
und es gilt nach § 126 die Bedingung:
oder: X^^<0
In dieser Form hat Claüsius zuerst den zweiten Hauptsatz
ausgesprochen.
Eine andere Bedingung für den betrachteten Prozess liefert
der erste Hauptsatz. Denn für jedes Zeitelement des Prozesses
ist nach Gleichung (17) § 63:
Q + Ä = dU,
wobei U die innere Energie des Körpers, A die im Zeitelement
gegen ihn aufgewendete äussere Arbeit bezeichnet.
§ 129. Nehmen wir nun spezieller an, dass der äussere
Druck in jedem Augenblick gleich dem Druck p des Körpers
ist, so wird die Compressionsarbeit nach (20):
90 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
woraus folgt:
Q=.dU + pdV.
Sei femer die Temperatur eines jeden Wärmebehälters in dem
Augenblick, wo er in Funktion tritt, gerade gleich der gleich-
zeitigen Temperatur des Körpers, dann ist der Kreisprozess
reversibel, und die Ungleichung des zweiten Hauptsatzes ver-
wandelt sich in die Gleichung:
oder, mit Substitution des Werthes von Q:
^ d U + pdV _ ^
In dieser Gleichung kommen nur solche Grössen vor, welche
sich auf den Zustand des Körpers selber beziehen, man kann
dieselbe also interpretiren, ohne auf Wärmereservoire irgend
welchen Bezug zu nehmen. Es ist darin folgender Satz aus-
gesprochen.
§ 180. Wenn man einen homogenen Körper durch passende
Behandlung eine Reihe von stetig aufeinanderfolgenden Gleich-
gewichtszuständen (§71) durchmachen lässt, und ihn so schliess-
lich wieder in seinen Anfangszustand zurückbringt, so liefert
das Differential
dU+pdV
&
über alle Zustandsänderungen summirt, den Werth Null. Daraus
folgt sogleich, dass, wenn man die Zustandsänderung nicht bis
zur Wiederherstellung des Anfangszustandes (1) fortsetzt, sondern
bei einem beliebigen Zustand (2) stehen bleibt, der Werth der
Summe: 2
1
lediglich abhängt von dem Endzustand (2) und dem Anfangs-
zustand (1), nicht aber von dem Wege des Ueberganges von
1 zu 2. Denn fasst man zwei verschiedene von 1 zu 2 führende
Reihen von Zustandsänderungen ins Auge (etwa die Curven cc
und ß in Fig. 2, § 75) so kann man diese beiden Reihen zu
einem unendlich langsamen Kreisprozess combiniren, indem man
etwa die eine Reihe (a) als Hinweg von 1 zu 2, die zweite (ß)
Beweis. 91
als Rückweg von 2 zu 1 benutzt Dann ist nach dem oben
Bewiesenen die Summe über den gesammten Kreisprozess:
l dU + pdV n dü + pdV ^ Q
1 2
mithin das erste Integral dem zweiten gerade entgegengesetzt,
woraus sich die Richtigkeit des aufgestellten Satzes ergibt.
Der Ausdruck (59) mit den bewiesenen Eigenschaften heisst
nach Clausius die Entropie des Körpers im Zustand 2, bezogen
auf den Zustand 1 als Nullzustand. Die Entropie eines Körpers
in einem bestimmten Zustand ist also, ebenso wie die Energie,
vollständig bestimmt bis auf eine additive Constante, welche
von der Wahl des Nullzustandes abhängt.
Bezeichnen wir die Entropie wieder mit S, so ist
^^ r dU + pdV
und, was dasselbe bedeutet:
auf die Massen einheit bezogen:
ds^ ^^^A^- (61)
Für ein ideales Gas ergibt sich hieraus wieder der bekannte
Werth (51). Ebenso kann man für jeden anderen Körper, wenn
seine Energie U = Mu und sein Volumen V = Mv als Funktionen
etwa von & und p bekannt sind, unmittelbar durch Integration
den Ausdruck der Entropie bestimmen (vgl. § 254). Da dies jedoch
noch für keine andere Substanz vollständig der Fall ist, so muss
man sich im Allgemeinen mit der Differentialgleichung begnügen.
Für den Beweis und für viele Anwendungen des zweiten Haupt-
satzes genügt es aber, zu wissen, dass diese Differentialgleichung
wirklich die eindeutige Definition der Entropie enthält.
§ 181. Hienach kann man nun, ebenso wie bei einem
idealen Gase, von der Entropie irgend einer Substanz als von einer
durch die augenblicklichen Werthe von Temperatur und Volumen
stets bestimmten endlichen Grösse reden, also auch dann, wenn
die Substanz beliebige, reversible oder irreversible, Aenderungen
erleidet, und die Differentialgleichung (61) für äs gilt, wie das
schon oben § 120 bei einem idealen Gas hervorgehoben wurde,
92 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
für jede beliebige, auch jede irreversible Aeüderung des Zu-
standes. In dieser Anwendung des Begriffes der Entropie darf
man keinen Widerspruch erblicken mit der Art der Ableitung
dieser Grösse. Gemessen wird die Entropie in jedem Zustand
eines Körpers mittelst eines reversibeln Prozesses, der den Kör-
per aus seinem jeweiligen Zustand in den Nullzustand überführt,
aber dieser ideale Prozess hat Nichts zu thun mit den reversibeln
oder irreversibeln Zustandsänderungen, die der Körper in Wirk-
lichkeit erlitten hat oder erleiden wird.
Dagegen ist andrerseits ausdrücklich zu betonen, dass die
Differentialgleichung (60) ^r dS nur für Aenderungen der Tem-
peratur und des Volumens, nicht aber für solche der Masse
des Körpers gilt. Denn von Aenderungen der letzteren Art
ist bei der Definition der Entropie überhaupt nicht die Rede
gewesen.
Endlich bezeichnen wir die Summe der Entropieen mehrerer
Körper kurz als die Entropie des Systems aller Körper, woraus
sich dann auch wieder, ebenso wie oben § 127 bei idealen Gasen
die Entropie eines in seinen einzelnen Theilen ungleichmässig
temperirten und bewegten Körpers durch Summation über alle
einzelnen Massenelemente ergibt, so lange man innerhalb jedes
unendlich kleinen Massenelements die Temperatur und die Dichte
als gleichmässig annehmen kann, während dagegen die Ge-
schwindigkeit und die Schwere gamicht in den Ausdruck der
Entropie eingeht.
§ 133. Nachdem nun die Existenz und der Werth der
Entropie für jeden beliebigen Zustand eines Körpers festgestellt
ist, bietet es nicht die geringste Schwierigkeit mehr, den von
§ 119 an beginnenden, oben nur für ideale Gase gelieferten
Beweis auf jedes System von Körpern zu übertragen. Man
findet wie in § 119, dass bei umkehrbarer adiabatischer Aus-
dehnung oder Compression eines Körpers seine Entropie constant
bleibt, während dagegen bei Wärmezufuhr von Aussen die
Entropieänderung beträgt:
(62) ^^ = 1
eine Beziehung, die jedoch, ebenso wie § 120 für ideale Gase
gezeigt wurde, nur dann gilt, wenn die Volumenänderung des
Körpers in umkehrbarer Weise erfolgt. Man findet femer, wie
Beweis, 93
in § 121, dass bei umkehrbarer Ausdehnung oder Compression
zweier Körper von gemeinsamer Temperatur, die untereinander,
aber nicht nach Aussen hin Wärme durch Leitung austauschen,
die Summe der Entropieen constant bleibt, und daran knüpfen
sich dann in ganz derselben Weise die entsprechenden üeber-
legungen, so dass wir uns nun darauf beschränken können, gleich
das allgemeine Besultat auszusprechen: Es ist auf keinerlei
Weise möglich, die Entropie eines Systems von Körpern zu ver-
kleinem, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen zurück-
bleiben. Wenn also irgend ein System von Körpern auf irgend
eine Weise, durch beliebige physikalische und chemische Aen-
derungen, in einen anderen Zustand übergegangen ist, ohne in
anderen Körpern Aenderungen zurückzidassen, so ist die Entropie
des Systems im Endzustand entweder grösser, oder, im Grenz-
faU, ebenso gross wie im Anfangszustand. Im ersten Fall ist
der Prozess irreversibel, im zweiten reversibel.
§ 188. Die bisher stets nothwendige Beschränkung, dass
in anderen Körpern keine Veränderungen zurückgeblieben sind,
lässt sich einfach dadurch aufheben, dass man alle von etwaigen
Veränderungen betroffenen Körper mit in das betrachtete System
hineinbezieht. Dann lautet der Satz folgendermassen: Jeder in
der Natur stattfindende physikalische und chemische Prozess
verläuft in der Art, dass die Summe der Entropieen sämmt-
licher an dem Prozess irgendwie betheiligten Körper vergrössert
wird. Im G-renzfall, für reversible Prozesse, bleibt jene Summe
ungeändert. Dies ist der allgemeinste Ausdruck des zweiten
Hauptsatzes der Wärmetheorie.
§ 184. Wie die Unmöglichkeit des perpetuum mobile erster
Art zum ersten Hauptsatz, dem Princip der Erhaltung der
Energie, führt, so hat uns die Unmöglichkeit des perpetuum
mobile zweiter Art zum zweiten Hauptsatz gefuhrt, den wir
daher passend als das Princip der Vermehrung der En-
tropie bezeichnen. Man kann diesem Princip in speziellen
Fällen noch andere Formen geben, welche für die praktische
Anwendung gewisse Vorzüge besitzen, besonders für isothermische
und isopiestische Prozesse. Wir werden diese Formen im
nächsten Capitel kennen lernen. Doch ist hier ausdrücklich zu
betonen, dass die hier gegebene Form unter allen die einzige
ist, welche sich ohne jede Beschränkung für jeden beliebigen
94 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
endlichen Prozess aussprechen lässt, und dass es daher für die
Irreversibilität eines Prozesses kein anderes allgemeines Maass
gibt als den Betrag der eingetretenen Vermehrung der Entropie.
Jede andere Form des zweiten Hauptsatzes ist entweder nur
auf unendlich kleine Zustandsänderungen anwendbar^ oder sie
setzt, auf endliche Zustandsänderungen ausgedehnt^ eine spezielle
äussere Bedingung voraus, unter welcher der Prozess verläuft.
Vgl. unten § 140 ff.
Die Bedeutung des zweiten Hauptsatzes ist häufig in einer
„Zerstreuung der Energie" gesucht worden. Indess stellt diese
Bezeichnung, welche an den irreversibeln Vorgang der Wärme-
leitung und -Strahlung anknüpft, die Sache nur von einer Seite
dar. Es gibt irreversible Prozesse, deren Endzustand genau
dieselben einzelnen Energieformen aufweist wie der Anfangs-
zustand, so z. B. die Diffusion zweier idealer Gase (§ 238),
oder die weitere Verdünnung einer sehr verdünnten Lösung.
Ein solcher Prozess ist von keinem merklichen Wärmeübergang,
keiner äussern Arbeit, überhaupt keinem merklichen Umsatz an
Energie begleitet, er geht nur deshalb vor sich, weil ihm eine
merkliche Vermehrung der Entropie entspricht. Ebensowenig
wie von einer zerstreuten Energie kann man im Allgemeinen
von einer „verlorenen Arbeit" als einem bestimmten Maass der
Irreversibilität reden. Dies ist nur bei isothermen Prozessen
möglich (§ 143). Allgemein erschöpfend aber kann der Inhalt
des zweiten Hauptsatzes nur durch den Begriff der Entropie
ausgedrückt werden.
§ 185. Clausiüs hat den ersten Hauptsatz der Wärme-
theorie dahin zusammengefasst, dass die Energie der Welt con-
stant bleibt, den zweiten dahin, dass die Entropie der Welt
einem Maximum zustrebt. Mit Recht ist dagegen eingewendet
worden, dass es keinen Sinn hat, schlechthin von der Energie
oder der Entropie der Welt zu sprechen, weil eine derartige
Grösse garnicht bestimmt zu definiren ist. Indessen fällt es
nicht schwer, die Clausiüs' sehen Sätze so zu formuliren, dass
sie sehr wohl einen Sinn ergeben, und dass dasjenige, was an
ihnen charakteristisch ist, und was Clausius offenbar mit ihnen
sagen wollte, deutlicher zum Ausdruck gelangt.
Die Energie jedes Körpersystems ändert sich nach Maass-
gabe der Wirkungen, welche von Aussen her auf das System
Beweis. 95
ausgeübt werden; nur bei Ausschluss aller äusseren Wirkungen
bleibt sie constant Da nun streng genommen ein System stets
äusseren Wirkungen unterliegt — denn eine absolute Absperrung
ist in der Natur unmöglich — so tritt im strengen Sinne unter
Umständen wohl eine annähernde, aber nie eine absolute Con-
stanz der Energie eines endhchen Systems ein. Indessen: je
räumlich ausgedehnter man das System wählt, um so mehr
treten im Allgemeinen die äusseren Wirkungen zurück gegen die
Grösse der Energie des Systems und der Aenderungen ihrer
einzelnen Theile (vgl § 66). Denn die äusseren Wirkungen sind
von der Grössenordnung der Oberfläche, die Energie des Systems
aber ist von der Grössenordnung des Volumens. Bei sehr kleinen
Systemen (Volumenelementen) ist es aus demselben Grunde ge-
rade umgekehrt: hier überwiegen die äusseren Wirkungen derart,
dass die Energie des Systems gegen jede einzelne äussere Wir-
kung vernachlässigt werden kann. Von diesem Satze macht man
häufig Gebrauch, z. B. in der Theorie der Wärmeleitung bei der
Aufstellung der Grenzbedingungen. In dem hier besprochenen
Falle wird man also sagen können: Je räumlich ausgedehnter
das System angenommen wird, ^um so angenäherter bleibt im
Allgemeinen seine Energie constant. Man wird schon einen
verhältnissmässig kleinen Fehler begehen, wenn man die Energie
unseres Sonnensystems constant setzt, einen verhältnissmässig
noch kleineren, wenn man dasselbe bei dem ganzen uns be-
kannten Fixstemsysteme thut, und in diesem Sinne hat der Satz:
Die Energie eines unendlich grossen Systems, oder die Energie
der Welt, bleibt constant, allerdings eine thatsächliche Bedeutung.
Ganz in ähnhcher Weise lässt sich der Satz von der steten
Vermehrung der Entropie der Welt verstehen. Je umfassender
ein System ist, einen desto kleineren verhältnissmässigen Fehler
wird man im Allgemeinen begehen, wenn man den Satz aus-
spricht, dass die Entropie des Systems zunimmt, ganz abgesehen
von allen ausserhalb des Systems eingetretenen Veränderungen.
§ 186. Zum Schlüsse möge noch die principielle Frage
nach den etwaigen Grenzen der Gültigkeit des zweiten Haupt-
satzes kurz erörtert werden. Wenn dem zweiten Hauptsatz der
Wärmetheorie irgend welche Schranken gesetzt sind, wie gegen-
wärtig noch viele Naturforscher und Philosophen wollen, so lässt
sich doch jedenfalls so viel von vornherein behaupten, dass deren
96 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie.
Existenz nur entweder in einer Unrichtigkeit unseres Ausgangs-
punktes: der Unmöglichkeit des perpetuum mobile zweiter Art,
oder in einem Mangel unserer Beweisführung begründet sein
kann. Den ersten Einwand haben wir schon am Anfang der
Beweisführung (§ 116) als berechtigt anerkannt, er lässt sich
durch keine Argumentation beseitigen. Der zweite Einwand aber,
der meistens darauf hinausläuft, dass zwar die praktische Un-
mögHchkeit des perpetuum mobile zweiter Art zugegeben wird,
nicht aber die absolute, da wir eben mit unseren beschränkten
experimentellen Hilfsmitteln garnicht immer im Stande seien,
eintretenden Falls die in dem Beweisgang vorausgesetzten idealen
Processe zur wirklichen Construction eines perpetuum mobile
zweiter Art zu verwerthen, erweist sich bei näherer Untersuchung
als unstichhaltig. Denn es wäre ganz ungereimt, anzunehmen,
dass die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes irgendwie mit der
grösseren oder geringeren Ausbildung der Beobachtungs- bez.
Experimentirkunst des Physikers oder Chemikers zusammenhängt.
Der Inhalt des zweiten Hauptsatzes hat ja mit dem Experimen-
tiren gar nichts zu thun, er lautet in nuce: „Es existirt in der
Natur eine Grösse, welche bei allen in der Natur stattfindenden
Veränderungen sich immer nur in demselben Sinne ändert."
Dieser Satz, in dieser Allgemeinheit ausgesprochen, ist entweder
richtig oder falsch; aber er bleibt das, was er ist, ohne Rück-
sicht darauf, ob auf der Erde denkende und messende Wesen
existiren, und ob diese Wesen, wenn sie existiren, die Einzel-
heiten physikalischer oder chemischer Prozesse um eine, zwei
oder um hundert Decimalstellen genauer controliren können, als
wir das heute zu thun vermögen. Die Grenzen des Satzes, falls
sie überhaupt vorhanden sind, können nothwendig nur auf dem-
selben Gebiete liegen, wo auch sein Inhalt liegt; in der be-
obachteten Natur, und nicht im beobachtenden Menschen. Daran
ändert der Umstand nichts, dass wir uns zur Ableitung des Satzes
menschlicher Erfahrungen bedienen; das ist überhaupt der einzige
Weg für uns, um zur Erkenntniss von Naturgesetzen zu gelangen.
Sind sie einmal erkannt, so müssen sie auch als selbstständig
anerkannt werden, soweit wir überhaupt davon reden können,
dass ein Naturgesetz unabhängig vom denkenden Geiste Bestand
hat; und wer dies läugnen wollte, müsste die Möglichkeit einer
Naturwissenschaft überhaupt läugnen.
Allgemeine Folgerungen. 97
Mit dem ersten Hauptsatz verhält es sich ganz ähnlich.
Der unmittelbarste unter den allgemeinen Beweisen des Energie-
princips ist wohl für die Mehrzahl der vorurtheilslosen Naturforscher
die Thatsache der Unmöglichkeit des perpetuum mobile erster
Art, und doch wird sich heutzutage kaum Jemand finden,
der die Gültigkeit des Energieprincips mit dem Genauigkeits-
grade des experimentellen Nachweises dieses allgemeinen Er-
fahrungssatzes in. Verbindung bringt. Ebenso wird vermuthlich
die Zeit kommen, wo auch das Princip der Vermehrung der
Entropie ausser Zusammenhang mit menschlicher Experimentir-
kunst, von einzelnen Metaphysikem wohl gar als a priori gültig
hingestellt werden wird. Bis dahin wird es aber für den Anhänger
sowohl wie für den Gegner des zweiten Hauptsatzes keine wirk-
samere Waffe zum Kampfe um seine Allgemeingültigkeit geben,
als das unablässige Bemühen^ den thatsächlichen Inhalt dieses
Satzes bis in seine äussersten Consequenzen zu verfolgen und
jede derselben, correkt formulirt, vor den Richterstuhl der
höchsten Instanz, der Erfahrung, zu bringen. Wie die Ent-
scheidung dann auch fallen möge, unter allen Umständen wird
uns aus dieser Taktik sicher bleibender Gewinn erwachsen, da
wir damit dem Hauptzweck der ganzen Naturforschung dienen:
der Bereicherung unseres "äiatBächlichen Wissens.
111. Capitel. Allgemeine Folgerungen.
§ 187. Die erste Anwendtmg, welche wir von dem im
vorigen Capitel in die allgemeinste Form gebrachten Entropie-
princip machen wollen, betrifft den früher im § 90 für ein ideales
Gas eingehend beschriebenen CABNOT'schen umkehrbaren Kreis-
prozess zwischen zwei Wärmereservoiren, diesmal aber ausgeführt
mit einem ganz beliebigen System, wobei auch chemische Wir-
kungen^ wofern sie nur reversibel sind, nicht ausgeschlossen
werden. Indem wir wegen der Bezeichnungen u. s. w. auf das
dort Gesagte verweisen, können wir sogleich das Resultat hier
aussprechen.
Der erste Hauptsatz verlangt für den Kreisprozess, dass die
voÄ dem wärmeren Eeservoir abgegebene Wärmemenge Q^ äqui-
valent ist der Summe der von dem System geleisteten Arbeiten:
Plasck, Thermodynamik. 7
98 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
-4' = — -4 und der van dem kühleren Reservoir aufgenommenen
Wärmemenge: 0/ = — Q^, also, ebenso wie in (42)
Q^ = Ä + o;
oder:
(63) Ol + Oa + ^ = 0.
Der zweite Hauptsatz verlangt wegen der Reversibilität des
Prozesses, dass alle Körper, welche am Schluss des Prozesses
irgendwelche innere Veränderungen aufweisen, — und das sind hier
nur die beiden Wärmebehälter — die nämliche Entropiesumme
besitzen wie am Anfang. Nun beträgt die Entropieänderung des
ersten Reservoirs nach (62):
(64) ^ = — ^, die des zweiten: — -^.
Also ist die Summe:
(65) f + :| = *^'
woraus in Verbindung mit (63) folgt:
genau die Gleichung (44), nur dass hier über die Natur des
Systems, mit welchem der Kreisprozess ausgeführt wurde, gar
keine Voraussetzung gemacht ist.
Um also durch einen CABNOT'schen reversibeln Kreisprozess,
ausgeführt mit einer beliebigen Substanz zwischen zwei Wärme-
behältem von den Temperaturen i?-^ und &^ > &^^ die Arbeit Ä
zu gewinnen, muss man die Wärmemenge:
vom wärmeren Reservoir zum kälteren übergehen lassen. Oder
umgekehrt ausgedrückt: man kann den Uebergang der Wärme
Oj' von &2 auf x)-^ mittelst eines reversibeln Kreisprozesses dazu
benutzen, um die Arbeit
(66) Ä = ^^Q,'
zu gewinnen.
§ 188. Ist der Kreisprozess nicht reversibel, kommen also
in seinem Verlauf irgendwelche irreversible physikalische oder
chemische Aenderungen des Systems vor, so bleibt die Energie-
Allgemeine Folgerungen, 99
gleichaiig (63) bestehen, dagegen tritt fiir die Entropieänderung
der Wärmebehälter statt (65) die Ungleichung ein:
Hiebei ist wohl zn bemerken, dass die Ausdrücke (64) fär
die Entropieänderung der Wärmebehälter auch hier bestehen
bleiben, wenn wir nur voraussetzen, dass etwaige Volumenände-
rungen der als Wärmebehälter dienenden Körper in umkehrbarer
Weise stattfinden.
Also: _|l + |l<o. (67)
oder: Q^ < J^ 0/,
woraus in Verbindung mit (63) hervorgeht:
Ä' < ^-^- 0/,
d. h. die mittelst eines Kreisprozesses durch den Uebergang der
Wärme 0^' aus dem wärmeren in das kältere Reservoir zu ge-
winnende Arbeit Ä ist für einen irreversibeln Prozess stets
kleiner als für einen reversibeln Prozess. Letztere, durch (66)
dargestellte Arbeit gibt also zugleich das Maximum der Arbeit
an, welches überhaupt durch einen Kreisprozess mit irgend einem
System zwischen den beiden Wärmebehältem zu gewinnen ist.
Wenn speziell Ä = 0, so folgt aus der Energiegleichung (63):
und die Ungleichung (67) geht über in:
^-(i;-ä<^-
In diesem Falle besteht die ganze durch den Kreisprozess her-
vorgerufene Veränderung einfach in dem Uebergang der Wärme
O2 aus dem Behälter von der Temperatur &2 ^^ ^®^ ^^^ ^®^
Temperatur &^, und die letzte Ungleichung besagt,^ dass dieser
Uebergang immer in der Richtung vom wärmeren zum kälteren
Reservoir erfolgt.
Wiederum ein spezieller Fall eines derartigen Prozesses ist
der direkte Uebergang der Wärme durch Leitung von dem eiuen
7*
100 Der zweite HaAiptsatx der Wärmetheorie,
Bekälter zum anderen^ ohiye jede tba4;säohliclie Betiieiligiuig des
Systems, welches den KretBpro2ess daTChmadbt Diese Ver^
änderung ist also, wie man sieht, irreversibel, da sie eine Zu-
nahme der Summe der Entrapieen beider Wärmebehälter bedingt.
§ 139. Machen wir noch die Anwendung auf einen be-
liebigen, reversibeln oder irreverpibeln, Kreisprozess mit irgend
einem System von Körpern, in dessen Verlauf nur ein einziges
Wärmereservoir von der constanten Temperatur ß- beliebig oft
zur Benutzung kommt. Wie auch der Prozess im Einzelnen
beschaffen sein mag, am Schluss desselben ist keine andere
Eütropieänderung in der Natur eingetreten, als diejenige, welche
das benutzte Reservoir erlitten hat. Nach dem ersten Haupt-
satz ist die Summe der im Ganzen von Aussen auf das System
ausgeübten Arbeit Ä und der im Ganzen dem System aus dem
Reservoir zugefiihrten Wärme Q\
Ä + Q = 0.
Nach dem zweiten Hsüuptsatz ist die Entropieänderung des
Reservoirs, wenn wir wieder, wie immer, voraussetzen, dass etwaige
Volumenveränderangen des Reservoirs in umkehrbarer Weise
stattfinden: _ ^ >-n
oder: 0^0, folglich: ^^0,
d. h. es ist Arbeit verbraucht und Wärme im Reservoir erzeugt
worden. Ist im Grenzfall der Prozess reversibel, so verschwindet
das Ungleichheitszeichen, und es ist sowohl die Wärme Q als auch
die Arbeit Ä gleich Null. Auf diesem Satze beruht die grosse
Fruchtbarkeit des zweiten Hauptsatzes in seiner Anwendung auf
isotherme reversible Kreisprozesse.
§ 140. Wir wollen uns jetzt nicht mehr mit Kreisprozessen,
sondern mit der allgemeinen Frage nach der Richtung irgend
einer in der Nator eintretenden Verändearnng «iues beüebig ge-
gebenen System« beschä^gen. Bescoiders bei den chemischen
Vorgängen ^ielt ja diese Frage eine wichtige RolJe. Der zweite
Hauptsatz, in Yerbindniig mit dem erstell, ertbeilt hierauf eine
aUgemetoe Antwort, da er eine mothwendige Bedingung f^ jede
in der Natur stattfindende Aenderung enthält. Wir denken tins
irgend ein homogenes oder heifeerogenes System von Körpern,
von gemeinsamer Temperatür ^9-, und fragen nach den Be-
Allgemeine Folgenmgen. 101
dingungen des Eintritts irgend einer physikalischen oder chesii-
sehen Vwänderung.
Nach dem ersten Hauptsatz ist flir eine unendlich kleine
Zustandsänderung :
dU=Q + Ä, (68)
wenn U die Gesammtenergie des Systems, Q die während des
betrachteten Vorgangs von Aussen in das System eintretende
Wärmemenge, und Ä die von Aussen gegen das System ge-
leistete Arbeit bezeichnet.
Nach dem zweiten Hauptsatz ist die Aenderung der Summe
der Entropieen aller an dem Vorgang irgendwie betheiligten
Körper:
dS + dS^^O,
wenn S die Entropie des Systems, Sq die Entropie des um-
gebenden Mediums (Atmosphärische Luft, calorimetrische Flüssig-
keit, Gefässwand) bezeichnet, welches in Folge von Wärmeabgabe
auch an dem Vorgang betheiligt sein kann.
Das Gleichheitszeichen gilt für reversible Vorgänge, die
allerdings nur als idealer Grenzfall der in Wirklichkeit mög-
lichen Vorgänge zu betrachten siad (§ 11&),
Setzen wir voraus, dass etwaige Volumenänderungen
des umgebenden Mediums in umkehrbarer Weise erfolgen, so
ist nach (62):
und nach (68):
dbQ= — ,
folglich durch Substitution des Werthes von dS^:
dS^ ^^^"^ gO. (69)
Anders geschrieben:
dU-&dS^A, (70)
In dieser Relation gipfeln alle bisher von verschiedenen Autoren
auf verschiedenen Wegen aus dem zweiten Hauptsatz für den
Eintritt thermodynamisch-chemischer Veränderungen hergeleiteten
Schlüsse. Da der Differentialausdruck links im Allgemeinen
nicht das vollständige Differential einer bestimmten Grösse
102 , Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
bildet, so lässt sich die Relation nicht allgemein integriren, d. h.
der zweite Hauptsatz gestattet keinen allgemeinen Ausspruch
über eine endliche Zustandsänderung des Systems allein, falls
man von den äusseren Bedingungen, denen das System unter-
worfen ist, nichts Näheres weiss; wie das ja auch von vornherein
einleuchtend ist und ebenso auch für den ersten Hauptsatz gilt.
Um zu einem Gesetz für eine endliche Zustandsänderung des
Systems allein zu gelangen, muss man solche äussere Bedingungen
kennen, welche die Integration des Differential -Ausdrucks ge-
statten. Unter diesen sind im Folgenden die merkwürdigsten
Fälle hervorgehoben.
§ 141. Erster Fall. Adiabatischer Vorgang. Bei Aus-
schluss des Wärmeaustausches mit der Umgebung ist = 0, also
nach (68):
dü=^A
und in Folge dessen nach (70):
dS^O,
d. h. die Entropie des Systems nimmt zu oder bleibt constant.
Diesen Fall haben wir schon genügend erörtert.
§ 142. Zweiter Fall. Isothermischer Vorgang. Bei con-
stant gehaltener Temperatur i^- geht (70) über in:
d{U'-&S)^Ä,
d. h. die Zunahme der Grösse {U—&S) ist kleiner, im Grenz-
fall ebensogross wie die von Aussen her gegen das System ge-
leistete Arbeit. Da die isothermischen Vorgänge in der Natur
eine besonders hervorragende Rolle spielen, so ist dieser Satz
für die Anwendung auf chemische Prozesse besonders geeignet.
Setzen wir:
(71) U-d-S^F,
so ist für eine reversible isothermische Zustandsänderung:
dF==A
>
integrirt:
(72) F,-F,=^A,
d. h. bei einem endlichen reversibeln isothermischen Vorgang
ist die ganze von Aussen auf das System ausgeübte Arbeit
gleich der Zunahme von F, oder die ganze von dem System
Allgemeine Folgerungen. 103
nach Aussen hin geleistete Arbeit ist gleich der Abnahme von
F, hängt also nur von dem Anfangs- und Endzustand des Vor-
gangs ab. Ist i^j = i^2> ^® ^' ^' ^®^ einem Kreisprozess, so ist
die äussere Arbeit gleich Null.
Da somit die Funktion F zu der äusseren Arbeit in ganz
derselben Beziehung steht, wie die Energie U nach der Gleichung
(17) zu der Summe von äusserer Arbeit und äusserer Wärme,
so heisst F nach H. v. Helmholtz die „freie Energie" des
Systems (vollständiger würde sie heissen: „freie Energie für
isothermische Vorgänge"), und dementsprechend U die „Gesammt-
energie", und der Rest:
U-F=&S
die „gebundene" Energie des Systems. Letztere liefert dem-
nach für einen reversibeln isothermischen Vorgang durch ihre
Aenderung die äussere Wärmeaufnahme. Diese Zerlegung der
Energie U in freie und gebundene Energie hat aber nur Be-
deutung für isothermische Veränderungen.
Bei irreversibeln Vorgängen ist dagegen:
dF< A
integrirt: i^2 - ^i < 2 ^> C^^)
d. h. die freie Energie nimmt weniger zu als der verbrauchten
Arbeit entspricht. In Verbindung mit dem obigen Resultat für
reversible Prozesse kann man dies auch so formuliren: Bei
irreversibeln isothermen Prozessen ist die verbrauchte Arbeit
immer grösser, also die gewonnene Arbeit immer kleiner als
diejenige Arbeit, welche man bei der nämlichen Zustands-
änderung des Systems verbrauchen bez. gewinnen würde, wenn
sie auf reversibelm Wege vor sich ginge. Denn die letztere wird
eben nach (72) durch die Differenz der freien Energie am An-
fang und am Ende des Prozesses gegeben.
Daher liefert ein, im üebrigen beliebiger, reversibler Ueber-
gang des Systems von einem Zustand zu einem anderen immer
das Maximum der Arbeit, welches überhaupt aus einem iso-
thermen üebergang des Systems von dem einen Zustand zum
anderen gewonnen werden kann, während bei jedem irreversibeln
Üebergang ein gewisser Arbeitsbetrag, nämlich die Differenz des
Maximums der zu gewinnenden Arbeit (Abnahme der freien
Energie) und der wirklich gewonnenen Arbeit, verloren geht.
104 B&r zweite Hauptsatz der Wärmetheorie,
Wenn hier davon gesprochen wird, dass der Uebergang eines
Systems aus einem Zustand in einen anderen einmal auf irre-
versibelm, einmal auf reyersibelm Wege vorgenommen wird, so
liegt darin kein Widerspruch mit dem anderen Satze, dass
zwischen zwei Zuständen eines Systems nur entweder ein re-
versibler oder ein irreversibler Uebergang möglich ist, ohne dass
in anderen Körpern Aenderungen zurückbleiben. In d«m hier
betrachteten Falle können in der That Aenderungen in einem
anderen Körper zurückbleiben, nämlich in dem das System um-
gebenden Medium, welches nach § 1 40 im Allgemeinen positive oder
negative Wärme an das System abgibt, und in unserem Falle ab-
geben muss, um das System auf constanter Temperatur zu erhalten.
§ 148. Erfolgt ein isothermischer Prozess, wie die meisten
chemischen Prozesse, mit verschwindend kleiner Arbeitsleistung:
2^ =
so ist nach (73):
d. h. die freie Energie nimmt ab. Die Grösse dieser Abnahme
kann man als ein quantitatives Maass benutzen für die Arbeit
der Kräfte (chemische Verwandtschaft, Affinität, Avidität), welche
den Prozess veranlassen; dieselbe geht dabei als äussere Arbeit
verloren.
Es werde z. B. eine wässrige Lösung eines nichtflüchtigen
Salzes durch Zusatz von Wasser auf isothermischem Wege ver-
dünnt, indem die Verdünnungswärme von einem passenden
Wärmereservoir aufgenommen oder geliefert wird, je nachdem
die Energie U^ der verdünnten Lösung (Endzustand) kleiner oder
grösser ist als die Summe U^ der Energie der unverdünnten Lösung
und der Energie der zugesetzten Wassermenge (Anfangszustand).
Die freie Energie F^ der verdünnten Lösung dagegen ist nach der
letzten Ungleichung nothwendig kleiner als die Summe F^ der
freien Energie der unverdünnten Lösung und der freien Energie
des zugesetzten Wassers. Der Betrag der Abnahme der freien
Energie, oder die von der „Anziehungskraft der Lösung auf das
Wasser" beim Verdünnen geleistete Arbeit, kann gemesssen werden,
indem man den Verdünnungsprozess auf irgend einem reversibeln
isothermischen Wege vollzieht, wobei dann nach Gleichung (72)
dieser Arbeitsbetrag wirklich als äussere Arbeit gewonnen wird.
Ein solcher reversibler Uebergang ist z.B. folgender: Man lasse das
AÜgememe Folgerungen. 105
zuzusetzende Wasser zunächst bei constanter Temperatur unter
dem Druck seines gesättigten Dampfes unendlich langsam yer-
dampfen. Wenn Alles in Dampf verwandelt ist^ lasse man den
Dampf sich isotherm und umkehrbar weiter ausdehnen, sa lange
bis die Dichte des Dampfes derjenigen gleich ist^ welche ge-
sättigter Wasserdampf bei der betr. Temperatur in Berührung
mit der Lösung besitzt Nun bringe man den Dampf mit der Lösung
in dauernde Berührung; das Gleichgewicht wird dadurch nicht
gestört» Schliesslich condensire man durch unendlich langsame
isothermische Gompression den unmittelbar über der Lösung be-
findlichen Wasserdampf vollständig; er vertheilt sich dann
gleichmässig durch die ganze Lösung. Dieser isothermische
Prozess beteht aus lauter Gleichgewichtszuständen, er ist also
reversibel, und die durch ihn gewonnene äussere Arbeit repra-
sentirt daher zugleich die bei direkter Mischung eingetretene
Abnahme der freien Energie: F^ — Fy
Nehmen wir als weiteres Beispiel ein Knallgasgemenge, das
durch einen elektrischen Funken zur Explosion gebracht wird.
Der Funken spielt hier nur eine sekundäre Rolle, als auslösende
Wirkung, da seine Energie gegen die übrigen zum Umsatz ge-
langenden Energiemengen nicht in Betracht kommt. Die Arbeit
der chemischen Verwandtschaftskräfte, welche sich in diesem
Prozess bethätigt, wird gemessen durch diejenige Arbeit, die man
durch die chemische Vereinigung von Wasserstoff und Sauer-
stoff gewinnen könnte, wenn dieselbe auf irgend einem rever-
sibeln Wege vorgenommen würde. Durch Division dieser Arbeit
durch die Zahl der oxydirten Wasserstoffmoleküle erhält man
ein Maass für die Grösse der Kraft, mit welcher ein Wasser-
stoffmolekül sich zu oxydiren strebt. Doch hat diese Definition
der chemischen E^raft zunächst nur insofern Bedeutung, als sie
eben mit jener Arbeit zusammenhängt.
§ 144. Li dem Ausdruck (71) der freien Energie überwiegen
bei chemischen Vorgängen die Aenderungen des ersten Gliedes; U
oft bei Weitem die des zweiten Gliedes: & S. Deshalb kann man
häufig statt der Abnahme von F auch die Abnahme von U, d. h.
die Wärmetönung, als ein Maass der chemischen Arbeit ansehen,
und den Satz aussprechen, dass die ohne äussere Arbeit ein-
tretenden chemischen Umwandlungen im Sinne grösster Wärme-
entwickelung erfolgen (Princip von Berthelot). Indessen bei
106 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie.
hoben Temperaturen, wo &, und bei Gasen und verdünnten
Lösungen^ wo S gross wird, kann man die Vemacblässigung des
Gliedes & S nicht ohne merklichen Fehler begehen. Daher er-
folgen bei höherer Temperatur und in Gasen und verdünnten
Lösungen chemische Aenderungen häufig auch in der Eichtung
steigender Gesammtenergie, d. h. unter Wärmeabsorption.
§ 145. Bei allen diesen Sätzen ist streng daran festzuhalten,
dass sie sich nur auf isotherme Zustandsänderungen beziehen.
Um die Frage zu beantworten, wie sich die freie Energie bei
anderen Zustandsänderungen verhält, hat man nur aus (71) das
vollständige Dififerential zu bilden:
dF=dU-&dS- Sdü
und dies in die allgemein giltige Beziehung (70) einzusetzen.
Man erhält dann für einen beliebigen physikalischen oder che-
mischen Vorgang:
dF^A- Sd&,
d. h. wenn die Temperatur sich ändert, besteht eine wesentlich
verwickeitere Beziehung zwischen der geleisteten Arbeit Ä und
der Aenderung der freien Energie F, — eine Beziehung, die
sich im Allgemeinen wohl kaum finchtbar verwerthen lässt.
§ 146. Berechnen wir den Werth der freien Energie für
ein ide$,les Gas. Da hiefür nach Gleichung (35)
U = Mu = M [c^ü- + const.)
und nach Gleichung (52)
S = M {c^log& -{ — log V + const) ,
SO ist nach (71)
(74) F=m\c^& (const. - log &)-^logv + const.}
also behaftet mit einer additiven linearen Funktion von ??•, die
ganz nach Willkühr fixirt werden kann.
Bei einer isothermen Zustandsänderung des Gases ist
nach § 142:
dF^A
oder nach (74)
.j^ M&Rdv .rr^ A
dF= = ^pdV^^ A.
Aügenieine Folgerimgen, 107
Ist die Zustaudsänderang reversibel, so ist die von Aussen auf-
gewendete Arbeit Ä= — pdV, Ist aber die Aenderung ir-
reversibel, so gilt das üngleichheitszeichen, d.h. die Compressions-
arbeit ist grösser, oder die Ausdehnungsarbeit geringer als die-
jenige Arbeit, welche man bei reversibler Volumenänderung
aufwenden bez. gewinnen würde.
§ 147. Dritter Fall. Isothermisch-isopiestischer Vorgang.
Wenn ausser der Temperatur ß^ auch der äussere Druck p,
unter dem das System stehen möge, andauernd constant gehalten
vrird, so lässt sich der Betrag der von Aussen aufgewendeten
Arbeit angeben:
A= -pdV
und der Ausdruck in (69) stellt ein vollständiges Differential vor :
Man kann also dann auch für endliche Zuständsänderungen den
Satz aussprechen, dass die Funktion:
S^R±lZ^ (l> (75)
nothwendig zunimmt, und nur im Grenzfall, für reversible Aen-
derungen, constant bleibt.
§ 148. Gleichgewichtsbedingungen. Die allgemeinste aus
der Thermodynamik für ein Körpersystem abzuleitende Gleich-
gewichtsbedingung beruht auf dem Satz, dass in einem System
dann keine Veränderung eintreten kann, wenn die zu einer Ver-
änderung nothwendige Bedingung in keiner Weise erfüllbar ist.
Nun ist nach (69) für jede in Wirklichkeit eintretende Ver-
änderung eines Systems:
vT
Denn das Gleichheitszeichen würde nur idealen Aenderungen
entsprechen, und ideale Aenderungen treten in der Natur nicht
ein. Folglich muss Gleichgewicht bestehen, wenn für jede mit
den gegebenen festen Bedingungen des Systems verträgliche
Zustandsänderung :
vT
Hier bezieht sich das Zeichen J, im Gegensatz zum Zeichen d,
108 Der zweite Hattpisatz der Wärmetheorie.
das der wirklichen Veränderung entspriobt,. auf irgend eine be-
liebige virtuelle unendlich kleine Zustandsänderung des Systems.
§ 149. In den meisten von mns weiter zu behandelnden
Fällen ist, wenn eine gewisse virtuelle unendlich kleine Zustands-
änderung mit den festen Bedingungen des ^fstems verträglich
ist, auch die gerade entgegengesetzte^ durch die entg^engesetzten
Voraeichen aller Variationen dargestellte Zustandsänderung mit
ihnen verträglich. Das gilt immer dann^ wenn die festen Be-
dingungen durch Gleichungen, nicht durch Ungleichungen aus-
gedrückt werden. In einem solchen Falle könnte man, falls für
eine virtuelle Aenderung in obiger Bedingung das Zeichen <
gelten würde, einfach die entgegengesetzte Variation nehmen,
um eine Zustandsänderung zu erhalten, welche den Bedingungen
der wirklichen Vorgänge genügt und daher in der Natur eintreten
kann. Hier ist also das Gleichgewicht nur dann nach allen
Richtungen hin gesichert, wenn für jede mit den festen Be-
dingungen verträgliche Aenderung:
(76) J^- ^^^^ =0.
Diese Gleichung spricht eine für das Gleichgewicht hinreichende,
aber, wie wir eben sahen, nicht gerade in allen Fällen noih-
wendige Bedingung aus. Ja selbst wenn die festen Bedingungen
eine Umkehrung der Vorzeichen aller Variationen gestatten, be-
steht erfahrungsgemäss manchmal thermodynamisches Gleichge-
wicht, ohne dass die letzte Gleichung erfüllt ist, d. h. es tritt
unter Umständen in der Natur eine Veränderung nicht ein, ob-
wohl sie sowohl den festen Bedingungen als auch den Forderungen
des zweiten Hauptsatzes Genüge leisten würde. Man wird da-
durch zu dem Schlüsse geführt, dass sich in einem solchen Falle
dem Eintritt der Veränderung eine Art Widerstand entgegen-
stellt, der wegen der Richtung, in welcher er wirkt, auch Träg-
heitswiderstand oder passiver Widerstand genannt wird. Solch
ein Gleichgewichtszustand ist immer in gewissem Sinne labil;
denn oft genügt eine geringfügige und mit den im System vor»
handenen Grössen quantitativ gamicht vergleichbare Störung, um
die Veränderung, dann oft mit grosser Heftigkeit, eintreten zu
lassen. Beispiele hiefür bieten eine unter ihre Gefriertemperatur
abgekühlte Flüssigkeit, ein übersättigter Dampf, eine übersättigte
Lösung, eine explosible Substanz u. s. w. Wir werden uns vor-
AUummne Ikdgm^ngen, 109
wi^end smit dien Bedingungen des stabilen Gleichgewidilfi be-
schäftigeiiy wie sie aus der Bedingung (76) folgen.
Diese Gleidumg läset sich unter gewissen umständen als
Maximum- oder Minimum-Bedingung aussprechen, nämlich imm^
aber auch nur dann, wenn die äusseren Bedingungen, unter
denen das System gehalten wird, derart sind, dass die linke
Gleichungsseite als Variation einer einzigen Funktion dargestellt
werden kann. Im Folgenden sind die wichtigsten derartigen
Fälle hervorgehoben:; sie entsprechen ganz den oben für gewisse
spezielle Veränderungen abgeleiteten Sätzen, aus deren Inhalt
auch uBiaittelbar zu erkennen ist, ob es sich hier um ein Maximum
oder um ein Minimum handelt
§ 160. Erster FaU (§ 141). Bei Ausschluss des Wärme-
austausches mit der Umgebung ist nach dem ersten Huuptsatz:
SU^A
und daher aus (76)
SS=^Q. (77)
D. h. urfter allen Zuständen des Systems, die bei verhinderter
äusserer Wärme^m^ihr auseinander hervorgehen könoen, ist der
Gldk^hgewichtszustand durch ein Maximum der Entropie aus-
gezeichneft Wönn es mehrere Zustände gibt, in welchen die
Entrofne ihreoa Maximalwerth besitzt, so stellt jeder dersdiben
einen Gieiohgcfwichtszustand dar. Wenn aber der Werth der
Entropie in einem bestimmten Zustand grösser ist als in allen
übrigen in Betracht kommenden, so bezeichnet dieser Zustand
das absolut stabile Gleichgewicht. Denn von ihm aus ist über-
haupt keine Veränderung mehr möglich.
§ 161. Zweiter Fall (§ 142). Bei constant gehaltener Tem-
peratur geht (76) über in:
oder nach (71):
d. h. unter allen Zuständen, die das System bei constant ge-
haltener Temperatur annehmen kann, ist ein Gleichgewichts-
zustand dadurch ausgezeichnet, dass die freie Energie des Systems
mcht abnehmen kann, ohne dass das System gleichzeitig eine
äqravafente Arbeit nach aussen hin leistet.
110 Anwendungen a/uf spezielle OUi^ihgefwichtsTMstände.
Wenn der Betrag der äusseren Arbeit zu vernachlässigen
ist, wie bei constant gehaltenem Volumen, oder bei vielen che-
mischen Vorgängen, so ist ^ = und die Bedingung des Gleich-
gewichts lautet:
d. h. unter allen Zuständen, die bei constant gehaltener Tem-
peratur ohne Leistung äusserer Arbeit auseinander hervorgehen
können, ist der stabilste Gleichgewichtszustand durch das abso-
lute Minimum der freien Energie ausgezeichnet.
§ 16S. Dritter Fall (§ 147). Wird ausser der Temperatur
ß- der Druck py dem das System unterworfen ist, gleichmässig
und constant gehalten, so hat man ,
(78) Är=.^pSV
und die Gleichgewichtsbedingung (76) wird:
oder nach (75)
(79) ^0 = 0,
d. h. bei constanter Temperatur und constantem Druck nimmt
das System im stabilsten Gleichgewicht denjenigen Zustand an,
welchem das absolute Maximum der Funktion (i> entspricht.
Wir werden nun nacheinander Gleichgewichtszustände ver-
schiedener Systeme auf Grund der hier abgeleiteten Sätze be-
trachten, und dabei nach der Reihe von einfacheren zu com-
plicirteren Fällen aufsteigen.
Vierter Abschnitt.
Anwendungen
auf spezielle Gleichgewichtszustände.
I. Capitel. Homogenes System.
§ 168. Den Zustand des homogenen (§ 67) Systems nehmen
wir, wie fiüher, als bestimmt an durch seine Masse M, seine
Temperatur {f- und entweder durch den Druck p oder durch
das spezifische Volumen v = -^. Wir wollen hier zunächst ausser
M ß- und V als unabhängige Variable wählen. Dann ist der
Homogenes System. 111
Druck p, sowie die spezifische Energie u= ^ und die spezi-
fische Entropie s= ^ Funktion von & und v, und zwar gilt für
die spezifische Entropie die Definition (61) i
, du-\-pdv 1 (du\ j CL . \dvl^ ,
*** — f — »M.'^'^+ » '^^-
Andrerseits ist
Folglich, da d& und dv voneinander unabhängig sind:
und
__ (t^U+ p
Diese beiden Gleichungen gestatten eine Prüfung des zweiten
Hauptsatzes an der Erfahrung. Denn differentürt man die ßrste
nach V, die zweite nach &, so ergibt sich
d^dv ^ d^dv
d^u (dp
d&dv \d&}v \dvl^
+ p
oder:
und hierdurch, sowie durch die Gleichung (24) werden die obigen
Ausdrücke für die Diflferentialquotienten von s nach & und v:
d s\ Cv
d ■& jv -d"
d s\ (dp
(81)
d V j-d' \d xf" )v
§ 164. Die Gleichung (80) in Verbindung mit der
Gleichung (28) des ersten Hauptsatzes ergibt die Beziehung:
die sich entweder zur Prüfung des zweiten Hauptsatzes oder zur
Berechnung von c« aus Cp verwerthen lässt.
112 Anwendungen auf spezielle Oleickgewichlsxustände,
Da man (^^j häufig nicht «übpekt aneaBeii kann, so
empfiehlt es sich, die Relation (6) zu benutzen, aus welcher folgt :
Da (-^) notliwendig negativ, so ist immer Cp >c„; nur
im Grenzfall, z. B. wenn der Ausdehnungscoeffizient Null ist,
wie für Wasser bei 4^, ist c^— c^ = 0.
Berechnen wir als Beispiel di« spezifische Wärme bei con-
stantem Volumen für Quecksilber von 0® C. unter Atmosphären-
druck. Hierfür ist zu setzen;
ß = 0, 0333
& = 273
dp\ 1014 000
dv)^ 0,000 002 95.«?'
wobei die Zahl im Nenner den auf Atmosphären bezogenen
Compressibilitätscoeffizienten (§ 15), die im Zähler den Betrag
des Druckes einer Atmosphäre im absoluten Maass (§ 7) bedocrtet
V = -— -, Volumen vqu 1 gr Quecksilber bei O^C.
[-^] = 0,000 1812-i;(§ 15) (thermischer Ausdehnungscoeffizient.)
Um e^ in Calorien zu erhalten, hat man noch mit dem
mechanischen Wärmeäquivalent 419. 10*^ (§ ^1) zu dividiren und
berechnet so aus (83):
_ _ 273 . 1 014 000 . 0, 000 1812*
^P ^« "" 0,000 002 95 . 1B,6 . 419 . 10*
^^-ö. = 0,0054
und daraus mit Benutzung des obigen Werthes von e^i
ö^ = 0,0279.
§ 165. Diese für alle Substanzen gültige Berechnung der
Differenz der spezifischen Wärmen eröffaet einen Einblick in
die GroBsenordnung der verschiedenen Einflüsse, welche &r diese
Differenz vcm Bedeutung sind. Nach der Gleichung (28) des
ersten Hauptsatzes ist die Differenz der beiden spezifischen
Wärmen:
Homogenes System. 113
durch zwei Ursachen bedingt: erstens durch die Veränderlich-
keit der Energie u mit dem Volumen, zweitens durch die bei der
Ausdehnung geleistete äussere Arbeit Die erste Ursache bedingt
das Glied:
ldu\ l d^\
die zweite das Glied:
d V
P
d^.p
Um zu untersuchen, welchem von beiden Gliedern dei*
grössere Einfluss zukommt, bilden wir das Verhältniss des ersten
zum zweiten:
1 (du'
oder nach (80):
oder nach (6):
P \dv)^
I m. - ■ <«")
dvjd'
Ein Blick in die Tabellen der thermischen Ausdehnungs-
coeffizienten und der Compressibilitätscoeffizienten fester und
flüssiger Körper lehrt, dass unter gewöhnlichen Umständen das
erste Glied dieses Ausdrucks eine grosse Zahl ist, wogegen das
zweite Glied 1 gänzlich zu vernachlässigen ist. Für Quecksilber
bei 0® C. z. B. ergeben die obigen* Daten :
273-^^^^ = 16800
0,000002 95
Eine Ausnahme bildet z. B. Wasser bei 4^ C.
Daraus folgt, dass bei festen und flüssigen Körpern die
Differenz g^ — c^ der beiden spezifischen Wärmen in der Regel
nicht sowohl durch die bei der Ausdehnung geleistete äussere
Arbeit, sondern vielmehr durch die Abhängigkeit der Energie
vom Volumen bedingt ist. Bei idealen Gasen dagegen ist es
gerade umgekehrt. Hier ist nach (19) die innere Energie un-
abhängig vom Volumen, d, h.
und daher fällt bei der Ausdehnung der Einfluss der inneren
Energie gegen den der äusseren Arbeit ganz fort. In der That
Plasck, Thermodynamik. 8
114 Anwendungen auf spezielle OUichgeymhtsxustände,
ist aus (84) auch direkt zu entnehmen, dass für die Zustands-
gieichung eines idealen Gases der ganze Ausdruck verschwindet.
Bei gewöhnKchen Gasen wird sowohl die innere Energie
als auch die äussere Arbeit zu berücksichtigen sein.
§ 166. Was nun femer die Summe der beiden besprochenen
Einflüsse, also die ganze Differenz o^ — c^ betrifft, so hat dieselbe
für feste und flüssige Körper gewöhnlich einen verhältnissmässig
kleinen Werth, oder das Verhältniss — = 7^ ist nur wenig grösser
als 1; d. h. bei festen und flüssigen Körpern spielt die Ab-
hängigkeit der Energie von der Temperatur eine viel grössere
Rolle als die vom Volumen. Bei Gasen ist y grösser, und zwar
im Allgemeinen um so grösser, aus je weniger Atomen das Gas-
molekül besteht. Für Wasserstoff, Sauerstoff und die meisten
anderen zweiatomigen Moleküle ist y = 1,41 (§ 87). Der grösste
je beobachtete Werth von y ist der von Kundt und Waeburg
für den einatomigen Quecksilberdampf gefundene: 1,666.
§ 157. Für manche Anwendungen des zweiten Hauptsatzes
ist es bequem, statt der Variablen ^ und v, wie wir es bisher
gethan haben, die Variablen & und p als unabhängige Variable
einzuführen, v Dann ergibt sich aus (61):
du + p dv
ds =
= .(ll),+^(f-li
dd^
+
\dp)^
+ P
~dp)^\~&
Andrerseits ist
Folglich:
ds'
(ji),'M^),
p
&
_ \0Pl^ \ dp)^
Die erste dieser Gleichungen nach p, die zweite nach i^-
differentiirt ergibt
d&dp
d^ u d^v [ ov
d&dp^^ d&dp "^ \d&/p
Homogenes System, 115
d^u d^v fdu\ ( dv
und daraus:
dx^dp d&dp \^pI^ \^P/^
Hierdurch, sowie durch Gleichung (26) werden die obigen Aus-
drücke der Diflferentialquotienten von s nach ü- und p:
'ds\ c.
(
d&lp ^
'd s\ (dv
ßp)» \d9)p
und endlich durch Diflferentiatibn der ersten Gleichung nach p,
der zweiten nach &, und Gleichsetzung der Werthe:
'!?). - - * m, ■ («"
Diese Gleichung enthält nur direkt messbare Grössen; sie
bringt die Abhängigkeit des thermischen Ausdehnungscoeffizienten
einer Substanz von der Temperatur, d. h. die Abweichung vom
Gay LussAc'schen Gesetz, in Beziehung zur Abhängigkeit der
spezifischen Wärme vom Druck.
§ 168. Mittelst der vom zweiten Hauptsatz gelieferten Be-
ziehungen können wir auch den früher (§ 70) beschriebenen
Versuchen, welche Thomson und Joule über die Temperatur-
änderung eines durch einen Wattepfropf langsam hindurchge-
pressten Gases anstellten, eine weitergehende Deutung geben,
als dort, wo wir sie nur zur Bestimmung der Eigenschaften
idealer Gase verwertheten. Damals haben wir schon ausgeführt,
dass diese Versuche im Wesentlichen darauf hinauskommen,
einem Gase ohne Zuleitung oder Ableitung äusserer Wärme ^
eine Volumenvergrösserung V^ — F^ , auf die Masseneinheit be-
zogen: Vg ■" h zu ertheilen, während die auf die Masseneinheit
des Gases ausgeübte äussere Arbeit durch
Pi «^1 - ^2 ^2 == ^
ausgedrückt wird. Diese Grösse verschwindet für ein ideales
* Inwieweit diese Bedingung in Wirklichkeit erfüllt ist, iSsst sich
durch Messungen in der Umgebung der vom Gase durchströmten Röhre
feststellen.
8*
116 Amjomdungefa auf spezielle Oleiehgeudchtszi^tände,
Gas, da dann die Temperatur constant bleibt. Für ein wirk-
liches Gas aber kann man setzen:
Pi =P
P2=P+ ^P {^P < 0)
v^ = V + Av ( J V > 0)
mithin ^ = — A(pv)
und nach dem ersten Hauptsatz, da = 0:
Au = Ä+ 0= — A(jpv),
Nehmen wir nun der Einfachheit halber die Aenderungen Ap
und Av klein an, so lässt sich die letzte Gleichung schreiben:
oder mit Berücksichtigung von (24), (82) und (80):
femer nach (6):
and daraas
(86) A&=^^^^^ Ap
<^P
Mit Hülfe dieser einfachen Gleichung lässt sich die in dem
THOMSON-JouiiE'schen Versuch eintretende Temperaturänderung
A& des Gases bei bekannter Druckdifferenz Ap in Beziehung
bringen zur spezifischen Wärme c^ bei constantem Druck und
zu der Abweichung des Gases vom Gay LussAc'schen Gesetz.
Denn nach diesem Gesetz wäre v bei constantem Druck pro-
portional ß', also nach der Gleichung (86) Ji?- = 0, wie es in
der That für ideale Gase zutrifft.
§ 169. Thomson und Joule haben die Eesultate ihrer
Messungen zusammengefasst in die Formel:
a
^* = ]ö5^Pj
^«
Homogenes System. 117
wobei cc constant. Drückt man p in Atmosphären aus, so ist
z, B. für Luft:
a = 0,276 • (273)2 .
Diese Formel ist jedenfalls nur angenähert richtig. Innerhalb
des Bereichs ihrer Gültigkeit erhält man durch Vergleichung
mit (86):
und durch Differentiation nach i^:
Cp
Hieraus mit Eücksicht auf (85):
Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist:
wobei f{x) eine ganz beliebige Funktion eines einzigen Arguments
X bedeutet.
Nehmen wir nun an, dass für kleine Werthe von p sich
das Gas bei jeder Temperatur unbegrenzt dem idealen Verhalten
nähert, so wird fiir p = c constant = cj^ (z. B. für Luft in
calorischem Maasse; 0^238) und daher allgemein:
c^ = S'^^'('^'-3^^)
-*
c «
S = 1 • (88)
1 -
Dieser Ausdruck von c„ lässt sich nun weiter benutzen, um auch
V als Function von & und p zu bestimmen. Es folgt nämlich
aus (87)
.9.2 .JL(i\ - ^LIp ^ « ^'''
und daraus:
((^^ - Sap)i
( ' - ^')
118 Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände,
oder:
(89) V = '(^
6p
If ' - 'I.« + 4
als Zustandsgieichung des Grases. Die Integrationsconstante ß
bestimmt sich aus der Dichte bei 0^ und Atmosphärendruck.
Wie die Thomson -JouLE'sche Formel, so haben auch die
Gleichungen (88) und (89) nur beschränkte Gültigkeit. Es ist
aber principiell von Interesse, zu sehen, wie diese verschiedenen
Beziehungen mit Nothwendigkeit aus einander hervorgehen.
§ 160. Eine weitere Anwendung von principiell wichtiger
Bedeutung, welche der zweite Hauptsatz zu machen gestattet,
ist die Bestimmung der absoluten Temperatur & eines Körpers
nach einer Methode, die unabhängig ist von den Abweichungen
der Gase vom idealen Zustand. Wir haben früher (§ 4) die
Temperatur definirt durch ein Gasthermometer, mussten aber
dort die Definition beschränken auf die Fälle, wo die verschie-
denen Gasthermometer (Wasserstoff, Luft u. s. w.) so überein-
stimmende Angaben liefern, wie sie für die beabsichtigte Ge-
nauigkeit erforderlich sind. Für alle anderen Fälle aber — und
bei hohen .Genauigkeitsanforderungen kommen hier auch die
mittleren Temperaturen in Betracht — hatten wir die Definition
der absoluten Temperatur vorläufig suspendirt. Mit Hülfe der
Gleichung (80) sind wir nun im Stande, eine vollständig exakte,
von dem Verhalten spezieller Substanzen gänzlich unabhängige
Definition der absoluten Temperatur zu lie(em.
Gehen wir von irgend einem willkührlich angenommenen
Thermometer aus (z. B. Quecksilberthermometer, oder auch
Skalenausschlag eines Thermoelements oder eines Bolometers),
dessen Angaben wir mit t bezeichnen wollen, so handelt es sich
darum, dies Thermometer auf ein absolutes zu reduciren, d. h.
die absolute Temperatur i?* als Funktion von t zu bestimmen.
Was wir direkt messen können, ist die Abhängigkeit des Ver-
haltens irgend einer bequem zu behandelnden Substanz, z. B.
eines Gases, von t und von v oder p. Wir fuhren also in (80)
etwa t und v als unabhäiigige Variable statt & und v ein und
erhalten:
'"),-* (-ff)"
dv], \d t 1^ d&
-p
Homogenes System. 119
Hier sind i-^] , p und i-^] als messbare Funktionen
von t und v anzusehen ; daher lässt sich diese Differentialgleichung
in folgender Weise integriren:
n=
Setzt man noch fest, dass für den Gefrierpunkt des Wassers,
wo ^ = ^0 sein möge, i?- = i^-^ = 273, so ist
und hierdurch i9- vollständig als Funktion yoü t bestimmt. Das
Volumen v fällt offenbar in dem Ausdruck unter dem Integral-
zeichen ganz aus.
§ 161. Was nun die Messung der einzelnen Grössen unter
dem Integralzeichen betrifft, so ergibt sich der Zähler direkt
aus der Zustandsgieichung der Substanz, der Nenner aber aus
der Wärmemenge, welche die Substanz bei isothermer reversibler
Ausdehnung von Aussen aufnimmt.
Denn nach der Gleichung (22) des ersten Hauptsatzes ist
für isotherme reversible Ausdehnung das Verhaltniss der zu-
gefiihrten Wärmemenge q zur Volumenänderung dv:
dv)t V
'^ /t
§ 163. Statt die Wärmemenge zu messen, welche eine
Substanz bei isothermer Ausdehnung von Aussen aufnimmt,
stellt man zur Bestimmung der absoluten Temperatur bequemer
Versuche an von der Art der soeben besprochenen von Thomson
und JoxTLE über die Temperaturänderung eines langsam aus-
strömenden Gases. Führen wir nämlich in der Gleichung (86),
welche die Theorie dieser Versuche, bezogen auf absolute
Temperaturen, darstellt, statt der absoluten Temperatur & wieder
/ (§ 160) ein, so ist zu setzen:.
120 Anwendungen auf spe^elle Oleichgewichtsxustände.
Aih
~\dtlp
dt
d»
li\ .
= LO .
dt
^p " [d &},,"[ dt )^ ' d& ~^P d&'
wenn c^' die auf die Temperatur t bezogene spezifische Wärme
bei constantem Druck bezeichnet. Folglich aus (86):
A . \d tj n d\^ A
A t = — ^^ — ^^-7 — ■ Ap
und wieder durch Integration:
t
Cp
(90) lQg^=/ '^'''^t =J>
wo nun wieder unter dem Integralzeichen lauter direkt und ver-
hältnissmässig bequem messbare Grössen stehen.
§ 163. In der von uns § 160 gemachten Festsetzung,
dass für t^, den Gefrierpunkt des Wassers, i9- = t^-^ =5 273 sein
soll, liegt die Voraussetzung, dass der Ausdehnungscoef&zient a
der idealen Gase schon bekannt ist. Da aber genau genommen
die wirklichen Gase sämmtlich bei allen Temperaturen Ab-
weichungen von einander und vom idealen Verhalten zeigen, so
wollen wir uns auch noch von dieser Voraussetzung befreien.
Wir thun dies, indem wir zur ursprünglichen Definition der
Temperatur (§ 3) zurückkehren und festsetzen, dass die Differenz
der absoluten Temperatur des unter Atmosphärendruck siedenden
Wassers 19*^, und der des unter Atmosphärendruck gefrierenden
Wassers ß-^i
(91) i9-i~ 1^-0 = 100
sein soll.
Bedeutet nun /^ die am i{ -Thermometer gemessene Tem-
peratur des Siedepunkts, so ist nach (90)
(92)
Homogenes System, 121
und die EHmination von &q und {^^ aus (90), (91) und (92) er-
gibt als absolute Temperatur
'^ = iSf^- (93)
Hieraus erhält man auch den Ausdehnungscoeffizienten eines
idealen Gases, unabhängig von jedem Gasthermometer:
Da der Ausdruck unter dem Integralzeichen in jedem der
beiden Integrale Jund J^ nothwendig allein von t und nicht noch
von einer zweiten Variablen abhängt, so genügt es zur Berechnung
des Integrals, wenn man die Messungen bei den verschiedenen
Temperaturen t unter einer vereinfachenden Bedingung, z. B.
immer bei dem nämlichen Druck (Atmosphärendruck) vornimmt.
§ 164. Noch einfacher wird die Formel, wenn man, unter
Beschränkung auf Atmosphärendruck, für das ^Thermometer als
thermometrische Substanz (§ 3) gerade dasjenige Gas nimmt,
mit welchem man die Ausströmungsversuche anstellt. Dann ist
nämlich der auf die Temperatur t bezogene Ausdehnungs-
coeffizient a constant, und, wenn, wie gewöhnlich, <o = und
^j = 100 gesetzt ist:
wobei Vq das spezifische Volumen bei der Gefnertemperatur des
Wassers und Atmosphärendruck bezeichnet.
Femer: (Sv\ ,
daher aus (90):
t
j^ C a'dt
1 + ff' ^ + '^
Vq Jp
und aus (92):
^ __ , a'dt
1 -I- a'^+ ^
^'o ^P
Für ein nahezu ideales Gas, wie z.B. Luft, ist At klein, und
daher das Glied mit c^ und v^ nur ein Correktionsglied, in
welchem die Ansprüche an die Genauigkeit der Coeffizienten c '
122 Anwendungen auf spezielle Gleichgeudohtszu^tände.
und Vq entsprechend ermässigt sind. Für ein vollkommen ideales
Gas wäre Ji = 0, und aus den letzten beiden Gleichungen:
J= log(l + cc't), J^ = log(l + 100«'),
mithin nach (93):
und nach (94):
.'. = < + A
«=-— = «
^0
Wie es sein muss.
Sobald durch eine genaue Messung wenn auch nur mit
einer einzigen Substanz & als Funktion von t bestimmt ist,
kann die Frage nach der Grösse der absoluten Temperatur auch!
praktisch als allgemein gelöst gelten.
Wie durch Messungen an homogenen Substanzen lässt sich
die absolute Temperatur auch mittelst der Theorie heterogener
Systeme bestimmen. Vgl. unten § 177.
II. Capitel. System in verschiedenen Aggregatzuständen.
§ 165. Wir untersuchen im Folgenden das Gleich-
gewicht eines Systems, dessen einzelne Theile verschiedenen
Aggregatzuständen, dem festen, flüssigen oder gasförmigen, an-
gehören können. Dabei nehmen wir überall an, dass der Zu-
stand jedes dieser Theile durch Masse, Temperatur und Volumen
vollständig bestimmt ist, oder anders ausgedrückt, dass das
ganze System von einem einzigen unabhängigen Bestandtheil
(§ 198) gebildet wird. Es ist dazu nicht erforderlich, dass das
System oder dass auch nur ein einzelner Theil des Systems
chemisch homogen ist. Die Frage nach der chemischen Homo-
genität lässt sich im Allgemeinen gamicht einmal strenge be-
antworten (vgl. § 92), z. B. ist es noch sehr dahingestellt, ob im
flüssigen Wasser die Moleküle dieselben sind wie im Eis, ja
es ist wegen der anomalen Eigenschaften des flüssigen Wassers
in der Nähe des Gefrierpunktes sogar wahrscheinlich, dass die
Moleküle schon innerhalb des flüssigen Wassers nicht alle gleich-
artig sind. Die Entscheidung darüber ist für die folgenden
Untersuchungen ganz ohne Belang. Es kann sogar das System
aus verschiedenartigen Stoffen in beliebigem Gewichtsverhältniss
System in verschiedenen Aggregatziiständen, 123
zusammengesetzt sein und etwa eine Lösung oder eine Legirung
bilden. Was wir hier voraussetzen woUen, ist nur dies, dass
der innere Zustand jedes homogenen Theiles der betrachteten
Substanz bei bestimmter Temperatur i)- und bestimmtem spezi-
fischen Volumen v ein ganz bestimmter ist, dass also, falls die
Substanz aus verschiedenartigen Stoffen zusammengesetzt ist,
das Gewichtsverhältniss derselben in allen Theilen des Systems
das nämliche ist. Dann können wir die Frage, um deren Be-
antwortung es sich hier handelt, in folgender Form aussprechen:
Wir denken uns die Substanz, deren Gesammtmasse Jlf gegeben
ist, in eine feste HüUe vom gegebenen Volumen V eingeschlossen
und ihr durch Zuleitung von Wärme eine gegebene Energie ü
mitgetheilt. Wird nun dies System nach Aussen abgeschlossen
und sich selbst überlassen, so bleibt M, Fund C/constant; dagegen
die Entropie S nimmt zu. Nun suchen wir den, oder wenn es
mehrere sind, die Gleichgewichtszustände zu bestimmen, welche
das System annehmen kann, und zugleich die Bedingungen dafür
anzugeben, unter denen das Gleichgewicht stabil oder labil ist.
Die vollständige Durchführung dieser Untersuchung wird ermög-
licht durch den in der Gleichung (77) ausgesprochenen Satz, dass
unter allen Zuständen, die bei verhinderter äusserer Wärme-
zufuhr auseinander hervorgehen können, der stabilste Gleich-
gewichtszustand durch das absolute Maximum der Entropie aus-
gezeichnet ist. Im Allgemeinen wird aber, wie wir sehen werden,
die Entropie des Systems unter den angegebenen äusseren Be-
dingungen mehrere relative Maxima annehmen können; dann
entspricht jedem Maximum, welches nicht das absolute ist, ein
mehr oder weniger labiler Gleichgewichtszustand. Wenn sich
das System in einem derartigen Zustand befindet (z. B. als über-
sättigter Dampf), 80 kann unter Umständen, wenn eine gewisse
beliebig kleine, aber passende Störung hinzutritt, das System
sich um endliche Strecken aus dem Zustand entfernen und in
einen anderen Gleichgewichtszustand übergehen, dem dann noth-
wendig ein grösserer Werth der Entropie entspricht als dem
vorigen.
§ 166. Wir haben nun zunächst diejenigen Zustände auf-
zusuchen, in denen die Entropie S des Systems ein Maximum
annimmt.
Die allgemeinste Annahme über den Zustand des Systems
124 Anwendungen auf spexielle Oleichgetvichtszustände.
ist die, dass sich drei verschiedene Theile desselben in den drei
verschiedenen Aggregatzuständen befinden. Bezeichnen wir dem-
nach die Massen dieser Theile mit M^^, M^y M^, wobei die
spezielle Bedeutung der einzelnen Indices einstweilen oflfen ge-
lassen ist, so haben wir als gegebene Masse des ganzen Systems:
Die Grössen M sind positiv, einzelne können auch Null sein.
Femer muss, weil der gesuchte Zustand ein Gleichgewichts-
zustand ist, jeder dieser drei Theile des Systems auch für sich
im Gleichgewicht, d. h. von gleichmässiger Temperatur und
Dichte sein, und es gelten für ihn alle im vorigen Capitel für
ein homogenes System abgeleiteten Sätze.
Bezeichnen also v^, v^, v^ die spezifischen Volumina, so ist
das gegebene Volumen des Systems:
M^ Vj^ + M^v^+ ifg t?3 = F.
Analog erhält man für die gegebene Energie des Systems:
ifj u^+M^u^ + M^u^:== U,
wobei die u die spezifischen Energieen bezeichnen.
Diese drei Gleichungen entsprechen den gegebenen äusseren
Bedingungen.
§ 167. Für die Entropie erhält man nun:
wobei die s die spezifischen Entropieen bezeichnen.
Aus dieser Gleichung ergibt sich für irgend eine unendlich
kleine Zustandsänderung:
wenn hier, wie überall im Folgenden, das Zeichen 2 ^^ ^®
Summirung über die Ziffern 1, 2, 3 gebraucht wird. Mit Eück-
sicht darauf, dass nach (61) allgemein:
5. du -h pdv
Ss = ^
erhält man:
(95) SS=^ ^^^-^ + ^^^ + ^s,SM,.
Die Variationen sind aber nicht alle unabhängig voneinander,
vielmehr folgt aus den drei äusseren Bedingungsgleichungen des
vorigen Paragraphen durch Variation:
System in verschiedenen Aggregatxuständen.
125
2 SM, =
(96)
Wir müssen daher mit Hülfe dieser drei Gleichungen irgend
3 Variationen aus dem Ausdruck von SS eliminiren, um in
demselben lauter unabhängige Variationen zu erhalten. Wenn
wir z. B. aus diesen letzten Gleichungen die Werthe von SM^,
Sv^ und Su^ entnehmen und sie in (95) einsetzen, so kommt:
^fe-ä^i^**»-
55=^
+ ^-
+ («1-
^)m,Sv,
— \s,
(.-
«2-
«3-
»,
Ucf ~~ t/g
_ fP»_^W Sv
&.
__ Pl (^2 - f>^ \
^2 I
SM^
(97)
Da nun die in diesem Ausdruck vorkommenden 6 Variationen
vollständig unabhängig von einander sind, so muss, damit nach
(77) ^Ä für alle beliebigen Zustandsanderungen =0 ist, jeder
der 6 Coeffizienten verschwinden. Mithin haben wir:
6%
^l = ^9'2 = ^3(=/>')
Pl==P2 = PZ
^ _iUi- u^) + pi [v^ -
V^)
^2 - ^
^ _ K - W«)'+P2K -
&
(98)
Diese 6 Gleichungen stellen nothwendige Eigenschaften eines
Zustandes dar, dem ein Maximum der Entropie entspricht, also
eines Gleichgewichtszustandes. Die ersten. 4 derselben sprechen
die Gleichheit von Temperatur und Druck aus, das Haupt-
interesse concentrirt sich daher auf die beiden letzten Gleichungen,
in welchen die thermodynamische Theorie der Schmelzung, Ver-
dampfung und Sublimirung enthalten ist.
§ 168. Wir wollen jene beiden Gleichungen zunächst auf
eine etwas einfachere Form bringen, indem wir fiir die spezi-
fische Entropie s, die wir, wie auch u und p, als Punktion der
126 Anwendungen auf spezielle Gleiehgeunchtsxustände.
unabhängigen Variablen ß- und v betrachten, ihren Werth ein-
setzen. Da nämlich allgemein nach (61):
, _^ du -h pdv
äs- ^ ,
SO haben wir durch Integration dieser Gleichung:
1
/du ■{• pdv
— »'
Die obere Grenze des Integrals ist durch die Werthe i9- = ?9-j,
v = Vj, die imtere durch die Werthe & = &^j v =^ «^2 bestimmt.
Der Integrationsweg ist ganz beliebig und hat auf den Werth
der Differenz s^ — s^ gar keinen Einfluss. Da nun nach (98)
i3-j = ,9-3 = i9-, so wollen wir den isothermen Integrationsweg
i?- = const wählen imd erhalten dadurch:
«1 - ^2 =
«^-h^/w^-
In dem Integral ist nun die Integration bei constantem & aus-
zufuhren, indem p als eine durch die Zustandsgieichung der
homogenen Substsuiz bekannte Funktion von & und v anzu-
sehen ist
Substituirt man den Werth von «1 — «2 ^ ^® Gleichungen
(98), so ergibt sich die Eelation:
(99)
Ebenso:
Fügen wir noch hinzu: Pi=P2= P^j
so haben wir hier im Ganzen 4 Gleichungen mit den 4 Un-
bekannten &, Fj, r,, Tj, welchen jeder Gleichgewichtszustand
genügen muss.
Die in diesen Gl^chungen Torkommenden Constanten hangen
offenbar lediglich Ton der chemischen Beschaffenheit der Sub-
stanz ^ nicht aber Ton den gegebenen Wertfaen der Masse M^
System in verschiedenen Aggregatx/uständen, 127
des Volumens V und der Energie U des Systems ab. Man
kann daher diese Gleichungen die „inneren" Gleichgewichts-
bedingungen nennen, im Gegensatz zu den Gleichungen im § 166,
welche die äusseren Umstände bezeichnen, denen das System
unterworfen ist.
§ 169. Ehe wir zur Betrachtung und Vergleichung der aus
den entwickelten Gleichungen sich ergebenden Werthe der Un-
bekannten übergehen, wollen wir allgemein untersuchen, ob bez.
unter welcher Bedingung dieselben auch wirklich einen Maximal-
werth der Entropie, und nicht etwa z. B. einen Minimalwerth
liefern. Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir den Werth
der zweiten Variation S^ S berechnen. Ist derselbe für alle
möglichen Zustandsänderungen negativ, so ist der betr. Zustand
jedenfalls ein Maximalzustand.
Wir variiren daher den Ausdruck (97) von SS und erhalten
dadurch den Werth von S^ S, welcher sich bedeutend vereinfacht,
wenn wir die Gleichungen (98), die aber selber nicht variirt
werden dürfen, benutzen. Berücksichtigen wir dann noch die
festen Bedingungen, sowohl in unvariirter wie in der variirten
Form (96), so ergibt sich schliesslich:
wofiir man auch schreiben kann:
ß-S^S^ -2^1 (^^1*^1 - ^>i^^i)-
Um alle Variationen auf die der unabhängigen Variabein
& und V zu reduciren, setzen wir noch nach (81):
dann erhalten wir:
&S^S=-^M,[^d,9,^- (^)^ Sv,^). (100)
Wenn die Grössen {c^\ , {g^\ , {c^\ alle positiv und die Grössen
l-^l , ... alle negativ sind, so ist S^S, wie man sieht, in
jedem Falle negativ, also S wirklich ein Maximum, und der
128 Anwendungen auf spezielle Oleichgermehtsxustände.
Zustand ein Gleichgewichtszustand. Da nun e^ als spezifische
Wärme bei constantem Volumen stets positiv ist, so hängt die
Bedingung des Gleichgewichts davon ab, ob [^ j für alle drei
Theile des Systems negativ ist oder nicht. Im letzteren Fall
ist kein Gleichgewicht vorhanden. In der That ist aus der
unmittelbaren Erfahrung ersichtlich, dass in jedem Gleich-
gewichtszustand -^ negativ ist, da sich der Druck, sei er positiv
oder negativ, bei constanter Temperatur immer in entgegen-
gesetzter Richtung wie das Volumen verändert. Es gibt aber,
wie ein Blick auf die in Fig. 1 (§ 26) gegebene graphische Dar-
stellung der Grösse ;? als isotherme Funktion von v lehrt, auch
Zustände, in denen -^ positiv ist. Diese Zustände stellen also
niemals eine Gleichgewichtslage dar, und sind deshalb auch
nicht der direkten Beobachtung zugänglich. Wenn dagegen
^ negativ ist, so findet Gleichgewicht statt; doch braucht
dasselbe noch nicht stabil zu sein; es kommt dann darauf an,
ob nicht unter den gegebenen Bedingungen noch ein anderer
Gleichgewichtszustand möglich ist, dem ein grösserer Werth der
Entropie entspricht.
Wir wollen nun im Folgenden die Werthe der Unbekannten
&, v^, v^y v^ untersuchen, die eine Lösung der inneren Gleich-
gewichtsbedingungen (98) vorstellen; es wird dies, wie wir sehen
werden, auf verschiedene Arten möglich sein. Wenn das ge-
schehen ist, woUen wir (von § 189 an) die weitere Frage be-
handeln, welche der verschiedenartigen Lösungen in jedem
Einzelfalle, unter den gegebenen äusseren Bedingungen, den
stabilsten Gleichgewichtszustand, d. h. den grössten Werth der
Entropie des Systems liefert.
§ 170. Erste Lösung. Wenn wir erstens setzen:
^1 = «^2 = ^3 = ^ '
so werden dadurch alle vier Gleichungen (98) befriedigt. Denn
da ohnehin die Temperatur & allen drei Theilen des Systems
gemeinsam ist, werden dadurch ihre Zustände vollkommen
identisch, d. h. das ganze System ist homogen. Der Zustand
des Systems ist dann bestimmt, wenn man noch die Gleichungen
System in verschiedenen Aggregatxuständen. 129
des § 166 hinzunimmt, welche die äusseren Bedingungen aus-
sprechen. Dieselben lauten in diesem Falle:
FolgUch: « = ^und« = S.
M M
Aus V und u ergibt sich dann auch &, da u als bekannte
Funktion von & und v vorausgesetzt ist
Diese Lösung hat immer einen bestimmten Sinn, sie stellt
aber, wie wir an Gleichung (100) gesehen haben, nur dann einen
Gleichgewichtszustand dar, wenn -^ negativ ist Trifft dies zu,
so ist das Gleichgewicht labil oder stabil, je nachdem unter
den gegebenen äusseren Bedingungen (§ 166) ein Zustand
existirt, dem ein noch grösserer Werth der Entropie entspricht,
oder nicht Wann das Eine oder das Andere der Fall ist, soll
später gezeigt werden.
§ 171* Zweite Lösung. Wenn wir zweitens setzen:
«^1 S ^3 = ^3 ?
so fallen die mit 2 und 3 bezeichneten Aggregatzustände zu-
sammen und die Gleichungen (98) reduciren sich auf;
*1 — *3 — ^T J
oder statt der zweiten Gleichung:
Vi
Jpdv=.p^{v, -v^). (102)
Vt
In diesem Falle befindet sich das System in zwei verschiedenen
Aggregatzuständen nebeneinander, z. B. als Dampf und Flüssig-
keit Die beiden Gleichungen (101) enthalten drei unbekannte:
&y Vj, Vj, sie können also dazu dienen, die Grössen v^ und v^,
und in Folge dessen auch den Druck j9^ = p^ und die spezifischen
Energieen t^ und u^ als bestimmte Funktionen der Temperatur
& darzustellen. Durch die Temperatur ist also der innere
Zustand zweier sich im Gleichgewicht berührender heterogener
FliAKOK, Thennodynamik. 9
130 Amoendungen auf spexidle Gleichgeunchtszfistände.
Theile derselben Substanz vollständig bestimmt. Die Temperatur
selber, sowie die Massen der beiden Theile des Systems er-
geben sich aus den äusseren Bedingungen (§ 166), welche für
diesen Fall lauten:
(103) l M,v,+{M^+M,)v,^V
Diese drei Gleichungen dienen zur Berechnung der drei letzten
Unbekannten, nämlich &, M^ und (ifg + ifg), wodurch dann der
physikalische Zustand des Systems ganz bestimmt ist; denn bei
den Massen M^ und M^ kommt es offenbar nur auf ihre Summe
an. Natürlich hat das Besultat nur dann einen physikalischen
Sinn, wenn sowohl M^ als auch {M^ + M^) positiv ausfällt.
§ 173. Die nähere Betrachtung der Gleichung (102) zeigt,
dass sie nur dann befriedigt werden kann, wenn der Druck p,
der ja für die beiden Grenzen des Integrals den nämlichen
Werth |?i =^2 hat, zwischen den Grenzen Werthe annimmt,
die theils kleiner, theils grösser als p^ sind, und dass sich daher
hier Zustände vorfinden müssen, welche nach § 169 labil sind,
weil stellenweise p mit v zunimmt. Die Gleichung lässt sich
sehr einfach geometrisch interpretiren, wenn man die schon dort
erwähnte graphische Darstellung der Zustandsgieichung durch
die Isotherme (Fig. 1, § 26) zu Hülfe nimmt. Denn da das
1
Integral J pdv den Flächenraum darstellt, der von der Isotherme,
2
der Äbscissenaxe und den durch die Punkte v^ und v^ der Iso-
therme begrenzten Ordinaten umschlossen wird, während andrer-
seits das Produkt p^ (vj — v^) den Flächenraum des aus denselben
Ordinaten und der Abscissenstrecke v^— t^g gebildeten Rechtecks
bezeichnet, so lehrt die Gleichimg (102). Folgendes: In jeder
Isotherme wird der Druck, bei welchem sich zwei Aggregat-
zustände der Substanz dauernd berühren können, durch diejenige
zur Abscissei^axe parallele Gerade dargestellt, welche zu beiden
Seiten der Isotherme gleiche Flächenräume abgrenzt. Eine
derartige Gerade ist in der Fig. 1 durch ABC bezeichnet Man
kann also aus der für homogene, stabile und labile. Zustände auf-
gestellten Zustandsgieichung direkt das Gesetz der Abhängigkeit
System in verschiedenen AggregaiTMständen. 131
des Drucks und der Dichtigkeit des gesättigten Dampfes und der
berührenden Flüssigkeit von der Temperatur ableiten.
Wenn wir z. B. die CLAUSius'sche Zustandsgieichung (12)
als empirische Fonnulirung der Thatsachen zu Grunde legen,
so folgen aus ihr fiir das spezifische Volumen v^ des gesättigten
Dampfes und v^ der berührenden Flüssigkeit die beiden Be-
dingungen:
Rd^ c __ Rd^ e
und aus (102)
Hiedurch können v^ und v^, also auch p^ =P2> ^Is Funktionen
von i9-, oder bequemer v^, Vg, p^ und ß- als Funktionen einer
einzigen passend gewählten unabhängigen Variabein bestimmt
werden.
Mit den CLAusius'schen Zahlenwerthen der Constanten für
Kohlensäure (§ 25) ergeben sich aus dieser Bechnung Resultate,
die mit den ANDEEWs'schen Beobachtungen befriedigend über-
einstimmen; doch besitzt nach Tklesen die CLAusius'sche Zu-
standsgleichung keine allgemeinere Bedeutung.
§ 178. Verfolgen wir den Inhalt der Gleichungen (101) noch
nach anderen Eichtungen hin. Wenn wir zur Abkürzung setzen:
u-ü^s^f (104)
[freie Energie der Masseneinheit, nach Gleichung (71)],
SO schreiben sich die Gleichungen (101) einfacher:
Pi = P2 (105)
r2-/i=-PlK-^2)- (106)
Die Funktion f genügt folgenden einfachen Bedingungen: Nach
(104) ist: fef\ iQu\ ^(ds
und nach (79 a)
(ö^I-l^j,"'^U^j,-^
K) = -- (107)
Femer ist nach (104):
und nach (80) und (81):
9
132 Anwendungen auf speiuelle Gleichgewichtszustände.
Die der Berührung zweier Aggregatzustände entsprechenden
Gleichgewichtsbedingungen gelten für jede der drei mögKchen
Combinationen je zweier Aggregatzustände, wir wollen jedoch,
um die Ideen zu fixiren, zuerst beispielsweise diejenige Lösung
dieser Gleichungen im Auge behalten, welche der Berührung
von Dampf und Flüssigkeit entspricht Wenn wir hiebei den
Index 1 auf den Dampf, den Index 2 auf die Flüssigkeit be-
ziehen, so bedeutet v^ das spezifische Volumen des bei der
Temperatur ß- gesättigten Dampfes, p^ =P% seinen Druck, v^
das spezifische Volumen der berührenden Flüssigkeit Diese
Grössen sind also alle Funktionen der Temperatur allein, wie
es der Erfahrung entspricht
§ 174. Wir können zunächst durch Differentiation der
Gleichgewichtsbedingungen nach & zu neuen Sätzen gelangen,
wobei wir, da alle Variabein nur von & abhängen, die entsprechen-
den totalen Differentialquotienten kurz mit ^ , -^ , -j~ u. s. w.
bezeichnen wollen, während wir für die partiellen Differential-
quotienten nach & bei constantem v, xmd nach v bei constantem
& die bisherige Bezeichnung ^ u. s. w. beibehalten.
Dann ergeben die Gleichungen (105) und (106) nach ß-
differentiirt:
djp^ __ dp^
d& d&
und: dfi dfi
c.-.)|f+^.(Ä-||)-
d& d&
Nun ist aber nach (107) und (108):
df,_dA_ (dj,\ (df,\ dv, _ (dA) _ (dfA dv,
d& d& [d^)^'^ \dv)^d& \d&)^ \dv)^d&
dv2 j^ _. dvi
- — ^2 -- P2j:^ -r h -r Pij:^'
Folglich durch Substitution:
/ \ dpi
«1 - «a = K - «3) rf^ .
oder endlich nach (101):
(109) K - "2) + Pi K -v,) = & {V, -v,)^.
Der Ausdruck links bedeutet nach der Gleichung (17) des ersten
Hauptsatzes der Wärmetheorie nichts anderes als die Ver-
System in verschiedenen Äggregatxuständen* 133
dampfiingswärme r der Flüssigkeit, d. h. diejenige Wärmemenge,
welche der Masseneinheit Flüssigkeit von Aussen zuzuführen ist,
damit sie bei constant gehaltener Temperatur unter dem con-
stanten Druck des gesättigten Dampfes vollständig in Dampf
übergeht. Denn die Veränderung der Energie ist hiebei u^ — Wj,
und die dabei von Aussen aufgewendete äussere Arbeit A,
welche hier negativ ist, beträgt:
Es ist also:
r = Wj -Wj + p^ (Vj - v^) (110)
und daher:
r = &{v,-v,)%. (111)
Diese schon von Clapeybon aus der CABNOT'schen Theorie (§ 52)
abgeleitete, zuerst von Claüsius streng begründete Gleichung ge-
stattet die Berechnung der Verdampfungswärme für eine be-
liebige Temperatur aus den Volumina des gesättigten Dampfes
und der Flüssigkeit, sowie der Abhängigkeit der Spannung des
gesättigten Dampfes von der Temperatur. Sie ist in sehr vielen
Fällen durch die Erfahrung bestätigt worden.
§ 176« Als Beispiel berechnen wir die Verdampfungs-
wärme des Wassers bei 100® C, also beim Druck einer Atmo-
sphäre. Hiefür ist:
^9- = 273 -f- 100 = 373,
v^ = 1658 nach Wüllnee
(Volumen eines gr gesättigten Wasserdampfes bei 100^ C. in com),
Vg = 1
(Volumen eines gr Wasser bei IOC* C. in ccm),
-^ ergibt sich daraus, dass KEaNAULT für gesättigten Wasser-
dampf von 100^ C. eine Spannungszunahme von 27,2™™ Queck-
silber fiir 1^ Temperaturerhöhung fand. Die Reduktion auf
absolute Druckeinheiten liefert nach § 7:
^=1L^. 1013 650
d& 760
und somit die gesuchte Verdampfungswärme in Calorieen, durch
Division mit dem mechanischen Wärmeäquivalent:
373 • 16 57 ' 27,2 - 1 013 650 _ ;. or
760 -419 -10*
134 Anwendungen auf spezielle OkiehgewiektaxvMimde,
Rbönault fand durch direkte Messung für die Verdampfungs-
wärme des Wassers bei 100® C. 536 cal.
§ 176. Wie man aus (110) sieht^ entspricht ein Theil
der Verdampfongswärme r der Zunahme der Energie, ein anderer
Theil der äusseren Arbeit. Um zu beurtheilen, in welcher Be-
ziehung diese beiden Theile stehen, bildet man am bequemsten
das Verhältniss der äusseren Arbeit zur ganzen Verdampfungs-
wärme:
Pi (^1 - ^2) ^ ^1 .
Für den soeben behandelten Fall ist
Pi = 760"™,
19- = 373,
^Pi _ 07 9 mm
und man erhält daher fiir dies Verhältniss: ,
W^ = 0.075.
woraus zu entnehmen ist, dass die äussere Arbeit in dem Betrag
der Verdampfungswärme hier nur eine geringe Rolle spielt
§ 177. Die Gleichung (111) gestattet auch wieder eine
Berechnung der absoluten Temperatur &y sobald die Ver-
dampfungswärme, sowie der Druck und die Dichte des gesättigten
Dampfes und der berührenden Flüssigkeit als Funktion irgend
einer beliebigen Conventionellen Temperaturskala t (§ 160) durch
Messung bestimmt sind. Es ist nämlich:
Q./ \dp\ dt
und daraus:
log^=/^-^..^^...,
woraus & in derselben Weise als Funktion von t zu berechnen
ist, wie dies schon früher ausgeführt wurde. Ueberhaupt ist
ersichtlich, dass eine jede aus dem zweiten Hauptsatz abgeleitete
Gleichung zwischen messbaren Grössen dazu benutzt werden
kann, eine Bestimmung der absoluten Temperatur vorzunehmen,
und es handelt sich nur um die praktische Frage der Genauig-
System in verschiedenen Aggregatztiständen. 135
keit der Messungen in dem zu untersuchenden Temperatur-
intervall, um darüber zu entscheiden, welche Methode den
Vorzug verdient.
§ 178. Eine einfache Annäherungsformel^ die in manchen
Fällen gute, in andern dagegen nur massig brauchbare Resultate
ergibt, erhält man, wenn in der Gleichung (111) das spezifische
Volumen der Flüssigkeit v^ gegen das des Dampfes v^ vernach-
lässigt, und wenn ausserdem für letzteres die Zustandsgieichung
eines idealen Gases als gültig vorausgesetzt wird. Dann ist
nach Gleichung (14)
E &
wobei E die absolute Gasconstante, m das Molekulargewicht des
Dampfes bezeichnet, und die Formel (111) geht über in:
^^B_^d^_ (112)
m Pi d& ^ '
Für Wasser bei 100^ C. wäre z. B.
jß = 1,971 in Calorieen nach Gleichung (34),
m = HgO = 18 ,
19- = 373,
p^ = 760»"^°»,
"^^^ = 27,2
mm
d&
und daraus die Verdampfungswärme in Calorieen:
1,971 -373*. 27,2 ^.j,
r = — — = 545 ,
18-760 '
also etwas zu gross (§ 175). Die Ursache dieser Abweichung
liegt darin, dass das Volumen des bei 100® C. gesättigten
Wasserdampfes in Wirklichkeit kleiner ist als das aus der
Zustandsgieichung eines idealen Gases vom Molekulargewicht 18
für diese Temperatur und Atmosphärendruck berechnete Volumen.
Eben deshalb kann eine genaue Messung der Verdampfungs-
wärme auch dazu dienen, um aus dem zweiten Hauptsatz einen
Schluss zu ziehen auf die Abweichung der Dichte eines Dampfes
von dem idealen Werth.
Eine in denselben Grenzen gültige Annäherungsformel von
anderer Bedeutung ergibt sich, wenn man weiter in der Gleichung
136 Anwendungen auf speccieUe Okichgetaichtszv^stände.
(109) für die spezifische Energie des Dampfes nach (36) den
für ideale Gase gültigen Werth w^ = c^i?- + const, femer für
die spezifische Energie der Flüssigkeit unter Constantsetzung
(jjer spezifischen Wärme c^ and Vemachlässigong der äusseren
Arheit u^ = c^^ + const. setzt. Dann folgt aus (109):
f \ Q. . X . -ß^ -ß ^' dp.
(c„ — cJ)& + const •] = -^.
Multiplicirt man beiderseits mit -7-»- , so lässt sich diese Gleichung
Glied für Glied integriren, und man erhält schliesslich, unter
Berücksichtigung von (33)
b fn , V
p^ = ae Cr •
Hier bedeuten a und b positive Constante, c und c« die spezi-
fischen Wärmen von Dampf und Flüssigkeit bei constantem
Druck. Dies gibt ein Gesetz für die Abhängigkeit der Spann-
kraft des gesättigten Dampfes von der Temperatur, welches um
so angenäherter gilt, je tiefer die Temperatur unter der kriti-
schen Temperatur des Dampfes liegt.
Für Quecksilberdampf z. B. ist nach einer Berechnimg von
H. Hertz, wenn p^^ in Millimetern Quecksilber ausgedrückt wird:
a = 3,915 • 10l^ b = 7695 , ^(c - c^) = - 0,847 .
§ 179. In gleicher Weise wie für den Verdampfungsprozess
lässt sich die Gleichung (111) auch auf den Schmelz- oder auch
auf den Sublimationsprozess anwenden. Im ersten Fall bedeutet r
die Schmelzwärme der Substanz, falls der Index 1 dem flüssigen,
der Index 2 dem festen Zustand entspricht, ferner p^ den Schmelz-
druck, d. h. den Druck, bei welchem feste und flüssige Substanz
sich im Gleichgewicht berühren können. Der Schmelzdruck
hängt hienach, ebenso wie der Verdampfungsdruck, von der
Temperatur ab, oder in umgekehrter Fassung: Durch Ver-
änderung des Druckes wird die Schmelztemperatur geändert:
^ ^ dp^ r
Für Eis bei 0^ C, also unter Atmosphärendruck, ergibt
sich z. B.
System in verschiedenen AggregcUxuständen, 137
r = 80 -419 '10^ (Schmelzwärme von 1 gr Eis in abso-
luten C.G.S.-Einheiten),
& = 273,
Vj = 1,0 (Volumen von 1 gr Wasser bei 0^ C. in ccm),
Vg = 1,09 (Volumen von 1 gr Eis bei 0® C. in ccm).
Um - — in Atmosphären zu erhalten, hat man den Ausdruck
noch mit 1013650 (§ 7) zu multipliciren und erhält so aus (113):
dpi 80 •419-10* ' ^ , '
Durch Erhöhung des äusseren Druckes um 1 Atmosphäre wird
also die Schmelztemperatur des Eises um 0,0074® C. erniedrigt,
oder: um den Schmelzpunkt des Eises um 1® C. zu erniedrigen,
bedürfte es einer Druckerhöhung von ca. 130 Atmosphären, was
zuerst durch Messungen von W. Thomson (Lord Kelvin) be-
stätigt worden ist. Für Substanzen, welche sich, entgegengesetzt
dem Eis, beim Schmelzen ausdehnen, wird nach der Gleichung
(118) umgekehrt die Schmelztemperatur mit wachsendem Druck
erhöht. Auch dies ist durch Messungen qualitativ und quanti-
tativ bestätigt worden.
§ 180. Die Gleichungen (101) gestatten, noch andere wich-
tige Eigenschaften, die eine Substanz in verschiedenen Aggregat-
zuständen besitzt, in Beziehung miteinander zu bringen. Wir
fessen sie mit (110) in folgender Form zusammen:
r
- - «1 - «2
und differentüren nach &, Dann ergibt sich:
oder nach (81):
& '^[d&J^d^ &" \d&)^d&'
Nun führen wir statt der spezifischen Wärme bei constantem
Volumen: e^ die bei constantem Druck: c^ für jeden Aggregat-
zustand ein. Dann ist nach Gleichung (82), wenn man noch
Alles mit i?- multiplicirt:
138 Anwendungen auf spex/ieüe QleiciligewichUzustände,
d
^-5-(a-*(lf).(l5-U*(ll).^
oder, da nach (6) für jeden der beiden Aggregatzustände:
(dp\ ^ _ (dv\ (d_p\
-(»^+''(i;i-{(lf).+(fe).si-
Die in den Klammem { } befindlichen Ausdrücke sind aber
nichts anderes als:
dpi dp,
^Fi
d& d& ^K-«^j)'
Folglich erhält man schliesslich:
("5) w-w-iJ-j+..:..!(fe),-(l5)J-
Diese streng gültige Gleichung gestattet abermals eine Prüfimg
des zweiten Hauptsatzes, da sie lauter G-rössen enthält, die un-
abhängig von einander gemessen werden können.
§ 181. Nehmen wir als Beispiel wieder gesättigten Wasser-
dampf bei 100® C, also unter Atmosphärendruck, und berechnen
hiefiir die spezifische Wärme des Dampfes bei constantem
Druck: (c^)j , dann ist:
(c^)2= 1,03 (spezifische Wärme des flüssigen Wassers bei 100%
r = 536 ,
i9' = 373,
d IT
-T-^: = — 0,708 (Abnahme der Verdampfungswärme mit der Tem-
peratur, nach Messungen von EEGNAuiiT).
Um v^ und (-^1 zu bestimmen, benutzen wir eine Messung
von HiEN, nach welcher 1 gr Wasserdampf unter Atmosphären-
druck bei 100® das Volumen 1650,4 ccm, bei 118,5® das Volumen
1740 ccm einnimmt. Daraus ergibt sich:
^1 = 1650,4,
(dvA 1740 - 1650,4 . ^ . „
[T^]r iP = 4,843.
System in verschiedenen ÄggregcUzitständen, 139
Endlich ist
2;2 = 1,0,
(i?i= "'
001.
Diese Zahlen liefern nach (115) das Ergebniss:
%\ - («,)» = - 0.56 .
oder:
K\ = K)^ - 0,56 = 1,03 - 0,56 = 0,47 .
BEGKAUiiT fand durch direkte Messung die mittlere spezifische
Wärme des Wasserdampfes bei constantem Atmosphärendruck
für etwas höhere Temperaturen als 100^ zu 0,48.
§ 183« Die Beziehung (115) vereinfacht sich bedeutend,
wird aber ungenau, wenn man wieder das Volumen v^ des
flüssigen Wassers gegen das v^ des Dampfes vernachlässigt und
für letzteres die Zustandsgieichung eines idealen Gases benutzt
Denn dann wird:
R &
V, =
R
und die Gleichung (115) lautet einfach:
in unserem Beispiel:
(S)i-(^p)2=-0,71
(c^X = 1,03 -0,71 =0,32,
also erheblich zu Mein.
§ 188« Wenden wir nun die Beziehung (115) auch auf
schmelzendes Eis bei 0^ und Atmosphärendruck an, indem wir
den Index 1 auf den flüssigen, den Index 2 auf den festen
Aggregatzustand beziehen. Die Abhängigkeit der Schmelzwärme
r des Eises von der Schmelztemperatur & ist wohl noch nicht
direkt gemessen worden, sie lässt sich aber aus (115) berechnen,
da diese Gleichung ergibt:
d&
- (»A - («A + J - ~j. {(§Ji - (f?)J ■
140 Amjoefndung&a auf spezielle Oleichgewu^tszttstände»
Dabei ist:
(c^)^ = 1 (Spezifische Wärme des Wassers bei 0^,
{CpX = 0,505 (Spezifische Wärme von Eis bei 0^
r = 80,
& = 21S,
\J^) ~ ■" 0,00006 (Ausdehnungscoeffizient des Wassers bei 0^,
|-^j = 0,00011 (Ausdehnungscoeffizient von Eis bei 0^
Folglich nach der obigen Gleichung:
15 = 0,64,
d. h. wenn der Schmelzpunkt des Eises durch entsprechende
Vermehrung des äusseren Druckes um 1® erniedrigt wird, nimmt
auch die Schmelzwärme um 0,64 cal. ab.
§ 184. Es ist schon jfrüher wiederholt darauf hingewiesen
worden, dass man ausser der spezifischen Wärme bei constantem
Druck und der bei constantem Volumen noch beliebige andere
spezifische Wärmen definiren kann, je nachdem man die äusseren
Umstände, unter denen die Erwärmung stattfindet, verschieden
regulirt In jedem Falle gilt die Gleichung (23) des ersten
Hauptsatzes:
du dv
Bei den gesättigten Dämpfen ist nun auch diejenige Art der
Erwärmung von Interesse, bei welcher der Dampf immer gerade
im Zustand der Sättigung erhalten wird. Bezeichnen wir die diesem
Vorgang entsprechende spezifische Wärme des Dampfes mit h^
— Clausius nannte sie die spezifische Wärme „des gesättigten
Dampfes" — so ergibt sich in unserer Bezeichnung:
(116) ^-^+^x^-.
Ueber den Werth von h^ lässt sich von vorneherein nichts
aussagen, ja selbst das Vorzeichen dieser Grösse muss vorläufig
System in verschiedenen Aggregatzitständen, 141
dahingestellt bleiben. Denn wenn der Dampf wahrend der Er-
wärmung um V gerade gesättigt bleiben soll, muss er offenbar
gleichzeitig comprimirt werden, weil das spezifische Volumen des
gesättigten Dampfes mit steigender Temperatur abnimmt. Nun
wird aber durch die Compression Wärme erzeugt, und es fragt
sich, ob diese Wärme nicht so beträchtlich ist, dass sogar eine
Ableitung von Wärme nach Aussen erforderlich wird, um den
Dampf nicht zu überhitzen. Daher sind hier von vorneherein
zwei Fälle denkbar: 1. Die Compressionswärme ist verhaltniss-
mässig beträchtlich. Dann ist bei der Compression des gesättigten
Dampfes Ableitung von Wärme nach Aussen erforderlich, um
bei der erhöhten Temperatur den Sättigungszustand aufrecht zu
erhalten, d. h. h^ ist negativ. 2. Die Compressionswärme ist zu
gering, um ohne Zuleitung äusserer Wärme den comprimirten
Dampf vor Uebersättigung zu bewahren; dann muss Äj positiv
ausfallen. Dazwischen liegt der Grenzfall h^ = 0, wo die Com-
pressionswärme gerade hinreicht, um den comprimirten Dampf
im Zustand der Sättigung zu erhalten, wo also die Sättigungs-
curve zusammenfällt mit der Curve der adiabatischen Compression.
Dieser Grenzfall wurde noch von Watt als für Wasserdampf
gültig angenommen.
Es ist nun leicht, Äj aus den obigen Formeln zu berechnen.
Bilden wir zunächst die entsprechende spezifische Wärme fiir
die berührende Flüssigkeit:
Diese spezifische Wärme entspricht einer Erwärmung der
Flüssigkeit, die immer gerade unter dem Drucke ihres gesättigten
Dampfes gehalten wird. Da nun der äussere Druck, wenn er
nicht nach vielen Atmosphären misst, auf den Zustand einer
Flüssigkeit keinen wesentlichen Einfluss hat, so fällt der Werth
von Äj so gut wie ganz mit dem Werth der spezifischen Wärme
der Flüssigkeit bei constantem Druck zusammen, d. h.
fH = (^\- (118)
Nun ergeben die Gleichungen (116) und (117) von einander
subtrahirt:
142 Anwendungen auf spezielle GleichgeunehisTMstände.
Aber nach (110) ist durch Differentiation nach &\
Folglich:
dr d(Ui - Mal rf(«?i - v^) , .dpi
5^ = " d¥ ■ + ^1 ^d^- + (''i " ''«) d^
^-^2 = ^i-K-^2)^
oder nach (118) und (111):
Für gesättigten Wasserdampf bei 100® haben wir nun, wie oben:
{o,\ = 1,03 ,
— = -071
r = 536,
,9- = 373 .
Folglich :
Ä, = 1,03-0,71 -g=- 1,12.
Wasserdampf bei 100® C. repräsentirt also den oben unter 1.
beschriebenen Fall, d. h. gesättigter Wasserdampf bei 100®,
adiabatisch comprimirt, wird überhitzt; oder umgekehrt: ge-
sättigter Wasserdampf bei 100®, adiabatisch ausgedehnt, wird
übersättigt, indem der Einfluss der Compressions-, bez. Dilatations-
wärme über den Einfluss der Dichtigkeitszunahme, bez. Abnahme
weit überwiegt. Ändere Dämpfe zeigen das entgegengesetzte
Verhalten.
§ 185. Es kann der Fall eintreten, dass für einen be-
stimmten Werth von ü- die Werthe der Grössen v^^ und v^, wie
sie sich aus den Gleichungen (101) in ganz bestimmter Weise
ergeben, einander gleich werden; dann sind die beiden Aggregat-
zustände, die miteinander in Berührung sind, überhaupt identisch.
Ein solcher Werth von t^- heisst eine kritische Temperatur der
betreffenden Substanz. Vom rein mathematischen Standpunkt
aus muss man von vorneherein annehmen, dass jede Substanz
für jede der drei Combinationen zweier Aggregatzustände eine
solche kritische Temperatur besitzt, die allerdings nicht immer
reell sein wird. Durch die kritische Temperatur ^9- und das
kritische Volumen v^ = v^ ist dann auch der ganze kritische
System in verschiedenen Aggregaiztiständen, 148
Zustand bestimmt. Seine Berechnung erfolgt aus den Gleichungen
(101), wenn man darin noch die Bedingung einfuhrt, dass
die Differenz t?i — v^ verschwindet Nehmen wir also v^^ — v^
sehr klein an, so wird für ein beliebiges Volumen v, welches
zwischen den Werihen v^ und v^ liegt, nach dem TAYLOE'schen
Satze:
also geht die erste Gleichung (101) über in:
und die Gleichung (102) liefert, durch Ausführung der Integration
von (119) nach v:
P2 K - ^2) + Y (^\ ih - ^2? + 2^ (0)^ K -^2)'= P2 (^1 - ^2)-
Die letzten beiden Gleichungen ergeben:
(1^). = «
'''P^ =0
ß^'/2
als Bedingung des kritischen Zustandes. Diese Bedingung stimmt
überein mit der schon im § 30 für den kritischen Zustand eines
Dampfes abgeleiteten Beziehung, und wird durch die dort ge-
gebene Zeichnung der Isotherme geometrisch illustrirt. Im
kritischen Zustand ist die Compressibilität unendlich gross, der
Ausdehnungscoeffizient bei constantem Druck unendlich gross,
die spezifische Wärme bei constantem Druck unendlich gross,
die Verdampfungswärme Null.
Bei anderen Temperaturen als der kritischen sind die
Werthe von ^;^ und v^ verschieden, und zwar auf der einen
Seite reell, auf der anderen complex; im letzteren FaU verliert
die hier betrachtete Lösung des Gleichgewichtsproblems ihren
Sinn. Dafür, dass es nicht nur beim Verdampfungsprozess,
sondern für manche Substanzen auch beim Schmelzprozess eine
reelle kritische Temperatur gibt, bei welcher also der feste und
der flüssige Aggregatzustand identisch werden, lassen sich mehr-
fach Gründe anführen. Vgl. oben § 31 und unten § 191.
§ 186. Dritte Lösung. Setzen wir drittens in den für das
ifinere Gleichgewicht gültigen Bedingungen (98):
144 Anwemdungen auf spezielle OleiehgeunchisxtMtände.
so haben wir ohne Vereinfachung:
(120)
_ ^h-Ui'^'Pt fa - y «)
*i - ^2 - :^
*2 - ^3 - :ß.
Dieser Fall bezeichnet einen Zustand, bei welchem sich im
System alle drei Aggregatzustände nebeneinander vorfinden. Die
vier Gleichungen (120) enthalten vier Unbekannte, nämlich
i?-, v^f Vg, V3, so dass ihnen ganz bestimmte Werthe dieser
vier Grössen entsprechen. Alle drei Aggregatzustände können
also nur bei einer ganz bestimmten Temperatur und ganz be-
stimmten Dichtigkeiten, und daher auch nur bei einem ganz
bestimmten Druck nebeneinander im Gleichgewicht existiren.
Wir wollen diese Temperatur die „Fundamentaltemperatur** und
den entsprechenden Druck den Fundamentaldruck der Substanz
nennen. Die Fundamentaltemperatur ist nach den Gleichungen
(120) durch die Bedingung charakterisirt, dass für sie der Druck
des über der Flüssigkeit gesättigten Dampfes gleich ist dem
Schmelzdruck. Dann folgt mit Nothwendigkeit durch Addition
der beiden letzten Gleichungen, dass jener Druck auch gleich
dem Sublimationsdruck ist, bei welchem die feste Substanz mit
der gasförmigen in Berührung ist.
Sind die Fundamentalwerthe gefanden, so berechnen sich aus
den äusseren Bedingungen im § 166
(121) j M^v^+M^v^ + M^v,=r
die Massen M^, M^^ M^ der in den verschiedenen Aggregat-
zuständen befindlichen Theile des Systems in eindeutiger Weise.
Doch hat diese Lösung nur dann einen physikalischen Sinn,
wenn die Werthe von M^, M^, M^ sämmtlich positiv ausfallen.
§ 187. Bestimmen wir z. B. den Fundamentalzustand des
Wassers. Da für 0® C. der Druck des über flüssigem Wasser
gesättigten Dampfes 4,62™™, der Schmelzdruck des Eises aber
760™™ beträgt, so ist 0^ nicht die Fundamentaltemperatur des
Wassers. Nun nimmt aber der Schmelzdruck des Eises mit
System in verschiedenen Äggregatzuständen: 145
steigender Temperatur ab, während der Druck des über flüssigem
Wasser gesättigten Dampfes wächst; folglich wird für eine etwas
höhere Temperatur als 0^ ein Zusammenfallen jener beiden
Drucke eintreten. Nach der Gleichung (114) steigt die Schmelz-
temperatur des Eises bei Erniedrigung des Druckes von 760 ™™
bis 4,62°^°^ um nahezu 0,0074«. Die Temperatur 0,0074« C. ist
also sehr angenähert die Fundamentaltemperatur des Wassers,
da für sie der Druck des über flüssigem Wasser gesättigten
Dampfes nahe zusammenfällt mit dem Schmelzdruck des Eises,
und in Folge dessen auch mit dem Druck des über Eis ge-
sättigten Dampfes. Daraus ergeben sich dann auch dieWerthe
für das spezifische Volumen von Wasser im gasförmigen, flüssigen
und festen Fundamentalzustand:
v^ = 205 000 , v^ = \, v^ = 1,09 .
Für andere Temperaturen als die Fundamentaltemperatur fallen
Verdampfiings-, Schmelz- und Sublimationsdruck alle ver-
schieden aus.
§ 188. üeberblicken wir nun noch einmal die inneren
Gleichgewichtsbedingungen (101) für die drei Combinationen je
zweier sich berührender Äggregatzustände einer gegebenen Sub-
stanz im Zusammenhang. Für jede dieser Combinationen ist
sowohl der Druck p als auch die spezifischen Volumina der beiden
sich berührenden Theile allein von der Temperatur abhängig
und durch (101) bestimmt. Hiebei ist aber wohl zu unter-
scheiden^ ob sich z. B. gesättigter Dampf in Berührung mit
flüssiger oder mit fester Substanz befindet, da für diese beiden
Fälle die Funktionen, welche Druck und spezifisches Volumen
des gesättigten Dampfes in ihrer Abhängigkeit von der Tem-
peratur darstellen, ganz verschieden ausfallen. Der Zustand des
gesättigten Dampfes ist erst dann bestimmt, wenn ausser der
Temperatur auch noch angegeben ist, mit welchem Äggregat-
zustand der Dampf sich in Berührung befindet, und das näm-
liche gilt für die beiden anderen Äggregatzustände. Wenn wir
daher von jetzt an die Ziffern 1, 2, 3 der Reihe nach auf den
gasförmigen, flüssigen, festen Zustand beziehen, so müssen wir
zur Bezeichnung eines im Zustand der Sättigung befindlichen
Körpertheils zwei Indices verwenden, von denen der erste den
Aggregatzustand des betrachteten Körpertheils selbst, der zweite
Plakgk, Thermod3niamlk. 10
146 Anwendungen auf spexdeUe Oleichgetoichtsxustände.
denjenigen Aggregatzustand angibt, mit welchem der Eörpertheil
in Berührung gedacht ist So erhalten wir zur Bezeichnung des
spezifischen Volumens des gesättigten Dampfes die beiden Aus-
drücke t?i2 und Vjj, von denen der erste den Dampf in Be-
rührung mit flüssiger, der zweite den Dampf in Berührung mit
fester Substanz darstellt. Analog ergeben sich die Bezeichnungen
^23 und t?3i, Vji und Vgg für die spezifischen Volumina flüssiger
und fester Substanz im Zustand der Sättigung; jede von diesen
sechs Grössen ist eine bestimmte Funktion der Temperatur allein.
Die entsprechenden Drucke sind;
Verdampfungsdruck: Schmelzdruck: Sublimationsdruck:
Pi3 = P21 P23 = Ps2 P31 = Pl3
ebenfalls Funktionen der Temperatur allein. Nur für die
Fimdamentaltemperatur werden zwei dieser Drucke einander
gleich, und dann auch gleich dem dritten.
Stellt man also die Abhängigkeit der drei Drucke von der
Temperatur durch drei Curven dar, indem man etwa die Tem-
peratur als Abscisse und die Drucke als Ordinaten aufträgt, so
schneiden sich die drei Curven in einem einzigen Punkt, dem
Fundamentalpunkt, auch dreifacher Punkt genannt. Es ist auch
leicht zu berechnen, unter welchem Winkel sich die Curven in
dem Fundamentalpunkt schneiden. Denn die Neigung der Curven
gegen die Abscissenaxe wird gegeben durch die Differential-
quotienten:
dPii dp^ dpn
d& ' d& ^ d& '
Nun ist nach Gleichung (111) in entsprechender Bezeichnung:
dpii _, n>
d& &{vi - v^) '
Ebenso
dPiS __ »"28
d^ ^{v^-Vj^)
und
dpzi ^ fji_
d& ^iv^-vij'
Dabei beziehen sich die v auf den Fundamentalzustand und
sind daher nur mit einem einzigen Index versehen. Hieraus
ergibt sich nun die Richtung des Verlaufs jeder Curve im
Fundamentalpunkt, sobald man die Verdampfungs-, Schmelz- und
Sublimationswärme kennt.
System in verschiedenen Aggregatzuständen, 147
Vergleichen wir z. B. die Curve des Yerdampfongsdrucks Pj,
mit der Curve des Sublimationsdrucks p^^ für Wasser in der
Nähe des Fundamentalpunkts 0,0074^ C. Hiefiir ist im abso-
luten Maasssystem, durch Multiplication des in Calorieen aus-
gedrückten Werthes mit dem mechanischen Wärmeäquivalent:
ri2 = 604-419 10«
(Verdampfangswärme des Wassers bei 0,0074%
^3 = - ^31 = (80 + 604) . 419 • 10«
(Sublimationswärme des Eises bei 0,0074** C),
i;i= 205000, v^ = l, ^3 = 1,09, (§187)
r?^ = 273 .
Also in Millimetern Quecksilber, durch Multiplication des abso-
luten Werthes mit
1 013 650
dp,8 604 . 419 . 10« • 760
d& 273.205 000-1013 650
= 0,339 ,
dpjn _ dpi9_ ^ 684 • 419 » 10^ - 760 ^ ^ Qr^ .
~d& d& 273 • 205 000 -TOIS 650 ">^°* •
Die Curve des Sublimationsdrucks p^^ verläuft also im Funda-
mentalpunkt steiler als die Curve des Verdampfungsdrucks p^^y
oder: für Temperaturen oberhalb der Fundamentaltemperatur
ist Pjg >2?i2> ^^ Temperaturen unterhalb derselben ist p^^ <Pii'
Die Differenz beträgt:
dp
u __ dpii ^ d (jpn - Pii) ^ Q Q^g ^
d& d& d&
Misst man also die Spannung des gesättigten Wasserdampfes
oberhalb des Fundamentalpunkts über Wasser, unterhalb des-
selben über Eis, so erleidet die Spannungscurve im Fundamental-
punkt einen Eiiick, dessen Grösse durch den Sprung des
Differentialquotienten, d. h. durch die obige Differenz angegeben
wird. Bei — P(rf?9' = — 1) ist demnach angenähert:
P13-P12 = -0,045,
d. h. bei — PC. ist der Druck des gesättigten Wasserdampfes
über Eis um 0,045™™ kleiner als der über Wasser, was auch
experimentell bestätigt worden ist. Dagegen lässt sich die
Existenz eines scharfen Knicks in dem angegebenen Betrage nur
aus der Theorie erschliessen.
10*
148 Anwendungen auf spezielle Gleichgewiehtsx/ustände.
§ 189. Wir haben unsere bisherigen Untersuchungen nur
auf die Betrachtung der einzehien verschiedenartigen Lösungen
derjenigen Gleichungen erstreckt, welche die inneren Gleich-
gewichtsbedingungen des Systems aussprechen, und daraus die
wichtigsten Eigenschaften des betreffenden Gleichgewichtszustandes
abgeleitet. Nunmehr kommen wir zu der weiteren Frage, welche
unter den verschiedenen möglichen Lösungen der Aufgabe in
jedem gegebenen Falle den Vorzug besitzt, d. h. den stabilsten
Gleichgewichtszustand darstellt Zur Beantwortung dieser Frage
nehmen wir die ursprünglich in § 165 gegebene Fassung des
Problems wieder auf, welche kurz folgendermassen lautet. Ge-
geben ist die Gesammtmasse M, das Gesammtvolumen F, die
Gesammtenergie U des Systems. Statt V und U wird es öfter
bequemer sein, die Werthe ^=1; (mittleres spezifisches Volumen
des Systems) und t7=?^ (mittlere spezifische Energie des Systems)
zu benutzen. Gesucht ist der stabilste Gleichgewichtszustand,
d. h. der Zustand des absoluten Maximums der G^sammt-
entropie S.
Wir fanden oben, dass im Allgemeinen die Gleichgewichts-
bedingungen drei verschiedene Arten von Lösungen zulassen,
je nachdem das System sich in 1, 2 oder 3 Aggregatzustände
spaltet. Bei der Frage, welche von diesen drei Lösungen in
jedem gegebenen Falle den Vorzug hat, ist zunächst zu berück-
sichtigen, dass die zweite und die dritte Lösung nur dann einen
physikalischen Sinn haben, wenn die aus den Gleichungen (103)
und (121) sich ergebenden Werthe der Massen positiv ausfallen.
Dies führt zu einer Einschränkung des Gültigkeitsbereichs dieser
beiden Lösungen. Zuerst wollen wir diesen Gültigkeitsbereich
feststellen, und werden dann den Nachweis führen, dass inner-
halb ihres Gültigkeitsbereiches die dritte Lösung stets den
Vorzug hat vor den beiden ersten, und die zweite den Vorzug
hat vor der ersten.
Zur Erleichterung der üebersicht möge die geometrische
Anschauung zu Hülfe genommen werden. Zu diesem Zweck
denken wir uns die von vorneherein gegebenen Werthe «? = -v^
und u=: -^ (der Werth von M ist hier nebensächlich) dadurch
System in verschiedenen Aggregatzuständen.
149
graphisch dargestellt, dass wir diese Grössen als die recht-
winkligen Coordinaten eines Punktes in einer Ebene (der
Zeichnungsebene in Fig. 4) ansehen, so dass jedem Punkt der
Ebene ein bestimmtes Werthenpaar dieser beiden Grössen ent-
krit. R
II
^'*»
e
w
I
i
krü,P.
Axe der mittleren spezifischen Volumina ' ^—'Tr
Fig. 4.
spricht. Unsere Aufgabe ist dann die, für jeden beliebig ge-
gebenen Punkt dieser Ebene die Entscheidung zu treffen, welcher
Art das stabile Gleichgewicht ist, welches bei den entsprechenden
Werthen von v und u zu Stande kommt.
§ 190. Betrachten wir nun den Gültigkeitsbereich der
dritten Lösung. Die sich aus den Gleichungen (121) ergeben-
den Werthe der Massen M^^ M^, M^ sind:
M^iM^iM^iM^
111
1 1 1
111
V V^ f 8
: V v^ Vi
•
•
V Vi v^
•
•
uu^u^
UU^Ui
u Ui y^
1 1 i!
Ui «*2 W,|
(121a)
wobei wir hier, wie überall im Folgenden, die Bezeichnung
^1,^2,^3, ^1,^2? ^'a speziell auf die Fundamentalwerthe der
V und u anwenden.
Bjeraus ersieht man, dass die Werthe von ifj, M^, M^ nur
dann alle zugleich positiv ausfallen, wenn der dem Werthenpaar
150 Anwendungen auf spezielle Oleichgeioickisxitstände.
{v, u) entsprechende Punkt innerhalb des Dreiecks liegt, das
von den Punkten mit den respektiven Coordinaten {v^, Uy), {v^, u^)
und (vg , Wg) gebildet wird. Der Gültigkeitsbereich der dritten Lösung
wird daher durch dieses Dreieck dargestellt, welches wir das
Fundamentaldreieck der Substanz nennen können, und ist in
der Fig. 4 mit {123) bezeichnet. Die Zeichnung ist für eine Sub-
stanz ausgeführt, für die, wie bei Wasser, «^i > Vg > v^ und Wj > Wg > Wg.
§ 191. Wir kommen nun zur Betrachtung des Gültigkeits-
bereichs der zweiten Lösung, welcher die Gleichungen (101)
und (103) entsprechen. Diese Gleichungen ergeben drei Arten
vonWerthensystemen, je nach den drei paarweisen Combinationen
der drei Aggregatzustände, deren jede den beiden andern von
vorneherein gleichberechtigt gegenübersteht. Wir betrachten
zunächst die Combination des gasförmigen und des flüssigen
Zustandes. Dann lauten jene Gleichungen gemäss der jetzt
eingeführten Bezeichnung:
»^12 == ^21 f Pi2 ^ P21
(122)
und:
(123)
^12 ~ "^21 "" "
^12
^12 + i^i = ^
-"^12 ^12 + ^^1^21 = V=^MV
^12 ^2 "1" -^l ^^21 = U= Mu .
Um das Gebiet zu finden, innerhalb dessen der Punkt mit den
Coordinaten «;, u liegen muss, damit M^^ und M^^ beide positiv
ausfallen, suchen wir die Grenzen dieses Gebietes auf, d. h. die
Curven, welche durch die Bedingungen M^^ = und M^^ = dar-
gestellt werden; zunächst die Curve: If^^ = (flüssige Masse =0).
Diese Bedingung in (123) eingeführt ergibt: M^^ = M und
(124) '^ = «^12 w = ^12 •
Da Vjj und u^^ Funktionen emer einzigen Variabein sind, so ist
durch diese beiden Gleichungen den Grössen v und u eine be-
stimmte Bedingung vorgeschrieben, und diese Bedingung ergibt
die gesuchte Curve, eine Grenze des gesuchten Gültigkeits-
bereiches. Diese Curve geht durch die Ecke 1 des Fundamental-
dreiecks, weil für die Fundamentaltemperatur «^i2~^i ^^^ ^12=^
wird. Zur Feststellung ihres weiteren Verlaufs bilden wir den
Ausdruck des Differentialquotienten — -^ . Hiefür hat man :
System in verschiedenen Äggregatzuständen, 151
d^ ~ [d^L lö^/]
d&.
19
dvt
12 «*''12
Die mit d bezeichneten partiellen Differentialquotienten beziehen
sich hier überall auf die unabhängigen Variabeln & und v.
Daraus folgt nach (80) und ^24):
Mittelst dieser Gleichung kann man den Verlauf der Curve (124)
experimentell verfolgen, indem man &y^^ oder v^^ oder irgend
eine andere geeignete Grösse als unabhängigen Parameter nimmt
In gleicher Weise liefert die Bedingung M^^ = ^ (dampf-
förmige Masse =0) eine andere Grenze des gesuchten Gültigkeits-
bereiches durch die Curve:
«^ = % w = ^21 ,
welche durch die Ecke 2 des Fundam^ntaldreiecks geht und der
Gleichung genügt:
du^i
dv,
^ - ^^12 [el)^^ - Pi2 + (^\i j^
Hiebei ist davon Gebrauch gemacht, dass i^-gj = d-^^ und jOg^ =Pi2'
Diese beiden Curven sind aber nichts anderes als Zweige
einer und derselben Curve, da sie für den kritischen Punkt:
t?j3=i;2i> iii einander übergehen, und zwar, wie eine nähere
Untersuchung des Werthes von -r^ und -r^ nach § 185 lehrt
ohne in diesem Punkte eine Ecke oder Spitze zu bilden.
Wir können daher beide Curvenäste unter dem gemein-
samen Namen „Verdampfungscurve" zusammenfassen. Dann
entspricht jedem Punkt {v^^, u^^) auf dem einen Ast ein be-
stimmter Punkt (vgj, Wgi) ^^f ^^^ andern Ast, insofern beiden
Punkten die nämliche Temperatur &^2 = ^^21 ^^^ ^^^ nämliche
Druck J0j2 = P21 zukommt Diese Zuordnung je zweier Punkte
auf den beiden Aesten wird bestimmt durch die Gleichungen
(122) und ist in der Fig. 4 durch die Verbindungslinien einiger
solcher Punktpaare angedeutet. So entsprechen sich auch die
beiden Ecken des Fundamentaldreiecks {v^, u^) und {v^, u^\
Der kritische Punkt entspricht sich selbst.
Die gefundene Verdampfungscurve bildet somit die Grenze
des Gültigkeitsbereiches desjenigen Theils der zweiten Lösung,.
152 Anwendungen auf spezielle OleichgewichtsTMstände.
welchem die Berührung von Dampf und Flüssigkeit entspricht,
und man überzeugt sich leicht aus (123), dass der Gültigkeits-
bereich in den von der Curve eingeschlossenen Kaum der
Zeichnungsebene fällt. Gleichwohl ist die Curve nur bis zu den
Ecken 1 und 2 des Fundamentaldreiecks gezeichnet, weil, wie
sich später zeigen wird, die Lösung nur bis dahin das stabile
Gleichgewicht angibt. Dieser Kaum ist mit {12) bezeichnet.
Ganz analog der Verdampfungscurve ergibt sich nun auch
der Verlauf der „Schmelzcurve", deren beide Aeste durch die
Gleichungen:
und: V =^ v^^ u = u^^
dargestellt werden, und der „Sublimationscurve", für deren
Aeste die Gleichungen:
v = v^^' u = W31
und: V = v^^ u — u^^
gelten. Die erstere Curve geht durch die Ecken 2 und 3, die
letztere durch die Ecken 3 und 2 des Fundamentaldreiecks.
Die hiedurch abgegrenzten Gültigkeitsbereiche des 2. und 3. Theils
der zweiten Lösung sind in der Fig. 4 mit {23) und {31) be-
zeichnet. Im Uebrigen gelten alle für die Verdampfungscurve
abgeleiteten Beziehungen auch hier, nur mit entsprechender
Vertauschung der Lidices. Einige entsprechende Punktpaare
sind wieder durch Verbindungslinien angedeutet. Für die
Schmelzcurve ist auch ein kritischer Punkt gezeichnet, ent-
sprechend dem Umstände, dass nach § 183 die Schmelzwärme
des Eises mit fallender Temperatur um 0,64 cal. pro Grad ab-
nimmt. Würde dies Verhältniss für tiefere Temperaturen nahezu
ungeändert bleiben, was natürlich nur als rohe Annäherung gelten
kann, so wäre bei etwa — 120^ C. die Schmelzwärme gleich Null,
und es wäre dies der kritische Punkt der Schmelzcurve. Für diesen
Punkt, dem ein Druck von etwa 1 7 000 Atmosphären entsprechen
würde, wäre Wasser und Eis identisch, was man sich durch
die Annahme vorstellen kann, dass Wasser gegen diesen Punkt
hin immer zäher, dagegen Eis immer weicher wird.
§ 193. Nachdem so auch für die zweite Lösung der
Gültigkeitsbereich festgestellt ist, ersieht man unmittelbar, dass
System in verschiedenen Aggregatx/uständen, 153
für alle Punkte {v, u), welche ausserhalb der nun abgegrenzten
Flächenräume liegen, nur die erste Lösung einen physikalischen
Sinn ergibt, woraus folgt, dass für diese Punkte das stabile
Gleichgewicht jedenfalls durch die erste Lösung (§ 170) dar-
gestellt wird. Die entsprechenden Räume sind in der Fig. 4
mit (Z), {2) und (5) bezeichnet, je nachdem der betr. Zustand
als gasförmig, flüssig oder fest aufgefasst wird.
§ 198. Es handelt sich nun um die Frage: Welcher unter
mehreren Gleichgewichtszuständen, die einem gegebenen Werth-
system if, v, u, also einem gegebenen Punkte der Zeichnungs-
ebene entsprechen, besitzt den grössten Werth der Entropie?
Da jede der drei besprochenen Lösungen einen ganz bestimmten
Zustand angibt, so erhalten wir für jedes gegebene Werthen-
system {M, v, u) ebensoviel Werthe der Entropie, als Lösungen
für dies Werthensystem vorhanden sind. Bezeichnen wir also
die den verschiedenen Lösungen entsprechenden Werthe der
Entropie der Reihe nach mit S, >S' und S'\ so haben wir:
Für die erste Lösung:
S = M'S. (125)
Für die zweite Lösung:
S' ==M's' = M,, s,, + M,, s,, , (126)
oder eine andere Combination zweier Aggregatzustände.
Für die dritte Lösung:
S" = M' s' = M^s^ + M^s^ + üfg 53 . (127)
Diese Grössen sind alle vollständig bestimmt durch die gegebenen
Werthe von M, v und w. Es wird sich nun nachweisen lassen,
dass für jedes beliebige Werthensystem {M, v, u) stets /S"> S'> S,
oder 5" > «' > s, vorausgesetzt, dass sämmtliche Massentheile
positiv sind. Statt der Entropieen selber ist es bequemer, die
entsprechenden mittleren spezifischen Entropieen s\ s\ s zu be-
trachten, weil diese Grössen gamicht von M, sondern nur von
V und u abhängen.
Zur geometrischen Veranschaulichung kann man sich in
jedem Punkte {v, u) die entsprechenden Werthe von s, s und s' in
senkrechter Richtung zur Zeichnungsebene nach oben als Strecken
aufgetragen denken, wodurch die drei Entropieflächen s, s und s'
entstehen.
154 Anwendungen auf spexieUe Oleichgewichtsx/ustände,
§ 194. Zunächst soll gezeigt werden, dass s — s stets
positiv ist, d. h. dass die Fläche s' stets oberhalb der Fläche
s liegt.
Während sich s direkt aus v und u nach der Definition (61)
der Entropie für eine homogene Substanz ergibt, hat man zur
Bestimmung des Werthes von s' die Gleichungen (126), (122)
und (123). Durch dieselben wird s als von v und u allein ab-
hängig dargestellt und so die Fläche s bestimmt, die im Ganzen
3 Blätter bildet, entsprechend den 3 paarweisen Gombinationen
der drei Aggregatzustände. Wir beziehen uns im Folgenden zu-
nächst wieder auf die Combination von Dampf und Flüssigkeit
Was nun die gegenseitige Lage der beiden Flächen s und «'
anbelangt, so lässt sich leicht erkennen, dass dieselben eine
Curve gemeinsam haben, deren Projektion auf die Zeichnungs-
ebene die Verdampfangscurve ist. Denn für irgend einen Punkt
der Verdampfungscurve: v = v^^^ ^ = ^12 ^^^ ^^^ ^^ ^® erste
Fläche: s = s^^, wie selbstverständlich, und für die zweite Fläche
zunächst aus (123):
(128) il^i=0, M,,^M
und aus (126): s = s^^ . In der That fallen ja für die Punkte
der Verdampfungscurve die erste und die zweite Lösung zu-
sammen. Die Schnittcurve der Flächen s und s wird dargestellt
durch die Gleichungen:
in denen v, u, s die drei variabeln orthogonalen Coordinaten
eines Punktes im Raum vorstellen, v^g, u^^, s^^ bangen ab von
einem einzigen variabeln Parameter, z. B. der Temperatur ^9*12 = t^ji-
Diese Curve geht auch durch den Punkt {v^ , u^ , s^) , welcher
die Ecke 1 des Fundamen taldreiecks zur Projektion hat.
Ein anderer Ast derselben Schnittcurve ist gegeben durch
die Gleichungen:
Beide Aeste treffen sich in einem Punkte, der den kritischen
Punkt zur Projektion hat. Jedem Punkte des einen Astes ist
ein bestimmter Punkt des andern zugeordnet, insofern beiden
die nämUche Temperatur ^^^ = ^^^ und der nämliche Druck
System in verschiedenen Äggregatzuständen. 155
I?i3 =P2i entspricht. So ist dem Punkte {v^, u^, s^) des ersten
Astes der Punkt (Vj, u^, s^) des zweiten zugeordnet
Ferner ist ersichtlich, dass die Fläche s aus lauter Geraden
besteht, und dass sie auf eine Ebene abwickelbar ist Das erstere
geht hervor aus der Betrachtung eines Punktes, dessen Coordi-
naten die Werthe haben:
X+^l*' X+^' X+^'
wobei X und yi. beliebige positive Grössen sind. Für alle positiven
Werthe von X und jtt erhält man nämlich hieraus alle Punkte
der geradlinigen Strecke, welche die beiden zugeordneten Punkte
(^12 > ^12 > ^12) ^^^ (^21» ^21* ^21) verbindet Diese Gerade liegt
offenbar ganz auf der Fläche *', weil für jedes beliebige \ und jtt
die entsprechenden Werthe von v, w, s die Gleichungen (123)
und (126) befriedigen, wenn M^^ = A und Jfgi = V^ gesetzt wird.
Also wird die Fläche s gebildet von den geradlinigen Strecken,
welche je zwei zugeordnete Punkte der Schnittcurve der Flächen
s und st verbinden. Eine solche Gerade der Fläche ist auch
die Verbindungslinie der Punkte (vj, Wj, s^ und {^^^ Wg, «3),
deren Projektion auf die Zeichnungsebene die Seite (i^) des
Fundamentaldreiecks ist. Für den kritischen Punkt zieht sich
diese Strecke auf einen Punkt zusammen, und hier erreicht die
Fläche 8 ihr Ende. Analog verhält es sich mit den beiden
andern Blättern der Fläche: das eine Blatt beginnt mit der
Verbindungslinie der Punkte (vg, w^, s^ und (vg, Wg, 53), das
andere mit der der Punkte (1^3, Wg, Sj) und (i?!, w^, Sj).
Die Abwickelbarkeit der Fläche s ergibt sich am einfachsten
aus der Betrachtung der Gleichung folgender Ebene:
^12 (^ - ^12) + («* - ^12) - ^^12 (^ - ^12) = ,
worin v, w, s die drei variabeln Eaumcoordinaten bedeuten,
während p^gj ^12»^ ^i2> '^i2> ^12 ^^^^ (122) von einem einzigen
Parameter, etwa ß-^^^ abhängen. Diese Ebene enthält erstens
die zugeordneten Punkte (2;i2, u^^^ s^^ und {^^^^ u^i, «21) > ^®^
letzteren vermöge der Gleichungen (122), also auch ihre Ver-
bindungsstrecke, und zweitens die unendlich benachbarten zuge-
ordneten Punkte mit den Coordinaten:
'^12 + ^^12* ^12 + ^"l2> ^12 + ^*12
und «?2i + dv^^, Wgj + du^^, s^^ + ds^^,
156 Anwendungen auf spexdelle Oleichgeioichtszustände,
wie aus (61) folgt, also auch ihre Verbindungsstrecke. Mithin
hegen zwei unendhch benachbarte Erzeugende der Fläche in
einer Ebene, und die Fläche ist developpabel.
Zur Feststellung des Werthes von s — « möge die Aen-
derung untersucht werden, welche diese Differenz dadurch er-
leidet, dass man von einem beliebigen Punkt {v, u) der Zeichnungs-
ebene zu einem beUebigen unendlich benachbarten {v + Sv,
u + Su) übergeht. Dabei lassen wir M = M^^ + M^i constant,
was der Allgemeinheit keinen Eintrag thut, weil s und s nur
von V und u abhängen. Nun haben wir durch Variation
von (126):
MSS = M^2 ^^12 + ^21 ^*21 + ^12 ^-^12 + ^21 ^^21 '
Femer nach (61):
c du + p dv
Ss = ^r—-
Nun ist nach (123):
(129) I M,, Sv^^ + 3/,i Sv^^ + v^^ SM^^ + v^, SM^, = MSv
y Jfi2 ^«12 + Jfgi ^«21 + "la ^-^^la + '*3i ^-^1 = -^^w •
Daraus ergibt sich unter Berücksichtigung von (122):
(130) j/ = iü+^"Ai
und
(131) ^(^'-«)=U.-|)^« + fe-|)^-
Betrachten wir nun den Verlauf der Flächen s und s' in
der Umgebung ihrer Schnittcurve, so ist aus der letzten Gleichung
unmittelbar ersichtlich, dass sie sich längs dieser ganzen Curve
berühren. Denn z. B. für irgend einen Punkt der Ver-
dampfungscurve: v = v^^, u = u^^, dem nach (128) ein gemein-
samer Punkt beider Flächen entspricht, erhalten wir natür-
lich auch:
(132) 1^ = 1^12, P=^P,2^
und somit 8{s — s) = 0.
Um nun das Verhalten der beiden Flächen an diesen Be-
rührungsstellen des Näheren zu prüfen, variiren wir die Gleichung
(131) noch einmal allgemein, und wenden sie dann abermals auf
dieselben Stellen an.
System in verschiedenen Aggregatx/uständen^ 157
Zunächst erhalten wir allgemein:
Dies ergibt für die Berührungspunkte der beiden Flächen
nach (132):
&'^S^[s - 5) = Su{8& - 8»^^) + Sv{&Sp^2 - &Sp -pS&^^ +pS&)
oder kürzer, nach (61):
&8^{s - 5) = {S& - d0^^2)Ss + {Sp^2 - Sp)Sv. (133)
Nun reducüren wir alle in diesem Ausdruck vorkommenden
Variationen auf die beiden einzigen d& und Sv, indem wir
setzen:
Nach (81): Ss = ^fS{)' + j^dv.
Femer: 3p = -,^^i9' + ^8v,
Es erübrigt nun noch, 8&^^ durch 8& und 8v auszudrücken.
Dies geschieht durch die Gleichungen (129), welche mit Berück-
sichtigung der hier eintretenden Vereinfachung (128) die Be-
dingung Uefem:
dui2 — ^^ Svi2 — dv
Setzt man hierin noch:
SO ergibt sich:
'18 «*viJ
8u = c„8& + -^—8v,
5^,« =
12 rft/jj «*i2 - Wjl dVi^
d&ii Vi2 — t?2i rf^U
oder, wenn man berücksichtigt, dass nach (109):
^^^^ = ^13 ^ - Pi2 (135)
^12 "" *^21 ^^ C^^12
a^i2
158 Änwendunge/n auf spezielle Gleichgewichtszustände.
dass ferner nach (80):
und dass
du f. dp
12 ^ ^la
1 ( Q.^P \ ^«'it
sowie: fl^Pn _. öp dp dvi^
d&ji d&'^ dvd&^^
8^^<^^.^äv
^ n d V d &if
12 ~ dp ldvi^\^
C^" &
'»
d V
Die so gefundenen Werthe der Variationen in (133) eingesetzt
ergeben schliesslich für die gesuchte Variation:
^ '' d V & .dp /rf»u \2
c„—xr
d V \d ^ij
Dieser Ausdruck ist wesentlich positiv, da o^ seiner physikalischen
Bedeutung nach stets positiv, und -^ nach § 169 für jeden
Gleichgewichtszustand wesentlich negativ ist. Ein Grenzfall tritt
ein, wenn
d&.
12
genommen wird; dann wird P{s'—s) = 0. In diesem Falle
findet die Verrückung (S&y Sv) in der Eichtung der Berührungs-
curve (t9-j2, v^g) der beiden Flächen statt, lind es ist selbst-
verständlich, dass dann s=^s bleibt.
Hieraus folgt, dass die Fläche s' sich in der Umgebung
aller BerührungssteUen mit der Fläche s über dieselbe erhebt^
oder dass s—s stets > 0, und dadurch ist bewiesen, dass die
zweite Lösung der Gleichgewichtsbedingungen innerhalb ihres
Gültigkeitsbereichs, also in den Gebieten [12), {23), {31) der Fig. 4
stets das stabile Gleichgewicht darstellt
§ 195. Auf ähnliche Weise lässt sich zeigen, dass die
dritte Lösung der Gleichgewichtsbedingungen innerhalb ihres
System in verschiedenen Äggregatx/uständen, 159
Gültigkeitsbereiches den Vorzug vor der zweiten hat Sind v
und u gegeben, so berechnet sich der dieser Lösung entsprechende
Werih der mittleren spezifischen Entropie s" eindeutig aus den
Gleichungen (127) und (121). Die Grössen v^, v^, v^, w^, u^, Wg,
also auch s-^, s^, s^ haben ganz bestimmte Zahlenwerthe, die
sich aus den Gleichungen (120) ergeben.
Zunächst ist ersichtlich, dass die Fläche s'' nichts anderes
ist als das ebene Dreieck, welches gebildet wird von den Punkten
(t7j, Wj, Sy), {v^, Wg, s^) und (vg, Wg, Sg), dcrcu Projektionen auf
die Zeichnungsebene die Ecken des Fundamentaldreiecks sind.
Denn jeder Punkt mit den Coordinaten:
_ X Vi -{• fA v^ + vv^ _ Xui -h fii^ + y ^8 _ Asj + |ii Sj + y »3
^- X-\-ii + y ' ^- X + iu + y ' ^— X + (i + y '
wobei l, fi, V beliebige positive Werthe haben, befriedigt die
Gleichungen (121) und (127), da man nur if^ = A, M^ = fx,
M^ = V zu setzen braucht. Diese Ebene «" hat mit den drei
Blättern der abwickelbaren Fläche s' die drei geradlinigen
Strecken gemeinsam, welche die Punkte {v^, w^, sj, (t;^, u^, s^)
und (t?3, Wg, Sg) verbinden. In der That: Wird in den letzten
Ausdrücken etwa v = angenommen, so liefern die Gleichungen
(121) Jfg = 0, und die dritte Lösung fällt mit der zweiten zu-
sammen, da dann:
«'a = «^21 '^i = ^^12 ®*c- )
wird. Setzt man ausserdem noch ju = 0, so ergibt sich auch
i^ = 0, Vy = V, Uy-=u, was ein Zusammenfallen aller drei
Flächen s\ s und s bedeutet.
Zur Untersuchung des Werthes von s' — s bilden wir nun
wieder die Variation S{s" — s\ die durch Sv und Su bestimmt
wird. Hiefür ergibt sich zunächst aus (127):
M8s' = s^ SMy + s^SM^ + 5g ^ifg , (138)
wobei nach (121) die Bedingungen gelten:
SMj^ +SM^ + SM^ = 0,
V^ S My + Vjj SM^ + Vg 5ifg = Mdvy
Wj S My^ + u^ 8 M^ + Wg S M^ = MSu,
Die Zurückführung des Ausdrucks (138) auf die unabhängigen
Variationen Sv und Su geschieht am bequemsten dadurch, dass
160 Anwendungen auf spezielle Oleichgeunchtszvstände.
man die letzte Gleichung mit -w j die vorletzte mit ^ multiplicirt,
und sie dann zu (138) addirt Dann ergibt die Berücksichtigung
von (120):
^ „ du + Pidv
öS = r^ .
Dies mit (130) verbunden ergibt für die gesuchte Variation:
(139) 8is"-s')^[-l--±-)Su + [^^-^)s.,
wenn die Fläche s durch das Blatt {12) vertreten ist. Aus
dieser Gleichung geht hervor, dass die Ebene s" das betreffende
Blatt der Fläche s in der beiden gemeinsamen Geraden be-
rührt. Denn für irgend einen Punkt dieser Geraden ist nach
(137) &^ = &^2, p^ =Pi2i so dass S{s" — /) verschwindet. Die
Ebene s' ist also gemeinsame Tangentialebene zu allen drei
Blättern der Fläche s, und die Berührungscurven sind die drei
Geraden, welche das ebene Dreieck s" begrenzen. Für einen
der Berührungspunkte haben wir nun aus (139) durch aber-
malige Variation, da &^ und p^ absolute Constante sind :
s'is" - s') = ^' ^M + [^^ - *J;') Sv,
oder:
(140) &^^S\s" - s) = \^8u - (&^ ^^^p)^§v]^ S&,,.
Nun folgt aus (129) durch Elimination von SM^^ und SM^^:
ifi, ö Vi2 + -Mit dv^i — Mdv M^^ d Wj, + M^ du^ — Möu
V.
12
^21 ^2 — ^21
oder mit Rücksicht auf (135) und (134):
+ M,
21 d&
4t- 4"-''^^'^'m
x%-J
duii
Dieser Ausdruck in (140) substituirt und zugleich -r^, analog
d&
12
du
21
18
, nach (136) durch seinen Werth ersetzt, ergibt schliesslich:
d&
System in verschiedenen Aggregatxuständen, 161
Diese Grösse ist wesentlich positiv, da sowohl M^^ und M^^,
als auch c^ stets positiv, dagegen ^ stets negativ ist Ein
Grenzfall tritt dann ein, wenn man Sü'^^=0 nimmt, d. h. wenn
man in der Richtung der Berührungslinie der Flächen s' und s'
fortgeht, wie es von vorneherein klar ist Daraus folgt also,
dass das Ebenenstück «" sich in allen seinen Punkten über die
Fläche s' erhebt, oder dass s"— s niemals negativ wird, und
damit ist bewiesen, dass die dritte Lösung der Gleichgewichts-
bedingungen innerhalb ihres Gültigkeitsbereiches, also innerhalb
des Fundamentaldreiecks der Substanz: {123) das stabile Gleich-
gewicht darstellt
§ 196. Wir sind nun im Stande, die oben im § 165 be-
treffs des stabilen Gleichgewichts gestellte Frage allgemein zu
beantworten: Ist die Gesammtmasse M, das Gesammtvolumen V
und die Gesammtenergie U des Systems gegeben, so wird der
entsprechende stabile Gleichgewichtszustand bestimmt durch die
V ü
Lage des Punktes, dem die Coordinaten v = ^ und u — ^j
" MM
angehören, in der Zeichnungsebene der Fig. 4.
Fällt nämlich erstens dieser Punkt in eins der Gebiete
(i), {2), (3), so verhält sich das System ganz homogen, im gas-
förmigen, flüssigen oder festen Aggregatzustand. Fallt der Punkt
zweitens in eins der Gebiete {12), {23), {31), so zerfällt das
System in zwei verschiedene Aggregatformen, wie sie durch die
Indices des betreffenden Gebietes angegeben werden. Hiedurch
ist aber auch sowohl die gemeinsame Temperatur, als auchr die
Werthe der beiden heterogenen Massentheile vollständig bestimmt
Denn nach (123) liegt der Punkt {v, u) auf der geradlinigen
Verbindungsstrecke zweier zugeordneter (§191) Punkte derCurve,
welche das betreffende Gebiet begrenzt; man ziehe also durch den
gegebenen Punkt {v, u) diejenige Gerade, welche aus den beiden
Aesten jener Curve zwei zugeordnete Punkte ausschneidet Diese
beiden Punkte geben dann die Beschaffenheit der beiden Aggregat-
formen an, in die sich das System spaltet; sie haben natürlich
gleiche Temperatur und gleichen Druck. Die Grössen der
Massentheile selber ergeben sich ebenfalls aus (123): ihr Quotient
ist gleich dem Verhältniss, in welchem der Punkt {v, u) die
Verbindungsstrecke der beiden zugeordneten Punkte theilt.
Planck, Thermodynamik. 11
162 Anwendungen auf spezielle Oleiehgetvichtszustände,
Wenn der gegebene Punkt drittens in das Gebiet des
Fundamentaldreiecks (123) hineinfällt, wird das stabile Gleich-
gewicht durch eine Spaltung des Systems in alle drei Aggregat-
zustände bezeichnet, bei der Fundamentaltemperatur und unter
dem Fundamentaldruck. Es bleibt dann nur noch übrig, die
Massen der einzelnen heterogenen Theile des Systems zu be-
stimmen, und dies geschieht durch die Gleichungen (121 a), aus
denen hervorgeht, dass die Massentheile sich verhalten wie die
Flächen der drei Dreiecke, welche der Punkt {v, u) mit je einer
Seite des Fundamentaldreiecks bildet
So kann man in jedem einzelnen Falle die Bestimmungs-
stücke des stabilen Gleichgewichts finden, vorausgesetzt, dass
das Fundamentaldreieck und die Verdampfungs-, Schmelz- und
Sublimationscurve für die betreffende Substanz ein für aUe Mal
gezeichnet sind. Zur besseren Uebersicht der Verhältnisse könnte
man der Figur noch diejenigen Curven beifügen, welche Stellen
gleicher Temperatur oder gleichen Drucks miteinander verbinden.
In den Gebieten {12), (23), {31) fallen die isothermischen mit
den isopiestischen Linien zusammen in die geradlinigen Ver-
bindungsstrecken je zweier zugeordneter Punkte der Begrenzungs-
curven, das Gebiet {123) stellt selber eine singulare Isotherme
und Isopieste vor. Dann erhält man z. B. für Wasser das
Resultat, dass Eis im stabilen Gleichgewicht unter keinerlei um-
ständen eine höhere Temperatur als die Fundamentaltemperatur
(0,0074^ C.) annehmen kann, also auch nicht, wenn der Druck
noch so sehr erniedrigt werden sollte, während flüssiges Wasser
bei geeignetem Druck auf beliebig hohe und tiefe Temperatur
gebracht werden kann, ohne zu verdampfen oder zu gefrieren.
Sodann lässt sich auch die Frage direkt beantworten, welche
Zustände ein Körper durchmacht, wenn man ihn einer Anzahl
von bestimmten äusseren Veränderungen der Reihe nach unter-
wirft. So z. B. erfährt man das Verhalten eines Körpers mit
der Masse M, der bei constantem Volumen V abgekühlt oder
erwärmt wird, durch die Betrachtung der Geraden v = rjr^,
Ja.
welche der Ordinatenaxe parallel läuft. Die Gebiete nämlich,
welche diese Gerade durchschneidet, geben an, welche Zustände
der Körper in diesem Falle durchmacht, also z. B. ob er im
Laufe des Prozesses schmilzt, oder ob er direkt sublimirt, u. s. w.
Sy^iefm von beliebig vielen unabhängigen Besixmdtheüen. 168
III. Capitel. System von beliebig vielen unabhängigen
Bestandtheilen.
§ 197« Im f^olgenden untersuchen wir ganz allgemein das
Gleichgewicht eines aus verschiedenen räumlich aneinander-
grenzenden Theilen bestehenden Systems, welches, im Gegensatz
zu dem im vorigen Capitel behandelten, aus beliebig vielen un-
abhängigen Bestandtheilen zusammengesetzt sein kann. Jeden der
räumlich aneinandergrenzenden Theile des Systems setzen wir als
physikalisch homogen (§ 67) voraus, und nennen ihn nach Gibbs
eine „Phase" des Systems- So bildet eine Wassermenge, welche
sich theils im gasförmigen, theils im flüssigen, theils im festen
Aggregatzustand befindet, ein System von drei Phasen. Von
vorneherein ist sowohl die Anzahl der Phasen als auch ihr
Aggregatzustand ganz beliebig. Doch lässt sich sogleich erkennen,
dass ein im Gleichgewicht befindliches System zwar beliebig viele
feste und flüssige, aber nur eine einzige gasförmige Phase be-
sitzen kann; denn zwei verschiedene frei aneinandergrenzende
Gase befinden sich niemals miteinander im Gleichgewicht.
§ 198. Ausser der Zahl der Phasen ist für das System
charakteristisch die Zahl seiner „unabhängigen Bestandtheile'^; von
ihr hängen die wesentlichsten Eigenschaften des Gleichgewichts
ab. Die Zahl der unabhängigen Bestandtheile eines Systems
definiren wir in folgender Weise: Man bilde zunächst die Zahl
sämmtlicher im System vorhandener chemisch einfachen Stoffe
(Elemente) und scheide dann aus dieser Eeihe diejenigen Stoffe
als abhängige Bestandtheile aus, deren Menge durch die der
übrigen Stoffe in jeder Phase von vorneherein bereits mitbestimmt
ist; die Zahl der übrig bleibenden Stoffe ist die Zahl der un-
abhängigen Bestandtheile des Systems. Welche von den Be-
standtheilen des Systems man als unabhängige, und welche man
als abhängige Bestandtheile ansehen will, ist im Uebrigen gleich-
gültig, da es hier nur auf die Anzahl, nicht auf die Art der
unabhängigen Bestandtheile ankommt.
Mit der chemischen Constitution der einzelnen Stoffe in
den verschiedenen Phasen des Systems, insbesondere mit der
Zahl der verschiedenen Molekülarten, hat die Frage nach der
Anzahl der unabhängigen Bestandtheile gamichts zu thun. Eine
11*
164 Anwendungen auf spexielle Oleichgetoichtszustände.
Wassermenge in beliebigen Aggregatzuständen bildet z. B. immer
einen einzigen unabhängigen Bestandtheil^ mögen noch so viele
und verschiedenartige Associationen und Dissociationen der
H3O -Moleküle, sei es in Knallgas oder in Ionen, vorkommen.
Denn die Masse des Sauerstoffs ist durch die des Wasserstoffs,
oder umgekehrt, in jeder Phase von vorneherein bereits mit-
bestimmt. Nur wenn etwa im Dampfe Sauerstoff oder Wasser-
stoff im Ueberschuss vorhanden ist, tritt ein zweiter unabhängiger
Bestandtheil hinzu.
Eine wässerige Lösung von Schwefelsäure bildet ein System
von drei chemisch einfachen Stoffen: S, H, 0, aber nur von
zwei unabhängigen Bestandtheilen, da die Masse des '0 durch
die von S und von H in jeder Phase (z. B. flüssige Lösung,
Dampf, Eis) von vorneherein mitbestimmt ist, während S und H
sich nicht in jeder Phase von vorneherein gegenseitig bestimmen.
Ob nun in der Lösung sich das Molekül HgSO^ irgendwie dissociirt
oder ob sich Molekülcomplexe oder Hydrate bilden oder nicht,
ändert an der Zahl der unabhängigen Bestandtheile des Systems
nichts.
§ 199. Bezeichnen wir die Zahl der unabhängigen Be-
standtheile eines Systems mit a, so ergibt sich aus der für diese
Zahl aufgestellten Definition unmittelbar, dass jede Phase des
Systems im Gleichgewichtszustand bestimmt ist durch die Masse
eines jeden der a in ihr enthaltenen unabhängigen Bestand-
theile, und ausserdem durch die Temperatur & und den Druck ^.
Dabei nehmen wir der Gleichförmigkeit halber an, dass ein
jeder der a unabhängigen Bestandtheile in jede Phase des Systems
mit einer gewissen Menge eingeht, welche in speziellen Fällen
auch verschwindend klein sein kann. Die Wahl der Temperatur
und des Druckes als unabhängige Variable bedingt in der Form
der folgenden Gleichungen eine gewisse Abweichung von denen des
vorigen Capitels, wo neben der Temperatur das spezitische Vo-
lumen als unabhängige Variable diente. Doch ist hier die Ein-
führung des Drucks bequemer, weil derselbe im Gleichgewichts-
zustand allen frei aneinandergrenzenden Phasen des Systems
•gemeinsam ist und deshalb auch in der Regel leichter gemessen
werden kann.
§ 200. Wir denken uns nun die Gesammtmassen der ä
unabhängigen Bestandtheile des Systems: M^y M^, . . , Ma als
System van beliebig vielen unabhängigen Bestandtheilen. 165
gegeben und fragen nach dem thermodynamisclien Gleichgewicht.
Von den verschiedenen früher für ein beliebiges System auf-
gestellten Formen der Gleichgewichtsbedingung benutzen wir
hier am besten diejenige, welche in der Gleichung (79) aus-
gesprochen ist:
J0 = O, (141)
gültig für jede beliebige mit den gegebenen Bedingungen ver-
trägliche Zustandsänderung, bei der die Temperatur & und der
Druck p ungeändert bleiben. Dabei ist die Funktion durch
die Entropie S, die Energie U und das Volumen F des Systems
nach (75) in folgender Weise bestimmt:
§ 201. Nun sei ß die Anzahl der Phasen des Systems;
dann besteht die Funktion Ä, ebenso ü, V und in Folge dessen
auch aus einer Summe von ß Gliedern, deren jedes sich auf
eine -einzelne Phase, also auf einen physikalisch homogenen
Körper bezieht:
0)= «/+ 0"+ ... +0) , (142)
wenn wir, wie immer im Folgenden, die verschiedenen Phasen
durch beigesetzte Striche von einander unterscheiden. Dabei
ist für die erste Phase:
(p' =.S -- ^' Y ^' . (143)
Sj Tfj V und 0' sind vollständig bestimmt durch &, p und
die Massen M^', M^\ . . . J/« der in der Phase enthaltenen un-
abhängigen Bestandtheile. Ueber die Art der Abhängigkeit von
den einzelnen Massen lässt sich von vornherein nur so viel
sagen, dass, wenn alle Massen in einem bestimmten Verhältniss
verändert, z. B. verdoppelt werden, auch jede der obigen Funk-
tionen sich in demselben Verhältniss verändert. Denn bei der
genannten Veränderung bleibt die innere Beschaffenheit der
Phase constant, nur ihre Gesammtmasse ändert sich, und zwar
gerade in dem angenommenen bestimmten Verhältniss, und eben
dieser Gesammtmasse proportional wächst die Entropie, die
Energie und das Volumen, und daher auch die Funktion 0'.
Mit anderen Worten: 0' ist eine homogene Funktion ersten
166 Anwendu/ngen auf spexdelle Oleickgewiohtsxitstände.
Grades der Massen Jf/, M^\ . . . Ma, die natürlich nicht linear
zu sein braucht.
Um dies analjrtisch auszudrücken, lassen wir alle Massen
sich in dem VerhäJtniss 1 +6 vergrössern, wobei c eine sehr
kleine Zahl ist. Dann sind alle Aenderungen sehr klein, und
man erhält für die entsprechende Aenderung von 0':
Aber nach der Voraussetzung ist:
Folglich:
Diese EüLEE'sche Gleichung lässt sich durch Differentiation
noch in verschiedene andere Formen bringen. Die in ihr vor-
kommenden Differentialcoeffizienten ^i^, ^rr7, . . . hängen
offenbar nur von der inneren Beschaffenheit der Phase, nicht
von ihrer Gesammtmasse ab, da sich bei einer entsprechenden
Veränderung in ihnen Zähler und Nenner in gleichem Verhält-
niss ändert.
Was für die erste Phase gilt, lässt sich ohne Weiteres auf
jede andere Phase übertragen.
§ 202. Mit Benutzung von (142) lautet nun die Gleichge-
wichtsbedingung :
(145) d<l>' + 8<b" + ... +S(l>ß =
oder, da Temperatur und Druck nicht variirt werden:
1^ SM' + ^^-SM.' + + -^-^ SM'
+
(146) +A^Jif/+A^-Jjf/+ ... +^^SMj^O.
^ ^ dM^ ^ dM/ ^ dMj
System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheilen. 167
Wären die Variationen der Massen ganz beliebig, so würde
diese Gleichung nur dann erfüllt, wenn sämmtliche Coeffizienten
der Variationen einzeln gleich Null wären. Nun aber besteht
zwischen diesen nach § 200 die Bedingung, dass:
M^ = Jf/ + if/'+ ... + m/
J£j = if^' + ^" + • • • +^
ß
(147)
M^ = M^+M,"+ ... + m/
also bei irgend einer möglichen Veränderung des Systems:
= 8M^' + dM^" + . . . + SM^^
{) = dM^ + 8M^'+ ... +8M^^
(148)
= J Ma + 8Ma"+ ... +8 MJ
Daraus folgt als nothwendige und hinreichende Bedingung für
das Verschwinden des Ausdrucks (146):
d0' 80
BM^'^ d Ml"
dM/
6 0' Ö0"
60^
d M^ d M."
dM/
d0^ 6 0"
ö<p^
BMa' ~ dMa"~ "
dMj
(149)
Dies sind für jeden unabhängigen Bestandtheil jS — 1 Gleichungen,
die im Gleichgewichtszustand erfüllt sein müssen; also für alle
a unabhängigen Bestandtheile a[ß — l) Bedingungen. Jede
dieser Gleichungen bezieht sich auf den üebertritt eines unab-
hängigen Bestandtheils aus einer Phase in eine andere, sie
spricht aus, dass das Gleichgewicht in Bezug auf diesen üeber-
tritt gesichert ist, dass also in der Natur gerade dieser üeber-
tritt nicht stattfindet. Wie es sein muss, hängt diese Bedingung
nur von der inneren Beschaffenheit der Phasen, nicht von ihrer
Gesammtmasse ab.
Da man die auf einen bestimmten Bestandtheil bezüglichen,
in einer einzelnen Eeihe befindlichen Gleichungen beliebig um-
stellen kann, so folgt daraus der Satz: Befindet sich eine Phase in
168 An/wendungen auf spezielle Qleichgeurichtsxu^tände,
Bezug auf einen bestimmten Bestandtheil mit zwei anderen Phasen
im Gleichgewicht, so befinden sich in Bezug auf diesen Bestand-
theil auch die beiden andern Phasen unter sich im Gleichgewicht
(sie „coexistiren"). Nehmen wir dazu den schon oben (§ 197) her-
vorgehobenen Satz, dass jedes System im Gleichgewicht höchstens
eine einzige gasförmige Phase besitzt, so ergibt sich daraus ganz
allgemein, dass zwei coexistirende Phasen den nämlichen Dampf
aussenden. Denn da die eine Phase nach der Voraussetzung
mit der anderen Phase und selbstverständlich auch mit ihrem
eigenen Dampf coexistirt, und zwar in Bezug auf jeden ihrer
Bestandtheile, so coexistirt auch die andere Phase mit dem
nämlichen Dampf. Man kann daher die Coexistenz von festen
und flüssigen Phasen dadurch prüfen, dass man ihre Dämpfe
vergleicht.
§ 303« Es ist nun leicht zu sehen, wie sich im Allgemeinen
der Gleichgewichtszustand des Systems aus den von vornherein
gegebenen äusseren Bedingungen (147) und den Gleichgewichts-
bedingungen (149) bestimmt. Die Zahl der ersten beträgt a,
die der zweiten cc{ß — l), also zusammen aß Gleichungen.
Andrerseits hängt der Zustand der ß Phasen von a ß + 2
Variabein ab, nämlich ausser von den aß Massen M^', .... M^f
noch von der Temperatur i^- und dem Druck p. Es bleiben
daher, wenn alle Bedingungen erfüllt sind, iloch zwei Variable
unbestimmt. Im Allgemeinen wird man also sowohl die Tem-
peratur als auch den Druck ganz beliebig wählen können; es
gibt aber, wie sogleich gezeigt werden wird, spezielle FäJle, in
denen Temperatur und Druck nicht mehr willkührlich sind, so
dass dann zwei andere Variable, etwa Gesammtvolumen und
Gesammtenergie des Systems, unbestimmt bleiben. Verfügt man
willkührlich über ihre Werthe, so ist dann der Gleichgewichts-
zustand des Systems in allen Stücken bestimmt
§ 204. Scheiden wir nun die aß + 2 Variabein, von denen
der Zustand des Systems abhängt, in solche, welche nur die
innere Beschaffenheit der Phasen betreffen (innere Variable) und
in solche, welche nur die Gesammtmassen der Phasen bestimmen
(äussere Variable). Die Anzahl der ersteren ist {a — l)ß + 2y
nämlich in jeder der ß Phasen die a — 1 Verhältnisse der
a in ihr enthaltenen unabhängigen Bestandtheile zu einander.
System von hdiehig vielen unabhängigen Bestandtheüen. 169
und ausserdem Temperatur und Druck; die Anzahl der letzteren
ist ß, nämlich die Gesammtmassen aller Phasen. Zusammen:
Nun enthalten die a{ß — l) Gleichungen (149) nach dem
dort Gesagten nur innere Variable, also bleiben nach Befriedi-
gung dieser Gleichungen von der Gesammtzahl der inneren
Variabein noch
[{a - 1)/? + 2] -- [e.(/? - 1)] = e. - /? + 2
als unbestimmt zurück. Diese Zahl kann nicht negativ sein;
denn sonst würden die inneren Variabein des Systems nicht
ausreichen, um die Gleichungen (149) alle zu befriedigen; es
muss also sein:
ß^a + 2,
d. h. die Zahl der Phasen kann die Zahl der unabhängigen
Bestandtheile höchstens um 2 übertreflfen, oder: ein System von
cc unabhängigen Bestandtheilen kann höchstens a + 2 Phasen
bilden. Im Grenzfall: ß =^ a + 2 reicht die Anzahl der inneren
Variabein gerade aus, um die inneren Gleichgewichtsbedingungen
(149) zu erfüllen, ihre Werthe sind dann im Gleichgewichts-
zustand vollkommen bestimmt, ganz unabhängig von den ge-
gebenen äusseren Bedingungen. Mit jeder Phase weniger wächst
dann die Zahl der noch unbestimmten inneren Variabein um Eins.
Dieser, zuerst von Gibbs ausgesprochene, gewöhnlich als
„Phasenregel" bezeichnete Satz hat besonders durch die Unter-
suchungen von Bakhuis Eoozeboom eine weitgehende experimen-
telle Bestätigung erhalten.
§ 205. Betrachten wir zunächst den Grenzfall:
ß = a + 2.
Dann sind sämmtliche innere Variable vollständig bestimmt,
sie bilden einen „(a + 2) fachen Punkt". Durch Abänderung der
äusseren Bedingungen, wie z. B. durch Wärmezufuhr, Compression,
weiteren Zusatz von Substanzmengen, werden nur die Gesammt-
massen der Phasen, nicht aber ihre innere Beschaffenheit, ein-
schliesslich Temperatur und Druck, alterirt. Dies gilt solange,
bis etwa eine der Phasen die Masse Null annimmt und somit
ganz aus dem System verschwindet.
170 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtszitstände.
Für a = 1 hat man hier /? = 3, d. h. ein einziger Bestand-
theil kann sich höchstens in 3 Phasen spalten und bildet dann
einen 3 fachen Punkt. Ein Beispiel für diesen Fall liefert eine
Substanz, die sich in 3 Aggregatzuständen nebeneinander befindet,
wie im vorigen Capitel ausführlich untersucht wurde. Für Wasser
ist z. B., wie § 187 gezeigt wurde, im 3 fachen Punkt die Tem-
peratur 0,0074^ C, der Druck 4,62 °^"^ Quecksilber. Die 3 Phasen
brauchen aber nicht verschiedenen Aggregatzuständen anzuge-
hören, so z. B. gibt es Substanzen, wie Schwefel, die im festen
Zustand verschiedene Modificationen bilden können. Dann stellt
jede Modification eine besondere Phase dar, und es gilt der Satz,
dass, wenn zwei Modificationen einer Substanz mit einer dritten
Phase derselben Substanz, etwa mit ihrem Dampfe, coexistiren
sollen, dies nur bei einer ganz bestimmten Temperatur und bei
einem ganz bestimmten Druck geschehen kann.
Für a = 2 erhält man einen vierfachen Punkt. So liefern
die beiden unabhängigen Bestandtheile SOg (schweflige Säure)
und HgO die vier coexistirenden Phasen: S02-7H20 fest, SO3
in HgO gelöst flüssig, SO2 flüssig, SOg gasförmig, Temperatur
12,P C. Druck 1770"°^ Quecksilber. Die Frage, ob SOg in
wässriger Lösung ein Hydrat bildet, berührt nach der Aus-
einandersetzung im § 198 die Bedeutung der Phasenregel in
keiner Weise.
Femer liefern a = 3 unabhängige Bestandtheile, wie Na^SO^,
MgSO^ und HgO, einen fünffachen Punkt, nämlich das Doppel-
salz Na2Mg(S04)2*4H20 (Astrakanit), die beiden einfachen Salze
krystallisirt, wässrige Lösung und Wasserdampf, Temperatur
22<^C. Druck 19,6"^"^ Quecksilber.
§ 206. Nehmen wir weiter den Fall: .
d. h. die a unabhängigen Bestandtheile bilden a + l Phasen.
Dann ist die innere Beschaffenheit aller Phasen durch eine
einzige Variable vollkommen bestimmt, etwa durch die Tempera-
tur oder durch den Druck. Dieser Fall wird gewöhnlich als
der des „vollständig heterogenen" Gleichgewichts bezeichnet.
Füra=l ergibt sich hier /9=2: ein einziger unabhängiger
Bestandtheil in zwei Phasen, z. B. als Flüssigkeit und Dampf.
Sowohl der Druck als auch die Dichtigkeit der Flüssigkeit und
System von hdiehig vielen unabhängigen Bestandtheikn, 171
des Dampfes hängen allein von der Temperatur ab^ wie schon
im vorigen Capitel gezeigt wurde. Hieher gehört auch die mit
chemischer Zersetzung verbundene Verdampfung, insofern das
System nur einen einzigen unabhängigen Bestandtheil enthält,
wie z. B. die Verdampfung von festem NH4CI (Salmiak). Solange
nicht Salzsäure- oder Ammoniakdampf im üeberschuss zugegen
sind, entspricht jeder Temperatur & eine ganz bestimmte Disso-
ciationsspannung p.
Für a = 2 wird ß = S, wie z. B., wenn eine Salzlösung
zugleich mit ihrem Dampf und mit dem festen Salz in Berührung
ist, oder wenn zwei nicht in allen Verhältnissen mischbare
Flüssigkeiten (Aether und Wasser) sich zusammen unter ihrem
gemeinsamen Dampf befinden. Dampfdruck, Dichte und Con-
centration in jeder Phase sind dann Funktionen der Temperatur
allein.
§ 207. Ausser der Temperatur wird auch der Druck häutig
als diejenige Variable angenommen, durch welche beim voll-
ständig heterogenen Gleichgewicht die innere Beschaffenheit
aller Phasen bestimmt ist, namentlich bei solchen Systemen,
welche keine gasformige Phase besitzen, den sogenannten „con-
densirten" Systemen. Denn bei diesen Systemen ist der Einfluss
des Druckes auf den Zustand aller Phasen unter gewöhnlichen
Umständen so gering, dass man dann ohne merklichen Fehler
den Druck als gegeben und etwa gleich dem einer Atmosphäre
annehmen kann. Daher liefert hiefür die Phasenregel den Satz:
Ein condensirtes System von cc unabhängigen Bestandtheilen kann
höchstens a + l Phasen bilden und ist dann in seiner inneren Be-
schaffenheit, einschliesslich der Temperatur, vollkommen bestimmt.
Ein Beispiel für a = 1, /S = 2 ist der Schmelzpunkt einer Sub-
stanz, ein anderes Beispiel ist der sogenannte Umwandlungspunkt,
falls eine Substanz in zwei allotropen Modificationen existiren
kann. Für a = 2, ß = 3 dient als Beispiel der Punkt, wo sich
aus einer Salzlösung das Kryohydrat (Eis neben festem Salz) aus-
scheidet, oder auch, wie für Arsenbromür und Wasser, der Punkt,
wo aus zwei sich berührenden flüssigen Schichten ein fester Be-
standtheil sich niederzuschlagen beginnt, für « = 3, ß = 4 der
Punkt, wo eine Lösung zweier Salze, die fähig sind ein Doppel-
salz zu bilden, sowohl mit den einfachen Salzen als auch mit
dem Doppelsalz in Berührung ist, u. s. w.
172 Anwendungen auf spexieÜe Oleichgeunchtsxtistände,
§ 308. Wenn ferner:
so bilden a unabhängige Bestandtheile a Phasen. Dann ist die
innere Beschaffenheit aller Phasen noch von 2«Variäbeln ab-
hängig, z. B. von Temperatur und Druck. Ein Beispiel für
a = l liefert jede Substanz in homogenem Zustand, eins für cc = 2
eine flüssige Lösung eines Salzes in Berührung mit ihrem Dampf.
Durch Temperatur und Druck ist die Concentration sowohl in
der Lösung als auch im Dampf bestimmt. Häufig werden nicht
Temperatur und Druck, sondern statt dessen die Concentration der
flüssigen Lösung, entweder zusammen mit der Temperatur, oder
zusammen mit dem Druck, als die beiden unabhängigen Yariabeln
genommen. Im ersteren Falle sagt man, dass eine Lösung von
beliebig gewählter Concentration bei beliebig gewählter Tempe-
ratur einen Dampf von bestimmter Zusammensetzung und von
bestimmter Spannung aussendet; im zweiten Falle sagt man,
dass eine Lösung von beliebig gewählter Concentration bei be-
liebig gewähltem Druck einen bestimmten Siedepunkt besitzt,
bei dem ein Dampf von bestimmter Zusammensetzung abdestillirt.
Ganz entsprechende Gesetzmässigkeiten ergeben sich, wenn
die zweite Phase nicht dampfförmig, sondern fest (Salz, Eis) oder
flüssig ist, wie bei zwei Flüssigkeiten, die sich nicht in allen
Verhältnissen mischen. Immer hängt die innere Beschaffenheit
der beiden Phasen, also im letzten Beispiel auch die Con-
centrationen in den beiden über einander geschichteten Lösungen,
von zwei Variabein ab, etwa Druck und Temperatur. Wenn
in einem speziellen Fall diese Concentrationen einander gleich
werden, erhält man eine Erscheinung, die ganz analog ist dem
Phänomen des kritischen Punktes bei einer homogenen Substanz
(kritische Lösungstemperatur zweier Flüssigkeiten).
§ 309. Betrachten wir endlich noch kurz den Fall:
Hier ist die Zahl der Phasen um Eins geringer als die der
unabhängigen Bestandtheile, und die innere Beschaffenheit aller
Phasen hängt also ausser von Temperatur und Druck noch von
einer dritten willkührlich zu wählenden Variabein ab. So ist z. B.
a = 3, ß =z 2 für eine wässrige Lösung zweier isomorpher Sub-
stanzen (Kaliumchlorat und Thalliumchlorat) in Berührung mit
System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheüen, 173
einem Mischkrystall. Bei Atmosphärendruck und einer bestimmten
Temperatur wird je nach der Zusammensetzung des Misch-
krystalls die Concentration der Lösung eine verschiedene sein,
so dass man von einer gesättigten Lösung der beiden Substanzen
von bestimmter Zusammensetzung gamicht sprechen kann. Erst
wenn ausser dem Mischkrystall sich noch eine zweite feste Phase,
etwa ein zweiter anders beschaffener Mischkrystall, aus der
Lösung niederschlägt, wird die innere Beschaffenheit des Systems
durch Temperatur und Druck allein bestimmt Die experimen-
telle Untersuchung der Gleichgewichtszustände solcher Systeme
kann auch umgekehrt dazu dienen, um an der Hand der Phasen-
regel zu entscheiden, ob ein aus einer Lösung zweier Stoffe er-
haltener fester Niederschlag der beiden Stoffe eine einzige Phase,
also z. B. einen Mischkrystall von veränderlicher Concentration,
bildet, oder ob die beiden Stoffe in zwei räumlich aneinander-
grenzenden Phasen anzunehmen sind. Denn offenbar trifft die
zweite oder die erste Annahme zu, je nachdem die Concentration
der angrenzenden Lösung bei bestimmter Temperatur und Druck
eine ganz bestimmte ist oder nicht.
§ 310. Wenn die Ausdrücke der Funktionen 0', 0", . . .
für jede einzelne Phase bekannt sind, so kann man aus den
Gleichungen (149) unmittelbar alle Einzelheiten eines Gleich-
gewichtszustandes des Systems entnehmen. Jenes ist aber bis
jetzt durchaus nicht der Fall; wenigstens lässt sich über die
Abhängigkeit jener Funktionen von den Massen der in den ein-
zelnen Phasen enthaltenen Bestandtheile im Allgemeinen nur
das aussagen, was schon oben (§ 201) hervorgehoben wurde, dass
sie nämlich homogen und vom ersten Grade sind. Was dagegen
ihre Abhängigkeit von Temperatur und Druck betrifft, so ist
diese iusofem bekannt, als sich die Differentialquotienten nach
0- und p unmittelbar angeben lassen, und dieser Umstand ge^
stattet weitgehende Schlüsse zu ziehen in Bezug auf die Ab-
hängigkeit des Gleichgewichts von Temperatur und Druck.
Da nämlich zunächst für die erste Phase nach (143)
so ist für irgend eine unendlich kleine Zustandsänderung:
174 Anwendungen auf spezielle Gleichgetmchtszu^tände.
Nehmen wir nun an, dass die Zustandsänderung nur durch
Aenderungen von & und p, nicht aber durch solche der Massen
M^', M^, ... Ma bedingt ist, so gilt nach (60) die Beziehung:
Folglich:
xr
ä0'=^^'±^rd^^-^^-^
und daraus geht unmittelbar hervor:
Aehnliches gilt für jede andere Phase, und somit auch für das
ganze System, als Summe aller Phasen:
§ 211. Die letzten Beziehungen können wir benutzen, um
ein allgemeines Gesetz in Bezug auf die Abhängigkeit des
Gleichgewichts von Temperatur und Druck aufzustellen. Zu
diesem Zweck wollen wir im Folgenden unterscheiden zwischen
zwei verschiedenartigen unendlich kleinen Zustandsänderungen.
Das Zeichen S soll sich, ganz wie bisher, auf irgend eine virtuelle,
mit den gegebenen äusseren Bedingungen verträgliche, und daher
den Gleichungen (148) entsprechende Aenderung der Massen
if/, M^, .... MJ beziehen, wobei aber Temperatur und Druck
constant bleiben, d.h. St)' = und Sp=0. Den Gleichgewichts-
bedingungen (149) braucht der so variirte Zustand nicht zu ge-
nügen. Dagegen soll sich das Zeichen d auf eine wirklich vor-
genommene Veränderung, nämlich auf einen dem ursprünglichen
unendlich nahe gelegenen zweiten Gleichgewichtszustand be-
ziehen, bei dem auch alle äusseren Bedingungen, einschliesslich
Temperatur und Druck, in von vorneherein willkührlicher Weise
geändert sein können.
Es handelt sich nun darum, auch für den zweiten Zustand
die Bedingungen des Gleichgewichts festzustellen, und -sie mit
den für den ursprünglichen Zustand gültigen zu vergleichen.
Zunächst haben wir für den letzteren als Bedingung des Gleich-
gewichts, wie oben:
System von beliebig vielen unabhängigen Bestandiheüen, 175
Sodann für den zweiten Zustand:
daraus :
Sd(l> = 0. (151)
Nun ist:
ß
wobei das Zeichen 2 ^® Summirung über alle ß Phasen des
Systems bedeuten soU, während die Summirung über die cc un-
abhängigen Bestandtheile einer einzelnen Phase besonders aus-
geschrieben ist. Oder nach (150):
ß
d<i> = —^d{)'---dp+2jjw^^' ^^Tw^^ ■*"•••
Folglich geht die Gleichgewichtsbedingung (151) über in:
ß
^I^^d&^-dp + 2jdM,Sj^+dM,Sjj^+...==0. {'^^)
Es fallen nämlich alle von der Variation der Differentiale d&,
dp, dM^', dM^', . . . herrührenden Glieder weg: die ersten beiden,
weil SO- = und Sp = 0, alle übrigen, weil in der Gesammt-
summe:
+
+ l^SdMJ +-^ SdMJ + ...,
jede Vertikalkolumne für sich verschwindet. Denn z. B. für die
erste Kolumne ist nach (149):
6 0^ 6 0" _ 6 0^
und ausserdem ist nach (148):
8dM^ -h 8dM^' + . . . + SdM^^
^d{8M^' + 8M^" + ... ^-<Jif/) = 0.
176 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtsztistände,
Nun bedeutet weiter S U + pSV nach dem ersten Hauptsatz der
Wärmetheorie die bei der virtuellen Zustandsänderung 8 dem
System von Aussen zugeführte Wärme 0, also lässt sich die
Gleichung (152) auch schreiben:
ß
(153) pß^^^-Idp + ^dM,'S^. + dM,^ä^^+ ... =0.
Hierin ist das Gesetz der Abhängigkeit des Gleichgewichts von
Temperatur, Druck und von den Massen der unabhängigen Be-
standtheile des Systems ausgesprochen. Man ersieht daraus zu-
nächst, dass der Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht
wesentlich abhängt von der Wärmetönung, welche bei einer
virtuellen isothermen und isopiestischen Zustandsänderung ein-
tritt. Ist diese, gleich Null, so fällt das Glied mit d & fort, und
eine Aenderung der Temperatur fuhrt gar keine Störung des
Gleichgewichts herbei; wechselt Q das Vorzeichen, so wechselt
auch der Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht sein
Vorzeichen. Ganz Aehnliches gilt in Bezug auf den Einfluss
des Druckes, welcher seinerseits wesentlich durch die Volumen-
änderung S V bedingt ist, die durch eine virtuelle isotherme und
isopiestische Zustandsänderung hervorgerufen wird.
§ 212. Die Gleichung (153) soll nun auf einige spezielle
FäUe angewendet werden, zunächst auf solche des vollständig
heterogenen Gleichgewichts, welche nach § 206 charakterisirt
werden durch die Beziehung:
/? = «+ 1.
Die innere Beschaffeuheit aller Phasen, einschliesslich des Druckes,
ist hier durch die Temperatur allein bestimmt; daher bringt
z. B. eine isothermische unendlich langsame Compression des
Systems nur in den Gesammtmassen der Phasen, nicht aber in
deren Zusammensetzung, und auch nicht im Druck, eine Aen-
derung hervor. Eine derartige Aenderung nun, die also in diesem
speziellen Falle zu einem neuen Gleichgewichtszustand fuhrt,
wollen wir als virtuelle Zustandsänderung S wählen. Dann
bleibt ausser der Temperatur und dem Druck auch die innere
Beschafl'enheit aller Phasen unvariirt< und die Variationen der
l<\inktionen ^jrp, fi\f'^ * ' * ^'^^^^^^ ^Ue gleich Null, da diese
System von beliebig vielen unabhängigen BestandtheHen. 177
Grössen nur von der inneren Beschaffenheit der Phasen ab-
hängen. Dadurch geht die Gleichung (153) über in:
d. h. die durch eine virtuelle Zustandsänderung, bei der die
innere Beschaffenheit aller Phasen ungeändert bleibt, bedingte
Wärmetönung, dividirt durch die entsprechende Volumenänderung
des Systems und durch die absolute Temperatur, ergibt die
Aenderung des Gleichgewichtsdrucks mit der Temperatur. Ist
Wärmezufuhr von Aussen mit Volumenvergrösserung des Systems
verbunden, wie bei der Verdampfung, so steigt der Gleich-
gewichtsdruck mit der Temperatur, im entgegengesetzten Fall,
wie beim Schmelzen des Eises, sinkt er mit steigender Temperatur.
§ 313« Für einen einzigen unabhängigen Bestandtheil:
a=l, also /9=2, führt die letzte Gleichung unmittelbar zu den
im vorigen Capitel ausführlich behandelten Gesetzen der Ver-
dampfungs-, Schmelz- und Sublimationswärme. Bildet z. B. die
Flüssigkeit die erste Phase, der Daimpf die zweite, und be-
zeichnet r die Verdampfungswärme der Masseneinheit, so ist:
SV=^[v"--v')SM",
worin v' und v" die spezifischen Volumina von Flüssigkeit und
Dampf, SM" die bei einer virtuellen isothermen und isopiestischen
Zustandsänderung gebildete Menge Dampf bedeutet Mithin
aus (154):
identisch mit der Gleichung (111).
Selbstverständlich sind hier auch Fälle chemischer Um-
setzungen mit einbegriffen, insofern das System einen einzigen
unabhängigen Bestandtheil in zwei Phasen enthält, wie z. B.
die zuerst von Horstmann daraufhin untersuchte Verdampfung
von Salmiak, wobei Zersetzung in Salzsäure und Ammoniak-
dampf stattfindet (§ 206), oder die Verdampfung von carbamin-
saurem Ammoniak, wobei Zersetzung in Ammoniak und Kohlen-
säure eintritt. Dann bedeutet in der letzten Gleichung r die
Dissociationswärme, p die allein von der Temperatur abhängige
Dissociationsspannung.
Planok, Thermodynamik. 1^
178 Anwendungen auf spezielle Oleichgeunchtsx'iistände,
§ 314. Wir wollen das vollständig heterogene Gleich-
gewicht auch noch für zwei unabhängige Bestandtheile be-
trachten:
a = 2 /? = 3,
z. B. Wasser (Index 1) und ein Salz (Index 2) in drei Phasen,
von denen die erste eine flüssige Lösung (Masse des Wassers Jf/,
des Salzes M^'), die zweite Wasserdampf (Masse ifj"), die dritte
festes Salz (Masse ifj") ^^^^ möge. Dann ist flir eine virtuelle
Zustandsänderung :
^3f/+5Jf/'=0 und äM^'+SM^'''=^0.
Nach der Phasenregel ist sowohl die Concentration der Lösung:
als auch der Dampfdruck p Funktion der Temperatur & allein,
und nach Gleichung (154) ist die während einer unendlich kleinen
virtuellen Zustandsänderung, bei der &, p und c ungeändert
bleiben, von Aussen zugelührte Wärme:
(155) Q^^.^.sr.
Wir lassen nun die virtuelle Zustandsänderung darin bestehen,
dass eine unendlich kleine Wassermenge:
aus der Lösung verdampft. Dann fällt gleichzeitig, da ausser
d und p auch die Concentration c unvariirt bleibt, die Salz-
menge:
aus der Lösung aus, und die Variationen aller Massen sind auf
SM^" zurückgeführt
Das öesammtvolumen des Systems:
worin v\ v" und v" die spezifischen Volumina der drei Phasen
bedeuten, wird bei der Variation vergrössert um:
(156) ^ F= [(i;"+ cv'") - (1 + c)v'^, 8M{.
System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheüen. 179
Nennen wir nun r die Wärmemenge, welche dem System
von Aussen zuzuführen ist, damit bei constanter Temperatur,
Druck und Concentration die Masseneinheit Wasser aus der
Lösung verdampft und gleichzeitig die entsprechende Menge Salz
ausscheidet, so ist in (155) zu setzen:
und wir erhalten:
r =& -T^ [v" + c v" — (1 + c) «;') .
Eine in manchen Fällen gut brauchbare Annäherungsformel er-
hält man, wenn man die spezifischen Volumina der Lösung v
und des festen Salzes v" gegen das des Dampfes v" vernach-
lässigt und ausserdem für letzteren den idealen Gaszustand
voraussetzt. Dann ist nach (14):
m p
(R Gasconstante, m Molekulargewicht des Dampfes)
und es wird:
r^^&^^^. (157)
§ 316. r ist zugleich auch umgekehrt die Wärme-
menge, welche nach Aussen abgegeben wird, wenn sich die
Masseneinheit Wasserdampf mit der dazu erforderlichen Menge
festem Salz bei constanter Temperatur und Druck zu gesättigter
Lösung vereinigt.
Statt die Vereinigung direkt vorzunehmen, kann man auch
die Masseneinheit Wasserdampf zunächst isolirt zu reinem Wasser
condensiren, und dann das Salz im flüssigen Wasser auflösen.
Nach dem ersten Hauptsatz der Wärmetheorie ist, wenn in beiden
Fällen der Anfangszustand und der Endzustand des Systems
derselbe ist, auch die Summe der vom System im Ganzen ab-
gegebenen Wärme und Arbeit in beiden Fällen die gleiche.
Im ersten Falle (direkte Vereinigung) haben wir für die bei
der Condensation nach Aussen abgegebene Wärme: r, für die
nach Aussen abgegebene Arbeit: -^ PT%7Tf9 ^so für die Summe
beider, nach (157) und (156), mit den schon benutzten An-
näherungen :
12'
180 Anwendungen auf apexdeUe Ohichgewichtsx/ustände,
(158) :B^2^|P_ ".
Berechnen wir jene Summe nun auch für den zweiten Fall.
Zunächst ist zu bemerken, dass der Wasserdampf über der
Lösung im Allgemeinen nicht denselben Druck besitzen wird
wie über reinem Wasser bei derselben Temperatur, sondern einen
anderen, und zwar keinesfaQs einen grösseren, sondern einen
kleineren, weil sonst der Dampf über der Lösung übersättigt
wäre. Bezeichnen wir also den Druck des bei der Temperatur
x)- gesättigten Wasserdampfes über reinem Wasser mit p^, so
ist p <Po.
Wir bringen nun zunächst die Masseneinheit Wasserdampf
vom Drucke p und dem Volumen v" durch isothermische Com-
pression auf den Druck p^ mit dem spezifischen Volumen Vq\
und somit in den Zustand der Sättigung. Dabei wird positive
Wärme und negative Arbeit nach Aussen abgegeben. Die Summe
beider Beträge, welche zugleich die Abnahme der Energie des
Dampfes angibt, ist gleich Null, wenn wir wieder annehmen,
dass der Dampf sich wie ein ideales Gas verhält, dass also seine
Energie bei constant gehaltener Temperatur ungeändert bleibt
Hierauf condensiren wir den Wasserdampf vom Volumen Vq'
bei constanter Temperatur & und constantem Druck p^ zu reinem
Wasser. Die Summe der hiebei nach Aussen abgegebenen Wärme
und Arbeit ergibt sich mit Hilfe der Gleichung (112) zu:
(159) _^^3i^_^^,;'.
Um weiter das flüssige Wasser vom Drucke p^ wieder auf den
Druck p zu bringen, sind keine merklichen äusseren Wirkungen
erforderlich.
Endlich lösen wir in der so erhaltenen Masseneinheit von
flüssigem Wasser bei constanter Temperatur i9- und constantem
Druck p soviel Salz auf, als zur Sättigung der Lösung dient,
und erhalten dabei als Summe der nach Aussen abgegebenen
Wärme und Arbeit einfach die Lösungswärme:
(160) X,
da der Betrag der äusseren Arbeit ganz zu vernachlässigen ist.
Die Summe der Ausdrücke (159) und (160) ist nach dem ersten
System von beliebig 'vielen unabhängigen Bestandtheilen, 181
Hauptsatz der Wärmetheorie gleich dem Ausdruck (158). Wir
haben daher:
oder, wenn das BoYLB'sche Gesetz: PqVq" ^pv" benutzt wird:
Diese zuerst von Ktrchhoff aufgestellte Formel ergibt die Wärme-
tönung (abgegebene Wärme) bei der Auflösung von soviel Salz in
1 gr reinem Wasser, als zur Sättigung der entstehenden Lösung
erforderlich ist.
um X in Calorieen auszudrücken, hat man die Gasconstante
R noch mit dem mechanischen Wärmeäquivalent a zu dividiren,
also nach (34) an Stelle von R 1,97 zu setzen. Dies ergibt
mit m = 18:
A = 0,11 i^-^jf^ log ^cal.
Hiebei ist noch besonders zu beachten, dass p, der Dampfdruck
über der mit Salz gesättigten Lösung, insofern Funktion der
Temperatur allein ist, als auch die Concentration c der ge-
sättigten Lösung sich mit der Temperatur in bestimmter Weise
ändert
Die im Laufe der Rechnung vorgenommenen Vernach-
lässigungen lassen sich im Bedarfsfalle ohne jede Schwierigkeit
an den einzelnen Stellen verbessern.
§ 316, Wir gehen nun zur Behandlung des wichtigen
Falles über, dass zwei unabhängige Bestandtheile (1) und (2)
sich in zwei Phasen befinden:
a=2 ß^2
und entwickeln zunächst die Gleichgewichtsbedingungen unter
der allgemeinsten Voraussetzung, dass beide Bestandtheile in
beiden Phasen mit merklichen Mengen enthalten sind, nämlich
in der ersten Phase mit den Massen M^' und J^', in der zweiten
Phase mit den Massen M^" und J^".
Die inneren Variabein des Systems sind ausser der Tem-
peratur und dem Druck die Concentrationen des zweiten Be-
standtheile in beiden Phasen;
182 Anwendungen auf spezielle Oleichgetmchiszustände.
(162)
0' =
M^'
und o" =
^"
und nach der Phasenregel sind von den 4 Variabein i?-, jp, c', o"
zwei willkührlich, die andern dadurch bestimmt.
Bei irgend einer mit den äusseren Bedingungen vorgenom-
menen Aenderung ergibt sich nach (153) folgendes Gesetz für
die Verschiebung des Gleichgewichts:
__ ^^ . _dp + dM, S^^ + dM, S^^
(163)
Hierin ist für die erste Phase:
(164)
0^0"
BM^'
0'
0^0"
JM^
d M^ ö JM,' ^2
bU^'^ b M^ d M^ *-^i' + ö Jkr«'« *^
Zwischen den Abgeleiteten von 0' nach if^' und M^ bestehen
gewisse einfache Beziehungen. Da nämlich nach (144):
so folgt durch partielle Dififerentiation nach MJ und nach MJ:
n- Jf' Ü^ j. i>r' ^^
Setzen wir also zur Abkürzung:
eine Grösse, die nur von der inneren Beschaffenheit der ersten
Phase, also von fh, p und c, nicht aber von den Massen M'
und Jf^' einzeln abhängt, so ergibt sich:
(166)
Ö«0'
¥
d M^ d M^' 3f/
ö« 0' ^ _ J^
System von beliebig vielen unabhängigen- Bestandtheüen, 183
Ganz dieselben Gleichungen gelten, bei EinführuDg der ent-
sprechenden Grösse:
für die zweite Phase.
§ 317. Von den beiden Grössen y' und y" lässt sich von
vorneherein nur über das Vorzeichen etwas aussagen. Denn
nach § 147 ist im stabilen Gleichgewicht ein Maximum^ so-
fern man nur Vorgänge bei constanter Temperatur und con-
stantem Druck in Betracht zieht, d. h.
S^0<O. (167)
Nun ist 0=0'+ 0" ,
also: ^.f. ^<^' Alf'-L ^^ Alf'-Li^Alf"-i_i^Alf"
und durch abermalige Variation:
Führt man hierin nach (165) die Grössen y' und y" ein, so
ergibt sich:
*^0=-if,9(^---^)-3f, y (^-^) ,
und diese Beziehung zeigt, dass die Ungleichung (167) stets
und nur dann erfüllt wird, wenn y' und qp" beide positiv sind.
§ 318. Im Ganzen sind in dem betrachteten System zwei
Arten von virtuellen Zustandsänderungen möglich, indem ent-
weder der erste oder der zweite Bestandtheil aus der ersten in
die zweite Phase übergeht. Für die erste Aenderung haben wir:
SM^' = - SM^'' 8M^ = 8M^' = 0, (168)
für die zweite: .
SM^ = 8M^' = SM^ = - SM^".
Wir wollen die dem System zugeführte Wärme Q und die
Volumenänderung SV des Systems in dem ersten und in dem
zweiten Falle durch die Indices 1 und 2 unterscheiden; dann
reducirt sich für den ersten Fall das für eine Verschiebung des
Gleichgewichts gültige Gesetz durch Combination von (163),
(164), (168), (166) und (162) direkt auf folgende Form:
184 Anwmdwngen auf spezielle Oleichgeunchtsxiistände.
Führen wir noch zur Abkürzung die endlichen Grössen ein:
(169) rj = y-^iTj «1 = Jm^*
d. h. das Verhältniss der von Aussen zugefuhrten Wärme bez.
der Volumenänderung des Systems zu der aus der ersten in die
zweite Phase übergehenden Masse des ersten Bestandtheils, so
ergibt sich:
(170) J.rfi?'- J(i;? - (f'do' + (p"dc" = 0.
Auf ganz demselben Wege findet man für den Uebergang
des zweiten Bestandtheils aus der ersten in die zweite Phase,
in entsprechender Bezeichnung:
(171) grf^- Jrf/> + <p-^ _ y"^' = 0.
Durch diese beiden Gleichungen sind bei irgend einer Ver-
schiebung des Gleichgewichts die vier DiflFerentiale d&y dp, dd^ de"
aneinander geknüpft.
§ 319. Um eine Anwendung dieser Gesetze zu geben, be-
trachten wir z. B. ein System, welches besteht aus dem Gemisch
zweier Flüssigkeiten (Wasser und Alkohol) in einer flüssigen, der
ersten, und einer dampfförmigen, der zweiten, Phase. Dann sind
nach der Phasenregel von den 4 Variabein &, p, c', c" zwei be-
stimmt durch die beiden übrigen; z. B. ist sowohl die Spann-
kraft p als auch die Concentration c" des Dampfes bestimmt
durch die Temperatur und die Concentration d des Flüssigkeits-
gemisches, und man erhält demgemäss für beliebige Aenderungen
dÜ- und dd aus (170) und (171):
dp = ^^- ^
dd' ==
Von den zahlreichen Folgerungen, die aus diesen beiden
Gleichungen fliessen, sei hier nur auf einige hingewiesen.
System von beliebig viden unahhängigen Bestandtheüen. 185
Längs einer Isotherme (di?" = 0) ist:
{^^ -l^»<p'de'
dp = ^ ±^, (172)
1 1
- + -r- ,
de' = -' ^-p.^^dc\ (173)
1 1 <jp ^ '
Die Spannkraft 'p des Dampfes kann mit der Concentration c
der Flüssigkeitsmischung ab- oder zunehmen. Wenn jp irgendwo
ein Maximum oder Minimum aufweist, wie z. B. nach Konowalow
für Propylalkohol und Wasser bei dem Mischungsverhältniss
77 zu 23, so ergibt sich hiefür -^ = und aus der Gleichung
(172): = c', d. h. die prozentische Zusammensetzung des
Dampfes und der Flüssigkeit ist die nämliche, oder: das Ge-
misch siedet constant. Wenn aber auf einer Isotherme p mit
wachsendem c zu- oder abnimmt, so ist die Zusammensetzung
des Dampfes von der der Flüssigkeit verschieden, und zwar ist
die Concentration des Bestandtheils 2 im Dampf grösser oder
kleiner als in der Flüssigkeit (c" > oder < o'), je nachdem der
Dampfdrück p mit wachsender Concentration dieses Bestand-
theils zu- oder abnimmt. Dies ergibt sich unmittelbar aus (172),
wenn man berücksichtigt, dass (p\ sowie s^, «^ '^^^ ^' immer
positiv ist.
Die Gleichung (173) lehrt, dass längs einer Isotherme die
Concentrationen c und c" beider Phasen sich immer in gleichem
Sinne ändern,
§ 320. Wir wollen uns bei den folgenden Anwendungen
auf den speziellen Fall beschränken, dass der zweite Bestand-
theil nur in -der ersten Phase vorhanden ist:
c'=0 und daher auch e^c"=0. (174)
Den ersten Bestandtheil, welcher in der ersten Phase mit dem
zweiten vereinigt, in der zweiten Phase rein enthalten ist, wollen
wir hier als das „Lösungsmittel", den zweiten als den „gelösten
Stoff" bezeichnen, (Vgl. dagegen unten § 249). Durch (174) wird
die Gleichung (171) identisch erfüllt, und von (170) bleibt übrig:
"^^dfh - ^dp-tfdc = ^, (175)
186 Änioendimgen auf spezielle Gleichgewichtszustände.
wenn wir der Einfachheit halber bei r^ und s^ den Index 1,
und bei q>' und c' den Strich fortlassen.
Nehmen wir zunächst eine Lösung eines nichtflüchtigen
Salzes in Berührung mit dem Dampf des Lösungsmittels. Wir
wollen die Gleichung (175) nach drei Kichtungen betrachten, je
nachdem wir die Concentration c der Lösung, die Temperatur xJ-,
oder den Druck p constant halten, und die Abhängigkeit der
beiden übrigen Grössen voneinander betrachten.
§ 221. Constante Concentration. dc = 0.
Die Abhängigkeit des Dampfdruckes von der Temperatur
ist nach (175):
("«) (ff) -5^.-
Hiebei kann man r kurz bezeichnen als die Verdampfungswärme
der Lösung. Fasst man sie nicht, wie in (169) gefordert wird,
als Verhältniss zweier unendlich kleiner Grössen auf, sondern
bezieht sie direkt auf die Masseneinheit des Lösungsmittels, so
muss man sich die Menge der Lösung so gross denken, dass
ihre Concentration durch den Austritt der Masseneinheit des
Lösungsmittels nicht merklich geändert wird, s kann man ge-
wöhnlich einfach gleich dem Volumen der Masseneinheit des
Dampfes: v setzen. Nimmt man ausserdem für diesen das BoYiiE-
Gat LussAc'sche Gesetz als gültig an, so ergibt sich:
(177) s=v = ^^
^ ' m p
und aus der letzten Gleichung:
m \ d& Je
r ist zugleich auch umgekehrt die Wärmemenge, welche nach
Aussen abgegeben wird, wenn sich die Masseneinheit des dampf-
förmigen Lösungsmittels bei constantem & und p mit einer
grossen Quantität der Lösung von der Concentration c vereinigt.
Statt die Vereinigung direkt vorzunehmen, kann man auch
die Masseneinheit Dampf zunächst isoUrt zum flüssigen reinen
Lösungsmittel condensiren und dann damit die Lösung verdünnen.
Nach dem ersten Hauptsatz der Wärmetheorie ist, wenn in
beiden Fällen der Anfangszustand und der Endzustand des
Systems derselbe ist, auch die Summe der vom System im
System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheilen, 187
Ganzen abgegebenen Wärme und Arbeit in beiden Fällen die
gleiche.
Im ersten Fall haben wir für die Summe* der nach Aussen
abgegebenen Wärme und Arbeit:
r — pv = —iS-^i ^^^ ] —pv.
Im zweiten Falle haben wir, wenn wir genau ebenso verfahren,
wie in § 215 beschrieben wurde, als Summe der bei der Conden-
sation und der darauf folgenden Verdünnung nach Aussen ab-
gegebenen Wärme und Arbeit:
wobei Pq der Druck, Vq das spezifische Volumen des bei der
Temperatur & über reinem Lösungsmittel befindlichen Dampfes,
J die Verdünnungswärme der Lösung bezeichnet, d. h. die Wärme-
tönung (frei werdende Wärme) beim Zusatz der Masseneinheit
des flüssigen Lösungsmittels zu einer grossen Quantität der
Lösung von beliebig gegebener Concentration c. Da nun nach
dem ersten Hauptsatz der Wärmetheorie die letzten beiden Aus-
drücke gleich sind, so erhalten wir, mit Rücksicht auf das
BoTLB'sche Gesetz:
die EiECHHorr'sche Formel für die Verdünnungswärme.
Die im Laufe der Rechnung eingeführten Vernachlässigungen,
die darauf beruhen, dass der Dampf als ideales Gas und sein
spezifisches Volumen gross gegen das der Flüssigkeit angenommen
ist, lassen sich nöthigenfalls leicht ergänzen.
Die Aehnlichkeit des Ausdrucks für die Verdünnungswärme J
mit dem oben aufgestellten Ausdruck (161) für die Sättigungs-
wärme X der Masseneinheit des Lösungsmittels mit dem festen
Salz ist nur eine äusserliche, weil es sich hier um eine Lösung
von ganz beliebiger Concentration handelt und demgemäss auch
die Differentiation nach der Temperatur bei constantem e aus-
zuführen ist, während dort die Concentration der mit Salz ge-
sättigten Lösung sich mit der Temperatur in bestimmter Weise
mitändert
§ 222. Da bei kleinen Werthen von c (verdünnte Lösung)
die Verdünnungswänne J klein ist (§ 97), so wird nach (178)
188 Anwendungen auf spezielle Oleiehgetoichtszustände.
für eine verdünnte Lösung von bestimmter Concentration das
Verhältniss des Dampfdrucks p zu dem Dampfdruck über reinem
Lösungsmittel p^ merklich unabhängig von der Temperatur
(Gesetz von Babo).
§ 223. Constante Temperatur. d& ==0.
Die Abhängigkeit des Dampfdrucks p von der Concentration
der Lösung ist nach (175):
und, wenn man das spezifische Volumen der Flüssigkeit gegen
das des Dampfes vernachlässigt und letzteren als ideales Gas
mit dem Molekulargewicht m betrachtet, nach (177):
\d c)^
mp q>
oder: ( d \ogp \ _ m
\ de )^ R^'
Da (p nach § 217 nothwendig positiv, so nimmt mit steigender
Concentration der Lösung der Dampfdruck immör ab. Dieser
Satz liefert u. A. ein Mittel zur Entscheidung der Frage, ob
eine bestimmte Flüssigkeit wirklich eine Lösung oder etwa nur
eine Emulsion des einen Bestandtheils in dem andern bildet. Ln
letzteren Falle hat die Anzahl der in der Flüssigkeit suspendirten
Theile gar keinen Einfluss auf den Dampfdruck.
Näheres lässt sich im Allgemeinen, so lange die Grösse qp
nicht genauer bekannt ist, über die Abhängigkeit der Dampf-
spannung von der Concentration nicht sagen.
§ 234. Für c = (reines Lösungsmittel) sei wieder p = p^.
Dann ist flir einen kleinen Werth von c p nur wenig von p^
verschieden, und man kann setzen:
^P __ P - Po _, P - Po ^
de e — c '
Folglich nach (179):
(180) p^^p^^.
Setzt man wieder für s nach (177) das spezifische Volumen des
als ideales Gas angenommenen Dampf es, so ergibt sich:
/iöi\ Po - P omq>
System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheilen. 189
d. h. die relative Dampfspannungsemiedrigung ist proportional
der Concentration der Lösung (Gesetz von Wüllner). Weiteres
siehe § 270.
§ 235. Constanter Druck, dp = 0.
Die Abhängigkeit der Temperatur (Siedetemperatur) von der
Concentration ist nach (175):
Da (p positiv, so wird die Siedetemperatur bei steigender Con-
centration erhöht. Durch Vergleich mit der Formel (179) flir
die Abnahme des Dampfdruckes ergibt sich flir eine beliebige
Lösung:
( d& \ (dp\ _ &8
[de)/[de)^^ r '
d. h. bei einer unendlich kleinen Vergrösserung der Con-
centration verhält sich die Zunahme der Siedetemperatur (bei
constantem Druck) zu der Abnahme des Dampfdruckes (bei
constanter Temperatur) wie das Produkt der absoluten Tempe-
ratur und des spezifischen Dampfvolumens zu der Verdampfungs-
wärme der Lösung.
Bedenkt man, dass dieses Verhältniss der der Gleichung (6)
ganz analogen Identität genügt:
(d±\ (dp) __ (d^\
SO kommt man unmittelbar zur Gleichung (176) zurück.
§ 326, Für c = sei d^ = &^ (Siedepunkt des reinen
Lösungsmittels), dann wird für kleine Werthe von c & nahezu
= &Qy und man kann setzen:
Te ^ c - "~ c '
wodurch die Gleichung (182) übergeht in:
^-^o^'^^. (183)
d. h. die Siedepunktserhöhung ist proportional der Concentration
der Lösung. Weiteres siehe § 269,
§ 337. Betrachten wir weiter den Fall, dass die zweite
Phase das reine Lösungsmittel nicht im dampfförmigen, sondern
im festen Aggregatzustand enthält, wie das z. B. beim Gefrieren
190 Anwendungen auf spexidle Oleichgetmchtszu^tände.
einer wässrigen Salzlösung oder beim Ausfällen von Salz aus
gesättigter Lösung eintritt. Im letzteren Falle müssen wir nach
den Festsetzungen in § 220 als ersten Bestandtheil das Salz,
als zweiten Bestandtheil das Wasser rechnen, und das Salz als
Lösungsmittel, das Wasser als gelösten StoflF bezeichnen. Dann
ist in jedem Falle die Gleichung (175) ohne Weiteres anwendbar,
und lässt sich auch hier wieder nach drei Richtungen behandeln,
je nachdem man untersucht, in welcher Weise sich der Gefrier-
punkt bez. Sättigungspunkt einer Lösung von bestimmter Con-
centration mit dem Druck ändert (de = 0), oder wie der Druck
zu ändern ist, damit eine Lösung von geänderter Concentration
bei der nämlichen Temperatur gefriert bezw. gesättigt ist [dß- = 0)
oder endlich, wie sich der Gefrierpunkt bez. Sättigungspunkt
einer Lösung unter bestimmtem äusseren Druck mit der Con-
centration ändert {dp = 0). Für den letzten, als den wichtigsten
Fall erhalten wir aus (175), wenn wir zugleich zum Unterschied
gegen die Siedetemperatur die Gefriertemperatur bez. Sättigungs-
temperatur als Funktion der Concentration mit ß-' bezeichnen:
m.-
p
wobei r hier die Wärme bedeutet, welche von Aussen aufge-
nommen wird, wenn aus einer grossen Quantität Lösung von der
Concentration e die Masseneinheit des Lösungsmittels (Eis, Salz)
ausfällt Da diese Wärmemenge häufig negativ ist, so setzen
wir r = — r und bezeichnen r' als die „Gefrierwärme" der
Lösung bez. als die „Fällungswärme" des Salzes. Es ist die
Wärmetönung (frei werdende Wärme) beim Ausfällen des Lösungs-
mittels aus der Lösung. Dann ist
('«<) (^) - -
p
Die Gefrierwärme r einer Salzlösung ist immer positiv; daher
sinkt der Gefrierpunkt &' der Lösung stets mit wachsendem
Salzgehalt c. Andrerseits: wenn die Fällungswärme r' eines
Salzes aus einer Lösung positiv ist, so sinkt der Sättigungspunkt
i?*' der Lösung mit wachsendem Wassergehalt e der Lösung,
d. h. er steigt mit wachsendem Salzgehalt. Im entgegengesetzten
Fall sinkt der Sättigungspunkt mit wachsendem Salzgehalt Will
man bei einer mit Salz gesättigten Lösung nicht den Wasser-
gehalt, sondern den Salzgehalt der Lösung mit c bezeichnen, so
System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheüen, 191
hat man nach der von c in (162) und nach der von q> in (165)
aufgestellten Definition in der letzten Formel statt c nur zu
schreiben: — , und statt cp zu schreiben: c(p, wodurch dieselbe
übergeht in:
Hier haben nun c und (p dieselbe Bedeutung wie in der auf
den Gefrierpunkt einer Lösung bezüglichen Formel (184).
§ 328. Für = sei !?• = &q (Gefriertemperatur des reinen
Lösungsmittels). Dann wird für kleine Werthe von c ß-' nahezu
= d-Q und man kann setzen:
de ~ c-O "" c '
so dass die Gleichung (184) übergeht in:
*o'-*'=^. (186)
d. h. die Gefrierpunktsemiedrigung ist proportional der Con-
centration. Weiteres siehe § 271.
§ 339. Da die hier überall vorkommende positive Grösse cp
für eine Lösung von bestimmtem c, & undjo einen ganz bestimmten
Werth hat, insbesondere unabhängig ist von der Beschaffenheit
der zweiten Phase, so sind durch die letzten Formeln die Ge-
setze der Dampfdruckemiedrigung, Siedepunktserhöhung, Gefrier-
punktsemiedrigung und Sättigungspunktsveränderung auf all-
gemeine Weise mit einander verknüpft, und man braucht nur eine
einzige dieser Erscheinungen für eine Lösung messend zu ver-
folgen, um mit Hülfe des daraus berechneten Werthes von qp
die übrigen für die nämliche Lösung ableiten zu können.
Wir wollen nun noch einen weiteren Fall betrachten, in
welchem die nämliche Grösse qp wiederum eine charakteristische
Bedeutung besitzt, nämlich den Gleichgewichtszustand, der ein-
tritt, wenn neben der flüssigen Lösung sich das reine Lösungs-
mittel weder im dampfförmigen, noch im festen, sondern ebenfalls
im flüssigen Zustand befindet, aber nicht frei angrenzend, weil
sonst kein Gleichgewicht möglich sein würde, sondern von der
Lösung getrennt durch eine Wand, welche nur für das Lösungs-
mittel, nicht aber für den gelösten Stoff durchlässig ist. Der-
192 Anv)€ndimgen auf spezielle Oleic/igetoichtsz/ustände,
artige „semipermeable" Wände sind zwar für keine einzige
Lösung mit absoluter Vollkommenheit herzustellen, ja sie sind
sogar dui'ch die später entwickelte Theorie (§ 259) principiell
ausgeschlossen, da der gelöste Stoff unter allen Umständen mit
endlicher, wenn auch in gewissen Fällen äusserst geringer Ge-
schwindigkeit durch die Substanz der Wand hindurchdiffundiren
wird. Aber es kommt hier auch nur allein darauf an, dass man,
ohne ein Gesetz der Thermodynamik zu verletzen, die Diffusions-
geschwindigkeit des gelösten Stoffes durch die Wand gegen die-
jenige des Lösungsmittels beliebig klein annehmen darf, und
diese Annahme wird dadurch gerechtfertigt, dass sich in der
Natur die Eigenschaft der Semipermeabilität für manche Sub-
stanzen in praktisch überaus grosser Annäherung verwirklicht
findet. Der Fehler, den man dadurch begeht, dass man die
Diffusionsgeschwindigkeit des gelösten Stoffes durch die Wand
direkt gleich Null setzt, sinkt daher hier ebenso unter alle mess-
baren Grenzen herab, wie etwa der ganz ähnliche Fehler, der
in der von uns oben gemachten Voraussetzung liegt, dass ein
Salz absolut nicht aus der Lösung verdampft oder ausfriert;
denn auch diese Annahme ist streng genommen unzulässig (§ 259).
Die Bedingung, dass zwei Phasen, die von einander durch
eine semipermeable Wand getrennt sind, sich im Gleichgewicht
befinden, ergibt sich leicht aus der allgemeinen thermodynami-
schen Gleichgewichtsbedingung. Sie lautet, ebenso wie in
Gleichung (145):
(187) 5a>' + 5a>" = o,
gültig für jede virtuelle Zustandsänderung, bei der die Tempe-
ratur und der Druck in jeder Phase ungeändert bleibt Der
einzige Unterschied gegen den Fall freier Berührungsflächen ist
der, dass hier, bei der Anwesenheit einer trennenden Wand
zwischen beiden Phasen, der Druck in der zweiten Phase: p"
ein anderer sein kann als der in der ersten: 7?', wobei unter
„Druck" schlechthin, wie immer, der gewöhnliche hydrostatische,
manometrisch wirksame Druck zu verstehen ist.
Der Nachweis für die Gültigkeit obiger Gleichgewichts-
bedingung findet sich unmittelbar, wenn man von der allgemeinen
Gleichung (76) ausgeht und dort anstatt der Gleichung (78) für
die äussere Arbeit den Werth:
A= ^p'dV -'p"SV'
System von beliebig ^vielen unabhängigmh Bestandiheüen. 193
einsetzt. Die weiteren Folgerungen aus (187) schliessen sich
ganz den oben für eine freie Berührungsfläche abgeleiteten an.
Zunächst haben wir, entsprechend der Gleichung (163), für irgend
eine Verschiebung des Gleichgewichts:
-d&^—dp --^dp +dM, S^^. + dM, Sj^, + . . . =
und weiter, unter Berücksichtigung des ümstandes, dass der
Bestandtheil 2 nur in der ersten Phase vorkommt, anstatt der
Gleichung (175) die folgende:
!_ rf ,9- - ^ rf/-'^' dp" ~-(fdc = 0. (188)
Hier ist, wie in § 221, r die „Austrittswärme" des Lösungs-
mittels aus der Lösung, d. h. die Wärmemenge, welche von
Aussen zuzuführen ist, wenn bei constanter Temperatur iS- und
bei Constanten Drucken y und p" die Masseneinheit des Lösungs-
mittels aus einer grossen Quantität der Lösung durch die semi-
permeable Wand in das reine Lösungsmittel übergeht. Femer
ist s die bei demselben Vorgang eintretende Volumenänderung
def Lösung (negativ), /' diejenige des angrenzenden Lösungs-
mittels (positiv). In der Gleichgewichtsbedingung (188) sind also
von den vier Variabein &, p', p'\ c drei willkührlich und erst
die vierte dadurch bestimmt
Nehmen wir zunächst den Druck p' im reinen Lösungs-
mittel als gegeben und unveränderlich an, etwa als den Druck
einer Atmosphäre, so haben wir dp" = Q, Setzen wir femer
di9' = und de von Null verschieden, d. h. betrachten wir
Lösungen verschiedener Concentration bei der nämlichen Tempe-
ratur und bei dem nämlichen Druck im angrenzenden reinen
Lösungsmittel, so ergibt sich aus (188):
(
dp' \ _ &g>
Da nun y >0 und s'<0, so wächst mit steigender Concentration
c der Druck p' im Innern der Lösung.
Man bezeichnet die Differenz der Drucke in beiden Phasen:
p —p = F
als den „osmotischen Druck" der Lösung. Da nun p" oben als
constant angenommen ist, lässt sich schreiben:
Planck, Thermodynamik. 13
194 Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände.
Somit sind auch die Gesetze des osmotischen Druckes auf
die nämliche Grösse (p zurückgeführt, welche die Gesetze der
Dampfspannungserniedrigung, Siedepunktserhöhung u. s. w. be-
dingt. Da (p positiv, so wächst der osmotische Druck mit
steigender Concentration. Da aber die Differenz p' — p' für
c = nothwendig verschwindet, so ist daher der osmotische
Druck immer positiv.
Für kleine Werthe von c ist:
öP_ P- _ P
de e — c
und — s nahezu gleich dem spezifischen Volumen der Lösung.
Daraus folgt nach (189):
(190) p^^^9>
V
wenn man mit v das spezifische Volumen der Lösung bezeichnet
Weiteres siehe § 272.
§ 380. Wir haben für verschiedene den Bedingungen des
§ 220 entsprechende Systeme die Gesetze des Gleichgewichts auf
eine einzige für das thermodynamische Verhalten einer Lösung
charakteristische Grösse (p zurückgeführt. Es bietet keine
Schwierigkeit, die entsprechenden Sätze auch für den Fall ab-
zuleiten, dass die gelöste Substanz auch in der zweiten Phase
enthalten ist. Man hat dann von den beiden Gleichungen (170)
und (171) auszugehen, und findet die einzelnen Beziehungen
durch die beiden Grössen qp' und qp" bedingt. Zu einer näheren
Kenntniss dieser Grössen qp kann man dadurch gelangen, dass
der Begriff des Moleküls, den wir bisher nur auf den gasformigen
Aggregatzustand angewendet haben, auch auf den flüssigen Zu-
stand erstreckt wird. In den folgenden beiden Capiteln wird
dieser Schritt ausgeführt, wobei sich zugleich zeigt, dass die
Richtung, in der er zu erfolgen hat, durch die vorliegenden
Sätze der Thermodynamik in jeder Hinsicht eindeutig vor-
geschrieben ist.
§ 381. Wie für zwei unabhängige Bestandtheile in zwei
Phasen aus der allgemeinen Beziehung (153) die Gleichgewichts-
bedingungen (170) und (171) abgeleitet wurden, so lässt sich
System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheilen, 195
ganz auf dem entsprechenden Wege auch für den allgemeinen
Fall die nämliche Ableitung ausfuhren.
Hier soU zum Schluss nur kurz das Resultat angeführt
werden, welches sich auf diese Weise für ein System von cc un-
abhängigen Bestandtheilen in ß Phasen ergibt.
Bezeichnet man die Concentrationen der einzelnen unab-
hängigen Bestandtheile in den einzelnen Phasen, bezogen auf
einen bestimmten, mit 1 bezeichneten Bestandtheil, entsprechend
den Gleichungen (162), mit:
M/
- '
n^'
- '
M,'
/
M,'
= ^2'
M,'
^sy
M,'
C4,
• • ■
Af,"
„ "
M,"
. /. "
m:'
^ "
•
= ^2 ,
• ■ •
• •
•
• •
• •
• •
• • •
• • •
so lautet die Bedingung dafür, dass bei irgend einer mit dem
Zustand des Systems vorgenommenen unendlich kleinen Ver-
änderung: d&j dp, dc^j dc^y dc^y . . . dc^\ ^^s» ^^4'? • • • •
das Gleichgewicht gesichert bleibt gegen den Uebertritt des
Bestandtheils 1 aus der eingestrichenen Phase in die zwei-
gestrichene Phase:
Dabei ist analog (165):
und r^ und s^ bedeuten die Wärmezufuhr bez. die Volumen-
änderung des Systems bei dem isothermischen und isopiestischen
Uebertritt der Masseneinheit des Bestandtheils 1 aus einer grossen
Quantität der eingestrichenen Phase in eine grosse Quantität
der zweigestrichenen Phase (vgl. § 221).
So lässt sich für jeden möglichen Uebertritt irgend eines
Bestandtheils aus irgend einer Phase in irgend eine andere Phase
die entsprechende Gleichgewichtsbedingung aufstellen.
13
Q*
196 Anw&ndwngen auf spezielle Okichgewichtsxustände.
IV. Capitel. Gasförmiges System.
§ 383. Die Beziehungen, welche wir bisher für die ver-
schiedenen Eigenschaften thermodynamischer Gleichgewichts-
zustände aus der allgemeinen Gleichgewichtsbedingung (79) her-
geleitet haben, beruhen im Grunde auf der Abhängigkeit der
für das Gleichgewicht bei gegebener Temperatur und gegebenem
Druck charakteristischen Funktion <I> von Temperatur und Druck,
wie sie in den Gleichungen (150) ausgedrückt ist. Eine voll-
ständige Beantwortung aller auf das Gleichgewicht bezüglichen
Fragen ist aber erst dann möglich, wenn (I> auch in seiner Ab-
hängigkeit von den Massen der in den einzelnen Phasen des
Systems vorhandenen Bestandtheile angegeben werden kann, und
hiezu dient die Einführung des Molekulargewichts. Wir haben
schon jßrüher, bei der Besprechung der Eigenschaften idealer
Gase, sowohl das Molekulargewicht eines chemisch homogenen
Gases, als auch die Molekülzahl einer Gasmischung aus dem
AvoGADEo'schen Satze definirt, und wenden uns daher hier zu-
nächst der Untersuchung eines Systems zu, welches eine einzige
gasförmige Phase vorstellt.
Die Aufgabe ist vollständig gelöst, wenn es gelingt, die
Funktion in ihrer Abhängigkeit von den unabhängigen Variabein,
nämlich der Temperatur &, dem Druck p und den Zahlen
Wj, Wgj n^, ... aller in der Mischung vorhandenen verschieden-
artigen Moleküle anzugeben.
Da nach (75) allgemein:
SO läuft die Aufgabe darauf hinaus, die Entropie S, die Energie
U und das Volumen F einer Gasmischung als Funktion der
obigen unabhängigen Variabein auszudrücken. Dies lässt sich
nun ganz aUgemein bewerkstelligen, wenn wir die Voraussetzung
einführen, dass für die Mischung die Gesetze idealer Gase gelten,
— eine Beschränkung, die in vielen Fällen keinen erheblichen
Fehler bedingen wird. Will man sich von ihr frei machen, so
muss man durch besondere Messungen, wie sie weiter unten an-
gegeben sind, die Werthe der Grössen S^ ü und V ermitteln.
Hier wollen wir aber die Annahme idealer Gase festhalten.
Gasförmiges System, 197
§ 338. Was zunächst das Volumen V der Mischung be-
trifft, so ist dieses durch das Boyle-Gay LussAC-DALTON'sche
Gesetz bestimmt. Denn nach Gleichung (16) ist
^ = ^K + «3 + • • • • ) = y 2' **! • (1^1)
Die Energie U einer Gasmischung femer ergibt sich aus
den Energieen der einzelnen getrennten Gase mit Hilfe des ersten
Hauptsatzes der Wärmetheorie. Denn nach diesem bleibt die
Energie eines Systems unverändert, wenn keinerlei äussere
Wirkungen auf dasselbe ausgeübt werden, einerlei welche innem
Veränderungen dabei eintreten. Lässt man nun eine beliebige
Anzahl von Gasen, die auf eine gemeinsame Temperatur ß- und
auf einen gemeinsamen Druck p gebracht sind, bei constant ge-
haltener Temperatur und Druck ineinander diffundiren, so lehrt
die Erfahrung, dass dann weder das Volumen des Systems sich
ändert, noch Wärme von Aussen aufgenommen wird. Folglich
ist dabei das mechanische Aequivalent der äusseren Wirkungen
gleich Null, und die Energie des Systems behält ihren Anfangs-
werih bis zur voUständigen Beendigung des Diffusionsprozesses
unverändert bei. Daher ist die Energie einer Mischung idealer
Gase gleich der Summe der Energieen der einzelnen Gase, bei
der nämlichen Temperatur und dem nämlichen Druck genommen.
Die Energie U^ eines einzelnen idealen Gases mit der Molekül-
zahl n^ ist aber nur abhängig von der Temperatur, nämlich
nach (35):
ü^=n^Kß + \), (192)
wobei G^^ hier die Molekularwärme des Gases bei constantem
Volumen, h^ eine Constante bedeutet. Folglich ist die Gesammt-
energie der Mischung:
^=2^i(S'^ + ^)- (193)
§ 334. Es handelt sich nun noch um die Bestimmung der
Entropie S einer Gasmischung als Funktion von ß-^ p und den
Molekülzahlen Wj, n^j ... Soweit S von ß und p abhängt, lässt
es sich aus ü und V berechnen mittelst der Gleichung (60):
, c» <i ü + pdV
dS= ^ ,
wobei die Differentiale sich nur auf Aenderungen von ß und /?,
nicht aber auf solche der Molekülzahlen beziehen.
198 Anwendungen auf spezielle OleiehgewioJäszttstände.
Nun ist nach (193):
dU=^n^Cy^d&
und nach (191):
^
dF= R y^n.d
c/.S= > //, 6V^ - + - ---
Folglich durch Substitution:
dr'^ . Ed& Rdp'
P
und durch Integration:
(194) ^^ = y^n, [c,^ log /> + /?log^) + C.
Die Integrationsconstante G ist unabhängig von »9- und />,
wohl aber kann sie noch von der Zusammensetzung der Mischung,
d. h. von den Molekülzahlen n^, n^, ... abhängen, und die Unter-
suchung dieser Abhängigkeit bildet den wichtigsten Theil unserer
Aufgabe. Die Bestimmung von C kann nicht einfach auf dem
Wege einer Definition erfolgen, sondern nur durch die Anwen-
dung des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie auf irgend
einen bekannten reversibeln Prozess, der eine Aenderung in der
Zusammensetzung der Mischung herbeiführt. Denn bei einem
reversibeln Prozess ändert sich nach dem zweiten Hauptsatz die
Entropie des Systems in ganz bestimmter Weise, und durch die
Berücksichtigung der gleichzeitig eintretenden Aenderungen der
Molekülzahlen lässt sich die Abhängigkeit der Entropie von der
Zusammensetzung der Mischung ermitteln. Wir werden den
Prozess derart wählen, dass während desselben keinerlei Ein-
wirkungen von Aussen, weder Arbeitsleistung noch Wärmezufuhr,
stattfinden; dann bleibt die Entropie des Systems während des
ganzen Prozesses constant. Den oben zur Bestimmung der
Energie U der Gasmischung benutzten Diffusionsvorgang können
wir aber hier nicht verwerthen; denn derselbe ist, wie sich schon
vermuthen lässt und im § 238 zeigen wird, irreversibel, und
gestattet daher von vorneherein nur die eine Folgerung, dass
die Entropie des Systems durch ihn vergrössert wird. Dagegen
bietet sich dar als ein reversibler Prozess, durch welchen die
Zusammensetzung der Mischung geändert wird, die Behandlung
der Gasmischung mittelst einer semipermeabeln Wand, wie sie
schon oben § 229 eingeführt und begründet wurde.
Oasförmiges System. 199
§ 235. Damit ein mit einer semipermeablen Wand ausge-
führter Prozess für den genannten Zweck nutzbar wird, muss
man zuerst wissen, welcher Art das thermodynamische Gleich-
gewicht ist, das auf beiden Seiten einer Wand besteht für eine
Gasart, welche die Wand durchdringen kann; für jede andere
Gasart besteht natürlich keine besondere Gleichgewichtsbedingung,
da sich hiefiir die Wand wie eine gewöhnliche verhält.
Hier liefert nun die Erfahrung den einfachen Satz, dass
jede Gasart, für welche eine Wand permeabel ist, sich dann
auf beiden Seiten im Gleichgewicht befindet, wenn ihr Partial-
druck (§ 18) auf beiden Seiten gleich ist, ganz unabhängig von
den übrigen auf beiden Seiten anwesenden Gasarten. Dieser
Satz ist weder selbstvei'ständlich noch nothwendig bedingt durch
das Vorhergehende, er leuchtet aber durch seine Einfachheit
unmittelbar ein und hat sich auch in den allerdings wenig
zahlreichen Fällen, die eine direkte Prüfung gestatten, überall
bestätigt
Eine solche Prüfung, die zu einer augenfälligen Folgerung
führt, lässt sich z. B. folgendermassen anstellen. Glühendes
Platinblech ist permeabel für Wasserstoff, dagegen impermeabel
für atmosphärische Luft. Füllt man also ein Gefäss, dessen
Wandung an einer Stelle aus Platinblech besteht, mit reinem
Wasserstoff, etwa unter Atmosphärendruck, und schliesst es dann
vollkommen ab, so muss, wenn das Platinblech ins Glühen ge-
bracht wird, der innen befindliche Wasserstoff in die äussere
Luft, also entgegen dem Atmosphärendruck, hinausdiffundiren,
und zwar offenbar so lange, bis er vollständig aus dem Gefäss
entwichen ist. Da nun andrerseits die Luft nicht hineindringen
kann, so wird schliesslich das Gefäss gänzlich evakuirt sein.^
* Diese Folgerung habe ich im Winter 1882/Ö3 im physikalischen
Institut der Universität München experimentell geprüft und, soweit es die
unvermeidlichen Abweichungen von den idealen Voraussetzungen erwarten
Hessen, bestätigt gefunden. Da über diesen Versuch bisher nichts ver-
öffentlicht wurde, so mag eine kurze Beschreibung hier Platz finden. Ein
gerades Glasrohr von etwa 5 """ lichtem Durchmesser, in der Mitte zu
einem kleinen Ballon ausgebaucht, war am einen Ende mit einem Glas-
hahn versehen; an das andere Ende war als Verlängerung mit Siegellack
angekittet ein 10 ^'° langes Platinröhrchen, nacli Innen offen, nach Aussen
geschlossen. Mit der Quecksilberluftpumpe wurde die ganze Röhre durch
den Hahn evakuirt und mit Wasserstoff unter gewöhnlichem Druck ge-
200 Anwendungen auf spezielle Ohichgefunchtsx/ustänäe.
§ 386. Wir wollen nun die besprochene Eigenschaft der
semipermeablen Wände benutzen, um auf reversiblem Wege, in
möglichst einfacher Weise, die Bestandtheile eines Gasgemisches
von einander zu trennen. Betrachten wir daher folgenden Fall.
In einem Hohlcylinder seien im Ganzen 4 Stempel vorhanden,
zwei davon: Ä und Ä\ fest, die beiden andern: B und By be-
weglich, doch so, dass der Abstand BB constant gleich dem
Fig. 5.
Abstand Ä Ä gehalten wird, wie in der Fig. 5 durch die beiden
Klammern angedeutet ist. Ä, der Boden, und B^ der Deckel
des ganzen Gefässes, seien beide für alle Stoffe undurchdringlich,
dagegen A und B semipermeabel, und zwar A permeabel nur
für ein gewisses Gas (i), B permeabel nur für ein anderes Gas {2\
Oberhalb 7? sei und bleibe der Raum evakuirt.
fallt, hierauf der Hahn geschlossen und nun unter das geschlossene Ende
des horizontal gelegten PlatinrÖhrchens ein Bunsenbrenner gestellt, wodurch
die das Kohr abschliessende Platinkuppe ins Glühen kam. Um das Siegel-
lack nicht durch Erwärmung zum Erweichen zu bringen, wurde die Lack-
stelle beständig von dem Strahl der Wasserleitung umspült. Nach etwa
4 Stunden wurde der Apparat abgenommen, auf Zimmertemperatur gebracht,
und der Hahn unter Quecksilber geöffnet. Das Quecksilber stieg rapid in
die Höhe und füllte die Köhre fast gänzlich aus, — ein Beweis, dass sie
bis zu einem gewissen Grade evakuirt war.
Gasförmiges System. 201
Anfänglich befinde sich der Stempel B bei Ä, also B bei Ä,
und in dem Zwischenraum eine Mischung der Gase (i) und (2).
Nun werde der Stempel B und mit ihm auch B' unendlich lang-
sam gehöben. Das Gas (7) strömt in den zwischen B und A
sich öfinenden Eaum, das Gas {2) in den zwischen B und Ä
sich öfinenden Eaum. Wenn B" bei Ä angekommen ist, sind
die beiden Gase gänzlich von einander getrennt.
Berechnen wir zunächst die während des Prozesses geleistete
äussere Arbeit. Auf den einen beweglichen Stempel B wirkt,
da der obere Kaum evakuirt ist, nur der Druck des Gases (/),
und zwar nach oben, auf den anderen beweglichen Stempel B
wirkt nur der Partialdruck des ersten Gases in der Mischung, nach
unten. Nach dem vorigen Paragraphen ist aber der erstere Druck
dem letzteren im Gleichgewicht gerade gleich, und da andrer-
seits die beiden Stempel B und B gleiche Wege zurücklegen,
so ist die gesammte auf die Stempel ausgeübte Arbeit gleich
Null. Wenn nun, wie wir weiter annehmen wollen, auch keine
Wärme von Aussen zugeleitet wird, so bleibt nach dem Energie-
princip die Energie des Systems constant, und da die Energie
sowohl der einzelnen Gase als auch der Mischung nach (193)
nur von der Temperatur abhängt, so bleibt auch die Temperatur
des Systems allenthalben constant.
Der unendlich langsam ausgeführte Prozess ist reversibel;
also ist, beim Fehlen jeglicher äusserer Einwirkung, die Entropie
im Anfangszustand gleich derjenigen im Endzustand, d. h. die
Entropie der Mischung ist gleich der Summe der Entropieen der
beiden Einzelgase, wenn ein jedes bei der nämlichen Temperatur
das ganze Volumen der Mischung allein einnimmt Dieser Satz
lässt sich leicht verallgemeinem auf eine Mischung beliebig vieler
Gasarten: „Die Entropie einer Gasmischung ist gleich der Summe
der Entropieen der Einzelgase, wenn ein jedes bei der näm-
lichen Temperatur das ganze Volumen der Mischung allein ein-
nimmt." Er wurde zuerst von Gibbs aufgestellt.
§ 337. Für die Entropie eines einzelnen idealen Gases von
der Masse M und dem Molekulargewicht m hatten wir früher
in (52) gefunden:
Ml— log i^- H log «? + const.) ,
indem wir hier c^ nicht auf die Masse 1, sondern, ebenso wi^
202 Anwendungen auf spezielle Oleiehgewichtsx/ustände,
oben in (192), auf die Masse eines Moleküls: m beziehen. Nach
den Gasgesetzen (14) ist v, das Volumen der Masseneinheitr
R &
m p '
und daher die Entropie, für die Molekülzahl n =
971
(195) « (c„ log ,9- + /? log I + ä) ,
wobei das Glied mit log in die Constante k einbegriffen ist.
Somit liefert der GiBBs'sche Satz für die Entropie der ganzen
Mischung:
'^ = 2^1 (^^'. log '^ + ^^ log J + ^i) '
p^ ist dabei der Druck der ersten Gasart, wenn sie allein das
ganze Volumen der Mischung einnimmt, d. h. der Partialdruck
der ersten Gasart in der Mischung.
Da nun nach (8) die Summe aller Partialdrucke : i?^ +i>2+ • • •
den Gesammtdruck p der Mischung darstellt, und ferner nach
§ 40 die Verhältnisse der Partialdrucke mit den Verhältnissen
der Molekülzahlen übereinstimmen:
so ist
^1
p — . p
oder, wenn wir der Einfachheit halber von jetzt ab die Con-
centrationen der einzelnen Molekülarten in der Mischung
einführen:
(196) 0, = -—:^^, c, = ,, «'
Pl =CiP, P2=(^2P " '
Daher ergibt sich schhesslich die Entropie der Mischung
in der gesuchten Form als Funktion von ß-, p und den Molekül-
zahlen n in folgender Weise:
(197) Ä = 2«i {% log ^ + iJ log ^ + *i) •
Gasförmiges System, 203
Durch Vergleichung dieses Ausdrucks mit dem in (194) für die
Entropie der Mischung gefundenen Werth ergibt sich die Grösse
der damals unbestimmt gebliebenen Integrationscon^tanten:
C = 2 ^1 (^1 - ^ log cj . (198)
§ 338. Nachdem einmal der Werth der Entropie einer Gas-
mischung festgestellt ist, lässt sich auch die oben § 234 berühi*te
Frage beantworten, ob und in welchem Betrage die Entropie
eines Systems von Gasen durch Diffusion vergrössert wird.
Nehmen wir den einfachsten Fall, dass 2 Gase, mit den Molekül-
zahlen n^ und Wg, auf gleiche Temperatur iS- und gleichen Druck
p gebracht, ineinander diffundiren, indem die Temperatur und der
Druck constant gehalten wird. Vor Beginn des Prozesses ist
dann die Entropie des Systems gleich der Summe der Entropieen
der getrennten Gase, also nach (195)
Wj (^C^^ log &+ R\0g^+ Ä^ j + ^2 (^Cr, log l? + ÄlOg I + k^j .
Nach Beendigung des Diffusionsvorganges ist die Entropie der
Mischung nach (197)
n^ [g,^ log ,7- + i? lüg ^ + k^ + n^ (c,^ log »V- + Älog ^ + k^ .
Also die Aenderung der Entropie des Systems;
— n^ E log Cj — n^R log o^ ,
Das ist mit Rücksicht auf (196) eine wesentlich positive Grösse,
woraus folgt, dass die Diffusion immer irreversibel ist.
Zugleich ersehen wir, dass die durch Diffusion bedingte
Vermehrung der Entropie nur von den Molekülzahlen n^ und n^
der diffundirenden Gase, nicht aber von ihrer Natur, z. B. ihrem
Molekulargewicht, abhängt. Es macht also in Bezug auf die
Entropievermehrung durch Diffusion garkeinen Unterschied, ob
die Gase sich chemisch mehr oder weniger „ähnlich'^ sind.
Nimmt man nun beide Gase identisch, so wird offenbar die
Entropievermehrung Null, weil man dann überhaupt keine Zu-
standsänderung erhält. Daraus folgt, dass der chemische Unter-
schied zweier Gase, und überhaupt zweier Substanzen, nicht
durch eine stetig veränderliche Grösse dargestellt werden kann,
sondern dass man hier nur von sprungweisen Beziehungen: ent-
weder von Gleichheit oder von Ungleichheit, reden kann. In
204 Anwendwng&n auf spezielle Gleichgetmchtsxitstände.
diesem Umstand liegt ein principieller Gegensatz zwischen che-
mischen und physikalischen Eigenschaften begründet, da die
letzteren immer als stetig veränderlich anzusehen sind.
§ 389. Mittelst der gefundenen Werthe der Entropie S
(197), der Energie U{193) und des Volumens V (191) der Gas-
mischung ergibt sich die gesuchte Funktion aus (75) zu:
<^ = 2«i (««. logt^ + Ä log -f- + k,- c. - -*■ - r)
oder, wenn man zur Abkürzung die nur von i^- und p, nicht
aber von den Molekülzahlen abhängige Grösse:
(199) c,, log ,9^ - ^A + i^iog J + Ä;, - c„, - Ä = (p,
setzt:
* = 2^1(91 -^logcj.
§ 240. Nun können wir zur Aufstellung der Gleichge-
wichtsbedingung schreiten. Wenn in der Gasmischung eine
chemische Aenderung möglich ist, derart dass die Molekülzahlen
n^, n^, ... sich gleichzeitig um Sn^, Sn^, ... ändern, so besteht
nach (79) gegen diese Aenderung Gleichgewicht, wenn für S& =
und Sp =
<)«) =
oder:
(200) 2(^1 - RlogG,)Sn, + 2^1 S{(p - Rlogc,) = 0.
Da die Grössen ^j, qpg, ... nur von ih und p abhängen, so ist
(J (p^ =z 3 q)^ = . . . = 0. Ferner haben wir:
Wj Slogc^ + n^ Slogc^ + ... = — ^Cj + - Sc.^ + . . .
und nach (196):
= (^^+7^2+ • • • ) (^^1 + ^^2 + . . . ) = 0,
da Cj + Cg + . . . constant = 1 .
Daher bleibt von der Gleichgewichtsbedingung übrig:
2(9^1 - R\ogG^)Sn^ = 0.
Da es in dieser Gleichung nicht auf die absoluten Werthe der
unendlicli kleinen Variationen Sn^y sondern nur auf deren Ver-
hältnisse ankommt, so setzen wir:
(201) 8n^:8n.^', ... z= v^w^: ...
Gasförmiges System, 205
und verstehen unter v^, v^, ... die bei der gedachten chemischen
Veränderung sich gleichzeitig umsetzenden Molekülzahlen: ein-
fache ganze, positive oder negative Zahlen, je nachdem die betr.
Molekülart bei der Veränderung sich bildet oder verbraucht
wird. Dann erhalten wir als Gleichgewichtsbedingung:
2(<3Pi -ii^ log Ci) 1^1 = 0,
oder:
V, logc, + V, logc,+ . . . = "■ '^' + y + • • -- .
Die rechte Gleichungsseite hängt nach (199) nur von Tempe-
ratur und Druck ab ; also ergibt die Gleichung eine bestimmte Be-
ziehung zwischen den Concentrationen der verschiedenen Molekül-
arten, falls p und d- gegeben sind.
§ 241. Wir wollen nun noch die Werthe der Grössen
(p^, 9?2 • • • ^^^^ einfuhren. Setzt man zur Abkürzung die Con-
stanten:
vihi+ vtht +_^. _ j ^ ^202)
"^-'^^-t^J'p.t ■■ ■ = , (203)
Xh
SO ergibt der Werth von <p^ u. s.w. aus (199) als Gleichgewichts-
bedingung:
v^logc^ +v^logG^+ . . . = loga + (^1 + «'s + • • • )log- - ^ + clogi9',
oder:
h
Cj*'i c/« . . . = a[-| 6 "^ &^.
§ 242. Diese Gleichung vereinfacht sich noch, wenn man
den Erfahrungssatz {§ 50) einfuhrt, dass die Atomwärme eines
chemischen Elements in seinen verschiedenen Verbindungen den
nämlichen Werth hat. Denn nach Gleichung (203) bedeutet
das Produkt Rc die Aenderung, welche die Summe der Molekular-
wärmen aller Moleküle des Systems: n^c^ + n^c^^+ ... durch
die angenommene chemische Eeaktion erfährt. Da nun die
Summe der Molekularwärmen gleich ist der Summe der Atom-
wärmen, so ist nach dem obigen Satz diese Aenderung gleich
Null, mithin c = 0, und die letzte Gleichung wird:
206 Anwendungen auf spezielle Oleichgevrichtszitstände.
h
V^V'^... =ae ^(-j
§ 348. Der Einfluss des Druckes p auf den Gleichgewichts-
zustand hängt hienach lediglich ab von der Zahl v^ + i/g + . . . ,
welche angibt, in welchem Grade die Gesammtzahl der Mole-
küle, also auch das Volumen der Mischung, durch die betrachtete
chemische Aenderung vergrössert wird. Bleibt das Volumen
ungeändert, wie in dem unten behandelten Beispiel der Disso-
ciation von Jodwasserstoflfgas, so ist der Gleichgewichtszustand
unabhängig vom Druck.
Der Einfluss der Temperatur wird ausserdem noch von der
Constante b bedingt, welche in engem Zusammenhang steht mit
der durch den chemischen Vorgang bedingten Wärmetönung.
Denn nach dem ersten Hauptsatz der Wärmetheorie ist die
Wärmemenge, welche bei einer unendlich kleinen Zustands-
änderung dem System von Aussen zuzuführen ist:
Q=dU+pSV
und nach (193) und (191), da t? und p ungeändert bleiben:
Beziehen wir die Wärmetönung, anstatt auf die unendlich kleinen
Zahlen Sn, nach (201) auf die einfachen ganzen Zahlen v, so
ergibt sich für die von Aussen zuzuführende endliche Wärme-
menge:
und nach (202) und (203), wenn wieder c = gesetzt wird:
r = Rb + R&{v^+v^+ . . .)
und in Calorieen nach (34):
r = 1,97 ' (b + {v^+ v^+ ...)&) ca\.
Das Glied mit b entspricht der für die Vergrösserung der inneren
Energie, das mit ^ der für die äussere Arbeit aufzuwendenden
Wärme.
§ 244. Bevor wir zu einigen numerischen Anwendungen
übergehen, stellen wir zur besseren üebersicht die Haupt-
gleichungen noch einmal zusammen.
Gasförmiges System. 207
Sei in einem gasförmigen System:
n^m^, n^m^, ^3^3? • •
(n die Molekülzahlen, m die Molekulargewichte) irgend eine
chemische Aenderung möglich, bei welcher die gleichzeitigen
Molekülzahländerungen betragen:
(v einfache ganze, positive oder negative Zahlen),
SO besteht Gleichgewicht gerade gegen diese Aenderung, wenn
die Concentrationen:
^ »1 + W, + ?28 + . . . ' 2 ^^ 4. ,,^ 4. ^^ 4. _ /
der Bedingung genügen:
c/i W' •••=«« *
(-J)— ••• (204)
Die beim Eintritt der durch die Werthe der v bezeichneten
Aenderung bei constanter Temperatur und Druck von Aussen
aufzunehmende Wärme ist:
r = 1,97 (b + {v^+v^+ . . . ) &) cal. (205)
während die gleichzeitig eintretende Volumenänderung beträgt:
s = R(v,+v^+,..)^. (206)
§ 245. Dissociation von Jodwasserstoff. Da Jodwasser-
stoflfgas sich bis zu gewissem Grade in Wasserstoff und Jod-
dampf spaltet, so wird das System dargestellt durch drei Arten
von Molekülen:
n^EJ , W2H2, ^3^2-
Die Concentrationen sind:
Die chemische Aenderung besteht darin, dass zwei Moleküle HJ
in ein Molekül H2 und ein Molekül J^ übergehen; also:
1/, = - 2 1/, = 1 «'3 = 1 •
208 Anwendungen auf spezielle Qleichge/wichtszusiände.
Dann ist nach (204) im Gleichgewichtszustand:
Cj""^ 63^63^= ae ^
oder:
^•^ = ^J?» = ae'"^. (207)
Da die im ganzen System vorhandene Anzahl der WasserstoflF-
atome (Wj + 2 n^ und ebenso die der Jodatome (n^ + 2 Wj) als
bekannt vorausgesetzt wird, so genügt diese eine Gleichung, um
bei gegebener Temperatur alle drei Grössen w^, n^ und n^ zu
bestimmen. Der Druck hat hier garkeinen Einfluss auf das
Gleichgewicht.
Zur Berechnung der Constanten a und h können irgend zwei
Messungen des Dissociationsgrades dienen. Nach den während
der Correctur dieser Blätter veröffentlichten Messungen von
Bodenstein ist für die Temperatur
1?- = 273 + 448 = 721 ^ = 0,01984
und für die Temperatur
i9^ = 273 + 350 = 623 ^'^i = 0,01494.
Daraus ergibt sich nach Gleichung (207):
a = 0,120 5 = 1300.
Hiedurch ist der Gleichgewichtszustand in irgend einer Mischung
von Jodwasserstoff, Wasserstoff und Joddampf, auch wenn Wasser-
stoff und Jod nicht in äquivalenten Mengen zugegen sind, für
jede Temperatur nach (207) numerisch bestimmt Nach (205)
ist die Dissociationswärme bei der Zersetzung von zwei Mole-
külen Jodwasserstoff in je ein Molekül Wasserstoff und Jod-
dampf:
r = 1,971 • 1300 = 2560 cal.
§ 246« Dissociation von Joddampf. Bei höheren Tempe-
raturen zersetzt sich Joddampf merklich, und man erhält hiefür
folgendes aus zwei Molekülarten bestehendes System:
^1 J2 > ^2 J-
Die Concentrationen sind:
__ fi^ __ n^
Oasßrmiges System, 209
Die chemische Umwandlung besteht in der Spaltung eines
Moleküls Jg in zwei Moleküle J, also:
^1 = - 1 ^2 = 2
und im Gleichgewichtszustand ist nach (204)
b'
c -1 c 2 = -r""'^, = ae '^ • ^ . (208)
Zur Bestimmung von a und b' benutzen wir die Angaben von
Fr. Meieb und Cbafts, dass flir ^ = 728 °^™ Quecksilber die
Menge des zersetzten Joddampfes dividirt durch die Gesammt-
menge des Dampfes:
^ "^ =0,145 bei i9^ = 273 + 940 =1213
= 0,662 „ i9- = 273 + 1390 = 1663 .
Daraus ergibt sich, wenn der Druck p in Millimetern Quecksilber
gemessen wird: ,
a'=9375 6'= 14690
und damit das Dissociationsgleichgewicht für beliebige Tempera-
turen und Drucke.
Die Dissociationswärme eines Jodmoleküls beträgt nach (205):
r = 1,97 • (14690 + iJ-) = 28 900 + 1,97 & cal.
Wie man sieht, hat bei diesen Temperaturen die äussere lÄxbeit,
die das Glied mit i9 bedingt, schon einen erheblichen Einfluss ;
sie beträgt für 1500® (i9- = 1773) schon 3500 cal., wodurch die
Dissociationswärme wird:
r = 32 400 cal.
§ 247. Stufenweise Dissociation. Da nach der Gleichung
(208) auch für tiefere Temperaturen die Concentration der ein-
atomigen Jodmoleküle niemals Null wird, sondern stets einen
endlichen, wenn auch kleinen Werth behält, so muss man, genauer
genommen, die Zersetzbarkeit des Joddampfs auch schon in
dem § 245 behandelten Falle, bei der Dissociation des Jod-
wasserstoflfgases, berücksichtigen. Praktisch wird dies auf die
dort gegebenen Zahlen keinen erheblichen Einfluss haben, doch
sei hier wegen des principiellen Interesses die theoretisch strengere
Lösung der Aufgabe auch noch durchgeführt.
Das System besteht dann aus vier Molekülarten:
fi^UJ, ngHg, WgJg, W.4J.
Planck, Thermodynamik. 14
210 Anwendungen auf spe^elle Okichgeicnchtsxttstände.
Die Concentrationen sind:
Co = : : , C^ =
Hier sind nun zwei Arten von chemischen Umwandlungen mög-
lich, nämlich:
1. |/j=— 2 ^2~ ^ ^3=1 «^4=0
2. i//=0 1^2'= <=-! <=2
Gleichgewicht gegen jede der beiden Umwandlungen ist vor-
handen, wenn nach (204):
b'
2. c/»' c/^' c,»'»' c/*' = -*- = -^ ^*— - ^ = a' r "^ • - ,
1^3* ßg ^(ni + Wj + WgH- n4) p'
wobei die Constanten a, 5, a', 5' die oben berechneten Werthe
haben. Da die Gesammtzahl der im System vorhandenen Wasser-
atoflEatome {n^+ 2n^) und ebenso die der Jodatome {nj^ + 2n^+ nj
als bekannt vorausgesetzt *wird, so hat man im Ganzen vier
Gleichungen zur eindeutigen Bestimmung der vier Grössen
^i> ^> »*8> ^4-
§ 248. Aus der allgemeinen Gleichgewichtsformel (204)
ersieht man, dass bei endlicher Temperatur und endlichem Druck
keine der Concentrationen c jemals gleich Null sein kann, oder
mit anderen Worten, dass die Dissociation niemals eine voll-
ständige ist, aber auch niemals ganz verschwinden kann; es
finden sich in dem System stets Moleküle von allen möglichen
Arten in endlicher, wenn auch vielleicht sehr geringer Anzahl
vor. So muss z. B. im Wasserdampf bei jeder Temperatur auch
etwas Knallgas, wenn auch nur spurweise, vorhanden sein (vgl.
unten § 259). Bei vielen Erscheinungen spielt natürlich dieser
Umstand keine Bolle.
V. Capitel. VerdGnnte Lösungen.
§ 249. Zur Bestimmung der für das thermodynamische
Gleichgewicht charakteristischen Funktion O in ihrer Abhängig-
Verdürmte Lösungen, 211
keit von der Temperatur &y dem Druck p und den Zahlen n
aller verschiedenen Molekülarten in einem System, welches be-
liebig viele unabhängige Bestandtheile in beliebig vielen Phasen
enthält^ kann man genau denselben Weg einschlagen^ der uns
bei der Untersuchung einer einzigen gasformigen Phase im
vorigen Capitel zum Ziele gefuhrt hat. Zunächst wird durch
geeignete Messungen das Volumen V und die Energie ü einer
einzehien Phase bestimmt, daraus dann gemäss der Definition
(60) die Entropie S dieser Phase berechnet, und somit alle
Grössen gewonnen, aus denen nach (75) zusammengesetzt ist.
Durch einfache Addition über alle Phasen erhält man dann
schliesslich die Funktion des ganzen Systems.
Angesichts der mangelnden Vollständigkeit der bisherigen
Messungen lässt sich aber gegenwärtig diese Rechnung, ausser
für eine gasformige Phase, nur durchfuhren für eine verdünnte
Lösung, d. h. für eine Phase, in welcher die Anzahl einer be-
stimmten Art von Molekülen weitaus überwiegt über die Anzahl
aller übrigen in der Phase vorhandenen Molekülarten. Die so
ausgezeichnete Molekülart nennen wir von jetzt an das Lösungs-
mittel (vgl. dagegen § 220), die übrigen Molekülarten die ge-
lösten Stoffe. Bezeichnet also n^ die Molekülzahl des Lösungs-
mittels, Wj, Wg, ^3 . . . die Molekülzahlen der gelösten Stoffe, so
ist die Lösung dann als verdünnt anzusehen, wenn n^ gross ist
gegen jede der Zahleü n^, n^, n^ ... Der Aggregatzustand
der Lösung ist vollkommen gleichgültig, sie kann fest, flüssig
oder gasformig sein.
§ 350. Berechnen wir nun, gemäss dem geschilderten
Plane, zunächst die Energie U und das Volumen V einer ver-
dünnten Lösung. Die wichtige Vereinfachung, welche die soeben
angeführte Definition einer verdünnten Lösung zur Folge hat,
beruht auf dem mathematischen Satze, dass eine endliche, stetige
und diflFerentiirbare Funktion mehrerer Variabein, welche sehr
kleine Werthe haben, noth wendig eine lineare Funktion dieser
Variabein ist. Dadurch wird die Art der Abhängigkeit der
Grössen U und V von Wq, Wj, Wg, ... von vorneherein angebbar.
Physikalisch gesprochen heisst dies, dass die Eigenschaften einer
verdünnten Lösung, ausser von den Wirkungen der Moleküle
des Lösungsmittels unter sich, nothwendig nur von den Wechsel-
wirkungen zwischen den Molekülen des Lösungsmittels einerseits
14*
212 Anwendungen auf spexieUe Oleichgewichtszusiände,
und den Molekülen der gelösten Stoffe andrerseits, nicht aber
von den Wirkungen der gelösten Stoffe untereinander abhängen
können; denn diese letzteren sind klein von höherer Ordnung,
§ 251. In der That: Betrachten wir zunächst die Energie
U der Lösung und bilden den Quotienten von U und n^, der
Molekülzahl des Lösungsmittels. Da U nach dem allgemeinen,
in § 201 aufgestellten Satze eine homogene Funktion ersten
TT
Grades der Molekülzahlen darstellt, so bleibt der Quotient —
ungeändert^ wenn sämmtliche Molekülzahlen w^,, Wj, Wg . . . in
gleichem Verhältniss verändert werden, d. h. dieser Quotient
ist eine Funktion der Verhältnisse — , — , ... Nun sind aber
alle diese Verhältnisse kleine Zahlen, folglich ist die Funktion,
die wir als differentiirbar voraussetzen, eine lineare, und daher
von der Form:
U , Wi , w, ,
— = Uq + u^— +U2- + . . . ,
wobei die Grössen w^, u^, u^, ... nicht von den Molekülzahlen,
sondern nur von der Temperatur &, dem Druck p und der
Beschaffenheit der in der Lösung vorhandenen Molekülarten ab-
hängen, und zwar u^ nur von der Beschaffenheit des Lösungs-
mittels (denn für ti^ = = Wg = . . . reducirt sich die Energie auf
%Uq) femer u^ nur von der Beschaffenheit der ersten gelösten
Molekülart und der des Lösungsmittels, u^ nur von der Be-
schaffenheit der zweiten gelösten Molekülart und der des Liösungs-
mittels, u. s. w. Uq entspricht also den Wechselwirkungen der
Moleküle des Lösungsmittels unter sich, u^ denjenigen zwischen
dem Lösungsmittel und den gelösten Molekülen erster Art, u^
denjenigen zwischen dem Lösungsmittel und den gelösten Mole-
külen zweiter Art, u. s. w. Hiemit ist zugleich ein Einwurf
widerlegt, welcher der neueren Theorie verdünnter Lösungen zu
wiederholten Malen gemacht worden ist, dass sie nämlich die
verdünnten Lösungen einfach wie Gase behandle und keine
Rücksicht nehme auf den Einfluss des Lösungsmittels.
§ .253. Wenn die Verdünnung nicht hinreichend ist, um
diese einfachste Form der Funktion U zu rechtfertigen, so kann
man genauere Beziehungen erhalten, wenn man die Entwicklung
nach der TAYLOß'schen Eeihe noch weiter fortsetzt:
Verdünnte Lösungen, 213
dann erhält man in den Coeffizienten w^j, w^^, ^22 • • • • auch
den Einfluss der Wechselwirkungen der gelösten Molekülarten
untereinander. Dies dürfte in der That der einzige gangbare
Weg sein, um zu einer rationellen thermodynamischen Theorie
von Lösungen beliebiger Concentration zu gelangen.
§ 253« Wir wollen hier jedoch bei der einfachsten i'orm
stehen bleiben und schreiben:
U= n^ Uq + /Jj Wj + ^2 ^ + • • •
Ganz ebenso:
^=% ^'0 + ^h h + ^2 '^'2 + • • •
(209)
Inwieweit diese Gleichungen den Thatsachen entsprechen,
lässt sich aus den Folgerungen entscheiden, zu denen sie fuhren.
Eine derselben soU hier ausfuhrlicher besprochen werden. Ver-
dünnt man die Lösung noch weiter, indem man ihr ein Molekül
des Lösungsmittels von demselben Aggregatzustand wie die
Lösung zusetzt, und hält dabei den Druck p und die Temperatur
& constant, so lässt sich mittelst der letzten Gleichungen die ein-
tretende Volumenänderung und Wärmetönung berechnen.
Ein Molekül des reinen Lösungsmittels, immer bei der
nämlichen Temperatur und dem nämlichen Druck genommen,
besitzt das Volumen v^ und die Energie u^. Nach vollzogener
Verdünnung ist nun das Volumen der Lösung geworden:
und die Energie ist geworden:
^= K+ l)Wo+nj Wj+ n2W2+ • • •
Die durch die Verdünnung * bewirkte Volumendilatation erhält
man, wenn man die Summe des ursprünglichen Volumens V der
Lösung und des Volumens Vq eines Moleküls reinen Lösungs-
mittels subtrahirt von dem schliesslichen Volumen V\ Also:
d. h. die Volumendilatation ist gleich Null. Die von Aussen lu-^
geführte Wärme ergibt sich nach dem ersten Hauptsatze (47)
gleich:
214 Anwendungen auf spezielle GfleichgewichtsxMstände.
u--{u+u„)+p{v'-{r+v,))
und verschwindet ebenfalls.
Bei diesen Schlüssen ist torausgesetzt, dass bei der Ver-
dünnung die Molekülzahlen der gelösten Stoffe n^, n^, ... un-
geändert bleiben, d. h. dass durch den Verdünnungsprozess keine
chemischen Aenderungen der gelösten Stoffe (z. B. Aenderungen
des Dissociationsgrades) bewirkt werden. In einem solchen Falle
würden in den Gleichungen für LT und V die Molekülzahlen
der gelösten Stoffe andere Werthe haben als in denen für U
und V, und daher bei der Subtraktion nicht fortfallen. Daher
lässt sich folgender Satz aussprechen: Eine verdünnte Lösung
besitzt die Eigenschaft, dass eine weitere Verdünnung, die ohne
chemische Aenderung der gelösten Stoffe verläuft, weder merk-
liche Volumenänderung noch merkUche Wärmetönung hervorruft,
oder mit anderen Worten: Jede Volumenänderung oder Wärme-
tönung, die eine verdünnte Lösung bei weiterer Verdünnung
zeigt, muss einer chemischen Umwandlung unter den Molekülen
der gelösten Stoffe zugeschrieben werden.
§ 354. Gehen wir nun weiter zur Berechnung der Entropie
*S' einer verdünnten Lösung. Nach (60) ist für constante Molekül-
zahlen /^Q, Wj, Wg . . . .
d.^=- >
und nach (209):
ri ^ — ^ ^^o±pdvo u,+ pdv^ u^-hpdv^
a A^ — n^ ~ — -f- n^ ^ -|- n^ ^ h ....
Da nun die u und v nur von & und p, nicht aber von den n
abhängen, so müssen die Coeffizienten von w^, n^, n^ .... auch
einzeln vollständige Differentiale sein, d. h. es muss gewisse nur
von />- und p abhängige Grössen s geben, derart dass
^.. _ ^0+ Pdr^
6,,- ^ -
(210) { !"■ ^
j If^-h p dVq
Dann ist:
(211) S = nQS^,-{- n^s^+n^s^i- + G,
Verdürmte Lösungen, 215
wobei die Integrationsconstante C nicht von ß- und p, wohl aber
von den Molekülzahlen abhängen kann.
Wenn man daher den Werth von G für irgend eine spezielle
Temperatur und einen speziellen Druck in seiner Abhängigkeit
von den Molekülzahlen n^, n^, n^ ... kennt, so ist dieser Werth
zugleich auch der allgemeine Ausdruck von G für beliebige
Temperaturen und Drucke.
Nun wollen wir für den speziellen Fall, dass die Tempe-
ratur gross und der Druck klein ist, G als Funktion der n be-
rechnen. Bei gehöriger Steigerung der Temperatur und ge-
höriger Erniedrigung des Druckes wird die Lösung, welchem
Aggregatzustand sie ursprünglich auch angehören mag, jedenfalls
vollständig in den gasformigen Zustand übergehen. Dabei werden
in Wirklichkeit zugleich chemische Aenderungen eintreten, d. h.
die Molekülzahlen n werden sich verändern; wir wollen aber
den Vorgang derartig voraussetzen, dass alle Molekülzahlen un-
geändert bleiben, weil nur dann auch die Grösse G ihren Werth
behält. Ein solcher Prozess ist nur in idealem Sinne ausführ-
bar, da er durch labile Zustände hindurchführt; allein es steht
seiner Benutzung hier nichts im Wege, weil der obige Ausdrück
von S nicht allein für stabile Grleichgewichtszustände, sondern
für alle Zustände Giltigkeit besitzt, welche durch ganz beliebige
Werthe der Variabein iS-, p, n^, n^, n^ . , , charakterisirt sind.
Der stabile öleichgewichtszustand geht ja aus diesen Zuständen
erst durch eine weitere, unten aufzustellende Bedingung als
spezieller Fall hervor.
Da bei genügend erhöhter Temperatur und erniedrigtem
Druck jedes gasformige System eine so geringe Dichte annimmt,
dass man es als Mischung idealer Gase betrachten kann (§21
und § 43), so haben wir hieflir nach (194), unter Berücksichtigung
des Umstandes, dass hier die erste Molekülart mit dem Index
bezeichnet ist:
5 = /i,(ö,„logi> + i?log^) + 7i,(c„^logi> + i?log^)+...+(7 (212)
wobei G, unabhängig von i^- und p, den in (198) angegebenen
Werth hat. Durch Vergleichung mit (211) erkennt man, dass der
Ausdruck von S durch blosse Temperatur- und Druckänderungen
nur dann aus (211) in (212) übergehen kann, wenn die Grösse G
in beiden Ausdrücken dieselbe ist, d. h. wenn nach (198)
216 Antoendungen auf spezielle Gleiehgeunchtszustände.
O = % iK - ÄlogCo) + »1 (A4 - Bloge^) +
Dabei ist k^, k^, A ^ . . . constant und die Concentrationen sind:
C« = r C, =
® »0+w, 4-/1,4- ...' ^ n^+n,4-n2 4- ...*
Somit wird aus (211) die Entropie einer verdünnten Lösung bei
beliebiger Temperatur und Druck:
(213) S = n^(s^ + k^ - Rlog e^) + n^{s, + k, - R\ogc^)+ ...
Setzen wir noch zur Abkürzung die nur von & und p, nicht
aber von den Molekülzahlen n abhängigen Grossen:
(214)
, , Mo 4- p »0
*i + ^1 ^ — - Vi
*'2 "T" '^2 Ä ~ ^ ^2
SO wird schliesslich aus (75), (213) und (209)
(2lö) ^=%((Po-B^ogCQ)+n^((p^-^mogc^)+n^((p^-'Rlogc^)+ . . .
und damit sind die thermodynamischen Eigenschaften einer ver-
dünnten Lösung bestimmt.
§ 255. Wir können nun sogleich übergehen zur Aufstellung
der Gleichgewichtsbedingung für ein aus verschiedenen Phasen
bestehendes System. Was zunächst die Bezeichnung betrifft, so
wollen wir, wie bisher, die verschiedenen Molekülarten innerhalb
einer Phase durch Zahlenindices, die verschiedenen Phasen aber,
wie im dritten Capitel, durch beigefügte Striche unterscheiden,
wobei der Einfachheit halber die erste Phase ganz ohne Striche
bleiben solL Dann wird das ganze System dargestellt durch
das Symbol:
(216^ I ^®^^' ^^^^' ^2^>--- + W> W]'»»i'j Vw/, ...
l + ^0" ^0 f 'h' ^"' + . . . .
Die Molekülzahlen sind mit n, die Molekulargewichte mit m be-
zeichnet, und die einzelnen Phasen sind durch + Zeichen von
einander getrennt. In den allgemeinen Formeln deuten wir die
Summirung über die verschiedenen Molekülarten in einer und
derselben Phase durch Anschreiben der einzelnen Summenglieder
Verdünnte Lösungen. 217
an, die Summirung über verschiedene Phasen dagegen durch
das Zeichen 2-
Um nun die abgeleiteten Formeln anwenden zu können,
wollen wir voraussetzen, dass jede Phase entweder eine Mischung
idealer Gase, oder eine verdünnte Lösung darstellt Letzteres
triflEt auch dann zu, wenn die Phase überhaupt nur eine einzige
Molekülart enthält, wie z. B. ein chemisch homogener fester
Niederschlag aus einer flüssigen Lösung. Denn eine einzige
Molekülart stellt den speziellen Fall einer verdünnten Lösung
dar, in welcher die Cöncentrationen aller gelösten Stoflfe gleich
Null sind.
§ 356. Gesetzt nun, es sei in dem System (216) eine iso-
thermisch -isopiestische Aenderung möglich, derart, dass die
Molekülzahlen w^, Wj, Wg, . . ., n^y w^', n^, .... sich gleichzeitig
um Sn^y Sn^j Sn^, . . ., Sn^, Sn^', Sn^, . . . ändern; dann be-
steht nach (79) gegen das Eintreten dieser Aenderung Gleich-
gewicht, wenn für constant gehaltenes 0- und p
oder nach (215):
^{(pQ-Rlogc^8nQ+[(p^-E\ogG^)Sn^+{(f^-R\ogG^)8n^+..,
(Die Sommationen 2 ^ber alle Phasen des Systems erstreckt.)
Die zweite Reihe verschwindet identisch aus denselben Gründen,
die oben, im Anschluss an die Gleichung (200), entwickelt
wurden. Führen wir ferner wieder die einfachen ganzzahligen
Verhältnisse ein:
ön^^ : Ön^ : Ön^ : . . . : Sn^ : Sn^' : ^'^2'
= 1^0 : Vj : 1^2 • • • • • ^0' • ^1' • ^2' • • • • (^^'^)
80 lautet die Gleichgewichtsbedingung:
oder:
S^ologCo + ^logCj + 1/3 log C2 + ... =^2^oyo + «'i9^i + --
= log^. (218)
K hängt, ebenso wie die Grössen ffo» V^if V2> • • •> ^icht von den
Molekülzahlen n ab.
218 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtszustände.
§ 257, Die Abhängigkeit der Grösse K von & und p er-
gibt sich aus ihrer Definition:
dp ~ Ä-^^o dp ^^^ dp ^^'^ dp ^ '"
Nun ist nach (214) für irgend eine unendlich kleine Aenderung
von ?9- und p:
»9^0 = ^*o ^ 1 -^2 — »'^»
folgUch nach (210):
d^Pi) = — ^2- -d^t ^- ,
und daraus:
ö^o _ ^ ^0 + p^i^, dq^ = _ ?o
d& &' ' dp ^*
Ebenso:
ö> "■ ^^ ' dp ^ &'
Daher ergibt sich:
Bezeichnen wir nun mit s die Volumenvergrösserung des Systems,
mit r die von Aussen zugeführte Wärme, wenn bei constanter
Temperatur und Druck die Aenderung (217) vor sich geht, so
ist nach dem Werthe von V in (209):
und nach dem ersten Hauptsatz der Wärmetheorie:
^' = 2K ^0+ ^1 «*! + • • • ) + jpK ^0+ ^1 ^1 + • • •)
Folglich:
/oiQx dlogK _ r
(220) d\ogK_ s
dp R&'
Der Einlluss der Temperatur auf die Grösse K und mithin auf
die Bedingung des Gleichgewichts gegen eine bestimmte chemische
Reaktion wird also durch die bei dieser Reaktion eintretende
Wärmetönung, der Einfluss des Druckes durch die entsprechende
Verdünnte Lösungen, 219
Volumenänderung des Systems geregelt. Geht die Reaktion ganz
ohne Wärmetönung vor sich, so hat die Temperatur garkeinen
Einfluss auf das Gleichgewicht; verursacht sie keine Volumen-
änderung des Systems ; so hat der Druck keinen Einfluss auf
das Gleichgewicht (vgl § 211).
Die früheren Gleichungen (205) und (206) sind spezielle
Fälle der letzten beiden Gleichungen, wie man sogleich erkennt,
wenn für log K der durch Vergleichung von (218) und (204)
hervorgehende spezielle Werth:
h ^
log-K'=loga — ^ + (1/1+^2+ --Olog-
gesetzt wird.
§ 258. Mittelst der Gleichung (218) lassen sich für ein
chemisch veränderliches System so viel Gleichgewichtsbedingungen
aufstellen, als Arten von Veränderungen möglich sind, wobei
natürlich jedesmal die Grösse K einen anderen Werth hat. Dies
entspricht ganz den Forderungen der allgemein gültigen Gibbs-
schen Phasenregel (§ 204). Denn man muss die Zahl der im
System vorhandenen Molekülarten wohl unterscheiden von der
Zahl der unabhängigen Bestandtheile des Systems (§ 198). Nur
die letztere ist für die Bestimmung der Anzahl und Art der
möglichen Phasen entscheidend^ während die Zahl der Molekül-
arten bei der Anwendung der Phasenregel garkeine EoUe spielt.
Denn durch Einführung einer neuen Molekülart wird zwar die
Zahl der Variabein vermehrt, dafür wächst aber auch die Zahl
der im System möglichen chemischen Umwandlungen und damit
auch die der Gleichgewichtsbedingungen in demselben Betrage,
so dass die Anzahl der unabhängigen Variabein davon ganz un-
berührt bleibt.
§ 259. Die Gleichung (218) lehrt ferner, dass, vom allge-
meinen Standpunkte aus betrachtet, alle im ganzen System über-
haupt möglichen Molekülarten auch in jeder einzelnen Phase in
endlicher Zahl vertreten sein müssen, dass z. B. in einem aus
einer wässrigen Lösung ausgefallenen festen Niederschlag immer
auch Wassermoleküle vorkommen, ja dass sogar bei der Be-
rührung fester Körper, sobald man nur hinreichend lange wartet,
eine theilweise Auflösung des einen in dem andern eintritt.
Denn die für das Gleichgewicht maassgebende Grösse K besitzt
nach ihrer Definition (218) für jede überhaupt mögliche chemische
220 Anwendungen auf spezielle Gleichgewichts^iiMstände,
Veränderung einen bestimmten im Allgemeinen endlichen Werth,
und es kann daher nach der Gleichung (218) keine der Con-
Centrationen o genau gleich Null werden, solange Temperatur
und Druck endlich bleiben. Diese durch die Thermodynamik
bedingte prinzipielle Auffassung hat sich schon nach yerschiedenen
Seiten hin fruchtbar gezeigt, wie z. B. in der Erklärung der
Thatsache, dass weder ein Gas, noch eine Flüssigkeit^ noch auch
ein fester Körper jemals vollständig von den letzten Spuren
fremder gelöster Stoffe befreit werden kann. Aus ihr folgt auch,
dass es im absoluten Sinne keine semipermeable Wand geben
kann. Denn unter allen Umständen wird sich mit der Zeit die
Substa^iz der Wand mit jedem der in einer angrenzenden Phase
befindlichen Stoffe sättigen, und daher auch jeden Stoff nach
der anderen Seite wieder abgeben (vgl. § 229).
Andrerseits wird durch die genannte Auffassimg die Be-
rechnung der thermodynamischen Eigenschaften einer Lösung
beträchtlich complicirt, da man, um sicher zu gehen, von vorne-
herein immer alle bei den gegebenen Bestandtheilen überhaupt
möglichen Arten von Molekülen als in der Lösung wirklich vor-
handen annehmen muss, und erst dann Vernachlässigungen ein-
treten lassen darf, wenn man sich durch eine besondere Unter-
suchung überzeugt hat, dass einzelne Molekülarten in ihr nicht
in merklichem Maasse vorkommen. Auf diesen Punkt ist wahr-
scheinlich in vielen Fällen eine scheinbar auftretende Nicht-
übereinstimmung der Theorie mit der Erfahrung zurückzufuhren.
Es sollen nun einige der wichtigsten speziellen Fälle näher
besprochen werden. Die Anordnung ist in erster Linie nach
der Zahl der unabhängigen Bestandtheile des Systems (§ 198),
in zweiter nach der Zahl der Phasen eingerichtet
§ 260« Ein unabhängiger Bestandtheil in einer Phase.
Nach der Phasenregel hängt der innere Zustand der Phase von
zwei Variabein ab, also z. B. von der Temperatur iS- und dem
Druck p. Dabei kann die Phase beliebig viele Molekülarten
enthalten. So wird eine Quantität flüssiges Wasser ausser den
einfachen HjO-Molekülen auch Doppel- und mehrfache Moleküle,
ferner Moleküle Hg und Og, auch HgOg, femer geladene Ionen
+ -
H, HO und 0, u. s. w. in endlichem Betrage enthalten. Die
elektrischen Ladungen der Ionen spielen in der Thermodynamik
Verdünnte Lösungen. 221
keine besondere Rolle, solange nicht die elektrischen Kräfte mit
den thermodynamischen in CoUision gerathen, was nur und immer
dann eintritt, wenn die thermodynamische Gleichgewichtsbedingung
eine Vertheilung der Ionen in den verschiedenen Phasen des
Systems verlangt, bei welcher vermöge der unveränderlichen
Ladungen der Ionen freie Elektricität im Innern einer Phase
auftreten müsste. Einem solchen Zustande widersetzen sich die
elektrischen Kräfte mit grosser Stärke, und es tritt eine Ab-
weichung von dem rein thermodynamischen Gleichgewicht ein,
welche andrerseits durch entstehende Potentialdiflferenzen zwischen
den betr. Phasen compensirt wird. Eine allgemeine Uebersicht
über diese elektromolekularen Erscheinungen lässt sich gewinnen,
wenn man die Werthe der Entropie und der Energie des Systems
durch Hinzufügung elektrischer Glieder verallgemeinert. Doch
beschränken wir uns hier auf die Betrachtung unelektrischer
Zustände, und brauchen daher garkeine Rücksicht zu nehmen
auf die elektrischen Ladungen der Ionen, die wir einfach wie
andere Moleküle behandeln.
In dem vorliegenden Falle sind also die Concentrationen
sämmtlicher Molekülarten durch i9* und p bestimmt. Eine Be-
rechnung der Concentrationen ist bisher nur für die Ionen
+ -
H und HO gelungen (die Zahl der 0- Ionen ist dagegen zu ver-
nachlässigen) und zwar u. A. durch die Messung der elektrischen
Leitfähigkeit der Lösung, die allein von den Ionen herrührt.
Nach KoHLRAuscH und Heydweilleb ist der Dissociationsgrad
des Wassers, d. h. das Verhältniss der Masse des in Ionen
+
H und HO gespaltenen Wassers zu der Gesammtmasse des
Wassers bei 18^ Gels.:
14,3.10-1^.
Diese Zahl stellt zugleich das Verhältniss der Zahl der dissociirten
Moleküle zu der Gesammtzahl der Moleküle vor. Die Thermo-
dynamik gestattet die Abhängigkeit der Dissociation von der
Temperatur zu berechnen.
Stellen wir die Bedingung des Gleichgewichtszustandes auf.
Das Symbol des Systems ist nach (216):
+
w^HgO, Wj H, 7^2 HO.
222 Anwendungen auf spezielle Oleiehgewichiszv^tcmde.
Die Gesammtzahl der Moleküle sei n =^nQ+ n^+ n^^ die Con-
centrationen der einzelnen Molekülarten demnach:
Wo Wi Wj
" » ' In' * »
Die in Betracht kommende chemische Umwandlung:
besteht in der Dissociation eines Moleküls H^O in je ein Mole^
+
kül H und HO, also:
i/o=-l «'1 = 1 v^-=l'
Also ist nach (218) im Gleichgewichtszustand:
- logco+ logCi+ logC2= logZ
oder, da c^ = c^ und c^ nahezu = 1
2 log Cj = log K.
Dies ergibt für die Abhängigkeit der Concentration c^ von der
Temperatur nach (219):
r, die für die Dissociation eines Moleküls HgO in die Ionen
+
H und HO nöthige Wärmezufuhr, ist nach Arrheniüs gleich
der Wärmetönung bei der Neutralisation einwerthiger starker
Basen und Säuren in verdünnter wässriger Lösung, also nach
den Messungen von J. Thomsen bei mittleren Temperaturen
annähernd:
4045000 T
r — — cal.
Daraus folgt mit ßeduktion der cal. auf absolutes Maass nach (34):
d log C i __ J^ 40 45 000
Integrirt:
, 4045000 1 513000 , ,
Cj= G-e
519000
Verdünnte Lösungen. 223
Der Werth der Constanten C ergibt sich aus der oben für 18®,
also ß- = 291, angeführten Zahl für den Dissociationsgrad:
r.^ = c^= 14,3-10-1«
als: C= 6,1 -10-7
und damit auch der Dissociationsgrad für jede beliebige Temperatur.
Derselbe befindet sich in guter üebereinstimmung mit der bei
verschiedenen Temperaturen gemessenen elektrischen Leitfähig-
keit des reinen Wassers. Erst für den absoluten Nullpunkt der
Temperatur verschwindet die Dissociation und mit ihr die Leit-
fähigkeit, während sie mit wachsender Temperatur nicht etwa
über alle Grenzen wächst, sondern nur bis zu einem bestimmten
durch die Constante G ausgedrückten Maximum.
§ 261. Ein unabhängiger Bestandtheil in zwei oder in
drei Phasen. Das Wesentlichste dieser Fälle ist schon früher
im zweiten Capitel und in den §§ 205 — 207, sowie § 213 be-
handelt worden.
§ 262. Zwei unabhängige Bestandtheile in einer Phase
(Lösung eines Stoffes in einem homogenen Lösungsmittel). Nach
der Phasenregel ist ausser dem Druck und der Temperatur noch
eine Variable beliebig, z. B. die in 1 Liter Lösung enthaltene
Zahl der Moleküle des gelösten Stoffes, wie sie unmittelbar ge-
messen wird. Dann ist die Concentration jeder einzelnen Molekül-
art bestimmt, mag sie durch Dissociation, durch Association,
durch Hydratbildung oder durch Hydrolyse der gelösten Moleküle
entstehen. Betrachten wir zunächst den einfachen Fall eines
binären Elektrolyten, z. B. Essigsäure in Wasser. Das Symbol
des Systems ist nach (216):
Die Gesammtzahl der Moleküle sei:
** = ^0+ ^1+ ^2+ ^3 (nahe gleich 7*^).
Die Concentrationen sind:
__Wo _**1 —^ — ^
^0--^» ^1-^' ^^-^^ ^8""7r*
Die einzige thatsächlich in Betracht kommende Umwandlung
v^w^w^w^ =^ (i n^\ 8 n^\ 8 yi^\ 8 n^
224 Anwendungen auf spezielle Oleichgeunchtsxitstände,
besteht in der Dissociation eines Moleküls H^C^Oj in seine beiden
Ionen, also
Daher ist nach (218) im Gleichgewichtszustand:
- log Cj + log Cj+ log 63= log K
oder, da c^^ c^,
c«
(222) 7- = ^•
Nun ist als bekannt anzusehen die Summe:
da die Gesammtzahl {n^ + n^) der undissociirten und dissociirten
Säuremoleküle und auch die Gesammtzahl n^ der Wasser-
moleküle, welche = n gesetzt werden kann, direkt gemessen
wird. Daher lassen sich 0^ und c^ aus den letzten beiden
Gleichungen berechnen. Es folgt daraus för die Concentrationen
Cj und Cg der undissociirten und der dissociirten Moleküle, im
Verhältniss zu der Gesammtconcentration c:
^ = — ^- = 1- — fi/l + i£- il
Mit wachsender Verdünnung, also abnehmendem c wächst, das
e,
Verhältniss - in bestimmter Weise bis gegen 1, d. h. bis zur
vollständigen Dissociation, und daraus ergibt sich för die elek-
trische Leitfähigkeit einer Lösung von gegebener Concentration
das zuerst von Ostwald aufgestellte sogenannte Verdünnungs-
gesetz der binären Elektrolyte, welches in zahlreichen Fällen
durch die Erfahrung bestätigt worden ist (vgl. aber § 259).
Auch die Abhängigkeit des Dissociationsgrades von der Tem-
peratur ergibt sich hier in ganz ähnlicher Weise wie in § 260
durch Berücksichtigung der bei der Dissociation aufkretenden
Wärmetönung. Umgekehrt lässt sich aus der Veränderlichkeit
der Dissociation mit der Temperatur die Dissociationswärme be-
rechnen, wie zuerst von Ajubhbnius gezeigt wurde.
§ 363. Gewöhnlich wird in der Lösung eines Stoffes nicht
eine einzige, sondern eine grosse Anzahl von chemischen Re-
Verdünnte Lösv/ngen» 225
aktionen möglich sein^ und dementsprechend enthält das voll-
ständige System eine lange Eeihe von Molekülarten. Wir wollen
hier beispielsweise noch den Fall eines Elektrolyten behandeln,
der sich auf verschiedene Weise in Ionen spalten kann, nämlich
eine wässerige Lösung von Schwefelsäure.
Das System ist nach (216):
Die Gesammtzahl der Moleküle ist:
w = Wq + Wj + ^2 + % + ^*4 (nahe gleich n^).
Die Concentrationen sind:
Wo n^ n^ Wg _ ^4
^0-^^ ^i-n' ^3-^^ ^3-^^ ^4-7^-
Hier kommen zwei verschiedenartige Umwandlungen:
in Betracht, nämlich erstens die Spaltung eines Moleküls H3SO4
+ -
in die Ionen H und HSO^:
1/^ = i/i = -l 1/2 = 1 ^3 = 1 ^4 = 0,
+ --
zweitens die Spaltung eines Ions HSO^ in die Ionen H und SO^ :
^0 = 1^1=0 1/2 = 1 ^3=-l «'4 = 1-
Daher gelten nach (218) im Gleichgewichtszustand die beiden
Bedingungen:
- log Cj + log C2+ log 63= log K
log C2- log C3+ log 04= log e:
oder:
/•_ /»
= K,
C% Cg
Cx
^2 ^4 __ 1^
<^8
Hiezu kommt noch die Bedingung, welche ausspricht, dass
in der Gesammtmenge des gelösten Stoffes die Zahl der SO^-
Eadikale (Wj + n^+ %) halb so gross ist als die der H- Atome
{2n^+ n2+ n^)] denn sonst enthielte das System mehr als zwei
unabhängige Bestandtheile. Diese Bedingung lautet:
2 C4 + Cg = ^2 .
Planck, Thermodynamik. 15
226 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtszustände.
Endlich ist als gegeben anzusehen die Gesammtmenge der ge-
lösten Schwefelsäure, also
Die letzten vier Gleichungen ergeben für die vier Concentrationen
Cj, Cg, Cg, c^ bestimmte Werthe, wodurch der Gleichgewichts-
zustand gefunden ist.
Für eine genauere Rechnung müsste man in der Lösung
jedenfalls noch andere Molekülarten berücksichtigen. Jede neue
Molekülart bedingt eine neue Unbekannte, aber auch eine neue
Art der Umwandlung und daher eine neue Bedingung für das
Gleichgewicht, so dass der Gleichgewichtszustand eindeutig be-
stimmt bleibt.
§ 264. Zwei unabhängige Bestandtheile in zwei Phasen.
Nach der Phasenregel ist der Gleichgewichtszustand durch zwei
Variable, etwa Temperatur und Druck, bestimmt. Zur besseren
Uebersicht über dies weite Gebiet von Erscheinungen empfiehlt
es sich, hier zwei Fälle zu unterscheiden, je nachdem nur eine
der beiden Phasen beide Bestandtheile in merklichen Mengen
enthält, oder beide Phasen beide Bestandtheile enthalten.
Nehmen wir zunächst den einfacheren Fall, dass die eine
(erste) Phase beide Bestandtheile, die andere (zweite) Phase da-
gegen nur einen einzigen Bestandtheil enthält. Genau ge-
nommen ist nach § 259 diese Voraussetzung niemals zutreffend,
aber sie genügt doch in sehr vielen Fällen bis auf unmessbar
kleine Fehler den beobachtbaren Thatsachen. Die Anwendung
der allgemeinen Gleichgewichtsbedingung (218) auf diesen Fall
führt auf ganz verschiedene Gesetze, je nachdem der in der
zweiten Phase isolirt vorkommende Bestandtheil in der ersten
Phase als gelöster Stoff oder als Lösungsmittel (§ 249) auftritt.
Wir scheiden daher den Fall noch in zwei Unterabtheilungen.
§ 265. Der in der zweiten Phase isolirt vorkommende Be-
standtheil bildet in der ersten Phase den gelösten Stoff. Ein
Beispiel dafür ist die Absorption eines Gases, z. B. Kohlensäure,
in einer Flüssigkeit von verhältnissmässig unmerklich kleiner
Dampfspannung, z. B. Wasser bei einer nicht zu hohen Temperatur.
Das Symbol des aus zwei Phasen bestehenden Systems ist
nach (216):
n,ll,0, n^CO^+VCO,.
Verdünnte Lösungen, 227
Die Concentrationen der einzelnen Molekülarten des Systems in
den beiden Phasen sind:
''o~no^-7^,' ''i-no+n,' ''o-^^'-A.
Die in Betracht kommende Umwandlung:
VqIV^: Vq = SnQ : Sn^ : Sn^
besteht hier in der Verdampfung eines Moleküls Kohlensäure
aus der Lösung, also:
Die Gleichgewichtsbedingung (218):
Vq log Co + v^ log Cj + v^ log Gq = log E:
wird daher hier:
-.logCi=logZ (223)
d. h. bei bestimmter Temperatur und Druck (wodurch K be-
stimmt ist) ist auch die Concentration g^ des Gases in der
Lösung bestimmt. Die Aenderung der Concentration mit Druck
und Temperatur ergibt sich durch Substitution der letzten
Gleichung in die Gleichungen (219) und (220). Es folgt daraus:
(224)
(225)
8 ist die bei der isothermischen und isopiestischen Verdampfung
eines Moleküls COj eintretende Volumenzunahme des Systems,
r die dabei von Aussen eintretende Wärmemenge. Da nun s
nahezu das Volumen eines Moleküls gasformiger Kohlensäure
darstellt^ so kann man nach (16) angenähert setzen:
s =
P
und die Gleichung (224) ergibt:
ÖlogCj _ 1
dp p '
Integrirt:
logCj= logp + const.
oder: c^=G-p, (226)
15*
d log Cj
dp
• —
1 s
R'&
d leg Ci
d&
1 r
R&^'
228 Anwendungen auf spezielle Oleichgewiohtszusiände.
d. h. die Concentration des gelösten Gases ist proportional dem
Druck des freien Gases über der Lösung (Gesetz von Henby).
Der Proportionalitätsfaktor C, der ein Maass für die Löslichkeit
des Gases abgibt, hängt noch von der Temperatur ab; in welcher
Weise, lehrt die Gleichung (225), die mit (226) combinirt ergibt:
ölog ^ __ __ 1 ^
Erfolgt also die Verdampfung des Gases aus der Lösung unter
Wärmezufuhr von Aussen, so ist r positiv, und die Löslichkeit
nimmt mit steigender Temperatur ab. Umgekehrt lässt sich aus
der Veränderlichkeit von G mit der Temperatur die Wärme-
tönung r bei der Absorption berechnen. Es ergibt sich:
B&^ d G
G d&'
Nach den Versuchen von Naccaei und Paguani ist bei 20^ C.
(t9'=293) die Löslichkeit von Kohlensäure in Wasser, ausgedrückt
in einer Einheit, auf die es hier nicht wesentlich ankommt:
0,8928, und ihr Temperaturcoeffizient: — 0,02483 und daher,
mit Berücksichtigung von (34):
1,971 . 293« . 0,02483 .„^n i
r = — TTT^T^iTTT- = 4700 cal.
0,8928
Thomsen fand für die Wärmetönung bei der Absorption eines
Moleküls Kohlensäure in Wasser 5880 cal. Der Fehler liegt
(nach Nehnst) wohl auf Seite der Messung des Löslichkeits-
coeffizienten.
Von dem ganzen Betrage der Wärmetönung entfällt nach
(48) der Theil:
R& oder 1,97-293 = 586 cal.
auf die äussere Arbeit.
§ 366. Ein weiteres hieher gehöriges Beispiel ist die
Sättigung eines flüssigen Lösungsmittels mit einem schwer-
löslichen Salze, z. B. Bemsteinsäure in Wasser. Das Symbol
dieses Systems ist nach (216):
wenn man von der geringen Dissociation der Säure in der
Lösung absieht. Die Berechnung des Gleichgewichtszustandes
ergibt genau in der nämlichen Bezeichnung wie in (223):
Verdünnte Lösungen, 229
— logCj=logZ,
also bestimiiit durch Temperatur und Druck; femer nach (219):
r==^R^2^-^. (227)
Mittelst dieser Gleichung berechnete zuerst vai^'t Hoff r aus der
Lösüchkeit der Bernsteinsäure bei 0« (2,88) und bei 8,5® (4,22).
Es ist dann nahezu:
öbgci ^ log4,22- log 2,88 _ q 04494 .
d & 8,5 '
Daraus folgt für ^9- = 273 in Calorieen:
r = - 1,971 . 2732.0,04494 = -- 6600 cal.
d. h. beim Ausfällen eines Moleküls fester Substanz aus der
Lösung werden 6600 cal. nach Aussen abgegeben. Bebthelot
fand dagegen als Lösungswärme 6700 cal.
Betrachtet man r als von der Temperatur unabhängig, was
in manchen Fällen in erster Annäherung gestattet sein wird,
so lässt sich die Gleichung (227) nach & integriren und liefert:
log <^i = ;ß^ + const.
§ 367. Die Beziehung (227) zwischen der Lösungswärme
und dem Temperaturcoeffizienten der Löslichkeit wird ungültig,
wenn das Salz in der Lösung eine merkliche chemische Umbildung,
z. B. Dissociation, erleidet. Dann sind in der Lösung neben den
normalen Molekülen auch dissocürte vorhanden, wie z. B. in
folgendem System von Wasser und Silberacetat:
+ -
n^R^O, WiAgHgCaOg, n^Ag, n^R^C.fi^+ n^'Agll^C^O^.
Hier ist die Gesammtzahl aller Moleküle in der Lösung:
n = nQ+ n^+ n^+ n^ (nahe gleich w^^) ,
dann sind die Concentrationen der einzelnen Molekülarten in
beiden Phasen:
^o-^J ^i-"n' ^»""w' ^3-«' «""<"■
Die möglichen Umwandlungen:
230 Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände.
bestehen erstens in der Ausfällung eines Moleküls Silberacetat
aus der Lösung;
^0=0, 1^1= -1, 1^2=0, 1^3=0, V=l,
zweitens in der Dissociation eines Moleküls Silberacetat:
^0=0 1^1= -1 v^^l i/g^ 1 V=0.
Es gelten also nach (218) die beiden Gleichgewichtsbedingungen:
erstens : — log c^ = log K,
zweitens : — log c^ + log c^ + log Cg = log K'
oder, da 03=^3
e.^
d. h. bei bestimmter Temperatur und Druck ist erstens die Con-
centration c^ der undissociirten Moleküle in der mit dem Salz ge-
sättigten Lösung eine ganz bestimmte, und die Concentration c^
der dissociirten Moleküle bestimmt sich zweitens aus der der un-
dissociirten Cj nach dem schon oben unter (222) abgeleiteten Disso-
ciationsgesetz eines Elektrolyten. Da nun durch die Messung der
Löslichkeit der Werth von c^+ c^, durch die Messung der elek-
trischen Leitfähigkeit der Lösung aber der Werth von c^ ge-
funden wird, so lassen sich hieraus die Grössen K und K' für
irgend eine beliebige Temperatur berechnen. Ihre Abhängigkeit
von der Temperatur liefert dann nach (219) ein Maass einerseits
für die bei der Ausfällung eines undissociirten Moleküls aus der
Lösung, andrerseits für die bei der Dissociation eines gelösten
Moleküls auftretende Wärmetönung, und daraus ergibt sich nach
Jahn eine Methode, um aus der gemessenen Löslichkeit des
festen Salzes und der gemessenen Leitfähigkeit der gesättigten
Lösung bei verschiedenen Temperaturen die wirkliche Lösungs-
wärme des Salzes zu berechnen, d. h. die Wärmetönung, die
eintritt, wenn ein Molekulargewicht des festen Salzes aufgelöst
und ausserdem der Bruchtheil — - — in seine Ionen dissociirt
Cl + C2
wird, sowie es dem thatsächlichen Lösungsvorgang entspricht.
§ 268. Der in der zweiten Phase isolirt vorkommende Be-
standtheil bildet in der ersten Phase das Lösungsmittel. Dieser
Fall findet sich immer dann verwirklicht, wenn sich aus einer
Lösung beliebigen Aggregatzustandes das reine Lösungsmittel in
Verdünnte Lösungen. 231
einem anderen Aggregatzustand, z. B. durch Gefrieren, Ver-
dampfen, Schmelzen, Sublimiren, ausscheidet Der allgemeine
Typus eines solchen aus zwei Phasen bestehenden Systems ist
nach (216):
n^niQ, n^m^, n^m^, %m^, + Vm^',
wobei noch oflfen gelassen ist, ob das Lösungsmittel in den
beiden Aggregatzuständen gleiches oder verschiedenes Molekular-
gewicht besitzt. Die Summe der Molekülzahlen in der Lösung ist:
w = Wjj + Wj + 7*2 + ^3 + • • • • (nahe gleich n^).
Die Concentrationen der einzelnen Molekülarten sind:
c-^ ß-^ c-^ ß' -^' - 1
Eine mögliche Umwandlung:
VqIv^iv^: , . , : Vq = Sn^ : Sn^ : Sn^ :....: SnQ
ist der Austritt eines Moleküls des Lösungsmittels aus der ersten
Phase in die zweite, d. h.
' v,= -l, v,= 0, v,= 0,...v,' = ^,. (228)
Das Gleichgewicht erfordert also nach (218) die Bedingung:
fit —
- logCo + -^logV = logZ
und mit Berücksichtigung der obigen Werthe von Cq und Cq
log ^ = log K.
n
Nun ist: _!L = i 4. ^+ ^+ ^8+
Wo Wo
also, da der Bruch rechts sehr klein ist:
w,+ w,+ n,+ ... _ j^g ^ ^229)
Nach der allgemeinen Definition in (218) ist hier:
oder mit Berücksichtigung der Werthe der v in (228):
W/i
232 Amaendungen auf spexMle Oleiohgewiehtazustände,
Nach dieser Gleichung ist der Ausdruck rechts, oder logiT,
ebenfalls sehr klein.
Nehmen wir einmal den speziellen Fall, dass logK genau
gleich Null wird, d. h. dass die Zahl der gelösten Moleküle
Wj + Wg + ... ganz verschwindet und mithin statt der Lösung das
reine Lösungsmittel vorhanden ist. Dann ist nach (230):
und da (f^ und ff^ nur von d-^ p und der Natur des Lösungs-
mittels abhängen, nicht aber von der Natur der gelösten Stoffe,
so spricht diese Gleichung eine bestimmte Bedingung zwischen
Temperatur und Druck aus, und dies ist in der That die Be-
dingung, welche & und p erfüllen müssen, wenn sich das reine
Lösungsmittel in zwei Aggregatzuständen nebeneinander befindet.
Denn setzt man für cp^ und cp^ die sich aus (214) ergebenden
Werthe ein, so kommt man unmittelbar zu der im zweiten
Capitel abgeleiteten Gleichgewichtsbedingung (101) zurück. Dann
kann man entweder den Druck (Dampfspannung) als abhängig
von der Temperatur, oder die Temperatür (Siedepunkt, Schmelz-
punkt) als abhängig vom Druck betrachten.
Kehren wir nun zu dem allgemeinen Fall zurück, der in
Gleichung (230) ausgesprochen ist. Nach ihr bewirkt jede Auf-
lösung fremder Moleküle w^, n^, n^, ... eine entsprechende Ab-
weichung von der für das reine Lösungsmittel gültigen Beziehung
zwischen Druck und Temperatur, und zwar hängt, wie man sieht,
diese Abweichung lediglich von der Gesammtzahl der gelösten
Moleküle, nicht aber von ihrer Natur ab. Um ihren Betrag in
direkt messbaren Grössen auszudrücken, kann man nach Be-
lieben entweder den Druck p^ einführen, der bei der gegebenen
Temperatur & im System herrschen würde, wenn keine fremden
Moleküle vorhanden wären (Dampfspannungserniedrigung), oder
die Temperatur &q, welche bestehen würde, wenn bei dem ge-
gebenen Druck p keine fremden Molekülarten vorhanden wären
(Siedepunktserhöhung, Schmelzpunktsemiedrigung).
Bedienen wir uns zunächst der zweiten Darstellung, so ist
^ — ^Q sehr klein, und wir können daher setzen:
logZ = ^.(^-^,),
Verdünnte Lösungen. 233
oder nach (219):
Daher nach (229):
oder:
'^- '^0 = I,? • K+ »»2+ "s+ ••••), (231)
wonach die Siedepunktserhöhung aus der Anzahl der gelösten
Moleküle, der Temperatur und der Verdampfungswärme direkt
zu berechnen ist. Da r sich auf die Verdampfimg eines flüssigen
Moleküls bezieht, so ist das Produkt n^ r nur abhängig von der
Masse des flüssigen Lösungsmittels, nicht aber von dem Molekular-
gewicht m^ desselben. Wenn r in Calorieen ausgedrückt wird,
so hat man nach (34) für R 1,97 zu setzen. Z. B. ist für
1 Liter wässriger Lösung unter Atmosphärendruck nahezu
w^r = 1000 • 536 cal., 19-^ = 373, und daher die Siedepunkts-
erhöhung:
o a 1,97.373» , , .
*-'^o=-ioOOV536(^i-^''2+^3+ •••)
= 0,5p -(^^+^2+^3+ . . . . ) Geis.
§ 369. Vergleichen wir nun die für die Siedepunktserhöhung
gefundene Gleichung (231) mit der früher auf Grund allgemeinerer
Voraussetzungen, unabhängig von jeder Molekulartheorie, für
denselben Fall abgeleiteten Beziehung (183). Dieselbe lautete:
^_^^ = ^:^. (232)
Hier bedeutete e nach (162) das Verhältniss der Masse M^ des
gelösten, nicht verdampfenden, Stoffes zu der Masse M^ des
Lösungsmittels, also in der jetzigen Bezeichnung das Verhältniss:
__ nim^-{- n^m^-\- n^m^-\r r23S^
"" Wo Wo
Femer bedeutete r die Verdampfungswärme, bezogen auf die
Masseneinheit des Lösungsmittels, also in der jetzigen Bezeichnung:
- . (234)
Damit geht die Gleichung (232) über in:
rt o __ {ni m^ + W g m^-\- . . . . ) ^'y
" nor
234 Anwendungen auf spezielle Oleichgetoichtsx/ustände.
und ein Vergleich mit (231) zeigt, dass nur dann zwischen
beiden Theorieen vollständige Uebereinstimmung besteht, wenn
gesetzt wird:
(235) (f = ^(^1+^+^»+--) ,
d. h. die hier entwickelte Molekulartheorie spezialisirt die dort
entwickelte allgemeine Theorie dahin, dass die damals nur durch
(165) definirte Grösse (p hier den speziellen Werth (235) besitzt.
§ 370. Nun haben wir früher gefunden, dass die nämliche
Grösse (p ausser für die Siedepunktserhöhung noch für eine
ganze Eeihe anderer Eigenschaften beliebiger Lösungen eine
Bedeutung besitzt, und können daher ohne Weiteres alle dort
gefundenen Gesetzmässigkeiten hier dadurch weiter spezialisiren,
dass wir in den dortigen für verdünnte Lösungen abgeleiteten
Gleichungen einfach nach (233) und (235) für ecp den Werth:
(236) w = ^K+^+_^8+-.0
und für r und s nach (234) die Werthe
(237) — und '
Wo TWo
einsetzen. So ergibt sich aus (180) für die Dampfspannungs-
emiedrigung einer verdünnten Lösung nach (236) und (237):
(238) ^o-2^ = ;r;K+W2+^3+ •••)•
Bildet der Dampf des Lösungsmittels ein ideales Gas, und kann
man das spezifische Volumen der Lösung gegen das des Gases
vernachlässigen, so ist s, die Volumenänderung des Systems bei
der Verdampfung eines flüssigen Moleküls, gleich dem Volumen
sovieler Dampfinoleküle, als von einem Flüssigkeitsmolekül ge-
liefert werden, d. h. nach (228):
Wo p
und daher nach (238):
oder die relative Dampfdruckemiedrigung:
\ = (^1 + ^2+ ^3+ )
p V 1 • z • tf ' no^o
Verdünnte Lösungen, 235
Häufig findet sich diese Beziehung in der Form ausgesprochen,
dass die relative Dampfdruckemiedrigung das Verhältniss der
Zahl der gelösten Moleküle (/*i + Wg + Wg + . . . ) zu der Zahl der
Moleküle des Lösungsmittels n^j oder, was bei verdünnten
Lösungen auf dasselbe hinauskommt, aller Moleküle der Lösung
n angibt. Dieser Satz ist jedoch, wie hier ersichtlich, nur dann
richtig , wenn w^' = w , d. h. wenn man den Molekülen des
Lösungsmittels in der Lösung dasselbe Molekulargewicht zu-
schreiben darf, wie im Dampfe. Dies wird aber im Allgemeinen,
z. B. für Wasser, nicht zutreffen, und es ist daher nicht über-
flüssig, zu betonen, dass man durch die relative Dampfspannungs-
emiedrigung einer verdünnten Lösung ebensowenig wie durch
ihren Siedepunkt, Gefrierpunkt oder osmotischen Druck, irgend
etwas über das Molekulargewicht des Lösungsmittels in der
LösuDg erfahren kann. Unter allen Umständen ergibt sich aus
diesen Messungen immer nur die Gesammtzahl (^1+^2+ • • • • )
der in der Lösung vorhandenen fremden Moleküle. So ist auch
in der letzten Gleichung das Produkt n^niQ durch die Masse
des flüssigen Lösungsmittels, und das Molekulargewicht m^' des
Dampfes durch seine Dichte unmittelbar bestimmt.
§ 371. Weiter folgt aus (186), mit Berücksichtigung von
(236) und (237), für die Gefrierpunktserniedrigung einer ver-
dünnten Lösung:
wobei / die Gefrierwärme eines Moleküls des Lösungsmittels
bedeutet. Das Produkt n^ r' ist also durch die Masse des
Lösungsmittels bedingt, unabhängig vom Molekulargewicht des-
selben. Wenn / in Calorieen ausgedrückt wird, so ist für R
nach (34) 1,97 zu setzen. Z. B. ist für 1 Liter wässriger Lösung
unter Atmosphärendruck nahezu %r' = 1000 «80 cal. -^^=^ 273
und daher die Gefrierpunktserniedrigung:
= 1,84^(^1+^2+ /^3+ . . . ) Geis.
§ 272. Für den osmotischen Druck P schliesslich ergibt
sich aus (190) mit Berücksichtigung von (236)
P = (^1 + Wo + ^3 + ••••)•
286 Anwendungen auf spezieile Gleiehgeunehtsxustände,
Hier bedeutet v das spezifische Yolmnen der Losung, also das
Produkt Hq m^ v nahezu das ganze Volumen der Losung: V, und
daraus folgt:
eine Beziehung, die nach (16) identisch ist mit der Zustands-
gieichung einer Mischung idealer Grase mit den Molekülzahlen
nj, n^, Wg,
• • • •
§ 273. Jeder der in den letzten Paragraphen abgeleiteten
Sätze enthält eine Methode zur Bestimmung der Gresammtzahl
(/ij + «2 + • • • • ) der in einer verdünnten Lösung vorhandenen
fremden Moleküle. Wenn diese durch eine derartige Messung
gefundene Zahl eine Abweichung zeigt von der aus dem Prozent-
gehalt der Lösung unter der Annahme normaler Moleküle be-
rechneten Zahl, so muss also nach der entwickelten Theorie
nothwendig eine chemische Veränderung der gelösten Moleküle
durch Dissociation, Association, Hydrolyse oder dgl. eingetreten
sein, — eine Folgerung, die grosse Bedeutung erlangt hat für
die Beurtheilung der chemischen Natur verdünnter Lösungen.
Doch ist der Schluss aus der Gresammtmolekülzahl auf die
Zahl und Beschaffenheit der einzelnen Molekülarten in der
Lösung nur in ganz speziellen Fällen eindeutig, nämlich dann,
wenn der gelöste Stoff in der Lösung nur auf eine einzige Weise
eine chemische Umwandlung erfährt. Denn dann hat man in
der bekannten Gesammtmasse des gelösten Stoffes und in der
bekannten Gesammtzahl der von ihm in der Lösung wirklich
gebildeten Moleküle gerade die nöthigen Daten, um die Zahlen
aller einzelnen Molekülarten zu berechnen. Wir haben aber
schon früher (§ 259) bemerkt, dass dieser Fall genau genommen
nur eine Ausnahme bildet, da in der Lösung nothwendig alle
Molekülarten, welche überhaupt möglich sind, in endlicher
Anzahl vorkommen müssen. Sobald nun neben einer bestimmten
+ —
Art der chemischen Umwandlung (z. B. HgSO^ in 2H und SOJ
eine zweite Art der Umwandlung (z. B. HgSO^ in H und HSOJ
merklich wird, übersteigt die Zahl der Unbekannten die der zu
ihrer Bestimmung dienenden Gleichungen, und die Analyse des
Gleichgewichtszustandes bleibt unbestimmt. Daher besteht z. B.
im Allgemeinen gar kein bestimmter Zusammenhang zwischen der
Verdünnte Lösungen, 237
Gefrierpunktsemiedrigung, Dampfspannungsemiedrigung, Siede-
punktserhöhung einerseits und der elektrischen Leitfähigkeit
andrerseits; denn die ersteren Grössen hängen von der Gesammt-
zahl aller gelösten, geladenen und ungeladenen, Moleküle ab,
die letztere aber von der Zahl und Art der geladenen Moleküle
(Ionen), welche sich nicht immer von vorneherein aus der vorigen
Zahl berechnen lässt. Umgekehrt darf eine Divergenz zwischen
der aus der Leitfähigkeit berechneten und der direkt gemessenen
Gefrierpunktserniedrigung an sich nicht als ein Einwand gegen
die Gültigkeit der Theorie angesehen werden, sondern nur als
ein Einwand gegen die bei der Berechnung des Gefrierpunktes
aus der Leitfähigkeit gemachten Annahmen über die in der
Lösung vorhandenen Molekülarten.
Der Zusammenhang zwischen der Gefrierpunktsemiedrigung
und der Molekülzahl des gelösten Stoffes ist zuerst von Eaoult
experimentell mit voller Schärfe nachgewiesen worden, thermo-
dynamisch begründet und erweitert wurde er von van't Hoff
mittelst seiner Theorie des osmotischen Druckes. Die volle
Durchführung auch für Elektrolyte hat Arrhenius ermöglicht
durch seine Theorie der elektrolytischen Dissociation, während
unabhängig davon auch die Thermodynamik gerade auf dem
hier beschriebenen Wege zu der Forderung chemischer Um-
wandlungen gelöster Stofife in verdünnten Lösungen geführt hat.
§ 274. Jede der beiden Phasen enthält beide Bestandtheile
in merklicher Menge. Der wichtigste hiehergehörige Fall ist
der der Verdampfung einer flüssigen Lösung, in welcher nicht
nur das Lösungsmittel, sondern auch der gelöste Stoff flüchtig
ist Da die Anwendbarkeit der allgemeinen Gleichgewichts-
bedingung (218) auf eine Mischung idealer Gase nicht davon
abhängt, ob die Mischung als eine verdünnte Lösung angesehen
werden kann, so gilt jene Gleichung hier in entsprechender An-
näherung ohne Rücksicht auf die Zusammensetzung des Dampfes,
während dagegen die Flüssigkeit als verdünnte Lösung ange-
nommen werden muss. .
Im Allgemeinen wird jede überhaupt mögliche Molekülart
sowohl in der Flüssigkeit als auch im Dampf vertreten sein;
man erhält daher nach (216) als allgemeines Symbol des Systems:
n^niQ, n^m^, n^m^, + %' m^j n^'m^j n^ rn^, • • •
238 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtsxu^tände.
indem jede Ziffer sich auf eine Molekülart bezieht, die in beiden
Phasen das nämliche Molekulargewicht besitzt.
In der Flüssigkeit ist die Gesammtzahl der Moleküle:
w = ^0 + ^1 + ^2 + • • • • (nahe gleich n^) .
Im Dampf sei dieselbe:
n = Wq'+ w/+ n^'+ ....
Dann sind die Concentrationen der einzelnen Molekülarten in
der Flüssigkeit:
"«- n'
1 n '
c -"•
im Dampf:
"« ~ n"
^2 — ^' ' • • •
Besteht nun die Umwandlung:
^0 • ^1 • ^2 • • • • • ^o' • ^/ • ^2' • • • •
= Jw^ :Si\: Sn^ : ... : Jn^' : (5 w/ : Sn^' : . . . .
darin, dass ein gelöstes Molekül der ersten Art aus der Flüssig-
keit in den Dampf übergeht, so ist:
und die Gleichgewichtsbedingung (218) wird:
-logßi+logc/=log£'
oder: ^ = K.
d. h. es findet für jede einzelne Molekülart, welche in beiden
Phasen das nämliche Molekulargewicht besitzt, ein constantes,
von der Anwesenheit der übrigen Moleküle unabhängiges,
Theilungsverhältniss zwischen Flüssigkeit und Dampf statt (Ver-
theilungssatz von Nernst).
Besteht aber die Umwandlung darin, dass ein Molekül des
Lösungsmittels aus der Flüssigkeit in den Dampf übergeht, so ist:
*'o=-l> «'i = ö> «'2 = ö^--- V=i> <=0, < = 0,
und die Gleichgewichtsbedingung wird:
-logco+log< = logZ.
Hierin ist: - log c^ = log ^ = log f 1 + ""' '^ "^^ ' -— )
(239) = rvL^^Ji^ = ^^1+^2+ ...
Verdünnte Lösungen, 239
folglich :
Ci+c^-f- ... + log Co' = log JT, (240)
wobei Cj, c^, . . ., die Concentrationen der gelösten Moleküle in
der Flüssigkeit, kleine Werthe haben. Nun sind zwei Fälle zu
unterscheiden :
Entweder bilden die Moleküle m^ im Dampf nur einen
kleinen oder wenigstens nur einen massigen Theil der Gesammt-
zahl der Dampfmoleküle. Dann kann man die kleinen Zahlen
Cj, Cg, .... gegen den log vernachlässigen und schreiben:
log c^' = log Ä ,
d. h. die Concentration der Moleküle des Lösungsmittels im
Dampf ist gamicht abhängig von der Zusammensetzung der
Lösung. Ein Beispiel hiefür bietet die Verdampfung einer ver-
dünnten Lösung, wenn das Lösungsmittel nicht sehr stark flüchtig
ist, z. B. Alkohol in Wasser. Dann hängt der Partialdruck des
Lösungsmittels (Wasser) im Dampf garnicht von der Concentration
der Lösung ab, ist also gleich dem des reinen Lösungsmittels.
Oder: Die Moleküle niQ sind im Dampf den übrigen Molekülen
an Zahl stark überlegen, wie z. B. wenn in der flüssigen Phase
Alkohol das Lösungsmittel, Wasser der gelöste Stoff ist. Dann
kann man jene Vereinfachung der Gleichgewichtsbedingung nicht
ohne merklichen Fehler vornehmen, sondern man hat wie in (239)
logV= - (c/+C3'+ ),
wodurch die Gleichung (240) wird:
(^1+ 02+^3+ • • • ) - (^l'+ V+ V+ '") = ^OgK.
Diese Beziehung stellt eine Erweiterung der oben durch (229)
ausgedrückten van^t HoFF'schen Gesetze der Siedepunktserhöhung,
Dampfspannungsemiedrigung u. s.w. vor, dahin lautend, dass,
wenn der in der Flüssigkeit aufgelöste Stoff theilwei^ auch in
den Dampf übergeht, die Siedepunktserhöhung bez. Dampf-
spannungserniedrigung nicht mehr durch die Concentrationen der
in der Flüssigkeit aufgelösten Moleküle bedingt wird, sondern
durch die Differenz der Concentrationen in der Flüssigkeit und
im Dampf. Ist diese Differenz gleich Null, d. h. besitzt das
Destillat die nämliche Zusammensetzung wie die Flüssigkeit, so
wird auch die Siedepunktserhöhung und ebenso die Dampf-
spannungsemiedrigung gleich Null, wie das schon früher (§ 219)
240 Anwendungen auf spezielle Oldehgeunchtsxu^tände,
von einem allgemeineren Standpunkte aus gefolgert wurde. Ist
aber die Concentration des gelösten Stoffes im Dampf sogar
grösser als in der Flüssigkeit, wie es bei der Verdampfung einer
wässrigen Lösung von Alkohol eintreten kann, so wird der
Siedepunkt erniedrigt, die Dampfspannung erhöht.
Ganz der nämliche Satz lässt sich natürlich in der näm-
lichen Weise auch für andere Aggregatzustände ableiten; so
lautet z.B. das Gefrierpunktsgesetz in der allgemeineren Fassung:
Wenn aus einer verdünnten Lösung nicht nur das Lösungs-
mittel, sondern auch der gelöste Stoff ausfriert, in der Weise,
dass die festen Stoffe zusammen ebenfalls eine verdünnte Lösung
bilden, wie z. B. beim Erstarren mancher Legirungen, so ist
die Gefrierpunktserniedrigung nicht proportional der Concentration
des gelösten Stoffes in der Flüssigkeit, sondern proportional
der Differenz der Concentrationen des gelösten Stoffes in der
flüssigen und in der festen Phase, sie wechselt also auch zugleich
mit dieser Differenz ihr Vorzeichen.
Während so die Vertheilung jeder einzelnen Molekülart auf
beide Phasen geregelt ist, stellt sich das Gleichgewicht der ver-
schiedenen Molekülarten innerhalb einer jeden einzelnen Phase
ganz nach den oben § 262 f. entwickelten Gesetzmässigkeiten her.
Wir treffen also hier wieder auf die nämlichen Gesetze der
Dissociation, Association u. s. w. (Neenst).
§ 275. Drei unabhängige Bestandtheile in einer Phase.
Wenn eine verdünnte Lösung ausser dem Lösungsmittel zwei
verschiedene gelöste Stoffe enthält, so werden sich die letzteren,
falls sie keine Molekülarten gemeinsam haben, durchaus nicht
gegenseitig beeinflussen ; denn dann ist keine Umwandlung zwischen
ihnen möglich und daher auch keine besondere Gleichgewichts-
bedingung zu erfüllen. Mischt man also etwa eine verdünnte
wässrige X^sung eines Elektrolyten mit der verdünnten Lösung
eines andern gänzlich verschiedenartigen Elektrolyten, so wird
sich jede Lösung so verhalten, als wenn sie mit dem ent-
sprechenden Quantum reinem Wasser verdünnt würde; so wird
auch ihr Dissociationsgrad in einer der Verdünnung entsprechen-
den Weise zunehmen.
Anders ist es, wenn die beiden Elektrolyte ein Ion gemein-
schaftlich haben, wie z. B. Essigsäure und essigsaures Natron. Li
diesem Falle hat man vor der Vermischung die beiden Systeme:
Verdünnte Lösungen, 241
(243)
+ -
und
n^H^O, VNaH3C303, <Na, <H3C303,
wobei, ganz wie in (222), für die erste Lösung die Gleichung gilt:
-'' = jr oder ^- = K (241)
und ebenso für die zweite Lösung:
^-*=£:' oder ^,^K'. (242)
Nach der Vermischung aber hat man das System:
_ _■*"■*""■
n^ HgO , \ H^CgOg , ^2 NaH3C202 , w, H , //.^ Na , w^ HjCgOg ,
wobei nothwendig:
w^j=?Iq+w^/ (Anzahl der HgO-Moleküle)
''^2+ ^4~^i'+ ^2' (Äiizahl der Na- Atome)
\ + ^3 = ^1 + ^2 (A-^zahl der H- Atome)
Tn dem letzten System ist die Gesammtzahl aller Moleküle:
^ = % + ^1 + ^^2 ^" '^% + ^4 + ^5 (nahe gleich n^ .
Die Concentrationen der einzelneu Molekülarten sind:
- - Wo - - Wj - - Wg Wg - W4 - '^6
^«~¥' ^1-^^ ^3-w' ^3~>j^ ''4-¥'^ß~W*
In dem System sind zwei verschiedene Umwandlungen:
^0 • ^1 * ^2 • ^3 * ^4 • ^6 ~ ^^0 * ^^1 • ^^2 * ^^3 * ^^4 • ^^6
möglich, nämlich erstens die Dissociation eines Moleküls Essig-
säure :
1/^=0 «/i=-l 1/2=0 «^3=1 ^4=0 «'ß=l,
woraus nacli (218) als Gleichgewichtsbedingung folgt:
- log Cj + log C3 + log "fjß = log A%
oder:
^8 ^'6 __. ^
o(l<^r: >^8i!i5_ _ ^83.. = A% (244)
W, -Wo Wi(Wo+Wo) ^ '
IM.ANOK, Thormodynaiuik. H>
e, =^''
242 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtsxtistände,
zweitens die Dissociation eines Moleküls Natriumacetat:
1/^=0 «/i=0 v^='-l 1/3=0 v^=\ v^=l
woraus als Gleichgewichtsbedingung folgt:
- log C2 + log c^ + log c;, = log K',
oder: C4 Cr.
oder:
(245) ■ !^^ = .^;-*A5^ ^^'.
Die Grössen K und jBT' sind hier die nämlichen wie oben in
(241) und (242), da sie ausser von i^- und p nur von der Art
der betreffenden Umwandlung, nicht aber von den Concentrationen
und von anderen daneben möglichen Umwandlungen abhängen.
Aus den beiden Gleichgewichtsbedingungen (244) und (245) zu-
sammen mit den vier Gleichungen (243) folgen eindeutig die
Werthe der sechs Molekülzahlen %, n^, .... n^, wenn die
beiden ursprünglich vorhandenen Lösungen, also auch die Molekül-
zahlen n^, Wj, . . . und n^\ n^\ ... gegeben sind.
§ 276. Die Bedingung, dass die beiden ursprünglichen
Lösungen von Essigsäure und von essigsaurem Natron „isohydrisch"
sind, d. h. bei ihrer Vermischung keinerlei Aenderung ihres Disso-
ciationsgrades erleiden, wird offenbar ausgedrückt durch die beiden
Gleichungen: ^^ _ ^^ ^^ _ .^^'^
welche aussprechen, dass die Anzahl der undissociirten Moleküle
Essigsäure und Natriumacetat in den ursprünglichen Lösungen
gleich der in der Mischung ist. Daraus folgt nach (243) so-
gleich weiter:
^3 = ^2 ^ %= '^Hy ^5 =^2 +^2' •
Diese Werthe in die Gleichungen (244) und (245) eingesetzt und
mit (241) und (242) verbunden ergeben:
?22j(^2+ m/) __ ^ __ n^
woraus als einzige Bedingung der Isohydrie folgt:
^1 r= -*?? ()^er C« = Co' ( = Co = c') ,
Verdünnte Lösungen. 243
d. h. die beiden Lösungen sind isohy drisch, wenn in ihnen die
Concentration des gemeinsamen Ions HgCgO^ die nämliche ist.
Dieser Satz wurde zuerst von Arrhenius ausgesprochen und an
zahkeichen Messungen verificirt.
In allen Fällen, wo die genannte Bedingung der Isohydrie
nicht realisirt ist, müssen bei der Vermischung der Lösungen
chemische Umwandlungen: Dissociation oder Association, vor
sich gehen. Von der Richtung und der Grösse dieser Um-
wandlungen gewinnt man eine Vorstellung, wenn man sich die
beiden gelösten Stoflfe (Essigsäure und Natriumacetat) getrennt,
und die gesammte Menge des Lösungsmittels (Wasser) so auf
dieselben vertheilt denkt, dass die Lösungen isohydrisch werden.
Belinden sich z. B. beide Lösungen ursprünglich in normaler
Verdünnung (I gr Molekül in 1 Liter Lösung), so werden sie
nicht isohydrisch sein, weil Natriumacetat in normaler Ver-
dünnung bedeutend stärker dissociirt ist, also eine grössere Con-
centration der Hg C2O2 -Ionen besitzt als Essigsäure. Um nun
das gesammte Lösungswasser so auf die beiden Elektrolyte zu
vertheilen, dass die Concentration des gemeinsamen Ions HgCgOg
in beiden Lösungen dieselbe wird, muss man dem schwächer
dissociirten Elektrolyt Essigsäure Lösungswasser entziehen und
dies dem stärker dissociirten Natriumacetat hinzufügen. Denn
in Folge der abnehmenden Verdünnung geht zwar die Dissociation
der Essigsäure zurück, die Concentration der freien Ionen in
der Säure wächst aber dennoch, wie man leicht aus § 262 findet,
weil die Ionen auf eine kleinere Wassermenge zusammengedrängt
werden. Ebenso nimmt die Dissociation des Natriumacetats mit
dem Wasserzusatz zu, die Concentration der freien Ionen des
Salzes nimmt aber ab, weil die Ionen sich durch eine grössere
Wassermenge verbreiten. So kann man es erreichen, dass die
Concentration des gemeinsamen Ions HgCgOg in beiden Lösungen
gleich wird, und dann sind die Lösungen isohydrisch, d. h. sie
befinden sich in demjenigen Dissociationszustand, der bei einer
Vermischung der Lösungen nicht mehr geändert wird. Dies ist
also zugleich auch der Zustand, den die beiden gemischten
Normall()sungen schliesslich im Gleichgewicht annehmen, und es
folgt daraus der Satz, dass bei der Vermischung zweier gleich
16*
244 Anwendungen auf spezielle GhichgewicMszustände.
verdünnter Lösungen binärer Elektrolyse die Dissociation des
schwächer dissociirten Elekti'olyten (Essigsäure) noch weiter
zurückgeht, während die des stärker dissociirten (Natriumacetat)
noch weiter zunimmt.
§ 277. Drei unabhängige Bestandtheile in zwei Phasen.
Wir behandeln zunächst ein Beispiel des einfachen Falls, dass
die zweite Phase nur einen einzigen Bestandtheil in merklicher
Menge enthält. Ein solches Beispiel bietet die Auflösung eines
schwerlöslichen Salzes (Silberbromat) in einer Flüssigkeit (Wasser)
bei Zusatz einer geringen Menge eines dritten Bestandtheils
(Silbemitrat) zur Lösung.
Das aus zwei Phasen bestehende System wird nach (216)
dargestellt durch:
+ - -
M^HgO, WjAgBrOg, WjjAgNOg, WgAg, w^BrOg, /igNOg+Vx^gBrOg.
Die Concentrationen sind:
._^ ._"JL c-^ .'-<_i
^0 — ^ ' h — ^ * ^2 — ^ ^ > *> "~ Wo' "" '
wobei n =^ n^+ n^+ n.^ + ^3 + ^*4 + % (nahezu gleich 71^).
Von den möglichen Umwandlungen:
^0 • ^1 • ^2 • ^3 • ^4 • *'6 • V = ^ '^o • ^^1 • ^^h ' ^% :Sn^: Sn^ : Sn^
ist in Betracht zu ziehen zunächst der Austritt eines Moleküls
AgBrOg aus der Lösung, also:
«'o = ^j «^1 = -^ «^2=0, V=l,
woraus nach (218) die Gleichgewichtsbedingung folgt:
- log Ci + log Co' = log Z
oder:
(246) c,= i,
d. h. die Concentration der undissociirteu Moleküle Silberbromat
in der gesättigten Lösung hängt ausschliesshch von Temperatur
und Druck ab.
Femer ist zu berücksichtigen die Dissociation eines Moleküls
AgBrOg in die beiden Ionen:
*'o = 0, «'i=-l, 1^2 = 0, r3 = l, i'^=l, r, = 0, <=ü,
was nach (218) ergibt:
- logCi+ Iogrg+ logc^= logA",
Verdünnte Lösungen, 245
Cj C4
oder nach (246)
^3«4 = 5. (247)
+ -
d. h. das Produkt der Coucentrationen der Ionen Ag und BrOg hängt
nur von Temperatur und Druck ab. Jeder Umstand also, der eine
Aenderung in der Concentration Cg der Ag- Ionen herbeiführt,
beeinttusst in umgekehrtem Verhältniss die Concentration c^ der
BrOg -Ionen. Da nun durch den Zusatz von Silbernitrat die Zahl
+
der Ag-Ionen in der Lösung vergrössert wird, so wirkt eben
dadurch dieser Zusatz verkleinernd auf die Zahl der BrOg-Ionen
und somit auch verkleinernd auf die Löslichkeit des bromsauren
Salzes, welche offenbar durch die Summe Cj + c^ gemessen wird.
Endlich ist noch zu betrachten die Dissociation eines
Moleküls AgNOg in die beiden Ionen:
^0 = 0, «^1 = 0, v^^^-h «^3 = 1, «^4 = 0, 1/5 = 1, V=0,
welche für das Gleichgewicht nach (218) die Beziehung erfordert:
^^ = K'\ (248)
Zu den 3 Gleichungen (246), (247) und (248) kommt als vierte
noch die Bedingung:
und als* fünfte der'Werth von c.^+ c^, welcher durch die Menge
des zugesetzten Nitrats gegeben ist, so dass hieraus die 5 Un-
bekannten Cj, C2, Cg, c^, Cg im Gleichgewichtszustand eindeutig
bestimmt werden.
Die Theorie derartiger Löslichkeitsbeeintiussungen ist zuerst
von Nernst entwickelt und von ihm, und später namentlich
auch von Noyes durch Messungen bestätigt worden.
§ 378. Der allgemeinere Fall, dass jede der beiden Phasen
alle drei Bestandtheile enthält, wird u. A. verwirklicht bei der
Vertheilung eines löslichen Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln,
die sich selber in geringem Grade gegenseitig lösen (z. B. Wasser
und Aether). Der Gleichgewichtszustand des Systems wird voll-
ständig bestimmt durch eine Combination derjenigen Bedingungen,
246 Anwendungen auf spezielle Oleiehgewichtszustände,
welche für den Uebertritt eines Moleküls aus der einen Phase
in die andere, und derjenigen, welche für die chemische Um-
wandlung der Moleküle innerhalb einer und derselben Phase
gelten. Die ersteren lassen sich zusammenfassen in den Ver-
theilungssatz von Nernst (§ 274), wonach für jede in beiden
Phasen vorkommende Molekülgattung ein constantes, von der
Anwesenheit anderer gelöster Moleküle unabhängiges Theilungs-
verhältniss existirt, die letzteren in die Sätze, welche für 3 un-
abhängige Bestandtheile in einer einzigen Phase gelten (§ 275),
und zu denen auch die ÄRRHENius'sche Theorie isohydrischer
Lösungen gehört.
§ 279. In ganz derselben Weise ist der Fall zu behandeln,
dass 4 oder mehr unabhängige Bestandtheile zu einer oder
mehreren Phasen zusammentreten. Immer lässt sich der Zustand
des Systems durch das Symbol (216) ausdrücken, und immer
lässt sich jede mögliche Umwandlung des Systems auf die Form
(217) bringen, der dann die Gleichgewichtsbedingung (218) ent-
spricht. Alle Gleichgewichtsbedingungen zusammen mit den
festen Bedingungen ergeben dann die nach der Phasenregel
vorauszusehende Anzahl Gleichungen, um den Gleichgewichts-
zustand des Systems zu bestimmen.
Wenn es sich um eine Lösung von mehreren gegenseitig
umwandelbaren Stoffen, etwa elektrolytisch dissociirbaren Salzen
oder Säuren mit gemeinsamen Ionen handelt, so hat es im All-
gemeinen keinen Sinn mehr, von einem bestimmten „Dissociations-
grad" dieser Substanzen zu reden, da die Ionen ganz willkühr-
lich zu dissociirten Molekülen combinirt werden können.* Z. B. in
der Lösung:
+ + - -
n^^^P, ^ijNaCl, n^KC\ WgNaNOg, n^'K^O^jn^^2i,nQK,7ijG\,n^'iiO^
+
lässt sich garnicht entscheiden, welche der Na-Ionen dem NaCl
und welche dem NaNOg zuzurechnen sind. Hier bleibt zur
Charakterisirung des Zustandes nichts übrig, als zu den wirk-
lich in der Lösung enthaltenen Molekülzahlen bez. den betr.
Concentrationen zurückzugehen und sich lediglich auf die An-
gabe dieser zu beschränken.
Das genannte System wird von Wasser und von 4 Salzen
gebildet, es enthält aber trotzdem ausser dem Lösungsmittel nur
3 unabhängige Bestandtheile, weil durch die Menge des Na, des
Verdünnte Lösungen, 247
K und des Cl die des NO3 von vorneherein bereits mitbestimmt
ist (§ 198). Demgemäss. sind auch die Concentrationen aller
einzelnen Molekülarten nach § 204 {cc = 4, /S = 1) bei gegebenem
Druck und Temperatur durch 3 derselben vollkommen bestimmt.
Dies gilt natürlich unabhängig davon, ob, wie es höchst wahr-
scheinlich zutrifft, bei der Aufstellung der Gleichgewichts-
bedingungen für die betrachtete Lösung noch andere Molekül-
arten und andere chemische Umwandlungen als die hier vor-
gesehenen berücksichtigt werden müssen.
§ 380. Wenn in dem System (216) von beliebig vielen
unabhängigen Bestandtheilen in beliebig vielen Phasen die Gleich-
gewichtsbedingung (218) nicht erfüllt ist, wenn also für eine
beliebige virtuelle isothermisch-isopiestische Aenderung:
2 «'o log Cq + i/j log Cj + 1/3 log C2 + SlogÄ^
so ist die Richtung der in der Natur thatsächlich eintretenden
Veränderung durch die Bedingung d > (§ 147) bestimmt.
Bezeichnen wir also jetzt mit v^^, v^, v^, ... einfache ganze
Zahlen, welche nicht nur proportional, sondern auch von gleichem
Vorzeichen sind wie die bei der wirklichen Umwandlung ein-
tretenden Aenderungen der Molekülzahlen, so ergibt sich aus
(215) für die Richtung der in der Natur eintretenden isothermisch-
isopiestischen Veränderung ganz allgemein, sei es dass es sich
um eine chemische Umwandlung innerhalb einer einzelnen Phase
oder um den Uebergang von Molekülen zwischen verschiedenen
Phasen handelt:
wobei K wieder durch (218) definirt ist.
Es liegt nahe, die Differenz der Ausdrücke rechts und links
in Zusammenhang zu bringen mit dem zeitlichen Verlauf der
Veränderung, und in der That lässt sich hieraus ein allgemeines
Gesetz für die Geschwindigkeit irreversibler isothermisch -iso-
piestischer Prozesse ableiten, worauf indessen in diesem Buche
nicht weiter eingegangen werden soll.
248 Verzeichniss,
Verzeichniss
der vom Verfasser bisher veröffentlichten Schriften aus dem
Gebiete der Thermodynamik, ausschliesslich der Anwendungen
auf Elektricität, mit Angabe derjenigen Paragraphen dieses
Buches, in denen der nämliche Gegenstand behandelt ist.
Ucbcr den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie. Inaugural-
dissertation. München, Th. Ackermann. S. 1—61, 1879. (§§ 106—136.)
Gleichgewichtszustände isotroper Körper in verschiedenen Temperaturen.
Habilitationsschrift. München, Th. Ackermann, S. 1 — 63, 1880.
(§§ 153-187.)
Die Theorie des Sättigungsgesetzes, Wied. Ann. 13, S. 535—543, 1881.
(§ 172.)
Verdampfen, Schmelzen und Sublimiren, Wied. Ann. 15, S. 446 — 475, 1882.
(§§ 188-196.)
Ueber das thermodynamische Gleichgewicht von Gasgemengen, Wied.
Ann. 19, S. 358-378, 1883. (§§ 232—248.)
Das Princip der Erhaltung der Energie, Leipzig, B. G. Teubner, S. 1 — 247,
1887. (§§ 55—105.)
Ueber das Princip der Vermehrung der Entropie. Erste Abhandlung.
Gesetze des Verlaufs von Reaktionen, die nach constanten Gewichts-
verhältnissen vor sich gehen. Wied. Ann. 30, S. 562—582, 1887.
(§§ 206, 212.)
Ueber das Princip der Vermehrung der Entropie. Zweite Abhandlung.
Gesetze der Dissociation gasförmiger Verbindungen. Wied. Ann. 31,
S. 189—203, 1887. (§§ 232—248.)
Ueber das Princip der Vermehrung der Entropie. Dritte Abhandlung.
Gesetze des Eintritts beliebiger thermodjnamischer und chemischer
Reaktionen. Wied. Ann. 32, S. 462—503, 1887. (§§ 232—279.)
Ueber die molekulare Constitution verdünnter Lösungen. Zeitschr. f. phys.
Chem. 1, S. 577—582, 1887. (§§ 271, 273.)
Das chemische Gleichgewicht in verdünnten Lösungen. Wied. Ann. 34,
S. 139—154, 1888. (§ 262 f., §§ 268—273.)
Ueber die Hypothese der Dissociation der Salze in sehr verdünnten
Lösungen, Zeitschr. f. phys. Chem. 2, S. 343, 1888. (§ 271.)
Ueber die Dampfspannung von verdünnten Lösungen flüchtiger Stoffe,
Zeitschr. f. phys. Chem. 2, S. 405—414, 1888. (§ 274.)
Ueber den osmotischen Druck. Zeitschr. f. phys. Chem. 6, S. 187 — 189,
1890. (§§ 229, 272.)
Allgemeines zur neueren Entwicklung der Wärmetheorie. Zeitschr. f. phys.
Chem. 8, S. 647—656, 1891. (§ 136.)
Bemerkungen über das CARNOT-CLAUsius'sche Princip. Wied. Ann. 46,
S. 162—166, 1892. (§ 134.)
Erwiderung auf einen von Herrn Abrheniüs erhobenen Einwand. Zeitschr.
f. phys. Chem. 9, S. 636 f., 1892 (§ 253.)
Der Kern des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie, Zeitschr. f. d. phys.
und ehem. Unterricht 6, S. 217—221. 1893. (§§ 106—115).
Grundriss der allgemeinen Thermochemie, Breslau, E. Trewendt, S. 1 — 140.
1893. (§§ 1—66, 92—152, 197—279.)
Gegen die neuere Energetik, Wied. Ann. 57, S. 72—78, 1896. (§§ 108, 113.)
Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.
PHYSIKALISCHE KRISTALLOGRAPHIE.
Von
Dr. Theodor Liebisch,
o. ö. Professor der Mineralogie an der Universität C4öttingen.
Mit 298 Abbildungen im Text und 9 Tafeln.
Lex. 8. 1891. geh. 25 Ji.
GRUNDRISS
DER
PHYSIKALISCHEN KRYSTALLOGRAPHIE.
Von
Dr. Theodor Liebisch,
o. ö. Professor der Mineralogie an der Universität Göttingen.
Mit 898 Figuren im Text.
Lex. 8. 1896. geh. 13 J(, 40 3^, geb. in Halbfr. 15 J(, 40 :f.
Der Grundriß ist vorzugsweise dazu bestimmt, Studierenden zur Ein-
führung in das Gebiet der Krystallographie zu dienen.
Er setzt spezifische Vorkenntnisse nicht voraus, sondern beginnt mit den
einfachsten Erfahrungen über die äußeren Formen der Krystalle, die den An-
stoß zur Erforschung des krystallisierten Zustandes fester Körper gegeben
haben. Daraus werden auf elementarem Wege die Symmetriegesetze abge-
leitet, welche die Vorgänge des Wachstums und der Auflösung der Krystalle
beherrschen. Das Ergebnis dieser Betrachtung ist die Einteilung der krystaUi-
sierten Körper in 32 Gruppen, deren Eigenschafton im einzelnen untersucht
und an ausgewählten Beispielen erläutert werden.
Der zweite Teil des Buches ist der physikalischen Krystallographie im
engeren Sinne gewidmet. Mit Rücksicht auf die große Bedeutung der optischen
Eigenschaften für die Untersuchung krystallisierter Körper sind die Gesetze
und die wichtigsten Beobachtungsmethoden der Krystalloptik ausführlich er-
läutert worden.
GRUNDZÜGE
DER
PHYSISCHEN ERDKUNDE
von
Prof. Dr. Alexander Supan,
Herausgeber von Potermanns geographischen Mitteilungen.
Zweite, umgearbeitete und verbesserte Auflage.
Mit 203 Abbildungen im Text und 20 Karten in Farbendruck.
gr. 8. 1896. geh. 14 ^, geb. in Halbfr. 16 J(,.
Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.
ELEKTROCHEMIE.
Ihre Geschichte und Lehre.
Von
Dr. Wilhelm Ostwald,
Professor der Chemie an der Universität Leipzig.
Mit 260 Nachbildungen geschiclitlicher Originalfiguren.
Lex. 8. 1896. geh. 28 ^, eleg. geb. 30 M,
Die wissenschaftliche Elektrochemie scheint dazu berufen, nicht
nur für die allgemeine Chemie von entscheidender Bedeutung zu werden,
sondern auch der Technik bei ihrem Vordringen in neue Bahnen
behilflich zu sein und ihr neue Wege zu weisen. Es läßt sich
wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit voraussagen, daß
der nächste große und umgestaltende Schritt der modernen Technik sich
auf dem Gebiete der Elektrochemie vollziehen wird.
Deshalb darf ein Werk, das sich die Aufgabe gestellt hat, die
wissenschaftlichen Anfänge dieser Disziplin von Galvani und.Volta
ab in ihrem Zusammenhange aus den Quellen zu schildern und die Ent^
Wickelung derselben bis zur Gegenwart fortzuführen, auf die Beachtung
weitester Kreise Anspruch machen — ganz besonders wenn es von einem
so hervorragenden Forscher und in so äußerst anziehender Form dar-
geboten wird.
KOMPENDIUM
DER
THEORETISCHEN PHYSIK.
Von
Dr. Woldemar Voigt,
o. ü. rrofcssor der Pliyslk au der Universität (iöttiugeu.
Zwei Bände.
gr. 8. 1895 u. 1896. geh. 32^, geb. in Halbfranz Sß J6,
Krster Band: Mechanik starrer und nichtstarrer Körper.
Wärmelehre,
geh. 14 ^, geb. in Halbfranz Iß J6.
Zweiter Band: Klektricität und Magnetismus. Optik.
geh. IS Ji, geb. in Halbfranz 20 J6.
Je weiter die theoretische Physik sich entwickelt, und je gewaltiger
die Werke anschwellen, welche einzelne Teile derselben erschöpfend zu
behandeln bestrebt sind, um so gebieterischer stellt sich das Bedüiihis nach
einer zusammenfassenden Darstellung der gewonnenen Resultate heraus, welche
dem Lernenden nach Bewältigung einiger Spezialgebiete einen Überblick über
die gesamte Disziplin zu erwerben gestattet. Eine solche Darstellung, die auch
dem reifen Forscher willkommen sein dürfte, fehlte bisher in der deutschen
Litteratur.
s>a
Zwei Bände.
Mit über 600 Figuren im Text.
gr. 8. 1893 und 1896. geh. Preis 25 Ji, eleg. gebunden 27 Ji.
Die Wichtigkeit des durch Schulung herangebildeten Vermögens, sich
räuinliclu) Verhältnisse sicher und klar vorzustellen, wird in neuerer Zeit immer
mehr gewürdigt. Die Bedeutung dieses Vorstellungsvermögens für die Mechanik
und Technik war von jeher anerkannt, neuerdings machen aber auch Physik,
Chemie, die mit ihnen verwandte Krystallographie u. a. davon einen weit-
gehenden Gebrauch. So hat die darstellende Geometrie gegenwärtig eine
doppelte Bedeutung: die der Darstellung räumlicher Gebilde und die der Ent-
wickelung der Raumanschauung. Ihre Bedeutung in letzterer Richtung und
})os<jnders der von ihr gelehrten konstruktiven Behandlung der Fragen hat
sich allgemeine Anerkennung verschafft.
Das vorliegende Werk sucht die beiden genannten Zwecke zu vereinigen
und leistet auf diese Weise jedem — mag er nun Techniker sein oder
nicht — die besten Dienste. Die verschiedenen Projektionsmethoden,
Orthogonal-, Parallel-, Centralprojektion, Axonometrie, sowie
die Flächen, die den Techniker interessieren können, werden behandelt;
in einem besonderen Kapitel wird die Theorie der Flächen beleuch tu ng
gegel)en. Bei der Darlegung des Stoffes wird das Verfahren des Projicierens
auch möglichst zur Gewinnung der Eigenschaften des dargestellten Objektes
verwendet. Die Behandlung zahlreicher höherer stereometrischer Aufgaben,
das ausführliche Kapitel über Flächen zweiten Grades mit seinen Aufgaben,
die Untersuchung der Regelflächen dritter und vierter Ordnung u. s. w. sind
ein l^eweis dafür, da4} auf die Entwickelung der Raumanschauung besonderes
Gewicht gelegt wird.
HERMANN VON HELMHOLTZ,
Gedächtnissrede
von
Emil du Bois-Reymond.
8. 1897. eleg. geh. 2 Ji.
/ ^
'M^m>mmm«mmm.mm«mmt.:>!.