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Full text of "Vorlesungen über thermodynamik"

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M. Planck 



Thermodynamik 




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FÜNKTMENTHEOßETISCHE VORLESUNGEN 

von 

Heinrich Burkhardt, 

0. Professor an der Universität Zürich. 

Erster Teil. 

EINFÜHRUNG IN DIE THEORIE DER ANALYTISCHEN PUNKTION 

EINER COMPLEXEN VERÄNDERLICHEN. 

Mit zahlreichen Figuren im Text. 

gr. 8. 1897. geh. 6 J6j geb. in Ganzleinen 7 Ji. 

Die zahlreich vorhandenen funktionentheoretischen Lehrbücher berück- 
sichtigen fast alle einseitig entweder Weierstrass'sche oder Riemann'sche 
Funktionentheorie. Es fehlte seither an einem den deutschen Unterrichts- 
verhältnissen angepaßten Buch, geeignet, den Studenten den Zugang zu beiden 
Gedankenkreisen zu erschließen. — Der erste Teil enthält die Einführung 
in die Funktionentheorie. Die Riemann'schen geometrischen Vorstellungs- 
weisen sind darin durchweg in den Vordergrund gestellt; dabei wird aber 
versucht, unter angemessener Einschränkung der Voraussetzungen diejenige 
Schärfe der Beweisführung zu erreichen, die niemand mehr entbehren kann, 
dem einmal in der Schule von Weierstrass die Augen geöffnet sind. 



ELEMENTARE MECHANIK 

als Einleitung in das Studium der theoretischen Physik. 

Von 

Dr. Woldemar Voigt, 

0. ö. Professor der Physik an der Universität Göttingen. 

Mit 55 Figuren im Text. 

gr. 8. 1889. geh. 12 Ji. 

Auszug aus dem Vorwort des Professor Eugenio Beltrami zu Rom 
zur italienischen Übersetzung von Dr. A. Sella: 

Das ausgezeichnete Werk des Professor Voigt kommt einem Bedürfnis 
entgegen, welches sich unter den deutschen und englischen Studenten schon 
seit einiger Zeit fühlbar gemacht hat. Die elementare Mechanik wird im 
allgemeinen von zwei sehr verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet, ent- 
weder als die herkömmliche Vorschule für das rein technische Studium der 
Ingenieure, in welchem Falle sie sich auf die elementarsten und trockensten 
Kapitel beschränkt, oder als eine Sammlung geometrischer und analytischer 
Übungen, wobei die eigentliche mechanische Grundlage verschwindet, um den 
ohne Zweifel sinnreichen Anwendungen der analytischen und projektiven 
Geometrie, der Theorie der Differential-Gleichungen und der Variationsrechnung 
Platz zu machen. Diese zwei sich fast entgegenstehenden Ansichten haben in sehr 
hohem Maße das historische Ziel der Mechanik verwischt, das durch Galilei und 
Newton aufgestellt und von den Physikern ersten Ranges, wie Lagrange, Green, 
Kirchhoff, Maxwell und Helmholtz, unablässig weiter verfolgt worden ist. 

Das Buch des Professor Voigt bietet eine neue Anleitung dar, wie man 
sie sich gar nicht besser wünschen könnte, zu diesem Studium der Mechanik, 
als der rationellen Wissenschaft der materiellen Welt. 

— — " r • ■ - ■ 



1 : 



Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig. 



LEHKBUCH 



DER 



ORGANISCHEN CHEMIE. 

Von 

Dr. Victor Meyer und Dr. Paul Jacobson, 

Professoren an der Universität Heidelberg. 

/ In z^?vei Bünden. 

Erster Band: Allgemeiner TeiL — Verbindungen der 

Fettreihe. 

Mit Holzstichen im Text und einer Tabelle. 
Lex. 8. 1893. geh. 26 ^, geb. in Halbfranz 28 Ji, 50 ^. 

Zweiter Band, erste und zweite Abteilung: Chemie 

der Kohlenstoffringe. 

IMit Holzstichen im Text. 

Lex. H. 1895 u. 1897. geh. 13 jH, 20 ^. 

Mit der dritten Abteilung des zweiten Bandes wird die Chemie der 
Kolilenstoffringe abgeschlossen. 

GESCHICHTE DER CHEMIE 

von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. 

Zugleich Einführung in das Studium der Chemie. 

Von 

Dr. Ernst von Meyer, 

Professor der Chemie an der Technischen Hochschule zu Dresden. 

Zweite, verbesserte und vermehrte Auflage. 
gr. 8. 1895. geh. 10 ^, geb. in Halbfranz 12 ^. 

In dieser „Geschichte der Chemie" wird die Eutwickelung des chemi- 
schen Wissens, inbesondere der daraus abgeleiteten allgemeinen Lehren der 
Chemie, von ihren Anfangen bis auf den heutigen Tag dargelegt. In jedem 
Zeitalter wird nach einer allgemeinen Darstellung der Hauptrichtungon, 
welche die Chemie eingeschlagen hat, die spezielle Ausbildung einzelner 
Zweige derselben mehr oder weniger eingehend besprochen. 

Bei den allgemeinen Darlegungen ist besonderer Wert auf die Ent- 
stehung einzelner wichtiger Ideen und deren Entfaltung zu bedeutsamen 
Lehrmeinungen oder umfassenden Theorien gelegt. Dabei sind die Träger 
und Förderer solcher Ansichten in ihrem Wirken geschildert, um eine leben- 
dige Darstellung der einzelnen Zeitabschnitte und ihrer Eigentümlichkeiten 
zu erzielen. 

In den speziellen Teilen werden dagegen grundlegende Thatsachen, 
nach einzelnen Gebieten gesichtet und eng gedrängt, zusammengefaßt, um 
ein mögliclist scharfes Bild des jeweiligen Standes der chemischen Kennt- 
nisse zu geben. Dabei ist eine übersichtliche Darlegung der wichtigsten j 
Lehren und Thatsachen, welche den heutigen Besitzstand der Wissenschaft \ 
beerUndet haben, angestrebt worden. ^^ « ^^ ' 

SCIENCE IDEPT. 



T\an6V< 



3TDM 



Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig. 



LEHRBUCH 

EXPERIMENTAL-PHYSIK 

zum eigenen Studium und zum Gebrauch bei Vorlesungen 

von 

Dr. Eduard Biecke, 

0. ö. Professor der Physik an der Universität Göttingen. 

Zwei Bände. 
Mit gegen 700 Figuren Im Text. 

gr. 8. 1896. geh. 18 ^, geb. in Ganzleinen 20 ^. 

In diesem ausgezeichneten, durchaus auf dem Boden der netten An- 
schauungen imd Forschungen stehenden Werke, welches in xwei handlichen 
Bänden das ganxe Gebiet der Physik umfaßt, wird ein wirklich lesbares 
Lehrbuch der Physik geboten. Mathematische Entwickelungen sind nur 
sparsam darin enthalten und, wo sie nicht zu vermeiden waren, in elemen- 
taren Grenzen gehalten. Das Buch wendet sich an alle, welche der Physik 
wissenschaftliches Interesse entgegenbringen, an die Hörer an Unirersifäten 
und technischen Hochschulen, an den Lehrer, an den großen Kreis derer, 
die, auf verwandten Gebieten im Dienste der theoretischen 
Forschung oder der technischen Anwendungen thätig, ihre 
Kenntnis von der Entwickelung der Physik wieder ergänzen 
möchten. 

Das Buch ragt weit über die gebräuchlichen Lehrbücher der Physik 
hinaus. Manches ist darin im Zusammenhang behandelt, was, oft nur 
sehr schwer zugänglich, in Zeitschriften oder Sammelwerken zerstreut 
ist; man findet darin aber auch sehr vieles, was man in anderen Lehr- 
büchern vergeblich suchen wird (z. B. Strömungen und Wirbel 
der Flüssigkeiten, die Maxwell'sche elektromagnetische 
Theorie des Lichtes, die Teslaströme, ausführliche Darstel- 
lung der Hertz'schen Versuche, Elektrolyse). 



PRAKTISCHER LEITFADEN 

der 

GEWICHTSANALYSE. 

^ Von 

Dr. Paul Jannasch^ 

Professor der Chemie an der Universität Heidelberg. 

Mit zahlreichen Abbildungen im Text. 

gr. 8. 1897. geb. in Ganzleinen 6 ^ 50 ^. 

Das Buch enthält außer den gebräuchlichsten und bewährtesten 
Methoden auch viele neue, die von dem Verfasser herrühren. Es beruht 
auf einer Summe langjähriger eigener Erfahrungen im Laboratorium und 
bringt nichts, was nicht von dem Verfasser selbst praktisch erprobt ist. 
Es wird sich überall als ein durchaus zuverlässiger Ratgeber erweisen. 



VORLESUNGEN 



ÜBER 



THERMODYNAMIK 



VON 



Dr. MAX PLANCK, 

PROFESSOR DER THEORETISCHEN PHYSIK AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. 



MIT FÜNF FIGUREN IM TEXT. 




LEIPZIG, 

VERLAG VON VEIT & COMP. 

1897. 



1 



THENEWYORK 

PUBLIC LIBRARY 

A8TOR, LENOX ANO 
TILDEN FOUNDATlONS. 

1897. 



Druck von Metager A Wittig in Leipsig. 



Vorwort. 



Die erste Anregung zur Abfassung des vorliegenden Buches 
empfing ich durch mehrfach an mich ergangene Aufforderungen, 
meine in das Gebiet der Thermodynamik fällenden Abhandlungen 
gesammelt herauszugeben bez. zu einer zusammenfassenden Dar- 
stellung zu verarbeiten. Wenn auch das erstere Verfahren als 
das einfachere näher gelegen hätte, zumal ich keine Veranlassung 
gefunden habe, an dem in meinen bisherigen Arbeiten befolgten 
Gedankengang etwas Wesentliches zu ändern, so entschied ich 
mich doch für eine neue Ueberarbeitung des ganzen Stoffes, 
einmal aus dem Grunde, weil mir daran lag, manche in dem 
knappen Styl einiger Abhandlungen etwas kurz gerathene allge- 
meine Ueberlegungen und Beweise ausführlicher und verständ- 
licher zu gestalten, hauptsächlich aber deshalb, weil sich auf 
diese Weise Gelegenheit bot, mittelst einer entsprechenden Er- 
weiterung des behandelten Themas das ganze Gebiet der 
Thermodynamik in eine einheitliche Darstellung zusammenzu- 
fassen. Hiedurch ist dem Werke allerdings der Charakter einer 
Forschungsarbeit genommen und ihm mehr derjenige eines Lehr- 
buches gegeben, bestimmt zur Einführung in das Studium der 
Thermodynamik für Jeden, der einen Anfängerkurs in Physik 
und Chemie durchgemacht hat und mit den Elementen der 
Differential- und Integralrechnung vertraut ist. 

Immerhin glaube ich nicht, dass mit diesem Buche meine 
früheren Publikationen über denselben Gegenstand ganz überflüssig 
geworden sind. Denn abgesehen davon, dass dort die Darstellung 
in gewissem Sinne ursprünglicher gehalten ist, finden sich auch 
manche Einzelheiten der vorgetragenen Theorie dort noch aus- 
führlicher entwickelt, als in der hier gebotenen umfassenderen 



IV Vorwort. 

Behandlung zulässig erscheint. Um daher dem Leser in ein- 
zelnen Fällen einen Vergleich oder ein Zurückgehen auf die 
ursprüngliche Form zu erleichtern, ist am Schluss des Buches 
ein Verzeichniss meiner bisherigen thermodynamischen Schriften 
aufgeführt, und jeder derselben ein Hinweis auf diejenigen Stellen 
dieses Buches beigegeben, in welchen das gleiche Thema be- 
handelt ist. 

Die in den beispielsweise durchgeführten Anwendungen der 
Theorie benutzten Zahlenwerthe stammen fast alle aus den 
Originalarbeiten; nur einige durch häufige Messungen bestimmte 
Grössen sind tabellarischen Zusammenstellungen, namentlich denen 
in F. Kohlrausch's Leitfaden der praktischen Physik, entnommen. 
Doch unterlasse ich nicht hervorzuheben, dass die benutzten 
Einzelzahlen, bei aller angewendeten Sorgfalt, doch bei Weitem 
nicht denselben Grad von kritischer Sichtung erfahren haben, 
wie die mitgetheilten Sätze und Ableitungen allgemeineren Inhalts. 

In der bisherigen Entwicklung der Thermodynamik lassen 
sich deutlich drei von einander verschiedene Methoden der 
Forschung unterscheiden. Die erste greift am tiefsten hinein 
in das Wesen der betrachteten Vorgänge, sie wäre daher, wenn 
sie sich exakt durchführen Hesse, jedenfalls als die vollkommenste 
zu bezeichnen. Nach ihr wird die Wärme bedingt durch be- 
stimmte Bewegungen der als diskrete Massen gedachten che- 
mischen Moleküle und Atome, die für gasförmige Körper ver- 
hältnissmässig einfache Eigenschaften haben, während sie sich 
für feste und flüssige Körper bisher nur in rohen Zügen angeben 
lassen. Diese kinetische Theorie hat seit ihrer Begründung durch 
Joule, Waterston, Krönig und Clausius besonders durch 
Maxwell und Boltzmann wesentliche Erweiterung und Ver- 
tiefung erfahren, scheint aber in ihrer weiteren Entwicklung auf 
vorläufig unüberwindliche Hindernisse zu stossen, die nicht nur 
in der hochgradig complicirten mathematischen Durchführung 
der angenommenen Hypothesen, sondern vor allen Dingen in 
principiellen, hier nicht näher zu erörternden Schwierigkeiten 
bei der mechanischen Deutung der thermodynamischen Haupt- 
sätze begründet sind. 

Derartige spezielle Schwierigkeiten vermeidet eine zweite, 
namentlich von Helmholtz ausgebildete, Methode der Thermo- 



Vonoort v 

dynamik, indem sie sich auf die wichtigste Voraussetzung der 
mechanischen Wärmetheorie beschränkt, dass Wärme auf Be- 
wegung beruht, dagegen auf ein Spezialisiren der Vorstellungen 
von der Natur dieser Bewegungen zunächst grundsätzlich ver- 
zichtet. Dieser Standpunkt ist Sicherer als der vorige, er gewährt 
auch die volle philosophische Befriedigung, die die mechanische 
Naturauffassung überhaupt liefert, aber der Halt, den er bietet, 
ist bis jetzt nicht breit genug, um darauf eine Theorie im Ein- 
zelnen aufzubauen. Alles, was man von ihm ausgehend erreichen 
kann, ist die Bestätigung einiger allgemeiner schon anderweitig 
direkt aus der Erfahrung abgeleiteter Gesetze. 

Am fruchtbarsten hat sich bisher eine dritte Behandlung 
der Thermodynamik erwiesen. Diese Methode unterscheidet sich 
von den beiden zuerst besprochenen wesentlich dadurch, dass 
sie die mechanische Natur der Wärme nicht in den Vordergrund 
stellt, sondern, indem sie sich bestimmter Annahmen über das 
Wesen der Wärme ganz enthält, statt dessen direkt von einigen 
sehr allgemeinen Erfahr ungsthatsachen, hauptsächlich von den 
sogenannten beiden Hauptsätzen der Wärmelehre, ausgeht. 
Daraus ergeben sich dann auf rein logischem Wege eine grosse 
Reihe neuer Sätze der Physik und Chemie, die sich weitgehender 
Anwendungen fähig gezeigt und bis jetzt überall ausnahmslos 
bewährt haben. 

Diese letzte, mehr induktive, Behandlungsart, welche im 
vorliegenden Werke ausschliesslich benutzt ist, entspricht wohl 
am besten dem heutigen Stande der Wissenschaft, sie ist aber 
kaum als die abschliessende zu betrachten, sondern wird wahr- 
scheinlich künftig einmal einer mechanischen oder vielleicht auch 
einer elektromagnetischen Betrachtungsweise Platz machen müssen. 
Denn wenn es auch eine Zeitlang Vortheil gewähren mag, die 
einzelnen Wirkungen der Natur: Wärme, Bewegung, Elek- 
tricität u. s. w. zunächst als qualitativ verschieden voneinander 
einzuführen und die Frage nach ihrer etwaigen Wesensgemein- 
schaft zu unterdrücken, so wird doch unser durch die Ent- 
deckung des Princips der Erhaltung der Energie so mächtig ge- 
fordertes Streben nach einer einheitlichen Naturänschauung, 
sei es auf mechanischer oder auf anderer Grundlage, sich nie- 
mals auf die Dauer zurückhalten lassen ; würde doch schon heute 
ein Zurücktreten von der Annahme der Wesensgleichheit aller 



VI Vorwart. 



physikalischen Vorgänge gleichbedeutend sein mit dem Verzicht 
auf das Verständniss einer Reihe l)ereits erkannter Gesetz- 
mässigkeiten zwischen verschiedenen Gebieten der Natur. Dann 
werden selbstverständlich die hier aus den beiden Hauptsätzen 
der Wärmelehre abgeleiteten Ergebnisse nicht erschüttert werden, 
sondern es werden nur diese beiden Sätze nicht mehr selbst- 
ständig eingeführt, sondern ihrerseits aus anderen noch all- 
gemeineren Sätzen abgeleitet werden. Es ist aber bis jetzt die 
Zeit noch nicht abzusehen, in welcher der weite Weg zu diesem 
Ziel zurückgelegt werden kann. 

Berlin, im April 1897. 

Der Verfasser. 



Inhalt. 



Seite 

Erster Abschnitt. Grundthatsachen und Definitionen 1 

I. Capitel. Temperatur 1 

II. Capitel. Molekulargewicht 19 

III. Capitel. Wärmemenge . 28 

Zweiter Absclinitt. Der erste Hauptsatz der Wärmetlieorie . . 34 

I. Capitel. Allgemeine Formulirung 34 

IL Capitel. Anwendungen auf homogene Systeme ... 41 

III. Capitel. Anwendungen auf nichthomogene Systeme . 61 

Dritter Absclinitt* Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie 71 

I. Capitel. Einleitung 71 

II. Capitel. Beweis 80 

III. Capitel. Allgemeine Folgerungen 97 

Vierter Abselinitt. Anwendungen auf spezielle Gleichgewiehts- 

zustsinde 110 

I. Capitel. Homogenes System 110 

II. Capitel. System in verschiedenen Aggregatzuständen 122 

III. Capitel. System von beliebig vielen unabhängigen Be- 

standtheilen 163 

IV. Capitel. Gasförmiges System ... 196 

V. Capitel. Verdünnte Lösungen 210 

Verzeichuiss der thermodynamischen Schriften des Verfassers . . . 248 



Erster Abschnitt. 



Grundthatsachen und Definitionen. 

I. Capitel. Temperatur. 

§ !• Der Begriff „Wärme" entspringt aus derjenigen Sinnes- 
empfindung, die uns bei der direkten Berührung eines Körpers 
unmittelbaren Aufschluss über den Unterschied zwischen Warm 
und Kalt liefert. Ein quantitatives, wissenschaftlich brauchbares 
Maass für den Wärmezustand eines Körpers lässt sich aber aus 
der unmittelbaren Empfindung, die nur qualitative und je nach 
den äusseren Umständen veränderliche Resultate ergibt, nicht 
ableiten. Man benutzt zu diesem Zweck eine andere Erscheinung, 
die erfahrungsgemäss bei allen Körpern gleichzeitig mit der Er- 
wärmung auftritt, wenn der äussere Druck constant bleibt, und 
die den Vortheil einer genauen Messung darbietet: die Volumen- 
änderung. Bei den meisten Substanzen ist mit der Erwärmung 
eine Volumenvergrösserung verbunden. Sonach lässt sich nicht 
blos durch Betastung, sondern auch durch eine rein mechanische 
Beobachtung, und zwar durch letzteres Mittel in viel feinerem 
Grade, entscheiden, ob ein Körper wärmer oder kälter wird. 
Auch lässt sich genau angeben, wenn ein Körper einen früher 
einmal innegehabten Wärmezustand wiederum einnimmt. 

§ 2. Wenn zwei Körper, die sich sehr verschieden warm 
anfühlen, z. B. eine erhitzte Metallmasse und kaltes Wasser, in 
Berührung gebracht werden, so findet man immer, dass der 
wärmere sich abkühlt, der kältere sich erwärmt, bis zu einer 
gewissen Grenze, wo jede Veränderung aufhört Dann sagt 
man mit einem aus der Mechanik übertragenen Sprachgebrauch: 
Die beiden Körper stehen im Wärmegleichgewicht. Ein solches 
Wärmegleichgewicht tritt erfahrungsgemäss schhessUch immer 

PLA17CK, ThennodTDamik. 1 



Orundthatsachen und Definitionen. 



ein, auch wenn nicht zwei, sondern beliebig viele verschieden 
warme Körper in beliebige wechselseitige Berührung miteinander 
gebracht werden. Hieraus folgt sogleich der wichtige Satz: 
Wenn ein Körper Ä mit zwei anderen Körpern B und G im 
Wärmegleichgewicht steht, so stehen auch B und G unter sich 
im Wärmegleichgewicht. Verbindet man nämlich die Körper 
Äf Bj G hintereinander zu einem Ringe, so dass jeder der drei 
Körper die beiden andern berührt, so besteht nach der Voraus- 
setzung an den Berührungsstellen (AB) und (^(7) Wärmegleich- 
gewicht, folglich auch an der Stelle {BC)'^ denn sonst würde über- 
haupt kein allgemeines Wärmegleichgewicht möglich sein, was 
der durch den vorigen Satz angegebenen Erfahrung wider- 
spräche. 

§ 3. Hierauf beruht die Möglichkeit, den Wärmezustand 
irgend zweier Körper B und G zu vergleichen, ohne sie direkt 
miteinander in Berührung zu bringen. Man bringt nämlich 
jeden einzeln mit dem als Messinstrument dienenden, zunächst 
beliebig ausgewählten Körper A zusammen (z. B. einem in ein 
enges Rohr ausmündenden Quecksilbervolumen) und kann so durch 
jedesmalige Beobachtung des Volumens von A entscheiden, ob 
B und G im Wärmegleichgewicht stehen oder nicht, bez. welcher 
von beiden Körpern der wärmere ist. Den Wärmezustand des 
Körpers A und somit auch jedes mit A im Wärmegleichgewicht 
befindlichen Körpers kann man einfach deiiniren durch das 
Volumen von A, oder auch, wie gewöhnlich, durch die Differenz 
des Volumens von A und desjenigen Volumens, welches der 
Körper A einnimmt, wenn er sich mit schmelzendem Eis unter 
Atmosphärendruck im Wärmegleichgewicht befindet. Ist die 
Einheit dieser Volumendifferenz so gewählt, dass sie gleich 100 
wird, wenn sich A mit dem Dampfe siedenden Wassers unter 
Atmosphärendruck im Wärmegleichgewicht befindet, so heisst 
sie die Temperatur in Grad Celsius in Bezug auf den Körper 
A als thermometrische Substanz. Zwei Körper von gleicher 
Temperatur stehen also immer im Wärmegleichgewicht, und um- 
gekehrt. 

§ 4« Die Temperaturangaben zweier verschiedener thermo- 
metrischer Substanzen stimmen, ausser bei 0® und bei 100^, im 
Allgemeinen niemals überein, weshalb in der bisherigen Definition 
der Temperatur noch eine grosse Willkühr herrscht. Dieselbe 



TemipercAur. 



kann hier nur bis zu einem gewissen Grade beseitigt werden, 
nämlich durch die Benutzung der Erfahrung, dass die verschie- 
denen Gase, besonders die schwer condensirbaren, wie Wasser- 
stoff, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenoxyd, als thermometrische 
Substanzen innerhalb eines beträchtlichen Temperaturbereichs 
eine fast vollkommene, für die meisten Messungen genügende 
üebereinstimmung in den Temperaturangaben hefem. Ja noch 
mehr: auch die absolute Grösse der Ausdehnung ist bei allen 
diesen Gasen insofern die nämliche, als gleiche Volumina der- 
selben sich bei gleichzeitiger Erwärmung immer um gleichviel 
ausdehnen, constanten äusseren Druck vorausgesetzt. Der Be- 
trag dieser Ausdehnung ist für eine Erwärmung von 0^ auf 1® 
etwa der 273 te Theil des Volumens. Da nun endlich auch der 
Einfluss des äusseren Druckes auf das Volumen eines dieser 
Gase durch ein sehr einfaches Gesetz dargestellt wird, so ist 
der Schluss gestattet, dass diese Begelmässigkeiten auf einer 
besonders einfachen Constitution dieser Substanzen beruhen, und 
dass es daher rationell ist, die von ihnen angegebene gemeinschaft- 
liche Temperatur als Temperatur schlechthin zu detiniren. Es 
müssen also die Angaben aller anderen Thermometer auf das Gas- 
thermometer (speziell Wasserstoffthermometer) reducirt werden. 

§ h. Bei Genauigkeitsanforderungen, für welche die üeber- 
einstimmung in den Angaben der verschiedenen Gasthermometer 
nicht genügt, bleibt die Willkühr in der Definition der Temperatur 
bestehen, da kein Grund vorliegt, ein bestimmtes Gas vor den 
anderen zu bevorzugen. Eine von den Eigenschaften einzelner 
Körper vollkommen unabhängige Definition der Temperatur, 
gültig für alle Wärme- und Kältegrade, wird erst möglich auf 
Grund des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie (siehe unten 
§ 160 ff.). Bis dahin wird daher nur von solchen Temperaturen 
die Rede sein, welche durch das Gasthermometer mit hin- 
reichender Schärfe definirt sind. 

§ 6« Wir beschäftigen uns im Folgenden vorwiegend mit 
homogenen isotropen Körpern von beliebiger Form, die im Innern 
gleichmässige Temperatur und Dichte besitzen und einem gleich- 
massigen überall senkrecht auf ihre Oberfiäche wirkenden Druck 
unterworfen sind, folglich auch den nämlichen Druck nach Aussen 
hin ausüben. Von Oberflächenerscheinungen sehen wir dabei 
ab. Der Zustand eines solchen Körpers ist bestimmt durch 



y 



OrundtMtscuskm mtd Definitionen. 



sehie chemi6<3he Natur^ seine Masse M^ sein Ydiumen V und seine 
TVmperatur t. Alle anderen Eigenschaften des Zustandes müssen 
al«o von den angegebenen in bestimmter Weise abhängig sein, 
vor Allem der Druck, welcher gleichmäseig im ganzen Innern 
harscht und ebenso nach Aussen hin wirkt Der Druck p wird 
gemessen durch die Kraft, welche auf die Flächeneinheit der 
Oberfläche wirkt, also im d G* S.- System durch Dynen pro 
Quadratcentimeter, wobei ein Dyn die Kraft ist, welche der 
Ma»se eines &ramm in einer Sekunde die G-eschwindigkeit von 
einem Oentimeter in der Sekunde ertheili 

§ 7. In der Praxis misst man gewöhnlich den Druck in 
Atmosphären, und es soll daher hier der Werth einer Atmo- 
sphäre im absoluten CG-S^-System berechnet werden. Der 
Druck einer Atmosphäre ist die Kraft^ welche eine Quecksilber- 
säule von 0^ Cete., 76 cm Höhe und 1 qcm Querschnitt durch 
ihre Schwere auf ihre Grundfläche ausübt, wenn sie an einem 
Orte mittlerer geogr. Breite aufgestellt ist Der letzte Zusatz 
ist nothwendig^ weil die durch die Erdanziehung bedingte 
Schwere «ich mit dem Orte ändert Das Volumen der Queok* 
silbersäule beträgt 76, ihre Masse, durch Multiplication des 
Volumens mit der Dichte des Quecksilbers bei 0^, 76- 13^596; 
daher ihre Schwere, durch Multiplication der Masse mit der 
Beschleunigung der Schwere an einem Orte mittlerer Breite: 

76 • 13,596 . 981 = 1 013 650 ^ oder ^ , 

Dies ist also der Druck einer Atmosphäre im absoluten C. G S> 
System. Würde man als Krafteinheit nicht das Dyn, sondern, 
wie es früher in der Mechanik üblich war, die Schwere eines 
Gramms in einem Orte mittlerer geogr. Breite benutzen', so 
würde der Druck einer Atmosphäre betragen: 76-13,596 = 1033,3. 
§ 8. Da der Druck des betrachteten Körpers offenbar nur 
von seiner inneren Beschaffenheit, nicht aber von seiner äusseren 
Forin und seiner Masse abhängt, so folgt, dass p ausser von 
der Temperatur nur von dem Verhältniss der Masse M zum 
Volumen F, d. h. von der Dichte, abhängt, bez. von dem um- 
gekehrten Verhältniss, dem Volumen der Masseneinheit: 

V 

weiches wir, wie üblich, als das spezifische Volumen des Körpers 



Thrnpenduir^ 5 



bezeichnen. Es existirt also eine besümmta^ jeder Substanz 
eigenthümliohe Beziehung, 

welche die Z^stands^leichung der Substanz genannt wird 
Die Funktion f besitzt fiir Gase stets positive, für flüssige und 
feste Körper unter umständen auch negative Werthe. 

§ 9. Ideale Gase. Am einfachsten gestaltet sich die 
Form der Zustandsgieichung flir diejenigen Substanzen, welche 
wir oben § 4 zur Deänition der Temperatur benutzt haben^ 
Wird nämlich die Temperatur constant gehalten, so ist nach 
dem Gesetz von Boyle (Mabiotte) das Produkt aus Druck und 
spezifischem Volumen constant: 

pv=T (1) 

wobei T, ausser vom der Natur des Gases, allein von dey Tem- 
peratur t abhängt 

Wenn aber der Druck constant gehalten wird, so ist nach 
der Definition § 3 die Temperatur proportional der Differenz 
des jeweiligen Volumens v und des Volumens bei 0** : v^, d. h. 

t^{v^v,) P (2) 

worin P nur vom Druckj? abhängt. Hierbei ist nach Gleichung (1) 

P% = T, (3) 

wenn T^ den Werth bezeichnet, den die Temperaturfunktion T 
för ^ = annimmt 

EndUoh benutzen wir noch die ebenfalls schon oben, § 4, 
angeführte Erfahrung, dass der Betrag de? Ausdehnung bei einer 
Erwärmung von 0^ auf 1^ für alle idealen Gase der nämKdie 

Bruchtheil a (etwa = -— -) des Volumens bei 0® ist (Gesetz von 

Gay Lussac). Setzt man also < = 1, so wird v — Vq = (jcVq, und 
die Gleichung (2) geht über in: 

l = av,P (4) 

Durch Elimination von P, v^ und v aus den Gleichungen (1), 
(2), (3), (4) ergibt sich die Temperaturfunktion: 

also linear abhängig von der Temperatur, und die Zustands- 
gieichung (1) wird: 



6 Onmdthatsachen und Definitionen, 



§ 10. Diese Gleichung nimmt eine wesentlich einfachere 
Form an, wenn man den im § 3 willkührlich festgesetzten Null- 
punkt der Temperatur um — Grad verlegt, indem man den 

« j 

Schmelzpunkt des Eises nicht = 0®, sondern =^ (etwa = 273^ 
setzt. Schreibt man nämlich: 

^ + - = i9- 
« 

(absolute Temperatur), uxid setzt zur Abkürzung die Constante 
aTQ = Cf so wird die Zustandsgieichung: 

(5) p = ^'&=^C'^.& 

Die Einführung der absoluten Temperatur kommt offenbar 
im Grunde darauf hinaus, dass man die Temperatur nicht, wie 
in § 3, durch eine Volumenänderung, sondern durch das Volumen 
selbst misst. 

§ II, Die für die Natur eines idealen G^ses charakteri- 
stische Constante G ist bestimmt, wenn man für irgend ein 
Werthenpaar von & undj?, z. B. 0^ Geis, und Atmosphärendruck, 
das spezifische Volumen v des Gases kennt, und zwar verhalten 
sich offenbar für verschiedene Gase, bei derselben Temperatur 
und demselben Druck genommen, die Werthe der Constanteri C 

wie die spezifischen Volumina v, oder umgekehrt wie die Dichten — . 

Man kann also sagen: Bei derselben Temperatur und demselben 
Druck genommen stehen die Dichten aller idealen Gase in un- 
veränderlichen Verhältnissen. Man charakterisirt daher oft auch 
ein Gas durch das constante Verhältniss seiner Dichte zu der 
Dichte eines Normalgases bei demselben Druck und derselben 
Temperatur (spezifische Dichte in Bezug auf Luft oder auf 
Wasserstoff). Bei 0^ Geis. {& = 273) und 1 Atmosphäre Druck 
ist die Dichte von: 

Wasserstoff 0,00008988 gr 

Sauerstoff 0,0014291 cm» 

Stickstoff ....... 0,0012507 

„Atmosphärischer" Stickstoff 0,0012571 

Luft 0,0012930 

woraus die entsprechenden Werthe von C in absolutem Maass 
leicht zu berechnen. 



Temperaiwr, 



Durch die Zustandsgieichung einer Substanz lasisen sich 
alle Fragen nach dem Verhalten > der Substanz in Bezug auf 
beliebige Aenderungen det* Temperatur, des Volumens und des 
Druckes vollständig beantworten. ^ 

§ 13. Verhalten bei constantem l)ruck. (Isopiestische 
Aenderungen.) Ausdehnungscoeffizient heisst das Verhältniss der 
Zunahme des Volumenö bei Erwärmung um 1^ zu dem Volumen 
bei 0^ Geis. Für ein ideales Gas beträgt die Zunahme des Vo- 
lumens bei Erwärmung um l^nach der Zustandsgieichung (5) — . 

Das Volumen bei 0® Geis, beträgt nach derselben Gleichung 

CM * 

273, also das Verhältniss beider, d.h. der Ausdehnungs- 

coeffizient des Gases: 073'^^' 

§ 13. Verhalten bei constantem Volumen. (Isochorische 
oder isopyknische Aenderungen.) Spannungscoeffizient heisst das 
Verhältniss der Zunahme des Druckes bei Erwärmung um 1® 
zu dem Druck bei 0® Gels. Für ein ideales Gas beträgt die 
Zunahme des Druckes bei Erwärmung um 1 ® nach der Zustands- 
gieichung (5) ~yr. Der Druck bei O^Cels. beträgt-F^-273, also 
das Verhältniss beider, d. h. der Spannungscoeffizient des Gases: 

-— , gleich dem Ausdehnungscoeffizienten a. 

§ 14. Verhalten bei constanter Temperatur. (Isothermische 
Aenderungen.) Elasticitätscoeffizient heisst das Verhältniss einer 
unendlich kleinen Zunahme des Druckes zu der dadurch be- 
dingten Contraktion der Volumeneinheit. Für ein ideales Gas 
ist die Contraktion eines beliebigen Volumens V bei Zunahme 
des Druckes um dp nach der Zustandsgieichung (5) 

--dV=—-^dp = —dp 
p^ P 

Die Contraktion der Volumeneinheit also =- = — , und daher 

V P 

der Elasticitätscoeffizient des Gases: 

d^:-^ = p, also gleich dem Druck 

Der reciproke Werth des Elasticitätscoeffizienten, nämlich das 
Verhältniss einer unendlich kleinen Contraktion der Volumen- 
einheit zu der entsprechenden Druckvermehrung, heisst Com- 
pressibilitätscoeffizient. 



S Onmdthatseuikitn tmd Definitionen, 



§ 16, Die drei Goefüzienten, welohe das Verhalten einer 
Substaius bei iaopiestischen^ igochorischen und isothermischen 
Aenderungen kennzeichnen^ sind nicht unabhängig von einander, 
sondern, für jede beliebige Substanz^ durch eine feste Beziehung 
verknüpft Durch Differentiation der Zustandsgieichung ergibt 
sich nämlich allgemein: 

wobei, wie üblich, der angefügte Index diejenige Variable be- 
zeichnet, welche bei der Differentiation constant zu halten ist. 
Setzt man nun dp = 0, so erhält man die Bedingimg, welche 
ftlr eine isopieatische Aenderung zwischen den Differentialen d %t 
und dv gilt, also entsprechend geschrieben: 

(dp) 
(6) (l^] — v^^A 

^ ^ \d &)p "" /dp_\ 

Man kann daher f)ir jeden Zustand einer Substanz eine 
der drei Grössen: Ausdehnungscoeffizient, Spannungscoeffizient, 
Compressibilitätscoeffizient, aus den beiden anderen berechnen. 
Nehmen wir z. B. Qu^ksilber bei 0^ Gels, und Atmosphären- 
druck. Der Ausdehnungscoeffizient ist nach § 12 

Der Compressibilitätscoeffizient, bezogen auf Atmosphären, 
nach § 14 

_ (4^] Jl = 0,000003 

Also nach (6) der Spannungscoeffizient (§ 13), bezogen auf 
Atmosphären: 

( dp \ _ _ (d^\ ( dv \ ^ \d(^)p ^ 0,00018 ^ g^ 
\d&)v \dv)^'[d^)p ldv\ 0,000 008 

d. h. um Quecksilber bei der Erwärmung von 0^ auf 1^ aul 
C0nstaQ,tem Volumen zu erhalten, bedarf es einer Druckzunahme 
von 60 Atmosphären. 

§ 16, ICisohuBgen idealer Gase. Wenn verschiedene be- 
liebig grosse Quantitäten eines und desselben Gases von gleicher 



Temperatur, 9 



Temperatur und gleichem Druck, welche Anüaiigs durch Scheide- 
wände getrennt sind, mittelst plötzlicher Beseitigung derselben in 
Berührung gebracht werden, so ist und bleibt selbstverständlich 
das Volumen des gesammten Systems gleich der Summe der 
Einzelvolumina^ Wenn aber die in Berührung gebrachten Gase 
verschiedener Natur sind, so zeigt die Erfahrung, dass auch 
dann, bei constant gehaltener gleichmässiger Temperatur und 
Druck, das Gesammtvolumen dauernd gleich der Summe der 
ursprünglichen Einzelvolumina bleibt, obwohl sich gleichzeitig 
ein langsamer Mischungsvorgang, die DiflFusion, vollzieht, der 
erst dann sein Ende erreicht, wenn die Zusammensetzung der 
Mischung in jedem noch wahrnehmbaren Baumtheil überall 
die nämliche, d. h. die Mischung physikalisch homogen ge- 
worden ist. 

§ 17. Man kann sich das entstandene Gemisch von vorn- 
herein in zweierlei Weise constituirt denken. Entweder könnte 
man annehmen, dass bei der Vermischung jedes einzelne Gas 
sich in unwahmehmbar viele kleine Theile spaltet, deren jeder 
aber sein Volumen und seinen Druck unverändert beibehält, und 
dass diese kleinen Theile der verschiedenen Gase sich bei der 
Diffusion nebeneinandermengen, ohne sich gegenseitig zu durch- 
dringen; dann hätte auch nach beendigter Diffusion jedes Gas 
noch sein altes Volumen (Partialvolumen) und alle Gase hätten 
denselben gemeinsamen Druck. Oder aber — und diese Auf- 
fassung wird sich weiterhin (§ 32) als die allein berechtigte er- 
weisen — man kann annehmen, dass die Einzelgase sich auch 
in ihren kleinsten Volumtheilen verändern und durchdringen, 
dass also nach beendigter DiflFusion jedes Einzelgas, soweit man 
überhaupt noch von einem solchen reden kann, das Volumen 
des ganzen Gemisches einnimmt und demzufolge unter einem 
geringeren Druck als früher steht. Man kann diesen Druck 
eines Einzelgases in der Mischung, seinen sog. Partialdruck, leicht 
berechnen. 

§ 18. Bezeichnet man die einzelnen Gase durch angefügte 
Zahlenindices, während Temperatur & und Druck p ohne Index 
gelassen werden, so ist vor Beginn der DifiFusion naoh der Zu- 
standsgleichung (5): 



10 Oi'undthatsaehen und Definitionen, 



Das Gesammtvolumen: 

r^Fi + F^ + ... 

bleibt nach § 16 diircli die DiflFusion unverändert Da nun 
nach beendigter Diffusion jedem einzehien Gas das ganze 
Volumen F zugeschrieben wird, so sind dann die Partialdrucke 
nach der Gleichung (5) und nach den letzten Gleichungen: 

l*) Pl = V — "V^^ ^2— y — — -y^P' ••• 

Durch Addition ergiebt sich: 

(8), P^ +P^ + . . . = y. P=^P 

Das Gesetz von Dalton, welches besagt, dass in einer homogenen 
Gasmischung der Druck gleich ist der Summe der Partialdrucke 
aller einzelnen Gase. Gleichzeitig sieht man, dass 

(9) p^ : p^ : , . . = F^ : F^ : . . . =s 0^ M^ : C^ M^ : . . . 

d. h. die Partialdrucke der Einzelgase stehen in demselben Ver^ 
hältniss wie die Volumina, welche die Gase vor der Diffusion 
hatten, bez. wie die Partialvolumina, welche die Gase nach der 
im § 17 zuerst geschilderten Auffassung in der Mischung ein- 
nehmen würden. 

§ 19. Die Zustandsgieichung der Mischung lautet nach 
(8) und (7): 

(10) p=^(C,M,+C,M, + ...)^ 

entspricht also ganz der Zustandsgieichung (5) eines idealen 
Gases, dessen charakteristische Constante ist: 



Daher kann durch die Untersuchung der Zustandsgieichung 
niemals entschieden werden, ob ein ideales Gas chemisch einfach 
ist oder eine Mischung verschiedener chemisch einfacher Gase 
bildet. 

§ 30. Die Zusammensetzung einer Gasmischuüg definirt 
man entweder durch die Verhältnisse der Massen M^^ M^ . , . 
oder durch die der Partialdrucke /?j, /?2 • • • bez. Partialvolumina 
Fj, Tg . . . der Einzelgase. Je nachdem spricht man entweder 



Temperatur. 11 



von Gewichtsprozenten oder von Volumenprozenten. Nehmen 
wir z. B. atmosphärische Luft, eine Mischung von Sauerstoff (1) 
und von „atmosphärischem" Stickstoff (2). 

Das Verhältniss der Dichten von Sauerstoff, atmosphärischem 
Stickstoff und Luft ist nach § 11 

0,0014291 : 0,0012571 : 0,0012930 = ^:^:^. 
Unter Berücksichtigung der Beziehung (11) 

berechnet sich hieraus das Verhältniss 

M^:M^ = 0,2998 

d. h, 23,1 7o Sauerstoff und 76,9 7^ Stickstoff nach Gewichts- 
Prozenten. Femer das Verhältniss 

G,M, : C^M, =.p^:p^=.V,:V, = 0,2637 

d. h. 20,9 7^^ Sauerstoff und 79,1 7^ Stickstoff nach Volumen- 
Prozenten. 

§ 31. Znstandsgleichung anderer Substanzen. Stellt schon 
für die bisher beispielsweise behandelten Substanzen die Zu- 
standsgleichung idealer Gase nur eine, wenn auch bedeutende, 
Annäherung an die Wirklichkeit dar, so zeigen die anderen 
gasförmigen Körper, besonders diejenigen, die sich leicht con- 
densiren lassen, und die daher früher in die besondere Klasse 
der Dämpfe zusammengefasst wurden, ein von den Eigenschaften 
idealer Gase deutlich abweichendes Verhalten, so dass für sie 
eine Modification der Zustandsgieichung eintreten muss. Dabei 
ist jedoch bemerkenswerth, dass die Abweichungen von dem 
Verhalten idealer Gase um so geringer auszufallen pflegen, je 
kleiner die Dichte genommen wird, weshalb man im Allgemeinen 
sagen kann, dass sich die gasförmigen Substanzen bei genügend 
geringer Dichte wie ideale Gase verhalten. Die Zustands- 
gieichung beliebiger Gase und Dämpfe wird sich also als eine 
Verallgemeinerung derjenigen für ideale Gase darstellen müssen, 
welche für grosse Werthe von t? in die spezielle oben behandelte 
Form (5) übergeht. 

§ 23. Von dem Sinn und der Grösse der Abweichungen 
von dem idealen Gaszustand kann man sich auf graphischem 
Wege eine Vorstellung verschaffen, und zwar auf verschiedene 



12 Orundthatsc^chen Whd Definitionen, 

Weise. Mun kwm ^ 6. eine isotbenoisiQbe Curve au&eichnen, 
indem man für eine beliebige oonstant gehaltene Temperatur i^ 
je zwei zusammengehörige Werthe von v und p als Absdisse 
und Ordinate eines Puixktes in einer Ebene auffas^b Die Scbaar 
aller Isothermen liefert ein vollständiges Bild der Zustands- 
gieichung. Je mehr nun sich das Verhalten des betrachteten 
Gases dem idealen nähert, um so enger schliessen sich die 
Isothermen an die gleichseitigen Hyperbeln an, welche die 
Coordinatenaxen zu Asymptoten haben. Denn für ein ideales 
Gas ist die Gleichung einer Isotherme: pv = con8t. Die Ab- 
weichung von der Form dieser Hyperbel gibt also zugleich ein 
Maass für die Abweichung von dem idealen Gaszustand. 

§ 33. Augenscheinlicher noch werden diese Abweichungen, 
wenn man die Isotherme in der Art zeichnet, dass nicht p, 
sondern das Produkt pv ais Ordinate, und als Abscisse etwa 
p erscheint. Für ein ideales Gas sind dann die Isothermen 
offenbar gerade, der Abscissenaohse parallele Linien. Für die 
wirklichen Gase zeigt nun eine solche Linie ein allerdings flach 
verlaufendes Minimum, dessen Lage und Betrag natürlich von 
der Temperatur und von der Natur des Gases abhängt Für 
kleinere Drucke (links vom Minimum) nimmt also das Volumen 
ndt steigendem Druck schneller, für höhere Drucke (rechts vom 
Minimum) nimmt es mit steigendem Druck langsamer ab als bei 
idealen Gasen. Im Minimum selber ist die Compressibilität 
gerade die eines idealen Gases. Beim Wasserstoff liegt das 
Minimum sehr weit Unks, und konnte bisher nur bei sehr tiefen 
Temperaturen nachgewiesen werden. 

§ 34. Die erste auch für den flüssigen Zustand brauchbare 
analytische Formiilirung der verallgemeinerten Zustandsgleiohung 
rührt her von van dbb Waals, der zugleich auch eine physika- 
lische Erklärung für die Abweichunigen vom idealen Gaszustand, 
vom Standpunkt der kinetischen Gastheorie aus, gegeben hat« Da 
wir uns hier von den Voraussetzungen der kinetischen Theorie frei 
halten woUen, haben wir es nur mit der van DEnWAALs'schen Formel 
selber^ als einem angenäherten Ausdruck der Thatsachen^ zu thun. 
Sie lautet: __ R& a 

wobei Rj a und b Constante sind, die von der Natur der Substanz 
abhängen. Für grosse v geht die Gleichung in der That in die 



Temperatur, 1 3 



eines idealen Gases über; für kleine v und entsprechende & 
stellt sie die Zustandsgieichung der tropfbar flüssigen Sub- 
stanz dar. 

Wenn der Druck p in Atmosphären ausgedrückt und das 
spezifische Volumen t? für i9- = 273 und ;? = 1 gleich 1 gesetzt 
wird, so ist nach van dee Waals für Kohlensäure: 

R = 0,00369 a = 0,00874 h = 0,0023. 
Da das Volumen von 1 gr, Kohlensäure bei 0® Geis, und 
Atmosphärendruck 505 ccm beträgt, so hat man die aus der 
Formel sich ergebenden Werthe von v noch mit 505 zu multi- 
pliciren, um die spezifischen Volumina in absolutem Maasse za 
erhalten. 

§ 35* Da die van deb WAALs'sche Formel sich als nicht 
vollständig exakt herausgestellt hat, so ist sie von Clausius 
durch Einführung einer weiteren Constanten einer Ergänzung 
unterzogen worden. Die ÜLAUSius'sche Formel lautet: 

^ ~ V^^ "" ^{v -k- 6)« ^ ^ 

Auch diese Formel ergibt für grosse v die Zustandsgieichung 
eines idealen Gases. In denselben Einheiten wie oben ist nach 
Clausius flir Kohlensäure: 

R = 0,003688 a = 0,000843 h = 0,000977 c = 2,0935. 

Die ANDEBWs'schen Beobachtungen über die Compressibilität 
gasförmiger und flüssiger Kohlensäure bei verschiedenen Tem- 
peraturen werden durch die letzte Formel ziemlich befiriedigend 
dargestellt. 

§ 36. Wenn man die Schaar der Isothermen, wie sie 
durch die Clausius' sehe Formel für Kohlensäure dargestellt 
werden, aufzeichnet, indem man für je einen constant gehaltenen 
Werth der Temperatur die Werthe von v als Abscissen, die von 
p als Ordinaten der Punkte einer Curve aufträgt, so erhält man 
ein eigenthümliches, in Fig. 1 versinnlichtes Bild.^) 

Für hohe Temperaturen erscheinen gleichseitige Hyperbeln, 
wie auch aus der Zustandsgieichung (12) zu erkennen; im All- 
gemeinen aber ist eine Isotherme eine Curve 3. Grades, da 
einem bestimmten Werth von p im Allgemeinen 3 Werthe von 



*) Die Berechnung und Zeichnung der Curven ist nach der Clausius- 
schen Zustandsgieichung von Herrn Dr. Richard Apt ausgeführt worden. 



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CubitceHtinatT p 



Temperatur. 15 



t; entsprechen. Mithin wird eine Isotherme im AUgemeinen in 
3 Punkten Ton einer der Abscissenaxe parallelen Geraden ge- 
schnitten. Zwei derselben können aber imaginär sein, wie das 
für grosse Werthe von & thatsächlich zutriflfL Für hohe Tem- 
peraturen gibt es also bei gegebenem Druck nur ein einziges 
reelles Volumen, während für tiefere Temperaturen einem be- 
stimmten Werth des Druckes 3 reelle Werthe des Volumens 
entsprechen können. Von diesen 3 Werthen, die in der Figur 
beispielsweise durch die Punkte a, ß, y dargestellt sind, können 
nur der kleinste {u) und der grösste (y) einen stabilen, in der 
Natur herstellbaren, Zustand der Substanz bedeuten. Denn für 
den mittleren (ß) steigt offenbar auf der Isotherme der Druck 
mit wachsendem Volumen an, die Compressibilität ist also nega- 
tiv. Ein derartiger Zustand hat daher zunächst nur theoretische 
Bedeutung. 

§ 37. Der Punkt ce entspricht der flüssigen, der Punkt y 
der gasförmigen Kohlensäure bei der Temperatur der Isotherme 
und bei dem Druck der Geraden aßy. Doch ist im Allge- 
meinen auch von diesen beiden Zuständen nur einer stabil (in 
der Fig. der Zustand u). Denn wenn man gasförmige Kohlen- 
säure, die etwa in einen Cylinder mit beweglichem Kolben ein- 
geschlossen ist, comprimirt und dabei die Temperatur der be- 
trachteten Isotherme (in der Fig. 20^) constant aufrecht erhält, 
so werden die aufeinanderfolgenden Zustände zunächst durch 
die ganz rechts gelegenen Punkte der Isotherme bezeichnet. Mit 
Verkleinerung des Volumens rückt der den Zustand bezeich- 
nende Punkt auf der Isotherme immer weiter nach links, bis 
er eine bestimmte Stelle G erreicht. Bei weiterer isothermer 
Compression der Substanz rückt nun der Punkt über diese Stelle 
nicht hinaus, sondern die Substanz condensirt sich zum Theil, 
d. h. sie spaltet sich in einen flüssigen und einen gasförmigen 
Theil, die selbstverständlich gemeinschaftlichen Druck und ge- 
meinschaftliche Temperatur besitzen. Der Zustand des gas- 
förmigen Theils wird bei fortschreitender Compression nach wie 
vor immer durch den Punkt C, der des flüssigen Theils daher 
durch den Punkt Ä der nämlichen Isotherme charakterisirt. 
G heisst der Sättigungspunkt der gasförmigen Kohlensäure. Bei 
dem ganzen isothermischen Compressionsvorgang besteht die 
einzige Aenderung darin, dass sich immer mehr Dampf nieder- 



16 Orundthatscu^ten und Definitionen, 



schlägt, während die inneren Zustände der heiden Theile der 
Suhstanz (Druck, Temperatur, spezifische Volumina) während 
des ganzen Gondensationsprozesses immer durch die nämlichen 
Punkte A und C dargestellt werden. Schliesslich, wenn aller 
Dampf condensirt ist, befindet sich die ganze Substanz im 
flüssigen Zustand A, verhält sich also nun wieder homogen. Die 
weitere isothermische Compression ergibt dann wieder Zunahme 
der Dichtigkeit und Steigerung des Druckes längs der Isotherme, 
wobei auch der Punkt a der Fig. überschritten wird. Auf dieser 
Seite ist, wie aus der Fig. zu erkennen, die Isotherme viel 
steiler als auf der andern, d. h. die Compressibilität viel ge- 
ringer. Bisweilen gelingt es bei der Compression eines Dampfes, 
die Isotherme über den Punkt G hinaus nach y hin eine Strecke 
weit zu verfolgen und sogenannten übersättigten Dampf herzu- 
stellen. Man erhält aber dann nur mehr oder weniger labile 
Gleichgewichtszustände, wie sich daraus zu erkennen gibt, dass 
bei minimalen Störungen des Gleichgewichts eine plötzliche Con- 
densation, also ein sprungweiser Uebergang in den stabilen Zu- 
stand erfolgen kann. Immerhin erhält durch das Studium der 
übersättigten Dämpfe auch das theoretische Stück der Isotherme 
zum Theil eine unmittelbare Bedeutung. 

§ 38. Nach dem Gesagten besitzt jede Isotherme, die für 
gewisse Werthe von p 3 reelle Volumina zulässt, zwei bestimmte 
Stellen Ä und G, die den Zustand der Sättigung angeben. Ihre 
Lage lässt sich aus der Zeichnung der Isotherme nicht ohne 
weiteres ersehen. Doch führen die Sätze der Thermodynamik 
zu eiiier einfachen Construktion dieser Punkte, die im vierten 
Abschnitt (§ 172) abgeleitet werden wird. Je höher die Tem- 
peratur genommen wird, um so mehr schrumpft das Gebiet der 
Geraden zusammen, welche die Isothermen in 3 reellen Punkten 
schneiden, und um so näher rücken sich diese 3 Punkte. Den 
Uebergang zu den hyperbelähnlichen Isothermen, welche von 
jeder zur Abscissenaxe Parallelen nur in 1 Punkt geschnitten 
werden, bildet eine bestimmte Isotherme, für welche jene 3 
Schnittpunkte in einen einzigen zusammenfallen. Dieser Punkt 
stellt also einen Wendepunkt der Isotherme vor, in welchem die 
Tangente der Curve parallel der Abscissenaxe verläuft. Es ist 
der kritische Punkt K der Substanz (s. Fig.), er bezeichnet 
die kritische Temperatur, das kritische spezifische Volumen, und 



Temperatur, 1 7 



den kritischen Druck; für ihn wird der gesättigte Dampf mit 
seinem Niederschlag identisch. Oberhalb der kritischen Tem- 
peratur und oberhalb des kritischen Druckes gibt es überhaupt 
keine Condensation, wie leicht aus der Fig. zu ersehen. Daher 
mussten alle Versuche scheitern, Wasserstoff, Sauerstoff und 
Stickstoff zu condensiren, solange die Temperatur nicht unter 
die kritische Temperatur, die bei diesen Substanzen sehr tief 
liegt, erniedrigt wurde. 

§ 29. Man sieht aus der Fig. 1 auch, dass es garkeine 
bestimmte Grenze gibt zwischen dem gasförmigen und dem 
flüssigen Zustand, da man leicht aus dem Bereich der ent- 
schieden gasförmigen Zustände, z. B. vom Punkte G aus, auf 
einer Curve, die um den kritischen Punkt oben herumführt, in 
das Gebiet der entschieden flüssigen Zustände, z. B. nach A 
kommen kann, ohne irgendwo einen gesättigten Zustand zu 
überschreiten. Man erwärme z. B. den Dampf bei constantem 
Volumen über die kritische Temperatur hinaus und kühle 
ihn hierauf bei constant gehaltenem Drucke bis unter das 
kritische Volumen ab. Dann tritt niemals Gondensation ein, und 
doch befindet man sich schliesslich im Gebiet der unzweifel- 
haft flüssigen Zustände. Die frühere principielle Unterscheidung 
zwischen Flüssigkeiten, Dämpfen und Gasen muss daher als 
nicht mehr durchführbar fallen gelassen werden. 

Auch der in neuerer Zeit gemachte Vorschlag, diejenigen 
Zustände, welche einer höheren Temperatur als der kritischen 
angehören, als gasförmig, die übrigen dagegen als dampfförmig 
oder flüssig zu bezeichnen, je nachdem sie in der Fig. 1 rechts 
oder links yon den theoretischen Gebieten liegen, hat gewisse 
Unzuträglichkeiten im Gefolge, da hiedurch namentlich eine 
Grenze einerseits zwischen Flüssigkeit und Gas, andrerseits 
zwischen Dampf und Gas festgesetzt wird, die keine unmittel- 
bare physikalische Bedeutung hat. Denn das Ueberschreiten 
der kritischen Temperatur bei einem anderen als dem kritischen 
Druck unterscheidet sich in keiner wesentlichen Hinsicht von 
dem Ueberschreiten irgend einer anderen Temperatur. 

§ 30. Der kritische Punkt lässt sich leicht aus det allge- 
meinen Zustandsgieichung berechnen. Denn für ihn gelten nach 
§ 28 die Gleichungen: 

, Planck, Thermodynamik. 2 



18 Orundtkatsachen und Definitionen. 



TOD denen die erste besagt^ dass die Tangente der Isotherme 
in K parallel der Abscissenaxe verläuft, die zweite, dass die 
Isotherme in K einen Wendepunkt besitzt Legt man die 
CLAüSius'sche Zustandsgieichung (12) zu Grunde, so ergibt sich 
hienach für den kritischen Punkt: 

also für Kohlensäure nach den mitgetheilten Zahlen: 

i?. = 304 = 273« + 31% i? = 77Atm., «; = 2,27^^. 

gr 

Qualitativ gelten für jede Substanz dieselben Gesetzmässigkeiten 
wie für Kohlensäure^ aber die Werthe der Constanten sind sehr 
verschieden. 

§ 31« Auch bezüglich des Uebergangs aus dem flüssigen 
in den festen Aggregatzustand lassen sich genau dieselben Be- 
trachtungen anstellen, wie für den aus dem gasformigen in den 
flüssigen, auch hier kann man das System der Isothermen zeich- 
nen, und auch hier würde man wahrscheinlich, wenn die Hilfs- 
mittel der experimentellen Forschung so weit reichten, sowohl 
„theoretische" Gebiete der Isothermen als auch einen kritischen 
Punkt constatiren können, dessen Umgehung einen continuir- 
lichen Uebergang aus dem flüssigen in den festen Aggregat- 
zustand ermöglicht. In der That gibt es ja gewisse Substanzen, 
die schon unter gewöhnUchem Druck beim Erwärmen ohne 
jeden erkennbaren Sprung aus dem festen in den flüssigen Zu- 
stand übergehen, wie z. B. Pech, während wieder bei anderen 
Substanzen einer bestimmten Temperatur ein ganz bestimmter 
Schmelzdruck (oder Erstarrungsdruck) entspricht, bei welchem 
sich die Substanz in zwei diflferente Aggregatzustände spaltet; 
doch ist der Schmelzdruck mit der Temperatur ausserordentlich 
viel stärker veränderlich als der Druck des gesättigten Danipfes. 
Für die physikalische Berechtigung der geschilderten Auffassung 
sprechen besonders die Versuche von Baeüs und die von Spbing, 
bei denen die Drucke innerhalb weiter Grenzen variirt wurden. 

Die vollkommenste Zustandsgieichung wäre eine solche, 
welche zugleich den gasförmigen, flüssigen und festen Aggregat- 
zuständ umfasste. Die Aufstellung derselben ist aber bis jetzt 
für keine Substanz versucht worden. 



Molekulargewicht. 19 



§ 32« Miflchnngen verschiedener Substanzen. Während sich 
die Zustandsgieichung einer Mischung idealer Gase, wie wir in 
§19 sahen, in einfacher Weise auf die der einzelnen Com- 
ponenten zurückführen lässt, ist das bei Mischungen beliebiger 
Substanzen im Allgemeinen nicht mehr der Fall. Nur bei Gasen 
und Dämpfen gilt^ wenigstens mit grosser Annäherung, das 
ÜAiiTON'sche Gesetz, dass der Gesammtdruok einer Mischung 
gleich ist der Summe der Einzeldrucke, welche jedes Gas (oder 
Dampf) ausüben würde, wenn es allein bei derselben Temperatur 
das ganze Volumen ausfüllte. Dieser Satz gestattet es offenbar, 
die Zustandsgieichung einer beliebigen Gasmischung anzugeben, 
falls die der einzelnen Gase bekannt ist, er liefert ausserdem 
auch die Entscheidung der oben § 17 unbeantwortet gelassenen 
Frage, ob man den einzelnen Gasen in einer Mischung gemein- 
samen Druck und verschiedene Volumina, oder ob man ihnen 
gemeinsames Volumen und verschiedenen Druck zuschreiben 
muss. Dass die letztere Auffassung die allein zulässige ist, folgt 
aus der Betrachtung eines Dampfes, der sich weit von dem 
idealen Gaszustand entfernt: Nehmen wir z. B. eine Mischung 
atmosphärischer Luft und Wasserdampf bei 0^ Cels. unter Atmo- 
sphärendruck, so kann man den Wasserdampf unmöglich als 
unter dem Druck einer Atmosphäre befindlich annehmen, weil 
Wasserdampf bei 0^ Cels. unter diesem Druck nicht existirt. 
Es bleibt also nur übrig, der Luft und dem Wasserdampf ein 
gemeinsames Volumen (dasjenige der Mischung) und verschiedene 
Drucke (Partialdrucke) zuzuschreiben. 

Für Mischungen fester und flüssiger Substanzen ist kein 
allgemein gültiges Gesetz bekannt, welches die Zustandsgieichung 
auf diejenige der einzelnen Substanzen zurückführt. 

II. Capitel. Molekulargewicht. 

§ 33« Es ist im Bisherigen immer nur von solchen Zu- 
standsänderungen die Eede gewesen, welche allein die Tempe- 
ratur, den Druck und die Dichte betreffen, dagegen die che- 
mische Natur des betr. Stoffes oder der Mischung ganz unberührt 
lassen. Es kommt aber auch häufig, — und viel häufiger, als 
man früher annahm — vor, dass durch eine Aenderung der 
Temperatur oder des Druckes auch die chemische Beschaffenheit 



20 Orundthatsachen und Definitionen, 



einer Substanz geändert wird. Dass auch vom thermodynamischen 
Standpunkt aus ein principieller unterschied zwischen physika- 
lischen und chemischen Aenderungen einer Substanz, der einen 
continuirlichen Uebergang Ton den einen zu den andern aus- 
schliessty constatirt wetden muss, ist im Lauf der neuem Ent- 
wicklung der Thermodynamik immer deutlicher hervorgetreten 
(vgl. § 42 f. und § 238), wenn es sich auch bis jetzt als unmög- 
lich gezeigt hat, ein für alle Fälle geeignetes praktisches Unter- 
scheidungsmerkmal aufzustellen. Denn wie auffallend auch oft 
die chemischen Aenderungen sich von den physikalischen abheben, 
entweder durch die Plötzlichkeit und Heftigkeit ihres Verlaufes 
oder durch irgendwelche augenfällige Discontinuitäten (Wärme- 
erzeugung, Aenderungen der Farbe und anderer Eigenschafben), 
so gibt es doch andererseits zahlreiche Prozesse unzweifelhaft 
chemischer Natur, z. B. Dissociationsvorgänge, die sich voll- 
kommen stetig und verhältnissmässig langsam abspielen. Es 
wird eine der nächsten Hauptaufgaben der physikalischen Chemie 
sein, diesen principiellen Unterschied immer klarer herauszu- 
arbeiten. 

§ 34. Die Erfahrung lehrt, dass alle chemischen Um- 
setzungen nach Constanten Gewichtsverhältnissen erfolgen. Da- 
her kann man als charakteristischen Ausdruck für die Natur 
einer chemisch homogenen Substanz, sei sie ein Element oder 
eine Verbindung, eine Gewichts- (richtiger Massen-) Grösse be- 
nutzen: das Aequivalentgewicht. Für irgend ein bestimmtes 
Element setzt man das Aequivalentgewicht willkührlich fest, 
z. B. für Wasserstoff = 1 gr, und findet dann für ein anderes 
Element, z. B. Sauerstoff, das zugehörige Aequivalentgewicht als 
diejenige Gewichtsmenge, welche sich mit 1 gr Wasserstoff ver- 
bindet. Die Gewichtsmenge der Verbindung ist dann zugleich 
auch das Aequivalentgewicht derselben. So fortschrritend ge- 
langt man leicht zu Werthen des Aequivalentgewichts für alle 
chemisch homogenen Stoffe, auch für solche Elemente, die sich 
gamicht direkt mit Wasserstoff verbinden, da immer eine An- 
zahl von Elementen aufgefunden werden kann, welche sich so- 
wohl mit dem fraglichen Element als auch mit Wasserstoff ver- 
binden und so den Uebergang zwischen beiden vermitteln. 

Das Gesammtgewicht eines Körpers, dividirt durch sein 
Aequivalentgewicht, heisst die im Körper enthaltene Zahl der 



Molekulargewicht, 21 



Aequivalente. Daher kann man auch sagen: Bei jeder che« 
mischen Umsetzimg reagiren gleichviel Aequivalente der ver- 
schiedenen Stoffe aufeinander. 

§ 35« Indessen leidet diese Definition an einem Mangel. 
Denn zwei Elemente können häufig mehr als eine einzige Ver- 
bindung mit einander eingehen, und dadurch wird die Grösse 
des Aequivalentgewichts mehrdeutig. Doch zeigt die Erfahrung, 
dass in einem solchen Falle die verschiedenen möglichen Ge- 
wichtsverhältnisse immer einfache Multipla oder Submultipla 
eines bestimmten Verhältnisses sind. Daher reducirt sich die 
Vieldeutigkeit in dem Werth des Aequivalentgewichts auf einen 
einfachen ganzzahligen Faktor im Zähler oder Nenner dieser 
Grösse, und man muss den Schlusssatz des vorigen Paragraphen, 
dass gleichviel Aequivalente aufeinander reagiren, dahin verall- 
gemeinem, dass die Aequivalente nach einfachen Zahlenverhält^ 
nissen aufeinander reagiren. So z. B. verbinden sich 16 Ge- 
wichtstheile Sauerstoff mit 28 Gewichtstheilen Stickstoff zu 
Stickstoffoxydul, oder mit 14 Theilen zu Stickstoffoxyd, oder 
mit 9\ Theilen zu Salpetrigsäureanhydrid, oder mit 7 Theilen 
zu Untersalpetersäure, oder mit 5f Theilen zu Salpetersäure- 
anhydrid, so dass man, wenn das Aequivalentgewicht des Sauer- 
stoffs zu 16 angenommen wird, dem Stickstoff jede beliebige 
der obigen Zahlen als Aequivalentgewicht zuschreiben kann. 
Dieselben stehen aber in einfachen rationalen Verhältnissen, da 

28 : 14 : 9^ : 7 : 5| = 60 : 30 : 20 : 15 ; 12 . 

§ 86. Die durch die letzte Zahlenreihe illustrirte Unbe- 
stimmtheit in der Definition der für den Stickstoff charakte- 
ristischen Gewichtsgrösse wird nun dadurch beseitigt, dass man 
aus ihr eine bestimmte Zahl herausgreift und sie als Mole- 
kulargewicht des Stickstoffs bezeichnet. In der Definition des 
Molekulargewichts als einer ganz bestimmten, .nur von dem 
eigenen Zustand einer Substanz abhängigen, von etwaigen che- 
mischen Umsetzungen mit anderen Stoffen aber unabhängigen 
Grösse, liegt eine der wichtigsten und fruchtbarsten Errungen- 
schaften, welche die theoretische Chemie aufzuweisen hat. Die- 
selbe lässt sich allerdings bis jetzt nur für spezielle Fälle exakt 
aussprechen, nämlich für ideale Gase und für verdünnte Lösungen. 
Da der letztere Fall sich, wie in der Folge gezeigt werden wird. 



22 Orundthatsachen und Definitionen, 



mittelst der Thermodynamik als durch den ersten mitbestimmt 
darstellen lässt, so haben wir es hier nur init jenem zu thim. 

Die Definition des Molekulargewichts flir ein chemisch 
homogenes ideales Gas wird ermöglicht durch den weiteren Er- 
fahrungdBatz, dass die idealen Gase sich nicht nur^ wie überhaupt 
alle Stoflfe, nach einfachen Aequivalentzahlen, sondern auch, bei 
gleicher Temperatur und gleichem Druck genommen^ nach ein- 
fachen Völumenverhältnissen yerbinden (Gay Lussac). Daraus 
folgt sogleich, dass die in gleichen Volumina yerschiedener Gase 
enthaltenen Aequivalentzahlen in einfachen Verhältnissen stehen. 
Die Werthe dieser Verhältnisse schwanken ab^, gemäss der 
beschriebenen Willkühr in der Wahl des Aequivalentgewichts. 
Die Willkühr wird aber beseitigt durch die Definition des Mole^ 
kulargewichts. Setzt man nämlich diese Verhältnisse allgemein =1, 
d. h. stellt man die Bedingung auf, dass die Zahlen der in 
gleichen Gasvolumina enthaltenen Aequivalßnte einander gleich 
sind, so trifft man damit eine spezielle Auswahl unter den ver- 
schiedenen Möglichkeiten und erhält so ein bestimmtes Aequi- 
valentgewicht für jedes Gas, das nun als Molekulargewicht des 
Gases bezeichnet wird, und ebenso für eine gegebene Gasmenge 
durch Division des Geöammtgewichts durch das Molekulargewicht 
eine bestimmte Aequivalentzahl, welche die Anzahl der in 
der Gasmenge enthaltenen Moleküle genannt wird. In gleichen 
Volumina besitzen also alle idealen Gase gleichviel Moleküle 
(AvoGADEo). Daher werden in chemisch homogenen Gasen die 
Verhältnisse der Molekulargewichte direkt durch die in gleichen 
Volumina enthaltenen Massen, d. h. durch die Dichten, gegeben. 
Das Verhältniss der Dichten ist gleich dem Verhältniss der 
Molekulargewichte. 

§ 37. Setzt man das Molekulargewicht des Wasserstoffs = m^,, 
so ist mithin das Molekulargewicht irgend eines chemisch homo- 
genen Gases gleich dem Produkte von m^ und der spezifischen Dichte 
des Gases, bezogen auf Wasserstoff (§ 11). Folgende Tabelle enthält 
für einige Gase die spezitischen Dichten, bezogen auf Wasserstoff, 

und das Molekulargewicht 

Spezifische Dichte Molekulargewicht 



WasserstoflP 


1 


Wo 


Sauerstoff 


16 


16 Wo 


Stickstoff 


14 


14 Wo 


Wasserdampf 


9 


9 Wo 


Ammoniak 


8,5 


8,5 Wo 



Molekulargewicht, 23 



Da nun Wasserdampf sich aus 1 Gewichtstheil Wasserstoff und 
8 Gewichtstheilen Sauerstoff zusammensetzt, so bestdit das 
Molekül 9 niQ des Wasserdampfes nothwendig aus m^ Gewichfe- 
theilen Wasserstoff und 8 w^ Gewichtstheilen Sauerstoff, d. h. 
nach der Tabelle aus einem Molekül Wasserstoff und einem 
halben Molekül Sauerstoff. Da femer Ammoniak isich nach der 
Analyse aus 1 Gewichtstheil Wasserstoff und 4^/3 Gewichts- 
theilen Stickstoff zusammensetzt, so besteht das Molekül 8,5 m^ 
des Ammoniak nothwendig aus 1,5 w^ Gewichtstheilen Wasser- 
stoff und aus 7 w^ Gewichtstheilen Stickstoff, d. h. nach der 
Tabelle aus P/^ Molekülen Wasserstoff und einem halben Molekül 
Stickstoff. In derselben Weise fortfahrend kann man auf Grund 
des AvoGADKo'schen Gesetzes für jedes chemisch homogene Gas, 
dessen Dichte und chemische Zusammensetzung bekannt ist^ den 
Aufbau des Moleküls aus den Molekülen der Elemente in ganz 
bestimmten Zahlen angeben. 

§ 88. Die kleinste Gewichtsinenge eines chemisch ein- 
fachen Stoffes, welche in den Molekülen der Verbindungen des 
Stoffes vorkommt, nennt man ein Atom. Daher heisst ein halbes 
Molekül Wasserstoff ein Atom Wasserstoff: H, ebenso ein halbes 
Molekül Sauerstoff ein Atom Sauerstoff: 0, und ein halbes 
Molekül Stickstoff ein Atom Stickstoff: N. Das Molekül jedes 
dieser Elemente besteht also aus zwei Atomen: Hg, Og und Ng. 
Bei Quecksilber z. B. dagegen ist das Atom gleich dem ganzen 
Molekül, weil in den Molekülen der Quecksilberverbindungen 
immer nur ganze Moleküle des Quecksilberdampfes vorkommen. 
Setzt man, wie üblich, das Atomgewicht des Wasserstoffs H = 1, 
so ist das Molekulargewicht des Wasserstoffs Hg = 2 = m^, und 
die Molekulargewichte der obigen Tabelle werden: 

Wasserstoff 2 = Hg 
Sauerstoff 32 = Oj 
Stickstoff 28 = Na 

Wasserdampf 18 = HjO 
Ammoniak 17 = HgN 

§ 39. Allgemein ist also das Molekulargewicht eines 
chemisch homogenen Gases gleich seiner doppelten spezifischen 
Dichte, bezogen auf Wasserstoff. Umgekehrt lässt sich, wenn 
das Molekulargewicht m eines Gases bekannt ist, seine spezifische 
Dichte und somit auch die Constante G in der Zustandsgieichung 



24 Qrundthaiaachen und Definitionen. 



(5) angeben. Bezeichnet man die auf Wasserstoff bezüglichen 
Grössen mit dem Index 0, so ist bei beliebiger Temperatur und 
Druck für Wasserstoff: 



l? = 



«'o 



für ein anderes Gas bei derselben Temperatur und demselben 
Druck: « - ^^ 

Daher: 
(13) FolgKch: Q^^^O^ 



m 

Nun ist Wq = 2, während die Constante G^ sich aus der 
Dichte des Wasserstoffs bei O^Cels. und Atmosphärendruck (§11) 
berechnet Denn hierfür ist: 



«^0 



= 0,00008988 



Mithin 



j9 = 1013650 (§ 7) 
& = 273, 



(7o=^ und nach (13) 



oder: 



(7 = 



2 . 1013650 82600000 



w • 273 • 0,00008988 w 

Setzt man zur Abkürzung die Zahl 

82 600 000 = Ä, 

so ist die allgemeine Zustandsgieichung eines idealen chemisch 
homogenen Gases mit dem Molekulargewicht m: 

(14) 7^=-.-, 

worin R von der Natur des Gases unabhängig ist und daher ge- 
wöhnlich als die absolute Gasconstante bezeichnet wird. Mit 
Hülfe von R kann man also auch das Molekulargewicht m direkt 
aus der Zustandsgieichung ableiten^ da 

(15) ^ = "ä- 



MolektUargewicht. 25 



Führt man in (14) statt des spezifischen Volumens v die 
Masse M und das Volumen V ein, so ergibt sich: 

p m 

Nun ist aber — die Zahl der im Grase enthaltenen Moleküle: 

m 

M 

— = w 

m 

folglich v=—.n 

d. h. das Volumen eines Gases bei bestimmtem Druck und 

Temperatur hängt nur Yon der Anzahl der darin enthaltenen 

Moleküle, im Uebrigen aber gamicht von der Natur des 
Gases ab. 

§ 40. In einer Mischung von chemisch homogenen Gasen 
mit den Molekulargewichten m^ , m^ , . . . ist nach (9) das Ver- 
hältniss der Partialdrucke: 

P\ ' Pi ' - ' ' = ^1 ^\ • ^2 -^2 * • • • 

Da aber nach (15): 

n — ^ n ^ ^ 



W«, ^ Wj 



so ist dies Verhältniss: 

V'y • Xro • • • • ~^ • • • • • "~~ IVm • /va • • • • 

^^ ^^ nii m^ 12 

d. h. das Verhältniss der Partialdrucke gibt zugleich das Ver- 
hältniss der in der Mischung enthaltenen Molekülzahlen n^^n^^ . . . 
an. Femer ist nach (10) 



V = 



P 



P V^i ^h I 

d. h. das Volumen der Mischung bestimmt sich aus der Ge- 
samfntzahl n der in der Mischung enthaltenen Moleküle genau 
ebenso wie bei einem chemisch homogenen Gas. 

§ 41. Dagegen kann man offenbar nicht von einem Mole- 
kulargewicht der Mischung sprechen , sondern höchstens von 
einem „scheinbaren" Molekulargewicht, indem man darunter das- 



26 Orundthaisaeken und Definitionen. 



jenige Molekulargewicht yersteht, welches ein chemisch homogenes 
Gas hahen würde^ wenn es in derselben Hasse dieselbe Mole- 
külzahl wie die Mischung enthielte. Bezeichnen wir das schein- 
bare Molekulargewicht mit m, so ist die Molekülzahl 

Ml + M^ + ,,. _ M^ , -Mg , 

— -f- "f- • * • 

folglich 

Ml ■\- M^ -h , . . • 



m = 



^'+^ + ... 



m^ m. 



Daraus berechnet sich z. B. das scheinbare Molekulargewicht 
der Luft folgendermassen. Da m^ =^0^ = 32 , m^ = N^ = 28 , 
ifj ; M^ = 0,3 nach § 20, so ist 

32 "^2B 

etwas grösser als das Molekulargewicht des Stickstoffs. 

§ 43. Ergibt somit die Zustandsgieichung für jedes ideale 
Gas, sei es chemisch homogen oder nicht, nach (16) unmittelbar 
die Gesammtzahl der darin enthaltenen Moleküle, so liefert sie, 
wie schon § 19 hervorgehoben wurde, kein Mittel, um zu ent- 
scheiden, ob die Moleküle gleichartig sind oder nicht. Bei der 
Untersuchung dieser Frage ist man auf andere Methoden an- 
gewiesen, von denen aber keine in allen Fällen praktisch 
brauchbar ist. Häufig führt die Beobachtung der Dififusion, 
namentlich durch eine poröse oder noch besser semipermeable 
Wand zum Ziele, indem die einzelnen Gase einer Mischung sich 
durch ihre ungleiche DifiFusionsgeschwindigkeit, die bei semi- 
permeablen Wänden bis auf Null herabsinken kann, von ein- 
ander trennen und so die chemische Inhomogenität der Substanz 
verrathen. Oft gibt auch die Entstehungsgeschichte des Gases 
unmittelbaren Aufschluss über seine chemische Beschaffenheit. 
Eine principielle Definition für ein chemisch homogenes Gas 
liefert erst der Ausdruck der Entropie, § 237. 

§ 43. Wenn ein Gas oder ein Dampf den für ideale Gase 
gültigen Gesetzen nicht folgt, mit anderen Worten: wenn es 
eine von der Temperatur oder dem Druck abhängige spezifische 
Dichte besitzt, so kann man dennoch die AvoGADEo'sche De- 
finition § 39 des Molekulargewichts zur Anwendung bringen; 



Molekulargewicht. 27 



nur ergibt sich dann offenbar keine constante, sondern eine von 
dem augenblicklichen Zustand abhängige Molekülzahl. Man 
steht also hier Yor der Wahl, für diesen Fall entweder wirklich 
eine veränderliche Molekülzahl anzunehmen, oder aber die 
AvoGADEo'sche Definition für die Molekülzahl überhaupt nicht 
anzuwenden, mit anderen Worten: die Ursache der Abweichung 
von dem idealen Gaszustand entweder in chemischen oder in 
physikalischen umständen zu suchen. Nach der letzteren An- 
schauung bleibt die chemische Natur des Grases erhalten, also 
die Moleküle auch bei veränderter Temperatur und verändertem 
Druck dieselben, sie unterliegen nur einer complicirteren Zustands- 
gieichung als der Boyle-Gay LussAc'schen, z. B. der van beb 
WAAiiS'schen oder der CLAUsius'schen. Wesentlich davon ver- 
schieden ist aber die andere Auffassung, nach welcher ein Gas, 
das Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase zeigt, nichts 
anderes ist als eine Mischung mehrerer verschiedener Molekül- 
arten (bei Untersalpetersäure NgO^ und NOg, bei Phosphorpenta- 
chlorid PClg, PClg und Clg), deren Volumen in jedem Augenblick 
genau den durch die Gesammtzahl der Moleküle für eine 
Mischung idealer Gase bestimmten Werth besitzt und sich bei 
einer Aenderung der Temperatur und des Druckes nur deshalb 
nicht wie bei einem idealen Gase ändert, weil durch gleichzeitige 
chemische Umsetzungen die verschiedenartigen Moleküle zum 
Theil ineinander übergehen und dadurch ihre Gesammtzahl 
stetig ändern. Diese Anschauung hat sich am fruchtbarsten in 
allen den Fällen erwiesen, wo es sich um bedeutende Aende- 
rungen der Dichten handelt, um die sogenannten abnormen 
Dampfdichten, und dies namentlich dann, wenn die spezifische 
Dichte des Dampfes jenseits eines gewissen Temperatur- oder 
Druck-Intervalls wieder constant wird. Dann ist nämlich die 
chemische Umsetzung vollständig geworden und die Moleküle 
verändern sich nicht mehr. So z. B, verhält sich Bromwasser- 
stoffamylen sowohl unterhalb 160® als auch oberhalb 360® wie 
ein ideales Gas, doch im letzteren Zustand mit halber Dichte, 
entsprechend einer Verdoppelung der Molekülzahl: 

C,H,,Br=C,H,o + HBr. 
Sind aber die Abweichungen von den Gesetzen idealer Gase 
unbedeutend, so schiebt man sie gewöhnlich auf physikalische 
Ursachen, wie bei Wasserdampf und Kohlensäure, und fasst sie 



28 Qrundthataachen v/nd Definitionen, 



als Vorboten der Condensation auf. Eine principielle Trennung 
der chemischen von den physikalischen Einflüssen und damit 
eine Vervollständigung der Definition des Molekulargewichts fllr 
alle yariablen Dampfdichten lässt sich zur Zeit praktisch noch 
nicht durchführen; so könnte man die Zunahme der spezifischen 
Dichte, welche viele Dämpfe in der Nähe ihres Condensations- 
punktes zeigen, ebensowohl chemischen Vorgängen zuschreiben, 
nämlich der Bildung einzelner Doppelmolektile oder überhaupt 
vielfacher Moleküle. In der That bestehen über diesen Punkt 
noch öfters Meinungsverschiedenheiten, wie z. B. beim Molekular- 
gewicht des Schwefeldampfes unterhalb 800^, das gewöhnlich zu 
Sq = 192, von Einigen aber auch gemischt mit Molekülen Sg = 256 
und Sg = 64, von Anderen noch anders angenommen wird. Im 
Allgemeinen wird man in zweifelhaften Fällen am sichersten 
gehen, die Frage einstweilen noch offen zu lassen und sowohl 
physikalische als auch chemische Veränderungen als Ursache 
der Abweichungen von den Gasgesetzen anzunehmen. Nur so- 
viel — und dies ist ein wichtiger Punkt, von dem wir später 
Gebrauch machen müssen — lässt sich mit Sicherheit behaupten, 
dass bei geringen Dichten die physikaüschen Einflüsse hinter 
den chemischen immer mehr zurücktreten werden. Denn nach 
allen Erfahrungen nähern sich alle Gase mit abnehmender 
Dichte dem idealen Zustand (§ 21). 

III. Capitel. Wärmemenge. 

§ 44. Taucht man zwei gleich schwere Stücke von Eisen 
und von Blei, beide auf 100^ erhitzt, in zwei gehörig isolirte, ganz 
gleiche Gefässe mit gleichviel Wasser von 0^ ein, und wartet 
für jedes Gefäss den Zustand des Wärmegleichgewichts ab, so 
zeigt das Gefäss mit dem Eisenstück eine bedeutend grössere 
Temperaturerhöhung als das mit dem Bleistück. Umgekehrt 
wird ein Wasserbad von 100^ durch ein Eisenstück von 0^ be- 
deutend stärker abgekühlt, als durch ein gleich schweres Blei- 
stück von 0®. Man unterscheidet daher zwischen Temperatur 
und Wärmemenge und nimmt als Maass der von einem Körper 
abgegebenen bez. aufgenommenen Wärmemenge diejenige Tem- 
peraturerhöhung bez. -Erniedrigung, welche ein mit dem Körper 
in Berührimg gebrachter Normalkörper (Wasser) erfährt, voraus- 



Wärmemenge. 29 



gesetzt, dass andere Ursachen der Temperaturänderung, wie Com- 
pression, ausgeschlossen sind. Zugleich setzt man dabei die von 
dem Körper abgegebene Wärmemenge gleich der von dem Normal- 
körper aufgenommenen Wärmemenge bez. umgekehrt. (Weiteres 
vgl. unten § 51). Aus dem oben beschriebenen Experiment folgt 
dann, dass ein Eisenstück bei Abkühlung um ein bestimmtes 
Temperaturintervall eine grössere (etwa die vierÜEiche) Wärme- 
menge abgibt als ein Bleistück von gleichem Gewicht, und um- 
gekehrt, dass das Eisen zu einer bestimmten Temperatur- Er- 
höhung der Zufuhr einer entsprechend grösseren Wärmemenge 
bedarf als das Blei. 

§ 45. Als Wärmeeinheit galt früher allgemein diejenige 
Wärmemenge, welche einem Gramm Wasser zuzuführen ist, um 
es von 0® auf 1^ zu erwärmen (Nullpunktscalorie). Dieselbe 
ist nahezu gleich derjenigen, welche 1 gr Wasser von be- 
liebiger Temperatur um 1® erwärmt. Seitdem aber die calori- 
metrischen Messungen sich soweit verfeinert haben, dass man 
den Einfluss der Anfangstemperatur des Wassers berücksichtigen 
muss, wird häufig auch die Calorie als diejenige Wärmemenge 
definirt, welche 1 gr Wasser von mittlerer Zimmertemperatur 
(15^ bis 20®) um 1® erwärmt Dieselbe ist etwa 1,006 mal kleiner 
als die Nullpunktscalorie. Endlich spricht man auch von der 
„mittleren Calorie*' als dem hundertsten Theil derjenigen Wärme- 
menge, welche 1 gr Wasser von 0® auf 100® erwärmt, und 
welche ungefähr ebensogross ist wie die Nullpunktscalorie. Jeder 
dieser sogenannten ,Jdeinen'* Calorieen entspricht eine „grosse" 
Calorie, welche sich auf 1 Kilogramm Wasser bezieht, also den 
1000 fachen Werth hat. 

§ 46. Das Verhältniss der von 1 gr eines Stoffes aufge- 
nommenen Wärmemenge Q zu der durch sie bewirkten Tem- 
peraturerhöhung &' -^ ß- := Aß- heisst die mittlere spezifische 
Wärme oder die auf 1 gr bezogene mittlere Wärmecapacität 
des Stoffes zwischen den Temperaturen & und &'\ 

Danach ist die mittlere spezifische Wärme des Wassers zwischen 
0® und 1® gleich einer Nullpunktscalorie. Geht man zu unend- 
lich kleinen Temperaturintervallen über, so erhält man die spe- 
zifische Wärme des Stoffes bei der Temperatur xf-: 



30 GrundthcUsachen und Definitionen, 



Ö =0 



welche im Allgemeinen mit der Temperatur veränderlich ist, 
jedoch für die meisten Stoffe sehr langsam. Daher ist es ge- 
wöhnlich gestattet, für die spezifische Wärme hei irgend einer 
Temperatur die mittlere spezifische Wärme in einem henach- 
harten massig grossen Temperaturintervall zu setzen. 

§ 47. Bei festen Körpern und Flüssigkeiten ist die Wärme- 
capacität nahezu unabhängig davon, ob die Erwärmung bei con- 
stantem oder veränderlichem äusseren Druck vollzogen wird, 
weshalb man bei der Definition der Wärmecapacität in der 
Eegel keine besondere Bedingung hinsichtlich des Druckes hin- 
zufügt Bei Gasen aber wird der Werth der Wärmecapacität 
wesentlich davon beeinfiusst, unter welchen äusseren Umständen 
die Erwärmung erfolgt; daher muss hier die Definition der 
Wärmecapacität vervollständigt werden durch die Angabe dieser 
äusseren Umstände. Als Wärmecapacität eines Gases schlecht- 
hin gilt die Wärmecapacität bei constantem Atmosphärendruck, 
welche der experimentellen Bestimmung am bequemsten zu- 
gänglich ist. 

§ 48. Die Reduktion der Wärmecapacitäten verschiedener 
Stoffe auf die Masseneinheit ist ganz willkührlich und aus dem 
Umstand entsprungen, dass sich verschiedene Mengen eines 
Stoffes am bequemsten durch Wägen vergleichen lassen. Man 
könnte z. B. ebensogut die Wärmecapacitäten auf die Volumen- 
einheit beziehen. Am rationellsten ist aber die Vergleichung 
solcher Gewichtsmengen verschiedener Stoffe, welche im Ver- 
hältniss der Molekulargewichte bez. Atomgewichte stehen, weil 
sich hier auf den ersten Blick gewisse Regelmässigkeiten er- 
geben. Die so zu vergleichenden Grössen erhält man durch Mul- 
tiplication der auf 1 gr bezogenen Wärmecapacität (der spezi- 
fischen Wärme) mit dem Molekulargewicht bez. Atomgewicht, 
und bezeichnet dann dies Produkt kurz als Molekül arwärme 
bez. Atomwärme. 

§ 49. Die Atomwärmen der chemischen Elemente erweisen 
sich als nahezu constant = 6,4 (Dulong und Petit) und zwar 
besonders für Elemente mit hohem Atomgewicht. Strenge Gültig- 
keit kann dies Gesetz schon deshalb nicht beanspruchen, weil 
die Wärmecapacität sowohl von der molekularen Constitution 



Wärmemenge, 31 



des Elementes (z. B. für Kohle) und dem Aggregatzustand 
(z. B. für Quecksilber), als auch von der Temperatur abhängt, 
und zwar letzteres bezeichnenderweise in besonders hohem 
Grade bei denjenigen Stoffen (Kohle, Bor, Silicium), welche die 
grössten Abweichungen von dem DuLONG-PETiT'schen Gesetze 
zeigen. Daraus ist zu schliessen, dass diesem Gesetz ein allge- 
meines Naturgesetz zu Grunde liegt, dessen genaue Formulirung 
aber bis jetzt noch nicht gelungen ist. 

§ 50. Wie die Atom wärmen der Elemente, so zeigen auch 
die Molekularwärmen der Verbindungen, besonders solche, die 
eine ähnliche chemische Constitution aufweisen, gewisse Regel- 
mäßigkeiten. Nach dem Gesetz von F. Neümann, welches später 
von Regnault bestätigt worden ist, haben chemisch ähnlich 
zusammengesetzte Stoffe im festen Aggregatzustand gleiche 
Molekularwärmen. Dieses Gesetz wurde von Joule und Wobsttn 
noch weiter dahin ausgedehnt, dass die Molekularwärme einfach 
die Summe der Atomwärmen ist, indem jedes Element in jeder 
Verbindung die ihm eigenthümliche Atomwärme behält, mag sie 
nun dem DuLONG-PETiT'schen Gesetz entsprechend = 6,4 sein 
oder nicht Doch besitzt auch diese Beziehung nur angenäherte 
Gültigkeit 

§ 51. Da alle calorimetrischen Messungen gemäss der in 
§44 gegebenen Definition immer nur die Beträge zugeführter 
oder abgeleiteter Wärmemengen ergeben, so liefern sie durchaus 
keinen Aufschluss über die Frage nach der Grösse der in einem 
Körper von bestimmter Temperatur im Ganzen „enthaltenen" 
Wärmemenge. Es würde nämlich widersinnig sein, die in einem 
Körper von gegebener Temperatur, Dichte u. s. w. enthaltene 
Wärmemenge etwa gleich der Anzahl der Calorieen zu setzen, 
welche dem Körper zugeführt werden müssen, um ihn in den 
betrachteten Zustand zu bringen, ausgehend etwa von einem 
gewissen Normalzustand. Denn die Grösse dieser Zahl würde 
ganz verschieden ausfallen je nach der Art und Weise, wie der 
Körper aus dem einen in den andern Zustand gebracht wird. 
tFm z. B. ein Gas von 0® unter Atmosphärendruck auf 100® und 
lOfachen Atmosphärendruck zu bringen, kann man entweder so 
verfahren, dass man das Gas zuerst bei constantem Atmosphären- 
druck auf lÖO® erwärmt und dann bei constant gehaltener Tem- 
peratur bis auf den lOfachen Druck comprimirt; oder man kann 



82 OrundthcUaaohen und Definitionen. 



das Gas zuerst bei 0^ isotherm bis zu 10 Atmosphären com- 
pnmiren und dann isopiestisch auf 100^ erwärmen, oder maü 
kann endlich Gompression und Erwärmung gleichzeitig in ganz 
beliebig wechselndem Verhältniss vornehmen. In jedem aller 
dieser unendlich vielfach verschiedenen Fälle erhält man als 
Gesammtzahl der zugeführten Galorieen eine andere Grösse 
(vgl. die im § 77 ausgeführte Berechnung von (J), so dass man 
in diesem Sinne gamicht von einer bestimmten Wärmemenge 
reden kann, die der Körper aufzunehmen hat, um aus dem alten 
Zustand in den neuen zu kommen. Will man also die ,,ge- 
sammte in einem Körper enthaltene Wärme^^ als eine zahlen-- 
massig bestimmbare Grösse in die Betrachtung einführen (wie 
das z. B. in der kinetischen Wärmetheorie geschieht, wo die 
in einem Körper enthaltene Wärme als die lebendige Kraft 
seiner inneren Bewegungen aufgefasst wird), so hat man dieselbe 
jedenfalls anders zu definiren als durch die Summation der 
dem Körper zugeflihrten Wärmemengen. Wir werden aber im 
Folgenden dieses Begriffes gamicht bedürfen und daher auch 
keiue derartige Definition versuchen. 

§ 52. Im Gegensatz zu der soeben geschilderten Sachlage 
musste die ältere CAKNOT'sche Theorie der Wärme, die von der 
Auffassung der Wärme als eines unzerstörbaren Stoffes ausging,, 
mit Nothwendigkeit zu der Folgerung kommen, dass die in 
einem Körper enthaltene Wärme lediglich bedingt ist durch die 
Zahl der von Aussen aufgenommenen oder nach Aussen ab- 
gegebenen Galorieen. Wird daher ein Körper auf andere Weise 
als durch Zuleitung von Wärme, z. B. durch Gompression oder 
durch Reibung, erwärmt, so blieb nach jener Theorie die im 
Körper enthaltene Wärme durch einen solchen Vorgang ganz 
ungeändert, und da doch thatsächlich eine höhere Temperatur 
entsteht, so war nur die Annahme übrig, dass die Wärmecapacität 
eines Körpers sich durch Gompression oder Keibung derartig 
verkleinert, dass die nämliche Wärme in ihm eine bedeutend 
höhere Temperatur hervorruft, ähnlich wie ein angefeuchteter 
Schwamm durch Gompression noch feuchter erscheint, obwohl 
die Menge der aufgesogenen Flüssigkeit dieselbe geblieben ist 
Doch schon Eümfckd und Davy bewiesen durch direkte Ver- 
suche, dass geriebene Kölner, in denen man doch durch ge- 
hörigen Aufwand von Arbeit beliebig viel Wärme erzeugen kann^ 



Wärmemenge, 33 



bei nachträglicher Untersuchung nicht die geringste Aenderung 
ihrer Wärmecapacität zeigen. Auch hat zuerst Regnault durch 
genaue Messungen festgestellt, dass die Wärmecapacität von 
Gasen gamicht oder nur sehr wenig vom Volumen abhängt, 
sich also auch durch Gompression nicht so stark verkleinern 
kann, wie es für die Erklärung der Gompressionswärme nach 
der CAENOT'schen Theorie nothwendig wäre. Endlich haben 
W. Thomson und Joule durch sorgfältige Versuche gezeigt, 
dass ein Gas, wenn es sich ohne Ueberwindung eines äusseren 
Druckes ausdehnt, keine oder nur eine sehr kleine Temperatur- 
änderung erfährt (§ 70), weshalb die gewöhnlich bei der Aus- 
dehnung eines Gases beobachtete Abkühlung nicht der Volumen- 
vergrösserung des Gases an sich, sondern der dabei geleisteten 
Arbeit zuzuschreiben ist. Jedes dieser Resultate für sich allein 
genommen genügt, um den Satz von der ünzerstörbarkeit der 
Wärme zu widerlegen und so die Haltlosigkeit jener älteren 
Wärmetheorie darzuthun. 

§ 58. Während im Allgemeinen die Wärmecapacität sich 
stetig mit der Temperatur ändert, gibt es für jede Substanz bei 
bestimmtem äusseren Druck gewisse singulare Temperaturpunkte, 
für welche mit anderen Eigenschaften auch die Wärmecapacität 
unstetig wird. In diesen Punkten kommt eine von Aussen zu- 
geführte Wärmemenge nicht mehr dem ganzen Körper zu Gute, 
sondern nur einem Theil desselben, und dient ausserdem nicht zur 
Erhöhung der Temperatur, sondern zur Veränderung des Aggregat- 
zustandes, und zwar zum Schmelzen, Verdampfen oder Subümiren, 
je nachdem die Substanz aus dem festen in den flüssigen, oder aus 
dem flüssigen in den gasförmigen, oder aus dem festen in den gas- 
förmigen Zustand übergeht Erst wenn der ganze Körper bei der 
nämlichen Temperatur im neuen Aggregatzustand homogen ge- 
worden ist, steigt bei weiterer Wärmezufuhr die Temperatur, und 
es wird wieder eine Wärmecapacität definirbar. Die Wärmemenge, 
welche nöthig ist, um 1 gr einer Substanz aus einem Aggregat- 
zustand in einen andern zu bringen, heisst latente Wärme, 
speziell Schmelz-, Verdampfungs- oder Sublimationswärme. Bei 
der Rückkehr in den früheren Aggregatzustand wird der näm- 
liche Betrag von Wärme wieder frei. Auch die latente Wärme 
wird, ebenso wie die Wärmecapacität (§ 48), am zweckmässigsten 
nicht auf die Masseneinheit, sondern auf das Molekulargewicht bez. 

Planck, Thermodynamik. 3 



34 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie, 



Atomgewicht bezogen; ihr Betrag hängt übrigens wesentlich 
mit ab von den äusseren Bedingungen, unter denen die Um- 
waädlung vollzogen wird (§ 47), und von denen ein constant 
gehaltener Druck die wichtigste ist, 

•§ 54. Aehnlich wie eine Aenderung des Aggregatzustandes 
ist auch jeder Mischungs- oder Lösungsvorgang, sowie jede 
chemische Umwandlung im Allgemeinen von einer grösseren 
oder geringeren, auch nach den äusseren Umständen veränder- 
lichen, Wärmeentwicklung begleitet. Dieselbe wird als die 
Wärmetönung des betr. Prozesses, speziell als Mischungs-, Lö- 
sungs-, Verbindungs-, Dissociations- u. s. w. Wärme bezeichnet, 
positiv, wenn Wärme frei oder entwickelt, d. h. nach Aussen 
abgegeben wird (exothermische Vorgänge), negativ, wenn Wärme 
gebunden oder absorbirt, d. h. von Aussen aufgenommen wird 
(endothermische Vorgänge). 



Zweiter Abschnitt. 



Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie. 

I. Capitel. Allgemeine Formullrung. 

§ 55. Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie ist nichts an- 
deres, als das Princip der Erhaltung der Energie, angewendet 
auf die Erscheinungen, welche unter Wärme -Produktion oder 
-Absorption verlaufen. Um einen allgemeinen deduktiven Beweis 
dieses Princips zu finden, kann man zwei verschiedene Wege 
einschlagen. Entweder: man stellt sich von vorneherein auf den 
Boden der mechanischen Naturauffassung, d. h. man nimmt an, 
dass alle Veränderungen in der Natur sich zurückfuhren lassen 
auf Bewegungen materieller Punkte, zwischen denen Kräfte 
wirken, die ein Potential haben. Dann ist das Energieprincip 
einfach der aus der Mechanik bekannte Satz der lebendigen 
Kraft, verallgemeinert auf behebige Naturvorgänge. Oder aber: 
— und dieser Weg entspricht der hier eingehaltenen Darstellung — 
man lässt die Frage nach der Reduktion der Naturvorgänge auf 



AUgemeiThe FormuUrung. 35 



Bewegangen ganz offen und geht allein aus von der durch jahr- 
hundertelange menschliche Arbeit geprüften und in allen Fällen 
stets aufs Neue bewährten Thatsache, dass es auf keinerlei Weise, 
weder mit mechanischen, noch thermischen, noch chemischen, 
noch anderen Apparaten möglich ist, ein perpetuum mobile zu 
bauen, d. h. eine periodisch wirkende Maschine zu construiren, 
durch welche fortdauernd Arbeit oder lebendige Kraft aus Nichts 
gewonnen werden kann. Inwieweit dieser Erfahrungssatz für 
sich allein genommen, ganz unabhängig von der mechanischen 
Naturanschauung, dazu dienen kann, das Energieprincip in seiner 
Allgemeinheit zu erweisen, soll jedoch an dieser Stelle nicht 
näher untersucht werden, und zwar namentlich aus dem Grunde, 
weil die Gültigkeit des Princips heutzutage wohl keinem ernsten 
Widerspruch mehr begegnet. Anders wird es mit dem zweiten 
Hauptsatz der Wärmetheorie sein, dessen Beweis bei dem heu- 
tigen Stande der Forschung nicht leicht sorgfältig genug geführt 
werden kann, da theils seine Allgemeingültigkeit noch mehrfach 
bestritten, theils seine Bedeutung, auch von seinen Anhängern,, 
noch recht verschieden beurtheilt wird, 

§ 56. Die Energie eines Körpers oder Körpersystems ist 
eine Grösse, welche von dem augenblicklichen Zustand abhängt, 
in dem sich das System befindet. Um aber die Energie eines 
Systems in einem gegebenen Zustand durch eine bestimmte Zahl 
ausdrücken zu können, ist noch die Fixirung eines gewissen 
„Normalzustandes*^ (z.B. 0® Geis,, Atmosphärendruck) desselben 
Systems nothwendig, welche von vorneherein ganz nach WiUkühr 
erfolgen kann. Dann ist die Energie des Systems in dem ge- 
gebenen Zustand, bezogen auf den nach Willkühr fixirten Nor- 
malzustand, gleich der „Summe der mechanischen Aequivalente 
aller Wirkungen, die ausserhalb des Systems hervorgebracht 
werden, wenn dasselbe auf irgend eine Weise aus dem gegebenen 
Zustand in den Normalzustand übergeht". Man bezeichnet da- 
her die Energie auch kurz als die dem System innewohnende 
Fähigkeit, äussere Wirkungen hervorzubringen. Ob der Werth 
der Energie je nach der Art des Ueberganges in den Normal- 
zustand verschieden ausfällt, darüber enthält diese Definition 
keine Aussage» Dagegen ist zu ihrer Vervollständigung noch 
die Abgabe dessen nothwendig, was man unter dem mechanischen 
Ae^Tliyftlent einer äusseren Wirkung zu verstehen hat. 



86 Der erste Hauptsatz der Wärmetheori^, 



§ 57. Wenn die äussere Wirkung mechanischer Natur ist^ 
wenn sie z. B. in der Hehung eines Gewichts oder in der üeher- 
windung des Atmosphärefldrucks oder in der Erzeugung leben- 
diger Kraft besteht, so ist das mechanische Aequivalent der 
hervorgebrachten äusseren Wirkung einfach gleich der mecha- 
nischen Arbeit, welche die von dem System ausgeübte Kraft an 
dem äusseren Körper (Gewicht, Atmosphäre, Geschoss) leistet^ 
positiv, wenn die Verschiebung in der Richtung der vom System 
ausgeübten Kraft erfolgt, also wenn das Gewicht gehoben, die 
Atmosphäre zurückgedrängt, das Geschoss fortgeschleudert wird; 
im entgegengesetzten Falle negativ. 

Wenn aber die äussere Wirkung thermischer Natur ist, 
wenn sie also etwa in einer Erwärmung der umgebenden Körper 
(Atmosphäre, calorimetrische Flüssigkeit) besteht, so ist das 
mechanische Aequivalent dieser äusseren Wirkung gleich der 
Anzahl Calorieen, welche in den umgebenden Körpern die näm- 
liche Erwärmung bewirkt, multiplicirt noch mit einer absoluten, 
nur von den Maasseinheiten der Wärmemenge und der mecha- 
nischen Arbeit abhängigen Constanten, dem sogenannten mecha- 
nischen Wärmeäquivalent. Dieser Satz erscheint hier nur als 
Definition, er gewinnt aber einen thatsächlichen, an der Er- 
fahrung zu prüfenden Inhalt durch das Princip der Erhaltung 
der Energie. 

§ 68. Das Princip der Erhaltung der Energie besagt^ 
und zwar allgemein und ausschliesslich, dass die Energie eines 
Systems in einem gegebenen Zustand, bezogen auf einen be- 
stimmten Normalzustand, einen ganz bestimmten Werth hat; 
oder mit anderen Worten, wenn wir den Wortlaut der Definition 
der Energie § 56 hier substituiren, dass die Summe der mecha- 
nischen Aequivalente aller Wirkungen, die ausserhalb des 
Systems hervorgebracht werden, wenn dasselbe auf irgend eine 
Weise aus dem gegebenen Zustand in den Normalzustand über- 
geht, unabhängig ist von der Art des Ueberganges. Das System 
verursacht also beim üebergang in den Normalzustand eine ganz 
bestimmte Summe mechanisch gemessener Wirkungen, und diese 
Summe — auch der „Arbeitswerth" der äusseren Wirkungen 
genannt — stellt eben die Energie des Systems dar. 

§ 59. Die Gültigkeit des Energieprincips in der Natur 
lässt sich also an der Erfahrung dadurch prüfen, dass man ein 



Allgemeine Formvlirung, 37 



System aus einem bestimmten Zustand auf verschiedene Weisen 
in einen zweiten, hier als Normalzustand zu bezeichnenden, Zu- 
stand bringt und nun untersucht, ob die dabei jedesmal auf- 
tretenden mechanischen Aequiyalente der äusseren Wirkungen 
in allen Fällen die gleiche Summe ergeben. Dabei ist aber 
besonders darauf zu achten, dass das System in allen verglichenen 
Fällen auch wirklich von dem nämlichen Anfangszustand aus- 
geht und in den nämlichen Endzustand übergeführt wird, und 
dass von den äusseren Wirkungen keine übersehen und keine 
doppelt in Anschlag gebracht wird. 

§ 60. Als örste Anwendung besprechen wir die berühmten 
Versuche von Joule. Derselbe verglich die äusseren Wirkungen, 
die entstehen, wenn gewisse Gewichte beim Herabsinken um eine 
gewisse Höhe einmal nur mechanische Arbeit hervorbringen 
(z. B. Hebung einer Last), ein anderes Mal mittelst geeigneter 
Vorrichtungen durch Reibung Wärme erzeugen. Hiebei kann 
man die Anfangs- und die Endruhelage der Gewichte als ersten 
und zweiten Zustand des Systems, die erzeugte Arbeit und die 
erzeugte Wärme als äussere Wirkungen betrachten. Im ersten 
Falle, wo durch das Herabsinken der Gewichte nur mechanische 
Arbeit erzeugt wird, ist die Berechnung des mechanischen 
Aequivalents der äusseren Wirkungen einfach und erfordert 
keinen besonderen Versuch: es ist nach den Gesetzen der 
Mechanik immer das Produkt der Schwere der Gewichte und 
der durchfallenen Höhe. Im zweiten Falle ist eine genaue 
Messung der Temperaturerhöhung erforderlich,, welche die ge- 
riebenen umgebenden Körper (Wasser, Quecksilber) erleiden, so- 
wie deren Wärmecapacität, um daraus die Anzahl Calorieen be- 
stimmen zu können, welche in ihnen die nämliche Temperatur- 
erhöhung bewirkt. Dabei kommt es natürlich gamicht darauf 
an, welche Vorstellungen man sich über den Vorgang der Wärme- 
erzeugung durch Reibung im Einzelnen macht, sowie über den 
Verbleib der in den geriebenen Körpern erzeugten Wärme, 
sondern einzig und allein darauf, dass der durch Reibung in 
der betr. Flüssigkeit hervorgerufene Zustand identisch ist mit 
einem, der durch Zuführung einer bestimmten Anzahl Calorieen 
herbeigeführt werden kann. 

Indem mm Joule die dem Fall der Gewichte entsprechende 
mechanische Arbeit gleichsetzte dem mechanischen Aequivalent 



38 Der erste Hauptsatx der Wärmetheorie. 



der durch die Reibung erzeugten Wärme, wie sie durch die 
Anzahl der gewonnenen Calorieen bestimmt wird, fand er, das& 
das mechanische Aequivalent einer gr Calorie unter allen Um- 
slÄnden gleich ist der Arbeit, welche durch die Hebung eines 
Gramms um 423,55 ^ dargestellt wird. Dass sich bei allen 
Versuchen mit verschiedenen Gewichten, Substanzen, Tempera- 
turen, stets wieder diese nämliche Zahl ergibt, ist ein Beweis 
für die Eichtigkeit des Princips der Erhaltung der Energie. 

§ 61. Bei der Berechnung des mechanischen Wärme- 
äquivalents im absoluten Maasse ist zunächst zu berücksichtigen^ 
dass die JouLE'sche Zahl sich auf Zimmertemperaturcalorieen 
(§ 45) und auf die Angaben eines Quecksilberthermometers 
bezieht. Bei Zimmertemperatur bedeutet aber P des Queck- 
silberthermometers ein im Verhältniss von etwa 1 : 1,007 kleineres 
Temperaturintervall als P des Gasthermometers; folglich hat 
eine auf das Gasthermometer (§ 4) bezogene Calorie ein ent- 
sprechend grösseres mechanisches Aequivalent, d. h. das Aequi- 
valent 423,55-1,007 =427. 

Ferner ist noch die Grösse der Beschleunigung der Schwere 
zu berücksichtigen, da die Hebung eines Gramms um eine be- 
stimmte Höhe an verschiedenen Orten im Allgemeinen ver- 
schiedene Arbeiten darstellt. Der absolute Betrag der geleisteten 
Arbeit wird erhalten durch Multiplication der Schwerkraft, also 
des Produkts aus Masse und Beschleunigung der Schwere, mit 
der Höhe. Hieraus ergibt sich mit Rücksicht auf die oben § 45 
über die Grössenverhältnisse der verschiedenen Calorieen ge- 
machten Angaben folgende Tabelle der Werthe des mechanischen 
Wärmeäquivalents : 



Wärmeeinheit 

bezogen auf 
Gasthermometer 



Entsprechende Höhe 
in™ der Hebung von 1 gr 
an einem Orte mittlerer 
geogr. Breite 



Absoluter Werth 
im C. G. S. System (Erg) 



Zimmertemperaturcalorie 
Nullpunktscalorie . . 



427 
430 



419.10» 
422-10'^ 



Die Zahlen der zweiten Columne entstehen aus denen der 
ersten durch Multiplication mit 98100, entsprechend der Be- 
schleunigung der Schwere 981 und der Beduktion von Metern 
auf Centimeter. Die Resultate von Joule sind durch die neueren 



Allgemeine Formulinmg. 39 



sorgfältigen Messungen von Rowland u. A. im WesentUclieri be- 
stätigt worden. 

§ 62. Man kann die Kenntniss des mechaiiischen Wärme- 
äquivalents benutzen I um Wärmemengen, anstatt in Calorieen, 
direkt in Erg auszudrücken^ und erreicht dadurch den Vortheil, 
dass eine Wärmemenge nicht nur proportional, sondern unmittel- 
bar gleich ist ihrem mechanischen Aequivalent, wodurch sich 
der mathematische Ausdruck der Energie vereinfacht. Diese 
Einheit der Wärmemenge soll in den folgenden Gleichungen 
überall angewendet werden; bei Zahlenrechnungen kann man 
jeden Augenblick durch Division mit 419-10^ zu Calorieen zu- 
rückkehren. 

§ 68. Aus der oben gegebenen Formulirung des Energie- 
princips ergeben sich sogleich einige weitere Sätze. Da die 
Energie U durch den augenblicklichen Zustand des Systems be- 
dingt ist, so wird sich ihr Werth ändern, sobald der Zustand 
sich ändert. Um den Betrag der Energieänderung zu finden, 
die eintritt, wenn das System aus einem Zustand (1) in einen 
anderen Zustand (2) übergeht, und die durch die Differenz 
C7j — U^ bestimmt wird, hat man nach der Definition der Energie 
den Arbeitswerth {§ 58) aller äusseren Wirkungen zu messen, 
welche beim üebergang des Systems, einmal aus dem Zustand 1, 
das andere Mal aus dem Zustand 2, in den Normalzustand ein- 
treten, und diese Beträge, welche die Werthe von ü^ und ü^ 
darstellen, voneinander zu subtrahiren. Denkt man sich nun 
den ersten dieser beiden Uebergänge so eingerichtet, dass er 
das System aus dem Zustand 1 durch den Zustand 2 hindurch 
in den Normalzustand bringt, so erhellt, dass als gesuchte 
Differenz nur der Arbeitswerth derjenigen äusseren Wirkungen 
übrig bleibt, welche dem üebergang des Systems aus 1 in 2 
entsprechen. Daher ist C^i — ü^, d. h. die Energieabnahme 
eines Systems bei irgend einer Veränderung gleich dem Arbeits- 
werth der äusseren Wirkungen, welche bei dieser Veränderung 
hervorgebracht werden, oder, was dasselbe bedeutet, die Energie- 
zunahme des Systems bei irgend einer Veränderung ist gleich 
dem Arbeitswerth der bei dieser Veränderung aufgewendeten 
oder verbrauchten äusseren Wirkungen: 

C^2 - ^1 = + ^ (17) 

wo Q das mechanische Aequivalent der ausserhalb des Systems 



40 Ber erste Hauptsatz der Wärmetheorie, 



verschwundenen, etwa dem System durch Leitung zugeführten 
Wärme, A den Betrag der von Aussen auf das System ausge- 
übten Arbeit bezeichnet, positiv, wenn die Veränderung im Sinne 
der von Aussen auf das System wirkenden Kräfte erfolgt. Man 
kann die Summe Q +A auch den Arbeitswerth aller von den 
umgebenden Körpern auf das System ausgeübten thermischen 
und mechanischen Einwirkungen nennen. In diesem Sinne 
werden wir die Grössen Q und Ä stets benutzen. 

Der Werth von Q + A hängt nicht von der Art des üeber- 
ganges aus 1 in 2 ab, und offenbar auch nicht von der Wahl 
des Normalzustandes des Systems; daher ist es, solange es sich 
nur um Energiedifferenzen eines und desselben Systems handelt, 
gamicht nöthig, den Normalzustand besonders zu fixiren. Dann 
bleibt in dem Werth der Energie selber eine additive Constante 
unbestimmt. 

§ 64. Die Differenz ü^ — U^ lässt sich auch auffassen als 
die Energie des Systems im Zustand 2, bezogen auf den Zu- 
stand 1 als Normalzustand. In der That: nimmt man 1 als 
Normalzustand, so ist U^ = 0, weil es dann überhaupt keiner 
Veränderung bedarf, um das System aus dem Zustand 1 in den 
Normalzustand zu bringen, und es wird U^ -^ ü^ = U^, Daher 
wird der Normalzustand manchmal auch Nullzustand genannt. 

§ 65. Wenn der Zustand 2 mit dem Zustand 1 identisch 
gewählt wird, so macht das System beim Uebergang von 1 zu 
2 einen sogenannten „Kreisprozess" durch. Dann ist ü^ = U^ 
und daher aus (17): 
(18) = + ^ 

d. h. bei einem Kreisprozess ist der Arbeitswerth aller äusseren 
Wirkungen gleich Null, oder mit anderen Worten: Die äussere 
Wärme ist der äusseren Arbeit gleich und entgegengesetzt. 
Durch diesen Satz ist die Construction eines thermodynamischen 
perpetuum mobile, das nothwendig periodisch wirkende Maschinen, 
also Kreisprozesse voraussetzt, ausgeschlossen. 

§ 66. Wenn bei einer Zustandsänderung des Systems 
garkeine äusseren Wirkungen aufgewendet werden (Q = 0,A = 0) 
so bleibt nach (17) die Energie constant (Erhaltung der Energie). 
Dabei können die einzelnen Grössen, welche den Zustand des 
Systems bedingen, sich erheblich ändern, sie unterliegen aber 
stets der Bedingung U = const 



Awuoendungen, auf homogene Systeme, 41 



Ein solches System, welches sich verändert, ohne dabei 
äusseren Einwirkungen zu unterliegen, heisst auch ein „voll- 
stiLndiges'^ System. Streng genommen gibt es in der Natur gar- 
kein vollständiges System, weil sämmtliche materielle Körper 
des Weltalls in steter Wechselwirkung miteinander stehen, und 
insofern kann man den Satz von der „Erhaltung^' der Energie 
auf kein wirkliches System strenge anwenden. Doch ist es 
wichtig zu bemerken, dass man durch passende Wahl des 
Systems die äusseren Wirkungen^ die bei einer bestimmten ins 
Auge gefassten Veränderung auftreten, im Vergleich zu den 
Energieänderungen der einzelnen Theile des Systems so klein 
machen kann, als man nur immer will. Man kann nämlich 
offenbar jede äussere Wirkung dadurch eliminiren, dass man 
nicht nur die Körper, auf welche die Wirkung ausgeübt wird, 
sondern auch diejenigen, von welchen dieselbe ausgeht, mit in 
das betrachtete System hineinbezieht. Wenn z. B. ein Gas 
durch ein sinkendes Gewicht comprimirt wird, so wird dabei 
auf das Gas, als System gedacht, durch die von dem Gewicht 
geleistete Arbeit eine gewisse Wirkung von Aussen her ausgeübt 
und die Energie des Systems demgemäss vergrössert. Sobald 
man aber das Gewicht und die Erde mit in das betrachtete 
System hineinbezieht, lallt jede äussere Wirkung fort, und die 
Energie des neuen Systems bleibt constant. Dafür enthält aber 
der Ausdruck der Energie jetzt ein neues Glied: die potentielle 
Energie des Gewichts, deren Aenderung durch die der inneren 
Energie des Gases gerade compensirt wird. Ebenso kann man 
in allen anderen Fällen verfahren. 

II. Capitei. Anwendungen auf homogene Systeme. 

§ 67. Wir wenden nun den ersten Hauptsatz, wie er in 
der Gleichimg (17) ausgesprochen ist, zunächst auf eine homogene 
Substanz an, deren Zustand, ausser durch ihre chemische Natur 
und durch die Masse if, durch 2 Variable, etwa die Temperatur 
& und das Volumen F, bestimmt ist. Dabei gebrauchen wir 
hier wie auch überall im Folgenden das Wort „homogen*' 
schlechthin im Sinne von „physikalisch homogen", d. h. wir nennen 
homogen jedes System, welches sich auch in seinen kleinsten 
noch wahrnehmbaren Raumtheilen als vollständig gleichartig er- 



42 Der erste Hauptsatz der Warmetkeorie, 



weist. Es kommt hier nicht darauf an, ob die Substanz auch 
chemisch homogen ist, d. h. ob sie aus lauter gleichartigen 
Molekülen besteht^ auch nicht darauf, ob sie im Laufe der mit 
ihr vorzunehmenden Zustandsänderungen chemische Umsetzungen 
erfährt, wie das ?. B. bei einem Dampfe eintritt, der sich bei 
Erwärmung theilweise dissociirt, sondern nur darauf, dass der 
homogene Zustand durch Temperatur und Volumen eindeutig be- 
stimmt ist. Wenn die Substanz ruht, so besteht die ganze 
Energie dieses Systems aus der sogenannten „inneren" Energie 
U, die nur von der inneren, durch Temperatur und Dichte be- 
dingten, Beschaffenheit der Substanz und von ihrer Masse ab- 
hängt, welch letzterer sie offenbar proportional ist Im andern 
Falle tritt in dem Ausdruck der Gesammtenergie zu der inneren 
Energie U noch die lebendige Kraft der Bewegung hinzu, deren 
Werth aus der Mechanik bekannt ist. 

Um die Abhängigkeit der inneren Energie U von & und V 
festzustellen, muss man das System auf irgend eine Weise in 
einen anderen Zustand bringen und die dazu erforderlichen 
äusseren Wirkungen berechnen. Dann liefert die Gleichung (17) 
die eingetretene Aenderung der Energie. 

§ 68. Lässt man ein Anfangs in Ruhe und auf gleich- 
massiger Temperatur befindliches Gas (Zustand 1) aus einem 
Gefäss in ein anderes vorher evakuirtes Gefäss ausströmen, etwa 
durch Aufdrehen eines Verschlusshahnes, so werden sich bei 
diesem Vorgang innerhalb des Gases zunächst eine Reihe von 
verwickelten mechanischen und thermischen Veränderungen voll- 
ziehen. Der ausströmende Tbeil des Gases wird in schnelle 
Bewegung gerathen, später beim Anprall gegen die Wände des 
zweiten Gelasses und bei der Compression durch die nachstürzenden 
Massen sich erwärmen, der im ersten Gefäss zurückbleibende 
Theil wird sich durch Ausdehnung abkühlen u. s. w. Nimmt 
man nun an, dass die Wände beider Gefässe absolut fest sind 
und die Wärme absolut nicht leiten, und bezeichnet irgend einen 
nach beliebiger Zeit eingetretenen Zustand des Gases mit 2, so 
ist nach Gleichung (17) die Gesammt-Energie des Gases im 
zweiten Zustand gleich der im ersten Zustand: ü^, weil auf das 
Gas weder thermische noch mechanische Einwirkungen von 
Aussen stattgefunden haben. Denn auch die von den festen Wänden 
vermöge ihres Widerstandes ausgeübte Kraft leistet keine Arbeit. 



Anwe/ndungen auf homogene Systeme, 43 



Im Allgemeinen setzt sich die Energie im zweiten Zustand aus 
vielen Theilen zusammen, nämlich erstens aus den lebendigen 
Kräften der Bewegungen aller einzelnen Gastheilchen und 
zweitens aus ihren inneren Energieen, wobei jedes hinreichend 
klein genommene Theilchen als homogen und von gleichmässiger 
Temperatur und Dichte betrachtet werden kann. Wartet man 
aber so lange, bis wieder vollständig Ruhe und thermisches 
Gleichgewicht eingetreten ist, und bezieht den Index 2 auf den 
neuen Gleichgewichtszustand, so besteht die Gesammtenergie im 
zweiten Zustand ebenso wie die im ersten nur aus der inneren 
Energie ü^y und man hat: ü^= ü^. Nun sind aber die Variabein 
& und F, von denen TJ abhängig ist, von den Werthen &^ , T\ 
auf die Werthe &2 , V^ übergegangen, wobei V^ > V^ ; man 
kann also hieraus durch Messung der Temperaturen und Volu- 
mina feststellen, wie sich mit verändertem Volumen die Tem- 
peratur ändert, falls die innere Energie ü constant bleibt. 

§ 69. Einen derartigen Versuch hat Joule ausgeführt 
und dabei gefanden, dass für ideale Gase &2 = ^i- Er stellte 
nämlich die beiden Gefässe, von denen das eine Anfangs etwa 
mit Luft unter hohem Druck gefüllt, das andere evakuirt war, 
in ein gemeinsames Wasserbad von der nämlichen Temperatur 
und fand nach Vollendung des oben beschriebenen Ausflusses 
und Herstellung des Gleichgewichts die im Wasserbad einge- 
tretene Temperaturänderung unmessbar klein. Daraus folgt so- 
gleich, dass auch bei thermisch isolirenden Gefässwänden die 
Endtemperatur der ganzen Gasmenge gleich der Anfangstem- 
peratur ist; denn sonst würde sich bei dem ausgeführten Ver- 
such die Temperaturänderung dem Wasserbade mitgetheilt haben. 

Wenn also die innere Energie eines nahezu idealen Gases 
bei stark verändertem Volumen constant bleibt, so bleibt auch 
die Temperatur nahezu constant, oder mit anderen Worten: Die 
innere Energie eines idealen Gases hängt nur von der Temperatur 
und nicht vom Volumen ab. 

§ 70. Damit indessen dieser wichtige Schluss bündig er- 
scheint, sind noch genauere Messungen nothwendig. Denn bei dem 
beschriebenen JouLE^schen Versuch ist die Wärmecapacität des 
Gases gegen die der Gefässwände und des Wasserbades so klein, 
dass es schon einer sehr beträchtlichen Temperaturänderung des 
Gases bedurft hätte, um eine merkliche Temperaturänderung des 



44 Der erste Hauptsatz der Wärmeiheorie. 



Wassers hervorzurufen. Zuverlässigere Eesultate liefert eine wesent- 
liche Modification des Verfahrens, welche von W. Thomson (jetzt 
Lord Kelvin) ersonnen und von ihm in Gemeinschaft mit Joule 
zu sorgfältigen Messungen benutzt worden ist; sie beruht darauf, 
dass man das Gas durch künstliche Verlangsamung des Aus- 
flusses unmittelbar in den zweiten Gleichgewichtszustand über- 
führt und dann die Temperatur &^ direkt im Gase misst. Es 
strömt hierbei nicht eine begrenzte Gasmasse tumultuarisch in 
ein Vakuum ein, sondern das Gas wird in einem unbegrenzten 
stationären Strom verhältnissmässig langsam aus einem Raum 
höheren Druckes p^ in einen Baum niedrigeren Druckes p^ (die 
Atmosphäre) übergeführt, indem es durch eine Röhre von Buchs- 
baumholz, welche an einer Stelle mit einem schwer durchlässigen 
Pfropfen von Watte oder gezupfter Seide verstopft ist, hindurch- 
gepresst wird. Was zunächst die Messungsresultate betriflft, so 
ergeben sie bei stationär gewordenem Zustand für Luft eine 
sehr kleine, für Wasserstoff eine noch sehr viel kleinere, kaum 
messbare Temperaturänderung des Gases, weshalb man zu dem 
Schluss berechtigt ist, dass für ein ideales Gas die Temperatur- 
änderung ganz verschwindet 

Hieraus lässt sich nun ein Schluss auf die innere Energie 
idealer Gase ziehen. Wenn nach Eintritt des stationären Zu- 
standes eine gewisse Masse des Gases vollständig hindurchgepresst 
ist, so hat diese Masse beim Uebergang von dem Volumen Fj 
auf das grössere Volumen V^ im Ganzen gewisse Einwirkungen 
von Aussen erfahren, deren mechanisches Aequivalent Q+Ä 
aus den in der Umgebung eingetretenen Aenderungen zu be- 
rechnen ist. Der Pfropfen behält seinen Zustand unverändert 
bei, er und die Vorgänge in ihm können also ganz ausser Be- 
tracht gelassen werden. Li der äusseren Umgebung findet keine 
Temperaturänderung statt; denn das Holz der Röhre leitet die 
Wärme so gut wie gamicht von oder nach Aussen; daher ist 
= 0. Die Arbeit endlich, welche auf das Hindurchpressen 
unter dem constanten Druck p-^ verwendet worden ist, und welche, 
wie leicht einzusehen, durch das Produkt p^ V^ dargestellt wird, 
ist für ein ideales Gas nach dem BoYLE'schen Gesetz gerade 
gleich derjenigen Arbeit jOg Fg, welche auf der anderen Seite 
beim Zurückschieben des kleineren Druckes p^ durch das grössere 
Volumen V^ bei der nämlichen Temperatur wieder gewonnen 



Anwendungen auf homogene Systeme. 45 

worden ist. Daher ist auch die Summe der von Aussen her 
ausgeübten Arbeiten: Ä = und nach Gleichung (17) C^ = C^, 
Da aber nach den mitgetheilten Messungen die Temperatur 
wesentlich constant geblieben ist, während das Volumen sich 
sehr beträchtlich verändert hat, so kann die innere Energie 
eines idealen Gases nur von der Temperatur abhängen und nicht 
vom Volumen, d. h. 

/^ TT\ 

(19) 



M =0 



Für nahezu ideale Gase, wie es Wasserstoff, Luft u. s. w. that- 
sächUch sind, ergibt die gemessene Temperaturänderung einen 
Aufschluss über die Abhängigkeit der inneren Energie vom 
Volumen. Doch gehört hiezu auch noch die Berücksichtigung 
des ümstandes, dass bei solchen Gasen die äussere Arbeit 

nicht verschwindet und daher auch die innere Energie nicht 
constant bleibt. Näheres darüber s. unten § 158. 

§ 71. Von besonderer theoretischer Wichtigkeit sind die- 
jenigen thermodynamischen Prozesse, welche, wie man sagt, un- 
endlich langsam verlaufen und daher aus lauter Gleichgewichts- 
zuständen bestehen. Wörtlich genommen ist zwar diese Aus- 
drucksweise undeutlich, da ein Prozess nothwendig Veränderungen, 
also Störungen des Gleichgewichts zur Voraussetzung hat. Aber 
man kann diese Störungen, wenn es nicht auf die Schnelligkeit» 
sondern nur auf das Resultat der Veränderungen ankommt, so 
klein nehmen wie man irgend will, namentlich auch beliebig 
klein gegen die übrigen Grössen, welche im Zustand des be- 
trachteten Systems eine Rolle spielen. So kann man ein Gas 
sehr langsam um einen beliebig grossen Bruchtheil seines 
Volumens comprimiren, indem man den äusseren Druck in jedem 
Augenblick nur um ein äusserst Geringes grösser macht als den 
Druck des Gases, und man begeht, wenn es sich um die Grösse 
des äusseren Druckes handelt, z. B. bei Berechnung der zu einer 
bestimmten endlichen Compression aufgewendeten Arbeit, nur 
einen sehr kleinen Fehler, wenn man statt des äusseren Druckes 
den Druck des Gases setzt. Beim üebergang zur Grenze ver- 
schwindet auch dieser kleine Fehler, d. h. bei „unendlich lang- 
samer** Compression wird das so gewonnene Resultat strenge richtig. 

Das Gesagte gilt sowohl für eine Compression bei con- 



46 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie, 



stantem, als auch für eine solche bei veränderlichem Druck. 
Im letzteren Falle muss man dem äusseren Druck, etwa durch 
Hinzufiigung oder Fortnahme kleiner Gewichtsstücke, in jedem 
Augenblick gerade die erforderliche Grösse ertheilen. Dies kann 
durch manuelle Eingriffe (Abschieben der Gewichtsstücke nach 
der Seite) oder durch eine besondere Regulirungsvorrichtung 
geschehen, welche nur auslösend wirkt und daher ohne Arbeits- 
leistung funktionirt. 

§ 73. Ebenso wie bei der äusseren Arbeit ist es mit der 
Zuleitung öder Ableitung von Wärme. Wenn es sich nicht um 
die Zeit, sondern nur um den Betrag der Wärmemenge handelt, 
welche das System aus der Umgebung empfangen oder dahin 
abgegeben hat, so genügt es, die Temperatur der verwendeten 
Wärmequelle um einen beliebig kleinen Werth grösser oder 
kleiner als die Temperatur des Systems anzunehmen, je nach- 
dem die Wärme zu- oder abgeleitet werden solL Dieser kleine 
üeberschuss bestimmt lediglich die Richtung des Prozesses, seine 
Grösse kommt aber nicht in Betracht gegen die ganze durch 
den Prozess schliesslich herbeigeführte Veränderung des Systems. 
Daher spricht man, wie von der Compression eines Gases durch 
einen äusseren Druck, der dem Druck des Gases gleich ist, so 
auch von dem Wärmeübergang von einem Körper zu einem 
andern von der nämlichen Temperatur, und anticipirt damit 
nur das Resultat, das sich aus dem Grenzübergang von einer 
endlichen kleinen zu einer unendlich kleinen Temperaturdifferenz 
beider Körper ergibt. 

Auch hier sind nicht nur isothermische Vorgänge, sondern 
auch solche von variabler Temperatur mit einbegriffen. Für 
letztere kommt man freilich mit einem einzigen Wärmebehälter 
von constanter Temperatur nicht aus, sondern man bedarf ent- 
weder eines Körpers von willkührlich veränderlicher Temperatur, 
also etwa eines Gases, das man durch zweckmässige Compression 
öder Ausdehnung beliebig erwärmt oder abkühlt, oder man ver- 
wendet eine hinreichend grosse Zahl von Wärmebehältem ver- 
schiedener bestimmter Temperaturen und setzt in jedem Augen- 
blick gerade denjenigen in Funktion, welcher der gleichzeitigen 
Temperatur des Systems möglichst nahe liegt. 

§ 73. Die hohe Bedeutung dieser Betrachtungsweise be- 
steht darin, dass man jeden „unendlich langsamen" Prozess auch 



Anw&ndv/ngen auf homogene Systeme, 47 



in entgegengesetzter Richtung ausgeführt denken kann. Besteht 
nämlich ein Prozess bis auf minimale Abweichungen aus lauter 
Gleichgewichtszuständen, so genügt oflfenbar immer eine ebenso 
minimale passend angebrachte Aenderung, um ihn in entgegen- 
gesetzter Richtung ablaufen zu lassen, und diese minimale 
Aenderung kann durch einen Grenzübergang ebenso ganz zum 
Verschwinden gebracht werden. Denn ein bestimmtes Resultat 
enthält immer auch einen ganz bestimmten Fehler, und wenn 
dieser Fehler kleiner ist als jede noch so klein angenommene 
Grösse, so ist er nothwendig gleich Null. 

§ 74. Wir gehen nun über zur Anwendung des ersten 
Hauptsatzes auf einen solchen aus lauter Gleichgewichtszuständen 
zusammengesetzten und daher umkehrbaren Prozess. Derselbe 
lässt sich in einfacher Weise graphisch versinnlichen, dadurch 
dass die Reihe der nacheinander durchlaufenen Gleichgewichts- 
zustände des Systems als Curve in eine Coordinatenebene ein- 
getragen wird, auf deren Axen die Werthe der unabhängigen 
Variabein gemessen werden. Wir wollen als unabhängige Variable 
zunächst das Volumen V (Abscissenaxe) und den Druck p 
(Ordinatenaxe) anwenden. Dann entspricht jedem Punkt der 
Ebene ein bestimmter Zustand der von bestimmter Natur und 
Masse angenommenen Substanz, und jeder Curve eine bestimmte 
Reihe von stetig aufeinanderfolgenden Zustandsänderungen der- 
selben. Denken wir uns also einen umkehrbaren Prozess, der 
die Substanz aus einem Zustand 1 in einen Zustand 2 bringt, 
so wird er durch eine Curve cc bezeichnet, die vom Punkt 1 
zum Punkt 2 geht (Fig. 2). Dann ist nach Gleichung (17) die 
Zunahme der Energie der Substanz: 

wobeie die gesammte angewendete äussere Arbeit, die im 
Ganzen von Aussen zugeführte Wärme bedeutet. 

§ 75. Der Werth von Ä lässt sich unmittelbar berechnen. 
Zunächst setzt sich A durch algebraische Addition aus den 
Elementararbeiten zusammien, welche während der aufeinander- 
folgenden unendlich kleinen, den einzelnen Bogenelementen der 
Curve a entsprechenden Veränderungen der Substanz von Aussen 
her auf dieselbe ausgeübt werden. Da nun der äussere Druck 
wegen der angenommenen ümkehrbarkeit des Prozesses in jedem 
Augenblick gleich dem der Substanz p zu setzen ist, so ist die 



48 



D&r erste Hav^taatx der Wärmeiheorie, 



von den äusseren Kräften bei einer unendlich kleinen Ver- 
änderung geleistete Arbeit, wie in der Hydrodynamik gezeigt 
wird, einfach gleich dem Produkte des Druckes j? und der 
Volumenverminderung, unabhängig von der geometrischen Form 
der Oberfläche der Substanz, also = ^pdV, und mithin die 
während des ganzen Prozesses geleistete äussere Arbeit: 

2 

(20) Ä^-^JpdV 

1 
wobei die Integration über die Curve a vom Punkt 1 bis zum 
Punkt 2 zu erstrecken ist. Wenn p positiv, wie bei Gasen, und 
Fg > Fj, wie in der Fig. 2, so ist Ä negativ. 




«F 



Fig. 2. 

Um die Integration ausführen zu können, bedarf es der 
Kenntniss der Abhängigkeit des Druckes p vom Volumen F, d. h. 
der Kenntniss der Curve a. Solange nur die Punkte 1 und 2, 
nicht aber die sie verbindende Curve gegeben ist, hat das Inte- 
gral garkeinen bestimmten Werth. Erfolgt z. B. der Uebergang 
von 1 zu 2 auf einer andern Curve /9, so fallt das Integral ganz 
anders aus. Daher ist, wie man sagt, das Differential pdV ein 
„unvollständiges" Differential. Mathematisch betrachtet rührt 
dieser Umstand daher, dass p ausser von F im Allgemeinen 
noch von einer anderen Variabein, der Temperatur &^ abhängt, 



Anwendungen auf homogene Systeme, 49 

die sich auf dem Integrationswege a in gewisser Weise mit- 
ändem wird. Solange nun a nicht gegeben ist, lässt sich auch 
nichts über die Abhängigkeit des d- von der Integrationsvariabein 
V aussagen und die Integration daher nicht ausführen. 

Die äussere Arbeit Ä hat in der Fig. 2 eine sehr anschau- 
liche Bedeutung. Sie ist offenbar gleich dem negativ genom« 
menen Flächeninhalt der ebenen Figur, welche durch die Curve 
a, die Abscissenaxe und die Ordinaten in den Punkten 1 und 
2 begrenzt wird. Auch hieraus erkennt man, dass der Werth 
von Ä wesentlich durch den Verlauf der Curve a bedingt ist. 
Nur für unendlich kleine Zustandsänderungen, d. h. wenn die 
Punkte 1 und 2 einander unendlich nahe liegen und somit a 
auf ein Curvenelement zusammenschrumpft, ist Ä durch den 
Anfangs- und Endpunkt der Curve allein schon bestimmt. 

§ 76. Die zweite der Messung zugängliche Grösse ist die 
von Aussen zugeführte Wärme 0, welche durch eine calori- 
metrische Bestimmung zunächst in Calorieen, und durch Multi- 
plication mit dem mechanischen Wärmeäquivalent auch in 
mechanischen Einheiten ausgedrückt werden kann. Fragen wir 
nun nach der theoretischen Bestimmung der zugeleiteten Wärme 0. 
Auch sie setzt sich, wie die äussere Arbeit A, durch alge- 
braische Summation zusammen aus den unendlich kleinen Wärme- 
mengen, welche während der den einzelnen Curvenelementen 
entsprechenden Elementarprozesse dem Körper zugeführt werden. 
Doch lässt sich eine solche Elementarwärme nicht, wie die 
gleichzeitige Elementararbeit, unmittelbar aus der Lage des 
Curvenelementes berechnen. Man kann zwar, um eine Analogie 
mit dem Ausdruck der Elementararbeit — p dV zu schaffen, die 
Elementarwärme etwa gleich dem Produkt der unendlich kleinen 
durch sie bewirkten Temperaturerhöhung c^i?* und einer im All- 
gemeinen endlichen Grösse G, der Wärmecapacität, setzen ; aber 
dann hat die Grösse G im Allgemeinen keine bestimmte Bedeutung. 
Denn sie hängt nicht, wie der Faktor p in dem Ausdruck der 
Elementararbeit, allein von dem augenblicklichen Zustand der 
Substanz, also von der Lage des betr. Curvenpunktes ab, son- 
dern zugleich auch von der Sichtung des Curvenelements. Für 
eine isotherme Aenderung ist G offenbar ± oo, weil dann d i9-=0, 
während die zugeleitete Wärme positiv oder negativ sein kann. 
Für eine „adiabatische" Aenderung ist (7=0, weil dann die zu- 

PI.ANOK, ThermodyDamik. ^ 



50 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie. 

geleitete Wärme gleich Null ist, während die Temperatur sich 
beliebig ändern kann. G kann also, im Gegensatz zu p, für 
einen und denselben Punkt alle möglichen Werthe zwischen 
+ 00 und — 00 haben (vgL § 47). Aus diesem Grunde ist die 
durch die Zerlegung der zugeleiteten Wärme in die beiden 
Faktoren d & und G ge&uchte Analogie mit der äusseren Arbeit 
in einem wesentlichen Punkte unvollständig, und führt im allge- 
meinen Falle nicht zu einer Vereinfachung des behandelten 
Problems. Dasselbe gilt von einer anderweitigen Zerlegung der 
zugeführten Wärmemenge in zwei Faktoren (i^- und dS, § 12ü), 
die nur für ganz spezielle Fälle richtig ist und daher eben- 
falls keine allgemeine Eigenschaft der zugeführten Wärme 
darstellt. 

§ 77. Wenn sich somit der Werth der zugeleiteten Wärme 
Q im Allgemeinen nicht von vorneherein bestimmen lässt, so ge- 
stattet andrerseits die Gleichung (17) des ersten Hauptsatzes 
einige wichtige Schlüsse auf diese Grösse. Zunächst ergiebt 
sich aus ihr, wenn man den gefundenen Werth (20) von Ä 
substituirt: 

2 

(21) = Kj- U,+fpdV. 

1 
Daraus erkennt man, dass der Werth von Q nicht allein durch 

die Punkte 1 und 2, sondern auch, ebensowie Ä, durch den 
Verlauf der sie verbindenden Curve, cc oder ß, bedingt wird. 
Mit diesem Satze ist die CARNOT'sche Theorie der Wärme un- 
vereinbar, was schon oben (§§ 51. 52) ausführlich dargelegt 
wurde. 

§ 78. Vollständig berechnen lässt sich Q für den Fall, 
dass die Substanz schliesslich wieder in ihren Anfangszustand 1 
zurückgebracht wird, also einen Kreisprozess durchmacht. Dies 
kann z. B. dadurch geschehen, dass man sie zuerst auf dem 
Wege a in den Zustand 2, und dann auf dem Wege ß wieder 
in den Zustand 1 überführt. Dann ist, wie überhaupt bei Kreis- 
prozessen, nach (18), § 65 

0= -A 

Die gesammte äussere Arbeit ist: 

1 

A^^fpdV, 



Anwefndungen auf homogene Systeme, 51 



wobei das Integral über die geschlossene Curve 1 e^ 2 /9 1 zu 
erstrecken ist. A stellt offenbar zugleich den Inhalt des von 
dieser Curve umschlossenen Flächenstücks vor, positiv, wenn der 
Ereisprozess in der durch den Pfeil Fig. 2 angegebenen Richtung 
vor sich geht. 

§ 79. Im Folgenden wollen wir uns näher mit dem spe- 
ziellen Fall beschäftigen, dass die für die Zustandsänderung 
charakteristische Curve a in ein Element zusammenschrumpft 
und somit die Punkte 1 und 2 sich unendlich nahe liegen. 
Dann erhält Ä den Werth — pdVj die Energieänderung den 
Werth dUf und in Folge dessen die von Aussen zugefährte 
Wärme nach (21) den Werth ^) , 

Q^dü + pdV. 

Auf die Masseneinheit der Substanz bezogen lautet diese 

Gleichung 

q =^ du + pdv, (22) 

wenn die Quotienten von 0, U und V durch die Masse M mit 
den entsprechenden kleinen Buchstaben bezeichnet werden. Für 
die folgenden Rechnungen empfiehlt es sich öfter, die Temperatur 
& als unabhängige Variable zu benutzen, entweder neben v oder 
neben jp. Wir werden die unabhängigen Variabein jedesmal im 
Interesse der möglichsten Einfachheit wählen und überall da, 
wo Verwechslungen möglich sind, den Sinn der Differentiation 
besonders markiren. 

Nun wenden wir die letzte Gleichung auf die wichtigsten 
umkehrbaren Vorgänge an. 

§ 80. Wie schon wiederholt angeführt wurde, kann man 
die spezifische Wärme einer Substanz in ganz verschiedener 
Weise definiren, je nach der Art, in welcher man sich die Er- 
wärmung vorgenommen denkt. In jedem Falle hat man für die 
spezitische Wärme nach § 46 und nach (22): 

q du . dv ,oQ\ 



*) Nach Clausius' Vorgang wird dieser Ausdruck gewöhnlich, um 
seine unendliche Kleinheit anzudeuten, mit d Q bezeichnet. Dies hat jedoch 
nicht selten zu dem Missverständniss Anlass gegeben, als ob die zugeleitete 
Wärme das Differential einer bestimmten endlichen Grösse Q wäre. Daher 
bleiben wir bei der obigen Bezeichnung stehen. Einige Autoren be- 
nutzen auch, um das genannte Missverständniss auszuschliessen, die Be- 
zeichnung d^Q, 



52 



Der erste Hauptsatz der Warmetheorie, 



Damit nun die Differentialquotienten einen bestimmten Sinn 
haben, ist noch eine willktihrlich festzusetzende Bedingung er- 
forderlich, welche die Bichtung der vorgenommenen Verände- 
rungen anzeigt. Natürlich genügt eine einzige Bedingung, da 
der Zustand der Substanz nur von zwei Variabein abhängt. 
§ 81. Erwärmung bei constantem Volumen. Hieftir ist: 

dv = , c = c„ 
die spezifische Wärme bei coüstantem Volumen. Also nach 
Gleichung (23) 

oder auch: 

w «.-(liKlf). 

§ 82« Erwärmung bei constantem Druck. Hiefür ist: 

dp^O, c^c^ 

die spezifische Wärme bei constantem Druck. 
Gleichung (23): 

(26) 

oder auch: 



Also nach 






'd u 



p 



dv 



p 



(27) 

Durch Substitution von: 



p 



(du\ , ] ldv\ 



(du\ ^ /du] fdu] (dv\ 



in (26) kann man c^ auch in der Form schreiben: 

'du\ . [(du\ 1 l^^\ 



p 



di^. 



+ 



ijij^+P 



oder mit Berücksichtigung von (24) 

du 



(28) 



= c 4- 



dvj^ 



+ P 



m,- 



§ 83. Die Vergleichung von (25) und (27) gestattet durch 
Elimination von u eine direkte Prüfung der Theorie an der Er- 
fahrung. Es ist nämlich aus (25): 

'd u\ id&^ 

ßv)v 
andrerseits aus (27) 

'd 



( 



u\ (d ^A 



Anwendungen auf homogene Systeme. 53 

Folglich durch Differentiation des ersten Ausdrucks nach v bei 
constantem p und des zweiten Ausdrucks nach p bei constantem 
V und Gleichsetzung beider Werthe: 

dvy^dp) " dpypdv ^) 
oder: 

/ s d^d- dcp d & ^Cr d & - ,^Qv 

\ p v^ dpdv dp dv dv dp * ^ ' 

Diese Gleichung enthält nur Grössen, die der Beobachtung 
zugänglich sind und liefert dah^r ein Mittel zur Prüfung des 
ersten Hauptsatzes der Wärmetheorie an einer beliebigen homo- 
genen Substanz durch Messungen. 

§ 84« Ideale Gase. Die obigen Gleichungen erfahren für 
ideale Gase beträchtliche Vereinfachungen. Zunächst ist hiefür 
nach (14) 

p = -^ . (30) 

wobei i?= 826-10'^ und m gleich dem (wirklichen oder schein- 
baren) Molekulargewicht des Gases. Daher wird: 

& = ^pv 

und die Gleichung (29) geht über in: 

' d Cp d Cy R 

P « ^^ dp dv m 

Mehr lässt sich für ein ideales Gas, wenn nur das Boyle-Gay 
LussAC-AvoGADEo'sche Gesetz als gültig vorausgesetzt wird, aus 
dem ersten Hauptsatz allein nicht schliessen. 

§ 85. Nun j^rollen wir die weitere, durch die im § 70 be- 
schriebenen Versuche von Thomson und Joule festgestellte 
Eigenschaft idealer Gase benutzen, dass ihre innere Energie 
nur von der Temperatur, nicht vom Volumen abhängt, also 
nach (19), auf die Masseneinheit bezogen: 

'rl- 1 CD 

Daher geht die allgemeine Gleichung: 

^"-(ii)/*+(f> 

für ein ideales Gas über in: 



54 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie, 



und nach (24): 

(32) du^e^dS- 
Femer folgt dann aus (28): 

oder mit Berücksichtigung von (30): 

d. h. die Differenz der spezifischen Wärme eines idealen Gases 
bei constantem Druck und bei constantem Volumen ist constant. 
Bezieht man die Wärmecapacität nicht auf die Masseneinheit, 
sondern auf das Molekulargewicht m des Gases (vgl. § 48), so ist 

(33) mej^ — mc^=^ R, 

also die Differenz sogar unabhängig von der Natur des Gases. 

§ 86. Direkt messen lässt sich nur die spezitische Wärme 
bei constaütem Druck, weil eine in einem geschlossenen Gefäss 
von constantem Volumen gehaltene Gasmenge eine viel zu kleine 
Wärmecapacität besitzt, um gegenüber den äusseren Körpern, 
zunächst den Gefässwänden, hinlänglich beträchtliche thermische 
Wirkungen hervorzubringen. Da nun o^ nach (24) ebenso wie 
u nur von der Temperatur, nicht vom Volumen abhängt, so 
folgt aus (33) dasselbe für c , Dieser Schluss ist zuerst durch 
die Messungen von Regnault bestätigt worden, welcher überdies 
fand, dass c^ auch innerhalb eines ziemlich weiten Temperatur- 
intervalls constant ist. Nach (33) ist also auch c^ in demselben 
Bereich constant. 

Wenn man die Molekularwärmen in Calorieen ausdrückt, 
so ist natürlich auch die Grösse R noch durch das mechanische 
Wärmeäquivalent a (§ 61) zu dividiren, und man hat als Differenz 
der Molekularwärme bei constantem Druck und der bei con- 
stantem Volumen: 
(OA^ ig _ 826.10^ -1971 

^"^^^ a - 419.10* - i,ya. 

§ 87. Folgende Tabelle enthält für einige Gase die direkt 
gemessene spezifische Wärme und die Molekularwärme bei con- 
stantem Druck, sowie die aus Gleichung (33) durch Subtraktion 
von 1,97 berechnete Molekularwärme bei constantem Volumen, 

endlich das Verhältniss beider Grössen: ^^ = y . 





Ämoendtmgen auf homogene Systeme. 


55 




■ 


Spezifische 

Wärme bei 

const. Druck 


Molekular- 
gewicht 


Molekular- 
wärme bei 
const. Druck 


Molekular- 
wärme bei 

const. 
Volumen 


Verhältniss 


Wasserstoff . 
Sauerstoff 
Stickstoff . • 
Luft . . . 


• 
• 
• 
• 


3,410 
0,2175 
0,2438 
0,2375 


2 
31,9 

28 
28,8 


6,82 
6,94 
6,83 
6,84 


4,85 
4,97 
4,86 

4,87 


1,41 
1,40 
1,41 
1,41 



Bei bedeutender Temperatursteigerung nimmt die spezifische 
Wärme in der Regel langsam zu. Innerhalb des Temperatur- 
bereichs, in welchem die spezifische Wärme constant ist, lässt 
sich die Gleichung (32) integriren und liefert: 

u =^ c^& + const, (35) 

wobei die Integrationsconstante von der Wahl des NuUzustandes 
für die Energie abhängt Für den idealen Gaszustand be- 
trachten wir c„ und c„ als durchaus constant und daher die 
letzte Gleichung als allgemein gültig. 

§ 88. Adiabatischer Vorgang. Hieftir ist charakteriBtisch 
q = 0, und nach Gleichung (22): 

^ du + pdv. 

Setzen wir wieder ein ideales Gas voraus, so ergibt die Ein- 
setzung der Werthe von du aus (32) ujid von p aus (30): 

= cd& + —-dv (36) 

oder integrirt: 



R 



ß log & -{ log V = const. 

Ersetzt man hierin — nach (33) durch c„ — c und dividirt durch 
c^, SO kommt: 

log i5^ + (r ^ 1) log ^ = const. (37) 

(d. h. bei adiabatischer Ausdehnung sinkt die Temperatur) 

oder, wenn man bedenkt, dass nach der Zustandsgieichung (30): 

log^ + log^' — logi^" = const 
mit Elimination von v: 

— /logi?- + {y — l)log^ = const 
(d. h. bei adiabatischer Druckvermehrung steigt die Temperatux) 



56 Der erste Hauptsatz der Wämietheorie. 



oder mit Elimination von &i 

log ^ + ;j^ logt; = const. 

Die Werihe der Integrationsconstanten ergeben sich aus dem 
Anfangszustand des Prozesses. 

Vergleicht man die letzte Gleichung in der Form: 

(38) p'Vf =^ const. 

mit dem BoYOj'schen Gesetz : pv = const, so erkennt man, dass 
bei adiabatischer Compression das Volumen langsamer mit 
wachsendem Druck abnimmt als bei isothermischer Compression, 
entsprechend der gleichzeitig eintretenden Temperaturerhöhung. 
Die adiabatischen Curven in der /?t;-Ebene (§ 22) verlaufen 
daher steiler als die hyperbelförmigen Isothermen. 

§ 89. Die adiabatischen Vorgänge können in verschiedener 
Weise zur Messung des Verhältnisses y der spezifischen Wärmen 
benutzt werden und liefern durch die üebereinstimmung der 
Resultate mit den aus dem mechanischen Wärmeäquivalent be- 
rechneten Werthe von y eine wichtige Bestätigung der Theorie. 

So kann z. B. die Messung der Schallgeschwindigkeit in 
einem Gase zur Berechnung von y benutzt werden. Wie in 
der Hydrodynamik gezeigt wird, ist dieselbe in irgend einer 

Flüssigkeit: l/4x-» wenn ä = — die Dichte der Flüssigkeit be- 
deutet. Da nun wegen der geringen Wärmeleitungsfähigkeit der 
Gase die mit einer Schallbewegung verbundenen Compressionen 
und Dilatationen nicht isotherm, sondern adiabatisch erfolgen, 
so hängt bei einem idealen Gase der Druck p von der Dichte 
k nicht nach dem Boyle' sehen Gesetz pv = const., sondern nach 
der Gleichung (38) ab, also: 

^ = const. 



ky 

woraus durch Differentiation: 



dp rp 



oder nach (30): 



dp ^ CL ^* dp 

~dk ~~ '^ "^ ' ^ "" 'Rß^ ' ~dk ' 

Nun beträgt z. B. in atmosphärischer Luft bei 0^ die Schall- 
geschwindigkeit: i/4|^ =33280-^, also ist für Luft mit Hülfe 

y dk °®^ 



Äwupendungm auf homogene Systeme. 57 

- 

der Zahlenwerthe für m (§ 41), i? (§ 84) und & nach der letzten 

GleiCl^ung: . 28,8 33 280* - ., 

y = • ^= 1 41 

^ 826. IQ» 273 ' 

in üebereinstimmung mit dem in § 87 berechneten Werth. 
Natürlich kann man auch umgekehrt den aus der Schall- 
geschwindigkeit berechneten Werth von y = -^ dazu benutzen, 

um c^ in Calorieen und dann aus (33) das mechanische Wärme- 
äquivalent zu berechnen. Dieser Weg ist zur erstmaligen ziflfer- 
mässigen Auswerthung des Wärmeäquivalents eingeschlagen 
worden von Eobebt Mater im Jahre 1842. Allerdings gehört 
wesentlich dazu die in Gleichung (31) ausgedrückte Voraus- 
setzung, dass die innere Energie der Luft nur von der Temperatur 
abhängt, oder mit anderen Worten, dass die Differenz der 
spezifischen Wärmen bei constantem Druck und bei con- 
stantem Volumen lediglich durch die äussere Arbeit bedingt 
ist — ein Satz, der erst seit den § 70 beschriebenen Ver- 
suchen von Thomson und Joule als direkt bewiesen angesehen 
werden darf. 

§ 90. Wir wenden uns jetzt zur Betrachtung eines zu- 
sammengesetzteren Prozesses, und zwar eines umkehrbaren Kreis- 
prozesses von besonderer Art, der in der Entwicklung der 
Thermodynamik eine wichtige Rolle gespielt hat: des sogenannten 
CAßNOT'schen Kreisprozesses, um auch auf ihn den ersten Haupt- 
satz im Einzelnen anzuwenden. 

Von einem gewissen Anfangszustand, welcher durch die 
"Werthe d-^ und Vy^ charakterisirt sein möge, ausgehend werde 
die Substanz von der Masse 1 erstens adiabatisch comprimirt, 
bis die Temperatur auf S-^ > &^ gestiegen und das Volumen 
auf Vg < Vj vermindert ist (Fig. 3). Hierauflasse man zweitens 
die Substanz sich wieder ausdehnen, aber nun. isotherm, indem 
sie in Verbindung mit einem Wärmebehälter von der constanten 
Temperatur ß-^ gehalten wird, welcher die Ausdehnungswärme 
©2 hergibt; dabei möge das Volumen bis v^ wachsen. Drittens 
werde die Substanz noch weiter ausgedehnt, und zwar jetzt adia- 
batisch, so lange bis die Temperatur wieder auf &^ gesunken 
ist; dann habe das Volumen bis v^ zugenommen. Endlich 
viertens werde auch das Volumen durch isothermische Com- 
pression mit Benutzung eines Wärmebehälters von der constanten 



58 



Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie, 



Temperatur d-^, welcher die Compressionswärme aufiummt, wieder 
auf den Anfangswerth Vj zurückgebracht, — Alles auf umkehr- 
barem Wege, wie es § 71 ff. beschrieben wurde. 



'&. 



S'. 



V, 




V. 



v^ 



v 



Fig. 3. 

Nach dem ersten Hauptsatz ist für diesen Kreisprozess 
(§ 65) die Summe der dem System von Aussen zugefuhrten 
Wärme und der von Aussen aufgewendeten Arbeit: 

(39) + ^ = 

Die der Substanz im Ganzen zugeführte Wärme beträgt hier: 

(40) Q^Q^+Q^ 

wobei Oj und Q^ die von den beiden Wärmebehältem abge- 
gebenen Wärmemengen bezeichnen (Oj ist hier negativ). Die 
äussere Arbeit A lässt sich aus der adiabatischen und aus der iso- 
thermischen Compressibilität der angewandten Substanz berechnen. 
Dieselbe beträgt nach (20): 

V,^, «g'^Z V^i «1^1 

^=— fpdv — Jpdv^ Jp dv — J p dv 

wobei die erste und die dritte Integration auf adiabatischem 
Wege, die zweite und die vierte auf isothermischem Wege zu 
erfolgen hat. 



Anwendungen auf homogene Systeme, 59 



Setzen wir von nun an ein ideales Gas voraus, so lassen 
sich die vier Integrale leicht berechnen. Es wird nämlich durch 
Berücksichtigung von (30) und (36): 

Ä^jc.dß--fj^^äv+Jc.dß-^}^dv (41) 

Die Arbeit bei der adiabatischen Compression im ersten Theil 
des Prozesses ist also gerade gleich und entgegengesetzt der 
Arbeit bei der adiabatischen Ausdehnung im dritten Theil des 
Prozesses und hebt sich mit dieser fort. Es bleiben übrig die 
isothermischen Arbeiten; 

Nun ist aber der Zustand v^ &^ aus dem Zustand v^ &^ 
durch einen adiabatischen Vorgang entstanden, also ist nach (37): 

log ß'^ + iy -\) log v^ = log ^i + {r - 1) log v^ 
und ebenso ist für den anderen adiabatischen Vorgang, der von 
v^' &2 bis Vj" &^ führt: 

log ^2 + ir - 1) log v^' = log ß^+{y - 1) log v^\ 
Aus diesen beiden Gleichungen folgt unmittelbar: 

und daher: 



?W ^ ^ ^' ^ V, 



f . r 

Da in unserem Fall &^ > ü-, und -^ = -^ > 1 , so ist hier die 

gesammte von Aussen auf das Gas ausgeübte Arbeit Ä negativ, 
d. h. es ist äussere Arbeit im Ganzen nicht aufgewendet, son- 
dern gewonnen worden. Dagegen ist in Folge von (39) und (40) 

Q=.Q^ + Q^= -A (42) 

positiv, d. h. der Wärmebehälter von der Temperatur &^ hat 
mehr Wärme abgegeben, als der Wärmebehälter von der Tem- 
peratur i^-j aufgenommen hat. 

Der Werth von A in die letzte Gleichung eingesetzt ergibt: 

= Oj + 0, = A (.^, - ^i)log^. (43) 

Die Eichtigkeit dieser Gleichung erhellt sogleich aus der 
direkten Berechnung der Grössen Q^ und Q^ einzeln. Während 



60 Der erste Haupisatx der Wärmetheorie. 

nämlich der Wärmebehälter &^ in Funktion ist, dehnt sich das 
Gas isotherm aus, seine Energie bleibt also ungeändert^ und die 
von Aussen zugeführte Wärme ist der äusseren Arbeit gleich 
und entgegengesetzt. Daher hat man durch Vergleich mit dem 
zweiten Integral in (41): 

^ Ä n 1 Vf' 9. l/\ ^1 

^ ~~ m 2 ^ t;2 ~" m * ^i 

und ebenso durch Vergleich mit dem vierten Integral in (41): 

0, =^.9-, log^ = -^i^, log^ 

in Uebereinstimmung mit der Gleichung (43). 

Es besteht also zwischen den Grössen Q^^, Q^, A ausser der 
Eelation (42) noch die andere: 

(44) Q,:Q,:A = {-^ t^): ^2 -(^i " '^> 

§ 91. Wir wollen nun das Resultat aller Wirkungen ins 
Auge fassen, welche bei der Ausführung des beschriebenen 
CAENOT'schen Kreisprozesses in der Natur auftreten. Zu dem 
Zweck vergleichen wir den durch den Prozess schliesslich hervor- 
gerufenen Zustand mit dem am Anfang des Prozesses herrschen- 
den Zustand. Das Gas selber hat durch den Prozess im Ganzen 
gar keine Aenderung erfahren, es hat gewissermassen nur als 
Zwischenträger gedient, um anderweitige Aenderungen zu ver- 
mitteln, wir können dasselbe also bei der Vergleichung des End- 
zustandes mit dem Anfangszustand ganz ausser Betracht lassen. 
Dagegen haben die beiden Wärmebehälter ihren Zustand ge- 
ändert und ausserdem ist eine gewisse positive äussere Arbeit 
A' = — Ä gewonnen worden, d. h. es befinden sich am Schluss 
des Prozesses etwa gewisse Gewichte, die bei der Compression 
und bei der Ausdehnung verwendet wurden, auf einer grösseren 
Höhe als am Anfang, oder es ist eine elastische Feder, die zu 
dem gleichen Zweck diente, am Schluss stärker gespannt als 
sie es am Anfang war. Andrerseits hat der Wärmebehälter &^ 
die Wärmemenge Q^ abgegeben, der kältere Wärmebehälter iJ-j 
die kleinere Wärmemenge Q^' = — Q^ empfangen, und die ver- 
schwundene Wärme ist äquivalent der gewonnenen Arbeit. Man 
kann das kurz so ausdrücken, dass man sagt: Die Wärmemenge 
O2 von der Temperatur ß-^ ist zum einen Theil (Q^') zur tieferen 
Temperatur &j^ übergegangen, zum andern Theil (O3 — 0^' =Q^ + Q^) 
in Arbeit verwandelt worden. Man hat also in dem CAENOT'schen 



Anwendungen auf nichthomogene Systeme. 61 

Kreisprozess, ausgeführt mit einem idealen Gase, ein Mittel, nm 
einem Körper Wärme zu entziehen und dafür Arbeit zu ge- 
winnen, ohne dass irgend eine andere Veränderung in der Natur 
eintritt, als dass ausserdem eine gewisse andere Wärmemenge 
aus einem Körper von höherer Temperatur zu einem Körper 
von tieferer Temperatur übergeht. 

Da der beschriebene Prozess aber umkehrbar ist, so kann 
man ihn auch in der Weise realisiren, dass bei unveränderten 
Temperaturen und Volumina die Grössen 0^, O3, ^ ihr Vor- 
zeichen ändern. Dann ist Q^ und Ä positiv, Q2 = — Og iißg^ttv, 
d. h. der wärmere Behälter &^ empfängt die Wärme Q^, und 
zwar zum Theil {Q^) aus dem kälteren Behälter iJ-^, zum Theil 
aus aufgewendeter Arbeit {Ä). Man hat also in dem umgekehrt, 
ausgeführten CABNOT'schen Prozess ein Mittel, um Wärme aus 
einem kälteren in einen wärmeren Körper zu schaffen, ohne 
dass irgend eine andere Veränderung in der Natur eintritt, als 
dass ausserdem eine gewisse Arbeit in Wärme verwandelt wird. 
Wir werden später sehen, dass für den Erfolg des CABNOT'schen 
umkehrbaren Kreisprozesses die Natur des Zwischenträgers 
principiell unwesentlich ist, dass also ein ideales Gas darin von 
keiner anderen Substanz übertroffen oder unterboten wird, 
(vergl. § 137). 

III. Capitel. Anwendungen auf nichthomogene Systeme. 

§ 92. Ein grosser Theil der im vorigen Capitel besprochenen 
Sätze ist ohne Weiteres auch auf den Fall anwendbar, dass die 
dort behandelte Substanz im Innern nicht vollständig homogen 
ist, und insofern kann für eine Eeihe von allgemeinen Fragen 
auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden. Hier werden 
vorwiegend nur diejenigen Erscheinungen Gegenstand der Unter- 
suchung sein, welche für die Inhomogenität eines Systems 
charakteristisch sind. 

Wir betrachten im Folgenden ein System, welches aus 
einer Anzahl neben einander gelagerter, durch bestimmte Tren- 
nungsflächen geschiedener homogener (§ 67) Körper zusammen- 
gesetzt ist. Ein solches System kann chemisch homogen sein 
oder nicht. Den ersten Fall haben wir unter Umständen bei 
einer Flüssigkeit in Berührung mit ihrem Dampf, insofern die 



62 Der erste Hcmptsatx, der Wärmetheorie. 

Flüssigkeit aus ebensolchen Molekülen bestehen kann wie der 
Dampf. Den zweiten FaU haben wir beim Beginn irgend einer 
chemischen Reaktion, insofern eine Substanz mit einer chemisch 
differenten in Berührung ist Ob ein System physikalisch 
homogen ist oder nicht, lässt sich durch Aufsuchung etwaiger 
Trennungsflächen innerhalb des Systems, eventuell auch durch 
andere Mittel, z. B. bei Emulsionen durch Messung der Dampf- 
spannung oder des Gefrierpunktes (§ 223), in den meisten Fällen 
zu unzweifelhafter Entscheidung bringen, viel schwieriger und 
bis jetzt nur in besonderen Fällen gelungen ist die Beantwortung 
der Frage, ob ein System chemisch homogen ist, d. h. aus 
gleichartigen Molekülen besteht. Daher legen wir auch die 
erstere und nicht die letztere Eintheilung unserer Untersuchung 
zu Grunde. 

§ 98. Ein Charakteristikum der Vorgänge in nichthomo- 
genen Systemen sind die im Allgemeinen beträchtlichen dabei ein- 
tretenden Temperaturänderungen, z. B. beim Verdampfen oder 
beim Oxydiren. Die Aufrechterhaltung der Anfangstemperatur 
und des Anfangsdrucks erfordert dann einen beträchtlichen 
Wärmeaustausch mit der Umgebung und eine entsprechende 
äussere Arbeit Ersterer ist aber in der Regel viel bedeutender 
als letztere, die bei den meisten chemischen Vorgängen ganz 
vernachlässigt werden kann. Daher misst man in der Thermo- 
chemie die äusseren Wirkungen: 

(45) Q + Ä=U,-U, 

gewöhnlich in Calorieen (calorisches Aequivalent der äusseren 
Wirkungen). Die äussere Arbeit A erscheint darin nur als ein 
untergeordnetes Glied. Da femer die meisten chemischen Vor- 
gänge mit Temperaturerhöhung, also, wenn die Anfangstemperatur 
wiederhergestellt wird, mit Wärmeabgabe nach Aussen verlaufen 
(exothermische Vorgänge), so bezeichnet man in der Thermo- 
chemie die behufs Wiederherstellung der Anfangstemperatur 
nach Aussen abzugebende Wärmemenge als „positive Wärme- 
tönung" des Prozesses. In unseren Rechnungen werden wir 
daher für einen Prozess mit positiver Wärmetönung (z. B. Ver- 
brennung) die von Aussen zugeführte Wärme Q negativ, für 
einen mit negativer Wärmetönung (Verdampfung, Schmelzung, 
Dissociation) diese Wärme Q positiv zu nehmen haben. 



Anwendungen auf nichthomogene Systeme, 63 

§ 94, Um die Gleichung (45) thermochemisch zu ver- 
werthen, ist es zweckmässig, zur Bezeichnung der Energie U 
eines Systems in einem bestimmten Zustand ein Symbol zu be- 
nutzen^ welches die chemische Natur des Systems unmittelbar 
erkennen lässt Ein solches Symbol hat J. Thomsen eingeführt, 
indem er die Formeln für das Atomgewicht oder Molekular- 
gewicht der betr. Substanzen in Klammem setzt und dadurch 
die Energie der entsprechenden Gewichtsmenge, bezogen auf 
einen beliebigen Nullzustand, ausdrückt So bezeichnen [Pb], 
[S], [PbS] die Energieen eines Atoms Blei, Schwefel und eines 
Moleküls Schwefelblei. Um nun auszudrücken, dass die Bildung 
eines Moleküls Schwefelblei aus einem Atom Blei und einem 
Atom Schwefel mit einer Wärmetönung von 18 400cal verbunden 
ist, während dagegen die äussere Arbeit zu vernachlässigen ist 
(§ 98), hat man zu setzen: 

ü, = [Pb] + [S] 
U, = [PbS] 

^ = 0, 0=-18 400cal 
und die Gleichung (45) wird: 

- 18 400 cal = [PbS] - [Pb] - [S] 
oder, in der üblichen Schreibweise: 

[Pb] + [S] - [PbS] = 18 400 cal, 

d. h. die Energie von Blei und Schwefel in getrenntem Zustand 
ist um 18 400 cal grösser als im chemisch verbundenen Zustand 
bei gleicher Temperatur. Durch die Benutzung der Formeln 
für das Verbindungsgewicht hat man zugleich auch eine Con- 
trole dafür, dass die beiden verglichenen Energieen sich auf 
das nämliche materielle System beziehen. Einfacher noch würde 
die Gleichung lauten, wenn man den getrennten Zustand der 
Elemente Pb und S zum Nullzustand wählt. Denn dann wird 
(§ 64) [Pb] = und [S] = und man hat kürzer: 

[PbS]= - 18 400 cal. 

§ 95. Zur genauen Definition des Zustandes einer Sub- 
stanz, und somit ihrer Energie, ist aber ausser der chemischen 
Natur und der Gewichtsmenge zunächst noch die Angabe der 
Temperatur und des Druckes erforderlich. Erstere wird, falls 
keine besondere Bemerkung darüber gemacht ist, wie auch schon 



64 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie. 

in dem obigen Beispiel geschehen, als die mittlere- Zimmer- 
temperatur, also etwa 18^ C, angenommen. Ebenso wird der 
Druck als Atmosphärendruck vorausgesetzt; derselbe hat übrigens, 
bei gegebener Temperatur, nur wenig Einfluss auf die Energie, 
bei idealen Gasen überhaupt keinen [Gleichung (35)]. 

Femer bedarf es noch der Angabe des Aggregatzustandes. 
Man kann denselben, falls Verwechslungen zu befürchten sind, 
dadurch bezeichnen, dass man für den festen Zustand eckige 
Klammem wie oben, für den flüssigen runde, und für den gas- 
förmigen geschwungene Klammern anwendet. So bedeutet [H3O], 
(H3O), {HgO} die Energie eines Moleküls Wasser als Eis, als 
Flüssigkeit, und als Dampf. Daher ist für das Schmelzen bei 0^: 

(H2O) - [HgO] = 80.18 = 1440 cal. 

Endlich ist es manchmal wünschenswerth, z. B. bei fester Kohle, 
Schwefel, Arsen, oder bei isomeren Verbindungen, auch noch 
eine Angabe über die spezielle Modification der Substanz hinzu- 
zufügen. Das kann jedesmal in besonderer Weise geschehen. 

Mit diesen Symbolen lässt sich nun, wie mit bestimmten 
Grössen, rechnen, und dadurch manche Betrachtung wesentlich 
abkürzen, die sonst nur durch mehr oder minder verwickelte 
Ueberlegungen durchzuführen wäre. Vergl. hierzu die Beispiele 
weiter unten. 

§ 96, Zur Bezeichnung der Energie einer Lösung oder 
Mischung mehrerer Verbindungen kann man die Formeln für 
die Molekulargewichte mit den entsprechenden Molekülzahlen 
direkt nebeneinander schreiben. So bedeutet: 

(H3SOJ + SCHgO) - (H2S0^.5H20) = 13 100 cal, 

dass beim Auflösen eines Moleküls Schwefelsäurehydrat in 5 Mole- 
külen Wasser die Wärme 13 100 cal frei wird. Aehnlich gibt 
die Gleichung: 

(HgSOj + lOCHgO) - (H2SO4. IOH2O) = 15 100 cal 

die Wärmetönung beim Auflösen in 10 Molekülen Wasser. Durch 
Subtraktion der beiden Gleichungen erhält man daraus: 

(H3SO4.5H2O) + öCHjjO) - (H2SO4.IOH2O) = 2000 cal, 

d. h. die Verdünnung einer Lösung von 1 Molekül Schwefel- 
säurehydrat in 5 Molekülen Wasser mit weiteren 5 Molekülen 
Wasser ergibt eine Wärmetönung von 2000 cal. 



\ 



Anwendungen auf nichthomogene Systeme, 65 

§ 97. Erfahrungsgemäss ruft bei sehr verdünnten Lösungen 
eine weitere Verdünnung keine merkliche Wärmetönung mehr 
hervor. Daher ist es zur Bezeichnung der Energie einer sehr 
verdünnten Lösung häufig gamicht nöthig, die Zahl der Moleküle 
des Lösungsmittels besonders anzugeben, und man schreibt kurz: 

(HjSOj + (aq) - (H^SO^aq) = 1 7 900 cal., 

um die Wärmetönung auszudrücken, welche bei unendlicher 
Verdünnung eines Moleküls Schwefelsäurehydrat mit Wasser 
auftritt Hierbei bedeutet das Zeichen aq jede beliebige Wasser- 
menge, die zur praktischen Herstellung einer unendlich ver- 
dünnten Lösung genügt. 

§ 98. Das calorische Aequivalent der äusseren Arbeit Ä 
(§ 93) ist bei chemischen Prozessen, in denen nur feste und 
flüssige Körper vorkommen, wegen der geringen Volumverände- 
rungen gegen die Wärmetönung in der Regel zu vernachlässigen. 
Dann ergiebt also die Wärmetönung allein die Euergieänderung 
des Systems: 

^2-^1 = 
und ist in Folge dessen nur vom Anfangs- und Endzustaud, 
nicht aber von dem sonstigen Verlauf des Prozesses abhängig. 
Anders ist es im Allgemeinen, wenn gasförmige Körper an der 
Reaktion betheiligt sind. Nur bei den Verbrennungsprozessen 
in der „calorimetrischen Bombe", welche durch die Forschungen 
besonders von Berthelot und von Stohmann weitgehende An- 
wendungen erfahren hat, bleibt das Volumen constant und daher 
die äussere Arbeit = 0. Auch hier entspricht also die gemessene 
Wärmetönung direkt der eingetretenen Energiedifferenz. Aber 
in anderen Fällen kann bei der Mitwirkung von Gasen die 
äussere Arbeit A einen merklichen Betrag annehmen; derselbe 
ist wesentlich auch durch den Verlauf des Prozesses bedingt. 
So kann man z. B. ein Gas sich ausdehnen lassen mit einer 
äusseren Arbeitsleistung, die innerhalb gewisser Grenzen jeden 
beliebigen Werth, bis Null herab, haben kann. Da nun die 
Energiedifferenz Ü^—U^ nur vom Anfangszustand und vom 
Endzustand des Systems abhängt, so bedingt eine grössere Arbeit, 
die das System bei Ueberwindung der äusseren Kräfte leistet, 
immer eine geringere Wärmetönung des Prozesses und umge- 
kehrt, und um letztere zu finden, muß man ausser den Energieen 

Planck, Thermodynamik. 5 



66 Der erste Hauptsatz der Wärme theorie, 

auch noch die äussere Arbeit kennen. Hierzu bedarf es also 
der Angabe der äusseren Bedingungen, unter denen der Prozess 
verläuft. 

§ 99. Unter allen äusseren Bedingungen, die einen che- 
mischen Prozess begleiten können, ist die praktisch wichtigste 
diejenige, dass der Druck constant gleich dem einer Atmosphäre 
bleibt: p = Pq» Dann ist die von Aussen her aufgewendete Ar- 
beit Ä nach Gleichung (20) 

2 

(46) A=-fp,dv=p,{r^-r,), 

1 

also gleich dem Produkt des Druckes und der Volumenabnahme 
des Systems. Dies gibt nach (45): 

(47) U,-U, = Q+p,{V,-V,) 

Die Volumenabnahme V^ — V^ des Systems kann man aber 
in der Regel, unter Vernachlässigung der Volumenänderungen 
fester und flüssiger Körper, gleich setzen der Volumenabnahme 
der gasförmigen Theile des Systems; also nach (16): 

wobei n^ und n^ die Anzahl der gasförmigen Moleküle des 
Systems vor und nach der Reaktion bedeuten. Daraus ergibt 
sich das calorische Aequivalent der äusseren Arbeit bei con- 
stantem Druck nach (46) und (34) 

A = MVr-V^) ^A^(n^ _n,) = 1,97 -»-{n, -n,) cal. 

und die Wärmetönung eines Prozesses bei constantem Druck: 

(48) -Q= L\'-'U^ + },97-&'{n^-n2) ^al. 

Wenn z. B. ein Molekulargewicht Wasserstoff und ein halbes 
Molekulargewicht Sauerstoff, beide von 18®, sich bei constantem 
Druck zu flüssigem Wasser von 18® verbinden, so ist zu setzen: 

U, = {E,} + i\0,} 
U, = (H^O) 
»»1 = 4» «3 = 0, ,9- = 291, 
also die Verbrenrrangswärme nach (48): 

- = {H,} + |{03}-(H,0) + 860 caL, 



Änwendu/ngefn auf nichthomogene Systeme, 67 



um 860 cal. grösser, als der Abnahme der Energie, d. h. der 
Verbrennung ohne äussere Arbeitsleistung entspricht. 

§ 100. Schreibt man die Gleichung (47) in der Form: 

{U + PoV\-{ü + p,V\=^Q, (49) 

so erkennt man, dass bei Prozessen, die unter constantem Druck 
Pq verlaufen, die Wärmetönung nur abhängt vom Anfangszustand 
und vom Endzustand, ebenso wie das beim gänzlichen Fortfall 
der äusseren Arbeit zutrifft. Aber hier ist die Wärmetönung 
nicht gleich der Differenz der Energieen U, sondern gleich der 
Differenz der Werthe, welche die Grösse {U + Pf^V) am Anfang 
und am Ende des Prozesses besitzt. Diese Grösse hat Gibbs 
daher die „Wärmefunktion bei constantem Druck" genannt. 
Wenn es sich also nur um Prozesse bei constantem Druck han- 
delt, so ist es zweckmässig, die Symbole {Hg}, (HgO) u. s. w. ein 
für alle Mal nicht auf die Energie ü, sondern auf die Wärme- 
funktion bei constantem Druck zu beziehen, deren Differenz 
dann immer direkt die Wäimetönung ergibt. Diese Bezeichnung 
wird daher auch im Folgenden angewendet werden. 

§ 101. Um die Wärmetönung irgend eines unter constantem 
Druck verlaufenden chemischen Prozesses zu berechnen, genügt 
es also, die Wärmefunktion U + PqV des an dem Prozess be- 
theiligten materiellen Systems im Anfangszustand und im End- 
zustand des Prozesses zu kennen. Daher kommt die allgemeine 
Lösung dieser Aufgabe im Wesentlichen darauf hinaus, die 
Wärmefiinktionen aller möglichen materiellen Systeme in allen 
möglichen Zuständen zu finden. Sehr häufig bieten sich zur 
Berechnung der Wärmefunktion verschiedene Wege der Ueber- 
fuhrung aus dem einen Zustand in den andern dar, die dann 
entweder zur Prüfung der Theorie oder zur Controlle der Ge- 
nauigkeit der Messungen dienen können. So fand J. Thomsen 
als Neutralisationswärme einer Lösung von doppeltkohlensaurem 
Natron mit Natronlauge: 

(NaHCOg aq) + (NaHO aq) - (Na^COg aq) = 9200 cal. 
Dagegen als Neutralisationswärme einer Kohlensäurelösung; 

(CO, aq) + 2 (NaHO aq) - (Na^COg aq) = 20 200 cal. 

Die Subtraction dieser beiden Gleichungen ergibt: 

(COg aq) + (NaHO aq) - (NaHCOg aq) = 11 000 cal. 

5* 



68 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie, 

Das ist die Wärmetönung, welche der Verbindung von Kohlen- 
säure und Natronlauge zu doppeltkohlensaurem Natron ent- 
spricht, und die durch eine Messung von Bebthelot direkt 
constatirt wurde. 

§ 102. Oft ist von zwei verschiedenen Wegen der Ueber- 
flihrung der eine zur calorimetrischen Verwerthung besser ge- 
eignet als der andere. So lässt sich die Wärmeentwicklung bei 
der Zersetzung von Wasserstoffsuperoxyd in Wasser und Sauer- 
stoff nicht gut direkt messen. Thomsen oxydirte daher eine 
salzsaure Lösung von Zinnchlorür einmal mit Wasserstoff- 
superoxyd: 

(SnCla • 2 HCl aq) + (HgOg aq) - (SnCl^ aq) = 88 800 caL, 
einmal mit Sauerstoffgas: 

(SnClg • 2 HCl aq) + i {O^} - (SnCl^ aq) = 65 700 cal. 
Die Differenz ergibt: 

(H^O^ aq) - i{0,} - (aq) = 23 100 cal. 

als Wärmetönung bei der Zersetzung von gelöstem Wasserstoff- 
superoxyd in gasförmigen Sauerstoff und Wasser. 

§ 108. Die Bildungswärme des Kohlenoxydgases aus fester 
Kohle und Sauerstoff lässt sich deshalb nicht direkt bestimmen, 
weil Kohle niemals ganz zu Kohlenoxyd, sondern immer zum 
Theil auch zu Kohlendioxyd verbrennt. Daher bestimmten 
Favre und Silbeemann erstens die Wärmetönung bei voll- 
ständiger Verbrennung der Holzkohle: 

[C] + {Og} - {CO2} = 97 000 cal., 

zweitens die Wärmetönung bei Verbrennung von Kohlenoxyd 
zu Kohlendioxyd: 

{CO} + \[0^] - {CO2} = 68 000 cal. 

Daraus durch Subtraktion: 

[C] + \ {O2} - {CO} = 29 000 cal. , 

die gesuchte Bildungswärme des Kohlenoxydgases. 

§ 104. Hienach führt die Anwendung der Theorie auch 
dazu, Wärmetönungen von Prozessen zu berechnen, die gamicht 
direkt ausführbar sind. Denn sobald die Wärmefimktion eines 
Systems auf irgend einem Wege gefunden worden ist, kann man 
sie mit beliebigen anderen Wärmefunktionen in Vergleich 
bringen. 



Awmendungen auf nicMhomog&ne Systeme, 69 

Es handle sich z. B. darum, die Bildungswänne yon 
flüssigem Schwefelkohlenstoff aus fester Kohle und festem 
Schwefel, die sich nicht direkt verbinden, zu bestimmen. Hiezu 
kann man folgende messbare Vorgänge benutzen: 

Die Verbrennung von festem Schwefel zu gasformiger 
schwefliger Säure: 

[S] + {O2} - {SOj} = 71100 cal. 

Die Verbrennung von fester Kohle zu Kohlensäure: 

[C] + {Og} - {COj} = 97 000 cal. 

Die Verbrennung von gasformigem Schwefelkohlenstoff zu Kohlen- 
säure und schwefliger Säure: 

{CSg) + 3 [0^] - {CO^} - 2 {SO,} = 265 100 cal. 

Die Condensation von Schwefelkohlenstoffdampf: 

{CSg} - (CS2) = 6400 cal. 

Die Elimination aller übrigen Größen auf rein rechnerischem 
Wege ergibt die gesuchte Bildungs wärme: 

[C] + 2 [S] - (CS2) = - 19 500 caL, 
also negativ. 

Es ist die wichtigste Methode der organischen Thermo- 
chemie, die Bildungswärme einer Verbindung aus ihren Bestand- 
theilen dadurch zu bestimmen, dass man einmal die Verbindung, 
das andere Mal deren Bestandtheile verbrennt. 

Methylwasserstoff (Grubengas) liefert bei vollständiger Ver- 
brennung zu Kohlensäure und flüssigem Wasser: 

{CHJ + 2 {O3} - {CO2} - 2 (HgO) = 211 900 cal. 
Dagegen ist 

{H2} + \{0^\ - (H^O) = 68 400 cal. (50) 

[C] + {O2} - {COal = 97 000 cal. 

Folglich, durch Elimination, die Bildungswärme von Methyl- 
wasserstoff aus fester Kohle und Wasserstoffgas: 

[C] + 2 {H2} - {CHJ = 21 900 cal. 

§ 106. Im Allgemeinen wird die einer bestimmten, unter 
constantem Druck verlaufenden Umwandlung entsprechende 
äussere Wärme Q von der Temperatur abhängen, bei der die 



70 Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie. 



■ . 



Umwandlung sich vollzieht. Hieflir liefert der erste Hauptsatz 
der Wärmetheorie folgende Beziehung: 

Aus der Gleichung (49) folgt für irgend eine Temperatur &: 
für eine andere Temperatur &': 

und durch Subtraktion: 

Q^' - 0^ = [{U, +PoV,)^ - {U, +i)o^2W 

f 

I 

d. h. die Differenz der Wärmetönungen {Q^ — Q^f) ist gleich der 
Differenz der Wärmemengen, die zugeführt werden müssen, um 
das System einmal vor der Umwandlung (Zustand 1), das andere 
Mal nach vollendeter Umwandlung (Zustand 2), von & auf &' 
zu bringen. 

So findet man den Einfluss der Temperatur auf die Ver- 
brennungswärme des Wasserstoffs zu flüssigem Wasser, wenn 
man die Wärmecapacität des Knallgases: IL^ + \0^ vergleicht 
mit derjenigen des flüssigen Wassers: Hg^O. Die erstere ist 
gleich der Molekularwärme des Wasserstoffs + der halben 
Molekularwärme des Sauerstoffs; also nach der Tabelle § 87: 

6,82 + 3,47 = 10,29, 

die letztere ist 

148 = 18. 

Die Differenz beider Zahlen beträgt — 7,71. Also nimmt die 
Verbrennungswärme eines Moleküls Wasserstoff mit jedem 
Temperaturgrad um 7,7 cal. ab. 



Einleitung, 71 



Dritter Abschnitt 



Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie. 

I. Capitel. Einleitung. 

§ 106. Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie hat einen 
von dem ersten Hauptsatz wesentUch verschiedenen Inhalt, da 
er eine Frage behandelt, die von diesem gamicht berührt wird, 
nämlich die Frage nach der Richtung eines in der Natur ein- 
tretenden Prozesses. Nicht jede Veränderung nämlich, welche 
mit dem Princip der Erhaltung der Energie verträglich ist, 
genügt auch den weitergehenden Bedingungen, die der zweite 
Hauptsatz den in der Natur wirklich vor sich gehenden Prozessen 
auferlegt; oder mit anderen Worten: das Energieprincip reicht 
noch keineswegs aus zur eindeutigen Bestimmung der natür- 
lichen Vorgange. 

Wenn z. B. zwischen zwei Körpern von verschiedener 
Temperatur Wärmeaustausch durch Leitung stattfindet, so ver- 
langt der erste Hauptsatz oder das Princip der Erhaltung der 
Energie nur, dass die von dem einen Körper abgegebene 
Wärmemenge gleich ist der von dem andern Körper auf- 
genommenen Wärmemenge. Ob aber die Wärmeleitung in der 
Eichtung vom wärmeren zum kälteren Körper erfolgt oder um- 
gekehrt, daraus lässt sich aus dem Energieprincip allein nicht 
das Mindeste schliessen. Ueberhaupt ist die Frage nach der 
Grösse der Temperatur dem Energieprincip an sich fremd, wie 
schon daraus hervorgeht, dass man durch dieses Princip nicht 
zu einer exakten Definition der Temperatur geführt wird. 

Ganz ebenso enthält die allgemeine Gleichung (17) des 
ersten Hauptsatzes keine Aussage über die Richtung des betr. 
Vorgangs, z. B. die spezielle Gleichung (50): 

{Hai + i {0,} - (H^O) = 68 400 cal. 

bedeutet nur, dass, wenn sich Wasserstoff und Sauerstoff bei 
constantem Druck zu flüssigem Wasser verbinden, die Her- 
stellung der anfänglichen Temperatur eine bestimmte Wärme- 



72 Der xweite Hofuptaatx der Wärmetheorie. 



abgäbe an die Umgebung erfordert, und umgekehrt, dass diese 
Wärme gebunden wird, wenn das Wasser sich in Wasserstoff 
und Sauerstoff zersetzt; sie ertheilt aber keinen Aufschluss 
darüber, ob sich Knallgas wirklich zu Wasser verbindet, oder 
ob sich Wasser in Knallgas zersetzt, oder ob der Prozess über- 
haupt in irgend einer Richtung direkt vor sich gehen kann 
(vgl. § 104). Vom Standpunkt des ersten Hauptsatzes aus be- 
trachtet erscheinen also Anfangszustand und Endzustand eines 
jeden Prozesses als vollkommen gleich werthig. 

§ 107, Es gibt allerdings einen singulären Fall, wo das 
Energieprincip allein einem Prozesse eine ganz bestimmte 
Eichtung vorschreibt; dieser Fall tritt dann ein, wenn sich das 
betrachtete System in einem Zustand befindet, für den eine der 
verschiedenen Energiearten ein absolutes Maximum oder ein 
absolutes Minimum besitzt Dann kann nämlich eine Ver- 
änderung offenbar nur in dem Sinne erfolgen, dass die betr. 
Energie abnimmt^ bez. zunimmt. Dieser singulare Fall findet 
sich z. Bc verwirklicht in der Mechanik, wenn ein Punktsystem 
ruht, wenn also die kinetische Energie ein absolutes Minimum 
ist; d. h. in einem ruhenden Punktsystem ist jede Veränderung 
mit einer Zunahme der kinetischen, folglich, falls keine Ein- 
wirkungen von Aussen stattfinden, mit einer Abnahme der po- 
tentiellen Energie verknüpft. Hieraus entspringt ein wichtiger 
Satz der Mechanik, der die Richtung von selbst eintretender 
Bewegungen charakterisirt und dadurch auch zur Fixirung der 
allgemeinen mechanischen Gleichgewichtsbedingung führt. Denn 
wenn ausser der kinetischen auch die potentielle Energie ein 
Minimum ist, so kann offenbar überhaupt keine Veränderung 
eintreten, da sich dann keine der beiden Energieen auf Kosten 
der andern vergrössem kann, und das System muss in Ruhe 
bleiben. 

Befindet sich z. B. eine schwere Flüssigkeit in zwei com- 
municirenden Röhren auf verschiedenen Niveauhöhen im Ruhe- 
zustand, so muss die Bewegung in dem Sinne eintreten, dass 
das höhere Niveau sinkt, das tiefere steigt, weil dabei der Schwer- 
punkt des Systems tiefer gelegt wird und dadurch die potentielle 
Energie, deren Werth mit der Höhe des Schwerpunkts wächst, 
vermindert wird. Gleichgewicht ist dann vorhanden, wenn die 
Höhe des Schwerpunkts und mit ihr die potentielle Energie ein 



Einleüung. 73 



Minimum ist, d. h. wemi die Flüssigkeit in beiden Röhren gleich 
hoch steht Sobald aber über den Geschwindigkeitszustand der 
Flüssigkeit keine besondere Voraussetzung eingeführt wird, ver- 
liert jener Satz seine Gültigkeit, die potentielle Energie braucht 
nicht abzunehmen, und das höhere Niveau kann ebensogut steigen 
wie sinken. 

Würde man in der Wärme auch einen Zustand minimaler 
Energie kennen^ so würde für diesen, aber auch nur für diesen 
singnlären Zustand, ein ähnlicher Satz gelten. Da jedoch in 
Wirklichkeit nicht einmal dieses zutrifft, so ist es aussichtslos, 
die allgemeinen Gesetze der Richtung thermodynamischer Ver- 
änderungen, sowie des thermodynamischen Gleichgewichts auf 
entsprechende Sätze in der Mechanik, die nur für ruhende 
Systeme gelten, zurückführen zu wollen. 

§ 108. Obwohl aus diesen Darlegungen ersichtlich ist, dass 
das Energieprinzip im Allgemeinen nicht dazu dienen kann, die 
Richtung eines thermodynamischen Prozesses und damit auch 
die Bedingungen des thermodynamischen Gleichgewichts zu be- 
stimmen, so haben doch, wesentlich im Anschluss an den im vorigen 
Paragraphen besprochenen Satz der Mechanik, die Versuche bis 
zum heutigen Tag fortgedauert, das Energieprincip in der einen 
oder anderen Weise zu dem bezeichneten Zweck nutzbar zu 
machen, und dadurch hat der zweite Hauptsatz, der seinerseits 
gerade diesem Zwecke dient, in manchen Darstellungen ein ganz 
unklares Ansehen erhalten. Man sucht ihn stellenweise immer 
noch gewissermassen als einen Theil des Energieprincips hin- 
zustellen, indem man alle Untersuchungen, welche sich mit diesen 
Fragen beschäftigen, unter der hierfür zu engen Bezeichnung 
„Energetik" zusammenfasst. Der zweite Hauptsatz kommt mit 
dem Begriff der Energie nicht aus, er lässt sich keineswegs da- 
durch erschöpfend behandeln, dass man jeden Naturvorgang in 
eine Reihe Energieverwandlungen zerlegt und nun nach der 
Richtung jeder einzelnen Verwandlung fragt. Man kann freilich 
in jedem einzelnen Falle die verschiedenen Energiearten nam- 
haft machen, die sich gegenseitig umsetzen; denn das Energie- 
princip muss ja immer erfüllt sein. Aber es bleibt immer eine 
gewisse Willkühr darin bestehen, wie man die Bedingungen der 
Verwandlungen ausdrückt, und diese Willkühr lässt sich durch 
keine allgemeine Festsetzung eindeutig beseitigen. 



74 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 

So findet man manchmal den zweiten Hauptsatz dahin cha- 
rakterisirt, dass die Verwandlung von Arbeit in Wärme voll- 
ständig, die von Wärme in Arbeit dagegen nur unvollständig 
stattfinden könne, in der Weise, dass jedesmal, wenn ein Quan- 
tum Wärme in Arbeit verwandelt wird, zugleich nothwendiger- 
weise ein anderes Quantum Wärme eine entsprechende, als 
Compensation dienende Verwandlung, z. B. üebergang von höherer 
in tiefere Temperatur, durchmachen müsse. Dieser Ausspruch 
ist in gewissen ganz speziellen Fällen richtig; ganz allgemein 
genommen trifft er aber durchaus nicht das Wesen der Sache, wie 
der Deutlichkeit halber an einem einfachen Beispiel gezeigt 
werden soll. Eine der allerwichtigsten mit der Entdeckung des 
Energieprincips verknüpften Errungenschaften für die Wärme- 
theorie ist der in der Gleichung (19) (§ 70) ausgesprochene Satz, 
dass die gesammte innere Energie eines idealen Gases lediglich 
von der Temperatur abhängt und nicht vom Volumen. Lässt 
man nun ein ideales Gas sich unter Arbeitsleistung ausdehnen, 
und verhindert man die Abkühlung des Gases durch gleichzeitige 
Zuleitung von Wärme aus einem Wärmebehälter von höherer 
Temperatur, so behält das Gas mit seiner Temperatur zugleich 
auch seine Energie unverändert bei, und man kann sagen, dass 
die vom Eeservoir abgegebene Wärme vollständig in Arbeit 
verwandelt wird, ohne dass sonst irgendwo ein Energieumsatz 
stattfindet. Gegen diesen Ausspruch lässt sich nicht das min- 
deste Thatsächliche einwenden. Nur durch eine veränderte Be- 
trachtungsweise, die aber nicht den physikalischen Thatbestand, 
sondern nur die Auffassung desselben modificirt, also auch durch 
Thatsachen weder gestützt noch widerlegt werden kann, lässt 
sich der Satz von der „unvollständigen Verwandelbarkeit der 
Wärme in Arbeit** aufrecht erhalten, nämlich mit Hülfe der 
Einführung neuer, nur ad hoc ersonnener Energiearten, indem 
man die Energie des Gases in mehrere Theile zerlegt, die dann 
einzeln auch vom Volumen abhängen können. Diese Zerlegung 
muss aber für verschiedene Fälle in verschiedener Weise vor- 
genommen werden, z. B. für isothermische Prozesse anders als 
für adiabatische, und erfordert auch für physikalisch einfache 
Fälle ziemlich verwickelte Betrachtungen. Nun ist von vorn- 
herein einleuchtend, dass man aus einer noch so künstlichen 
Definition, selbst wenn sie in sich keinen Widerspruch enthält. 



Einleitung, 75 



niemals eine neue Thatsache ableiten kann; und um eine solche 
handelt es sich, wenn man vom ersten Hauptsatz der Wärme- 
theorie zum zweiten Hauptsatz übergeht. 

§ 109. Um die Bedeutung des zweiten Hauptsatzes klar 
hervortreten zu lassen, gibt es nur einen einzigen Weg: man 
fuhrt ihn auf Thatsachen zurück dadurch, dass man Sätze 
aufstellt, die sich durch Experimente bestätigen oder widerlegen 
lassen. Ein solcher Satz nun ist der folgende: es ist auf keiner- 
lei Weise möglich, einen Vorgang, in welchem Wärme durch 
Eeibung entsteht, vollständig rückgängig zu machen. In aus- 
führlicherer Erläuterung, etwa mit Exemplification auf die oben 
§ 60 besprochenen, zur Bestimmung des mechanischen Wärme- 
äquivalents von Joule angestellten ßeibungs versuche, soll dies 
besagen: wenn die herabfallenden Gewichte durch die Reibung 
der Schaufelräder im Wasser oder Quecksilber Wärme erzeugt 
haben, so lässt sich kein Verfahren ersinnen, das den Anfangs- 
zustand jenes Prozesses in der ganzen Natur genau wiederher- 
stellt, d. h. die Gewichte wieder auf die ursprüngliche Höhe 
schafft, die Flüssigkeit entsprechend abkühlt, und sonst keine 
Veränderungen zurücklässt. Was dabei an technischen Hilfs- 
mitteln, Maschinen mechanischer, thermischer, chemischer, elek- 
trischer Art verwendet wird, ist ganz gleichgültig. Die in dem 
Worte „vollständig" ausgesprochene Bedingung soll nur die sein, 
dass schliesslich überall wieder genau der bekannte Anfangszu- 
stand des ßeibungsprozesses hergestellt ist, wozu auch noth- 
wendig gehört, dass alle etwa benutzten Materiahen und Maschinen 
am Schluss sich wieder genau in demselben Zustand befinden 
wie am Anfang, als man sie in Benutzung nahm. 

Dieser Satz ist nicht a priori beweisbar, er stellt auch keine 
Definition vor, sondern er enthält eine bestimmte, in jedem 
Einzelfall genau zu präcisirende Behauptung, welche durch 
Thatsachen geprüft werden kann dadurch, dass man wirklich 
Versuche in der bezeichneten Richtung anstellt: er ist also ent- 
weder richtig oder falsch. 

§ 110. Ein anderer derartiger, hiemit in engem Zusammen- 
hang stehender Satz ist der folgende: Es ist auf keinerlei Weise 
möglich, einen Vorgang, bei welchem sich ein Gas ohne äussere 
Arbeitsleistung und ohne äussere Wärmezufuhr, also mit con- 
stanter Gesammtenergie ausdehnt (wie § 68 beschrieben), voll- 



76 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 



ständig rück^ngig zu machen — das Wort „vollständig^* immer 
in demselben Sinn genommen wie oben. Wollte man den Ver- 
such dazu machen, so könnte man z. B. das Gas, nachdem es 
seinen neuen Gleichgewichtszustand angenommen hat, zunächst 
auf sein altes Volumen comprimiren, etwa durch Herabsinken- 
lassen eines Gewichts. Dann wird äussere Arbeit aufgewendet 
und zugleich das Gas entsprechend erwärmt. Damit ist an und 
für sich noch nichts bewiesen, es kommt vielmehr jetzt darauf 
an, das Gas ganz in seinen ehemaligen Zustand zu bringen und 
das benutzte Gewicht wieder heraufzuschaffen. Leitet man nun, 
um das Gas auch auf seine alte Temperatur zurückzubringen, die 
Compressionswärme bei constant gehaltenem Volumen ab, etwa 
in ein kühleres Wärmereservoir, so müsste, damit der Prozess 
vollständig rückgängig wird, dem Reservoir die empfangene 
Wärme wieder entzogen und femer das Gewicht auf seine ur- 
sprüngliche Höhe gebracht werden, ohne dass anderweitige Ver- 
änderungen zurückbleiben. Das ist aber genau dieselbe Aufgabe, 
deren Unausführbarkeit im vorigen Paragraphen behauptet wurde. 

§ 111. Ein dritter hiehergehöriger Satz betriflft die Wärme- 
leitung. Gesetzt, ein Körper nehme durch Leitung eine gewisse 
Wärmemenge von einem anderen, höher temperirten, auf, und 
es handle sich darum, diesen Prozess vollständig rückgängig zu 
machen, d. h. die Wärme zurückzuschaffen, ohne dass ander- 
weitige Veränderungen in der Natur übrig bleiben. In der Be- 
schreibung des CABNOT'schen umkehrbaren Kreisprozesses (§91) 
ist schon darauf hingewiesen worden, dass man es stets in der 
Hand hat, einem Wärmebehälter Wärme zu entziehen und die- 
selbe auf einen wärmeren Behälter zu übertragen, ohne dass 
irgendwelche andere Veränderungen zurückbleiben, als dass eine 
gewisse Arbeit verbraucht ist und die ihr äquivalente Wärme 
sich in einem der beiden Reservoire vorfindet. Die Aufgabe, den 
Prozess der Wärmeleitung vollständig rückgängig zu machen, 
wäre also gelöst, wenn man auch noch die letztgenannte Wärme 
wieder entfernen und dafür die entsprechende Arbeit gewinnen 
könnte, ohne anderweitige Veränderungen, was wiederum auf 
das in § 109 als unausführbar bezeichnete Problem hinauskommt 

Weitere Beispiele von Prozessen, an die sich ganz dieselben 
Betrachtungen knüpfen lassen, wären die Diffusion, das Gefrieren 
unterkühlter Flüssigkeit, die Condensation übersättigten Dampfes, 



Einleitung. 77 



jeder explosive Vorgang, überhaupt jeder Uebergang eines Systems 
in einen stabüeren Zustand. 

§ 112« Ein Prozess, der auf keine einzige Weise voll- 
ständig rückgängig gemacht werden kann, heisst ,,irreversibel<^ 
alle anderen Prozesse „reversibel". Damit ein Prozess irrever- 
sibel ist, genügt es also nicht, dass er sich nicht direkt um- 
kehren lässt — das ist auch bei vielen mechanischen Prozessen 
der Fall, die nicht irreversibel sind (vergl. § 113) — sondern 
es wird erfordert, dass es selbst mit Anwendung sämmüicher 
in der Natur vorhandenen Reagentien kein Mittel gibt, um, wenn 
der Prozess abgelaufen ist, allenthalben genau den Anfangs- 
zustand wiederherzustellen. Danach besagen die in den letzten 
Paragraphen besprochenen Sätze, dass die Wärmeerzeugung 
durch Eeibung, die Ausdehnung eines Gases ohne äussere Arbeit 
imd äussere Wärme, die Wärmeleitung u. s. w. irreversible 
Prozesse sind. 

§ 113. Grehen wir nun auf die Frage der thatsächlichen 
Existenz reversibler und irreversibler Prozesse etwas ein. Re- 
versible Prozesse lassen sich, wenigstens in der Idee, unmittel- 
bar in grosser Anzahl angeben. So sind alle diejenigen Prozesse 
reversibel, welche in der § 71 auseinandergesetzten Ausdrucks- 
weise aus lauter Gleichgewichtszuständen bestehen und daher 
in allen ihren Theilen direkt umgekehrt werden können, femer 
alle vollkommen periodisch verlaufenden Prozesse (ideales Pendel, 
Planetenbewegung); denn nach Ablauf einer Periode ist der An- 
fangszustand vollständig wiederhergestellt Auch alle mit absolut 
starren Körpern und mit absolut incompressiblen Flüssigkeiten 
vorgenommenen mechanischen Prozesse, soweit ßeibungshinder- 
nisse vermieden werden können, sind reversibel. Denn durch 
Einführung geeigneter, aus absolut festen Führungen, reibungs- 
losen Gelenken und Röhren, undehnbaren Seilen u. s. w. zu- 
sammengesetzten Maschinen kann man stets bewirken dass die 
veränderten Systeme wieder vollständig in den Anfangszustand 
zurückgeführt werden, ohne dass an diesen Maschinen, die ja 
selber niemals Arbeit leisten, irgendeine Veränderung zurückbleibt. 

Wenn z. B. eine in zwei communicirenden Röhren auf ver- 
schiedenen Niveauhöhen befindliche ursprünglich ruhende schwere 
Flüssigkeit, wie in § 107 beschrieben, durch ihre Schwere in 
Bewegung geräth, so wird sie vermöge der gewonnenen leben- 



78 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 

digen Kraft die Gleichgewichtslage überschreiten, nach der ent- 
gegengesetzten Seite pendeln und schliesslich, da keine Eeibung 
vorausgesetzt ist, genau in ihren Anfangszustand zurückkehren. 
Dann ist der Prozess vollständig rückgängig geworden und ge- 
hört daher zu den reversibeln Prozessen. Sobald aber die Eei- 
bung ins Spiel kommt, ist die Eeversibilität mindestens fraglich. 
Ob es überhaupt irreversible Prozesse gibt, kann man von vorne- 
herein nicht wissen und auch nicht beweisen; denn rein logisch 
genommen ist es sehr wohl denkbar, dass eines Tages ein Mittel 
aufgefunden würde, durch dessen Anwendung es gelänge, einen 
bisher als irreversibel angenommenen Prozess, z. B. einen Vor- 
gang, in welchem Eeibung oder Wärmeleitung vorkommt, voll- 
ständig rückgängig zu machen. Wohl aber lässt sich be- 
weisen — und dieser Beweis wird im nächsten Capitel geführt 
werden — dass, wenn auch nur in einem einzigen Falle einer 
der in den §§ 109 ff. als irreversibel bezeichneten Prozesse in 
Wirklichkeit reversibel wäre, es nothwendig auch alle übrigen 
in allen Fällen sein müssten. Folglich sind entweder sämmt- 
liche oben angeführte Prozesse wirklich irreversibel, oder es ist 
kein einziger von ihnen. Ifiin Drittes ist ausgeschlossen. Im 
letzteren Falle stürzt der ganze Bau des zweiten Hauptsatzes 
zusammen, keine der zahlreichen aus ihm hergeleiteten Be- 
ziehungen, so viele einzelne auch durch die Erfahrung bestätigt 
sind, kann mehr als allgemein bewiesen gelten und die Arbeit 
der Theorie muss von vorne beginnen. (Die sogenannten Be- 
weise der „Energetik" gewähren keinen Ersatz ; denn sie stellen 
sich bei näherer Prüfung sämmtlich nur als mehr oder minder 
mangelhafte Umschreibungen des zu Beweisenden heraus, was 
darzulegen hier nicht der Ort ist). Aber gerade in diesem 
Punkte liegt auch die dem zweiten Hauptsatz innewohnende 
Kraft Denn ebenso wie jede einzelne Lücke ihn völlig un- 
haltbar macht, so kommt auch jede einzelne Bestätigung dem 
Ganzen zu Gute und verleiht den Schlüssen auch auf schein- 
bar entfernten Gebieten die volle Bedeutung, die der Satz 
selber besitzt. 

§ 114. Da die Entscheidung darüber, ob ein bestimmter 
ins Auge gefasster Prozess irreversibel oder reversibel ist, nur 
davon abhängt, ob er sich auf irgend eine Weise vollständig 
rückgängig machen lässt oder nicht, so kommt es dabei lediglich 



Einleitung. 79 



auf die Beschaffenheit des Anfangszustandes und die des End- 
zustandes des Prozesses an, nicht aber auf seinen sonstigen 
Verlauf. Denn es handelt sich nur um die Frage, ob man, aus- 
gehend vom Endzustand, auf irgend eine Weise den Anfangs - 
zustand ohne andei'weitige Aenderung wieder erreichen kann 
oder nicht Daher liefert der zweite Hauptsatz für jeden be- 
liebigen in der Natur stattfindenden Prozess eine Beziehung 
zwischen denjenigen Grössen, welche sich auf den Anfangszustand 
beziehen, und denjenigen, welche sich auf den Endzustand be- 
ziehen. Bei irreversibeln Prozessen ist offenbar der Endzustand 
durch eine gewisse Eigenschaft vor dem Anfangszustand ausge- 
zeichnet, während bei reversibeln Prozessen diese beiden Zu- 
stände in gewisser Hinsicht gleichwerthig sind. Der zweite 
Hauptsatz lehrt diese charakteristische Eigenschaft der beiden 
Zustände kennen, er lehrt also auch, falls die beiden Zustände 
gegeben sind, von vorneherein bestimmen, ob in der Natur ein 
Uebergang vom ersten zum zweiten oder vom zweiten zum ersten 
Zustand möglich ist, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen 
zurückbleiben. Dazu müssen aber die beiden Zustände voll- 
kommen genau charakterisirt werden, insbesondere müssen 
ausser der chemischen Beschaffenheit des in Frage kommen- 
den Systems auch die physikalischen Bedingungen: Aggregat- 
zustand, Temperatur, Druck in beiden Zuständen bekannt sein, 
ebenso wie das bei der Anwendung des ersten Hauptsatzes er- 
fordert wird. 

Die vom zweiten Hauptsatz gelieferte Beziehung wird offen- 
bar um so einfacher lauten, je weniger sich der Endzustand 
vom Anfangszustand unterscheidet Daher rührt die grosse 
Fruchtbarkeit des zweiten Hauptsatzes für Kreisprozesse, die, 
so verwickelt sie in ihrem Verlauf sonst sein mögen, doch einen 
von dem Anfangszustand nur wenig verschiedenen Endzustand 
liefern (vgl. § 91). 

§ 115. Da es thatsächlich keinen Prozess in der Natur 
gibt, der nicht mit Reibung oder Wärmeleitung verbunden wäre, 
so sind, wenn der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie richtig 
ist, sämmtliche Naturprozesse in Wirklichkeit irreversibel, und die 
reversibeln Prozesse bilden nur einen idealen Grenzfall, der aber 
für die theoretische Beweisführung und für die Anwendung auf 
Gleichgewichtszustände von erheblicher Wichtigkeit ist. 



80 Der zweite HauptacUz der Wärmetheorie, 

II. Capitel. Beweis. 

§ 116« Da der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, ebenso 
wie der erste, ein Erfahrungssatz ist, so kann man von seinem 
Beweise nur insofern reden, als sein gesammter Inhalt sich aus 
einem einzigen einfachen Erfiahrungssatz von einleuchtender 
Gewissheit deduciren lässt. Daher stellen wir folgenden Satz 
alß durch die Erfahrung unmittelbar gegeben an die Spitze: „Es 
ist unmöglich, eine periodisch funktionirende Maschine zu con- 
struiren, die weiter nichts bewirkt als Hebung einer Last und 
Abkühlung eines Wärmereservoirs." Eine solche Maschine könnte 
zu gleicher Zeit als Motor und als Kältemaschine benutzt werden, 
ohne jeden anderweitigen dauernden Aufwand an Energie imd 
Materialien, sie wäre also jedenfalls die vortheilhafteste von der 
Welt Zwar käme sie dem perpetuum mobile nicht gleich ; denn 
sie erzeugt Arbeit keineswegs aus Nichts, sondern aus der Wärme, 
die sie dem Reservoir entzieht. Deshalb steht sie auch nicht, wie 
das perpetuum mobile, im Widerspruch mit dem Energieprincip. 
Aber sie besässe doch den für die Menschheit wesentlichsten 
Vorzug des perpetuum mobile : Arbeit kostenlos zu liefern. Denn 
die etwa in dem Erdboden, in der Atmosphäre, im Fahrwasser 
enthaltene Wärme bietet sich ebenso, wie der Sauerstoff der 
Luft, immer in unerschöpflicher Menge einem Jeden zur unmittel- 
baren Benutzung dar. Dieser Umstand ist der Grund, weshalb 
wir mit dem genannten Satz beginnen. Denn da wir aus ihm den 
zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie deduciren werden, so sichern 
wir uns damit zugleich die Aussicht, bei jeder etwa entdeckten 
Abweichung einer Naturerscheinung von dem zweiten Hauptsatz 
sogleich eine praktisch höchst bedeutungsvolle Nutzanwendung 
aus ihr ziehen zu können. Sobald nämlich irgend ein Phänomen 
aufgefunden werden sollte, was einer einzelnen aus dem zweiten 
Hauptsatz gezogenen Folgerung widerspricht, so müsste der 
Widerspruch in einer Unrichtigkeit der gemachten allerersten 
Voraussetzung liegen, und man könnte, an der Hand der Beweis- 
führung zurückgehend, das Phänomen zur Combination der ge- 
nannten Maschine benutzen. Wir wollen dieselbe im Folgenden 
zur Abkürzung nach einem Vorschlag von Ostwald ein perpetuum 
mobile zweiter Art nennen, da sie zu dem zweiten Hauptsatz 
in derselben Beziehung steht, wie das perpetuum mobile erster 



Beweis. 81 



Art zum ersten Hauptsatz. Bei allen Einwänden gegen den 
zweiten Hauptsatz ist also daran festzuhalten, dass sie sich in 
letzter Linie, falls in der Beweisführung kein Fehler gefunden 
wird, immer gegen die Unmöglichkeit des perpetuum mobile 
zweiter Art richten (vgl. § 136). 

§ 117. Aus der Unmöglichkeit des perpetuum mobile 
zweiter Art folgt zunächst, dass die Erzeugung von Wärme 
durch Reibung „irreversibel'- ist (vgl. die Definition § 112). 
Gesetzt nämlich, die Wärmeerzeugung durch Reibung sei nicht 
irreversibel, d. h. man hätte eine Methode, um irgend einen 
Vorgang, der in Erzeugung von Wärme durch Reibung besteht, 
auf irgend eine Weise vollständig rückgängig zu machen, so 
wäre diese Methode eben nichts Anderes als ein perpetuum 
mobile zweiter Art. Denn das, was die Methode leisten würde, 
wäre identisch mit dem, was das perpetuum mobile zweiter Art 
leistet: eine Veränderung, die in nichts Anderem besteht als in 
Erzeugung von Arbeit und Absorption der äquivalenten Wärme. 

§ 118. Daraus folgt weiter, dass auch die Ausdehnung 
eines Gases ohne äussere Arbeitsleistung und ohne Wärmezufuhr 
irreversibel ist. Gesetzt nämhch, man hätte eine Methode, 
diesen Prozess vollständig rückgängig zu machen, d. h. ein Gas 
durch irgend ein Verfahren auf ein kleineres Volumen zu 
bringen, ohne dass irgendwelche anderweitige Veränderungen 
zurückbleiben, so könnte man diese Methode sogleich zur An- 
fertigung eines perpetuum mobile zweiter Art folgendermassen 
verwerthen. Man lässt das Gas sich unter Arbeitsleistung aus- 
dehnen, ersetzt dem Gase die dabei verausgabte Energie durch 
Zuleitung von Wärme aus irgend einem Reservoir von gleicher 
oder höherer Temperatur, und verkleinert dann nach der an- 
genommenen Methode das Volumen des Gases wieder auf den 
Anfangswerth, ohne dass anderweitige Veränderungen übrig 
bleiben. Dieser Prozess, beliebig oft wiederholt, stellt eine 
periodisch funktionirende Maschine vor, durch die weiter nichts 
bewirkt wird, als dass Arbeit geleistet und ausserdem dem Re- 
servoir Wärme entzogen wird — also ein perpetuum mobile 
zweiter Art. 

Auf Grund des so bewiesenen Satzes, dass die Ausdehnung 
eines Gases ohne äussere Arbeitsleistung und Wärmezufuhr 
irreversibel ist, wollen wir nun zunächst den Beweis des zweiten 

Planck, Thermodynamik. 6 



82 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 

Hauptsatzes durchführen für diejenige Klasse von Körpern, 
deren thermodynamische Eigenschaften nach allen Richtungen 
bekannt sind: für ideale Gase. 

§ 119« Wenn man ein ideales Gas unendlich langsam 
comprimirt oder dilatirt und ihm dabei gleichzeitig Wärme von 
Aussen zuführt oder entzieht, so ist nach der Gleichung (22) in 
jedem unendlich kleinen Theil des Prozesses ftlr die Massen- 
Einheit: 

q = du + pdv 

oder, da für ein ideales Gas nach (32) 



und nach (14): 



du = e^d ß- 



R d 



m V 



q =z cd& -\ dv. 

Wenn nun die Zustandsänderung adiabatisch erfolgt, so ist 
y = 0, und durch Integration der Gleichung ergibt sich, wie in 
§ 88, dass die Funktion 

c^logi9- + — logv 

constant bleibt. Nennen wir also den Ausdruck: 

(51) s = % log & -\ log V + const. 

nach Clausius die Entropie der Masseneinheit des Gases, 
definirt bis auf eine additive Constante, die durch Festsetzung 
eines Nullzustandes nach Willkühr fixirt werden kann, und dem- 
entsprechend: 

(52) S= M'S = MLlog x9- + ^logv + const] 

die Entropie der Masse M des Gases, so bleibt die Entropie 
des Gases bei der beschriebenen speziellen adiabatischen Zu- 
standsänderung constant. 

§ 130. Bei Wärmezufuhr ändert sich die Entropie des 
Gases, und zwar in dem hier betrachteten Falle um: 

/RQ\ jo njrl ^^ I ^ dv\ M-q Q 

(53) ds = M\c^-^ + --) = -^ = -^ 

sie nimmt also zu oder ab, je nachdem Wärme zugeführt oder 
abgeleitet wird. 



Beweis, 83 

Es ist jedoch hier hesonders zu hetonen, namentlich auch 
mit Eücksicht auf eine neuerdings geltend gemachte Ansicht, 
nach welcher die Zerlegung der zugeflihrten Wärme Q in die 
beiden Paktoren 3- und dS eine allgemeine Eigenschaft der 
Wärme sein soll, dass die letzte Gleichung keineswegs allgemein 
gilt, sondern nur dann, wenn die bei der Zustandsänderung vom 
Gase geleistete äussere Arbeit den Wert pdV hat. Denn die 
Beziehung: 

jo url d& , B dv\ dü + pdV 

gilt ganz allgemein für jeden beliebigen Vorgang, der das Gas 
auf die Temperatur & + dd- und das Volumen V + dV bringt, 
da sie nur eine andere mathematische Form für die in (52) 
gegebene Definition der Entropie ist 

Dagegen gilt die Gleichung 

Q = dU + pdV 
keineswegs immer, sondern ist im Allgemeinen durch die andere; 

Q + Ä = dü 

zu ersetzen, wo Ä, die aufgewendete äussere Arbeit, innerhalb 
gewisser Grenzen jeden beliebigen Werth haben kann. So ist 
z. B. -4 = 0, wenn das Gas, wie in dem § 68 beschriebenen 
Prozess, ohne Leistung äusserer Arbeit in einen neuen Gleich- 
gewichtszustand übergeführt wird. Dann ist Q = d U, und die 
Gleichung Q = & - dS wird ungültig. 

§ 131. Nun betrachten wir zwei Gase, die sich gegen- 
seitig durch Leitung Wärme mittheilen können, aber im All- 
gemeinen unter verschiedenem Drucke stehen mögen. Nimmt 
man mit einem dieser Gase oder mit beiden irgend eine um- 
kehrbare Volumenveränderung vor, und sorgt gleichzeitig dafür, 
dass die Temperaturen der Gase sich in jedem Augenblick durch 
Wärmeleitung ausgleichen und dass mit der äusseren Umgebung 
keinerlei Wärmeaustausch stattfindet, so ist nach Gleichung (53) 
für das erste Gas in jedem Zeitelement des Prozesses: 

Ol 



dS^ = 



Ebenso für das zweite Gas: 



dS. = 



^1 



2 "" ^,' 

6' 



84 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 

aber nach der Voraussetzung ist: 

ß-^ = 19-2 und Oj^ + O2 = 0. 
Folglich: dS^+dS^ = 

oder für eine endliche Zustandsänderung: 

(54) 6'i + &j = const. 

Die Summe der Entropieen beider Gase bleibt also bei der 
beschriebenen Zustandsänderung constant 

§ 122. Ein jeder derartiger mit den beiden Gasen aus- 
geführter Prozess ist offenbar in allen Theilen reversibel, da er 
direkt in umgekehrter Richtung ausgeführt werden kann, ohne 
in anderen Körpern irgendwelche Veränderungen zu hinterlassen. 
Daraus folgt der Satz, dass es immer möglich ist, die beiden 
Gase aus einem ganz beliebig gegebenen Zustand durch einen 
reversibeln Prozess in irgend einen anderen von vorneherein 
gegebenen Zustand zu bringen, ohne dass in anderen Körpern 
Aenderungen zurückbleiben, wenn nur die Summe der Entropieen 
beider Guse in den beiden Zuständen die gleiche ist. Zum 
Beweis dieses Satzes dient folgendes: Es sei der Anfangs- 
zustand gegeben durch die Werthe der Temperaturen ß-^ und ß-^^ 
und der spezifischen Volumina v^ und v^ der beiden Gase, der 
zweite Zustand durch die bez. Werthe &^ ß^ und v^ v^. Voraus- 
setzung ist, dass 

(55) S^ + S^^ S^ + S^\ 

Man bringe nun zunächst das erste Gas durch umkehrbare 
adiabatische Compression oder Dilatation auf die Temperatur 
ß^, stelle alsdann mit dem zweiten Gas eine wärmeleitende Ver- 
bindung her und comprimire oder dilatire das erste Gas unend- 
lich langsam weiter. Dabei wird jetzt Wärme aus dem ersten in 
das zweite Gas durch Leitung übergehen oder umgekehrt, es ändert 
sich daher die Entropie des ersten Gases, und man kann es dahin 
bringen, dass diese Entropie den Werth S^' annimmt Nun ist 
bei dem beschriebenen Vorgang nach (54) die Summe der En- 
tropieen beider Gase constant = S^^ + S^ geblieben, folglich ist 
dann die Entropie des zweiten Gases gleich 

(S, + S,) - 5/ 

geworden, d. h. nach der Voraussetzung (55) gleich S,'. 

Jetzt trennen wir die beiden Gase wieder und behandeln 



Beweis, 85 

jedes einzelne adiabatisch -umkehrbar, bis es die Temperatur 
i?-/ bez. iS-g' angenommen hat. Dann muss das spezifische Vo- 
lumen v^' bez. Vg' sein, und der verlangte Zustand ist erreicht. 
Der beschriebene Prozess ist in allen Theilen reversibel, 
auch sind in anderen Körpern keine Veränderungen zurück- 
geblieben, insbesondere ist in der Umgebung kein Wärmeverlust 
oder -Gewinn entstanden, die Bedingungen der gestellten Auf- 
gabe sind also alle erfüllt, und der ausgesprochene Satz bewiesen. 

§ 13S« Ein gleicher Satz lässt sich leicht beweisen für 
beliebig viele Gase. Es ist immer möglich, ein System von 
n Gasen aus einem beliebig gegebenen Zustand durch einen 
reversibeln Prozess in einen anderen beliebig gegebenen Zustand 
zu bringen, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen zurück- 
bleiben, wenn nur die Summe der Entropieen aller Gase in 
beiden Zuständen die gleiche ist, d. h. wenn 

S^ + S^ + .,. + Sn= S^' + S^ + --* + Sn (56) 

Denn durch successive Combination je zweier Gase des Systems 
kann man mittelst der im vorigen Paragraph beschriebenen 
Prozesse zunächst die Entropie des ersten Gases, dann die des 
zweiten, dann die des dritten, u. s. w. auf den verlangten Werth 
bringen, bis auf die des (w— l)ten Gases einschliesslich. Nun 
ist bei jeder der einzelnen nacheinander vorgenommenen Zu- 
standsänderungen die Summe der Entropieen sämmtlicher Gase 
constant geblieben. Haben also die Entropieen der n— 1 ersten 
Gase ihre verlangten Werthe: aS/, S^, ... ^n-i» so nimmt die 
Entropie des nten Gases nothwendig den Werth: 

d. h. nach (56) den verlangten Werth Sn an. Alsdann kann 
man jedes Gas einzeln durch umkehrbare adiabatische Behand- 
lung in den gewünschten Zustand bringen, und die Aufgabe ist 
vollständig gelöst. 

Nennen wir die Summe der Entropieen aller Gase die 
Entropie des ganzen Systems, so können wir sagen: Wenn das 
Gas-System in zwei verschiedenen Zuständen den gleichen Werth 
der Entropie besitzt, so lässt sich das System aus dem einen 
Zustand in den anderen Zustand durch einen reversibeln Prozess 
überführen, ohne dass in anderen Körpern Veränderungen zu- 
rückbleiben. 



86 Der xweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 

§ 124. Nun führen wir den im § 118 bewiesenen Satz 
ein, dass die Ausdehnung eines idealen Gases ohne äussere 
Arbeitsleistung und Wärmezufuhr, oder, was dasselbe ist, dass 
der üebergang eines idealen Gases in einen Zustand grösseren 
Volumens und gleicher Temperatur, ohne äussere Wirkungen, 
wie in § 68 beschrieben, irreversibel ist. Einem solchen üeber- 
gang entspricht nach der Definition (52) eine Vergrösserung der 
Entropie des Gases. Daraus folgt sogleich, dass es überhaupt 
unmöglich ist, die Entropie eines Gases zu verkleinem, ohne 
dass in anderen Körpern Aenderungen zurückbleiben. Denn 
gäbe es hierfür irgend ein Verfahren, so könnte man die irre- 
versible Ausdehnung eines idealen Gases dadurch vollständig 
rückgängig machen, dass man, nachdem das Gas sich ohne 
äussere Wirkungen ausgedehnt und seinen neuen Gleichgewichts- 
zustand angenommen hat, zunächst mittelst des angenommenen 
Verfahrens die Entropie des Gases auf ihren ursprünglichen 
Werth verkleinert, ohne dass in anderen Körpern eine Verän- 
derung zurückbleibt, und dann durch einen umkehrbaren adia- 
batischen Prozess die ursprüngliche Temperatur und damit auch 
das ursprüngliche Volumen wiederherstellt. Dann wäre also die 
erste Ausdehnung vollständig rückgängig gemacht und somit 
nach § 118 das perpetuum mobile zweiter Art fertig. 

§ 135. Ebenso verhalten sich in Folge dessen auch zwei 
und beliebig viele ideale Gase. Es gibt in der ganzen Natur 
kein Mittel, um die Entropie eines Systems idealer Gase zu 
verkleinem, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen zurück- 
bleiben. Denn jede Vorrichtung, welche dies leisten würde — 
sie sei mechanischer, thermischer, chemischer, elektrischer Art — 
könnte wiederum dazu benutzt werden, um die Entropie eines 
einzelnen Gases zu verkleinem, ohne dass in anderen Körpern 
Aenderungen zurückbleiben. 

Gesetzt nämUch, die Entropie des Systems, oder die Summe 
der Entropieen aller Gase, sei aus dem Zustand, in welchem die 
Werthe der Entropieen S^, S^, » . - Sn sind, auf irgend eine Weise 
in einen anderen Zustand mit den Entropieen S^', S^\ . . S^ über- 
geführt worden, wobei 

(57) S^' + S^'+ . . . +Sn<S^ + S^+ . . . +Sn, 

ohne dass in anderen Körpern Aenderungen zurückgeblieben 
sind. Dann könnte man nach dem im § 123 bewiesenen Satze 



Beweis, 87 

stets durch einen reversibeln Prozess, ohne in anderen Körpern 
Veränderungen zurückzulassen, das System in jeden beliebigen 
Zustand bringen, in welchem die Summe der Entropieen den 
Werth 8^+8^+.,, + S^ besitzt; folglich auch in einen Zu- 
stand^ in welchem das erste Gas die Entropie S^, das zweite die 
Entropie S^, . . ., das (n— l)te die Entropie Sn^i^ und das nte 
Gas in Folge dessen die Entropie: 

(/S'j' + S2'+ . . . +Ä„') — /Sj — ^2 — . . . — aSw-i (58) 

besitzt Ist dies geschehen, so lassen sich alle Gase bis auf das 
nte durch umkehrbare adiabatische Prozesse einzeln in ihren 
ehemaligen Zustand zurückbringen. Nur das nte Gas besitzt 
die Entropie (58), und diese ist nach der Voraussetzung (57) 
kleiner als die ursprüngliche Entropie Sn war. So ist also im 
Ganzen die Entropie des nten Gases verkleinert worden, ohne 
dass in anderen Körpern irgend welche Veränderungen zurück- 
geblieben sind, und dies hatten wir schon im vorigen Paragraphen 
als unmöglich nachgewiesen. 

Somit ist der am Anfang dieses Paragraphen ausgesprochene 
allgemeine Satz bewiesen, und wir können daran unmittelbar 
den folgenden knüpfen. 

§ 126. Wenn ein System idealer Gase auf irgend eine 
Weise in irgend einen anderen Zustand übergegangen ist, ohne 
dass in anderen Körpern Aenderungen zurückgeblieben sind, so 
ist die Entropie des Systems im Endzustand jedenfalls nicht 
kleiner, also entweder grösser oder, im Grenzfall, ebensogross 
als im Anfangszustand, oder; die durch den Prozess verursachte 
Gesammtänderung der Entropie ist ^0. Im Fall der Ungleichung 
ist der Prozess irreversibel, im Fall der Gleichung reversibel. 

Die Gleichheit der Entropieen in beiden Zuständen bildet 
also nicht nur, wie in § 123, eine hinreichende, sondern zu- 
gleich auch die nothwendige Bedingung für die vollständige 
Eeversibilität des Uebergangs von dem einen Zustand in den 
anderen, falls in anderen Körpern keine Aenderungen zurück- 
bleiben sollen. 

§ 127. Dieser Satz hat einen beträchtlichen Gültigkeits- 
bereich; denn da über den Weg, auf welchem das Gassystem 
in den Endzustand gelangt, ausdrücklich garkeine beschränkende 
Voraussetzung gemacht ist, so gilt er nicht etwa blos für lang- 



88 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie. 



sam und einfach verlaufende, sondern für beliebig complicirte 
physikalische und chemische Prozesse, wenn nur am Schluss 
derselben in keinem Körper ausserhalb des Systems Verände- 
rungen zurückgeblieben sind. Auch darf man nicht glauben^ 
dass die Entropie eines Gases nur für Gleichgewichtszustände 
Bedeutung hat. Denn so gut man in einer beliebig tumultu- 
arisch bewegten Gasmasse jedes hinreichend kleine Massentheil- 
chen als homogen und von bestimmter Temperatur annehmen 
kann, so muss man ihm auch nach (52) einen bestimmten Werth 
der Entropie zuschreiben, wobei dann M die Masse, v die reci- 
proke Dichte und & die Temperatur des Theilchens sind. Die 
Summirung über alle Massentheilchen, wobei v und & von Theil- 
chen zu Theilchen variiren können, ergibt dann die Entropie 
der ganzen Gasmasse in dem betr. Zustand, und der Satz bleibt 
bestehen, dass die Entropie des gesammten Gases bei irgend 
einer Zustandsänderung, z. B. beim Ausströmen aus einem Ge- 
fäss in ein Vakuum (§ 68) in jedem Augenblick zunehmen muss, 
falls in anderen Körpern keine Veränderungen eintreten. Die 
Geschwindigkeit der Gastheilchen hat, wie man sieht, gar keinen 
Eintiuss auf den Werth der Entropie, ebensowenig wie die Höhe 
der als schwer gedachten Theilchen über einer bestimmten 
Horizontalebene. 

§ 138. Die bisher für ideale Gase abgeleiteten Gesetze 
lassen sich ganz in derselben Weise auch auf beliebige Sub- 
stanzen tibertragen, wobei der Hauptunterschied nur darin be- 
steht, dass man den Ausdruck der Entropie für einen beliebigen 
Körper im AUgemeinen nicht in endlichen Grössen hinschreiben 
kann, weil die Zustandsgieichung nicht allgemein bekannt ist. 
Doch lässt sich stets beweisen — und dies allein ist der ent- 
scheidende Punkt — dass auch für beliebige andere Körper 
ekie Funktion mit den charakteristischen Eigenschaften der 
Entropie wirklich existirt. 

Wir denken uns mit einem beliebigen homogenen Körper, 
von der Art, wie wir ihn § 67 ff. betrachtet haben, einen ge- 
wissen, reversibeln oder irreversibeln, Kreisprozess ausgeführt, 
der also den Körper genau in seinen Anfangszustand zurück- 
bringt. Die äusseren Wirkungen auf den Körper sollen in 
Arbeitsleistung und in Wärmezufuhr oder -Abfuhr bestehen, welch 
letztere durch eine beliebige Anzahl geeigneter Wärmebehälter 



Beweis, 89 

vermittelt wird. Nach Beendigung des Prozesses sind in dem 
Körper garkeine Aenderungen zurückgeblieben, nur die Wärme- 
behälter haben ihren Zustand geändert. Wir wollen nun als 
Träger der Wärme in den Behältern lauter ideale Gase an- 
nehmen, die etwa auf constantem Volumen oder auch unter 
constantem Druck gehalten werden mögen, jedenfalls aber nur 
umkehrbaren Volumenänderungen unterworfen sein sollen. Nach 
dem zuletzt bewiesenen Satze kann die Summe der Entropieen 
aller Gase nicht kleiner geworden sein, da nach Beendigung des 
Prozesses in keinem anderen Körper eine Veränderung zurück- 
geblieben ist. 

Bezeichnet nun Q die von einem Wärmebehälter während 
eines unendlich kleinen Zeitelements an den Körper abgegebene 
Wärmemenge, & die Temperatur des Behälters in demselben 
Augenblick, so ist die in demselben Zeitelement erfolgte Entropie- 
änderung des Behälters nach Gleichung (53): 

daher die im Verlauf aller Zeitelemente erfolgte Entropieänderung 
sämmtlicher Behälter: 

und es gilt nach § 126 die Bedingung: 

oder: X^^<0 

In dieser Form hat Claüsius zuerst den zweiten Hauptsatz 
ausgesprochen. 

Eine andere Bedingung für den betrachteten Prozess liefert 
der erste Hauptsatz. Denn für jedes Zeitelement des Prozesses 
ist nach Gleichung (17) § 63: 

Q + Ä = dU, 

wobei U die innere Energie des Körpers, A die im Zeitelement 
gegen ihn aufgewendete äussere Arbeit bezeichnet. 

§ 129. Nehmen wir nun spezieller an, dass der äussere 
Druck in jedem Augenblick gleich dem Druck p des Körpers 
ist, so wird die Compressionsarbeit nach (20): 



90 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 



woraus folgt: 

Q=.dU + pdV. 

Sei femer die Temperatur eines jeden Wärmebehälters in dem 
Augenblick, wo er in Funktion tritt, gerade gleich der gleich- 
zeitigen Temperatur des Körpers, dann ist der Kreisprozess 
reversibel, und die Ungleichung des zweiten Hauptsatzes ver- 
wandelt sich in die Gleichung: 

oder, mit Substitution des Werthes von Q: 

^ d U + pdV _ ^ 

In dieser Gleichung kommen nur solche Grössen vor, welche 
sich auf den Zustand des Körpers selber beziehen, man kann 
dieselbe also interpretiren, ohne auf Wärmereservoire irgend 
welchen Bezug zu nehmen. Es ist darin folgender Satz aus- 
gesprochen. 

§ 180. Wenn man einen homogenen Körper durch passende 
Behandlung eine Reihe von stetig aufeinanderfolgenden Gleich- 
gewichtszuständen (§71) durchmachen lässt, und ihn so schliess- 
lich wieder in seinen Anfangszustand zurückbringt, so liefert 

das Differential 

dU+pdV 

& 
über alle Zustandsänderungen summirt, den Werth Null. Daraus 
folgt sogleich, dass, wenn man die Zustandsänderung nicht bis 
zur Wiederherstellung des Anfangszustandes (1) fortsetzt, sondern 
bei einem beliebigen Zustand (2) stehen bleibt, der Werth der 
Summe: 2 

1 

lediglich abhängt von dem Endzustand (2) und dem Anfangs- 
zustand (1), nicht aber von dem Wege des Ueberganges von 
1 zu 2. Denn fasst man zwei verschiedene von 1 zu 2 führende 
Reihen von Zustandsänderungen ins Auge (etwa die Curven cc 
und ß in Fig. 2, § 75) so kann man diese beiden Reihen zu 
einem unendlich langsamen Kreisprozess combiniren, indem man 
etwa die eine Reihe (a) als Hinweg von 1 zu 2, die zweite (ß) 



Beweis. 91 

als Rückweg von 2 zu 1 benutzt Dann ist nach dem oben 
Bewiesenen die Summe über den gesammten Kreisprozess: 

l dU + pdV n dü + pdV ^ Q 

1 2 

mithin das erste Integral dem zweiten gerade entgegengesetzt, 
woraus sich die Richtigkeit des aufgestellten Satzes ergibt. 

Der Ausdruck (59) mit den bewiesenen Eigenschaften heisst 
nach Clausius die Entropie des Körpers im Zustand 2, bezogen 
auf den Zustand 1 als Nullzustand. Die Entropie eines Körpers 
in einem bestimmten Zustand ist also, ebenso wie die Energie, 
vollständig bestimmt bis auf eine additive Constante, welche 
von der Wahl des Nullzustandes abhängt. 

Bezeichnen wir die Entropie wieder mit S, so ist 

^^ r dU + pdV 
und, was dasselbe bedeutet: 

auf die Massen einheit bezogen: 

ds^ ^^^A^- (61) 

Für ein ideales Gas ergibt sich hieraus wieder der bekannte 
Werth (51). Ebenso kann man für jeden anderen Körper, wenn 
seine Energie U = Mu und sein Volumen V = Mv als Funktionen 
etwa von & und p bekannt sind, unmittelbar durch Integration 
den Ausdruck der Entropie bestimmen (vgl. § 254). Da dies jedoch 
noch für keine andere Substanz vollständig der Fall ist, so muss 
man sich im Allgemeinen mit der Differentialgleichung begnügen. 
Für den Beweis und für viele Anwendungen des zweiten Haupt- 
satzes genügt es aber, zu wissen, dass diese Differentialgleichung 
wirklich die eindeutige Definition der Entropie enthält. 

§ 181. Hienach kann man nun, ebenso wie bei einem 
idealen Gase, von der Entropie irgend einer Substanz als von einer 
durch die augenblicklichen Werthe von Temperatur und Volumen 
stets bestimmten endlichen Grösse reden, also auch dann, wenn 
die Substanz beliebige, reversible oder irreversible, Aenderungen 
erleidet, und die Differentialgleichung (61) für äs gilt, wie das 
schon oben § 120 bei einem idealen Gas hervorgehoben wurde, 



92 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 

für jede beliebige, auch jede irreversible Aeüderung des Zu- 
standes. In dieser Anwendung des Begriffes der Entropie darf 
man keinen Widerspruch erblicken mit der Art der Ableitung 
dieser Grösse. Gemessen wird die Entropie in jedem Zustand 
eines Körpers mittelst eines reversibeln Prozesses, der den Kör- 
per aus seinem jeweiligen Zustand in den Nullzustand überführt, 
aber dieser ideale Prozess hat Nichts zu thun mit den reversibeln 
oder irreversibeln Zustandsänderungen, die der Körper in Wirk- 
lichkeit erlitten hat oder erleiden wird. 

Dagegen ist andrerseits ausdrücklich zu betonen, dass die 
Differentialgleichung (60) ^r dS nur für Aenderungen der Tem- 
peratur und des Volumens, nicht aber für solche der Masse 
des Körpers gilt. Denn von Aenderungen der letzteren Art 
ist bei der Definition der Entropie überhaupt nicht die Rede 
gewesen. 

Endlich bezeichnen wir die Summe der Entropieen mehrerer 
Körper kurz als die Entropie des Systems aller Körper, woraus 
sich dann auch wieder, ebenso wie oben § 127 bei idealen Gasen 
die Entropie eines in seinen einzelnen Theilen ungleichmässig 
temperirten und bewegten Körpers durch Summation über alle 
einzelnen Massenelemente ergibt, so lange man innerhalb jedes 
unendlich kleinen Massenelements die Temperatur und die Dichte 
als gleichmässig annehmen kann, während dagegen die Ge- 
schwindigkeit und die Schwere gamicht in den Ausdruck der 
Entropie eingeht. 

§ 133. Nachdem nun die Existenz und der Werth der 
Entropie für jeden beliebigen Zustand eines Körpers festgestellt 
ist, bietet es nicht die geringste Schwierigkeit mehr, den von 
§ 119 an beginnenden, oben nur für ideale Gase gelieferten 
Beweis auf jedes System von Körpern zu übertragen. Man 
findet wie in § 119, dass bei umkehrbarer adiabatischer Aus- 
dehnung oder Compression eines Körpers seine Entropie constant 
bleibt, während dagegen bei Wärmezufuhr von Aussen die 
Entropieänderung beträgt: 

(62) ^^ = 1 

eine Beziehung, die jedoch, ebenso wie § 120 für ideale Gase 
gezeigt wurde, nur dann gilt, wenn die Volumenänderung des 
Körpers in umkehrbarer Weise erfolgt. Man findet femer, wie 



Beweis, 93 

in § 121, dass bei umkehrbarer Ausdehnung oder Compression 
zweier Körper von gemeinsamer Temperatur, die untereinander, 
aber nicht nach Aussen hin Wärme durch Leitung austauschen, 
die Summe der Entropieen constant bleibt, und daran knüpfen 
sich dann in ganz derselben Weise die entsprechenden üeber- 
legungen, so dass wir uns nun darauf beschränken können, gleich 
das allgemeine Besultat auszusprechen: Es ist auf keinerlei 
Weise möglich, die Entropie eines Systems von Körpern zu ver- 
kleinem, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen zurück- 
bleiben. Wenn also irgend ein System von Körpern auf irgend 
eine Weise, durch beliebige physikalische und chemische Aen- 
derungen, in einen anderen Zustand übergegangen ist, ohne in 
anderen Körpern Aenderungen zurückzidassen, so ist die Entropie 
des Systems im Endzustand entweder grösser, oder, im Grenz- 
faU, ebenso gross wie im Anfangszustand. Im ersten Fall ist 
der Prozess irreversibel, im zweiten reversibel. 

§ 188. Die bisher stets nothwendige Beschränkung, dass 
in anderen Körpern keine Veränderungen zurückgeblieben sind, 
lässt sich einfach dadurch aufheben, dass man alle von etwaigen 
Veränderungen betroffenen Körper mit in das betrachtete System 
hineinbezieht. Dann lautet der Satz folgendermassen: Jeder in 
der Natur stattfindende physikalische und chemische Prozess 
verläuft in der Art, dass die Summe der Entropieen sämmt- 
licher an dem Prozess irgendwie betheiligten Körper vergrössert 
wird. Im G-renzfall, für reversible Prozesse, bleibt jene Summe 
ungeändert. Dies ist der allgemeinste Ausdruck des zweiten 
Hauptsatzes der Wärmetheorie. 

§ 184. Wie die Unmöglichkeit des perpetuum mobile erster 
Art zum ersten Hauptsatz, dem Princip der Erhaltung der 
Energie, führt, so hat uns die Unmöglichkeit des perpetuum 
mobile zweiter Art zum zweiten Hauptsatz gefuhrt, den wir 
daher passend als das Princip der Vermehrung der En- 
tropie bezeichnen. Man kann diesem Princip in speziellen 
Fällen noch andere Formen geben, welche für die praktische 
Anwendung gewisse Vorzüge besitzen, besonders für isothermische 
und isopiestische Prozesse. Wir werden diese Formen im 
nächsten Capitel kennen lernen. Doch ist hier ausdrücklich zu 
betonen, dass die hier gegebene Form unter allen die einzige 
ist, welche sich ohne jede Beschränkung für jeden beliebigen 



94 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 

endlichen Prozess aussprechen lässt, und dass es daher für die 
Irreversibilität eines Prozesses kein anderes allgemeines Maass 
gibt als den Betrag der eingetretenen Vermehrung der Entropie. 
Jede andere Form des zweiten Hauptsatzes ist entweder nur 
auf unendlich kleine Zustandsänderungen anwendbar^ oder sie 
setzt, auf endliche Zustandsänderungen ausgedehnt^ eine spezielle 
äussere Bedingung voraus, unter welcher der Prozess verläuft. 
Vgl. unten § 140 ff. 

Die Bedeutung des zweiten Hauptsatzes ist häufig in einer 
„Zerstreuung der Energie" gesucht worden. Indess stellt diese 
Bezeichnung, welche an den irreversibeln Vorgang der Wärme- 
leitung und -Strahlung anknüpft, die Sache nur von einer Seite 
dar. Es gibt irreversible Prozesse, deren Endzustand genau 
dieselben einzelnen Energieformen aufweist wie der Anfangs- 
zustand, so z. B. die Diffusion zweier idealer Gase (§ 238), 
oder die weitere Verdünnung einer sehr verdünnten Lösung. 
Ein solcher Prozess ist von keinem merklichen Wärmeübergang, 
keiner äussern Arbeit, überhaupt keinem merklichen Umsatz an 
Energie begleitet, er geht nur deshalb vor sich, weil ihm eine 
merkliche Vermehrung der Entropie entspricht. Ebensowenig 
wie von einer zerstreuten Energie kann man im Allgemeinen 
von einer „verlorenen Arbeit" als einem bestimmten Maass der 
Irreversibilität reden. Dies ist nur bei isothermen Prozessen 
möglich (§ 143). Allgemein erschöpfend aber kann der Inhalt 
des zweiten Hauptsatzes nur durch den Begriff der Entropie 
ausgedrückt werden. 

§ 185. Clausiüs hat den ersten Hauptsatz der Wärme- 
theorie dahin zusammengefasst, dass die Energie der Welt con- 
stant bleibt, den zweiten dahin, dass die Entropie der Welt 
einem Maximum zustrebt. Mit Recht ist dagegen eingewendet 
worden, dass es keinen Sinn hat, schlechthin von der Energie 
oder der Entropie der Welt zu sprechen, weil eine derartige 
Grösse garnicht bestimmt zu definiren ist. Indessen fällt es 
nicht schwer, die Clausiüs' sehen Sätze so zu formuliren, dass 
sie sehr wohl einen Sinn ergeben, und dass dasjenige, was an 
ihnen charakteristisch ist, und was Clausius offenbar mit ihnen 
sagen wollte, deutlicher zum Ausdruck gelangt. 

Die Energie jedes Körpersystems ändert sich nach Maass- 
gabe der Wirkungen, welche von Aussen her auf das System 



Beweis. 95 



ausgeübt werden; nur bei Ausschluss aller äusseren Wirkungen 
bleibt sie constant Da nun streng genommen ein System stets 
äusseren Wirkungen unterliegt — denn eine absolute Absperrung 
ist in der Natur unmöglich — so tritt im strengen Sinne unter 
Umständen wohl eine annähernde, aber nie eine absolute Con- 
stanz der Energie eines endhchen Systems ein. Indessen: je 
räumlich ausgedehnter man das System wählt, um so mehr 
treten im Allgemeinen die äusseren Wirkungen zurück gegen die 
Grösse der Energie des Systems und der Aenderungen ihrer 
einzelnen Theile (vgl § 66). Denn die äusseren Wirkungen sind 
von der Grössenordnung der Oberfläche, die Energie des Systems 
aber ist von der Grössenordnung des Volumens. Bei sehr kleinen 
Systemen (Volumenelementen) ist es aus demselben Grunde ge- 
rade umgekehrt: hier überwiegen die äusseren Wirkungen derart, 
dass die Energie des Systems gegen jede einzelne äussere Wir- 
kung vernachlässigt werden kann. Von diesem Satze macht man 
häufig Gebrauch, z. B. in der Theorie der Wärmeleitung bei der 
Aufstellung der Grenzbedingungen. In dem hier besprochenen 
Falle wird man also sagen können: Je räumlich ausgedehnter 
das System angenommen wird, ^um so angenäherter bleibt im 
Allgemeinen seine Energie constant. Man wird schon einen 
verhältnissmässig kleinen Fehler begehen, wenn man die Energie 
unseres Sonnensystems constant setzt, einen verhältnissmässig 
noch kleineren, wenn man dasselbe bei dem ganzen uns be- 
kannten Fixstemsysteme thut, und in diesem Sinne hat der Satz: 
Die Energie eines unendlich grossen Systems, oder die Energie 
der Welt, bleibt constant, allerdings eine thatsächliche Bedeutung. 

Ganz in ähnhcher Weise lässt sich der Satz von der steten 
Vermehrung der Entropie der Welt verstehen. Je umfassender 
ein System ist, einen desto kleineren verhältnissmässigen Fehler 
wird man im Allgemeinen begehen, wenn man den Satz aus- 
spricht, dass die Entropie des Systems zunimmt, ganz abgesehen 
von allen ausserhalb des Systems eingetretenen Veränderungen. 

§ 186. Zum Schlüsse möge noch die principielle Frage 
nach den etwaigen Grenzen der Gültigkeit des zweiten Haupt- 
satzes kurz erörtert werden. Wenn dem zweiten Hauptsatz der 
Wärmetheorie irgend welche Schranken gesetzt sind, wie gegen- 
wärtig noch viele Naturforscher und Philosophen wollen, so lässt 
sich doch jedenfalls so viel von vornherein behaupten, dass deren 



96 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie. 



Existenz nur entweder in einer Unrichtigkeit unseres Ausgangs- 
punktes: der Unmöglichkeit des perpetuum mobile zweiter Art, 
oder in einem Mangel unserer Beweisführung begründet sein 
kann. Den ersten Einwand haben wir schon am Anfang der 
Beweisführung (§ 116) als berechtigt anerkannt, er lässt sich 
durch keine Argumentation beseitigen. Der zweite Einwand aber, 
der meistens darauf hinausläuft, dass zwar die praktische Un- 
mögHchkeit des perpetuum mobile zweiter Art zugegeben wird, 
nicht aber die absolute, da wir eben mit unseren beschränkten 
experimentellen Hilfsmitteln garnicht immer im Stande seien, 
eintretenden Falls die in dem Beweisgang vorausgesetzten idealen 
Processe zur wirklichen Construction eines perpetuum mobile 
zweiter Art zu verwerthen, erweist sich bei näherer Untersuchung 
als unstichhaltig. Denn es wäre ganz ungereimt, anzunehmen, 
dass die Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes irgendwie mit der 
grösseren oder geringeren Ausbildung der Beobachtungs- bez. 
Experimentirkunst des Physikers oder Chemikers zusammenhängt. 
Der Inhalt des zweiten Hauptsatzes hat ja mit dem Experimen- 
tiren gar nichts zu thun, er lautet in nuce: „Es existirt in der 
Natur eine Grösse, welche bei allen in der Natur stattfindenden 
Veränderungen sich immer nur in demselben Sinne ändert." 
Dieser Satz, in dieser Allgemeinheit ausgesprochen, ist entweder 
richtig oder falsch; aber er bleibt das, was er ist, ohne Rück- 
sicht darauf, ob auf der Erde denkende und messende Wesen 
existiren, und ob diese Wesen, wenn sie existiren, die Einzel- 
heiten physikalischer oder chemischer Prozesse um eine, zwei 
oder um hundert Decimalstellen genauer controliren können, als 
wir das heute zu thun vermögen. Die Grenzen des Satzes, falls 
sie überhaupt vorhanden sind, können nothwendig nur auf dem- 
selben Gebiete liegen, wo auch sein Inhalt liegt; in der be- 
obachteten Natur, und nicht im beobachtenden Menschen. Daran 
ändert der Umstand nichts, dass wir uns zur Ableitung des Satzes 
menschlicher Erfahrungen bedienen; das ist überhaupt der einzige 
Weg für uns, um zur Erkenntniss von Naturgesetzen zu gelangen. 
Sind sie einmal erkannt, so müssen sie auch als selbstständig 
anerkannt werden, soweit wir überhaupt davon reden können, 
dass ein Naturgesetz unabhängig vom denkenden Geiste Bestand 
hat; und wer dies läugnen wollte, müsste die Möglichkeit einer 
Naturwissenschaft überhaupt läugnen. 



Allgemeine Folgerungen. 97 



Mit dem ersten Hauptsatz verhält es sich ganz ähnlich. 
Der unmittelbarste unter den allgemeinen Beweisen des Energie- 
princips ist wohl für die Mehrzahl der vorurtheilslosen Naturforscher 
die Thatsache der Unmöglichkeit des perpetuum mobile erster 
Art, und doch wird sich heutzutage kaum Jemand finden, 
der die Gültigkeit des Energieprincips mit dem Genauigkeits- 
grade des experimentellen Nachweises dieses allgemeinen Er- 
fahrungssatzes in. Verbindung bringt. Ebenso wird vermuthlich 
die Zeit kommen, wo auch das Princip der Vermehrung der 
Entropie ausser Zusammenhang mit menschlicher Experimentir- 
kunst, von einzelnen Metaphysikem wohl gar als a priori gültig 
hingestellt werden wird. Bis dahin wird es aber für den Anhänger 
sowohl wie für den Gegner des zweiten Hauptsatzes keine wirk- 
samere Waffe zum Kampfe um seine Allgemeingültigkeit geben, 
als das unablässige Bemühen^ den thatsächlichen Inhalt dieses 
Satzes bis in seine äussersten Consequenzen zu verfolgen und 
jede derselben, correkt formulirt, vor den Richterstuhl der 
höchsten Instanz, der Erfahrung, zu bringen. Wie die Ent- 
scheidung dann auch fallen möge, unter allen Umständen wird 
uns aus dieser Taktik sicher bleibender Gewinn erwachsen, da 
wir damit dem Hauptzweck der ganzen Naturforschung dienen: 
der Bereicherung unseres "äiatBächlichen Wissens. 



111. Capitel. Allgemeine Folgerungen. 

§ 187. Die erste Anwendtmg, welche wir von dem im 
vorigen Capitel in die allgemeinste Form gebrachten Entropie- 
princip machen wollen, betrifft den früher im § 90 für ein ideales 
Gas eingehend beschriebenen CABNOT'schen umkehrbaren Kreis- 
prozess zwischen zwei Wärmereservoiren, diesmal aber ausgeführt 
mit einem ganz beliebigen System, wobei auch chemische Wir- 
kungen^ wofern sie nur reversibel sind, nicht ausgeschlossen 
werden. Indem wir wegen der Bezeichnungen u. s. w. auf das 
dort Gesagte verweisen, können wir sogleich das Resultat hier 
aussprechen. 

Der erste Hauptsatz verlangt für den Kreisprozess, dass die 
voÄ dem wärmeren Eeservoir abgegebene Wärmemenge Q^ äqui- 
valent ist der Summe der von dem System geleisteten Arbeiten: 

Plasck, Thermodynamik. 7 



98 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 



-4' = — -4 und der van dem kühleren Reservoir aufgenommenen 
Wärmemenge: 0/ = — Q^, also, ebenso wie in (42) 

Q^ = Ä + o; 

oder: 

(63) Ol + Oa + ^ = 0. 

Der zweite Hauptsatz verlangt wegen der Reversibilität des 
Prozesses, dass alle Körper, welche am Schluss des Prozesses 
irgendwelche innere Veränderungen aufweisen, — und das sind hier 
nur die beiden Wärmebehälter — die nämliche Entropiesumme 
besitzen wie am Anfang. Nun beträgt die Entropieänderung des 
ersten Reservoirs nach (62): 

(64) ^ = — ^, die des zweiten: — -^. 
Also ist die Summe: 

(65) f + :| = *^' 

woraus in Verbindung mit (63) folgt: 

genau die Gleichung (44), nur dass hier über die Natur des 
Systems, mit welchem der Kreisprozess ausgeführt wurde, gar 
keine Voraussetzung gemacht ist. 

Um also durch einen CABNOT'schen reversibeln Kreisprozess, 
ausgeführt mit einer beliebigen Substanz zwischen zwei Wärme- 
behältem von den Temperaturen i?-^ und &^ > &^^ die Arbeit Ä 
zu gewinnen, muss man die Wärmemenge: 

vom wärmeren Reservoir zum kälteren übergehen lassen. Oder 
umgekehrt ausgedrückt: man kann den Uebergang der Wärme 
Oj' von &2 auf x)-^ mittelst eines reversibeln Kreisprozesses dazu 
benutzen, um die Arbeit 

(66) Ä = ^^Q,' 

zu gewinnen. 

§ 188. Ist der Kreisprozess nicht reversibel, kommen also 
in seinem Verlauf irgendwelche irreversible physikalische oder 
chemische Aenderungen des Systems vor, so bleibt die Energie- 



Allgemeine Folgerungen, 99 

gleichaiig (63) bestehen, dagegen tritt fiir die Entropieänderung 
der Wärmebehälter statt (65) die Ungleichung ein: 

Hiebei ist wohl zn bemerken, dass die Ausdrücke (64) fär 
die Entropieänderung der Wärmebehälter auch hier bestehen 
bleiben, wenn wir nur voraussetzen, dass etwaige Volumenände- 
rungen der als Wärmebehälter dienenden Körper in umkehrbarer 
Weise stattfinden. 

Also: _|l + |l<o. (67) 

oder: Q^ < J^ 0/, 

woraus in Verbindung mit (63) hervorgeht: 

Ä' < ^-^- 0/, 

d. h. die mittelst eines Kreisprozesses durch den Uebergang der 
Wärme 0^' aus dem wärmeren in das kältere Reservoir zu ge- 
winnende Arbeit Ä ist für einen irreversibeln Prozess stets 
kleiner als für einen reversibeln Prozess. Letztere, durch (66) 
dargestellte Arbeit gibt also zugleich das Maximum der Arbeit 
an, welches überhaupt durch einen Kreisprozess mit irgend einem 
System zwischen den beiden Wärmebehältem zu gewinnen ist. 
Wenn speziell Ä = 0, so folgt aus der Energiegleichung (63): 

und die Ungleichung (67) geht über in: 



^-(i;-ä<^- 



In diesem Falle besteht die ganze durch den Kreisprozess her- 
vorgerufene Veränderung einfach in dem Uebergang der Wärme 
O2 aus dem Behälter von der Temperatur &2 ^^ ^®^ ^^^ ^®^ 
Temperatur &^, und die letzte Ungleichung besagt,^ dass dieser 
Uebergang immer in der Richtung vom wärmeren zum kälteren 
Reservoir erfolgt. 

Wiederum ein spezieller Fall eines derartigen Prozesses ist 
der direkte Uebergang der Wärme durch Leitung von dem eiuen 

7* 



100 Der zweite HaAiptsatx der Wärmetheorie, 



Bekälter zum anderen^ ohiye jede tba4;säohliclie Betiieiligiuig des 
Systems, welches den KretBpro2ess daTChmadbt Diese Ver^ 
änderung ist also, wie man sieht, irreversibel, da sie eine Zu- 
nahme der Summe der Entrapieen beider Wärmebehälter bedingt. 

§ 139. Machen wir noch die Anwendung auf einen be- 
liebigen, reversibeln oder irreverpibeln, Kreisprozess mit irgend 
einem System von Körpern, in dessen Verlauf nur ein einziges 
Wärmereservoir von der constanten Temperatur ß- beliebig oft 
zur Benutzung kommt. Wie auch der Prozess im Einzelnen 
beschaffen sein mag, am Schluss desselben ist keine andere 
Eütropieänderung in der Natur eingetreten, als diejenige, welche 
das benutzte Reservoir erlitten hat. Nach dem ersten Haupt- 
satz ist die Summe der im Ganzen von Aussen auf das System 
ausgeübten Arbeit Ä und der im Ganzen dem System aus dem 
Reservoir zugefiihrten Wärme Q\ 

Ä + Q = 0. 

Nach dem zweiten Hsüuptsatz ist die Entropieänderung des 
Reservoirs, wenn wir wieder, wie immer, voraussetzen, dass etwaige 
Volumenveränderangen des Reservoirs in umkehrbarer Weise 
stattfinden: _ ^ >-n 

oder: 0^0, folglich: ^^0, 

d. h. es ist Arbeit verbraucht und Wärme im Reservoir erzeugt 
worden. Ist im Grenzfall der Prozess reversibel, so verschwindet 
das Ungleichheitszeichen, und es ist sowohl die Wärme Q als auch 
die Arbeit Ä gleich Null. Auf diesem Satze beruht die grosse 
Fruchtbarkeit des zweiten Hauptsatzes in seiner Anwendung auf 
isotherme reversible Kreisprozesse. 

§ 140. Wir wollen uns jetzt nicht mehr mit Kreisprozessen, 
sondern mit der allgemeinen Frage nach der Richtung irgend 
einer in der Nator eintretenden Verändearnng «iues beüebig ge- 
gebenen System« beschä^gen. Bescoiders bei den chemischen 
Vorgängen ^ielt ja diese Frage eine wichtige RolJe. Der zweite 
Hauptsatz, in Yerbindniig mit dem erstell, ertbeilt hierauf eine 
aUgemetoe Antwort, da er eine mothwendige Bedingung f^ jede 
in der Natur stattfindende Aenderung enthält. Wir denken tins 
irgend ein homogenes oder heifeerogenes System von Körpern, 
von gemeinsamer Temperatür ^9-, und fragen nach den Be- 



Allgemeine Folgenmgen. 101 



dingungen des Eintritts irgend einer physikalischen oder chesii- 
sehen Vwänderung. 

Nach dem ersten Hauptsatz ist flir eine unendlich kleine 
Zustandsänderung : 

dU=Q + Ä, (68) 

wenn U die Gesammtenergie des Systems, Q die während des 
betrachteten Vorgangs von Aussen in das System eintretende 
Wärmemenge, und Ä die von Aussen gegen das System ge- 
leistete Arbeit bezeichnet. 

Nach dem zweiten Hauptsatz ist die Aenderung der Summe 
der Entropieen aller an dem Vorgang irgendwie betheiligten 
Körper: 

dS + dS^^O, 

wenn S die Entropie des Systems, Sq die Entropie des um- 
gebenden Mediums (Atmosphärische Luft, calorimetrische Flüssig- 
keit, Gefässwand) bezeichnet, welches in Folge von Wärmeabgabe 
auch an dem Vorgang betheiligt sein kann. 

Das Gleichheitszeichen gilt für reversible Vorgänge, die 
allerdings nur als idealer Grenzfall der in Wirklichkeit mög- 
lichen Vorgänge zu betrachten siad (§ 11&), 

Setzen wir voraus, dass etwaige Volumenänderungen 
des umgebenden Mediums in umkehrbarer Weise erfolgen, so 
ist nach (62): 

und nach (68): 

dbQ= — , 

folglich durch Substitution des Werthes von dS^: 

dS^ ^^^"^ gO. (69) 

Anders geschrieben: 

dU-&dS^A, (70) 

In dieser Relation gipfeln alle bisher von verschiedenen Autoren 
auf verschiedenen Wegen aus dem zweiten Hauptsatz für den 
Eintritt thermodynamisch-chemischer Veränderungen hergeleiteten 
Schlüsse. Da der Differentialausdruck links im Allgemeinen 
nicht das vollständige Differential einer bestimmten Grösse 



102 , Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 

bildet, so lässt sich die Relation nicht allgemein integriren, d. h. 
der zweite Hauptsatz gestattet keinen allgemeinen Ausspruch 
über eine endliche Zustandsänderung des Systems allein, falls 
man von den äusseren Bedingungen, denen das System unter- 
worfen ist, nichts Näheres weiss; wie das ja auch von vornherein 
einleuchtend ist und ebenso auch für den ersten Hauptsatz gilt. 
Um zu einem Gesetz für eine endliche Zustandsänderung des 
Systems allein zu gelangen, muss man solche äussere Bedingungen 
kennen, welche die Integration des Differential -Ausdrucks ge- 
statten. Unter diesen sind im Folgenden die merkwürdigsten 
Fälle hervorgehoben. 

§ 141. Erster Fall. Adiabatischer Vorgang. Bei Aus- 
schluss des Wärmeaustausches mit der Umgebung ist = 0, also 

nach (68): 

dü=^A 

und in Folge dessen nach (70): 

dS^O, 

d. h. die Entropie des Systems nimmt zu oder bleibt constant. 
Diesen Fall haben wir schon genügend erörtert. 

§ 142. Zweiter Fall. Isothermischer Vorgang. Bei con- 
stant gehaltener Temperatur i^- geht (70) über in: 

d{U'-&S)^Ä, 

d. h. die Zunahme der Grösse {U—&S) ist kleiner, im Grenz- 
fall ebensogross wie die von Aussen her gegen das System ge- 
leistete Arbeit. Da die isothermischen Vorgänge in der Natur 
eine besonders hervorragende Rolle spielen, so ist dieser Satz 
für die Anwendung auf chemische Prozesse besonders geeignet. 
Setzen wir: 

(71) U-d-S^F, 

so ist für eine reversible isothermische Zustandsänderung: 

dF==A 

> 

integrirt: 

(72) F,-F,=^A, 

d. h. bei einem endlichen reversibeln isothermischen Vorgang 
ist die ganze von Aussen auf das System ausgeübte Arbeit 
gleich der Zunahme von F, oder die ganze von dem System 



Allgemeine Folgerungen. 103 



nach Aussen hin geleistete Arbeit ist gleich der Abnahme von 
F, hängt also nur von dem Anfangs- und Endzustand des Vor- 
gangs ab. Ist i^j = i^2> ^® ^' ^' ^®^ einem Kreisprozess, so ist 
die äussere Arbeit gleich Null. 

Da somit die Funktion F zu der äusseren Arbeit in ganz 
derselben Beziehung steht, wie die Energie U nach der Gleichung 
(17) zu der Summe von äusserer Arbeit und äusserer Wärme, 
so heisst F nach H. v. Helmholtz die „freie Energie" des 
Systems (vollständiger würde sie heissen: „freie Energie für 
isothermische Vorgänge"), und dementsprechend U die „Gesammt- 
energie", und der Rest: 

U-F=&S 

die „gebundene" Energie des Systems. Letztere liefert dem- 
nach für einen reversibeln isothermischen Vorgang durch ihre 
Aenderung die äussere Wärmeaufnahme. Diese Zerlegung der 
Energie U in freie und gebundene Energie hat aber nur Be- 
deutung für isothermische Veränderungen. 
Bei irreversibeln Vorgängen ist dagegen: 

dF< A 

integrirt: i^2 - ^i < 2 ^> C^^) 

d. h. die freie Energie nimmt weniger zu als der verbrauchten 
Arbeit entspricht. In Verbindung mit dem obigen Resultat für 
reversible Prozesse kann man dies auch so formuliren: Bei 
irreversibeln isothermen Prozessen ist die verbrauchte Arbeit 
immer grösser, also die gewonnene Arbeit immer kleiner als 
diejenige Arbeit, welche man bei der nämlichen Zustands- 
änderung des Systems verbrauchen bez. gewinnen würde, wenn 
sie auf reversibelm Wege vor sich ginge. Denn die letztere wird 
eben nach (72) durch die Differenz der freien Energie am An- 
fang und am Ende des Prozesses gegeben. 

Daher liefert ein, im üebrigen beliebiger, reversibler Ueber- 
gang des Systems von einem Zustand zu einem anderen immer 
das Maximum der Arbeit, welches überhaupt aus einem iso- 
thermen üebergang des Systems von dem einen Zustand zum 
anderen gewonnen werden kann, während bei jedem irreversibeln 
Üebergang ein gewisser Arbeitsbetrag, nämlich die Differenz des 
Maximums der zu gewinnenden Arbeit (Abnahme der freien 
Energie) und der wirklich gewonnenen Arbeit, verloren geht. 



104 B&r zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, 



Wenn hier davon gesprochen wird, dass der Uebergang eines 
Systems aus einem Zustand in einen anderen einmal auf irre- 
versibelm, einmal auf reyersibelm Wege vorgenommen wird, so 
liegt darin kein Widerspruch mit dem anderen Satze, dass 
zwischen zwei Zuständen eines Systems nur entweder ein re- 
versibler oder ein irreversibler Uebergang möglich ist, ohne dass 
in anderen Körpern Aenderungen zurückbleiben. In d«m hier 
betrachteten Falle können in der That Aenderungen in einem 
anderen Körper zurückbleiben, nämlich in dem das System um- 
gebenden Medium, welches nach § 1 40 im Allgemeinen positive oder 
negative Wärme an das System abgibt, und in unserem Falle ab- 
geben muss, um das System auf constanter Temperatur zu erhalten. 

§ 148. Erfolgt ein isothermischer Prozess, wie die meisten 
chemischen Prozesse, mit verschwindend kleiner Arbeitsleistung: 

2^ = 
so ist nach (73): 

d. h. die freie Energie nimmt ab. Die Grösse dieser Abnahme 
kann man als ein quantitatives Maass benutzen für die Arbeit 
der Kräfte (chemische Verwandtschaft, Affinität, Avidität), welche 
den Prozess veranlassen; dieselbe geht dabei als äussere Arbeit 
verloren. 

Es werde z. B. eine wässrige Lösung eines nichtflüchtigen 
Salzes durch Zusatz von Wasser auf isothermischem Wege ver- 
dünnt, indem die Verdünnungswärme von einem passenden 
Wärmereservoir aufgenommen oder geliefert wird, je nachdem 
die Energie U^ der verdünnten Lösung (Endzustand) kleiner oder 
grösser ist als die Summe U^ der Energie der unverdünnten Lösung 
und der Energie der zugesetzten Wassermenge (Anfangszustand). 
Die freie Energie F^ der verdünnten Lösung dagegen ist nach der 
letzten Ungleichung nothwendig kleiner als die Summe F^ der 
freien Energie der unverdünnten Lösung und der freien Energie 
des zugesetzten Wassers. Der Betrag der Abnahme der freien 
Energie, oder die von der „Anziehungskraft der Lösung auf das 
Wasser" beim Verdünnen geleistete Arbeit, kann gemesssen werden, 
indem man den Verdünnungsprozess auf irgend einem reversibeln 
isothermischen Wege vollzieht, wobei dann nach Gleichung (72) 
dieser Arbeitsbetrag wirklich als äussere Arbeit gewonnen wird. 
Ein solcher reversibler Uebergang ist z.B. folgender: Man lasse das 



AÜgememe Folgerungen. 105 



zuzusetzende Wasser zunächst bei constanter Temperatur unter 
dem Druck seines gesättigten Dampfes unendlich langsam yer- 
dampfen. Wenn Alles in Dampf verwandelt ist^ lasse man den 
Dampf sich isotherm und umkehrbar weiter ausdehnen, sa lange 
bis die Dichte des Dampfes derjenigen gleich ist^ welche ge- 
sättigter Wasserdampf bei der betr. Temperatur in Berührung 
mit der Lösung besitzt Nun bringe man den Dampf mit der Lösung 
in dauernde Berührung; das Gleichgewicht wird dadurch nicht 
gestört» Schliesslich condensire man durch unendlich langsame 
isothermische Gompression den unmittelbar über der Lösung be- 
findlichen Wasserdampf vollständig; er vertheilt sich dann 
gleichmässig durch die ganze Lösung. Dieser isothermische 
Prozess beteht aus lauter Gleichgewichtszuständen, er ist also 
reversibel, und die durch ihn gewonnene äussere Arbeit repra- 
sentirt daher zugleich die bei direkter Mischung eingetretene 
Abnahme der freien Energie: F^ — Fy 

Nehmen wir als weiteres Beispiel ein Knallgasgemenge, das 
durch einen elektrischen Funken zur Explosion gebracht wird. 
Der Funken spielt hier nur eine sekundäre Rolle, als auslösende 
Wirkung, da seine Energie gegen die übrigen zum Umsatz ge- 
langenden Energiemengen nicht in Betracht kommt. Die Arbeit 
der chemischen Verwandtschaftskräfte, welche sich in diesem 
Prozess bethätigt, wird gemessen durch diejenige Arbeit, die man 
durch die chemische Vereinigung von Wasserstoff und Sauer- 
stoff gewinnen könnte, wenn dieselbe auf irgend einem rever- 
sibeln Wege vorgenommen würde. Durch Division dieser Arbeit 
durch die Zahl der oxydirten Wasserstoffmoleküle erhält man 
ein Maass für die Grösse der Kraft, mit welcher ein Wasser- 
stoffmolekül sich zu oxydiren strebt. Doch hat diese Definition 
der chemischen E^raft zunächst nur insofern Bedeutung, als sie 
eben mit jener Arbeit zusammenhängt. 

§ 144. Li dem Ausdruck (71) der freien Energie überwiegen 
bei chemischen Vorgängen die Aenderungen des ersten Gliedes; U 
oft bei Weitem die des zweiten Gliedes: & S. Deshalb kann man 
häufig statt der Abnahme von F auch die Abnahme von U, d. h. 
die Wärmetönung, als ein Maass der chemischen Arbeit ansehen, 
und den Satz aussprechen, dass die ohne äussere Arbeit ein- 
tretenden chemischen Umwandlungen im Sinne grösster Wärme- 
entwickelung erfolgen (Princip von Berthelot). Indessen bei 



106 Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie. 



hoben Temperaturen, wo &, und bei Gasen und verdünnten 
Lösungen^ wo S gross wird, kann man die Vemacblässigung des 
Gliedes & S nicht ohne merklichen Fehler begehen. Daher er- 
folgen bei höherer Temperatur und in Gasen und verdünnten 
Lösungen chemische Aenderungen häufig auch in der Eichtung 
steigender Gesammtenergie, d. h. unter Wärmeabsorption. 

§ 145. Bei allen diesen Sätzen ist streng daran festzuhalten, 
dass sie sich nur auf isotherme Zustandsänderungen beziehen. 
Um die Frage zu beantworten, wie sich die freie Energie bei 
anderen Zustandsänderungen verhält, hat man nur aus (71) das 
vollständige Dififerential zu bilden: 

dF=dU-&dS- Sdü 

und dies in die allgemein giltige Beziehung (70) einzusetzen. 
Man erhält dann für einen beliebigen physikalischen oder che- 
mischen Vorgang: 

dF^A- Sd&, 

d. h. wenn die Temperatur sich ändert, besteht eine wesentlich 
verwickeitere Beziehung zwischen der geleisteten Arbeit Ä und 
der Aenderung der freien Energie F, — eine Beziehung, die 
sich im Allgemeinen wohl kaum finchtbar verwerthen lässt. 

§ 146. Berechnen wir den Werth der freien Energie für 
ein ide$,les Gas. Da hiefür nach Gleichung (35) 

U = Mu = M [c^ü- + const.) 

und nach Gleichung (52) 

S = M {c^log& -{ — log V + const) , 
SO ist nach (71) 

(74) F=m\c^& (const. - log &)-^logv + const.} 

also behaftet mit einer additiven linearen Funktion von ??•, die 
ganz nach Willkühr fixirt werden kann. 

Bei einer isothermen Zustandsänderung des Gases ist 
nach § 142: 

dF^A 
oder nach (74) 

.j^ M&Rdv .rr^ A 

dF= = ^pdV^^ A. 



Aügenieine Folgerimgen, 107 



Ist die Zustaudsänderang reversibel, so ist die von Aussen auf- 
gewendete Arbeit Ä= — pdV, Ist aber die Aenderung ir- 
reversibel, so gilt das üngleichheitszeichen, d.h. die Compressions- 
arbeit ist grösser, oder die Ausdehnungsarbeit geringer als die- 
jenige Arbeit, welche man bei reversibler Volumenänderung 
aufwenden bez. gewinnen würde. 

§ 147. Dritter Fall. Isothermisch-isopiestischer Vorgang. 

Wenn ausser der Temperatur ß^ auch der äussere Druck p, 
unter dem das System stehen möge, andauernd constant gehalten 
vrird, so lässt sich der Betrag der von Aussen aufgewendeten 
Arbeit angeben: 

A= -pdV 

und der Ausdruck in (69) stellt ein vollständiges Differential vor : 

Man kann also dann auch für endliche Zuständsänderungen den 
Satz aussprechen, dass die Funktion: 

S^R±lZ^ (l> (75) 

nothwendig zunimmt, und nur im Grenzfall, für reversible Aen- 
derungen, constant bleibt. 

§ 148. Gleichgewichtsbedingungen. Die allgemeinste aus 
der Thermodynamik für ein Körpersystem abzuleitende Gleich- 
gewichtsbedingung beruht auf dem Satz, dass in einem System 
dann keine Veränderung eintreten kann, wenn die zu einer Ver- 
änderung nothwendige Bedingung in keiner Weise erfüllbar ist. 

Nun ist nach (69) für jede in Wirklichkeit eintretende Ver- 
änderung eines Systems: 

vT 

Denn das Gleichheitszeichen würde nur idealen Aenderungen 
entsprechen, und ideale Aenderungen treten in der Natur nicht 
ein. Folglich muss Gleichgewicht bestehen, wenn für jede mit 
den gegebenen festen Bedingungen des Systems verträgliche 
Zustandsänderung : 

vT 

Hier bezieht sich das Zeichen J, im Gegensatz zum Zeichen d, 



108 Der zweite Hattpisatz der Wärmetheorie. 



das der wirklichen Veränderung entspriobt,. auf irgend eine be- 
liebige virtuelle unendlich kleine Zustandsänderung des Systems. 
§ 149. In den meisten von mns weiter zu behandelnden 
Fällen ist, wenn eine gewisse virtuelle unendlich kleine Zustands- 
änderung mit den festen Bedingungen des ^fstems verträglich 
ist, auch die gerade entgegengesetzte^ durch die entg^engesetzten 
Voraeichen aller Variationen dargestellte Zustandsänderung mit 
ihnen verträglich. Das gilt immer dann^ wenn die festen Be- 
dingungen durch Gleichungen, nicht durch Ungleichungen aus- 
gedrückt werden. In einem solchen Falle könnte man, falls für 
eine virtuelle Aenderung in obiger Bedingung das Zeichen < 
gelten würde, einfach die entgegengesetzte Variation nehmen, 
um eine Zustandsänderung zu erhalten, welche den Bedingungen 
der wirklichen Vorgänge genügt und daher in der Natur eintreten 
kann. Hier ist also das Gleichgewicht nur dann nach allen 
Richtungen hin gesichert, wenn für jede mit den festen Be- 
dingungen verträgliche Aenderung: 

(76) J^- ^^^^ =0. 

Diese Gleichung spricht eine für das Gleichgewicht hinreichende, 
aber, wie wir eben sahen, nicht gerade in allen Fällen noih- 
wendige Bedingung aus. Ja selbst wenn die festen Bedingungen 
eine Umkehrung der Vorzeichen aller Variationen gestatten, be- 
steht erfahrungsgemäss manchmal thermodynamisches Gleichge- 
wicht, ohne dass die letzte Gleichung erfüllt ist, d. h. es tritt 
unter Umständen in der Natur eine Veränderung nicht ein, ob- 
wohl sie sowohl den festen Bedingungen als auch den Forderungen 
des zweiten Hauptsatzes Genüge leisten würde. Man wird da- 
durch zu dem Schlüsse geführt, dass sich in einem solchen Falle 
dem Eintritt der Veränderung eine Art Widerstand entgegen- 
stellt, der wegen der Richtung, in welcher er wirkt, auch Träg- 
heitswiderstand oder passiver Widerstand genannt wird. Solch 
ein Gleichgewichtszustand ist immer in gewissem Sinne labil; 
denn oft genügt eine geringfügige und mit den im System vor» 
handenen Grössen quantitativ gamicht vergleichbare Störung, um 
die Veränderung, dann oft mit grosser Heftigkeit, eintreten zu 
lassen. Beispiele hiefür bieten eine unter ihre Gefriertemperatur 
abgekühlte Flüssigkeit, ein übersättigter Dampf, eine übersättigte 
Lösung, eine explosible Substanz u. s. w. Wir werden uns vor- 



AUummne Ikdgm^ngen, 109 



wi^end smit dien Bedingungen des stabilen Gleichgewidilfi be- 
schäftigeiiy wie sie aus der Bedingung (76) folgen. 

Diese Gleidumg läset sich unter gewissen umständen als 
Maximum- oder Minimum-Bedingung aussprechen, nämlich imm^ 
aber auch nur dann, wenn die äusseren Bedingungen, unter 
denen das System gehalten wird, derart sind, dass die linke 
Gleichungsseite als Variation einer einzigen Funktion dargestellt 
werden kann. Im Folgenden sind die wichtigsten derartigen 
Fälle hervorgehoben:; sie entsprechen ganz den oben für gewisse 
spezielle Veränderungen abgeleiteten Sätzen, aus deren Inhalt 
auch uBiaittelbar zu erkennen ist, ob es sich hier um ein Maximum 
oder um ein Minimum handelt 

§ 160. Erster FaU (§ 141). Bei Ausschluss des Wärme- 
austausches mit der Umgebung ist nach dem ersten Huuptsatz: 

SU^A 
und daher aus (76) 

SS=^Q. (77) 

D. h. urfter allen Zuständen des Systems, die bei verhinderter 
äusserer Wärme^m^ihr auseinander hervorgehen könoen, ist der 
Gldk^hgewichtszustand durch ein Maximum der Entropie aus- 
gezeichneft Wönn es mehrere Zustände gibt, in welchen die 
Entrofne ihreoa Maximalwerth besitzt, so stellt jeder dersdiben 
einen Gieiohgcfwichtszustand dar. Wenn aber der Werth der 
Entropie in einem bestimmten Zustand grösser ist als in allen 
übrigen in Betracht kommenden, so bezeichnet dieser Zustand 
das absolut stabile Gleichgewicht. Denn von ihm aus ist über- 
haupt keine Veränderung mehr möglich. 

§ 161. Zweiter Fall (§ 142). Bei constant gehaltener Tem- 
peratur geht (76) über in: 

oder nach (71): 

d. h. unter allen Zuständen, die das System bei constant ge- 
haltener Temperatur annehmen kann, ist ein Gleichgewichts- 
zustand dadurch ausgezeichnet, dass die freie Energie des Systems 
mcht abnehmen kann, ohne dass das System gleichzeitig eine 
äqravafente Arbeit nach aussen hin leistet. 



110 Anwendungen a/uf spezielle OUi^ihgefwichtsTMstände. 



Wenn der Betrag der äusseren Arbeit zu vernachlässigen 
ist, wie bei constant gehaltenem Volumen, oder bei vielen che- 
mischen Vorgängen, so ist ^ = und die Bedingung des Gleich- 
gewichts lautet: 

d. h. unter allen Zuständen, die bei constant gehaltener Tem- 
peratur ohne Leistung äusserer Arbeit auseinander hervorgehen 
können, ist der stabilste Gleichgewichtszustand durch das abso- 
lute Minimum der freien Energie ausgezeichnet. 

§ 16S. Dritter Fall (§ 147). Wird ausser der Temperatur 
ß- der Druck py dem das System unterworfen ist, gleichmässig 
und constant gehalten, so hat man , 

(78) Är=.^pSV 

und die Gleichgewichtsbedingung (76) wird: 

oder nach (75) 

(79) ^0 = 0, 

d. h. bei constanter Temperatur und constantem Druck nimmt 
das System im stabilsten Gleichgewicht denjenigen Zustand an, 
welchem das absolute Maximum der Funktion (i> entspricht. 

Wir werden nun nacheinander Gleichgewichtszustände ver- 
schiedener Systeme auf Grund der hier abgeleiteten Sätze be- 
trachten, und dabei nach der Reihe von einfacheren zu com- 
plicirteren Fällen aufsteigen. 



Vierter Abschnitt. 



Anwendungen 
auf spezielle Gleichgewichtszustände. 

I. Capitel. Homogenes System. 

§ 168. Den Zustand des homogenen (§ 67) Systems nehmen 
wir, wie fiüher, als bestimmt an durch seine Masse M, seine 
Temperatur {f- und entweder durch den Druck p oder durch 

das spezifische Volumen v = -^. Wir wollen hier zunächst ausser 

M ß- und V als unabhängige Variable wählen. Dann ist der 



Homogenes System. 111 



Druck p, sowie die spezifische Energie u= ^ und die spezi- 

fische Entropie s= ^ Funktion von & und v, und zwar gilt für 
die spezifische Entropie die Definition (61) i 

, du-\-pdv 1 (du\ j CL . \dvl^ , 

*** — f — »M.'^'^+ » '^^- 

Andrerseits ist 

Folglich, da d& und dv voneinander unabhängig sind: 



und 






__ (t^U+ p 



Diese beiden Gleichungen gestatten eine Prüfung des zweiten 
Hauptsatzes an der Erfahrung. Denn differentürt man die ßrste 
nach V, die zweite nach &, so ergibt sich 



d^dv ^ d^dv 

d^u (dp 



d&dv \d&}v \dvl^ 






+ p 



oder: 

und hierdurch, sowie durch die Gleichung (24) werden die obigen 
Ausdrücke für die Diflferentialquotienten von s nach & und v: 

d s\ Cv 



d ■& jv -d" 

d s\ (dp 



(81) 



d V j-d' \d xf" )v 

§ 164. Die Gleichung (80) in Verbindung mit der 
Gleichung (28) des ersten Hauptsatzes ergibt die Beziehung: 

die sich entweder zur Prüfung des zweiten Hauptsatzes oder zur 
Berechnung von c« aus Cp verwerthen lässt. 



112 Anwendungen auf spezielle Oleickgewichlsxustände, 

Da man (^^j häufig nicht «übpekt aneaBeii kann, so 
empfiehlt es sich, die Relation (6) zu benutzen, aus welcher folgt : 

Da (-^) notliwendig negativ, so ist immer Cp >c„; nur 

im Grenzfall, z. B. wenn der Ausdehnungscoeffizient Null ist, 
wie für Wasser bei 4^, ist c^— c^ = 0. 

Berechnen wir als Beispiel di« spezifische Wärme bei con- 
stantem Volumen für Quecksilber von 0® C. unter Atmosphären- 
druck. Hierfür ist zu setzen; 

ß = 0, 0333 
& = 273 

dp\ 1014 000 



dv)^ 0,000 002 95.«?' 

wobei die Zahl im Nenner den auf Atmosphären bezogenen 
Compressibilitätscoeffizienten (§ 15), die im Zähler den Betrag 
des Druckes einer Atmosphäre im absoluten Maass (§ 7) bedocrtet 

V = -— -, Volumen vqu 1 gr Quecksilber bei O^C. 

[-^] = 0,000 1812-i;(§ 15) (thermischer Ausdehnungscoeffizient.) 

Um e^ in Calorien zu erhalten, hat man noch mit dem 
mechanischen Wärmeäquivalent 419. 10*^ (§ ^1) zu dividiren und 
berechnet so aus (83): 

_ _ 273 . 1 014 000 . 0, 000 1812* 
^P ^« "" 0,000 002 95 . 1B,6 . 419 . 10* 

^^-ö. = 0,0054 

und daraus mit Benutzung des obigen Werthes von e^i 

ö^ = 0,0279. 

§ 165. Diese für alle Substanzen gültige Berechnung der 
Differenz der spezifischen Wärmen eröffaet einen Einblick in 
die GroBsenordnung der verschiedenen Einflüsse, welche &r diese 
Differenz vcm Bedeutung sind. Nach der Gleichung (28) des 
ersten Hauptsatzes ist die Differenz der beiden spezifischen 
Wärmen: 



Homogenes System. 113 



durch zwei Ursachen bedingt: erstens durch die Veränderlich- 
keit der Energie u mit dem Volumen, zweitens durch die bei der 
Ausdehnung geleistete äussere Arbeit Die erste Ursache bedingt 
das Glied: 

ldu\ l d^\ 

die zweite das Glied: 

d V 



P 



d^.p 



Um zu untersuchen, welchem von beiden Gliedern dei* 
grössere Einfluss zukommt, bilden wir das Verhältniss des ersten 
zum zweiten: 

1 (du' 



oder nach (80): 



oder nach (6): 



P \dv)^ 



I m. - ■ <«") 






dvjd' 



Ein Blick in die Tabellen der thermischen Ausdehnungs- 
coeffizienten und der Compressibilitätscoeffizienten fester und 
flüssiger Körper lehrt, dass unter gewöhnlichen Umständen das 
erste Glied dieses Ausdrucks eine grosse Zahl ist, wogegen das 
zweite Glied 1 gänzlich zu vernachlässigen ist. Für Quecksilber 
bei 0® C. z. B. ergeben die obigen* Daten : 

273-^^^^ = 16800 

0,000002 95 

Eine Ausnahme bildet z. B. Wasser bei 4^ C. 

Daraus folgt, dass bei festen und flüssigen Körpern die 
Differenz g^ — c^ der beiden spezifischen Wärmen in der Regel 
nicht sowohl durch die bei der Ausdehnung geleistete äussere 
Arbeit, sondern vielmehr durch die Abhängigkeit der Energie 
vom Volumen bedingt ist. Bei idealen Gasen dagegen ist es 
gerade umgekehrt. Hier ist nach (19) die innere Energie un- 
abhängig vom Volumen, d, h. 

und daher fällt bei der Ausdehnung der Einfluss der inneren 
Energie gegen den der äusseren Arbeit ganz fort. In der That 

Plasck, Thermodynamik. 8 



114 Anwendungen auf spezielle OUichgeymhtsxustände, 



ist aus (84) auch direkt zu entnehmen, dass für die Zustands- 
gieichung eines idealen Gases der ganze Ausdruck verschwindet. 

Bei gewöhnKchen Gasen wird sowohl die innere Energie 
als auch die äussere Arbeit zu berücksichtigen sein. 

§ 166. Was nun femer die Summe der beiden besprochenen 
Einflüsse, also die ganze Differenz o^ — c^ betrifft, so hat dieselbe 
für feste und flüssige Körper gewöhnlich einen verhältnissmässig 

kleinen Werth, oder das Verhältniss — = 7^ ist nur wenig grösser 

als 1; d. h. bei festen und flüssigen Körpern spielt die Ab- 
hängigkeit der Energie von der Temperatur eine viel grössere 
Rolle als die vom Volumen. Bei Gasen ist y grösser, und zwar 
im Allgemeinen um so grösser, aus je weniger Atomen das Gas- 
molekül besteht. Für Wasserstoff, Sauerstoff und die meisten 
anderen zweiatomigen Moleküle ist y = 1,41 (§ 87). Der grösste 
je beobachtete Werth von y ist der von Kundt und Waeburg 
für den einatomigen Quecksilberdampf gefundene: 1,666. 

§ 157. Für manche Anwendungen des zweiten Hauptsatzes 
ist es bequem, statt der Variablen ^ und v, wie wir es bisher 
gethan haben, die Variablen & und p als unabhängige Variable 
einzuführen, v Dann ergibt sich aus (61): 

du + p dv 



ds = 



= .(ll),+^(f-li 



dd^ 



+ 



\dp)^ 



+ P 



~dp)^\~& 



Andrerseits ist 



Folglich: 






ds' 



(ji),'M^), 



p 



& 



_ \0Pl^ \ dp)^ 



Die erste dieser Gleichungen nach p, die zweite nach i^- 
differentiirt ergibt 



d&dp 



d^ u d^v [ ov 

d&dp^^ d&dp "^ \d&/p 



Homogenes System, 115 



d^u d^v fdu\ ( dv 



und daraus: 



dx^dp d&dp \^pI^ \^P/^ 



Hierdurch, sowie durch Gleichung (26) werden die obigen Aus- 
drücke der Diflferentialquotienten von s nach ü- und p: 

'ds\ c. 



( 



d&lp ^ 

'd s\ (dv 



ßp)» \d9)p 

und endlich durch Diflferentiatibn der ersten Gleichung nach p, 
der zweiten nach &, und Gleichsetzung der Werthe: 

'!?). - - * m, ■ («" 

Diese Gleichung enthält nur direkt messbare Grössen; sie 
bringt die Abhängigkeit des thermischen Ausdehnungscoeffizienten 
einer Substanz von der Temperatur, d. h. die Abweichung vom 
Gay LussAc'schen Gesetz, in Beziehung zur Abhängigkeit der 
spezifischen Wärme vom Druck. 

§ 168. Mittelst der vom zweiten Hauptsatz gelieferten Be- 
ziehungen können wir auch den früher (§ 70) beschriebenen 
Versuchen, welche Thomson und Joule über die Temperatur- 
änderung eines durch einen Wattepfropf langsam hindurchge- 
pressten Gases anstellten, eine weitergehende Deutung geben, 
als dort, wo wir sie nur zur Bestimmung der Eigenschaften 
idealer Gase verwertheten. Damals haben wir schon ausgeführt, 
dass diese Versuche im Wesentlichen darauf hinauskommen, 
einem Gase ohne Zuleitung oder Ableitung äusserer Wärme ^ 
eine Volumenvergrösserung V^ — F^ , auf die Masseneinheit be- 
zogen: Vg ■" h zu ertheilen, während die auf die Masseneinheit 
des Gases ausgeübte äussere Arbeit durch 

Pi «^1 - ^2 ^2 == ^ 
ausgedrückt wird. Diese Grösse verschwindet für ein ideales 



* Inwieweit diese Bedingung in Wirklichkeit erfüllt ist, iSsst sich 
durch Messungen in der Umgebung der vom Gase durchströmten Röhre 
feststellen. 

8* 



116 Amjomdungefa auf spezielle Oleiehgeudchtszi^tände, 



Gas, da dann die Temperatur constant bleibt. Für ein wirk- 
liches Gas aber kann man setzen: 

Pi =P 

P2=P+ ^P {^P < 0) 

v^ = V + Av ( J V > 0) 

mithin ^ = — A(pv) 

und nach dem ersten Hauptsatz, da = 0: 

Au = Ä+ 0= — A(jpv), 

Nehmen wir nun der Einfachheit halber die Aenderungen Ap 
und Av klein an, so lässt sich die letzte Gleichung schreiben: 

oder mit Berücksichtigung von (24), (82) und (80): 

femer nach (6): 

and daraas 

(86) A&=^^^^^ Ap 



<^P 



Mit Hülfe dieser einfachen Gleichung lässt sich die in dem 
THOMSON-JouiiE'schen Versuch eintretende Temperaturänderung 
A& des Gases bei bekannter Druckdifferenz Ap in Beziehung 
bringen zur spezifischen Wärme c^ bei constantem Druck und 
zu der Abweichung des Gases vom Gay LussAc'schen Gesetz. 
Denn nach diesem Gesetz wäre v bei constantem Druck pro- 
portional ß', also nach der Gleichung (86) Ji?- = 0, wie es in 
der That für ideale Gase zutrifft. 

§ 169. Thomson und Joule haben die Eesultate ihrer 
Messungen zusammengefasst in die Formel: 



a 



^* = ]ö5^Pj 



^« 



Homogenes System. 117 



wobei cc constant. Drückt man p in Atmosphären aus, so ist 
z, B. für Luft: 

a = 0,276 • (273)2 . 

Diese Formel ist jedenfalls nur angenähert richtig. Innerhalb 
des Bereichs ihrer Gültigkeit erhält man durch Vergleichung 
mit (86): 

und durch Differentiation nach i^: 



Cp 



Hieraus mit Eücksicht auf (85): 

Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist: 

wobei f{x) eine ganz beliebige Funktion eines einzigen Arguments 
X bedeutet. 

Nehmen wir nun an, dass für kleine Werthe von p sich 
das Gas bei jeder Temperatur unbegrenzt dem idealen Verhalten 
nähert, so wird fiir p = c constant = cj^ (z. B. für Luft in 
calorischem Maasse; 0^238) und daher allgemein: 



c^ = S'^^'('^'-3^^) 



-* 



c « 



S = 1 • (88) 



1 - 



Dieser Ausdruck von c„ lässt sich nun weiter benutzen, um auch 
V als Function von & und p zu bestimmen. Es folgt nämlich 
aus (87) 

.9.2 .JL(i\ - ^LIp ^ « ^''' 



und daraus: 



((^^ - Sap)i 









( ' - ^') 



118 Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände, 

oder: 



(89) V = '(^ 

6p 



If ' - 'I.« + 4 



als Zustandsgieichung des Grases. Die Integrationsconstante ß 
bestimmt sich aus der Dichte bei 0^ und Atmosphärendruck. 
Wie die Thomson -JouLE'sche Formel, so haben auch die 
Gleichungen (88) und (89) nur beschränkte Gültigkeit. Es ist 
aber principiell von Interesse, zu sehen, wie diese verschiedenen 
Beziehungen mit Nothwendigkeit aus einander hervorgehen. 

§ 160. Eine weitere Anwendung von principiell wichtiger 
Bedeutung, welche der zweite Hauptsatz zu machen gestattet, 
ist die Bestimmung der absoluten Temperatur & eines Körpers 
nach einer Methode, die unabhängig ist von den Abweichungen 
der Gase vom idealen Zustand. Wir haben früher (§ 4) die 
Temperatur definirt durch ein Gasthermometer, mussten aber 
dort die Definition beschränken auf die Fälle, wo die verschie- 
denen Gasthermometer (Wasserstoff, Luft u. s. w.) so überein- 
stimmende Angaben liefern, wie sie für die beabsichtigte Ge- 
nauigkeit erforderlich sind. Für alle anderen Fälle aber — und 
bei hohen .Genauigkeitsanforderungen kommen hier auch die 
mittleren Temperaturen in Betracht — hatten wir die Definition 
der absoluten Temperatur vorläufig suspendirt. Mit Hülfe der 
Gleichung (80) sind wir nun im Stande, eine vollständig exakte, 
von dem Verhalten spezieller Substanzen gänzlich unabhängige 
Definition der absoluten Temperatur zu lie(em. 

Gehen wir von irgend einem willkührlich angenommenen 
Thermometer aus (z. B. Quecksilberthermometer, oder auch 
Skalenausschlag eines Thermoelements oder eines Bolometers), 
dessen Angaben wir mit t bezeichnen wollen, so handelt es sich 
darum, dies Thermometer auf ein absolutes zu reduciren, d. h. 
die absolute Temperatur i?* als Funktion von t zu bestimmen. 
Was wir direkt messen können, ist die Abhängigkeit des Ver- 
haltens irgend einer bequem zu behandelnden Substanz, z. B. 
eines Gases, von t und von v oder p. Wir fuhren also in (80) 
etwa t und v als unabhäiigige Variable statt & und v ein und 
erhalten: 



'"),-* (-ff)" 



dv], \d t 1^ d& 



-p 



Homogenes System. 119 



Hier sind i-^] , p und i-^] als messbare Funktionen 

von t und v anzusehen ; daher lässt sich diese Differentialgleichung 
in folgender Weise integriren: 



n= 




Setzt man noch fest, dass für den Gefrierpunkt des Wassers, 
wo ^ = ^0 sein möge, i?- = i^-^ = 273, so ist 




und hierdurch i9- vollständig als Funktion yoü t bestimmt. Das 
Volumen v fällt offenbar in dem Ausdruck unter dem Integral- 
zeichen ganz aus. 

§ 161. Was nun die Messung der einzelnen Grössen unter 
dem Integralzeichen betrifft, so ergibt sich der Zähler direkt 
aus der Zustandsgieichung der Substanz, der Nenner aber aus 
der Wärmemenge, welche die Substanz bei isothermer reversibler 
Ausdehnung von Aussen aufnimmt. 

Denn nach der Gleichung (22) des ersten Hauptsatzes ist 
für isotherme reversible Ausdehnung das Verhaltniss der zu- 
gefiihrten Wärmemenge q zur Volumenänderung dv: 



dv)t V 



'^ /t 

§ 163. Statt die Wärmemenge zu messen, welche eine 
Substanz bei isothermer Ausdehnung von Aussen aufnimmt, 
stellt man zur Bestimmung der absoluten Temperatur bequemer 
Versuche an von der Art der soeben besprochenen von Thomson 
und JoxTLE über die Temperaturänderung eines langsam aus- 
strömenden Gases. Führen wir nämlich in der Gleichung (86), 
welche die Theorie dieser Versuche, bezogen auf absolute 
Temperaturen, darstellt, statt der absoluten Temperatur & wieder 
/ (§ 160) ein, so ist zu setzen:. 



120 Anwendungen auf spe^elle Oleichgewichtsxustände. 



Aih 








~\dtlp 


dt 
d» 


li\ . 


= LO . 


dt 



^p " [d &},,"[ dt )^ ' d& ~^P d&' 



wenn c^' die auf die Temperatur t bezogene spezifische Wärme 
bei constantem Druck bezeichnet. Folglich aus (86): 



A . \d tj n d\^ A 

A t = — ^^ — ^^-7 — ■ Ap 



und wieder durch Integration: 

t 



Cp 




(90) lQg^=/ '^'''^t =J> 

wo nun wieder unter dem Integralzeichen lauter direkt und ver- 
hältnissmässig bequem messbare Grössen stehen. 

§ 163. In der von uns § 160 gemachten Festsetzung, 
dass für t^, den Gefrierpunkt des Wassers, i9- = t^-^ =5 273 sein 
soll, liegt die Voraussetzung, dass der Ausdehnungscoef&zient a 
der idealen Gase schon bekannt ist. Da aber genau genommen 
die wirklichen Gase sämmtlich bei allen Temperaturen Ab- 
weichungen von einander und vom idealen Verhalten zeigen, so 
wollen wir uns auch noch von dieser Voraussetzung befreien. 
Wir thun dies, indem wir zur ursprünglichen Definition der 
Temperatur (§ 3) zurückkehren und festsetzen, dass die Differenz 
der absoluten Temperatur des unter Atmosphärendruck siedenden 
Wassers 19*^, und der des unter Atmosphärendruck gefrierenden 
Wassers ß-^i 

(91) i9-i~ 1^-0 = 100 
sein soll. 

Bedeutet nun /^ die am i{ -Thermometer gemessene Tem- 
peratur des Siedepunkts, so ist nach (90) 



(92) 




Homogenes System, 121 



und die EHmination von &q und {^^ aus (90), (91) und (92) er- 
gibt als absolute Temperatur 

'^ = iSf^- (93) 

Hieraus erhält man auch den Ausdehnungscoeffizienten eines 
idealen Gases, unabhängig von jedem Gasthermometer: 

Da der Ausdruck unter dem Integralzeichen in jedem der 
beiden Integrale Jund J^ nothwendig allein von t und nicht noch 
von einer zweiten Variablen abhängt, so genügt es zur Berechnung 
des Integrals, wenn man die Messungen bei den verschiedenen 
Temperaturen t unter einer vereinfachenden Bedingung, z. B. 
immer bei dem nämlichen Druck (Atmosphärendruck) vornimmt. 

§ 164. Noch einfacher wird die Formel, wenn man, unter 
Beschränkung auf Atmosphärendruck, für das ^Thermometer als 
thermometrische Substanz (§ 3) gerade dasjenige Gas nimmt, 
mit welchem man die Ausströmungsversuche anstellt. Dann ist 
nämlich der auf die Temperatur t bezogene Ausdehnungs- 
coeffizient a constant, und, wenn, wie gewöhnlich, <o = und 
^j = 100 gesetzt ist: 

wobei Vq das spezifische Volumen bei der Gefnertemperatur des 
Wassers und Atmosphärendruck bezeichnet. 

Femer: (Sv\ , 

daher aus (90): 

t 

j^ C a'dt 



1 + ff' ^ + '^ 



Vq Jp 



und aus (92): 



^ __ , a'dt 



1 -I- a'^+ ^ 



^'o ^P 

Für ein nahezu ideales Gas, wie z.B. Luft, ist At klein, und 
daher das Glied mit c^ und v^ nur ein Correktionsglied, in 
welchem die Ansprüche an die Genauigkeit der Coeffizienten c ' 



122 Anwendungen auf spezielle Gleichgeudohtszu^tände. 



und Vq entsprechend ermässigt sind. Für ein vollkommen ideales 
Gas wäre Ji = 0, und aus den letzten beiden Gleichungen: 

J= log(l + cc't), J^ = log(l + 100«'), 

mithin nach (93): 



und nach (94): 



.'. = < + A 



«=-— = « 

^0 



Wie es sein muss. 

Sobald durch eine genaue Messung wenn auch nur mit 
einer einzigen Substanz & als Funktion von t bestimmt ist, 
kann die Frage nach der Grösse der absoluten Temperatur auch! 
praktisch als allgemein gelöst gelten. 

Wie durch Messungen an homogenen Substanzen lässt sich 
die absolute Temperatur auch mittelst der Theorie heterogener 
Systeme bestimmen. Vgl. unten § 177. 

II. Capitel. System in verschiedenen Aggregatzuständen. 

§ 165. Wir untersuchen im Folgenden das Gleich- 
gewicht eines Systems, dessen einzelne Theile verschiedenen 
Aggregatzuständen, dem festen, flüssigen oder gasförmigen, an- 
gehören können. Dabei nehmen wir überall an, dass der Zu- 
stand jedes dieser Theile durch Masse, Temperatur und Volumen 
vollständig bestimmt ist, oder anders ausgedrückt, dass das 
ganze System von einem einzigen unabhängigen Bestandtheil 
(§ 198) gebildet wird. Es ist dazu nicht erforderlich, dass das 
System oder dass auch nur ein einzelner Theil des Systems 
chemisch homogen ist. Die Frage nach der chemischen Homo- 
genität lässt sich im Allgemeinen gamicht einmal strenge be- 
antworten (vgl. § 92), z. B. ist es noch sehr dahingestellt, ob im 
flüssigen Wasser die Moleküle dieselben sind wie im Eis, ja 
es ist wegen der anomalen Eigenschaften des flüssigen Wassers 
in der Nähe des Gefrierpunktes sogar wahrscheinlich, dass die 
Moleküle schon innerhalb des flüssigen Wassers nicht alle gleich- 
artig sind. Die Entscheidung darüber ist für die folgenden 
Untersuchungen ganz ohne Belang. Es kann sogar das System 
aus verschiedenartigen Stoffen in beliebigem Gewichtsverhältniss 



System in verschiedenen Aggregatziiständen, 123 



zusammengesetzt sein und etwa eine Lösung oder eine Legirung 
bilden. Was wir hier voraussetzen woUen, ist nur dies, dass 
der innere Zustand jedes homogenen Theiles der betrachteten 
Substanz bei bestimmter Temperatur i)- und bestimmtem spezi- 
fischen Volumen v ein ganz bestimmter ist, dass also, falls die 
Substanz aus verschiedenartigen Stoffen zusammengesetzt ist, 
das Gewichtsverhältniss derselben in allen Theilen des Systems 
das nämliche ist. Dann können wir die Frage, um deren Be- 
antwortung es sich hier handelt, in folgender Form aussprechen: 

Wir denken uns die Substanz, deren Gesammtmasse Jlf gegeben 
ist, in eine feste HüUe vom gegebenen Volumen V eingeschlossen 
und ihr durch Zuleitung von Wärme eine gegebene Energie ü 
mitgetheilt. Wird nun dies System nach Aussen abgeschlossen 
und sich selbst überlassen, so bleibt M, Fund C/constant; dagegen 
die Entropie S nimmt zu. Nun suchen wir den, oder wenn es 
mehrere sind, die Gleichgewichtszustände zu bestimmen, welche 
das System annehmen kann, und zugleich die Bedingungen dafür 
anzugeben, unter denen das Gleichgewicht stabil oder labil ist. 
Die vollständige Durchführung dieser Untersuchung wird ermög- 
licht durch den in der Gleichung (77) ausgesprochenen Satz, dass 
unter allen Zuständen, die bei verhinderter äusserer Wärme- 
zufuhr auseinander hervorgehen können, der stabilste Gleich- 
gewichtszustand durch das absolute Maximum der Entropie aus- 
gezeichnet ist. Im Allgemeinen wird aber, wie wir sehen werden, 
die Entropie des Systems unter den angegebenen äusseren Be- 
dingungen mehrere relative Maxima annehmen können; dann 
entspricht jedem Maximum, welches nicht das absolute ist, ein 
mehr oder weniger labiler Gleichgewichtszustand. Wenn sich 
das System in einem derartigen Zustand befindet (z. B. als über- 
sättigter Dampf), 80 kann unter Umständen, wenn eine gewisse 
beliebig kleine, aber passende Störung hinzutritt, das System 
sich um endliche Strecken aus dem Zustand entfernen und in 
einen anderen Gleichgewichtszustand übergehen, dem dann noth- 
wendig ein grösserer Werth der Entropie entspricht als dem 
vorigen. 

§ 166. Wir haben nun zunächst diejenigen Zustände auf- 
zusuchen, in denen die Entropie S des Systems ein Maximum 
annimmt. 

Die allgemeinste Annahme über den Zustand des Systems 



124 Anwendungen auf spexielle Oleichgetvichtszustände. 



ist die, dass sich drei verschiedene Theile desselben in den drei 
verschiedenen Aggregatzuständen befinden. Bezeichnen wir dem- 
nach die Massen dieser Theile mit M^^, M^y M^, wobei die 
spezielle Bedeutung der einzelnen Indices einstweilen oflfen ge- 
lassen ist, so haben wir als gegebene Masse des ganzen Systems: 

Die Grössen M sind positiv, einzelne können auch Null sein. 

Femer muss, weil der gesuchte Zustand ein Gleichgewichts- 
zustand ist, jeder dieser drei Theile des Systems auch für sich 
im Gleichgewicht, d. h. von gleichmässiger Temperatur und 
Dichte sein, und es gelten für ihn alle im vorigen Capitel für 
ein homogenes System abgeleiteten Sätze. 

Bezeichnen also v^, v^, v^ die spezifischen Volumina, so ist 
das gegebene Volumen des Systems: 

M^ Vj^ + M^v^+ ifg t?3 = F. 

Analog erhält man für die gegebene Energie des Systems: 

ifj u^+M^u^ + M^u^:== U, 

wobei die u die spezifischen Energieen bezeichnen. 

Diese drei Gleichungen entsprechen den gegebenen äusseren 
Bedingungen. 

§ 167. Für die Entropie erhält man nun: 

wobei die s die spezifischen Entropieen bezeichnen. 

Aus dieser Gleichung ergibt sich für irgend eine unendlich 
kleine Zustandsänderung: 

wenn hier, wie überall im Folgenden, das Zeichen 2 ^^ ^® 
Summirung über die Ziffern 1, 2, 3 gebraucht wird. Mit Eück- 
sicht darauf, dass nach (61) allgemein: 

5. du -h pdv 

Ss = ^ 

erhält man: 

(95) SS=^ ^^^-^ + ^^^ + ^s,SM,. 

Die Variationen sind aber nicht alle unabhängig voneinander, 
vielmehr folgt aus den drei äusseren Bedingungsgleichungen des 
vorigen Paragraphen durch Variation: 



System in verschiedenen Aggregatxuständen. 



125 



2 SM, = 



(96) 



Wir müssen daher mit Hülfe dieser drei Gleichungen irgend 
3 Variationen aus dem Ausdruck von SS eliminiren, um in 
demselben lauter unabhängige Variationen zu erhalten. Wenn 
wir z. B. aus diesen letzten Gleichungen die Werthe von SM^, 
Sv^ und Su^ entnehmen und sie in (95) einsetzen, so kommt: 



^fe-ä^i^**»- 



55=^ 



+ ^- 



+ («1- 



^)m,Sv, 



— \s, 



(.- 



«2- 



«3- 



», 



Ucf ~~ t/g 



_ fP»_^W Sv 



&. 



__ Pl (^2 - f>^ \ 
^2 I 



SM^ 



(97) 



Da nun die in diesem Ausdruck vorkommenden 6 Variationen 
vollständig unabhängig von einander sind, so muss, damit nach 
(77) ^Ä für alle beliebigen Zustandsanderungen =0 ist, jeder 
der 6 Coeffizienten verschwinden. Mithin haben wir: 



6% 



^l = ^9'2 = ^3(=/>') 




Pl==P2 = PZ 




^ _iUi- u^) + pi [v^ - 


V^) 


^2 - ^ 




^ _ K - W«)'+P2K - 





& 



(98) 



Diese 6 Gleichungen stellen nothwendige Eigenschaften eines 
Zustandes dar, dem ein Maximum der Entropie entspricht, also 
eines Gleichgewichtszustandes. Die ersten. 4 derselben sprechen 
die Gleichheit von Temperatur und Druck aus, das Haupt- 
interesse concentrirt sich daher auf die beiden letzten Gleichungen, 
in welchen die thermodynamische Theorie der Schmelzung, Ver- 
dampfung und Sublimirung enthalten ist. 

§ 168. Wir wollen jene beiden Gleichungen zunächst auf 
eine etwas einfachere Form bringen, indem wir fiir die spezi- 
fische Entropie s, die wir, wie auch u und p, als Punktion der 



126 Anwendungen auf spezielle Gleiehgeunchtsxustände. 



unabhängigen Variablen ß- und v betrachten, ihren Werth ein- 
setzen. Da nämlich allgemein nach (61): 

, _^ du -h pdv 
äs- ^ , 

SO haben wir durch Integration dieser Gleichung: 



1 

/du ■{• pdv 
— »' 



Die obere Grenze des Integrals ist durch die Werthe i9- = ?9-j, 
v = Vj, die imtere durch die Werthe & = &^j v =^ «^2 bestimmt. 
Der Integrationsweg ist ganz beliebig und hat auf den Werth 
der Differenz s^ — s^ gar keinen Einfluss. Da nun nach (98) 
i3-j = ,9-3 = i9-, so wollen wir den isothermen Integrationsweg 
i?- = const wählen imd erhalten dadurch: 



«1 - ^2 = 



«^-h^/w^- 



In dem Integral ist nun die Integration bei constantem & aus- 
zufuhren, indem p als eine durch die Zustandsgieichung der 
homogenen Substsuiz bekannte Funktion von & und v anzu- 
sehen ist 

Substituirt man den Werth von «1 — «2 ^ ^® Gleichungen 
(98), so ergibt sich die Eelation: 



(99) 



Ebenso: 



Fügen wir noch hinzu: Pi=P2= P^j 

so haben wir hier im Ganzen 4 Gleichungen mit den 4 Un- 
bekannten &, Fj, r,, Tj, welchen jeder Gleichgewichtszustand 
genügen muss. 

Die in diesen Gl^chungen Torkommenden Constanten hangen 
offenbar lediglich Ton der chemischen Beschaffenheit der Sub- 
stanz ^ nicht aber Ton den gegebenen Wertfaen der Masse M^ 



System in verschiedenen Aggregatx/uständen, 127 



des Volumens V und der Energie U des Systems ab. Man 
kann daher diese Gleichungen die „inneren" Gleichgewichts- 
bedingungen nennen, im Gegensatz zu den Gleichungen im § 166, 
welche die äusseren Umstände bezeichnen, denen das System 
unterworfen ist. 

§ 169. Ehe wir zur Betrachtung und Vergleichung der aus 
den entwickelten Gleichungen sich ergebenden Werthe der Un- 
bekannten übergehen, wollen wir allgemein untersuchen, ob bez. 
unter welcher Bedingung dieselben auch wirklich einen Maximal- 
werth der Entropie, und nicht etwa z. B. einen Minimalwerth 
liefern. Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir den Werth 
der zweiten Variation S^ S berechnen. Ist derselbe für alle 
möglichen Zustandsänderungen negativ, so ist der betr. Zustand 
jedenfalls ein Maximalzustand. 

Wir variiren daher den Ausdruck (97) von SS und erhalten 
dadurch den Werth von S^ S, welcher sich bedeutend vereinfacht, 
wenn wir die Gleichungen (98), die aber selber nicht variirt 
werden dürfen, benutzen. Berücksichtigen wir dann noch die 
festen Bedingungen, sowohl in unvariirter wie in der variirten 
Form (96), so ergibt sich schliesslich: 

wofiir man auch schreiben kann: 

ß-S^S^ -2^1 (^^1*^1 - ^>i^^i)- 
Um alle Variationen auf die der unabhängigen Variabein 
& und V zu reduciren, setzen wir noch nach (81): 

dann erhalten wir: 

&S^S=-^M,[^d,9,^- (^)^ Sv,^). (100) 

Wenn die Grössen {c^\ , {g^\ , {c^\ alle positiv und die Grössen 
l-^l , ... alle negativ sind, so ist S^S, wie man sieht, in 
jedem Falle negativ, also S wirklich ein Maximum, und der 



128 Anwendungen auf spezielle Oleichgermehtsxustände. 



Zustand ein Gleichgewichtszustand. Da nun e^ als spezifische 
Wärme bei constantem Volumen stets positiv ist, so hängt die 

Bedingung des Gleichgewichts davon ab, ob [^ j für alle drei 

Theile des Systems negativ ist oder nicht. Im letzteren Fall 
ist kein Gleichgewicht vorhanden. In der That ist aus der 
unmittelbaren Erfahrung ersichtlich, dass in jedem Gleich- 
gewichtszustand -^ negativ ist, da sich der Druck, sei er positiv 

oder negativ, bei constanter Temperatur immer in entgegen- 
gesetzter Richtung wie das Volumen verändert. Es gibt aber, 
wie ein Blick auf die in Fig. 1 (§ 26) gegebene graphische Dar- 
stellung der Grösse ;? als isotherme Funktion von v lehrt, auch 

Zustände, in denen -^ positiv ist. Diese Zustände stellen also 

niemals eine Gleichgewichtslage dar, und sind deshalb auch 
nicht der direkten Beobachtung zugänglich. Wenn dagegen 

^ negativ ist, so findet Gleichgewicht statt; doch braucht 

dasselbe noch nicht stabil zu sein; es kommt dann darauf an, 
ob nicht unter den gegebenen Bedingungen noch ein anderer 
Gleichgewichtszustand möglich ist, dem ein grösserer Werth der 
Entropie entspricht. 

Wir wollen nun im Folgenden die Werthe der Unbekannten 
&, v^, v^y v^ untersuchen, die eine Lösung der inneren Gleich- 
gewichtsbedingungen (98) vorstellen; es wird dies, wie wir sehen 
werden, auf verschiedene Arten möglich sein. Wenn das ge- 
schehen ist, woUen wir (von § 189 an) die weitere Frage be- 
handeln, welche der verschiedenartigen Lösungen in jedem 
Einzelfalle, unter den gegebenen äusseren Bedingungen, den 
stabilsten Gleichgewichtszustand, d. h. den grössten Werth der 
Entropie des Systems liefert. 

§ 170. Erste Lösung. Wenn wir erstens setzen: 

^1 = «^2 = ^3 = ^ ' 

so werden dadurch alle vier Gleichungen (98) befriedigt. Denn 
da ohnehin die Temperatur & allen drei Theilen des Systems 
gemeinsam ist, werden dadurch ihre Zustände vollkommen 
identisch, d. h. das ganze System ist homogen. Der Zustand 
des Systems ist dann bestimmt, wenn man noch die Gleichungen 



System in verschiedenen Aggregatxuständen. 129 



des § 166 hinzunimmt, welche die äusseren Bedingungen aus- 
sprechen. Dieselben lauten in diesem Falle: 

FolgUch: « = ^und« = S. 

M M 

Aus V und u ergibt sich dann auch &, da u als bekannte 
Funktion von & und v vorausgesetzt ist 

Diese Lösung hat immer einen bestimmten Sinn, sie stellt 
aber, wie wir an Gleichung (100) gesehen haben, nur dann einen 

Gleichgewichtszustand dar, wenn -^ negativ ist Trifft dies zu, 

so ist das Gleichgewicht labil oder stabil, je nachdem unter 
den gegebenen äusseren Bedingungen (§ 166) ein Zustand 
existirt, dem ein noch grösserer Werth der Entropie entspricht, 
oder nicht Wann das Eine oder das Andere der Fall ist, soll 
später gezeigt werden. 

§ 171* Zweite Lösung. Wenn wir zweitens setzen: 

«^1 S ^3 = ^3 ? 

so fallen die mit 2 und 3 bezeichneten Aggregatzustände zu- 
sammen und die Gleichungen (98) reduciren sich auf; 

*1 — *3 — ^T J 

oder statt der zweiten Gleichung: 

Vi 
Jpdv=.p^{v, -v^). (102) 

Vt 

In diesem Falle befindet sich das System in zwei verschiedenen 
Aggregatzuständen nebeneinander, z. B. als Dampf und Flüssig- 
keit Die beiden Gleichungen (101) enthalten drei unbekannte: 
&y Vj, Vj, sie können also dazu dienen, die Grössen v^ und v^, 
und in Folge dessen auch den Druck j9^ = p^ und die spezifischen 
Energieen t^ und u^ als bestimmte Funktionen der Temperatur 
& darzustellen. Durch die Temperatur ist also der innere 
Zustand zweier sich im Gleichgewicht berührender heterogener 

FliAKOK, Thennodynamik. 9 



130 Amoendungen auf spexidle Gleichgeunchtszfistände. 



Theile derselben Substanz vollständig bestimmt. Die Temperatur 
selber, sowie die Massen der beiden Theile des Systems er- 
geben sich aus den äusseren Bedingungen (§ 166), welche für 
diesen Fall lauten: 

(103) l M,v,+{M^+M,)v,^V 

Diese drei Gleichungen dienen zur Berechnung der drei letzten 
Unbekannten, nämlich &, M^ und (ifg + ifg), wodurch dann der 
physikalische Zustand des Systems ganz bestimmt ist; denn bei 
den Massen M^ und M^ kommt es offenbar nur auf ihre Summe 
an. Natürlich hat das Besultat nur dann einen physikalischen 
Sinn, wenn sowohl M^ als auch {M^ + M^) positiv ausfällt. 

§ 173. Die nähere Betrachtung der Gleichung (102) zeigt, 
dass sie nur dann befriedigt werden kann, wenn der Druck p, 
der ja für die beiden Grenzen des Integrals den nämlichen 
Werth |?i =^2 hat, zwischen den Grenzen Werthe annimmt, 
die theils kleiner, theils grösser als p^ sind, und dass sich daher 
hier Zustände vorfinden müssen, welche nach § 169 labil sind, 
weil stellenweise p mit v zunimmt. Die Gleichung lässt sich 
sehr einfach geometrisch interpretiren, wenn man die schon dort 
erwähnte graphische Darstellung der Zustandsgieichung durch 

die Isotherme (Fig. 1, § 26) zu Hülfe nimmt. Denn da das 

1 

Integral J pdv den Flächenraum darstellt, der von der Isotherme, 

2 

der Äbscissenaxe und den durch die Punkte v^ und v^ der Iso- 
therme begrenzten Ordinaten umschlossen wird, während andrer- 
seits das Produkt p^ (vj — v^) den Flächenraum des aus denselben 
Ordinaten und der Abscissenstrecke v^— t^g gebildeten Rechtecks 
bezeichnet, so lehrt die Gleichimg (102). Folgendes: In jeder 
Isotherme wird der Druck, bei welchem sich zwei Aggregat- 
zustände der Substanz dauernd berühren können, durch diejenige 
zur Abscissei^axe parallele Gerade dargestellt, welche zu beiden 
Seiten der Isotherme gleiche Flächenräume abgrenzt. Eine 
derartige Gerade ist in der Fig. 1 durch ABC bezeichnet Man 
kann also aus der für homogene, stabile und labile. Zustände auf- 
gestellten Zustandsgieichung direkt das Gesetz der Abhängigkeit 



System in verschiedenen AggregaiTMständen. 131 



des Drucks und der Dichtigkeit des gesättigten Dampfes und der 
berührenden Flüssigkeit von der Temperatur ableiten. 

Wenn wir z. B. die CLAUSius'sche Zustandsgieichung (12) 
als empirische Fonnulirung der Thatsachen zu Grunde legen, 
so folgen aus ihr fiir das spezifische Volumen v^ des gesättigten 
Dampfes und v^ der berührenden Flüssigkeit die beiden Be- 
dingungen: 

Rd^ c __ Rd^ e 

und aus (102) 

Hiedurch können v^ und v^, also auch p^ =P2> ^Is Funktionen 
von i9-, oder bequemer v^, Vg, p^ und ß- als Funktionen einer 
einzigen passend gewählten unabhängigen Variabein bestimmt 
werden. 

Mit den CLAusius'schen Zahlenwerthen der Constanten für 
Kohlensäure (§ 25) ergeben sich aus dieser Bechnung Resultate, 
die mit den ANDEEWs'schen Beobachtungen befriedigend über- 
einstimmen; doch besitzt nach Tklesen die CLAusius'sche Zu- 
standsgleichung keine allgemeinere Bedeutung. 

§ 178. Verfolgen wir den Inhalt der Gleichungen (101) noch 
nach anderen Eichtungen hin. Wenn wir zur Abkürzung setzen: 

u-ü^s^f (104) 

[freie Energie der Masseneinheit, nach Gleichung (71)], 

SO schreiben sich die Gleichungen (101) einfacher: 

Pi = P2 (105) 

r2-/i=-PlK-^2)- (106) 

Die Funktion f genügt folgenden einfachen Bedingungen: Nach 
(104) ist: fef\ iQu\ ^(ds 

und nach (79 a) 



(ö^I-l^j,"'^U^j,-^ 



K) = -- (107) 



Femer ist nach (104): 
und nach (80) und (81): 



9 



132 Anwendungen auf speiuelle Gleichgewichtszustände. 



Die der Berührung zweier Aggregatzustände entsprechenden 
Gleichgewichtsbedingungen gelten für jede der drei mögKchen 
Combinationen je zweier Aggregatzustände, wir wollen jedoch, 
um die Ideen zu fixiren, zuerst beispielsweise diejenige Lösung 
dieser Gleichungen im Auge behalten, welche der Berührung 
von Dampf und Flüssigkeit entspricht Wenn wir hiebei den 
Index 1 auf den Dampf, den Index 2 auf die Flüssigkeit be- 
ziehen, so bedeutet v^ das spezifische Volumen des bei der 
Temperatur ß- gesättigten Dampfes, p^ =P% seinen Druck, v^ 
das spezifische Volumen der berührenden Flüssigkeit Diese 
Grössen sind also alle Funktionen der Temperatur allein, wie 
es der Erfahrung entspricht 

§ 174. Wir können zunächst durch Differentiation der 
Gleichgewichtsbedingungen nach & zu neuen Sätzen gelangen, 
wobei wir, da alle Variabein nur von & abhängen, die entsprechen- 
den totalen Differentialquotienten kurz mit ^ , -^ , -j~ u. s. w. 

bezeichnen wollen, während wir für die partiellen Differential- 
quotienten nach & bei constantem v, xmd nach v bei constantem 

& die bisherige Bezeichnung ^ u. s. w. beibehalten. 

Dann ergeben die Gleichungen (105) und (106) nach ß- 
differentiirt: 

djp^ __ dp^ 
d& d& 

und: dfi dfi 



c.-.)|f+^.(Ä-||)- 



d& d& 

Nun ist aber nach (107) und (108): 

df,_dA_ (dj,\ (df,\ dv, _ (dA) _ (dfA dv, 

d& d& [d^)^'^ \dv)^d& \d&)^ \dv)^d& 
dv2 j^ _. dvi 

- — ^2 -- P2j:^ -r h -r Pij:^' 

Folglich durch Substitution: 

/ \ dpi 

«1 - «a = K - «3) rf^ . 

oder endlich nach (101): 

(109) K - "2) + Pi K -v,) = & {V, -v,)^. 

Der Ausdruck links bedeutet nach der Gleichung (17) des ersten 
Hauptsatzes der Wärmetheorie nichts anderes als die Ver- 



System in verschiedenen Äggregatxuständen* 133 



dampfiingswärme r der Flüssigkeit, d. h. diejenige Wärmemenge, 
welche der Masseneinheit Flüssigkeit von Aussen zuzuführen ist, 
damit sie bei constant gehaltener Temperatur unter dem con- 
stanten Druck des gesättigten Dampfes vollständig in Dampf 
übergeht. Denn die Veränderung der Energie ist hiebei u^ — Wj, 
und die dabei von Aussen aufgewendete äussere Arbeit A, 
welche hier negativ ist, beträgt: 

Es ist also: 

r = Wj -Wj + p^ (Vj - v^) (110) 

und daher: 

r = &{v,-v,)%. (111) 

Diese schon von Clapeybon aus der CABNOT'schen Theorie (§ 52) 
abgeleitete, zuerst von Claüsius streng begründete Gleichung ge- 
stattet die Berechnung der Verdampfungswärme für eine be- 
liebige Temperatur aus den Volumina des gesättigten Dampfes 
und der Flüssigkeit, sowie der Abhängigkeit der Spannung des 
gesättigten Dampfes von der Temperatur. Sie ist in sehr vielen 
Fällen durch die Erfahrung bestätigt worden. 

§ 176« Als Beispiel berechnen wir die Verdampfungs- 
wärme des Wassers bei 100® C, also beim Druck einer Atmo- 
sphäre. Hiefür ist: 

^9- = 273 -f- 100 = 373, 

v^ = 1658 nach Wüllnee 
(Volumen eines gr gesättigten Wasserdampfes bei 100^ C. in com), 

Vg = 1 
(Volumen eines gr Wasser bei IOC* C. in ccm), 

-^ ergibt sich daraus, dass KEaNAULT für gesättigten Wasser- 

dampf von 100^ C. eine Spannungszunahme von 27,2™™ Queck- 
silber fiir 1^ Temperaturerhöhung fand. Die Reduktion auf 
absolute Druckeinheiten liefert nach § 7: 

^=1L^. 1013 650 

d& 760 

und somit die gesuchte Verdampfungswärme in Calorieen, durch 
Division mit dem mechanischen Wärmeäquivalent: 

373 • 16 57 ' 27,2 - 1 013 650 _ ;. or 
760 -419 -10* 



134 Anwendungen auf spezielle OkiehgewiektaxvMimde, 

Rbönault fand durch direkte Messung für die Verdampfungs- 
wärme des Wassers bei 100® C. 536 cal. 

§ 176. Wie man aus (110) sieht^ entspricht ein Theil 
der Verdampfongswärme r der Zunahme der Energie, ein anderer 
Theil der äusseren Arbeit. Um zu beurtheilen, in welcher Be- 
ziehung diese beiden Theile stehen, bildet man am bequemsten 
das Verhältniss der äusseren Arbeit zur ganzen Verdampfungs- 
wärme: 

Pi (^1 - ^2) ^ ^1 . 

Für den soeben behandelten Fall ist 

Pi = 760"™, 
19- = 373, 

^Pi _ 07 9 mm 

und man erhält daher fiir dies Verhältniss: , 

W^ = 0.075. 

woraus zu entnehmen ist, dass die äussere Arbeit in dem Betrag 
der Verdampfungswärme hier nur eine geringe Rolle spielt 

§ 177. Die Gleichung (111) gestattet auch wieder eine 
Berechnung der absoluten Temperatur &y sobald die Ver- 
dampfungswärme, sowie der Druck und die Dichte des gesättigten 
Dampfes und der berührenden Flüssigkeit als Funktion irgend 
einer beliebigen Conventionellen Temperaturskala t (§ 160) durch 
Messung bestimmt sind. Es ist nämlich: 

Q./ \dp\ dt 

und daraus: 



log^=/^-^..^^..., 



woraus & in derselben Weise als Funktion von t zu berechnen 
ist, wie dies schon früher ausgeführt wurde. Ueberhaupt ist 
ersichtlich, dass eine jede aus dem zweiten Hauptsatz abgeleitete 
Gleichung zwischen messbaren Grössen dazu benutzt werden 
kann, eine Bestimmung der absoluten Temperatur vorzunehmen, 
und es handelt sich nur um die praktische Frage der Genauig- 



System in verschiedenen Aggregatztiständen. 135 



keit der Messungen in dem zu untersuchenden Temperatur- 
intervall, um darüber zu entscheiden, welche Methode den 
Vorzug verdient. 

§ 178. Eine einfache Annäherungsformel^ die in manchen 
Fällen gute, in andern dagegen nur massig brauchbare Resultate 
ergibt, erhält man, wenn in der Gleichung (111) das spezifische 
Volumen der Flüssigkeit v^ gegen das des Dampfes v^ vernach- 
lässigt, und wenn ausserdem für letzteres die Zustandsgieichung 
eines idealen Gases als gültig vorausgesetzt wird. Dann ist 

nach Gleichung (14) 

E & 

wobei E die absolute Gasconstante, m das Molekulargewicht des 
Dampfes bezeichnet, und die Formel (111) geht über in: 

^^B_^d^_ (112) 

m Pi d& ^ ' 

Für Wasser bei 100^ C. wäre z. B. 

jß = 1,971 in Calorieen nach Gleichung (34), 
m = HgO = 18 , 



19- = 373, 

p^ = 760»"^°», 

"^^^ = 27,2 



mm 



d& 
und daraus die Verdampfungswärme in Calorieen: 

1,971 -373*. 27,2 ^.j, 

r = — — = 545 , 

18-760 ' 

also etwas zu gross (§ 175). Die Ursache dieser Abweichung 
liegt darin, dass das Volumen des bei 100® C. gesättigten 
Wasserdampfes in Wirklichkeit kleiner ist als das aus der 
Zustandsgieichung eines idealen Gases vom Molekulargewicht 18 
für diese Temperatur und Atmosphärendruck berechnete Volumen. 
Eben deshalb kann eine genaue Messung der Verdampfungs- 
wärme auch dazu dienen, um aus dem zweiten Hauptsatz einen 
Schluss zu ziehen auf die Abweichung der Dichte eines Dampfes 
von dem idealen Werth. 

Eine in denselben Grenzen gültige Annäherungsformel von 
anderer Bedeutung ergibt sich, wenn man weiter in der Gleichung 



136 Anwendungen auf speccieUe Okichgetaichtszv^stände. 



(109) für die spezifische Energie des Dampfes nach (36) den 
für ideale Gase gültigen Werth w^ = c^i?- + const, femer für 
die spezifische Energie der Flüssigkeit unter Constantsetzung 
(jjer spezifischen Wärme c^ and Vemachlässigong der äusseren 
Arheit u^ = c^^ + const. setzt. Dann folgt aus (109): 

f \ Q. . X . -ß^ -ß ^' dp. 

(c„ — cJ)& + const •] = -^. 

Multiplicirt man beiderseits mit -7-»- , so lässt sich diese Gleichung 

Glied für Glied integriren, und man erhält schliesslich, unter 
Berücksichtigung von (33) 

b fn , V 

p^ = ae Cr • 

Hier bedeuten a und b positive Constante, c und c« die spezi- 
fischen Wärmen von Dampf und Flüssigkeit bei constantem 
Druck. Dies gibt ein Gesetz für die Abhängigkeit der Spann- 
kraft des gesättigten Dampfes von der Temperatur, welches um 
so angenäherter gilt, je tiefer die Temperatur unter der kriti- 
schen Temperatur des Dampfes liegt. 

Für Quecksilberdampf z. B. ist nach einer Berechnimg von 
H. Hertz, wenn p^^ in Millimetern Quecksilber ausgedrückt wird: 

a = 3,915 • 10l^ b = 7695 , ^(c - c^) = - 0,847 . 

§ 179. In gleicher Weise wie für den Verdampfungsprozess 
lässt sich die Gleichung (111) auch auf den Schmelz- oder auch 
auf den Sublimationsprozess anwenden. Im ersten Fall bedeutet r 
die Schmelzwärme der Substanz, falls der Index 1 dem flüssigen, 
der Index 2 dem festen Zustand entspricht, ferner p^ den Schmelz- 
druck, d. h. den Druck, bei welchem feste und flüssige Substanz 
sich im Gleichgewicht berühren können. Der Schmelzdruck 
hängt hienach, ebenso wie der Verdampfungsdruck, von der 
Temperatur ab, oder in umgekehrter Fassung: Durch Ver- 
änderung des Druckes wird die Schmelztemperatur geändert: 

^ ^ dp^ r 

Für Eis bei 0^ C, also unter Atmosphärendruck, ergibt 
sich z. B. 



System in verschiedenen AggregcUxuständen, 137 



r = 80 -419 '10^ (Schmelzwärme von 1 gr Eis in abso- 
luten C.G.S.-Einheiten), 
& = 273, 

Vj = 1,0 (Volumen von 1 gr Wasser bei 0^ C. in ccm), 
Vg = 1,09 (Volumen von 1 gr Eis bei 0® C. in ccm). 

Um - — in Atmosphären zu erhalten, hat man den Ausdruck 
noch mit 1013650 (§ 7) zu multipliciren und erhält so aus (113): 

dpi 80 •419-10* ' ^ , ' 

Durch Erhöhung des äusseren Druckes um 1 Atmosphäre wird 
also die Schmelztemperatur des Eises um 0,0074® C. erniedrigt, 
oder: um den Schmelzpunkt des Eises um 1® C. zu erniedrigen, 
bedürfte es einer Druckerhöhung von ca. 130 Atmosphären, was 
zuerst durch Messungen von W. Thomson (Lord Kelvin) be- 
stätigt worden ist. Für Substanzen, welche sich, entgegengesetzt 
dem Eis, beim Schmelzen ausdehnen, wird nach der Gleichung 
(118) umgekehrt die Schmelztemperatur mit wachsendem Druck 
erhöht. Auch dies ist durch Messungen qualitativ und quanti- 
tativ bestätigt worden. 

§ 180. Die Gleichungen (101) gestatten, noch andere wich- 
tige Eigenschaften, die eine Substanz in verschiedenen Aggregat- 
zuständen besitzt, in Beziehung miteinander zu bringen. Wir 
fessen sie mit (110) in folgender Form zusammen: 

r 

- - «1 - «2 

und differentüren nach &, Dann ergibt sich: 
oder nach (81): 

& '^[d&J^d^ &" \d&)^d&' 

Nun führen wir statt der spezifischen Wärme bei constantem 
Volumen: e^ die bei constantem Druck: c^ für jeden Aggregat- 
zustand ein. Dann ist nach Gleichung (82), wenn man noch 
Alles mit i?- multiplicirt: 



138 Anwendungen auf spex/ieüe QleiciligewichUzustände, 

d 



^-5-(a-*(lf).(l5-U*(ll).^ 

oder, da nach (6) für jeden der beiden Aggregatzustände: 
(dp\ ^ _ (dv\ (d_p\ 

-(»^+''(i;i-{(lf).+(fe).si- 

Die in den Klammem { } befindlichen Ausdrücke sind aber 

nichts anderes als: 

dpi dp, 



^Fi 



d& d& ^K-«^j)' 
Folglich erhält man schliesslich: 

("5) w-w-iJ-j+..:..!(fe),-(l5)J- 

Diese streng gültige Gleichung gestattet abermals eine Prüfimg 
des zweiten Hauptsatzes, da sie lauter G-rössen enthält, die un- 
abhängig von einander gemessen werden können. 

§ 181. Nehmen wir als Beispiel wieder gesättigten Wasser- 
dampf bei 100® C, also unter Atmosphärendruck, und berechnen 
hiefiir die spezifische Wärme des Dampfes bei constantem 
Druck: (c^)j , dann ist: 

(c^)2= 1,03 (spezifische Wärme des flüssigen Wassers bei 100% 

r = 536 , 

i9' = 373, 

d IT 

-T-^: = — 0,708 (Abnahme der Verdampfungswärme mit der Tem- 
peratur, nach Messungen von EEGNAuiiT). 

Um v^ und (-^1 zu bestimmen, benutzen wir eine Messung 

von HiEN, nach welcher 1 gr Wasserdampf unter Atmosphären- 
druck bei 100® das Volumen 1650,4 ccm, bei 118,5® das Volumen 
1740 ccm einnimmt. Daraus ergibt sich: 

^1 = 1650,4, 

(dvA 1740 - 1650,4 . ^ . „ 

[T^]r iP = 4,843. 



System in verschiedenen ÄggregcUzitständen, 139 



Endlich ist 

2;2 = 1,0, 



(i?i= "' 



001. 



Diese Zahlen liefern nach (115) das Ergebniss: 

%\ - («,)» = - 0.56 . 
oder: 

K\ = K)^ - 0,56 = 1,03 - 0,56 = 0,47 . 

BEGKAUiiT fand durch direkte Messung die mittlere spezifische 
Wärme des Wasserdampfes bei constantem Atmosphärendruck 
für etwas höhere Temperaturen als 100^ zu 0,48. 

§ 183« Die Beziehung (115) vereinfacht sich bedeutend, 
wird aber ungenau, wenn man wieder das Volumen v^ des 
flüssigen Wassers gegen das v^ des Dampfes vernachlässigt und 
für letzteres die Zustandsgieichung eines idealen Gases benutzt 
Denn dann wird: 

R & 

V, = 






R 



und die Gleichung (115) lautet einfach: 

in unserem Beispiel: 

(S)i-(^p)2=-0,71 

(c^X = 1,03 -0,71 =0,32, 

also erheblich zu Mein. 

§ 188« Wenden wir nun die Beziehung (115) auch auf 
schmelzendes Eis bei 0^ und Atmosphärendruck an, indem wir 
den Index 1 auf den flüssigen, den Index 2 auf den festen 
Aggregatzustand beziehen. Die Abhängigkeit der Schmelzwärme 
r des Eises von der Schmelztemperatur & ist wohl noch nicht 
direkt gemessen worden, sie lässt sich aber aus (115) berechnen, 
da diese Gleichung ergibt: 



d& 



- (»A - («A + J - ~j. {(§Ji - (f?)J ■ 



140 Amjoefndung&a auf spezielle Oleichgewu^tszttstände» 



Dabei ist: 
(c^)^ = 1 (Spezifische Wärme des Wassers bei 0^, 
{CpX = 0,505 (Spezifische Wärme von Eis bei 0^ 
r = 80, 
& = 21S, 

\J^) ~ ■" 0,00006 (Ausdehnungscoeffizient des Wassers bei 0^, 

|-^j = 0,00011 (Ausdehnungscoeffizient von Eis bei 0^ 
Folglich nach der obigen Gleichung: 

15 = 0,64, 

d. h. wenn der Schmelzpunkt des Eises durch entsprechende 
Vermehrung des äusseren Druckes um 1® erniedrigt wird, nimmt 
auch die Schmelzwärme um 0,64 cal. ab. 

§ 184. Es ist schon jfrüher wiederholt darauf hingewiesen 
worden, dass man ausser der spezifischen Wärme bei constantem 
Druck und der bei constantem Volumen noch beliebige andere 
spezifische Wärmen definiren kann, je nachdem man die äusseren 
Umstände, unter denen die Erwärmung stattfindet, verschieden 
regulirt In jedem Falle gilt die Gleichung (23) des ersten 
Hauptsatzes: 

du dv 

Bei den gesättigten Dämpfen ist nun auch diejenige Art der 
Erwärmung von Interesse, bei welcher der Dampf immer gerade 
im Zustand der Sättigung erhalten wird. Bezeichnen wir die diesem 
Vorgang entsprechende spezifische Wärme des Dampfes mit h^ 
— Clausius nannte sie die spezifische Wärme „des gesättigten 
Dampfes" — so ergibt sich in unserer Bezeichnung: 

(116) ^-^+^x^-. 

Ueber den Werth von h^ lässt sich von vorneherein nichts 
aussagen, ja selbst das Vorzeichen dieser Grösse muss vorläufig 



System in verschiedenen Aggregatzitständen, 141 



dahingestellt bleiben. Denn wenn der Dampf wahrend der Er- 
wärmung um V gerade gesättigt bleiben soll, muss er offenbar 
gleichzeitig comprimirt werden, weil das spezifische Volumen des 
gesättigten Dampfes mit steigender Temperatur abnimmt. Nun 
wird aber durch die Compression Wärme erzeugt, und es fragt 
sich, ob diese Wärme nicht so beträchtlich ist, dass sogar eine 
Ableitung von Wärme nach Aussen erforderlich wird, um den 
Dampf nicht zu überhitzen. Daher sind hier von vorneherein 
zwei Fälle denkbar: 1. Die Compressionswärme ist verhaltniss- 
mässig beträchtlich. Dann ist bei der Compression des gesättigten 
Dampfes Ableitung von Wärme nach Aussen erforderlich, um 
bei der erhöhten Temperatur den Sättigungszustand aufrecht zu 
erhalten, d. h. h^ ist negativ. 2. Die Compressionswärme ist zu 
gering, um ohne Zuleitung äusserer Wärme den comprimirten 
Dampf vor Uebersättigung zu bewahren; dann muss Äj positiv 
ausfallen. Dazwischen liegt der Grenzfall h^ = 0, wo die Com- 
pressionswärme gerade hinreicht, um den comprimirten Dampf 
im Zustand der Sättigung zu erhalten, wo also die Sättigungs- 
curve zusammenfällt mit der Curve der adiabatischen Compression. 
Dieser Grenzfall wurde noch von Watt als für Wasserdampf 
gültig angenommen. 

Es ist nun leicht, Äj aus den obigen Formeln zu berechnen. 
Bilden wir zunächst die entsprechende spezifische Wärme fiir 
die berührende Flüssigkeit: 

Diese spezifische Wärme entspricht einer Erwärmung der 
Flüssigkeit, die immer gerade unter dem Drucke ihres gesättigten 
Dampfes gehalten wird. Da nun der äussere Druck, wenn er 
nicht nach vielen Atmosphären misst, auf den Zustand einer 
Flüssigkeit keinen wesentlichen Einfluss hat, so fällt der Werth 
von Äj so gut wie ganz mit dem Werth der spezifischen Wärme 
der Flüssigkeit bei constantem Druck zusammen, d. h. 

fH = (^\- (118) 

Nun ergeben die Gleichungen (116) und (117) von einander 
subtrahirt: 



142 Anwendungen auf spezielle GleichgeunehisTMstände. 



Aber nach (110) ist durch Differentiation nach &\ 



Folglich: 



dr d(Ui - Mal rf(«?i - v^) , .dpi 

5^ = " d¥ ■ + ^1 ^d^- + (''i " ''«) d^ 



^-^2 = ^i-K-^2)^ 



oder nach (118) und (111): 

Für gesättigten Wasserdampf bei 100® haben wir nun, wie oben: 

{o,\ = 1,03 , 
— = -071 

r = 536, 

,9- = 373 . 
Folglich : 

Ä, = 1,03-0,71 -g=- 1,12. 

Wasserdampf bei 100® C. repräsentirt also den oben unter 1. 
beschriebenen Fall, d. h. gesättigter Wasserdampf bei 100®, 
adiabatisch comprimirt, wird überhitzt; oder umgekehrt: ge- 
sättigter Wasserdampf bei 100®, adiabatisch ausgedehnt, wird 
übersättigt, indem der Einfluss der Compressions-, bez. Dilatations- 
wärme über den Einfluss der Dichtigkeitszunahme, bez. Abnahme 
weit überwiegt. Ändere Dämpfe zeigen das entgegengesetzte 
Verhalten. 

§ 185. Es kann der Fall eintreten, dass für einen be- 
stimmten Werth von ü- die Werthe der Grössen v^^ und v^, wie 
sie sich aus den Gleichungen (101) in ganz bestimmter Weise 
ergeben, einander gleich werden; dann sind die beiden Aggregat- 
zustände, die miteinander in Berührung sind, überhaupt identisch. 
Ein solcher Werth von t^- heisst eine kritische Temperatur der 
betreffenden Substanz. Vom rein mathematischen Standpunkt 
aus muss man von vorneherein annehmen, dass jede Substanz 
für jede der drei Combinationen zweier Aggregatzustände eine 
solche kritische Temperatur besitzt, die allerdings nicht immer 
reell sein wird. Durch die kritische Temperatur ^9- und das 
kritische Volumen v^ = v^ ist dann auch der ganze kritische 



System in verschiedenen Aggregaiztiständen, 148 



Zustand bestimmt. Seine Berechnung erfolgt aus den Gleichungen 
(101), wenn man darin noch die Bedingung einfuhrt, dass 
die Differenz t?i — v^ verschwindet Nehmen wir also v^^ — v^ 
sehr klein an, so wird für ein beliebiges Volumen v, welches 
zwischen den Werihen v^ und v^ liegt, nach dem TAYLOE'schen 
Satze: 

also geht die erste Gleichung (101) über in: 

und die Gleichung (102) liefert, durch Ausführung der Integration 
von (119) nach v: 

P2 K - ^2) + Y (^\ ih - ^2? + 2^ (0)^ K -^2)'= P2 (^1 - ^2)- 
Die letzten beiden Gleichungen ergeben: 



(1^). = « 



'''P^ =0 



ß^'/2 

als Bedingung des kritischen Zustandes. Diese Bedingung stimmt 
überein mit der schon im § 30 für den kritischen Zustand eines 
Dampfes abgeleiteten Beziehung, und wird durch die dort ge- 
gebene Zeichnung der Isotherme geometrisch illustrirt. Im 
kritischen Zustand ist die Compressibilität unendlich gross, der 
Ausdehnungscoeffizient bei constantem Druck unendlich gross, 
die spezifische Wärme bei constantem Druck unendlich gross, 
die Verdampfungswärme Null. 

Bei anderen Temperaturen als der kritischen sind die 
Werthe von ^;^ und v^ verschieden, und zwar auf der einen 
Seite reell, auf der anderen complex; im letzteren FaU verliert 
die hier betrachtete Lösung des Gleichgewichtsproblems ihren 
Sinn. Dafür, dass es nicht nur beim Verdampfungsprozess, 
sondern für manche Substanzen auch beim Schmelzprozess eine 
reelle kritische Temperatur gibt, bei welcher also der feste und 
der flüssige Aggregatzustand identisch werden, lassen sich mehr- 
fach Gründe anführen. Vgl. oben § 31 und unten § 191. 

§ 186. Dritte Lösung. Setzen wir drittens in den für das 
ifinere Gleichgewicht gültigen Bedingungen (98): 



144 Anwemdungen auf spezielle OleiehgeunchisxtMtände. 



so haben wir ohne Vereinfachung: 



(120) 



_ ^h-Ui'^'Pt fa - y «) 
*i - ^2 - :^ 

*2 - ^3 - :ß. 



Dieser Fall bezeichnet einen Zustand, bei welchem sich im 
System alle drei Aggregatzustände nebeneinander vorfinden. Die 
vier Gleichungen (120) enthalten vier Unbekannte, nämlich 
i?-, v^f Vg, V3, so dass ihnen ganz bestimmte Werthe dieser 
vier Grössen entsprechen. Alle drei Aggregatzustände können 
also nur bei einer ganz bestimmten Temperatur und ganz be- 
stimmten Dichtigkeiten, und daher auch nur bei einem ganz 
bestimmten Druck nebeneinander im Gleichgewicht existiren. 
Wir wollen diese Temperatur die „Fundamentaltemperatur** und 
den entsprechenden Druck den Fundamentaldruck der Substanz 
nennen. Die Fundamentaltemperatur ist nach den Gleichungen 

(120) durch die Bedingung charakterisirt, dass für sie der Druck 
des über der Flüssigkeit gesättigten Dampfes gleich ist dem 
Schmelzdruck. Dann folgt mit Nothwendigkeit durch Addition 
der beiden letzten Gleichungen, dass jener Druck auch gleich 
dem Sublimationsdruck ist, bei welchem die feste Substanz mit 
der gasförmigen in Berührung ist. 

Sind die Fundamentalwerthe gefanden, so berechnen sich aus 
den äusseren Bedingungen im § 166 

(121) j M^v^+M^v^ + M^v,=r 

die Massen M^, M^^ M^ der in den verschiedenen Aggregat- 
zuständen befindlichen Theile des Systems in eindeutiger Weise. 
Doch hat diese Lösung nur dann einen physikalischen Sinn, 
wenn die Werthe von M^, M^, M^ sämmtlich positiv ausfallen. 
§ 187. Bestimmen wir z. B. den Fundamentalzustand des 
Wassers. Da für 0® C. der Druck des über flüssigem Wasser 
gesättigten Dampfes 4,62™™, der Schmelzdruck des Eises aber 
760™™ beträgt, so ist 0^ nicht die Fundamentaltemperatur des 
Wassers. Nun nimmt aber der Schmelzdruck des Eises mit 



System in verschiedenen Äggregatzuständen: 145 



steigender Temperatur ab, während der Druck des über flüssigem 
Wasser gesättigten Dampfes wächst; folglich wird für eine etwas 
höhere Temperatur als 0^ ein Zusammenfallen jener beiden 
Drucke eintreten. Nach der Gleichung (114) steigt die Schmelz- 
temperatur des Eises bei Erniedrigung des Druckes von 760 ™™ 
bis 4,62°^°^ um nahezu 0,0074«. Die Temperatur 0,0074« C. ist 
also sehr angenähert die Fundamentaltemperatur des Wassers, 
da für sie der Druck des über flüssigem Wasser gesättigten 
Dampfes nahe zusammenfällt mit dem Schmelzdruck des Eises, 
und in Folge dessen auch mit dem Druck des über Eis ge- 
sättigten Dampfes. Daraus ergeben sich dann auch dieWerthe 
für das spezifische Volumen von Wasser im gasförmigen, flüssigen 
und festen Fundamentalzustand: 

v^ = 205 000 , v^ = \, v^ = 1,09 . 

Für andere Temperaturen als die Fundamentaltemperatur fallen 
Verdampfiings-, Schmelz- und Sublimationsdruck alle ver- 
schieden aus. 

§ 188. üeberblicken wir nun noch einmal die inneren 
Gleichgewichtsbedingungen (101) für die drei Combinationen je 
zweier sich berührender Äggregatzustände einer gegebenen Sub- 
stanz im Zusammenhang. Für jede dieser Combinationen ist 
sowohl der Druck p als auch die spezifischen Volumina der beiden 
sich berührenden Theile allein von der Temperatur abhängig 
und durch (101) bestimmt. Hiebei ist aber wohl zu unter- 
scheiden^ ob sich z. B. gesättigter Dampf in Berührung mit 
flüssiger oder mit fester Substanz befindet, da für diese beiden 
Fälle die Funktionen, welche Druck und spezifisches Volumen 
des gesättigten Dampfes in ihrer Abhängigkeit von der Tem- 
peratur darstellen, ganz verschieden ausfallen. Der Zustand des 
gesättigten Dampfes ist erst dann bestimmt, wenn ausser der 
Temperatur auch noch angegeben ist, mit welchem Äggregat- 
zustand der Dampf sich in Berührung befindet, und das näm- 
liche gilt für die beiden anderen Äggregatzustände. Wenn wir 
daher von jetzt an die Ziffern 1, 2, 3 der Reihe nach auf den 
gasförmigen, flüssigen, festen Zustand beziehen, so müssen wir 
zur Bezeichnung eines im Zustand der Sättigung befindlichen 
Körpertheils zwei Indices verwenden, von denen der erste den 
Aggregatzustand des betrachteten Körpertheils selbst, der zweite 

Plakgk, Thermod3niamlk. 10 



146 Anwendungen auf spexdeUe Oleichgetoichtsxustände. 

denjenigen Aggregatzustand angibt, mit welchem der Eörpertheil 
in Berührung gedacht ist So erhalten wir zur Bezeichnung des 
spezifischen Volumens des gesättigten Dampfes die beiden Aus- 
drücke t?i2 und Vjj, von denen der erste den Dampf in Be- 
rührung mit flüssiger, der zweite den Dampf in Berührung mit 
fester Substanz darstellt. Analog ergeben sich die Bezeichnungen 
^23 und t?3i, Vji und Vgg für die spezifischen Volumina flüssiger 
und fester Substanz im Zustand der Sättigung; jede von diesen 
sechs Grössen ist eine bestimmte Funktion der Temperatur allein. 
Die entsprechenden Drucke sind; 

Verdampfungsdruck: Schmelzdruck: Sublimationsdruck: 
Pi3 = P21 P23 = Ps2 P31 = Pl3 

ebenfalls Funktionen der Temperatur allein. Nur für die 
Fimdamentaltemperatur werden zwei dieser Drucke einander 
gleich, und dann auch gleich dem dritten. 

Stellt man also die Abhängigkeit der drei Drucke von der 
Temperatur durch drei Curven dar, indem man etwa die Tem- 
peratur als Abscisse und die Drucke als Ordinaten aufträgt, so 
schneiden sich die drei Curven in einem einzigen Punkt, dem 
Fundamentalpunkt, auch dreifacher Punkt genannt. Es ist auch 
leicht zu berechnen, unter welchem Winkel sich die Curven in 
dem Fundamentalpunkt schneiden. Denn die Neigung der Curven 
gegen die Abscissenaxe wird gegeben durch die Differential- 
quotienten: 

dPii dp^ dpn 

d& ' d& ^ d& ' 

Nun ist nach Gleichung (111) in entsprechender Bezeichnung: 

dpii _, n> 
d& &{vi - v^) ' 
Ebenso 

dPiS __ »"28 

d^ ^{v^-Vj^) 

und 

dpzi ^ fji_ 

d& ^iv^-vij' 

Dabei beziehen sich die v auf den Fundamentalzustand und 
sind daher nur mit einem einzigen Index versehen. Hieraus 
ergibt sich nun die Richtung des Verlaufs jeder Curve im 
Fundamentalpunkt, sobald man die Verdampfungs-, Schmelz- und 
Sublimationswärme kennt. 



System in verschiedenen Aggregatzuständen, 147 



Vergleichen wir z. B. die Curve des Yerdampfongsdrucks Pj, 
mit der Curve des Sublimationsdrucks p^^ für Wasser in der 
Nähe des Fundamentalpunkts 0,0074^ C. Hiefiir ist im abso- 
luten Maasssystem, durch Multiplication des in Calorieen aus- 
gedrückten Werthes mit dem mechanischen Wärmeäquivalent: 

ri2 = 604-419 10« 
(Verdampfangswärme des Wassers bei 0,0074% 

^3 = - ^31 = (80 + 604) . 419 • 10« 
(Sublimationswärme des Eises bei 0,0074** C), 

i;i= 205000, v^ = l, ^3 = 1,09, (§187) 

r?^ = 273 . 

Also in Millimetern Quecksilber, durch Multiplication des abso- 



luten Werthes mit 



1 013 650 
dp,8 604 . 419 . 10« • 760 



d& 273.205 000-1013 650 



= 0,339 , 



dpjn _ dpi9_ ^ 684 • 419 » 10^ - 760 ^ ^ Qr^ . 
~d& d& 273 • 205 000 -TOIS 650 ">^°* • 

Die Curve des Sublimationsdrucks p^^ verläuft also im Funda- 
mentalpunkt steiler als die Curve des Verdampfungsdrucks p^^y 
oder: für Temperaturen oberhalb der Fundamentaltemperatur 
ist Pjg >2?i2> ^^ Temperaturen unterhalb derselben ist p^^ <Pii' 
Die Differenz beträgt: 



dp 



u __ dpii ^ d (jpn - Pii) ^ Q Q^g ^ 



d& d& d& 

Misst man also die Spannung des gesättigten Wasserdampfes 
oberhalb des Fundamentalpunkts über Wasser, unterhalb des- 
selben über Eis, so erleidet die Spannungscurve im Fundamental- 
punkt einen Eiiick, dessen Grösse durch den Sprung des 
Differentialquotienten, d. h. durch die obige Differenz angegeben 
wird. Bei — P(rf?9' = — 1) ist demnach angenähert: 

P13-P12 = -0,045, 
d. h. bei — PC. ist der Druck des gesättigten Wasserdampfes 
über Eis um 0,045™™ kleiner als der über Wasser, was auch 
experimentell bestätigt worden ist. Dagegen lässt sich die 
Existenz eines scharfen Knicks in dem angegebenen Betrage nur 
aus der Theorie erschliessen. 

10* 



148 Anwendungen auf spezielle Gleichgewiehtsx/ustände. 



§ 189. Wir haben unsere bisherigen Untersuchungen nur 
auf die Betrachtung der einzehien verschiedenartigen Lösungen 
derjenigen Gleichungen erstreckt, welche die inneren Gleich- 
gewichtsbedingungen des Systems aussprechen, und daraus die 
wichtigsten Eigenschaften des betreffenden Gleichgewichtszustandes 
abgeleitet. Nunmehr kommen wir zu der weiteren Frage, welche 
unter den verschiedenen möglichen Lösungen der Aufgabe in 
jedem gegebenen Falle den Vorzug besitzt, d. h. den stabilsten 
Gleichgewichtszustand darstellt Zur Beantwortung dieser Frage 
nehmen wir die ursprünglich in § 165 gegebene Fassung des 
Problems wieder auf, welche kurz folgendermassen lautet. Ge- 
geben ist die Gesammtmasse M, das Gesammtvolumen F, die 
Gesammtenergie U des Systems. Statt V und U wird es öfter 

bequemer sein, die Werthe ^=1; (mittleres spezifisches Volumen 

des Systems) und t7=?^ (mittlere spezifische Energie des Systems) 

zu benutzen. Gesucht ist der stabilste Gleichgewichtszustand, 
d. h. der Zustand des absoluten Maximums der G^sammt- 
entropie S. 

Wir fanden oben, dass im Allgemeinen die Gleichgewichts- 
bedingungen drei verschiedene Arten von Lösungen zulassen, 
je nachdem das System sich in 1, 2 oder 3 Aggregatzustände 
spaltet. Bei der Frage, welche von diesen drei Lösungen in 
jedem gegebenen Falle den Vorzug hat, ist zunächst zu berück- 
sichtigen, dass die zweite und die dritte Lösung nur dann einen 
physikalischen Sinn haben, wenn die aus den Gleichungen (103) 
und (121) sich ergebenden Werthe der Massen positiv ausfallen. 
Dies führt zu einer Einschränkung des Gültigkeitsbereichs dieser 
beiden Lösungen. Zuerst wollen wir diesen Gültigkeitsbereich 
feststellen, und werden dann den Nachweis führen, dass inner- 
halb ihres Gültigkeitsbereiches die dritte Lösung stets den 
Vorzug hat vor den beiden ersten, und die zweite den Vorzug 
hat vor der ersten. 

Zur Erleichterung der üebersicht möge die geometrische 
Anschauung zu Hülfe genommen werden. Zu diesem Zweck 

denken wir uns die von vorneherein gegebenen Werthe «? = -v^ 



und u=: -^ (der Werth von M ist hier nebensächlich) dadurch 



System in verschiedenen Aggregatzuständen. 



149 



graphisch dargestellt, dass wir diese Grössen als die recht- 
winkligen Coordinaten eines Punktes in einer Ebene (der 
Zeichnungsebene in Fig. 4) ansehen, so dass jedem Punkt der 
Ebene ein bestimmtes Werthenpaar dieser beiden Grössen ent- 



krit. R 



II 






^'*» 



e 

w 



I 



i 









krü,P. 




Axe der mittleren spezifischen Volumina ' ^—'Tr 



Fig. 4. 

spricht. Unsere Aufgabe ist dann die, für jeden beliebig ge- 
gebenen Punkt dieser Ebene die Entscheidung zu treffen, welcher 
Art das stabile Gleichgewicht ist, welches bei den entsprechenden 
Werthen von v und u zu Stande kommt. 

§ 190. Betrachten wir nun den Gültigkeitsbereich der 
dritten Lösung. Die sich aus den Gleichungen (121) ergeben- 
den Werthe der Massen M^^ M^, M^ sind: 



M^iM^iM^iM^ 



111 


1 1 1 




111 




V V^ f 8 


: V v^ Vi 


• 
• 


V Vi v^ 


• 
• 


uu^u^ 


UU^Ui 




u Ui y^ 





1 1 i! 

Ui «*2 W,| 



(121a) 



wobei wir hier, wie überall im Folgenden, die Bezeichnung 
^1,^2,^3, ^1,^2? ^'a speziell auf die Fundamentalwerthe der 
V und u anwenden. 

Bjeraus ersieht man, dass die Werthe von ifj, M^, M^ nur 
dann alle zugleich positiv ausfallen, wenn der dem Werthenpaar 



150 Anwendungen auf spezielle Oleichgeioickisxitstände. 

{v, u) entsprechende Punkt innerhalb des Dreiecks liegt, das 
von den Punkten mit den respektiven Coordinaten {v^, Uy), {v^, u^) 
und (vg , Wg) gebildet wird. Der Gültigkeitsbereich der dritten Lösung 
wird daher durch dieses Dreieck dargestellt, welches wir das 
Fundamentaldreieck der Substanz nennen können, und ist in 
der Fig. 4 mit {123) bezeichnet. Die Zeichnung ist für eine Sub- 
stanz ausgeführt, für die, wie bei Wasser, «^i > Vg > v^ und Wj > Wg > Wg. 
§ 191. Wir kommen nun zur Betrachtung des Gültigkeits- 
bereichs der zweiten Lösung, welcher die Gleichungen (101) 
und (103) entsprechen. Diese Gleichungen ergeben drei Arten 
vonWerthensystemen, je nach den drei paarweisen Combinationen 
der drei Aggregatzustände, deren jede den beiden andern von 
vorneherein gleichberechtigt gegenübersteht. Wir betrachten 
zunächst die Combination des gasförmigen und des flüssigen 
Zustandes. Dann lauten jene Gleichungen gemäss der jetzt 
eingeführten Bezeichnung: 

»^12 == ^21 f Pi2 ^ P21 



(122) 

und: 
(123) 



^12 ~ "^21 "" " 



^12 

^12 + i^i = ^ 
-"^12 ^12 + ^^1^21 = V=^MV 
^12 ^2 "1" -^l ^^21 = U= Mu . 

Um das Gebiet zu finden, innerhalb dessen der Punkt mit den 
Coordinaten «;, u liegen muss, damit M^^ und M^^ beide positiv 
ausfallen, suchen wir die Grenzen dieses Gebietes auf, d. h. die 
Curven, welche durch die Bedingungen M^^ = und M^^ = dar- 
gestellt werden; zunächst die Curve: If^^ = (flüssige Masse =0). 
Diese Bedingung in (123) eingeführt ergibt: M^^ = M und 

(124) '^ = «^12 w = ^12 • 

Da Vjj und u^^ Funktionen emer einzigen Variabein sind, so ist 
durch diese beiden Gleichungen den Grössen v und u eine be- 
stimmte Bedingung vorgeschrieben, und diese Bedingung ergibt 
die gesuchte Curve, eine Grenze des gesuchten Gültigkeits- 
bereiches. Diese Curve geht durch die Ecke 1 des Fundamental- 
dreiecks, weil für die Fundamentaltemperatur «^i2~^i ^^^ ^12=^ 
wird. Zur Feststellung ihres weiteren Verlaufs bilden wir den 

Ausdruck des Differentialquotienten — -^ . Hiefür hat man : 



System in verschiedenen Äggregatzuständen, 151 



d^ ~ [d^L lö^/] 



d&. 



19 



dvt 



12 «*''12 

Die mit d bezeichneten partiellen Differentialquotienten beziehen 
sich hier überall auf die unabhängigen Variabeln & und v. 
Daraus folgt nach (80) und ^24): 

Mittelst dieser Gleichung kann man den Verlauf der Curve (124) 
experimentell verfolgen, indem man &y^^ oder v^^ oder irgend 
eine andere geeignete Grösse als unabhängigen Parameter nimmt 
In gleicher Weise liefert die Bedingung M^^ = ^ (dampf- 
förmige Masse =0) eine andere Grenze des gesuchten Gültigkeits- 
bereiches durch die Curve: 



«^ = % w = ^21 , 



welche durch die Ecke 2 des Fundam^ntaldreiecks geht und der 
Gleichung genügt: 



du^i 
dv, 



^ - ^^12 [el)^^ - Pi2 + (^\i j^ 



Hiebei ist davon Gebrauch gemacht, dass i^-gj = d-^^ und jOg^ =Pi2' 

Diese beiden Curven sind aber nichts anderes als Zweige 

einer und derselben Curve, da sie für den kritischen Punkt: 

t?j3=i;2i> iii einander übergehen, und zwar, wie eine nähere 

Untersuchung des Werthes von -r^ und -r^ nach § 185 lehrt 

ohne in diesem Punkte eine Ecke oder Spitze zu bilden. 

Wir können daher beide Curvenäste unter dem gemein- 
samen Namen „Verdampfungscurve" zusammenfassen. Dann 
entspricht jedem Punkt {v^^, u^^) auf dem einen Ast ein be- 
stimmter Punkt (vgj, Wgi) ^^f ^^^ andern Ast, insofern beiden 
Punkten die nämliche Temperatur &^2 = ^^21 ^^^ ^^^ nämliche 
Druck J0j2 = P21 zukommt Diese Zuordnung je zweier Punkte 
auf den beiden Aesten wird bestimmt durch die Gleichungen 
(122) und ist in der Fig. 4 durch die Verbindungslinien einiger 
solcher Punktpaare angedeutet. So entsprechen sich auch die 
beiden Ecken des Fundamentaldreiecks {v^, u^) und {v^, u^\ 
Der kritische Punkt entspricht sich selbst. 

Die gefundene Verdampfungscurve bildet somit die Grenze 
des Gültigkeitsbereiches desjenigen Theils der zweiten Lösung,. 



152 Anwendungen auf spezielle OleichgewichtsTMstände. 



welchem die Berührung von Dampf und Flüssigkeit entspricht, 
und man überzeugt sich leicht aus (123), dass der Gültigkeits- 
bereich in den von der Curve eingeschlossenen Kaum der 
Zeichnungsebene fällt. Gleichwohl ist die Curve nur bis zu den 
Ecken 1 und 2 des Fundamentaldreiecks gezeichnet, weil, wie 
sich später zeigen wird, die Lösung nur bis dahin das stabile 
Gleichgewicht angibt. Dieser Kaum ist mit {12) bezeichnet. 

Ganz analog der Verdampfungscurve ergibt sich nun auch 
der Verlauf der „Schmelzcurve", deren beide Aeste durch die 
Gleichungen: 

und: V =^ v^^ u = u^^ 

dargestellt werden, und der „Sublimationscurve", für deren 
Aeste die Gleichungen: 

v = v^^' u = W31 

und: V = v^^ u — u^^ 

gelten. Die erstere Curve geht durch die Ecken 2 und 3, die 
letztere durch die Ecken 3 und 2 des Fundamentaldreiecks. 
Die hiedurch abgegrenzten Gültigkeitsbereiche des 2. und 3. Theils 
der zweiten Lösung sind in der Fig. 4 mit {23) und {31) be- 
zeichnet. Im Uebrigen gelten alle für die Verdampfungscurve 
abgeleiteten Beziehungen auch hier, nur mit entsprechender 
Vertauschung der Lidices. Einige entsprechende Punktpaare 
sind wieder durch Verbindungslinien angedeutet. Für die 
Schmelzcurve ist auch ein kritischer Punkt gezeichnet, ent- 
sprechend dem Umstände, dass nach § 183 die Schmelzwärme 
des Eises mit fallender Temperatur um 0,64 cal. pro Grad ab- 
nimmt. Würde dies Verhältniss für tiefere Temperaturen nahezu 
ungeändert bleiben, was natürlich nur als rohe Annäherung gelten 
kann, so wäre bei etwa — 120^ C. die Schmelzwärme gleich Null, 
und es wäre dies der kritische Punkt der Schmelzcurve. Für diesen 
Punkt, dem ein Druck von etwa 1 7 000 Atmosphären entsprechen 
würde, wäre Wasser und Eis identisch, was man sich durch 
die Annahme vorstellen kann, dass Wasser gegen diesen Punkt 
hin immer zäher, dagegen Eis immer weicher wird. 

§ 193. Nachdem so auch für die zweite Lösung der 
Gültigkeitsbereich festgestellt ist, ersieht man unmittelbar, dass 



System in verschiedenen Aggregatx/uständen, 153 



für alle Punkte {v, u), welche ausserhalb der nun abgegrenzten 
Flächenräume liegen, nur die erste Lösung einen physikalischen 
Sinn ergibt, woraus folgt, dass für diese Punkte das stabile 
Gleichgewicht jedenfalls durch die erste Lösung (§ 170) dar- 
gestellt wird. Die entsprechenden Räume sind in der Fig. 4 
mit (Z), {2) und (5) bezeichnet, je nachdem der betr. Zustand 
als gasförmig, flüssig oder fest aufgefasst wird. 

§ 198. Es handelt sich nun um die Frage: Welcher unter 
mehreren Gleichgewichtszuständen, die einem gegebenen Werth- 
system if, v, u, also einem gegebenen Punkte der Zeichnungs- 
ebene entsprechen, besitzt den grössten Werth der Entropie? 
Da jede der drei besprochenen Lösungen einen ganz bestimmten 
Zustand angibt, so erhalten wir für jedes gegebene Werthen- 
system {M, v, u) ebensoviel Werthe der Entropie, als Lösungen 
für dies Werthensystem vorhanden sind. Bezeichnen wir also 
die den verschiedenen Lösungen entsprechenden Werthe der 
Entropie der Reihe nach mit S, >S' und S'\ so haben wir: 
Für die erste Lösung: 

S = M'S. (125) 

Für die zweite Lösung: 

S' ==M's' = M,, s,, + M,, s,, , (126) 

oder eine andere Combination zweier Aggregatzustände. 
Für die dritte Lösung: 

S" = M' s' = M^s^ + M^s^ + üfg 53 . (127) 

Diese Grössen sind alle vollständig bestimmt durch die gegebenen 
Werthe von M, v und w. Es wird sich nun nachweisen lassen, 
dass für jedes beliebige Werthensystem {M, v, u) stets /S"> S'> S, 
oder 5" > «' > s, vorausgesetzt, dass sämmtliche Massentheile 
positiv sind. Statt der Entropieen selber ist es bequemer, die 
entsprechenden mittleren spezifischen Entropieen s\ s\ s zu be- 
trachten, weil diese Grössen gamicht von M, sondern nur von 
V und u abhängen. 

Zur geometrischen Veranschaulichung kann man sich in 
jedem Punkte {v, u) die entsprechenden Werthe von s, s und s' in 
senkrechter Richtung zur Zeichnungsebene nach oben als Strecken 
aufgetragen denken, wodurch die drei Entropieflächen s, s und s' 
entstehen. 



154 Anwendungen auf spexieUe Oleichgewichtsx/ustände, 



§ 194. Zunächst soll gezeigt werden, dass s — s stets 
positiv ist, d. h. dass die Fläche s' stets oberhalb der Fläche 
s liegt. 

Während sich s direkt aus v und u nach der Definition (61) 
der Entropie für eine homogene Substanz ergibt, hat man zur 
Bestimmung des Werthes von s' die Gleichungen (126), (122) 
und (123). Durch dieselben wird s als von v und u allein ab- 
hängig dargestellt und so die Fläche s bestimmt, die im Ganzen 
3 Blätter bildet, entsprechend den 3 paarweisen Gombinationen 
der drei Aggregatzustände. Wir beziehen uns im Folgenden zu- 
nächst wieder auf die Combination von Dampf und Flüssigkeit 

Was nun die gegenseitige Lage der beiden Flächen s und «' 
anbelangt, so lässt sich leicht erkennen, dass dieselben eine 
Curve gemeinsam haben, deren Projektion auf die Zeichnungs- 
ebene die Verdampfangscurve ist. Denn für irgend einen Punkt 

der Verdampfungscurve: v = v^^^ ^ = ^12 ^^^ ^^^ ^^ ^® erste 
Fläche: s = s^^, wie selbstverständlich, und für die zweite Fläche 
zunächst aus (123): 

(128) il^i=0, M,,^M 

und aus (126): s = s^^ . In der That fallen ja für die Punkte 
der Verdampfungscurve die erste und die zweite Lösung zu- 
sammen. Die Schnittcurve der Flächen s und s wird dargestellt 
durch die Gleichungen: 

in denen v, u, s die drei variabeln orthogonalen Coordinaten 
eines Punktes im Raum vorstellen, v^g, u^^, s^^ bangen ab von 
einem einzigen variabeln Parameter, z. B. der Temperatur ^9*12 = t^ji- 
Diese Curve geht auch durch den Punkt {v^ , u^ , s^) , welcher 
die Ecke 1 des Fundamen taldreiecks zur Projektion hat. 

Ein anderer Ast derselben Schnittcurve ist gegeben durch 
die Gleichungen: 

Beide Aeste treffen sich in einem Punkte, der den kritischen 
Punkt zur Projektion hat. Jedem Punkte des einen Astes ist 
ein bestimmter Punkt des andern zugeordnet, insofern beiden 
die nämUche Temperatur ^^^ = ^^^ und der nämliche Druck 



System in verschiedenen Äggregatzuständen. 155 

I?i3 =P2i entspricht. So ist dem Punkte {v^, u^, s^) des ersten 
Astes der Punkt (Vj, u^, s^) des zweiten zugeordnet 

Ferner ist ersichtlich, dass die Fläche s aus lauter Geraden 
besteht, und dass sie auf eine Ebene abwickelbar ist Das erstere 
geht hervor aus der Betrachtung eines Punktes, dessen Coordi- 
naten die Werthe haben: 

X+^l*' X+^' X+^' 

wobei X und yi. beliebige positive Grössen sind. Für alle positiven 
Werthe von X und jtt erhält man nämlich hieraus alle Punkte 
der geradlinigen Strecke, welche die beiden zugeordneten Punkte 

(^12 > ^12 > ^12) ^^^ (^21» ^21* ^21) verbindet Diese Gerade liegt 
offenbar ganz auf der Fläche *', weil für jedes beliebige \ und jtt 
die entsprechenden Werthe von v, w, s die Gleichungen (123) 
und (126) befriedigen, wenn M^^ = A und Jfgi = V^ gesetzt wird. 
Also wird die Fläche s gebildet von den geradlinigen Strecken, 
welche je zwei zugeordnete Punkte der Schnittcurve der Flächen 
s und st verbinden. Eine solche Gerade der Fläche ist auch 
die Verbindungslinie der Punkte (vj, Wj, s^ und {^^^ Wg, «3), 
deren Projektion auf die Zeichnungsebene die Seite (i^) des 
Fundamentaldreiecks ist. Für den kritischen Punkt zieht sich 
diese Strecke auf einen Punkt zusammen, und hier erreicht die 
Fläche 8 ihr Ende. Analog verhält es sich mit den beiden 
andern Blättern der Fläche: das eine Blatt beginnt mit der 
Verbindungslinie der Punkte (vg, w^, s^ und (vg, Wg, 53), das 
andere mit der der Punkte (1^3, Wg, Sj) und (i?!, w^, Sj). 

Die Abwickelbarkeit der Fläche s ergibt sich am einfachsten 
aus der Betrachtung der Gleichung folgender Ebene: 

^12 (^ - ^12) + («* - ^12) - ^^12 (^ - ^12) = , 
worin v, w, s die drei variabeln Eaumcoordinaten bedeuten, 

während p^gj ^12»^ ^i2> '^i2> ^12 ^^^^ (122) von einem einzigen 
Parameter, etwa ß-^^^ abhängen. Diese Ebene enthält erstens 
die zugeordneten Punkte (2;i2, u^^^ s^^ und {^^^^ u^i, «21) > ^®^ 
letzteren vermöge der Gleichungen (122), also auch ihre Ver- 
bindungsstrecke, und zweitens die unendlich benachbarten zuge- 
ordneten Punkte mit den Coordinaten: 

'^12 + ^^12* ^12 + ^"l2> ^12 + ^*12 

und «?2i + dv^^, Wgj + du^^, s^^ + ds^^, 



156 Anwendungen auf spexdelle Oleichgeioichtszustände, 



wie aus (61) folgt, also auch ihre Verbindungsstrecke. Mithin 
hegen zwei unendhch benachbarte Erzeugende der Fläche in 
einer Ebene, und die Fläche ist developpabel. 

Zur Feststellung des Werthes von s — « möge die Aen- 
derung untersucht werden, welche diese Differenz dadurch er- 
leidet, dass man von einem beliebigen Punkt {v, u) der Zeichnungs- 
ebene zu einem beUebigen unendlich benachbarten {v + Sv, 
u + Su) übergeht. Dabei lassen wir M = M^^ + M^i constant, 
was der Allgemeinheit keinen Eintrag thut, weil s und s nur 
von V und u abhängen. Nun haben wir durch Variation 
von (126): 

MSS = M^2 ^^12 + ^21 ^*21 + ^12 ^-^12 + ^21 ^^21 ' 

Femer nach (61): 

c du + p dv 

Ss = ^r—- 

Nun ist nach (123): 

(129) I M,, Sv^^ + 3/,i Sv^^ + v^^ SM^^ + v^, SM^, = MSv 

y Jfi2 ^«12 + Jfgi ^«21 + "la ^-^^la + '*3i ^-^1 = -^^w • 
Daraus ergibt sich unter Berücksichtigung von (122): 

(130) j/ = iü+^"Ai 
und 

(131) ^(^'-«)=U.-|)^« + fe-|)^- 

Betrachten wir nun den Verlauf der Flächen s und s' in 
der Umgebung ihrer Schnittcurve, so ist aus der letzten Gleichung 
unmittelbar ersichtlich, dass sie sich längs dieser ganzen Curve 
berühren. Denn z. B. für irgend einen Punkt der Ver- 
dampfungscurve: v = v^^, u = u^^, dem nach (128) ein gemein- 
samer Punkt beider Flächen entspricht, erhalten wir natür- 
lich auch: 

(132) 1^ = 1^12, P=^P,2^ 

und somit 8{s — s) = 0. 

Um nun das Verhalten der beiden Flächen an diesen Be- 
rührungsstellen des Näheren zu prüfen, variiren wir die Gleichung 
(131) noch einmal allgemein, und wenden sie dann abermals auf 
dieselben Stellen an. 



System in verschiedenen Aggregatx/uständen^ 157 

Zunächst erhalten wir allgemein: 

Dies ergibt für die Berührungspunkte der beiden Flächen 
nach (132): 

&'^S^[s - 5) = Su{8& - 8»^^) + Sv{&Sp^2 - &Sp -pS&^^ +pS&) 

oder kürzer, nach (61): 

&8^{s - 5) = {S& - d0^^2)Ss + {Sp^2 - Sp)Sv. (133) 

Nun reducüren wir alle in diesem Ausdruck vorkommenden 
Variationen auf die beiden einzigen d& und Sv, indem wir 
setzen: 

Nach (81): Ss = ^fS{)' + j^dv. 

Femer: 3p = -,^^i9' + ^8v, 

Es erübrigt nun noch, 8&^^ durch 8& und 8v auszudrücken. 
Dies geschieht durch die Gleichungen (129), welche mit Berück- 
sichtigung der hier eintretenden Vereinfachung (128) die Be- 
dingung Uefem: 

dui2 — ^^ Svi2 — dv 

Setzt man hierin noch: 



SO ergibt sich: 



'18 «*viJ 

8u = c„8& + -^—8v, 



5^,« = 






12 rft/jj «*i2 - Wjl dVi^ 



d&ii Vi2 — t?2i rf^U 

oder, wenn man berücksichtigt, dass nach (109): 

^^^^ = ^13 ^ - Pi2 (135) 



^12 "" *^21 ^^ C^^12 

a^i2 



158 Änwendunge/n auf spezielle Gleichgewichtszustände. 



dass ferner nach (80): 



und dass 



du f. dp 



12 ^ ^la 
1 ( Q.^P \ ^«'it 



sowie: fl^Pn _. öp dp dvi^ 

d&ji d&'^ dvd&^^ 



8^^<^^.^äv 



^ n d V d &if 

12 ~ dp ldvi^\^ 



C^" & 



'» 



d V 






Die so gefundenen Werthe der Variationen in (133) eingesetzt 
ergeben schliesslich für die gesuchte Variation: 

^ '' d V & .dp /rf»u \2 

c„—xr 






d V \d ^ij 

Dieser Ausdruck ist wesentlich positiv, da o^ seiner physikalischen 

Bedeutung nach stets positiv, und -^ nach § 169 für jeden 

Gleichgewichtszustand wesentlich negativ ist. Ein Grenzfall tritt 
ein, wenn 



d&. 



12 



genommen wird; dann wird P{s'—s) = 0. In diesem Falle 
findet die Verrückung (S&y Sv) in der Eichtung der Berührungs- 
curve (t9-j2, v^g) der beiden Flächen statt, lind es ist selbst- 
verständlich, dass dann s=^s bleibt. 

Hieraus folgt, dass die Fläche s' sich in der Umgebung 
aller BerührungssteUen mit der Fläche s über dieselbe erhebt^ 
oder dass s—s stets > 0, und dadurch ist bewiesen, dass die 
zweite Lösung der Gleichgewichtsbedingungen innerhalb ihres 
Gültigkeitsbereichs, also in den Gebieten [12), {23), {31) der Fig. 4 
stets das stabile Gleichgewicht darstellt 

§ 195. Auf ähnliche Weise lässt sich zeigen, dass die 
dritte Lösung der Gleichgewichtsbedingungen innerhalb ihres 



System in verschiedenen Äggregatx/uständen, 159 

Gültigkeitsbereiches den Vorzug vor der zweiten hat Sind v 
und u gegeben, so berechnet sich der dieser Lösung entsprechende 
Werih der mittleren spezifischen Entropie s" eindeutig aus den 
Gleichungen (127) und (121). Die Grössen v^, v^, v^, w^, u^, Wg, 
also auch s-^, s^, s^ haben ganz bestimmte Zahlenwerthe, die 
sich aus den Gleichungen (120) ergeben. 

Zunächst ist ersichtlich, dass die Fläche s'' nichts anderes 
ist als das ebene Dreieck, welches gebildet wird von den Punkten 
(t7j, Wj, Sy), {v^, Wg, s^) und (vg, Wg, Sg), dcrcu Projektionen auf 
die Zeichnungsebene die Ecken des Fundamentaldreiecks sind. 
Denn jeder Punkt mit den Coordinaten: 

_ X Vi -{• fA v^ + vv^ _ Xui -h fii^ + y ^8 _ Asj + |ii Sj + y »3 

^- X-\-ii + y ' ^- X + iu + y ' ^— X + (i + y ' 

wobei l, fi, V beliebige positive Werthe haben, befriedigt die 
Gleichungen (121) und (127), da man nur if^ = A, M^ = fx, 
M^ = V zu setzen braucht. Diese Ebene «" hat mit den drei 
Blättern der abwickelbaren Fläche s' die drei geradlinigen 
Strecken gemeinsam, welche die Punkte {v^, w^, sj, (t;^, u^, s^) 
und (t?3, Wg, Sg) verbinden. In der That: Wird in den letzten 
Ausdrücken etwa v = angenommen, so liefern die Gleichungen 
(121) Jfg = 0, und die dritte Lösung fällt mit der zweiten zu- 
sammen, da dann: 

«'a = «^21 '^i = ^^12 ®*c- ) 

wird. Setzt man ausserdem noch ju = 0, so ergibt sich auch 
i^ = 0, Vy = V, Uy-=u, was ein Zusammenfallen aller drei 
Flächen s\ s und s bedeutet. 

Zur Untersuchung des Werthes von s' — s bilden wir nun 
wieder die Variation S{s" — s\ die durch Sv und Su bestimmt 
wird. Hiefür ergibt sich zunächst aus (127): 

M8s' = s^ SMy + s^SM^ + 5g ^ifg , (138) 

wobei nach (121) die Bedingungen gelten: 

SMj^ +SM^ + SM^ = 0, 

V^ S My + Vjj SM^ + Vg 5ifg = Mdvy 

Wj S My^ + u^ 8 M^ + Wg S M^ = MSu, 

Die Zurückführung des Ausdrucks (138) auf die unabhängigen 
Variationen Sv und Su geschieht am bequemsten dadurch, dass 



160 Anwendungen auf spezielle Oleichgeunchtszvstände. 



man die letzte Gleichung mit -w j die vorletzte mit ^ multiplicirt, 

und sie dann zu (138) addirt Dann ergibt die Berücksichtigung 
von (120): 

^ „ du + Pidv 

öS = r^ . 

Dies mit (130) verbunden ergibt für die gesuchte Variation: 

(139) 8is"-s')^[-l--±-)Su + [^^-^)s., 

wenn die Fläche s durch das Blatt {12) vertreten ist. Aus 
dieser Gleichung geht hervor, dass die Ebene s" das betreffende 
Blatt der Fläche s in der beiden gemeinsamen Geraden be- 
rührt. Denn für irgend einen Punkt dieser Geraden ist nach 
(137) &^ = &^2, p^ =Pi2i so dass S{s" — /) verschwindet. Die 
Ebene s' ist also gemeinsame Tangentialebene zu allen drei 
Blättern der Fläche s, und die Berührungscurven sind die drei 
Geraden, welche das ebene Dreieck s" begrenzen. Für einen 
der Berührungspunkte haben wir nun aus (139) durch aber- 
malige Variation, da &^ und p^ absolute Constante sind : 

s'is" - s') = ^' ^M + [^^ - *J;') Sv, 

oder: 

(140) &^^S\s" - s) = \^8u - (&^ ^^^p)^§v]^ S&,,. 

Nun folgt aus (129) durch Elimination von SM^^ und SM^^: 

ifi, ö Vi2 + -Mit dv^i — Mdv M^^ d Wj, + M^ du^ — Möu 



V. 



12 



^21 ^2 — ^21 

oder mit Rücksicht auf (135) und (134): 









+ M, 



21 d& 



4t- 4"-''^^'^'m 



x%-J 



duii 



Dieser Ausdruck in (140) substituirt und zugleich -r^, analog 



d& 



12 



du 



21 



18 



, nach (136) durch seinen Werth ersetzt, ergibt schliesslich: 



d& 






System in verschiedenen Aggregatxuständen, 161 



Diese Grösse ist wesentlich positiv, da sowohl M^^ und M^^, 

als auch c^ stets positiv, dagegen ^ stets negativ ist Ein 

Grenzfall tritt dann ein, wenn man Sü'^^=0 nimmt, d. h. wenn 
man in der Richtung der Berührungslinie der Flächen s' und s' 
fortgeht, wie es von vorneherein klar ist Daraus folgt also, 
dass das Ebenenstück «" sich in allen seinen Punkten über die 
Fläche s' erhebt, oder dass s"— s niemals negativ wird, und 
damit ist bewiesen, dass die dritte Lösung der Gleichgewichts- 
bedingungen innerhalb ihres Gültigkeitsbereiches, also innerhalb 
des Fundamentaldreiecks der Substanz: {123) das stabile Gleich- 
gewicht darstellt 

§ 196. Wir sind nun im Stande, die oben im § 165 be- 
treffs des stabilen Gleichgewichts gestellte Frage allgemein zu 
beantworten: Ist die Gesammtmasse M, das Gesammtvolumen V 
und die Gesammtenergie U des Systems gegeben, so wird der 

entsprechende stabile Gleichgewichtszustand bestimmt durch die 

V ü 

Lage des Punktes, dem die Coordinaten v = ^ und u — ^j 

" MM 

angehören, in der Zeichnungsebene der Fig. 4. 

Fällt nämlich erstens dieser Punkt in eins der Gebiete 
(i), {2), (3), so verhält sich das System ganz homogen, im gas- 
förmigen, flüssigen oder festen Aggregatzustand. Fallt der Punkt 
zweitens in eins der Gebiete {12), {23), {31), so zerfällt das 
System in zwei verschiedene Aggregatformen, wie sie durch die 
Indices des betreffenden Gebietes angegeben werden. Hiedurch 
ist aber auch sowohl die gemeinsame Temperatur, als auchr die 
Werthe der beiden heterogenen Massentheile vollständig bestimmt 
Denn nach (123) liegt der Punkt {v, u) auf der geradlinigen 
Verbindungsstrecke zweier zugeordneter (§191) Punkte derCurve, 
welche das betreffende Gebiet begrenzt; man ziehe also durch den 
gegebenen Punkt {v, u) diejenige Gerade, welche aus den beiden 
Aesten jener Curve zwei zugeordnete Punkte ausschneidet Diese 
beiden Punkte geben dann die Beschaffenheit der beiden Aggregat- 
formen an, in die sich das System spaltet; sie haben natürlich 
gleiche Temperatur und gleichen Druck. Die Grössen der 
Massentheile selber ergeben sich ebenfalls aus (123): ihr Quotient 
ist gleich dem Verhältniss, in welchem der Punkt {v, u) die 
Verbindungsstrecke der beiden zugeordneten Punkte theilt. 

Planck, Thermodynamik. 11 



162 Anwendungen auf spezielle Oleiehgetvichtszustände, 



Wenn der gegebene Punkt drittens in das Gebiet des 
Fundamentaldreiecks (123) hineinfällt, wird das stabile Gleich- 
gewicht durch eine Spaltung des Systems in alle drei Aggregat- 
zustände bezeichnet, bei der Fundamentaltemperatur und unter 
dem Fundamentaldruck. Es bleibt dann nur noch übrig, die 
Massen der einzelnen heterogenen Theile des Systems zu be- 
stimmen, und dies geschieht durch die Gleichungen (121 a), aus 
denen hervorgeht, dass die Massentheile sich verhalten wie die 
Flächen der drei Dreiecke, welche der Punkt {v, u) mit je einer 
Seite des Fundamentaldreiecks bildet 

So kann man in jedem einzelnen Falle die Bestimmungs- 
stücke des stabilen Gleichgewichts finden, vorausgesetzt, dass 
das Fundamentaldreieck und die Verdampfungs-, Schmelz- und 
Sublimationscurve für die betreffende Substanz ein für aUe Mal 
gezeichnet sind. Zur besseren Uebersicht der Verhältnisse könnte 
man der Figur noch diejenigen Curven beifügen, welche Stellen 
gleicher Temperatur oder gleichen Drucks miteinander verbinden. 
In den Gebieten {12), (23), {31) fallen die isothermischen mit 
den isopiestischen Linien zusammen in die geradlinigen Ver- 
bindungsstrecken je zweier zugeordneter Punkte der Begrenzungs- 
curven, das Gebiet {123) stellt selber eine singulare Isotherme 
und Isopieste vor. Dann erhält man z. B. für Wasser das 
Resultat, dass Eis im stabilen Gleichgewicht unter keinerlei um- 
ständen eine höhere Temperatur als die Fundamentaltemperatur 
(0,0074^ C.) annehmen kann, also auch nicht, wenn der Druck 
noch so sehr erniedrigt werden sollte, während flüssiges Wasser 
bei geeignetem Druck auf beliebig hohe und tiefe Temperatur 
gebracht werden kann, ohne zu verdampfen oder zu gefrieren. 

Sodann lässt sich auch die Frage direkt beantworten, welche 
Zustände ein Körper durchmacht, wenn man ihn einer Anzahl 
von bestimmten äusseren Veränderungen der Reihe nach unter- 
wirft. So z. B. erfährt man das Verhalten eines Körpers mit 
der Masse M, der bei constantem Volumen V abgekühlt oder 

erwärmt wird, durch die Betrachtung der Geraden v = rjr^, 

Ja. 

welche der Ordinatenaxe parallel läuft. Die Gebiete nämlich, 
welche diese Gerade durchschneidet, geben an, welche Zustände 
der Körper in diesem Falle durchmacht, also z. B. ob er im 
Laufe des Prozesses schmilzt, oder ob er direkt sublimirt, u. s. w. 



Sy^iefm von beliebig vielen unabhängigen Besixmdtheüen. 168 



III. Capitel. System von beliebig vielen unabhängigen 

Bestandtheilen. 

§ 197« Im f^olgenden untersuchen wir ganz allgemein das 
Gleichgewicht eines aus verschiedenen räumlich aneinander- 
grenzenden Theilen bestehenden Systems, welches, im Gegensatz 
zu dem im vorigen Capitel behandelten, aus beliebig vielen un- 
abhängigen Bestandtheilen zusammengesetzt sein kann. Jeden der 
räumlich aneinandergrenzenden Theile des Systems setzen wir als 
physikalisch homogen (§ 67) voraus, und nennen ihn nach Gibbs 
eine „Phase" des Systems- So bildet eine Wassermenge, welche 
sich theils im gasförmigen, theils im flüssigen, theils im festen 
Aggregatzustand befindet, ein System von drei Phasen. Von 
vorneherein ist sowohl die Anzahl der Phasen als auch ihr 
Aggregatzustand ganz beliebig. Doch lässt sich sogleich erkennen, 
dass ein im Gleichgewicht befindliches System zwar beliebig viele 
feste und flüssige, aber nur eine einzige gasförmige Phase be- 
sitzen kann; denn zwei verschiedene frei aneinandergrenzende 
Gase befinden sich niemals miteinander im Gleichgewicht. 

§ 198. Ausser der Zahl der Phasen ist für das System 
charakteristisch die Zahl seiner „unabhängigen Bestandtheile'^; von 
ihr hängen die wesentlichsten Eigenschaften des Gleichgewichts 
ab. Die Zahl der unabhängigen Bestandtheile eines Systems 
definiren wir in folgender Weise: Man bilde zunächst die Zahl 
sämmtlicher im System vorhandener chemisch einfachen Stoffe 
(Elemente) und scheide dann aus dieser Eeihe diejenigen Stoffe 
als abhängige Bestandtheile aus, deren Menge durch die der 
übrigen Stoffe in jeder Phase von vorneherein bereits mitbestimmt 
ist; die Zahl der übrig bleibenden Stoffe ist die Zahl der un- 
abhängigen Bestandtheile des Systems. Welche von den Be- 
standtheilen des Systems man als unabhängige, und welche man 
als abhängige Bestandtheile ansehen will, ist im Uebrigen gleich- 
gültig, da es hier nur auf die Anzahl, nicht auf die Art der 
unabhängigen Bestandtheile ankommt. 

Mit der chemischen Constitution der einzelnen Stoffe in 
den verschiedenen Phasen des Systems, insbesondere mit der 
Zahl der verschiedenen Molekülarten, hat die Frage nach der 
Anzahl der unabhängigen Bestandtheile gamichts zu thun. Eine 

11* 



164 Anwendungen auf spexielle Oleichgetoichtszustände. 



Wassermenge in beliebigen Aggregatzuständen bildet z. B. immer 
einen einzigen unabhängigen Bestandtheil^ mögen noch so viele 
und verschiedenartige Associationen und Dissociationen der 
H3O -Moleküle, sei es in Knallgas oder in Ionen, vorkommen. 
Denn die Masse des Sauerstoffs ist durch die des Wasserstoffs, 
oder umgekehrt, in jeder Phase von vorneherein bereits mit- 
bestimmt. Nur wenn etwa im Dampfe Sauerstoff oder Wasser- 
stoff im Ueberschuss vorhanden ist, tritt ein zweiter unabhängiger 
Bestandtheil hinzu. 

Eine wässerige Lösung von Schwefelsäure bildet ein System 
von drei chemisch einfachen Stoffen: S, H, 0, aber nur von 
zwei unabhängigen Bestandtheilen, da die Masse des '0 durch 
die von S und von H in jeder Phase (z. B. flüssige Lösung, 
Dampf, Eis) von vorneherein mitbestimmt ist, während S und H 
sich nicht in jeder Phase von vorneherein gegenseitig bestimmen. 
Ob nun in der Lösung sich das Molekül HgSO^ irgendwie dissociirt 
oder ob sich Molekülcomplexe oder Hydrate bilden oder nicht, 
ändert an der Zahl der unabhängigen Bestandtheile des Systems 
nichts. 

§ 199. Bezeichnen wir die Zahl der unabhängigen Be- 
standtheile eines Systems mit a, so ergibt sich aus der für diese 
Zahl aufgestellten Definition unmittelbar, dass jede Phase des 
Systems im Gleichgewichtszustand bestimmt ist durch die Masse 
eines jeden der a in ihr enthaltenen unabhängigen Bestand- 
theile, und ausserdem durch die Temperatur & und den Druck ^. 
Dabei nehmen wir der Gleichförmigkeit halber an, dass ein 
jeder der a unabhängigen Bestandtheile in jede Phase des Systems 
mit einer gewissen Menge eingeht, welche in speziellen Fällen 
auch verschwindend klein sein kann. Die Wahl der Temperatur 
und des Druckes als unabhängige Variable bedingt in der Form 
der folgenden Gleichungen eine gewisse Abweichung von denen des 
vorigen Capitels, wo neben der Temperatur das spezitische Vo- 
lumen als unabhängige Variable diente. Doch ist hier die Ein- 
führung des Drucks bequemer, weil derselbe im Gleichgewichts- 
zustand allen frei aneinandergrenzenden Phasen des Systems 
•gemeinsam ist und deshalb auch in der Regel leichter gemessen 
werden kann. 

§ 200. Wir denken uns nun die Gesammtmassen der ä 
unabhängigen Bestandtheile des Systems: M^y M^, . . , Ma als 



System van beliebig vielen unabhängigen Bestandtheilen. 165 



gegeben und fragen nach dem thermodynamisclien Gleichgewicht. 
Von den verschiedenen früher für ein beliebiges System auf- 
gestellten Formen der Gleichgewichtsbedingung benutzen wir 
hier am besten diejenige, welche in der Gleichung (79) aus- 
gesprochen ist: 

J0 = O, (141) 

gültig für jede beliebige mit den gegebenen Bedingungen ver- 
trägliche Zustandsänderung, bei der die Temperatur & und der 
Druck p ungeändert bleiben. Dabei ist die Funktion durch 
die Entropie S, die Energie U und das Volumen F des Systems 
nach (75) in folgender Weise bestimmt: 

§ 201. Nun sei ß die Anzahl der Phasen des Systems; 
dann besteht die Funktion Ä, ebenso ü, V und in Folge dessen 
auch aus einer Summe von ß Gliedern, deren jedes sich auf 
eine -einzelne Phase, also auf einen physikalisch homogenen 
Körper bezieht: 

0)= «/+ 0"+ ... +0) , (142) 

wenn wir, wie immer im Folgenden, die verschiedenen Phasen 
durch beigesetzte Striche von einander unterscheiden. Dabei 
ist für die erste Phase: 

(p' =.S -- ^' Y ^' . (143) 

Sj Tfj V und 0' sind vollständig bestimmt durch &, p und 
die Massen M^', M^\ . . . J/« der in der Phase enthaltenen un- 
abhängigen Bestandtheile. Ueber die Art der Abhängigkeit von 
den einzelnen Massen lässt sich von vornherein nur so viel 
sagen, dass, wenn alle Massen in einem bestimmten Verhältniss 
verändert, z. B. verdoppelt werden, auch jede der obigen Funk- 
tionen sich in demselben Verhältniss verändert. Denn bei der 
genannten Veränderung bleibt die innere Beschaffenheit der 
Phase constant, nur ihre Gesammtmasse ändert sich, und zwar 
gerade in dem angenommenen bestimmten Verhältniss, und eben 
dieser Gesammtmasse proportional wächst die Entropie, die 
Energie und das Volumen, und daher auch die Funktion 0'. 
Mit anderen Worten: 0' ist eine homogene Funktion ersten 



166 Anwendu/ngen auf spexdelle Oleickgewiohtsxitstände. 



Grades der Massen Jf/, M^\ . . . Ma, die natürlich nicht linear 
zu sein braucht. 

Um dies analjrtisch auszudrücken, lassen wir alle Massen 
sich in dem VerhäJtniss 1 +6 vergrössern, wobei c eine sehr 
kleine Zahl ist. Dann sind alle Aenderungen sehr klein, und 
man erhält für die entsprechende Aenderung von 0': 

Aber nach der Voraussetzung ist: 
Folglich: 

Diese EüLEE'sche Gleichung lässt sich durch Differentiation 
noch in verschiedene andere Formen bringen. Die in ihr vor- 

kommenden Differentialcoeffizienten ^i^, ^rr7, . . . hängen 

offenbar nur von der inneren Beschaffenheit der Phase, nicht 
von ihrer Gesammtmasse ab, da sich bei einer entsprechenden 
Veränderung in ihnen Zähler und Nenner in gleichem Verhält- 
niss ändert. 

Was für die erste Phase gilt, lässt sich ohne Weiteres auf 
jede andere Phase übertragen. 

§ 202. Mit Benutzung von (142) lautet nun die Gleichge- 
wichtsbedingung : 

(145) d<l>' + 8<b" + ... +S(l>ß = 

oder, da Temperatur und Druck nicht variirt werden: 

1^ SM' + ^^-SM.' + + -^-^ SM' 



+ 



(146) +A^Jif/+A^-Jjf/+ ... +^^SMj^O. 

^ ^ dM^ ^ dM/ ^ dMj 



System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheilen. 167 



Wären die Variationen der Massen ganz beliebig, so würde 
diese Gleichung nur dann erfüllt, wenn sämmtliche Coeffizienten 
der Variationen einzeln gleich Null wären. Nun aber besteht 
zwischen diesen nach § 200 die Bedingung, dass: 

M^ = Jf/ + if/'+ ... + m/ 



J£j = if^' + ^" + • • • +^ 



ß 



(147) 



M^ = M^+M,"+ ... + m/ 
also bei irgend einer möglichen Veränderung des Systems: 

= 8M^' + dM^" + . . . + SM^^ 
{) = dM^ + 8M^'+ ... +8M^^ 



(148) 



= J Ma + 8Ma"+ ... +8 MJ 

Daraus folgt als nothwendige und hinreichende Bedingung für 
das Verschwinden des Ausdrucks (146): 



d0' 80 



BM^'^ d Ml" 


dM/ 


6 0' Ö0" 


60^ 


d M^ d M." 


dM/ 


d0^ 6 0" 


ö<p^ 


BMa' ~ dMa"~ " 


dMj 



(149) 



Dies sind für jeden unabhängigen Bestandtheil jS — 1 Gleichungen, 
die im Gleichgewichtszustand erfüllt sein müssen; also für alle 
a unabhängigen Bestandtheile a[ß — l) Bedingungen. Jede 
dieser Gleichungen bezieht sich auf den üebertritt eines unab- 
hängigen Bestandtheils aus einer Phase in eine andere, sie 
spricht aus, dass das Gleichgewicht in Bezug auf diesen üeber- 
tritt gesichert ist, dass also in der Natur gerade dieser üeber- 
tritt nicht stattfindet. Wie es sein muss, hängt diese Bedingung 
nur von der inneren Beschaffenheit der Phasen, nicht von ihrer 
Gesammtmasse ab. 

Da man die auf einen bestimmten Bestandtheil bezüglichen, 
in einer einzelnen Eeihe befindlichen Gleichungen beliebig um- 
stellen kann, so folgt daraus der Satz: Befindet sich eine Phase in 



168 An/wendungen auf spezielle Qleichgeurichtsxu^tände, 



Bezug auf einen bestimmten Bestandtheil mit zwei anderen Phasen 
im Gleichgewicht, so befinden sich in Bezug auf diesen Bestand- 
theil auch die beiden andern Phasen unter sich im Gleichgewicht 
(sie „coexistiren"). Nehmen wir dazu den schon oben (§ 197) her- 
vorgehobenen Satz, dass jedes System im Gleichgewicht höchstens 
eine einzige gasförmige Phase besitzt, so ergibt sich daraus ganz 
allgemein, dass zwei coexistirende Phasen den nämlichen Dampf 
aussenden. Denn da die eine Phase nach der Voraussetzung 
mit der anderen Phase und selbstverständlich auch mit ihrem 
eigenen Dampf coexistirt, und zwar in Bezug auf jeden ihrer 
Bestandtheile, so coexistirt auch die andere Phase mit dem 
nämlichen Dampf. Man kann daher die Coexistenz von festen 
und flüssigen Phasen dadurch prüfen, dass man ihre Dämpfe 
vergleicht. 

§ 303« Es ist nun leicht zu sehen, wie sich im Allgemeinen 
der Gleichgewichtszustand des Systems aus den von vornherein 
gegebenen äusseren Bedingungen (147) und den Gleichgewichts- 
bedingungen (149) bestimmt. Die Zahl der ersten beträgt a, 
die der zweiten cc{ß — l), also zusammen aß Gleichungen. 
Andrerseits hängt der Zustand der ß Phasen von a ß + 2 

Variabein ab, nämlich ausser von den aß Massen M^', .... M^f 
noch von der Temperatur i^- und dem Druck p. Es bleiben 
daher, wenn alle Bedingungen erfüllt sind, iloch zwei Variable 
unbestimmt. Im Allgemeinen wird man also sowohl die Tem- 
peratur als auch den Druck ganz beliebig wählen können; es 
gibt aber, wie sogleich gezeigt werden wird, spezielle FäJle, in 
denen Temperatur und Druck nicht mehr willkührlich sind, so 
dass dann zwei andere Variable, etwa Gesammtvolumen und 
Gesammtenergie des Systems, unbestimmt bleiben. Verfügt man 
willkührlich über ihre Werthe, so ist dann der Gleichgewichts- 
zustand des Systems in allen Stücken bestimmt 

§ 204. Scheiden wir nun die aß + 2 Variabein, von denen 
der Zustand des Systems abhängt, in solche, welche nur die 
innere Beschaffenheit der Phasen betreffen (innere Variable) und 
in solche, welche nur die Gesammtmassen der Phasen bestimmen 
(äussere Variable). Die Anzahl der ersteren ist {a — l)ß + 2y 
nämlich in jeder der ß Phasen die a — 1 Verhältnisse der 
a in ihr enthaltenen unabhängigen Bestandtheile zu einander. 



System von hdiehig vielen unabhängigen Bestandtheüen. 169 



und ausserdem Temperatur und Druck; die Anzahl der letzteren 
ist ß, nämlich die Gesammtmassen aller Phasen. Zusammen: 

Nun enthalten die a{ß — l) Gleichungen (149) nach dem 
dort Gesagten nur innere Variable, also bleiben nach Befriedi- 
gung dieser Gleichungen von der Gesammtzahl der inneren 
Variabein noch 

[{a - 1)/? + 2] -- [e.(/? - 1)] = e. - /? + 2 

als unbestimmt zurück. Diese Zahl kann nicht negativ sein; 
denn sonst würden die inneren Variabein des Systems nicht 
ausreichen, um die Gleichungen (149) alle zu befriedigen; es 
muss also sein: 

ß^a + 2, 

d. h. die Zahl der Phasen kann die Zahl der unabhängigen 
Bestandtheile höchstens um 2 übertreflfen, oder: ein System von 
cc unabhängigen Bestandtheilen kann höchstens a + 2 Phasen 
bilden. Im Grenzfall: ß =^ a + 2 reicht die Anzahl der inneren 
Variabein gerade aus, um die inneren Gleichgewichtsbedingungen 
(149) zu erfüllen, ihre Werthe sind dann im Gleichgewichts- 
zustand vollkommen bestimmt, ganz unabhängig von den ge- 
gebenen äusseren Bedingungen. Mit jeder Phase weniger wächst 
dann die Zahl der noch unbestimmten inneren Variabein um Eins. 
Dieser, zuerst von Gibbs ausgesprochene, gewöhnlich als 
„Phasenregel" bezeichnete Satz hat besonders durch die Unter- 
suchungen von Bakhuis Eoozeboom eine weitgehende experimen- 
telle Bestätigung erhalten. 

§ 205. Betrachten wir zunächst den Grenzfall: 

ß = a + 2. 

Dann sind sämmtliche innere Variable vollständig bestimmt, 
sie bilden einen „(a + 2) fachen Punkt". Durch Abänderung der 
äusseren Bedingungen, wie z. B. durch Wärmezufuhr, Compression, 
weiteren Zusatz von Substanzmengen, werden nur die Gesammt- 
massen der Phasen, nicht aber ihre innere Beschaffenheit, ein- 
schliesslich Temperatur und Druck, alterirt. Dies gilt solange, 
bis etwa eine der Phasen die Masse Null annimmt und somit 
ganz aus dem System verschwindet. 



170 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtszitstände. 



Für a = 1 hat man hier /? = 3, d. h. ein einziger Bestand- 
theil kann sich höchstens in 3 Phasen spalten und bildet dann 
einen 3 fachen Punkt. Ein Beispiel für diesen Fall liefert eine 
Substanz, die sich in 3 Aggregatzuständen nebeneinander befindet, 
wie im vorigen Capitel ausführlich untersucht wurde. Für Wasser 
ist z. B., wie § 187 gezeigt wurde, im 3 fachen Punkt die Tem- 
peratur 0,0074^ C, der Druck 4,62 °^"^ Quecksilber. Die 3 Phasen 
brauchen aber nicht verschiedenen Aggregatzuständen anzuge- 
hören, so z. B. gibt es Substanzen, wie Schwefel, die im festen 
Zustand verschiedene Modificationen bilden können. Dann stellt 
jede Modification eine besondere Phase dar, und es gilt der Satz, 
dass, wenn zwei Modificationen einer Substanz mit einer dritten 
Phase derselben Substanz, etwa mit ihrem Dampfe, coexistiren 
sollen, dies nur bei einer ganz bestimmten Temperatur und bei 
einem ganz bestimmten Druck geschehen kann. 

Für a = 2 erhält man einen vierfachen Punkt. So liefern 
die beiden unabhängigen Bestandtheile SOg (schweflige Säure) 
und HgO die vier coexistirenden Phasen: S02-7H20 fest, SO3 
in HgO gelöst flüssig, SO2 flüssig, SOg gasförmig, Temperatur 
12,P C. Druck 1770"°^ Quecksilber. Die Frage, ob SOg in 
wässriger Lösung ein Hydrat bildet, berührt nach der Aus- 
einandersetzung im § 198 die Bedeutung der Phasenregel in 
keiner Weise. 

Femer liefern a = 3 unabhängige Bestandtheile, wie Na^SO^, 
MgSO^ und HgO, einen fünffachen Punkt, nämlich das Doppel- 
salz Na2Mg(S04)2*4H20 (Astrakanit), die beiden einfachen Salze 
krystallisirt, wässrige Lösung und Wasserdampf, Temperatur 
22<^C. Druck 19,6"^"^ Quecksilber. 

§ 206. Nehmen wir weiter den Fall: . 

d. h. die a unabhängigen Bestandtheile bilden a + l Phasen. 
Dann ist die innere Beschaffenheit aller Phasen durch eine 
einzige Variable vollkommen bestimmt, etwa durch die Tempera- 
tur oder durch den Druck. Dieser Fall wird gewöhnlich als 
der des „vollständig heterogenen" Gleichgewichts bezeichnet. 

Füra=l ergibt sich hier /9=2: ein einziger unabhängiger 
Bestandtheil in zwei Phasen, z. B. als Flüssigkeit und Dampf. 
Sowohl der Druck als auch die Dichtigkeit der Flüssigkeit und 



System von hdiehig vielen unabhängigen Bestandtheikn, 171 

des Dampfes hängen allein von der Temperatur ab^ wie schon 
im vorigen Capitel gezeigt wurde. Hieher gehört auch die mit 
chemischer Zersetzung verbundene Verdampfung, insofern das 
System nur einen einzigen unabhängigen Bestandtheil enthält, 
wie z. B. die Verdampfung von festem NH4CI (Salmiak). Solange 
nicht Salzsäure- oder Ammoniakdampf im üeberschuss zugegen 
sind, entspricht jeder Temperatur & eine ganz bestimmte Disso- 
ciationsspannung p. 

Für a = 2 wird ß = S, wie z. B., wenn eine Salzlösung 
zugleich mit ihrem Dampf und mit dem festen Salz in Berührung 
ist, oder wenn zwei nicht in allen Verhältnissen mischbare 
Flüssigkeiten (Aether und Wasser) sich zusammen unter ihrem 
gemeinsamen Dampf befinden. Dampfdruck, Dichte und Con- 
centration in jeder Phase sind dann Funktionen der Temperatur 
allein. 

§ 207. Ausser der Temperatur wird auch der Druck häutig 
als diejenige Variable angenommen, durch welche beim voll- 
ständig heterogenen Gleichgewicht die innere Beschaffenheit 
aller Phasen bestimmt ist, namentlich bei solchen Systemen, 
welche keine gasformige Phase besitzen, den sogenannten „con- 
densirten" Systemen. Denn bei diesen Systemen ist der Einfluss 
des Druckes auf den Zustand aller Phasen unter gewöhnlichen 
Umständen so gering, dass man dann ohne merklichen Fehler 
den Druck als gegeben und etwa gleich dem einer Atmosphäre 
annehmen kann. Daher liefert hiefür die Phasenregel den Satz: 
Ein condensirtes System von cc unabhängigen Bestandtheilen kann 
höchstens a + l Phasen bilden und ist dann in seiner inneren Be- 
schaffenheit, einschliesslich der Temperatur, vollkommen bestimmt. 
Ein Beispiel für a = 1, /S = 2 ist der Schmelzpunkt einer Sub- 
stanz, ein anderes Beispiel ist der sogenannte Umwandlungspunkt, 
falls eine Substanz in zwei allotropen Modificationen existiren 
kann. Für a = 2, ß = 3 dient als Beispiel der Punkt, wo sich 
aus einer Salzlösung das Kryohydrat (Eis neben festem Salz) aus- 
scheidet, oder auch, wie für Arsenbromür und Wasser, der Punkt, 
wo aus zwei sich berührenden flüssigen Schichten ein fester Be- 
standtheil sich niederzuschlagen beginnt, für « = 3, ß = 4 der 
Punkt, wo eine Lösung zweier Salze, die fähig sind ein Doppel- 
salz zu bilden, sowohl mit den einfachen Salzen als auch mit 
dem Doppelsalz in Berührung ist, u. s. w. 



172 Anwendungen auf spexieÜe Oleichgeunchtsxtistände, 



§ 308. Wenn ferner: 

so bilden a unabhängige Bestandtheile a Phasen. Dann ist die 
innere Beschaffenheit aller Phasen noch von 2«Variäbeln ab- 
hängig, z. B. von Temperatur und Druck. Ein Beispiel für 
a = l liefert jede Substanz in homogenem Zustand, eins für cc = 2 
eine flüssige Lösung eines Salzes in Berührung mit ihrem Dampf. 
Durch Temperatur und Druck ist die Concentration sowohl in 
der Lösung als auch im Dampf bestimmt. Häufig werden nicht 
Temperatur und Druck, sondern statt dessen die Concentration der 
flüssigen Lösung, entweder zusammen mit der Temperatur, oder 
zusammen mit dem Druck, als die beiden unabhängigen Yariabeln 
genommen. Im ersteren Falle sagt man, dass eine Lösung von 
beliebig gewählter Concentration bei beliebig gewählter Tempe- 
ratur einen Dampf von bestimmter Zusammensetzung und von 
bestimmter Spannung aussendet; im zweiten Falle sagt man, 
dass eine Lösung von beliebig gewählter Concentration bei be- 
liebig gewähltem Druck einen bestimmten Siedepunkt besitzt, 
bei dem ein Dampf von bestimmter Zusammensetzung abdestillirt. 

Ganz entsprechende Gesetzmässigkeiten ergeben sich, wenn 
die zweite Phase nicht dampfförmig, sondern fest (Salz, Eis) oder 
flüssig ist, wie bei zwei Flüssigkeiten, die sich nicht in allen 
Verhältnissen mischen. Immer hängt die innere Beschaffenheit 
der beiden Phasen, also im letzten Beispiel auch die Con- 
centrationen in den beiden über einander geschichteten Lösungen, 
von zwei Variabein ab, etwa Druck und Temperatur. Wenn 
in einem speziellen Fall diese Concentrationen einander gleich 
werden, erhält man eine Erscheinung, die ganz analog ist dem 
Phänomen des kritischen Punktes bei einer homogenen Substanz 
(kritische Lösungstemperatur zweier Flüssigkeiten). 

§ 309. Betrachten wir endlich noch kurz den Fall: 

Hier ist die Zahl der Phasen um Eins geringer als die der 
unabhängigen Bestandtheile, und die innere Beschaffenheit aller 
Phasen hängt also ausser von Temperatur und Druck noch von 
einer dritten willkührlich zu wählenden Variabein ab. So ist z. B. 
a = 3, ß =z 2 für eine wässrige Lösung zweier isomorpher Sub- 
stanzen (Kaliumchlorat und Thalliumchlorat) in Berührung mit 



System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheüen, 173 

einem Mischkrystall. Bei Atmosphärendruck und einer bestimmten 
Temperatur wird je nach der Zusammensetzung des Misch- 
krystalls die Concentration der Lösung eine verschiedene sein, 
so dass man von einer gesättigten Lösung der beiden Substanzen 
von bestimmter Zusammensetzung gamicht sprechen kann. Erst 
wenn ausser dem Mischkrystall sich noch eine zweite feste Phase, 
etwa ein zweiter anders beschaffener Mischkrystall, aus der 
Lösung niederschlägt, wird die innere Beschaffenheit des Systems 
durch Temperatur und Druck allein bestimmt Die experimen- 
telle Untersuchung der Gleichgewichtszustände solcher Systeme 
kann auch umgekehrt dazu dienen, um an der Hand der Phasen- 
regel zu entscheiden, ob ein aus einer Lösung zweier Stoffe er- 
haltener fester Niederschlag der beiden Stoffe eine einzige Phase, 
also z. B. einen Mischkrystall von veränderlicher Concentration, 
bildet, oder ob die beiden Stoffe in zwei räumlich aneinander- 
grenzenden Phasen anzunehmen sind. Denn offenbar trifft die 
zweite oder die erste Annahme zu, je nachdem die Concentration 
der angrenzenden Lösung bei bestimmter Temperatur und Druck 
eine ganz bestimmte ist oder nicht. 

§ 310. Wenn die Ausdrücke der Funktionen 0', 0", . . . 
für jede einzelne Phase bekannt sind, so kann man aus den 
Gleichungen (149) unmittelbar alle Einzelheiten eines Gleich- 
gewichtszustandes des Systems entnehmen. Jenes ist aber bis 
jetzt durchaus nicht der Fall; wenigstens lässt sich über die 
Abhängigkeit jener Funktionen von den Massen der in den ein- 
zelnen Phasen enthaltenen Bestandtheile im Allgemeinen nur 
das aussagen, was schon oben (§ 201) hervorgehoben wurde, dass 
sie nämlich homogen und vom ersten Grade sind. Was dagegen 
ihre Abhängigkeit von Temperatur und Druck betrifft, so ist 
diese iusofem bekannt, als sich die Differentialquotienten nach 
0- und p unmittelbar angeben lassen, und dieser Umstand ge^ 
stattet weitgehende Schlüsse zu ziehen in Bezug auf die Ab- 
hängigkeit des Gleichgewichts von Temperatur und Druck. 

Da nämlich zunächst für die erste Phase nach (143) 

so ist für irgend eine unendlich kleine Zustandsänderung: 



174 Anwendungen auf spezielle Gleichgetmchtszu^tände. 

Nehmen wir nun an, dass die Zustandsänderung nur durch 
Aenderungen von & und p, nicht aber durch solche der Massen 
M^', M^, ... Ma bedingt ist, so gilt nach (60) die Beziehung: 



Folglich: 



xr 



ä0'=^^'±^rd^^-^^-^ 



und daraus geht unmittelbar hervor: 

Aehnliches gilt für jede andere Phase, und somit auch für das 
ganze System, als Summe aller Phasen: 

§ 211. Die letzten Beziehungen können wir benutzen, um 
ein allgemeines Gesetz in Bezug auf die Abhängigkeit des 
Gleichgewichts von Temperatur und Druck aufzustellen. Zu 
diesem Zweck wollen wir im Folgenden unterscheiden zwischen 
zwei verschiedenartigen unendlich kleinen Zustandsänderungen. 
Das Zeichen S soll sich, ganz wie bisher, auf irgend eine virtuelle, 
mit den gegebenen äusseren Bedingungen verträgliche, und daher 
den Gleichungen (148) entsprechende Aenderung der Massen 
if/, M^, .... MJ beziehen, wobei aber Temperatur und Druck 
constant bleiben, d.h. St)' = und Sp=0. Den Gleichgewichts- 
bedingungen (149) braucht der so variirte Zustand nicht zu ge- 
nügen. Dagegen soll sich das Zeichen d auf eine wirklich vor- 
genommene Veränderung, nämlich auf einen dem ursprünglichen 
unendlich nahe gelegenen zweiten Gleichgewichtszustand be- 
ziehen, bei dem auch alle äusseren Bedingungen, einschliesslich 
Temperatur und Druck, in von vorneherein willkührlicher Weise 
geändert sein können. 

Es handelt sich nun darum, auch für den zweiten Zustand 
die Bedingungen des Gleichgewichts festzustellen, und -sie mit 
den für den ursprünglichen Zustand gültigen zu vergleichen. 
Zunächst haben wir für den letzteren als Bedingung des Gleich- 
gewichts, wie oben: 



System von beliebig vielen unabhängigen Bestandiheüen, 175 



Sodann für den zweiten Zustand: 

daraus : 

Sd(l> = 0. (151) 

Nun ist: 

ß 

wobei das Zeichen 2 ^® Summirung über alle ß Phasen des 
Systems bedeuten soU, während die Summirung über die cc un- 
abhängigen Bestandtheile einer einzelnen Phase besonders aus- 
geschrieben ist. Oder nach (150): 

ß 

d<i> = —^d{)'---dp+2jjw^^' ^^Tw^^ ■*"••• 

Folglich geht die Gleichgewichtsbedingung (151) über in: 

ß 
^I^^d&^-dp + 2jdM,Sj^+dM,Sjj^+...==0. {'^^) 

Es fallen nämlich alle von der Variation der Differentiale d&, 
dp, dM^', dM^', . . . herrührenden Glieder weg: die ersten beiden, 
weil SO- = und Sp = 0, alle übrigen, weil in der Gesammt- 
summe: 



+ 



+ l^SdMJ +-^ SdMJ + ..., 

jede Vertikalkolumne für sich verschwindet. Denn z. B. für die 
erste Kolumne ist nach (149): 

6 0^ 6 0" _ 6 0^ 

und ausserdem ist nach (148): 

8dM^ -h 8dM^' + . . . + SdM^^ 

^d{8M^' + 8M^" + ... ^-<Jif/) = 0. 



176 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtsztistände, 

Nun bedeutet weiter S U + pSV nach dem ersten Hauptsatz der 
Wärmetheorie die bei der virtuellen Zustandsänderung 8 dem 
System von Aussen zugeführte Wärme 0, also lässt sich die 
Gleichung (152) auch schreiben: 

ß 
(153) pß^^^-Idp + ^dM,'S^. + dM,^ä^^+ ... =0. 

Hierin ist das Gesetz der Abhängigkeit des Gleichgewichts von 
Temperatur, Druck und von den Massen der unabhängigen Be- 
standtheile des Systems ausgesprochen. Man ersieht daraus zu- 
nächst, dass der Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht 
wesentlich abhängt von der Wärmetönung, welche bei einer 
virtuellen isothermen und isopiestischen Zustandsänderung ein- 
tritt. Ist diese, gleich Null, so fällt das Glied mit d & fort, und 
eine Aenderung der Temperatur fuhrt gar keine Störung des 
Gleichgewichts herbei; wechselt Q das Vorzeichen, so wechselt 
auch der Einfluss der Temperatur auf das Gleichgewicht sein 
Vorzeichen. Ganz Aehnliches gilt in Bezug auf den Einfluss 
des Druckes, welcher seinerseits wesentlich durch die Volumen- 
änderung S V bedingt ist, die durch eine virtuelle isotherme und 
isopiestische Zustandsänderung hervorgerufen wird. 

§ 212. Die Gleichung (153) soll nun auf einige spezielle 
FäUe angewendet werden, zunächst auf solche des vollständig 
heterogenen Gleichgewichts, welche nach § 206 charakterisirt 
werden durch die Beziehung: 

/? = «+ 1. 

Die innere Beschaffeuheit aller Phasen, einschliesslich des Druckes, 
ist hier durch die Temperatur allein bestimmt; daher bringt 
z. B. eine isothermische unendlich langsame Compression des 
Systems nur in den Gesammtmassen der Phasen, nicht aber in 
deren Zusammensetzung, und auch nicht im Druck, eine Aen- 
derung hervor. Eine derartige Aenderung nun, die also in diesem 
speziellen Falle zu einem neuen Gleichgewichtszustand fuhrt, 
wollen wir als virtuelle Zustandsänderung S wählen. Dann 
bleibt ausser der Temperatur und dem Druck auch die innere 
Beschafl'enheit aller Phasen unvariirt< und die Variationen der 

l<\inktionen ^jrp, fi\f'^ * ' * ^'^^^^^^ ^Ue gleich Null, da diese 



System von beliebig vielen unabhängigen BestandtheHen. 177 



Grössen nur von der inneren Beschaffenheit der Phasen ab- 
hängen. Dadurch geht die Gleichung (153) über in: 

d. h. die durch eine virtuelle Zustandsänderung, bei der die 
innere Beschaffenheit aller Phasen ungeändert bleibt, bedingte 
Wärmetönung, dividirt durch die entsprechende Volumenänderung 
des Systems und durch die absolute Temperatur, ergibt die 
Aenderung des Gleichgewichtsdrucks mit der Temperatur. Ist 
Wärmezufuhr von Aussen mit Volumenvergrösserung des Systems 
verbunden, wie bei der Verdampfung, so steigt der Gleich- 
gewichtsdruck mit der Temperatur, im entgegengesetzten Fall, 
wie beim Schmelzen des Eises, sinkt er mit steigender Temperatur. 
§ 313« Für einen einzigen unabhängigen Bestandtheil: 
a=l, also /9=2, führt die letzte Gleichung unmittelbar zu den 
im vorigen Capitel ausführlich behandelten Gesetzen der Ver- 
dampfungs-, Schmelz- und Sublimationswärme. Bildet z. B. die 
Flüssigkeit die erste Phase, der Daimpf die zweite, und be- 
zeichnet r die Verdampfungswärme der Masseneinheit, so ist: 

SV=^[v"--v')SM", 

worin v' und v" die spezifischen Volumina von Flüssigkeit und 
Dampf, SM" die bei einer virtuellen isothermen und isopiestischen 
Zustandsänderung gebildete Menge Dampf bedeutet Mithin 
aus (154): 

identisch mit der Gleichung (111). 

Selbstverständlich sind hier auch Fälle chemischer Um- 
setzungen mit einbegriffen, insofern das System einen einzigen 
unabhängigen Bestandtheil in zwei Phasen enthält, wie z. B. 
die zuerst von Horstmann daraufhin untersuchte Verdampfung 
von Salmiak, wobei Zersetzung in Salzsäure und Ammoniak- 
dampf stattfindet (§ 206), oder die Verdampfung von carbamin- 
saurem Ammoniak, wobei Zersetzung in Ammoniak und Kohlen- 
säure eintritt. Dann bedeutet in der letzten Gleichung r die 
Dissociationswärme, p die allein von der Temperatur abhängige 
Dissociationsspannung. 

Planok, Thermodynamik. 1^ 



178 Anwendungen auf spezielle Oleichgeunchtsx'iistände, 



§ 314. Wir wollen das vollständig heterogene Gleich- 
gewicht auch noch für zwei unabhängige Bestandtheile be- 
trachten: 

a = 2 /? = 3, 

z. B. Wasser (Index 1) und ein Salz (Index 2) in drei Phasen, 
von denen die erste eine flüssige Lösung (Masse des Wassers Jf/, 
des Salzes M^'), die zweite Wasserdampf (Masse ifj"), die dritte 
festes Salz (Masse ifj") ^^^^ möge. Dann ist flir eine virtuelle 
Zustandsänderung : 

^3f/+5Jf/'=0 und äM^'+SM^'''=^0. 

Nach der Phasenregel ist sowohl die Concentration der Lösung: 



als auch der Dampfdruck p Funktion der Temperatur & allein, 
und nach Gleichung (154) ist die während einer unendlich kleinen 
virtuellen Zustandsänderung, bei der &, p und c ungeändert 
bleiben, von Aussen zugelührte Wärme: 

(155) Q^^.^.sr. 

Wir lassen nun die virtuelle Zustandsänderung darin bestehen, 
dass eine unendlich kleine Wassermenge: 

aus der Lösung verdampft. Dann fällt gleichzeitig, da ausser 
d und p auch die Concentration c unvariirt bleibt, die Salz- 
menge: 

aus der Lösung aus, und die Variationen aller Massen sind auf 
SM^" zurückgeführt 

Das öesammtvolumen des Systems: 

worin v\ v" und v" die spezifischen Volumina der drei Phasen 
bedeuten, wird bei der Variation vergrössert um: 

(156) ^ F= [(i;"+ cv'") - (1 + c)v'^, 8M{. 



System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheüen. 179 



Nennen wir nun r die Wärmemenge, welche dem System 
von Aussen zuzuführen ist, damit bei constanter Temperatur, 
Druck und Concentration die Masseneinheit Wasser aus der 
Lösung verdampft und gleichzeitig die entsprechende Menge Salz 
ausscheidet, so ist in (155) zu setzen: 

und wir erhalten: 

r =& -T^ [v" + c v" — (1 + c) «;') . 

Eine in manchen Fällen gut brauchbare Annäherungsformel er- 
hält man, wenn man die spezifischen Volumina der Lösung v 
und des festen Salzes v" gegen das des Dampfes v" vernach- 
lässigt und ausserdem für letzteren den idealen Gaszustand 
voraussetzt. Dann ist nach (14): 

m p 
(R Gasconstante, m Molekulargewicht des Dampfes) 

und es wird: 

r^^&^^^. (157) 

§ 316. r ist zugleich auch umgekehrt die Wärme- 
menge, welche nach Aussen abgegeben wird, wenn sich die 
Masseneinheit Wasserdampf mit der dazu erforderlichen Menge 
festem Salz bei constanter Temperatur und Druck zu gesättigter 
Lösung vereinigt. 

Statt die Vereinigung direkt vorzunehmen, kann man auch 
die Masseneinheit Wasserdampf zunächst isolirt zu reinem Wasser 
condensiren, und dann das Salz im flüssigen Wasser auflösen. 
Nach dem ersten Hauptsatz der Wärmetheorie ist, wenn in beiden 
Fällen der Anfangszustand und der Endzustand des Systems 
derselbe ist, auch die Summe der vom System im Ganzen ab- 
gegebenen Wärme und Arbeit in beiden Fällen die gleiche. 

Im ersten Falle (direkte Vereinigung) haben wir für die bei 
der Condensation nach Aussen abgegebene Wärme: r, für die 

nach Aussen abgegebene Arbeit: -^ PT%7Tf9 ^so für die Summe 

beider, nach (157) und (156), mit den schon benutzten An- 
näherungen : 

12' 



180 Anwendungen auf apexdeUe Ohichgewichtsx/ustände, 



(158) :B^2^|P_ ". 

Berechnen wir jene Summe nun auch für den zweiten Fall. 
Zunächst ist zu bemerken, dass der Wasserdampf über der 
Lösung im Allgemeinen nicht denselben Druck besitzen wird 
wie über reinem Wasser bei derselben Temperatur, sondern einen 
anderen, und zwar keinesfaQs einen grösseren, sondern einen 
kleineren, weil sonst der Dampf über der Lösung übersättigt 
wäre. Bezeichnen wir also den Druck des bei der Temperatur 
x)- gesättigten Wasserdampfes über reinem Wasser mit p^, so 
ist p <Po. 

Wir bringen nun zunächst die Masseneinheit Wasserdampf 
vom Drucke p und dem Volumen v" durch isothermische Com- 
pression auf den Druck p^ mit dem spezifischen Volumen Vq\ 
und somit in den Zustand der Sättigung. Dabei wird positive 
Wärme und negative Arbeit nach Aussen abgegeben. Die Summe 
beider Beträge, welche zugleich die Abnahme der Energie des 
Dampfes angibt, ist gleich Null, wenn wir wieder annehmen, 
dass der Dampf sich wie ein ideales Gas verhält, dass also seine 
Energie bei constant gehaltener Temperatur ungeändert bleibt 
Hierauf condensiren wir den Wasserdampf vom Volumen Vq' 
bei constanter Temperatur & und constantem Druck p^ zu reinem 
Wasser. Die Summe der hiebei nach Aussen abgegebenen Wärme 
und Arbeit ergibt sich mit Hilfe der Gleichung (112) zu: 

(159) _^^3i^_^^,;'. 

Um weiter das flüssige Wasser vom Drucke p^ wieder auf den 
Druck p zu bringen, sind keine merklichen äusseren Wirkungen 
erforderlich. 

Endlich lösen wir in der so erhaltenen Masseneinheit von 
flüssigem Wasser bei constanter Temperatur i9- und constantem 
Druck p soviel Salz auf, als zur Sättigung der Lösung dient, 
und erhalten dabei als Summe der nach Aussen abgegebenen 
Wärme und Arbeit einfach die Lösungswärme: 

(160) X, 

da der Betrag der äusseren Arbeit ganz zu vernachlässigen ist. 
Die Summe der Ausdrücke (159) und (160) ist nach dem ersten 



System von beliebig 'vielen unabhängigen Bestandtheilen, 181 



Hauptsatz der Wärmetheorie gleich dem Ausdruck (158). Wir 
haben daher: 

oder, wenn das BoYLB'sche Gesetz: PqVq" ^pv" benutzt wird: 

Diese zuerst von Ktrchhoff aufgestellte Formel ergibt die Wärme- 
tönung (abgegebene Wärme) bei der Auflösung von soviel Salz in 
1 gr reinem Wasser, als zur Sättigung der entstehenden Lösung 
erforderlich ist. 

um X in Calorieen auszudrücken, hat man die Gasconstante 
R noch mit dem mechanischen Wärmeäquivalent a zu dividiren, 
also nach (34) an Stelle von R 1,97 zu setzen. Dies ergibt 
mit m = 18: 

A = 0,11 i^-^jf^ log ^cal. 

Hiebei ist noch besonders zu beachten, dass p, der Dampfdruck 
über der mit Salz gesättigten Lösung, insofern Funktion der 
Temperatur allein ist, als auch die Concentration c der ge- 
sättigten Lösung sich mit der Temperatur in bestimmter Weise 
ändert 

Die im Laufe der Rechnung vorgenommenen Vernach- 
lässigungen lassen sich im Bedarfsfalle ohne jede Schwierigkeit 
an den einzelnen Stellen verbessern. 

§ 316, Wir gehen nun zur Behandlung des wichtigen 
Falles über, dass zwei unabhängige Bestandtheile (1) und (2) 
sich in zwei Phasen befinden: 

a=2 ß^2 

und entwickeln zunächst die Gleichgewichtsbedingungen unter 
der allgemeinsten Voraussetzung, dass beide Bestandtheile in 
beiden Phasen mit merklichen Mengen enthalten sind, nämlich 
in der ersten Phase mit den Massen M^' und J^', in der zweiten 
Phase mit den Massen M^" und J^". 

Die inneren Variabein des Systems sind ausser der Tem- 
peratur und dem Druck die Concentrationen des zweiten Be- 
standtheile in beiden Phasen; 



182 Anwendungen auf spezielle Oleichgetmchiszustände. 



(162) 



0' = 



M^' 



und o" = 



^" 



und nach der Phasenregel sind von den 4 Variabein i?-, jp, c', o" 
zwei willkührlich, die andern dadurch bestimmt. 

Bei irgend einer mit den äusseren Bedingungen vorgenom- 
menen Aenderung ergibt sich nach (153) folgendes Gesetz für 
die Verschiebung des Gleichgewichts: 

__ ^^ . _dp + dM, S^^ + dM, S^^ 



(163) 

Hierin ist für die erste Phase: 






(164) 






0^0" 



BM^' 

0' 



0^0" 



JM^ 



d M^ ö JM,' ^2 



bU^'^ b M^ d M^ *-^i' + ö Jkr«'« *^ 



Zwischen den Abgeleiteten von 0' nach if^' und M^ bestehen 
gewisse einfache Beziehungen. Da nämlich nach (144): 

so folgt durch partielle Dififerentiation nach MJ und nach MJ: 

n- Jf' Ü^ j. i>r' ^^ 

Setzen wir also zur Abkürzung: 

eine Grösse, die nur von der inneren Beschaffenheit der ersten 
Phase, also von fh, p und c, nicht aber von den Massen M' 
und Jf^' einzeln abhängt, so ergibt sich: 



(166) 



Ö«0' 



¥ 



d M^ d M^' 3f/ 
ö« 0' ^ _ J^ 









System von beliebig vielen unabhängigen- Bestandtheüen, 183 



Ganz dieselben Gleichungen gelten, bei EinführuDg der ent- 
sprechenden Grösse: 

für die zweite Phase. 

§ 317. Von den beiden Grössen y' und y" lässt sich von 
vorneherein nur über das Vorzeichen etwas aussagen. Denn 
nach § 147 ist im stabilen Gleichgewicht ein Maximum^ so- 
fern man nur Vorgänge bei constanter Temperatur und con- 
stantem Druck in Betracht zieht, d. h. 

S^0<O. (167) 

Nun ist 0=0'+ 0" , 

also: ^.f. ^<^' Alf'-L ^^ Alf'-Li^Alf"-i_i^Alf" 

und durch abermalige Variation: 

Führt man hierin nach (165) die Grössen y' und y" ein, so 
ergibt sich: 

*^0=-if,9(^---^)-3f, y (^-^) , 

und diese Beziehung zeigt, dass die Ungleichung (167) stets 
und nur dann erfüllt wird, wenn y' und qp" beide positiv sind. 
§ 318. Im Ganzen sind in dem betrachteten System zwei 
Arten von virtuellen Zustandsänderungen möglich, indem ent- 
weder der erste oder der zweite Bestandtheil aus der ersten in 
die zweite Phase übergeht. Für die erste Aenderung haben wir: 

SM^' = - SM^'' 8M^ = 8M^' = 0, (168) 

für die zweite: . 

SM^ = 8M^' = SM^ = - SM^". 

Wir wollen die dem System zugeführte Wärme Q und die 
Volumenänderung SV des Systems in dem ersten und in dem 
zweiten Falle durch die Indices 1 und 2 unterscheiden; dann 
reducirt sich für den ersten Fall das für eine Verschiebung des 
Gleichgewichts gültige Gesetz durch Combination von (163), 
(164), (168), (166) und (162) direkt auf folgende Form: 



184 Anwmdwngen auf spezielle Oleichgeunchtsxiistände. 



Führen wir noch zur Abkürzung die endlichen Grössen ein: 

(169) rj = y-^iTj «1 = Jm^* 

d. h. das Verhältniss der von Aussen zugefuhrten Wärme bez. 
der Volumenänderung des Systems zu der aus der ersten in die 
zweite Phase übergehenden Masse des ersten Bestandtheils, so 
ergibt sich: 

(170) J.rfi?'- J(i;? - (f'do' + (p"dc" = 0. 

Auf ganz demselben Wege findet man für den Uebergang 
des zweiten Bestandtheils aus der ersten in die zweite Phase, 
in entsprechender Bezeichnung: 

(171) grf^- Jrf/> + <p-^ _ y"^' = 0. 

Durch diese beiden Gleichungen sind bei irgend einer Ver- 
schiebung des Gleichgewichts die vier DiflFerentiale d&y dp, dd^ de" 
aneinander geknüpft. 

§ 319. Um eine Anwendung dieser Gesetze zu geben, be- 
trachten wir z. B. ein System, welches besteht aus dem Gemisch 
zweier Flüssigkeiten (Wasser und Alkohol) in einer flüssigen, der 
ersten, und einer dampfförmigen, der zweiten, Phase. Dann sind 
nach der Phasenregel von den 4 Variabein &, p, c', c" zwei be- 
stimmt durch die beiden übrigen; z. B. ist sowohl die Spann- 
kraft p als auch die Concentration c" des Dampfes bestimmt 
durch die Temperatur und die Concentration d des Flüssigkeits- 
gemisches, und man erhält demgemäss für beliebige Aenderungen 
dÜ- und dd aus (170) und (171): 

dp = ^^- ^ 



dd' == 






Von den zahlreichen Folgerungen, die aus diesen beiden 
Gleichungen fliessen, sei hier nur auf einige hingewiesen. 



System von beliebig viden unahhängigen Bestandtheüen. 185 



Längs einer Isotherme (di?" = 0) ist: 



{^^ -l^»<p'de' 



dp = ^ ±^, (172) 

1 1 

- + -r- , 

de' = -' ^-p.^^dc\ (173) 

1 1 <jp ^ ' 

Die Spannkraft 'p des Dampfes kann mit der Concentration c 
der Flüssigkeitsmischung ab- oder zunehmen. Wenn jp irgendwo 
ein Maximum oder Minimum aufweist, wie z. B. nach Konowalow 
für Propylalkohol und Wasser bei dem Mischungsverhältniss 

77 zu 23, so ergibt sich hiefür -^ = und aus der Gleichung 

(172): = c', d. h. die prozentische Zusammensetzung des 
Dampfes und der Flüssigkeit ist die nämliche, oder: das Ge- 
misch siedet constant. Wenn aber auf einer Isotherme p mit 
wachsendem c zu- oder abnimmt, so ist die Zusammensetzung 
des Dampfes von der der Flüssigkeit verschieden, und zwar ist 
die Concentration des Bestandtheils 2 im Dampf grösser oder 
kleiner als in der Flüssigkeit (c" > oder < o'), je nachdem der 
Dampfdrück p mit wachsender Concentration dieses Bestand- 
theils zu- oder abnimmt. Dies ergibt sich unmittelbar aus (172), 
wenn man berücksichtigt, dass (p\ sowie s^, «^ '^^^ ^' immer 
positiv ist. 

Die Gleichung (173) lehrt, dass längs einer Isotherme die 
Concentrationen c und c" beider Phasen sich immer in gleichem 
Sinne ändern, 

§ 320. Wir wollen uns bei den folgenden Anwendungen 
auf den speziellen Fall beschränken, dass der zweite Bestand- 
theil nur in -der ersten Phase vorhanden ist: 

c'=0 und daher auch e^c"=0. (174) 

Den ersten Bestandtheil, welcher in der ersten Phase mit dem 
zweiten vereinigt, in der zweiten Phase rein enthalten ist, wollen 
wir hier als das „Lösungsmittel", den zweiten als den „gelösten 
Stoff" bezeichnen, (Vgl. dagegen unten § 249). Durch (174) wird 
die Gleichung (171) identisch erfüllt, und von (170) bleibt übrig: 

"^^dfh - ^dp-tfdc = ^, (175) 



186 Änioendimgen auf spezielle Gleichgewichtszustände. 



wenn wir der Einfachheit halber bei r^ und s^ den Index 1, 
und bei q>' und c' den Strich fortlassen. 

Nehmen wir zunächst eine Lösung eines nichtflüchtigen 
Salzes in Berührung mit dem Dampf des Lösungsmittels. Wir 
wollen die Gleichung (175) nach drei Kichtungen betrachten, je 
nachdem wir die Concentration c der Lösung, die Temperatur xJ-, 
oder den Druck p constant halten, und die Abhängigkeit der 
beiden übrigen Grössen voneinander betrachten. 

§ 221. Constante Concentration. dc = 0. 
Die Abhängigkeit des Dampfdruckes von der Temperatur 
ist nach (175): 



("«) (ff) -5^.- 



Hiebei kann man r kurz bezeichnen als die Verdampfungswärme 
der Lösung. Fasst man sie nicht, wie in (169) gefordert wird, 
als Verhältniss zweier unendlich kleiner Grössen auf, sondern 
bezieht sie direkt auf die Masseneinheit des Lösungsmittels, so 
muss man sich die Menge der Lösung so gross denken, dass 
ihre Concentration durch den Austritt der Masseneinheit des 
Lösungsmittels nicht merklich geändert wird, s kann man ge- 
wöhnlich einfach gleich dem Volumen der Masseneinheit des 
Dampfes: v setzen. Nimmt man ausserdem für diesen das BoYiiE- 
Gat LussAc'sche Gesetz als gültig an, so ergibt sich: 

(177) s=v = ^^ 

^ ' m p 

und aus der letzten Gleichung: 

m \ d& Je 

r ist zugleich auch umgekehrt die Wärmemenge, welche nach 
Aussen abgegeben wird, wenn sich die Masseneinheit des dampf- 
förmigen Lösungsmittels bei constantem & und p mit einer 
grossen Quantität der Lösung von der Concentration c vereinigt. 
Statt die Vereinigung direkt vorzunehmen, kann man auch 
die Masseneinheit Dampf zunächst isoUrt zum flüssigen reinen 
Lösungsmittel condensiren und dann damit die Lösung verdünnen. 
Nach dem ersten Hauptsatz der Wärmetheorie ist, wenn in 
beiden Fällen der Anfangszustand und der Endzustand des 
Systems derselbe ist, auch die Summe der vom System im 



System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheilen, 187 



Ganzen abgegebenen Wärme und Arbeit in beiden Fällen die 
gleiche. 

Im ersten Fall haben wir für die Summe* der nach Aussen 
abgegebenen Wärme und Arbeit: 

r — pv = —iS-^i ^^^ ] —pv. 

Im zweiten Falle haben wir, wenn wir genau ebenso verfahren, 
wie in § 215 beschrieben wurde, als Summe der bei der Conden- 
sation und der darauf folgenden Verdünnung nach Aussen ab- 
gegebenen Wärme und Arbeit: 

wobei Pq der Druck, Vq das spezifische Volumen des bei der 
Temperatur & über reinem Lösungsmittel befindlichen Dampfes, 
J die Verdünnungswärme der Lösung bezeichnet, d. h. die Wärme- 
tönung (frei werdende Wärme) beim Zusatz der Masseneinheit 
des flüssigen Lösungsmittels zu einer grossen Quantität der 
Lösung von beliebig gegebener Concentration c. Da nun nach 
dem ersten Hauptsatz der Wärmetheorie die letzten beiden Aus- 
drücke gleich sind, so erhalten wir, mit Rücksicht auf das 
BoTLB'sche Gesetz: 

die EiECHHorr'sche Formel für die Verdünnungswärme. 

Die im Laufe der Rechnung eingeführten Vernachlässigungen, 
die darauf beruhen, dass der Dampf als ideales Gas und sein 
spezifisches Volumen gross gegen das der Flüssigkeit angenommen 
ist, lassen sich nöthigenfalls leicht ergänzen. 

Die Aehnlichkeit des Ausdrucks für die Verdünnungswärme J 
mit dem oben aufgestellten Ausdruck (161) für die Sättigungs- 
wärme X der Masseneinheit des Lösungsmittels mit dem festen 
Salz ist nur eine äusserliche, weil es sich hier um eine Lösung 
von ganz beliebiger Concentration handelt und demgemäss auch 
die Differentiation nach der Temperatur bei constantem e aus- 
zuführen ist, während dort die Concentration der mit Salz ge- 
sättigten Lösung sich mit der Temperatur in bestimmter Weise 
mitändert 

§ 222. Da bei kleinen Werthen von c (verdünnte Lösung) 
die Verdünnungswänne J klein ist (§ 97), so wird nach (178) 



188 Anwendungen auf spezielle Oleiehgetoichtszustände. 



für eine verdünnte Lösung von bestimmter Concentration das 
Verhältniss des Dampfdrucks p zu dem Dampfdruck über reinem 
Lösungsmittel p^ merklich unabhängig von der Temperatur 
(Gesetz von Babo). 

§ 223. Constante Temperatur. d& ==0. 
Die Abhängigkeit des Dampfdrucks p von der Concentration 
der Lösung ist nach (175): 

und, wenn man das spezifische Volumen der Flüssigkeit gegen 
das des Dampfes vernachlässigt und letzteren als ideales Gas 
mit dem Molekulargewicht m betrachtet, nach (177): 



\d c)^ 



mp q> 

oder: ( d \ogp \ _ m 

\ de )^ R^' 

Da (p nach § 217 nothwendig positiv, so nimmt mit steigender 
Concentration der Lösung der Dampfdruck immör ab. Dieser 
Satz liefert u. A. ein Mittel zur Entscheidung der Frage, ob 
eine bestimmte Flüssigkeit wirklich eine Lösung oder etwa nur 
eine Emulsion des einen Bestandtheils in dem andern bildet. Ln 
letzteren Falle hat die Anzahl der in der Flüssigkeit suspendirten 
Theile gar keinen Einfluss auf den Dampfdruck. 

Näheres lässt sich im Allgemeinen, so lange die Grösse qp 
nicht genauer bekannt ist, über die Abhängigkeit der Dampf- 
spannung von der Concentration nicht sagen. 

§ 234. Für c = (reines Lösungsmittel) sei wieder p = p^. 
Dann ist flir einen kleinen Werth von c p nur wenig von p^ 
verschieden, und man kann setzen: 

^P __ P - Po _, P - Po ^ 
de e — c ' 

Folglich nach (179): 

(180) p^^p^^. 

Setzt man wieder für s nach (177) das spezifische Volumen des 
als ideales Gas angenommenen Dampf es, so ergibt sich: 

/iöi\ Po - P omq> 



System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheilen. 189 



d. h. die relative Dampfspannungsemiedrigung ist proportional 
der Concentration der Lösung (Gesetz von Wüllner). Weiteres 
siehe § 270. 

§ 235. Constanter Druck, dp = 0. 

Die Abhängigkeit der Temperatur (Siedetemperatur) von der 
Concentration ist nach (175): 

Da (p positiv, so wird die Siedetemperatur bei steigender Con- 
centration erhöht. Durch Vergleich mit der Formel (179) flir 
die Abnahme des Dampfdruckes ergibt sich flir eine beliebige 

Lösung: 

( d& \ (dp\ _ &8 
[de)/[de)^^ r ' 

d. h. bei einer unendlich kleinen Vergrösserung der Con- 
centration verhält sich die Zunahme der Siedetemperatur (bei 
constantem Druck) zu der Abnahme des Dampfdruckes (bei 
constanter Temperatur) wie das Produkt der absoluten Tempe- 
ratur und des spezifischen Dampfvolumens zu der Verdampfungs- 
wärme der Lösung. 

Bedenkt man, dass dieses Verhältniss der der Gleichung (6) 
ganz analogen Identität genügt: 

(d±\ (dp) __ (d^\ 

SO kommt man unmittelbar zur Gleichung (176) zurück. 

§ 326, Für c = sei d^ = &^ (Siedepunkt des reinen 
Lösungsmittels), dann wird für kleine Werthe von c & nahezu 
= &Qy und man kann setzen: 

Te ^ c - "~ c ' 

wodurch die Gleichung (182) übergeht in: 

^-^o^'^^. (183) 

d. h. die Siedepunktserhöhung ist proportional der Concentration 
der Lösung. Weiteres siehe § 269, 

§ 337. Betrachten wir weiter den Fall, dass die zweite 
Phase das reine Lösungsmittel nicht im dampfförmigen, sondern 
im festen Aggregatzustand enthält, wie das z. B. beim Gefrieren 



190 Anwendungen auf spexidle Oleichgetmchtszu^tände. 



einer wässrigen Salzlösung oder beim Ausfällen von Salz aus 
gesättigter Lösung eintritt. Im letzteren Falle müssen wir nach 
den Festsetzungen in § 220 als ersten Bestandtheil das Salz, 
als zweiten Bestandtheil das Wasser rechnen, und das Salz als 
Lösungsmittel, das Wasser als gelösten StoflF bezeichnen. Dann 
ist in jedem Falle die Gleichung (175) ohne Weiteres anwendbar, 
und lässt sich auch hier wieder nach drei Richtungen behandeln, 
je nachdem man untersucht, in welcher Weise sich der Gefrier- 
punkt bez. Sättigungspunkt einer Lösung von bestimmter Con- 
centration mit dem Druck ändert (de = 0), oder wie der Druck 
zu ändern ist, damit eine Lösung von geänderter Concentration 
bei der nämlichen Temperatur gefriert bezw. gesättigt ist [dß- = 0) 
oder endlich, wie sich der Gefrierpunkt bez. Sättigungspunkt 
einer Lösung unter bestimmtem äusseren Druck mit der Con- 
centration ändert {dp = 0). Für den letzten, als den wichtigsten 
Fall erhalten wir aus (175), wenn wir zugleich zum Unterschied 
gegen die Siedetemperatur die Gefriertemperatur bez. Sättigungs- 
temperatur als Funktion der Concentration mit ß-' bezeichnen: 



m.- 



p 

wobei r hier die Wärme bedeutet, welche von Aussen aufge- 
nommen wird, wenn aus einer grossen Quantität Lösung von der 
Concentration e die Masseneinheit des Lösungsmittels (Eis, Salz) 
ausfällt Da diese Wärmemenge häufig negativ ist, so setzen 
wir r = — r und bezeichnen r' als die „Gefrierwärme" der 
Lösung bez. als die „Fällungswärme" des Salzes. Es ist die 
Wärmetönung (frei werdende Wärme) beim Ausfällen des Lösungs- 
mittels aus der Lösung. Dann ist 



('«<) (^) - - 



p 
Die Gefrierwärme r einer Salzlösung ist immer positiv; daher 

sinkt der Gefrierpunkt &' der Lösung stets mit wachsendem 
Salzgehalt c. Andrerseits: wenn die Fällungswärme r' eines 
Salzes aus einer Lösung positiv ist, so sinkt der Sättigungspunkt 
i?*' der Lösung mit wachsendem Wassergehalt e der Lösung, 
d. h. er steigt mit wachsendem Salzgehalt. Im entgegengesetzten 
Fall sinkt der Sättigungspunkt mit wachsendem Salzgehalt Will 
man bei einer mit Salz gesättigten Lösung nicht den Wasser- 
gehalt, sondern den Salzgehalt der Lösung mit c bezeichnen, so 



System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheüen, 191 



hat man nach der von c in (162) und nach der von q> in (165) 
aufgestellten Definition in der letzten Formel statt c nur zu 

schreiben: — , und statt cp zu schreiben: c(p, wodurch dieselbe 

übergeht in: 

Hier haben nun c und (p dieselbe Bedeutung wie in der auf 
den Gefrierpunkt einer Lösung bezüglichen Formel (184). 

§ 328. Für = sei !?• = &q (Gefriertemperatur des reinen 
Lösungsmittels). Dann wird für kleine Werthe von c ß-' nahezu 
= d-Q und man kann setzen: 

de ~ c-O "" c ' 
so dass die Gleichung (184) übergeht in: 

*o'-*'=^. (186) 

d. h. die Gefrierpunktsemiedrigung ist proportional der Con- 
centration. Weiteres siehe § 271. 

§ 339. Da die hier überall vorkommende positive Grösse cp 
für eine Lösung von bestimmtem c, & undjo einen ganz bestimmten 
Werth hat, insbesondere unabhängig ist von der Beschaffenheit 
der zweiten Phase, so sind durch die letzten Formeln die Ge- 
setze der Dampfdruckemiedrigung, Siedepunktserhöhung, Gefrier- 
punktsemiedrigung und Sättigungspunktsveränderung auf all- 
gemeine Weise mit einander verknüpft, und man braucht nur eine 
einzige dieser Erscheinungen für eine Lösung messend zu ver- 
folgen, um mit Hülfe des daraus berechneten Werthes von qp 
die übrigen für die nämliche Lösung ableiten zu können. 

Wir wollen nun noch einen weiteren Fall betrachten, in 
welchem die nämliche Grösse qp wiederum eine charakteristische 
Bedeutung besitzt, nämlich den Gleichgewichtszustand, der ein- 
tritt, wenn neben der flüssigen Lösung sich das reine Lösungs- 
mittel weder im dampfförmigen, noch im festen, sondern ebenfalls 
im flüssigen Zustand befindet, aber nicht frei angrenzend, weil 
sonst kein Gleichgewicht möglich sein würde, sondern von der 
Lösung getrennt durch eine Wand, welche nur für das Lösungs- 
mittel, nicht aber für den gelösten Stoff durchlässig ist. Der- 



192 Anv)€ndimgen auf spezielle Oleic/igetoichtsz/ustände, 



artige „semipermeable" Wände sind zwar für keine einzige 
Lösung mit absoluter Vollkommenheit herzustellen, ja sie sind 
sogar dui'ch die später entwickelte Theorie (§ 259) principiell 
ausgeschlossen, da der gelöste Stoff unter allen Umständen mit 
endlicher, wenn auch in gewissen Fällen äusserst geringer Ge- 
schwindigkeit durch die Substanz der Wand hindurchdiffundiren 
wird. Aber es kommt hier auch nur allein darauf an, dass man, 
ohne ein Gesetz der Thermodynamik zu verletzen, die Diffusions- 
geschwindigkeit des gelösten Stoffes durch die Wand gegen die- 
jenige des Lösungsmittels beliebig klein annehmen darf, und 
diese Annahme wird dadurch gerechtfertigt, dass sich in der 
Natur die Eigenschaft der Semipermeabilität für manche Sub- 
stanzen in praktisch überaus grosser Annäherung verwirklicht 
findet. Der Fehler, den man dadurch begeht, dass man die 
Diffusionsgeschwindigkeit des gelösten Stoffes durch die Wand 
direkt gleich Null setzt, sinkt daher hier ebenso unter alle mess- 
baren Grenzen herab, wie etwa der ganz ähnliche Fehler, der 
in der von uns oben gemachten Voraussetzung liegt, dass ein 
Salz absolut nicht aus der Lösung verdampft oder ausfriert; 
denn auch diese Annahme ist streng genommen unzulässig (§ 259). 
Die Bedingung, dass zwei Phasen, die von einander durch 
eine semipermeable Wand getrennt sind, sich im Gleichgewicht 
befinden, ergibt sich leicht aus der allgemeinen thermodynami- 
schen Gleichgewichtsbedingung. Sie lautet, ebenso wie in 
Gleichung (145): 

(187) 5a>' + 5a>" = o, 

gültig für jede virtuelle Zustandsänderung, bei der die Tempe- 
ratur und der Druck in jeder Phase ungeändert bleibt Der 
einzige Unterschied gegen den Fall freier Berührungsflächen ist 
der, dass hier, bei der Anwesenheit einer trennenden Wand 
zwischen beiden Phasen, der Druck in der zweiten Phase: p" 
ein anderer sein kann als der in der ersten: 7?', wobei unter 
„Druck" schlechthin, wie immer, der gewöhnliche hydrostatische, 
manometrisch wirksame Druck zu verstehen ist. 

Der Nachweis für die Gültigkeit obiger Gleichgewichts- 
bedingung findet sich unmittelbar, wenn man von der allgemeinen 
Gleichung (76) ausgeht und dort anstatt der Gleichung (78) für 
die äussere Arbeit den Werth: 

A= ^p'dV -'p"SV' 



System von beliebig ^vielen unabhängigmh Bestandiheüen. 193 



einsetzt. Die weiteren Folgerungen aus (187) schliessen sich 
ganz den oben für eine freie Berührungsfläche abgeleiteten an. 
Zunächst haben wir, entsprechend der Gleichung (163), für irgend 
eine Verschiebung des Gleichgewichts: 

-d&^—dp --^dp +dM, S^^. + dM, Sj^, + . . . = 

und weiter, unter Berücksichtigung des ümstandes, dass der 
Bestandtheil 2 nur in der ersten Phase vorkommt, anstatt der 
Gleichung (175) die folgende: 

!_ rf ,9- - ^ rf/-'^' dp" ~-(fdc = 0. (188) 

Hier ist, wie in § 221, r die „Austrittswärme" des Lösungs- 
mittels aus der Lösung, d. h. die Wärmemenge, welche von 
Aussen zuzuführen ist, wenn bei constanter Temperatur iS- und 
bei Constanten Drucken y und p" die Masseneinheit des Lösungs- 
mittels aus einer grossen Quantität der Lösung durch die semi- 
permeable Wand in das reine Lösungsmittel übergeht. Femer 
ist s die bei demselben Vorgang eintretende Volumenänderung 
def Lösung (negativ), /' diejenige des angrenzenden Lösungs- 
mittels (positiv). In der Gleichgewichtsbedingung (188) sind also 
von den vier Variabein &, p', p'\ c drei willkührlich und erst 
die vierte dadurch bestimmt 

Nehmen wir zunächst den Druck p' im reinen Lösungs- 
mittel als gegeben und unveränderlich an, etwa als den Druck 
einer Atmosphäre, so haben wir dp" = Q, Setzen wir femer 
di9' = und de von Null verschieden, d. h. betrachten wir 
Lösungen verschiedener Concentration bei der nämlichen Tempe- 
ratur und bei dem nämlichen Druck im angrenzenden reinen 
Lösungsmittel, so ergibt sich aus (188): 



( 



dp' \ _ &g> 



Da nun y >0 und s'<0, so wächst mit steigender Concentration 
c der Druck p' im Innern der Lösung. 

Man bezeichnet die Differenz der Drucke in beiden Phasen: 

p —p = F 

als den „osmotischen Druck" der Lösung. Da nun p" oben als 
constant angenommen ist, lässt sich schreiben: 

Planck, Thermodynamik. 13 



194 Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände. 

Somit sind auch die Gesetze des osmotischen Druckes auf 
die nämliche Grösse (p zurückgeführt, welche die Gesetze der 
Dampfspannungserniedrigung, Siedepunktserhöhung u. s. w. be- 
dingt. Da (p positiv, so wächst der osmotische Druck mit 
steigender Concentration. Da aber die Differenz p' — p' für 
c = nothwendig verschwindet, so ist daher der osmotische 
Druck immer positiv. 

Für kleine Werthe von c ist: 

öP_ P- _ P 

de e — c 

und — s nahezu gleich dem spezifischen Volumen der Lösung. 
Daraus folgt nach (189): 

(190) p^^^9> 



V 



wenn man mit v das spezifische Volumen der Lösung bezeichnet 
Weiteres siehe § 272. 

§ 380. Wir haben für verschiedene den Bedingungen des 
§ 220 entsprechende Systeme die Gesetze des Gleichgewichts auf 
eine einzige für das thermodynamische Verhalten einer Lösung 
charakteristische Grösse (p zurückgeführt. Es bietet keine 
Schwierigkeit, die entsprechenden Sätze auch für den Fall ab- 
zuleiten, dass die gelöste Substanz auch in der zweiten Phase 
enthalten ist. Man hat dann von den beiden Gleichungen (170) 
und (171) auszugehen, und findet die einzelnen Beziehungen 
durch die beiden Grössen qp' und qp" bedingt. Zu einer näheren 
Kenntniss dieser Grössen qp kann man dadurch gelangen, dass 
der Begriff des Moleküls, den wir bisher nur auf den gasformigen 
Aggregatzustand angewendet haben, auch auf den flüssigen Zu- 
stand erstreckt wird. In den folgenden beiden Capiteln wird 
dieser Schritt ausgeführt, wobei sich zugleich zeigt, dass die 
Richtung, in der er zu erfolgen hat, durch die vorliegenden 
Sätze der Thermodynamik in jeder Hinsicht eindeutig vor- 
geschrieben ist. 

§ 381. Wie für zwei unabhängige Bestandtheile in zwei 
Phasen aus der allgemeinen Beziehung (153) die Gleichgewichts- 
bedingungen (170) und (171) abgeleitet wurden, so lässt sich 



System von beliebig vielen unabhängigen Bestandtheilen, 195 



ganz auf dem entsprechenden Wege auch für den allgemeinen 
Fall die nämliche Ableitung ausfuhren. 

Hier soU zum Schluss nur kurz das Resultat angeführt 
werden, welches sich auf diese Weise für ein System von cc un- 
abhängigen Bestandtheilen in ß Phasen ergibt. 

Bezeichnet man die Concentrationen der einzelnen unab- 
hängigen Bestandtheile in den einzelnen Phasen, bezogen auf 
einen bestimmten, mit 1 bezeichneten Bestandtheil, entsprechend 
den Gleichungen (162), mit: 



M/ 


- ' 


n^' 




- ' 


M,' 


/ 




M,' 


= ^2' 


M,' 




^sy 


M,' 


C4, 


• • ■ 


Af," 


„ " 


M," 




. /. " 


m:' 


^ " 




• 


= ^2 , 

• ■ • 


• • 


• 


• • 


• • 


• • 


• • • 
• • • 



so lautet die Bedingung dafür, dass bei irgend einer mit dem 
Zustand des Systems vorgenommenen unendlich kleinen Ver- 
änderung: d&j dp, dc^j dc^y dc^y . . . dc^\ ^^s» ^^4'? • • • • 
das Gleichgewicht gesichert bleibt gegen den Uebertritt des 
Bestandtheils 1 aus der eingestrichenen Phase in die zwei- 
gestrichene Phase: 



Dabei ist analog (165): 

und r^ und s^ bedeuten die Wärmezufuhr bez. die Volumen- 
änderung des Systems bei dem isothermischen und isopiestischen 
Uebertritt der Masseneinheit des Bestandtheils 1 aus einer grossen 
Quantität der eingestrichenen Phase in eine grosse Quantität 
der zweigestrichenen Phase (vgl. § 221). 

So lässt sich für jeden möglichen Uebertritt irgend eines 
Bestandtheils aus irgend einer Phase in irgend eine andere Phase 
die entsprechende Gleichgewichtsbedingung aufstellen. 



13 



Q* 



196 Anw&ndwngen auf spezielle Okichgewichtsxustände. 



IV. Capitel. Gasförmiges System. 

§ 383. Die Beziehungen, welche wir bisher für die ver- 
schiedenen Eigenschaften thermodynamischer Gleichgewichts- 
zustände aus der allgemeinen Gleichgewichtsbedingung (79) her- 
geleitet haben, beruhen im Grunde auf der Abhängigkeit der 
für das Gleichgewicht bei gegebener Temperatur und gegebenem 
Druck charakteristischen Funktion <I> von Temperatur und Druck, 
wie sie in den Gleichungen (150) ausgedrückt ist. Eine voll- 
ständige Beantwortung aller auf das Gleichgewicht bezüglichen 
Fragen ist aber erst dann möglich, wenn (I> auch in seiner Ab- 
hängigkeit von den Massen der in den einzelnen Phasen des 
Systems vorhandenen Bestandtheile angegeben werden kann, und 
hiezu dient die Einführung des Molekulargewichts. Wir haben 
schon jßrüher, bei der Besprechung der Eigenschaften idealer 
Gase, sowohl das Molekulargewicht eines chemisch homogenen 
Gases, als auch die Molekülzahl einer Gasmischung aus dem 
AvoGADEo'schen Satze definirt, und wenden uns daher hier zu- 
nächst der Untersuchung eines Systems zu, welches eine einzige 
gasförmige Phase vorstellt. 

Die Aufgabe ist vollständig gelöst, wenn es gelingt, die 
Funktion in ihrer Abhängigkeit von den unabhängigen Variabein, 
nämlich der Temperatur &, dem Druck p und den Zahlen 
Wj, Wgj n^, ... aller in der Mischung vorhandenen verschieden- 
artigen Moleküle anzugeben. 

Da nach (75) allgemein: 

SO läuft die Aufgabe darauf hinaus, die Entropie S, die Energie 
U und das Volumen F einer Gasmischung als Funktion der 
obigen unabhängigen Variabein auszudrücken. Dies lässt sich 
nun ganz aUgemein bewerkstelligen, wenn wir die Voraussetzung 
einführen, dass für die Mischung die Gesetze idealer Gase gelten, 
— eine Beschränkung, die in vielen Fällen keinen erheblichen 
Fehler bedingen wird. Will man sich von ihr frei machen, so 
muss man durch besondere Messungen, wie sie weiter unten an- 
gegeben sind, die Werthe der Grössen S^ ü und V ermitteln. 
Hier wollen wir aber die Annahme idealer Gase festhalten. 



Gasförmiges System, 197 



§ 338. Was zunächst das Volumen V der Mischung be- 
trifft, so ist dieses durch das Boyle-Gay LussAC-DALTON'sche 
Gesetz bestimmt. Denn nach Gleichung (16) ist 

^ = ^K + «3 + • • • • ) = y 2' **! • (1^1) 

Die Energie U einer Gasmischung femer ergibt sich aus 
den Energieen der einzelnen getrennten Gase mit Hilfe des ersten 
Hauptsatzes der Wärmetheorie. Denn nach diesem bleibt die 
Energie eines Systems unverändert, wenn keinerlei äussere 
Wirkungen auf dasselbe ausgeübt werden, einerlei welche innem 
Veränderungen dabei eintreten. Lässt man nun eine beliebige 
Anzahl von Gasen, die auf eine gemeinsame Temperatur ß- und 
auf einen gemeinsamen Druck p gebracht sind, bei constant ge- 
haltener Temperatur und Druck ineinander diffundiren, so lehrt 
die Erfahrung, dass dann weder das Volumen des Systems sich 
ändert, noch Wärme von Aussen aufgenommen wird. Folglich 
ist dabei das mechanische Aequivalent der äusseren Wirkungen 
gleich Null, und die Energie des Systems behält ihren Anfangs- 
werih bis zur voUständigen Beendigung des Diffusionsprozesses 
unverändert bei. Daher ist die Energie einer Mischung idealer 
Gase gleich der Summe der Energieen der einzelnen Gase, bei 
der nämlichen Temperatur und dem nämlichen Druck genommen. 
Die Energie U^ eines einzelnen idealen Gases mit der Molekül- 
zahl n^ ist aber nur abhängig von der Temperatur, nämlich 
nach (35): 

ü^=n^Kß + \), (192) 

wobei G^^ hier die Molekularwärme des Gases bei constantem 
Volumen, h^ eine Constante bedeutet. Folglich ist die Gesammt- 
energie der Mischung: 

^=2^i(S'^ + ^)- (193) 

§ 334. Es handelt sich nun noch um die Bestimmung der 

Entropie S einer Gasmischung als Funktion von ß-^ p und den 

Molekülzahlen Wj, n^j ... Soweit S von ß und p abhängt, lässt 

es sich aus ü und V berechnen mittelst der Gleichung (60): 

, c» <i ü + pdV 
dS= ^ , 

wobei die Differentiale sich nur auf Aenderungen von ß und /?, 
nicht aber auf solche der Molekülzahlen beziehen. 



198 Anwendungen auf spezielle OleiehgewioJäszttstände. 



Nun ist nach (193): 

dU=^n^Cy^d& 
und nach (191): 



^ 



dF= R y^n.d 



c/.S= > //, 6V^ - + - --- 



Folglich durch Substitution: 

dr'^ . Ed& Rdp' 

P 

und durch Integration: 

(194) ^^ = y^n, [c,^ log /> + /?log^) + C. 

Die Integrationsconstante G ist unabhängig von »9- und />, 
wohl aber kann sie noch von der Zusammensetzung der Mischung, 
d. h. von den Molekülzahlen n^, n^, ... abhängen, und die Unter- 
suchung dieser Abhängigkeit bildet den wichtigsten Theil unserer 
Aufgabe. Die Bestimmung von C kann nicht einfach auf dem 
Wege einer Definition erfolgen, sondern nur durch die Anwen- 
dung des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie auf irgend 
einen bekannten reversibeln Prozess, der eine Aenderung in der 
Zusammensetzung der Mischung herbeiführt. Denn bei einem 
reversibeln Prozess ändert sich nach dem zweiten Hauptsatz die 
Entropie des Systems in ganz bestimmter Weise, und durch die 
Berücksichtigung der gleichzeitig eintretenden Aenderungen der 
Molekülzahlen lässt sich die Abhängigkeit der Entropie von der 
Zusammensetzung der Mischung ermitteln. Wir werden den 
Prozess derart wählen, dass während desselben keinerlei Ein- 
wirkungen von Aussen, weder Arbeitsleistung noch Wärmezufuhr, 
stattfinden; dann bleibt die Entropie des Systems während des 
ganzen Prozesses constant. Den oben zur Bestimmung der 
Energie U der Gasmischung benutzten Diffusionsvorgang können 
wir aber hier nicht verwerthen; denn derselbe ist, wie sich schon 
vermuthen lässt und im § 238 zeigen wird, irreversibel, und 
gestattet daher von vorneherein nur die eine Folgerung, dass 
die Entropie des Systems durch ihn vergrössert wird. Dagegen 
bietet sich dar als ein reversibler Prozess, durch welchen die 
Zusammensetzung der Mischung geändert wird, die Behandlung 
der Gasmischung mittelst einer semipermeabeln Wand, wie sie 
schon oben § 229 eingeführt und begründet wurde. 



Oasförmiges System. 199 



§ 235. Damit ein mit einer semipermeablen Wand ausge- 
führter Prozess für den genannten Zweck nutzbar wird, muss 
man zuerst wissen, welcher Art das thermodynamische Gleich- 
gewicht ist, das auf beiden Seiten einer Wand besteht für eine 
Gasart, welche die Wand durchdringen kann; für jede andere 
Gasart besteht natürlich keine besondere Gleichgewichtsbedingung, 
da sich hiefiir die Wand wie eine gewöhnliche verhält. 

Hier liefert nun die Erfahrung den einfachen Satz, dass 
jede Gasart, für welche eine Wand permeabel ist, sich dann 
auf beiden Seiten im Gleichgewicht befindet, wenn ihr Partial- 
druck (§ 18) auf beiden Seiten gleich ist, ganz unabhängig von 
den übrigen auf beiden Seiten anwesenden Gasarten. Dieser 
Satz ist weder selbstvei'ständlich noch nothwendig bedingt durch 
das Vorhergehende, er leuchtet aber durch seine Einfachheit 
unmittelbar ein und hat sich auch in den allerdings wenig 
zahlreichen Fällen, die eine direkte Prüfung gestatten, überall 
bestätigt 

Eine solche Prüfung, die zu einer augenfälligen Folgerung 
führt, lässt sich z. B. folgendermassen anstellen. Glühendes 
Platinblech ist permeabel für Wasserstoff, dagegen impermeabel 
für atmosphärische Luft. Füllt man also ein Gefäss, dessen 
Wandung an einer Stelle aus Platinblech besteht, mit reinem 
Wasserstoff, etwa unter Atmosphärendruck, und schliesst es dann 
vollkommen ab, so muss, wenn das Platinblech ins Glühen ge- 
bracht wird, der innen befindliche Wasserstoff in die äussere 
Luft, also entgegen dem Atmosphärendruck, hinausdiffundiren, 
und zwar offenbar so lange, bis er vollständig aus dem Gefäss 
entwichen ist. Da nun andrerseits die Luft nicht hineindringen 
kann, so wird schliesslich das Gefäss gänzlich evakuirt sein.^ 

* Diese Folgerung habe ich im Winter 1882/Ö3 im physikalischen 
Institut der Universität München experimentell geprüft und, soweit es die 
unvermeidlichen Abweichungen von den idealen Voraussetzungen erwarten 
Hessen, bestätigt gefunden. Da über diesen Versuch bisher nichts ver- 
öffentlicht wurde, so mag eine kurze Beschreibung hier Platz finden. Ein 
gerades Glasrohr von etwa 5 """ lichtem Durchmesser, in der Mitte zu 
einem kleinen Ballon ausgebaucht, war am einen Ende mit einem Glas- 
hahn versehen; an das andere Ende war als Verlängerung mit Siegellack 
angekittet ein 10 ^'° langes Platinröhrchen, nacli Innen offen, nach Aussen 
geschlossen. Mit der Quecksilberluftpumpe wurde die ganze Röhre durch 
den Hahn evakuirt und mit Wasserstoff unter gewöhnlichem Druck ge- 



200 Anwendungen auf spezielle Ohichgefunchtsx/ustänäe. 



§ 386. Wir wollen nun die besprochene Eigenschaft der 
semipermeablen Wände benutzen, um auf reversiblem Wege, in 
möglichst einfacher Weise, die Bestandtheile eines Gasgemisches 
von einander zu trennen. Betrachten wir daher folgenden Fall. 

In einem Hohlcylinder seien im Ganzen 4 Stempel vorhanden, 
zwei davon: Ä und Ä\ fest, die beiden andern: B und By be- 
weglich, doch so, dass der Abstand BB constant gleich dem 




Fig. 5. 

Abstand Ä Ä gehalten wird, wie in der Fig. 5 durch die beiden 
Klammern angedeutet ist. Ä, der Boden, und B^ der Deckel 
des ganzen Gefässes, seien beide für alle Stoffe undurchdringlich, 
dagegen A und B semipermeabel, und zwar A permeabel nur 
für ein gewisses Gas (i), B permeabel nur für ein anderes Gas {2\ 
Oberhalb 7? sei und bleibe der Raum evakuirt. 



fallt, hierauf der Hahn geschlossen und nun unter das geschlossene Ende 
des horizontal gelegten PlatinrÖhrchens ein Bunsenbrenner gestellt, wodurch 
die das Kohr abschliessende Platinkuppe ins Glühen kam. Um das Siegel- 
lack nicht durch Erwärmung zum Erweichen zu bringen, wurde die Lack- 
stelle beständig von dem Strahl der Wasserleitung umspült. Nach etwa 
4 Stunden wurde der Apparat abgenommen, auf Zimmertemperatur gebracht, 
und der Hahn unter Quecksilber geöffnet. Das Quecksilber stieg rapid in 
die Höhe und füllte die Köhre fast gänzlich aus, — ein Beweis, dass sie 
bis zu einem gewissen Grade evakuirt war. 



Gasförmiges System. 201 



Anfänglich befinde sich der Stempel B bei Ä, also B bei Ä, 
und in dem Zwischenraum eine Mischung der Gase (i) und (2). 
Nun werde der Stempel B und mit ihm auch B' unendlich lang- 
sam gehöben. Das Gas (7) strömt in den zwischen B und A 
sich öfinenden Eaum, das Gas {2) in den zwischen B und Ä 
sich öfinenden Eaum. Wenn B" bei Ä angekommen ist, sind 
die beiden Gase gänzlich von einander getrennt. 

Berechnen wir zunächst die während des Prozesses geleistete 
äussere Arbeit. Auf den einen beweglichen Stempel B wirkt, 
da der obere Kaum evakuirt ist, nur der Druck des Gases (/), 
und zwar nach oben, auf den anderen beweglichen Stempel B 
wirkt nur der Partialdruck des ersten Gases in der Mischung, nach 
unten. Nach dem vorigen Paragraphen ist aber der erstere Druck 
dem letzteren im Gleichgewicht gerade gleich, und da andrer- 
seits die beiden Stempel B und B gleiche Wege zurücklegen, 
so ist die gesammte auf die Stempel ausgeübte Arbeit gleich 
Null. Wenn nun, wie wir weiter annehmen wollen, auch keine 
Wärme von Aussen zugeleitet wird, so bleibt nach dem Energie- 
princip die Energie des Systems constant, und da die Energie 
sowohl der einzelnen Gase als auch der Mischung nach (193) 
nur von der Temperatur abhängt, so bleibt auch die Temperatur 
des Systems allenthalben constant. 

Der unendlich langsam ausgeführte Prozess ist reversibel; 
also ist, beim Fehlen jeglicher äusserer Einwirkung, die Entropie 
im Anfangszustand gleich derjenigen im Endzustand, d. h. die 
Entropie der Mischung ist gleich der Summe der Entropieen der 
beiden Einzelgase, wenn ein jedes bei der nämlichen Temperatur 
das ganze Volumen der Mischung allein einnimmt Dieser Satz 
lässt sich leicht verallgemeinem auf eine Mischung beliebig vieler 
Gasarten: „Die Entropie einer Gasmischung ist gleich der Summe 
der Entropieen der Einzelgase, wenn ein jedes bei der näm- 
lichen Temperatur das ganze Volumen der Mischung allein ein- 
nimmt." Er wurde zuerst von Gibbs aufgestellt. 

§ 337. Für die Entropie eines einzelnen idealen Gases von 
der Masse M und dem Molekulargewicht m hatten wir früher 
in (52) gefunden: 

Ml— log i^- H log «? + const.) , 

indem wir hier c^ nicht auf die Masse 1, sondern, ebenso wi^ 



202 Anwendungen auf spezielle Oleiehgewichtsx/ustände, 

oben in (192), auf die Masse eines Moleküls: m beziehen. Nach 
den Gasgesetzen (14) ist v, das Volumen der Masseneinheitr 

R & 
m p ' 

und daher die Entropie, für die Molekülzahl n = 



971 



(195) « (c„ log ,9- + /? log I + ä) , 

wobei das Glied mit log in die Constante k einbegriffen ist. 

Somit liefert der GiBBs'sche Satz für die Entropie der ganzen 
Mischung: 

'^ = 2^1 (^^'. log '^ + ^^ log J + ^i) ' 

p^ ist dabei der Druck der ersten Gasart, wenn sie allein das 
ganze Volumen der Mischung einnimmt, d. h. der Partialdruck 
der ersten Gasart in der Mischung. 

Da nun nach (8) die Summe aller Partialdrucke : i?^ +i>2+ • • • 
den Gesammtdruck p der Mischung darstellt, und ferner nach 
§ 40 die Verhältnisse der Partialdrucke mit den Verhältnissen 
der Molekülzahlen übereinstimmen: 

so ist 



^1 



p — . p 



oder, wenn wir der Einfachheit halber von jetzt ab die Con- 
centrationen der einzelnen Molekülarten in der Mischung 
einführen: 

(196) 0, = -—:^^, c, = ,, «' 



Pl =CiP, P2=(^2P " ' 

Daher ergibt sich schhesslich die Entropie der Mischung 
in der gesuchten Form als Funktion von ß-, p und den Molekül- 
zahlen n in folgender Weise: 

(197) Ä = 2«i {% log ^ + iJ log ^ + *i) • 



Gasförmiges System, 203 



Durch Vergleichung dieses Ausdrucks mit dem in (194) für die 
Entropie der Mischung gefundenen Werth ergibt sich die Grösse 
der damals unbestimmt gebliebenen Integrationscon^tanten: 

C = 2 ^1 (^1 - ^ log cj . (198) 

§ 338. Nachdem einmal der Werth der Entropie einer Gas- 
mischung festgestellt ist, lässt sich auch die oben § 234 berühi*te 
Frage beantworten, ob und in welchem Betrage die Entropie 
eines Systems von Gasen durch Diffusion vergrössert wird. 
Nehmen wir den einfachsten Fall, dass 2 Gase, mit den Molekül- 
zahlen n^ und Wg, auf gleiche Temperatur iS- und gleichen Druck 
p gebracht, ineinander diffundiren, indem die Temperatur und der 
Druck constant gehalten wird. Vor Beginn des Prozesses ist 
dann die Entropie des Systems gleich der Summe der Entropieen 
der getrennten Gase, also nach (195) 

Wj (^C^^ log &+ R\0g^+ Ä^ j + ^2 (^Cr, log l? + ÄlOg I + k^j . 

Nach Beendigung des Diffusionsvorganges ist die Entropie der 
Mischung nach (197) 

n^ [g,^ log ,7- + i? lüg ^ + k^ + n^ (c,^ log »V- + Älog ^ + k^ . 

Also die Aenderung der Entropie des Systems; 

— n^ E log Cj — n^R log o^ , 

Das ist mit Rücksicht auf (196) eine wesentlich positive Grösse, 
woraus folgt, dass die Diffusion immer irreversibel ist. 

Zugleich ersehen wir, dass die durch Diffusion bedingte 
Vermehrung der Entropie nur von den Molekülzahlen n^ und n^ 
der diffundirenden Gase, nicht aber von ihrer Natur, z. B. ihrem 
Molekulargewicht, abhängt. Es macht also in Bezug auf die 
Entropievermehrung durch Diffusion garkeinen Unterschied, ob 
die Gase sich chemisch mehr oder weniger „ähnlich'^ sind. 
Nimmt man nun beide Gase identisch, so wird offenbar die 
Entropievermehrung Null, weil man dann überhaupt keine Zu- 
standsänderung erhält. Daraus folgt, dass der chemische Unter- 
schied zweier Gase, und überhaupt zweier Substanzen, nicht 
durch eine stetig veränderliche Grösse dargestellt werden kann, 
sondern dass man hier nur von sprungweisen Beziehungen: ent- 
weder von Gleichheit oder von Ungleichheit, reden kann. In 



204 Anwendwng&n auf spezielle Gleichgetmchtsxitstände. 



diesem Umstand liegt ein principieller Gegensatz zwischen che- 
mischen und physikalischen Eigenschaften begründet, da die 
letzteren immer als stetig veränderlich anzusehen sind. 

§ 389. Mittelst der gefundenen Werthe der Entropie S 
(197), der Energie U{193) und des Volumens V (191) der Gas- 
mischung ergibt sich die gesuchte Funktion aus (75) zu: 

<^ = 2«i (««. logt^ + Ä log -f- + k,- c. - -*■ - r) 

oder, wenn man zur Abkürzung die nur von i^- und p, nicht 
aber von den Molekülzahlen abhängige Grösse: 

(199) c,, log ,9^ - ^A + i^iog J + Ä;, - c„, - Ä = (p, 
setzt: 

* = 2^1(91 -^logcj. 

§ 240. Nun können wir zur Aufstellung der Gleichge- 
wichtsbedingung schreiten. Wenn in der Gasmischung eine 
chemische Aenderung möglich ist, derart dass die Molekülzahlen 
n^, n^, ... sich gleichzeitig um Sn^, Sn^, ... ändern, so besteht 
nach (79) gegen diese Aenderung Gleichgewicht, wenn für S& = 
und Sp = 

<)«) = 
oder: 

(200) 2(^1 - RlogG,)Sn, + 2^1 S{(p - Rlogc,) = 0. 

Da die Grössen ^j, qpg, ... nur von ih und p abhängen, so ist 
(J (p^ =z 3 q)^ = . . . = 0. Ferner haben wir: 

Wj Slogc^ + n^ Slogc^ + ... = — ^Cj + - Sc.^ + . . . 
und nach (196): 

= (^^+7^2+ • • • ) (^^1 + ^^2 + . . . ) = 0, 

da Cj + Cg + . . . constant = 1 . 

Daher bleibt von der Gleichgewichtsbedingung übrig: 

2(9^1 - R\ogG^)Sn^ = 0. 

Da es in dieser Gleichung nicht auf die absoluten Werthe der 
unendlicli kleinen Variationen Sn^y sondern nur auf deren Ver- 
hältnisse ankommt, so setzen wir: 

(201) 8n^:8n.^', ... z= v^w^: ... 



Gasförmiges System, 205 



und verstehen unter v^, v^, ... die bei der gedachten chemischen 
Veränderung sich gleichzeitig umsetzenden Molekülzahlen: ein- 
fache ganze, positive oder negative Zahlen, je nachdem die betr. 
Molekülart bei der Veränderung sich bildet oder verbraucht 
wird. Dann erhalten wir als Gleichgewichtsbedingung: 

2(<3Pi -ii^ log Ci) 1^1 = 0, 
oder: 

V, logc, + V, logc,+ . . . = "■ '^' + y + • • -- . 

Die rechte Gleichungsseite hängt nach (199) nur von Tempe- 
ratur und Druck ab ; also ergibt die Gleichung eine bestimmte Be- 
ziehung zwischen den Concentrationen der verschiedenen Molekül- 
arten, falls p und d- gegeben sind. 

§ 241. Wir wollen nun noch die Werthe der Grössen 
(p^, 9?2 • • • ^^^^ einfuhren. Setzt man zur Abkürzung die Con- 
stanten: 

vihi+ vtht +_^. _ j ^ ^202) 

"^-'^^-t^J'p.t ■■ ■ = , (203) 

Xh 

SO ergibt der Werth von <p^ u. s.w. aus (199) als Gleichgewichts- 
bedingung: 

v^logc^ +v^logG^+ . . . = loga + (^1 + «'s + • • • )log- - ^ + clogi9', 

oder: 

h 

Cj*'i c/« . . . = a[-| 6 "^ &^. 

§ 242. Diese Gleichung vereinfacht sich noch, wenn man 
den Erfahrungssatz {§ 50) einfuhrt, dass die Atomwärme eines 
chemischen Elements in seinen verschiedenen Verbindungen den 
nämlichen Werth hat. Denn nach Gleichung (203) bedeutet 
das Produkt Rc die Aenderung, welche die Summe der Molekular- 
wärmen aller Moleküle des Systems: n^c^ + n^c^^+ ... durch 
die angenommene chemische Eeaktion erfährt. Da nun die 
Summe der Molekularwärmen gleich ist der Summe der Atom- 
wärmen, so ist nach dem obigen Satz diese Aenderung gleich 
Null, mithin c = 0, und die letzte Gleichung wird: 



206 Anwendungen auf spezielle Oleichgevrichtszitstände. 



h 
V^V'^... =ae ^(-j 

§ 348. Der Einfluss des Druckes p auf den Gleichgewichts- 
zustand hängt hienach lediglich ab von der Zahl v^ + i/g + . . . , 
welche angibt, in welchem Grade die Gesammtzahl der Mole- 
küle, also auch das Volumen der Mischung, durch die betrachtete 
chemische Aenderung vergrössert wird. Bleibt das Volumen 
ungeändert, wie in dem unten behandelten Beispiel der Disso- 
ciation von Jodwasserstoflfgas, so ist der Gleichgewichtszustand 
unabhängig vom Druck. 

Der Einfluss der Temperatur wird ausserdem noch von der 
Constante b bedingt, welche in engem Zusammenhang steht mit 
der durch den chemischen Vorgang bedingten Wärmetönung. 
Denn nach dem ersten Hauptsatz der Wärmetheorie ist die 
Wärmemenge, welche bei einer unendlich kleinen Zustands- 
änderung dem System von Aussen zuzuführen ist: 

Q=dU+pSV 

und nach (193) und (191), da t? und p ungeändert bleiben: 

Beziehen wir die Wärmetönung, anstatt auf die unendlich kleinen 
Zahlen Sn, nach (201) auf die einfachen ganzen Zahlen v, so 
ergibt sich für die von Aussen zuzuführende endliche Wärme- 
menge: 

und nach (202) und (203), wenn wieder c = gesetzt wird: 

r = Rb + R&{v^+v^+ . . .) 
und in Calorieen nach (34): 

r = 1,97 ' (b + {v^+ v^+ ...)&) ca\. 

Das Glied mit b entspricht der für die Vergrösserung der inneren 
Energie, das mit ^ der für die äussere Arbeit aufzuwendenden 
Wärme. 

§ 244. Bevor wir zu einigen numerischen Anwendungen 
übergehen, stellen wir zur besseren üebersicht die Haupt- 
gleichungen noch einmal zusammen. 



Gasförmiges System. 207 



Sei in einem gasförmigen System: 

n^m^, n^m^, ^3^3? • • 



(n die Molekülzahlen, m die Molekulargewichte) irgend eine 
chemische Aenderung möglich, bei welcher die gleichzeitigen 
Molekülzahländerungen betragen: 

(v einfache ganze, positive oder negative Zahlen), 

SO besteht Gleichgewicht gerade gegen diese Aenderung, wenn 
die Concentrationen: 

^ »1 + W, + ?28 + . . . ' 2 ^^ 4. ,,^ 4. ^^ 4. _ / 

der Bedingung genügen: 



c/i W' •••=«« * 



(-J)— ••• (204) 



Die beim Eintritt der durch die Werthe der v bezeichneten 
Aenderung bei constanter Temperatur und Druck von Aussen 
aufzunehmende Wärme ist: 

r = 1,97 (b + {v^+v^+ . . . ) &) cal. (205) 

während die gleichzeitig eintretende Volumenänderung beträgt: 

s = R(v,+v^+,..)^. (206) 

§ 245. Dissociation von Jodwasserstoff. Da Jodwasser- 
stoflfgas sich bis zu gewissem Grade in Wasserstoff und Jod- 
dampf spaltet, so wird das System dargestellt durch drei Arten 
von Molekülen: 

n^EJ , W2H2, ^3^2- 
Die Concentrationen sind: 

Die chemische Aenderung besteht darin, dass zwei Moleküle HJ 
in ein Molekül H2 und ein Molekül J^ übergehen; also: 

1/, = - 2 1/, = 1 «'3 = 1 • 



208 Anwendungen auf spezielle Qleichge/wichtszusiände. 

Dann ist nach (204) im Gleichgewichtszustand: 



Cj""^ 63^63^= ae ^ 
oder: 



^•^ = ^J?» = ae'"^. (207) 

Da die im ganzen System vorhandene Anzahl der WasserstoflF- 
atome (Wj + 2 n^ und ebenso die der Jodatome (n^ + 2 Wj) als 
bekannt vorausgesetzt wird, so genügt diese eine Gleichung, um 
bei gegebener Temperatur alle drei Grössen w^, n^ und n^ zu 
bestimmen. Der Druck hat hier garkeinen Einfluss auf das 
Gleichgewicht. 

Zur Berechnung der Constanten a und h können irgend zwei 
Messungen des Dissociationsgrades dienen. Nach den während 
der Correctur dieser Blätter veröffentlichten Messungen von 
Bodenstein ist für die Temperatur 

1?- = 273 + 448 = 721 ^ = 0,01984 

und für die Temperatur 

i9^ = 273 + 350 = 623 ^'^i = 0,01494. 

Daraus ergibt sich nach Gleichung (207): 

a = 0,120 5 = 1300. 

Hiedurch ist der Gleichgewichtszustand in irgend einer Mischung 
von Jodwasserstoff, Wasserstoff und Joddampf, auch wenn Wasser- 
stoff und Jod nicht in äquivalenten Mengen zugegen sind, für 
jede Temperatur nach (207) numerisch bestimmt Nach (205) 
ist die Dissociationswärme bei der Zersetzung von zwei Mole- 
külen Jodwasserstoff in je ein Molekül Wasserstoff und Jod- 
dampf: 

r = 1,971 • 1300 = 2560 cal. 

§ 246« Dissociation von Joddampf. Bei höheren Tempe- 
raturen zersetzt sich Joddampf merklich, und man erhält hiefür 
folgendes aus zwei Molekülarten bestehendes System: 



^1 J2 > ^2 J- 



Die Concentrationen sind: 



__ fi^ __ n^ 



Oasßrmiges System, 209 



Die chemische Umwandlung besteht in der Spaltung eines 
Moleküls Jg in zwei Moleküle J, also: 

^1 = - 1 ^2 = 2 

und im Gleichgewichtszustand ist nach (204) 



b' 



c -1 c 2 = -r""'^, = ae '^ • ^ . (208) 

Zur Bestimmung von a und b' benutzen wir die Angaben von 
Fr. Meieb und Cbafts, dass flir ^ = 728 °^™ Quecksilber die 
Menge des zersetzten Joddampfes dividirt durch die Gesammt- 
menge des Dampfes: 

^ "^ =0,145 bei i9^ = 273 + 940 =1213 
= 0,662 „ i9- = 273 + 1390 = 1663 . 

Daraus ergibt sich, wenn der Druck p in Millimetern Quecksilber 

gemessen wird: , 

a'=9375 6'= 14690 

und damit das Dissociationsgleichgewicht für beliebige Tempera- 
turen und Drucke. 

Die Dissociationswärme eines Jodmoleküls beträgt nach (205): 

r = 1,97 • (14690 + iJ-) = 28 900 + 1,97 & cal. 

Wie man sieht, hat bei diesen Temperaturen die äussere lÄxbeit, 
die das Glied mit i9 bedingt, schon einen erheblichen Einfluss ; 
sie beträgt für 1500® (i9- = 1773) schon 3500 cal., wodurch die 
Dissociationswärme wird: 

r = 32 400 cal. 

§ 247. Stufenweise Dissociation. Da nach der Gleichung 
(208) auch für tiefere Temperaturen die Concentration der ein- 
atomigen Jodmoleküle niemals Null wird, sondern stets einen 
endlichen, wenn auch kleinen Werth behält, so muss man, genauer 
genommen, die Zersetzbarkeit des Joddampfs auch schon in 
dem § 245 behandelten Falle, bei der Dissociation des Jod- 
wasserstoflfgases, berücksichtigen. Praktisch wird dies auf die 
dort gegebenen Zahlen keinen erheblichen Einfluss haben, doch 
sei hier wegen des principiellen Interesses die theoretisch strengere 
Lösung der Aufgabe auch noch durchgeführt. 

Das System besteht dann aus vier Molekülarten: 

fi^UJ, ngHg, WgJg, W.4J. 

Planck, Thermodynamik. 14 



210 Anwendungen auf spe^elle Okichgeicnchtsxttstände. 

Die Concentrationen sind: 



Co = : : , C^ = 



Hier sind nun zwei Arten von chemischen Umwandlungen mög- 
lich, nämlich: 

1. |/j=— 2 ^2~ ^ ^3=1 «^4=0 

2. i//=0 1^2'= <=-! <=2 

Gleichgewicht gegen jede der beiden Umwandlungen ist vor- 
handen, wenn nach (204): 

b' 

2. c/»' c/^' c,»'»' c/*' = -*- = -^ ^*— - ^ = a' r "^ • - , 

1^3* ßg ^(ni + Wj + WgH- n4) p' 

wobei die Constanten a, 5, a', 5' die oben berechneten Werthe 
haben. Da die Gesammtzahl der im System vorhandenen Wasser- 
atoflEatome {n^+ 2n^) und ebenso die der Jodatome {nj^ + 2n^+ nj 
als bekannt vorausgesetzt *wird, so hat man im Ganzen vier 
Gleichungen zur eindeutigen Bestimmung der vier Grössen 

^i> ^> »*8> ^4- 

§ 248. Aus der allgemeinen Gleichgewichtsformel (204) 

ersieht man, dass bei endlicher Temperatur und endlichem Druck 
keine der Concentrationen c jemals gleich Null sein kann, oder 
mit anderen Worten, dass die Dissociation niemals eine voll- 
ständige ist, aber auch niemals ganz verschwinden kann; es 
finden sich in dem System stets Moleküle von allen möglichen 
Arten in endlicher, wenn auch vielleicht sehr geringer Anzahl 
vor. So muss z. B. im Wasserdampf bei jeder Temperatur auch 
etwas Knallgas, wenn auch nur spurweise, vorhanden sein (vgl. 
unten § 259). Bei vielen Erscheinungen spielt natürlich dieser 
Umstand keine Bolle. 



V. Capitel. VerdGnnte Lösungen. 

§ 249. Zur Bestimmung der für das thermodynamische 
Gleichgewicht charakteristischen Funktion O in ihrer Abhängig- 



Verdürmte Lösungen, 211 



keit von der Temperatur &y dem Druck p und den Zahlen n 
aller verschiedenen Molekülarten in einem System, welches be- 
liebig viele unabhängige Bestandtheile in beliebig vielen Phasen 
enthält^ kann man genau denselben Weg einschlagen^ der uns 
bei der Untersuchung einer einzigen gasformigen Phase im 
vorigen Capitel zum Ziele gefuhrt hat. Zunächst wird durch 
geeignete Messungen das Volumen V und die Energie ü einer 
einzehien Phase bestimmt, daraus dann gemäss der Definition 
(60) die Entropie S dieser Phase berechnet, und somit alle 
Grössen gewonnen, aus denen nach (75) zusammengesetzt ist. 
Durch einfache Addition über alle Phasen erhält man dann 
schliesslich die Funktion des ganzen Systems. 

Angesichts der mangelnden Vollständigkeit der bisherigen 
Messungen lässt sich aber gegenwärtig diese Rechnung, ausser 
für eine gasformige Phase, nur durchfuhren für eine verdünnte 
Lösung, d. h. für eine Phase, in welcher die Anzahl einer be- 
stimmten Art von Molekülen weitaus überwiegt über die Anzahl 
aller übrigen in der Phase vorhandenen Molekülarten. Die so 
ausgezeichnete Molekülart nennen wir von jetzt an das Lösungs- 
mittel (vgl. dagegen § 220), die übrigen Molekülarten die ge- 
lösten Stoffe. Bezeichnet also n^ die Molekülzahl des Lösungs- 
mittels, Wj, Wg, ^3 . . . die Molekülzahlen der gelösten Stoffe, so 
ist die Lösung dann als verdünnt anzusehen, wenn n^ gross ist 
gegen jede der Zahleü n^, n^, n^ ... Der Aggregatzustand 
der Lösung ist vollkommen gleichgültig, sie kann fest, flüssig 
oder gasformig sein. 

§ 350. Berechnen wir nun, gemäss dem geschilderten 
Plane, zunächst die Energie U und das Volumen V einer ver- 
dünnten Lösung. Die wichtige Vereinfachung, welche die soeben 
angeführte Definition einer verdünnten Lösung zur Folge hat, 
beruht auf dem mathematischen Satze, dass eine endliche, stetige 
und diflFerentiirbare Funktion mehrerer Variabein, welche sehr 
kleine Werthe haben, noth wendig eine lineare Funktion dieser 
Variabein ist. Dadurch wird die Art der Abhängigkeit der 
Grössen U und V von Wq, Wj, Wg, ... von vorneherein angebbar. 
Physikalisch gesprochen heisst dies, dass die Eigenschaften einer 
verdünnten Lösung, ausser von den Wirkungen der Moleküle 
des Lösungsmittels unter sich, nothwendig nur von den Wechsel- 
wirkungen zwischen den Molekülen des Lösungsmittels einerseits 

14* 



212 Anwendungen auf spexieUe Oleichgewichtszusiände, 



und den Molekülen der gelösten Stoffe andrerseits, nicht aber 
von den Wirkungen der gelösten Stoffe untereinander abhängen 
können; denn diese letzteren sind klein von höherer Ordnung, 
§ 251. In der That: Betrachten wir zunächst die Energie 
U der Lösung und bilden den Quotienten von U und n^, der 
Molekülzahl des Lösungsmittels. Da U nach dem allgemeinen, 
in § 201 aufgestellten Satze eine homogene Funktion ersten 

TT 

Grades der Molekülzahlen darstellt, so bleibt der Quotient — 

ungeändert^ wenn sämmtliche Molekülzahlen w^,, Wj, Wg . . . in 
gleichem Verhältniss verändert werden, d. h. dieser Quotient 

ist eine Funktion der Verhältnisse — , — , ... Nun sind aber 

alle diese Verhältnisse kleine Zahlen, folglich ist die Funktion, 
die wir als differentiirbar voraussetzen, eine lineare, und daher 
von der Form: 

U , Wi , w, , 

— = Uq + u^— +U2- + . . . , 

wobei die Grössen w^, u^, u^, ... nicht von den Molekülzahlen, 
sondern nur von der Temperatur &, dem Druck p und der 
Beschaffenheit der in der Lösung vorhandenen Molekülarten ab- 
hängen, und zwar u^ nur von der Beschaffenheit des Lösungs- 
mittels (denn für ti^ = = Wg = . . . reducirt sich die Energie auf 
%Uq) femer u^ nur von der Beschaffenheit der ersten gelösten 
Molekülart und der des Lösungsmittels, u^ nur von der Be- 
schaffenheit der zweiten gelösten Molekülart und der des Liösungs- 
mittels, u. s. w. Uq entspricht also den Wechselwirkungen der 
Moleküle des Lösungsmittels unter sich, u^ denjenigen zwischen 
dem Lösungsmittel und den gelösten Molekülen erster Art, u^ 
denjenigen zwischen dem Lösungsmittel und den gelösten Mole- 
külen zweiter Art, u. s. w. Hiemit ist zugleich ein Einwurf 
widerlegt, welcher der neueren Theorie verdünnter Lösungen zu 
wiederholten Malen gemacht worden ist, dass sie nämlich die 
verdünnten Lösungen einfach wie Gase behandle und keine 
Rücksicht nehme auf den Einfluss des Lösungsmittels. 

§ .253. Wenn die Verdünnung nicht hinreichend ist, um 
diese einfachste Form der Funktion U zu rechtfertigen, so kann 
man genauere Beziehungen erhalten, wenn man die Entwicklung 
nach der TAYLOß'schen Eeihe noch weiter fortsetzt: 



Verdünnte Lösungen, 213 



dann erhält man in den Coeffizienten w^j, w^^, ^22 • • • • auch 
den Einfluss der Wechselwirkungen der gelösten Molekülarten 
untereinander. Dies dürfte in der That der einzige gangbare 
Weg sein, um zu einer rationellen thermodynamischen Theorie 
von Lösungen beliebiger Concentration zu gelangen. 

§ 253« Wir wollen hier jedoch bei der einfachsten i'orm 
stehen bleiben und schreiben: 



U= n^ Uq + /Jj Wj + ^2 ^ + • • • 
Ganz ebenso: 

^=% ^'0 + ^h h + ^2 '^'2 + • • • 



(209) 



Inwieweit diese Gleichungen den Thatsachen entsprechen, 
lässt sich aus den Folgerungen entscheiden, zu denen sie fuhren. 
Eine derselben soU hier ausfuhrlicher besprochen werden. Ver- 
dünnt man die Lösung noch weiter, indem man ihr ein Molekül 
des Lösungsmittels von demselben Aggregatzustand wie die 
Lösung zusetzt, und hält dabei den Druck p und die Temperatur 
& constant, so lässt sich mittelst der letzten Gleichungen die ein- 
tretende Volumenänderung und Wärmetönung berechnen. 

Ein Molekül des reinen Lösungsmittels, immer bei der 
nämlichen Temperatur und dem nämlichen Druck genommen, 
besitzt das Volumen v^ und die Energie u^. Nach vollzogener 
Verdünnung ist nun das Volumen der Lösung geworden: 

und die Energie ist geworden: 

^= K+ l)Wo+nj Wj+ n2W2+ • • • 

Die durch die Verdünnung * bewirkte Volumendilatation erhält 
man, wenn man die Summe des ursprünglichen Volumens V der 
Lösung und des Volumens Vq eines Moleküls reinen Lösungs- 
mittels subtrahirt von dem schliesslichen Volumen V\ Also: 

d. h. die Volumendilatation ist gleich Null. Die von Aussen lu-^ 
geführte Wärme ergibt sich nach dem ersten Hauptsatze (47) 
gleich: 



214 Anwendungen auf spezielle GfleichgewichtsxMstände. 



u--{u+u„)+p{v'-{r+v,)) 

und verschwindet ebenfalls. 

Bei diesen Schlüssen ist torausgesetzt, dass bei der Ver- 
dünnung die Molekülzahlen der gelösten Stoffe n^, n^, ... un- 
geändert bleiben, d. h. dass durch den Verdünnungsprozess keine 
chemischen Aenderungen der gelösten Stoffe (z. B. Aenderungen 
des Dissociationsgrades) bewirkt werden. In einem solchen Falle 
würden in den Gleichungen für LT und V die Molekülzahlen 
der gelösten Stoffe andere Werthe haben als in denen für U 
und V, und daher bei der Subtraktion nicht fortfallen. Daher 
lässt sich folgender Satz aussprechen: Eine verdünnte Lösung 
besitzt die Eigenschaft, dass eine weitere Verdünnung, die ohne 
chemische Aenderung der gelösten Stoffe verläuft, weder merk- 
liche Volumenänderung noch merkUche Wärmetönung hervorruft, 
oder mit anderen Worten: Jede Volumenänderung oder Wärme- 
tönung, die eine verdünnte Lösung bei weiterer Verdünnung 
zeigt, muss einer chemischen Umwandlung unter den Molekülen 
der gelösten Stoffe zugeschrieben werden. 

§ 354. Gehen wir nun weiter zur Berechnung der Entropie 
*S' einer verdünnten Lösung. Nach (60) ist für constante Molekül- 
zahlen /^Q, Wj, Wg . . . . 

d.^=- > 

und nach (209): 

ri ^ — ^ ^^o±pdvo u,+ pdv^ u^-hpdv^ 

a A^ — n^ ~ — -f- n^ ^ -|- n^ ^ h .... 

Da nun die u und v nur von & und p, nicht aber von den n 
abhängen, so müssen die Coeffizienten von w^, n^, n^ .... auch 
einzeln vollständige Differentiale sein, d. h. es muss gewisse nur 
von />- und p abhängige Grössen s geben, derart dass 

^.. _ ^0+ Pdr^ 
6,,- ^ - 

(210) { !"■ ^ 

j If^-h p dVq 

Dann ist: 

(211) S = nQS^,-{- n^s^+n^s^i- + G, 



Verdürmte Lösungen, 215 



wobei die Integrationsconstante C nicht von ß- und p, wohl aber 
von den Molekülzahlen abhängen kann. 

Wenn man daher den Werth von G für irgend eine spezielle 
Temperatur und einen speziellen Druck in seiner Abhängigkeit 
von den Molekülzahlen n^, n^, n^ ... kennt, so ist dieser Werth 
zugleich auch der allgemeine Ausdruck von G für beliebige 
Temperaturen und Drucke. 

Nun wollen wir für den speziellen Fall, dass die Tempe- 
ratur gross und der Druck klein ist, G als Funktion der n be- 
rechnen. Bei gehöriger Steigerung der Temperatur und ge- 
höriger Erniedrigung des Druckes wird die Lösung, welchem 
Aggregatzustand sie ursprünglich auch angehören mag, jedenfalls 
vollständig in den gasformigen Zustand übergehen. Dabei werden 
in Wirklichkeit zugleich chemische Aenderungen eintreten, d. h. 
die Molekülzahlen n werden sich verändern; wir wollen aber 
den Vorgang derartig voraussetzen, dass alle Molekülzahlen un- 
geändert bleiben, weil nur dann auch die Grösse G ihren Werth 
behält. Ein solcher Prozess ist nur in idealem Sinne ausführ- 
bar, da er durch labile Zustände hindurchführt; allein es steht 
seiner Benutzung hier nichts im Wege, weil der obige Ausdrück 
von S nicht allein für stabile Grleichgewichtszustände, sondern 
für alle Zustände Giltigkeit besitzt, welche durch ganz beliebige 
Werthe der Variabein iS-, p, n^, n^, n^ . , , charakterisirt sind. 
Der stabile öleichgewichtszustand geht ja aus diesen Zuständen 
erst durch eine weitere, unten aufzustellende Bedingung als 
spezieller Fall hervor. 

Da bei genügend erhöhter Temperatur und erniedrigtem 
Druck jedes gasformige System eine so geringe Dichte annimmt, 
dass man es als Mischung idealer Gase betrachten kann (§21 
und § 43), so haben wir hieflir nach (194), unter Berücksichtigung 
des Umstandes, dass hier die erste Molekülart mit dem Index 
bezeichnet ist: 

5 = /i,(ö,„logi> + i?log^) + 7i,(c„^logi> + i?log^)+...+(7 (212) 

wobei G, unabhängig von i^- und p, den in (198) angegebenen 
Werth hat. Durch Vergleichung mit (211) erkennt man, dass der 
Ausdruck von S durch blosse Temperatur- und Druckänderungen 
nur dann aus (211) in (212) übergehen kann, wenn die Grösse G 
in beiden Ausdrücken dieselbe ist, d. h. wenn nach (198) 



216 Antoendungen auf spezielle Gleiehgeunchtszustände. 



O = % iK - ÄlogCo) + »1 (A4 - Bloge^) + 

Dabei ist k^, k^, A ^ . . . constant und die Concentrationen sind: 

C« = r C, = 



® »0+w, 4-/1,4- ...' ^ n^+n,4-n2 4- ...* 

Somit wird aus (211) die Entropie einer verdünnten Lösung bei 
beliebiger Temperatur und Druck: 

(213) S = n^(s^ + k^ - Rlog e^) + n^{s, + k, - R\ogc^)+ ... 

Setzen wir noch zur Abkürzung die nur von & und p, nicht 
aber von den Molekülzahlen n abhängigen Grossen: 



(214) 



, , Mo 4- p »0 

*i + ^1 ^ — - Vi 

*'2 "T" '^2 Ä ~ ^ ^2 



SO wird schliesslich aus (75), (213) und (209) 

(2lö) ^=%((Po-B^ogCQ)+n^((p^-^mogc^)+n^((p^-'Rlogc^)+ . . . 

und damit sind die thermodynamischen Eigenschaften einer ver- 
dünnten Lösung bestimmt. 

§ 255. Wir können nun sogleich übergehen zur Aufstellung 
der Gleichgewichtsbedingung für ein aus verschiedenen Phasen 
bestehendes System. Was zunächst die Bezeichnung betrifft, so 
wollen wir, wie bisher, die verschiedenen Molekülarten innerhalb 
einer Phase durch Zahlenindices, die verschiedenen Phasen aber, 
wie im dritten Capitel, durch beigefügte Striche unterscheiden, 
wobei der Einfachheit halber die erste Phase ganz ohne Striche 
bleiben solL Dann wird das ganze System dargestellt durch 
das Symbol: 

(216^ I ^®^^' ^^^^' ^2^>--- + W> W]'»»i'j Vw/, ... 

l + ^0" ^0 f 'h' ^"' + . . . . 

Die Molekülzahlen sind mit n, die Molekulargewichte mit m be- 
zeichnet, und die einzelnen Phasen sind durch + Zeichen von 
einander getrennt. In den allgemeinen Formeln deuten wir die 
Summirung über die verschiedenen Molekülarten in einer und 
derselben Phase durch Anschreiben der einzelnen Summenglieder 



Verdünnte Lösungen. 217 



an, die Summirung über verschiedene Phasen dagegen durch 
das Zeichen 2- 

Um nun die abgeleiteten Formeln anwenden zu können, 
wollen wir voraussetzen, dass jede Phase entweder eine Mischung 
idealer Gase, oder eine verdünnte Lösung darstellt Letzteres 
triflEt auch dann zu, wenn die Phase überhaupt nur eine einzige 
Molekülart enthält, wie z. B. ein chemisch homogener fester 
Niederschlag aus einer flüssigen Lösung. Denn eine einzige 
Molekülart stellt den speziellen Fall einer verdünnten Lösung 
dar, in welcher die Cöncentrationen aller gelösten Stoflfe gleich 
Null sind. 

§ 356. Gesetzt nun, es sei in dem System (216) eine iso- 
thermisch -isopiestische Aenderung möglich, derart, dass die 
Molekülzahlen w^, Wj, Wg, . . ., n^y w^', n^, .... sich gleichzeitig 
um Sn^y Sn^j Sn^, . . ., Sn^, Sn^', Sn^, . . . ändern; dann be- 
steht nach (79) gegen das Eintreten dieser Aenderung Gleich- 
gewicht, wenn für constant gehaltenes 0- und p 

oder nach (215): 

^{(pQ-Rlogc^8nQ+[(p^-E\ogG^)Sn^+{(f^-R\ogG^)8n^+.., 

(Die Sommationen 2 ^ber alle Phasen des Systems erstreckt.) 

Die zweite Reihe verschwindet identisch aus denselben Gründen, 
die oben, im Anschluss an die Gleichung (200), entwickelt 
wurden. Führen wir ferner wieder die einfachen ganzzahligen 
Verhältnisse ein: 



ön^^ : Ön^ : Ön^ : . . . : Sn^ : Sn^' : ^'^2' 



= 1^0 : Vj : 1^2 • • • • • ^0' • ^1' • ^2' • • • • (^^'^) 

80 lautet die Gleichgewichtsbedingung: 

oder: 

S^ologCo + ^logCj + 1/3 log C2 + ... =^2^oyo + «'i9^i + -- 

= log^. (218) 

K hängt, ebenso wie die Grössen ffo» V^if V2> • • •> ^icht von den 
Molekülzahlen n ab. 



218 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtszustände. 



§ 257, Die Abhängigkeit der Grösse K von & und p er- 
gibt sich aus ihrer Definition: 

dp ~ Ä-^^o dp ^^^ dp ^^'^ dp ^ '" 

Nun ist nach (214) für irgend eine unendlich kleine Aenderung 
von ?9- und p: 

»9^0 = ^*o ^ 1 -^2 — »'^» 

folgUch nach (210): 

d^Pi) = — ^2- -d^t ^- , 

und daraus: 

ö^o _ ^ ^0 + p^i^, dq^ = _ ?o 

d& &' ' dp ^* 

Ebenso: 

ö> "■ ^^ ' dp ^ &' 

Daher ergibt sich: 

Bezeichnen wir nun mit s die Volumenvergrösserung des Systems, 
mit r die von Aussen zugeführte Wärme, wenn bei constanter 
Temperatur und Druck die Aenderung (217) vor sich geht, so 
ist nach dem Werthe von V in (209): 

und nach dem ersten Hauptsatz der Wärmetheorie: 

^' = 2K ^0+ ^1 «*! + • • • ) + jpK ^0+ ^1 ^1 + • • •) 

Folglich: 

/oiQx dlogK _ r 

(220) d\ogK_ s 



dp R&' 

Der Einlluss der Temperatur auf die Grösse K und mithin auf 
die Bedingung des Gleichgewichts gegen eine bestimmte chemische 
Reaktion wird also durch die bei dieser Reaktion eintretende 
Wärmetönung, der Einfluss des Druckes durch die entsprechende 



Verdünnte Lösungen, 219 



Volumenänderung des Systems geregelt. Geht die Reaktion ganz 
ohne Wärmetönung vor sich, so hat die Temperatur garkeinen 
Einfluss auf das Gleichgewicht; verursacht sie keine Volumen- 
änderung des Systems ; so hat der Druck keinen Einfluss auf 
das Gleichgewicht (vgl § 211). 

Die früheren Gleichungen (205) und (206) sind spezielle 
Fälle der letzten beiden Gleichungen, wie man sogleich erkennt, 
wenn für log K der durch Vergleichung von (218) und (204) 
hervorgehende spezielle Werth: 

h ^ 

log-K'=loga — ^ + (1/1+^2+ --Olog- 

gesetzt wird. 

§ 258. Mittelst der Gleichung (218) lassen sich für ein 
chemisch veränderliches System so viel Gleichgewichtsbedingungen 
aufstellen, als Arten von Veränderungen möglich sind, wobei 
natürlich jedesmal die Grösse K einen anderen Werth hat. Dies 
entspricht ganz den Forderungen der allgemein gültigen Gibbs- 
schen Phasenregel (§ 204). Denn man muss die Zahl der im 
System vorhandenen Molekülarten wohl unterscheiden von der 
Zahl der unabhängigen Bestandtheile des Systems (§ 198). Nur 
die letztere ist für die Bestimmung der Anzahl und Art der 
möglichen Phasen entscheidend^ während die Zahl der Molekül- 
arten bei der Anwendung der Phasenregel garkeine EoUe spielt. 
Denn durch Einführung einer neuen Molekülart wird zwar die 
Zahl der Variabein vermehrt, dafür wächst aber auch die Zahl 
der im System möglichen chemischen Umwandlungen und damit 
auch die der Gleichgewichtsbedingungen in demselben Betrage, 
so dass die Anzahl der unabhängigen Variabein davon ganz un- 
berührt bleibt. 

§ 259. Die Gleichung (218) lehrt ferner, dass, vom allge- 
meinen Standpunkte aus betrachtet, alle im ganzen System über- 
haupt möglichen Molekülarten auch in jeder einzelnen Phase in 
endlicher Zahl vertreten sein müssen, dass z. B. in einem aus 
einer wässrigen Lösung ausgefallenen festen Niederschlag immer 
auch Wassermoleküle vorkommen, ja dass sogar bei der Be- 
rührung fester Körper, sobald man nur hinreichend lange wartet, 
eine theilweise Auflösung des einen in dem andern eintritt. 
Denn die für das Gleichgewicht maassgebende Grösse K besitzt 
nach ihrer Definition (218) für jede überhaupt mögliche chemische 



220 Anwendungen auf spezielle Gleichgewichts^iiMstände, 



Veränderung einen bestimmten im Allgemeinen endlichen Werth, 
und es kann daher nach der Gleichung (218) keine der Con- 
Centrationen o genau gleich Null werden, solange Temperatur 
und Druck endlich bleiben. Diese durch die Thermodynamik 
bedingte prinzipielle Auffassung hat sich schon nach yerschiedenen 
Seiten hin fruchtbar gezeigt, wie z. B. in der Erklärung der 
Thatsache, dass weder ein Gas, noch eine Flüssigkeit^ noch auch 
ein fester Körper jemals vollständig von den letzten Spuren 
fremder gelöster Stoffe befreit werden kann. Aus ihr folgt auch, 
dass es im absoluten Sinne keine semipermeable Wand geben 
kann. Denn unter allen Umständen wird sich mit der Zeit die 
Substa^iz der Wand mit jedem der in einer angrenzenden Phase 
befindlichen Stoffe sättigen, und daher auch jeden Stoff nach 
der anderen Seite wieder abgeben (vgl. § 229). 

Andrerseits wird durch die genannte Auffassimg die Be- 
rechnung der thermodynamischen Eigenschaften einer Lösung 
beträchtlich complicirt, da man, um sicher zu gehen, von vorne- 
herein immer alle bei den gegebenen Bestandtheilen überhaupt 
möglichen Arten von Molekülen als in der Lösung wirklich vor- 
handen annehmen muss, und erst dann Vernachlässigungen ein- 
treten lassen darf, wenn man sich durch eine besondere Unter- 
suchung überzeugt hat, dass einzelne Molekülarten in ihr nicht 
in merklichem Maasse vorkommen. Auf diesen Punkt ist wahr- 
scheinlich in vielen Fällen eine scheinbar auftretende Nicht- 
übereinstimmung der Theorie mit der Erfahrung zurückzufuhren. 

Es sollen nun einige der wichtigsten speziellen Fälle näher 
besprochen werden. Die Anordnung ist in erster Linie nach 
der Zahl der unabhängigen Bestandtheile des Systems (§ 198), 
in zweiter nach der Zahl der Phasen eingerichtet 

§ 260« Ein unabhängiger Bestandtheil in einer Phase. 

Nach der Phasenregel hängt der innere Zustand der Phase von 

zwei Variabein ab, also z. B. von der Temperatur iS- und dem 

Druck p. Dabei kann die Phase beliebig viele Molekülarten 

enthalten. So wird eine Quantität flüssiges Wasser ausser den 

einfachen HjO-Molekülen auch Doppel- und mehrfache Moleküle, 

ferner Moleküle Hg und Og, auch HgOg, femer geladene Ionen 

+ - 

H, HO und 0, u. s. w. in endlichem Betrage enthalten. Die 

elektrischen Ladungen der Ionen spielen in der Thermodynamik 



Verdünnte Lösungen. 221 



keine besondere Rolle, solange nicht die elektrischen Kräfte mit 
den thermodynamischen in CoUision gerathen, was nur und immer 
dann eintritt, wenn die thermodynamische Gleichgewichtsbedingung 
eine Vertheilung der Ionen in den verschiedenen Phasen des 
Systems verlangt, bei welcher vermöge der unveränderlichen 
Ladungen der Ionen freie Elektricität im Innern einer Phase 
auftreten müsste. Einem solchen Zustande widersetzen sich die 
elektrischen Kräfte mit grosser Stärke, und es tritt eine Ab- 
weichung von dem rein thermodynamischen Gleichgewicht ein, 
welche andrerseits durch entstehende Potentialdiflferenzen zwischen 
den betr. Phasen compensirt wird. Eine allgemeine Uebersicht 
über diese elektromolekularen Erscheinungen lässt sich gewinnen, 
wenn man die Werthe der Entropie und der Energie des Systems 
durch Hinzufügung elektrischer Glieder verallgemeinert. Doch 
beschränken wir uns hier auf die Betrachtung unelektrischer 
Zustände, und brauchen daher garkeine Rücksicht zu nehmen 
auf die elektrischen Ladungen der Ionen, die wir einfach wie 
andere Moleküle behandeln. 

In dem vorliegenden Falle sind also die Concentrationen 
sämmtlicher Molekülarten durch i9* und p bestimmt. Eine Be- 
rechnung der Concentrationen ist bisher nur für die Ionen 
+ - 

H und HO gelungen (die Zahl der 0- Ionen ist dagegen zu ver- 
nachlässigen) und zwar u. A. durch die Messung der elektrischen 
Leitfähigkeit der Lösung, die allein von den Ionen herrührt. 
Nach KoHLRAuscH und Heydweilleb ist der Dissociationsgrad 

des Wassers, d. h. das Verhältniss der Masse des in Ionen 

+ 

H und HO gespaltenen Wassers zu der Gesammtmasse des 

Wassers bei 18^ Gels.: 

14,3.10-1^. 

Diese Zahl stellt zugleich das Verhältniss der Zahl der dissociirten 
Moleküle zu der Gesammtzahl der Moleküle vor. Die Thermo- 
dynamik gestattet die Abhängigkeit der Dissociation von der 
Temperatur zu berechnen. 

Stellen wir die Bedingung des Gleichgewichtszustandes auf. 
Das Symbol des Systems ist nach (216): 

+ 
w^HgO, Wj H, 7^2 HO. 



222 Anwendungen auf spezielle Oleiehgewichiszv^tcmde. 



Die Gesammtzahl der Moleküle sei n =^nQ+ n^+ n^^ die Con- 
centrationen der einzelnen Molekülarten demnach: 

Wo Wi Wj 

" » ' In' * » 

Die in Betracht kommende chemische Umwandlung: 

besteht in der Dissociation eines Moleküls H^O in je ein Mole^ 

+ 
kül H und HO, also: 

i/o=-l «'1 = 1 v^-=l' 

Also ist nach (218) im Gleichgewichtszustand: 

- logco+ logCi+ logC2= logZ 

oder, da c^ = c^ und c^ nahezu = 1 

2 log Cj = log K. 

Dies ergibt für die Abhängigkeit der Concentration c^ von der 
Temperatur nach (219): 

r, die für die Dissociation eines Moleküls HgO in die Ionen 

+ 

H und HO nöthige Wärmezufuhr, ist nach Arrheniüs gleich 

der Wärmetönung bei der Neutralisation einwerthiger starker 

Basen und Säuren in verdünnter wässriger Lösung, also nach 

den Messungen von J. Thomsen bei mittleren Temperaturen 

annähernd: 

4045000 T 

r — — cal. 

Daraus folgt mit ßeduktion der cal. auf absolutes Maass nach (34): 

d log C i __ J^ 40 45 000 

Integrirt: 

, 4045000 1 513000 , , 



Cj= G-e 



519000 



Verdünnte Lösungen. 223 



Der Werth der Constanten C ergibt sich aus der oben für 18®, 
also ß- = 291, angeführten Zahl für den Dissociationsgrad: 

r.^ = c^= 14,3-10-1« 
als: C= 6,1 -10-7 

und damit auch der Dissociationsgrad für jede beliebige Temperatur. 
Derselbe befindet sich in guter üebereinstimmung mit der bei 
verschiedenen Temperaturen gemessenen elektrischen Leitfähig- 
keit des reinen Wassers. Erst für den absoluten Nullpunkt der 
Temperatur verschwindet die Dissociation und mit ihr die Leit- 
fähigkeit, während sie mit wachsender Temperatur nicht etwa 
über alle Grenzen wächst, sondern nur bis zu einem bestimmten 
durch die Constante G ausgedrückten Maximum. 

§ 261. Ein unabhängiger Bestandtheil in zwei oder in 
drei Phasen. Das Wesentlichste dieser Fälle ist schon früher 
im zweiten Capitel und in den §§ 205 — 207, sowie § 213 be- 
handelt worden. 

§ 262. Zwei unabhängige Bestandtheile in einer Phase 
(Lösung eines Stoffes in einem homogenen Lösungsmittel). Nach 
der Phasenregel ist ausser dem Druck und der Temperatur noch 
eine Variable beliebig, z. B. die in 1 Liter Lösung enthaltene 
Zahl der Moleküle des gelösten Stoffes, wie sie unmittelbar ge- 
messen wird. Dann ist die Concentration jeder einzelnen Molekül- 
art bestimmt, mag sie durch Dissociation, durch Association, 
durch Hydratbildung oder durch Hydrolyse der gelösten Moleküle 
entstehen. Betrachten wir zunächst den einfachen Fall eines 
binären Elektrolyten, z. B. Essigsäure in Wasser. Das Symbol 
des Systems ist nach (216): 

Die Gesammtzahl der Moleküle sei: 

** = ^0+ ^1+ ^2+ ^3 (nahe gleich 7*^). 

Die Concentrationen sind: 

__Wo _**1 —^ — ^ 

^0--^» ^1-^' ^^-^^ ^8""7r* 

Die einzige thatsächlich in Betracht kommende Umwandlung 

v^w^w^w^ =^ (i n^\ 8 n^\ 8 yi^\ 8 n^ 



224 Anwendungen auf spezielle Oleichgeunchtsxitstände, 



besteht in der Dissociation eines Moleküls H^C^Oj in seine beiden 
Ionen, also 

Daher ist nach (218) im Gleichgewichtszustand: 

- log Cj + log Cj+ log 63= log K 
oder, da c^^ c^, 



c« 



(222) 7- = ^• 

Nun ist als bekannt anzusehen die Summe: 

da die Gesammtzahl {n^ + n^) der undissociirten und dissociirten 
Säuremoleküle und auch die Gesammtzahl n^ der Wasser- 
moleküle, welche = n gesetzt werden kann, direkt gemessen 
wird. Daher lassen sich 0^ und c^ aus den letzten beiden 
Gleichungen berechnen. Es folgt daraus för die Concentrationen 
Cj und Cg der undissociirten und der dissociirten Moleküle, im 
Verhältniss zu der Gesammtconcentration c: 



^ = — ^- = 1- — fi/l + i£- il 

Mit wachsender Verdünnung, also abnehmendem c wächst, das 



e, 



Verhältniss - in bestimmter Weise bis gegen 1, d. h. bis zur 

vollständigen Dissociation, und daraus ergibt sich för die elek- 
trische Leitfähigkeit einer Lösung von gegebener Concentration 
das zuerst von Ostwald aufgestellte sogenannte Verdünnungs- 
gesetz der binären Elektrolyte, welches in zahlreichen Fällen 
durch die Erfahrung bestätigt worden ist (vgl. aber § 259). 

Auch die Abhängigkeit des Dissociationsgrades von der Tem- 
peratur ergibt sich hier in ganz ähnlicher Weise wie in § 260 
durch Berücksichtigung der bei der Dissociation aufkretenden 
Wärmetönung. Umgekehrt lässt sich aus der Veränderlichkeit 
der Dissociation mit der Temperatur die Dissociationswärme be- 
rechnen, wie zuerst von Ajubhbnius gezeigt wurde. 

§ 363. Gewöhnlich wird in der Lösung eines Stoffes nicht 
eine einzige, sondern eine grosse Anzahl von chemischen Re- 



Verdünnte Lösv/ngen» 225 



aktionen möglich sein^ und dementsprechend enthält das voll- 
ständige System eine lange Eeihe von Molekülarten. Wir wollen 
hier beispielsweise noch den Fall eines Elektrolyten behandeln, 
der sich auf verschiedene Weise in Ionen spalten kann, nämlich 
eine wässerige Lösung von Schwefelsäure. 
Das System ist nach (216): 

Die Gesammtzahl der Moleküle ist: 

w = Wq + Wj + ^2 + % + ^*4 (nahe gleich n^). 

Die Concentrationen sind: 

Wo n^ n^ Wg _ ^4 

^0-^^ ^i-n' ^3-^^ ^3-^^ ^4-7^- 

Hier kommen zwei verschiedenartige Umwandlungen: 

in Betracht, nämlich erstens die Spaltung eines Moleküls H3SO4 

+ - 

in die Ionen H und HSO^: 

1/^ = i/i = -l 1/2 = 1 ^3 = 1 ^4 = 0, 

+ -- 

zweitens die Spaltung eines Ions HSO^ in die Ionen H und SO^ : 

^0 = 1^1=0 1/2 = 1 ^3=-l «'4 = 1- 

Daher gelten nach (218) im Gleichgewichtszustand die beiden 
Bedingungen: 

- log Cj + log C2+ log 63= log K 

log C2- log C3+ log 04= log e: 

oder: 

/•_ /» 

= K, 



C% Cg 



Cx 



^2 ^4 __ 1^ 



<^8 



Hiezu kommt noch die Bedingung, welche ausspricht, dass 
in der Gesammtmenge des gelösten Stoffes die Zahl der SO^- 
Eadikale (Wj + n^+ %) halb so gross ist als die der H- Atome 
{2n^+ n2+ n^)] denn sonst enthielte das System mehr als zwei 
unabhängige Bestandtheile. Diese Bedingung lautet: 

2 C4 + Cg = ^2 . 
Planck, Thermodynamik. 15 



226 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtszustände. 



Endlich ist als gegeben anzusehen die Gesammtmenge der ge- 
lösten Schwefelsäure, also 

Die letzten vier Gleichungen ergeben für die vier Concentrationen 
Cj, Cg, Cg, c^ bestimmte Werthe, wodurch der Gleichgewichts- 
zustand gefunden ist. 

Für eine genauere Rechnung müsste man in der Lösung 
jedenfalls noch andere Molekülarten berücksichtigen. Jede neue 
Molekülart bedingt eine neue Unbekannte, aber auch eine neue 
Art der Umwandlung und daher eine neue Bedingung für das 
Gleichgewicht, so dass der Gleichgewichtszustand eindeutig be- 
stimmt bleibt. 

§ 264. Zwei unabhängige Bestandtheile in zwei Phasen. 
Nach der Phasenregel ist der Gleichgewichtszustand durch zwei 
Variable, etwa Temperatur und Druck, bestimmt. Zur besseren 
Uebersicht über dies weite Gebiet von Erscheinungen empfiehlt 
es sich, hier zwei Fälle zu unterscheiden, je nachdem nur eine 
der beiden Phasen beide Bestandtheile in merklichen Mengen 
enthält, oder beide Phasen beide Bestandtheile enthalten. 

Nehmen wir zunächst den einfacheren Fall, dass die eine 
(erste) Phase beide Bestandtheile, die andere (zweite) Phase da- 
gegen nur einen einzigen Bestandtheil enthält. Genau ge- 
nommen ist nach § 259 diese Voraussetzung niemals zutreffend, 
aber sie genügt doch in sehr vielen Fällen bis auf unmessbar 
kleine Fehler den beobachtbaren Thatsachen. Die Anwendung 
der allgemeinen Gleichgewichtsbedingung (218) auf diesen Fall 
führt auf ganz verschiedene Gesetze, je nachdem der in der 
zweiten Phase isolirt vorkommende Bestandtheil in der ersten 
Phase als gelöster Stoff oder als Lösungsmittel (§ 249) auftritt. 
Wir scheiden daher den Fall noch in zwei Unterabtheilungen. 

§ 265. Der in der zweiten Phase isolirt vorkommende Be- 
standtheil bildet in der ersten Phase den gelösten Stoff. Ein 
Beispiel dafür ist die Absorption eines Gases, z. B. Kohlensäure, 
in einer Flüssigkeit von verhältnissmässig unmerklich kleiner 
Dampfspannung, z. B. Wasser bei einer nicht zu hohen Temperatur. 

Das Symbol des aus zwei Phasen bestehenden Systems ist 
nach (216): 

n,ll,0, n^CO^+VCO,. 



Verdünnte Lösungen, 227 



Die Concentrationen der einzelnen Molekülarten des Systems in 
den beiden Phasen sind: 

''o~no^-7^,' ''i-no+n,' ''o-^^'-A. 

Die in Betracht kommende Umwandlung: 

VqIV^: Vq = SnQ : Sn^ : Sn^ 

besteht hier in der Verdampfung eines Moleküls Kohlensäure 
aus der Lösung, also: 

Die Gleichgewichtsbedingung (218): 

Vq log Co + v^ log Cj + v^ log Gq = log E: 

wird daher hier: 

-.logCi=logZ (223) 

d. h. bei bestimmter Temperatur und Druck (wodurch K be- 
stimmt ist) ist auch die Concentration g^ des Gases in der 
Lösung bestimmt. Die Aenderung der Concentration mit Druck 
und Temperatur ergibt sich durch Substitution der letzten 
Gleichung in die Gleichungen (219) und (220). Es folgt daraus: 

(224) 

(225) 

8 ist die bei der isothermischen und isopiestischen Verdampfung 
eines Moleküls COj eintretende Volumenzunahme des Systems, 
r die dabei von Aussen eintretende Wärmemenge. Da nun s 
nahezu das Volumen eines Moleküls gasformiger Kohlensäure 
darstellt^ so kann man nach (16) angenähert setzen: 

s = 

P 

und die Gleichung (224) ergibt: 

ÖlogCj _ 1 

dp p ' 

Integrirt: 

logCj= logp + const. 

oder: c^=G-p, (226) 

15* 



d log Cj 
dp 


• — 


1 s 
R'& 


d leg Ci 
d& 




1 r 
R&^' 



228 Anwendungen auf spezielle Oleichgewiohtszusiände. 



d. h. die Concentration des gelösten Gases ist proportional dem 
Druck des freien Gases über der Lösung (Gesetz von Henby). 
Der Proportionalitätsfaktor C, der ein Maass für die Löslichkeit 
des Gases abgibt, hängt noch von der Temperatur ab; in welcher 
Weise, lehrt die Gleichung (225), die mit (226) combinirt ergibt: 

ölog ^ __ __ 1 ^ 

Erfolgt also die Verdampfung des Gases aus der Lösung unter 
Wärmezufuhr von Aussen, so ist r positiv, und die Löslichkeit 
nimmt mit steigender Temperatur ab. Umgekehrt lässt sich aus 
der Veränderlichkeit von G mit der Temperatur die Wärme- 
tönung r bei der Absorption berechnen. Es ergibt sich: 

B&^ d G 
G d&' 

Nach den Versuchen von Naccaei und Paguani ist bei 20^ C. 
(t9'=293) die Löslichkeit von Kohlensäure in Wasser, ausgedrückt 
in einer Einheit, auf die es hier nicht wesentlich ankommt: 
0,8928, und ihr Temperaturcoeffizient: — 0,02483 und daher, 
mit Berücksichtigung von (34): 

1,971 . 293« . 0,02483 .„^n i 

r = — TTT^T^iTTT- = 4700 cal. 

0,8928 

Thomsen fand für die Wärmetönung bei der Absorption eines 
Moleküls Kohlensäure in Wasser 5880 cal. Der Fehler liegt 
(nach Nehnst) wohl auf Seite der Messung des Löslichkeits- 
coeffizienten. 

Von dem ganzen Betrage der Wärmetönung entfällt nach 
(48) der Theil: 

R& oder 1,97-293 = 586 cal. 

auf die äussere Arbeit. 

§ 366. Ein weiteres hieher gehöriges Beispiel ist die 
Sättigung eines flüssigen Lösungsmittels mit einem schwer- 
löslichen Salze, z. B. Bemsteinsäure in Wasser. Das Symbol 
dieses Systems ist nach (216): 

wenn man von der geringen Dissociation der Säure in der 
Lösung absieht. Die Berechnung des Gleichgewichtszustandes 
ergibt genau in der nämlichen Bezeichnung wie in (223): 



Verdünnte Lösungen, 229 



— logCj=logZ, 
also bestimiiit durch Temperatur und Druck; femer nach (219): 

r==^R^2^-^. (227) 

Mittelst dieser Gleichung berechnete zuerst vai^'t Hoff r aus der 
Lösüchkeit der Bernsteinsäure bei 0« (2,88) und bei 8,5® (4,22). 
Es ist dann nahezu: 

öbgci ^ log4,22- log 2,88 _ q 04494 . 
d & 8,5 ' 

Daraus folgt für ^9- = 273 in Calorieen: 

r = - 1,971 . 2732.0,04494 = -- 6600 cal. 

d. h. beim Ausfällen eines Moleküls fester Substanz aus der 
Lösung werden 6600 cal. nach Aussen abgegeben. Bebthelot 
fand dagegen als Lösungswärme 6700 cal. 

Betrachtet man r als von der Temperatur unabhängig, was 
in manchen Fällen in erster Annäherung gestattet sein wird, 
so lässt sich die Gleichung (227) nach & integriren und liefert: 

log <^i = ;ß^ + const. 

§ 367. Die Beziehung (227) zwischen der Lösungswärme 

und dem Temperaturcoeffizienten der Löslichkeit wird ungültig, 

wenn das Salz in der Lösung eine merkliche chemische Umbildung, 

z. B. Dissociation, erleidet. Dann sind in der Lösung neben den 

normalen Molekülen auch dissocürte vorhanden, wie z. B. in 

folgendem System von Wasser und Silberacetat: 

+ - 

n^R^O, WiAgHgCaOg, n^Ag, n^R^C.fi^+ n^'Agll^C^O^. 

Hier ist die Gesammtzahl aller Moleküle in der Lösung: 

n = nQ+ n^+ n^+ n^ (nahe gleich w^^) , 

dann sind die Concentrationen der einzelnen Molekülarten in 
beiden Phasen: 

^o-^J ^i-"n' ^»""w' ^3-«' «""<"■ 

Die möglichen Umwandlungen: 



230 Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände. 



bestehen erstens in der Ausfällung eines Moleküls Silberacetat 
aus der Lösung; 

^0=0, 1^1= -1, 1^2=0, 1^3=0, V=l, 

zweitens in der Dissociation eines Moleküls Silberacetat: 

^0=0 1^1= -1 v^^l i/g^ 1 V=0. 
Es gelten also nach (218) die beiden Gleichgewichtsbedingungen: 
erstens : — log c^ = log K, 

zweitens : — log c^ + log c^ + log Cg = log K' 

oder, da 03=^3 



e.^ 



d. h. bei bestimmter Temperatur und Druck ist erstens die Con- 
centration c^ der undissociirten Moleküle in der mit dem Salz ge- 
sättigten Lösung eine ganz bestimmte, und die Concentration c^ 
der dissociirten Moleküle bestimmt sich zweitens aus der der un- 
dissociirten Cj nach dem schon oben unter (222) abgeleiteten Disso- 
ciationsgesetz eines Elektrolyten. Da nun durch die Messung der 
Löslichkeit der Werth von c^+ c^, durch die Messung der elek- 
trischen Leitfähigkeit der Lösung aber der Werth von c^ ge- 
funden wird, so lassen sich hieraus die Grössen K und K' für 
irgend eine beliebige Temperatur berechnen. Ihre Abhängigkeit 
von der Temperatur liefert dann nach (219) ein Maass einerseits 
für die bei der Ausfällung eines undissociirten Moleküls aus der 
Lösung, andrerseits für die bei der Dissociation eines gelösten 
Moleküls auftretende Wärmetönung, und daraus ergibt sich nach 
Jahn eine Methode, um aus der gemessenen Löslichkeit des 
festen Salzes und der gemessenen Leitfähigkeit der gesättigten 
Lösung bei verschiedenen Temperaturen die wirkliche Lösungs- 
wärme des Salzes zu berechnen, d. h. die Wärmetönung, die 
eintritt, wenn ein Molekulargewicht des festen Salzes aufgelöst 

und ausserdem der Bruchtheil — - — in seine Ionen dissociirt 

Cl + C2 

wird, sowie es dem thatsächlichen Lösungsvorgang entspricht. 

§ 268. Der in der zweiten Phase isolirt vorkommende Be- 
standtheil bildet in der ersten Phase das Lösungsmittel. Dieser 
Fall findet sich immer dann verwirklicht, wenn sich aus einer 
Lösung beliebigen Aggregatzustandes das reine Lösungsmittel in 



Verdünnte Lösungen. 231 



einem anderen Aggregatzustand, z. B. durch Gefrieren, Ver- 
dampfen, Schmelzen, Sublimiren, ausscheidet Der allgemeine 
Typus eines solchen aus zwei Phasen bestehenden Systems ist 
nach (216): 

n^niQ, n^m^, n^m^, %m^, + Vm^', 

wobei noch oflfen gelassen ist, ob das Lösungsmittel in den 
beiden Aggregatzuständen gleiches oder verschiedenes Molekular- 
gewicht besitzt. Die Summe der Molekülzahlen in der Lösung ist: 

w = Wjj + Wj + 7*2 + ^3 + • • • • (nahe gleich n^). 

Die Concentrationen der einzelnen Molekülarten sind: 

c-^ ß-^ c-^ ß' -^' - 1 

Eine mögliche Umwandlung: 

VqIv^iv^: , . , : Vq = Sn^ : Sn^ : Sn^ :....: SnQ 

ist der Austritt eines Moleküls des Lösungsmittels aus der ersten 
Phase in die zweite, d. h. 

' v,= -l, v,= 0, v,= 0,...v,' = ^,. (228) 

Das Gleichgewicht erfordert also nach (218) die Bedingung: 

fit — 

- logCo + -^logV = logZ 

und mit Berücksichtigung der obigen Werthe von Cq und Cq 

log ^ = log K. 



n 







Nun ist: _!L = i 4. ^+ ^+ ^8+ 

Wo Wo 

also, da der Bruch rechts sehr klein ist: 

w,+ w,+ n,+ ... _ j^g ^ ^229) 

Nach der allgemeinen Definition in (218) ist hier: 
oder mit Berücksichtigung der Werthe der v in (228): 



W/i 



232 Amaendungen auf spexMle Oleiohgewiehtazustände, 



Nach dieser Gleichung ist der Ausdruck rechts, oder logiT, 
ebenfalls sehr klein. 

Nehmen wir einmal den speziellen Fall, dass logK genau 
gleich Null wird, d. h. dass die Zahl der gelösten Moleküle 
Wj + Wg + ... ganz verschwindet und mithin statt der Lösung das 
reine Lösungsmittel vorhanden ist. Dann ist nach (230): 






und da (f^ und ff^ nur von d-^ p und der Natur des Lösungs- 
mittels abhängen, nicht aber von der Natur der gelösten Stoffe, 
so spricht diese Gleichung eine bestimmte Bedingung zwischen 
Temperatur und Druck aus, und dies ist in der That die Be- 
dingung, welche & und p erfüllen müssen, wenn sich das reine 
Lösungsmittel in zwei Aggregatzuständen nebeneinander befindet. 
Denn setzt man für cp^ und cp^ die sich aus (214) ergebenden 
Werthe ein, so kommt man unmittelbar zu der im zweiten 
Capitel abgeleiteten Gleichgewichtsbedingung (101) zurück. Dann 
kann man entweder den Druck (Dampfspannung) als abhängig 
von der Temperatur, oder die Temperatür (Siedepunkt, Schmelz- 
punkt) als abhängig vom Druck betrachten. 

Kehren wir nun zu dem allgemeinen Fall zurück, der in 
Gleichung (230) ausgesprochen ist. Nach ihr bewirkt jede Auf- 
lösung fremder Moleküle w^, n^, n^, ... eine entsprechende Ab- 
weichung von der für das reine Lösungsmittel gültigen Beziehung 
zwischen Druck und Temperatur, und zwar hängt, wie man sieht, 
diese Abweichung lediglich von der Gesammtzahl der gelösten 
Moleküle, nicht aber von ihrer Natur ab. Um ihren Betrag in 
direkt messbaren Grössen auszudrücken, kann man nach Be- 
lieben entweder den Druck p^ einführen, der bei der gegebenen 
Temperatur & im System herrschen würde, wenn keine fremden 
Moleküle vorhanden wären (Dampfspannungserniedrigung), oder 
die Temperatur &q, welche bestehen würde, wenn bei dem ge- 
gebenen Druck p keine fremden Molekülarten vorhanden wären 
(Siedepunktserhöhung, Schmelzpunktsemiedrigung). 

Bedienen wir uns zunächst der zweiten Darstellung, so ist 
^ — ^Q sehr klein, und wir können daher setzen: 



logZ = ^.(^-^,), 



Verdünnte Lösungen. 233 



oder nach (219): 
Daher nach (229): 

oder: 

'^- '^0 = I,? • K+ »»2+ "s+ ••••), (231) 

wonach die Siedepunktserhöhung aus der Anzahl der gelösten 
Moleküle, der Temperatur und der Verdampfungswärme direkt 
zu berechnen ist. Da r sich auf die Verdampfimg eines flüssigen 
Moleküls bezieht, so ist das Produkt n^ r nur abhängig von der 
Masse des flüssigen Lösungsmittels, nicht aber von dem Molekular- 
gewicht m^ desselben. Wenn r in Calorieen ausgedrückt wird, 
so hat man nach (34) für R 1,97 zu setzen. Z. B. ist für 
1 Liter wässriger Lösung unter Atmosphärendruck nahezu 
w^r = 1000 • 536 cal., 19-^ = 373, und daher die Siedepunkts- 
erhöhung: 

o a 1,97.373» , , . 

*-'^o=-ioOOV536(^i-^''2+^3+ •••) 

= 0,5p -(^^+^2+^3+ . . . . ) Geis. 

§ 369. Vergleichen wir nun die für die Siedepunktserhöhung 
gefundene Gleichung (231) mit der früher auf Grund allgemeinerer 
Voraussetzungen, unabhängig von jeder Molekulartheorie, für 
denselben Fall abgeleiteten Beziehung (183). Dieselbe lautete: 

^_^^ = ^:^. (232) 

Hier bedeutete e nach (162) das Verhältniss der Masse M^ des 
gelösten, nicht verdampfenden, Stoffes zu der Masse M^ des 
Lösungsmittels, also in der jetzigen Bezeichnung das Verhältniss: 

__ nim^-{- n^m^-\- n^m^-\r r23S^ 

"" Wo Wo 

Femer bedeutete r die Verdampfungswärme, bezogen auf die 
Masseneinheit des Lösungsmittels, also in der jetzigen Bezeichnung: 

- . (234) 

Damit geht die Gleichung (232) über in: 

rt o __ {ni m^ + W g m^-\- . . . . ) ^'y 
" nor 



234 Anwendungen auf spezielle Oleichgetoichtsx/ustände. 



und ein Vergleich mit (231) zeigt, dass nur dann zwischen 
beiden Theorieen vollständige Uebereinstimmung besteht, wenn 
gesetzt wird: 

(235) (f = ^(^1+^+^»+--) , 

d. h. die hier entwickelte Molekulartheorie spezialisirt die dort 
entwickelte allgemeine Theorie dahin, dass die damals nur durch 
(165) definirte Grösse (p hier den speziellen Werth (235) besitzt. 
§ 370. Nun haben wir früher gefunden, dass die nämliche 
Grösse (p ausser für die Siedepunktserhöhung noch für eine 
ganze Eeihe anderer Eigenschaften beliebiger Lösungen eine 
Bedeutung besitzt, und können daher ohne Weiteres alle dort 
gefundenen Gesetzmässigkeiten hier dadurch weiter spezialisiren, 
dass wir in den dortigen für verdünnte Lösungen abgeleiteten 
Gleichungen einfach nach (233) und (235) für ecp den Werth: 

(236) w = ^K+^+_^8+-.0 
und für r und s nach (234) die Werthe 

(237) — und ' 



Wo TWo 



einsetzen. So ergibt sich aus (180) für die Dampfspannungs- 
emiedrigung einer verdünnten Lösung nach (236) und (237): 

(238) ^o-2^ = ;r;K+W2+^3+ •••)• 

Bildet der Dampf des Lösungsmittels ein ideales Gas, und kann 
man das spezifische Volumen der Lösung gegen das des Gases 
vernachlässigen, so ist s, die Volumenänderung des Systems bei 
der Verdampfung eines flüssigen Moleküls, gleich dem Volumen 
sovieler Dampfinoleküle, als von einem Flüssigkeitsmolekül ge- 
liefert werden, d. h. nach (228): 

Wo p 

und daher nach (238): 

oder die relative Dampfdruckemiedrigung: 

\ = (^1 + ^2+ ^3+ ) 



p V 1 • z • tf ' no^o 



Verdünnte Lösungen, 235 



Häufig findet sich diese Beziehung in der Form ausgesprochen, 
dass die relative Dampfdruckemiedrigung das Verhältniss der 
Zahl der gelösten Moleküle (/*i + Wg + Wg + . . . ) zu der Zahl der 
Moleküle des Lösungsmittels n^j oder, was bei verdünnten 
Lösungen auf dasselbe hinauskommt, aller Moleküle der Lösung 
n angibt. Dieser Satz ist jedoch, wie hier ersichtlich, nur dann 
richtig , wenn w^' = w , d. h. wenn man den Molekülen des 
Lösungsmittels in der Lösung dasselbe Molekulargewicht zu- 
schreiben darf, wie im Dampfe. Dies wird aber im Allgemeinen, 
z. B. für Wasser, nicht zutreffen, und es ist daher nicht über- 
flüssig, zu betonen, dass man durch die relative Dampfspannungs- 
emiedrigung einer verdünnten Lösung ebensowenig wie durch 
ihren Siedepunkt, Gefrierpunkt oder osmotischen Druck, irgend 
etwas über das Molekulargewicht des Lösungsmittels in der 
LösuDg erfahren kann. Unter allen Umständen ergibt sich aus 
diesen Messungen immer nur die Gesammtzahl (^1+^2+ • • • • ) 
der in der Lösung vorhandenen fremden Moleküle. So ist auch 
in der letzten Gleichung das Produkt n^niQ durch die Masse 
des flüssigen Lösungsmittels, und das Molekulargewicht m^' des 
Dampfes durch seine Dichte unmittelbar bestimmt. 

§ 371. Weiter folgt aus (186), mit Berücksichtigung von 
(236) und (237), für die Gefrierpunktserniedrigung einer ver- 
dünnten Lösung: 

wobei / die Gefrierwärme eines Moleküls des Lösungsmittels 
bedeutet. Das Produkt n^ r' ist also durch die Masse des 
Lösungsmittels bedingt, unabhängig vom Molekulargewicht des- 
selben. Wenn / in Calorieen ausgedrückt wird, so ist für R 
nach (34) 1,97 zu setzen. Z. B. ist für 1 Liter wässriger Lösung 
unter Atmosphärendruck nahezu %r' = 1000 «80 cal. -^^=^ 273 
und daher die Gefrierpunktserniedrigung: 

= 1,84^(^1+^2+ /^3+ . . . ) Geis. 

§ 272. Für den osmotischen Druck P schliesslich ergibt 
sich aus (190) mit Berücksichtigung von (236) 

P = (^1 + Wo + ^3 + ••••)• 



286 Anwendungen auf spezieile Gleiehgeunehtsxustände, 



Hier bedeutet v das spezifische Yolmnen der Losung, also das 
Produkt Hq m^ v nahezu das ganze Volumen der Losung: V, und 
daraus folgt: 

eine Beziehung, die nach (16) identisch ist mit der Zustands- 
gieichung einer Mischung idealer Grase mit den Molekülzahlen 



nj, n^, Wg, 



• • • • 



§ 273. Jeder der in den letzten Paragraphen abgeleiteten 
Sätze enthält eine Methode zur Bestimmung der Gresammtzahl 
(/ij + «2 + • • • • ) der in einer verdünnten Lösung vorhandenen 
fremden Moleküle. Wenn diese durch eine derartige Messung 
gefundene Zahl eine Abweichung zeigt von der aus dem Prozent- 
gehalt der Lösung unter der Annahme normaler Moleküle be- 
rechneten Zahl, so muss also nach der entwickelten Theorie 
nothwendig eine chemische Veränderung der gelösten Moleküle 
durch Dissociation, Association, Hydrolyse oder dgl. eingetreten 
sein, — eine Folgerung, die grosse Bedeutung erlangt hat für 
die Beurtheilung der chemischen Natur verdünnter Lösungen. 

Doch ist der Schluss aus der Gresammtmolekülzahl auf die 
Zahl und Beschaffenheit der einzelnen Molekülarten in der 
Lösung nur in ganz speziellen Fällen eindeutig, nämlich dann, 
wenn der gelöste Stoff in der Lösung nur auf eine einzige Weise 
eine chemische Umwandlung erfährt. Denn dann hat man in 
der bekannten Gesammtmasse des gelösten Stoffes und in der 
bekannten Gesammtzahl der von ihm in der Lösung wirklich 
gebildeten Moleküle gerade die nöthigen Daten, um die Zahlen 
aller einzelnen Molekülarten zu berechnen. Wir haben aber 
schon früher (§ 259) bemerkt, dass dieser Fall genau genommen 
nur eine Ausnahme bildet, da in der Lösung nothwendig alle 
Molekülarten, welche überhaupt möglich sind, in endlicher 

Anzahl vorkommen müssen. Sobald nun neben einer bestimmten 

+ — 

Art der chemischen Umwandlung (z. B. HgSO^ in 2H und SOJ 

eine zweite Art der Umwandlung (z. B. HgSO^ in H und HSOJ 
merklich wird, übersteigt die Zahl der Unbekannten die der zu 
ihrer Bestimmung dienenden Gleichungen, und die Analyse des 
Gleichgewichtszustandes bleibt unbestimmt. Daher besteht z. B. 
im Allgemeinen gar kein bestimmter Zusammenhang zwischen der 



Verdünnte Lösungen, 237 



Gefrierpunktsemiedrigung, Dampfspannungsemiedrigung, Siede- 
punktserhöhung einerseits und der elektrischen Leitfähigkeit 
andrerseits; denn die ersteren Grössen hängen von der Gesammt- 
zahl aller gelösten, geladenen und ungeladenen, Moleküle ab, 
die letztere aber von der Zahl und Art der geladenen Moleküle 
(Ionen), welche sich nicht immer von vorneherein aus der vorigen 
Zahl berechnen lässt. Umgekehrt darf eine Divergenz zwischen 
der aus der Leitfähigkeit berechneten und der direkt gemessenen 
Gefrierpunktserniedrigung an sich nicht als ein Einwand gegen 
die Gültigkeit der Theorie angesehen werden, sondern nur als 
ein Einwand gegen die bei der Berechnung des Gefrierpunktes 
aus der Leitfähigkeit gemachten Annahmen über die in der 
Lösung vorhandenen Molekülarten. 

Der Zusammenhang zwischen der Gefrierpunktsemiedrigung 
und der Molekülzahl des gelösten Stoffes ist zuerst von Eaoult 
experimentell mit voller Schärfe nachgewiesen worden, thermo- 
dynamisch begründet und erweitert wurde er von van't Hoff 
mittelst seiner Theorie des osmotischen Druckes. Die volle 
Durchführung auch für Elektrolyte hat Arrhenius ermöglicht 
durch seine Theorie der elektrolytischen Dissociation, während 
unabhängig davon auch die Thermodynamik gerade auf dem 
hier beschriebenen Wege zu der Forderung chemischer Um- 
wandlungen gelöster Stofife in verdünnten Lösungen geführt hat. 

§ 274. Jede der beiden Phasen enthält beide Bestandtheile 
in merklicher Menge. Der wichtigste hiehergehörige Fall ist 
der der Verdampfung einer flüssigen Lösung, in welcher nicht 
nur das Lösungsmittel, sondern auch der gelöste Stoff flüchtig 
ist Da die Anwendbarkeit der allgemeinen Gleichgewichts- 
bedingung (218) auf eine Mischung idealer Gase nicht davon 
abhängt, ob die Mischung als eine verdünnte Lösung angesehen 
werden kann, so gilt jene Gleichung hier in entsprechender An- 
näherung ohne Rücksicht auf die Zusammensetzung des Dampfes, 
während dagegen die Flüssigkeit als verdünnte Lösung ange- 
nommen werden muss. . 

Im Allgemeinen wird jede überhaupt mögliche Molekülart 
sowohl in der Flüssigkeit als auch im Dampf vertreten sein; 
man erhält daher nach (216) als allgemeines Symbol des Systems: 

n^niQ, n^m^, n^m^, + %' m^j n^'m^j n^ rn^, • • • 



238 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtsxu^tände. 



indem jede Ziffer sich auf eine Molekülart bezieht, die in beiden 
Phasen das nämliche Molekulargewicht besitzt. 

In der Flüssigkeit ist die Gesammtzahl der Moleküle: 

w = ^0 + ^1 + ^2 + • • • • (nahe gleich n^) . 

Im Dampf sei dieselbe: 

n = Wq'+ w/+ n^'+ .... 

Dann sind die Concentrationen der einzelnen Molekülarten in 
der Flüssigkeit: 



"«- n' 


1 n ' 


c -"• 


im Dampf: 






"« ~ n" 




^2 — ^' ' • • • 



Besteht nun die Umwandlung: 



^0 • ^1 • ^2 • • • • • ^o' • ^/ • ^2' • • • • 



= Jw^ :Si\: Sn^ : ... : Jn^' : (5 w/ : Sn^' : . . . . 

darin, dass ein gelöstes Molekül der ersten Art aus der Flüssig- 
keit in den Dampf übergeht, so ist: 

und die Gleichgewichtsbedingung (218) wird: 

-logßi+logc/=log£' 

oder: ^ = K. 

d. h. es findet für jede einzelne Molekülart, welche in beiden 
Phasen das nämliche Molekulargewicht besitzt, ein constantes, 
von der Anwesenheit der übrigen Moleküle unabhängiges, 
Theilungsverhältniss zwischen Flüssigkeit und Dampf statt (Ver- 
theilungssatz von Nernst). 

Besteht aber die Umwandlung darin, dass ein Molekül des 
Lösungsmittels aus der Flüssigkeit in den Dampf übergeht, so ist: 

*'o=-l> «'i = ö> «'2 = ö^--- V=i> <=0, < = 0, 

und die Gleichgewichtsbedingung wird: 

-logco+log< = logZ. 
Hierin ist: - log c^ = log ^ = log f 1 + ""' '^ "^^ ' -— ) 

(239) = rvL^^Ji^ = ^^1+^2+ ... 



Verdünnte Lösungen, 239 



folglich : 

Ci+c^-f- ... + log Co' = log JT, (240) 

wobei Cj, c^, . . ., die Concentrationen der gelösten Moleküle in 
der Flüssigkeit, kleine Werthe haben. Nun sind zwei Fälle zu 
unterscheiden : 

Entweder bilden die Moleküle m^ im Dampf nur einen 
kleinen oder wenigstens nur einen massigen Theil der Gesammt- 
zahl der Dampfmoleküle. Dann kann man die kleinen Zahlen 
Cj, Cg, .... gegen den log vernachlässigen und schreiben: 

log c^' = log Ä , 

d. h. die Concentration der Moleküle des Lösungsmittels im 
Dampf ist gamicht abhängig von der Zusammensetzung der 
Lösung. Ein Beispiel hiefür bietet die Verdampfung einer ver- 
dünnten Lösung, wenn das Lösungsmittel nicht sehr stark flüchtig 
ist, z. B. Alkohol in Wasser. Dann hängt der Partialdruck des 
Lösungsmittels (Wasser) im Dampf garnicht von der Concentration 
der Lösung ab, ist also gleich dem des reinen Lösungsmittels. 
Oder: Die Moleküle niQ sind im Dampf den übrigen Molekülen 
an Zahl stark überlegen, wie z. B. wenn in der flüssigen Phase 
Alkohol das Lösungsmittel, Wasser der gelöste Stoff ist. Dann 
kann man jene Vereinfachung der Gleichgewichtsbedingung nicht 
ohne merklichen Fehler vornehmen, sondern man hat wie in (239) 

logV= - (c/+C3'+ ), 

wodurch die Gleichung (240) wird: 

(^1+ 02+^3+ • • • ) - (^l'+ V+ V+ '") = ^OgK. 

Diese Beziehung stellt eine Erweiterung der oben durch (229) 
ausgedrückten van^t HoFF'schen Gesetze der Siedepunktserhöhung, 
Dampfspannungsemiedrigung u. s.w. vor, dahin lautend, dass, 
wenn der in der Flüssigkeit aufgelöste Stoff theilwei^ auch in 
den Dampf übergeht, die Siedepunktserhöhung bez. Dampf- 
spannungserniedrigung nicht mehr durch die Concentrationen der 
in der Flüssigkeit aufgelösten Moleküle bedingt wird, sondern 
durch die Differenz der Concentrationen in der Flüssigkeit und 
im Dampf. Ist diese Differenz gleich Null, d. h. besitzt das 
Destillat die nämliche Zusammensetzung wie die Flüssigkeit, so 
wird auch die Siedepunktserhöhung und ebenso die Dampf- 
spannungsemiedrigung gleich Null, wie das schon früher (§ 219) 



240 Anwendungen auf spezielle Oldehgeunchtsxu^tände, 



von einem allgemeineren Standpunkte aus gefolgert wurde. Ist 
aber die Concentration des gelösten Stoffes im Dampf sogar 
grösser als in der Flüssigkeit, wie es bei der Verdampfung einer 
wässrigen Lösung von Alkohol eintreten kann, so wird der 
Siedepunkt erniedrigt, die Dampfspannung erhöht. 

Ganz der nämliche Satz lässt sich natürlich in der näm- 
lichen Weise auch für andere Aggregatzustände ableiten; so 
lautet z.B. das Gefrierpunktsgesetz in der allgemeineren Fassung: 
Wenn aus einer verdünnten Lösung nicht nur das Lösungs- 
mittel, sondern auch der gelöste Stoff ausfriert, in der Weise, 
dass die festen Stoffe zusammen ebenfalls eine verdünnte Lösung 
bilden, wie z. B. beim Erstarren mancher Legirungen, so ist 
die Gefrierpunktserniedrigung nicht proportional der Concentration 
des gelösten Stoffes in der Flüssigkeit, sondern proportional 
der Differenz der Concentrationen des gelösten Stoffes in der 
flüssigen und in der festen Phase, sie wechselt also auch zugleich 
mit dieser Differenz ihr Vorzeichen. 

Während so die Vertheilung jeder einzelnen Molekülart auf 
beide Phasen geregelt ist, stellt sich das Gleichgewicht der ver- 
schiedenen Molekülarten innerhalb einer jeden einzelnen Phase 
ganz nach den oben § 262 f. entwickelten Gesetzmässigkeiten her. 
Wir treffen also hier wieder auf die nämlichen Gesetze der 
Dissociation, Association u. s. w. (Neenst). 

§ 275. Drei unabhängige Bestandtheile in einer Phase. 
Wenn eine verdünnte Lösung ausser dem Lösungsmittel zwei 
verschiedene gelöste Stoffe enthält, so werden sich die letzteren, 
falls sie keine Molekülarten gemeinsam haben, durchaus nicht 
gegenseitig beeinflussen ; denn dann ist keine Umwandlung zwischen 
ihnen möglich und daher auch keine besondere Gleichgewichts- 
bedingung zu erfüllen. Mischt man also etwa eine verdünnte 
wässrige X^sung eines Elektrolyten mit der verdünnten Lösung 
eines andern gänzlich verschiedenartigen Elektrolyten, so wird 
sich jede Lösung so verhalten, als wenn sie mit dem ent- 
sprechenden Quantum reinem Wasser verdünnt würde; so wird 
auch ihr Dissociationsgrad in einer der Verdünnung entsprechen- 
den Weise zunehmen. 

Anders ist es, wenn die beiden Elektrolyte ein Ion gemein- 
schaftlich haben, wie z. B. Essigsäure und essigsaures Natron. Li 
diesem Falle hat man vor der Vermischung die beiden Systeme: 



Verdünnte Lösungen, 241 



(243) 



+ - 

und 

n^H^O, VNaH3C303, <Na, <H3C303, 
wobei, ganz wie in (222), für die erste Lösung die Gleichung gilt: 

-'' = jr oder ^- = K (241) 

und ebenso für die zweite Lösung: 

^-*=£:' oder ^,^K'. (242) 

Nach der Vermischung aber hat man das System: 

_ _■*"■*""■ 

n^ HgO , \ H^CgOg , ^2 NaH3C202 , w, H , //.^ Na , w^ HjCgOg , 

wobei nothwendig: 

w^j=?Iq+w^/ (Anzahl der HgO-Moleküle) 
''^2+ ^4~^i'+ ^2' (Äiizahl der Na- Atome) 
\ + ^3 = ^1 + ^2 (A-^zahl der H- Atome) 

Tn dem letzten System ist die Gesammtzahl aller Moleküle: 

^ = % + ^1 + ^^2 ^" '^% + ^4 + ^5 (nahe gleich n^ . 
Die Concentrationen der einzelneu Molekülarten sind: 

- - Wo - - Wj - - Wg Wg - W4 - '^6 

^«~¥' ^1-^^ ^3-w' ^3~>j^ ''4-¥'^ß~W* 

In dem System sind zwei verschiedene Umwandlungen: 

^0 • ^1 * ^2 • ^3 * ^4 • ^6 ~ ^^0 * ^^1 • ^^2 * ^^3 * ^^4 • ^^6 
möglich, nämlich erstens die Dissociation eines Moleküls Essig- 
säure : 

1/^=0 «/i=-l 1/2=0 «^3=1 ^4=0 «'ß=l, 

woraus nacli (218) als Gleichgewichtsbedingung folgt: 

- log Cj + log C3 + log "fjß = log A% 
oder: 

^8 ^'6 __. ^ 

o(l<^r: >^8i!i5_ _ ^83.. = A% (244) 

W, -Wo Wi(Wo+Wo) ^ ' 

IM.ANOK, Thormodynaiuik. H> 



e, =^'' 



242 Anwendungen auf spezielle Oleichgewichtsxtistände, 

zweitens die Dissociation eines Moleküls Natriumacetat: 

1/^=0 «/i=0 v^='-l 1/3=0 v^=\ v^=l 
woraus als Gleichgewichtsbedingung folgt: 

- log C2 + log c^ + log c;, = log K', 
oder: C4 Cr. 

oder: 

(245) ■ !^^ = .^;-*A5^ ^^'. 

Die Grössen K und jBT' sind hier die nämlichen wie oben in 
(241) und (242), da sie ausser von i^- und p nur von der Art 
der betreffenden Umwandlung, nicht aber von den Concentrationen 
und von anderen daneben möglichen Umwandlungen abhängen. 
Aus den beiden Gleichgewichtsbedingungen (244) und (245) zu- 
sammen mit den vier Gleichungen (243) folgen eindeutig die 
Werthe der sechs Molekülzahlen %, n^, .... n^, wenn die 
beiden ursprünglich vorhandenen Lösungen, also auch die Molekül- 
zahlen n^, Wj, . . . und n^\ n^\ ... gegeben sind. 

§ 276. Die Bedingung, dass die beiden ursprünglichen 
Lösungen von Essigsäure und von essigsaurem Natron „isohydrisch" 
sind, d. h. bei ihrer Vermischung keinerlei Aenderung ihres Disso- 
ciationsgrades erleiden, wird offenbar ausgedrückt durch die beiden 
Gleichungen: ^^ _ ^^ ^^ _ .^^'^ 

welche aussprechen, dass die Anzahl der undissociirten Moleküle 
Essigsäure und Natriumacetat in den ursprünglichen Lösungen 
gleich der in der Mischung ist. Daraus folgt nach (243) so- 
gleich weiter: 

^3 = ^2 ^ %= '^Hy ^5 =^2 +^2' • 

Diese Werthe in die Gleichungen (244) und (245) eingesetzt und 
mit (241) und (242) verbunden ergeben: 

?22j(^2+ m/) __ ^ __ n^ 
woraus als einzige Bedingung der Isohydrie folgt: 

^1 r= -*?? ()^er C« = Co' ( = Co = c') , 



Verdünnte Lösungen. 243 



d. h. die beiden Lösungen sind isohy drisch, wenn in ihnen die 

Concentration des gemeinsamen Ions HgCgO^ die nämliche ist. 
Dieser Satz wurde zuerst von Arrhenius ausgesprochen und an 
zahkeichen Messungen verificirt. 

In allen Fällen, wo die genannte Bedingung der Isohydrie 
nicht realisirt ist, müssen bei der Vermischung der Lösungen 
chemische Umwandlungen: Dissociation oder Association, vor 
sich gehen. Von der Richtung und der Grösse dieser Um- 
wandlungen gewinnt man eine Vorstellung, wenn man sich die 
beiden gelösten Stoflfe (Essigsäure und Natriumacetat) getrennt, 
und die gesammte Menge des Lösungsmittels (Wasser) so auf 
dieselben vertheilt denkt, dass die Lösungen isohydrisch werden. 
Belinden sich z. B. beide Lösungen ursprünglich in normaler 
Verdünnung (I gr Molekül in 1 Liter Lösung), so werden sie 
nicht isohydrisch sein, weil Natriumacetat in normaler Ver- 
dünnung bedeutend stärker dissociirt ist, also eine grössere Con- 
centration der Hg C2O2 -Ionen besitzt als Essigsäure. Um nun 
das gesammte Lösungswasser so auf die beiden Elektrolyte zu 

vertheilen, dass die Concentration des gemeinsamen Ions HgCgOg 
in beiden Lösungen dieselbe wird, muss man dem schwächer 
dissociirten Elektrolyt Essigsäure Lösungswasser entziehen und 
dies dem stärker dissociirten Natriumacetat hinzufügen. Denn 
in Folge der abnehmenden Verdünnung geht zwar die Dissociation 
der Essigsäure zurück, die Concentration der freien Ionen in 
der Säure wächst aber dennoch, wie man leicht aus § 262 findet, 
weil die Ionen auf eine kleinere Wassermenge zusammengedrängt 
werden. Ebenso nimmt die Dissociation des Natriumacetats mit 
dem Wasserzusatz zu, die Concentration der freien Ionen des 
Salzes nimmt aber ab, weil die Ionen sich durch eine grössere 
Wassermenge verbreiten. So kann man es erreichen, dass die 

Concentration des gemeinsamen Ions HgCgOg in beiden Lösungen 
gleich wird, und dann sind die Lösungen isohydrisch, d. h. sie 
befinden sich in demjenigen Dissociationszustand, der bei einer 
Vermischung der Lösungen nicht mehr geändert wird. Dies ist 
also zugleich auch der Zustand, den die beiden gemischten 
Normall()sungen schliesslich im Gleichgewicht annehmen, und es 
folgt daraus der Satz, dass bei der Vermischung zweier gleich 

16* 



244 Anwendungen auf spezielle GhichgewicMszustände. 



verdünnter Lösungen binärer Elektrolyse die Dissociation des 
schwächer dissociirten Elekti'olyten (Essigsäure) noch weiter 
zurückgeht, während die des stärker dissociirten (Natriumacetat) 
noch weiter zunimmt. 

§ 277. Drei unabhängige Bestandtheile in zwei Phasen. 
Wir behandeln zunächst ein Beispiel des einfachen Falls, dass 
die zweite Phase nur einen einzigen Bestandtheil in merklicher 
Menge enthält. Ein solches Beispiel bietet die Auflösung eines 
schwerlöslichen Salzes (Silberbromat) in einer Flüssigkeit (Wasser) 
bei Zusatz einer geringen Menge eines dritten Bestandtheils 
(Silbemitrat) zur Lösung. 

Das aus zwei Phasen bestehende System wird nach (216) 

dargestellt durch: 

+ - - 

M^HgO, WjAgBrOg, WjjAgNOg, WgAg, w^BrOg, /igNOg+Vx^gBrOg. 

Die Concentrationen sind: 

._^ ._"JL c-^ .'-<_i 

^0 — ^ ' h — ^ * ^2 — ^ ^ > *> "~ Wo' "" ' 

wobei n =^ n^+ n^+ n.^ + ^3 + ^*4 + % (nahezu gleich 71^). 

Von den möglichen Umwandlungen: 

^0 • ^1 • ^2 • ^3 • ^4 • *'6 • V = ^ '^o • ^^1 • ^^h ' ^% :Sn^: Sn^ : Sn^ 

ist in Betracht zu ziehen zunächst der Austritt eines Moleküls 
AgBrOg aus der Lösung, also: 

«'o = ^j «^1 = -^ «^2=0, V=l, 

woraus nach (218) die Gleichgewichtsbedingung folgt: 

- log Ci + log Co' = log Z 
oder: 

(246) c,= i, 

d. h. die Concentration der undissociirteu Moleküle Silberbromat 
in der gesättigten Lösung hängt ausschliesshch von Temperatur 
und Druck ab. 

Femer ist zu berücksichtigen die Dissociation eines Moleküls 
AgBrOg in die beiden Ionen: 

*'o = 0, «'i=-l, 1^2 = 0, r3 = l, i'^=l, r, = 0, <=ü, 

was nach (218) ergibt: 

- logCi+ Iogrg+ logc^= logA", 



Verdünnte Lösungen, 245 



Cj C4 



oder nach (246) 

^3«4 = 5. (247) 

+ - 

d. h. das Produkt der Coucentrationen der Ionen Ag und BrOg hängt 
nur von Temperatur und Druck ab. Jeder Umstand also, der eine 

Aenderung in der Concentration Cg der Ag- Ionen herbeiführt, 
beeinttusst in umgekehrtem Verhältniss die Concentration c^ der 

BrOg -Ionen. Da nun durch den Zusatz von Silbernitrat die Zahl 

+ 
der Ag-Ionen in der Lösung vergrössert wird, so wirkt eben 

dadurch dieser Zusatz verkleinernd auf die Zahl der BrOg-Ionen 
und somit auch verkleinernd auf die Löslichkeit des bromsauren 
Salzes, welche offenbar durch die Summe Cj + c^ gemessen wird. 
Endlich ist noch zu betrachten die Dissociation eines 
Moleküls AgNOg in die beiden Ionen: 

^0 = 0, «^1 = 0, v^^^-h «^3 = 1, «^4 = 0, 1/5 = 1, V=0, 
welche für das Gleichgewicht nach (218) die Beziehung erfordert: 

^^ = K'\ (248) 

Zu den 3 Gleichungen (246), (247) und (248) kommt als vierte 
noch die Bedingung: 

und als* fünfte der'Werth von c.^+ c^, welcher durch die Menge 
des zugesetzten Nitrats gegeben ist, so dass hieraus die 5 Un- 
bekannten Cj, C2, Cg, c^, Cg im Gleichgewichtszustand eindeutig 
bestimmt werden. 

Die Theorie derartiger Löslichkeitsbeeintiussungen ist zuerst 
von Nernst entwickelt und von ihm, und später namentlich 
auch von Noyes durch Messungen bestätigt worden. 

§ 378. Der allgemeinere Fall, dass jede der beiden Phasen 
alle drei Bestandtheile enthält, wird u. A. verwirklicht bei der 
Vertheilung eines löslichen Stoffes zwischen zwei Lösungsmitteln, 
die sich selber in geringem Grade gegenseitig lösen (z. B. Wasser 
und Aether). Der Gleichgewichtszustand des Systems wird voll- 
ständig bestimmt durch eine Combination derjenigen Bedingungen, 



246 Anwendungen auf spezielle Oleiehgewichtszustände, 

welche für den Uebertritt eines Moleküls aus der einen Phase 
in die andere, und derjenigen, welche für die chemische Um- 
wandlung der Moleküle innerhalb einer und derselben Phase 
gelten. Die ersteren lassen sich zusammenfassen in den Ver- 
theilungssatz von Nernst (§ 274), wonach für jede in beiden 
Phasen vorkommende Molekülgattung ein constantes, von der 
Anwesenheit anderer gelöster Moleküle unabhängiges Theilungs- 
verhältniss existirt, die letzteren in die Sätze, welche für 3 un- 
abhängige Bestandtheile in einer einzigen Phase gelten (§ 275), 
und zu denen auch die ÄRRHENius'sche Theorie isohydrischer 
Lösungen gehört. 

§ 279. In ganz derselben Weise ist der Fall zu behandeln, 
dass 4 oder mehr unabhängige Bestandtheile zu einer oder 
mehreren Phasen zusammentreten. Immer lässt sich der Zustand 
des Systems durch das Symbol (216) ausdrücken, und immer 
lässt sich jede mögliche Umwandlung des Systems auf die Form 
(217) bringen, der dann die Gleichgewichtsbedingung (218) ent- 
spricht. Alle Gleichgewichtsbedingungen zusammen mit den 
festen Bedingungen ergeben dann die nach der Phasenregel 
vorauszusehende Anzahl Gleichungen, um den Gleichgewichts- 
zustand des Systems zu bestimmen. 

Wenn es sich um eine Lösung von mehreren gegenseitig 
umwandelbaren Stoffen, etwa elektrolytisch dissociirbaren Salzen 
oder Säuren mit gemeinsamen Ionen handelt, so hat es im All- 
gemeinen keinen Sinn mehr, von einem bestimmten „Dissociations- 
grad" dieser Substanzen zu reden, da die Ionen ganz willkühr- 
lich zu dissociirten Molekülen combinirt werden können.* Z. B. in 

der Lösung: 

+ + - - 
n^^^P, ^ijNaCl, n^KC\ WgNaNOg, n^'K^O^jn^^2i,nQK,7ijG\,n^'iiO^ 

+ 
lässt sich garnicht entscheiden, welche der Na-Ionen dem NaCl 

und welche dem NaNOg zuzurechnen sind. Hier bleibt zur 
Charakterisirung des Zustandes nichts übrig, als zu den wirk- 
lich in der Lösung enthaltenen Molekülzahlen bez. den betr. 
Concentrationen zurückzugehen und sich lediglich auf die An- 
gabe dieser zu beschränken. 

Das genannte System wird von Wasser und von 4 Salzen 
gebildet, es enthält aber trotzdem ausser dem Lösungsmittel nur 
3 unabhängige Bestandtheile, weil durch die Menge des Na, des 



Verdünnte Lösungen, 247 



K und des Cl die des NO3 von vorneherein bereits mitbestimmt 
ist (§ 198). Demgemäss. sind auch die Concentrationen aller 
einzelnen Molekülarten nach § 204 {cc = 4, /S = 1) bei gegebenem 
Druck und Temperatur durch 3 derselben vollkommen bestimmt. 
Dies gilt natürlich unabhängig davon, ob, wie es höchst wahr- 
scheinlich zutrifft, bei der Aufstellung der Gleichgewichts- 
bedingungen für die betrachtete Lösung noch andere Molekül- 
arten und andere chemische Umwandlungen als die hier vor- 
gesehenen berücksichtigt werden müssen. 

§ 380. Wenn in dem System (216) von beliebig vielen 
unabhängigen Bestandtheilen in beliebig vielen Phasen die Gleich- 
gewichtsbedingung (218) nicht erfüllt ist, wenn also für eine 
beliebige virtuelle isothermisch-isopiestische Aenderung: 

2 «'o log Cq + i/j log Cj + 1/3 log C2 + SlogÄ^ 

so ist die Richtung der in der Natur thatsächlich eintretenden 
Veränderung durch die Bedingung d > (§ 147) bestimmt. 
Bezeichnen wir also jetzt mit v^^, v^, v^, ... einfache ganze 
Zahlen, welche nicht nur proportional, sondern auch von gleichem 
Vorzeichen sind wie die bei der wirklichen Umwandlung ein- 
tretenden Aenderungen der Molekülzahlen, so ergibt sich aus 
(215) für die Richtung der in der Natur eintretenden isothermisch- 
isopiestischen Veränderung ganz allgemein, sei es dass es sich 
um eine chemische Umwandlung innerhalb einer einzelnen Phase 
oder um den Uebergang von Molekülen zwischen verschiedenen 
Phasen handelt: 

wobei K wieder durch (218) definirt ist. 

Es liegt nahe, die Differenz der Ausdrücke rechts und links 
in Zusammenhang zu bringen mit dem zeitlichen Verlauf der 
Veränderung, und in der That lässt sich hieraus ein allgemeines 
Gesetz für die Geschwindigkeit irreversibler isothermisch -iso- 
piestischer Prozesse ableiten, worauf indessen in diesem Buche 
nicht weiter eingegangen werden soll. 



248 Verzeichniss, 



Verzeichniss 

der vom Verfasser bisher veröffentlichten Schriften aus dem 

Gebiete der Thermodynamik, ausschliesslich der Anwendungen 

auf Elektricität, mit Angabe derjenigen Paragraphen dieses 

Buches, in denen der nämliche Gegenstand behandelt ist. 

Ucbcr den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie. Inaugural- 
dissertation. München, Th. Ackermann. S. 1—61, 1879. (§§ 106—136.) 

Gleichgewichtszustände isotroper Körper in verschiedenen Temperaturen. 

Habilitationsschrift. München, Th. Ackermann, S. 1 — 63, 1880. 

(§§ 153-187.) 
Die Theorie des Sättigungsgesetzes, Wied. Ann. 13, S. 535—543, 1881. 

(§ 172.) 
Verdampfen, Schmelzen und Sublimiren, Wied. Ann. 15, S. 446 — 475, 1882. 

(§§ 188-196.) 

Ueber das thermodynamische Gleichgewicht von Gasgemengen, Wied. 
Ann. 19, S. 358-378, 1883. (§§ 232—248.) 

Das Princip der Erhaltung der Energie, Leipzig, B. G. Teubner, S. 1 — 247, 
1887. (§§ 55—105.) 

Ueber das Princip der Vermehrung der Entropie. Erste Abhandlung. 
Gesetze des Verlaufs von Reaktionen, die nach constanten Gewichts- 
verhältnissen vor sich gehen. Wied. Ann. 30, S. 562—582, 1887. 
(§§ 206, 212.) 

Ueber das Princip der Vermehrung der Entropie. Zweite Abhandlung. 
Gesetze der Dissociation gasförmiger Verbindungen. Wied. Ann. 31, 
S. 189—203, 1887. (§§ 232—248.) 

Ueber das Princip der Vermehrung der Entropie. Dritte Abhandlung. 
Gesetze des Eintritts beliebiger thermodjnamischer und chemischer 
Reaktionen. Wied. Ann. 32, S. 462—503, 1887. (§§ 232—279.) 

Ueber die molekulare Constitution verdünnter Lösungen. Zeitschr. f. phys. 
Chem. 1, S. 577—582, 1887. (§§ 271, 273.) 

Das chemische Gleichgewicht in verdünnten Lösungen. Wied. Ann. 34, 
S. 139—154, 1888. (§ 262 f., §§ 268—273.) 

Ueber die Hypothese der Dissociation der Salze in sehr verdünnten 
Lösungen, Zeitschr. f. phys. Chem. 2, S. 343, 1888. (§ 271.) 

Ueber die Dampfspannung von verdünnten Lösungen flüchtiger Stoffe, 
Zeitschr. f. phys. Chem. 2, S. 405—414, 1888. (§ 274.) 

Ueber den osmotischen Druck. Zeitschr. f. phys. Chem. 6, S. 187 — 189, 
1890. (§§ 229, 272.) 

Allgemeines zur neueren Entwicklung der Wärmetheorie. Zeitschr. f. phys. 
Chem. 8, S. 647—656, 1891. (§ 136.) 

Bemerkungen über das CARNOT-CLAUsius'sche Princip. Wied. Ann. 46, 
S. 162—166, 1892. (§ 134.) 

Erwiderung auf einen von Herrn Abrheniüs erhobenen Einwand. Zeitschr. 
f. phys. Chem. 9, S. 636 f., 1892 (§ 253.) 

Der Kern des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie, Zeitschr. f. d. phys. 
und ehem. Unterricht 6, S. 217—221. 1893. (§§ 106—115). 

Grundriss der allgemeinen Thermochemie, Breslau, E. Trewendt, S. 1 — 140. 
1893. (§§ 1—66, 92—152, 197—279.) 

Gegen die neuere Energetik, Wied. Ann. 57, S. 72—78, 1896. (§§ 108, 113.) 



Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig. 



PHYSIKALISCHE KRISTALLOGRAPHIE. 

Von 

Dr. Theodor Liebisch, 

o. ö. Professor der Mineralogie an der Universität C4öttingen. 
Mit 298 Abbildungen im Text und 9 Tafeln. 

Lex. 8. 1891. geh. 25 Ji. 

GRUNDRISS 

DER 

PHYSIKALISCHEN KRYSTALLOGRAPHIE. 

Von 

Dr. Theodor Liebisch, 

o. ö. Professor der Mineralogie an der Universität Göttingen. 

Mit 898 Figuren im Text. 
Lex. 8. 1896. geh. 13 J(, 40 3^, geb. in Halbfr. 15 J(, 40 :f. 

Der Grundriß ist vorzugsweise dazu bestimmt, Studierenden zur Ein- 
führung in das Gebiet der Krystallographie zu dienen. 

Er setzt spezifische Vorkenntnisse nicht voraus, sondern beginnt mit den 
einfachsten Erfahrungen über die äußeren Formen der Krystalle, die den An- 
stoß zur Erforschung des krystallisierten Zustandes fester Körper gegeben 
haben. Daraus werden auf elementarem Wege die Symmetriegesetze abge- 
leitet, welche die Vorgänge des Wachstums und der Auflösung der Krystalle 
beherrschen. Das Ergebnis dieser Betrachtung ist die Einteilung der krystaUi- 
sierten Körper in 32 Gruppen, deren Eigenschafton im einzelnen untersucht 
und an ausgewählten Beispielen erläutert werden. 

Der zweite Teil des Buches ist der physikalischen Krystallographie im 
engeren Sinne gewidmet. Mit Rücksicht auf die große Bedeutung der optischen 
Eigenschaften für die Untersuchung krystallisierter Körper sind die Gesetze 
und die wichtigsten Beobachtungsmethoden der Krystalloptik ausführlich er- 
läutert worden. 

GRUNDZÜGE 

DER 

PHYSISCHEN ERDKUNDE 

von 

Prof. Dr. Alexander Supan, 

Herausgeber von Potermanns geographischen Mitteilungen. 

Zweite, umgearbeitete und verbesserte Auflage. 

Mit 203 Abbildungen im Text und 20 Karten in Farbendruck. 

gr. 8. 1896. geh. 14 ^, geb. in Halbfr. 16 J(,. 



Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig. 



ELEKTROCHEMIE. 

Ihre Geschichte und Lehre. 

Von 

Dr. Wilhelm Ostwald, 

Professor der Chemie an der Universität Leipzig. 

Mit 260 Nachbildungen geschiclitlicher Originalfiguren. 
Lex. 8. 1896. geh. 28 ^, eleg. geb. 30 M, 

Die wissenschaftliche Elektrochemie scheint dazu berufen, nicht 
nur für die allgemeine Chemie von entscheidender Bedeutung zu werden, 
sondern auch der Technik bei ihrem Vordringen in neue Bahnen 
behilflich zu sein und ihr neue Wege zu weisen. Es läßt sich 
wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit voraussagen, daß 
der nächste große und umgestaltende Schritt der modernen Technik sich 
auf dem Gebiete der Elektrochemie vollziehen wird. 

Deshalb darf ein Werk, das sich die Aufgabe gestellt hat, die 
wissenschaftlichen Anfänge dieser Disziplin von Galvani und.Volta 
ab in ihrem Zusammenhange aus den Quellen zu schildern und die Ent^ 
Wickelung derselben bis zur Gegenwart fortzuführen, auf die Beachtung 
weitester Kreise Anspruch machen — ganz besonders wenn es von einem 
so hervorragenden Forscher und in so äußerst anziehender Form dar- 
geboten wird. 

KOMPENDIUM 

DER 

THEORETISCHEN PHYSIK. 

Von 

Dr. Woldemar Voigt, 

o. ü. rrofcssor der Pliyslk au der Universität (iöttiugeu. 

Zwei Bände. 

gr. 8. 1895 u. 1896. geh. 32^, geb. in Halbfranz Sß J6, 

Krster Band: Mechanik starrer und nichtstarrer Körper. 

Wärmelehre, 
geh. 14 ^, geb. in Halbfranz Iß J6. 

Zweiter Band: Klektricität und Magnetismus. Optik. 
geh. IS Ji, geb. in Halbfranz 20 J6. 

Je weiter die theoretische Physik sich entwickelt, und je gewaltiger 
die Werke anschwellen, welche einzelne Teile derselben erschöpfend zu 
behandeln bestrebt sind, um so gebieterischer stellt sich das Bedüiihis nach 
einer zusammenfassenden Darstellung der gewonnenen Resultate heraus, welche 
dem Lernenden nach Bewältigung einiger Spezialgebiete einen Überblick über 
die gesamte Disziplin zu erwerben gestattet. Eine solche Darstellung, die auch 
dem reifen Forscher willkommen sein dürfte, fehlte bisher in der deutschen 
Litteratur. 



s>a 




Zwei Bände. 

Mit über 600 Figuren im Text. 

gr. 8. 1893 und 1896. geh. Preis 25 Ji, eleg. gebunden 27 Ji. 

Die Wichtigkeit des durch Schulung herangebildeten Vermögens, sich 
räuinliclu) Verhältnisse sicher und klar vorzustellen, wird in neuerer Zeit immer 
mehr gewürdigt. Die Bedeutung dieses Vorstellungsvermögens für die Mechanik 
und Technik war von jeher anerkannt, neuerdings machen aber auch Physik, 
Chemie, die mit ihnen verwandte Krystallographie u. a. davon einen weit- 
gehenden Gebrauch. So hat die darstellende Geometrie gegenwärtig eine 
doppelte Bedeutung: die der Darstellung räumlicher Gebilde und die der Ent- 
wickelung der Raumanschauung. Ihre Bedeutung in letzterer Richtung und 
})os<jnders der von ihr gelehrten konstruktiven Behandlung der Fragen hat 
sich allgemeine Anerkennung verschafft. 

Das vorliegende Werk sucht die beiden genannten Zwecke zu vereinigen 
und leistet auf diese Weise jedem — mag er nun Techniker sein oder 
nicht — die besten Dienste. Die verschiedenen Projektionsmethoden, 
Orthogonal-, Parallel-, Centralprojektion, Axonometrie, sowie 
die Flächen, die den Techniker interessieren können, werden behandelt; 
in einem besonderen Kapitel wird die Theorie der Flächen beleuch tu ng 
gegel)en. Bei der Darlegung des Stoffes wird das Verfahren des Projicierens 
auch möglichst zur Gewinnung der Eigenschaften des dargestellten Objektes 
verwendet. Die Behandlung zahlreicher höherer stereometrischer Aufgaben, 
das ausführliche Kapitel über Flächen zweiten Grades mit seinen Aufgaben, 
die Untersuchung der Regelflächen dritter und vierter Ordnung u. s. w. sind 
ein l^eweis dafür, da4} auf die Entwickelung der Raumanschauung besonderes 
Gewicht gelegt wird. 



HERMANN VON HELMHOLTZ, 

Gedächtnissrede 

von 

Emil du Bois-Reymond. 

8. 1897. eleg. geh. 2 Ji. 



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'M^m>mmm«mmm.mm«mmt.:>!.