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w I
W. BURGER'S
KUNSTKRITIK
^ Den Druck dieses Werkes
^ besorgte die Offizin von
Julius Kliukhardt in Leipzig
W. BURGER'S
KUNSTKRITIK
DEUTSCHE BEARBEITUNG
von A. SCHMARSOW und B. KLEMM
I. NEUE BESTREBUNGEN DER KUNST
* LANDSCHAFTSMALEREI *
<*>
LEIPZIG 1908 VERLAG VON
KLINKHARDT & BIERMANN
iit
H
hd.i
Vorwort der Herausgeber VII
W. BÜRGER ist ein Name, der bei den Kunst-
historikern seit dem Beginne der sechziger Jahre
einen guten Klang hat. Wer sich heute Rechenschaft
zu geben ver sticht, wie das Verständnis für Rembrandt
und die Holländer des siebzehnten JaJirJiunderts über-
haupt zu der Höhe' gelangt sei, die der jungem
Generation jetzt allgemein und wie selbstverständlich
zugute kommt, der weiß auch, wieviel davon dem fein-
sinnigen Kenner verdankt wird, der mit Vorliebe
unter diese?n deutschen Namen geschrieben hat. Wenn
der Franzose Th eophile Th ore mit solcher Wahl eines
Pseudonyms, hinter dem er sich kaum verbergen ivollte,
vielmehr einer neu erkämpften Überzeugung und einer
langsam gereiften Neigung Ausdruck gab, so ist er mit
Recht auch unter diesem Namen bei uns eingebürgert,
und soll es bleiben, wie er gewollt.
Nach einer andern, noch viel umfassenderen Seite
zollen wir ihm unsere Anerkennung, wenn wir seine
moderne Kunstkritik, angesichts der zeitgenössischen
Entwicklung im eigenen Vaterlande, so würdigen, wie
sie es verdient. Dem Geschichtschreiber des neun-
zehnten Jahrhunderts, der sie kennen lernt, wird sie
bald zu einer wichtigen Quelle. Für die Jahre 1844 &s
1848 und 1861 bis 1868, in denen er seine fortlauf ende
Reihe von Salonberichten schrieb, eröffnet uns kaum
ein anderer Kritiker einen so tiefen Einblick in das
geistige Leben und die künstlerischen Anliegen der
tonangebenden Stadt wie er. Und an Weite der
Umschau in Gegenwart und Vergangenheit war ihm
keiner überlegen. Er ist der Führer im Fortschritt
zu neuen Einsichten.
VIII Vorwart der Herausgeber
Deshalb versprechen wir uns von einer deutschen
Bearbeitung, die, sachlich geordnet ', den Gesamtinhalt
zu übersichtlichen Gruppen vereinigt, ohne doch die
zeitliche Folge zu verwischen, einen nachhaltigen Gewinn.
Sind seine Tageskritiken auch in Frankreich noch 1870
wieder in drei Bänden zusammen gedruckt erschienen,
so ist doch diese Ausgabe schon selten geworden, dem
deutschen Leser nicht leicht zugänglich, und in ihrer
ursprünglichen für den Augenblick bestimmten Fassung
durch mancherlei störendes Beiwerk oder durch bunte
Mischung des Stofflichen ermüdend. Nach großen Ge-
sichtspunkten zusammengefaßt, und von überflüssigen
Wiederholungen befreit, stellt sich hier erst das Ganze
als einheitliches Ergebnis einer Gesamtanschauung
heraus, der auch am Schluß dieser Ausgabe besonders
Rechnung getragen zverden soll.
Leicht lesbar, immer anregend, und auch in
spielender Form ernstlich durchdacht, ja selbst in
heiterer Ironie noch gesinnungstüchtig — sind diese Auf-
sätze Bürgers überall Zeugnisse eines ganzen, ebenso
herzenswarmen tvie hochgebildeten Mannes. Jeder
Zuwachs an solchen Schriften über bildende Kunst
sollte in Deutschland willkommen sein. Dabei rechnen
wir vor allem auf die weitern Kreise derer, die das
Bedürfnis empfinden, heutzutage ein eigenes Urteil über
künstlerische Dinge zu bilden, und ihren Geschmack
unter der Anleitung einsichtsvoller Mittler zu gesunder
Genußfähigkeitundvorurteilsloser Freiheit zu entwickeln.
B. Klemm. A. Schmarsow.
Neue Bestrebungen der Kunst
I.
Die Weltausstellung von 1855 hat den großen
Künstlern der romantischen Schule die entschei-
dende Weihe verliehen. Die hervorragendsten Ta-
lente, die bis dahin immer noch bestritten waren,
sind endgültig anerkannt, von Frankreich wie von
Europa. Die Romantik in der Malerei, wie die
Romantik in der Literatur hat vor der öffentlichen
Meinung triumphiert. Also es ist vollbracht. Wer
gesiegt hat, hat gelebt. Das ist das unabänderliche
Gesetz: Vicit, ergo vixit.
Die Eroberung der Freiheit in Erfindung und
Stil, damit war schon viel gewonnen. Aber die
Poesie und die Form, die Empfindungen und die
Bilder, die seither frei geworden, was werden sie
nun mit der Freiheit anfangen?
Die Romantik in Literatur und Malerei war
doch nur ein vorbereitendes Werkzeug für eine
neue Kunst, die wahrhaft menschlich, auch der Aus-
druck einer neuen Gesellschaft wäre, deren Symp-
tome das 19. Jahrhundert allesamt aufweist. Einer
der Urheber der Romantik hatte die richtige Ahnung
W. Bürger. K stkritik. 1
Neue Bestrebungen der Kunst
davon, als er die schöne Formel schrieb, die ewig
wahr bleibt : „Für eine neue Gesellschaft eine neue
Kunst.44
Nun gut, es herrscht gegenwärtig in Frank-
reich und überall eine seltsame Unruhe, ein unauf-
haltsamer Drang nach einem neuen Leben, das sich
von allem früheren wesentlich unterscheide. Alle
Bedingungen der alten Gesellschaft sind über den
Haufen geworfen, in der Wissenschaft und in den
Religionen, die das Ergebnis der Wissenschaft sind,
in der Politik und in der Sozialökonomie, die nur
die Anwendung der Politik ist, in dem Ackerbau,
der Industrie, dem Handel, die nur die Elemente
der sozialen Ökonomie sind.
Unvergleichliche Entdeckungen haben allen
Ideen, allen Tatsachen eine ungeahnte und unbe-
grenzte Tragweite gegeben. Es gibt gleichsam einen
unsichtbaren Telegraphen, der fast augenblicklich
und überall die Eindrücke der Völker, die Gedanken
der Menschen, die Ereignisse, die Neuigkeiten jeder
Art in Umlauf setzt. Die geringste moralische oder
physische Erschütterung, die an irgendeinem Punkt
gespürt wird, setzt sich fort von Ort zu Ort und
überträgt sich rund um den Erdball. Die Mensch-
heit ist im Zuge, sich zu konstituieren, und bald
wird sie das Bewußtsein ihrer selbst gewinnen bis
zu den äußersten Enden ihrer Glieder.
Der Charakter der modernen Gesellschaft —
der zukünftigen Gesellschaft — wird Universali-
tät sein.
Neue Bestrebungen der Kunst
Während ehemals — gestern — jedes Volk
sich in die engen Grenzen seines Landes einschloß,
in seine besondere Überlieferung, seinen Götzen-
dienst, seine selbstischen Gesetze, seine dunkeln
Vorurteile, seine Sitten und seine Sprache, strebt
es heute, sich über diesen Bannkreis auszubreiten,
seine Schranken zu öffnen, seine Traditionen und
seine Mythologie zu verallgemeinern, seine Gesetze
zu vermenschlichen, seine Begriffe zu klären, seine
Bräuche zu lockern, seine Interessen auszutauschen,
seine Tätigkeit überall hin auszudehnen, wie seine
Sprache und sein Genie.
Das ist die gegenwärtige Strömung in Europa,
und selbst in andern Teilen der Welt. Außer diesem
charakteristischen Zeichen ist das Übrige nur Bei-
werk, vorübergehende Tageserscheinung, die nicht
wert ist, in die großen Rechnungen der Zivilisation
eingesetzt zu werden. All das wird übrigens all-
gemein genug zugegeben oder wenigstens voraus-
gefühlt. Was aber wenigen, selbst klar sehenden
Denkern, vertraut ist, das ist die Umgestaltung, die
diese Einflüsse in die Poesie, die Literatur und die
Künste bringen.
In welchem Sinne muß sich der Charakter der
Künste notwendig abwandeln auf Grund der so-
zialen Metempsychose, die sich vollzieht?
Diese ästhetische Frage ist sicher von umfassen-
der Bedeutsamkeit und vor allem von großem Be-
lang für die Zukunft der Poesie und der schönen
Künste selbst.
Neue Bestrebungen der Kuntit
II,
Die letzte Schule in Literatur und Kunst
schweifte gern in vergangene Zeiten, und einer
ihrer Vorzüge war eben die Wiedererweckung und
Wiederherstellung mancher Züge der Geschichte,
ihrer eigenen Geschichte, die vergessen oder ent-
stellt waren.
Oft auch hat sie sich aus diesem Instinkt in
räumliche Fernen gewagt, eine Reise um die Welt
versucht ... in der Phantasie. Denn für gewöhn-
lich erfand sie ihre Gemälde des „Lebens in der
Fremde" nur am eigenen Herde; nur einer Art von
Spiegel, dessen Geheimnis die Künstler besitzen,
entlieh sie die phantasmagorischen Reflexe der
„fremden" Natur, die unter entlegenen Himmels-
strichen leuchtete.
Man sagte wohl, dieser Poet sei nach Palästina
gegangen, jener an den Rhein, der dritte über die
Alpen oder die Pyrenäen. Aber von diesen wunder-
baren Odysseusfahrten, mochten sie wirklich oder
nur vermeintlich sein, hatte kein Dichter, kein Lite-
rat jene „Lokalfarbe" mitgebracht, die unsre Ro-
mantiker in ihren Bildern anzuwenden vorgaben.
Der Franzose, der überhaupt kaum reist, ver-
steht auch nicht zu reisen. Da man fast überall
seine Sprache spricht, kümmert er sich nicht darum,
die fremden Sprachen zu erlernen, und weil er so
mit der einheimischen Bevölkerung der Länder, die
Neue Bestrebungen der Kunst
er durcheilt, in keinen Verkehr kommt, erfährt er
auch wenig und unterschätzt vieles.
Es waren also mehr Reisen im Geist als wirk-
lich unmittelbare und tiefe Beziehungen zum frem-
den Genius, dem alle diese geschickten Phantasie-
gebilde ihren Erfolg, ja ihren Ruhm verdankten.
So verhielt es sich nicht allein in der Literatur,
sondern auch in der Philosophie, in der Politik, in
der Geschichte.
Unter den Malern hatten auch nur wenige das
Privilegium, die fremden Himmelsstriche selbst zu
schauen, und in diesen seltenen Ausflügen hatte
ihr Talent die Originalität und Stärke gewonnen.
Ich spreche nicht von der kleinen mönchischen
Kolonie, die sich in den Katakomben Roms ver-
gräbt. Aber es fand sich doch eines Tages, daß
ein leidenschaftlicher Künstler den Einfall hatte,
wirklich hinzugehen und im Orient die Patrouillen
und die Karawanen zu sehen, die Schulen und die
Caf£s; ein andrer in Algier und Marokko ver-
schleierte Frauen, tanzende Mauresken, arabische
Reiter, Löwen und Panther; ein dritter in der
Schweiz den Abstieg von Herden längs einer
Schlucht; ein andrer . . . welche Abenteurer!
Maler und Schriftsteller bewahrten indes fast
alle, unter der Herrschaft der letzten Schule, außer
ihrer französischen Sinnesart — was kein Fehler
war, sondern das Gegenteil — auch ihren nationalen
Gesichtspunkt., der doch immer beschränkt ist, ihre
Xeue Bestrebungen der Kun-.i
französischen Vorurteile, die ausschließlich sind,
und ihre eigentümlichen Vorstellungen.
Gegenwärtig aber, wo leichte Verbindungen
alle Völker in Verkehr gesetzt haben, gibt es schon
eine Generation von jungen Leuten, die Sprachen
kennen, die fern von ihrem Vaterland die alte Welt
Asiens oder die neue Welt Amerikas studiert haben.
Wie könnte man jetzt noch in die kleinen philo-
sophischen, religiösen, politischen, literarischen,
künstlerischen Systeme eingeschlossen bleiben, in
diesen kleinen Zellen mit kleinen Symbolen, kleinen
Mythologien, während alle Religionen und alle
Institutionen, alle Gedanken und alle Formen, ein-
mal einander gegenüber getreten, sich auch durch-
dringen, sich durch wechselseitigen Einfluß abwan-
deln und was sie allzu Eingeborenes haben abstrei-
fen, neu beleben was sie an Kosmopolitischem und
Allgemeingültigem besitzen; wenn die sonst aller-
feindlichsten Kulte sich miteinander verbrüdern;
wenn die politischen Revolutionen die Leute in alle
Welt zerstreut und sie einander angenähert haben,
Missionare aller Gefühlsweisen und aller Sprachen;
wenn die Auswanderung ganze Bevölkerungen aufs
Geratewohl hinausdrängend eine chronische Erschei-
nung geworden ist ; wenn China sich den Europäern
erschließt und wenn die Chinesen selbst ihr Heim
verlassen und das westliche Amerika überfluten;
wenn die Indier und alle Bewohner des alten Asien
die europäischen Ausstellungen besuchen, wo die
ganze Welt sich ihr Stelldichein gibt. Ja, dann ist
Neue Bestrebungen der Kunst
es um die alten Brandmale der Rasse geschehen,
um den alten lokalen Aberglauben, die alten
Formen, die jedes Volk im Schatten seines eigenen
Geheges einbalsamiert hatte. Es gibt nur noch
eine Rasse und ein Volk; es gibt nur noch eine
Religion und ein Symbol : — die Menschheit !
III.
Die Revolution, die sich vollziehen muß, — die
Revolution, die sich in Poesie, in Kunst und Lite-
ratur vollzieht, betrifft also unmittelbar den Ge-
danken und nicht allein die Form, den Stil, die
Manier, den Ausdruck. Denn der gestaltende Genius
ist frei von dem. Die Originalität, die Individualität
sind ja doch erobert. Ist die Gewandtheit unsrer
Schriftsteller und Künstler nicht eine ganz außer-
ordentliche? Niemals ist die Literatur und die
Kunst, die Sprache, die Farbe, die Zeichnung, die
Form im allgemeinen, mit mehr Geschicklichkeit
gehandhabt worden. Niemals war die Ausführung so
geschmeidig für alle Dinge. Nach dieser Seite wird
heutzutage kaum noch ein Fortschritt möglich sein.
Und wenn die Revolution sich im Gedanken
vollziehen muß, so muß sie infolgedessen sich auch
im Gegenstand der künstlerischen Darstellungen
selbst vollziehen. Als man zu behaupten wagte,
daß der Gegenstand in den Künsten belanglos sei,
war es nur ein einfacher Widerspruch gegen die
angebliche Bedeutung der heroischen und gehei-
ligten Darstellungskreise. Ja, vielleicht kommt es
8 Neue Bestrebungen Jii rvuntt
wirklich nicht auf den Gegenstand an, — voraus-
gesetzt, daß die menschliche Seele an der künst-
lerischen Schöpfung Anteil nimmt und daß der
Mensch selbst darin der „Held" ist.
Nichtsdestoweniger sehen wir einmal zu, wie
der Wandel des Gedankens den Wandel des Gegen-
standes nach sich zieht.
Die große Bewegung, die das ausmachte, was
man Renaissance genannt hat, bestand in dem Wag-
nis, Figuren nach eigenartigen Typen zu machen,
statt nach orthodoxen und unveränderlichen Typen
wie bisher.
In diesem Sinne hat die Romantik sich dem
Antrieb auf Freiheit angeschlossen, den das sechs-
zehnte Jahrhundert der Einbildungskraft gegeben
hatte, obwohl sie in einem anderen Sinne wieder
einen Rückschlag gegen die Renaissance vollzogen
hat, sofern diese die alten Götter des Olymp wieder
auferweckte, und dann ist auch sie zur Wieder-
auferweckung geschritten und hat vor allem den
vergessenen Stil des Mittelalters wieder hergestellt.
Aber, wenn die Renaissance, und nach ihr alle
Schulen, die sich seit drei Jahrhunderten in Europa
gefolgt sind, der religiösen Allegorie ihre unbe-
wegliche Form genommen haben, so bewahrten sie
doch deren Grund nichtsdestoweniger. Die christ-
liche Kunst war eine Mythologie gewesen und ge-
blieben, gerade so gut wie die heidnische Kunst :
— eine wahre Hieroglyphe, die den Gedanken in
eine symbolische Form einkleidete.
Neue Bestrebungen der Kunst 9
Während also die Heiden, statt ein Weib zu
bilden, eine Venus gemacht hatten, machten die
Christen eine Jungfrau Maria. In der einen wie
in der anderen Allegorie bedeuten Venus und die
Madonna nur das vollkommene Weib. Und das
Übrige des weiblichen Geschlechts hatte als Aus-
hängeschild bei den Heiden die Chöre der Göt-
tinnen und Nymphen, das anmutige Gefolge der
Mutter Amors, bei den Christen die Chöre der
Heiligen und Märtyrinnen, das fromme Gefolge der
Mutter des Erlösers.
Ebenso war es mit dem Ausdruck aller andern
Ideen. Jeder Gedanke wurde in eine metaphorische
Personifikation übersetzt. Wenn sie die Qualen des
Genius erzählen wollten, schmiedeten die Alten den
Prometheus an seinen Kaukasus ; die Christen haben
ihren Heiland an das Kreuz genagelt 1 Für die ur-
sprünglich schaffende und gebietende Kraft hatten
die Alten ihren Jupiter tonans, — ,,den Herrn der
Götter und der Menschen"; die Christen hatten
ihren ewigen Vater, den Schöpfer aller Dinge und
höchsten Richter. Für die Jugend und die poetische
Schönheit verherrlichten die Einen den harmo-
nischen Apoll, die andern den milden St. Johannes,
den Lieblingsjünger. So im übrigen.
Und über diese, der menschlichen Form ent-
lehnten Allegorien hinaus, nahmen beide Mytho-
logien gleichermaßen auch andre lebendige Formen,
wie die unschuldige Taube, das fleckenlose Lamm,
den siegenden Adler, den wollüstigen Schwan hinzu.
10 Neue Ücatrcbuugeu der Kunst
Das Pflanzen- und das Mineralreich tragen
ebenso zu dieser konventionellen Sprache bei, die
bis zu einem gewissen Grade immer eine Geheim-
lehre Eingeweihter blieb.
Alles war von Phantasiewesen durchdrungen :
das Heidentum, das den Bereich des Menschen
hienieden bevorzugte, hatte die Wälder mit Faunen
und Satyrn, die Quellen mit Najaden, das Meer
mit Tritonen und Sirenen bevölkert. Das Christen-
tum, das ganz dem jenseitigen Aufenthalt der Seelen
zugewendet war, hatte den Himmel mit Engeln und
Erzengeln, mit Cherubim und Seraphim, Vermitt-
lern zwischen dem Menschen und der Gottheit, wie
mit Sternen besät.
Diese seltsamen Geschöpfe konnten viel be-
deuten, und sie bedeuteten tatsächlich eine ganze
Lehre für die Eingeweihten des antiken Kultus wie
des nachfolgenden, der jenen ersetzte. Aber außer
dem Kreise der Wissenden blieb es ein ver-
schlossenes Buch, ein Logogryph.
Unsre geflügelten Engel sind für die Orientalen,
was ihre geflügelten Chimären für uns sind: mehr
oder minder reizvolle Phantasiegebilde. Die Chi-
nesen können nicht erraten, was das auf dem Kreuze
liegende Lamm bedeuten soll, ebensowenig, wie
wir den Sinn der Drachen und Ungeheuer erraten,
die auf ihren Gebäuden und Standarten, ihren Ge-
fäßen und Kleidern flattern. Und doch ist das die
Sprache ihres Glaubens, ihres Wissens, ihres Den-
kens, ihres Lebens und das Ergebnis ihrer beson-
Neue Bestrebungen der Kunst 11
dem Zivilisation. Wir nennen ihre bildliche Sprache
unter uns „Chinoiseries". Aber, wie nennt man da
drüben die Erzeugnisse der abendländischen Ein-
bildungskraft ?
Die Renaissance und die nachfolgenden Schulen
haben also keineswegs mit der Symbolik des Mittel-
alters gebrochen. Die großen Meister des 16. Jahr-
hunderts haben immer dieselbe Idee ins Werk ge-
setzt, wenn auch in ihrer individuellen Form. Sie
haben nur andre Metaphern gebraucht, aber stets
über das nämliche Thema. Es verschlägt wenig,
ob Rafael seine Geliebte wählt, um eine Madonna
daraus zu machen; das ist im Grunde die katho-
lische Idee. Noch mehr : sie haben neben den christ-
lichen Erfindungen die des Heidentums wieder be-
lebt. Als Gegenstück zu seinen Madonnen, seiner
Transfiguration, seiner Messe von Bolsena, seinem
Erzengel mit regenbogenfarbigen Flügeln, malte
Rafael Apoll und Venus, die Schule von Athen und
den Parnass. Ebenso schuf Tizian seine Aphroditen
und seine Danaen als Gegenstücke zu seiner Himmel-
fahrt der Jungfrau und seiner Heiligen Familie. Und
Michelangelo und Lionardo da Vinci und alle an-
dern haben es ebenso gemacht wie sie.
Zwischen diesen beiden Sprachen, diesen beiden
Künsten, haben alle künstlerischen und literarischen
Schulen seit drei Jahrhunderten sich hin und her
bewegt. Es gibt tatsächlich in unserm Abendlande
nur zwei Formen, die jede eine besondere Idee aus-
drücken : — die katholische Allegorie und die heid-
1Ü Neue Bestrebungen der Kun^t
nische, — die gleichermaßen unverständlich sind
für alle Fremden und ebenso gleichgültig für den
modernen Geist der Völker, die sich ihrer noch
immerfort bedienen.
Das braucht die Kunst des 19. Jahrhunderts
gewiß nicht.
IV.
Aber, wird man sagen, das gilt, wenn man will,
für die religiöse Poesie, die ihrem Wesen nach
durchaus mystisch ist, weil sie mehr oder minder
abstrakte Dogmen vermittelt. In jedem Land hat
der Kultus in einer emblematischen Kunst die Idee
materialisiert, die, um zum Geist einzudringen, des
Durchgangs durch die Sinne bedarf.
Tritt nicht durch das Auge, das „Fenster der
Seele", das Licht ein? Ägypten und das alte Indien
stehen den modernen Abendländern nicht nach.
Jede Nation hat ihre Ikonolatrie, und die Wilden
haben ihre Idole. Allein die Völker, bei denen die
Reformation gewaltet hat, besitzen so etwas nicht
mehr.
Ja, es ist sicher, unsre religiöse Kunst — wie
alle andern übrigens auch — drückt eine besondere,
unserm Abendland eigene Idee aus, die von andern,
unsere Lehren und unsern Aberglauben nicht teilen-
den Völkern nicht verstanden wird. Scheiden wir
das aus, und prüfen andre Ideen, die auch zu allen
Zeiten durch die Kunst verbreitet worden sind, und
Neue Bestrebungen der Kunst \B
die anscheinend ganz ebenso wie die übernatürlichen
Ideen den Gegenstand der Poesie bilden. Stellen
die Künste nicht auch die geschichtlichen Über-
lieferungen dar, das wirkliche Leben der Völker?
Nun gut, auch da, unter dem Namen der Ge-
schichte, verwendete die Kunst immer eine Art
Mythologie. Auch da ist es eine erfundene und
verdrehte Sprache. Es gibt eine ganze Reihe von
Persönlichkeiten, die durch die sogenannten kompe-
tenten Autoritäten das Vorrecht erhalten haben, zur
Darstellung menschlicher Eigenschaften verwendet
zu werden, geradeso, wie man noch heutigentags
göttliche Personifikationen anwenden würde, um
immaterielle Gedanken darzustellen. Es ist eine
Komödie, wie jenes eben noch ein „Mysterium"
war. Immer Verkleidung, Maskerade. Achill, ist
es nicht der Mut, Odysseus die Klugheit, Ajax die
wütende Verwegenheit, Leonidas die patriotische
Aufopferung, der alte Brutus die stoische Tugend
usw. ? Es sind eigentlich Zeichen eines Alphabets,
das Poeten und Künstler unter sich ausgemacht
haben, hieroglyphische Charaktere, die ihren an-
erkannten Wert haben, wie Wörter der Sprache,
Vorwände für einen verhüllten Sinn, eine Art
Muscheln, die man erst aufmachen muß, um das
Innere zu genießen, oder Hampelmänner, die das
Leben heucheln.
Nach den Göttern die Halbgötter, die Heroen.
Ja, in der Tat, das gehört noch zur Fabel und
fordert zum Verständnis eine besondere Einführung
1 4 Neue Bestrebungen der Kunst
in die örtlichen Verhältnisse, die gewissen Gruppen
von Völkern gemeinsam ist, andern aber ganz
fremd geblieben. Gehen wir weiter.
Nach den mehr oder minder fabelhaften Hel-
den haben wir noch die Monarchen und Prinzen,
die ihrerseits Vertreter der weiter zurückliegenden
oder näherstehenden Geschichte sind, wie die Heroen
die alten Überlieferungen verkörpern. Ist nicht
auch das eine Fiktion, eine Eskamotage der mensch-
lichen Natur?
Weit mehr noch, in der Darstellung der außer-
menschlichen Natur, der Erde und ihrer Herrlich-
keiten — in der Landschaft — hat man fast immer
Ausschmückungen angewendet, die der Fabel ent-
lehnt sind
Zu Anfang der Renaissance kannte man die
Kunstgattung der Landschaftsmalerei überhaupt
nicht: als Tizian die herrliche Landschaft malte, in
der seine Venus lagert (Louvre), als Correggio das
Gehölz malte, unter dem seine blonde Antiope
schläft, wurden die Erde und der Himmel nur noch
wie Zutaten und Beiwerk der Personen angesehen.
Die zweite Generation der Meister, die bisher zu
sehr gerühmten Carracci, Albano, Dominichino,
Guido Reni usw., begann, die Figuren der äußern
Natur unterzuordnen. Das „Genre" der Landschafts-
malerei war damit erfunden und löste sich aus dem
großen poetischen Bündel, aber immer noch unter
der Bedingung, daß es sich mit schönen mytho-
logischen Geschichten ausstatte.
Neue Bestrebungen der Kunst 15
Es war auch nicht wirklich die gemeine Natur
des zeitgenössischen Italien, die man malte : es war
ein erfundenes und apokryphes Griechenland mit
Apoll und Daphne, Diana und Aktäon, Herkules
und Achelous, Adonis und Narciss.
Im Gefolge der römischen und bolognesischen
Meister erfand Poussin — der „edle" Poussin —
in Rom, indische Landschaften (Bacchus) ägyptische
(Moses) athenische (Diogenes) usw., Bacchanalien
und Arkadien; und sein Freund, der große Lieb-
haber der Sonne, Claude le Lorrain begnügte sich
nicht mit dem strahlenden Licht, das er über die
Erde ausgoß ; er fand es nötig, in seinen entzücken-
den Landschaften auch noch Odysseus oder Kleo-
patra anzubringen oder anbringen zu lassen. Die
Sonne wäre nicht ruhig untergegangen ohne einen
Aeneas im Vordergrund.
Dieses Gegengift der Natur, wenn man so sagen
kann, ist seltsam, und hat sich doch — mit Aus-
nahme einiger Launen der Neapolitaner und Spanier
sowie einzelner Zweige der nordischen Schulen, von
denen wir später zu reden haben, bis auf unsere Tage
forterhalten, bis auf die neue Schule der Landschafts-
malerei, die heute den Ruhm Frankreichs ausmacht.
So stellte man, um Ideen zu versinnlichen, die
Götter dar; für die Fähigkeiten traten die Helden,
für die Taten die Fürsten ein; und um die Natur
selber darzustellen, allegorisierte man sie auch, was
Ort und Zeit betrifft, mit stereotyper Anheftung
mythischer Figuren.
16 Neue Bestrebungen der Kun^t
Das sind, trotz der Mannigfaltigkeit des Aus
drucks, die unveränderlichen Gegenstände, die bis
heute von der Allgemeinheit der Dichter und Maler
beibehalten wurden.
Jeder kann sich davon überzeugen, wenn er
unter diesem Gesichtspunkt die Werke der Meister
prüft, sei es in Museen, sei es in Büchern.
Für die Skulptur gelten alle diese Beobachtun-
gen über die Malerei ganz ebenso. Ja, in der Plastik
wird die Musterung nur noch beweiskräftiger aus-
fallen : immer dieselben beiden Gußformen seit dem
Moses und dem Bacchus Michelangelos, seit der
Diana und dem Christus im Grabe von Jean Goujon,
demMilo und der Andromeda vonPuget, der Magda-
lena und der Psyche von Canova bis zur Psyche von
Pradier, zum Spartacus von Foyatier, zur Minerva
von Simart, zum Epaminondas von David d'Angers,
zu den Gracchen von Cavelier und zu allen symbo-
lischen Darstellungsgegenständen, die unsre zeit-
genössischen Ausstellungen erfüllen.
Und über die Architektur, wieviel ließe sich
nicht sagen über ihre Anachronismen und ihren
Mischmasch, oder über ihre vollständige Bedeu-
tungslosigkeit.
Aber wir haben da gerade unter Händen den
Katalog van Hasselts über das ungeheure Lebens-
werk eines der freiesten Geister der Malerei: 1461
Gegenstände der Darstellung. Und welche? Es ist
lehrreich :
Neue Bestrebungen der Kunst 17
565 Gegenstände aus der christlichen Überliefe-
rung; 295 aus der heidnischen Fabclwelt und der
Allegorie; 74 nur aus der Geschichte, d. h. der
Geschichte der Helden und Fürsten, von Romulus
bis auf Erzherzog Albrecht; 277 Porträts, fast alle
— mit Ausnahme seiner selbst (15) seiner Frauen
(5 Isabelle, 17 Helene) und einiger Freunde (van
Dyck, Brueghel, Snyders) — fast alle Porträts von
Helden oder Fürsten. Dann 66 Landschaften, die
Mehrzahl mit heidnischen oder katholischen Ge-
schichten ausgestattet; endlich 46 „sujets familiers
et d'imagination", unter denen sich noch Porträts,
Liebesgärten, römische Krieger und Studien ein-
geordnet finden. Es kann wohl sein, daß ein
Dutzend Bilder übrig bleibt, wo dieser gewaltige
„Naturalist", wie man Rubens zu nennen liebt, „den
Menschen für den Menschen" gemalt hat, frei von
Mythologie und Allegorie, von Helden und Fürsten.
Also diese ehemalige Gesellschaft muß recht
ausschließlich theokratisch und oligarchisch gewesen
sein ! Aber wo ist denn die Gesellschaft, das soziale
Leben, das wissenschaftliche und industrielle, das
geistige und arbeitsame der Zeit dargestellt?
Wo ist der Mensch?
V.
Der Mensch existierte nicht in der Kunst von
ehedem — von gestern; und er muß noch erfunden
werden.
W. Bürger. Kunstkritik. 2
18 Neue Bestrebungen der Kunst
Fast niemals ist der Mensch, in seiner schlichten
Eigenschaft als Mensch, der unmittelbare Gegen-
stand der Malerei und der andern plastischen
Künste gewesen, noch selbst in der Literatur; denn
die beiden poetischen Schulen folgen einander
immer parallel und bilden fast nur eine.
Ohne Zweifel gab es Ausnahmen, und diese
sind groß unter den größten, wo das Genie die
menschliche Natur ohne den Vorrang der religiösen
und poetischen Fiktionen gemalt hat. Das ist sogar
ihr wahrer Rechtstitel auf die Unsterblichkeit.
Es wird der ewige Ruhm eines Rabelais, eines
Moliere, eines Shakespeare, eines Cervantes und eini-
ger andrer seltener Männer sein, Menschen gemacht
zu haben, und diese Menschen mit gewöhnlichen
Eigennamen, die der Bewunderung ebenso würdig
sind wie die Helden, die Lieblinge der Musen. Panurg
ist ebensoviel wert wie Thersites; Othello wie der
wütende Orest; Don Quichotte wie der unbesieg-
bare Achill, und der gute Arnolf, der hinter seiner
Agnes herläuft, ist nicht minder interessant als der
Gatte der treulosen Helena unter den Mauern Ilions.
Es findet sich selbst in jenen Zeiten ein bos-
haftes Genie, das, unter dem Verbot der orthodoxen
Poetik, einfach Menschen vorzuführen, und nicht
geneigt, sich mit den Heroen einzulassen, lieber
Tiere nahm und sie mit ebensoviel Geist reden
ließ wie Prinzen: — La Fontaine.
Der Roman hat auch, fast von seiner Geburt
an, sehr kühnes Benehmen gewagt, und welche
Neue Bestrebungen der Kunst 1!)
außerordentliche Erregung verursachte die „neue
Heloisc" von Jean-Jacques Rousseau, der sich er-
laubte, seine Leser mit einer „Heldin" zu rühren,
deren Stammbaum, wenn auch immer von Adel,
doch nicht bis Jupiter oder Caesar oder auch nur
bis Ludwig XIV. hinaufreichte.
Für das Theater ebenso: dies verwegene acht-
zehnte Jahrhundert, das alles versucht hat, wagt
sich mit Diderot ans vulgäre Drama; in Reaktion
gegen die heroische Tragödie.
Und in unsern Tagen, nach einer ziemlich
langen Abschweifung, werden einige Schriftsteller
des Theaters und des Romans, wie Balzac und
George Sand eben dieser erneuernden Richtung
ihren Hauptansprach vor der Nachwelt verdanken.
In der Malerei sind die Ausnahmen von der
furia eroica nicht gewöhnlicher gewesen als in der
Literatur.
Die alte lateinische Rasse ist natürlich immer
widerspenstig gewesen gegen die Aufopferung der
überlieferten Mumien. Welch ein Skandal in Italien,
als Caravaggio und seine Genossen, Francois Valen-
tin einbegriffen, sich daran machten, in natürlicher
Größe rohe Abenteurer, wie sie selbst, zu malen,
wohl bewaffnet und ausstaffiert und wohl zufrieden
auf der Welt zu sein. Neben ihnen Ribera, der
Spanier, und nach ihm Salvator Rosa verliebten sich
auch in ähnliche Gegenstände und zeigten zuweilen
den „gewöhnlichen Menschen" mit einer grandiosen
H i Neue Bestrebungen der Kunst
Kraft und einer schrecklichen Wahrheit. Noch frei-
lich gaben diese „Naturalisten" die Falten der Haut
und den Firlefanz der Kostüme besser wieder, als
die Tiefe der Empfindungen und Charaktere.
In Spanien, zur Seite der mystischesten Kunst,
die jemals existierte, in Spanien, diesem Lande der
äußersten Kontraste, hat der Maler Philipps IV., der
glänzende Velazquez Zecher und Zigeuner in natür-
licher Größe ganz königlich gemalt ! Und nach ihm
hat der Maler der Ekstasen und der duftigen Er-
scheinungen, der sanfte Murillo, auch Bettlern das
Leben verliehen und mit seiner warmen Farbe ein-
fache Sterbliche geschmückt, die mit der Trink-
schale liebäugeln oder in eine Traube beißen.
Bei den Franzosen stellten eine Weile die Brüder
Lenain, eine Art versprengter Spanier, Bauern und
Arbeiter mit einer Würde dar, die an Stil grenzt,
aber nur in kleinerem Maßstab. Das war das beste
Mittel unter dem Reich des emphatischen Lebrun
kaum beachtet zu werden; so weiß man denn auch
fast gar nichts von den Lebensumständen dieser
eigentümlichen Meister.
Im achtzehnten Jahrhundert stellten Watteau,
Chardin, Greuze, Boujher selbst und Fragonard, fa-
miliäre Gegenstände dar, Hirten- und Bauernszenen,
Boudoirs und Zwiegespräche, Familienszenen und
Haushalt; im Kleinen immer, da die natürliche.
Größe von Rechts wegen der Venus und der Pom-
padour vorbehalten war.
Neue Bestrebungen der Kum-,1 91
Die Liebhaber des „grand genre" hatten gut
widersprechen, diese „kleine" Schule da ist viel-
leicht die allerfranzösischste — die einzige fran-
zösische — in unsrer ganzen Vergangenheit. Im
16. Jahrhundert waren unsre Künstler — ausge-
nommen die Clouet, die von Ursprung Flandrer
waren, — doch allesamt Florentiner; im 17. Jahr-
hundert waren sie Römer. Der erlauchte Poussin,
was auch sein philosophischer Wert sein mag, ge-
hört er nicht viel mehr nach Rom als nach den An-
delys in der Normandie?
So flößte denn auch diese sich so viel Freiheit
erlaubende Schule unverfrorener Kleinmeister des
18. Jahrhunderts sehr bald einen tiefen Abscheu
ein. Die Mythologie und der Heroenkult gewannen
schnell wieder die Oberhand, und Louis David,
der übrigens seine Sansculottes völlig in der Hand
hatte, wandte sich zurück in die antiken Zeiten, um
kleiderlose Gestalten zu suchen. Aber die Entkleideten
.Watteaus taugen doch mehr als die seinigen. Was
das Meisterstück des Malers der Horatier, des Brutus
und des Leonidas bleiben wird, ist gerade ein Gegen-
stand aus seiner eigenen Zeit, ein Werk, das er
unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse
und angesichts der Natur schuf, der Marat, wie
er ermordet in der Badewanne liegt.
In Wahrheit, diese Schulen der Totengräber
und Wiederauferwecker scheinen endlich durch die
Romantik besiegt zu sein.
Neue Bestrebungen der Kunst
VI.
Eine einzige Ausnahme von der Mythomanie
steht in der Kunstgeschichte da, charakteristisch,
weil dauerhaft und tiefgründig — bei den Nieder-
ländern.
Der germanische Geist hat sich im Gegensatz
zu dem alten römischen Geist niemals in die Tra-
ditionen vernarrt, die ihm fremd sind. Die nor-
dische Rasse neigt nicht dazu, den Menschen unter
dem Gott oder dem Heros zu verbergen. Bei ihr
behauptet sich der natürliche Mensch, „l'homme de
la nature44, wie man im 18. Jahrhundert sagte, und
macht sich vierschrötig breit, so wie er ist, ohne
Nimbus und Aureole.
Auch die Niederlande sind trotz dem anhalten-
den Druck der lateinischen Zivilisation immer im
Festhalten an der Erde und der Menschheit treu
geblieben, während die Italiener und in ihrem Ge-
folge alle romanisierten Völker sich in himmlische
Phantasmagorien verloren.
Dieser realistische Typus ist keineswegs un-
poetisch; weit gefehlt: die Niederlande hatten ihn
auch im Laufe des Mittelalters bewahrt und gerade
da liegt die Originalität ihrer großen Männer im
15. Jahrhundert, der van Eyck und Memling z. B.,
die sich doch wohl, wie niemand bestreiten wird,
recht ruhmvoll an der Seite der edelsten Meister
aller Länder behaupten.
Einen Augenblick, im 16. Jahrhundert ergriff
die Leidenschaft für Italien allerdings auch die
Neue Bestrebungen der Kunst 88
Künstler des Nordens, und es geschah, was un-
vermeidlich war, daß ihre Schule durch Nach-
ahmung entartet, im Dunkeln verschwand. Alle
diese unklugen Überläufer, die damals über die
Alpen stiegen, um eine fremdartige Kunst zusammen-
flicken zu lernen, zählen in der Kunstgeschichte
ihres Vaterlandes nicht mit.
Im 17. Jahrhundert leuchtet aufs neue die
niederländische Malerei; und für den flandrischen
Teil charakterisieren sie nicht sowohl Rubens und
van Dyck als vielmehr Jordaens und Snyders, Brue-
ghel, Teniers, Craesbeck und andre. Unter uns,
Rubens und van Dyck gehören ebensosehr nach
Venedig wie nach Antwerpen, und durch ihren
Lebenslauf wie durch ihre Werke könnte man ohne
Paradoxie beweisen, unter Vorbehalt freilich ihres
angeborenen Genies, daß ihre Eingebung, ihr Stil,
ihre Vorzüge, ihr Verfahren und ihre Gegenstände
den Schulen von Venedig, Genua, Parma, ja viel-
leicht der spanischen des Velazquez gehören, und
besonders bei Rubens noch der florentinischen, ja
der Schule des Michelangelo. So ist es.
Die andern Künstler Flanderns indessen malten
gan,z ruhig ihre guten Leute, die wenig heroisch
aussehen, ihre „Murmeltiere", wie Ludwig XIV.
sagte, und gaben ohne Scham das tägliche Leben
ihrer Zeitgenossen wieder.
Vor allem ist es aber der Norden der Nieder-
lande, im heutigen Holland, wo der tief mensch-
liche Charakter der Schule hervortrat. Die Kämpfe
_'4 Neue Bestrebungen der Kuiibi
der Reformation und des Patriotismus trugen zu
gleicher Zeit ohne Zweifel nicht wenig dazu bei.
Rembrandt . . der ist gewiß kein Mystagoge
und doch der größte Magiker unter den Malern;
er ist es, der das „menschliche Genre" liebt und
das heroische Genre gar wenig; er ist es, der sich
an die Natur anschließt, an die Wirklichkeit, und
doch zugleich so bizarr, so chimärisch, so originell
ist, wie nur irgend ein Erfinder von Bildern.
Und warum ist denn Rembrandt ein so großer
Maler und ein so großer Poet? Warum ist er in
diesen letzten Zeiten immer gestiegen in der Ach-
tung der Künstler, bis er in derselben Reihe mit
den Fürsten der Kunst dastand, wie ihre ehrfurchts
vollen Untergebenen sie nennen? Warum ist dieser
Bauer vom Rhein, der sich in einer Mühle ausge-
bildet hat, nun auf der Höhe der Adligen, der
,, göttlichen" Maler, die einst die Höfe der Päpste
und Monarchen schmückten?
Und was sind denn die herrlichsten Gemälde,
die er der Nachwelt hinterlassen hat! An welchen
Helden hat er seinen Namen geknüpft, um ihn un-
sterblich zu machen? Wer sind sein Achill und
Aeneas, sein Leo X. und Karl V., sein Franz I. und
Ludwig XIV.?
Er hat eine Schar von Bogenschützen gemalt,
die im Durcheinander aus ihrer Doele herauskommt :
Kapitän und Leutnant an der Spitze, ein Gassen-
bube, der vorausläuft, grotesk ausstaffiert mit einer
alten Pickelhaube auf dem Kopf, ein kleines Mäd-
Neue Bestrebungen der Kunst 25
chen, das einen Hahn trägt, eine Lichterscheinung,
ein großer Trommelschläger, den ein Hund an-
bellt, verworrene Gruppen, die sich im Schatten
bewegen oder unter einem Lichtschein aufleuch-
ten. Das ist alles, und das nennt sich „die Nacht-
wacht oder Scharwache" oder sonstwie, wenn man
lieber will. Der Name tut hier zur Sache gar nichts.
Er hat auch einen Chirurgen gemalt, den er-
fahrenen Professor Nikolaus Tulp, der einen Leich-
nam seziert und jungen, der Wissenschaft Beflisse-
nen die Anatomie erklärt. Das nennt sich „Ana-
tomiestunde", aber es wäre ein schlechtes Seiten-
stück zur Schule von Athen von Rafael.
Er hat noch fünf Bürger von Amsterdam ge-
malt, die friedlich an einem Tisch beisammen
sitzen, mit breitrandigen Hüten auf dem Kopf, die
ihre ernsten Gesichter beschatten. Man nennt sie
de Staalmeesters oder die Syndici, oder die Blei-
stempelbewahrer der Tuchmachergilde. Sie sind da
in Geschäften ihrer Genossenschaft; aber sie könn-
ten sich ebensogut mit den Geschicken der Welt
beschäftigen, vielleicht mit der Reformation des
Glaubens oder der Politik Europas, oder mit dem
Handel nach Ostindien, oder mit der Wissenschaft,
den schönen Künsten. Solche Bürger wie diese
sah man an den Ufern des Rheins und der Scheide
dem königlichen Hause von Österreich und Spa-
nien gegenübertreten.
Man beachte, daß alle diese erlauchten Un-
bekannten in Lebensgröße dargestellt sind.
20 Neue Bestrebungen der Kunst
Was für andre Werke gibt es denn noch von
Rembrandt, nach diesen Hauptstücken ? Im Mu-
seum des Louvre z. B. ist ein verwundeter Reisen-
der, den man in eine Herberge trägt (genannt :
der barmherzige Samariter); zwei Männer, die
einen Freund am Tisch einer Wirtschaft wieder-
erkennen (genannt: die Pilger von Emmaus); die
Häuslichkeit eines Zimmermanns (genannt : die Hei-
lige Familie); ein Philosoph in Betrachtung (ist
das nicht Diogenes oder ein andrer Grieche ?). Dann
in allen Galerien Europas viel andre ebenso an-
spruchslose Darstellungen: Frauen im Bade, die
man Susannen nennt, Herumtreiber, die mit der
Angel fischen, und Tobias getauft werden, wirk-
liche Landschaften, ohne Aeneas darin, — und eine
Menge ebenso erstaunlicher Porträts.
Und um Rembrandt herum hat die ganze
Malerschule seines Landes dieselbe Richtung : Frans
Hals und van der Helst, Ferdinand Bol und Go-
vaert Flinck, Adrian Brouwer und die van Ostade,
Aalbert Cuijp und Paulus Potter, Terborch und
Metsu, Jan Steen, Pieter de Hooch und van der
Meer, Wouwerman und van de Velde, Ruisdael
und Hobbema und ein Dutzend andrer genialer
Historiker, die das Leben ihrer Landsleute darge-
stellt haben, sei es im Innern der Häuser oder auf
den öffentlichen Plätzen, auf den Kanälen oder den
Landstraßen, zu Wasser oder zu Lande, unter den
Bäumen oder am Ufer der Flüsse : Reiter, Jäger, See-
leute und Fischer, Bürger und Kaufleute, Hirten und
Neue Bestrebungen der Kunst 27
Köhler, Ackerbauer und Handwerker, Musikanten
und Strolche, Frauen und Mädchen mit ihren Kin-
dern, solche, die welche haben; in dem Schoß der
Familie, bei den Freunden der Kirmes, im Getriebe
der Kneipe, bei der Feldarbeit, ebenso wie in wür-
digen Versammlungen und Sitzungen; — in allen
Beschäftigungen und Zerstreuungen des Lebens.
Wo soll man bei irgend einem Volke sonst eine
gewissenhaftere, naivere, geistvollere und leben-
digere Geschichte finden, als diese gemalte Ge-
schichte der Sitten und Taten? Die Malerei war
es, die Hollands Geschichte geschrieben hat, und
damit auch eine gewisse Geschichte der Menschheit.
Alles das wurde jedoch bis dahin nur als „Klein-
malerei4 ' angesprochen — Genremalerei — und die
Meister wurden „Kleinmeister" genannt, Rembrandt
selber auch! — wie grobe Naturalisten wurden sie
behandelt, so im Troß der großen europäischen
Kunst.
VII.
Nein, der Mensch für den Menschen ist fast
niemals nach seinem Verhältnis und nach seinem
Wert behandelt worden, ausgenommen von diesem
Müllerssohn in Holland und den wenigen Realisten,
die wir soeben aufgezählt haben, vielleicht noch
vereinzelten Sonderlingen unserer Zeit.
Es war das Verdienst Gericaults und Leopold
Roberts an das zeitgenössische Leben gerührt zu
haben, jener mit seinem Floß der Medusa und
:>« Neue hebtrebungen der Kunst
seinen Reitern, dieser mit seinen Schnittern und
Fischern. Andre sonst, selbst unter den Lebenden,
haben mit mehr oder minder Kühnheit denselben
Weg betreten, der verlassen aber lichtvoll, freilich
nicht zum Parnaß hinanführt.
Man muß jedoch nicht glauben, die Romantik
habe mit dem Aufstand auch die falschen Götter
allesamt aus der Kunst des 19. Jahrhunderts hin-
ausgejagt, sie habe den Olymp ausgefegt und das
Empyreum dazu, sie habe die alten Helden be-
urlaubt, um dem Menschen wiederzugeben was des
Menschen ist.
Die Kunst gestaltet sich nur durch starke Über-
zeugungen wirklich um, Überzeugungen, die Macht
genug besitzen, auch die Gesellschaft zu gleicher
Zeit umzugestalten.
Als die ersten Christen ihren Glauben in den
Stein meißelten, aus Marmor oder Metall bildeten,
da waren sie bereit, dafür zu sterben. Es war die
Idee selbst, die sie leidenschaftlich bewegte, auf
deren Ausdruck durch das Bildwerk es ankam. So
erhielt denn auch das frühe Christentum eine ganz
neue Kunst, die sich wesentlich von der vorauf-
gegangenen Kunst unterschied.
Die Romantik aber war im Grunde so sehr
eine indifferente Form, daß man ganz gut Roman-
tiker sein konnte und sich doch in die verschiedenen
Rubriken der Parteien einordnen: Katholik, Pro-
testant, Philosoph, — Absolutist, Liberaler, Repu-
blikaner.
Neue Bc&trebungen der Kunst 29
Die Maler unserer Zeit haben im allgemeinen
also kaum das getan, was die der Renaissance voll-
bracht hatten; ja viel weniger noch, sicherlich. Ich
will sagen, sie haben nur die Hohlform gewechselt,
doch allein um immer denselben Inhalt und dieselben
Gedanken darein zu gießen. Es wäre leicht das
darzutun, wenn man nur den Katalog der Weltaus-
stellung oder die Verzeichnisse der neuesten Salons
daraufhin untersuchte. Durchblättert man das
Werk der berühmtesten Künstler: halb katholische
Symbole, halb heidnische Symbole; der Rest Alle-
gorien, Apotheosen, Erinnerungen an Fürsten oder
ihre Bildnisse; hier eine Madonna, dort eine Mag-
dalena; eine Sphinx oder eine Sibylle, eine Odaliske
oder eine Venus. Zuweilen noch eine Königin, deren
Haupt der Henker fällen soll, oder kleine Prinzen,
die zum Tode verurteilt sind; denn die Majestät
der Rasse ist die erste Bedingung des Interesses
und der Rührung. Sonst sind es Bilder aus der
hohen Poesie, die eine verfeinerte Bildung voraus
setzen.
Es ist unerbittlich die doppelte Hieroglyphen-
sprache, die wir schon in den Werken der alten
Meister seit der Renaissance hervorgehoben haben.
Wie viel zeitgenössische Maler machen davon
eine Ausnahme ? Vielleicht der Maler des Gemetzels
von Chios und der Frauen von Algier? vielleicht
der Maler der Jäger, die auf den Anstand gehen
oder der im Schatten rauchenden Türken, der in
der Sonne spielenden Kinder? Wenn sie noch der
Neue Bestrebungen der Kunst
reinen Romantik anhängen, dem „L'art pour l'art"
und nicht eigentlich dem „l'art pour Thomme"
dienen — wo sie sich nur ihrem unmittelbaren Drang
überlassen, nicht vorgefaßter Absicht folgen, da
wissen sie doch soviel Feuer, Natürlichkeit und
Leben mitzuteilen, daß sie ihre Darstellungsgegen-
stände, welche sie auch seien, zu einer Bedeutsamkeit
voll Gefühl und Charakter erheben. Delacroix und
Decamps gehören, bis zu einem gewissen Grad und
durch gewisse unwiderstehliche Bestrebungen zu
dieser neuen Kunst, deren Vorläufer die Romantik
war, und die Courbet, fast allein noch, soviel er
kann, zum Ausdruck bringt.
Aber muß man nicht auf die Generation rech-
nen, die heranwächst und jetzt noch im Hinter-
treffen kämpft? Die Jugend findet ja alles ohne
Mühe. Der Instinkt hat oft mehr Aussicht eine
Erfindung zu machen als der Verstand. Die Jungen
sind es, die alles entdecken, die in allen Zeiten und
in allen Ländern, die Welt leiten, soviel auch die
Alten reden mögen. Welches Alter hatten die Be-
gründer der gegenwärtigen Schule, als sie die Frei-
heit zu erobern riefen, die heute erobert ist ? mehrere
waren schon vor 30 Jahren berühmt ! Welches Alter
hatte Rafael als er seine ersten Meisterwerke schuf ?
O unsterbliche Jugend, du besitzest die Kühn-
heit und die Zuversicht. Du wagst dich entschlossen
ins Unbekannte. Du durchkreuzest schwimmend
die Fluten und Ströme, um ans andre Ufer zu ge-
langen und Blumen mit seltsamem Duft und namen-
Neue Bestrebungen der Kunst 81
loser Farbe zu pflücken. Du besteigst die Berge und
die Gletscher, um von der Höhe zu schauen was
ringsum erglänzt. Du läufst den Wahngebilden nach
und machst sie vertraut und heimisch für alle. Von
dir sollte man jeden Angriff und jedes Durch-
dringen, jedes heilsame Mitfortreißen zum Schick-
salsvollzug erwarten.
Ach meine lieben Künstler, die ich nicht kenne,
wenn ihr um Schönheit und Wahrheit werbt, so
wendet euch dem zu was jung ist, und ewig jung
bleibt und nicht stirbt, zur Natur. Durch die Liebe
und das Studium der Natur allein haben sich alle
Künste und alle Poesien erneuert, wie sie selbst
sich ohne Unterlaß verjüngt. Schließt euch dem
Gedanken an, der das menschliche Geschlecht um-
faßt. Denn die Kunst ist wie das Gaisblatt: sie hat
nötig sich an einem festen, lebendigen Stamm zu
halten, der nicht von dem Wechsel der Jahreszeiten
abhängt, und sich um eine dauerhafte Idee zu
schlingen, die zu widerstehen vermag. Und wenn
das Gaisblatt solchen willigen Beschützer gefunden
hat, der ihm Büsche und Sträucher genug dar-
bietet, dann klimmt es hinauf in aller Freiheit,
oft bis in die Zweige des Eichbaums empor; dann
treibt es Blätter und Knospen und blüht.
Meine jungen Freunde, die ich nie gesehen
habe, euch ruft eure Ahnung besser als eure Er-
fahrung, eure Ungeduld lauter als eure Weisheit
zu: nicht wahr, was da ist muß doch nicht sein,
aus dem einfachen Grunde, weil es ist; denn die
Neu«; Bestrebungen der Kun&t
Gegenwart ist nicht die Zukunft und wird morgen
die Vergangenheit sein. Was da kommen soll, es
ist eure Sache, es zu verwirklichen. Jede Genera-
tion hat ihre Ladung Gedanken, wie man vom
Dichter gesagt hat, er habe seine Ladung Seelen.
Denkt, sprecht, handelt. Wenn man alt wird,
wirft man sich immer vor, nicht genug getan zu
haben. Handelt! Es gibt nichts Gleichgültiges.
Keine einzige eurer Äußerungen geht spurlos am
Unendlichen vorüber. Jeder Mensch ist ein Gott,
dessen Stirnrunzeln das Universum erschüttert.
Wirft man den kleinsten Kieselstein in einen
See, so wird alles davon bewegt bis in die Tiefe
des Abgrunds. Jedes Molekül Wasser wird von
seinem Platz gerückt und ordnet sich in eine andre
Reihe. Und wenn nach dem Kräuseln der Ober-
fläche, das von einem Ufer bis ans andere geglitten
ist, wieder alles scheint wie vordem, so ist doch
nichtsdestoweniger das Niveau des Wasserspiegels
um einen unmerklichen und unberechenbaren Grad
erhöht. Die alte Ordnung der Dinge ist über den
Haufen geworfen — durch einen Kieselstein.
VIII.
In Malerei und Literatur, in allen Künsten sind
die Götter, die — man sagte es seit lange — davon-
gehen sollten, nun wirklich gegangen. Sie sind dahin
und kehren nicht wieder. Und die Heroen sind mit
ihnen auch schon fern. Man darf nun glauben, daß
Neue Bestrebungen der Kunst 33
die Zeit für die Menschen endlich gekommen ist.
Allein — und das ist die Bedingung ihres künftigen
Erfolges, sie müssen ein besseres Aussehen haben
als die Helden der Akademie.
Vielleicht gibt es zu dieser Stunde schon irgendwo
verborgene Künstler, die mit geistigem Streben und
malerischen Versuchen freiwillig in elenden Ateliers
hausen und wie Corneille kaum Schuhe haben, um
tags auszugehen, und eine Lampe, um nachts zu
zeichnen. Sie wiederholen vielleicht schmerzlich ins
Leere denselben Gedanken, den universellen, dem
sie eine allen verständliche Sprache leihen möchten.
Fiat lux! Werde es denn Licht.
Worauf es heute ankommt, ist zunächst, das alte
Gefängnis des zwiefachen Symbols zu sprengen, aus
dem Babel der Sprachverwirrung herauszukommen
und, kraft des gemeinsamen Gedankens, eine ebenso
gemeinsame Sprache, eine leuchtende Form zu
schaffen, die frei ist von allen Schatten, mit denen
die menschliche Natur von den hohen Grenzen der
absoluten Systeme, der örtlichen Vorurteile, der
Irrtümer aller Art betroffen ward, die noch heute
die Familie der Nationen teilen.
Und das Alphabet dieser wahrhaft universellen
Typographie darf nur einen einzigen gemeinsamen
Charakter tragen — den Menschen.
Dann werden die Künste und die schöne Lite-
ratur, statt nur eine Zerstreuung für Verfeinerte und
Gebildete zu sein, d. h. eine Art aristokratischer
Unterhaltung, wie sie es noch immer seit der
W. Bürger. Kunstkritik. 3
34 Neue Bestrebungen der Kunst
Renaissance geblieben sind, künftig eine Scheide-
münze werden, die zur Mitteilung und zum Aus-
tausch der Gefühle dient, eine brauchbare Sprache
für alle.
Glauben Sie, daß das Publikum in Frankreich,
d. h. das französische Volk, sich jemals viel für
Marot und Ronsart, für Boileau und Racine, für
Lamartine und Victor Hugo interessiert hat, was
die Literaten betrifft, und für Poussin und Lesueur,
für Watteau und Boucher, für Delacroix oder Ingres,
was die Maler anbelangt? Reine Unterhaltung für
die Verfeinerten, zu denen — auch wir gehören,
was?
Man sagt mit Recht, daß die Künste und das
Schrifttum immer den wahren Adel Frankreichs
ausgemacht haben. Adel in der Tat, der niemals
viel Anspruch erhoben hat, sich unter die ungebil-
dete Menge zu mischen. Aber eben diese Schei-
dung der geistigen Bildungsstufen, eben sie ist das
Ungerechte, das ausgelöscht werden muß.
Und wenn nach dem Ausdruck Edgar Quinets
„die erdichteten Formeln dem unmittelbaren Aus-
druck Platz gemacht haben44, dann wird alle Welt
in die Sprache der Künste eingeweiht sein, die
menschliche Auffassung wiedergeben und infolge-
dessen allgemeine Bedeutung haben, dann werden
sich ohne Zweifel über die gemeinsame Denkweise
wieder neue Allegorieen ausbilden; denn die Alle-
gorie selbst ist, wie wir gern anerkennen, eben-
so unsterblich wie die Poesie, ihre Mutter; denn
Neue Bcbtrcbuugcn der Kunst 35
jede Kunst, wie jede Sprache, so universell sie sein
mögen, beruht doch auf Beziehungsgruppen; es gibt
kein Wort und kein Bild, das im Gebrauch nicht
zwangsweise von einer anfangs besondern und kon-
kreten Bedeutung zu einer analogen Harmonie mehr
oder minder kollektiver oder abstrakter Art über-
geht ; ohne dieses Mittel der Erweiterung würden ja
ebensoviel Wörter und Bilder notwendig sein, wie
es Vorstellungen im menschlichen Kopfe und ver-
schiedene Gegenstände in der Natur gibt, d. h. ins
Unendliche.
Aber von solchen unvorhergesehenen Meta-
phern, von solchen Fabeln, die in gegenseitigem
Einvernehmen aller Geister gebildet worden, könnte
auch jedermann den Schleier wegziehen.
Dann gibt es auch keine Gefahr mehr die Idee
in Hieroglyphen einzuschließen, wenn alle Welt im
Besitz der Schlüssel, sie jeden Augenblick frei
machen kann.
Voltaire, der irgendwo geschrieben hatte: „Die
Fabeln sind nur die Geschichte der ungebildeten
Zeiten," hat an andrer Stelle auch geschrieben:
„Eine Fiktion, die interessante und neue Wahr-
heiten anzeigt, ist doch wohl eine schöne Sache?"
Sicherlich. Die literarische und malerische Me-
tapher ist eine schöne Maske der Rhetorik; aber
es handelt sich immer darum, zu wissen, was dar-
unter steckt.
36 Neue Bestrebungen der Kunst
IX.
Wenn es in den Künsten auf die Form allein
ankäme, so würde es, sobald eine gewisse Voll-
endung des plastischen Ausdrucks für eine gewisse
Idee von irgendeinem Volk erreicht ist, — und
das ist ja mehrmals vorgekommen, wie in Griechen-
land zur Zeit des Phidias und Apelles, in Italien
zur Zeit Michelangelos und Rafaels, — ja nichts
mehr für die Nachwelt zu tun geben, — nichts als
zu bewundern und nachzuahmen.
Oberflächliche Geister, die nicht ins Wesen der
Dinge eindringen, kurzsichtige Köpfe, die nicht in
die Zukunft hinausschauen, sehen dann die Bilder
in aller Vollkommenheit dastehen und mutmaßen
gar nicht, daß man immer noch eine ähnliche Voll-
kommenheit verwirklichen könnte, ja eine höhere
vielleicht durch den Hinzutritt eines ganz andern
Gedankens; sie legen also den Typus der Kunst
und der Schönheit fest, die einen im griechischen
Altertum, die andern in der italienischen Renais-
sance, einzelne gar in dem Mittelalter.
Aber in Wahrheit gibt es keinen Typus in der
Kunst, ebensowenig wie in der Natur.
Was ist der Typus der schönen Landschaft ? die
ausgedörrten Äcker der Tropen oder die vereiste
Flur des Nordens ? Italien oder Schottland ? Ziehen
Sie das Meer vor oder die Berge ? den Frühling
oder den Herbst ? die Ruhe oder den Sturm ?
Was ist der schönste Typus der menschlichen
Neue Bestrebungen der Kunst 37
Rasse? der griechische oder der römische, oder der
arabische, der englische, — oder vielleicht gar der
Pariser?
Man zieht oft auch die Phrenologie zu Rat:
Aber welches ist denn eigentlich der vollkommenste
Typus des menschlichen Gehirns? zeigt mir doch
einen Kopf, in dem alles so beschaffen ist, wie es
sein soll I
Aber Rafael ist ein Maler, Richelieu ein Staats-
mann, Moliere ein Dichter, Newton ein Gelehrter,
Beethoven ein Musiker, Watt ein Mechaniker, und
so, wie sie sind, findet ihr keinen Maßstab dessen,
wie es sein soll, für das was sie zu tun haben. Denn
sie sind nur deshalb, — der eine Maler, der andre
Dichter, dieser Gelehrter, jener Staatsmann, weil
sie sich eben voneinander unterscheiden. Wenn sie
alle einander glichen und in einen gemeinsamen
Typus übereinkämen, so würde ein einziger Mensch
hinreichen, alle übrigen überflüssig zu machen; und
dann würde es eben weder Menschheit, noch Ge-
sellschaft geben, und ebensowenig Kunst, Wissen-
schaft, Denken und Handeln noch sonst etwas. Ein
Gott ganz allein. Das Nichts.
Das Suchen nach einem Typus in der Kunst
ist also absurd. Wie sollen wir denn glauben, daß
die Zukunft hinter uns liege!
Die Kunst ist unaufhörlich und unbestimmt
wandelbar und vervollkommnungsfähig, wie alle
Äußerungen des Menschen, wie alles was im Schoß
des Universums lebt.
Ü8 Neue Bestrebungen der Kunst
.Warum sind also Michelangelo und Rafael nicht
daran verzweifelt, nach Phidias und nach Apelles ?
Und wie kommt es, daß sie sich in der Poesie
ebensohoch erhoben haben, wie diese unnachahm-
lichen Griechen.
Indem sie ihnen nicht nachgeahmt haben.
Sie verfolgten einen andern Gedanken, der sich
von dem antiken unterschied, und die haben ihn
mit Hilfe der Fähigkeiten zum Ausdruck gebracht,
die sichtlich nicht das Vorrecht eines einzelnen
Volkes sind, noch einer einzelnen Kulturperiode,
sondern die den unveräußerlichen Genius der
menschlichen Art ausmachen.
Und weshalb sollten die Jahrhunderte, die da
kommen, nicht ebenso große Künstler hervorbringen
wie Rafael und Michelangelo ? Nichts steht dem
im Wege. Unter der Bedingung freilich, die den
Italienern ermöglichte den Griechen gleichzukom-
men : unter der Bedingung, die Renaissance nicht
nachzuahmen, und infolgedessen, eine andre Idee
zu haben und eine andre Kultur zum Ausdruck zu
bringen.
Ohne dies ist alles aus.
Der Gedanke allein bringt die wirklichen Revo-
lutionen hervor. Die Form wechseln, das ist reine
Phantasiesache, und jeder kann dazu beitragen mit
der Spitze seiner Feder oder seines Pinsels. Aber
den Grund umwälzen, das geschieht nicht so nach
Belieben. Das hängt nicht von einem Einzelmen-
schen ab, auch nicht von mehreren, eine Kunst
Neue Bestrebungen der Knust 39
von ihrer Wurzel aus zu verändern, ebensowenig
wie eine Gesellschaft in ihrem intimsten Bestände
umzugestalten.
Die Umwälzung in der Kunst wird sich also
nur dann vollziehen, wenn wirklich der allgemeine
Geist sich wandelt. Verändert er sich, wird sie an-
ders werden ?
Brüssel 1857.
I.
Landschaftsmalerei
An Theodor Rousseau
(1844)
Während wir Städter kaum ein kleines vier-
eckiges Stück Himmel gewahr werden, das durch
unsre rechtwinkligen Fensterscheiben so hart ab-
geschnitten wird wie mit einer Schere, beobachtest
Du draußen in freier Luft die weiten Gesichtskreise
des Südens. Wo seid Ihr gegenwärtig, Du und
Dupre? in den Landes oder in den Pyrenäen? Und
was macht Ihr, Du und er? — Gewiß wie immer
schaust Du mit Deinen großen, ruhigen Augen
drein, die alles verschlingen und nie genug haben.
Sie wollen sich auftun wie Triumphbögen. Alles geht
hindurch, die große Armee der Eichen von Fon-
tainebleau ohne sich zu neigen, die Berge und die
Ströme. Zu dieser Stunde ziehen ohne Zweifel die
Pyrenäen unter der Wölbung Deiner Brauen vor-
über, um sich jenseits festzusetzen, drinnen inmitten
Deiner Einbildungskraft. Du wirst sie uns gewiß
eines Tages aus dem Vorrat Deiner Erinnerungen
wiederfinden lassen, und wirst sie selbst aus der Ferne
klarer sehen als aus der Nähe. M. Lamennais sagte
mir in St. Pelagie: „Seltsam, ich habe Italien nie-
44 Landschaftsmalerei
mals so gut gesehen als seit ich hier im Gefängnis
bin. Als ich in Rom war, um einen entschwundenen
Papst zu suchen, da war ich in mich gekehrt in
meine Gedankenwelt; aber hier wachen die Bilder
auf, die sich durch die Augen hindurch in meinen
Kopf gestohlen haben."
Du, lieber Poet, hast Dein Leben lang nur ge-
schaut, das große Reich der Luft, bei Sonnenschein
und Regenwetter, und tausend für das gewöhnliche
Auge gar nicht faßbare Dinge. Die Natur hat für
Dich geheimnisvolle Schönheiten, die uns entgehen,
und verborgene Gunst, die Du mit Liebe ausbeutest.
Angesichts der Natur, wenn man sie fühlt und sie
liebt, ist es wohl ein Glück Maler zu sein wie Du.
Sonst ist die Wonne des Schauens zu gleicher
Zeit ein empfindliches Weh, weil man unfähig ist
seiner Begeisterung Ausdruck zu leihen. Wir Laien
haben nur eine unfruchtbare und schmerzliche
Liebe, wie eine romantische Leidenschaft, die keine
Befriedigung finden kann. Deine Liebe, o Maler,
ist viel leibhaftiger. Die Malerei ist die wahre
Unterhaltung mit der Außenwelt, das ist wirkliche
und vollwertige Gemeinschaft. Du übst gar eine
Herrschaft über die Natur aus und aus diesem
Liebesverkehr erwächst ein neues Wesen, eine
Schöpfung, die den Beitrag des Vaters und der
Mutter wiedergibt, der Natur und des Künstlers.
Die meisten Menschen denken gar nicht ans
Sehen. Sie beschäftigen sich mit andern Dingen,
die ihnen die Augen verschließen; wenn es bei
An Theodor Rousseau (1844) 45
bester Gelegenheit darauf ankäme, sich des Ge-
sichts zu bedienen, dann geben sie sich blindlings
ans Überlegen. Und was überlegen sie eigentlich?
Da sie keine Anschauung besitzen, die sie wider-
spiegeln könnten, so bleibt der Spiegel ihres Ge-
hirns wie eine öde Wasserfläche unter dem Nebel.
Statt sich einer belebenden Betrachtung hinzu-
geben, verirren sie sich zu einem Gedanken, der
zur Sachlage gar keinen Bezug hat.
Ich war einmal auf der Reise mit einem Bürgers-
mann, der sich an mich gehängt hatte, um mir
sein Heimatland zu zeigen. Nach einer ermüdenden
Fahrt auf gewundenen Wegen entdeckten wir am
Abend ein kleines Flüßchen tief eingebettet zwischen
schroffen Felsen. Die Sonne sank vor uns und
fing an die Spitzen der Berge zu vergolden; eine
ganze Seite des Flußufers lag im Schatten mit
Tonwerten ganz außerordentlicher Art und einem
Widerschein im Wasser. Diese ernsten Profile, die
beiden Bilder, die an ihrem Fußende verschmolzen,
das eine zitternd, kopfüber gesehen, und in die
Strömung getaucht wie das bleiche Haupt Opheliens
bei Shakespeare, das andre traurig und unbeweg-
lich wie eine Bronzestatue, das war eine Phantas-
magorie wie in den Träumen Hoffmanns. Zur selben
Zeit war das gegenüberliegende Ufer, unter den
Strahlen der niedergehenden Sonne, ganz hell, rosig,
glitzernd wie ein Geschmeide mit tausend Edel-
steinen. Welch ein Anblick, und welch ein Kon-
trast! Welche wundervolle Wirkung!
46 Landschaftsmalerei
Mein Mann aber beugte sich neugierig gegen
den Fluß hernieder und rief einmal über das andre :
„Wie klar ist das Wasser, wie klar ist das Wasser!"
Ich wandte die Augen nicht ab, und stieß ihn
heftig an : „Aber sehen Sie doch das Licht und die
Landschaft," sagte ich; „die Sonne ist gerade recht
und die Wirkung gar seltsam. Sie werden ein ander-
mal Zeit genug haben, sich über die Durchsichtig-
keit des Wassers aufzuregen." —
Habe ich Dir nicht auch von meinem ersten
Besuch des Meeres erzählt ? Wir waren von einem
Dorf aufgebrochen, das kaum eine Meile von der
Küste entfernt lag, eine ganze Bande, zu Fuß. Wir
hatten uns ausdrücklich vorgenommen, durch sehr
hohe Dünen heranzukommen, damit ich auf ein-
mal durch das große Schauspiel des Meeres ge-
packt werde. Ich lief der Truppe voran, und als
ich auf der Höhe der Dünen anlangte, wo ich wie
über der Unendlichkeit schwebte, da lag über Him-
mel und Meer ein Silberglanz, wie ich seitdem nie
mehr in solcher Kraft gesehen. Meer und Himmel
schienen mir in übernatürlichem Lichtschein inein-
ander zu fließen. Ich fragte mich, wo das Meer
eigentlich sei. Mir schien, als wäre ich weit über
Land und Meer hinaus in eine leuchtende Sphäre
getragen. Der vollste Enthusiasmus ergriff mich,
und schnürte mir die Kehle zu. Da ich nicht ent-
fliegen konnte, ließ ich mich niedergleiten, lang auf
den Boden hin, um meinen Körper nicht mehr zu
fühlen. Ohnmächtig, den Ruhm der Natur mit
An Theodor Rousseau (1844) 47
Donnerstimme zu verkünden, weinte ich nur leise
vor mich hin, ganz still ohne einen Laut von mir
zu geben, damit ich den großen Einklang der Un-
endlichkeit vernähme.
Da lag ich ausgestreckt, die Augen im Licht
gebadet, als unsre Leute nachkamen. Der erste
von meinen Gefährten, der mich so erschöpft und
regungslos liegen sah, kam besorgt herbei und
fragte: „Sind Sie denn krank?" —
Der Sinn für die Kunst, das Gesicht für Schön-
heit, die Liebe zur Natur, die Begeisterung für das
Leben sind gar selten. Im 16. Jahrhundert waren
sie fast Gemeingut des Empfindens. Heute ist die
bürgerliche Gesellschaft auf die Ausbeutung der
toten Dinge gerichtet, die man Industrie nennt.
Aber die Industrie ist nur die Kehrseite der so-
zialen Medaille. Die wesentliche und tiefe Bedeu-
tung steht auf der andern Seite geschrieben. So
ist auch auf römischen Medaillen das Gegenstück
zu dem lebendigen Kopf auf der andern Seite ein
sachliches Kennzeichen, die Frontansicht eines Ge-
bäudes oder eine allegorische Figur, ein Beiwerk
oder ein Werkzeug.
Es ist schon wahr, daß die Industrie ebenso
menschlich ist, wie die Kunst. Es ist freilich wahr,
daß geheimnisvolle Verwandtschaft sie mit der
Kunst verbindet. Aber bis heute sind es doch zwei
fast völlig getrennte Welten. Denn unsre Zivili-
48 Landschaftsmalerei
sation hat den Menschen in Bruchstücke ausein-
andergerissen, die einander fremd sind. Die Politik
hat sich immer darauf verlegt, Kasten herzustellen,
statt sich „den ganzen Menschen in der ganzen
Gesellschaft" wie Pierre Leroux sagt, als Ideal vor-
zunehmen.
Ich gestehe gern zu, daß diese materielle
Rasse, die noch keinen Zugang zur Geisteswelt
findet und sich außerhalb des wahren Lebens hält,
an sich recht nützlich ist; aber wenn man noch
soviel Kiesel aus dem Bache fischt, kann man doch
das Licht auf dem durchsichtigen Wasser und auf
den Felsen des Ufers bewundern. Möglich, daß
ohne die Sklaverei der niedern Klassen die Reichen
keine neuen Kleider und keine üppig besetzte Tafel
bekämen. Aber der Mensch könnte ganz gut ohne
die übertriebene Sorge um das, was man das Nütz-
liche heißt, auskommen. Die Poesie ist ebenso nütz-
lich wie das Brot und das Eisen. Für mein Teil
möchte ich lieber auf einem schönen Fleck Erde
leben, halb Denker und halb Bauer, mit Bluse und
Holzschuhen, hausbackenem Brot, Erdäpfeln aus
meinem Garten, und ein bißchen eigengebauten
Weines, als mich in einem gemachten und stürmi-
schen Leben herumzutreiben, inmitten des Luxus
und der materiellen Vergnügungen. M. Lamennais
sagte mir in der Mutlosigkeit des Gefängnisses
auch: „Ich war zum Gärtner geboren. Der Drang
nach dem Schönen, dem Guten, dem Wahren, ist
mehr wert als der Drang nach dem Gelde. Der
An Theodor Rousseau (1844) 49
wahre Reichtum liegt in der Mäßigung, in der
menschlichen Verbrüderung, in wohl geordneter Ar-
beit, in den Freuden des Herzens und des Geistes."
Das ist der verborgene Schatz in dem schönen
Roman „Jeanne" von George Sand.
Ich sehe nicht, daß das soziale Problem so
schwer zu lösen sei, das in den natürlichen Bedin-
gungen gegeben ist, und Jean Jacques hatte ziemlich
recht mit seinem melancholischen Anfang des Emil :
„Alles ist gut, wenn es aus den Händen des Schöp-
fers aller Dinge hervorgeht; alles entartet unter
den Händen des Menschen." Das Reich Gottes
ist am Busen der Natur und der Gleichheit. Das
ist die Republik der Zukunft.
Es wird übrigens immer Temperamente und
Charaktere geben, die nur auf materielle Erzeu-
gung gerichtet sind; Kain, der Starke, neben Abel,
dem Poeten. Erlaube mir einen kleinen Apolog,
der sicher nach Deinem Geschmacke sein wird,
mein lieber Abel:
In einer Proletarierfamilie waren drei Söhne:
der älteste war ein kräftiger Mann, gesund an Kör-
per und Geist; der zweite ein armer Kranker, des
Gehörs und Gesichts beraubt, und lahm an den
Gliedern; der jüngste eine zarte poetische Orga-
nisation, ein träumerischer und schwärmerischer
Geist, unfähig sich an die Wirklichkeit zu heften.
Seine zarten Hände verletzten sich, wenn er die
Schaufel oder Hacke handhaben sollte; und wenn
sein Bruder ihn auf die Felder mitnahm für die
W. Bürger. Kunstkritik. 4
,r)i i i ludschaftsmalerei
Arbeit der Jahreszeit, dann hielt sich der junge
Poet unwillkürlich vor den Blumen der Wiesen
auf oder beobachtete den Linienzug der Erde am
Horizont oder die Wolken am Himmel.
Dann sagte der Arbeiter mit den breiten Schul-
tern und den schwieligen Händen zu ihm: „Abel,
mein Bruder, wir haben die Pflicht, unsern lahmen
Bruder zu ernähren und geben dem Kranken die
ersten Früchte der Erde und das Beste von un-
serm Korn. Aber diese harte Anstrengung erschöpft
dich, und die Erde widersteht deiner schwachen
Kraft. Abel, mein kleiner Poet, kehre nach Hause
zurück. Setz dich zu dem armen Kranken unter
den Schatten der Hagebuchen, oder hüte lieber
unsre Herde längs der Berge. Tu, was dein Herz
dir eingibt. Abends, wenn ich von der Feldarbeit
heimkomme, erzählst du mir dann deine frischen
Eindrücke und lehrst mich die Schönheiten der
Natur lieben. Die Gedanken werden die Geheim-
nisse enthüllen, die meine Arbeit erleichtern und
sie immer fruchtbarer machen. Ich übe gern die
Kraft meines Armes an der Welt. Die Leistung
meiner Arme reicht aus, uns alle drei bequem zu
ernähren. Denn wir sind nicht alle zu demselben
Werk bestimmt; aber die Ordnung der Dinge ist
so geregelt, daß wir alle in der Freiheit leben
können."
Es ist jedoch nicht nötig, daß die Liebe zur
Natur, die Poesie und die Kunst uns völlig von den
Menschen und der Gesellschaft absondern. Ganz
An Theodor Rousseau (1844) M
im Gegenteil, da liegt gerade das rechte Band zwi-
schen allen Menschen und allen Dingen. Es ist
dasselbe Gefühl wie die allgemeine Religion. Du,
lieber Rousseau, hast mit Einfalt eine ausschließ-
liche Ablösung alles dessen vollzogen, was nicht
Deine Kunst ist. Du bist immer den Leidenschaften
fremd geblieben, die uns umtreiben, wie den be-
rechtigten Interessen des gemeinen Lebens. Du hast
wie die Einsiedler der Thebais gelebt, d. h. in
einer etwas unfrommen Konzentration. Es ist wahr,
deine Wüste war ein geistiges Paradies, das von
Leben und Farben erstrahlt. Aber Deine geheimen
Sorgen und Deine instinktiven Leiden, Deine Un-
sicherheit und zuweilen gar die Unfähigkeit des
Ausdrucks Deiner Poesie, kamen sie nicht durch
eben diese übertriebene Aufhebung eines Teiles
Deiner Fähigkeiten, den partiellen Selbstmord?
Hättest Du Dich ein wenig mehr mit den Män-
nern und Weibern abgegeben, so hätte Dein Talent
sicher an Eindringlichkeit und Anziehungskraft ge-
wonnen, ohne von seiner Eigenart zu verlieren. Und
außerdem, wenn Menschen wie Du im täglichen
Leben verkehrten, wie würden sie nicht ihres-
gleichen zugute kommen. Vielleicht hast Du doch
nur die Hälfte Deiner Aufgaben begriffen und voll-
führt, die in der Vervollkommnung und Erhebung
unsrer eigenen Natur besteht. Wir haben auch die
Pflicht, unmittelbar zur Vervollkommnung der an-
dern Geschöpfe beizutragen, durch eine heilige
Kommunion unsrer Gefühle und unsrer Gedanken.
52 Landschaftsmalerei
Kannst Du dagegen sagen, das sei Politik und nicht
mehr Kunst?
Aber die Politik ist ja die Schwester Deiner
vielgeliebten Poesie. Wenn die Politik falsch ist,
leidet die Poesie darunter und kann ihre Schwin-
gen nicht entfalten. Erinnerst Du Dich noch der
Zeit, wo wir in unsern Mansarden der rue Tait-
bout auf unsern schmalen Fensterbänken saßen, die
Füße auf den Rand des Daches hängen ließen und
die Häuserecken und Schornsteine betrachteten,
die Du — ein Auge zudrückend — mit Bergen
verglichst und mit großen Bäumen, die auf un-
regelmäßigem Erdreich verstreut stehen. Da Du
nicht in die Alpen oder in fröhliche Gegenden
hinaus konntest, erschufst Du Dir aus diesen ab-
scheulichen Gerippen von Kalk eine malerische
Landschaft. Denkst Du wohl noch an den kleinen
Baum im Rothschildchen Garten, den wir zwischen
zwei Dächern hindurch sehen konnten? Das war
das einzige Grün, das uns zu schauen vergönnt
ward. Im Frühling nahmen wir teil an den ersten
Trieben der kleinen Pappel, und zählten die fallen-
den Blätter im Herbst. Und mit diesem Baum,
einem Stück dunstigen Himmels, mit diesem Wald
zusammengeschobener Häuser, über die unser Auge
wie über eine Ebene dahinglitt, erdichtetest Du
Ausblicke, die Dich oft bei Deiner Malerei über
die Wirklichkeit des natürlichen Aussehens täusch-
ten. Du hattest so mit dem Übermaß der eignen
Macht zu kämpfen, da Du von der eignen Erfin-
An Theodor Rousseau (1844) 58
dung zehren mußtest, die der Anblick der leben-
digen Natur nicht erneuerte. Nachts, wenn die Bil-
der wandelbar und fließend ohne Unterlaß quälten,
weil die Ruhe auf wirklichem Boden unter dem
Licht der Sonne versagt war, — nachts erhubst
Du Dich fieberisch und verzweifelt. Beim matten
Schein einer Lampe versuchtest Du neue Wirkungen
auf einer Leinwand, die schon oftmals bedeckt
war, und morgens fand ich Dich ermüdet und traurig
wie den Abend zuvor, aber stets feurig und un-
erschöpflich.
Hast Du nicht zwanzig verschiedene Land-
schaften nacheinander mit demselben Motiv ge-
malt, phantastische, aber immer harmonische Mu-
sik, Variationen über dasselbe Thema, Ton für
Ton, Farbe für Farbe? Wenn ich Dich wider Willen
bei diesen neugeborenen Einfällen überraschte, die
in derselben Wiege an die Stelle einer andern vier-
undzwanzig Stunden lang gepflegten und mit Lei-
denschaft geliebkosten Laune traten, wie oft hab
ich Dich angebrummt, so Deine Kinder zu töten,
statt sie aufzuziehen bis zu schöner kraftvoller Ju-
gend. Aber Du konntest kein Abbild feststehen
lassen und hattest auch keine neue Leinwand für
die neuen Phantasien. Wie oft habe ich mit Gewalt
Deine wundervollen Skizzen wegtragen wollen 1 Da
hättest Du heute eine hübsche gemalte Geschichte
Deiner Künstlerqualen. Aber Du gabst Dich nicht
mit einer unvollständigen Skizze zufrieden. Ich
sagte Dir, daß man auch der Sonne vorwerfen kann,
54 Landschaftsmalerei
meistens nur Skizzen zu liefern, und daß die un-
bestimmten Wirkungen auch in der Natur die
häufigsten sind. Es ist selten, wenigstens in unserm
Klima, daß die Landschaft mit festen Linien um-
schrieben dasteht. Indes, Du bekümmertest Dich
nicht viel um meine Gründe, weil Du nicht das Be-
stimmte in der Malerei suchtest, sondern das Un-
bestimmte in der Poesie. Ich gebe zu, daß ich fast
ebenso verständig war wie ein Mensch, der beim
Anblick einer Landschaft unter schöner Beleuch-
tung nun die Sonne festhalten wollte und die Erde
mit diesem unveränderlichen Anblick davontragen,
indem er zur Sonne sagte, sie möge für ihren Wan-
del ein andres Land aussuchen; gerade als ob man
bei der Sonne sich nicht ganz sicher darauf
verlassen könnte, sie werde stets von neuem ihren
blendenden Zauber beginnen und uns bei jedem
neuen Bilde wieder ebenso in Erstaunen setzen.
Damals antwortetest Du mir, wie die Sonne es
tun könnte: „Bah, kann ich denn das nicht so
wieder machen, wann ich will!44 Tatsächlich ver-
ändert die Sonne unaufhörlich ihre Wirkungen. In
jeder Sekunde schafft sie eine neue Welt; sie macht
immer neue Bilder auf derselben Leinwand.
Lache nicht, lieber Poet, wenn Du Dich der
Sonne verglichen siehst, wie Ludwig XIV, der es
kaum verdiente. Ludwig war viel eher ein Mond
als eine Sonne; denn er empfing sein Licht von den
genialen Männern, die sein Jahrhundert erleuchtet
haben. Du belichtest Deine Leinwand, Du bist Sonne
An Theodor Rousseau (1844) 55
in der Malerei, Mond nur In bezug auf die andre,
die in der Unermeßlichkeit strahlt und deren Glänze
Du nacheiferst.
Gedenkst Du noch unsrer seltenen Spaziergänge
im Wald von Meudon oder an den Ufern der Seine,
wenn wir einmal beim Durchsuchen aller unsrer
Schubfächer zu zweit ein Stück von fünfzig Sous
zusammengescharrt hatten? Dann war es ein Fest,
fast närrisch beim Abmarsch. Da wurden die gröb-
sten Stiefel angezogen, als ob wir zu einer Fußreise
um die Welt ausrückten; denn wir hatten immer
die Vorstellung nicht wieder zu kommen. Aber das
Elend hielt das Ende unsrer Schuhbänder fest und
zog uns mit Gewalt zurück zu unsrer Mansarde, so
daß wir verdammt waren, draußen nie mehr als
einen Sonnenlauf zu sehen. Unsre Börse reichte
kaum dafür aus. Die Luft an der Seine ist frisch
und macht hungrig unter den Bäumen. Der Kor-
poralstabak ist so gut, wenn man davonläuft, wie
entsprungene Pferde unter dem Winde, oder wenn
man sich auf einem Hügel lagert, um die blauen
Streifen des Horizonts zu beschauen. Ich weiß nicht
zu erinnern, daß uns von der Regie jemals eine
Unze Taba*: geschenkt wäre, noch daß unsre Gast-
wirte von St. Cloud uns je zu Gast gebeten hätten.
Indessen unsre bescheidenen und frugalen Spa-
ziergänge, die doch so erregt und begeistert waren,
hatten wohl soviel Wert als eine Wagenfahrt in
dem armen Bois de Boulogne, das durch die
Festungswerke so zerrissen ward. Was für schöne
66 Landschaftsmalerei
Dinge wir beide erschaut haben, drunten, nicht
weiter als Meudon oder St. Cloudl Die Natur be-
reitete uns Stürme und unerwartete Schauspiele
gratis, ganz ausdrücklich für uns allein. Wie glück-
lich warst Du, mein Maler, wenn der Himmel so
recht seine Launen auslassen wollte, sich in Wolken
hüllen und melancholische Sonnenstrahlen so von
ungefähr hindurchblicken ließ. — Nach diesen
prachtvollen Dekorationen, wie grau erschienen uns
dann unsre Mansarden, trotz ihrem kostbaren Mobi-
liar, das unserm Bedarf genügte: ein zerschlissenes
Bett, einige Renaissancestühle in Eichenholz, mit
Fetzen von Sammet darauf, ein Beisetztischchen mit
geschweiftem Fuß, eine Kerze in japanischer Vase
wackelnd, eine Kaffeemaschine, staubige Bücher
und schöne Skizzen alter Meister, die an den Wän-
den hingen. Das war recht ärmlich, aber minder
häßlich als ein bürgerlicher Salon von damals.
Dort geschah es, daß George Sand eines Tages
zu Dir kam, von Eugene Delacroix geleitet. Du
hattest nie an öffentliche Gunst gedacht und die
Kunst nur immer aus Liebe betrieben; aber ich
glaube doch, es war ein schöner Tag in deinem
Leben. Die beiden größten Maler des 19. Jahr-
hunderts, Eugene Delacroix und George Sand, be-
handelten Dich als ihren Bruder. Delacroix fand
bescheidentlich seine Palette trüb im Vergleich zu
Deiner Farbe, er, der doch die schönsten Himmel
von der Welt gemalt hat; George Sand verleugnete
ihre Landschaften von Berry angesichts Deiner
An Theodor Rousseau (1844) 67
Landschaften von der Rue Taitbout, sie, die mit
.Worten besser gemalt hat als Claude und Hobbema.
Nicht wahr, damals hast Du alle Deine Nächte ohne
Schlaf und Deine Tage voll Verzweiflung vergessen?
Damals stand in Deinem Atelier der „Abstieg
der Kühe", das erste vollendete Werk Deiner Jugend,
eine Landschaft, in der die Natur mit der Empfind-
samkeit Jean Jacques aufgefaßt, und mit der Ur-
sprünglichkeit Rembrandts dargestellt ist. Da waren
noch ein paar Studien von dem ersten Ausflug in
dieAuvergne, als Du mit 17 Jahren das akademische
Atelier verlassen hattest, um Dir die Bäume und den
Himmel selbst anzuschauen: und man fragte Dich,
ob eine dieser kraftvollen Studien nicht ein Einfall
Göricaults sei. Es gab noch andre, die durch ihre
Feinheit Bonington glichen, andre Salvator Rosa
durch die Wucht des Striches und die Willkür der
Wirkung. Auf der Staffelei stand ein kleines Stück
Gebüsch, das von beiden erlauchten Gästen baß
bewundert ward, das aber hernach leider unter
einem neuen Wunsch verschwinden mußte. Ach,
wie viel reizende Gedichte habe ich zwischen Bäu-
men und Sturm, zwischen Sonnenschein und Bächen
sich verwandeln sehen ! Aber die Natur entschleierte
niemals das Geheimnis, das Du mit der geduldigen
und leidenschaftlichen Hartnäckigkeit eines kraft-
vollen Genies verfolgtest.
Die Sicherheit Deiner starken und ursprüng-
lichen Eindrücke ebenso, wie das Mitgefühl der
wahren Künstler haben Dich in diesem dunkeln
58 Landschaftsmalerei
Kampf aufrecht erhalten; und allmählich, trotz
Einsamkeit und Bescheidenheit, trotz der Ausdauer
der Jury, die immer die Öffentlichkeit verweigert
hat, verbreitete sich Dein Name, wenn auch Deine
Werke unbekannt blieben. Man erzählte sich, daß
in einem kleinen Atelier, das der gemeinen Neugier
verschlossen blieb, sich ein großer Maler bereite.
Man schrieb in jedem Salon über die Landschaften
Rousseaus, als ob sie im Louvre ausgestellt wären.
Eugene Delacroix, George Sand, Ary Scheffer und
einige andre erzählten von dem, was sie gesehen
hatten, so gut, daß das Atelier endlich von den Ken-
nern gestürmt ward.
Heute schmücken mehrere Deiner Landschaften
die zwei oder drei ausgezeichnetsten Sammlungen
von Paris. Deine „Kastanienallee41 mit ihrer ge-
wagten Komposition, die an die Kathedralen des
Mittelalters gemahnt, erglänzt bei Parier neben den
schönen Gemälden von Decamps. Heute erscheint
der äußere Erfolg und der Ruf Deines Namens,
die niemals Dein Ziel gewesen, wie das berechtigte Er-
gebnis Deines arbeitsamen Lebens und Deiner Liebe.
Zu gleicher Zeit hat sich das unruhige und
seltsame Talent Deiner ersten Jugendzeit beruhigt
durch eine Reihe abenteuerlicher Erfahrungen über
die Hilfsmittel der Farbe. Du hast eine siegreiche
Praxis erworben, die vor keiner Schwierigkeit des
Ausdrucks mehr zurückscheut. Du bist Deiner Form
und Deines Stiles sicher, um Deine intimste Poesie
herauszubringen. Du bist in Deine Periode produk-
An Theodor Rousseau (1844) 59
tiver Kraft eingetreten. Zeige nun Deine Blumen
und Deine Früchte.
Wenn Du da drunten von Deinen Wanderungen
unter dem südlichen Himmel heimkehrst, schlag
einmal diesen „Salon" auf, den ich Dir als An-
denken unsrer alten Freundschaft und unsres ge-
meinsamen Ringens schicke. Verzeih mir, in dieser
Arbeit ohne Ordnung, die von Tag zu Tag für den
Bedarf des eiligen Journalismus improvisiert wor-
den, die vielen wohlwollenden Ketzereien und einige
absichtliche Gemeinplätze. Um einen Salon von
dauerhaftem Interesse zu schreiben, müßte man ein
halbes Dutzend Menschen, wie Delacroix, Decamps,
Ary Scheffer, Ingres, herausgreifen, die besondere
Eigentümlichkeiten vertreten, und an diese „chefs
d'^cole" die andern Talente anreihen, die keine
wirkliche Originalität besitzen. Mit solchen Künst-
lern würde man sich natürlich zu den höchsten
Fragen der Kunst erheben, Grund und Form.
Da nun aber die Natur tausend demütige Pflänz-
chen geschaffen hat, die froh sind, die Sonnen-
strahlen zwischen den großen Eichen hindurch auf-
zufangen, so sollten auch wir nicht die Talente
zweiten Grades schlechterdings verachten. Rem-
brandt enthebt uns nicht eines Bol und Flinck.
Man vermag auch im Gefolge der Meister noch eine
gewisse Eigenart und unbestreitbares Verdienst zu
entfalten. Glücklich genug, wenn neben Rubens
noch van Dyck, Snyders und Jordaens gedeihen.
OOO
Die Entdeckung der Alpen
(1846)
Vor zwei Monaten, als mich Gedanken über
die Landschaftsmalerei quälten, reiste ich plötzlich
ab zur Entdeckung der Alpen. Ich hatte einen vor-
züglichen Reisebegleiter, der etwas melancholisch,
aber ein Dichter und, ohne ihn rühmen zu wollen,
sogar geistreich war. Er schlummerte wohl während
der Fahrt durch öde Gegenden, aber erwachte so-
fort, wenn der Himmel oder die Erde irgend einen
malerischen Anblick darboten. Er hat mich viel
Dinge sehen gelehrt, die für Künstler neu und
interessant waren. Eines Abends, nachdem wir zu
Fuß einen ungeheuren Höhenzug erstiegen hatten,
blieben wir oben, und er erklärte mir mit natür-
lichen Beispielen das Geheimnis der Farbe und des
Lichtes. Die Nacht war ziemlich finster, wenn auch
Sterne am Himmel standen. Unter unsern Füßen
ringsum schien die Erde wie eine platte düstere
Oberfläche, wie ein schwarzes Meer, unbeweglich
und ohne Erhebungen. Die wenigen Lichter der
verstreuten Wohnungen glichen nur einer schwachen
Widerspiegelung der Sterne in einem Sumpf. Du
siehst also wohl, sagte er zu mir, daß die Farbe
allein die Gegenstände zeichnet. Zum Beweis, daß
Die Entdeckung der Alpen 61
es das Licht ist, das die Form, die Modellierung,
und jedem seinen Platz verleiht : wo ist die Form
bei Nacht ?
In der Tat, die großen zerfetzten Bäume am
Rand der Straße standen wie flach aufgeklebt gegen
den schweren undurchsichtigen Himmel, wie eine
Zierkante von ausgeschnittenem Papier; da kein
Abstand zwischen den Bäumen und dem Himmel
hervortrat, so sahen die Sterne, die man durch die
Zweige wahrnahm, wie Glühwürmchen aus, die auf
den Blättern krochen.
Der Mond kam, als unser Wagen in schallendem
Galopp weiterrollte, und wir erblickten im Vorbei-
gehen die Bäume und die Hecken, kaum unter-
scheidbar und phantastisch wie eine Heerschar von
Gespenstern, die zu einer Schlacht zog, mit silber-
nen Panzern, erhobenen Armen und wildflatterndem
Haar. Don Quichotte allein hätte all diese selt-
samen Helden beschreiben können. Mein Begleiter
begnügte sich, Belehrungen für Maler daraus zu
entnehmen. (Ich fragte ihn nach seinem Namen.
Er heißt Trautlieb Naturfreund.)
Mit diesem eifrigen Führer, der immer für Ein-
drücke empfänglich war, wie viel zauberhafte Wir-
kungen haben wir während der Reise untersucht.
Wir haben die Sonne aufgehen sehen auf dem
Dampfschiff der Saöne. Die Ufer dieses Flusses
sind flach und frei gelegen. Noch war es Nacht;
aber der Tag bereitete sich vor. Ein länglicher,
farbloser, neutraler Streifen trennte zwei Himmel,
62 Laudschaftsmalerei
den Himmel in der Höhe und das Firmament, das
vom ruhigen Fluß zurückgeworfen ward. Vor uns
hatten diese beiden Himmelsregionen einen violetten
Ton, der sich rechts und links hin erstreckte, all-
mählich gemildert zu zartem Lila, etwas bläulich
und undurchsichtig, wie die Farbe des Amidam;
dann färbte sich das Violett mit Orange und ver-
dunkelte sich längs des flachen Streifens. Bald
glitten auch Strahlen hinauf und hinab in die beiden
Himmel, wie eine doppelte Garbe, und es gingen
zwei Sonnen auf, oder vielmehr die eine stieg, die
andre sank, mit gleichem Aussehen. Dann fingen
über den braunen Erdstreifen, die wie ein endloses
Tau von herkulischen Händen gespannt an unsern
Augen vorüberzogen, die weitern Gründe an hervor-
zutreten und schienen unbeweglich. Die Erde be-
kam Gestalt, die Hügel rundeten sich. Alles er-
hielt seine Form und zeichnete sich ab unter dem
Einfluß des Lichtes.
Mein Begleiter folgte mir in die Berge und an
dem Lauf der Ströme. Vor diesem herrlichen Schau-
spiel machten wir aus, daß kein Maler noch die
Gebirge dargestellt habe, selbst unter den alten
Meistern; die Wasserfälle von Ruisdael und Ever-
dingen kommen nicht recht aus der Höhe. Salvator
Rosa hat Felsen dargestellt; er ist aber am Fuß der
Berge geblieben. Und was die gläsernen Bilder von
Calame und Diday betrifft, die doch das Glück
hatten in der Schweiz zu wohnen, so kann auch
der bereitwilligste Beschauer darin die Alpen nicht
Die Entdeckung der Alpen 63
sehen. Die schlechten Maler geben kleine Hügel
mit Mehl bestreut für Firnen der Alpen aus.
Unsere Geschichte von der Entdeckung der
Berge war sehr seltsam. Als die ersten Schneegipfel
ganz in der Ferne am Horizont erschienen, waren
unsre Augen unsicher, ob es Wolken oder Berge
seien. Wir nahmen uns wohl in acht die Leute
umher zu fragen. Wir brauchten Anschauung, keine
Worte. Wo wäre die Poesie des Christoph Colum-
bus, wenn man ihm gesagt hätte: die graue Linie
da, die das Meer wie ein Saum umzieht, das ist
das verheißene Land. Wir wollten selbst unser
Amerika erkennen. Die Ungewißheit dauerte lange.
Es schien uns, wir hätten oft schönere und höhere
Berge in den Wolkenbildern beim Sonnenuntergang
erschaut. Die kleine weiße Maus, die dort am Hori-
zont sitzt, soll einen Berg gebären?
Die großen Leidenschaften sind manchmal wie
die Berge; man nähert sich ihnen, ohne ihre Höhe
und ihre Qual zu ahnen; je mehr man emporklimmt,
desto mehr Zerrissenheit auf allen Seiten. Man
bildet sich ein, auf dem Gipfel gebe es Ruhe;
indes, nach so viel Anstrengungen findet man
droben auf dem Kamm nur Schwindel und Blen-
dung. Man kommt davon zurück mit einem Herzen,
so zerfetzt wie die Flanken der Berge selber.
Aus der Ferne ist es gar wenig; am Fuß ist es
herrlich; auf der Höhe ist es furchtbar.
Endlich schwand unser Zweifel, und abermals
war es der Himmel, der uns die Erde begreifen
64 Landschaftsmalerei
ließ. Auf dem Rücken dieser etwas unbestimmten
Erscheinung unterschieden wir eine wirkliche Wolke,
wie ein antediluvianisches Krokodil gelagert.
Die Verbindung zwischen Himmel und Erde
war ertappt. Aber die Wolken sind nicht so ver-
liebt in die Erde, daß sie ihr in ihrer wahren Ge-
stalt nahen. Die Erde muß zu ihnen emporsteigen
für solche Umarmung. Gewöhnlich fallen sie kaum
als Münze nieder, oder im Silberschleier nach Art
Jupiters, der als goldner Regen die Danae besuchte.
Die Wolken sind stolz und erwarten Entgegen-
kommen von ihrer Braut. Es war also der Berg,
der den Himmel berührte.
Als wir jedoch einmal angelangt waren im Ge-
birge, wie bedauerten wir, nicht Maler zu sein.
Dort auf der Höhe gab es so seltsame Effekte, die
kein Mensch noch in Bilder gebracht hat: rosige
Kämme, die sich wie Feueröfen unter der Sonne
entflammen, unergründliche Tiefen, gewaltsame Ge-
bilde, wo man Formen einer andern Welt zu sehen
wähnt, und am Hang des Felsens kleine Tannen von
schwarzem stumpfem Grün, das ernst verharrt, trotz
dem lebhaftesten Lichte, im Gegensatz zu der blen-
denden Weiße des Schnees. Man könnte sie für
tausend Mönche ansehen, die in ihren Kutten den
Berg ersteigen, um dann zu einem Sabbat in den
Wolken aufzufliegen.
Wir haben da droben den Urquell der großen
Ströme gefunden. Das beginnt mit einem Flocken
Schnee, der sich ermüdet auf den nackten Felsen
Die Entdeckung der Alpen 66
niederläßt, wie ein Schmetterling auf einer Blume.
Dann kommen die andern Flocken bald nach und
setzen sich neben den, der schon gelandet ist. Aber
wenn die eifersüchtige Sonne ihren goldenen Blick
auf den Berg herabschickt, dann entschlüpft ein
erster Tropfen, wie eine Träne der Rührung. So
weint der Berg im Sommer die Küsse hinweg, die
ihm die Wolken im Winter gegeben haben. Und
die Sonne ist's, die ihn weinen macht. Tränen kom-
men immer vom Himmel. Die Berge sind wie Mag-
dalenen; ihre kräftige Wange durchfurcht sich mit
Bächen, aber sie kennen keine Reue über ihr
Liebesleben.
Der Strom, der durch alles dahingeht, ist dieser
Tautropfen, der nach dem Meere trachtet. Herab-
steigend überstürzen sich die Fluten, tummeln sich
und galoppieren daher, werfen sich hinab in die
engen Schluchten, wie eine ungeduldige Menge. Da
wälzen sie sich schäumend gegeneinander, wie es
in einem wütenden Reiterangriff hergeht; aber die
Woge und die Menschenmenge, unwiderstehlich wie
jene, zerrinnen doch immer. Nichts gleicht dem
wogenden Galopp dahersprengender Schwadronen
mehr als der regelmäßig wiederkehrende Absturz
der Wellen auf den klingenden Felsen, mit ihrer
wehenden Mähne und ihrem leuchtenden Schweif.
Eilt euch, eilt, die Menschen erwarten euch drunten
zwischen blühenden Ufern, in ruhigem Bett; da
vergeßt ihr den Kampf mit dem undurchdring-
lichen Gestein.
W. Bürger. Kunstkritik. 5
66 Landschaftsmalerei
Man darf von den Landschaftsmalern nicht ver-
langen, daß sie sich immer an diese starken Ein-
drücke halten. Der Anblick der Berge ist ein außer-
gewöhnliches Schauspiel. Die französischen Land-
schafter wenden sich natürlich viel eher an die
Wälder und die Felder. Ist nicht auch die Poesie
der Bäume ebenso ergreifend wie die der Felsen
und der Ströme ? Die Wälder beschatten so gut die
Träumereien und die intimsten Gefühle. Zu den
meisten Gemütslagen paßt ein Baum besser als ein
Sturzbach. Ein Gefangener zieht eine kleine Pappel,
die der Wind bewegt, gegenüber seinem Fenster,
dem stolzesten unbeweglichen Gebirge vor. Indes
alle Formen der Natur tauchen ja wieder ein in
die Unendlichkeit des Himmels.
Alles ist gut in den unsterblichen Bildern, die
der Schöpfer der Dinge gemalt hat, würde Jean-
Jacques Rousseau sagen; alles entartet unter den
Händen gewöhnlicher Künstler. Alles ist schön in
der Natur, weil die Luft es abtönt und alles mit-
einander ausgleicht. Es handelt sich nur darum,
diese Naturmalerei gut zu sehen, um ihre Farbe und
ihre Zeichnung wieder zu geben. Armselige Lumpen
eines Bauern, über eine Hecke gebreitet, nehmen in
der Sonne für den Fernerstehenden die pracht-
vollsten Farben an. Der rechte Maler findet auf
seiner Palette ein bezaubertes Paradies bei Gelegen-
heit eines herbstlichen Baumes oder eines kleinen
Baches, der sich zwischen Kieselsteinen windet.
ooo
Über das Gefühl für Natur und Schönheit
an Firmin Barrion (1847)
Der Anfang aller Dinge ist die Liebe. Der
Anfang der Kunst ist das Gefühl für die Natur
und die Leidenschaft für die Schönheit. Aber es
gibt nichts Selteneres als die Unabhängigkeit und
Originalität der Eindrücke. Nur einfach um sich
blicken ist schon eine merkliche Seltenheit. Die
Mehrzahl der Menschen geht an den schönsten Din-
gen vorüber ohne sie zu sehen. Die Entdecker von
Sternen sind doch nichts gewöhnliches in unsern
Tagen. Wieviel Leute gibt es in Europa, die den
Sonnenaufgang gesehen haben? Die unzählbare
Mehrheit der Menschen beharrt darauf, alle Pferde
als Schimmel anzusehen, auch die roten, blauen und
grünen. Man geht so weit, den Bäumen die Seele
abzusprechen. Niemand kümmert sich um den Mond
oder die Wolken, um die Farbe des Frühlings oder
den Charakter des Herbstes. Man denkt nicht daran,
das Schauspiel des Lebens zu betrachten, das doch
niemals stillsteht und die Unendlichkeit zum Schau-
platz hat.
Indessen sind doch alle Menschen Dichter und
Künstler. Alle haben bis zu einem gewissen Grade
68 Landschaftsmalerei
die doppelte Fähigkeit zu fühlen und auszudrücken :
In Italien ist jedermann Improvisator, der Gondo-
liere wie der Hirt, der Mensch auf dem Lande wie
in der Stadt ; in Deutschland ist er musikalisch : der
Arbeiter und der Bauer, der Landstreicher und der
Philosoph. Zu gewissen Zeiten verstand sich alle
Welt auf die statuarische Kunst und auf die Ma-
lerei : in Griechenland im Jahrhundert der Aspasia
und des Alkibiades, in Italien während der Renais-
sance.
Warum hat denn unsere Epoche das Gefühl
für die Kunst verloren?
Weil sie das Gefühl für die Natur verloren hat.
Frankreich insbesondere ist aus allen gesunden
und natürlichen Einflüssen herausgerissen zu phan-
tastischen Felsen von Smaragd hin, wie zu den Zei-
ten Laws. Dem französischen Volk ist die Meinung
beigebracht, das materielle Interesse sei der End-
zweck unsres gemeinsamen Schicksals. Das Wort
Geld ist jetzt die Grundlage der Sprache, die einst-
mals Hingebung und Fanatismus für Ideen und
edle Empfindungen predigte. Gröbliche Täuschung.
Es gibt nichts Positives und Wirkliches als die
Natur und die Poesie. Alles was schön und gut
ist, kostet nichts und findet sich überall. Die Frauen
und die Liebe, der Gedanke und die geistigen Träu-
mereien, der Himmel, das Meer, die Wälder und
die Blumen. Es gibt nichts Kostspieliges als die
lächerlichen Erfindungen der Menschen, als ver-
logenes und gefährliches Machwerk.
Das Gefühl für Natur und Schönlv -it 69
Man muß sich also um das Geld nicht quälen,
noch sein Glück in trügerische Verhältnisse ver-
legen, in denen die Menschenseele sich verfinstert.
Der Sklave hat seine halbe Seele verloren, sagten
die Alten. Man könnte auch zu den Modernen
sprechen : die freiwillige Knechtschaft unter dem
materiellen Interesse ist viel gefährlicher als die
erzwungene Knechtschaft unter dem Gesetze der
Ungleichheit. Die soziale Sklaverei läßt wenigstens
die moralische Freiheit des Innern bestehen; man
gehört sich doch noch selber an und kann ein
Epiktet werden; die Tyrannei ist äußerlich und
indirekt; die eisernen Fesseln berühren nur die
Haut. Wie viel große Männer sind unter der Rute
eines Herrn, in der Qual eines Gefängnisses, in-
mitten der Flammen des Scheiterhaufens frei ge-
blieben.
Wer aber freiwillig die Herrschaft der ma-
teriellen Dinge auf sich nimmt, der läßt die Ty-
rannei in seinem eignen Herzen wohnen; denn er
entsagt allem, was den Menschen macht, der In-
telligenz, dem Heroismus, der idealen Leidenschaft.
Ich möchte lieber auf den Galeeren des Königs
dienen, mit einem warmen und tüchtigen Herzen,
als Millionär in Paris sein mit den Trieben eines
Wucherers.
Pflicht und Glück liegen in der Ausübung uns-
rer geistigen Fähigkeiten, in der Einfachheit, in
den innern Gemütsbewegungen, die uns der Ver-
kehr mit Unsersgleichen verschafft und der Ver-
70 Landschaftsmalerei
kehr mit der Natur, durch die Gefühle und durch
die Anschauung. Jean Jacques Rousseau und das
18. Jahrhundert hatten nicht so Unrecht, ihren
„natürlichen Menschen" wieder aufzuerwecken, im
Gegensatz zu dem verdorbenen und verrückten Men-
schen einer perversen Kultur. Rabelais und Mon-
taigne, Corneille und Moliere, Cervantes und Shake-
speare haben nichts anderes gesucht als dies ver-
lorene Fossil, den ursprünglichen und göttlichen
Menschen, dieses harmonische Geschöpf, das die
Musik des Alls wie ein Echo wiedergibt.
Welch unglückliches Schicksal hat denn in der
menschlichen Seele alle poetischen Saiten zer-
rissen, die für die weite Luft empfänglich waren
wie Äolsharfen, und uns nur eine einzige Saite aus
Metall übrig gelassen? Frankreich ist dahin ge-
kommen, daß es unter dem Hauch des Geistes
und der Einbildungskraft nicht mehr erbebt.
Auch die Kunst ist im allgemeinen für die
Künstler zu einem Industriezweig herabgesunken,
anstatt eine Leidenschaft zu sein, und für das große
Publikum ist sie aus einem enthusiastischen und
religiösen Kultus ein äußerlicher Luxus geworden;
denn es fehlt den Künstlern und dem Publikum die
Liebe zur Natur und zur Schönheit.
Wenn du, mein lieber Landarzt, auf deinem
kleinen braunen Rößlein melancholisch daher trot-
test durch die schattigen Hohlwege deiner schönen
Vend6e; wenn du den Sonnenschein auf den Fluren
mit goldig blühendem Ginster von seltsamem Ge-
Das Gefühl für Natur und Schönheit 71
strüpp umsäumt beobachtest; wenn du an der Ecke
eines Feldes Halt machst angesichts der großen
Stiere, denen ihr Führer den alten Abendrefrain
singt; wenn du eine braune Hirtin bewunderst, die
in einem Graben sitzt und Maßliebchen sammelt,
wie die Jeanne von George Sand; wenn du dein
Leben mit allen diesen Bildern der Natur zusam-
men führst, dann bist du näher bei der Kunst, ver-
möge der einsamen Gemütsbewegung, als der
Maler, der ohne Erregung und ohne Ideal seine
Leinwand bekleckst.
Es ist freilich gewiß etwas Andres die Fähig-
keit zu fühlen, etwas Andres die Fähigkeit es aus-
zudrücken. Man mag einen lebhaften Eindruck
empfangen, ohne die Gabe des Bildes und des Stiles
zu besitzen. Es gibt große Denker, die sich niemals
zur Beredsamkeit erhoben haben. Aber der voll-
kommene Künstler ist eben der, der sein inneres
Empfinden nach außen kundgibt. Für diese Poeten
der Tat, wenn man so sagen kann, ist die Kunst
eine natürliche Sprache und gleichsam ein plötz-
licher Aufschrei der Leidenschaft. Die Kunst ist
nur schwer für die falschen Künstler. Ehedem
wurde mit viel Geist und Verstand die leichte Lite-
ratur verteidigt. Sicher hat der Genius keine Ge-
burtszangen nötig. Wohlgewachsene Kinder kom-
men natürlich ans Licht und ohne approbierten
Geburtshelfer. Man weiß nicht, daß Cervantes viel
Mühe gehabt, seinen Don Quichotte zu schreiben,
noch Shakespeare seinen Othello, noch Moliere seine
72 Landschaftsmalerei
Schule der Frauen. Die Malerei ist ebenso leicht
für die wahren Maler, die der Stimme des Genius
gehorchen und das malen was sie fühlen. Die
Worte bieten sich der wahren Beredsamkeit in Fülle
an, und die großen Redner sind immer stärker ge-
wesen, wenn sie aus dem Stegreif sprachen.
Weit mehr, die großen Künstler lernen nie-
mals etwas Wesentliches hinzu: sie wissen alles
von Anfang an. In seinen ersten Bildern schon ist
Rafael erhaben. Das Handwerk ist nur der Diener
der Einbildungskraft.
Heutzutage dagegen setzt man voraus, die
Kunst sei ein Verfahren, und daß Malenkönnen
weder Gefühl noch Poesie mitbegreift. Malen, was ?
Die Grundlage der Kunst ist also erstlich die
Liebe zur Natur, diese dauerhafte und unbezähmbare
Manie, die uns zur Betrachtung des Lebens treibt,
und die uns im geliebten Gegenstand tausend
Schätze offenbart, die für die gleichgültigen Blicke
unsichtbar bleiben; — die uns in tausend ungeahn-
ten Beglückungen erzittern läßt, durch ein wertvolles
Nichts, durch einen seltsamen Magnetismus, wie
der Liebende vor der Geliebten erbebt. Die Liebe
zur Natur ist durchaus der Liebe zu den Frauen
gleich. Die einen lieben die ruhigen und lichten,
die durchsichtigen und tiefen Frauen : das ist Claude
Lorrain in der Malerei. Die andern lieben die selt-
samen, unergründlichen, launenhaften, mit lebhaften
Gegensätzen von Schatten und Licht, mit Leiden-
schaft und Naivetät : das ist Rembrandt. Diese hier
Das Gefühl für Natur und Schönheit 73
träumen von gebietender Größe, von unmöglichem
Bewegungszug und heroischer Betonung der For-
men : das ist Michelangelo. Jene da lieben die
jungen und frischen Formen mit einem silbernen
Flaum auf der Haut und tausend kleinen Reizen
der Wollust : das ist Correggio. Sonst wohl das
starke und derbe Weib, mit wildem Benehmen : Sal-
vator Rosa. Oder die feine, elegante mit seltsam
künstlicher Haltung der schlanken Hände: Parmi-
giano. Oder die strenge, edle Frau: Poussin. Oder
die breite, prächtige Fülle voll Üppigkeit : Rubens.
Und dieser vorherrschende Charakter der Leiden-
schaft jedes Künstlers findet sich in allen seinen
Werken wieder, in der Landschaft, wie im Ausdruck
der menschlichen Gestalt, in Erde und Himmel,
in der ganzen Harmonie seiner Schöpfung. Und
jedes seiner Gemälde ist wie eine neue Liebe, in
der er immer sein Ideal gesucht hat. In Sachen der
Frauenliebe ist es wahr, wenn man sagt, daß jeder
nur ein und dasselbe Weib in allen weiblichen
Wesen liebt: es ist eine Art idealer Treue, inmitten
einer Unbeständigkeit, die man nicht festlegen kann.
In der Kunst ebenso; der Maler oder der Dichter
verfolgt seine Chimäre unter allen Formen, selbst
wenn er sich von seinem Typus zu entfernen scheint.
Aber für den, der gut sehen kann, ist es immer die-
selbe Seele, die in allen seinen Gebilden lebt.
Ihr geht dicht an einer Frau vorbei, ohne sie
zu beachten; der Liebende, der sie vorübergehen
,sieht, ist in Ekstase über ihre Haltung, über die
74 Landschaftsmalerei
geringste Biegung ihrer Taille, über die Farbe ihres
Haars, das Aufleuchten ihrer Physiognomie. Was
ihn bezaubert, ist das Leben und der Ausdruck
dieser Person, die er liebt.
Ebenso ergreift der Liebhaber der Natur mit
Enthusiasmus den Ausdruck und die Wirkungen,
die sich dem Gleichgültigen unbemerkt entziehen.
Er lebt mit jener allgemeinen Seele, deren Form
alle Physiognomien annimmt, im Einverständnis.
Denn die Wirkung der Natur ist wie die Physio-
gnomie einer Leidenschaft. Eine unaufhörlich wan-
delbare Erscheinung, immer bezeichnend und immer
entzückend für den erregten Dichter.
Die Schönheit nicht minder ist unendlich viel-
fach in der Menschengestalt wie in der Außenwelt,
obgleich die Philosophen ihren einheitlichen Cha-
rakter abstrakt zu bestimmen versuchen. Die Schön-
heit ist die Harmonie? Sei es. Die Fornarina mit
ihren reinen und regelmäßigen Linien; die Geliebte
Tizians mit ihrem goldigen Schimmer; dieGioconda
mit ihrem bräunlichen Teint und der Feinheit ihrer
Modellierung; die Diane de Poitiers von Prima-
ticcio; die Gattin des Rubens mit ihrer Frische und
ihrer festen Gesundheit; die braune, magere Jung-
frau Murillos, — sind gleichermaßen und doch ver-
schieden schön. Die stillen und weltfremden Nester
Hobbemas, das blonde Meer und der unendliche
Himmel Claudes, die majestätischen Horizonte Pous-
sins stellen ebenso gleiche Schönheiten in der Natur
dar. Schönheit und Poesie sind überall, wo Liebe ist.
Das Gefühl für Natur und Schönheit 75
Besonders in der Landschaft ist das Gefühl für
das Leben eine seltene und zarte Gabe. Wenig
Menschen sehen die Landschaft, weil sie auf den
Feldern nicht danach schauen, was unfaßbar und
fast unsichtbar ist — obgleich wirklich überall vor-
handen und von erster Wichtigkeit — nämlich die
Harmonie und das Ganze: — den Himmel und die
Luft, ganz einfach. In jedem beliebigen Bilde spielt
der Himmel eine große Rolle. Er beginnt um den
Kopf und die menschliche Form, und die Form aller
Wesen überhaupt. Er dringt überall ein, bis in die
Höhlen Rembrandts. Der Himmel ist überall. Und
schließt man einen Kasten auf, der Himmel ist
darinnen. Die ganze Natur ist im Himmel gebadet.
In der Landschaft beginnt der Himmel mit der
Erdoberfläche. Er spielt unter den Graswäldern des
Rasens. Eine kleine Blume am Boden drunten, ein
Gräslein sind ganz ebenso im Himmel wie der höchste
Glockenturm, dessen Spitze den Azur zu durch-
dringen scheint. Denn, wenn man sich auf die Erde
niederlegt um die kleine Blume zu betrachten, die
eben noch zu unsern Füßen stand, dann sieht man
sie sich emporrichten gegen den Himmel wie ein
majestätischer Eichbaum und sich abheben im
Licht ; und wenn man den Berg erklimmt, um drun-
ten im Tal den Glockenturm zu betrachten, der eben
noch sich gegen den Himmel zeichnete, so tritt seine
Form nun auf den Plänen der Landschaft hervor.
Ragt er darum nicht mehr gegen den Himmel auf ?
Der Himmel ist die unendliche Luft, das un-
76 Landschaftsmalerei
endliche Licht. Es gibt Himmel sogar im Innern
eines Busches, zwischen den tausend Feinheiten der
Architektur seines durcheinander greifenden Ge-
zweigs und seiner unzählbaren Blätter. Der Himmel
liebkost ewig alle die zartesten Erhebungen der
allgemeinen Form; er erstreckt sich unabsehbar
und bis zu den andern Welten, die im unermeß-
lichen Raum verstreut sind.
Hier ist ein Teich mit silberweißen Blumen und
goldgelben Knospen darin. Tausend heitere und
ungeduldige Gewächse wuchern im Schoß des Was-
sers und drängen an die Oberfläche hinauf, um auf
dieser kristallenen Terrasse Luft zu schöpfen. Das
ganze Wasser ist voll Blüten wie ein vielfarbiges
Beet unter einem Glasdach; und das Wasser kreist
überall ohne eine leere Stelle zu lassen und umspült
den ganzen Wald der Wasserflora. Gleichermaßen
ist auch die Luft wirklich um alle Objekte und er-
füllt alle Hohlräume der äußern Skulptur des Globus,
die mit so viel Laune und Kleinarbeit durchfurcht
und ziseliert ist.
Man vermag also nichts, was es auch sei, von
der Gesamtheit zu trennen. Die Wissenschaft frei-
lich betrachtet und studiert ein Wesen vereinzelt,
durch Abstraktion alles dessen, was es umgibt; die
Poesie dagegen stellt das Wesen in seinem Zu-
sammenhang mit der umgebenden Harmonie dar.
Der geringste Fleck Erde hat seinen Durchblick
zum Himmel und hängt vom Unendlichen ab. Das
ist es, was die Landschaftsmalerei so schwer macht.
Das Gefühl für Natur und Schönheit 77
Die Mehrzahl der Landschaftsmaler setzt sich
in den Kopf in ihren Gemälden alles erklären zu
wollen, statt die Wirkung der Gesamtheit zu suchen,
und den Anblick der Naturphysiognomie, der sie
ergriffen hat; sie vergessen, daß die Individualität
der Bäume, des Erdreichs, der Bauwerke, der Per-
sonen fast immer in das Licht oder in den Schatten
getaucht ist, d. h. in die Luft. Aus der Nähe sieht
man zuweilen das Einzelne; aber bei dem gering-
sten Abstand läßt nur der Bewegungszug der Gegen-
stände sie erkennen, und das Übrige wird erraten.
Sie bemerken einen Reiter in einer Waldallee:
kommt er, oder entfernt er sich ? eine am Rand des
Weges ruhende Figur: ist es ein Mann oder ein
Weib? Wie oft haben wir nicht in den Büschen
der Vend6e solche Experimente gemacht? Wie oft,
mit unsern Jägeraugen und unsrer Gewöhnung an
die freie Luft, haben wir einen unbeweglichen
Gegenstand auf einige hundert Schritt nicht mehr
bestimmen können. Aber, wenn die Gestalt sich
bewegt, erkennt man sie an besondern Betonungen,
die flüchtig, für ungeübte Blicke kaum faßbar sind.
Nennt man das etwa die Form sehen? Wenn wir
einen Rehbock erraten, der wie ein Blitz daher-
fährt auf dem schmalen Band eines Pfades, dann
liegt noch kein Grund vor, daß ein Landschafts-
maler vorgibt, ihn deutlich und genau zu sehen und
ihn mit vier Beinen, zwei Ohren und erschreckten
Augen hinzuzeichnen.
Ein andermal, bei gewissem Wetter und unter
78 Landschaftsmalerei
gewissen Lichtwirkungen geschieht es, daß ein sehr
entfernter Gegenstand aus dem Durcheinander der
Landschaft hervorspringt, mit einer Korrektheit der
Form und einer außergewöhnlichen Leibhaftigkeit,
während sehr oft die nächstgelegenen Gründe un-
bestimmt und unbeschreiblich erscheinen. Am stür-
mischen, dunkeln Himmel, wenn die Horizontstreifen
sich hell auf den Gründen hinziehen, vermag man
solchen plötzlichen Anblick zu erfassen, der ebenso
schnell im Hin- und Herziehen der beweglichen
Schleier wieder verschwindet. In Gebirgsgegenden
besonders gefällt sich die Natur in diesen immer
neuen Phantasmagorien.
Ein andermal nimmt ein ganz gewöhnlicher
Gegenstand oder ein häßliches Land ein feenhaftes
und entzückendes Aussehen an, unter dem Einfluß
irgend eines Sonnenblicks oder eines gewissen Ab-
stands, einer gewissen Tagesstunde. „La Butte du
Calvaire", die mit ihren gelblichen Kasernen, ihrem
nackten Boden von schlechtem Schnitt in der Nähe
gesehen abscheulich ist, wirkt abends zuweilen, am
Ende einer duftigen Allee von Meudon, ganz wun-
derbar. Nur Montmartre ist immer häßlich, wenn
man ihn von Paris aus sieht; denn er liegt nach
Norden.
Eine der schönsten Landschaften, die ich in
meinem Leben je gesehen habe, war längs einer
großen Landstraße in einer ganz gemeinen Gegend,
ganz in unsrer Nähe. Ich schritt gegen Sonnenunter-
gang zu. Der Himmel war den ganzen Tag sehr in
Das Gefühl für Natur und Schönheit 79
Bewegung gewesen, und die Wolken hatten sich
vergnügt, vom Morgen an in Massen nach derselben
Richtung zu eilen wie die Sonne, um ihr die Erde
zu verbergen, die traurig und grau dahinrollte. Diese
Herumtreiberbande hatte sich am Horizont ein Stell-
dichein gegeben, als die Sonne, vor ihrem Unter-
gang sich entschloß, noch einen flammenden Blick
auf die Erde zu werfen. Alsbald war das ganze
sichtbare All verwandelt, und drei verschiedene
Welten bauten sich auf, von der Straße drunten bis
zum leuchtenden Focus.
Vor mir, eine erste Welt, grün, fest wie aus
Smaragden geschnitten, wo alle Dinge sich in
säubern bezeichnenden Formen heraushoben, frucht-
bare Felder, malerische Dörfer, Bäume, einige Ge-
staltungen des Bodens — wie um als Einleitung
für die zweite Welt zu dienen, mit ihren blauen,
fein modellierten Hügeln, ohne hervorspringendes
Beiwerk, und wollüstig dahingelagert, wie die langen
Vögel Chinas auf der Rundung einer hohen far-
bigen Vase: das war das Land der Feen und un-
wägbaren Sylphiden. Darüber hinaus begann die
Welt des Feuers, wo sich im Glühofen riesige Sala-
mander krümmten und feurige Löwen an der Pforte
des goldenen Palastes, mit Geschmeide geziert. Und
um diese endlos sich türmenden Monumente zün-
gelten Wälder von Flammen und rote Vulkane.
Berge von Silber und Opal stuften sich ab in den
Gründen und nach den beiden Flügeln der Deko-
ration. Alles erschien wirklich, scharfgezeichnet,
80 Landschaftsmalerei
mit festem Relief und tadellosen Formen, in einer
lohenden Welt.
Welch ein Bild zum Malen! Aber, wo ist der
Künstler, der es malen könnte ? Die Natur gibt sich
so oftmals selber glänzende Feste, mit Sonne, Mond
und Sternen, Jahreszeiten und Winden, Meer und
Strömen, Bäumen und Tieren aller Art, und selbst
mit Menschen, die als Schauspieler wider Willen
darin auftreten, ohne es zu ahnen.
Ich habe diesen Winter einer der vier großen
Festlichkeiten der Saison beigewohnt, im Walde von
Fontainebleau, wo der Reif die Dekoration über-
nommen hatte. Wir waren nur zu zweit, beide eigens
dazu hingegangen, der Ahnung folgend und im
rechten Augenblick angekommen.
Der Schauplatz war gut gewählt. Der Herbst
mit seiner gewohnten Umsicht hatte schon alles
vorbereitet für die Teppiche und die mannigfaltigen
Farben. Die Blätter ohne Charakter waren als
Emailtropfen auf den Boden gefallen und lagen
zwischen dem Moos und den Flechten. Die Felsen
hatten ihre Töne unter der ersten Feuchtigkeit der
Atmosphäre verdunkelt. Die hohen Sträucher waren
braun wie Spanierinnen, und die Farrenkräuter
zeigten ihre Kämme in doppelter Reihe, gefleckt
mit Okergelb und Kupfergrün. Die Birken schwank-
ten auf einem Silberstamm mit wenig leichten Blät-
tern, die von hellem Golde schimmerten. Die Buchen
färbten sich rotgelb. Die Eichen hatten ihre über-
flüssigen Blätter abgeschüttelt und standen bronze-
Das Gefühl für Natur und Schönheit 81
färben oder in rostbraunes Eisen gekleidet. Die
Brombeerranken waren rot geworden. Die wilden
Rosen hatten ihren Spinnrocken mit roten Hage-
butten behängt. Die Wacholdersträuche waren ent-
färbt und wie trostlose Magdalenen dahingesunken.
Die Stachelpalme allein blieb grün, fest und
glänzend. ,
Dann befahl eine heimliche Macht den Nebeln
in der Luft zu gefrieren, zu unfaßbar kleinen
Perlen, und als Tau auf diesen Garten mit seinen
tausend Farben herabzusinken, — alle Zweige, alle
Blätter, alle Kräuter, alle kleinsten Schößlinge mit
Silber, Diamant und Edelgestein zu umspinnen. Der
Reif gehorchte, und in einer Viertelstunde waren die
Felsen aus Kristall, und der Wald wie ein Schrein
der Renaissance: die Blätter wurden Topase, Ru-
binen, Smaragden, in Perlen gefaßt und reich zise-
liertes Metall. In dieser wunderbar schnellen Aus-
saat waren die Grashalme so wenig vergessen wie
die großen Eichen, und alles Volk der Büsche nahm
teil an der Winterblüte.
Gegen Mittag kam die Sonne, das Fest zu be-
schauen, und ließ jeden Lokalton durch die un-
endliche Reihe der Farben hindurchgehen. Aber
die Dekoration fiel schnell unter ihrem Licht, und
wir konnten nur einen Büschel Pflanzen retten, der
den ganzen Tag noch seine Perlenzier und seine
Diamantspitzen bewahrte.
Aber wozu ist es gut, in außergewöhnlichen
Bildern unsern Enthusiasmus für die Natur zu er-
W. Bürger. Kunstkritik. 6
y2 Landschaftsmalerei
neuern? Brouwer liebte seine Trunkenen in der
Kneipe, wie Phidias seinen olympischen Zeus.
Ostade ist ebenso König seiner Bauernhütten wie
Rafael auf dem Parnass oder in der Schule von
Athen. Die Kühe von Cuyp, in seiner Landschaft
des Louvre, wiegen den Diogenes Poussins und die
Picciola von Saintine auf; die kleine Blume, die
zwischen zwei Pflastersteinen eines dunkeln Hofes
hervorbricht, ersetzt dem Gefangenen einen Eich-
baum, eine freie Natur, eine ganze Welt.
Wenn ihr an eurem Fenster die Töpfe stehen
laßt, die eure Sommerblumen enthielten, schaut
einmal die Nessel an, die sich im Winter um die
ausgetrockneten Stengel richten, die einst grüne
und blühende Zweige waren. Die Nessel ist grün
für ihr Teil und lebhaft; ihr braves kleines Blatt
streckt sich in tausend Spitzen aus wie Eisen der
Lanze; man könnte meinen, wie ein Bündel Waf-
fen zur Verteidigung; und auf der Fläche ihres
Filigrans kleine unsichtbare Pfeile, tausendmal
spitzer als Nadeln, die sich gradehalten, allem zum
Trotz, und die Kraft haben die Haut zu durch-
stechen. Die Nessel, diese verfolgte Rasse, die
Paria unter den Pflanzen, ist ebenso interessant,
wie die Zeder. Man könnte sie liebhaben, wo ein
Wald fehlt, wie Pellisson seine Spinne liebte, da
er keinen Freund und keinen Hund besaß. Ich
will dir nicht verhehlen : in diesem Winter, da es
keine Blumen und kein Grün mehr gab, habe ich
mich wirklich in eine Nessel auf meinem Balkon
Das Gefühl für Nntur und Schönheit 83
verliebt. Ich habe dies Kind des Zufalls wie eine
wertvolle Tulpe gepflegt. Ich bin so ungern ganz
ohne Grün um mich her.
Ach, niemand außer einigen Wißbegierigen
gleich uns, hat auch nur Lust das Museum des
Weltalls zu betrachten. Ehedem in Griechenland
wohnten auch die letzten des Volkes den öffent-
lichen Festen bei, wo die Schönheit im Wettbe-
werb auftrat, wo die vollkommensten Hetären, die
Modelle zur Liebesgöttin, neben den Ringkämp-
fern und den Philosophen erschienen. Alle Welt
hatte damals Gefühl für die Schönheit und Liebe
zur Natur, eben deshalb verstanden auch alle die
Kunst. Eine schöne Statue setzte alle Bürger der
Republik in Aufregung. In der Renaissance, im
16. Jahrhundert, da Italien ein Hof in steter Fest-
lichkeit war, als die Medicis den Luxus verbrei-
teten, da Venedig als Königin lebte, — da Franz I.
in Frankreich, Heinrich VIII. in England, Karl V.
in der Weltmonarchie das Mittelalter über den
Haufen warfen, — als der moderne Geist Europa
bewegte, und die Leidenschaften des Lebens die
Natur und die Schönheit wieder zu Ehren brachten,
— da entbrannte auch das Volk in allgemeiner
Sympathie für die Künste.
Die Liebe zur Natur ist es, die immer den
Fortschritt der Kunst und ihren sozialen Erfolg
entscheidet.
Das ist es also, warum die wenigen zeitge-
nössischen Künstler, die uns die Wirkungen und
84
Landschaftsmalerei
die Physiognomie der Natur auslegen und die leben-
dige Schönheit lieben, so wenig populär sind : es
ist der Mangel einer allgemeinen Einweihung dar-
an schuld, eines gemeinsamen Gefühls der Bewun-
derung und der Sympathie für die Gesamtheit der
Dinge. Das ist es, weshalb das Publikum, blind
vor den Bildern, die das Licht in Farben setzt,
so oft die Gemälde blinder Maler hinnimmt, ja
den poetischen Bildern vorzieht. Das Geld blendet
sie mehr als die Sonne.
Du, lieber Arzt auf dem Lande, hast das Privi-
legium, die Natur ohne Unterlaß zu schauen und
sie schlicht zu verehren. Wenn du auf grünen We-
gen dahintrabst, an den dichten Gebüschen ent-
lang, im frischen Wind, der den Duft der Erde
und der Lüfte mit sich führt, dann genieße voll-
auf deiner glücklichen Lage, und beneide nicht
unsre Kämpfe in der Arena, inmitten einer ver-
ständnislosen Menge. Aber, wenn du abends in
deiner Ecke am Herd dein Pfeifchen rauchst, dann
denk auch einmal an die Gladiatoren von Paris.
Komposition in der Landschaft
Die Eigenschaft, die wir Komposition nennen,
ist so wesentlich, daß sie. den Vorrang behauptet,
selbst in der Landschaft; durch sie haben die
Meister ihren Werken die Dauer gesichert. Man
fühlt diesen wertvollen Vorzug in den großen Li-
nien Poussins und seiner Schule. Denn die Natur
hat ihre Einheit, ihre Gesamtwirkung, ihre Phy-
siognomie, wie die menschliche Gesellschaft. Wenn
man einen weiten Horizont oder die kleinste Land-
schaft überblickt, so hat man kein festumschrie-
benes Bild vor Augen, sondern die Elemente zu
einem Bilde. Das Talent besteht darin, eine Haupt-
wirkung in dem Beiwerk einzurahmen. Die alte
klassische Schule der Landschaftsmalerei hatte ein
Wort, das sie in Wahrheit keine Meisterwerke hat
hervorbringen lassen, das sie aber mit der Über-
lieferung der großen Schulen verband. Sie sprach
von einer „komponierten" Landschaft. Das ein-
fachste Motiv erhält wirklich seine Bedeutung
durch das Glück der Komposition.
Die Vlamen und Holländer, diese naiven und
bescheidenen Künstler, verdanken ihm auch ihrer-
86 Landschaftsmalerei
seits einen Teil ihrer Vorzüge. Ruisdael war viel-
leicht kein sehr feinsinniger Philosoph, und der
kleine „Busch", der im Louvre ist, macht keinen
Anspruch auf Gedankendarstellung. Es ist ein trau-
riges Häuflein durcheinandergewachsenen Ge-
strüpps und Rankenwerks auf einer kleinen Erd-
schwelle; links dehnt sich die Landschaft auf dem
Grunde eines grauen Himmels aus; rechts führt ein
leuchtender Pfad zu einem Häuschen. Aber dieser
kleine Busch kommt doch wohl nicht durch Zu-
fall auf den Thron aus steinigem Boden mit Moos
darüber, statt des Sammetpolsters mit goldenen
Nägeln? —
Meines Erachtens hat dieser Busch von Ruis-
dael etwas von der melancholischen Statue des
Lorenzo de Medici von Michelangelo, an dem Grab-
mal in Florenz, die man den Penseroso nennt. Der
Krieger ist des Lebens überdrüßig, in sich selber
gekehrt; seine Seiten biegen sich vornüber; sein
Elbogen ruht auf dem Schenkel, und die Hand
stützt das gesenkte Haupt. Der kleine Busch, den
der Sturm zerzaust hat, indem er seine Glieder
peitschte und seine Stirne niederdrückte, ruht auch
von den Umwälzungen der Natur aus. Seine Blät-
ter fallen auf die verödeten Zweige, und er scheint
zu seufzen in seiner Einsamkeit.
Wenn so viel Komposition und Empfindung in
einem kleinen Winkel verwilderten Landes enthal-
ten ist, was ist dann ein Gemälde Rafaels oder
Poussins? Poussin, so zurückhaltend in seinen Bil-
Komposition in der Landschaft 87
dem, so sicher seiner selbst, — mit welcher Aus-
dauer hat er doch seine Kompositionen studiert! Es
gibt ungefähr hundert Entwürfe für eine Darstellung
der Findung Mosis, für drei oder vier Gemälde,
die er ausgeführt. Und welch eigentümliche Zeich-
nungen, mit der Feder oder der Kreide so flüchtig,
so schnell hingeworfen, so unbestimmt, wie die
Malerei ruhig und korrekt ist. Das sind die An-
läufe des Genies, das durch sein Streben nach Voll-
endung gefoltert wird.
Auch die unmittelbarsten Maler haben, ganz
wie die andern, solche Sorgen durchgemacht. Der
„Schiffbruch der Medusa" ragt nicht gerade durch
die Anordnung hervor, die man mit Recht in tau-
senderlei Weise kritisiert hat. Indessen, wie viel
Skizzen hat G^ricault nicht für diese Medusa ge-
macht. Ary Scheffer besaß davon mehr als ein
Dutzend, ganz abgesehen von denen bei Etienne
Arago, Marcille und andern Liebhabern. Eine von
ihnen fand besonders Beachtung, weil sie sehr cha-
rakteristisch und interessant war für das Feuer,
mit dem Gericault arbeitete. Auf dem Rande einer
großen Studie für einen andern Gegenstand findet
sich eine kleine Skizze des Floßes, die der Maler
da aufs Papier geworfen hat, wie ein neues Bild,
das ihm in die Augen sprang.
Und Leopold Robert, wieviel vorbereitende
Studien gibt es für seine Lieblingsbilder! Hat er
nicht zehnmal die Anordnung der Fischer des
Adriameeres verändert ? Herr Marcotte hat die
88 Landschaftsmalerei
wichtigsten Skizzen, in Federzeichnung und in Öl-
farbe. Da sieht man die Wandlung des genialen
Künstlers bis er endlich bei einem Meisterwerk
stehen bleibt.
Es gibt einen Mann, der sich eines europäischen
Rufes erfreut, mit einem Talent ohne wahre Poesie,
ohne Inspiration und ohne Stil, das ist der Ver-
fasser der Jane Grey und all der andern gut auf-
gefaßten wenn nicht gut ausgeführten Dramen, für
die sich das große Publikum in der Ausstellung
so sehr begeistert hat. Welcher Eigenschaft dankt
denn Paul Delaroche diesen doch zum Teil berech-
tigten Erfolg? Der allgemeinen Anordnung des
Gegenstandes, dem geschickten Zusammenstellen
des Bildes.
.Was war die Ursache für den Erfolg Winter-
halters mit seinem Dekameron, Papetys mit seinem
Traum von Glück? Fast ausschließlich die Kom-
position. Unsre jungen Improvisatoren vernach-
lässigen unglücklicherweise diese grundlegende
Eigenschaft des Kunstwerks.
(1844)
1844
Ganz besonders für die Geschichte der Land-
schaft gewährt die Ausstellung dieses Jahres eine
interessante Belehrung. Es gibt vier Generationen
von Landschaftern, die nacheinander den Anspruch
erhoben haben, den frühern Berühmtheiten die
Sonne wegzunehmen. Bidauld, Mitglied des Insti-
tuts, hatte einigen Anlaß, sich Boucher und Wat-
teau überlegen zu glauben, um den ganzen Abstand,
der Napoleon von der Dubarry trennt. Der be-
rühmte Bidauld hatte jedoch auch sein Waterloo
und stieg wie der Kaiser auf den Felsen von St. He-
lena. .Watelet wurde sein Nachfolger; dann Joli-
vard. Aber ach, auch diese erlebten ihre Julirevo-
lution, und der jüngere Zweig der Familie Lapito be-
herrscht heute das Königreich der Natur, während
jene entthronten Monarchen wie Gespenster um ihre
verlassenen iWerke irren. Und die neuen Ge-
schlechter haben nicht einmal ein Bedauern oder
ein Angedenken übrig zum Trost für diese großen
Mißgeschicke.
ooo
Eines Tages, als der Teufel seine Runde
machte, bemerkte er in der Ecke eines Gehölzes
einen jungen Künstler, der nach der Natur ein
yo
Landschaftsmalerei
Stück Landschaft malte. Der Teufel, der gern alles
sieht, lief hin und betrachtete sich die Malerei über
die Schulter des Malers, und da er auch alles zu
sagen liebt, flüsterte er ihm ins Ohr: „Du bist ver-
liebt!" — „Das ist wahr," antwortete der Künstler;
„aber woran siehst Du denn, daß ich verliebt bin?"
— Ohne gerade der Teufel der Hoffmannschen Er-
zählung zu sein, kann man beim Anblick eines Ge-
mäldes, selbst einer Landschaft erraten, welche Ge-
danken den Maler beschäftigen, welche Leiden-
schaften ihn bewegen. Vor vier oder fünf Jahren
hatte Theodor Rousseau das Unglück, seine
vielgeliebte Mutter zu verlieren. Lange Zeit hindurch
waren seine Landschaften von unglaublicher Trau-
rigkeit. Er sah nur die wildesten und verlassensten
Schlupfwinkel von Fontainebleau oder den finstern
Anblick der Auvergne. Ich habe eine Landschaft
aus dieser Periode vor Augen, eine Abend- und
Gewitterstimmung am Rande eines Waldes. Das
fahle kalkige Erdreich ist mit Baumruinen besetzt;
zerrissene Stämme, tote Zweige und trockene Blät-
ter, die der Wind daherfegt, eisenhaltiges Gestein
mit braunen, grauen und bläulichen Tönen wie der
Glanz einer alten verrosteten Rüstung. Die kahlen,
ihrer Krone beraubten Bäume zerfallen in Staub;
kaum haben sie noch einige rote Blätter bewahrt,
wie die Trümmer eines Brandes. Über diesen Bäu-
men ist kein Himmel. Eine schwere, düstere, un-
durchdringliche Atmosphäre lastet auf dieser Kom-
position, die viel Ähnlichkeit mit dem Erlkönig
Salon 1844 <J1
von Schubert hat, ohne daß Rousseau daran ge-
dacht hätte. Man erstickt in diesem Bilde. Keine
Luft, kein Licht. Allein am Horizont, ganz ent-
lang an der Linie, die Himmel und Erde vereint,
liegt ein matter Schein, ein Schub phosphores-
zierender Wolken, die sich gleich den Meereswogen
bewegen, und man erkennt einen kleinen Reiter,
der sich unter den Bäumen verliert. In einen fahl-
braunen Mantel gehüllt, beugt er sich vornüber auf
sein schwarzes Roß und kämpft gegen den Sturm,
sichtlich bestrebt, so schnell wie möglich eine Hütte,
zu erreichen, deren Dach der Lichtschein in der
Ferne erhellt. Es fehlt, um vollständig die Ballade
von Goethe wiederzugeben, nichts, als der Sohn
in den Armen des Reiters und das Gespenst in
der Wolke.
Gewiß ist Rousseau ohne Vergleich der erste
unsrer heutigen Landschaftsmaler. Die höchste
Eigenschaft seiner Malerei ist die seltenste in allen
Künsten, nämlich die poetische Empfindung. Un-
ter den alten Meistern und zwar den ersten jeder
Schule gibt es keinen, der die Natur mehr liebt und
der sie besser versteht. Es gibt keinen, der geistiger
wäre, in dem Sinne, daß er das intimste Leben der
Natur durchdringt, daß er mitzittert in allen ihren
Bewegungen und bei der leisesten Veränderung
ihrer Physiognomie. Ein Liebender teilt nicht inni-
ger die geheimsten Eindrücke seiner Geliebten.
Rousseau erlebt gleichsam alle Erregungen der
Natur. Er liest sozusagen in ihren Augen. Er be-
\)2 LaiidschaftMiKilcn-i
unruhigt sich um die Blässe des Lichtes, um die
Fieberschauer des .Windes, um die Gesundheit der
Baume. Er bebt mit dem Ungewitter und strahlt
mit der Sonne. Niemand weiß so vollkommen den
Charakter der Landschaft auszudrücken; denn er
besitzt die Gabe der Farbe im selben Grade wie die
der Poesie. Dank dieser doppelten Macht hat er
die schwierigsten Ansichten der Natur gemalt,
Sturm und Regen, Frühling und Herbst, Abend und
selbst die Nacht, Sonnenaufgang und -Untergang.
Ein einziger Maler hat einen Sonnenaufgang noch
herrlicher geschildert als Rousseau; das ist George
Sand in der neuen Lelia.
Man muß schon ein Tor sein, um sich ein-
zubilden, daß sich die Landschaft kopieren lasse.
Die schöne Theorie von der Nachahmung der Natur
ist hier noch ohnmächtiger als anderswo. Habt ihr
denn jemals während zwei Stunden nur denselben
Zustand am Himmel und auf dem Lande beharren
sehen? Die Physiognomie der Natur ist unauf-
hörlicher wechselnd als die Physiognomie des Men-
schen. Die Erde in ihrem ewigen Umschwung
nimmt alle Farben und alle Formen an unter der
flüchtigen Liebkosung des Lichtes. Das Glück und
die Fluten sind nicht so wandelbar wie der Sonnen-
schein. Es gibt in der Landschaft überhaupt nur
vorübergehenden Ausdruck und launenhafte Wir-
kungen, die man mittels der Erinnerung des Ge-
sichts und der poetischen Erfindung wiedergeben
kann.
Salon 1844 98
Wer kennt nicht die Geschichte des armen
Del a berge, der im Verfolg einer unausführbaren
Absicht jung gestorben ist. Es war ein Mensch,
der vortrefflich über seine Kunst sprach und mit
einer reichen kraftvollen Malweise begonnen hatte.
Unglücklicherweise setzte er sich in den Kopf, der
Landschafter müsse gewissenhaft die kleinsten Ein-
zelheiten der Natur studieren und wiedergeben.
Sein erster Versuch nach diesem System brachte
ein Schaf und eine alte Frau, peinlich und kleinlich,
geduldig und ängstlich zusammengetragen auf einer
kleinen Leinwand. Obgleich das System töricht war,
erregte doch die Begabung und das Wollen des
Künstlers die Aufmerksamkeit. Aber Delaberge war
mit seiner Leistung kaum zufrieden; er entschloß
sich, mit erneuter Hartnäckigkeit, eine exakte Kopie
eines Stückchens Landschaft zu unternehmen. Er
wählte dazu einen kleinen hübschgewachsenen
Busch gegen eine Mauer gestellt. Damals sagte er
Paris und seinen Freunden Lebewohl, mietete ein
Häuschen neben seinem geliebten Busch und be-
gann sein Werk, das, wie sich bald zeigte, der
Danaidenarbeit glich. Wenn es galt, die allgemei-
nen Umrisse zu entwerfen, so bewegte der Wind
die leichten Zweige und widerstrebte dem starr-
köpfigen Utopisten. Ach, morgens, mittags und
abends ging unser Busch unausgesetzt vom Schatten
ins Licht, von Traurigkeit zum Glanz, von einem
Halbton in den andern über. Kaum hatte der Maler
einen Ton auf seine Leinwand gesetzt, so war auch
94 Landschaftsmalerei
der Ton des Vorbildes schon wieder anders gewor-
den. Ach, jeder Tag brachte schrecklichen Um-
sturz in die kleine Welt, die Delaberge ohne Unter-
laß mit Sorgen betrachtete. Dann war es ein Blatt,
das der grausame Wind von seinem Zweige löste;
dann der Staub der Mauer, der langsam dahin-
schwand und Löcher und Schatten zwischen den
Steinen hinterließ; dann war es ein unbemerkbares
Insekt, das jene Knospe da mit einem Eigensinn be-
nagte, der dem des Malers gleichkam; dann war
es der Zweig, der trieb und länger wuchs, ohne
sich um die Proportionen zu kümmern, die bereits
festgelegt waren. Manchmal fand der Maler auf
seinem Busch eine Draperie, von leuchtendem Silber-
glanz beim Sonnenaufgang: das Gewebe einer ar-
beitsamen Spinne. Die ganze Natur verschwor sich
zur Veränderung. Der Tau, der Wind, der Regen,
die Sonne, alles brachte seinen Mikrokosmos in
Unordnung. Welche Betriebsamkeit ohne Rast,
welche Beweglichkeit, welches Leben ! — Und als
dann der Herbst kam, wie sollte die Malerei fort-
gesetzt werden, die beim Anblick des Sommers be-
gonnen war? Delaberge hüllte sich während des
Winters in seinen Mantel und wartete mit Stoizis-
mus auf die Erneuerung. Aber im folgenden Jahr
glich der kleine Busch nicht mehr dem Busche
aus dem letzten Frühling. Er dauerte noch aus, der
mutige Künstler, drei Jahre lang wie man sagte.
Er hatte schon Ursach zu sterben.
Viele Landschaftsmaler sind noch immer bei
Salon 1844 95
der Theorie von der Nachahmung der Natur. Aber
sie haben, zum Glück für ihre Gesundheit, nicht
die Ausdauer und den Eifer Delaberges. Das
Suchen der Kunst unter diesen falschen Bedingungen
wird gewiß J. Coignct nicht töten, noch die an-
geblichen Realisten sonst, die wenigstens die Mäßi-
gung der Mittelmäßigkeit besitzen. Es ist doch nur
Menschen von gewissem Charakter gegeben, sich
in so ehrgeizige Qualen zu verbeißen. Einige andre
naive und anspruchslose Maler geben die Natur
einfach wieder, wie sie sie sehen, ohne alle höhere
Poesie, aber mit einer Wahrheit, die allen in die
Augen fällt. So einer ist Flers in seinen beschei-
denen Bauernhöfen und fetten Viehweiden aus der
Normandie. Flers ist Flamänder durch diese Eigen-
schaft, aber er besitzt weniger Feinheit als die
flandrischen Meister. Troyon macht gute Malerei,
freimütig und solid; ein Mangel ist nur die Schwer-
fälligkeit. Indes, einige Partien seines ,, Waldes von
Fontainebleau", das Wasser und die Kräuter im
Vordergrund, sind fast des Jules Dupre würdig,
dessen Verfahren und Manier er oft nachfolgt. Die
Landschaft von Charles Leroux „Ansicht aus
dem oberen Poitou" ist sicher gemalt, aber etwas
hart in der Ausführung. Die Bäume entbehren der
Leichtigkeit und die Luft strömt nicht durch ihr Ge-
zweig. Der Hintergrund ist durchsichtiger und ver-
bindet sich gut mit dem Himmel.
Das ist ein schwieriger Punkt in der Land-
schaftsmalerei, Himmel und Erde in Einklang zu
96
Landschaftsmalerei
setzen. Die meisten Landschafter begehen, wie wir
glauben möchten, den Fehler, ihre Arbeit immer
mit dem wirklichen Aufbau des Schauplatzes an-
zufangen, den sie darstellen wollen, und dann erst
zu versuchen, den Himmel mit dem Erdreich und
den Bäumen zusammenzustimmen. Die geschick-
ten Restauratoren alter Bilder wissen, wie schwer
es ist, einen Himmel zu retuschieren, während man
die übrigen Teile des Bildes glücklich wiederher-
stellen kann, wenn nur der Himmel unverletzt ist.
Ebenso ist in einer vom Künstler komponierten
Landschaft, sobald nur der Himmel gemalt ist, auch
das übrige geborgen. Man braucht dann nur das
Gefühl für Harmonie und die Geduld der Arbeit.
Denn die Wirkung, die auf dem Lande ruht, er-
gibt sich stets aus dem Licht des Himmels. Aber
welche Schwierigkeit steckt gerade in diesem Über-
gang von der tiefen, unbestimmten und unendlichen
Atmosphäre zu der wirklichen und ausgeprägten
Form eines Gebildes in freier Luft. Wir haben ge-
sehen, wie Rousseau, dessen Talent eine so wichtige
Belehrung für Künstler darbietet, sich in einem
Dutzend aufeinanderfolgender Bilder abgemüht hat,
die richtige Harmonie dieser Umarmung des Him-
mels und der Erde, der Sonne und der Natur, an
der äußersten Grenze des Horizonts wiederzugeben.
Da ist niemals eine scharfe und bestimmte Schei-
dung vorhanden, als mathematische unwandelbare
Linie gezogen; denn alles Licht verschlingt etwas
die Ränder des Gebildes, das es beleuchtet.
Salon 1844 \)1
Einige Maler haben eine sehr einfache aber
auch radikale Manier ausfindig gemacht, die
Schwierigkeiten des Lichts und der Farbe zu um-
gehen. Sie haben schlankweg die Sonne in ihren
Landschaften unterdrückt. Das Verfahren ist etwas
leichtfertig. Mit der Sonne sind auch Wahrheit und
Bewegung, Reiz und Leben aus ihrer Landschaft
entflohen. Fast die ganze Ingres-Schule ist in der
Landschaft wie in den übrigen Arten der Malerei
zu diesem traurigen Opfer gelangt. PaulFlandrin
gefällt sich seit lange in dieser Dunkelheit. Er hat
Stilgefühl, hier und da eine gewisse Eleganz; aber
Licht, nirgends. Seine Landschaft ist kühnlich
„Grüne Eichen" betitelt, stellt aber nur graue und
platte Eichen dar. Denn das Licht modelliert die
Körper, wie es ihnen die Farbe verleiht. Alle Bil-
der Paul Flandrins sehen einander gleich; denn die
Bäume sind wie die Katzen : bei Nacht sind alle
Bäume grau.
Die Eigenschaft der Farbe ist so wesentlich
in der Malerei, daß man nicht Maler sein kann,
als unter der Bedingung zuerst und vor allen Din-
gen Farbenkünstler zu sein. Keine andre Eigen-
schaft kann diese ersetzen. Entsagt man von vorn-
herein dem Licht, so gibt es kein Mittel mehr, ein
geschickter Praktiker zu werden.
Desgoffe, Achille Benouville und die
andern grauen Büßer dürfen sich ihres Verfahrens
auch nicht höher rühmen. Benouville hatte die
Malerei in fast entgegengesetztem Sinne angefan-
W. Bürger. Kuustkritik. 7
Landschaftsmalerei
gen; die Einsperrung in die Schule zu Rom hat
ihn verdorben. Desgoffe bewies in seinen ersten
Landschaften mehr Kraft und Stil. Sein Narciss,
der sich in einer farblosen Lache beschaut, muß
sich sehr häßlich finden, wenn der Kristall der
Welle klar genug ist, ihm sein Bild zurückzuwerfen.
Aligny gehört auch mittelbar zur Schule der
Trocknen, wie man sie in den Ateliers benennt.
Aber Aligny ist ein fertiger Meister, obwohl er
keine sehr glücklichen Wirkungen erreicht. Die
Fehler, die er hat, bewahrt er freiwillig inmitten
sehr ausgezeichneter Vorzüge. Er hat manchmal
Zeichnungen vom höchsten Stil und von edelster
Eleganz geschaffen. Seine früheren Studien aus
der römischen Campagna mit großen Bäumen und
einigen von der Arbeit heimkommenden Büffeln
bezeugten dieselbe ruhige und poetische Empfin-
dung, die wir im Talent Leopold Roberts bewun-
dern. So hätte gewiß der Maler der venezianischen
Fischer die Natur wiedergegeben, wäre er Land-
schafter gewesen. Aligny sucht vor allem die Größe
in der Einfachheit. Aber er findet in seiner Malerei
meist nur Rauheit und Monotonie. Er sucht noch
den Glanz des Lichts und die Feinheit des Hell-
dunkels. Es ist wahr, daß seine Halbtöne Durch-
sichtigkeit haben; aber das Licht ist zu methodisch
verteilt und hat nicht das bewegliche Glitzern der
Sonne. Seine Palette ist sehr beschränkt; er engt
die unendlichen Hilfsquellen der Farbe auf ein paar
Töne ein, die er freilich recht harmonisch zu ver-
Salon 1844 99
binden weiß. Das beste seiner Gemälde scheint
uns „die Ansicht der Akropolis von Athen", die
von der alten Rednerbühne aus genommen ist. Man
bemerkt auf dem Vordergrund drei Figuren im
Schatten, eine Frau und zwei kleine Kinder.
Die beiden Landschaften von Francais stehen
im Salon in erster Linie mit denen von Marilhat,
Corot, Leleux und Diaz. Vor einigen Jahren trat
Francais zuerst auf, mit einem großen Gemälde,
das „die Hexen des Macbeth" betitelt war. Es war
eine wilde phantastische Natur, die er bei den
Schluchten von Apremont studiert hatte. Die Fi-
guren waren von Baron gemalt, der in dieser Aus-
stellung „eine Episode aus dem Leben Giorgiones"
hat. Francais besitzt viel Erfindungsgabe und Phan-
tasie und wahrhaft poetische Empfindung. Außer
seinen Gemälden hat er mit gutem Erfolg seine
landschaftlichen Kompositionen in einer Fülle von
anmutigen Zeichnungen ausgeschüttet, die für illu-
strierte Bücher bestimmt sind.
Der „Herbst" ist eine melancholische Studie
nach einer Allee des Waldes von Fontainebleau.
Elegante Bäume mit wenigen vergilbten Blättern,
ein perlgrauer Himmel, nacktes Terrain, einige
Kohlenbrenner, die verdorrte Zweige sammeln, das
ist das Bild. Der Charakter des Herbstes ist so gut
gegeben, die Harmonie so richtig, der Pinselstrich
so leicht, daß man sich befriedigt fühlt. Es ist
ein Ganzes, wie es da ist.
100
Laüdbchaftsmalerei
Die andre Landschaft von Francais ist sehr
originell und sehr malerisch. Auf der Höhe des
verstreuten Gehölzes von Meudon sitzen zwei Per-
sonen im Schatten einer Eiche. Francais ist ver-
liebt, das ist ganz sicher. Das junge Weib hält ein
Stück Papier, einen Brief vielleicht, oder eine Skizze
nach der Natur. Der große Bursch ist bei ihr
ausgestreckt und betrachtet sie so faulenzend. Es
ist gut sein unter diesen Bäumen, die keine Sonne
durchlassen bis auf einen goldnen Saum, der über
dem Rasen schwebt. Und dann welch endlose Aus-
sicht durch die Säulen und Arkaden des Ge-
hölzes: die ganze Ebene von Paris, in Licht ge-
badet und im Silberblau des Himmels sich ver-
lierend. Die Stelle ist glücklich gewählt. Diese
heitere, wollüstige Natur voll Behagen und Laune
gleicht der maurischen Kunst. Man könnte sich in
einer Galerie der Alhambra wähnen. Francais, der
Teufel würde wohl erkennen, daß du verliebt bist.
Corot
Corot ist ein Landschaftsmaler, der außer-
halb des Instituts sehr geschätzt wird; ihm ist auch
diesmal noch ein Gemälde abgelehnt worden. Die
drei Landschaften Corots gehören unstreitig zu den
besten der Ausstellung: die „Ansicht aus der Cam-
pagna Roms", die „Zerstörung Sodoms", und die
„Landschaft mit Figuren". Diese letzte ist im Sa-
lon carre. Sie stellt eine Art ländlichen Konzertes
dar inmitten einer harmonischen und schwermütigen
Natur. Einige phantasievoll drapierte Gestalten
machen im Schatten großer geheimnisvoller Bäume
Musik. Die Kompositionen Corots erinnern un-
willkürlich an antike Idyllen. Sein bescheidenes
und einsiedlerisches Talent drängt ihn zu rührender
Träumerei, die sich in seinen Bildern widerspiegelt.
Er hat nie durch das Streben nach pomphaftem
Glanz gesündigt. Seine Figuren machen nicht viel
Aufhebens in seinen ruhigen Landschaften. Der
Gesamteindruck ist immer außerordentlich richtig.
Ein sanftes Licht, wohl abgewogene Halbtöne hüllen
die ganze Komposition ein.
Man darf von ihm nicht die Glut der Sonne
102 Landschaftsmalerei
des Orients verlangen und die tiefen Schatten, die
den Boden zerschneiden; aber der Abendwind streift
sanft die eleganten Zweige seiner Bäume und lieb-
kost die Haare der kleinen Personen darunter. In
seinem ländlichen Konzert glaubt man, der Klang
der Instrumente mische sich ein in die Wellen-
bewegung der Luft. Während eine halb entklei-
kleidete Frau die Saiten eines Violoncells rührt, hört
ein junges Mädchen, auf dem Rasen hingestreckt,
andächtig zu. Einige andre Gestalten sind auf dem
zweiten Plan der Landschaft verstreut : „Fortunatos
nimium agricolas". Glücklicherweise ist keine Ge-
fahr, daß uns die ländliche Poesie Corots der Er-
regung unseres politischen Lebens entrücke; aber
sie ist im Gegensatz zu unserm Zeitgetriebe, wie
einst die Poesie zur Zeit des Augustus, abgesehen
vom Epikureismus des Horaz und dem Alexis Vir-
gils. Die „Zerstörung Sodoms" hat Corot nur zu-
fällig aus seiner friedlichen Sinnesart herausgerissen.
Es ist eine große Unglücksszene, wo Himmel und
Erde durcheinander gewühlt werden. Der Sturm
braust über die aschenfarbene Stadt; die großen
Bäume sind entblättert; Verwüstung breitet sich
über die Natur, und die Familie Loths flieht im
.Vordergrund daher von fahlem Lichtschein ver-
folgt. Die Figuren Corots dürfen nicht allzu nah
betrachtet werden; sie sind mit breiten hastigen
Strichen hingesetzt, die das mikroskopische Detail
der Gesamtwirkung aufopfern. Diese unvollständige
Wiedeigabe hat wenigstens den Vorzug, einen har-
Ad. Lelcux 103
monischcn Zusammenklang und einen packenden
Eindruck zu erzielen. Statt Glieder zu zerlegen, er-
leben wir ein Gefühl.
ooo
Ad. Lelcux
Leleux besitzt auch die Eigenschaft der Har-
monie, die bei unsern Malern so selten vorkommt.
Es kommt nicht durchaus darauf an, daß die
Malerei zum höchsten Ton aufsteige, wenn nur die
Abstufung der Unterschiede richtig ist und im Ein-
klang mit der Dominante. Das Grau beherrscht
ohne Zweifel etwas die Palette Leleux'; es auf-
erlegt ihm das Opfer, auf die höchste Leuchtkraft
der Farben zu verzichten. Aber es ist auch nicht
jedermann gegeben, alle Tonleitern zu durchlaufen,
wie Eugene Delacroix und Theodore Rousseau
es tun.
Die „spanische Posada" von Adolphe Leleux
und einige Landschaften aus der Bretagne hatten
schon einen geschickten Künstler von ausgezeich-
neter Empfindung offenbart. Seine „Cantonniers
navarrais", die in malerischer Gegend lagern, geben
eine gute Vorstellung von diesen "ngezähmten
Menschen und diesem wilden Lande. Es fehlt nur
etwas südlicheres Licht, ein heißerer Himmel.
Leleux hat der Sonne der Bretagne schmeicheln
wollen, die doch auch erröten wird, wenn sie sich
dem wollüstigen Spanien nähert.
104
Landschaftsmalerei.
Marilhat
Marilhat hat einige Bilder ausgestellt, die ein
wenig über die Abwesenheit Decamps' trösten. Nach
dem großen Maler der Türken und Araber ist es
in der Tat Marilhat, der die Natur des Orients
am besten wiedergibt.
Man erinnert sich noch der Zeit, wo Marilhat
von den Ufern des Nils heimkehrte und als Sehens-
würdigkeit, die wohl eine ägyptische Sphinx aufwog,
eine herrliche Ansicht des Platzes „Esbekieh" in
Kairo mitbrachte. Dies eigenartige Rätsel ward
sogleich von den Künstlern verstanden, trotz der
Schwere der Schatten, dem hieroglyphischen Cha-
rakter der Figuren und der Fremdartigkeit der
Landschaft. Marilhat schien seit einigen Jahren
dann seine Eindrücke vergessen zu haben, als Rei-
sender, als Poet und als Maler. Der Himmel des
Abendlandes erstickt seine Farbe und seine Laune.
Auch seine „Ansichten aus der Auvergne" sind nicht
den „Syrischen Arabern auf der Reise" und dem
..Kaffeehaus an einer Straße in Syrien" vergleichbar.
Die kleine Karawane der reisenden Araber zeigt
eine Prozession von Kamelen, Männern und Frauen,
die sich mit sehr ausgeprägtem Profil gegen den
Himmel abheben. Das Erdreich ist kräftig be-
handelt, die Figuren lebensvoll und das Licht. sehr
stark. Das Kaffeehaus an einer Straße in Syrien
besitzt noch größere malerische Vorzüge. Der
Mai il hat L06
Vordergrund liegt im Schatten, einige Kamele
kauern sich nieder; das erinnert an die Episode
mit der Frau am Brunnen im Joseph von Decamps.
Links auf dem zweiten Plan ist ein Mann auf ein
Kamel gestiegen und greift nach dem Zweig eines
Baumes. Inmitten der Szene heben sich einige
Gruppen von den weißen Mauern einer Herberge
ab. Der Kontrast der leuchtenden Luft und der
düstern Halbtöne ist außerordentlich treffend ge-
geben. Und das ist der schwierige Punkt in Bil-
dern mit vollem Sonnenschein.
1845
Den großen Erfolg beim Publikum haben voll-
ständig auf dieser Ausstellung Leute wie Brascassat,
oder wie Calame und Diday, zwei Schweizer Maler,
deren Manier, wie wir hoffen müssen, sich niemals
in Frankreich einbürgern wird, ebensowenig wie die
van Schendels und der andern Belgier oder Hollän-
der und ebensowenig wie die Desgoffes und Paul
Flandrins, die sich in Italien entfranzösiert haben.
Die wahren französischen Landschafter der
zeitgenössischen Schule haben ein viel lebhafteres
Gefühl und einen viel naiveren Sinn für die Natur,
zu gleicher Zeit wie eine minder graue, weniger
trockene und minutiöse Ausführung. Im Salon sind
etwa zwanzig Landschaftsmaler, die ausgezeichnete
kWerke schaffen : Francais, mit einem „Sonnenunter-
gang", sehr poetisch, mit zwei Badenden im Vorder-
grund, und einem „Angler", der sehr glücklich ist
in dieser schönen Gegend dazusitzen. Louis Leroy
hat zwei Ansichten von Fontainebleau und von
Meudon; er hatte schon in seinen schönen Radie-
rungen seine wirkliche Begabung als Landschafter
bewiesen. Corot bringt mehrere Landschaften, ein-
Calame und Diday J07
fach und ruhig wie immer. Troyon eine Ansicht
von Caudebec. Toudouze., Wdry, Lapierre, Legen-
tile, Louis Coignard, Teytaud, Felix Haffner und
manche andern. Einige dieser jungen Maler sind
dem Publikum noch wenig bekannt ; aber wir hoffen,
daß die Kritik dazu beitragen wird, die Bilder
dieser Ausstellung schätzen zu lernen.
OOO
Calame und Diday
Calame hat einen Sturm ausgestellt, Diday
die Folgen eines Sturms in den Alpen. Die Gegen-
stände sind anspruchsvoll und schwierig. Nichts
als das: die großen Alpen mit ihren zum Himmel
reichenden Tannen, mit den Wasserfällen und La-
winen, mit den Wolken und dem Wind und allen
Schrecken des Unwetters. Das kalte und saubere
Talent Didays genügt höchstens, ein kleines Bauern-
häuschen auf friedlichem Hügel zu malen. Sein
Sturm in den Alpen flößt keinen Schrecken ein.
Rechts, einige Tannen von halber Armlänge, die
Trümmer einer Hütte auf kleinen trübgrauen Kie-
seln; links ein entfesselter Strom, dessen baum-
wollene Fluten in einem Champagnerglas Platz
hätten, und über dem Ganzen die Spitzen der Al-
pen, die wie kleine Kandiszuckerfelsen aussehen
oder wie die glasig grünblauen Kristallblöcke im
Schaufenster einer Apotheke. Der Himmel hat ein
lÜH Landschaftsmalerei
lymphatisches Temperament und einen schmutzig
weißen Ton ohne Tiefe. Ein gewöhnlicher Mensch
könnte die Felsen des Vordergrunds in seine Tasche
stecken, könnte durch den Strom schreiten ohne
sein Haar zu benetzen und sich oben auf die Berge
setzen wie auf den Sattel eines Gauls.
Die französische Regierung hat Diday neuer-
dings zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.
Calames erste Bilder haben vor einigen Jah-
ren viel Erfolg gehabt, ohne Zweifel wegen der Ge-
genstände, die sie darstellten. Calame ist Schüler
Didays und hat sich von der Manier seines Lehrers
nicht entfernt. Er hat nicht mehr Größe und Poesie
angesichts der prachtvollen Ansichten seines Lan-
des. Rousseau hat den Charakter der Natur in der
Schweiz viel besser begriffen und ausgeprägt, als
er „den Abstieg der Kühe in einer Schlucht" dort
malte. Calame ist nicht stark in den Himmeln und
infolgedessen auch nicht im Lichte.
Nun gibt es aber keine Landschaft ohne Him-
mel. Die eigentümliche Beschaffenheit des Himmels
gibt allen Darstellungen der Natur gerade ihren
Wert und die Betonung. Die Himmel Calames sind
immer grau und flach ohne Strahlung. Das Licht
und die Wärme können sich also nicht über die un-
fruchtbare und unbelebte Natur ergießen. In Er-
mangelung des Schattens und des Lichtes wendet
Calame immer einförmig eine Art Dämmerungston
von neutralem Grau an, der überall derselbe bleibt.
Seine Palette hat nur zwei Töne, die sich ärmlich
i .llamc uuil Diday 10!(
genug verbinden, ein dürftiges Grün und ein böses
Grau.
Sein „Sturmbild44 ist wie all seine früheren Bil-
der ausgeführt und läßt uns glauben, daß Calame
bestimmt ist, immer in derselben Weise zu malen,
obwohl er einige Zeichnungen veröffentlicht hat,
die viel besser waren als seine Bilder. Was Calame
vor allen Dingen fehlt, ist eine angeborene Gabe,
die man nicht erwerben kann : der Farbensinn. Die
Komposition läßt sich ja verbessern, die Zeichnung
studieren, selbst das poetische Gefühl durch die An-
schauung der Natur und den Verkehr mit großen
Künstlern entwickeln; aber Erziehung und Wille
sind ohnmächtig, das Gefühl für die Harmonie der
Farben oder für die musikalische Harmonie zu ver-
leihen. Der Kolorist wird geboren wie der Musiker,
der Poet von Gottes Gnaden, und dies Königtum
von göttlichem Recht fällt nur wenigen Auserlese-
nen zu.
Die Bäume Calames, die sich wie Rosensträuche
beugen, rechts in seiner Komposition, haben das
nämliche harte und monotone Grün, wie die Kräuter
unten am Boden. Man könnte mit diesen Gräsern
Baumzweige herstellen oder Rasen aus seinen Baum-
zweigen, so wenig Verschiedenheit besteht in der
Ausführung dieser verschiedenartigen Dinge. Der
Himmel ist schwarz und birgt seinen Blitz. Indes
hat die Landschaft einige Traurigkeit im Sinne des
Eindrucks, den der Maler wiedergeben will.
Ein Kritiker schrieb neulich : „Es gibt keine
HO Landschaftsmalerei
schlechten Schulen, es gibt nur schlechte Künstler.''
Wenn dem wirklich so ist, so sind doch gewisse
Systeme gefährlich zu befolgen und können die
besten Maler zunichte machen; in diesem Sinne sind
die falschen Methoden verderblich. Es ist freilich
wahr, daß inmitten der traurigsten Schulen, Künst-
ler von Rasse immer ihre Originalität durch Ab-
weichungen bewahrt haben, die eben die Kritik der
aufgenötigten Routine um sie her enthielten. Gros
ist ein vortrefflicher Maler gewesen, obgleich er zu
einer abscheulichen Schule gehörte. Ingres ist ein
großer Künstler, obgleich sein System von Grund
aus verkehrt ist. Brascassat, Calame und Diday
ihrerseits gehen zunächst von einem Prinzip aus,
das sie irreführt : indem sie sich vornehmen, alle
Einzelheiten wiederzugeben, kommen sie unvermeid-
lich dahin die Gesamtheit zu opfern, die allgemeine
Wirkung des Ganzen preiszugeben, weil sie an einer
kleinlichen Wirklichkeitstreue kleben. Ihre Schule
ist schlecht von Anfang an, und unglücklicherweise
sind sie auch „ falsche gute Maler" wie Diderot
sagte.
ooo
Man könnte die heutigen Landschaftsmaler in
drei wohlunterschiedene Gruppen teilen.
Da sind zunächst die Maler der Phantasie, die
die Natur mit ihrer eigenen poetischen Empfindung
ansehen, ohne sich um Schule und Manier zu küm-
mern, und die deren Wirkungen in eigentümlicher
s.ilon 1845 111
Form ausdrücken, an der man jeden einzelnen von
vornherein erkennt. So sind Thöodore Rousseau, De-
camps, Jules DupnS, Marilhat Meister, die niemand
kopieren, weder aus der Gegenwart noch aus der
Vergangenheit, und die nur von ihrer eigenen Ein-
gebung abhängen.
Dann findet man eine Art dunkles Anhängsel
der Schule Gaspar Dughets, deren Anspruch dahin
geht, die Natur nach einem überlegten Verfahren
zu komponieren, indem sie hier und da einige
monotone Massen gegen einen trüben Himmel
setzen, die Linien wie einfache Geometer auf
der Suche nach einem wissenschaftlichen Problem
verschieben. Das ist nicht das Mittel, um die
Aufgabe der Poesie, der schönen Bilder und der
Farbe zu lösen. Die Kunst verfährt denn doch an-
ders als die Wissenschaft, und ihr wesentlicher Cha-
rakter besteht in der Ursprünglichkeit. Die Re-
flexion ist in den Künsten nur das zweite Gesicht,
das den freien unmittelbaren Eindruck vervoll-
ständigt, ihn aber keineswegs allein zu ersetzen
vermöchte.
Drittens gibt es noch eine Menge von Land-
schaftern, die sich mit „Gemeinplätzen" begnügt.
Der Ausdruck paßt hier vortrefflich und ohne Über-
tragung. Die allbekannten und oft betretenen Plätze,
der ganz gewöhnliche Anblick ganz gewöhnlich ge-
malt, das genügt der überwiegenden Mehrzahl der
Landschafter. Sie sehen in der Natur, was alle All-
tagsmenschen darin sehen: Bäume, Hügel, Flüsse,
1 L2 LancUchaftimalerei
Kräuter und Steine; aber sie erfassen niemals die
tiefen Unterschiede des Temperaments in allen die-
sen Wesen, die ein individuelles Leben durchdringt
und deren bewegliche Physiognomie je nach der
Tageszeit und nach dem Sonnenstand aufleuchtet.
So bringen ja die oberflächlichen Porträtmaler
auch regelmäßig in jedem Gesicht eine Nase, ein
Paar Augen und das übrige an, ohne den unter-
scheidenden Charakter der Züge und die grund-
legende Einheit der Physiognomie wiederzugeben.
Die Natur ist wie ein Mensch: sie hat ihre Sorgen
und ihre Leidenschaften, ihre Torheiten und ihren
Kummer, ihre Erregung und ihre Heiterkeit. Die
poetischen Seelen haben Verkehr mit diesem ge-
heimnisvollen Leben, das uns alle umgibt und un-
aufhörlich beeinflußt. Die großen Künstler sind
diejenigen, die jene Tonstellen zu treffen wissen.
Die Kunst und die Kritik haben nichts mit der
gleichgültigen Malerei jener Handwerker zu schaf-
fen, denen jeder Fortschritt durch das Schicksal
versagt ward. Es kommt nicht darauf an, ob ihre
Ausführung mehr oder minder geschickt ist. Alle
Welt kann Wörter in Reihen zu zwölf Silben
aneinanderhängen, mit einem Reim am Ende als
Korporal; aber damit ist man noch kein Dichter.
Man wird auch kein Komponist, wenn man eine
Reihe mit Noten zusammenbringt. Es bedarf der
Harmonie, wie in den Versen der Bedeutung, und
noch viel andrer Eigenschaften, die man mit einem
Namen — Kunst — begreift. Die Gemeinplätze in
Salon 1845 I L8
der Landschaft sind noch viel bedeutungsloser als
in der Musik und in der Literatur.
Daß die Maler von solcher Nichtigkeit noch
nützlich seien, wie man sagt, um den Geschmack für
die Malerei wenigstens bei den ungebildeten Or-
ganisationen zu erwecken, denen es nicht gegeben
ward, die Schönheit der Natur selbst auf einmal
und ohne Erziehung dazu zu begreifen, das ist doch
sehr bestreitbar. Die Poesie des Himmels und der
Erde ist so strahlend und eindringlich, daß sie
manchmal ganz plötzlich Geister erleuchtet, die
sonst noch völlig unberührt von jedem Eindruck
blieben. Die Landschaftsmalerei ist übrigens viel
weniger konventionell als die Porträtmalerei und
die Historie. Man denke nur an das Erlebnis jenes
Malers, den ein gewisser Herr Jourdain für die Auf-
gabe erwählt hatte, sein Bildnis nach dem Leben
darzustellen. Er machte einen guten Kopf, ordent-
lich modelliert mit Lichtern und Schatten. Als aber
Herr Jourdain, ermüdet von der langen Sitzung, auf-
stand, um sich das Bild anzusehen, schrie er laut
auf und sagte, die ganze eine Seite seines Gesichts
sei ja beschmutzt, und seine Haut sei doch auf der
einen Seite so weiß wie auf der andern, sein blaues
Kostüm sei auch ganz nagelneu und aus einerlei Tuch
gemacht, dort aber sei es ganz willkürlich befleckt.
Wer war überrascht ? Der Maler gewiß. Indessen,
da das Urbild darauf bestand, seine ganze weiße
Hautfarbe und sein hartblaues Gewand unverküm-
mert zu erhalten, weil er für sein Geld bedient sein
W. Bürger. Kunstkritik. 8
1 U Landschaftsmalerei
wolle, wie es ihm gefalle, so nahm der Maler seine
Palette wieder zur Hand. Als er die Halbtöne mit
gleichem hellen Ton bedeckt, und recht ebenmäßig
flach hergestellt hatte, erklärte Herr Jourdain sich
für wohlgetroffen und nahm sein Porträt mit, ganz
glücklich, dies herrliche Abbild seiner selbst auf
die Nachwelt zu vererben.
Die Abstufung des Lichtes und die Harmonie
des Helldunkels, der Kontrast der Schatten, die
alle Modellierung der Körper hervorbringen und
alle Wirkungen konzentrieren, setzen gar manchen
Maler in Verlegenheit. Und die Menge ihrerseits
bevorzugt die gleichmäßig hellen Gemälde, wie die
Smala von Horace Vernet. Mit mehr Kühnheit der
Lichtführung nnd mehr Kraft in der Wirkung würde
Vernet gewiß viel weniger Erfolg erzielen.
In der Landschaft aber kommt es vor allen
Dingen auf das Gefühl für Lichtwerte oder, anders
ausgedrückt, für die Farbe an. Die Dämmerungs-
maler aus der Ingres-Schule haben höchstens einen
Zeitpunkt im Tageslauf, wo die Natur einigermaßen
ihren Gemälden nahe kommen kann: des Abends,
wenn die Sonne untergegangen ist, bei bedecktem
grauem Himmel. Ich habe diesen flüchtigen Zu-
fall zuweilen erhascht, währenddessen alle Dinge
den selben Wert zu haben scheinen, obwohl man
sie noch mit Sicherheit unterscheiden kann. Die
Bäume, die Glockentürme, die Häuser, die. mensch-
lichen Personen, alles zeichnet seine unbewegliche
Silhouette gegen den eintönigen Grund; aber man
S.ilon 1845 U5
muß das Relief, die Verhältnisse und die Perspek-
tive hinzudenken; die lebendige Wirklichkeit geht
unter einem traurigen Schleier verloren.
Nehmen wir einmal an, in jener Übergangs-
jahreszeit, wo die Natur nicht mehr den winter-
lichen Charakter bewahrt, aber den frühlingsmäßi-
gen noch nicht angenommen hat, betrachteten wir
die Landschaft in eintönigem düsterm Wetter: die
Erde ohne Grün und kalt, die Bäume kahl, der Him-
mel ohne Wandel. Dann fiele durch einen Zauber
plötzlich der Schmuck des Frühlings über die Erde,
mit vollem Überfluß an Sonnenschein: alles be-
kommt Farbe, belebt und erheitert sich, leuchtet
und strahlt. Das ist der Unterschied der Land-
schaften von Paul Flandrin, Desgoffe, Achille Be-
nouville, Chevandier und andern gegenüber den
Landschaften von Rousseau, Dupre und Marilhat.
Dies Verfahren in der Ingres-Schule ist bis zu
einem gewissen Grade begreiflich für die Malerei
historischer oder familiärer Gegenstände; aber nicht
für die Landschaft. Wenn man irgend einen Vor-
gang malt, dann verfügt man über seine Erfindung
und seine Personen. Man hat das Recht, für die
Handlung auch einen mehr oder minder freigewähl-
ten Schauplatz, eine Operndekoration, einen Phan-
tasierahmen zu schaffen, der auch das Innerste der
Komposition mit abwandelt. Rembrandt dagegen,
hat er nicht so seltsame Beleuchtungsweisen, daß
sie vielleicht unmöglich scheinen, aber sicher sehr
poetisch wirken? In der Landschaft aber können
11»'» Landschaftsmalerei
die Bedingungen des Sonnenlichts nicht ganz nach
Belieben umgestaltet werden. Wenn man keine
Figur in vollem Licht zu malen versteht, so kann
man versuchen, sie in eine Höhle einzuschließen
und eine Lampe dabei anzünden; aber draußen auf
dem Lande kann man das Licht der Sonne nicht
auslöschen und Kerzenlicht an die Stelle setzen.
In diesen Tagen wurde mir in Belgien eine
kleine Geschichte erzählt, die ganz einfach, aber
für diese Frage nach dem Licht in der Malerei sehr
lehrreich ist. — Um 1825 lebte im Haag eine arme
mit Kindern beladene Frau. Ihr Nachbar, der Gla-
ser, nahm einen der kleinen Buben in seine Werk-
statt. Aber der kleine Peter lernte gar nichts. Er
zerbrach die Scheiben und brachte seinen Meister
schier zur Verzweiflung. Wenn er dem Burschen
irgend einen alten angemalten Stich zum Einrahmen
gab, den „ewigen Juden" oder den „verlorenen
Sohn", so konnte Peter kein Ende finden, um desto
länger seinen Schatz vor Augen zu haben, und der
ewige Jude irrte bald auf allen Wänden der Werk-
statt und allen Mauern der Nachbargassen herum.
— Die Klagen des Glasermeisters zogen endlich die
Aufmerksamkeit seiner Kunden auf den jungen Ar-
beiter. Es wurden ihm Stiche geliehen, um sein
Talent auf die Probe zu stellen, und ein reicher
Buchhändler, der die Künste beschützte, schickte
ihn auf die Akademie nach Antwerpen, wo er auch
einen Preis für Figurenzeichnen errang. Piet war
Maler geworden, und seine Porträts wurden ge-
Salon 1845 117
schätzt; aber in seiner Malerei war ein radikaler
und unverbesserlicher Fehler. Piet sah gelb und
malte ohne Unterschied gelb, was auch die Farbe
seines Vorbilds sein mochte. Man denke sich die
Gelbsucht statt der gesunden Röte auf den derben
Gesichtern der Vlamen. Und ebenso unbarmherzig
wurden die frischen jungen Mädchen mit Eigelb an-
geschmiert. Die Okerfarbe ward sein Unglück.
Aber wir werden sehen, die Okerfarbe ward auch
seine Rettung.
Eines Abends war er mit seiner Geliebten im
Atelier; sie arbeitete beim rötlichen Schein einer
schlechten Lampe am Nähtisch, er lag ausgestreckt
auf einer Pritsche und rauchte seine Pfeife. Da er-
hob er sich plötzlich, wie von einem Geist besessen.
Er hatte in der Wirklichkeit die Farbe und die Licht-
wirkung geschaut, die er unbewußt bei allen seinen
Malereien anwandte, und machte sich mit Zuver-
sicht an die Arbeit. Er malte sein kleines Interieur
„die Frau bei der Lampe". Am nächsten Morgen
erregte sein Lichteffekt Verwunderung, und sein
Erfolg war gesichert. Die Sonne hatte ihn bis da-
hin gestört; c: setzte eine Lampe an ihre Stelle.
Heute gilt Piet van Schendel als guter holländi-
scher Maler, und seine Bilder werden teuer bezahlt.
Es ist leichter, eine Lampe in der Stube zu malen,
als die Sonne, die überall ist. Das Tageslicht be-
sitzt eine durchdringende Lebenskraft, die alle Kör-
per umfließt und bis in die verborgensten Winkel
reicht. Es gibt nur ein Element, das allen Arten der
11* l..iudschaftsmalerei
Malerei gemeinsam ist und das zu gleicher Zeit be-
sonders die Landschaft beherrscht, das ist das Licht.
Wie sollte man also das System Desgoffes oder
Flandrins gutheißen, mögen sie auch sonst noch so
achtenswerte Vorzüge besitzen.
Unglücklicherweise sind in diesem Salon keine
Bilder unsrer ersten Landschaftsmaler vorhanden,
die wir ihnen gegenüberstellen könnten. Die Mei-
ster fehlen diesmal. Aber man findet doch einiger-
maßen ihresgleichen in einigen ausgezeichneten Ta-
lenten und ihren Einfluß bei einer großen Zahl
junger Maler, die Gefühl für die Natur und treff-
liche Praxis besitzen.
Francais sucht wie Rousseau die Poesie der
Effekte. Seine Landschaft, „der Abend" genannt,
ist ein reizendes Nest am Rand einer Quelle, un-
ter dem geheimnisvollen Schatten der Weiden und
Gebüsche. In dem ovalen Raum, wie eine Wiege,
sind zwei junge Mädchen, sichtlich beglückt auf
der Welt zu sein. Die eine, halb nackt, berührt mit
ihrem kleinen Fuß das klare ruhige Wasser, die
andre, mit Blumen bekränzt und in weite Draperie
gehüllt, liegt ausgestreckt auf dem Rasen. Die
untergehende Sonne sendet ihre Strahlen in Orange
und Violett durch den Weidenhag. Die Gegend
ist bezaubernd. Francais liebt keine Gemeinplätze.
Er weiß die rechte Stelle zu finden, wie wir ge-
legentlich von Delacroix sagen konnten, er wisse
den rechten Augenblick zu wählen.
Das Gegenstück zu dieser Abendstimmung ist
OD 1845 II''
eine Landschaft in vollem Licht : ,, Ansicht von
Bougival", an der Seine, die fast die ganze Bild-
fläche einnimmt. Da bleibt in dem Bilde von Fran-
cais nichts übrig, als in den Nachen zu steigen
und sich treiben zu lassen, den Fluß entlang, bei
den Fischern vorbei, die im Weidengebüsch stecken,
bei schwimmenden Wasserlilien und den kleinen
waghalsigen Booten. Die Aussicht ist herrlich und
erquickend von unserm Schifflein. Wir haben fri-
sches Laubwerk am Rande und als Hintergrund, wie
ein Amphitheater, den Kranz bläulicher Hügel.
Troyon hat auch eine ausgezeichnete Land-
schaft geliefert, wo man im Vordergrund ebenso ins
Wasser gerät. Aber es genügt, sich ein bißchen auf-
zuschürzen, und man wird nur bis zu den Knöcheln
naß in den fröhlichen kleinen Wellen des plät-
schernden Baches, wo ein stehender Mann mit der
Angel fischt. Das Bächlein geht vor uns in die Tiefe
hinein. Etwas nach rechts verliert es sich im hellen
Gelände. Links verraten entblätterte Eichen schon
die Nachbarschaft des Waldes von Fontainebleau.
Die Ausführung der vorderen Gründe ist von einer
Kraft und einem Glanz, die prachtvoll wirken. Die
Stämme der Eichen sind stark, mit vieldurchfurch-
ter Rinde. Aber diese Energie des Pinsels, diese
Fülle des pastosen Auftrags, die für feste und nahe
Gegenstände sich so wunderbar ausnehmen, sind
für die Ausführung des oberen Teils im Bilde, des
Blattwerks, der Fernen und des Himmels nicht mehr
geeignet. Der Fehler Troyons ist die Anwendung
1 ft i Landschaftsmalerei
des gleichen Verfahrens, ob er eine kleine flockige
Wolke oder zarte bewegliche Blätter, oder ob er
Steine und Erdreich zu malen hat. Hier unten
gibt das Impasto einen erforderlichen Grad von
Festigkeit, dort in der Luft und in der Ferne wird
es Schwere und Unbeweglichkeit. Hätte die höhere
Region der Landschaft mehr Leichtigkeit und
Durchsichtigkeit, so wäre dies Gemälde von Troyon
vielleicht die beste Landschaft im Salon.
Die „Ansicht von Caudebec" ist minder glück-
lich und läßt so recht die Mängel dieser über-
kräftigen Ausführung erkennen, die der Weichheit
und Mannigfaltigkeit entbehrt. Das Licht ist hier
auf alle vorspringenden Teile der Gegenstände ver-
streut, wie es Giroux ehedem tat, und das Auge,
das an allen Ecken und Enden gereizt wird, weiß
nicht, wo es ausruhen soll.
Louis Leroy hat sich auch wie Troyon von
dem Machwerk des Impasto verleiten lassen, das
bei allen Schwierigkeiten der Ausführung ohne
Maß verwendet wird. In seinem „Reitweg nach
dem Teich von Trivaux hinunter im Gehölz von
Meudon" schweift der Blick über mehrere Etagen
von Unterholz, das sich vortrefflich modelliert und
sanft in einem Halbschatten verliert, um sich dann
inleuchtenden Enden zu erheben, abermals nieder-
zugehen und endlich mit dem Horizont zu ver-
schmelzen. Diese Straße, endlos wie der Weg zum
Paradiese, bald hügelig, schroff aufsteigend, bald
abschüssig wie ein Abhang, ist eine Kraftprobe,
Salon 1845 121
so ganz von vorn gesehen und unentwegt gerade
verlaufend. Es handelte sich darum, zwei Meilen
Band zu malen in der Länge des Zeigefingers. Da
hat nun Lcroy etwas unpassend sein Impasto ver-
schwendet, besonders um den Glanz der Lichter
herauszubringen. Es ist starke Betonung nötig, also
schnell ein Pack Farbe drauf. Die Richtigkeit eines
schönen Tons würde dazu hingereicht haben; aber
leichtes und schnelles Verfahren hat wohl seine
Verlockung. Unsre Maler sind heute im allgemeinen
so geschickt, daß sie noch dahin kommen werden,
die einfachsten und natürlichsten Mittel durch die
verzwacktesten zu ersetzen. Der leichte Farben-
auftrag, der kaum die Leinwand oder die Tafel
deckt und feine durchsichtige Töne gibt, ist von
der zeitgenössischen Schule fast ganz verlassen, wäh-
rend er die Grundlage der Praxis bei den alten
holländischen und vlämischen Meistern ausmachte.
In den Gemälden Rembrandts, Pieter de Hoochs,
der Cuyp, Ostade, Brouwer, Craesbecke und Te-
niers bieten drei Viertel des Ganzen oft nur einen
flüchtigen Anstrich, von dem sich die Personen und
die Hauptgegenstände abheben; da weht denn auch
Luft überall in diesen feinen Malereien, und die
technischen Maßnahmen der Ausführung sind der-
art verdeckt, daß sie noch heute für die scharf-
sichtigsten Praktiker ein Geheimnis bleiben.
Die zweite Landschaft von Louis Leroy stellt
den „Lärchentannenweg im Walde von Fontaine-
bleau" dar. Die allgemeine Färbung ist hier etwas
Landschaftsmalerei
allzu gelb, aber die Zeichnung entbehrt nicht der
Eleganz. Leroy hat schon sehr ausgezeichnete Ra
dierungen herausgegeben.
Paul Huet, dem zwei Bilder abgelehnt sind,
als ob er nicht ein hervorragender Künstler wäre,
der gewissermaßen durch fünfzehn bis zwanzig Jahre
gewissenhafter Studien und unausgesetzten Strebens
geweiht dasteht, Paul Huet hat nur eine Landschaft
im Salon. Es ist ein „altes Schloß auf Felsen".
Die Gegend ist melancholisch und sehr malerisch.
Das Gerippe der Ruinen mit ihren offenen Löchern
zeichnet sich gegen den Himmel, und die Seiten des
Berges mit rötlichem Gestrüpp sind in geheimnis-
volle Schatten gehüllt. Paul Huet hat oft Großheit
und Poesie gefunden.
Ein andrer junger Maler wird auch von den
großen poesievollen Ansichten der Natur gefangen
genommen: Teytaud hat eine große Leinwand
ausgestellt, die mit einer Phantasielandschaft ge-
schmückt ist, mit dem Titel ,, Idylle". Er hat sich
an den schönen Versen Andre" Ch£niers begeistert :
„O coteaux d'Erymanthe! o vallons! 6 bocage!
„O vent sonore et frais qui troublait le feuillage,
„Et faisait fremir l'onde, et sur leur jeune sein
„Agitait les replis de leur robc de lin."
Die „Idylle" Teytauds hat Frische und Eleganz
und verrät ein lebhaftes Verlangen nach Schönheit ;
aber der Rahmen ist zu groß und die Komposition
zu leer. Die Erfahrung wird ihn lehren, daß man
Salon 1845 1-:''
die nämlichen Vorzüge in beschränkterem Raum
entfalten kann.
Corot hat auch seine gewohnten Idyllen ge-
dichtet, eine „Daphnis und Chloe" und zwei andre
Landschaften. Es ist eine naive und harmonische
Malerei in einer sehr schwachen Tonleiter. Die
Anordnung der Bäume hat oft viel Anmut, und ein
sanftes Licht badet die Gründe.
Flers hat zwei Landschaften ausgestellt, die
saftig, solid, und reichlich gefüllt sind. Das Land
ist bei Flers immer gesund und fruchtbar. Wir
können über die Ernte und den Weidestand be-
ruhigt sein. Die Bauern und die Herden werden
nichts entbehren.
Ein junger Maler, der zuerst auftritt, Haffner
ist der Autor zweier Landschaften, die starke Vor-
züge aufweisen. Die „deutsche Brauerei" aus der
Umgebung von München, erinnert etwas an Diaz,
und seine „Sümpfe bei Dax" können den besten
Landschaften des Salons beigezählt werden. Es
ist Abend ; die schweren Töne der untergegangenen
Sonne leuchten noch in rötlichen Streifen am Hori-
zont; die Feldarbeiter kommen mit ihren heubela-
denen, von kräftigen Ochsen gezogenen Wagen
heim. Die Umrisse verlieren sich schon im Schat-
ten ; aber diese Gruppe von Figuren um den Wagen
ist von außerordentlich richtiger und malerischer
Wirkung.
Coignard hat sich dem Einfluß von Diaz
auch nicht entziehen können. Seine „Kühe in einem
1-1 Landschaftsmalerei
Walde" sind eine Reminiszenz an die schöne Land
schaft der „Zigeuner". Die Farbe ist fein, glänzend
und geistreich. Die kleinen Kühe schimmern in-
mitten der Bäume und Gesträuche. Coignard sollte
sich nun jedoch von Nachahmung eines andern frei-
machen.
Das „Weideland in Camargue" von Loubon
scheint nach der Natur gemalt. Das Unwetter droht
am Himmel, und die hohen Gräser schwanken unter
dem Winde wie Wogen des Meeres. Eine Kuhherde,
die bis an die Schnauzen in diese üppigen Wiesen-
gründe hinein taucht, gerät beim Herannahen des
Sturmes in Unruhe. Die einen erheben erstaunt ihren
Kopf, den die Vögel im Flug mit ihren Schwingen
streifen. Die andern brüllen vor sich hin oder kauen
traurig weiter. Einige bleiben noch gleichgültig
beim Mahl der zarten Kräuter; das Haupt in dem
dichten Futter vergraben, lassen sie nur die Höhe
ihrer langen Rücken sehen, die sich wie kleine
Barken zwischen den Wogen abzeichnen. Es be-
glückt, einen so originellen Anblick in der Malerei
genießen zu können.
Dann ist noch eine ganze Schar junger Maler
da, die Landschaften in recht guter Stimmung
malen, deren Bilder wir jedoch nicht alle be-
schreiben können, wie Curzon, Gr£sy, Achard, La-
pierre, Lavieille, Toudouze, Brissot, Bellel usw. Wir
werden ihnen gewiß in den nächsten Salons wieder
begegnen.
Salon 1845 1-,)
Unter den weiblichen Malern widmen sich nur
dreizehn — die Zahl ist bös — der Landschaft.
Erwähnenswert ist besonders Rosa Bonheu r,
deren Stiere auf der Weide besser sind als die von
Brascassat. Sonst lieben die malenden Damen die
Landschaft noch weniger als die kleinen empfind-
samen Genreszenen, als Blumen oder auch Bildnisse.
1846
Unsere Landschafterschule liebt seit einigen
Jahren das poetische Bestreben. Es gibt drei oder
vier junge Maler, die so viel wert sind wie die alten
Meister, und die sogar ganz neue Elemente in ihre
Kunst hineingetragen haben, wie die Mannigfaltig-
keit des Tones, die von den Holländern niemals
gesucht wurde. Ruisdael ist unveränderlich grün;
Huysmans von Mecheln ist braun; van Goyen ist
grau: jeder hat seine Dominante, aus der kaum et-
was entlegenere Nuancen hervortreten. Das ist Har-
monie, ohne Zweifel; aber etwas monotone Har-
monie. Wie groß auch die Überlegenheit der alten
Meister sein mag, gewiß kann die Malerei auf dieser
Seite noch gewinnen. Das hat unsre neue Schule
unternommen, und bis zu einem gewissen Grad er-
reicht bei einem oder zwei der geschicktesten.
Frang ais kommt in ihrem Gefolge, vorwie-
gend wie sie mit der ländlichen Poesie und dem
Reichtum des Ausdrucks beschäftigt. Seine kleine
Landschaft, die Meissonier illustriert hat, erntet
großen Beifall im Salon carre. Sie ist für 1500 Francs
an einen Liebhaber verkauft, der noch nicht genannt
wird. Es ist eine der eigenartigsten Seltenheiten
Salon 1846 127
in der heutigen Malerei. Die Figuren Meissoniers
sind so fein, so geistreich, daß sie das Blattwerk
der Bäume von Frangais etwas schwer erscheinen
lassen, obgleich die Ausfürung der Landschaft sehr
zart ist.
Die „untergehende Sonne" rötet den Hinter-
grund einer entzückenden Landschaft, die von einem
Fluß bewässert wird. Ein Fischer sitzt daran. Jeder
Fluß bringt einen Fischer oder eine Badende mit
sich. Der Himmel ist mit Wolken von eigenartiger
Form und rubinroter Glut bestreut. Die Wirkung
ist hochpoetisch.
In seiner dritten Landschaft, die „Nymphen"
betitelt, fühlt man etwas zu sehr die studierte Kom-
position durch. Wir wollen doch nicht in die hi-
storische Landschaft nach Art von Remond oder
Bidauld zurückfallen, die die Natur für irgendeine
mythologische Szene zurechtmachen, indem sie
Niobe oder Diana zwischen Bäumen und Boden
verschwimmen lassen.
Frangais veröffentlicht in diesem Augenblick
zugleich, im Verein mit Charles de Tournemine, ein
reizendes Album unter dem Titel „les Artistes con-
temporains". Die erste Lieferung enthält vier aus-
gezeichnete Lithographien nach Decamps, Maril-
hat, Roqueplan und Jules Dupre*. Die zweite soll
Rousseau, Cabat, Decamps und Francais selbst um-
fassen. In den folgenden Lieferungen kommen
dann Eugene Delacroix, Bonington, Diaz, Vidal,
Raffet, Gavarni, Dauzats, Isabey usw. Die Auswahl
Landschaftsmalerei
ist vorzüglich, und solch ein Album wird ohne
Zweifel sehr willkommen sein, sowohl für die Salon-
tische, wie für die Mappen der Sammler.
Cabat, den wir so sehr lieben, erscheint auch
wieder im Salon. Aber ach I er hat seinen Aufent-
halt in den Schatten eines ausländischen Klosters
beibehalten. Man sollte ihm doch eine Wohnung
in den Ateliers des Instituts anbieten. Italien wird
verhängnisvoll für die naive und aufrichtige Be-
gabung Cabats. Er täte besser daran, auf einem
Bauernhof der Normandie zu wohnen als in einem
Kloster. Es ist merkwürdig: für die Mehrzahl der
Künstler, die sich im Süden einleben, verschleiert
sich die Sonne. Wenn Italien ihren Geist öffnet,
so verschließt es ihre Augen. Cabat hat sicherlich
nach Seite der Komposition und des Stiles ge-
wonnen; aber er hat recht verloren, was Licht,
Reichtum und Mannigfaltigkeit betrifft. Gaspar
Poussin hat ihn verhext wie so manche andre. Ca-
bat denkt nicht mehr so viel an die äußere Natur;
er betrachtet die Landschaft in seinem Geist, und
bildet sich ein, eine Gegend besser anordnen zu
können, als es die Natur mit ihrem allmächtigen
Zauber vermocht hat. Es gibt aber nur einen ein-
zigen Künstler auf der Welt, der in der sogenannten
stilisierten Landschaft Erfolg gehabt hat: das ist
Nicolas Poussin. Es ist wahr, Poussin hatte sie eben
selbst erfunden. Aber alle die ihn nachzuahmen
versucht haben, sind noch zu einem falschen System
irregeleitet worden.
Salon 1846 L29
Die „komponierte" Landschaft ist übrigens eine
unbestreitbare Ketzerei. Der Mensch kann einen
Menschen schaffen, weil er dessen Typus in sich
trägt; aber der unnahbare Himmel und die un-
endliche Welt geben ein so verwickeltes und wandel-
bares Bild, daß der Maler die Elemente dazu
aus der Wirklichkeit erhaschen muß und sie dann
nur mit einem Hauch seines eigenen Lebens zu be-
seelen vermag. Es gibt keine Landschaften, die we-
niger tief sind als dieGasparDughets, Fr. Millets und
Orizontes, mit ihrem Streben nach endloser Ferne
und ihren majestätischen Profilen von Bergen und
Ruinen gegen den Himmel. Luft ist nicht darin,
und gerade der Himmel fehlt ihnen. Nun aber gibt
es kein Land ohne Himmel, d. h. keine Landschaft
ohne Luft und Licht. Wenn man sich ausschließ-
lich mit der Form abgibt, mit den Linien und dem
Bewegungszug der Baumstämme oder mit der Zeich-
nung des Stofflichen, so entschlüpft einem der Him-
mel. Alle Landschafter wissen wohl, daß der Him-
mel nicht nach der Komposition angebracht werden
kann.
Die beiden Landschaften von Louis Cabat
sind Meisterwerke, und doch Irrungen. Das Erd-
reich hat eine seltene Festigkeit, die Bäume machen
sich vortrefflich, der Lokalton besitzt eine gewisse
Kraft; aber das Ganze ist eintönig und bedrückend.
Die Sonne spielt nicht wie ehedem zwischen dem
beweglichen Gehänge der Zweige.
Eine solche Natur vermag ohne Zweifel Me-
W. Bürger. Kumtkritik. 9
130 Landschaftsmalerei
lancholie und Seelenfrieden einzuflößen; aber die
Menschen haben schon genug solcher abscheulichen
Stätten erfunden, wie Gefängnisse, Kirchhöfe und
Klöster, wo man derartigen traurigen Eindrücken
begegnet. Laßt doch die Landschaft wenigstens ihre
Heiterkeit und die Sonne ihre gute Laune bewahren,
um uns über die Langeweile alles übrigen zu trösten.
Aligny ist auch traurig, obgleich er in seinen
Bildern eine lebhafte Beleuchtung und den hellen
Tag erheuchelt ; das liegt an seiner allzu bestimmten
und kleinlichen Zeichenweise. Seine „italienische
Villa" im Salon carre und seine „Ansicht aus dem
Kirchenstaat" sind in einem wenig harmonischen
Hellgelb gehalten. Man vermag die Blätter an dem
Safranbaum zu zählen, der die Mitte dieser Ansicht
einnimmt. Die Komposition der Villa ist sehr glück-
lich, aber die eigentlich malerischen Vorzüge fehlen.
In Lithographie oder Radierung würde sie gewiß Er-
folg haben.
Ein junger Maler, den wir schon in den vorigen
Ausstellungen kennen gelernt haben, Charles Le-
roux, hat zwei große Landschaften ausgestellt, eine
„Erinnerung an Hoch-Poitou" und eine „Lande";
sie hätten gewiß Anrecht auf einen besseren Platz als
sie einnehmen. Charles Leroux hat sehr anziehende
Eigenschaften, poetisches Empfinden und kraft-
volle Ausführung. Es fehlt ihm nur das Geschick,
das Stück Landschaft, das er malen will, in gutem
Verhältnis herauszuschneiden. Aus seiner „Lande"
könnte man zwei ziemlich vollwertige Bilder machen.
Salon 1846 131
Rechts der Waldrand und wohlstudicrte Bäume;
links das kahle Feld, solides Erdreich mit Kräutern
in allen Farben und ein Himmel, der etwas zu
stark mit Blau und Rot gemustert ist.
In der „Erinnerung an Hoch-Poitou" könnte
man auch die ganze linke Seite wegschneiden, die
der Einheit der Komposition nur widerstrebt. Der
Mittelpunkt des Bildes ist unabänderlich festgelegt
an dem heimlichen kleinen Flüßchen, in das der
Schatten der eleganten Bäume taucht, die einen
Vorhang gegen den Himmel bilden. Das Erdreich
im Vordergrund, das Wasser, die Gestalt der hohen
Stämme gehören der guten Schule an, zu deren Ver-
tretern Jules Dupre als einer der geschicktesten
zählt. Charles Leroux sollte von allem etwas we-
niger in seine Bilder bringen: damit würden sie ge-
winnen. Wir haben ausgezeichnete Entwürfe von
ihm gesehen, in feinster Farbe und ursprünglichster
Leichtigkeit. Das Übermaß der Arbeit an einem ge-
gebenen Vorwurf kann zum Fehler werden.
Der Fehler Troyons, der ein geschickter und
energischer Praktikus ist, besteht in der Einförmig-
keit seiner Durchführung. Alles wird mit vollem
Impasto aufgetragen und wie mit regelmäßigem
Pinselstrich. Der Grundton seiner Farbe ist ein
Silbergrün, auf das er dann nachträglich vereinzelte
Lichter zu setzen scheint, nach der Art des alten
Landschafters Giroux, der so alle seine Bilder
glitzern ließ. Wir ziehen die kleinen Landschaften
vor, besonders die „Studie aus Fontainebleau",
132 LantJhchattMiiulerei
und nicht das große „Tal der Chevreuse" in Hoch-
format.
Die „Kuhherde am Rand eines Waldes" von
Coignard ist viel beachtet worden, wie wir so-
gleich am ersten Tage vorausgesehen. Es ist wirk-
lich eine der amüsantesten Landschaften im Salon.
Wer kranken Gemütes ist, mag nur Halt machen
vor diesem strahlenden Walde, wo die Kühe in duf-
tigen Kräutern wühlen, oder vor dem „Frühling"
von Müller, wo alles unter Blumen schimmert,
oder vor den Bildern von Diaz, in denen die Sonne
niemals untergeht. Coignard hat diesem unerschöpf-
lichen Zauberer wenigstens einen Lichtstrahl ent-
wendet; aber Feuer und Licht haben ja das Vor-
recht sich mitzuteilen ohne auszulöschen. Diaz hat
all seine Sonne bewahrt, obwohl Coignard sich an
seinem Feuer entzündet hat.
Corot hätte eines lebendigen Funkens nötig.
Mit etwas höherer Wärme würde seine „Ansicht
von Fontainebleau" eine vorzügliche Landschaft
sein. Das Temperament ist gut, die Stimmung po-
etisch, das Herz ehrlich, der Geist edel; aber die
Haut ist zu bleich.
Hoguet ist auch zu grau, aber sehr fein und
sehr harmonisch in diesem Mollton. Seine „Erinne-
rung an Schottland" mit einer Brücke über Felsen
hat ihn aus der Nachahmung Isabeys entrückt.
Nachdem er diese Brücke überschritten hat, kann
Hoguet ganz allein vorwärtsgehen.
Salon 1846 138
Louis Leroy ist nicht so glücklich wie im
vorigen Jahre. Achard auch nicht. Victor
Dupr£ ist auf dem rechten Wege und ebenso
Bronquart. Brissot von Warville und Tou-
douze werden bald von sich reden machen; Anas-
tasi, Pron, Mazure und mehrere andre verspre-
chen gute Maler zu werden. Joyant malt noch
immer seine Architekturansichten in der Art Cana-
lettos oder Guardis. Garbet und Lottier haben
in Mosaik gemalt, der eine den „Carneval", der
andre den ,, Hafen von Algier". Die „Schafherde"
von Rosa Bonheur macht einem Lust, den Hirten
zu spielen, mit Stab und Seidenkleid und Bändern.
1847
Corot hat niemals bessere Malerei gemacht als
seine ,, Abendstimmung" im großen Saal: ein Fluß,
gegen die Mitte eine Barke, die sich schwarz ab-
hebt, rechts und links Gruppen großer Bäume, der
Himmelsgrund bleiern, fast in demselben Ton der
Dämmerung; — nur zwei Noten die sich verbin-
den oder sich antworten, das tiefe Bister und das
matte Silber; eine einfache ernste Ausführung; sehr
melancholisches Gefühl; Schweigen und Träumerei
— das ist es.
Steht nur einmal still vor diesem Bildchen,
das zuerst nur aussieht wie eine unklare Skizze.
Dann fühlt man schon die matte, fast unbewegte
Luft, taucht hinein in den durchsichtigen Nebel,
der über dem Flusse schwebt, weit, weit hinaus mit
den grünlichen Tönen des Himmels am Horizont.
Dann lauscht man den unmerklichen Lauten in
dieser friedlichen Natur; kaum ein Rascheln der
Blätter oder das Plätschern eines Fisches auf der
.Wasserfläche. All die Stimmungen steigen in uns
auf wie eines Abends, wo wir einsam am Ufer eines
Sees saßen, und nach eintönigem Tagewerk war-
teten, bis die Nacht ihre ersten Sterne entzündete.
Salon I847 186
Wenn die Malerei den Zweck hat, andern den
Eindruck zu vermitteln, den der Künstler vor der
Natur empfunden hat, dann erfüllt die Landschaft
Corots alle Forderungen der Kunst. Wie bringt
doch diese recht eigentümlich gemalte Landschaft
solche Wirkung hervor? Mir scheint, die etwas
mystische Malerei Corots wirkt auf den Beschauer
beinahe ebenso, wie die Musik auf den Dilettanten,
durch ein indirektes und unerklärliches Mittel. Wie
kommt es, daß eine musikalische Phrase von Beet-
hoven, ein unbestimmter flüchtiger Ton bereits, un-
vermeidlich eine bestimmte Idee und keine andre
hervorruft? Man hat in unsern Tagen den Aus-
druck der Musik in direkten und materiellen Mitteln
gesucht, in der Ähnlichkeit des Geräusches mit dem
darzustellenden Dinge; aber die große Trommel
und die Zimbeln haben niemals solchen Erfolg ge-
habt, wie eine einfache, reine Melodie, die sich an
die Seele wendet. Die nachahmende Musik wird
niemals die poetische aufwiegen.
Es ist sicherlich eine Schwäche, in einer bil-
denden Kunst wie die Malerei, das Bild nur unvoll-
ständig anzudeuten, selbst wenn die Empfindung
darunter ist. Das ist die naive Schwäche Corots.
Seine Originalität erscheint nur unter dreifachen
Schleiern, die er noch in keinem Bilde zu lüften ver-
mocht hat. Diese Verlegenheiten der Ausführung,
diese peinliche Zeichnung, die gleichwohl zur Ele-
ganz gelangt, diese trübe schlecht aufgetragene
Farbe, alles verrät eine mühselige Ausdauer, die
13(1 Landschaftsmalerei
doch niemals zur freien Herrschaft über die Praxis
seiner Kunst hindurchdringt. Corot ist wie ein emp-
findsamer und beredter Mensch, dessen Worte doch
immer unter seinem Eindruck bleiben. Wir haben
jedoch Skizzen von ihm gesehen, die flottweg ge-
malt waren und auf den ersten Wurf so richtig in
der Wirkung mit ihrem weichen Licht, daß sie
auch neben viel kräftigeren und glanzvollem Ma-
lereien standhalten.
Die andre Landschaft ist so, wie er immer malt,
eine Art Idylle, etwas bleich: ein nackter junger
Hirt spielt mit seiner Ziege. Ich habe immer ge-
meint, Corot würde die Bretagne besser wieder-
geben als Griechenland. Das wäre ein Versuch,
den er machen könnte, und gewiß würde sein Ruf
dabei gewinnen.
Charles Leroux ist fast das Gegenteil von
Corot. Seine Ausführung ist sehr geschickt, sehr
kraftvoll und vielleicht zu kompliziert. Die länd-
liche Stimmung, die er in seinen Landschaften sucht,
wird fast erstickt unter der wirklichen und soliden
Hülle eines bis zur Übertreibung gequälten Farben-
auftrags. Seine Skizzen haben viel mehr Leichtig-
keit, Gefühl und Poesie, als seine ausgeführten Ge-
mälde. Diesmal ist ihm eine große „Ansicht von
Escublac" an der Küste von Croisic abgelehnt wor-
den, die schwungvoll nach der Natur gemalt ist.
Drei oder vier vom Wind gekrümmte Bäume zeich-
nen ihre seltsame Silhouette auf der sandgelben
Böschung, die durch die Sonne im Sturmwetter
Salon 1847 137
grell beleuchtet wird; — rechts das Meer, vorn
ein kreidiges Erdreich mit einigen Seegewächsen.
Marvy macht eine Radierung nach diesem schönen
Werke.
In der ,, Erinnerung an den Wald von Gavre"
in der Bretagne, eine von vorn gesehene Eichen-
allee, die in ihrer ganzen Festigkeit gegeben wird,
ist der Boden überall mit etwas hartem Grün be-
deckt. Auch die Bäume sind in vollem Grün und fast
ohne Halbtöne, die es mildern würden. Jeder Zweig,
jeder Blätterbüschel ist mit einer Nachhaltigkeit stu-
diert, die alle Formen schwer macht. Was dem
Bilde vornehmlich fehlt, ist die Mannigfaltigkeit des
Strichs und die Abwechslung in der Farbe.
„Der Ulmenhain" ist freier gemalt. Charles
Leroux ist dabei weniger bemüht gewesen, ein
Ausstellungsbild zu machen. Seine grünen oder
entlaubten Bäume, seine lebenden Hecken und sein
dürres Kraut, sein tiefer und brauner Fischteich
gehen gut zusammen. Die Ulmenallee hat viel Cha-
rakter und Größe. Wir haben das Land der Ven-
d€e oft besucht, wo Leroux seine Lieblingsland-
schaften holt, ein wildes, kraftvolles Land, mit
Baumcharakteren, die man anderswo nicht findet,
einer kurzen, farbenreichen Vegetation, einem ganz
eigenartigen Himmelsstrich: ein Land, wo die Men-
schen und die Bäume eine gesunde, heilsame und
erquickende Luft atmen.
Charles Leroux besitzt die wichtigsten Gaben
eines guten Landschaftsmalers. Seine Neigung für
138 Landschaftsmalerei
das Land wird durch ein tägliches Leben an freier
Luft unterhalten, und so bewahrt er der Natur auch
ihre entscheidenden Züge. — Der wahre Stil ist der-
jenige, der den Gegenstand in seiner wesentlichen
Eigenart wiedergibt. — Leroux ist außerdem ein
sehr geschickter und energischer Maler. Hätte er
nur etwas mehr Leichtigkeit der Hand, mehr Man-
nigfaltigkeit der Färbung, so müßte er sofort in die
erste Klasse gestellt werden. Man darf wohl glau-
ben, daß er dazu gelangen kann.
Jeanron hat in diesem Jahr eine große, sehr
beachtenswerte Landschaft geliefert unter dem Titel
„Die Ruhe des Feldarbeiters44. Es ist die Land-
schaft der Umgegend von Paris, traurig und
nackt, aber doch fruchtbar, gewissermaßen ein
Proletarierland, das sich nicht selber zu eigen
gehört, das auf Luxus und Laune verzichten muß,
um Frucht genug hervorzubringen. Jeanron ist
immer ein plebejischer Maler gewesen, bis hinein in
den Ausdruck der Landschaft. Er liebt die stark
bearbeiteten Ackerflächen, die niemals ruhen, oder
die wilden unbezähmbaren Felsen. Erlesene Blumen
gedeihen nicht auf seinen Feldern, ebensowenig wie
Geschmeide auf den Lumpen seiner rauhen Arbeiter
oder seiner Bettler zu finden sind. Er überläßt den
fashionablen Malern gern die Spitzen und Pracht-
stoffe, und auch die Rasen mit Email oder die
Gebüsche mit Rosen.
Seine „Feldarbeit44 bietet also einen Anblick
der Natur, den die Künstler noch wenig ins Auge
Salon 1847 139
gefaßt haben, ganz neu und ganz richtig im Cha-
rakter. Ich bin sicher, daß die französischen Feld-
arbeiter Jeanron den Preis des Salons zuerkennen
würden. Eine Jury, die sich auf Malerei verstünde,
hätte ihn gewiß auch in besseres Licht gebracht.
Da hätte man die freie Haltung der Bauern
bei ihrem Karren auf dem durchfurchten Boden
gesehen, die schönen wuchtiggebauten Gäule, wie
Gericault sie zu machen verstand, die Solidität
des Vordergrundes, die Abstufung der Perspektive,
die auf dem platten Lande schwierig ist, die Tiefe
des Himmels, die männliche Kraft des Pinselstrichs
und alle sonstigen Kennzeichen einer vollendeten
Übung.
Die Landschaftsmaler, die so ihre Figuren im
Einklang mit der sie umgebenden Außenwelt be-
handeln, sind selten, obgleich die alten Meister
diesen Unterschied in den Arten der Malerei
niemals gemacht haben, mit Ausnahme vielleicht
der Holländer.
Jeanron hat noch ein andres Bild ausgestellt,
einen ,, Schmuggler", der schweigend und eifrig
soeben um die Ecke eines Felsens herumbiegt.
Diese Darstellungen, die dem Maler der „Schmiede
von Correze" der „Gassenbuben in der Julirevolu-
tion" geläufig sind, diese Bettler und Zigeuner geben
ihm einige Verwandtschaft mit dem Talent Leleuxs.
Alle beide lieben die Geschichte solcher Rassen und
Individuen zu erzählen, die von der Zivilisation noch
nicht angegriffen sind oder die sie wenigstens nicht
14o LandschafUmalerei
zu besiegen vermocht hat. Unsre Maler täten gut
daran, sich etwas der populären Seite zuzuwenden.
Wenn die einstige Aristokratie einem Tizian und
van Dyck vornehme Typen darbot, so entfernt sich
die heutige Bourgeosie täglich mehr von der Ele-
ganz und dem großartigen Benehmen. Die öffent-
lichen Auftritte des modernen Lebens eignen sich
nicht sehr zu originellen und prächtigen Bildern.
Die Kleider des Arbeiters haben mehr Bequemlich-
keit als die des Müßiggängers; ein Gossenkehrer
ist schöner für die Malerei als ein Notar oder ein
Kaufmann. Die Physiognomie und die Mimik des
Volkes sind viel ausdrucksvoller als die Maske und
die Kleiderpuppe des dritten Standes.
Gegenüber den ,, Feldarbeitern" von Jeanron
stößt man auf den ,, Kampf der Stiere" von Coig-
nard, ein Pendant seiner im letzten Salon ausge-
stellten Landschaft. Es ist ein Waldinneres mit einer
Herde vielfarbiger Kühe. Coignard hat den Sommer
in der Umgegend der Gorge-aux-Loups, in einem der
unbetretenen Gebiete des Waldes von Fontainebleau
zugebracht, ohne zu argwöhnen, daß sie, ach, wie
bald! von der mörderischen Bande der Forstver-
waltung vergewaltigt werde. Warum hat der Maler
dasselbe Verbrechen an den hochstämmigen Bäu-
men begangen, die in seinem Bilde den Hintergrund
bilden ? In der ursprünglichen Komposition hoben
sich die wütenden Stiere von Bäumen ab, deren
kraftvoller Ton einen glücklichen Kontrast von Rot
und Grün ergab. Seitdem Coignard aber seinen Wald
Salon 1847 1 II
niedergeschlagen hat, ist keine genügende Vermitt-
lung mehr zwischen dem Purpur der Sonne, die ihr
letztes Feuer gegen den Horizont wirft, und dem
fahlen Rotgelb der mächtigen Streiter. Der Himmel
ist zu gleichmäßig lebhaft für die Gewaltsamkeiten
im Vordergrunde : denn dieser Kampf der Stiere ist
mit seinem vollen wilden Drang gemalt. Die Formen
und die Bewegung sind sehr kühn gezeichnet.
Das sind Zuchtstiere von reiner Rasse in natürlicher
Größe, obgleich sie auf dem Bilde nur das Ver-
hältnis der Stiere eines neuerwählten Akademikers
haben.
Rosa Bonheur, die vor der französischen
Revolution zur Akademie gehört haben würde,
bringt Zugochsen unter das Joch und läßt ihre
Herden auf den Weideplätzen des Cantal ausruhen.
Fräulein Rosa malt fast wie ein Mann. Ich wünschte
die Kraft ihres Pinselstrichs dem Herrn Verboeck*
hoven und andern Feinmalern, die ganz wie junge
Damen stricheln.
Flers träumt immer von seiner Normandie,
wo er das Licht der Welt erblickt hat, und wenn er
sich bei der Insel Saint-Ouen aufhält, so geschieht
es, weil er da, wie in seinen normandischen Wiesen,
hohe Halme, Weidenbäume und Pappeln findet und
Buchen, die sich im Wasser spiegeln. Flers gehört
auch zu den guten Landleuten, die englische Gärten
und Alleen ä la Mac Adam verabscheuen. Er zieht
es vor, seine groben Holzschuhe anzuziehen, um
durch den Tau zu schreiten; er wird gewiß nicht
142 Landschaftsmalerei
seinen Garten jäten, noch seine Apfelbäume am
Spalier kreuzigen oder gar den Entenflott von
seinem kleinen smargdenen Weiher abschöpfen. Er
schont die mikroskopischen Wälder, wo die Insek-
ten schwirren, und die Wassertümpel, wo sich der
Laubfrosch versteckt. Flers ist ebenso ein Sohn der
Normandie wie Leleux ein Sohn der Bretagne.
So haben sich unsre Landschaftsmaler in Frank-
reich und der Welt geteilt : Hoguet hat die Butte
de Montmartre genommen und die Windmühlen,
die er mit Schwung und Geschick ohnegleichen
dreht; Joyant hat das Erbe Canalettos und Guardis
in Venedig angetreten; Very, Brissot, Anastasi,
Leroy lieben das Gehölz; Thierry die Phantasie-
landschaft; Victor Dupre* die Hütten unter Bäumen
versteckt, Andre die eleganten auf Hügeln gelegenen
Gehäge; Adrien Guignet die wilden Schluchten und
das rote Gestrüpp; Michel Bouquet die frischen
Täler; Chardin die Herbstwirkungen und Sonnen-
untergänge. Karl Girardet hat sich dagegen auf
Kairo geworfen und seine ,, Ansicht eines egypti-
schen Begräbnisplatzes" hat viel Originalität. Hugues
Martin hat sich an die Wüste gewagt, die ganz
nackte, unabsehbare Wüste mit einem gelben Kamel
im gelben Flugsand und dichter gelber Dunstatmo-
sphäre darüber. Delessart hat einen kleinen rätsel-
haften „Abend" gemacht. Lapierre und Chintreuil
haben sich die poetischen Länder vorbehalten, die
von Corot erfunden sind und gar nicht auf den
Landkarten der Geographie existieren.
Salon 1847 143
Das Bild von Chintreuil ist eine Art Elegie,
wo die Bäume seufzen wie irrende Schatten der Ab-
geschiedenen. Ein junges Mädchen träumt am Rand
eines Brunnens sitzend. Alles zittert unbestimmt,
ohne Halt auf der Erde: es ist eine schwache un-
entschiedene Malerei, in der man freilich eine ge-
wisse Zärtlichkeit der Einbildungskraft ahnt, wie
B^ranger sagt.
Lapierre ermangelt in dem neuen ernsten
und doch eleganten Stil, den er angenommen hat,
der soliden Eigenschaften nicht; denn er hat als
eifriger Naturalist angefangen und mit den Granit-
blöcken von Fontainebleau gerungen. Jetzt scheint
er zwischen Corot und Paul Flandrin Halt
machen zu wollen.
Dieser letztere hat vier Bilder ausgestellt, den
„Frieden" und die „Gewalt", kleine ovale Gegen-
stücke im Gefühl des Francisque Millet; eine
„Löwin" auf der Jagd, die nichts mit den Löwinnen
der Wüste gemein hat, noch denen des Zoologischen
Gartens oder den Bronzelöwinnen von Barye; —
dann eine arkadische Landschaft, bukolisch, mytho-
logisch, antikisch, eine ganz konventionelle Land-
schaft, nach einem System komponiert, dem die
Natur ganz fremd gegenübersteht.
Wir sind weit entfernt, den Künstlern die Nach-
ahmung der Natur zu predigen, in den Landschaften
nicht mehr als in anderen Gegenständen, an denen
die menschliche Person Anteil nimmt. Übrigens,
was ist denn auch die Realität überhaupt ? Gibt es
IH I ..indschaftsmalerei
für alle Welt eine und dieselbe Wirklichkeit ?
Keineswegs. Denn hundert Maler, die naivsten von
der Welt, die sich alle vornehmen, ein Ding vor
ihren Augen zu kopieren, sehen es und geben es
in hundert verschiedenen Weisen, die einander oft
ganz entgegengesetzt sind.
In bezug auf uns nimmt alles, was da ist, eine
Form und eine Farbe an, die sich nach unserer
eignen Organisation richtet. Das Grün ist mehr oder
minder blau, mehr oder minder gelb, je nach der
Sehkraft, und die Wesen fallen uns auf durch mehr
oder minder hervorstechende Charakterzüge, je nach
dem verschiedenen Temperament. Ja, noch mehr,
derselbe Mensch sieht nicht immer das nämliche
Ding in der nämlichen Weise. Wunderbares Ge-
heimnis der Mannigfaltigkeit und des Unendlichen !
Wie vermöchte man also in den Künsten die
Wirklichkeit zu kopieren? Es sind ja Schulen da-
gewesen, die diesen Anspruch erhoben; aber es ist
diesen engherzigen Sektierern auch geschehen, was
unvermeidlich war, daß sie, wider Willen, niemals
sich ihrer Persönlichkeit entäußern konnten und daß
sie, wie immer, mit einer Mischung und einer rela-
tiven Annäherung endeten.
Lassen wir also diesen vermeintlichen Natura-
lismus beiseite, der wider die Natur ist und nicht
einmal existieren könnte, diese absurde Theorie der
materiellen Nachahmung, die zuallererst den Selbst-
mord des Künstlers und die Nichtigkeit aller Dinge
voraussetzen würde; denn man müßte ja auf einen
Salon 1847 145
Schlag die Seele des Künstlers und das unaufhörlich
wandelbare Leben des Wesens selbst, das er malen
will, aufheben. Nehmen wir die Sache, wie sie in
Wahrheit liegt, daß die Kunst aus dem Eindruck,
den die Natur auf den Menschen macht, hervorgeht,
aus dem Reflex der Außenwelt in dem Mikrokosmos,
in dieser kleinen Welt, die wir in unserm Innern
tragen. Aber diese Verbindung fordert die Natur
als unentbehrlichen Bestandteil, ebensowohl wie die
Empfindung des Künstlers. Wenn der Geist allein
arbeitet, fern von dem natürlichen Einfluß und ge-
wissermaßen aus dem Leeren, so haben die bei
solcher Onanie entstandenen Gebilde nicht den Cha-
rakterzug des Lebens und der Dauer. Sie werden
zergehen wie Samen, der den Winden preisgegeben
ward.
Hingegen, wenn der Künstler nicht selbst sein
eignes Objekt ist, wie ein deutscher Philosoph
sagen würde, wenn er sein Objekt außer sich nimmt,
und seinen Ausgangspunkt von der Natur, dann ist
die Erzeugung des Gebildes nach seiner doppelten
Beziehung normal. Der Künstler hat viel mehr sym-
pathische Berührung mit den anderen Menschen, die
alle auch, jeder nach seiner Art, die Auslegung der
selben natürlichen Objekte verfolgen.
P. Fl an drin gehört dem System an, das die
Natur dem einsamen Stolz des Menschen aufopfert.
Er ist zurückgekommen auf die Schule Bidaulds,
J.-V. Bertins und der Landschafter der Empirezeit.
Seine Theorie ist durchaus dieselbe : eine Land-
W. Bürger. Kunstkritik. 10
14tl Landschaftsmalerei
schaft im hohen Stil zu komponieren, ohne aus
seinem Hause herauszugehen. Das Rezept dafür ist
leicht und einfach : man nehme eine großartige
Gegend, elegante Bäume, etwas Architektur, Hinter-
grund von Bergen und einen klaren Himmel; im
Vordergrund irgendein antikes Grabmal, Lorbeer-
gebüsch, einige Säulentrümmer, eine nackte oder
römisch drapierte Figur.
Aber wir kennen dies triviale Verfahren schon
zur Genüge; wir haben es nicht erst unter dem
Kaiserreich kennen gelernt, sondern schon im 18.
Jahrhundert in der kalten Schule der Zuccarelli,
der Pannini und Locatelli; ja schon im 17. Jahr-
hundert, in dem bösen Gefolge des Gaspar Dughet
und des großen Nicolas Poussin. Wir haben genug
von den Orizzonte und den Lahyre wie das; genug
von Bidauld und von Bertin. Gehen wir zu minder
heroischen Exerzitien über.
Ich gebe gern zu, daß Paul Flandrin ein er-
lesener Geist ist, der sich mit der banalsten Theorie
von der Welt fast schon aus dem Gemeinen rettet,
und der das Talent hat, altem Zeug, das überall
nachhängt, einen gewissen Stil zu verleihen. Seine
große Landschaft mit einem Streit nackter Hirten
ist eins der besten Gemälde, die er gemacht hat.
Das Theater für die bukolische Dichtung ist wunder-
voll angeordnet : die Bretter in der Mitte, die Baum-
kulisse rechts und links; im Hintergrund eine pa-
pierne Dekoration, die man nach Bedarf vertauschen
kann. Diese Landschaft ist ruhevoll, nicht ohne ge-
Salon 1847 147
wissen Reiz; die Luft hat mehr Weite und Tiefe als
in den gewöhnlichen Landschaften Flandrins. Ich
wüßte kaum ein Bild im Salon, das besser zu gleicher
Zeit die Vorzüge eines Menschen und die Fehler
eines Systems der Malerei aufwiese. Ich habe nie-
mals die Ehre gehabt, Paul Flandrin selbst zu sehen ;
aber ich würde doch nicht in Verlegenheit geraten,
wenn ich sein Porträt entwerfen sollte. Ich weiß
sicher, daß es nicht unter den Typen von Rubens
zu finden wäre.
Paul Flandrin, der gewiß ein sehr intelligenter
Mann ist, — und ebendeshalb verharren wir vor
seinem Bilde, da wir Unbedeutende und Nichtige
auch nicht zu quälen pflegen — , Flandrin sollte sich
an die seltsame und lehrreiche Geschichte der Land-
schaft im neunzehnten Jahrhundert erinnern, eine
Episode der Kunst, die wir einmal später ausführlich
erzählen wollen. Der Salon von 1847 bietet übrigens
noch die Grenzpfähle dieser reißend schnellen und
gründlichen Revolution; denn wir finden Watelet
und Jollivard, zwei Bürger der Constituante, die keine
Ahnung hatten von Danton, Robespierre, St. Just
und dem Nationalkonvent.
Unter dem friedsamen Regiment von Bidauld,
dem Louis-Seize der Landschaft, hätte Watelet
dessen Bailly werden sollen, mit dem Unterschied,
daß alle beide, Bidauld und Watelet lange und
glückliche Tage genossen haben. — Watelet, der
einfache und naive Mensch, der nicht zum Stamm
der Cäsaren gehörte, sondern zu jenem Stamm ehr-
Landschaftsmalerei
licher Künstler, deren Heim in einer Mühle George
Sand so hübsch in ihren „Briefen eines Reisenden"
gemalt hat, — Watelet kommt plötzlich mit einer
Bauernhütte, einem rauchenden Dach, einem länd-
lichen Gehöft, einem Fluß mit Enten, einem kleinen
Pfad mit Herbstblättern bestreut.
Die Revolution schien nicht eben fürchterlich,
beim ersten Anblick; denn Watelet war kaum stär-
ker darin, den Charakter des modernen Landes zu
malen, als Bidauld mit seinen antiken Tempeln und
seinen vorchristlichen Landschaften. Die Plebs aber
begriff doch wohl, daß Watelet gegen die Aristo-
kratie der römischen Tyrannen und der wilden
Bäume protestierte. Wie der alte Maire von Paris
wurde Watelet sehr berühmt, und bald nahm man
neben ihm noch Jollivard an, der die Kühnheit hatte,
in das Innere wirklicher Wälder einzudringen mit
Eichen und Holz, stachlichten Stechpalmen, melan-
cholischem Wachholder und ungeniertem Kraut
allerart.
Das dauerte eine Weile. Aber die Bastille war
genommen, und die unruhige Jugend trieb ihre
Eroberungen weiter. Gegen 1830 sah man plötz-
lich Abenteurerbanden, die sich der Natur und der
Poesie bemächtigten und das alte Königtum über
den Haufen stürzten. Decamps, Cabat, Roqueplan,
Paul Huet, Marilhat, Jules Dupr£, Rousseau waren
die Führer dieser Revolution. Cabat, Paul Huet
und Roqueplan sind, obgleich sie beim 10. August
dabei waren, ein wenig Girondisten geblieben; aber
Salon 1847 149
Diaz, Francais, Leleux und eine Menge junger Un-
erschrockener sind zur Verstärkung der kühnen
Neuerer herbeigekommen.
Hofft Flandrin eine Restauration zugunsten des
göttlichen Rechts und der alten Religion ? Da würde
er Unrecht haben; denn die Kunstrepublik hat
keinen Napoleon gehabt und wird auch keinen
solchen Gewaltherrscher bekommen, dessen Despo-
tismus die Barbaren zurückgebracht hat. Die Ge-
schichte wiederholt sich nie, und in der Kunst ist
auch, wie in allen Dingen, was einmal gestorben ist,
tot und vollständig tot.
Die Revolution in der Landschaft
1861
Jetzt sind in den verschiedenen zeitgenössischen
Schulen die Landschaftsmaler überall die stärksten.
Den französischen Malern wird die Erneuerung der
Landschafts-Schule verdankt; aber um gerecht zu
sein, muß man sagen, daß die ersten Anläufe dazu
auf die Engländer zurückgehen.
Die englische Schule zählt noch kaum mit, da
man auf dem Kontinent schon von einer europä-
ischen Kunst redet. England hat indes doch eine
nationale Schule, in der fünf oder sechs ausge-
zeichnete Meister den Ton angeben. Gainsborough
ist der originellste von ihnen. Ebenso hervorragen-
der Porträtist wie Reynolds, ist er zu gleicher Zeit
ein sehr natürlicher und gefühlvoller Landschafts-
maler. Von ihm geht Constable aus, oder wenig-
stens setzt ihn Constable fort, ohne ihn zu suchen.
Als in den Salons von Paris 1824 und 1827
einige Bilder von Constable erschienen, waren die
französischen Landschafter noch bei der antiken
und feierlichen, der mythologischen und hierogly-
phischen Landschaft, die mit griechischen Ruinen
Salon 1861 151
und Personen aus der Fabelwelt komponiert war.
Es hatte in Frankreich nie etwas andres gegeben, als
diese klassische Landschaft im Stil Poussins und
der Bolognesen, oder die feenhafte und unmögliche
Landschaft von Watteau und Boucher, Wand-
schirme, Schrankwerk- und Fächermalerei. Groß
war also die Überraschung der Pariser Künstler,
als sie die erste wahre Landschaft von Constable
gemalt sahen, wahrhaftige Wiesen im Tau gebadet,
einen wirklichen Fluß, der eine Mühle trieb, wirk-
liche nach der Natur kopierte Bäume. Es wird er-
zählt, daß Delacroix so stark davon ergriffen ward,
daß er seinen damals in Arbeit befindlichen Ge-
mälden einen ganz anderen Tonfall gab.
Zur selben Zeit hatten sich Bonington in Frank-
reich und andre Landschafter in England, z. B.
Turner in gewissen Momenten seiner Malerlaunen,
wieder darauf verlegt, wie Constable — und schon
Gainsborough seit dem Ende des 18. Jahrhunderts
— die natürliche Wirklichkeit zu studieren und sie
getreulich wiederzugeben.
Bald folgten einige junge französische Künstler
demselben Drang: Paul Huet, Camille Flers, Louis
Cabat, Jules Dupr6, Theodore Rousseau, die damals
fast noch Kinder waren; und bald nach 1830 be-
merkte man plötzlich, daß es eine neue Schule der
Landschaft gab. Eugene Delacroix hatte mittelbar
dabei geholfen, und zwar durch den Charakter der
Hintergründe und des Himmels in seinen großen
Gemälden ; Barye auch in einigen prachtvollen Aqua-
152 Landschaftsmalerei
rellen, in denen er, nicht zufrieden, die Tiere in
Bronze zu verewigen, sie inmitten kraftvoller Land-
schaften gemalt hat : Löwen, Tiger, Schlangen,
Hirsche und Kamele; Decamps ebenso in den Wald-
innem, in die er seine Jagdhüter und seine Treiber
mit ihren kleinen Dachshunden hineintat.
Der Kampf war lang, um so mehr, als eine
Gruppe junger aus der Schule zu Rom hervor-
gegangener Maler, wie Aligny, Edouard Bertin, Ale-
xandre Desgoffe, Paul Flandrin und andre in der
alten akademischen Manier verharrten, jeden Felsen
mit einem Prometheus, jeden Weiher mit einem
Diogenes und seiner Schale, jeden Bach mit einer
Najade und jeden Wald mit einem Chor von Nym-
phen belebten.
Fünfzehn Jahre lang wurden die Neuerer durch
die Jury aus den Salons vertrieben und hatten große
Mühe, sich bekannt zu machen, trotz aller leiden-
schaftlichen Sympathie einer verständnisvollen Kritik
und trotz dem Beifall einiger außergewöhnlicher
Liebhaber. In den Wald von Fontainebleau oder
die Wälder der Isle-Adam oder von Compiegne zu-
rückgezogen, in der Auvergne oder der Normandie,
in den Landes oder den Pyrenäen, in allen den Ge-
genden, wo die Natur noch ihren freien Charakter
bewahrt, hatten sie indessen eine Reihe von Meister-
werken geschaffen, die allgemach den Eintritt in
die öffentlichen Ausstellungen erzwangen und in
die Privatsammlungen übergingen.
Um Rousseau, Dupr£, Diaz bildete sich eine
Salon 1861 163
zahlreiche Schule, und mehrere dieser Zöglinge sind
wieder ihrerseits Meister geworden, wie z. B. Troyon.
Neben ihnen gab es noch einige unabhängige In-
dividualitäten, wie Corot, der die Idylle oder Elegie
mit seinem zarten Naturgefühl verbindet, wie Ma-
rilhat, der seine Inspirationen hauptsächlich aus dem
Orient holt.
Gegen 1848 war die Revolution der Landschaft
schon beim Triumph angelangt und ist dann durch
die Weltausstellung von 1855 vollends geheiligt
worden.
Decamps und Marilhat sind tot; aber ihre
Werke schmücken unsere Museen und Galerien.
Die Werke von Theodore Rousseau, von Diaz und
Jules Dupre* werden sich auf die Höhe der alten
Meister der Landschaftsmalerei stellen; denn sie
haben gewissermaßen die Natur so wieder einge-
setzt, wie sie von Rembrandt und Philips Koninck,
van Goien und Wijnants, Salomon und Jacob Ruis-
dael, Hobbema und van der Meer, Aalbert Cuijp
und Aart van der Neer und so vielen anderen Hol-
ländern des 17. Jahrhunderts aufgefaßt und aus-
gedrückt wurde.
Die natürliche Landschaft ist wiedergefunden;
verlieren wir sie nun nicht mehr!
OOO
Der Salon von 1861 zeigt uns mehrere Künstler,
die zur heilsamen Erneuerung der Landschaft bei-
getragen haben. Es fehlt Cabat, der übrigens eine
154 Landschaftsmalerei
andre Richtung genommen hat; Diaz, der soeben
sein ganzes Atelier verkauft; Jules Dupre, der sich
um öffentliche Ausstellungen nicht bekümmert;
Troyon, dem man seine Bilder ohne Zweifel schnell
abnimmt. Aber wir haben Paul Huet, Camille Flers
und Corot, die noch immer dieselben sind. Wir
haben auch die bleiche Plejade der Schule zu Rom:
Aligny, Paul Flandrin, Alexandre Desgoffe, die sich
nicht viel verändert hat. Wir haben eine Anzahl
von Schülern, die von Rousseau, von Diaz, von De-
camps, von Jules Duprd, von Corot ausgehen, zu-
weilen aus einer Mischung verschiedener Eigentüm-
lichkeiten bestehen. Wir haben endlich einen der
glänzendsten Meister selbst: Theodore Rousseau.
Theodore Rousseau
Die eigentliche Ausstellung Rousseaus, so, wie
er heute ist, fand im Verkaufslokal, rue Drouot,
vor einem Monat statt. Fünfundzwanzig Gemälde
von ihm, die für diesen Zweck sorgfältig vollendet
waren, wurden dort versteigert. Da gab's alle Arten
von Gegenden, alle Jahreszeiten, alle Tagesstunden :
Wälder und Weideplätze, Herbst und Frühling,
Morgenstimmungen und Sonnenuntergänge. Der
Erfolg war ansehnlich; aber die Künstler sind darin
einig, die frühere Art Rousseaus seiner jetzigen vor-
zuziehen. Er würde gern behaupten, daß er eben
erst anfängt, sein Handwerk etwas zu verstehen,
ein Bild bis zu einer gewissen Vollendung durchzu-
führen und Werke hervorzubringen, wo die Voll-
endung der Arbeit nicht dem Ausdruck schadet,
während er ehedem nur lebhafte Skizzen hingeworfen
habe, die unvollendet blieben, weil er nicht im-
stande war, weiterzugehen.
Es kann aber wohl sein, daß er sich selbst
schlecht beurteilt und daß er unrecht hat. Entwürfe,
meinetwegen. Die Landschaft von Rubens mit dem
Vogelsteller, der seine Netze spannt (im Louvre),
156 Landschaftsmalerei
sein „Turnier" beim Graben eines Schlosses, seine
Kirmes, sind doch auch wohl nur Skizzen? Aber es
sind Meisterwerke. Gewisse Liebhaber würden fast
alle Landschaften von Rembrandt nur kühne und
rohe Skizzen nennen. Und doch, welche Meister-
stücke sind auch sie. Rousseau selbst hat im Mu-
seum des Luxembourg einen „Waldrand" hängen,
den der Katalog als Skizze bezeichnet, — auch ein
kleines Meisterwerk, wie an Farbe so an Emp-
findung.
Man vermag auch kaum zu sagen, wann in den
Schöpfungen der Meister ein Entwurf oder eine
Skizze in ein „Gemälde" übergeht. Ist denn ein Ge-
mälde immer vollendet ? Ich finde meinerseits gar
nicht, daß die geduldigen Gemälde von Slingelandt,
der Mieris und selbst die Mehrzahl der Gemälde von
Gerard Dou fertig sind: sie sind es allzusehr. Viel-
leicht waren sie vollkommener, ich meine ausdrucks-
voller für das, was diese Maler wiedergeben wollten,
in einem bestimmten Zustand der Vorbereitung, wo
die Kleinarbeit des spitzen Pinsels noch weniger vor-
geschritten war. Es liegt kein Grund vor, sich auf
ein „Gemälde" einzuschwören, an dem drei oder
vier Jahre lang nacheinander gearbeitet ward. Denn
auch darin werden immer noch Einzelheiten fehlen,
die man in der Natur wahrnehmen könnte, wenn
man eine Lupe zuhilfe nimmt.
Dies Übermaß der Ausführung bemerkt man
freilich nicht auf den Landschaften Rousseaus, auch
wo er sich am meisten bestrebt hat, die Gesamtheit
Th. Rousseau 1861 157
des Abbildes möglichst vollständig zu erreichen.
Seine Empfänglichkeit vor der Natur, sein poetisches
Gefühl, bewahren ihn vor Kleinlichkeit. Indessen,
er würde gewiß nicht gewinnen, wenn er sein Talent
noch weiter einengte. Er besaß in seiner Jugend die
Freihändigkeit Hobbemas, die kraftvolle Breite
Cuijps, sogar etwas von der phantastischen Art Rem-
brandts. Zur perlglatten Feinheit eines Wijnants
zurückzukehren, wäre wohl kein Fortschritt. Bei
allen Meistern, in allen Schulen ist der erste Wurf
fast immer der beste, außer bei Rembrandt, diesem
seltsamen Genius, der ganz ruhig anfängt, sich dann
erwärmt und entflammt; ein Lichtschimmer zu An-
fang, eine Feuerglut am Ende. Rousseau war voll
Feuer in seinen ersten Arbeiten. Man denke nur
an den ,, Abstieg der Kühe" in einer Schlucht der
Schweiz, an die „Kastanienallee" aus dem schönen
Lande Charles Lerouxs in der Vendee; an den
„Sonnenuntergang" auf rauhreif-bedeckten Fluren,
der neuerdings in der Ausstellung des Boulevard
wiedererschien, und hundert andre Bilder, die vor
1 5 Jahren Künstler und Kritiker entzückten. Viel-
leicht bleiben die Werke dieser Periode auch ferner
die kostbarsten in der Laufbahn dieses unermüd-
lichen Arbeiters, dieses tiefen und originellen
Poeten, dieses Liebhabers der Natur, der es ver-
stand, den Bäumen der Wälder und den Wolken
des Himmels seine Seele mitzuteilen.
Die einzige Landschaft, die Rousseau im Salon
von 1861 ausgestellt hat, ist die „Steineiche" be-
1Ö8 Landschaftsmalerei
nannt. Im Vordergrund sind Felsblöcke verstreut,
ganz mit Moos und Grün bedeckt; dann eine große
knorrige Eiche, die diese Granitstücke beiseite ge-
drückt zu haben scheint, um zur freien Luft hin-
durchzudringen. Ihre breitenÄste erstrecken sich von
einer Seite des Bildes zur andern und bilden unten
gleichsam eine Bogenlaube, durch deren Schatten
andre bemooste Felsen, wildes Gestrüpp, all das
üppige Gewächs hindurchblickt, das die Gründe des
Waldes von Fontainebleau kennzeichnet. Links nur
ein ferner Durchblick auf den Himmel von kräftigem
Blau in Tönen von dunklem Saphir. Hier und da
erglänzen zwischen den Zweigen durch einzelne
Strahlen, die auf dem ernsten Grün wie Sterne
schimmern. Das ist sehr geheimnisvoll und sehr
kräftig, obwohl etwas zu einförmig ,, gestrickt", wie
man in den Ateliers sagt.
Dies Gemälde erreicht aber im Salon nicht
seine volle Wirkung. Schöne Dinge gewinnen, wenn
sie allein stehen, während man im Gegenteil glauben
sollte, daß eine gewöhnliche Umgebung sie erst
recht hervortreten lasse. Sie brauchen einen ge-
wissen Platz, ein gewisses Licht, gewisse zarte Rück-
sichten. So sondert man auch in einigen Museen
schon die außergewöhnlichen Werke ganz ab, wie
z. B. in der Galerie zu Dresden die Madonna di San
Sisto von Rafael, die ihren eigenen kleinen Raum
für sich hat. Die „Antiope" Correggios und die
,,Gioconda" Lionardos würden sich auch im Grunde
eines Boudoirs besser machen, als in dem großen
Corot 1861 159
Saal des Louvrc, wo übrigens nur Meisterwerke bei-
einander sind. Was heißt das also in der Aus-
stellung der Champs-Elysdes, wo man bei einer har-
monischen Malerei schon mit verletztem Auge an-
langt, nachdem soviel widerstreitende und grausame
Farben, soviel verdrehte und übertriebene Formen
darauf eingedrungen sind. Ich glaube, man könnte
eine ernste Landschaft von Ruisdael in den Salon
einschmuggeln, ohne daß irgend jemand sie unter
den dreitausend Bildern entdeckte, die da zu einem
blendenden Kaleidoskop zusammenwirken.
OOO
Corot
Corot besitzt nicht die üppige Mannigfaltigkeit
Rousseaus; er verfügt nur über eine einzige sehr
beschränkte Tonleiter, und zwar in Moll, wie der
Musiker sagen würde. Er kennt kaum mehr als eine
einzige Stunde, des Morgens, und eine einzige Farbe,
das bleiche Grau.
Er gerade würde gewinnen, wenn man eins
seiner Bilder aus dem Salon herausnähme — eins
nur, denn sie gleichen einander alle nahezu — das
beste, das ,,der See" betitelt ist, und es irgendwo
absonderte im Halbschatten eines ruhigen Raumes.
In diesem Bilde ist ein tiefgefühlter Eindruck, der
sich auf uns überträgt, eine ganz einfache, har-
monische und richtige Wirkung. Das Wasser, die
Bäume, der Himmel, alles ist in einen fast undurch-
160 Landschaftsmalerei
sichtigen Nebel gehüllt. Es würde einem gut tun,
in dieser Morgenfeuchte spazieren zu gehen und sich
den Träumen zu überlassen, die diese schwanken-
den fast ununterscheidbaren Gebilde hervorlocken.
Corot streift nur diese duftigen fabelhaften Re-
gionen und sieht darin auch nur Phantome erschei-
nen, flüssige Gestalten ohne festen Halt, wie der
Nebel selber, die beim geringsten Strahl der wirk-
lichen Sonne dahinschwinden würden. Er hat fast
niemals ländliche Arbeiter darin gefunden, sondern
immer nur ungreifbare Sylphen und Scheinbilder
von Nymphen, die in der Luft tanzen.
Dies Hervorzaubern einer Phantasiewelt, über
oder unter der Wirklichkeit, wie man will, hat
seinen Reiz, und daran hält sich Corot. Er hat es in
seinen sechs im Salon ausgestellten Bildern nicht
aufgegeben: ein Nymphenreigen, ein Orpheus, die
aufgehende Sonne, die Rast, eine Erinnerung an
Italien und ein See. In der Erinnerung an Italien
ruht eine nackte Frau, deren Formen, mit etwas
mehr Deutlichkeit sichtbar, anmutig und korrekt
sind. Aber welch zitternde schwanke Schatten nur
sind die Eurydike, die Nymphen und Najaden, die
im leeren Raum der übrigen Bilder herumirren.
Corot denkt ohne Zweifel an Claude Lorrain,
den Maler der Morgenfrische, wo die Natur sich
in Silberschleier hüllt; der ist doch aber auch der
echte Maler des Sonnenscheins gewesen. Corots Be-
wunderer selbst finden, daß er daran erinnert. Ist
das nicht sonderbar?
Paul Huct 1847 161
Paul Huct
Paul Huet hat immer außergewöhnliche Wir-
kungen gesucht. Er liebt die Erdbeben, die Wut des
Meeres und der Stürme. Er muß nicht übel Lust
gehabt haben, die Ausbrüche des Vesuvs zu malen.
Die ruhige Natur zieht ihn nur selten an. Er braucht
„Schwarze Felsen", einen Abgrund oder einen
Strudel, die „Aequinoktialflut in der Umgebung von
Honfleur". Dies letzte Bild hat Großartigkeit; es
ist mit meisterhafter Wucht gemalt. Die Baum-
gruppen, die von der steigenden, unwiderstehlichen
Flut getroffen werden, sehen aus, als empörten sie
sich gegen die Gewalt, und ihre hohen Äste sträu-
ben sich wie Haar. Die schwere dunkle Woge rollt,
vorwärts, heran, und verbreitet Schrecken, wie die
Sintflut von Poussin.
Ein anderes Gemälde von Paul Huet, eine ein-
fache „ Seestudie" am Kanal, ist auch von hoher
Eigentümlichkeit. Zwei Töne nur: ein gleicharti-
ger Streifen von gelblichem Grau für das Meer, ein
Streifen Eisengrau für den Himmel. Aalbert Cuijp
hat manchmal Seestücke in derselben Stimmung ge-
malt, die eine gleiche Wirkung hervorbringen.
OOO
Daubigny, dessen Aussehen noch ziemlich
jungen Datums ist, hat sich aus einem Gemisch
von Corot und Dupre eine Manier gebildet. Seine
Gemälde im Salon sind schwach und tonlos, be-
W. Bürger. Kunstkritik. 11
162 i indichaftimalerei
sonders „die Ufer der Oise" und der „Ile de Vaux44.
Das beste ist das „Dorf" bei Bonnieres, mit Häu-
sern, die sich im Wasser spiegeln; aber auch dies
Dorf, ist es aus Pappe oder aus Blech? Der Park
mit Schafen erinnert an Jacque und Millet. Dau-
bigny entbehrt der Individualität.
Chintreuil, der von Corot allein herkommt,
hat sich doch von aller unmittelbaren Nachahmung
frei gemacht. Er hat, wie Corot, ein sehr zartes
Naturgefühl, und — ich weiß nicht recht — etwas
Weibliches und Rührendes. Der junge Schwind-
süchtige von Millevoye hätte sein „Fallen der Blät-
ter" in der ängstlichen und unbestimmten Weise
von Chintreuil malen können. Beranger liebte Chin-
treuil sehr und hatte einige Bilder von ihm in
seiner bescheidenen Wohnung. Der „Tagesanbruch"
nach einer Sturmnacht, das für die Verlosung an-
gekaufte Bild, ist eins der bestgelungenen des
Malers. Morgen und Abend liegen ihm ebensogut
wie Corot.
Cilest in Leroux schließt sich auch an Corot
an, mehr als an Rousseau, bei dem er Unterricht
genommen hat. Er ist der Bruder Charles Leroux',
der oft schöne, feste Landschaften ausgestellt hat,
die der Vendee entnommen waren. Die Bilder von
Celestin haben nicht diese Meisterschaft, noch diese
kraftvolle Farbengebung. Leicht gepinselt, in einer
blassen Harmonie, kommen sie oft nur bis zu einer
annähernden Wiedergabe oder Andeutung der poeti-
schen und eigenartigen Gegenden, die der junge
Salon 1861 163
Maler sich auszusuchen liebt. Mit etwas mehr Ent-
schiedenheit könnte Cdlestin Leroux seinen Platz
unter den tüchtigen Landschaftern einnehmen; denn
er liebt die Natur und fühlt ihren Charakter wohl.
Victor Dupre* ist auch ein Widerschein sei-
nes Bruders Jules. Er wählt ohne viel Federlesens
sein Stück Natur, eine kleine Farm bei Limoges,
eine Weide aus Berri, und weiß ihr Farbe, heiteres
Licht und einen gewissen ländlichen Reiz zu ver-
leihen.
A n a s t a s i , ein andrer Nachahmer Jules Dupr6s
und Rousseaus ist durch Corots Atelier hindurchge-
gangen. Diesmal ist er zum Studium der Gegend in
Holland gewesen und hat von dort, unter andern
Bildern, auch eine „Untergehende Sonne" heim-
gebracht, die ihre Wirkung tut.
Thomas, ein Schüler Jules Dupres, hat einen
„Eingang ins Kastaniengehölz" ausgestellt, der sehr
originell ist; — Herson, Schüler von Diaz, einige
Ansichten aus der Normandie und ein gutes „In-
terieur der Kirche St. Maclou zu Rouen". — Wac-
quez, ein Schüler von Eugene Delacroix, eine
„Jagd im Walde von Fontainebleau" ; — Charles
de Tournemine, Schüler von Eugene Isabey,
fünf Ansichten aus dem Orient, die sehr fein und
sehr geschickt gemalt sind; — Harpignies,
Schüler von Achard, mehrere Stellen an den Ufern
des Allier und der Loire, die mit Eleganz vorge-
tragen sind; — Charles-Jean Mercier, Schüler
von Francais, eine ausgezeichnete Ansicht von einer
li!l Landschaftsmalerei
„Dorfkirche" in der Umgegend von Paris, mit rich-
tiger und harmonischer Lichtwirkung; — Fran-
cais selbst, drei Ansichten vom Ufer der Seine;
— und Flers sieben Gemälde aus seiner teuern
Normandie.
Belly, der bei Troyon gebildet ist, scheint ein
ausgemachter Praktikus zu sein. Er hat in Ägypten
alle Kombinationen von Licht und Schatten gelernt.
Wir haben von ihm schon einige Landschaften aus
dem Orient gesehen, ebenso wahr und ebenso
kräftig wie die Marilhats, aber schwerer. Unter
den Bildern, die er in den Salon geschickt hat, ge-
währen seine „Pilger, die nach Mekka ziehen" einen
packenden Anblick; es ist Großartigkeit in der
Gruppierung dieser ernsten Prozession, die sich nach
vorn bewegt. Im „Waldesinnern", das Belly für
die Jagdhunde des Herrn Balleroy gemalt hat, ist
auch Charakter und Energie. Belly ist Kolorist,
das zeigt er in seinen Landschaften wie in seinen
Porträts.
Ziem zählt auch fast zu den Meistern, und seine
Gemälde sind in vornehmen Sammlungen gesucht.
Er hat nur ein Triptychon ausgestellt, das drei
kleine „Ansichten von Venedig" enthält, den Mar-
kusplatz, den Dogenpalast und die Seufzerbrücke.
Aber ach, was ist aus jenen vermeintlichen Mei-
stern geworden, die man ehedem der jungen Schule
der Landschaftsmalerei gegenüberstellte: Theodore
Caruelle d'Aligny, der schon 1831 eine Medaille
erhielt und 1842 das Kreuz; aus Alexandre Des-
Salon 1861 165
g o f f e und Paul F 1 a n d r i n , diesen Vertretern des
großen heroischen Stils in Blattwerk und Blümchen,
bei Regen und schönem Wetter!
Aligny ist heutzutage ohne Zweifel Direktor
von irgendwas bei der Akademie und beim Museum
in Lyon; denn der Katalog gibt als seine Adresse
das Palais des Arts in Lyon. Das ist eine schöne
Stadt, die manche schöne Stelle für die Landschafts-
malerei darbietet. Aber Aligny liebt mehr seine
Erinnerung an Griechenland und Italien und hat
in den Salon eine Ansicht der Skyronischen Klippen
im Frühling geschickt, eine Erinnerung an die Ufer
des Anio bei Tivoli und das Grabmal der Cecilia
Metella in der Campagna von Rom. Für diese edlen
Maler des Ideals hat die Natur keinen Wert: ein
Vorwand höchstens ist sie, um ein Gemälde daraus
aufzubauen oder um eine mythologische Szene darin
zu erwecken. So bestraft sie denn auch Mutter
Natur mit gänzlicher Impotenz. Die Gemälde von
Aligny gleichen jenen gemalten Tapeten, mit denen
man die Dorfwohnungen ausstaffiert. Wie wird sich
das Grab der Cecilia Metella herrlich machen im
reichen Hause der Madame James Rothschild, die so
viel Kunstgegenstände und kostbare Malereien besitzt.
Die Bilder von Alexandre Desgoffe sind
noch seltsamer als die von Aligny. Da ist ein ge-
wisser „Faunentanz4', wo alle sich mit ihren kleinen
Bockschwänzen vergnügen. Und Bäume, wie man
keine mehr sieht seit dem faunischen Zeitalter. Wel-
chen Verwandlungen müssen Erde und Himmel
166 Landschaftsmalerei
unterlegen sein, seit dem Tode der alten Götter und
ihrer Gefolgschaft ! Alles ist heutzutage verändert ;
aber es scheint doch nicht, daß die Natur dabei ver-
loren hat. Wir haben heute Kraut, das wächst,
Blumen, die gut riechen, fließendes Wasser, dünne
Luft, und durchsichtiges Licht, während es damals
in der mythologischen Zeit das alles nicht gegeben
zu haben scheint; damals war es, wie auf unserem
Theater, mehr aus Pappe, und diente nur als De-
koration zum Hintergrund einer Schar monströser
Wesen. Vom Heidentum geht Desgoffe dann aber
gern zur Bibel über, und als Gegenstück zum
„Faunentanz" hat er einen „Verkauf Josephs durch
seine Brüder" gemalt. Es ist auch schon lange her,
seit jener Geschichte, und man würde Mühe haben,
einige Züge unsers heutigen Lebens darin zu er-
kennen, oder auch nur unserer gegenwärtigen
Menschheit und Natur, wie sie wirklich sind.
Paul Flandrin hat dieselbe Vorliebe wie
Aligny und Desgoffe und hat wie dieser eine Szene
aus dem Testament, aber dem Neuen ausgestellt:
„Die Flucht nach Ägypten". Obwohl erst neunzehn:
Jahrhunderte seitdem verflossen sind, war der Erd-
ball damals doch noch im urweltlichen Zustand, wie
es scheint. Man sieht besonders, wie ein Phänomen,
das es gar nicht mehr gibt, einen weiten gelben
Weg, der den ganzen Vordergrund einnimmt. Die
hier ausgebreitete Materie hat nichts mit dem Hu-
mus, noch mit dem Gestein, noch selbst mit dem
Staub oder mit dem Schlamm zu schaffen; es ist
Salon 1861 167
eine zähflüssige Masse, für die vielleicht Chemiker
und Apotheker einen Vergleich finden. Paul Flan-
Idrin sollte, wenn er geschickt genug ist, die Land-
schaft aufgeben und mit dem Porträt vertauschen,
das er recht fein zeichnet. Dann würde man viel-
leicht Aussicht haben, daß sein Bruder Hippolyt
das Porträt gegen die Landschaft eintausche, worin
er sicher bei seinem Gefühl für Leben und seinen
unvergleichlichen Eigenschaften als Kolorist Erfolg
haben würde.
Ach, und da ist gar noch G u d i n , von dem man
ja gar nichts mehr gehört hat. Zwei ungeheure von
der Regierung bestellte Leinwände hat er im Salon.
„Die Ankunft der Königin von England in Cher-
bourg" und „Die Flotte Frankreichs auf der Fahrt
von Cherbourg nach Brest". Das mag an die drei
Meter lang sein, und ist grausamlich mit Rot und
Gelb illuminiert. Und niemand hat dies Feuerwerk
gesehen, das ein Mann von Bedeutung abbrennt,
für teures Geld, zu Ehren des Bündnisses zwischen
einer allergnädigsten Königin der drei Königreiche
mit dem allermächtigsten Souverän der Welt ! Der
Katalog registriert noch drei andre Marinen, die
gewiß ebenso für Königliche Sammlungen bestimmt
sind : die „Küste von Scheveningen", die so oft und
so wunderbar von den holländischen Meistern ge-
malt worden ist, und ein „Heftiges Unwetter an der
Küste von England" und den „Untergang der spa-
nischen Armada durch einen Sturm in der Nordsee".
OOO
Weltausstellung in London 1862
Da die große historische und poetische Malerei
fehlt, gab es hier nur ein Mittel, wenigstens eine Seite
der französischen Schule zur Geltung zu bringen,
durch die sie allen andern überlegen ist : die Land-
schaft. Wir haben denn auch drei schöne Marilhats,
zwei Theodore Rousseaus, deren eines ein Meister-
werk an Farbe und Gefühl; einen großen Paul Huet,
sehr dramatisch; zwei Cabats fest und verständig;
einen glänzenden Wald vonDiaz; einen zarten Corot;
zwei Ziems, sehr leuchtend; ein Schneestück von
Lavieille; eine Ansicht aus dem Orient von Belly;
Gegenden aus Algier von Fromentin; die Ufer der
Oise von Daubigny, die Ufer des Allier von Har-
pignies; und die großen „Feldarbeiten" von Troyon
und Rosa Bonheur, und den großen Wald mit dem
Kampf der Hirsche von Courbet; und noch andre,
die vortrefflich das verschiedene Aussehen der Erde
und des Himmels wiedergeben. Wenn die Kom-
mission in geschickter Anordnung alle diese Ge-
mälde zusammengehalten hätte, die sich durch so
originelle Eigenschaften auszeichnen, so würde die
Wirkung mächtig und siegreich gewesen sein.
Es gibt heutzutage in Europa drei Landschafts-
schulen, die sich voll charakterisieren: die Frank-
Weltausstellung in London 1862 169
reichs, an die sich die Mehrzahl der belgischen und
holländischen Landschafter anschließen; die Düssel-
dorfer, zu der viele andre Deutsche und auch
Schweizer wie Calame gehören; die Englands, die
ganz für sich besteht, mit ihrer furchtbaren Lorgnette.
Die Schule von Düsseldorf geht mit abstrakten
und philosophischen Erwägungen vor; die englische
mit der physischen Analyse, die bis zur äußersten
Möglichkeit getrieben wird; die französische mit der
künstlerischen Auffassung und dem Gefühl.
Die Landschaftsmaler von Düsseldorf, die kaum
daran zweifeln, setzen ganz einfach die Schule Pous-
sins und Gaspards fort, indem sie die Natur nach
vorgefaßten Theorien zurechtmachen; ganz wie
die großen Mythen-, Historien- und Genesis-Maler
Deutschlands — die wohl etwas zweifeln — die rö-
mische und florentinische Schule fortsetzen. Ich
bin mit Landschaftsmalern aus Düsseldorf auf dem
Rheindampfer gefahren : „O, welch ein Schauspiel !
Großartige Natur! Du erhebst den Menschengeist
bis zur Anschauung des Unendlichen ! Alma Mater 1
(Ein Germane sollte doch kein Latein können!) Er-
habene Linien, die sich in den Himmel verlieren ! —
O Goethe und der Harz . . ." usw. Alles sehr gut;
aber nun kehrt mein Landschafter in sein Atelier
zurück und komponiert seine Landschaft mit seinen
Ideen und Reflexionen, selbst wenn er Lokalstudien
gemacht hat. Haben wir Berge? die brauchen wir.
Einige Tannen vom Sturm geknickt, die würden
sich gut machen auf dem Vordergrund: also brin-
170 Landschaftsmalerei
gen wir sie an. Ein See? ja, mit Schatten darüber,
das wirkt als Abschieber und ist zugleich poetisch.
Fängt man doch gleich zu träumen an, wenn man
auf dem Nachen über den See fährt. Dann stellen
wir vorn noch einen melancholischen Hirten auf
eine Felswand, und die Landschaft ist fertig. Aber
wie ist das traurig! wie leer und bedeutungslos, trotz
den Ansprüchen auf Großartigkeit und Poesie. Vor
solchen kalten Bildern wird der Beschauer ebenso-
wenig gerührt, wie der Maler es war, als er sie zu-
sammenstellte.
In England läßt der landschaftmalende Gentle-
man nicht lange Haare über einen himmelblauen
Mantel mit rotgelben Sternen wallen, wie die Poeten
von Düsseldorf, sondern macht zuerst seinen Über-
schlag, stattet sich bequem aus mit kurzer Joppe,
Schuhen „Prinz Albert" mit Lederriemen geschnürt,
und seinem Lorgnettenetui; dann geht er botani-
sieren auf den Feldern, versichert sich, daß diese
oder jene Pflanze spitze oder abgerundete Blätter
von dieser oder jener Form hat, daß dies Blümchen
solchen Kelch und so und soviel Staubträger hat,
daß es übrigens in der Natur sehr gewaltsames
Rot, hartes Grün, unerbittliches Gelb, viel Violett
gibt, — daß Licht überall und für alles da ist.
Gottseidank I Dann nimmt er das Teleskop zuhilfe,
das annähert, und das Mikroskop, das vergrößert;
— der englische Geist hält darauf, sich über alles
Rechenschaft zu geben. Unser gewissenhafter Land-
schaftsmaler macht bis ins Einzelnste seine Ansicht
Weltausstellung in London 1862 171
von Zweigen des Gestrüpps und abgebrochenen Blät-
tern, eins nach dem andern in vollem Tageslicht,
als ob er für das Kabinett eines Botanikers arbeitete.
Es versteht sich, daß wir damit nur die über-
triebenen Typen des deutschen und englischen
Landschaftsmalers herausgreifen, und daß es in
Deutschland und in England Künstler gibt, die mit
wahrem Naturgefühl begabt, auch volles Ver-
ständnis besitzen und die wesentliche Harmonie zum
Ausdruck bringen.
Die französischen Landschafter sind schwerlich
Philosophen und haben auch keine Neigung zu ex-
akten Studien. Sie gehen in den Wald von Fon-
tainebleau hinaus, oder nach der Ile Adam, an die
Ufer der Seine, des Meeres oder eines Bächleins,
zum Fuß der Alpen oder der Pyrenäen, richten sich
in einer Hütte ein, schauen nach der Farbe des
Wetters und nach dem Sonnenuntergang, fangen
den Regen auf und lassen sich den Wind um
die Nase wehen, bis sie von irgendeiner eigentüm-
lichen Wirkung auf irgendeiner ländlichen Stätte
den vollen Eindruck aufgenommen haben. Es ist
zuweilen nur die geringste Baumgruppe, ein stehen-
des Wasser, ein Busch, fast nichts; aber es ist das
Gefühl, das man bei diesem Beinahe-Nichts hat,
das — eben alles ausmacht.
Ist es nicht wunderbar, daß die alten hollän-
dischen Landschaftsmaler uns fesseln, uns inter-
essieren und rühren, uns von Erinnerung oder Hoff-
nung leben lassen, indem sie uns eine kleine be-
172 Landschaftsmalerei
schattete Hütte zeigen und Weiden, die sich im
Wasser spiegeln, wie Hobbema; einen Waldrand,
wie Ruisdael; ein Wiesenland am Kanal wie Aalbert
Cuijp. Wie kommt das? Das geschieht, weil sie
diese Dinge lieb hatten, weil sie den Charakter
fühlten und den Widerhall in der menschlichen
Seele. Naive, ihrer selbst unbewußte Dichter, deren
einziges Geheimnis die reine Liebe war zu dem, was
sie darstellten.
Der Künstler darf kein abstraktes Wesen sein,
nach deutscher Denker Art, noch ein einfaches,
nur recht klares Objektiv, nach englischer Art; der
Fehler der Deutschen ist, nicht genug von der
äußeren Natur aufzunehmen; der Fehler der Eng-
länder ist, nicht genug von der menschlichen Natur
wiederzugeben. Der wahre Künstler ist eine un-
lösbare Verbindung von Natur und Menschentum,
ein sehendes und denkendes Wesen zugleich.
Nun, eben diese doppelte Eigenschaft der Hol-
länder des 17. Jahrhunderts besitzen auch einige
französische Landschafter heute. Sie sehen sehr
gut, worauf es ankommt, und empfangen davon
einen entsprechenden Eindruck, und geben diesen
wieder ohne andres Vorhaben. Ich habe mit ihnen
in den Wäldern gelebt, z. B. oft mit Rousseau, und
der Mensch hat mich ebenso wie der Maler inter-
essiert : sein Herz war immer dabei, das Auge nicht
minder, und die Hand folgte ihnen. Wenn so der
ganze Mensch in seinem Werk aufgeht, in ihm lebt
und es in sich leben läßt, dann ist es kein Wunder,
Weltausstellung in I.on<lon 1862 173
wenn es Eigenschaften bekommt, die sich mitzu-
teilen vermögen. Vor einer Landschaft von Ruis-
dael — und vielleicht auch von Rousseau — erlebt
man genau das, was man angesichts der Natur
selber erleben würde und was der Urheber des
Bildes an sich erfahren hat.
Auf der kleinen Landschaft Rousseaus in der
Ausstellung sieht man eine Flur, einen Weiher und
am Rande des Wassers eine sitzende Bäuerin. Ach,
wie ist es herrlich da in freier Luft ! — da vergißt
man das eitle Getriebe der Stadt. Sollte nicht das
Glück in der Ruhe bestehen, frei von Leiden-
schaften, und in der Einfachheit der Sitten?
Das Gemälde von Paul Huet gibt einen fast
entgegengesetzten Eindruck. Die Erde ist von einer
gewaltigen Überschwemmung heimgesucht; gelb-
liche Fluten rollen daher und reißen Baumstämme
und Haustrümmer mit sich fort; der Himmel ist
düster und undurchsichtig wie die Wasserstrudel.
Man fühlt sich zum Kampf gegen die Natur auf-
gelegt; man empört sich gegen die Geißel; richtet
sich auf zu tapferm Sinn und ist bereit, alles auf
sich zu nehmen.
Die „Feldarbeit" von Troyon, mit den großen
Ochsen, die dem Bauern bei seinem Tagewerk helfen,
flößt Achtung vor der Arbeit ein, für die Geduld
und die Kraft, die der Pflicht gewidmet werden.
Das gesunde Dasein in fruchtbarer Tätigkeit: ach,
wie gern wäre auch ich so ein Ackersmann.
So sind auch andre Landschaften der franzö-
174 Landschaftsmalerei
sischen Abteilung. Sie führen uns in die Natur ein
und setzen uns in Zusammenhang mit ihr durch den
großen Zug der Seele, den starken Mut, die Heiter-
keit oder die Trübsal. Vielleicht könnten die Men-
schen besser sein, wenn sie nicht so grausam alle
Bande des Mitgefühls mit der Natur zerrissen hätten.
Vor den botanischen Landschaften der eng-
lischen Praeraphaeliten, bekommt man den Einfall,
daß all diese feinen Kräuter, richtig getrocknet
und präpariert vom Pharmazeuten, der sie alle er-
kennt, gewiß gut seien, um Tee daraus zu brauen.
Und wie malen sie gut, die französischen Land-
schafter. Wieviel Luft und Licht ist bei Rousseau,
welch ein fester ganz emailartiger Auftrag, welche
treffliche Zeichnung im Gezweig der Bäume, in
den Krümmungen des Erdreichs, in den Linien des
Horizonts. Welch ein Glanz bei Diaz und welche
Farbigkeit; wie bei Edelsteinen unter der Sonne.
Bei Troyon, welche Solidität, welche Richtigkeit
und Einfachheit. Bei Paul Huet, welche Fülle und
welche Breite.
Man muß zu Ehren der englischen Schule
sagen, daß die französischen Landschafter ein wenig
von ihr abstammen, durch Gainsborough nämlich
und Constable, die als erste nach den alten hol-
ländischen Meistern sich wieder darauf verlegten,
die schöne gute Natur, so wie sie ist, ehrlich ab-
zumalen. Man darf sogar, ohne Schmeichelei, hin-
zufügen, daß Turner keinen Rivalen in irgendeiner
modernen Schule findet.
ooo
1863
Theodore Rousseau
Ich glaube wohl, daß Theodore Rousseau
der größte Landschafter unserer Zeit ist, nicht allein
in Frankreich, sondern in Europa, und daß die
Nachwelt ihn auf denselben Rang stellen wird wie
die holländischen Meister des 17. Jahrhunderts. Es
gibt nicht viel zeitgenössische Maler, denen man
mit einigem Anschein von Sicherheit voraussagen
kann, daß sie dereinst zu den Meistern aller Zeiten
und aller Länder gehören werden. Eugene Dela-
croix wird auch darunter sein. Nehmen wir noch
Decamps hinzu, und, wenn Sie wollen, Diaz und
Jules Dupre, die durch einige ihrer Werke, — die
auszuwählen wären, — wahre Meisterschaft erlangt
haben. Einige andere wie Paul Delaroche, Ary
Scheffer und Jean Aug. Dom. Ingres werden inner-
halb der französischen Schule ihren Ruhm bewah-
ren; aber es ist fraglich, ob sie als überlegene
Originale in der Geschichte der europäischen Kunst
anerkannt werden. Lebrun, Mignard und andre na-
tionale Berühmtheiten, die unsre Museen in Paris
und in der Provinz erfüllen, sind niemals in fremde
Galerien aufgenommen und gesammelt worden.
176 Landschaftsmalerei
Es gibt eben Lokalgrößen und Größen, die über
die Grenzen ihres Vaterlandes hinausstrahlen und
überall heimisch werden. Lionardo und Rafael, van
Eyck und Memling, Dürer und Holbein, Correggio
und Tizian, Rubens und van Dyck, Claude und
Poussin, Velazquez und Murillo, Rembrandt und
Ruisdael, selbst die ,, Kleinmeister" wenn sie in ir-
gend einem Genre vollkommen sind, gehören der
Menschheit an.
Eins der beiden Bilder von Rousseau in der
Ausstellung, eine Waldlichtung, könnte zwischen
einem Ruisdael und einem Hobbema standhalten.
Die Solidität des bewachsenen Erdreichs, die Struk-
tur und Modellierung der Eichen, das Licht, das
in der Mitte auf eine Straße fällt, wo ein Karren
vorüberfährt, der Tiefton des Himmels, der ge-
wandte, perlglatte Pinselstrich über einem fest wie
Email aufgetragenen Impasto, die Harmonie der
Gesamtwirkung und der wirklich ländliche Charak-
ter, spotten aller Kritik. Ich kann mir nicht vor-
stellen, von welcher Seite man diese Malerei an-
greifen wollte, die zugleich so ernst und reich aus-
geführt ist und ein so intimes, so poetisches Emp-
finden offenbart.
Über das zweite Bild wäre etwas zu sagen, —
daß es von andrer Mache ist, d. h. in jener Spitzen-
stickerei, die einigen neueren Werken Rousseaus
eigentümlich ist. Sollte dieser von der Natur be-
günstigte Liebhaber der Natur, der mehr in all
ihre Launen eingeweiht ist als wir mitsammen, eine
Th. Rousseau 1863 177
ihrer Ansichten getroffen haben, die diese etwas
mechanische und übermäßig positive Art der Durch-
führung forderte oder rechtfertigte ? Diese einzeln
abgepflückten Blätter, die ebenso vereinzelt wieder
und gleichwertig gegen den Himmel gesetzt sind, —
die haben wir niemals in freier Luft gesehen, wo
das Licht schon die Dinge gruppiert und häuft, mit
jener unendlichen Mannigfaltigkeit, die ein Ganzes
zusammensetzt. Man hat doch die Blätter eines
Baumes nie zählen können, es sei denn auf Land-
schaften von Aligny und vielleicht auch Paul
Flandrin.
Aber was bedeutet dieser vorübergehende Ver-
such bei einem Talent wie das Rousseaus ? Er war
Meister schon von seiner ersten Jugend an. Mit
dreißig Jahren hat er Hauptwerke geschaffen. Er
schafft solche noch immer. Während hier zwei
Bilder im Salon sind, während man von ihm ein'
halbes Dutzend von Wundern in der Ausstellung
des Clubs der Rue de Choiseul sieht, gibt er sich
sogar den Zufälligkeiten des Hotel Drouot preis,
mit 17 Landschaften, die sich die verfeinertsten
Liebhaber streitig machen, eben jetzt. Glücklich,
wer den „Weiler unter Gehölz", den „Weg im
Walde" oder den „Sturm-Morgen" erringt.
W
W. Bürger. Kunstkritik. 12
Corot
Corot ist auch ein Meister, wenn auch be-
streitbarer; aber seine duftige Malerei, die Künst-
ler und Dichter entzückt, nimmt doch keine genü-
gend greifbare materielle Form an, um die Blicke
der Laien zu fesseln. Wer die „Vollendung" eines
Willem Mieris, eines Denner oder Geröme schätzt,
vermag kaum eine Malerei zu begreifen, in der das
einzelne sich im Eindruck der Gesamtheit verliert.
(Der Durchschnitt der Besucher möchte auf
einem Bilde alles sehen, was man mit einem Mi-
kroskop entdecken kann. So hat auch Geröme,
der sein Publikum und seine Zeit kennt, in seinem
Gemälde Louis XIV. und Moliere allen Krimskram
mikroskopisch getreu gegeben. Die Figuren haben
12 — 15 Zentimeter Höhe, d. h. man sieht sie auf
einen Kilometer Entfernung, und doch unterscheidet
man sehr gut die kleinen Locken ihrer Perücken und
die kleinsten Zufälligkeiten ihres Aufputzes. Ei,
das allerliebste kleine Stück mit den geringsten
Details der Damastmuster und der Spitzenguipure I
Das ist unschuldsvoller Realismus.)
Von den drei Bildern Corots ist die „Studie
aus Ville d'Avray" das verlockendste. Ein Poet
Corot 1863 179
bewohnt da irgend ein Häuschen im Frühling. Eines
Morgens steht er früh auf und setzt sich auf einer
der vvaldbewachsenen Höhen. Vor sich entdeckt er
zwischen dem leichten Gehänge der Baumreihen hin-
durch einen Teich, auf dem noch der Morgennebel
lagert, und weiterhin Hügel und silberhelle Gründe.
Ganz vorn sammelt eine Bäuerin abgefallene Zweige
zuhauf. Was dieser Dichter gesehen, hat Corot
gemalt. An einem Morgen ist angesichts der Natur
geglückt, was diese Studie bietet. Aber dies Meister-
werk wird im Salon vielleicht kaum viel Wesens
machen.
Ich erinnere mich noch der Jahre, die jetzt schon
weit zurückliegen, wo ich in voller Sympathie mit
der Dichtung Corots, ihn doch zuweilen wegen einer
gewissen Unfähigkeit, die Formen der Natur wieder-
zugeben, kritisierte. Was für große Künstler waren
es damals, deren Werke wir vor fünfzehn Jahren
zu besprechen hatten, im Vergleich zu den heutigen.
Man sage mir doch, welcher Landschaftsmaler ist
denn auf die Welt gekommen, seit jener Plejade, die
damals soviel Kontroversen erregte und heute euro-
päisches Ansehen genießt, seit Rousseau, Dupr£,
Diaz, Huet, Cabat, Marilhat, Troyon usw. ?
Die Studie von Mery bei la Ferte-sous-Jouarre
ist schwächer als die Studie von Ville d'Avray.
Aber die ,, aufgehende Sonne" mit Badenden, die
schamhaft in den Morgendunst gehüllt sind, ist noch
ein reizendes Bild.
OOO
180 Landschaftsmalerei
Greifen wir nun einmal diese Landschafter aus
längstvergangenen Zeiten heraus.
Flers ist noch immer da und zeigt seine Nor-
mandie oder dicht gewachsenes Gehölz.
Paul Huet, immer tüchtig und dramatisch,
mit Abhängen und Schluchten, wenn er sich nicht
zu Überschwemmungen und Stürmen steigert. Ju-
les Dupr£, Diaz, Cabat, Troyon fehlen, wie gesagt.
Aber ihre alten Rivalen haben noch nicht den Kampf-
platz geräumt, nur bemerkt man sie nicht mehr : da
ist Aligny, Paul Flandrin, Alexandre Desgoffe, alle
drei dekoriert wie die andern.
Francais, der zwischen beiden Gruppen steht,
hat sich zu Orpheus gewendet, mit einem Epigramm
aus Virgils Georgica :
„Te dulcis conjux . . .
Te, veniente die, te, decedente, canebat."
Ich verstehe kein Latein, aber ich nehme an:
„decedente die" will sagen „bei Nacht"; denn es
sind Sterne in Francais' Landschaft zu sehen. Da
ist auch ein lateinisches oder griechisches Grabmal,
ich kenne mich nicht aus, und ein Baum aus jenen
Ländern, die lange vor der französischen Revolution,
ja vor unserm Herrn Jesus Christus existiert haben.
Im Ernst, mir scheint besonders in der Land-
schaftsmalerei sollte ein mit Menschlichkeit ver-
bundener Naturalismus mittlerweile die Altertüme-
lei und die mythologische Wirtschaft ersetzen. Him-
mel und Erde sind verwandelt seit dem Verschwin-
den Jupiters in der Höhe und der Nymphen in der
Salon 1863 181
Tiefe. Ich sehe keine Najaden mehr in den Flüssen
noch Hamadryaden in den Hainen. Die einzigen
Waldmenschen des Waldes von Fontainebleau schei-
nen die armen Kohlenbrenner zu sein oder die Jagd-
hüter in Uniform. Keine Sirene mehr auf der Seine,
bis auf die Ruderinnen in himmelblauer Flanellbluse.
Ach, was sind die Zeiten prosaisch! Wie soll man
im untern Meudon die „Landung der Kleopatra"
machen, oder auch nur einen Diogenes, der seine
Trinkschale in den Teich wirft.
Bah, wenn man nur, was man sieht, liebevoll
und ehrlich machte? Einige Künstler versuchen
es. Ein Bild, dem ich im Salon den Vorzug gebe,
ist das von Belly, wo vier Fellahweiber Wasser
schöpfen, am Rande des Nils. Er hätte eine lieb-
liche Komposition daraus machen können, indem er
die Sache mit einigen seit Moses bekannten Per-
sonen arrangierte. Sein Gemälde hätte jedoch nicht
dabei gewonnen, als höchstens die Aussicht, vom
Staat angekauft zu werden. Er hätte auch Aphro-
diten oder „Perlen" daraus machen können; damit
wäre fashionable Sympathie wahrscheinlich erreicht.
Aber er hat einfach vier gelbe Ägypterinnen ge-
macht, eine gebeugt und von vorn gesehen, die ihren
Henkelkrug im Flusse füllt, die andre vom Rücken
gesehen, auf den Sand gelehnt; rechts eine sehr ele-
gante Gruppe: ein junges Mädchen mit erhobenem
Arm, im Begriff ein Gefäß auf den Kopf der Ge-
färtin zu setzen. Das Wasser ist gelb, der Sand
bleich, der Himmel zwischen Schwefel und Saf-
182 Landschaftsmalerei
ran. Das junge, von rückwärts gesehene Mädchen
ist unter der bläulichen Tunika mit seltener Voll-
endung modelliert. Wir kennen von Belly schon
mehrere schöne Gemälde aus dem Orient, wo er
gereist ist, nachdem er früher im Atelier Troyons
gearbeitet.
Ohne so weit in die Ferne zu schweifen, hat
Lavieille, ein Schüler Corots, unweit von Pierre-
court eine „Abendstimmung" gefunden, die sehr
melancholisch, auch in einer dumpfen Tonart, aber
außerordentlich richtig, wiedergegeben ist.
Charles-Francois Daubigny ist immer ein
wenig derselbe : seine großen Stücke sind leer, seine
Gebilde platt und schwach. Doch ist in seinem
„Morgen" Feinheit, und in seiner „Ernte" einiger
Schwung. Sein Sohn, der ihn nachahmt, hat zwei
Bilder ausgestellt.
Harpignies besitzt viel Originalität, und seine
Landschaft mit Rabenscharen, die einen bleichen
Himmel mit schwarzen Punkten durchziehen, ist
sehr eigenartig. Hannoteau vereint poetisches
Empfinden mit guter Ausführung. Daß die Jury eine
ausgezeichnete und sonderbare Skizze von P radel-
ies „Winterstimmung" zugelassen hat, ist erstaun-
lich genug. Teinturier, Schüler vonDecamps, hat
einen „Sonnenuntergang" ausgestellt, sehr einfach
und sehr kräftig. Busson, einen „Sturm in den
Landes" mit einem großen verdorrten Baum im
Vordergrund und einem Himmel voll dramatischer
Bewegung. Bachelin, Schüler von Couture, gibt
Salon 1863 183
Mäher der Alpen, die von schroffen Felsen her-
untcrklettern mit ihrem Bündel Heu auf dem Kopf.
Magy, Schüler von Loubon, gibt Kabylen bei der
Ernte in einer lichtvollen Landschaft; Raphael
Ponson „das Meeresufer bei Cassis", ein Gemälde
von großer Wirkung, etwas im Stil Paul Huets. Gues,
ein Schüler Horace Vernets, gibt den „Abend" in
einer ungesuchten Gegend. Von einem Zögling des
geistreichen und oberflächlichen Vernet hätte man
so naive Einfachheit gewiß nicht erwartet. Coig-
nard erscheint mit einem Weideland der Nor-
mandie, Tournemine mit Erinnerungen aus Unter-
Ägypten, darauf zwei Flamingos, die er so sehr liebt,
und Flügen von Wasservögeln. Jeanron gibt drei
Ansichten aus der Umgebung von Hyeres usw.
1864
Im Grunde hat es niemals mehr als zwei ver-
schiedene Schulen in der Landschaftsmalerei ge-
geben: die Poussins und Claudes — und die Ruis-
daels und Hobbemas; ebenso wie es nur zwei Ty-
pen in der modernen Kunst gibt: Rafael und Rem-
brandt, den Künstler a priori und den Künstler
a posteriori, wie ein philosophischer Ästhetiker
sagen würde: den Künstler, der von einem selbst-
gemachten Ideal ausgeht, und den Künstler, der
von der Natur ausgeht. Correggio und Tizian, Ru-
bens und Velazquez stehen nicht auf der Seite Ra-
faels, der für sich die römische und bolognesische
Schule hat und noch eine ganze Menge von Malern,
die seit länger als drei Jahrhunderten seinen Spu-
ren zu folgen gestrebt haben, ohne sein Genie zu
besitzen.
Ehedem machte man Systeme und leitete dar-
aus eine Wissenschaft und eine Praxis ab. Der
Charakter des neunzehnten Jahrhunderts besteht
dagegen darin, zuerst eine Wissenschaft zu ent-
decken und die Praxis durch Experimente zu er-
langen; danach erst mag jeder nach seiner Weise
Salon 1864 185
darüber systematisieren. Ohne uns rühmen zu wol-
len, ist unsre Methode besser als die jener Zeiten,
die noch von Vorurteilen und Aberglauben be-
herrscht waren.
Wie soll man sich über den Naturalismus in
der Kunst wundern, da er doch genau dasselbe ist
wie das neue Verfahren, das in allen Richtungen
des menschlichen Geisteslebens eingeschlagen wird,
in der Philosophie, in der Politik, in der Wissen-
schaft und im sozialen Haushalt. Verlegen sich
nicht die Wissenschaften zunächst auf das Studium
der Tatsachen, um so zur Kenntnis der Gesetze zu
gelangen, zu theoretischen aber doch positiven Ver-
allgemeinerungen.
Nun gut, die Naturalisten in der Kunst machen
es nicht anders : sie beobachten die Natur, gehen
vom Besonderen zum Allgemeinen, und wenn sie
Talent haben oder gar Genie, dann vergrößern sie
die Eigentümlichkeit eines Anblicks durch die Cha-
rakterzüge der Gesamtheit.
Ich sage nicht, daß Poussin und Claude der
Natur fremd gewesen seien, sondern daß ihre Auf-
fassung, ursprünglich ideal, sich in der Folge erst
in ihren Werken mit einer gewissen Dosis von Re-
alität erfüllte. Claude ist der Meister des Himmels-
lichtes. Und das erste Element der Landschaft ist
das Licht. So hat auch niemand Claude übertroffen
in der Wiedergabe des Himmels und der Fernen.
Aber er schuf seine Himmel, um ein vorgefaßtes
Bild zu erleuchten, mit Palästen und Geschichten
186 Landschaftsmalerei
aus dem Feenland. Ähnlich begann Poussin damit
in seinem Kopf eine Komposition auszudenken, er
kombinierte ganz abstrakt die großen Linien und
das Beiwerk; dann verband er das Ganze durch ein
Gefühl für die Natur selbst, in ihren großartigen
Ansichten. Dies Verfahren darf nicht durchaus ver-
urteilt werden, weil es Meisterwerke hervorgebracht
hat; aber es ist für mittelmäßige Künstler gefährlich.
Zu welchem Grad von Unbedeutendheit war die
sogenannte klassische Landschaft herabgesunken, als
die neue Schule, die heute in voller Glorie dasteht,
ganz einfach darauf verfiel, zur Natur zurückzu-
kehren und Landschaften zu malen, die sie sah, an-
statt fabelhafte und erdichtete Gegenden zusammen-
zustöppeln. Wo sind heute Aligny, Edouard Bertin,
Alexandre Desgoffe und Paul Flandrin, die einen
Augenblick versuchten, das antike Griechenland und
die Mythographie in der Landschaft zu verewigen.
Sie zählen nicht mehr in der zeitgenössichen Schule
und ihre Namen sind fast schon vergessen. Ihr
System, wenn auch sehr verbessert, ist freilich noch
nicht vollständig verlassen, und man trifft im Sa-
lon auch noch einige Getreue, die von den Ver-
fechtern des Ideals und der literarischen Malerei
ermutigt werden. Es ist angenehmer, einen heiligen
Hain mit Nymphen und einem Tempel zu schildern,
als ein Bauerngehöft mit einem Karren und einem
ganz gewöhnlichen Teich.
Die neue Landschaftsschule, deren Ursprung
sich etwas an die englische Schule von Constable
Th. Rousseau 1864 187
und Gainsborough knüpft, und deren erste Haupt-
führer Paul Huet, Jules Dupr£, Theodore Rousseau,
Flers und Cabat, Decamps und selbst Bonington und
Eugene Delacroix gewesen sind, — ist sie nicht
heute die Ehre Frankreichs und der zeitgenössischen
Kunst ? Die Landschaften von Eugene Delacroix,
von Decamps, von Marilhat, von Rousseau, Dupre,
Diaz, Troyon, Corot und einigen andern, — werden
sie nicht in den Galerien unter die Meisterwerke der
alten Schulen eingereiht? Von allen zeitgenössi-
schen Malern sind die Landschafter vielleicht die
einzigen, von denen man sagen kann, sie gleichen
in ihrem Fach den Meistern von ehedem.
Als Liebhaber von Gemälden ebenso wie als
Kritiker würde ich bekennen, daß für mich der
erste Landschafter unserer Zeit Rousseau ist. Nach
ihm kommen Diaz und Jules Dupre, dessen Ab-
wesenheit im Salon man bedauert.
OOO
Theodore Rousseau
Das Genie Rousseaus ist der Effekt. Die Ef-
fekte in der Natur sind wie die Gemütsbewegungen
beim Menschen: das geht von einem leichten und
vorübergehenden Eindruck bis zu gewaltsamen Er-
schütterungen und wütenden Leidenschaften, von
einer kleinen atmosphärischen Bewegung bis zum
188 Landschaftsmalerei
Gewitter, von einem bloßen Lichtschimmer am stür-
mischen Himmel bis zur glänzenden Pracht der
untergehenden Sonne. Rousseau hat alle Launen
und alle Zufälligkeiten, alle Dramen und alle Aus-
schweifungen der Natur zu malen verstanden: den
Regen, den Wind, den Wirbelsturm, den Tau, den
Reif, den Schnee; den Morgen und den Abend wie
den vollen Mittag; die Sonne, wenn sie aufsteht,
und die Sonne, wenn sie herabsteigt hinter den
Horizont; den Winter und den Sommer, vor allem
aber den Herbst, und sogar den Frühling.
Es ist bemerkenswert, daß die alten Meister
nie den Frühling gemalt haben. Sucht nur in dem
Werke Poussins und Claudes, in dem Werke Ruis-
daels und Hobbemas und aller ausgezeichneten hol-
ländischen Landschafter. Der Sammetbreughel viel-
leicht in seinen irdischen Paradiesen. Einige mo-
derne Engländer haben es mit Erfolg getan, und
Millais hat herrliche Frühlingsbilder geschaffen, mit
Apfelbäumen in Blüte und saftigem frischem Grün.
In seiner ersten Manier liebte Rousseau besonders
die Traurigkeit der Herbststimmungen, die wilden
Gegenden mit bemoosten Felsen und zerzausten
Eichen, mehr als die heitern Ansichten der Er-
neuerung und der Maifeste. Damals aber hat auch
er sein Frühlingslied angestimmt. Wir lebten zu
jener Zeit in Mansarden beieinander und hatten
keine Mittel, selbst nach Fontainebleau zu gehen,
wo wir seither die Kolonie von Barbison gegründet
haben. Den Monat Mai unter dem Dach verbringen
Th. Rousseau 1864 189
und nicht unter den Zweigen, die sich mit Blättern
schmücken ! Der Frühling rumorte im Kopfe Rous-
seaus; er improvisierte:
„Dans les nids y a des p'tits,
Y a des p'tits dans les nids!"
Das ist alles. Man fängt nach Belieben von vorn
an. Es kommt auch nicht aufs Singen an, wenn
man Maler ist. Rousseau, der alles versuchte, ver-
suchte also Frühlingseffekte mit blühenden Hecken,
darin die Vögel ihre Nester verbergen konnten, mit
zarten Trieben an den Spitzen der Bäume, mit Grä-
sern, die noch nicht von der Sonne gebräunt sind.
Das ist nicht so leicht zu malen, wie gelbes oder
bronzenes Gestein, oder wie alte Gerippe von Bäu-
men. Dazu gehört eine Zartheit des Tones und eine
Leichtigkeit des Pinselstrichs, die der neuen Schule
nicht eben vertraut sind, da sie ihre Stärke gerade
im pastosen Farbenauftrag und der Energie des
Kolorits, in der Tiefe der Schatten im Gegensatz zu
den Lichtern sucht. Dazu gehört ein Festhalten am
Hellen und kaum wahrnehmbaren Halbtönen, weil
die Sonne noch nicht in voller Kraft die Silhouetten
der Dinge hervorhebt. Es gehört dazu vor allem
die Kühnheit vollster Aufrichtigkeit, um zu wagen,
das auszudrücken, was man sieht, genau so wie
man es sieht.
Eine der beiden von Rousseau ausgestellten
Landschaften ist eben eine Dorfansicht im Frühling.
Die Lage ist ganz gewöhnlich, ohne besondere
Schönheit und Originalität: eine gerade Straße,
190 Landschaftsmalerei
eben und grau, zwischen zerstreuten Hütten auf
beiden Seiten, alle gleich an Form und an Farbe
bis auf das erste Haus links, das mit rötlichen
Ziegeln gedeckt ist. Am Ende der Straße ein kleines
Gehölz, in das sie einmündet. Längs dieses Durch-
gangs durch das Dorf sind keine Hecken noch Ge-
büsche zu sehen, nur zwei armselige kleine Bäume,
gar nicht anspruchsvoll. Aber um die Hütten herum
wachsen Büsche und Grünzeug. Ein Reiter kommt
auf der Straße daher; weiterhin ein Figürchen in
Blau, und ganz dicht beim Gehölz ein andres kleines
Figürchen in Rot : sie dienen, die Abstände zu be-
werten. Der Himmel, fast einfarbig und azurn in
der Höhe, geht gegen den Horizont in perlgraue
Töne über. Ein ruhiges, überall gleichmäßiges
Licht verbreitet sich über den Dächern der Hütten,
die mit Sammetflechten überzogen sind, und über
die jungen Rasenflächen. Kein Wind, kein Ge-
räusch; Schweigen und Ruhe. Man könnte die Vö-
gelein in ihren Nestern girren hören. Vielleicht
würde man nicht gerade Neigung haben, dies Dorf
zu bewohnen, wo keine malerische Aussicht über
bewegte Fernen ins Auge fällt ; aber es würde wohl-
tun, da hindurchzugehen, wenn man aus Paris
kommt, um die große Stadt zu vergessen und sich
auf die Sammlung eines ländlichen Lebens vor-
zubereiten, draußen auf bewegteren Fluren, die auch
unser Gemüt lebhafter bewegen.
Die Bewunderer Rousseaus, die an seine warme
Malerei und den lebendigen Zauber seiner Palette
Th. Rousseau 1864 191
gewöhnt sind, scheinen diese einfache und naive
Art nicht sehr zu billigen. Auch ich bin nicht ver-
narrt in gewisse kleinliche Verzierungen, die er
neuerdings zuweilen angewandt hat, er, dessen Strich
sonst so breit und entschlossen wie der Hobbemas
ist, in allen Studien und Skizzen nach der Natur. Hier
aber verschwindet das Verfahren ganz. Der große
Künstler hat sich freiwillig ausgelöscht in seinem
Werke: — das ist vielleicht das Höchste der Kamst.
Sonst braucht man die andern Bilder Rousseaus
nur von weitem zu gewahren, um schon seinen
Namen sofort zu nennen; denn die besonders cha-
rakteristischen Meister erkennt man schon aus der
Ferne. Mit dieser kleinen Dorfansicht geht es nicht
ebenso. Am Tage der Eröffnung des Salons, als
ich die Säle ohne Katalog durchschritt, wie man
meines Erachtens immer zu Anfang tun muß, sowohl
in Museen wie Ausstellungen, — wurde ich durch
diese blonde und keusche Malerei angezogen. Beim
nächsten Blick schon erriet ich Rousseau, und zwar
aus seinen so zarten grauen Tönen auf den Hütten,
aus seinem kräftigen Grün, obgleich sie ganz hell
sind, und aus der genauen Modellierung der Büsche,
die an diejenigen der Verehrung des Lammes von
Jan van Eyck in S. Bavon zu Gent erinnern. Welche
verdienstliche Bemühung beweist nicht schon solch
ein Werk durch das liebevolle Studium eines Künst-
lers, der alle Morgen eine geistreiche Skizze malen
könnte, wenn er dem Beispiel des Meisters Teniers
folgen wollte, der in seinem Schloß Trois Tours,
192 Landschaftsmalerei
Tag für Tag vor dem Gabelfrühstück solch ein
Stück fertig gemacht haben soll.
Das andere Bild von Rousseau wird allgemein
bewundert. Immer Hütten, aber diesmal unter dem
Schirm großer Bäume, die fast die ganze Fläche
füllen und fast die ganze Komposition in breite
Schatten hüllen. Die Farm liegt in der Mitte, etwas
vom Licht getroffen; aber die einzige helle Partie
ist vorn, wo eine Bäuerin ihre Eimer trägt. Rechts
die Scheuer mit Strohdach. Links ein geheimnis-
voller Durchblick, an dessen Ende man eine andre
Hütte gewahrt. Grüner Boden, in einem stumpfen
Halbton, nimmt den Vordergrund ein. Ein Natur-
freund würde gut da leben unter diesen Eichen.
Ist das der Ort, wohin die Dorfstraße führt, die
wir vorher gesehen haben? Gehen wir nicht weiter;
wir haben die rechte Stelle gefunden und zugleich
das schönste Stück auf der ganzen Ausstellung.
ooo
Corot
Eine entzückende Landschaft von Corot ist die
„Erinnerung an Morte-Fontaine" mit Morgennebeln,
die einen See umspielen. Große Bäume zeichnen
ihr Spitzengehänge gegen die silberne Atmosphäre.
Am Rande des Wassers belustigen sich drei Mäd-
chen mit den Zweigen einer eleganten Esche. —
Corot ist unvergleichlich im Erwecken poetischer
Gebilde mit fast nichts. Es ist kaum gemalt; abet
Corot 1864 198
-'■■■— j_ ...■'' , 7 ' i' -.
der Eindruck ist da, und vom Künstler überträgt
er sich auf den Betrachter.
Der zweite Corot hat nicht mindern Reiz; eine
Art Skizze, die „der Windstoß" betitelt ist. Ein
Feenmärchen immerhin, fast ohne Realität. Ich
weiß nicht, welches Land in den Äther getaucht, das
irgendwo in den Sternen, vielleicht an der Milch-
straße zu finden sein wird, Corot ist dem idyllischen
Charakter, ohne ihn zu suchen, viel näher als andre
Maler, die es direkt darauf abgesehen haben. Seine
Landschaften haben das Aussehen, für die Nymphen
und Museen geschaffen zu sein. Die Flegel Millets
würden darin nicht gedeihen können.
OOO
Von wem, glauben Sie, sind wohl die besten
Landschaften im Salon, nächst denen von Rousseau
und Corot ? Von einem Bildhauer, der seine Bilder
sogar oft bezeichnet hat ,,Le sculpteur Cle-
singer". Zwei kleine Ansichten der römischen
Champagna, die Madame Isaac Pereire gehören,
zwei kleine anspruchslose Meisterstücke, die auch
die Nachbarschaft der alten Meister vertragen wür-
den. Der „Morgen" am Ufer des Tiber mit ruhen-
den Ochsen im Sande, und eine andre Ansicht vom
Tiber, mit seinem safranfarbenen Kies, seiner schla-
fenden Welle, seinem flachen Boden und seinen
blauen Gründen. Dieser Clesinger ist wirklich ein
Alleskönner: er hat auch Radierungen, Aquarelle
W. Bürger. Kunstkritik. 13
194 Landschaftsmalerei
und Pastelle gemacht, Ziseleur- und Goldschmieds-
arbeiten; er könnte vortrefflich alles leisten, was
ins Bereich der plastischen Künste fällt. Wir finden
ihn bei der Skulptur wieder mit Reiterstatuen
Franz L, Napoleon I. und einer Statue des Julius
Caesar.
Cabat hat schon seit lange seine erste Liebe
für das Land der Landleute verleugnet. Italien hat
ihn besiegt, wie es so viele andre besiegt hat.
Zwischen den beiden großen Schulen des 15.
und des 17. Jahrhunderts im Norden, die ihre Macht
dem Ursprung aus dem eigenen Lande verdankten,
hat doch Italien alle Holländer und Flamländer ver-
nichtet, die während einer langen Zeit des 16. Jahr-
hunderts sich beeilten, über die Alpen zu gehen
und den italienischen Stil nachzuahmen. Hat es
unter seinem Abglanz nicht beinahe die ganze fran-
zösische Malerei erlöschen lassen, vom 16. bis zum
19. Jahrhundert, bis auf einen Moment, wo gerade
die Meister, die niemals nach Italien gingen, die
besten waren ? — Largilliere und Rigaud sind ziemlich
hervorragende Porträtisten, Watteau und Chardin
malen nicht eben schlecht: sie haben nie die Alpen
überstiegen. Auch der zarte Lesueur, wie der fieber-
hafte Jouvenet taten es nicht, obwohl sie freilich
alle beide, jeder nach seinem Temperament, vom
italienischen Stil beeinflußt wurden. Augenschein-
lich taugen Lesueur und Jouvenet, Largilliere und
Rigaud, Watteau und Chardin ebensoviel wie Simon
Vouet und Lebrum Blanchard „der französische
Salon 1861 196
Tizian", Pierre Mignard „der französische Rafael"
und sein Bruder der „römische" Mignard.
Delacroix war, glaube ich, niemals in Italien.
Rousseau, Dupr£, Diaz scheinen nie das Verlangen
gehabt zu haben, dorthin zu gehen. Man verkehrt
nicht ungestraft in den Gräbern. Hat denn Rom
etwas von einer lebenden Stadt? Der Tod wohnt
darin in allen seinen Formen, nicht allein in den
Ruinen der beiden verflossenen Perioden, des
Heidentums und des Katholizismus, sondern auch
in der Bevölkerung, die den heimischen Pfaffen
oder den fremden Soldaten preisgegeben wird.
Es mochte ja ehedem gut sein, nach Korinth
zu gehen, aber heute ist es nicht gut, nach Rom
zu gehen. Wenigstens wenn man nicht ebenso
Deutschland, Holland, Belgien und England besucht.
Ein gewisser Grad kosmopolitischen Wesens, der
den Menschen der Neuzeit nicht übel steht, ver-
mag den Nationalcharakter nicht auszulöschen.
Aber die Wahl eines fremden Vaterlandes, vor allem
wenn es nur die Vergangenheit vertritt, verdirbt die
angeborenen Fähigkeiten, die man haben könnte,
und erweckt keine neuen als Ersatz dafür.
Cabat und Francais haben nichts gewonnen
durch ihren Aufenthalt in Italien. Ihre besten Werke
sind immer die ihrer ersten Manier, aus der Zeit,
wo sie die „natürliche Natur" wiedergaben, ohne
Voreingenommenheit für einst geheiligte Stile.
Höchstens haben sie die Unterstützung der offi-
ziellen Kritik gewonnen und Bestellungen höheren
Landschaftsmalerei
Ortes. Das System, das sie beide angenommen
haben, wenn auch nicht mit der gleichen Macht
der Ausführung, ist im voraus so abgegrenzt, so ab-
gedroschen, daß alle beide einen „antiken Hain
mit mythologischen Figuren" gemalt haben und
eine „Italienische Ansicht mit Figuren in Verklei-
dung einer fernen Zeit44. Daß man auch in der
Landschaft den Stil und die Schönheit sucht, ist
ja sehr löblich, ebenso wie das Streben nach Einfalt
und Gefühl. Aber nehmen wir an, ein Landschafter
male vortrefflich den wundervollen Hochwald des
Bas-Brdau bei Fontainebleau, kann da die Figur
eines Satyr mehr als die Gestalt eines Kohlen-
brenners zur Größe des Gemäldes beitragen?
Machen sich Schützen in roten Kappen und mittel-
alterlichen Wämmsern besser als einfache Jäger
in ihrer Bluse und Sportsmen nach heutiger Mode?
Das Hauptbild von Cabat, das vom Kaiser-
lichen Hause bestellt worden ist, heißt „Erinnerung
an den Nemi-See44 in Italien. Erinnert sich der
Maler noch der Zeit, wo man in Schuhen ä la pou-
laine auf die Hirsch jagd ging? Er hat den Nemi-
See gesehen, ohne Zweifel, und hat vielleicht auch
das Halali einer Hirschjagd erlebt, aber die Jäger
haben gewiß nicht die altertümlichen Anzüge ge-
tragen, die er ihnen in seiner Komposition verleiht.
Große Bäume beschatten den See und den Boden
des Vordergrundes. Links sieht man unter Gehölz
Durchblicke, wo die Jagd herankommt. Alles ist
solide gemalt, Baumstämme/ Geäst, Zufälligkeiten
Salon 1864 197
des Bodens. Es ist ein gewissenhaftes und starkes
Werk, das seinen Ursprung in einem wohlüber-
legten Willen hat, dem aber Natürlichkeit fehlt. Die
Ausführung ist nicht flott und die Farbe schwärz-
lich. Das gleicht schon einem Gaspar Dughet, der
auf seiner braunen Untermalung schwarz geworden.
Das zweite Bild Cabats „Eine Quelle im
Walde" mit einem nackten Nymphenfigürchen,
strebt gleichermaßen nach dem Stil Poussins.
In dem mythologischen Hain von Francais
umarmt ein Satyr eine Nymphe. In seiner „Italieni-
schen Villa" sind Herren, Pagen, Damen und Damen-
diener beim Fest auf einer Terrasse, die von Bäu-
men ringsum beschattet und von einer Balustrade
umzogen wird, von wo der Blick in blaue Ferne
schweift. Die Einen sind bei Musik, die andern im
Liebesspiel. Vielleicht sind wir nicht weit von Flo-
renz, zur Zeit, wo Boccaccio und seine schönen
Freundinnen, um der Pest zu entfliehen, galante
Tändeleien trieben, die der Decameron beschreibt.
Die Natur, die so in einem Park zurechtgemacht,
mit schillernden Kleidern und vielfarbigen Bändern
ausstaffiert und aufgedonnert ist, hat immer noch
Reiz für das Publikum, das an die Buttes Mont-
martre und an Clamart denkt.
Olivier, ein Schüler von Gleyre, hat auch den
Ehrgeiz, die mythologische Landschaft wieder auf-
zuerwecken, und hat unter dem Titel „Die Auf-
forderung zum Tanz*' einen heiligen Hain gemalt,
198 Landschaftsmalerei
wo Erscheinungen von Göttinnen, Schattengestalten
im Dunst einer unmöglichen Atmosphäre zittern.
Die „Badenden im Mondschein" von George
Saal zeigen, daß man poetische Reize gewinnen
kann, wenn man sich ganz einfach an der Wirk-
lichkeit begeistert. Es ist Abend, fast Nacht, am
Ufer der Seine, in der Umgebung von Bougival.
Der Mond versilbert den Fluß und wirft durch die
Weiden keusche Schatten auf das Ufer. Junge Wei-
ber sind dahin gekommen, sich zu baden. Drei
von ihnen sind schon im Wasser, bis ans Haupt-
haar, und der Mond ist glücklich, sie mit rücksichts-
vollem Licht zu liebkosen. Es ist ein sehr har-
monisches und hervorragendes Bild.
F 1 a h a u t zeigt auch, daß eine gut gewählte und
gut empfundene Naturansicht nicht nötig hat, mit
fabelhaften Personen beklebt zu werden, um einen
Charakter darzubieten, der des alten schönen und
edlen Griechenlandes würdig wäre. Die Sonne geht
über dem Meere unter, das man hinter dem feinen
Gezweig eines Olivenhaines von Beaulieu bei Nizza
sieht. Die Melancholie des Abends durchbebt die
Schatten unter den Stämmen. Gern würde man
dort träumen. Und da der Eindruck dieser Gegend
vollständig erfaßt wird, so ist es besser, daß er
durch keine Einschiebung irgendwelcher unbedeu-
tenden oder stereotypen Figur gestört wird.
Nur Chintreuil hat einen Nymphenreigen in
seine Flur hineinsetzen müssen, wo die ersten Strah-
len der Sonne durch den Nebel eines Frühlings-
Salon 1864 L89
morgens dringen. Wie frisch und leicht ! Da wür-
den schon Elfen tanzen, wenn keine Nymphen da
wären, und einfache Sterbliche möchten gewiß gern
ein Liedchen summen. Was erblickt man durch
den Schleier der Dünste? Den kleinen Glocken-
turm eines Weilers. Bald wird auch die Hirtin
mit ihren Schafen kommen. Das zarte Talent Chin-
treuils eignet sich zu unbestimmten Wirkungen, die
eine entschiedene Durchführung vielleicht ver-
nichten würde. Wo Kraft nötig ist, Sicherheit und
nicht nur annähernde Andeutung, da bleibt die
Malerei von Chintreuil nur hinter dem Bilde zurück,
das er doch wohl gefühlt hat, und gibt nicht mehr als
dessen Phantom. Zum Beispiel in den „Ruinen beim
Sonnenuntergang" ist die Wirkung richtig, aber
der Pinsel eines festen Praktikers hätte dazu ge-
hört, um die solide Masse des Erdreichs wieder-
zugeben, die unglücklicherweise den ganzen Vorder-
grund einnimmt.
Chintreuil kommt von Corot her, dessen An-
hänger im Salon nicht selten sind. Corot hat manche
Landschafter beeinflußt, die sich dessen nicht rüh-
men, und deren Manier eine geschickte Vereinigung
mehrerer Einflüsse offenbart.
Dazu gehört Francois Daubigny, der ein
Mixtum compositum recht heterogener Bestandteile
scheint. Sein leichter Pinselstrich, dem Anschein
nach sehr frei, gleitet über die Formen hin und
deutet sie ungefähr an. Aber diese sozusagen sub-
stanzlose Ausführung, die Corot uns in seiner Art
Landschaftsmalerei
von Träumen einer poetischen Natur annehmbar
macht, schickt sich nicht ebenso für Dinge, die
nach der Wirklichkeit kopiert sind. Um einen
Bauernhof zu malen, bedarf es der Solidität eines
Jules Dupre; für ein Waldinneres, der Vertrautheit
Rousseaus, oder der schimmernden Pracht eines
Diaz; für die großen Viehherden, die zur Tränke
gehen, braucht man die Breite und Konsistenz
Troyons. Durch die Wahl der Gegenstände hängt
Daubigny von allen diesen Meistern ab, während
seine Praxis von Corot abhängt.
Das Ergebnis dieser Mischung entbehrt nicht
eines gewissen Reizes, und Daubigny gebührt eine
Stelle gleich hinter den Landschaftern ersten
Ranges. Seine Ansicht einer Ortschaft auf der Höhe
eines Hügels am Seeufer — Villerville-sur-Mer —
ist in einem ernsten harmonischen Ton genommen.
Die Erde, das Wasser, der Himmel sind „bei-
sammen", wie man von den Zügen eines Porträts,
das mit der Natur gut übereinstimmt, sagen würde.
Es liegt selbst eine melancholische Stimmung über
dem Charakter dieser kleinen Halbinsel, die fast
abgeschnitten ins Meer hinausragt. Die „Ufer der
Cure" (Morvan) mit Kühen im Wasser vor einem
bewaldeten Hügel, haben auch die seltene Eigen-
schaft der Harmonie in einem Mollton, und diese
beiden Bilder, besonders Villerville, verdienen die
Hochschätzung, die dem Talent Daubignys von
Liebhabern zuteil wird.
Daubigny -Sohn ahmt seinem Vater nach,
Salon 1864 801
dessen Unvollkommenheiten er übertreibt, wie es
bei Nachahmern immer geht. Er ist ohne Zweifel
noch jung, kann also vielleicht später eine bestimm-
tere Eigenart ausbilden. Auch heute schon ver-
dienen übrigens seine „Flur bei Villerville" und
seine „Ufer der Oise" unter den beachtenswerten
Landschaften des Salons genannt zu werden.
Auch Blin, Bavoux, Brigot sind wohl junge
Maler; denn ihre Gemälde verraten Unerfahrenheit
neben starken Anlagen; besonders Brigot. Er
besitzt eine außergewöhnliche Kraft im Ton, wie
sein „Gue* de Chauy'4 (Ile-de-France) beweist, ein
großes Bild, wo eine Kuhherde durchs Wasser geht.
Die Landschaft und die Tiere sind breit gemalt, auf
die beabsichtigte Wirkung hin; aber die Personen,
die das Vieh begleiten, sind sehr ungeschickt und
fast lächerlich.
Der Katalog sagt nicht, wer der Lehrer Brigots
ist. Blin und Bavoux kommen aus dem Atelier von
Picot an der Akademie. Moreau, der Autor der
„Sphinx", Eugene Leroux, der das preisgekrönte
Stück „Das neugeborne Kind in einer Farm der
Bretagne" geliefert hat, Gu^rard und Viry, auf die
wir noch zurückkommen und die ebensogut eine
Medaille verdient hätten, sind auch Schüler von
Picot. Gerade bei neutralen Meistern werden ja
die Neuerer ausgebrütet. War es nicht bei GueVin,
dem traurigsten Maler der akademischen Schule,
wo G£ricault, Delacroix, Scheffer und die Mehr-
202 Lan Uchaftsmalerei
zahl der andern Revolutionäre der Malerei ihren
Ausgang nahmen?
Die beiden Bilder von Bavoux stellen die
„Ufer des Doubs" dar, mit spitz gezackten Felsen
in lebhafter Beleuchtung. Bavoux muß also wohl
durch seinen Landsmann Courbet verderbt sein.
Blin wendet sich noch mehr dem Realismus
zu: in seinem „Innern eines Kastanienhains" ist
alles dem ländlichen Charakter geopfert. Der Rah-
men schneidet oben die Zweige der alten Kastanien-
ab und läßt nur die festen, ihrer Rinde entkleideten
Stämme sehen. Kein Himmel in der Luft, nicht
einmal ein Durchblick zum Himmel zwischen den
niedrigen Zweigen. Die Kastaniensammler ver-
richten ihre Arbeit in einem Halbdunkel, das die
Sonne nicht erheitert. Eine gebeugte Frau liest
die Früchte vom Boden auf. Ein Bauer trägt einen
Sack auf dem Rücken herbei. Ein junger Bub
hält den Esel, der die eingeheimste Last davon
tragen soll. Es ist eine durchaus ländliche Szene,
aber vielleicht ebenso interessant wie eine Beschwö-
rung der Fabelwelt. Der Landmann gibt gewiß
gern eine Göttin für einen Kastanienbaum her.
Noch ein Schüler von Picot, aus Marseille ge-
bürtig, aber englischen oder amerikanischen Ur-
sprungs, George Washington, dessen sehr far-
biges Bild, das „Derbyrennen von Chantilly" im
Jahre 1863 schildert. Der Turf ist von frischem
saftigem Grün und so gewagt, daß der hochbe-
rühmte Akademiker, der Washingtons Lehrer ge-
Salon 1864 208
wesen, es nicht ansehen kann, ohne die Zähne zu
fletschen.
Jules Dusaussay ist Schüler von Cabat und
hat dem Stil seines Meisters in einer ziemlich kraft-
vollen aber schwarzen Landschaft nachgeeifert: die
Eiche und der Rosenstrauch. VictorDupre* ahmt
kühnlich genug seinen Bruder und Lehrer Jules
Dupre* nach. Aguttes begeistert sich an Corot,
in der Ansicht eines Sees. Daliphard hat die
alten Meister in Belgien und Holland studiert, denkt
wahrscheinlich besonders an van der Neer mit seinen
Abendstücken, an clenen man übrigens merkt, daß
er auch die Natur mit Liebe studiert hat. M. de la
Rochenoire, Schüler von Troyon, wird in einem
Bilde, das die „Post von Caen von der Springflut
überrascht", zwischen den Dünen und dem Meer
sehr dramatisch darstellt. Madame Adele Des-
pierres erinnert mit ihrer Zerstörung von Chaillot
an van der Poel durch den Nachteffekt. Frangois-
E m i 1 e M i c h e 1 von Metz befragt allein die Natur in
seiner „Winterstimmung" an den Ufern der Mosel,
mit alten kahlen Bäumen und einem Sumpf mit
Reihern. Carrier ist ein geschickter Miniatur-
maler, der in seinen freien Studien bei Compiegne
und in der Bretagne dem Lichte nachgeht, wie
sein Freund Diaz. Her vier ist fest und geist-
reich in einer Landschaft aus der Picardie. Ludo-
vic Letrone, dem wir zum erstenmal begegnen,
nähert sich Bonington an Feinheit und van Goien
an Einfachheit, in einer Strandansicht mit einer
'i)j Landschaftsmalerei
aufgelaufenen Barke. Jeanron, jetzt Direktor des
Museums in Marseille, hat den Leuchtturm dieser
Stadt mit dem Wissen gemalt, das alle seine Ar-
beiten empfiehlt. Paul Huet hat zwei Land-
schaften von der Isere ausgestellt, die etwas zu
dekorativ sind und seinen sonstigen Meisterwerken,
wie die ,, Überschwemmung44 im Mus£e Luxem-
bourg, nicht gleichkommen. Auch Harpignies
zeigt nicht seine volle Originalität in der Land-
schaft mit dem Titel „Die Promenade44 j seine Raben
vom vorigen Jahr waren mehr wert. Aber an seinen
beiden Aquarellen kann man sehen, daß er in Zeich-
nung und Farbe fast ebenso ausgezeichnet ist wie
Bonington.
Melin hat Kraft in einer Hirschjagd gezeigt,
Ronot eine gewisse Eleganz in der Rückkehr vom
Felde, — Palizzi viel Effekt in einem Unwetter in
den Abruzzen. Teinturier erinnert sich seines Leh-
rers Decamps, BelletduPoissat jedoch gar nicht
seines Lehrers Hippolyte Flandrin. Gudin erinnert
sich zu sehr an sich selbst und hat die Natur ganz
und gar vergessen in seiner Glasfensterwirkung,
die auch sein Ungewitter in den Tropen zeigt. Ziem
scheint mir zu gleichmäßig eiergelb in all seinen
Bildern aus Venedig oder aus dem Orient. Ich bin
freilich niemals in Stambul gewesen, aber ich denke
mir, daß das Licht dort doch nicht gerade diesen
Ton hat. Decamps und Marilhat haben es anders
gesehen. Sie haben dort auch Schatten gesehen,
weil das Licht so lebhaft ist und weil ohne Zweifel
Salon [864 20o
der Schatten dazu im Verhältnis steht. Ziem ist
indessen sehr geschickt, und um sich aus dieser
Überschwemmung von Gelb überall zu retten, würde
es vielleicht genügen, sich einige Jahre lang wieder
in das Grün der Landschaft unseres Landes zu
tauchen. Eine einfache Reise nach Holland würde
ihm seine Verblendung benehmen, die mittlerweile
chronisch geworden ist. Das „Venedig des Nor-
dens", Amsterdam, würde seiner Palette die
Mannigfaltigkeit wiedergeben, und er würde sich
von Canaletto und Claude ausruhen im Verkehr
mit Hobbema und Ruisdael.
Ich hatte die Landschaften von Hanoteau
wohl gesehen, die durch Breite der Ausführung und
Fülle der Farbe genugsam hervorstechen; aber ich
hatte die Namensbezeichnung nicht bemerkt. Sie
verdienen in der Tat die Medaille. Die „verlassene
Hütte" unter großen Bäumen hat keine Bewohner
mehr als Mäuse, denen eine große Katze auflauert.
Erdreich, Blattwerk, die Hütte vor allem sind in
dem vollsaftigen Impasto gemalt, das Gigoux seinen
Schülern angewöhnt. Im „Gänseparadies" ist dies
Verfahren etwas übertrieben, macht die Einzelheiten
schwer und schadet der Luftigkeit im Ganzen.
1865
Wenn die mythologische und religiöse Malerei,
wie die historische und poetische im Verfall sind,
so steht es mit der Landschaftsmalerei nicht ebenso.
Man könnte im Salon von 1865 recht wohl ein-
hundert Landschaften finden, die beinahe so gut
sind, wie die der kleineren Meister der alten
Schulen. Vielleicht darf man sogar sagen, daß De-
lacroix, Decamps, Troyon, die schon verschwunden
sind, und Th. Rousseau, Jules Dupr£, Diaz die un-
glücklicherweise nicht ausgestellt haben, einiger-
maßen in auserlesenen Werken wenigstens den her-
vorragenden Meistern Italiens, Flanderns und Hol-
lands gleichkommen.
Eugene Isabey, Paul Huet, Cabat, Corot ge-
hören auch zu dieser Generation der Wieder-
hersteller der Landschaftsmalerei, und ihre Bilder
stehen im Salon immer in erster Linie.
Die große Marine von Isabey „Schiffbruch
des Dreimasters Emily im Jahre 1823" ist freilich
zu schmetterlingsbunt in Pinselstrich und Ton. Was
der Malerei Isabeys schadet, ist ihr Reichtum, ihre
Überfülle. Er führt mit derselben Gewandtheit des
Salon 1865 307
Pinsels und derselben Brillanz der Farbe alle noch
so verschiedenen Dinge aus, die Fluten des Meeres
oder eine Seidendraperie, ein Gebäude von Marmor
oder das Takelwerk eines Schiffes, ein Stück Felsen
oder die lebenden Personen. Aus einer seiner
Meereswogen würde er einen schillernden Rock für
für eine Dame am Hof der Valois machen. Mit
dem Bretterwerk seines gescheiterten Schiffes
könnte er herrlich das Kabinett eines seiner Anti-
quare ausstaffieren. Er malt den Kopf eines jungen
Mädchens, wie er einen Blumenstrauß malen würde,
und das geringste Fleckchen des Bodens wie einen
Satz Edelsteine.
Paul Huet ist auch ein farbenreicher Maler,
aber mehr gesammelt und harmonisch in seiner
Gesamtwirkung. Sein ausgestelltes Bild würde ihm
im Luxembourg Ehre machen, als Gegenstück seiner
Überschwemmung.
Cabat beharrt auf dem strengen Stil, den er
an die Stelle seiner ersten ländlichen Manier ge-
setzt hat. Sein Bild mit dem Titel „Einsamkeit"
ist fest und klug gemalt, aber schwarz, eintönig
und ohne sympathische Klangfarbe.
Corot hat unter den Landschaftern im Salon
den größten Erfolg. Sollte man glauben, daß dieser
Verräter seine kleine Reise nach Italien gemacht
hat? Ja, wahrhaftig, er hat sich die Farbe des
Wetters jenseits der Alpen angesehen: denn er hat
einen „Nemi-See" ausgestellt und eine herrliche Ra-
dierung „Erinnerung an Italien". Aber seltsam
208 Landschaftsmalerei
genug, er hat von des Ufern des Tiber und vom
Nemi-See nur seinen gewohnten Nebel heim-
gebracht. Und ginge er auch nach Konstantinopel,
er sähe den Bosporus am vollen Mittag auch unter
einem Schleier, in denselben Silbertönen. Mein
Freund, quäle dich also nicht, geh* nur ruhig des
Morgens in Bas-Meudon spazieren oder rauche deine
Pfeife vor dem Teich von Auteuil; da findest du
den Dunst noch besser als in einem Lande des
Südens.
Corot hat fast niemals etwas anderes, als ein
und dieselbe Landschaft gemacht; aber sie ist gut.
Vor seinen beiden Bildern, die einander gegenüber-
hängen, kann man zweifelnd fragen, welches ist
nun der „Nemi-See" ? Ich weiß nicht recht : in
dem einen wie dem andern ist Wasser, feste Be-
standteile von Buschwerk und ein entzückender Ein-
druck der Morgenstimmung und der Frische. Es
ist höchst poetisch und ungemein anziehend. Man
wirft ein, das seien nur eine Art Skizzen, und die
positiven Köpfe möchten genauer das Wesen der
Bäume, die Form der Zweige, das Erdreich und
die übrigen Gegenstände erkennen können. Aber
es handelt sich doch nicht um Botanik und Agri-
kultur. Es kommt darauf an, beim Beschauer dieser
zarten Gebilde das Gefühl zu erwecken, das er
auf dem Lande haben würde, an einem wonnigen
Morgen, am Ufer eines Sees. Wenn die Malerei
Corots das Verlangen rege macht, frühmorgens auf*
zustehen, dann ist alles in Ordnung.
Salon 1865 209
Francais ist ebenso daran, wie Cabat, mit
einer zweiten Manier, die sich nach Italien gerichtet
hat, um Werke des hohen Stils hervorzubringen.
Haben denn Ruisdael oder Rembrandt in ihren
Landschaften etwa keinen Stil?
Ehedem gab es, vor der Revolution von 1848,
eine Gruppe von fabelhaften Landschaftern, die vom
Institut beschirmt wurden, Aligny, Edouard Bertin,
Alexandre Desgoffe und Paul Flandrin : es war die
Unbedeutendheit selbst. Sie zeigen sich noch, von
Zeit zu Zeit; aber man sieht sie nicht mehr an.
Hat man auch nur in irgendeiner Tageszeitung von
Paul Flandrin und Aligny gesprochen, die doch
dies Jahr ausgestellt haben ? Glücklicherweise hat-
ten Cabat und Francais, bevor sie sich zur klas-
sischen Landschaft bekehrten, die Natur um ihrer
selbst willen geliebt und studiert, so daß sie in
ihren neuen Stil wenigstens eine gewandte Praxis
und einen Rest von Aufrichtigkeit hereinnahmen.
Wir haben die Heiligen Haine und die Or-
pheus von Francais, die in den letzten Salons aus-
gestellt waren, nicht billigen können; denn die Ein-
schiebung mythologischer Personen vermag dem
Abbild des Landes doch nicht zum Stil zu ver-
helfen. Ob man in ein Gehölz einen Heidengott oder
einen Köhler setzt, macht für die Haltung der
Bäume und die Farbe der Pflanzen, oder für das
Aussehen des Himmels gar nichts aus. Diesmal
hat Francais, ohne dies Bereich des Ideals zu ver-
lassen, eine wirkliche Darstellung gewählt : die
W. Bürger. Kunstkritik. 14
210 l .in Uchaftimalerei
neuen Ausgrabungen in Pompeji, und hat ein aus-
gezeichnetes Bild gemalt. Vielleicht ganz einfach,
weil es statt einer komponierten Landschaft keine
erdichtete, sondern eine natürliche Ansicht ist.
Sehen ist Können.
Francais hat dies Stück von Kampanien ge-
sehen, doppelt verbrannt wie es ist, von der Sonne
und von der Lava. Er hat einen Winkel von Pom-
peji genommen, wo die Dinge von vor zwei-
tausend Jahren wieder ans Tageslicht treten. Ah,
wenn man beim Durchbruch von Paris antike Fres-
ken und gar Münzen fände, welche Ermutigung
wäre das für die Demolierungen. Der Vesuv hat
sein Gutes; ihm verdanken wir die unversehrten
Beispiele aus dem Leben der römischen Kaiser-
zeit. Sieht man in Pompeji wirklich all das, was
Francis in seinem Bilde zeigt ? Mauern mit Ma-
lereien bedeckt, ganz frisch von diesen Jahrhun-
derte alten Grabhügeln befreit und Arbeiter rings-
um beschäftigt, und schöne Neapolitanerinnen, die
archäologische Fundstücke davontragen, und da-
zu diese Atmosphäre, so weich und harmonisch,
die uns den Himmel Claude Lorrains lieben lehrt?
Dann gehen wir schließlich alle nach Italien,
und was mich betrifft, so warte ich, da ich über
Rom will, nur so lange, bis Rom den Italienern zu-
rückgegeben wird.
Das Gemälde von Francais ist zart und liebe-
voll behandelt, mit feinen Halbschatten im Vorder-
Salon 1865 211
grund und einer wohlabgewogencn Abstufung des
Lichtes bis an den fernen Horizont.
Zur Zeit, als Francais nach seiner Ausbildung
bei Gigoux noch zur Gruppe der Verehrer des
Waldes von Fontaineblcau gehörte, standen um
Rousseau und Diaz noch andre Landschaftsmaler
da, mit kraftvoller Ausführung in demselben ma-
lerischen Gefühl, wie z. B. Charles Leroux, den
man erstaunlicherweise gar nicht mehr auf den Aus-
stellungen sieht. Bei ihm, in seinem Landhaus in
der Vendee war es, wo Rousseau die berühmte „Ka-
stanien-Allee" gemalt hat, ein Meisterwerk, das
jetzt Herrn Worms von Romilly gehört. —
Charles Leroux, der ein wahrer Maler war,
hatte das Unglück, ein ansehnlicher Landbesitzer
in seiner Provinz zu sein und zum Abgeordneten in
den gesetzgebenden Körper gewählt zu werden. Ein
gutes Gemälde dauert länger als ein zeitweiliges Ge-
setz. Wir haben keinen Mangel an Leuten, die uns
Gesetze machen können ; aber wir brauchen Maler.
Und auch ohne seine ,,Toga" im Stich zu lassen,
sollte Charles Leroux seine „ Pinsel" wieder aufneh-
men. Er hat übrigens die Malerei nicht ganz auf-
gegeben, und wir haben bei ihm Bilder gesehen,
die im Salon ihre Stelle behaupten würden. Viel-
leicht stellt er doch im nächsten Jahr wieder aus.
Seit jener Zeit, deren wir eben im Vorbeigehen
gedenken, hat Francois Daubigny, der damals
in die banale Landschaft verirrt war, sich eine ziem-
lich eigenartige Manier herausgebildet, eine gc
8 1 _' :idschaftsmalerei
schickte, doch individuelle Mischung von Corot und
Rousseau. Er zählt heute zu den guten Landschafts-
malern der modernen Schule. Seine „Mondschein-
Stimmung" auf einer traurigen Ebene ist sehr kühn
und sehr richtig. Der Himmel allein macht die
ganze Landschaft aus. Schwere Schäfchenwolken
drängen sich um den Mond, wie schäumende Wo-
gen in einem umgekehrten Meer. Durch einen
blassen Schein versilbert, modellieren sie sich auf
dem dunkeln Nachthimmel in einer fast zu schwe-
ren Leibhaftigkeit. Fast unwägbare Flocken soll-
ten doch nicht dies lastende Aussehen haben, das
nur durch die Ausführung mit zu vollem Impasto
entstanden ist. Durch leichtern Farbenauftrag an
gewissen Stellen hätte Daubigny ohne Zweifel die-
selbe Wirkung des unbestimmten Lichtscheins er-
reichen können, aber viel geheimnisvoller noch und
poetischer.
Sein zweites Bild ,,Der Park von St. Cloud" ist
nicht glücklich. Diese nach französischer Mode des
17. und 18. Jahrhunderts zurechtgemachte Natur,
mit den regelmäßig aufgereihten Bäumen, mit einem
Apparat von architektonischer Dekoration, reinlichen
Bassins und wohldisziplinierten Wasserfällen eignet
sich weniger für Daubignys Talent als eine natür-
liche Natur, wo die Bäume und Büsche wachsen
wie sie wollen, wo das Wasser seiner eigenen Laune
folgend über die grünen Ufer tanzt. Es gibt ja
Augenblicke, wo diese Ansicht der Kaskaden von
St. Clond sehr schön und sehr majestätisch ist :
Salon 1865 213
abends, wenn die großen Schatten, verlängert und
verzogen, die Linien der Bäume und der Rasenplätze
zusammenschieben und die alten manierirten Deko-
rationsstücke mit all ihren überflüssigen Einzelheiten
zudecken. Aber unter gleichmäßiger Helligkeit, die
aus der Höhe kommt, wie auf dem Bilde von Dau-
bigny, ist die Wirkung ganz gewöhnlich. Ich hatte
mich gewundert, daß der Maler nicht die glück-
lichste Stunde gewählt hat, bis ich aus dem Ka-
talog ersah, daß das Bild vom Kaiserlichen Hause
bestellt war. Da mußte freilich das Porträt des
Palastes und des Parks gemacht werden, wie alle
Welt sie sieht.
Pierre Daubigny, der Sohn von Francois,
folgt allzu respektvoll der väterlichen Manier. Er
sollte ganz allein ein oder zwei Jahr auf Reisen
gehen und sich seinen eigenen Eindrücken über-
lassen: dann würde er befreit zurückkehren. Seine
„Herbstwirkung'* mit goldenen Bäumen ist breit
gemalt und von schöner Farbigkeit.
Emile Breton hat sich neben seinem Bruder
Jules eine eigne Individualität gebildet. Seine Land-
schaften haben auch Heiterkeit und Sauberkeit. Der
,, Sommerabend'4 ist ganz einfach gehalten: eine
Wasserfläche, ein Weg, einige Bäume gegen ruhigen
Himmel.
Eine der besten Landschaften des Salon ist
ein andrer ,, Sommerabend", der seinem Maler Blin
mit Recht die Medaille eingetragen hat. Die So-
logne in Frankreich gleicht sehr der belgischen
Jl \ adschafomalerei
( ampine. In dieser, fast noch unkultivierten So-
logne hat Blin sich aufgehalten, am Ufer eines un-
beweglichen Teiches, nach Sonnenuntergang. Im
Vordergrund buschbevvachsenes Erdreich, ein Vor-
hang von Bäumen gegen den Himmel. Wie das
einsam ist und melancholisch ! Der Ton der Malerei
ist in tiefer Harmonie gehalten, ein wenig mono-
chrom, wie das solch ein Dämmerungseffekt mit
sich bringt. Ich wünche Blin, daß sein Bild fürs
Luxembourg angekauft werde.
In der „alten Mühle" zu Guildo in der Bretagne,
ist das Geschick der Ausführung nicht minder be-
merkenswert; aber die Gegend ist gewöhnlich und
die Gesamtheit macht keinen originellen Eindruck.
Ein andrer durch die Medaille ausgezeichneter
Landschafter Anastasi, hat zwei Ansichten aus
Rom gegeben: das „Forum" beim Sonnenunter-
gang und „das Tiberufer". Ohne Zweifel hat die
Hochachtung vor Rom die Jury zu dieser Ehrung
veranlaßt, denn dies Forum und dieser Tiber mit
falschem Licht und Papiertapeten als Hintergrund
taugt nicht soviel wie frühere Leistungen desselben
Künstlers, bevor er das Kapitol erstiegen.
Ich glaube auch nicht, daß der Aufenthalt in
Rom für Harpignies gesund ist: sein Rom vom
Palatin gesehen, hat nicht die Vorzüge seiner Baum-
reihe mit den Raben, die 1863 ausgestellt war.
Hanoteau, Schüler von Gigoux, der im
vorigen Jahr die Medaille erhalten, hat in diesem
Jahre eine , .Parkecke" aus dem Nivernais ausge-
S.ilou 1865 815
stellt, eine breite meisterliche Malerei, die mir etwas
überladen ist.
Im Salon 1863 haben wir die „Fellahweiber"
von Belly sehr gerühmt, der schon 1861 die Me-
daille erster Klasse erlangt hatte. Belly ist sehr
kompliziert; er hängt zu gleicher Zeil mit Troyon
seinem Lehrer, mit Decamps und mit Marilhat zu-
sammen, wenn er den Orient malt, und selbst mit
Rousseau. Sein „Sonnenuntergang" bei ebbendem
Seegang an den Küsten der Normandie erinnert
an die mächtigen Studien von Rousseau, die die-
sen malerischen Abendeffekt wiedergeben, wo die
Erde noch das letzte düstre Feuer zurückwirft,
wenn man so von der Sonne sagen kann, die schon
hinter dem Horizont hinabsinkt.
Brest setzt mit Erfolg eine Darstellung der
Feste von Konstantinopel fort. Im ,, Bairam", der
Zeremonie des Handkusses, sieht man unter dem
Peristyl des Palastes den Sultan Mahmud; links
auf dem von großen Bäumen beschatteten Platz
die Garden und die Würdenträger; rechts die Menge
des versammelten Volks. Ein bräunlicher Halb-
ton hüllt die ganze Szene ein, deren Anordnung
sehr schwierig war. Das zweite Bild von Brest
bietet den „Landungsplatz von Eyoub" am goldenen
Hörn bei Konstantinopel.
Berchere hält sich auch an seine Erinne-
rungen aus dem Orient. Das letzte Jahr zeigte er
uns den ,,Simoun" in Arabien und die „Dämme-
rung" in Nubien. Jetzt haben wir zwei Ansichten
21»; Landschaftsmalerei
aus Ägypten: „Sakhieh" an den Ufern des Nils
auf großen Ochsen, die eine Maschine zum Wasser-
schöpfen drehen, und den „Tempel des Ramses"
zu Theben.
Ein anderer Orientalist in der Malerei ist Char-
les de Tournemine, der Freund der rosaroten
Flamingos mit ihren langen Hälsen. Seitdem er
in Ägypten und in der Türkei diese großen Vögel
entdeckte, — mit jener seltsamen Eleganz in ihren
Stellungen auf schimmerndem Ufersand, — hat er
seine Enten aufgegeben, die zwischen den Binsen
eines Sumpfes herumplätschern. Früher malte er
Bauernhöfe aus der Bretagne und der Normandie,
jetzt Ansichten vom Nil und Landschaften aus
Kleinasien, — leuchtende, sehr feine Bilder des
Orients.
Durchflutet von Sonne ist auch eine Ansicht
aus der Provence, ,,zur Zeit der Feigenlese4', von
Rave. Alles in dieser Malerei erscheint in einem
seltsamen Gelb, originell und doch sehr wahr :
Erde und Himmel, Bäume und Menschen. Was
ist doch die Sonne so wunderreich, die verschie-
denen Gegenden mit so mannigfaltiger Färbung
auszustatten !
1866
Unter den Landschaften waren viel ausgezeich-
nete Leistungen, Darstellungen aus allen Ländern
und allen Jahreszeiten, von ganz außerordentlicher
Mannigfaltigkeit der Ausführung.
Paul Huet kam in erster Linie nach Courbet.
Der Bosch im Haag mit dem Untergang der herbst-
lichen Sonne ist ein schönes Gegenstück zur „Über-
schwemmung" im Musde de Luxembourg. Paul
Huet hat das Gefühl für die Großartigkeit in der
Natur. Sein breiter einfacher Farbenauftrag ent-
spricht der Lebhaftigkeit seiner Eindrücke sehr gut.
Corot ist immer derselbe, zart und nebelhaft.
Die eine seiner Landschaften, „die Einsamkeit",
ist von der Kaiserin für 18000 Franks angekauft.
Die beiden Landschaften Rousseaus, ein
„Sonnenuntergang über dem Walde von Fontaine-
bleau" und „der Waldessaum von Barbison" über-
treiben seine neue, sehr durchgearbeitete Manier
etwas. Wenn die Einzelheiten überall zu gleich-
mäßig betont sind, leidet darunter der Gesamtein-
druck. Aber Rousseau rettet sich immer durch
die Fülle und Richtigkeit der Beleuchtung.
_M 3 Landfcbaftimalerei
Mille t hat nur ein einziges Bild ausgestellt:
„ein Dorfende zu Creville44, — eine eigentümlich aus-
gesuchte Komposition. Ein Landhaus nimmt die ganze
Linke des Bildes ein von oben bis unten; rechts
dehnt sich eine derbe Rampe bis an den Rand
des Rahmens; jenseits davon ein Stück graues Meer
über grauem Himmel. Das Ganze in einer schweren
und kreidigen Harmonie. Der gleichförmige Pinsel-
strich für Himmel und Wasser, wie für das Bau-
werk und Erdreich. Es ist einfach, sogar mächtig,
aber unbeweglich und erstarrt.
Francais hat als Gegenstücke die „Umgegend
von Paris" und die „Umgegend von Rom" be-
handelt; die Ufer der Seine am Morgen; die Ufer
des Tiber am Abend. Man findet, daß Italien ihn
gekräftigt hat; aber statt ihn zu erwärmen, hat es
ihn vielleicht erkältet. Er ist korrekter und ele-
ganter; aber keine Naivetät, keine Leidenschaft
mehr.
Und Leidenschaft muß da sein: sie hat Geri-
cault, Delacroix, Decamps, Rousseau, Diaz, Dupre
und Barye und Daumier, alle großen Künstler uns-
rer Zeit beseelt. Auch Giorgione, Tizian, Tintoretto
und Veronese, selbst der junge und liebenswürdige
Rafael — wie Rubens und v. Dyck, Frans Hals und
Rembrandt waren, wie es scheint, sehr leidenschaft-
liche Männer. Die Liebe, die Begeisterung, das ist
das Leben, das ist das Genie.
Was ist aus dieser Gruppe von Landschaftern
geworden, die sich einbildeten, man könne die Natur
Salon 1866 219
mittels eiller Art überlieferter Wissenschaft ertäu-
schen, und die einen Augenblick berühmt waren,
wie Aligny, Paul Flandrian usw. ? Wo ist die
zeitweilige Berühmtheit ihrer Lehrer geblieben, Gas-
pard, Francisque Millet und der andern Wiederholer
des Poussin und der Bolognesen. Hütet euch vor
Italien !
Es gab einmal ein Volk, das eine originelle}
Schule hervorbrachte, die von vorn anfing: die
Meister hießen v. Eyck, v. d. Weyden, Memling.
Aber zu einer gewissen Zeit, sieh, da wandern alle
Künstler dieses Landes aus und verlegen sich auf
die Nachahmung der Kunst eines andern Volks,
die in voller Blüte stand. — Was ist van Orley,
„der flandrische Rafael", neben Quentin Metsys,
der während dieser erniedrigenden Auswanderung
in Flandern geblieben war?
Dann später gehen Rubens und van Dyck wohl
ein bißchen hin, die Farbe der italienischen Kunst
zu schauen, aber mit einem Temperament, das sie
bewahrt. Und Jordaens, Snyders und die ganze
Schule des 17. Jahrhunderts bleibt in ihrem eigenen
Lande und gehört ganz und gar zu diesem Lande.
Ich erinnere mich an Decamps bei seiner Rück-
kunft aus Italien. Ich besuchte ihn bei der Porte
Maillot, wo er damals wohnte. Ach, der Unglücks-
mensch, der er war ! Er wollte Michelangelos
machen und Tizians, fast gar Rafaels: Christus-
gestalten, Madonnen, Heilige, ich weiß nicht was
alles. Endlich machte er seinen Christus, der von
220 Landschaftsmalerei
Michelangelo und Tizian ganz einfach zu Rembrandt
zurückkehrte: das ist der „Christus vor Pilatus",
den wir oft als Meisterwerk erwähnt haben, das
durchaus nicht italienisch ist.
Delacroix, der viel kräftiger angelegt war als
Decamps, würde wohl, wenn er nach Italien ge-
gangen wäre, als Narr gestorben sein. Gott sei dank
hat er, ohne in Italien gewesen zu sein, bewiesen,
daß er seinen Paul Veronese kannte. Wir haben
alle unser Italien im Blut und im Auge, durch
die lateinische Erziehung, durch die Sitten, durch
die Überlieferungen und die Bilder, durch alles,
was uns die Abstammung einflößt, eine Gemein-
schaft der Ideen und der Gefühle.
Man achte nur auf die heutige Krisis von 1866:
alle Franzosen sind für Italien; fast alle Franzosen
sind gegen die Preußen und gegen die germa-
nische Rasse.
Noch eine andre Bemerkung: es gibt Länder
ganz ohne Kunst, die dazu beigetragen haben, die
besten modernen Künstler zu entwickeln: so Algier
bei Eugene Delacroix, Ägypten und die Türkei bei
Decamps und Marilhat; die Schweiz und die Au-
vergne bei Rousseau. Und woher kommt denn
Fromentin? aus Afrika. [Woher kommt Courbet?
aus den Vogesen.
Die alten kleinen Nester sind ungesund: die
Schule von Rom und die Schule der schönen Künste,
die Akademien und die Gefolgschaften sonst: da
wägt man immer die selben Eier.
Salon [866 2gt
Wenn ich einen Maler zum Sohn hätte, so
würde ich ihn, nach einer Rundreise durch Europa,
um in den Museen kennen zu lernen, was die Maler
von ehedem hervorgebracht haben, nach Amerika
schicken oder nach Australien, recht weit weg, ins
Neuland, damit er sich die Natur und die Mensch-
heit mit eignen Augen ansähe.
Die weiten Reisen haben das Talent und den
Erfolg gefördert bei Belly, Tournemine, Brest, Ber-
chere usw. Auch dieses Jahr noch hat Belly eine
ausgezeichnete Probe davon ausgestellt, „das Tote
Meer44, von großem Charakter und großer Wirkung.
Tournemine gibt eine „Ansicht aus der Türkei44,
sehr fein und sehr lichtvoll; Brest eine „Ansicht
vom Bosporus44, die recht originell ist; Mouchot,
der aus Ägypten zurückkommt, hat ein meisterhaft
gemaltes Bild mitgebracht : den „Teppichbazar44 in
Kairo; ebenso hat in Kairo Dauzats sein Interieur
einer Moschee gefunden, das sehr malerisch ist.
Ich bin freilich ganz einverstanden, daß es nicht
notwendig ist, in alle Winde hinauszugehen, um
ein guter Landschafter zu werden. Die Maler von
Barbizon, von Fontainebleau, der Isle Adam, von
Compiegne, von Meudon und im Weichbild von
Paris haben es bewiesen. In Paris selbst gibt es
ja so viel schöne Stellen zu malen und so viel schöne
Effekte: die Kastanienbäume der Tuilerien; eine
Reihe an den Quais mit den Gebäuden am Seine-
ufer entlang und dem Sonnenuntergang hinten ; der
Turm von St. Jacques und sein Square; ein Stück
222 Landschaftsmalerei
von den Boulevards oder den Champs-Elysees; eine
Allee des Luxembourg oder eine Masse aus dem
Park von Monceaux; einige alte Stadtquartiere, die
demoliert werden, oder irgendeine alte Straße, die
noch unberührt geblieben.
Wenn man nur ursprüngliches Empfinden be-
sitzt, eine lebhafte originelle Eindrucksfähigkeit vor
der Natur, da mag man schon zu Hause bleiben
,,at home" und malen gleich gut was, aus seinem
Fenster oder in seinem Hof. Van der Meer hat
Meisterstücke gemacht mit der Fassade eines hol-
ländischen Hauses (Galerie Six v. Hillegom), mit
einer Landwohnung (Galerie Suermondt), mit der
Ansicht irgend eines Stadtwinkels oder eines be-
liebigen Gäßchens.
Kennen Sie den Strand von Scheveningen ? er
ist gewiß nicht malerischer als irgend ein andrer.
Zwanzig holländische Maler haben Meisterwerke da-
nach gemalt : wie Adrian van de Velde, Salomon
van Ruisdael, Rombouts usw.
Scheveningen oder Fontainebleau, ausgezeich-
net; die Wüsten Afrikas oder die Urwälder Ame-
rikas, auch gut; Konstantinopel oder Peking, Java
oder Island, geht nur immer dahin! Aber Rom,
das ist gefährlich.
Als man von Indien sprach in Gegenwart eines
großen Reisenden, der dorther kam, über den Tod,
der über die Länder ausgebreitet ist, deren Ge-
schichte so wunderbar gewesen:
„Der Tod lebt da/' antwortete der Reisende.
Salon 1806 889
Man könnte diese seltsame Redewendung um-
kehren und von Rom sagen :
„Das Leben stirbt da."
Ich glaube nicht, daß Courrieres auf dem Wege
nach Rom liegt. Was ist denn Courrieres ? Ein Dorf,
wo die beiden Brüder Breton leben, irgendwo
im Norden Frankreichs. Adolphe Breton macht
da seine Schnitterinnen und Heuerinnen; er hat
in diesem Jahr nichts zum Salon geschickt. Emile
Breton macht da Landschaften und hat einen
„Teich" geschickt, eine kühne, weil durchaus wahre
Malerei. Dieser Teich und seine Ufer, das Wasser,
der Rasen, die Bäume, alles ist grün, von einem
starken unerbittlichen Grün. Sind denn die Kräuter
und das Blattwerk grün ? das könnte wohl sein,
besonders am Rand des Wassers; obwohl ehrsame
Landschafter das Grün in der Natur ableugnen.
Das ist die Geschichte von Constable und seinem
edlen Freund, Sir George Beaumont, der durch-
aus wollte, die Bäume seien braun. Sicherlich gibt
es Braun und Blond, Gelb, Rot und Grün in der
Landschaft, je nach der Jahreszeit, der Stunde des
Tages oder dem Temperament der Gegend. Aber
ich wage zu behaupten, daß es auch Grün gibt, und
Sir George Beaumont, den Constable ans Fenster
seines Ateliers rief, das auf einen Park hinausging,
erkannte selbst, daß die Natur ihre Bäume nicht
mit Asphalt male. Gar manche Landschaftsmaler
hätten nötig, sich erst einmal aufs Grün zu verlegen.
Ich meine, man soll malen was man sieht,
L'24 Landschaftsmalerei
nicht den Mittag suchen um sechs Uhr morgens
oder sechs Uhr abends, ganz einfach den Ton hin-
nehmen, den es dem Himmel gefällt der Erde zu
geben. Denn immer ist es der Himmel, der vor
allem die Farbe der Landschaft macht. Der selbe
Baum, der unter zerstreutem Licht grün ist, wird
unter einem Lichtstrahl gelb, wird rot beim Sonnen-
untergang und erblaßt unter dem Morgennebel.
Diese Farbe der Tages- und Jahreszeit ist leb-
haft genug in einer Landschaft von Blin ausge-
drückt, eine „Küste der Bretagne", von Chin-
treuil in seinem „Frühling44 mit einem Platz-
regen, von Hervie* in seinem „Dorfeingang44; von
Hanoteau „nach dem Fischfang41; von Dali-
phard „Sonnenblick nach dem Sturm44; von Ba-
voux „Plateau von Ghalouar44; von Bellet du
Poisat „die Mühlen vonDordrecht44; von St. Fran-
ko is „Mondschein in den Vogesen44; von Fall er
im „Windstoß44; von Bureau „Weg nach einer
Kalkbrennerei44 usw. usw.
Zahlreiche junge Maler suchen in der Natui
eine ausdrucksvolle Wirkung, wie all diese Titel
bezeugen. Und sind diese Effekte des Sonnenlichts,
des Sturms, des Regens oder Ungewitters nicht
für die Landschaft dasselbe, was für die Mensch-
heit die Gefühle, die Leidenschaften, die das Leben
erregen und ihm seinen Charakter geben?
Der junge Maler der „Frau im grünen Kleide",
Claude Monet, hat auch seine Landschaft ge-
liefert, eine herrliche Skizze, die ,, Allee von Bar-
Salon 1866 22ö
bizon" im Walde von Fontainebleau, eine Abend-
stimmung mit Sonnenschein zwischen den großen
Bäumen. Wenn man wirklich Maler ist, so macht
man alles was man will.
Daubigny, Vater und Sohn, sind genugsam
beachtet worden. Zwei große Ansichten von den
Ufern der Oise, vom ersteren, fallen zu sehr ins
Dekorative. Und der andre mißbraucht ebenso die
schweren Schatten; aber er hat Kraft und eine
gewisse Fremdartigkeit in seinem ,, Zigeunerlager".
Landschaften, in denen die Figur vorherrscht,
verlangen ganz besondere Eigenschaften. Man hat
denn auch die Granadierinnen von Gustave Dore"
hinreichend kritisiert und viel bewundert, eine Art
von Decameron auf dem Lande von Granada: eine
Schar junger Spanierinnen in Mantille heben sich
von einem violett getönten Himmel ab, während
lagernde Musikanten die Mandoline spielen und
dazu singen. Es ist hübsch in der Bewegung und
geheimnisvoll in der Wirkung, grandios genug, aber
schwer in der Farbe. In einer andern Landschaft,
,, Erinnerung an Savoyen", gleicht Gustave Dore von
fern den Düsseldorfern. Ist das nicht seltsam ? Aber
Dore" hat so viel in allen Arten der Malerei ge-
schaffen, daß man schon Ähnlichkeiten hier und
da herausfinden mag: bald mit den Florentinern,
bald mit den Spaniern, ja mit den Flandrern; aber
dabei bleibt er ein hochbegabter Künstler.
OOO
W. Bürger. Kunstkritik. 15
Weltausstellung 1867
Theodore Rousseau
Theodore Rousseau geht geradeswegs auf die
Nachwelt, an der Spitze der Plejade unsrer zeit-
genössischen Landschaftsmaler; denn es sind meh-
rere, die mit Rousseau die künftigen Kunstliebhaber
erregen werden, ebenso wie wir uns für Ruisdael,
für Hobbema, für Aelbert Cuijp begeistern. Diaz
hat Wunderwerke gemalt und gewisse Landschaften,
in der Auswahl des besten seines Gesamtwerkes, sind
unübertrefflich. Jules Dupre ist ein wahrhaft großer
Meister, tief und ausdrucksvoll; Troyon kommt zu-
weilen dem Aelbert Cuijp gleich. Und nehmen
wir auch Decamps und Delacroix als Landschafts-
maler hinzu, so haben wir eine stolze und an-
ziehende Gruppe, die wohl mit den Holländern des
17. Jahrhunderts wetteifern mag. Dazu einige
poetische Träume von Corot, einige zauberhafte
Wirkungen von Courbet, einige breite Dekorationen
von Paul Huet; und Marilhat, und Cabat, und
Daubigny, und die ganze neue Generation, die die
Natur ganz naiv liebt. Fragen wir uns aufs Ge-
wissen, so ist es die Landschaftsmalerei, die unsre
französische Schule des 19. Jahrhunderts berühmt
machen wird.
Die acht von Rousseau ausgestellten Land-
schaften zeigen sehr verschiedene Ansichten der
Tb. Rousseau 1867 227
Natur. Rousseau ist besonders stark in der Wieder-
gabe des Charakters einer Gegend und der launen-
haften Stimmungen, die Erde und Himmel in ge-
wissen Phasen der Jahreszeiten oder zu gewissen
Stunden des Tages beseelen. „Ein Sonnenstrahl
durch Sturmgewölk", der „Herbst in der Sologne",
„der Abend nach dem Regen", — diese Titel seiner
Bilder täuschen nicht. In den „Schluchten von Apre-
mont", im Wald von Fontainebleau, herrscht eine
Melancholie, die sich in gebrochenen Tönen, in einer
fast einfarbigen Tonleiter ausspricht, ohne Licht-
glanz. Dies schöne Bild ist etwa zehn Jahre alt.
In der „Steineiche" ist es die Kraft : dieser Baum-
stamm, der aus dem Granit hervorkommt, scheint
wie aus Fels und Eisen geformt. Die wilden Gegen-
den, wie der Wal.d von Fontainebleau, betonen
sehr bezeichnend diese Art von Gemeinschaft der
Naturreiche, des Gesteins und der Pflanzen.
Welch ein Gegensatz aber zwischen diesen, im
Herzen des Waldes von Fontainebleau erlebten Dra-
men und den frischen Frühlingsbildern oder der
regennassen Vegetation, der Landschaft von Berry
im vollen Sonnenschein mit den zartgrünen Bäumen
und der entzückenden Wonne des Lenzes, wie die
„Ufer des Bouzanne", eines kleinen Flüßchens im
Berry, die an die Landschaften von George Sand
erinnert. Diesen kleinen „Frühling" haben wir
schon früher hervorgehoben; er wird zu den voll-
endetsten Leistungen Rousseaus gehören; auch er
ist schon einige Jahre alt.
228 Landschaftsmalerei
Wie die Mehrzahl der Meister, die das Glück
gehabt haben, lange genug zu arbeiten, wird auch
Rousseau drei Hauptmanieren aufweisen: zu An-
fang die stürmische Jugend, erstaunlich an Origi-
nalität und Poesie; dann der Vollbesitz seiner selbst,
die Heiterkeit, Sicherheit einer Ausführung, die
dem innern Gefühl gleichwertig ist; dann, ich weiß
nicht was für eine Quälerei, allerhand Absichtlich-
keiten, die das spontane Schaffen verdrängen. Bei
Rembrandt war es seltsamerweise gerade umgekehrt :
anfangs ist er bescheiden, hält sich noch an seine
Vorgänger; dann geht er selbst voran, bestärkt
sich immer mehr, er wagt Einer von neuer Art
zu sein; dann läßt er sich gehen, übertreibt sich
selbst und kennt keine Grenzen mehr. Turner auch,
der große englische Landschafter: nach zaghaften
Nachahmungen endigt er schließlich in einem über-
flüssigen Gaukelspiel der Laune.
Was mich betrifft, so ziehe ich den Rembrandt
der „Nachtwache" dem Rembrandt der „Anatomie-
stunde" vor. Ebenso ziehe ich den Rousseau der
ersten Periode und der zweiten dem Rousseau dieser
letzten Jahre vor. Wir werden später im Salon
der Champs-Elysees ein Werk sehen, das Rousseau
eben erst vollendet hat, „Ansicht von Weinbergen
in Savoyen" mit der Alpenkette am Horizont (im
Besitz des Chevalier de Knyff). Das ist gestrickt,
wie ein Stück Tapisserie mit lauter gleichmäßigen
Maschen. Wir werden uns ein andermal mit Freund
Rousseau auseinandersetzen.
Weltausstellung 1867 229
Wer war doch der meist verfolgte Künstler
zu jener Zeit, wo eine junge Schule, die Roman-
tiker genannt, gegen die alten Machthaber der so-
genannten klassischen Kunst kämpfte? Wer ist der
Maler, dessen Name immer wieder hervorsprang,
wo man der akademischen Jury die Ausschließung
der Männer von Talent vorwarf? Das Bekannt-
werden Rousseaus beginnt mit wiederholten Pro-
testen, die von der Kritik zu seinen Gunsten ge-
schrieben wurden. Er war berühmt geworden, be-
vor man noch seine Werke hatte sehen können.
Während 15 Jahren war ihm die Öffentlichkeit
in den Salons versagt. War das nicht abscheulich,
und was gewannen damit die Bidaulds des Instituts ?
OOO
Jules Dupre hält gewissermaßen seinen
Wiedereinzug in dieser Weltausstellung von 1867.
Denn seit lange hatte er den periodischen Salons
entsagt und auch zur Weltausstellung von 1855
nichts eingeschickt. Nun ist er wieder da; desto
besser — mit einem Dutzend Landschaften. Wer
hat also am tüchtigsten zur Wiedereroberung der
Originalität in der Landschaft beigetragen? Ge-
wiß er. Paul Hu et protestierte bereits, nachdem
er einmal Constable gesehen hatte; denn die Eng-
länder sind es gewesen, die zuerst den Instinkt
dieser Revolution besaßen. Ganz jung hat auch
Jules Dupre* eine kleine Pilgerfahrt nach England
gemacht, und seitdem hat er sich nicht mehr ver-
ändert. Welche Reihe mächtiger Gemälde hat er
230 Landschaftsmalerei
in seinem zurückgezogenen Leben inmitten der Natur
ausgeführt I Keinen andern Ehrgeiz als den Fort-
schritt seiner Kunst. Das ist es, was ihm seine Un-
abhängigkeit erhalten hat. Fast immer auf dem
Lande oder im Walde, hat er sich nie um die
Intrigen gekümmert, die in der Stadt um Verwaltung
und Staat gesponnen werden. Warum lebt er auch
so menschenscheu im Walde der Isle-Adam? Wenn
er in elegantem Beinkleid in die Gesellschaft ginge,
statt in Gamaschen draußen im Holz, so würde
er vielleicht durch irgendeine hervorragende Gunst
ausgezeichnet sein.
Aber was hilft das? Die Ehrenbezeugungen
gehen vorüber, und die Bilder bleiben bestehen.
Die Gemälde Jules Dupres sind und bleiben ersten
Ranges. Zwölf in der Ausstellung geben Erinne-
rungen an die Landes und die Pyrenäen, an die
Sologne, aus Berry, an die Picardie. Eins der
besten ist ein Waldinneres von Compiegnes (Nr. 228
die Herrn Binder gehört), eine in Zeichnung und
Farbe außerordentlich energische Malerei. Auch
die „Vanne" findet Beachtung, die schon einige
berühmte Sammlungen durchlaufen hat, eine
„Weidenreihe" und ein „Sumpf". Der Vorwurf,
den man gegen Dupre erheben könnte, ist der,
daß er seine Gemälde zu weit durcharbeitet, und
daß er durch zuviel Impasto sein Erdreich und
besonders seine Himmel schwer macht. Mit weniger
Arbeit und Hartnäckigkeit würde er an Leichtig-
keit und Durchsichtigkeit gewinnen.
S.-\1on 1867 231
Corot ganz im Gegenteil scheint unglücklicher-
weise im seichten Gewässer einer unvollständigen
Ausführung stecken zu bleiben. Seine Gebilde
tauchen nur noch in einem Dunstschleier auf.
Wenn er nicht die Gabe der Kraft besitzt, so hat er
doch einen gewissen Reiz, der aus seinem fast
geheimnisvollen Eindruck entspringt. Er hat sich
seit seinen Anfängen nicht mehr verändert, und hat
auch fast immer ein und dasselbe Bild wieder und
wieder gemalt, selbst wenn er ganz verschiedene
Gegenden malte. Wo hat er den Nemi-See herge-
nommen ? In der Umgebung von Auteuil oder von
Meudon ? Seltsam, diesem nebelhaften Maler ge-
lingen zuweilen die ziemlich großen Figuren in
seinen fast körperlosen Landschaften sehr gut, und
das Bild, das,, die Toilette" betitelt ist, mit einer halb-
nackten Frau unter schwankenden Bäumen, erweckt,
ich weiß nicht wie, eine ganze poetische Welt.
Paul Hu et vertritt die Landschaft in gran-
dioser Auffassung, frei und meisterlich ausgeführt.
Auch seine Gemälde schmücken schon in großer
Zahl die öffentlichen Museen. Seine Überschwem-
mung im Luxembourg ist ein Meisterwerk in dieser
Art. Er hat acht Landschaften auf der Weltaus-
stellung, die den Museen von Bordeaux, Montpellier,
Orleans gehören oder für andre Museen in der
Provinz bestimmt sind.
Die Landschaften Ch. Fr. Daubignys sind
ebenso von Museen oder öffentlichen Anstalten ge-
liehen worden : vom Luxembourg, Museum von Bor-
232 Landschaftsmalerei
deaux, von Marseille, aus dem Palais von Com-
piegne. Daubigny ist nur ein Talent zweiter Hand
und hängt von mehreren der genannten Meister ab.
Francais hat mehrere Manieren gehabt: er
gehörte zuerst zu der Gruppe der Gründer von
Fontainebleau ; da er aber zum Stil und zur großen
Kunst zurückgekehrt ist, ist er dreifach mit der
Medaille erster Klasse gekrönt. Sein ,, Orpheus"
ist im Luxembourg, und sein „heiliger Hain" im
Museum von Lille. Außer diesen beiden Bildern
sieht man auf der Ausstellung noch sein bestes
Werk im großen Genre wieder: die Ausgrabungen
von Pompeji aus dem Salon von 1865.
Cabat gehörte auch zu der ersten Plejade,
die unsre Landschaftsmalerei revolutionierte, und
seit 1831 war er schon für kleine ländliche Bilder
ausgezeichnet worden, die Meisterwerke sind und
die man heute gern wiedersehen würde. Später hat
Italien und Poussin ihn verwandelt, und die beiden
Landschaften, die er auf der Ausstellung zeigt, ge-
hören seiner Poussin-Manier an, die ideal, arkadisch,
wenig menschlich und gar nicht modern ist.
Was aber auch ihr Stil und ihre Richtung sein
mag, alle diese Landschafter haben ein Talent, das
die Kritik nach ihren persönlichen Anschauungen zu
diskutieren, aber nicht abzuleugnen vermag. Es ist
eine Frage der Ästhetik. Wenn die Kunst fortschritt-
lich ist wie die Menschheit, deren charakteristischen
Ausdruck sie ohne Zweifel darstellt, wo liegt dann
die Vergangenheit, und wo liegt die Zukunft ?
OOO
1868
Es ist sehr heiß. Ganz Paris geht an die See
oder aufs Land. Gehen wir etwas in die Wälder
von Compiegne oder von Fontainebleau und an
andre Orte, die unsre Landschafter lieb haben.
Vielleicht werden wir nach Italien verlockt, nach
Ägypten und bis nach Indien. Man reist ja so
schnell heute. Wenn wir morgens von Ville d'Avray
ausgehen, so hoffe ich, kommen wir abends in
Ostindien an.
Corot ist es, der uns bei Ville d'Avray fest-
hält. Der Morgen ist schön. Sumpfige Strecken
des Bodens vor dem Gehölz sind noch mit Nebeln
bedeckt. Der silbergraue Duft gefällt Corot immer,
der früh aufsteht, aber sich zur Siesta zurückzieht,
sowie die Sonne über die Erde strahlt. Eine kleine
Hirtin, die Füße im Wasser, hütet einige Kühe,
die in den frischen Kräutern glücklich sind. Corot
hat immer nur eine und dieselbe Landschaft ge-
macht. Diese hier ist eine seiner besten Proben
aus dem Atelier der Wiederholungen. Die zweite
Landschaft, die er ausgestellt hat, „der Abend"
— sehen Sie, er malt niemals am hellen Tag! —
234 Landschaftsmalerei
stellt eine Gruppe starker Bäume am Rand eines
Flusses dar, den eben eine Herde durchschreitet.
Während Corot seinen Schlummer hielt, hatte die
Sonne die Dünste des Morgens aufgesogen, die
nun zu dieser Stunde langsam herabsinken, um sich
über den Rasen auszubreiten und dort die Nacht
zu verbringen.
Chintreuil, der auch ein Frühauf ist, hat
die ,, Morgenröte nach einer Sturmnacht" geschaut.
Er hatte dies Schauspiel an einem guten Platz er-
wartet. Vor ihm, vor uns, im Vordergrund be-
findet sich ein See, der vom vorübergezogenen,
Sturm noch bewegt ist. Auf der andern Seite des
Wassers erheben sich rechts bergige Strecken, links
ein andrer Hügel mit Bäumen bekrönt. In der mitt-
leren Vertiefung, die zwischen beiden Höhen liegt
und wie den Eingang eines Tales bildet, eben dort
erscheint die Morgenröte. Das wäre ein famoses
Theater, um eine junge Sylphide mit Rosenfingern
erscheinen zu lassen, die mit einem Fächer ä la
Pompadour die großen schwarzen Wolken ver-
jagt, die unsre Erde gequält haben. Ich würde
mich nicht wundern, wenn es im Salon auch noch
solche Auroren im „großen Stil" gäbe. Ist es nicht
sehr prosaisch und sogar materialistisch, nur rosige
Töne zu zeigen, die der Erscheinung des Feuer-
balls voraufgehen. Ebenso in der Literatur. Zu
sagen : die Sonne geht auf, die Sonne geht unter,
das ist nicht poetisch, obwohl diese Ausdrucksweise
durchaus antigalileisch und unwissenschaftlich ist.
SalonM868 235
Wenn die Erde sich dreht, wie die Gelehrten sicher
zu wissen glauben, darf man nicht hören lassen,
daß die Sonne die Runde um die Erde macht und
daß sie zu Bette geht, wenn sie mit ihrem glühen-
den Auge sich satt gesehen hat. Um die Ausdrucks-
weise mit den wissenschaftlichen Tatsachen in Ein-
klang zu setzen, müßte man das alles berichtigen,
und bei derselben Gelegenheit auch das Geschlecht
von Sonne und Mond in der deutschen Sprache, die
aus der Sonne ein Weib und aus dem Mond einen
Mann macht.
Man sieht, wir haben in allen Dingen viel zu
tun zur heutigen Zeit, die schneller läuft als ehedem.
Der zarte Chintreuil hat sich, durch das
Gewitter erregt, zum stärksten Ton gesteigert, um
den Kampf der Elemente zu malen, diesen Sieg des
Lichtes über die Finsternisse. Die blaugrüne Farbe
des Wassers, die schweren braunen Töne des Erd-
reichs, die roten Streifen am Himmel haben eine
seltene Kraft, wie sie selbst bei leidenschaftlicheren
Koloristen selten vorkommt.
Die Natur in ihren launenhaften Äußerungen
zu belauschen, ist die Leidenschaft Chintreuils. Wer
hat nicht zuweilen den Regen bei vollem Sonnen-
schein bewundert. Man mäht den Klee auf flachem
Felde, von Licht Übergossen. Die kleinen Haufen ge-
schnittenen Grases, von einem Grün mit rotem Hauch
darauf, leuchten wie Blumensträuße, die auf der
Erde hingelegt sind. Aber sieh da, weiterhin auf
dem andern Ende des Feldes regnet es. Ein sanfter
236 Landschaftsmalerei
Sommerregen, der den leuchtenden Himmel durch-
schneidet, eine wohltätige Befeuchtung, die die
Sonne nicht erzürnt. Diese Wirkung ist in dem
zweiten Bilde von Chintreuil reizend wiedergegeben.
Francois Daubigny hat einen „Frühling"
gemalt. Der Frühling in der Malerei ist eine moderne
Erfindung. Man suche mir Beispiele davon bei den
alten niederländischen Meistern. Auch die Roman-
tiker unter unsern Landschaftern haben nicht oft
das Ausschlagen der Blätter gewagt; im allge-
meinen zogen auch sie den Herbst vor mit seinem
geröteten Laub. Die Engländer waren kühner und
haben als Sucher nach Neuem in allem auch die
blühenden Apfelbäume auf dem frischen Rasen-
grün entdeckt. Constable hatte schon Wiesengründe
von skandalösem Grün gemalt, so wie man's überall
im Monat Mai erblickt. Es war damals in den ver-
schiedenen Schulen keine Rede davon, das zu
malen was man sieht. Millais und manche andre
haben später diese naturalistische Revolution ent-
schieden, die doch ganz einfach ist, aber noch
immer die Senatoren der Kritik erschreckt. Es
gibt übrigens eine Reihenfolge der vier Jahres-
zeiten von dem verehrungswürdigen Nicolas Poussin
selbst : der Frühling ist das irdische Paradies, das
Poussin und Cabanel niemals gesehen haben. Der
Sommer ist „Ruth und Boas"; der Herbst „das
gelobte Land" mit den beiden Kundschaftern des
Moses, die eine große Traube tragen; der Winter ist
die Sintflut. Wie kann man natürliche Landschaft
Salon 1868 237
malen mit solchen idealen Konzeptionen darinnen ?
Im Frühling Poussins „schwebt der himmlische Va-
ter auf den Wolken und der Versucher, der sich
auf den Baum der Erkenntnis geflüchtet", — geben
sie uns eine Vorstellung vom Hervorbrechen der
Kräuter und Blumen ? Die Lehre des Bildes ist
ohne Zweifel, daß die Wissenschaft täuscht und zum
Bösen verleitet, und daß die ersten Menschen, wenn
sie nur die Unwissenheit hingenommen hätten, noch
heut im Paradiese wären.
Vielleicht hatte aber Eva doch nicht so ganz
Unrecht, in den Apfel zu beißen. Dieser Apfel be-
weist übrigens, daß das irdische Paradies sich in
einem Obstgarten der Normandie befand und nicht
im Orient, wie noch einige orthodoxe Altertums-
kenner behaupten wollen. Also gut, malen wir Obst-
gärten der Normandie oder Blumengärten von Fon-
tenay-aux-Roses, und wenn man auch Figuren will,
setezn wir Blumenmädchen oder Fräulein von der
Seine oder Bäuerinnen von Calvados hinein.
Der „Frühling" von Francois Daubigny ist
sehr frisch und sehr heiter. Die Bäume in Blüte
strömen ihren Duft aus. Die Ausführung ist breit
und frei. Die Farbe tritt ausnahmsweise aus den
braunen Tönen heraus, die diesem ungleichen Maler
so zur Gewohnheit geworden sind, zuweilen ganz
ausgezeichnet, zuweilen aber auch hohl und fad. Sein
andres Bild: der „Mondaufgang" ist peinlich und
falsch. Den Mond, der durch einen Haufen gelber
Farbe gegeben ist, könnte man mit Händen greifen.
238 Landschaftsmalerei
Daubignys Sohn ahmt das Verfahren seines
Vaters nach. Er ist oft sehr schwarz, aber er hat
Kraft. Seine „ Kornschwingerinnen der Bretagne44
entbehren nicht des Charakters, und sein „Wald
von Fontainebleau44 ist recht geheimnisvoll.
Paul Huet lockt uns von Fontainebleau nach
Pierrefonds. Er bringt zu seiner Malerei stets ein
poetisches Gefühl und eine meisterhafte Praxis mit.
Er hat nie den Quell seiner jugendlichen Begeiste-
rung vergessen: den Landschaftsmaler Constable.
Seine Ruinen des Schlosses Pierrefonds gewähren
einen großartigen Anblick. Sie würden in einem
Museum sehr gut wirken, zwischen einem Troyon
und einem Jules Dupre, um die jungen Landschafts-
maler zu lehren, daß man das kleine Geziefer auf
Gräsern und Laub nicht suchen soll.
Paul Huet hat auch einen Sohn, der zwei Ge-
mälde ausgestellt hat und Maler sein wird: er ist
es schon ganz natürlich geworden.
Als Gegenstück zu Paul Huet erscheint „die
Speisekammer der Füchslein44 von Hanoteau,
einem Schüler Gigoux'. Es ist eine Waldszene, die
den Jäger interessiert. Eine sehr freie, sehr natür-
liche Landschaft mit leuchtendem Grün; es ist eine
„gesunde Malerei44, wie mir ein Kenner der alten
Kunst, Mündler, bei Gelegenheit einer andern Land-
schaft von Lansyer, einem Schüler Courbets sagte.
In solchen Werken, wo ursprüngliches Empfinden
sich zum Wissen durchgebildet hat, da fühlt man
eine vollwertige und unabhängige Überzeugung.
Salon 1868 239
Diese Jüngern malen der Natur gemäß und ihrer
Natur gemäß. Unter solchen gesunden und nor-
malen Bedingungen bedarf es in der Tat nichts
weiter als Genie zu haben, um ein sehr großer
Künstler zu sein und mächtig zum Fortschritt der
Kunst beizutragen.
Die Landschaft Lansyers stellt eine „Quelle
in der Bretagne" dar. In der Bretagne hat auch
H6reau seine „Seegras-Sammler am Strande" be-
obachtet. Das Meer zieht sich zurück, aber das
Unwetter naht: der Himmel ist ganz schwarz,
und der Sturm wird furchtbar toben. Die Seetang-
sammler beeilen sich, ihren Karren zu beladen,
der mit zwei Ochsen und mit einem Pferde bespannt
ist. Hereau verdient die Medaille, die ihm für dies
Gemälde von lebhafter Wirkung zuerkannt ist.
Die Bretagne hat den Landschaftern Glück ge-
bracht, und Bernier hat auch für seinen Teich
von Quimerch bei Bannalec im Gebiet von Finisterre
die Medaille davongetragen.
Andre Medaillen sind noch den Landschafts-
malern Harpignies und A p p i a n zuteil geworden,
zwei feinen Künstlern, die aus der Durchschnitts-
mache hervorragen.
Die Arbeiten dreier Landschafter, die den
großen Stil vertreten, habe ich nicht finden können:
AlexandreDesgoffe,PaulFlandrin, Schüler
von Ingres, und Francais, der „ihnen jetzt in
der Laufbahn vorangeht", nachdem er anfangs na-
240 Landschaftsmalerei
türliche Landschaften gemalt hatte. Aber ich bin
nicht in Sorge um ihren Erfolg: sie haben für sich
die wohlerzogenen Leute, das Institut, die Regie-
rung, die Verwaltung des Kunstgebietes und ihre
Anhänger, die hohe Kritik; sie gehören zu jener
begünstigten Klasse, von der man richtig sagen
kann, sie sei „autorisiert".
Brest führt uns über Venedig nach dem Bos-
porus. Aber wir machen einen Augenblick in
Ägypten Halt, um die Abendstimmung von Belly
zu bewundern, der ein Schüler Troyons ist. Welch
ein Erguß roten Lichtes über die Landschaft. Es
ist zum Ersticken. Ich erinnere mich der ersten
Gemälde, die Marilhat aus Ägypten heimbrachte,
und besonders der Ansicht des Platzes Esbekieh
in Kairo, seines Meisterwerkes. Wir können nicht
an diese verbrannte Atmosphäre glauben, die die
Erde gekocht zu haben scheint und alle Dinge in
verglasten Zustand übergeführt hat, wie Caramellen.
Decamps hatte uns schon das Licht in der
Türkei gezeigt, blendend weiße Mauern, fast wie
Sonnenglanz auf Silberplatten. Marilhat zeigte uns
geschmolzenes Gold und wie in Auflösung begriffen.
Welch eine treffliche Badstube, um die Fettsüch-
tigen schwitzen zu machen, ist das!
In der Landschaft Bellys sind glücklicherweise
große volle Bäume und im Vordergrund sogar ein
Wasserbehälter, wo Büffel herumpatschen. Zwischen
den Bäumen bemerkt man kleine Figuren, Gebäude
und Durchblicke ins Land hinaus. Die Komposition
Salon i368 241
ist sehr reich, sehr farbig und hat eine machtvolle
Harmonie.
Sollte es an den Ufern des Nils frischer sein?
Kaum viel. Die „Fellahweiber", von Mouchot,
tragen ruhig ihre wissergefüllten Henkelkrüge da-
her. Es ist auch Abend, und diese Frauengestalten,
die sich mit majestätischer Eleganz bewegen, heben
sich von einem schweren, fast undurchsichtigen
Himmel ab. Ohne in diesen Gegenden gereist zu
haben, ist man doch sicher, daß Mouchot und
Belly genaue und aufrichtige Beobachter sind. Belly
war schon „hors de concours" und Mouchot hat
mit gutem Recht die Medaille bekommen.
Schwingen wir uns nun bis nach Indien hinaus,
denn wir sind auf dem Wege dahin. Es gilt in der
Tat zwei indische Szenen zu schauen: einen „Halt"
und eine „Rückkehr von der Jagd", die Charles
de Tournemine gemalt hat. Welch ein Licht
auch hier; aber minder dicht als in Ägypten.
Tournemine hatte sich zuerst in die Flamingos ver-
liebt, jene flammenfarbigen Vögel, die so leicht
auf ihren langen Stelzen stehen und so anmutig
sind in ihren Bewegungen. Das letzte Jahr hat er
sich den Elephanten Afrikas zugewendet und ver-
folgt sie dieses Jahr in das Land, wo sie einst fast
vergöttert wurden. Diese Halbgötter, die sich her-
beilassen, den Menschen auf der Reise und auf
der Jagd zu tragen, haben nichts von ihrer antiken
Würde verloren. Sie sind immer noch herrlich
W. Bürger. Kunstkritik. 16
242 Landschaftsmalerei
in diesen beiden indischen geistreich gemalten Sze-
nen mit ihrem feinen glanzvollen Kolorit.
Ich glaube gern, daß Tournemine, der sich in
seinen Bildern dem Orient widmet, Afrika, die Tür-
kei und Indien durchwandert hat, um Himmel und
Erde zu studieren wie die Menschen und die Tiere.
Was mich hindert, uns mit Theodore De-
lamarre bis nach China zu verirren, ist der Um-
stand, daß dieser originelle und geschickte Künstler
seine Chinoiserien doch in Paris macht. Es ist
wahr, sein Atelier gleicht einem Interieur von Can-
ton oder Peking: chinesische Vorhänge, Möbel,
Kostüme, Gebrauchsgegenstände aller Art, ganz
chinesisch; man findet da sogar eine chinesische
Gesellschaft der verschiedenen Klassen, vom Man-
darin, dem Kaufmann, dem Arbeiter bis zu den
Modellen, die der fanatische Maler einbalsamiert
hat, um ihm den wahren Ausdruck und das leib-
haftige Benehmen des erwählten Volkes darzubieten.
An seiner Stelle ginge ich selbst nach China; aber
er findet es einfacher, sich ein China für sich zu
machen, hoch oben in der Chaussee d'Antin. Wenn,
wie ich hoffe, die ,,Ind6pendance" im Reich des
Himmels gelesen wird, so werden die Chinesen,
die nach Paris kommen, gewiß nicht verfehlen,
dem Mandarinen Delamarre einen Besuch abzu-
statten.
Ach, wie ist der Winter schön, besonders im
Sommer! Seit einem Monat beten wir in Paris
Eis und Schnee förmlich an; man riefe gern wie
Salon 1868 243
in Neapel : Es lebe der heilige Januarius. Da tut
es wohl, sich dem Norden zuzuwenden. Die Aus-
stellung bietet mehrere ausgezeichnete Bilder des
Winters.
Emile Breton, der Bruder von Jules, hat
eine ganz mit Schnee bedeckte Ebene gemalt, und
zwar jene lang aushaltende Schneedecke, die mit
der Erde einen Körper bildet; der Frost hat sich
über dieses weiße Leichentuch ausgebreitet und es
fest gemacht. Soweit das Auge reicht, nichts als
Schnee; nichts Besonders in der Landschaft, kein
Baum, kein Strauch, keine Hütte, kein Mensch, kein
lebendes Wesen, das sich bewegte, bis auf ein paar
Raben, die das weiße Tuch mit Schwarz beflecken
oder gegen den grauen Himmel fliegen. Man sollte
meinen, daß der Mensch dies Lappland geflohen
habe. Es ist sehr melancholisch, und — sehr schön.
Die andre Landschaft von Emile Breton, eine
„Quelle", ist hart, allzu sehr durchgequält, ohne
Luft und ohne Reiz. Ich nehme an, daß Breton
seine Medaille nur dem Schneebilde verdankt.
In einem Gemälde von Fleury-Chenu ist
schon Schnee gefallen, aber es fällt noch mehr.
An der Tür einer Dorfherberge will eben ein Karren
abfahren und die Wirtin schenkt dem Kärrner zu
trinken ein, der sich durch dies furchtbare Wetter
wagt, wo die Hunde am Herdfeuer schlafen. Das
Dach und die Balken des Häuschens, das links
im Bilde sehr gut aufgebaut ist, sind mit Schnee
bedeckt; auf der Straße liegt er fußhoch, und
244 Landschaftsmalerei
drunten auf den Feldern ist das Schneegestöber
so dicht, daß der Fuhrmann nicht die Ohren seines
Pferdes vor sich sehen wird. Es ist gleich, vor-
wärts! Der Mensch darf sich nicht von den Ele-
menten beherrschen lassen; also auf den Weg, mit
gutem Humor.
Die Malerei Chenus ist korrekt, ohne Aus-
flüchte, entschieden bis in die Einzelheiten. Wenn
man zufällig an seiner kleinen Herberge vorbei-
käme, würde man sie sofort wieder erkennen, an
ihren grünen Fensterläden, an den Stufen vor der
Tür und dem Balkon im ersten Stock. Und doch
hat das Ganze Charakter, weil die Gesamtwirkung,
sehr richtig und sehr ausgesprochen, die Einzel-
heiten, selbst die ins Auge springenden, einhüllt,
und zwar so gut, daß man von dieser Abfahrts-
szene, die „Abschiedstrunk" betitelt ist, nichts an-
deres denkt als: welch grausiges Wetter!
Wir haben den Schnee auf den weiten Acker-
feldern des französischen Flandern mit Emile Breton
gesehen, und in der Umgegend eines Dorfes mit
Fleury-Chenu. Michel von Metz hat im lichten
Walde diesen glänzenden Effekt studiert, der so
wundervoll auf den hohen Stämmen von Fontaine-
bleau zum Vorschein kommt. Lothringen bewahrt
noch sehr wilde Waldungen, mit Sümpfen, Wässern
und buschbewachsenen Strecken dazwischen. Michel
holt sich dort seine Eindrücke und hat da sicher
sein letztes Winterquartier aufgeschlagen. Im Jahre
1864 haben wir seinen Sumpf in einer Eichen-
Salon 1868 245
lichtung mit einer Reiherschar beachtet; im Jahr
1865 einen Teich mit Gänsen, die von einer Hirtin
gehütet werden. Schon lange hat Michel die Me-
daille verdient, die ihm diesmal zugefallen ist.
Sein Schneestück ist ohne Fehl : noch ein Teich
im Walde, — die Eichen sind mit Eiszapfen ge-
schmückt, die sie gleich Spitzenbehang umhüllen;
die Gewächse und das Gestrüpp sind mit Diamanten
bedeckt, wie die reichsten Damen der andern Welt;
das Wasser ist gefroren, die Eisfläche schimmert
grünlich, wegen des tiefen Wassers darunter, und
wirft die silbernen und braunen Töne des Gezweigs
ringsum zurück. Diese winterliche Pracht zu be-
wundern ist nur ein einsamer träumerischer Philo-
soph da, der am Ufer des Wassers steht. Wie heißt
doch der große Vogel aus der Familie des Reihers,
der einen kahlen Schädel hat, graues Gefieder, hohe
dürre Stelzen, und so melancholisch aussieht, wenn
er den Hals zwischen die Schultern zieht? So einer
steht da und denkt vielleicht darüber nach, wie mit
seinem Schnabel das Eis zu durchbohren wäre, um
einen Fisch aus dem Wasser zu ziehen. Was tun?
Es ist recht mühsam, im Winter das Leben zu
fristen.
Michel von Metz malt sehr gut, gewissenhaft
und, wie ich glaube, mit viel Hartnäckigkeit; da er
aber die äußere Natur vollkommen kennt, so ver-
rät das fertige Werk nicht mehr die Schwierigkeiten
der Ausführung. Es ist außerdem die gründliche
Aufrichtigkeit eines Künstlers da, der fern von den
24G Landschaftsmalerei
Pariser Ateliers lebt, fern von den Einflüssen einer
zuweilen gefährlichen Umgebung.
Ein Bild von L a v i e i 1 1 e ist betitelt : Landstraße
von Waban im Schneewetter. Ich weiß nicht, wo
Waban liegt; um aber dahin zu gelangen, kommen
wir durch ein Gehölz. Der Weg, die Böschungen,
die Bäume, alles ist weiß, ganz frisch. Ein Hase,
der aus dem Gestrüpp herauskäme, würde einen
schönen rotbraunen Fleck darauf bilden. Lavieille
ist übrigens ein Landschafter für alle vier Jahres-
zeiten. Er hat den Herbst oft mit der Tüchtigkeit
eines freien Koloristen gemalt. Als Schüler Corots
hängt er doch ebenso von Jules Dupre und andern
Meistern ab, die unsre moderne Schule schmücken.
Bureau hat den „Winter in Holland" aufge-
sucht, und hat bei dieser Gelegenheit auch eine
„Erinnerung an Rotterdam" mitgebracht, ohne die
Erinnerungen an die holländischen Maler zu rech-
nen, die sich inmitten des Landes, das sie begeistert
hat, so wohl verständlich machen. Die Gefahr be-
steht darin, sie allzu nahe nachzuahmen, und die
Malereien von Bureau haben etwas das Ansehen der
alten durch die Zeit schmutzig gewordenen Bilder.
Möge er jetzt an den Ufern der Seine malen, in leb-
haftem Licht, ohne an Salomon Ruisdael oder
van Goyen zu denken.
All diese Schneebilder haben uns erfrischt, trotz
dem Ausflug in den Orient und trotz der Hitze in
Paris. Lassen wir uns nun gehen, wohin uns noch
talentvolle Landschaften verlocken mögen.
Salon 1868 247
Herson, ein Schüler von Diaz, hat zwei An-
sichten von Barbison ausgestellt. In diesen kleinen
Bildern von warmem Kolorit hat er sich sehr glück-
lich die ausgezeichneten Eigenschaften des großen
Künstlers angeeignet, dessen Nachfolger er ist.
Brigot, ein Schüler von Courbet, hat eine
Rückkehr von der Jagd ausgestellt, ein Vorreiter
mit seinen Hunden, ,, Kreuzweg im .Walde". Aus-
führung kräftig und voll.
Georges Prieur, ein Schüler von Jules
Dupre, hat ein Reh, das an einen Eichenstamm auf-
gehängt ist, und totes Wildpret, auf den Rasen hin-
gebreitet, in einer Waldlichtung von Fontainebleau
gemalt. Er gibt das Fell des Wildes, Reh und
Hase, mit einer meisterhaften Sicherheit; wir haben
Studien nach der Natur von ihm gesehen, die an
Jean Fyt erinnern. Wenn er Landschaft malt, ist er
farbig, sehr ausdrucksvoll und sehr originell. Hier
freilich ist aus irgend einer unerklärlichen Laune
sein Landschaftshintergrund düster, ohne Licht und
ohne Betonung. Vielleicht hat er seinem Wildpret
im Vordergrunde mehr Wert und Relief geben
wollen. Aber gewiß hätte ein heller Grund das
schöne Reh besser aus der verworrenen Masse her-
vortreten lassen, das Hauptstück, das wie jenes von
Courbet in seinem berühmten Gemälde „Halali" ge-
malt ist.
Ein Maler, der sich schon von 1848 bemerkens-
wert gezeigt hatte indem, was man damals die,, junge
Schule" nannte, und der seitdem fast aus den Salons
248 Landschaftsmalerei
verschwunden war, Felix Haffner von Straß-
burg, hat „Apfelbäume im Elsaß" ausgestellt, ein
ziemlich bizarres Werk, von einem kühnen Natura-
lismus und einer in gewissen Partien sehr erfreu-
lichen Färbung. Eine der Bäuerinnen, die unter den
Apfelbäumen steht, wird von Sonnenstrahlen ge-
troffen, die durch die Zweige dringen; sie würde
nicht zurückstehen hinter gewissen Malereien der
modernen englischen Schule, die zugleich naiv und
übertrieben sind.
Ich übergehe viele Landschaften, die Erfolg ge-
habt haben, wie die „Wüste" mit einem toten Dro-
medar statt aller andern Ausstattung inmitten der
unermeßlichen Weite; ich übergehe die bekannten
und mit Recht geschätzten Malereien von Ziem,
der eine Ansicht von Venedig und eine von Mar-
seille ausgestellt hat; ich übergehe eine Anzahl
junger Künstler, die drauf und dran sind, sich An-
sehen zu erobern. Man erwäge doch, daß auf die
2600 ausgestellten Gemälde mehr als 1000 Land-
schaften kommen.
N
7435
Bd.l
Thore*, lyophile Stienne
Joseph
er1 6 Kunstkritik
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