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Full text of "W. Bürger's Kunstkritik. Deutsche Bearbeitung von A. Schmarsow und B. Klemm"

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W.  BURGER'S 

KUNSTKRITIK 


^  Den  Druck  dieses  Werkes 
^  besorgte  die  Offizin  von 
Julius  Kliukhardt    in    Leipzig 


W.  BURGER'S 

KUNSTKRITIK 

DEUTSCHE  BEARBEITUNG 

von  A.  SCHMARSOW  und  B.  KLEMM 


I.  NEUE  BESTREBUNGEN  DER  KUNST 
*  LANDSCHAFTSMALEREI  * 


<*> 


LEIPZIG  1908   VERLAG  VON 
KLINKHARDT  &  BIERMANN 


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Vorwort  der  Herausgeber  VII 


W.  BÜRGER  ist  ein  Name,  der  bei  den  Kunst- 
historikern seit  dem  Beginne  der  sechziger  Jahre 
einen  guten  Klang  hat.  Wer  sich  heute  Rechenschaft 
zu  geben  ver sticht,  wie  das  Verständnis  für  Rembrandt 
und  die  Holländer  des  siebzehnten  JaJirJiunderts  über- 
haupt zu  der  Höhe'  gelangt  sei,  die  der  jungem 
Generation  jetzt  allgemein  und  wie  selbstverständlich 
zugute  kommt,  der  weiß  auch,  wieviel  davon  dem  fein- 
sinnigen Kenner  verdankt  wird,  der  mit  Vorliebe 
unter  diese?n  deutschen  Namen  geschrieben  hat.  Wenn 
der  Franzose  Th  eophile  Th  ore  mit  solcher  Wahl  eines 
Pseudonyms,  hinter  dem  er  sich  kaum  verbergen  ivollte, 
vielmehr  einer  neu  erkämpften  Überzeugung  und  einer 
langsam  gereiften  Neigung  Ausdruck  gab,  so  ist  er  mit 
Recht  auch  unter  diesem  Namen  bei  uns  eingebürgert, 
und  soll  es  bleiben,  wie  er  gewollt. 

Nach  einer  andern,  noch  viel  umfassenderen  Seite 
zollen  wir  ihm  unsere  Anerkennung,  wenn  wir  seine 
moderne  Kunstkritik,  angesichts  der  zeitgenössischen 
Entwicklung  im  eigenen  Vaterlande,  so  würdigen,  wie 
sie  es  verdient.  Dem  Geschichtschreiber  des  neun- 
zehnten Jahrhunderts,  der  sie  kennen  lernt,  wird  sie 
bald  zu  einer  wichtigen  Quelle.  Für  die  Jahre  1844  &s 
1848  und  1861  bis  1868,  in  denen  er  seine  fortlauf  ende 
Reihe  von  Salonberichten  schrieb,  eröffnet  uns  kaum 
ein  anderer  Kritiker  einen  so  tiefen  Einblick  in  das 
geistige  Leben  und  die  künstlerischen  Anliegen  der 
tonangebenden  Stadt  wie  er.  Und  an  Weite  der 
Umschau  in  Gegenwart  und  Vergangenheit  war  ihm 
keiner  überlegen.  Er  ist  der  Führer  im  Fortschritt 
zu  neuen  Einsichten. 


VIII  Vorwart  der  Herausgeber 

Deshalb  versprechen  wir  uns  von  einer  deutschen 
Bearbeitung,  die,  sachlich  geordnet ',  den  Gesamtinhalt 
zu  übersichtlichen  Gruppen  vereinigt,  ohne  doch  die 
zeitliche  Folge  zu  verwischen,  einen  nachhaltigen  Gewinn. 
Sind  seine  Tageskritiken  auch  in  Frankreich  noch  1870 
wieder  in  drei  Bänden  zusammen  gedruckt  erschienen, 
so  ist  doch  diese  Ausgabe  schon  selten  geworden,  dem 
deutschen  Leser  nicht  leicht  zugänglich,  und  in  ihrer 
ursprünglichen  für  den  Augenblick  bestimmten  Fassung 
durch  mancherlei  störendes  Beiwerk  oder  durch  bunte 
Mischung  des  Stofflichen  ermüdend.  Nach  großen  Ge- 
sichtspunkten zusammengefaßt,  und  von  überflüssigen 
Wiederholungen  befreit,  stellt  sich  hier  erst  das  Ganze 
als  einheitliches  Ergebnis  einer  Gesamtanschauung 
heraus,  der  auch  am  Schluß  dieser  Ausgabe  besonders 
Rechnung  getragen  zverden  soll. 

Leicht  lesbar,  immer  anregend,  und  auch  in 
spielender  Form  ernstlich  durchdacht,  ja  selbst  in 
heiterer  Ironie  noch  gesinnungstüchtig  —  sind  diese  Auf- 
sätze Bürgers  überall  Zeugnisse  eines  ganzen,  ebenso 
herzenswarmen  tvie  hochgebildeten  Mannes.  Jeder 
Zuwachs  an  solchen  Schriften  über  bildende  Kunst 
sollte  in  Deutschland  willkommen  sein.  Dabei  rechnen 
wir  vor  allem  auf  die  weitern  Kreise  derer,  die  das 
Bedürfnis  empfinden,  heutzutage  ein  eigenes  Urteil  über 
künstlerische  Dinge  zu  bilden,  und  ihren  Geschmack 
unter  der  Anleitung  einsichtsvoller  Mittler  zu  gesunder 
Genußfähigkeitundvorurteilsloser  Freiheit  zu  entwickeln. 

B.  Klemm.  A.  Schmarsow. 


Neue   Bestrebungen  der  Kunst 

I. 

Die  Weltausstellung  von  1855  hat  den  großen 
Künstlern  der  romantischen  Schule  die  entschei- 
dende Weihe  verliehen.  Die  hervorragendsten  Ta- 
lente, die  bis  dahin  immer  noch  bestritten  waren, 
sind  endgültig  anerkannt,  von  Frankreich  wie  von 
Europa.  Die  Romantik  in  der  Malerei,  wie  die 
Romantik  in  der  Literatur  hat  vor  der  öffentlichen 
Meinung  triumphiert.  Also  es  ist  vollbracht.  Wer 
gesiegt  hat,  hat  gelebt.  Das  ist  das  unabänderliche 
Gesetz:   Vicit,  ergo  vixit. 

Die  Eroberung  der  Freiheit  in  Erfindung  und 
Stil,  damit  war  schon  viel  gewonnen.  Aber  die 
Poesie  und  die  Form,  die  Empfindungen  und  die 
Bilder,  die  seither  frei  geworden,  was  werden  sie 
nun  mit  der  Freiheit  anfangen? 

Die  Romantik  in  Literatur  und  Malerei  war 
doch  nur  ein  vorbereitendes  Werkzeug  für  eine 
neue  Kunst,  die  wahrhaft  menschlich,  auch  der  Aus- 
druck einer  neuen  Gesellschaft  wäre,  deren  Symp- 
tome das  19.  Jahrhundert  allesamt  aufweist.  Einer 
der  Urheber  der  Romantik  hatte  die  richtige  Ahnung 

W.  Bürger.     K     stkritik.  1 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst 


davon,  als  er  die  schöne  Formel  schrieb,  die  ewig 
wahr  bleibt :  „Für  eine  neue  Gesellschaft  eine  neue 
Kunst.44 

Nun  gut,  es  herrscht  gegenwärtig  in  Frank- 
reich und  überall  eine  seltsame  Unruhe,  ein  unauf- 
haltsamer Drang  nach  einem  neuen  Leben,  das  sich 
von  allem  früheren  wesentlich  unterscheide.  Alle 
Bedingungen  der  alten  Gesellschaft  sind  über  den 
Haufen  geworfen,  in  der  Wissenschaft  und  in  den 
Religionen,  die  das  Ergebnis  der  Wissenschaft  sind, 
in  der  Politik  und  in  der  Sozialökonomie,  die  nur 
die  Anwendung  der  Politik  ist,  in  dem  Ackerbau, 
der  Industrie,  dem  Handel,  die  nur  die  Elemente 
der  sozialen  Ökonomie  sind. 

Unvergleichliche  Entdeckungen  haben  allen 
Ideen,  allen  Tatsachen  eine  ungeahnte  und  unbe- 
grenzte Tragweite  gegeben.  Es  gibt  gleichsam  einen 
unsichtbaren  Telegraphen,  der  fast  augenblicklich 
und  überall  die  Eindrücke  der  Völker,  die  Gedanken 
der  Menschen,  die  Ereignisse,  die  Neuigkeiten  jeder 
Art  in  Umlauf  setzt.  Die  geringste  moralische  oder 
physische  Erschütterung,  die  an  irgendeinem  Punkt 
gespürt  wird,  setzt  sich  fort  von  Ort  zu  Ort  und 
überträgt  sich  rund  um  den  Erdball.  Die  Mensch- 
heit ist  im  Zuge,  sich  zu  konstituieren,  und  bald 
wird  sie  das  Bewußtsein  ihrer  selbst  gewinnen  bis 
zu  den  äußersten  Enden  ihrer  Glieder. 

Der  Charakter  der  modernen  Gesellschaft  — 
der  zukünftigen  Gesellschaft  —  wird  Universali- 
tät sein. 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst 


Während  ehemals  —  gestern  —  jedes  Volk 
sich  in  die  engen  Grenzen  seines  Landes  einschloß, 
in  seine  besondere  Überlieferung,  seinen  Götzen- 
dienst, seine  selbstischen  Gesetze,  seine  dunkeln 
Vorurteile,  seine  Sitten  und  seine  Sprache,  strebt 
es  heute,  sich  über  diesen  Bannkreis  auszubreiten, 
seine  Schranken  zu  öffnen,  seine  Traditionen  und 
seine  Mythologie  zu  verallgemeinern,  seine  Gesetze 
zu  vermenschlichen,  seine  Begriffe  zu  klären,  seine 
Bräuche  zu  lockern,  seine  Interessen  auszutauschen, 
seine  Tätigkeit  überall  hin  auszudehnen,  wie  seine 
Sprache  und  sein  Genie. 

Das  ist  die  gegenwärtige  Strömung  in  Europa, 
und  selbst  in  andern  Teilen  der  Welt.  Außer  diesem 
charakteristischen  Zeichen  ist  das  Übrige  nur  Bei- 
werk, vorübergehende  Tageserscheinung,  die  nicht 
wert  ist,  in  die  großen  Rechnungen  der  Zivilisation 
eingesetzt  zu  werden.  All  das  wird  übrigens  all- 
gemein genug  zugegeben  oder  wenigstens  voraus- 
gefühlt. Was  aber  wenigen,  selbst  klar  sehenden 
Denkern,  vertraut  ist,  das  ist  die  Umgestaltung,  die 
diese  Einflüsse  in  die  Poesie,  die  Literatur  und  die 
Künste  bringen. 

In  welchem  Sinne  muß  sich  der  Charakter  der 
Künste  notwendig  abwandeln  auf  Grund  der  so- 
zialen  Metempsychose,   die  sich   vollzieht? 

Diese  ästhetische  Frage  ist  sicher  von  umfassen- 
der Bedeutsamkeit  und  vor  allem  von  großem  Be- 
lang für  die  Zukunft  der  Poesie  und  der  schönen 
Künste  selbst. 


Neue   Bestrebungen  der  Kuntit 


II, 

Die  letzte  Schule  in  Literatur  und  Kunst 
schweifte  gern  in  vergangene  Zeiten,  und  einer 
ihrer  Vorzüge  war  eben  die  Wiedererweckung  und 
Wiederherstellung  mancher  Züge  der  Geschichte, 
ihrer  eigenen  Geschichte,  die  vergessen  oder  ent- 
stellt waren. 

Oft  auch  hat  sie  sich  aus  diesem  Instinkt  in 
räumliche  Fernen  gewagt,  eine  Reise  um  die  Welt 
versucht  ...  in  der  Phantasie.  Denn  für  gewöhn- 
lich erfand  sie  ihre  Gemälde  des  „Lebens  in  der 
Fremde"  nur  am  eigenen  Herde;  nur  einer  Art  von 
Spiegel,  dessen  Geheimnis  die  Künstler  besitzen, 
entlieh  sie  die  phantasmagorischen  Reflexe  der 
„fremden"  Natur,  die  unter  entlegenen  Himmels- 
strichen leuchtete. 

Man  sagte  wohl,  dieser  Poet  sei  nach  Palästina 
gegangen,  jener  an  den  Rhein,  der  dritte  über  die 
Alpen  oder  die  Pyrenäen.  Aber  von  diesen  wunder- 
baren Odysseusfahrten,  mochten  sie  wirklich  oder 
nur  vermeintlich  sein,  hatte  kein  Dichter,  kein  Lite- 
rat jene  „Lokalfarbe"  mitgebracht,  die  unsre  Ro- 
mantiker in    ihren  Bildern    anzuwenden    vorgaben. 

Der  Franzose,  der  überhaupt  kaum  reist,  ver- 
steht auch  nicht  zu  reisen.  Da  man  fast  überall 
seine  Sprache  spricht,  kümmert  er  sich  nicht  darum, 
die  fremden  Sprachen  zu  erlernen,  und  weil  er  so 
mit  der  einheimischen  Bevölkerung  der  Länder,  die 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst 


er  durcheilt,  in  keinen  Verkehr  kommt,  erfährt  er 
auch  wenig  und  unterschätzt  vieles. 

Es  waren  also  mehr  Reisen  im  Geist  als  wirk- 
lich unmittelbare  und  tiefe  Beziehungen  zum  frem- 
den Genius,  dem  alle  diese  geschickten  Phantasie- 
gebilde  ihren  Erfolg,   ja   ihren  Ruhm  verdankten. 

So  verhielt  es  sich  nicht  allein  in  der  Literatur, 
sondern  auch  in  der  Philosophie,  in  der  Politik,  in 
der  Geschichte. 

Unter  den  Malern  hatten  auch  nur  wenige  das 
Privilegium,  die  fremden  Himmelsstriche  selbst  zu 
schauen,  und  in  diesen  seltenen  Ausflügen  hatte 
ihr  Talent  die  Originalität  und  Stärke  gewonnen. 
Ich  spreche  nicht  von  der  kleinen  mönchischen 
Kolonie,  die  sich  in  den  Katakomben  Roms  ver- 
gräbt. Aber  es  fand  sich  doch  eines  Tages,  daß 
ein  leidenschaftlicher  Künstler  den  Einfall  hatte, 
wirklich  hinzugehen  und  im  Orient  die  Patrouillen 
und  die  Karawanen  zu  sehen,  die  Schulen  und  die 
Caf£s;  ein  andrer  in  Algier  und  Marokko  ver- 
schleierte Frauen,  tanzende  Mauresken,  arabische 
Reiter,  Löwen  und  Panther;  ein  dritter  in  der 
Schweiz  den  Abstieg  von  Herden  längs  einer 
Schlucht;  ein  andrer  .  .  .  welche  Abenteurer! 

Maler  und  Schriftsteller  bewahrten  indes  fast 
alle,  unter  der  Herrschaft  der  letzten  Schule,  außer 
ihrer  französischen  Sinnesart  —  was  kein  Fehler 
war,  sondern  das  Gegenteil  —  auch  ihren  nationalen 
Gesichtspunkt.,  der  doch  immer  beschränkt  ist,  ihre 


Xeue  Bestrebungen  der  Kun-.i 


französischen    Vorurteile,    die   ausschließlich    sind, 
und  ihre  eigentümlichen  Vorstellungen. 

Gegenwärtig  aber,  wo  leichte  Verbindungen 
alle  Völker  in  Verkehr  gesetzt  haben,  gibt  es  schon 
eine  Generation  von  jungen  Leuten,  die  Sprachen 
kennen,  die  fern  von  ihrem  Vaterland  die  alte  Welt 
Asiens  oder  die  neue  Welt  Amerikas  studiert  haben. 
Wie  könnte  man  jetzt  noch  in  die  kleinen  philo- 
sophischen, religiösen,  politischen,  literarischen, 
künstlerischen  Systeme  eingeschlossen  bleiben,  in 
diesen  kleinen  Zellen  mit  kleinen  Symbolen,  kleinen 
Mythologien,  während  alle  Religionen  und  alle 
Institutionen,  alle  Gedanken  und  alle  Formen,  ein- 
mal einander  gegenüber  getreten,  sich  auch  durch- 
dringen, sich  durch  wechselseitigen  Einfluß  abwan- 
deln und  was  sie  allzu  Eingeborenes  haben  abstrei- 
fen, neu  beleben  was  sie  an  Kosmopolitischem  und 
Allgemeingültigem  besitzen;  wenn  die  sonst  aller- 
feindlichsten  Kulte  sich  miteinander  verbrüdern; 
wenn  die  politischen  Revolutionen  die  Leute  in  alle 
Welt  zerstreut  und  sie  einander  angenähert  haben, 
Missionare  aller  Gefühlsweisen  und  aller  Sprachen; 
wenn  die  Auswanderung  ganze  Bevölkerungen  aufs 
Geratewohl  hinausdrängend  eine  chronische  Erschei- 
nung geworden  ist ;  wenn  China  sich  den  Europäern 
erschließt  und  wenn  die  Chinesen  selbst  ihr  Heim 
verlassen  und  das  westliche  Amerika  überfluten; 
wenn  die  Indier  und  alle  Bewohner  des  alten  Asien 
die  europäischen  Ausstellungen  besuchen,  wo  die 
ganze  Welt  sich  ihr  Stelldichein  gibt.    Ja,  dann  ist 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst 


es  um  die  alten  Brandmale  der  Rasse  geschehen, 
um  den  alten  lokalen  Aberglauben,  die  alten 
Formen,  die  jedes  Volk  im  Schatten  seines  eigenen 
Geheges  einbalsamiert  hatte.  Es  gibt  nur  noch 
eine  Rasse  und  ein  Volk;  es  gibt  nur  noch  eine 
Religion  und  ein  Symbol :   —  die  Menschheit ! 

III. 

Die  Revolution,  die  sich  vollziehen  muß,  —  die 
Revolution,  die  sich  in  Poesie,  in  Kunst  und  Lite- 
ratur vollzieht,  betrifft  also  unmittelbar  den  Ge- 
danken und  nicht  allein  die  Form,  den  Stil,  die 
Manier,  den  Ausdruck.  Denn  der  gestaltende  Genius 
ist  frei  von  dem.  Die  Originalität,  die  Individualität 
sind  ja  doch  erobert.  Ist  die  Gewandtheit  unsrer 
Schriftsteller  und  Künstler  nicht  eine  ganz  außer- 
ordentliche? Niemals  ist  die  Literatur  und  die 
Kunst,  die  Sprache,  die  Farbe,  die  Zeichnung,  die 
Form  im  allgemeinen,  mit  mehr  Geschicklichkeit 
gehandhabt  worden.  Niemals  war  die  Ausführung  so 
geschmeidig  für  alle  Dinge.  Nach  dieser  Seite  wird 
heutzutage  kaum  noch  ein  Fortschritt  möglich  sein. 

Und  wenn  die  Revolution  sich  im  Gedanken 
vollziehen  muß,  so  muß  sie  infolgedessen  sich  auch 
im  Gegenstand  der  künstlerischen  Darstellungen 
selbst  vollziehen.  Als  man  zu  behaupten  wagte, 
daß  der  Gegenstand  in  den  Künsten  belanglos  sei, 
war  es  nur  ein  einfacher  Widerspruch  gegen  die 
angebliche  Bedeutung  der  heroischen  und  gehei- 
ligten Darstellungskreise.    Ja,  vielleicht  kommt  es 


8  Neue  Bestrebungen   Jii    rvuntt 


wirklich  nicht  auf  den  Gegenstand  an,  —  voraus- 
gesetzt, daß  die  menschliche  Seele  an  der  künst- 
lerischen Schöpfung  Anteil  nimmt  und  daß  der 
Mensch  selbst  darin  der  „Held"  ist. 

Nichtsdestoweniger  sehen  wir  einmal  zu,  wie 
der  Wandel  des  Gedankens  den  Wandel  des  Gegen- 
standes nach  sich  zieht. 

Die  große  Bewegung,  die  das  ausmachte,  was 
man  Renaissance  genannt  hat,  bestand  in  dem  Wag- 
nis, Figuren  nach  eigenartigen  Typen  zu  machen, 
statt  nach  orthodoxen  und  unveränderlichen  Typen 
wie  bisher. 

In  diesem  Sinne  hat  die  Romantik  sich  dem 
Antrieb  auf  Freiheit  angeschlossen,  den  das  sechs- 
zehnte Jahrhundert  der  Einbildungskraft  gegeben 
hatte,  obwohl  sie  in  einem  anderen  Sinne  wieder 
einen  Rückschlag  gegen  die  Renaissance  vollzogen 
hat,  sofern  diese  die  alten  Götter  des  Olymp  wieder 
auferweckte,  und  dann  ist  auch  sie  zur  Wieder- 
auferweckung  geschritten  und  hat  vor  allem  den 
vergessenen  Stil  des  Mittelalters  wieder  hergestellt. 

Aber,  wenn  die  Renaissance,  und  nach  ihr  alle 
Schulen,  die  sich  seit  drei  Jahrhunderten  in  Europa 
gefolgt  sind,  der  religiösen  Allegorie  ihre  unbe- 
wegliche Form  genommen  haben,  so  bewahrten  sie 
doch  deren  Grund  nichtsdestoweniger.  Die  christ- 
liche Kunst  war  eine  Mythologie  gewesen  und  ge- 
blieben, gerade  so  gut  wie  die  heidnische  Kunst : 
—  eine  wahre  Hieroglyphe,  die  den  Gedanken  in 
eine  symbolische  Form  einkleidete. 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  9 

Während  also  die  Heiden,  statt  ein  Weib  zu 
bilden,  eine  Venus  gemacht  hatten,  machten  die 
Christen  eine  Jungfrau  Maria.  In  der  einen  wie 
in  der  anderen  Allegorie  bedeuten  Venus  und  die 
Madonna  nur  das  vollkommene  Weib.  Und  das 
Übrige  des  weiblichen  Geschlechts  hatte  als  Aus- 
hängeschild bei  den  Heiden  die  Chöre  der  Göt- 
tinnen und  Nymphen,  das  anmutige  Gefolge  der 
Mutter  Amors,  bei  den  Christen  die  Chöre  der 
Heiligen  und  Märtyrinnen,  das  fromme  Gefolge  der 
Mutter  des  Erlösers. 

Ebenso  war  es  mit  dem  Ausdruck  aller  andern 
Ideen.  Jeder  Gedanke  wurde  in  eine  metaphorische 
Personifikation  übersetzt.  Wenn  sie  die  Qualen  des 
Genius  erzählen  wollten,  schmiedeten  die  Alten  den 
Prometheus  an  seinen  Kaukasus ;  die  Christen  haben 
ihren  Heiland  an  das  Kreuz  genagelt  1  Für  die  ur- 
sprünglich schaffende  und  gebietende  Kraft  hatten 
die  Alten  ihren  Jupiter  tonans,  —  ,,den  Herrn  der 
Götter  und  der  Menschen";  die  Christen  hatten 
ihren  ewigen  Vater,  den  Schöpfer  aller  Dinge  und 
höchsten  Richter.  Für  die  Jugend  und  die  poetische 
Schönheit  verherrlichten  die  Einen  den  harmo- 
nischen Apoll,  die  andern  den  milden  St.  Johannes, 
den  Lieblingsjünger.    So  im  übrigen. 

Und  über  diese,  der  menschlichen  Form  ent- 
lehnten Allegorien  hinaus,  nahmen  beide  Mytho- 
logien gleichermaßen  auch  andre  lebendige  Formen, 
wie  die  unschuldige  Taube,  das  fleckenlose  Lamm, 
den  siegenden  Adler,  den  wollüstigen  Schwan  hinzu. 


10  Neue  Ücatrcbuugeu  der  Kunst 

Das  Pflanzen-  und  das  Mineralreich  tragen 
ebenso  zu  dieser  konventionellen  Sprache  bei,  die 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  immer  eine  Geheim- 
lehre Eingeweihter  blieb. 

Alles  war  von  Phantasiewesen  durchdrungen : 
das  Heidentum,  das  den  Bereich  des  Menschen 
hienieden  bevorzugte,  hatte  die  Wälder  mit  Faunen 
und  Satyrn,  die  Quellen  mit  Najaden,  das  Meer 
mit  Tritonen  und  Sirenen  bevölkert.  Das  Christen- 
tum, das  ganz  dem  jenseitigen  Aufenthalt  der  Seelen 
zugewendet  war,  hatte  den  Himmel  mit  Engeln  und 
Erzengeln,  mit  Cherubim  und  Seraphim,  Vermitt- 
lern zwischen  dem  Menschen  und  der  Gottheit,  wie 
mit  Sternen  besät. 

Diese  seltsamen  Geschöpfe  konnten  viel  be- 
deuten, und  sie  bedeuteten  tatsächlich  eine  ganze 
Lehre  für  die  Eingeweihten  des  antiken  Kultus  wie 
des  nachfolgenden,  der  jenen  ersetzte.  Aber  außer 
dem  Kreise  der  Wissenden  blieb  es  ein  ver- 
schlossenes Buch,  ein  Logogryph. 

Unsre  geflügelten  Engel  sind  für  die  Orientalen, 
was  ihre  geflügelten  Chimären  für  uns  sind:  mehr 
oder  minder  reizvolle  Phantasiegebilde.  Die  Chi- 
nesen können  nicht  erraten,  was  das  auf  dem  Kreuze 
liegende  Lamm  bedeuten  soll,  ebensowenig,  wie 
wir  den  Sinn  der  Drachen  und  Ungeheuer  erraten, 
die  auf  ihren  Gebäuden  und  Standarten,  ihren  Ge- 
fäßen und  Kleidern  flattern.  Und  doch  ist  das  die 
Sprache  ihres  Glaubens,  ihres  Wissens,  ihres  Den- 
kens, ihres  Lebens  und  das  Ergebnis  ihrer  beson- 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  11 


dem  Zivilisation.  Wir  nennen  ihre  bildliche  Sprache 
unter  uns  „Chinoiseries".  Aber,  wie  nennt  man  da 
drüben  die  Erzeugnisse  der  abendländischen  Ein- 
bildungskraft ? 

Die  Renaissance  und  die  nachfolgenden  Schulen 
haben  also  keineswegs  mit  der  Symbolik  des  Mittel- 
alters gebrochen.  Die  großen  Meister  des  16.  Jahr- 
hunderts haben  immer  dieselbe  Idee  ins  Werk  ge- 
setzt, wenn  auch  in  ihrer  individuellen  Form.  Sie 
haben  nur  andre  Metaphern  gebraucht,  aber  stets 
über  das  nämliche  Thema.  Es  verschlägt  wenig, 
ob  Rafael  seine  Geliebte  wählt,  um  eine  Madonna 
daraus  zu  machen;  das  ist  im  Grunde  die  katho- 
lische Idee.  Noch  mehr :  sie  haben  neben  den  christ- 
lichen Erfindungen  die  des  Heidentums  wieder  be- 
lebt. Als  Gegenstück  zu  seinen  Madonnen,  seiner 
Transfiguration,  seiner  Messe  von  Bolsena,  seinem 
Erzengel  mit  regenbogenfarbigen  Flügeln,  malte 
Rafael  Apoll  und  Venus,  die  Schule  von  Athen  und 
den  Parnass.  Ebenso  schuf  Tizian  seine  Aphroditen 
und  seine  Danaen  als  Gegenstücke  zu  seiner  Himmel- 
fahrt der  Jungfrau  und  seiner  Heiligen  Familie.  Und 
Michelangelo  und  Lionardo  da  Vinci  und  alle  an- 
dern haben  es  ebenso  gemacht  wie  sie. 

Zwischen  diesen  beiden  Sprachen,  diesen  beiden 
Künsten,  haben  alle  künstlerischen  und  literarischen 
Schulen  seit  drei  Jahrhunderten  sich  hin  und  her 
bewegt.  Es  gibt  tatsächlich  in  unserm  Abendlande 
nur  zwei  Formen,  die  jede  eine  besondere  Idee  aus- 
drücken :  —  die  katholische  Allegorie  und  die  heid- 


1Ü  Neue  Bestrebungen   der  Kun^t 

nische,  —  die  gleichermaßen  unverständlich  sind 
für  alle  Fremden  und  ebenso  gleichgültig  für  den 
modernen  Geist  der  Völker,  die  sich  ihrer  noch 
immerfort  bedienen. 

Das  braucht  die  Kunst  des  19.  Jahrhunderts 
gewiß  nicht. 

IV. 

Aber,  wird  man  sagen,  das  gilt,  wenn  man  will, 
für  die  religiöse  Poesie,  die  ihrem  Wesen  nach 
durchaus  mystisch  ist,  weil  sie  mehr  oder  minder 
abstrakte  Dogmen  vermittelt.  In  jedem  Land  hat 
der  Kultus  in  einer  emblematischen  Kunst  die  Idee 
materialisiert,  die,  um  zum  Geist  einzudringen,  des 
Durchgangs  durch  die  Sinne  bedarf. 

Tritt  nicht  durch  das  Auge,  das  „Fenster  der 
Seele",  das  Licht  ein?  Ägypten  und  das  alte  Indien 
stehen  den  modernen  Abendländern  nicht  nach. 
Jede  Nation  hat  ihre  Ikonolatrie,  und  die  Wilden 
haben  ihre  Idole.  Allein  die  Völker,  bei  denen  die 
Reformation  gewaltet  hat,  besitzen  so  etwas  nicht 
mehr. 

Ja,  es  ist  sicher,  unsre  religiöse  Kunst  —  wie 
alle  andern  übrigens  auch  —  drückt  eine  besondere, 
unserm  Abendland  eigene  Idee  aus,  die  von  andern, 
unsere  Lehren  und  unsern  Aberglauben  nicht  teilen- 
den Völkern  nicht  verstanden  wird.  Scheiden  wir 
das  aus,  und  prüfen  andre  Ideen,  die  auch  zu  allen 
Zeiten  durch  die  Kunst  verbreitet  worden  sind,  und 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  \B 

die  anscheinend  ganz  ebenso  wie  die  übernatürlichen 
Ideen  den  Gegenstand  der  Poesie  bilden.  Stellen 
die  Künste  nicht  auch  die  geschichtlichen  Über- 
lieferungen dar,  das  wirkliche  Leben  der  Völker? 

Nun  gut,  auch  da,  unter  dem  Namen  der  Ge- 
schichte, verwendete  die  Kunst  immer  eine  Art 
Mythologie.  Auch  da  ist  es  eine  erfundene  und 
verdrehte  Sprache.  Es  gibt  eine  ganze  Reihe  von 
Persönlichkeiten,  die  durch  die  sogenannten  kompe- 
tenten Autoritäten  das  Vorrecht  erhalten  haben,  zur 
Darstellung  menschlicher  Eigenschaften  verwendet 
zu  werden,  geradeso,  wie  man  noch  heutigentags 
göttliche  Personifikationen  anwenden  würde,  um 
immaterielle  Gedanken  darzustellen.  Es  ist  eine 
Komödie,  wie  jenes  eben  noch  ein  „Mysterium" 
war.  Immer  Verkleidung,  Maskerade.  Achill,  ist 
es  nicht  der  Mut,  Odysseus  die  Klugheit,  Ajax  die 
wütende  Verwegenheit,  Leonidas  die  patriotische 
Aufopferung,  der  alte  Brutus  die  stoische  Tugend 
usw.  ?  Es  sind  eigentlich  Zeichen  eines  Alphabets, 
das  Poeten  und  Künstler  unter  sich  ausgemacht 
haben,  hieroglyphische  Charaktere,  die  ihren  an- 
erkannten Wert  haben,  wie  Wörter  der  Sprache, 
Vorwände  für  einen  verhüllten  Sinn,  eine  Art 
Muscheln,  die  man  erst  aufmachen  muß,  um  das 
Innere  zu  genießen,  oder  Hampelmänner,  die  das 
Leben  heucheln. 

Nach  den  Göttern  die  Halbgötter,  die  Heroen. 

Ja,  in  der  Tat,  das  gehört  noch  zur  Fabel  und 
fordert  zum  Verständnis  eine  besondere  Einführung 


1 4  Neue  Bestrebungen  der  Kunst 


in  die  örtlichen  Verhältnisse,  die  gewissen  Gruppen 
von  Völkern  gemeinsam  ist,  andern  aber  ganz 
fremd  geblieben.    Gehen  wir  weiter. 

Nach  den  mehr  oder  minder  fabelhaften  Hel- 
den haben  wir  noch  die  Monarchen  und  Prinzen, 
die  ihrerseits  Vertreter  der  weiter  zurückliegenden 
oder  näherstehenden  Geschichte  sind,  wie  die  Heroen 
die  alten  Überlieferungen  verkörpern.  Ist  nicht 
auch  das  eine  Fiktion,  eine  Eskamotage  der  mensch- 
lichen Natur? 

Weit  mehr  noch,  in  der  Darstellung  der  außer- 
menschlichen Natur,  der  Erde  und  ihrer  Herrlich- 
keiten —  in  der  Landschaft  —  hat  man  fast  immer 
Ausschmückungen  angewendet,  die  der  Fabel  ent- 
lehnt sind 

Zu  Anfang  der  Renaissance  kannte  man  die 
Kunstgattung  der  Landschaftsmalerei  überhaupt 
nicht:  als  Tizian  die  herrliche  Landschaft  malte,  in 
der  seine  Venus  lagert  (Louvre),  als  Correggio  das 
Gehölz  malte,  unter  dem  seine  blonde  Antiope 
schläft,  wurden  die  Erde  und  der  Himmel  nur  noch 
wie  Zutaten  und  Beiwerk  der  Personen  angesehen. 
Die  zweite  Generation  der  Meister,  die  bisher  zu 
sehr  gerühmten  Carracci,  Albano,  Dominichino, 
Guido  Reni  usw.,  begann,  die  Figuren  der  äußern 
Natur  unterzuordnen.  Das  „Genre"  der  Landschafts- 
malerei war  damit  erfunden  und  löste  sich  aus  dem 
großen  poetischen  Bündel,  aber  immer  noch  unter 
der  Bedingung,  daß  es  sich  mit  schönen  mytho- 
logischen Geschichten  ausstatte. 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  15 


Es  war  auch  nicht  wirklich  die  gemeine  Natur 
des  zeitgenössischen  Italien,  die  man  malte :  es  war 
ein  erfundenes  und  apokryphes  Griechenland  mit 
Apoll  und  Daphne,  Diana  und  Aktäon,  Herkules 
und   Achelous,   Adonis   und   Narciss. 

Im  Gefolge  der  römischen  und  bolognesischen 
Meister  erfand  Poussin  —  der  „edle"  Poussin  — 
in  Rom,  indische  Landschaften  (Bacchus)  ägyptische 
(Moses)  athenische  (Diogenes)  usw.,  Bacchanalien 
und  Arkadien;  und  sein  Freund,  der  große  Lieb- 
haber der  Sonne,  Claude  le  Lorrain  begnügte  sich 
nicht  mit  dem  strahlenden  Licht,  das  er  über  die 
Erde  ausgoß ;  er  fand  es  nötig,  in  seinen  entzücken- 
den Landschaften  auch  noch  Odysseus  oder  Kleo- 
patra  anzubringen  oder  anbringen  zu  lassen.  Die 
Sonne  wäre  nicht  ruhig  untergegangen  ohne  einen 
Aeneas  im  Vordergrund. 

Dieses  Gegengift  der  Natur,  wenn  man  so  sagen 
kann,  ist  seltsam,  und  hat  sich  doch  —  mit  Aus- 
nahme einiger  Launen  der  Neapolitaner  und  Spanier 
sowie  einzelner  Zweige  der  nordischen  Schulen,  von 
denen  wir  später  zu  reden  haben,  bis  auf  unsere  Tage 
forterhalten,  bis  auf  die  neue  Schule  der  Landschafts- 
malerei, die  heute  den  Ruhm  Frankreichs  ausmacht. 

So  stellte  man,  um  Ideen  zu  versinnlichen,  die 
Götter  dar;  für  die  Fähigkeiten  traten  die  Helden, 
für  die  Taten  die  Fürsten  ein;  und  um  die  Natur 
selber  darzustellen,  allegorisierte  man  sie  auch,  was 
Ort  und  Zeit  betrifft,  mit  stereotyper  Anheftung 
mythischer  Figuren. 


16  Neue  Bestrebungen  der  Kun^t 


Das  sind,  trotz  der  Mannigfaltigkeit  des  Aus 
drucks,  die  unveränderlichen  Gegenstände,  die  bis 
heute  von  der  Allgemeinheit  der  Dichter  und  Maler 
beibehalten  wurden. 

Jeder  kann  sich  davon  überzeugen,  wenn  er 
unter  diesem  Gesichtspunkt  die  Werke  der  Meister 
prüft,  sei  es  in  Museen,  sei  es  in  Büchern. 

Für  die  Skulptur  gelten  alle  diese  Beobachtun- 
gen über  die  Malerei  ganz  ebenso.  Ja,  in  der  Plastik 
wird  die  Musterung  nur  noch  beweiskräftiger  aus- 
fallen :  immer  dieselben  beiden  Gußformen  seit  dem 
Moses  und  dem  Bacchus  Michelangelos,  seit  der 
Diana  und  dem  Christus  im  Grabe  von  Jean  Goujon, 
demMilo  und  der  Andromeda  vonPuget,  der  Magda- 
lena und  der  Psyche  von  Canova  bis  zur  Psyche  von 
Pradier,  zum  Spartacus  von  Foyatier,  zur  Minerva 
von  Simart,  zum  Epaminondas  von  David  d'Angers, 
zu  den  Gracchen  von  Cavelier  und  zu  allen  symbo- 
lischen Darstellungsgegenständen,  die  unsre  zeit- 
genössischen  Ausstellungen   erfüllen. 

Und  über  die  Architektur,  wieviel  ließe  sich 
nicht  sagen  über  ihre  Anachronismen  und  ihren 
Mischmasch,  oder  über  ihre  vollständige  Bedeu- 
tungslosigkeit. 

Aber  wir  haben  da  gerade  unter  Händen  den 
Katalog  van  Hasselts  über  das  ungeheure  Lebens- 
werk eines  der  freiesten  Geister  der  Malerei:  1461 
Gegenstände  der  Darstellung.  Und  welche?  Es  ist 
lehrreich : 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  17 


565  Gegenstände  aus  der  christlichen  Überliefe- 
rung; 295  aus  der  heidnischen  Fabclwelt  und  der 
Allegorie;  74  nur  aus  der  Geschichte,  d.  h.  der 
Geschichte  der  Helden  und  Fürsten,  von  Romulus 
bis  auf  Erzherzog  Albrecht;  277  Porträts,  fast  alle 
—  mit  Ausnahme  seiner  selbst  (15)  seiner  Frauen 
(5  Isabelle,  17  Helene)  und  einiger  Freunde  (van 
Dyck,  Brueghel,  Snyders)  —  fast  alle  Porträts  von 
Helden  oder  Fürsten.  Dann  66  Landschaften,  die 
Mehrzahl  mit  heidnischen  oder  katholischen  Ge- 
schichten ausgestattet;  endlich  46  „sujets  familiers 
et  d'imagination",  unter  denen  sich  noch  Porträts, 
Liebesgärten,  römische  Krieger  und  Studien  ein- 
geordnet finden.  Es  kann  wohl  sein,  daß  ein 
Dutzend  Bilder  übrig  bleibt,  wo  dieser  gewaltige 
„Naturalist",  wie  man  Rubens  zu  nennen  liebt,  „den 
Menschen  für  den  Menschen"  gemalt  hat,  frei  von 
Mythologie  und  Allegorie,  von  Helden  und  Fürsten. 

Also  diese  ehemalige  Gesellschaft  muß  recht 
ausschließlich  theokratisch  und  oligarchisch  gewesen 
sein !  Aber  wo  ist  denn  die  Gesellschaft,  das  soziale 
Leben,  das  wissenschaftliche  und  industrielle,  das 
geistige  und  arbeitsame  der  Zeit  dargestellt? 

Wo  ist  der  Mensch? 

V. 

Der  Mensch  existierte  nicht  in  der  Kunst  von 
ehedem  —  von  gestern;  und  er  muß  noch  erfunden 
werden. 

W.  Bürger.    Kunstkritik.  2 


18  Neue  Bestrebungen  der  Kunst 


Fast  niemals  ist  der  Mensch,  in  seiner  schlichten 
Eigenschaft  als  Mensch,  der  unmittelbare  Gegen- 
stand der  Malerei  und  der  andern  plastischen 
Künste  gewesen,  noch  selbst  in  der  Literatur;  denn 
die  beiden  poetischen  Schulen  folgen  einander 
immer  parallel  und  bilden  fast  nur  eine. 

Ohne  Zweifel  gab  es  Ausnahmen,  und  diese 
sind  groß  unter  den  größten,  wo  das  Genie  die 
menschliche  Natur  ohne  den  Vorrang  der  religiösen 
und  poetischen  Fiktionen  gemalt  hat.  Das  ist  sogar 
ihr  wahrer  Rechtstitel  auf  die  Unsterblichkeit. 

Es  wird  der  ewige  Ruhm  eines  Rabelais,  eines 
Moliere,  eines  Shakespeare,  eines  Cervantes  und  eini- 
ger andrer  seltener  Männer  sein,  Menschen  gemacht 
zu  haben,  und  diese  Menschen  mit  gewöhnlichen 
Eigennamen,  die  der  Bewunderung  ebenso  würdig 
sind  wie  die  Helden,  die  Lieblinge  der  Musen.  Panurg 
ist  ebensoviel  wert  wie  Thersites;  Othello  wie  der 
wütende  Orest;  Don  Quichotte  wie  der  unbesieg- 
bare Achill,  und  der  gute  Arnolf,  der  hinter  seiner 
Agnes  herläuft,  ist  nicht  minder  interessant  als  der 
Gatte  der  treulosen  Helena  unter  den  Mauern  Ilions. 

Es  findet  sich  selbst  in  jenen  Zeiten  ein  bos- 
haftes Genie,  das,  unter  dem  Verbot  der  orthodoxen 
Poetik,  einfach  Menschen  vorzuführen,  und  nicht 
geneigt,  sich  mit  den  Heroen  einzulassen,  lieber 
Tiere  nahm  und  sie  mit  ebensoviel  Geist  reden 
ließ  wie  Prinzen:  —  La  Fontaine. 

Der  Roman  hat  auch,  fast  von  seiner  Geburt 
an,   sehr   kühnes   Benehmen   gewagt,   und   welche 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  1!) 

außerordentliche  Erregung  verursachte  die  „neue 
Heloisc"  von  Jean-Jacques  Rousseau,  der  sich  er- 
laubte, seine  Leser  mit  einer  „Heldin"  zu  rühren, 
deren  Stammbaum,  wenn  auch  immer  von  Adel, 
doch  nicht  bis  Jupiter  oder  Caesar  oder  auch  nur 
bis  Ludwig  XIV.  hinaufreichte. 

Für  das  Theater  ebenso:  dies  verwegene  acht- 
zehnte Jahrhundert,  das  alles  versucht  hat,  wagt 
sich  mit  Diderot  ans  vulgäre  Drama;  in  Reaktion 
gegen  die  heroische  Tragödie. 

Und  in  unsern  Tagen,  nach  einer  ziemlich 
langen  Abschweifung,  werden  einige  Schriftsteller 
des  Theaters  und  des  Romans,  wie  Balzac  und 
George  Sand  eben  dieser  erneuernden  Richtung 
ihren  Hauptansprach  vor  der  Nachwelt  verdanken. 

In  der  Malerei  sind  die  Ausnahmen  von  der 
furia  eroica  nicht  gewöhnlicher  gewesen  als  in  der 
Literatur. 

Die  alte  lateinische  Rasse  ist  natürlich  immer 
widerspenstig  gewesen  gegen  die  Aufopferung  der 
überlieferten  Mumien.  Welch  ein  Skandal  in  Italien, 
als  Caravaggio  und  seine  Genossen,  Francois  Valen- 
tin einbegriffen,  sich  daran  machten,  in  natürlicher 
Größe  rohe  Abenteurer,  wie  sie  selbst,  zu  malen, 
wohl  bewaffnet  und  ausstaffiert  und  wohl  zufrieden 
auf  der  Welt  zu  sein.  Neben  ihnen  Ribera,  der 
Spanier,  und  nach  ihm  Salvator  Rosa  verliebten  sich 
auch  in  ähnliche  Gegenstände  und  zeigten  zuweilen 
den  „gewöhnlichen  Menschen"  mit  einer  grandiosen 


H  i  Neue  Bestrebungen  der  Kunst 

Kraft  und  einer  schrecklichen  Wahrheit.  Noch  frei- 
lich gaben  diese  „Naturalisten"  die  Falten  der  Haut 
und  den  Firlefanz  der  Kostüme  besser  wieder,  als 
die  Tiefe  der  Empfindungen  und  Charaktere. 

In  Spanien,  zur  Seite  der  mystischesten  Kunst, 
die  jemals  existierte,  in  Spanien,  diesem  Lande  der 
äußersten  Kontraste,  hat  der  Maler  Philipps  IV.,  der 
glänzende  Velazquez  Zecher  und  Zigeuner  in  natür- 
licher Größe  ganz  königlich  gemalt !  Und  nach  ihm 
hat  der  Maler  der  Ekstasen  und  der  duftigen  Er- 
scheinungen, der  sanfte  Murillo,  auch  Bettlern  das 
Leben  verliehen  und  mit  seiner  warmen  Farbe  ein- 
fache Sterbliche  geschmückt,  die  mit  der  Trink- 
schale liebäugeln  oder  in  eine  Traube  beißen. 

Bei  den  Franzosen  stellten  eine  Weile  die  Brüder 
Lenain,  eine  Art  versprengter  Spanier,  Bauern  und 
Arbeiter  mit  einer  Würde  dar,  die  an  Stil  grenzt, 
aber  nur  in  kleinerem  Maßstab.  Das  war  das  beste 
Mittel  unter  dem  Reich  des  emphatischen  Lebrun 
kaum  beachtet  zu  werden;  so  weiß  man  denn  auch 
fast  gar  nichts  von  den  Lebensumständen  dieser 
eigentümlichen  Meister. 

Im  achtzehnten  Jahrhundert  stellten  Watteau, 
Chardin,  Greuze,  Boujher  selbst  und  Fragonard,  fa- 
miliäre Gegenstände  dar,  Hirten-  und  Bauernszenen, 
Boudoirs  und  Zwiegespräche,  Familienszenen  und 
Haushalt;  im  Kleinen  immer,  da  die  natürliche. 
Größe  von  Rechts  wegen  der  Venus  und  der  Pom- 
padour vorbehalten  war. 


Neue  Bestrebungen  der  Kum-,1  91 


Die  Liebhaber  des  „grand  genre"  hatten  gut 
widersprechen,  diese  „kleine"  Schule  da  ist  viel- 
leicht die  allerfranzösischste  —  die  einzige  fran- 
zösische —  in  unsrer  ganzen  Vergangenheit.  Im 
16.  Jahrhundert  waren  unsre  Künstler  —  ausge- 
nommen die  Clouet,  die  von  Ursprung  Flandrer 
waren,  —  doch  allesamt  Florentiner;  im  17.  Jahr- 
hundert waren  sie  Römer.  Der  erlauchte  Poussin, 
was  auch  sein  philosophischer  Wert  sein  mag,  ge- 
hört er  nicht  viel  mehr  nach  Rom  als  nach  den  An- 
delys  in  der  Normandie? 

So  flößte  denn  auch  diese  sich  so  viel  Freiheit 
erlaubende  Schule  unverfrorener  Kleinmeister  des 
18.  Jahrhunderts  sehr  bald  einen  tiefen  Abscheu 
ein.  Die  Mythologie  und  der  Heroenkult  gewannen 
schnell  wieder  die  Oberhand,  und  Louis  David, 
der  übrigens  seine  Sansculottes  völlig  in  der  Hand 
hatte,  wandte  sich  zurück  in  die  antiken  Zeiten,  um 
kleiderlose  Gestalten  zu  suchen.  Aber  die  Entkleideten 
.Watteaus  taugen  doch  mehr  als  die  seinigen.  Was 
das  Meisterstück  des  Malers  der  Horatier,  des  Brutus 
und  des  Leonidas  bleiben  wird,  ist  gerade  ein  Gegen- 
stand aus  seiner  eigenen  Zeit,  ein  Werk,  das  er 
unter  dem  unmittelbaren  Eindruck  der  Ereignisse 
und  angesichts  der  Natur  schuf,  der  Marat,  wie 
er  ermordet  in  der  Badewanne  liegt. 

In  Wahrheit,  diese  Schulen  der  Totengräber 
und  Wiederauferwecker  scheinen  endlich  durch  die 
Romantik  besiegt  zu  sein. 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst 


VI. 

Eine  einzige  Ausnahme  von  der  Mythomanie 
steht  in  der  Kunstgeschichte  da,  charakteristisch, 
weil  dauerhaft  und  tiefgründig  —  bei  den  Nieder- 
ländern. 

Der  germanische  Geist  hat  sich  im  Gegensatz 
zu  dem  alten  römischen  Geist  niemals  in  die  Tra- 
ditionen vernarrt,  die  ihm  fremd  sind.  Die  nor- 
dische Rasse  neigt  nicht  dazu,  den  Menschen  unter 
dem  Gott  oder  dem  Heros  zu  verbergen.  Bei  ihr 
behauptet  sich  der  natürliche  Mensch,  „l'homme  de 
la  nature44,  wie  man  im  18.  Jahrhundert  sagte,  und 
macht  sich  vierschrötig  breit,  so  wie  er  ist,  ohne 
Nimbus  und  Aureole. 

Auch  die  Niederlande  sind  trotz  dem  anhalten- 
den Druck  der  lateinischen  Zivilisation  immer  im 
Festhalten  an  der  Erde  und  der  Menschheit  treu 
geblieben,  während  die  Italiener  und  in  ihrem  Ge- 
folge alle  romanisierten  Völker  sich  in  himmlische 
Phantasmagorien   verloren. 

Dieser  realistische  Typus  ist  keineswegs  un- 
poetisch; weit  gefehlt:  die  Niederlande  hatten  ihn 
auch  im  Laufe  des  Mittelalters  bewahrt  und  gerade 
da  liegt  die  Originalität  ihrer  großen  Männer  im 
15.  Jahrhundert,  der  van  Eyck  und  Memling  z.  B., 
die  sich  doch  wohl,  wie  niemand  bestreiten  wird, 
recht  ruhmvoll  an  der  Seite  der  edelsten  Meister 
aller  Länder  behaupten. 

Einen  Augenblick,  im  16.  Jahrhundert  ergriff 
die   Leidenschaft   für   Italien    allerdings   auch   die 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  88 

Künstler  des  Nordens,  und  es  geschah,  was  un- 
vermeidlich war,  daß  ihre  Schule  durch  Nach- 
ahmung entartet,  im  Dunkeln  verschwand.  Alle 
diese  unklugen  Überläufer,  die  damals  über  die 
Alpen  stiegen,  um  eine  fremdartige  Kunst  zusammen- 
flicken zu  lernen,  zählen  in  der  Kunstgeschichte 
ihres  Vaterlandes  nicht  mit. 

Im  17.  Jahrhundert  leuchtet  aufs  neue  die 
niederländische  Malerei;  und  für  den  flandrischen 
Teil  charakterisieren  sie  nicht  sowohl  Rubens  und 
van  Dyck  als  vielmehr  Jordaens  und  Snyders,  Brue- 
ghel,  Teniers,  Craesbeck  und  andre.  Unter  uns, 
Rubens  und  van  Dyck  gehören  ebensosehr  nach 
Venedig  wie  nach  Antwerpen,  und  durch  ihren 
Lebenslauf  wie  durch  ihre  Werke  könnte  man  ohne 
Paradoxie  beweisen,  unter  Vorbehalt  freilich  ihres 
angeborenen  Genies,  daß  ihre  Eingebung,  ihr  Stil, 
ihre  Vorzüge,  ihr  Verfahren  und  ihre  Gegenstände 
den  Schulen  von  Venedig,  Genua,  Parma,  ja  viel- 
leicht der  spanischen  des  Velazquez  gehören,  und 
besonders  bei  Rubens  noch  der  florentinischen,  ja 
der  Schule  des  Michelangelo.    So  ist  es. 

Die  andern  Künstler  Flanderns  indessen  malten 
gan,z  ruhig  ihre  guten  Leute,  die  wenig  heroisch 
aussehen,  ihre  „Murmeltiere",  wie  Ludwig  XIV. 
sagte,  und  gaben  ohne  Scham  das  tägliche  Leben 
ihrer  Zeitgenossen  wieder. 

Vor  allem  ist  es  aber  der  Norden  der  Nieder- 
lande, im  heutigen  Holland,  wo  der  tief  mensch- 
liche Charakter  der  Schule  hervortrat.  Die  Kämpfe 


_'4  Neue  Bestrebungen  der  Kuiibi 

der  Reformation   und   des   Patriotismus   trugen   zu 
gleicher  Zeit   ohne  Zweifel  nicht  wenig  dazu  bei. 

Rembrandt  .  .  der  ist  gewiß  kein  Mystagoge 
und  doch  der  größte  Magiker  unter  den  Malern; 
er  ist  es,  der  das  „menschliche  Genre"  liebt  und 
das  heroische  Genre  gar  wenig;  er  ist  es,  der  sich 
an  die  Natur  anschließt,  an  die  Wirklichkeit,  und 
doch  zugleich  so  bizarr,  so  chimärisch,  so  originell 
ist,  wie  nur  irgend  ein  Erfinder  von  Bildern. 

Und  warum  ist  denn  Rembrandt  ein  so  großer 
Maler  und  ein  so  großer  Poet?  Warum  ist  er  in 
diesen  letzten  Zeiten  immer  gestiegen  in  der  Ach- 
tung der  Künstler,  bis  er  in  derselben  Reihe  mit 
den  Fürsten  der  Kunst  dastand,  wie  ihre  ehrfurchts 
vollen  Untergebenen  sie  nennen?  Warum  ist  dieser 
Bauer  vom  Rhein,  der  sich  in  einer  Mühle  ausge- 
bildet hat,  nun  auf  der  Höhe  der  Adligen,  der 
,, göttlichen"  Maler,  die  einst  die  Höfe  der  Päpste 
und   Monarchen   schmückten? 

Und  was  sind  denn  die  herrlichsten  Gemälde, 
die  er  der  Nachwelt  hinterlassen  hat!  An  welchen 
Helden  hat  er  seinen  Namen  geknüpft,  um  ihn  un- 
sterblich zu  machen?  Wer  sind  sein  Achill  und 
Aeneas,  sein  Leo  X.  und  Karl  V.,  sein  Franz  I.  und 
Ludwig  XIV.? 

Er  hat  eine  Schar  von  Bogenschützen  gemalt, 
die  im  Durcheinander  aus  ihrer  Doele  herauskommt : 
Kapitän  und  Leutnant  an  der  Spitze,  ein  Gassen- 
bube, der  vorausläuft,  grotesk  ausstaffiert  mit  einer 
alten  Pickelhaube  auf  dem  Kopf,  ein  kleines  Mäd- 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  25 


chen,  das  einen  Hahn  trägt,  eine  Lichterscheinung, 
ein  großer  Trommelschläger,  den  ein  Hund  an- 
bellt, verworrene  Gruppen,  die  sich  im  Schatten 
bewegen  oder  unter  einem  Lichtschein  aufleuch- 
ten. Das  ist  alles,  und  das  nennt  sich  „die  Nacht- 
wacht oder  Scharwache"  oder  sonstwie,  wenn  man 
lieber  will.  Der  Name  tut  hier  zur  Sache  gar  nichts. 

Er  hat  auch  einen  Chirurgen  gemalt,  den  er- 
fahrenen Professor  Nikolaus  Tulp,  der  einen  Leich- 
nam seziert  und  jungen,  der  Wissenschaft  Beflisse- 
nen die  Anatomie  erklärt.  Das  nennt  sich  „Ana- 
tomiestunde", aber  es  wäre  ein  schlechtes  Seiten- 
stück zur   Schule   von  Athen  von  Rafael. 

Er  hat  noch  fünf  Bürger  von  Amsterdam  ge- 
malt, die  friedlich  an  einem  Tisch  beisammen 
sitzen,  mit  breitrandigen  Hüten  auf  dem  Kopf,  die 
ihre  ernsten  Gesichter  beschatten.  Man  nennt  sie 
de  Staalmeesters  oder  die  Syndici,  oder  die  Blei- 
stempelbewahrer  der  Tuchmachergilde.  Sie  sind  da 
in  Geschäften  ihrer  Genossenschaft;  aber  sie  könn- 
ten sich  ebensogut  mit  den  Geschicken  der  Welt 
beschäftigen,  vielleicht  mit  der  Reformation  des 
Glaubens  oder  der  Politik  Europas,  oder  mit  dem 
Handel  nach  Ostindien,  oder  mit  der  Wissenschaft, 
den  schönen  Künsten.  Solche  Bürger  wie  diese 
sah  man  an  den  Ufern  des  Rheins  und  der  Scheide 
dem  königlichen  Hause  von  Österreich  und  Spa- 
nien gegenübertreten. 

Man  beachte,  daß  alle  diese  erlauchten  Un- 
bekannten  in   Lebensgröße   dargestellt   sind. 


20  Neue  Bestrebungen  der  Kunst 

Was  für  andre  Werke  gibt  es  denn  noch  von 
Rembrandt,  nach  diesen  Hauptstücken  ?  Im  Mu- 
seum des  Louvre  z.  B.  ist  ein  verwundeter  Reisen- 
der, den  man  in  eine  Herberge  trägt  (genannt : 
der  barmherzige  Samariter);  zwei  Männer,  die 
einen  Freund  am  Tisch  einer  Wirtschaft  wieder- 
erkennen (genannt:  die  Pilger  von  Emmaus);  die 
Häuslichkeit  eines  Zimmermanns  (genannt :  die  Hei- 
lige Familie);  ein  Philosoph  in  Betrachtung  (ist 
das  nicht  Diogenes  oder  ein  andrer  Grieche  ?).  Dann 
in  allen  Galerien  Europas  viel  andre  ebenso  an- 
spruchslose Darstellungen:  Frauen  im  Bade,  die 
man  Susannen  nennt,  Herumtreiber,  die  mit  der 
Angel  fischen,  und  Tobias  getauft  werden,  wirk- 
liche Landschaften,  ohne  Aeneas  darin,  —  und  eine 
Menge  ebenso  erstaunlicher  Porträts. 

Und  um  Rembrandt  herum  hat  die  ganze 
Malerschule  seines  Landes  dieselbe  Richtung :  Frans 
Hals  und  van  der  Helst,  Ferdinand  Bol  und  Go- 
vaert  Flinck,  Adrian  Brouwer  und  die  van  Ostade, 
Aalbert  Cuijp  und  Paulus  Potter,  Terborch  und 
Metsu,  Jan  Steen,  Pieter  de  Hooch  und  van  der 
Meer,  Wouwerman  und  van  de  Velde,  Ruisdael 
und  Hobbema  und  ein  Dutzend  andrer  genialer 
Historiker,  die  das  Leben  ihrer  Landsleute  darge- 
stellt haben,  sei  es  im  Innern  der  Häuser  oder  auf 
den  öffentlichen  Plätzen,  auf  den  Kanälen  oder  den 
Landstraßen,  zu  Wasser  oder  zu  Lande,  unter  den 
Bäumen  oder  am  Ufer  der  Flüsse :  Reiter,  Jäger,  See- 
leute und  Fischer,  Bürger  und  Kaufleute,  Hirten  und 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  27 


Köhler,  Ackerbauer  und  Handwerker,  Musikanten 
und  Strolche,  Frauen  und  Mädchen  mit  ihren  Kin- 
dern, solche,  die  welche  haben;  in  dem  Schoß  der 
Familie,  bei  den  Freunden  der  Kirmes,  im  Getriebe 
der  Kneipe,  bei  der  Feldarbeit,  ebenso  wie  in  wür- 
digen Versammlungen  und  Sitzungen;  —  in  allen 
Beschäftigungen  und  Zerstreuungen  des  Lebens. 
Wo  soll  man  bei  irgend  einem  Volke  sonst  eine 
gewissenhaftere,  naivere,  geistvollere  und  leben- 
digere Geschichte  finden,  als  diese  gemalte  Ge- 
schichte der  Sitten  und  Taten?  Die  Malerei  war 
es,  die  Hollands  Geschichte  geschrieben  hat,  und 
damit  auch  eine  gewisse  Geschichte  der  Menschheit. 
Alles  das  wurde  jedoch  bis  dahin  nur  als  „Klein- 
malerei4 '  angesprochen  —  Genremalerei  —  und  die 
Meister  wurden  „Kleinmeister"  genannt,  Rembrandt 
selber  auch!  —  wie  grobe  Naturalisten  wurden  sie 
behandelt,  so  im  Troß  der  großen  europäischen 
Kunst. 

VII. 

Nein,  der  Mensch  für  den  Menschen  ist  fast 
niemals  nach  seinem  Verhältnis  und  nach  seinem 
Wert  behandelt  worden,  ausgenommen  von  diesem 
Müllerssohn  in  Holland  und  den  wenigen  Realisten, 
die  wir  soeben  aufgezählt  haben,  vielleicht  noch 
vereinzelten  Sonderlingen  unserer  Zeit. 

Es  war  das  Verdienst  Gericaults  und  Leopold 
Roberts  an  das  zeitgenössische  Leben  gerührt  zu 
haben,   jener   mit   seinem  Floß   der   Medusa   und 


:>«  Neue  hebtrebungen  der  Kunst 

seinen  Reitern,  dieser  mit  seinen  Schnittern  und 
Fischern.  Andre  sonst,  selbst  unter  den  Lebenden, 
haben  mit  mehr  oder  minder  Kühnheit  denselben 
Weg  betreten,  der  verlassen  aber  lichtvoll,  freilich 
nicht  zum  Parnaß  hinanführt. 

Man  muß  jedoch  nicht  glauben,  die  Romantik 
habe  mit  dem  Aufstand  auch  die  falschen  Götter 
allesamt  aus  der  Kunst  des  19.  Jahrhunderts  hin- 
ausgejagt, sie  habe  den  Olymp  ausgefegt  und  das 
Empyreum  dazu,  sie  habe  die  alten  Helden  be- 
urlaubt, um  dem  Menschen  wiederzugeben  was  des 
Menschen  ist. 

Die  Kunst  gestaltet  sich  nur  durch  starke  Über- 
zeugungen wirklich  um,  Überzeugungen,  die  Macht 
genug  besitzen,  auch  die  Gesellschaft  zu  gleicher 
Zeit  umzugestalten. 

Als  die  ersten  Christen  ihren  Glauben  in  den 
Stein  meißelten,  aus  Marmor  oder  Metall  bildeten, 
da  waren  sie  bereit,  dafür  zu  sterben.  Es  war  die 
Idee  selbst,  die  sie  leidenschaftlich  bewegte,  auf 
deren  Ausdruck  durch  das  Bildwerk  es  ankam.  So 
erhielt  denn  auch  das  frühe  Christentum  eine  ganz 
neue  Kunst,  die  sich  wesentlich  von  der  vorauf- 
gegangenen Kunst  unterschied. 

Die  Romantik  aber  war  im  Grunde  so  sehr 
eine  indifferente  Form,  daß  man  ganz  gut  Roman- 
tiker sein  konnte  und  sich  doch  in  die  verschiedenen 
Rubriken  der  Parteien  einordnen:  Katholik,  Pro- 
testant, Philosoph,  —  Absolutist,  Liberaler,  Repu- 
blikaner. 


Neue  Bc&trebungen  der  Kunst  29 

Die  Maler  unserer  Zeit  haben  im  allgemeinen 
also  kaum  das  getan,  was  die  der  Renaissance  voll- 
bracht hatten;  ja  viel  weniger  noch,  sicherlich.  Ich 
will  sagen,  sie  haben  nur  die  Hohlform  gewechselt, 
doch  allein  um  immer  denselben  Inhalt  und  dieselben 
Gedanken  darein  zu  gießen.  Es  wäre  leicht  das 
darzutun,  wenn  man  nur  den  Katalog  der  Weltaus- 
stellung oder  die  Verzeichnisse  der  neuesten  Salons 
daraufhin  untersuchte.  Durchblättert  man  das 
Werk  der  berühmtesten  Künstler:  halb  katholische 
Symbole,  halb  heidnische  Symbole;  der  Rest  Alle- 
gorien, Apotheosen,  Erinnerungen  an  Fürsten  oder 
ihre  Bildnisse;  hier  eine  Madonna,  dort  eine  Mag- 
dalena; eine  Sphinx  oder  eine  Sibylle,  eine  Odaliske 
oder  eine  Venus.  Zuweilen  noch  eine  Königin,  deren 
Haupt  der  Henker  fällen  soll,  oder  kleine  Prinzen, 
die  zum  Tode  verurteilt  sind;  denn  die  Majestät 
der  Rasse  ist  die  erste  Bedingung  des  Interesses 
und  der  Rührung.  Sonst  sind  es  Bilder  aus  der 
hohen  Poesie,  die  eine  verfeinerte  Bildung  voraus 
setzen. 

Es  ist  unerbittlich  die  doppelte  Hieroglyphen- 
sprache, die  wir  schon  in  den  Werken  der  alten 
Meister  seit  der  Renaissance  hervorgehoben  haben. 

Wie  viel  zeitgenössische  Maler  machen  davon 
eine  Ausnahme  ?  Vielleicht  der  Maler  des  Gemetzels 
von  Chios  und  der  Frauen  von  Algier?  vielleicht 
der  Maler  der  Jäger,  die  auf  den  Anstand  gehen 
oder  der  im  Schatten  rauchenden  Türken,  der  in 
der  Sonne  spielenden  Kinder?  Wenn  sie  noch  der 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst 


reinen  Romantik  anhängen,  dem  „L'art  pour  l'art" 
und  nicht  eigentlich  dem  „l'art  pour  Thomme" 
dienen  —  wo  sie  sich  nur  ihrem  unmittelbaren  Drang 
überlassen,  nicht  vorgefaßter  Absicht  folgen,  da 
wissen  sie  doch  soviel  Feuer,  Natürlichkeit  und 
Leben  mitzuteilen,  daß  sie  ihre  Darstellungsgegen- 
stände, welche  sie  auch  seien,  zu  einer  Bedeutsamkeit 
voll  Gefühl  und  Charakter  erheben.  Delacroix  und 
Decamps  gehören,  bis  zu  einem  gewissen  Grad  und 
durch  gewisse  unwiderstehliche  Bestrebungen  zu 
dieser  neuen  Kunst,  deren  Vorläufer  die  Romantik 
war,  und  die  Courbet,  fast  allein  noch,  soviel  er 
kann,   zum   Ausdruck   bringt. 

Aber  muß  man  nicht  auf  die  Generation  rech- 
nen, die  heranwächst  und  jetzt  noch  im  Hinter- 
treffen kämpft?  Die  Jugend  findet  ja  alles  ohne 
Mühe.  Der  Instinkt  hat  oft  mehr  Aussicht  eine 
Erfindung  zu  machen  als  der  Verstand.  Die  Jungen 
sind  es,  die  alles  entdecken,  die  in  allen  Zeiten  und 
in  allen  Ländern,  die  Welt  leiten,  soviel  auch  die 
Alten  reden  mögen.  Welches  Alter  hatten  die  Be- 
gründer der  gegenwärtigen  Schule,  als  sie  die  Frei- 
heit zu  erobern  riefen,  die  heute  erobert  ist  ?  mehrere 
waren  schon  vor  30  Jahren  berühmt !  Welches  Alter 
hatte  Rafael  als  er  seine  ersten  Meisterwerke  schuf  ? 

O  unsterbliche  Jugend,  du  besitzest  die  Kühn- 
heit und  die  Zuversicht.  Du  wagst  dich  entschlossen 
ins  Unbekannte.  Du  durchkreuzest  schwimmend 
die  Fluten  und  Ströme,  um  ans  andre  Ufer  zu  ge- 
langen und  Blumen  mit  seltsamem  Duft  und  namen- 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  81 


loser  Farbe  zu  pflücken.  Du  besteigst  die  Berge  und 
die  Gletscher,  um  von  der  Höhe  zu  schauen  was 
ringsum  erglänzt.  Du  läufst  den  Wahngebilden  nach 
und  machst  sie  vertraut  und  heimisch  für  alle.  Von 
dir  sollte  man  jeden  Angriff  und  jedes  Durch- 
dringen, jedes  heilsame  Mitfortreißen  zum  Schick- 
salsvollzug erwarten. 

Ach  meine  lieben  Künstler,  die  ich  nicht  kenne, 
wenn  ihr  um  Schönheit  und  Wahrheit  werbt,  so 
wendet  euch  dem  zu  was  jung  ist,  und  ewig  jung 
bleibt  und  nicht  stirbt,  zur  Natur.  Durch  die  Liebe 
und  das  Studium  der  Natur  allein  haben  sich  alle 
Künste  und  alle  Poesien  erneuert,  wie  sie  selbst 
sich  ohne  Unterlaß  verjüngt.  Schließt  euch  dem 
Gedanken  an,  der  das  menschliche  Geschlecht  um- 
faßt. Denn  die  Kunst  ist  wie  das  Gaisblatt:  sie  hat 
nötig  sich  an  einem  festen,  lebendigen  Stamm  zu 
halten,  der  nicht  von  dem  Wechsel  der  Jahreszeiten 
abhängt,  und  sich  um  eine  dauerhafte  Idee  zu 
schlingen,  die  zu  widerstehen  vermag.  Und  wenn 
das  Gaisblatt  solchen  willigen  Beschützer  gefunden 
hat,  der  ihm  Büsche  und  Sträucher  genug  dar- 
bietet, dann  klimmt  es  hinauf  in  aller  Freiheit, 
oft  bis  in  die  Zweige  des  Eichbaums  empor;  dann 
treibt  es  Blätter  und  Knospen  und  blüht. 

Meine  jungen  Freunde,  die  ich  nie  gesehen 
habe,  euch  ruft  eure  Ahnung  besser  als  eure  Er- 
fahrung, eure  Ungeduld  lauter  als  eure  Weisheit 
zu:  nicht  wahr,  was  da  ist  muß  doch  nicht  sein, 
aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  es  ist;  denn  die 


Neu«;  Bestrebungen  der  Kun&t 


Gegenwart  ist  nicht  die  Zukunft  und  wird  morgen 
die  Vergangenheit  sein.  Was  da  kommen  soll,  es 
ist  eure  Sache,  es  zu  verwirklichen.  Jede  Genera- 
tion hat  ihre  Ladung  Gedanken,  wie  man  vom 
Dichter  gesagt  hat,  er  habe  seine  Ladung  Seelen. 

Denkt,  sprecht,  handelt.  Wenn  man  alt  wird, 
wirft  man  sich  immer  vor,  nicht  genug  getan  zu 
haben.  Handelt!  Es  gibt  nichts  Gleichgültiges. 
Keine  einzige  eurer  Äußerungen  geht  spurlos  am 
Unendlichen  vorüber.  Jeder  Mensch  ist  ein  Gott, 
dessen  Stirnrunzeln  das  Universum  erschüttert. 

Wirft  man  den  kleinsten  Kieselstein  in  einen 
See,  so  wird  alles  davon  bewegt  bis  in  die  Tiefe 
des  Abgrunds.  Jedes  Molekül  Wasser  wird  von 
seinem  Platz  gerückt  und  ordnet  sich  in  eine  andre 
Reihe.  Und  wenn  nach  dem  Kräuseln  der  Ober- 
fläche, das  von  einem  Ufer  bis  ans  andere  geglitten 
ist,  wieder  alles  scheint  wie  vordem,  so  ist  doch 
nichtsdestoweniger  das  Niveau  des  Wasserspiegels 
um  einen  unmerklichen  und  unberechenbaren  Grad 
erhöht.  Die  alte  Ordnung  der  Dinge  ist  über  den 
Haufen  geworfen  —  durch  einen  Kieselstein. 


VIII. 

In  Malerei  und  Literatur,  in  allen  Künsten  sind 
die  Götter,  die  —  man  sagte  es  seit  lange  —  davon- 
gehen sollten,  nun  wirklich  gegangen.  Sie  sind  dahin 
und  kehren  nicht  wieder.  Und  die  Heroen  sind  mit 
ihnen  auch  schon  fern.   Man  darf  nun  glauben,  daß 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  33 

die  Zeit  für  die  Menschen  endlich  gekommen  ist. 
Allein  —  und  das  ist  die  Bedingung  ihres  künftigen 
Erfolges,  sie  müssen  ein  besseres  Aussehen  haben 
als  die  Helden  der  Akademie. 

Vielleicht  gibt  es  zu  dieser  Stunde  schon  irgendwo 
verborgene  Künstler,  die  mit  geistigem  Streben  und 
malerischen  Versuchen  freiwillig  in  elenden  Ateliers 
hausen  und  wie  Corneille  kaum  Schuhe  haben,  um 
tags  auszugehen,  und  eine  Lampe,  um  nachts  zu 
zeichnen.  Sie  wiederholen  vielleicht  schmerzlich  ins 
Leere  denselben  Gedanken,  den  universellen,  dem 
sie  eine  allen  verständliche  Sprache  leihen  möchten. 
Fiat  lux!   Werde  es  denn  Licht. 

Worauf  es  heute  ankommt,  ist  zunächst,  das  alte 
Gefängnis  des  zwiefachen  Symbols  zu  sprengen,  aus 
dem  Babel  der  Sprachverwirrung  herauszukommen 
und,  kraft  des  gemeinsamen  Gedankens,  eine  ebenso 
gemeinsame  Sprache,  eine  leuchtende  Form  zu 
schaffen,  die  frei  ist  von  allen  Schatten,  mit  denen 
die  menschliche  Natur  von  den  hohen  Grenzen  der 
absoluten  Systeme,  der  örtlichen  Vorurteile,  der 
Irrtümer  aller  Art  betroffen  ward,  die  noch  heute 
die  Familie  der  Nationen  teilen. 

Und  das  Alphabet  dieser  wahrhaft  universellen 
Typographie  darf  nur  einen  einzigen  gemeinsamen 
Charakter  tragen  —  den  Menschen. 

Dann  werden  die  Künste  und  die  schöne  Lite- 
ratur, statt  nur  eine  Zerstreuung  für  Verfeinerte  und 
Gebildete  zu  sein,  d.  h.  eine  Art  aristokratischer 
Unterhaltung,    wie    sie    es    noch    immer    seit    der 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  3 


34  Neue  Bestrebungen  der  Kunst 


Renaissance  geblieben  sind,  künftig  eine  Scheide- 
münze werden,  die  zur  Mitteilung  und  zum  Aus- 
tausch der  Gefühle  dient,  eine  brauchbare  Sprache 
für  alle. 

Glauben  Sie,  daß  das  Publikum  in  Frankreich, 
d.  h.  das  französische  Volk,  sich  jemals  viel  für 
Marot  und  Ronsart,  für  Boileau  und  Racine,  für 
Lamartine  und  Victor  Hugo  interessiert  hat,  was 
die  Literaten  betrifft,  und  für  Poussin  und  Lesueur, 
für  Watteau  und  Boucher,  für  Delacroix  oder  Ingres, 
was  die  Maler  anbelangt?  Reine  Unterhaltung  für 
die  Verfeinerten,  zu  denen  —  auch  wir  gehören, 
was? 

Man  sagt  mit  Recht,  daß  die  Künste  und  das 
Schrifttum  immer  den  wahren  Adel  Frankreichs 
ausgemacht  haben.  Adel  in  der  Tat,  der  niemals 
viel  Anspruch  erhoben  hat,  sich  unter  die  ungebil- 
dete Menge  zu  mischen.  Aber  eben  diese  Schei- 
dung der  geistigen  Bildungsstufen,  eben  sie  ist  das 
Ungerechte,  das  ausgelöscht  werden  muß. 

Und  wenn  nach  dem  Ausdruck  Edgar  Quinets 
„die  erdichteten  Formeln  dem  unmittelbaren  Aus- 
druck Platz  gemacht  haben44,  dann  wird  alle  Welt 
in  die  Sprache  der  Künste  eingeweiht  sein,  die 
menschliche  Auffassung  wiedergeben  und  infolge- 
dessen allgemeine  Bedeutung  haben,  dann  werden 
sich  ohne  Zweifel  über  die  gemeinsame  Denkweise 
wieder  neue  Allegorieen  ausbilden;  denn  die  Alle- 
gorie selbst  ist,  wie  wir  gern  anerkennen,  eben- 
so unsterblich  wie  die  Poesie,  ihre  Mutter;  denn 


Neue  Bcbtrcbuugcn  der  Kunst  35 


jede  Kunst,  wie  jede  Sprache,  so  universell  sie  sein 
mögen,  beruht  doch  auf  Beziehungsgruppen;  es  gibt 
kein  Wort  und  kein  Bild,  das  im  Gebrauch  nicht 
zwangsweise  von  einer  anfangs  besondern  und  kon- 
kreten Bedeutung  zu  einer  analogen  Harmonie  mehr 
oder  minder  kollektiver  oder  abstrakter  Art  über- 
geht ;  ohne  dieses  Mittel  der  Erweiterung  würden  ja 
ebensoviel  Wörter  und  Bilder  notwendig  sein,  wie 
es  Vorstellungen  im  menschlichen  Kopfe  und  ver- 
schiedene Gegenstände  in  der  Natur  gibt,  d.  h.  ins 
Unendliche. 

Aber  von  solchen  unvorhergesehenen  Meta- 
phern, von  solchen  Fabeln,  die  in  gegenseitigem 
Einvernehmen  aller  Geister  gebildet  worden,  könnte 
auch  jedermann  den  Schleier  wegziehen. 

Dann  gibt  es  auch  keine  Gefahr  mehr  die  Idee 
in  Hieroglyphen  einzuschließen,  wenn  alle  Welt  im 
Besitz  der  Schlüssel,  sie  jeden  Augenblick  frei 
machen  kann. 

Voltaire,  der  irgendwo  geschrieben  hatte:  „Die 
Fabeln  sind  nur  die  Geschichte  der  ungebildeten 
Zeiten,"  hat  an  andrer  Stelle  auch  geschrieben: 
„Eine  Fiktion,  die  interessante  und  neue  Wahr- 
heiten anzeigt,  ist  doch  wohl  eine  schöne  Sache?" 

Sicherlich.  Die  literarische  und  malerische  Me- 
tapher ist  eine  schöne  Maske  der  Rhetorik;  aber 
es  handelt  sich  immer  darum,  zu  wissen,  was  dar- 
unter steckt. 


36  Neue  Bestrebungen   der  Kunst 


IX. 

Wenn  es  in  den  Künsten  auf  die  Form  allein 
ankäme,  so  würde  es,  sobald  eine  gewisse  Voll- 
endung des  plastischen  Ausdrucks  für  eine  gewisse 
Idee  von  irgendeinem  Volk  erreicht  ist,  —  und 
das  ist  ja  mehrmals  vorgekommen,  wie  in  Griechen- 
land zur  Zeit  des  Phidias  und  Apelles,  in  Italien 
zur  Zeit  Michelangelos  und  Rafaels,  —  ja  nichts 
mehr  für  die  Nachwelt  zu  tun  geben,  —  nichts  als 
zu  bewundern  und  nachzuahmen. 

Oberflächliche  Geister,  die  nicht  ins  Wesen  der 
Dinge  eindringen,  kurzsichtige  Köpfe,  die  nicht  in 
die  Zukunft  hinausschauen,  sehen  dann  die  Bilder 
in  aller  Vollkommenheit  dastehen  und  mutmaßen 
gar  nicht,  daß  man  immer  noch  eine  ähnliche  Voll- 
kommenheit verwirklichen  könnte,  ja  eine  höhere 
vielleicht  durch  den  Hinzutritt  eines  ganz  andern 
Gedankens;  sie  legen  also  den  Typus  der  Kunst 
und  der  Schönheit  fest,  die  einen  im  griechischen 
Altertum,  die  andern  in  der  italienischen  Renais- 
sance, einzelne  gar  in  dem  Mittelalter. 

Aber  in  Wahrheit  gibt  es  keinen  Typus  in  der 
Kunst,  ebensowenig  wie  in  der  Natur. 

Was  ist  der  Typus  der  schönen  Landschaft  ?  die 
ausgedörrten  Äcker  der  Tropen  oder  die  vereiste 
Flur  des  Nordens  ?  Italien  oder  Schottland  ?  Ziehen 
Sie  das  Meer  vor  oder  die  Berge  ?  den  Frühling 
oder  den  Herbst  ?  die  Ruhe  oder  den  Sturm  ? 

Was  ist  der  schönste  Typus  der  menschlichen 


Neue  Bestrebungen  der  Kunst  37 


Rasse?  der  griechische  oder  der  römische,  oder  der 
arabische,  der  englische,  —  oder  vielleicht  gar  der 
Pariser? 

Man  zieht  oft  auch  die  Phrenologie  zu  Rat: 
Aber  welches  ist  denn  eigentlich  der  vollkommenste 
Typus  des  menschlichen  Gehirns?  zeigt  mir  doch 
einen  Kopf,  in  dem  alles  so  beschaffen  ist,  wie  es 
sein  soll  I 

Aber  Rafael  ist  ein  Maler,  Richelieu  ein  Staats- 
mann, Moliere  ein  Dichter,  Newton  ein  Gelehrter, 
Beethoven  ein  Musiker,  Watt  ein  Mechaniker,  und 
so,  wie  sie  sind,  findet  ihr  keinen  Maßstab  dessen, 
wie  es  sein  soll,  für  das  was  sie  zu  tun  haben.  Denn 
sie  sind  nur  deshalb,  —  der  eine  Maler,  der  andre 
Dichter,  dieser  Gelehrter,  jener  Staatsmann,  weil 
sie  sich  eben  voneinander  unterscheiden.  Wenn  sie 
alle  einander  glichen  und  in  einen  gemeinsamen 
Typus  übereinkämen,  so  würde  ein  einziger  Mensch 
hinreichen,  alle  übrigen  überflüssig  zu  machen;  und 
dann  würde  es  eben  weder  Menschheit,  noch  Ge- 
sellschaft geben,  und  ebensowenig  Kunst,  Wissen- 
schaft, Denken  und  Handeln  noch  sonst  etwas.  Ein 
Gott  ganz  allein.    Das  Nichts. 

Das  Suchen  nach  einem  Typus  in  der  Kunst 
ist  also  absurd.  Wie  sollen  wir  denn  glauben,  daß 
die  Zukunft  hinter  uns  liege! 

Die  Kunst  ist  unaufhörlich  und  unbestimmt 
wandelbar  und  vervollkommnungsfähig,  wie  alle 
Äußerungen  des  Menschen,  wie  alles  was  im  Schoß 
des  Universums  lebt. 


Ü8  Neue  Bestrebungen  der  Kunst 


.Warum  sind  also  Michelangelo  und  Rafael  nicht 
daran  verzweifelt,  nach  Phidias  und  nach  Apelles  ? 
Und  wie  kommt  es,  daß  sie  sich  in  der  Poesie 
ebensohoch  erhoben  haben,  wie  diese  unnachahm- 
lichen Griechen. 

Indem  sie  ihnen  nicht  nachgeahmt  haben. 

Sie  verfolgten  einen  andern  Gedanken,  der  sich 
von  dem  antiken  unterschied,  und  die  haben  ihn 
mit  Hilfe  der  Fähigkeiten  zum  Ausdruck  gebracht, 
die  sichtlich  nicht  das  Vorrecht  eines  einzelnen 
Volkes  sind,  noch  einer  einzelnen  Kulturperiode, 
sondern  die  den  unveräußerlichen  Genius  der 
menschlichen  Art  ausmachen. 

Und  weshalb  sollten  die  Jahrhunderte,  die  da 
kommen,  nicht  ebenso  große  Künstler  hervorbringen 
wie  Rafael  und  Michelangelo  ?  Nichts  steht  dem 
im  Wege.  Unter  der  Bedingung  freilich,  die  den 
Italienern  ermöglichte  den  Griechen  gleichzukom- 
men :  unter  der  Bedingung,  die  Renaissance  nicht 
nachzuahmen,  und  infolgedessen,  eine  andre  Idee 
zu  haben  und  eine  andre  Kultur  zum  Ausdruck  zu 
bringen. 

Ohne  dies  ist  alles  aus. 

Der  Gedanke  allein  bringt  die  wirklichen  Revo- 
lutionen hervor.  Die  Form  wechseln,  das  ist  reine 
Phantasiesache,  und  jeder  kann  dazu  beitragen  mit 
der  Spitze  seiner  Feder  oder  seines  Pinsels.  Aber 
den  Grund  umwälzen,  das  geschieht  nicht  so  nach 
Belieben.  Das  hängt  nicht  von  einem  Einzelmen- 
schen  ab,   auch  nicht   von   mehreren,   eine   Kunst 


Neue  Bestrebungen  der  Knust  39 

von  ihrer  Wurzel  aus  zu  verändern,  ebensowenig 
wie  eine  Gesellschaft  in  ihrem  intimsten  Bestände 
umzugestalten. 

Die  Umwälzung  in  der  Kunst  wird  sich  also 
nur  dann  vollziehen,  wenn  wirklich  der  allgemeine 
Geist  sich  wandelt.  Verändert  er  sich,  wird  sie  an- 
ders werden  ? 

Brüssel   1857. 


I. 

Landschaftsmalerei 


An  Theodor  Rousseau 
(1844) 

Während  wir  Städter  kaum  ein  kleines  vier- 
eckiges Stück  Himmel  gewahr  werden,  das  durch 
unsre  rechtwinkligen  Fensterscheiben  so  hart  ab- 
geschnitten wird  wie  mit  einer  Schere,  beobachtest 
Du  draußen  in  freier  Luft  die  weiten  Gesichtskreise 
des  Südens.  Wo  seid  Ihr  gegenwärtig,  Du  und 
Dupre?  in  den  Landes  oder  in  den  Pyrenäen?  Und 
was  macht  Ihr,  Du  und  er?  —  Gewiß  wie  immer 
schaust  Du  mit  Deinen  großen,  ruhigen  Augen 
drein,  die  alles  verschlingen  und  nie  genug  haben. 
Sie  wollen  sich  auftun  wie  Triumphbögen.  Alles  geht 
hindurch,  die  große  Armee  der  Eichen  von  Fon- 
tainebleau  ohne  sich  zu  neigen,  die  Berge  und  die 
Ströme.  Zu  dieser  Stunde  ziehen  ohne  Zweifel  die 
Pyrenäen  unter  der  Wölbung  Deiner  Brauen  vor- 
über, um  sich  jenseits  festzusetzen,  drinnen  inmitten 
Deiner  Einbildungskraft.  Du  wirst  sie  uns  gewiß 
eines  Tages  aus  dem  Vorrat  Deiner  Erinnerungen 
wiederfinden  lassen,  und  wirst  sie  selbst  aus  der  Ferne 
klarer  sehen  als  aus  der  Nähe.  M.  Lamennais  sagte 
mir  in  St.  Pelagie:  „Seltsam,  ich  habe  Italien  nie- 


44  Landschaftsmalerei 


mals  so  gut  gesehen  als  seit  ich  hier  im  Gefängnis 
bin.  Als  ich  in  Rom  war,  um  einen  entschwundenen 
Papst  zu  suchen,  da  war  ich  in  mich  gekehrt  in 
meine  Gedankenwelt;  aber  hier  wachen  die  Bilder 
auf,  die  sich  durch  die  Augen  hindurch  in  meinen 
Kopf  gestohlen  haben." 

Du,  lieber  Poet,  hast  Dein  Leben  lang  nur  ge- 
schaut, das  große  Reich  der  Luft,  bei  Sonnenschein 
und  Regenwetter,  und  tausend  für  das  gewöhnliche 
Auge  gar  nicht  faßbare  Dinge.  Die  Natur  hat  für 
Dich  geheimnisvolle  Schönheiten,  die  uns  entgehen, 
und  verborgene  Gunst,  die  Du  mit  Liebe  ausbeutest. 
Angesichts  der  Natur,  wenn  man  sie  fühlt  und  sie 
liebt,  ist  es  wohl  ein  Glück  Maler  zu  sein  wie  Du. 

Sonst  ist  die  Wonne  des  Schauens  zu  gleicher 
Zeit  ein  empfindliches  Weh,  weil  man  unfähig  ist 
seiner  Begeisterung  Ausdruck  zu  leihen.  Wir  Laien 
haben  nur  eine  unfruchtbare  und  schmerzliche 
Liebe,  wie  eine  romantische  Leidenschaft,  die  keine 
Befriedigung  finden  kann.  Deine  Liebe,  o  Maler, 
ist  viel  leibhaftiger.  Die  Malerei  ist  die  wahre 
Unterhaltung  mit  der  Außenwelt,  das  ist  wirkliche 
und  vollwertige  Gemeinschaft.  Du  übst  gar  eine 
Herrschaft  über  die  Natur  aus  und  aus  diesem 
Liebesverkehr  erwächst  ein  neues  Wesen,  eine 
Schöpfung,  die  den  Beitrag  des  Vaters  und  der 
Mutter  wiedergibt,  der  Natur  und  des  Künstlers. 

Die  meisten  Menschen  denken  gar  nicht  ans 
Sehen.  Sie  beschäftigen  sich  mit  andern  Dingen, 
die   ihnen   die   Augen   verschließen;   wenn   es   bei 


An  Theodor  Rousseau  (1844)  45 


bester  Gelegenheit  darauf  ankäme,  sich  des  Ge- 
sichts zu  bedienen,  dann  geben  sie  sich  blindlings 
ans  Überlegen.  Und  was  überlegen  sie  eigentlich? 
Da  sie  keine  Anschauung  besitzen,  die  sie  wider- 
spiegeln könnten,  so  bleibt  der  Spiegel  ihres  Ge- 
hirns wie  eine  öde  Wasserfläche  unter  dem  Nebel. 
Statt  sich  einer  belebenden  Betrachtung  hinzu- 
geben, verirren  sie  sich  zu  einem  Gedanken,  der 
zur  Sachlage  gar  keinen  Bezug  hat. 

Ich  war  einmal  auf  der  Reise  mit  einem  Bürgers- 
mann, der  sich  an  mich  gehängt  hatte,  um  mir 
sein  Heimatland  zu  zeigen.  Nach  einer  ermüdenden 
Fahrt  auf  gewundenen  Wegen  entdeckten  wir  am 
Abend  ein  kleines  Flüßchen  tief  eingebettet  zwischen 
schroffen  Felsen.  Die  Sonne  sank  vor  uns  und 
fing  an  die  Spitzen  der  Berge  zu  vergolden;  eine 
ganze  Seite  des  Flußufers  lag  im  Schatten  mit 
Tonwerten  ganz  außerordentlicher  Art  und  einem 
Widerschein  im  Wasser.  Diese  ernsten  Profile,  die 
beiden  Bilder,  die  an  ihrem  Fußende  verschmolzen, 
das  eine  zitternd,  kopfüber  gesehen,  und  in  die 
Strömung  getaucht  wie  das  bleiche  Haupt  Opheliens 
bei  Shakespeare,  das  andre  traurig  und  unbeweg- 
lich wie  eine  Bronzestatue,  das  war  eine  Phantas- 
magorie  wie  in  den  Träumen  Hoffmanns.  Zur  selben 
Zeit  war  das  gegenüberliegende  Ufer,  unter  den 
Strahlen  der  niedergehenden  Sonne,  ganz  hell,  rosig, 
glitzernd  wie  ein  Geschmeide  mit  tausend  Edel- 
steinen. Welch  ein  Anblick,  und  welch  ein  Kon- 
trast!   Welche    wundervolle    Wirkung! 


46  Landschaftsmalerei 


Mein  Mann  aber  beugte  sich  neugierig  gegen 
den  Fluß  hernieder  und  rief  einmal  über  das  andre : 
„Wie  klar  ist  das  Wasser,  wie  klar  ist  das  Wasser!" 
Ich  wandte  die  Augen  nicht  ab,  und  stieß  ihn 
heftig  an :  „Aber  sehen  Sie  doch  das  Licht  und  die 
Landschaft,"  sagte  ich;  „die Sonne  ist  gerade  recht 
und  die  Wirkung  gar  seltsam.  Sie  werden  ein  ander- 
mal Zeit  genug  haben,  sich  über  die  Durchsichtig- 
keit des  Wassers  aufzuregen."  — 

Habe  ich  Dir  nicht  auch  von  meinem  ersten 
Besuch  des  Meeres  erzählt  ?  Wir  waren  von  einem 
Dorf  aufgebrochen,  das  kaum  eine  Meile  von  der 
Küste  entfernt  lag,  eine  ganze  Bande,  zu  Fuß.  Wir 
hatten  uns  ausdrücklich  vorgenommen,  durch  sehr 
hohe  Dünen  heranzukommen,  damit  ich  auf  ein- 
mal durch  das  große  Schauspiel  des  Meeres  ge- 
packt werde.  Ich  lief  der  Truppe  voran,  und  als 
ich  auf  der  Höhe  der  Dünen  anlangte,  wo  ich  wie 
über  der  Unendlichkeit  schwebte,  da  lag  über  Him- 
mel und  Meer  ein  Silberglanz,  wie  ich  seitdem  nie 
mehr  in  solcher  Kraft  gesehen.  Meer  und  Himmel 
schienen  mir  in  übernatürlichem  Lichtschein  inein- 
ander zu  fließen.  Ich  fragte  mich,  wo  das  Meer 
eigentlich  sei.  Mir  schien,  als  wäre  ich  weit  über 
Land  und  Meer  hinaus  in  eine  leuchtende  Sphäre 
getragen.  Der  vollste  Enthusiasmus  ergriff  mich, 
und  schnürte  mir  die  Kehle  zu.  Da  ich  nicht  ent- 
fliegen konnte,  ließ  ich  mich  niedergleiten,  lang  auf 
den  Boden  hin,  um  meinen  Körper  nicht  mehr  zu 
fühlen.     Ohnmächtig,    den    Ruhm    der    Natur    mit 


An  Theodor  Rousseau  (1844)  47 


Donnerstimme  zu  verkünden,  weinte  ich  nur  leise 
vor  mich  hin,  ganz  still  ohne  einen  Laut  von  mir 
zu  geben,  damit  ich  den  großen  Einklang  der  Un- 
endlichkeit vernähme. 

Da  lag  ich  ausgestreckt,  die  Augen  im  Licht 
gebadet,  als  unsre  Leute  nachkamen.  Der  erste 
von  meinen  Gefährten,  der  mich  so  erschöpft  und 
regungslos  liegen  sah,  kam  besorgt  herbei  und 
fragte:  „Sind  Sie  denn  krank?"  — 


Der  Sinn  für  die  Kunst,  das  Gesicht  für  Schön- 
heit, die  Liebe  zur  Natur,  die  Begeisterung  für  das 
Leben  sind  gar  selten.  Im  16.  Jahrhundert  waren 
sie  fast  Gemeingut  des  Empfindens.  Heute  ist  die 
bürgerliche  Gesellschaft  auf  die  Ausbeutung  der 
toten  Dinge  gerichtet,  die  man  Industrie  nennt. 
Aber  die  Industrie  ist  nur  die  Kehrseite  der  so- 
zialen Medaille.  Die  wesentliche  und  tiefe  Bedeu- 
tung steht  auf  der  andern  Seite  geschrieben.  So 
ist  auch  auf  römischen  Medaillen  das  Gegenstück 
zu  dem  lebendigen  Kopf  auf  der  andern  Seite  ein 
sachliches  Kennzeichen,  die  Frontansicht  eines  Ge- 
bäudes oder  eine  allegorische  Figur,  ein  Beiwerk 
oder   ein   Werkzeug. 

Es  ist  schon  wahr,  daß  die  Industrie  ebenso 
menschlich  ist,  wie  die  Kunst.  Es  ist  freilich  wahr, 
daß  geheimnisvolle  Verwandtschaft  sie  mit  der 
Kunst  verbindet.  Aber  bis  heute  sind  es  doch  zwei 
fast    völlig   getrennte   Welten.    Denn   unsre   Zivili- 


48  Landschaftsmalerei 


sation  hat  den  Menschen  in  Bruchstücke  ausein- 
andergerissen, die  einander  fremd  sind.  Die  Politik 
hat  sich  immer  darauf  verlegt,  Kasten  herzustellen, 
statt  sich  „den  ganzen  Menschen  in  der  ganzen 
Gesellschaft"  wie  Pierre  Leroux  sagt,  als  Ideal  vor- 
zunehmen. 

Ich  gestehe  gern  zu,  daß  diese  materielle 
Rasse,  die  noch  keinen  Zugang  zur  Geisteswelt 
findet  und  sich  außerhalb  des  wahren  Lebens  hält, 
an  sich  recht  nützlich  ist;  aber  wenn  man  noch 
soviel  Kiesel  aus  dem  Bache  fischt,  kann  man  doch 
das  Licht  auf  dem  durchsichtigen  Wasser  und  auf 
den  Felsen  des  Ufers  bewundern.  Möglich,  daß 
ohne  die  Sklaverei  der  niedern  Klassen  die  Reichen 
keine  neuen  Kleider  und  keine  üppig  besetzte  Tafel 
bekämen.  Aber  der  Mensch  könnte  ganz  gut  ohne 
die  übertriebene  Sorge  um  das,  was  man  das  Nütz- 
liche heißt,  auskommen.  Die  Poesie  ist  ebenso  nütz- 
lich wie  das  Brot  und  das  Eisen.  Für  mein  Teil 
möchte  ich  lieber  auf  einem  schönen  Fleck  Erde 
leben,  halb  Denker  und  halb  Bauer,  mit  Bluse  und 
Holzschuhen,  hausbackenem  Brot,  Erdäpfeln  aus 
meinem  Garten,  und  ein  bißchen  eigengebauten 
Weines,  als  mich  in  einem  gemachten  und  stürmi- 
schen Leben  herumzutreiben,  inmitten  des  Luxus 
und  der  materiellen  Vergnügungen.  M.  Lamennais 
sagte  mir  in  der  Mutlosigkeit  des  Gefängnisses 
auch:  „Ich  war  zum  Gärtner  geboren.  Der  Drang 
nach  dem  Schönen,  dem  Guten,  dem  Wahren,  ist 
mehr  wert  als  der  Drang  nach  dem  Gelde.    Der 


An  Theodor  Rousseau  (1844)  49 

wahre  Reichtum  liegt  in  der  Mäßigung,  in  der 
menschlichen  Verbrüderung,  in  wohl  geordneter  Ar- 
beit, in  den  Freuden  des  Herzens  und  des  Geistes." 
Das  ist  der  verborgene  Schatz  in  dem  schönen 
Roman  „Jeanne"  von  George  Sand. 

Ich  sehe  nicht,  daß  das  soziale  Problem  so 
schwer  zu  lösen  sei,  das  in  den  natürlichen  Bedin- 
gungen gegeben  ist,  und  Jean  Jacques  hatte  ziemlich 
recht  mit  seinem  melancholischen  Anfang  des  Emil : 
„Alles  ist  gut,  wenn  es  aus  den  Händen  des  Schöp- 
fers aller  Dinge  hervorgeht;  alles  entartet  unter 
den  Händen  des  Menschen."  Das  Reich  Gottes 
ist  am  Busen  der  Natur  und  der  Gleichheit.  Das 
ist  die  Republik  der  Zukunft. 

Es  wird  übrigens  immer  Temperamente  und 
Charaktere  geben,  die  nur  auf  materielle  Erzeu- 
gung gerichtet  sind;  Kain,  der  Starke,  neben  Abel, 
dem  Poeten.  Erlaube  mir  einen  kleinen  Apolog, 
der  sicher  nach  Deinem  Geschmacke  sein  wird, 
mein  lieber  Abel: 

In  einer  Proletarierfamilie  waren  drei  Söhne: 
der  älteste  war  ein  kräftiger  Mann,  gesund  an  Kör- 
per und  Geist;  der  zweite  ein  armer  Kranker,  des 
Gehörs  und  Gesichts  beraubt,  und  lahm  an  den 
Gliedern;  der  jüngste  eine  zarte  poetische  Orga- 
nisation, ein  träumerischer  und  schwärmerischer 
Geist,  unfähig  sich  an  die  Wirklichkeit  zu  heften. 
Seine  zarten  Hände  verletzten  sich,  wenn  er  die 
Schaufel  oder  Hacke  handhaben  sollte;  und  wenn 
sein  Bruder  ihn  auf  die  Felder  mitnahm  für  die 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  4 


,r)i  i  i    ludschaftsmalerei 


Arbeit  der  Jahreszeit,  dann  hielt  sich  der  junge 
Poet  unwillkürlich  vor  den  Blumen  der  Wiesen 
auf  oder  beobachtete  den  Linienzug  der  Erde  am 
Horizont  oder  die  Wolken  am  Himmel. 

Dann  sagte  der  Arbeiter  mit  den  breiten  Schul- 
tern und  den  schwieligen  Händen  zu  ihm:  „Abel, 
mein  Bruder,  wir  haben  die  Pflicht,  unsern  lahmen 
Bruder  zu  ernähren  und  geben  dem  Kranken  die 
ersten  Früchte  der  Erde  und  das  Beste  von  un- 
serm  Korn.  Aber  diese  harte  Anstrengung  erschöpft 
dich,  und  die  Erde  widersteht  deiner  schwachen 
Kraft.  Abel,  mein  kleiner  Poet,  kehre  nach  Hause 
zurück.  Setz  dich  zu  dem  armen  Kranken  unter 
den  Schatten  der  Hagebuchen,  oder  hüte  lieber 
unsre  Herde  längs  der  Berge.  Tu,  was  dein  Herz 
dir  eingibt.  Abends,  wenn  ich  von  der  Feldarbeit 
heimkomme,  erzählst  du  mir  dann  deine  frischen 
Eindrücke  und  lehrst  mich  die  Schönheiten  der 
Natur  lieben.  Die  Gedanken  werden  die  Geheim- 
nisse enthüllen,  die  meine  Arbeit  erleichtern  und 
sie  immer  fruchtbarer  machen.  Ich  übe  gern  die 
Kraft  meines  Armes  an  der  Welt.  Die  Leistung 
meiner  Arme  reicht  aus,  uns  alle  drei  bequem  zu 
ernähren.  Denn  wir  sind  nicht  alle  zu  demselben 
Werk  bestimmt;  aber  die  Ordnung  der  Dinge  ist 
so  geregelt,  daß  wir  alle  in  der  Freiheit  leben 
können." 

Es  ist  jedoch  nicht  nötig,  daß  die  Liebe  zur 
Natur,  die  Poesie  und  die  Kunst  uns  völlig  von  den 
Menschen   und   der   Gesellschaft   absondern.    Ganz 


An  Theodor  Rousseau  (1844)  M 


im  Gegenteil,  da  liegt  gerade  das  rechte  Band  zwi- 
schen allen  Menschen  und  allen  Dingen.  Es  ist 
dasselbe  Gefühl  wie  die  allgemeine  Religion.  Du, 
lieber  Rousseau,  hast  mit  Einfalt  eine  ausschließ- 
liche Ablösung  alles  dessen  vollzogen,  was  nicht 
Deine  Kunst  ist.  Du  bist  immer  den  Leidenschaften 
fremd  geblieben,  die  uns  umtreiben,  wie  den  be- 
rechtigten Interessen  des  gemeinen  Lebens.  Du  hast 
wie  die  Einsiedler  der  Thebais  gelebt,  d.  h.  in 
einer  etwas  unfrommen  Konzentration.  Es  ist  wahr, 
deine  Wüste  war  ein  geistiges  Paradies,  das  von 
Leben  und  Farben  erstrahlt.  Aber  Deine  geheimen 
Sorgen  und  Deine  instinktiven  Leiden,  Deine  Un- 
sicherheit und  zuweilen  gar  die  Unfähigkeit  des 
Ausdrucks  Deiner  Poesie,  kamen  sie  nicht  durch 
eben  diese  übertriebene  Aufhebung  eines  Teiles 
Deiner  Fähigkeiten,  den  partiellen  Selbstmord? 

Hättest  Du  Dich  ein  wenig  mehr  mit  den  Män- 
nern und  Weibern  abgegeben,  so  hätte  Dein  Talent 
sicher  an  Eindringlichkeit  und  Anziehungskraft  ge- 
wonnen, ohne  von  seiner  Eigenart  zu  verlieren.  Und 
außerdem,  wenn  Menschen  wie  Du  im  täglichen 
Leben  verkehrten,  wie  würden  sie  nicht  ihres- 
gleichen zugute  kommen.  Vielleicht  hast  Du  doch 
nur  die  Hälfte  Deiner  Aufgaben  begriffen  und  voll- 
führt, die  in  der  Vervollkommnung  und  Erhebung 
unsrer  eigenen  Natur  besteht.  Wir  haben  auch  die 
Pflicht,  unmittelbar  zur  Vervollkommnung  der  an- 
dern Geschöpfe  beizutragen,  durch  eine  heilige 
Kommunion  unsrer  Gefühle  und  unsrer  Gedanken. 


52  Landschaftsmalerei 


Kannst  Du  dagegen  sagen,  das  sei  Politik  und  nicht 
mehr  Kunst? 

Aber  die  Politik  ist  ja  die  Schwester  Deiner 
vielgeliebten  Poesie.  Wenn  die  Politik  falsch  ist, 
leidet  die  Poesie  darunter  und  kann  ihre  Schwin- 
gen nicht  entfalten.  Erinnerst  Du  Dich  noch  der 
Zeit,  wo  wir  in  unsern  Mansarden  der  rue  Tait- 
bout  auf  unsern  schmalen  Fensterbänken  saßen,  die 
Füße  auf  den  Rand  des  Daches  hängen  ließen  und 
die  Häuserecken  und  Schornsteine  betrachteten, 
die  Du  —  ein  Auge  zudrückend  —  mit  Bergen 
verglichst  und  mit  großen  Bäumen,  die  auf  un- 
regelmäßigem Erdreich  verstreut  stehen.  Da  Du 
nicht  in  die  Alpen  oder  in  fröhliche  Gegenden 
hinaus  konntest,  erschufst  Du  Dir  aus  diesen  ab- 
scheulichen Gerippen  von  Kalk  eine  malerische 
Landschaft.  Denkst  Du  wohl  noch  an  den  kleinen 
Baum  im  Rothschildchen  Garten,  den  wir  zwischen 
zwei  Dächern  hindurch  sehen  konnten?  Das  war 
das  einzige  Grün,  das  uns  zu  schauen  vergönnt 
ward.  Im  Frühling  nahmen  wir  teil  an  den  ersten 
Trieben  der  kleinen  Pappel,  und  zählten  die  fallen- 
den Blätter  im  Herbst.  Und  mit  diesem  Baum, 
einem  Stück  dunstigen  Himmels,  mit  diesem  Wald 
zusammengeschobener  Häuser,  über  die  unser  Auge 
wie  über  eine  Ebene  dahinglitt,  erdichtetest  Du 
Ausblicke,  die  Dich  oft  bei  Deiner  Malerei  über 
die  Wirklichkeit  des  natürlichen  Aussehens  täusch- 
ten. Du  hattest  so  mit  dem  Übermaß  der  eignen 
Macht  zu  kämpfen,  da  Du  von  der  eignen  Erfin- 


An  Theodor  Rousseau  (1844)  58 

dung  zehren  mußtest,  die  der  Anblick  der  leben- 
digen Natur  nicht  erneuerte.  Nachts,  wenn  die  Bil- 
der wandelbar  und  fließend  ohne  Unterlaß  quälten, 
weil  die  Ruhe  auf  wirklichem  Boden  unter  dem 
Licht  der  Sonne  versagt  war,  —  nachts  erhubst 
Du  Dich  fieberisch  und  verzweifelt.  Beim  matten 
Schein  einer  Lampe  versuchtest  Du  neue  Wirkungen 
auf  einer  Leinwand,  die  schon  oftmals  bedeckt 
war,  und  morgens  fand  ich  Dich  ermüdet  und  traurig 
wie  den  Abend  zuvor,  aber  stets  feurig  und  un- 
erschöpflich. 

Hast  Du  nicht  zwanzig  verschiedene  Land- 
schaften nacheinander  mit  demselben  Motiv  ge- 
malt, phantastische,  aber  immer  harmonische  Mu- 
sik, Variationen  über  dasselbe  Thema,  Ton  für 
Ton,  Farbe  für  Farbe?  Wenn  ich  Dich  wider  Willen 
bei  diesen  neugeborenen  Einfällen  überraschte,  die 
in  derselben  Wiege  an  die  Stelle  einer  andern  vier- 
undzwanzig Stunden  lang  gepflegten  und  mit  Lei- 
denschaft geliebkosten  Laune  traten,  wie  oft  hab 
ich  Dich  angebrummt,  so  Deine  Kinder  zu  töten, 
statt  sie  aufzuziehen  bis  zu  schöner  kraftvoller  Ju- 
gend. Aber  Du  konntest  kein  Abbild  feststehen 
lassen  und  hattest  auch  keine  neue  Leinwand  für 
die  neuen  Phantasien.  Wie  oft  habe  ich  mit  Gewalt 
Deine  wundervollen  Skizzen  wegtragen  wollen  1  Da 
hättest  Du  heute  eine  hübsche  gemalte  Geschichte 
Deiner  Künstlerqualen.  Aber  Du  gabst  Dich  nicht 
mit  einer  unvollständigen  Skizze  zufrieden.  Ich 
sagte  Dir,  daß  man  auch  der  Sonne  vorwerfen  kann, 


54  Landschaftsmalerei 


meistens  nur  Skizzen  zu  liefern,  und  daß  die  un- 
bestimmten Wirkungen  auch  in  der  Natur  die 
häufigsten  sind.  Es  ist  selten,  wenigstens  in  unserm 
Klima,  daß  die  Landschaft  mit  festen  Linien  um- 
schrieben dasteht.  Indes,  Du  bekümmertest  Dich 
nicht  viel  um  meine  Gründe,  weil  Du  nicht  das  Be- 
stimmte in  der  Malerei  suchtest,  sondern  das  Un- 
bestimmte in  der  Poesie.  Ich  gebe  zu,  daß  ich  fast 
ebenso  verständig  war  wie  ein  Mensch,  der  beim 
Anblick  einer  Landschaft  unter  schöner  Beleuch- 
tung nun  die  Sonne  festhalten  wollte  und  die  Erde 
mit  diesem  unveränderlichen  Anblick  davontragen, 
indem  er  zur  Sonne  sagte,  sie  möge  für  ihren  Wan- 
del ein  andres  Land  aussuchen;  gerade  als  ob  man 
bei  der  Sonne  sich  nicht  ganz  sicher  darauf 
verlassen  könnte,  sie  werde  stets  von  neuem  ihren 
blendenden  Zauber  beginnen  und  uns  bei  jedem 
neuen  Bilde  wieder  ebenso  in  Erstaunen  setzen. 

Damals  antwortetest  Du  mir,  wie  die  Sonne  es 
tun  könnte:  „Bah,  kann  ich  denn  das  nicht  so 
wieder  machen,  wann  ich  will!44  Tatsächlich  ver- 
ändert die  Sonne  unaufhörlich  ihre  Wirkungen.  In 
jeder  Sekunde  schafft  sie  eine  neue  Welt;  sie  macht 
immer  neue  Bilder  auf  derselben  Leinwand. 

Lache  nicht,  lieber  Poet,  wenn  Du  Dich  der 
Sonne  verglichen  siehst,  wie  Ludwig  XIV,  der  es 
kaum  verdiente.  Ludwig  war  viel  eher  ein  Mond 
als  eine  Sonne;  denn  er  empfing  sein  Licht  von  den 
genialen  Männern,  die  sein  Jahrhundert  erleuchtet 
haben.  Du  belichtest  Deine  Leinwand,  Du  bist  Sonne 


An  Theodor  Rousseau  (1844)  55 


in  der  Malerei,  Mond  nur  In  bezug  auf  die  andre, 
die  in  der  Unermeßlichkeit  strahlt  und  deren  Glänze 
Du    nacheiferst. 

Gedenkst  Du  noch  unsrer  seltenen  Spaziergänge 
im  Wald  von  Meudon  oder  an  den  Ufern  der  Seine, 
wenn  wir  einmal  beim  Durchsuchen  aller  unsrer 
Schubfächer  zu  zweit  ein  Stück  von  fünfzig  Sous 
zusammengescharrt  hatten?  Dann  war  es  ein  Fest, 
fast  närrisch  beim  Abmarsch.  Da  wurden  die  gröb- 
sten Stiefel  angezogen,  als  ob  wir  zu  einer  Fußreise 
um  die  Welt  ausrückten;  denn  wir  hatten  immer 
die  Vorstellung  nicht  wieder  zu  kommen.  Aber  das 
Elend  hielt  das  Ende  unsrer  Schuhbänder  fest  und 
zog  uns  mit  Gewalt  zurück  zu  unsrer  Mansarde,  so 
daß  wir  verdammt  waren,  draußen  nie  mehr  als 
einen  Sonnenlauf  zu  sehen.  Unsre  Börse  reichte 
kaum  dafür  aus.  Die  Luft  an  der  Seine  ist  frisch 
und  macht  hungrig  unter  den  Bäumen.  Der  Kor- 
poralstabak ist  so  gut,  wenn  man  davonläuft,  wie 
entsprungene  Pferde  unter  dem  Winde,  oder  wenn 
man  sich  auf  einem  Hügel  lagert,  um  die  blauen 
Streifen  des  Horizonts  zu  beschauen.  Ich  weiß  nicht 
zu  erinnern,  daß  uns  von  der  Regie  jemals  eine 
Unze  Taba*:  geschenkt  wäre,  noch  daß  unsre  Gast- 
wirte von  St.  Cloud  uns  je  zu  Gast  gebeten  hätten. 

Indessen  unsre  bescheidenen  und  frugalen  Spa- 
ziergänge, die  doch  so  erregt  und  begeistert  waren, 
hatten  wohl  soviel  Wert  als  eine  Wagenfahrt  in 
dem  armen  Bois  de  Boulogne,  das  durch  die 
Festungswerke  so  zerrissen  ward.    Was  für  schöne 


66  Landschaftsmalerei 


Dinge  wir  beide  erschaut  haben,  drunten,  nicht 
weiter  als  Meudon  oder  St.  Cloudl  Die  Natur  be- 
reitete uns  Stürme  und  unerwartete  Schauspiele 
gratis,  ganz  ausdrücklich  für  uns  allein.  Wie  glück- 
lich warst  Du,  mein  Maler,  wenn  der  Himmel  so 
recht  seine  Launen  auslassen  wollte,  sich  in  Wolken 
hüllen  und  melancholische  Sonnenstrahlen  so  von 
ungefähr  hindurchblicken  ließ.  —  Nach  diesen 
prachtvollen  Dekorationen,  wie  grau  erschienen  uns 
dann  unsre  Mansarden,  trotz  ihrem  kostbaren  Mobi- 
liar, das  unserm  Bedarf  genügte:  ein  zerschlissenes 
Bett,  einige  Renaissancestühle  in  Eichenholz,  mit 
Fetzen  von  Sammet  darauf,  ein  Beisetztischchen  mit 
geschweiftem  Fuß,  eine  Kerze  in  japanischer  Vase 
wackelnd,  eine  Kaffeemaschine,  staubige  Bücher 
und  schöne  Skizzen  alter  Meister,  die  an  den  Wän- 
den hingen.  Das  war  recht  ärmlich,  aber  minder 
häßlich  als  ein  bürgerlicher  Salon  von  damals. 

Dort  geschah  es,  daß  George  Sand  eines  Tages 
zu  Dir  kam,  von  Eugene  Delacroix  geleitet.  Du 
hattest  nie  an  öffentliche  Gunst  gedacht  und  die 
Kunst  nur  immer  aus  Liebe  betrieben;  aber  ich 
glaube  doch,  es  war  ein  schöner  Tag  in  deinem 
Leben.  Die  beiden  größten  Maler  des  19.  Jahr- 
hunderts, Eugene  Delacroix  und  George  Sand,  be- 
handelten Dich  als  ihren  Bruder.  Delacroix  fand 
bescheidentlich  seine  Palette  trüb  im  Vergleich  zu 
Deiner  Farbe,  er,  der  doch  die  schönsten  Himmel 
von  der  Welt  gemalt  hat;  George  Sand  verleugnete 
ihre    Landschaften    von   Berry    angesichts    Deiner 


An  Theodor  Rousseau  (1844)  67 

Landschaften  von  der  Rue  Taitbout,  sie,  die  mit 
.Worten  besser  gemalt  hat  als  Claude  und  Hobbema. 
Nicht  wahr,  damals  hast  Du  alle  Deine  Nächte  ohne 
Schlaf  und  Deine  Tage  voll  Verzweiflung  vergessen? 

Damals  stand  in  Deinem  Atelier  der  „Abstieg 
der  Kühe",  das  erste  vollendete  Werk  Deiner  Jugend, 
eine  Landschaft,  in  der  die  Natur  mit  der  Empfind- 
samkeit Jean  Jacques  aufgefaßt,  und  mit  der  Ur- 
sprünglichkeit Rembrandts  dargestellt  ist.  Da  waren 
noch  ein  paar  Studien  von  dem  ersten  Ausflug  in 
dieAuvergne,  als  Du  mit  17  Jahren  das  akademische 
Atelier  verlassen  hattest,  um  Dir  die  Bäume  und  den 
Himmel  selbst  anzuschauen:  und  man  fragte  Dich, 
ob  eine  dieser  kraftvollen  Studien  nicht  ein  Einfall 
Göricaults  sei.  Es  gab  noch  andre,  die  durch  ihre 
Feinheit  Bonington  glichen,  andre  Salvator  Rosa 
durch  die  Wucht  des  Striches  und  die  Willkür  der 
Wirkung.  Auf  der  Staffelei  stand  ein  kleines  Stück 
Gebüsch,  das  von  beiden  erlauchten  Gästen  baß 
bewundert  ward,  das  aber  hernach  leider  unter 
einem  neuen  Wunsch  verschwinden  mußte.  Ach, 
wie  viel  reizende  Gedichte  habe  ich  zwischen  Bäu- 
men und  Sturm,  zwischen  Sonnenschein  und  Bächen 
sich  verwandeln  sehen !  Aber  die  Natur  entschleierte 
niemals  das  Geheimnis,  das  Du  mit  der  geduldigen 
und  leidenschaftlichen  Hartnäckigkeit  eines  kraft- 
vollen Genies  verfolgtest. 

Die  Sicherheit  Deiner  starken  und  ursprüng- 
lichen Eindrücke  ebenso,  wie  das  Mitgefühl  der 
wahren  Künstler    haben  Dich    in    diesem  dunkeln 


58  Landschaftsmalerei 


Kampf  aufrecht  erhalten;  und  allmählich,  trotz 
Einsamkeit  und  Bescheidenheit,  trotz  der  Ausdauer 
der  Jury,  die  immer  die  Öffentlichkeit  verweigert 
hat,  verbreitete  sich  Dein  Name,  wenn  auch  Deine 
Werke  unbekannt  blieben.  Man  erzählte  sich,  daß 
in  einem  kleinen  Atelier,  das  der  gemeinen  Neugier 
verschlossen  blieb,  sich  ein  großer  Maler  bereite. 
Man  schrieb  in  jedem  Salon  über  die  Landschaften 
Rousseaus,  als  ob  sie  im  Louvre  ausgestellt  wären. 
Eugene  Delacroix,  George  Sand,  Ary  Scheffer  und 
einige  andre  erzählten  von  dem,  was  sie  gesehen 
hatten,  so  gut,  daß  das  Atelier  endlich  von  den  Ken- 
nern gestürmt  ward. 

Heute  schmücken  mehrere  Deiner  Landschaften 
die  zwei  oder  drei  ausgezeichnetsten  Sammlungen 
von  Paris.  Deine  „Kastanienallee41  mit  ihrer  ge- 
wagten Komposition,  die  an  die  Kathedralen  des 
Mittelalters  gemahnt,  erglänzt  bei  Parier  neben  den 
schönen  Gemälden  von  Decamps.  Heute  erscheint 
der  äußere  Erfolg  und  der  Ruf  Deines  Namens, 
die  niemals  Dein  Ziel  gewesen,  wie  das  berechtigte  Er- 
gebnis Deines  arbeitsamen  Lebens  und  Deiner  Liebe. 

Zu  gleicher  Zeit  hat  sich  das  unruhige  und 
seltsame  Talent  Deiner  ersten  Jugendzeit  beruhigt 
durch  eine  Reihe  abenteuerlicher  Erfahrungen  über 
die  Hilfsmittel  der  Farbe.  Du  hast  eine  siegreiche 
Praxis  erworben,  die  vor  keiner  Schwierigkeit  des 
Ausdrucks  mehr  zurückscheut.  Du  bist  Deiner  Form 
und  Deines  Stiles  sicher,  um  Deine  intimste  Poesie 
herauszubringen.  Du  bist  in  Deine  Periode  produk- 


An  Theodor  Rousseau  (1844)  59 


tiver  Kraft  eingetreten.  Zeige  nun  Deine  Blumen 
und   Deine   Früchte. 

Wenn  Du  da  drunten  von  Deinen  Wanderungen 
unter  dem  südlichen  Himmel  heimkehrst,  schlag 
einmal  diesen  „Salon"  auf,  den  ich  Dir  als  An- 
denken unsrer  alten  Freundschaft  und  unsres  ge- 
meinsamen Ringens  schicke.  Verzeih  mir,  in  dieser 
Arbeit  ohne  Ordnung,  die  von  Tag  zu  Tag  für  den 
Bedarf  des  eiligen  Journalismus  improvisiert  wor- 
den, die  vielen  wohlwollenden  Ketzereien  und  einige 
absichtliche  Gemeinplätze.  Um  einen  Salon  von 
dauerhaftem  Interesse  zu  schreiben,  müßte  man  ein 
halbes  Dutzend  Menschen,  wie  Delacroix,  Decamps, 
Ary  Scheffer,  Ingres,  herausgreifen,  die  besondere 
Eigentümlichkeiten  vertreten,  und  an  diese  „chefs 
d'^cole"  die  andern  Talente  anreihen,  die  keine 
wirkliche  Originalität  besitzen.  Mit  solchen  Künst- 
lern würde  man  sich  natürlich  zu  den  höchsten 
Fragen  der  Kunst  erheben,  Grund  und  Form. 

Da  nun  aber  die  Natur  tausend  demütige  Pflänz- 
chen  geschaffen  hat,  die  froh  sind,  die  Sonnen- 
strahlen zwischen  den  großen  Eichen  hindurch  auf- 
zufangen, so  sollten  auch  wir  nicht  die  Talente 
zweiten  Grades  schlechterdings  verachten.  Rem- 
brandt  enthebt  uns  nicht  eines  Bol  und  Flinck. 
Man  vermag  auch  im  Gefolge  der  Meister  noch  eine 
gewisse  Eigenart  und  unbestreitbares  Verdienst  zu 
entfalten.  Glücklich  genug,  wenn  neben  Rubens 
noch  van  Dyck,  Snyders  und  Jordaens  gedeihen. 

OOO 


Die   Entdeckung  der  Alpen 
(1846) 

Vor  zwei  Monaten,  als  mich  Gedanken  über 
die  Landschaftsmalerei  quälten,  reiste  ich  plötzlich 
ab  zur  Entdeckung  der  Alpen.  Ich  hatte  einen  vor- 
züglichen Reisebegleiter,  der  etwas  melancholisch, 
aber  ein  Dichter  und,  ohne  ihn  rühmen  zu  wollen, 
sogar  geistreich  war.  Er  schlummerte  wohl  während 
der  Fahrt  durch  öde  Gegenden,  aber  erwachte  so- 
fort, wenn  der  Himmel  oder  die  Erde  irgend  einen 
malerischen  Anblick  darboten.  Er  hat  mich  viel 
Dinge  sehen  gelehrt,  die  für  Künstler  neu  und 
interessant  waren.  Eines  Abends,  nachdem  wir  zu 
Fuß  einen  ungeheuren  Höhenzug  erstiegen  hatten, 
blieben  wir  oben,  und  er  erklärte  mir  mit  natür- 
lichen Beispielen  das  Geheimnis  der  Farbe  und  des 
Lichtes.  Die  Nacht  war  ziemlich  finster,  wenn  auch 
Sterne  am  Himmel  standen.  Unter  unsern  Füßen 
ringsum  schien  die  Erde  wie  eine  platte  düstere 
Oberfläche,  wie  ein  schwarzes  Meer,  unbeweglich 
und  ohne  Erhebungen.  Die  wenigen  Lichter  der 
verstreuten  Wohnungen  glichen  nur  einer  schwachen 
Widerspiegelung  der  Sterne  in  einem  Sumpf.  Du 
siehst  also  wohl,  sagte  er  zu  mir,  daß  die  Farbe 
allein  die  Gegenstände  zeichnet.    Zum  Beweis,  daß 


Die  Entdeckung  der  Alpen  61 


es  das  Licht  ist,  das  die  Form,  die  Modellierung, 
und  jedem  seinen  Platz  verleiht :  wo  ist  die  Form 
bei  Nacht  ? 

In  der  Tat,  die  großen  zerfetzten  Bäume  am 
Rand  der  Straße  standen  wie  flach  aufgeklebt  gegen 
den  schweren  undurchsichtigen  Himmel,  wie  eine 
Zierkante  von  ausgeschnittenem  Papier;  da  kein 
Abstand  zwischen  den  Bäumen  und  dem  Himmel 
hervortrat,  so  sahen  die  Sterne,  die  man  durch  die 
Zweige  wahrnahm,  wie  Glühwürmchen  aus,  die  auf 
den  Blättern  krochen. 

Der  Mond  kam,  als  unser  Wagen  in  schallendem 
Galopp  weiterrollte,  und  wir  erblickten  im  Vorbei- 
gehen die  Bäume  und  die  Hecken,  kaum  unter- 
scheidbar und  phantastisch  wie  eine  Heerschar  von 
Gespenstern,  die  zu  einer  Schlacht  zog,  mit  silber- 
nen Panzern,  erhobenen  Armen  und  wildflatterndem 
Haar.  Don  Quichotte  allein  hätte  all  diese  selt- 
samen Helden  beschreiben  können.  Mein  Begleiter 
begnügte  sich,  Belehrungen  für  Maler  daraus  zu 
entnehmen.  (Ich  fragte  ihn  nach  seinem  Namen. 
Er  heißt  Trautlieb  Naturfreund.) 

Mit  diesem  eifrigen  Führer,  der  immer  für  Ein- 
drücke empfänglich  war,  wie  viel  zauberhafte  Wir- 
kungen haben  wir  während  der  Reise  untersucht. 
Wir  haben  die  Sonne  aufgehen  sehen  auf  dem 
Dampfschiff  der  Saöne.  Die  Ufer  dieses  Flusses 
sind  flach  und  frei  gelegen.  Noch  war  es  Nacht; 
aber  der  Tag  bereitete  sich  vor.  Ein  länglicher, 
farbloser,  neutraler  Streifen  trennte  zwei  Himmel, 


62  Laudschaftsmalerei 


den  Himmel  in  der  Höhe  und  das  Firmament,  das 
vom  ruhigen  Fluß  zurückgeworfen  ward.  Vor  uns 
hatten  diese  beiden  Himmelsregionen  einen  violetten 
Ton,  der  sich  rechts  und  links  hin  erstreckte,  all- 
mählich gemildert  zu  zartem  Lila,  etwas  bläulich 
und  undurchsichtig,  wie  die  Farbe  des  Amidam; 
dann  färbte  sich  das  Violett  mit  Orange  und  ver- 
dunkelte sich  längs  des  flachen  Streifens.  Bald 
glitten  auch  Strahlen  hinauf  und  hinab  in  die  beiden 
Himmel,  wie  eine  doppelte  Garbe,  und  es  gingen 
zwei  Sonnen  auf,  oder  vielmehr  die  eine  stieg,  die 
andre  sank,  mit  gleichem  Aussehen.  Dann  fingen 
über  den  braunen  Erdstreifen,  die  wie  ein  endloses 
Tau  von  herkulischen  Händen  gespannt  an  unsern 
Augen  vorüberzogen,  die  weitern  Gründe  an  hervor- 
zutreten und  schienen  unbeweglich.  Die  Erde  be- 
kam Gestalt,  die  Hügel  rundeten  sich.  Alles  er- 
hielt seine  Form  und  zeichnete  sich  ab  unter  dem 
Einfluß  des  Lichtes. 

Mein  Begleiter  folgte  mir  in  die  Berge  und  an 
dem  Lauf  der  Ströme.  Vor  diesem  herrlichen  Schau- 
spiel machten  wir  aus,  daß  kein  Maler  noch  die 
Gebirge  dargestellt  habe,  selbst  unter  den  alten 
Meistern;  die  Wasserfälle  von  Ruisdael  und  Ever- 
dingen  kommen  nicht  recht  aus  der  Höhe.  Salvator 
Rosa  hat  Felsen  dargestellt;  er  ist  aber  am  Fuß  der 
Berge  geblieben.  Und  was  die  gläsernen  Bilder  von 
Calame  und  Diday  betrifft,  die  doch  das  Glück 
hatten  in  der  Schweiz  zu  wohnen,  so  kann  auch 
der  bereitwilligste  Beschauer  darin  die  Alpen  nicht 


Die  Entdeckung  der  Alpen  63 


sehen.  Die  schlechten  Maler  geben  kleine  Hügel 
mit  Mehl  bestreut  für  Firnen  der  Alpen  aus. 

Unsere  Geschichte  von  der  Entdeckung  der 
Berge  war  sehr  seltsam.  Als  die  ersten  Schneegipfel 
ganz  in  der  Ferne  am  Horizont  erschienen,  waren 
unsre  Augen  unsicher,  ob  es  Wolken  oder  Berge 
seien.  Wir  nahmen  uns  wohl  in  acht  die  Leute 
umher  zu  fragen.  Wir  brauchten  Anschauung,  keine 
Worte.  Wo  wäre  die  Poesie  des  Christoph  Colum- 
bus,  wenn  man  ihm  gesagt  hätte:  die  graue  Linie 
da,  die  das  Meer  wie  ein  Saum  umzieht,  das  ist 
das  verheißene  Land.  Wir  wollten  selbst  unser 
Amerika  erkennen.  Die  Ungewißheit  dauerte  lange. 
Es  schien  uns,  wir  hätten  oft  schönere  und  höhere 
Berge  in  den  Wolkenbildern  beim  Sonnenuntergang 
erschaut.  Die  kleine  weiße  Maus,  die  dort  am  Hori- 
zont sitzt,  soll  einen  Berg  gebären? 

Die  großen  Leidenschaften  sind  manchmal  wie 
die  Berge;  man  nähert  sich  ihnen,  ohne  ihre  Höhe 
und  ihre  Qual  zu  ahnen;  je  mehr  man  emporklimmt, 
desto  mehr  Zerrissenheit  auf  allen  Seiten.  Man 
bildet  sich  ein,  auf  dem  Gipfel  gebe  es  Ruhe; 
indes,  nach  so  viel  Anstrengungen  findet  man 
droben  auf  dem  Kamm  nur  Schwindel  und  Blen- 
dung. Man  kommt  davon  zurück  mit  einem  Herzen, 
so  zerfetzt  wie  die  Flanken  der  Berge  selber. 

Aus  der  Ferne  ist  es  gar  wenig;  am  Fuß  ist  es 
herrlich;  auf  der  Höhe  ist  es  furchtbar. 

Endlich  schwand  unser  Zweifel,  und  abermals 
war  es   der  Himmel,   der  uns   die  Erde  begreifen 


64  Landschaftsmalerei 


ließ.  Auf  dem  Rücken  dieser  etwas  unbestimmten 
Erscheinung  unterschieden  wir  eine  wirkliche  Wolke, 
wie  ein  antediluvianisches  Krokodil  gelagert. 

Die  Verbindung  zwischen  Himmel  und  Erde 
war  ertappt.  Aber  die  Wolken  sind  nicht  so  ver- 
liebt in  die  Erde,  daß  sie  ihr  in  ihrer  wahren  Ge- 
stalt nahen.  Die  Erde  muß  zu  ihnen  emporsteigen 
für  solche  Umarmung.  Gewöhnlich  fallen  sie  kaum 
als  Münze  nieder,  oder  im  Silberschleier  nach  Art 
Jupiters,  der  als  goldner  Regen  die  Danae  besuchte. 
Die  Wolken  sind  stolz  und  erwarten  Entgegen- 
kommen von  ihrer  Braut.  Es  war  also  der  Berg, 
der  den  Himmel  berührte. 

Als  wir  jedoch  einmal  angelangt  waren  im  Ge- 
birge, wie  bedauerten  wir,  nicht  Maler  zu  sein. 
Dort  auf  der  Höhe  gab  es  so  seltsame  Effekte,  die 
kein  Mensch  noch  in  Bilder  gebracht  hat:  rosige 
Kämme,  die  sich  wie  Feueröfen  unter  der  Sonne 
entflammen,  unergründliche  Tiefen,  gewaltsame  Ge- 
bilde, wo  man  Formen  einer  andern  Welt  zu  sehen 
wähnt,  und  am  Hang  des  Felsens  kleine  Tannen  von 
schwarzem  stumpfem  Grün,  das  ernst  verharrt,  trotz 
dem  lebhaftesten  Lichte,  im  Gegensatz  zu  der  blen- 
denden Weiße  des  Schnees.  Man  könnte  sie  für 
tausend  Mönche  ansehen,  die  in  ihren  Kutten  den 
Berg  ersteigen,  um  dann  zu  einem  Sabbat  in  den 
Wolken  aufzufliegen. 

Wir  haben  da  droben  den  Urquell  der  großen 
Ströme  gefunden.  Das  beginnt  mit  einem  Flocken 
Schnee,  der  sich  ermüdet  auf  den  nackten  Felsen 


Die  Entdeckung  der  Alpen  66 

niederläßt,  wie  ein  Schmetterling  auf  einer  Blume. 
Dann  kommen  die  andern  Flocken  bald  nach  und 
setzen  sich  neben  den,  der  schon  gelandet  ist.  Aber 
wenn  die  eifersüchtige  Sonne  ihren  goldenen  Blick 
auf  den  Berg  herabschickt,  dann  entschlüpft  ein 
erster  Tropfen,  wie  eine  Träne  der  Rührung.  So 
weint  der  Berg  im  Sommer  die  Küsse  hinweg,  die 
ihm  die  Wolken  im  Winter  gegeben  haben.  Und 
die  Sonne  ist's,  die  ihn  weinen  macht.  Tränen  kom- 
men immer  vom  Himmel.  Die  Berge  sind  wie  Mag- 
dalenen;  ihre  kräftige  Wange  durchfurcht  sich  mit 
Bächen,  aber  sie  kennen  keine  Reue  über  ihr 
Liebesleben. 

Der  Strom,  der  durch  alles  dahingeht,  ist  dieser 
Tautropfen,  der  nach  dem  Meere  trachtet.  Herab- 
steigend überstürzen  sich  die  Fluten,  tummeln  sich 
und  galoppieren  daher,  werfen  sich  hinab  in  die 
engen  Schluchten,  wie  eine  ungeduldige  Menge.  Da 
wälzen  sie  sich  schäumend  gegeneinander,  wie  es 
in  einem  wütenden  Reiterangriff  hergeht;  aber  die 
Woge  und  die  Menschenmenge,  unwiderstehlich  wie 
jene,  zerrinnen  doch  immer.  Nichts  gleicht  dem 
wogenden  Galopp  dahersprengender  Schwadronen 
mehr  als  der  regelmäßig  wiederkehrende  Absturz 
der  Wellen  auf  den  klingenden  Felsen,  mit  ihrer 
wehenden  Mähne  und  ihrem  leuchtenden  Schweif. 
Eilt  euch,  eilt,  die  Menschen  erwarten  euch  drunten 
zwischen  blühenden  Ufern,  in  ruhigem  Bett;  da 
vergeßt  ihr  den  Kampf  mit  dem  undurchdring- 
lichen Gestein. 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  5 


66  Landschaftsmalerei 


Man  darf  von  den  Landschaftsmalern  nicht  ver- 
langen, daß  sie  sich  immer  an  diese  starken  Ein- 
drücke halten.  Der  Anblick  der  Berge  ist  ein  außer- 
gewöhnliches Schauspiel.  Die  französischen  Land- 
schafter wenden  sich  natürlich  viel  eher  an  die 
Wälder  und  die  Felder.  Ist  nicht  auch  die  Poesie 
der  Bäume  ebenso  ergreifend  wie  die  der  Felsen 
und  der  Ströme  ?  Die  Wälder  beschatten  so  gut  die 
Träumereien  und  die  intimsten  Gefühle.  Zu  den 
meisten  Gemütslagen  paßt  ein  Baum  besser  als  ein 
Sturzbach.  Ein  Gefangener  zieht  eine  kleine  Pappel, 
die  der  Wind  bewegt,  gegenüber  seinem  Fenster, 
dem  stolzesten  unbeweglichen  Gebirge  vor.  Indes 
alle  Formen  der  Natur  tauchen  ja  wieder  ein  in 
die  Unendlichkeit  des  Himmels. 

Alles  ist  gut  in  den  unsterblichen  Bildern,  die 
der  Schöpfer  der  Dinge  gemalt  hat,  würde  Jean- 
Jacques  Rousseau  sagen;  alles  entartet  unter  den 
Händen  gewöhnlicher  Künstler.  Alles  ist  schön  in 
der  Natur,  weil  die  Luft  es  abtönt  und  alles  mit- 
einander ausgleicht.  Es  handelt  sich  nur  darum, 
diese  Naturmalerei  gut  zu  sehen,  um  ihre  Farbe  und 
ihre  Zeichnung  wieder  zu  geben.  Armselige  Lumpen 
eines  Bauern,  über  eine  Hecke  gebreitet,  nehmen  in 
der  Sonne  für  den  Fernerstehenden  die  pracht- 
vollsten Farben  an.  Der  rechte  Maler  findet  auf 
seiner  Palette  ein  bezaubertes  Paradies  bei  Gelegen- 
heit eines  herbstlichen  Baumes  oder  eines  kleinen 
Baches,  der  sich  zwischen  Kieselsteinen  windet. 

ooo 


Über  das  Gefühl  für  Natur  und  Schönheit 
an  Firmin  Barrion  (1847) 

Der  Anfang  aller  Dinge  ist  die  Liebe.  Der 
Anfang  der  Kunst  ist  das  Gefühl  für  die  Natur 
und  die  Leidenschaft  für  die  Schönheit.  Aber  es 
gibt  nichts  Selteneres  als  die  Unabhängigkeit  und 
Originalität  der  Eindrücke.  Nur  einfach  um  sich 
blicken  ist  schon  eine  merkliche  Seltenheit.  Die 
Mehrzahl  der  Menschen  geht  an  den  schönsten  Din- 
gen vorüber  ohne  sie  zu  sehen.  Die  Entdecker  von 
Sternen  sind  doch  nichts  gewöhnliches  in  unsern 
Tagen.  Wieviel  Leute  gibt  es  in  Europa,  die  den 
Sonnenaufgang  gesehen  haben?  Die  unzählbare 
Mehrheit  der  Menschen  beharrt  darauf,  alle  Pferde 
als  Schimmel  anzusehen,  auch  die  roten,  blauen  und 
grünen.  Man  geht  so  weit,  den  Bäumen  die  Seele 
abzusprechen.  Niemand  kümmert  sich  um  den  Mond 
oder  die  Wolken,  um  die  Farbe  des  Frühlings  oder 
den  Charakter  des  Herbstes.  Man  denkt  nicht  daran, 
das  Schauspiel  des  Lebens  zu  betrachten,  das  doch 
niemals  stillsteht  und  die  Unendlichkeit  zum  Schau- 
platz hat. 

Indessen  sind  doch  alle  Menschen  Dichter  und 
Künstler.  Alle  haben  bis  zu  einem  gewissen  Grade 


68  Landschaftsmalerei 


die  doppelte  Fähigkeit  zu  fühlen  und  auszudrücken : 
In  Italien  ist  jedermann  Improvisator,  der  Gondo- 
liere wie  der  Hirt,  der  Mensch  auf  dem  Lande  wie 
in  der  Stadt ;  in  Deutschland  ist  er  musikalisch :  der 
Arbeiter  und  der  Bauer,  der  Landstreicher  und  der 
Philosoph.  Zu  gewissen  Zeiten  verstand  sich  alle 
Welt  auf  die  statuarische  Kunst  und  auf  die  Ma- 
lerei :  in  Griechenland  im  Jahrhundert  der  Aspasia 
und  des  Alkibiades,  in  Italien  während  der  Renais- 
sance. 

Warum  hat  denn  unsere  Epoche  das  Gefühl 
für  die  Kunst  verloren? 

Weil  sie  das  Gefühl  für  die  Natur  verloren  hat. 

Frankreich  insbesondere  ist  aus  allen  gesunden 
und  natürlichen  Einflüssen  herausgerissen  zu  phan- 
tastischen Felsen  von  Smaragd  hin,  wie  zu  den  Zei- 
ten Laws.  Dem  französischen  Volk  ist  die  Meinung 
beigebracht,  das  materielle  Interesse  sei  der  End- 
zweck unsres  gemeinsamen  Schicksals.  Das  Wort 
Geld  ist  jetzt  die  Grundlage  der  Sprache,  die  einst- 
mals Hingebung  und  Fanatismus  für  Ideen  und 
edle  Empfindungen  predigte.  Gröbliche  Täuschung. 
Es  gibt  nichts  Positives  und  Wirkliches  als  die 
Natur  und  die  Poesie.  Alles  was  schön  und  gut 
ist,  kostet  nichts  und  findet  sich  überall.  Die  Frauen 
und  die  Liebe,  der  Gedanke  und  die  geistigen  Träu- 
mereien, der  Himmel,  das  Meer,  die  Wälder  und 
die  Blumen.  Es  gibt  nichts  Kostspieliges  als  die 
lächerlichen  Erfindungen  der  Menschen,  als  ver- 
logenes und  gefährliches  Machwerk. 


Das  Gefühl  für  Natur  und  Schönlv -it  69 

Man  muß  sich  also  um  das  Geld  nicht  quälen, 
noch  sein  Glück  in  trügerische  Verhältnisse  ver- 
legen, in  denen  die  Menschenseele  sich  verfinstert. 
Der  Sklave  hat  seine  halbe  Seele  verloren,  sagten 
die  Alten.  Man  könnte  auch  zu  den  Modernen 
sprechen :  die  freiwillige  Knechtschaft  unter  dem 
materiellen  Interesse  ist  viel  gefährlicher  als  die 
erzwungene  Knechtschaft  unter  dem  Gesetze  der 
Ungleichheit.  Die  soziale  Sklaverei  läßt  wenigstens 
die  moralische  Freiheit  des  Innern  bestehen;  man 
gehört  sich  doch  noch  selber  an  und  kann  ein 
Epiktet  werden;  die  Tyrannei  ist  äußerlich  und 
indirekt;  die  eisernen  Fesseln  berühren  nur  die 
Haut.  Wie  viel  große  Männer  sind  unter  der  Rute 
eines  Herrn,  in  der  Qual  eines  Gefängnisses,  in- 
mitten der  Flammen  des  Scheiterhaufens  frei  ge- 
blieben. 

Wer  aber  freiwillig  die  Herrschaft  der  ma- 
teriellen Dinge  auf  sich  nimmt,  der  läßt  die  Ty- 
rannei in  seinem  eignen  Herzen  wohnen;  denn  er 
entsagt  allem,  was  den  Menschen  macht,  der  In- 
telligenz, dem  Heroismus,  der  idealen  Leidenschaft. 
Ich  möchte  lieber  auf  den  Galeeren  des  Königs 
dienen,  mit  einem  warmen  und  tüchtigen  Herzen, 
als  Millionär  in  Paris  sein  mit  den  Trieben  eines 
Wucherers. 

Pflicht  und  Glück  liegen  in  der  Ausübung  uns- 
rer  geistigen  Fähigkeiten,  in  der  Einfachheit,  in 
den  innern  Gemütsbewegungen,  die  uns  der  Ver- 
kehr mit  Unsersgleichen   verschafft   und   der  Ver- 


70  Landschaftsmalerei 


kehr  mit  der  Natur,  durch  die  Gefühle  und  durch 
die  Anschauung.  Jean  Jacques  Rousseau  und  das 
18.  Jahrhundert  hatten  nicht  so  Unrecht,  ihren 
„natürlichen  Menschen"  wieder  aufzuerwecken,  im 
Gegensatz  zu  dem  verdorbenen  und  verrückten  Men- 
schen einer  perversen  Kultur.  Rabelais  und  Mon- 
taigne, Corneille  und  Moliere,  Cervantes  und  Shake- 
speare haben  nichts  anderes  gesucht  als  dies  ver- 
lorene Fossil,  den  ursprünglichen  und  göttlichen 
Menschen,  dieses  harmonische  Geschöpf,  das  die 
Musik  des  Alls  wie  ein  Echo  wiedergibt. 

Welch  unglückliches  Schicksal  hat  denn  in  der 
menschlichen  Seele  alle  poetischen  Saiten  zer- 
rissen, die  für  die  weite  Luft  empfänglich  waren 
wie  Äolsharfen,  und  uns  nur  eine  einzige  Saite  aus 
Metall  übrig  gelassen?  Frankreich  ist  dahin  ge- 
kommen, daß  es  unter  dem  Hauch  des  Geistes 
und   der   Einbildungskraft   nicht   mehr   erbebt. 

Auch  die  Kunst  ist  im  allgemeinen  für  die 
Künstler  zu  einem  Industriezweig  herabgesunken, 
anstatt  eine  Leidenschaft  zu  sein,  und  für  das  große 
Publikum  ist  sie  aus  einem  enthusiastischen  und 
religiösen  Kultus  ein  äußerlicher  Luxus  geworden; 
denn  es  fehlt  den  Künstlern  und  dem  Publikum  die 
Liebe  zur  Natur  und  zur  Schönheit. 

Wenn  du,  mein  lieber  Landarzt,  auf  deinem 
kleinen  braunen  Rößlein  melancholisch  daher  trot- 
test durch  die  schattigen  Hohlwege  deiner  schönen 
Vend6e;  wenn  du  den  Sonnenschein  auf  den  Fluren 
mit  goldig  blühendem  Ginster  von  seltsamem  Ge- 


Das  Gefühl   für  Natur  und  Schönheit  71 


strüpp  umsäumt  beobachtest;  wenn  du  an  der  Ecke 
eines  Feldes  Halt  machst  angesichts  der  großen 
Stiere,  denen  ihr  Führer  den  alten  Abendrefrain 
singt;  wenn  du  eine  braune  Hirtin  bewunderst,  die 
in  einem  Graben  sitzt  und  Maßliebchen  sammelt, 
wie  die  Jeanne  von  George  Sand;  wenn  du  dein 
Leben  mit  allen  diesen  Bildern  der  Natur  zusam- 
men führst,  dann  bist  du  näher  bei  der  Kunst,  ver- 
möge der  einsamen  Gemütsbewegung,  als  der 
Maler,  der  ohne  Erregung  und  ohne  Ideal  seine 
Leinwand  bekleckst. 

Es  ist  freilich  gewiß  etwas  Andres  die  Fähig- 
keit zu  fühlen,  etwas  Andres  die  Fähigkeit  es  aus- 
zudrücken. Man  mag  einen  lebhaften  Eindruck 
empfangen,  ohne  die  Gabe  des  Bildes  und  des  Stiles 
zu  besitzen.  Es  gibt  große  Denker,  die  sich  niemals 
zur  Beredsamkeit  erhoben  haben.  Aber  der  voll- 
kommene Künstler  ist  eben  der,  der  sein  inneres 
Empfinden  nach  außen  kundgibt.  Für  diese  Poeten 
der  Tat,  wenn  man  so  sagen  kann,  ist  die  Kunst 
eine  natürliche  Sprache  und  gleichsam  ein  plötz- 
licher Aufschrei  der  Leidenschaft.  Die  Kunst  ist 
nur  schwer  für  die  falschen  Künstler.  Ehedem 
wurde  mit  viel  Geist  und  Verstand  die  leichte  Lite- 
ratur verteidigt.  Sicher  hat  der  Genius  keine  Ge- 
burtszangen nötig.  Wohlgewachsene  Kinder  kom- 
men natürlich  ans  Licht  und  ohne  approbierten 
Geburtshelfer.  Man  weiß  nicht,  daß  Cervantes  viel 
Mühe  gehabt,  seinen  Don  Quichotte  zu  schreiben, 
noch  Shakespeare  seinen  Othello,  noch  Moliere  seine 


72  Landschaftsmalerei 


Schule  der  Frauen.  Die  Malerei  ist  ebenso  leicht 
für  die  wahren  Maler,  die  der  Stimme  des  Genius 
gehorchen  und  das  malen  was  sie  fühlen.  Die 
Worte  bieten  sich  der  wahren  Beredsamkeit  in  Fülle 
an,  und  die  großen  Redner  sind  immer  stärker  ge- 
wesen, wenn  sie  aus  dem  Stegreif  sprachen. 

Weit  mehr,  die  großen  Künstler  lernen  nie- 
mals etwas  Wesentliches  hinzu:  sie  wissen  alles 
von  Anfang  an.  In  seinen  ersten  Bildern  schon  ist 
Rafael  erhaben.  Das  Handwerk  ist  nur  der  Diener 
der  Einbildungskraft. 

Heutzutage  dagegen  setzt  man  voraus,  die 
Kunst  sei  ein  Verfahren,  und  daß  Malenkönnen 
weder  Gefühl  noch  Poesie  mitbegreift.   Malen,  was  ? 

Die  Grundlage  der  Kunst  ist  also  erstlich  die 
Liebe  zur  Natur,  diese  dauerhafte  und  unbezähmbare 
Manie,  die  uns  zur  Betrachtung  des  Lebens  treibt, 
und  die  uns  im  geliebten  Gegenstand  tausend 
Schätze  offenbart,  die  für  die  gleichgültigen  Blicke 
unsichtbar  bleiben;  —  die  uns  in  tausend  ungeahn- 
ten Beglückungen  erzittern  läßt,  durch  ein  wertvolles 
Nichts,  durch  einen  seltsamen  Magnetismus,  wie 
der  Liebende  vor  der  Geliebten  erbebt.  Die  Liebe 
zur  Natur  ist  durchaus  der  Liebe  zu  den  Frauen 
gleich.  Die  einen  lieben  die  ruhigen  und  lichten, 
die  durchsichtigen  und  tiefen  Frauen :  das  ist  Claude 
Lorrain  in  der  Malerei.  Die  andern  lieben  die  selt- 
samen, unergründlichen,  launenhaften,  mit  lebhaften 
Gegensätzen  von  Schatten  und  Licht,  mit  Leiden- 
schaft und  Naivetät :  das  ist  Rembrandt.   Diese  hier 


Das  Gefühl  für  Natur  und  Schönheit  73 

träumen  von  gebietender  Größe,  von  unmöglichem 
Bewegungszug  und  heroischer  Betonung  der  For- 
men :  das  ist  Michelangelo.  Jene  da  lieben  die 
jungen  und  frischen  Formen  mit  einem  silbernen 
Flaum  auf  der  Haut  und  tausend  kleinen  Reizen 
der  Wollust :  das  ist  Correggio.  Sonst  wohl  das 
starke  und  derbe  Weib,  mit  wildem  Benehmen :  Sal- 
vator  Rosa.  Oder  die  feine,  elegante  mit  seltsam 
künstlicher  Haltung  der  schlanken  Hände:  Parmi- 
giano.  Oder  die  strenge,  edle  Frau:  Poussin.  Oder 
die  breite,  prächtige  Fülle  voll  Üppigkeit :  Rubens. 
Und  dieser  vorherrschende  Charakter  der  Leiden- 
schaft jedes  Künstlers  findet  sich  in  allen  seinen 
Werken  wieder,  in  der  Landschaft,  wie  im  Ausdruck 
der  menschlichen  Gestalt,  in  Erde  und  Himmel, 
in  der  ganzen  Harmonie  seiner  Schöpfung.  Und 
jedes  seiner  Gemälde  ist  wie  eine  neue  Liebe,  in 
der  er  immer  sein  Ideal  gesucht  hat.  In  Sachen  der 
Frauenliebe  ist  es  wahr,  wenn  man  sagt,  daß  jeder 
nur  ein  und  dasselbe  Weib  in  allen  weiblichen 
Wesen  liebt:  es  ist  eine  Art  idealer  Treue,  inmitten 
einer  Unbeständigkeit,  die  man  nicht  festlegen  kann. 
In  der  Kunst  ebenso;  der  Maler  oder  der  Dichter 
verfolgt  seine  Chimäre  unter  allen  Formen,  selbst 
wenn  er  sich  von  seinem  Typus  zu  entfernen  scheint. 
Aber  für  den,  der  gut  sehen  kann,  ist  es  immer  die- 
selbe Seele,  die  in  allen  seinen  Gebilden  lebt. 

Ihr  geht  dicht  an  einer  Frau  vorbei,  ohne  sie 
zu  beachten;  der  Liebende,  der  sie  vorübergehen 
,sieht,  ist  in  Ekstase  über  ihre  Haltung,  über  die 


74  Landschaftsmalerei 


geringste  Biegung  ihrer  Taille,  über  die  Farbe  ihres 
Haars,  das  Aufleuchten  ihrer  Physiognomie.  Was 
ihn  bezaubert,  ist  das  Leben  und  der  Ausdruck 
dieser  Person,  die  er  liebt. 

Ebenso  ergreift  der  Liebhaber  der  Natur  mit 
Enthusiasmus  den  Ausdruck  und  die  Wirkungen, 
die  sich  dem  Gleichgültigen  unbemerkt  entziehen. 
Er  lebt  mit  jener  allgemeinen  Seele,  deren  Form 
alle  Physiognomien  annimmt,  im  Einverständnis. 
Denn  die  Wirkung  der  Natur  ist  wie  die  Physio- 
gnomie einer  Leidenschaft.  Eine  unaufhörlich  wan- 
delbare Erscheinung,  immer  bezeichnend  und  immer 
entzückend  für  den  erregten  Dichter. 

Die  Schönheit  nicht  minder  ist  unendlich  viel- 
fach in  der  Menschengestalt  wie  in  der  Außenwelt, 
obgleich  die  Philosophen  ihren  einheitlichen  Cha- 
rakter abstrakt  zu  bestimmen  versuchen.  Die  Schön- 
heit ist  die  Harmonie?  Sei  es.  Die  Fornarina  mit 
ihren  reinen  und  regelmäßigen  Linien;  die  Geliebte 
Tizians  mit  ihrem  goldigen  Schimmer;  dieGioconda 
mit  ihrem  bräunlichen  Teint  und  der  Feinheit  ihrer 
Modellierung;  die  Diane  de  Poitiers  von  Prima- 
ticcio;  die  Gattin  des  Rubens  mit  ihrer  Frische  und 
ihrer  festen  Gesundheit;  die  braune,  magere  Jung- 
frau Murillos,  —  sind  gleichermaßen  und  doch  ver- 
schieden schön.  Die  stillen  und  weltfremden  Nester 
Hobbemas,  das  blonde  Meer  und  der  unendliche 
Himmel  Claudes,  die  majestätischen  Horizonte  Pous- 
sins  stellen  ebenso  gleiche  Schönheiten  in  der  Natur 
dar.  Schönheit  und  Poesie  sind  überall,  wo  Liebe  ist. 


Das  Gefühl  für  Natur  und  Schönheit  75 

Besonders  in  der  Landschaft  ist  das  Gefühl  für 
das  Leben  eine  seltene  und  zarte  Gabe.  Wenig 
Menschen  sehen  die  Landschaft,  weil  sie  auf  den 
Feldern  nicht  danach  schauen,  was  unfaßbar  und 
fast  unsichtbar  ist  —  obgleich  wirklich  überall  vor- 
handen und  von  erster  Wichtigkeit  —  nämlich  die 
Harmonie  und  das  Ganze:  —  den  Himmel  und  die 
Luft,  ganz  einfach.  In  jedem  beliebigen  Bilde  spielt 
der  Himmel  eine  große  Rolle.  Er  beginnt  um  den 
Kopf  und  die  menschliche  Form,  und  die  Form  aller 
Wesen  überhaupt.  Er  dringt  überall  ein,  bis  in  die 
Höhlen  Rembrandts.  Der  Himmel  ist  überall.  Und 
schließt  man  einen  Kasten  auf,  der  Himmel  ist 
darinnen.    Die  ganze  Natur  ist  im  Himmel  gebadet. 

In  der  Landschaft  beginnt  der  Himmel  mit  der 
Erdoberfläche.  Er  spielt  unter  den  Graswäldern  des 
Rasens.  Eine  kleine  Blume  am  Boden  drunten,  ein 
Gräslein  sind  ganz  ebenso  im  Himmel  wie  der  höchste 
Glockenturm,  dessen  Spitze  den  Azur  zu  durch- 
dringen scheint.  Denn,  wenn  man  sich  auf  die  Erde 
niederlegt  um  die  kleine  Blume  zu  betrachten,  die 
eben  noch  zu  unsern  Füßen  stand,  dann  sieht  man 
sie  sich  emporrichten  gegen  den  Himmel  wie  ein 
majestätischer  Eichbaum  und  sich  abheben  im 
Licht ;  und  wenn  man  den  Berg  erklimmt,  um  drun- 
ten im  Tal  den  Glockenturm  zu  betrachten,  der  eben 
noch  sich  gegen  den  Himmel  zeichnete,  so  tritt  seine 
Form  nun  auf  den  Plänen  der  Landschaft  hervor. 
Ragt  er  darum  nicht  mehr  gegen  den  Himmel  auf  ? 

Der  Himmel  ist  die  unendliche  Luft,  das  un- 


76  Landschaftsmalerei 


endliche  Licht.  Es  gibt  Himmel  sogar  im  Innern 
eines  Busches,  zwischen  den  tausend  Feinheiten  der 
Architektur  seines  durcheinander  greifenden  Ge- 
zweigs und  seiner  unzählbaren  Blätter.  Der  Himmel 
liebkost  ewig  alle  die  zartesten  Erhebungen  der 
allgemeinen  Form;  er  erstreckt  sich  unabsehbar 
und  bis  zu  den  andern  Welten,  die  im  unermeß- 
lichen Raum   verstreut   sind. 

Hier  ist  ein  Teich  mit  silberweißen  Blumen  und 
goldgelben  Knospen  darin.  Tausend  heitere  und 
ungeduldige  Gewächse  wuchern  im  Schoß  des  Was- 
sers und  drängen  an  die  Oberfläche  hinauf,  um  auf 
dieser  kristallenen  Terrasse  Luft  zu  schöpfen.  Das 
ganze  Wasser  ist  voll  Blüten  wie  ein  vielfarbiges 
Beet  unter  einem  Glasdach;  und  das  Wasser  kreist 
überall  ohne  eine  leere  Stelle  zu  lassen  und  umspült 
den  ganzen  Wald  der  Wasserflora.  Gleichermaßen 
ist  auch  die  Luft  wirklich  um  alle  Objekte  und  er- 
füllt alle  Hohlräume  der  äußern  Skulptur  des  Globus, 
die  mit  so  viel  Laune  und  Kleinarbeit  durchfurcht 
und  ziseliert  ist. 

Man  vermag  also  nichts,  was  es  auch  sei,  von 
der  Gesamtheit  zu  trennen.  Die  Wissenschaft  frei- 
lich betrachtet  und  studiert  ein  Wesen  vereinzelt, 
durch  Abstraktion  alles  dessen,  was  es  umgibt;  die 
Poesie  dagegen  stellt  das  Wesen  in  seinem  Zu- 
sammenhang mit  der  umgebenden  Harmonie  dar. 
Der  geringste  Fleck  Erde  hat  seinen  Durchblick 
zum  Himmel  und  hängt  vom  Unendlichen  ab.  Das 
ist  es,  was  die  Landschaftsmalerei  so  schwer  macht. 


Das  Gefühl  für  Natur  und  Schönheit  77 


Die  Mehrzahl  der  Landschaftsmaler  setzt  sich 
in  den  Kopf  in  ihren  Gemälden  alles  erklären  zu 
wollen,  statt  die  Wirkung  der  Gesamtheit  zu  suchen, 
und  den  Anblick  der  Naturphysiognomie,  der  sie 
ergriffen  hat;  sie  vergessen,  daß  die  Individualität 
der  Bäume,  des  Erdreichs,  der  Bauwerke,  der  Per- 
sonen fast  immer  in  das  Licht  oder  in  den  Schatten 
getaucht  ist,  d.  h.  in  die  Luft.  Aus  der  Nähe  sieht 
man  zuweilen  das  Einzelne;  aber  bei  dem  gering- 
sten Abstand  läßt  nur  der  Bewegungszug  der  Gegen- 
stände sie  erkennen,  und  das  Übrige  wird  erraten. 
Sie  bemerken  einen  Reiter  in  einer  Waldallee: 
kommt  er,  oder  entfernt  er  sich  ?  eine  am  Rand  des 
Weges  ruhende  Figur:  ist  es  ein  Mann  oder  ein 
Weib?  Wie  oft  haben  wir  nicht  in  den  Büschen 
der  Vend6e  solche  Experimente  gemacht?  Wie  oft, 
mit  unsern  Jägeraugen  und  unsrer  Gewöhnung  an 
die  freie  Luft,  haben  wir  einen  unbeweglichen 
Gegenstand  auf  einige  hundert  Schritt  nicht  mehr 
bestimmen  können.  Aber,  wenn  die  Gestalt  sich 
bewegt,  erkennt  man  sie  an  besondern  Betonungen, 
die  flüchtig,  für  ungeübte  Blicke  kaum  faßbar  sind. 
Nennt  man  das  etwa  die  Form  sehen?  Wenn  wir 
einen  Rehbock  erraten,  der  wie  ein  Blitz  daher- 
fährt  auf  dem  schmalen  Band  eines  Pfades,  dann 
liegt  noch  kein  Grund  vor,  daß  ein  Landschafts- 
maler vorgibt,  ihn  deutlich  und  genau  zu  sehen  und 
ihn  mit  vier  Beinen,  zwei  Ohren  und  erschreckten 
Augen  hinzuzeichnen. 

Ein  andermal,  bei  gewissem  Wetter  und  unter 


78  Landschaftsmalerei 


gewissen  Lichtwirkungen  geschieht  es,  daß  ein  sehr 
entfernter  Gegenstand  aus  dem  Durcheinander  der 
Landschaft  hervorspringt,  mit  einer  Korrektheit  der 
Form  und  einer  außergewöhnlichen  Leibhaftigkeit, 
während  sehr  oft  die  nächstgelegenen  Gründe  un- 
bestimmt und  unbeschreiblich  erscheinen.  Am  stür- 
mischen, dunkeln  Himmel,  wenn  die  Horizontstreifen 
sich  hell  auf  den  Gründen  hinziehen,  vermag  man 
solchen  plötzlichen  Anblick  zu  erfassen,  der  ebenso 
schnell  im  Hin-  und  Herziehen  der  beweglichen 
Schleier  wieder  verschwindet.  In  Gebirgsgegenden 
besonders  gefällt  sich  die  Natur  in  diesen  immer 
neuen  Phantasmagorien. 

Ein  andermal  nimmt  ein  ganz  gewöhnlicher 
Gegenstand  oder  ein  häßliches  Land  ein  feenhaftes 
und  entzückendes  Aussehen  an,  unter  dem  Einfluß 
irgend  eines  Sonnenblicks  oder  eines  gewissen  Ab- 
stands,  einer  gewissen  Tagesstunde.  „La  Butte  du 
Calvaire",  die  mit  ihren  gelblichen  Kasernen,  ihrem 
nackten  Boden  von  schlechtem  Schnitt  in  der  Nähe 
gesehen  abscheulich  ist,  wirkt  abends  zuweilen,  am 
Ende  einer  duftigen  Allee  von  Meudon,  ganz  wun- 
derbar. Nur  Montmartre  ist  immer  häßlich,  wenn 
man  ihn  von  Paris  aus  sieht;  denn  er  liegt  nach 
Norden. 

Eine  der  schönsten  Landschaften,  die  ich  in 
meinem  Leben  je  gesehen  habe,  war  längs  einer 
großen  Landstraße  in  einer  ganz  gemeinen  Gegend, 
ganz  in  unsrer  Nähe.  Ich  schritt  gegen  Sonnenunter- 
gang zu.    Der  Himmel  war  den  ganzen  Tag  sehr  in 


Das  Gefühl  für  Natur  und  Schönheit  79 

Bewegung  gewesen,  und  die  Wolken  hatten  sich 
vergnügt,  vom  Morgen  an  in  Massen  nach  derselben 
Richtung  zu  eilen  wie  die  Sonne,  um  ihr  die  Erde 
zu  verbergen,  die  traurig  und  grau  dahinrollte.  Diese 
Herumtreiberbande  hatte  sich  am  Horizont  ein  Stell- 
dichein gegeben,  als  die  Sonne,  vor  ihrem  Unter- 
gang sich  entschloß,  noch  einen  flammenden  Blick 
auf  die  Erde  zu  werfen.  Alsbald  war  das  ganze 
sichtbare  All  verwandelt,  und  drei  verschiedene 
Welten  bauten  sich  auf,  von  der  Straße  drunten  bis 
zum  leuchtenden  Focus. 

Vor  mir,  eine  erste  Welt,  grün,  fest  wie  aus 
Smaragden  geschnitten,  wo  alle  Dinge  sich  in 
säubern  bezeichnenden  Formen  heraushoben,  frucht- 
bare Felder,  malerische  Dörfer,  Bäume,  einige  Ge- 
staltungen des  Bodens  —  wie  um  als  Einleitung 
für  die  zweite  Welt  zu  dienen,  mit  ihren  blauen, 
fein  modellierten  Hügeln,  ohne  hervorspringendes 
Beiwerk,  und  wollüstig  dahingelagert,  wie  die  langen 
Vögel  Chinas  auf  der  Rundung  einer  hohen  far- 
bigen Vase:  das  war  das  Land  der  Feen  und  un- 
wägbaren Sylphiden.  Darüber  hinaus  begann  die 
Welt  des  Feuers,  wo  sich  im  Glühofen  riesige  Sala- 
mander krümmten  und  feurige  Löwen  an  der  Pforte 
des  goldenen  Palastes,  mit  Geschmeide  geziert.  Und 
um  diese  endlos  sich  türmenden  Monumente  zün- 
gelten Wälder  von  Flammen  und  rote  Vulkane. 
Berge  von  Silber  und  Opal  stuften  sich  ab  in  den 
Gründen  und  nach  den  beiden  Flügeln  der  Deko- 
ration.    Alles   erschien    wirklich,   scharfgezeichnet, 


80  Landschaftsmalerei 


mit  festem  Relief  und  tadellosen  Formen,  in  einer 
lohenden  Welt. 

Welch  ein  Bild  zum  Malen!  Aber,  wo  ist  der 
Künstler,  der  es  malen  könnte  ?  Die  Natur  gibt  sich 
so  oftmals  selber  glänzende  Feste,  mit  Sonne,  Mond 
und  Sternen,  Jahreszeiten  und  Winden,  Meer  und 
Strömen,  Bäumen  und  Tieren  aller  Art,  und  selbst 
mit  Menschen,  die  als  Schauspieler  wider  Willen 
darin  auftreten,  ohne  es  zu  ahnen. 

Ich  habe  diesen  Winter  einer  der  vier  großen 
Festlichkeiten  der  Saison  beigewohnt,  im  Walde  von 
Fontainebleau,  wo  der  Reif  die  Dekoration  über- 
nommen hatte.  Wir  waren  nur  zu  zweit,  beide  eigens 
dazu  hingegangen,  der  Ahnung  folgend  und  im 
rechten   Augenblick   angekommen. 

Der  Schauplatz  war  gut  gewählt.  Der  Herbst 
mit  seiner  gewohnten  Umsicht  hatte  schon  alles 
vorbereitet  für  die  Teppiche  und  die  mannigfaltigen 
Farben.  Die  Blätter  ohne  Charakter  waren  als 
Emailtropfen  auf  den  Boden  gefallen  und  lagen 
zwischen  dem  Moos  und  den  Flechten.  Die  Felsen 
hatten  ihre  Töne  unter  der  ersten  Feuchtigkeit  der 
Atmosphäre  verdunkelt.  Die  hohen  Sträucher  waren 
braun  wie  Spanierinnen,  und  die  Farrenkräuter 
zeigten  ihre  Kämme  in  doppelter  Reihe,  gefleckt 
mit  Okergelb  und  Kupfergrün.  Die  Birken  schwank- 
ten auf  einem  Silberstamm  mit  wenig  leichten  Blät- 
tern, die  von  hellem  Golde  schimmerten.  Die  Buchen 
färbten  sich  rotgelb.  Die  Eichen  hatten  ihre  über- 
flüssigen Blätter  abgeschüttelt  und  standen  bronze- 


Das  Gefühl  für  Natur  und  Schönheit  81 


färben  oder  in  rostbraunes  Eisen  gekleidet.  Die 
Brombeerranken  waren  rot  geworden.  Die  wilden 
Rosen  hatten  ihren  Spinnrocken  mit  roten  Hage- 
butten behängt.  Die  Wacholdersträuche  waren  ent- 
färbt und  wie  trostlose  Magdalenen  dahingesunken. 
Die  Stachelpalme  allein  blieb  grün,  fest  und 
glänzend.  , 

Dann  befahl  eine  heimliche  Macht  den  Nebeln 
in  der  Luft  zu  gefrieren,  zu  unfaßbar  kleinen 
Perlen,  und  als  Tau  auf  diesen  Garten  mit  seinen 
tausend  Farben  herabzusinken,  —  alle  Zweige,  alle 
Blätter,  alle  Kräuter,  alle  kleinsten  Schößlinge  mit 
Silber,  Diamant  und  Edelgestein  zu  umspinnen.  Der 
Reif  gehorchte,  und  in  einer  Viertelstunde  waren  die 
Felsen  aus  Kristall,  und  der  Wald  wie  ein  Schrein 
der  Renaissance:  die  Blätter  wurden  Topase,  Ru- 
binen, Smaragden,  in  Perlen  gefaßt  und  reich  zise- 
liertes Metall.  In  dieser  wunderbar  schnellen  Aus- 
saat waren  die  Grashalme  so  wenig  vergessen  wie 
die  großen  Eichen,  und  alles  Volk  der  Büsche  nahm 
teil  an  der  Winterblüte. 

Gegen  Mittag  kam  die  Sonne,  das  Fest  zu  be- 
schauen, und  ließ  jeden  Lokalton  durch  die  un- 
endliche Reihe  der  Farben  hindurchgehen.  Aber 
die  Dekoration  fiel  schnell  unter  ihrem  Licht,  und 
wir  konnten  nur  einen  Büschel  Pflanzen  retten,  der 
den  ganzen  Tag  noch  seine  Perlenzier  und  seine 
Diamantspitzen   bewahrte. 

Aber  wozu  ist  es  gut,  in  außergewöhnlichen 
Bildern  unsern  Enthusiasmus  für  die  Natur  zu  er- 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  6 


y2  Landschaftsmalerei 


neuern?  Brouwer  liebte  seine  Trunkenen  in  der 
Kneipe,  wie  Phidias  seinen  olympischen  Zeus. 
Ostade  ist  ebenso  König  seiner  Bauernhütten  wie 
Rafael  auf  dem  Parnass  oder  in  der  Schule  von 
Athen.  Die  Kühe  von  Cuyp,  in  seiner  Landschaft 
des  Louvre,  wiegen  den  Diogenes  Poussins  und  die 
Picciola  von  Saintine  auf;  die  kleine  Blume,  die 
zwischen  zwei  Pflastersteinen  eines  dunkeln  Hofes 
hervorbricht,  ersetzt  dem  Gefangenen  einen  Eich- 
baum, eine  freie  Natur,  eine  ganze  Welt. 

Wenn  ihr  an  eurem  Fenster  die  Töpfe  stehen 
laßt,  die  eure  Sommerblumen  enthielten,  schaut 
einmal  die  Nessel  an,  die  sich  im  Winter  um  die 
ausgetrockneten  Stengel  richten,  die  einst  grüne 
und  blühende  Zweige  waren.  Die  Nessel  ist  grün 
für  ihr  Teil  und  lebhaft;  ihr  braves  kleines  Blatt 
streckt  sich  in  tausend  Spitzen  aus  wie  Eisen  der 
Lanze;  man  könnte  meinen,  wie  ein  Bündel  Waf- 
fen zur  Verteidigung;  und  auf  der  Fläche  ihres 
Filigrans  kleine  unsichtbare  Pfeile,  tausendmal 
spitzer  als  Nadeln,  die  sich  gradehalten,  allem  zum 
Trotz,  und  die  Kraft  haben  die  Haut  zu  durch- 
stechen. Die  Nessel,  diese  verfolgte  Rasse,  die 
Paria  unter  den  Pflanzen,  ist  ebenso  interessant, 
wie  die  Zeder.  Man  könnte  sie  liebhaben,  wo  ein 
Wald  fehlt,  wie  Pellisson  seine  Spinne  liebte,  da 
er  keinen  Freund  und  keinen  Hund  besaß.  Ich 
will  dir  nicht  verhehlen :  in  diesem  Winter,  da  es 
keine  Blumen  und  kein  Grün  mehr  gab,  habe  ich 
mich  wirklich  in  eine  Nessel  auf  meinem  Balkon 


Das   Gefühl   für  Nntur  und  Schönheit  83 


verliebt.  Ich  habe  dies  Kind  des  Zufalls  wie  eine 
wertvolle  Tulpe  gepflegt.  Ich  bin  so  ungern  ganz 
ohne  Grün  um  mich  her. 

Ach,  niemand  außer  einigen  Wißbegierigen 
gleich  uns,  hat  auch  nur  Lust  das  Museum  des 
Weltalls  zu  betrachten.  Ehedem  in  Griechenland 
wohnten  auch  die  letzten  des  Volkes  den  öffent- 
lichen Festen  bei,  wo  die  Schönheit  im  Wettbe- 
werb auftrat,  wo  die  vollkommensten  Hetären,  die 
Modelle  zur  Liebesgöttin,  neben  den  Ringkämp- 
fern und  den  Philosophen  erschienen.  Alle  Welt 
hatte  damals  Gefühl  für  die  Schönheit  und  Liebe 
zur  Natur,  eben  deshalb  verstanden  auch  alle  die 
Kunst.  Eine  schöne  Statue  setzte  alle  Bürger  der 
Republik  in  Aufregung.  In  der  Renaissance,  im 
16.  Jahrhundert,  da  Italien  ein  Hof  in  steter  Fest- 
lichkeit war,  als  die  Medicis  den  Luxus  verbrei- 
teten, da  Venedig  als  Königin  lebte,  —  da  Franz  I. 
in  Frankreich,  Heinrich  VIII.  in  England,  Karl  V. 
in  der  Weltmonarchie  das  Mittelalter  über  den 
Haufen  warfen,  —  als  der  moderne  Geist  Europa 
bewegte,  und  die  Leidenschaften  des  Lebens  die 
Natur  und  die  Schönheit  wieder  zu  Ehren  brachten, 
—  da  entbrannte  auch  das  Volk  in  allgemeiner 
Sympathie  für  die  Künste. 

Die  Liebe  zur  Natur  ist  es,  die  immer  den 
Fortschritt  der  Kunst  und  ihren  sozialen  Erfolg 
entscheidet. 

Das  ist  es  also,  warum  die  wenigen  zeitge- 
nössischen Künstler,   die   uns  die  Wirkungen  und 


84 


Landschaftsmalerei 


die  Physiognomie  der  Natur  auslegen  und  die  leben- 
dige Schönheit  lieben,  so  wenig  populär  sind :  es 
ist  der  Mangel  einer  allgemeinen  Einweihung  dar- 
an schuld,  eines  gemeinsamen  Gefühls  der  Bewun- 
derung und  der  Sympathie  für  die  Gesamtheit  der 
Dinge.  Das  ist  es,  weshalb  das  Publikum,  blind 
vor  den  Bildern,  die  das  Licht  in  Farben  setzt, 
so  oft  die  Gemälde  blinder  Maler  hinnimmt,  ja 
den  poetischen  Bildern  vorzieht.  Das  Geld  blendet 
sie   mehr  als   die   Sonne. 

Du,  lieber  Arzt  auf  dem  Lande,  hast  das  Privi- 
legium, die  Natur  ohne  Unterlaß  zu  schauen  und 
sie  schlicht  zu  verehren.  Wenn  du  auf  grünen  We- 
gen dahintrabst,  an  den  dichten  Gebüschen  ent- 
lang, im  frischen  Wind,  der  den  Duft  der  Erde 
und  der  Lüfte  mit  sich  führt,  dann  genieße  voll- 
auf deiner  glücklichen  Lage,  und  beneide  nicht 
unsre  Kämpfe  in  der  Arena,  inmitten  einer  ver- 
ständnislosen Menge.  Aber,  wenn  du  abends  in 
deiner  Ecke  am  Herd  dein  Pfeifchen  rauchst,  dann 
denk  auch  einmal  an  die  Gladiatoren  von  Paris. 


Komposition  in  der  Landschaft 

Die  Eigenschaft,  die  wir  Komposition  nennen, 
ist  so  wesentlich,  daß  sie.  den  Vorrang  behauptet, 
selbst  in  der  Landschaft;  durch  sie  haben  die 
Meister  ihren  Werken  die  Dauer  gesichert.  Man 
fühlt  diesen  wertvollen  Vorzug  in  den  großen  Li- 
nien Poussins  und  seiner  Schule.  Denn  die  Natur 
hat  ihre  Einheit,  ihre  Gesamtwirkung,  ihre  Phy- 
siognomie, wie  die  menschliche  Gesellschaft.  Wenn 
man  einen  weiten  Horizont  oder  die  kleinste  Land- 
schaft überblickt,  so  hat  man  kein  festumschrie- 
benes Bild  vor  Augen,  sondern  die  Elemente  zu 
einem  Bilde.  Das  Talent  besteht  darin,  eine  Haupt- 
wirkung in  dem  Beiwerk  einzurahmen.  Die  alte 
klassische  Schule  der  Landschaftsmalerei  hatte  ein 
Wort,  das  sie  in  Wahrheit  keine  Meisterwerke  hat 
hervorbringen  lassen,  das  sie  aber  mit  der  Über- 
lieferung der  großen  Schulen  verband.  Sie  sprach 
von  einer  „komponierten"  Landschaft.  Das  ein- 
fachste Motiv  erhält  wirklich  seine  Bedeutung 
durch  das  Glück  der  Komposition. 

Die  Vlamen  und  Holländer,  diese  naiven  und 
bescheidenen  Künstler,  verdanken  ihm  auch  ihrer- 


86  Landschaftsmalerei 


seits  einen  Teil  ihrer  Vorzüge.  Ruisdael  war  viel- 
leicht kein  sehr  feinsinniger  Philosoph,  und  der 
kleine  „Busch",  der  im  Louvre  ist,  macht  keinen 
Anspruch  auf  Gedankendarstellung.  Es  ist  ein  trau- 
riges Häuflein  durcheinandergewachsenen  Ge- 
strüpps und  Rankenwerks  auf  einer  kleinen  Erd- 
schwelle; links  dehnt  sich  die  Landschaft  auf  dem 
Grunde  eines  grauen  Himmels  aus;  rechts  führt  ein 
leuchtender  Pfad  zu  einem  Häuschen.  Aber  dieser 
kleine  Busch  kommt  doch  wohl  nicht  durch  Zu- 
fall auf  den  Thron  aus  steinigem  Boden  mit  Moos 
darüber,  statt  des  Sammetpolsters  mit  goldenen 
Nägeln?  — 

Meines  Erachtens  hat  dieser  Busch  von  Ruis- 
dael etwas  von  der  melancholischen  Statue  des 
Lorenzo  de  Medici  von  Michelangelo,  an  dem  Grab- 
mal in  Florenz,  die  man  den  Penseroso  nennt.  Der 
Krieger  ist  des  Lebens  überdrüßig,  in  sich  selber 
gekehrt;  seine  Seiten  biegen  sich  vornüber;  sein 
Elbogen  ruht  auf  dem  Schenkel,  und  die  Hand 
stützt  das  gesenkte  Haupt.  Der  kleine  Busch,  den 
der  Sturm  zerzaust  hat,  indem  er  seine  Glieder 
peitschte  und  seine  Stirne  niederdrückte,  ruht  auch 
von  den  Umwälzungen  der  Natur  aus.  Seine  Blät- 
ter fallen  auf  die  verödeten  Zweige,  und  er  scheint 
zu  seufzen  in  seiner  Einsamkeit. 

Wenn  so  viel  Komposition  und  Empfindung  in 
einem  kleinen  Winkel  verwilderten  Landes  enthal- 
ten ist,  was  ist  dann  ein  Gemälde  Rafaels  oder 
Poussins?   Poussin,  so  zurückhaltend  in  seinen  Bil- 


Komposition  in  der  Landschaft  87 

dem,  so  sicher  seiner  selbst,  —  mit  welcher  Aus- 
dauer hat  er  doch  seine  Kompositionen  studiert!  Es 
gibt  ungefähr  hundert  Entwürfe  für  eine  Darstellung 
der  Findung  Mosis,  für  drei  oder  vier  Gemälde, 
die  er  ausgeführt.  Und  welch  eigentümliche  Zeich- 
nungen, mit  der  Feder  oder  der  Kreide  so  flüchtig, 
so  schnell  hingeworfen,  so  unbestimmt,  wie  die 
Malerei  ruhig  und  korrekt  ist.  Das  sind  die  An- 
läufe des  Genies,  das  durch  sein  Streben  nach  Voll- 
endung gefoltert  wird. 

Auch  die  unmittelbarsten  Maler  haben,  ganz 
wie  die  andern,  solche  Sorgen  durchgemacht.  Der 
„Schiffbruch  der  Medusa"  ragt  nicht  gerade  durch 
die  Anordnung  hervor,  die  man  mit  Recht  in  tau- 
senderlei Weise  kritisiert  hat.  Indessen,  wie  viel 
Skizzen  hat  G^ricault  nicht  für  diese  Medusa  ge- 
macht. Ary  Scheffer  besaß  davon  mehr  als  ein 
Dutzend,  ganz  abgesehen  von  denen  bei  Etienne 
Arago,  Marcille  und  andern  Liebhabern.  Eine  von 
ihnen  fand  besonders  Beachtung,  weil  sie  sehr  cha- 
rakteristisch und  interessant  war  für  das  Feuer, 
mit  dem  Gericault  arbeitete.  Auf  dem  Rande  einer 
großen  Studie  für  einen  andern  Gegenstand  findet 
sich  eine  kleine  Skizze  des  Floßes,  die  der  Maler 
da  aufs  Papier  geworfen  hat,  wie  ein  neues  Bild, 
das  ihm  in  die  Augen  sprang. 

Und  Leopold  Robert,  wieviel  vorbereitende 
Studien  gibt  es  für  seine  Lieblingsbilder!  Hat  er 
nicht  zehnmal  die  Anordnung  der  Fischer  des 
Adriameeres    verändert  ?     Herr    Marcotte    hat    die 


88  Landschaftsmalerei 


wichtigsten  Skizzen,  in  Federzeichnung  und  in  Öl- 
farbe. Da  sieht  man  die  Wandlung  des  genialen 
Künstlers  bis  er  endlich  bei  einem  Meisterwerk 
stehen  bleibt. 

Es  gibt  einen  Mann,  der  sich  eines  europäischen 
Rufes  erfreut,  mit  einem  Talent  ohne  wahre  Poesie, 
ohne  Inspiration  und  ohne  Stil,  das  ist  der  Ver- 
fasser der  Jane  Grey  und  all  der  andern  gut  auf- 
gefaßten wenn  nicht  gut  ausgeführten  Dramen,  für 
die  sich  das  große  Publikum  in  der  Ausstellung 
so  sehr  begeistert  hat.  Welcher  Eigenschaft  dankt 
denn  Paul  Delaroche  diesen  doch  zum  Teil  berech- 
tigten Erfolg?  Der  allgemeinen  Anordnung  des 
Gegenstandes,  dem  geschickten  Zusammenstellen 
des  Bildes. 

.Was  war  die  Ursache  für  den  Erfolg  Winter- 
halters mit  seinem  Dekameron,  Papetys  mit  seinem 
Traum  von  Glück?  Fast  ausschließlich  die  Kom- 
position. Unsre  jungen  Improvisatoren  vernach- 
lässigen   unglücklicherweise     diese     grundlegende 

Eigenschaft  des  Kunstwerks. 

(1844) 


1844 

Ganz  besonders  für  die  Geschichte  der  Land- 
schaft gewährt  die  Ausstellung  dieses  Jahres  eine 
interessante  Belehrung.  Es  gibt  vier  Generationen 
von  Landschaftern,  die  nacheinander  den  Anspruch 
erhoben  haben,  den  frühern  Berühmtheiten  die 
Sonne  wegzunehmen.  Bidauld,  Mitglied  des  Insti- 
tuts, hatte  einigen  Anlaß,  sich  Boucher  und  Wat- 
teau überlegen  zu  glauben,  um  den  ganzen  Abstand, 
der  Napoleon  von  der  Dubarry  trennt.  Der  be- 
rühmte Bidauld  hatte  jedoch  auch  sein  Waterloo 
und  stieg  wie  der  Kaiser  auf  den  Felsen  von  St.  He- 
lena. .Watelet  wurde  sein  Nachfolger;  dann  Joli- 
vard.  Aber  ach,  auch  diese  erlebten  ihre  Julirevo- 
lution, und  der  jüngere  Zweig  der  Familie  Lapito  be- 
herrscht heute  das  Königreich  der  Natur,  während 
jene  entthronten  Monarchen  wie  Gespenster  um  ihre 
verlassenen  iWerke  irren.  Und  die  neuen  Ge- 
schlechter haben  nicht  einmal  ein  Bedauern  oder 
ein  Angedenken  übrig  zum  Trost  für  diese  großen 
Mißgeschicke. 

ooo 

Eines  Tages,  als  der  Teufel  seine  Runde 
machte,  bemerkte  er  in  der  Ecke  eines  Gehölzes 
einen   jungen    Künstler,    der   nach   der   Natur   ein 


yo 


Landschaftsmalerei 


Stück  Landschaft  malte.  Der  Teufel,  der  gern  alles 
sieht,  lief  hin  und  betrachtete  sich  die  Malerei  über 
die  Schulter  des  Malers,  und  da  er  auch  alles  zu 
sagen  liebt,  flüsterte  er  ihm  ins  Ohr:  „Du  bist  ver- 
liebt!" —  „Das  ist  wahr,"  antwortete  der  Künstler; 
„aber  woran  siehst  Du  denn,  daß  ich  verliebt  bin?" 
—  Ohne  gerade  der  Teufel  der  Hoffmannschen  Er- 
zählung zu  sein,  kann  man  beim  Anblick  eines  Ge- 
mäldes, selbst  einer  Landschaft  erraten,  welche  Ge- 
danken den  Maler  beschäftigen,  welche  Leiden- 
schaften ihn  bewegen.  Vor  vier  oder  fünf  Jahren 
hatte  Theodor  Rousseau  das  Unglück,  seine 
vielgeliebte  Mutter  zu  verlieren.  Lange  Zeit  hindurch 
waren  seine  Landschaften  von  unglaublicher  Trau- 
rigkeit. Er  sah  nur  die  wildesten  und  verlassensten 
Schlupfwinkel  von  Fontainebleau  oder  den  finstern 
Anblick  der  Auvergne.  Ich  habe  eine  Landschaft 
aus  dieser  Periode  vor  Augen,  eine  Abend-  und 
Gewitterstimmung  am  Rande  eines  Waldes.  Das 
fahle  kalkige  Erdreich  ist  mit  Baumruinen  besetzt; 
zerrissene  Stämme,  tote  Zweige  und  trockene  Blät- 
ter, die  der  Wind  daherfegt,  eisenhaltiges  Gestein 
mit  braunen,  grauen  und  bläulichen  Tönen  wie  der 
Glanz  einer  alten  verrosteten  Rüstung.  Die  kahlen, 
ihrer  Krone  beraubten  Bäume  zerfallen  in  Staub; 
kaum  haben  sie  noch  einige  rote  Blätter  bewahrt, 
wie  die  Trümmer  eines  Brandes.  Über  diesen  Bäu- 
men ist  kein  Himmel.  Eine  schwere,  düstere,  un- 
durchdringliche Atmosphäre  lastet  auf  dieser  Kom- 
position,   die    viel    Ähnlichkeit    mit    dem   Erlkönig 


Salon   1844  <J1 

von  Schubert  hat,  ohne  daß  Rousseau  daran  ge- 
dacht hätte.  Man  erstickt  in  diesem  Bilde.  Keine 
Luft,  kein  Licht.  Allein  am  Horizont,  ganz  ent- 
lang an  der  Linie,  die  Himmel  und  Erde  vereint, 
liegt  ein  matter  Schein,  ein  Schub  phosphores- 
zierender Wolken,  die  sich  gleich  den  Meereswogen 
bewegen,  und  man  erkennt  einen  kleinen  Reiter, 
der  sich  unter  den  Bäumen  verliert.  In  einen  fahl- 
braunen Mantel  gehüllt,  beugt  er  sich  vornüber  auf 
sein  schwarzes  Roß  und  kämpft  gegen  den  Sturm, 
sichtlich  bestrebt,  so  schnell  wie  möglich  eine  Hütte, 
zu  erreichen,  deren  Dach  der  Lichtschein  in  der 
Ferne  erhellt.  Es  fehlt,  um  vollständig  die  Ballade 
von  Goethe  wiederzugeben,  nichts,  als  der  Sohn 
in  den  Armen  des  Reiters  und  das  Gespenst  in 
der  Wolke. 

Gewiß  ist  Rousseau  ohne  Vergleich  der  erste 
unsrer  heutigen  Landschaftsmaler.  Die  höchste 
Eigenschaft  seiner  Malerei  ist  die  seltenste  in  allen 
Künsten,  nämlich  die  poetische  Empfindung.  Un- 
ter den  alten  Meistern  und  zwar  den  ersten  jeder 
Schule  gibt  es  keinen,  der  die  Natur  mehr  liebt  und 
der  sie  besser  versteht.  Es  gibt  keinen,  der  geistiger 
wäre,  in  dem  Sinne,  daß  er  das  intimste  Leben  der 
Natur  durchdringt,  daß  er  mitzittert  in  allen  ihren 
Bewegungen  und  bei  der  leisesten  Veränderung 
ihrer  Physiognomie.  Ein  Liebender  teilt  nicht  inni- 
ger die  geheimsten  Eindrücke  seiner  Geliebten. 
Rousseau  erlebt  gleichsam  alle  Erregungen  der 
Natur.   Er  liest  sozusagen  in  ihren  Augen.   Er  be- 


\)2  LaiidschaftMiKilcn-i 


unruhigt  sich  um  die  Blässe  des  Lichtes,  um  die 
Fieberschauer  des  .Windes,  um  die  Gesundheit  der 
Baume.  Er  bebt  mit  dem  Ungewitter  und  strahlt 
mit  der  Sonne.  Niemand  weiß  so  vollkommen  den 
Charakter  der  Landschaft  auszudrücken;  denn  er 
besitzt  die  Gabe  der  Farbe  im  selben  Grade  wie  die 
der  Poesie.  Dank  dieser  doppelten  Macht  hat  er 
die  schwierigsten  Ansichten  der  Natur  gemalt, 
Sturm  und  Regen,  Frühling  und  Herbst,  Abend  und 
selbst  die  Nacht,  Sonnenaufgang  und  -Untergang. 
Ein  einziger  Maler  hat  einen  Sonnenaufgang  noch 
herrlicher  geschildert  als  Rousseau;  das  ist  George 
Sand  in  der  neuen  Lelia. 

Man  muß  schon  ein  Tor  sein,  um  sich  ein- 
zubilden, daß  sich  die  Landschaft  kopieren  lasse. 
Die  schöne  Theorie  von  der  Nachahmung  der  Natur 
ist  hier  noch  ohnmächtiger  als  anderswo.  Habt  ihr 
denn  jemals  während  zwei  Stunden  nur  denselben 
Zustand  am  Himmel  und  auf  dem  Lande  beharren 
sehen?  Die  Physiognomie  der  Natur  ist  unauf- 
hörlicher wechselnd  als  die  Physiognomie  des  Men- 
schen. Die  Erde  in  ihrem  ewigen  Umschwung 
nimmt  alle  Farben  und  alle  Formen  an  unter  der 
flüchtigen  Liebkosung  des  Lichtes.  Das  Glück  und 
die  Fluten  sind  nicht  so  wandelbar  wie  der  Sonnen- 
schein. Es  gibt  in  der  Landschaft  überhaupt  nur 
vorübergehenden  Ausdruck  und  launenhafte  Wir- 
kungen, die  man  mittels  der  Erinnerung  des  Ge- 
sichts und  der  poetischen  Erfindung  wiedergeben 
kann. 


Salon   1844  98 

Wer  kennt  nicht  die  Geschichte  des  armen 
Del a berge,  der  im  Verfolg  einer  unausführbaren 
Absicht  jung  gestorben  ist.  Es  war  ein  Mensch, 
der  vortrefflich  über  seine  Kunst  sprach  und  mit 
einer  reichen  kraftvollen  Malweise  begonnen  hatte. 
Unglücklicherweise  setzte  er  sich  in  den  Kopf,  der 
Landschafter  müsse  gewissenhaft  die  kleinsten  Ein- 
zelheiten der  Natur  studieren  und  wiedergeben. 
Sein  erster  Versuch  nach  diesem  System  brachte 
ein  Schaf  und  eine  alte  Frau,  peinlich  und  kleinlich, 
geduldig  und  ängstlich  zusammengetragen  auf  einer 
kleinen  Leinwand.  Obgleich  das  System  töricht  war, 
erregte  doch  die  Begabung  und  das  Wollen  des 
Künstlers  die  Aufmerksamkeit.  Aber  Delaberge  war 
mit  seiner  Leistung  kaum  zufrieden;  er  entschloß 
sich,  mit  erneuter  Hartnäckigkeit,  eine  exakte  Kopie 
eines  Stückchens  Landschaft  zu  unternehmen.  Er 
wählte  dazu  einen  kleinen  hübschgewachsenen 
Busch  gegen  eine  Mauer  gestellt.  Damals  sagte  er 
Paris  und  seinen  Freunden  Lebewohl,  mietete  ein 
Häuschen  neben  seinem  geliebten  Busch  und  be- 
gann sein  Werk,  das,  wie  sich  bald  zeigte,  der 
Danaidenarbeit  glich.  Wenn  es  galt,  die  allgemei- 
nen Umrisse  zu  entwerfen,  so  bewegte  der  Wind 
die  leichten  Zweige  und  widerstrebte  dem  starr- 
köpfigen Utopisten.  Ach,  morgens,  mittags  und 
abends  ging  unser  Busch  unausgesetzt  vom  Schatten 
ins  Licht,  von  Traurigkeit  zum  Glanz,  von  einem 
Halbton  in  den  andern  über.  Kaum  hatte  der  Maler 
einen  Ton  auf  seine  Leinwand  gesetzt,  so  war  auch 


94  Landschaftsmalerei 


der  Ton  des  Vorbildes  schon  wieder  anders  gewor- 
den. Ach,  jeder  Tag  brachte  schrecklichen  Um- 
sturz in  die  kleine  Welt,  die  Delaberge  ohne  Unter- 
laß mit  Sorgen  betrachtete.  Dann  war  es  ein  Blatt, 
das  der  grausame  Wind  von  seinem  Zweige  löste; 
dann  der  Staub  der  Mauer,  der  langsam  dahin- 
schwand und  Löcher  und  Schatten  zwischen  den 
Steinen  hinterließ;  dann  war  es  ein  unbemerkbares 
Insekt,  das  jene  Knospe  da  mit  einem  Eigensinn  be- 
nagte, der  dem  des  Malers  gleichkam;  dann  war 
es  der  Zweig,  der  trieb  und  länger  wuchs,  ohne 
sich  um  die  Proportionen  zu  kümmern,  die  bereits 
festgelegt  waren.  Manchmal  fand  der  Maler  auf 
seinem  Busch  eine  Draperie,  von  leuchtendem  Silber- 
glanz beim  Sonnenaufgang:  das  Gewebe  einer  ar- 
beitsamen Spinne.  Die  ganze  Natur  verschwor  sich 
zur  Veränderung.  Der  Tau,  der  Wind,  der  Regen, 
die  Sonne,  alles  brachte  seinen  Mikrokosmos  in 
Unordnung.  Welche  Betriebsamkeit  ohne  Rast, 
welche  Beweglichkeit,  welches  Leben !  —  Und  als 
dann  der  Herbst  kam,  wie  sollte  die  Malerei  fort- 
gesetzt werden,  die  beim  Anblick  des  Sommers  be- 
gonnen war?  Delaberge  hüllte  sich  während  des 
Winters  in  seinen  Mantel  und  wartete  mit  Stoizis- 
mus auf  die  Erneuerung.  Aber  im  folgenden  Jahr 
glich  der  kleine  Busch  nicht  mehr  dem  Busche 
aus  dem  letzten  Frühling.  Er  dauerte  noch  aus,  der 
mutige  Künstler,  drei  Jahre  lang  wie  man  sagte. 
Er  hatte  schon  Ursach  zu  sterben. 

Viele  Landschaftsmaler  sind  noch  immer  bei 


Salon   1844  95 



der  Theorie  von  der  Nachahmung  der  Natur.  Aber 
sie  haben,  zum  Glück  für  ihre  Gesundheit,  nicht 
die  Ausdauer  und  den  Eifer  Delaberges.  Das 
Suchen  der  Kunst  unter  diesen  falschen  Bedingungen 
wird  gewiß  J.  Coignct  nicht  töten,  noch  die  an- 
geblichen Realisten  sonst,  die  wenigstens  die  Mäßi- 
gung der  Mittelmäßigkeit  besitzen.  Es  ist  doch  nur 
Menschen  von  gewissem  Charakter  gegeben,  sich 
in  so  ehrgeizige  Qualen  zu  verbeißen.  Einige  andre 
naive  und  anspruchslose  Maler  geben  die  Natur 
einfach  wieder,  wie  sie  sie  sehen,  ohne  alle  höhere 
Poesie,  aber  mit  einer  Wahrheit,  die  allen  in  die 
Augen  fällt.  So  einer  ist  Flers  in  seinen  beschei- 
denen Bauernhöfen  und  fetten  Viehweiden  aus  der 
Normandie.  Flers  ist  Flamänder  durch  diese  Eigen- 
schaft, aber  er  besitzt  weniger  Feinheit  als  die 
flandrischen  Meister.  Troyon  macht  gute  Malerei, 
freimütig  und  solid;  ein  Mangel  ist  nur  die  Schwer- 
fälligkeit. Indes,  einige  Partien  seines  ,, Waldes  von 
Fontainebleau",  das  Wasser  und  die  Kräuter  im 
Vordergrund,  sind  fast  des  Jules  Dupre  würdig, 
dessen  Verfahren  und  Manier  er  oft  nachfolgt.  Die 
Landschaft  von  Charles  Leroux  „Ansicht  aus 
dem  oberen  Poitou"  ist  sicher  gemalt,  aber  etwas 
hart  in  der  Ausführung.  Die  Bäume  entbehren  der 
Leichtigkeit  und  die  Luft  strömt  nicht  durch  ihr  Ge- 
zweig. Der  Hintergrund  ist  durchsichtiger  und  ver- 
bindet sich  gut  mit  dem  Himmel. 

Das   ist   ein   schwieriger   Punkt   in   der   Land- 
schaftsmalerei, Himmel  und  Erde  in  Einklang  zu 


96 


Landschaftsmalerei 


setzen.  Die  meisten  Landschafter  begehen,  wie  wir 
glauben  möchten,  den  Fehler,  ihre  Arbeit  immer 
mit  dem  wirklichen  Aufbau  des  Schauplatzes  an- 
zufangen, den  sie  darstellen  wollen,  und  dann  erst 
zu  versuchen,  den  Himmel  mit  dem  Erdreich  und 
den  Bäumen  zusammenzustimmen.  Die  geschick- 
ten Restauratoren  alter  Bilder  wissen,  wie  schwer 
es  ist,  einen  Himmel  zu  retuschieren,  während  man 
die  übrigen  Teile  des  Bildes  glücklich  wiederher- 
stellen kann,  wenn  nur  der  Himmel  unverletzt  ist. 
Ebenso  ist  in  einer  vom  Künstler  komponierten 
Landschaft,  sobald  nur  der  Himmel  gemalt  ist,  auch 
das  übrige  geborgen.  Man  braucht  dann  nur  das 
Gefühl  für  Harmonie  und  die  Geduld  der  Arbeit. 
Denn  die  Wirkung,  die  auf  dem  Lande  ruht,  er- 
gibt sich  stets  aus  dem  Licht  des  Himmels.  Aber 
welche  Schwierigkeit  steckt  gerade  in  diesem  Über- 
gang von  der  tiefen,  unbestimmten  und  unendlichen 
Atmosphäre  zu  der  wirklichen  und  ausgeprägten 
Form  eines  Gebildes  in  freier  Luft.  Wir  haben  ge- 
sehen, wie  Rousseau,  dessen  Talent  eine  so  wichtige 
Belehrung  für  Künstler  darbietet,  sich  in  einem 
Dutzend  aufeinanderfolgender  Bilder  abgemüht  hat, 
die  richtige  Harmonie  dieser  Umarmung  des  Him- 
mels und  der  Erde,  der  Sonne  und  der  Natur,  an 
der  äußersten  Grenze  des  Horizonts  wiederzugeben. 
Da  ist  niemals  eine  scharfe  und  bestimmte  Schei- 
dung vorhanden,  als  mathematische  unwandelbare 
Linie  gezogen;  denn  alles  Licht  verschlingt  etwas 
die  Ränder  des  Gebildes,  das  es  beleuchtet. 


Salon  1844  \)1 

Einige  Maler  haben  eine  sehr  einfache  aber 
auch  radikale  Manier  ausfindig  gemacht,  die 
Schwierigkeiten  des  Lichts  und  der  Farbe  zu  um- 
gehen. Sie  haben  schlankweg  die  Sonne  in  ihren 
Landschaften  unterdrückt.  Das  Verfahren  ist  etwas 
leichtfertig.  Mit  der  Sonne  sind  auch  Wahrheit  und 
Bewegung,  Reiz  und  Leben  aus  ihrer  Landschaft 
entflohen.  Fast  die  ganze  Ingres-Schule  ist  in  der 
Landschaft  wie  in  den  übrigen  Arten  der  Malerei 
zu  diesem  traurigen  Opfer  gelangt.  PaulFlandrin 
gefällt  sich  seit  lange  in  dieser  Dunkelheit.  Er  hat 
Stilgefühl,  hier  und  da  eine  gewisse  Eleganz;  aber 
Licht,  nirgends.  Seine  Landschaft  ist  kühnlich 
„Grüne  Eichen"  betitelt,  stellt  aber  nur  graue  und 
platte  Eichen  dar.  Denn  das  Licht  modelliert  die 
Körper,  wie  es  ihnen  die  Farbe  verleiht.  Alle  Bil- 
der Paul  Flandrins  sehen  einander  gleich;  denn  die 
Bäume  sind  wie  die  Katzen :  bei  Nacht  sind  alle 
Bäume  grau. 

Die  Eigenschaft  der  Farbe  ist  so  wesentlich 
in  der  Malerei,  daß  man  nicht  Maler  sein  kann, 
als  unter  der  Bedingung  zuerst  und  vor  allen  Din- 
gen Farbenkünstler  zu  sein.  Keine  andre  Eigen- 
schaft kann  diese  ersetzen.  Entsagt  man  von  vorn- 
herein dem  Licht,  so  gibt  es  kein  Mittel  mehr,  ein 
geschickter  Praktiker  zu  werden. 

Desgoffe,  Achille  Benouville  und  die 
andern  grauen  Büßer  dürfen  sich  ihres  Verfahrens 
auch  nicht  höher  rühmen.  Benouville  hatte  die 
Malerei  in  fast  entgegengesetztem  Sinne  angefan- 

W.  Bürger.     Kuustkritik.  7 


Landschaftsmalerei 


gen;   die   Einsperrung   in  die   Schule   zu   Rom  hat 
ihn  verdorben.   Desgoffe  bewies  in  seinen  ersten 
Landschaften   mehr  Kraft   und   Stil.    Sein  Narciss, 
der  sich  in  einer  farblosen   Lache  beschaut,   muß 
sich    sehr   häßlich    finden,    wenn    der   Kristall   der 
Welle  klar  genug  ist,  ihm  sein  Bild  zurückzuwerfen. 
Aligny  gehört  auch  mittelbar  zur  Schule  der 
Trocknen,   wie   man   sie   in   den   Ateliers   benennt. 
Aber   Aligny    ist    ein   fertiger   Meister,    obwohl   er 
keine    sehr    glücklichen    Wirkungen    erreicht.    Die 
Fehler,   die  er  hat,   bewahrt   er  freiwillig  inmitten 
sehr   ausgezeichneter  Vorzüge.     Er  hat   manchmal 
Zeichnungen  vom  höchsten  Stil  und  von  edelster 
Eleganz    geschaffen.    Seine   früheren    Studien    aus 
der  römischen  Campagna  mit  großen  Bäumen  und 
einigen   von   der   Arbeit   heimkommenden   Büffeln 
bezeugten   dieselbe  ruhige  und  poetische  Empfin- 
dung, die  wir  im  Talent  Leopold  Roberts  bewun- 
dern. So  hätte  gewiß  der  Maler  der  venezianischen 
Fischer  die  Natur  wiedergegeben,  wäre  er  Land- 
schafter gewesen.  Aligny  sucht  vor  allem  die  Größe 
in  der  Einfachheit.  Aber  er  findet  in  seiner  Malerei 
meist  nur  Rauheit  und  Monotonie.   Er  sucht  noch 
den  Glanz  des  Lichts  und  die  Feinheit  des  Hell- 
dunkels.   Es  ist  wahr,  daß  seine  Halbtöne  Durch- 
sichtigkeit haben;  aber  das  Licht  ist  zu  methodisch 
verteilt  und  hat  nicht  das  bewegliche  Glitzern  der 
Sonne.    Seine  Palette  ist  sehr  beschränkt;  er  engt 
die  unendlichen  Hilfsquellen  der  Farbe  auf  ein  paar 
Töne  ein,  die  er  freilich  recht  harmonisch  zu  ver- 


Salon  1844  99 

binden  weiß.  Das  beste  seiner  Gemälde  scheint 
uns  „die  Ansicht  der  Akropolis  von  Athen",  die 
von  der  alten  Rednerbühne  aus  genommen  ist.  Man 
bemerkt  auf  dem  Vordergrund  drei  Figuren  im 
Schatten,    eine   Frau   und   zwei   kleine   Kinder. 

Die  beiden  Landschaften  von  Francais  stehen 
im  Salon  in  erster  Linie  mit  denen  von  Marilhat, 
Corot,  Leleux  und  Diaz.  Vor  einigen  Jahren  trat 
Francais  zuerst  auf,  mit  einem  großen  Gemälde, 
das  „die  Hexen  des  Macbeth"  betitelt  war.  Es  war 
eine  wilde  phantastische  Natur,  die  er  bei  den 
Schluchten  von  Apremont  studiert  hatte.  Die  Fi- 
guren waren  von  Baron  gemalt,  der  in  dieser  Aus- 
stellung „eine  Episode  aus  dem  Leben  Giorgiones" 
hat.  Francais  besitzt  viel  Erfindungsgabe  und  Phan- 
tasie und  wahrhaft  poetische  Empfindung.  Außer 
seinen  Gemälden  hat  er  mit  gutem  Erfolg  seine 
landschaftlichen  Kompositionen  in  einer  Fülle  von 
anmutigen  Zeichnungen  ausgeschüttet,  die  für  illu- 
strierte Bücher  bestimmt  sind. 

Der  „Herbst"  ist  eine  melancholische  Studie 
nach  einer  Allee  des  Waldes  von  Fontainebleau. 
Elegante  Bäume  mit  wenigen  vergilbten  Blättern, 
ein  perlgrauer  Himmel,  nacktes  Terrain,  einige 
Kohlenbrenner,  die  verdorrte  Zweige  sammeln,  das 
ist  das  Bild.  Der  Charakter  des  Herbstes  ist  so  gut 
gegeben,  die  Harmonie  so  richtig,  der  Pinselstrich 
so  leicht,  daß  man  sich  befriedigt  fühlt.  Es  ist 
ein  Ganzes,  wie  es  da  ist. 


100 


Laüdbchaftsmalerei 


Die  andre  Landschaft  von  Francais  ist  sehr 
originell  und  sehr  malerisch.  Auf  der  Höhe  des 
verstreuten  Gehölzes  von  Meudon  sitzen  zwei  Per- 
sonen im  Schatten  einer  Eiche.  Francais  ist  ver- 
liebt, das  ist  ganz  sicher.  Das  junge  Weib  hält  ein 
Stück  Papier,  einen  Brief  vielleicht,  oder  eine  Skizze 
nach  der  Natur.  Der  große  Bursch  ist  bei  ihr 
ausgestreckt  und  betrachtet  sie  so  faulenzend.  Es 
ist  gut  sein  unter  diesen  Bäumen,  die  keine  Sonne 
durchlassen  bis  auf  einen  goldnen  Saum,  der  über 
dem  Rasen  schwebt.  Und  dann  welch  endlose  Aus- 
sicht durch  die  Säulen  und  Arkaden  des  Ge- 
hölzes: die  ganze  Ebene  von  Paris,  in  Licht  ge- 
badet und  im  Silberblau  des  Himmels  sich  ver- 
lierend. Die  Stelle  ist  glücklich  gewählt.  Diese 
heitere,  wollüstige  Natur  voll  Behagen  und  Laune 
gleicht  der  maurischen  Kunst.  Man  könnte  sich  in 
einer  Galerie  der  Alhambra  wähnen.  Francais,  der 
Teufel  würde  wohl  erkennen,  daß  du  verliebt  bist. 


Corot 

Corot  ist  ein  Landschaftsmaler,  der  außer- 
halb des  Instituts  sehr  geschätzt  wird;  ihm  ist  auch 
diesmal  noch  ein  Gemälde  abgelehnt  worden.  Die 
drei  Landschaften  Corots  gehören  unstreitig  zu  den 
besten  der  Ausstellung:  die  „Ansicht  aus  der  Cam- 
pagna  Roms",  die  „Zerstörung  Sodoms",  und  die 
„Landschaft  mit  Figuren".  Diese  letzte  ist  im  Sa- 
lon carre.  Sie  stellt  eine  Art  ländlichen  Konzertes 
dar  inmitten  einer  harmonischen  und  schwermütigen 
Natur.  Einige  phantasievoll  drapierte  Gestalten 
machen  im  Schatten  großer  geheimnisvoller  Bäume 
Musik.  Die  Kompositionen  Corots  erinnern  un- 
willkürlich an  antike  Idyllen.  Sein  bescheidenes 
und  einsiedlerisches  Talent  drängt  ihn  zu  rührender 
Träumerei,  die  sich  in  seinen  Bildern  widerspiegelt. 
Er  hat  nie  durch  das  Streben  nach  pomphaftem 
Glanz  gesündigt.  Seine  Figuren  machen  nicht  viel 
Aufhebens  in  seinen  ruhigen  Landschaften.  Der 
Gesamteindruck  ist  immer  außerordentlich  richtig. 
Ein  sanftes  Licht,  wohl  abgewogene  Halbtöne  hüllen 
die  ganze  Komposition  ein. 

Man  darf  von  ihm  nicht  die  Glut  der  Sonne 


102  Landschaftsmalerei 


des  Orients  verlangen  und  die  tiefen  Schatten,  die 
den  Boden  zerschneiden;  aber  der  Abendwind  streift 
sanft  die  eleganten  Zweige  seiner  Bäume  und  lieb- 
kost die  Haare  der  kleinen  Personen  darunter.  In 
seinem  ländlichen  Konzert  glaubt  man,  der  Klang 
der  Instrumente  mische  sich  ein  in  die  Wellen- 
bewegung der  Luft.  Während  eine  halb  entklei- 
kleidete  Frau  die  Saiten  eines  Violoncells  rührt,  hört 
ein  junges  Mädchen,  auf  dem  Rasen  hingestreckt, 
andächtig  zu.  Einige  andre  Gestalten  sind  auf  dem 
zweiten  Plan  der  Landschaft  verstreut :  „Fortunatos 
nimium  agricolas".  Glücklicherweise  ist  keine  Ge- 
fahr, daß  uns  die  ländliche  Poesie  Corots  der  Er- 
regung unseres  politischen  Lebens  entrücke;  aber 
sie  ist  im  Gegensatz  zu  unserm  Zeitgetriebe,  wie 
einst  die  Poesie  zur  Zeit  des  Augustus,  abgesehen 
vom  Epikureismus  des  Horaz  und  dem  Alexis  Vir- 
gils.  Die  „Zerstörung  Sodoms"  hat  Corot  nur  zu- 
fällig aus  seiner  friedlichen  Sinnesart  herausgerissen. 
Es  ist  eine  große  Unglücksszene,  wo  Himmel  und 
Erde  durcheinander  gewühlt  werden.  Der  Sturm 
braust  über  die  aschenfarbene  Stadt;  die  großen 
Bäume  sind  entblättert;  Verwüstung  breitet  sich 
über  die  Natur,  und  die  Familie  Loths  flieht  im 
.Vordergrund  daher  von  fahlem  Lichtschein  ver- 
folgt. Die  Figuren  Corots  dürfen  nicht  allzu  nah 
betrachtet  werden;  sie  sind  mit  breiten  hastigen 
Strichen  hingesetzt,  die  das  mikroskopische  Detail 
der  Gesamtwirkung  aufopfern.  Diese  unvollständige 
Wiedeigabe  hat  wenigstens  den  Vorzug,  einen  har- 


Ad.  Lelcux  103 

monischcn  Zusammenklang  und  einen  packenden 
Eindruck  zu  erzielen.  Statt  Glieder  zu  zerlegen,  er- 
leben wir  ein  Gefühl. 

ooo 
Ad.  Lelcux 

Leleux  besitzt  auch  die  Eigenschaft  der  Har- 
monie, die  bei  unsern  Malern  so  selten  vorkommt. 
Es  kommt  nicht  durchaus  darauf  an,  daß  die 
Malerei  zum  höchsten  Ton  aufsteige,  wenn  nur  die 
Abstufung  der  Unterschiede  richtig  ist  und  im  Ein- 
klang mit  der  Dominante.  Das  Grau  beherrscht 
ohne  Zweifel  etwas  die  Palette  Leleux';  es  auf- 
erlegt ihm  das  Opfer,  auf  die  höchste  Leuchtkraft 
der  Farben  zu  verzichten.  Aber  es  ist  auch  nicht 
jedermann  gegeben,  alle  Tonleitern  zu  durchlaufen, 
wie  Eugene  Delacroix  und  Theodore  Rousseau 
es  tun. 

Die  „spanische  Posada"  von  Adolphe  Leleux 
und  einige  Landschaften  aus  der  Bretagne  hatten 
schon  einen  geschickten  Künstler  von  ausgezeich- 
neter Empfindung  offenbart.  Seine  „Cantonniers 
navarrais",  die  in  malerischer  Gegend  lagern,  geben 
eine  gute  Vorstellung  von  diesen  "ngezähmten 
Menschen  und  diesem  wilden  Lande.  Es  fehlt  nur 
etwas  südlicheres  Licht,  ein  heißerer  Himmel. 
Leleux  hat  der  Sonne  der  Bretagne  schmeicheln 
wollen,  die  doch  auch  erröten  wird,  wenn  sie  sich 
dem  wollüstigen   Spanien  nähert. 


104 


Landschaftsmalerei. 


Marilhat 


Marilhat  hat  einige  Bilder  ausgestellt,  die  ein 
wenig  über  die  Abwesenheit  Decamps'  trösten.  Nach 
dem  großen  Maler  der  Türken  und  Araber  ist  es 
in  der  Tat  Marilhat,  der  die  Natur  des  Orients 
am  besten  wiedergibt. 

Man  erinnert  sich  noch  der  Zeit,  wo  Marilhat 
von  den  Ufern  des  Nils  heimkehrte  und  als  Sehens- 
würdigkeit, die  wohl  eine  ägyptische  Sphinx  aufwog, 
eine  herrliche  Ansicht  des  Platzes  „Esbekieh"  in 
Kairo  mitbrachte.  Dies  eigenartige  Rätsel  ward 
sogleich  von  den  Künstlern  verstanden,  trotz  der 
Schwere  der  Schatten,  dem  hieroglyphischen  Cha- 
rakter der  Figuren  und  der  Fremdartigkeit  der 
Landschaft.  Marilhat  schien  seit  einigen  Jahren 
dann  seine  Eindrücke  vergessen  zu  haben,  als  Rei- 
sender, als  Poet  und  als  Maler.  Der  Himmel  des 
Abendlandes  erstickt  seine  Farbe  und  seine  Laune. 
Auch  seine  „Ansichten  aus  der  Auvergne"  sind  nicht 
den  „Syrischen  Arabern  auf  der  Reise"  und  dem 
..Kaffeehaus  an  einer  Straße  in  Syrien"  vergleichbar. 

Die  kleine  Karawane  der  reisenden  Araber  zeigt 
eine  Prozession  von  Kamelen,  Männern  und  Frauen, 
die  sich  mit  sehr  ausgeprägtem  Profil  gegen  den 
Himmel  abheben.  Das  Erdreich  ist  kräftig  be- 
handelt, die  Figuren  lebensvoll  und  das  Licht. sehr 
stark.  Das  Kaffeehaus  an  einer  Straße  in  Syrien 
besitzt    noch    größere    malerische    Vorzüge.     Der 


Mai  il  hat  L06 

Vordergrund  liegt  im  Schatten,  einige  Kamele 
kauern  sich  nieder;  das  erinnert  an  die  Episode 
mit  der  Frau  am  Brunnen  im  Joseph  von  Decamps. 
Links  auf  dem  zweiten  Plan  ist  ein  Mann  auf  ein 
Kamel  gestiegen  und  greift  nach  dem  Zweig  eines 
Baumes.  Inmitten  der  Szene  heben  sich  einige 
Gruppen  von  den  weißen  Mauern  einer  Herberge 
ab.  Der  Kontrast  der  leuchtenden  Luft  und  der 
düstern  Halbtöne  ist  außerordentlich  treffend  ge- 
geben. Und  das  ist  der  schwierige  Punkt  in  Bil- 
dern mit  vollem  Sonnenschein. 


1845 


Den  großen  Erfolg  beim  Publikum  haben  voll- 
ständig auf  dieser  Ausstellung  Leute  wie  Brascassat, 
oder  wie  Calame  und  Diday,  zwei  Schweizer  Maler, 
deren  Manier,  wie  wir  hoffen  müssen,  sich  niemals 
in  Frankreich  einbürgern  wird,  ebensowenig  wie  die 
van  Schendels  und  der  andern  Belgier  oder  Hollän- 
der und  ebensowenig  wie  die  Desgoffes  und  Paul 
Flandrins,  die  sich  in  Italien  entfranzösiert  haben. 

Die  wahren  französischen  Landschafter  der 
zeitgenössischen  Schule  haben  ein  viel  lebhafteres 
Gefühl  und  einen  viel  naiveren  Sinn  für  die  Natur, 
zu  gleicher  Zeit  wie  eine  minder  graue,  weniger 
trockene  und  minutiöse  Ausführung.  Im  Salon  sind 
etwa  zwanzig  Landschaftsmaler,  die  ausgezeichnete 
kWerke  schaffen :  Francais,  mit  einem  „Sonnenunter- 
gang", sehr  poetisch,  mit  zwei  Badenden  im  Vorder- 
grund, und  einem  „Angler",  der  sehr  glücklich  ist 
in  dieser  schönen  Gegend  dazusitzen.  Louis  Leroy 
hat  zwei  Ansichten  von  Fontainebleau  und  von 
Meudon;  er  hatte  schon  in  seinen  schönen  Radie- 
rungen seine  wirkliche  Begabung  als  Landschafter 
bewiesen.  Corot  bringt  mehrere  Landschaften,  ein- 


Calame  und  Diday  J07 


fach  und  ruhig  wie  immer.  Troyon  eine  Ansicht 
von  Caudebec.  Toudouze.,  Wdry,  Lapierre,  Legen- 
tile,  Louis  Coignard,  Teytaud,  Felix  Haffner  und 
manche  andern.  Einige  dieser  jungen  Maler  sind 
dem  Publikum  noch  wenig  bekannt ;  aber  wir  hoffen, 
daß  die  Kritik  dazu  beitragen  wird,  die  Bilder 
dieser  Ausstellung   schätzen   zu   lernen. 

OOO 

Calame  und  Diday 

Calame  hat  einen  Sturm  ausgestellt,  Diday 
die  Folgen  eines  Sturms  in  den  Alpen.  Die  Gegen- 
stände sind  anspruchsvoll  und  schwierig.  Nichts 
als  das:  die  großen  Alpen  mit  ihren  zum  Himmel 
reichenden  Tannen,  mit  den  Wasserfällen  und  La- 
winen, mit  den  Wolken  und  dem  Wind  und  allen 
Schrecken  des  Unwetters.  Das  kalte  und  saubere 
Talent  Didays  genügt  höchstens,  ein  kleines  Bauern- 
häuschen auf  friedlichem  Hügel  zu  malen.  Sein 
Sturm  in  den  Alpen  flößt  keinen  Schrecken  ein. 
Rechts,  einige  Tannen  von  halber  Armlänge,  die 
Trümmer  einer  Hütte  auf  kleinen  trübgrauen  Kie- 
seln; links  ein  entfesselter  Strom,  dessen  baum- 
wollene Fluten  in  einem  Champagnerglas  Platz 
hätten,  und  über  dem  Ganzen  die  Spitzen  der  Al- 
pen, die  wie  kleine  Kandiszuckerfelsen  aussehen 
oder  wie  die  glasig  grünblauen  Kristallblöcke  im 
Schaufenster  einer  Apotheke.    Der  Himmel  hat  ein 


lÜH  Landschaftsmalerei 


lymphatisches  Temperament  und  einen  schmutzig 
weißen  Ton  ohne  Tiefe.  Ein  gewöhnlicher  Mensch 
könnte  die  Felsen  des  Vordergrunds  in  seine  Tasche 
stecken,  könnte  durch  den  Strom  schreiten  ohne 
sein  Haar  zu  benetzen  und  sich  oben  auf  die  Berge 
setzen  wie  auf  den  Sattel  eines  Gauls. 

Die  französische  Regierung  hat  Diday  neuer- 
dings zum  Ritter  der  Ehrenlegion  ernannt. 

Calames  erste  Bilder  haben  vor  einigen  Jah- 
ren viel  Erfolg  gehabt,  ohne  Zweifel  wegen  der  Ge- 
genstände, die  sie  darstellten.  Calame  ist  Schüler 
Didays  und  hat  sich  von  der  Manier  seines  Lehrers 
nicht  entfernt.  Er  hat  nicht  mehr  Größe  und  Poesie 
angesichts  der  prachtvollen  Ansichten  seines  Lan- 
des. Rousseau  hat  den  Charakter  der  Natur  in  der 
Schweiz  viel  besser  begriffen  und  ausgeprägt,  als 
er  „den  Abstieg  der  Kühe  in  einer  Schlucht"  dort 
malte.  Calame  ist  nicht  stark  in  den  Himmeln  und 
infolgedessen  auch  nicht  im  Lichte. 

Nun  gibt  es  aber  keine  Landschaft  ohne  Him- 
mel. Die  eigentümliche  Beschaffenheit  des  Himmels 
gibt  allen  Darstellungen  der  Natur  gerade  ihren 
Wert  und  die  Betonung.  Die  Himmel  Calames  sind 
immer  grau  und  flach  ohne  Strahlung.  Das  Licht 
und  die  Wärme  können  sich  also  nicht  über  die  un- 
fruchtbare und  unbelebte  Natur  ergießen.  In  Er- 
mangelung des  Schattens  und  des  Lichtes  wendet 
Calame  immer  einförmig  eine  Art  Dämmerungston 
von  neutralem  Grau  an,  der  überall  derselbe  bleibt. 
Seine  Palette  hat  nur  zwei  Töne,  die  sich  ärmlich 


i  .llamc  uuil  Diday  10!( 


genug  verbinden,  ein  dürftiges  Grün  und  ein  böses 
Grau. 

Sein  „Sturmbild44  ist  wie  all  seine  früheren  Bil- 
der ausgeführt  und  läßt  uns  glauben,  daß  Calame 
bestimmt  ist,  immer  in  derselben  Weise  zu  malen, 
obwohl  er  einige  Zeichnungen  veröffentlicht  hat, 
die  viel  besser  waren  als  seine  Bilder.  Was  Calame 
vor  allen  Dingen  fehlt,  ist  eine  angeborene  Gabe, 
die  man  nicht  erwerben  kann :  der  Farbensinn.  Die 
Komposition  läßt  sich  ja  verbessern,  die  Zeichnung 
studieren,  selbst  das  poetische  Gefühl  durch  die  An- 
schauung der  Natur  und  den  Verkehr  mit  großen 
Künstlern  entwickeln;  aber  Erziehung  und  Wille 
sind  ohnmächtig,  das  Gefühl  für  die  Harmonie  der 
Farben  oder  für  die  musikalische  Harmonie  zu  ver- 
leihen. Der  Kolorist  wird  geboren  wie  der  Musiker, 
der  Poet  von  Gottes  Gnaden,  und  dies  Königtum 
von  göttlichem  Recht  fällt  nur  wenigen  Auserlese- 
nen zu. 

Die  Bäume  Calames,  die  sich  wie  Rosensträuche 
beugen,  rechts  in  seiner  Komposition,  haben  das 
nämliche  harte  und  monotone  Grün,  wie  die  Kräuter 
unten  am  Boden.  Man  könnte  mit  diesen  Gräsern 
Baumzweige  herstellen  oder  Rasen  aus  seinen  Baum- 
zweigen, so  wenig  Verschiedenheit  besteht  in  der 
Ausführung  dieser  verschiedenartigen  Dinge.  Der 
Himmel  ist  schwarz  und  birgt  seinen  Blitz.  Indes 
hat  die  Landschaft  einige  Traurigkeit  im  Sinne  des 
Eindrucks,  den  der  Maler  wiedergeben  will. 

Ein  Kritiker  schrieb  neulich :   „Es  gibt  keine 


HO  Landschaftsmalerei 


schlechten  Schulen,  es  gibt  nur  schlechte  Künstler.'' 
Wenn  dem  wirklich  so  ist,  so  sind  doch  gewisse 
Systeme  gefährlich  zu  befolgen  und  können  die 
besten  Maler  zunichte  machen;  in  diesem  Sinne  sind 
die  falschen  Methoden  verderblich.  Es  ist  freilich 
wahr,  daß  inmitten  der  traurigsten  Schulen,  Künst- 
ler von  Rasse  immer  ihre  Originalität  durch  Ab- 
weichungen bewahrt  haben,  die  eben  die  Kritik  der 
aufgenötigten  Routine  um  sie  her  enthielten.  Gros 
ist  ein  vortrefflicher  Maler  gewesen,  obgleich  er  zu 
einer  abscheulichen  Schule  gehörte.  Ingres  ist  ein 
großer  Künstler,  obgleich  sein  System  von  Grund 
aus  verkehrt  ist.  Brascassat,  Calame  und  Diday 
ihrerseits  gehen  zunächst  von  einem  Prinzip  aus, 
das  sie  irreführt :  indem  sie  sich  vornehmen,  alle 
Einzelheiten  wiederzugeben,  kommen  sie  unvermeid- 
lich dahin  die  Gesamtheit  zu  opfern,  die  allgemeine 
Wirkung  des  Ganzen  preiszugeben,  weil  sie  an  einer 
kleinlichen  Wirklichkeitstreue  kleben.  Ihre  Schule 
ist  schlecht  von  Anfang  an,  und  unglücklicherweise 
sind  sie  auch  „ falsche  gute  Maler"  wie  Diderot 
sagte. 

ooo 

Man  könnte  die  heutigen  Landschaftsmaler  in 
drei  wohlunterschiedene  Gruppen  teilen. 

Da  sind  zunächst  die  Maler  der  Phantasie,  die 
die  Natur  mit  ihrer  eigenen  poetischen  Empfindung 
ansehen,  ohne  sich  um  Schule  und  Manier  zu  küm- 
mern, und  die  deren  Wirkungen  in  eigentümlicher 


s.ilon    1845  111 

Form  ausdrücken,  an  der  man  jeden  einzelnen  von 
vornherein  erkennt.  So  sind  Thöodore  Rousseau,  De- 
camps,  Jules  DupnS,  Marilhat  Meister,  die  niemand 
kopieren,  weder  aus  der  Gegenwart  noch  aus  der 
Vergangenheit,  und  die  nur  von  ihrer  eigenen  Ein- 
gebung abhängen. 

Dann  findet  man  eine  Art  dunkles  Anhängsel 
der  Schule  Gaspar  Dughets,  deren  Anspruch  dahin 
geht,  die  Natur  nach  einem  überlegten  Verfahren 
zu  komponieren,  indem  sie  hier  und  da  einige 
monotone  Massen  gegen  einen  trüben  Himmel 
setzen,  die  Linien  wie  einfache  Geometer  auf 
der  Suche  nach  einem  wissenschaftlichen  Problem 
verschieben.  Das  ist  nicht  das  Mittel,  um  die 
Aufgabe  der  Poesie,  der  schönen  Bilder  und  der 
Farbe  zu  lösen.  Die  Kunst  verfährt  denn  doch  an- 
ders als  die  Wissenschaft,  und  ihr  wesentlicher  Cha- 
rakter besteht  in  der  Ursprünglichkeit.  Die  Re- 
flexion ist  in  den  Künsten  nur  das  zweite  Gesicht, 
das  den  freien  unmittelbaren  Eindruck  vervoll- 
ständigt, ihn  aber  keineswegs  allein  zu  ersetzen 
vermöchte. 

Drittens  gibt  es  noch  eine  Menge  von  Land- 
schaftern, die  sich  mit  „Gemeinplätzen"  begnügt. 
Der  Ausdruck  paßt  hier  vortrefflich  und  ohne  Über- 
tragung. Die  allbekannten  und  oft  betretenen  Plätze, 
der  ganz  gewöhnliche  Anblick  ganz  gewöhnlich  ge- 
malt, das  genügt  der  überwiegenden  Mehrzahl  der 
Landschafter.  Sie  sehen  in  der  Natur,  was  alle  All- 
tagsmenschen darin  sehen:  Bäume,  Hügel,  Flüsse, 


1 L2  LancUchaftimalerei 


Kräuter  und  Steine;  aber  sie  erfassen  niemals  die 
tiefen  Unterschiede  des  Temperaments  in  allen  die- 
sen Wesen,  die  ein  individuelles  Leben  durchdringt 
und  deren  bewegliche  Physiognomie  je  nach  der 
Tageszeit  und  nach  dem  Sonnenstand  aufleuchtet. 
So  bringen  ja  die  oberflächlichen  Porträtmaler 
auch  regelmäßig  in  jedem  Gesicht  eine  Nase,  ein 
Paar  Augen  und  das  übrige  an,  ohne  den  unter- 
scheidenden Charakter  der  Züge  und  die  grund- 
legende Einheit  der  Physiognomie  wiederzugeben. 
Die  Natur  ist  wie  ein  Mensch:  sie  hat  ihre  Sorgen 
und  ihre  Leidenschaften,  ihre  Torheiten  und  ihren 
Kummer,  ihre  Erregung  und  ihre  Heiterkeit.  Die 
poetischen  Seelen  haben  Verkehr  mit  diesem  ge- 
heimnisvollen Leben,  das  uns  alle  umgibt  und  un- 
aufhörlich beeinflußt.  Die  großen  Künstler  sind 
diejenigen,  die  jene  Tonstellen  zu  treffen  wissen. 
Die  Kunst  und  die  Kritik  haben  nichts  mit  der 
gleichgültigen  Malerei  jener  Handwerker  zu  schaf- 
fen, denen  jeder  Fortschritt  durch  das  Schicksal 
versagt  ward.  Es  kommt  nicht  darauf  an,  ob  ihre 
Ausführung  mehr  oder  minder  geschickt  ist.  Alle 
Welt  kann  Wörter  in  Reihen  zu  zwölf  Silben 
aneinanderhängen,  mit  einem  Reim  am  Ende  als 
Korporal;  aber  damit  ist  man  noch  kein  Dichter. 
Man  wird  auch  kein  Komponist,  wenn  man  eine 
Reihe  mit  Noten  zusammenbringt.  Es  bedarf  der 
Harmonie,  wie  in  den  Versen  der  Bedeutung,  und 
noch  viel  andrer  Eigenschaften,  die  man  mit  einem 
Namen  —  Kunst  —  begreift.    Die  Gemeinplätze  in 


Salon  1845  I L8 

der  Landschaft  sind  noch  viel  bedeutungsloser  als 
in  der  Musik  und  in  der  Literatur. 

Daß    die   Maler   von   solcher   Nichtigkeit   noch 
nützlich  seien,  wie  man  sagt,  um  den  Geschmack  für 
die  Malerei   wenigstens  bei   den   ungebildeten   Or- 
ganisationen zu  erwecken,  denen  es  nicht  gegeben 
ward,   die   Schönheit   der  Natur   selbst   auf  einmal 
und  ohne  Erziehung  dazu  zu  begreifen,  das  ist  doch 
sehr  bestreitbar.    Die  Poesie  des  Himmels  und  der 
Erde    ist    so   strahlend    und    eindringlich,    daß    sie 
manchmal    ganz    plötzlich    Geister    erleuchtet,    die 
sonst  noch  völlig  unberührt  von  jedem  Eindruck 
blieben.    Die  Landschaftsmalerei  ist  übrigens   viel 
weniger   konventionell   als   die   Porträtmalerei   und 
die  Historie.    Man  denke  nur  an  das  Erlebnis  jenes 
Malers,  den  ein  gewisser  Herr  Jourdain  für  die  Auf- 
gabe erwählt  hatte,  sein  Bildnis  nach  dem  Leben 
darzustellen.    Er  machte  einen  guten  Kopf,  ordent- 
lich modelliert  mit  Lichtern  und  Schatten.   Als  aber 
Herr  Jourdain,  ermüdet  von  der  langen  Sitzung,  auf- 
stand, um  sich  das  Bild  anzusehen,  schrie  er  laut 
auf  und  sagte,  die  ganze  eine  Seite  seines  Gesichts 
sei  ja  beschmutzt,  und  seine  Haut  sei  doch  auf  der 
einen  Seite  so  weiß  wie  auf  der  andern,  sein  blaues 
Kostüm  sei  auch  ganz  nagelneu  und  aus  einerlei  Tuch 
gemacht,  dort  aber  sei  es  ganz  willkürlich  befleckt. 
Wer  war  überrascht  ?  Der  Maler  gewiß.   Indessen, 
da  das  Urbild  darauf  bestand,  seine  ganze  weiße 
Hautfarbe  und  sein  hartblaues  Gewand  unverküm- 
mert  zu  erhalten,  weil  er  für  sein  Geld  bedient  sein 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  8 


1 U  Landschaftsmalerei 


wolle,  wie  es  ihm  gefalle,  so  nahm  der  Maler  seine 
Palette  wieder  zur  Hand.  Als  er  die  Halbtöne  mit 
gleichem  hellen  Ton  bedeckt,  und  recht  ebenmäßig 
flach  hergestellt  hatte,  erklärte  Herr  Jourdain  sich 
für  wohlgetroffen  und  nahm  sein  Porträt  mit,  ganz 
glücklich,  dies  herrliche  Abbild  seiner  selbst  auf 
die  Nachwelt  zu  vererben. 

Die  Abstufung  des  Lichtes  und  die  Harmonie 
des  Helldunkels,  der  Kontrast  der  Schatten,  die 
alle  Modellierung  der  Körper  hervorbringen  und 
alle  Wirkungen  konzentrieren,  setzen  gar  manchen 
Maler  in  Verlegenheit.  Und  die  Menge  ihrerseits 
bevorzugt  die  gleichmäßig  hellen  Gemälde,  wie  die 
Smala  von  Horace  Vernet.  Mit  mehr  Kühnheit  der 
Lichtführung  nnd  mehr  Kraft  in  der  Wirkung  würde 
Vernet  gewiß  viel  weniger  Erfolg  erzielen. 

In  der  Landschaft  aber  kommt  es  vor  allen 
Dingen  auf  das  Gefühl  für  Lichtwerte  oder,  anders 
ausgedrückt,  für  die  Farbe  an.  Die  Dämmerungs- 
maler aus  der  Ingres-Schule  haben  höchstens  einen 
Zeitpunkt  im  Tageslauf,  wo  die  Natur  einigermaßen 
ihren  Gemälden  nahe  kommen  kann:  des  Abends, 
wenn  die  Sonne  untergegangen  ist,  bei  bedecktem 
grauem  Himmel.  Ich  habe  diesen  flüchtigen  Zu- 
fall zuweilen  erhascht,  währenddessen  alle  Dinge 
den  selben  Wert  zu  haben  scheinen,  obwohl  man 
sie  noch  mit  Sicherheit  unterscheiden  kann.  Die 
Bäume,  die  Glockentürme,  die  Häuser,  die. mensch- 
lichen Personen,  alles  zeichnet  seine  unbewegliche 
Silhouette  gegen  den  eintönigen  Grund;  aber  man 


S.ilon   1845  U5 

muß  das  Relief,  die  Verhältnisse  und  die  Perspek- 
tive hinzudenken;  die  lebendige  Wirklichkeit  geht 
unter   einem   traurigen   Schleier   verloren. 

Nehmen  wir  einmal  an,  in  jener  Übergangs- 
jahreszeit, wo  die  Natur  nicht  mehr  den  winter- 
lichen Charakter  bewahrt,  aber  den  frühlingsmäßi- 
gen noch  nicht  angenommen  hat,  betrachteten  wir 
die  Landschaft  in  eintönigem  düsterm  Wetter:  die 
Erde  ohne  Grün  und  kalt,  die  Bäume  kahl,  der  Him- 
mel ohne  Wandel.  Dann  fiele  durch  einen  Zauber 
plötzlich  der  Schmuck  des  Frühlings  über  die  Erde, 
mit  vollem  Überfluß  an  Sonnenschein:  alles  be- 
kommt Farbe,  belebt  und  erheitert  sich,  leuchtet 
und  strahlt.  Das  ist  der  Unterschied  der  Land- 
schaften von  Paul  Flandrin,  Desgoffe,  Achille  Be- 
nouville,  Chevandier  und  andern  gegenüber  den 
Landschaften  von  Rousseau,  Dupre  und  Marilhat. 

Dies  Verfahren  in  der  Ingres-Schule  ist  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  begreiflich  für  die  Malerei 
historischer  oder  familiärer  Gegenstände;  aber  nicht 
für  die  Landschaft.  Wenn  man  irgend  einen  Vor- 
gang malt,  dann  verfügt  man  über  seine  Erfindung 
und  seine  Personen.  Man  hat  das  Recht,  für  die 
Handlung  auch  einen  mehr  oder  minder  freigewähl- 
ten Schauplatz,  eine  Operndekoration,  einen  Phan- 
tasierahmen zu  schaffen,  der  auch  das  Innerste  der 
Komposition  mit  abwandelt.  Rembrandt  dagegen, 
hat  er  nicht  so  seltsame  Beleuchtungsweisen,  daß 
sie  vielleicht  unmöglich  scheinen,  aber  sicher  sehr 
poetisch  wirken?    In  der  Landschaft  aber  können 


11»'»  Landschaftsmalerei 


die  Bedingungen  des  Sonnenlichts  nicht  ganz  nach 
Belieben  umgestaltet  werden.  Wenn  man  keine 
Figur  in  vollem  Licht  zu  malen  versteht,  so  kann 
man  versuchen,  sie  in  eine  Höhle  einzuschließen 
und  eine  Lampe  dabei  anzünden;  aber  draußen  auf 
dem  Lande  kann  man  das  Licht  der  Sonne  nicht 
auslöschen  und  Kerzenlicht  an  die  Stelle  setzen. 
In  diesen  Tagen  wurde  mir  in  Belgien  eine 
kleine  Geschichte  erzählt,  die  ganz  einfach,  aber 
für  diese  Frage  nach  dem  Licht  in  der  Malerei  sehr 
lehrreich  ist.  —  Um  1825  lebte  im  Haag  eine  arme 
mit  Kindern  beladene  Frau.  Ihr  Nachbar,  der  Gla- 
ser, nahm  einen  der  kleinen  Buben  in  seine  Werk- 
statt. Aber  der  kleine  Peter  lernte  gar  nichts.  Er 
zerbrach  die  Scheiben  und  brachte  seinen  Meister 
schier  zur  Verzweiflung.  Wenn  er  dem  Burschen 
irgend  einen  alten  angemalten  Stich  zum  Einrahmen 
gab,  den  „ewigen  Juden"  oder  den  „verlorenen 
Sohn",  so  konnte  Peter  kein  Ende  finden,  um  desto 
länger  seinen  Schatz  vor  Augen  zu  haben,  und  der 
ewige  Jude  irrte  bald  auf  allen  Wänden  der  Werk- 
statt und  allen  Mauern  der  Nachbargassen  herum. 
—  Die  Klagen  des  Glasermeisters  zogen  endlich  die 
Aufmerksamkeit  seiner  Kunden  auf  den  jungen  Ar- 
beiter. Es  wurden  ihm  Stiche  geliehen,  um  sein 
Talent  auf  die  Probe  zu  stellen,  und  ein  reicher 
Buchhändler,  der  die  Künste  beschützte,  schickte 
ihn  auf  die  Akademie  nach  Antwerpen,  wo  er  auch 
einen  Preis  für  Figurenzeichnen  errang.  Piet  war 
Maler   geworden,    und   seine   Porträts    wurden   ge- 


Salon   1845  117 

schätzt;  aber  in  seiner  Malerei  war  ein  radikaler 
und  unverbesserlicher  Fehler.  Piet  sah  gelb  und 
malte  ohne  Unterschied  gelb,  was  auch  die  Farbe 
seines  Vorbilds  sein  mochte.  Man  denke  sich  die 
Gelbsucht  statt  der  gesunden  Röte  auf  den  derben 
Gesichtern  der  Vlamen.  Und  ebenso  unbarmherzig 
wurden  die  frischen  jungen  Mädchen  mit  Eigelb  an- 
geschmiert. Die  Okerfarbe  ward  sein  Unglück. 
Aber  wir  werden  sehen,  die  Okerfarbe  ward  auch 
seine  Rettung. 

Eines  Abends  war  er  mit  seiner  Geliebten  im 
Atelier;  sie  arbeitete  beim  rötlichen  Schein  einer 
schlechten  Lampe  am  Nähtisch,  er  lag  ausgestreckt 
auf  einer  Pritsche  und  rauchte  seine  Pfeife.  Da  er- 
hob er  sich  plötzlich,  wie  von  einem  Geist  besessen. 
Er  hatte  in  der  Wirklichkeit  die  Farbe  und  die  Licht- 
wirkung geschaut,  die  er  unbewußt  bei  allen  seinen 
Malereien  anwandte,  und  machte  sich  mit  Zuver- 
sicht an  die  Arbeit.  Er  malte  sein  kleines  Interieur 
„die  Frau  bei  der  Lampe".  Am  nächsten  Morgen 
erregte  sein  Lichteffekt  Verwunderung,  und  sein 
Erfolg  war  gesichert.  Die  Sonne  hatte  ihn  bis  da- 
hin gestört;  c:  setzte  eine  Lampe  an  ihre  Stelle. 
Heute  gilt  Piet  van  Schendel  als  guter  holländi- 
scher Maler,  und  seine  Bilder  werden  teuer  bezahlt. 

Es  ist  leichter,  eine  Lampe  in  der  Stube  zu  malen, 
als  die  Sonne,  die  überall  ist.  Das  Tageslicht  be- 
sitzt eine  durchdringende  Lebenskraft,  die  alle  Kör- 
per umfließt  und  bis  in  die  verborgensten  Winkel 
reicht.  Es  gibt  nur  ein  Element,  das  allen  Arten  der 


11*  l..iudschaftsmalerei 


Malerei  gemeinsam  ist  und  das  zu  gleicher  Zeit  be- 
sonders die  Landschaft  beherrscht,  das  ist  das  Licht. 
Wie  sollte  man  also  das  System  Desgoffes  oder 
Flandrins  gutheißen,  mögen  sie  auch  sonst  noch  so 
achtenswerte  Vorzüge  besitzen. 

Unglücklicherweise  sind  in  diesem  Salon  keine 
Bilder  unsrer  ersten  Landschaftsmaler  vorhanden, 
die  wir  ihnen  gegenüberstellen  könnten.  Die  Mei- 
ster fehlen  diesmal.  Aber  man  findet  doch  einiger- 
maßen ihresgleichen  in  einigen  ausgezeichneten  Ta- 
lenten und  ihren  Einfluß  bei  einer  großen  Zahl 
junger  Maler,  die  Gefühl  für  die  Natur  und  treff- 
liche Praxis  besitzen. 

Francais  sucht  wie  Rousseau  die  Poesie  der 
Effekte.  Seine  Landschaft,  „der  Abend"  genannt, 
ist  ein  reizendes  Nest  am  Rand  einer  Quelle,  un- 
ter dem  geheimnisvollen  Schatten  der  Weiden  und 
Gebüsche.  In  dem  ovalen  Raum,  wie  eine  Wiege, 
sind  zwei  junge  Mädchen,  sichtlich  beglückt  auf 
der  Welt  zu  sein.  Die  eine,  halb  nackt,  berührt  mit 
ihrem  kleinen  Fuß  das  klare  ruhige  Wasser,  die 
andre,  mit  Blumen  bekränzt  und  in  weite  Draperie 
gehüllt,  liegt  ausgestreckt  auf  dem  Rasen.  Die 
untergehende  Sonne  sendet  ihre  Strahlen  in  Orange 
und  Violett  durch  den  Weidenhag.  Die  Gegend 
ist  bezaubernd.  Francais  liebt  keine  Gemeinplätze. 
Er  weiß  die  rechte  Stelle  zu  finden,  wie  wir  ge- 
legentlich von  Delacroix  sagen  konnten,  er  wisse 
den  rechten  Augenblick  zu  wählen. 

Das  Gegenstück  zu  dieser  Abendstimmung  ist 


OD    1845  II'' 

eine  Landschaft  in  vollem  Licht :  ,, Ansicht  von 
Bougival",  an  der  Seine,  die  fast  die  ganze  Bild- 
fläche einnimmt.  Da  bleibt  in  dem  Bilde  von  Fran- 
cais nichts  übrig,  als  in  den  Nachen  zu  steigen 
und  sich  treiben  zu  lassen,  den  Fluß  entlang,  bei 
den  Fischern  vorbei,  die  im  Weidengebüsch  stecken, 
bei  schwimmenden  Wasserlilien  und  den  kleinen 
waghalsigen  Booten.  Die  Aussicht  ist  herrlich  und 
erquickend  von  unserm  Schifflein.  Wir  haben  fri- 
sches Laubwerk  am  Rande  und  als  Hintergrund,  wie 
ein  Amphitheater,  den  Kranz  bläulicher  Hügel. 

Troyon  hat  auch  eine  ausgezeichnete  Land- 
schaft geliefert,  wo  man  im  Vordergrund  ebenso  ins 
Wasser  gerät.  Aber  es  genügt,  sich  ein  bißchen  auf- 
zuschürzen,  und  man  wird  nur  bis  zu  den  Knöcheln 
naß  in  den  fröhlichen  kleinen  Wellen  des  plät- 
schernden Baches,  wo  ein  stehender  Mann  mit  der 
Angel  fischt.  Das  Bächlein  geht  vor  uns  in  die  Tiefe 
hinein.  Etwas  nach  rechts  verliert  es  sich  im  hellen 
Gelände.  Links  verraten  entblätterte  Eichen  schon 
die  Nachbarschaft  des  Waldes  von  Fontainebleau. 
Die  Ausführung  der  vorderen  Gründe  ist  von  einer 
Kraft  und  einem  Glanz,  die  prachtvoll  wirken.  Die 
Stämme  der  Eichen  sind  stark,  mit  vieldurchfurch- 
ter Rinde.  Aber  diese  Energie  des  Pinsels,  diese 
Fülle  des  pastosen  Auftrags,  die  für  feste  und  nahe 
Gegenstände  sich  so  wunderbar  ausnehmen,  sind 
für  die  Ausführung  des  oberen  Teils  im  Bilde,  des 
Blattwerks,  der  Fernen  und  des  Himmels  nicht  mehr 
geeignet.    Der  Fehler  Troyons  ist  die  Anwendung 


1  ft  i  Landschaftsmalerei 


des  gleichen  Verfahrens,  ob  er  eine  kleine  flockige 
Wolke  oder  zarte  bewegliche  Blätter,  oder  ob  er 
Steine  und  Erdreich  zu  malen  hat.  Hier  unten 
gibt  das  Impasto  einen  erforderlichen  Grad  von 
Festigkeit,  dort  in  der  Luft  und  in  der  Ferne  wird 
es  Schwere  und  Unbeweglichkeit.  Hätte  die  höhere 
Region  der  Landschaft  mehr  Leichtigkeit  und 
Durchsichtigkeit,  so  wäre  dies  Gemälde  von  Troyon 
vielleicht   die   beste   Landschaft    im   Salon. 

Die  „Ansicht  von  Caudebec"  ist  minder  glück- 
lich und  läßt  so  recht  die  Mängel  dieser  über- 
kräftigen Ausführung  erkennen,  die  der  Weichheit 
und  Mannigfaltigkeit  entbehrt.  Das  Licht  ist  hier 
auf  alle  vorspringenden  Teile  der  Gegenstände  ver- 
streut, wie  es  Giroux  ehedem  tat,  und  das  Auge, 
das  an  allen  Ecken  und  Enden  gereizt  wird,  weiß 
nicht,  wo  es  ausruhen  soll. 

Louis  Leroy  hat  sich  auch  wie  Troyon  von 
dem  Machwerk  des  Impasto  verleiten  lassen,  das 
bei  allen  Schwierigkeiten  der  Ausführung  ohne 
Maß  verwendet  wird.  In  seinem  „Reitweg  nach 
dem  Teich  von  Trivaux  hinunter  im  Gehölz  von 
Meudon"  schweift  der  Blick  über  mehrere  Etagen 
von  Unterholz,  das  sich  vortrefflich  modelliert  und 
sanft  in  einem  Halbschatten  verliert,  um  sich  dann 
inleuchtenden  Enden  zu  erheben,  abermals  nieder- 
zugehen und  endlich  mit  dem  Horizont  zu  ver- 
schmelzen. Diese  Straße,  endlos  wie  der  Weg  zum 
Paradiese,  bald  hügelig,  schroff  aufsteigend,  bald 
abschüssig   wie   ein   Abhang,    ist    eine   Kraftprobe, 


Salon   1845  121 

so  ganz  von  vorn  gesehen  und  unentwegt  gerade 
verlaufend.  Es  handelte  sich  darum,  zwei  Meilen 
Band  zu  malen  in  der  Länge  des  Zeigefingers.  Da 
hat  nun  Lcroy  etwas  unpassend  sein  Impasto  ver- 
schwendet, besonders  um  den  Glanz  der  Lichter 
herauszubringen.  Es  ist  starke  Betonung  nötig,  also 
schnell  ein  Pack  Farbe  drauf.  Die  Richtigkeit  eines 
schönen  Tons  würde  dazu  hingereicht  haben;  aber 
leichtes  und  schnelles  Verfahren  hat  wohl  seine 
Verlockung.  Unsre  Maler  sind  heute  im  allgemeinen 
so  geschickt,  daß  sie  noch  dahin  kommen  werden, 
die  einfachsten  und  natürlichsten  Mittel  durch  die 
verzwacktesten  zu  ersetzen.  Der  leichte  Farben- 
auftrag, der  kaum  die  Leinwand  oder  die  Tafel 
deckt  und  feine  durchsichtige  Töne  gibt,  ist  von 
der  zeitgenössischen  Schule  fast  ganz  verlassen,  wäh- 
rend er  die  Grundlage  der  Praxis  bei  den  alten 
holländischen  und  vlämischen  Meistern  ausmachte. 
In  den  Gemälden  Rembrandts,  Pieter  de  Hoochs, 
der  Cuyp,  Ostade,  Brouwer,  Craesbecke  und  Te- 
niers  bieten  drei  Viertel  des  Ganzen  oft  nur  einen 
flüchtigen  Anstrich,  von  dem  sich  die  Personen  und 
die  Hauptgegenstände  abheben;  da  weht  denn  auch 
Luft  überall  in  diesen  feinen  Malereien,  und  die 
technischen  Maßnahmen  der  Ausführung  sind  der- 
art verdeckt,  daß  sie  noch  heute  für  die  scharf- 
sichtigsten Praktiker  ein  Geheimnis  bleiben. 

Die  zweite  Landschaft  von  Louis  Leroy  stellt 
den  „Lärchentannenweg  im  Walde  von  Fontaine- 
bleau"  dar.    Die  allgemeine  Färbung  ist  hier  etwas 


Landschaftsmalerei 


allzu  gelb,  aber  die  Zeichnung  entbehrt  nicht  der 
Eleganz.    Leroy  hat  schon  sehr  ausgezeichnete  Ra 
dierungen   herausgegeben. 

Paul  Huet,  dem  zwei  Bilder  abgelehnt  sind, 
als  ob  er  nicht  ein  hervorragender  Künstler  wäre, 
der  gewissermaßen  durch  fünfzehn  bis  zwanzig  Jahre 
gewissenhafter  Studien  und  unausgesetzten  Strebens 
geweiht  dasteht,  Paul  Huet  hat  nur  eine  Landschaft 
im  Salon.  Es  ist  ein  „altes  Schloß  auf  Felsen". 
Die  Gegend  ist  melancholisch  und  sehr  malerisch. 
Das  Gerippe  der  Ruinen  mit  ihren  offenen  Löchern 
zeichnet  sich  gegen  den  Himmel,  und  die  Seiten  des 
Berges  mit  rötlichem  Gestrüpp  sind  in  geheimnis- 
volle Schatten  gehüllt.  Paul  Huet  hat  oft  Großheit 
und  Poesie  gefunden. 

Ein  andrer  junger  Maler  wird  auch  von  den 
großen  poesievollen  Ansichten  der  Natur  gefangen 
genommen:  Teytaud  hat  eine  große  Leinwand 
ausgestellt,  die  mit  einer  Phantasielandschaft  ge- 
schmückt ist,  mit  dem  Titel  ,, Idylle".  Er  hat  sich 
an  den  schönen  Versen  Andre"  Ch£niers  begeistert : 

„O  coteaux  d'Erymanthe!  o  vallons!  6  bocage! 
„O  vent  sonore  et  frais  qui  troublait  le  feuillage, 
„Et  faisait  fremir  l'onde,  et  sur  leur  jeune  sein 
„Agitait  les  replis  de  leur  robc  de  lin." 

Die  „Idylle"  Teytauds  hat  Frische  und  Eleganz 
und  verrät  ein  lebhaftes  Verlangen  nach  Schönheit ; 
aber  der  Rahmen  ist  zu  groß  und  die  Komposition 
zu  leer.    Die  Erfahrung  wird  ihn  lehren,  daß  man 


Salon    1845  1-:'' 

die  nämlichen   Vorzüge   in   beschränkterem   Raum 
entfalten  kann. 

Corot  hat  auch  seine  gewohnten  Idyllen  ge- 
dichtet, eine  „Daphnis  und  Chloe"  und  zwei  andre 
Landschaften.  Es  ist  eine  naive  und  harmonische 
Malerei  in  einer  sehr  schwachen  Tonleiter.  Die 
Anordnung  der  Bäume  hat  oft  viel  Anmut,  und  ein 
sanftes  Licht  badet  die  Gründe. 

Flers  hat  zwei  Landschaften  ausgestellt,  die 
saftig,  solid,  und  reichlich  gefüllt  sind.  Das  Land 
ist  bei  Flers  immer  gesund  und  fruchtbar.  Wir 
können  über  die  Ernte  und  den  Weidestand  be- 
ruhigt sein.  Die  Bauern  und  die  Herden  werden 
nichts  entbehren. 

Ein  junger  Maler,  der  zuerst  auftritt,  Haffner 
ist  der  Autor  zweier  Landschaften,  die  starke  Vor- 
züge aufweisen.  Die  „deutsche  Brauerei"  aus  der 
Umgebung  von  München,  erinnert  etwas  an  Diaz, 
und  seine  „Sümpfe  bei  Dax"  können  den  besten 
Landschaften  des  Salons  beigezählt  werden.  Es 
ist  Abend ;  die  schweren  Töne  der  untergegangenen 
Sonne  leuchten  noch  in  rötlichen  Streifen  am  Hori- 
zont; die  Feldarbeiter  kommen  mit  ihren  heubela- 
denen,  von  kräftigen  Ochsen  gezogenen  Wagen 
heim.  Die  Umrisse  verlieren  sich  schon  im  Schat- 
ten ;  aber  diese  Gruppe  von  Figuren  um  den  Wagen 
ist  von  außerordentlich  richtiger  und  malerischer 
Wirkung. 

Coignard  hat  sich  dem  Einfluß  von  Diaz 
auch  nicht  entziehen  können.  Seine  „Kühe  in  einem 


1-1  Landschaftsmalerei 


Walde"  sind  eine  Reminiszenz  an  die  schöne  Land 
schaft  der  „Zigeuner".  Die  Farbe  ist  fein,  glänzend 
und  geistreich.  Die  kleinen  Kühe  schimmern  in- 
mitten der  Bäume  und  Gesträuche.  Coignard  sollte 
sich  nun  jedoch  von  Nachahmung  eines  andern  frei- 
machen. 

Das  „Weideland  in  Camargue"  von  Loubon 
scheint  nach  der  Natur  gemalt.  Das  Unwetter  droht 
am  Himmel,  und  die  hohen  Gräser  schwanken  unter 
dem  Winde  wie  Wogen  des  Meeres.  Eine  Kuhherde, 
die  bis  an  die  Schnauzen  in  diese  üppigen  Wiesen- 
gründe hinein  taucht,  gerät  beim  Herannahen  des 
Sturmes  in  Unruhe.  Die  einen  erheben  erstaunt  ihren 
Kopf,  den  die  Vögel  im  Flug  mit  ihren  Schwingen 
streifen.  Die  andern  brüllen  vor  sich  hin  oder  kauen 
traurig  weiter.  Einige  bleiben  noch  gleichgültig 
beim  Mahl  der  zarten  Kräuter;  das  Haupt  in  dem 
dichten  Futter  vergraben,  lassen  sie  nur  die  Höhe 
ihrer  langen  Rücken  sehen,  die  sich  wie  kleine 
Barken  zwischen  den  Wogen  abzeichnen.  Es  be- 
glückt, einen  so  originellen  Anblick  in  der  Malerei 
genießen  zu  können. 

Dann  ist  noch  eine  ganze  Schar  junger  Maler 
da,  die  Landschaften  in  recht  guter  Stimmung 
malen,  deren  Bilder  wir  jedoch  nicht  alle  be- 
schreiben können,  wie  Curzon,  Gr£sy,  Achard,  La- 
pierre,  Lavieille,  Toudouze,  Brissot,  Bellel  usw.  Wir 
werden  ihnen  gewiß  in  den  nächsten  Salons  wieder 
begegnen. 


Salon   1845  1-,) 

Unter  den  weiblichen  Malern  widmen  sich  nur 
dreizehn  —  die  Zahl  ist  bös  —  der  Landschaft. 
Erwähnenswert  ist  besonders  Rosa  Bonheu r, 
deren  Stiere  auf  der  Weide  besser  sind  als  die  von 
Brascassat.  Sonst  lieben  die  malenden  Damen  die 
Landschaft  noch  weniger  als  die  kleinen  empfind- 
samen Genreszenen,  als  Blumen  oder  auch  Bildnisse. 


1846 

Unsere  Landschafterschule  liebt  seit  einigen 
Jahren  das  poetische  Bestreben.  Es  gibt  drei  oder 
vier  junge  Maler,  die  so  viel  wert  sind  wie  die  alten 
Meister,  und  die  sogar  ganz  neue  Elemente  in  ihre 
Kunst  hineingetragen  haben,  wie  die  Mannigfaltig- 
keit des  Tones,  die  von  den  Holländern  niemals 
gesucht  wurde.  Ruisdael  ist  unveränderlich  grün; 
Huysmans  von  Mecheln  ist  braun;  van  Goyen  ist 
grau:  jeder  hat  seine  Dominante,  aus  der  kaum  et- 
was entlegenere  Nuancen  hervortreten.  Das  ist  Har- 
monie, ohne  Zweifel;  aber  etwas  monotone  Har- 
monie. Wie  groß  auch  die  Überlegenheit  der  alten 
Meister  sein  mag,  gewiß  kann  die  Malerei  auf  dieser 
Seite  noch  gewinnen.  Das  hat  unsre  neue  Schule 
unternommen,  und  bis  zu  einem  gewissen  Grad  er- 
reicht bei   einem  oder  zwei   der  geschicktesten. 

Frang ais  kommt  in  ihrem  Gefolge,  vorwie- 
gend wie  sie  mit  der  ländlichen  Poesie  und  dem 
Reichtum  des  Ausdrucks  beschäftigt.  Seine  kleine 
Landschaft,  die  Meissonier  illustriert  hat,  erntet 
großen  Beifall  im  Salon  carre.  Sie  ist  für  1500  Francs 
an  einen  Liebhaber  verkauft,  der  noch  nicht  genannt 
wird.    Es   ist   eine   der  eigenartigsten   Seltenheiten 


Salon   1846  127 

in  der  heutigen  Malerei.  Die  Figuren  Meissoniers 
sind  so  fein,  so  geistreich,  daß  sie  das  Blattwerk 
der  Bäume  von  Frangais  etwas  schwer  erscheinen 
lassen,  obgleich  die  Ausfürung  der  Landschaft  sehr 
zart  ist. 

Die  „untergehende  Sonne"  rötet  den  Hinter- 
grund einer  entzückenden  Landschaft,  die  von  einem 
Fluß  bewässert  wird.  Ein  Fischer  sitzt  daran.  Jeder 
Fluß  bringt  einen  Fischer  oder  eine  Badende  mit 
sich.  Der  Himmel  ist  mit  Wolken  von  eigenartiger 
Form  und  rubinroter  Glut  bestreut.  Die  Wirkung 
ist  hochpoetisch. 

In  seiner  dritten  Landschaft,  die  „Nymphen" 
betitelt,  fühlt  man  etwas  zu  sehr  die  studierte  Kom- 
position durch.  Wir  wollen  doch  nicht  in  die  hi- 
storische Landschaft  nach  Art  von  Remond  oder 
Bidauld  zurückfallen,  die  die  Natur  für  irgendeine 
mythologische  Szene  zurechtmachen,  indem  sie 
Niobe  oder  Diana  zwischen  Bäumen  und  Boden 
verschwimmen  lassen. 

Frangais  veröffentlicht  in  diesem  Augenblick 
zugleich,  im  Verein  mit  Charles  de  Tournemine,  ein 
reizendes  Album  unter  dem  Titel  „les  Artistes  con- 
temporains".  Die  erste  Lieferung  enthält  vier  aus- 
gezeichnete Lithographien  nach  Decamps,  Maril- 
hat,  Roqueplan  und  Jules  Dupre*.  Die  zweite  soll 
Rousseau,  Cabat,  Decamps  und  Francais  selbst  um- 
fassen. In  den  folgenden  Lieferungen  kommen 
dann  Eugene  Delacroix,  Bonington,  Diaz,  Vidal, 
Raffet,  Gavarni,  Dauzats,  Isabey  usw.  Die  Auswahl 


Landschaftsmalerei 


ist  vorzüglich,  und  solch  ein  Album  wird  ohne 
Zweifel  sehr  willkommen  sein,  sowohl  für  die  Salon- 
tische,  wie   für   die   Mappen   der   Sammler. 

Cabat,  den  wir  so  sehr  lieben,  erscheint  auch 
wieder  im  Salon.  Aber  ach  I  er  hat  seinen  Aufent- 
halt in  den  Schatten  eines  ausländischen  Klosters 
beibehalten.  Man  sollte  ihm  doch  eine  Wohnung 
in  den  Ateliers  des  Instituts  anbieten.  Italien  wird 
verhängnisvoll  für  die  naive  und  aufrichtige  Be- 
gabung Cabats.  Er  täte  besser  daran,  auf  einem 
Bauernhof  der  Normandie  zu  wohnen  als  in  einem 
Kloster.  Es  ist  merkwürdig:  für  die  Mehrzahl  der 
Künstler,  die  sich  im  Süden  einleben,  verschleiert 
sich  die  Sonne.  Wenn  Italien  ihren  Geist  öffnet, 
so  verschließt  es  ihre  Augen.  Cabat  hat  sicherlich 
nach  Seite  der  Komposition  und  des  Stiles  ge- 
wonnen; aber  er  hat  recht  verloren,  was  Licht, 
Reichtum  und  Mannigfaltigkeit  betrifft.  Gaspar 
Poussin  hat  ihn  verhext  wie  so  manche  andre.  Ca- 
bat denkt  nicht  mehr  so  viel  an  die  äußere  Natur; 
er  betrachtet  die  Landschaft  in  seinem  Geist,  und 
bildet  sich  ein,  eine  Gegend  besser  anordnen  zu 
können,  als  es  die  Natur  mit  ihrem  allmächtigen 
Zauber  vermocht  hat.  Es  gibt  aber  nur  einen  ein- 
zigen Künstler  auf  der  Welt,  der  in  der  sogenannten 
stilisierten  Landschaft  Erfolg  gehabt  hat:  das  ist 
Nicolas  Poussin.  Es  ist  wahr,  Poussin  hatte  sie  eben 
selbst  erfunden.  Aber  alle  die  ihn  nachzuahmen 
versucht  haben,  sind  noch  zu  einem  falschen  System 
irregeleitet  worden. 


Salon  1846  L29 

Die  „komponierte"  Landschaft  ist  übrigens  eine 
unbestreitbare  Ketzerei.  Der  Mensch  kann  einen 
Menschen  schaffen,  weil  er  dessen  Typus  in  sich 
trägt;  aber  der  unnahbare  Himmel  und  die  un- 
endliche Welt  geben  ein  so  verwickeltes  und  wandel- 
bares Bild,  daß  der  Maler  die  Elemente  dazu 
aus  der  Wirklichkeit  erhaschen  muß  und  sie  dann 
nur  mit  einem  Hauch  seines  eigenen  Lebens  zu  be- 
seelen vermag.  Es  gibt  keine  Landschaften,  die  we- 
niger tief  sind  als  dieGasparDughets,  Fr.  Millets  und 
Orizontes,  mit  ihrem  Streben  nach  endloser  Ferne 
und  ihren  majestätischen  Profilen  von  Bergen  und 
Ruinen  gegen  den  Himmel.  Luft  ist  nicht  darin, 
und  gerade  der  Himmel  fehlt  ihnen.  Nun  aber  gibt 
es  kein  Land  ohne  Himmel,  d.  h.  keine  Landschaft 
ohne  Luft  und  Licht.  Wenn  man  sich  ausschließ- 
lich mit  der  Form  abgibt,  mit  den  Linien  und  dem 
Bewegungszug  der  Baumstämme  oder  mit  der  Zeich- 
nung des  Stofflichen,  so  entschlüpft  einem  der  Him- 
mel. Alle  Landschafter  wissen  wohl,  daß  der  Him- 
mel nicht  nach  der  Komposition  angebracht  werden 
kann. 

Die  beiden  Landschaften  von  Louis  Cabat 
sind  Meisterwerke,  und  doch  Irrungen.  Das  Erd- 
reich hat  eine  seltene  Festigkeit,  die  Bäume  machen 
sich  vortrefflich,  der  Lokalton  besitzt  eine  gewisse 
Kraft;  aber  das  Ganze  ist  eintönig  und  bedrückend. 
Die  Sonne  spielt  nicht  wie  ehedem  zwischen  dem 
beweglichen  Gehänge  der  Zweige. 

Eine   solche  Natur  vermag  ohne   Zweifel   Me- 

W.  Bürger.     Kumtkritik.  9 


130  Landschaftsmalerei 


lancholie  und  Seelenfrieden  einzuflößen;  aber  die 
Menschen  haben  schon  genug  solcher  abscheulichen 
Stätten  erfunden,  wie  Gefängnisse,  Kirchhöfe  und 
Klöster,  wo  man  derartigen  traurigen  Eindrücken 
begegnet.  Laßt  doch  die  Landschaft  wenigstens  ihre 
Heiterkeit  und  die  Sonne  ihre  gute  Laune  bewahren, 
um  uns  über  die  Langeweile  alles  übrigen  zu  trösten. 

Aligny  ist  auch  traurig,  obgleich  er  in  seinen 
Bildern  eine  lebhafte  Beleuchtung  und  den  hellen 
Tag  erheuchelt ;  das  liegt  an  seiner  allzu  bestimmten 
und  kleinlichen  Zeichenweise.  Seine  „italienische 
Villa"  im  Salon  carre  und  seine  „Ansicht  aus  dem 
Kirchenstaat"  sind  in  einem  wenig  harmonischen 
Hellgelb  gehalten.  Man  vermag  die  Blätter  an  dem 
Safranbaum  zu  zählen,  der  die  Mitte  dieser  Ansicht 
einnimmt.  Die  Komposition  der  Villa  ist  sehr  glück- 
lich, aber  die  eigentlich  malerischen  Vorzüge  fehlen. 
In  Lithographie  oder  Radierung  würde  sie  gewiß  Er- 
folg haben. 

Ein  junger  Maler,  den  wir  schon  in  den  vorigen 
Ausstellungen  kennen  gelernt  haben,  Charles  Le- 
roux,  hat  zwei  große  Landschaften  ausgestellt,  eine 
„Erinnerung  an  Hoch-Poitou"  und  eine  „Lande"; 
sie  hätten  gewiß  Anrecht  auf  einen  besseren  Platz  als 
sie  einnehmen.  Charles  Leroux  hat  sehr  anziehende 
Eigenschaften,  poetisches  Empfinden  und  kraft- 
volle Ausführung.  Es  fehlt  ihm  nur  das  Geschick, 
das  Stück  Landschaft,  das  er  malen  will,  in  gutem 
Verhältnis  herauszuschneiden.  Aus  seiner  „Lande" 
könnte  man  zwei  ziemlich  vollwertige  Bilder  machen. 


Salon   1846  131 

Rechts  der  Waldrand  und  wohlstudicrte  Bäume; 
links  das  kahle  Feld,  solides  Erdreich  mit  Kräutern 
in  allen  Farben  und  ein  Himmel,  der  etwas  zu 
stark  mit  Blau  und  Rot  gemustert  ist. 

In  der  „Erinnerung  an  Hoch-Poitou"  könnte 
man  auch  die  ganze  linke  Seite  wegschneiden,  die 
der  Einheit  der  Komposition  nur  widerstrebt.  Der 
Mittelpunkt  des  Bildes  ist  unabänderlich  festgelegt 
an  dem  heimlichen  kleinen  Flüßchen,  in  das  der 
Schatten  der  eleganten  Bäume  taucht,  die  einen 
Vorhang  gegen  den  Himmel  bilden.  Das  Erdreich 
im  Vordergrund,  das  Wasser,  die  Gestalt  der  hohen 
Stämme  gehören  der  guten  Schule  an,  zu  deren  Ver- 
tretern Jules  Dupre  als  einer  der  geschicktesten 
zählt.  Charles  Leroux  sollte  von  allem  etwas  we- 
niger in  seine  Bilder  bringen:  damit  würden  sie  ge- 
winnen. Wir  haben  ausgezeichnete  Entwürfe  von 
ihm  gesehen,  in  feinster  Farbe  und  ursprünglichster 
Leichtigkeit.  Das  Übermaß  der  Arbeit  an  einem  ge- 
gebenen Vorwurf  kann  zum  Fehler  werden. 

Der  Fehler  Troyons,  der  ein  geschickter  und 
energischer  Praktikus  ist,  besteht  in  der  Einförmig- 
keit seiner  Durchführung.  Alles  wird  mit  vollem 
Impasto  aufgetragen  und  wie  mit  regelmäßigem 
Pinselstrich.  Der  Grundton  seiner  Farbe  ist  ein 
Silbergrün,  auf  das  er  dann  nachträglich  vereinzelte 
Lichter  zu  setzen  scheint,  nach  der  Art  des  alten 
Landschafters  Giroux,  der  so  alle  seine  Bilder 
glitzern  ließ.  Wir  ziehen  die  kleinen  Landschaften 
vor,    besonders    die   „Studie   aus   Fontainebleau", 


132  LantJhchattMiiulerei 


und  nicht  das  große  „Tal  der  Chevreuse"  in  Hoch- 
format. 

Die  „Kuhherde  am  Rand  eines  Waldes"  von 
Coignard  ist  viel  beachtet  worden,  wie  wir  so- 
gleich am  ersten  Tage  vorausgesehen.  Es  ist  wirk- 
lich eine  der  amüsantesten  Landschaften  im  Salon. 
Wer  kranken  Gemütes  ist,  mag  nur  Halt  machen 
vor  diesem  strahlenden  Walde,  wo  die  Kühe  in  duf- 
tigen Kräutern  wühlen,  oder  vor  dem  „Frühling" 
von  Müller,  wo  alles  unter  Blumen  schimmert, 
oder  vor  den  Bildern  von  Diaz,  in  denen  die  Sonne 
niemals  untergeht.  Coignard  hat  diesem  unerschöpf- 
lichen Zauberer  wenigstens  einen  Lichtstrahl  ent- 
wendet; aber  Feuer  und  Licht  haben  ja  das  Vor- 
recht sich  mitzuteilen  ohne  auszulöschen.  Diaz  hat 
all  seine  Sonne  bewahrt,  obwohl  Coignard  sich  an 
seinem  Feuer  entzündet  hat. 

Corot  hätte  eines  lebendigen  Funkens  nötig. 
Mit  etwas  höherer  Wärme  würde  seine  „Ansicht 
von  Fontainebleau"  eine  vorzügliche  Landschaft 
sein.  Das  Temperament  ist  gut,  die  Stimmung  po- 
etisch, das  Herz  ehrlich,  der  Geist  edel;  aber  die 
Haut  ist  zu  bleich. 

Hoguet  ist  auch  zu  grau,  aber  sehr  fein  und 
sehr  harmonisch  in  diesem  Mollton.  Seine  „Erinne- 
rung an  Schottland"  mit  einer  Brücke  über  Felsen 
hat  ihn  aus  der  Nachahmung  Isabeys  entrückt. 
Nachdem  er  diese  Brücke  überschritten  hat,  kann 
Hoguet  ganz  allein  vorwärtsgehen. 


Salon    1846  138 

Louis  Leroy  ist  nicht  so  glücklich  wie  im 
vorigen  Jahre.  Achard  auch  nicht.  Victor 
Dupr£  ist  auf  dem  rechten  Wege  und  ebenso 
Bronquart.  Brissot  von  Warville  und  Tou- 
douze  werden  bald  von  sich  reden  machen;  Anas- 
tasi, Pron,  Mazure  und  mehrere  andre  verspre- 
chen gute  Maler  zu  werden.  Joyant  malt  noch 
immer  seine  Architekturansichten  in  der  Art  Cana- 
lettos  oder  Guardis.  Garbet  und  Lottier  haben 
in  Mosaik  gemalt,  der  eine  den  „Carneval",  der 
andre  den  ,, Hafen  von  Algier".  Die  „Schafherde" 
von  Rosa  Bonheur  macht  einem  Lust,  den  Hirten 
zu  spielen,  mit  Stab  und  Seidenkleid  und  Bändern. 


1847 

Corot  hat  niemals  bessere  Malerei  gemacht  als 
seine  ,, Abendstimmung"  im  großen  Saal:  ein  Fluß, 
gegen  die  Mitte  eine  Barke,  die  sich  schwarz  ab- 
hebt, rechts  und  links  Gruppen  großer  Bäume,  der 
Himmelsgrund  bleiern,  fast  in  demselben  Ton  der 
Dämmerung;  —  nur  zwei  Noten  die  sich  verbin- 
den oder  sich  antworten,  das  tiefe  Bister  und  das 
matte  Silber;  eine  einfache  ernste  Ausführung;  sehr 
melancholisches  Gefühl;  Schweigen  und  Träumerei 
—  das  ist  es. 

Steht  nur  einmal  still  vor  diesem  Bildchen, 
das  zuerst  nur  aussieht  wie  eine  unklare  Skizze. 
Dann  fühlt  man  schon  die  matte,  fast  unbewegte 
Luft,  taucht  hinein  in  den  durchsichtigen  Nebel, 
der  über  dem  Flusse  schwebt,  weit,  weit  hinaus  mit 
den  grünlichen  Tönen  des  Himmels  am  Horizont. 
Dann  lauscht  man  den  unmerklichen  Lauten  in 
dieser  friedlichen  Natur;  kaum  ein  Rascheln  der 
Blätter  oder  das  Plätschern  eines  Fisches  auf  der 
.Wasserfläche.  All  die  Stimmungen  steigen  in  uns 
auf  wie  eines  Abends,  wo  wir  einsam  am  Ufer  eines 
Sees  saßen,  und  nach  eintönigem  Tagewerk  war- 
teten, bis  die  Nacht  ihre  ersten  Sterne  entzündete. 


Salon  I847  186 

Wenn  die  Malerei  den  Zweck  hat,  andern  den 
Eindruck  zu  vermitteln,  den  der  Künstler  vor  der 
Natur  empfunden  hat,  dann  erfüllt  die  Landschaft 
Corots  alle  Forderungen  der  Kunst.  Wie  bringt 
doch  diese  recht  eigentümlich  gemalte  Landschaft 
solche  Wirkung  hervor?  Mir  scheint,  die  etwas 
mystische  Malerei  Corots  wirkt  auf  den  Beschauer 
beinahe  ebenso,  wie  die  Musik  auf  den  Dilettanten, 
durch  ein  indirektes  und  unerklärliches  Mittel.  Wie 
kommt  es,  daß  eine  musikalische  Phrase  von  Beet- 
hoven, ein  unbestimmter  flüchtiger  Ton  bereits,  un- 
vermeidlich eine  bestimmte  Idee  und  keine  andre 
hervorruft?  Man  hat  in  unsern  Tagen  den  Aus- 
druck der  Musik  in  direkten  und  materiellen  Mitteln 
gesucht,  in  der  Ähnlichkeit  des  Geräusches  mit  dem 
darzustellenden  Dinge;  aber  die  große  Trommel 
und  die  Zimbeln  haben  niemals  solchen  Erfolg  ge- 
habt, wie  eine  einfache,  reine  Melodie,  die  sich  an 
die  Seele  wendet.  Die  nachahmende  Musik  wird 
niemals   die  poetische  aufwiegen. 

Es  ist  sicherlich  eine  Schwäche,  in  einer  bil- 
denden Kunst  wie  die  Malerei,  das  Bild  nur  unvoll- 
ständig anzudeuten,  selbst  wenn  die  Empfindung 
darunter  ist.  Das  ist  die  naive  Schwäche  Corots. 
Seine  Originalität  erscheint  nur  unter  dreifachen 
Schleiern,  die  er  noch  in  keinem  Bilde  zu  lüften  ver- 
mocht hat.  Diese  Verlegenheiten  der  Ausführung, 
diese  peinliche  Zeichnung,  die  gleichwohl  zur  Ele- 
ganz gelangt,  diese  trübe  schlecht  aufgetragene 
Farbe,   alles  verrät  eine  mühselige  Ausdauer,   die 


13(1  Landschaftsmalerei 


doch  niemals  zur  freien  Herrschaft  über  die  Praxis 
seiner  Kunst  hindurchdringt.  Corot  ist  wie  ein  emp- 
findsamer und  beredter  Mensch,  dessen  Worte  doch 
immer  unter  seinem  Eindruck  bleiben.  Wir  haben 
jedoch  Skizzen  von  ihm  gesehen,  die  flottweg  ge- 
malt waren  und  auf  den  ersten  Wurf  so  richtig  in 
der  Wirkung  mit  ihrem  weichen  Licht,  daß  sie 
auch  neben  viel  kräftigeren  und  glanzvollem  Ma- 
lereien standhalten. 

Die  andre  Landschaft  ist  so,  wie  er  immer  malt, 
eine  Art  Idylle,  etwas  bleich:  ein  nackter  junger 
Hirt  spielt  mit  seiner  Ziege.  Ich  habe  immer  ge- 
meint, Corot  würde  die  Bretagne  besser  wieder- 
geben als  Griechenland.  Das  wäre  ein  Versuch, 
den  er  machen  könnte,  und  gewiß  würde  sein  Ruf 
dabei  gewinnen. 

Charles  Leroux  ist  fast  das  Gegenteil  von 
Corot.  Seine  Ausführung  ist  sehr  geschickt,  sehr 
kraftvoll  und  vielleicht  zu  kompliziert.  Die  länd- 
liche Stimmung,  die  er  in  seinen  Landschaften  sucht, 
wird  fast  erstickt  unter  der  wirklichen  und  soliden 
Hülle  eines  bis  zur  Übertreibung  gequälten  Farben- 
auftrags. Seine  Skizzen  haben  viel  mehr  Leichtig- 
keit, Gefühl  und  Poesie,  als  seine  ausgeführten  Ge- 
mälde. Diesmal  ist  ihm  eine  große  „Ansicht  von 
Escublac"  an  der  Küste  von  Croisic  abgelehnt  wor- 
den, die  schwungvoll  nach  der  Natur  gemalt  ist. 
Drei  oder  vier  vom  Wind  gekrümmte  Bäume  zeich- 
nen ihre  seltsame  Silhouette  auf  der  sandgelben 
Böschung,    die    durch    die    Sonne    im    Sturmwetter 


Salon   1847  137 

grell  beleuchtet  wird;  —  rechts  das  Meer,  vorn 
ein  kreidiges  Erdreich  mit  einigen  Seegewächsen. 
Marvy  macht  eine  Radierung  nach  diesem  schönen 
Werke. 

In  der  ,, Erinnerung  an  den  Wald  von  Gavre" 
in  der  Bretagne,  eine  von  vorn  gesehene  Eichen- 
allee, die  in  ihrer  ganzen  Festigkeit  gegeben  wird, 
ist  der  Boden  überall  mit  etwas  hartem  Grün  be- 
deckt. Auch  die  Bäume  sind  in  vollem  Grün  und  fast 
ohne  Halbtöne,  die  es  mildern  würden.  Jeder  Zweig, 
jeder  Blätterbüschel  ist  mit  einer  Nachhaltigkeit  stu- 
diert, die  alle  Formen  schwer  macht.  Was  dem 
Bilde  vornehmlich  fehlt,  ist  die  Mannigfaltigkeit  des 
Strichs  und  die  Abwechslung  in  der  Farbe. 

„Der  Ulmenhain"  ist  freier  gemalt.  Charles 
Leroux  ist  dabei  weniger  bemüht  gewesen,  ein 
Ausstellungsbild  zu  machen.  Seine  grünen  oder 
entlaubten  Bäume,  seine  lebenden  Hecken  und  sein 
dürres  Kraut,  sein  tiefer  und  brauner  Fischteich 
gehen  gut  zusammen.  Die  Ulmenallee  hat  viel  Cha- 
rakter und  Größe.  Wir  haben  das  Land  der  Ven- 
d€e  oft  besucht,  wo  Leroux  seine  Lieblingsland- 
schaften holt,  ein  wildes,  kraftvolles  Land,  mit 
Baumcharakteren,  die  man  anderswo  nicht  findet, 
einer  kurzen,  farbenreichen  Vegetation,  einem  ganz 
eigenartigen  Himmelsstrich:  ein  Land,  wo  die  Men- 
schen und  die  Bäume  eine  gesunde,  heilsame  und 
erquickende  Luft  atmen. 

Charles  Leroux  besitzt  die  wichtigsten  Gaben 
eines  guten  Landschaftsmalers.    Seine  Neigung  für 


138  Landschaftsmalerei 


das  Land  wird  durch  ein  tägliches  Leben  an  freier 
Luft  unterhalten,  und  so  bewahrt  er  der  Natur  auch 
ihre  entscheidenden  Züge.  —  Der  wahre  Stil  ist  der- 
jenige, der  den  Gegenstand  in  seiner  wesentlichen 
Eigenart  wiedergibt.  —  Leroux  ist  außerdem  ein 
sehr  geschickter  und  energischer  Maler.  Hätte  er 
nur  etwas  mehr  Leichtigkeit  der  Hand,  mehr  Man- 
nigfaltigkeit der  Färbung,  so  müßte  er  sofort  in  die 
erste  Klasse  gestellt  werden.  Man  darf  wohl  glau- 
ben, daß  er  dazu  gelangen  kann. 

Jeanron  hat  in  diesem  Jahr  eine  große,  sehr 
beachtenswerte  Landschaft  geliefert  unter  dem  Titel 
„Die  Ruhe  des  Feldarbeiters44.  Es  ist  die  Land- 
schaft der  Umgegend  von  Paris,  traurig  und 
nackt,  aber  doch  fruchtbar,  gewissermaßen  ein 
Proletarierland,  das  sich  nicht  selber  zu  eigen 
gehört,  das  auf  Luxus  und  Laune  verzichten  muß, 
um  Frucht  genug  hervorzubringen.  Jeanron  ist 
immer  ein  plebejischer  Maler  gewesen,  bis  hinein  in 
den  Ausdruck  der  Landschaft.  Er  liebt  die  stark 
bearbeiteten  Ackerflächen,  die  niemals  ruhen,  oder 
die  wilden  unbezähmbaren  Felsen.  Erlesene  Blumen 
gedeihen  nicht  auf  seinen  Feldern,  ebensowenig  wie 
Geschmeide  auf  den  Lumpen  seiner  rauhen  Arbeiter 
oder  seiner  Bettler  zu  finden  sind.  Er  überläßt  den 
fashionablen  Malern  gern  die  Spitzen  und  Pracht- 
stoffe, und  auch  die  Rasen  mit  Email  oder  die 
Gebüsche  mit  Rosen. 

Seine  „Feldarbeit44  bietet  also  einen  Anblick 
der  Natur,  den  die  Künstler  noch  wenig  ins  Auge 


Salon   1847  139 

gefaßt  haben,  ganz  neu  und  ganz  richtig  im  Cha- 
rakter. Ich  bin  sicher,  daß  die  französischen  Feld- 
arbeiter Jeanron  den  Preis  des  Salons  zuerkennen 
würden.  Eine  Jury,  die  sich  auf  Malerei  verstünde, 
hätte  ihn  gewiß  auch  in  besseres  Licht  gebracht. 
Da  hätte  man  die  freie  Haltung  der  Bauern 
bei  ihrem  Karren  auf  dem  durchfurchten  Boden 
gesehen,  die  schönen  wuchtiggebauten  Gäule,  wie 
Gericault  sie  zu  machen  verstand,  die  Solidität 
des  Vordergrundes,  die  Abstufung  der  Perspektive, 
die  auf  dem  platten  Lande  schwierig  ist,  die  Tiefe 
des  Himmels,  die  männliche  Kraft  des  Pinselstrichs 
und  alle  sonstigen  Kennzeichen  einer  vollendeten 
Übung. 

Die  Landschaftsmaler,  die  so  ihre  Figuren  im 
Einklang  mit  der  sie  umgebenden  Außenwelt  be- 
handeln, sind  selten,  obgleich  die  alten  Meister 
diesen  Unterschied  in  den  Arten  der  Malerei 
niemals  gemacht  haben,  mit  Ausnahme  vielleicht 
der  Holländer. 

Jeanron  hat  noch  ein  andres  Bild  ausgestellt, 
einen  ,, Schmuggler",  der  schweigend  und  eifrig 
soeben  um  die  Ecke  eines  Felsens  herumbiegt. 
Diese  Darstellungen,  die  dem  Maler  der  „Schmiede 
von  Correze"  der  „Gassenbuben  in  der  Julirevolu- 
tion" geläufig  sind,  diese  Bettler  und  Zigeuner  geben 
ihm  einige  Verwandtschaft  mit  dem  Talent  Leleuxs. 
Alle  beide  lieben  die  Geschichte  solcher  Rassen  und 
Individuen  zu  erzählen,  die  von  der  Zivilisation  noch 
nicht  angegriffen  sind  oder  die  sie  wenigstens  nicht 


14o  LandschafUmalerei 


zu  besiegen  vermocht  hat.  Unsre  Maler  täten  gut 
daran,  sich  etwas  der  populären  Seite  zuzuwenden. 
Wenn  die  einstige  Aristokratie  einem  Tizian  und 
van  Dyck  vornehme  Typen  darbot,  so  entfernt  sich 
die  heutige  Bourgeosie  täglich  mehr  von  der  Ele- 
ganz und  dem  großartigen  Benehmen.  Die  öffent- 
lichen Auftritte  des  modernen  Lebens  eignen  sich 
nicht  sehr  zu  originellen  und  prächtigen  Bildern. 
Die  Kleider  des  Arbeiters  haben  mehr  Bequemlich- 
keit als  die  des  Müßiggängers;  ein  Gossenkehrer 
ist  schöner  für  die  Malerei  als  ein  Notar  oder  ein 
Kaufmann.  Die  Physiognomie  und  die  Mimik  des 
Volkes  sind  viel  ausdrucksvoller  als  die  Maske  und 
die  Kleiderpuppe  des  dritten  Standes. 

Gegenüber  den  ,, Feldarbeitern"  von  Jeanron 
stößt  man  auf  den  ,, Kampf  der  Stiere"  von  Coig- 
nard,  ein  Pendant  seiner  im  letzten  Salon  ausge- 
stellten Landschaft.  Es  ist  ein  Waldinneres  mit  einer 
Herde  vielfarbiger  Kühe.  Coignard  hat  den  Sommer 
in  der  Umgegend  der  Gorge-aux-Loups,  in  einem  der 
unbetretenen  Gebiete  des  Waldes  von  Fontainebleau 
zugebracht,  ohne  zu  argwöhnen,  daß  sie,  ach,  wie 
bald!  von  der  mörderischen  Bande  der  Forstver- 
waltung vergewaltigt  werde.  Warum  hat  der  Maler 
dasselbe  Verbrechen  an  den  hochstämmigen  Bäu- 
men begangen,  die  in  seinem  Bilde  den  Hintergrund 
bilden  ?  In  der  ursprünglichen  Komposition  hoben 
sich  die  wütenden  Stiere  von  Bäumen  ab,  deren 
kraftvoller  Ton  einen  glücklichen  Kontrast  von  Rot 
und  Grün  ergab.  Seitdem  Coignard  aber  seinen  Wald 


Salon    1847  1  II 

niedergeschlagen  hat,  ist  keine  genügende  Vermitt- 
lung mehr  zwischen  dem  Purpur  der  Sonne,  die  ihr 
letztes  Feuer  gegen  den  Horizont  wirft,  und  dem 
fahlen  Rotgelb  der  mächtigen  Streiter.  Der  Himmel 
ist  zu  gleichmäßig  lebhaft  für  die  Gewaltsamkeiten 
im  Vordergrunde :  denn  dieser  Kampf  der  Stiere  ist 
mit  seinem  vollen  wilden  Drang  gemalt.  Die  Formen 
und  die  Bewegung  sind  sehr  kühn  gezeichnet. 
Das  sind  Zuchtstiere  von  reiner  Rasse  in  natürlicher 
Größe,  obgleich  sie  auf  dem  Bilde  nur  das  Ver- 
hältnis der  Stiere  eines  neuerwählten  Akademikers 
haben. 

Rosa  Bonheur,  die  vor  der  französischen 
Revolution  zur  Akademie  gehört  haben  würde, 
bringt  Zugochsen  unter  das  Joch  und  läßt  ihre 
Herden  auf  den  Weideplätzen  des  Cantal  ausruhen. 
Fräulein  Rosa  malt  fast  wie  ein  Mann.  Ich  wünschte 
die  Kraft  ihres  Pinselstrichs  dem  Herrn  Verboeck* 
hoven  und  andern  Feinmalern,  die  ganz  wie  junge 
Damen  stricheln. 

Flers  träumt  immer  von  seiner  Normandie, 
wo  er  das  Licht  der  Welt  erblickt  hat,  und  wenn  er 
sich  bei  der  Insel  Saint-Ouen  aufhält,  so  geschieht 
es,  weil  er  da,  wie  in  seinen  normandischen  Wiesen, 
hohe  Halme,  Weidenbäume  und  Pappeln  findet  und 
Buchen,  die  sich  im  Wasser  spiegeln.  Flers  gehört 
auch  zu  den  guten  Landleuten,  die  englische  Gärten 
und  Alleen  ä  la  Mac  Adam  verabscheuen.  Er  zieht 
es  vor,  seine  groben  Holzschuhe  anzuziehen,  um 
durch  den  Tau  zu  schreiten;  er  wird  gewiß  nicht 


142  Landschaftsmalerei 


seinen  Garten  jäten,  noch  seine  Apfelbäume  am 
Spalier  kreuzigen  oder  gar  den  Entenflott  von 
seinem  kleinen  smargdenen  Weiher  abschöpfen.  Er 
schont  die  mikroskopischen  Wälder,  wo  die  Insek- 
ten schwirren,  und  die  Wassertümpel,  wo  sich  der 
Laubfrosch  versteckt.  Flers  ist  ebenso  ein  Sohn  der 
Normandie  wie  Leleux  ein  Sohn  der  Bretagne. 

So  haben  sich  unsre  Landschaftsmaler  in  Frank- 
reich und  der  Welt  geteilt :  Hoguet  hat  die  Butte 
de  Montmartre  genommen  und  die  Windmühlen, 
die  er  mit  Schwung  und  Geschick  ohnegleichen 
dreht;  Joyant  hat  das  Erbe  Canalettos  und  Guardis 
in  Venedig  angetreten;  Very,  Brissot,  Anastasi, 
Leroy  lieben  das  Gehölz;  Thierry  die  Phantasie- 
landschaft; Victor  Dupre*  die  Hütten  unter  Bäumen 
versteckt,  Andre  die  eleganten  auf  Hügeln  gelegenen 
Gehäge;  Adrien  Guignet  die  wilden  Schluchten  und 
das  rote  Gestrüpp;  Michel  Bouquet  die  frischen 
Täler;  Chardin  die  Herbstwirkungen  und  Sonnen- 
untergänge. Karl  Girardet  hat  sich  dagegen  auf 
Kairo  geworfen  und  seine  ,, Ansicht  eines  egypti- 
schen  Begräbnisplatzes"  hat  viel  Originalität.  Hugues 
Martin  hat  sich  an  die  Wüste  gewagt,  die  ganz 
nackte,  unabsehbare  Wüste  mit  einem  gelben  Kamel 
im  gelben  Flugsand  und  dichter  gelber  Dunstatmo- 
sphäre darüber.  Delessart  hat  einen  kleinen  rätsel- 
haften „Abend"  gemacht.  Lapierre  und  Chintreuil 
haben  sich  die  poetischen  Länder  vorbehalten,  die 
von  Corot  erfunden  sind  und  gar  nicht  auf  den 
Landkarten  der  Geographie  existieren. 


Salon   1847  143 

Das  Bild  von  Chintreuil  ist  eine  Art  Elegie, 
wo  die  Bäume  seufzen  wie  irrende  Schatten  der  Ab- 
geschiedenen. Ein  junges  Mädchen  träumt  am  Rand 
eines  Brunnens  sitzend.  Alles  zittert  unbestimmt, 
ohne  Halt  auf  der  Erde:  es  ist  eine  schwache  un- 
entschiedene Malerei,  in  der  man  freilich  eine  ge- 
wisse Zärtlichkeit  der  Einbildungskraft  ahnt,  wie 
B^ranger  sagt. 

Lapierre  ermangelt  in  dem  neuen  ernsten 
und  doch  eleganten  Stil,  den  er  angenommen  hat, 
der  soliden  Eigenschaften  nicht;  denn  er  hat  als 
eifriger  Naturalist  angefangen  und  mit  den  Granit- 
blöcken von  Fontainebleau  gerungen.  Jetzt  scheint 
er  zwischen  Corot  und  Paul  Flandrin  Halt 
machen  zu  wollen. 

Dieser  letztere  hat  vier  Bilder  ausgestellt,  den 
„Frieden"  und  die  „Gewalt",  kleine  ovale  Gegen- 
stücke im  Gefühl  des  Francisque  Millet;  eine 
„Löwin"  auf  der  Jagd,  die  nichts  mit  den  Löwinnen 
der  Wüste  gemein  hat,  noch  denen  des  Zoologischen 
Gartens  oder  den  Bronzelöwinnen  von  Barye;  — 
dann  eine  arkadische  Landschaft,  bukolisch,  mytho- 
logisch, antikisch,  eine  ganz  konventionelle  Land- 
schaft, nach  einem  System  komponiert,  dem  die 
Natur  ganz  fremd  gegenübersteht. 

Wir  sind  weit  entfernt,  den  Künstlern  die  Nach- 
ahmung der  Natur  zu  predigen,  in  den  Landschaften 
nicht  mehr  als  in  anderen  Gegenständen,  an  denen 
die  menschliche  Person  Anteil  nimmt.  Übrigens, 
was  ist  denn  auch  die  Realität  überhaupt  ?    Gibt  es 


IH  I  ..indschaftsmalerei 


für  alle  Welt  eine  und  dieselbe  Wirklichkeit  ? 
Keineswegs.  Denn  hundert  Maler,  die  naivsten  von 
der  Welt,  die  sich  alle  vornehmen,  ein  Ding  vor 
ihren  Augen  zu  kopieren,  sehen  es  und  geben  es 
in  hundert  verschiedenen  Weisen,  die  einander  oft 
ganz  entgegengesetzt  sind. 

In  bezug  auf  uns  nimmt  alles,  was  da  ist,  eine 
Form  und  eine  Farbe  an,  die  sich  nach  unserer 
eignen  Organisation  richtet.  Das  Grün  ist  mehr  oder 
minder  blau,  mehr  oder  minder  gelb,  je  nach  der 
Sehkraft,  und  die  Wesen  fallen  uns  auf  durch  mehr 
oder  minder  hervorstechende  Charakterzüge,  je  nach 
dem  verschiedenen  Temperament.  Ja,  noch  mehr, 
derselbe  Mensch  sieht  nicht  immer  das  nämliche 
Ding  in  der  nämlichen  Weise.  Wunderbares  Ge- 
heimnis der  Mannigfaltigkeit  und  des  Unendlichen ! 

Wie  vermöchte  man  also  in  den  Künsten  die 
Wirklichkeit  zu  kopieren?  Es  sind  ja  Schulen  da- 
gewesen, die  diesen  Anspruch  erhoben;  aber  es  ist 
diesen  engherzigen  Sektierern  auch  geschehen,  was 
unvermeidlich  war,  daß  sie,  wider  Willen,  niemals 
sich  ihrer  Persönlichkeit  entäußern  konnten  und  daß 
sie,  wie  immer,  mit  einer  Mischung  und  einer  rela- 
tiven Annäherung  endeten. 

Lassen  wir  also  diesen  vermeintlichen  Natura- 
lismus beiseite,  der  wider  die  Natur  ist  und  nicht 
einmal  existieren  könnte,  diese  absurde  Theorie  der 
materiellen  Nachahmung,  die  zuallererst  den  Selbst- 
mord des  Künstlers  und  die  Nichtigkeit  aller  Dinge 
voraussetzen  würde;  denn  man  müßte  ja  auf  einen 


Salon   1847  145 

Schlag  die  Seele  des  Künstlers  und  das  unaufhörlich 
wandelbare  Leben  des  Wesens  selbst,  das  er  malen 
will,  aufheben.  Nehmen  wir  die  Sache,  wie  sie  in 
Wahrheit  liegt,  daß  die  Kunst  aus  dem  Eindruck, 
den  die  Natur  auf  den  Menschen  macht,  hervorgeht, 
aus  dem  Reflex  der  Außenwelt  in  dem  Mikrokosmos, 
in  dieser  kleinen  Welt,  die  wir  in  unserm  Innern 
tragen.  Aber  diese  Verbindung  fordert  die  Natur 
als  unentbehrlichen  Bestandteil,  ebensowohl  wie  die 
Empfindung  des  Künstlers.  Wenn  der  Geist  allein 
arbeitet,  fern  von  dem  natürlichen  Einfluß  und  ge- 
wissermaßen aus  dem  Leeren,  so  haben  die  bei 
solcher  Onanie  entstandenen  Gebilde  nicht  den  Cha- 
rakterzug des  Lebens  und  der  Dauer.  Sie  werden 
zergehen  wie  Samen,  der  den  Winden  preisgegeben 
ward. 

Hingegen,  wenn  der  Künstler  nicht  selbst  sein 
eignes  Objekt  ist,  wie  ein  deutscher  Philosoph 
sagen  würde,  wenn  er  sein  Objekt  außer  sich  nimmt, 
und  seinen  Ausgangspunkt  von  der  Natur,  dann  ist 
die  Erzeugung  des  Gebildes  nach  seiner  doppelten 
Beziehung  normal.  Der  Künstler  hat  viel  mehr  sym- 
pathische Berührung  mit  den  anderen  Menschen,  die 
alle  auch,  jeder  nach  seiner  Art,  die  Auslegung  der 
selben  natürlichen  Objekte  verfolgen. 

P.  Fl  an  drin  gehört  dem  System  an,  das  die 
Natur  dem  einsamen  Stolz  des  Menschen  aufopfert. 
Er  ist  zurückgekommen  auf  die  Schule  Bidaulds, 
J.-V.  Bertins  und  der  Landschafter  der  Empirezeit. 
Seine   Theorie   ist   durchaus   dieselbe :    eine   Land- 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  10 


14tl  Landschaftsmalerei 


schaft  im  hohen  Stil  zu  komponieren,  ohne  aus 
seinem  Hause  herauszugehen.  Das  Rezept  dafür  ist 
leicht  und  einfach :  man  nehme  eine  großartige 
Gegend,  elegante  Bäume,  etwas  Architektur,  Hinter- 
grund von  Bergen  und  einen  klaren  Himmel;  im 
Vordergrund  irgendein  antikes  Grabmal,  Lorbeer- 
gebüsch, einige  Säulentrümmer,  eine  nackte  oder 
römisch  drapierte  Figur. 

Aber  wir  kennen  dies  triviale  Verfahren  schon 
zur  Genüge;  wir  haben  es  nicht  erst  unter  dem 
Kaiserreich  kennen  gelernt,  sondern  schon  im  18. 
Jahrhundert  in  der  kalten  Schule  der  Zuccarelli, 
der  Pannini  und  Locatelli;  ja  schon  im  17.  Jahr- 
hundert, in  dem  bösen  Gefolge  des  Gaspar  Dughet 
und  des  großen  Nicolas  Poussin.  Wir  haben  genug 
von  den  Orizzonte  und  den  Lahyre  wie  das;  genug 
von  Bidauld  und  von  Bertin.  Gehen  wir  zu  minder 
heroischen  Exerzitien  über. 

Ich  gebe  gern  zu,  daß  Paul  Flandrin  ein  er- 
lesener Geist  ist,  der  sich  mit  der  banalsten  Theorie 
von  der  Welt  fast  schon  aus  dem  Gemeinen  rettet, 
und  der  das  Talent  hat,  altem  Zeug,  das  überall 
nachhängt,  einen  gewissen  Stil  zu  verleihen.  Seine 
große  Landschaft  mit  einem  Streit  nackter  Hirten 
ist  eins  der  besten  Gemälde,  die  er  gemacht  hat. 
Das  Theater  für  die  bukolische  Dichtung  ist  wunder- 
voll angeordnet :  die  Bretter  in  der  Mitte,  die  Baum- 
kulisse rechts  und  links;  im  Hintergrund  eine  pa- 
pierne  Dekoration,  die  man  nach  Bedarf  vertauschen 
kann.    Diese  Landschaft  ist  ruhevoll,  nicht  ohne  ge- 


Salon   1847  147 

wissen  Reiz;  die  Luft  hat  mehr  Weite  und  Tiefe  als 
in  den  gewöhnlichen  Landschaften  Flandrins.  Ich 
wüßte  kaum  ein  Bild  im  Salon,  das  besser  zu  gleicher 
Zeit  die  Vorzüge  eines  Menschen  und  die  Fehler 
eines  Systems  der  Malerei  aufwiese.  Ich  habe  nie- 
mals die  Ehre  gehabt,  Paul  Flandrin  selbst  zu  sehen ; 
aber  ich  würde  doch  nicht  in  Verlegenheit  geraten, 
wenn  ich  sein  Porträt  entwerfen  sollte.  Ich  weiß 
sicher,  daß  es  nicht  unter  den  Typen  von  Rubens 
zu  finden  wäre. 

Paul  Flandrin,  der  gewiß  ein  sehr  intelligenter 
Mann  ist,  —  und  ebendeshalb  verharren  wir  vor 
seinem  Bilde,  da  wir  Unbedeutende  und  Nichtige 
auch  nicht  zu  quälen  pflegen  — ,  Flandrin  sollte  sich 
an  die  seltsame  und  lehrreiche  Geschichte  der  Land- 
schaft im  neunzehnten  Jahrhundert  erinnern,  eine 
Episode  der  Kunst,  die  wir  einmal  später  ausführlich 
erzählen  wollen.  Der  Salon  von  1847  bietet  übrigens 
noch  die  Grenzpfähle  dieser  reißend  schnellen  und 
gründlichen  Revolution;  denn  wir  finden  Watelet 
und  Jollivard,  zwei  Bürger  der  Constituante,  die  keine 
Ahnung  hatten  von  Danton,  Robespierre,  St.  Just 
und  dem  Nationalkonvent. 

Unter  dem  friedsamen  Regiment  von  Bidauld, 
dem  Louis-Seize  der  Landschaft,  hätte  Watelet 
dessen  Bailly  werden  sollen,  mit  dem  Unterschied, 
daß  alle  beide,  Bidauld  und  Watelet  lange  und 
glückliche  Tage  genossen  haben.  —  Watelet,  der 
einfache  und  naive  Mensch,  der  nicht  zum  Stamm 
der  Cäsaren  gehörte,  sondern  zu  jenem  Stamm  ehr- 


Landschaftsmalerei 


licher  Künstler,  deren  Heim  in  einer  Mühle  George 
Sand  so  hübsch  in  ihren  „Briefen  eines  Reisenden" 
gemalt  hat,  —  Watelet  kommt  plötzlich  mit  einer 
Bauernhütte,  einem  rauchenden  Dach,  einem  länd- 
lichen Gehöft,  einem  Fluß  mit  Enten,  einem  kleinen 
Pfad  mit  Herbstblättern  bestreut. 

Die  Revolution  schien  nicht  eben  fürchterlich, 
beim  ersten  Anblick;  denn  Watelet  war  kaum  stär- 
ker darin,  den  Charakter  des  modernen  Landes  zu 
malen,  als  Bidauld  mit  seinen  antiken  Tempeln  und 
seinen  vorchristlichen  Landschaften.  Die  Plebs  aber 
begriff  doch  wohl,  daß  Watelet  gegen  die  Aristo- 
kratie der  römischen  Tyrannen  und  der  wilden 
Bäume  protestierte.  Wie  der  alte  Maire  von  Paris 
wurde  Watelet  sehr  berühmt,  und  bald  nahm  man 
neben  ihm  noch  Jollivard  an,  der  die  Kühnheit  hatte, 
in  das  Innere  wirklicher  Wälder  einzudringen  mit 
Eichen  und  Holz,  stachlichten  Stechpalmen,  melan- 
cholischem Wachholder  und  ungeniertem  Kraut 
allerart. 

Das  dauerte  eine  Weile.  Aber  die  Bastille  war 
genommen,  und  die  unruhige  Jugend  trieb  ihre 
Eroberungen  weiter.  Gegen  1830  sah  man  plötz- 
lich Abenteurerbanden,  die  sich  der  Natur  und  der 
Poesie  bemächtigten  und  das  alte  Königtum  über 
den  Haufen  stürzten.  Decamps,  Cabat,  Roqueplan, 
Paul  Huet,  Marilhat,  Jules  Dupr£,  Rousseau  waren 
die  Führer  dieser  Revolution.  Cabat,  Paul  Huet 
und  Roqueplan  sind,  obgleich  sie  beim  10.  August 
dabei  waren,  ein  wenig  Girondisten  geblieben;  aber 


Salon  1847  149 

Diaz,  Francais,  Leleux  und  eine  Menge  junger  Un- 
erschrockener sind  zur  Verstärkung  der  kühnen 
Neuerer  herbeigekommen. 

Hofft  Flandrin  eine  Restauration  zugunsten  des 
göttlichen  Rechts  und  der  alten  Religion  ?  Da  würde 
er  Unrecht  haben;  denn  die  Kunstrepublik  hat 
keinen  Napoleon  gehabt  und  wird  auch  keinen 
solchen  Gewaltherrscher  bekommen,  dessen  Despo- 
tismus die  Barbaren  zurückgebracht  hat.  Die  Ge- 
schichte wiederholt  sich  nie,  und  in  der  Kunst  ist 
auch,  wie  in  allen  Dingen,  was  einmal  gestorben  ist, 
tot  und  vollständig  tot. 


Die  Revolution  in  der  Landschaft 
1861 

Jetzt  sind  in  den  verschiedenen  zeitgenössischen 
Schulen  die  Landschaftsmaler  überall  die  stärksten. 
Den  französischen  Malern  wird  die  Erneuerung  der 
Landschafts-Schule  verdankt;  aber  um  gerecht  zu 
sein,  muß  man  sagen,  daß  die  ersten  Anläufe  dazu 
auf   die  Engländer   zurückgehen. 

Die  englische  Schule  zählt  noch  kaum  mit,  da 
man  auf  dem  Kontinent  schon  von  einer  europä- 
ischen Kunst  redet.  England  hat  indes  doch  eine 
nationale  Schule,  in  der  fünf  oder  sechs  ausge- 
zeichnete Meister  den  Ton  angeben.  Gainsborough 
ist  der  originellste  von  ihnen.  Ebenso  hervorragen- 
der Porträtist  wie  Reynolds,  ist  er  zu  gleicher  Zeit 
ein  sehr  natürlicher  und  gefühlvoller  Landschafts- 
maler. Von  ihm  geht  Constable  aus,  oder  wenig- 
stens setzt  ihn  Constable  fort,  ohne  ihn  zu  suchen. 

Als  in  den  Salons  von  Paris  1824  und  1827 
einige  Bilder  von  Constable  erschienen,  waren  die 
französischen  Landschafter  noch  bei  der  antiken 
und  feierlichen,  der  mythologischen  und  hierogly- 
phischen Landschaft,  die  mit  griechischen  Ruinen 


Salon   1861  151 

und  Personen  aus  der  Fabelwelt  komponiert  war. 
Es  hatte  in  Frankreich  nie  etwas  andres  gegeben,  als 
diese  klassische  Landschaft  im  Stil  Poussins  und 
der  Bolognesen,  oder  die  feenhafte  und  unmögliche 
Landschaft  von  Watteau  und  Boucher,  Wand- 
schirme, Schrankwerk-  und  Fächermalerei.  Groß 
war  also  die  Überraschung  der  Pariser  Künstler, 
als  sie  die  erste  wahre  Landschaft  von  Constable 
gemalt  sahen,  wahrhaftige  Wiesen  im  Tau  gebadet, 
einen  wirklichen  Fluß,  der  eine  Mühle  trieb,  wirk- 
liche nach  der  Natur  kopierte  Bäume.  Es  wird  er- 
zählt, daß  Delacroix  so  stark  davon  ergriffen  ward, 
daß  er  seinen  damals  in  Arbeit  befindlichen  Ge- 
mälden einen  ganz  anderen  Tonfall  gab. 

Zur  selben  Zeit  hatten  sich  Bonington  in  Frank- 
reich und  andre  Landschafter  in  England,  z.  B. 
Turner  in  gewissen  Momenten  seiner  Malerlaunen, 
wieder  darauf  verlegt,  wie  Constable  —  und  schon 
Gainsborough  seit  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts 
—  die  natürliche  Wirklichkeit  zu  studieren  und  sie 
getreulich  wiederzugeben. 

Bald  folgten  einige  junge  französische  Künstler 
demselben  Drang:  Paul  Huet,  Camille  Flers,  Louis 
Cabat,  Jules  Dupr6,  Theodore  Rousseau,  die  damals 
fast  noch  Kinder  waren;  und  bald  nach  1830  be- 
merkte man  plötzlich,  daß  es  eine  neue  Schule  der 
Landschaft  gab.  Eugene  Delacroix  hatte  mittelbar 
dabei  geholfen,  und  zwar  durch  den  Charakter  der 
Hintergründe  und  des  Himmels  in  seinen  großen 
Gemälden ;  Barye  auch  in  einigen  prachtvollen  Aqua- 


152  Landschaftsmalerei 


rellen,  in  denen  er,  nicht  zufrieden,  die  Tiere  in 
Bronze  zu  verewigen,  sie  inmitten  kraftvoller  Land- 
schaften gemalt  hat :  Löwen,  Tiger,  Schlangen, 
Hirsche  und  Kamele;  Decamps  ebenso  in  den  Wald- 
innem,  in  die  er  seine  Jagdhüter  und  seine  Treiber 
mit  ihren  kleinen  Dachshunden  hineintat. 

Der  Kampf  war  lang,  um  so  mehr,  als  eine 
Gruppe  junger  aus  der  Schule  zu  Rom  hervor- 
gegangener Maler,  wie  Aligny,  Edouard  Bertin,  Ale- 
xandre Desgoffe,  Paul  Flandrin  und  andre  in  der 
alten  akademischen  Manier  verharrten,  jeden  Felsen 
mit  einem  Prometheus,  jeden  Weiher  mit  einem 
Diogenes  und  seiner  Schale,  jeden  Bach  mit  einer 
Najade  und  jeden  Wald  mit  einem  Chor  von  Nym- 
phen belebten. 

Fünfzehn  Jahre  lang  wurden  die  Neuerer  durch 
die  Jury  aus  den  Salons  vertrieben  und  hatten  große 
Mühe,  sich  bekannt  zu  machen,  trotz  aller  leiden- 
schaftlichen Sympathie  einer  verständnisvollen  Kritik 
und  trotz  dem  Beifall  einiger  außergewöhnlicher 
Liebhaber.  In  den  Wald  von  Fontainebleau  oder 
die  Wälder  der  Isle-Adam  oder  von  Compiegne  zu- 
rückgezogen, in  der  Auvergne  oder  der  Normandie, 
in  den  Landes  oder  den  Pyrenäen,  in  allen  den  Ge- 
genden, wo  die  Natur  noch  ihren  freien  Charakter 
bewahrt,  hatten  sie  indessen  eine  Reihe  von  Meister- 
werken geschaffen,  die  allgemach  den  Eintritt  in 
die  öffentlichen  Ausstellungen  erzwangen  und  in 
die  Privatsammlungen  übergingen. 

Um  Rousseau,  Dupr£,  Diaz  bildete  sich  eine 


Salon   1861  163 

zahlreiche  Schule,  und  mehrere  dieser  Zöglinge  sind 
wieder  ihrerseits  Meister  geworden,  wie  z.  B.  Troyon. 
Neben  ihnen  gab  es  noch  einige  unabhängige  In- 
dividualitäten, wie  Corot,  der  die  Idylle  oder  Elegie 
mit  seinem  zarten  Naturgefühl  verbindet,  wie  Ma- 
rilhat,  der  seine  Inspirationen  hauptsächlich  aus  dem 
Orient  holt. 

Gegen  1848  war  die  Revolution  der  Landschaft 
schon  beim  Triumph  angelangt  und  ist  dann  durch 
die  Weltausstellung  von  1855  vollends  geheiligt 
worden. 

Decamps  und  Marilhat  sind  tot;  aber  ihre 
Werke  schmücken  unsere  Museen  und  Galerien. 
Die  Werke  von  Theodore  Rousseau,  von  Diaz  und 
Jules  Dupre*  werden  sich  auf  die  Höhe  der  alten 
Meister  der  Landschaftsmalerei  stellen;  denn  sie 
haben  gewissermaßen  die  Natur  so  wieder  einge- 
setzt, wie  sie  von  Rembrandt  und  Philips  Koninck, 
van  Goien  und  Wijnants,  Salomon  und  Jacob  Ruis- 
dael,  Hobbema  und  van  der  Meer,  Aalbert  Cuijp 
und  Aart  van  der  Neer  und  so  vielen  anderen  Hol- 
ländern des  17.  Jahrhunderts  aufgefaßt  und  aus- 
gedrückt wurde. 

Die  natürliche  Landschaft  ist  wiedergefunden; 
verlieren  wir  sie  nun  nicht  mehr! 

OOO 

Der  Salon  von  1861  zeigt  uns  mehrere  Künstler, 
die  zur  heilsamen  Erneuerung  der  Landschaft  bei- 
getragen haben.    Es  fehlt  Cabat,  der  übrigens  eine 


154  Landschaftsmalerei 


andre  Richtung  genommen  hat;  Diaz,  der  soeben 
sein  ganzes  Atelier  verkauft;  Jules  Dupre,  der  sich 
um  öffentliche  Ausstellungen  nicht  bekümmert; 
Troyon,  dem  man  seine  Bilder  ohne  Zweifel  schnell 
abnimmt.  Aber  wir  haben  Paul  Huet,  Camille  Flers 
und  Corot,  die  noch  immer  dieselben  sind.  Wir 
haben  auch  die  bleiche  Plejade  der  Schule  zu  Rom: 
Aligny,  Paul  Flandrin,  Alexandre  Desgoffe,  die  sich 
nicht  viel  verändert  hat.  Wir  haben  eine  Anzahl 
von  Schülern,  die  von  Rousseau,  von  Diaz,  von  De- 
camps,  von  Jules  Duprd,  von  Corot  ausgehen,  zu- 
weilen aus  einer  Mischung  verschiedener  Eigentüm- 
lichkeiten bestehen.  Wir  haben  endlich  einen  der 
glänzendsten   Meister   selbst:   Theodore   Rousseau. 


Theodore  Rousseau 

Die  eigentliche  Ausstellung  Rousseaus,  so,  wie 
er  heute  ist,  fand  im  Verkaufslokal,  rue  Drouot, 
vor  einem  Monat  statt.  Fünfundzwanzig  Gemälde 
von  ihm,  die  für  diesen  Zweck  sorgfältig  vollendet 
waren,  wurden  dort  versteigert.  Da  gab's  alle  Arten 
von  Gegenden,  alle  Jahreszeiten,  alle  Tagesstunden : 
Wälder  und  Weideplätze,  Herbst  und  Frühling, 
Morgenstimmungen  und  Sonnenuntergänge.  Der 
Erfolg  war  ansehnlich;  aber  die  Künstler  sind  darin 
einig,  die  frühere  Art  Rousseaus  seiner  jetzigen  vor- 
zuziehen. Er  würde  gern  behaupten,  daß  er  eben 
erst  anfängt,  sein  Handwerk  etwas  zu  verstehen, 
ein  Bild  bis  zu  einer  gewissen  Vollendung  durchzu- 
führen und  Werke  hervorzubringen,  wo  die  Voll- 
endung der  Arbeit  nicht  dem  Ausdruck  schadet, 
während  er  ehedem  nur  lebhafte  Skizzen  hingeworfen 
habe,  die  unvollendet  blieben,  weil  er  nicht  im- 
stande war,  weiterzugehen. 

Es  kann  aber  wohl  sein,  daß  er  sich  selbst 
schlecht  beurteilt  und  daß  er  unrecht  hat.  Entwürfe, 
meinetwegen.  Die  Landschaft  von  Rubens  mit  dem 
Vogelsteller,  der  seine  Netze  spannt   (im  Louvre), 


156  Landschaftsmalerei 


sein  „Turnier"  beim  Graben  eines  Schlosses,  seine 
Kirmes,  sind  doch  auch  wohl  nur  Skizzen?  Aber  es 
sind  Meisterwerke.  Gewisse  Liebhaber  würden  fast 
alle  Landschaften  von  Rembrandt  nur  kühne  und 
rohe  Skizzen  nennen.  Und  doch,  welche  Meister- 
stücke sind  auch  sie.  Rousseau  selbst  hat  im  Mu- 
seum des  Luxembourg  einen  „Waldrand"  hängen, 
den  der  Katalog  als  Skizze  bezeichnet,  —  auch  ein 
kleines  Meisterwerk,  wie  an  Farbe  so  an  Emp- 
findung. 

Man  vermag  auch  kaum  zu  sagen,  wann  in  den 
Schöpfungen  der  Meister  ein  Entwurf  oder  eine 
Skizze  in  ein  „Gemälde"  übergeht.  Ist  denn  ein  Ge- 
mälde immer  vollendet  ?  Ich  finde  meinerseits  gar 
nicht,  daß  die  geduldigen  Gemälde  von  Slingelandt, 
der  Mieris  und  selbst  die  Mehrzahl  der  Gemälde  von 
Gerard  Dou  fertig  sind:  sie  sind  es  allzusehr.  Viel- 
leicht waren  sie  vollkommener,  ich  meine  ausdrucks- 
voller für  das,  was  diese  Maler  wiedergeben  wollten, 
in  einem  bestimmten  Zustand  der  Vorbereitung,  wo 
die  Kleinarbeit  des  spitzen  Pinsels  noch  weniger  vor- 
geschritten war.  Es  liegt  kein  Grund  vor,  sich  auf 
ein  „Gemälde"  einzuschwören,  an  dem  drei  oder 
vier  Jahre  lang  nacheinander  gearbeitet  ward.  Denn 
auch  darin  werden  immer  noch  Einzelheiten  fehlen, 
die  man  in  der  Natur  wahrnehmen  könnte,  wenn 
man  eine  Lupe  zuhilfe  nimmt. 

Dies  Übermaß  der  Ausführung  bemerkt  man 
freilich  nicht  auf  den  Landschaften  Rousseaus,  auch 
wo  er  sich  am  meisten  bestrebt  hat,  die  Gesamtheit 


Th.   Rousseau   1861  157 


des  Abbildes  möglichst  vollständig  zu  erreichen. 
Seine  Empfänglichkeit  vor  der  Natur,  sein  poetisches 
Gefühl,  bewahren  ihn  vor  Kleinlichkeit.  Indessen, 
er  würde  gewiß  nicht  gewinnen,  wenn  er  sein  Talent 
noch  weiter  einengte.  Er  besaß  in  seiner  Jugend  die 
Freihändigkeit  Hobbemas,  die  kraftvolle  Breite 
Cuijps,  sogar  etwas  von  der  phantastischen  Art  Rem- 
brandts.  Zur  perlglatten  Feinheit  eines  Wijnants 
zurückzukehren,  wäre  wohl  kein  Fortschritt.  Bei 
allen  Meistern,  in  allen  Schulen  ist  der  erste  Wurf 
fast  immer  der  beste,  außer  bei  Rembrandt,  diesem 
seltsamen  Genius,  der  ganz  ruhig  anfängt,  sich  dann 
erwärmt  und  entflammt;  ein  Lichtschimmer  zu  An- 
fang, eine  Feuerglut  am  Ende.  Rousseau  war  voll 
Feuer  in  seinen  ersten  Arbeiten.  Man  denke  nur 
an  den  ,, Abstieg  der  Kühe"  in  einer  Schlucht  der 
Schweiz,  an  die  „Kastanienallee"  aus  dem  schönen 
Lande  Charles  Lerouxs  in  der  Vendee;  an  den 
„Sonnenuntergang"  auf  rauhreif-bedeckten  Fluren, 
der  neuerdings  in  der  Ausstellung  des  Boulevard 
wiedererschien,  und  hundert  andre  Bilder,  die  vor 
1 5  Jahren  Künstler  und  Kritiker  entzückten.  Viel- 
leicht bleiben  die  Werke  dieser  Periode  auch  ferner 
die  kostbarsten  in  der  Laufbahn  dieses  unermüd- 
lichen Arbeiters,  dieses  tiefen  und  originellen 
Poeten,  dieses  Liebhabers  der  Natur,  der  es  ver- 
stand, den  Bäumen  der  Wälder  und  den  Wolken 
des  Himmels  seine  Seele  mitzuteilen. 

Die  einzige  Landschaft,  die  Rousseau  im  Salon 
von   1861   ausgestellt  hat,  ist  die  „Steineiche"  be- 


1Ö8  Landschaftsmalerei 


nannt.  Im  Vordergrund  sind  Felsblöcke  verstreut, 
ganz  mit  Moos  und  Grün  bedeckt;  dann  eine  große 
knorrige  Eiche,  die  diese  Granitstücke  beiseite  ge- 
drückt zu  haben  scheint,  um  zur  freien  Luft  hin- 
durchzudringen. Ihre  breitenÄste  erstrecken  sich  von 
einer  Seite  des  Bildes  zur  andern  und  bilden  unten 
gleichsam  eine  Bogenlaube,  durch  deren  Schatten 
andre  bemooste  Felsen,  wildes  Gestrüpp,  all  das 
üppige  Gewächs  hindurchblickt,  das  die  Gründe  des 
Waldes  von  Fontainebleau  kennzeichnet.  Links  nur 
ein  ferner  Durchblick  auf  den  Himmel  von  kräftigem 
Blau  in  Tönen  von  dunklem  Saphir.  Hier  und  da 
erglänzen  zwischen  den  Zweigen  durch  einzelne 
Strahlen,  die  auf  dem  ernsten  Grün  wie  Sterne 
schimmern.  Das  ist  sehr  geheimnisvoll  und  sehr 
kräftig,  obwohl  etwas  zu  einförmig  ,, gestrickt",  wie 
man  in  den  Ateliers  sagt. 

Dies  Gemälde  erreicht  aber  im  Salon  nicht 
seine  volle  Wirkung.  Schöne  Dinge  gewinnen,  wenn 
sie  allein  stehen,  während  man  im  Gegenteil  glauben 
sollte,  daß  eine  gewöhnliche  Umgebung  sie  erst 
recht  hervortreten  lasse.  Sie  brauchen  einen  ge- 
wissen Platz,  ein  gewisses  Licht,  gewisse  zarte  Rück- 
sichten. So  sondert  man  auch  in  einigen  Museen 
schon  die  außergewöhnlichen  Werke  ganz  ab,  wie 
z.  B.  in  der  Galerie  zu  Dresden  die  Madonna  di  San 
Sisto  von  Rafael,  die  ihren  eigenen  kleinen  Raum 
für  sich  hat.  Die  „Antiope"  Correggios  und  die 
,,Gioconda"  Lionardos  würden  sich  auch  im  Grunde 
eines  Boudoirs  besser  machen,  als  in  dem  großen 


Corot   1861  159 

Saal  des  Louvrc,  wo  übrigens  nur  Meisterwerke  bei- 
einander sind.  Was  heißt  das  also  in  der  Aus- 
stellung der  Champs-Elysdes,  wo  man  bei  einer  har- 
monischen Malerei  schon  mit  verletztem  Auge  an- 
langt, nachdem  soviel  widerstreitende  und  grausame 
Farben,  soviel  verdrehte  und  übertriebene  Formen 
darauf  eingedrungen  sind.  Ich  glaube,  man  könnte 
eine  ernste  Landschaft  von  Ruisdael  in  den  Salon 
einschmuggeln,  ohne  daß  irgend  jemand  sie  unter 
den  dreitausend  Bildern  entdeckte,  die  da  zu  einem 
blendenden  Kaleidoskop  zusammenwirken. 

OOO 
Corot 

Corot  besitzt  nicht  die  üppige  Mannigfaltigkeit 
Rousseaus;  er  verfügt  nur  über  eine  einzige  sehr 
beschränkte  Tonleiter,  und  zwar  in  Moll,  wie  der 
Musiker  sagen  würde.  Er  kennt  kaum  mehr  als  eine 
einzige  Stunde,  des  Morgens,  und  eine  einzige  Farbe, 
das  bleiche  Grau. 

Er  gerade  würde  gewinnen,  wenn  man  eins 
seiner  Bilder  aus  dem  Salon  herausnähme  —  eins 
nur,  denn  sie  gleichen  einander  alle  nahezu  —  das 
beste,  das  ,,der  See"  betitelt  ist,  und  es  irgendwo 
absonderte  im  Halbschatten  eines  ruhigen  Raumes. 
In  diesem  Bilde  ist  ein  tiefgefühlter  Eindruck,  der 
sich  auf  uns  überträgt,  eine  ganz  einfache,  har- 
monische und  richtige  Wirkung.  Das  Wasser,  die 
Bäume,  der  Himmel,  alles  ist  in  einen  fast  undurch- 


160  Landschaftsmalerei 


sichtigen  Nebel  gehüllt.  Es  würde  einem  gut  tun, 
in  dieser  Morgenfeuchte  spazieren  zu  gehen  und  sich 
den  Träumen  zu  überlassen,  die  diese  schwanken- 
den fast  ununterscheidbaren  Gebilde  hervorlocken. 

Corot  streift  nur  diese  duftigen  fabelhaften  Re- 
gionen und  sieht  darin  auch  nur  Phantome  erschei- 
nen, flüssige  Gestalten  ohne  festen  Halt,  wie  der 
Nebel  selber,  die  beim  geringsten  Strahl  der  wirk- 
lichen Sonne  dahinschwinden  würden.  Er  hat  fast 
niemals  ländliche  Arbeiter  darin  gefunden,  sondern 
immer  nur  ungreifbare  Sylphen  und  Scheinbilder 
von  Nymphen,  die  in  der  Luft  tanzen. 

Dies  Hervorzaubern  einer  Phantasiewelt,  über 
oder  unter  der  Wirklichkeit,  wie  man  will,  hat 
seinen  Reiz,  und  daran  hält  sich  Corot.  Er  hat  es  in 
seinen  sechs  im  Salon  ausgestellten  Bildern  nicht 
aufgegeben:  ein  Nymphenreigen,  ein  Orpheus,  die 
aufgehende  Sonne,  die  Rast,  eine  Erinnerung  an 
Italien  und  ein  See.  In  der  Erinnerung  an  Italien 
ruht  eine  nackte  Frau,  deren  Formen,  mit  etwas 
mehr  Deutlichkeit  sichtbar,  anmutig  und  korrekt 
sind.  Aber  welch  zitternde  schwanke  Schatten  nur 
sind  die  Eurydike,  die  Nymphen  und  Najaden,  die 
im  leeren  Raum  der  übrigen  Bilder  herumirren. 

Corot  denkt  ohne  Zweifel  an  Claude  Lorrain, 
den  Maler  der  Morgenfrische,  wo  die  Natur  sich 
in  Silberschleier  hüllt;  der  ist  doch  aber  auch  der 
echte  Maler  des  Sonnenscheins  gewesen.  Corots  Be- 
wunderer selbst  finden,  daß  er  daran  erinnert.  Ist 
das  nicht  sonderbar? 


Paul  Huct  1847  161 


Paul  Huct 

Paul  Huet  hat  immer  außergewöhnliche  Wir- 
kungen gesucht.  Er  liebt  die  Erdbeben,  die  Wut  des 
Meeres  und  der  Stürme.  Er  muß  nicht  übel  Lust 
gehabt  haben,  die  Ausbrüche  des  Vesuvs  zu  malen. 
Die  ruhige  Natur  zieht  ihn  nur  selten  an.  Er  braucht 
„Schwarze  Felsen",  einen  Abgrund  oder  einen 
Strudel,  die  „Aequinoktialflut  in  der  Umgebung  von 
Honfleur".  Dies  letzte  Bild  hat  Großartigkeit;  es 
ist  mit  meisterhafter  Wucht  gemalt.  Die  Baum- 
gruppen, die  von  der  steigenden,  unwiderstehlichen 
Flut  getroffen  werden,  sehen  aus,  als  empörten  sie 
sich  gegen  die  Gewalt,  und  ihre  hohen  Äste  sträu- 
ben sich  wie  Haar.  Die  schwere  dunkle  Woge  rollt, 
vorwärts,  heran,  und  verbreitet  Schrecken,  wie  die 
Sintflut  von  Poussin. 

Ein  anderes  Gemälde  von  Paul  Huet,  eine  ein- 
fache „ Seestudie"  am  Kanal,  ist  auch  von  hoher 
Eigentümlichkeit.  Zwei  Töne  nur:  ein  gleicharti- 
ger Streifen  von  gelblichem  Grau  für  das  Meer,  ein 
Streifen  Eisengrau  für  den  Himmel.  Aalbert  Cuijp 
hat  manchmal  Seestücke  in  derselben  Stimmung  ge- 
malt, die  eine  gleiche  Wirkung  hervorbringen. 

OOO 

Daubigny,  dessen  Aussehen  noch  ziemlich 
jungen  Datums  ist,  hat  sich  aus  einem  Gemisch 
von  Corot  und  Dupre  eine  Manier  gebildet.  Seine 
Gemälde  im  Salon  sind  schwach  und  tonlos,   be- 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  11 


162  i   indichaftimalerei 


sonders  „die  Ufer  der  Oise"  und  der  „Ile  de  Vaux44. 
Das  beste  ist  das  „Dorf"  bei  Bonnieres,  mit  Häu- 
sern, die  sich  im  Wasser  spiegeln;  aber  auch  dies 
Dorf,  ist  es  aus  Pappe  oder  aus  Blech?  Der  Park 
mit  Schafen  erinnert  an  Jacque  und  Millet.  Dau- 
bigny  entbehrt  der  Individualität. 

Chintreuil,  der  von  Corot  allein  herkommt, 
hat  sich  doch  von  aller  unmittelbaren  Nachahmung 
frei  gemacht.  Er  hat,  wie  Corot,  ein  sehr  zartes 
Naturgefühl,  und  —  ich  weiß  nicht  recht  —  etwas 
Weibliches  und  Rührendes.  Der  junge  Schwind- 
süchtige von  Millevoye  hätte  sein  „Fallen  der  Blät- 
ter" in  der  ängstlichen  und  unbestimmten  Weise 
von  Chintreuil  malen  können.  Beranger  liebte  Chin- 
treuil sehr  und  hatte  einige  Bilder  von  ihm  in 
seiner  bescheidenen  Wohnung.  Der  „Tagesanbruch" 
nach  einer  Sturmnacht,  das  für  die  Verlosung  an- 
gekaufte Bild,  ist  eins  der  bestgelungenen  des 
Malers.  Morgen  und  Abend  liegen  ihm  ebensogut 
wie  Corot. 

Cilest  in  Leroux  schließt  sich  auch  an  Corot 
an,  mehr  als  an  Rousseau,  bei  dem  er  Unterricht 
genommen  hat.  Er  ist  der  Bruder  Charles  Leroux', 
der  oft  schöne,  feste  Landschaften  ausgestellt  hat, 
die  der  Vendee  entnommen  waren.  Die  Bilder  von 
Celestin  haben  nicht  diese  Meisterschaft,  noch  diese 
kraftvolle  Farbengebung.  Leicht  gepinselt,  in  einer 
blassen  Harmonie,  kommen  sie  oft  nur  bis  zu  einer 
annähernden  Wiedergabe  oder  Andeutung  der  poeti- 
schen und  eigenartigen  Gegenden,   die  der  junge 


Salon  1861  163 

Maler  sich  auszusuchen  liebt.  Mit  etwas  mehr  Ent- 
schiedenheit könnte  Cdlestin  Leroux  seinen  Platz 
unter  den  tüchtigen  Landschaftern  einnehmen;  denn 
er  liebt  die  Natur  und  fühlt  ihren  Charakter  wohl. 

Victor  Dupre*  ist  auch  ein  Widerschein  sei- 
nes Bruders  Jules.  Er  wählt  ohne  viel  Federlesens 
sein  Stück  Natur,  eine  kleine  Farm  bei  Limoges, 
eine  Weide  aus  Berri,  und  weiß  ihr  Farbe,  heiteres 
Licht  und  einen  gewissen  ländlichen  Reiz  zu  ver- 
leihen. 

A  n  a  s  t  a  s  i ,  ein  andrer  Nachahmer  Jules  Dupr6s 
und  Rousseaus  ist  durch  Corots  Atelier  hindurchge- 
gangen. Diesmal  ist  er  zum  Studium  der  Gegend  in 
Holland  gewesen  und  hat  von  dort,  unter  andern 
Bildern,  auch  eine  „Untergehende  Sonne"  heim- 
gebracht, die  ihre  Wirkung  tut. 

Thomas,  ein  Schüler  Jules  Dupres,  hat  einen 
„Eingang  ins  Kastaniengehölz"  ausgestellt,  der  sehr 
originell  ist;  —  Herson,  Schüler  von  Diaz,  einige 
Ansichten  aus  der  Normandie  und  ein  gutes  „In- 
terieur der  Kirche  St.  Maclou  zu  Rouen".  —  Wac- 
quez,  ein  Schüler  von  Eugene  Delacroix,  eine 
„Jagd  im  Walde  von  Fontainebleau" ;  —  Charles 
de  Tournemine,  Schüler  von  Eugene  Isabey, 
fünf  Ansichten  aus  dem  Orient,  die  sehr  fein  und 
sehr  geschickt  gemalt  sind;  —  Harpignies, 
Schüler  von  Achard,  mehrere  Stellen  an  den  Ufern 
des  Allier  und  der  Loire,  die  mit  Eleganz  vorge- 
tragen sind;  —  Charles-Jean  Mercier,  Schüler 
von  Francais,  eine  ausgezeichnete  Ansicht  von  einer 


li!l  Landschaftsmalerei 


„Dorfkirche"  in  der  Umgegend  von  Paris,  mit  rich- 
tiger und  harmonischer  Lichtwirkung;  —  Fran- 
cais selbst,  drei  Ansichten  vom  Ufer  der  Seine; 
—  und  Flers  sieben  Gemälde  aus  seiner  teuern 
Normandie. 

Belly,  der  bei  Troyon  gebildet  ist,  scheint  ein 
ausgemachter  Praktikus  zu  sein.  Er  hat  in  Ägypten 
alle  Kombinationen  von  Licht  und  Schatten  gelernt. 
Wir  haben  von  ihm  schon  einige  Landschaften  aus 
dem  Orient  gesehen,  ebenso  wahr  und  ebenso 
kräftig  wie  die  Marilhats,  aber  schwerer.  Unter 
den  Bildern,  die  er  in  den  Salon  geschickt  hat,  ge- 
währen seine  „Pilger,  die  nach  Mekka  ziehen"  einen 
packenden  Anblick;  es  ist  Großartigkeit  in  der 
Gruppierung  dieser  ernsten  Prozession,  die  sich  nach 
vorn  bewegt.  Im  „Waldesinnern",  das  Belly  für 
die  Jagdhunde  des  Herrn  Balleroy  gemalt  hat,  ist 
auch  Charakter  und  Energie.  Belly  ist  Kolorist, 
das  zeigt  er  in  seinen  Landschaften  wie  in  seinen 
Porträts. 

Ziem  zählt  auch  fast  zu  den  Meistern,  und  seine 
Gemälde  sind  in  vornehmen  Sammlungen  gesucht. 
Er  hat  nur  ein  Triptychon  ausgestellt,  das  drei 
kleine  „Ansichten  von  Venedig"  enthält,  den  Mar- 
kusplatz, den  Dogenpalast  und  die  Seufzerbrücke. 

Aber  ach,  was  ist  aus  jenen  vermeintlichen  Mei- 
stern geworden,  die  man  ehedem  der  jungen  Schule 
der  Landschaftsmalerei  gegenüberstellte:  Theodore 
Caruelle  d'Aligny,  der  schon  1831  eine  Medaille 
erhielt  und  1842  das  Kreuz;  aus  Alexandre  Des- 


Salon   1861  165 

g  o  f  f  e  und  Paul  F 1  a n  d  r  i  n ,  diesen  Vertretern  des 
großen  heroischen  Stils  in  Blattwerk  und  Blümchen, 
bei  Regen  und  schönem  Wetter! 

Aligny  ist  heutzutage  ohne  Zweifel  Direktor 
von  irgendwas  bei  der  Akademie  und  beim  Museum 
in  Lyon;  denn  der  Katalog  gibt  als  seine  Adresse 
das  Palais  des  Arts  in  Lyon.  Das  ist  eine  schöne 
Stadt,  die  manche  schöne  Stelle  für  die  Landschafts- 
malerei darbietet.  Aber  Aligny  liebt  mehr  seine 
Erinnerung  an  Griechenland  und  Italien  und  hat 
in  den  Salon  eine  Ansicht  der  Skyronischen  Klippen 
im  Frühling  geschickt,  eine  Erinnerung  an  die  Ufer 
des  Anio  bei  Tivoli  und  das  Grabmal  der  Cecilia 
Metella  in  der  Campagna  von  Rom.  Für  diese  edlen 
Maler  des  Ideals  hat  die  Natur  keinen  Wert:  ein 
Vorwand  höchstens  ist  sie,  um  ein  Gemälde  daraus 
aufzubauen  oder  um  eine  mythologische  Szene  darin 
zu  erwecken.  So  bestraft  sie  denn  auch  Mutter 
Natur  mit  gänzlicher  Impotenz.  Die  Gemälde  von 
Aligny  gleichen  jenen  gemalten  Tapeten,  mit  denen 
man  die  Dorfwohnungen  ausstaffiert.  Wie  wird  sich 
das  Grab  der  Cecilia  Metella  herrlich  machen  im 
reichen  Hause  der  Madame  James  Rothschild,  die  so 
viel  Kunstgegenstände  und  kostbare  Malereien  besitzt. 

Die  Bilder  von  Alexandre  Desgoffe  sind 
noch  seltsamer  als  die  von  Aligny.  Da  ist  ein  ge- 
wisser „Faunentanz4',  wo  alle  sich  mit  ihren  kleinen 
Bockschwänzen  vergnügen.  Und  Bäume,  wie  man 
keine  mehr  sieht  seit  dem  faunischen  Zeitalter.  Wel- 
chen   Verwandlungen    müssen    Erde    und    Himmel 


166  Landschaftsmalerei 


unterlegen  sein,  seit  dem  Tode  der  alten  Götter  und 
ihrer  Gefolgschaft !  Alles  ist  heutzutage  verändert ; 
aber  es  scheint  doch  nicht,  daß  die  Natur  dabei  ver- 
loren hat.  Wir  haben  heute  Kraut,  das  wächst, 
Blumen,  die  gut  riechen,  fließendes  Wasser,  dünne 
Luft,  und  durchsichtiges  Licht,  während  es  damals 
in  der  mythologischen  Zeit  das  alles  nicht  gegeben 
zu  haben  scheint;  damals  war  es,  wie  auf  unserem 
Theater,  mehr  aus  Pappe,  und  diente  nur  als  De- 
koration zum  Hintergrund  einer  Schar  monströser 
Wesen.  Vom  Heidentum  geht  Desgoffe  dann  aber 
gern  zur  Bibel  über,  und  als  Gegenstück  zum 
„Faunentanz"  hat  er  einen  „Verkauf  Josephs  durch 
seine  Brüder"  gemalt.  Es  ist  auch  schon  lange  her, 
seit  jener  Geschichte,  und  man  würde  Mühe  haben, 
einige  Züge  unsers  heutigen  Lebens  darin  zu  er- 
kennen, oder  auch  nur  unserer  gegenwärtigen 
Menschheit  und  Natur,  wie  sie  wirklich  sind. 

Paul  Flandrin  hat  dieselbe  Vorliebe  wie 
Aligny  und  Desgoffe  und  hat  wie  dieser  eine  Szene 
aus  dem  Testament,  aber  dem  Neuen  ausgestellt: 
„Die  Flucht  nach  Ägypten".  Obwohl  erst  neunzehn: 
Jahrhunderte  seitdem  verflossen  sind,  war  der  Erd- 
ball damals  doch  noch  im  urweltlichen  Zustand,  wie 
es  scheint.  Man  sieht  besonders,  wie  ein  Phänomen, 
das  es  gar  nicht  mehr  gibt,  einen  weiten  gelben 
Weg,  der  den  ganzen  Vordergrund  einnimmt.  Die 
hier  ausgebreitete  Materie  hat  nichts  mit  dem  Hu- 
mus, noch  mit  dem  Gestein,  noch  selbst  mit  dem 
Staub  oder  mit  dem  Schlamm  zu  schaffen;  es  ist 


Salon   1861  167 

eine  zähflüssige  Masse,  für  die  vielleicht  Chemiker 
und  Apotheker  einen  Vergleich  finden.    Paul  Flan- 

Idrin  sollte,  wenn  er  geschickt  genug  ist,  die  Land- 
schaft aufgeben  und  mit  dem  Porträt  vertauschen, 
das  er  recht  fein  zeichnet.  Dann  würde  man  viel- 
leicht Aussicht  haben,  daß  sein  Bruder  Hippolyt 
das  Porträt  gegen  die  Landschaft  eintausche,  worin 
er  sicher  bei  seinem  Gefühl  für  Leben  und  seinen 
unvergleichlichen  Eigenschaften  als  Kolorist  Erfolg 
haben  würde. 

Ach,  und  da  ist  gar  noch  G  u  d  i  n ,  von  dem  man 
ja  gar  nichts  mehr  gehört  hat.  Zwei  ungeheure  von 
der  Regierung  bestellte  Leinwände  hat  er  im  Salon. 
„Die  Ankunft  der  Königin  von  England  in  Cher- 
bourg"  und  „Die  Flotte  Frankreichs  auf  der  Fahrt 
von  Cherbourg  nach  Brest".  Das  mag  an  die  drei 
Meter  lang  sein,  und  ist  grausamlich  mit  Rot  und 
Gelb  illuminiert.  Und  niemand  hat  dies  Feuerwerk 
gesehen,  das  ein  Mann  von  Bedeutung  abbrennt, 
für  teures  Geld,  zu  Ehren  des  Bündnisses  zwischen 
einer  allergnädigsten  Königin  der  drei  Königreiche 
mit  dem  allermächtigsten  Souverän  der  Welt !  Der 
Katalog  registriert  noch  drei  andre  Marinen,  die 
gewiß  ebenso  für  Königliche  Sammlungen  bestimmt 
sind :  die  „Küste  von  Scheveningen",  die  so  oft  und 
so  wunderbar  von  den  holländischen  Meistern  ge- 
malt worden  ist,  und  ein  „Heftiges  Unwetter  an  der 
Küste  von  England"  und  den  „Untergang  der  spa- 
nischen Armada  durch  einen  Sturm  in  der  Nordsee". 

OOO 


Weltausstellung  in  London    1862 

Da  die  große  historische  und  poetische  Malerei 
fehlt,  gab  es  hier  nur  ein  Mittel,  wenigstens  eine  Seite 
der  französischen  Schule  zur  Geltung  zu  bringen, 
durch  die  sie  allen  andern  überlegen  ist :  die  Land- 
schaft. Wir  haben  denn  auch  drei  schöne  Marilhats, 
zwei  Theodore  Rousseaus,  deren  eines  ein  Meister- 
werk an  Farbe  und  Gefühl;  einen  großen  Paul  Huet, 
sehr  dramatisch;  zwei  Cabats  fest  und  verständig; 
einen  glänzenden  Wald  vonDiaz;  einen  zarten  Corot; 
zwei  Ziems,  sehr  leuchtend;  ein  Schneestück  von 
Lavieille;  eine  Ansicht  aus  dem  Orient  von  Belly; 
Gegenden  aus  Algier  von  Fromentin;  die  Ufer  der 
Oise  von  Daubigny,  die  Ufer  des  Allier  von  Har- 
pignies;  und  die  großen  „Feldarbeiten"  von  Troyon 
und  Rosa  Bonheur,  und  den  großen  Wald  mit  dem 
Kampf  der  Hirsche  von  Courbet;  und  noch  andre, 
die  vortrefflich  das  verschiedene  Aussehen  der  Erde 
und  des  Himmels  wiedergeben.  Wenn  die  Kom- 
mission in  geschickter  Anordnung  alle  diese  Ge- 
mälde zusammengehalten  hätte,  die  sich  durch  so 
originelle  Eigenschaften  auszeichnen,  so  würde  die 
Wirkung  mächtig  und  siegreich  gewesen  sein. 

Es  gibt  heutzutage  in  Europa  drei  Landschafts- 
schulen, die  sich  voll  charakterisieren:  die  Frank- 


Weltausstellung  in  London   1862  169 

reichs,  an  die  sich  die  Mehrzahl  der  belgischen  und 
holländischen  Landschafter  anschließen;  die  Düssel- 
dorfer, zu  der  viele  andre  Deutsche  und  auch 
Schweizer  wie  Calame  gehören;  die  Englands,  die 
ganz  für  sich  besteht,  mit  ihrer  furchtbaren  Lorgnette. 

Die  Schule  von  Düsseldorf  geht  mit  abstrakten 
und  philosophischen  Erwägungen  vor;  die  englische 
mit  der  physischen  Analyse,  die  bis  zur  äußersten 
Möglichkeit  getrieben  wird;  die  französische  mit  der 
künstlerischen  Auffassung  und  dem  Gefühl. 

Die  Landschaftsmaler  von  Düsseldorf,  die  kaum 
daran  zweifeln,  setzen  ganz  einfach  die  Schule  Pous- 
sins  und  Gaspards  fort,  indem  sie  die  Natur  nach 
vorgefaßten  Theorien  zurechtmachen;  ganz  wie 
die  großen  Mythen-,  Historien-  und  Genesis-Maler 
Deutschlands  —  die  wohl  etwas  zweifeln  —  die  rö- 
mische und  florentinische  Schule  fortsetzen.  Ich 
bin  mit  Landschaftsmalern  aus  Düsseldorf  auf  dem 
Rheindampfer  gefahren :  „O,  welch  ein  Schauspiel ! 
Großartige  Natur!  Du  erhebst  den  Menschengeist 
bis  zur  Anschauung  des  Unendlichen !  Alma  Mater  1 
(Ein  Germane  sollte  doch  kein  Latein  können!)  Er- 
habene Linien,  die  sich  in  den  Himmel  verlieren !  — 
O  Goethe  und  der  Harz  .  .  ."  usw.  Alles  sehr  gut; 
aber  nun  kehrt  mein  Landschafter  in  sein  Atelier 
zurück  und  komponiert  seine  Landschaft  mit  seinen 
Ideen  und  Reflexionen,  selbst  wenn  er  Lokalstudien 
gemacht  hat.  Haben  wir  Berge?  die  brauchen  wir. 
Einige  Tannen  vom  Sturm  geknickt,  die  würden 
sich  gut  machen  auf  dem  Vordergrund:  also  brin- 


170  Landschaftsmalerei 


gen  wir  sie  an.  Ein  See?  ja,  mit  Schatten  darüber, 
das  wirkt  als  Abschieber  und  ist  zugleich  poetisch. 
Fängt  man  doch  gleich  zu  träumen  an,  wenn  man 
auf  dem  Nachen  über  den  See  fährt.  Dann  stellen 
wir  vorn  noch  einen  melancholischen  Hirten  auf 
eine  Felswand,  und  die  Landschaft  ist  fertig.  Aber 
wie  ist  das  traurig!  wie  leer  und  bedeutungslos,  trotz 
den  Ansprüchen  auf  Großartigkeit  und  Poesie.  Vor 
solchen  kalten  Bildern  wird  der  Beschauer  ebenso- 
wenig gerührt,  wie  der  Maler  es  war,  als  er  sie  zu- 
sammenstellte. 

In  England  läßt  der  landschaftmalende  Gentle- 
man nicht  lange  Haare  über  einen  himmelblauen 
Mantel  mit  rotgelben  Sternen  wallen,  wie  die  Poeten 
von  Düsseldorf,  sondern  macht  zuerst  seinen  Über- 
schlag, stattet  sich  bequem  aus  mit  kurzer  Joppe, 
Schuhen  „Prinz  Albert"  mit  Lederriemen  geschnürt, 
und  seinem  Lorgnettenetui;  dann  geht  er  botani- 
sieren auf  den  Feldern,  versichert  sich,  daß  diese 
oder  jene  Pflanze  spitze  oder  abgerundete  Blätter 
von  dieser  oder  jener  Form  hat,  daß  dies  Blümchen 
solchen  Kelch  und  so  und  soviel  Staubträger  hat, 
daß  es  übrigens  in  der  Natur  sehr  gewaltsames 
Rot,  hartes  Grün,  unerbittliches  Gelb,  viel  Violett 
gibt,  —  daß  Licht  überall  und  für  alles  da  ist. 
Gottseidank  I  Dann  nimmt  er  das  Teleskop  zuhilfe, 
das  annähert,  und  das  Mikroskop,  das  vergrößert; 
—  der  englische  Geist  hält  darauf,  sich  über  alles 
Rechenschaft  zu  geben.  Unser  gewissenhafter  Land- 
schaftsmaler macht  bis  ins  Einzelnste  seine  Ansicht 


Weltausstellung  in  London    1862  171 

von  Zweigen  des  Gestrüpps  und  abgebrochenen  Blät- 
tern, eins  nach  dem  andern  in  vollem  Tageslicht, 
als  ob  er  für  das  Kabinett  eines  Botanikers  arbeitete. 

Es  versteht  sich,  daß  wir  damit  nur  die  über- 
triebenen Typen  des  deutschen  und  englischen 
Landschaftsmalers  herausgreifen,  und  daß  es  in 
Deutschland  und  in  England  Künstler  gibt,  die  mit 
wahrem  Naturgefühl  begabt,  auch  volles  Ver- 
ständnis besitzen  und  die  wesentliche  Harmonie  zum 
Ausdruck  bringen. 

Die  französischen  Landschafter  sind  schwerlich 
Philosophen  und  haben  auch  keine  Neigung  zu  ex- 
akten Studien.  Sie  gehen  in  den  Wald  von  Fon- 
tainebleau  hinaus,  oder  nach  der  Ile  Adam,  an  die 
Ufer  der  Seine,  des  Meeres  oder  eines  Bächleins, 
zum  Fuß  der  Alpen  oder  der  Pyrenäen,  richten  sich 
in  einer  Hütte  ein,  schauen  nach  der  Farbe  des 
Wetters  und  nach  dem  Sonnenuntergang,  fangen 
den  Regen  auf  und  lassen  sich  den  Wind  um 
die  Nase  wehen,  bis  sie  von  irgendeiner  eigentüm- 
lichen Wirkung  auf  irgendeiner  ländlichen  Stätte 
den  vollen  Eindruck  aufgenommen  haben.  Es  ist 
zuweilen  nur  die  geringste  Baumgruppe,  ein  stehen- 
des Wasser,  ein  Busch,  fast  nichts;  aber  es  ist  das 
Gefühl,  das  man  bei  diesem  Beinahe-Nichts  hat, 
das  —  eben  alles  ausmacht. 

Ist  es  nicht  wunderbar,  daß  die  alten  hollän- 
dischen Landschaftsmaler  uns  fesseln,  uns  inter- 
essieren und  rühren,  uns  von  Erinnerung  oder  Hoff- 
nung leben  lassen,  indem  sie  uns  eine  kleine  be- 


172  Landschaftsmalerei 


schattete  Hütte  zeigen  und  Weiden,  die  sich  im 
Wasser  spiegeln,  wie  Hobbema;  einen  Waldrand, 
wie  Ruisdael;  ein  Wiesenland  am  Kanal  wie  Aalbert 
Cuijp.  Wie  kommt  das?  Das  geschieht,  weil  sie 
diese  Dinge  lieb  hatten,  weil  sie  den  Charakter 
fühlten  und  den  Widerhall  in  der  menschlichen 
Seele.  Naive,  ihrer  selbst  unbewußte  Dichter,  deren 
einziges  Geheimnis  die  reine  Liebe  war  zu  dem,  was 
sie  darstellten. 

Der  Künstler  darf  kein  abstraktes  Wesen  sein, 
nach  deutscher  Denker  Art,  noch  ein  einfaches, 
nur  recht  klares  Objektiv,  nach  englischer  Art;  der 
Fehler  der  Deutschen  ist,  nicht  genug  von  der 
äußeren  Natur  aufzunehmen;  der  Fehler  der  Eng- 
länder ist,  nicht  genug  von  der  menschlichen  Natur 
wiederzugeben.  Der  wahre  Künstler  ist  eine  un- 
lösbare Verbindung  von  Natur  und  Menschentum, 
ein  sehendes  und  denkendes  Wesen  zugleich. 

Nun,  eben  diese  doppelte  Eigenschaft  der  Hol- 
länder des  17.  Jahrhunderts  besitzen  auch  einige 
französische  Landschafter  heute.  Sie  sehen  sehr 
gut,  worauf  es  ankommt,  und  empfangen  davon 
einen  entsprechenden  Eindruck,  und  geben  diesen 
wieder  ohne  andres  Vorhaben.  Ich  habe  mit  ihnen 
in  den  Wäldern  gelebt,  z.  B.  oft  mit  Rousseau,  und 
der  Mensch  hat  mich  ebenso  wie  der  Maler  inter- 
essiert :  sein  Herz  war  immer  dabei,  das  Auge  nicht 
minder,  und  die  Hand  folgte  ihnen.  Wenn  so  der 
ganze  Mensch  in  seinem  Werk  aufgeht,  in  ihm  lebt 
und  es  in  sich  leben  läßt,  dann  ist  es  kein  Wunder, 


Weltausstellung  in   I.on<lon   1862  173 

wenn  es  Eigenschaften  bekommt,  die  sich  mitzu- 
teilen vermögen.  Vor  einer  Landschaft  von  Ruis- 
dael  —  und  vielleicht  auch  von  Rousseau  —  erlebt 
man  genau  das,  was  man  angesichts  der  Natur 
selber  erleben  würde  und  was  der  Urheber  des 
Bildes  an  sich  erfahren  hat. 

Auf  der  kleinen  Landschaft  Rousseaus  in  der 
Ausstellung  sieht  man  eine  Flur,  einen  Weiher  und 
am  Rande  des  Wassers  eine  sitzende  Bäuerin.  Ach, 
wie  ist  es  herrlich  da  in  freier  Luft !  —  da  vergißt 
man  das  eitle  Getriebe  der  Stadt.  Sollte  nicht  das 
Glück  in  der  Ruhe  bestehen,  frei  von  Leiden- 
schaften, und  in  der  Einfachheit  der  Sitten? 

Das  Gemälde  von  Paul  Huet  gibt  einen  fast 
entgegengesetzten  Eindruck.  Die  Erde  ist  von  einer 
gewaltigen  Überschwemmung  heimgesucht;  gelb- 
liche Fluten  rollen  daher  und  reißen  Baumstämme 
und  Haustrümmer  mit  sich  fort;  der  Himmel  ist 
düster  und  undurchsichtig  wie  die  Wasserstrudel. 
Man  fühlt  sich  zum  Kampf  gegen  die  Natur  auf- 
gelegt; man  empört  sich  gegen  die  Geißel;  richtet 
sich  auf  zu  tapferm  Sinn  und  ist  bereit,  alles  auf 
sich  zu  nehmen. 

Die  „Feldarbeit"  von  Troyon,  mit  den  großen 
Ochsen,  die  dem  Bauern  bei  seinem  Tagewerk  helfen, 
flößt  Achtung  vor  der  Arbeit  ein,  für  die  Geduld 
und  die  Kraft,  die  der  Pflicht  gewidmet  werden. 
Das  gesunde  Dasein  in  fruchtbarer  Tätigkeit:  ach, 
wie  gern  wäre  auch  ich  so  ein  Ackersmann. 

So  sind  auch  andre  Landschaften  der  franzö- 


174  Landschaftsmalerei 


sischen  Abteilung.  Sie  führen  uns  in  die  Natur  ein 
und  setzen  uns  in  Zusammenhang  mit  ihr  durch  den 
großen  Zug  der  Seele,  den  starken  Mut,  die  Heiter- 
keit oder  die  Trübsal.  Vielleicht  könnten  die  Men- 
schen besser  sein,  wenn  sie  nicht  so  grausam  alle 
Bande  des  Mitgefühls  mit  der  Natur  zerrissen  hätten. 

Vor  den  botanischen  Landschaften  der  eng- 
lischen Praeraphaeliten,  bekommt  man  den  Einfall, 
daß  all  diese  feinen  Kräuter,  richtig  getrocknet 
und  präpariert  vom  Pharmazeuten,  der  sie  alle  er- 
kennt, gewiß  gut  seien,  um  Tee  daraus  zu  brauen. 

Und  wie  malen  sie  gut,  die  französischen  Land- 
schafter. Wieviel  Luft  und  Licht  ist  bei  Rousseau, 
welch  ein  fester  ganz  emailartiger  Auftrag,  welche 
treffliche  Zeichnung  im  Gezweig  der  Bäume,  in 
den  Krümmungen  des  Erdreichs,  in  den  Linien  des 
Horizonts.  Welch  ein  Glanz  bei  Diaz  und  welche 
Farbigkeit;  wie  bei  Edelsteinen  unter  der  Sonne. 
Bei  Troyon,  welche  Solidität,  welche  Richtigkeit 
und  Einfachheit.  Bei  Paul  Huet,  welche  Fülle  und 
welche  Breite. 

Man  muß  zu  Ehren  der  englischen  Schule 
sagen,  daß  die  französischen  Landschafter  ein  wenig 
von  ihr  abstammen,  durch  Gainsborough  nämlich 
und  Constable,  die  als  erste  nach  den  alten  hol- 
ländischen Meistern  sich  wieder  darauf  verlegten, 
die  schöne  gute  Natur,  so  wie  sie  ist,  ehrlich  ab- 
zumalen. Man  darf  sogar,  ohne  Schmeichelei,  hin- 
zufügen, daß  Turner  keinen  Rivalen  in  irgendeiner 
modernen  Schule  findet. 

ooo 


1863 
Theodore  Rousseau 

Ich  glaube  wohl,  daß  Theodore  Rousseau 
der  größte  Landschafter  unserer  Zeit  ist,  nicht  allein 
in  Frankreich,  sondern  in  Europa,  und  daß  die 
Nachwelt  ihn  auf  denselben  Rang  stellen  wird  wie 
die  holländischen  Meister  des  17.  Jahrhunderts.  Es 
gibt  nicht  viel  zeitgenössische  Maler,  denen  man 
mit  einigem  Anschein  von  Sicherheit  voraussagen 
kann,  daß  sie  dereinst  zu  den  Meistern  aller  Zeiten 
und  aller  Länder  gehören  werden.  Eugene  Dela- 
croix  wird  auch  darunter  sein.  Nehmen  wir  noch 
Decamps  hinzu,  und,  wenn  Sie  wollen,  Diaz  und 
Jules  Dupre,  die  durch  einige  ihrer  Werke,  —  die 
auszuwählen  wären,  —  wahre  Meisterschaft  erlangt 
haben.  Einige  andere  wie  Paul  Delaroche,  Ary 
Scheffer  und  Jean  Aug.  Dom.  Ingres  werden  inner- 
halb der  französischen  Schule  ihren  Ruhm  bewah- 
ren; aber  es  ist  fraglich,  ob  sie  als  überlegene 
Originale  in  der  Geschichte  der  europäischen  Kunst 
anerkannt  werden.  Lebrun,  Mignard  und  andre  na- 
tionale Berühmtheiten,  die  unsre  Museen  in  Paris 
und  in  der  Provinz  erfüllen,  sind  niemals  in  fremde 
Galerien  aufgenommen  und  gesammelt  worden. 


176  Landschaftsmalerei 


Es  gibt  eben  Lokalgrößen  und  Größen,  die  über 
die  Grenzen  ihres  Vaterlandes  hinausstrahlen  und 
überall  heimisch  werden.  Lionardo  und  Rafael,  van 
Eyck  und  Memling,  Dürer  und  Holbein,  Correggio 
und  Tizian,  Rubens  und  van  Dyck,  Claude  und 
Poussin,  Velazquez  und  Murillo,  Rembrandt  und 
Ruisdael,  selbst  die  ,, Kleinmeister"  wenn  sie  in  ir- 
gend einem  Genre  vollkommen  sind,  gehören  der 
Menschheit  an. 

Eins  der  beiden  Bilder  von  Rousseau  in  der 
Ausstellung,  eine  Waldlichtung,  könnte  zwischen 
einem  Ruisdael  und  einem  Hobbema  standhalten. 
Die  Solidität  des  bewachsenen  Erdreichs,  die  Struk- 
tur und  Modellierung  der  Eichen,  das  Licht,  das 
in  der  Mitte  auf  eine  Straße  fällt,  wo  ein  Karren 
vorüberfährt,  der  Tiefton  des  Himmels,  der  ge- 
wandte, perlglatte  Pinselstrich  über  einem  fest  wie 
Email  aufgetragenen  Impasto,  die  Harmonie  der 
Gesamtwirkung  und  der  wirklich  ländliche  Charak- 
ter, spotten  aller  Kritik.  Ich  kann  mir  nicht  vor- 
stellen, von  welcher  Seite  man  diese  Malerei  an- 
greifen wollte,  die  zugleich  so  ernst  und  reich  aus- 
geführt ist  und  ein  so  intimes,  so  poetisches  Emp- 
finden offenbart. 

Über  das  zweite  Bild  wäre  etwas  zu  sagen,  — 
daß  es  von  andrer  Mache  ist,  d.  h.  in  jener  Spitzen- 
stickerei, die  einigen  neueren  Werken  Rousseaus 
eigentümlich  ist.  Sollte  dieser  von  der  Natur  be- 
günstigte Liebhaber  der  Natur,  der  mehr  in  all 
ihre  Launen  eingeweiht  ist  als  wir  mitsammen,  eine 


Th.  Rousseau   1863  177 


ihrer  Ansichten  getroffen  haben,  die  diese  etwas 
mechanische  und  übermäßig  positive  Art  der  Durch- 
führung forderte  oder  rechtfertigte  ?  Diese  einzeln 
abgepflückten  Blätter,  die  ebenso  vereinzelt  wieder 
und  gleichwertig  gegen  den  Himmel  gesetzt  sind,  — 
die  haben  wir  niemals  in  freier  Luft  gesehen,  wo 
das  Licht  schon  die  Dinge  gruppiert  und  häuft,  mit 
jener  unendlichen  Mannigfaltigkeit,  die  ein  Ganzes 
zusammensetzt.  Man  hat  doch  die  Blätter  eines 
Baumes  nie  zählen  können,  es  sei  denn  auf  Land- 
schaften von  Aligny  und  vielleicht  auch  Paul 
Flandrin. 

Aber  was  bedeutet  dieser  vorübergehende  Ver- 
such bei  einem  Talent  wie  das  Rousseaus  ?  Er  war 
Meister  schon  von  seiner  ersten  Jugend  an.  Mit 
dreißig  Jahren  hat  er  Hauptwerke  geschaffen.  Er 
schafft  solche  noch  immer.  Während  hier  zwei 
Bilder  im  Salon  sind,  während  man  von  ihm  ein' 
halbes  Dutzend  von  Wundern  in  der  Ausstellung 
des  Clubs  der  Rue  de  Choiseul  sieht,  gibt  er  sich 
sogar  den  Zufälligkeiten  des  Hotel  Drouot  preis, 
mit  17  Landschaften,  die  sich  die  verfeinertsten 
Liebhaber  streitig  machen,  eben  jetzt.  Glücklich, 
wer  den  „Weiler  unter  Gehölz",  den  „Weg  im 
Walde"    oder   den   „Sturm-Morgen"    erringt. 


W 


W.  Bürger.     Kunstkritik.  12 


Corot 

Corot  ist  auch  ein  Meister,  wenn  auch  be- 
streitbarer; aber  seine  duftige  Malerei,  die  Künst- 
ler und  Dichter  entzückt,  nimmt  doch  keine  genü- 
gend greifbare  materielle  Form  an,  um  die  Blicke 
der  Laien  zu  fesseln.  Wer  die  „Vollendung"  eines 
Willem  Mieris,  eines  Denner  oder  Geröme  schätzt, 
vermag  kaum  eine  Malerei  zu  begreifen,  in  der  das 
einzelne  sich  im  Eindruck  der  Gesamtheit  verliert. 

(Der  Durchschnitt  der  Besucher  möchte  auf 
einem  Bilde  alles  sehen,  was  man  mit  einem  Mi- 
kroskop entdecken  kann.  So  hat  auch  Geröme, 
der  sein  Publikum  und  seine  Zeit  kennt,  in  seinem 
Gemälde  Louis  XIV.  und  Moliere  allen  Krimskram 
mikroskopisch  getreu  gegeben.  Die  Figuren  haben 
12 — 15  Zentimeter  Höhe,  d.  h.  man  sieht  sie  auf 
einen  Kilometer  Entfernung,  und  doch  unterscheidet 
man  sehr  gut  die  kleinen  Locken  ihrer  Perücken  und 
die  kleinsten  Zufälligkeiten  ihres  Aufputzes.  Ei, 
das  allerliebste  kleine  Stück  mit  den  geringsten 
Details  der  Damastmuster  und  der  Spitzenguipure  I 
Das  ist  unschuldsvoller  Realismus.) 

Von  den  drei  Bildern  Corots  ist  die  „Studie 
aus   Ville   d'Avray"   das   verlockendste.    Ein  Poet 


Corot  1863  179 

bewohnt  da  irgend  ein  Häuschen  im  Frühling.  Eines 
Morgens  steht  er  früh  auf  und  setzt  sich  auf  einer 
der  vvaldbewachsenen  Höhen.  Vor  sich  entdeckt  er 
zwischen  dem  leichten  Gehänge  der  Baumreihen  hin- 
durch einen  Teich,  auf  dem  noch  der  Morgennebel 
lagert,  und  weiterhin  Hügel  und  silberhelle  Gründe. 
Ganz  vorn  sammelt  eine  Bäuerin  abgefallene  Zweige 
zuhauf.  Was  dieser  Dichter  gesehen,  hat  Corot 
gemalt.  An  einem  Morgen  ist  angesichts  der  Natur 
geglückt,  was  diese  Studie  bietet.  Aber  dies  Meister- 
werk wird  im  Salon  vielleicht  kaum  viel  Wesens 
machen. 

Ich  erinnere  mich  noch  der  Jahre,  die  jetzt  schon 
weit  zurückliegen,  wo  ich  in  voller  Sympathie  mit 
der  Dichtung  Corots,  ihn  doch  zuweilen  wegen  einer 
gewissen  Unfähigkeit,  die  Formen  der  Natur  wieder- 
zugeben, kritisierte.  Was  für  große  Künstler  waren 
es  damals,  deren  Werke  wir  vor  fünfzehn  Jahren 
zu  besprechen  hatten,  im  Vergleich  zu  den  heutigen. 
Man  sage  mir  doch,  welcher  Landschaftsmaler  ist 
denn  auf  die  Welt  gekommen,  seit  jener  Plejade,  die 
damals  soviel  Kontroversen  erregte  und  heute  euro- 
päisches Ansehen  genießt,  seit  Rousseau,  Dupr£, 
Diaz,  Huet,  Cabat,  Marilhat,  Troyon  usw.  ? 

Die  Studie  von  Mery  bei  la  Ferte-sous-Jouarre 
ist  schwächer  als  die  Studie  von  Ville  d'Avray. 
Aber  die  ,, aufgehende  Sonne"  mit  Badenden,  die 
schamhaft  in  den  Morgendunst  gehüllt  sind,  ist  noch 
ein  reizendes  Bild. 

OOO 


180  Landschaftsmalerei 


Greifen  wir  nun  einmal  diese  Landschafter  aus 
längstvergangenen  Zeiten  heraus. 

Flers  ist  noch  immer  da  und  zeigt  seine  Nor- 
mandie  oder  dicht  gewachsenes  Gehölz. 

Paul  Huet,  immer  tüchtig  und  dramatisch, 
mit  Abhängen  und  Schluchten,  wenn  er  sich  nicht 
zu  Überschwemmungen  und  Stürmen  steigert.  Ju- 
les Dupr£,  Diaz,  Cabat,  Troyon  fehlen,  wie  gesagt. 
Aber  ihre  alten  Rivalen  haben  noch  nicht  den  Kampf- 
platz geräumt,  nur  bemerkt  man  sie  nicht  mehr :  da 
ist  Aligny,  Paul  Flandrin,  Alexandre  Desgoffe,  alle 
drei  dekoriert  wie  die  andern. 

Francais,  der  zwischen  beiden  Gruppen  steht, 
hat  sich  zu  Orpheus  gewendet,  mit  einem  Epigramm 
aus   Virgils   Georgica : 

„Te  dulcis  conjux   .  .  . 

Te,  veniente  die,  te,  decedente,  canebat." 

Ich  verstehe  kein  Latein,  aber  ich  nehme  an: 
„decedente  die"  will  sagen  „bei  Nacht";  denn  es 
sind  Sterne  in  Francais'  Landschaft  zu  sehen.  Da 
ist  auch  ein  lateinisches  oder  griechisches  Grabmal, 
ich  kenne  mich  nicht  aus,  und  ein  Baum  aus  jenen 
Ländern,  die  lange  vor  der  französischen  Revolution, 
ja  vor  unserm  Herrn  Jesus  Christus  existiert  haben. 

Im  Ernst,  mir  scheint  besonders  in  der  Land- 
schaftsmalerei sollte  ein  mit  Menschlichkeit  ver- 
bundener Naturalismus  mittlerweile  die  Altertüme- 
lei und  die  mythologische  Wirtschaft  ersetzen.  Him- 
mel und  Erde  sind  verwandelt  seit  dem  Verschwin- 
den Jupiters  in  der  Höhe  und  der  Nymphen  in  der 


Salon   1863  181 

Tiefe.  Ich  sehe  keine  Najaden  mehr  in  den  Flüssen 
noch  Hamadryaden  in  den  Hainen.  Die  einzigen 
Waldmenschen  des  Waldes  von  Fontainebleau  schei- 
nen die  armen  Kohlenbrenner  zu  sein  oder  die  Jagd- 
hüter in  Uniform.  Keine  Sirene  mehr  auf  der  Seine, 
bis  auf  die  Ruderinnen  in  himmelblauer  Flanellbluse. 
Ach,  was  sind  die  Zeiten  prosaisch!  Wie  soll  man 
im  untern  Meudon  die  „Landung  der  Kleopatra" 
machen,  oder  auch  nur  einen  Diogenes,  der  seine 
Trinkschale  in  den  Teich  wirft. 

Bah,  wenn  man  nur,  was  man  sieht,  liebevoll 
und  ehrlich  machte?  Einige  Künstler  versuchen 
es.  Ein  Bild,  dem  ich  im  Salon  den  Vorzug  gebe, 
ist  das  von  Belly,  wo  vier  Fellahweiber  Wasser 
schöpfen,  am  Rande  des  Nils.  Er  hätte  eine  lieb- 
liche Komposition  daraus  machen  können,  indem  er 
die  Sache  mit  einigen  seit  Moses  bekannten  Per- 
sonen arrangierte.  Sein  Gemälde  hätte  jedoch  nicht 
dabei  gewonnen,  als  höchstens  die  Aussicht,  vom 
Staat  angekauft  zu  werden.  Er  hätte  auch  Aphro- 
diten oder  „Perlen"  daraus  machen  können;  damit 
wäre  fashionable  Sympathie  wahrscheinlich  erreicht. 
Aber  er  hat  einfach  vier  gelbe  Ägypterinnen  ge- 
macht, eine  gebeugt  und  von  vorn  gesehen,  die  ihren 
Henkelkrug  im  Flusse  füllt,  die  andre  vom  Rücken 
gesehen,  auf  den  Sand  gelehnt;  rechts  eine  sehr  ele- 
gante Gruppe:  ein  junges  Mädchen  mit  erhobenem 
Arm,  im  Begriff  ein  Gefäß  auf  den  Kopf  der  Ge- 
färtin  zu  setzen.  Das  Wasser  ist  gelb,  der  Sand 
bleich,    der   Himmel    zwischen    Schwefel    und    Saf- 


182  Landschaftsmalerei 


ran.  Das  junge,  von  rückwärts  gesehene  Mädchen 
ist  unter  der  bläulichen  Tunika  mit  seltener  Voll- 
endung modelliert.  Wir  kennen  von  Belly  schon 
mehrere  schöne  Gemälde  aus  dem  Orient,  wo  er 
gereist  ist,  nachdem  er  früher  im  Atelier  Troyons 
gearbeitet. 

Ohne  so  weit  in  die  Ferne  zu  schweifen,  hat 
Lavieille,  ein  Schüler  Corots,  unweit  von  Pierre- 
court eine  „Abendstimmung"  gefunden,  die  sehr 
melancholisch,  auch  in  einer  dumpfen  Tonart,  aber 
außerordentlich  richtig,  wiedergegeben  ist. 

Charles-Francois  Daubigny  ist  immer  ein 
wenig  derselbe :  seine  großen  Stücke  sind  leer,  seine 
Gebilde  platt  und  schwach.  Doch  ist  in  seinem 
„Morgen"  Feinheit,  und  in  seiner  „Ernte"  einiger 
Schwung.  Sein  Sohn,  der  ihn  nachahmt,  hat  zwei 
Bilder  ausgestellt. 

Harpignies  besitzt  viel  Originalität,  und  seine 
Landschaft  mit  Rabenscharen,  die  einen  bleichen 
Himmel  mit  schwarzen  Punkten  durchziehen,  ist 
sehr  eigenartig.  Hannoteau  vereint  poetisches 
Empfinden  mit  guter  Ausführung.  Daß  die  Jury  eine 
ausgezeichnete  und  sonderbare  Skizze  von  P radel- 
ies „Winterstimmung"  zugelassen  hat,  ist  erstaun- 
lich genug.  Teinturier,  Schüler  vonDecamps,  hat 
einen  „Sonnenuntergang"  ausgestellt,  sehr  einfach 
und  sehr  kräftig.  Busson,  einen  „Sturm  in  den 
Landes"  mit  einem  großen  verdorrten  Baum  im 
Vordergrund  und  einem  Himmel  voll  dramatischer 
Bewegung.    Bachelin,  Schüler  von  Couture,  gibt 


Salon   1863  183 

Mäher  der  Alpen,  die  von  schroffen  Felsen  her- 
untcrklettern  mit  ihrem  Bündel  Heu  auf  dem  Kopf. 
Magy,  Schüler  von  Loubon,  gibt  Kabylen  bei  der 
Ernte  in  einer  lichtvollen  Landschaft;  Raphael 
Ponson  „das  Meeresufer  bei  Cassis",  ein  Gemälde 
von  großer  Wirkung,  etwas  im  Stil  Paul  Huets.  Gues, 
ein  Schüler  Horace  Vernets,  gibt  den  „Abend"  in 
einer  ungesuchten  Gegend.  Von  einem  Zögling  des 
geistreichen  und  oberflächlichen  Vernet  hätte  man 
so  naive  Einfachheit  gewiß  nicht  erwartet.  Coig- 
nard  erscheint  mit  einem  Weideland  der  Nor- 
mandie,  Tournemine  mit  Erinnerungen  aus  Unter- 
Ägypten, darauf  zwei  Flamingos,  die  er  so  sehr  liebt, 
und  Flügen  von  Wasservögeln.  Jeanron  gibt  drei 
Ansichten  aus  der  Umgebung  von  Hyeres  usw. 


1864 

Im  Grunde  hat  es  niemals  mehr  als  zwei  ver- 
schiedene Schulen  in  der  Landschaftsmalerei  ge- 
geben: die  Poussins  und  Claudes  —  und  die  Ruis- 
daels  und  Hobbemas;  ebenso  wie  es  nur  zwei  Ty- 
pen in  der  modernen  Kunst  gibt:  Rafael  und  Rem- 
brandt,  den  Künstler  a  priori  und  den  Künstler 
a  posteriori,  wie  ein  philosophischer  Ästhetiker 
sagen  würde:  den  Künstler,  der  von  einem  selbst- 
gemachten Ideal  ausgeht,  und  den  Künstler,  der 
von  der  Natur  ausgeht.  Correggio  und  Tizian,  Ru- 
bens und  Velazquez  stehen  nicht  auf  der  Seite  Ra- 
faels,  der  für  sich  die  römische  und  bolognesische 
Schule  hat  und  noch  eine  ganze  Menge  von  Malern, 
die  seit  länger  als  drei  Jahrhunderten  seinen  Spu- 
ren zu  folgen  gestrebt  haben,  ohne  sein  Genie  zu 
besitzen. 

Ehedem  machte  man  Systeme  und  leitete  dar- 
aus eine  Wissenschaft  und  eine  Praxis  ab.  Der 
Charakter  des  neunzehnten  Jahrhunderts  besteht 
dagegen  darin,  zuerst  eine  Wissenschaft  zu  ent- 
decken und  die  Praxis  durch  Experimente  zu  er- 
langen; danach  erst  mag  jeder  nach  seiner  Weise 


Salon  1864  185 

darüber  systematisieren.  Ohne  uns  rühmen  zu  wol- 
len, ist  unsre  Methode  besser  als  die  jener  Zeiten, 
die  noch  von  Vorurteilen  und  Aberglauben  be- 
herrscht  waren. 

Wie  soll  man  sich  über  den  Naturalismus  in 
der  Kunst  wundern,  da  er  doch  genau  dasselbe  ist 
wie  das  neue  Verfahren,  das  in  allen  Richtungen 
des  menschlichen  Geisteslebens  eingeschlagen  wird, 
in  der  Philosophie,  in  der  Politik,  in  der  Wissen- 
schaft und  im  sozialen  Haushalt.  Verlegen  sich 
nicht  die  Wissenschaften  zunächst  auf  das  Studium 
der  Tatsachen,  um  so  zur  Kenntnis  der  Gesetze  zu 
gelangen,  zu  theoretischen  aber  doch  positiven  Ver- 
allgemeinerungen. 

Nun  gut,  die  Naturalisten  in  der  Kunst  machen 
es  nicht  anders :  sie  beobachten  die  Natur,  gehen 
vom  Besonderen  zum  Allgemeinen,  und  wenn  sie 
Talent  haben  oder  gar  Genie,  dann  vergrößern  sie 
die  Eigentümlichkeit  eines  Anblicks  durch  die  Cha- 
rakterzüge der  Gesamtheit. 

Ich  sage  nicht,  daß  Poussin  und  Claude  der 
Natur  fremd  gewesen  seien,  sondern  daß  ihre  Auf- 
fassung, ursprünglich  ideal,  sich  in  der  Folge  erst 
in  ihren  Werken  mit  einer  gewissen  Dosis  von  Re- 
alität erfüllte.  Claude  ist  der  Meister  des  Himmels- 
lichtes. Und  das  erste  Element  der  Landschaft  ist 
das  Licht.  So  hat  auch  niemand  Claude  übertroffen 
in  der  Wiedergabe  des  Himmels  und  der  Fernen. 
Aber  er  schuf  seine  Himmel,  um  ein  vorgefaßtes 
Bild  zu  erleuchten,   mit  Palästen  und  Geschichten 


186  Landschaftsmalerei 


aus  dem  Feenland.  Ähnlich  begann  Poussin  damit 
in  seinem  Kopf  eine  Komposition  auszudenken,  er 
kombinierte  ganz  abstrakt  die  großen  Linien  und 
das  Beiwerk;  dann  verband  er  das  Ganze  durch  ein 
Gefühl  für  die  Natur  selbst,  in  ihren  großartigen 
Ansichten.  Dies  Verfahren  darf  nicht  durchaus  ver- 
urteilt werden,  weil  es  Meisterwerke  hervorgebracht 
hat;  aber  es  ist  für  mittelmäßige  Künstler  gefährlich. 

Zu  welchem  Grad  von  Unbedeutendheit  war  die 
sogenannte  klassische  Landschaft  herabgesunken,  als 
die  neue  Schule,  die  heute  in  voller  Glorie  dasteht, 
ganz  einfach  darauf  verfiel,  zur  Natur  zurückzu- 
kehren und  Landschaften  zu  malen,  die  sie  sah,  an- 
statt fabelhafte  und  erdichtete  Gegenden  zusammen- 
zustöppeln. Wo  sind  heute  Aligny,  Edouard  Bertin, 
Alexandre  Desgoffe  und  Paul  Flandrin,  die  einen 
Augenblick  versuchten,  das  antike  Griechenland  und 
die  Mythographie  in  der  Landschaft  zu  verewigen. 
Sie  zählen  nicht  mehr  in  der  zeitgenössichen  Schule 
und  ihre  Namen  sind  fast  schon  vergessen.  Ihr 
System,  wenn  auch  sehr  verbessert,  ist  freilich  noch 
nicht  vollständig  verlassen,  und  man  trifft  im  Sa- 
lon auch  noch  einige  Getreue,  die  von  den  Ver- 
fechtern des  Ideals  und  der  literarischen  Malerei 
ermutigt  werden.  Es  ist  angenehmer,  einen  heiligen 
Hain  mit  Nymphen  und  einem  Tempel  zu  schildern, 
als  ein  Bauerngehöft  mit  einem  Karren  und  einem 
ganz  gewöhnlichen  Teich. 

Die  neue  Landschaftsschule,  deren  Ursprung 
sich  etwas  an  die  englische  Schule  von  Constable 


Th.  Rousseau   1864  187 


und  Gainsborough  knüpft,  und  deren  erste  Haupt- 
führer Paul  Huet,  Jules  Dupr£,  Theodore  Rousseau, 
Flers  und  Cabat,  Decamps  und  selbst  Bonington  und 
Eugene  Delacroix  gewesen  sind,  —  ist  sie  nicht 
heute  die  Ehre  Frankreichs  und  der  zeitgenössischen 
Kunst  ?  Die  Landschaften  von  Eugene  Delacroix, 
von  Decamps,  von  Marilhat,  von  Rousseau,  Dupre, 
Diaz,  Troyon,  Corot  und  einigen  andern,  —  werden 
sie  nicht  in  den  Galerien  unter  die  Meisterwerke  der 
alten  Schulen  eingereiht?  Von  allen  zeitgenössi- 
schen Malern  sind  die  Landschafter  vielleicht  die 
einzigen,  von  denen  man  sagen  kann,  sie  gleichen 
in  ihrem  Fach  den  Meistern  von  ehedem. 

Als  Liebhaber  von  Gemälden  ebenso  wie  als 
Kritiker  würde  ich  bekennen,  daß  für  mich  der 
erste  Landschafter  unserer  Zeit  Rousseau  ist.  Nach 
ihm  kommen  Diaz  und  Jules  Dupre,  dessen  Ab- 
wesenheit im  Salon  man  bedauert. 

OOO 


Theodore  Rousseau 

Das  Genie  Rousseaus  ist  der  Effekt.  Die  Ef- 
fekte in  der  Natur  sind  wie  die  Gemütsbewegungen 
beim  Menschen:  das  geht  von  einem  leichten  und 
vorübergehenden  Eindruck  bis  zu  gewaltsamen  Er- 
schütterungen und  wütenden  Leidenschaften,  von 
einer  kleinen  atmosphärischen  Bewegung  bis  zum 


188  Landschaftsmalerei 


Gewitter,  von  einem  bloßen  Lichtschimmer  am  stür- 
mischen Himmel  bis  zur  glänzenden  Pracht  der 
untergehenden  Sonne.  Rousseau  hat  alle  Launen 
und  alle  Zufälligkeiten,  alle  Dramen  und  alle  Aus- 
schweifungen der  Natur  zu  malen  verstanden:  den 
Regen,  den  Wind,  den  Wirbelsturm,  den  Tau,  den 
Reif,  den  Schnee;  den  Morgen  und  den  Abend  wie 
den  vollen  Mittag;  die  Sonne,  wenn  sie  aufsteht, 
und  die  Sonne,  wenn  sie  herabsteigt  hinter  den 
Horizont;  den  Winter  und  den  Sommer,  vor  allem 
aber  den  Herbst,  und  sogar  den  Frühling. 

Es  ist  bemerkenswert,  daß  die  alten  Meister 
nie  den  Frühling  gemalt  haben.  Sucht  nur  in  dem 
Werke  Poussins  und  Claudes,  in  dem  Werke  Ruis- 
daels  und  Hobbemas  und  aller  ausgezeichneten  hol- 
ländischen Landschafter.  Der  Sammetbreughel  viel- 
leicht in  seinen  irdischen  Paradiesen.  Einige  mo- 
derne Engländer  haben  es  mit  Erfolg  getan,  und 
Millais  hat  herrliche  Frühlingsbilder  geschaffen,  mit 
Apfelbäumen  in  Blüte  und  saftigem  frischem  Grün. 
In  seiner  ersten  Manier  liebte  Rousseau  besonders 
die  Traurigkeit  der  Herbststimmungen,  die  wilden 
Gegenden  mit  bemoosten  Felsen  und  zerzausten 
Eichen,  mehr  als  die  heitern  Ansichten  der  Er- 
neuerung und  der  Maifeste.  Damals  aber  hat  auch 
er  sein  Frühlingslied  angestimmt.  Wir  lebten  zu 
jener  Zeit  in  Mansarden  beieinander  und  hatten 
keine  Mittel,  selbst  nach  Fontainebleau  zu  gehen, 
wo  wir  seither  die  Kolonie  von  Barbison  gegründet 
haben.   Den  Monat  Mai  unter  dem  Dach  verbringen 


Th.  Rousseau   1864  189 


und  nicht  unter  den  Zweigen,  die  sich  mit  Blättern 
schmücken !  Der  Frühling  rumorte  im  Kopfe  Rous- 
seaus;  er  improvisierte: 

„Dans  les  nids  y  a  des  p'tits, 
Y  a  des  p'tits  dans  les  nids!" 

Das  ist  alles.  Man  fängt  nach  Belieben  von  vorn 
an.  Es  kommt  auch  nicht  aufs  Singen  an,  wenn 
man  Maler  ist.  Rousseau,  der  alles  versuchte,  ver- 
suchte also  Frühlingseffekte  mit  blühenden  Hecken, 
darin  die  Vögel  ihre  Nester  verbergen  konnten,  mit 
zarten  Trieben  an  den  Spitzen  der  Bäume,  mit  Grä- 
sern, die  noch  nicht  von  der  Sonne  gebräunt  sind. 
Das  ist  nicht  so  leicht  zu  malen,  wie  gelbes  oder 
bronzenes  Gestein,  oder  wie  alte  Gerippe  von  Bäu- 
men. Dazu  gehört  eine  Zartheit  des  Tones  und  eine 
Leichtigkeit  des  Pinselstrichs,  die  der  neuen  Schule 
nicht  eben  vertraut  sind,  da  sie  ihre  Stärke  gerade 
im  pastosen  Farbenauftrag  und  der  Energie  des 
Kolorits,  in  der  Tiefe  der  Schatten  im  Gegensatz  zu 
den  Lichtern  sucht.  Dazu  gehört  ein  Festhalten  am 
Hellen  und  kaum  wahrnehmbaren  Halbtönen,  weil 
die  Sonne  noch  nicht  in  voller  Kraft  die  Silhouetten 
der  Dinge  hervorhebt.  Es  gehört  dazu  vor  allem 
die  Kühnheit  vollster  Aufrichtigkeit,  um  zu  wagen, 
das  auszudrücken,  was  man  sieht,  genau  so  wie 
man  es  sieht. 

Eine  der  beiden  von  Rousseau  ausgestellten 
Landschaften  ist  eben  eine  Dorfansicht  im  Frühling. 
Die  Lage  ist  ganz  gewöhnlich,  ohne  besondere 
Schönheit    und    Originalität:    eine   gerade    Straße, 


190  Landschaftsmalerei 


eben  und  grau,  zwischen  zerstreuten  Hütten  auf 
beiden  Seiten,  alle  gleich  an  Form  und  an  Farbe 
bis  auf  das  erste  Haus  links,  das  mit  rötlichen 
Ziegeln  gedeckt  ist.  Am  Ende  der  Straße  ein  kleines 
Gehölz,  in  das  sie  einmündet.  Längs  dieses  Durch- 
gangs durch  das  Dorf  sind  keine  Hecken  noch  Ge- 
büsche zu  sehen,  nur  zwei  armselige  kleine  Bäume, 
gar  nicht  anspruchsvoll.  Aber  um  die  Hütten  herum 
wachsen  Büsche  und  Grünzeug.  Ein  Reiter  kommt 
auf  der  Straße  daher;  weiterhin  ein  Figürchen  in 
Blau,  und  ganz  dicht  beim  Gehölz  ein  andres  kleines 
Figürchen  in  Rot :  sie  dienen,  die  Abstände  zu  be- 
werten. Der  Himmel,  fast  einfarbig  und  azurn  in 
der  Höhe,  geht  gegen  den  Horizont  in  perlgraue 
Töne  über.  Ein  ruhiges,  überall  gleichmäßiges 
Licht  verbreitet  sich  über  den  Dächern  der  Hütten, 
die  mit  Sammetflechten  überzogen  sind,  und  über 
die  jungen  Rasenflächen.  Kein  Wind,  kein  Ge- 
räusch; Schweigen  und  Ruhe.  Man  könnte  die  Vö- 
gelein in  ihren  Nestern  girren  hören.  Vielleicht 
würde  man  nicht  gerade  Neigung  haben,  dies  Dorf 
zu  bewohnen,  wo  keine  malerische  Aussicht  über 
bewegte  Fernen  ins  Auge  fällt ;  aber  es  würde  wohl- 
tun, da  hindurchzugehen,  wenn  man  aus  Paris 
kommt,  um  die  große  Stadt  zu  vergessen  und  sich 
auf  die  Sammlung  eines  ländlichen  Lebens  vor- 
zubereiten, draußen  auf  bewegteren  Fluren,  die  auch 
unser  Gemüt  lebhafter  bewegen. 

Die  Bewunderer  Rousseaus,  die  an  seine  warme 
Malerei  und  den  lebendigen  Zauber  seiner  Palette 


Th.  Rousseau   1864  191 


gewöhnt  sind,  scheinen  diese  einfache  und  naive 
Art  nicht  sehr  zu  billigen.  Auch  ich  bin  nicht  ver- 
narrt in  gewisse  kleinliche  Verzierungen,  die  er 
neuerdings  zuweilen  angewandt  hat,  er,  dessen  Strich 
sonst  so  breit  und  entschlossen  wie  der  Hobbemas 
ist,  in  allen  Studien  und  Skizzen  nach  der  Natur.  Hier 
aber  verschwindet  das  Verfahren  ganz.  Der  große 
Künstler  hat  sich  freiwillig  ausgelöscht  in  seinem 
Werke:  —  das  ist  vielleicht  das  Höchste  der  Kamst. 
Sonst  braucht  man  die  andern  Bilder  Rousseaus 
nur  von  weitem  zu  gewahren,  um  schon  seinen 
Namen  sofort  zu  nennen;  denn  die  besonders  cha- 
rakteristischen Meister  erkennt  man  schon  aus  der 
Ferne.  Mit  dieser  kleinen  Dorfansicht  geht  es  nicht 
ebenso.  Am  Tage  der  Eröffnung  des  Salons,  als 
ich  die  Säle  ohne  Katalog  durchschritt,  wie  man 
meines  Erachtens  immer  zu  Anfang  tun  muß,  sowohl 
in  Museen  wie  Ausstellungen,  —  wurde  ich  durch 
diese  blonde  und  keusche  Malerei  angezogen.  Beim 
nächsten  Blick  schon  erriet  ich  Rousseau,  und  zwar 
aus  seinen  so  zarten  grauen  Tönen  auf  den  Hütten, 
aus  seinem  kräftigen  Grün,  obgleich  sie  ganz  hell 
sind,  und  aus  der  genauen  Modellierung  der  Büsche, 
die  an  diejenigen  der  Verehrung  des  Lammes  von 
Jan  van  Eyck  in  S.  Bavon  zu  Gent  erinnern.  Welche 
verdienstliche  Bemühung  beweist  nicht  schon  solch 
ein  Werk  durch  das  liebevolle  Studium  eines  Künst- 
lers, der  alle  Morgen  eine  geistreiche  Skizze  malen 
könnte,  wenn  er  dem  Beispiel  des  Meisters  Teniers 
folgen  wollte,  der  in  seinem  Schloß  Trois  Tours, 


192  Landschaftsmalerei 


Tag   für  Tag   vor   dem   Gabelfrühstück   solch   ein 
Stück  fertig  gemacht  haben  soll. 

Das  andere  Bild  von  Rousseau  wird  allgemein 
bewundert.  Immer  Hütten,  aber  diesmal  unter  dem 
Schirm  großer  Bäume,  die  fast  die  ganze  Fläche 
füllen  und  fast  die  ganze  Komposition  in  breite 
Schatten  hüllen.  Die  Farm  liegt  in  der  Mitte,  etwas 
vom  Licht  getroffen;  aber  die  einzige  helle  Partie 
ist  vorn,  wo  eine  Bäuerin  ihre  Eimer  trägt.  Rechts 
die  Scheuer  mit  Strohdach.  Links  ein  geheimnis- 
voller Durchblick,  an  dessen  Ende  man  eine  andre 
Hütte  gewahrt.  Grüner  Boden,  in  einem  stumpfen 
Halbton,  nimmt  den  Vordergrund  ein.  Ein  Natur- 
freund würde  gut  da  leben  unter  diesen  Eichen. 
Ist  das  der  Ort,  wohin  die  Dorfstraße  führt,  die 
wir  vorher  gesehen  haben?  Gehen  wir  nicht  weiter; 
wir  haben  die  rechte  Stelle  gefunden  und  zugleich 
das  schönste  Stück  auf  der  ganzen  Ausstellung. 

ooo 

Corot 

Eine  entzückende  Landschaft  von  Corot  ist  die 
„Erinnerung  an  Morte-Fontaine"  mit  Morgennebeln, 
die  einen  See  umspielen.  Große  Bäume  zeichnen 
ihr  Spitzengehänge  gegen  die  silberne  Atmosphäre. 
Am  Rande  des  Wassers  belustigen  sich  drei  Mäd- 
chen mit  den  Zweigen  einer  eleganten  Esche.  — 
Corot  ist  unvergleichlich  im  Erwecken  poetischer 
Gebilde  mit  fast  nichts.  Es  ist  kaum  gemalt;  abet 


Corot   1864  198 

-'■■■—      j_ ...■''  ,  7  '  i'  -. 

der  Eindruck  ist  da,  und  vom  Künstler  überträgt 
er  sich  auf  den  Betrachter. 

Der  zweite  Corot  hat  nicht  mindern  Reiz;  eine 
Art  Skizze,  die  „der  Windstoß"  betitelt  ist.  Ein 
Feenmärchen  immerhin,  fast  ohne  Realität.  Ich 
weiß  nicht,  welches  Land  in  den  Äther  getaucht,  das 
irgendwo  in  den  Sternen,  vielleicht  an  der  Milch- 
straße zu  finden  sein  wird,  Corot  ist  dem  idyllischen 
Charakter,  ohne  ihn  zu  suchen,  viel  näher  als  andre 
Maler,  die  es  direkt  darauf  abgesehen  haben.  Seine 
Landschaften  haben  das  Aussehen,  für  die  Nymphen 
und  Museen  geschaffen  zu  sein.  Die  Flegel  Millets 
würden  darin  nicht  gedeihen  können. 

OOO 

Von  wem,  glauben  Sie,  sind  wohl  die  besten 
Landschaften  im  Salon,  nächst  denen  von  Rousseau 
und  Corot  ?  Von  einem  Bildhauer,  der  seine  Bilder 
sogar  oft  bezeichnet  hat  ,,Le  sculpteur  Cle- 
singer".  Zwei  kleine  Ansichten  der  römischen 
Champagna,  die  Madame  Isaac  Pereire  gehören, 
zwei  kleine  anspruchslose  Meisterstücke,  die  auch 
die  Nachbarschaft  der  alten  Meister  vertragen  wür- 
den. Der  „Morgen"  am  Ufer  des  Tiber  mit  ruhen- 
den Ochsen  im  Sande,  und  eine  andre  Ansicht  vom 
Tiber,  mit  seinem  safranfarbenen  Kies,  seiner  schla- 
fenden Welle,  seinem  flachen  Boden  und  seinen 
blauen  Gründen.  Dieser  Clesinger  ist  wirklich  ein 
Alleskönner:  er  hat  auch  Radierungen,  Aquarelle 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  13 


194  Landschaftsmalerei 


und  Pastelle  gemacht,  Ziseleur-  und  Goldschmieds- 
arbeiten; er  könnte  vortrefflich  alles  leisten,  was 
ins  Bereich  der  plastischen  Künste  fällt.  Wir  finden 
ihn  bei  der  Skulptur  wieder  mit  Reiterstatuen 
Franz  L,  Napoleon  I.  und  einer  Statue  des  Julius 
Caesar. 

Cabat  hat  schon  seit  lange  seine  erste  Liebe 
für  das  Land  der  Landleute  verleugnet.  Italien  hat 
ihn  besiegt,  wie  es  so  viele  andre  besiegt  hat. 

Zwischen  den  beiden  großen  Schulen  des  15. 
und  des  17.  Jahrhunderts  im  Norden,  die  ihre  Macht 
dem  Ursprung  aus  dem  eigenen  Lande  verdankten, 
hat  doch  Italien  alle  Holländer  und  Flamländer  ver- 
nichtet, die  während  einer  langen  Zeit  des  16.  Jahr- 
hunderts sich  beeilten,  über  die  Alpen  zu  gehen 
und  den  italienischen  Stil  nachzuahmen.  Hat  es 
unter  seinem  Abglanz  nicht  beinahe  die  ganze  fran- 
zösische Malerei  erlöschen  lassen,  vom  16.  bis  zum 
19.  Jahrhundert,  bis  auf  einen  Moment,  wo  gerade 
die  Meister,  die  niemals  nach  Italien  gingen,  die 
besten  waren  ?  —  Largilliere  und  Rigaud  sind  ziemlich 
hervorragende  Porträtisten,  Watteau  und  Chardin 
malen  nicht  eben  schlecht:  sie  haben  nie  die  Alpen 
überstiegen.  Auch  der  zarte  Lesueur,  wie  der  fieber- 
hafte Jouvenet  taten  es  nicht,  obwohl  sie  freilich 
alle  beide,  jeder  nach  seinem  Temperament,  vom 
italienischen  Stil  beeinflußt  wurden.  Augenschein- 
lich taugen  Lesueur  und  Jouvenet,  Largilliere  und 
Rigaud,  Watteau  und  Chardin  ebensoviel  wie  Simon 
Vouet   und  Lebrum    Blanchard    „der    französische 


Salon    1861  196 

Tizian",  Pierre  Mignard  „der  französische  Rafael" 
und  sein  Bruder  der  „römische"  Mignard. 

Delacroix  war,  glaube  ich,  niemals  in  Italien. 
Rousseau,  Dupr£,  Diaz  scheinen  nie  das  Verlangen 
gehabt  zu  haben,  dorthin  zu  gehen.  Man  verkehrt 
nicht  ungestraft  in  den  Gräbern.  Hat  denn  Rom 
etwas  von  einer  lebenden  Stadt?  Der  Tod  wohnt 
darin  in  allen  seinen  Formen,  nicht  allein  in  den 
Ruinen  der  beiden  verflossenen  Perioden,  des 
Heidentums  und  des  Katholizismus,  sondern  auch 
in  der  Bevölkerung,  die  den  heimischen  Pfaffen 
oder  den  fremden  Soldaten  preisgegeben  wird. 

Es  mochte  ja  ehedem  gut  sein,  nach  Korinth 
zu  gehen,  aber  heute  ist  es  nicht  gut,  nach  Rom 
zu  gehen.  Wenigstens  wenn  man  nicht  ebenso 
Deutschland,  Holland,  Belgien  und  England  besucht. 
Ein  gewisser  Grad  kosmopolitischen  Wesens,  der 
den  Menschen  der  Neuzeit  nicht  übel  steht,  ver- 
mag den  Nationalcharakter  nicht  auszulöschen. 
Aber  die  Wahl  eines  fremden  Vaterlandes,  vor  allem 
wenn  es  nur  die  Vergangenheit  vertritt,  verdirbt  die 
angeborenen  Fähigkeiten,  die  man  haben  könnte, 
und  erweckt  keine  neuen  als  Ersatz  dafür. 

Cabat  und  Francais  haben  nichts  gewonnen 
durch  ihren  Aufenthalt  in  Italien.  Ihre  besten  Werke 
sind  immer  die  ihrer  ersten  Manier,  aus  der  Zeit, 
wo  sie  die  „natürliche  Natur"  wiedergaben,  ohne 
Voreingenommenheit  für  einst  geheiligte  Stile. 
Höchstens  haben  sie  die  Unterstützung  der  offi- 
ziellen Kritik  gewonnen  und  Bestellungen  höheren 


Landschaftsmalerei 


Ortes.  Das  System,  das  sie  beide  angenommen 
haben,  wenn  auch  nicht  mit  der  gleichen  Macht 
der  Ausführung,  ist  im  voraus  so  abgegrenzt,  so  ab- 
gedroschen, daß  alle  beide  einen  „antiken  Hain 
mit  mythologischen  Figuren"  gemalt  haben  und 
eine  „Italienische  Ansicht  mit  Figuren  in  Verklei- 
dung einer  fernen  Zeit44.  Daß  man  auch  in  der 
Landschaft  den  Stil  und  die  Schönheit  sucht,  ist 
ja  sehr  löblich,  ebenso  wie  das  Streben  nach  Einfalt 
und  Gefühl.  Aber  nehmen  wir  an,  ein  Landschafter 
male  vortrefflich  den  wundervollen  Hochwald  des 
Bas-Brdau  bei  Fontainebleau,  kann  da  die  Figur 
eines  Satyr  mehr  als  die  Gestalt  eines  Kohlen- 
brenners zur  Größe  des  Gemäldes  beitragen? 
Machen  sich  Schützen  in  roten  Kappen  und  mittel- 
alterlichen Wämmsern  besser  als  einfache  Jäger 
in  ihrer  Bluse  und  Sportsmen  nach  heutiger  Mode? 
Das  Hauptbild  von  Cabat,  das  vom  Kaiser- 
lichen Hause  bestellt  worden  ist,  heißt  „Erinnerung 
an  den  Nemi-See44  in  Italien.  Erinnert  sich  der 
Maler  noch  der  Zeit,  wo  man  in  Schuhen  ä  la  pou- 
laine  auf  die  Hirsch jagd  ging?  Er  hat  den  Nemi- 
See  gesehen,  ohne  Zweifel,  und  hat  vielleicht  auch 
das  Halali  einer  Hirschjagd  erlebt,  aber  die  Jäger 
haben  gewiß  nicht  die  altertümlichen  Anzüge  ge- 
tragen, die  er  ihnen  in  seiner  Komposition  verleiht. 
Große  Bäume  beschatten  den  See  und  den  Boden 
des  Vordergrundes.  Links  sieht  man  unter  Gehölz 
Durchblicke,  wo  die  Jagd  herankommt.  Alles  ist 
solide  gemalt,  Baumstämme/  Geäst,  Zufälligkeiten 


Salon  1864  197 

des  Bodens.  Es  ist  ein  gewissenhaftes  und  starkes 
Werk,  das  seinen  Ursprung  in  einem  wohlüber- 
legten Willen  hat,  dem  aber  Natürlichkeit  fehlt.  Die 
Ausführung  ist  nicht  flott  und  die  Farbe  schwärz- 
lich. Das  gleicht  schon  einem  Gaspar  Dughet,  der 
auf  seiner  braunen  Untermalung  schwarz  geworden. 

Das  zweite  Bild  Cabats  „Eine  Quelle  im 
Walde"  mit  einem  nackten  Nymphenfigürchen, 
strebt  gleichermaßen  nach  dem  Stil  Poussins. 

In  dem  mythologischen  Hain  von  Francais 
umarmt  ein  Satyr  eine  Nymphe.  In  seiner  „Italieni- 
schen Villa"  sind  Herren,  Pagen,  Damen  und  Damen- 
diener beim  Fest  auf  einer  Terrasse,  die  von  Bäu- 
men ringsum  beschattet  und  von  einer  Balustrade 
umzogen  wird,  von  wo  der  Blick  in  blaue  Ferne 
schweift.  Die  Einen  sind  bei  Musik,  die  andern  im 
Liebesspiel.  Vielleicht  sind  wir  nicht  weit  von  Flo- 
renz, zur  Zeit,  wo  Boccaccio  und  seine  schönen 
Freundinnen,  um  der  Pest  zu  entfliehen,  galante 
Tändeleien  trieben,  die  der  Decameron  beschreibt. 
Die  Natur,  die  so  in  einem  Park  zurechtgemacht, 
mit  schillernden  Kleidern  und  vielfarbigen  Bändern 
ausstaffiert  und  aufgedonnert  ist,  hat  immer  noch 
Reiz  für  das  Publikum,  das  an  die  Buttes  Mont- 
martre und  an  Clamart  denkt. 

Olivier,  ein  Schüler  von  Gleyre,  hat  auch  den 
Ehrgeiz,  die  mythologische  Landschaft  wieder  auf- 
zuerwecken,  und  hat  unter  dem  Titel  „Die  Auf- 
forderung zum  Tanz*'  einen  heiligen  Hain  gemalt, 


198  Landschaftsmalerei 


wo  Erscheinungen  von  Göttinnen,  Schattengestalten 
im  Dunst   einer  unmöglichen  Atmosphäre  zittern. 

Die  „Badenden  im  Mondschein"  von  George 
Saal  zeigen,  daß  man  poetische  Reize  gewinnen 
kann,  wenn  man  sich  ganz  einfach  an  der  Wirk- 
lichkeit begeistert.  Es  ist  Abend,  fast  Nacht,  am 
Ufer  der  Seine,  in  der  Umgebung  von  Bougival. 
Der  Mond  versilbert  den  Fluß  und  wirft  durch  die 
Weiden  keusche  Schatten  auf  das  Ufer.  Junge  Wei- 
ber sind  dahin  gekommen,  sich  zu  baden.  Drei 
von  ihnen  sind  schon  im  Wasser,  bis  ans  Haupt- 
haar, und  der  Mond  ist  glücklich,  sie  mit  rücksichts- 
vollem Licht  zu  liebkosen.  Es  ist  ein  sehr  har- 
monisches  und   hervorragendes   Bild. 

F 1  a  h  a  u  t  zeigt  auch,  daß  eine  gut  gewählte  und 
gut  empfundene  Naturansicht  nicht  nötig  hat,  mit 
fabelhaften  Personen  beklebt  zu  werden,  um  einen 
Charakter  darzubieten,  der  des  alten  schönen  und 
edlen  Griechenlandes  würdig  wäre.  Die  Sonne  geht 
über  dem  Meere  unter,  das  man  hinter  dem  feinen 
Gezweig  eines  Olivenhaines  von  Beaulieu  bei  Nizza 
sieht.  Die  Melancholie  des  Abends  durchbebt  die 
Schatten  unter  den  Stämmen.  Gern  würde  man 
dort  träumen.  Und  da  der  Eindruck  dieser  Gegend 
vollständig  erfaßt  wird,  so  ist  es  besser,  daß  er 
durch  keine  Einschiebung  irgendwelcher  unbedeu- 
tenden   oder    stereotypen    Figur   gestört    wird. 

Nur  Chintreuil  hat  einen  Nymphenreigen  in 
seine  Flur  hineinsetzen  müssen,  wo  die  ersten  Strah- 
len der  Sonne  durch  den  Nebel  eines  Frühlings- 


Salon    1864  L89 

morgens  dringen.  Wie  frisch  und  leicht !  Da  wür- 
den schon  Elfen  tanzen,  wenn  keine  Nymphen  da 
wären,  und  einfache  Sterbliche  möchten  gewiß  gern 
ein  Liedchen  summen.  Was  erblickt  man  durch 
den  Schleier  der  Dünste?  Den  kleinen  Glocken- 
turm eines  Weilers.  Bald  wird  auch  die  Hirtin 
mit  ihren  Schafen  kommen.  Das  zarte  Talent  Chin- 
treuils  eignet  sich  zu  unbestimmten  Wirkungen,  die 
eine  entschiedene  Durchführung  vielleicht  ver- 
nichten würde.  Wo  Kraft  nötig  ist,  Sicherheit  und 
nicht  nur  annähernde  Andeutung,  da  bleibt  die 
Malerei  von  Chintreuil  nur  hinter  dem  Bilde  zurück, 
das  er  doch  wohl  gefühlt  hat,  und  gibt  nicht  mehr  als 
dessen  Phantom.  Zum  Beispiel  in  den  „Ruinen  beim 
Sonnenuntergang"  ist  die  Wirkung  richtig,  aber 
der  Pinsel  eines  festen  Praktikers  hätte  dazu  ge- 
hört, um  die  solide  Masse  des  Erdreichs  wieder- 
zugeben, die  unglücklicherweise  den  ganzen  Vorder- 
grund einnimmt. 

Chintreuil  kommt  von  Corot  her,  dessen  An- 
hänger im  Salon  nicht  selten  sind.  Corot  hat  manche 
Landschafter  beeinflußt,  die  sich  dessen  nicht  rüh- 
men, und  deren  Manier  eine  geschickte  Vereinigung 
mehrerer  Einflüsse  offenbart. 

Dazu  gehört  Francois  Daubigny,  der  ein 
Mixtum  compositum  recht  heterogener  Bestandteile 
scheint.  Sein  leichter  Pinselstrich,  dem  Anschein 
nach  sehr  frei,  gleitet  über  die  Formen  hin  und 
deutet  sie  ungefähr  an.  Aber  diese  sozusagen  sub- 
stanzlose Ausführung,  die  Corot  uns  in  seiner  Art 


Landschaftsmalerei 


von  Träumen  einer  poetischen  Natur  annehmbar 
macht,  schickt  sich  nicht  ebenso  für  Dinge,  die 
nach  der  Wirklichkeit  kopiert  sind.  Um  einen 
Bauernhof  zu  malen,  bedarf  es  der  Solidität  eines 
Jules  Dupre;  für  ein  Waldinneres,  der  Vertrautheit 
Rousseaus,  oder  der  schimmernden  Pracht  eines 
Diaz;  für  die  großen  Viehherden,  die  zur  Tränke 
gehen,  braucht  man  die  Breite  und  Konsistenz 
Troyons.  Durch  die  Wahl  der  Gegenstände  hängt 
Daubigny  von  allen  diesen  Meistern  ab,  während 
seine  Praxis   von  Corot  abhängt. 

Das  Ergebnis  dieser  Mischung  entbehrt  nicht 
eines  gewissen  Reizes,  und  Daubigny  gebührt  eine 
Stelle  gleich  hinter  den  Landschaftern  ersten 
Ranges.  Seine  Ansicht  einer  Ortschaft  auf  der  Höhe 
eines  Hügels  am  Seeufer  —  Villerville-sur-Mer  — 
ist  in  einem  ernsten  harmonischen  Ton  genommen. 
Die  Erde,  das  Wasser,  der  Himmel  sind  „bei- 
sammen", wie  man  von  den  Zügen  eines  Porträts, 
das  mit  der  Natur  gut  übereinstimmt,  sagen  würde. 
Es  liegt  selbst  eine  melancholische  Stimmung  über 
dem  Charakter  dieser  kleinen  Halbinsel,  die  fast 
abgeschnitten  ins  Meer  hinausragt.  Die  „Ufer  der 
Cure"  (Morvan)  mit  Kühen  im  Wasser  vor  einem 
bewaldeten  Hügel,  haben  auch  die  seltene  Eigen- 
schaft der  Harmonie  in  einem  Mollton,  und  diese 
beiden  Bilder,  besonders  Villerville,  verdienen  die 
Hochschätzung,  die  dem  Talent  Daubignys  von 
Liebhabern  zuteil  wird. 

Daubigny -Sohn  ahmt    seinem  Vater    nach, 


Salon  1864  801 

dessen  Unvollkommenheiten  er  übertreibt,  wie  es 
bei  Nachahmern  immer  geht.  Er  ist  ohne  Zweifel 
noch  jung,  kann  also  vielleicht  später  eine  bestimm- 
tere Eigenart  ausbilden.  Auch  heute  schon  ver- 
dienen übrigens  seine  „Flur  bei  Villerville"  und 
seine  „Ufer  der  Oise"  unter  den  beachtenswerten 
Landschaften  des  Salons  genannt  zu  werden. 

Auch  Blin,  Bavoux,  Brigot  sind  wohl  junge 
Maler;  denn  ihre  Gemälde  verraten  Unerfahrenheit 
neben  starken  Anlagen;  besonders  Brigot.  Er 
besitzt  eine  außergewöhnliche  Kraft  im  Ton,  wie 
sein  „Gue*  de  Chauy'4  (Ile-de-France)  beweist,  ein 
großes  Bild,  wo  eine  Kuhherde  durchs  Wasser  geht. 
Die  Landschaft  und  die  Tiere  sind  breit  gemalt,  auf 
die  beabsichtigte  Wirkung  hin;  aber  die  Personen, 
die  das  Vieh  begleiten,  sind  sehr  ungeschickt  und 
fast  lächerlich. 

Der  Katalog  sagt  nicht,  wer  der  Lehrer  Brigots 
ist.  Blin  und  Bavoux  kommen  aus  dem  Atelier  von 
Picot  an  der  Akademie.  Moreau,  der  Autor  der 
„Sphinx",  Eugene  Leroux,  der  das  preisgekrönte 
Stück  „Das  neugeborne  Kind  in  einer  Farm  der 
Bretagne"  geliefert  hat,  Gu^rard  und  Viry,  auf  die 
wir  noch  zurückkommen  und  die  ebensogut  eine 
Medaille  verdient  hätten,  sind  auch  Schüler  von 
Picot.  Gerade  bei  neutralen  Meistern  werden  ja 
die  Neuerer  ausgebrütet.  War  es  nicht  bei  GueVin, 
dem  traurigsten  Maler  der  akademischen  Schule, 
wo  G£ricault,  Delacroix,   Scheffer  und  die  Mehr- 


202  Lan  Uchaftsmalerei 


zahl  der  andern  Revolutionäre  der  Malerei  ihren 
Ausgang  nahmen? 

Die  beiden  Bilder  von  Bavoux  stellen  die 
„Ufer  des  Doubs"  dar,  mit  spitz  gezackten  Felsen 
in  lebhafter  Beleuchtung.  Bavoux  muß  also  wohl 
durch   seinen    Landsmann    Courbet    verderbt    sein. 

Blin  wendet  sich  noch  mehr  dem  Realismus 
zu:  in  seinem  „Innern  eines  Kastanienhains"  ist 
alles  dem  ländlichen  Charakter  geopfert.  Der  Rah- 
men schneidet  oben  die  Zweige  der  alten  Kastanien- 
ab  und  läßt  nur  die  festen,  ihrer  Rinde  entkleideten 
Stämme  sehen.  Kein  Himmel  in  der  Luft,  nicht 
einmal  ein  Durchblick  zum  Himmel  zwischen  den 
niedrigen  Zweigen.  Die  Kastaniensammler  ver- 
richten ihre  Arbeit  in  einem  Halbdunkel,  das  die 
Sonne  nicht  erheitert.  Eine  gebeugte  Frau  liest 
die  Früchte  vom  Boden  auf.  Ein  Bauer  trägt  einen 
Sack  auf  dem  Rücken  herbei.  Ein  junger  Bub 
hält  den  Esel,  der  die  eingeheimste  Last  davon 
tragen  soll.  Es  ist  eine  durchaus  ländliche  Szene, 
aber  vielleicht  ebenso  interessant  wie  eine  Beschwö- 
rung der  Fabelwelt.  Der  Landmann  gibt  gewiß 
gern  eine  Göttin  für  einen  Kastanienbaum  her. 

Noch  ein  Schüler  von  Picot,  aus  Marseille  ge- 
bürtig, aber  englischen  oder  amerikanischen  Ur- 
sprungs, George  Washington,  dessen  sehr  far- 
biges Bild,  das  „Derbyrennen  von  Chantilly"  im 
Jahre  1863  schildert.  Der  Turf  ist  von  frischem 
saftigem  Grün  und  so  gewagt,  daß  der  hochbe- 
rühmte Akademiker,  der  Washingtons  Lehrer  ge- 


Salon   1864  208 

wesen,  es  nicht  ansehen  kann,  ohne  die  Zähne  zu 
fletschen. 

Jules  Dusaussay  ist  Schüler  von  Cabat  und 
hat  dem  Stil  seines  Meisters  in  einer  ziemlich  kraft- 
vollen aber  schwarzen  Landschaft  nachgeeifert:  die 
Eiche  und  der  Rosenstrauch.  VictorDupre*  ahmt 
kühnlich  genug  seinen  Bruder  und  Lehrer  Jules 
Dupre*  nach.  Aguttes  begeistert  sich  an  Corot, 
in  der  Ansicht  eines  Sees.  Daliphard  hat  die 
alten  Meister  in  Belgien  und  Holland  studiert,  denkt 
wahrscheinlich  besonders  an  van  der  Neer  mit  seinen 
Abendstücken,  an  clenen  man  übrigens  merkt,  daß 
er  auch  die  Natur  mit  Liebe  studiert  hat.  M.  de  la 
Rochenoire,  Schüler  von  Troyon,  wird  in  einem 
Bilde,  das  die  „Post  von  Caen  von  der  Springflut 
überrascht",  zwischen  den  Dünen  und  dem  Meer 
sehr  dramatisch  darstellt.  Madame  Adele  Des- 
pierres  erinnert  mit  ihrer  Zerstörung  von  Chaillot 
an  van  der  Poel  durch  den  Nachteffekt.  Frangois- 
E  m  i  1  e  M  i  c  h  e  1  von  Metz  befragt  allein  die  Natur  in 
seiner  „Winterstimmung"  an  den  Ufern  der  Mosel, 
mit  alten  kahlen  Bäumen  und  einem  Sumpf  mit 
Reihern.  Carrier  ist  ein  geschickter  Miniatur- 
maler, der  in  seinen  freien  Studien  bei  Compiegne 
und  in  der  Bretagne  dem  Lichte  nachgeht,  wie 
sein  Freund  Diaz.  Her  vier  ist  fest  und  geist- 
reich in  einer  Landschaft  aus  der  Picardie.  Ludo- 
vic  Letrone,  dem  wir  zum  erstenmal  begegnen, 
nähert  sich  Bonington  an  Feinheit  und  van  Goien 
an   Einfachheit,    in   einer   Strandansicht   mit   einer 


'i)j  Landschaftsmalerei 


aufgelaufenen  Barke.  Jeanron,  jetzt  Direktor  des 
Museums  in  Marseille,  hat  den  Leuchtturm  dieser 
Stadt  mit  dem  Wissen  gemalt,  das  alle  seine  Ar- 
beiten empfiehlt.  Paul  Huet  hat  zwei  Land- 
schaften von  der  Isere  ausgestellt,  die  etwas  zu 
dekorativ  sind  und  seinen  sonstigen  Meisterwerken, 
wie  die  ,, Überschwemmung44  im  Mus£e  Luxem- 
bourg,  nicht  gleichkommen.  Auch  Harpignies 
zeigt  nicht  seine  volle  Originalität  in  der  Land- 
schaft mit  dem  Titel  „Die  Promenade44  j  seine  Raben 
vom  vorigen  Jahr  waren  mehr  wert.  Aber  an  seinen 
beiden  Aquarellen  kann  man  sehen,  daß  er  in  Zeich- 
nung und  Farbe  fast  ebenso  ausgezeichnet  ist  wie 
Bonington. 

Melin  hat  Kraft  in  einer  Hirschjagd  gezeigt, 
Ronot  eine  gewisse  Eleganz  in  der  Rückkehr  vom 
Felde,  —  Palizzi  viel  Effekt  in  einem  Unwetter  in 
den  Abruzzen.  Teinturier  erinnert  sich  seines  Leh- 
rers Decamps,  BelletduPoissat  jedoch  gar  nicht 
seines  Lehrers  Hippolyte  Flandrin.  Gudin  erinnert 
sich  zu  sehr  an  sich  selbst  und  hat  die  Natur  ganz 
und  gar  vergessen  in  seiner  Glasfensterwirkung, 
die  auch  sein  Ungewitter  in  den  Tropen  zeigt.  Ziem 
scheint  mir  zu  gleichmäßig  eiergelb  in  all  seinen 
Bildern  aus  Venedig  oder  aus  dem  Orient.  Ich  bin 
freilich  niemals  in  Stambul  gewesen,  aber  ich  denke 
mir,  daß  das  Licht  dort  doch  nicht  gerade  diesen 
Ton  hat.  Decamps  und  Marilhat  haben  es  anders 
gesehen.  Sie  haben  dort  auch  Schatten  gesehen, 
weil  das  Licht  so  lebhaft  ist  und  weil  ohne  Zweifel 


Salon   [864  20o 

der  Schatten  dazu  im  Verhältnis  steht.  Ziem  ist 
indessen  sehr  geschickt,  und  um  sich  aus  dieser 
Überschwemmung  von  Gelb  überall  zu  retten,  würde 
es  vielleicht  genügen,  sich  einige  Jahre  lang  wieder 
in  das  Grün  der  Landschaft  unseres  Landes  zu 
tauchen.  Eine  einfache  Reise  nach  Holland  würde 
ihm  seine  Verblendung  benehmen,  die  mittlerweile 
chronisch  geworden  ist.  Das  „Venedig  des  Nor- 
dens", Amsterdam,  würde  seiner  Palette  die 
Mannigfaltigkeit  wiedergeben,  und  er  würde  sich 
von  Canaletto  und  Claude  ausruhen  im  Verkehr 
mit  Hobbema  und  Ruisdael. 

Ich  hatte  die  Landschaften  von  Hanoteau 
wohl  gesehen,  die  durch  Breite  der  Ausführung  und 
Fülle  der  Farbe  genugsam  hervorstechen;  aber  ich 
hatte  die  Namensbezeichnung  nicht  bemerkt.  Sie 
verdienen  in  der  Tat  die  Medaille.  Die  „verlassene 
Hütte"  unter  großen  Bäumen  hat  keine  Bewohner 
mehr  als  Mäuse,  denen  eine  große  Katze  auflauert. 
Erdreich,  Blattwerk,  die  Hütte  vor  allem  sind  in 
dem  vollsaftigen  Impasto  gemalt,  das  Gigoux  seinen 
Schülern  angewöhnt.  Im  „Gänseparadies"  ist  dies 
Verfahren  etwas  übertrieben,  macht  die  Einzelheiten 
schwer  und  schadet  der  Luftigkeit  im  Ganzen. 


1865 

Wenn  die  mythologische  und  religiöse  Malerei, 
wie  die  historische  und  poetische  im  Verfall  sind, 
so  steht  es  mit  der  Landschaftsmalerei  nicht  ebenso. 
Man  könnte  im  Salon  von  1865  recht  wohl  ein- 
hundert Landschaften  finden,  die  beinahe  so  gut 
sind,  wie  die  der  kleineren  Meister  der  alten 
Schulen.  Vielleicht  darf  man  sogar  sagen,  daß  De- 
lacroix,  Decamps,  Troyon,  die  schon  verschwunden 
sind,  und  Th.  Rousseau,  Jules  Dupr£,  Diaz  die  un- 
glücklicherweise nicht  ausgestellt  haben,  einiger- 
maßen in  auserlesenen  Werken  wenigstens  den  her- 
vorragenden Meistern  Italiens,  Flanderns  und  Hol- 
lands gleichkommen. 

Eugene  Isabey,  Paul  Huet,  Cabat,  Corot  ge- 
hören auch  zu  dieser  Generation  der  Wieder- 
hersteller der  Landschaftsmalerei,  und  ihre  Bilder 
stehen  im  Salon  immer  in  erster  Linie. 

Die  große  Marine  von  Isabey  „Schiffbruch 
des  Dreimasters  Emily  im  Jahre  1823"  ist  freilich 
zu  schmetterlingsbunt  in  Pinselstrich  und  Ton.  Was 
der  Malerei  Isabeys  schadet,  ist  ihr  Reichtum,  ihre 
Überfülle.    Er  führt  mit  derselben  Gewandtheit  des 


Salon  1865  307 

Pinsels  und  derselben  Brillanz  der  Farbe  alle  noch 
so  verschiedenen  Dinge  aus,  die  Fluten  des  Meeres 
oder  eine  Seidendraperie,  ein  Gebäude  von  Marmor 
oder  das  Takelwerk  eines  Schiffes,  ein  Stück  Felsen 
oder  die  lebenden  Personen.  Aus  einer  seiner 
Meereswogen  würde  er  einen  schillernden  Rock  für 
für  eine  Dame  am  Hof  der  Valois  machen.  Mit 
dem  Bretterwerk  seines  gescheiterten  Schiffes 
könnte  er  herrlich  das  Kabinett  eines  seiner  Anti- 
quare ausstaffieren.  Er  malt  den  Kopf  eines  jungen 
Mädchens,  wie  er  einen  Blumenstrauß  malen  würde, 
und  das  geringste  Fleckchen  des  Bodens  wie  einen 
Satz  Edelsteine. 

Paul  Huet  ist  auch  ein  farbenreicher  Maler, 
aber  mehr  gesammelt  und  harmonisch  in  seiner 
Gesamtwirkung.  Sein  ausgestelltes  Bild  würde  ihm 
im  Luxembourg  Ehre  machen,  als  Gegenstück  seiner 
Überschwemmung. 

Cabat  beharrt  auf  dem  strengen  Stil,  den  er 
an  die  Stelle  seiner  ersten  ländlichen  Manier  ge- 
setzt hat.  Sein  Bild  mit  dem  Titel  „Einsamkeit" 
ist  fest  und  klug  gemalt,  aber  schwarz,  eintönig 
und  ohne  sympathische  Klangfarbe. 

Corot  hat  unter  den  Landschaftern  im  Salon 
den  größten  Erfolg.  Sollte  man  glauben,  daß  dieser 
Verräter  seine  kleine  Reise  nach  Italien  gemacht 
hat?  Ja,  wahrhaftig,  er  hat  sich  die  Farbe  des 
Wetters  jenseits  der  Alpen  angesehen:  denn  er  hat 
einen  „Nemi-See"  ausgestellt  und  eine  herrliche  Ra- 
dierung   „Erinnerung    an    Italien".     Aber    seltsam 


208  Landschaftsmalerei 


genug,  er  hat  von  des  Ufern  des  Tiber  und  vom 
Nemi-See  nur  seinen  gewohnten  Nebel  heim- 
gebracht. Und  ginge  er  auch  nach  Konstantinopel, 
er  sähe  den  Bosporus  am  vollen  Mittag  auch  unter 
einem  Schleier,  in  denselben  Silbertönen.  Mein 
Freund,  quäle  dich  also  nicht,  geh*  nur  ruhig  des 
Morgens  in  Bas-Meudon  spazieren  oder  rauche  deine 
Pfeife  vor  dem  Teich  von  Auteuil;  da  findest  du 
den  Dunst  noch  besser  als  in  einem  Lande  des 
Südens. 

Corot  hat  fast  niemals  etwas  anderes,  als  ein 
und  dieselbe  Landschaft  gemacht;  aber  sie  ist  gut. 
Vor  seinen  beiden  Bildern,  die  einander  gegenüber- 
hängen, kann  man  zweifelnd  fragen,  welches  ist 
nun  der  „Nemi-See"  ?  Ich  weiß  nicht  recht :  in 
dem  einen  wie  dem  andern  ist  Wasser,  feste  Be- 
standteile von  Buschwerk  und  ein  entzückender  Ein- 
druck der  Morgenstimmung  und  der  Frische.  Es 
ist  höchst  poetisch  und  ungemein  anziehend.  Man 
wirft  ein,  das  seien  nur  eine  Art  Skizzen,  und  die 
positiven  Köpfe  möchten  genauer  das  Wesen  der 
Bäume,  die  Form  der  Zweige,  das  Erdreich  und 
die  übrigen  Gegenstände  erkennen  können.  Aber 
es  handelt  sich  doch  nicht  um  Botanik  und  Agri- 
kultur. Es  kommt  darauf  an,  beim  Beschauer  dieser 
zarten  Gebilde  das  Gefühl  zu  erwecken,  das  er 
auf  dem  Lande  haben  würde,  an  einem  wonnigen 
Morgen,  am  Ufer  eines  Sees.  Wenn  die  Malerei 
Corots  das  Verlangen  rege  macht,  frühmorgens  auf* 
zustehen,  dann  ist  alles  in  Ordnung. 


Salon    1865  209 

Francais  ist  ebenso  daran,  wie  Cabat,  mit 
einer  zweiten  Manier,  die  sich  nach  Italien  gerichtet 
hat,  um  Werke  des  hohen  Stils  hervorzubringen. 
Haben  denn  Ruisdael  oder  Rembrandt  in  ihren 
Landschaften  etwa  keinen  Stil? 

Ehedem  gab  es,  vor  der  Revolution  von  1848, 
eine  Gruppe  von  fabelhaften  Landschaftern,  die  vom 
Institut  beschirmt  wurden,  Aligny,  Edouard  Bertin, 
Alexandre  Desgoffe  und  Paul  Flandrin :  es  war  die 
Unbedeutendheit  selbst.  Sie  zeigen  sich  noch,  von 
Zeit  zu  Zeit;  aber  man  sieht  sie  nicht  mehr  an. 
Hat  man  auch  nur  in  irgendeiner  Tageszeitung  von 
Paul  Flandrin  und  Aligny  gesprochen,  die  doch 
dies  Jahr  ausgestellt  haben  ?  Glücklicherweise  hat- 
ten Cabat  und  Francais,  bevor  sie  sich  zur  klas- 
sischen Landschaft  bekehrten,  die  Natur  um  ihrer 
selbst  willen  geliebt  und  studiert,  so  daß  sie  in 
ihren  neuen  Stil  wenigstens  eine  gewandte  Praxis 
und  einen  Rest  von  Aufrichtigkeit  hereinnahmen. 

Wir  haben  die  Heiligen  Haine  und  die  Or- 
pheus von  Francais,  die  in  den  letzten  Salons  aus- 
gestellt waren,  nicht  billigen  können;  denn  die  Ein- 
schiebung  mythologischer  Personen  vermag  dem 
Abbild  des  Landes  doch  nicht  zum  Stil  zu  ver- 
helfen. Ob  man  in  ein  Gehölz  einen  Heidengott  oder 
einen  Köhler  setzt,  macht  für  die  Haltung  der 
Bäume  und  die  Farbe  der  Pflanzen,  oder  für  das 
Aussehen  des  Himmels  gar  nichts  aus.  Diesmal 
hat  Francais,  ohne  dies  Bereich  des  Ideals  zu  ver- 
lassen,  eine    wirkliche    Darstellung    gewählt :     die 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  14 


210  l  .in  Uchaftimalerei 


neuen  Ausgrabungen  in  Pompeji,  und  hat  ein  aus- 
gezeichnetes Bild  gemalt.  Vielleicht  ganz  einfach, 
weil  es  statt  einer  komponierten  Landschaft  keine 
erdichtete,  sondern  eine  natürliche  Ansicht  ist. 
Sehen  ist  Können. 

Francais  hat  dies  Stück  von  Kampanien  ge- 
sehen, doppelt  verbrannt  wie  es  ist,  von  der  Sonne 
und  von  der  Lava.  Er  hat  einen  Winkel  von  Pom- 
peji genommen,  wo  die  Dinge  von  vor  zwei- 
tausend Jahren  wieder  ans  Tageslicht  treten.  Ah, 
wenn  man  beim  Durchbruch  von  Paris  antike  Fres- 
ken und  gar  Münzen  fände,  welche  Ermutigung 
wäre  das  für  die  Demolierungen.  Der  Vesuv  hat 
sein  Gutes;  ihm  verdanken  wir  die  unversehrten 
Beispiele  aus  dem  Leben  der  römischen  Kaiser- 
zeit. Sieht  man  in  Pompeji  wirklich  all  das,  was 
Francis  in  seinem  Bilde  zeigt  ?  Mauern  mit  Ma- 
lereien bedeckt,  ganz  frisch  von  diesen  Jahrhun- 
derte alten  Grabhügeln  befreit  und  Arbeiter  rings- 
um beschäftigt,  und  schöne  Neapolitanerinnen,  die 
archäologische  Fundstücke  davontragen,  und  da- 
zu diese  Atmosphäre,  so  weich  und  harmonisch, 
die  uns  den  Himmel  Claude  Lorrains  lieben  lehrt? 

Dann  gehen  wir  schließlich  alle  nach  Italien, 
und  was  mich  betrifft,  so  warte  ich,  da  ich  über 
Rom  will,  nur  so  lange,  bis  Rom  den  Italienern  zu- 
rückgegeben wird. 

Das  Gemälde  von  Francais  ist  zart  und  liebe- 
voll behandelt,  mit  feinen  Halbschatten  im  Vorder- 


Salon   1865  211 

grund  und  einer  wohlabgewogencn  Abstufung  des 
Lichtes  bis  an  den  fernen  Horizont. 

Zur  Zeit,  als  Francais  nach  seiner  Ausbildung 
bei  Gigoux  noch  zur  Gruppe  der  Verehrer  des 
Waldes  von  Fontaineblcau  gehörte,  standen  um 
Rousseau  und  Diaz  noch  andre  Landschaftsmaler 
da,  mit  kraftvoller  Ausführung  in  demselben  ma- 
lerischen Gefühl,  wie  z.  B.  Charles  Leroux,  den 
man  erstaunlicherweise  gar  nicht  mehr  auf  den  Aus- 
stellungen sieht.  Bei  ihm,  in  seinem  Landhaus  in 
der  Vendee  war  es,  wo  Rousseau  die  berühmte  „Ka- 
stanien-Allee" gemalt  hat,  ein  Meisterwerk,  das 
jetzt  Herrn  Worms  von  Romilly  gehört.  — 

Charles  Leroux,  der  ein  wahrer  Maler  war, 
hatte  das  Unglück,  ein  ansehnlicher  Landbesitzer 
in  seiner  Provinz  zu  sein  und  zum  Abgeordneten  in 
den  gesetzgebenden  Körper  gewählt  zu  werden.  Ein 
gutes  Gemälde  dauert  länger  als  ein  zeitweiliges  Ge- 
setz. Wir  haben  keinen  Mangel  an  Leuten,  die  uns 
Gesetze  machen  können ;  aber  wir  brauchen  Maler. 
Und  auch  ohne  seine  ,,Toga"  im  Stich  zu  lassen, 
sollte  Charles  Leroux  seine  „ Pinsel"  wieder  aufneh- 
men. Er  hat  übrigens  die  Malerei  nicht  ganz  auf- 
gegeben, und  wir  haben  bei  ihm  Bilder  gesehen, 
die  im  Salon  ihre  Stelle  behaupten  würden.  Viel- 
leicht stellt  er  doch  im  nächsten  Jahr  wieder  aus. 

Seit  jener  Zeit,  deren  wir  eben  im  Vorbeigehen 
gedenken,  hat  Francois  Daubigny,  der  damals 
in  die  banale  Landschaft  verirrt  war,  sich  eine  ziem- 
lich   eigenartige    Manier    herausgebildet,    eine    gc 


8  1  _'  :idschaftsmalerei 


schickte,  doch  individuelle  Mischung  von  Corot  und 
Rousseau.  Er  zählt  heute  zu  den  guten  Landschafts- 
malern der  modernen  Schule.  Seine  „Mondschein- 
Stimmung"  auf  einer  traurigen  Ebene  ist  sehr  kühn 
und  sehr  richtig.  Der  Himmel  allein  macht  die 
ganze  Landschaft  aus.  Schwere  Schäfchenwolken 
drängen  sich  um  den  Mond,  wie  schäumende  Wo- 
gen in  einem  umgekehrten  Meer.  Durch  einen 
blassen  Schein  versilbert,  modellieren  sie  sich  auf 
dem  dunkeln  Nachthimmel  in  einer  fast  zu  schwe- 
ren Leibhaftigkeit.  Fast  unwägbare  Flocken  soll- 
ten doch  nicht  dies  lastende  Aussehen  haben,  das 
nur  durch  die  Ausführung  mit  zu  vollem  Impasto 
entstanden  ist.  Durch  leichtern  Farbenauftrag  an 
gewissen  Stellen  hätte  Daubigny  ohne  Zweifel  die- 
selbe Wirkung  des  unbestimmten  Lichtscheins  er- 
reichen können,  aber  viel  geheimnisvoller  noch  und 
poetischer. 

Sein  zweites  Bild  ,,Der  Park  von  St.  Cloud"  ist 
nicht  glücklich.  Diese  nach  französischer  Mode  des 
17.  und  18.  Jahrhunderts  zurechtgemachte  Natur, 
mit  den  regelmäßig  aufgereihten  Bäumen,  mit  einem 
Apparat  von  architektonischer  Dekoration,  reinlichen 
Bassins  und  wohldisziplinierten  Wasserfällen  eignet 
sich  weniger  für  Daubignys  Talent  als  eine  natür- 
liche Natur,  wo  die  Bäume  und  Büsche  wachsen 
wie  sie  wollen,  wo  das  Wasser  seiner  eigenen  Laune 
folgend  über  die  grünen  Ufer  tanzt.  Es  gibt  ja 
Augenblicke,  wo  diese  Ansicht  der  Kaskaden  von 
St.   Clond   sehr   schön   und   sehr   majestätisch   ist : 


Salon    1865  213 

abends,  wenn  die  großen  Schatten,  verlängert  und 
verzogen,  die  Linien  der  Bäume  und  der  Rasenplätze 
zusammenschieben  und  die  alten  manierirten  Deko- 
rationsstücke mit  all  ihren  überflüssigen  Einzelheiten 
zudecken.  Aber  unter  gleichmäßiger  Helligkeit,  die 
aus  der  Höhe  kommt,  wie  auf  dem  Bilde  von  Dau- 
bigny,  ist  die  Wirkung  ganz  gewöhnlich.  Ich  hatte 
mich  gewundert,  daß  der  Maler  nicht  die  glück- 
lichste Stunde  gewählt  hat,  bis  ich  aus  dem  Ka- 
talog ersah,  daß  das  Bild  vom  Kaiserlichen  Hause 
bestellt  war.  Da  mußte  freilich  das  Porträt  des 
Palastes  und  des  Parks  gemacht  werden,  wie  alle 
Welt  sie  sieht. 

Pierre  Daubigny,  der  Sohn  von  Francois, 
folgt  allzu  respektvoll  der  väterlichen  Manier.  Er 
sollte  ganz  allein  ein  oder  zwei  Jahr  auf  Reisen 
gehen  und  sich  seinen  eigenen  Eindrücken  über- 
lassen: dann  würde  er  befreit  zurückkehren.  Seine 
„Herbstwirkung'*  mit  goldenen  Bäumen  ist  breit 
gemalt  und  von  schöner  Farbigkeit. 

Emile  Breton  hat  sich  neben  seinem  Bruder 
Jules  eine  eigne  Individualität  gebildet.  Seine  Land- 
schaften haben  auch  Heiterkeit  und  Sauberkeit.  Der 
,, Sommerabend'4  ist  ganz  einfach  gehalten:  eine 
Wasserfläche,  ein  Weg,  einige  Bäume  gegen  ruhigen 
Himmel. 

Eine  der  besten  Landschaften  des  Salon  ist 
ein  andrer  ,, Sommerabend",  der  seinem  Maler  Blin 
mit  Recht  die  Medaille  eingetragen  hat.  Die  So- 
logne    in   Frankreich   gleicht    sehr   der   belgischen 


Jl  \  adschafomalerei 


(  ampine.  In  dieser,  fast  noch  unkultivierten  So- 
logne  hat  Blin  sich  aufgehalten,  am  Ufer  eines  un- 
beweglichen Teiches,  nach  Sonnenuntergang.  Im 
Vordergrund  buschbevvachsenes  Erdreich,  ein  Vor- 
hang von  Bäumen  gegen  den  Himmel.  Wie  das 
einsam  ist  und  melancholisch !  Der  Ton  der  Malerei 
ist  in  tiefer  Harmonie  gehalten,  ein  wenig  mono- 
chrom, wie  das  solch  ein  Dämmerungseffekt  mit 
sich  bringt.  Ich  wünche  Blin,  daß  sein  Bild  fürs 
Luxembourg  angekauft  werde. 

In  der  „alten  Mühle"  zu  Guildo  in  der  Bretagne, 
ist  das  Geschick  der  Ausführung  nicht  minder  be- 
merkenswert; aber  die  Gegend  ist  gewöhnlich  und 
die  Gesamtheit  macht  keinen  originellen  Eindruck. 

Ein  andrer  durch  die  Medaille  ausgezeichneter 
Landschafter  Anastasi,  hat  zwei  Ansichten  aus 
Rom  gegeben:  das  „Forum"  beim  Sonnenunter- 
gang und  „das  Tiberufer".  Ohne  Zweifel  hat  die 
Hochachtung  vor  Rom  die  Jury  zu  dieser  Ehrung 
veranlaßt,  denn  dies  Forum  und  dieser  Tiber  mit 
falschem  Licht  und  Papiertapeten  als  Hintergrund 
taugt  nicht  soviel  wie  frühere  Leistungen  desselben 
Künstlers,  bevor  er  das  Kapitol  erstiegen. 

Ich  glaube  auch  nicht,  daß  der  Aufenthalt  in 
Rom  für  Harpignies  gesund  ist:  sein  Rom  vom 
Palatin  gesehen,  hat  nicht  die  Vorzüge  seiner  Baum- 
reihe mit  den  Raben,  die   1863  ausgestellt  war. 

Hanoteau,  Schüler  von  Gigoux,  der  im 
vorigen  Jahr  die  Medaille  erhalten,  hat  in  diesem 
Jahre  eine  ,  .Parkecke"   aus  dem  Nivernais  ausge- 


S.ilou  1865  815 

stellt,  eine  breite  meisterliche  Malerei,  die  mir  etwas 
überladen    ist. 

Im  Salon  1863  haben  wir  die  „Fellahweiber" 
von  Belly  sehr  gerühmt,  der  schon  1861  die  Me- 
daille erster  Klasse  erlangt  hatte.  Belly  ist  sehr 
kompliziert;  er  hängt  zu  gleicher  Zeil  mit  Troyon 
seinem  Lehrer,  mit  Decamps  und  mit  Marilhat  zu- 
sammen, wenn  er  den  Orient  malt,  und  selbst  mit 
Rousseau.  Sein  „Sonnenuntergang"  bei  ebbendem 
Seegang  an  den  Küsten  der  Normandie  erinnert 
an  die  mächtigen  Studien  von  Rousseau,  die  die- 
sen malerischen  Abendeffekt  wiedergeben,  wo  die 
Erde  noch  das  letzte  düstre  Feuer  zurückwirft, 
wenn  man  so  von  der  Sonne  sagen  kann,  die  schon 
hinter   dem   Horizont   hinabsinkt. 

Brest  setzt  mit  Erfolg  eine  Darstellung  der 
Feste  von  Konstantinopel  fort.  Im  ,, Bairam",  der 
Zeremonie  des  Handkusses,  sieht  man  unter  dem 
Peristyl  des  Palastes  den  Sultan  Mahmud;  links 
auf  dem  von  großen  Bäumen  beschatteten  Platz 
die  Garden  und  die  Würdenträger;  rechts  die  Menge 
des  versammelten  Volks.  Ein  bräunlicher  Halb- 
ton hüllt  die  ganze  Szene  ein,  deren  Anordnung 
sehr  schwierig  war.  Das  zweite  Bild  von  Brest 
bietet  den  „Landungsplatz  von  Eyoub"  am  goldenen 
Hörn  bei  Konstantinopel. 

Berchere  hält  sich  auch  an  seine  Erinne- 
rungen aus  dem  Orient.  Das  letzte  Jahr  zeigte  er 
uns  den  ,,Simoun"  in  Arabien  und  die  „Dämme- 
rung"  in  Nubien.    Jetzt  haben  wir  zwei  Ansichten 


21»;  Landschaftsmalerei 


aus  Ägypten:  „Sakhieh"  an  den  Ufern  des  Nils 
auf  großen  Ochsen,  die  eine  Maschine  zum  Wasser- 
schöpfen drehen,  und  den  „Tempel  des  Ramses" 
zu   Theben. 

Ein  anderer  Orientalist  in  der  Malerei  ist  Char- 
les de  Tournemine,  der  Freund  der  rosaroten 
Flamingos  mit  ihren  langen  Hälsen.  Seitdem  er 
in  Ägypten  und  in  der  Türkei  diese  großen  Vögel 
entdeckte,  —  mit  jener  seltsamen  Eleganz  in  ihren 
Stellungen  auf  schimmerndem  Ufersand,  —  hat  er 
seine  Enten  aufgegeben,  die  zwischen  den  Binsen 
eines  Sumpfes  herumplätschern.  Früher  malte  er 
Bauernhöfe  aus  der  Bretagne  und  der  Normandie, 
jetzt  Ansichten  vom  Nil  und  Landschaften  aus 
Kleinasien,  —  leuchtende,  sehr  feine  Bilder  des 
Orients. 

Durchflutet  von  Sonne  ist  auch  eine  Ansicht 
aus  der  Provence,  ,,zur  Zeit  der  Feigenlese4',  von 
Rave.  Alles  in  dieser  Malerei  erscheint  in  einem 
seltsamen  Gelb,  originell  und  doch  sehr  wahr : 
Erde  und  Himmel,  Bäume  und  Menschen.  Was 
ist  doch  die  Sonne  so  wunderreich,  die  verschie- 
denen Gegenden  mit  so  mannigfaltiger  Färbung 
auszustatten ! 


1866 

Unter  den  Landschaften  waren  viel  ausgezeich- 
nete Leistungen,  Darstellungen  aus  allen  Ländern 
und  allen  Jahreszeiten,  von  ganz  außerordentlicher 
Mannigfaltigkeit    der    Ausführung. 

Paul  Huet  kam  in  erster  Linie  nach  Courbet. 
Der  Bosch  im  Haag  mit  dem  Untergang  der  herbst- 
lichen Sonne  ist  ein  schönes  Gegenstück  zur  „Über- 
schwemmung" im  Musde  de  Luxembourg.  Paul 
Huet  hat  das  Gefühl  für  die  Großartigkeit  in  der 
Natur.  Sein  breiter  einfacher  Farbenauftrag  ent- 
spricht der  Lebhaftigkeit  seiner  Eindrücke  sehr  gut. 

Corot  ist  immer  derselbe,  zart  und  nebelhaft. 
Die  eine  seiner  Landschaften,  „die  Einsamkeit", 
ist  von  der  Kaiserin  für  18000  Franks  angekauft. 

Die  beiden  Landschaften  Rousseaus,  ein 
„Sonnenuntergang  über  dem  Walde  von  Fontaine- 
bleau"  und  „der  Waldessaum  von  Barbison"  über- 
treiben seine  neue,  sehr  durchgearbeitete  Manier 
etwas.  Wenn  die  Einzelheiten  überall  zu  gleich- 
mäßig betont  sind,  leidet  darunter  der  Gesamtein- 
druck. Aber  Rousseau  rettet  sich  immer  durch 
die  Fülle   und   Richtigkeit   der  Beleuchtung. 


_M  3  Landfcbaftimalerei 


Mille t  hat  nur  ein  einziges  Bild  ausgestellt: 
„ein  Dorfende  zu  Creville44,  —  eine  eigentümlich  aus- 
gesuchte Komposition.  Ein  Landhaus  nimmt  die  ganze 
Linke  des  Bildes  ein  von  oben  bis  unten;  rechts 
dehnt  sich  eine  derbe  Rampe  bis  an  den  Rand 
des  Rahmens;  jenseits  davon  ein  Stück  graues  Meer 
über  grauem  Himmel.  Das  Ganze  in  einer  schweren 
und  kreidigen  Harmonie.  Der  gleichförmige  Pinsel- 
strich für  Himmel  und  Wasser,  wie  für  das  Bau- 
werk und  Erdreich.  Es  ist  einfach,  sogar  mächtig, 
aber  unbeweglich   und  erstarrt. 

Francais  hat  als  Gegenstücke  die  „Umgegend 
von  Paris"  und  die  „Umgegend  von  Rom"  be- 
handelt; die  Ufer  der  Seine  am  Morgen;  die  Ufer 
des  Tiber  am  Abend.  Man  findet,  daß  Italien  ihn 
gekräftigt  hat;  aber  statt  ihn  zu  erwärmen,  hat  es 
ihn  vielleicht  erkältet.  Er  ist  korrekter  und  ele- 
ganter; aber  keine  Naivetät,  keine  Leidenschaft 
mehr. 

Und  Leidenschaft  muß  da  sein:  sie  hat  Geri- 
cault,  Delacroix,  Decamps,  Rousseau,  Diaz,  Dupre 
und  Barye  und  Daumier,  alle  großen  Künstler  uns- 
rer  Zeit  beseelt.  Auch  Giorgione,  Tizian,  Tintoretto 
und  Veronese,  selbst  der  junge  und  liebenswürdige 
Rafael  —  wie  Rubens  und  v.  Dyck,  Frans  Hals  und 
Rembrandt  waren,  wie  es  scheint,  sehr  leidenschaft- 
liche Männer.  Die  Liebe,  die  Begeisterung,  das  ist 
das  Leben,  das  ist  das  Genie. 

Was  ist  aus  dieser  Gruppe  von  Landschaftern 
geworden,  die  sich  einbildeten,  man  könne  die  Natur 


Salon  1866  219 

mittels  eiller  Art  überlieferter  Wissenschaft  ertäu- 
schen,  und  die  einen  Augenblick  berühmt  waren, 
wie  Aligny,  Paul  Flandrian  usw.  ?  Wo  ist  die 
zeitweilige  Berühmtheit  ihrer  Lehrer  geblieben,  Gas- 
pard,  Francisque  Millet  und  der  andern  Wiederholer 
des  Poussin  und  der  Bolognesen.  Hütet  euch  vor 
Italien ! 

Es  gab  einmal  ein  Volk,  das  eine  originelle} 
Schule  hervorbrachte,  die  von  vorn  anfing:  die 
Meister  hießen  v.  Eyck,  v.  d.  Weyden,  Memling. 
Aber  zu  einer  gewissen  Zeit,  sieh,  da  wandern  alle 
Künstler  dieses  Landes  aus  und  verlegen  sich  auf 
die  Nachahmung  der  Kunst  eines  andern  Volks, 
die  in  voller  Blüte  stand.  —  Was  ist  van  Orley, 
„der  flandrische  Rafael",  neben  Quentin  Metsys, 
der  während  dieser  erniedrigenden  Auswanderung 
in  Flandern  geblieben  war? 

Dann  später  gehen  Rubens  und  van  Dyck  wohl 
ein  bißchen  hin,  die  Farbe  der  italienischen  Kunst 
zu  schauen,  aber  mit  einem  Temperament,  das  sie 
bewahrt.  Und  Jordaens,  Snyders  und  die  ganze 
Schule  des  17.  Jahrhunderts  bleibt  in  ihrem  eigenen 
Lande  und  gehört  ganz  und  gar  zu  diesem  Lande. 

Ich  erinnere  mich  an  Decamps  bei  seiner  Rück- 
kunft aus  Italien.  Ich  besuchte  ihn  bei  der  Porte 
Maillot,  wo  er  damals  wohnte.  Ach,  der  Unglücks- 
mensch, der  er  war !  Er  wollte  Michelangelos 
machen  und  Tizians,  fast  gar  Rafaels:  Christus- 
gestalten, Madonnen,  Heilige,  ich  weiß  nicht  was 
alles.    Endlich  machte  er  seinen  Christus,  der  von 


220  Landschaftsmalerei 


Michelangelo  und  Tizian  ganz  einfach  zu  Rembrandt 
zurückkehrte:  das  ist  der  „Christus  vor  Pilatus", 
den  wir  oft  als  Meisterwerk  erwähnt  haben,  das 
durchaus  nicht  italienisch  ist. 

Delacroix,  der  viel  kräftiger  angelegt  war  als 
Decamps,  würde  wohl,  wenn  er  nach  Italien  ge- 
gangen wäre,  als  Narr  gestorben  sein.  Gott  sei  dank 
hat  er,  ohne  in  Italien  gewesen  zu  sein,  bewiesen, 
daß  er  seinen  Paul  Veronese  kannte.  Wir  haben 
alle  unser  Italien  im  Blut  und  im  Auge,  durch 
die  lateinische  Erziehung,  durch  die  Sitten,  durch 
die  Überlieferungen  und  die  Bilder,  durch  alles, 
was  uns  die  Abstammung  einflößt,  eine  Gemein- 
schaft der  Ideen  und  der  Gefühle. 

Man  achte  nur  auf  die  heutige  Krisis  von  1866: 
alle  Franzosen  sind  für  Italien;  fast  alle  Franzosen 
sind  gegen  die  Preußen  und  gegen  die  germa- 
nische Rasse. 

Noch  eine  andre  Bemerkung:  es  gibt  Länder 
ganz  ohne  Kunst,  die  dazu  beigetragen  haben,  die 
besten  modernen  Künstler  zu  entwickeln:  so  Algier 
bei  Eugene  Delacroix,  Ägypten  und  die  Türkei  bei 
Decamps  und  Marilhat;  die  Schweiz  und  die  Au- 
vergne  bei  Rousseau.  Und  woher  kommt  denn 
Fromentin?  aus  Afrika.  [Woher  kommt  Courbet? 
aus  den  Vogesen. 

Die  alten  kleinen  Nester  sind  ungesund:  die 
Schule  von  Rom  und  die  Schule  der  schönen  Künste, 
die  Akademien  und  die  Gefolgschaften  sonst:  da 
wägt  man  immer  die  selben  Eier. 


Salon   [866  2gt 

Wenn  ich  einen  Maler  zum  Sohn  hätte,  so 
würde  ich  ihn,  nach  einer  Rundreise  durch  Europa, 
um  in  den  Museen  kennen  zu  lernen,  was  die  Maler 
von  ehedem  hervorgebracht  haben,  nach  Amerika 
schicken  oder  nach  Australien,  recht  weit  weg,  ins 
Neuland,  damit  er  sich  die  Natur  und  die  Mensch- 
heit mit  eignen  Augen  ansähe. 

Die  weiten  Reisen  haben  das  Talent  und  den 
Erfolg  gefördert  bei  Belly,  Tournemine,  Brest,  Ber- 
chere  usw.  Auch  dieses  Jahr  noch  hat  Belly  eine 
ausgezeichnete  Probe  davon  ausgestellt,  „das  Tote 
Meer44,  von  großem  Charakter  und  großer  Wirkung. 
Tournemine  gibt  eine  „Ansicht  aus  der  Türkei44, 
sehr  fein  und  sehr  lichtvoll;  Brest  eine  „Ansicht 
vom  Bosporus44,  die  recht  originell  ist;  Mouchot, 
der  aus  Ägypten  zurückkommt,  hat  ein  meisterhaft 
gemaltes  Bild  mitgebracht :  den  „Teppichbazar44  in 
Kairo;  ebenso  hat  in  Kairo  Dauzats  sein  Interieur 
einer  Moschee   gefunden,   das   sehr   malerisch   ist. 

Ich  bin  freilich  ganz  einverstanden,  daß  es  nicht 
notwendig  ist,  in  alle  Winde  hinauszugehen,  um 
ein  guter  Landschafter  zu  werden.  Die  Maler  von 
Barbizon,  von  Fontainebleau,  der  Isle  Adam,  von 
Compiegne,  von  Meudon  und  im  Weichbild  von 
Paris  haben  es  bewiesen.  In  Paris  selbst  gibt  es 
ja  so  viel  schöne  Stellen  zu  malen  und  so  viel  schöne 
Effekte:  die  Kastanienbäume  der  Tuilerien;  eine 
Reihe  an  den  Quais  mit  den  Gebäuden  am  Seine- 
ufer entlang  und  dem  Sonnenuntergang  hinten ;  der 
Turm  von  St.  Jacques  und  sein  Square;  ein  Stück 


222  Landschaftsmalerei 


von  den  Boulevards  oder  den  Champs-Elysees;  eine 
Allee  des  Luxembourg  oder  eine  Masse  aus  dem 
Park  von  Monceaux;  einige  alte  Stadtquartiere,  die 
demoliert  werden,  oder  irgendeine  alte  Straße,  die 
noch   unberührt   geblieben. 

Wenn  man  nur  ursprüngliches  Empfinden  be- 
sitzt, eine  lebhafte  originelle  Eindrucksfähigkeit  vor 
der  Natur,  da  mag  man  schon  zu  Hause  bleiben 
,,at  home"  und  malen  gleich  gut  was,  aus  seinem 
Fenster  oder  in  seinem  Hof.  Van  der  Meer  hat 
Meisterstücke  gemacht  mit  der  Fassade  eines  hol- 
ländischen Hauses  (Galerie  Six  v.  Hillegom),  mit 
einer  Landwohnung  (Galerie  Suermondt),  mit  der 
Ansicht  irgend  eines  Stadtwinkels  oder  eines  be- 
liebigen Gäßchens. 

Kennen  Sie  den  Strand  von  Scheveningen  ?  er 
ist  gewiß  nicht  malerischer  als  irgend  ein  andrer. 
Zwanzig  holländische  Maler  haben  Meisterwerke  da- 
nach gemalt :  wie  Adrian  van  de  Velde,  Salomon 
van  Ruisdael,  Rombouts  usw. 

Scheveningen  oder  Fontainebleau,  ausgezeich- 
net; die  Wüsten  Afrikas  oder  die  Urwälder  Ame- 
rikas, auch  gut;  Konstantinopel  oder  Peking,  Java 
oder  Island,  geht  nur  immer  dahin!  Aber  Rom, 
das  ist  gefährlich. 

Als  man  von  Indien  sprach  in  Gegenwart  eines 
großen  Reisenden,  der  dorther  kam,  über  den  Tod, 
der  über  die  Länder  ausgebreitet  ist,  deren  Ge- 
schichte  so  wunderbar  gewesen: 

„Der  Tod  lebt  da/'  antwortete  der  Reisende. 


Salon  1806  889 

Man  könnte  diese  seltsame  Redewendung  um- 
kehren  und  von  Rom  sagen : 

„Das  Leben  stirbt  da." 

Ich  glaube  nicht,  daß  Courrieres  auf  dem  Wege 
nach  Rom  liegt.  Was  ist  denn  Courrieres  ?  Ein  Dorf, 
wo  die  beiden  Brüder  Breton  leben,  irgendwo 
im  Norden  Frankreichs.  Adolphe  Breton  macht 
da  seine  Schnitterinnen  und  Heuerinnen;  er  hat 
in  diesem  Jahr  nichts  zum  Salon  geschickt.  Emile 
Breton  macht  da  Landschaften  und  hat  einen 
„Teich"  geschickt,  eine  kühne,  weil  durchaus  wahre 
Malerei.  Dieser  Teich  und  seine  Ufer,  das  Wasser, 
der  Rasen,  die  Bäume,  alles  ist  grün,  von  einem 
starken  unerbittlichen  Grün.  Sind  denn  die  Kräuter 
und  das  Blattwerk  grün  ?  das  könnte  wohl  sein, 
besonders  am  Rand  des  Wassers;  obwohl  ehrsame 
Landschafter  das  Grün  in  der  Natur  ableugnen. 
Das  ist  die  Geschichte  von  Constable  und  seinem 
edlen  Freund,  Sir  George  Beaumont,  der  durch- 
aus wollte,  die  Bäume  seien  braun.  Sicherlich  gibt 
es  Braun  und  Blond,  Gelb,  Rot  und  Grün  in  der 
Landschaft,  je  nach  der  Jahreszeit,  der  Stunde  des 
Tages  oder  dem  Temperament  der  Gegend.  Aber 
ich  wage  zu  behaupten,  daß  es  auch  Grün  gibt,  und 
Sir  George  Beaumont,  den  Constable  ans  Fenster 
seines  Ateliers  rief,  das  auf  einen  Park  hinausging, 
erkannte  selbst,  daß  die  Natur  ihre  Bäume  nicht 
mit  Asphalt  male.  Gar  manche  Landschaftsmaler 
hätten  nötig,  sich  erst  einmal  aufs  Grün  zu  verlegen. 

Ich    meine,    man    soll    malen    was    man    sieht, 


L'24  Landschaftsmalerei 


nicht  den  Mittag  suchen  um  sechs  Uhr  morgens 
oder  sechs  Uhr  abends,  ganz  einfach  den  Ton  hin- 
nehmen, den  es  dem  Himmel  gefällt  der  Erde  zu 
geben.  Denn  immer  ist  es  der  Himmel,  der  vor 
allem  die  Farbe  der  Landschaft  macht.  Der  selbe 
Baum,  der  unter  zerstreutem  Licht  grün  ist,  wird 
unter  einem  Lichtstrahl  gelb,  wird  rot  beim  Sonnen- 
untergang und  erblaßt  unter  dem  Morgennebel. 

Diese  Farbe  der  Tages-  und  Jahreszeit  ist  leb- 
haft genug  in  einer  Landschaft  von  Blin  ausge- 
drückt, eine  „Küste  der  Bretagne",  von  Chin- 
treuil  in  seinem  „Frühling44  mit  einem  Platz- 
regen, von  Hervie*  in  seinem  „Dorfeingang44;  von 
Hanoteau  „nach  dem  Fischfang41;  von  Dali- 
phard  „Sonnenblick  nach  dem  Sturm44;  von  Ba- 
voux  „Plateau  von  Ghalouar44;  von  Bellet  du 
Poisat  „die  Mühlen  vonDordrecht44;  von  St.  Fran- 
ko is  „Mondschein  in  den  Vogesen44;  von  Fall  er 
im  „Windstoß44;  von  Bureau  „Weg  nach  einer 
Kalkbrennerei44  usw.  usw. 

Zahlreiche  junge  Maler  suchen  in  der  Natui 
eine  ausdrucksvolle  Wirkung,  wie  all  diese  Titel 
bezeugen.  Und  sind  diese  Effekte  des  Sonnenlichts, 
des  Sturms,  des  Regens  oder  Ungewitters  nicht 
für  die  Landschaft  dasselbe,  was  für  die  Mensch- 
heit die  Gefühle,  die  Leidenschaften,  die  das  Leben 
erregen  und  ihm  seinen  Charakter  geben? 

Der  junge  Maler  der  „Frau  im  grünen  Kleide", 
Claude  Monet,  hat  auch  seine  Landschaft  ge- 
liefert, eine  herrliche  Skizze,  die   ,, Allee  von  Bar- 


Salon  1866  22ö 

bizon"  im  Walde  von  Fontainebleau,  eine  Abend- 
stimmung mit  Sonnenschein  zwischen  den  großen 
Bäumen.  Wenn  man  wirklich  Maler  ist,  so  macht 
man  alles  was  man  will. 

Daubigny,  Vater  und  Sohn,  sind  genugsam 
beachtet  worden.  Zwei  große  Ansichten  von  den 
Ufern  der  Oise,  vom  ersteren,  fallen  zu  sehr  ins 
Dekorative.  Und  der  andre  mißbraucht  ebenso  die 
schweren  Schatten;  aber  er  hat  Kraft  und  eine 
gewisse  Fremdartigkeit  in  seinem  ,, Zigeunerlager". 

Landschaften,  in  denen  die  Figur  vorherrscht, 
verlangen  ganz  besondere  Eigenschaften.  Man  hat 
denn  auch  die  Granadierinnen  von  Gustave  Dore" 
hinreichend  kritisiert  und  viel  bewundert,  eine  Art 
von  Decameron  auf  dem  Lande  von  Granada:  eine 
Schar  junger  Spanierinnen  in  Mantille  heben  sich 
von  einem  violett  getönten  Himmel  ab,  während 
lagernde  Musikanten  die  Mandoline  spielen  und 
dazu  singen.  Es  ist  hübsch  in  der  Bewegung  und 
geheimnisvoll  in  der  Wirkung,  grandios  genug,  aber 
schwer  in  der  Farbe.  In  einer  andern  Landschaft, 
,, Erinnerung  an  Savoyen",  gleicht  Gustave  Dore  von 
fern  den  Düsseldorfern.  Ist  das  nicht  seltsam  ?  Aber 
Dore"  hat  so  viel  in  allen  Arten  der  Malerei  ge- 
schaffen, daß  man  schon  Ähnlichkeiten  hier  und 
da  herausfinden  mag:  bald  mit  den  Florentinern, 
bald  mit  den  Spaniern,  ja  mit  den  Flandrern;  aber 
dabei   bleibt  er   ein   hochbegabter  Künstler. 

OOO 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  15 


Weltausstellung   1867 
Theodore  Rousseau 

Theodore  Rousseau  geht  geradeswegs  auf  die 
Nachwelt,  an  der  Spitze  der  Plejade  unsrer  zeit- 
genössischen Landschaftsmaler;  denn  es  sind  meh- 
rere, die  mit  Rousseau  die  künftigen  Kunstliebhaber 
erregen  werden,  ebenso  wie  wir  uns  für  Ruisdael, 
für  Hobbema,  für  Aelbert  Cuijp  begeistern.  Diaz 
hat  Wunderwerke  gemalt  und  gewisse  Landschaften, 
in  der  Auswahl  des  besten  seines  Gesamtwerkes,  sind 
unübertrefflich.  Jules  Dupre  ist  ein  wahrhaft  großer 
Meister,  tief  und  ausdrucksvoll;  Troyon  kommt  zu- 
weilen dem  Aelbert  Cuijp  gleich.  Und  nehmen 
wir  auch  Decamps  und  Delacroix  als  Landschafts- 
maler hinzu,  so  haben  wir  eine  stolze  und  an- 
ziehende Gruppe,  die  wohl  mit  den  Holländern  des 
17.  Jahrhunderts  wetteifern  mag.  Dazu  einige 
poetische  Träume  von  Corot,  einige  zauberhafte 
Wirkungen  von  Courbet,  einige  breite  Dekorationen 
von  Paul  Huet;  und  Marilhat,  und  Cabat,  und 
Daubigny,  und  die  ganze  neue  Generation,  die  die 
Natur  ganz  naiv  liebt.  Fragen  wir  uns  aufs  Ge- 
wissen, so  ist  es  die  Landschaftsmalerei,  die  unsre 
französische  Schule  des  19.  Jahrhunderts  berühmt 
machen  wird. 

Die  acht  von  Rousseau  ausgestellten  Land- 
schaften  zeigen   sehr   verschiedene   Ansichten   der 


Tb.  Rousseau   1867  227 


Natur.  Rousseau  ist  besonders  stark  in  der  Wieder- 
gabe des  Charakters  einer  Gegend  und  der  launen- 
haften Stimmungen,  die  Erde  und  Himmel  in  ge- 
wissen Phasen  der  Jahreszeiten  oder  zu  gewissen 
Stunden  des  Tages  beseelen.  „Ein  Sonnenstrahl 
durch  Sturmgewölk",  der  „Herbst  in  der  Sologne", 
„der  Abend  nach  dem  Regen",  —  diese  Titel  seiner 
Bilder  täuschen  nicht.  In  den  „Schluchten  von  Apre- 
mont",  im  Wald  von  Fontainebleau,  herrscht  eine 
Melancholie,  die  sich  in  gebrochenen  Tönen,  in  einer 
fast  einfarbigen  Tonleiter  ausspricht,  ohne  Licht- 
glanz. Dies  schöne  Bild  ist  etwa  zehn  Jahre  alt. 
In  der  „Steineiche"  ist  es  die  Kraft :  dieser  Baum- 
stamm, der  aus  dem  Granit  hervorkommt,  scheint 
wie  aus  Fels  und  Eisen  geformt.  Die  wilden  Gegen- 
den, wie  der  Wal.d  von  Fontainebleau,  betonen 
sehr  bezeichnend  diese  Art  von  Gemeinschaft  der 
Naturreiche,   des  Gesteins   und  der  Pflanzen. 

Welch  ein  Gegensatz  aber  zwischen  diesen,  im 
Herzen  des  Waldes  von  Fontainebleau  erlebten  Dra- 
men und  den  frischen  Frühlingsbildern  oder  der 
regennassen  Vegetation,  der  Landschaft  von  Berry 
im  vollen  Sonnenschein  mit  den  zartgrünen  Bäumen 
und  der  entzückenden  Wonne  des  Lenzes,  wie  die 
„Ufer  des  Bouzanne",  eines  kleinen  Flüßchens  im 
Berry,  die  an  die  Landschaften  von  George  Sand 
erinnert.  Diesen  kleinen  „Frühling"  haben  wir 
schon  früher  hervorgehoben;  er  wird  zu  den  voll- 
endetsten Leistungen  Rousseaus  gehören;  auch  er 
ist  schon  einige  Jahre  alt. 


228  Landschaftsmalerei 


Wie  die  Mehrzahl  der  Meister,  die  das  Glück 
gehabt  haben,  lange  genug  zu  arbeiten,  wird  auch 
Rousseau  drei  Hauptmanieren  aufweisen:  zu  An- 
fang die  stürmische  Jugend,  erstaunlich  an  Origi- 
nalität und  Poesie;  dann  der  Vollbesitz  seiner  selbst, 
die  Heiterkeit,  Sicherheit  einer  Ausführung,  die 
dem  innern  Gefühl  gleichwertig  ist;  dann,  ich  weiß 
nicht  was  für  eine  Quälerei,  allerhand  Absichtlich- 
keiten, die  das  spontane  Schaffen  verdrängen.  Bei 
Rembrandt  war  es  seltsamerweise  gerade  umgekehrt : 
anfangs  ist  er  bescheiden,  hält  sich  noch  an  seine 
Vorgänger;  dann  geht  er  selbst  voran,  bestärkt 
sich  immer  mehr,  er  wagt  Einer  von  neuer  Art 
zu  sein;  dann  läßt  er  sich  gehen,  übertreibt  sich 
selbst  und  kennt  keine  Grenzen  mehr.  Turner  auch, 
der  große  englische  Landschafter:  nach  zaghaften 
Nachahmungen  endigt  er  schließlich  in  einem  über- 
flüssigen Gaukelspiel  der  Laune. 

Was  mich  betrifft,  so  ziehe  ich  den  Rembrandt 
der  „Nachtwache"  dem  Rembrandt  der  „Anatomie- 
stunde" vor.  Ebenso  ziehe  ich  den  Rousseau  der 
ersten  Periode  und  der  zweiten  dem  Rousseau  dieser 
letzten  Jahre  vor.  Wir  werden  später  im  Salon 
der  Champs-Elysees  ein  Werk  sehen,  das  Rousseau 
eben  erst  vollendet  hat,  „Ansicht  von  Weinbergen 
in  Savoyen"  mit  der  Alpenkette  am  Horizont  (im 
Besitz  des  Chevalier  de  Knyff).  Das  ist  gestrickt, 
wie  ein  Stück  Tapisserie  mit  lauter  gleichmäßigen 
Maschen.  Wir  werden  uns  ein  andermal  mit  Freund 
Rousseau  auseinandersetzen. 


Weltausstellung  1867  229 

Wer  war  doch  der  meist  verfolgte  Künstler 
zu  jener  Zeit,  wo  eine  junge  Schule,  die  Roman- 
tiker genannt,  gegen  die  alten  Machthaber  der  so- 
genannten klassischen  Kunst  kämpfte?  Wer  ist  der 
Maler,  dessen  Name  immer  wieder  hervorsprang, 
wo  man  der  akademischen  Jury  die  Ausschließung 
der  Männer  von  Talent  vorwarf?  Das  Bekannt- 
werden Rousseaus  beginnt  mit  wiederholten  Pro- 
testen, die  von  der  Kritik  zu  seinen  Gunsten  ge- 
schrieben wurden.  Er  war  berühmt  geworden,  be- 
vor man  noch  seine  Werke  hatte  sehen  können. 
Während  15  Jahren  war  ihm  die  Öffentlichkeit 
in  den  Salons  versagt.  War  das  nicht  abscheulich, 
und  was  gewannen  damit  die  Bidaulds  des  Instituts  ? 

OOO 

Jules  Dupre  hält  gewissermaßen  seinen 
Wiedereinzug  in  dieser  Weltausstellung  von  1867. 
Denn  seit  lange  hatte  er  den  periodischen  Salons 
entsagt  und  auch  zur  Weltausstellung  von  1855 
nichts  eingeschickt.  Nun  ist  er  wieder  da;  desto 
besser  —  mit  einem  Dutzend  Landschaften.  Wer 
hat  also  am  tüchtigsten  zur  Wiedereroberung  der 
Originalität  in  der  Landschaft  beigetragen?  Ge- 
wiß er.  Paul  Hu  et  protestierte  bereits,  nachdem 
er  einmal  Constable  gesehen  hatte;  denn  die  Eng- 
länder sind  es  gewesen,  die  zuerst  den  Instinkt 
dieser  Revolution  besaßen.  Ganz  jung  hat  auch 
Jules  Dupre*  eine  kleine  Pilgerfahrt  nach  England 
gemacht,  und  seitdem  hat  er  sich  nicht  mehr  ver- 
ändert.   Welche  Reihe  mächtiger  Gemälde  hat  er 


230  Landschaftsmalerei 


in  seinem  zurückgezogenen  Leben  inmitten  der  Natur 
ausgeführt  I  Keinen  andern  Ehrgeiz  als  den  Fort- 
schritt seiner  Kunst.  Das  ist  es,  was  ihm  seine  Un- 
abhängigkeit erhalten  hat.  Fast  immer  auf  dem 
Lande  oder  im  Walde,  hat  er  sich  nie  um  die 
Intrigen  gekümmert,  die  in  der  Stadt  um  Verwaltung 
und  Staat  gesponnen  werden.  Warum  lebt  er  auch 
so  menschenscheu  im  Walde  der  Isle-Adam?  Wenn 
er  in  elegantem  Beinkleid  in  die  Gesellschaft  ginge, 
statt  in  Gamaschen  draußen  im  Holz,  so  würde 
er  vielleicht  durch  irgendeine  hervorragende  Gunst 
ausgezeichnet  sein. 

Aber  was  hilft  das?  Die  Ehrenbezeugungen 
gehen  vorüber,  und  die  Bilder  bleiben  bestehen. 
Die  Gemälde  Jules  Dupres  sind  und  bleiben  ersten 
Ranges.  Zwölf  in  der  Ausstellung  geben  Erinne- 
rungen an  die  Landes  und  die  Pyrenäen,  an  die 
Sologne,  aus  Berry,  an  die  Picardie.  Eins  der 
besten  ist  ein  Waldinneres  von  Compiegnes  (Nr.  228 
die  Herrn  Binder  gehört),  eine  in  Zeichnung  und 
Farbe  außerordentlich  energische  Malerei.  Auch 
die  „Vanne"  findet  Beachtung,  die  schon  einige 
berühmte  Sammlungen  durchlaufen  hat,  eine 
„Weidenreihe"  und  ein  „Sumpf".  Der  Vorwurf, 
den  man  gegen  Dupre  erheben  könnte,  ist  der, 
daß  er  seine  Gemälde  zu  weit  durcharbeitet,  und 
daß  er  durch  zuviel  Impasto  sein  Erdreich  und 
besonders  seine  Himmel  schwer  macht.  Mit  weniger 
Arbeit  und  Hartnäckigkeit  würde  er  an  Leichtig- 
keit  und  Durchsichtigkeit   gewinnen. 


S.-\1on   1867  231 

Corot  ganz  im  Gegenteil  scheint  unglücklicher- 
weise im  seichten  Gewässer  einer  unvollständigen 
Ausführung  stecken  zu  bleiben.  Seine  Gebilde 
tauchen  nur  noch  in  einem  Dunstschleier  auf. 
Wenn  er  nicht  die  Gabe  der  Kraft  besitzt,  so  hat  er 
doch  einen  gewissen  Reiz,  der  aus  seinem  fast 
geheimnisvollen  Eindruck  entspringt.  Er  hat  sich 
seit  seinen  Anfängen  nicht  mehr  verändert,  und  hat 
auch  fast  immer  ein  und  dasselbe  Bild  wieder  und 
wieder  gemalt,  selbst  wenn  er  ganz  verschiedene 
Gegenden  malte.  Wo  hat  er  den  Nemi-See  herge- 
nommen ?  In  der  Umgebung  von  Auteuil  oder  von 
Meudon  ?  Seltsam,  diesem  nebelhaften  Maler  ge- 
lingen zuweilen  die  ziemlich  großen  Figuren  in 
seinen  fast  körperlosen  Landschaften  sehr  gut,  und 
das  Bild,  das,, die  Toilette"  betitelt  ist,  mit  einer  halb- 
nackten Frau  unter  schwankenden  Bäumen,  erweckt, 
ich  weiß  nicht  wie,  eine  ganze  poetische  Welt. 

Paul  Hu  et  vertritt  die  Landschaft  in  gran- 
dioser Auffassung,  frei  und  meisterlich  ausgeführt. 
Auch  seine  Gemälde  schmücken  schon  in  großer 
Zahl  die  öffentlichen  Museen.  Seine  Überschwem- 
mung im  Luxembourg  ist  ein  Meisterwerk  in  dieser 
Art.  Er  hat  acht  Landschaften  auf  der  Weltaus- 
stellung, die  den  Museen  von  Bordeaux,  Montpellier, 
Orleans  gehören  oder  für  andre  Museen  in  der 
Provinz   bestimmt   sind. 

Die  Landschaften  Ch.  Fr.  Daubignys  sind 
ebenso  von  Museen  oder  öffentlichen  Anstalten  ge- 
liehen worden :  vom  Luxembourg,  Museum  von  Bor- 


232  Landschaftsmalerei 


deaux,  von  Marseille,  aus  dem  Palais  von  Com- 
piegne.  Daubigny  ist  nur  ein  Talent  zweiter  Hand 
und  hängt  von  mehreren  der  genannten  Meister  ab. 

Francais  hat  mehrere  Manieren  gehabt:  er 
gehörte  zuerst  zu  der  Gruppe  der  Gründer  von 
Fontainebleau ;  da  er  aber  zum  Stil  und  zur  großen 
Kunst  zurückgekehrt  ist,  ist  er  dreifach  mit  der 
Medaille  erster  Klasse  gekrönt.  Sein  ,, Orpheus" 
ist  im  Luxembourg,  und  sein  „heiliger  Hain"  im 
Museum  von  Lille.  Außer  diesen  beiden  Bildern 
sieht  man  auf  der  Ausstellung  noch  sein  bestes 
Werk  im  großen  Genre  wieder:  die  Ausgrabungen 
von  Pompeji  aus  dem  Salon  von  1865. 

Cabat  gehörte  auch  zu  der  ersten  Plejade, 
die  unsre  Landschaftsmalerei  revolutionierte,  und 
seit  1831  war  er  schon  für  kleine  ländliche  Bilder 
ausgezeichnet  worden,  die  Meisterwerke  sind  und 
die  man  heute  gern  wiedersehen  würde.  Später  hat 
Italien  und  Poussin  ihn  verwandelt,  und  die  beiden 
Landschaften,  die  er  auf  der  Ausstellung  zeigt,  ge- 
hören seiner  Poussin-Manier  an,  die  ideal,  arkadisch, 
wenig  menschlich  und  gar  nicht  modern  ist. 

Was  aber  auch  ihr  Stil  und  ihre  Richtung  sein 
mag,  alle  diese  Landschafter  haben  ein  Talent,  das 
die  Kritik  nach  ihren  persönlichen  Anschauungen  zu 
diskutieren,  aber  nicht  abzuleugnen  vermag.  Es  ist 
eine  Frage  der  Ästhetik.  Wenn  die  Kunst  fortschritt- 
lich ist  wie  die  Menschheit,  deren  charakteristischen 
Ausdruck  sie  ohne  Zweifel  darstellt,  wo  liegt  dann 
die  Vergangenheit,  und  wo  liegt  die  Zukunft  ? 

OOO 


1868 

Es  ist  sehr  heiß.  Ganz  Paris  geht  an  die  See 
oder  aufs  Land.  Gehen  wir  etwas  in  die  Wälder 
von  Compiegne  oder  von  Fontainebleau  und  an 
andre  Orte,  die  unsre  Landschafter  lieb  haben. 
Vielleicht  werden  wir  nach  Italien  verlockt,  nach 
Ägypten  und  bis  nach  Indien.  Man  reist  ja  so 
schnell  heute.  Wenn  wir  morgens  von  Ville  d'Avray 
ausgehen,  so  hoffe  ich,  kommen  wir  abends  in 
Ostindien  an. 

Corot  ist  es,  der  uns  bei  Ville  d'Avray  fest- 
hält. Der  Morgen  ist  schön.  Sumpfige  Strecken 
des  Bodens  vor  dem  Gehölz  sind  noch  mit  Nebeln 
bedeckt.  Der  silbergraue  Duft  gefällt  Corot  immer, 
der  früh  aufsteht,  aber  sich  zur  Siesta  zurückzieht, 
sowie  die  Sonne  über  die  Erde  strahlt.  Eine  kleine 
Hirtin,  die  Füße  im  Wasser,  hütet  einige  Kühe, 
die  in  den  frischen  Kräutern  glücklich  sind.  Corot 
hat  immer  nur  eine  und  dieselbe  Landschaft  ge- 
macht. Diese  hier  ist  eine  seiner  besten  Proben 
aus  dem  Atelier  der  Wiederholungen.  Die  zweite 
Landschaft,  die  er  ausgestellt  hat,  „der  Abend" 
—  sehen  Sie,  er  malt  niemals  am  hellen  Tag!  — 


234  Landschaftsmalerei 


stellt  eine  Gruppe  starker  Bäume  am  Rand  eines 
Flusses  dar,  den  eben  eine  Herde  durchschreitet. 
Während  Corot  seinen  Schlummer  hielt,  hatte  die 
Sonne  die  Dünste  des  Morgens  aufgesogen,  die 
nun  zu  dieser  Stunde  langsam  herabsinken,  um  sich 
über  den  Rasen  auszubreiten  und  dort  die  Nacht 
zu  verbringen. 

Chintreuil,  der  auch  ein  Frühauf  ist,  hat 
die  ,, Morgenröte  nach  einer  Sturmnacht"  geschaut. 
Er  hatte  dies  Schauspiel  an  einem  guten  Platz  er- 
wartet. Vor  ihm,  vor  uns,  im  Vordergrund  be- 
findet sich  ein  See,  der  vom  vorübergezogenen, 
Sturm  noch  bewegt  ist.  Auf  der  andern  Seite  des 
Wassers  erheben  sich  rechts  bergige  Strecken,  links 
ein  andrer  Hügel  mit  Bäumen  bekrönt.  In  der  mitt- 
leren Vertiefung,  die  zwischen  beiden  Höhen  liegt 
und  wie  den  Eingang  eines  Tales  bildet,  eben  dort 
erscheint  die  Morgenröte.  Das  wäre  ein  famoses 
Theater,  um  eine  junge  Sylphide  mit  Rosenfingern 
erscheinen  zu  lassen,  die  mit  einem  Fächer  ä  la 
Pompadour  die  großen  schwarzen  Wolken  ver- 
jagt, die  unsre  Erde  gequält  haben.  Ich  würde 
mich  nicht  wundern,  wenn  es  im  Salon  auch  noch 
solche  Auroren  im  „großen  Stil"  gäbe.  Ist  es  nicht 
sehr  prosaisch  und  sogar  materialistisch,  nur  rosige 
Töne  zu  zeigen,  die  der  Erscheinung  des  Feuer- 
balls voraufgehen.  Ebenso  in  der  Literatur.  Zu 
sagen :  die  Sonne  geht  auf,  die  Sonne  geht  unter, 
das  ist  nicht  poetisch,  obwohl  diese  Ausdrucksweise 
durchaus  antigalileisch  und  unwissenschaftlich  ist. 


SalonM868  235 


Wenn  die  Erde  sich  dreht,  wie  die  Gelehrten  sicher 
zu  wissen  glauben,  darf  man  nicht  hören  lassen, 
daß  die  Sonne  die  Runde  um  die  Erde  macht  und 
daß  sie  zu  Bette  geht,  wenn  sie  mit  ihrem  glühen- 
den Auge  sich  satt  gesehen  hat.  Um  die  Ausdrucks- 
weise mit  den  wissenschaftlichen  Tatsachen  in  Ein- 
klang zu  setzen,  müßte  man  das  alles  berichtigen, 
und  bei  derselben  Gelegenheit  auch  das  Geschlecht 
von  Sonne  und  Mond  in  der  deutschen  Sprache,  die 
aus  der  Sonne  ein  Weib  und  aus  dem  Mond  einen 
Mann   macht. 

Man  sieht,  wir  haben  in  allen  Dingen  viel  zu 
tun  zur  heutigen  Zeit,  die  schneller  läuft  als  ehedem. 

Der  zarte  Chintreuil  hat  sich,  durch  das 
Gewitter  erregt,  zum  stärksten  Ton  gesteigert,  um 
den  Kampf  der  Elemente  zu  malen,  diesen  Sieg  des 
Lichtes  über  die  Finsternisse.  Die  blaugrüne  Farbe 
des  Wassers,  die  schweren  braunen  Töne  des  Erd- 
reichs, die  roten  Streifen  am  Himmel  haben  eine 
seltene  Kraft,  wie  sie  selbst  bei  leidenschaftlicheren 
Koloristen    selten   vorkommt. 

Die  Natur  in  ihren  launenhaften  Äußerungen 
zu  belauschen,  ist  die  Leidenschaft  Chintreuils.  Wer 
hat  nicht  zuweilen  den  Regen  bei  vollem  Sonnen- 
schein bewundert.  Man  mäht  den  Klee  auf  flachem 
Felde,  von  Licht  Übergossen.  Die  kleinen  Haufen  ge- 
schnittenen Grases,  von  einem  Grün  mit  rotem  Hauch 
darauf,  leuchten  wie  Blumensträuße,  die  auf  der 
Erde  hingelegt  sind.  Aber  sieh  da,  weiterhin  auf 
dem  andern  Ende  des  Feldes  regnet  es.   Ein  sanfter 


236  Landschaftsmalerei 


Sommerregen,  der  den  leuchtenden  Himmel  durch- 
schneidet, eine  wohltätige  Befeuchtung,  die  die 
Sonne  nicht  erzürnt.  Diese  Wirkung  ist  in  dem 
zweiten  Bilde  von  Chintreuil  reizend  wiedergegeben. 
Francois  Daubigny  hat  einen  „Frühling" 
gemalt.  Der  Frühling  in  der  Malerei  ist  eine  moderne 
Erfindung.  Man  suche  mir  Beispiele  davon  bei  den 
alten  niederländischen  Meistern.  Auch  die  Roman- 
tiker unter  unsern  Landschaftern  haben  nicht  oft 
das  Ausschlagen  der  Blätter  gewagt;  im  allge- 
meinen zogen  auch  sie  den  Herbst  vor  mit  seinem 
geröteten  Laub.  Die  Engländer  waren  kühner  und 
haben  als  Sucher  nach  Neuem  in  allem  auch  die 
blühenden  Apfelbäume  auf  dem  frischen  Rasen- 
grün entdeckt.  Constable  hatte  schon  Wiesengründe 
von  skandalösem  Grün  gemalt,  so  wie  man's  überall 
im  Monat  Mai  erblickt.  Es  war  damals  in  den  ver- 
schiedenen Schulen  keine  Rede  davon,  das  zu 
malen  was  man  sieht.  Millais  und  manche  andre 
haben  später  diese  naturalistische  Revolution  ent- 
schieden, die  doch  ganz  einfach  ist,  aber  noch 
immer  die  Senatoren  der  Kritik  erschreckt.  Es 
gibt  übrigens  eine  Reihenfolge  der  vier  Jahres- 
zeiten von  dem  verehrungswürdigen  Nicolas  Poussin 
selbst :  der  Frühling  ist  das  irdische  Paradies,  das 
Poussin  und  Cabanel  niemals  gesehen  haben.  Der 
Sommer  ist  „Ruth  und  Boas";  der  Herbst  „das 
gelobte  Land"  mit  den  beiden  Kundschaftern  des 
Moses,  die  eine  große  Traube  tragen;  der  Winter  ist 
die  Sintflut.   Wie  kann  man  natürliche  Landschaft 


Salon  1868  237 

malen  mit  solchen  idealen  Konzeptionen  darinnen  ? 
Im  Frühling  Poussins  „schwebt  der  himmlische  Va- 
ter auf  den  Wolken  und  der  Versucher,  der  sich 
auf  den  Baum  der  Erkenntnis  geflüchtet",  —  geben 
sie  uns  eine  Vorstellung  vom  Hervorbrechen  der 
Kräuter  und  Blumen  ?  Die  Lehre  des  Bildes  ist 
ohne  Zweifel,  daß  die  Wissenschaft  täuscht  und  zum 
Bösen  verleitet,  und  daß  die  ersten  Menschen,  wenn 
sie  nur  die  Unwissenheit  hingenommen  hätten,  noch 
heut  im  Paradiese  wären. 

Vielleicht  hatte  aber  Eva  doch  nicht  so  ganz 
Unrecht,  in  den  Apfel  zu  beißen.  Dieser  Apfel  be- 
weist übrigens,  daß  das  irdische  Paradies  sich  in 
einem  Obstgarten  der  Normandie  befand  und  nicht 
im  Orient,  wie  noch  einige  orthodoxe  Altertums- 
kenner behaupten  wollen.  Also  gut,  malen  wir  Obst- 
gärten der  Normandie  oder  Blumengärten  von  Fon- 
tenay-aux-Roses,  und  wenn  man  auch  Figuren  will, 
setezn  wir  Blumenmädchen  oder  Fräulein  von  der 
Seine  oder  Bäuerinnen  von  Calvados  hinein. 

Der  „Frühling"  von  Francois  Daubigny  ist 
sehr  frisch  und  sehr  heiter.  Die  Bäume  in  Blüte 
strömen  ihren  Duft  aus.  Die  Ausführung  ist  breit 
und  frei.  Die  Farbe  tritt  ausnahmsweise  aus  den 
braunen  Tönen  heraus,  die  diesem  ungleichen  Maler 
so  zur  Gewohnheit  geworden  sind,  zuweilen  ganz 
ausgezeichnet,  zuweilen  aber  auch  hohl  und  fad.  Sein 
andres  Bild:  der  „Mondaufgang"  ist  peinlich  und 
falsch.  Den  Mond,  der  durch  einen  Haufen  gelber 
Farbe  gegeben  ist,  könnte  man  mit  Händen  greifen. 


238  Landschaftsmalerei 


Daubignys  Sohn  ahmt  das  Verfahren  seines 
Vaters  nach.  Er  ist  oft  sehr  schwarz,  aber  er  hat 
Kraft.  Seine  „ Kornschwingerinnen  der  Bretagne44 
entbehren  nicht  des  Charakters,  und  sein  „Wald 
von  Fontainebleau44   ist   recht  geheimnisvoll. 

Paul  Huet  lockt  uns  von  Fontainebleau  nach 
Pierrefonds.  Er  bringt  zu  seiner  Malerei  stets  ein 
poetisches  Gefühl  und  eine  meisterhafte  Praxis  mit. 
Er  hat  nie  den  Quell  seiner  jugendlichen  Begeiste- 
rung vergessen:  den  Landschaftsmaler  Constable. 
Seine  Ruinen  des  Schlosses  Pierrefonds  gewähren 
einen  großartigen  Anblick.  Sie  würden  in  einem 
Museum  sehr  gut  wirken,  zwischen  einem  Troyon 
und  einem  Jules  Dupre,  um  die  jungen  Landschafts- 
maler zu  lehren,  daß  man  das  kleine  Geziefer  auf 
Gräsern  und  Laub  nicht  suchen  soll. 

Paul  Huet  hat  auch  einen  Sohn,  der  zwei  Ge- 
mälde ausgestellt  hat  und  Maler  sein  wird:  er  ist 
es  schon  ganz  natürlich  geworden. 

Als  Gegenstück  zu  Paul  Huet  erscheint  „die 
Speisekammer  der  Füchslein44  von  Hanoteau, 
einem  Schüler  Gigoux'.  Es  ist  eine  Waldszene,  die 
den  Jäger  interessiert.  Eine  sehr  freie,  sehr  natür- 
liche Landschaft  mit  leuchtendem  Grün;  es  ist  eine 
„gesunde  Malerei44,  wie  mir  ein  Kenner  der  alten 
Kunst,  Mündler,  bei  Gelegenheit  einer  andern  Land- 
schaft von  Lansyer,  einem  Schüler  Courbets  sagte. 
In  solchen  Werken,  wo  ursprüngliches  Empfinden 
sich  zum  Wissen  durchgebildet  hat,  da  fühlt  man 
eine    vollwertige    und    unabhängige    Überzeugung. 


Salon   1868  239 

Diese  Jüngern  malen  der  Natur  gemäß  und  ihrer 
Natur  gemäß.  Unter  solchen  gesunden  und  nor- 
malen Bedingungen  bedarf  es  in  der  Tat  nichts 
weiter  als  Genie  zu  haben,  um  ein  sehr  großer 
Künstler  zu  sein  und  mächtig  zum  Fortschritt  der 
Kunst  beizutragen. 

Die  Landschaft  Lansyers  stellt  eine  „Quelle 
in  der  Bretagne"  dar.  In  der  Bretagne  hat  auch 
H6reau  seine  „Seegras-Sammler  am  Strande"  be- 
obachtet. Das  Meer  zieht  sich  zurück,  aber  das 
Unwetter  naht:  der  Himmel  ist  ganz  schwarz, 
und  der  Sturm  wird  furchtbar  toben.  Die  Seetang- 
sammler beeilen  sich,  ihren  Karren  zu  beladen, 
der  mit  zwei  Ochsen  und  mit  einem  Pferde  bespannt 
ist.  Hereau  verdient  die  Medaille,  die  ihm  für  dies 
Gemälde   von   lebhafter   Wirkung   zuerkannt   ist. 

Die  Bretagne  hat  den  Landschaftern  Glück  ge- 
bracht, und  Bernier  hat  auch  für  seinen  Teich 
von  Quimerch  bei  Bannalec  im  Gebiet  von  Finisterre 
die  Medaille  davongetragen. 

Andre  Medaillen  sind  noch  den  Landschafts- 
malern Harpignies  und  A p p i a n  zuteil  geworden, 
zwei  feinen  Künstlern,  die  aus  der  Durchschnitts- 
mache hervorragen. 

Die  Arbeiten  dreier  Landschafter,  die  den 
großen  Stil  vertreten,  habe  ich  nicht  finden  können: 
AlexandreDesgoffe,PaulFlandrin,  Schüler 
von  Ingres,  und  Francais,  der  „ihnen  jetzt  in 
der  Laufbahn  vorangeht",  nachdem  er  anfangs  na- 


240  Landschaftsmalerei 


türliche  Landschaften  gemalt  hatte.  Aber  ich  bin 
nicht  in  Sorge  um  ihren  Erfolg:  sie  haben  für  sich 
die  wohlerzogenen  Leute,  das  Institut,  die  Regie- 
rung, die  Verwaltung  des  Kunstgebietes  und  ihre 
Anhänger,  die  hohe  Kritik;  sie  gehören  zu  jener 
begünstigten  Klasse,  von  der  man  richtig  sagen 
kann,  sie  sei  „autorisiert". 

Brest  führt  uns  über  Venedig  nach  dem  Bos- 
porus. Aber  wir  machen  einen  Augenblick  in 
Ägypten  Halt,  um  die  Abendstimmung  von  Belly 
zu  bewundern,  der  ein  Schüler  Troyons  ist.  Welch 
ein  Erguß  roten  Lichtes  über  die  Landschaft.  Es 
ist  zum  Ersticken.  Ich  erinnere  mich  der  ersten 
Gemälde,  die  Marilhat  aus  Ägypten  heimbrachte, 
und  besonders  der  Ansicht  des  Platzes  Esbekieh 
in  Kairo,  seines  Meisterwerkes.  Wir  können  nicht 
an  diese  verbrannte  Atmosphäre  glauben,  die  die 
Erde  gekocht  zu  haben  scheint  und  alle  Dinge  in 
verglasten  Zustand  übergeführt  hat,  wie  Caramellen. 

Decamps  hatte  uns  schon  das  Licht  in  der 
Türkei  gezeigt,  blendend  weiße  Mauern,  fast  wie 
Sonnenglanz  auf  Silberplatten.  Marilhat  zeigte  uns 
geschmolzenes  Gold  und  wie  in  Auflösung  begriffen. 
Welch  eine  treffliche  Badstube,  um  die  Fettsüch- 
tigen schwitzen  zu  machen,  ist  das! 

In  der  Landschaft  Bellys  sind  glücklicherweise 
große  volle  Bäume  und  im  Vordergrund  sogar  ein 
Wasserbehälter,  wo  Büffel  herumpatschen.  Zwischen 
den  Bäumen  bemerkt  man  kleine  Figuren,  Gebäude 
und  Durchblicke  ins  Land  hinaus.  Die  Komposition 


Salon   i368  241 

ist  sehr  reich,  sehr  farbig  und  hat  eine  machtvolle 
Harmonie. 

Sollte  es  an  den  Ufern  des  Nils  frischer  sein? 
Kaum  viel.  Die  „Fellahweiber",  von  Mouchot, 
tragen  ruhig  ihre  wissergefüllten  Henkelkrüge  da- 
her. Es  ist  auch  Abend,  und  diese  Frauengestalten, 
die  sich  mit  majestätischer  Eleganz  bewegen,  heben 
sich  von  einem  schweren,  fast  undurchsichtigen 
Himmel  ab.  Ohne  in  diesen  Gegenden  gereist  zu 
haben,  ist  man  doch  sicher,  daß  Mouchot  und 
Belly  genaue  und  aufrichtige  Beobachter  sind.  Belly 
war  schon  „hors  de  concours"  und  Mouchot  hat 
mit  gutem  Recht  die  Medaille  bekommen. 

Schwingen  wir  uns  nun  bis  nach  Indien  hinaus, 
denn  wir  sind  auf  dem  Wege  dahin.  Es  gilt  in  der 
Tat  zwei  indische  Szenen  zu  schauen:  einen  „Halt" 
und  eine  „Rückkehr  von  der  Jagd",  die  Charles 
de  Tournemine  gemalt  hat.  Welch  ein  Licht 
auch  hier;  aber  minder  dicht  als  in  Ägypten. 
Tournemine  hatte  sich  zuerst  in  die  Flamingos  ver- 
liebt, jene  flammenfarbigen  Vögel,  die  so  leicht 
auf  ihren  langen  Stelzen  stehen  und  so  anmutig 
sind  in  ihren  Bewegungen.  Das  letzte  Jahr  hat  er 
sich  den  Elephanten  Afrikas  zugewendet  und  ver- 
folgt sie  dieses  Jahr  in  das  Land,  wo  sie  einst  fast 
vergöttert  wurden.  Diese  Halbgötter,  die  sich  her- 
beilassen, den  Menschen  auf  der  Reise  und  auf 
der  Jagd  zu  tragen,  haben  nichts  von  ihrer  antiken 
Würde    verloren.     Sie   sind    immer   noch    herrlich 

W.  Bürger.     Kunstkritik.  16 


242  Landschaftsmalerei 


in  diesen  beiden  indischen  geistreich  gemalten  Sze- 
nen mit  ihrem  feinen  glanzvollen  Kolorit. 

Ich  glaube  gern,  daß  Tournemine,  der  sich  in 
seinen  Bildern  dem  Orient  widmet,  Afrika,  die  Tür- 
kei und  Indien  durchwandert  hat,  um  Himmel  und 
Erde  zu  studieren  wie  die  Menschen  und  die  Tiere. 

Was  mich  hindert,  uns  mit  Theodore  De- 
lamarre  bis  nach  China  zu  verirren,  ist  der  Um- 
stand, daß  dieser  originelle  und  geschickte  Künstler 
seine  Chinoiserien  doch  in  Paris  macht.  Es  ist 
wahr,  sein  Atelier  gleicht  einem  Interieur  von  Can- 
ton  oder  Peking:  chinesische  Vorhänge,  Möbel, 
Kostüme,  Gebrauchsgegenstände  aller  Art,  ganz 
chinesisch;  man  findet  da  sogar  eine  chinesische 
Gesellschaft  der  verschiedenen  Klassen,  vom  Man- 
darin, dem  Kaufmann,  dem  Arbeiter  bis  zu  den 
Modellen,  die  der  fanatische  Maler  einbalsamiert 
hat,  um  ihm  den  wahren  Ausdruck  und  das  leib- 
haftige Benehmen  des  erwählten  Volkes  darzubieten. 
An  seiner  Stelle  ginge  ich  selbst  nach  China;  aber 
er  findet  es  einfacher,  sich  ein  China  für  sich  zu 
machen,  hoch  oben  in  der  Chaussee  d'Antin.  Wenn, 
wie  ich  hoffe,  die  ,,Ind6pendance"  im  Reich  des 
Himmels  gelesen  wird,  so  werden  die  Chinesen, 
die  nach  Paris  kommen,  gewiß  nicht  verfehlen, 
dem  Mandarinen  Delamarre  einen  Besuch  abzu- 
statten. 

Ach,  wie  ist  der  Winter  schön,  besonders  im 
Sommer!  Seit  einem  Monat  beten  wir  in  Paris 
Eis  und  Schnee  förmlich  an;  man  riefe  gern  wie 


Salon   1868  243 

in  Neapel :  Es  lebe  der  heilige  Januarius.  Da  tut 
es  wohl,  sich  dem  Norden  zuzuwenden.  Die  Aus- 
stellung bietet  mehrere  ausgezeichnete  Bilder  des 
Winters. 

Emile  Breton,  der  Bruder  von  Jules,  hat 
eine  ganz  mit  Schnee  bedeckte  Ebene  gemalt,  und 
zwar  jene  lang  aushaltende  Schneedecke,  die  mit 
der  Erde  einen  Körper  bildet;  der  Frost  hat  sich 
über  dieses  weiße  Leichentuch  ausgebreitet  und  es 
fest  gemacht.  Soweit  das  Auge  reicht,  nichts  als 
Schnee;  nichts  Besonders  in  der  Landschaft,  kein 
Baum,  kein  Strauch,  keine  Hütte,  kein  Mensch,  kein 
lebendes  Wesen,  das  sich  bewegte,  bis  auf  ein  paar 
Raben,  die  das  weiße  Tuch  mit  Schwarz  beflecken 
oder  gegen  den  grauen  Himmel  fliegen.  Man  sollte 
meinen,  daß  der  Mensch  dies  Lappland  geflohen 
habe.   Es  ist  sehr  melancholisch,  und  —  sehr  schön. 

Die  andre  Landschaft  von  Emile  Breton,  eine 
„Quelle",  ist  hart,  allzu  sehr  durchgequält,  ohne 
Luft  und  ohne  Reiz.  Ich  nehme  an,  daß  Breton 
seine   Medaille  nur   dem   Schneebilde   verdankt. 

In  einem  Gemälde  von  Fleury-Chenu  ist 
schon  Schnee  gefallen,  aber  es  fällt  noch  mehr. 
An  der  Tür  einer  Dorfherberge  will  eben  ein  Karren 
abfahren  und  die  Wirtin  schenkt  dem  Kärrner  zu 
trinken  ein,  der  sich  durch  dies  furchtbare  Wetter 
wagt,  wo  die  Hunde  am  Herdfeuer  schlafen.  Das 
Dach  und  die  Balken  des  Häuschens,  das  links 
im  Bilde  sehr  gut  aufgebaut  ist,  sind  mit  Schnee 
bedeckt;    auf    der    Straße    liegt    er   fußhoch,    und 


244  Landschaftsmalerei 


drunten  auf  den  Feldern  ist  das  Schneegestöber 
so  dicht,  daß  der  Fuhrmann  nicht  die  Ohren  seines 
Pferdes  vor  sich  sehen  wird.  Es  ist  gleich,  vor- 
wärts! Der  Mensch  darf  sich  nicht  von  den  Ele- 
menten beherrschen  lassen;  also  auf  den  Weg,  mit 
gutem  Humor. 

Die  Malerei  Chenus  ist  korrekt,  ohne  Aus- 
flüchte, entschieden  bis  in  die  Einzelheiten.  Wenn 
man  zufällig  an  seiner  kleinen  Herberge  vorbei- 
käme, würde  man  sie  sofort  wieder  erkennen,  an 
ihren  grünen  Fensterläden,  an  den  Stufen  vor  der 
Tür  und  dem  Balkon  im  ersten  Stock.  Und  doch 
hat  das  Ganze  Charakter,  weil  die  Gesamtwirkung, 
sehr  richtig  und  sehr  ausgesprochen,  die  Einzel- 
heiten, selbst  die  ins  Auge  springenden,  einhüllt, 
und  zwar  so  gut,  daß  man  von  dieser  Abfahrts- 
szene, die  „Abschiedstrunk"  betitelt  ist,  nichts  an- 
deres denkt  als:  welch  grausiges  Wetter! 

Wir  haben  den  Schnee  auf  den  weiten  Acker- 
feldern des  französischen  Flandern  mit  Emile  Breton 
gesehen,  und  in  der  Umgegend  eines  Dorfes  mit 
Fleury-Chenu.  Michel  von  Metz  hat  im  lichten 
Walde  diesen  glänzenden  Effekt  studiert,  der  so 
wundervoll  auf  den  hohen  Stämmen  von  Fontaine- 
bleau  zum  Vorschein  kommt.  Lothringen  bewahrt 
noch  sehr  wilde  Waldungen,  mit  Sümpfen,  Wässern 
und  buschbewachsenen  Strecken  dazwischen.  Michel 
holt  sich  dort  seine  Eindrücke  und  hat  da  sicher 
sein  letztes  Winterquartier  aufgeschlagen.  Im  Jahre 
1864   haben   wir   seinen    Sumpf   in    einer   Eichen- 


Salon  1868  245 

lichtung  mit  einer  Reiherschar  beachtet;  im  Jahr 
1865  einen  Teich  mit  Gänsen,  die  von  einer  Hirtin 
gehütet  werden.  Schon  lange  hat  Michel  die  Me- 
daille verdient,  die  ihm  diesmal  zugefallen  ist. 

Sein  Schneestück  ist  ohne  Fehl :  noch  ein  Teich 
im  Walde,  —  die  Eichen  sind  mit  Eiszapfen  ge- 
schmückt, die  sie  gleich  Spitzenbehang  umhüllen; 
die  Gewächse  und  das  Gestrüpp  sind  mit  Diamanten 
bedeckt,  wie  die  reichsten  Damen  der  andern  Welt; 
das  Wasser  ist  gefroren,  die  Eisfläche  schimmert 
grünlich,  wegen  des  tiefen  Wassers  darunter,  und 
wirft  die  silbernen  und  braunen  Töne  des  Gezweigs 
ringsum  zurück.  Diese  winterliche  Pracht  zu  be- 
wundern ist  nur  ein  einsamer  träumerischer  Philo- 
soph da,  der  am  Ufer  des  Wassers  steht.  Wie  heißt 
doch  der  große  Vogel  aus  der  Familie  des  Reihers, 
der  einen  kahlen  Schädel  hat,  graues  Gefieder,  hohe 
dürre  Stelzen,  und  so  melancholisch  aussieht,  wenn 
er  den  Hals  zwischen  die  Schultern  zieht?  So  einer 
steht  da  und  denkt  vielleicht  darüber  nach,  wie  mit 
seinem  Schnabel  das  Eis  zu  durchbohren  wäre,  um 
einen  Fisch  aus  dem  Wasser  zu  ziehen.  Was  tun? 
Es  ist  recht  mühsam,  im  Winter  das  Leben  zu 
fristen. 

Michel  von  Metz  malt  sehr  gut,  gewissenhaft 
und,  wie  ich  glaube,  mit  viel  Hartnäckigkeit;  da  er 
aber  die  äußere  Natur  vollkommen  kennt,  so  ver- 
rät das  fertige  Werk  nicht  mehr  die  Schwierigkeiten 
der  Ausführung.  Es  ist  außerdem  die  gründliche 
Aufrichtigkeit  eines  Künstlers  da,  der  fern  von  den 


24G  Landschaftsmalerei 


Pariser  Ateliers  lebt,  fern  von  den  Einflüssen  einer 
zuweilen  gefährlichen  Umgebung. 

Ein  Bild  von  L  a  v  i  e  i  1 1  e  ist  betitelt :  Landstraße 
von  Waban  im  Schneewetter.  Ich  weiß  nicht,  wo 
Waban  liegt;  um  aber  dahin  zu  gelangen,  kommen 
wir  durch  ein  Gehölz.  Der  Weg,  die  Böschungen, 
die  Bäume,  alles  ist  weiß,  ganz  frisch.  Ein  Hase, 
der  aus  dem  Gestrüpp  herauskäme,  würde  einen 
schönen  rotbraunen  Fleck  darauf  bilden.  Lavieille 
ist  übrigens  ein  Landschafter  für  alle  vier  Jahres- 
zeiten. Er  hat  den  Herbst  oft  mit  der  Tüchtigkeit 
eines  freien  Koloristen  gemalt.  Als  Schüler  Corots 
hängt  er  doch  ebenso  von  Jules  Dupre  und  andern 
Meistern  ab,  die  unsre  moderne  Schule  schmücken. 

Bureau  hat  den  „Winter  in  Holland"  aufge- 
sucht, und  hat  bei  dieser  Gelegenheit  auch  eine 
„Erinnerung  an  Rotterdam"  mitgebracht,  ohne  die 
Erinnerungen  an  die  holländischen  Maler  zu  rech- 
nen, die  sich  inmitten  des  Landes,  das  sie  begeistert 
hat,  so  wohl  verständlich  machen.  Die  Gefahr  be- 
steht darin,  sie  allzu  nahe  nachzuahmen,  und  die 
Malereien  von  Bureau  haben  etwas  das  Ansehen  der 
alten  durch  die  Zeit  schmutzig  gewordenen  Bilder. 
Möge  er  jetzt  an  den  Ufern  der  Seine  malen,  in  leb- 
haftem Licht,  ohne  an  Salomon  Ruisdael  oder 
van  Goyen  zu  denken. 

All  diese  Schneebilder  haben  uns  erfrischt,  trotz 
dem  Ausflug  in  den  Orient  und  trotz  der  Hitze  in 
Paris.  Lassen  wir  uns  nun  gehen,  wohin  uns  noch 
talentvolle  Landschaften  verlocken  mögen. 


Salon  1868  247 

Herson,  ein  Schüler  von  Diaz,  hat  zwei  An- 
sichten von  Barbison  ausgestellt.  In  diesen  kleinen 
Bildern  von  warmem  Kolorit  hat  er  sich  sehr  glück- 
lich die  ausgezeichneten  Eigenschaften  des  großen 
Künstlers  angeeignet,  dessen  Nachfolger  er  ist. 

Brigot,  ein  Schüler  von  Courbet,  hat  eine 
Rückkehr  von  der  Jagd  ausgestellt,  ein  Vorreiter 
mit  seinen  Hunden,  ,, Kreuzweg  im  .Walde".  Aus- 
führung kräftig  und  voll. 

Georges  Prieur,  ein  Schüler  von  Jules 
Dupre,  hat  ein  Reh,  das  an  einen  Eichenstamm  auf- 
gehängt ist,  und  totes  Wildpret,  auf  den  Rasen  hin- 
gebreitet, in  einer  Waldlichtung  von  Fontainebleau 
gemalt.  Er  gibt  das  Fell  des  Wildes,  Reh  und 
Hase,  mit  einer  meisterhaften  Sicherheit;  wir  haben 
Studien  nach  der  Natur  von  ihm  gesehen,  die  an 
Jean  Fyt  erinnern.  Wenn  er  Landschaft  malt,  ist  er 
farbig,  sehr  ausdrucksvoll  und  sehr  originell.  Hier 
freilich  ist  aus  irgend  einer  unerklärlichen  Laune 
sein  Landschaftshintergrund  düster,  ohne  Licht  und 
ohne  Betonung.  Vielleicht  hat  er  seinem  Wildpret 
im  Vordergrunde  mehr  Wert  und  Relief  geben 
wollen.  Aber  gewiß  hätte  ein  heller  Grund  das 
schöne  Reh  besser  aus  der  verworrenen  Masse  her- 
vortreten lassen,  das  Hauptstück,  das  wie  jenes  von 
Courbet  in  seinem  berühmten  Gemälde  „Halali"  ge- 
malt ist. 

Ein  Maler,  der  sich  schon  von  1848  bemerkens- 
wert gezeigt  hatte  indem,  was  man  damals  die,, junge 
Schule"  nannte,  und  der  seitdem  fast  aus  den  Salons 


248  Landschaftsmalerei 


verschwunden  war,  Felix  Haffner  von  Straß- 
burg, hat  „Apfelbäume  im  Elsaß"  ausgestellt,  ein 
ziemlich  bizarres  Werk,  von  einem  kühnen  Natura- 
lismus und  einer  in  gewissen  Partien  sehr  erfreu- 
lichen Färbung.  Eine  der  Bäuerinnen,  die  unter  den 
Apfelbäumen  steht,  wird  von  Sonnenstrahlen  ge- 
troffen, die  durch  die  Zweige  dringen;  sie  würde 
nicht  zurückstehen  hinter  gewissen  Malereien  der 
modernen  englischen  Schule,  die  zugleich  naiv  und 
übertrieben  sind. 

Ich  übergehe  viele  Landschaften,  die  Erfolg  ge- 
habt haben,  wie  die  „Wüste"  mit  einem  toten  Dro- 
medar statt  aller  andern  Ausstattung  inmitten  der 
unermeßlichen  Weite;  ich  übergehe  die  bekannten 
und  mit  Recht  geschätzten  Malereien  von  Ziem, 
der  eine  Ansicht  von  Venedig  und  eine  von  Mar- 
seille ausgestellt  hat;  ich  übergehe  eine  Anzahl 
junger  Künstler,  die  drauf  und  dran  sind,  sich  An- 
sehen zu  erobern.  Man  erwäge  doch,  daß  auf  die 
2600  ausgestellten  Gemälde  mehr  als  1000  Land- 
schaften kommen. 


N 
7435 

Bd.l 


Thore*,   lyophile  Stienne 
Joseph 

er1 6  Kunstkritik 


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