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IMMANUEL KANTS
WERKE
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LIBRARY
71805S
UNIVERSITY OF TORONTO
IMMANUEL KANTS
WERKE
IN GEMEINSCHAFT
MIT
HERMANN COHEN,
ARTÜR BUCHENAU, OTTO BUEK,
ALBERT GÖRLAND, B. KELLERMANN,
OTTO SCHÖNDÖRFFER
HERAUSGEGEBEN VON
ERNST CASSIRER
BAND X
VERLEGT BEI BRUNO CASSIRER
BERLIN
BRIEFE
VON UND AN KANT
HERAUSGEGEBEN
VON
ERNST CASSIRER
ZWEITER TEIL:
1790-1803
VERLEGT BEI BRUNO CASSIRER
BERLIN 1923
3— 5- TAUSEND
221.
An Theodor Gottlieb von Hippel.
Ew. Wohlgeb. sind so gütig gewesen, dem jüngeren JACH-
MANN in seinem Gesuch um ein Stipendium Ihre geneigte
Unterstützung zu versprechen. Er hat mir gestern eine Ver-
änderung in seiner bisherigen Lage erzählt, die ihn jetzt dieser
Beihilfe sehr bedürftig macht : da nämlich der Postdirektor seinen
Sohn, für dessen Leitung und Unterricht er bisher gut bezahlt
worden, zum Herrn D. SCHMALTZ hinzugeben beschlossen hat,
mithin ihm hiedurch das Einkommen für seine dringendste Be-
dürfnisse entzogen wird, und er besorgt, in die für alle seine
guten Aussichten nachteilige Notwendigkeit versetzt zu werden,
irgend eine Landkondition anzunehmen und so die Vollendung
seiner Ausbildung auf der Universität aufzugeben.
Erlauben Sie, daß er diesen Morgen Ihnen seine Aufwartung
machen darf, um teils sein Anhegen selbst vorzutragen, teils auch
zu erkunden, was er seinerseits zu tun habe, um sein Gesuch in
gehöriger Form anzubringen; so bitte ergebenst ihm durch Über-
bringern dieses einen Wink zu geben. Die ihm hierunter zu er-
zeigende Wohltat kann schwerüch einem Würdigern bewiesen und
so Ihre weise Absicht in Austeilung der Stipendien besser er-
reicht werden.
Ich bin mit der vorzüglichsten Hochachtung
Ew. Wohlgeb.
ganz ergebenster treuer Diener
I. Kant
d. 6. Jan. 1790.
Kants Schriften. Bd. X. I
An Johann Gottfried Kiesewetter
222.
An Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Ich habe, wertester Freund! an Herrn De la GARDE mit
der heutigen fahrenden Post die erste Versendung meines Mskrpts
der Kritik der Urteilskraft mit 40 Bogen gemacht, denen das
Übrige in 14 Tagen sicher folgen soll. Da jenes nun einige
Tage später in Berlin eintreffen wird, als dieser mein Brief, so
bitte sehr so gütig zu sein und mit ihm wegen der Ausfertigung
des Werks zur Ostermesse zu sprechen; weil er mir in seinem
Briefe Bedenklichkeiten geäußert hat, daß sich schwerlich jetzt in
Berlin ein Buchdrucker finden würde, dessen Pressen für diese
Messe nicht schon so besetzt wären, daß er diese Arbeit zu über-
nehmen imstande wäre; wiewohl er doch zugleich die Über-
sendung wenigstens der Hälfte des Mskrpts verlangte und also
diese Hoffnung doch nicht aufgegeben zu haben scheint. Sollte
er gleichwohl sich nicht anheischig machen wollen, die Ausfertigung
um diese Zeit zu leisten, so würde ich bitten, mir davon eilige
Nachricht zu geben und vorläufig darüber mit dem Buchhändler
Herrn HIMBURG zu sprechen (die Bedingungen sind: der Ab-
druck auf Druckpapier mit derselben Schrift als meine andere
Kritik, 2 Dukaten pro Bogen für jede Auflage von 1000 Exem-
plar und 20 Exemplare frei) woran ich aber sehr ungern
gehe; daher ich auch bitte Herrn De la GARDE vorher freund-
lich zu befragen (ohne ihn das letztere wissen zu lassen), ob ich
mich darauf verlassen könnte. Im Falle, daß er sich dazu an-
heischig macht, ist Ihre Antwort auf diesen meinen Brief nicht
nötig. Wegen des Honorars für Ihre Bemühung der Korrektur
habe ihm geschrieben, nicht karg zu sein.
Ihr letzterer Brief ist mir sehr angenehm gewesen, noch mehr
die mündliche Nachricht, daß es mit Ihren Vorlesungen guten
Fortgang habe. Ein mehreres von Ihrer jetzigen Verfassung und
Aussichten hoffe gelegentlich von Ihnen zu vernehmen, wobei ich
mich mit dem Postporto nicht zu schonen bitte. — Herr Prediger
JENISCH hat an mich wegen jener ungereimten Sache selbst ge-
schrieben und eine der Ihrigen ähnlichen Beschreibung davon
gemacht, worauf ich ihm auch bereits geantwortet habe und hoffe
An F. Th. de la Garde 3
das Gerede hievon werde jetzt ein Ende haben und ihm nicht
nachteilig werden.^)
Ich bin mit aller Hochachtung und Freundschaft
Ihr
' ergebenster
Königsberg, I. Kant,
d. 21. Jan.
1790.
223.
An F. Th. de la Garde.
Ew. Hochedelgeb. überschicke mit der heutigen fahrenden
Post 40 Bogen Mskrpt., welche nahe an die Hälfte des ganzen
austragen, denn 84 Bogen, wozu noch 17 Bogen Einleitung (die
aber von mir vielleicht noch abgekürzt werden sollen) alles ohn-
gefähr in eben so weidäuftiger Schrift als das Überschickte, kommen
w^erden, machen das ganze Werk aus. — Den ganzen Rest werde
nach 14 Tagen ebenfalls auf die Post geben; worauf Sie sich
verlassen können.
Ich habe Ihnen nicht eher etwas zuschicken mögen, als bis
die Abschrift des Werks vollendet und Ihnen die Bogenzahl ge-
meldet werden könnte: damit Sie mit dem Buchdrucker den
Überschlag machen und auch versichert sein könnten, daß Sie
nicht aufgehalten würden. Daß ich aber nicht eher und so früh,
wie ich sicher hoffte, ferrig geworden, daran sind Hindernisse
schuld, denen man nicht ausweichen konnte.
Die erste und vornehmste Bedingung, unter der ich Ew. Hoch-
edelgeb. dieses Mkrpt. zu Ihrem Verlage übergebe, ist; daß es
zur rechten Zeit auf der nächsten Leipz. Ostermesse fertig ge-
liefert werde. Sollten Sie dieses zu leisten sich nicht getrauen,
so bitte es an Herrn KIESEWETTER zu melden, der hierüber
von mir einen Auftrag bekommt. Allein ich hoffe: daß es doch
irgend eine Presse in Berlin oder dem benachbarten Sachsen geben
^) Jenisch war beschuldigt worden, einen Taufschein gefälscht und
ihn dem Konsistorium eingereicht zu haben; die nähere Untersuchung
hatte jedoch ergeben, daß die Schuld nicht ihn selbst, sondern einen
seiner Freunde traf.
\*
4 An F, Th, de la Garde
wird, welche in 14 Tagen 5 Bogen drucken wird, dadurch denn
der Druck ganz zeitig vollendet sein kann. Da ich aber nicht
zweifle , daß Sie einen solchen Buchdrucker in Berlin antreffen
werden, so wiederhole meine Empfehlung, den Herrn KIESE-
WETTER zum Korrektor zu brauchen, den Sie dann auch dafür
so reichlich als für dergleichen Arbeit nur zu geschehen pflegt,
zu bezahlen beheben werden.
Das Werk wird auf reinem weißen Druckpapier, mit einer
Schrift von der Art, wie die Kritik der reinen praktischen Ver-
nunft, gedruckt. Für mich bitte 4 Exemplare auf Postpapier und
noch andere i<5 auf Druckpapier, als Zuschuß zu dem honorario
von 2 Dukaten pro Bogen, für jede Auflage von lo'oo Exem-
plaren, welches Sie mir in dem Briefe, darin Sie mir den Empfang
des Mskpts mit der nächsten umgehenden Post berichten
werden, bestätigen wollen.
Ich habe das Paket nicht frankiert, noch den gegenwärtigen
Brief; weil die dafür getragene Kosten mir am honorario ab-
gerechnet werden können.
In den Meßkat(al)og werden Sie die Einrückung zeitig besorgen.
Der Titel ist:
Kritik
der Urteilskraft
von
Immanuel Kant.
Für den Setzer habe hiebei eine Anweisung beigelegt, auf
deren Vollziehung Sie zu sehen belieben werden.
Was die Geschichte mit Herrn JENISCH betriflft; so ist mir
durch seinen Brief nichts Unangenehmes widerfahren, wie ich
ihm denn auch schon vor einiger Zeit geantwortet habe, als von
einer Sache, die mich schlechterdings nichts angeht; in der ich
auch bei Gelegenheit seinen Charakter freundschafthch zu recht-
fertigen nicht ermangelt habe.
Einliegenden Brief bitte an Herrn KIESEWETTER, der bei
der Korrektur wegen meiner Hinweisungen am besten Bescheid
weiß, abgeben zu lassen und versichert zu sein, daß ich jederzeit
mit Hochachtung und Freundschaft sei
Königsberg, Ew. Hochedelgeb.
d. 21. Januar. ergebenster Diener
i75>o. I. Kant.
An F. Th. de la Garde 5
224.
An F. Th. de la Garde.
Ew. Hochedelgeb. werden ein Paket durch die gestern ab-
gegangene fahrende Post mit 40 Bogen Mskpts., als den Rest
des Tcxts, (drei Bogen, die ich nicht Zeit gehabt habe durch-
zusehen, ausgenommen) erhalten. Diese, zusamt der etwa zwölf
Bogen starken Einleitung, werde über 14 Tage ebenfalls
nachschicken: so, daß der Buchdrucker gar nicht aufgehalten
werden soll.
Anbei bitte mir, so wie der Druck fortgeht, von acht zu
acht Bogen durch die fahrende Post auf meine Kosten jederzeit
zuzuschicken, damit von einigem, was ich da noch Fehlerhaftes
anträfe, in der Vorrede (die ich in einem Briefe mit der
reitenden Post nachschicken kann) Erwähnung getan werden
können.
Von EBERHARDS phil. Magazin bitte ich des zweiten Bandes
3. und 4. Stück oder auch das 3. allein (wenn das 4. noch nicht
heraus ist) mit der nächsten fahrenden Post zuzuschicken. Die
2 ersten Stücke des zweiten Bandes habe ich von Ew. Hoch-
edelgeb. schon erhalten und es kann alles gegen Ostern ver-
rechnet werden.
Ich hoffe, der Setzer werde darauf sehen^ daß er mit einem
Sternchen * bezeichnete Absätze, wie gewöhnlich, unter den
Text setze: dagegen die mit anderen Zeichen bemerkte in den
Text einrücken.
Ich bin mit allen von Ihnen getroffenen Anstalten, die mir
Herr KIESEWETTER sehr gerühmt hat, ganz zufrieden, erwarte,
mit dem Nächsten, die erste Zusendung der abgedruckten Bogen
und bin mit aller Hochachtung
Ew. Hochedelgeb.
ergebenster Diener
Königsberg, I. Kant,
d. 9. Febr.
1790.
6 Von jfohann Gottfried Kieseiaetter
11').
Von Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter,
Bester Herr Professor.
Was Sie mir in Ihrem letzten Briefe (für den ich Ihnen den
besten Dank abstatte) vorausgesagt haben, ist richtig eingetroffen,
mein Körper hat meinen wirkHch zu sehr gehäuften Arbeiten
unterhegen müssen, und ich habe 14 Tage hindurch an Krämpfen
im Unterleibe so gelitten, daß ich das Bett nicht verlassen konnte,
kaum hatten sie im Unterleibe nachgelassen, so stiegen sie nach
der Brust und zogen die Lunge so zusammen, daß mir das Reden
äußerst beschwerlich wurde. Das letzte Übel ist nun gehoben,
aber die Krämpfe stellen sich doch immer noch zuweilen ein,
und ich muß zu meinem Arger wie ein altes Weib Asa foetida
gebrauchen. Nun bestürmt man mich von allen Seiten, daß ich
weniger studieren soll, und ich muß wirklich etwas nachgeben.
Was meine äußere Lage betrifft, so ist diese um ein gut Teil
besser, und ich habe alle Ursach zufrieden zu sein. Der Minister
von SCHULENBURG tat mir gestern schriftlich den Antrag zu
ihm ins Haus zu ziehen und der Gesellschafter (nicht Hofmeister,
denn dazu würde ich mich nie verstehen) seines 1 7 jährigen
Sohnes zu werden; er sagt mir in seinem Briefe, daß ich weiter
keine Verpflichtung auf mich nehmen sollte, als der Freund und
Ratgeber seines Sohnes zu sein, daß ich meine völlige Freiheit
behalten und Collegia lesen könnte, warm und wieviel ich wollte.
Er hat mich auf künftigen Sonntag zu Tisch gebeten, wo wir
uns über die anderweitigen Bedingimgen unterreden wollen; wie
mir der Kanzler von HOFFMANN vorläufig gesagt hat, so wird
er mir freie Station und 200 Taler Gehalt anbieten. Ich bin
bis jetzt entschlossen das Anerbieten anzunehmen. — Ferner
arbeitet man jetzt stark daran, daß ich den Unterricht der beiden
jüngsten Prinzen des Königs in der Mathematik, und wenn es
möglich ist, des zweiten Sohnes desselben (des Prinzen Louis) in
der Philosophie erhalten soll; der Kronprinz hat ENGEL zum
Lehrer. Bis jetzt gehen die Negoziationen ganz gut. — Der
Unterricht der Prinzessin AUGUSTE ist mir für das künftige
Jahr nicht mehr zu nehmen. Sollte ich reüssieren, so sollen Sie,
verehrungswürdiger Mann, es gewiß am ersten wissen.
Von 'Johann Gottfried Kiesewetter 7
Sie werden sich vielleicht noch erinnern, daß ich Ihnen
während meines Aufenthalts in Königsberg einmal sagte; ich
fürchtete, man würde in mich dringen, etwas drucken zu lassen,
und was ich fürchtete, ist wirklich geschehen. Da nun die erste
Ausgabe meiner kleinen Schrift über den ersten Grundsatz der
Moralphilosophie ^) vergriffen ist, so habe ich mich entschlossen,
eine neue ganz umgearbeitete Auflage zu besorgen, sie mit 3 Ab-
handlungen über die Übereinstimmung Ihres Moralsystems mit
den Lehren des Christentums, über den Glauben an die Gottheit
und über die Unsterblichkeit der Seele zu vermehren und sie
dem Könige zuzueignen, und alle haben dies sehr gut gefunden.
Wenn Sie etwa in Ihrem nächsten Briefe mir einige Bemerkungen
zu den drei letzten Abhandlungen mitteilen wollten, so würde
ich mich unendlich glücklich schätzen. Vorzüglich liegt mir der
erste Zusatz am Herzen, und Sie können leicht einsehen, wes-
halb; ich bin überzeugt, daß man wenigstens das ganz deutlich
machen kann, daß der Grundsatz Ihres Moralsystems sich mit den
Lehren der christlichen Religion ganz wohl verträgt, vielleicht
auch, daß, wenn Christus Sie gehört und verstanden hätte, er ge-
sagt haben würde, ja das wollte ich auch durch mein Liebe
Gott usw. sagen. Heucheln kann ich und werde ich nicht, aber
ich will für die gute Sache tun, was ich kann. — WOLLNER
hat sich sehr darüber gefreut, daß ich die erste Abhandlung an-
hängen will. Ich versichre Sie, teuerster Herr Professor, daß ich
zuweilen in Lagen gesetzt worden bin, wo ich alle mögliche
Aufmerksamkeit nötig hatte, um weder auf der einen Seite der
Wahrheit etwas zu vergeben, noch auf der andern meine Ge-
sinnungen zu entdecken und mir zu schaden.
Unsern neuen Katechismus wird Ihnen Herr de la GARDE
geschickt haben; über den Wisch selbst keine Anmerkung. Im
Consistorio hat es mächtigen Streit gegeben; als WOLLNER die
Sache vorgetragen und die Kabinettsorder des Königs, die ich in
Abschrift gesehen habe und die ziemlich hart war, vorgelegt
hatte, so mußte ZÖLLNER als jüngster Rat zuerst votieren. Er
sprach mit vieler Wärme dagegen, und alle geistliche und welt-
liche Räte, den Präsident HAGEN und SILBERSGHLAG ausge-
nommen, traten ihm bei; vorzüglich ereiferten sich TELLER und
DIETRICH; der letzte sagte mit tränenden Augen, daß er wünsche,
') Zuerst erschienen: Leipzig und Halle 1788.
8 Von Johann Gottfried Kiesewetter
nie den Katechismus geschrieben zu haben, der dem neuen zum
Grunde gelegt ist, und daß er nie einwilHgen werde. WÖLLNER
sagte, daß man schon Mittel finden würde, sich den Beitritt
zu verschaffen ; darauf so sagten viele von den Räten, sie würden
sich eher kassieren lassen, als beitreten und DIETRICH (ein
alter, schwächlicher Greis) stand auf und sagte: Icli haDe nur
noch wenige Jahre zu leben, und also mache man, was man
will; aber solange ich noch ins Konsistorium kommen darf,
werde ich nie einwilligen. Darauf setzte das Konsistorium eine
Protestation an den König auf, die alle bis auf HAGEN und
SILBERSCHLAG unterschrieben; der letztere hing vielmehr dem
Zirkulare eine 8 Bogen lange Verteidigung des Katechismus (der
sein Machwerk ist) an. Jetzt sagt man nun einstimmig, der
König sei bewogen worden, die Kabinettsorder zurückzunehmen
und WÖLLNER habe die ganze Auflage des Katechismus an sich
gekauft; und einer meiner Freunde der nach der Verlagshandlung
der Realschule schickte, um sich einen Katechismus holen zu lassen,
hat wirklich keinen erhalten können.
Neuigkeiten, die den Hof betreffen, sind wenig. Die Königin
ist krank, man weiß selbst nicht recht, woran, und da sie stark
ist, ist man ihretwegen besorgt. Der König lebt a son aise, er
ist, wie alle die ihn kennen, sagen, ein gutmütiger Fürst, es
kömmt nur auf die an, die ihn leiten. Er bemüht sich jetzt um
die Gunst einer gewissen Gräfin von DEHNHOF, einer Hofdame
bei der regierenden Königin; hat aber bis jetzt noch nicht reüs-
siert. Die Gräfin ist unermeßlich reich und ihr also von der
Seite nicht anzukommen. Vielleicht warnt sie das bedenkliche
Schicksal der verstorbenen Gräfin INGENHEIM. — Graf BRÜHL,
der alles gilt, soll ein Mann von sehr gutem Herzen aber ganz
gewöhnlichem Kopfe sein; ich kenne ihn nicht. — Man spricht
hier freier, als man glauben sollte, und es wird in mehreren
Köpfen licht, als die wohl selbst glauben mögen, die Aufklärung
hindern wollen. Seitdem der Kaiser tot ist,") hört man hier nichts
mehr von Kriegszurüstungen, und selbst die beiden ältesten Prinzen
von Preußen, die mit zu Felde ziehen wollten, lassen ihre Feld-
cquipage abbestellen.
An Ihrer Kritik der Urteilskraft wird emsig gedruckt; nur
bin ich schon einigemal bei der Korrektur in Verlegenheit ge-
^) Joseph II, gestorben 20. Februar 1790.
Von Johann Gottfried Kiesewetter 9
wcsen; es sind nämlich Stellen im Manuskript, die offenbar den
Sinn entstellende Schreibfehler enthalten, und wo ich mich ge-
nötigt gesehen habe zu ändern. Da ich jetzt eben den Bogen
M vor mir liegen habe, so will ich nur zum Beispiel die aus-
zeichnen, die in demselben enthalten sind. Seite 181 Zeile 1 4
von unten steht statt mit dem der, weil er usw. im Manu-
skript mit dem der welcher, ferner Seite 183 Zeile 13 und
14 von oben statt nicht der Nachmachung, sondern der
Nachahmung, steht im Manuskript nicht der Nachahmung,
sondern der Nachahmung, Seite 185 Zeile 4 von unten, steht
im Manuskript zu. Ferner hat mir ein Titel Schwierigkeiten ge-
macht, der nicht mit dem vom Herrn Professor geschickten Zettel
stimmen wollte. Es war nämlich im Manuskript und auf dem
Zettel
Erster Abschnitt
Analytik der ästhetischen Urteilskraft
Erstes Buch
Analytik des Schönen
Zweites Buch
Analytik des Erhabenen
Nun kam im Manuskript Dritter Abschnitt der Analytik der
ästhetischen Urteilskraft. Deduktion der ästhetischen Urteile;
im Zettel fehlte dieser Titel ganz. Dies paßte also gar nicht,
ich habe es so abgeändert: Drittes Buch Deduktion der ästhetischen
Urteile. —
Durch diese Fehler im Manuskript, und dadurch, daß ich bei
der Korrektur vom 2. bis 6. Bogen krank war, und also ein
anderer, der dem Manuskripte treulich folgte, die Korrektur über-
nahm, ist es auch zu meinem größten Arger gekommen, daß im
Bogen B. und noch in einem andren, 2 den Sinn entstellende
Fehler stehen gebheben sind, die ich aber als Errata hinten an-
hängen w^erde.
Wie gern fragte ich Sic noch in Ansehung einiger Schwierig-
keiten um Rat, aber ich bin selbst durch dies wenige Schreiben
so an Kräften erschöpft, daß ich anhalten muß, und de la
GARDE wartet auf diesen Brief. Doch ganz kurz muß ich noch
etwas berühren. Ich muß in meiner Schrift von den Kriterien
eines wahren Moralprinzips reden, sie sind Allgemeinheit und
Notwendigkeit. Ich habe einen doppelten Beweis zu fuhren
lo Von Johann Gottfried Kieseivetter
gesucht. Der eine gründet sich auf die beiden Sätze, die selbst
HUME aJs Grundsätze darstellt: Tugend ist das, was von allen
vernünftigen Wesen (HUME sagt Menschen) mit Beifall begleitet
wird, Laster was der Gegenstand eines allgemeinen Tadels ist. —
Der zweite beruht auf den negativen Begriff der Freiheit. Jeder,
der Moralität statuiert, muß diesen negativen Begriff zugeben, und
der Theoretiker sichert die Möglichkeit desselben. Ich bin nur
besorgt, daß mir Kenner Ihres Systems beim letzten Beweis
einwenden werden, daß ich einen Zirkel begangen habe, weil
man die Freiheit erst aus dem Moralgesetzc erkeime. Ich glaube
aber diesen Einwurf dadurch heben zu können, daß ich sage,
dadurch daß wir annehmen oder überzeugt sind, es gibt Moral-
gesetze, indem wir sehen, daß uns unsere Vernunft gebietet,
schließen wir auf Freiheit im negativen Verstände, und sobald
diese nun als Datum betrachtet wird, so kann man daraus die
Beschaffenheit des echten Grundsatzes der Moral herleiten. Doch
muß ich gestehen, daß mir dies selbst noch nicht satisfazicrt;
ich bin also entschlossen, wenn Sie es nicht billigen sollten, diesen
zweiten Beweis auszustreichen, ob er gleich in der ersten
Ausgabe vorkommt. Dürfte ich Sie wohl ersuchen, mir diese
Frage bald zu beantworten, da das Buch noch zur Ostermesse
erscheinen soll?
Empfehlen Sie mich dem würdigen Herrn Prof. KRAUSE,
und machen Sie dem Herrn JACHMANN mein Kompliment. — Ich
wünsche nichts mehr, als daß es Ihnen nie an Gesundheit und
Heiterkeit fehlen möge, und daß Sie nie den vergessen, der gewiß
ewig sein wird
Ihr
Sie über alles schätzender Verehrer
Berlin, den 3. März i7$»o. J. G. C. Kiesewetter.
Von Ludwig Ernst Borowski 1 1
22Ö.
Von Ludwig Ernst Borowski.
Eur. Wohlgebornen remittiere ich hiebei anliegend
den neuen Katechismus und
den Versuch der Kritik der ReHgion,') welche zwo
Schriften Sie mir gütigst kommunizierten und die ich Ihnen Ende
dieser Woche zurück liefern sollte. Ich erfülle meine Zusage
und verknüpfe damit meinen ehrerbietigsten Dank für die
gütige Mitteilung.
Zugleich lege ich das neueste Blatt des Cagliostro an, wo-
raus Eur. Wohlgebornen den Gang, den ich in der Darstellung
dieses Menschen genommen habe, werden beurteilen können.^)
Die vorhergehende Blätter, die ich selbst noch nicht zusammen
habe, sollen Eur. Wohlgebornen auch noch eingeliefert werden. —
Es ist mir von ganzem Herzen um die Zurechtstellung so mancher
schwärmerischen Köpfe auch in unserm Lande zu tun — und
dazu wird mir das von Ihnen, würdigster Lehrer und Gönner!
zu entwerfende kurze Räsonnement über den Unfug dieser Art
ganz außerordentlich behülfüch sein, von welchem ich Gebrauch
machen werde so und in der Art, wie Sie es haben wollen.
Ich erwarte solches mit der regesten Freude zu meiner und
anderer Belehrung — und bin mit der herzüchsten und ehrer-
bietigsten Hochachtung
Eur. Wohlgebornen
ganz gehorsamster Diener
Borowski.
6. März 1790.
^) Versuch einer Kritik der Religion und aller religiösen Dogmatik
mit besonderer Rücksicht auf das Christentum; Berlin 179° (Verf.: Joh.
Heinrich Tieftrunk [1760— 1837J).
') Borowski, Cagliostro einer der merkwürdigsten Abenteurer
seines Jahrhunderts, seine Geschichte, nebst Raisonnement über ihn und
den schwärmerischen Unfug unserer Zeit überhaupt, Königsberg 179°«
12 An Ludwig Ernst ßorowski
227.
An Ludwig Ernst Borowski.
(Antwort auf den Brief vom 6. März 1790.)
Sie fragen mich, wo der Hang zu der jetzt so überhand-
nehmenden Schwärmerei herkommen möge, und wie diesem Übel
abgeholfen werden könne? Beides ist für die Seclenärzte eine
eben so schwer zu lösende Aufgabe, als der vor einigen Jahren
postschnell seinen Umlauf um die Welt machende, in Wien so-
genannte russische Katarrh, (Influenza) der unaufhaltsam viele be-
fiel, aber von selbst bald aufhörte, es für unsere Leibesärzte war,
die mit jenen darin viel Ähnliches haben, daß sie die Krank-
heiten besser beschreiben, als ihren Ursprung einsehen, oder ihnen
abhelfen können; glücklich für den Kranken, wenn ihre Vor-
schriften nur diätetisch sind und reines kaltes Wasser zum Gegen-
mittel empfehlen, der gütigen Natur aber das übrige zu verrichten
überlassen.
Wie mich dünkt, ist die allgemein ausgebreitete Lesesucht
nicht bloß das Leitzeug (Vehikel) diese Krankheit zu verbreiten,
sondern auch der Giftstoff (Miasma) sie zu erzeugen. Der wohl-
habendere, mitunter auch der vornehmere Stand, der, wo nicht
auf Überlegenheit, doch wenigstens auf Gleichheit in Einsichten
mit denen Anspruch macht, welche sich dahin auf dem dornichten
Wege gründlicher Erlernung bemühen müssen, begnügt sich,
gleichsam den Rahm der Wissenschaften in Registern und sum-
marischen Auszügen abzuschöpfen, will aber doch gerne die Un-
gleichheit unmerklich machen, die zwischen einer redseligen Un-
wissenheit und gründlicher Wissenschaft bald in die Augen fällt
und dieses gelingt am besten, wenn er unbegreifliche Dinge,
von denen sich nur eine luftige Möglichkeit denken läßt, als
Fakta aufhascht und dann den gründlichen Naturforscher auf-
fordert, ihm zu erklären, wie er wohl die Erfüllung dieses oder
jenen Traums, dieser Ahndung, astrologischen Vorhersehung, oder
Verwandelung des Bleies in Gold, usw. erklären wolle, denn
hiebei ist, wenn das Faktum eingeräumt wird (welches er sich
nicht streiten läßt) einer so unwissend wie der andere. Es war
ihm schwer, alles zu lernen und zu wissen, was der Naturkenner
weiß; daher versucht er es, auf dem leichteren Wege die Un-
An Ludwig Ernst ßorowski i 3
gleichheit verschwinden zu machen, indem er nämlich Dinge auf
die Bahn bringt, davon beide nichts wissen und einsehen, von
denen er also die Freiheit hat, allerlei zu urteilen, worin es der
andere doch nicht besser machen kann. — Von da breitet sich
nun die Sucht auch unter andere im gemeinen Wesen aus.
Wider dieses Übel sehe ich kein anderes Mittel, als das
Vielerleilernen in Schulen auf das Gründlichlernen des Wenigren
zurückzuführen und die Lesebegierde nicht sowohl auszurotten,
als vielmehr dahin zu richten, daß sie absichtlich werde; damit
dem Wohlunterwiesenen nur das Gelesene, welches ihm baren
Gewinn an Einsicht verschafft, gefalle, alles übrige aber anekele. —
Ein deutscher Arzt (Herr GRIMM) hält sich in seinen Bemer-
kungen eines Reisenden usw.') über die französische All-
wissenheit, wie er sie nennt, auf; aber diese ist lange nicht so
geschmacklos, als wenn sie sich bei einem Deutschen eräugnet,
der gemeiniglich daraus ein schwerfällig System macht, von dem
er nachher nicht leicht abzubringen ist, indessen daß eine Mes-
meriade in Frankreich einmal eine Modesache ist und bald dar-
auf gänzlich verschwindet.
Der gewöhnliche Kunstgriff, seiner Unwissenheit den Anstrich,
von Wissenschaft zu geben, ist, daß der Schwärmende fragt; Be-
greift ihr die wahre Ursache der magnetischen Kraft, oder kennt
ihr die Materie, die in den elektrischen Erscheinungen so wun-
derbare Wirkungen ausübt? Nun glaubt er mit gutem Grunde
von einer Sache, die, seiner Meinung nach, der größte Natur-
forscher ihrer inneren Beschaffenheit nach ebensowenig kennt,
als er, auch in Ansehung der möglichen Wirkungen derselben
ebensogut mitreden zu können: aber der letzte läßt nur solche
Wirkungen gelten, die er vermittelst des Experiments jederzeit
unter Augen stellen kann, indem er den Gegenstand gänzlich
unter seine Gewalt bringt: indessen daß der erstere Wirkungen
aufrafft, die, so wohl bei der beobachtenden, als der beobachteten
Person, gänzlich von der Einbildung herrühren können und also-
sich keinem wahren Experimente unterwerfen lassen.
Wider diesen Unfug ist nun nichts weiter zu tun, als den
animaüschen Magnetiseur magnetisieren und desorganisieren zu
') Joh. Fr. Karl Grimm, Bemerkungen eines Reisenden durch
Teutschland, Frankreich, England und Holland, 3 Theile, Altenburg
1775.
14 An F. Th. de la Garde
lassen, solange es ihm und andern Leichtgläubigen gefällt; der
Polizei aber es zu empfehlen, daß der Moralität hiebei nicht zu
nahe getreten werde, übrigens aber für sich den einzigen Weg
der Naturforschung, durch Experiment und Beobachtung, die die
Eigenschaften des Objekts äußeren Sinnen kenntlich werden lassen,
ferner zu befolgen. Weitläuftige Widerlegung ist hier wider die
Würde der Vernunft und richtet auch nichts aus: verachtendes
Stillschweigen ist einer solchen Art von Wahnsinn besser ange-
messen: wie denn auch dergleichen Eräugnisse in der moralischen
Welt nur eine kurze Zoit dauren. um andern Torheiten Platz zu
machen. Ich bin u. s. f.
228.
An F. Th. de la Garde.
Ew. Hochedelgeb.
habe mit der gestrigen fahrenden Post den
Rest des Mskrpts, was den Text betrifft, bestehend aus 9 Bogen
von 81 bis 8 9, zugeschickt. Da das Werk hiemit vollendet ist
und nur Vorrede und Einleitung, die nicht über drei Bogen ge-
druckt ausmachen sollen, bei mir im Rückstande bleiben: so
werden Sie desto genauer den Kalkül ziehen können, wie bald
der Druck vollendet sein kann.
Die erwähnte Vorrede und Einleitung werde so abschicken,
daß sie vor Ende der Passionswoche sicher bei Ihnen eintreffen
kann. Ich hoffe, Sie werden nichts dawider haben, daß sie
nicht früher abgeht: sonst Sie mir es nur mit der umgehenden
Post melden dürfen; da ich dann die Zeit, wiewohl ungerne,
abkürzen würde, weil ich gerne den kurzen Begriff vom Inhalte
des Werks bündig abfassen wollte, welches Mühe macht, indem
die schon fertig vor mir liegende Einleitung, die zu weitläuftig
ausgefallen ist, abgekürzt werden muß.
Die Aushängebogen zeigen von einer sehr guten Ausführung
des Drucks, sowohl was Papier als Lettern betrifft. — Die 3
Stücke von EBERHARDs Magaz. sind mir wohl zu Händen ge-
kommen, wie auch die für Herrn Kr. R. SCHEFFNER bestimmte
Sachen, die ich morgen, nachdem ich sie durchgelesen, an Herrn
WAGNER zur weiteren Spedition werde abgeben lassen.
Von Ludiüig Ernst ßorowski 15
Wegen des Herrn KIESEWETTERs, den ich aufs verbind-
lichste von mir zu grüßen bitte, Gesundheit, bin ich sehr besorgt.
Er hat sich in der Tat zu viel Arbeit auf einmal aufgeladen.
Ersuchen Sie ihn in meinem Namen davon, so viel er kann,
wenigstens auf einige Zeit, abzuwälzen, nicht um meiner Ange-
legenheit willen, sondern damit der Geist den Körper nicht zu
Boden werfe. Ich verspare mir nächstens an ihn zu schreiben;
noch bin ich etwas zu sehr beschäftigt.
Ich verbleibe mit aller Hochachtung
Ew. Hochedelgeb.
ergebenster Diener
Königsberg, d. 9. Mart. 1790.
I. Kant.
229.
Von Ludwig Ernst Borowski.
Mit der aller aufrichtigsten Ergebenheit überreiche ich an-
liegend Ew. Wohlgebornen die 3 letzten Blätter des Cagliostro,
samt Titel und Vorrede.
Von Seite 159 an habe ich, ohne Ew. Wohlgebornen kennt-
lich bezeichnen zu wollen, Sie reden lassen.
Dank, tausend Dank Ihnen, würdigster Gönner und Lehrer!
fiir das kurze aber kräftige Wort, was Sie wider die Sache der
Schwärmer sprachen. Es wird ganz gewiß nicht ohne sehr guten
Erfolg sein.
Ich empfehle mich Ihrer Gewogenheit und bin mit der unter-
scheidendsten Verehrung
Ew. Wohlgebornen
ganz gehorsamster Diener
Borowski
am 2 2 . März 1790.
i6 An F. Th. de la Garde
Z30.
An F. Th. de la Garde.
Vorigen Montag, als den Z2. März, habe an Ew. Hochedel-
geb. die letzte Versendung des Mskrpts, bestehend aus 10 Bogen
Einleitung und Vorrede samt Titel 2 Bogen, welche doch zu-
sammen kaum 3 Bogen gedruckt ausmachen werden, durch die
fahrende Post gemacht (also 2 Tage früher als der mir von
Ihnen gesetzte späteste Termin). Es wäre mir Heb, wenn die
Einleitung mit etwas kleineren und anderen Lettern gedruckt
würde als das Buch selbst.
Wenn der Druck vollendet ist, welches, wie ich hoffe, für
die Messe zur rechten Zeit geschehen wird, so bitte von den 20
mir zugestandenen Exemplaren folgenden Gebrauch zu machen.
1 . An den Herrn Grafen von V^INDISCH-GRAETZ in Böhmen
2. — — Geheimen Rat JACOBI in Düsseldorf
3. — — Professor REINHOLD in Jena
4. — — Prof JACOB in Halle
5. — — Prof. BLUMENBACH in Göttingen
(An jeden ein Exemplar. Insgesamt geheftet, in farbigtem Papier,
mit steifen Deckeln, durch die auf der Messe befindliche Buch-
händler von diesen Orten, an genannte Männer abzuschicken.
Ausgenommen die an P. REINHOLD und Prof JACOB in Halle,
welche mit der fahrenden Post, so bald als es möglich ist, zu
übermachen bitte.)
6. An Herrn G. F. Rat WLOEMER in Beriin
7. _ _ D. BIESTER — —
8. — — KIESEWETTER — —
(in halbenglischem Bande abzugeben)*)
Dazu 6 Exemplare ebensowohl halbenglisch gebunden,
zusammt den noch übrigen 6 ungebundenen, durch die fahrende
^) Job. Friedr. Blumenbach (1752— 1840), Professor der Medizin
in Göttingen ; seine Theorie des „Bildungstriebes" wird Krit. d, Urteilskr.
$ 81 erwähnt; der Geh. Finanzrat Joh. Heinr. Wlömer in Berlin
war einer der ältesten und vertrautesten Freunde Kants aus seiner Stu-
dienzeit (näheres bei Emil Arnoldt, Kants Jugend, Ges. W. III,
125 fF., 151).
An F. Th. de la Garde 17
Post, oder, wenn dieses zu teuer scheint (wobei es mir doch
nicht auf ein paar Taler Postporto ankommt) durch die nächste
Gelegenheit an mich baldigst zu überschicken; unter den letzteren
nehme ich auch dasjenige, wovon Sie mir die Aushängebogen
bis N zugeschickt haben, und wovon ich das übrige, sobald
der Druck vollendet ist, mit der fahrenden Post eiligst erwarte.
9. Noch habe vergessen, ein in steifen Deckeln geheftetes
Exemplar an D. und Prof. HERTZ zu bestellen. Bleiben also
für mich zur Übersendung nur noch 5 Exemplare ungebunden,
neben den 6 gebundenen. Am besten wird es durch die fahrende
Post sein, die Kosten mögen sein, welche sie wollen.
Herrn KIESEWETTER bitte nach Empfang meines letzten
Mskrpts die Einleitung zu zeigen, der, nach meiner in beigelegtem
Briefe ihm getanen Anzeige, eine gewisse Note unter derselben
in Ihrem Beisein streichen wird, ehe der Bogen in die Druckerei
kommt.
Alle mir zum Durchlesen kommunzierte für Herrn Kriegsrat
SCHEFFNER bestimmte neue gedruckte Sachen habe heute an
Herrn WAGNER zu weiterer Beförderung abliefern lassen.
Herren Abt DENINA bitte von mir zu grüßen und zu sagen,
daß ich sehr befremdet gewesen, eine so mitleidenerregende Be-
schreibung von meiner häuslichen Verfassung auf der Universität,
vor Gelangung zum Professorgehalt, in seiner Gelehrtengeschichte
anzutreffen.^) Er ist gewiß sehr falsch benachrichtigt worden.
Denn, da ich von dem ersten Anfange meiner akademischen
Laufbahn an (im Jahre 1755) ununterbrochen ein zahlreiches
Auditorium gehabt und nie Privatinformation gegeben habe (man
müßte denn das collegium privatissimum in seinem eigenen Auditorio,
welches gemeiniglich sehr gut bezahlt werden muß, darunter
verstehen), so habe ich immer mein reichliches Auskommen ge-
habt; so, daß es nicht allein zureichte, für meine 2 Stuben den
Zins und meinen sehr guten Tisch zu bezahlen, ohne nötig zu
haben bei irgend jemanden, selbst nicht bei meinem Freunde, dem
jetzt verstorbenen Engländer, ohne zu jeder Mahlzeit besonders
^) Denina, La Frusse litteraire sous Frederic II, 2 vol., Berlin
1790; IL soff. (Art.: Kant): „Les parens ne l'ont laisse rien moins
qua dans Taisance. II se soutint par des le^ons particulieres qu'il
donnoit. II crut devoir manquer absolument du necessaire lorsqu'il perdit
vm ancien ami negociant anglois, cbez lequel il dinoit ordinairement."
Kants Schriften. Bd, X. i
i8 An F. Th. de la Garde
invitirt zu sein, gleichsam als zu einem Freitische zu gehen,
sondern immer noch dazu einen eigenen Bedienten halten konnte
und jene Jahre gerade die angenehmsten meines Lebens gewesen
sind; welches auch dadurch bewiesen werden kann, daß ich
binnen dieser Zeit 4 Vokationen auf auswärtige Universitäten
ausgeschlagen habe. — Bei Gelegenheit, da er, wie er Ihnen ge-
äußert hat, das Wort ahsurdit'es im Artikel EBERHARD zurück-
nimmt (welches auch, wie mich dünkt, nötig ist, weil es sich
sonst nicht mit manchen Stellen im Artikel KANT zusammen
reimen läßt)') könnte er, wenn es ihm so beliebt, in allgemeinen
Ausdrücken jene Unrichtigkeit in meiner Lebensbeschreibung
zurücknehmen.
Alle Ihre bei diesem Geschäfte gemachte Auslagen werden
Sie, bei der nach beendigtem Drucke geschehenden Auszahlung
des Honorars, mit in Rechnung bringen, wenn die Versendung
der an mich gelangenden Exemplare vor sich gehen wird.
Ich verbleibe mit aller Hochachtung
Ew. Hochedelgeb.
ergebenster Diener
Königsberg I. Kant,
d. 25. Mart. 1790.
N. S. Ich habe von Ihnen die 3 ersten Stücke des 2. Bandes
des EBERHARD sehen Magazins bekommen und sehe aus dem
Hamburg. Korresp., daß das 4. Stück auch heraus ist; welches
ich mir mit der nächsten fahrenden Post auch ausbitte, weil mir
daran viel gelegen ist. — Noch liegen bei mir Examen polit'tque
d^un Ouvrage intitule Histoire secrette usw. im gleichen Briefe
eines Staatsministers über die Aufklärung. Was soll ich damit
machen? Ich werde sie an Ihren Herrn Bruder abliefern.
*) Denina, a. a. O., Artikel: Eberhard: „Dans la metaphysique il
ne donne pas dans les absurdites de M. Kant"(!). Denina nahm später
diesen Ausdruck zurück, indem er „absurdites" durch „abstrusites" er-
setzte; die Daten aus Kants Lebensgeschichte blieben jedoch un-
geändert.
Föw Johann Wilhelm Andreas Kosmann 19
MI.
Von Johann Wilhelm Andreas Kosmann.
Wbhlgeborner,
Hochgeehrtester Herr Professor!
Endlich ist es mir gelungen mein Magazin für kritische und
populäre Philosophie, das ich dem EBERHARD sehen vorzüglich
entgegen setze, zustande zu bringen. Noch vor Johannis erscheint
das erste Stück und enthält:
1. einen Aufsatz von Herrn Prof JAKOB über Erkennen:
ein Vorschlag zur Beseitlegung einiger philosophischen
Streitigkeiten. Der Herr Professor erklärt erkennen
durch das Beziehen einer Vorstellung auf einen bestimmten
Gegenstand. Insofern ich nun durch allgemeine Begriffe
mir Gott denke und diese Vorstellung auf den durch
diese allgemeine Begriffe bestimmten Gegenstand beziehe,
insofern kann ich in dieser Hinsicht wohl sagen ich er-
kenne Gott, aber ich kann ihm das Prädikat der Existenz
der objektiven ReaHtät desfalls nicht beilegen.
2. einen namenlosen Aufsatz über die bisherigen Gründe der
praktischen Weltweisheit. Ein lesenswürdiger Kommentar
über einige Stellen Ihrer Kritik der praktischen Vernunft
3. Über die transszcndentelle Ästhetik ein Aufsatz von mir.
selbst, wo ich den Einwürfen der Herren FEDER, MAAS,
WEISHAUPT und den Rezensenten der Allg. deutsch. Bibl.
begegne und es dartue, daß sie meist auf MißverständnJ.ssen
beruhn.') Wer das System der Vernunftkritik erschüttern
will, muß hier beginnen, anders ist es nicht möglich.
Aber auch dies ist unmöglich, falls man nicht die ganze
apodiktische Gewißheit der Mathematik über den Haufen
stoßen will. Wäre die Geometrie eine Wissenschaft aus
Vernunftbegriffen, so müßte sie sich auch ohne Figuren
zu gebrauchen, ohne an den Raum als eine unendliche
und einige Größe, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu
denken, tradieren lassen.
^) Kosmann, Beweis, daß die Vorstellung des Raumes kein all-
gemeiner Begriff, sondern eine reine Anschauvmg sei, im Allg. Magaz.
für krit. u, popul. Philos. I (i790» S. 99 fF.
2*
20 An Johann Gottfried Kiesewetter
Einen Aufsatz von Herr REINHOLD erwarte ich noch.
Ew. Wohlgeb. bitte ich gehorsamst um die Erlaubnis Ihnen den
ersten Teil zu senden und dann Ihr Urteil erwarten zu dürfen,
ob das Buch es verdient mit Ihrem Bildnis geziert zu werden.
Hätten Sie einst einen kleinen Aufsatz und wollten mich damit
beehren oder mir einige Rezensionen zu senden, so würde es
dankbar erkennen und Ihnen gern alles, was Sie verlangten, an
Honorar übersenden. Ich glaube meine individuelle Lage und
Schicksale sollen der Welt dartun, daß es nicht an Ihrer Kritik
liegt, daß Sie so häufig mißverstanden werden. Die Vernunft-
kritik glaube ganz zu verstehen, noch nicht aber Ihre übrige
Schriften, woran ich mich jetzt eben auch wage. Ich wünschte
mein Magazin mit einigen Datis zu Ihrem Leben bereichern zu
können, ein Geschenk, das die Welt gewiß dankbar annehmen
würde. Überbringern dieses kann ich Ihnen als einen sehr
fleißigen und rcchtschaflPenen Jüngling empfehlen.
In Hochachtung verharre ich
Ew. wohlgeb.
ganz gehorsamster Diener
Schweidnitz, den 15. April J. W. A. Kosmann.
1790.
232.
An Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Königsberg, d. 20. April 1790.
Daß Ihren, den 5. März datierten, mir sehr angenehmen Brief,
auf welchen Sie übcrdem eine eilige Antwort erwarteten, so spät
beantworte, ist wirklich nicht meine Schuld. — Denn ich habe
ihn allererst vorgestern zu sehen bekommen. Die Ursache davon
ist diese. Herr DELAGARDE hatte den 10. März ein Pack Probe-
bogen, die bis N reichten, von Berlin an mich abgehen lassen,
welches denn nach etwa 10 Tagen an mich gelangete. Ich fing
an, sie durchzugehen, (wegen der Druckfehler) aber es war mir
nach gerade verdrießlich und schob es also auf, bis ich mehr der-
selben bekommen haben würde, um es auf einmal abzumachen.
Bald darauf schickte er mir durch seinen Bruder die Bogen V
und X und meldete zugleich; daß die dazwischen fehlende (von
An Johann Gottfried Kiesewetter 21
O bis T) an Herrn Prof. MICHELSEN abgegeben worden, der sie
(mit einem mir zugeschriebenen Buche) an mich schon würde
haben gelangen lassen. Allein diese erhielt ich allererst vor 4 Tagen,
mit einem Briefe von gedachtem Herrn Professor d. d. den 5. April.
Den Tag nach dem Empfang, nänüich den vorigen Sormtag mor-
gens, nahm ich nun jene mir schon im März zugeschickte Bogen
vor, um sie wegen etwaniger Druckfehler durchzusehen, und, als
ich an den Bogen N kam, fiel Ihr Brief heraus, den Sie sorg-
fältig zwischen die Blätter gesteckt hatten. Sie können glauben,
daß es mich nicht wenig befremdete und verdroß, Ihnen, obzwar
ohne meine Schuld, ein unangenehmes und vergebliches Warten
verursacht zu haben. — Aber, lieber Freund, warum geben Sic
Ihre Briefe an mich, die ich jederzeit mit Vergnügen empfange,
nicht, wie ich gebeten habe, und zwar unfrankiert auf die Post?
Diese kleine Ausgabe, die ohnedem doch nicht eben so oft
kommen kann, achte ich nicht. — Was die von mir verlangte
Bemerkungen zu der zweiten Auflage Ihrer Schrift von dem ersten
Grundsatze betriflPt, so ist ohne Zweifel jetzt dazu schon die Zeit
verflossen; es müßte denn sein, daß diese Auflage nicht zur Oster-
messe herauskommen sollte, worüber ich dann Nachricht erwarten
würde.
Ich lege hier einen Aufsatz von den gefundenen Druckfehlern,
auch einen Auslassungsfehler, bei, welche vielleicht noch dem
Werke angehängt werden können. Für die, so Sie selbst geändert
haben, danke ich sehr. Aber ich wünschte, daß der Schreibe-
fehler (Dritter Abschnitt der Analytik der ästhetischen Urteilskraft)
von mir wäre bemerkt und dieser Titel ganz weggestrichen wor-
den. Sonst haben sie freilich ihn ganz schicklich in den; Drittes
Buch, Deduktion usw. verändert. Aber da müßte dieses nun auch
auf der Tafel der Einteilung, die der Vorrede, oder vielmehr der
Einleitung, angehängt wird, ebenso abgeändert werden. Ist es aber
noch Zeit, so bitte ich den von Ihnen geänderten Titel
hinten unter die Druckfehler zu bemerken und die
Tafel der Einteilung so wie sie aufgesetzt ist und die
vom ersten Abschnitt nur 2 Bücher nennt, abdrucken zu
lassen. Ich zweifle aber, daß dieses noch zur rechten Zeit an-
kommen werde. — Wenn nur die verzweifelte Irrung mit dem
Briefe nicht vorgefallen wäre.
Wegen Ihrer letzten Fragen merke ich nur an: daß das Kri-
terium eines echten Moralprinzips allerdings die unbedingte prak-
2 2 Von jfohann Gottfried Kiesetoetter
tische Notwendigkeit sei, wodurch es von allen anderen prakti-
schen Prinzipien sich gänzlich unterscheidet. Zweitens, daß die
Möglichkeit der Freiheit, wenn sie vor dem moralischen Gesetze
betrachtet wird (in der Kritik der reinen Vernunft), nur den
transszendentalen Begriff der Kausalität eines Weltwesens über-
haupt bedeutet (ohne darunter besonders die durch einen Willen
anzeigen zu wollen), so fern sie durch keine Gründe in der
Sinnenwelt bestimmt wird und daß daselbst nur gezeigt wird, daß
sie keinen Widerspruch enthalte. Nun wird durchs - moralische
Gesetz jene transszendentale Idee realisiert und an dem Willen,
einer Eigenschaft des vernünftigen Wesens (des Menschen), ge-
geben, weil das moralische Gesetz keine Bestimmungsgründe aus
der Natur (dem Inbegriffe der Gegenstände der Sinne) zuläßt und
der Begriff der Freiheit, als Kausalität, wird bejahend erkannt,
welcher ohne einen Zirkel zu begehen mit dem moralischen Be-
stimmungsgrunde reziprokabel ist. Ich wünsche gute Besserung,
rate vor aÜen Dingen Zerstreuung und Aufschub von Arbeiten an
und beharre
Ihr treuer Freund und Diener
I. Kant.
^33-
Von Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Berlin, den 20. April i/po.
Teuerster, bester Herr Professor!
Sie haben große Ursach mit mir sehr unzufrieden zu sein,
daß ich so lange gezaudert habe, Ihnen Nachricht von mir und
meiner Lage zu erteilen; aber ich bin zum voraus überzeugt, Sie
werden mir mein langes Stillschweigen vergeben, wenn Sie hören
werden, daß Kränklichkeit und gehäufte Geschäfte die Ursach da-
von sind. Ihr letzter Brief, den ich durch Herrn DE LA GARDE
erhalten habe, läßt mich vermuten, daß Sie den Brief, den ich
Ihnen als Einlage durch ihn geschickt habe, nicht erhalten haben.
Herr DE LA GARDE aber versicherte mich, er habe ihn ab-
geschickt und ihn in dem Aushängebogen I gelegt. —
Meine Lage hat sich seit meinem letzten Briefe an Sie gar
sehr geändert. Ich wohne jetzt in dem Hause des Ministers
Von Johann Gottfried Kiesewetter 25
Grafen VON SCHULENBURG und bin der Gesellschafter seines
1 7 jährigen Sohnes. Der Minister ist ein vortreflFlicher Mann und
sein Sohn überaus für mich eingenommen und folgsam. Da der
Minister mir diese Stelle antrug, so habe ich die Bedingungen so
gemacht, daß ich so wenig als möglich von meiner Freiheit ein-
gebüßt habe; ich kann so viel Vorlesungen halten, als ich vnll;
bin zu keinen Lehrstunden mit dem Grafen verpflichtet, ich brauche
ihn bei seinen Vergnügungen und in Gesellschaften nicht zu be-
gleiten, habe aber doch alle seine Vergnügungen zu bestimmen.
Der junge Graf ist zwar nur das einzige Kind, aber doch nicht ver-
zogen; der Minister hat keinen Ministerstolz und die Gräfin mischt
sich nicht in meine Angelegenheiten. Ich habe vollkommen freie
Station, das Gehalt ist aber noch nicht bestimmt, wahrscheinlich
150 oder 200 Taler.
Was mich aber noch weit unabhängiger vom Minister macht,
ist, daß ich Lehrer der königlichen Prinzen Heinrich und Wilhelm
und der Prinzessin Auguste geworden bin. Der Prinz Heinrich
und die Prinzessin Auguste erhalten wöchentüch jeder 3 Stunden
in der physischen Geographie, der Prinz Wilhelm nach meinem
Willen 2 auch 3 Stunden in der Arithmetik. Der Gehalt ist vom Könige
noch nicht bestimmt, wird aber in einigen Wochen bestimmt
werden. Ich glaube auf diese Art am ersten dereinst unabhängig
leben zu können, da mit dem Unterricht der königlichen Kinder
gewöhnlich eine lebenslängliche Pension verknüpft ist. Prinz Hein-
reich ist ein aufgeweckter Kopf und sehr lernbegierig, Prinz Wil-
helm ist noch ganz Kind und die Prinzessin Auguste hört mich
mit Aufmerksamkeit an. — Man arbeitet jetzt daran, mir wo-
möglich den Unterricht des Prinzen Louis in der Philosophie zu
verschaffen.
Diese Verbindung mit dem Hofe habe ich größtenteils der
Baronesse von Bielefeld, der Oberhofmeisterin der Prinzessin Auguste
zu danken, der ich Privatvorlesungen über die Anthropologie halte;
der Kanzler VON HOFFMANN hat auch das Seinige dazu bei-
getragen. Was werden Sie aber sagen, wenn ich Ihnen erzähle,
daß eine junge, schöne Dame, denn das ist die Baronesse von
Bielefeld, es wagt, in die Geheimnisse Ihres Systems einzu-
dringen, daß sie den Unterschied der analytischen und syntheti-
schen Urteile, der Erkenntnisse a priori und a posteriori, die
Theorie von Raum urd Zeit, sich nicht bloß hat vortragen lassen,
sondern wirklich gefaßt hat. Noch mehr aber werden Sie sich
24 f^on Johann Gottfried Kiesewetter
wundern, wenn ich Ihnen sage, daß sie sich nicht mit der Philo-
sophie beschäftigt, um dadurch zu glänzen, denn sie ist über alle
Vorstellung bescheiden, und bei unserm Hofe glänzt man durch
Philosophie nicht; daß sie keins ihrer Geschäfte über das Studium
der Philosophie versäumt.
Meine Vorlesungen über die Logik habe ich vor ungefähr
6 Wochen geschlossen, und die über die Kritik der praktischen
Vernunft denke ich in 14 Tagen zu schließen. Ich werde diesen
Sommer zwei Stunden in der Woche ein Colleg. privatissimum
über die reine Mathematik und 2 Stunden eins über die Kritik
der reinen Vernunft lesen.
Der erste Teil meiner Schrift über das Moralprinzip wird
diese Woche fertig, und ich denke künftige Woche das Ver-
gnügen zu haben Ihnen und dem Herrn Prof. KRAUSE ein Exem-
plar zu überschicken. Ich habe den ersten Teil dem Könige
dediziert, und werde ihm noch vor Ende der Woche das Exem-
plar übersenden. Der Druck Ihrer Schrift wird auch gegen das
Ende dieser Woche fertig.
Der Herr Kanzler VON HOFFMANN ist vor 14 Tagen nach
Halle zurückgereist und hat mir aufgetragen, Ihnen seine un-
begrenzte Achtung zu bezeigen. Er wird ungefähr 6 Wochen
in Halle bleiben und dann mit seiner Gemahlin eine Reise
nach der Schweiz und Italien machen, um seine Gesundheit her-
zustellen.
Mein Vorsatz, Sie, teuerster Herr Professor, in den Hundstags-
ferien zu besuchen, steht unerschüttert fest, ich habe mir die Er-
laubnis zu dieser Reise sowohl b'»,im Minister als bei Hofe aus-
bedungen. Ich denke 14 Tage in Königsberg zu bleiben, und
wünsche nichts mehr, als daß Sie mir sodann erlauben möchten,
mich mit Ihnen über einige Dinge zu unterreden.
Professor SELLE hat eine Abhandlung gegen Ihr System in
der Akademie vorgelesen, und wird sie auch drucken lassen, er
glaubt, wie er sagt, Ihrem System dadurch den Todesstoß gegeben
zu haben.") So viel ich gehört habe, so zweckt sein Haupt-
argument dahin, daß gesetzt auch, Sie hätten bewiesen, R. und Z.
wären die Formen unserer Sinnlichkeit, Sie doch nicht zeigen
könnten, daß sie nur Formen der Sinnlichkeit wären, weil es
*) „De la realite et de l'idealite des objets de nos connaissances"
(zuerst in den Schriften der Berl. Akad. 1792).
Von Johann Gottfried Kiesewetter 25
immer doch möglich sei, sich zu denken, daß R. u. Z. den
Dingen an sich zukämen, welches Sie um so weniger, leugnen
könnten, da Sic selbst behaupteten, man könne von den Dingen
an sich nichts wissen, und es daher ganz wohl möglich sei, daß
R. u. Z. den Dingen an sich selbst zukämen. Überdies könne man
auf die Art allein die Frage beantworten, warum wir gerade in
diesen und keinen andern Formen anschauten? Seiner Meinung
nach wären R. u. Z. zwar subjektivnotwendige Bedingungen unserer
Anschauungen, aber es korrespondieren ihnen demungeachtet auch
Eigenschaften der Dinge an sich. — Sollte es wahr sein, daß der
ganze Einwurf nichts Wichtigeres enthält, so finde ich ihn eben
so schreckhaft nicht. Wodurch will Herr S. beweisen, daß R. u. Z.
den Dingen an sich selbst zukommen? Und gibt er zu, daß
R. u. Z. Formen der Sinnlichkeit sind, wie will er behaupten, daß
sie doch von den Dingen an sich abhingen; denn werden sie uns
durch die Objekte gegeben, so gehören sie ja sodann zur Materie
der Anschauung und nicht zur Form derselben. So bald die Schritt
erscheint, werde ich das Vergnügen haben Ihnen ein Exemplar zu
übersenden.
Jetzt gehn hier sonderbare Dinge vor. Der König hat sich
vergangenen Sonntag vor 8 Tagen auf dem hiesigen Schlosse in
einem seiner Zimmer mit der Gräfin VON DEHNHOF trauen
lassen. Die größte Wahrscheinlichkeit, für mich beinahe Gewiß-
heit, ist, daß ZÖLLNER die Trauung verrichtet hat. Gegenwärtig
waren Minister WÖLLNER und der Herr VON GEYSAU auf
Seiten des Königs; die Mutter und Schwester der Gräfin- und ihr
Stiefbruder (oder Cousin, das habe ich vergessen) auf selten der
Braut. Der König kam den Sonnabend Abend von Potsdam hie-
her und die Trauung ging Sonntag Abend um 6 Uhr vor sich.
Die Gräfin war (wie eine Romanheldin) weiß gekleidet, mit
fliegendem Haar. Sie hält sich jetzt in Potsdam auf. Man ver-
mutet, daß der Kurfürst von Sachsen sie in den Reichsfürsten-
stand wird erheben müssen. Die Gräfin war vorher Hofdame bei
der regierenden Königin. Schon beinahe ein Jahr hindurch stand
der König mit ihr in Unterhandlungen, sie nahm sich hingegen
so, daß man im Pubhco nicht wußte, ob sie dem Könige Gehör
gab oder nicht. Vor 14 Tagen ungefähr kömmt ihre Mutter,
wie die Gräfin verbreitet hatte, auf ihre Bitte, um sie nach Preußen
mitzunehmen. Die Gräfin nimmt öffentlich am Hofe Abschied.
Die regierende Königin schenkt ihr ein Paar brillantne Ohrgehänge
2Ö Von Johann Gottfried Kiesewetter
und läßt ihr sagen; sie würde am besten wissen, ob sie sich ihrer
dabei erinnern dürfe. Jedermann glaubt sie abgereist, als die
Trauung geschieht. Die Königin hat die Sache mit ziemlicher Ruhe
angehört. Was ich bis jetzt erzählt habe, ist die genauem Neben-
umstände abgerechnet beinahe jedermann bekannt; und es macht
im Publico gewaltige Sensation. ZÖLLNERS Zulauf in seinen
Predigten hat sich vermindert und selbst bei einer Introduktion,
die er neulich gehalten hat, und wo sonst hier alles zuströmt, ist
die Kirche leer gewesen. — Folgendes wissen wohl nur wenige
Personen. Es ist eine Scheidung des Königs und der Königin
vorhanden, die mit ihrer Einwilligung zur Zeit der Unterhand-
lungen mit der verstorbenen INGENHEIM aufgesetzt ist; der
König hat sich aller ehelichen Rechte begeben, und die Königin
hat bloß die Honneurs behalten. Doktor BROWN hat sie für
gestört erklärt, und es ist dies in der Tat auch sehr wahrschein-
lich, da dieser Zufall ein Famiüenfchler ist. Sie tanzt oft auf
Tisch und Stühle herum, und sieht Geister. Wie unglücklich
würde unser Staat dereinst sein, wenn sich dieser Fehler auch auf
ihre Kinder fortgepflanzt hätte.
Die Kriegsrüstungen gehen hier immer noch fort. Das Merk-
würdigste aber ist, daß nicht das Ministerium, sondern der König
den Krieg wünscht. Man trägt sich hier mit folgendem Plan im
Publico: Unsrere Armee wird sich in 4 Korps teilen, das erste
geht unter Anführung des Königs, unter dem MOLLENDORF
kommandieren wird, gegen die Österreicher, das zweite unter An-
führung des Herzogs von Braunschweig gegen die Russen, Prinz
FRIEDRICH kommandiert das Observationskorps gegen die
Sachsen, und dann soll noch ein sogenanntes fliegendes Korps
statthaben. Was Sachsen betrifft, so erzählt man, es habe noch
bei Lebzeiten des verstorbenen Kaisers der Gesandte desselben am
sächsischen Hofe um eine Privataudienz beim Kurfürsten angehalten,
die ihm auch bewilligt worden; in dieser fragte er den Kurfürsten,
wie er sich, wenn es mit Preußen zu einem Kriege käme, nehmen
würde, und dieser antwortete: er werde neutral bleiben. Der Ge-
sandte ergrift' begierig diese Antwort und bat den Kurfürsten, sie
ministeriell zu machen. Dies hat der MARCHESE LUCCHESINI
glücklich verhindert, doch hat der Kurfürst die Antwort einmal
mündlich gegeben. Man v^rd also durch eine Armee den Kur-
fürsten nötigen, auf unsere Seite überzutreten.
Da ich den Brief schließen will, fällt mir ein, daß Sie, teuerster
Von Carl Leonhard ReinhoU 27
Herr Professor, mit dem morgenden Tage Ihr 67 Jahr antreten.
Niemand nimmt gewiß herzlichem Anteil daran als ich; niemand
hegt gewiß einen aufrichtigem Wunsch, Sie noch lange der Welt
erhalten zu sehen als ich, der ich in Ihnen meinen zweiten Vater
verehre.
Dem Herrn Prof. KRAUSE, Ihrem vortrefflichen Freunde,
machen Sie meine beste Empfehlung, und da ich von seiner Güte
überzeugt bin, daß er sich für mich interessiert, so haben Sie die
Gewogenheit, ihm die Verändemng meiner Lage bekannt zu machen.
Auch den Herrn JACHMANN grüßen Sie in meinem Namen,
und sagen Sie ihm, daß ich eine Antwort auf meinen letzten Brief
von ihm erwarte.
Verzeihen Sie mir, daß ich schon wieder einen so langen
Brief geschrieben habe, der vielleicht so wenig Interesse für Sie
hat. Der Minister VON SCHULENBURG, die Baronesse VON
BIELEFELD, Herr Hofrat HERZ haben mir aufgetragen, Sie
ihrer Achtung zu versichern. Ich bin mit der wärmsten Hoch-
achtung
Ihr
innigster Verehrer
J. G. C. Kiesewetter.
N. S. Aus meinem letzten Briefe haben Sie die Geschichte dcs^
vom O. C. verworfenen Katechismus ersehen; jetzt arbeitet
Herr SILBERSCHLAG und der Prediger HECKER einen
alten Katechismus um, der den verstorbenen Inspektor
HECKER zum Verfasser hat, und eine Kompilation von
theologischem Unsinn enthält.
M4-
Von Carl Leonhard Reinhold.
Verehrungswürdigster Freund !
Unsre Universität wird sehr stark von Livländern besucht.
Der größere Teil davon hört meine Vorlesungen; und mehrere,
die zu Land und folglich über Königsberg in ihr Vaterland zurück-
kehren, hoffen und wünschen durch einen Brief von mir begleitet
das Glück, das Angesicht meines großen Lehrers zu sehen, weniger
2 8 Von Ludwig Heinrich Jakoh
zu verfehlen. Der Respekt für Ihre unschätzbare Zeit hat mich
bisher zurückgehalten, diesem Verlangen zu willfahren; und nur
der seltene Wert des von selten seines Kopfes und Herzens gleich vor-
trefflichen jungen Mannes, der heut von mir Abschied genommen
hat, konnte mich bewegen, eine Ausnahme zu machen, und ihm
selbst anzubieten, was ihn seine Bescheidenheit zu fordern ge-
hindert hat. Herr SALEMANN gehört unter die wenigen, die
den akademischen Lehrer für die vielen, an denen sie gewöhn-
lich ihre Mühe verlieren, reichlich schadlos halten. Es dürfte wohl
noch nicht viele Philosophen von Profession geben, die diese neun
Jahre her in den Geist der kritischen Philosophie so tief ein-
gedrungen haben, als dieser junge Denker in einem halben Jahre,
wie ich durch vielfältige zuverlässige Proben weiß.
Mit Sehnsucht sehe ich der Kritik der Beurteilungskraft und
der Schrift gegen EBERHARD entgegen, und freue mich an der
Moralphilosophie unsres Adjunktes SCHMID und der Ästhetik des
Prof. HEYDENREICHs in Leipzig zwei treffliche neue Produkte
der kritischen Philosophie erlebt zu haben,*) da leider die gute
Sache derselben nicht immer durch die besten Hände geführt wird,
und die ABICHTe, BORNe u. dergl. besser getan hätten, wenn
sie noch ein paar Jahre im stillen sich mit dem Geiste der krit.
Philosophie vertraut zu machen gesucht hätten.
Mit tiefster Verehrung und innigster Liebe
Ihr ganz eigener
Jena, den 30. April 1790. Reinhold
M5-
Von Ludwig Heinrich Jakob.
Halle, den 4. Mai 1790.
Verehrungswürdiger Herr Professor!
Zuförderst sage ich Ihnen meinen verbindlichsten Dank für
das Geschenk, welches Sie mir mit Ihrer Kritik der Urteils-
kraft durch Herrn LAGARDE gemacht haben. Ich habe sie
bis jetzt noch nicht durchstudieren können, da ich noch nicht
^) C. Chr. E. Schmid, Versuch einer Moralphilosophie, Jena 1790;
Hey den reich, System der Ästhetik, Bd. I, Leipzig 1790.
Von Ludwig Heinrich Jakoh x^
einmal die Bogen alle habe; aber die einzelnen Blicke, welche ich
hinein geworfen habe, eröffnen mir schon große und herrliche
Aussichten.
Zugleich erlauben Sie eine Anfrage den Begriff oder vielmehr
den Ausdruck Erkenntnis betreffend zu tun, worüber ich vor
kurzen mit Herr REINHOLD in Zwiespalt geraten bin. So viel ich
sehe, gebrauchen Sie in der Krit. d. r. V. den Ausdruck Erkenntnis
in einem doppelten Sinne, einmal, daß er die Gattung der ob-
jektiven Vorstellungen bedeutet und der Empfindung entgegen-
steht, so daß Anschauung und Begriff Arten derselben folglich
selbst Erkenntnisse sind; das anderemal heißen Erkenntnisse solche
Vorstellungen, die aus einer Anschauung und einem Begriffe zu-
sammengesetzt sind. Herr R. gebraucht es durchgehends in dem
letztern Sinne, und wo in der Kr. d. r. V. gesagt wird, daß kein
Erkenntnis übersinnlicher Objekte möglich sei, wird der Ausdruck
Erkenntnis ebenfalls nur im letztern Sinne genommen.
Wenn ich nun den Sprachgebrauch frage, so scheint er jedes-
mal nur für die erste Bedeutung zu stimmen, so daß das Wort
Erkenntnis eine jede Vorstellung bedeutet, die auf ein Objekt be-
zogen wird. Man legt Tieren ohne Bedenken Erkenntnisse bei,
ohnerachtet man ihnen den Verstand oder das Vermögen der Be-
griffe abspricht. Und wiederum wird eine Idee, wenn auch zu-
gestanden wird, daß ihr kein Objekt in der Erfahrung gegeben
werden könne, und daß in ihr nichts Anschauliches enthalten sei,
dennoch eine Erkenntnis genannt, sobald nur eingeräumt werden
muß, daß sie eine Vorstellung sei, die überhaupt auf etwas hin-
weiset, das von der Vorstellung verschieden ist. So führt z, E.
der bloße Begriff einer Erscheinung auf ein Etwas, das nicht Er-
scheinung ist; dieses Etwas kann ich nicht materialiter bestimmen,
es wird aber doch mit der Vorstellung der Erscheinung als not-
wendig verbunden gedacht. Ich habe also eine bloße Idee von
diesem Etwas, aber wenn ich nun diese Idee nicht etwa selbst
für das der Ersch. zum Grunde liegende halte; so kann ich sie
doch ohne Bedenken so interpretieren, daß sie ein reales Etwas
überhaupt andeutet, welches sowohl von der Idee als der Er-
scheinung verschieden ist, ob ich gleich nicht bestimmen kann,
ob dieses Etwas vorstellbar ist oder nicht. Die Auktoritat, die
mich zwingt ein solches Objekt anzunehmen, ist meine Vernunft,
aber diese nötigt mich ebenso die Wirklichkeit eines Etwas, das
da erscheint zum voraus zu setzen, als mich die Sinne nötigen
50 Von Ludwig Heinrich ^akob
die Wirklichkeit der Erscheinungen zuzugestehen. Im ersten Falle
weiset mich die Vernunft auf ein Objekt hin, im andern Falle
stellen mir die Sinne solches vor. Ich kann der Auktorität der
Vernunft nicht weniger trauen als den Sinnen, Wir erkennen
also wirklich durch die Vernunft, daß es Dinge an sich gebe
und zwar durch die Idee. Diese Idee drückt nichts von den
Dingen an sich aus, sie läßt sie unbestimmt, aber sie deutet doch,
wie mich dünkt, ihr Dasein an. So leer also diese Idee auch
sein mag; so bald sie nur auf ein reales Objekt hindeutet, kann,
wie mich dünkt, [sie] doch Erkenntnis heißen. Ich weiß wohl,
daß ich nicht bestimmen kann, was reales Dasein ist, wenn ich
solches nicht durch ein Verhältnis in der Zeit auf mein Wahr-
nehmungsvermögen bestimmen kann; aber der bloße logische Be-
griff, den ich damit verknüpfe, wenn ich sage, das Ding an sich
ist da, und der nichts sagen will, als es enthält den unbedingten
Grund der Wirklichkeit der Erscheinung, ist dennoch ein solches
Merkmal, wodurch ich in den Stand gesetzt bin, gesetzt, es würde
mir ein intellektuales Anschauungsvermögen gegeben, das Ding an
sich zu suchen und zu finden; es ist ein formaler, vorläufiger Be-
griff, aber wirklich nie objektive Vorstellung, ohngefehr so wie
ein Tauber sich vorläufige Begriffe vom Hören machen kann, die
wirklich im Zustande der Taubheit bloß formal sein körmen, die
ihn aber doch in den Stand setzen würden, gesetzt, sie erhielten
mit einem Male das Gehör, zu erkennen, daß sie jetzo hörten.
Ich sehe nicht, warum man nicht sagen könnte, daß Taube,
Blinde vorläufige Erkenntnisse vom Hören und Sehen haben
könnten (Begriffe), ob sie gleich keine Anschauungen haben.
Mein Hauptaugenmerk hierbei ist, ob nicht durch eine solche
Nachgiebigkeit im Ausdrucke die Vereinigung der Parteien, da es
doch der Kritik angelegen ist, sie mit sich selbst einig zu machen,
befördert werden könnte. Im Grunde hat man doch der Kritik
schon sehr viel zugestanden. Der Hauptanstoß scheint den Geg-
nern nur noch zu sein, daß sie keine Erkermtnis von Gott, Un-
sterblichkeit usw. haben sollen. Daß ihre Erkenntnis nicht an-
schaulich sein könne, geben sie allgemein zu. Wenn man ihnen
nun beweist, daß die Prädikate einfach, immateriell usw. anschau-
liche Prädikate sind, so müssen sie diese aufgeben, weil sie nicht für
uns anschaulich sind. Geben sie also zu, daß wir bloß Verhältnisse
des Unbedingten zu uns und der Sinnenwelt angeben können, so
dünkt mich, kann man ohne Bedenken die Vorstellung dieser Ver-
Von Ludwig Heinrich ^akob 3 1
hältnisse auch Erkenntnisse nennen, da doch zugestanden wird,
daß wir diese Verhältnisse nicht bloß denken (sie uns einbilden),
sondern daß sie real sind, daß wir sie also für objektiv halten,
der Grund der uns hierzu bestimmt, mag nun das Objekt oder
das Subjekt sein. In den Krit. Versuchen über den ersten Band
des HUME habe ich einen Versuch gemacht, diese Begriffe deut-
lich vorzutragen. Ich wünsche sehnlich hierüber belehrt zu werden.
Ich bin es nicht allein, der hierinne Schwierigkeiten findet. Ihnen
würde es etwas Leichtes sein, über diese Sprachzweideutigkeit Auf-
schlüsse zu geben und die Wortbedeutung deren Sie sich bedienen
mit dem gemeinen Sprachgebrauche zu vereinigen. Ich glaube
gewiß, daß dieses die Vereinigung sehr befördern würde.
Übrigens glaube ich, kann es Ihnen nicht unangenehm sein,
HUMEn im deutschen Gewände zu sehen.') Der Grund seines
Raisonnements kann, wie ich glaube, bloß durch Ihre Kritik ge-
hörig verstanden werden und wenn ich etwas durch die bei-
gefügten Versuche zur Erleichterung der richtigen Beurteilung bei-
getragen habe; so fällt der schönste Teil des Verdienstes auf Sie
zurück. Eben so ist es auch mit der Preisschrift, welche Sie
ebenfalls durch einen Buchhändler erhalten werden.*) Ich wünsche
nichts mehr, als daß Sie urteilen mögen, daß ich mich Ihrer
Grundsätze recht bedient habe, und daß ich nicht ganz unfähig
sei, etwas zur Ausbreitung und Beförderung der wahren Philo-
sophie beizutragen. Der Himmel verleihe Ihnen noch recht lange
Kraft und Stärke, damit Sie der Welt noch lange Ihre Schätze
mitteilen können. Möchten Sie sich doch entschließen uns mit
einer Anthropologie zu beschenken.
Ich bin mit der tiefsten Achtung und Ehrfurcht ganz der
Ihrige
Jakob.
0 David Hume über die menschliche Natur. Aus dem Englischen
nebst kritischen Versuchen zur Beurteilung dieses Werks, 3 Bände,
Halle 1790 — 92.
*) Beweis für die Unsterblichkeit der Seele aus dem Begriffe der
Pflicht . . . eine Preisschrift. Züllichau 1790.
5 2 yon Salomon Adaimon
236.
Von Salomon Maimon.
Wohlgeborner, wohlgelahrter.
Höchstzuehrender Herr Professor!
Ew. Wohlgeb. werden mir gewiß verzeihen, daß ich mir
abermals erlaube gegenwärtige Zuschrift an dieselben zu richten.
Ich habe vor nicht langer Zeit BAKONTs Schriften erhalten und
gelesen; dieses hat mich veranlaßt eine Vergleichung zwischen
BAKONTs und Ew. Wohlgeb. Bemühungen um die Philosophie
anzustellen, und dieselbe in dem Berlinischen Journal für Auf-
klärung abdrucken zu lassen.*) I>a ich aber besorge, hierin ent-
weder zu viel oder zu wenig getan zu haben, so erbitte ich mir
hierüber Ew. Wohlgeb. gütiges Urteil, welches niir gültiger und
angenehmer sein wird, als das irgendeines eifrigen Anhängers oder
Gegners. Daß man bei Darstellung der Gedanken eines etwas
alten Schriftstellers nicht behutsam genug verfahren kann, um von
der einen Seite dem Vorwurfe der Verstümmelung, und von der
andern dem des Unterschiebens neuerer Gedanken auszuweichen,
weiß ich sehr wohl; daher ich auch Ew. Wohlgeb. in der Hoff-
nung einer gütigen Erfüllung meines gethahenen Gesuchs zugleich
ergebenst um die gütige Erlaubnis bitte, daß ich Dero Be-
urteilung in dem gedachten Journal darf abdrucken lassen. Mit
dem Gefühl der innigsten Hochachtung habe ich die Ehre zu
sein
Ew. Wohlgeb.
Berlin, ergebener Diener
am 9. Mai Salomon Maimon
1790.
Z37.
Von Salomon Maimon.
Wohlgeborner Herr,
insonders hochzuehrender Herr Professor!
Für das mir gütigst übersandte Geschenk Ihrer Schrift, der
Kritik der Urteilskraft, woraus ich Ew. Wohlgeborn freundschaft-
liche Gesinnimg gegen mich ersehe, welche mir sehr teuer ist,
^) Siehe Berliner Journal für Aufklärung, Bd. VII, Stück 2, 1790«
Föw Salomon Ma'tmon 33
und worauf ich stolz zu sein Ursache habe, sage ich Ihnen den
ailerverbindlichsten Dank. Ich habe zwar noch nicht Zeit gehabt,
dieses wichtige Werk durchzulesen, oder wie dies erforderlich
ist, durchzudenken, sondern es erst bloß durchblättern können.
Gleichwohl aber bin ich durch den Beifall, welchen Sie dem
H. R. BLUMENBACH erteilen, veranlaßt worden, dessen vortreff-
liche kleine Schrift zu lesen: ^) und hiedurch ist bei mir ein Ge-
danke rege gemacht worden, der, wiewohl er nicht neu ist, doch
paradox genug scheinen mag, nämlich die Realität der Weltseele
bestimmen zu wollen, wovon ich mich erdreuste Ew. Wohlgeborn
den Plan zur Prüfung vorzulegen.^) Ich kann zwar nicht ganz
genau bestimmen, was die Alten hiemit für einen Begriff ver-
knüpften; ob sie darunter Gott selbst, oder etwas, was außer dem-
selben ist, verstanden. Demohngeachtet denke ich mir diesen
Begriff folgendermaßen: Die Weltseele ist eme der Materie über-
haupt (dem Stoff aller reellen Objekte) beiwohnende vmd auf
dieselbe würkende Kraft, deren Würkung nach der vcrschicdnen
Modifizierung der Materie verschieden ist. Sie ist der Grund der
besondern Art der Zusammensetzung in jedem (auch unorgani-
sierten), der Organisation in jedem organisierten Körper, des
Lebens im Tier, des Verstandes und der Vernunft im Menschen
usw.; kurz, sie gibt die Formen aller Dinge nach Beschaffenheit
ihrer Materie, so daß sie durch die eine Form die Materie zur
Annehmung einer andern Form von einer höhern Ordnung ge-
schickt macht. Und da die Materie unendliche Modifikation an-
nehmen kann, so kann diese Entelechie auch unendlich verschiedne
Formen liefern. Sie ist also der Grund aller möglichen Würk-
samkeit. Ich sehe nicht ein, was die neueren Philosophen habe
bewegen können, diese Meinung gänzlich zu verwerfen. Sollte
es deshalb geschehen sein, weil man von dieser Weltseele, als
Objekt keinen Begriff hat? Wir haben aber von unsrer eignen
Seele ebenso wenig einen Begriff. Oder fürchtet man hier
Spinozismus; so, dünkt mich, ist nach obiger Definition demselben
genugsam zuvorgekommen. Denn dem Spinozismus zufolge ist
Gott und die Welt ein und ebendieselbe Substanz. Jener Er-
klärung aber zufolge ist die Weltseele eine von Gott erschaffne
^) Über den Bildungstrieb, Göttingen 1789.
2) Siehe Maimons Aufsatz „Über die Weltseele" (Berl. Journ. f.
Aufklär., Bd. 8, St. i).
KantS'Schrif ten. Bd. X. 3
34 yon Saloj7ion Maimon
Substanz. Gott wird als intelligentta pura extramundana vorgestellt.
Die Weltseele hingegen wird zwar als eine Intelligenz, aber als
eine solche, welche mit einem Körper (der Welt) in Verbindung
steht, folglich eingeschränkt und den Gesetzen der Natur unter-
worfen ist, vorgestellt. Als Ding an sich kann man ebenso
wenig behaupten, daß es mehrere Substanzen, als daß es nur eine
einzige in der Welt gäbe. Als Phänomene hingegen glaube ich
aus guten Gründen für das letztere entscheiden zu können. Denn
a) die gänzliche Unterbrechung der Würksamkeit der sogenannten
Substanzen z. E. des Denkens im Schlafe usw. muß gegen die
Substanzialität derselben ein Mißtrauen erregen. LOCKE be-
hauptet, die menschliche Seele denke nicht beständig, und führt
jene Unterbrechung als Beispiel an. LEIBNIZ nimmt dieserwegen
zu den dunkeln Vorstellungen seine Zuflucht, und sucht derselben
Realität aas der Verbindung der auf die Unterbrechung folgen-
den Vorstellungen mit den ihr vorhergehenden zu beweisen. Was
sind aber diese dunkle Vorstellungen anders, als bloße Disposi-
tionen und zurückgelassene Spuren der die Ideen begleitenden
Bewegungen in den Organen? Nach dem BegriflF einer Weltseele
hingegen läßt sich dieser Zusammenhang auf eine faßliche Art
erklären. Jede Bewegung in den Organen wird von einer der-
selben entsprechenden Vorstellung begleitet, wozu aber ein ge-
wisser Grad der Intensität gehöret. Während des Schlafes aber
läßt diese Intensität nach. Diese Weltseele kann also alsdann keine
Vorstellungen bewürken. Beim Erwachen aber nimmt diese In-
tensität wieder zu, so daß jene Bewegungen von denen ihnen
entsprechenden Vorstellungen begleitet werden. Und da die auf
den Schlaf folgenden Bewegungen mit den vor demselben her-
gehenden und während desselben fortdauernden Bewegungen, nach
den Gesetzen der Natur, in genauen Zusammenhang stehen, so
muß dies auch bei den diesen Bewegungen entsprechenden Vor-
stellungen stattfinden, b) Auch scheinet die Natur der objektiven
Wahrheit, die alle Menschen voraussetzen, die Idee einer Welt-
seele notwendig zu erfordern; woraus sich die Identität der Formen
des Denkens bei allen denkenden Subjekten, und die Überein-
stimmung in den dieser Form gemäß gedachten Objekten erklären
läßt, c) Die Lehre von den Zwecken in der Natur (Teleologie)
scheint diese Vorstellung auch zu erfordern. Ich glaube nämlich,
daß ein Zweck nicht hervorgebracht, sondern durch etwas schon
Hervorgebrachtes erreicht wird. Die Formen halte ich daher fiir
An Johann Schultz 35
Zwecke der Natur, welche durch die, auf eine bestimmte Art,
nach mechanischen Gesetzen, hervorgebrachte Objekte erreicht
werden. Dies beweiset also notwendig das Dasein eines allge-
meinen Grundes der Verbindung dieser Formen untereinander als
besondere Zwecke zu einem Hauptzweck, und der Übereinstim-
mung der nach den Naturgesetzen hervorgebrachten Objekte mit
diesen Formen überhaupt; so daß man in diesem Betracht die
formengebende Intelligenz mit der gesetzgebenden, und die mecha-
nischen Gesetze der Natur mit der vollziehenden Macht eines
wohleingerichteten Staats vergleichen kann.
Dies sind ohngefähr mit kurzen Worten meine Gründe, welche
ich Ew. Wohlgeborn zur Beurteilung vorzulegen wage. Mit Un-
geduld erwarte ich Dero Entscheidung hierüber, und habe die
Ehre zu verharren
Ew. Wohlgeborn
Berlin, gehorsamster Diener
d. 15. Mai Salomon Maimon.
1790.
138.
An Johann Schultz.
29. Juni 1790.
Hiemit nehme mir die Freiheit Ew. Hochehrwürd. noch
einiges (manches vielleicht schon in den vorigen zwei Bogen, doch
nicht so klar, vne mich dünkt, vorgebrachtes) zum beliebigen
Gebrauche in der Rezension zuzusenden.') Das Blendwerk von
dem Bildlichen, mit dem EB.[ERHARD] immer um sich wirft,
scheint nötig zu sein aufzudecken, imgleichen auch die letzte Auf-
forderung, um ihn so geschwinde als möglich zu nötigen, sich
in seiner Blöße darzustellen. — Mit mehrerem werde ich nicht
^) Der zweite Band von Eberhards Philos. Magazin (i79°) enthält
im vierten Stück mehrere Aufsätze des bekannten Mathematikers A. G.
Kaestner (171 9— 1800) über Kants Philosophie der Mathematik. Kant
beabsichtigte zunächst, hierauf selbst zu erwidern, überließ indes, dann
den Entwurf seiner Entgegnung dem Hofprediger Schultz als Material
für eine ausführliche Rezension in der AUg. Litt.-Ztg. (Jahrg. 1790,
S. 768—814). Der Text dieser Rezension ist in Bd. VI dieser Aus-
gabe, S. 75— 117 wiedergegeben worden; vgl. auch Bd. VI, S. 517 ff-
3*
^6 An Johann Schultz
beschweren: außer nur etwas aus den KÄSTNER sehen Aufsätzen,
aber nur um ihm zu zeigen, daß in diesen nichts sei was ihm
zum Vorteil gereiche.
I. Kant.
Den 29. Juni 1790.
239.
An Johann Schultz.
Von gegenwärtigen 2 Blättern, welche ich die Ehre habe,
Ew. Hochehrwürd. hiemit zuzuschicken, glaube ich, daß es gut
wäre, wenn sie ohne Abkürzung in die Rez. könnten eingerückt
werden; nicht allein um dem Übermut des Herrn EBERHARDS,
wegen dieser scheinbaren Verstärkung seiner Partei, dadurch die
Nahrung zu benehmen, sondern auch Herrn KAESTNER selbst
von der Einbildung abzubringen, als habe jener etwas mit seiner,
d. i. der WOLFFischen Philosophie Einstimmiges gesagt.
Zugleich nehme mir die Freiheit unmaßgeblich anzuraten, auf
die Stellen, da KAESTNER auf Ihre Theorie des Unendlichen*)
anzuspielen scheint, in dieser Rezension nicht Rücksicht zu nehmen,
um den Verfasser derselben dadurch nicht zu entdecken. Sie
könnten in dem von Ihnen jetzt bearbeiteten Stücke Ihrer Prü-
fung usw. sich darüber ausführlich erklären und rechtfertigen ; zu
welchem Behuf ich glaube, daß beiliegendes Blatt b, wie ich mir
schmeichle, einigen neuen Stoff darbieten möchte, um Ihre Theorie
mit dem, was die Kritik in dem Stücke von der Antinomie in
Ansehung des Unendlichen im Räume sagt, in Übereinstimmung
zu bringen.
Mit dem Anwunsche einer guten Gesundheit und Munterkeit
zu allen diesen beschwerlichen Arbeiten bin ich mit vorzüglicher
Hochachtung
Ew. Hochehrwürden
ganz ergebenster Diener
I. Kant.
Den 2. August 1790.
') Zu Schultz' Theorie des Unendlichen vgl. die Schriften: Vor-
läufige Anzeige des entdeckten Beweises für die Theorie der Parallel-
linien, Königsberg 1780; Entdeckte Theorie der Parallelen, ebd. 1784;
An 'Johann Friedrich Blumenbach 37
240.
An Johann Friedrich Blumenbach.
Königsberg, d. 5. Aug. 1790.
Wohlgeborner verehrungswürdiger Herr!
Der die Ehre hat Ihnen Gegenwärtiges zu überreichen, Herr
Dokt. med. JACHMANN, mein ehemaliger Zuhörer, gibt mir, bei
dem Wunsche von einem berühmten Manne gütige Anweisung zu
erhalten, wie er seinen kurzen Aufenthalt in Göttingen am besten
benutzen könne, Anlaß, meinen ergebensten Dank für Ihre mir
im vorigen Jahre gewordene Zusendung des trefflichen Werks
über den Bildungstrieb abzustatten. Ihre Schriften haben mich
vielfältig belehrt; doch hat das Neue in der Vereinigung zweier
Prinzipien, dem der physisch-mechanischen und der bloß teleolo-
gischen Erklärungsart der organisierten Natur, welche man sonst
geglaubt hat unvereinbar zu sein, eine nähere Beziehung auf die
Ideen, mit denen ich mich vorzüglich beschäftige, die eben einer
solchen Bestätigung durch Facta bedürfen. Meine Erkenntlichkeit
für diese mir gewordene Belehrung habe ich in einer Stelle des
Buchs, welches der Buchhändler DE LA GARDE Ihnen zugesandt
haben wird, zu bezeigen gesucht.
Dem Herrn Geh. Sekr. REHBERG bitte, unter Versicherung
meiner wahren Hochachtung, auf sein durch Herrn H. R. METZGER
geäußertes Verlangen, alle meine kleine Schriften zu haben, gütigst
zur Antwort zu erteilen: daß sie sich schon vorlängst nicht mehr
in meinen Händen befinden, indem ich, bei meinem nachher vor-
genommenen Gedankengange, darum mich nicht mehr bekümmert
habe, und, was vollends die Programmen betrifft, einige derselben
so flüchtig hingeworfen worden, daß ich selbst nicht gern sähe,
wenn sie wieder ans Tageslicht gezogen werden sollten.
Unter Anwünschung alles Wohlergehens und der besten Ge-
sundheit, um die Welt noch fernerhin zu belehren, bin ich mit
der vorzüglichsten Hochachtung Ew. Wohlgeb. ganz ergebenster
Diener
I. Kant.
Darstellung der vollkommenen Evidenz und Schärfe seiner Theorie der
Parallelen, ebd. 1786.
38 An Johann Schu/tz
141.
An Johann Schultz.
Ew. Hochehrw, gratuliere von Herzen zur glücklichen und
meisterhaften Vollendung einer höchstbeschwerlichen Arbeit, bei
der es noch ein Trost ist, daß eine ihr ähnliche nur allenfalls
über ein Jahr wiederum veranlaßt werden dürfte. Für Ihre gütige
Bemühung, was meine kleine mitgeteilte Anmerkungen betrifft,
und deren geschickte Benützung, sage den ergebensten Dank und
habe die Ehre mit der größten Hochachtung jederzeit zu sein
Ew. Hochehrwürden
ganz ergebenster Diener
I. Kant.
Den 1 5. Aug. 1790.
Z4Z.
An Johann Schultz.
Des Herren Hofprediger SCHULTZ
Hochehrwürden
Erlauben mir Ew. Hochehrw. eine Bedenklichkeit, die mir
nach Durchlesung Ihrer gründlichen Rezension eingefallen ist, doch
unmaßgebhch, mitzuteilen. Sie betrifft die Stelle von Ihrer Theorie
der Parallellinien. Ich besorge nämlich, daß EBERHARD, welcher,
um seiner Schreiberei durch fremde Federn ein gewisses Ansehen
zu geben, Mathematiker geworben hat, hieran Anlaß und Vor-
wand nehmen möchte, sie aufzuwiegeln von dieser Seite die Kritik
anzufechten, wenigstens zum Scheine, und dadurch die Würdigung
seiner Behauptungen (wegen der gemischten Materien) in der
künftigen Beurteilung derselben sehr erschweren möchte. Da Ihr
gründUches Werk der reinen Mathesis ohne Zweifel entweder jenen
Streit beendigen, oder zu Abfertigung der Gegner Ihrer Theorie
ohne Zweifel hinreichenden Anlaß geben wird, so wäre meine
Meinung, Herrn EBERHARD, der ohnedem so gern von der
Klinge abspringt, nicht dadurch in seiner Gewohnheit, den Stand-
punkt der Beurteilung unaufhörhch zu verrücken, Vorschub zu
geben, vornehmlich da das vor jener Stelle Vorhergehende schon
für sich hinreichend ist, die von Mißdeutungen Ihrer Theorie her-
Fon Johann Friedrich Reichardt 39
genommene Einwürfe abzuweisen. Doch habe ich hiedurch nichts
vorschreiben wollen, sondern überlasse alles Ihrem eigenen gründ-
lichen Ermessen und beharre mit vorzüglicher Hochachtung
Ew. Hochehrwürden
ganz ergebenster Diener
1. Kant,
Den 16. Aug. 1790.
245.
Von Johann Friedrich Reichardt.
Teuerster Herr Professor!
Die große Verbindlichkeit, die ich Ihnen von Kindheit an
habe, wächst mit jeder neuen Schrift von Ihnen über allen Aus-
druck. Ihr weiser gütiger Rat allein half mir auf den Weg zur
literarischen Bildung, die mir bald meine Kunst aus einem höheren
Gesichtspunkt ansehen ließ, und Ihre edle Uneigennützigkeit, mit
der Sie mir die Freiheit erteilten, Ihren Vorlesungen beiwohnen
zu dürfen, verhalf mich, wenn gleich damals noch nicht zu der
philosophischen Bildung, die ich itzt gewiß aus Ihrer Nähe ziehen
würde, dennoch zu der Aufmerksamkeit und Liebe zu eigenem
Nachdenken, die mich itzt besser in den Stand setzen, aus Ihren
vortrefflichen Werken mich zu unterrichten. Seit drei Jahren be-
schäftige ich mich sehr ernstlich mit Ihren Werken, zu denen
mich die Gegenschriften meiner Herzensfreunde JACOBI und
SELLE führten und ich vermag es Ihnen gar nicht auszudrücken,
wieviel dieses Studium zum Glück meines Lebens beiträgt. Un-
aussprechlich hat mich Ihre Kritik der Urteilkraft beglückt. Ich
werde nicht ehe aufhören, sie zu studieren, als bis ich imstande
bin, eine vollständige Kritik der schönen Künste darnach vorzu-
tragen, um so durch die weitere Ausbreitung Ihrer Philosophie,
so weit meine Fähigkeit reicht, auf die angemessenste Art, das
innige Gefühl meiner Dankbarkeit und Verehrung lebenslang an
den Tag zu legen.
Um fürs erste mein Kunstpublikum darauf aufmerksamer zu
machen, hab' ich die Hauptsätze über schöne Kunst, Genie,
Geschmack herausgezogen und lasse solche, mit Rückweisung auf
das Werk selbst, in einem Stück meines Kunstmagazins abdrucken,
an welchem eben gedruckt wird. L^nd so will ich mein Kunst-
40 An F. Th. de la Garde
magazin,^) das mit mancher, gutgemeinten aber luftigen Phantasie
anhub, mit Wahrheit beschließen. Ich hofFe, Sie haben nichts da-
gegen, bester Herr Professor.
Vor kurzem hab' ich aus Neapel die ganz vortrefflichen Land-
karten vom Königr. Neapel, die nach ZANONI und andern dort
mit einer Pracht und Genauigkeit gestochen werden, die alle fran-
zösische und englische Landkarten zurückläßt, für Sie, bester Herr
Professor, mitgenommen. Sie sind leider noch mit andern Sachen,
die ich für den König mitgebracht, auf der See, sonst würde ich
sie Herrn KIESEWETTER mitgeben. Erlauben Sic mir aber, sie
Ihnen, sobald sie hier ankommen, als ein sehr geringes Zeichen
der dankbaren Verehrung zu übersenden, mit der ich lebenslang
verharre
Ihr
Berlin, den 28. Aug. 1790. ganz ergebenster
Reichardt.
244.
An F. Th. de la Garde.
Kw. Hochedelgeb.
gütige Zuschrift vom 1 2 . Aug., zusamt
des Abts DENINA Buche (welches ich nach Durchlesung der
mich angehenden Stelle sofort, Ihrer Bestimmung gemäß, weiter
befördert habe), ist mir richtig zu Händen gekommen.
Es sollte mir leid tun, wenn Sie, als eine Vernachlässigung
einer Ihnen schuldigen Antwort, es übel aufnähmen, daß ich keinen
Bericht wegen des Empfangs des Honorars abgestattet habe, worin
ich vielleicht aus Unkunde, aber nicht aus Mangel an Achtung
und Freundschaft gefehlt habe, indem ich dachte, die Zurück-
sendung der Assignation sei eine hinreichende Bescheinigung des
Empfangs, übrigens aber meinen Dank, für diesen sowohl, als die
gute Ausführung des Drucks des Werks, soviel auf Ihnen be-
ruhte, auf eine andere Zeit, die mir dazu bequemer schiene, ver-
schob. — Es ist wahr, was Sie mir damals meldeten, daß über
*) Das von Reichardt begründete „Musikalische Kunstmagazin"
(Berlin 1781 — 92).
Von August Wilhehn Rehberg 41
die hinten angehängte errata noch viele Druckfehler übrig ge-
blieben sind, derentwegen ich bitte: wenn Sie eine zweite Auf-
lage zu veranstalten nötig fänden, mir davon zeitig Nachricht zu
geben, imgleichen damit ich auch, was den Inhalt betrifft, noch
einiges nachbesseren oder zusetzen könne.
Herren KIESEWETTER werden vermutlich dringende Ge-
schäfte genötigt haben, seine Reise nach Königsberg für diesmal
ausfallen zu lassen; ich wünsche nur, daß nicht Krankheit die
Ursache davon gewesen sei und bitte ihn meiner Freundschaft zu
versichern.
Übrigens bin ich mit Hochachtung imd Freundschaft jederzeit
Ihr
Königsberg, ganz ergebener Diener
d. 2, Sept. I. Kant.
1790.
245.
Von August Wilhelm Rehberg.
Sept. 1790.
Es heißt p. 188 der Kritik der reinen Vernunft 2. Aufl.:
Mathematische Sätze werden aus der Anschauung und nicht
aus dem Verstandesbegriffe gezogen.
In Ansehung der geometrischen hat dies wohl keinen Zweifel;
wie denn auch z. B. der Satz, daß in jedem Triangel zwei Seiten
größer sind als die dritte und andere, nicht aus dem Schema, das
dem Begriffe vom Triangel zum Grunde liegt, sondern nur also
erwiesen wird, daß die drei Arten von Dreiecken in der An-
schauung dargestellt werden.
In Ansehung der arithmetischen Wahrheiten aber scheint es
nicht also beschaffen zu sein. Zum Beispiel erhellt die Unmög-
lichkeit von V^ nicht aus der Anschauung des Schema 2
in irgend einer Anschauung, sondern aus der Zahl selbst. Es
heißt zwar p. 182 der Kritik, daß die Zahl eine successive Addi-
tion sei, und es scheint sonach, als wenn der Grund der synthe-
tischen Sätze der Arithmetik und Algebra in dem Anschauen der
reinen Form aller Sinnlichkeit der Zeit zu suchen sein solle, so
wie der Grund der synthet. Sätze der Geometrie in der An-
schauung des Raums erhellt. Allein, wenn gleich die siimlichen
42 Von August Wilhehn Rehberg
Erscheinungen der Anwendung arithmetischer Wahrheiten
unstreitig nur dadurch unterworfen sind, daß die Zeit als
allgemeine Form jener, durch die transszendentale Synthesis der
Einbildungskraft: der Anwendung der VerstandesbegrifFe unter-
worfen ist, so scheint es doch, als ob die Wahrheit der arithme-
tischen Sätze selbst nicht aus dem Anschauen der reinen Form
der Sinnlichkeit erhelle: indem kein Anschauen der Zeit da-
zu erforderlich ist, um die arithmetischen und algebrai-
schen Beweise zu führen, welche vielmehr unmittelbar aus
den Begriffen der Zahlen erhellen, und nur sinnlicher Zeichen
bedürfen, woran sie während und nach der Operation des Ver-
standes wieder erkannt werden: keineswegs aber reinsinnlicher
Bilder, so wie die Geometrie, um an ihnen die Beweise zu
fuhren.
Hieraus würde begreiflich werden, warum die beiden Formen
der Sinnlichkeit, Raum sowohl als Zeit, den synthetischen arith-
metischen und algebraischen Wahrheiten unterworfen sind,
denn die Anwendung der Arithmetik und Algebra auf Geometrie
scheint nicht der geringsten Dazwischenkunft der Vor-
stellung Zeit zu bedürfen: die Gegenstände der Geometrie sind
der Algebra weder als successiv noch als koexistent, sondern über-
haupt, dafern sie nur vorgestellt werden, nicht dafern sie, oder
weil sie in der Zeit gedacht würden, unterworfen.
Es entsteht hier freilich eine große Schwierigkeit, und welche
unauflöslich sein dürfte. Wie geht es nämlich zu, daß der
Verstand bei der Erzeugung der Zahlen, welches ein reiner
Aktus seiner Spontaneität ist, an die synthetischen Sätze der
Arithmetik und Algebra gebunden ist? Warum kann er,
der Zahlen willkürlich hervorbringt, keine V^ in Zahlen
denken? da ihn doch die Natur der Form der Sinnlich-
lichkeit nicht verhindert, so wie die Natur des Raumes ihn
hindert gerade, Linien zu denken, die gewissen krummen gleich
wären. Der Grund dieser Unmöglichkeiten und der Grund aller
synthetischen Wahrheiten der Arithmetik und Algebra müßte in
der alles menschliche Untersuchungsvermögen übersteigenden Natur
des ursprünglichen transszendentalen Vermögens der Einbil-
dungskraft und der Verbindung desselben mit dem Ver-
stände zu suchen sein.
Dies vorausgesetzt fragt sich's, ob es nicht möglich sei, ein
transszendentales System der Algebra zu entdecken, in welchem
An August Wilhelm Rehberg 43
die Möglichkeit und die Art der Auflösung derjenigen Glei-
chungen, welche bis itzt nur einzeln, durch regellose Ver-
suche gesucht wird, a priori aus Prinzipien entschieden würde?
Die Beantwortung dieser Frage scheint auf die oben angegebene
Schwierigkeiten großes Licht werfen zu können.
1^6.
An August Wilhelm Rehberg.
Sept. 1790.
Die Aufgabe ist: Warum kann der Verstand, der Zahlen will-
kürlich hervorbringt, keine Y^ in Zahlen denken? Denn, wenn
er sie denkt, so muß er sie, wie es scheint, auch machen
können; indem die Zahlen reine Aktus seiner Spontaneität sind
und die synthetische Sätze der Arithmetik und Algebra können
ihn durch die Bedingungen der Anschauung in Raum und Zeit
nicht einschränken. Es scheint also: man müsse ein transszenden-
tales Vermögen der Einbildungskraft, nämlich ein solches, welches
in der Vorstellung der Objekte, unabhängig selbst von Raum und
Zeit, bloß dem Verstände zufolge, Vorstellungen synthetisch ver-
bände, und von dem ein besonderes System der Algebra abgeleitet
werden könnte, annehmen, dessen nähere Kenntnis (wenn sie mög-
lich wäre) die l'/Iethode der Auflösung der Gleichungen zu ihrer
größten Allgemeinheit erheben würde.
So verstehe ich nänüich die an mich geschehene Anfrage.
Versuch einer Beantwortung derselben.
I. Ich kann jede Zahl als das Produkt aus zwei Faktoren an-
sehen, wenn diese mir gleich nicht gegeben sind und auch nie
in Zahlen gegeben werden können. Denn es sei die gegebene
Zahl = 15, so kann ich den einen Faktor, daraus sie ent-
springt, = 3 annehmen, und der andere ist alsdann = 5, mit-
hin 3X5 = 15. Oder der gegebene Faktor sei = 2; so würde
der gesuchte andere Faktor t sein. Oder der erstere sei ein
Bruch = V75 so ist der andere Faktor 105 usw. Also es ist möglich
zu jeder Zahl als Produkt; wenn ein Faktor gegeben ist, den
andern zu finden.
^4 An August Wilhelm Rehberg
2. Wenn aber keiner der beiden Faktoren, sondern nur ein
Verhältnis derselben, z. B. daß sie gleich sein sollten, gegeben ist,
so, daß das gegebene Faktum = tf, der gesuchte Faktor = x ist,
so ist die Äquation \:x^x:a^ d.i., er ist die mittlere geo-
metrische Proportionalzahl zwischen i und a und, da diesem ge-
mäß a = x^ so ist X = Vä, d. i. die Quadratwurzel aus einer ge-
gebenen Größe, z. B. V^ ist durch die mittlere Proportionalzahl
zwischen i und der gegebenen Zahl = i ausgedrückt. Es ist
also auch möglich eine solche Zahl zu denken.
Daß nun die mittlere Proportionalgröße zwischen einer,
die = I und einer andern, welche = 2 ist, gefunden werden
könne, mithin jene kein leerer Begriff (ohne Objekt) sei, zeigt
die Geometrie an der Diagonale des Quadrats. Es ist also nur
die Frage, warum für dieses Quantum keine Zahl gefunden
werden könne, welche die Quantität (ihr Verhältnis zur Einheit)
deutlich und vollständig im Begriffe vorstellt.
Daß auch daraus, daß jede Zahl als Quadratzahl von irgend
einer andern als Wurzel müsse vorgestellt werden können, nicht
folge, die letztere müsse rational sein, d. i. ein auszählbares Ver-
hältnis zur Einheit haben, läßt sich nach dem Satze der Identität,
aus dem der Aufgabe zum Grunde liegenden Begriffe, nämlich
dem zweier gleichen (aber unbestimmten) Faktoren zu einem ge-
gebenen Produkt einsehen; denn in diesen ist gar kein bestimmtes
Verhältnis zur Einheit, sondern nur ihr Verhältnis zueinander ge-
geben. — Daß aber diese Wurzel gleichwohl in der Zahlreihe,
zwischen zwei Gliedern derselben (so fern sie z. B. dekadisch ein-
geteilt ist) immer noch ein Zwischenglied und in demselben ein
Verhältnis zur Einheit angetroffen wird, folgt aus Nr. i, wenn
nämlich ein Glied der Wurzel in dieser Reihe gefunden worden.
— Daß aber der Verstand, der sich willkürlich den Begriff von
V2 macht, nicht auch den vollständigen Zahlbegriff, nämlich durch
das rationale Verhältnis derselben zur Einheit hervorbringen könne,
sondern sich, gleichsam von einem andern Vermögen geleitet,
müsse gefallen lassen in dieser Bestimmung eine unendliche An-
näherung zur Zahl einzuschlagen, das hat in der Tat die successive
Fortschreitung als die Form alles Zählens und der Zahlgrößen, als
die dieser Größenerzeugung zum Grunde liegende Bedingung, die
Zeit, zum Grunde.
Zwar bedarf der bloße Begriff einer Quadratwurzel aus einer
positiven Größe = /ä, wie ihn die Algebra vorstellt, gar keiner
An August Wilhelm Rehberg 45
Synthesis in der Zeit; ebenso auch die Einsicht der Unmöglich-
keit der Wurzel aus einer negativen Größe = K^^^ (in welcher
sich die Einheit, als positive Größe, zu einer andern = x eben
so verhalten müßte wie diese zu einer negativen)*), welche
sich, ohne Zeitbedingung damit zu benötigen, aus bloßen Größen-
begriffen erkennen läßt. Sobald aber, statt tf, die Zahl, wovon
CS das Zeichen ist, gegeben wird, um die Wurzel derselben nicht
bloß zu bezeichnen, wie in der Algebra, sondern auch zu
finden, wie in der Arithmetik; so ist die Bedingung aller Zahl-
erzeugung, die Zeit, hiebei unumgänglich zum Grunde liegend,
und zwar als reine Anschauung, in welcher wir nicht allein die
gegebene Zahlgröße, sondern auch von der Wurzel, ob sie als
ganze Zahl, oder wenn dieses nicht möglich ist, nur durch eine
ins Unendliche abnehmende Reihe von Brüchen, mithin als Irra-
tionalzahl gefunden werden könne, uns belehren können.
Daß nicht der bloße Verstandsbegriff von einer Zahl, sondern
eine Synthesis in der Zeit, als einer reinen Anschauung, dem Be-
griffe der Quadratwurzel einer bestimmten Zahl, z. B. der
Zahl 5, zum Grunde gelegt werden müsse, ist daraus klar: daß
wir aus dem bloßen Begriffe einer Zahl allein niemals beurteilen
können, ob die Wurzel derselben rational oder irrational sein
werde. Wir müssen es mit ihr versuchen, entweder, indem wir
in Zahlen bis 100 die Produkte aller kleinern ganzen Zahlen in
sich selbst mit dem gegebenen Quadrat bloß nach dem Einmal-
eins vergleichen, oder in größern durch Einteilung desselben, nach
dem allgemein bewiesenen Satze der Bestandteile eines Quadrats,
einer zwei- oder überhaupt vielteiligen Wurzel, die Teile der-
selben nach und nach suchen, in allen aber, wo der Versuch mit
einer in sich selbst multiplizierten ganzen Zahl nicht das Quadrat
gibt, die Teiler der Einheit, nach einer gewissen Proportion, z. B.
der dekadischen, wachsen lassen, welche zu Nennern einer ins
Unendliche abnehmenden Reihe von Brüchen dienen, die, weil sie
nie vollendet sein kann, obgleich sich der Vollendung so nahe
bringen läßt als man will, die Wurzel (aber nur auf irrationale
Art) ausdrückt.
Gesetzt nun, wir körmten nicht a priori beweisen und auch
nicht, wie es zugehe, erklären: daß, wenn die Wurzel einer
*) Da dieses widersprechend ist, so ist Y— a der Ausdruck für
euie unmögliche Größe.
4d An August Wilhelm Rehberg
gegebenen Größe nicht in ganzen Zahlen gefunden wer-
den kann, sie auch nicht in Brüchen bestimmt (gleichwohl
aber doch so weit ailnähernd als man will) gegeben werden
könne, so würde dieses ein Phänomen von dem Verhältnis unserer
Einbildungskraft zum Verstände sein, welches wir zwar durch mit
Zahlen angestellte Versuche wahrnehmen, aber uns gar nicht aus
VerstandesbegrifFen erklären könnten. Nun kann aber das erstcrc
allerdings geschehen; folglich ist die Vermutung des letzteren nicht
nötig.
Mir scheint das Befremdliche, welches der scharfsinnige Ver-
fasser der Aufgabe in der Unangemessenheit der Einbildungskraft
in der Ausführung des VerstandesbegrifFs von einer mittleren
Proportionalgröße durch die Arithmetik gefunden hat, sich eigent-
lich auf die Möglichkeit der geometrischen Konstruktion
solcher Größen, die doch in Zahlen niemals vollständig gedacht
werden können, zu gründen.
Denn, daß sich zu jeder Zahl eine Quadratwurzel finden
lassen müsse, allenfalls eine solche, die selbst keine Zahl, sondern
nur die Regel der Annäherung zu derselben, wie weit man es
verlangt, scheint mir diese Befremdung des Verstandes über V^
eben nicht zu bewirken: sondern daß sich dieser Begriff geome-
trisch konstruieren läßt, mithin nicht bloß denkbar, sondern auch
in der Anschauung adäquat anzugeben sei, wovon der Verstand
den Grund gar nicht einsieht, ja nicht einmal die Möglichkeit
eines Objekts == I/2" anzunehmen befugt ist, weil er sogar nicht
einmal den Begriff einer solchen Quantität in der Zahlanschauung
adäquat darzulegen imstande ist, desto weniger also erwarten sollte,
daß ein solches Quantum a priori gegeben werden könne.
Die Notwendigkeit der Verknüpfung der beiden sinnlichen
Formen, Raum und Zeit, in der Bestimmung der Gegenstände
unserer Anschauung, so daß die Zeit, wenn sich das Subjekt selbst
zum Objekte seiner Vorstellung macht, als eine Linie vorgestellt
werden muß, um sie als Quantum zu erkennen, sowie umgekehrt
eine Linie nur dadurch, daß sie in der Zeit konstruiert werden
muß, als Quantum gedacht werden kann, — diese Einsicht' der
notwendigen Verknüpfung des innern Sinnes mit dem äußern
selbst in der Zeitbestimmung unseres Daseins, scheint mir zum
Beweise der objektiven Realität der Vorstellungen äußerer Dinge
(wieder den psychol. Idealism.) Handreichung zu tun, die ich
aber jetzt nicht weiter verfolgen kann.
Von Johann Benjamin 'Fachmann 47
Von Johann Benjamin Jachmann.
(Im Auszug.)
Wohlgeborner Herr Professor,
mir ewig teurer Lehrer und Freund !
Das warme Interesse, das Ew. Wohlgeboren an meinem Schick-
sale nehmen, davon mich mein Bruder in seinen Briefen vielfältig
benachrichtiget, und dessen ich auch schon ohne dies völlig über-
zeugt wäre; das gütige Vertrauen und die geneigte Gewogenheit,
womit Sie mich seit einigen Jahren beehret haben, sind für mich
zu schmeichelhaft und rührend, als daß ich nicht darin einen Ent-
schuldigungs- ja selbst einen Aufmunterungsgrund für mich linden
sollte, Sie gelegenthch mit meinen Briefen beschweren, und Ihnen
von Zeit zu Zeit Nachrichten von meiner Lage und Befinden
geben zu dürfen. — Das Unstete in meiner Lebensart, die öftere
Veränderung des Orts meines Aufenthalts, und die häufige Zer-
streuungen, denen man dadurch notwendig ausgesetzt ist, sind
Ursache gewesen, daß ich nicht eher als jetzt, mir wieder diese
Erlaubnis genommen habe. Ohne allen Zweifel sind Sie davon
unterrichtet, daß ich meinem vorherigen Entschluß durch Holland
oder über Hamburg nach Göttingen zu gehen zuwider jetzt meinen
Weg über Paris genommen habe, und ich hoffe, daß Sie dieses
nicht mißbilligen werden. Die Ursachen, die mich zu dieser Ab-
änderung in meinem Plane bestimmten, waren, weil ich nach ge-
nauer Berechnung fand, daß der Unterschied in den Unkosten,
ich möchte wählen, welchen Weg ich wollte, keineswegs be-
trächtlich war, und weil ich auf jeden Fall zu spät nach Göttingen
kam, um die hiesige Lehrer und Bibliothek gehörig benutzen zu
können. Der Hauptgrund meiner Reise aber nach Paris war, um
an diesem Ort in der Hauptepoche seiner Geschichte zu sein, da
ich ihm einmal so nahe war. Auf diese Weise bin ich also
Zeuge des großen Bundesfestes der Franzosen gewesen; wie ich
mich denn auch bemüht habe, Augen- und Ohrenzeuge zu sein
von jeder merkwürdigen Begebenheit, die sich während meinem
Aufenthalt in Paris ereignet hat. — Im Anfange glaubte ich mich
im Lande der Glücklichen zu befinden; denn jeder, auch der ge-
ringste Einwohner, schien durch sein Betragen und durch seine
48 Von Johann Benjamin Fachmann
Worte zu bezeigen, wie sehr er es fühle, daß er in einem Lande
lebe, wo man das Joch und den Druck der Großen völlig ab-
geschüttelt habe, und wo Freiheit und die Rechte der Mensch-
heit im allgemeinen aufs höchste geehrt und in ihrer Würde er-
halten wurden. Ich stand daher auch gar nicht an, jetzt Frank-
reich in dieser Rücksicht dem Lande des stolzen Briten vorzuziehen,
der alle andere Nationen verachtet und sie als Sklaven ansieht,
obgleich sich gegen die britische Freiheit noch manches erwähnen
ließe. Einige Tage vor und nach dem Bundesfeste sähe man in
Paris Beispiele von Patriotismus, GleichheitsÜebe in allen Ständen
usw. realisiert, die man sonst kaum gewagt hatte, sich träumen
zu lassen. Dieser Geist schien aber nur zu herrschen, so lange
man das Volk durch Feste, Tänze imd Schmausereien unterhielt
und ihm auf mancherlei Art vorgaukelte. Sobald man diese ein-
stellte und die Deputierten aus den Provinzen sich zurückzogen,
so hörte man von allen Seiten Klagen und Unzufriedenheit laut
werden, selbst unter denen] enigen, die sich für echte Freunde der
Revolution erklärt hatten. Sehr viele adlige und bürgerliche,
obgleich patriotisch gesinnte Famiüen fingen bald an sich zu be-
schweren, daß die Nationalversammlung in ihren Dekreten und
Neuerungen zu weit gehe, daß es weit zu frühe sei gewisse Miß-
bräuche durch absolute Gesetze einzustellen, die bei der jetzigen
Staatsverfassung ohne Erfolg und Nachteil wären und die die
bloße Zeit völlig entkräften und unbedeutend machen würde,
ohne, wie jetzt, dergleichen Mißvergnügen und Unwillen bei den-
jenigen zu erregen, die schwach genug sind, an gewisse angeerbte,
wären es auch nur Nominal- und Scheinprivilegien einen Wert
zu setzen. — Das entsetzlich große und fast bis zur Unbilligkeit
getriebene Einziehen und Schmälern der Pensionen und Besol-
düngen erregt gleichfalls ein sehr lautes Murren und emc leb-
hafte Unzufriedenheit. Und dies kann gar nicht fehlen, da fast
nicht eine Familie in ganz Frankreich ist, die nicht entweder
mittelbar oder unmittelbar dadurch verlöre, die nicht etwa einen
Sohn oder sonstigen Verwandten hätte, deren Einkünfte nicht um
mehr als die Hälfte verringert sind, und es gehört doch mehr
Philosophie und Patriotismus dazu, als zu erwarten steht, um der-
gleichen große Privat-Aufopfeningen fürs allgemeine Beste zu tun.
Auf der andern Seite kennt wiederum der Pöbel in seinen Ge-
suchen und Ansprüchen keine Grenzen. Er fühlt jetzt seinen
Einfluß und Kräfte und mißbraucht sie, vielleicht zu seinem eigenen
Von Johann Benjamin 'Fachmann 49
Ruin. Anstatt das edle Kleinod, gesetzmäßige Freiheit, wel-
ches er jetzt besitzt, zu bewachen, strebt er nach gesetzlose Zügel-
losigkeit, will den Gesetzen nicht weiter gehorchen, sondern über
alles eigenmächtig urteilen und Recht sprechen, davon man in
Paris täglich Beispiele sieht und hört. Der Pöbel und einige un-
ruhige Köpfe sinds, die anjetzt ganz Frankreich regieren. Ich bin
selbst mehrmalen in der Nationalversammlung gewesen, wenn sie
gezwungen wurde, gewisse Dekrete abzufassen, weil es niemand
wagen durfte, die geringste Einwendung dagegen vorzubringen,
ohne von dem Pöbel auf den öffentlichen Tribunen insultiert und
für einen Aristokraten ausgeschrien zu werden. Viele von den
Mitgliedern der Nationalversammlung, um sich bei dem gemeinen
Volke beliebt zu machen und in Ansehen zu bringen, machen
in den Sitzungen solche Vorschläge, die vielleicht nicht zum all-
gemeinen Besten abzwecken, von denen sie aber wissen, daß sie
das Volk mit allgemeinen Beifallsgeschrei empfangen werde, die
dann auch durchgehen, weil niemand es wagen darf, Gegenvor-
stellungen zu machen. Viele von den MitgUedern, mit diesem
Verfahren unzufrieden, haben auch schon gänzHch die Versamm-
lung verlassen und wollen sie auch fernerhin nicht mehr be-
suchen und mit den Angelegenheiten nichts weiter zu schaffen
haben. Welchen Ausgang dieses zuletzt nehmen werde, wagt
niemand mit einigem Anschein von Wahrscheinlichkeit zu ent-
scheiden. Die von der Sache am günstigsten urteilen, glauben,
daß Frankreich noch manche Veränderung zu erleiden habe, ehe
seine Konstitution fest gegründet wird. Andere, die vielleicht
alles aus einem ungünstigen Gesichtspunkte betrachten, befürchten,
daß ein National-Bankerott unvermeidlich und ein allgemeiner
Bürgerkrieg die notwendige Folge sei, besonders, da in einigen
Provinzen die Bauren sich schon sollen haben verlauten lassen,
daß sie keine Abgaben entrichten wollen, weil sie sonst nicht ab-
sehen können, was sie denn durch die gegenwärtige Revolution
gewonnen hätten. — Das Schicksal des Landes sind die Haupt-
gegenstände der Unterredung in Frankreich, daher man auch mit
Gelehrten selten über etwas anderes als hierüber sprechen kann,
die, wenn sie unter 60 Jahren sind, noch einen tätigen Anteil
nehmen müssen, da sie sämtlich wie jeder andere Franzose zur
Nationalgarde gehören und Wache tun müssen. Eine Flinte, eine
Grenadiermütze und die Nationaluniform zieren daher gewöhn-
lich dieser Herren Lesekabinette. Ich habe einige sehr angenehme
Kanrs Schriften. Bd. X. ' 4
jo f^ow Johann Benjamin Fachmann
Bekanntschaften unter ihnen gemacht, vorzüglich unter den Physi-
kern und Chemikern, davon mir die von dem berühmten CHARLES,
der ein sehr liebenswürdiger Mann ist, und von dem Chemisten
PELETIER die interessantsten sind.') Bei PELETIER habe ich mit
an dem berühmten Versuch gearbeitet, aus den 2 Luftarten Wasser
zu machen, den eigentlich Herr v. JACQUIN, mein nachheriger
Reisegefährte bis Straßburg, anstellte
Endlich langte ich Dienstag, den 21. Sept., in Göttingen an.
Ich besuchte sogleich meinen Freund Prof. ARNEMANN, wo
ich meinem heißen Verlangen gemäß Briefe von meinen
königsbergschen Freunden fand, die mir einen wahren Festtag
machten. Herzinniglich freuete ich mich in allen Briefen die
Versicherung zu lesen, daß ich noch in meiner Vaterstadt in
gutem Andenken stehe. Vorzüglich aber war ich erfreut in
den 5 Briefen, durch die Sie mir die Bekanntschaft der 3 be-
rühmtesten Lehrern Göttingens verschafften, einen neuen schätz-
baren Beweis Ihrer Güte und Gewogenheit für mich zu finden.
Zuerst besuchte ich den folgenden Morgen H. R. BLUMEN-
BACH, der ein offener und liebenswürdiger Mann ist. Er fühlte
sich durch Ihren Brief sehr geschmeichelt, erbot sich mir jeden
Dienst während meinen Aufenthalt in Göttingen zu erweisen.
Sonnabend speiscte ich bei ihm zu Abend. Sonntag vormittag
führte er mich ins Museum usw. Er hat mir beikommenden Brief
für Sie gegeben, wie auch das i. Stück seiner Beiträge zur Natur-
geschichte,*) die ich aber bis auf bequeme Gelegenheit zurück-
behalte, weil ich glaube, daß Sie es schon gelesen haben, und es
auch zu unwichtig ist es durch die Post zu überschicken. Den-
selben Tag gab ich auch den Brief an LICHTENBERG und
KAESTNER ab. Herr Hofr. LICHTENBERG hielt eben Vor-
lesungen und da es mitten in der Stunde war, wollte ich ihn
nicht stören, ließ daher den Brief und meine Adresse zurück.
Er fährt gleich nach geendigten Vorlesungen nach seinen Garten
außerhalb der Stadt, schickte mir aber sogleich seinen Bedienten
zu, dessen ich mich bedienen sollte, um mich allenthalben herum-
») J. A. C. Charles (1746-1823), Physiker in Paris; Bertrand
Peletier (1761—97), Professor der Chemie an der Ecole Polytech-
nique.
*) Blumenbach, Beiträge zur Naturgeschichte der Vorwelr, er-
schienen im Magazin für das Neueste aus der Physik, Bd. VI, Stück 4.
(1790)-
Von Johann Benjamin Fachmann 5 i
führen zu lassen. Er selbst hoffte mich den folgenden Tag zu
sehen. Ich besuchte ihn daher auch den andern Morgen, sobald
er nur in die Stadt gekommen war. Ich glaube, Sie wissen es,
daß er ein kränklicher bucklichter Mann ist, der schon mehr-
malcn seinem Tode nahe gewesen, jetzt hatte er sich wieder etwas
erholt. Seine Freude über Ihren Brief war sehr groß. Er sprach
mit großer Wärme, wobei seine geistreichen und lebhaften Augen
strahlten, wie sehr, und wie lange er Sie schon schätze, wie Sie
ihm schon aus Ihren ältesten Abhandlungen bekannt wären. Er
sagte, daß er sich äußerst freuen würde, Ihnen oder mir irgend
einen Dienst erweisen zu können. Er bot mir sogleich an seine
Vorlesungen zu "besuchen, so oft ich Vergnügen finde. Den folgen-
den Tag zeigte er mir seine Instrumentensammlung, ich brachte
den ganzen Nachmittag bei ihm zu und trank Coffee bei ihm.
Ich wohnte alle seine Vorlesungen bei, solange ich in Göttingen
war, er war eben mit der Elektrizität beschäftigt. Er bat mich
nochmals von seinem Bedienten Gebrauch zu machen, so viel ich
wollte. Ich habe ihn alle Tage besucht und gesprochen, weil er
so ein äußerst liebenswürdiger und artiger Mann ist. Er wird
nächstens durch die Post an Sie schreiben. Ich habe auch von
anderen Professoren gehört, daß er sich so sehr gefreut hat, einen
Brief von Ihnen erhalten zu haben. Er sagt, er habe durch mich
einen Brief von dem Propheten aus Norden erhalten. — Ich kann
Ihnen nicht sagen, wie sehr ich mich beim Anblick des Hofrats
KAESTNERs in der Vorstellung betrogen fand, die ich mir aus
seinen Epigrammen und aus dem, was ich sonst von ihm gehört
und gelesen hatte, von seiner Person und Betragen vormals machte.
Anstatt einen Mann zu finden, für dessen schneidende Zunge man
sich nicht genug hüten könne, fand ich ein ganz kleines Männ-
chen im Schlafrock und einem runden Perückchen vor einer
brennenden Lampe in einer überaus heißen Stube sitzend, dem es
zwar anzusehen war, daß er sich freue, mich zu sehen, nachdem
ich einen Gruß von Ihnen bestellt und Ihren Brief ihm über-
geben hatte, der aber aus sichtbarer Verlegenheit und Ängstlich-
keit, worin er sich befand, nicht zu sprechen vermochte. Mehr
durch Zeichen als durch Worte nötigte er mich zum Nieder-
zusitzen, sagte dann unter beständigen Händewinden und Beugen
des Körpers in halbverschluckten Worten, wie willkommen ich
ihm wäre, da ich ihm Nachrichten von Ihnen brächte. Er fuhr
fort unter denselben Zeichen seiner Verlegenheit sich nach Ihrem
4*
5 2 Von Johann Benjamin 'Jachmann
Alter und Befinden, wie auch nach Prof. KRAUSE sich zu er-
kundigen, wie überhaupt fast alle Professoren, z. B. HEYNE,
LICHTENBERG, FEDER mit vielem Interesse sich nach Herrn
Prof. K. erkundiget haben. — Er fragte, wie lange ich in Göt-
tingen bleiben würde und bedauerte, daß mein Aufenthalt nur
so kurz sei, erbot sich mich allenthalben mit Vergnügen herum-
zuführen, welches ich aber verbat, da ich schon andere Freunde
gefanden hatte, die es tun würden. Endlich nach einer abge-
brochnen Unterredung von lo — 15 Minuten nahm ich von ihm
Abschied und er bat mich, ihn wieder zu besuchen, und sagte,
daß es ihm leid wäre, daß ich seine Dienstanbietungen nicht
annehmen wollte. Den Tag vor meiner Abreise von Göttingen
besuchte ich ihn noch einmal, und fand ihn just wie vorher. Er
bedaurete, daß Sie genötiget worden, sich in einen Streit mit Herrn
EBERHARD einzulassen, bat mich, wenn ich an Sie schriebe oder
Sie wieder sehe, recht viele Versicherungen von seiner Hochachtung
für Sie zu bestellen. Mit nächsten wird er selbst an Sie schreiben.
— Ich habe auch den Hofrat FEDER besucht, der mich als einen
Schüler von Ihnen mit sehr vieler Artigkeit empfing. Er sprach
mir sehr viel von seiner unbegrenzten Hochachtung für Sie, ver-
sicherte, daß, so oft er Ihnen widersprochen, solches aus bloßer
Wahrheitsliebe geschehen sei, ja er überredet sich sogar, daß Ihre
Sätze und Behauptungen von den seinigen eben nicht mehr sehr
weit verschieden seien. Er hat mich ein paar Male besucht und
ich bin mehrere Male in seinem Hause gewesen. — Einen er-
klärten Anhänger und Verteidiger Ihrer philosophischen Grund-
sätze haben Sie in Göttingen an Herrn Prof. BUHLE,^) den ich
aber zu sprechen nicht Gelegenheit gehabt habe. Man hält aber
eben nicht viel von ihm. ... In Hannover besuchte ich gleich
nach meiner Ankunft den Herr Geh. S.[ekretär] REHBERG, einen
Ihrer vorzüglichsten Verehrer und Anhänger. Er ist ein junger
Mann von etwa 30 Jahren, der mir aber beim ersten Besuch eben
nicht sehr gefiel. Er schien sehr verschlossen, etwas kalt, und
sehr geniert zu sein, daher ich mich auch nur einige Minuten
bei ihm verweilte. In seinem Hause sah ich die marmorne Büste
zur Verewigung des berühmten LEIBNIZ. — Denselben Tag
nachmittags machte er mir noch die Gegenvisite, war weit freund-
') Joh. Gottl. Buhle (1763 — 1821), Entwurf der Transscendental-
philosophie, Göttingen 1798.
Von Johann Benjamin Tachmalin 53
schaftlicher und offner und sehr gesprächig, und bat mich für
den andern Mittag bei sich zu Tische, wo ich in Gesellschaft
seiner achtungswerten Mutter, seiner liebenswürdigen Schwester
und des jungen Herrn BRANDES speisete, und ich zähle diesen
Tag unter die angenehmste, die ich auf meiner Reise durchlebt
habe- Herr Geh. Sekr. REHBERG ist in seinem Gespräche ein
sehr bescheidener Mann, aber man kann darin den Mann von
Kopf, Originalität der Gedanken und ausgebreiteter Gelehrsamkeit
nicht verkennen. Ich halte ihn für den feinsten Kopf unter allen
Ihren Schülern, die ich bis jetzt noch habe kennen lernen. Von
Ihrer Kritik der p. Vernunft spricht er mit einer Wärme, als ich
noch nie einen Menschen über eine Schrift habe sprechen hören.
Er wird mit der Zeit ein Naturrecht schreiben, worin er zeigen
wird, daß es darin eben solche Antinomien der Vernunft gebe,
als in der spekulativ. Philosophie und Moral. Seine Bescheiden-
heit und weil er wußte, daß Sie so sehr mit Briefen belästiget
werden, hat ihn abgehalten, an Sie zu schreiben; doch hat er
jetzt gewagt, in einem Briefe an NICOLOVIUS einige Fragen
zu schicken, davon er sich bei Gelegenheit die Auflösung von
Ihnen gütigst erbittet. In Hannover besuchte ich auch noch den
Ritter v. ZIMMERMANN, der äußerst artig mich empfing.^)
Ich war beim ersten Besuch über eine Stunde bei ihm, er er-
kundigte sich gleichfalls nach Ihrem Befinden und bat mich ihn
zu empfehlen. Den andern Tag machte er mir auch den Gegen-
besuch und blieb auch über 7^ Stunde bei mir. Der Herr RITTER
hat mich sehr gnädig behandelt, da er wohl sonsten Gräfe und
andere hohe Adlige nicht vor sich lassen soll. Sonsten habe ich
noch den Hofmedikus WICHMANN und einige andere Ärzte
besucht, die aber für Sie weiter kein Interesse haben. ....
Von Magdeburg ging auf Halle, woselbst ich mich jetzt seit einigen
Tagen befinde, und bei Ihrem treuen Verehrer, dem Prof. JACOB,
recht frohe Stunden genieße. Magister BECK, der sich bestens
Ihnen empfehlen läßt, wohnt in demselben Hause und macht unsern
Mitgesellschafter aus. Ich habe schon die meisten von den hiesigen
Prof. besucht und unter anderm auch Herrn EBERHARD, bei
dem ich schon zweimal gewesen bin und zwar jedesmal über
I Stunde. Er hat aber auch nicht im mindesten von Ihnen oder
^) Der bekannte Arzt Johann Georg v. Zimmermann (1728—95)
vgl. über ihn „Dichtung und Wahrheit", i?. Buch.
54 ^^ j^ohann Friedrich Rekhardt
seinen Streitigkeiten gesprochen, sondern sich nur vorzüglich über
politische Angelegenheiten Frankreichs mit mir unterhalten, woran
er ein großes Interesse nimmt, und ich ihm einige Nachrichten
mitteilen kann. Übrigens kann ich Ihnen nichts Besonderes von
Halle melden, außer daß ich von verschiedenen Professoren, Herren
FORSTER, SEMLER usw^., wie auch von Dr. und jetzigen Bier-
schenken BAHRDT viele Empfehlungen an Sie zu bestellen habe.
— In wenigen Tagen gehe ich von hier nach Jena und viel-
leicht auch Weimar und dann über Leipzig nach Berlin. Ich
nähere mich also dem Ziel meiner Reise und denke schon mit
entzückender Freude an die Zeit, da ich wieder in Königsberg
sein und das Glück haben werde, Ihren unmittelbaren Umgang
zu genießen. Ich vereinige hier den wärmsten Wunsch meines
Herzens mit dem oft gehörten Wunsch Ihrer Freunde und Ver-
ehrer für Ihr Glück, langes Lebens, und die dauerhafteste Ge-
sundheit zur Glorie unseres Vaterlandes und zum Wohl der
Menschheit.
Ich empfehle mich und meinen Bruder der fernem Fortdauer
Ihrer Gewogenheit und verharre mit der vollkommensten Hoch-
achtung und in der tiefsten Ergebenheit
Ew. Wohlgeboren
Halle, d. 14. Oktober dankbarster Schüler und Freund
1790. Joh. Benj. Jachmann.
248.
An Johann Friedrich Reichardt.
Tcurester Freund.
Meine gringe Bemühungen im ersten philosoph. Unterrichte,
welchen Sie bei mir genommen haben, wenn ich mir schmeicheln
darf, daß sie zu der jetzigen rühmlichen Entv^dckelung Ihrer Talente
etwas beigetragen haben, belohnen sich von selbst und Ihre
Äußerung einer Erkenntlichkeit dafür nehme ich als ein Zeichen
der Freundschaft gegen mich dankbarlich an.
Aus dem Gesichtspunkte der letzteren muß ich es auch be-
urteilen, wenn Sie von meinen Schriften seelenberuhigende Er-
öffnungen hoffen, wiewohl ihre Bearbeitung diese Wirkung bei
mir getan hat, die sich aber, wie ich aus vielen Beispielen ersehe.
An Markus Herz 55
nur mit Schwierigkeit anderen mitteilen läßt; woran wohl die
domichte Pfade der Spekulation, die doch, um solchen Grundsätzen
Dauerhaftigkeit zu verschaffen, einmal betreten werden müssen,
eigentlich schuld sein mögen.
Angenehm würde es mir sein, wenn die Grundzüge, die ich
von dem so schwer zu erforschenden Geschmacksvermögen ent-
worfen habe, durch die Hand eines solchen Kenners der Pro-
dukte desselben, mehrere Bestimmtheit und Ausführlichkeit be-
kommen könnten. Ich habe mich damit begnügt, zu zeigen:
daß ohne sittliches Gefühl es für uns nichts Schönes oder Er-
habenes geben würde; daß sich eben darauf der gleichsam ge-
setzmäßige Anspruch auf Beifall bei allem, was diesen Namen
führen soll, gründe und daß das Subjektive der Moralität in
unserem Wesen, welches unter dem Namen des sittlichen Gefühls
unerforschlich ist, dasjenige sei, worauf, mithin nicht auf ob-
jektive Vernunftbegriffe, dergleichen die Beurteilung nach mora-
lischen Gesetzen erfordert, in Beziehung, urteilen zu können,
Geschmack sei: der also keinesweges das Zufällige der Empfindung,
sondern ein (obzwar nicht diskursives, sondern intuitives) Prinzip
a priori zum Grunde hat.
Das Geschenk mit den schönen Landkarten, welches Sie mir
zugedacht haben, wird mir, vornehmlich als ein Denkmal Ihres
freundschaftlichen Angedenkens an mich, sehr angenehm sein,
wie ich denn mit vollkommener Hochachtung und Freundschaft
jederzeit bin
Ew. Wohlgeb.
Königsberg, ganz ergebenster Diener
d. 15. Oktbr. 1790. I. Kant.
249.
An Markus Herz.
Wohlgeborner Herr
Sehr hochgeschätzter Freund
Mit diesen wenigen Zeilen nehme mir die Freiheit Ihrem
gütigen Wohlwollen Überbringern dieses, Herren Dokt. GOLD-
SCHMIDT, meinen fleißigen, fähigen, wohlgesitteten und gut-
mütigen Zuhörer, bestens zu empfehlen. Ich hoffe, daß nach
56 An F. Th. äe la Garde
der ersten Bekanntschaft, er Ihre Liebe sich von selbst er-
werben wird.
Ihr sinnreiches Werk über den Geschmack,*) für dessen Zu-
sendung ich Ihnen den ergebensten Dank sage, würde ich in
manchen Stücken benutzt haben, wenn es mir früher hätte zu
Händen kommen können. Indessen scheinet es mir überhaupt,
vornehmlich in zunehmenden Jahren, mit der Benutzung fremder
Gedanken in bloß spekulativen Felde nicht gut gelingen zu
wollen, sondern ich muß mich schon meinem eigenen Gedanken-
gange, der in einer Reihe von Jahren sich schon in ein gewisses
Gleis hineingearbeitet hat, überlassen.
Mit dem größten Vergnügen sehe ich Sie in Ruhm und Ver-
diensten beständig Fortschritte tun, wie es mich Ihr Talent schon
frühzeitig hoffen ließ und es Ihre gute und redliche Gesinnungen
auch würdig sind; von denen Herr KIESEWETTER mir aus
seiner eigenen Erfahrung nicht gnug zu rühmen weiß. — Be-
halten Sie mich in Ihrem freundschaftlichen Angedenken und
sein Sie von der größten Hochachtung und Ergebenheit versichert,
mit der ich jederzeit bin :
Ew. Wohlgebornen
Königsberg, ganz ergebenster Diener
d. 15. Okt. 1790. I. Kant.
250.
An F. Th. de la Garde.
Ew. Hochedelgeb.
werden hoffentlich meine Antwort auf Ihr
letzteres Schreiben durch Herrn Professor BODE erhalten haben.
Ich habe darin vergessen, was ich jetzt tue, nämlich für das mir
überschickte schön gebundene Exemplar meiner Krit. d. Urtlk.
auf holländisch Papier gedruckt zu danken. — Da mir Herr
M. KIESEWETTER gesagt hat, Sie wären willens eine neue
Auflage von diesem Werke für künftige Ostern zu veranstalten,
so bitte mir Nachricht zu geben, wenn spätestens ich die
Verbesserungen, es sei an Druckfehlern, oder auch einigen Stellen
*) Die zweite Auflage des früher (Bd. IX, S. 152) erwähnten Werkes,
Berlin 1790.
Von Christoph Friedrich Hellwag 57
der Ausarbeitung; einzuschicken nötig habe. Es w'äre mir lieb,
wenn es bis zu Weihnachten Zeit hätte; indessen könnte die erste
Versendung auch früher geschehen. Es liegt Ihnen und mir dran,
daß das Werk so viel als möglich fehlerfrei werde.
In bin übrigens mit Hochachtung
Ew. Hochedelgeb.
Königsberg, ganz ergebener Diener
d. 19. Okt. I. Kant.
1790.
251.
Von Christoph Friedrich Hellwag.')
Eutin, d. 13. Dezemb. 1790.
Wohlgeborner
Hochzuverehrender Herr Professor!
Euer Wohlgeboren erlauben, daß ich mich unterstehe, Ihre
kostbare Muße durch mein Schreiben zu unterbrechen: ich glaubte
in Ansehung dessen, was ich vorzutragen habe, eine Nachlässig-
keit mir vorwerfen zu müssen, wenn ich nicht darüber an Sic
schriebe, indem ich hoffte, eine Sache, die Sie problematisch vor-
stellen, einer Entscheidung, die Ihrem Sinne gemäß ist, näher
gebracht zu haben. Es betrifft die Vergleichung der Farben des
Regenbogens mit den Tönen der musikalischen Oktave ; ein Auf-
satz von mir darüber ist in einem Stücke des Deutschen Museums
vom Oktober 1786 S. 293 — 197 abgedruckt; und verschiedene
lehrreiche Stellen, die sich auf eine solche Vergleichung beziehen,
fand ich neulich zu meinem Vergnügen in Ihrer Kritik der Ur-
teilskraft, womit Sie kürzlich so manchem ehrüchgesinnten Wahr-
heitsfreunde von neuem ein schätzbares Geschenk gemacht haben.
Anstatt eine Abschrift von meinem angeführten Aufsatze beizu-
fügen, nehme ich mir die Freiheit, das Wesentliche daraus in
einem kurzen Auszuge in dem Briefe selbst, der freilich dadurch
ausgedehnt wird, anzuführen.
Schon KIRCHER stellte die Regenbogenfarben mit den Tönen
^) Christoph Friedrich Hellwag (i754— 1835), seit 1788 Arzt in
Eutin, wo er mit J. H. Voss in nahem freundschaftlichen Verhältnis
stand.
58 Von Christoph Friedrick Hellwag
der Oktave zusammen: NEWTON bestimmte sogar die Breite des
Bildes von jeder Farbe nach der Länge der Saite für den zu-
stimmigen Ton; endlich wollte CASTELL Farbenakkorde und
Farbenmelodien auf einem Farbenklaviere darstellen,') aber die
Versuche entsprachen der angenommenen Erwartung nicht, weil
die Vergleichung, worauf sie beruhten, unrichtig war. Man kann
Licht und Schall in vieler Rücksicht miteinander vergleichen, wie
EULER auch getan hat: ihre beiderseitige Erregung in einem
elastischen Mittel, ihr Fortrücken, ihre Ausbreitung, den Durch-
gang imd die Zurückprallung ihrer Strahlen, und, in Ansehung
unseres Standpunktes, die Schätzung der Gegend, wo das Licht
und der Schall herkommen. Bei so mannigfaltiger Überein-
stimmung ist es natürlich, unter den Erscheinungen des Lichts
eine zu suchen, die sich mit den Stufen der Tonleiter vergleichen
ließe, und eine unter den Erscheinungen des Schalls, die mit den
Farben des Prisma übereinkäme, und leicht verfällt man also
darauf, also die Töne mit den Farben zu vergleichen. Ich wage
CS, die Richtigkeit dieser Vergleichung zu bestreiten. Alles, was
wir sehen, hat Farbe und eine Stelle im Gesichtsfelde, und, was
wir hören, Spezifiken Klang, und eine Stelle in der Tonleiter.
Farbe ist dem Auge, was spezifiker Klang dem Ohre ist, und die
Stelle eines sichtbaren Punktes im Gesichtsfelde dem Auge, was
dem Ohre eine gegebene Stelle in der Tonleiter. Durch den
Sinn des Gesichts vergleicht und unterscheidet man die Farben
nach ihrer Mischung, durch den Sinn des Gehörs die Verschieden-
heit des Klangs verschiedener und gleicher auf verschiedene Art
gerührter Instrumente, auch nach einer Art von Mischung die
bei den Stellen der Tonleiter nicht stattfindet. Die Farben für
das Gehör scheinen viel mannigfaltiger zu sein, als für das Ge-
sicht. Letztere lassen sich alle auf weiß, gelb, rot, blau und
schwarz reduzieren, aber die demente für alle Arten von Klang
sind vieheicht unerschöpflich; ein Beispiel davon ist die mensch-
liche Spri.che. Darin sind die Vokalen insonderheit merkwürdig,
daß sie zu einem Systeme zu gehören scheinen, welches sich als
vollständig denken läßt, a und i und u sind die Hauptvokalen;
e steht zwischen a und i, ä zwischen a und e, o zwischen a und
') Athanasius Kircher (1601 — 80); Ars magna lucis et umbrae
(1646); L. B. Castel (1688 — 17J7) L'optique des Couleurs, fondee sur
es simples Observations etc., Paris 1740.
Von Christoph Friedrich Hellrcag ^^
u, ä zwischen a und o; ü zwischen u und i, ö zwischen o und
e. Bei dem Diphthongen ai werden mit einem Schwünge der
Sprachwerkzeuge alle mögliche von a nach i laufende Zwischen-
stufen in einer stetigen Folge ausgesprochen; ebenso sind die
übrigen Diphthongen beschaffen; sie sind stetig von einer Stelle
des stetigen Vokalensystems zur andern übergehende Mischungen,
ähnlich dem Farbenspiele der Seifenblasen. Auf der andern Seite
beruht das Hervorbringen und Schätzen der Töne, der Akkorde
und der Melodien auf der Ausmessung der Tonleiter, so wie die
Verzeichnung von Punkten und Zügen, mit ihren Proportionen
und Gestalten auf der Ausmessung des Gesichtsfeldes, und hierin
gewährt umgekehrt das Gesicht eine größere Mannigfaltigkeit als
das Gehör, weil die Tonleiter nur eine Dimension, das Gesichts-
feld hingegen zwei Dimensionen mit sich bringt, worin überdies
der Spielraum der Standpunkte viel größer ist, als bei der Ton-
leiter. Bei den Stellen des Gesichtsfeldes sowohl als bei den
Stellen der Tonleiter vidrd nicht an Mischung gedacht.
So weit der Auszug: nun komme ich zu den Stellen aus
Ihrer Kritik der Urteilskraft: ich führe dieselbe nicht durchaus
mit Ihren Worten an, teils um kurz zu sein, teils um eine Probe
zu geben, wie fern ich den Sinn derselben treffe. Sie sagen
S. 209.^) Man kann nicht mit Gewißheit sagen, ob eine Farbe,
oder ein Ton (Klang) bloß angenehme Empfindungen, oder an
sich schon ein schönes Spiel von Empfindungen seien. — Für
bloß angenehm möchte man Farben und Töne halten, weil man
von den Licht- und Luftbebungen nur die Wirkung auf den Sinn
vernimmt, die bloß empfunden wird, nicht aber die Zeiteinteilung,
die ein Gegenstand der Reflexion wäre; für bloß schön hingegen,
erstlich weil man sich die Proportion der Schwingungen bei
Tönen und auf ähnliche Weise die Farbenabstechung mathematisch
bestimmbar vorstellt; und zweitens, weil Scharfsehende oft Farben
verwechseln, ebenso, wie Scharfhörende auch Töne oft falsch an-
geben oder schätzen können. Hierauf darf ich erwidern: man
kann bei dem besten Gesichte ein schlechtes Augenmaß haben,
und bei dem besten Gehöre die Aussprache einer fremden Sprache
falsch vernehmen, daß man nicht imstande ist, sie treffend nach-
zuahmen, aus Mangel an Fertigkeit, nicht bloß der Sprachwerk-
zeuge, sondern des Gehörs; und was den ersten Punkt betrifft,
') Siehe Kritik der Urteilskraft § 51.
öo Von Christoph Friedrich Hellwag
so sind im Gesichtsfelde nicht allein Farbenmischungen, sondern
vornehmlich die scheinbare Größen darin, und vor dem Sinn des
Gehörs nicht allein die Töne, sondern auch stufenweise Misch-
ungen von Klängen, wie in der angeführten Vokalenleiter, einer
mathematischen Bestimmung fähig; und auf diese Art sind sicht-
bare und hörbare Qualitäten und Quantitäten, nämlich Farben,
und Klänge, scheinbare Größen und Töne sowohl objektiv genau
bestimmbar als auch subjektiv einer möglichen fehlerhaften
Schätzung unterworfen; und es steht hier also nichts im Wege,
warum Musik nicht ein schönes Spiel angenehmer Empfin-
dungen, und Farbenkunst nicht auch ein schönes Spiel derselben
heißen könnte. Daß Sie nicht abgeneigt sein werden, meine
Vergleichungen der Farben und Töne zu billigen, darf ich aus
S. 19^) schließen, wo Sie sagen: — Dem einen ist die violette
Farbe lieblich, dem andern erstorben. Einer liebt den Ton der
Blasinstrumente, der andere den von Saiteninstrumenten. — Mit
dem Schönen ist es anders bewandt, — Das Gebäude, was wir
sehen, das Konzert, was wir hören, ist schön, also nicht für einen,
sondern für alle. Hieher gehört auch, was Sie S. 39*) erklären,
wo Sie von einem reinen Geschmacksurteile allen Anteil eines
Reizes ausschließen, und dagegen wieder eine Instanz einwerfen,
wornach der Reiz für sich zur Schönheit hinreichend scheinen
möchte. Die grüne Farbe des Rasenplatzes, der bloße Ton einer
Violin, zum Unterschiede von (gleichgültigem) Schalle und Ge-
räusche, wird von den meisten an sich für schön erklärt, ob
zwar beide lediglich Empfindung zum Grunde zu haben scheinen,
und darum nur angenehm genannt zu werden verdienten. Allein
man wird sie doch nur sofern schön finden, als beide rein sind.
Vollkommene Reinigkeit ist nämlich hier außer den objektiv
genau bestimmbaren, aber subjektiv unzuverlässigen Graden der
Reinigkeit der einzige subjektiv sichere Grad, und hat dadurch
denjenigen Charakter der Schönheit, der auf subjektiv sichere
Schätzung Anspruch macht. Ihre Antwort, womit Sie die Ein-
wendung abfertigen, beruht also auch auf derselben von mir be-
merkten Mischbarkeit, die den gemeinschaftlichen Charakter der
Farben und der Klänge ausmacht.
Hiemit beschließe ich diese Untersuchung, und bitte zugleich
^) Ebd. § 7.
*) Ebd. $ 13.
Von Christoph Fi'iedrich Helliaag 6i
um Geduld für die Verlängerung des Schreibens über einige
Stücke, die ich gerne zugleich anbringen möchte.
Zu der Stelle S. 1 6 Ihres angeführten Werks, wo Sie von
dem Geschmacke alles Interesse absondern, kann ich Ihnen ein
merkwürdiges Beispiel anführen, von einem ehemaligen hiesigen
Küchenmeister, dem ein Philosoph, der hiesige Herr Justizrat
TREDE, das Zeugnis gibt, daß er über den Sinn des Geschmacks
sehr richtig philosophiert habe; derselbe Mann pflegte über ge-
wisse kunstmäßige Tafelgerichte das Urteil zu fällen: sie schmecken
gut, aber mir nicht angenehm.
Folgende Nachricht kann dem Herzen des Mannes, der die
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und die Kritik der
praktischen Vernunft geschrieben hat, nicht gleichgültig sein.
Der hiesige Konrektor an der lateinischen Schule Herr BOIE,
ein Bruder des Herausgebers vom Deutschen Museum, und
Schwager des hiesigen Rektors Herrn Hofrats VOSS, studiert
Ihre Schriften, besonders die eben genannten, und nahm Gelegen-
heit von dem, was er Ihnen verdankt, in einer Predigt über Ap.
Gesch. 10, 34 Gebrauch zu machen: es war hier nichts von der
der Kanzel unwürdigen ors oratoria^ und doch machte die Predigt
auf mehrere, die nicht, wie ich, die Quelle davon kannten, einen
ungewöhnlichen Eindruck, und mir war es, als wenn ich eine
solche Predigt noch nie geholt hätte. Sie hatte aber auch den
Charakter, den sie nach der Note S. 3 3 Ihrer Grundlegung zur
Metaph. d. Sitten haben mußte.
Ich schätze mich glückHch, an TREDE und BOIE zwei
Freunde zu besitzen, mit denen ich mich über Ihre Schriften bis-
weilen unterhalten kann.^)
Nun eine Beobachtung über synthetische und analytische
Sätze: nämlich solche Sätze, die sich umkehren lassen, werden
aus synthetischen zu analytischen und umgekehrt. Das Subjekt
im synthetischen Satze faßt zwei Begriffe in sich, deren Synthesis
die Bedingung des Prädikats ist; nach dem Umkehren vertreten
diese beiden BegriflFe die Stelle des Prädikats, und können als
einzelne Prädikate dienen in zweien Sätzen, weil die Synthesis
dem Prädikate nicht notwendig zukommt, außer in Definitionen,
^) Der Justizrat Ludwig Bendix Trade (17 39— 18 19) in Eutin;
Heinrich Christian Boie (1744— 1806), der bekannte Dichter, Heraus-
geber des Göttinger Musenalmanachs.
6i Von Christoph Friedrich Hellwag
wo das Definitum Subjekt ist. Wird ein analytischer Satz um-
gekehrt, dessen Prädikat nicht beide Begriffe, die zusammen-
gehören, enthält, so wird in dem Subjekte des umgekehrten
nunmehr synthetischen Satzes der fehlende Begriff durch einen
Beisatz bemerkt, wie durch x die unbekannte Größe in der
Buchstabenrechnung. Zum Beispiel: alle physische Körper sind
schwer ist ein synthetischer Satz: die Synthesis von physisch und
Kürper ist Bedingung des Prädikats: schwer; denn nicht alles
Physische ist schwer, ein Regenbogen ist physisch; nicht alle
Körper in der weitern Bedeutung sind schwer, der geometrische
Körper ist auch ein Körper. Durch Umkehrung ergeben sich
hieraus zwei von einander unabhängige analytische Sätze; alles
Schwere ist ein physischer Körper; nämlich alles Schwere ist
physisch; alles Schwere ist Körper. Kehrt man jeden Satz für
sich um, so bekömmt das Subjekt des umgekehrten nunmehr
synthetischen Satzes einen Zusatz: nämlich gewisse physische Dinge
sind schwer; gewisse Körper siad schwer. Ein anderes Beispiel:
alle Körper sind ausgedehnt, ist ein analytischer Satz; dazu ge-
hört noch einer: alle Körper haben drei Dimensionen; daraus
durch Umkehrung der vollständige synthetische Satz; alles Aus-
gedehnte mit drei Dimensionen ist Körper;, die Verbindung der
beiden Begriffe im Subjekte ist Bedingung des Prädikats; denn
nicht alles Ausgedehnte ist Körper; Flächen sind auch ausgedehnt;
nicht alle Größen von drei Dimensionen sind Körper; Kubik-
zahlen sind auch Größen von drei Dimensionen, wenn man den
Begriff der Dimension nicht auf ausgedehnte Größen einschränkt.
Wenn also in einem synthetischen Satze die synthetische Hinzu-
fügung des Prädikats zum Subjekte auf einer Verknüpfung von
Begriffen im Subjekte beruht, so darf ich hoffen, daß diese
meine Bemerkung Ihrer Erklärung vom synthetischen Satze ge-
mäß sei.
Noch eine Frage möchte ich gerne vornehmen, wenn ich
nicht beschwerlich falle. Wie geht es zu, daß ein bewegter
Körper seine Bewegung fortsetzt, wofern ihn nichts daran hindert,
und daß ein Körper dem, was seinen Bewegungszustand zu ver-
ändern strebt, widersteht? Ein Körper sei in einem abgesonderten
leeren Räume äußer aller Verbindung mit andern Körpern; er
werde nun durch einen andern ihm näher kommenden Körper,
der mit andern Körpern außer dem leeren Räume in gehöriger
Verbindung steht, fortgeschoben: ich kann mir den Erfolg nicht
Von Christoph Friedrich Hellwag 63
anders vorstellen, als der isolierte Körper werde dem forttreiben-
den Körper keinen mechanischen Widerstand leisten, und sobald
das Forttreiben aufhört, in Ruhe sein. Denn, was durch das
Fortschieben verändert wird, ist nicht der isolierte Körper, auch
nicht der leere Raum, sondern das Ganze, das der geschobene
Körper mit dem umgebenden Leeren ausmacht: nun ist aber
dieses Ganze nichts Reales, weil ein Teil desselben, das Leere,
nichts Reales ist. Jede Wirkung setzt aber etwas Reales voraus,
dem die Kraft zu wirken zugeschrieben wird, also findet bei dem
Mangel des Realen keine Wirkung statt, nämlich der Körper und
das umgebende Leere können miteinander keine Bewegung unter-
halten, und keiner bewegenden Ursache widerstehen. Wenn also
im freien Räume ein Körper seine Bewegung von selbst fort-
setzt, und ohne offenbare sinnliche Ursache dem, was seinen Be-
wegungszustand verändern will, widersteht, so ist etwas Reales,
mit dem er im Räume gemeinschaftlich beides bewirkt. Diese
ungenannte reale Ursache aller freien Bewegung und alles mecha-
nischen Widerstandes gegen bewegende Kräfte muß schlechter-
dings durch den Spielraum aller möglichen Bewegungen stetig
und gleichmäßig verbreitet, und jedem bewegten oder ruhenden
Punkte jedes realen stetigen Körpers gleich gegenwärtig sein.
Sie ist unbeweglich, weil sie keiner Bewegung bedarf, um auf
bewegliche Dinge zu wirken; sie ist für alle bewegliche Dinge
vollkommen durchdringlich, um allen Punkten derselben gegen-
wärtig zu sein; sie macht von den 4 Lehrsätzen der Mechanik
in Ihren metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft
S. 108. iid. 119. 121 den Hauptgrund aus, ihre Vorstellung
macht den mechanischen Begriff von der Quantität der Bewegung
möglich; sie tut bei aller unmittelbaren Einwirkung auf jeden
Punkt des Beweglichen, das heißt, bei ihrer Durchdringlichkeit,
der Quantität der Materie keinen Eintrag; ihre Wirkung wird
durch Ursachen außer ihr und außer dem bewegten Körper ver-
ändert; sie erhält den Körper in seinem Zustande der Ruhe oder
der Bewegung (in seinem Bewegungszustande) in derselben Rich-
tung, und mit derselben Geschwindigkeit, wenn er nicht durch
eine Ursache außer ihm und außer ihr genötigt wird, diesen Zu-
stand zu verlassen; sie ist es, die in aller Mitteilung der Bewegung
Wirkung und Gegenwirkung einander gleich macht. Diese Be-
trachtungen hatte ich für mich schon so weit vollendet, als mir
neuüch LAMBERTS Beiträge zum Gebrauche der Mathematik und
64 Von Christoph Friedrich Hellwag
deren Anwendung') in die Hände kamen, wo ich das unerwartete
Vergnügen hatte, einen neuern Philosophen zu finden, dessen
Spekulationen über die Trägheit der Körper mit meinen Gedanken
so sehr übereinstimmen. Die Hauptstelle darüber findet sich im
§ 121 der Abhandlung von den Gnindlchren des Gleichgewichts
und der Bewegung im zweiten Bande des angeführten Werks.
Ich will meinen langen Brief nicht mit Abschreibung dieser Stelle
weiter ausdehnen, da ich voraussetzen kann, daß Sie Gelegenheit
haben, das Buch selbst nachzulesen; ich führe nur an, daß mein
freier Raum bei LAMBERT von aller Materie, aber nicht von
immateriellen Substanzen leer ist; und meine ungenannte Ursache
der freien Bewegung und des Widerstandes freier Massen heißt
bei ihm ein Vehikulum zur Fortsetzung der Bewegung, welche
er durch eine fortgepflanzte Undulation erklärt, vermittelst welcher
die bewegte Materie fortgeführt wird. Der Widerstand erfodert
ihm ein Haften der Materie an dem Orte, wo sie ist; und
dieses Haften erklärt er sich auch durch sein sogenanntes Vehi-
kulum. Er läßt es § 125 unentschieden, ob dieses Vehikulum
nicht an verschiedenen Orten verschiedene Intensität habe. Außer
LAMBERT ist mir von neuern Philosophen keiner vorgekommen,
der diese Idee verfolgt hätte. In STURMs Physica electiva T. i")
werden hierüber verschiedene Meinungen zusammengestellt, und
am Ende, Seite 757, der Wille Gottes zur unmittelbaren Ursache
des Gesetzes der Bewegung und des Widerstandes freier Körper
angegeben. Auch MALEBRANCHE begnügt sich mit diesem
Prinzip in seinen Recherches de la Verit'e T. IL L. 6. C. p.
Hingegen BACO VON VERULAM, der Erweiterer der Natur-
wissenschaft seines Zeitalters, eifert über die unbefriedigende Ab-
fertigungen dieser Frage, besonders von ARISTOTELES und dessen
Schülern und Nachbetern: die Hauptstelle hievon steht in seinem
Werke Impetus philosophicij im Abschnitte cogitationes de nat rer.
VIII. de motu violento, S. 722 ff. Opp. omn. ed. Arnoldi 16^4.
Seine Erklärung — fit continua ^ tnteniiss'ima {licet minime visi-
hilis) partium trepidatio Ö' commotio — finde ich übrigens auch
nicht befriedigend. In ihren schätzbaren Schriften finde ich von
meiner gegenwärtigen Frage keine ausdrückliche Erörterung; Ihre
Vergleichung des PLATO mit einer Taube, die, um freier fliegen
») Teil 1 — 3, Berlin 176J— 72.
*) Chr. Sturm, Physica electiva sive hypothetica (1697).
Von Christoph Friedrich Hellwag 6^
zu können, den luftleeren Raum suchen möchte, (Krit. der r. V.
S. 9 d. 2. Ausg.) ließ es mich hoffen, sie noch zu entdecken.
Daß Sie mit MALEBRANCHE und STURM nicht einstimmen,
wußte ich gewiß, wenn Sie sich auch in der Krit. der r. V.
S. 8oi gegen das Prinzip der ratio ignava nicht erklärt hätten,
und vermuten darf ich vielleicht, daß Sie mein allgemeines reales
stetiges Medium, wodurch ich die Bewegung und den Wider-
stand freier Massen zu erklären suche, nicht verwerflich finden
werden. Sie wollen zwar die Benennung vis inertia abgeschafft
wissen (Anfgr. d. Nat. W. S. 132)^), aber ich habe mich der-
selben enthalten, weil ich ihrer vollkommen entbehren kann, und
ihr die Schuld beimesse, warum ich glaube, daß man den Gegen-
stand meiner Frage so stillschweigend übergeht; und Ihre ge-
rechten Vorwürfe gegen jenen Namen treffen, dünkt mich, meine
Erklärung nicht.
Wo ich nicht irre, unterhielt ich mich einst in Göttingen
mit dem Herrn Prof. KRAUSS über diese Materie. Ich nehme
hier gerne Gelegenheit, von diesem würdigen Manne, der ohne
Zweifel Ihr Freund ist, zu bezeugen, daß sein für Kopf und Herz
mir damals so interessanter Umgang, dessen ich zeitlebens mich
dankbar erinnern werde, manche noch lange nachher wohltätige
Eindrücke bei mir hinterlassen hat, und sein Andenken erregt oft
den Wunsch in mir, um ihn sein zu dürfen. Darf ich so frei
sein, und bitten meinen besten Gruß ihn wissen zu lassen? Er
wird Ihnen sagen, daß ich ein Württemberger bin. Ich kam im
Jahr 1782 nach Oldenburg bei Bremen zu dem jetzigen Fürst-
bischof zu Lübeck und Herzog zu Oldenburg, der damals Koad-
jutor war, als Leibarzt; ich heuratete daselbst im Jahre 1784;
und wurde im Jahr 1788 hieher nach Eutin versetzt, mit dem
Charakter als Hofrat und Leibarzt, indem nach Oldenburg der
berühmte Herr D. MARCARD als Leibarzt berufen wurde.
Diese Nachrichten können vielleicht meinen ehmaligen Freund
interessieren. Nun vergeben Sie mir meinen langen Brief; ich
würde mich unaussprechlich freuen, wenn Sie mich mit einer
auch noch so kurzen Antwort beehrten; aber ich bescheide mich
gerne, wenn es auch nicht geschieht, weil viel wichtigere Dinge
Anspruch auf Ihre Muße machen. Gott erhalte Ihr kostbares
') Siehe Mechanik, Lehrs. 4, Zus. 2, Anmerk.
Kants Schriften. Bd. >'.
66 Von Abraham Gotthelf Kastner
Leben und Gesundheit noch lange: dieses ist der lebhafteste red-
lichste Wunsch
Ihres
aufrichtigen Verehrers
Christoph Friederich Hellwag.
Med. & Philos. Dr.
252.
Von Abraham Gotthelf Kästner.
Wohlgeborner Herr y
Verehningswürdiger Herr
Es ist eine starke Prüfung in praktischer Philosophie, der Ew.
W. mich aussetzen: durch Ihre Zuschrift nicht stolz zu werden.
Ew. W. tiefe Einsichten und Scharfsinnigkeit zu kennen und
zu verehren habe ich schon in meinen Jüngern Jahren viel Ver-
anlassung gehabt. Bei Ew. W. spätem philosophischen Be-
mühungen habe ich bedauert, daß meine gegenwärtige Bestimmung
mir nicht gestattet hat davon den Nutzen, den ich wünschte, mir
zu verschaffen.
In der WOLFischen Philosophie, die ich in meiner Jugend
lernte, fand ich doch die Gewißheit nicht, die WOLF glaubte
erreicht zu haben, als ich mathematische Gewißheit kennen
lernte. Vielleicht ging ich damals in meiner Geringschätzung
zu weit.
Neuere philosophische Schriften, z. E. der Engländer, die als
große Beobachter gepriesen wurden, zu studieren, machte mir das
eben nicht Lust, daß ich in einigen, die ich las, eben nichts
fand, das mir unbekannt war, oder das ich nicht, wenn die
Kenntnis davon mir wichtig schien, aus dem was ich zu wissen
glaubte, herzuleiten unternommen hätte. So bin ich nach
und nach von dem eigentlichen Fleiße auf Philosophie ange-
wandt sehr abgekommen, und wage nicht darin etwas zu be-
urteilen.
So viel sah ich wohl, daß nach dem Verfall der WOLFischen
Philosophie eine aufstand, die, um gerade das Gegenteil von ihr
zu sein, im geringsten nicht systematisch sein wollte. Die
schlechten WOLFianer hießen System; Definitionen und Beweise
Von Abraham Gotthelf Kästner 6"/
auswendig gelernt zu haben, ohne sie recht zu verstehen, oder
prüfen zu können. Ihre Verächter nannten eklektisch philo-
sophieren Worte ohne Erklärung, ohne bestimmte BegrifFe brauchen,
Meinungen zusammentragen ohne zu untersuchen, ob sie zusammen
passen, und deklamieren, wo bewiesen werden soll.
LESSING war das letztemal auf seiner Rückreise aus der
Pfalz hier, und bei unserm Gespräche über die itzige Philo-
sophie äußerte er die Hoffnung, es müsse damit bald anders
werden, denn sie sei so seicht geworden, daß die Seichtigkeit
selbst bei Leuten, die nicht viel Nachdenken anwenden wollen,
sich doch nicht in Ansehen erhalten könne.
Ew. Wohlgeb. haben das große Verdienst, die Erkenntnis
dieser Seichtigkeit beschleunigt zu haben und die Philosophen
auf Anstrengung des Verstandes und zusammenhängendes Denken
wiederum zu führen. Werden Ihre Bemühungen mißverstanden,
so dächte ich, durch deutliche Erklärung und Bestimmung der
Wörter und Redensarten ließe sich solches heben. Es ist frei-
lich die Sitte der itzigen Schriftsteller, Wörter nachzubrauchen,
ohne recht zu wissen, was sie bedeuten, ein Fehler, über den
man sonst bei dem gemeinen Mann lachte, wenn er französische
Wörter mißhandelte, aber jetzo kann man ihn bei Gelehrten be-
lachen. Und da ist dann natürlich, daß Leute über Wörter
streiten, mit denen sie nicht die gehörigen BegrifFe, manchmal
gar keine verbinden. Ew. W. haben einmal, ich glaube in der
Berliner Monatsschrift, eine vortreffliche Erläuterung gegeben, was
orientieren heißt. Wollten Sie dergleichen mit mehrern
Modewörtern vornehmen, so würden Sie sich um den jetzigen
philosophischen Jargon viel Verdienst erwerben. Die Franzosen
haben längst ihrem Witze die Freiheit gelassen, ein auch längst
bekanntes Wort mit einem NebenbegrifFe zu brauchen, den
man aus der Art, wie es gebraucht wird, erraten soll, und viel-
leicht nicht ganz richtig errät. Braucht nun ein Deutscher das
Wort nach, natürlich in einem andern Zusammenhange als es zu-
erst gebraucht ward, so ist manchmal die Frage, was das Wort
bedeutet, eine unbestimmte Aufgabe. So haben die tierischen
Magnetisierer von desorganisieren, manipulieren . . . geschwatzt,
und jetzo ist Organisation, Manipulation bei den Statistikern ge-
wöhnlich, da ich nicht verstehe, was sie damit haben wollen.
Soviel sehe ich wohl, daß Frankreich durch die Manipulationen
der Nationalversammlung ziemlich desorganisiert ist.
^g An Christoph Friedrich Hellwag
Ew. Wohlgcb. stellen auch sehr oft den Philosophen das
Verfahren der Mathematikverst'ändigen zum Beispiele vor, und
werden mich also desto eher entschuldigen, wenn ich mich nur
auf dieses Verfahren, mit dem ich am bekanntesten bin, ein-
schränke; allenfalls manchmal die Philosophen frage, ob sie es
nicht auch so machen könnten? Daß es ganz angeht, glaube
ich nicht, weil die philosophischen Begriffe nicht so leicht
gestatten, dem Verstände durch sinnliche Bilder zu Hülfe zu
kommen.
Zu der Aufstellung der Metaphysik im Zusammenhange, wünsche
Ew. W. Leben und Gesundheit, und hoffe die Ausführung zum
Vorteile der Wissenschaft.
In einer Zeit, da die Philosophie Geschwätz geworden war,
überhaupt alle Anstrengung des Verstandes vermieden ward, und
die Gelehrten durch Schriften berühmt wurden, die man bei
einer Pfeife Tabak verfertigen, lesen, und auch verbrauchen kann,
gelang es Ew. W. auf tiefsinnige philosophische Untersuchungen
Aufmerksamkeit zu erregen, und sie zu einer häufigen Beschäftigung
von Schriftstellern zu machen. Das ist sicher ein Umstand, der
Ew. W. besonders auszeichnet, und Sie in der Geschichte der
Wissenschaften unvergeßlich machen wird.
Ich verharre mit vollkommenster Hochachtung
Ew. Wohlgeb.
gehorsamster Diener
Göttingen, 20. Dczbr. 1790. A. G. Kästner.
153-
An Christoph Friedrich Heliwag.
Wohlgeborner
Hochzuverehrender Herr.
Der Ew. Wohlgeb. Gegenwärtiges zu überreichen die Ehre
hat, Herr NICOLOVIUS, mein ehemaliger Zuhörer und sehr
wohldenkender junger Mann, erbittet sich für die kurze Zeit
seines Aufenthalts in Eutin einige Bekanntschaft mit dem schätz-
baren Zirkel Ihrer Freunde, dergleichen man in großen Städten
oft vergeblich zusammen zu bringen sucht und der für Kopf
und Herr doch so wohltätig ist. Seine Bescheidenheit wird
An Christoph Friedrich Helluoag dp
CS verhüten, daß dieses sein Gesuch Ihnen nicht zur Beschwerde
gereiche.^)
Die scharfsinnige Bemerkungen, womit Sie Ihren angenehmen
Brief angefUllet haben, werden mir noch manche Unterhaltung
verschaffen. Für jetzt, da ich noch nicht die Zeit habe gewinnen
können, denselben anhaltend nachzudenken, muß ich bitten mit
meinem noch unreifen Urteile hierüber zufrieden zu sein.
Was erstlich die Analogie zwischen Farben und Tönen betrifft,
so bringen Sie freilich die Aufgabe über ihr Verhältnis zum Ge-
schmacksurteile (welches nicht ein bloßes Sinnenurteil des Ange-
nehmen und Unangenehmen sein soll) der Entscheidung näher;
wobei mir Ihre Stufenleiter der Vokalen, als der einzigen Laute,
die für sich selbst einen Ton bei sich führen können, wenn sie
weiter verfolgt vvmrde, von Erheblichkeit zu sein dünkt; weil
niemand Musik denken kann, die er nicht zugleich, so ungeschickt
es auch sei, mit zu singen vermag; wobei denn zugleich der
Unterschied zwischen dem Farben- und Tonspiele, von denen
das erstere kein solches produktives Vermögen der Einbildungs-
kraft voraussetzt, klar einleuchtet. Allein ich habe mich jetzt
zu sehr in andere Materien hinein gedacht, als daß ich vor der
Hand mich in die gegenwärtige Untersuchung gehörig versetzen
könnte. Nur muß ich anmerken; daß, wenn ich in der Krit.
d. UKr. von Personen redete, die bei dem besten Gehör doch
nicht Töne unterscheiden konnten, ich dadurch nicht sagen wollte,
daß sie nicht einen Ton vom anderen, sondern schlechterdings
nicht den Ton vom bloßen Schalle zu unterscheiden imstande
waren; wobei mir mein vor 4 Jahren verstorbener bester Freund,
der engl. Kaufmann Herr GREEN, in Gedanken war, an welchem
seine Eltern in seiner Kindheit diesen Fehler bemerkten, ihn da-
her auch das Klavier nach Noten spielen lernen ließen, der aber
weder da- noch nachmals es dahin gebracht hat, daß, wenn im
anderer nun auf dem Klavier ein ganz anderes Stück spielete oder
sang, er den mindesten Unterschied dazwischen hätte bemerken
^) Georg Heinrich Ludwig Nicolovius^ geb. 1767 in Königsberg,
gesr. 1839; vgl. über ihn „Denkschrift auf G, H. L. N." von Alfred
Nicolovius, Bonn 1841. N. ging im Januar 1791 auf Einladung des
Grafen Friedrich Leopold von Stolberg nach Eutin und begleitete ihn
später auf seiner bekannten Reise durch Deutschland, die Schweiz und
Italien.
7© An Christoph Friedrich Hellwag
können, so daß ihm Töne ein bloßes Geräusch waren, so wie
ich von einer Familie in England irgendwo gelesen habe, daß es
darin Personen gegeben habe, die in der ganzen Natur nichts als
Licht und Schatten antrafen und bei den gesundesten Augen alle
Gegenstände nur wie in einem Kupferstiche sahen. Merkwürdig
war es bei meinem Freunde GREEN, daß dieses Unvermögen
sich auch auf die Poesie erstreckte, deren Unterschied von der
Prose er niemals woran anderes als, daß die erstere eine ge-
zwunge[ne] und geschrobene Silbenstellung sei, erkennen konnte ^
daher er des POPE Essays ort Man wohl gerne las, es aber un-
angenehm fand, daß sie in Versen geschrieben waren.
Ihren Betrachtungen über das, was aus dem Unterschiede der
synthetischen und analytischen Sätze für die Logik, nämlich in
Ansehung der Inversionen folgt, werde ich gelegentlich nach
gehen. Für die Metaphysik, die nicht so wohl auf das sieht,
was in Ansehung der Stellung der Begriffe in einem Urteile, mit-
hin aus der bloßen Form folgt, als vielmehr ob durch eine ge-
wisse Art zu urteilen den gegebenen Begriffen etwas (der Materie
nach) zuwachse oder nicht, gehörte jene Untersuchung eben
nicht.
Was aber die Frage betrifft: welcher Grund sich wohl von
dem Gesetze der Abhängigkeit der Materie in Ansehung aller
ihrer Veränderungen von einer äußeren Ursache, imgleichen von
der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung in dieser
Veränderung durch äußere Ursache geben lasse, so hätte ich frei-
lich wohl in meinen Met. Anf. Gr. d. N. W. auch den allge-
meinen transszendentalen Grund der Möglichkeit solcher Gesetze
a priori angeben können, der etwa mit folgendem in der Kürze
vorgestellt werden kann.
Alle unsere BegriflFe von Materie enthalten nichts als bloß
Vorstellungen von äußeren Verhältnissen (wie dann der Raum
auch nichts anders vorstellig macht); das aber, was wir im Räume
als existierend setzen, bedeutet nichts weiter, als ein Etwas über-
haupt, woran wir uns auch keine andre Prädikate, als die eines
äußeren Verhältnisses vorstellen müssen, so fern wir es als bloße
Materie betrachten, mithin nichts, was schlechterdings inner-
lich ist (Vorstellungskraft, Gefühl, Begierde). Hieraus folgt:
daß, da alle Veränderung eine Ursache voraussetzt und eine
schlechthin innerliche Ursache der Veränderung äußerer Verhält-
nisse (kein Leben) in der bloßen Materie nicht gedacht werden
An Christoph Friedrich Hellwag 71
muß, die Ursache aller Veränderung (aus der Ruhe in Bewegung
und umgekehrt, zusamt den Bestimmungen der letzteren) in der
Materie außerhalb liegen müsse, mithin ohne eine solche keine
Veränderung stattfinden könne; woraus folgt, daß kein besonderes
positives Prinzip der Beharrlichkeit der Bewegung, in der ein
Körper einmal ist, erforderlich sei, sondern bloß das negative,
daß keine Ursache der Veränderung da ist. — Was das zweite
Gesetz betrifft, so gründet es sich auf dem Verhältnisse der
wirkenden Kräfte im Räume überhaupt, welches Verhältnis
notwendig wechselseitig einander entgegengesetzt und jederzeit
gleich sein muß (actio est aequalis reaction'i), weil der Raum keine
einseitige, sondern jederzeit wechselseitige Verhältnisse, mithin
auch die Veränderung derselben d. i. die Bewegung und die
Wirkung der Körper auf einander sie hervorzubringen lauter
wechselseitige und gleiche einander entgegengesetzte Bewegungen
möglich macht. Ich kann mir keine Linien von dem Körper A
zu allen Punkten des Körpers B gezogen denken, ohne auch um-
gekehrt ebensoviel gleiche Linien von Körper A zu B zu ziehen
und die Veränderung dieses Verhältnisses eines Körpers (B) durch
den Stoß des andern (A) zu diesem als wechselseitig und gleich
zu denken. Es bedarf hier also ebensowenig einer positiven be-
sonderen Ursache der Gegenwirkung des Körpers, in den gewirkt
wird, als beim obigen Gesetze der Trägheit; im Räume und der
Eigenschaft desselben, daß in ihm die Verhältnisse wechselseitig
-entgegengesetzt imd zugleich sind (welches beim Verhältnisse
successiver Zustände in der Zeit nicht der Fall ist) liegt der
alleinige hinreichende Grund dieser Gesetze. Übrigens werde
ich LAMBERTS Meinung über diesen Punkt in seinen Beiträgen
nachsehen.
Ew. Wohlgeb. freundschaftliche Erinnerung an Herrn Prof.
KRAUS ist an diesen würdigen Maim, der eine Zierde imserer
Universität ist, wohl bestellet worden. Die Weitläufigkeit unseres
Orts vermindert gar sehr die Vereinigung des Umgangs auch bei
den freundschaftlichsten Gesinnungen, daher ich den Gegengruß
desselben jetzt noch nicht melden kann.
An den Zirkel Ihrer vortrefi^lichen Freunde Herrn J. R. TREDE,
Herrn H. R. VOSS und beide Herrn BOIE bitte mich zu
empfehlen. Was Sie mir von dem jüngeren der letzteren ge-
meldet haben, ist mir überaus angenehm gewesen. Eine solche
Methode zu predigen wird aber nicht eher allgemein werden, als
72 Von jfakob Sigismund Beck
bis die Rechtschaffenheit der Gesinnungen bei Lehrern (die
nicht damit zufrieden ist, daß gute Handlungen, gleich gut aus
welchen Gründen, ausgeübt werden: sondern auf die Reinigkeit
des Bewegungsgrundes alles anlegt) gleichfalls allgemein wird. —
Übrigens wünsche ich Zufriedenheit des häuslichen, Vergnügen im
geselligen und gutes Gelingen in Ihrem geschäftigen Leben noch
lange Jahre und bin mit vollkommener Hochachtung
Ew. Wohlgeb.
ganz ergebenster Diener
L Kant.
Königsberg, d. 3. Januar 17 91.
254.
Von Jakob Sigismund Beck.
Wohlgeborner Herr,
Hochzuehrender Herr Professor!
Erlauben Sie, daß ich Ihnen ein Exemplar meiner Disser-
tation schicken darf. Dieses geschieht nicht, weil ich ihr einen
Wert beilege; sondern weil ich wünsche, daß Sie sich an mich
eines ihrer Wahrheit liebenden Schüler erinnern wollen. Mein
eigenes Bewußtsein überfuhrt mich, daß es auch solche Menschen
gibt, die viel Gefühl für Wahrheit haben und die mit wahrer
Wärme andern ihre Einsichten mitteilen mögen, die aber doch
nur Pfuscher sind, wenn sie Schriftsteller sein wollen. Dieses
letzte in meiner Rücksicht beweist meine Ihnen mitgeteilte Schrift.
Ich habe nunmehr die Lizenz zu lesen. Da ich die Freundschaft
des KLÜGELs') besitze, so zweifele ich nicht Zuhörer zu meinen
mathematischen Kollegien zu erhalten, und bin herzlich froh, daß
ich jetzt auf einer Laufbahn bin, zu der ich glaube bestimmt zu
sein. Bekomme ich Zuhörer zu philosophischen Vorlesungen, so
werde ich im stillen die Überzeugung zu verbreiten suchen, die
Ihr mündlicher und schrifthcher Unterricht in mir bewirkt hat.
Ich bin mit einer herzlichen Hochachtung ganz
Halle, der Ihrige
d. 19. April 1791. Beck.
0 Über Klügel s. Bd. IX, S. 439.
An Jakoh Sigtsmund Beck 7j
An Jakob Sigismund Beck.
Hochedelgeborner Herr Magister
Sehr wertgeschätzter Freund
Die Nachricht, die Sie mir von dem Antritt Ihrer neuen
Laufbahn, nämlich der eines akademischen Lehrers, geben, ist mir,
zusamt dem Geschenk Ihrer, die dazu erforderliche große Ge-
schicklichkeit hinreichend beweisenden Dissertation, sehr angenehm
gewesen; zugleich aber hat sie mich auch an eine Unter-
lassungssünde erinnert, die, wie ich hoffe, doch wieder gut ge-
macht werden kann.
Ich hatte Sie nämlich, als Sie das erstemal in Halle waren,
an den Kanzler Herrn von HOFFMANN, mit welchem ich zu-
fälligerweise in Korrespondenz kam, nach Möglichkeit empfohlen;
erfuhr aber nachher, daß Sie Ihr damaliges Vorhaben der Pro-
motion noch aufgeschoben hätten und nach Preußen auf ein Jahr
zurückgegangen wären. Als ich nachdem hörete, daß Sie sich
zum zweiten Male in Halle befänden, so schrieb ich abermal an
den Herren v. HOFFMANN, um, was in seinem Vermögen wäre,
zur Beförderung Ihres akademischen Fortkommens beizutragen.
Dieser hochschätzungs- würdige Mann schrieb mir darauf: „Herrn
Mag. BECK habe ich kennen lernen, als ich von meiner
Schweizerreise zurück kam; ihm nützlich zu sein, soll
mir Wonne werden". Er setzte hinzu; daß, ob er zwar seine
wiederholentlich gebetene Dimission von der Kanzlerstelle erhalten
und sein Wort also, weder bei der Universität Halle (von der
er sagt, daß das Interesse derselben ihm jederzeit ins Herz ge-
prägt bleibe und er stets bemüht sein werde, ihr nützlich zu sein)
noch beim Oberschulcollegio viel Nachdruck haben könne, er
sich doch für einen verdienten Mann verwenden wolle.
Nun wäre es notwendig gewesen, Ihnen hievon Nachricht zu
geben, damit Sie gelegentlich selbst an Herrn v. HOFFMANN
(Geheimen Rat) schreiben und etwas, was Ihnen nützlich sein
könnte, vorschlagen möchten. Allein, gleich als ob ich voraus-
setzte, daß Sie das von selbst tun würden, oder ob ich mir es
vorsetzte Ihnen jenes zu melden und es hernach vergessen habe,
so habe ich es Ihnen zu melden unterlassen.
74 ^w Jakoh S'tgismund Beck
Meine Meinung war nämlich: daß, da die Subsistenz, die auf
bloßer Lesung von Kollegien beruht, immer sehr mißlich ist, Sie
gleich anderen Lehrern Ihres Orts eine Stelle beim Pädagogio
und was dem ähnlich ist suchen möchten, die Ihnen Ihre Be-
dürfnis sicher verschaffte, wozu die Verwendung des Herrn Ge-
heimen Rat \. HOFFMANN wohl beitragen könnte. — Ist es
nun dieses, oder etwas anderes dem Ahnliches, dazu dieser würdige
Mann Ihnen behülflich werden kann, so wenden Sie sich getrost
an ihn, indem Sie sich auf mich berufen.
Aus den Ihrer Dissertation angehängten thesibus sehe ich, daß
Sie meine Begriffe weit richtiger aufgefaßt haben, als viele
andere, die mir sonst Beifall geben. Vermutlich würde bei der
Bestimmtheit und Klarheit, die Sie als Mathematiker auch im
metaphysischen Felde ihrem Vortrage geben können, die Kritik
Ihnen Stoff zu einem Collegio geben, welches zahlreicher be-
sucht würde, als es gemeiniglich mit den mathematischen, leider!
2U geschehen pflegt. — Herrn Prof. JACOB bitte meine Empfeh-
lung zu machen, mit Abstattung meines Danks für seine mir im
vorigen Jahr zugeschickte Preisschrift. Den damit verbundenen
Brief habe, leider! noch nicht beantwortet. Ich hoffe es näch-
stens zu tun und bitte, der wackere junge Mann wolle hierin
dem 68. Lebensjahre, als in welches ich im vorigen Monat ge-
treten bin, etwas nachsehen. Kürzlich vernahm ich von Herrn
D. und Stabsmedikus CONRADI (einem herzhchen Freunde des
Herrn Prof. JACOB) daß er eine Vokation auf die Universität
Gießen bekommen habe; woran ich jetzt zu zweifeln anfange. —
Wenn Sie einige Zeit übrig haben, so geben Sie mir, so wohl
was die obige Angelegenheit betrifft, als auch sonst von literari-
schen Neuigkeiten gütige Nachricht; aber wohl zu verstehen, daß
Sie Ihren Brief nicht frankieren, welches ich für Beleidigung auf-
nehmen würde.
GelegentUch bitte meine Hochachtung an Herrn Prof. KLÜGEL
zu versichern und übrigens versichert zu sein, daß ich mit Hoch-
achtung und Freundschaft jederzeit sei
Ew. Hochedelgeb.
ergebenster Diener
Königsberg, d. 9. Mai 1791. L Kant.
Von Jakoh Sigismund Beck y^
Von Jakob Sigismund Beck.
Mein teuerster Lehrer!
Die freundschaftliclien Gesinnungen, die Sie in Ihrem Briefe
gegen mich äußern, stärken mein Gemüt, das leider! manchmal
wegen Zweifel an eignen Kräften und Tauglichkeit niedergeschlagen
ist. Ich danke Ihnen herzlich dafür und auch für die Erlaubnis
wieder an Sie schreiben zu dürfen. Beim Herrn Geheimen Rat
V. HOFMANN bin ich gewesen und habe ihm für seine Geneigt-
heit gegen mich, die er in seinem Briefe an Sie hat blicken lassen,
gedankt. Er begegnete mir sehr gütig und ich kann wohl glauben,
daß er mir nützen werde, wenn er Gelegenheit dazu haben wird.
Sonst genösse ich hier wirklich einen Vorteil und zwar durch
die Fürsorge des Herrn Professor JAKOB, der, sobald ich nach
Halle kam, mich dem Schulkollegium des hiesigen Gymnasiums
so sehr dringend empfahl, daß es mich bei diesem Gymnasium,
bei dem er selbst so lange Schulkollege gewesen, zum Kollabo-
rator wählte. Dieser Vorteil beträgt etwa 90 oder 100 Taler
und ist überdem mit der ziemlich sichern Hoffnung verknüpft,
Schulkollege zu werden, wenn eine Vakanz vorfällt. Herr Pro-
fessor JAKOB ist jetzt von der Schule abgegangen; allein ein -
anderer als ich, der ein älteres Recht dazu hatte, ist an seiner
Stelle Lehrer geworden. Seit vorigen Montag sind hier die
Collegia angegangen. Ich lese die reine Mathematik nach
KLÜGELS Lehrbuch und habe etwa acht Zuhörer, die aber
wahrscheinlich mir nichts bezahlen werden. Auch habe ich
heute ein PubUkum zu lesen angefangen, nämlich die mathe-
matische Geographie, worin freilich eine ganze Menge Studenten
waren, die sich aber, weil es Vorkenntnisse verlangt, wahrschein-
lich bis auf wenige verlieren werden. Zur philosophischen Vor-
lesung hat sich niemand bei mir gemeldet. Ich bin dieses
schlechten Anfangs wegen aber gar nicht mutlos. Denn ich
meine es ehrUch und glaube, daß man die Absicht zu nutzen
mir anmerken werde. Schelten Sie aber doch nicht, daß ich
Sie von meinen Umständen so lange unterhalte.
Auch von literarischen Dingen haben Sie mir erlaubt Ihnen
zu schreiben. Verehrungswürdiger Mann! Sie lieben die Sprache
der Aufrichtigkeit, und verstatten es mir Ihnen herzlich zu beichten.
7Ö f^on fakoh Szgismunä Beck
was mir auf dem Herzen liegt. Die Kritik habe icli gefaßt. Es
war mir Herzenssache sie zu studieren, und nicht Sache des Eigen-
nutzes. Ich habe Ihre Philosophie liebgewonnen, weil sie mich
überzeugt. Aber unter den lauten Freunden derselben kenne ich
keinen einzigen, der mir gefällt. Soviel ich spüren kann, ist es
eitel Gewinnsucht, welche die Leute belebt, und das ist un-
moralisch und schmeckt wahrlich nicht nach Ihrer praktischen
Philosophie. Herr Professor REINHOLD will durchaus alle
Aufmerksamkeit an sich ziehen. Aber so viel ich auch auf-
gemerkt habe, so verstehe ich doch kein Wort und sehe nichts
ein von seiner Theorie des Vorstellungsvermögcns. Dem Pro-
fessor JAKOB bin ich gut, bis auf seine Büchermacherei. Er ist
wirküch ein Mann von guter Denkungsart. Aber er hat kritische
Versuche seinem HUME angehängt, welche ein schlechtes Contrc-
fait dazu sind. Er will hin und wieder Mathematiker darin
scheinen, und da er es doch nicht ist, so begeht er außerordent-
liche Absurditäten. Im verlaufenen Winter halben Jahre hat er
die Logik und Metaphysik, eine empirische Psychologie und einen
moralischen Beweis des Daseins Gottes geschrieben. Auf die Art
verdirbt man viel. Denn statt dem Publikum bei einer der
Menschheit interessanten Angelegenheit behilflich zu sein, bringt
man dem denkenden Teil desselben Verdacht gegen die gute
Sachp bei.*) Sonst ist JAKOB gewiß ein guter Mann, den ich
aber noch weit mehr lieben würde, wenn Philosophie ihm mehr
Herzenssache als Vorteilssache wäre. Ich halte mich ledigHch an
die Kritik und lese nichts mehr was von Gegnern oder Freunden
derselben geschrieben ist.
Herr KIESEWETTER hat an JAKOB geschrieben, daß die
Ostermesse Ihre Moral herauskommen würde. Auf diese bin
ich begierig. Denn es schweben mir in diesem Felde noch manche
Dunkelheiten vor, die eine Moral von Ihnen aufhellen wird.
Daß Herr Professer JAKOB jetzt hier Professor Ordinarius ge-
worden, werden Sie aus seinem Briefe an Sie wahrscheinlich schon
erfahren haben. Die Gießener haben dem Magister SCHMIDT
die Vokation angetragen. Er hat sie aber, wie mir JAKOB sagt.
*) Über Jakobs Hume s. S. 3 1 ; vgl. ferner Grundriß der allgem.
Logik und kritische Anfangsgründe der Metaphysik, 2. umgearb. Aufl.,
Halle 1791 ; Grundriß der Erfahrungsseelenlehre, Halle 1791 ; Über
den moralischen Beweis für das Dasein Gottes, Libau 1791-
yon jfohann Gottfried Kiesewetter jj
ausgeschlagen, weil er in Jena eine Predigerstelle und sonst gute
Aussichten hat.
Sie verlangten, daß ich unfrankiert an Sie schreiben sollte.
Dann aber nehmen Sie es mir auch wohl nicht übel, daß ich
einen Brief an Herrn Professor KRAUS einlege.
Herr Professor KLÜGEL empfiehlt sich Ihnen. Er sagt, die
Ursache, warum Sie von Freunden und Gegnern nicht verstanden
werden, ist, weil diese nicht Mathematiker sind.
Ich bin mit der lautersten Hochachtung
Halle, der Ihrige
den I.Juni 1791. Beck.
257.
Von Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Berlin, den 14. Juni 179 1.
Teuerster Herr Professor,
Ich mache mir selbst die bittersten Vorwürfe, daß ich in so
langer Zeit nicht an Sie geschrieben habe, und dies um so mehr,
da ich fürchten muß, daß Sie böse auf mich sind ; aber ich tröste
mich dadurch, daß ich es von Ihrer Güte dreist erwarten kann, daß
Sie mir vergeben werden, wenn ich Ihnen sage, daß mein Still-
schweigen nicht aus Verminderung meiner Achtung und Liebe
fiir Sie entsprungen ist. Es ist gewiß niemand in der Welt, der
eine reinere und größere Liebe für Sie fühlt, wie ich, aber es
ist gewiß auch niemand, der Ihnen so viel verdankt, als ich Ihnen
verdanke.
Herr NICOLOVIUS, der es gütigst übernommen hat, Ihnen
diesen Brief zu überbringen, wird Ihnen zugleich ein Exemplar
der reinen allgemeinen Logik überreichen, die in dieser Messe
von mir erschienen ist, und die ich Ihnen zugeeignet habe.^)
Erschrecken Sie nur nicht über die Stärke des Werks, Sie erhalten
ein Exemplar auf starkem Papier und das vergrößert das Volumen
gewaltig. Ich habe aus der Logik alles Fremdartige abzuscheiden
^) Grundriß einer reinen allgemeinen Logik nach Kantischen Grund-
sätzen, Berlin 1791.
78 Voti Johann Gottfried Kiesewettet
gesucht und die Sätze derselben, wie ich wenigstens glaube, in
eine strenge systematische Ordnung gebracht. Dadurch ist nun
freilich die Wissenschaft selbst sehr zusammengeschrumpft (denn
das Kompendium ist, wie Sie sehen werden, nur sechs Bogen
stark), aber ich glaube, daiS nur allein durch eine solche Scheidung
für die Wissenschaft selbst etwas gewonnen werden kann. Daß
trotz aller angewandten Mühe noch immer vieles Mangelhafte an
diesem Werke sich finden muß, bin ich überzeugt, und ich er-
suche Sie daher recht sehr, wenn es Ihnen die Zeit erlaubt, die
Schrift durchzulesen und mir Ihre Bemerkungen darüber gütigst
mitzuteilen. — Eine Sache hat mir viel Freude gemacht; Herr
Professor CÄSAR in Leipzig, der dort die kritische Philosophie
vorträgt, wird über mem Kompendium Logik vortragen.
In Ansehung meiner Lage ist keine Veränderung vorgegangen.
Für den Sommer habe ich Moral und eine Einleitung in die
Ästhetik angekündigt; ob eins von beiden Kollegien zustande
kommen wird, weiß ich noch nicht; auch werde ich nach
WÖLLNERS Willen Logik unentgeltlich lesen.
Daß Ihre Moral diese Messe nicht erschienen ist, hat viel
Aufsehen gemacht, weil man sie sicher erwartete. Man erzählte
hier allgemein (die Sache ist freilich nur Erdichtung und kann
nur Erdichtung sein), der neue O. C. R. WOLTERSDORF habe
es beim Könige dahinzubringen gewußt, daß man Ihnen das
fernere Schreiben untersagt habe, und ich bin selbst bei Hofe
dieser Erzählung halber befragt worden. — Mit WOLLNER habe
ich neulich gesprochen, er machte mich durch Lobeserhebungen
schamrot und stellte sich, als wäre er mir sehr gewogen, aber
ich traue ihm gar nicht. Man ist jetzt beinahe überzeugt, daß
er selbst als Instrument von andren gebraucht wird, die ihn
zwingen, Dinge zu tun, die er sonst nicht tun würde.
Dem Könige ist der Herr Jesus schon einigemal erschienen,
und man sagt, er werde ihm in Potsdam eine eigene Kirche
bauen lassen. Schwach ist er jetzt an Leib und Seele, er sitzt
ganze Stunden und weint. Die DEHNHOF ist in Ungnade ge-
fallen und zu ihrer Schwägerin gereist, allein der König hat schon
wieder an sie geschrieben und sie wird wahrscheinlich bald zu-
rückkommen. Die RIETZ ist noch nicht ohne allen Einfluß.
BISCHOFSWERDER, WÖLLNER und RIETZ sind diejenigen,
die den König tyrannisieren. Man erwartet ein neues Religions-
edikt und der Pöbel murrt, daß man ihn zwingen will, in die
Von jfohann Gottfried Kiesewetter 79
Kirche und zum Abendmahl zu gehen; er fühlt hierbei zum ersten
Male, daß es Dinge gibt, die kein Fürst gebieten kann, und man
hat sich zu hüten, daß der Funke nicht zündet. Die Soldaten
sind ebenfalls sehr unzufrieden. Im vergangenen Jahre haben sie
keine neue Kleidung erhalten, denn die RIETZ erhielt das Geld,
um nach Pyrmont zu gehen; ferner erhielten sie vom verstorbenen
Könige gleich nach jeder Revue 3 gl. als ein don gratuit, jetzt
haben sie nur 8 Pf. erhalten.
Wir bauen hier Modelle zu schwimmenden Batterien, setzen
alles in marschfertigen Stand, allein ganz sicher wird man auch
diesmal bloß mit unserer Schatzkammer Krieg führen. Der tür-
kische Gesandte, einer der unbedeutendsten Menschen, den ich
je gesehen habe, ist immer noch hier, zu seiner und aller Ennuye.
Man spricht viel von einer Vermählung des HERZOGS VON YORK
mit der Prinzessin FRIEDERIKE, allein die Nebenumstände, die
man miterzählt, machen die Sache unwahrscheinlich; man sagt
nämlich, der König wolle zwei Millionen zur Tilgung seiner
Schulden geben, und ihr überdies jähdich 100 000 Rhtlr. aus-
zahlen lassen, da doch nach den Gesetzen jede Prinzessin nur
100 000 Rhtlr. überhaupt zur Mitgift erhält. —
Aber was habe ich Ihnen doch alles vorgeschwatzt, Dinge,
die Sie entweder zu wissen nicht begierig sind, oder die Sie
schon wissen; aber nur die Mutmaßung, daß Sie dies interessieren
könnte, hat mich vermocht, Ihnen dies zu schreiben.
Literarische Neuigkeiten weiß ich nicht, wenigstens keine
solche, die Ihnen nicht durch die gelehrten Zeitungen bekannt
sein sollten. SNELL hat eine Erläuterung Ihrer Kritik der ästheti-
schen Urteilskraft geliefert, die meines Erachtens vortrefflich ist.
SPATZIER hat einen Auszug aus der Kritik der teleologischen
Urteilskraft gehefert, die aber bei weitem nicht so gut ge-
raten ist. ^)
Und nun, teuerster Herr Professor, leben Sie recht wohl und
glücklich. Unendlich würde ich mich freuen, wenn Sie mir
Nachricht von Ihrem Befinden erteilten. Herrn Dr. JACHMANN
^) F. W. D. Snell, Darstellung und Erläuterung der Kant. Kritik
der Urteilskraft, 2 Th., Gießen und Mannheim 1791 f.; Spazier, Ver-
such einer kurzen und faßlichen Darstellung der teleolog. Prinzipien.
Ein Auszug aus Kants Kritik der teleologischen Urteilskraft, Neuwied
1791-
8o Von jfohann Gottfried Kiesewetter
und seinem Bruder machen Sie recht viel Empfehlungen von mir.
— Ich umarme Sie in Gedanken und bin
Ihr
Sie innig liebender Freund und Diener
J. G. C. Kiesewetter.
258.
Von Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Berhn, den 3. Juli 1791.
Teuerster Herr Professor,
Herr LA GARDE hat mir die unangenehme Nachricht hinter-
bracht, daß Sie, wie ihm Herr D. BIESTER erzählt, auf ihn und
mich sehr ungehalten sind, daß ich diese Messe in seinem Ver-
lage ein Lehrbuch einer reinen allgemeinen Logik nach Ihren
Grundsätzen herausgegeben habe, und ich versichre Sie, daß diese
Nachricht mich ganz erschüttert hat. — Ein Mann, den ich so
aufrichtig verehre und liebe, ist mit meinem Betragen nicht zu-
frieden, ist sogar ungehalten auf mich — Sie können glauben,
daß mich das schmerzen mußte. Allein ich bin mir keines Ver-
gehens bfc,vußt, und je länger ich über die Sache nachdenke,
desto mehr leuchtet es mir ein, daß hier ein bloßes Mißverständnis,
welches ich freilich trotz alles Nachdenkens nicht herausbringen kann,
zum Grunde liegen muß. Erlauben Sie daher, daß ich Ihnen
die ganze Sache vortrage, Sie als ein so billig denkender Mann
werden sodann gewiß finden, daß mich auch nicht einmal der
Schein eines Vergehens treffen kann.
Schon, als ich noch in Halle war, faßte ich den Entschluß,
den Versuch zu machen, nach Ihrer Angabe eine reine allgemeine
Logik zu schreiben und ich arbeitete auch schon damals über
mehrere einzelne Gegenstände derselben etwas aus. Diese wenigen
Blätter brachte ich nach Königsberg mit. Ich erzählte Ihnen, daß
ich in Berlin Vorlesungen über Logik zu halten gesonnen sei
und daß ich zu diesem Behuf in der Folge einige Bogen drucken
lassen wollte; fragte Sie eben damals, was für ein Lehrbuch Sie
wohl unterdessen für das Beste hielten, und Sie gaben mir (dies
steht alles noch lebhaft in meinem Gedächtnis) zur Antwort, daß
Sie, wie ich wüßte, Logik nach MAIER läsen, daß Sie aber mit
Von jfohann Christian Kiesewetter 8i
diesem Lehrbuch nicht zufrieden wären. Ich arbeitete noch in
Königsberg den größten Teil der Hefte zu diesen logischen Vor-
lesungen aus, las Ihnen mehremal Stücke derselben zur Beurteilung
vor, und Sie \varen so gütig, sich mit mir darüber zu unterhalten
und meine Vorstellungen zu berichtigen, dies war zum Beispiel
der Fall bei der Einteilung der Begriffe nach den Tafeln der
Kategorien, bei der Einteilung der Schlüsse in Verstandesschlüsse,
in Schlüsse der Urteilskraft und der Vernunft usw., ja Sie waren
so gütig, mir Materialien zu einer Einleitung in die Logik zu
diktieren. — Ich ging nach Berlin und las zweimal Logik nach
meinen Heften; aber meine Zuhörer w^ollten einen Leitfaden
haben, und ob ich ihnen gleich das Lehrbuch des Herrn Professor
JAKOB dazu vorschlug und von diesem auch mehrere Exemplare
von Halle kommen ließ, so waren sie doch nicht damit zufrieden,
weil sein Gang und der raeinige verschieden waren und lagen
mich an, meine Hefte drucken zu lassen. Ich sprach vorläufig
deshalb mit Herrn LA GARDE, ohne doch etwas Gewisses fest-
zusetzen und daher kam es, daß mein Buch vergangene Michaelis-
messe nicht unter die zukünftigen Bücher angekündigt wurde.
Als ich vergangene Michaelis nach Königsberg kam, um Sie zu
besuchen, nahm ich meine Hefte mit, und legte Ihnen noch über
mehrere Gegenstände, die ich bei der Ausarbeitung mir nicht
ganz hatte entwickeln können, Fragen vor, die Sie mir gütigst
beantworteten. — Konnte ich also nicht mit Wahrheit sagen,
daß ich Ihnen einen großen Teil der Materialien zu dieser Schrift
verdanke, daß Sic einen Teil dieser Arbeiten kennen und würde
ich nicht undankbar gegen Sic gewesen sein, wenn ich das Be-
kenntnis nicht freimütig getan hätte, daß das wenige Gute, was
etwa in dem Buche sei, Ihnen angehöre? — Heimlich habe ich
die Herausgabe eines Lehrbuchs der r.[einen] a.[llgemeinen] Logik
nie gehalten, ich habe mit Herrn Hofprediger SCHULZ und mit
Herrn Mag. GENSICHEN cft über diesen Punkt gesprochen, und
warum sollte ich auch ein Geheimnis daraus machen? Ist es
denn etwa unerlaubt, den Versuch zu wagen, eine reine allg.
Logik nach Ihren Grundsätzen zu verfertigen und dem Publico
zur Prüfung vorzulegen, selbst wenn ich dergleichen auch nicht
als Lehrbuch gebraucht hätte, hat Herr Professor JAKOB, Herr
Adj. SCHMIDT, Herr Prof. HUFELAND mit mehreren Teilen
des dogmatischen Teils Ihres Systems nicht dasselbe getan? Allein
wenn ich auch annehme, daß Sie vergessen hätten, oder daß es
Kant* Schriften. Bd. X. 6
82 Fow Johann Christian Kiesewetter
Ihnen entgangen sei, daß ich Ihnen gesagt habe, ich sei willens,
dereinst einige Bogen über die r. a. Log. herauszugeben, so seh»^
ich doch noch nicht ein, was Sie ungehalten machen könnte.
Ich habe ja nicht Hefte von Ihnen drucken lassen, dazu bedurfte
ich Ihrer Erlaubnis, das Ganze ist ja meine Arbeit, wie können
Sic über den Druck derselben böse sein? Ich wußte wohl, daß
Sie nach Jahren den dogmatischen Teil Ihres Systems und also
auch eine Logik herausgeben würden, aber das war nach Jahren,
ich machte einen vorläufigen Versuch, wie Herr JAKOB dies bei
der Log. und Metaph., Herr SCHMIDT bei der Moral und Herr
HUFELAND beim Naturrecht') getan hatte, müßte ich nicht der
albernste Mensch sein, wenn ich mir einbilden könnte, ich könnte
Ihnen vorgreifen? — Daß ich auch nicht entfernt etwas Unrechts
in der Herausgabe meines Lehrbuchs gesehen habe, erhellt daraus,
daß ich mich als Verfasser genaimt, ja es Ihnen sogar zugeeignet
habe; konnte ich das, wenn ich die Herausgabe des Werks für
unrecht hielt?
Der einzige Fehler, den ich begangen habe, der mir aber
wahrlich nicht zuzurechnen ist, besteht darin, daß ich Ihnen das
Dedikationsexemplar so spät geschickt habe, daß Sie weit eher
ein ander Exemplar in die Hände bekamen, aber ich erhielt das
Dedikationsexemplar erst in der zweiten Meßwochc vom Herrn
LA GARDE, das Binden nahm auch Zeit weg, darübel kam Herr
NICOLOVIUS nach Berlin, und ich nutzte diese Gelegenheit, es
ihm mitzugeben.
Dies die Erzählung des ganzen Vorfalls, und ich bin versichert,
Sie werden überzeugt werden, daß auch kein Schein von Schuld
für mich und Herrn LA GARDE übrigbleibt. — Ich ersuche
Sie daher, würdiger Mann, ich beschwöre Sie, mir zu melden,
wodurch Sie sich von mir beleidigt halten, damit ich mich recht-
fertigen kann, denn ich will lieber alles in der Welt als Ihre
Achtung, die mir unschätzbar ist, verlieren. Wie konnten Sie
auch nur einen Augenblick voraussetzen, daß ich, der ich Ihnen
so sehr verbunden bin, die Absicht haben konnte, Sie auch nur
durch die geringste Kleinigkeit kränken zu wollen. — Ich muß
Sie um so mehr um die Auflösung des Rätsels bitten, da mein
^) Über Jakob und Schmid s. früher; Hufelands Lehrsätze des
Naturrechts und der damit verbundenen Wissenschaften sind Jena 1790
erschienen.
Von Fraulein Maria von Herbert 83
ganzer Ruf davon abhängt; Sie sind aber zu gerecht, als daß
Sie wollen könnten, daß mir ohne Verteidigung etwas zuschulden
käme.
Ich habe vom Herrn Kapellmeister REICHARD schon seit
einiger Zeit den Auftrag, Ihnen ein Kästchen mit Landkarten zu
schicken, und ich habe immer auf Gelegenheit gehofft, da ich
aber keine finden kann, so sehe ich mich genötigt, sie Ihnen
mit einem Frachtfuhrmann zu schicken, und ich denke, daß sie
noch diese Woche abgehen w^erden.
Ich bitte Sie nochmals inständigst, mir Ihre Gewogenheit nicht
zu entziehen, Sie können gewiß versichert sein, daß es mir nie,
auch nur entfernt in den Sinn gekommen ist, etwas zu tun, was
Ihnen mißfällig sein könnte. Ich werde gewiß so lange in einer
ängstlichen Ungewißheit schweben, bis Sie mir gütigst antworten
und mir sagen, daß Sie noch mein Freund sind. Ich bin mit
aller Hochschätzung
Ihr
aufrichtiger Verehrer
J. G. C. Kiesewetter.
2^p.
Von Fräulein Maria von Herbert.
Großer Kant. [August 1791.]
Zu dir rufe ich wie ein gläubiger zu seinen Gott um Hilf,
um Trost, oder um Bescheid zum Tod, hinlänglich waren mir
deine Gründe in deinen Werken vor das künftige seyn, daher
meine Zuflucht zu dir, nur vor dieses leben fand ich nichts, gar
nichts, was mir mein verlohrnes Gut ersezen könnt, den ich liebte
einen gegenständ der in meiner Anschauung alles in sich faste,
so das ich nur vor ihn lebte er war mir ein gegensaz vor das
übrüge, dan alles andere schien mir ein Tand und alle Menschen
waren vor mich wie auch wirklich wie ein gwasch ohne inhalt,
nun diesen gegenständ hab ich durch eine langwirige lug be-
leidigt, die ich ihn jezt entekte, doch war vür mein karaktcr
nichts nachteihliges darin enthalten, dan ich habe kein laster in
meinem leben zu verschweigen gehabt, doch die lug allein war
ihn genug, und seine liebe verschwand, er ist ein Ehrlicher Maim,
6*
84 yon Ludwig Ernst Borouoski
darum versagt er mir nicht Freindschaft und treu^ aber dasjenige
innige gefühl welches uns ungerufen zu einander fürte ist nicht
mehr, o mein Herz springt in Tausend stük, wen ich nicht schon
so viel von ihnen gelesen hätte, so häte ich mein leben gewis
schon mit gewalt geändet, so aber haltet mich der schlus zurük
den ich aus ihrer Tehorie ziehen muste, das ich nicht sterben
soll, wegen meinen quelendcn leben, sondern ich solt leben wegen
meinen daseyn, nun sezen sie sich in meine lag und geben sie
mir trost oder vcrdamung, metaphisik der Sitten hab ich gelesen
samt den Kategorischen imperatif, hilft mir nichts, meine Vernunft
verlast mich wo ich sie am besten brauch eine antwort ich be-
schwöre dich, oder du kanst nach deinen aufgeseten imperatif
selbst nich handln —
z6o.
Von Ludwig Ernst Borowski.
Euer Wohlgebornen händige ich in der Anlage den sonder-
baren Brief der MARIA HERBERT aus Klagenfurt in gehor-
samster Ergebenheit ein, den ich gestern, da das letzte Gespräch
mit Euer Wohlgebornen mir so sehr interessant ward, aus Ver-
schen in die Tasche gesteckt hatte, wo ich ihn beim Auskleiden
fand. Und wenn Euer Wohlgebornen dem zerrissenen Herzen
Ihrer Korrespondentin auch nur bloß durch Ihre Antwort einige
Zerstreuung und Ablenkung ihres Herzens von dem Gegenstande,
an den sie gefesselt ist, für einige Tage — vielleicht aber auch
durch Ihre ernste Belehrungen für immer, gewähren: so bewirken
Sie wahrlich schon sehr was Großes und Gutes. Eine Person,
die doch auch nur Lust hat, Ihre Schriften zu lesen — die eine
solche Stärke des Vertrauens, einen solchen Glauben an Sie hat
— ist doch immer einiger Achtung von Ihnen und des Ver-
suches, sie zu beruhigen, wert.
Ich bin mit der ausgezeichnetsten Verehrung
Euer Wohlgebornen
[Das Übrige mit Vntcrschrift und Datum ist vjeggeschnitten.]
An F. Th. de la Garde. — Von Johann Gottlieh Fichte 85
An F. Th. de la Garde.
Hochedelgeborner
Hochzuehrender Herr!
Zum Behuf der Revision der Kritik der U. Kr. für eine zweite
Auflage haben mir Euer Hochedelgeboren in Ihrem Geehrtesten
vom 5. Juli c. ein mit weißem Papier durchschossenes Exemplar
versprochen, welches ich hiemit, so bald als möglich mir zu-
kommen zu lassen, bitte.
Der Gedanke, daß Euer Hochedelgeboren vielleicht darum
gewußt hätten, daß Herr M. KIESEWETTER, ohne mich um
meine Einwilligung befragt zu haben, in Ihrem Verlage eine Logik
herausgegeben, fallt dadurch gänzlich weg, daß Euer Hochedel-
geboren von ihm, vor seiner Reise des vorigen Sommers nach
Königsberg, vernommen haben, er wolle es mir bei seiner An-
wesenheit allhier kommunizieren. Daß er es aber doch nicht
getan hat, dient auch mir zu einiger Entschuldigung, wie wohl
der Unwille sich leicht weiter verbreitet als er befugt ist. Sonst
ist Ihr Charakter allgemein so rühmHch bekannt, daß ich auch
hier keinen ihn treffenden Verdacht in Gedanken gehabt habe.
Ich beharre übrigens mit vollkommener Hochachtung
Euer Hochedelgeboren
Königsberg, ganz ergebenster Diener
den 2. Aug. 1791. I.Kant.
262.
Von Johann Gottlieb Fichte.
[18. August 179 1.]
Verehrungswürdiger Mann,
Denn andre Titel mögen für die bleiben, denen man diesen
nicht aus der Fülle des Herzens geben kann. — Ich kam nach
Königsberg, um den Mann, den ganz Europa verehrt, den aber
gewiß in ganz Europa wenig Menschen so lieben, wie ich, näher
kennen zu lernen. Ich stellte mich Ihnen dar. Erst später be-
dachte ich, daß es Vermessenheit sei, auf die Bekanntschaft eines
86 Von Johann Gottlieb Fichte
solchen Mannes Anspruch zu machen, ohne die geringste Befugnis
dazu aufzuweisen zu haben. Ich hätte Empfehlungsschreiben haben
können. Ich mag nur diejenigen, die ich mir selbst mache. Hier
ist das meinige.
Es ist mir schmerzhaft, es Ihnen nicht mit dem frohen Be-
wußtsein übergeben zu können, mit dem ich mir's dachte. Es
kann dem Manne, der in seinem Fache alles tief unter sich er-
blicken muß, was ist, und was war, nichts Neues sein, zu lesen,
w^as ihn nicht befriedigt; und wir andern alle werden uns ihm,
wie der reinen Vernunft selbst in einem Menschenkörper, nur
mit bescheidner Erwartung seines Ausspruchs nahen dürfen. Es
würde vielleicht mir, dessen Geist in mancherlei Labyrinthen
hcrumirrte, ehe ich ein Schüler der Kritik wurde, der ich dies
erst seit sehr kurzer Zeit bin, und dem seine Lage nur einen
kleinen Teil dieser kurzen Zeit diesem Geschäfte zu widmen
erlaubt hat, von einem solchen Manne und von meinem Gewissen
verziehen werden, wenn meine Arbeit auch noch unter dem Grade
der Erträglichkeit wäre, auf welchem der Meister das Beste erblickt.
Aber kann es mir verziehen werden, daß ich sie Ihnen übergebe,
da sie nach meinem eignen Bewußtsein schlecht ist? Werden die
derselben angehängten Entschuldigungen mich wirklich entschul-
digen? Der große Geist würde mich zurückgeschreckt haben,
aber das edle Herz, das mit jenem vereint allein fähig war, der
Menschheit Tugend und Pflicht zurückzugeben, zog mich an.
Über den Wert meines Aufsatzes habe ich das Urteil selbst ge-
sprochen: ob ich jemals etwas Besseres liefern werde, darüber
sprechen Sie es. Betrachten Sie es als das Empfehlungsschreiben
eines Freundes, oder eines bloßen Bekannten, oder eines gänzlich
Unbekannten, oder als gar keins. Ihr Urteil wird immer gerecht
sein. Ihre Größe, vortrefflicher Mann, hat vor aller gedenkbaren
menschlichen Größe das Auszeichnende, das Gottähnliche, daß
man sich ihr mit Zutrauen nähert.
Sobald ich glauben kann, daß Dieselben diesen Aufsatz gelesen
haben, werde ich Ihnen persönlich aufwarten, um zu erfahren,
ob ich mich ferner nennen darf
Euer Wohlgeboren
innigsten Verehrer
Johann Gottlieb Fichte.')
^) Fichte war auf der Rückreise von Warschau, wo er kurze Zeit
als Hauslehrer tätig war, am i.Juli 1791 in Königsberg eingetroffen.
Von Johann Gottlieb Fichte 87
Von Johann Gottlieb Fichte.
Wohlgcborner Herr [2. September 179 1.]
Höchstzuverehrender Herr Professor,
Kuer Wohlgeborn verzeihen gütigst, daß ich abermals lieber
schriftlich als mündlich mit Ihnen reden will.
Dieselben haben mich mit einer gütigen Wärme empfohlen,
um die ich nicht gew^agt hätte, Sie zu bitten; eine Großmut, die
meine Dankbarkeit unendhch vermehrt, und mir Mut macht,
mich Euer Wohlgeborn ganz zu entdecken; welches ich in Absicht
Ihres Charakters zwar auch vorher wagen, aber ohne eine nähere
Erlaubnis von Ihnen mir nicht verstatten durfte, ein Bedürfnis,
das derjenige, der sich nicht gern jedermann entdeckt, gegen den
ganz guten Charakter doppelt fühlt.
Zuerst erlauben mir Euer Wohlgeborn, zu versichern, daß
mein Entschluß lieber nach Königsberg, als sogleich zurück nach
Sachsen zu gehen, zwar insofern eigennützig war, daß ich das
Bedürfnis, dem Manne, dem ich alle meine Überzeugungen und
Grundsätze, dem ich meinen Charakter bis auf das Bestreben,
einen haben zu wollen, verdanke, einen Teil meiner Empfindungen
zu entdecken, befriedigen, so viel in kurzer Zeit möglich, Sie
benutzen, und wenn es sein könnte, mich Ihnen für meine et-
wanige künftige Laufbahn vorteilhaft empfehlen wollte; daß ich
aber ein so gegenwärtiges Bedürfnis Ihrer Güte nicht voraussetzen
konnte, weil ich mir teils Königsberg so reich, und noch reicher
an Hilfsmitteln, als zum Beispiel Leipzig vorstellte, teils im äußersten
Falle durch einen Freund, der in einem angesehnem Amte in Riga
steht, von hier aus in Livland unterzukommen glaubte. — Ich
glaube diese Versicherung teils mir selbst schuldig zu sein, um
auf Empfindungen, die rein aus meinem Herzen flössen, keinen
Verdacht eines niedern Eigennutzes zu lassen; teils Ihnen, wenn
ein freier ofFeiier Dank des durch Sie Unterrichteten und Ge-
besserten Ihnen lieb ist.
Über seinen dortigen Aufenthalt und sein Verhältnis zu Kant finden
sich nähere Nachrichten in seinem Tagebuch aus dieser Zeit (Fichtes
Leben und literarischer Briefwechsel, hrsg. von J. H. Fichte, I, iipfF.).
Die Schrift, die Fichte an Kant übersendet, ist sein „Versuch einer
Kritik aller Offenbarung".
88 Von Johami Gottlieh Fichte
Ich habe das Geschäft des Hauslehrers fünf Jahre lang ge-
trieben und die Unannehmlichkeit desselben, Unvollkommenheiten
sehen zu müssen, die von wichtigen Folgen sind, und an dem Guten,
das man stiften könnte, kräftig verhindert zu werden, so empfunden,
daß ich es nunmehr vor eineinhalb Jahre auf immer aufzugeben
glaubte; und daß ich ängstlich werde, wenn ein wohlwollender
Mann es übernimmt, mich zu diesem Geschäfte zu empfehlen,
indem ich befürchten muß, daß es nicht ganz zu seinem Ver-
gnügen ausschlagen möchte. Ich ließ mich durch die wenig ge-
gründete HoflFnung, es einmal besser anzutreflPen, und vielleicht
unmerklich durch Aussicht auf Geldvorteil und Größe ohne ge-
hörige Überlegung hinreißen, dies Geschäft noch einmal in
Warschau zu übernehmen; ein Entschluß, dessen Vereitlung ich
nach Entwicklung der Verlegenheiten, in denen ich jetzo bin,
segnen werde. Ich fühle dagegen das Bedürfnis, alles das, was
zu frühes Lob gütiger aber zu wenig weiser Lehrer, eine fast
vor dem Übertritte ins eigentliche Jünglingsalter durchlaufene aka-
demische Laufbahn, und seitdem die beständige Abhängigkeit von
den Umständen mich versäumen ließen, nachzuholen, ehe die
Jahre der Jugend vollends verfliegen, mit Aufgebung aller ehr-
geizigen Ansprüche, die mich eben zurückgesetzt haben, mich zu
allem zu bilden, wozu ich tüchtig werden kann, und das übrige
den Umständen zu überlassen, täglich stärker. Diesen Zweck
kann ich nirgends sichrer erreichen, als in meinem Vaterlande.
Ich habe Eltern, die mir zwar nichts geben können, bei denen
ich aber doch mit geringem Aufwand leben kann. Ich kann da
mich mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigen (das wahre
Mittel der Ausbildung für mich, der ich alles in mich hinein-
schreiben muß, und der ich zu viel Ehrliebe habe, um etwas
zum Druck zu geben, worüber ich nicht selbst völlig gewiß bin)
und eben beim Aufenthalte in meiner vaterländischen Provinz
(der Ober-Lausitz) am ehsten und leichtesten durch eine Dorf-
pfarre die völlige literarische Muße erhalten, die ich bis zu meiner
völligen Reife wünsche. Das Beste für mich scheint also, in
mein Vaterland zurückzugehen. Hierzu aber sind mir die Mittel
abgeschnitten. Ich habe noch zwei Dukaten, und diese sind nicht
mein, denn ich habe sie für Miete und dergleichen zu bezahlen.
Es scheint also kein Mittel übrig zu sein, mich zu retten, wenn
sich nicht jemand findet, der mir Unbekannten, bis auf die Zeit,
da ich sicher rechnen kann, wieder zu bezahlen, das ist bis Ostern
Von Johann Gottlieb Fichte 89
künftigen Jahrs, gegen Verpfändung meiner Ehre, und im festen
Vertrauen auf dieselbe, die Kosten der Rückreise vorstrecke. Ich
kerme niemanden, dem man dieses Pfand, ohne Furcht, ins Gesicht
gelacht zu bekommen, anbieten dürfte, als Sie, tugendhafter
Mann.
Ich habe die Maxime, niemanden etwas anzumuten, ohne
untersucht zu haben, ob ich selbst vernünftigerweise bei um-
gekehrtem Verhältnisse eben das für jemand tun könnte; und
habe in gegenwärtigem Falle gefunden, daß ich, die physische
Möglichkeit vorausgesetzt, es für jeden tun würde, dem ich die
Grundsätze sicher zutrauen könnte, von denen ich wirklich durch-
drungen bin.
Ich glaube so sicher an eine eigentliche Hingebung der Ehre
zum Pfände, daß ich durch die Notwendigkeit etwas auf sie ver-
sichern zu müssen, einen Teil derselben zu verlieren glaube; und
die tiefe Beschämung, die mich dabei betrifft, ist Ursache, daß
ich einen Antrag von gegenwärtiger Art nie mündlich machen
kann, da ich niemand zum Zeugen derselben wünsche. Meine
Ehre scheint mir so lange, bis das bei derselben geschehene Ver-
sprechen erfüllt ist, wirklich problematisch, weil es dem andern
Teile immer möglich ist, zu denken, ich werde es nicht erfüllen.
Ich weiß also, daß, wenn Euer Wohlgeborn meinen Wunsch
erfüllen sollten, ich zwar immer mit inniger Verehrung und
Dankbarkeit, aber doch mit einer Art von Beschämung an Sie
zurückdenken werde, und daß das völlig freudige Andenken einer
Bekanntschaft, die ich bestimmte, mir lebenslang wohl zu machen,
mir nur dann möglich sein wird, werm ich mein Wort werde
gelöst haben. Diese Gefühle kommen aus dem Temperamente,
ich weiß es, und nicht aus Grundsätzen, und sie sind vielleicht
fehlerhaft; aber ich mag sie nicht ausrotten, bis die völlige Festig-
keit der letztern mir diese Ergänzung derselben ganz entbehrlich
macht. Insoweit aber kann ich mich auch auf meine Grundsätze
verlassen, daß, wenn ich fähig sein sollte, mir ein Ihnen ge-
gebenes Wort nicht zu halten, ich mich zeitlebens verachten, und
scheuen müßte, einen Blick in mein Inneres zu tun, Grundsätze,
die mich stets an Sie, und an meine Ehrlosigkeit erinnerten, auf-
geben müßte, um mich der peinlichsten Vorwürfe zu entledigen.
Dürfte ich eine solche Denkungsart bei jemanden vermuten,
so würde ich das, wovon die Rede ist, sicher für ihn tun; wie
aber, und durch welche Mittel ich mich, wenn ich an Ihrer
po Von Johann Gonlieb Fichte
Stelle wäre, von der Anwesenheit einer solchen Denkungsart bei
mir überzeugen könnte, ist mir nicht eben so klar.
Ich, verehrungswürdiger Mann, schloß, wenn es mir erlaubt
ist, sehr Großes mit sehr Kleinem zu vergleichen, aus Ihren
Schriften mit völliger Zuversicht auf einen musterm'aßigen Cha-
rakter, und ich würde, auch noch ehe ich das geringste von
Ihrer Handlungsart im bürgerlichen Leben wußte, alles verwettet
haben, daß es so sei. Von mir habe ich Ihnen, jedoch zu einer
Zeit, da es mir noch gar nicht einfiel, je so einen Gebrauch von
Ihrer Bekanntschaft zu machen, nur eine Kleinigkeit vorgelegt,
und mein Charakter ist wohl noch nicht fest genug, um sich in
allem abzudrücken; aber dafür sind Euer Wohlgeborn auch ein
ohne Vergleich größrer Menschenkenner, und erblicken vielleicht
auch in dieser Kleinigkeit Wahrheitsliebe und Ehrlichkeit, wenn
sie in meinem Charakter sind.
Endlich — und dies setze ich beschämt hinzu — ist, wenn
ich fähig sein sollte, mein Wort nicht zu halten, auch meine
Ehre vor der Welt in Ihren Händen. Ich denke unter meinem
Namen Schriftsteller zu werden; ich werde Sie, wenn ich zurück-
reisen sollte, um Empfehlungsschreiben an einige Gelehrte bitten.
Diesen, deren gute Meinung ich dann Ihnen dankte, meine Ehr-
losigkeit zu melden, wäre, meiner Meinung nach, Pflicht, sowie
es überhaupt, glaub ich, Pflicht wäre, die Welt vor einem so
schlechterdings unverbesserlichen Charakter zu warnen, als darzu
gehören würde, um zu dem Manne, in dessen Atmosphäre der
Falschheit weh' werden sollte, zu kommen, und durch angenom-
mene Miene der Ehrlichkeit seinen Scharfblick [zu] täuschen, und
der Tugend und der Ehre so gegen ihn zu spotten.
Das waren die Betrachtungen, die ich anstellte, ehe ichs wagte.
Euer Wohlgeborn diesen Brief zu schreiben. Ich bin, zwar mehr
aus Temperament und durch meine gemachte Erfahrungen, als aus
Grundsätzen, sehr gleichgültig über das, was nicht in meiner
Gewalt ist. Ich bin nicht das erstemal in Verlegenheiten, aus denen
ich keinen Ausweg sehe; aber es wäre das erstemal, daß ich in
ihnen bleibe. Neugier, wie es sich entwickeln wird, ist meist
alles, was ich in solchen Vorfällen fühle. Ich ergreife schlecht-
weg die Mittel, die mir mein Nachdenken als die besten zeigt,
und erwarte dann ruhig den Erfolg. Hier kann ich es um desto
mehr, da ich ihn in die Hände eines weisen und guten Mannes
lege. Aber von einer andern Seite überschicke ich diesen Brief
An Ludwig Ernst Borowski 91
mit einem ungewohnten Herzlclopfen. Ihr Entschluß mag sein,
welcher es will, so verliere ich etwas von meiner Freudigkeit zu
Ihnen. Ist er bejahend, so kann ich das Verlorne einst wieder
erwerben; ist er verneinend, nie, wie es mir scheint.
Indem ich schließen will, fällt mir die Anekdote von jenem
edlen Türken bei, der einem ganz unbekannten Franzosen einen
ähnlichen Antrag machte. Der Türk ging gerader und offener;
er hatte unter seiner Nation wahrscheinlich nicht die Erfahrungen
gemacht, die ich unter der meinigen gemacht habe: aber er
wußte auch nicht mit der Überzeugung, daß er mit einem edlen
Mann zu tun habe, mit der ich es weiß. Ich schäme mich der
Scham, die mich zurückhält, bei dieser Empfindung meinen Brief
ins Feuer zu werfen, hinzugehen und Sie anzureden, wie der
edle Türk den Franzosen.
Wegen des Tones, der in diesem Briefe herrscht, darf ich
Euer Wohlgeborn nicht um Verzeihung bitten. Das ist eben eine
Auszeichnung des V\^eisen, daß man mit [ihm] redet, wie ein
Mensch mit einem Menschen.
Ich werde, sobald ich hoffen darf. Dieselben nicht zu stören,
Ihnen aufwarten, um Ihren Entschluß zu wissen; und bin mit
inniger Verehrung und Bewunderung
Euer Wohlgeborn
ganz gehorsamster
J. G. Fichte.
264.
An Ludwig Ernst Borowski.
Überbringer dieses, Herr FICHTE, hat aus der Unterredung,
deren Euer Hochwohlehrwürden ihn teilhaftig gemacht haben, ein
so großes Zutrauen zu Ihnen gefaßt, daß er wegen seiner Ver-
legenheit, davon er Ihnen selbst Eröffnung tun wird, auf Ihre
gütige Vorsprache sich Rechnung macht. Es kommt darauf an,
daß sein Manuskript: Versuch einer Kritik der Offenbarung
hier einen Verleger bekomme und dieser dafür ein honorarium,
und zwar bei Überlieferung desselben, sogleich bezahle. — Ich
habe zwar nur Zeit gehabt, es bis S. 8 zu lesen, weil ich durch
soviel andere Abhaltungen beständig unterbrochen werde; aber
soweit ich gekommen bin, finde ich es gut gearbeitet und der
p2 Von Salomon Maimon
gegenwärtigen Stimmung zum Untersuchen der Religionssachen
wohl angemessen. Besser werden Euer Hochwohlehrwürden darüber
urteilen können, wenn Sie sich die Bemühung geben wollen, es
durchzulesen. Nun ist sein Wunsch, daß, wenn Sie dieser Schrift
eine gute Abnahme zu prognostizieren sich getraueten, Sie Herrn
HÄRTUNG dazu zu bewegen suchen möchten, ihm sie abzu-
kaufen, um vor der Hand sich dafür das Unentbehrlichste zu
verschaffen. Die weitern Aussichten wird er Ihnen selbst bekannt
zu machen die Ehre haben.
Ich bitte mir die Zumutung nicht ungütig auszulegen, welche
Ihnen eine Beschwerde macht, aber doch Ihrem wohlwollenden
Charakter nicht zuwider ist und ich bin mit der vollkommensten
Hochachtung •
Euer Hochwohlehrwürden
ganz ergebenster Diener
Den 1 6. September 1791. I.Kant.
265.
Von Salomon Maimon.
Wohlgeborner Herr,
Hochzuehrender Herr Professor!
Ich weiß, wie ungerecht derjenige ist, der Ihnen das mindeste
von Ihrer der Welt so schätzbaren Zeit raubet, weiß, daß es für
Sie kein wichtigeres Geschäft geben kann, als Ihren so fest ge-
gründeten Werken die höchste Vollkommenheit zu geben; doch
konnte ich nicht umhin, dieses einzigemal Sie mit meinem Schreiben
zu belästigen.
Ich habe mir seit einiger Zeit vorgenommen, außer Ihren
Werken, nichts mehr zu lesen. Von dem skeptischen Teil Ihrer
Kritik bin ich völhg überzeugt; der dogmatische kann auch hypo-
thetisch angenommen werden, und obschon ich durch eine psycho-
logische Deduktion die Kategorien und Ideen nicht dem Ver-
stände und der Vernunft, sondern der Einbildungskraft beilege;
so kann ich doch, das erste zum wenigsten, problematisch zu-
geben; und auf diese Art kann ich mit der Kritik recht gut
fertig werden.
Von Salomon Matmon 93
Da aber Herr REINHOLD (ein Mann, den ich wegen seines
ungemeinen Scharfsinnes, nach Ihnen, am meisten schätze) in seinen
Schriften vorgibt, nicht nur Ihrem Systeme die formelle Voll-
ständigkeit gegeben, sondern auch, das einzige allgemein-
gültige und allgemeingeltende (ji diis placet) Prinzip, worauf
dieses aufgeführt werden kann, gefunden zu haben; so zog dieses
meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Nach genauer Unter-
suchung aber fand ich mich in meiner Erwartung betrogen. Ich
schätze ein jedes System nach seiner formellen Vollständig-
keit; kann es aber nur nach seiner objektiven Realität gelten
lassen, und nach dem Grade seiner Fruchtbarkeit anpreisen.
Nun finde ich zwar Herrn REINHOLDS Theorie des Vor-
stcllungsvermögens in Ansehung ihrer systematischen Form un- .
vcrbesserlich. Hingegen kann ich dieses so hoch gepriesene all-
gemeingültige und allgemeingeltende Prinzip (den Satz des Be- *
wußtseins) kcineswegcs zugeben, und noch viel weniger mir von
seiner Fruchtbarkeit große Erwartungen machen.
Ich leugne geradezu, daß in jedem Bewußtsein (auch einer
Anschauung und Empfindung, wie sich Herr REINHOLD darüber
erklärt) die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und
Objekt unterschieden und auf beide bezogen wird. Eine An-
schauung wird meiner Meinung nach auf nichts außer sich selbst
bezogen; und nur dadurch, daß sie mit anderen Anschauungen
in eine synthetische Einheit gebracht, wird sie zur Vorstellung,
und beziehet sich als Bestandteil einer Synthesis auf dieselbe, das
heißt, auf ihr Objekt. Die bestimmte Synthesis, worauf die Vor-
stellung bezogen wird, ist das vorgestellte Objekt; eine jede
unbestimmte Synthesis, worauf die Vorstellung bezogen werden
kann, ist der Begriff eines Objekts überhaupt. Wie kann
also Herr REINHOLD den Satz des Bewußtseins für ein all-
gemeingültiges Prinzip ausgeben? Da, wie ich gezeigt habe, er
nur von Bewußtsein einer Vorstellung, das heißt, auf eine Syn-
thesis als Bestandteil bezogener Anschauung gelten kann. Ja!
sagt Herr REINHOLD; man ist sich freiUch dies? Beziehung der
Anschauung auf das Subjekt und Objekt nicht immer bewußt,
sie ist dennoch immer in derselben anzutreffen. Aber woher
weiß er dieses? V^as in der Vorstellung nicht vorgestellt wird,
gehört nicht zur Vorstellung. W^ie kann er also dieses Prinzip
als Faktum ^t% Bewußtseins für allgemeingeltend ausgeben? Da
es ein anderer £ s seinem eigenen Bewußtsein geradezu leugnen
94 ^o?t Salomon Maimon
kann. Daß man eine jede Anschauung auf irgendein Substratum
beziehet, ist eine Täuschung der transszendenten Einbil-
dungskraft, die, aus Gewohnheit, eine jede Anschauung als
Vorstellung auf ein reelles Objekt (eine Synthesis) zu beziehen,
endlich auf gar kein reelles Objekt, sondern auf eine an seiner
Stelle untergeschobene Idee beziehet.
Das Wort Vorstellung hat viel Unheil in der Philosophie ge-
stiftet, indem es manche veranlaßt hat, sich zu einer jeden Seelen-
modifikation, ein objektives Substratum hinzuzudichten. LEIBNIZ
vergrößerte noch das Unheil durch seine Lehre von den dunkeln
Vorstellungen. Ich muß gestehen, daß es in der Anthro-
pologie keine wichtigere Lehre geben kann. Aber in einer Kritik
des Erkenntnisvermögens taugt sie gewiß nichts. Die dunkeln
Vorstellungen sind keine Modifikation der Seele (deren Wesen
im Bewußtsein bestehet), sondern vielmehr des Körpers. LEIB-
NIZ bedienet sich derselben, bloß um die Lücken in der Sub-
stantialität der Seele auszufällen. Ich glaube aber nicht, daß
irgend ein Selbstdenker sich im Ernste einfallen lassen wird, da-
durch diese Lücken wirklich ausfüllen zu können. Die dunkeln
Vorstellungen sind bloß die Brücken, worüber man von der Seele
zum Körper, und wiederum von diesem zu jener übergeht (ob-
schon LEIBNIZ gute Ursachen gehabt hat, diesen Durchgang zu
verwehren).
Sogar mit Herrn REINHOLDS Erklärung der Philosophie
kann ich nicht zufrieden sein. Er begreift unter Philosophie
überhaupt, was Sie mit Recht unter dem besonderen Namen
Transszendentalphilosophie (die Lehre von den Bedingungen der
Erkenntnis eines reellen Objekts überhaupt).
Ich wünsche hierüber, wie auch etwas über mein Wörter-
buch (das allem Anscheine nach entweder gar nicht, oder schlecht
rezensiert werden wird,') Ihre Meinung zu vernehmen. In Er-
wartung dieser verharre ich, ehrfurchtsvoll
Euer Wohlgeboren
ganz ergebenster
Berlin, Salomon Maimon.
den 20. September 1791.
^) Philosophisches Wörterbuch oder Beleuchtung der wichtigsten
Gegenstände der Philosophie in aiphabet. Ordnung, i. Stück, Berlin
1791-
An Carl Leonhard Reinhold 9^
z66.
An Carl Leonhard Reinhold.
Königsberg, den 21. September 1791.
Wie können Sie mich, teuerster Mann, auch nur einen Augen-
bück in Verdacht haben, daß meine Unterlassungssünden, deren
ich viele auf meiner Rechnung habe, irgend einer Abneigung, ja
gar auch nur der mindesten Kaltsinnigkeit gegen Sie, die mir,
wer weiß wer meiner bloß nachbetenden Anhänger eingeflößt
haben sollte, zuzuschreiben wären, da, wenn es auch nicht die
Herzensneigung gegen einen so Hebens- und hochachtungswürdigen
Mann täte, mich schon das Verdienst, welches Sie um die Auf-
hellung, Bestärkung und Verbreitung meiner geringen Versuche
haben, zu Dankbarkeit verbinden müßte und ich mich selbst ver-
achten würde, wenn ich an dem Spiele der Eifersucht imd Recht-
haberei im Felde der Spekulation mehr Interesse nähme, als an
den rechtschaffenen Gesinnungen der Mitwirkung zu allem, was
gut und selbständig ist, wozu das volle Zutrauen und die Herzens-
vereinigung zwischen Wohldenkenden, selbst bei großer Ver-
schiedenheit der Meinungen (welches zwischen uns doch der Fall
nicht ist) notwendig gehört. Ach, wenn es für uns ein Ver-
hältnis der wechselseitigen Mitteilung durch den Umgang gäbe,
welche Süßigkeit des Lebens würde es für mich sein, mit einem
Manne, dessen Geistes- und Seelenstimmung der seines Freundes
ERHARD') gleichförmig ist, uns über das Nichts menschlicher
Eitelkeit wegzusetzen -und unser Leben wechselseitig ineinander zu
genießen? Aber nun durch Briefe! Lassen Sie mich Ihnen meine
Saumseligkeit in Ansehung derselben, die Nachlässigkeit zu sein
scheint, aber es nicht ist, erklären.
Seit etwa zwei Jahren hat sich mit meiner Gesundheil, ohne
sichtbare Ursache und ohne wirkUche Krankheit (wenn ich einen
etwa drei Wochen dauernden Schnupfen ausnehme) eine plötz-
hche Revolution zugetragen, welche meine Appetite in Ansehung
^) Kant hatte Erhard inzwischen persönlich kennen gelernt, da
dieser ihn im Jahre 1791 in Königsberg besuchte (s. Erhards Autobio-
graphie S. 33).
96 An Carl Leonhard Re'mhold
des gewohnten täglichen Genusses schnell umstimmte, wobei zwar
meine körperlichen Kräfte und Empfindungen nichts litten, allein
die Disposition zu Kopfarbeiten, selbst zu Lesung meiner Kollegien,
eine große Veränderung erlitt. Nur zwei bis drei Stunden vor-
mittags kann ich zu den ersteren anhaltend anwenden, da sie
dann durch eine Schläfrigkeit (unerachtet des besten gehabten
Nachtschlafs) unterbrochen wird und ich genötigt werde, nur
mit Intervallen zu arbeiten, mit denen die Arbeit schlecht fort-
rückt und ich auf gute Laune harren und von ihr profitieren
muß, ohne über meinen Kopf disponieren zu können. Es ist,
denke ich, nichts, als das Alter, welches einem früher, dem andern
später Stillstand auferlegt, mir aber desto unwillkommener ist, da
ich jetzt der Beendigung meines Planes entgegenzusehen glaubte.
Sie werden, mein gütiger Freund, hieraus leicht erklären, wie
diese Benutzung jedes günstigen Augenblicks in solcher Lage
manchen genommenen Vorsatz, dessen Ausführung nicht eben
pressant zu sein scheint, dem fatalen Aufschub, der die Natur
hat, sich immer selbst zu verlängern, unterwerfen könne.
Ich gestehe es gern und nehme mir vor, es gelegentlich
öffentlich zu gestehen, daß die aufwärts noch weiter fortgesetzte
Zergliederung des Fundaments des Wissens, sofern es in dem Vor-
stcllungsvermögen als einem solchen überhaupt und dessen Auf-
lösung besteht, ein großes Verdienst um die Kritik der Vernunft
sei, sobald mir nur das, was mir jetzt noch dunkel vorschwebt,
deutlich geworden sein wird; allein ich kann doch auch nicht,
wenigstens in einer vertrauten Eröffnung gegen Sie nicht, bergen,
daß sich durch die abwärts fortgesetzte Entwickelung der Folgen,
aus den bisher zum Grunde gelegten Prinzipien, die Richtigkeit
derselben bestätigen und bei derselben, nach dem vortrefi^lichen
Talent der Darstellung, welches Sie besitzen, gelegentlich in An-
merkungen und Episoden so viel von Ihrer tieferen Nachforschung
anbringen lasse, als zur gänzlichen Aufhellung des Gegenstandes
nötig ist, ohne die Liebhaber der Kritik zu einer so abstrakten
Bearbeitung als einem besonderen Geschäfte zu nötigen und eben
dadurch viele abzuschrecken. — Dieses war bisher mein W^unsch,
ist aber weder jetzt mein Rat, noch weniger aber ein darüber
ergangenes und anderen, zum Nachteil Ihrer verdienstvollen Be-
mühungen, mitgeteiltes Urteil. — Das letztere werde ich noch
einige Zeit aufschieben müssen, denn gegenwärtig bin ich mit
einer zwar kleinen, aber doch Mühe machenden Arbeit, im-
An ^akob Sigismund Beck ^j
gleichen dem Durchgehen der Kritik der Urteilskraft für eine
zweite, auf nächste Ostern herauskommende, Auflage, ohne die
Universitätsbeschäftigungen einmal zu rechnen, für meine jetzt nur
geringen Kräfte mehr als zu viel belästigt und zerstreut.
Behalten Sie mich ferner in Ihrer gütigen Zuneigung, Freund-
schaft und offenherzigem Vertrauen, deren ich mich nie unwürdig
bewiesen habe, noch jemals beweisen kann, und knüpfen Sie
mich mit an das Band, welches Sie und Ihren lauteren, fröhHchen
und geistreichen Freund ERHARD vereinigt, und welches die,
wie ich mir schmeichle, gleiche Stimmung unserer Gemüter lebens-
lang unaufgelöst erhalten wird.
Ich bin mit der zärtlichsten Ergebenheit und vollkommener
Hochachtung usw.
267.
An Jakob Sigismund Beck,
Aus beihegendem Briefe HARTKNOCHS an mich werden
Sie, wertester Freund, ersehen, daß, da jener einen tüchtigen
Mann wünschte, der aus meinen kritischen Schriften einen nach
seiner eigenen Manier abgefaßten und mit der Originaütät seiner
eigenen Denkungsart zusammenschmelzenden Auszug machen könnte
und wollte, ich nach der Eröffnung, die Sie mir in Ihrem letzteren
Briefe von Ihrer Neigung gaben, sich mit diesem Studio zu be-
schäftigen, keinen dazu geschickteren und zuverlässigem als Sic
vorschlagen konnte und Sie daher ihm vorgeschlagen habe. Ich
bin bei diesem Vorschlage freilich selber interessiert, allein ich
bin zugleich versichert, daß, wenn Sie sich von der ReelHtät
jener Bearbeitungen überzeugen können, Sie, wenn Sie sich einmal
darauf eingelassen haben, einen unerschöpfHchen Quell von Unter-
haltung zum Nachdenken, in den Zwischenzeiten, da Sie von
Mathematik (der Sie keinesweges dadurch Abbruch tun müssen)
ausruhen, für sich finden werden und umgekehrt, wenn Sie von
den ersteren ermüdet sind, an der Mathematik eine erwünschte
Erholung finden können. Denn ich bin teils durch eigene Er-
fahrung, teils, und weit mehr, durch das Beispiel der größten
Mathematiker überzeugt, daß bloße Mathematik die Seele eines
denkenden Mannes nicht ausfülle, daß noch etwas anderes und
Kants Schriften. Bd. X. 7
5)8 An fakoh Sigtsmund Beck
wenn es auch, wie bei KÄSTNER, nur Dichtkunst wäre, sein
muß, was das Gemüt durch Beschäftigung der übrigen Anlagen
desselben teils nur erquickt, teils ihm auch abwechselnde Nahrung
gibt und was kann dazu, und zwar auf die ganze Zeit des Lebens,
taugUcher sein, als die Unterhaltung mit dem, was die ganze
Bestimmung des Menschen betrifft; wenn man vornehmlich Hoff-
nung hat, daß sie systematisch durchgedacht und von Zeit zu
Zeit immer einiger bare Gewinn darin gemacht werden kann.
Überdem vereinigen sich damit zuletzt Gelehrte- sowohl als Welt-
geschichte, auch verliere ich nicht die HoflFnung gänzlich, daß,
wenn dieses Studium gleich nicht der Mathematik neues Licht
geben kann, diese doch umgekehrt, bei dem Überdenken ihrer
Methoden und heuristischen Prinzipien, samt den ihnen noch an-
hängenden Bedürfnissen und Desideraten, auf neue Eröffnungen
für die Kritik und Ausmessung der reinen Vernunft kommen und
dieser selbst neue Darstellungsmittel für ihre abstrakte Begriffe,
selbst etwas der ars universalis characteristica combinatoria LEIB-
NIZENS Ähnliches, verschaffen könne. Denn die Tafel der
Kategorien sowohl als der Ideen, unter welchen die kosmologische
etwas den unmöglichen Wurzeln Ähnliches an sich zeigen,')
sind doch abgezählt und in Ansehung alles möglichen Vernunft-
gebrauchs durch Begriffe so bestimmt, als die Mathematik es nur
verlangen kann, um es wenigstens mit ihnen zu versuchen, wie
viel sie, wo nicht Erweiterung, doch wenigstens Klarheit hinein
bringen könne.
Was nun den Vorschlag des Herrn HARTKNOCH betrifft,
so ersehe ich aus Ihrem mir von ihfn kommunizierten Briefe,
daß Sie ihn nicht schlechterdings abweisen. Ich denke, es wäre
gut, wenn Sie ungesäumt daran gingen, um allererst ein Schema
im großen vom System zu entwerfen, oder, wenn Sie sich dieses
schon gedacht haben, die Teile desselben, daran Sie sich noch
etwa stoßen möchten, aussuchen und mir ihre Zweifel oder
Schwierigkeiten von Zeit zu Zeit kommunizieren möchten (wobei
mir lieb wäre, wenn Ihnen jemand, vielleicht Herr Professor
JACOB, den ich herzlich zu grüßen bitte, behilflich wäre, aus
allen Gegenschriften (als den Abhandlungen, vornehmlich Rezen-
sionen im EBERHARDSCHEN Magazin, aus den älteren Stücken
*) Siehe Kritik der reinen Vernxmft, 2. Aufl., S. 346 fF.
An Jakob Sigismtind Beck 99
d?r Tübinger gel. Zeitung und wo sonst noch dergleichen anzu-
treffen sein mag), vornehmlich die mir vorgerückte Wider-
sprüche in terminis aufzusuchen; denn ich habe den Mißverstand
in diesen Einwürfen zu entwickeln so leicht gefunden, daß ich
sie längstens alle insgesamt in einer Kollektion aufgestellt und
w^iderlegt haben würde, wenn ich nicht vergessen hätte, mir die
jedesmal bekannt gewordene aufzuzeichnen und zu sammeln). An
die lateinische Übersetzung kann, wenn Ihr Werk im Deutschen
herausgekommen wäre, immer noch gedacht werden.
Was die dem HARTKNOCH vorgeschlagene zwei Abhand-
lungen, nämlich die über REINHOLDS Theorie des Vorstellungs-
vermögens und die Gegeneinanderstellung der HUMESCHEN und
K — tschen Philosophie betrifft (in Ansehung der letzteren Abhand-
lung bitte ich den Band von seinen Versuchen nachzusehen,
darin sein — HUMES — moralisches Prinzip anzutreffen ist, um
es auch mit dem meinigen zu vergleichen, mit welchem auch
sein ästhetisches daselbst angetroffen wird), so würde, wenn letztere
Ihnen nicht zu viel Zeit wegnähme, es allerdings der Bearbeitung
des ersteren Thema vorderhand vorzuziehen sei. Denn REINHOLD,
ein sonst lieber Mann, hat sich in seine mir noch nicht wohl
faßliche Theorie so leidenschaftlich hineingedacht, daß, wenn es
sich zutrüge, daß Sie in einem oder anderen Stücke, oder wohl
gar in Ansehung seiner ganzen Idee, mit ihm uneins wären, er
darüber in Unzufriedenheit mit seinen Freunden versetzt werden
könnte. Gleichwohl wünsche ich wirklich, daß Sie nichts hinderte,
jene Prüfung zu bearbeiten und heraus[zu]geben und tue dazu den
Vorschlag: daß, wenn Sie mich mit Ihrer Antwort auf diesen
meinen Brief beehren, Sie mir auch Ihre Meinung darüber sagen
möchten: ob Sie wohl dazu einstimmeten, daß ich an REINHOLD
schriebe, ihn mit Ihrem Charakter und jetziger Beschäftigung
bekannt machte und zwischen Ihnen, beiden, da Sie einander so
nahe sind, eine literarische Korrespondenz, die ihm gewiß sehr
lieb sein wird, veranstaltete, wodurch vielleicht eine freundschaft-
liche Übereinkunft in Ansehung dessen, was Sie über jene Materie
schreiben wollen, zustande gebracht werden könnte.
Das Honorarium für Ihre Arbeiten (philosophische sowohl
als mathematische) würde ich zwischen Ihnen und HARTKNOCH
schon vermitteln, wenn Sie mir darüber nur einigen Wink geben;
unter 5 oder 6 Rhtlr. den Bogen brauchen Sie Ihre Arbeit ihm
nicht zu lassen.
7*
loo Von ^akob Sigismund Beck
Ich beharre mit der größten Hochachtung und freundschaft-
lichsten Zuneigung
der Ihrige
Königsberg, I. Kant,
den 27. September 1791.
N. S. Wegen des Postporto bitte ich nochmals, mich keines-
weges zu schonen.
zö8.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den 6. Oktober 1791.
Teuerster Herr Professor!
Vor einiger Zeit erhielt ich einen Brief von dem Buchhändler
Herrn HARTKNOCH aus Riga, der mich bat und zwar, wie er
sagte, auf Ihren Rat, einen Auszug Ihrer sämtlichen Schriften
lateinisch zu schreiben. Da ich keinesweges mir die dazu gehörige
Fertigkeit des Ausdrucks in dieser Sprache zutraue, so lehnte ich
ohne Bed":nken diesen Antrag von mir ab. Ich tat ihm aber
einen andern Vorschlag, den nämlich, Verleger zu werden von
einer Prüfung der Theorie des Vorstellungsvermögens des Herrn
REINHOLDS; oder auch von einer Vergleichung der HUME-
SCHEN Philosophie mit der Ihrigen, die ich nach und nach aus-
arbeiten wollte. Was mich nun auf einmal dazu brachte, was
schreiben zu wollen, war in Wahrheit nicht Geniedrang, sondern
eine behutsame Überlegung. Da ich nämlich bedachte, daß es
um das Lesen eines neuen Magisters eine mißliche Sache ist, und
mein anderweitiger Verdienst so geringe ist, daß bei aller Ein-
schränkung ich dennoch davon nicht subsistieren kann, so fiel
ich auf die, in unsern Tagen leider! von zuvielen zugesprochene,
aber doch noch immer ergiebige Quelle, was zu schreiben. Nun
muß ich freilich gestehen, daß ich nicht sehr gehindert werde,
alle bloße Büchermacher als Betrüger anzusehen. Auch muß ich
das gestehen, daß wegen meiner sehr langsamen Progressen in
der Mathematik, ja deswegen, weil ich nichts Neues der Welt
zu sagen habe, ich mich eben für keinen berufenen Skribenten
ansehen kann. Da ich aber an die Theorie des Vorstellungs-
vermögens dachte, so schien der Vorwurf, darüber was zu schreiben.
J^on Jakob Sigismund Beck loi
einen Teil meiner Bedenklichkeiten zu heben. Ich bin von der
Nichtigkeit dieser Theorie so sehr überzeugt, daß ich imstande
bin, gar Ihnen, mein Urteil darüber zu sagen, und da die Kritik
mich überzeugt hat, so glaubte ich über diese Theorie, nach An-
strengung meiner Kräfte, was Gedachtes und nicht ganz Unnützes
hervorzubringen. Um jedoch nichts zu unternehmen, das auch
späterhin mich mit mir selbst unzufrieden machen dürfte, entschloß
ich mich zu dem, Ihnen, bester Herr Professor, offenherzig mein
Unternehmen anzuzeigen, und Ihren Rat mir darüber auszu-
bitten.
Den 8. Oktober.
So v/eit war ich, da ich Ihren freundschaftlichen Brief vom
27. September erhielt. Nun darf ich mit ttvf2iS mehr Mut weiter-
schreiben. Zuerst muß ich Ihnen sehr danken für das Vertrauen,
das Sie zu mir fassen. So gut ich nur immer kann, werde ich
desselben mich wert zu machen suchen. Mit Freimütigkeit, aber
auch mit Furchtsamkeit schicke ich Ihnen eine Probe meiner
Aufsätze über die Theorie des Vorstellungsvermögens. Sie haben
die Form der Briefe, weil ich sie wdrklich an einen hiesigen
Freund einen gewissen Magister RATH, der im stillen die Kritik
beherzigt, und den ich sehr liebe, gerichtet habe, der mir auch
ein paar Aufsätze dazu als Antworten versprochen hat, so daß
die ganze Schrift vielleicht acht Bogen stark werden könnte.
Aber Sie bitte ich vor allen Dingen, sie zu beurteilen. Das im-
primatur oder non imprimatur soll ganz von Ihnen abhängen.
Eigentlich habe ich wohl die Absicht, sie anonymisch zu schreiben.
Wenn Sie aber Gelegenheit haben, mich mit Herrn REINHOLD
bekannt zu machen, so würde das gleichwohl mir angenehm sein,
und ich würde auch in dem Fall sehr sorgfältig alles, was selbst
entfernt ihn böse machen könnte, meiner Schrift benehmen. Einen
Auszug aus Ihren kritischen Schriften zu machen, wird vorzüglich
daher mir ein angenehmes Geschäfte sein, weil Sie mir erlauben,
meine Bedenklichkeiten grade Ihnen vorzulegen. Die Kritik der
reinen Vernunft habe ich mit dem herzlichsten Interesse studiert,
und ich bin von ihr wie von mathematischen Sätzen überzeugt.
Die Kritik der praktischen Vernunft ist seit ihrer Erscheinung
meine Bibel. Aber ich wünsche jetzt nicht so viel, Ihnen ge-
schrieben zu haben, um einige mir vorkommende Schwierigkeiten,
welche jedoch die eigentliche Moral betreffen, Ihnen vorlegen
zu können.
102 An Theodor Gottlieb von Hippel
An Herrn Professor KRAUS bitte ich inliegenden Brief abzu-
geben. Vor allen Dingen habe ich diesem vortrefflichen Mann
die Ursache angeben müssen, warum ich Schriftstellern will. Aber
Sie habe ich noch ganz vorzüglich zu ersuchen, ihn zu bitten,
daß er mir deshalb nicht böse sein wolle. Seinen Unwillen
fürchte ich mehr als den Tadel der Rezensenten.
Da Sie so gütig sind, zu verlangen, daß ich meinen Brief
nicht frankiere, so tue ich es auch diesesmal nicht. Da jedoch
ich künftig was verdienen werde, so bitte ich für die Zukunft
mir das Porto tragen zu lassen. Ich bin mit der herzlichsten
Hochachtung
der Ihrige
Beck.
An Theodor Gottlieb von Hippel.
Ew. Hochwohlgeboren nehme mir die Freiheit, Inliegendes
zum Durchlesen zu kommunizieren. Herr NICOLOVIUS, der
mir diesen Brief seines Bruders mitgeteilt hat, hat mir nicht ver-
boten, einen solchen Gebrauch davon zu machen, und er enthält
auch keine Heimlichkeit; indessen kann er Sie doch einige Augen-
blicke amüsieren.
Herr Hofprediger SCHULTZ hat mich auf übermorgen
(den nächsten Mittwoch) zur Mittagsmahlzeit invitiert, und ich
habe zugesagt. Zugleich aber hat die Frau Hoipredigerin mich
ersucht, Sie durch meinen LAMPE zu eben derselben Mahlzeit
inständigst zu invitieren. Warum durch diesen Umschweif weiß
ich nicht. Indessen wünsche ich sehr, daß Sie durch diesen
meinen Boten zusagen möchten, um die Ehre zu haben, Ihrer
Gesellschaft zu genießen: der ich mit der vorzüglichsten Hoch-
achtung jederzeit bin
Ew. Hochwohlgeboren
ganz ergebenster Diener
I. Kant.
Den 24. Oktober 1791.
/in F. Th. de la Garde. — Von Georg Christoph Lichtenberg i o 3
170.
An F. Th. de la Garde.
Ew. Hochedelgeboren haben mich, bei Überschickung eines
durchgeschossenen Exemplars von der Kritik der Urteilskraft,
wissen lassen, daß Sie dasselbe, mit der Korrektur der Druck-
fehler und den sonst etwa dabei zu machenden Verbesserungen
und Zusätzen, zu Ende des Oktobers zurück erwarteten. — Allein,
da, vornehmlich was die letztere betrifft, ich notwendig meine
ganze Zeit ununterbrochen dem Durchdenken d$r hier abgehan-
delten Sachen widmen muß, welche ich aber im vergangenen
Sommer bis in den Oktober hinein, durch ungewohnte Amts-
geschäfte und auch manche literarische unvermeidliche Zerstreu-
ungen abgehalten, nicht habe gewinnen können: so werden Sie
sich bis zu Ende Novembers zu gedulden belieben, um welche
Zeit, wie ich hoffe, das Exemplar wieder in Ihren Händen sein
soll; welches ich hiemit habe melden wollen, damit der Buch-
drucker darauf gefaßt sein könne.
Ich bleibe übrigens mit vollkommener Hochachtung
Ew. Hochedelgeboren
Königsberg, ganz ergebenster Diener
den 28. Oktober 175)1. I.Kant.
271.
Von Georg Christoph Lichtenberg.
Vergeben Sie, verehrungswürdiger Herr, einem armen Nerven-
kranken, daß er die Zuschrift eines Mannes, den er schon so
lange über alles schätzt, so spät beantwortet. Was mich bei
dieser Schuld immer vor mir selbst wenigstens etwas rechtfertigt,
wenn sie mich zu hart zu drücken anfing, war das Vertrauen auf
die Freundschaft unsers vortrefflichen Herrn Dr. JACHMANNS,
der Ihnen sowohl meine seltsamen Umstände erklärt, als Sie auch
von dem Enthusiasmus überzeugt haben wird, womit ich Sie,
teuerster Mann, verehre. Herrn Dr. JACHMANNS Schilderung
von ersteren selbst etwas zuzusetzen, hindern mich eben diese
Umstände selbst, etwa so wie beim LESSING dem Heldensänger
I04 yon Georg Christoph Lichtenberg
der Faulheit, die Heldin selbst bei der zweiten Zeile dem Sänger
den Mund stopft, und statt alles, was ich über letztern sagen
könnte, empfangen Sie hier aus dem Innersten meines Herzens
die Versicherung: daß es meine ganze Meinung von mir selbst
nicht wenig erhöht hat, daß ich Ihre Schriften schon im Jahr
1767 mit einer Art von Prädilektion gelesen, und daß ich bei
der Erscheinung Ihrer Kritik, sobald ich nur davon so viel gefaßt
hatte, um zu sehen, wo alles hinaus wollte, gegen einige meiner
Freunde schriftlich und mündlich erklärt habe: gebt acht, das
Land, das uns das wahre System der Welt gegeben hat,
gibt uns noch das befriedigendste System der Philo-
sophie. Das waren meine Worte, ob ich gleich noch nicht alles
übersah, und mit diesen Gesinnungen schrieb ich auch jene im
Taschen-Kalender, die Ihnen zu Gesicht gekommen sind. Ich
rechnete auf diesen Umstand nicht, sondern schrieb sie, weil ich
glaubte, sie Ihren großen Talenten nach meiner Überzeugung
schuldig zu sein. Soviel für jetzt.
Da Herr DIETERICH soeben ein Paket nach Königsberg ab-
schickt, so habe ich mir die Freiheit genommen, ein Exemplar
von meiner neuen Auflage von ERXLEBENS Physik beizulegen.
Was ich in der Vorrede darüber gesagt habe, ist im strengsten
Verstände wahr. Ich wünschte nun fast, daß ich dem Vorschlag
des Verlegers gefolgt wäre, die vorletzte Ausgabe ohne Verände-
rung, weU es an Exemplaren fehlte, abdrucken zu lassen, denn
ich finde nun fast täglich die traurigsten Spuren der Eile und
des Mißmutes. Einige Verbesserungen habe ich auch noch hinter
dem Register angezeigt. Zugleich erfolgen hierbei zwei Exem-
plare des Taschen-Kalenders, wovon ich das eine nach dessen
Adresse, nebst meiner gehorsamsten Empfehlung gütigst bestellen
zu lassen bitte. Sie werden diese heilige Christw^are mit den
Augen ansehen, mit denen man überhaupt Nürnberger Ware ansieht.
Der Goldschaum und die Farben und die unschuldige Absicht
sind immer das beste daran. Ich schreibe diese Blätter deswegen
immer ununterbrochen fort, weil ich damit meinen etwas schweren
Hauszins bezahle, und mein gütiger Wirt, der Verleger diese
Münze, ohne sie zu wägen oder selbst sie nur anzusehen, einsteckt,
daher ich denn schlau genug bin, immer etwas Rechenpfennige
und metallene Knöpfe mit darunter zu mischen. S. ipp unten
ist eine Stelle, die mich in einige Verlegenheit gesetzt hat. Im
Manuskript stund Freunde der neuen Philosophie, allein, als ich
An 3^akob Sigistnund Beck 105
die Stelle im Druck las, kam sie mir so beleidigend für einige
meiner besten Bekannte vor, und das so ganz wider meine
Absicht, daß ich, um keine Partei zu beleidigen und um kurz
abzukommen. Feinde setzte, da sie denn beide wohl mit mir eins
sein werden.^)
Nun leben Sic recht wohl, verehrungswürdiger Mann, und
nehmen Sie mich in Ihren Schutz, denn auch ich habe meine
Feinde, und sein Sie versichert, daß ich mit der größten Hoch-
achtung und Verehrung bin
Ihr
gehorsamster Diener
Göttingen, den 30. Oktober 1791. G. C. Lichtenberg.
272.
An Jakob Sigismund Beck.
Wertester Herr Magister!
Meine Antwort auf Ihr mir angenehmes Schreiben vom
8. Oktober kommt etwas spät, aber, wie ich hoffen will, doch
nicht zu spät, um Sie in Ihren Arbeiten aufgehalten zu haben.
Meine Dekanats- und andere Geschäfte haben mich zeither auf-
gehalten und selbst das Vorhaben, zu antworten, mir aus den
Gedanken gebracht.
Ihre Bedenklichkeit, sich um bloßen Gevv'inns willen dem
leidigen Troß der Büchermacher beizugesellen, ist ganz gerecht.
Eben so vernünftig ist aber auch Ihr Entschluß, wenn Sie glauben
dem Publikum „etwas Gedachtes und nicht Unnützes" vorlegen
zu können, auch ohne den Bewegungsgrund des Erwerbs zu dem
öffenthchen Kapital der Wissenschaft gleich Ihren Vorfahren (deren
hinterlassenen Fonds Sie benutzt haben) auch Ihren Beitrag zu tun.
*) Vgl. Lichtenbergs Erklärung Hogarthischer Kupferstiche im
Göttinger Taschen Calender für das Jahr 1792. Bei der Erklärung des
achten Blattes, das ein Festmahl darstellt, bemerkt L. zu der Figur
eines Gastes, der am Essen nicht teilzunehmen scheint: „Nur der arme,
arme Nr. 3, was wird aus dem werden? Er geht zum Schmaus und
ißt nicht. Oder zehrt er vielleicht an sich? Die Feinde der neueren
Philosophie werden sagen: seht da das Ebenbild einer Metaphysik, die
sich selbst auffrißt."
io6 Von Jak oh S'tgismund Beck
Zwar hätte ich gewünscht, daß Sie von den zwei Abhand-
lungen, die Sie Herrn HARTKNOCH in Vorschlag brachten, die
erstere gewählt hätten, um damit zuerst aufzutreten; weil die
Theorie des Vorstellungsvermögens des Herrn REINHOLD so
sehr in dunkele Abstraktionen zurückgeht, wo es unmöglich wird,
das Gesagte in Beispielen darzustellen, so, daß, wenn sie auch in
allen Stücken richtig wäre (welches ich wirklich nicht beurteilen
kann, da ich mich noch bis jetzt nicht habe hineindenken können),
sie doch eben dieser Schwierigkeit wegen unmöglich von aus-
gebreiteter oder daurender Wirkung sein kann, vornehmlich aber
auch Ihre Beurteilung, so sehr mich auch die mir gütigst zu-
geschickte Probe derselben von Ihrer Gabe der DeutHchkeit auf
angenehme Art überzeugt hat, die der Sache selbst anhängende
Dunkelheit nicht wohl wird vermeiden können. — Vor allem
wünsche ich, daß Herr REINHOLD aus Ihrer Schrift nicht den
Verdacht ziehe, als hätte ich Sie dazu aufgemuntert oder an-
gestiftet, da es vielmehr Ihre eigene Wahl ist; auch kann ich,
wenigstens jetzt noch nicht, Sie mit demselben, wie ich Sinnes
war, bekannt machen, weil es ihm alsdann leichtlich falsche
Freundschaft zu sein scheinen möchte. Übrigens zweifle ich gar
nicht, daß der Ton Ihrer Schrift nichts für diesen guten und
sonst aufgeweckten, jetzt aber, wie mir es scheint, etwas hypo-
chondrischen Mann, Hartes oder Kränkendes enthalten werde.
Ihr Vorhaben, wertester Freund, aus meinen kritischen Schriften
einen Auszug zu machen, da Sie von deren Wahrheit und Nütz-
lichkeit überzeugt zu sein bezeugen, ist ein für mich sehr inter-
essantes Versprechen; da ich meines Alters wegen dazu selbst
nicht mehr wohl auferlegt bin und unter allen, die diesem Ge-
schäfte sich unterziehen möchten, der Mathematiker mir der liebste
sein muß. Die Ihnen, die eigene Moral betrefi^ende, vorgekom-
mene Schwierigkeiten bitte mir zu eröffiien. Mit Vergnügen
werde ich sie zu heben suchen und ich hoffe es leisten zu körmen,
da ich das Feld derselben oft und lange nach allen Richtungen
durchkreuzt habe.
Die mir zugesandte Probe Ihrer Abhandlung behalte ich
zurück, weil in Ihrem Briefe nicht angemerkt ist, daß ich sie
zurückschicken solle.
Aber darin kann ich mich nicht finden; was Sie zum Schlüsse
Ihres Briefes anmerken, daß Sie ihn auf mein Verlangen für das-
mal nicht frankierten und dennoch habe ich ihn frankiert be-
Von 'Johann Benjamin Erhard -107
kommen. Tun Sic doch dieses künftig beileibe nicht. Der
Aufwand bei unserer Korrespondenz ist für mich unerheblich,
für Sie aber jetzt sowohl als noch eine ziemhche Zeit hin er-
heblich gnug, um die letztere deswegen bisweilen auszusetzen,
welches für mich Verlust wäre.
Daß Herr Professor KRAUS alle Gelehrte gern zu Hagestolzen
machen möchte, die, weil so viel Kinder bald nach der Geburt
sterben, sich untereinander bereden, keine mehr zu zeugen, gehört
zu seinen fest beschlossenen Grundsätzen, von denen unter allen
Menschen wohl keiner weniger als ich imstande sein würde, ihn
abzubringen. In Ansehung der Partei, die Sie in diesem Punkte
zu nehmen haben, bleiben Sie, was mich betrifft, noch immer
völlig frei. Ich verlange mich nicht einer Autorsünde teilhaftig
zu machen und wegen der Gewissensskrupel, die Ihnen darüber
etwa dereinst entspringen oder von andern erregt werden möchten,
die Schuld zu tragen: und bleibe übrigens mit aller Hochschätzung
und Freundschaft
Ihr
Königsberg, ergebenster Diener
den 2. November 1791. I- Kant.
273.
Von Johann Benjamin Erhard.
Jena, den 6. September 1791.
Teurster Lehrer!
Innig Hebte und verehrte ich Sie, da ich es noch nicht wagen
durfte, Sie mir unter einen andern Namen zu denken, aber viel
hat diese Liebe und Achtung an frohen Genüsse für mich und
an Einfluß auf mein Leben gewonnen, seitdem mir das Glück
zuteil wurde, Sie auch meinen Freund nennen zu dürfen.
Meine Reise von Königsberg hieher, wo ich bloß meine
Freunde SCHILLER und REINHOLD, in dessen Hause ich nun
wohne, besuche und dann meine Reise meinem Plan gemäß weiter
fortsetze, machte ich ohne allen widrigen Zufall und mit den
seligsten Rückerinncrungen. In Berlin fand ich bei Professor
HERZ eine sehr gute Aufnahme und machte durch ihn viele
I o 8 Von !7ohann Beiiajmin Erhai'd
angenehme Bekanntschaften. Er selbst hat zwar keine Zeit mehr,
sich eigentlich mit Philosophie zu beschäftigen, aber er hat dafür
sehr gute Köpfe um sich gesammelt. Ein gewisser BEN DAVID')
verspricht mir darunter sehr viel für die Zukunft. MAIMON
lernte ich nicht persönlich kennen, ich suchte ihn ein paarmal
auf und fand ihn nicht, aber da ich nun sein philosophisches
Wörterbuch sah, so bedauere ich es nicht im geringsten, denn
dieses verrät, was ich am wenigsten leiden mag, schrecklichen
Hang zum Tiefsinn — ohne allen tiefen Sinn.
Eine meiner wertesten Bekanntschaften machte ich am Kam-
mergerichtsrat KLEIN. ^) Dies ist einer von den seltnen Männern,
deren Enthusiasmus ihlrer Einsicht untergeordnet ist, ohne erkaltet
zu sein. Der vorzüglichste Gegenstand unserer Unterhaltung war
das Kriminalrechr Ich will die Hauptpunkte, in denen wir
übereinkamen, Ihnen zu Ihrer Prüftmg, die Sie mir wohl nicht
versagen? vorlegen.
1. Die Übertretung der Gesetzen, nicht der Schaden der Ge-
sellschaft bestimmt die Größe des Verbrechens.
2. EigentUch Verbrechen (Crimina) können, da das moralische
Gesetz nicht bedingt unter Drohung eines gewissen Ver-
lustes gebietet, auch nicht bedingt verboten sein, so näm-
lich, daß durch die Erduldung der Strafe allein, ohne
Buße der Verbrecher wieder eben so moraHsch als vor
den Verbrechen anzusehen sei.
3. Da das Gesetz absolut gebietet, so kann auch die Strafe
nicht als ein Mittel zu einem andern Zweck, sondern
einzig zur Heiligung (nicht zur Erfüllung auf eine andere
Art) des Gesetzes gebraucht werden.
4. Sie ist also etwas Verwirktes, das ohne alle andere Er-
wartung oder Absicht erduldet werden muß.
5. Aber da nicht Genugtuung des Schadens, noch Besserung
noch Beispiel die Absicht der Strafe sein kann, so kann
man auch nicht sagen, daß sie die Erduldung eines physi-
schen Übel, als solches, wegen eines moralischen Vergehens
sei, sondern sie ist das Symbol der Strafwürdigkeit einer
Handlung, durch eine denen Rechten, die der Verbrecher
verwirkt hat, entsprechende Kränkung desselben.
^) Lazarus Bendavid s. Bd. IX, S. 367.
*) Ernst Ferdinand Klein (1744 — 18 10), hervorragender Jurist,
Kammergerichtsrat in Berlin.
Von 'Johann Benjamin Erhard 109
6. Die Bestrafung setzt die Einsicht der Verbindlichkeit mo-
ralisch zu handeln, die Mündigkeit des Verbrechers voraus.
Unmündige können nur gezüchtigt werden.
7. Die Bestrafung setzt die Fähigkeit der Reflexion während
der Handlung voraus, im Falle diese bei dem Verbrecher
nicht stattfand, kann er auch nicht gestraft werden, sondern
er ist der Rechte der Mündigkeit verlustigt und wird ge-
züchtigt.
8. Meinen Rechten ist ihre Gültigkeit entweder durch die
Gesellschaft allein gesichert, oder auch einesteils durch
mich selbst, obgleich meine Macht nicht immer hinläng-
lich ist. Im ersten Fall macht sich der Verbrecher dieser
Gültigkeit verlustigt, und im andern Falle ersetzt die Ge-
sellschaft meine physische Macht und behandelt den Ver-
brecher nach dem Recht, das er mir durch seine Be-
leidigung über ihn gab. Zum Beispiel der Dieb macht
sich seines Eigentums verlustigt. Der Mörder hätte dürfen
von mir umgebracht werden, ehe er seine Absicht aus-
führte, die Gesellschaft übt also meinRecht über ihn aus.
9. Das morahsche Gesetz gibt mir nicht allein die Vorschrift,
wie ich andere behandeln soll, sondern auch, wie ich
mich von andern soll behandeln lassen, es verbietet mir
sowohl den Mißbrauch anderer Menschen, als die Er-
duldung desselben, die Wegwerfung meiner selbst.
10. Es ist mir daher ebensowohl befohlen, kein Unrecht zu
leiden als keines zu tun. Aber ersteres ist mir allein
ohne Hilfe zwar im Vorsatz aber nicht in der Ausfährung
möglich, und dadurch ist mir und allen Menschen die
Aufgabe gemacht, ein Mittel zu finden, durch welches
meine physischen Kräfte meinen moralischen Forderungen
gleich würden. Hieraus entspringt der moralische Trieb
und die Verbindlichkeit zur Geselligkeit,
1 1. Durch die Gesellschaft wird nun das Erlaubte zum Recht,
und die Übertretung der Sittengesetze zum Verbrechen.
Nur nach der Entwicklung der Rechte lassen sich die
Verbrechen richtig ihrer Größe nach bestimmen.
1 2. Die Gesellschaft, insofern sie den Schutz der Rechte und
die Bestrafijng der Verbrechen zur Hauptabsicht hat, heißt
bürgerliche Gesellscliaft. Sie ist daher nicht bloß nützlich,
sondern heilig.
I 10
Von !^ohann Benjamin Erhard
13. Verachtung und Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft,
Hochverrat ist daher das größte Verbrechen, und seine
Strafe darf durch keine andere irgend eines Verbrechens
übertrotFen werden.
Ich bleibe hier stehen, weil ich einige Anmerkungen über
diese i 3 Sätze beifügen will. Die Ordnung, in der ich sie stellte,
mag wohl nicht die beste sein, aber ich folgte meinem Ideen-
gang, der immer halb analytisch und halb synthetisch ist. Dann
machte es mir auch einige Mühe, aufrichtig zu sein, weil ich
hier schon den Anfang eines Aufsatzes meines Freundes über die
Prinzipien des Naturrechts las, worinnen ich manche ßegrifi- viel
besser entwickelt und ausgedrückt fand, als sie bei mir waren,
da ich mit KLEIN sprach, und ich Ihnen doch unsere gemein-
schaftlichen Grundsätze vorlegen wollte. Der 1 3 . Satz gehört
auch eigentlich nicht mehr hinzu, aber ich fügte ihn bei, weil
er mir eine Bestätigung meiner Lieblingshypothese scheint, daß
die Menschen nie etwas hervorbrachten, glaubten, liebten oder
verabscheueten, wozu sich nicht eine Veranlassung in den edlern
Teil ihrer Natur findet. Ihre Verirrungen kommen immer daher,
daß sie ihre eigenen Geschöpfe für ihre Götter ansehen. Ich
stelle mir die Sache so vor. Bei der Philosophie (worunter ich
hier alles verstehe, was sich auf das moralische Interesse der
Menschen bezieht, auch die Theologie) ist es nicht wie mit
andern Wissenschaften und Künste, deren Stoffe sich nur nach
und nach darbieten, deren Beobachtung oft Werkzeuge erfordert,
sondern aller Stoff der Philosophie war von jeher dem Menschen
ganz gegeben, und von seiner Kraft und Willen hing es ab, wie
viel er zum klaren oder deutlichen Bewußtsein davon brachte. Für
den, dessen reine Moralität ihn fähig machte, in sich zu kehren,
waren diese Kenntnisse das, was sie sind, Entdeckungen des edlern
Teil des Menschen, und keine außer uns hypostasierte Ideale,
aber für den, der diese Entdeckungen nicht selbst machte, waren
sie etwas, das der Erkenntnis, die einen objektiven Stoff, fordert,
ganz analog war, und sie setzten einen erdichteten objektiven
Stoff voraus, ja selbst die ersten Entdecker konnten, da sie oft
schon in Rücksicht anderer Erkenntnisse zu dieser Verfahrungsar t
gewöhnt waren, endlich selbst in Rücksicht auf ihre eigene
Lehren in diesen Irrtum verfallen. War nun einmal ein hypo-
stasiertes Ideal angenommen, so wurde es, da ihm kein Objekt
korrespondierte und doch jeder eine neue Entdeckung daran
Von ^akob Sigismund Beck
1 1 1
machen wollte, zum Phantom, und in dieser Gestalt blieb es den
Scharfsichtigen und Boshaften nicht mehr heilig genug, um nicht
zu betrügerischen Absichten gebraucht zu werden. Ein gleiches
Schicksal hatte auch der Begriff von Hochverrat und seine ge-
rechteste Bestrafung die Achtserklärung.
Gleiches Schicksal werden alle philosophische Kenntnisse noch
immer haben, bis sich die Menschen an dem behutsamen Geist
des Piülosophierens allgemein gewöhnen, den Sie ihnen zeigten.
Ich Weiß nicht, ob ich mich deutlich über meine letzte Meinung
ausdrücken konnte, ich zweifle selbst daran, aber ich hoffe, daß
Ihre Erinnerung mir dazu verhelfen werden.
Leben Sie noch lange wohl.
Ihr
Sie innigst verehrender
Jo. Benj. Erh.
N. S. Meine Adresse ist an Herrn FRANZ PAUL Baron
VON HERBERT in Klagenfurt.
Z74.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den ii. November 1791.
Teuerster Herr Professor!
Bald nachdem ich den Brief vom 2. Oktober an Sie geschrieben
hatte, und noch täglich an der Prüfung der Theorie des Vor-
steUungsvermögens etwas arbeitete, wurde der Gedanke mir immer
auffallender, daß ich doch im Grunde für kein Publikum schriebe.
Da ich nun gestern Ihren mir sehr heben Brief vom 2. No-
vember erhielt, so beschloß ich gleich, diese Arbeit ganz beiseite
zu legen. Aber, obgleich dem so ist, so liegt mir doch daran,
Sie zu versichern, daß ich weit entfernt gewesen, etwas in meine
Schrift zu setzen, -was Herrn REINHOLD auf den Gedanken
bringen könnte, daß Sie was darum wüßten. Auch hatte ich
mir nichts Hartes gegen diesen Mann erlaubt, der des Wahrheit-
gefühls wegen, das er in seiner Schrift äußert, mir immer sehr
schätzbar ist. Ganz unnütze für mich ist auch meine Beschäfti-
gung mit seiner Theorie nicht gewesen, indem ich vieles mehr
nachgedacht und mir auch geläufiger gemacht habe.
112
Von fakob Sigismund Beck
Ich wende mich nun zu der mir weit interessanteren Arbeit,
einen Auszug aus Ihren kritischen Schriften zu verfertigen, und
schiebe die dem Herrn HARTKNOCH angebotene Schrift über
HUME noch etwas auf. Mit dem mir möghchen Fleiß will ich
arbeiten und werde, bester Herr Professor, da Sie es mir ja er-
lauben, Ihnen das schreiben, was ich noch nicht tief genug bis
zur eigenen Beruhigung einsehe. Wenn Sie nun so gütig sein
wollen, deswegen an Herrn HARTKNOCH zu schreiben, so wird
mir das sehr angenehm sein. Er wird aber auch so gut sein
müssen, mir aus seinem Lager in Leipzig einige Sachen, besonders
Journale, die ich mir ausbitten werde, zu schicken.
Und nun, erlauben Sie mir zu fragen, ob ich in folgendem
Ihren Sinn treffe. Nur muß ich Sie vorher bitten, doch nicht
verdrüßlich zu werden, wenn bei der Versicherung die Kritik
beherzigt zu haben, ich doch vielleicht zu fehlerhaft schreibe.
Die Kritik nennt die Anschauung eine Vorstellung, die sich
unmittelbar auf ein Objekt bezieht. Eigentlich aber wird doch
eine Vorstellung allererst durch Subsumtion unter die Kategorien
objektiv. Und da auch die Anschauung diesen, gleichsam objek-
tiven Charakter, auch nur durch Anwendung der Kategorien auf
dieselbe erhält, so wollte ich gern jene Bestimmung der An-
schauung, wonach sie eine auf Objekte sich beziehende Vor-
stellung ist, weglassen. Ich finde doch in der Anschauung nichts
mehr, als ein vom Bewußtsein (oder dem einerlei Ich denke)
begleitetes und zwar bestimmtes Mannigfaltige, wobei noch keine
Beziehung auf ein Objekt scattfindet. Auch den Begriff will
ich nicht gern eine Vorstellung, die sich mittelbar auf ein
Objekt bezieht, nennen; sondern unterscheide ihn darin von der
Anschauung, daß diese durchgängig bestimmt, und jener nicht
durchgängig bestimmt ist. Denn Anschauung und Begriff erhalten
ja erst durch das Geschäfte der Urteilskraft, die sie dem reinen
Verstandesbegriff subsumiert, das Objektive, f)
f) Anmerkung Kants: „Die Bestimmung eines Begriffs durch die An-
schauung zu einer Erkenntnis des Objekts gehört für die Urteilskraft, aber
nicht die Beziehung der Anschauung auf ein Objekt überhaupt; denn das
ist bloß» der logische Gebrauch der Vorstellung, dadurch diese als zum
Erkenntnis gehörig gedacht wird, dahingegen wenn diese einzelne Vor-
stellung bloß aufs Subjekt bezogen wird, der Gebrauch ästhetisch isc (Ge-
fühl) und die Vorstellung kein Erkenntnisstück werden kann."
Von Jakoh Sigismuyid Beck 1 1 j
Unter dem Worte verbinden in der Kritik verstehe ich
nichts mehr noch minder, als das Mannigfaltige von dem identi-
schen Ich denke, begleiten, wodurch überhaupt eine Vorstellung
entsteht. Nun meine ich, daß die ursprüngliche Apperzeption
eben um dieser einen Vorstellung willen, die dadurch nur zu-
stande kommen kann, von der Kritik die Einheit der Apper-
zeption genannt wird. Aber habe ich auch darin recht, daß ich
beide verwechsele, oder vielmehr darin lediglich den Unterschied
finde, daß das reine Ich denke, obgleich es nur an der Syn-
thesis des Mannigfaltigen erhalten wird, doch überhaupt (da es
selbst nichts Mannigfaltiges in sich schließt) als etwas Unab-
hängiges von demselben gedacht wird; hingegen die Einheit des
Bewußtseins in der Identität desselben bei den Teilen des Man-
nigfaltigen zu setzen sei? Diese Einheit erhält nun in meinen
Augen den Charakter der objektiven Einheit, wenn die Vor-
stellung selbst unter die Kategorie subsumiert wird. Herr REIN-
HOLD spricht von einer Verbindung und einer Einheit im Be-
griff, einer zweiten Verbindung und einer zweiten Einheit (von
der zweiten Potenz, wie er sich ausdruckt) im Urteil. Auch hat
er noch eine dritte im Schluß. Davon verstehe ich zwar nicht
ein Wort, indem ich unter Verbinden nichts mehr als das Man-
nigfaltige vom Bewußtsein begleiten, verstehe, aber doch macht
es mich mißtrauisch gegen mich selbst.
Mein teuerster Lehrer, Ihnen Zeit rauben ist nicht meine
Sache. Aber, indem ich für diesesmal nichts weiteres Ihnen vor-
legen will, muß ich Sie inständigst bitten, mit wenigen Worten
mich über das Vorgelegte zu beruhigen. ' Denn wenn ich irre,
so würden doch wohl nur einige Winke hinlänghch mich auf
die rechte Bahn führen. Es verhält sich mit diesem Studium
darin ganz anders wie mit dem der Mathematik. Sätze der letztern,
einmal deutlich eingesehen, können wohl an Deutlichkeit nichts
mehr gewinnen. Dies letztere findet doch in der Philosophie
statt. KLÜGEL, dessen Scharfsinn ich oft zu bemerken Gelegen-
heit habe, versichert mich, daß, obgleich gar einmal er ein
Kollegium über die Metaphysik der Natur gelesen, er lange
nachher erst ein einigermaßen wid ges Vorurteil sowohl gegen
jene Metaphysik, als auch wohl gegen die Kritik bis auf den
Punkt, daß er sie schätze, indem er sie immer mehr verstehe,
abgelegt habe. Ich erinnere mich noch gar wohl, wie er, um die
Zeit, da ich hier angekommen war, über die Bestimmung, wonach
Kants Schriften. Bd. X. g
114 ^^^ .7akoh Sigismund Beck
die Mathematik eine Wissenschaft durch Konstruktion der Be-
griffe sei, urteilte. Ich konnte lange nicht erraten, was er damit
haben wollte, daß sie eine Wissenschaft der Formen der Größen
sei, und erfuhr erst, da ich disputierte, daß seine Erklärung genau
mit der Ihrigen kongruiere. Die Kritik der Urteilskraft befriedigt
mich ganz. Nur müssen Sie nicht zürnen, daß ich jetzt erst mit
dem ästhetischen Teil fertig bin. Ich bin mit der reinsten Hoch-
achtung
der Ihrige
Beck.
An Jakob Sigismund Beck.
Wertester Freund 20. Januar 1792.
Ich habe Sie auf Ihren Brief vom 9. Dezember vorichten Jahres
lange warten lassen, doch ohne meine Schuld, weil mir dringende
Arbeiten auf dem Halse lagen, das Alter mir aber eine sonst
nicht gefühlte Notwendigkeit auferlegt, über einen Gegenstand,
den ich bearbeite, das Nachdenken durch keine allotria zu unter-
brechen» bis ich mit diesem zu Ende bin; weil ich sonst den
Faden nicht mehr wohl auffinden kann, den ich einmal aus den
Händen gelassen habe. Künftig soll es, wie ich hoffe, keinen
so langen Aufschub mehr geben.
Sie haben mir Ihre gründliche Untersuchung von demjenigen
vorgelegt, was gerade das schwerste von der ganzen Kritik ist,
nämlich die Analysis einer Erfahrung überhaupt und die Prinzipien
der Möglichkeit der letzteren. — Ich habe mir sonst schon einen
Entwurf gemacht in einem System der Metaphysik diese Schwierig-
keit umzugehen und von den Kategorien nach ihrer Ordnung
anzufangen (nachdem ich vorher bloß die reine Anschauungen
von Raum und Zeit, in welchen ihnen Objekte allein gegeben
werden, vorher exponiert habe, ohne noch die Möglichkeit der-
selben zu untersuchen) und zum Schlüsse der Exposition jeder
Kategorie, zum Beispiel der Quantität und aller darunter ent-
haltenen Prädikabilien, samt den Beispielen ihres Gebrauchs, nun
beweise: daß von Gegenständen der Sinne keine Ei fahrung möglich
sei, als nur, sofern ich a priori voraussetze, daß sie insgesamt
als Größen gedacht werden müssen und so mit allen übrigen;
wobei dann immer bemerkt wird, daß sie uns nur als in Raum
An Jakoh Sigismund Beck 1 1 5
und Zeit gegeben vorgestellt werden. Woraus dann eine ganze
Wissenschaft der Ontologie als immanenten Denkens das ist
desjenigen, dessen Begriffen man ihre objektive Realität sichern
kann, entspringt. Nur nachdem in der zweiten Abteilung gezeigt
worden, daß in derselben alle Bedingungen der Möglichkeit
der Objekte immer wiederum bedingt seien und gleichwohl die
Vernunft unvermeidlich aufs Unbedingte hinauszugehen antreibt,
wo unser Denken transszendent wird, das ist den Begriffen
derselben als Ideen die objektive Realität gar nicht verschafft
werden und also kein Erkenntnis der Objekte durch dieselbe
stattfinden kann: in der Dialektik der reinen Vernunft (der Auf-
stellung ihrer Antinomien) wollte ich zeigen, daß jene Gegen-
stände möglicher Erfahrung als Gegenstände der Sinne die Objekte
nicht als Dinge an sich selbst, sondern nur als Erscheinungen zu
erkennen geben und nun allererst die Deduktion der Kategorien
in Beziehung auf die sinnliche Formen von Raum und Zeit als
Bedingungen der Verknüpfung derselben zu einer möglichen Er-
fahrung vorstellig machen, den Kategorien selbst aber als Begriffen,
Objekte überhaupt zu denken (die Anschauung mag von einer
Form sein welche sie wolle) dann den auch über die Sinnen-
grenzen erweiterten Umfang, der aber kein Erkenntnis verschafft,
ausmachen. Allein hievon gnug.
Sie haben es ganz wohl getroffen, wenn Sie sagen: „Der In-
begriff der Vorstellungen ist selbst das Objekt und die Hand-
lung des Gemüts, wodurch der Inbegriff der Vorstellungen vor-
gestellt wird, heißt sie auf das Objekt beziehen." Nur kann man
noch hinzufügen: wie kann ein Inbegriff: Complexus der Vor-
stellungen vorgestellt werden? Nicht durch das Bewußtsein, daß
er uns gegeben sei; denn ein Inbegriff erfordert Zusammen-
setzen (synthesis) des Mannigfaltigen. Er muß also (als In-
begriff) gemacht werden und zwar durch eine innere Handlung,
die für ein gegebenes Mannigfaltige überhaupt gilt und a priori
vor der Art, wie dieses gegeben wird, vorhergeht, das ist er kann
nur durch die synthetische Einheit des Bewußtseins desselben in
einem Begriffe (vom Objekte überhaupt) gedacht werden und
dieser Begriff, unbestimmt in Ansehung der Art, wie etwas in
der Anschauung gegeben sein mag, auf Objekt überhaupt bezogen,
ist die Kategorie. Die bloß subjektive Beschaffenheit des vor-
stellenden Subjekts, sofern das Mannigfaltige in ihm (für die Zu-
sammensetzung und die synthetische Einheit desselben) auf be-
iiö An Jakoh S'tgtsmund Beck
sondere Art gegeben ist, heißt Sinnlichkeit und diese Art der
Anschauung a priori gegeben die sinnliche Form der Anschauung.
Beziehungsweise auf sie werden vermittelst der Kategorien die
Gegenstände bloß als Dinge in der Erscheinung und nicht nach
dem, was sie an sich selbst sind, erkannt; ohne alle Anschauung
werden sie gar nicht erkannt, aber doch gedacht, und wenn man
nicht bloß von aller Anschauung abstrahiert, sondern sie sogar
ausschließt, so kann den Kategorien die objektive Realität (daß
sie überhaupt etwas vorstellen und nicht leere Begriffe sind) nicht
gesichert werden.
Vielleicht können Sie es vermeiden, gleich anfänglich Sinn-
lichkeit durch Rezeptivität, das ist die Art der Vorstellungen, wie
sie im Subjekte sind, sofern es von Gegenständen affiziert wird,
zu definieren und es in dem setzen, was in einem Erkenntnisse
bloß die Beziehung der Vorstellung aufs Subjekt ausmacht, so,
daß die Form derselben in dieser Beziehung aufs Objekt der
Anschauung nichts mehr als die Erscheinung desselben erkennen
läßt. Daß aber dieses Subjektive nur die Art, wie das Subjekt
durch Vorstellungen affiziert \vird, mithin bloß Rezeptivität des-
selben ausmache, liegt schon darin, daß es bloß die Bestimmung
des Subjekts ist.
Mit einem Worte: da diese ganze Analysis nur zur Absicht
hat, darzutun: daß Erfahrung selbst nur vermittelst gewisser syn-
thetischer Grundsätze a priori möglich sei, dieses aber alsdann,
wenn diese Grundsätze wirklich vorgetragen werden, allererst
recht faßlich gemacht werden kann, so halte ich für ratsam, ehe
diese aufgestellt werden, so kurz wie möglich zu Werke zu gehen.
Vielleicht kann Ihnen die Art, wie ich hiebei in meinen Vor-
lesungen verfahre, wo ich kurz sein muß, hiezu einigermaßen
behülflich sein.
Ich fange damit an, daß ich Erfahrung durch empirische
Erkenntnis definiere. Erkenntnis aber ist die Vorstellung eines
gegebenen Objekts als eines solchen durch Begriffe; sie ist
empirisch, wenn das Objekt in der Vorstellung der Sinne (welche
also zugleich Empfindung und diese mit Bewußtsein verbunden,
das ist Wahrnehmung enthält) Erkenntnis aber a priori, wenn
das Objekt zwar, aber nicht in der Sinnenvorstellung (die also
doch nichtsdestoweniger immer sinnlich sein kann) gegeben ist.
Zum Erkenntnis werden zweierlei Vorstellungsarten erfordert:
I. Anschauung, wodurch ein Objekt gegeben, und 2. Begriff^
An 'Jakoh Sigismund Beck 1 1 7
wodurch es gedacht wird. Aus diesen zwei Erkenntnisstücken
nun ein Erkenntnis zu machen, wird noch eine Handlung er-
fordert: das Mannigfaltige in der Anschauung Gegebene
der synthetischen Einheit des Bewußtseins, die der Begriff aus-
drückt, gemäß, zusammenzusetzen. Da nun Zusammensetzung
durch das Objekt oder die Vorstellung desselben in der An-
schauung nicht gegeben, sondern nur gemacht sein kann, so
beruht sie auf der reinen Spontaneität des Verstandes in Begriffen
von Objekten überhaupt (der Zusammensetzung des mannigfaltigen
Gegebenen) Weil aber auch Begriffe, denen gar kein Objekt
korrespondierend gegeben werden könnte, mithin ohne alles
Objekt nicht einmal Begriffe sein würden (Gedanken, durch die
ich gar nichts denke), so muß ebensowohl a priori ein Mannig-
faltiges für jene Begriffe a priori gegeben sein und zwar, weil
es a priori gegeben ist, in einer Anschauung ohne Ding als Gegen-
stand, das ist in der bloßen Form der Anschauung, die bloß
subjektiv ist (Raum und Zeit), mithin der bloß sinnlichen An-
schauung, deren Synthesis durch die Einbildungskraft unter der
Regel der synthetischen Einheit des Bewußtseins, welche der
Begriff enthält, gemäß; da dann die Regel auf Wahrnehmungen
(in denen Dinge den Sinnen durch Empfindung gegeben werden)
angewandt, die des Schematismus der Verstandesbegriffe ist.
Ich beschließe hiemit meinen in Eile abgefaßten Entwurf und
bitte, sich durch meine Zögerung, die durch zufällige Hindernisse
verursacht worden, nicht abhalten zu lassen, Ihre Gedanken mir,
bei jeder Veranlassung durch Schwierigkeiten, zu eröffnen und bin
mit der vorzügUchsten Hochachtung
Der Ihrige
Königsberg, I. Kant,
den ZG. Januar 1791.
N. S. Inliegenden Brief bitte doch sofort auf die Post zu
geben.
1 1 8 Von Johann Gottlieb Fichte
Von Johann Gottlieb Fichte.
Wbhlgeborner Herr,
Höchstzuverehrender Herr Professor,
Ich habe ohnlängst die meinem Herzen sehr erfreuHche Nach-
richt erhalten, daß Euer Wohlgeborn mit der liebevollsten Be-
sorgsamkeit bei jener unerwrarteten Zensurverweigerung') und
Herrn HARTUNGS darauf gefaßten Entschlüsse in Ihrem Rate
dabei auf mein mögliches künftiges Wohl bedacht gew^esen sind.
Das Andenken und die Besorgsamkeit eines Mannes, der meinem
Herzen über alles ehrw^ürdig ist, ist mir teuer, und ich versichere
Dieselben hierdurch meiner wärmsten Dankbarkeit dafür; eine
Versicherung, die ich, um Ihrer Zeit zu schonen, erst später würde
gegeben haben, wenn ich nicht zugleich Ihres Rats bedürfte.
Ein Gönner nämlich, den ich verehre, bittet mich in einem
Briefe über diesen Gegenstand, der mit einer Güte geschrieben
ist, die mich rührt, bei einer durch diesen Aufschub des Drucks
vielleicht möglichen Revision der Schrift doch noch ein paar
Punkte in ein ander Licht zu stellen, die zwischen ihm und mir
zur Frage gekommen sind. Ich habe nämlich gesagt, daß der
Glaube an eine gegebene Offenbarung vernunftmäßig nicht aut
Wunderglauben gegründet werden könne, weil kein Wunder, als
solches, zu erweisen sei; habe aber in einer Note hinzugesetzt,
daß man, nach anderweitigen guten Gründen, daß eine Offen-
barung als göttlich" annehmbar sei, sich allenfalls der Vorstellung
von bei ihr geschehnen Wundern bei Subjekten, die so etwas
bedürfen, zur Rührung und Bewunderung bedienen könne; die
einzige Milderung, die ich diesem Satze geben zu können glaubte.
Ich habe ferner gesagt, daß eine Offenbarung weder unsre dog-
matischen noch moralischen Erkenntnisse ihrer Materie nach
erweitern könne; aber wohl zugestanden, daß sie über transszen-
dente Gegenstände, über welche wir zwar das Daß glauben, über
das Wie aber nichts erkennen können, etwas bis zur Erfahrung
^) Der Dekan der theologischen Fakultät in Halle hatte die Druck-
erlaubnis für Fichtes „Versuch einer Kritik aller Offenbarung" ver-
weigert; doch konnte die Schrift erscheinen, nachdem er von seinem
Amt zurückgetreten war (s. Fichtes Leben I, 138 f.).
An Johann Heinrich Kant 119
provisorisch, und für die, die es sich so denken wollen, subjektiv
Wahres hinstellen könne, welches aber nicht für eine materielle
Erweiterung, sondern bloß für eine zur Form gehörige ver-
körpernde Darstellung des schon a priori gegebnen Geistigen zu
halten sei. Ohnerachtet fortgesetzten Nachdenkens über beide
Punkte habe ich bis jetzt keine Gründe gefunden, die mich be-
rechtigen könnten, jene Resultate abzuändern. Dürfte ich Euer
Wohlgeborn, als den kompetentesten Richter hierüber, ersuchen,
mir auch nur in zwei Worten zu sagen, ob, und auf welchem
Wege andere Resultate über diese Punkte zu suchen seien, oder
ob eben jene die einzigen seien, auf welche eine Kritik des
Offenbarungsbegritfes unausweichlich führen müsse? Ich werde,
wenn Euer Wohlgeborn die Güte dieser zwei Worte für mich
haben sollten, keinen andern Gebrauch davon machen, als den,
der mit meiner innigen Verehrung gegen Sic übereinkommt. Auf
oben gedachten Brief habe ich mich schon dahin erklärt, daß ich
der Sache weiter nachzudenken nie ablassen und stets bereit sein
würde, zurückzunehmen, was ich als Irrtum anerkennen würde.
Über die Zensurverweigerung an sich habe ich, nach den so
deutlich an den Tag gelegten Absichten des Aufsatzes, und nach
dem Tone, der durchgängig in ihm herrscht, [mich] nicht anders
als wundern können. Auch sehe ich schlechterdings nicht ein,
woher die theologische Fakultät das Recht bekam, sich mit
der Zensur einer solchen Behandlung einer solchen Frage zu be-
fassen.
Ich wünsche Euer Wohlgeborn die unerschüttertste Gesund-
heit, empfehle mich der Fortdauer Dcroselben gütiger Gesin-
nungen, und bitte Sie zu glauben, daß ich mit der innigsten
Verehrung bin
Euer Wohlgeborn
Krockow, p. Neustadt ganz gehorsamster
den 2 3 . Januar 1792. J. G. Fichte.
277.
An Johann Heinrich Kant.
Lieber Bruder!
Bei dem Besuche, den Überbringer dieses, Herr REIMER, ein
Verwandter von Deiner Frau, meiner werten Schwägerin, bei mir
120
An jfohamt Gottlieb Fichte
abgelegt hat, ermangle ich nicht, was sich meiner überhäuften
Beschäftigungen wegen nur in außerordentlichen Fällen tun läßt,
mich bei Dir durch einen Brief in Erinnerung zu bringen. Un-
erachtet dieser scheinbaren Gleichgültigkeit habe ich an Dich,
nicht allein so lange wir beiderseitig leben, oft genug, sondern
auch für meinen Sterbefall, der in meinem Alter von 6% Jahren
doch nicht mehr sehr entfernt sein kann, brüderlich gedacht.
Unsere zwei übrige, beides verwitwete Schwestern sind, die älteste,
welche fünf erwachsene und zum Teil schon verheiratete Kinder
hat, gänzlich durch mich, die andere, welche im Sankt Georgen-
hospital eingekauft ist, durch meinen Zuschuß versorgt. Den
Kindern der ersten habe, bei ihrer anfänglichen häuslichen Ein-
richtung, meinen Beistand, und auch nachher, nicht versagt; so,
daß, was die Pflicht der Dankbarkeit, wegen der uns von unseren
gemeinschaftlichen Eltern gewordenen Erziehung fordert, nicht
versäumt wird. Wenn Du mir einmal von dem Zustande Deiner
eigenen Familie Nachricht geben willst, so wird es mir angenehm
sein.
Übrigens bin ich, in Begrüßung meiner mir sehr werten
Schwägerin, mit unveränderlicher Zuneigung
Königsberg, Dein
d. 26. Januar treuer Bruder
17p 2 I. Kant.
278.
An Johann Gottlieb Fichte.
Ew. Wohlgeboren verlangen von mir belehrt zu werden, ob
nicht für Ihre in der jetzigen strengen Zensur durchgefallene Ab-
handlung eine Remedur gefunden werden könne, ohne sie gänz-
lich zur Seite legen zu dürfen. Ich antworte: Nein! soviel ich
nämlich, ohne Ihre Schrift selbst durchgelesen zu haben, aus dem,
was Ihr Brief als Hauptsatz derselben anführt, nämlich „daß der
Glaube an eine gegebene Offenbarung vernunftmäßig nicht auf
Wunderglauben gegründet werden könne", schließen kann.
Denn hieraus folgt, unvermeidlich, daß eine Religion über-
haupt keine andern Glaubensartikel enthalten könne, als die es
auch für die bloße reine Vernunft sind. Dieser Satz ist nun
meiner Meinung nach zwar ganz unschuldig und hebt weder die
An Johann Gottlieb Fichte
IZI
subjektive Notwendigkeit einer Offenbarung, noch selbst das
Wunder auf (weil man annehmen kann, daß, ob es gleich mög-
lich ist, sie, wenn sie einmal da sind, auch durch die Vernunft
einzusehen, ohne Offenbarung aber die Vernunft doch nicht von
selbst darauf gekommen sein würde, diese Artikel zu introdu-
zieren, allenfalls anfangs Wunder vonnöten gewesen sein können,
die jetzt der Religion zugrunde zu legen, da sie sich mit ihren
Glaubensartikeln nun schon selbst erhalten kann, nicht mehr
nötig sei); allein nach den, wie es scheint, jetzt angenommenen
Maximen der Zensur würden Sie damit doch nicht durchkommen.
Denn nach diesen sollen gewisse Schriftstellen so nach dem Buch-
staben in das Glaubensbekenntnis aufgenommen werden, wie sie
von dem Menschenverstände schwerlich auch nur gefaßt, viel
w^eniger durch Vernunft als wahr begriffen werden können, und
da bedürfen sie allerdings zu allen Zeiten der Unterstützung durch
Wunder und können nie Glaubensartikel der bloßen Vernunft
werden. Daß die Offenbarung dergleichen Sätze nur aus Akkom-
modation für Schwache in einer sinnlichen Hülle aufzustellen die
Absicht hege, und dieselbe insofern auch, ob zwar bloß subjek-
tive Wahrheit haben könne, findet bei jenen Zensurgrundsätzen
gar nicht statt; denn diese fordern Anerkennung der objektiven
Wahrheit derselben nach dem Buchstaben.
Ein Weg bliebe Ihnen aber doch noch übrig, Ihre Schrift
mit den (doch nicht völlig bekannten) Ideen des Zensors in
Übereinstimmung zu bringen; wenn es Ihnen gelänge, ihm den
Unterschied zwischen einem dogmatischen, über allen Zweifel
erhabenen Glauben und einem bloß moralischen, der freien, aber
auf moralische Gründe (der Unzulänglichkeit der Vernunft, sich
in Ansehung ihres Bedürfnisses selbst Genüge zu leisten) sich
stützenden Annehmung begreiflich und gefällig zu machen;
da alsdann der auf Wunderglauben durch moralisch gute Ge-
sinnung gepfropfte Religionsglaube ungefähr so lauten würde;
„Ich glaube, lieber Herr! (d. i. ich nehme es gern an, ob ich es
gleich weder mir noch andern hinreichend beweisen kann); hilf
meinem Unglauben!" Das heißt den moralischen Glauben in
Ansehung alles dessen, was ich aus der Wundergeschichtserzählung
zu innerer Besserung für Nutzen ziehen kann, habe ich und
wünsche auch den historischen, sofern dieser gleichfalls dazu bei-
tragen könnte, zu besitzen. Mein unvorsätzlicher Nichtglaube
ist kein vorsätzlicher Unglaube. Allein Sie werden diesen
122
Von Johann Heinrich Kant
Mittelweg schwerlich einem Zensor gefällig machen, der, wie zu
vermuten ist, das historische Credo zur unnachläßlichen Rcligions-
pflicht macht.
Mit diesen meinen in der Eile hingelegten, ob zwar nicht
unüberlegten Ideen können Sie nun machen, was Ihnen gut
deucht, ohne jedoch auf den, der sie mitteilt, weder ausdrücklich
noch verdeckt Anspielung zu machen; vorausgesetzt, daß Sic sich
vorher von deren Wahrheit selbst aufrichtig überzeugt haben.
Übrigens wünsche ich Ihnen in Ihrer gegenwärtigen häus-
lichen Lage Zufriedenheit und im Falle eines Verlangens, sie zu
verändern, Mittel zu Verbesserung derselben in meinem Ver-
mögen zu haben, und bin mit Hochachtung und Freundschaft
Ew. Wohlgeboren
ergebenster Diener
Königsberg, den 2. Febr. 1792. I. Kant.
279.
Von Johann Heinrich Kant.
Lieber Bruder!
Dein Brief vom 26. Januar a. c. ward mir von REIMERS
den 5. Februar eingehändigt; es war mir ein festlicher Tag, an dem
ich einmal wieder die Hand meines einzigen Bruders, und den
Ausdruck seines gegen mich wahrhaftig brüderlich gesinneten
Herzens sah und mit rechten Freudengefühl genoß: mein gutes
Weib, die Dich, obgleich persönlich unbekannt, recht innig liebet
und ehret, trat ganz in meine Empfindungen ein; die sich auch
meinen guten. Dich aufrichtig liebenden und ehrenden Kindern
recht lebhaft mitteilte.
Deine liebreiche Versicherung, Du habest auf den künftigen
Sterbefall — ferne möge er noch sein — brüderlich an mich
gedacht, bewegte uns alle bis zu Tränen. Dank — herzlicher
Dank Dir mein Bruder, für diese Erklärung Deines Wohlwollens;
meinem treuen Weibe und meinen wahrhaftig gut ge-
arteten Kindern möge das, was Du uns von Deinem Ver-
mögen so gütig zugedacht hast, dereinst zuteil werden,
wenn ich einmal der wahrscheinlichen Regel nach sie hinter mich
Von Johann Heinrich Kant 125
gelassen habe. Glaube mir — wenn ich Dir noch ein recht
langes Leben wünsche; — so ist dieser Wunsch wahr — er liegt
lebendig in meiner Seelen.
Ich genieße freudenvoll den Ruhm mit, den Du Dir als Welt-
weiser erster Größe, als Schöpfer eines neuen philosophischen
Lehrgebäudes erwirbst; Gott lasse Dich doch die Vollendung
Deines Werks, und seine Ausbreitung auch außer Deutschland,
über den Rhein und über den Pas de Calais erleben. Im 68. Jahre
scheint man freilich schon nahe am Ziel zu stehen — aber so
oft ich ein Gelehrten-Lexikon durchblättere, finde ich auf allen
Seiten so viele Schriftsteller, die über 80 hinausgegangen sind,
daß ichs als bekannt annehme, ein hohes Alter sei caeteris pari-
bus das glückliche Los der Denker, — und Gelehrten, und da-
bei hoffe, dieses Los werde auch Dir mein Bruder zuteil werden:
daß Du schwächlich und valetudinair bist, irrt mich in meiner
Hypothese nicht — Fontenelle war es von Kindheit an, und er-
reichte doch beinahe 90.^)
Ich jetzt in meinem 57. Lebensjahre, bei einer Gesundheit, die
nie wankte, noch in voller Lebenskraft, wünsche, noch etwa
15 bis 20 Jahre zu leben, damit die Meinigen bei meinem Tode
nicht ganz leer ausgehen mögen. Im vorigen Jahre endigte ich
die Bezahlung der Schulden, die ich als Rektor in dem teuern
— teuern Mitau machen mußte — und nun soll der Überschuß
der Einkünfte meines Amtes, das mich nähret, Weib und Kin-
dern aufgespart werden.
Meine Lage war nie so gut, daß ich etwas für meine armen
Schwestern tun konnte, um desto lebhafter danke ich Dir mein
Bruder, daß Du alles für sie getan hast. Du willst, mein
Bruder — und das ist sehr liebreich von Dir — meine Familien-
geschichte wissen. — Hier ist sie. Seit 1775 mit einem guten
Mädchen ohne Vermögen verheiratet, habe ich fünf lieben Kinder
gezeuget — mein guter Sohn Eduard ward nur i Jahr alt. Vier
leben noch, und versprechen mir lange zu leben, und herzlich
gute Menschen zu werden. Meine älteste Tocher Amalia Char-
lotte, seit dem 15. Januar 1 6 Jahr alt: ein lebhaftes, aber wiß-
begieriges Mädchen und emsige Buchleserin. Minna wird den
^) Fontenelle, geb. 11. Februar 1657, ist am 9. Januar 1757,
also fast hundert Jahre alt, gestorben.
124
Von Johann Heinrich Kant
24. Aug. 13 Jahre haben — sie verbindet mit einem stillen
Charakter gute Naturgaben, und eine unverdrossene Emsigkeit.
Friedrich Wilhelm — den z/. Novbr. 11 Jahre — bieder
und gutartig — ein Israelite in dem kein Falsch ist — er wird
gewiß nie eine andere Linie betreten, als die gerade von einem
Punkte zum andern.
Henriette d. 5. Aug. 9 Jahre — voller Feuer bei dem besten
Herzen.
Diese guten Kinder unterrichte ich jetzt selbst. Denn der
Versuch adelige Kostgänger, und mit ihnen zwei Hauslehrer hinter-
einander zu halten, mißlang mir gänzlich. — Leider sieht nichts
in Kurland so schlecht aus als die Erziehung der Jugend. — Die
Leute — die sich als Hauslehrer durch Empfehlung einschleichen —
sind oft wahre Adepten — sie versprechen goldene Berge und
zeigen sich am Ende als unwissende Betrüger. So gings mir
auch.
Lebe ich, und schenkt mir Gott die Mittel dazu, so wird
mein Junge ein Wundarzt — aber studieren soll er die Chirurgie,
und nicht in einer tonstriua handwerksmäßig erlernen — dieses
Fach kann ihm noch in seinem Vaterlande Brod geben, denn
mit der Theologie wäre es zu mißlich für ihn, da hier so viele
auf der Expektanten-Bank sitzen — davon über ein Drittel im
Schulstaube verschmachtet. Onkel und Tante RICHTER — wer-
den wohl beide schon in der Ewigkeit sein. — Sie waren mir
väterl. und mütterl. Wohltäter und Pfleger, ich segne ihr An-
denken — Sit illis Terra levis — gelegentlich bitte ich ihren
nachgelassenen Sohne meinen Vetter LEOPOLDEN herzlich von
mir zu grüßen, und ebenso aufrichtig meine guten Schwestern
und ihre Kinder, meine Frau und Kinder vereinigen sich in diesem
Gruß mit mir — jede Nachricht, daß es ihnen wohlgeht, wird
mir erfreulich sein. Meine Frau ist nicht wenig stolz darauf,
daß Du sie in Deinem Briefe als Deine werte liebe Schwägerin
begrüßest, sie umarmet dich — und danket nochmals recht leb-
haft für das große ökonomische Werk Die Hausmutter, das Du
ihr vor einigen Jahren zum Geschenke überschicktest — das Buch
ist ihre Enzyklopädie. Meine Kinder wollen sich durchaus dem
Gedächtnis ihres Onkels einverleiben — ehe Du Dich versiehst,
hast Du einen Brief von ihnen, der Dir freilich zum Durchlesen
nicht so viel Zeit stehlen wird als der meinige — er wird kürzer
sein. — Verzeihe mir diese weitläuftige Schreiberei — mein Herz
yon Johann GottUeb Fichte 1 2 5
riß meine Feder fort — und dieses Herz saget Dir — daß ich
aufrichtig bin Dein dich
liebender treuer
Altrahden, Bruder
d. 8. Febr. I. H. Kant.
179z.
280.
Von Johann Gottlieb Fichte.
Wohlgeborner Herr,
Höchstzuverehrender Herr Professor!
Ew. Wohlgeborn gütiges Schreiben hat mir, sowohl um der
Güte willen, mit der Sie meine Bitte so bald erfüllten, als um"
seines Inhalts willen, innige Freude gemacht. Ich fühle jetzt über
die in Untersuchung gekommenen Punkte ganz die Ruhe, welche
nächst eigner Überzeugung auch noch die Autorität desjenigen
Mannes geben muß, den man über alles verehrt.
Wenn ich Ew. Wohlgebor. Meinung richtig gefaßt habe, so
bin ich den durch Sie vorgeschlagenen Mittelweg der Unter-
scheidung eines Glaubens der Behauptung von dem eines durch
Moralität motivierten Annehmens in meinem Aufsatze wirklich
gegangen. Ich habe nämlich die meinen Grundsätzen nach einzig
mögliche vernunftmäßige Art eines Glaubens an die Göttlichkeit
einer gegebnen Offenbarung, welcher (Glaube) nur eine gewisse
Form der Religionswahrheiten zum Objekte hat, von demjenigen,
der diese Wahrheiten an sich als reine Vernunftpostulate annimmt,
sorgfältig zu unterscheiden gesucht. Es war nämlich eine auf
Erfahrung von der Wirksamkeit einer als göttlichen Ursprungs
gedachten Form dieser Wahrheiten zur moralischen VervoU-
kommnerung sich gründende freie Annahme des göttlichen Ur-
sprungs dieser Form, den man jedoch weder sich noch andern
beweisen kann, aber eben so sicher ist, ihn nicht widerlegt zu
sehen; eine Annahme, welche, wie jeder Glaube, bloß subjektiv,
aber nicht, wie der reine VernunftgLube, allgemeingültig sei, da
er sich auf eine besondere Erfahrung gründe. — Ich glaube
diesen Unterschied so ziemlich ins Licht gesetzt zu haben, und
ganz zum Beschlüsse suchte ich die praktischen Folgen dieser
Grundsätze darzustellen; daß sie nämlich zwar alle Bemühungen,
unsre subjektive Überzeugungen andern aufzudringen aufhöben.
126 An Christian Gottlieb Seile
daß sie aber auch jedem den unstörbaren Genuß alles dessen,
was er aus der Religion zu seiner Besserung brauchen kann,
sicherten, und den Bestreiter der positiven Religion nicht weniger
als ihren dogmatischen Verteidiger zur Ruhe verwiesen, usw. —
Grundsätze, durch die ich bei wahrheitsliebenden Theologen keinen
Zorn zu verdienen glaubte. Aber es ist geschehen, und ich bin
jetzt entschlossen den Aufsatz zu lassen, wie er ist, und dem
Verleger zu überlassen, damit zu verfahren, wie er will. Euer
W^ohlgeborn aber, denen ich alle meine Überzeugungen überhaupt,
als besonders die Berichtigung und Befestigung in denen, wovon
hier vorzüglich die Rede war, verdanke, bitte ich die Versiche-
rung der Hochachtung, und vollkommensten Ergebenheit gütig
aufzunehmen, mit der ich die Ehre habe zu sein
Euer Wohlgeborn
Krockow, inniger Verehrer
d. 17. Februar J. G. Fichte.
1792.
281.
An Christian Gottlieb Seile.
Wohlgeborner
hochzuverehrender Herr !
Es sind nun schon beinahe drei Monate, seit denen ich mit
Ihrer tiefgedachten Abhandlung De la R^alite et de l'idealit^ etc.
beschenkt worden und ich habe diese Gütigkeit noch durch nichts
erwidert; sicherlich ist es aber nicht aus Mangel an Achtung für
die mir bezeugte Aufmerksamkeit oder aus Geringschätzung der
wider mich gerichteten Argumente geschehen. Ich wollte im
Drucke antworten und würde es vielleicht in der über diesen
Vorsatz verflossenen Zeit ausgerichtet haben, wenn mich nicht
allerlei einander durchkreuzende Störungen immer davon abgebracht
hätten, zumal es mir mein Alter höchst schwer macht, einen ein-
mal verlassenen Faden des Nachdenkens wieder aufzufassen und
unter öfteren Unterbrechungen doch planmäßig zu arbeiten.
Neuerdings aber eröffnet sich eine neue Ordnung der Dinge,
welche diesen Vorsatz wohl gar völlig vereiteln dürfte, nämlich
Einschränkung der Freiheit, über Dinge, die auch nur indirekt
auf Theologie Beziehung haben möchten, laut zu denken. Die
Von Johann Erich Biester 127
Besorgnisse eines akademischen Lehrers sind in solchem Falle viel
dringender als jedes anderen zunftfreien Gelehrten und es ist der
gescheuten Vorsicht gemäß, alle Versuche dieser Art so lange
wenigstens aufzuschieben, bis sich das drohende Meteor entweder
verteilt, oder für das, was es ist, erklärt hat. — Es wird bei
dieser Friedfertigkeit auf meiner Seite Ihnen deswegen doch nicht
an Gegnern von der dogmatischen Partei, obwohl nach einem
andern Stil, fehlen, denn den Empirism können diese ebenso
wenig: einräumen, ob sie es zwar freilich auf eine so schale und
inkonsequente Art (da er nicht halb auch nicht ganz angenommen
werden soll) tun, daß Ihre determinierte Erklärung für dieses
Prinzip dagegen sehr zu Ihrem Vorteil absticht.
Ich bitte daher, teuerster Herr, ergebenst mir diese Verbind-
lichkeit zu erlassen, oder den Anspruch auf dieselbe und meine
Erwiderung Ihrer Einwürfe weiter hinaus zu setzen, indem diese
Arbeit vorjetzt allem Ansehen nach auf reinen Verlust unternommen
werden würde.
Mit der größten Hochachtung für Ihr Talent und mannig-
faltige Verdienste bin ich übrigens
Ihr
Königsberg, ergebenster Diener
den 24. Febr. 1791. !• Kant.
282.
Von Johann Erich Biester.
Verehrungswerter Mann!
Sie tun in der Tat den gewöhnlichen poHtischen Einrichtungen
zu viel Ehre an, wenn Sie nach einer Maxime dabei fragen, und
gar Konsequenz bei Befolgung derselben verlangen. Man findet
sich oft veranlaßt — vielleicht auch genötigt, irgendeine Ver-
fügung zu geben; an den ganzen Zusammenhang aber hat man
dabei nicht gedacht. Und wohl oft der Menschheit, daß eine so
wohltätige Inkonsequenz bei den Regenten stattfindet! Sie ist
ein sicherer Beweis, daß man nicht im Ganzen, und planvoll,
das Böse will; sondern sich nur bei einzelnen Dingen irrt.
Um indes unserer Frage näher zu kommen, so ließe sich doch
wohl eine Maxime herausfinden, welche in der höchsteigenen
Entscheidung bei der ViUaume'schen Sache zum Grunde lag, und
128 Von jfohann Erich Biester
deutlich darin ausgedrückt war. Man hat nämlich die Idee: Be-
willigung der Zensur sei Billigung aller in einer Schrift vorgetragenen
Grundsätze: nun aber könnten doch keine Grundsätze gebilligt
werden, deren Gegenteil man vorher gebilligt, oder gar selbst
bekannt gemacht habe. Darum sei nur der Druck hier unter
den Augen nicht zu leiden; auswärts gedruckt und herein-
gebracht könnte ein solches Buch aber werden, wie alle andern
(nicht offenbar gotteslästerlichen oder schändlichen) Bücher ja
von Leipzig kommen, und keiner Durchsicht und Erlaubnis zum
Verkauf erst bedürfen.')
Was nun mich insbesondere betrifft, so ist meine strenge
Regel: mich genau in den Schranken des Gesetzes zu halten.
Auswärts drucken zu lassen, ist nie hier verboten gewesen. Den-
noch aber würde ich es für unrecht halten, ein Blatt, welches
die hiesige Kgl. Zensur gestrichen hätte, gleichsam zum Trotz der-
selben, auswärts drucken zu lassen (obgleich auch dies nicht ver-
boten ist). Dies aber würde ich für eine unanständige und
meiner unwürdige Neckerei halten, — oder es müßte ein ganz
sonderbarer Umstand mich dazu nötigen. Dies ist aber gar nicht
mein Fall; ich habe nie mit der hiesigen Zensur Händel gehabt;
sondern bloß: ich habe bis 1791 die Berl. Monatsschr. in Berlin
bei Spener drucken lassen, und lasse sie seit 1792 bei Mauke
in Jena drucken. Oder vielmehr, mein Verleger tut dies. Aus
welchen Gründen wir das tun? ist eine andere Frage; welche
wahrscheinlich niemand, bei einer unverbotenen Handlung, auf-
zuwerfen das Recht hat.
So ist die Sache, teurester Mann; und ich glaube nicht, daß
Sie einigen Grund haben, mit dieser Einrichtung unzufrieden zu sein,
oder sie gar für gesetzwidrig und unrechtmäßig zu erklären.
Um indes jeder Forderung eines Mannes wie Sie zu genügen;
habe ich Ihren vortrefflichen Aufsatz*) — welcher nicht in den
^) Eine Schrift von Villaume (1746—1806), Vorleser Friedrichs
des Großen, später Professor am Joachimsthalschen Gymnasium), „Über
das Verhältnis der Religion zur Moral und zum Staate" ist 1791 in
Libau erschienen; wie aus der obigen Stelle hervorgeht, war ihr die
Druckerlaubnis für Preußen verweigert, dagegen für das Ausland erteilt
worden.
^) Der Aufsatz „Über das radikale Böse", der später als erstes
Stück von Kants ,, Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft"
erschien.
An F. Th. de la Garde 129
März kommen konnte, aber den April zieren wird — sogleich
nach Empfang Ihres letzten Briefes bei der hiesigen Zensur ein-
gereicht. Weil er moralischen Inhalts ist, so fällt er dem Herrn
Geh. und Ob. Konsist. Rat HILLMER. anheim. Dieser schickte
ihn mir auch, Tages darauf, mit seinem Imprimatur zu; und
schrieb mir dabei folgenden weisen Bescheid; er habe den Druck
vergönnt, „weil er, nach sorgfältiger Durchlesung, diese Schrift,
wie die übrigen Kantischen, nur nachdenkenden, untersuchungs-
und unterscheidungsfähigen Gelehrten, nicht aber allen Lesern
überhaupt, bestimmt und genießbar finde."
Ich würde mich schämen, gegen einen Mann wie Sie die
geringste Unredlichkeit zu begehen. Ob Sie also gleich selbst
glaubten, Ihr Aufsatz sei schon nach Jena geschickt, und ich Sie
bei diesem Glauben lassen konnte; so habe ich dennoch, da er
durch einen Zufall noch hier lag, Ihrem Begehren genüget; am
3. ist er nun nach Jena abgegangen. — Hier haben Sie den
ganzen Verlauf der Sache. Sehr angesehene und gelehrte Märmer
haben mir seitdem, wie vorher, Beiträge mitgeteilt. Ich hoffe,
Sie werden hierin nicht anders denken. Auch erwarte ich Ihre
bestimmte Entscheidung: ob ich noch künftig Ihre Aufsätze für
die Berl. Monatsschrift hier zur Zensur einreichen soll?
Daß ich, was Sie auch entscheiden, genau Ihren Willen er-
füllen werde, versteht sich von selbst.
Die Vorsehung erhalte Sie noch lange den Wissenschaften, der
Aufklärung, und der edlen bessern moralischen Denkart!
Biester,
d. 6. März 179z.
Ihr Brief an Herrn Seile ist sogleich abgegeben.
283.
An F. Th. de la Garde.
Ew. Hochedelgeb.!
Danke ergebenst für die mir den 17. hujus durch Ihren Herrn
Bruder ausgezahlte 200 Reichstaler, worüber er Ihnen meine
Quittung zugesandt haben wird. Ich werde bald nach Ostern
das korrigierte Exemplar der Krit. d. Urth. Kr. zu überschicken
bedacht sein, wobei ich doch glaube: daß, wenn mich un ver-
Kants Schriften. Bd. X. 9
130 An Frau/ein Maria von Herbert
meidliche Störungen in der Durchsicht und Nachfeilung derselben
aufhalten sollten, es, wenn es nur vor Pfingsten in Berlin an-
kommt, nicht zu spät eintreffen werde.
Wegen des Gesuchs, von dem Sie dafür halten, daß es nicht
unschicklich wäre, wenn unsere Universität ihn der Zensurfreiheit
halber höheren Orts anbrächte, bin ich der Meinung, daß er nicht
allein dort fruchtlos, sondern auch hier die Gesinnung so ver-
schiedener Köpfe hiezu zusammenstimmend zu machfn, ein ver-
geblicher Versuch sein würde. Indessen kömmt es mir vor: als
ob die angedrohte Strenge der Zensur vielleicht nicht so ganz,
als befürchtet wird, in Ausübung kommen dürfte: zumal darüber
noch kein bestimmtes Edikt ergangen ist. Sollte es Sie nicht
inkommodieren, mir einmal von dem Zustande der Zensursache,
so weit er öffentlich bekannt ist, wovon wir aber hier nur
widersprechende Nachrichten haben, mir einige Nachricht (auch
nur durch die Feder eines Ihrer Leute) zu erteilen, so würde es
mir angenehm, zum Teil auch nützlich sein.
Ich beharre übrigens mit vollkommener Hochachtung zu sein
Ew. Hochedelgeb.
Königsberg, ganz ergebenster Diener
d. 3 o. Mart. I. Kant.
1792.
284.
An Fräulein Maria von Herbert.')
(Entwurf.)
[Frühjahr 1792.]
Ihr affektvoller Brief aus einem Herzen entsprungen, das für
Tugend und Rechtschaffenheit gemacht sein muß, weil es für eine
Lehre derselben so empfänglich ist, die nichts Einschmeichelndes
bei sich führt, reißt mich dahin fort, wo Sie mich hin verlangen,
nämlich mich in Ihre Lage zu versetzen und so über das Mittel
einer reinen moralischen und dadurch allein gründlichen Be-
ruhigung für Sie nachzudenken. Ihr '^'■:rhältnis zu dem geliebten
Gegenstande, dessen Denkungsart eben so wohl echt und achtungs-
voll für Tugend und den Geist derselben, die Redlichkeit, sein
') Vgl. oben Nr. 259 (S. 8 3 f.).
An Fräulein Maria von Herbert 1 3 1
muß, ist mir zwar unbekannt, ob es nämlich ein eheliches oder
bloß freundschaftliches Verhältnis sein mag. Ich habe das letztere
aus ihrem Briefe als wahrscheinlich angenommen; allein das macht
in Ansehung . dessen, was Sie beunruhigt, keinen erheblichen
Unterschied; denn die Liebe, es sei gegen einen Ehemann oder
gegen einen Freund, setzen gleiche gegenseitige Achtung für Ihrer
beiden Charakter voraus, ohne welche sie nur eine sehr wandel-
bare sinnliche Täuschung ist.
Eine solche Liebe, die allein Tugend (die andere aber bloß
blinde Neigung) ist, will sich gänzlich mitteilen und erwartet
von Seiten des anderen eine eben solche Herzensmitteilung, die
durch keine mißtrauische Zurückhaltung geschwächt ist. So sollte
es sein und das fordert das Ideal der Freundschaft. Aber es
hängt dem Menschen eine Unlauterkeit an, welche jene Offen-
herzigkeit, hier mehr, dort weniger, einschränkt. Über dieses
Hindernis der wechselseitigen Herzensergießung, über das geheime
Mißtrauen und die Zurückhaltung, welche machen, daß man selbst
in seinem innigsten Umgange mit seinem Vertrauten doch einem
Teile seiner Gedanken nach immer noch allein und in sich ver-
schlossen bleiben muß, haben die Alten schon die Klage hören
lassen: meine lieben Freunde, es gibt keinen Freund! Und doch
wird Freundschaft aber als das Süßeste, was das menschliche Leben
nur immer enthalten mag, kann nur in der Offenherzigkeit statt-
finden und von wohlgearteten Seelen mit der Sehnsucht ge-
wünscht.
Von jener Zurückhaltung aber als dem Mangel dieser Offen-
herzigkeit, die man, wie es scheint, in ihrem ganzen Maße der
menschlichen Natur nicht zumuten darf (weil jedermann besorgt,
wenn er sich völlig entdeckte, von dem andern gering geschätzt
zu werden) ist doch der Mangel der Aufrichtigkeit als eine Un-
wahrhaftigkeit in wirklicher Mitteilung unserer Gedanken noch
gar sehr unterschieden. Jene gehört zu den Schranken unserer
Natur und verdirbt eigentlich noch nicht den Charakter, son-
dern ist nur ein Übel, welches hindert, alles Gute, was aus dem-
selben möglich wäre, daraus zu ziehen. Diese aber ist eine Kor-
ruption der Denkungsart und ein positives Böse. Was der Auf-
richtige, aber Zurückhaltende (nicht Offenherzige) sagt, ist zwar
alles wahr, nur er sagt nicht die ganze Wahrheit. Dagegen der
Unaufrichtige etwas sagt, das dessen er sich als falsch bewußt ist.
Die Aussage von der letzteren Art heißt in der Tugendlehre
132 An Fräule'm Maria von Herbert
Lüge. Diese mag auch ganz unschädlich sei, so ist sie darum
doch nicht unschuldig; vielmeiir ist sie eine schwere Verletzung
der Pflicht gegen sich selbst und zwar einer solchen, die ganz
unerläßlich ist, weil ihre Übertretung die Würde der Menschheit
in unserer eigenen Person herabsetzt und die Denkungsart in ihrer
Wurzel angreift, denn Betrug macht alles zweifelhaft und ver-
dächtig und benimmt selbst der Tugend alles Vertrauen, wenn
man sie nach ihrem Äußeren beurteilen soll.
Sie sehen wohl, daß, wenn Sie einen Arzt zu Rate gezogen
haben, Sie auf einen solchen trafen, der, wie man sieht, kein
Schmeichler ist, der nicht durch Schmeicheleien hinhält und
wollten Sie einen Vermittler zwischen sich und Ihrem Herzens-
freunde meine Art das gute Vernehmen herzustellen der Vorliebe
fürs schöne Geschlecht gar nicht gemäß sei, indem ich für den
letzteren spreche und ihm Gründe an die Hand gebe, welche er
als Verehrer der Tugend auf seiner Seite hat und die ihn dar-
über rechtfertigen, daß er in seiner Zuneigung gegen Sie von
Seiten der Achtung wankend geworden.
Was die erstere Erwartung betrifft, so muß ich zuerst an-
raten sich zu prüfen, ob die bittere Verweise, welche Sie sich wegen
einer, übrigens zu keiner Bemäntelung irgendeines begangenen
Lasters ersonnenen Lüge machen, Vorwürfe einer bloßen Unklug-
heit oder eine innere Anklage wegen der Unsittlichkeit, die in
der Lüge an sich selbst steckt, sein mögen. Ist das erstere, so
verweisen Sie sich nur die Offenherzigkeit der Entdeckung der-
selben, also reuet es Sie diesmal Ihre Pflicht getan zu haben;
(denn das ist es ohne Zweifel, wenn man jemanden vorsätzlich
obgleich in einen ihm unschädlichen Irrtum gesetzt und eine
Zeitlang erhalten hat, ihn wiederum daraus ziehen); und warum
reuet Sie diese Eröffnung? Weil Ihnen dadurch der freilich
wichtige Nachteil entsprungen das Vertrauen ihres Freundes ein-
zubüßen. Diese Reue enthält nun nichts Moralisches in Ihrer
Bewegursache, weil nicht das Bewußtsein der Tat, sondern ihrer
Folgen die Ursache derselben ist. Ist der Verweis, der Sie kränkt,
aber ein solcher, der sich wirklich auf bloßer sittlicher Beurteilung
Ihres Verhaltens gründet, so wäre das ein schlechter moralischer
Arzt, der ihnen riete, weil das Geschehene doch nicht ungeschehen
gemacht werden kann, diesen Verweis aus Ihrem Gemüte zu ver-
tilgen und sich bloß fortmehr einer pünktlichen Aufrichtigkeit
von ganzer Seele zu befleißigen, denn das Gewissen muß durch-
I
An Fraulein Maria von Herbert 135
aus alle Übertretungen aufbehalten wie ein Richer, der die Akten
wegen schon abgeurteilter Vergehungen nicht kassiert, sondern
im Archiv aufbehält, um bei sich eräugncnder neuen Anklage
wegen ähnlicher oder auch anderer Vergehungen das Urteil der
Gerechtigkeit gemäß allenfalls zu schärfen. Aber über jener Reue
zu brüten und nachdem man schon eine andere Denkungsart ein-
geschlagen ist, sich durch die fortdauernde Vorwürfe wegen vor-
maliger nicht mehr herzustellender für das Leben unnütze zu
machen, würde (vorausgesetzt, daß man seiner Besserung ver-
sichert ist) eine phantastische Meinung von verdienstlicher Selbst-
peinigung sein, die, so wie manche vorgebliche Religionsmittel,
die in der Gunstbewerbung bei höheren Mächten bestehen sollen,
ohne daß man eben nötig habe, ein besserer Mensch zu sein,
zur moralischer Zurechnung gar nicht gezählt werden müssen.
Wenn nun eine solche Umwandlung der Denkungsart Ihrem
geliebten Freunde offenbar geworden — wie denn Aufrichtigkeit
ihre unverkennbare Sprache hat — so wird nur Zeit dazu er-
fordert, um die Spuren jenes rechtmäßigen selbst auf Tugend-
begriffe begründeten Unwillens desselben nach und nach aus-
zulöschen und den Kaltsinn in eine noch fester gegründete Neigung
zu verändern. Gelingt aber das letztere nicht, so war die vorige
Wärme der Zuneigung desselben auch mehr physisch als moralisch
und würde nach der flüchtigen Natur derselben auch ohne das
mit der Zeit von selbst geschwunden sein; ein Unglück, dergleichen
uns im Leben mancherlei aufstoßt und wobei man sich mit Ge-
lassenheit finden muß, da überhaupt der Wert des letzteren, so-
fern es in dem besteht, was wir Gutes genießen können von
Menschen, überhaupt viel zu hoch angeschlagen wird, sofern es
aber nach dem geschätzt wird, was wir Gutes tun können, der
höchsten Achtung und Sorgfalt es zu erhalten und fröhlich zu
guten Zwecken zu gebrauchen würdig ist. — Hier finden Sie nun,
meine liebe Fr., wie es in Predigten gehalten zu werden pflegt,
Lehre, Strafe und Trost, bei deren ersterer ich etwas länger als
bei letzterem ich Sie zu verweilen bitte, weil, wenn jene ihre
Wirkung getan haben, der letztere und verlorene Zufriedenheit
des Lebens sich sicherlich von selber finden wird.
134 -^^ Heinrich Christian Reichsgraf von Keyserling
285.
An Heinrich Christian Reichsgraf von Keyserling.
Hocligeborner Reichsgraf
t Hochzuverehrender Herr
Die Ursache, wodurch die Ausrichtung des mir gewordenen
Auftrages verspätet worden, werden Ew. Hochgebornen aus der
Einlage zu ersehen und meiner Schuld nicht beizumessen ge-
ruhen, die auch in einem Falle, da es um die Beförderung einer
großmütigen wohlwollenden Absicht zu tun ist, unverzeihlich sein
würde.
Meine Erkundigung nach dem Fleiße und den Sitten des
Herrn SCHMIDT, während seines Aufenthalts auf unserer Uni-
versität, ist zu seinem Vorteile ausgefallen, welches mich auch
bewogen hat, ihn in die Kondition des Herrn Baron v. LINGK
zu empfehlen. Mein eigenes Zeugnis wegen seines in meinen
Vorlesungen angewandten Fleißes hat darum nicht zu denen der
anderen Professoren hinzukommen können, weil ich, außer den
Lehrstunden, nicht leicht Gelegenheit habe, meine Zuhörer, mithin
nicht persönlich, nach ihrem Talent und Fleiße kennen zu lernen.
— Herrn SCHMIDTs angeschlossener Brief war, allem Ansehen
nach, nicht in der Meinung geschrieben, daß er Ew. Hochgeb.
vor Augen kommen sollte. Desto besser und unverstellter wird
er seine Gedanken und Absichten in gegenwärtiger Situation zu
erkennen geben.
Ich habe nichts weiter hinzuzusetzen, als den Wunsch, daß
der Himmel Ew. Hochgeb., sowie die edle wohltätige Gesinnung,
samt den Mitteln der Befriedigung derselben, fernerhin erhalten,
also auch die Zufriedenheit, aus dem Gelingen dieser großmütigen
Absichten in reichem Maße wolle genießen lassen.
Mit der größten Verehrung bin ich jederzeit
Ew. Hochgeboren
Königsberg, untertäniger Diener
d. 8. Mai 1792. I- Kant.
Von Jakoh Sigismund Beck 135
286.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle d. ^iten Mai 1792.
Teuerster Herr Professor,
Heute habe ich das Vergnügen gehabt, Herrn HARTKNOCH
persönlich kennen zu lernen. Er sagt, Sie erlauben es mir, in
die Vorrede des Auszugs aus Ihren kritischen Schriften zu setzen,
daß er mit Ihrem Wissen geschrieben sei. Das ist nun wohl
sehr gut, aber ich bin dadurch noch nicht ganz beruhigt. Ich
trete zum erstenmal ins Publikum, und muß, wenn ich auch nur
auf meinen Vorteil bedacht sein will, alle Vorsicht und Fleiß
anwenden, um mit einigem Anstand zu erscheinen. Wollen Sie
mir erlauben, Ihnen das Manuskript zu schicken, und darf ich
Sie bitten, entweder selbst es durchzulaufen, oder, da ich dieses
wohl nicht erwarten kann, wollen Sie den Herrn Hofprediger
SCHULTZ in meinem Namen darum ersuchen? Er kennt mich
sehr wohl, und würde vielleicht auch aus Freundschaft für mich,
und wenigstens wenn Sie insbesondere ihn darum bitten, es
wohl tun.
Ich wünsche gar sehr zu wissen, ob ich in folgenden Ihre
Gedanken treflFe. Ich meine, daß man in der transszendentalen
Ästhetik die Anschauung gar nicht erklären dürfe, durch die
Vorstellung, die sich unmittelbar auf einen Gegenstand bezieht,
und die da entsteht, indem der Gegenstand das Gemüt affiziert.
Denn in der transszendentalen Logik kann erst gezeigt werden,
wie wir zu objektiven Vorstellungen gelangen. Die reine An-
schauung verbietet jene Erklärung schon von selbst. Ich sehe
doch in Wahrheit nicht, daß ich irre, wenn ich sage: die An-
schauung ist eine durchgängig bestimmte Vorstellung in Ansehung
eines gegebenen Mannigfaltigen. Auch wird es mir so recht
deutlich, daß die Mathematik eine Wissenschaft durch Konstruktion
der Begriffe sei. Denn auch die Algeber kann nicht anders als
vermittelst durchgängig bestimmter Vorstellungen ihre Sätze be-
weisen. Auch muß man meiner Meinung nach gar sehr bedacht
sein, das Subjektive der Sinnlichkeit von dem Objektiven zu
scheiden, um nachher desto besser das eigene Geschäfte der Ka-
tegorien, welche die Objektivität den Vorstellungen geben, ins
Auge zu fassen.
1-^6 Von Jakoh Sigtsmund Beck
Zweitens ist es mir sehr begreiflich, daß die Gegenstände
der Sinnenwelt, den Grundsätzen der transszendentalen Urteilskraft
unterworfen sein müssen. Um dieses im hellen Lichte zu sehen,
so subsumiere man die empirische Anschauung unter die Schemate
der Kategorien; so sieht man sofort, daß sie nur dadurch Ob-
jektivität erhält, da dann die Frage, wie es zugeh'-, daß die
Gegenstände sich nach jenen synthetischen Sätzen a priori richten
müssen, aufhört. Sie sind ja nur darum Gegenstände, so fern
ihre Anschauung der synthetischen Verknüpfung des Schema
unterworfen gedacht wird. Zum Beispiel sehe ich die Gültigkeit
der Analogie, daß allen Erscheinungen was Beharrliches zum
Grunde liege, daher ein, weil, wenn ich das Schema der Sub-
stantialität auf die empirische Anschauung beziehe, diese eben
hiedurch Objektivität erhalte, mithin muß der Gegenstand selbst,
dieser synthetischen Verknüpfung der Substanz und Akzidenz
unterworfen sein. Aber wenn ich bis zu dem Prinzip der ganzen
Sache hinaufsteige, dann treffe ich doch eine Stelle an, wo ich
sehr gern mir mehr Licht wünsche. Ich sage, die Verbindung der
Vorstellungen im Begriff ist von derjenigen im Urteil verschieden,
so daß in der letzten noch über jene Verknüpfung die Handlung
der objektiven Beziehung vorgehe^ also die nämliche Handlung,
durch welche man einen Gegenstand denkt. In der Tat ist es
doch ganz was Verschiedenes, wenn ich sage, der schwarze
Mensch, oder, der Mensch ist schwarz*), und ich meine, daß
man sich nicht fehlerhaft ausdrücke, wenn man sagt, die Vor-
stellungen im Begriff sind zur subjektiven Einheit, dagegen im
Urteil zur objektiven Einheit des Bewußtseins verbunden. Aber
ich gebe viel darum, wenn ich tiefer in die Sache greifen könnte,
und eben diese Handlung der objektiven Beziehung dem
Bewußtsein besser darstellen könnte. In meinem letzten Briefe
berührte ich diesen Punkt als eine mir vorkommende Dunkelheit,
und bester Herr Professor, aus Ihrem Schweigen darauf, argwöhnte
ich, daß ich Unsinn darin verraten haben dürfte. Aber ich mag
die Sache um und um ansehen, so sehe ich nicht, daß ich grade
was Ungereimtes getan, wenn ich Belehrung darüber mir aus-
gebeten und Sie noch darum ganz inständigst ersuche.
*) Kant hat hierzu airf derselben Seite unten beinerkt: „Der Ausdruck:
der schwarze Mensch bedeutet den Menschen, sofern der Begriff von ihm
in Ansehung der Schwärze bestimmt gegeben ist, aber der: der Mensch
ist schwarz, bedeutet die Handlung meines Bestimmens."
An F. Th. de la Garde 1 3 7
Drittens, ist mir das Verfahren der Kritik der praktischen
Vernunft außerordentlich einleuchtend und fürtreflFlich. Sie hebt
von objektiv-praktischen Prinzipien an, welche die reine Vernunft
ganz unabhängig von aller Materie des Willens, für verbindend
anerkennen muß. Dieser anfänglich problematische Begriff erhält
unwiderlegbare objektive Realität durch das Faktum des Sitten-
gesetzes. Aber ich gestehe, daß so einleuchtend wie der Über-
gang der synthetischen Grundsätze der transszendentalen Urteils-
kraft zu Gegenständen der Sinnenwelt, die ihnen unterworfen
sind vermittelst der Schemate, mir vorkömmt, mir der des Sitten-
gesetzes vermittelst ^t% Typus desselben, nicht erscheint, imd ich
würde wie von einer Last befreiet sein, wenn Sie freundschaftlich,
die Nichtigkeit folgender Frage mir zeigen wollten. Ich frage
nämlich, kann man sich nicht denken, daß das Sittengesetz etwas
geböte, das seinem Typus zuwider wäre, mit andern Worten:
kann es nicht Handlungen geben, bei denen eine Naturordnung
nicht bestehen kann, und die doch das Sittengesetz vorschreibt?
Es ist ein bloß problematischer Gedanke, aber ihm liegt doch
das Wahre zum Grunde, daß die strenge Notwendigkeit des
kategorischen Imperativs keinesweges von der Möglichkeit des Be-
stehens einer Naturordnung herzuleiten ist; aber darin werde ich
irren, wenn ich die Übereinstimmung beider für zufällig erkläre.
Und nun, lieber teurer Lehrer, werden Sie mir doch nicht
abgeneigt, wegen meines vielleicht ungestümen Anhaltens mit
meinen Briefen. Ich liebe und verehre Sie unaussprechlich, und
bin mit Herz und Seele der
Ihrige
Beck.
287.
An F. Th. de la Garde.
Kw. Hochedelgeb.
habe ich den 10. Juni das korrigierte
Exemplar der Kritik der Urt. Kr. in einem Pack, sign. D. L. G.,
mit der fahrenden Post zugeschickt. — Die Korrektur fängt vom
Buchstaben A, mit Ausschließung der Vorrede und der Einleitung,
an und es ist, außer der Note (*) S. 4Ö2, von mir nichts zum
Text hinzugetan worden; weil ich es nicht nötig fand. — Die
1 3 8 Von Christian Garte
Korrektur der Vorrede und Einleitung werde, wenn sich darin
Errata finden, oder Einschiebsel nötig wären, in kurzem nach-
schicken; weshalb ich bitte, den Druck mit dem Bogen A an-
zufangen.
Beiliegenden Brief bitte an Herrn D. BIESTER gütigst ab-
geben zu lassen und versichert zu sein, daß ich jederzeit mit
vollkommener Hochachtung sei
,,.... , Ew. Wbhlgebornen
Königsberg, ° i t^-
j ° T • ganz ergebenster Diener
d. 12. Tum ° °, -^
•' I. Kant.
1792.
N. S. Darf ich bitten, beikommenden Brief an Herrn Kandidat
NITSCH gütigst zu bestellen?
288.
Von Christian Garve.
Teuerster Mann,
Da der Sohn eines ehemaligen würdigen Arztes unsrer Stadt
und Neffe eines Rats Ihres Königsbergischen obersten Justiz-
kollegiums, Herr KRUTGE, selbst ein Jüngling von den besten
Anlagen und einem liebenswürdigen Charakter, Ihre Universität
bezieht, und wünscht, durch einen Brief, den er von einem Be-
kannten an Sie mitbringt, einen nähern Zutritt zu Ihnen zu be-
kommen: so habe ich ihm diese kleine Gefälligkeit um desto
weniger abschlagen wollen, da ich selbst mit Vergnügen eine
sich darbietende Gelegenheit ergreife, Sie von meiner Hochachtung
zu versichern. Ich kenne Sie gnugsam aus Ihren Schriften, und
selbst aus dem einzigen Briefe, den ich vor einigen Jahren von
Ihnen erhalten habe, um überzeugt zu sein, daß Sie jungen lehr-
begierigen Leuten, die durch ihre gute Aufführung sich Ihrer
Freundschaft würdig machen, sich gerne mitteilen, und was Sie
können, zu deren Ausbildung beitragen. Für den jungen Mann,
den ich Ihnen empfehle, kann ich stehen, daß er gesittet und
fleißig ,ist, und sich so, auch als akademischer Bürger, zeigen
wird. Erzeigen Sie ihm also, auch um meinetwillen, alle die
Gefälligkeiten, deren er in dem Laufe seiner Studien benötigt
sein könnte; erlauben Sie ihm insbesondre den Zutritt zu Ihrem
Von Johann Erich Biester 139-
Umgange, wenn Sie ihn, nach genauerer Prüfung, fähig finden,
davon einen nützlichen Gebrauch zu machen.
Von wissenschaftlichen Gegenständen erlaubt mir die Kürze
der Zeit und des Raums nicht zu reden. Sie sind auch mein
Lehrer, in vielen Punkten, sowie der Lehrer von Deutschland.
Da Sie keine nachsprechende Schüler verlangen, so werden Sie
meinen Dank, den ich Ihnen hier von neuem für Ihren philo-
sophischen Unterricht sage, nicht weniger wahr und aufrichtig
finden, wenn ich hinzusetze, daß ich nicht über alle von Ihnen
behandelten Materien mit Ihnen gleichförmig denke. Es ist die
größte Belohnung des Selbstdenkers, wenn er die Denkkräfte
andrer in Tätigkeit setzt. Wenige Schriftsteller haben diesen End-
zweck durch ihre Werke in einem so hohen Grade erreicht,
wenige noch bei ihrem Leben eine so ausgebreitete Wirkung
davon gesehen als Sie. Aber eben mit dieser Erweckung des
eignen Nachdenkens bei den Lesern, ist eine solche Gelehrigkeit
derselben, welche in alle Sätze und Formen des Schriftstellers
einstimmt, unverträglich. — Wie sehr wünschte ich, daß unsre
Wohnplätzen weniger voneinander entfernt wären. Wie sehr
wünschte ich auch als Mensch, Ihnen bekannt zu sein, und aller
Schätze Ihres Geistes in vertraulichem Umgange zu genießen.
Da die Vorsicht unsre Laufbahnen anders gezeichnet hat, so
wollen wir, zufrieden mit derjenigen unsichtbaren Verbindung,
die zwischen Wahrheit liebenden Denkern an den entferntesten
Orten vorhanden ist, uns, ohne uns gesehen zu haben, lieben,
und uns einander mitteilen, so weit es unsre örtliche Entfernung
erlaubt. Ich bin von Herzen Ihr Verehrer und Freund
Breslau, d. 18. Juni Garve.
289.
Von Johann Erich Biester.
Ich habe es nie recht begreifen können, warum Sie, mein
verehrter Freund, durchaus auf die hiesige Zensur drangen. Aber
ich gehorchte Ihrem Verlangen und schickte das Manuskript*) an
') Das Manuskript der Abhandlung „Von dem Kampf des guten
Prinzips mit dem bösen etc", später als zweites Stück von Kants „Re-
ligion" erschienen.
i^o An Fürst von Beloselsky.
Herrn HILLMER. Dieser antwortete mir dann zu meinem nicht
geringen Erstaunen: „da es ganz in die biblische Theologie ein-
schlage, habe er es, seiner Instruktion gemäß, mit seinem Kol-
legen Herrn HERMES gemeinschaftlich durchgelesen, und da
dieser sein Imprimatur verweigere, trete er diesem bei." Ich
schrieb nun an Herrn HERMES und erhielt zur Antwort; „Das
Religionsedikt sei hierin seine Richtschnur, weiter könne er sich
nicht darüber erklären."
Es muß wohl jeden empören, daß ein HILLMER und HER-
MES sich anmaßen wollen, der Welt vorzuschreiben, ob sie einen
Kant lesen soll oder nicht. — Es ist dies erst soeben passiert;
ich weiß nun durchaus noch nicht, was weiter zu tun ist. Aber
ich glaube es mir und den Wissenschaften in unserm Staate
schuldig zu sein, etwas dagegen zu tun.
Leben Sie recht wohl, wenn ein solcher Verfall unserer
Literatur anders Ihnen keine unangenehme Stunde macht!
Berlin, i8. Juni 1792. Biester.
290.
An Fürst von Beloselsky.
(Entwurf.)
[Sommer 1792.]
Das schätzbare Geschenk, welches Ew. Erlaucht mir im ver-
gangenen Sommer mit Ihrer vortrefflichen Dianiologie usw.') zu
machen geruheten, ist mir richtig zu Händen gekommen, von
welchem ich zwei Exemplare an Männer, die den Wert desselben
zu schätzen imstande sind, ausgeteilt habe. Meinen schuldigen
Dank dafür abzustatten habe die darüber verflossene Zeit hin-
durch keineswegs vergessen, wohl aber überhäufter Hinderungen
wegen immer aufschieben müssen, um dabei auch zugleich etwas
^) Dianyologie ouTableau Philosophique de l'Entendement. A Dresde
1790. Das Werk versucht den Verstand (rintelligence universelle^ in
fünf „Tätigkeitskreise" (cercles d'activite) einzuteilen. Über seinen
näheren Inhalt und seinen Verfasser, den Fürsten Alexander Beloselsky
Beloselsky (175:7 — 1809), russischen Gesandten in Dresden, s. Arthur
Warda, Altpreußische Monatsschr. XXXVJI, 3 16 ff.
An Fürst von Beloselsky 141
von der Belehrung zu sagen die ich daraus gezogen habe, wovon
ich aber auch jetzt nur einige Hauptzüge anführen kann.
Ich bin seit einigen Jahren damit beschäftigt, die Grenze des
menschHchen spekulativen Wissens überhaupt auf das bloße Feld
aller Gegenstände der Sinne einzuschränken, da alsdann die spe-
kulative Vernunft, wenn sie sich über diese Sphäre hinauswagt, in
jene in Ihrem Tableau bezeichneten espaces imaglnaires fällt, wo
für sie nicht Grund, nicht Ufer d. i. schlechterdings kein Erkennt-
nis möglich ist. — Es war aber Ew. Erl. aufbehalten jene meta-
physische Grenzbestimmung der menschlichen Erkenntnisvermögen,
womit ich mich seit einigen Jahren beschäftigt habe, der mensch-
lichen Vernunft in ihrer reinen Spekulation auch auf einer anderen
nämlich anthropologischen Seite zu bewerkstelligen, welche (die)
für jedes Individuum die Grenzen der ihm angemessenen Sphäre
zu unterscheiden lehrt, und zwar vermittelst eines Demarculum,
welche sich auf sicheren Prinzipien gründet und ebenso neu und
scharfsinnig als schön und einleuchtend ist.
Es ist eine herrliche, nie gehörig eingesehene, noch weniger
aber so gut ausgeführte Bemerkung, daß einem jeden Individuum
für seinen Verstandesgebrauch die Natur eine eigentümliche Sphäre
bestimmt habe, in der er sich erweitern kann, daß es deren vier
gebe und niemand die seinige überschreiten könne, ohne in die
Intervalle zu fallen, welche insgesamt denen benachbarten Sphären
sehr angemessen benannt sind (wenn man die Sphäre, welche der
Mensch mit den Tieren gemein hat, nämlich die des Instinkts,
beiseite setzt). Wenn es mir erlaubt ist, unter dem Allgemeinen
Gattung des Verstandes {l'inteüigence universelle) den Verstand in
besonderer Bedeutung (fentenciemeni) die Urteilskraft und die
Vernunft, alsdann aber die Verbindung dieser drei Vermögen mit
der Einbildungskraft, welche das Genie ausmacht [bricht ab.]
Zuerst die Einteilung des Vorstellungsvermögens in die der
bloßen Auffassung der Vorstellungen apprehcnsio bruta ohne Be-
wußtsein, ist lediglich für das Vieh und die Sphäre der appcr-
ceptio, d. i. der Begriffe, die letztere nicht*) die Sphäre des Ver-
standes überhaupt. Diese ist die Sphäre i. der inteüigence des
Verstehens, d. i. des Vorstellens durch allgemeine Begriffe in ab-
stracto 1 des Beurteilens der Vorstellung des Besonderem als unter
dem Allgemeinen enthalten subsumtis unter Regeln allgemein /;/
*) Ist(?)
1^1 An Fürst von Beloselsky
concreto der Urteilskraft 3. des Einsehens persplcere der Ableitung
des Besonderen aus dem Allgemeinen, d. i. die Sphäre der Ver-
nunft. — Über diese die Sphäre der Nachahmung, es sei der
Natur selbst nach ähnlichen Gesetzen apprentissage oder der ori-
ginal'itaet transscendance der Ideale. Diese ist entweder die der
transszendenten Imagination, d. i. der Ideale der Einbildungs-
kraft gerne Geist — espr'it, welche, wenn die Formen der Einbildung
der Natur widersprechen die Sphäre der Hirngespenster monstren
Phantasterei oder der transszendenten Vernunft, d. i. der Ideale
der Vernunft, welche, wenn sie auf bloße Erweiterung der Spe-
kulation über das, was gar nicht Gegenstand der Sinne sein,
mithin nicht zur Natur gehören kann, lauter leere Begriffe sind.
Die Sphäre der Schwärmerei qu't cum ratione tnsaniunt und den
Verstand dahin zurückbringen, wo die het'ise war, nämlich nichts
von seiner Idee zu verstehen.
Folgendes ist die Belehrung, die ich für mich aus dieser vor-
trefflichen Zeichnung [ziehe?]. Verstand {Yentendemeni) in all-
gemeiner Bedeutung, das, was man sonst das obere Erkenntnis-
vermögen benennt, dem die sensualite entgegengesetzt ist. Er ist
überhaupt das Vermögen zu denken, da die letzte ist das Ver-
mögen der gedankenlosen anzusehen oder zu empfinden ist. Die
Sphäre der letzteren haben Sie sehr wohl (wenn der Verstand
darin fällt) die Sphäre der betise genannt. Unter jener ist der
Verstand in besonderer Bedeutung die Urteilskraft und die Ver-
nimft enthalten. Der erste ist das Vermögen zu verstehen (jn-
teUtgence^ die zweite das Vermögen zu beurteilen (Jugemeni), die
dritte einzusehen (perspica[cP\te\ der Vernunft durch Vernachlässigung
kaim der Mensch bisweilen aus der Sphäre des Verstandes in das
Leere der betise zurückfallen oder durch Überspannung in die der
leeren Vernünftelei espace imaginaire. Daher Ihre Einteilung in
fünf Sphären, wo denn für den Verstand {C entendemeyit) eigent-
lich nur drei übrig bleiben. Mit Recht haben Sie Verstand l'in-
telligence und Urteilskraft, ob sie zwar ganz verschiedene Vermögen
sind, in eine Sphäre zusammengezogen, weil die Urteilskraft nichts
weiter ist als das Vermögen, seinen Verstand in concreto zu be-
weisen und die Urteilskraft nicht neue Erkenntnisse schafft, son-
dern nur wie die vorhandenen anzuwenden sind, unterscheidet.
Der Titel ist bon sens, der in der Tat hauptsächlich auf der
Urteilskraft ankommt. Man könnte sagen, durch Verstand sind
wir imstande, zu erlernen (das ist Regeln zu fassen), durch Urteils-
An ^akoh Sigismund Beck 145
kraft vom Erlernten Gebrauch zu machen (Regeln in concreto an-
zuwenden), durch Vernunft zu erfinden, Prinzipien für mannig-
faltige Regeln auszudenken. Daher, wenn beide erstere Vermögen
unter dem Titel bon sens (eigentlich inteäigence und jugejiient zu-
sammen vereinigt) die erste eigentliche Sphäre des Verstandes
ausmachen, so ist die Sphäre der Vernunft, etwas einzusehen, mit
Recht die zweite. Alsdann aber ist die Sphäre, zu erfinden (de
transscendance^j die dritte. Die vierte gehört zur Verbindung der
Sinnlichkeit mit dem oberen Vermögen, das ist der Erfindung
dessen, was zur Regel dient, ohne Leitung der Regeln vermittelst,
der imaginatioti^ das ist die Sphäre des Genie, welche wirklich
nicht zum bloßen Verstände gezählt werden kann.
[Am Rande.] Die Sphäre der persptcacite ist die der systematischen
Einsicht des Zusammenhanges der Vernunft der Begriffe in einem System,
Die des Genie die der Verbindung der ersten mit der Originalität der
Sinnlichkeit.
291.
An Jakob Sigismund Beck.
Es ist, hochgeschätzter Freund, ganz gewiß nicht Gering-
schätzung Ihrer mir vorgelegten Fragen gewesen, was mich ge-
hindert hat, Ihren letzten Brief zu beantworten, sondern es waren
andere Arbeiten, auf die ich mich damals eingelassen hatte, und
mein Alter, welches mir es jetzt notwendig macht, mein Nach-
denken über eine Materie, mit der ich mich beschäftige, durch
nichts Fremdartiges zu unterbrechen, indem ich sonst den Faden,
den ich verlassen hatte, nicht wohl wieder auffinden kann. —
Der Unterschied zwischen der Verbindung der Vorstellungen in
einem Begriff und der in einem Urteil, zum Beispiel der schwarze
Mensch und der Mensch ist schwarz, (mit andern Worten: der
Mensch, der schwarz ist und der Mensch ist schwarz) liegt
meiner Meinung nach darin, daß im ersteren ein Begriff als be-
stimmt, im zweiten die Handlung meines Bestimmens dieses
Begriffs gedacht wird. Daher haben Sie ganz recht zu sagen,
daß in dem zusammengesetzten Begriff die Einheit des Be-
wußtseins, als subjektiv gegeben, in der Zusammensetzung
144 ^ .7^7/^0^ Sigismund Beck
der Begriffe aber die Einheit des Bewußtseins, als objektiv ge-
macht, das ist im crstcren der Mensch bloß als schwarz gedacht
(problematisch vorgestellt), im zweiten als ein solcher erkannt
werden solle. Daher die Frage, ob ich sagen kann: der schwarze
Mensch (der schwarz ist zu einer Zeit") ist weiß (das ist er ist
weiß, ausgebleicht, zu einer anderen Zeit) ohne mir zu wider-
sprechen? Ich antworte nein; weil ich in diesem Urteile den
Begriff des Schwarzen in den Begriff des Nichtschwarzen mit
herüberbringe, indem das Subjekt durch den ersteren als be-
stimmt gedacht wird, mithin, da es beides zugleich sein würde,
sich unvermeidlich widerspräche. Dagegen werde ich von eben
demselben Menschen sagen können, er ist schwarz und auch
eben dieser Mensch ist nicht schwarz (nämlich zu einer
anderen Zeit, wenn er ausgebleicht ist), weil in beiden Urteilen
nur die Handlung des Bestimmens, welches hier von Er-
fahrungsbedingungen und der Zeit abhängt, angezeigt wird. In
meiner Krit. d. r. V. werden Sie da, wo vom Satz des Wider-
spruchs geredet wird, hievon auch etwas antreffen.
Was Sie von Ihrer Definition der Anschauung, sie sei eine
durchgängig bestimmte Vorstellung in Ansehung eines gegebenen
Mannigfaltigen, sagen, dagegen hätte ich nichts weiter zu erinnern,
als daß die durchgängige Bestimmung hier objektiv und nicht als
im Subjekt befindlich verstanden werden müsse (weil wir alle
Bestimmungen des Gegenstandes einer empirischen An€chauung
unmöglich kennen können), da dann die Definition doch nicht
mehr sagen würde als: sie ist die Vorstellung des einzelnen Ge-
gebenen Da uns nun kein Zusammengesetztes als ein solches
gegeben werden kann, sondern wir die Zusammensetzung des
mannigfaltigen Gegebenen immer selbst machen müssen, gleich-
wohl aber die Zusammensetzung als dem Objekte gemäß nicht
willkürlich sein kann, mithin, wenngleich nicht das Zusammen-
gesetzte doch die Form, nach der das mannigfaltige Gegebene
allein zusammengesetzt werden kann, a priori gegeben sein muß,
so ist diese das bloß Subjektive (Sinnliche) der Anschauung,
welches zwar a priori, aber nicht gedacht (denn nur die Zu-
sammensetzung als Handlung ist ein Produkt des Denkens),
sondern in uns gegeben sein muß (Raum und Zeit), mithin
eine einzelne Vorstellung und nicht Begriff (repraesentatio com-
munis) sein muß. — Mir scheint es ratsam, sich nicht lange bei
der allersubtilsten Zergliederung der Eiementarvorstellungen auf-
An 'Johann Erich Biester 145
zuhalten, weil der Fortgang der Abhandlung durch ihren Gebrauch
sie hinreichend aufklärt.
Was die Frage betrifft: Kann es nicht Handlungen geben, bei
denen eine Naturordnung nicht bestehen kann und die doch das
Sittengesetz vorschreibt, so antworte ich: allerdings! nämlich eine
bestimmte Naturordnung, zum Beispiel die der gegenwärtigen
Welt, zum Beispiel ein Hofmann muß es als Pflicht erkennen,
jederzeit wahrhaft zu sein, ob er gleich alsdann nicht lange Hof-
mann bleiben wird. Aber es ist in jenem Typus nur die Form
einer Naturordnung überhaupt, das ist der Zusammenhang
der Handlungen als Begebenheiten nach sittlichen Gesetzeu
gleich als Naturgesetzen bloß ihrer Allgemeinheit nach;
denn dieses geht die besondere Gesetze irgend einer Natur gar
nicht an.
Doch ich muß schließen. — Die Übersendung Ihres Manu-
skripts wird mir angenehm sein. Ich werde es für mich und
auch in Gemeinschaft mit Herrn Hofprediger SCHULTZ durch-
gehen. — Herrn Professor JACOB bitte ich für die Übersendung,
imgleichen die mir erzeigte Ehre seiner Zuschrift gar sehr zu
danken; imgleichen dem Herrn Magister HOFFBAUER, der mir
seine Analytik zugeschickt hat,') dafür zu danken und beiden zu
sagen, ich v/ürde nächstens ihre Briefe zu beantworten die Ehre
haben. — Leben Sie übrigens recht glücklich — und ich verbleibe
Der Ihrige
Königsberg, I. Kant,
d. T^. Juli 1792.
29z.
An Johann Erich Biester.
Königsberg, d. 30. Juli 1792.
Ihre Bemühungen, geehrtester Freund, die Zulassung meines
letzten Stücks in der Berliner Monatsschrift durchzusetzen, haben
allem Vermuten nach die baldige Zurückschickung derselben an
mich, warum ich gebeten hatte, gehindert. — Jetzt wiederhole
ich diese Bitte, weil ich einen anderen Gebrauch, und zwar bald,
^) Joh. Christ. Hofbauer, Analytik der Urteile und Schlüsse
Halle 1792.
Kants Schriften. Bd. X. lo
1^6 An Johann Erich Biester
davon zu machen gesinnet bin, welches um desto nötiger ist, da
die vorhergehende Abhandlung, ohne die nachfolgende Stücke,
eine befremdliche Figur in Ihrer Monatsschrift machen muß; de,*
Urtcilsspruch aber Ihrer drei Glaubensrichter unwiderruflich zu sein
scheint. — Es ist also mein dringendes Gesuch, mein Manuskript
mir, auf meinen Kosten, sobald als möglich, mit de- fahrenden
Post wieder zuzusenden; weil ich von verschiedenen unter den
Text eigenhändig geschriebenen Anmerkungen keine Abschrift auf-
behalten habe, sie aber auch nicht gern missen wollte. Den
Grund, warum ich auf die Berliner Zensur drang, werden Sie
sich aus meinem damaligen Briefe leicht erinnerlich machen. So-
lange nämlich die Abhandlungen in Ihrer Monatsschrift, sowie
bis jetzt, sich in den engen Schranken halten, nichts, was der
Privatmeinung Ihrer Zensoren in Glaubenssachen einigermaßen zu-
wider zu sein scheinen könnte, einfließen zu lassen, macht es
keinen Unterschied, ob sie innerhalb den königlichen Landen oder
auswärts gedruckt würde. Da ich aber in Ansehung meiner Ab-
handlung des letzteren wegen etwas besorgt sein mußte, so war
die natürliche Folge, daß, wenn sie dennoch, wider ihre Ein-
stimmung, in der Monatsschrift erschienen wäre, diese Zensoren
darüber Klage erheben, den Umschweif, den sie nimmt, fernerhin
verhindern und meine Abhandlung, die sie alsdann ohne Zweifel
weidlich anzuschwärzen nicht ermangeln würden, zur Rechtfertigung
ihres Gesuchs (um Verbot dieses Umschweifs) anführen möchten,
welches mir Unannehmlichkeiten zuziehen würde. Ich werde dem-
ungeachtet nicht unterlassen, anstatt dieser Abhandlung Ihnen,
wenn Sie es verlangen, eine andere, bloß moralische, nämlich
über Herrn GAR VE in semen Versuchen, I. Teil, neuerdings ge-
äußerte Meinung von meinem Moralprinzip,') bald zuzuschicken
und bin übrigens mit unwandelbarer Hochschätzung und Freund-
schaft der Ihrige
Kant.
^) Chr. Garve, Versuche über verschiedene Gegenstände aus der
Moral, Littera ur und dem gesellschaftlichen Leben, Berlin 1791 fF.,
vgl. Kants Abhandlung „Über den Gemeinspruch: das mag in der
Hieorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis" (Berl. Monatsschr.,
September 1793)., s. Bd. VI, S. gjyff.
Von Johann Gott lieb Fichte 147
293.
Von Johann Gottlieb Fichte.
Wohlgeborner Herr,
Höchstzuverehrender Herr Professor,
Durch einen Umweg, weil ich selbst die Literaturzeitung sehr
spät erhalte, bekomme ich eine unbestimmte Nachricht, daß in
dem Intelligenzblatte derselben meine Schrift für eine Arbeit von
Euer Wohlgeborn ausgegeben worden, und daß Dieselben sich
genötigt gesehen, dagegen zu protestieren/) In welchem Sinne
es möglich war, so etwas zu sagen, sehe ich nicht ein; und
kann es um so weniger einsehen, da ich die Sache nur unbe-
stimmt weiß. — So schmeichelhaft ein solches Mißverständnis
an sich für mich sein müßte, so erschreckt es mich doch sehr,
wenn ich es mir als möglich denke, daß Euer Wohlgeborn oder
ein Teil des Pubhkum glauben könnten, ich selbst, habe durch
eine Indiskretion diejenige Art der Hochachtung, die Ihnen jeder-
mann um desto mehr schuldig ist, da sie fast die einzige bleibt,
die wir Ihnen erweisen dürfen, verletzt, und dadurch auch nur
die entfernteste Veranlassung zu diesem Vorfalle gegeben.
Ich habe sorgfältig alles zu vermeiden gesucht, was Dieselben
die eigentlich wohltätige Verwendung — ich weiß das, und
anerkenne es — um meinen ersten schriftstellerischen Versuch
bereuen machen könnte. Ich habe nie gegen irgend jemand
etwas gesagt, das Ihrer Äußerung, daß Sie nur einen kleinen
Teil meines Aufsatzes gelesen, und aus diesem auf das übrige
nur geschlossen, widerspräche; ich habe vielmehr eben das mehr-
mals gesagt. Ich habe in der Vorrede den kaum merklichen W^ink,
daß ich so glücklich gewesen bin, wenigstens zum Teil gütig
von Ihnen beurteilt zu werden, vertilgt. (Ich wünschte jetzt,
leider zu spät, die ganze Vorrede zurückbehalten zu haben.)
Dies ist die Versicherung, die ich Euer Wohlgeboren nicht
aus Furcht, daß Sie ohne gegebene Veranlassung mich für indis-
kret halten würden, sondern um Denenselben meine Teilnahme
an dem unangenehmen Vorfalle, die sich auf die reinste Ver-
ehrung gegen Sie gründet, zu erkennen zu geben, machen wollte.
Sollte, wie ich vor völliger Kunde der Sachen nicht beurteilen
*) Vgl. hierzu die öffentlichen Erklärungen Kants Nr. IL
10*
148 Von Friedrich Viktor Lebrecht Plessing
kann, und worüber ich mir Euer Wohlgeboren gütigen Rat er-
bitte, noch eine öffentliche Erklärung von meiner Seite nötig
sein, so werde ich sie ohne Anstand geben.
Werden Euer Wohlgcboren der Frau Gräfin von KROCKOW,
in deren Hause ich so glückliche Tage verlebe, welche mir auf-
trägt, Ihnen Ihre Hochachtung zu versichern, und welche selbst
die aller Welt verdient, eine kleine Neugier für gut halten? Sie
findet ohnlängst im bischöflichen Garten zu Oliva an der Statue
der Gerechtigkeit Ihren Namen angeschrieben, und wünscht zu
wissen, ob Sie selbst dagewesen sind. Olingeachtet ich ihr nun
vorläufig zugesichert habe, daß aus dem angeschriebnen Namen
sich gar nichts schließen lasse, weil Sie es sicher nicht gewesen,
der ihn hingeschrieben; so hat sie sich doch schon zu sehr mit dem
Gedanken familiarisiert, an einem Orte gewesen zu sein, wo auch
Sie einst waren, und besteht auf ihrem Verlangen, Sie zu fragen.
Ich finde aber, daß dieser Neugier noch etwas anders zum Grunde
liegt. „Sind Sie in Oliva schon einmal gewesen, denkt sie, so
könnten Sie wohl einst in Ihren Ferien wieder dahin, und von
da aus wohl auch nach Krockow kommen" — und es gehört
unter ihre Lieblingswünsche, Sie einmal bei sich zu sehen und
Ihnen ein paar vergnügte Tage oder auch Wochen zu machen;
und ich glaube selbst, daß sie den zweiten Teil ihres Wunsches
sicher erreichen würde, wenn sie den ersten erreichen könnte.
Ich bin mit warmer Verehrung
Euer Wohlgeborn
Krockow, d. 6. August gehorsamster Diener
1792. J. G. Fichte.
Von Friedrich Viktor Lebrecht Plessing.
Wohlgeborner Herr
Hochzuehrender Herr Professor.
Süß ist mir dieser so lange gewünschte Augenblick, wo ich
einer Pflicht Gnüge tun kann, wegen deren Nichterfüllung, die
bisher nicht in meiner Gewalt stand, ich von manchem innem
Kummer gedrückt worden bin. Ich entschuldige mich hier nicht
weiter. Denn bloße Worte, die sich leicht finden lassen, sind
Von Friedrich Viktor Lebrecht Vlessing 14p
noch keine würklichen Gründe. Wenn ich einigen Glauben bei
Ihnen habe, so wird die simple Versicherung von meiner Seite:
daß es nicht in meiner Gewalt gestanden, diese Pflicht eher zu
erfüllen, für Sie hinreichend sein. Es sind nunmehr neun Jahre,
da Euer Wohlgeboren 30 Rhtlr. (ich hoffe, in der Summe mich
nicht zu irren) für mich ausgelegt hatten. Eine so lange Zeit
schuldig gebliebene Summe muß zugleich mit den Zinsen, die
sie während dieser neun Jahre getragen, abbezahlt werden. Dies
gebühret sich nach der Ordnung der Dinge, und ist mir daher
Pflicht. Ich übersende acht Friedrichsdor, die mit dem Agio
(das auf jedes Stück, zehn bis elf Ggl., nach sächsischen Münz-
fuß, beträgt) die Summe ausmachen werden, die ich Ihnen (nämlich
die 30 Rhtlr., nebst neunjährigen Zinsen, fünf vom Hundert)
schuldig bin. Ich begleite den Abgang dieses Geldes mit meinem
herzlichsten und innigsten Dank, den ich Ihnen, nicht bloß für
die so lange bewiesene gütige Nachsicht, sondern noch für mehr
als dies, für das widme, was Sie mir vor zehn Jahren (in dieser
für mich so merkwürdigen und traurigen Periode meines Lebens,
deren Andenken mit unauslöschlichen Zügen in mein Innerstes
gegraben ist) waren. Nochmals meinen innigsten Dank Ihnen
dafür, edler Mann! meinen innigsten Dank, von dem das Herz
eines Mannes erfüllt ist, das seine Verbindlichkeit und Ihr Verdienst
ganz fühlt. Noch bleibt mir aber etwas zu erfüllen übrig, das
Sie vermutlich erraten werden. Es betrifft nämlich jenen groß-
mütigen Mann, dessen Namen ich noch nicht kenne. Allein noch
zu sehr unter dem harten Gesetz zwingender äußerer Umstände
gehalten — die ich zwar seit neun Jahren, durch anhaltendes
Ankämpfen und Anstrengung aller meiner Kräfte, gegen die vorigen
Zeiten gerechnet, um ein Großes erträglicher gemacht habe, aber
doch noch nicht so zu verbessern imstande gewesen bin (wozu
ich noch einige Jahre brauche, und mir daher nur noch so lange
das Leben wünsche, um auch diese Pflichten noch erfüllen zu
können), um alles ins reine bringen zu können — ist es mir
bis gegenwärtig nicht möglich, mich von dieser mir auf dem
Herzen liegenden Verbindlichkeit zu befreien. Allein ich ersuche
Euer Wohlgeboren (auf Lebens- und Sterbensfall), mir irgend eine
Adresse zu übermachen, wohin oder an wen, sobald ich dazu
vermögend bin, ich die bewußte Summe übermachen kann. —
Ich habe ein hartes Tagewerk gehabt. Doch fühle ich in dem
Bewußtsein : mit Mühe und Arbeit, im Schweiß meines Angesichts
150 Von Friedrich Viktor Lebrecht Vlessing
mich durchgedrungen zu haben, zugleich Beruhigung und Be-
lohnung.
Itzt muß ich Euer Wohlgeboren doch noch einige Nach-
richten von mir selbst mitteilen. Was meine individuelle Lage,
als Mensch und akademischer Lehrer hier an diesem Ort betrifft,
so lebe ich, gewisse Rücksichten ausgenommen, zufrieden, mit
meinen Kollegen*) in Ruhe und Einigkeit, sowie mit allen übrigen
Menschen. Bei Führung meines Lehramts suche ich, soviel ich
kann, und soviel es der Geist der hiesigen Denkart zu ertragen
imstande ist, Nutzen zu stiften. Freilich ist in diesen Gegenden,
die sich durch so manche Eigenheiten vor andern auszeichnen,
Philosophie eine ziemlich fremde Wissenschaft; Herrn JACOBI in
Düsseldorf ausgenommen, sonst weiß ich keinen, mit dem ich
mich mündlich über dergleichen Gegenstände unterhalten könnte.
Wäre meine Einnahme etwas ansehnlicher und herrschte hierzu-
lande, wol wegen des starken Handels und der ansehnlichen Geld-
masse, die im Umlauf ist, nicht eine große Teuerung, so würde
— da ich einsam und abgezogen lebe, und mich soviel möglich
von äußern Bedürfnissen unabhängig zu machen suche — auch
in noch einer andern Rücksicht, meine Lage erträglicher sein.
Man hatte mir vorm Jahr eine Zulage gegeben, aber mit der
Bedingung, die lutherische Dogmatik zu lesen. Überrascht an-
fänglich nahm ich diesen Antrag an. Allein aus Gründen, die
mir's zur Pflicht machten, habe ich dieses Amt, nebst der Zulage,
schon vor einiger Zeit wieder niedergelegt.
Meine in einem imgewöhnlichen Grade vormals lebhafte Ein-
bildungskraft, die in meinen jüngeren Jahren die Herrschaft führte,
mir, bei der ansehnlichen Rolle, die sie spielte, so viele Übel
schuf, ist gegenwärtig erkaltet, so daß ich itzt die Dinge ziemlich
so sehe, wie sie sind. Zurückgekommen von so manchen Prä-
tensionen, könnte ich daher -Ä^ohl in der Folge negativ glück-
licher leben; allein ich fürchte, unter den fortdaurenden Geistes-
anstrengungen (denen ich noch zurzeit, wegen ökonomischer Ver-
hältnisse, keine engern Schranken setzen darf), die baldige Ab-
stumpfung meines Körpers und Geistes. Möge aber alsdann auch
nur das Ende meiner Tage nicht mehr fern sein! Ein kurzes
Lebensziel und baldige Befreiung des Vernunftmenschen von der
Herrschaft der sinnlichen Natur und aus dem Leibe dieses Todes
*) Die mit *) angedeutete Fußnote ist weggeschnitten.
Von Friedrich Viktor Lebrecht Plessing 1 5 1
ist in dieser gegenwärtigen Zeit mehr zu wünschen, als zu fürchten.
Mir fällt hierbei eine herrhche an BRUTUS gerichtete Stelle, aus dem
ersten Buch der Tuscul. quaest. (am Ende desselben) ein, die
CICERO, während der Stürme, die sein Vaterland zerrütteten,
und das Menschengeschlecht in ein länger als tausendjähriges Elend
stürzten, schrieb: Magna eloquentia est utendum, atque ita velut
superiore e loco concionandum, ut homines mortem vel optare
incipiant, vel certe timcre desistant. Nam si supremus ille dies
non exstinctionem, sed commutationem affert loci, quid optabilius?
sin autem perimit ac delet omnino, quid melius, quam in mediis
vitae laboribus obdormiscere, & ita conniventem somno consopiri
sempiterno? — Nos vero, si quid tale acciderit, ut a Deo denun-
tiatum videatur, ut exeamus e vita, laeti, & agentes gratias pareamus;
emittique nos e custodia & levari vinculis arbitremur, ut aut in
aeternam, & plane in nostram domum remigremus, aut omni sensu,
molestiaque careamus. Sin autem nihil denuntiabitur, eo tamen
simus animo, ut diem illum, horribilem aliis, nobis faustum
putemus; portum paratum nobis & perfugium putemus. Quo
utinam velis passis pervehi liceat! sin restantibus ventis rejiciemur,
tamen eodem, paulo tardius, referamur necesse est.
Die Geschichte unserer Tage zeugt von einem traurigen Verfall
der Menschheit ynd weissagt derselben Schicksale, die zittern
machen; alle Anstalten sind wenigstens da, um es zu bereiten.
Die heilige aiScü? scheint ganz den Erdboden verlassen zu wollen.
Ein sich selbst zerstörender Egoismus entartet die Europäer und
verschlingt alle edle Gefühle bei ihnen. In gewissen bedrängen-
den Augenblicken des tiefsten Seelenschmerzes und inniglichsten
Unwillens wird einem der Gedanke denkbar: Gott könne die
Menschen wegen moralischer Verderbnis aus freiwilliger Bestim-
mung vom Erdboden vertilgen, um ihn von den Verschuldungen
zu reinigen und einer bessern Menschenart Platz zu machen. Es
geschehen itzt Dinge auf Erden, die das moralische Gefühl so
empören, daß es ihm zum äußersten Bedürfnis wird: Strafe und
Verdammnis in einem andern. Leben zu wünschen, um die Vernunft
durch diesen zum Glauben gewordnen Wunsch vor der Ver-
zweiflung zu retten: sich solbst für ein Unding und die Welt
für ein Irrenhaus zu halten,- wo die Tollhäusler einander die
Köpfe zerschlagen.
Doch ich muß hier abbrechen. Sie haben in letzter Messe
ein neues Werk ohne Ihren Namen herausgegeben; aber ich habe
i5t Von Friedrich Viktor Lebrecht Fiessing
den Verfasser bald erkannt. Möge dieses Buch viel Segen stiften!
— Teilnehmend begleiten meine Blicke Sie auf Ihrer glänzenden
Laufbahn, und der Ruhm, der Sie am Abend Ihrer Tage krönt,
ist für mich ein erhebender Anblick! Widmen Sie, ehrwürdiger
Greis, Ihr noch übriges Leben dazu, den Menschen Wahrheiten
zu sagen, die sie itzt am meisten bedürfen. Es wird so wenig
für die gute Sache der Menschheit geschrieben; und das, was
darüber geschrieben wird, ist meistens zweckwidrig. Mehrere
unserer, in andern Fächern guten, Schriftsteller scheinen, wenn sie
über diesen Punkt schreiben, den Kopf zu verlieren. Ich ver-
misse Überzeugung, Nachdruck, Würde, Ernst, männliche Kraft,
ruhige Fassung, Weisheit und Klugheit, bei dem Inhalt und Ge-
präge ihrer Schriften. Wie sehr kann ein Mann wie Sie itzt
ein Wort zu rechter Zeit reden!
Ob ich gleich diesen Sommer zum dritten Male meine Meta-
physik, die ich dieses halbe Jahr wieder Itst, ausarbeite, so bin
ich mit meinem System doch nicht aufs reine. Ihre Werke liegen
auf meinem Schreibtisch mir immer zur Hand. Zuvor aber, ehe
ich mich diesen Untersuchungen ganz und gar widm«, werde ich
noch eine Wallfahrt ins Altertum tun. Mein Hauptzweck mit
bei diesem Studium ist, die Nichtigkeit des der menschlichen
Vernunft gemachten Vorwurfs zu zeigen, als wenn sie nur erst
seit Jüngern Zeiten auf die Idee eines Göttlichen Wesens ge-
kommen wäre, und hiezu einer andern als ihrer eignen Hilfe
bedurft hätte; ferner, die Geschichte, den Zusammenhang und
alten entfernten Ursprung jenes merkwürdigen Systems zu ent-
wickeln, das auf die Schicksale und die Denkart der Menschen
einen so unermeßlichen Einfluß gehabt und daher genauer unter-
sucht zu werden doch wohl verdient. Es ergeben sich hieraus
Wahrheiten, als Resultate, die, wenn sie, so wie sie schon philo-
sophisch erkannt sind, auch historisch anschauend gemacht, recht
verstanden und beherzigt werden, die menschliche Erkenntnis
über verschiedene wichtige Gegenstände sehr berichtigen können.
Ehe der Satz nicht als allgemein wahr anerkannt wird: daß keine
Vernunftwahrheit offenbart werden kann, ist kein daurendes Heil
und Wohl für die Menschen zu hoffen. Allein das Publikum,
das, da ich einige Jahre zu spät kam, schon Partei ergriffen hatte,
kann oder will mich zum Teil nicht verstehn. Ich habe zeither
noch einmal die Alten studiert, auch zum Teil die Astronomie
derselben (als mit welcher die alte Metaphysik in Verbindung
Von Friedrich Viktor Lebrecht Fiessing 153
steht), vorzüglich aber ganz von vorn, den PLATO und ARISTO-
TELES, wo ich manchen Fund wieder getan und zum bessern
Verständnis der ELEATISCHEN und ARISTOTELISCHEN Philo-
sophie gelangt bin; in deren Darstellung, wie sie im zweiten
Bande meiner Versuche zur Aufklärung der Philosophie des ältesten
Altertums enthalten ist, ich manches verändern, und ein neues
Werk, unter dem vermutlichen Titel: Resultate aus der Geschichte
der Menschheit im ältesten Altertum, herausgeben werde. Aus
der Vergleichung und Vereinigung der Entdeckungen der neuern
Naturgeschichte mit den Resultaten der ältesten Urkunden der
Geschichte über eine große Erdrevolution ist es mir zur höchsten
Wahrscheinlichkeit gediehen: daß eine große physische Revolution
vormals einen großen Teil der Oberfläche des Erdbodens ins
Meer versenkt, dadurch neues Land hervorgebracht und die
physische und klimatische Beschaffenheit desselben ganz verändert
und verschlimmert habe. Diese große Weltbegebenheit, glaube
ich, ist der erste feste Standpunkt, von dem man bei der Ge-
schichte der Menschheit ausgehn muß. Indem man seine Unter-
suchungen hier anknüpft, gewinnen sie durch diese Verbindung
mehr Licht über den Ursprung und die Natur gewisser Lehrsätze
jenes alten Systems; über die dann auch, aus der Natur der Ver-
nunft selbst, wenn man dem natürlichen Gange nachspürt, den
sie in jenen Zeiten und unter jenen Umständen nehmen mußte,
mancher Aufschluß geschöpft werden kann.
Doch ich muß hier abbrechen, schon zu lange habe ich Sie
hiemit unterhalten. — Leben Sie wohl, ehrwürdiger Mann! Lassen
Sie mich Ihrem Andenken von neuem empfohlen sein, und nehmen
Sie das herzliche Bekenntnis meiner Verehrung und Hrochjachtung
an, mit der ich bin
Dero
Duisburg am Rhein, treugehorsamster
den 6. August 92. Plessing.
Königsberg ist mir ganz unbekannt geworden. Ist Herr
BRAHL noch am Leben oder noch in Königsberg, und sollten
Sie Gelegenheit haben, ihn zu sehen, so haben Sie die Güte,
ihm mein Andenken zu bezeugen.
*
* *
154 ^" ^^^ theologische Fakultät in
295.
An die theologische Fakultät in ;^ * *•')
(Entwurf.)
[Ende August 1792.]
Ich habe die Ehre, Euer Hochchrwürden drei philosophische
Abhandlungen, die mit der in der Berl. Monatsschrift ein Ganzes
ausmachen sollen, nicht sowohl zur Zensur, als vielmehr zur Be-
urteilung, ob die theologische Fakultät sich die Zensur derselben
anmaße, zu überreichen, damit die philosophische ihr Recht über
dieselbe gemäß dem Titel, den diese Schrift führt, unbedenklich
ausüben könne. — Denn da die reine philosophische Theologie
hier auch in Beziehung auf die biblische vorgestellt wird, wie
weit sie nach ihren eigenen Versuchen der Schriftauslegung sich
ihr anzunähern getraut, und wo dagegen die Vernunft nicht hin-
reicht oder auch mit der angenommenen Auslegung der Kirche
nicht folgen kann, so ist dieses eine unstreitige Befugnis derselben,
bei der sie sich in ihren Grenzen hält und in die biblische
Theologie keinen Eingriff tut, ebensowenig, als man es der letzteren
zum Vorwurfe des Eingriffs in die Rechtsame einer anderen
Wissenschaft macht, daß sie zu ihrer Bestätigung oder Erläuterung
sich so vieler philosophischer Ideen bedient, als sie zu ihrer
Absicht tauglich glaubt. — - Selbst da, wo die philosophische
Theologie der biblischen entgegengesetzte Grundsätze anzunehmen
scheint, zum Beispiel in Ansehung der Lehre von den Wundern,
gesteht und beweist sie, daß diese Grundsätze von ihr nicht als
objektive, sondern nur als subjektive geltend, das ist als Maximen
verstanden werden müssen, wenn wir bloß unsere (menschliche)
Vernunft in theologischen Beurteilungen zu Rate ziehen wollen,
wodurch die Wunder selbst nicht in Abrede gezogen, sondern
dem biblischen Theologen, sofern er bloß als ein solcher urteilen
will und alle Vereinigung mit der Philosophie verschmäht, un-
gehindert überlassen werden.
^) Das Schreiben ist wahrscheinlich an die Königsberger theolog.
Fakultät gerichtet; ihr Votum ging dahin, daß sie die philosophische
Fakultät für die Beurteilung von Kants „Religion innerhalb der Grenzen
der bloßen Vernunft" als zuständig erklärte. Kant wandte sich hierauf
an die philosophische Fakultät in Jena, deren Dekan J. Chr. Hennigs
das Imprimatur erteilte.
Von Jakoh Sigismund Beck 155
Da nun seit einiger Zeit das Interesse der biblischen Theo-
logen als solcher zum Staatsinteresse geworden, gleichwohl aber
auch das Interesse der Wissenschaften ebensowohl zum Staats-
interesse gehört, welches eben dieselben Theologen als Universi-
tätsgelehrte (nicht bloß als Geistliche) nicht zu verabsäumen und
einer der Fakultäten, zum Beispiel der philosophischen, zum ver-
meinten Vorteil der anderen zu verengen, sondern vielmehr jeder
sich zu erweitern befugt und verbunden sind, so ist einleuchtend,
daß, wenn ausgemacht ist, eine Schrift gehöre zur biblischen
Theologie, die zur Zensur derselben bevollmächtigte Kommission
über sie das Erkenntnis habe, wenn das aber noch nicht aus-
gemacht, sondern noch einem Zweifel unterworfen ist, diejenige
Fakultät, auf einer Universität (welche diesen Namen darum
führt, weil sie auch darauf sehen muß, daß eine Wissenschaft
nicht zum Nachteil der andern ihr Gebiet erweitere), für die
das biblische Fach gehört, allein das Erkenntnis habe, ob eine
Schrift in das ihr anvertraute Geschäfte Eingriffe tue oder nicht,
und im letzteren Fall, wenn sie keinen Grund findet, Anspruch
darauf zu machen, die Zensur derselben derjenigen Fakultät anheim-
fallen müsse, für die sie sich selbst angekündigt hat.
29Ö.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den 8. September 1792.
Teuerster Herr Professor,
Sie haben mir erlaubt, Ihnen mein Manuskript zu schicken,
und ich benutze hiemit dieses gütige Anbieten. Da ich es mit
Sorgfalt aufgesetzt und kein Nachdenken in dieser Arbeit mir
erspart habe, so gibt mir dieses einigen Mut, dieselbe Ihnen
vorzulegen. Was die Schwierigkeiten betrifft, die mich bisweilen
quälten, und die ich zum Teil Ihnen vorgelegt habe, so habe ich
großenteils und nach und nach aus eigenem fundo sie mir selbst
gehoben. Daß der grade Gang auch in Wissenschaften der beste
ist, erfahre ich täglich, indem jedesmal, daß ich mich überredete,
auch in der Kritik was eingesehen zu haben, das ich doch nicht
hatte, ich mich nur vom Ziel auf längere Zeit entfernt habe.
Der Auszug aus der Kritik der reinen Vernunft geht in diesen
156 Von ^akoh Sigismund Beck
Heften bis zur transszendentalen Dialektik. Ich habe ihn schon
einmal ganx fertig gehabt; aber der Fortschritt in diesem Studium
und die dadurch erhaltene Aufklärung hat mich vermocht, die
ganze Arbeit umzuwerfen und von neuem den Aufsatz zu machen.
Aber um eine Unart muß ich um Verzeihung bitten. Ich habe
zwar das Manuskript so leserlich als ich konnte geschrieben, aber
es war mir unmöglich, es abschreiben zu lassen, weil die Leute,
die man hier dazu braucht, Soldaten sind, und diese sich jetzt
in Frankreich befinden.
Und nun, lieber, teurer Lehrer, darf ich freilich nicht wähnen,
daß Sie mein ganzes Geschreibe selbst durchgehen werden. Nur
um die Gefälligkeit muß ich Sie wirklich ersuchen, die e'uiige
Blätter von der Deduktion der Kategorien und den Grundsätzen
durchzugehen, woran mir am meisten gelegen ist und mir zu
zeigen, was ich wohl gar falsch dürfte gefaßt, oder Ihrem Wunsche
nicht gemäß dargestellt haben. Der Buchdrucker verlangt aber
das Manuskript in einer Zeit von acht Wochen und ich bin
daher genötigt, es mir gegen Ende des Novembers zurückzu-
erbitten.
Noch eine Privatfrage möchte ich gern tun, wozu mir Ihre
Kritik durch die mir außerordentlich einleuchtende Bemerkung,
daß man einen Raum durchweg erfüllt mit Materie sich denken
und gleichwohl das Reale desselben durch unendlich viele Grade
verschieden setzen könne. Ich habe mich niemals in die Vor-
stellungsart KÄSTNERS, KARSTENS usw., daß man die Materie
aus gleichförmigen Moleculis von einerlei Schwere bestehend sich
denken müsse, um die verschiedenen Gewichte gleicher Volumina
sich zu erklären, finden können. Die kritische Philosophie hat
bis zum Ergötzen mich hierüber belehrt. Um nun jene Erschei-
nung mir zu erklären, stelle ich mir die Sache so vor. Die Erde
zieht jeden Körper auf ihrer Oberfläche an, so wie sie auch von
ihm angezogen wird. Aber die Wirkung des Körpers gegen die
Erde ist unendlich klein gegen die, welche die Erde auf ihn hat,
und daher kommt es, daß die Fallhöhe im luftleeren Raum aller
Körper ganz gleich ist. Hänge ich aber zwei Körper von
gleichem Volumen, in denen kein Teil leer sein mag, an die
Wage, so wird die Wirkung, welche die Erde auf beide äußert,
gegeneinander aufgehoben, aber die Kräfte, womit beide Körper
die Erde anziehen, bleiben und sind es nun allein, welche ein
Verhältnis gegeneinander haben. Im luftleeren Raum ist das Ver-
Von 'jfakob Sigismund Beck 157
hältnis der Kräfte, womit beide Körper zur Erde fallen = a-\-dx'.a-\- dy
= a:a also ein Verhältnis der Gleichheit; aber an der Wage
='dx'.dy ein Verhältnis der Ungleichheit. Würden beide Körper
auf eine Mondesweite etwa von der Erde erhoben, so würden
gewiß ihre Fallhöhen nicht mehr gleich sein. Ob ich darin
wohl recht habe?
Inliegenden Brief an Sie zu bestellen, hat mich Herr M. RATH
gebeten. Er hat Lust, die Kritik ins Latein zu übersetzen, und
will Sie darum befragen. Da Ihnen dieser Mann gänzlich un-
bekannt ist, so darf ich wohl einige Worte, die ihn kenntlich
machen sollen, hersetzen. Er ist kein junger Mensch, sondern
ein Mann zwischen dreißig und vierzig. Wirklich reine Liebe
zu den Wissenschaften hat ihn vom schriftstellerischen Pfad, und
diese sowohl als eine grade aufrichtige Denkungsart von dem
Bestreben, das andern manchmal schnell Ehren bringt, abgehalten.
Daß er die alten Sprachen kenne, habe ich aus dem Munde der-
jenigen, die hierselbst ein Ansehen deshalb haben. Daß er aber
die kritische Philosophie mit glücklichem Erfolg studiere, davon
überführt mich mein vertrauter Umgang mit ihm, der mir das
seltene Glück gewährt, meine Gedanken einer menschlichen Seele
mit Wohlgefallen mitteilen zu können.
Künftiges Winterhalbejahr werde ich ein Publicum lesen
der praktischen Philosophie, worauf ich mich herzlich freue, in-
dem ich gewiß viel belehrter es schließen, als ich es anfangen
werde.
Ich schließe hiemit und empfehle mich Ihrer Gewogenheit,
der ich mit Hochachtung und Liebe bin
der Ihrige
Beck.
Bemerkungen Kants zu vorstehendem Briefe.
Die größte Schwierigkeit ist, zu erklären, wie ein bestimmtes
Volumen von Materie durch die eigene Anziehung seiner Teil[e]
in dem Verhältnis des Quadrats der Entfernung inverse, bei einer
Abstoßung, die aber nur auf die unmittelbar berührenden Teile
(nicht auf die entferneten) gehen kann, im Verhältnis des Kubus
derselben (mithin des Volumens selber) möglich sei. Denn das
Anziehungsvermögen kommt auf die Dichtigkeit, diese aber wieder
aufs Anziehungsvermögen an. Auch richtet sich die Dichtigkeit
nach dem umgekehrten Verhältnis der Abstoßung, das ist des
1^8 Von fakob Sigismund Beck
Volumens. — Nun fragt sich, ob, wenn ich eine Quantität
Materie, darin ihre Teile einander in allen Entfernungen nach
obigem Gesetz anziehen, aber ders[elbcn] Zurückstoßung doch
größer ist, sich selbst überlasse, ob es eine gewisse Grenze der
ferneren Ausdehnung gebe, da die Anziehung mit der Zurück-
stoßung im Gleichgewicht ist, oder ob nicht, wenn die Zurück-
stoßung bei einer Dichtigkeit größer ist als die Anziehung, sie
es nicht ins Unendliche bei größerer Ausdehnung bleibe. Die
Abnahme nach dem Kubus der Entfernungen aber scheint das
erstere zu bestätigen. Nun kann man viele solche aggregata
außer einander denken, darin jedes gleichsam einen Dienst für
sich ausmacht und die sich einander anziehen, wodurch sie sich
mehr verdichten, welche Nähertretung aber, von einer gewissen
ursprünglichen Dünnigkeit des Universum durch plötzliche Los-
lassung geschehen, eine immerwährende Konkussion zuwege bringen
würde, wodurch die Materie[n] bestimmte für sich beharrliche
Klumpen ausmachen könnten, die einen Zusammenhang, das ist
eine Anziehung haben, die nicht von den anziehenden Kräften
aller Teile derselben, sondern nur von der berührenden herrührete,
als im Grunde nicht dem Zug, sondern dem Druck beizumessen
wäre.
Die Kräfte, womit jene zwei Körper die Erde anziehen, wür-
den, geben immer gleiche Geschwindigkeit derselben, weil, so viel
ihre Masse grösser ist, indem sie insgesamt die Erde ziehen, sie
zwar so viel größere Sollizitation der Erde eindrücken, aber um
so viel auch ihre eigene Annäherung zur Erde vermindert wird
(wegen ihrer größern Masse) mithin immer dieselbe bleibt, so
lange das gemeinschaftliche Zentrum der Schwere von dem Zen-
trum der Erde nur unendlich wenig entfernt bleibt. — Man muß,
um den Unterschied der Dichtigkeit zu erklären, annehmen, daß
dieselbe Anziehungskraft einer gegeben[en] Quantität Materie gegen
eine unendliche verschiedene Zurückstoßungskraft wirke, dieser
aber das Ge[gen]gewicht (oder die Gegenwirkung die zur be-
stimmten Einschränkung des Raumes der isolierten Materie) nicht
leisten könne, ohne vermittelst der Anziehung aufs ganze Uni-
versum. Da aber diese mit den Quadraten der Entfernung ab-
nimmt, so würde sie durch den Druck der auf solche Weise an-
gezogenen Materie dieses Gleichgewicht einer bestehenden Zusam-
mendrückung nicht leisten, wenn nicht die Zurückstoßung als
Von ^akob Sigismund Beck 159
wie der Kubus der Entfernung umgekehrt abn'ähme. Hiedurch
wird nicht der Zusammenhang (denn der läßt sich durch keine
drückende Kräfte erklären), sondern bloß der Unterschied der
Materien ihrer Qualität, nämlich der Zurückstoßung nach erklärt;
den[n] die Zurückstoßung läßt sich ohne eigene Bewegung des
Abstoßenden, folglich auch ohne Verschiedenheit der Masse in
demselben Volumen verschieden denken. Daher die Verschieden-
heit der Quantität derselben nur durch Stoß oder Zug und ver-
mittelst eines gemeinschaftlichen Maßstabes, nämlich den Zug der
Erde, gemessen werden kann und nicht die Mehrheit der Teile
ungleichartiger Materien, sondern ihr Gewicht die Dichtigkeit
unter demselben Volumen messen kann.
Die Schwierigkeit ist hier, daß man das, was sich bewegt,
in Gedanken haben muß, in der Erfahrung aber nur die an einem
Ort oder von einem Orte aus wirkenden Kräfte, von denen nur
ein Grad den Raum erfüllt oder die Entfernung des Mittelpunkts
der einen Kraft von der andern bestimmt. Da aber Punkte nicht
einen Raum einnehmen können (nicht einzelne also auch nicht
viele zusammen), so kann man die Körper nicht nach der Menge
der Teile in Vergleichung mit andern der Quantität der Substanz
nach schätzen und dennoch muß man sie sich als gleichartig und
nur durch die Menge der Teile unterschieden vorstellig machen,
weil wir auf andere Art kein Verhältnis der Massen uns be-
greiflich machen können.
Die Quantität der Materie in demselben Volumen ist nicht
nach dem Widerstand der expansiven Kraft gegen die Kompression,
auch nicht nach dem Widerstände der Attraktion eines Fadens
durch den Schleuderstein gegen die Zentrifugalkraft zu schätzen.
Das erste darum nicht, weil eine kleine Quantität der Materie
eben so viel Widerstand durch ausdehnende Kraft leistet als eine
große: das [andere] darum nicht, weil das Volumen nichts in
Ansehung der Bewegung eines Körpers von seiner Stelle bestimmt.
Sondern die lokomotive Kraft in einer Wage (bei gleicaem Vo-
lumen) oder die in der Dehnung oder Zusammendrückung eines
zusammenhängenden oder elastischen Körpers und also die Über-
wältigung eines Moments der toten Kraft bei demselben Volumen
und zwar durch die Bewegungsbestrebung des Körpers und aller
seiner Teile in derselben Richtung kann das Maß abgeben.
Weil die Erfüllung des Raumes nur durch Räume, nicht durch
Punkte, weder durch ihre bloße Nebeneinanderstellung noch aus
i6o Von ^akob Stgismund Beck
jedem Punkt umher in einem Räume verbreitete Kraft, in der
keine andere gleichartige Zentralpunkte wären, möglich ist, so
enthält die Undurchdringlichkeit der Materie eigentlich nicht die
Substanzen als eine Menge außer einander befindlicher für sich
bestehender Dinge, sondern nur einen Umfang von Wirkungen
der Dinge außer einander, die in allen Punkten eines gegebenen
Raumes nicht durch Erfüllung desselben gegenwärtig sind. Die
Punkte der Anziehung enthalten eigentlich die Substanz. Die
Anziehungskräfte sind in allen Punkten gleich, in jedem Punkte
aber wird sie (in Vergleichung mit andern) durch das Abstoßungs-
vermögen, welches in ihm verschieden sein kann, bestimmt, und
desto größer, je kleiner die abstoßende Kräfte derselben Materie
sind, mithin die Dichtigkeit der Materie desto größer. — Es ist
aber eigentlich nur der Körper, sofern er den Raum erfüllt, die
den Sinnen unmittelbar gegebene Substanz. Weil aber dieses Er-
füllen selbst nicht wirklich sein würde (es wäre durch die bloße
Abstoßung im leeren Räume) die Anziehung doch für sich alles
in einen Punkt bringen würde, so ist das Maß der Quantität der
Materie die Substanz, sofern sie anziehend ist, weil darin alles
innerlich in einem Punkt sein würde und das außerhalb nicht
v\äeder durch etwas Äußeres, sondern zuletzt durch das Innere
gemessen werden muß, dessen äußere Wirkimg jener äußern
gleich ist.
Wenn in einem Räume keine Zurückstoßungskraft wäre, so
würde auch gar keine Substanz da sein, die da zöge, denn sie
würde keinen Raum einnehmen. Man könnte sich aber doch
eine Abstoßungskraft, die einen Raum erfüllete, denken, die nicht
durch eigne Anziehungskraft ihrer Teile, sondern durch äußern
Druck zurückgehalten würde, obzwar dieses nicht ins Unendliche
ginge. Also wird das Volumen nur durch Zurückstoßungskraft
bestimmt. — Wenn wir also die Dichtigkeit unterscheiden wollen,
so müssen die Volumina zuvor als durch die Abstoßung bestimmt
vorgestellt werden. Aber dadurch wird der Widerstand, den eine
Materie der andern, sofern sie von dieser aus ihrem Orte bewegt
werden soll, tut, nicht bekannt. Mithin nur durch die Anziehung,
welche die darin enthaltene Materie auf andere außer ihr (die
Erde) und dadurch zu ihrer eignen Bewegung (durch die Schwere)
ausübt. Je größere Zurückstoßung dazu gehört, um diese An-
näherung (zur Erde) zu hindern, desto mehr Substanz in dem-
selben Volumen. Man muß aber die Anziehung nur als durch
Von jfakob Sigismund Beck i6i
die Zurückstoßung eingeschränkt auf ein Volumen mithin als an
sich gleich denken. Das Volumen selbst braucht nicht von etwas
anderm außer ihm: es kann durch die Anziehung seiner eignen
Teile eingeschränkt gedacht werden — der Grund davon, daß
die Abstoßung in einem Volumen, ohne daß die inncrn Teile
sich ziehen, von außen bewirkt werde, liegt darin, daß die Teile
sich nicht in der Entfernung abstoßen, da hingegen sie sich
in der Entfernung unmittelbar anziehen können: dagegen ist es
unmöglich, daß sich die Teile bloß in der Berührung anziehen
sollten, weil diese schon eine Zurückstoßung, mithin ein Volumen
erfordert, mithin keine bloße Fläche voraussetzt.
Der Grad der Zurückstoßung wird bei gleichartiger Ver-
größerung des Volumens nicht vermehrt, aber wohl der Grad
der Anziehung. — Weil im ersten die Teile innerhalb eine die
andere Bewegung aufheben und die ausdehnende Kraft nur auf
der Oberfläche ist (die Abstoßung geht nicht quer durch in die
Weite), dagegen die Anziehungen durch Hinzufügung die äußere
Kraft vermehren. Daher ist die ganze Kraft der Substanz nach
der Anziehung zu schätzen. Sie muß aber auch als gleichartig
angesehen werden, weil sie für sich gar keine Materie geben
würde, und da sie nur durch die Zusammendrückung bestimmt
wird, diese aber durch das Ganze eines Volumens allenthalben
gleich ist, so muß auch die daraus entspringende Dichtigkeit
gleich sein. Die Abstoßung aber kann ursprünglich ungleich sein
in einem gewissen Volumen. Denn da die Dichtigkeit ins Un-
endliche muß verschieden sein können, dieses aber nicht auf der
ursprünglichen Verschiedenheit der Anziehung beruhen kann, muß
sie auf der der Abstoßung beruhen. Man kann auch so sagen,
weil die Stärke der Abstoßung auf der Verschiedenheit des äußern
Zusammendrucks beruht, so ist innerlich der Grad derselben nicht
bestimmt, kann also nach Belieben größer oder kleiner sein.
[y4w; oberen Rande.'] Man kann keinen Grund angeben, warum die
Materie ursprünglich eine gewisse Dichrigkeit in einer gegebenen Quan-
tität haben müsse. — Man [kann] diese Frage nicht wegen der Anziehung
unter einem gewissen Volumen tun, denn daß sie nicht größer, ja so groß
oder klein ist, wie man will, kommt nicht auf sie, sondern auf die Zurück-
stoßung an: je kleiner diese, desto größer die Dichtigkeit aus jener. Die
verschiedene Dichtigkeit einer gegebenen Quantität Materie rührt aber
nicht von dieser ihrer Anziehung, denn die ist zu klein, sondern von der
des ganzen Universi her.
Kants Schriften. Bd X. II
IÖ2 Von F. Bottterwek
297.
Von F. Bouterwek.')
Wohlgeborner Herr Professor!
Verehrungswürdigster Mann!
Ein Opfer der Verehrung, sei es auch noch so klein, ist
Bedürfnis für den, der es darbringt, wenn es aus freier Seele
dargebracht wird. Dies ist alles, was ich zu meiner Entschuldi-
gung sagen kann, da ich einem innern Aufruf gehorche, Ew.
Wohlgeb. die einliegende Kleinigkeit mit einem Zutrauen zu über-
schicken, als ob im Ernst auch Ihnen etwas daran gelegen sein
könne.^) Ich bin der erste, der es wagt, auf dieser Georg-
Augusts-Universität, wo so ein Unternehmen in mehr als einer
Rücksicht gewagt heißen kann, Kritik der reinen Vernunft nach
Ihrem System öffentlich vorzutragen. Eigner — ich darf es ja
hier wohl sagen — Enthusiasmus für dies System und Unwillen
über die Koalitionsversuche derjenigen, mit denen ich übrigens
im besten, friedlichsten Vernehmen gern fortleben möchte, weil
ich doch mit ihnen lebe, gaben mir den Mut und äußere Um-
stände die Veranlassung, meine Vorlesung (mit Erlaubnis der
philosophischen Fakultät) wirklich anzukündigen. Der ganze Ton
dieser Ankündigung gleicht deswegen, wie das Ohr des Meisters
auch ohne meine Erklärung hören wird, dem Ton eines ge-
dämpften Instruments. Das Lokal wollte dies so. Leichter wurde
mir die Bemühung, den freien Schwung der Saiten zu hemmen,
weil ich mich selbst nicht befugt halte, mein Votum zu geben
in der Versammlung der Wahrheitsprüfer. Von den ersten Zeiten
der Selbsttätigkeit meines Geistes an, waren Schönheit und Wahr-
heit seine Idole; aber die Schönheit riß ihn mit ihren Zauber-
kräften so gewaltig fort, daß ihr Dienst sein Geschäft mehrere
Jahre hindurch einzig und ausschließlich war. Als determinierter
AUesbezvveifler wagte ich mich vor vier Jahren an Ihre Kritik,
sträubte mich, lernte mich meiner Vernunft erfreuen und wurde.
^) Friedrich Bouterwek (1766—1828).
^) Anzeige einer Vorlesxing über die Kantische Philosophie, GöttLngen
1791.
Von F. Bouterwek 165
was ich seitdem geblieben bin und ewig bleiben werde, Ihr dank-
barer Schüler. Wer Ihr System in seiner ganzen majestätischen
Einfalt umfaßt hat oder umfaßt zu haben glaubt, der kann un-
möglich auf den betrübten Einfall geraten, es zu zerstückeln, um
die Fragmente mit diesem oder jenem andern System zusammen-
zupfuschen. Sollte er auch hier und da eine abweichende Meinung
für sich haben, so wird er diese um so ruhiger für sich be-
halten, wenn er jedem andern ein gleiches Recht gönnt. Mag,
wer es nicht ändern kann, sein Wohnzimmer im Gebäude der
Wahrheit mit Tapeten bekleiden; mag ein andrer die weiß-
getünchten Wände vorziehen; genug, daß das Gebäude in seinen
Fugen auf einer unerschütterlichen Grundfeste steht. Wer aber
andern den Grundriß erklären will, der ist es der Wahrheit
schuldig, seine Grillen beiseite zu setzen und nichts zu lehren,
als was der ehrwürdige Baumeister lehrt. Dies wird aber dem-
jenigen am besten gelingen, dessen produktive Geisteskräfte, so
gering sie auch sein mögen, eine andre Richtung genommen
haben, als die metaphysische und der sich doch zugleich des Ge-
dankens erfreut, die ganze Vernunftkritik vollkommen verstanden
zu haben. So habe ich mir meine Befugnis deduziert, die Kritik
der reinen spekulativen und praktischen Vernunft strenge nach
Ihren Grundsätzen vorzutragen.
Die Anordnung des Plans, so wie ich ihn aufgestellt habe,
gründet sich auf meine Überzeugung von der Geneigtheit des
ungeübten Verstandes, in der Erweiterung seiner Begriffe am
liebsten diesen Gang zu gehen. Ob die Erfahrung mich künftig
anders belehren wird, muß sich im kurzen zeigen.
Was ich zum Beschluß gesagt habe, ist nicht so gemeint, daß
ich nicht gern auf die Ehre in dieser Rücksicht der dreizehnte
unter den kleinen Propheten zu sein, Verzicht tun möchte. Was
aber vorher zur Erläuterung oder, besser gesprochen, zur An-
deutung des Begriffs von einem synthetischen Grundsatze a priori
dasteht, ist mit Fleiß xat' dvdpioTiov stümperhaft und halbwahr
ausgedrückt. Daß der Begriff einer Figur nicht in dem Be=
griffe von drei Linien steckt, davon überzeugt man sich im
Augenblick. Daß aber der Begriff von 9 nicht in 7 + 2 steckt,
leuchtet nicht so geschwind ein. Deswegen erwähnte ich der
Arithmetik gar nicht und nahm das Exempel aus der Geometrie
allein. Fast aber gereut es mich denn doch, mich so ausgedrückt
zu haben, als wenn nicht die ganze reine Mathematik auf syn-
II*
164 f^'on Johann Ertch Biester
thetischen Grundsätzen a priori beruhte. Aber so geht es, wenn
man popularisiert! f)
Wüßte ich, daß mein Skelett zu einer populären Vernunft-
kritik den Beifall des Meisters hätte, so führte ich wohl einen
Gedanken aus, der sich mir angeschmeichelt hat — in der Form
platonischer Dialogen Ihr System denen in die Hände zu spielen,
die zurückbeben vor dem festen Schritte der systematischen Dar-
stellung.') Wie es nun auch damit werden mag, so werde ich
leben und sterben mit dem Gefühl der Verehrung, mit dem ich
itzt bin
Ew. Wohlgeb.
ganz gehorsamster Dr.
F. Bouterwek,
dem Titel nach Rath, dem
Wesen nach privatisierender Frei-
bürger der Gelehrten-Republik.
Göttingen, d. 17. Sept. 179 z.
Z98.
Von Johann Erich Biester.
Berlin, zi. Septcmb. 179z.
Ihr letzter Brief mit der Aufforderung um Ihr Manuskript
muß meinem Pakete, welches dasselbe enthielt, begegnet sein.
Sie werden es itzt erhalten haben, und mein Bedauren, daß ich
es nicht drucken durfte. Ihr gütiges Versprechen eines andern
Aufsatzes über eine Äußerung des Herrn GARVE tröstet mich
wieder. Ich stelle Ihnen selbst anheim, ob es nicht geratener
ist, bei der hiesigen Zensur nichts mehr einzureichen.
Leben Sie herzlichst wohl und bleiben meiner Verehrung
gewiß. Biester.
[Atn Rande:] \) Da sehe ich eben itzt noch, daß mir das Wort
Realität, worunter ich die objektive (den Erscheinungen notwendig
anpassende) Realität des Raums durchaus nicht verstanden haben will,
häßlich gemißdeutet werden könnte.
') Daß dieser Plan von Kant mit großer Freude aufgenommen
wurde, berichtet Borowski S. 92.
An Theodor Gottlieh v. Hippel. — An F. Th. de la Garde 1Ö5
299.
An Theodor Gottlieb von Hippel.
Ew. Hochwohlgebornen
haben bisher die Gewogenheit gehabt, mich Ihres Zutrauens, in
Ansehung meines Vorschlags junger Studierenden zu einem
Magistratsstipendio zu würdigen. Dürfte ich mich dasselbe jetzt
für den Studiosus LEHMANN erbitten, der einer der fleißigsten
und fähigsten ist, die ich je unter meinen Auditoren gehabt
habe?
Mit der größten Hochachtung und Dicnstwilligkeit bin ich
jederzeit
Ew. Hochwohlgeboren
ganz ergebenster treuer Diener
1. Kant.
Den 28. Sept. 1792.
300.
An F. Th. de la Garde.
Ew. Hochedelgeb.
überschicke hiemit die Korrektur der Ein-
leitung der Kritik der Urth. Kr., worin die Note zu S. XXII
wohl das einzige Wichtige ist.
Auf den Titel den Ausdruck; zweite verbesserte Ausgabe
zu setzen halte ich nicht für schicklich, weil es nicht ganz ehr-
lich ist; denn die Verbesserungen sind doch nicht wichtig gChug,
um sie zum besonderen Bewegungsgrunde des Ankaufs zu machen:
deshalb ich jenen Ausdruck auch verbitte.
Ich bin jetzt in Eil und kann nichts hinzusetzen, als daß ich
mit Hochachtung beharre
Ew. Hochedelgeb.
ergebenster Diener
Königsberg, I. Kant,
d. 2. Okt.
1792.
1 66 Von Ludwig Ernst Boi'owski — An Rudolph Gott hold Eaht
301.
Von Ludwig Ernst Borowski.
Es ist, sehr verehrungswürdiger Mann! wiederum die Reihe
an mir, in der deutschen Gesellschaft eine öffentliche Vorlesung
zu halten. Ich habe diesesmal — Sie selbst zum Thema gewählt
und es hat mir in den Tagen der abgewichenen Woche recht
sehr frohe Stunden gemacht, mich von Ihnen und über Sie zu unter-
halten. — Hier ist's, was ich darüber unter der Aufschrift:
Skizze zu einer künftigen Biographie u. f. zu Papier ge-
bracht habe. Verurteilen Sie es ja nicht gleich, indem Sie diese
Aufschrift lesen, zum Nichtanblick — dieses würde mir wehe
tun. Ich sage am Anfange meine Gründe zu einem Aufsatze
dieser Art, die ich wenigstens für hinreichend halte. Bei dem
übrigen hab ich beinahe jedes Wort sorgfältig abgewogen.
Aber ich wollte doch nicht gerne auch nur ein Wort, nur
einen Buchstaben sagen, den Sie etwa — nicht wollten gesagt
haben. Deswegen habe ich's auf gebrochnen Bogen geschrieben
und Sie haben nun völlige Freiheit, zu — streichen, oder hinzu-
zusetzen, zu berichtigen u. f. Ich halte es für schickliche Dis-
kretion — und noch mehr, ich halte es meiner alten und sich
immer gleichbleibenden Verehrung für Sie gemäß, Ihnen diese
wenigen Blätter zuvor, ehe noch irgendein Gebrauch davon für
mehrere gemacht wird, einzuhändigen und erbitte mir, da Sie,
wie ich wohl einsehe, kein notwendigeres Geschäft um dieses
Aufsatzes willen versäumen können, ihn etwa Mittwochs in Er-
gebenheit zurück. — Mit der entschiedensten Hochachtung ver-
harre ich u. f.
Königsberg, 12. Oktober 1792.
302.
An Rudolph Gotthold Raht.')
Hochedelgeborncr Herr,
hochzuehrender Herr Magister!
Es ist längst mein Wunsch gewesen, daß sich jemand finden
möchte, der Sprach- und Sachkenntnis gnug hätte und die Kritik
') R. G. Raht in Halle, ein Freund Becks, hatte sich in einem
An Rudolph Gotthold Raht 167
ins Lateinische zu übertragen Belieben trüge. Ein gewisser Pro-
fessor in Leipzig, ein auf beide Art geschickter Mann, hatte sich
vor einigen Jahren von selbst dazu verstanden; aber vermutlich
(wie der selige HARTKNOCH dafür hielt) wegen überhäufter
anderer Beschäftigung, um seine schmale Einkünfte zu ergänzen,
es wieder liegen lassen. Herr Professor SCHÜTZ in Jena, dem
dies Vorhaben darhals kommuniziert wurde, hielt dafür, daß von
seiner (des Leipziger Professors) Feder, durch Geflissenheit der
echtlateinischen Eleganz, wider die Faßlichkeit leicht verstoßen
werden könnte, und wollte damals es übernehmen, die Über-
setzung in dieser Rücksicht selbst durchzugehen, welches dann
durch obige Ursache zugleich unterblieben ist.
Aus der Probe, welche Sie die Güte gehabt haben, Ihrem
Briefe beizufügen, ersehe ich: daß Sie die letztere Schwierigkeit
gar wohl vermeiden und doch zugleich durch Germanismen, wie
es durch Deutsche oft geschehen ist, den Auswärtigen nicht un-
verständlich sein würden und, wegen des zu treffenden Sinnes,
setze ich in Ihre Einsicht, nach einem so beharrlichen Studium,
dessen Sie dieses Werk gewürdigt haben, ebensowohl völliges
Vertrauen.
Fangen Sie also, würdiger Mann, diese Arbeit getrost an.
Vielleicht rückt sie mit der Bekanntschaft, die sich mit diesen
Sachen durch die Beschäftigung selbst hervorfinden wird, schneller,
als Sie jetzt vermuten, fort, so daß ich ihre Herausgabe noch er-
leben kann.
Hiezu wünsche ich gute Gesundheit und sonst gutes Gedeihen
aller Ihrer übrigen guten Absichten und bin mit der vollkommen-
sten Hochachtung
Ew. Hochedelgeboren
1792, Königsberg, ergebenster Diener
d. 1 6. Oktober. I. Kant.
Briefe an Kant erboten, die Kritik der reinen Vernunft ins Lateinische
zu übersetzen; der Plan kam jedoch nicht zvu: Ausführung.
1^8 An jfakob Sigismund Beck
303.
An Jakob Sigismund Beck.
Königsberg den 17. Oktober 1792.
Hochgeschätzter Freund!
Ich habe vorgestern den 15. Oktober Ihr Manuskript in grau
Papier eingepackt, besiegelt und A. M. B. signiert und auf die
fahrende Post zur retour gegeben, aber, wie ich jetzt sehe, zu
eilig; indem ich durch einen Erinnerungsfehler statt des Novem-
bers, vor dessen Ablauf Sie Ihre Handschrift zurück erwarteten,
mir das Ende Oktober, als den gesetzten Termin, vorstellte und,
bei der schnell gefaßten Entschließung den eben nahe bevor-
stehenden Abgang der Post nicht zu verfehlen, es unterließ, Ihren
Brief nochmals darüber nachzusehen, und, da ich im Durchsehen
der ersten Bogen nichts Erhebliches anzumerken fand, Ihre De-
duktion der Kategorien und Grundsätze ihrem Schicksal in
gutem Vertrauen überließ.
Dieser Fehler kann indessen, v^^enn Sie es nötig finden, doch
dadurch eingebracht werden: daß Sie diejenigen Blätter, worauf
jene befindlich, in der Eile abschreiben lassen, sie mir durch die
reitende Post eilig (versteht sich unfrankiert) überschicken und
so noch vor Ablauf der Zeit die Antwort von mir zurück er-
halten. — Meinem Urteile nach kommt alles darauf an: daß,
da im empirischen Begriffe des Zusammengesetzten die Zu-
sammensetzung nicht vermittelst der bloßen Anschauung und deren
Apprehension, sondern nur durch die selbsttätige Verbindung
des Mannigfaltigen in der Anschauung gegeben und zwar in ein
Bewußtsein überhaupt (das nicht wiederum empirisch ist) vor-
gestellt werden kann, diese Verbindung und die Funktion der-
selben unter Regeln a priori im Gemüte stehen müssen, welche
das reine Denken eines Objekts überhaupt (den reinen Ver-
standesbegriff) ausmachen, unter welchem die Apprehension des
Mannigfaltigen stehen muß, so fern es eine Anschauung aus-
macht, und auch die Bedingung aller möglichen Erfahrungs-
erkenntnis vom Zusammengesetzten (oder zu ihm Gehörigen) aus-
macht, (d. i. darin eine Synthesis ist) die durch jene Grundsätze
ausgesagt wird. Nach dem gemeinen Begriffe kommt die Vor-
stellung des Zusammengesetzten als solchen mit unter den Vor-
stellungen des Mannigfaltigen, welches apprehendiert wird, als
An fakoh Sigismund Beck löp
gegeben vor und sie gehört sonach nicht, wie es doch sein
muß, gänzlich zur Spontaneität usw.
Was Ihre Einsicht in die Wichtigkeit der physischen Frage:
von dem Unterschiede der Dichtigkeit der Materien betrifft, den
man sich muß denken können, wenn man gleich alle leeren
Zwischenräume, als Erklärungsgründe derselben, verbannt, so freut
sie mich recht sehr; denn die wenigsten scheinen auch nur die
Frage selbst einmal recht zu verstehen. Ich würde die Art der
Auflösung dieser Aufgabe wohl darin setzen: daß die Anziehung
(die allgemeine. Newtonische,) ursprünglich in aller Materie gleich
sei und nur die Abstoßung verschiedener verschieden sei und so
den spezifischen Unterschied der Dichtigkeit derselben ausmache.
Aber das führt doch gewissermaßen auf einen Zirkel, aus dem
ich nicht herauskommen kann und darüber ich mich noch selbst
besser zu verstehen suchen muß.
Ihre Auflösungsart wird Ihnen auch nicht genug tun; wenn
Sie folgendes in Betrachtung zu ziehen belieben wollen. — Sie
sagen nämlich: Die Wirkung des kleinen Körpers der Erde auf
die ganze Erde ist unendlich klein, gegen die, welche die Erde
durch ihre Anziehung auf ihn ausübt. Es sollte heißen: gegen
die, welcher dieser kleine Körper gegen einen anderen ihm
gleichen (oder kleineren) ausübt; denn so fern er die ganze
Erde zieht, wird er durch dieser ihren Widerstand eine Bewegung
(Geschwindigkeit) erhalten, die gerade derjenigen gleich ist,
welche die Anziehung der Erde ihm allein erteilen kann: so,
daß die Geschwindigkeit desselben doppelt so groß ist, als
diejenige, welche eben der Körper erhalten würde, wenn er
selbst gar keine Anziehungskraft hätte, die Erde aber durch
den Widerstand dieses Körpers, den sie zieht, eben so eine
doppelt so große Geschwindigkeit, als sie, wenn sie selbst keine
Anziehungskraft hätte, von jenem Körper allein würde bekommen
haben. — Vielleicht verstehe ich aber auch Ihre Erklärungsart
nicht völlig und würde mir darüber nähere Erläuterung recht
lieb sein.
Könnten Sie übrigens Ihren Auszug so abkürzen, ohne doch
der Vollständigkeit Abbruch zu tun, daß Ihr Buch zur Grundlage
für Vorlesungen dienen könnte, so würden Sie dem Verleger
und hierdurch auch sich selbst sehr viel Vorteil verschaflFen; vor-
nehmlich, da die Kritik der praktischen Vernunft mit dabei ist.
Aber ich besorge die transszendentale Dialektik wird ziemlich
I/o Von Johann Gott Heb Fichte
Raum einnehmen. Doch überlasse ich dieses insgesamt Ihrem
Gutdünken und bin mit wahrer Freundschaft und Hochachtung
Ihr
Königsberg ergebenster Diener
d. i6. Oktober I. Kant.
1792.
304.
Von Johann Gottlieb Fichte.
Verehrungswürdigster Gönner,
Schon längst würde ich Euer Wohlgeboren meine Dankbar-
keit für Ihr letztes gütiges Antwortschreiben bezeigt haben, wenn
ich nicht vorher, um ganz übersehen zu können, wie viel ich
Ihnen schuldig sei, Ihre Anzeige im Intelligenz- Blatte der A. L. Z.
zu lesen gewünscht hätte. Das gütige Privat-Urteil eines Mannes,
den ich unter allen Menschen am meisten verehre, und liebe,
war mir das beruhigendste, und das mir nun bekannte öffentliche
Urteil eben des Mannes, den der ehrwürdigere Teil des Publikum
wohl nicht viel weniger verehrt, das rühmlichste, was mir be-
gegnen konnte. Die erste ehrenvolle Folge eines so gewichtvollen
Urteils war die ohnlängst erhaltene Einladung zur Mitarbeit an
der A. L. Z.; eine wichtige Zunötigung zum Fortstudieren, der
ich mich, nach Erhaltung einiger mir notwendigen Nachrichten,
um die ich gebeten habe, wohl unterwerfen dürfte.
Der Frau GÄFIN VON KROCKOW, die Sie ihrer fort-
dauernden Hochachtung versichert, tat es weh, einen schönen
Traum vernichtet zu sehen; und mich hat die Stelle Ihres
Briefes, wo Sie von der Reise in eine andere Welt reden, innigst
gerührt.
Ich bitte Sie, mir das Schätzbarste, was mir der Aufenthalt
in Königsberg geben konnte, Ihre gute Meinung, zu erhalten»
und mir gern zu vergönnen, mich zu nennen
Euer Wohlgeboren
Krockow bei Neustadt, dankbarsten Verehrer
d. 17. Oktober 1792. Johann Gottlieb Fichte.
Aji Ludwig Ernst Borowski 171
305.
An Ludwig Ernst Borowski.
Eur. Hochw. freundschaftlicher Einfall, mir eine öffentliche
Ehre zu bezeugen, verdient zwar meine ganze Dankbarkeit; macht
mich aber auch zugleich äußerst verlegen, da ich einerseits alles,
was einem Pomp ähnlich sieht, aus natürlicher Abneigung (zum
Teil auch, weil der Lobredner gemeiniglich auch den Tadler auf-
sucht) vermeide und daher die mir zugedachte Ehre gerne ver-
bitten möchte, andererseits aber mir vorstellen kann, daß Sie eine
solche ziemlich weitläuftige Arbeit ungerne umsonst übernommen
haben möchten. — Kann diese Sache noch unterbleiben, so wer-
den Sie mir dadurch eine wahre Unannehmlichkeit ersparen und
Ihre Bemühung, als Sammlung von Materialien 2u einer
Lebensbeschreibung nach meinem Tode betrachtet, würde
denn doch nicht ganz vergeblich sein. — In meinem Leben aber
sie wohl gar im Drucke erscheinen zu lassen, würde ich aufs
inständigste und ernstlichste verbitten.
In jener Rücksicht habe ich mich der mir gegebenen Frei-
heit bedient, einiges zu streichen oder abzuändern, wovon die
Ursache anzuführen, hier zu weitläuftig sein würde, und die ich
bei Gelegenheit mündlich eröffnen werde. — Die Parallele, die
auf der von den drei letzten Blättern vorhergehenden Seite (wo
ein Ohr eingeschlagen ist) zwischen der christlichen und der von
mir entworfenen philosophischen Moral gezogen worden, könnte
mit wenigen Worten dahin abgeändert werden, daß statt derer
Namen, davon der eine geheiliget, der andere aber* eines armen
ihn nach Vermögen auslegenden Stümpers ist, diese nur eben
angeführten Ausdrücke gebraucht würden, weil sonst die Gegen-
einanderstellung etwas für einige Anstößiges in sich enthalten
möchte. — Ich beharre übrigens mit der vollkommensten Hoch-
achtung und Freundschaft zu sein
Eur. Hochw.
Königsberg, 24. Oktober 1792.
ganz ergebenster, treuer Diener
I. Kant.
I -j 2 Von Ludwig Ernst ßorowski
506.
Von Ludwig Ernst Borowski.
Eyben kehre ich, edler, verehrungswürdiger Mann! von einer
Mahlzeit außer meinem Hause zurück und finde Ihre gütige Zu-
schrift nebst meinem Ihnen eingehändigten Manuskripte. — Auch
nicht eine einzige unangenehme Minute sollen Sie — durch mich
haben; deswegen schreibe ich, nachdem ich Ihre Deklaration ge-
lesen habe, augenblicklich zurück. Die Handschrift soll weder
vorgelesen und noch weniger bei Ihrem Leben abgedruckt wer-
den; sie soll zu derjenigen Bestimmung, die Sie selbst ihr zu
geben gewürdiget haben, aufbehalten bleiben. Sie hatten. Teuerster!
keine inständige und ernstliche Bitte an mich nötig, denn Ihr
kleinster Wink ist mir so heilig und wert, daß ich ihn sogleich
befolge.
Tausend Dank für Ihr Beigcschriebencs! Die übrigen mir
zum künftigen Gebrauch zugesandten Materialien remittiere ich
morgen zu Ihren Händen. — Das Manuskript wird nun gänzlich
an die Seite gelegt. Wie freu' ich mich, daß Sie meine wahr-
lich gute Intention doch nicht verkannt haben! Ich fange gleich
diesen Abend an, über einer andern Vorlesung, da ich doch eine
halten muß, zu brüten. Etwa „Über die Veränderungen des
Geschmacks in philosophischen und theologischen Wissenschaften
in Preußen u. s. f." oder, was ich der Notbroschüre für einen
Namen geben werde. Und nun, gütigster Freund! leben Sie noch
lange und recht wohl. Sie müssen, wenn ich vor Ihnen heim-
gehe, einen Ihrer würdigen Biographen finden, und Sie werden
ihn auch gewiß finden. Mir hat der weggelegte Aufsatz, da ich
ihn entwarf, frohe Stunden gemacht, weil ich mich mit Ihnen
beschäftigte — und mit gehorsamer und gegen Sie dankvoiler
Empfindung lege ich diesen, durch Ihre Beischriften bereicherten
und nun von Ihnen autorisierten biographischen Entwurf an die
Seite, weil ich dadurch Ihren Willen erfülle. Mit wahrer und
herzlicher Ehrerbietung bin u. f.
Königsberg, 24. Oktober 179^.
l^n Carl Leonhard Re'mhold. — Von ^akob Sigismund Beck 1 7 5
307.
Von Carl Leonhard Reinhold.
Erlauben Sie, mein höchstverehrter Lehrer und Freund, daß
ich durch den gegenwärtigen zweiten Band meiner Briefe über
Ihre Philosophie mein Andenken bei Ihnen erneure; und mich
der Fortsetzung Ihrer unschätzbaren Gewogenheit empfehle.
Jena, den zp. Oktober 179z. Reinhold.
N. S.
Sie werden mich durch eine Zeile Nachricht über den Emp-
fang dieses Buches ungemein verbinden.
308.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den 10. November 1792.
Bester Herr Professor!
Ich habe Ihren freundschaftlichen Brief vom 17. Oktober
und einige Tage später auch mein Manuskript zurück erhalten.
Sie erlauben mir Ihnen die einige Bogen, worauf die Deduktion
der Kategorien steht, noch einmal zu schicken. Ich habe sie
abschreiben lassen und lege sie hier bei, indem ich Sie ergebenst
ersuche, die Freundschaft für mich zu haben, mir zu zeigen, was
ich vielleicht nicht nach Ihrem Sinn getroffen haben möchte.
Der Druck geht erst gegen Ende des Novembers an und ich
werde Ihren Brief noch zeitig genug erhalten, wenn ich ihn
nach vier Wochen erhalten.
Der Professor GARVE war vor einiger Zeit hier und Herr
Pr. EBERHARD hat mir einiges von seinen Gesprächen mit ihm,
in Beziehung auf die kritische Philosophie mitgeteilt. Er sagt, daß
so sehr auch GARVE die Kritik verteidigt, so habe er doch ge-
stehen müssen, daß der kritiscüe Idealismus und der BERKLEYsche
gänzlich einerlei sein. Ich kann mich in die Gedankenstimmung
dieser achtungswürdigen Männer nicht finden und bin fürwahr!
vom Gegenteil versichert. Gesetzt aucü daß die Kritik der Unter-
174 ^^^ ^ahb Sigisf?mmi Beck
Scheidung der Dinge an sich der Erscheinungen gar nicht hätte
erwähnen dürfen, so hätte sie doch zum mindesten erinnern
müssen, daß man die Bedingungen, unter denen uns etwas ein
Gegenstand ist, ja nicht aus der Acht zu lassen habe, weil zu
besorgen ist, daß man auf Irrtum gerate, wenn man diese Be-
dingungen aus dem Sinne läßt. Erscheinungen sind die Gegen-
stände der Anschauung und jedermann meint dieselbe, wenn er
von Gegenständen spricht, die ihn umgeben, und eben dieser
Gegenstände Dasein leugnete BERKELEY, welches die Kritik gegen
ihn dargetan hat. Wenn man nun eingesehen hat, daß der Raum
und die Zeit die Bedingungen der Anschauung der Gegen-
stände sind und nun nachsinnt, welches wohl die Bedingungen
des Denkens der Gegenstände sein mögen, so sieht man doch
leicht, daß die Dignität, welche die Vorstellungen, in der Be-
ziehung auf Objekte, erhalten, darin bestehe, daß dadurch die
Verknüpfung des Mannigfaltigen als notwendig gedacht wird.
Diese Gedankenbestimmung ist aber eben dieselbe, welche die
Funktion in einem Urteil ist. Auf diesem W^ege ist mir der
Beitrag, den die Kategorie zu unserm Erkenntnis tut, faßlich ge-
worden, indem durch diese Untersuchung es mir einleuchtet, daß
sie derjenige Begriff ist, durch welchen das Mannigfaltige einer
sinnlichen Anschauung als notwendig (für jedermann gültig) ver-
bunden vorgestellt wird. Einige Epitomatoren haben sich hier-
über, so viel ich einsehe, falsch ausgedrückt. Diese sagen: ur-
teilen heiße objektive Vorstellungen verbinden. Ganz etwas an-
deres ist es, wenn die Kritik lehrt: urteilen ist Vorstellungen zur
objektiven Einheit des Bewußtseins bringen, wodurch die Hand-
lung einer als notwendig vorgestellten Verknüpfung ausgedrückt
wird.
Wenn ich von meiner Überzeugung darauf schließen kann,
daß ich in meinem Auszuge Ihren Sinn getroffen, dann müßte
ich mich beruhigen. An der Darstellung der Deduktion der
Kategorien ist mir vorzüglich gelegen, und eine Musterung der-
selben von Ihnen, lieber Lehrer, würde mir die wünschenswerteste
Sache sein. Mittlerweile werde ich mich noch selbst über die
ganze Ausarbeitung hermachen, um ein so vernünftiges Buch her-
vorzubringen, als ich es noch vermag.
Nun erlauben Sie mir noch meine ncuUche physische Frage
2U berühren. Ich habe lange, noch ehe ich recht eigentlich die
Kritik studierte, in meiner mathematischen Lektüre, den zwar
Von Jakob Sigtsmund Beck ij^
gegebenen, aber mir immer sehr unverständlich vorgekommenen
Begriff von Masse, mit dem des Wirksamen vertauscht. EULER
gibt nun den bestimmten Begriff von Masse, indem er sie vrs
tnert'iae nennt, qua corpus in statu suo perseverare, quaque omni muta-
tioni reluctari conatur, und indem er eine verschiedene vis inertiae
den Partikeln der Materie gibt, scheint er die ungleichen Ge-
wichte zweier Körper von gleichem Volumen zu erklären, ohne
zu leeren Räumen flüchten zu dürfen. Dagegen scheint es
doch auch, daß alle Teile der Materie mit einer gleichen
quantitas inertiae versehen sein, weil die Fallhöhen derselben,
in gleichen Zeiten im widerstandsfreien Raum gleich sind.
Dann aber ist man wohl genötigt, zu den leeren ports seine Zu-
flucht zu nehmen um die verschiedenen Gewichte gleicher Volu-
mina sich zu erklären. Ich habe mir auf folgende Art zu helfen
gesucht. Man setze die anziehende Kraft der Erde in einer be-
stimmten Gegend ihrer Oberfläche und gegen ein bestimmtes
Volumen, das ich durchweg von Materie erfüllt sein lasse, sei
= a\ die anziehenden Kräfte zweier Körper, von einem Volumen
das dem vorigen gleich und durchweg erfüllt ist, gegen die Erde
seien dx und dy^ die ich als Differentiale ansehen kann, weil ich
sie im Verhältnis gegen a betrachte.') Weil ich nun die wechsel-
seitige Anziehung dieser Körper gegen die Erde und der Erde
gegen sie, im Sinn habe, so kann ich die Kräfte addieren und
sagen, daß die Erde den einen Körper anziehe mit der Kraft
a + dx^ den andern mit a + dy. Daraus aber folgt, daß die Fall-
höhen beider Körper im widerstandsfreien Raum gleich sein
müssen, weil das Verhältnis von a -^^ dx : a -^ dy ein Verhältnis
der Gleichheit ist. Aber an der Wage w^ürde sich a gegen a
aufheben und es würde das Verhältnis bleiben wie dx : dy^ welches
allerdings ein Verhältnis der Ungleichheit sein kann, wenngleich
a -\- dx '. a ^ dy = \ : i. Sollte ich auf eine grobe Art mich
irren, so bitte ich Sie mir es schon nachzusehen.
HARTKNOCH hat mich durch den Buchdrucker GRUNERT
bitten lassen, die Anzeige von meinem Buch in der Literaturzeitung
zu besorgen. Nun kann es weder ihm noch mir gleichgültig sein,
ob in dieser Anzeige es erwähnt wird, daß Sie um diese Schrift
wissen, da der Auszüge aus der Kritik unter vielerlei Titeln so
^) Den Gedanken dieser Kräfte wird man woran knüpfen müssen.
Ich knüpfe ihn an die Wege die in der Zeit i beschrieben werden.
ij6 Von Salomon Ma'imon
viele sind, daß auf eine bloße Anzeige unter meinem Namen
auch ganz und gar nichf geachtet werden möchte. Es könnte
der Fall sein, daß Sie es mir erlauben wollten, Ihren Namen in
der Anzeige zu nennen. Wenn das ist, dann ersuche ich Sie so
gütig zu sein, mir die Worte anzugeben, die auf Sie Beziehung
haben sollen. Ich möchte dieser Schrift den Titel geben: Er-
räuternder Auszug aus den kritischen Schriften des Herrn Pr. Kant
und zum zweiten Bande desselben, den Auszug aus der Kritik der
Urteilskraft und eine erläuternde Darstellung der metaphysischen
Anfangsgründe der Naturwissenschaft bestimmen. Was meinen
Sie dazu?
Ich bin übrigens mit der größten Hochachtung und Liebe
der Ihrige
Beck.
309.
Von Salomon Maimon.
Berlin, 30. November 1792.
Würdigster Mann!
Obschon ich auf meine letzte zwei Briefe keine Antwort von
Ihnen erhalten habe, so soll dieses mich doch nicht abhalten,
jetzt, da ich bloß Belehrung von Ihnen erwarte, die Feder aufs
neue zu ergreifen. Denn außerdem, daß Ihr Verfahren hierin
sich durch Ihr ehrwürdiges der Welt so schätzbares Alter, und
Ihren überhäuften wichtigen Geschäften, Ihre unsterblichen Ar-
beiten, der kritischen Forderungen gemäß, zu vollenden [erklärt],
so vermute ich noch eine Art des Mißfallens an mein[em] Ver-
fahren, die ich mir erst jetzt begreiflich machen kann.
Der erste Brief betraf die von mir angestellte Vergleichung
zwischen BACONS und Ihren unsterblichen Bemühungen um
die Reformation der Wissenschaften. Ich glaube nicht
nur, sondern bin völlig überzeugt, daß ich hierin unparteiisch
verfahren bin; obschon diese Vergleichung selbst in mancher
Rücksicht genauer und ausführlicher hätte angestellt werden
können. Ich bemerke darin, daß beide Methoden zwar an sich
einander entgegengesetzt, daß aber beide zur Vollständigkeit
unsrer wissenschaftlichen Erkenntnis unentbehrlich sind. Die
eine nähert sich immer, durch eine immer vollständigere
Von Salomon Maimon 177
Induktion, zu den durchgängig bestimmten notwendigen und
allgemeingültigen Prinzipien, ohne sich Hoffnung zu machen, sie
auf diesem Wege völlig zu erreichen.
Die andere sucht diese Prinzipien in der ursprünglichen Ein-
richtung unsres Erkenntnisvermögens, und stellet sie zum künftigen
Gebrauch auf; gleichfalls ohne sich Hoffnung zu machen, diesen
Gebrauch bis auf empirischen Objekten (als solchen) auszu-
dehnen.
Die kritische Philosophie ist, meiner Überzeugung nach (Herr
REINHOLD mag sagen, was er will) durch Sie, sowohl als eine
reine Wissenschaft an sich, als eine angewandte Wissen-
schaft (wie weit sich ihr Gebrauch erstrecket) schon vollendt.
Die Methode der Induktion hingegen wird, bei all ihre
Wichtigkeit im praktischen Gebrauch nie als Wissenschaft vollendt
werden.
In meinem zweiten Brief äußerte ich ein Mißfallen an das
Verfahren des Herrn Professor REINHOLD. Dieser scharfsinnige
Philosoph sucht überall zu zeigen, daß Ihre Prinzipien nicht
durchgängig bestimmt und völlig entwickelt sind, und
muß sich durch seine Bemühungen, diesem vermeinten Mangel
abzuhelfen, im beständigen Zirkel herumdrehen.
Sein Satz des Bewußtseins setzt schon Ihre Deduktion
voraus, kann folglich nicht als ein ursprüngliches Faktum
unseres Erkenntnisvermögens dieser Deduktion zum Grunde gelegt
werden; wie ich dieses (Magazin zur Erfahrungsseclenkunde 9. Band.
3. Stück) gezeigt habe. Auch jetzt, da ich den zweiten Teil seiner
Briefe gelesen habe, bemerke ich, daß sein Begriff von dem
freien Willen auf das allerunerklärbarste Indeterminismus
firhre.
Sie setzen die Freiheit des Willens in der hypothetisch
angenommene Kausalität der Vernunft. Nach ihm hingegen
wäre die Kausalität der Vernunft an sich Naturnot-
wendigkeit. Er erklärt daher den freien Willen als „ein
Vermögen der Person, sich selbst, in Rücksicht auf die Be-
friedigung oder Nichtbefriedigung des eigennützigen Triebs, der
Forderung des Uneigennützigen gemäß oder derselben zuwider
zu bestimmen." Ohne sich um den Bestimmungsgrund im
mindstn zu bekümmern. Aber ich will Sie hiemit nicht länger
aufhalten.
Mein jetziger Wunsch gehet bloß dahin, eine Belehrung
Ktnts Schriften. Bd. X. 12
1/8 Von Salomon Maimon
von Ihnen zu erhalten, über den wichtigen Punkt ihrer trans-
szendentalen Ästhetik, nämlich über die Deduktion der Vor-
stellungen von Zeit und Raum. Alles, was Sie darin gegen die
dogmatische Vorstellungsart anführen, hat mich völlig überzeugt.
Es kann aber, wie ich dafür halte, noch eine skeptische, sich
auf psychologischen Gründen stützende Vorstellungsart gedacht
werden, die auch von der Ihrigen in etwas abweicht, obschon
die daraus zu ziehenden Resultate vielleicht von den Ihrigen
nicht verschieden sein möchten.
Nach Ihnen sind die Vorstellungen von Zeit und Raum
Formen der Sinnlichkeit, das heißt notwendige Bedingungen
von der Art wie sinnliche Objekte in uns vorgestellt werden.
Ich behaupte hingegen (aus psychologischen Gründen), daß
dieses nicht allgemein wahr sei. Die einartigen sinnlichen
Objekte werden von uns unmittelbar weder in Zeit noch in
Raum vorgestellt. Dieses kann nur mittelbar durch Vergleichung
derselben mit den verschiedenartigen Objekten, mit welchen
sie eben durch Zeit und' Raum verknüpft sind, geschehen. Zeit
und Raum sind also keine Formen der Sinnlichkeit an sich,
sondern bloß ihrer Verschiedenheit. Die Erscheinung des
Roten oder des Grünen an sich wird, so wenig als irgendein
VerstandesbegriflP an sich, in Zeit oder Raum vorgestellt. Dahin-
gegen das Rote und das Grüne miteinander verglichen, und in
einer unmittelbarn Koexistenz oder Succession aufeinander
bezogen, nicht anders als in Zeit und Raum vorgestellt werden
können.
Zeit und Raum sind also keine Vorstellungen von den Be-
schaflFenheiten und Verhältnissen der Dinge an sich, wie schon
die kritische Philosophie gegen die dogmatische bewiesen
hat. Sie sind aber ebensowenig Bedingungen von der Art wie
sinnliche Objekte an sich vor ihrer Vergleichung unterein-
ander in uns vorgestellt werden, wie ich schon bemerkt habe.
Was sind sie also? Sie sind Bedingungen von der Mög-
lichkeit einer Vergleichung zwischen den sinnlichen
Objekten, das heißt eines Urteils über ihr Verhältnis zuein-
ander. Ich will mich hierüber näher erklären.
1. Verschiedene Vorstellungen können nicht zu gleicher Zeit
(in eben demselben Zeitpunkt) in eben demselben Subjekt ko-
existieren.
z. Ein jedes Urteil über das Verhältnis der Objekte zuein-
Von Salomon Ma'tmon 179
ander setzt die Vorstellung eines jeden an sich im Gemüte voraus.
Dieses vorausgeschickt, so ergibt sich diese wichtige Frage: Wie
ist ein Urteil über ein Verhältnis der Objekte zuein-
ander möglich? Ich nehme dieses an sich so evidente Urteil:
zum Beispiel das Rote ist vom Grünen verschieden. Diesem
müßte die Vorstellung des Roten und Grünen an sich im Ge-
müte vorausgehen. Da aber diese Vorstellungen in eben dem-
selben Zeitpunkt, in eben demselben Subjekt einander ausschließen,
und das Urteil sich doch auf beide zugleich bezieht und beide
im Bew^ußtsein vereinigt, so kann die Möglichkeit desselben auf
keinerlei Weise begreiflich gemacht werden. Die Zuflucht, die
einige Psychologen hier zu den zurückgelassenen Spuren
nehmen, kann zu nichts helfen. Denn die zurückgelassenen
Spuren verschiedener Vorstellungen können ebensowenig als diese
Vorstellungen selbst (wenn sie nicht in eine einzige zusammen-
fließen sollen) zugleich im Gemüte stattfinden.
Dieses Urteil ist also nur durch die Vorstellung einer Zeit-
folge möglich.
Zeitfolge ist schon an sich ohne Beziehung auf die darin
vorgestellten Objekten, eine Einheit im Mannigfaltigen. Der
vorhergehende Zeitpunkt ist, als ein solcher, vom folgenden
unterschieden. Sie sind also nicht analytisch einerlei; und
doch können sie nicht ohne einander vorgestellt werden; das
heißt sie machen zusammen eine synthetische Einheit aus.
Die Vorstellung einer Zeitfolge ist also eine notwendige Be-
dingung, nicht von der Möglichkeit der (wenn auch sinnlichen)
Objekten an sich, sondern der Möglichkeit eines Urteils
über ihre Verschiedenheit, welche ohne Zeitfolge kein Gegen-
stand unsrer Erkenntnis sein kann.
Von der andern Seite aber ist wiederum die objektive
Verschiedenheit eine Bedingung von der Möglichkeit einer
Zeitfolge, nicht bloß als Gegenstand unsrer Erkenntnis, sondern
auch als Objekt der Anschauung an sich (indem Zeitfolge nur
dadurch, daß sie Gegenstand unsrer Erkenntnis wird, an sich vor-
stelibar ist). Die Form der Verschiedenheit (wie auch die
objektive Verschiedenheit selbst) und die Vorstellung einer
Zeitfolge stehen also in einer wechselseitigen Verhältnis zuein-
ander. Wäre das Rote nicht vom Grünen, als Erscheinung an
sich, verschieden, so könnten sie von uns nicht in einer Zeit-
folge vorgestellt werden. Hätten wir aber nicht die Vorstellung
12*
1 8o Von Salomon Maimon
einer Zeitfolge, so könnten immer das Rote und das Grüne
verschiedene Objekte der Anschauung sein, wir könnten aber sie
nicht als solche erkennen.
Eben dieses Verhältnis findet auch statt zwischen der Form
der Verschiedenheit und der Vorstellung des Außereinander-
seins im Räume. Diese kann, ohne daß jene in den Objekten
anzutreffen ist, nicht stattfinden. Jene ist ohne diese für uns
nicht erkennbar.
Die Verschiedenheit der äußeren Erscheinungen wird nur
alsdann in Zeit vorgestellt, wenn sie in Raum nicht vorgestellt
wird, und so auch umgekehrt. Eine und eben dieselbe sinnliche
Substanz (dieser ßaum zum Beispiel) wird nicht im Räume, son-
dern in der Zeit, als von sich selbst verschieden (verändert)
vorgestellt. Verschiedene sinnliche Substanzen werden als solche
nicht in der Zeit (indem das Urteil über ihre Verschiedenheit
sie in eben demselben Zeitpunkt zusammenfaßt), sondern im
Räume vorgestellt.
Die Form der Zeit kömmt also nicht allen Objekten der
äußern Anschauung ohne Unterschied zu, sondern nur solchen,
die nicht in Raum vorgestellt werden, und so auch umgekehrt,
die Form des Raums kömmt nur denjenigen äußern Objekten
zu, die nicht in Zeit (in einer Zeitfolge, denn das Zugleich-
sein ist, wie ich dafür halte, keine positive Zustimmung,
sondern bloß Verneinung einer Zeitfolge) vorgestellt
werden.
Diese Betrachtungen grenzen an meine Erörterung der trans-
szendentalen Täuschungen (Philosophisches Wörterbuch Art.
Fiktion), deren Beurteilung ich von Ihnen mit dem größten
Verlangen erwarte, womit ich Sie aber hier nicht länger auf-
halten will.
Würdigster Mann! Da die von Ihnen zu erwartende Beant-
wortung dieses Schreiben[s] mir von der äußersten Wichtigkeit
ist, indem sie mir die skeptischen Hindernisse im Fort-
schritt des Denkens benehmen, und eine bestimmte Richtung
verschaffen wird; da ich mein ganzes Leben bloß der Erforschung
der Wahrheit widme, und sollte ich auch zuweilen auf Abwege
geraten, so sind doch wenigstens meine Fehler einer Zurecht-
weisung wert; so bitte ich Sie ergebenst, ja ich beschwöre
Sie bei der Heiligkeit Ihrer Moral, mir diese Beantwortung
nicht zu verweigern. In deren Erwartung ich verbleibe mit den
An ^akob Sigismund Beck i8i
Gesinnungen der größten Hochachtung und innigsten Freund-
schaft
Ihr ergebenster
Salomon Maimon.
P. S. Sollte Ihre Beantwortung auch nicht ausführlich ge-
schehen, so sind mir doch einige Fingerzeige von Ihnen wichtig
genug. Ihr Brief kann gradezu an mich adressiert werden.
510.
An Jakob Sigismund Beck.
4^. Dezember 1792.
Da Sie mir, würdiger Mann, in Ihrem Briefe vom 10. No-
vember einen Aufschub von vier Wochen bis zu meiner Antwort
gelassen haben, welchen dieser Brief nur um wenig Tage über-
steigen wird, so glaube ich, beigehende kleine Anmerkungen
werden nicht zu spät anlangen. — Hiebei muß ich vorläufig
erinnern; daß, da ich nicht annehmen kann, daß in der mir zu-
geschickten Abschrift die Seiten und Zeilen mit Ihrer in Händen
habenden eben korrespondieren werden, Sie, wenn Sie die Seite
der Abschrift, die ich zitiere, nach den Anfangsworten eines
Perioden, die ich hier durch Häckchen „ " bemerke, nur einmal
aufgefunden haben, Sie, wegen der Gleichförmigkeit der Abschrift,
die korrespondierende Seiten in Ihrem Manuskript wohl auffinden
werden. — Denn das mir zugeschickte mit der fahrenden Post
an Sie zurückzusenden würde die Antwort an Sie gar zu sehr
verweilen, Sie aber mit der reitenden Post abzusenden ein wenig
zu kostbar sein: indem Ihr letzter Brief mit dem Manuskript mir
gerade zwei Reichstaler Postporto gekostet hat, welche Kosten der
Abschreiber leicht um Dreiviertel hätte vermindern können, wenn
er nicht so dick Papier genommen und mehr kompreß ge-
schrieben hätte.
Seite 5 heißt es von der Einteilung: „Ist sie aber synthetisch,
so muß sie notwendig Trichotomie sein"; dieses ist aber
nicht unbedingt notwendig, sondern nur, wenn die Ein-
teilung I. a priori, 2. nach Begriffen (nicht, wie in der
Mathematik, durch Konstruktion der Begriffe) geschehen
8 z An fakob Sigismund Beck
löZ
soll. So kann man zum Beispiel die reguläre Polyedra
in fünferlei Körper a priori einteilen, indem man den
Begriff des Polyedri in der Anschauung darlegt. Aus
dem bloßen Begriffe desselben aber würde man nicht
einmal die Möglichkeit eines solchen Körpers, viel weniger
die mögliche Mannigfaltigkeit derselben ersehen.
S. — 7. Anstatt der Worte (wo von der Wechselwirkung
der Substanzen und der Analogie der wechselseitigen Be-
stimmung der Begriffe in disjunktiven Urteilen mit jener
geredet wird) „Jene hängen zusammen indem sie": Jene
machen ein Ganzes aus mit Ausschließung mehrerer Teile
außer demselben; im disjunktiven Urleil usw.
S. — 8. Statt der Worte am Ende des Absatzes „das Ich
denke muß alle Vorstellungen in der Synthesis derselben
begleiten*' begleiten können.
S. — 17. Statt der Worte „Ein Verstand, dessen reines Ich
denke" Ein Verstand, dessen reines Ich bin usw. (denn
sonst würde es ein Widerspruch sein zu sagen, daß sein
reines Denken ein Anschauen sein würde).
Sie sehen, lieber Freund, daß meine Erinnerungen nur von
geringer Erheblichkeit sein; übrigens ist Ihre Vorstellung der De-
duktion richtig. Erläuterungen durch Beispiele würden manchem
Leser zwar das Verständnis erleichtert haben; allein auf die Er-
sparung des Raums mußte auch gesehen werden.
Herrn EBERHARDS und GARVEN Meinung von der Iden-
tität des BERKLEYSCHEN Idealism mit dem kritischen, den ich
besser das Prinzip der Idealität des Raumes und der Zeit nennen
könnte, verdient nicht die mindeste Aufmerksamkeit; denn ich
rede von der Idealität in Ansehung der Form der Vorstellung:
jene aber machen daraus Idealität derselben in Ansehung der Ma-
terie, das ist des Objekts und seiner Existenz selber. — Unter
dem angenommenen Namen ÄNESIDEMUS aber hat jemand einen
noch weitergehenden Skeptizism vorgetragen'): nämlich, daß wir gar
nicht wissen können, ob überhaupt unserer Vorstellung irgend etwas
Anderes (als Objekt) korrespondiere, welches etwa soviel sagen
möchte, als: Ob eine Vorstellung wohl Vorstellung sei (Etwas
») Gottlob Ernst Schulze (1761 — 1833), Aenesidemus oder über
die Fundamente der von dem H. Prof. Reinhold in Jena gelieferten
Elementarphilosophie, o. O. 1791-
An Jakoh Sigismund Beck 185
vorstelle). Denn Vorstellung bedeutet eine Bestimmung in uns,
die wir auf etwas Anderes beziehen (dessen Stelle sie gleichsam
in uns vertritt).
Was Ihren Versuch betrifft, den Unterschied der Dichtigkeiten
(wenn man sich dieses Ausdrucks bedienen kann) an zweien
Körpern, die doch beide ihren Raum ganz erfüllen, sich verständ-
lich zu machen, so muß das Moment der Acceleration aller Körper
auf der Erde hiebei, meiner Meinung nach, unter sich doch als
gleich angenommen werden, so: daß kein Unterschied derselben,
wie zwischen dx und dy^ angetroffen wird, wie ich in meinen
vorigen Briefe angemerkt habe und die Quantität der Bewegung
des einen mit der des andern verglichen (das ist die Masse der-
selben), doch als ungleich können vorgestellt werden, wenn diese
Aufgabe gelöset werden soll; so daß man sich sozusagen die
Masse unter demselben Volumen nicht durch die Menge der
Teile, sondern durch den Grad spezifisch verschiedenen
Teile, womit sie, bei eben derselben Geschwindigkeit ihrer Be-
wegung, doch eine verschieden [e] Größe derselben haben könne,
denken könne. Denn, wenn es auf die Menge ankäme, so
müßten alle ursprünglich als gleichartig, folglich in ihrer Zusam-
mensetzung unter einerlei Volumen nur durch die leere Zwischen-
räume unterschieden gedacht werden (quod est contra hypo-
thesin). — Ich werde Ihnen gegen Ende dieses Winters meine
Versuche, die ich hierüber während der Abfassung meiner Metaph.
Anf.-Gründe der N. W. anstellete, die ich aber verwarf, mit-
teilen, ehe Sie an die Epitomierung derselben gehen. — Zum
Behuf Ihres künftigen Auszugs aus der Kritik der U. Kr. werde
Ihnen nächstens ein Pack des Manuskripts von meiner ehedem
abgefaßten Einleitung in dieselbe, die ich aber bloß wegen
ihrer für den Text unproportionierten Weitläuftigkeit verwarf,
die mir aber noch manches zur vollständigeren Einsicht des Be-
griffs einer Zweckmäßigkeit der Natur Beitragendes zu enthalten
scheint, mit der fahrenden Post zu beliebigem Gebrauche zu-
schicken.") — Zum Behuf dieser Ihrer Arbeit wollte ich auch
raten, SNELLS, noch mehr aber SPAZIERS Abhandlungen, oder
Kommentarien über dieses Buch in Überlegung zu ziehen.
^) Diese Abhandlung ist später unter dem Titel „Über Philosophie
überhaupt, zur Einleitung in die Kritik der Urteilskraft" von Beck aus-
zugsweise veröffentlicht worden, vollständig erschien sie zum ersten Mal
in dieser Ausgabe, Bd. V, S. 177—231.
184 An F, Th. de la Garde
Den Titel, den Sie Ihrem Buche zu geben denken: Erläu-
ternder Auszug aus den krit. Schriften des K. Erster
Band, der die Krit. der spekul. und prakt. Vernunft ent-
hält, billige ich vollkommen.
Übrigens wünsche Ihnen zu dieser, sowie zu allen Ihren Unter-
nehmungen, den besten Erfolg und bin mit Hochachtung und
Ergebenheit
der Ihrige
Königsberg, I« Kant.
den 4. Dezember 1792.
An F. Th. de la Garde.
Euer Hochedelgeborer
sage den ergebensten Dank für
die mir überschickte acht Exemplar der Krit. d. U. Kr. und was
die zwölf übrige betrifft, die ich mir gütigst aufzubehalten bitte,
so werde darüber nächstens die Bestimmung erteilen.
Was die Benennung auf dem Titel, verbesserte Auflage
betriflFt, so hat das im Grunde wenig zu bedeuten; denn unwahr
ist es wenigstens nicht, wenn es mir gleich ein wenig prahlend
zu sein schien.
Für den vortrefflichen Druck und das Korrekte dieser Auf-
lage danke gar sehr und wünsche mit einem solchen Manne
mehrmalen in Geschäfte zu kommen.
Inliegenden Brief bitte gütigst auf die Post zu geben und
versichert zu sein, dass ich jederzeit mit Hochachtung und Freund-
schaft sei
Euer Hochedelgeboren
ergebenster Diener
Königsberg, I. Kant,
den 21. Dezember 1792.
An fohann Benjamin Erhard 185
312.
An Johann Benjamin Erhard.
ZI. Dezember 1792.
Innigstgeliebter Freund!
Daß Sie das Ausbleiben meiner über ein Jahr schuldigen
Antwort mit einigem Unwillen vermerken, verdenke ich Ihnen
gar nicht, und doch kann ich es mir nicht als verschuldet an^
rechnen; weil ich die Ursachen desselben, welche zu entfernen
nicht in meinem Vermögen ist, mehr fühlen als beschreiben kann.
Selbst Ihre Freundschaft, auf die ich rechne, macht mir den
Aufschub von Zeit zu Zeit zulässiger und verzeihlicher, der aber
durch den Beruf, den ich zu haben glaube, meine Arbeiten zu
vollenden und also den Faden derselben nicht gern, wenn Dispo-
sition dazu da ist, fahren zu lassen (diese Indisposition aber,
welche mir das Alter zuzieht, kommt oft), und durch andere un-
umgängliche Zwischenarbeiten, ja viele Briefe, deren Verfassern
ich soviel Nachsicht nicht zutrauen darf, mir fast abgedrungen
wird. — Warum fügte es das Schicksal nicht, einen Mann, den ich
unter allen, die unsere Gegend je besuchten, mir am liebsten zum
täglichen Umgang wünschte, mir näher zu bringen?
Die mit Herrn KLEIN verhandelte Materien aus dem Krimi-
nalrecht betreffend, erlauben Sie mir nur einiges wenige anzu-
merken; da das meiste vortrefflich und ganz nach meinem Sinn
ist; wobei ich voraussetze, daß Sie eine Abschrift der Sätze mit
eben denselben Nummern, als in Ihrem Briefe bezeichnet*) vor
sich haben.
Ad. N. 5. Die Theologen sagten schon längst in ihrer
Scholastik von der eigentlichen Strafe (pocna vindicativa) ; sie
würde zugefügt, nicht ne peccetur, sondern quia peccatum est.
Daher definierten sie die Strafe durch malum physicum ob malum
morale illatum. Strafen sind in einer Welt, nach moralischen
Prinzipien regiert (von Gott), kategorisch notwendig (sofern darin
Übertretungen angetroffen werden). Sofern sie aber von Menschen
regiert wird, ist die Notwendigkeit derselben nur hypothetisch
und jene unmittelbare Verknüpfung der Begriffe von Übertretung
und Strafwürdigkeit dienen den Regenten nur zur Rechtfertigung,
») S. oben S. 108 f.
i86 Aji Carl Leonhard Reinhold
nicht zur Vorschrift in ihren Verfügungen, und so kann man
mit Ihnen wohl sagen: daß die poena mere moralis (die darum
vielleicht vindicativa genannt worden ist, weil sie die göttliche Ge-
rechtigkeit rettet), ob sie zwar der Absicht nach bloß medicinalis
für den Verbrecher, aber exemplaris für andere sein möchte, doch,,
was jene Bedingung der Befugnis betrijfft, ein Symbol der Straf-
würdigkeit sei.
Ad. N. 9, 10. Beide Sätze sind wahr, obgleich in den ge-
wöhnlichen Moralen ganz verkannt. Sie gehören zu dem Titel
von den Pflichten gegen sich selbst, welche in meiner unter
Händen habenden Metaphysik der Sitten besonders, und auf
andere Art als wohl sonst geschehen, bearbeitet werden wird.
Ad. N. 12. Auch gut gesagt. Man trägt im Naturrecht den
bürgerlichen Zustand als auf ein beliebiges pactum sociale ge-
gründet vor. Es kann aber bewiesen werden, daß der Status na-
turalis ein Stand der Ungerechtigkeit, mithin es Rechtspflicht ist,
in den statum civilem überzugehen.
Von Herrn Professor REUSS aus Würzburg, der mich diesen
Herbst mit seinem Besuch beehrte, habe Ihre Inauguraldissertation
und zugleich die angenehme Nachricht erhalten, daß Sie in eine
Ehe, die das Glück Ihres Lebens machen wird, getreten sind, als
wozu ich von Herzen gratuliere.
Mit dem Wunsch, von Ihnen dann und wann Nachricht zu
bekommen, untern anderm wie Fräulein HERBERT durch meinen
Brief erbauet worden,*) verbinde ich die Versicherung, daß ich
jederzeit mit Hochachtung und Ergebenheit sei
Königsberg, der Ihrige
den 2 1. Dezember 1792. I. Kant.
3M-
An Carl Leonhard Reinhold.
2 I. Dezember 1792.
Eine jede Zeile von Ihnen, teuerster Mann! ist für mich ein
aufmunterndes Geschenk, vornehmlich wenn es durch ein solches
begleitet wird, als Sie mir mit dem zweiten Teil Ihrer geist-
und anmutsvollen Briefe machen. Wie sehr wünschte ich durch
») S. oben Brief Nr. 284.
Von Fräulein Maria von Herbert 187
Schriftwechsel öfters dieses Vergnügens teilhaftig zu werden, aber
auch an der neueren Bearbeitung zur Erörterung der höchsten
Prinzipien der Erkenntnis, welche nur jetzt eine zur Wegräumung
aller Schwierigkeiten gegen das System der Kritik dienliche Wen-
dung genommen zu haben scheinen, tätigen Anteil nehmen zu
können; wenn ich nicht, außer anderen Hindernissen, noch durch
die Bemühung, meinen Plan noch vor dem Toresschlüsse zu be-
endigen, zurückgehalten würde, als wovon Sie mit der nächsten
Ostermesse ein Stück erhalten werden, wovon ich den Titel jetzt
noch nicht melden will, wovon Sie die Ursache zu derselben
Zeit auch erfahren werden/)
Ich weiß keinen besseren Kanal, inneliegenden Brief an unseren
gemeinschaftlichen Freund Herrn D. ERHARD in Nürnberg sicher
überkommen zu lassen, als durch Ihre gütige Bestellung, die ich
mir hiemit erbitte.
Mit der größten Hochachtung und Ergebenheit bin ich jederzeit
Koenigsberg, der Ihrige
d. 21. Dez. 1792 I. Kant.
314.
Von Maria von Herbert.
[Januar 1793-]
Lieber ehrenwerter Herr.
Daß ich so lange säumte, Ihnen von jenen Vergnügen was
zu sagen, welches mir Ihr Schreiben verursachte, ist, weil ich
Ihre Zeit für so kostbar schätze, daß ich mir nur dann getrau,
Ihnen eine zu entwenden, wenn sie nicht einzig für meine Lust,
sondern auch zugleich zur Erleichterung meines Herzens dienen
kann, welche Sie mir schon einst verschafften, als ich im größten
Affekt meines Gemüts bei Ihnen Hilfe suchte, Sie erteilten mir
selbe meinen Gemüt so angemessen, daß ich sowohl durch Ihre
Güte, als durch Ihre genaue Kenntnüs des menschlichen Herzens
aufgemuntert, mich nicht scheue, Ihnen den fernem Gang meiner
Seele zu schildern. Die Lug, wegen der ich mich bei Ihnen
anklagte, war keine Bemäntlung eines Lasters, sondern nur in
Rücksicht der dazumal entstandenen Freindschaft (noch in Liebe
') Die Schrift über die „Religion", näheres s. unten Brief Nr. 326
und 329.
i88 yon Fraulein Maria von Herbert
verhüllt), ein Vergehn, der Zurückhaltung, daß ich's aber meinen
Freind so spat, und doch entdeckte, war der Kampf der vorher-
sehenden meiner Leidenschaft kränkenden Folgen, mit dem Be-
wußtsein der an Freindschaft schuldigen Aufrichtigkeit Ursach
endlich gewann ich so viel Kraft, und vertauschte den Stein meines
Herzens durch die Entdeckung, mit der Beraubung seiner Liebe,
dann ich genoß im Besitz dieses von mir selbst nicht vergönnten
Vergnügen so wenig Ruh, als nachdem, von der verwundeten
Leidenschaft, welche mein Herz zerrissen, und mich so marterte,
wie ich's keinen Menschen wünsch, der auch seine Bosheit mit
einen Prozeß behaupten wollte. Indessen verharrte mein Freind
in seinen Kaltsinn, so wie Sie es in Ihren Brief mir wahrsagten,
doch ersetzte er mir's in der Folge, doppelt, durch die innigste
Freindschaft, welche mich seinerseits glücklich, mich aber doch
nicht zufrieden macht, weil's nur vergnügt, und nicht nutzt,
welches mir, meine hellen Augen jetzt immer vorwerfen und
mich dabei eine Leere fühlen machen, die sich in und außer
mir erstreckt, so daß ich mir fast selbst überflüssig bin. Vor
mich hat nichts einen Reiz, auch könnte mich die Erreichung
aller möglichen mich betreffenden Wünsche, nicht vergnügen,
noch erscheint mir eine einzige Sache der Mühe wert, daß sie
getan werde, und dies alles nicht aus Mißvergnügen, sondern aus
der Abwägung, wie viel bei was guten Unlauteres mitlauft, über-
haupt möchte ich das zweckmäßige Handln vermehren, und das
unzweckmäßige vermindern können, welches letztere die Welt
allein zu beschäftigen scheint, denn mir ist, als wenn ich den
Trieb zur reelln Tätigkeit nur um ihm zu ersticken in mir fühlte,
wenn ich auch von keinem Verhältnüs gehindert, doch den ganzen
Tag nichts zu handln hab, so quält mich eine Langeweile, die
mir das Leben unerträglich macht, obwohlen ich doch tausend
Jähr so leben wollt, wenn ich denken könnt, daß ich, Gott, in
solcher Untätigkeit, auch gefällig bin. Rechnen Sie mir's nicht
als Hochmut zu, wenn ich Ihnen sage, daß mir die Aufgaben
der Moralität zu gering sind, denn ich wollt mit größten Eifer
noch einmal so viel erfühlen, indem sie ihr Ansehen so nur
durch eine gereizte Sindlichkeit erhaltet, wegen der es mich fast
keine Überwündung kostet, solcher Abbruch zu tun, daher es
mir auch scheint, daß, wem das Pflichtgebot einmal recht klar
geworden, dem steht es gar nicht mehr frei, selbes zu übertreten,
dann ich müßte selbst mein sindliches Gefühl beleidigen, wenn
Von Fraulein Maria von Herbert i8p
ich pflichtwidrig handJn müßte, es kommt mir so instinktartig
vor, daß ich gewiß nicht das geringste Verdienst hab, moralisch
zu sein. Ebensowenig, glaub ich, kann man jene Menschen der
Zurechnung fähig halten, welche in ihren ganzen Leben nicht
zum wahren Selbstbewußtsein kommen, stets durch ihre Sinnlich-
keit überrascht können sie sich auch nie Rechenschaft geben,
warum sie etwas tun oder lassen, und war Moralität vor die
Natur nicht am zuträglichsten, so würden ihr diese Menschen
wohl noch mehr kontrachiern.
Zum mein Trost denk ich mir oft, weil die Ausübung der
Moralität so fest auf die Sinnlichkeit gebunden ist, sie darum
nur vor diese Welt taugen kann, und somit hätte ich doch
Hoffnung, nach diesen Leben nicht noch einmal ein so leeres
vegetierendes mit so wenig und leichten Aufgaben der M. zu
führen, Erfahrung will mir zwar diese böse Laune gegen mein
Hiersein, damit zurechtweisen, daß es fast jedermann zu früh ist,
seine Laufbahn zu schließen und alle so gern leben, um also
nicht in der Regl eine so seltne Ausnahm zu machen, will ich
eine entfernete Ursach dieser meiner Abweichung angeben, näm-
lich meine stets unterbrochne Gesundheit, schon seit der Zeit,
da ich Ihnen das erstemal geschrieben. Genoß ich sie nie mehr,
die doch manchmal einen Sinnenrausch gestattet, welches Vernunft
nicht allein verschaffen kann, und ich also entbehre. Was ich
sonst noch genüßen könnt, intressiert mich wieder nicht, denn,
alle Wissenschaften der Natur und Könntnüssen der Welt studier
ich nicht, weil ich kein Genie in mir fühl, sie zu erweitern, und
vor mich allein hab ich kein Bedürfnüs, es zu wissen, was nicht
den kategorischen Imperativ und mein transszendentales Bewußtsein
betrifft, ist mir alles gleichgültig, obwohlen ich mit diese Ge-
danken auch schon längst firtig bin. Alls dies zusammen ge-
nommen, könnt ihnen vielleicht den Wunsch in mir wohl an-
schaulich machen, der einzige, den ich habe, nämlich mir dieses
so unnütze Leben, in welchen ich fest überzeugt bin, weder
besser, noch schlimmer zu werden, zu verkürzen, wenn Sie er-
wägen, daß ich noch jung bin, und kein Tag ein anders Interesse
vor mich hat, als daß er mich meinen Ende näher bringt, so
werden Sie auch abmessen können, welch ein Wohltäter Sie mir
werden könnten, und wie sehr Sie dadurch aufgemuntert werden,
diese Frage genau zu untersuchen, daß ich sie aber an Sie machen
darf, ist, weil mein Begriff von Moralität hier schweigt, wo er
ipo Von Fraulein Maria von Herbert
doch sonst überall den entschiedensten Ausspruch macht. Können
Sie aber dieses von mir gesuchte negative Gut nicht geben, so
fodere ich Ihr Gefühl des Wohlwollens auf, mir etwas an die
Hand zu geben, womit ich diese unerträgliche Leere aus meiner
Seele schaffen könnt, wenn ich dann, ein tauglichers Glied der
Natur werde, und meine Gesundheitsumstände mirs vergönnen,
so bin ich willens, in etlichen Jahren eine Reise nach Königsberg
zu machen, wozu ich jedoch im voraus um die Erlaubnus bei
Ihnen vorzukommen ansuchen will, da müßten Sie mir Ihre Ge-
schichte sagen, dann ich möchte wissen, zu welcher Lebensweise
Ihre Philosophie Sie führte, und ob es Ihnen auch nicht der
Mühe wert war, sich ein Weib zu nehmen oder sich irgend
wem von ganzen Herzen zu widmen, noch Ihr Ebenbild fortzu-
pflanzen, ich hab Ihr Porträt von Leipzig bei Bause in Stich be-
kommen, in welchen ich wohl einen moralischen, ruhigen, tiefen,
aber keinen Scharfsinn entdecke, den mir die Kritik der reinen
Vernunft doch vor allen andern versicherte, auch bin ich nicht
zufrieden, daß ich Sie nicht ins mitte Gesicht sehen kann —
erraten Sie meinen einzigen sinnlichen Wunsch, und erfüllen Sie
ihm, wenn es Ihnen nicht zu unbequem ist, werden Sie nur nicht
unwillig, wenn ich erst mit der sehnlichsten Bitte um eine Antwort
heran rucke, die Ihnen auf mein Kauderwelsch nur zu beschwer-
lich fallen wird, doch scheint's mir notwendig, Sie zu erinnern,
daß, wenn Sie mir aber doch den großen Gefallen erweisen und
sich mit einer Antwort bemühen wollen, sie so einzurichten,
daß sie nur das Einzelne, nicht das Allgemeine betrifft, welches
ich schon in Ihren Werken an der Seite meines Freinds glücklich
verstanden und mit ihm gefühlt hab, welcher Ihnen gewiß ge-
fallen würde, dann sein Charakter ist grad, sein Herz gut und
sein Verstand tief, daneben glücklich genug, in diese Welt zu
passen, auch ist er selbständig und stark genug, alles zu meiden,
drum trau ich mich auch, mich ihn zu rauben, haben Sie auf
Ihre Gesundheit acht, dann Sie können der Welt noch vieles
nutzen, daß ich Gott wäre und Sie dafür belohnen könnt, was
Sic an uns getan, ich bin mit tiefster Hochachtung, auch Wahr-
heit, ehrende
Maria Herbert.
An F. Tb. de la Garde, — Von 'Johann Benjamin Erhard 1 9 1
An F. Th. de Ja Garde.
In meinem letzten Schreiben habe vergessen. Euer Hochedel-
geboren für das herrlich gebundene Exemplar meiner Krit. d.
U. Kr. meinen Dank abzustatten.
Gegenwärtige wenige Zeilen gehen dahin, um Ihnen wegen
der Disposition über die für mich bestimmte Exemplare die Mühe
zu machen, solche noch einige Zeit, bis ich mir die Freiheit
nehmen werde, etwas Näheres deshalb zu verfügen, für mich
aufzubehalten, außer daß Sie die Güte haben wollen, ein Exem-
plar an Herrn Rat REINHOLD in Jena und eines an Herrn
Magister BECK in Halle zu überschicken, zugleich auch einliegende
Briefe gütigst zu bestellen. — Der ich übrigens mit vollkomme-
ner Hochachtung jederzeit bin
Euer Hochedelgeboren
ganz ergebenster Freund und Diener
Königsberg, I. Kant,
den 4. Januar 1793.
316.
Von Johann Benjamin Erhard.
Nbg., d. 17. Jan. 1793.
Mein Lehrer und mein Freund 1
Ihr Brief war mir eine Quelle des Trostes. Er traf mich in
einer melancholischen Stimmung, die mich öfters anwandelt und
gewöhnlich bald besiegt ist, diesmal aber durch einen Haufen
kleiner Umstände sehr mächtig wurde. Ihr Brief schlug einen
großen Teil dieser Gründe meines Mißmuts in die Flucht, da-
durch, daß er mir zeigte, ich hätte in Ihren Augen einigen Wert,
und meine Hoffnung wieder belebte, daß ich auch bei andern
denkenden und redlichen Menschen noch etwas gelten könnte.
Die Ebbe und Flut meiner Selbstachtung und meines Vertrauens
auf andere Menschen ist die Seelenkrankheit, der ich von Jugend
auf unterworfen war. Ich wüßte sie mir nicht besser als durch
den Ausdruck moralisches Fieber zu charakterisieren, und das
_ ip2 Von Johann Benjamin Erhard
meinige gehörte dann unter die Wechsclfieber. Mein Trost ist
auf diese Vergleichung gegründet, denn ich hoffe, so wie das
Fieber, wenn es gut kuriert wird, keine nachteilige Spur im
Körper zurückläßt, so wird auch diese Krankheit keinen Nachteil
in der Seele zurücklassen, wenn es mir gelingen sollte, sie zu
kurieren. Die Mittel, die ich gebrauchen will, sind folgende:
I. Schmiegung unter Konvenienz, wenn es mir nicht mein Ge-
wissen verbietet; z. Arbeit nach Vorsatz, nicht bloß nach meinen
Hang, ich will daher mir eine medizinische Praxin zu erwerben
suchen und mich in das hiesige Kollegium aufnehmen lassen;
3. mich manchmal zwingen, seichten Gesprächen zuzuhören. Sollten
diese Mittel gut sein, so brauche ich keine weitere Antwort, wo
nicht, so bitte ich Sie, mir bessere zu raten. Hier erlauben Sic
mir eine Gewissensfrage an Sie, deren Beantwortung mich trösten
könnte. Hat es Ihnen nicht sehr viele Mühe gekostet, nichts als
Professor in Königsberg zu werden? das heißt, wie ich es ver-
stehe, Ihre Talente für die Welt allein, und nicht auch für sich
selbst zu gebrauchen? Mir kostet es viele Anstrengung, in der
Welt mein Glück nicht zu machen, das heißt die Schwächen,
die ich an den Menschen bemerke, nicht zu benutzen.
Nun wieder zu Ihrem Brief. Ich freue mich, daß ich bald die
Metaphysik der Sitten werde zu sehen bekommen. Sie werden, hoffe
ich, die Vollendung Ihrer Arbeiten noch erleben und dann mit
Freuden sterben. Ich für meinen Teil sehe gerade in meinen
heitersten Stunden den Tod als ein Glück an, das ich mir wün-
schen würde, wenn ich nur schon so viel nach meinen Kräften
getan hätte, daß ich mit gutem Gewissen verlangen könnte, schon
wieder vom Schauplatz abtreten zu dürfen. Dieses Gefühl des
Verlangens nach dem Tode finde ich wesentlich von der Stim-
mung zum Selbstmord, der ich öftrer ausgesetzt war, unterschieden.
Auffallend ist es mir, daß unter den neuern Schriftstellern dieses
moralische Sehnen nach dem Tode fast ganz unberührt geblieben
ist. Der einzige Schwift in seinen vermischten Gedanken hat
unter den mir bekannten Schriftstellern folgenden Gedanken
„Niemand, der sein inneres Bewußtsein aufrichtig fragt, wird
seine Rolle auf der Welt wiederholen mögen". Am ersten fand
ich diesen Gedanken bei Ihnen und er hatte sogleich volle Evi-
denz für mich. Für Ihre Erinnerung über meine Gedanken bin
ich Ihnen herzlich verbunden.
Von Fräulein Herbert kann ich wenig sagen. Ich hatte in
i^n Johann Benjamin Erhard 195
Wien bei einigen ihrer Freunde meine Meinung über einige mir
erz'ählte Schritte von ihr freimütig gesagt, und es dadurch mit
ihr so verdorben, daß sie mich nicht sprechen mochte; als einen
Menschen, der nach bloßer Weltklugheit urteilte, und kein Gefühl
für das bloß individuell moralisch Richtige und Wahre hätte.
Ich weiß nicht, ob es sich mit ihr derzeit gebessert hat. Sie ist
an der Klippe gescheitert, der ich vielleicht mehr durch Glück
als durch Verdienst entkam, an der romantischen Liebe. — Eine
idealische Liebe zu realisieren, hat sie sich zuerst einem Menschen
übergeben, der ihr Vertrauen mißbrauchte, und wiederum einer
solchen Liebe zu Gefallen hat sie dies einen zweiten Liebhaber
gestanden — dies ist der Schlüssel zu ihren Brief. Wenn mein
Freund Herbert mehr Delikatesse hätte, so glaube ich, wäre sie
noch zu retten. Ihr jetziger Gemütszustand ist kurz dieser; Ihr
moralisches Gefühl ist mit der Weltklugheit völlig entzweit, und
dafür mit der feinern Sinnlichkeit der Phantasie im Bündnis. Für
mich hat dieser Gemütszustand etwas Rührendes und ich bedaure
solche Menschen mehr, als eigentlich Verrückte, und leider ist
die Erscheinung häufig, daß Personen der Schwärmerei und den
Aberglauben nur dadurch entfliehen, daß sie sich der Empfindelei,
den Eigendünkel und den Traumglauben (fester Entschluß, seine
Chimären, die man für Ideale hält, zu realisieren) in die Arme
werfen, und glauben, sie tun der Wahrheit einen Dienst dadurch.
Mit meiner Frau kann ich mit Recht zufrieden sein.
Nun leben Sie diesmal wohl. Ich werde nächstens Ihnen
über einige Gegenstände meiner jetzigen Untersuchungen konsul-
tieren, wo ich in Ihren künftigen Schriften Belehrung zu er-
warten habe, darüber verlange ich keine Antwort. Ich kann mich
so gut den Ihrigen nennen, als wenn Sie mein leiblicher Vater
wären; denn Sie taten mehr an mir.
Ihr
Erhard,
N. S. GIRTANNER will immer wissen, ob Sie seine Chemie
gelesen haben, und was Sie davon halten.
Kants Schriften. Bd. X. I^
194 ^" ^^'"^ Leonhard Reinholä
Von Karl Leonhard Reinhold.
Mein hochstverehrungswürdiger Lehrer!
Ihre überaus gütige Zuschrift, durch welche Sie mir den
Empfang des zweiten Teiles meiner Briefe über Ihre Philosophie
berichten, und das Exemplar der zweiten Ausgabe Ihrer Kritik
der Urteilskraft, das vermutlich in Leipzig eine Zeitlang auf-
gehalten wurde, und mich daher bereits in Gesellschaft und im
Genüsse eines früher eingetroflFenen gefunden hat, sind mir vor
drei Wochen fast zugleich zu Händen gekommen. Beide sind
mir unschätzbare Beweise Ihrer fortdaurenden Gewogenheit, und
nur die Unpäßlichkeit, die mich diesen Winter um so manche
gute Stunde gebracht und zumal diesen Monat über meine Ge-
mütskräfte untätig gemacht hat, hat mich bis itzt abgehalten,
Ihnen meinen wärmsten Dank zu sagen.
Dies ist nun das viertemal, daß ich die Kritik der Urteilskraft
lese und studiere. Jedesmal überrascht sie mich im eigentlichsten
Verstände mit einer solchen Menge neuer Aufschlüsse, daß ich
zumal bei der Menge meiner Arbeiten mich immer in Verlegen-
heit befinde, wie ich die reiche Ausbeute, ohne das meiste davon
wieder einzubüßen, unterbringe. Noch nie hat wohl ein Mensch
einem andern so viel, so unermeßlich viel zu danken gehabt als
ich Ihnen.
Da mein Geist täglich mit dem Ihrigen beschäftigt ist, da
mir kein Mensch, selbst von denen, die um mich herum leben,
so sehr gegenwärtig ist als Sic, so wird mir die Pflicht, Ihre der
ganzen Menschheit heilige Zeit durch ehrerbietiges Stillschweigen
zu schonen, um so leichter; und da meine Lebensjahre schwerlich
zureichen werden, um mir die Schätze der Belehrung, die in
Ihren Schriften für mich enthalten sind, zu Nutzen zu machen;
so kann ich den Versuchungen, die mich sehr oft anwandeln,
mir für meine schriftstellerischen Versuche neue und besondere
Belehrungen auszubitten, ohne sonderliche Selbstverleugnung wider-
stehen. Je mehr sich die Arbeiter Ihrer Schüler vervielfältigen,
desto weniger können Sie Muße haben, dieselben zu lesen, ge-
schweige denn verbessernde Hand daran zu legen. Ich wünsche
es nicht nur nicht, daß Sie die meinigen lesen; sondern ich
glaube sogar, dadurch selbst einzubüßen, wenn Sie von der Zeit,
MfH Carl Leonhard Reinbold ip^
die Sie Ihren doktrinalen Werken gewidmet haben, auch nur
eine Stunde auf die Lektüre von denjenigen Ausarbeitungen ver-
wenden, durch welche ich die ewigen Wahrheiten, die sie mich
gelehrt haben, gegen Mißverständnisse zu sichern suche.
Wenn ich aber diesfalls irgend eine Ausnahme mir zu wünschen
erlaubte, so würde dieselbe die Briefe über Ihre Philosophie
treffen, die mir durch Ihren Beifall (den diejenigen des ersten
Bandes, welche der Merkur vorläufig bekannt machte, zu erhalten
das Glück hatten) besonders lieb geworden sind. Sollten Sie
unbeschäftigte Zeittrümmerchen über kurz oder lang übrig haben,
und dieselben dem zweiten Teile der gedachten Briefe zuwenden
können — auch dann würde ich Sie bitten, keineswegs das
ganze Buch, sondern aus den zwölf Briefen nur fünf, nämlich
den sechsten, siebenten, achten, eilften und zwölften zu
lesen. Der sechste versucht es, die Begriffe von Sittlichkeit, Pflicht,
Recht und Naturrecht, der siebente von Begehren und Wollen,
der achte von der Freiheit zu entwickeln; der cilfte enthält eine
Skizze zur Geschichte der Moralphilosophie; und der zwölfte
enthält meine Erwartungen von dem Erfolg Ihrer Bemühungen.
Wenn ich nicht unrecht berichtet bin, so sind sie eben mit der
Metaphysik, der Sitten und folglich mit Ideen beschäftiget,
bei denen ich nicht fürchten darf, durch den Inhalt jener Briefe
Veranlassung zu einer Unterbrechung Ihres Geschäftes zu werden —
und Sie haben dasjenige, was Sie etwa mir zur Berichtigung
meiner Versuche zu sagen für gut finden dürften, eben bei der
Hand.
Ihr Urteil über den Inhalt besonders des siebenten und achten
Briefes würde mir, dasselbe möchte nun für meine Theorie von
Willen und Freiheit günstig oder ungünstig ausfallen, zum Behuf
meines Versuches einer Theorie des Begehrungsvermögens,
den ich schon seit einigen Jahren in meiner Seele herumtrage,
die größte Wohltat sein. Ein paar Winke in ein paar Zeilen
hingeworfen, werden mich entweder über das Protonpseudos be-
lehren und gegen das Unglück auf einem unrichtigen Wege
weiter fortzugehen bewahren, oder falls der Weg nicht verfehlt
ist, Herzstärkung zur Überwindung der großen Schwierigkeiten
sein, die ich bereits aus Erfahrung kenne, und die mir noch auf
demselben bevorstehen.
Die Kantische Philosophie wird hier sehr eifrig studiert. Ich
lese jedes Winterhalbjahr über die Kritik, aus der ich einen
13'
ip5 An Elisabeth Motherby
Auszug diktiere. Im Jahr 1790 hatte ich in diesem Kollegium 95,
im Jahr 1791 107 und diesen Winter 158 Zuhörer.
Wenn Ihnen meine schriftlichen Besuche nicht ungelegen
kämen, wenn die Mitteilung kleiner Notizen zur Literargeschichte
Ihrer Philosophie Ihnen einiges Vergnügen machte, wie gerne
wollte ich auf Erwiderung melier Briefe Verzicht tun, und mich
glücklich schätzen, Ihnen monatlich oder vierteljährig schreiben
zu dürfen. Geben Sie hierüber nur einen Wink
Jena, den 21. Jänner 1792. (verschrieben statt 1793.)
Ihrem ewig verpflichteten
Verehrer
Reinhold.
Mit lebhafter Sehnsucht sehe ich dem neuen Werke entgegen,
das Sie mir unter einem so strengen Inkognito ankündigen —
und freue mich auf die Überraschung, die ich von seinem Inhalt
erwarte.
318.
An Elisabeth Motherby.
Die Briefe, die ich Ihnen, meine geehrteste Mademoiselle,
hiemit zuzuschicken die Ehre habe'), habe ich von außen, nach
der Zeit, wie sie eingelaufen sind, numeriert. Die kleine Schwär-
merin hat daran nicht gedacht, ein Datum beizusetzen. — Der
dritte Brief von der Hand eines andern ist nur beigelegt worden,
weil eine Stelle in demselben wegen ihrer seltsamen Geistes-
anwandlungen einigen Aufschluß gibt. Mehrere Ausdrücke, vor-
nehmlich im ersten Briefe, beziehen sich auf meine von ihr ge-
lesene Schriften und können ohne Ausleger nicht wohl verstanden
werden.
Das Glück Ihrer Erziehung macht die Absicht entbehrlich,
diese Lektüre als ein Beispiel der Warnung vor solchen Verirrungen
^) Die beiden Briefe Maria v. Herberts (Nr. zS9 und 314), denen
Kant wohl den Brief Erhards (Nr. 316) beigelegt hat.
An Johann Christoph Linck. — An Karl Spener. 197
einer sublimierten Phantasie anzupreisen, aber sie kann doch dazu
dienen, um dieses Glück desto lebhafter zu empfinden.
Mit der größten Hochachtung bin ich
meine geehrteste Mademoiselle
Ihr
ergebenster Diener
I. Kant,
d. 1 1. Febr. 1793.
319.
An Johann Christoph Linck.
Ew. Wohlgebornen
habe die Ehre, hiemit den Überbringern
dieses, Herrn KRÜGER aus Pommern, meinen bisherigen, soviel
ich weiß, wohlgesitteten Zuhörer, für Ihre Wahl zum Hofmeister
bei Herrn Major v. STUTTERHEIM vorzustellen. Herr Geheimrat
SCHLEMÜLLER und Herr Hofrat ESPANHIAC würden von
seiner condu'tte weitere Auskunft geben können; womit ich mich
Ihrer Freundschaft und Gewogenheit ferner empfehle und mit
vollkommener Hochachtung jederzeit bin
Ew. Wohlgeb.
ganz ergebenster treuer Diener
I. Kant.
d. 15. Febr. 1793.
320.
An Karl Spener.')
Hochgeschätzter Mannl
Ihr den 9. März an mich abgelassener, den 17. angelangter
Brief hat mich dadurch erfreut, daß er mich an Ihnen einen
Mann hat kennen lernen, dessen Herz für eine edlere Teilnahme,
als bloß der des Handlungsvorteils, empfänglich ist. Allein in
^) Spener, der Verleger der Berliner Monatsschrift.
198 Von jfohann Gottlieb Fichte
den Vorschlag einer neuen abgesonderten Auflage des Stücks der
B. Monatsschrift „über die Abfassung einer allgemeinen Geschichte
in weltbürgerlicher Absicht", am wenigsten mit auf gegenwärtige
Zeitumstände gerichteten Zusätzen, kann ich nicht entrieren. —
Wenn die Starken in der Welt im Zustande eines Rausches sind,
er mag nun von einem Hauche der Götter, oder einer Mufette
herrühren, so ist einem Pygmäen, dem seine Haut lieb ist, zu
raten, daß er sich ja nicht in ihren Streit mische, sollte es auch
durch die gelindesten und ehrfurchtvollsten Zureden geschehen;
am meisten deswegen, weil er von diesen doch gar nicht gehört,
von andern aber, die die Zuträger sind, mißgedeutet werden
würde. — Ich trete von heute über vier Wochen in mein
70. Lebensjahr. Was kann man in diesem Alter noch Sonder-
liches, auf Männer von Geist wirken zu wollen, hoffen? und,
auf den gemeinen Haufen? Das wäre verlorene, ja wohl gar zum
Schaden desselben verwandte Arbeit. In diesem Reste eines halben
Lebens ist es Alten wohl zu raten, das „wo;? defensorthm istis
tempus egef-" und das Kräftemaß in Betrachtung zu ziehen, welches
beinahe keinen andern Wunsch, als den der Ruhe und des Friedens
übrig läßt.
In Rücksicht hierauf werden Sie mir, wie ich hoffe, meine
abschlägige Antwort nicht für Unwillfährigkcit auslegen; wie ich
denn mit der vollkommensten Hochachtung jederzeit bin
Ihr
ganz ergebenster Diener
Königsberg, den 22. März 1793. 1. Kant.
3 2 I ,
Von Johann Gottlieb Fichte.
Wohlgeborner Herr,
Höchstzuverehrender Herr Professor,
Schon längst hat mein Herz mich aufgefordert, an Euer
Wohlgeborn zu schreiben; aber ich habe diese Aufforderungen
nicht befriedigen können. Euer Wohlgeborn verzeihen auch jetzt,
wenn ich mich allenthalben so kurz fasse als möglich.
Da ich mir — schmeichelt mir das eine jugendliche Eitelkeit,
oder ist es in der Erhabenheit Ihres Charakters, sich auch zum
Von S^ohann Gottlieb Fichte 199
Kleinen herabzulassen? — da ich mir einbilde, daß Euer Wohl-
geborn einigen Anteil an mir nehmen, so lege ich Ihnen meine
Pläne vor. — Jetzt habe ich vors erste meine OfFenbarungs-
theorie zu begründen. Die Materialien sind da; und es wird
nicht viel Zeit erfordern, sie zu ordnen. — Dann glüht meine
Seele von einem großen Gedanken: die Aufgabe, S. 372-74 der
Kritik d. r. Vft. (3. Auflage) zu lösen.*) — Zu allem diesen be-
darf ich sorgenfreie Muße; und sie gibt mir die Erfüllung einer
unerläßlichen aber süßen Pflicht. Ich genieße sie in einem mir
sehr zuträglichen Klima, bis jene Aufgaben gelöst sind.
Ich habe zu meiner Belehrung und zu meiner Leitung auf
meinem weitern Wege das Urteil des Mannes, den ich unter allen
an meisten verehre, über meine Schrift gewünscht. Krönen Sie
alle Ihre Wohltaten gegen mich damit, daß Sie mir dasselbe
schreiben. Ich habe jetzt keine bestimmte Adresse. Kann nicht
etwa Ihr Schreiben mit einem der Königsberger Buchhändler nach
Leipzig zur Messe abgehen (in welchem Falle ich es abholen
werde), so hat die Frau Hofpredigerin SCHULZ eine sichere,
aber in etwas verspätende Adresse an mich. — Der Rec. der
N. D. A. B. setzt mich in den krassesten Widerspruch mit mir
selbst; doch, das weiß ich zu lösen: aber er setzt mich in den
gleichen offenbaren Widerspruch mit dem Urheber der kritischen
Philosophie. Auch das wüßte ich zu lösen, wenn es nicht nach
seiner Relation, sondern nach meinem Buche gehn soll.
Und jetzt, wenn die Vorsehung nicht das Flehen so vieler
erhören, und Ihr Alter über die ungewöhnlichste Grenze des Men-
schenalters hinaus verlängern will, jetzt, guter, teurer, verehrungs-
würdiger Mann, nehme ich auf diese Welt für persönliches An-
schauen Abschied; und mein Herz schlägt wehmütig, und mein
Auge wird feucht. In jener Welt, deren Hoffnung Sie so manchem,
der keine andre hatte, und auch mir gegeben haben, erkenne ich
gewiß Sie, nicht an den körperlichen Zügen, sondern an Ihrem
Geiste wieder. Wollen Sie mir aber auch in meiner künftigen
weiteren Entfernung erlauben, schriftlich — nicht Ihnen zu sagen,
was ewig unabänderlich ist, daß ich Sie unaussprechlich verehre —
^) Die Aufgabe des Entwurfs ,, einer Verfassung nach Gesetzen,
welche machen, daß jedes Freiheit mit der anderen ihrer zusammen-
bestehen kann."
2 00 An Johann Christoph Linck
sondern mir Ihren Rat, Ihre Leitung, Ihre Beruhigung vielleicht
zu erbitten, so werde ich eine solche Erlaubnis bescheiden nützen.
Ihrer Gunst empfiehlt sich
Eurer Wohlgeborn
Berlin, innigster Verehrer
d. 2. April Johann Gottlieb Fichte.
1793-
322.
An Johann Christoph Linck.
Ew. Wohlgeborn
kann ich jetzt ein für die vakante Kondition
taugliches Subjekt in Vorschlag bringen. Es ist Herr Magister
JACOBI, der vor kurzem hier ein Institut zur Unterweisung junger
Leute, die sich dem Handel widmen wollen, öffentlich ankündigte,
diesen Anschlag aber, wegen Mangel an Liebhabern, jetzt auf-
gegeben hat. — Ich hatte ihm nämlich, bei den Besuchen, die
er mir abstattete, von dem Auftrage, den ich habe, einen Erzieher
für einen jungen Menschen von etwa 7 Jahren mit 200 Reichs-
taler jährlichem Gehalt zu suchen, doch unter Verschweigung aller
Namen, Eröffnung getan und er setzte mich vorgestern in Ver-
wunderung, als er sich gegen mich erklärte, eine solche Stelle
wohl selbst annehmen zu wollen, wenn vornehmlich dabei einige
Aussicht zur Versorgung mit einer Priesterstelle verbunden wäre;
denn er hat sich uranfänglich zur Theologie habilitiert und ist
nur auf jenen Plan gekommen, weil er dabei einen kürzeren
Weg zur Versorgung zu finden hoffte. — Sonst ist er auch als
Autor einiger in die Geographie einschlagender und nicht übel
aufgenommener Schriften bekannt geworden.
Sollten Euer Wohlgeboren nun noch keinen Kandidaten in
Bereitschaft haben, so glaube ich, dieser würde zu dieser Stelle
recht gut sein. Denn ob er gleich für einen Patron, der ein
Vergnügen daran fände, sich an dem Hofmeister seines Hauses
zu reiben, vielleicht nicht gewaffnet gnug sein dürfte: so wird
er doch auf sich auch nicht Prise geben, indem er gutmütig,
überlegt und von Natur gefällig ist.
l^n Jakob S'tgismund Beck 201
Wenn Sie ihn also schon kennen, so würde ich ihn, im Fall
daß Sie diesen Vorschlag acceptieren, heute nachmittag nach 3 Uhr
zu Ihnen schicken; sollten Sie ihn aber noch nicht, wenigstens
nicht nahe genug kennen, so schlage ich vor: mich heute um
dieselbe Zeit mit Ihrem gütigen Besuch, der als von ungefähr so
zutreffend angesehen werden könnte, zu beehren, weil Sie ihn
alsdann bei mir finden würden und ich das Gespräch darauf
lenken könnte.
Es ist nicht mehr nötig, als Überbringern mündlich durch
Ja oder Nein von Ihrem Vorsatz zu belehren.
Übrigens bin mit der vollkommensten Hochachtung
Euer Wohlgeboren
K., ganz ergebenster Diener
den 15. April 1793. I. Kant.
323.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den 30. April 1793.
Teuerster Lehrer.
Ich bin mit dem Druck des ersten Bandes meines Auszugs
fertig und ich werde das Vergnügen haben, Ihnen ein Exemplar
mit den nach Königsberg gehenden Meßwaren zu überschicken.
Herr HARTKNOCH setzte mich aber vor einiger Zeit durch
eine Bitte in einige Verlegenheit. Er wollte auf dem Titel ge-
setzt wissen, daß Sie um meine Arbeit etwas gewußt haben, um
sie dadurch den Buchhändlern auf der Messe zu empfehlen. Er
schrieb mir, daß Sie ihm dieses mündlich zugestanden hätten.
Ich wollte deshalb an Sie schreiben; aber es sähe mir nach Zu-
dringlichkeit aus, und ich unterließ es. Das Wort: mit Ihrer
Bewilligung, schien mir bedcutungsleer; das aber: mit Ihrer Billi-
gung, wäre nicht allein widerrechtlich gewesen, sondern ich hätte
Sie auch damit kompromittieren können. Ich habe auf das Titel-
blatt gesetzt: auf Ihr Anraten. Ich habe hin und her überlegt,
ob ich auch damit etwas Ihnen Mißfälliges tue, aber keinen Grund
dazu auffinden können, weil, wenn sogar das Publikum mein Buch
für schlecht halten sollte, auf Sie nichts weiter fallen kann, als
zoz
Von Jakoh Sigismund Beck
daß Sie in der Wahl des Subjekts, das Sie dem HARTKNOCH
vorgeschlagen, sich geirrt haben. Den Brief aber, worin mir
dieser Mann schreibt, daß Sie, so etwas auf den Titel .zu setzen
ihm bewilligt haben, habe ich in Händen und kann deshalb mich
bei Ihnen rechtfertigen. Vielleicht sage ich unnützerweise darüber
soviel; es kömmt aber lediglich daher, weil ich nicht will, daß
Sie einigen Unwillen gegen mich haben.
Und nun, mein teuerster Lehrer, danke ich Ihnen für die
Güte, daß Sie diese Arbeit mir wirklich zugewandt haben. Denn
nicht allein, daß meine äußere Umstände dadurch sehr sind ver-
bessert worden; so habe ich mir sehr viel mehr Einsicht in die
kritische Philosophie, als ich vorhin hatte, und eine sehr ge-
gründete und starke Überzeugung davon verschafft. Diese Philo-
sophie ist mein größtes Gut, und in der gegenwärtigen Beschäfti-
gung mit ihr erkenne ich mehr als jemals die wichtige Wohltat,
die Ihre Bearbeitungen der Menschheit erweisen und preise mich
glücklich, weil ich in dieser Periode und in Umständen lebe,
da ich daran Anteil nehmen kann. Dieses Geständnis einer Seele,
die so spricht wie sie denkt, erlauben Sie mir, Ihnen zu machen,
und mich dadurch gewissermaßen von einer Last zu entledigen:
Es gehört nur ein unermüdctes Nachdenken dazu, um Ihren Sinn
richtig zu fassen und sich sodann auch davon zu überzeugen,
wozu der Mut keinem Menschen entfallen darf, und zwar wegen
der Verwandtschaft dieser Wissenschaft mit der Mathematik, in
dem Punkte, daß die Sache doch nicht außer uns liegt. Die
Beschäftigung mit der Kritik der Urteilskraft gibt mir einen
abermaligen Beweis davon. Ehe ich die Feder ansetzte, habe ich
sie mehrmals durchgelesen und durchgedacht. Die vielen Schwierig-
keiten, die ich anfänglich antraf^ verschwinden mir zusehends. Ich
nehme mir die Freiheit, Ihnen mein Manuskript, welches den
Auszug der Einleitung und der Exposition eines reinen Geschmacks-
urteils enthält, zu überschicken, und bitte Sie, die Freundschaft
für mich zu haben, die Einleitung anzusehen und die Stellen zu
bemerken, wo ich Ihren Sinn dürfte verfehlt, oder wenigstens
nicht deuthch dargestellt haben. Sie erlauben mir aber wohl,
Sie an das Versprechen zu erinnern, das Sie mir in Ihrem letzten
Briefe taten, mir zur Benutzung ein paar Manuskripte zuzuschicken,
eins, welches die Kritik der Urteilskraft und ein anderes, welches
die Metaphysik der Natur angeht. Sie sind so gütig gewesen,
mir ein Exemplar der neuen Auflage Ihrer Kritik der Urteilskraft,
An Abraham Gotthelf Kästner 203
durch Herrn LAGARDE zuschicken zu lassen, wofür ich Ihnen
ergebenst danke, und mit innigster Hochachtung hin
der Ihrige
Beck.
N. S. Die im vorigen Jahr Ihnen zugeschickte Abschrift meines
Manuskripts war mit der reitenden Post nach Königsberg ge-
gangen und dieses konnte nach einem Mißbrauch Ihrer Güte
aussehen. Den Fehler, den ich dabei begangen, war aber eigent-
lich der, daß ich mich nicht genau auf dem hiesigen Postamte
erkundigte, wenn eigentlich von Berlin aus die fahrende Post ab-
geht, da von Halle aus keine andere als die fahrende abgeht.
In dieser Rücksicht bitte ich, über die begangene Unart nicht
zu schelten. Ein Mensch, dem ich das beikommende Manuskript
zum Abschreiben gegeben, hat mich getäuscht, und ich muß es
so schicken, wie ich es geschrieben habe. Ich glaube aber doch,
daß Sie die Einleitung leserlich finden werden und eigentlich
liegt mir nur daran, daß Sie die Güte haben möchten, diese
zu lesen.
324.
An Abraham Gotthelf Kästner.
[Mai 1793.]
Nehmen Sie, verehrungswürdiger Mann! meinen Dank für
Ihren aufgeweckten und belehrenden Brief gütigst an (den mir
eine, dem durch Göttingen durchreisenden Doktor JACHMANN
mitgegebene, Empfehlung erwarb), zu dessen Bezeugung ich nicht
eher eine schickliche Gelegenheit als die Übersendung einer bis
jetzt verspäteten Abhandlung, die hiemit erfolgt, habe auffinden
können.
Die Gründlichkeit der Erinnerung, die Sie mir damals gaben,
die neugemodelte, in der Kritik und ihren Gnindzügen kaum
vermeidliche rauhe Schulsprache gegen eine populäre zu vertauschen,
oder wenigstens mit ihr zu verbinden, habe ich oft, vornehmHch
bei Lesung der Schriften meiner Gegner, lebhaft gefühlt; haupt-
sächlich den dadurch unschuldigerweise veranlaßten Unfug der
Nachbeter, mit Worten um sich zu werfen, womit sie keinen,
wenigstens nicht meinen Sinn verbinden ; zu dessen Verhütung
204
An Georg Christoph Lichtenberg
ich die nächste Gelegenheit ergreifen werde, die eine trockene
Darstellung erfordert und mit jener Schulsprache die gemeine zu
verbinden Anlaß gibt.
Was Sie, vortrefflicher Mann, mir und jedermann bewunderns-
w^ürdig macht, ist, daß Ihre in so viele Fächer, der Wissenschaften
sowohl als des Geschmacks, eingreifende, durch ihre Eigentüm-
lichkeit, auch ohne Namensnennung, kennbare Schriften, noch
immer den kraftvollen Geist und die Leichtigkeit der Jugend
atmen; wobei Sie denn auch der Himmel bis in die Jahre eines
FONTENELLE, des Lieblings der Musen, erhalten wolle, ohne
welches das letztere für einen Gelehrten auch kein sonderlich wün-
schenswertes Glück sein würde. Das erstere scheint mir die Natur
nicht beschieden zu haben, indem ich nach dem Antritt meines
70. Jahres, ohne krank zu sein, doch schon die Last des Alter
und die Beschwerlichkeit der Kopfarbeiten in "demselben zu fühlen
anfange.
Mit der innigsten Verehrung bin ich jederzeit
Euer Wohlgebornen
gehorsamster Diener
L Kant.
325.
An Georg Christoph Lichtenberg.
(Entwurf.)
[Mai 1793.]
Ks sind nun beinahe anderthalb Jahre, daß ich den Gedanken
bei mir herumtrage, Ihren seelenstärkenden liebevollen Brief, ver-
ehrungswürdiger Flerr, zusamt dem ihn begleitenden Geschenke
der Erxleb. Physik und dem Taschenkalender von 92 durch irgend
etwas dem Ähnliches zu erwidern. Aber der sich mir aufdrin-
gende öftere Wechsel der Arbeiten samt der schon drückend
werdenden Last der Lebensjahre, in deren 70. ich vor kurzem
eingetreten (wovon beigehende kleine Abhandlung auch reichlich
die Spuren an sich zeigen wird), haben mir immer den Aufschub
abgenötigt. — Ihre als eines so geistvollen Mannes Nerven-
beschwerden sind gewöhnlich von nicht so schlimmer Bedeutung,
als die mit dem Alter, bei einem früher, bei dem andern später.
An Carl Friedrich Staudlin 205
eintretende Abstumpfung und Unbelebtheit derselben und lassen
von Ihnen noch eine lange der gelehrten sowohl als geschmack-
vollen Welt erwünschte Lebensdauer hoffen.
Was kann aufmunternder sein, als der Beifall eines einzigen
Mannes [der] nur die Natur [als] echten Maßstab des Werts der
Dinge selbst gelegt hat, wogegen die einander durchkreuzende,
oft im Lob sowohl als Tadel gleich unvernünftige öffentliche
Urteile leicht übersehen werden können. — Herr D. JACHMANN,
der von Bewunderung und Dankbarkeit für Ihre gütige Aufnahme
voll ist, läßt für diese und das ihm von Ihnen zuteil gewordene
Geschenk hiedurch beides durch mich versichern.
326.
An Carl Friedrich Staudlin.
Königsberg, den ^. Mai 1795.
Sehen Sie, verehrungswürdiger Mann, die Verspätung meiner,
auf Ihr mir schon den 9. November 1791 gewordenes Schreiben
und wertes Geschenk Ihrer Ideen einer Kritik usw. schuldigen
Antwort nicht als Ermangelung an Aufmerksamkeit und Dank-
barkeit an; ich hatte den Vorsatz, diese in Begleitung mit einem,
jenem gewissermaßen ähnlichen Gegengeschenk an Sie ergehen zu
lassen, welche aber durch manche Zwischenarbeiten bisher auf-
gehalten worden.') — Mein schon seit geraumer Zeit gemachter
Plan der mir obliegenden Bearbeitung des Feldes der reinen Philo-
sophie ging auf die Auflösung der drei Aufgaben: i. Was kann
ich wissen? (Metaphysik). 2. Was soll ich tun? (Moral). 3. Was
darf ich hoffen? (Religion); welcher zuletzt die vierte folgen
sollte: Was ist der Mensch? (Anthropologie; über die ich schon
seit mehr als 20 Jahren jährlich ein Kollegium gelesen habe). — ■ Mit
beikommender Schrift: Religion innerhalb den Grenzen usw.
habe die dritte Abteilung meines Plans zu vollführen gesucht, in
welcher Arbeit mich Gewissenhaftigkeit und wahre Hochachtung
') C. Th. Staudlin (1761 — 1826), Professor in Göttingen, hatte an
Kant seine „Ideen zur Critik des Systems der christlichen Religion"
(Göttingen 1791) gesandt; das „Gegengeschenk" Kants bestand in der
Widmung seines „Streites der Fakultäten".
2o6 An Carl Friedrich St audiin
für die christliche Religion, dabei aber auch der Grundsatz einer
geziemenden Freimütigkeit geleitet hat, nichts zu verheimlichen,
sondern, wie ich die mögliche Vereinigung der letzteren mit der
reinsten praktischen Vernunft einzusehen glaube, offen darzulegen.
— Der biblische Theolog kann doch der Vernunft nichts anderes
entgegensetzen, als wiederum Vernunft oder Gewalt, und will er
sich den Vorwarf der letzteren nicht zu schulden kommen lassen
(welches in der jetzigen Krisis der allgemeinen Einschränkung
der Freiheit im öffentlichen Gebrauch sehr zu fürchten ist), so
muß er jene Vernunftgründe, wenn er sie sich für nachteilig
hält, durch andere Vernunftgründe unkräftig machen und nicht
durch Bannstrahlen, die er aus dem Gewölke der Hofluft auf
sie fallen läßt; und das ist meine Meinung in der Vorrede S. XIX
gewesen, da ich zur vollendeten Instruktion eines biblischen Theo-
logen in Vorschlag bringe, seine Kräfte mit dem, was Philo-
sophie ihm entgegenzusetzen scheinen möchte, an einem System
aller ihrer Behauptung (dergleichen etwa gegenwärtiges Buch
ist), und zv;ar gleichfalls durch Vernunftsgründe zu messen, um
gegen alle künftige Einwürfe gewaffnet zu sein. — Die auf ge-
wisse Art geharnischte Vorrede wird Sie vielleicht befremden;
die Veranlassung dazu ist diese. Das ganze W^erk sollte in vier
Stücken in der Berliner Monatsschrift, doch mit der Zensur der
dortigen Kommission herauskommen. Dem ersten, Stück gelang
dieses (unter dem Titel; vom radikalen Bösen in der m. N.);
indem es der philosophische Zensor, Herr G. R. HILLMER, als
zu seinem Departement gehörend annahm. Das zweite Stück aber
war nicht so glücklich, weil Herr HILLMER, dem es schien, in
die biblische Theologie einzugreifen (welches ihm das erste, ich
weiß nicht, aus welchem Grunde, nicht zu tun geschienen hatte),
es für gut fand, darüber mit dem biblischen Zensor, Herrn
O. C. R. HERMES zu konferieren, der es alsdann natürlicher-
weise (denn welche Gewalt sucht nicht ein bloßer Geistlicher
an sich zu reißen?) als unter seine Gerichtsbarkeit gehörig in
Beschlag nahm und sein legi verweigerte. — Die Vorrede sucht
nun zu zeigen, daß, wenn eine Zensurkommission über die Recht-
same dessen, dem die Zensur einer Schrift anheimfallen sollte, in
Ungewißheit ist, der Autor es nicht auf sie dürfe ankommen
lassen, wie sie sich untereinander einigen möchten, sondern das
Urteil einer einheimischen Universität aufrufen könne; weil da
allein eine jede Fakultät verbunden ist, auf ihre Rechtsame zu
An Matern Reuß 207
halten und eine der anderen Ansprüche zurückzuhalten, ein aka-
demischer Senat aber in diesem Rechtsstreit gültig entscheiden
kann. — Um nun alle Gerechtigkeit zu erfüllen, habe ich diese
Schrift vorher der theologischen Fakultät zu ihrer Beurteilung vor-
gelegt, ob sie auf dieselbe, als in biblische Theologie eingreifend,
Anspruch mache oder vielmehr ihre Zensur, als der philosophi-
schen zuständig, von sich abweise, und diese Abweisung, dagegen
Hinweisung zu der letzteren auch erhalten.
Diesen Vorgang Ihnen, würdigster Mann, mitzuteilen, werde
ich durch Rücksicht auf den möglichen Fall, daß darüber sich
etwa ein öffentlicher Zwist ereignen dürfte, bewogen, um auch
in Ihrem Urteil wegen der Gesetzmäßigkeit meines Verhaltens,
wie ich hoffe, gerechtfertigt zu sein. — Wobei ich mit der auf-
richtigsten Hochachtung jederzeit bin
Euer Hochehrwürden
gehorsamster Diener
I. Kant.
3^7-
An Matern Reuß.
(Entwurf in zwei Bruchstücken.)
[Mai 1793.]
I.
iSehmen Sie, Ehrwürdiger Mann, nochmals meinen Dank für
den Besuch und eine Bekanntschaft an, die jederzeit unter die
angenehmste Erinnerungen meines Lebens gehören wird. Ich
füge diesem Bekenntnisse eine kleine Abhandlung philosophisch-,
nicht eigentlich biblisch-theologischen Inhalts bei, mit welcher
keiner Kirche einen Anstoß zu geben bedacht gewesen, indem
darin nicht die Rede ist, welches Glaubens der Mensch überhaupt,
sondern nur der, welcher sich bloß auf die Vernunft fußt, allein
sein könne, die mithin gänzlich auf Gründen a priori beruht,
die ihre Gültigkeit unter allen Glaubensarten behauptet, was das
Objektive der Gesinnung betrifft, was aber die Ausführung dieser
Absicht betriflPt als Gegenstand der Erfahrung, dadurch die all-
gemeine Weltregierung jene Ideen in der Ausführung hat dar-
stellen wollen, das Herz nicht vor dem empirischen Glauben in
2o8 An Friedrich ßouferwek
Ansehung irgendeiner Offenbarung verschließt, sondern, wenn sie
in Einstimmung mit jenem stehend befunden wird, es für die-
selbe offen erhält [bricht ab].
2.
Reuß
Ich sage hier nicht, daß die Vernunft in Sachen der Religion
sich selbst gnug zu sein zu behaupten wage, sondern nur, wenn sie
sich nicht sowohl in Einsicht, als im Vermögen der Ausübung
gnug ist, sie alles übrige, was über ihr Vermögen noch hinzu-
kommen muß, ohne daß sie wissen darf, worin es bestehe, von
dem übernatürlichen Beistande des Himmels erwarten muß [bricht ah].
328.
An Friedrich Bouterwek.
Sie haben, vortrefflicher Mann! mir durch die Nachricht von
Ihrem Vorsatz, Vorlesungen über die Kritik d. r. V. in Göttingen
zu halten, und durch die damit verbundene Übersendung eines
dazu entworfenen wohl ausgedachten Plans, eine unerwartete
Freude gemacht. Es war in der Tat ein dichterischer, die den
reinen Verstandesbegriffen korrespondierende Darstellung in Ge-
walt habender Kopf, den ich immer wünschte, aber zu hoffen
mir nicht getraute, um die Mitteilung dieser Grundsätze zu be-
fördern, denn die scholastische Genauigkeit in Bestimmung der
Begriffe, mit der Popularität einer blühenden Einbildungskraft ver-
einigen können, ist ein zu seltenes Talent, als daß man so leicht
darauf rechnen könnte, es bald wo anzutreffen. — Um desto
mehr und, da mich Ihr, eine gründliche Einsicht in das Wesen
und die Artikulation des Systems verratender Abriß, von Ihrer
Geschicklichkeit in Ausführung desselben überzeugt hat, so gra-
tuliere ich den Teilnehmern an demselben und mir selbst zu dem
Beitritt eines so würdigen Mitarbeiters. Die frohe geistvolle
Laune, dadurch mich Ihre Gedichte oft vergnügt haben, hatten
mich nicht erwarten lassen, daß die trockene Spekulation auch für
Sie Reiz bei sich führen könnte. Aber sie führt doch unausbleiblich
zu einer gewissen Erhabenheit der Idee, welche die Einbildungs-
kraft mit ins Spiel ziehen und, obzwar durch diese unerreichbar.
An Carl Leonhard Reinhold 209
doch das Gemüt durch analogische Vorstellungsart in Bewegung
setzen und für sie einnehmen [kann]. — ■ Das Übel, wovon mir
Hr. Hofrat Kaestner in seinem Schreiben merken ließ, daß die
neue Terminologien von Nachbetern öfters gebraucht würden,
ohne ihren Sinn zu fassen, kann durch Ihren Reichtum und Ge-
wandtheit der Sprache auch großenteils gehoben werden. Wobei
ich unter Anwünschung des besten Fortgangs Ihrer Unternehmung,
mit der vollkommensten Hochachtung und Zuneigung jeder
Zeit bin
Ew. Wohlgeboren
Königsberg, g^nz ergebenster Diener
d. 7. Mai I. Kant.
1793-
329.
An Carl Leonhard keinhold.
Königsberg, d. 8. Mai 1793.
Ihren liebevollen Brief vom 21. Januar, teuerster Herzens-
freund, werde ich jetzt noch nicht beantworten. Ich habe Ihrer
gütigen Besorgung noch Briefe an D. ERHARD und BARON
VON HERBERT anzuempfehlen, die ich, samt meiner schuldigen
Antwort, innerhalb 14 Tagen abgehen zu lassen gedenke.
Bei dem Empfang der Abhandlung, die ich die Ehre habe
diesem Briefe beizufügen, wird es Sie befremden, welche Ursache
ich damals, als ich deren erwähnte, haben konnte, damit geheim
zu tun. Diese bestand darin, daß die Zensur des zweiten Stücks,
derselben, das in die Berliner M. S. hatte kommen sollen, dort
Schwierigkeiten fand, welche mich nötigten, sie, ohne weiter
davon zu erwähnen, anderwärts drucken zu lassen.
Ihr gütiges Versprechen der gelegentlichen Mitteilung einiger
literarischer Geschichten, nehme ich mit sehr großem Dank an,
worunter mir die von dem starken Anwachs der Zahl Ihrer, die
Philosophie lernenden, Zuhörer schon viel Vergnügen macht,
welches aber durch die Nachricht von Ihrer befestigten Gesund-
heit sehr erhöhet werden würde. Doch Ihre Jugend gibt mir
dazu die beste Hoffnung, wenn sich damit die philosophische
Gleichgültigkeit gegen das, was nicht in unserer Gewalt ist, ver-
bindet, die allein in das Bewußtsein seiner Pflichtbeobachtung
Kants Schriften. Bd. X. ix
2 1 o An Johann Gottlieb Fichte
den wahren Wert des Lebens setzt, zu welcher Beurteilung uns
endlich die lange Erfahrung von der Nichtigkeit alles anderen
Genusses zu bringen nicht ermangelt.
Indem ich das übrige, was noch zu sagen wäre, meinem
nächsten Briefe vorbehalte, empfehle ich mich jetzt Ihrem ferneren
Wohlwollen etc.
330.
An Johann Gottlieb Fichte.
Zu der der Bearbeitung wichtiger philosophischer Aufgaben
geweihten, glücklich erlangten Muße gratuliere ich Ihnen, wür-
diger Mann, von Herzen, ob Sie zwar, wo und unter welchen
Umständen Sie solche zu genießen hoffen, zu verschweigen gut
finden.
Die Ihnen Ehre machende Schrift „Kritik aller Offenbarung"
habe ich bisher nur teilweise und durch dazwischenlaufende Ge-
schäfte unterbrochen gelesen. Um darüber urteilen zu können,
müßte ich sie in einem stetigen Zusammenhange, da das Gelesene
mir immer gegenwärtig bleibt, um das Folgende damit zu ver-
gleichen, ganz durchgehen, wozu ich aber bis jetzt weder die
Zeit noch die Disposition, die einige Wochen her meinen Kopf-
arbeiten nicht günstig ist, habe gewinnen können. Vielleicht
werden Sie durch Vergleichung Ihrer Arbeit mit meiner neuen
Abhandlung: „Religion innerhalb usw.", am leichtesten ersehen
können, wie meine Gedanken mit den Ihrigen in diesem Punkte
zusammenstimmen oder voneinander abweichen.
Zu Bearbeitung der Aufgabe: „Kritik der reinen Vernunft",
S. 372 flg., wünsche und hoffe ich gutes Glück von Ihrem Talent
und Fleiße, Wenn es nicht jetzt mit allen meinen Arbeiten sehr
langsam ginge, woran wohl mein vor kurzem angetretenes sieb-
zigstes Lebensjahr schuld sein mag, so würde ich in der vor-
habenden „Metaphysik der Sitten" schon bei dem Kapitel sein,
dessen Inhalt Sie sich zum Gegenstande der Ausführung gewählt
haben, und es soll mich freuen, wenn Sie mir in diesem Ge-
schäfte zuvorkommen, ja es meinerseits entbehrlich machen
könnten.
Wie nahe oder wie fern auch mein Lebensziel ausgesteckt
An Georg Heinrich Ludwig Nicolovius 1 1 1
sein mag, so werde ich meine Laufbahn nicht unzufrieden en-
digen, wenn ich mir schmeicheln darf, daß, was meine geringen
Bemühungen angefangen haben, von geschickten, zum Weltbesten
eifrig hinarbeitenden Männern der Vollendung immer näher ge-
bracht werden dürfte.
Mit dem Wunsche, von Ihrem Wohlbefinden und dem glück-
lichen Fortgange Ihrer gemeinnützigen Bemühungen von Zeit zu
Zeit Nachricht zu erhalten, bin ich mit vollkommener Hoch-
achtung und Freundschaft usw.
Königsberg, den 12. Mai 1793. I. Kant.
An Georg Heinrich Ludwig Nicolovius.
Ew. Hochedelgeb. Vorsatz, von Ihren erworbenen Kennt-
nissen in Ihrem Vaterlande Gebrauch zu machen, vorher aber
meine Meinung von der Art, wie dieses auf eine sichere Ihnen
selbst vorteilhafte Art geschehen könne, zu erfahren, ist mir ein
Beweis von Ihrer gründlichen, durch Reisebelustigung nicht —
wie es wohl sonst geschieht — für Amtsgeschäfte verdorbenen
Denkungsart. — Ihr Vorsatz die letztere, auf und für unsere
Universität, zu suchen, hat auch meinen ganzen Beifall. Erlauben
Sie mir aber die Ihnen wohlbekannte jetzt herrschende Grund-
sätze des Studierens der Jugend auf unserer Akademie in Erinne-
rung zu bringen; die darin bestehen, sie gleichsam kuriermäßig
zu durchlaufen, um sich, so früh als mögUch, um ein Amt be-
werben zu können; da es dann von denjenigen, welche an der
eleganten Literatur und Kultur Interesse nehmen möchten, nicht
eine zu Eröffnung eines sich hinreichend belohnenden Kollegiums
nötige Zahl der Zuhörer, wenigstens gleich anfangs geben dürfte;
wiewohl ich, wenn die Sache einmal in Gang gebracht worden,
desfalls am meisten auf den Adel und, im Winterhalben jähr, auf
die Offiziere rechne. — Indessen ist dieser Anschlag nicht bei
Seite zu setzen, weil er, was noch nicht Mode ist, wohl dazu
machen kann.
Was ich, nach der von Ihnen erklärten Abneigung gegen ein
theologisches Amt, zur Basis eines sicheren, obgleich anfänglich
kleinen Einkommens, vorschlage, ist ein Schulamt. — Er-
schrecken Sie darüber nicht; das Bedürfnis des PubUkums, die
2 12
An Georg Heinrich Ludwig Nico/ovius
Schulen dem Fortrücken in der Kultur des Geschmackvollen an-
gemessener zu machen, wird immer stärker gefühlt, und ein Mann,
wie Sie, würde hierin bald Epoche machen und überdem haben
Sie den Mann, welcher in Besetzung der Lehrstellen auf unseren
Stadtschulen den größten Einfluß hat, zu Ihrem Freunde; da
Ihnen eine Rektorstelle nicht so leicht entgehen dürfte; bei der
noch Zeit gnug für Sie übrig bleiben würde, um jene schöne
Kenntnisse und Wissenschaften als Universitätsglied zu betreiben.
Wenn Sie in diesen Vorschlag einwilligen, so würde ich
raten, so bald als möglich sich nach Berlin zu verfügen und sich
an den Hrn. Oberschulrat MEIEROTTO,') mit welchem ich hier
(bei seiner ihm aufgetragenen allgemeinen Schulvisitation) Be-
kanntschaft gemacht habe, zu schlagen, wozu ich Ihnen meine
beste Empfehlung mitgeben würde. Er würde Sie gewiß in die
dortige Schulanstalten als Auskultator einführen, vielleicht Sic
selbst einige Versuche in der Methode machen lassen und so
durch seinen vielvermögenden Einfluß, vielleicht gar nach einem
neuen, von ihm zu entwerfenden Plan, hier ansetzen.
Vor allem scheint mir zu Ihrer Absicht ratsam zu sein, um
die hiesigen Formalitäten des Eintritts in die Universität als Lehrer
zu umgehen, den Magistergrad, es sei in Frankfurt a. d. O.,
oder Erlangen, oder Halle, zu erwerben. Mittlerweile würde die
Bekanntschaft mit dem Staatsminister, Hrn. VON WÖLLNER,
Ihnen auch vorteilhaft sein; weil es sich wohl zutragen könnte,
daß irgend eine Professur, die Ihnen konvenierte, hier vakant
würde. Hierzu habe ich zwar keinen Weg einer unmittelbaren
Empfehlung, ich würde sie aber doch durch den in Berlin woh-
nenden Hrn. Geheimen Rat SIMPSON (den ich gelegenthch zu
besuchen und ihn in meinem Namen zu komplimentieren bitte)
versuchen. — Das Weitere hängt von der Eröffnung ab die Sie
mir wegen meines Vorschlages tun werden.
Die Anfrage wegen des Konciompax war ein bloßer Einfall
und kann zur Seite gelegt beiben.
Mit aufrichtiger Teilnehmung an allem, was Sie interessiert
und vollkommener Hochachtung bin ich jederzeit
Ew. Hochedelgeb.
Königsberg, d. i6. August 1793. ergebenster Diener
L Kant.
») Joh. Heinr. Ludwig Meierotto (1742—1800), Direktor des
Joachimsthalschen Gymnasiums und Oberschulrat in Berlin.
Jn fakoh Sigismund Beck 213
332.
An Jacob Sigismund Beck.
Königsberg, den 18. August 1793.
Ich übersende Ihnen, wertester Mann, hiermit, meinem Ver-
sprechen gemäß, die vordem zur Vorrede für die Kritik der
U. Kr. bestimmte, nachher aber ihrer WeitJäuftigkeit wegen ver-
worfene Abhandlung, um nach Ihrem Gutbefinden, Eines oder
das Andere daraus, für Ihren konzentrierten Auszug aus jenem
Buche zu benutzen — zusamt dem mir durch Herrn Hofprediger
SCHULTZ zugestellten Probestück desselben.
Das Wesentliche jener Vorrede (welches etwa bis zur Hälfte
des Manuskripts reichen möchte) geht auf die besondere und
seltsame Voraussetzung unserer Vernunft: daß die Natur in der
Mannigfaltigkeit ihrer Produkte, eine Akkommodation zu den
Schranken unserer Urteilskraft, durch Einfalt und spürbare Ein-
heit ihrer Gesetze, und Darstellung der unendlichen Verschieden-
heit ihrer Arten (jpecies)^ nach einem gewissen Gesetz der Stetig-
keit, welches uns die Verknüpfung derselben, unter wenig Gat-
tungsbegriffe, möglich macht, gleichsam willkürlich und als Zweck
für unsere Fassungskraft beliebt habe, nicht weil wir diese Zweck-
mäßigkeit, als an sich notwendig erkennen, sondern ihrer bedürftig,
und so auch a priori anzunehmen und zu gebrauchen berechtigt
sind, so weit wir damit auslangen können. — Mich werden Sie
freundschaftlich entschuldigen, wenn ich bei meinem Alter, und
manchen sich durchkreuzenden vielen Beschäftigungen, auf das
mir mitgeteilte Probestück die Aufmerksamkeit nicht habe wenden
können, die nötig gewesen wäre, um ein gegründetes Urteil
darüber zu fällen. Ich kann aber hierüber Ihrem eigenen Prü-
fungsgeiste schon vertrauen. — Übrigens verbleibe ich in allen
Fällen, wo ich Ihren guten Wünschen mein ganzes Vermögen
leihen kann,
Ihr
dienstwilligster
I. Kant.
2 r 4 Von ^akob Sigismund Beck
333-
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den 24. August 1793.
Sehr teurer Lehrer,
In meinem Auszuge aus Ihrer Kritik der Urteilskraft bin ich
bis zu der Dialektik der teleologischen Urteilskraft gekommen.
Eine Folge von der sehr großen Deutlichkeit, mit der ich diese
Materie einsehe, und der sehr festen Überzeugung, die ich davon
habe, ist die gewesen, daß ich lange Ihnen mit meinen Briefen
nicht habe beschwerlich sein dürfen. Auch ist das Licht,
welches das Studium dieser Kritik der Urteilskraft auf die Trans-
szendentalphilosophie überhaupt und auf die Kritik der praktischen
Vernunft für meine Augen zurückgeworfen hat, beträchtlich. Er-
lauben Sie mir, Ihnen sagen zu dürfen, daß meine Seele noch
nie einem Gelehrten sich so verbunden gefühlt hat, als Ihnen,
ehrwürdiger Mann. Ich habe seit der Zeit, da ich Ihren münd-
lichen Vortrag anhörte, sehr viel Vertrauen zu Ihnen gehabt; aber
ich gestehe auch, daß bei den Schwierigkeiten, die mich lange
gedrückt haben, dieses Vertrauen öfters zwischen dem zu Ihnen
und dem zu mir selbst gewankt hat. Mein ziemlicher Fortgang
in der Mathematik, und die so vielfach fehlgeschlagenen Versuche
in der Philosophie mancher berühmten Männer war mir nämlich
ein Grund, nicht alle Zuversicht zu mir selbst aufzugeben. Von
der andern Seite aber mußte ich notwendig denken, daß das
Los des Menschen das betrübteste sein müßte, wenn er nicht
einmal mit sich selbst fertig werden könnte und sich selbst von
dem, was er dächte, nicht völlige Rechenschaft ablegen könnte.
Ich habe daher Ihre Schriften immerfort sorgfältig studiert, und
ich darf es jetzt sagen, weil es wahr ist, daß die dadurch er-
langte innige Bekanntschaft mit denselben, mich mir selbst be-
kannt gemacht hat. Was wohl einem vernünftigen Wesen das
wünschenswürdigste Gut sein muß, das hat mir Ihre Philosophie
gewährt. Denn ich bin durch sie aufmerksam gemacht und be-
lehrt worden in Ansehung des vielbedeutenden Unterschiedes
zwischen denken und erkennen, zwischen dem: mit Begriffen
spielen, und BegriiFe haben objektive Gültigkeit, und was mehr,
als alles ist, ich habe die Verknüpfung, die wir im Sittengesetz
denken, die man sich so gern als analytisch vorstellen mag, um
J^on 'Jahoh Sigismund Beck 215
wahrscheinlich dadurch nicht allein sich das Nachdenken zu er-
leichtern, sondern dem Willen auch einen, obwohl der praktischen
Vernunft sehr heterogenen Sporn zu geben, als synthetisch an-
sehen gelernt. Die eigentliche Ursache aber, warum so viele
sonst sehr berühmte Männer ihren Beifall der kritischen Philo-
sophie immerfort versagen, liegt meiner Meinung nach wohl darin,
daß sie sich nicht aufmerksam wollen machen lassen auf den
mächtigen Unterschied zwischen Denken und Erkennen. In
ihrer Sprache sind alle diese Ausdrücke entweder gleichgeltend,
oder sie legen ihnen nach ihrer Art einen Sinn unter, welches
ihnen auch wohl immer, wenn der Sprachgebrauch es leidet, frei-
stehen mag, wenn dabei nur die Sache selbst, die wichtigste für
einen Mann, dem es um reeller Wahrheit, und nicht um ein
Gedankenspiel zu tun ist, verloren ginge. Ich habe auch gemerkt,
daß auch viele von den Freunden der Kritik den ganzen Gehalt
einer Transszendentalphilosophie, und insbesondere einer transszen-
dentalen Logik nicht gut in Überlegung nehmen, indem sie die
allgemeine Logik von ihr, bloß durch den Ausdruck; sie abstra-
hiere von den Gegenständen, unterscheiden, welcher Begriff aber
doch die nähere Bestimmung, daß die allgemeine Logik eigent-
lich die objektive Gültigkeit der Vorstellungen beiseite setze,
und diese Untersuchung der transszendentalen Logik überlasse,
verlangt.
Seit einiger Zeit habe ich auch Ihre metaphysischen Anfangs-
gründe der Naturwissenschaft wieder durchzudenken angefangen.
In der Phoronomie und Dynamik habe ich keinen Anstoß ge-
nommen. Aber in der Mechanik stoße ich an etwas, welches
ich nicht mir wegzuräumen weiß und auf die folgende Theorie
mir ein unangenehmes Dunkel wirft. Es ist der Begriff der
Quantität der Materie. Ihre Definition lautet (S. 107): Die
Quantität der Materie ist die Menge des Beweglichen in einem
bestimmten Raum. Ich weiß eigentlich nicht, wie Sie dieses Be-
wegliche verstehen, ob dynamisch oder mechanisch. Mechanisch
kann es nicht verstanden sein, weil die Materie mechanisch be-
trachtet, bloß als Maß der Quantität der Materie (nach dem
ersten Lehrsatz) gesetzt wird, diese letzte demnach doch ebenso-
wohl von der Materie, sofern sie bewegende Kraft hat, verschieden
sein muß, als ein Winkel von dem Zirkelbogen, der ihn mißt.
Dynamisch kann ich diesen Begriff auch nicht nehmen, weil die
Quantität der Materie als unveränderlich soll gedacht werden.
2 1 6 Von fakoh Sigismund Beck
wenngleich die Ausdehnungskraft verschieden gesetzt würde. In
der nämlichen Definition sagen Sie: die Größe der Bewegung ist
diejenige, die durch die Quantität der bewegten Materie
und ihre Geschwindigkeit zugleich geschätzt wird, und in dem
gleich darauf folgenden Lehrsatz wird doch bewiesen, daß die
Quantität der Materie lediglich durch die Größe der Bewegung
geschätzt werde.
Ich weiß recht wohl, daß die ganze Ursache dieser Unver-
ständlichkeit in meinem Kopfe liege. Aber aller Unwille deshalb
gegen mich selbst räumt sie mir nicht aus dem Wege. Ich bitte
Sie, teurer Lehrer, auf die inständigste Weise mich hierüber zu
belehren. Ihnen einige Beschwerde zu machen, ist mir sehr un-
angenehm; aber da ich mir wirklich hierin nicht recht helfen
kann, so muß ich meinen Wunsch gestehen, daß Sie sich ent-
schließen möchten, mir hierauf bald zu antworten. KLÜGEL hat
in mathematischer Rücksicht mich manchmal ausgeholten. Aber
aus seinem Gespräche bin ich genötigt, zu schließen, daß er über
die Prinzipien der reinen Naturwissenschaft niemals gehörig nach-
gedacht habe.
Der M. RATH, der die Kritik ins Lateinische zu übersetzen
sich erbot, tat dem Buchhändler HARTKNOCH den Antrag, Ver-
leger von dieser Arbeit zu werden. Vor etwa <; Wochen schrieb
ihm HARTKNOCH, daß der Professor HEYDENREICH in Leipzig
ihm auch einen Mann für diese Übersetzung vorgeschlagen habe,
und daß er, aus Achtung für das Publikum, genötigt sei, eine
vernünftige Wahl zu treffen. Er bat ihn, ihm eine Probe von
seiner Arbeit zu überschicken, wie dann darum auch der andere
Gelehrte ersucht werden sollte, und beide Proben sollten dann
einem, beiden unbekannten, fähigen Richter zur Entscheidung vor-
gelegt werden. Anfänglich war RATH hiezu entschlossen. Jetzt
aber weiß ich nicht, was ihn bedenklich macht, den Vorschlag
anzunehmen. Mir tut dieses leid, weil ich nicht glaube, daß viele
mit dem reinen wissenschaftlichen Interesse Ihre Schriften stu-
dieren, so wie mein Freund, und weil ich geneigt bin, zu zweifeln,
daß jener mir fremde Mann auch so gut den Sinn der Kritik
treffen werde, als er. Indessen kann ich nicht einsehen, daß
HARTKNOCH fehle, und ich will, so gut ich kan[n meinen]
Freund zu dem Entschluß, auch seine Probe einzuschicken, zu be-
wegen suchen.
Vor einiger Zeit las ich in CRUSII Weg, zur Gewißheit und
Von Friedrich Bouteriuek 1 1 7
Zuverlässigkeit, voran [laßt durch] Herrn SCHMIDTS Lexikon")
und zu meinem Verwundern habe ich (§ 2Ö0) die Unterschei-
dung der analytischen und synthetischen Urteile weit deutlicher
darin gefunden, als in der von Ihnen zitierten Stelle des LOCKE.^)
Denn ob er gleich, meiner Meinung nach, keine Einsicht in das
Prinzip der synthetischen Erkenntnisse a priori verrät, so enthält
doch diese Stelle wenigstens soviel, daß ein nachdenkender Leser
wohl aufmerksam auf ihre Wichtigkeit dadurch gemacht werden
könnte, indem CRUSIUS geradezu diese Synthesis als die Grund-
lage der Realität unserer Begriffe andeutet.
Sie haben auch die Güte gehabt, mir ein Exemplar Ihrer
Religion in den Grenzen der Vern[un]ft überschicken zu lassen.
Ich danke Ihnen ergebenst dafür. Ich muß aber leider noch
einige Zeit verfließen lassen, ehe ich sie so ganz eigentlich zu
studieren werde unternehmen können.
Leben Sie wohl, mein teurer Lehrer. Ich wünsche, daß die
Vorsehung Sie uns noch lange und gesund erhalten wolle, und
bin mit der reinsten Achtung
der Ihrige
Beck.
Daß Herr Rat REINHOLD einen Ruf nach Kiel erhalten
habe, wird er vielleicht Ihnen schon geschrieben haben. Er soll
ihn auch, wie man sagt, angenommen haben.
3 34-
Von Friedrich Bouterwek.
Verehrungswürdiger Mann,
Wen die Natur nicht zum Erfinder
in einer Wissenschaft bestimmte, aber mit Verstand und Beharrlich-
keit genug ausrüstete, um alles, was über die größte Menschen-
angelegenheit von Erfindern gesagt worden ist, zu verstehen und
*) Schmids Lexikon (s. Bd. IX. S. 373 Anm.); vgl. Crusius, Weg
zur Gewißheit und Zuverlässigkeit der menschlichen Erkenntnis, Leipzig
1747, § 260.
^) Das Zitat aus Locke s. Prolegomena § 3.
2 I
8
Fon Friedrich Bouterwek
zu prüfen, der ist eigentlich zum Apostel des Evangeliums, an
welches er glaubt, berufen. So dachte ich wenigstens, als ich,
zum ersten Male in meinem Leben den Versuch wagte, eine
szientifische Darlegung der Wahrheit zustande zu bringen. Müde
des Temporisierens, wozu ich mich anfangs nur mit harter Mühe
bequemt hatte, wollte ich, ohne die Miene der Belehrung, die
mich noch nicht kleidet, freimütig mich zu der Lehre bekennen,
die doch am Ende die einzige bleiben wird, zu der sich ein
freier und alle luftigen Wahrscheinlichkeitsformeln und Argumen-
tationsträume verschmähender Geist bekennen kann. Dann wollte
ich auch (durch ein Buch, in der Kunstsprache verfaßt), mich
gewissermaßen legitimieren zur Herausgabe eines andern, das die-
selben Wahrheiten, verständlich für jedermann, wer nur irgend
über seinen animalischen Lebenskreis sich zu erheben vermag,
enthalten soll mit der sorgfältigsten Vermeidung aller
Kunstsprache. Eine leichte Girlande von Blumen der Phan-
tasie soll dies Werkchen umgeben. Systematische Vollständigkeit
würde da ein Fehler sein, wo man dem Volke das Seine geben,
nicht aber mit den Gelehrten in Reihe und Glied treten will.
Kann dies kleine Buch, welches ich Ihnen hier darzubieten
wage') und, damit ich mir diese Freude gewähre, hundert Meilen
mit der Post reisen lasse, Ihnen mehr als nicht mißfallen, so
wird es mich wenig kümmern, wenn ich hier und dort mit
einem zweideutigen Blicke mich fragen lassen muß, v/ie Saul
unter die Propheten kömmt. Die Weiland-Metaphysiker gleichen
den exilierten französischen Aristokraten von mehr als einer Seite,
namentlich aber darin, daß sie auf hindostanische Kastenordnung
halten und nicht dulden können, wenn ein Bürger der Gelehrten-
Republik votieren will außer dem Range, den sie ihm anweisen.
Wie trübselige Urteile habe ich nicht anhören müssen über Ihr
mir so teures und wertes Buch über Vernunftreligion, wofür ich
Ihnen noch meinen herzlichsten Dank schuldig bin! So überall
aufklären, meinen diese Herren, stehe nur einem LEIBNIZ wohl,
und bedenken nicht, daß eben die Fackel, bei deren Licht die
ganze Leibnizische Monadenwelt wie ein Dunst erscheint, ihre
Strahlen unvermeidlich nach allen Seiten wirft. Einer Ihrer wahr-
haftigsten Verehrer hier ist unser trefflicher LICHTENBERG.
Unwert der Sache, die mir am Herzen liegt, würde ich sein.
') Aphorismen nach Kantischer Lehre, Göttingen I793'
Von Johann Gott lieb Fichte 1 1 p
wenn ich mich bei Ihnen entschuldigen wollte wegen der An
merkungen zu meinem kleinen Buche, besonders denen zum zweiten
Teile. Vielleicht seh' ich mich genötigt, sie künftig zurückzunehmen
oder anders zu modifizieren. Aber wen auch die ehrwürdigste
Autorität bindet, den werden Sie sich, das weiß ich, nicht zum
Mitarbeiter an der Sache der Wahrheit wünschen.
Leben Sie nur noch lange, verehrungswürdiger Mann, um
alles sagen zu können, was die Ihren bedürfen, und namentlich
Göttingen, den 25. August 1793. F. Bouterwek.
335-
Von Johann Gottlieb Fichte.
Mit inniger Freude, verehrungswürdigster Gönner, erhielt ich
den Beweis, daß Sie auch noch in der Entfernung mich Ihres
gütigen Wohlwollens würdigten, Ihren Brief. Meine Reise war
nach Zürich gerichtet, wo schon bei meinem ehemaligen Aufent-
halte ein junges sehr würdiges Frauenzimmer mich ihrer beson-
dern Freundschaft wert hielt. Noch ehe ich nach Königsberg
reiste, wünschte sie meine Rückkehr nach Zürich, und unsre
völlige Verbindung. Was ich damals, da ich noch nichts getan
hatte, mir nicht für erlaubt hielt, erlaubte ich mir jetzo, da ich
wenigstens für die Zukunft versprochen zu haben schien, etwas
zu tun. — Diese Verbindung, welche bisher durch unvorher-
gesehne Schwierigkeiten, welche die Zürcher Gesetze Fremden
entgegensetzen, aufgehalten worden, in einigen Wochen aber statt-
hnden wird, gäbe mir die Aussicht, mich in unabhängiger Muße
dem Studieren zu widmen, wenn nicht der an sich herzensgute,
mit meinem individuellen Charakter aber sehr unverträgliche Cha-
rakter der Zürcher mich eine Veränderung des Wohnorts wün-
schen machte.
Ich erwarte die gleiche Freude von der Erscheinung Ihrer
Metaphysik der Sitten, mit welcher ich Ihre Religion innerhalb
der Grenzen usw. gelesen habe. Mein Plan in Absicht des Natur-
rechts, dts Staatsrechts, der Staatsweisheitslehre geht ins weitere,
und ich kann leicht ein halbes Leben zur Ausführung desselben
bedürfen. Ich habe also immer die frohe Aussicht, Ihr Werk
für dieselbe zu benutzen. — Sollten bis dahin meine Ideen sich
HO
Von Johann Gottlieb Fichte
formen, und ich auf unerwartete Schwierigkeiten stoßen; wollen
Sie dann wohl erlauben, daß ich mir Ihren gütigen Rat erbitte?
Vielleicht lege ich, doch anonym, in verschiednen Einkleidungen
meine der Entwicklung entgegenstrebende Ideen dem Publikum
zur Beurteilung vor. Ich gestehe, daß schon etwas dieser Art
von mir im Publikum ist, wovon ich aber vor der Hand nicht
wünschte, daß man es für meine Arbeit hielte, weil ich viele
Ungerechtigkeiten mit voller Freimütigkeit und Eifer gerügt habe,
ohne vor der Hand, weil ich noch nicht soweit bin, Mittel vor-
geschlagen zu haben, wie ihnen ohne Unordnung abzuhelfen sei.*)
Ein enthusiastisches Lob, aber noch keine gründliche Beurteilung
dieser Schrift ist mir zu Gesichte gekommen. Wollen Sie mir
dieses — soll ich sagen Zutrauen, oder Zutraulichkeit? — er-
lauben, so schicke ich es Ihnen zur Beurteilung zu, sobald ich
die Fortsetzung aus der Presse erhalte. Sie, verehrungswürdiger
Mann, sind der einzige, dessen Urteile sowohl, als dessen strenger
Verschwiegenheit ich völlig traue. Über poHtische Gegenstände
sind leider! bei der jetzig>;n besondren Verwickelung fast alle
parteiisch, selbst recht gute Denker; entweder furchtsame An-
hänger des Alten, oder hitzige Feinde desselben, bloß weil es
alt ist. — Wollen Sie mir diese gütige Erlaubnis erteilen, ohne
welche ich es nicht wagen würde, so wird, denke ich, der Herr
Hofprediger SCHULZ Gelegenheit haben, Briefe an mich zu be-
sorgen.
Nein — großer, für das Menschengeschlecht höchstwichtiger
Mann, Ihre Arbeiten werden nicht untergehen, sie werden reiche
Früchte tragen, sie werden in der Menschheit einen neuen Schwung
und eine totale Wiedergeburt ihrer Grundsätze, Meinungen, Ver-
fassungen bewirken: Es ist, glaube ich, nichts, worüber die Folgen
derselben sich nicht verbreiteten. Und diesen Ihren Entdeckungen
gehen frohe Aussichten auf. Ich habe Herrn H. PR. SCHULZ
darüber einige Bemerkungen geschrieben, die ich auf meiner Reise
gemacht, und ihn gebeten, sie Ihnen mitzuteilen.
Was muß es sein, großer und guter Mann, gegen das Ende
seiner irdischen Laufbahn solche Empfindungen haben zu können,
als Sie! Ich gestehe, daß der Gedanke an Sie immer mein Genius
sein wird, der mich treibe, soviel in meinem Wirkungskreise
') Fichtes Beiträge zur Berichtigung der Urtheile des Publikums
über die französische Revolution, anonym erschienen, 2 Teile, o. J. (i793)-
An Carl August von Struensee i z i
liegt, auch nicht ohne Nutzen für die Menschheit von ihrem
Schauplatze abzutreten.
Ich empfehle mich der Fortdauer Ihres gütigen Wohlwollens
und bin mit der vollsten Hochachtung und Verehrung
Euer Wohlgeboren
Zürich, innigst ergebener
den lo. September 1793. Fichte.
3^6.
An Carl August von Struensee.*)
(Entwurf.)
[20. September 1793.]
rLuer Exzellenz dem Staatsbesten geweihete kostbare Zeit
einige Augenblicke zu entziehen, würde ich mir selbst zum Vor-
wurf machen, wenn mir nicht meine gehorsamste Bitte, einen
Mann, der hierzu in Ihren Händen auch ein sehr brauchbares
Werkzeug sein kann, Ihrer gnädigen Aufmerksamkeit zu würdigen
hierin nicht zur Entschuldigung zu dienen schiene. — Der Ein-
nehmer BRAHL, der bisher in seinem Posten die pünktlichste
unbestechhche Treue bewiesen hat und damit einen hellen Kopf,
der die Mißbräuche durchschaut und eine Offenheit, die keine
parteiische Verheimlichung zuläßt, verbindet, schmeichelt sich in
gegenwärtigen Zeitumständen einigen Fortschritt zur Verbesserung
zu tun, wenn sein Schicksal es nicht will, daß er übersehen wird.
Die Vorschläge dazu hat er auf mein Verlangen auf beiliegendem
Blatte ausgedrückt, an deren Bescheidenheit und Wahrheit ich
mich nach seinem mir gnugsam bekannten Charakter verbürgen
kann.
Die Zufriedenheit, welche Euer Exzellenz Vortrag unter der
hiesigen Kaufmannschaft verbreitet hat, die Hoffnung des gemeinen
Wesens unter einer solchen Administration das öffentliche Beste
im kleinen sowohl als im großen befördert zu sehn, endlich
auch der Anteil, den Sie mich an Ihrer angenehmen und be-
') K. A. von Struensee (173J — 1804), seit 1791 preußischer
Staatsminister und Chef des Zolldepartements.
111 An F. Th. de la Garde. — Von Johann Erich Biester
lehrenden gesellschaftlichen Unterhaltung nehmen zu lassen, Sic
mir die Ehre bewiesen haben, lassen mich hoffen, daß die Frei-
heit meines Gesuchs nicht ungeneigt werde aufgenommen werden.
Mit der größten Verehrung bin ich jederzeit
H7-
All F. Th. de la Garde.
Euer Hochedelgeboren
werden sich erinnern, daß Sie mir
noch einige Freiexemplare von der zweiten Auflage meiner Kritik
der Urteilskraft versprochen. Da ich deren nun eben nicht be-
darf, so schlage ich vor, mir, statt derselben, die Reisen des
jüngeren Anacharsis^) oder, wenn das zuviel ist, Mon-
taignes Gedanken und Meinungen usw. aus Ihrem Verlage
zum Ersatz zu geben und, was ich zulegen müsse, um auch die
erstere zu bekommen, mir zu melden.
Wenn sich Gelegenheit findet, Ihnen sonst gefällig zu werden,
so werde nicht ermangeln, zu beweisen, daß ich jederzeit sei
Ihr
ergebenster Freund und Diener
Königsberg, I. Kant,
den 20. September 1793.
338.
Von Johann Erich Biester.
Berlin, den 5. Oktober 1793.
Endlich bin ich imstande, mein verehrungswürdigster Freund,
Ihnen das neue Quartal der Berliner Monatsschrift zuzusenden;
und ich tue es mit dem allerverpflichtetesten Danke für den treff-
lichen Aufsatz im September.^) Er ist, Ihrem Willen gemäß, un-
geteilt in einem Stücke abgedruckt. Wie reichhaltig an den
') Barth elemy, Voyage du jeune Anacharsis en Grece, Paris 1788,
deutsch von Biester, Berlin 1792/93.
*) S. oben S. 146, Anm. i.
Vojt 'Johann Erich Biester 225
wichtigsten Belehrungen ist er nicht! Vorzüglich hat mir die
Ausführung des zweiten Abschnitts ganz ungemein gefallen, wegen
der neuen Vorstellungsart und der meisterhaften Entwicklung der
Begriife. Um ganz unverhohlen zu reden, hat er mir vielleicht
darum um desto mehr gefallen, weil er mir das (von Anfang an
mir unwahrscheinliche) Gerücht zu widerlegen scheint, als hätten
Sie sich sehr günstig über die mir immer ekelhafter werdende
französische Revolution erklärt, worin doch die eigentliche Frei-
heit der Vernunft und die MoraHtät und alle weise Staatskunst
und Gesetzgebung auf das schändlichste mit den Füßen getreten
werden, — und welche selbst, wie ich aus Ihrer itzigen Ab-
handlung lerne, das allgemeine Staatsrecht und den Begriff einer
bürgerlichen Verfassung auf das gröbste verletzet und aufhebt.
Freilich ist das Kopfabschneiden (vornehmlich, wenn man es
durch andere tun läßt) leichter, als die starkmütige Auseinander-
setzung der Vernunft- und Rechtsgründe gegen einen Despoten,
sei er ein Sultan oder ein despotischer Pöbel; bis itzt sehe ich
aber bei den Franzosen nur jene leichteren Operationen der blu-
tigen Hände, nicht der prüfenden Vernunft.
In Absicht Ihres ersten Abschnittes wünschte ich wohl, daß
Sie den Aufsatz von SCHILLER „Über Anmut und V^ürde" (in
der Thalia 1795, Stück 2,; auch einzeln gedruckt) einmal ansehn
und gelegentlich auf dasjenige Rücksicht nehmen möchten, was
er recht speziös über Ihr Moralsystem sagt, daß nämlich darin
zu sehr die harte Stimme der Pflicht (eines zwar von der Ver-
nunft selbst vorgeschriebenen, aber gewissermaßen doch fremden
Gesetzes) ertöne und zu wenig auf die Neigung Rücksicht ge-
nommen sei.
Mit Ihrem Auftrage und Herrn BRAHLS Briefe bin ich so-
gleich zu dem Herrn Minister VON STRUENSEE gegangen. Er
wiederholt Ihnen sein Versprechen, daß er auf die tätigste und
beste Weise für Herrn BRAHLS Fortkommen sorgen wolle. Die
itzige Stelle desselben sei noch nicht ganz reguhert; er werde
mehr Emolumcnte dabei finden, als er itzt selbst glaube. Auch
sei es der Eintritt in eine bessere höhere Laufbahn, wo derselbe
immer weiter fortrücken werde, nur müsse er etwas Geduld
haben. Über seine Vorschläge äußerte sich der Minister dahin:
daß, wenn solche Veränderungen vorgingen, die Aufrückungen,
ob man sie gleich oft in den Provinzen genau berechnen wolle,
nicht so bestimmt wären, sondern er sich durchaus das Recht
22.
Von Johann Gottfried Kiesewetter
vorbehalte, neue Einrichtungen, Versetzungen der Personen, Ver
teilungen der Stellen usw. zu treffen. Die von Herrn BRAHL
genannten zwei Männer w^ürden nicht in dem geglaubten Maße
aufrücken. Er (der Minister) wolle immer gern Wünsche an-
hören, nur müsse man nicht übel nehmen, wenn er sie nicht
jedesmal in der vorgelegten Art befriedige. — Übrigens trug er
mir recht viele Grüße und herzliche Empfehlungen an Sie, teurester
Mann, auf.
Leben Sie herzlich wohl und bleiben meiner gütigst ein-
gedenk !
Biester.
Ihr Briefchen an Herrn LAGARDE ist sogleich besorgt wor-
den. Darf ich bitten, die Einlage auf die Westpreußische Post
zu
send
en;
339-
Von Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Berlin, den 15. November 1793.
Hochzuehrender Herr Professor,
Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen vor ungefähr 14
Tagen ein kleines Fäßchen mit Teltower Rüben zu überschicken,
und ich würde Sie auch schon davon benachrichtigt haben, wenn
ich nicht gewünscht hätte, Ihnen zugleich das erste Stück der
philosophischen Bibliothek, die ich mit dem Herrn Prof. FISCHER
gemeinschaftlich herausgebe, übersenden zu können; allein da der
auswärtige Druck die Sache ins weite zieht, so habe ich mich
schon entschließen müssen, Ihnen das Werkchen nachzuschicken,
damit Sie nicht die Rüben erhalten, ohne davon benachrichtigt
zu sein. Ich wünsche nichts mehr, als daß sie Ihren Beifall er-
halten mögen; dafür habe ich gesorgt, daß sie wirklich aus
Teltow sind.
Sie werden sich wundern, daß ich die philosophische Bibliothek
auswärts drucken lasse, allein Herr HERMES haben es für gefähr-
lich halten, einen Auszug aus HEIDENREICHS natürlicher Religion
drucken zu lassen und in dem ersten Bogen eine solche Menge
Korrekturen gemacht, daß ich mich zum auswärtigen Druck
entschließen mußte. Seine Korrekturen sind Meisterstücke, und
Von Johann Gottfried Kiesewetter 125
verdienten wohl, als ein Aktenstück der Berliner Zensur gedruckt
zu werden, wenn ich nicht die Ruhe liebte. Er will Gott fiir
kein Individuum gelten lassen, man soll durch Tugend sich nicht
der Glückseligkeit würdig, sondern fähig machen, und was des
Zeugs alles mehr ist. Ich erwarte nun, ob er das Buch verbieten
wird; tut er dies, so bin ich entschlossen, gegen ihn zu klagen.
Mich hat er hingegen noch glimpflich behandelt, Herr Professor
GRILLO, ein Mann, von 60 Jahren, wollte einen Auszug aus
Ihrer Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft drucken lassen,
dem hat er wie einem Schulknaben Knittel am Rande des Manu-
skripts gemacht. Wäre GRILLO nur nicht zu friedliebend. —
Sie sehen, wir stehen unter harten Zuchtmeistern, und HERMES
hat selbst zu meinem Verleger gesagt, er erwarte nur den Frieden,
um mehrere Kabinettsordres, die er im Pulte habe, ans Tagslicht
zu bringen. Jetzo besuchen diese Herren die Schulen und exa-
minieren die Kinder, unter andern erzählt man ein Examen von
WOLTERSDORF in der Schule des grauen Klosters, was wirk-
lich merkwürdig ist. Ganz dasselbe herzusetzen, wäre Zeitverlust,
aber nur die beiden ersten Fragen: W. Wie alt bist du, mein
Sohn? K. 9 Jahr. W. Wo warst du denn vor 10 Jahren? — !
Übrigens ist die Sache keine Erdichtung eines lustigen Kopfs,
sondern strenge Wahrheit.
Das neue Gesetzbuch wird nunmehro eingeführt, aber mit 4
Abänderungen, wovon mir die eine entfallen ist. i. wird aus der
Vorrede die Anpreisung weggelassen, daß die Monarchie die beste
Regierungsform sei, weil sich dies von selbst versteht; 2. der
Artikel wegen der Ehe an der linken Hand ausgestrichen und
3. der Artikel über die Strafen der Geisterbeschwörer aufgehoben.
Wie es mit dem Kriege werden wird, weiß niemand. Gestern
versicherte mich jemand, daß wir an Ostreich eine Forderung von
45 Millionen machten, unter welcher Bedingung wir den Krieg
allein fortsetzen wollten. Gewiß ist es wohl, daß wir zu An-
fange des Kriegs den Ostreichern viel Vorschüsse getan haben,
weil bei ihnen nicht alles so ordentlich ist, als bei uns. Man
erwartet hier einen außerordentlichen Gesandten von Ostreich.
Die Prinzen werden in 8 Tagen erwartet, so auch der König,
der jetzt in Potsdam ist. LUCCHESINI, der Schwager von
BISCHOFSWERDER, geht als Gesandter nach Wien. Jedermann
wünscht sehnlich den Frieden.
Gern möchte ich Ihnen noch vieles schreiben, aber ich habe
Kants Schriften. Bd. X. 15
ii6 Hn Salomon Maimon
vergessen, daß der Brief vor 5 Uhr auf der Post sein muß, und
es ist gleich 5 Uhr. — Ich empfehle mich Ihrer fortdaurenden
Freundschaft und bin mit der höchsten Achtung
Ihr
dankbarer Schüler
JGG. Kiesewetter.
Von Salomon Maimon.
Durchdrungen von der Ihnen schuldigen Hochachtung und
Ehrerbietung, die ich nie aus den Augen gelassen habe, und mir
meiner unschicklichen Zudringlichkeit bewußt, konnte ich doch
nicht umhin, mir diesmal die Freiheit zu nehmen, an Sie zu
schreiben, und Ihnen beiliegendes Exemplar einer kleinen Schrift
zur Beurteilung zu überschicken.*)
Durch Sie, würdiger Mann! überzeugt, daß allen unsern Er-
kenntnissen eine Kritik des Erkenntnisvermögens vorhergehen muß,
müßte es mich nicht wenig befremden, daß seit der Erscheinung
dieser Kritik, und einiger Versuche, besondere Wissenschaften den
Forderungen dieser Kritik gem'äß zu bearbeiten, keine Logik den
Forderungen einer solchen Kritik gemäß bearbeitet, zum Vorschein
gekommen ist. Meiner Überzeugung nach kann sich selbst die
Logik, als Vv^issenschaft, der Kritik nicht entziehen. Die all-
gemeine Logik muß zwar von der transszendentalen getrennt,
aber mit Rücksicht auf diese bearbeitet werden.
Ich glaube in dieser kleinen Schrift die Notwendigkeit und
Wichtigkeit einer solchen Behandlung der Logik genugsam gezeigt
zu haben. Die Logik ist, meiner Überzeugung nach, nicht bloß
einer Berichtigung, sondern auch einer Erweiterung und
systematischen Ordnung fähig. Berichtigt wird die Logik
dadurch, daß man die logischen Formen nicht (wie es vermutlich
die ersten Logiker, selbst ARISTOTELES nicht ausgenommen,
getan haben) von ihrem Gebrauche abstrahiert, wodurch ihnen
etwas Fremdartiges noch immer anklebt, sondern vielmehr durch
Reflexion über das Erkenntnisvermögen zu bestimmen und voll-
zählig zu machen sucht. Erweitert kann sie dadurch werden,
*) Streifereien im Gebiete der Philosophie, Berlin I793'
Von Theodor Gottlieb von Hippel 217
daß man Methoden angibt, alle mögliche zusammengesetzten in
die einfachen Formen aufzulösen. Die systematische Ordnung
aber kann sie dadurch erhalten, daß man die sogenannten Opera-
tionen des Denkens und die logischen Formen nicht isoliert,
sondern nach ihrer wechselseitigen Abhängigkeit von einander
abhandelt. Dieses würde einen logischen Stammbaum abgeben,
den man mit Recht Baum der Erkenntnis nennen könnte.
Ich bin jetzt damit beschäftigt, eine Logik dieser Idee gemäß
auszuarbeiten;^) werde mich also glücklich schätzen, wenn ich
Ihre Meinung, sowohl über den Plan als über die mögliche Aus-
führbarkeit desselben, erhalten und zum Richtschnur meiner Arbeit
machen könnte. In Erwartung dessen verbleibe ich wie immer
mit aller Hochachtung und innigsten Freundschaft
Ew Wohlgeborn
Berlin Ergebenster Diener
2ten Dezember S. Maimon
1793
341.
Von Theodor Gottlieb von Hippel.
Verehrungswürdigster Teurester Freund.
Ihre gütige Zuschrift ist von der Art, daß ich sie nicht be-
antworten kann. Ich habe mir zwar von jeher den Vorzug Ihrer
gütigen freundschaftlichen Gesinnungen zugeeignet; auf den herz-
lichen Anteil indes, den Sie an meiner Krankheit nehmen, konnte
ich ohne übertriebene Selbstliebe nicht rechnen. Empfangen Sie,
teurester Lehrer und Freund, meinen vorläufigen Dank, den ich
bald mündlich ergänzen werde. Wie sehr ich mich nach Ihrem
lehrreichen Umgang sehne, der mir, das wissen Sie selbst, mehr
gilt als alles, was Königsberg hat, darf ich Ihnen nicht sagen,
da Sie überzeugt sind, wie innigst ich Sie verehre. Schon ist es
mir erfreulich, Ihr nachbarliches Haus aus meinem Arbeitszimmer
zu sehen, und mein erster Blick war täglich dahin gerichtet. So
soll es auch immerwährend bleiben, solange ich sehen kann und
solange ich durch diese Nachbarschaft beglückt werde.
^) Maimon, Versuch einer neuen Logik oder allgemeine Theorie
des Denkens etc., Berlin 1794.
15*
2z8 Von Theodor Gottlieb von Hippel
Mein Augenübel verleugnet nicht die Natur der Krankheiten,
die gemeinhin geschwinde kommen und langsam gehen, obgleich
meine Augen, wie Sie sich erinnern werden, schon seit geraumer
Zeit mir ihren Dienst erschwerten. Die Wohnung, die ich in
Danzig den ganzen Sommer hindurch hatte, meine vielen Arbeiten
und die hiesige Schärfe der Luft, die wegen der Nachbarschaft
der See auffallend ist, hat diesen Zufall ohne allen Zweifel be-
schleuniget, der mir auf immer die Lehre zurücklassen wird, mich
mehr zu schonen. Herr Kriminalrat JENSCH kann Ihnen die Art
der hiesigen Geschäfte am zuverlässigsten anzeigen.
Man hat der Stadt Danzig bei der Okkupation außerordent-
lich viel versprochen, und es ist billig, daß man soviel erfüllt,
als sich nur mit den Einrichtungen der preußischen Staatsverfassung
verträgt.*) Die Stadt wird also nicht wie Königsberg, sondern nach
eigener Melodie eingerichtet. Auch ohne diese Gnadenversiche-
rungen hätte man auf die vorzüglichen Rechte Rücksicht nehmen
müssen, welche Danzig nach förmlichen Verträgen mit Engeland,
Dänemark und andern Staaten genießt, und die man dieser Stadt,
der preußischen Okkupation ohnerachtet, zu erhalten suchen mußte.
Die Einrichtung von Thorn ist auch von hier aus besorgt wor-
den, und außer diesen Geschäften fallen täglich kurrente Sachen
vor, die oft sehr wichtig sind, indem die alte Danziger Verfassungen
mit der unsrigen in einzelnen Fällen nicht ohne Schwierigkeiten
zu vereinbaren sind. Wenn man den alten Magistrat und die
ganze alte Einrichtung so lange unverletzt gelassen hätte, bis die
StadtcoUegia auf preußischen Fuß wären organisieret worden, so
würden diese letzten Arbeiten nicht stattfinden, die jetzo durch
den gleich bei der Okkupation eingesetzten Interimistischen Magi-
strat notwendig werden. Es wird also jetzt Danzig halb nach
ihrer vorigen, halb nach unserer Verfassung regiert. Alle diese
Umstände indes bleiben unter uns.
Jetzt ist alles dem Ziel nahe, indem bereits sehr viel von Hote
aus genehmiget ist, doch wird der Verbindung halber alles aut
einmal organisieret werden müssen. Wem die Verhältnisse der
hiesigen Arbeiten nicht genau bekannt sind, hat die gerechteste
Ursache von der Welt, über meinen hiesigen verlängerten Aufent-
halt sich zu wnndern. Verzeihen Sie, teurester Freund, diese Ab-
^) Danzig war bei der zweiten Teilung Polens (i793) an Freuden
gekommen.
An 'Johann Gottfried Kieseuoetter izp
Schweifung, die Herr Kriminalrat JENSCH, wenn Sie sie so viel
wert halten, noch näher ins Licht setzen kann. Soviel bleibt
gewiß, daß Danzig den Herrn Oberpräsidenten als einen Wohl-
täter verehren kann, und daß die Organisation für diese Stadt
bei weitem nicht so vorteilhaft ausgefallen sein würde, wenn
derselbe nicht das Zutrauen des Königes zum Besten Danzigs be-
nutzt hätte.
Ehe ich schließe, muß ich noch bemerken, wie wohltätig
Ihre mir unvergeßliche Zuschrift vom 2. Dezember gewesen, ich
verdanke ihrem Inhalt die vorzüglichste Nacht, die ich noch in
meiner Krankheit gehabt habe. Die Religion innerhalb der Grenzen
der bloßen Vernunft habe ich mir in meiner Krankheit vorlesen
lassen, und tausendmal gewünscht, daß man jetzt in Frankreich
dieses Buch lesen möchte, welches hier in Danzig den Namen:
Kants Religion führt. Der unsterbliche Name: Immanuel Kant
darf wahrlich kein Bedenken tragen, dieser Schrift vorgesetzt zu
sein, die sehr viel Gutes stiften kann und wird. Jetzt hab ich
nur noch die Bitte, daß des großen Segens ohnerachtet, den Ihre
Bücher stiften, Sie nicht vergessen mögen, sich zu schonen. Diese
Bitte darf ein Sohn seinem "Vater tun, wenngleich er überzeugt
ist, daß der Anspruch, den die Welt auf seinen Vater hat, dem
seinigen vorgeht.
Herr D. JACHMANN, an den ich heute wegen meiner Augen
schreibe, wird Ihnen von ihrer Beschaffenheit Nachricht erteilen.
Sie wissen, wieviel ich auch selbst in diesem Fach Ihrer Einsicht
traue.
Eigenhändig nenn ich mich mit der treusten Verehrung und
der treusten Freundschaft den
Ihrigen
Danzig d. 5. Dezbr. Hippel.
342.
An Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Hochzuehrender Herr Professor.
Ihr freundschaftlicher Brief ist mir als ein solcher, und zu-
gleich durch das beigefügte Geschenk (welches richtig erhalten
habe) auf doppelte Art angenehm gewesen, und ich wünsche Ge-
legenheit zu haben, beides erwidern zu können.
230 '^w Fraulein Maria von Herbert
Zu Ihrer philos. Bibliothek guten Aufnahme im Publikum
habe ich mehr Vertrauen, als zu der des bestallten Vormundes
desselben, welcher als biblischer Theolog die Schranken seiner
Vollmacht gerne überschreitet und sie auch über bloß philoso-
phische Schriften ausdehnt, die doch dem philosophischen Zensor
zukommt, der, was das Übelste bei der Sache ist, nicht, wie er
sollte, sich dieser Anmaßung widersetzt, sondern sich darüber mit
ihm einversteht, über welche Koalition es doch einmal zur Sprache
kommen muß; zu geschweigen, daß ein Buch zensurieren und ein
Exerzitium korrigieren zwei ganz verschiedene Geschäfte sind, die
ganz unterschiedene Befugnisse voraussetzen. Indessen, da Lärm
blasen, wo lauter Ruhe und Friede ist, jetzt zum Ton der Zeit
gehört, so muß man sich gedulden, dem Gesetz genaue Folge
leisten und die Mißbräuche der literarischen Polizeivcrwaltung zu
rügen auf ruhigere Zeiten aussetzen.
Ich muß mir die Bestellung inliegender Briefe von Ihrer Güte
erbitten, weil ich nicht weiß, durch wessen Besorgung es eben-
sogut geschehen würde. Alle Aufträge Ihrerseits werde, soviel
in meinem Vermögen ist, gleichmäßig auszurichten bereit sein,
wobei ich jederzeit bin
Ihr
Königsberg ergebenster Freund und Diener
d. 13. Dez.
i75>3-
I. Kant.
343-
Von Fräulein Maria von Herbert.
Klagenfurt, im Anfang des Jahres 1794.
Hochgeehrter und innigstgeliebter Mann!
Haben Sie mir's nicht vor ungut, und gönnen Sie mir das
Vergnügen, mit Ihrem gewöhnlichen Wohlwollen, Ihnen wieder
einmal schreiben zu können, denn ich empfinde dabei den höch-
sten Genuß der tiefsten Achtung und Liebe gegen Ihre die Mensch-
heit erhöhende Person, und daß diese für uns beglückende Ge-
fühle sind, darf ich Ihnen nicht erst beweisen, indem Sie so
Pon Fräulein Maria von Herbert 231
glücklich waren, uns das reinste und heiligste Gefühl aufzufinden,
und es auch allzeit vor Religionsverunstaltungen zu retten. Ich
kann nicht umhin, Ihnen insbesondere für „die Religion inner-
halb der Gränzen der Vernunft" im Namen aller jenen aufs wärmste
zu danken, die sich von denen so vielfach verstrickten Fesseln
der Finsternis losgerissen haben. Entziehen Sie uns nicht Ihrer
weisen Leitung, solang Sie finden, daß es uns noch an etwas
mangeln kann, denn nicht unser Begehren nach Befriedigung,
sondern nur Ihre Übersicht kann urtheilen, was uns noch ferner
nöthig ist. Ich fühlte mich bei der Kritik der reinen Vernunft
schon ganz berichtiget, und doch fand ich bei Ihren folgenden
Schriften, daß keine überflüssig waren; gern wollt' ich dem Lauf
der Natur Stillstand gebieten, um nur versichert zu sein, daß Sie
vollenden können, was Sie für uns angefangen, und gern wollt'
ich meine künftigen Lebenstage an die Ihrigen hängen, um Sie
beim Ausgang der französischen Revolution noch in dieser Welt
zu wissen.
Ich hatte das Vergnügen, ERHARD selbst zu sehen, welcher
mir sagte, daß Sie sich nach mir erkundigten, aus dem schloß
ich, daß Sie meinen Brief, bei Anfang des Jahrs 1793 erhalten
haben, denn ich habe keine Antwort bekommen, weil Sie's ver-
muthlich besser verstanden, als ich, daß mir durch Ihre Werke der
Weg schon gebahnt ist, selbst darauf zu stoßen. Da ich voraus-
setze, daß Sie der Gang jedes Menschen interessirt, der Ihrer
Leitung so viel zu danken hat, als ich, so will ich versuchen,
Ihnen die ferneren Fortschritte meiner Stimmung und Gesinnung
mitzutheilen. Lange hatte ich mich gequält, und vieles nicht ver-
eint, denn ich mischte Gottes Anordnung in das Zufällige des
Schicksals, und begnügte mich nicht lediglich mit dem Gefühl
von Dasein; da sehen Sie nun gleich, wie es mir ging, weil ich zu
viel erwischte, ich betrachtete die widrigen Zufälle des Lebens von
ihm an mich gesandt, und sträubte mich dagegen als gegen eine
Ungerechtigkeit, weil mich mein Bewußtsein der Schuld frei
sprach, oder ich dachte es nicht von ihm geordnet, und das Ge-
fühl für ihn war zugleich auf diesem Weg verloren. Endlich
die Antinomien, welche die Hauptursache meiner dauerhaften Ge-
nesung sind, hätten mich ebenso leicht zu einer unwiderrufÜchen
Handlung verleiten können, so lange zog ich damit herum, denn
darüber abzuschließen war ich nicht imstande, bis dann ganz auf
einer andern Seite in mir ein moralisches Gefühl erwachte, was
2)2
Von J^ohann Erich Biester
fest neben den Antinomien stehenblieb, und ich fühlte von der
Zeit an, daß ich überwunden und meine Seele gesund sei. Es
hat mir indessen an langwierigen Widerwärtigkeiten des Lebens
nicht gemangelt, die meine dermalige Stimmung genugsam prüften,
daß sie endlich nach schwerer Arbeit einer unerschütterlichen
Ruh' genießt. Auch verstand ich in der Folge, mir den Wunsch
des Todes zu erklären, was mir dazumal eine widernatürliche Ver-
folgung meiner selbst schien, und mich es grad nach meiner Zer-
nichtung lüstete, auch das Vergnügen der Freundschaft, für welche
mein Herz doch allzeit deutlich geschlagen, schützte mich nicht
davor; ich betrachtete auch das als einen unverdienten Zustand,
mit welchem ich kein anderes Wesen behaftet wissen wollte, denn
in Betracht, daß ich endlich wäre, war mir nie kein Vergnügen,
welches es auch geben mag, dafür Ersatz, ohne Zweck zu leben;
nun aber ist mein Wunsch geblieben, und meine Anschauung hat
sich geändert; ich denke, daß jedem reinen Menschen der Tod,
in einer egoistischen Beziehung auf sich selbst, das Angenehmste
ist, nur in Rücksicht der Moralität und Freunde kann er, mit der
größten Lust zu sterben, das Leben wünschen, und es in allen
Fällen zu erhalten suchen. Ich wollte Ihnen noch gern vieles
sagen, wenn ich mir nicht ein Gewissen daraus machete^ Ihre
Zeit zu rauben; mein Plan ist noch immer, Sie einst in Begleitung
meines Freundes (von dem ich jetzt leider vielleicht mehr als ein
Jahr abwesend sein werde, und schon lange bin) zu besuchen,
indessen kann ich Ihr Andenken nie anders als mit dem wärm-
sten Gefühl des Danks, der Liebe und Achtung weihen, der
Himmel beschütze Sie vor allem Ungemach, auf daß Sie lang
leben auf Erden! Ihre mit ganzem und vollem Herzen
ergebene Maria Herbert.
' 344-
Von Johann Erich Biester.
Sie konnten wohl nur vermuten, mein verehrungswürdiger
Freund, daß ich Ihre treflPlichen Beiträge nicht mehr zu erhalten
wünschte, wenn ich durch einen Umstand veranlaßt würde, die
Berl. Monatsschrift ganz aufzugeben. Sollte dies aber je der Fall
sein, so würde ich, meiner Schuldigkeit gemäß, eilen, die gütigen
Von Johann Erich Biester 233
Freunde, welche mich unterstützen, davon zu benachrichtigen; und
gewiß vor allen Dingen Sie. Bei der letzten Absendung drängten
mich verschiedene Geschäfte; und da in dem Quartale vom
Oktob. — Dezember kein Aufsatz von Ihnen gedruckt war, so hielt
ich es mir für erlaubt, diesmal bloß die Stücke ohne einen Brief
von mir einzupacken. Recht herzlich bitte ich Sie aber um Ver-
zeihung, wenn ich Ihnen dadurch auch nur eine Stunde Verlegen-
heit oder unangenehme Empfindung verursacht habe. Daß dies
meine Absicht nicht gewesen ist, noch hat sein können, werden
Sie mir gewiß glauben, und mir also nichts von Ihrer gütigen
Freundschaft entziehen.
Ihr letzter sachreicher Aufsatz im September beschäftigt noch
immer manche Köpfe und Federn. Ich selbst habe es gewagt, in
einer kleinen Nummer, welche ich gegen Herrn ZIMMERMANN
in Braunschweig schrieb (Novemb. Nr. 6), mich darauf zu be-
ziehen, und einigermaßen bei dieser Gelegenheit, soviel es sich
dabei tun ließ, das auszudrücken, was ich über den Aufsatz und
über den Verfasser denke. — Die Abhandlung des Herrn Kriegsrat
GENZ im Dez. werden Sie itzt gelesen haben. Aufrichtig gesagt,
scheint er mir und mehrern Beurteilern, die ich bis itzt darüber
gehört habe, nicht tief eingedrungen zu sein, keine erhebliche
Bemerkung oder Anwendung gemacht zu haben. Ich kann dies
um so freier hier sagen, da ich es ihm selbst, als er mir das
Manuskript schickte, z. B. über seine Einwendung gegen Ihren
so gerechten Tadel der väterlichen Regierung im Gegensatz der
vaterländischen, geschrieben habe. Er hat indes nicht für gut
gefunden, diese Stelle zu ändern, obgleich er es bei mehrern,
welche ich ihm anzeigte, getan hat. Ein Hauptzusatz zu Ihrer
Abhandlung wäre die Bemerkung von GENZ über die Konsti-
tution, welche uns nämlich von dem freilich nicht rechtmäßigen,
aber doch auch nicht mit Gewalt zu hindernden Druck der
Tyrannei retten soll; — ich sage, es wäre ein Hauptzusatz,
wenn er nur mehr als das Wo rt Konstitution enthielte, und aus
Prinzipien des Rechts a priori zeigte (oder zeigen könnte), wie
eine solche Konstitution zu machen ist, wer sie eigentlich machen
soll u. darf, mit welchen rechtlichen Mitteln man sie aufrecht
erhalten kann u. s. w. GENZ ist gewiß ein guter Kopf; nur
dieser Aufsatz ist zu flüchtig geschrieben, u. nicht mit dem
Nachdenken, welches der große Gegenstand verdient und er-
fordert.
M4
yon jfoharm Erich Biester
Im Februarstück dies. Jahrs, welches hoflPentlich bald erscheint,
werden Sie einen Aufsatz von Herrn REHBERG in Hannover
finden, über Ihren Aufsatz im September.*) Er weicht in manchem
ganz von Ihnen ab; der Aufsatz scheint mir aber gut u. gedacht
geschrieben. Was ich wünschte, und gewiß mehrere Leser mit
mir, wäre: daß Ihnen dies eine Veranlassung würde, sich über
manches noch ausführlicher zu erklären. — Um diesen Brief etwas
interessanter zu machen, als wenn ich bloß selbst rede, lege ich
ein Schreiben des Herrn GARVE an mich bei, welcher im Grunde
denselben Wunsch oder Gedanken äußert.
Die spätere Erscheinung der Stücke kömmt davon her, daß
der Verleger Herr SPENER, der hiesigen Zensur wegen, die
Monatsschrift an einem auswärtigen Ort (ehmals Jena, itzt Dessau)
muß drucken lassen, und den blauen Umschlag an einem andern
Ort (Halle) drucken läßt, damit er eine Art von Kontrolle über
den ersten Drucker zu führen imstande ist, welcher sonst, wenn
er Monatsschrift u. Umschlag beides druckte, soviel Exemplare
als er Lust hätte, setzen könnte über die von dem Verleger ihm
vorgeschriebene Anzahl. Der Jänner ist itzt da, bald auch der
Februar; ich hoflFe, es künftig möglich zu machen, daß die Stücke
etwas früher erscheinen.
Sie sehen also, mein Teurester, daß ich die Monatsschrift noch
fortsetze; Sie sehen, woran Sie auch wohl nie können gezweifelt
haben, daß ich (und alle Leser mit mir) Ihre Beiträge auf das
höchste schätze. Nehmen Sie also meine Bitte um die Fortsetzung
derselben mit Ihrer gewohnten Güte und Bereitwilligkeit zur Er-
füllung auf; und nehmen Sie zugleich meinen herzlichsten Dank
dafür an, daß Sie mir bald nach Ostern einen Beitrag zu senden
versprechen. Ich freue mich begierig darauf, und werde ihn, wie
sich versteht, sogleich zum Druck befördern. Fahren Sie, bitte
ich, dann von Zeit zu Zeit mit Ihren Beiträgen fort. Außer daß
Sie ein gutes Werk darali tun, mich zu unterstützen, bedenken
Sie auch; daß ein solcher in vieler Leser Hände kommender Auf-
satz oft mehr Wirkung tut, als ein eigenes besonders gedrucktes
Buch.
^) Vgl. Genz, „Nachtrag zu dem Raisonnement des Herrn Prof.
Kant über das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis" (Berl. Monats-
schrift, Dezember 1793); die Abhandlung von Rehberg behandelt das
gleiche Thema.
An Carl Leonhard Re'mhold 235
Besonders aber, bitte ich, lassen Sie nie einiges Mißtrauen
oder beunruhigende Vermutung über mich bei sich stattfinden;
sondern erkennen mich immer dafür, was ich wahrhaft u. auf-
richtig bin,
Ihr
herzlicher Verehrer und
treuer Freund und Diener
Berlin, Biester.
4 März 1794.
An Carl Leonhard Reinhold.
Verehrungswürdiger Herr
Teurester Freund!
Aoit dem herzlichen Wunsche, daß Ihre Entschließung, den
Platz der Verbreitung Ihrer gründlichen Einsichten zu verändern,
Ihnen selbst ebenso ersprießlich und für alle Ihre W^ünsche so
befriedigend sein möge, als sie gewiß denen sein wird, zu welchen
Sic übergehen, verbinde ich noch denjenigen, auch mit mir nicht
unzufrieden zu sein, obzwar ich dazu, dem Anschein nach, Ur-
sache gegeben habe; wegen Nichterfüllung meines Versprechens,
die Aufforderung betreffend, Ihre vortreffliche mir angezeigte
Briefe, vornehmlich die Prinzipien des Naturrechtes angehend (als
mit denen ich im wesentlichen mit Ihnen übereinstimme) durch-
zugehen und Ihnen mein Urteil darüber zu eröffnen. Daß dieses
nun nicht geschehen ist, daran ist nichts geringeres schuld als
mein Unvermögen! — Das Alter hat in mir, seit etwas mehr als
drei Jahren, nicht etwa eine sonderliche Veränderung im Mecha-
nischen meiner Gesundheit, noch auch eine große (doch merk-
liche) Abstufung der Gemütskräfte, den Gang meines Nachdenkens,
den ich einmal nach einem gefaßten Plane eingeschlagen, fortzu-
setzen, sondern vornehmlich eine mir nicht wohl erklärliche
Schwierigkeit bewirkt, mich in die Verkettung der Gedanken
eines Anderen hineinzudenken und so dessen System bei beiden
Enden gefaßt reiflich beurteilen zu können (denn mit allgemeinem
Beifall oder Tadel ist doch niemanden gedient). Dies ist auch
die Ursache, weswegen ich wohl allenfalls Abhandlungen aus
meinem eigenen Fonds herausspinnen kana: was aber z. B. ein
1-^6 An Carl Leonhard Reinhold
MAIMON mit seiner Nachbesserung der kritischen Philosophie
(dergleichen die Juden gerne versuchen, um sich auf fremde Kosten
ein Ansehen von Wichtigkeit zu geben) eigentlich wolle, nie
recht habe fassen können und dessen Zurechtweisung ich anderen
überlassen muß. — Daß aber auch an diesem Mangel körperliche
Ursachen schuld seien, schließe ich daraus: daß er sich von einer
Zeit her datiert vor etwas mehr als drei Jahren, da ein wochen-
lang anhaltender Schnuppen eine schleimichte Materie verriet, die,
nachdem jener aufgehört hat, sich nun auf die zum Haupt führende
Gefäße geworfen zu haben scheint, dessen stärkere Absonderung,
durch dasselbe Organ, wenn ein glückliches Niesen vorhergeht,
mich sogleich aufklärt, bald darauf aber durch seine Anhäufung
wiederum Umnebelung eintreten läßt. Sonst bin ich für einen
70jährigen ziemlich gesund. — Dies Bekenntnis, welches, einem
Arzt getan, ohne Nutzen sein würde, weil er wider die Folgen
des Alters nicht helfen kann, wird mir hoffentlich in Ihrem Ur-
teile über meine wahrhaftig freundschaftlich-ergebene Gesinnung
den gewünschten Dienst tun.
Und nun noch etwas von unseren Freunden. — Was ist aus
unserem gemeinschaftHchen Freunde, D. ERHARD aus Nürnberg,
geworden? Denn ohne Zweifel wird Ihnen nicht allein sein
Abenteuer, sondern, woran mir vornehmlich gelegen ist, es zu
erfahren, vermutlich auch der Ausgang desselben bekannt gewor-
den sein. — In der Mitte des Februars erhielt ich einen Briet
dd. Würzburg d. 31 Januar. 94 von einem (mir sonst unbekannten)
Herrn BAUR, des dortigen Stifts Vikar, welcher der Hauptsache
nach folgendes enthielt: Daß ein gewisser sich WILLIAMS nennen-
der Engländer im Oktobr. 9 3 sich in Nürnberg bei Herrn ERHARD
eingefunden und von diesem, samt seiner Frau und Schwester (beides
schönen Weibern) in sein Haus, unter dem Vorwande, das Eng-
lische von ihnen zu profitieren, aufgenommen worden: daß D. E.
soviel Zutrauen auf jenes seine vorgezeigte Dokumente bewiesen,
ihm auf einen Wechsel nach London Z500 Fl. zu geben: daß
WILLIAMS mit Bewilligung der ganzen Familie dem D. E. eine
Regiments-Oberchirurgusstelle zu öooo Fl. in amerikanischen Dien-
sten (vorgeblich) verschaffte, und dieser im April 94 Europa zu
verlassen und nach Philadelphia reisen zu wollen an Herrn BAUR
d. iz. Dez. 93 schrieb: daß W. eine Reise auf kurze Zeit vorschützte
und den E. bewog, mitzureisen, da sie dann zusammen nach
München abgingen: daß 14 Tag nachher der Betrug sich durch
An 'Johann Erich Biester 137
einen Brief des W. an seinen Bruder in Wien und in welchem
er sich Anton Simmon unterschrieben hatte, welcher Brief, da
letzterer in W— n nicht anzutreffen war, offen nach Nbg. zurück-
lief, entdeckte: daß der ausgestellte Wechsel als falsch zurückkam:
daß endlich, obgleich ihm die nachgeschickte Steckbriefe auf die
Spur gekommen, er doch nicht hat eingeholt werden können und
nun seine jetzt schwangere, dem zweiten Kinde entgegensehende
Frau und ihre Familie diesen schrecklichen Vorfall beweinen und,
da E. in einem Briefe aus Salzburg d. 20. geäußert habe, mich
besuchen zu wollen, ich aufgefordert werde, sobald ich etwas
von seinem Aufenthalt erfahre, es zu berichten. Herr BAUR
glaubt: daß dieser „Philosoph" durch Verliebung so grob betört
und zu so unerhörter Untreue verleitet worden.')
Wenn Ihnen, teuerster Freund, etwas von dem Ausgang dieser
Geschichte bekannt värd, so erbitte mir davon, wie auch von
den litterärischen Merkwürdigkeiten Ihres jetzigen Aufenthalts gütige
Nachricht, imgleichen versichert zu sein, daß niemand mit mehr
Hoch- und Wertschätzung Ihnen ergeben sein kann, als
Ihr
Königsberg treuer Freund und Diener
d. z8. Mart. 1794 I Kant
346.
An Johann Erich Biester.
Hier haben Sic, würdigster Freund, etwas für Ihre M. S.,
was, wie SWIFTS Tonne, dazu dienen kann, dem beständigen
Lärm über einerlei Sache eine augenblickliche Diversion zu
machen.^) Herrn REHBERGS Abhandlung ist mir nur gestern zu
Händen gekommen, bei deren Durchlesung ich fand; daß, für
den unendlichen Abstand des Rationalism vom Empirism der
Rechtsbegriffe, die Beantwortung seiner Einwürfe zu weitläuftig,
bei seinem Prinzip des auf Macht gegründeten Rechts der ober-
sten Gesetzgebung zu gefährlich, und, bei seiner schon ent-
') Näheres hierüber in Erhards Autobiographie S. 3 6 f.
*) Den Aufsatz über den Einfluß des Mondes auf die Witterung
(erschienen Berliner Monatsschr., Mai 1794).
zj8 Von Georg Samuel Albert Meilin
schiedcnen Wahl der zu nehmenden Partei (wie S. 122) ver-
geblich sein würde; daß aber ein Mann von 70 Jahren sich
mit beschwerlichen, gefährlichen und vergeblichen Arbeiten ab-
gebe, kann ihm biUigermaßen nicht zugemutet werden. — Herr
REHBERG will den eigentUchen Juristen (der in der Wage der
Gerechtigkeit der Schale der Vernunftgründe noch das Schwert
zulegt) mit dem Rechtsphilosophen vereinigen, wo es dann
nicht fehlen kann, daß jene so gepriesene, der Theorie zur Zu-
länglichkeit (dem Vorgeben nach, aber eigentlich um jener ihre
Stelle zu vertreten) so notwendige, Praxis nicht in Praktiken
ausschlage. In der Tat enthält auch eine solche Schrift das Verbot
schon in sich, dawider etwas zu sagen. — Das letztere wird
vermatlich in kurzem seine volle Kraft erhalten; seitdem die
Herren HERMES und HILLMER im Oberschulcollegio ihre Plätze
eingenommen, mithin auf die Universitäten, wie und was daselbst
gelehrt werden soll, Einfluß bekommen haben.
Die Abhandlung, die ich Ihnen zunächst zuschicken werde,
wird zum Titel haben „Das Ende aller Dinge", welche teils kläg-
lich, teils lustig zu lesen sein wird.
Ich bin mit unveränderter Gesinnung
Ihr
Königsberg, den 10. April 1794. ergebenster Freund und Diener
I Kant
Von Georg Samuel Albert Mellin.
Wohlgeborner Herr,
Höchstzuverehrender Herr Professor,
Mit einer gewissen, leicht zu erklärenden, Ängstlichkeit bin ich
so frei, Ew. Wohlgebor, ein Exemplar der Marginalien und des
Registers zur Kritik der reinen Vernunft zu überreichen.*) Sie
werden die reinste Absicht, die ich bei der Ausarbeitung derselben
immer vor Augen gehabt und in der Vorrede angegeben habe,
nicht verkennen. Mein Enthusiasmus für die kritische Philosophie
*) Georg Sam. A. Mellin (17 jj— 1825), Marginalien und Register
zu Kants Kritik der Erkenntnisvermögen, i.Teil, ZüUichau 1794-
Von Georg Samuel Albert Mellin 139
und das unselige Bemühen so vieler, die Quelle derselben zu
trüben, wovon sich einer sogar erdreistete, sich auf dem Titel
seiner Schrift Ihres gütigen Beistandes zu rühmen, bewogen mich
vorzüglich zu der Herausgabe dieses Hilfsmittels, die Übersicht der
Kritik zu erleichtern. Möchte ich wenigstens dadurch Ew. Wohl-
gebor, nicht mißfallen. Habe ich hier und dort gefehlt, so tröste
ich mich damit, wenigstens die Idee der Wissenschaft nicht so
verkannt zu haben, wie der Stifter einer gewissen Schule, der
durch seine Bemühungen, etwas Neues zu sagen, die kritische
Philosophie, zu meinem Leidwesen, so vielen Einwürfen aussetzt,
die doch nicht ihr, sondern dem Dolmetscher derselben zur Last
fallen.
Möchte doch die Vorsehung es gut finden, Ihnen, verehrungs-
würdigster Herr Professor, Gesundheit und Kräfte zu verleihen,
zur Herausgabe Ihrer Schriften, die Ihre Verehrer so begierig er-
warten. Da ich mir mit der Hoffnung schmeichele, mit einer Ant-
wort von Ew. Wohlgebor, beehrt zu werden, so bin ich so frei,
Sie um einiges zu befragen. Allen Verehrern der Kritik, die ich
noch gesprochen habe und mir selbst, liegt die Beantwortung der
Frage auf dem Herzen; wie deduziert man die Vollständigkeit
der Tafel der Urteile, auf der die Vollständigkeit der Tafel der
Kategorien beruhet? — — ich habe nie Ihre Schrift über die
Figuren der Syllogismen bekommen können, und doch möchte
ich gern wissen, wie Sie LAMBERTS Vorstellung von der Reahtät
der drei übrigen Figuren, im Organon, entkräften und die Un-
richtigkeit derselben beweisen, da Sie in einer Anmerkung zur
Kritik sich dagegen erklären. — — In der Religion innerhalb
den Grenzen ist eine Anmerkung über die Unbrauchbarkeit der
Auferstehung Jesu zu Vernunftbegriffen, weil sie die Vernunft auf
eine einzige Erklärungsart der Art unserer Fortdauer nach dem
Tode einschränkt. Aber ist nicht die Auferstehung Jesu bloß ein
Symbol der sinnlichen Fortdauer, die uns in unserm gegen-
wärtigen Zustande nur unter dem Bilde einer materiellen Fort-
dauer vorgestellt werden kann?
Eine kleine Gesellschaft, die ich hier bloß zum Studium der
kritischen Philosophie gestiftet habe, und aus dem Prediger SILBER-
SCHLAG, Sohn des ehemaligen Oberkons.-Rats, dem Prediger
FRITZE, dem Rektor NEIDE, einem Lehrer an Klosterfrau Namens
ROLLE, Sohn des berühmten Musikdirektors, und einem jetzt in
Halle als Hofmeister lebenden ROLOFF besteht, versichern Ew.
240 An Johann Erich Biester
Wohlgebornen nebst mir, ihre innigste Verehrung. Diese Gesell-
schaft haben wir vor 2V2 Jahren gestiftet. Sie hat den Nutzen
bewirkt, daß das Studium der kritischen Philosophie sich hier sehr
ausbreitet. Möchten wir nur bald eine Transszendentalphiloso-
phie, eine Metaphysik der Sitten, Anthropologie und Moral von
Ihnen bekommen. Mit Sehnsucht ergreifen wir immer den Meß-
katalog.
Ich rechne es zu dem größten Glück meines Lebens, und mit
mir gewiß schon in Deutschland eine große Anzahl denkender
Menschen, Ew. Wohlgebor. Zeitgenosse zu sein und von Ihnen
zu lernen. Vergeblich würde ich Worte suchen, die vollkommenste
und größte Hochachtung auszudrücken, mit der ich, solange ich
denken kann und das Bewußtsein habe, wem ich meine Er-
kenntnis verdanke, stets sein werde
Ew. Wohlgeborn.
Magdeburg aufrichtigster und
den 12. April 1794. innigster Verehrer
Meilin
348.
An Johann Erich Biester.
Ich eile, hochgeschätzter Freund! Ihnen die versprochene Ab-
handlung zu überschicken, ehe noch das Ende Ihrer und meiner
Schriftstellerei eintritt.') Sollte es mittlerweile schon eingetreten
sein, so bitte ich solche an Herrn Professor imd Diakonus EHR-
HARD SCHMIDT in Jena für sein philosophisches Journal
zu schicken. — Ich danke für die mir erteilte Nachricht, und
überzeugt, jederzeit gewissenhaft und gesetzmäßig gehandelt zu
haben, sehe ich dem Ende dieser sonderbaren Veranstaltungen
ruhig entgegen. Wenn neue Gesetze das gebieten, was meinen
Grundsätzen nicht entgegen ist, so werde ich sie ebenso pünktlich
befolgen; eben das wird geschehen, wenn sie bloß verbieten
sollten, seine Grundsätze ganz, wie ich bisher getan habe (und
welches mir keinesweges leid tut), bekannt werden zu lassen. —
Das Leben ist kurz, vornehmlich das, was nach schon verlebten
^) „Das Ende aller Dinge", erschienen Berl. Monatsschr., Juni 1 794-
Von Friedrich Schiller 241
70 Jahren übrig bleibt; um das sorgenfrei zu Ende zu bringen,
wird sich doch wrohl ein Winkel der Erde ausfinden lassen. —
Wenn Sie etwas, das kein Geheimnis ist, aber uns hiesiges Ort
doch nur spät oder unzuverlässig bekannt wird, mir, wenn es
mich interessieren könnte, mitteilen wollen, wird es mir ange-
nehm sein.
Ich beharre indes zu sein
der Ihrige
Königsberg I Kant
d. 18. Mai
1794
P. S. Ich habe an einer Stelle dieser Abhandl. den Setzer
angewiesen, wie er eine durch des Amanuensis Ungeschicklichkeit
in den Text geratene Note zurechtsetzen soll, — und bitte ihn darauf
aufmerksam zu machen.
349-
Von Friedrich Schiller.
Jena. Den 13. Jun. 94.
Aufgefodert von einer, Sie unbegrenzt hochschätzenden, Ge-
sellschaft, lege ich Ew. Wohlgeboren beiliegenden Plan einer
neuen Zeitschrift und unsre gemeinschaftliche Bitte vor, dieses
Unternehmen durch einen, wenn auch noch so kleinen, Anteil
befördern zu helfen. Wir würden nicht so unbescheiden sein,
diese Bitte an Sie zu tun, wenn uns nicht die Beiträge, womit
Sie den Deutschen Merkur und die Berliner Monatschrift beschenkt
haben, zu erkennen gäben, daß Sie diesen Weg, Ihre Ideen zu
verbreiten, nicht ganz verschmähn. Das hier angekündigte Journal
wird aller Wahrscheinlichkeit nach von einem ganz andern Publi-
kum gelesen werden, als dasjenige ist, welches sich vom Geist
Ihrer Schriften nähret, und gewiß hat der Verfasser der Kritik
auch diesem Publikum manches zu sagen, was nur Er mit diesem
Erfolge sagen kann. Möchte es Ihnen gefallen, in einer freien
Stunde sich unsrer zu erinnern, und dieser neuen literarischen
Sozietät, durch welchen sparsamen Anteil es auch sei, das Siegel
Ihrer Billigung aufzudrücken.
Kants Schriften. Bd. X. l6
24.1
Von j^akob S'tgismund Beck
Ich kann diese Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, ohne
Ihnen, verehrungswürdigster Mann, für die Aufmerksamkeit zu
danken, deren Sie meine kleine Abhandlung gewürdigt, und für
die Nachsicht, mit der Sie mich über meine Zweifel zurecht-
gewiesen haben.') Bloß die Lebhaftigkeit meines Verlangens, die
Resultate der von Ihnen gegründeten Sittenlehre einem Teile des
Publikums annehmlich zu machen, der bis jetzt noch davor zu
fliehen scheint, und der eifrige Wunsch, einen nicht unwürdigen
Teil der Menschheit mit der Strenge Ihres Systems auszusöhnen,
konnte mir auf einen Augenblick das Ansehen Ihres Gegners
geben, wozu ich in der Tat sehr wenig Geschicklichkeit und noch
weniger Neigung habe. Daß Sie die Gesinnung, mit der ich schrieb,
nicht mißkannten, habe ich mit unendlicher Freude aus Ihrer An-
merkung ersehen, und dies ist hinreichend, mich über die Miß-
deutung zu trösten, denen ich mich bei andern dadurch ausgesetzt
habe.
Nehmen Sie, vortrefflicher Lehrer, schließlich noch die Ver-
sicherung meines lebhaftesten Danks für das wohltätige Licht an,
das Sie in meinem Geist angezündet haben; eines Danks, der wie
das Geschenk, auf das er sich gründet, ohne Grenzen und un-
vergänglich ist.
Ihr
aufrichtiger Verehrer
Fr. Schiller.
350.
Von Jakob Sigismund Beck.
Hochachtungswürdiger Lehrer,
Die Versäumung meines Druckers macht es, daß der zweite
Band von meinem Auszuge erst zur Michälismesse fertig werden
wird. Die Anfangsgründe zur Metaphysik der Natur habe ich
mir sehr deutlich aufgewickelt. Mein letzter Brief an Sie konnte
Ihnen vielleicht eine schlimme Vermutung in Ansehung meiner
Bearbeitung beigebracht haben. Denn da ich mir das, warum ich
Sie fragte, selbst nicht deutlich dachte, so kam es, daß ich auch
^) S. Kants Bemerkung über Schillers „Anmut und Würde" im
ersten Stück seiner „Religion".
Von fakoh Sigismund Beck 243
ganz unverständlich fragen mußte. Im ganzen Ernst, ich habe mich
in Ihre Entwickelung sehr genau hineinstudiert, und ich meine,
daß Sie so urteilen werden, wenn Sie mein Buch ansehen werden.
Schätzungswürdiger Mann, ich bin auf die Idee zu einer Schrift
gestoßen, die ich Ihnen hier ganz kurz vorlegen und dabei bitten
will, Ihre wahre Meinung deshalb meinem Verleger zu sagen.
Sie fuhren Ihren Leser in Ihrer Kritik der reinen Vernunft,
allmählich, zu dem höchsten Punkt der Transszendentalphilosophie,
nämlich zu der synthetischen Einheit. Sie leiten nämlich seine
Aufmerksamkeit zuerst auf das Bewußtsein eines Gegebenen,
machen ihn nun auf Begriffe, wodurch etwas gedacht wird,
aufmerksam, stellen die Kategorien anfänglich auch als Begriffe,
in der gewöhnlichen Bedeutung vor, und bringen zuletzt Ihren
Leser zu der Einsicht, daß diese Kategorie eigentlich die Handlung
des Verstandes ist, dadurch er sich ursprünglich den Begriff von
einem Objekt macht, und das: ich denke ein Objekt erzeugt.
Diese Erzeugung der synthetischen Einheit des Bewußtseins habe
ich mich gewöhnt, die ursprüngliche Beilegung zu nennen.
Sie ist die Handlung, unter andern, die der Geometer postuliert,
wenn er seine Geometrie von dem Satze anfängt; sich den Raum
vorzustellen, und welcher er mit keiner einzigen diskursiven Vor-
stellung gleichkommen würde. So wie ich die Sache ansehe, so
ist auch das Postulat: durch ursprüngliche Beilegung sich ein Objekt
vorstellen, das höchste Prinzip der gesamten Philosophie, auf wel-
chem die allgemeine r. Logik und die ganze Transsz; Philosophie
beruht. Ich bin daher fest überzeugt, daß diese synthetische Ein-
heit derjenige Standpunkt ist, aus welchem, wenn man sich ein-
mal seiner bemächtigt hat, man nicht allein in Ansehung dessen,
was wohl ein analytisches und synthetisches Urteil ist, sondern
was wohl überhaupt a priori und a posteriori beißen mag, was
das sagen wolle, wenn die Kritik die Möglichkeit der geometri-
schen Axiome darin setzt, daß die Anschauung, die man ihnen
unterlegt, rein sei, was das wohl ist, was uns affiziert, ob das
Ding an sich, oder ob damit nur eine transsz: Idee gemeint sei,
oder ob es nicht das Objekt der empirischen Anschauung selbst,
die Erscheinung sei, und ob wohl die Kritik im Zirkel gehe,
wenn sie die Möglichkeit der Erfahrung zum Prinzip der synthe-
tischen Urteile a priori mache, und doch das Prinzip der Kausa-
lität in den Begriff dieser Möglichkeit verstecke, ich sage, daß
man von alle diesem, ja von dem diskursiven Begriff: Möglich-
16*
2 44 ^^" Jakoh Sigismund Beck
kcit der Erfahrung selbst, allererst dann, vollendete Erkundigung
erhalten kann, wenn man sich dieses Standpunkts vollkommen
bemeistert hat, und daß, solange man diese Möglichkeit der Er-
fahrung nur noch immer selbst bloß diskursiv denkt, und nicht
die ursprünglich beilegende Handlung, eben in einer solchen Bei-
legung selbst verfolgt, man so viel w^ie nichts einsieht, sondern
wohl eine Unbegreiflichkeit in die Stelle einer andern schiebt.
Ihre Kritik aber führt, wie ich sage, nur nach und nach, ihren
Leser auf diesen Standpunkt, und da konnte nach dieser Methode,
sie gleich anfänglich, als in der Einleitung, die Sache nicht voll-
kommen aufhellen, und die Schwierigkeiten, die dabei sich auf-
decken, sollten den nachdenkenden Mann zum beharrlichen Aus-
dauern locken. Weil aber die wenigsten Leser sich jenes höchsten
Standpunkts zu bemächtigen wissen, so werfen sie die Schwierig-
keit auf den Vortrag, und bedenken nicht, daß sie der Sache an-
klebe, die sich gewiß verlieren würde, wenn sie einmal in Stande
wären, die Forderung zu überdenken, die synthetische Einheit des
Bewußtseins hervorzubringen. Ein Beweis aber, daß die Freunde
der Kritik doch auch nicht recht wissen, woran sie sind, ist schon
das, daß sie nicht recht wissen, wohin sie den Gegenstand setzen
sollen, welcher die Empfindung hervorbringt.
Ich habe mir daher vorgenommen, diese Sache, wahrlich doch
die Hauptsache der ganzen Kritik, recht zu betreiben, und arbeite
an einem Aufsatz, worin ich die Methode der Kritik umwende.
Ich fange von dem Postulat der ursprünglichen • Beilegung an,
stelle diese Handlung in den Kategorien dar, suche meinen Leser
in die Handlung selbst zu versetzen, in welcher sich diese Bei-
legung an dem Stoffe der Zeitvorstellung ursprünglich offenbart —
Wenn ich nun so glaube, meinen Leser gänzlich auf die Stelle
gesetzt zu haben, auf der ich ihn haben will, so führe ich ihn
zur Beurteilung der Kritik d. r. V. in ihrer Einleitung, Ästhetik
und Analytik. Sodann will ich ihn die vorzüglichsten Einwürfe
beurteilen lassen, insbesondere die des Verfassers des Aenesidemus.
Was urteilen Sie wohl davon? Ihr Alter drückt Sie, und ich
will Sie gar nicht bitten, mir hierauf zu antworten, obwohl ich
gestehen muß, daß Ihre Briefe mir die kostbarsten Geschenke
sind. Aber darum bitte ich Sie, daß Sie die Freundschaft für
mich haben wollen, Ihre wahre Meinung darüber meinem Verleger
2U sagen. Denn er wird sich darnach bestimmen. Es versteht
sich aber wohl von selbst, daß ich nichts anderes wollen kann.
Von Johann Gottlieb Fichte 245
als daß Sie ihm gerade heraussagen, was Sie von diesem Projekt
haken, ob eine solche Schrift, von mir bearbeitet, für das Publikum
nützlich ausfallen dürfte.
Auch sein Sie so gütig, mich zu entschuldigen, wenn ich etwas
zu behauptend Ihnen scheinen- möchte. Ich muß diesen Brief auf
der Post dem HARTKNOCH nachschicken, und die Post will
abgehen, daher ich etwas flüchtig schreiben mußte. Behalten Sic
Ihre Gewogenheit für
Ihren
Halle Sie verehrenden
d. 17. Juni 17P4. Beck.
Von Johann Gottlieb Fichte.
Verehrungswürdigster Mann, [Jena, Juni 1794.]
Es ist vielleicht Anmaßung von mir, wenn ich durch meine
Bitte dem Antrage des Herrn SCHILLER, der vorigen Posttag an
Sie ergangen, ein Gewicht hinzufügen zu können glaube. Aber die
Lebhaftigkeit meines Wunsches, daß derjenige Mann, der die letzte
Hälfte dieses Jahrhunderts für den Fortgang des menschlichen Geistes
für alle künftigen Zeitalter unvergeßlich gemacht hat, durch seinen
Beitritt ein Unternehmen autorisieren möchte, das darauf ausgeht,
seinen Geist über mehrere Fächer des menschlichen Wissens und
über mehrere Personen zu verbreiten; vielleicht auch die Aussicht,
daß ich selbst mit Ihnen in einem Plane vereinigt würde, läßt
mich nicht lange untersuchen, was der Anstand mir wohl erlauben
möge. — Sie haben von Zeit zu Zeit in die Berliner Monats-
schrift Aufsätze gegeben. Für die Verbreitung dieser ist es völlig
gleichgültig, wo sie stehen; jede periodische Schrift wird um ihrer
willen gesucht: aber für unser Institut wäre es vor Welt und
Nachwelt die höchste Empfehlung, wenn wir Ihren Namen an
unsrer Spitze nennen dürften.
Ich habe Ihnen durch Herrn HÄRTUNG meine Einladungs-
schrift überschickt; und es würde höchst unterrichtend für mich
sein, wenn ich — jedoch ohne Ihre Unbequemlichkeit — Ihr
Urteil darüber erfahren könnte. — Ich werde von nun an durch
den mündlichen Vortrag mein System für die öffentliche Bekannt-
machung reifen lassen.
246 Von jfoachim Heinrich Campe
Ich sehe mit Sehnsucht Ihrer Metaphysik der Sitten entgegen.
Ich habe besonders in Ihrer Kritik der Urteilskraft eine Harmonie
mit meinen besondern Überzeugungen über den praktischen Teil
der Philosophie entdeckt, die mich begierig macht, zu wissen, ob
ich durchgängig so glücklich bin, mich dem ersten Denker anzu-
nähern.
Ich bin mit innigster Verehrung Ihnen ergeben.
Fichte.
Von Joachim Heinrich Campe.
Verchrungswürdiger Mann,
Zum Erstaunen aller denkenden und gutgesinnten Menschen
verbreitet sich hier das Gerücht, daß es der blinden Glaubenswut
gelungen sei, Sie in den Fall zu setzen, entweder die Wahrheiten,
die Sie ans Licht gezogen und verbreitet haben, für Unwahrheiten
zu erklären, oder Ihr Amt, das Sie so sehr verherrhchet haben,
niederzulegen. Ich will zwar zur Ehre des ablaufenden Jahrhunderts
noch hoffen und wünschen, daß dieses empörende Gerücht eine
Erdichtung sei; sollte es sich aber dennoch wirkHch so verhalten,
sollte der Lehrer des Menschengeschlechts den Königsbergischen
Lehrstuhl wirklich nicht mehr betreten dürfen, und sollte für Sie,
edler Mann, auch nur die geringste Verlegenheit — sei's in Ansehung
Ihrer körperlichen oder geistigen Bedürfnisse — daraus entstehen:
so erlauben Sie mir eine Bitte, durch deren Erfüllung Sie mich
sehr glücklich machen würden. Sehen Sie in diesem Falle sich
als den Besitzer alles dessen an, was ich mein nennen darf;
machen Sie mir und den Meinigen die Freude, zu uns zu kommen
und in meinem ziemlich geräumigen Hause, welches von dem Augen-
blicke an das Ihrige sein wird, die Stelle eines Oberhaupts meiner
kleinen Familie einzunehmen; genießen Sie hier aller der Ruhe,
BequemHchkeit und Unabhängigkeit, welche dem Abend Ihres
so sehr verdienstlichen Lebens gebühren; und sein Sie versichert,
daß Sie den Meinigen und mir jeden Lebensgenuß dadurch aus-
nehmend erhöhen und versüßen werden. Ich bin zwar nicht
reich, aber da ich weniger Bedürfnisse als andere habe, deren
Einkünfte und bürgerHche Verhältnisse den meinigen gleich sind:
so bleibt mir, nach Abzug dessen, was ich zum Unterhalt meiner
An 'Johann Erich Biester Z47
kleinen Familie bedarf, immer noch mehr übrig, als zur Verpflegung
eines Weisen nötig ist.
Außer der allgemeinen Verpflichtung, die jeder denkende Mensch
jetzt fühlen muß, Ihnen, wofern Sie sich auch nur in der min-
desten Verlegenheit befinden sollten, die Hand zu reichen, habe
ich für meine Person noch die besondere, daß Sie einst unter
ähnlichen Umständen eine ähnliche Sorge für mich äußerten.
Denn noch stehen die gütigen Anerbietungen, die Sie mir machten,
da ich Dessau verließ, mit frischen Buchstaben in meinem Ge-
dächtnis angeschrieben, und werden, so lange ich denken kann,
darin nie verlöschen.*)
Aber wirklich ist es nicht Dankbarkeit, sondern reine Eigen-
nützigkeit, was mich angetrieben hat, Ihnen meine obige Bitte
vorzutragen: denn ich fühle es gar zu stark, wie sehr Sie durch
Erfüllung derselben mein Glück erhöhen würden.
Ich wiederhole also diese Bitte auf die dringendste Weise,
selbst auf die Gefahr hin, daß sie zudringlich scheinen kann.
Aber wenn sie dies auch selbst in Ihren Augen scheinen sollte:
so werden Sie doch — dies bin ich von Ihrer Güte versichert —
der Quelle meiner Zudringlichkeit Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Diese ist die herzUchste Teilnahme und die lauterste Verehrung,
die ein Sterblicher für den andern empfinden kann.
Campe
Braunschweig d. 27: Jun. 94. Schulrat.
353-
An Johann Erich Biester.
Der Ihnen, teuerster Mann! Gegenwärtiges zu überreichen die
Ehre hat, Herr Kriminal- und Stadtrat, imgleichen Oberbillietier
der Stadt Königsberg, JENSCH, mein vieljähriger, wohldenkender,
aufgeweckter und im literarischen Fache wohlbewanderter, zuver-
lässiger Freund, würde gewiß bei Ihrem Hiersein (als mit Ihren
Freunden V. HIPPEL und SCHEFFNER *) innigst verbunden), auch
») S. Kants Brief an Campe vom 31. Okt. 1777 (Bd. IX, S. 163 ff.).
') Joh. Georg Scheffner (1736—1820) in Königsberg, später
Kriegs- und Steuerrat in Gumbinnen, über ihn vgl. seine Autobiogra-
phie, Leipzig 18 16.
248 An Jak oh S'tgismund Beck
mit Ihnen Bekanntschaft gemacht haben, wäre er nicht damals an
einem Schaden am Fuße krank gewesen. Ich wünsche sehr: daß
Sie ihn, als neuen Freund, in Ihre Zuneigung und Vertraulichkeit
aufnehmen und ihn, so weit es Ihre Geschäfte zulassen, mit den
Merkwürdigkeiten von Berlin, vornehmlich einigen Personen, deren
Bekanntschaft ihn interessieren könnte, bekannt machen möchten;
so weit dieses ohne Ihre Beschwerde und Aufwand geschehen
kann.
Von unseren gemeinschaftlichen literarischen Angelegenheiten
habe ich für jetzt nichts anzumerken, als daß meine, in der Berl.
Zeitung angezeigte Abhandlung vom Mondseinflusse (Monat Mai)
bis jetzt in Königsberg noch nicht angelangt ist. — Die über
das Ende aller Dinge erwarte ich also nicht vor Ende des
Julius bei uns anlangen zu sehen.
Was es auch mit dem Tichten und Trachten der Menschen
immer für eine Bewandtnis haben mag, das, wenn es der Natur
der Dinge widerstreitet, ein Ende haben muß, so kann das doch
der Freundschaft nicht widerfahren, niit der ich bin '
der Ihrige
Königsberg, I. Kant,
d. 19. Juni
1794-
354-
An Jakob Sigismund Beck.
Wertester Freund
Auf die Mitteilung Ihrer Idee, von einem vorhabenden Werk,
über die „ursprüngliche Beilegung" (der Beziehung einer Vorstellung,
als Bestimmung des Subjekts, auf ein von ihr unterschiedenes
Objekt, dadurch sie ein Erkenntnisstück wird, nicht bloß Gefühl
ist) habe ich, außer daß mir alle Ihre Zuschriften jederzeit an-
genehm sind, jetzt nichts zu erwidern, als folgende kleine Bemer-
kungen ;
I. Ob Sie das Wort Beilegung auch wohl im Lateinischen
ganz verständlich ausdrücken könnten? Ferner, kann man eigent-
lich nicht sagen: daß eine Vorstellung einem anderen Dbge zu-
komme, sondern daß ihr, wenn sie Erkenntnisstück werden soll,
nur eine Beziehung auf etwas anderem (als das Subjekt ist, dem
An ^akob Sigismund Beck Z49
sie inhäriert) zukomme, wodurch sie anderen kommunikabel
■wird; denn sonst würde sie bloß zum Gefühl (der Lust oder Un-
lust) gehören, welches an sich nicht mitteilbar ist. Wir können
aber nur das verstehen und anderen mitteilen, was wir selbst
machen können, vorausgesetzt, daß die Art, wie wir etwas an-
schauen, um dies oder jenes in eine Vorstellung zu bringen,
bei allen als einerlei angenommen werden kann. Jenes ist nun
allein die Vorstellung eines Zusammengesetzten. Denn:
2. Die Zusammensetzung können wir nicht als gegeben wahr-
nehmen, sondern wir müssen sie selbst machen: wir müssen zu-
sammensetzen, wenn wir uns etwas als zusammengesetzt
vorstellen sollen (selbst den Raum und die Zeit). In Ansehung
dieser Zusammensetzung nun können wir uns einander mitteilen.
Die Auffassung (apprehensio) des Mannigfaltigen Gegebenen und
die Aufnehmung in die Einheit des Bewußtseins desselben (apper-
ceptio) ist nun mit der Vorstellung eines Zusammengesetzten (d. i.
nur durch Zusammensetzung Möglichen) einerlei, wenn die Syn-
thesis meiner Vorstellung in der Auffassung, und die Analysis
derselben, sofern sie Begriff ist, eine und dieselbe Vorstellung
geben (einander wechselseitig hervorbringen), welche Übereinstim-
mung, da sie weder in der Vorstellung allein, noch im Bewußt-
sein allein liegt, dennoch aber für jedermann gültig (cojnmunicabet)
ist, auf etwas für jedermann Gültiges, von den Subjekten Unter-
schiedenes, d. i. auf ein Objekt bezogen wird.
Ich bemerke, indem ich dieses hinschreibe, daß ich mich nicht
einmal selbst hinreichend verstehe, und werde Ihnen Glück wünschen,
wenn Sie diese einfache dünne Fäden unseres Erkenntnisvermögens
in genugsam hellen Lichte darstellen können. Für mich sind so
überfeine Spaltungen der Fäden nicht mehr; selbst Hrn. Prof.
REINHOLDS seine kann ich mir nicht hinreichend klar machen.
Einen Mathematiker wie Sie, werter Freund, darf ich wohl nicht
erinnern, über die Grenze der Klarheit, sowohl im gewöhnlich-
sten Ausdrucke, als auch der Belegung durch leichte faßliche Bei-
spiele, nicht hinauszugehen. — Herren HARTKNOCH wird Ihre
vorhabende Schrift sehr lieb sein.
Behalten Sie mich lieb als
Ihren aufrichtigen Freund und Diener
Königsberg I Kant
d. I. Juli.
1794
2 50 An Joachim Heinrieb Campe
355-
An Joachim Heinrich Campe.
Würdigster, vortrefflicher Mann!
Das menschenfreundliche, aus liebevollem Herzen entsprungene,
zugleich auch mit der äußersten Schonung auch der zartesten Be-
denklichkeit, in Annehmung der Wohltaten begleitete Anerbieten,
welches Sie mir in Ihrem, mir unvergeßlichen Briefe vom 27. Juni
zu tun beliebt haben, hat mich in die größte Rührung versetzt,
und verdient meine innigste Dankbarkeit, obgleich der Fall nicht
existiert, davon Gebrauch zu machen.
Der Kommandant unserer Stadt (soll wohl eigentlich der Gou-
verneur Herr Generalleutnant v. BRUNNECK sein) hat keine Auf-
forderung zum Widerruf meiner Meinungen an mich getan; folg-
lich ist auch kein Entsetzungsurteil von meiner Stelle, auf höchsten
Befehl, an mich ergangen. Ein falsches Gerücht, als ob ich mit
diesem Herrn, der mir immer alle Merkmale seiner Gewogenheit
bewiesen hat, wegen der Bestellung eines neuen Hauslehrers für
seine Kinder, zerfallen wäre, kann hierzu Anlaß gegeben haben.
Was die Zumutung des Widerrufs, im Fall, daß die vorgeb-
liche Bedrohung stattgefunden hätte, betrifft: so haben Sie ganz
richtig geurteilt, wie ich mich dabei würde benommen haben.
Außerdem halte ich in meiner jetzigen Lage und, da mir keine
Verletzung der Gesetze schuld gegeben werden kann, eine solche
Zumutung oder Androhung kaum für möglich. Auf den äußersten
Fall aber bin ich von Mitteln der Selbsthilfe nicht so entblößt,
daß ich Mangels wegen für die kurze Zeit des Lebens, die ich
noch vor mir habe, in Sorgen stehen, und irgend jemanden zur
Last fallen sollte; so gern er diese auch aus edler Teilnehmung
zu übernehmen gesinnt sein möchte.
Und nun, teuerster Freund, wünsche ich Ihnen ein Glück des
Lebens, dessen Ihre rühm- und liebenswürdige Denkungsart so
sehr würdig ist; empfehle mich Ihrem ferneren Wohlwollen, und
bin mit der größten Hochachtung
Königsberg, d. 16, Jul.. 1794. der Ihrige
Kant.
Von Jakoh Sigismund Beck 251
35(5.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den 1 6. September 1794.
Verehrungswürdiger Lehrer,
Hierbei erhalten Sie ein Exemplar vom zweiten Bande meines
Auszugs aus Ihren kritischen Schriften, welches Sie von mir an-
zunehmen so gütig sein wollen. Daß ich Ihnen für diese ganze
mir übertragene und jetzt vollendete Arbeit sehr verbunden bin,
das vinll ich Ihnen nicht weiter sagen. Ich hatte gewünscht, daß
die Reife der Einsicht in diese philosophische Angelegenheiten,
und gewissermaßen die Gewandtheit, die ich allererst in dieser
Arbeit in einigem Grade erlangt habe, mir schon vor derselben
beschert gewesen wäre; so würde ich derselben mehr Vollkom-
menheit gegeben und sie dem etwas viel versprechenden Titel
eines erläuternden Auszuges entsprechender gemacht haben. Wäh-
rend dieses ganzen Geschäftes habe ich meinen Blick auf das
eigentliche Transszendentale unserer Erkenntnis immer wieder
zurückgewandt und diesen Punkt so scharf zu fassen gesucht, als
ich nur immer konnte. Hierdurch bin ich inne geworden, daß
die Möglichkeit der Erfahrung, sofern dieselbe den wahren trans-
szendentalen Standpunkt selbst ausmacht, ganz was anderes ist,
als diejenige bloß abgeleitete, diskursive Vorstellung der Möglich-
keit der Erfahrung, die ein bloßes und großenteils unverständ-
liches Hypothesenspiel ist, das zu tausend Fragen Anlaß gibt. Mit
Ihrer Kritik, fürtrefflicher Mann, ist es fast so bewandt, wie mit
der Astronomie, insbesondere der physischen. Man wird so oft
darin hin- und hergeworfen, daß man lange Zeit nicht weiß,
woran man ist. Allererst wenn man den eigentlichen Standpunkt
der Transszendental philosophie erreicht hat, und so den Geist
Ihrer synthetischen objektiven Einheit des Bewußtseins in seine
Denkart gleichsam übertragen, und sich in die Handlungsweise
der ursprünglichen Beilegung (der Synthesis nach den Kategorien)
und der ursprünglichen Anerkennung (des transszendentalen Sche-
matismus) gewissermaßen versetzt hat, ist man imstande, die Kritik
von ihrem Anfange bis zu ihrem Ausgange zu fassen und sie zu
übersehen, und sonach ist man wahrhaftig erst imstande, so simpel
es auch sehr vielen scheinen mag, zu wissen was ein Erkenntnis
a priori und a posteriori heiße. In dem Briefe, den Ihnen
M^
Von jfohann Gottlieb Fichte
HARTKNOCH wird überbracht haben, schrieb ich Ihnen, daß
ich an einer Schrift arbeite, in der ich diesen transszendentalen
Standpunkt etwas hervorheben will. Da habe ich nun folgende
Gegeneinanderstellung im Kopfe. Ich will zeigen, wie nicht allein
alle Mißverständnisse der Kritik, sondern auch alle Verirrungen
der Vernunft, überhaupt ihre Quelle darin haben, daß man eine
Verbindung zwischen der Vorstellung und ihrem Gegenstande
annimmt, die selbst Nichts ist, und nachdem ich nun diese ver-
meintliche Erkenntnis der Dinge an sich in ihrer ganzen Leerheit
werde dargestellt, und ganz besonders, obzwar mit aller Be-
scheidenheit werde gezeigt haben, daß die meisten Ausleger der
Kritik, ob sie gleich dieselbe unterschreiben, sich dieses Vorurteils
noch gar nicht entschlagen haben, und indem sie so an der bloß
abgeleiteten Vorstellungsart hängen, der Frage des Skeptikers: was
verbindet meine Vorstellung von einem Gegenstande, mit diesem
Gegenstande? nimmermehr ausweichen, so werde ich in der Aus-
einandersetzung der ursprünglichen Vorstellungsart im Gegensatze
zeigen, worin denn die Verbindung liege, und folglich was die
ganze Behauptung der Kritik: Wir erkennen die Dinge bloß als
Erscheinungen, sage, zeigen.
Ich habe sehr viel auf dem Herzen, was ich Ihnen von
meinen nunmehr etwas fester gewordenen Einsichten in Ihre un-
sterbliche Kritik gern sagen möchte. Aber meine Briefe mögen
Ihnen vielleicht lästig sein und ich schließe daher mit der einzigen
Bitte, daß Sie mich in freundschaftlichem Andenken behalten wollen.
Beck.
557-
Von Johann Gottlieb Fliehte.
Darf ich Ihre Muße,
verehrungswürdigster Mann,
durch die Bitte unterbrechen, beigeschloßnen kleinen Teil des
ersten Versuchs den in meiner Schrift: Über den Begriff der
Wissenschaftslehre usw. angedeuteten Plan auszuführen, wenn Ihre
Geschäfte irgend es erlauben, durchzulesen, und mir Ihr Urteil
darüber zu sagen.*)
') Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Jena und
Leipzig, 1794-
Von Johann Gottlieh Fichte 255
Abgerechnet, daß der Wink des Meisters dem Nachfolger un-
endlich wichtig sein muß, und daß Ihr Urteil meine Schritte
leiten, berichtigen, beschleunigen wird, wäre es vielleicht auch
nicht unwichtig für den Fortgang der Wissenschaft selbst, wenn
man dasselbe wüßte. Bei dem Tone, der im philosophischen
Publikum herrschend zu werden droht; bei dem anmaßenden
Absprechen derer, die in Posseß zu sein sich dünken; bei ihrem
ewigen Machtspruche vom Nichtverstanden haben und Nicht-
verstanden haben können, und gegenseitigen Niever-
stehen werden, wird es immer schwerer, sich auch nur Gehör
zu verschaffen; geschweige denn Prüfung und belehrende Beur-
teilung.
Von innigster Verehrung gegen Ihren Geist durchdrungen,
den ich zu ahnden glaube; des Glücks teilhaftig, Ihren persön-
lichen Charakter in der Nähe bewundert zu haben; wie glücklich
wäre ich, wenn meine neuesten Arbeiten von Ihnen eines günstigem
Blicks gewürdigt würden, als man bisher darauf geworfen! Herr
SCHILLER, der Sie seiner Verehrung versichert, erwartet sehn-
suchtsvoll Ihren Entschluß in Absicht des geschehenen Ansuchens
in einer Sache, die ihn ungemein interessiert; und uns andere
nicht weniger. Dürfen wir hoffen? Ich empfehle mich Ihrem
gütigen Wohlwollen.
Ihr
innigst ergebener
Jena, Fichte.
den 6. Oktober 1794.
Ich lege ein Exemplar von tünf mir abgedrungenen Vor-
lesungen bei.^) Sie scheinen mir selbst, wenigstens für das Publi-
kum, höchst unbedeutend.
') Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, Jena
und Leipzig, I794-
Z54 An F. Th. de la Garde
358.
An F. Th. de la Garde.
Kw: Hochedelgeb.
den 8. Nov. an mich abgelassenes,
den 2Z. cjusd. eingegangenes Schreiben, zusamt einem Teile des
Anacharsis und einem des Montaigne, nebst dem beigefügten Ge-
schenk der Philosophie Sociale, deren Äußerung mir viel Ver-
gnügen gemacht hat, verdienen meinen herzlichen Dank. Auch
weiß ich nicht, daß Sic wegen des Äquivalents fiir die Frei-
exemplare bei mir noch im Rest sein sollten, vornehmlich wenn
künftig der sechste Teil des Montaigne noch dazu kommt; daher
die Beilegung Ihres Verlagskatalogs (den ich aber im Paket nicht
vorgefunden habe) in dieser Absicht nicht nötig war. Aber darin
tun Sie mir unrecht, daß Sie die Saumseligkeit meiner Korre-
spondenz einer Unzufriedenheit meinerseits zuzuschreiben scheinen;
wozu ich in der Tat gar keine Ursache habe.
Daß ich bei einigen meiner neueren Verlagsartikel mich nicht
an Sie gewandt habe, davon ist nichts anders Ursache, als weil
ich, bei meiner eingezogenen Lebensart, täglich einen hinreichen-
den Vorrat neuen Meßguts, gleichsam als Nahrung, statt alles
übrigen Genusses, des Abends nötig habe und hiezu der VV^iil-
tährigkeit eines oder des anderen der hiesigen Buchhändler bedarf,
die mir, wenn ich ihnen nicht auch etwas zum Verlag gebe,
verweigert wird, als wovon ich schon die Erfahrung habe. —
Indessen hoffte ich doch dieses Verkehr teilen und so mit Ihnen
auch Geschäfte machen zu können und gebe diese Hoffhung, un-
erachtet zweier Hindernisse auch jetzt nicht auf: deren eine ist,
daß in meinem ziemlich hohen Alter meine schriftstellerische
Arbeit nur langsam und mit vielen durch Indisposition verur-
sachten Unterbrechungen fortrückt, so, daß ich für die Vollendung
derselben keinen Termin (wenigstens jetzt nicht) sicher bestimmen
kann: die andere, daß, da mein Thema eigentlich Metaphysik in
der weitesten Bedeutung ist und, als solche, Theologie, Moral
(mit ihr also Religion) imgleichen Naturrecht (und mit ihm
Staats- und Völkerrecht), obzwar nur nach dem, was bloß die
Vernunft von ihnen zu sagen hat, befaßt, auf welcher aber jetzt
die Hand der Zensur schwer liegt, man nicht sicher ist, ob nicht
die ganze Arbeit, die man in einem dieser Fächer übernehmen
An Carl Friedrich Staudlin 255
möchte, durch einen Strich des Zensors vereitelt werden dürfte.
— Wenn nur der Friede, welcher nahe zu sein scheint, ein-
getreten sein wird, so werden hoffentlich noch bestimmtere Ver-
ordnungen die Schranken, in denen sich der Autor zu halten hat,
genauer vorzeichnen: so, daß er in dem, was ihm noch frei ge-
lassen wird, sich für gesichert halten kann. — Bis dahin, werter
Freund, werden Sie sich also gedulden: indessen daß ich meine
Arbeiten in guter Erwartung fortsetze.
Eines bitte ich doch mir zu Gefallen zu tun: nämlich Herren
Dr. BIESTER zu fragen, was die Ursache sei, daß ich, außer
dem ersten Quartal der Berl: M. S. (nämlich dem Jan:, Febr. u.
Mart.), bis jetzt noch kein Stück von ihm erhalten habe; nicht
einmal die zwei, in welchen ich Abhandlungen geliefert habe,
von denen es Sitte ist, dem Autor ein Exemplar zuzuschicken.
Lieber wäre es mir wohl, wenn es ihm gefiele, mir schriftlich
hierüber einen Aufschluß zu geben; doch, wenn das nicht sein
kann, bin ich auch mit einer mündlichen Antwort zufrieden. —
Von Ihrer Seite erbitte mir alsdann die Gefälligkeit, diese Ant-
wort, auf welche ich mit einiger Ungeduld warte, mit der nächsten
Post auf meine Kosten gütigst mir zukommen zu lassen.
Übrigens bin jederzeit mit vollkommener Hochachtung und
Freundschaft
Ew. Hochedelgeb.
Königsberg, , ganz ergebener Diener
den 24. Nov. 1794.
I. Kant.
An Carl Friedrich Staudlin.
Hochehrwürdigster Herr, 4. Dez. 1794.
teurester Freund!
Für Ihr mir gütigst zugeschicktes, jetzt vollendetes, eben so
nützliches als mühsames und scharfsinniges Werk, Geschichte dL^%
Skepticismus, als einem Zeichen Ihrer mir so werten Zuneigung
gegen mich, danke ich mit gleicher Empfindung.^) Eben das
^) Staudlin, Geschichte und Geist des Skepticismus, vorzüglich
in Rücksicht auf Moral und Religion, Bd. i, Leipzig 1794-
1^6 An Carl Friedrich St'äudlin
tue ich für Ihren mir sehr angenehmen und gleichwohl so lange
unbeantwortet gelassenen Brief, welche Unterlassung Sie nicht
einer Achtlosigkeit, sondern dem Vertrauen zuschreiben wollen,
welches ich in die Nachsicht gegen mein, zwar noch nicht krankes,
aber doch mit Ungemächlichkeit behaftetes Alter setze, das mir
bei der Mannigfaltigkeit dringender und doch nur langsam fort-
gehenden Beschäftigungen, manchen Aufschub abnötigt, wofür
ich von meinen gütigen Freunden Vergebung hoffe. — In An-
sehung dieses Briefes und des mir darin geschehenen Antrages
muß ich mich Ihnen noch eröffnen.
Dieser Antrag, in einem, von Ihnen herauszugebenden theo-
logischen Journal, auch Stücke von mir aufzunehmen, wobei ich
auf die uneingeschränkteste Preßfreiheit rechnen könne, ist mir
nicht allein rühmlich, sondern kam mir auch erwünscht, weil,
ob ich gleich diese Freiheit in ihrem ganzen Umfange nicht
einmal zu benutzen Sinnes war, doch das Ansehen einer unter
dem orthodoxen GEORG III., mit dem eben so rechtgläubigen
FRIEDRICH W^ILHELM IL, als befreundeten desselben, stehen-
den Universität, mir, meiner Meinung nach, zum Schilde dienen
könnte, die Verunglimpfiingen der Hyperorthodoxen (welche mit
Gefahr verbunden sind) unseres Orts zurückzuhalten. —
— Ich habe daher eine in dieser Idee abgefaßte Abhandlung
unter dem Titel: „Der Streit der Fakultäten" schon seit einiger
Zeit fertig bei mir liegen, in der Absicht, sie Ihnen zuzuschicken.
Sie scheint mir interessant zu sein, weil sie nicht allein das Recht
des Gelehrtenstandes, alle Sachen der Landesreligion vor das Urteil
der theologischen Fakultät zu ziehen, sondern auch das Interesse
des Landesherrn, dieses zu verstatten, überdem aber auch eine
Oppositionsbank der philosophischen gegen die erstere einzu-
räumen ins Licht stellt,^) und nur nach dem Resultat der Idee,
der durch beide Fakultäten instruierten Geistlichen, als Geschäfts-
männer der Kirche, sofern sie ein Oberkonsistorium ausmachen,
die Sanktionierung einer Glaubenslehre zu einer öffentlichen Religion
dem Landesherren zur Pflicht- sowohl als Klugheitsregel macht,
indessen daß er andere fromme Gesellschaften, die nur der Sitt-
lichkeit nicht Abbruch tun, als Sekten tolerieren kann. — Ob
nun gleich diese Abhandlung eigentlich bloß publizistisch und
*) S. hierzu Streit der Fakultäten I, Abschn. 4 : „Vom gesetzmäßigen
Streit der obern Fakultäten mit der unteren."
Von Johann Erich Biester 257
nicht theologisch ist (de jure prtncipis circa religionem et ecclesiam),
so habe ich doch nötig gefunden, um diejenige Glaubenslehre,
die ihrer inneren Beschaffenheit wegen nie Landesreligion, sondern
nur Sekte abgeben und von der Landesherrschaft nicht sanktioniert
werden kann, deuthch zu bezeichnen, Beispiele anzuführen, die
vielleicht die einzige sind, welche die Unfähigkeit einer Sekte
Landesreligion zu werden, ihrer Ursache sowohl als Beschaffen-
heit nach begreiflich machen. Hiebei muß ich doch fürchten,
daß — nicht bloß um dieser, sondern auch anderer Anführungen
von Beispielen willen — die jetzt unseres Ortes in grosser Macht
stehende Zensur Verschiedenes davon auf sich deuten und ver-
schreien möchte und habe daher beschlossen, diese Abhandlung
in der Hoffnung, daß ein naher Frieden vielleicht auch auf dieser
Seite mehr Freiheit unschuldiger Urteile herbeiführen dürfte, noch
zurückzuhalten; nach diesen aber sie Ihnen, allenfalls auch nur
zur Beurteilung, ob sie wirklich als theologisch oder als bloß
statistisch anzusehen sei, mitzuteilen.
Noch bitte ich inständigst: Ihrem vortrefflichen Herrn Hofrat
LICHTENBERG, der, durch seinen hellen Kopf, seine rechtschaffene
Denkungsart und unübertreffbare Laune vielleicht besser dem Übel
eines trübseligen Zwangsglaubens entgegenwirken kann, als andere
mit ihren Demonstrationen — meinen größten Dank für sein
gütiges und unverdientes Geschenk „der Sammlung und Be-
schreibung HOGARTSCHER Kupferstiche" zu sagen, indem ich
zugleich den Kostenaufwand der Fortsetzung derselben verbitte. —
An Herrn D. FLANK') bitte gelegentlich meine Empfehlung zu
machen, wobei ich das Vergnügen nicht bergen kann, daß, da
die vorhin bei uns so geschätzte Denkfreiheit entflohen ist, sie
doch, bei so wackeren Männern, als Ihre Universität enthält, hat
Schutz finden können.
Mit der vollkommensten Hochachtung und wahrer Zuneigung
bin ich jederzeit
Ew. Hochehrwürd.
ganz ergebenster treuer Diener
I. Kant.
^) Gottl. Jac. Planck (1751 — 1833), Professor der Theologie in
Göttingen.
Kants Schriften. Bd. X. '7
258 Von Johann Erich Biester
160.
Von Johann Erich Biester.
Berhn, 17. Dezemb. 1794.
Eben als ich das letzte Quartal der Berl. Monatsschrift für
Sie, verehrungswürdiger Mann, einsiegeln will, sagt mir Herr
LAGARDE ganz unerwartet, daß Sie außer den drei ersten Mo-
naten dieses Jahrs, kein Stück erhalten hätten. Dies ist mir un-
begreiflich; ich habe Ihnen auch sicherlich die drei vom zweiten
Quartal zugesandt, und ich finde in meinem Handbuch darüber
notiert, daß sie am ii. Juli abgegangen sind. Ich sage dies bloß
zu meiner nötigen Entschuldigung; denn es wäre ja unverant-
wortlich, wenn ich Ihnen diese Stücke nicht zusendete, zumal da
zwei so yortreflPliche Aufsätze von Ihnen darin enthalten sind.
Mit Vergnügen lege ich diese Stücke hier noch einmal bei; es
ist wenig genug, womit ich Ihnen meine so verpflichtete Dank-
barkeit einigermaßen bezeigen kann. Sie erhalten also itzt April
bis September inclus., denn die drei letzten Monate kann ich
noch, wegen der durch den auswärtigen Druck geschehenden Ver-
zögerung, nicht beilegen.
Sollte Ihre Muße Ihnen erlauben, mir einmal wieder einen
Beitrag zu schenken, so wissen Sie selbst, wie sehr Sie sich da-
durch alle Leser verbinden werden.
Ich habe Gelegenheit gehabt, Ihre Verteidigung an das Geist-
liche Departement über die Beschuldigung wegen Ihrer Schrift;
„Die Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft" zu lesen. Sie
ist edel, männlich, würdig, gründlich. — Nur muß es wohl jeder
bedauren, daß Sie ad 2) das Versprechen freiwillig ablegen: über
Religion (sowohl positiv-, als natürliche) nichts mehr zu sagen.
Sie bereiten dadurch den Feinden der Aufklärung einen großen
Triumph, und der guten Sache einen empfindlichen Verlust. Auch,
dünkt mich, hätten Sie dies nicht nötig gehabt. Sie konnten
auf eben die philosophische und anständige Weise, ohne welche
Sie überhaupt nichts schreiben, und welche Sie so vortrefflich
rechtfertigen, noch immer fortfahren, über die nämlichen Gegen-
stände zu reden; wobei Sie freilich vielleicht wieder über einzelne
Fälle sich zu verteidigen würden gehabt haben. Oder Sie konnten
auch künftig bei Ihren Lebzeiten schweigen; ohne jedoch den
l^n Carl Friedrich Staudlin 259
Menschen die Freude zu machen, sie von der Furcht vor Ihrem
Reden zu entbinden. Ich sage: bei Ihrem Leben; denn daß sie
demungeachtet fortfahren werden, an dem großen von Ihnen so
glückUch begonnenen Werke der philosophischen und theologi-
schen Aufklärung zu arbeiten, in Hoffnung, daß wenigstens einst
die Nachwelt (und in der Tat, vielleicht eine sehr bald ein-
tretende Zeit der Nachwelt) diese Arbeiten wird lesen und be-
nutzen dürfen: davon sind wir alle, aus Liebe zur Vernunft und
Sittlichkeit, überzeugt.
Leben Sie wohl, vortrefflicher Mann; und sein uns noch lange
ein Beispiel, wie ein weiser und edler Mann auch unter den
Stürmen, welche der Vernunft drohen, sich in Gleichmut und
innerer Zufriedenheit erhalten kann.
Biester.
Von Carl Friedrich Staudlin.
Verehrungswürdigster Mann,
Ihre gütige Aufnahme meines mangelhaften Werks hat mich
mit der lebhaftesten Freude erfüllt. Ihr Urteil hat einen Wert
für mich, der mir für manche ungerechte Urteile, die das Werk
schon hat erfahren müssen, mehr als Entschädigung ist. Ich kenne
zwar die Flecken und UnvoUkommenheiten dieses Werks sehr gut,
es ist auch manches mit Recht öffentüch gegen dasselbe gesagt worden.
Von der andern Seite hat man mich nach Idealen von Pragma-
tismus beurteilt, die in der Geschichte der Philosophie nicht er-
reichbar sind; man hat mir vieles aufgebürdet, was ich nicht
gesagt habe; man hat oft die Hauptzwecke des Werks gänzlich
verkannt oder verschwiegen. Ich werde daher bald als Beilage
zu meiner Geschichte noch eine kleine Schrift über den Begriff
und die Geschichte des Skepticismus, auch dessen Ver-
hältnis zur kritischen Philosophie herausgeben. Sie haben
mir so viel Zutrauen eingeflößt, daß ich mir vielleicht die Freiheit
nehme, Sie späterhin wegen einiger Hauptpunkte zu befragen, die
ich in dieser Schrift zu entscheiden suchen werde. Doch ver-
zeihen Sie, daß ich so viel von mir rede.
Der mir versprochenen Abhandlung: „Der Streit der Fakul-
täten" sehe ich mit der größten Sehnsucht entgegen. Ich habe
17*
2 6o Von Friedrich Schiller
über diesen höchst wichtigen Gegenstand noch nie recht einig
mit mir werden können. Desto mehr freue ich mich, hoffen
zu dürfen, von einem so großen Manne darüber belehrt zu werden,
und bitte auch in dieser Rücksicht den Himmel, daß recht bald
Friede werden möchte. In jedem Falle bitte ich inständigst
wenigstens um die Privatmitteilung derselbigen. Was könnten
aber auch einem Manne, wie Sie, Zensuren und Verschreiungen
bei dem Drucke derselben schaden?
Herr H. R. LICHTENBERG sagt, daß bei dem Zwangs-
glauben schon die Etymologie des Worts etwas habe, was ihm
in gewisser Rücksicht nicht ganz mißfalle. Wenn er einige teio
erhalten könnte — zum Abschießen sei er sehr bereit. Er empfiehlt
sich Ihnen bestens und entschuldigt sich, daß er seinem geringen
Geschenke keinen Brief beigelegt habe. „Es war eigentlich," schreibt
er mir, „bloß eine Buchhändlersendung und eine sehr erbärmliche
Vergeltung für sein mit einem Briefe, den ich mit Rührung ge-
lesen habe, begleitetes Geschenk. An KAMT zu schreiben ist ein
Nonkonformist von meinem Fleische nicht immer aufgelegt."
Sie werden vielleicht wissen, daß Herr LICHTENBERG sehr
schwächlich und kränklich ist und sich daher nach manchen For-
malitäten nicht konformieren kann.
Mit ungeheuchelter Verehrung
Ihr
geh. Dr. u. Freund
Göttingen, D. Stäudlin.
d. 2 I. Febr. 1795.
362.
Von Friedrich Schiller.
Jena, den i. März 1795.
Verehrtester Herr Professor,
Ich habe Ihnen im vorigen Sommer den Plan zu einer Zeit-
schrift vorgelegt, mit der Bitte, irgend einigen Anteil an derselben
zu nehmen. Die Unternehmung ist zur Ausführung gekommen,
und ich lege Ihnen hier die zwei ersten Monatstücke vor, herz-
lich wünschend, daß diese ersten Proben Sie geneigt machen
möchten, den vereinigten Wunsch unserer Sozietät zu erfüllen,
und unsere Schrift mit einem kleinen Beitrage zu beschenken.
An die Fürstin Catharina Daschkow i6i
Besonders wünschte ich, daß Sic die darin vorkommenden
Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen, als zu deren
Verfasser ich mich gegen Sie bekenne, Ihrer Prüfung wert finden
möchten. Es sind dies die Früchte, die das Studium Ihrer
Schriften bei mir getragen, und wie sehr würde es mir zur Auf-
munterung gereichen, wenn ich hoffen könnte, daß Sie den Geist
Ihrer Philosophie in dieser Anwendung derselben nicht ver-
missen.
Mit unbegrenzter Hochachtung
verharre ich Ihr
aufrichtigster Verehrer
Fr. Schiller.
363.
An die Fürstin Catharina Daschkow.')
(Entwurf.)
[März 1795.]
Daß Ew; Durchl. nach der erhabenen Absicht Ihrer großen
Monarchin den Fleiß der Gelehrten zu wahrer Aufklärung durch
ehrende Aufmunterungen zu beleben sich zum Geschäfte gemacht
haben, verdient und erwirbt die Bewunderung und den Dank des
ganzen gelehrten gemeinen Wesens.
Daß aber meine gringe Bemühungen zu diesem Zweck hinzu-
wirken Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sind und so Ihre
Auswahl zu Gliedern der berühmten Russisch. Kaiserl. Akademie
der Wissenschaften auch auf mich gefallen ist, erkenne ich be-
sonders mit dankbarer Verehrung als Aufforderung und zugleich
meinerseits als Verbindlichkeit, soviel als in meinen Kräften steht,
noch ferner zu dieser Absicht beizutragen.
In diesem Wunsche, daß Ew. Durchl. als Vorsteher und zu-
gleich als Beispiel dieses edle Geschäfte einer wichtigen mensch-
lichen Angelegenheit noch viele Jahre mit Zufriedenheit und gutem
Erfolg verwalten mögen, bin ich mit der tiefsten Verehrung
Ew. D.
') Kant war am 28. Juli 1794 zum auswärtigen Mitgliede der unter
dem Protektorate der Fürstin Catharina Daschkow stehenden Petersburger
Akademie der Wissenschaften ernannt worden.
262 An Dietr. Ludw. Gustav Karsten
An Dietr. Ludw. Gustav Karsten.')
Wohlgeborner, hochzuverehrender Herr Bergrat.
Alit einem Schreiben von Ew. Wohlgeb. beehrt zu werden,
dadurch mit Ihnen in einige Bekanntschaft zu kommen, um viel-
leicht gelegentlich die ausgebreitete Kenntnisse in Ihrem Fache
der Wissenschaften, die doch alle vermittelst der Philosophie in
Verwandtschaft stehen, zu benutzen, ist mir sehr angenehm ge-
wesen; so unangenehm mir auch die Ursache ist, welche dieses
veranlaßt hat.
Ich habe wirklich, etwa im Jahre 1790, vom Herrn Grafen
VON WINDISCHGRÄTZ eine Menge kleiner Schriften erhalten,
z. B. „Histoire metaphysique de l'Organisation animale", 2 Teile,
die ich vor mir liegen habe, vornehmlich eine auf Politik und
Grundsätze der bürgerlichen Konstitution bezogene, sehr
gründliche und (was ich mich wohl erinnere, weil es auf mich
besonderen Eindruck gemacht hat) gleichsam aus einer Divina-
tionsgabe geflossene Schrift: „Von dem, was die Regenten zu tun
haben, wenn sie nicht wollen, daß es das Volk selber tue", die
einige Jahre vor dem wirklichen Eräugnis des letzteren heraus-
gegeben war, die ich aber jetzt (sowie die zwei ersten Teile der
„Histoire metaphysique de l'organisation animale") wegen einer
gewissen Unordnung, darin mein sonst nicht großer Büchervorrat
geraten ist, nicht vorfinden kann, um sie zu spezifizieren.*)
Ob ich dem Herrn Grafen dieserhalb meinen Dank schrift-
lich abgestattet habe, kann ich mich nicht mit Gewißheit erinnern,
wohl aber, daß ich durch meinen Verleger, dem Buchhändler
DE LAGARDE in Berlin, meine damals herausgekommene Schrift:
„Kritik der Urteilskraft" von der Leipziger Messe aus an hoch-
gedachten Herrn Grafen zu übermachen aufgetragen habe.
Nun bitte ich ergebenst den Herrn DE LAGARDE, einen sonst
zuverlässigen und wohldenkendcn Mann, zu befragen: wie es zu-
gegangen, daß jene Bestellung ihren Zweck nicht erreicht hat,
') Dieser Brief, der in der Akademie-Ausgabe fehlt, ist in dem
Nachlaß von Dietrich Ludw\ Gust. Karsten (1768 — 1810) von Iwan
Bloch aufgefunden und zuerst im Berliner Tageblatt (28. Februar ipio)
veröffentlicht worden.
^) Vgl. Bd. IX, S. 43if.
Von Carl Leonhard Reinhold 263
die Antwort desselben dem Herrn Grafen bekannt zu machen,
wie auch denselben in meinem Namen um Verzeihung zu bitten,
wegen meiner nicht aus Fahrlässigkeit unterlassenen Erwiderung
der mir bezeigten Aufmerksamkeit, sondern aus einem, wegen
einander drängender Beschäftigungen, oft schwer zu vermeidenden
und so zufälligerweise bis zum Vergessen hinausgehenden Auf-
schub, dessen Schuld mein ziemlich hoch angewachsenes Alter
auch zum Teil mag tragen helfen.
Was Ew. Wohlgeb. betrifft, so bin ich nicht so tief in Meta-
physik versunken, daß ich nicht an Ihrer glücküchen Erweiterung
der Wissenschaften im Felde der Erfahrung, sofern diese Stufen
des Aufsteigens zur Philosophie legt, wenigstens als Dilettante,
Anteil nehmen sollte: zumal die Reformation unserer Begriffe in
der Archäologie der Natur von dem praktischen Bergkundigen,
der zugleich Philosoph ist, vorzüglich erwartet werden muß.
Mit der vollkommensten Hochachtung bin ich jederzeit
Ew. Wohlgeboren
ergebenster treuer Diener
Königsberg, I. Kant,
d. 16. Mart. 1795-
365.
Von Carl Leonhard Reinhold.
Verehrungswürdigster Lehrer und Freund!
Seit zehn Jahren bin ich gewohnt, alles, was mir besonders
teuer und wert ist, Ihnen zu verdanken. Dies ist auch mit der
Freundschaft des edlen jungen Mannes Kammerherrn Grafen VON
PURGSTALL aus Steiermark, der Ihnen diese Zeilen bringen soll,
der Fall. Das Verlangen, sich bei dem Studium Ihrer Philosophie
durch mich unterstützen zu lassen, fährte ihn aus seinem Vater-
lande zu mir nach Jena und mit mir nach Kiel. Ich habe ihn
durch fünf Vierteljahre, die er mit mir als mein Zuhörer, Haus-
genosse und treuer Lebensgefährte zugebracht hat, sehr genau
kennen, und, was bei ihm eine natürliche Folge davon ist, innig
lieben und hochachten gelernt; und Ihre Philosophie und seine
Empfänglichkeit haben mich in den Stand gesetzt, zur Vollendung
der Eintracht zwischen einem der besten Köpfe und besten Herzen,
2 ($4 ^on Carl Leonharä Re'mhold
die ich kenne, mitzuwirken. Er verdient Ihre persönliche Be-
kanntschaft ebenso sehr, als er dieselbe wünscht; und er wünscht
sie nicht wenig; denn er geht schlechterdings aus keiner andern
Absicht von Kiel nach Königsberg. Er sehnt sich der Humanität
in der Person des Mannes zu huldigen, dem er mit Zeitgenossen
und Nachwelt den bestimmten Begriff von der Würde derselben
verdankt, und hofft von ihm den Segen zur Ausführung desjenigen
zu empfangen, was er durch ihn kennen und wollen gelernt hat,
und wozu er vor so vielen andern durch Natur und Glück aus-
gerüstet ist. Es sei auch mir vergönnt, die Versicherung meiner
Verehrung, Liebe, Dankbarkeit und Bewunderung, die kein toter
Buchstabe auszudrücken vermag, und die ich Ihnen diesseits des
Grabes wohl schwerlich in Person darbringen kann, durch ihn
— ich kenne keinen lieberen Stellvertreter — an Sie gelangen
zu lassen. Ich werde Sie durch seine Augen sehen, durch seine
Ohren hören — und falls Sie mir selbst dies erlauben würden
— durch sein Herz Sie an das meinige drücken. — Aber er
hat den Wert Ihrer Zeit kennen gelernt; und w^ird sich in den
wenigen Wochen seines Aufenthaltes in Königsberg mit wenigen
Zeittrümmerchen , die Sie ihm ohne Ihre Ungelegenheit zukom-
men lassen können, genügen lasseh.')
Er wird Ihnen sagen: daß auch hier das Evangelium der prak-
tischen Vernunft nicht weniger als in Jena Eingang gefunden hat.
Doch ich besinne mich, daß ich für diesesmal nichts schreiben
kann, was Sie nicht durch seinen Mund ausführlicher vernehmen
könnten. Es soll mir genug sein, wenn Sie mir durch ihn ant-
worten; mich durch ihn hören lassen, was ich nicht oft genug
hören kann, daß sich noch immer Ihrer Liebe zu ertreuen hat
Kiel, den zp. März 1795.
Ihr wärmster Verehrer
Reinhold.
^) Gottfr. W. Graf v. Purgstall (1773 — 1812); er selbst hat von
seinem Aufenthalt in Königsberg in einem interessanten Brief berichtet,
der eine lebendige Schilderung von Kants Persönlichkeit und Lehrarc
enthält (vgl. Altpreuß. Monatsschr. 1879, S. 607 ff.).
An Friedrich Schiller i6f
An Friedrich Schiller.
Königsberg, den 30. März 1795.
Hochzuverehrender Herr
Die Bekanntschaft und das liter'ärische Verkehr mit einem
gelehrten und talentvollen Mann, wie Sie, teuerster Freund, anzu-
treten und zu kultivieren, kann mir nicht anders als sehr er-
wünscht sein. — Ihr im vorigen Sommer mitgeteilter Plan zu
einer Zeitschrift ist mir, wie auch nur kürzlich die zwei erste
Monatsstücke, richtig zu Händen gekommen. — Die Briefe über
die ästhetische Menschenerziehung finde ich vortrefflich und werde
sie studieren, um Ihnen meine Gedanken hierüber dereinst mit-
teilen zu können. — Die im zweiten M. Stück enthaltene Ab-
h^dlung über den Geschlechtsunterschied in der organischen
Natur kann ich mir, so ein guter Kopf mir auch der Verfasser
zu sein scheint,^) doch nicht enträtseln. Einmal hatte die A. L. Z.
sich über einen Gedanken in den Briefen des Herrn HUBE aus
Thorn (die Naturlehre betreffend), von einer ähnlichen durch
die ^anze Natur gehenden Verwandtschaft, mit scharfem Tadel
(als über Schwärmerei) aufgehalten. Etwas dergleichen läuft
einem zwar bisweilen durch den Kopf; aber man weiß nichts
daraus zu machen. So ist mir nämlich die Natureinrichtung:
daß alle Besamung in beiden organischen Reichen zwei Ge-
schlechter bedarf, um ihre Art fortzupflanzen, jederzeit als erstaun-
lich und wie ein Abgrund des Denkens für die menschliche
Vernunft aufgefallen, weil man doch die Vorsehung hiebei nicht,
als ob sie diese Ordnung gleichsam spielend, der Abwechselung
halber, beliebt habe, annehmen wird, sondern Ursache hat zu
glauben, daß sie nicht anders möglich sei; welches eine Aus-
sicht ins Unabsehliche eröffnet, woraus man aber schlechterdings
nichts machen kann, so wenig wie aus dem, was Miltons Engel
dem Adam von der Schöpfung erzählt: „Männliches Licht ent-
ferneter Sonnen vermischt sich mit weiblichem, zu unbekannten
') „Über den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die
organische Natur" (Hören 1795); der Verfasser des Aufsatzes ist
Wilhelm v. Humboldt.
2 66 An F. Tk de la Garde
Endzwecken."') Ich besorge, daß es Ihrer M. S. Abbruch tun
dürfte, daß die Verfasser darin ihre Namen nicht unterzeichnen
und sich dadurch für ihre gewagte Meinungen verantwortHch
machen; denn dieser Umstand interessiert das lesende PubUkum
gar sehr.
Für dies Geschenk sage ich also meinen ergebensten Dank;
was aber meinen gringen Beitrag zu diesem Ihren Geschenk fürs
Publikum betrifft, so muß ich mir einen etwas langen Aufschub
bitten; weil, da Staats- und Religionsmaterien jetzt einer gewissen
Handelssperre unterworfen sind, es aber außer diesen kaum noch,
wenigstens in diesem Zeitpunkt, andere die große Lesewelt inter-
essierende Artikel gibt, man diesen Wetterwechsel noch eine Zeit-
lang beobachten muß, um sich klüghch in die Zeit zu schicken.
Herren Prof: FICHTE bitte ich ergebenst meinen Gruß und
meinen Dank für die verschiedenen mir zugeschickten Werke von
seiner Hand abzustatten. Ich würde dieses selbst getan haben,
wenn mich nicht, bei der Mannigfaltigkeit der noch auf mir
liegenden Arbeiten, die Ungemächlichkeit des Altwerdens drückte,
welche denn doch nichts mehr als meinen Aufschub rechtfertigen
soll. — Den Herrn SCHÜTZ und HUFELAND bitte gleichfalls
gelegentlich meine Empfehlung zu machen.
Und nun, teuerster Mann! wünsche ich Ihren Talenten und
guten Absichten angemessene Kräfte, Gesundheit und Lebensdauer,
die Freundschaft mit eingerechnet, mit der Sie den beehren wollen,
der jederzeit mit vollkommener Hochachtung ist
Ihr
ergebenster treuer Diener
I. Kant.
An F. Th. de la Garde.
Königsberg, den 30. März 1795.
W^elche Überraschung haben Sie, geehrtester Freund! mir ge-
macht und in welche Verlegenheit mich gesetzt, ein Denkmal
Ihrer Freundschaft, welches Ihnen doch viel Kosten gemacht haben
muß, zu erwidern? Für jetzt kann ich nichts diesem Ihrem
^) S. Milton, Paradise lost, VIII, 148—52.
Von Johann Christian Kiesewetter 267
Wohlwollen Entsprechendes, als meinen verbindlichsten Dank für
dies Geschenk einlegen, und dieses, im Entwurf sinnreiche, in
der Ausführung durch die Porzellanfabrik schöne Produkt der
Kunst meinen und Ihren Freunden sehen zu lassen, und auf die
Art zu denken, wie ich es, so bald als möglich, durch etwas
Ihnen Angenehmes vergelten könne.
Es wird vermutlich bei Ihnen eine Erkundigung von Herrn
Bergrat KARSTEN, die mir im Jahr 1790 von Herrn R. Grafen
V. WINDISCHGRÄTZ zugeschickte Schriften betreffend, ein-
gegangen sein, die ich aus meiner eigenen Erinnerung nicht zu
beantworten wußte und ihn deshalb an Sie gewiesen habe: ob
Sie nämlich sich nicht etwa erinnern könnten, an gedachten Grafen
ein Exemplar meiner Kritik d. U. K. zur Zeit der damaligen Leip-
ziger Ostermesse, in meinem Namen geschickt zu haben. Sonst
hat diese Sache nicht viel zu bedeuten.
Inliegende Briefe bitte an ihre Bestimmung gelangen zu lassen
und versichert zu sein, daß ich mit aller Hochachtung jederzeit
bleibe
Ihr
ergebenster Diener
I. Kant.
368.
Von Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Berlin, den 8. Juni 1795.
Wertgeschätzter Herr Professor,
Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen die zweite Auflage meiner
Logik und das andere Werkchen, was von mir in dieser Messe
erschienen ist, zu überschicken,^) und ich würde mich glücklich
schätzen, wenn Sie meine Arbeiten Ihrer Aufmerksamkeit nicht
ganz unwürdig hielten. So sehr ich mich auch in dem letztern
Buch bemüht habe, die Resultate Ihres Scharfsinns populär vor-
zutragen, so viel bleibt mir dennoch zu wünschen übrig und ich
habe nur zu sehr empfunden, daß das bloße Verstehen und Bc-
^) Kiesewetter, Versuch einer faßlichen Darstellung der wich-
tigsten Wahrheiten der neueren Philosophie für Uneingeweihte I: Berlin
1795 (II: Berlin 1803).
i6S
Von Johann Gottfried Kiesewetter
greifen uns nicht so gleich in den Stand setzt, unsere Erkennt-
nisse ä port'ee de tout le monde vorzutragen. Den Vorwurf, etwas
Wichtiges aus Ihrem System übergangen zu haben, tiirchte ich
nicht, wohl aber den, daß ich noch manches hätte herauslassen sollen,
weil es dem im Philosophieren ungeübten Leser zu schwer werden
möchte. Die Lehre von Raum und Zeit scheint mir ziemlich
faßlich dargestellt zu sein, aber mehr Schwierigkeiten wird der
Leser bei der Deduktion der Kategorien und bei der Aufstellung
der reinen Verstandesgesetze finden. Die Deduktion des Moral-
prinzips und die Beantwortung der Frage: was darf ich hoffen?
hat mir weniger Anstrengung gekostet. Sollten Kenner mit
diesem Werkchen nicht unzufrieden sein, so wäre ich entschlossen,
auf eine ähnliche Art die Kritik der Urteilskraft zu bearbeiten, ein
Werk, an dem meine ganze Seele hängt.
Zu meiner großen Betrübnis ist diese Messe nichts von Ihnen
erschienen, so sehr ich dies auch gewünscht habe. Ihre Hand-
bücher der Metaphysik und Moral werden wir freilich wohl noch
eine Zeitlang erwarten müssen, aber Sie haben schon seit einigen
Jahren einige Bogen dem Public© schenken wollen, die den Über-
gang von Ihren metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissen-
schaft zur Physik selbst enthalten sollten und auf die ich sehr
begierig bin. — Es ist mir eine sehr auffallende Erscheinung, daß,
so sehr man Ihre übrigen Schriften genützt, erklärt, ausgezogen,
erläutert usw. hat, sich doch nur sehr wenige bis jetzt erst mit
den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft be-
schäftigt haben. Ob man den unendlichen Wert dieses Buchs
nicht einsieht, oder ob man es zu schwierig findet, weiß ich
nicht. Mir ist jetzt keine Bearbeitung dieses Werks bekannt, als
der vortreffliche Auszug aus demselben vom Herrn Hofprediger
SCHULZ in der allgemeinen Literaturzeitung und der erläuternde
Auszug vom Herrn Mag. BECK, den ich aber bis jetzt noch nicht
gelesen habe. Sollte es dem Publico nicht angenehm sein, wenn
ein Kommentar über dies Werk erschiene? Mir hat es unter
allen Ihren Schriften die meiste Mühe gemacht und ich denke
immer noch mit großer Dankbarkeit daran, daß ich das völlige
Verstehen desselben Ihrem mündlichen Unterricht schuldig bin.
Die letzte Nachricht von Ihrem Wohlsein, eine Nachricht, die
mir jedesmal herzliche Freude macht, habe ich vor einigen Tagen
von den Herren NICOLOVIUS und HARTKNOCH, die ich auf
einige Augenblicke in Freyberg sprach, erhalten. Es würde mir
Von ^akob Sigismund Beck i6p
äußerst angenehm sein, wenn ich auch nur durch einige Zeilen
von Ihnen die Nachricht erhielte, daß Sie gesund und froh sind,
und ich würde dies zugleich als einen Beweis ansehen, daß Sic
mich Ihrer Freundschaft nicht ganz unwert halten.
Machen Sie, wenn ich bitten darf, recht viel herzliche Emp-
fehlungen von mir an Herrn Prof. KRAUSE und an den Herrn
Münzdirektor GÖSCHEN und seine Familie. Ich wünschte sehr,
daß der gute Mann einige Erleichterung seines Übels durch den
Gebrauch des Bades erhalten hätte. —
Ich bin mit der aufrichtigsten Hochachtung und Liebe
Ihr
dankbarer Schüler
J. G. C. Kiesewetter
3Ö9.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den 17. Juni i/pj.
Verehrungswürdiger Lehrer,
Herr Prof. JAKOB bietet mir eine Gelegenheit an, einen Brief
an Sie zu bestellen, die ich sehr gern ergreife, weil ich mich
versichert halte, daß Sie freundschaftlich gegen mich gesinnt sind,
und aus diesem Grunde Nachrichten, die mich betreffen, mit
einigem Interesse aufnehmen werden.
Die ersten Jahre meines Aufenthalts in Halle waren von
mancherlei Kümmernissen begleitet. Jetzt aber wird derselbe vc«i
Tage zu Tage heiterer. Ich habe hier viele und herzliche Freunde,
und nachdem ich bald fünf Jahre lang den hiesigen Studierenden
ein wahrer Obscurus war, so bin ich jetzt in ziemlichem Beifall
als akademischer Dozent. Von der Schule, auf der ich so lange
lebte, habe ich in diesem Frühjahr mich frei gemacht und lebe
jetzt ganz dem akademischen Unterricht. Ich war dem Graf
KEYSERLING 1 00 Taler schuldig, womit er mich vor fünf Jahren
unterstützte, und diese habe ich jetzt schon abgetragen. Ihnen,
fürtrefflicher Mann, verdanke ich meine bessere Lage; denn Sie
haben mir dazu die Hand geboten.
Künftige Michälismesse kömmt ein dritter Teil zu meinem
Auszuge zum Vorschein, welche Schrift, auch besonders unter dem
Titel: „Einzig möglicher Standpunkt, aus welchem die kritische
2/0 Von Ludwig Heinrich Jakoh
Philosophie beurteilt werden muß,"^) erscheinen wird. Sobald
sie fertig gedruckt sein wird, werde ich mir die Freiheit nehmen,
Ihnen ein Exemplar zu überschicken. Ich habe Ihnen von diesem
Plan schon einmal was geschrieben. Meine ganze Absicht ist,
zu zeigen, daß die Kategorien der Verstandesgebrauch selbst sind,
daß sie allen Verstand und alles Verstehen ausmachen, und daß
der wahre Geist der kritischen Philosophie, die das Publikum
Ihnen verdankt, darin besteht, daß dieselbe an ihrer Transszen-
dentalphilosophie, die Kunst, sich selbst zu verstehen, aufgestellt
habe. Dieses: Sichselbst- Verstehen, ist in meinen Augen der
oberste Grundsatz aller Philosophie, und ich bin versichert, daß
nur demjenigen, der dieses wohl vernim.mt, Ihre kritische Werke
aufgeschlossen sein können. — Möchte die Vorsehung Sie noch
lange im Leben erhalten. Erhalten Sie Ihre Gewogenheit gegen
mich Ihren
Ihnen ergebenen
Beck.
370.
Von Ludwig Heinrich Jakob.
Halle, den 22. Juni 1795.
Ich kann die Gelegenheit, welche sich mir anbietet, an Sie
zu schreiben und Ihnen, verehrungswürdiger Mann, meine innigste
Verehrung zu bezeugen, unmöglich vorbeigehen lassen. Zugleich
habe ich die Ehre, Ihnen hierbei die Stücke der Annalen, soweit
sie vollendet sind, zu überschicken, und es wird lediglich auf
Sie ankommen, zu bestimmen, ob Sie die Fortsetzung davon
wünschen. In den Rezensionen spekulativen Inhalts über REIN-
HOLD, FICHTE, ABICHT usw. werden Sie den Herrn M. BECK
nicht verkennen. Ich halte mit ihm die Art zu philosophieren,
welche diese Männer einführen wollen, für eine völlige Abweichung
von der kritischen Methode, wovon Sie ein so vollkommenes
Beispiel gegeben haben. Es ist unbegreiflich, wie man nach Er-
scheinung der Kritik noch nach einem einzigen obersten Grund-
satze suchen kann, der nicht bloß die Grenzen der menschlichen
Erkenntnis bestimmen, sondern auch sogar über jeden Inhalt kate-
0 Riga 1796.
An Carl Leonhard Reinhold 271
gorisch entscheiden soll. Herr BECK ist sehr begierig, zu erfahren,
ob Sie mit seinen Bemerkungen zufrieden sind und ob Sie glauben,
daß er auf diesem Wege das wahre Verständnis der Philosophie
befördern werde, und es würde uns beiden eine ungemeine Freude
machen, wenn Sie uns Ihre Gedanken hierüber in einigen Zeilen
wollten wissen lassen. Herr B. ist jetzt hauptsächhch mit Aus-
arbeitung des dritten Teils seiner Schrift beschäftiget, worin er
darauf ausgehet, nicht etwa der Kritik eine Stütze durch einen
neuen noch höheren Grundsatz zu verschaffen, sondern nur das
wahre Verständnis derselben durch eine ganz simple aber ver-
änderte Darstellung ihres Inhalts zu befördern. Der Anzeiger
vom Junius enthält einige Auszüge aus seinem Mspte.
Wenn ich nicht fürchten darf, lästig zu werden, so wieder-
hole ich nochmals meine Bitte, die Annalen mit einigen Beiträgen
zu beehren, wenn sich eine Gelegenheit dazu findet, die Ihnen
keine Zeit raubt. Der Wunsch, diesem Journale diejenige Voll-
kommenheit zu verschaffen, die es allein bei der Menge der
Zeitschriften erhalten kann, mag mein Anmuten entschuldigen,
der ich die Ehre habe mit der innigsten Hochachtung zu sein
Ihr
aufrichtiger Verehrer
L. H. Jakob.
371.
An Carl Leonhard Reinhold.
Königsberg, den i. Juli 1795.
Ihre werte Zuschrift, welche mir der sehr schätzungs würdige
Herr Graf v. PURGST ALL einhändigte, hat mir die Freude ge-
macht, zu sehen, daß Ihre Äußerung einer gewissen Unzufrieden-
heit über mein Stillschweigen in Ansehung Ihrer Fortschritte, die
kritische Philosophie, aufwärts, bis zu der Grenze ihrer Prinzipien
vollständig zu machen, keinen wahren Unwillen zum Grunde
gehabt hat, sondern Sie nach vne vor mir Ihre Freundschaft
erhalten. Mein Alter und einige davon unzertrennliche körper-
liche Ungemächlichkeiten machen es mir zur Notwendigkeit, alle
Erweiterung dieser Wissenschaft nun schon meinen Freunden zu
überlassen und die wenige Kräfte, die mir noch übrig sind, auf
17 z An Samuel Thomas Soemmering
die Anhänge dazu, welche ich noch in meinem Plane habe, ob-
gleich langsam zu verwenden.
Erhalten Sie mich, teuerster Mann, in Ihrer Freundschaft und
sein Sie versichert, daß ich an allem, was Sie betrifft, jederzeit
die größte Teilnahme haben werde, als
Ihr ergebenster treuer Diener
I. Kant.
37^-
An Samuel Thomas Soemmering.
Sie haben, teuerster Mann, als der erste philosophische Zer-
gliederer des Sichtbaren am Menschen, mir, der ich mit der Zer-
gliederung des Unsichtbaren an demselben beschäftigt bin, die
Ehre der Zueignung Ihrer vortrefflichen Abhandlung, vermutlich
als Aufforderung zur Vereinigung beider Geschäfte zum gemein-
samen Zwecke, bewiesen.
Mit dem herzlichen Danke für dieses Ihr Zutrauen lege ich
den Entwurf, von der Vereinbarkeit einerseits und der Unverein-
barkeit beider Absichten andererseits, hiermit bei; mit der Er-
klärung, davon nach Ihrem Gutbefinden allen beliebigen, allenfalls
öffentlichen, Gebrauch zu machen.^)
Bei Ihrem Talent und blühender Kraft, Ihren noch nicht
weit vorgeschrittenen Jahren, hat die Wissenschaft von Ihnen
noch große Erweiterung zu hoffen; als wozu ich Gesundheit und
Gemächlichkeit von Herzen wünsche, indessen daß der Ablauf
der meinigen von mir nur wenig mehr erwarten läßt, als die
Belehrung anderer noch so viel als möglich zu benutzen.
Ihr
Verehrer und ergebenster Diener
Königsberg, den lo. Aug. 1795. I. Kant.
^) S. Th. Soemmering (1755 — 1830), der bekannte Anatom; vgl.
Kants Anmerkungen zu seiner Schrift über das Organ der Seele, Königs-
berg 1796 (Werke Bd. VI).
An Fi'iedrkh ISlicolovius. — An Karl Morgenstern 275
373-
An Friedrich Nicolovius.
Wenn Ew. Hochedelgeb. eine Abhandlung, die, auf weißen
Druckpapier, etwa fünf Bogen austragen dürfte und vor Ende
künftiger Woche Ihnen in Mspt. überhefert werden kann, zur
nächsten Michaelismesse fertig schaffen können und mir für jeden
Bogen pro honorario 10 Reichstaler (unter der gewöhnlichen Be-
dingung eben desselben Honorars bei jeder neuen Auflage) zu-
gestehen, so können Sie für diese nächste Messe, unter der Rubrik
der fertig gewordenen Schriften, setzen lassen:
Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf
von Immanuel Kant.
I. Kant
d. I 3. Aug. 1795.
N. S. Den Ihnen zugedachten Verlag der Sammlung meiner
kleinen Abhandlungen [hin und wieder vermehrt oder verbessert]
kann ich jetzt nicht abschließen, weil ich dazu den künftigen
Winter nötig habe. I. K.
• 374-
An Karl Morgenstern.
Königsberg, den 14. August 1795.
Für das Geschenk Ihres Werkes de Piatonis republica, welches
Sie nicht bloß mir, sondern der philosophischen Welt machen,
statte ich Ihnen, würdigster Mann! den verbindlichsten Dank ab.
— Ich werde daraus viel lernen, vornehmlich auch in Beziehung
auf die Stelle pag. 195,') und ich glaube, an Ihnen den Mann
zu finden, der eine Geschichte der Philosophie, nicht nach der
Zeitfolge der Bücher, die darin geschrieben worden, sondern nach
der natüdichen Gedankenfolge, wie sie sich nach und nach aus
') Karl Morgenstern, ein Schüler Fr. Aug. WolfFs (1770— 1852);
er hatte Kant eine Schrift De Piatonis Republica Commentationes tres,
Hallae 1794, zugesandt, in der er sich auf Kants Verteidigung des
Platonischen Staatsideals (s. Kritik der reinen Vernunft, 2. Auflage,
S. 3 6^ fF.) beruft.
Kants Schriften. Bd. X. 18
274 ^" Georg Friedrich Seiler
der menschlichen Vernunft hat entwickeln müssen, abzufassen im-
stande ist, sowie die Elemente derselben in der Kritik der reinen
Vernunft aufgestellt werden.')
Von Ihrem aufblühenden Genie, dessen Fruchtbarkeit sich in
seiner ersten Erscheinung schon so vorteilhaft äußert, läßt sich
viel erwarten und auch hoffen, daß die Glücksumstände sein Ge-
deihen begünstigen werden; als welches innigst wünscht
Ihr ganz ergebener treuer Diener
I. Kant.
375-
An Georg Friedrich Seiler. =")
Königsberg, d. 14. Aug. 1795.
Hochehrwürdiger Beförderer des Guten!
Diese Ihre ruhmwürdige Gesinnung mit meinen geringen
Kräften zu dem Besten, was nur immer in der W^elt Zweck sein
kann, zu vereinigen und das Geschenk Ihres vortreffüchen Werks
„Der vernünftige Glaube" usw., womit Sie dieselbe begleiten,
verdienen meinen größten Dank.
Möchte es nur in meiner Macht stehen, das, was Sie von mir
verlangen und in Ansehung dessen Sie mich mit so gütigem Zu-
trauen beehren, ins Werk zu richten! Allein es sind mir bereits
vor einem Jahre bedeutende und vielvermögende Winke gegeben
worden, welche aller Schriftstellerei dieser Art, wenn sich die
Umstände nicht ändern, ein Ende machen. In der Hoffnung,
daß dieses vielleicht noch geschehen könne, strebe ich diesem
Ziele im Willen nach, um wenigstens meine eigene Begriffe
hierüber mehr und mehr ins klare zu bringen und so, wenn
gleich nicht durch Mitteilung außerhalb mir, doch durch innig-
liche Überzeugung mir selbst, in Ansehung jenes Zwecks, nützlich
zu sein.
Daß Sie über alle andere Glückseligkeit des Lebens, auch jener
*) S. den Schluß der Kritik der reinen Vernunft: „Die Geschichte
der reinen Vernunft."
») Georg Fr. Seiler (1733— 1807), Professor der Theologie in
Erlangen: „Der vernünftige Glaube an die Wahrheit des Christentums
etc.", Erlangen 1795; Seiler hatte Kant gebeten, diese Schrift zu rezen-
sieren.
Von den Kindern Johann Heinrich Kants ij^
mir mangelnden Freiheit zum Besten der Menschen genießen
mögen, ist der herzliche Wunsch ^^^^^
Verehrers
I. Kant.
376.
Von den Kindern Johann Heinrich Kants.
Bester Onkel,
Sie persönlich zu kennen, — und Ihnen die Hand zu küssen
— so wohl wird es uns wohl nie werden; erlauben Sie also —
daß wir uns einmal schriftlich an Sie anschmiegen, durch diesen
jungen Mann, mit dessen väterlichen Hause wir einen vertrauten
Umgang unterhalten. — Kann es Sie wohl befremden, verehrungs-
würdiger Herr Onkel: daß wir den Bruder unsers Vaters lieben,
und den berühmten Mann, an den uns Bande des Bluts schließen,
mit innerem Stolze verehren? und daß es der lebhafteste Wunsch
unseres Herzens ist, von Ihnen geliebet zu sein? Bei dem allen
bleiben Sie uns doch immer abwesend — immer entfernt: —
Etwas also, das die Vorstellung belebt — etwas, das Sie uns ge-
wissermaßen gegenwärtig machen würde; eine Locke von Ihren
ehrwürdigen, grauen Haaren hätten wir doch sehr gerne — die
würden wir in Ringe fassen lassen, uns so fest einbilden, wir hätten
linsern Onkel bei uns — und uns bei dieser Täuschung recht
glücklich fühlen. — Diese einmütige Bitte können Sie uns ge-
währen, geliebtester Oncle. — Nächstens wird ein Freund unseres
Vaters, ein Prediger WEWEL, in Königsberg eintreffen, um dort
seine Kinder in eine Schule unterzubringen, er wird Ihnen gevdß
mit einem Gruße von unserem Vater, seinen Besuch machen, und
der bringt uns dann, was wir wünschen. Nehmen Sie, ver-
ehrungswürdigster Herr Onkel, die wärmsten Grüße unsrer Eltern
an und leben Sie noch lange glücklich und heiter für die Welt
und für
herzlich liebende und
Ihre Sie
Alt-Rahden verehrende
d. 19. Aug. — Amalia Charlotte Kant
1795 -
Minna Kant,
Friedrich Wilhelm Kant,
Henriette Kant.
l8*
2/0 An E, A. C. Wasianski. — An S, Th. Soejjimer'mg
177-
An Ehregott Andreas Christoph Wasianski.')
Ew: Hochwohlehrwürd.
haben die GefälÜgkeit gehabt, zu er-
lauben, daß ich den Herrn Geh. Rat v. HIPPEL, nebst einem
und anderem Freunde, eines Tages zu Ihnen führen dürfte, um
Ihr schönes Instrument anzuhören. Morgen (Mittwochs) wäre,
nach dem Wunsche des Herrn v. HIPPEL, der gelegenste Tag,
etwa um 4 Uhr nachmittag, Ihnen diesen Besuch abzustatten;
worüber ich mir gütige Antwort erbitte und mit vollkommener
Hochachtung jederzeit bin
Ew: Hochwohlehrwürden
ganz ergebenster Diener
I. Kant
d. I 5, Sept. 1795.
378.
An Samuel Thomas Soemmering.
Da Herr NICOLOVIUS mich fragt, ob ich etwas als Ein-
schluß zu seinem Briefe an Sie, teuerster Freund, mitzugeben habe;
so mag es folgender Einfall sein. —
In der Aufgabe vom gemeinen Sinnenwerkzeug ists darum
hauptsächlich zu tun, Einheit des Aggregats in das unendlich
Mannigfaltige aller sinnlichen Vorstellungen des Gemüts zu bringen,
oder vielmehr jene durch die Gehirnstruktur begreiflich zu machen,
welches nur dadurch geschehen kann, daß ein Mittel da ist,
selbst heterogene, aber der Zeit nach aneinander gereihte Ein-
drücke zu assoziieren, z. B. die Gesichtsvorstellung von einem
Garten, mit der Gehörvorstellung von einer Musik in demselben,
dem Geschmack einer da genossenen Mahlzeit usw., welche sich
verwirren würden, wenn die Nervenbündel sich durch wechsel-
') E. A. C. Wasianski, Pfarrer in Königsberg, der rreue Freund
Kants in seinen letzten Lebensjahren, vgl. seine Schrift: Kant in seinen
letzten Lebensjahren, Königsberg 1804. Über den Besuch, von dem
hier die Rede ist, s. diese Schrift S. \^^(.
An Theodor Gottlieh von Hippe/ 277
seifige Berührung einander affizierten. So aber kann das Wasser
der Gehirnhöhlen den Einfluß des einen Nerven auf den andern
zu vermitteln und, durch Rückwirkung des letzteren, die Vor-
stellung, die diesem korrespondiert, in ein Bewußtsein zu ver-
knüpfen dienen, ohne daß sich diese Eindrücke vermischen, so
wenig wie die Töne in einem vielstimmigen Konzert vermischt
durch die Luft fortgepflanzt werden.
Doch dieser Gedanke wird Ihnen wohl selbst beigewohnt
haben; daher setze ich nichts weiter hinzu, als daß ich mit dem
größten Vergnügen die Äußerung Ihrer Freundschaft und der
Harmonie unsrer beiderseitigen Denkungsart in Ihrem angenehmen
Schreiben wahrgenommen habe.
den 17. Sept. 1795. I- Kant.
379-
An Theodor Gottlieb von Hippel.
Ew. Hochwohlgeboren.
Haben mehrmalen die Gütigkeit gehabt, meiner Fürbitte für
nicht unwürdige Studierende, in Ansehung eines Stipcndii, ge-
neigtes Gehör zu verstatten. — Der, welcher die Ehre hat, Ihnen
Gegenwärtiges zu überreichen, der Stud. Juris LEHMANN, bittet
um das Boehmianum, es bis zu Ostern künftigen Jahres, welches
etwa IG Reichstaler betragen würde, zu genießen, indem er als-
dann nach Stettin an die dortige Regierung abzugehen gedenkt.
— Er wird alle nötige Zeugnisse seines angewandten Fleißes und
seiner erworbenen Geschicklichkeit beibringen, wozu ich auch
das meinige mit voller Wahrheit beilegen kann.
In der Bitte, ihm, wo möglich, in diesem seinem Gesuch be-
hilflich zu sein, bin ich mit ausgezeichneter Hochachtung und
Ergebenheit
Ew. Hochwohlgeb.
gehorsamster treuer Diener
I. Kant
d. 28. Sept. 1795.
2/8 Von Friedrich Bouteriuek
380.
Von Friedrich Bouterwek.
Darmstadt, d. zp. Sept. 1795.
Schon zum dritten Male, verehrungswürdiger Lehrer, werden
Sie von einem Mann, der vielleicht besser täte, für sich als für
die Welt zu philosophieren, mit der Zumutung beschwert, einen
neuen Versuch zur Beförderung Ihrer Sache und der Sache der
Wahrheit als einen Beweis einer Dankbarkeit, die mehr als Ver-
ehrung ist, mit Nachsicht aufzunehmen. Soll ich mich aber auch
diesmal entschuldigen? Ich glaube, ich darf nicht. Wenigstens
liegt es mir wde eine Pflicht auf dem Herzen, die Aphorismen,
mit denen ich in einem Gedräng von erfreulichen und lästigen
Geschäften der Welt zur Last fiel, auch gegen Sie wieder gut
zu machen. Und sollte ich selbst, was ich denn doch kaum
glauben kann, durch diesen Paullus Septimius^) meine Sache
verschlimmert haben, so würde ich ihn doch Ihnen haben vor-
legen müssen, weil ich dann, wenn auch dieser Versuch verun-
glückt ist, nicht ein fünfjähriges pythagoreisches, sondern ein
lebenslängliches Stillschweigen in der philosophierenden Welt zu
beobachten entschlossen bin. Auch kann ich dieses Buch nicht
wie die Aphorismen ein Werk der Übereilung nennen. Ich habe
es mehr als einmal durchzuprüfen Zeit gehabt und habe es also
ganz zu verantworten. Über das Kleid zu disputieren, das ich
der Wahrheit umzuhängen gewagt habe, werde ich nicht nötig
haben, wenn nur die Wahrheit nicht durch dieses Kleid entstellt
ist. Aber wird die reine und entkleidete Wahrheit, die Unsicht-
bare und Unsterbliche, die Ihnen erschien, als Sie den Begriff
einer reinen Erkenntnisform fanden und die Tafel der Kategorien
aufstellten, wird diese sich erkennen in der Lehre meines elcu-
sinischen Priesters? Hätte ich nicht wenigstens vor der Berührung
der transszendentalen Logik mich scheuen sollen? Wird meine
Bestimmung der Begriffe der Freiheit und des Willens die Probe
halten? Ist meine Theorie vom Glauben an eine beste Welt
nicht eine Verirrung der Spekulation über die Grenze, die Sie
ihr vorgezeichnet haben? Wenn ich doch darüber die Wahrheit
^) Paulus Septimius oder das letzte Geheimnis des Eleusinijchen
Priesters, i. Teil, Halle 1795.
An Johann Gottfried Kiesetoetter 279
selbst fragen könnte! Oder wenn ich von Ihnen hören könnte,
ob Sic die Abweichungen der Lehre THEOPHRANORS von Ihrer
Kritik der reinen Vernunft für ganz grundlos erkennen! — Aber
Sie haben mehr zu tun in Ihrem Wegeweiser-Amt, als sich um-
zusehen, ob nicht einer oder anderer stolpert, der Ihre Wege
betreten will. Wer gefallen ist, fühlt doch am Ende selbst, daß
er am Boden liegt, wenn er nicht durch übermäßige Träumerei
alle Besonnenheit verloren hat; und wer stolpert, ohne zu fallen,
fühlt wenigstens, daß er sich stößt. Ein Wanderer, wie ich,
kann schon aus der Erfahrung sprechen. Seitdem ich mich von
Göttingen getrennt, darauf eine Reise durch die Schweiz gemacht,
und jetzt mich in einen stillen Privatstand in diese Rheingegend
zurückgezogen habe, ist mir mancher Irrtum mit dem Staube von
meinen Füßen gefallen, und manche Empfindungen, die mir fest
anhingen, haben mich verlassen, nur nicht meine Überzeugung
von Ihrem unvergänglichen Verdienst in der größten Angelegen-
heit der Vernunft, und nicht die innige Verehrung, mit der ich bin
Ew. Wohlgeb.
gehorsamster Dr.
F. Bouterwek.
381.
An Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Wertester Freund
Sie haben mich durch die schöne Teltower Rüben vom
vorigen Jahre so verwöhnt, daß die hiesige meinem Gaumen nicht
mehr behagen wollen. Wollten Sie wohl auch jetzt die Güte
haben, mir einen Scheffel von diesem Hausbedarf zu überschicken?
wo ich, wenn die Adresse an den Kaufmann Herrn J. CONRAD
JACOBI gestellt würde, dem Fuhrmann die Kosten für Ware und
Fuhrlohn entrichten könnte, oder sonst auf eine Ihnen behebige
Art Ihre Auslage vergüten; denn es wäre unbescheiden, Ihre Höf-
lichkeit zur Gewohnheit werden zu lassen.
Ihr Versprechen, uns hier etwa in anderthalb Jahren zu be-
suchen, ist mir und Ihren hiesigen Freunden sehr angenehm ge-
wesen. Eine Freundin von Ihnen, die Frau Hofpredigerin SCHULTZ,
werden Sie nicht mehr antreffen; denn sie ist den 10. Oktober
nach langem Leiden verstorben. Vielleicht werde ich auch binnen
8o
Pbn Johann Flücker
dieser Zeit expediert, ob ich gleich jetzt noch so ziemlich gesund
bin; denn die siebziger Jahre machen gewöhnlich einen kurzen
Prozeß.
Wenn Sie mich mit einer baldigen gütigen Antwort beehren
wollen, so wünschte ich wohl über den wunderlichen Vorgang
mit den Preisaufgaben der Akad. d. Wissensch. einige Belehrung:
z. B. warum die Austeilung nicht, wie gewöhnlich, am Geburts-
tage des Königes, sondern acht Tage hinten nach geschehen; wie
CS habe kommen können: daß SCHWAB, ABICHT und REIN-
HOLD in bunter Ordnung dabei zusammen kommen und irgend
etwas Einstimmiges aus so viel Dissonanzen herausgebracht werden
kann, u. d. g. ^)
Meine reveries „zum ewigen Frieden" werden Sie durch
NICOLOVIUS bekommen. Mit dem Unfrieden unter den Ge-
lehrten hat es nicht viel zu bedeuten, wenn sie nur nicht Kabalen
machen und sich mit den Politikern vom Handwerk verbrüdern,
und HORAZENS atrum desinit in ptscem bei ihren höfischen Ma-
nieren darstellen.
Ich bin jederzeit mit Hochachtung und Freundschaft
Ihr
Königsberg, ergebenster treuer Diener
den 15. Oktober I.Kant.
1795.
382.
Von Johann Plücker.
Elberfeld, den 5. Januar 1796.
Herr Professor Emanual Kant in Königsberg.
Übel werden Sie's doch mir nicht nehmen! Wann ich durch
diese gute Gelegenheit die Freiheit brauche, diese wenige Zeilen,
in Hoffnung meiner Belehrung, an Sie zu schreiben!
') Der Preis, den die Akademie fiir die Beantwortung der Frage
ausgeschrieben hatte: „Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die
Metaphysik seit Leibnizens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht
hat?", war zur einen Hälfte an Joh. Christ. Schwab in Stuttgart (i743 —
1821), zur anderen Hälfte an Reinhold und Abicht gefalle«; ein
Accessit erhielt der Prediger Jenisch. Kant selbst hat, wie bekannt,
Von jfohann F lücker 281
voraus muß ich sagen, daß ich von Jugend auf, jetzt in die
60 alt seiende, mich nach Wahrheit umgesehen, und wo ich
dieselbe nur fand! lieb gewann! — auffallender aber hab ich nie
etwas — als Dero Schriften gefunden! als mir dieselbe zuerst zu
Gesichte kamen — von vielen Vorurteilen entbunden, las ich
dieselbe mit vielem Nachdenken und öfter wiederholt fleißig —
bis ich — das in mir durcheinander liegende Chaos ziemlich in
Ordnung brachte! Neues haben Sie, meinem Dünken nach, mir
nichts gesagt — weil es in mir lag — aber dasjenige geordnet,
was, ich weiß nicht, wie? Alles in mir — möcht ich sagen,
konfus durcheinander lag? Sie gaben mir den Schlüssel — zur
Erkenntnis — der tiefen Weisheit — die Jesus Christus —
durch seine Lehre und Reden geäußert!
und ich danke meinem Schöpfer! daß Er mich die Tage er-
leben lassen! Wo Sie, edler Mann, am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts — als ein hell scheinendes Licht die Welt er-
leuchten.
beurteilen Sie gütigst folgenden Brief, den ich vor wenig
Jahren an einen Freund — auf gewisse Veranlassung schrieb —
und demnächst meine Gedanken, die ich bei Gelegenheit einer
Wahrnehmung — vermittels eines Microscopii compositi — für
mich entw^arf — der Brief war wie folgt!
„keine gute Handlung, kein gutes Wort geht verloren,
„der Lohn ist unausbleiblich! — dies darf man dem
„publico zur Anlockung und Nachahmung sagen! der
„Weise handelt aus Pflicht! der noch Weisere aber aus
„Hochachtung für die Pflicht! bückt sich tief für des
„Gesetzes Heiligkeit! Er wähnt einen Gott! und ihm
„ahndet dessen Majestät! — !" so weit der Brief.
durch ein vortreffliches Microscopium compositum ließ mich
einst der Besitzer und Künstler davon, mein Freund! ein kaum
zu bemerkendes kleines westindisches Würmchen sehen! und wie
staunt' ich, da ich es als mit den feinsten Perlen wie bedeckt
fand! Demnächst legte mein Freund ein Miniaturgemälde, etwa
so groß wie der Nagel aufm kleinen Finger darunter, mit der
Versicherung, daß er darauf so viel Fleiß und Mühe gewendet
— daß es nicht bezahlt werden würde! — auch so vollkommen
das Thema bearbeitet (s. Werke, Bd. VIII), seine Abhandlung aber nicht
eingereicht.
282
An Johann Plücker
gut schien es zu sein! aber noch mehr staunte ich — da ich
die Striche, wie Kraut und Rüben, unordentlich durcheinander
liegen fand? und fast keinen einzigen vollkommen guten Strich
wahrnahm? lang läge mir das Gemälde und dessen Karikatur
mit dem Würmchen in den Gedanken, bis ich, nach meinem
Urteil — und zu meiner Belehrung den richtigen Schluß machte!
so wie sich die Natur verhält zur Kunst — so verhält sich das
Ideal des vollkommenen Menschen in uns — zu unserem Ver-
halten und Betragen! — diesem Ideal sich zu nähern, wird die
Würde des Menschen befördern und ihn beseligen! — das Reich
Gottes ist inwendig in euch, sagt ja auch der lieber Weiser Jesus!
um nichts mehr — edler Mann, ersuch ich Sie nun, als
mir in Antwort gütigst freimütig zu sagen, inwiefern Sie mit
mir in Besagtem einstimmig sind? und was mehreres dabei zu
erinnern sein möchte? Sie werden mich dadurch unendlich ver-
pflichten — dann nie vergaß ich von Jugend auf den — der
zu meiner Belehrung was beitrug! in Erwartung Ihrer lieben
Antwort, direkt über die Post, bin Ihr, obwohl unbekannter,
doch aber ganz ergebener Freund
Johann Plucker Werners Sohn.
P. S. auch werden Sie mich sehr verbinden, wann Sie das
Haus von CARL LUDWIG KIRSCHNICK dort kennen? mir in
Antwort zu sagen belieben? ob demselben einige tausend Reichs-
taler zu fidieren sein? dies Haus empfahl mir, und durch das-
selbe empfangen Sie mein Schreiben, bin wie oben.
383.
An Johann Plücker.
Königsberg, 2 <5. Januar 179^.
Fahren Sie fort, wackerer Mann, in Beherzigung der ersten
Grundsätze desjenigen Lebenswandels, der Ihnen nicht allein hier
den Frieden der Seele sichern, sondern Sic auch für die Zukunft
aller Bekümmernis überheben wird.
Daß ich gleichsam nur die Hebamme Ihrer Gedanken war,
und alles, wie Sie sagen, schon längst obwohl noch nicht ge-
ordnet in Ihnen lag, das ist eben die rechte imd einzige Art
zur gründlichen und hellen Erkenntnis zu gelangen. Denn nur
das, was wir selbst machen können, verstehen wir aus dem Grunde;
An fohann P/ücker z8j
was wir von andern lernen sollen, davon, wenn es geistige Dinge
sind, können wir nie gewiß sein, ob wir es auch recht ver-
stehen, und die sich zu Auslegern aufwerfen, eben so wenig.
Die Stelle aus Ihrem, vor wenig Jahren an einen Ihrer Freunde
abgelassenen Brief, hat meinen ganzen Beifall und enthält das
Gesetz und die Propheten.
Auch hat mir das Experiment mit dem Würmchen und dem
fleißigsten Gemälde von demselben unter dem Mikroskop ver-
glichen, als lebendig vorgestellter Abstand des Menschen (wie er
hier ist) von dem Ideal der Menschheit (was er sein und werden
soll) und seiner Bestimmung sich diesem beständig zu nähern,
durch seine Neuheit und Tauglichkeit, solche Beispiele in Er-
ziehung der Jugend zu benutzen, nicht wenig vergnügt. Die
daraus gezogene Analogie zwischen dem physischen und morali-
schen Menschen (in seiner ganzen Reinheit) ist sinnreich und
vornehmlich zu jenem Zweck überaus wohl ausgedacht.
Mit einem Wort, Ihr Brief, lieber Freund, hat mir eine an-
genehme Stunde gemacht; von meinen geringen Bestrebungen,
solche Wirkungen hin und wieder wahrzunehmen; welche tröstende
Empfindung dem noch auch von Zeit zu Zeit durch die Be-
mühung derer trübe gemacht wird, die die einfachste Sache von
der Welt geflissentlich zu der schwierigsten machen, indem sie,
wie Ärzte, in Rezepten, des Guten nicht zu viel tun zu können
wähnen, und die moralisch Kranken mit Glaubensvorschriften
überfüllen, bis ihnen darüber der Geist (das wahre Prinzip der
guten Deutungsart) ausgeht.
Einem Mann, wie Sie, der es wohl verdient, daß man ihn
bei seiner Erkundigung nach der Zuverlässigkeit anderer in bürger-
lichen Geschäften nicht unberaten lasse, habe ich bei meiner
eignen Unkunde, einem andern wichtigen und wohldenkenden
Mann, Herrn Komm.-Rat TOUSSAINT, substituiert, der sein Urteil
über den Kaufmann quaestionis an Sie abgeben wird und durch
den Sie auch, wenn es Veranlassung gäbe, an mich zu schreiben,
mir Ihre Briefe überschicken werden.
Übrigens wünsche ich, daß, so wie Sie sich in Geistes-An-
gelegenheiten auf der Bahn der Rechtschaffenheit, so auch in
bürgerlichen und häuslichen auf der des Glücks und der Ehre
jederzeit befinden mögen und bin mit Hochachtung Ihr
ergebenster Freund und Diener
I. Kant,
284 /^'^ Matern Reuß
384.
Von Matern Reuß.
Würzb. d. I. April.
Euere Wohlgeborr ^79^-
erwarten ja von mir keine Versicherungen meiner fortdauernden
Ergebenheit gegen Sie; ich setze deswegen auch alle Erklärung
meiner Hochschätzung gegen Sie beiseite; aber unangenehm wird
es Ihnen nicht sein, wenn ich Ihnen, wenigstens überhaupt (denn
cn detail werde ich es öffentlich also auch Ihnen bekannt machen)
den Zustand der kritischen Phlie im katholischen Teutschland be-
kannt mache. Hier fahre ich ungehindert fort, theor. u. prakt.
Phlie nach Ihren Grundsätzen zu erklären, auch Ästhetik wird
vom Fr. ANDRES nach Ihren Grundsätzen gelehrt. Die Professoren
der Theologie und Rechtsgelahrtheit modeln fast alle, wo nicht
die Wissenschaft, die sie lehren, wenigstens die Art ihres Vortrages
nach den nämüchen Grundsätzen, sogar beim Religionsunterricht
benutzt man Ihre Grundsätze, in Katechese u. in Predigten: bloß,
um Kantische Phlie bei mir zu hören, kommen viele Fremde
hieher; und mein Fürst, der mich sehr unterstützt, nahm mir alle
übrigen Geschäfte, die ich sonst dabei besorgen mußte, ab, damit
ich mich der Phlie allein widmen könne.
Nicht gar so hell, doch ziemlich hell sieht es auf den hohen
Schulen Bamberg, Heidelberg u. andern katholischen Schulen aus,
desto finsterer ist es aber in Bayern, Schwaben u. der katholischen
Schweiz, ich machte eine Reise in diese 3 Länder, u. hoffe Nutzen
gestiftet zu haben; da in diesen kathol. Ländern die Schulen
meistens von Mönchen besorgt werden, die aber nur nicht nach
einem teutschen Vorlesbuch lesen dürfen, nach einem protestan-
tischen (so sagen sie) gar nicht, so habe ich diesen Schulen zu-
lieb über theor. Phlie ein Vorlesbuch in latein. Sprache geschrieben,
welches aber erst nächstens gedruckt wird;') auch in der italieni-
schen u. französischen Schweiz wünschte man über KANTS Phlie
eine Erklärung in lateinischer Sprache; Pr. ITT zu Bern bat mich
deswegen, so etwas zu besorgen.
^) Reuss, Initia doctrinae philosophicae solidioris, P. I, Salzburg
1798; F. II, Salzburg 1801.
An Friedrich August Hahnrieder 285
Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie enthusiastisch auch jene,
die sonst Ihren Grundsätzen nicht gut waren, sogar unsre Damen
jetzt für Sie eingenommen sind, da wir in mehreren Zeitungen
gelesen haben, daß Sie als Gesetzgeber, als Stifter der Ruhe u.
des Friedens nach Frankreich gerufen worden seien, u. dazu von
Ihrem König Erlaubnis erhalten haben ;^) auch ich bekomme jetzt
von mancher Dame ein freundlicheres Gesicht als zuvor.
Auf die Frage: ob die Nachricht gegründet sei, bat ich Hrn.
Hofpr. SCHULTZE um eine Antwort, weil Sie dazu nicht Zeit
haben. Ich bitte Sie um Ihre fernere Freundschaft u erharre
Er. Wohlg.
Dienstfertigster Diener
Reuß Prof
Hr. STANG empfiehlt sich bestens.
385.
An Friedrich August Hahnrieder.
Ew: Hochedelgeb.
Zuschrift vom p. April c. enthält so subtil ausgedachte Skrupel
und moralische Bedenklichkeiten, irgendein Amt zu übernehmen, in
sich, zugleich aber auch einen so unwandelbaren Vorsatz der Be-
harrlichkeit bei dieser Ihrer Meinung, daß aller Versuch Ihnen
denselben, wenngleich mit triftigen, nicht weniger moralischen.
Gründen auszureden, vergeblich zu sein scheint.
Noch bleibt aber doch ein Vorschlag, der Ihrem eigenen Plane
analogisch, nämhch kein Amt, sondern eine Kommission betrifft,
übrig und der Sie dahin leiten könnte, wohin Sie selbst wün-
schen, nämlich im Unterricht Anderer Ihre Beschäftigung zu
suchen. — Wenn Sie sich nämlich „in der reinen Mathematik,
der Algebra und der Fortifikation", wie Sie sich äußern, stark
gnug fühlen, so würden Sie auch sehr leicht die Feldmeß kunst
hinzusetzen können. - - Nun haben des Herrn Etatsminister Baron
^) Die Zeitungen hatten die falsche Nachricht gebracht, daß die
französische Nation durch den Abt Sieyes Kant ersucht habe, den
Entwurf der Konstirutionsgesetze durchzusehen und nach seinen Grund-
sätzen zu verbessern.
2 86 An Johann Gottfried Kieseioetter
V. SCHROETTER Exzcll. vor etwa 4 Wochen unserem Professor!
Matheseos Ordinario zu wissen tun lassen, daß eine große Ver-
messung, der jetzt preußischen (ehedem zu Polen gehörigen)
Länder vor sich gehen soll und von gedachtem Professore, Herrn
Hofprediger SCHULTZ, darüber Vorschläge verlangt, an welchen
Sie, sobald der Plan zur Ausführung gereift ist, sich wenden und
dann das übrige veranstalten können.
Hiezu und zu allen übrigen wohlgemeinten und redlichen Ab-
sichten wünsche das beste Glück und bin mit aller Hochachtung
Ew. Hochcdelgeb. ergebenster Freund ■
Koenigsberg, imd Diener
d. lö. April I Kant.
1796.
An Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Hochgeschätzter Freund 1 [28. Juni 1796.]
Der Ihnen dieses zu überreichen die Ehre hat, Herr HAHN-
RIEDER aus Lötzen in Ostpreußen, mein ehemaliger Zuhörer,
mag Ihnen seine Lebensgeschichte, seine Grundsätze zu handeln
und seine Absichten selbst erzählen. Was ich hiebei noch zu
sagen habe, ist: Sie zu bitten, ihm zur Ausführung seines von ihm
selbst entworfenen und mit Festigkeit beschlossnen Lebensplan,
der zwar paradox und ungewöhnlich, aber doch keinesweges phan-
tastisch ist, durch Ihren Rath und Empfehlung beförderlich zu
sein, oder auch allenfalls, wenn sich Ihres Orts dazu Gelegenheit
fände, ihm einen andern Plan vorzuschlagen; denn sein Talent,
seine Geschicklichkeit (zumal da er in der Mathematik nicht un-
bewandert ist) und sein Charakter, der nicht allein untadelig,
sondern auch entschlossen und soweit ich ihn kenne ausdaurend
ist, lassen an ihm einen guten und brauchbaren Bürger erwarten,
als worin er auch ohne Rücksicht auf Standesunterschiede (die
doch größtenteils von der Meinung abhängen) seinen Ehrbegriff
setzt.
[Das Übrige fehlt.]
J^n Friedrich August Hahnrieder i%j
387.
Von Friedrich August Hahnrieder.
Berlin d. 20. Sept.
Achtungswürdiger Mann! '^79^-
Die Ungewißheit der Entwickelung meines Schicksals ist die
eigentliche Ursache der Verzögerung eines Schreibens, ich wollte
mir die Freiheit, Denenselben zu schreiben, nicht eher zu nutze
machen, als bis ich imstande wäre, eine gänzliche Schilderung
aller gehabten Fatalitäten zu liefern, izt ist mein Schicksal ent-
schieden, und ich eile Ihnen davon getreue Nachrichten zu liefern.
Sobald das Schiff aus Königsberg ausgelaufen war, veränderte sich
der Wind, wir mußten vor Fischhof zu Anker gehen, dieses be-
gegnete uns noch einmal auf dem Haff, nicht eher als in ohngefähr
drei Tagen kamen wir nach Pillau, woselbst, w^idrigen Windes
wegen, wir acht Tage Hegen mußten; die Teurung in Pillau ver-
minderte um vieles meine Barschaften, welche ohnehin äußerst
mäßig waren. Nachdem der Wind günstig geworden, gingen wir
unter Segel, eilf Tage waren wir auf offner See, in Swinemünde
bheben wir hegen, und einige Meilen von Swinemünde widerfuhr
uns dasselbe, nach einer Reise von viertehalb Wochen kamen vsdr
nach Stettin, von da ging ich mit noch zwei Reisekameraden zu
Fuß nach Berlin, die Sachen wurden auf einen Oderkahn geladen.
Die Empfehlungen, die Sie mir mitzugeben die Güte gehabt, gab
ich ab; Herr Doktor BIESTER und Herr Professor KIESEWETTER
hatten wider meinen Plan nichts einzuwenden, letzterer gab sich
Mühe, mich bei einem Meister unterzubringen, aber es war ver-
gebens, keiner von allen, wohin mich KIESEWETTER brachte,
woUte sich entschließen, mich anzunehmen, der eine entschuldigte
sich, daß er keinen Platz habe, der andre, daß ich in den Jahren
nicht viel lernen würde, der dritte meinte, er könnte mich nicht
so als einen gewöhnlichen Lehrjungen behandeln, ein vierter hatte
andere Gründe, und so war alles Bemühen fruchtlos, ich bat daher
Herrn Prof. KIESEWETTER, irgendeinen andern Plan zu meinem
Furtkommen zu entwerfen, indessen wollte er meinen einmal ent-
worfhen Plan durchgesetzt wissen, es koste was es wolle, er riet
mir mich an Herrn Doktor BIESTER zu wenden, dieser würde
vielleicht einen Meister ausfindig machen, und dann sollte ich,
die Bedingungen möchten sein welche es wollten, in Arbeit gehen.
z88 Von Friedrich August Hahnrieder
nach seiner Zurückkunft (er reiste eben auf einige Zeit nach
Freienwalde, sechs Meilen von hier, ins Bad) würde er alles
arrangieren, er hätte schon mit mehreren Freunden gesprochen,
die mich während meinen Lehrjahren zu unterstützen versprachen,
da eine Unterstützung unter solchen Umständen als ein allgemeines
Gesetz sehr wohl bestehen könnte, so nahm ich dieses Anerbieten
an, Herr Doktor BIESTER empfohl mich dem braven ZÖLLNER,
welcher mich vermittelst eines Tischlers bei einem geschickten
hiesigen Tischler unterbrachte, die Bedingungen waren freilich
meinen Verhältnissen nicht angemessen, ich sollte nemHch auf drei
Jahre eingeschrieben werden, fünfzig Taler Lehrgeld bezahlen und
Tisch, Quartier und Kleidung selbst besorgen, allein in Hoffnung
auf die so sicher zugesagte Unterstützung fing ich an zu arbeiten;
nachdem KIESEWETTER zurückgekommen, stellte ich ihm dieses
vor, er hatte dawider nichts einzuwenden, munterte mich auf,
meinem Vorsatz treu zu bleiben, und versicherte mir, da ich einige
Zweifel gegen Unterstützung hegte, daß ich nichts zu besorgen
hätte, ohngeachtet aller Versicherungen konnte ich doch nicht
ganz zufrieden sein, ich sprach Herrn Doktor BIESTER darüber,
dieser meinte, daß das Versprechen zu voreilig wäre, ich bat nun
Prof. KIESE WETTER, mir ganz bestimmt darüber Auskunft zu
geben, denn sollte es mit der Unterstützung Schwierigkeiten setzen,
so könnte ich ja, da ich noch nicht eingeschrieben wäre, mit der
Arbeit aufhören und irgend etwas anderes entrieren, zugleich er-
suchte ich ihn, mich als Hofmeister ohnweit Berlin zu engagieren,
er indessen wollte davon nichts hören, sondern sprach immer von
Unterstützung, dieses hatte schon mehrere Wochen gedauert, und
ich muß gestehen, daß mir meine Lage sehr zur Last wurde;
während der Zeit war der Rat CAMPE aus Braunschweig hier
gewesen, mit diesem hatte KIESEWETTER meinetwegen gespro-
chen, und ihm den Brief von Ihnen gezeigt, in Rücksicht des für
mich so günstigen Urteils wollte dieser rechtschaffene Mann mich
gerne in Braunschweig haben, versprach mit einem dasigen sehr
geschickten Tischler und Mechanikus darüber zu sprechen und mit
nächstem darüber Nachricht zu erteilen, ich hatte ihn besucht und
dieses Versprechen von ihm selbst gehört, da mir meine Lage in
die Zukunft nicht als die günstigste erschien, so ging ich vor
einigen Tagen zum Buchhändler Herrn VIEHWEG, der der Schwie-
gersohn von CAMPE ist, um nachzufragen, ob eine Nachricht
aus Braunschweig eingelaufen wäre, VIEHWEG sagte mir, daß
Von Ernst Ferdinand Klein 289
CAMPE geschrieben, daß ich bei dem Meister, indem er nicht
zünftig wäre, nicht Neues lernen könnte, wenn ich als zünftig
gelernter Tischler einst subsistieren können wollte, — also wieder
eine fehlgeschlagene Hoffnung — , die Rätin CAMPE, die itzt hier
ist, kam dazu, sprach mit mir über meinen Plan, und da ich alle
Umstände auseinandergesetzt, so versprach sie und Herr VIEHWEG
für meinen Unterhalt zu sorgen, überdem gibt Herr VIEHWEG
mir bei sich frei Quartier, und so hat mich denn diese gute Frau,
freilich nicht meines Verdienstes oder Würdigkeit willen, sondern
bloß Ihrer so guten Empfehlung wegen, aus der größesten Ver-
legenheit gerissen, denn von meinen Eltern darf ich keine Unter-
stützung erwarten, diese wissen von meinem Entschlüsse nichts,
und würden ihn auch nie billigen. Die gute CAMPE hat mir
aufgetragen, Ihnen unbekannter Weise sie zu empfehlen, ich
wünschte, daß Sie diese Familie, die aus lauter braven Menschen
besteht, kennen möchten, es gibt doch noch gute Menschen unter
dem Monde! Schenken Sie mir die Fortdauer Ihrer Freundschaft,
ich werde alle meine Kräfte aufbieten, mich derselben nie un-
würdig zu machen, redhch und ohne zu wanken will ich den
dornichten Pfad der Tugend wandeln! Herrn Hofprediger SCHULTZ
bitte ich mich zu empfehlen und mit der vollkommensten Hoch-
achtung habe ich die Ehre zu sein
Ew. Wohlgebornen
aufrichtig ergebner
Freund und Diener
Hahnrieder.
N. S. Mit der Arbeit geht's recht gut, ich habe bereits einige
Fußbanken, einen Tischfuß, ein Fußgestelle zu einer Hobelbank
gemacht, itzt arbeite ich an einem kleinen eichnen Tischchen,
welches auf Möbel-Magazin gestellt werden soll!
^88.
Von Ernst Ferdinand Klein.
Verehrungswürdiger Greis
In der Hoffnung, daß Sie uns selbst ein Naturrecht liefern
würden, habe ich lange Zeit mit der Herausgabe meines Lehrbuchs
der natürlichen Rechtswissenschaft, welches ich Ihnen hierbei über-
Kants Schriften. Bd. X. *9
2po An jfakob Sigismund Beck
sende, zurückgehalten/) Bis jetzt ist diese Hoffnung nicht erfüllt
worden. Ich wünschte daher, daß es Ihnen nicht an Zeit und
Lust mangelte, mein System zu prüfen. Ob ich gleich nicht in
verba magistri schwöre; so haben doch die Lehren großer Männer
bei mir ein großes Gewicht, hierdurch will ich Sie aber von
wichtigern und nützlichem Arbeiten nicht abhaken. Ich will Sie
daher auch nicht einmal mit einer Antwort bemühen, wenn Sie
nicht nötig finden sollten, mir über den Inhalt meiner Schrift
etwas zu sagen. Das Beste darin ist wohl das, was ich Ihnen zu
verdanken habe.
Sorgen Sie für Ihre Gesundheit und denken Sie nicht zu
schlecht von Ihrem Verehrer
Klein
Halle
den II. Oktober \J^6.
389.
An Jakob Sigismund Beck.
t
Wertester Freund!
Sie haben mich mit verschiedenen Ihnen Ehre bringenden
Schriften, zuletzt noch mit dem Grundrisse der krit. Phil., be-
schenkt und ich mache mir darüber Vorwürfe, die in Ihren Briefen
an mich gerichtete Anfragen, Entwürfe und Nachrichten, so an-
genehm sie mir auch allemal waren, durch keine Antwort er-
widert zu haben. — Werfen Sie immer die Schuld auf die
Unbehaglichkeit meines Alters, dessen, übrigens sonst ziemliche,
Gesundheit doch nicht, wie bei einem K.AESTNER., durch körper-
liche Stärke unterstützt wird und mich, da ich immer beschäftigt
sein muß, durch seine Launen unaufhörlich abzubrechen und mit
Beschäftigungen zu wechseln nötigt.
Man hat mir versichert, daß Sie provisorisch vom Petersburgi-
schen Hofe einen Ruf auf die in Kurland zu errichtende Univer-
^) Über E. F. Klein s. oben S. 108, seine „Grundsätze der natür-
lichen Hechtswissenschaft nebst einer Geschichte derselben" (Halle
1797) sowie seine „Grundsätze des gemeinen teutschen und preussischen
peinlichen Rechts" (Halle 179J) sind von hervorragender Bedeutung
fiir die Gestaltung der preußischen Gesetzgebung gewesen.
Von Friedrich August Hahnrieder ipi
sität hätten. Verhält sich dieses so, so würde ich mich, auch
meinentwegen, freuen, eine Gelegenheit zu finden, die es mir er-
leichterte, unsere beiderseitige Ideen, Entwürfe und Fortschritte
wechselseitig mitzuteilen. — Ein Gedanke des Herrn HINDEN-
BURG, den Sie mir mitzuteilen die Güte hatten, ist mir zwar
sehr schmeichelhaft, was das Zutrauen betrifft, übersteigt aber
meine mathematische Kenntnis viel zu weit, als daß ich die An-
wendung der Kombinationsmethode auf die Philosophie auch nur
versuchen sollte.
Herren Prof. JACOB bitte gelegentlich, neben meiner besten
Empfehlung, für die Übersendung seiner Annalen den ergebensten
Dank abzustatten. Wenn ich nur etwas zur Erwiderung dieser
Güte tun könnte!
Mit der größten Hochachtung und Ergebenheit bin ich jederzeit
der Ihrige
Königsberg J Kant
d. ip Nov.
175) (5.
390.
Von Friedrich August Hahnrieder.
Achtungswürdiger Mann!
Kiesewetter hat mir die Stelle ihres Schreibens an ihn,
wo Sie meiner erwähnen, vorgelesen; mit dem größten Vergnügen
nahm ich wahr, daß ich Ihnen nicht gleichgültig bin, Sie fordern
mich sogar auf, Ihnen zu schreiben, ich versäume daher keine Zeit,
Ihrem Verlangen Gnüge zu leisten, gerne hätte ich schon mehr-
malen, seit meinem ersten Briefe, den Sie durch Herrn NICO-
LOVIUS werden erhalten haben, geschrieben, allein ich fürchtete,
durch meine Zudringlichkeit einem Manne lästig zu werden, den
ich von ganzer Seele hochschätze, und deswegen alle Gelegenheit
sorgfältig vermeiden wollte, beschwerlich zu fallen. Sie muntern
mich auf, bei meinem einmal gefaßten Vorsatze zu bleiben und
nicht zu wanken, nein, edler Mann! ich wanke nicht, Himmel
und Erde mögen vergehen, mein Körper in seine Elemente auf-
gelöset werden, aber mein Vernunft läßt sich nicht erschüttern,
ein einmal gefaßter, in der Vernunft gegründeter Entschluß muß
durchgesetzt werden, es koste was es wolle; Sittlichkeit ist keine
19*
2p2 Von Friedrich August Hahnrieder
Chimäre, das haben Sie bewiesen, ich bin davon überzeugt und
fest entschlossen nach Überzeugung zu handeln, an Kräften fehlt's
mir nicht, ich habe Mut gehabt, allen Gefahren und Widerwärtig-
keiten, die mir in Rußland droheten, zu trotzen, ich zagte nicht
auf der unwegsamen Bahn, die mir Pflicht vorzeichnete, fortzu-
wandeln, und itzt sollte ich wanken, itzt sollte ich meinen Mut
sinken lassen, da ich doch bei v eitem mit weniger Widerwärtig-
keiten zu kämpfen habe? Zwar verlassen mich meine Eltern,
meine Freunde sind unzufrieden mit mir, und es tut mir weh,
es ist ein harter Kampf, den ich zu kämpfen habe, aber es sei,
ich will ihn kämpfen, ich will tugendhaft sein, und soll es sein,
dieses Gesetz gibt mir meine Vernunft, und die Neigungen, sie
mögen so laut rufen, als sie immerhin wollen, müssen am Ende
verstummen.
Da Sie mir doch einmal die Erlaubnis gegeben haben, zu
schreiben, so will ich Ihnen von allem, was auf mich Beziehung
hat, Nachricht erteilen. Mit dem Hobeln und Sägen geht's gut,
ich habe darin ziemliche Progressen gemacht, verschiedene Stücke
habe ich bereits verfertigt, die schon Liebhaber gefunden und ge-
kauft worden, ich hoff'e, daß ich während den drittehalb Jahren,
die zu meiner Lehrzeit bestimmt w^orden, es dahin bringen werde,
daß ich als ein geschickter Geselle mein Brot werde verdienen
können; meine körperlichen Kräfte nehmen zu und ich habe die
frohe Aussicht, eine dauerhafte Gesundheit zu genießen vor mir.
Verschiedene Bekanntschaften habe ich hier gemacht, zum Teil
mit Männern, die diesem Ehrennamen keine Schande machen; der
Geheimrat SCHULZ, der bei Ihnen gewesen, und ein gewisser
Professor FESSLER interessieren mich am mehresten, ersterer scheint
mir ein sehr redlicher Mann zu sein, er hat mir Unterstützung
angeboten, wovon ich bisher noch keinen Gebrauch gemacht,
weil ich glaube, daß man sich lieber kümmerlich behelfen muß
als andern zur Last zu fallen; letzterer ist ein Mann, durch dessen
Umgang mein sittlicher Charakter mehr und mehr ausgebildet
wird, sein Beispiel ist mir eine heilsame Lehre, daß Widerwärtig-
keiten nie einen für die Sittlichkeit nachteiligen Einfluß auf unsere
Handlungen haben müssen; dieser Mann war ehedem beim Fürsten
zu CAROLATH engagiert, sein Engagement hatte ein Ende, da
der Fürst bankrott wurde, itzt lebt er hier und wird nicht ange-
stellt, sich seiner Würde bewußt, verachtet er alle die Schleich-
wege, die ihn zu einem Posten führen könnten, er leidet lieber
l'bn Friedrich August Hahnrieder 293
alles Ungemach, welches seine brave Frau gerne mit ihm teilet,
und schränkt sich so sehr ein als möglich, um nur nicht nach
Maximen handeln zu dürfen, die mit der Sittlichkeit im Wider-
spruch stehen.
Was mich als Staatsbürger betrifft, so befolge ich treulich den
Vorschriften der Vernunft, die Sie so vortrefflich in der Abhand-
lung „was in der Theorie richtig ist, gilt nicht für die Praxis",
auseinandergesetzt haben. Sie haben nichts zu befürchten, daß ich
vielleicht durch Mißverstehen auf Abwege geraten könnte, ich
habe kein Talent zu tiefsinnigen Spekulationen, aber Einsicht genug,
um Wahrheiten, die aufs Praktische Beziehung haben, nicht zu ver-
fehlen, mit Ungeduld warte ich auf die Metaphysik des Rechts
und die Tugendlehre, wo ich glaube über mehrere Gegenstände,
die mir bisher dunkel gebheben, Licht zu erhalten.
Madame CAMPE hatte mir aufgetragen, Ihnen unbekannter-
weise ein Kompliment zu machen, welches ich auch in meinem
ersten Briefe bestellt. Kurz vor ihrer Abreise haben wir in Ge-
sellschaft mehrerer Berliner Damen auf Ihre Gesundheit getrunken,
ich habe es der Gesellschaft versprochen, Ihnen davon Nachricht
zu geben, und erfülle nun mein Versprechen, auch Damen schätzen
den Weisen, der ohne Menschenfurcht Lehren der Wahrheit ver-
kündigt.
Herr LA GARDE behandelt mich in Rücksicht der Emp-
fehlungen, die Sie mir mitgegeben, sehr freundschaftüch, er hat
sich nach Ihrem Befinden sehr genau erkundigt, und nimmt an
allem, was Sie betrifft, lebhaften Anteil.
Die Berliner im ganzen sind mit meinem entworfnen Plane
zufrieden, ich werde von einigen unterstützt; um diesen gutgesinnten
Menschen so wenig als möglich beschwerlich zu sein, habe ich
mich auf fünf Taler monatliche Ausgabe eingeschränkt, ich muß
mich freilich kümmerlich genug behelfen, indem ich damit Quar-
tier, Essen, Wäsche und Licht besorge, indessen beruhige ich mich,
weil ich überzeugt bin, daß die Bestimmung des Menschen nicht
ist, beständig auf Rosen zu tanzen.
Daß ein Schreiben von Ihnen mir äußerst angenehm sein
würde, versichere ich Ihnen aufs feierlichste, Ihre Briefe, womit
Sie mich bisher beehrt haben, hebe ich als ein Heiligtum auf,
indem eine einzige Zeile von der Hand eines so rechtschaffenen
Mannes bei mir einen unendlichen Wert hat. Sollten Sie mich
mit einem Schreiben beehren, so würde KIESEWETTER, bei dem
194 ^^ Christoph Wilhelm Hufeland
ich Sonntags Vorlesungen über die physische Geographie höre,
mir solches einhändigen.
Inliegenden Brief bitte ich Herrn Hofprediger SCHULTZ ab-
geben zu lassen. Mit der innigsten Verehrung bin ich
Ihr
ganz ergebner Freund
Berlin d. 3. Dezembr und Diener
1796. Hahnriedcr.
391.
Von Christoph Wilhelm Hufeland.')
Wohlgeborner Herr Jena d. 12. Dez. IJ96.
Hochzuverehrender Herr Professor.
Erlauben Sie, verehrungswürdiger Mann, daß ich Ihnen ein
Buch zuschicke, das Ihnen in mehr als einer Rücksicht zugehört,
teils als einem der ehrwürdigsten Nestors unserer Generation, der
nicht allein zeigt, daß man auch mit angestrengter Geistesarbeit
alt werden, sondern daß man auch noch wirken und nützlich sein
kann, teils als einem Manne, dem die Kenntnis des Menschen,
die wahre Anthropologie, so viel verdankt, und der sich um die
Medizin selbst dadurch so viel Verdienst erworben hat, und gewiß
noch mehr in der Zukunft erwerben wird.
Zugleich nutzte ich diese Gelegenheit gern, um Ihnen meine
innigste Verehrung zu bezeugen, und den Wunsch beizufügen, daß
Sie das neueste Beispiel des höchsten Menschenalters mit fortwir-
kender Geisteskraft geben mögen, was bei einem solchen Vorrat
und so harmonischer Wirksamkeit dieser Kraft wohl gehofft wer-
den kann.
Glücklich würde ich mich schätzen, wenn Ihnen mein Bestreben,
das Physische im Menschen moralisch zu behandeln, den ganzen,
auch physischen, Menschen als ein auf Moralität berechnetes Wesen
darzustellen, und die moralische Kultur, als unentbehrlich zur phy-
sischen Vollendung der überall nur in der Anlage vorhandenen
^) Der bekannte Mediziner Christ. Wilhelm Hufeland (1761 —
1836); Makrobiotik oder die Kunst das menschliche Leben zu ver-
längern, Jena 1796.
An Carl August von Struensee 195
Menschennatur zu zeigen — nicht mißfallen sollte. Wenigstens
kann ich versichren, daß es keine vorgefaßten Meinungen waren,
sondern ich durch die Arbeit und Untersuchung selbst unwider-
stehlich in diese Behandlungsart hineingezogen wurde.
Ich wiederhole nochmals meine besten Wünsche für die noch
lange Erhaltung Ihres jedem denkenden und fühlenden Menschen
so teuren Lebens, und bin mit der aufrichtigsten Verehrung
Ihr
gehorsamster Diener
D. Hufeland.
An Carl August von Struensee.
(Entwurf.)
[Mitte Dezember 1796]
Einen Augenblick von Ihren großen Geschäften zu rauben —
wäre es auch nur zu Bezeigung meiner Verehrung und den für
den jetzigen Oberstadtinspektor zum wahren Vorteil der Stadt be-
wirkten Anstellung desselben auf meine geringe Vorstellung schul-
digen Dank abzustatten, kann schon Tadel verdienen. Noch mehr
aber der Anschein der Zudringlichkeit und eines Dünkels bei Ewr
Exzellenz durch meine Fürbitte etwas zu vermögen, indem ich aufs
neue eine Fürbitte für einen mir bekannten Mann in Berlin ein-
zulegen wage. Der Prof. KIESEWETTER, welcher als Instruktor
der beiden Königl. Prinzen, da seine Lage durch die zu Anfange
des künftigen Jahres erfolgende Vermählung der Prinzessin Augusta
mit dem Erbprinzen von Hessen-Kassel sehr verändert werden
wird, indem das Gehalt, welches er für ihren Unterricht bekommt,
für die notwendigste Bedürfnisse nicht zureicht — beurteilt es
ganz richtig, daß durch fürstliche Empfehlungen — die ihm sonst
nicht entgehen dürften — angegangen zu werden, einem hohen
Staatsbeamten, der auf die Tüchtigkeit seiner Leute vorzüglich
Rücksicht nimmt, er also dem Gesuch gerne willfahren müsse,
unangenehm fallen [muß], ist auf den Entschluß gefallen mich — ,
den er in einem etwa zweijährigen Aufenthalt in Königsberg
durch öfteren Umgang hat kennen lernen, der auch ihn hin-
reichend kennen müsse, um eine Empfehlung an Ewr Exzellenz
2p<5 An Johann Gottfried Kiesewetter
zu einer solchen Anstellung zu ersuchen, da er in seinem lite-
rarischen Fache bei dem Mangel hinreichender Erhaltungsmittel
und der entferneten Aussicht zur Versorgung sein Fortkommen
nicht wohl hoffen könne. — Den Gang der Geschäfte, gesteht
er, freilich allererst lernen zu müssen, ehe er eine Stelle bei
diesem Departement bekommen kann, nur glaubt er die nötige
Kenntnisse durch unermüdeten Fleiß leicht erwerben zu können.
Was meine Kenntnis dieses Imploranten betrifft, so bezeuge
mit Aufrichtigkeit, daß ich ihm sowohl die Talente als auch den
tätigen Willen zu den Geschäften, zu denen er sich zu unterziehen
Vorhabens ist, zutraue, für mich aber muß ich desto mehr um
Vergebung bitten, einen Antrag vor Ewr. Exzellenz gebracht zu
haben, der für meine Gringfügigkeit mir anmaßlicher zu sein
scheint, als daß ich fernerhin dergleichen Vermittelung zu unter-
nehmen mich unterstehen sollte.
Mit der tiefsten Verehrung verbleibe jederzeit
untertäniger
393-
An Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Ihre Entschließung, teurester Freund, den Lebensplan, dem
Sit bisher gefolgt waren, ganz abzuändern und die literarische
Laufbahn ganz zu verlassen, dafür aber in das von der Accise über-
zugehen, hat mich ungemein befremdet. — Indessen habe ich
Ihrem Verlangen zufolge inneliegenden Brief mit allen mir zur
Hand gegebenen Gründen abgefaßt, und hoffe davon einige Wir-
kung, von der ich gelegentlich Nachricht zu erhalten erwarte.
Daß zu Ihrem Glück etwas tun zu können mir die größte Freude
sein würde, werden Sie von selbst glauben. Nur wünsche ich;
daß Sie in der Meinung von dem, was Ihr Glück ausmachen
dürfte, nicht irren möchten.
Einlage an Hrn. LAGARDE bitte gütigst zu bestellen.
Das beliebte Geschenk der Teltower Rüben ist glücklich an-
gekommen; wofür ergebenst danke.
Mit der größten Freundschaft und Hochachtung bin ich jederzeit
der Ihrige
Königsberg ^ Kant,
d. 13. Dez.
1796
An Johann Heinrich Kant. — An Carl Wilhelm Rickmann i<)j
394-
An Johann Heinrich Kant.
Lieber Bruder
Die Veränderungen, die in unserer Familie hiesigen Orts kürz-
lich vorgegangen sind, bestehen darin: daß deine ältere Schwester
im vorigen Sommer nach einem langen Krankenlager auch mit Tode
abgegangen und dadurch eine Pension, die ich ihr seit 1768 zu
ihrem Unterhalt gab, vakant geworden, welche ich aber, aufs
Doppelte erhöhet, an die unterlassene Kinder gegeben; wozu
noch eine an die einzige noch lebende, im St. Georgenhospital
sonst gut versorgte Schwester BARBARA kommt: so daß ich
keinen, weder von meinem Geschwister, noch ihren zahlreichen
Kindern, deren ein Teil schon wieder Kinder hat, habe Not leiden
lassen und so fortfahren werde, bis mein Platz in der Welt auch
vakant wird: da dann hoffentlich etwas auch für meine Verwandte
und Geschwister übrigbleiben wird, was nicht unbeträchtlich sein
dürfte.
Meinen Neffen, namentlich der AMALIA CHARLOTTE, mache
ich meinen freundschaftlichen Gruß, — bitte Einlage zu bestellen
und bin mit brüderlicher Zuneigung
Dein
Königsberg Dir ergebener
d. 17. Dezembr L Kant
1796
395-
An Carl Wilhelm Rickmann.
Ew. Hochedelgeb. Verlobung mit meiner Cousine ist mir,
teils nach dem Lobe von meinem Bruder, teils nach dem Cha-
rakterzuge Ihres eigenen Briefes sehr angenehm. Da das Blut meiner
beiden verehrten Eltern in seinen verschiedenen Abflüssen sich noch
nie durch etwas Unwürdiges, dem Sittlichen nach, verunreinigt hat:
so hoffe ich, Sie werden es ebenso bei Ihrer Geliebten finden,
wozu ich dann von Herzen Glück wünsche.
Meine Zögerung mit der Antwort auf Ihre gütige Zuschrift
werden Sie mir verzeihen, weil ich mit Geschäften, die ich nicht
298 An Johann Friedrich Hartkmch
wohl unterbrechen kann, beladen bin und es sich im 73Sten Jahr
seines Alters nicht gut wieder einbringen läßt, wenn man aus
der vorgezeichneten Bahn sich Abweichungen erlaubt hat.
Mit dem größten Vergnügen werde ich jede mir zukommende
Nachricht von Ihrem beiderseitigen Wohlbefinden aufnehmen und
bin mit Hochachtung und Verwandtschaftsneigung
Ihr ergebenster treuer Diener
Königsberg, d. 17. Dez. 17^6. I. Kant.
396.
An Johann Friedrich Hartknoch.
Ew. Hochedelgeb.
mir gewordene Anfrage: ob ich zu der
neuen Auflage meiner „Grundlegung der Metaphysik der Sitten"
imgleichen „der Kritik der praktischen Vernunft" einige Änderungen
vornehmen, oder sie ungeändert wolle abdrucken lassen, zufolge,
bitte ich mir eine Bedenkzeit von etwa 14 Tagen aus, um,
währenddessen der Druck des Textes der Grundlegung der Met:
d. S. immer fortgeht, zu sehen, ob ich nicht einige Veränderungen
in der Vorrede anzubringen gut fände. — Da indessen diese auch
nicht von sonderlicher Wichtigkeit sein könnten, meine jetzige
Unpäßlichkeit mir auch alle Kopfarbeit sehr erschwert, so kaim
es auch beim alten bleiben.
Das Versprechen: mir das honorarium für beide Schriften
durch Herrn TOUSSAINT & COMP, mit 109 Thlr. in kurzem
auszahlen zu lassen, ist mir sehr angenehm; wie ich denn auch
nicht vergessen werde, eine Arbeit, die ich besonders für Ihren
Verlag beabsichtige und davon ich schon sonst Ihnen Nachricht
gab, zu seiner Zeit zustande zu bringen.
Mit der umgehenden Post erwidere ich hiermit Ihre Zu-
schrift und verbleibe mit Freundschaft und Hochachtung
Ihr
ergebenster Diener
Königsberg, I. Kant,
d. 2 8 sten Januar
^797-
An Christoph Wilhelm Hufeland 299
397-
An Christoph Wilhelm Hufeland.
Hochzuverehrender Herr!
Mit keinem Buche konnte mir ein angenehmeres Geschenk
gemacht werden, als mit dem, womit Sie so gütig gewesen sind
meine Stunden auszufüllen und in angenehmer Unterhaltung zu-
gleich zu belehren; vornehmlich da ich das, was ich aus Ihren
Schriften nur fragmentarisch gelernt hatte, jetzt systematisch vor
mir liegen habe; welches einem alten Kopf sehr zuträglich ist,
um das Ganze übersehen zu können. — Ich werde mir diesen
Genuß nur langsam zumessen, um teils den Appetit immer rege
zu erhalten, teils auch um Ihre kühne aber zugleich seelenerhebende
Idee, von der selbst den physischen Menschen belebenden Kraft
der moralischen Anlage in ihm, mir klar zu machen und sie
auch für die Anthropologie zu benutzen. — Von meinen Be-
obachtungen, die ich hierüber an mir selbst zu diesem Behuf in
Absicht auf die Diät gemacht habe, werde ich Ihnen vielleicht in
kurzem öffentlich Nachricht zu geben mir die Ehre nehmen.
Mit dem lebhaften Wunsche für Ihr beständiges Wohlergehen
und mit der vollkommensten Hochachtung bin ich jederzeit
Ihr ergebenster treuer Diener
Königsberg I Kant
d. Mart.
1797.
N. S. Ihr wertes Schreiben vom 12. Dec: vorigen Jahres
ist mir allererst in der Mitte des Märzes des gegenwärtigen, zu-
samt dem Buche zu Händen gekommen; wovon die Ursache wohl
sein wird, daß das Meßgut über Lübeck mit dem ersten Schiffe
nur zur Hälfte im vorigen Jahr, und die andere Hälfte medio
Februar des gegenwärtigen, durch ein anderes Schiff, bei uns an-
gelangt ist.
300 An Christoph Wilhelm Hufeland
398.
An Christoph Wilhelm Hufeland.
Königsberg, d. 19. April IJ*^J'
Ew. Wohlgeboren
werden hoffentlich meinen, durch Herrn D. FRIEDLÄNDER in
Berlin an Sie, mit der Danksagung für Ihr Geschenk des Buchs
von der Lebensverlängerung abgelassenen, Brief erhalten haben. —
Jetzt erbitte ich für den, welcher Ihnen den gegenwärtigen zu
überreichen die Ehre hat, Herrn MOTHERBY Gewogenheit
und Freundschaft, einen von engländischer Abkunft in Königs-
berg geborenen jungen Mann von großem Talent, vieler schon
erworbenen Kenntnis, festem Vorsatz und tugendhafter, dabei
offener und menschenfreundlicher Denkungsart, wie sein Vater
der englische Negoziant allhier, von jedermann geachtet und ge-
liebt und mein vieljähriger vertrauter Freund ist. — Was von
mir und, was sonst auf unserer Universität in sein Fach (die
Medizin) Einschlagendes zu lernen war, hat er gründlich gelernt
und so bitte ich ihm die mehrere und größere Hilfsquellen für
sein Studium auch Ihres Orts zu eröffnen; wobei er wegen des
dazu erforderlichen Kostenaufwands nicht in Verlegenheit sein
wird.
Mir ist der Gedanke in den Kopf gekommen: eine Diätetik
zu entwerfen und solche an Sie zu adressieren, die bloß „die
Macht des Gemüts über seine krankhafte körperliche Empfin-
dungen" aus eigener Erfahrung vorstellig machen soll; welche
ein, wie ich glaube, nicht zu verachtendes Experiment, ohne ein
anderes als psychologisches Arzneimittel, doch in die Lehre der
Medizin aufgenommen zu werden verdiente; welches, da ich mit
Ende dieser Woche in mein 74. Lebensjahr eintreten und da-
durch bisher glücklich alle wirkliche Krankheit (denn Unpäßlich-
keit, wie der jetzt epidemisch herrschende köpf bedrückende
Katarrh, wird hiezu nicht gerechnet) abgewehrt habe, wohl
Glauben und Nachfolge bewirken dürfte. — Doch muß ich dieses,
wegen anderweitiger Beschäftigung, jetzt noch aussetzen.')
*) Die Abhandlung erschien zuerst in Hufelands Journal der prak-
tischen Arzneikunde und Wundarzneikunde (Januar 1798); später als
dritter Abschnitt des „Streites der Fakultäten".
Von Jakoh Sigismund Beck 301
Dem Manne, der Lebensverlängerung mit so einleuchtenden
Gründen und Beispielen lehrt, langes und glückliches Leben zu
wöinschen, ist schuldige Pflicht, mit deren Anerkennung und voll-
kommener Hochachtung ich jederzeit bin
Ihr ergebenster treuer Diener
L Kant.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, d. 20. Juni 1797.
Hochachtungswürdiger Mann,
Ich kann es mir wohl denken, wie ein Mann, der, indessen
er dem Ziel sich nähert, zu seinen Vätern zu gehen, sich bewußt
ist, ein großes Gut der Nachwelt zu hinterlassen, wornach alle
Vorwelt, als nach der interessantesten Angelegenheit, so lange und
doch so vergebli.h gerungen hat, bei der Nachricht, daß diese
Wohltat in Gefahr gesetzt worden, unmöglich gleichgültig sein
könne. So wie ich Sie, herrlicher, weiser Mann, kenne, so bin
ich versichert, daß Sie Ihres Innern großen Werts sich bewußt,
über die Nachricht, daß ein Fremder Ihre Arbeiten und wichtige
Entdeckungen sich zugeeignet habe, sich wohl wegsetzen würden;
aber daß ein böser Feind Unkraut unter Ihrem Weizen gesäet
habe, daß das Gut selbst, das Sie gegründet haben, verdorben,
und, wie Herr Hofprediger SCHULTZ sich ausdruckt, in der Wurzel
angegriffnen worden, das kann der tugendhafte Mann unmöglich
mit gleichgültigen Augen ansehen. Ich eile Ihnen diese Besorgnis
zu benehmen, indessen ich mich herzlich freue, diesmal von der
mir interessantesten Sache, unmittelbar und ohne Beistand eines
Referenten, mit meinem großen Lehrer mich unterhalten zu
können, wenn es gleich mir allerdings wehe tut, jene unangenehme
Empfindungen bei Ihnen veranlaßt zu haben.
Sie wissen es wohl aus eigener Erfahrung, daß in den sehr
schweren transszendentalphilosophischen Untersuchungen, man nur
durch vielfach wiederholtes und scharfes Nachdenken endlich
dahin kommt, sich selbst vollkommen verständlich zu sein, und
daß, bevor man diesen Zustand erreicht hat, es auch nicht gut
tunlich ist, andern verständlich zu werden. Wenn nun Herr
Hofprediger SCHULTZ in meinen unter dem Titel, die kritische
30Z Von ^akob Sigismund Beck
Philosophie erläuternden, ihren wahren Standpunkt darstellenden
Schriften, so viel gerade auf den Umsturz derselben gerichtete
Momente erblickt, daß ich gar fast glaube, der würdige, gute,
mir sonst sehr liebe Mann möchte mich vielleicht für den
tückischen Feind derselben halten, der unter der Maske der An-
hänglichkeit auf ihren Ruin ausgeht, wie ich geneigt bin zu
glauben, daß er manchen vorgeblichen Freund der christlichen
Religion für den boshaftesten Widersacher derselben hält, so
dürfte dieses wenigstens wohl ein Beweis a posteriori sein, daß
ich in meinen Schriften, ob ich gleich darin den Boden aller
Verständlichkeit ebenen und bearbeiten wollte, ich mich doch
selbst noch nicht recht wohl darin verstanden habe. Mit mensch-
lichen Arbeiten geht es aber nun einmal nicht anders, als daß sie
unvollkommen ausfallen und ein Transszendentalphilosoph kommt
nur nach und nach dahin, die Prinzipien zu allen objektiv gültigen
Begriffen selbst auf Begriffe zu bringen und sie dann, weil er
sich dann selbst nicht mehr mißversteht, auch andern so mitzu-
teilen, daß sie ihn verstehen können. Ich glaube daher gar nicht
mich schämen zu dürfen, wenn ich frei bekenne, daß seit den
anderthalb Jahren, da ich mit meinem Grundriß fertig wurde, seit
welcher Zeit ich jede Gelegenheit ergriff, die meine wissenschaft-
liche Arbeiten mir anboten, um mein Auge auf das Objekt der
Transszendentalphilosophie fallen und darauf riihen zu lassen, daß
seit dieser Zeit, ich in vielen Stellen die Sache besser als vorhin
getroffen habe, und daß noch ehe ich Ihren Brief erhielt, ich mir
schon vorgenommen hatte, Retraktationen meiner Arbeit abzufassen.
Allein ich glaubte dieses Geschäft für eine künftige Ausgabe
meines Grundrisses aufbewahren zu können. Ich bemerke aber,
daß ich darunter auch nur solche Retraktationen meine, wie ich
glaube, daß der heil. Augustin meinte. Ich glaube nämlich nicht
eben Falschheiten in meinen Büchern gesagt zu haben, als vielmehr
Unbestimmtheiten, weil ich selbst noch nicht bestimmt genug
gegriffen hatte. Denn, vortrefflicher Mann, ich glaube in ein paar
Worten den Satz, der die Seele der kritischen Philosophie ist,
Ihnen wenigstens so auseinander legen zu können, daß Sie gewiß
sagen sollen: „Du hast eigentlich nichts Neues in deinen Schriften
gelehrt; aber verstanden hast du mich vollkommen", und ich muß
mich erinnern, daß ich an Sie schreibe um nicht warm zu werden,
daß der gute würdige SCHULTZ ganz unnützerweisc Feuer! rufen
will. Sie müssen mich selbst vernehmen.
Von ^akoh Sigismund Beck 503
Ich bemerke nämlich an den Kategorien erstens, daß in dem
Gebrauch derselben als Prädikate der Objekte, der logische Ver-
standesgebrauch besteht. Hiernach heißt es dann ein Ding hat
Größe, hat Sachheit, ihm kommt zu Substantialität, Kausalität usw.
Diesen logischen Verstandesgebrauch sage ich auch in den syn-
thetischen Urteilen a priori aus, z. B. Bei allem Wechsel der Er-
scheinung beharret die Substanz; Was geschieht hat eine Ursache usw.
Wie fällt nun die Auflösung dieser Synthesis von Begriffen aus?
Ich bemerke das ursprüngliche Verstandesverfahren in der Kategorie,
wodurch gerade die synthetisch objektive Einheit, die das aus-
macht, was Sinn und Bedeutung meines Begriffs heißt, erzeugt
wird. Was ist es, frage ich, was den Chemiker nötigt bei seinem
Prozeß des Verbrennens des Phosphors in atmosphärischer Luft,
zu sagen daß dasjenige, um was die Phosphorblumen schwerer
geworden sind, eben das ist, um was die Luft leichter geworden?
Ich antworte: sein eigener Verstand, das Erfahrende in ihm,
welches ursprüngliche Verstandes -Verfahren ich einem bemerkbar
mache, wenn ich ihn bitte, alle Objekte im Raum aufzuheben
und nach Ablauf von 50 Jahren eine Welt wieder zu setzen. Er
wird gestehen, daß beide Welten zusammen fallen und keine leere
Zeit abgelaufen ist, das ist, daß nur am Beharrlichen er sich die
Zeit selbst vorstellen könne. Hierher muß der Blick gerichtet
sein um das Phantom des BERKLEYISCHEN Idealisms zu wider-
legen. Ebenso wenn ich auf das Erfahrende in mir achte, wo-
durch ich zu der Aussage, daß etwas geschehen ist, gelange, so
bemerke ich, daß das Verursachen, das ich damit verbinde, nichts
anders als das Festmachen der Synthesis von Wahrnehmungen als
eine successive ist (das ursprüngliche Setzen eines Etwas, wonach,
als nach einer Regel die Begebenheit folgt), dadurch also Er-
fahrung einer Begebenheit erzeugt wird. Überhaupt aller dieser
synthetischen Urteile a priori Auflösung fällt dahin aus, daß das
Prädikat, das ich in einem solchen Urteil mit dem Subjekt ver-
binde, das ursprüngliche Verstandesverfahren ist, dadurch ich zu
dem Begriff von dem Objekt gelange. Hiernach (in dem Be-
wußtsein dieser Prinzipien) verstehe ich mich hoffentlich richtiger
in dem Urteil; meine Vorstellung von dem Tisch, der vor mir
steht, richtet sich nach dem Tisch, und dieses Objekt affiziert
mich, es bringt Empfindung in mir hervor, als jeder andere der
dieses ursprünglichen Verstandesverfahrens nur in der Anwendung,
aber nicht abgezogen sich bewußt ist, und da bin ich freilich
304 ^« ^akob Sigismund Beck
überzeugt, daß die Abteilung des Erkenntnisvermögens, in Sinn-
lichkeit, als das Vermögen des Subjektiven (das Vermögen von
Gegenständen affiziert zu werden) und in Verstand, das Vermögen
Gegenstände zu denken (dieses Subjektive auf ein Objekt zu be-
ziehen) mit erforderlicher Deutlichkeit allererst nach richtiger
Ansicht der Kategorie als eines ursprünglichen Verstandesverfahrens
ausgeht.
Der Düsseldorfer JACOBI sagt in seinem DAVID HUME
betitelten Gespräch: „Ich muß gestehen, daß dieser Umstand (daß
nämlich die Gegenstände Eindrücke auf die Sinne machen) mich
bei dem Studio der KANTISCHEN Philosophie nicht wenig auf-
gehalten hat, so daß ich verschiedene Jahre hintereinander, die
Kritik der reinen Vernunft immer wieder von vorne anfangen
mußte, weil ich unaufhörlich darüber irre wurde, daß ich ohne
jene Voraussetzung in das System nicht hineinkommen, und mit
jener Voraussetzung darin nicht bleiben konnte".^) Wenn ich
nun über diese Bedenklichkeit, welche gewiß sehr vielen wichtig
ist, mein Urteil sagen und auch bestimmen soll, was Ihre Kritik
eigentlich meine, wenn sie auf der ersten Seite der Einleitung von
Gegenständen spricht, welche die Sinne rühren, ob sie darunter
Dinge an sich oder Erscheinungen meine? so werde ich antworten,
daß, da Erscheinung das Objekt meiner Vorstellung ist, in welcher
Bestimmungen desselben gedacht werden, die ich durch das
ursprüngliche Verstandesverfahren (z. B. durch das ursprüngliche
Fixieren meiner Synthesis von Wahrnehmungen, als eine successive,
dadurch Erfahrung einer Begebenheit möglich wird) erhalte, so ist
der Gegenstand, der mich affiziert, eben daher Erscheinung und
nicht Ding an sich. Meint aber jemand von den Kategorien einen
absoluten Gebrauch machen zu können, sie als Prädikate der
Dinge schlechthin ansehen zu können, ohne Hinsicht des ursprüng-
lichen Verstandesverfahrens, das in ihnen liegt (nach Ihrem Aus-
druck: eine Anwendung von ihnen auf Objekte ohne Bedingung
der Anschauung machen zu können) der ist in der Meinung die
Dinge an sich zu erkennen und, wenn ich ein klein wenig auf
Herrn SCHULTZ böse sein wollte, so würde ich gewiß mit mehrerm
Fug ihm den Vorwurf machen, daß er im Besitz einer Verstandes-
anschauung zu sein sich dünke, als er Recht hat, ihn mir zu
') F. H. Jacobi, David Hume über den Glauben oder Idealismus
und Realismus, Werke, Bd. II, Leipzig 1815:, S. 304.
Von ^akoh Sigismund Beck 305
machen. Das einzige, was meiner Meinung nach dem Menschen
vergönnt ist, ist die Beziehung der Natur überhaupt auf ein Sub-
strat derselben, eine Beziehung, der er sich in seiner Anlage für
Moralität, in dem Bewußtsein der Bestimmbarkeit des Begehrens
durch die bloße Vorstellung der Gesetzmäßigkeit der Handlungen
bewußt ist. Denn in diesem Bewußtsein, (aus welchem gerade
so die synthetisch- praktischen Grundsätze hervorgehen, wie jene
synthetische theoretische Urteile a priori aus dem ursprünglichen
Verstandesverfahren) erhebt er sich über die Natur und setzt sich
außer ihrem Mechanism, ob er gleich als Mensch doch wieder
Naturgegenstand ist, und sonach seine Moralität selbst etwas An-
gefangenes ist und Naturursachen voraussetzt. Der einer Zweck-
einheit entsprechende fortgehende Naturmechanism stimmt ihn zu
dieser Beziehung noch mehr und erhebt und stärkt die Seele des
sittlich guten Menschen, ob er gleich doch nur immer auf sym-
bohsche Weise sich dieses Substrat vorzustellen weiß. Selbst der
Lauf menschhcher Begebenheiten, Naturbegebenheiten, wie z. ß.
die Erscheinung der christlichen Religion, von der als einem
Kirchenglauben man sagen kann, daß sie das Prinzip zu ihrer
eigenen Auflösung in sich selbst trägt, Naturbegebenheiten, die
sichtbarlich hinzielen, den rein moralischen Glauben in unserm
Geschlecht hervorzubringen — Alles dieses leitet den Verstand
zu einer solchen Beziehung.
Aber ich schreibe als wollte ich Ihnen etwas Neues lehren!
Verehrungswürdiger, großer Mann, ich kann nicht ohne Entzücken
diese Angelegenheiten des Menschen überdenken, und Ihnen ver-
danke ich es, Sie haben mich darauf geführt. Ich befinde mich
in meinen besten Jahren, und was meine Seele täglich erheitert,
ist, der auf meine jetzige Einsichten in die Prinzipien der kritischen
Philosophie gegründete Gedanke, einst auch nach dem Abgange
des großen Stifters derselben, diese dem Menschengeschlecht
wichtige Angelegenheit kräftiglich besorgen zu können. Ihre
metaphysische Prinzipien der Rechtslehre haben mich seit ihrer
Erscheinung beschäftigt, und die Aufklärungen, die ich durch diese
kleine Schrift erhalten, sind sehr groß. Um so mehr tut es mir
wehe, daß der gute Hofpr. SCHULTZ meine Bemühungen in
einem so gehässigen Licht hat stellen wollen. Mir war bei
meinem Standpunkt alles darum zu tun, die wahre Ansicht der
Kategorien als des ursprünglichen Verstandesverfahrens zu eröffnen
und den nur unter dieser Bedingung gültigen empirischen Ge-
Kants Schriften. Bd. X. *0
3o6 Von 'Jakob Sigismund Beck
brauch meinem Leser unter die Augen zu stellen und ihm die
Nichtigkeit des transszcndentalen Gebrauchs derselben zu zeigen.
In dieser Hinsicht, da ich sonach Ihre Methode umkehrte und
von den Kategorien sofort anfing, nannte ich meine Arbeit
Transszendentalphilosophie und teilte sie nicht ein in trans. Ästhetik
und Logik. In dem ersten Abschnitt meiner Schrift handele ich
von den Schw^ierigkeiten in den Geist der Kritik zu dringen und
mache darin den Skeptiker; bloß um sehr viele kritische Philo-
sophen, die wirklich den dogmatischen Schlaf schlafen, zu wrecken,
und um Herrn REINHOLD und andern sich nennenden Elementar-
philosophen zu Gemüt zu führen, daß, indem sie Ihre Kritik
meistern, weil sie einen Satz, aus dem alle Philosophie quellen
soll, ihrer Meinung nach anzugeben unterlassen habe, und von
denen der eine diesen, ein anderer einen andern Satz als Tatsache
des Bewußtseins aufführt, um diesen Männern zuzurufen, daß sie
nicht bemerken, daß dasjenige, worauf jeder mögliche Satz, wenn er
Sinn haben soll, beruht, gerade von Ihnen in dem ursprünglichen
Verstandesverfahren der Kategorien angegeben worden. Ich zeigte
den Nachsprechern Ihrer Kritik, die mit Ihren Worten groß taten,
daß in ihrem Munde es mir ganz sinnlos vorkomme, wenn sie
von Begriffen a priori reden, die sie doch nicht mit LEIBNIZ
angeboren heißen wollten, lediglich um nachher den großen Unter-
schied, der zwischen Ihrer Behauptung, daß die Kategorien Be-
griffe a priori sind und jener von angebornen auffallend zu
machen und um zu zeigen, daß diese Kategorien durchweg
eigentlich das Verstandesverfahren sind, wodurch ich zu dem Be-
griff von einem Objekt gelange, dazu gelange, daß ich überhaupt
sage; hier ist ein von mir verschiedener Gegenstand. Niemand
kann von der Richtigkeit seiner Einsichten heller überzeugt sein,
als ich in diesem Augenblick bin. Was mir Herr SCHULTZ
Schuld gibt, davon ist mir auch niemals der Gedanke eingefallen.
Nicht eingefallen ist es mir, die Sinnlichkeit weg zu exegesieren.
Wie gesagt, ich konnte mein Auge nicht dem Lichte verschließen,
das ich erblickte, als ich auf den Einfall kam, von dem Stand-
punkte der Kategorien auszugehen, und das was Sie in Ihrer
transz. Ästhetik besonders abhandeln (Raum und Zeit) mit den
Kategorien zu verbinden. Herr REINHOLD hatte Sie korrigiert,
wenn Sie sagen: der Raum ist eine Anschauung a priori und
dahin gemeistert, daß es nach ihm heißen soll, die Vorstellung
vom Raum ist Anschauung. Ich zeige ihm, daß der Raum selbst
Von fakob Sigismund Beck 307
eine reine Anschauung ist, das heißt, die ursprüngliche Verstandes-
synthesis worauf die objektive Verbindung (ein Objekt hat diese
oder jene Größe) beruht. Nie in den Sinn ist es mir gekommen,
zu sagen, daß der Verstand das Ding macht; ein barer Unsinn!
Wie kann Herr SCHULTZ so unfreundlich sein mir dieses zu-
schulden kommen zu lassen. Wie gesagt, ich wollte nicht im
geringsten mehr, als die Leute darauf führen, daß wir nichts
objektiv verknüpfen können (urteilen, mit einem Wort, sagen:
ein Ding hat diese oder jene Größe, diese oder jene Realität,
Substantialität usw.) was der Verstand nicht vorher selbst ver-
bunden hat, und daß hierin die objektive Beziehung liegt. Hierauf
will ich jeden, wie mit der Nase darauf führen und wie sollte
einer bei diesem Licht nicht sehen können! da heißt nun dieser
auf mich wirkende, die Sinne rührende Gegenstand, Erscheinung
und nicht Ding an sich, wovon ich lediglich den negativen Be-
griff aufstellen kann, als von einem Dinge dem Prädikate schlecht-
hin (ganz abgesehen von diesem ursprünglichen Verstandesver-
fahren) zukommen, — eine Idee und so auch die von einem
urbildlichen Verstände, die natürlich durch Entgegensetzung aus
jener Eigenheit unsers Verstandes entspringen. Meine Absicht
ging dahin, dem Begriff von Ding an sich den Zugang in die
theoretische Philosophie zu verschließen, auf dessen ganz eigene
Art von Realität ich lediglich in dem moralischen Bewußtsein
geleitet werde. In jenem ersten Abschnitt meiner Schrift spreche
ich etwas laut, nenne auch freilich die Anschauung sinnlos. Ich
nenne alle Resultate Ihrer Arbeit so, ich, der indem ich sie so
nannte, der größte Bewunderer derselben war und Herr Hof-
prediger S. sie gewiß nicht mehr verehren konnte als ich. Auch
ist er der einzige, der mich so mißverstanden hat. Fast kann ich
mir dieses Mißverstehen nicht anders als durch die Nachricht er-
klären, die mir Herr MOTHERBEY, der so gut war, mich zu
besuchen, gegeben hat, daß der würdige Mann seine Frau vor
einiger Zeit verloren hat, welches Ereignis ihm vielleicht einige
Grämlichkeit zurückgelassen hat. Auch kann wohl immer etwas
frommer, von seiner theologischen Denkart übrig gebliebener Eifer
im Hintergrunde sein, der gewiß wohl von wackerer Denkungsart
einen Beweis ablegt, aber andern ehrlichen Leuten doch immer
etwas beschwerlich fällt. Niemand hat der Sache nach, von allen
Freunden der kritischen Philosophie auf die Unterscheidung der
Sinnlichkeit vom Verstände mehr als ich gedrungen. Ich tue es
20
3o8 Von ^akoh Sigismund Beck
unter dem Ausdrucke: daß ein Begriff nur sofern Sinn und Be-
deutung habe, sofern das ursprüngliche Verstandesverfahren in den
Kategorien ihm als Basis unterliegt, welches der Sache nach
einerlei mit Ihrer Behauptung ist, daß die Kategorien lediglich
auf Anschauungen Anwendung haben, welchen Ausdruck ich aber
meines Gesichtpunkts wegen wählte. Eigentlich liegt aber der
ganze Grund Ihres Briefes und was auf Sie Eindruck gemacht
hat, in der Nachricht, die Ihnen Herr SCHULTZ gibt, daß ich
auf den Titel meiner Schrift: auf Anraten K — gesetzt habe
und er erregt die Besorgnis, daß das Publikum deswegen glauben
werde, daß Sie meine vermeintlich falsche Vorstellungsart für
gültig anerkennen und so Ihre eigene Arbeit durch mich um-
werfen lassen. Wirklich deswegen habe ich Ursache gegen ihn
unwillig zu sein. Die Sache verhält sich so. Da ich dem Buch-
händler HARTKNOCH meinen Standpunkt^) antrug, so trug ich
sie ihm als eine vor sich bestehende Schrift an, die gar nichts
mit dem Auszuge zu tun hatte. Er antwortete mir von Riga aus
und bat mich sie mit zwei Titeln (auf der einen Seite: Stand-
punkt usw. und auf der andern: Auszug usw.) ausgehen zu lassen.
Ich sähe nichts Unrechtes darin und tat was er wollte, wohl aber
mit der Vorsicht, daß ich Jiicht auf dem Titelblatt des Stand-
punkts auf Ihr Anraten und nur auf dem andern es setzte, weil
ich dieses (was den Auszug überhaupt betraf) tun konnte. In-
dessen wenn ich geirrt habe, so habe ich doch nichts verbrochen
und ich bin bereit die Sache bei der ersten Gelegenheit gut zu
machen, nämlich zu erklären, daß der Standpunkt nicht auf Ihr
Anraten geschrieben worden sei, wiewohl ich auch nicht einsehen
kann, daß das Wort: Anraten überhaupt etwas anderes sagen
kann, als daß Sie mich überhaupt für einen Mann halten, der eine
der Beachtung des Publikums werte Sache produzieren könne.
Die Sache kann aber auf mehrere Art gut gemacht werden. Vor
allen Dingen wünsche ich es nicht auf eine, denjenigen Leuten,
die die kritische Philosophie wie den Tod hassen, willkommene
Weise zu tun, welches durch eine in die Lit. Zeitung oder in
Jakobs Annalen inserierte Nachricht geschehen würde; denn bei
aller Vorsicht im Ausdruck würden diese Zänkerei und Uneinigkeit
wittern, welches der guten Sache schaden würde. Am besten
^) Becks „Einzig möglicher Standpunkt, aus welchem die kritische
Philosophie beurteilt werden kann", Riga 1796.
J^n Jakob Sigismund Beck 309
geschehe es in der Vorrede zu einer Schrift. Ich gehe nämlich
mit einer Arbeit um, die aber künftige Ostern erst herauskommen
kann. Oder, möchte sich nicht Herr Hofprediger SCHULTZ
entschließen, selbst einen Aufsatz, der bloß die Hauptmomente des
kritischen Idealisms auseinandersetzte, zu verfertigen und Retrak-
tationen meiner Arbeit, von mir, als einen zweiten Teil eben
dieser Schrift aufzunehmen (so wie Herr HINDENBURG in der
verlaufenen Michaelismesse die Schrift: Der polynomische Lehr-
satz, das wichtigste Theorem der ganzen Analysis, neu dargestellt
von KLÜGEL, KRAMP, PFAFF, TETENS und HINDENBURG,
herausgegeben hat)? Keiner dürfte die Arbeit des andern vor
dem Druck gesehen haben. Ich denke eine solche von zwei
Männern, mit Ernst und Wahrheitsliebe abgefaßte Schrift, von
denen jeder die Sache auf die ihm eigene originale Art ansieht,
müßte nützlich werden. Ich will doch nicht hoffen, daß der
gute Mann diesen Vorschlag übel aufnehmen werde. Denn vor
IG Jahren war ich freilich sein Schüler, bin aber jetzt selbst ein
Mann, habe auch in dem besondern wissenschaftlichen Gebiet,
das er betreibt, nach vielen Richtungen hin mich umgesehen und
glaube der Achtung meiner Mitmenschen nicht unwert zu sein.
Wenn Sie in wenig Worten mir Ihre Meinung mitteilen wollten,
so würde mir das sehr angenehm sein.
So wie ich Ihren Brief erhielt, teilte ich ihn meinem würdigen
Freunde dem Prof. TIEFTRUNK mit. Er hatte den Einfall, daß es
gut wäre, wenn Sie auch die Art, wie ein anderer meine Be-
mühung im Standpunkt aufnehme, sich sagen ließen, und ich
dankte ihm für sein freundschaftliches Anerbieten, dieserwegen an
Sie zu schreiben.
Und nun, mein ewig verehrungswürdiger Lehrer, mir müssen
Sie dieser Geschichte wegen Ihr Wohlwollen nicht entziehen.
Wahrlich das würde mich kränken, der ich für die Sache der
Philosophie zu leben wünsche. Ich denke, daß in diesen An-
gelegenheiten man ruhig jeden, von dem man sieht, daß er es
bieder meint, seinen Weg gehen lassen müsse. Mit der innigsten
Hochachtung bin ich ganz
der Ihrige
Beck.
Von Herrn SCHLETTWEINS Existenz weiß ich gar nichts
mehr, als daß mir ahndet, daß ein Journal unter seinem Namen
3 1 o Von ^akob Sigismund Beck
da sei. Was Sie in der Lit. Z. ihn Betreffendes haben einsetzen
lassen, habe ich noch nicht gelesen.') Daß dieser Rodomontaden-
macher Sie veranlassen könnte, etwas mich Betreffendes, das mich
in ^tn Augen des Publikums lädieren könnte, darin zu sagen,
darf ich nicht einmal vermuten, ohne Ihnen dadurch zu mißfallen.
Ich kann mich nicht überreden, daß Herr Prof PÖRSCHKE,
meine Darstellung des Geistes der kritischen Philosophie, ihrem
wahren Geiste so entgegen, wie Herr Hofpr. SCHULTZ halten
sollte. Wie wenn dieser brave Mann sein Urteil Ihnen darüber
sagen möchte. Ich habe hier auch meinem Freunde RATH Ihren
Brief mitgeteilt. Dieser sehr einsehende Mann, der, ob er gleich
nichts geschrieben hat, doch viel Gutes schreiben könnte und der
mir immer seine Zufriedenheit mit meiner Darstellung gestanden
hat, erstaunte wie es möglich sei, so sonderbar meine Be-
hauptungen auszulegen, wie es Herr Hofprediger S. getan hat.
Auf jeden Fall, hochachtungswürdiger Mann, können Sie ver-
sichert sein (auch auf den Fall daß Sie auf diesen Brief nicht
antworten sollten), daß ich bei der ersten Gelegenheit, die ich
haben werde von kritischer Philosophie zum Publikum zu sprechen,
sagen werde, daß Sie gar keinen Anteil weder an meinem Stand-
punkt, noch am Grundriß haben. Ich werde mich so erklären,
daß Sie und jedermann vollkommen mit mir zufrieden sein sollen,
und darauf haben Sie meine Hand! Geständnisse aber eines Ver-
sehens in der Sache, die kann ich nicht tun, weil niemand von
seiner Einsicht überzeugter ist, als ich.
400.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den 24. Juni 1797.
Hochachtungswürdiger Mann,
Als ich schon meinen, verlaufenen 20. an Sie gerichteten
Brief auf die Post gebracht hatte, nahm ich den Ihrigen noch
einmal in die Hände. Indem ich nun bei dem Anfange desselben,
und bei einigem, was Herr Hofprediger SCHULTZ mich sagen
läßt, etwas verweilte, wurde mir die eigentliche Veranlassung so-
^) Siehe Kants öffentliche Erklärungen (Werke, Bd. VIII) Nr. 5.
Von ^akob Sigismund Beck 3 1 1
wohl zu Ihrem Briefe, als auch zu dem Unwillen dieses würdigen
Mannes etwas begreiflicher, und da ich nun die Sache in einem
etwas andern Lichte ansah, faßte ich den Entschluß, mit der
heutigen Post noch dasjenige nachzuholen, was mir jetzt noch
nötig scheint, Ihnen zu sagen.
Sie geben nämlich die Veranlassung zu Ihrem Briefe mit den
Worten an: daß er die schnelle und öffentliche Beilegung der
Mißhelligkeit kritischer Prinzipien vom obersten Rang betreffe.
Aus diesem nun, und aus den Bemerkungen des Herrn Hof-
prediger, da er mich z. B. sagen läßt: „Realität ist die ursprüng-
liche Synthesis cTes Gleichartigen der Empfindung, die vom Ganzen
zu den Teilen geht (wobei wahrscheinlich Sie es sind der mich,
und zwar mit allem Recht fragt: ,Was hier Empfindung bedeuten
mag, wenn es keine Sinnlichkeit gibt, sehe ich nicht wohl ein'.
Gewiß, vortrefflicher Mann, wenn mir so etwas jemals in den
Sinn gekommen wäre, müßte ich dieses Unsinns wegen mich
selbst anfeinden); daß der Verstand die Objekte erzeugt", schließe
ich, daß Sie mit Herrn SCHULTZ über das sonderbare Zeug des
Herrn FICHTE sich unterhalten haben müssen, indem mir diese
Ausdrücke gänzlich Fichtisch klingen. Hierauf kann ich nun nicht
anders, als noch Folgendes erinnern und einen Vorschlag tun, der
mir durch den Kopf geht.
Ich versichere Sie, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, daß
ich unendlich weit von diesem Fichtischen Unsinn mich entfernt
befinde. Ich hielt es bloß vor nötig, auf die Ansicht der Kate-
gorien, als eines ursprünglichen Verstandesverfahrens, wohin ihre
ganze Deduktion, als Beantwortung der Frage: wie sind sie auf
Erscheinungen anwendbar, gerichtet ist, die Augen der philo-
sophierenden Männer zu lenken, weil ich mich versichert hielt,
daß ihre Mißhelligkeiten verschwinden müßten, wenn sie das
träfen, daß der Verstand nichts objektiv verknüpfen könnte, was er
nicht vorher ursprüngUch verbunden hat. Wenn ich nun aller-
dings sage, daß die Kategorie Realität die Synthesis der Empfindung
ist, die vom Ganzen zu den Teilen (durch Remission) geht, so
kann doch vernünftigerweise meine Meinung keine andere sein,
als daß die Sachheit eines Dinges, (das Reale der Erscheinung
die mich affiziert, und diese Empfindung in mir hervorbringt)
allemal eine Größe (intensive) ist, daß eben daher eine absolute
Sachheit (die nämlich keine Größe wäre, wie nach CARTESII
Meinung, daß die Materie durch ihre bloße Existenz einen Raum
3 1 2 P^on 'Jakob Sigismund Beck
erfüllt) nichts bedeutet. Dieses ursprüngliche Verstandesverfahren
in der Kategorie Realität, fällt mit dem in den Kategorien der
Existenz zusammen, vermöge dessen ich eben aus mir selbst
herausgehe, und sage: hier ist ein Objekt das mich affiziert; aber
der Transszendentalphilosoph muß diese verschiedene Seiten des
Verstandes voneinander scheiden. Ich fand für nötig, auf jede
Kategorie besonders, das Auge des Lesers zu lenken. Wenn mich
einer fragt: „wenn du nun dich selbst in Gedanken aufhebst,
dann hebst du ja auch vv^ohl alle Dinge außer dir zugleich auf?"
so werde ich doch nicht verrückt sein, solch dummes Zeug zu
bejahen. Hebe ich mich in Gedanken auf, so betrachte ich mich
ja eben unter Zeitbedingungen, welchen Ablauf der Zeit ich mir
selbst nur am Beharrlichen vorstellen kann. Absehen von diesem
ursprünglichen Verstandesverfahren, ist doch nicht mit Aufheben
meiner selbst einerlei. Ja wohl, werde ich sagen, wenn ich von
der ursprünglichen Synthesis, der ich mir im Ziehen einer Linie
bewußt bin, wegsehe, denn vergeht mir freilich aller Sinn von
extensiver Größe, die ich einem Objekt beilege, weshalb eben
das Objekt meiner Vorstellung, Erscheinung und nicht Ding an
sich heißt. Gewiß, vortrefflicher Mann, wenn Sie mir die Ehre
erweisen, und ein wenig nur selbst %uf diese meine Methode von
dem Standpunkt der Kategorien abwärts zu gehen, so wie Sie in
Ihrem unsterblichen Werk aufwärts gehen, aufmerksam sein wollten,
so würden Sie die Tunlichkeit derselben bemerken. Man muß
nur innig mit dem ganzen Gegenstand vertraut sein, so kann man
besonders im Lehrvortrage, mit vieler Leichtigkeit, mit den wahren
kritischen Prinzipien, jeden der Interesse und etwas Talent hat,
auf diesem Wege bekannt machen. Herr Hofprediger SCHULTZ,
den ich immer sehr liebe, seine Kenntnisse achte und seiner
Redlichkeit wegen hochschätze, hat mich wirklich nicht gut ver-
nommen und ich bin betrübt, daß der biedere Mann imstande ist,
mich solcher unsinnigen Behauptungen, wie die ist, daß der Ver-
stand das Ding macht, fähig zu glauben, deren er mich wohl
nicht fähig hielt, als er mich als seinen aufmerksamen Schüler in
der Mathematik lieb hatte.
Aber ich weiß es, daß Herr FICHTE, der, wie es scheint,
Anhänger sucht, von mir sagt, daß ich mit ihm mich auf einerlei
Weg befinde, so sehr ich auch in einer Rezension in Herrn
JAKOBS Annalen, ja auch in meinem Standpunkt das Gegenteil
gesagt habe. Da ich ihn in Jena verlaufene Osterferien besuchte.
J^n 'Jakoh Sigismund Beck 3 1 3
so wollte er mich wirklich auf diese Art berücken. Ein Gespräch
mit mir fing er wirklich damit an: „Ich weiß es, Sie sind meiner
Meinung, daß der Verstand das Ding macht". — Er sagte mir
manche närrische Sachen und vielleicht ist er noch, da ich meinen
Mann bald durchsah, von niemanden durch freundliche Antworten
so verlegen gemacht worden, als durch mich. Was ich nun noch
sagen will, ist Folgendes. FICHTE sagte mir, daß er in seinem
neuen Journal, worin er seine Wissenschaftslehre neu bearbeitet
hat, und unter andern nur eine Philosophie und keinen Unter-
schied zwischen theoretischer und Moralphilosophie annimmt, weil
überall der Verstand, durch seine absolute Freiheit die Dinge setzt
(ein dummes Zeug! wer so reden kann, kann wohl niemals die
kritischen Prinzipien beherzigt haben) und daß er darin viel von
meinem Standpunkt spreche. Ich habe nun wohl diese Sachen
noch nicht in Händen gehabt, aber ich bin vorher versichert,
daraus ganz leicht eine Veranlassung nehmen zu können, mich
etwa in JAKOBS Annalen zu erklären, daß erstens meine
Meinung gar nicht mit der seinigen zusammenstimme, daß ich
zweitens glaube die Kritik richtig exponiert zu haben, und
daher von ihrem Sinn nicht abzuweichen glaube, weil mir nichts
so angelegentlich ist, als Sinnlichkeit (das Vermögen von Gegen-
ständen affiziert zu werden) vom Verstände (das Vermögen sie zu
denken, dieses Subjektive auf Objekte zu beziehen) zu unter-
scheiden, daß aber drittens, ich durch das zweite gar nicht
gesonnen bin, den Stifter der kritischen Philosophie im geringsten
zu kompromittieren, indem der Standpunkt gänzlich meine eigene
Idee ist, und ja, da Ihre Werke am Tage liegen, jedermann mit
eigenen Augen vergleichen und ein eigenes Urteil haben kann.
Den FICHTE selbst will ich mir wohl nicht auf den Hals laden,
und werde daher ganz glimpflich, was ihn betriflft, sprechen.
Aber in Ansehung des zweiten Punkts will ich mich umständlich
auslassen, und das berichtigen, was fehlerhaft von mir im Stand-
punkt ist gesagt worden. Geben Sie hierzu Ihre Beistimmung?
Ehe ich diese erhalte, möchte ich nicht gern was tun. Nur auf
mich, Hochachtungswürdiger Mann, lenken Sie keinen Unwillen.
Ich finde meinen Beruf in wissenschaftlichen Arbeiten, und wie
müßte, bei dieser Abgezogenheit, mir der Gedanke wehe tun, in
Ihren Augen gesunken zu sein.
Der Ihrige
Beck.
314 An G. H. L. Nicolovius. — An Chr. G. Schütz
401.
An Georg Heinrich Ludwig Nicolovius.
Ew. Wohigeb.
bitte ergebenst mit ein paar Worten hierunter
nur anzuzeigen, welche Nachricht Herr Kollegien-Rat EULER in
Petersburg, bei Übersendung des Diploms meiner Aufnahme zum
Mitghede der Russisch-Kaiserl. Akad. d. Wissensch., meinerseits
noch vermißt: damit ich den hiesigen Negozianten, Herrn
COLONS, durch den ich die Korrespondenz hierüber geführt
habe, deshalb befragen könne. ^) — Wobei ich mit Anwünschung
einer glücklichen Reise und vollkommener Hochachtung jeder-
zeit bin
Ew. Wohigeb.
Königsberg, ergebenster treuer Diener
den 7. Juli L Kant.
U97-
40 z.
An Christian Gottfried Schütz.
Königsberg, 10. Juli 1797.
Unaufgefordert von Ihnen, würdiger Mann, doch veranlaßt
durch Ihren an unsern gemeinschaftlichen, vortrefflichen Freund,
den Herrn -Hofprediger SCHULTZ, abgelassenen Brief, ergreife
ich diese Gelegeuheit, Ihnen meine Freude über Ihren besseren
Gesundheitszustand, als ihn das Gerücht seit geraumer Zeit ver-
breitet hatte, bezeugen zu können. Ein so gemeinnützig tätiger
Mann muß froh und lange leben!
Der Anstoß, den Sie im gedachten Briefe an meinem neuer-
dings aufgestellten Begriffe des „auf dingliche Art persönlichen
Rechts"^) nehmen, befremdet mich nicht, weil die Rechtslehre
^) Der Kollegien-Rat Euler in Petersburg (1734— 1800), der Sohn
des berühmten Mathematikers, seit 1769 ständiger Sekretär der Aka-
demie der Wissenschaften..
^) S. die Metaphysischen Anfängsgründe der Rechtslehre, § zz — 30.
An Christian Gottfried Schütz 315
der reinen Vernunft, noch mehr wie andere Lehren der Philo-
sophie, das: entia praeter necessitatem non sunt multiplicanda sich
zur Maxime macht. Eher möchte es Ihr Verdacht tun, daß ich,
durch Wortkünstelei mich selbst täuschend, vermittelst erschlichener
Prinzipien das, wovon noch die Frage war; ob es tunlich sei,
für erlaubt angenommen habe. Allein man kann im Grunde
niemandem es verdenken, daß er, bei einer Neuerung in Lehren,
deren Gründe er nicht umständlich erörtert, sondern bloß auf
sie hinweiset, in seinen Deutungen den Sinn des Lehrers verfehlt,
und da Irrtümer sieht, wo er allenfalls nur über den Mangel
der Klarheit Beschwerde führen sollte.
Ich will hier nur die Einwürfe berühren, die Ihr Brief enthält,
und behalte mir vor, dieses Thema mit seinen Gründen und
Folgen an einem andern Orte ausführlicher vorzutragen.
1. „Sie können sich nicht überaeugen, daß der Mann das
Weib zur Sache macht, sofern er ihr ehelich beiwohnet et vice
versa. Ihnen scheint es nichts weiter, als ein mutuum adiutorium
zu sein." — — Fixilich, wenn die Beiwohnung schon als ehe-
lich, d. i. als gesetzlich, obzwar nur nach dem Rechte der
Natur, angenommen wird: so liegt die Befugnis dazu schon im
Begriffe. Aber hier ist eben die Frage: ob eine eheliche Bei-
wohnung, und wodurch sie möglich sei; also muß hier bloß
von der fleischlichen Beiwohnung (Vermischung) und der Be-
dingung ihres Befugnisses geredet werden. Denn das mutuum
adiutorium ist bloß die rechtlich notwendige Folge aus der Ehe,
deren Möglichkeit und Bedingung allererst erforscht werden soll.
2. Sagen Sie: „KANT's Theorie scheint bloß auf einer fallacia
des Wortes Genuß zu beruhen. Freilich im eigentlichen
Genuß eines Menschen, wie das Menschenfressen, würde es ihn
zur Sache machen; allein die Eheleute werden doch durch den
Beischlaf keine res fungibiles." — — Es würde sehr schwach
von mir gewesen sein, mich durch das Wort Genuß hinhalten
zu lassen. Es mag immer wegfallen und dafür der Gebrauch
einer unmittelbar (d. i. durch den Sinn, der hier aber ein von
allem andern spezifisch verschiedener Sinn ist), ich sage einer
unmittelbar vergnügenden Sache gesetzt werden. Beim Ge-
nüsse einer solchen denkt man sich diese zugleich als verbrauch-
bar (res fungibilis), und so ist auch in der Tat der wechsel-
seitige Gebrauch der Geschlechtsorgane beider Teile untereinander
beschaffen. Durch Ansteckung, Erschöpfung und Schwängerung
3 1(5 An Christian Gottfried Schütz
(die mit einer tödlichen Niederkunft verbunden sein kann) kann
ein oder der andere Teil aufgerieben (verbraucht) werden, und
der Appetit eines Menschenfressers ist von dem eines Freidenkers
(libertin) in Ansehung der Benutzung des Geschlechts nur der
Förmlichkeit nach unterschieden.
Soweit vom Verhältnisse des Mannes zum Weibe. Das vom
Vater (oder Mutter) zum Kinde ist unter den möglichen Ein-
würfen übergangen worden.
3. „Scheint es Ihnen eine petitio principii zu sein, wenn K.
das Recht des Herrn an den Diener, oder Dienstboten, als ein
persönlich-dingliches (sollte heißen: auf dingliche Art [folglich
bloß der Form nach] persönliches) Recht beweisen will; weil
man ja den Dienstboten wieder einfangen dürfe usw. Allein
das sei ja eben die Frage. Woher wolle man beweisen, daß
man jure naturae dieses tun dürfe?"
Freilich ist diese Befugnis nur die Folge und das Zeichen
von dem rechtlichen Besitze, in welchem ein Mensch den andern
als das Seine hat, ob dieser gleich eine Person ist. Einen Men-
schen aber als das Seine (des Hauswesens) zu haben, zeigt ein
jus in re (contra quemlibet hujus rei possessorem gegen den In-
haber desselben) an. Das Recht des Gebrauchs desselben zum
häuslichen Bedarf ist analogisch einem Rechte in der Sache, weil
er nicht frei ist, als GUed sich von dieser häuslichen Gesellschaft
zu trennen, und daher mit Gewalt dahin zurückgeführt werden
darf, welches einem verdungenen Tagelöhner, der bei der Hälfte
der Arbeit (wenn er sonst nichts dem Herrn entfremdete) sich
entfernt, nicht geschehen kann, nämlich ihn einzufangen, weil er
nicht zu dem Seinen des Hausherrn gehörte, wie Knecht und
Magd, welche integrierende Teile des Hauswesens sind.
Jedoch das Weitere bei anderer Gelegenheit. Jetzt setze ich
nichts hinzu, als: daß mir jede Nachricht von Ihrer Gesundheit,
Ihrem Ruhm und Ihrem Wohlwollen gegen mich jederzeit sehr
erfreulich sein wird.
An Johann Heinrich Tieftrunk 317
403-
An Johann Heinrich Tieftrunk.
Daß die Verhandlung mit Herrn BECK, wegen eines ihm in
Vorschlag gebrachten Liber retractationum, die Veranlassung zu
einer schriftlichen Unterhaltung mit Ihnen, würdiger Mann! ge-
worden ist, ist mir sehr angenehm; sowie auch der Gebrauch,
den Sie von meiner R. L. in Ihrem neuesten Werk über das
privat und öfFentl. R. gemacht haben. — Es wäre mir lieb, wenn
Herr BECK Ihre „Kurze Darstellung eines wesentlichen Punkts
in der transszendentalen Ästhetik und Logik" usw., wofern er
sich von der Richtigkeit derselben überzeugen kann, sich zum
Bewegungsgrunde dienen ließe, seinen Standpunkt zu veränderen
und ihn wieder zurecht zu stellen. In dem Falle aber, daß er
dazu nicht entschlossen ist, wäre es am besten, die Sache auf
sich beruhen zu lassen; es müßte denn Herr SCHLETTWEIN
oder ein anderer dieses Stillschweigen für Eingeständnis ausgeben
und darauf seine Befehdungen gründen wollen. — Wenn die Zu-
rechtweisung fruchtlos ist, warum sollen andere von der Miß-
helligkeit öffentlich benachrichtigt werden?
Meine Liebe und Achtung für Herrn BECK, und selbst die
des würdigen Herren Hofprediger SCHULTZ, soll hiebei nichts
verlieren; wiewohl der letztere eine gewisse ihn befremdende
Bitterkeit im Briefe des Herren BECK, den ich ihm kommuni-
zierte, gar wohl bemerkte, von der ich wünschte, daß er diesen
Ton bei Gelegenheit in den Ton der Freundschaft umstimmen
möchte; denn was sollen uns alle Bearbeitungen und Streitig-
keiten der Spekulation, wenn die Herzensgüte darüber einbüßt?
Hoffentlich wird Herr BECK, den ich hiemit freundschaftlich
zu grüßen bitte, bald seine Finalresolution, öffentlich oder in
einem Privatbriefe, erklären. Hiervon, oder jeder anderer lite-
räischer Neuigkeit von Belang, durch Ihre Vermittelung Nach-
richt zu erhalten, wird mir angenehm sein; der ich mit Liebe
und Hochachtung jederzeit bin
Ihr
ergebenster treuer Diener
Königsberg, I. Kant.
den 12. Juli
^797'
3 1 8 An jfohann Heinrich Ludwig Meierotto
404.
An Johann Heinrich Ludwig Meierotto.
(Entwurf.)
[ca. August 1797.]
WohJgebor. Herr Prof: u. Oberschulrat
Das Andenken an die mit Ihnen unseres Ort gemachte Be-
kanntschaft und wie ich mir schmeichle getroffene sehr schätz-
bare Freundschaft — woran mich unser gemeinschaftl. Freund,
der jetzt Witwer gewordene Kriegsrat HEILSBERG, oft mit Ver-
gnügen erinnert — aufzufrischen, trifft sich jetzt eine Veranlassung,
nämlich Sie um die Genehmigung des Vorschlags der Stettini-
schen Regierung den Kandidat LEHMANN sen: zum Lehrer der
Mathematik, Philosophie und Latinität an die Stelle des bis
jetzt wie es heißt hoffnungslos kranken Herrn Professor MEYE
im Fall seines Absterbens inständig zu bitten. —
Dieser junge Mann kann, was die erste Qualität (die Mathe-
matik) betrifft, seine Kenntnisse darin hinreichend selbst doku-
mentieren, was die zweite (die Philosophie) anlangt, kann ich
ihm ein vor den meisten seiner Mitzuhörer vorzügliches Lob
geben, an der notwendigen Latinität wird es ihm, wie ich glaube,
auch nicht mangeln. Die Lehrgabe (donum docendi) wohnt ihm
auch, wie ich es bezeugen kann, vorzüglich bei, so daß ich mit
Zuversicht hofften kann, Ew. Wohlgeb. werden, wenn Sie als
Oberschulrat der Wahl desselben zum Prof: jener Wissenschaften
in Stettin Ihre Beistimmung geben, dem Endzweck derselben voll-
kommen gemäß verfahren; als um welche ich also hiemit er-
gebenst bitte.
Ich wünsche, daß so wie alle Ihre große Bearbeitungen zum
Besten des Schulwesens überhaupt also auch diese zu dem der
Stettinschen Schule, wie ich festiglich hoffe, gedeihen möge und
habe die Ehre, mit der vollkommensten Hochachtung
An Eberhard Julius Wilhelm Ernst von Massoio 3 1 p
405.
An [Eberhard Julius Wilhelm Ernst von Massow.]
(Entwurf.)
[ca. August 1797.]
Hochwohlgeb. Hr. Regierungspräsident
Der Besuch, womit mich Ew: Exzell. vor wenigen Jahren be-
ehrten, ist mir unvergessen geblieben, sowie die Erinnerung Ihrer
wohlwollenden Gesinnung in mir das Vertrauen erweckt, es werde
das Vorwort, welches ich hiemit für den Kandidat LEHMANN
sen: einlege, nicht ungeneigt aufgenommen werden.
Er tut Ansuchung um die Stelle des Professors der Mathe-
matik und Physik des Herrn MEYE, wenn dieser, wie seine
schwere Krankheit besorgen läßt, etwa mit Tode abginge und
verlangt von mir an Ew. Hochwohlgeb. eine Empfehlung. In
Hoffnung, diese werde nicht als Anmaßung abgewiesen werden,
getraue ich mir, sie ihm mit voller Aufrichtigkeit und Über-
zeugung in Absicht auf die V^ürdigkeit zu dieser Stelle geben zu
können.
Herr LEHMANN hat allen meinen Kollegien der Logik,
Metaphysik, der Moral, des Naturrechts, Physik, der Anthro-
pologie und physischen Geographie nicht allein mit unausgesetztem
Fleiß und dem besten Fortgange (wie mir die Examina, die ich
anstellete, es bewiesen) frequentiert, sondern ist auch immer einer
von den Wenigen gewesen, welche auch ihr Talent zum Vor-
trage dessen, was sie gelernt hatten, an den Tag legten und sich
also zu künftigen Lehrern qualifizierten. Überdem sind seine
Umgangseigenschatten so beschaffen, daß ich ihn meiner eigenen
Erholung wegen am häufigsten an meinen Tisch gezogen habe
und noch invitiere, sooft es nur ohne Nachteil seiner ander-
weitigen Geschäfte geschehen kann; welches von seiner Verträg-
lichkeit und Eintracht mit seinen etwanigen künftigen Kollegen
zum voraus schon einen vorteilhaften Begrifi^ gibt.
In Ansehung seiner anderen Kollegien wird er die erforder-
liche Zeugnisse vorbringen; das meine gebe ich ihm hierdurch
mit Zuversicht.
Mit der größten Hochschätzung und Verehrung habe ich die
Ehre jederzeit zu sein
3 20 Von Johann Erich Biester
4od.
Von Johann Erich Biester.
Kndlich, Verehrtester Herr Professor, bin ich imstande, Ihnen
den Beschluß der Berl. Monatsschrift zuzusenden, deren Ende Sie
noch bekrönet haben. Dieser treffhche und geistvolle Aufsatz ist
ein wichtiges Wort zu seiner Zeit,') möge er doch recht viel
w^irken, um die unberufenen Wortführer über Philosophie zurück-
zuweisen, um die Würde und die Unumstößlichkeit der prakti-
schen Gebote einleuchtend zu machen, und um Wahrhaftig-
keit überall, auch in theologischen und philosophischen Streitig-
keiten einzuführen!
Die Berl. Monatsschrift, welche langsam ihrem Hinscheiden
entgegen schlich, hat nunmehr ganz aufgehört. Eben die Ver-
zögerung des Abdruckes der Stücke hat den völligen Beschluß
des Journales endlich notwendig — und in der Tat, für mich
selbst wünschenswert — gemacht. Mit dem Julius dies. J. habe
ich eine neue periodische Schrift angefangen, die wenigstens
richtig und ununterbrochen erscheinen wird, da sie in Berlin
gedruckt wird und der Verleger ein eifriger, tätiger Mann ist.
Wenn nur die gütigen Männer, welche die Monatsschrift mit
ihren Aufsätzen beehrten, auch meine Blätter ihrer Beiträge
würdigen wollen! Ich bin so frei, Ihnen die bis [jetzt^ er-
schienenen Bogen beizulegen.
den Verlust, welchen unser Staat durch des vortrefflichen
WLÖMERS Tod erlitten, hat Ihre langjährige Freundschaft gewiß
noch schmerzhafter empfunden. Er ist ohne beträchtliche Schmerzen
verschieden, und glaubte eben daher sein Ende noch nicht so
nahe. Eigentlich war nur Mattigkeit, gänzliche Abspannung aller
Kräfte, seine Krankheit; wenn er ausgestreckt lag, selbst wenn er
im Wagen fuhr (welches er in seiner Krankheit zuweilen tat),
erklärte er, daß er sich völlig wohl und wie gesund befinde;
aber sobald er nur mit einem Fuß auftreten oder gar ein paar
Schritte machen sollte, fühlte er seine gänzliche Kraftlosigkeit. —
Er war ein höchst edler, schätzens- und dabei liebenswürdiger
Mann !
*) Die Abhandlung „Von einem neuerdings erhobenen vornehmen
Ton in der Philosophie" (Berliner Monatsschrift, Mai 1796).
An Johann Böninger und jfohann Langer 321
Der Minister STRUENSEE hat mir aufgetragen, Sie recht
sehr von ihm zu grüßen.
Bleiben Sie gütigst gewogen
Ihrem
Berlin, sehr verpflichteten
5. August 1797. Biester.
407.
An Johann Böninger und Johann Langer.
Meine hochzuehrende Herren!
Den 1 8. Juli a. c. ist mir das schon vor einigen Monaten
von Ihnen aus eigener Bew^egung versprochene Probestück Ihrer
Kunst, welches die Urania vorstellt, in einem Kasten wohlbehalten
zu Händen gekommen. Ich danke für dieses Ihr Geschenk auf
das verbindlichste; besonders für die Meinung, womit Sie mich
zu beehren scheinen, vermittelst meiner Bekanntmachnng die Lieb-
haber der Kunst darauf aufmerksam zu machen. — In der Tat
ist das Urteil besserer Kenner als ich zu sein mich anmaßen darf,
sehr zu Ihrem Vorteil ausgefallen, vornehmlich darüber, daß jene
Figur von weißer Farbe auf himmelblauem Grunde, in einer
kleinen Weite davon ein bas relief täuschend darstellt. — Auch
wird meine Übertragung dieses Stücks, in ein weit vornehmeres
und frequentierteres Haus, zur Zelebrität dieser Kunst unseres Orts,
und vielleicht auch eine Anzeige, die Sie davon in öffentlichen
Blättern geben möchten, einiges beitragen.
Mit Hochachtung und Ergebenheit bin ich
Meiner hochzuehrenden Herren
Königsberg, ergebener Diener
24. August I. Kant.
^797'
Kants Schriften. Bd. X.
^11 Von Georg Samuel Albert Mellm
408.
Von Georg Samuel Albert Meilin.
Verehrungswürdiger Herr Professor,
icb bin so frei, Ihnen beikommendes Exemplar meines Enzyklo-
pädischen Wörterbuchs der kritischen Philosophie') zu
übersenden, und bitte Sie, dasselbe mit Güte und Nachsicht an-
zunehmen. Durch dieses Werk denke ich die Anzahl der Ver-
ehrer einer Philosophie zu vergrößern, die es so sehr verdient,
von denkenden Köpfen gekannt, verstanden und geschätzt zu
werden, und die das Glück meines Lebens ist. Ich schmeichle
mir, mich des Geistes dieser Philosophie, durch anhaltendes,
zwölfjähriges Studium derselben bemächtigt, und Ihre Schriften,
innigst verehrter Herr Professor, wenigstens größtenteils verstan-
den zu haben. Die Ausarbeitung der Artikel des Wörterbuchs
gibt mir Veranlassung, alles aufs neue und sorgfältigst zu durch-
denken und meine Überzeugungen zu befestigen. Es wird mir
eine sehr schmeichelhafte und schätzbare Aufmunterung sein, mit
zwei Worten von Ihnen zu hören, daß meine Bemühungen Ihnen
nicht unangenehm sind und im ganzen ihren Beifall haben. Ohne
Zweifel haben Sie zu seiner Zeit die Grundlegung zum Na-
turrecht erhalten.^)
Ich rechne es zu den glücklichsten Ereignissen meines Lebens,
daß es mir zuteil wird, Ihnen wenigstens schriftlich, selbst die
unvergleichbare Achtung zu versichern, mit der ich, so lange ich
denken kann, sein werde
Ihr
aufrichtiger treuer und dankbarer
Magdeburg, den 6. Septbr. Verehrer
17^7. Meilin.
^) Enzyklopädisches Wörterbuch der kritischen Philosophie I.
ZüUichau und Leipzig 1797-
*) Grundlegung zur Metaphysik der Rechte oder der positiven Ge-
setzgebung, Züllichau 1796.
M)n ^akob Sigismund Beck \i%
409.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den 9. September 1797.
Hochachtungswürdiger Mann,
In Ihrem Briefe an Herrn Prof. TIEFTRUNK, den er die
Güte gehabt, mir mitzuteilen, schreiben Sie, daß es Ihnen nicht
nötig zu sein dünke, andere mit den Mißhelligkeiten bekannt zu
machen, welche zwischen meiner Darstellung der kritischen Philo-
sophie und dieser selbst schweben möchten. Es betrübt mich,
daß Sie das Dasein dieser Mißhelligkeiten hierin zuzugeben
scheinen. Ware es möglich, persönlich über diesen Gegenstand
mich mit Ihnen zu unterhalten, so ist meine Gewißheit, Sie vom
Gegenteil zu überzeugen, so groß, daß ich ohne Bedenken alles,
was ich besitze, dabei aufs Spiel zu setzen bereit sein würde.
Was Herrn SCHULTZ betrifft, so ist mein Herz von aller Bitter-
keit gegen ihn frei, und ich wünsche mir Gelegenheit, ihm dieses
durch die Tat zu beweisen. Wenn er sich an meine Stelle
setzen möchte, so würde er das Beleidigende, das in seinem Vor-
wurf liegt, der einmal nichts Geringeres als Unterschiebung einer
unredlichen Absicht enthält, und wodurch er zweitens mich mit
den neuen philosophischen Irrlichtern in eine Klasse setzt, wohl
selbst bemerken. Aber an sich selbst liegt diesem Betragen
Achtung für Sie und Interesse für die Philosophie zum Grunde,
und in diesen Stücken kann niemand einverstandener mit ihm
sein, als ich es bin.
Künftige Ostern werde ich wahrscheinlich meinen Aufenthalt
nach Leipzig verlegen. Ich werde von meinen Leipziger Freunden
dazu ermuntert, weil mir als einem preußischen Landeskindc
Aussichten auf die für Preußen bestimmte Kollegiatur oflFen und
ihrer Wahrscheinlichkeit und Beträchtlichkeit wegen nicht in den
Wind zu schlagen sind. Wenn ich dann kein mathematisches
Thema zu meiner Disputation wählen sollte, so hätte ich fast
Lust, in einer philosophischen Arbeit das Fehlerhafte meiner bis-
herigen Darstellungen auszubessern. Geschieht dieses aber auch
nicht bei dieser Gelegenheit, so werde ich dazu eine andere be-
nutzen. Herrn Hofprediger SCHULTZ bitte ich bei Gelegenheit
21*
324 ^^ Christoph Wilhelm Hufeland
meiner Hochachtung zu versichern, der ich mit der größten
Hochachtung bin
der Ihrige
Beck.
410.
Von Christoph Wilhelm Hufeland.
Jena, den 30. Sept. 179 7.
Ew. Wohlgeb.
kann ich nicht beschreiben, wie sehr mich die zwei Briefe,
womit Sie mich beehrt haben, erfreut haben, und ich würde dies
Gefühl nicht so lange haben zurückhalten können, wenn ichs
nicht getan hätte, um Ihnen zugleich etwas über den jungen
MOTHERBY, den Sie mir empfahlen, schreiben zu können. —
Um so mehr freut es mich, daß ich Ihnen in betreflf seiner das
Beste melden kann. Ich habe nicht leicht einen jungen Menschen
gesehen, der mit soviel Lebhaftigkeit des Geistes solche Festigkeit,
Wahrheit und Sittlichkeit des Charakters verbindet, und der mir
in so kurzer Zeit so herzlich lieb und wert geworden wäre.
Seine Aufführung ist untadelhaft, sein Fleiß unermüdet, und er
gehört zu denen meiner Zuhörer, die mir wahre Aufmunterung
und Belehrung in meinem Geschäfte sind. Ich habe nichts an
ihm auszusetzen, als daß er zu selten zu mir kommt, und ich
w^erde, um dies mehr zu bewirken, ihn in mein Konservatorium
und Disputatorium diesen Winter ziehen. Überhaupt verspreche
ich Ihnen, alles zu tun, soviel an mir liegt, um ihn zu einem
brauchbaren und nützlichen Bürger zu bilden.
Ew. Wohlgeb. haben mich mit der angenehmen HoflFnung
sehr erfreut, daß Sie geneigt wären, einen medizinischen Gegen-
stand zu bearbeiten, und zwar den so interessanten von der Macht
des Gemüts über seine krankhaften körperlichen Empfindungen.
Wäre es Ihnen doch bald gefällig und wegen andrer Geschäfte
möglich! Denn eben in diesen psychologisch -medizinischen
Gegenständen hat es noch so sehr an philosophischer Behand-
lung gefehlt, und wie viel würde sich nicht unsre Kunst noch
nebenbei fruchtbare Bemerkungen und Aufschlüsse versprechen
können! Ich wiederhole also nochmals im Namen des ganzen
medizinischen Publikums, das Sie sich dadurch verpflichten würden,
die Bitte, dieser schönen Idee bald einige Stunden zu widmen.
Von ^akob Slgismund Beck. — An "Joh. Gottfr, Kiesewetter 525
und füge noch den Wunsch bei, daß Sie dann die Güte haben
und den Aufsatz mir für das Journal der praktischen Heilt^unde
überlassen möchten, wo er am schnellsten im medizinischen Publi-
kum bekannt werden, und zugleich diesem Journal zur großen
Zierde gereichen würde.
Übrigens wünsche ich von Herzen, daß Gott, so wie er Ihre
Kräfte und Verdienste verdoppelt hat, auch Ihre Tage verdoppeln,
und Ihnen ferner ein dauerhaftes Wohlsein schenken möge. Lassen
Sie mich ferner Ihrem Andenken empfohlen sein.
Mit größter Verehrung bin ich
der Ihrige
D. Hufeland.
41 r.
Von Jakob Sigismund Beck.
Halle, den 6. Oktober 1797.
Herr RAUPACH, der vor zwei Jahren meine Vorlesungen
besuchte und den ich als einen braven und geschickten jungen
Mann kenne, schreibt mir von Liegnitz aus, wo er sich jetzt als
Hofmeister aufhält, daß er in kurzem nach Livland, als Erzieher
in das Haus des Herrn VON RENNEKAMP gehen werde und
bittet mich, ihm einen Brief an Sie, verehrungswürdiger Mann,
mitzugeben, als einen Titel, meint er, Sie besuchen und seine
Hochachtung Ihnen bezeigen zu dürfen. Wenn er Zeit und Ge-
legenheit haben sollte, Ihnen bekannter zu werden, so hoffe ich,
daß er schon selbst sich vorteilhaft empfehlen, und meiner Emp-
fehlung nicht weiter bedürfen werde. Ich möchte ihn des Glücks,
das er jetzt erfährt, sich persönlich mit Ihnen zu unterhalten,
beneiden. Ihr freundschaftliches Wohlwollen ist mir über alles
wert; erhalten Sie es mir Ihrem ewig ergebenen
Beck.
412.
An Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Um einmal wieder Nachricht von Ihrem Wohlbefinden, wer-
tester Freund, zu erhalten, weiß ich keine bessere Veranlassung
als die, welche mir die Jahreszeit gibt: mir doch wiederum ein
3 2 <$ An 'Jakob Lindhlom
ScheflFel Teltower Rüben gütigst zu besorgen. — Ich verbitte es
sehr, dies auf Ihre Kosten zu tun; es ist Freundschaft genug,
wenn Sie nur sie eben so schön wie voriges Jahr, im Fäßchen
eingepackt und wider den Frost, der etwa einfallen möchte, ge-
sichert, die Absendung an mich zu besorgen die Güte haben
wollen.
Von literarischen Neuigkeiten Ihrer Gegend erwarte bei dieser
Gelegenheit auch einige Nachricht. Was mich betrifft, so ist
Ihnen ohne Zweifel schon bekannt, daß ich, durch Alter und
Kränklichkeit schon seit anderthalb Jahren, meine akademische
Arbeiten einzustellen genötigt worden und von meiner Existenz
nur dann und wann durch die Berl. Blätter Nachricht gebe.
Sie Ihrerseits sind noch in Geschäften, zu deren Betreibung
und jeder anderen dem gemeinen Wesen nützlichen Bearbeitung
ich von Herzen Gesundheit und frohen Mut anwünsche und mit
wahrer Freundschaft und Hochachtung jederzeit bin
Königsberg, der Ihrige
d. 13. Okt. I. Kant.
1797.
413.
An Jakob Lindblom.
Hochwürdiger Herr Bischof
Hochzuverehrender Herr!
Die Bemühung, die sich Ew: Hochwürd. gegeben haben,
meinen Abstamm zu erkunden und mir das Resultat Ihrer Nach-
forschung gütigst mitzuteilen, verdient allen Dank; wenn gleich
daraus weder für mich noch für andere, nach Lage der Sache,
irgendein barer Nutzen zu ziehen sein möchte.
Daß mein Großvater, der in der preußisch-litauischen Stadt
Tilsit lebte, aus Schottland abgestammt sei: daß er einer von den
Vielen war, die am Ende des vorigen und im Anfange dieses
Jahrhunderts aus Schottland, ich weiß nicht, aus welcher Ur-
sache, in großen Haufen emigrierten und davon ein guter Teil
sich unterwegens auch in Schweden, der Rest aber in Preußen,
vornehmlich über Memel verbreitet hat (beweisen die dort noch
bestehende Familien der SIMPSON, MACLEAN, DOUGLAS,
HAMILTON und anderer mehr, unter denen auch mein Groß-
An jfakob Lindblom 317
vater gewesen und in Tilsit gestorben ist) *), war mir längst gar
wohl bekannt. Von lebenden Verwandten väterlicherseits und
außer den Deszendenten meiner Geschwister ist also (da ich selbst
ledig bin) mein Stammbaum völlig geschlossen. — Soviel von
meiner Abstammung, die nach dem von Ihnen entworfene[n]
genealogische Schema, von guten Bauern in Ostgotland (welches
ich mir zur Ehre anrechne) bis auf meinen Vater (sollte allenfalls
eher Großvater lauten) erkundet sein soll; wobei ich das Interesse
der Menschenliebe, welches Ew: Hochwürd. an diesen Leuten
nehmen, mich nämlich zur Unterstützung dieser angeblichen Ver-
wandten zu bewegen, nicht verkenne.
Denn es ist zu gleicher Zeit ein Brief aus Larum, den i o. Juli
1797 datiert, mir zu Händen gekommen, der eine ähnliche Ent-
wicklung meiner Abstammung, zugleich aber auch das Ansinnen
enthält, ihm, dem Briefsteller, der sich meinen Cousin nennt, „auf
einige Jahre mit 8 a 10 tausend Taler Kupfermünze gegen
Interessen zu dienen, durch welche er glücklich werden könne."
Dieses imd jedes andere ähnliche Ansinnen werden aber Ew:
Hochwürd. selbst als ganz unstatthaft erkennen, wenn ich Ihnen
sage, daß ich eine Schwester am Leben, 6 Geschwisterkinder von
meiner verstorbenen Schwester, deren einige selbst wieder Kinder
haben, aber nur einen Bruder, den Pastor KANT in Altrahden in
Kurland, der aber auch 4 Kinder, unter diesen i Sohn, der er-
wachsen ist, hat, deren eines neuerlich schon verheuratet ist, am
Leben habe, meine Verlassenschaft also durch diese nächste na-
türliche Kompetenten bei meinem Ableben so verdünnet werden
dürft'i, daß für eine entfernete Vetterschaft, deren Naheit selbst
noch problematisch ist, wohl nichts übrig bleiben kann.
Mit der größten Hochachtung bin ich indes jederzeit
Ew. Hochwürden
Königsberg, I. Kant,
d. 13. Oktober
^797-
") Mein Vater ist in Königsberg und in meinem Beisein gestorben.
328 An Johann Heinrich Tieftrunk
414.
An Johann Heinrich Tieftrunk.
Hochgeschätzter Freund !
Ihre Verhandlungen mit Herrn BECK, (den ich hiermit meiner
Hochachtung zu versichern bitte), deren AusschJag hoffentlich
beiderseitige Einhelligkeit in der Absicht sein wird, habe mit
Vergnügen vernommen. Ebenso auch Ihren Vorsatz eines erläutern-
den Auszugs aus meinen kritischen Schriften; imgleichen
daß Sie mir die Mitwirkung dazu erlassen wollen, nehme ich
dankbar an. — Bei dieser Gelegenheit bitte ich zugleich meiner
hyperkritischen Freunde FICHTE und REINHOLD mit der Be-
hutsamkeit zu gedenken, deren ihre Verdienste um die Wissen-
schaft vollkommen wert sind.
Daß meine Rechtslehre bei dem Verstoß gegen manche schon
für ausgemacht gehaltene Prinzipien viele Gegner finden würde,
war mir nicht unerwartet. Um desto angenehmer ist es mir,
zu vernehmen, daß sie Ihren Beifall erhalten hat. Die Göttingi-
sche Rezension im z8. Stück der Anzeigen, die, im Ganzen ge-
nommen, meinem System nicht ungünstig ist, wird mir Anlaß
geben, in einer Zugabe manche Mißverständnisse ins klare zu
setzen, hin und wieder auch das System zur Vollständigkeit zu
ergänzen.
Meinen Freund, Herrn Professor POERSCHKE, bitte ich,
wenn sich dazu Veranlassung finden möchte, wegen seiner im
Ausdruck etwas zu heftigen Manier, die doch mit sanften Sitten
verbunden ist, mit Wohlwollen zu behandeln. — Mit seinem
Grundgesetz: Mensch sei Mensch hat er wohl nichts anderes
sagen wollen, als: Mensch als Tierwesen bilde dich zum morali-
schen Wesen aus usw. — Indessen weiß er von diesem Ihrem
Urteil, imgleichen meiner Apologie nichts.
Zu Ihrem Vorschlag einer Sammlung und Herausgabe meiner
kleinen Schriften willige ich ein; doch wollte ich wohl, daß nicht
ältere als von 1770 darin aufgenommen würden, so daß sie mit
meiner Dissertation: „De mundi sensibilis et intelligibilis forma"
usw. anfange. — In Ansehung ^ts Verlegers mache ich keine
Bedingungen und verlange keinen Vorteil, der mir etwa zufallen
An fohann Heinrich Tieftrunk 329
sollte. Die einzige ist, daß Sie mir den Aufsatz aller Piecen
vorher mitteilen möchten.
Inliegende Briefe empfehle ich Ihrer gütigen Bestellung, die
Auslagen für diejenigen, die für einen Teil des Weges müssen
frankiert werden, um bis dahin zu gelangen, wo die preußischen
Posten nicht hinreichen, bitte zu machen und mir den Belauf
derselben zu Wiedererstattung zu melden.
Es könnte wohl sein, daß mich der Tod während dieser
Anstalten überraschte. In diesem Falle würde unser Herr Pro-
fessor GENSICHEN zwei Abhandlungen in meiner Kommode
antreffen, deren eine ganz, die andere beinahe ganz fertig liegt
(und zwar seit mehr als zwei Jahren,') über deren Gebrauch er
alsdann Ihnea Nachricht geben würde, — doch bleibt dieses unter
uns; denn vielleicht gebe ich sie noch bei meinem Leben heraus.
Meine Langsamkeit in Beantwortung der mir zugekommenen
Briefe werden Sie mir nicht zur Schuld anrechnen; mein Gesund-
heitszustand macht sie mir, bei der unter Händen habenden
A^rbeit, zur Notwendigkeit; vielmehr seien Sie von der wahren
Hochachtung versichert, mit der ich jederzeit bin
Ihr
Königsberg, ergebenster treuer Diener
d. 13. Oktober L Kant.
1797-
415. ■
An Johann Heinrich Tieftrunk.
Königsberg, den 17. Oktober 1797.
Meinen Brief vom i 3 . werden Sie, wertester Freund, erhalten
haben. Wenn dabei eine Irrung vorgegangen ist; daß ich näm-
lich gewisse andere Briefe in dem Kuvert an Sie zum weitern
Abschicken beigeschlossen zu haben glaube, v/elches doch vielleicht
nicht geschehen ist, sondern unter den Kuvert an BIESTERN ge-
schehen sein mag. welches ich, bei der Eile der Abfertigung auf
die Post, nun mich nicht erinnern kann, — so werden Sie sich
dies nicht irren lassen.
') Die beiden Abhandlungen, die später als erster und zweiter
'Abschnitt des „Streites der Fakultäten" erschienen.
3 30 An den Rektor
Übrigens wird es mir sehr angenehm sein, bald wieder, teils
mit einem auf ihren vorigen Brief bezogenen, teils auch anderen
literarische Nachrichten enthaltenden Schreiben, unterhalten und
erfreut zu werden, wobei ich jederzeit mit Hochachtung und
Freundschaft bin
Ihr
ergebenster
I. Kant.
416.
An den Rektor.
Academiae Rector Magnifice!
Auf die von Ew: Magnifizenz mir d. d. d. zz. November
1791 [statt i7P7\ bekannt gemachte Vorstellung lllustris Canceliarii
et Direct. unserer Akademie: bei E. Königl. Etatsministerio um
Adiunctos bei zweien Senatsstellen, — von welchen auf die des
Herren Konsistorialrat RECCARD einerseits und auf die meinige
andererseits unverkennbar hingewiesen wird, — anzuhalten, er-
mangle ich nicht, folgende Gegenvorstellung einzureichen; mit
der Bemerkung, daß dieser Vorschlag einen dreifachen Fehler
enthalte, nämlich unrichtig in seiner Angabe, widersprechend in
seinem Plane und beleidigend in seiner Zumutung zu sein.
Erstlich ist es ganz unrichtig: daß jemand, der, ausdrücklich
oder stillschweigend, erklärt, er könne. Alters oder sonst körper-
lichen Unvermögens halber, den Sessionen des Senats, als Glied
desselben nicht ferner beiwohnen, dafür gehalten werden müsse,
er habe seine Stelle als stimmendes Senatsglied aufgekündigt.
Denn in der letzteren Funktion kann er sich immer tätig beweisen
und jeder von den beiden hat es auch bisher getan, wenn die
Vota durch Kapsulation gesammelt werden; von welcher Ver-
fahrungsart wohl zu wünschen wäre, daß sie, vornehmlich in
wichtigen Fällen, mehr gebraucht würde: weil sie zu reifer Über-
legung mehr Zeit gibt. Die auffallendeste Unrichtigkeit aber in
der Vorstellungsart ist die: daß gedachte zwei Glieder durch ihre
mehr als ein Jahr hindurch beständig fortgewährte Abwesenheit
nicht von der Akademie, sondern von dem Sessionszimmer der-
selben sich für cmeritos haben erklären wollen: welcher Ausdruck
da, wo er gebräuchlich ist, — ■ nämlich auf Reichsuniversitäten
— denjenigen bedeutet, der, nachdem er gänzlich von der Akar
An den Rektor 331
demie Abschied genommen, jubiliert, d. i. in den Ruhestand ge-
bracht und auf Pension gesetzt ist; ein Gebrauch, der bei uns
unerhört ist und auch wohl immer bleiben wird.
Zweitens ist der vorgelegte Plan zur Ausfüllung jener zwei
ledig gewordenen Stellen, oder, wie es hier heißt, zu Bewirkung
der Integrität des Senats durch Adjunkten, welche — statt der
jetzt von der Session fortwährend Abwesenden für sich selbst
stimmend sein sollen, ohne doch Glieder des Senats zu sein —
mit sich selbst im Widerspruch: nämlich der beabsichtigten Inte-
grität gerade zuwider. Denn diese würden als Nichtglieder des
Senats doch nur in ihrem eigenen Namen, also nach Privat-
absichten votieren können; — welches man von einem Gliede
desselben nicht präsumieren darf — mithin den vorgeblichen
Defekt des Senats nicht ergänzen: weil sie keinen integrierenden
Teil desselben ausmachen.
Drittens ist die Zumutung für beleidigend, nämlich das wohl-
begründete Recht der Senatoren schmälernd, anzusehen. — Illustri
Cancellario wird es aoch erinnerlich sein: wie in dem Streit
über die Stellvertretung des D. BOHLIUSschen Rektorats, bei
dessen Unvermögen es selbst zu führen, unter dem v. ZEDLITZ'-
schen Obercuratorio durch ein königl. rescript entschieden und
zum Gesetz gemacht worden, oder dieses, was es schon immer
war, nur in Erinnerung gebracht wurde, zu welchem Sie selbst
damals mitwirkten, eben dadurch aber auch das Recht der Sena-
toren, auch in ihrer persönlichen Abwesenheit aus Unvermögen,
zur Amtsführung derselben, mitzuwirken stillschweigend aner-
kannten; welches Sie ihnen jetzt strittig machen.
Aus den angeführten Gründen protestiere ich nun wider den
gedachten Entwurf und bin übrigens mit vollkommener und
schuldiger Hochachtung
Ew. Magnifizenz
ganz gehorsamster Diener
Königsberg, I. Kant,
den 3. Dezember
^797-
33 z An Johann Gottlieb Fichte
417.
An Johann Gottlieb Fichte.
[Dezember 1797?]
Hochgeschätzter Freund !
AVenn Sie meine dreiviertel Jahr verzögerte Antwort auf Ihr
an mich abgelassenes Schreiben für Mangel an Freundschaft und
Unhöflichkeit halten sollten, so würde ich es Ihnen kaum ver-
denken können. Kennten Sie aber meinen Gesundheitszustand
und die Schwächen meines Alters, die mich genötigt haben, schon
seit einem und einem halben Jahre alle meine Vorlesungen, gewiß
nicht aus Gemächlichkeit, aufzugeben, so würden Sie dieses mein
Betragen verzeihlich finden, ungeachtet ich noch dann und wann
durch den Kanal der „Berliner Monatsschrift" und auch neuerlich
durch den der „Berliner Blätter" von meiner Existenz Nachricht
gebe,*) welches ich als Erhaltungsmittel durch Agitation meiner
geringen Lebenskraft, obzwar langsam und nur mit Mühe, tue,
wobei ich mich jedoch fast ganz ins praktische Fach zu werfen
mir geraten finde und die Subtilität der theoretischen Spekulation,
vornehmlich wenn sie ihre neuern, äußerst zugespitzten Apices
betrifft, gern andern überlasse.
Daß ich zu dem, was ich neuerlich ausgefertigt habe, kein
anderes Journal als das der „Berliner Blätter" wählte, werden Sie
und meine übrigen philosophierenden Freunde mir als Invaliden
zugute halten. Die Ursache ist: weil ich auf diesem Wege am
geschwindesten meine Arbeit ausgefertigt und beurteilt sehe, indem
sie, gleich einer politischen Zeitung, fast posttäglich die Erwartung
befriedigt, ich aber nicht weiß, wie lange es noch dauern möchte,
daß ich überhaupt arbeiten kann.
Ihre mir 1795 und 179Ö zugesandten Werke sind mir durch
Herrn HÄRTUNG wohl zu Händen gekommen.
Es gereicht mir zum besondern Vergnügen, daß meine Rechts-
lehre Ihren Beifall erhalten hat.
Lassen Sie sich, wenn sonst Ihr Unwille über meine Zögerung
im Antworten nicht zu groß ist, ferner nicht abhalten, mich mit
Ihren Briefen zu beehren und mir literarische Nachrichten ru
') S. den Aufsatz „Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe
zii lügen" (Berliner Blätter 1797).
An Johann Heinrich Tieftrunk 333
erteilen. Ich werde mich ermannen, künftig hierin fleißiger zu
sein, vornehmlich da ich Ihr treffliches Talent einer lebendigen
und mit Popularität verbundenen Darstellung in Ihren neuern
Stücken sich entwickeln sah, damit Sie die dornigen Pfade der
Scholastik nun durchwandert haben und nicht nötig finden werden,
dahin wieder zurückzusehen.
Mit vollkommener Hochachtung und Freundschaft bin ich
jederzeit usw. I. Kant.
418.
An Johann Heinrich Tieftrunk.
Hochgeschätzter Freund !
Zerstreut durch eine Mannigfaltigkeit von Arbeiten, die sich
einander wechselseitig unterbrechen, ohne doch meinen letzten
Zweck der Vollendung derselben vor dem Torschlüsse aus den
Augen zu verlieren, ist mir jetzt nichts angelegener, als die Stelle
in Ihrem mir sehr angenehmen Briefe vom 5. Novbr. „wie der
Satz der Kritik der reinen Vernunft, S. 177, zu verstehen sei,
der die Anwendung der Kategorien auf Erfahrungen oder Er-
scheinungen unter sich vermittelt" von der ihr anhängenden
Schwierigkeit befreit werden könne,') — Ich glaube dieses jetzt
auf eine Art tun zu können, die befriedigend ist und zugleich
ein neues Licht über diese Stelle im System der Kritik verbreitet;
doch so, daß Gegenwärtiges bloß als roher Entwurf angesehen
werden muß, und seine Eleganz nur, nachdem vnx uns in einem
zweiten Briefe einverständigt haben werden, erwartet.
Der Begriff des Zusammengesetzten überhaupt ist keine
^) Tieftrunk hatte Kant die Frage vorgelegt, wiefern es möglich
sei, die VerstandesbegrifFe auf die sinnlichen Erscheinungen anzuwenden.
Nach der Lehre vom Schematismus nämlich werde hierzu Gleichartig-
keit zwischen beiden vorausgesetzt; — auf der anderen Seite aber
müsse im kritischen System für die VerstandesbegrifFe eine völlig andere
Quelle als für die sinnlichen Vorstellungen angenommen werden, was
der Voraussetzung der Homogeneität zu widersprechen scheint. Die
folgenden Darlegungen Kants dienen der Beantwortung dieses Ein-
wands.
334 ^« 3^ohann Heinrich Tieftrunk
besondere Kategorie, sondern in allen Kategorien (als syntheti-
sche Einheit der Apperzeption) enthalten. Das Zusammengesetzte
nämlich kann, als ein solches, nicht angeschauet werden; sondern
der Begriff oder das Bewußtsein des Zusammensetzens (einer
Funktion, die allen Kategorien als synthetische Einheit der Apper-
zeption zum Grunde liegt) muß vorhergehen, um das mannig-
faltige der Anschauung Gegebene sich in einem Bewußtsein ver-
bunden, d. i. das Objekt sich als etwas Zusammengesetztes zu
denken, welches durch den Schematism der Urteilskraft geschieht,
indem das Zusammensetzen mit Bewußtsein zum inneren Sinn,
der Zeitvorstellung gemäß einerseits, zugleich aber auch auf das
mannigfaltige in der Anschauung Gegebene andererseits bezogen
•wird. — Alle Kategorien gehen auf etwas a priori Zusammen-
gesetztes und enthalten, wenn dieses gleichartig ist, mathematische
Funktionen, ist es aber ungleichartig, dynamische Funktionen,
zum Beispiel was die ersten betrifft: die Kategorie der extensiven
Größe betrifft: Eines in Vielen; was die Qualität oder intensive
Größe betrifft. Vieles in Einem. Jenes die Menge des Gleich-
artigen (zum Beispiel der QuadratzoUe in einer Fläche); dieses
der Grad (zum Beispiel der Erleuchtung eines Zimmers). Was
aber die dynamische angeht, die Zusammensetzung des Mannig-
faltigen, sofern es entweder einander im Dasein untergeordnet
ist (die Kategorie der Kausalität) oder eines dem andern zur Ein-
heit der Erfahrung beigeordnet ist (der Modalität als notwendige
Bestimmung des Daseins der Erscheinungen in der Zeit).
Herr M. BECK, den ich hierdurch freundlich von mir zu
grüßen bitte, könnte also wohl auch hierauf seinen Standpunkt
von den Kategorien aus zu den Erscheinungen (als Anschauungen
a priori) nehmen. — Die Synthesis der Zusammensetzung des
Mannigfaltigen bedarf einer Anschauung a priori, damit die reinen
Verstandesbegriffe ein Objekt hätten, und das sind Raum und
Zeit. — Aber bei dieser Veränderung des Standpunkts ist der Begriff
des Zusammengesetzten, der allen Kategorien zum Grunde liegt, für sich
allein sinnleer, d. i. man sieht nicht ein, daß ihm irgendein Objekt
korrespondiere: zum Beispiel ob so etwas, das extensive Größe oder
intensive (Realität) ist, oder, im dynamischen Fach der Begriffe,
etwas, was dem Begriffe der Kausalität (einem Verhältnis durch
seine Existenz der Grund der Existenz eines andern zu sein) oder
auch der Modalität ein Objekt möglicher Erfahrung zu sein
gegeben werden könne: weil es doch nur bloße Formen der
An Johann Heinrich Tieftrunk 335
Zusammensetzung (der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen
überhaupt) sind, und zum Denken, nicht zum Anschauen gehören.
— Nun gibt es in der Tat synthetische Sätze a priori, denen
Anschauung a priori (Raum und Zeit) zum Grunde liegt; mithin
denen ein Objekt in einer nicht-empirischen Vorstellung korre-
spondiert (den Denkformen können Anschauungsformen unterlegt
werden, die jenen einen Sinn und Bedeutung geben.) — Wie
sind diese Sätze nun möglich? — Nicht so: daß diese Formen
des Zusammengesetzten in der Anschauung das Objekt, wie es
an sich selbst ist, darstellen: denn ich kann mit meinem Begriffe
von einem Gegenstand nicht a priori über den Begriff von diesem
Gegenstande hinauslangen. Also nur so: daß die Anschauungs-
formen nicht unmittelbar als objektiv, sondern bloß als subjek-
tive Formen der Anschauung, wie nämlich das Subjekt, nach
seiner besondern Beschaffenheit, vom Gegenstande affiziert wird,
d. i. wie er uns erscheint, nicht nach dem, was er an sich ist
(also indirekt) vorgestellt wird. Denn wenn die Vorstellung auf
die Bedingung der Vorsteilungsart des Vorsteliungsvermögens des
Subjekts bei den Anschauungen restringiert wird, so ist leicht zu
begreifen, wie es möglich ist, a priori synthetisch (über den ge-
gebenen Begriff hinausgehend) zu urteilen und zugleich daß der-
gleichen a priori erweiternde Urteile '' auf andere Art schlechter-
dings unmöglich sind.
Hierauf gründet sich nun der große Satz: Gegenstände der
Sinne (des äußern sowohl als des innern) können wir nie anders
erkennen als bloß wie sie uns erscheinen, nicht nach dem, was
sie an sich selbst sind: imgleichen : übersinnliche Gegenstände
sind für uns keine Gegenstände unseres theoretischen Erkenntnisses.
Da aber doch die Idee derselben wenigstens als problematisch
(quaestionis instar) nicht umgangen werden kann, weil dem sinn-
lichen sonst ein Gegenstück des Nichtsinnlichen fehlen würde,
welches einen logischen Mangel der Einteilung beweiset; so wird
das letztere zum reinen (von allen empiri^hen Bedingungen ab-
gelöseten) praktischen Erkenntnis, für das Theoretische aber als
transszendent betrachtet werden müssen, mithin die Stelle für
dasselbe auch nicht ganz leer sein.
Was nun die schwierige Stelle der Kritik S. 177 usw. betriflft:
so wird sie auf folgende Art aufgelöst. — Die logische Subsum-
tion eines Begriffs unter einem höheren geschieht nach der Regel
der Identität: und der niedrigere Begriff muß hier als homogen
II 6 An Johann Heinrich Tieftrunk
mit dem höhern gedacht werden. Die transszendentale da-
gegen, nämlich die Subsumtion eines empirischen Begriffs unter
einem reinen Verstandesbegriffe durch einen Mittelbegriff, nämlich
den des Zusammengesetzten aus Vorstellungen des innern Sinnes
ist unter eine Kategorie subsumiert, darunter etwas dem Inhalte
nach Heterogenes wäre, welches der Logik zuwider ist, wenn
es unmittelbar geschähe, dagegen aber doch mögUch ist, wenn
ein empirischer Begriff unter einen reinen Verstandesbegriff durch
einen Mittelbegriff [subsumiert wird], nämlich den des Zusam-
mengesetzten aus Vorstellungen des inneren Sinnes des Subjekts,
sofern sie den Zeitbedingungen gemäß, a priori nach einer all-
gemeinen Regel ein zusammengesetztes darstellen, enthält, welches
mit dem Begriffe eines Zusammengesetzten überhaupt (dergleichen
jede Kategorie ist) homogen ist und so unter dem Namen eines
Schema die Subsumtion der Erscheinungen unter dem reinen
Verstandesbegriffe ihrer synthetischen Einheit (des Zusammen-
setzens) n?ch, möglich macht. Die darauf folgenden Beispiele
des Schematismus lassen diesen Begriff nicht verfehlen.*)
Und nun, würdigster Mann, breche ich hiermit ab, um die
Post nicht zu verfehlen, schließe einige Bemerkungen, die von
Ihnen projektierte Sammlung meiner kleinen Schriften betreffend,
an, — bitte Herrn Professor JACOB für die Übersendung seiner
Annalen zu danken — mich bald wiederum mit Ihrer Zuschrift
zu beehren und die Langsamkeit meiner Beantwortung meinem
schwächlichen Gesundheitszustande und der Zerstreuung durch
andere an mich ergehende Ansprüche zuzuschreiben; übrigens aber
von meiner Bereitwilligkeit in Ihre tunlichen Plane einzutreten
und von der Hochachtung versichert zu sein, mit der ich jeder-
zeit bin
Ihr
Königsberg, ganz ergebenster
den 1 1 . Dezember L Kant
^797-
*) Sie werden hier die Flüchtigkeit bemerken, der in einem andern
[Aufsatze wohl] nachgeholfen werden könnte.
Von Markus Herz 537
419.
Von Markus Herz.
Verehmngswürdiger Lehrer.
Der große aUen bekannte MECKEL^) verlangt dem großen
alles kennenden KANT durch mich so wenig bekannten und so
wenig kennenden HERZ empfohlen zu sein, und ich würde mit
der Befriedigung dieses überflüssigen Verlangens großen Anstand
genommen haben, wenn sie nicht zugleich eine so erwünschte
Veranlassung wäre, meinen Namen wieder einmal in dem An-
denken meines unvergeßlichen Lehrers und Freimdes aufzufrischen,
und ihm wieder einmal zu sagen, welche Seligkeit die Erinnerung
an die ersten Jahre meiner Bildung unter seiner Leitung noch
immer über mein ganzes Wesen verbreitet und wie brennend
mein Wunsch ist, ihn in diesem Leben noch einmal an mein
Herz zu drücken! Warum bin ich nicht ein großer Geburts-
helfer, Starstecher oder Krebsheiler, der einmal über Königsberg
zu einem vornehmen Russen gerufen wird? — Ach ich habe leider
nichts in der Welt gelernt! Die wenige Geschicklichkeit, die
ich besitze, ist auf jedem Dorfe in Kamschatka zehnfach zu haben,
und darum muß ich in dem Berlin versauern und auf das Glück,
Sie, ehe einer von uns die Erde verläßt, noch zu sehen, auf
immer resignieren!
Um so stärkender ist mir dafür jede kleine Nachricht von
Ihnen aus dem Munde eines Reisenden, jeder Gruß, den ich aus
dem Briefe eines Freundes von Ihnen erhalte. Laben Sie mich
doch öfter mit diesen Erquickungen und erhalten mir noch lange
Ihre Gesundheit und Freundschaft.
Ihr ergebenster
Berlin, den 25. Dezember Markus Herz.
1797.
') Der Chirurg und Geburtshelfer Ph. Friedr. Theod. Meckel
(1756— 1803), Professor in Halle.
Kants Schriften. Bd. X. 22
358 Von Johann Gott lieb Fichte
-ij.20.
Von Johann Gottlieb Fichte.
Verehrungswürdjger Freund und Lehrer.
Meinen innigsten Dank für Ihr gütiges Schreiben, welches
meinem Herzen wohltätig war. Meine Verehrung für Sic ist zu
groß, als daß ich Ihnen irgend etwas übelnehmen könnte; und
noch dazu etwas so leicht zu Erklärendes, als Ihre verzögerte
Antwort: aber es würde mich betrübt haben, Ihre gute Meinung,
die ich mir erworben zu haben glaubte, wieder verloren zu
haben. Ich lebe im Mittelpunkte der literarischen Anekdoten-
jägerei und Klatscherei; (ich meine damit nicht sowohl unser
Jena; denn hier haben wir größtenteils ernsthaftere Beschäftigungen,
als den ganzen Umkreis, der uns umgibt) und hatte seit Jahren
mancherlei hören müssen. Ich kann mir sehr wohl denken, wie
man endlich der Spekulation satt werden müsse. Sie ist nicht
die natürliche Atmosphäre des Menschen; sie ist nicht Zweck,
sondern Mittel. Wer den Zweck, die völlige Ausbildung seines
Geistes, die vollkommne Übereinstimmung mit sich selbst, erreicht
hat, der läßt das Mittel liegen. Dies ist Ihr Zustand, verehrungs-
würdiger Greis.
Da Sie selbst sagen, daß „Sie die Subtilität der theoretischen
Spekulation, besonders was ihre neuere äußerst zugespitzte Apices
betrifft, gern andern überlassen", so bin ich desto ruhiger wegen
der mißbilligenden Urteile über mein System, welche fast jeder,
der sich zu dem zahlreichen Heere der deutschen Philosophen
rechnet, von Ihnen in den Händen zu haben vorgibt; wie denn
noch ganz neuerlich Herr BOUTERWECK, der genügsame Re-
zensent Ihrer Rechtslehre, ') und der REINHOLDschen vermischten
Schriften, in den Göttingischen Anzeigen, ein solches von Ihnen
erhalten haben will; wie ich durch den Kanal meiner Zuhörer
vernehme. — Dies ist nun so die Welt, in der ich lebe.
Es gereicht mir zum lebhaftesten Vergnügen, daß meine Dar-
^) Zu Bouterweks Rezension von Kants „Rechtslehre" (Gott. gel.
Anz. 18. Februar 1797) s. Kants eigene Bemerkungen in der zweiten
Auflage dieses Werkes (Anhang erläuternder Bemerkungen zu den
metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre).
An Johann Schultz j^p
Stellung Ihren Beifall findet. Ich glaube es nicht zu verdienen,
wenn derselbe BOUTERWECK sie für barbarisch (in den Götting-
schen Anzeigen) ausschreit. Ich schätze das Verdienst der Dar-
stellung sehr hoch, und bin mir einer großen Sorgfalt bewußt,
die ich sehr früh angewendet, um eine Fertigkeit darin zu er-
halten; und werde nie ablassen, da wo es die Sache erlaubt,
Fleiß auf sie zu wenden. Deswegen aber denke ich doch noch
gar nicht daran, der Scholastik den Abschied zu geben. Ich treibe
sie mit Lust und Leichtigkeit, und sie stärkt und erhöht meine
Kraft. Überdies habe ich ein beträchtliches Feld derselben bisher
bloß im Vorbeigehen berührt, aber noch nicht mit Vorsatz durch-
messen: das der Geschmacks- Kritik.
Mit innigster Verehrung
Ihr
ergebenster
Jena, den i. Jänner 1798. Fichte.
4z I.
An Johann Schultz.
Ew. Hochehrwürd.
nehme mir die Freiheit, in Ansehung des
hiebei zurückkommenden SCHLETTWEINschen Briefes') zu Er-
sparung Ihrer kostbaren Zeit den Rat zu geben: in Ihrer Antwort
sich ja nicht zur Korrespondenz mit ihm verbindlich zu machen;
sondern in Ansehung der Prüfung des von ihm selbst vor-
geschlagenen, aus der Kritik der reinen Vernunft ausgehobenen,
Begriffs vom Raum ihn nur aufzufordern: daß er die Sätze der
kritischen Philosophie, wie er sich dazu erboten hat, aber nicht
schriftlich, sondern sofort im Druck widerlege; damit, weim
vielleicht seine Argumente gar keine Widerlegung verdienen
sollten,*) das Publikum sie auch nicht erwarten dürfte, weil sie
eines natürlichen Todes und nicht eines durch Gegenargumente
*) welches im Intel!. Blatt der A. L. Z. mit wenig Worten angezeigt
werden könnte.
^) Siehe Kants öffentliche Erklärungen (Werke, Bd. VIII) Nr. 5.
34° ^ Christoph Wilhelm Hufeland
gewaltsamen Todes erblichen sein würden. — Denn ich habe
gegründeten Verdacht; daß SCHLETTWEIN nur darauf ausgehe,
durch Schriftstellerei etwas zu verdienen und von Ihnen erwarte,
daß Sie, wegen Ihres Anteils am Honorar, nachsichtlich sein
dürften; die Zelebrität der Sache aber eine zahlreiche Abnahme
verspreche. — Hätten Sie sich aber vorher schriftlich zur Beant-
wortung anheischig gemacht, ehe er noch sein Werk öflFentlich
herausgegeben, so würde, wenn darauf keine Beantwortung im
Drucke Ihrerseits erfolgte, es von ihm als Bekenntnis des Unver-
mögens dasselbe zu widerlegen ausgeschrien werden.
Ich bin übrigens mit der vollkommensten Hochachtung
jederzeit
Ew. Hochehrwürden
ganz ergebenster treuer Diener
Königsberg, den 9. Jan. 1798. I. Kant.
422.
An Christoph Wilhelm Hufeland.
Königsberg, den 6. Februar 1798.
Hier haben Sie, geehrtester Freund! die versprochene Ab-
handlung „Von der Macht des Gemüts" usw., welche Sie nach
Ihrem Belieben in Ihr Journal einrücken, oder auch, wenn Sie
es gut finden, [oder auch] als eine abgesonderte Schrift, mit Ihrer
Vorrede oder Anmerkungen begleitet, herausgeben können; wobei
ich zugleich allen Verdacht, als ob ich auch wohl Autorsporteln
beabsichtigte, verbitte.
Wäre etwas im großen Reichtum Ihrer medizinischen Kennt-
nisse, was mir in Ansehung meiner Kränklichkeit, die ich Ihnen
beschrieben habe, Hilfe oder Erleichterung verschaffen könnte:
so würde mir die Mitteilung desselben in einem Privatschreiben
angenehm sein; wiewohl ich offenherzig gestehen muß, daß ich
wenig davon erwarte und des Hippocrates iudicium ancepSj ex-
perimentum periculosum zu beherzigen überwiegende Ursachen zu
haben glaube, — — Es ist eine große Sünde, alt geworden zu
sein; dafür man aber auch ohne Verschonen mit dem Tode
bestraft wird.
An Johann Heinrich Tieftrunk 341
Daß dieses Ihnen nur nach einem langen und glücklichen
Leben widerfahre, wünscht
Ihr Verehrer und ergebener
treuer Diener
I. Kant.
N. S. Sobald wie möglich würde ich mir die Herausgabe
dieser Schrift erbitten imd, wenn es sein kann, einige wenige
Exemplare derselben. !• K.»
423.
An Johann Heinrich Tieftrunk.
Königsberg, den 6. Februar 1798.
Würdiger Mann
hochgeschätzter Freund!
Aus Ihrem mir sehr angenehmen Schreiben vom 2. Jan. a. c.
ersehe ich mit Vergnügen, daß Sie die Sache der Kritik, welche
zu führen Sie allerdings vermögen, auch (im Ganzen dieses Systems)
zu behaupten entschlossen sind: wobei zum Gelingen dieses Vor-
satzes es meiner Meinung nach sehr dienlich wäre: Kürze und Prä-
zision der Lehrsätze im Text, der Übersicht halber, zu beobachten,
die ausführliche Erörterung derselben aber wie zum Beispiel die
mit S. 210 zu vergleichende S. 413 in die Anmerkungen zu
werfen; wenn von der intensiven Größe (in der Beziehung
des Gegenstandes der Vorstellung auf den Sinn) in Vergleichung
mit der extensiven (in Beziehung auf das bloße Formale der
reinen sinnlichen Anschauung) die Rede ist. — doch ich be-
sorge, mit diesem meinen Anraten selbst undeuthch zu werden,
und schließe für diesmal mit der Bitte: einliegende Briefe gütigst
zu bestellen: von deren Absicht ich Ihnen nächstens Bericht ab-
statten werde. — Wobei ich mit beständiger Hochachtung und
Freundschaft jederzeit bin
Ihr
ergebenster treuer Diener
I. Kant.
54^ An jfoh. Ernst Lüdeke. — An Joh. Friedr. Vigilantius
424.
An Johann Ernst Lüdeke.
(Entwurf.)
[Februar 1798.]
Den innigsten Dank, verchrungswürdiger Freund, für Ihren
mir den 30. Dezember 1797 gewordnen, die Zeit eines frohen
nicht ganz tatleeren Lebens wiederum ins Gedächtnis rufenden
und mich durch Ihr Beispiel gleichsam verjüngenden Briet.
Was kann ich hiebei anders tun, als wünschen, daß Ihre eigene
Verdienste durch den moralischen Lebensgenuß, auf den Sie mit
Recht Anspruch machen können, Sie dafür noch lange Jahre
lohnen möge und die durch Ihren ganzen Brief herrschende
Heiterkeit nicht durch Beschwerden des Alters, wie ich sie
wenigstens mit Intervallen fühlen muß, möge getrübt werden.
Doch da das Frohsein nicht so ganz vom Körper abhängt,
daß nicht neue sich fürs Weltbeste eröffnende Aussichten wie
die, zu welchen der junge König Hoffnung gibt, jene Beschwerden
vergüten und von Zeit zu Zeit überwiegen sollten, so verliere
ich darum nicht die Hoffnung, wiederum soweit belebt zu werden,
daß ich einige meiner Arbeiten, die bisher unter dem Interdikt
waren oder der Vollendung bedürfen, wiederum vornehmen sollte.
Mit dem Wunsche eines des SPALDINGschen Glücks würdigen
Alters für Sie, werter Freund, und der Bitte, mich gelegentlich
durch Herrn Kirchen-R. BOROWSKI von literarischen Neuig-
keiten Nachrichten zu erteilen bin ich mit usw.^)
425.
An Johann Friedrich Vigilantius.
Ew: Wohlgebornen 27. Febr. 1798.
vergeben mir meine Zudringlichkeit, Sie
in so früher Morgenzeit in Ihren Geschäften zu unterbrechen:
daß ich mir die Beantwortung einiger Fragen ergebenst er-
bitte, die mich zur Vollendung meines morgen zu vollendenden
^) Über Lüdeke s. Bd IX, S. 193; er hatte in einem Briefe an
Kant von der Rüstigkeit und geistigen Frische des 84iährigen Spalding
(s. Bd. IX, S. 54) berichtet.
An Johann Heinrich Tief tr unk 343
Zwecks") (da ich im gerichtlichen Fache ein Kind bin) leiten
können.
1. Wie wird die Aufschrift auf dem Kuvert meines ver-
siegelten Testaments gemacht? — Kann sie etwa so lauten:
Mein letzter Wille, niedergelegt beim Akademischen Senat.
Königsberg, den 28. Febr. 1798? I. Kant.
2. Muß ich, wenn ich an den Rector Magn: deshalb
schreibe, ihn ersuchen, dieser Absicht wegen den Senat zu-
sammen zu berufen, oder nur nach der Zeit, wann ich vor
demselben erscheinen soll, fragen, weil der Konseß desselben
an Mittwochen gewöhnlich ist?
3. Soll ich mein älteres nun zu kassierendes Testament
vor oder nach der Übergabe des neuen von Herren Tribu-
nalsrat BUCHHOLTZ, mit Beilegung des Rekognitionsscheins
des ersteren, zurückfordern — oder kann ich, nachdem ich
wegen meiner morgenden Erscheinung vor dem Senat be-
nachrichtigt bin, den Gesuch um eine Deputation des Stadt-
gerichts bei Herren Tribunalsrat BUCHHOLTZ schon heute
vormittag tun (auf) einen Stempelbogen ä 6 Ggl.? — Und
um welche Zeit kann ich dieses am schicklichsten verrichten?
Vergeben Sie mir diese Unterbrechung Ihrer Geschäfte und
lassen Sie mich hoffen, daß ich übermorgen die Ehre haben
könne, zu Mittage von der Ausrichtung dieses Geschäfts Ew;
Wohlgeb. Bericht abzustatten.
I Kant
d. 27. Februar 1798
426.
An Johann Heinrich Tieftrunk.
Ihren Brief, wertester Freund! habe mit Vergnügen gelesen:
vornehmlich, daß ich Sie so entschlossen finde, die Sache der
Kritik in ihrer Lauterkeit zu erhalten, sie aufzuhellen und mann-
haft zu verfechten, welches, wie der Erfolg es zeigen wird, Sie
niemals zu bereuen Ursach haben sollen. — Eine Vorrede zu
meinen kleinen Schriften, welche nicht bloß meine Genehmigung
^) Am 28. Februar 1798 hat Kant vor dem versammelten akademi-
schen Senat sein Testament niedergelegt.
344 ^w Johann Heinrich Tieftrunk
ihrer Herausgabe, sondern auch die etwanige von Ihnen gemachte
Anmerkungen beträfe, würde ich gern hinzufügen, wenn es
tunUch wäre, daß Sie mir das Werk vor Abfassung, oder viel-
mehr Publikation der erstereren, zuschickten, um der RENGER-
schen Buchhandlung auch hiermit zu Gefallen zu sein.*) — Jetzt
noch ein Anliegen meinerseits.
Ich hatte vor einigen Jahren ein Werk vor unter dem Titel:
„Der Streit der Fakultäten von I. Kant", aber sie fiel unter
HERMES' und HILLMERs Zensur durch und mußte liegen bleiben.
— Nun ist ihr zwar jetzt der Ausflug offen; allein es hat sich
ein anderer Mißfall im Gebären meines Genius zugetragen, daß
nämlich eine neuere Schrift unter dem Titel „Erneuerte Frage,
ob das menschliche Geschlecht im beständigen Fortschreiten zum
Bessern sei", von mir dem Bibliothekar BIESTER für seine Berl.
Blätter zugeschickt, ich weiß nicht wie, dem Stadtpräsidenten
EISENBERG zur Zensur eingereicht wurde und zwar den 2 3 . Ok-
tober 1797, also noch bei Lebzeiten des vorigen Königs, und
ihm das Imprimatur abgeschlagen wurde; ein Vorfall, von dem
mir es unbegreiflich bleibt, wie es möglich war, daß ihn mir
Herr BIESTER allererst den 28. Febr. 1798 meldete. — Da nun
jedermann bekannt ist, wie sorgfältig ich mich mit meiner Schrift-
stellerei in den Schranken der Gesetze halte: ich aber auch nicht
mühsame Arbeit um nichts und wieder nichts weggeworfen haben
mag, so habe ich, nach geschehener Erkundigung bei einem
rechtskundigen Manne, beschlossen, dieses Stück, samt der auf
denselben gezeichneten EISENBERGschen Zensurverweigerung,
durch meinen Verleger NICOLOVIUS nach Halle zu schicken
und durch Ihre gütige Mühwaltung daselbst die Zensur zu suchen;
welche, wie ich festiglich glaube, mir dort nicht fehlschlagen
wird, und werde es so einzuleiten suchen, daß beide Stücke, als
zu einem Ganzen gehörend, ein Buch ausmachen sollen; wo Sie
dann, wenn es Ihnen beliebt, das letztere auch abgesondert in
der Sammlung meiner kleinen Schriften mit hinein tragen können.
Was halten Sie von Herrn FICHTE allgemeine Wissenschafts-
lehre? einem Buche, welches er mir vorlängst zugeschickt hat,
dessen Durchlesung ich aber, weil ich es weitläuftig und meine
^) Imm. Kants vermischte Schriften. Ächte und vollständige Aus-
gabe. Halle, in der Rengerschen Buchhandlung, I799. herausgegeben
von Tieftrunk.
An Friedrich Nicolovius 345
Arbeit zu sehr unterbrechend fand, zur Seite legte und jetzt nur
aus der Rezension in der A. L. Z. kenne? Für jetzt habe ich
nicht die Muße, es zur Hand zu nehmen; aber die Rezension
für FICHTE (welche mit vieler Vorliebe des Rezensenten ab-
gefaßt ist) sieht mir wie eine Art von Gespenst aus, was, wenn
man es gehascht zu haben glaubt, man keinen Gegenstand, son-
dern immer nur sich selbst und zwar hievon auch nur die Hand,
die darnach hascht, vor sich findet. — Das bloße Selbstbewußt-
sein, und zwar nur der Gedankenform nach, ohne Stoff, folglich
ohne daß die Reflexion darüber etwas vor sich hat, worauf es
angewandt werden könne und selbst über die Logik hinausgeht,
macht einen wunderlichen Eindruck auf den Leser. Schon der
Titel (Wissenschaftslehre) erregt, weil jede systematisch geführte
Lehre Wissenschaft ist, wenig Erwartung für den Gewinn, weil
sie eine Wissenschaftswissenschaft und so ins unendliche
andeuten würde. — Ihr Urteil darüber, und auch welche Wirkung
es auf andere Ihres Orts hat, möchte ich doch gern vernehmen.
Leben Sie wohl, wertester Freund.
I. Kant.
den 5. April 1798
Mit der fahrenden Post.
4^7- . ^
An Friedrich Nicolovius.
Ew; Hochedelgeb.
erwidere ich auf Ihren Brief vom 2. Mai
1798, daß ich dem Herrn Prof. HUFELAND, bei Übersendung
des philosophisch-medizinischen Stücks für sein Journal, wirklich
die Freiheit gegeben habe, es in dieses einzurücken, oder auch
nach Belieben abgesondert herauszugeben; weil ich damals noch
nicht den Plan in Gedanken hatte, das Buch „Der Streit der
Fakultäten" in drei Abteilungen, nämlich der philosophischen
mit der theologischen, der Juristen- und der medizinischen Fakultät
auszufertigen und so in einem System darzustellen; wie ich es
auch mit Ihnen vor Ihrer Abreise verabredet habe.") — Zugleich
*) Vgl, oben Brief No. 340.
34^ An Friedrich Nicolovius
bitte ich dem Herrn Prof: HUFELAND eben dasselbe zu melden
und mich, wegen der Einrückung des ihm eigentlich gewidmeten
Stücks in jenes Werk, aus der angeführten Ursache zu ent-
schuldigen.
Noch habe ich, was die zweite Auflage der metaph. Anf.
Gr. der Rechtslehre betrifft, anzumerken: daß zweierlei Titel
dazu gemacht werden müßten: der eine, welcher nur das Wort
„Zweite Auflage" hinzufügte, der andere aber, welcher so lautete:
„Erräuternde Anmerkungen zu den metaph. Anfangsgründen d.
Rechtslehre von I. Kant": damit die, welche das erstere Buch
schon besitzen, nur das zweite zu kaufen nötig haben.
Sie schreiben mir, daß Ihnen noch der Titel des ganzen
Werks: Der Streit der Fakultäten mangle. Meines Wissens
habe ich ihn schon gegeben. Er heißt
Der Streit
der Fakultäten
in
drei Abschnitten
von
Immanuel Kant.
Alsdann kommen die Titelblätter für jeden dieser drei Ab-
schnitte, zum Beispiel: „Erster Abschnitt: Der Streit der philo-
sophischen Fakultät mit der theologischen; zweitens: Der
Streit der philos. mit der Jurist. Fak:" usw.
Noch bitte ich, den Setzer und den Korrektor dahin anzu-
weisen, daß, da ich wohl hin und wieder das c mit dem k ab-
gewechselt haben mccht, zum Beispiel practisch mit praktisch,
er hierin eine Gleichförmigkeit beobachten möchte und sich nach
der Schreibart richten möge, die er auf den ersteren Blättern an-
treffen wird; imgleichen, daß ich die Druckfehler frühzeitig zu-
geschickt erhalte.
Gegen Ende dieses Buchs werden Sie über einem Abschnitt
den Titel finden: „Kasuistische Fragen", den Sie so abzuändern
bitte; „Biblisch-historische Fragen."
Ich bin Ihr ergebener
Freund und Diener L Kant.
Königsberg, den 9. Mai 1798.
An Georg Christoph Lichtenberg 347
428.
An Georg Christoph Lichtenberg.
Der Ihnen, verehrungswürdiger Mann! Gegenwärtiges zu über-
reichen die Ehre hat, Herr v. FARENHEID, Sohn eines noch
lebenden Vaters von großen Glücksumständen und für sich selbst
von sehr guten Anlagen, in Talent sowohl als Denkungsart,
verlangt von mir, zu seiner Bildung auf Ihrer Universität, in
Begleitung des Kandidaten LEHMAN, meines ehemaligen Auditors,
an einen Lehrer empfohlen zu werden, der teils ihn in dem,
was zu seinem Hauptstudium erforderlich ist, nämlich dem Kame-
ralfach, in allem, was dazu direkt und indirekt gehört (zum
Beispiel Mathematik, Naturwissenschaft, Mechanik, Chemie usw.)
Anleitung gebe, teils ihm auch die geschickte Männer anweise,
durch die er in dieser Wissenschaft und Kunst gründlichen Unter-
richt erlangen könne.
Wer aber könnte dieses wohl sonst sein, als der verdienst-
volle, mir besonders wohlwollende, öffentlich mich mit seinem
Beifall beehrende und durch Beschenkung mit seinen belehrenden
sowohl als ergötzenden Schriften zur Dankbarkeit und Hoch-
achtung verpflichtende Herr Hofrat LICHTENBERG in Göttingen?
— Herr LEHMAN, der schon seit einiger Zeit vom theologi-
schen Fache zum juristischen übergegangen ist, wird bei dieser
Apostasie zugleich für sich gewinnen; öffentlich, in den Kollegien,
die er mit besuchen wird, und häuslich, als Repetent, indem er
dazu auch alle nötige Vorübungsmittel und allen Fleiß besitzt,
sie in Wirkung zu setzen.
Für mich erwarte ich durch dieses Verhältnis von Zeit zu
Zeit erfreuhche und belehrende Nachrichten von Ihrem Wohl-
befinden und wissenschaftlichem Fortschreiten zu erhalten; als
von welchen, vornehmlich dem letztern, ich in meinem fünfund-
siebzigsten Lebensjahr, obgleich bei noch nicht völlig eingetretener
Hinfälligkeit, mir nur wenig versprechen kann; weshalb ich auch
geeilet habe, mit dieser Michaehsmesse noch einige Reste hin-
zugeben; indessen das, was ich nun unter der Feder habe, ob es
völlig zustande kommen werde, mich in Zweifel läßt.
Mit der größten Hochachtung, Zuneigung und Ergebenheit
bin ich jederzeit
Königsberg, der Ihrige
den I. Juh 1798. L Kant
34^ An Carl Friedr. Sfäudlin. — An Friedr. Ludia, Hagen
429.
An Carl Friedrieb Stäudlin.
Hochgeschätzter Freund!
Mein vor einigen Jahren Ihnen gegebenes Wort: den Streit
der Fakultäten zum Behuf Ihres theologischen Journals aufzu-
sparen, wird mit der diesjährigen Michäelismesse in Erfüllung
gehen; aber, veränderter Umstände wegen, freilich nicht buch-
stäblich in Ihrem Magazin, was jetzt nicht tunlich ist, weil es
mit fremdartigen Materien verbunden jetzt ans Licht treten muß,
sondern vermittelst einer Ihnen gewidmeten Zueignungsschrift
vor der Vorrede. — Ich werde besorgen: daß Ihnen dies Buch,
sobald der Druck fertig ist, zu Händen komme. Übrigens läßt
sich in diesem, vielleicht schon erschöpften, Fache von mir in
meinem fünfundsiebzigjährigen Alter schwerlich noch etwas mehr
erwarten.
Herren D. und Prof. AMMON bitte gelegentlich für seine
mir zugeschickte Abhandlung meinen größten Dank abzustatten,
übrigens aber mir Ihre Gewogenheit und Zuneigung zu erhalten
und versichert zu sein: daß ich., mit der vollkommensten Hoch-
achtung für solche wackere aufgeklärte Männer jederzeit bin
Ihr
Königsberg, ergebenster treuer Freund
den I. Juli I. Kant.
1798.
430.
An Friedrich Ludwig Hagen.
Mit Zustellung der mir gütigst erteilten Notiz, zugleich auch
der Behutsamkeit davon nichts vor der Zeit emanieren zu lassen,
sage ich Ew: Wohlgebornen für Ihre Gütigkeit den ergebensten
Dank; bitte meinem verehrungswlirdigen Herren Kollegen, meine
Mitfreude, den gegenwärtigen Zustand nicht geändert zu sehen,
gütigst wissen zu lassen und bin mit dem herzlichsten Anteil an
dem, was das ganze HAGENSCHE Haus angeht, und mit der
vollkommensten Hochachtung
Ew: Wohlgeborn
ganz ergebenster treuer Diener
I Kant
d. 5. Aug. 1798.
Von Christian Garve 349
431.
Von Christian Garve.
[Mitte September 1798.]
Teuerster Freund,
Ich habe alles, was sich auf die Schrift, welche ich Ihnen
widme, und mit diesem Briefe überschicke, bezieht, und das, was
meine Gesinnungen gegen Sie betrifft, in der Zueignungsschrift
selbst so vollständig gesagt, daß ich hier nichts hinzuzusetzen habe.*)
Ich werde Sie immer als einen unserer größten Denker, und
der mich selbst, zur Zeit als ich nur noch Lehrhng und Anfänger
war, als Meister der Kunst zu denken, darin übte, hochachten.
Ich bin von der andern Seite überzeugt, daß Sie auch von mir,
so weit man einen Mann bloß aus seinen Schriften kennen lernen
kann, nicht ungünstig urteilen, und selbst eine Neigung zur
Freundschaft gegen mich fühlen.
Diese verborgne und stillschweigende Verbindung, welche
schon lange unter uns vorhanden ist, gegen das Ende unsers
Lebens noch fester zu knüpfen: dazu ist diese Zueignung be-
stimmt. Kann ich auch davon keinen großen oder langen Genuß
mehr hoffen; so wird doch auch dies mich freuen, wenn ich es
noch erlebe, Ihr Urteil über diese kleine Schrift, welche die
Resultate vieler meiner Meditationen zusammengedrängt enthält,
erfahre, und wenn ich zugleich von Ihren freundschaftlichen Ge-
sinnungen versichert werde.
Ich wünschte zwar auch, Ihr Urteil über die neuesten Fort-
schritte, welche einige Ihrer Schüler, besonders FICHTE, glauben,
in der Philosophie, seit der Erscheinung der Kritik gemacht zu
haben, zu wissen. Aber Sie können billige Ursachen haben, warum
Sie weder öffentlich noch in Privatbriefen ein entscheidendes
Urteil darüber fällen wollen. Ich selbst bin nur sehr oberflächlich
davon unterrichtet. Ich habe die Schwierigkeiten der Kritik über-
wunden; und ich bin im Ganzen dafür belohnt worden. Aber
ich habe nicht das Herz noch die Kraft, mich den noch weit
größern Schwierigkeiten zu unterziehen, welche mir die Lektüre
der Wissenschaftslehre machen würde. Jetzt macht meine täglich
') Garve, Übersicht der vornehmsten Prinzipien der Sittenlehre,
Breslau 1798-
3 50 Von Christian Garve
wachsende Krankheit mir solche überfeine Spekulationen ohnedies
unmöglich. Ich würde Ihnen hier meinen Zustand schildern, der
gewissermaßen ebenso merkwürdig und sonderbar als kläglich ist:
aber eine genaue Beschreibung desselben würde ein weitläufiges
Werk sein, wozu es mir an Kräften gebricht; und ohne Ge-
nauigkeit, wozu kann eine solche Schilderung dienen? Ein äußerer
Schaden, der vor ungefähr dreizehn Jahren, sehr unschuldig
scheinend, am rechten Nasenflügel, nicht weit vom Augenwinkel
entstand, — der eigenthch nicht Krebs nach allen Symptomen,
aber darin vollkommen krebsartig ist, daß er sich nicht bloß
nach der Oberfläche, sondern im kubischen Verhältnisse erweitert,
und eben so tief aushöhlt als weit er sich ausbreitet, und der
endlich allen Heilmitteln widerstand, zu welchen freilich der
Nachbarschaft des Auges wegen keine ätzenden Mittel, vielleicht
die wirksamsten in solchen Fällen, gebraucht werden konnten: —
dieser Schaden hat nunmehr das ganze rechte Auge und einen
Teil der rechten Wange verzehrt, hat eine ebenso große Höhle
in den Kopf gebohrt und Zerstörungen einer seltnen Art an-
gerichtet. Es scheint unmöglich, daß ein Mensch dabei leben
könne; es scheint noch unmöglicher, daß er dabei denken, und
selbst mit einem gewissen Scharfsinn und einer Exaltation des
Gemütes denken könne: und doch ist beides wahr. Dieser
unwahrscheinliche aber glückliche Umstand hat mir, der ich von
Schwäche und Schmerz wechselsweise geplagt und von der mensch-
lichen Gesellschaft entfernt bin, die vorzüglichste Erleichterung
und den Trost meines Lebens verschafft. Nie habe ich die Schön-
heit eines Verses, die Bündigkeit eines Räsonnements und die
Annehmlichkeit einer Erzählung deutlicher wahrgenommen und
mit mehr Vergnügen empfunden.
Aber wie klein bleibt bei allem diesen der Ersatz für die
Leiden, welche ich von Zeit zu Zeit auszustehen habe! und wie
lange werde ich diesen Kampf noch kämpfen müssen!
Sie haben von der Macht des Gemüts über den Schmerz und
selbst über Krankheiten in Ihrem Briefe an Hufeland, geredet.
Ich bin vollkommen darüber mit Ihnen einig, und weiß es aus
eigner Erfahrung, daß das Denken eine Heilkraft habe. Aber
dieses Mittel läßt sich nicht bei allen auf gleiche Weise anwenden.
Einige, zu welchen auch Sie gehören, helfen ihrem Übel dadurch
ab, daß sie ihre Aufmerksamkeit davon abwenden. Ich habe den
meinigen, z. B. Zahnschmerzen, dadurch am besten abhelten körmen.
An Christian Garve 351
indem ich meine Aufmerksamkeit darauf konzentriert, und an
nichts als an meinen Schmerz gedacht habe. Aber solche äußere
Übel, wie das, an welchem ich jetzt leide, sind der Macht des
Gemüts am wenigsten unterworfen; und w^ie es scheint ganz
mechanisch und körperlich. Doch sie sind der Macht der Vor-
sehung und des Weltregierers unterworfen. Dieser erhalte Ihnen
die Gesundheit und die Kräfte, deren Sie bisher in einem hohen
Alter genossen haben. Er bringe mich mit erträglichen Schmerzen
zum Ziele meines Lebens; da eine frühere Befreiung von den-
selben unmöglich ist.*) Ich bin mit dem aufrichtigsten Herzen
Ihr
ergebener Freund
C Garve
452.
An Christian Garve.
Königsberg d. 21. Sept. 1798.
Ich eile, teuerster Freund! den mir d. 19. Septembr. ge-
wordenen Empfang Ihres liebevollen und seelenstärkenden Buchs
und Briefes (bei deren letzterem ich das Datum vermisse) zu
melden. — Die erschütternde Beschreibung Ihrer körperlichen
Leiden, mit der Geisteskraft, über sie sich wegzusetzen und fürs
Weltbeste noch immer mit Heiterkeit zu arbeiten, verbunden,
erregen in mir die größte Bewunderung. — Ich weiß aber nicht,
ob, bei einer gleichen Bestrebung meinerseits, das Los, was mir
gefallen ist, von Ihnen nicht noch schmerzhafter empfunden werden
möchte, wenn Sie sich darin in Gedanken versetzten; nämlich
für Geistesarbeiten, bei sonst ziemlichen körperhchen Wohlsein,
wde gelähmt zu sein: den völligen Abschluß meiner Rechnung, in
Sachen welche das Ganze der Philosophie (sowohl Zweck als
Mittel anlangend) betreffen, vor sich Hegen und es noch immer
nicht vollendet zu sehen; obwohl ich mir der Tunlichkeit dieser
Aufgabe bewußt bin: ein Tantalischer Schmerz, der indessen doch
nicht hoffnungslos ist. — Die Aufgabe, mit der ich mich jetzt
beschäftige, betrifft den „Übergang von den metaphys. Anf. Gr.
d. N. W. zur Physik".^) Sie will aufgelöset sein; weil sonst im
^) Garve ist wenige Wochen nach diesem Brief am i. Dezember
1798 gestorben.
*) Über Kants Arbeit an diesem Werk seiner letzten Jahre vgl. z. B. die
Nachrichtenbei Wasianski, Kant in seinen letzten Lebensjahren, S. i94f.
3 5^ An Christian Garve
System der krit. Philos. eine Lücke sein würde. Die Ansprüche
der Vernunft darauf lassen nicht nach: das Bewußtsein des Ver-
mögens dazu gleichfalls nicht; aber die Befriedigung derselben wird,
wenn gleich nicht durch völlige Lähmung der Lebenskraft, doch
durch immer sich einstellende Hemmungen derselben bis zur
höchsten Ungeduld aufgeschoben.
Mein Gesundsein, wie es Ihnen andere berichtet haben, ist
also nicht die des Studierenden, sondern Vegetierenden (Essen,
Gehen und schlafen können); und mit dieser reichte, in meinem
75. Jahre, für Ihre gütige Aufforderung, daß ich meine dermalige
Einsichten in der Philosophie mit denen, zu welchen Sie binnen
der Zeit, da wir miteinander freundschaftlich kontro vertierten,
vergleichen möchte, mein sogenanntes Gesundsein nicht zu; wenn
es sich nicht damit etwas bessert: als wozu ich, da meine jetzige
Desorganisation vor etwa anderthalb Jahren mit einem Katarrh
anhob, nicht alle Hoffnung aufgegeben habe.
Ich gestehe: daß, wenn dieser Fall eintritt, es eine meiner
angenehmsten Beschäftigungen sein wird, diese Vereinigung, ich
will nicht sagen unserer Gesinnungen, (denn die halte ich für
einhellig) sondern der Darstellungsart, darin wir uns vielleicht
einander nur mißverstehen mögen — zu versuchen; wozu ich
denn in langsamer Durch lesung Ihres Buchs, bereits den Anfang
gemacht habe.
Beim flüchtigen Durchblättern desselben bin ich auf die Note
S. 339 gestoßen: in Ansehung deren ich protestieren muß. —
Nicht die Untersuchung vom Dasein Gottes, der Unsterblichkeit usw.
ist der Punkt gewesen, von dem ich ausgegangen bin, sondern die
Antinomie der r. V.: „Die Welt hat einen Anfang — : sie hat
keinen Anfang usw. bis zur vierten: Es ist Freiheit im Menschen,
— gegen den: es ist keine Freiheit, sondern alles ist in ihm
Naturnotv/endigkeit;" diese war es, welche mich aus dem dog-
matischen Schlummer zuerst aufweckte und zur Kritik der Ver-
nunft selbst hintrieb, um das Skandal des scheinbaren Wider-
spruchs der Vernunft mit ihr selbst zu heben.
Mit der vollkommensten Zuneigung und Hochachtung bin ich
jederzeit
Ihr
ergebenster treuer Diener
I Kant
An Johann Gottfried Kiesewetter 353
433-
An Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Sie geben mir, wertester Freund! von Zeit zu Zeit, durch
Ihre gründhche Schriften, hinreichenden Anlaß zur angenehmen
Erinnerung unserer unwandelbaren Freundschaft. Erlauben Sie mir
jetzt auch jene periodische Erinnerung, wegen der Teltower Rüben,
in Anregung zu bringen, womit ich für den Winter durch Ihre
Güte versorgt zu werden wünsche; ohne Sie doch dabei in
Unkosten setzen zu wollen als welche ich gerne übernehmen
würde.
Mein Gesundheitszustand ist der eines alten, nicht kranken,
aber doch invaliden; vornehmlich für eigentHche und öffentliche
Amtspflichten ausgedienten Mannes, der dennoch ein kleines Maß
von Kräften in sich fühlt, um eine Arbeit, die er unter Händen
hat, noch zustande zu bringen; womit er das kritische Geschäfte
zu beschließen und eine noch übrige Lücke -auszufüllen denkt;
nämlich „den Übergang von den metaph. A. Gr. der N. W.
zur Physik", als einen eigenen Teil der philosophia naturahs, der
im System nicht mangeln darf, auszuarbeiten.
Ihrerseits sind Sie bisher, was Ihnen nicht gereuen wird, der
krit. Phil, standhaft treu geblieben: indessen daß andere, die sich
gleichfalls derselben gewidmet hatten, durch zum Teil lächerliche
Neuerungssucht zur Originalität, nämlich, wie Hudibras, aus Sand
einen Strick drehen zu wollen') um sich her Staub erregen, der
sich doch in kurzem legen muß.
So höre ich eben jetzt durch eine (doch noch nicht hin-
reichend verbürgte) Nachricht: daß REINHOLD, der FICHTEN
seine Grundsätze abtrat, neuerdings wiederum anderes Sinnes ge-
worden und rekonvertiert habe. Ich werde diesem Spiel ruhig
zusehen und überlasse es der jüngeren und kraftvollen Welt, die
sich dergleichen ephemerische Erzeugnisse nicht irren läßt, ihren
Wert zu bestimmen.
Wollten Sie mich bei dieser Gelegenheit mit Notizen Ihres
') Vgl. Butlers Hudibras, frei übersetzt von Dietr. Wilh. Soltau
Königsberg 1798, Buch I, Ges. i, S. 159 f.
Kants Schriften. Bd. X. 23
3 54 ^w ^- ^^^«^2; und J. Chr. Kraus, — Von y. G. Kiesewetter
Orts, vornehmlich aus dem literarischen Fach, regalieren: so würde
es mir sehr angenehm sein: — wobei ich mit der vollkommensten
Freundschaft, Hochachtung und Ergebenheit jederzeit bin
Der Ihrige
Königsberg, I Kant
d. 19. Okt.
1798.
434-
An Johann Schultz und Christian Jacob Kraus.
(Entwurf.)
Nach d. Z5. Okt. 1798.
Aus inliegendem Briefe, welchen ich mir womöglich noch
heute oder morgen früh zurück erbitte, werden Ew. Hochehrwürd.
und Ew. Wohlgeb. das Ansuchen des Herrn GRUSE in Riga er-
sehen und Ihr Urteil über die Kapazität dieses Mannes zu einer
Professur in Rußland empfohlen zu werden in diesem Billet ab-
zugeben belieben; worauf ich mich, da ich meinerseits darüber
keine Kundschaft habe, sondern ihn nur als einen wackeren imd
ehrliebenden Mann kenne, fußen und ihn in meinem morgen
früh abzufassenden Briefe, wenn Ihre Beistimmung dahin ausfällt,
dazu empfehlen würde
I K
435-
Von Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Innigstgeliebter Freund und Lehrer,
Seien Sie nur nicht böse, daß ich erst jetzt Ihren lieben Brief
beantworte, ich wollte Ihnen nicht eher schreiben bis ich Ihnen
den Abgang der Rüben melden könnte und da diese fortgeschickt
waren, fanden sich eine Menge Hindernisse, die mich bis jetzt
vom Schreiben abhielten. Das Fäßchen mit Rüben müssen Sie
bald nach Empfang dieses Briefes erhalten, der Fuhrmann, der es
Ihnen bringt, heißt Wcgener, das Fäßchen ist gezeichnet: H. P. K.
in Königsberg in Preußen, Fracht, Accise und Zoll ist alles schon
l^n Johann Gottfried Kiesewetter 355
errichtet, so daß Sie es durch Lampe ohne alle weitere Umstände
können abholen lassen. Sie glauben nicht, wie herzlich ich mich
freue, wenn ich eine Gelegenheit erhalte Ihnen irgend worin
dienen zu können; ich wünsche nur recht sehr, daß die Rüben
Ihren Beifall erhalten möchten; es sind cingeborne Teltower und
die ich zur Probe kochen ließ, haben mir gefallen. Ihre Köchin
muß sie an einem trockenen Ort in Häcksel aufbewahren, und
wenn sie sie kocht, mit lauem, nicht mit kaltem Wasser ab-
waschen, u. sogleich in die heiße Fleischbrühe oder das heiße
Wasser kochen. Setzen Sie kein Mißtrauen in den Rat, er kömmt
nicht von mir, sondern von meiner Mutter, die eine gute alte
Hausfrau ist. —
Ihr Streit der Fakultäten und Ihre Anthropologie haben mir
unendlich viel Freude gemacht, die letztere vergegenwärtigt mir
oft die glückliche Zeit, da ich Ihres mündlichen Unterrichts ge-
noß; eine Zeit, die mir ewig unvergeßlich sein wird. Könnte ich
Sie doch noch einmal sehen und Ihnen persönlich danken. Sie
sind der Schöpfer meines Glücks, was ich etwa weiß und was
ich bin, verdanke ich größtenteils Ihnen, und der Gedanke, daß
ich kein unwürdiger Schüler von Ihnen bin, macht mich froh. —
O mein teurer Freund, wie unendlich viel Gutes haben Sie durch
Ihre Schriften gestiftet, welch eine reiche Ernte kann die Welt
von dem Samen erwarten, den Sie ausgestreut haben.
Was Ihr System in England für Fortschritte macht, werden
Sie wahrscheinlich durch Herrn NITSCH erfahren haben; ich
habe neuerdings Nachrichten aus Frankreich über diesen Gegen-
stand erhalten, die ich Ihnen mitteilen will. Ihre Schrft, zum
ewigen Frieden, erregte wegen des Gegenstandes durch die in
Königsberg veranstaltete Übersetzung') Aufsehen in Paris, allein
man fand die Übersetzung hart und sie wollte dem eklen Pariser
nicht gefallen, nur da erst, als ein Pariser Gelehrter, dessen Name
mir entfallen ist, in einer Zeitschrift den Inhalt nach französischer
Manier aufstellte, woraus nachher im Moniteur Auszüge geliefert
wurden, ward jedermann enthusiastisch eingenommen u. wünschte
mit Ihrem System näher bekannt zu werden. Dieser Wunsch
ward vorzüglich bei mehreren Mitgliedern des institut national
^) Projet de paix perperuelle. Essai philosophique par Emmanuel
Kant. Traduit de TAIlemand avec un nouveau Supplement de l'auteur.
Königsberg 1796.
^3*
3 5<^ ^w jfohann Gottfried Kiesewetter
rege, u. man trug vor einiger Zeit dem Herrn VON HUMBOLDT
dem altern auf, über die Resultate Ihres Systems im institut eine
Vorlesung zu halten. Dieser unterzog sich auch dieser Sache, ob er
gleich nicht das gehörige Zeug dazu hat und zeigte, der Nutzen
der kritischen Philosophie sei negativ, sie halte die Vernunft ab,
im Felde des Übersinnlichen Luflschlösser zu bauen. Die Pariser
Gelehrten antworteten, daß sie nicht in Abrede sein wollten, daß
Sie auf eine neue und scharfsinnigere Art die W^ahrheit dieses
Resultats bewiesen hätten, daß aber dadurch so viel eben nicht
gewonnen sei, weil dies Resultat auch schon sonst bekannt ge-
wesen, sie fragten, ob Sie denn bloß eingerissen und nichts auf-
gebaut hätten, und denken Sie sich, Herr VON HUMBOLDT
kannte bloß den Schutt der durch die Kritik eingestürzten Systeme.
Si tacuisset, philosophus mansisset. Der Gesandte der Hansestädte,
Hamburg, Bremen, Lübeck u. Frankfurt in Paris, wohnte dieser
Vorlesung bei, und da er mit den kritischen Schriften nicht
unbekannt ist, nahm er an dieser Vorlesung großes Ärgernis, er
bestritt HUMBOLDTS Behauptung, war aber nicht imstande Ihr
System selbst aufzustellen. Dieser Gesandte kam vor einigen
Wochen nach Berlin, suchte meine Bekanntschaft, erzählte mir
den Vorfall und nützte die Zeit seines Aufenthalts allhier, um mit
dem Geiste und den Resultaten Ihres Lehrgebäudes näher bekannt
zu werden. Er war entzückt über das was er hörte und wünschte
nun nichts sehnlicher, als die Pariser Gelehrten von ihrem Irrtum
zurückzuführen; ich habe ihm versprochen, dazu mitzuwirken.
Dies wird nun, wie ich glaube, am besten auf folgende Weise
geschehen. Ich will zuvörderst die Resultate Ihrer philosophischen
Untersuchungen kurz zusammengedrängt, leicht und faßlich auf-
stellen, doch so, daß ich mich auf die Beweise nicht weiter ein-
lasse. Das Ganze darf nicht über 6 bis 8 Bogen einnehmen.
Mit Aufstellung des formalen Moralprinzips u. mit einem kurzen
Abriß der Ethik u. des Naturrechts will ich den Anfang machen,
durch die Antinomie über Freiheit u Naturnotwendigkeit will ich
den Übergang zur Kritik der reinen Vernunft machen, auf diese
den Abriß der metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft
folgen lassen, u. so dann mit den Prinzipien der Kritik der
Urteilskraft schließen. Bin ich mit diesem Aufsatze zufrieden, so
will ich sodann dieselben Ideen französisch niederschreiben, und
die Schrift mit einem meiner besten Schüler, der das Französische
vollkommen inne hat, durchgehen, um Sprachfehler u. Germanismen
Von Johann Gottfried Kiesewetter 357
auszumerzen. Beide, den deutschen und französischen Aufsatz, will
ich an meinen Freund nach Paris schicken, er soll den letztern
mehreren Gelehrten, die gar nicht wissen müssen, daß er eine
Übersetzung ist, vorlesen, damit diese alles was hart und eckicht ist,
wegschleifen, u. sodann mag er ins Publikum gehen. Ich wünsche,
mein teurer Freund, daß dieser Plan von Ihnen genehmigt werde,
geschieht dies, so will ich mich getrost an die Arbeit machen. —
Es gäbe freilich einen kürzern Weg zum Ziel, ein Mann, der sich
jetzt bei uns in Berlin findet, würde gern die Hände dazu bieten,
allein die Regierung hat hier eine für mich wenigstens unüber-
steigliche Barriere gezogen. Ich denke Sie werden mich ver-
stehen.
Meine übrigen schriftstellerischen Arbeiten sind ein Lehrbuch
der reinen Mathematik und die Besorgung der dritten Auflage
meiner Schrift über den ersten Grundsatz der Moralphilosophic,
welche ich völlig umzuarbeiten und mit einem dritten Teil zu
vermehren gedenke. Was das Lehrbuch der reinen Mathematik
betriflFt, so werde ich eine ganz neue Methode befolgen; ich will
nämlich in demselben nicht die Auflösungen und Beweise, wie dies
immer geschieht, selbst aufstellen, sondern nur Anleitung geben,
wie man dieselben finden kann, diejenigen Fälle ausgenommen,
wo die Auffindung mit zu viel Schwierigkeiten verknüpft wäre.
Ich glaube, daß ein mathematisches Lehrbuch in dieser Form
dem Lehrer und Zuhörer angenehm sein wird. — ■ Bei Bearbeitung
dieses Werks aber stoße ich auf eine Schwierigkeit, über die ich
mir Ihren gütigen Rat erbitte. Es scheint mir, als wenn man
bisher einen Teil der reinen Mathesis mit Unrecht zur an-
gewandten gezählt habe, dies ist nämlich die reine Größenlehrc
der Bewegung. Die reine Mathesis zerfällt meines Erachtens in
zwei Hauptteile, der erste beschäftigt sich mit der Quantität
überhaupt, Arithmetik, sie hat bloß symbolische Konstruktion,
der zweite auf Quanta; reine Quanta gibt es zwei, Raum und
Zeit, der erste ist Gegenstand der Geometrie; die zweite ist an
sich nicht zu konstruieren, sondern nur durch Bewegung im
Raum, die reine Größenlehre der Bewegung würde also den
dritten Teil der reinen Mathesis ausmachen. — Auch wünschte
ich, mein hochgeschätzter Freund, eine Definition von Postulat
zu haben, wodurch dieser BegriflF sowohl für die Mathematik
als Philosophie hinreichend bestimmt, und sein Unterschied von
Grundsatz angegeben würde. — Verzeihen Sie meine Zudring-
358 Von Georg Christoph Lichtenberg
lichkeit, die sich freilich nur durch das feste Vertrauen auf Ihre
Güte entschuldigen läßt.
Von literarischen Neuigkeiten weiß ich wenig. GARVE. ist
dem Ende seines Unglücks nahe. — MATTERN REUSS, der so
viel zur Verbreitung der kritischen Philosophie im südlichen
Deutschland beitrug, ist tot, er hat mir von seinem Todbette
durch zwei seiner liebsten Schüler den letzten Gruß gesandt; ich
erhielt diesen mit der Nachricht von seinem Tode zu gleicher
Zeit. Die Nachricht hat mich sehr erschüttert.
Der gelehrte Parteigänger Kriegsrat GENZ hat von der Re-
gierung 800 Reichstaler jährliche Zulage und den Auftrag erhalten,
ein Regierungsjournal zu schreiben ; wie dies eigentlich beschaffen
sein soll, weiß ich noch nicht, so viel aber ist ausgemacht, es
soll ein Gegengift sein.
Ich fürchte, Ihre Geduld zu ermüden, darum schheße ich
meinen Brief. — Meine besten Wünsche für Ihr Wohl. — Darf
ich eine baldige Antwort von Ihnen hoffen? — Um diese und
daß Sie einen Mann ein wenig heb behalten, der Sie über alles
liebt und schätzt, bittet Sie
Ihr
Berlin, den 25. November 1798. dankbarer Schüler
Kiesewetter.
436.
Von Georg Christoph Lichtenberg.
Empfangen Sie, verehrungswürdiger Mann, meinen herzlichsten
Dank für Ihr gütiges Andenken an mich, wovon Ihr letztes
Schreiben wieder so manchen unschätzbaren Beweis enthielt. Die
Freude, die mir jede Zeile, die ich von Ihnen erhalte, zu jeder
Zeit macht, wurde diesmal nicht wenig durch einen Umstand
vermehrt, der meinem kleinen häusHchen Aberglauben gerade
recht- kam: Ihr vortrefflicher Brief war am ersten Julii datiert,
und dieser Tag ist mein Geburtstag. Sie würden gewiß lächeln,
wenn ich Ihnen alle die Spiele darstellen könnte, die meine
Phantasie mit diesem Ereignisse trieb. Daß ich alles dabei zu
meinem Vorteil deutete, versteht sich von selbst. Ich lächele am
Ende darüber, ja zuweilen sogar mitten darunter, und fahre gleich
Von Carl Friedrich Staudltn 359
darauf wieder damit fort. Ehe die Vernunft, denke ich, das
Feld bei dem Menschen in Besitz nahm, worauf jetzt noch zu-
weilen diese Keime sprossen, wuchs manches auf demselben zu
Bäumen auf, die endlich ihr Alter ehrwürdig machte und heiligte.
Jetzt kömmt es nicht leicht mehr dahin. Es freute mich aber
in Wahrheit nicht wenig, mich gerade Ihnen, verehrungswürdiger
Mann, gegenüber, auf diesem Aberglauben zu ertappen. Er zeugt
auch von Verehrung und zwar von einer Seite her, von welcher
wohl, außer dem KANTischen Gott, alle übrige stammen mögen.
Die Bekanntschaft des Herrn VON FARENHEID und Herrn
LEHMANNS macht mir sehr viel Freude. In Preußen gibts doch
noch Patrioten. Dort sind sie aber auch am nötigsten. Nur
Patrioten und Philosophen dorthin, so soll Asien wohl nicht über
die Grenzen von Kurland vorrücken. Hie murus aheneus esto.
O, wenn mir nur meine elenden Gesundheitsumstände verstatteten,
mehr in Gesellschaft mit diesen vortrefflichen Leuten zu sein.
Wir wohnen wie in einem Hause, nämlich in verschiedenen, die
aber demselben Herrn gehören und in allen Etagen Kommuni-
kation haben, so daß man zu allen Zeiten des Tages ohne Hut
und im Schlafrock zusammenkommen kann, wenn man will. Ich
hoffe, die wiederkehrende Sonne soll mir neue Kräfte bringen,
von jener hauslichen Verbindung häufigem Gebrauch zu machen,
als mir bisher möglich gewesen ist.
Mit der innigsten Verehrung und unter den aufrichtigsten
Wünschen für Ihr Wohlergehen habe ich die Ehre zu verharren
ganz der Ihrige
Göttingen, den 9. Dez. G. C. Lichtenberg.
1798.
437-
Von Carl Friedrich Stäudlin.
Empfangen Sie, aller Liebe und Verehrung würdiger Mann,
meinen aufrichtigsten Dank für die ehrenvolle Zueignung Ihres
Streits der Fakultäten an mich, wodurch Sie noch mehr
getan haben, als Sie mir vor einigen Jahren versprochen haben.
Schon vor einiger Zeit hatte mir ein Brief, den mir Herr LEH-
MANN überbracht hat, diese Freude angekündigt und mich von
Ihrem fortdauernden Wohlwollen gegen mich versichert, aber
^6o Von Johann Ernst Lüdeke
erst vor einigen Tagen ist mir das Exemplar Ihrer Schrift zu
Händen gekommen, welches ich aus Ihren Händen zu besitzen
das Glück habe. Ich werde nicht aufhören, Ihre Schriften zu
studieren, aus ihnen zu lernen und an ihnen die Kraft des Selbst-
denkcns zu üben. Was ich selbst kürzlich herausgegeben habe,
und soeben drucken lasse (meine Geschichte der Sittenlehre
Jesu)^) will ich Ihnen lieber durch eine sich zeigende Gelegen-
heit, als durch die Post übersenden. Der Himmel segne ferner
Ihr mit hohem Verdienste, Ruhm und Freude geschmücktes Alter!
Schenken Sie mir auch in Zukunft Ihr Wohlwollen und seien
Sie meiner reinsten Verehrung versichert.
Göttingen, den 9. Dez. 1798.
C. F. Stäudlin.
438.
Von Johann Ernst Lüdeke.
Hochgeschätztester Lehrer.
Großer Männer Sekretär sein ist auch ehrenvoll, und jetzt
bin ich des Patriarchen, im edelsten Sinne des Wortes, unsers
SPALDINGs Sekretär.
Er empfiehlt sich Ihnen in dem Gefühl der reinsten Hoch-
achtung und bittet, ihm zu verzeihen, daß er auf Ihr ihn er-
freuendes Schreiben nicht eigenhändig geantwortet hat. Seine
Hand will seinen Gedanken, die noch immer im Strömen sind,
nicht mehr so folgen wie sonst. Er hat jetzt nichts mehr mit
dem Consistorio zu tun. — Aber er hat die RINGKische Sache
dem Herrn Rat TELLER übertragen, und dieser schätzt den RING
vom edelsten Metall, nach seinem wahren Werte und wird gewiß
alles, was tunlich ist, auch für diesen würdigen Mann tun.
Nun lege ich mein Sekretariat nieder und schreibe als Ihr
dankvollester Schüler. So haben Sie, teuerster Greis, denn meine
An- und Zudringlichkeit so gütig aufgenommen? Ich sollte
gegen Sie drucken lassen? die Rabbinen sagen: Es ist weise
unter Weisen schweigen. Mache ich auch just nicht auf Weis-
^) Erschienen Götringen 1799 als dritter Teil der von Stäudlin
herausgegebenen „Moral" von J. D. Michaelis.
Von jfohann Ernst Lüdeke 361
hcit Ansprüche, so möchte ich mich doch nicht gern zum Anti-
poden der Weisheit selbst herabdrücken. Ein Brief ist doch nur
ein leises Reden und grenzt am Schweigen. Aber drucken lassen
ist doch immer eine Art des lauten Redens; ich begnüge mich
(vorderhand) mit Ihrer gütigen Äußerung und hoflFe, Sic werden
nächstens sich so erklären, daß Sie uns beruhigen.
Freilich, nimmt man das auf einer, wie es mir unleugbar
scheint, sehr unvollkommenen Exegese ruhende streng-orthodoxe
System, als die einzig wahre Theologie an, dann ist durchaus
nichts konsequenter, als es von der Vernunft ganz unabhängig
darzustellen. Das müßte also allerdings erst ausgemacht sein. —
Mein Glaubensbekenntnis ist dieses: Ohne Vernunftgebrauch
Theologe sein sollen, kommt mir vor als unter der ausgepumpten
Glocke der Luftpumpe atmen und singen sollen. Das können
doch höchstens nur Frösche. — Nun will ich es gar nicht
leugnen, daß es von jeher viel theologische Frösche gegeben hat
und auch noch gibt, die in iinstern Sümpfen quaken. Aber sind
und sollen denn alle Theologen Frösche sein? Gab es und gibt
es nicht auch unter ihnen Schwäne, die den Genuß des Wassers
und der Luft verbinden? und sollte nicht selbst Ihre Philosophie
auch diesen Schwänen die Luft gereiniget haben? Ich will lieber
gestehen, daß ich mir überall von der orthodoxen Offenbarung
gar keinen Begriff machen kann, und wenn ich auch auf die
höchste Fichte steige — als daß ich auf dem weiten Ozean
moralischer Wahrheiten ohne den Phanis der Vernunft und ohne
ihr Steuer mich einem Sturm überlassen sollte, von dem ich nicht
weiß, von wannen er kommt und wohin er fähret. Ich denke,
die höchste Güte wird ihr edelstes Geschenk einem so großen
Teil seiner Geschöpfe, als die Theologenrasse ist und zwar bei
Besorgung der wichtigsten Angelegenheit des Menschen nicht
zum verbotenen Baum gemacht haben. Wenigstens habe ich bis
jetzt noch keinen Fluch dafür empfunden, daß ich die Religion,
die ich lehre, wenigstens nach meiner Vernunft suche vernünftig
zu lehren. Zu diesem vernünftigen Lehren rechne ich freilich
nicht jedem alten Mütterchen ihren alten Trost weg zu syllogi-
sieren. — Volk bleibt immer Kind, und es ist ja die erste päda-
gogische Regel sich an die Ideen der Unmündigen anschmiegen
und ihnen unmerklich sicherere Richtung geben. —
Doch was ermüde ich Sie mit meinem Geschwätze. Ich
denke aber so: wäre ich in Königsberg, so könnte mich doch
3ÖZ An fohann Georg Schejfner, — An Robert Motherby
nichts abhalten, oft zu Ihnen zu kommen, und das wäre für Sie
doch noch ärger, als solch klein Oktavbriefchen.
Nun empfehle ich mich Ihnen von ganzer Seele und wünsche
Ihnen, nicht aus nichtiger Mode, in der vollesten Bedeutung, ein
recht ftöhliches, neues Jahr, und in diesen unveränderlichen, es
sei dann in Rücksicht des Wachsens veränderlichen Gesinnungen
bin ich so ganz
Ihr
Ihnen ergebenster
Berlin Verehrer, Schüler
am ic;. Dezember und Freund
1798. Lüdeke.
439-
An [Johann Georg Scheffner].
Ew: Wohlgcb.
habe die Ehre, meine Antwort, auf des Herrn
LAGARDE Brief, verlangtermaßen zuzuschicken. Meine mich
noch immer schikanierende Unpäßlichkeit, die zwar eben nicht
zum Tode hindeutet, aber doch zur Arbeit und für die Gesell-
schaft unlustig macht, beraubt mich des Vergnügens, der Ihrigen
teilhaftig zu werden; wie ich mir schmeichle. — Von der Ver-
änderung der sonderbaren, mir schon lange nachteiligen, Luft-
beschaffenheit, hoffe ich indessen vor der Hand, daß sie sich
nicht in Krankheit auflösen werde.
Der Ihrige
d. 24. Jan. 1799. I. Kant.
440.
An Robert Motherby.
Ich gratuliere von Herzen zu dem mit Herren KÄYSER aus
Pillau getroffenen ehelichen Versprechen Ihrer zweiten Mdselle
Tochter mit einem so verdienten Manne, den ich bei Ihnen ge-
sehen zu haben mich gar wohl erinnere: und bedanke mich für
die Güte Ihrer Notifikation.
I. Kant,
d. z8. Mart. 1799.
An Carl Arnold Wilmans 363
441.
An [Carl Arnold Wilmans].
(Entwurf.)
Mai 1799.
Verzeihen Sie es der Schwäche meines von Unpäßlichkeit
gedrückt[en] Alters, daß ich durch eine mir jetzt nicht ungewöhn-
liche Zerstreuung Ihren mühsam und weitläuftig ausgearbeiteten
Brief vom z8. Oktober 1798 bis jetzt unbeantwortet gelassen
habe. Ich hatte mir zur Beendigung einer gewissen unter Händen .
habenden Arbeit eine Frist genommen und jenen Brief so lange
auf meinem Bureau zurückgelegt, auf welchem zugleich der Brief
vom 2C. Januar 1798 sich befand, aber unter andere Briefe un-
vorsichtigerweise geschoben worden, so daß, da ich nun an die Beant-
wortung des Ihrigen gehen wollte und Ihre Hand auf dem von
1798 sähe, ohne das Datum desselben nachzusehen, ich annahm,
dieser sei die letztere an mich ergangene Zuschrift und ich müsse
die Ihrige schon beantwortet haben; welcher Irrtum desto eher
vorfallen konnte, da ich in der Tat in meiner Antwort, wie
auch jetzt geschieht, nichts Erhebliches hierauf zu antworten
wußte: durch meinen Freund, Herrn Dr. med. JACHMANN, ward
ich nach Erhaltung des Ihrigen von diesem Irrtum belehrt und
indem ich die Unannehmlichkeit^ die ich durch so lange Ver-
zögerung Ihnen verursacht habe, bedaure und abbitte, sehe mich
überhaupt nicht imstande, eine Ihnen gnügende Antwort auf den-
selben zu erteilen, weil der Gegenstand Ihrer Wahl ganz außer-
halb meiner Sphäre gelegen ist.
Ihr Satz: in dessen Sinn und Behauptung ich schlechterdings
mich nicht versetzen kann, steht auf der ersten Seite und dem
ersten, Absatz desselben, daß nämhch zwischen Vernunft und Ver-
stand ein gänzlicher Unterschied, der letztere aber ein bloß
materielles Wesen sei. — Da nun die materielle Vielheit, welche
keine Einheit des Bewußtseins des Subjekts verstattet, mit der
das Viele der Vorstellungen in einem Bewußtsein verknüpfende
Einheit des Denkens nach meinen Begriffen schlechterdings nicht
in demselben Subjekte und dessen Natur vereinbar ist, so ver-
zweifle ich daran, sie jemals auf gleichen Fuß stellen zu können.
Vielleicht aber könnten Ihre gewagten Behauptungen doch
unter gewissen Modifikationen etwas herausbringen, was bei
5 6^ An Friedr. Theod. Rink. — Von ^oh. Gottfr. Kiesewetter
fernerer Erörterung und näherer Bestimmung Ihrer Ideen auf ein
drittes hahbareres Prinzip etwa führen möchte, als wozu ich mit
aufrichtiger Freundschaft Glück wünsche; übrigens aber mit der
vollk. Hochachtg.
An [Friedrich Theodor Rink].
Da Ew; Hochedelgeb. das Inserat in das Intelligenzblatt der
Jenaischen A. L. Z. abzusenden gesonnen sind: so will ich nur
erinnern, daß der Brief morgen (Freitags) vor 8 Uhr, — etwa
um halb 8 — auf die Post gegeben werden müsse.
I. Kant,
d. 8. August 1799.
443-
Von Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Berlin den 15. November 1799.
Innigstgeliebter Freund,
Wie sehr habe ich mich gefreut, von Ihnen einen Brief zu
erhalten; er ist mir ein überzeugender Beweis, daß Sie mich nicht
ganz vergessen haben; aber es hat mich auch sehr betrübt, aus
Ihrem Briefe zu ersehen, daß Sie an heftigem Kopfschmerz leiden.
Guter Mann, wer wünschte Ihnen nicht ein glückliches, schmer-
zenloses Alter!
Die Teltower Rüben waren für Sie schon längst bestellt, ehe
Sie an mich schrieben; ich habe sie nur später erhalten als ich
es erwartete, weil in diesem Jahre selbst die Erdfrüchte beinahe
4 Wochen später zeitig geworden sind, als gewöhnUch. Künftigen
Montag gehen sie mit dem Frachtfuhrmann von hier ab, und ich
hoffe, Sie werden sie vor dem Frost erhalten. Ich werde Fracht,
Accise und alles andere berichtigen, so daß Sie nur nötig haben,
sie abholen zu lassen. Es wird mich sehr freuen, wenn meine
kleinen Landsleute nach Ihrem Geschmack sind; meine Mutter,
die von derselben Art gekauft hat, hat mir davon zur Probe
kochen lassen, und ich habe sie sehr wohlschmeckend gefunden.
Außer diesem Produkte meines vaterländischen Bodens aber
erhalten Sie noch ein Produkt von mir, den ersten Teil der Prü-
Von Johann Gottfried Kiesewetter 365
fung der HERDERSCHEN Metakritik.') Die Wahrheit gesagt, so
hielt ich das HERDERSCHe Geschwätz an sich kaum einer Wider-
legung würdig, und ich würde mich auch nicht damit befaßt haben,
wenn der alte radottierende WIELAND im Deutschen Merkur
nicht so gewaltig zum Lobe dieses Geschreibsel in die Posaune
gestoßen hätte, und der Ton des sonst so gleisnerischen pfäffischen
HERDERS mich nicht so sehr beleidigt hätte. — Ich bin, wie
Sie sehen werden, streng, aber wie ich glaube, als ein Gentleman
mit ihm verfahren. Auffallend und lächerlich ist es, daß die meisten
Gegner Ihres Systems sich vorzüglich gegen den Einwurf sträuben,
sie hätten Sie nicht verstanden, und daß man doch größtenteils
mit Recht ihnen diesen Vorwurf machen muß. Nichts hat mich
mehr amüsiert, als wenn HERDER über Mathematik zu schwatzen
anhebt; es ist kaum möglich, weniger als er in den Geist dieser
Wissenschaft eingedrungen zu sein und doch arroganter darüber
zu sprechen. Man kann ihm wahrlich mit Recht zurufen: Si
tacuisses —
In der literarischen Welt hat sich nichts von Bedeutung zu-
getragen. FICHTE befindet sich noch hier, ich habe ihn im
Schauspielhause gesehen, aber nicht gesprochen. Er lebt sehr ein-
gezogen und hat, außer GEDICKE, niemanden von den hiesigen
Gelehrten besucht. Man sagt, er sei beim Staatsrat um die Er-
laubnis, in Berlin öffentliche Vorlesungen halten zu können, ein-
gekommen, dieser aber habe sein Gesuch abgeschlagen. Jetzt be-
schäftigt er sich bloß mit Schriftstellerei und arbeitet, wie mir
BENDAVID erzählte, an einem philosophischen Werk, das er in
drei Bänden mit den Titeln: Wissen, Zweifel, Glauben heraus-
geben will.') Von dem Ertrage des Bücherscl\reibens möchte er
wohl schwerlich leben können, allein ich glaube, daß er mit seiner
Frau ein beträchtliches Vermögen erheiratet hat.
Einiges Aufsehen macht hier DIOGENES mit der Laterne,
den man allgemein dem Prediger JENISCH zuschreibt. Das Werk
ist zynisch. Der Verfasser hat es auch mit der kritischen Philo-
sophie, die er aber meines Erachtens wohl nicht durchaus gefaßt
haben möchte, hin und wieder zu tun. Von Ihnen erzählt er
drei Urteile, über REINHOLD, BECK und FICHTE, deren Wahr-
') Bd. I: Berlin 1799; Bd. II: Berlin 1800.
') Fichtes „Bestimmung des Menschen" (Berlin 1800), dessen drei
Bücher „Zweifel", „Wissen", „Glaube" überschrieben sind.
^66 Von Johann Gottfried Kiesewetter
heit ich dahingestellt sein lasse.*) Sollte JENISCH wirklich der
Verf. sein, so würde es ihm gewiß nicht zur Ehre gereichen.
NICOLAI phantasiert noch immer über kritische Philosophie
und Fichtianismus; und nun er Academicien geworden, hält er
es für Pflicht, sein Geschreibsel zu verdoppeln. —
Sie werden aus den Berliner Zeitungen gesehen haben, daß
in Berlin gewaltig viel Vorlesungen angekündigt werden, wenn sie
gleich nicht zur Hälfte zustande kommen. Ich muß ex officio sehr
viel Vorlesungen halten, allein ich bin doch mit meinem applausu
zufrieden und die Anzahl meiner Zuhörer nimmt von Jahr zu
Jahr zu. Sonntags von i o bis i z lese ich über Ihre Anthropo-
logie und mein ziemlich großer Hörsaal ist gedrängt voll. Ich
zähle Personen von allen Ständen, Studierende, Bürger, Offiziere
usw. zu meinen Zuhörern.
Soeben erfahre ich den Namen des Frachtfuhrmanns, der Ihnen
die Rüben bringt, er heißt Segemund. Meine Mutter erirmert, daß
die Rüben nur eine Viertelstunde zu kochen nötig haben, und daß
sie von ihrer Güte verlieren, wenn sie länger kochen.
Dürfte ich Sie ersuchen, Herrn Hofprediger SCHULTZ ein-
liegendes Briefchen zu schicken.
Geben Sie mir doch recht oft Gelegenheit, Ihnen zu zeigen,
wie herzlich ich Sie Hebe und hochschätze. Wenn Sic wüßten,
wie oft ich mich innigst gerührt Ihres genossenen Umgangs und
Ihrer Belehrung erinnere und wie sehnlich ich wünsche, Sie
einmal wiederzusehen.
Ich habe hier Ihre Büste gekauft, die mir sehr ähnlich zu
sein scheint, und sie ist mir unschätzbar, weil sie mir das Bild des
Mannes vor Augen stellt, dem ich mein ganzes Glück verdanke.
Leben Sie wohl, teurer Mann, genießen Sie frohe und glück-
liche Tage, niemand verdient sie gewiß mehr als Sie.
Vergessen Sie nicht ganz
Ihren
dankbaren Schüler
J. G. C. Kiesewetter.
N. S. Die Prüfung der Metakritik will Ihnen der Buchhändler
mit Gelegenheit schicken.
*) Siehe „Diogenes-Laterne", Leipzig 1799 hei Wilhelm Rein,
S. 367: „Etwas was Kant von seinen drei hedeutendsten Schülern ge-
sagt haben soll"; die hier berichteten Äußerungen machen einen sehr
wenig glaubwürdigen Eindruck.
An ^oh. Gottfr, Kiesewetter. — An Job. Benj. Erhard 367
444.
An Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Ihre gütige mir erteilte Nachricht von der schon geschehenen
Abschickung der Tekower-Rüben vernehme mit dem größten Dank.
Sie sind zwar noch nicht angekommen; vermutlich wegen des
durch den eingetretenen Frost verdorbenen Weges; ich sehe aber
diesem Geschenk posttäglich entgegen: und daß sie durch jenen
nicht gelitten haben werden; da Sie die Vorsorge zu haben pflegen,
sie in Häcksel zu verpacken; welches sie trocken erhält und, im
Fall der binnen der Zeit eingetretenen gelinden Witterung, wider
Fäulnis bewahrt.
Bleiben Sie mein gütiger Freund so wie ich mit innigster
Liebe und Hochachtung
Ihr
Königsberg stets ergebener
d 20. Dez. I Kant
^799
445-
An Johann Benjamin Erhard.
Hochgeschätzter Freund!
Einen Brief von Ihnen zu erhalten — und zw^ar aus Berlin:
um da nicht zu hospitieren, sondern zu wohnen, — erheitert
mich durch meine sonst trübe Gesundheitsanlage, welche doch
mehr Unbehaglich keit als Krankheit ist, schon durch den Prospekt,
mit literarischen Neuigkeiten von Zeit zu Zeit unterhalten und
aufgefrischt zu werden.
Was das erstere betrifft: so besteht es in einer spastischen
Kopf bedrückung, gleichsam einem Gehirnkrampf, von dem ich mir
doch schmeichle, daß, da er mit der außerordentlich-langen Dauer
einer weit ausgebreiteten Luftelektrizität, sogar vom Jahr ij<^6 an
bis jetzt, fortgewähret hat, (wie es schon in der Erlanger Gd.
Zeitung angemerkt worden und mit dem Katzentod verbunden
war) und, da diese Luftbeschaffenheit doch endlich einmal um-
setzen muß, mich befreiet zu sehen ich noch immer hoffen will.'^)
^) „Ein Zeichen seiner Schwäche" — so berichtet Wasianski
(S. So f.) über Kants letzte Jahre — „war seine Theorie über das aller-
3(58 An Johann Benjamin Erhard
Daß Sie das BROWNSCHE System adoptieren und in Kredit
zu setzen suchen, ist, was die formale Prinzipien derselben betrifft,
meinem Urteile nach wohl gegründet; wenngleich die mate-
rialen zum Teil waghalsig sein möchten.') Vielleicht könnte
man mit ihm sagen: der krankhafte Zustand ist = 3C und der
Arzt bekämpft nur die Symptome; zu deren Kenntnis er Weisheit
bedarf, um die Indikationen derselben aufzufinden. Doch ich ver-
irre mich aus meiner Sphäre.
Was mich aber sehr erfreut, ist: daß sich zugleich Herr WILLIAM
MOTHERBY, der jetzt in Berlin seinen medizinischen Kursus
macht, da ist; mit welchem ich bitte in Konversation zu treten;
der ebenso wie sein würdiger Vater mein vorzüglicher Freund,
ein heiterer, wohldenkender junger Mann ist. Dieser hat mir seine
in Edimburg im vorigen Jahr gehaltene Inaugural-Dissertation
dediziert (de Epilepsia) und ich bitte ihm dafür zu danken. —
Rechtschaffenheit ist sein und seiner Familie angeborner Charakter
und es wird Ihnen so wie ihm, Ihr Umgang unterhaltend und
erbaulich sein. — Gelegentlich bitte ich auch Herren D. ELSNER,
Sohn unseres jetzigen Rectoris Magnifici, M. D. gelegentlich von
mir zu grüßen: einen jungen Mann, der viel Talent hat und bin
mit Ergebenheit und Hochachtung
Ihr treuer Freund und Diener
Königsberg I. Kant,
d. 20. Dez. 1799
N. S. Einlage bitte zu bestellen.
dings merkwürdige Phänomen, den Katzentod in Basel, Wien, Kopen-
hagen und andern Orten. Er hielt ihn für eine Folge der damals nach
seiner Meinung herrschenden Elektrizität von eigener Art . . . Aber . . .
auch seine Kopfbedrückungen leitete er von derselben Ursache ab.
Einer jeden Remonstration gegen seine Theorie suchte er auszuweichen.
Seine Überzeugung von ihrer Gewißheit wurde auch dadurch noch ver-
größert, daß seine Freunde aus Schonung vmd Delikatesse für ihn nicht
geradezu widersprachen."
^) John Brown (1735—88); das von ihm eingeführte medizinische
System (Elementa medicinae, 1780) erregte auch Kants lebhaftes Interesse ;
(vgl. Wasianski S. 42 f.).
Von Ernst Ferdinand Klein 369
446.
Von Ernst Ferdinand Klein.
Verehrungswürdiger Greis,
Erlauben Sie gütigst, daß ich Ihnen die Beilage übersende und
Sie besonders auf N. 4, und vorzüglich auf S. 9 7 sqq. aufmerksam
mache.
Es fängt jetzt an, eine neure Theorie im Kriminalrechte Auf-
sehen zu erregen, nach welcher die Menschen bloß wie Tiere
behandelt werden.
Ich weiß wohl, daß die Freiheit des Willens nicht sinnlich
wahrgenommen werden kann; aber eigentliche Strafe setzt doch
den Fall voraus, wo der Mensch nicht bloß als Pflanze oder Tier
wirksam gewesen ist, sondern wo er als Mensch gehandelt hat,
und wo die Freiheit des Willens (vorausgesetzt, daß sie überhaupt
geglaubt werde) als anwendbar gedacht werden kann.
Ich habe zwar auch bei Ihrer Straftheorie einige Zweifel, die
ich Ihnen gern zur Auflösung vorgelegt hätte, wenn ich nicht
Bedenken getragen hätte, Ihnen damit beschwerlich zu fallen.
Allein darin glaube ich doch Ihre Meinung richtig gefaßt zu
haben, daß die eigentliche Strafe, wenn sie nicht in eine bloß
tierische Züchtigung ausarten soll, welcher man auch die Wahn-
sinnigen und Rasenden unterwerfen könnte, menschliche d. i.
solche Handlungen voraussetze, welche als frei gedacht werden
können.
Ich glaube daher, daß üble Gewohnheiten und Leidenschaften
die gesetzliche Strafe nicht ausschließen können, weil diesen durch
Annahme anderer Maximen entgegengewirkt werden kann, aber
wohl Affekten, welche bei einer schnell wirkenden Veranlassung
bloß tierische Handlungen hervorbringen.
Die Sache ist wichtig und ich wünschte, wenn es nicht zu
viel gebeten wäre, hierüber Ihre Belehrung.
Mit inniger Verehrung bin ich
Ihr
Halle ergebenster
d. 28. Februar Klein
1800.
Kants Schriften. Bd. X. 24
370 An Friedrich Nicolovius. — An Carl Gottfried Hagen
447-
An Friedrich Nicolovius.
Herren FR. NICOLOVIUS ersuche hiedurch, mir wiederum
60 fl. auf Abschlag des Honorars für die Anthropol., in den
obbenannten Geldsorten, Guld., halbe Gulden, und Sechsern gütigst
zukommen zu lassen: in beigehenden die 3 kleinern enthaltenden
Beutel. — Die Quittung über den Empfang den 28. März werde
zu Ihrer Unterschrift wie gewöhnlich zuschicken.
den 28. März 1800. I Kant.
N. S. Darf ich mir wohl die Hoffnung machen: daß Sie die
Güte gehabt haben werden, mir die Göttinger Würste zu be-
sorgen, für welche ich die Kosten mit Freuden entrichten werde.
eod. I. K.
448.
An Friedrich Nicolovius.
Den größten Dank an Herrn NICOLOVIUS für die mir
gestern zugeschickte und, wie ich aus der unbedingten Zusendung
ersehe, geschenkte i6 Göttingsche W^ürste, wodurch ich für ein
ganzes Jahr in Ansehung dieses Artikels meines Hauswesens reich-
lich versorgt bin.
d. 2. April 1800. I Kant
449-
An Carl Gottfried Hagen.
In der Reisebeschreibung eines sich so nennenden TAURI-
NIUS"*), eines Buchdruckers, der durch Japan reisetc, auf dessen
Wahrhaftigkeit man sich verlassen kann, ist eine Stelle, wo er
*) Der Verfasser dieses Buches heißt eigentlich Stirisch und hat
jenen Namen aus der Analogie mit dem Worte Stier (Taurus) ge-
nommen.
An Carl Gottfried Hagen 371
erzählt: „daß geschmolzenes Kupfer über Wasser gegossen darüber
ruhig starr werde, dahingegen Wasser über geschmolzenes Kupfer
gegossen, dieses gänzlich zersprengen werde", wobei der Professor
EBERT in Wittenberg (als Herausgeber jener Reise) in der An-
merkung sagt: „daß ihm dieses unbegreiHich sei, und ein Druck-
fehler sein müsse"; er also die Richtigkeit dieser Beobachtung
bezweifelt. Ehe man aber die Wirklichkeit dieses Experiments
oder Observation verwirft, scheint es doch ratsam zu sein, sie nach
der Analogie anderer Beobachtungen zu examinieren. Der Graf
von RUMFORD*) hat den Versuch gemacht: daß wenn man eine
kleine Eistafel unter Wasser durch kleine Holzsplitter (als Streben)
auf dem Boden des Gefäßes niedergedrückt erhält: da sie sonst —
weil Eis leichter ist als Wasser — im Wasser aufsteigen und oben
schwimmen würde, das nun oben schwimmende Eis schnell zer-
schmilzt; was zum Beweise dient, daß der Wärmestoff oder die
erwärmende Ursache (um hiezu nicht einen hypothetischen Stoff
annehmen zu dürfen) aufwärts, d. i. in der Gravitätsanziehung
entgegengesetzter Direktion wirke, und es hiedurch begreiflich
werde: wie geschmolzenes Kupfer über Wasser (freilich in auf
der Oberfläche glitschender, nicht eintröpfelnder Bewegung) ge-
gossen werden könne, weil die Wärme des geschmolzenen Kupfers
oder der Stoff, welcher sie erregt, aufwärts, folglich von dem Wasser,
womit es übergössen wird, ab bewegt ist, da dann das geschmol-
zene Kupfer über und auf dem Wasser schwimmend das Phänomen
einer ruhigen Kristallisierung darbieten würde.
Es wäre also ein Experiment durch die Geschicklichkeit meines
verehrten und geliebten Freundes, des Herrn Dr. HAGEN, zu
machen: ob die TAURINISCHE Geschichtserzählung wahrhaft sei
oder nicht, und findet sich das erstcre, so würde es eine sehr
wichtige Erweiterung in der Physik zur Folge haben.
— 2. April 1800. I- K:ant
^) B. Th. v. Rumford (i7 5 3 — i8i4), einer der Vorläufer der
mechanischen Wärmetheorie; — das im folgenden Briefe genannte
„Rumfordsche Getränke" ist ein von ihm hergestelltes Nährmittel.
i4'
37^ ^on Carl Gottfried Hagen
450. ,
Von Carl Gottfried Hagen.
Es macht mir gewiß sehr viele Freude, daß das RUMFORD-
SCHE Getränke Ew. Wohlgebornen Gesundheit entspricht,') die,
insofern meine Wünsche es vermögen, sich noch lange erhalten
mag.
Gewiß werden Dieselben es mit Vergnügen hören, daß der
TAURINIUSSCHE Versuch, den ich eben angestellt habe, gegen
mein Erwarten ganz glücklich ausgefallen ist. Ich habe ihn auf
folgende Art angestellt. Um das schmelzende Kupfer an dem
Niedersinken im Wasser beim Ausgießen zu hindern, überspannte
ich eine Schachtel, deren Deckel und Boden herausgenommen
war, mit Leinwand, stellte sie in eine Wanne mit kaltem Wasser
so hinein, daß die Leinwand einige Linien unter dem Wasser
stand, und goß jetzt über die Leinwand das vollkommen ge-
schmolzene Kupfer glühend darüber aus. Weder das Zischen wurde
wahrgenommen, welches sonst beim schnellen Abkühlen im Wasser
schmelzende Metalle zeigen, noch das mindeste Umherspritzen.
Bloß das Wasser, welches in der Nähe und über dem Kupfer
stand, geriet in Wallen, indem dieses noch einige Minuten hin-
durch im Wasser glühend verblieb. An zwei Stellen hatte es die
Leinwand durchbrannt, und hievon war etwas weniges auf den
Boden der Wanne geflossen.
Das Stück Kupfer, welches auf diese Weise abgekühlt worden,
schicke ich mit.
Es ist die größeste Hochachtung, mit der ich bin
Ew. Wohlgebornen
ganz ergebenster Diener
Flagen.
d. I 2. April 1800.
Vbn Georg Samuel Albert Mellin , 373
451.
Von Georg Samuel Albert Mellin.
Empfangen Sie hiermit, verehrungswürdigster Lehrer und
Freund, die zweite Abteilung des II. Bandes des encyklopädi-
schen Wörterbuchs. Möchte dieses Werk auch in der Fortsetzung
Ihres mir über alles schätzbaren Beifalls nicht ganz unwürdig
sein. —
Mein Sohn hat mir geschrieben, daß er die Freude gehabt
hat, Ihnen aufzuwarten; er war mit dem Geh. Rat EYTELWEIN
und Leut. v. TEXTER bei Ihnen. Mir würde es ein unbeschreib-
liches Vergnügen sein, den Mann, welchen ich unter allen jetzt
lebenden Menschen am meisten verehre und bewundere, persön-
lich kennen zu lernen, aber die Entfernung ist zu groß: Möchte
es der Vorsehung gefallen, Ihnen in Ihrem Alter Gesundheit und
Kräfte zu schenken! Ihre Erklärung gegen FICHTE hat viel Sen-
sation gemacht, aber sie war nötig. Der vortreffliche Schluß
dieser Erklärung hat mich recht gestärkt und ist mir aus der
Seele geschrieben. Nun hat man wieder das mißverstanden, was Sie
in Ihrer Erklärung über die Vollständigkeit der Grundhnien Ihrer
Transszendentalphilosophie in der Kritik der reinen Vernunft ge-
sagt haben, und meint die Behauptung darin zu finden, Sie hätten
bereits das vollständige und ausführliche System der Transszen-
dentalphilosophie geliefert, welches doch mit so vielen Stellen der
Kritik in Widerspruch stehe. In der Oberdeutschen Lit. Zeit, ist
darüber viel geschwatzt worden.
Ich habe viel über den dogmatischen Vortrag des Systems
der Transszendentalphilosophie nachgedacht. Es ist dabei die eigene
Schwierigkeit, daß man die Kategorien schon immer gebrauchen
muß, ehe man sie noch untersucht und die Theorie derselben
vorgetragen hat. Soll man die Theorie von Raum und Zeit, die
transszend. Idealität derselben, als durch die Kritik ausgemacht,
vorausgesetzt, folglich bloß die verschiedenen Modos derselben,
und ihre Analysis, vor der Theorie der Kategorien vortragen j so
muß man diese schon dazu gebrauchen; dies ist nun nicht er-
laubt. Soll man aber die Lehre von Raum und Zeit nach der
Theorie der Kategorien vortragen, so fehlt's den Kategorien an
der Realisierung durch Schemate. Soll man beides miteinander
374 ^^ Georg Samuel Albert MeJlin
verbinden, so kann man die transszend. Ästhetik nicht von der
Analytik des reinen Verstandes trennen. Diese Schwierigkeit gibt
auch einen eignen Einw^urf gegen die kritische Philosophie, den
niir bereits ein Freund gemacht hat, nämlich, da vv^ir doch die
Kategorien z. B. die der Kausalität usw^. gebrauchen, um über die
transsz. Beschaffenheit des Raumc^ und der Zeit nachzudenken, so
ist selbst diese Erkenntnis nur Erscheinung, woraus dann folgt,
daß wir nur genötigt sind, uns den transsz. Idealismus, als das
einzige richtige System von der Möglichkeit der Erfahrung vor-
zustellen, nicht aber behaupten können, daß es das wahre System
von der Möglichkeit der Erfahrung an sich selbst sei. Ich er-
innere mich nicht mehr, wie mein abwesender Freund sich hier-
über ausdrückte, aber das, was ich jetzt geschrieben habe, enthält
wenigstens seinen Hauptgedanken. Er war vor anderthalb Jahren
willens, das System eines transsz. Realismus herauszugeben, doch
mit Beibehaltung einer ganzen Reihe der wichtigsten Lehren der
Kritik der rein. Vern. Es ist schade, daß in der Kritik d. r. V.
nicht zur Beantwortung dieses Einwurfs ein Wink gegeben ist.
Auf einen besondern Fall angewendet, kann man diesen Einwurf
auch so ausdrücken: sagt die Deduktion der Kategorien nicht
durch die Art, wie sie geführt wird: man gebe mir zu, daß ich
den Begriff der Ursache gebrauchen dürfe, um die Realität dieses
Begriffs zu zeigen, so will ich die Realität desselben für die Er-
fahrungserkenntnis dartun; und ist das nicht ein Zirkel? Die
Schwierigkeit liegt freilich nicht in dem kritischen System, son-
dern in der Natur einer sinnlichen und diskursiven Erkenntnis.
Unsere Erkenntnis a priori ist, der Natur unseres Erkenntnisver-
mögens gemäß, etwas in unserm innern Sinn Befindliches, und
insofern selbst Erscheinung und wir können freilich nicht wissen,
was sie an sich sein mag. Wir können daher auch von der Mög-
lichkeit der Erfahrung, als etwas an sich, nichts wissen, sondern
nur wie sinnlich erkennende Wesen sich die Möglichkeit der Er-
fahrung vorstellen müssen, wie Gott unsere Erfahrungserkenntnis
sich vorstellt, wissen wir nicht.
Verzeihen Sie, verehrungswürdigster Freund, daß ich Sie so
weitläuftig von einem Gegenstande unterhalten habe, der Ihnen
nicht fremd ist, der mir aber wichtig ist, weil er mich bisher
noch immer abgehalten hat, Hand an ein System der Transszen-
dentalphilosophie zu legen, das ich gar gern zustande gebracht
sehen möchte. Was man bisher darin geleistet hat, ist fast für
l^n Maria Kant, geh, Havemann 375
nichts zu rechnen. Das SCHMIDSCHE Werk*) ist ohne alle
Deduktion der Vollst'ändigkeit der Prädikabilien, ohne alle Unter-
suchung der Moden des Raumes und der Zeit. Die Rezension
dieser Metaphysik in der Literat. Zeitung ist sonderbar genug,
und behauptet, es sei ein von der Kritik abgesondertes System
nicht nötig.
O könnte ich Ihnen doch 20 Jahre von Ihrem Alter ab-
nehmen! Möchte das jetzige Jahr Ihrer Gesundheit recht günstig
sein. Das wünscht gewiß niemand von Ihren unzähligen Verehrern
mit größerer Innigkeit und Teilnehmung als
Ihr
ewig dankbarer und treuer
Magdeburg den 13 April i8qo.*) Verehrer Meilin.
*) Am Rande der vierten Seite: Ich hatte diesen Brief schon längst
geschrieben, als mich eine tödliche Krankheit meiner geliebten Frau
zu allem unfähig machte, was Freude gewähren kann. Sie starb mir
den 29, März und ihr Tod machte mich zum zweitenmal zum Wittwer.
Sie hinterläßt mir 5 Kinder, die nun nebst 3 Kindern erster Ehe, ganz
meiner Vorsorge allein überlassen sind.
452.
Von Maria Kant, geb. Havemann.
Wohlgeborner Herr,
Insonders hochzuehrender Herr Professor,
Verehrungswerter Herr Bruder!
Ich hielt es für meine Pflicht, Ew, Wohlgebornen schon vor
vielen Wochen den erfolgten tödlichen Hintritt meines innig-
geliebten Gatten, Johann Heinrich KANT, weiland Predigers zu Alt-
und Neurahden in Kurland, den am 22. Februar dieses Jahres
der Tod mir und meinen unversorgten Kindern, zu unser aller
namenlosen Schmerz, entriß, geziemend anzuzeigen — . Zugleich
war ich auch so dreist, im Vertrauen auf die dem Wohlseligen
von Ew. Wohlgebornen geschenkte brüderliche Gewogenheit, mich
und meine armen Kinder, bei unsrer so zerrütteten und traurigen
ökonomischen Lage, Deroselben menschenfreundlichen Herzen zu
empfehlen. Allein bis jetzt habe ich vergebens auf eine geneigte
^) K. Chr. Erh. Schmid, Grundriss der Metaphysik, Altenbürg
1799; vgl. AUg. Litt.-Ztg. vom 6. Januar 1800.
37^ ^ Johann Gottfried Kiesewetter
günstige Antwort von Denenselben gewartet, und die Zukunft ver-
dunkelt sich je mehr und mehr unsern tränenvollen Blicken — .
Daher wage ich's noch einmal, Ew. Wohlgebornen Mitleidsgefühl
gegen die verlassene Familie Ihtes seligen Bruders, der Dieselben
sowie wir alle innig verehrte, in Ansprache zu nehmen — . Mein
letzter Brief hat Ew. Wohlgebornen eine getreue Darstellung
unsrer Lage gegeben, die bei aller Ökonomie und Frugalität unsrer
Lebensart, da besonders in den letzten Jahren die Einkünfte meines
seligen Mannes sehr geringe und die Ausgaben bei unsrer starken
Haushaltung groß waren, traurig geworden; indem er nicht nur
gar keinen Fonds, von dem wir leben könnten, sondern noch dazu
einige Schulden hinterlassen hat. Durch Veräußerung unsrer Wirt-
schaft hoffe ich zwar die Schulden zu tilgen; allein wovon ich
mit meinen drei unversorgten Kindern subsistiercn soll, das weiß
Gott, der Vater der Witwen und Waisen — f Nochmals flehen
wir daher Ew. Wohlgebornen menschenfreundliches Herz um
einige Hülfe und Unterstützung in dieser traurigen Lagen an, und
hoffen mit gutem Grunde keine Fehlbitte zu tun — !
Indem wir mit Zuversicht der Erfüllung unsrer notgedrungenen
Bitte entgegensehen, und schon im voraus Deroselben gütigen und
menschenfreundlichen Gesinnungen, die unsern Kummer lindern,
mit inniger Dankbarkeit verehren, und die heißesten Segenswünsche
für dieselben zum Himmel tun, habe ich noch besonders die Ehre,
mit der vollkommensten Hochachtung und Ergebenheit zu sein
Ew. Wohlgebornen
ergebene Dienerin
Maria verwitwete
Pastorin Kant, geborne
Altrahdensches Pastorat in Kurland, Havemann.
den i6. Mai i 800.
453.
An Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.
Wertester und alter Freund
Das Geschenk: der Widerlegung der HERDERSCHEN Meta-
kritik, nunmehro in i Bänden (welches Ihrem KopF und Herzen
gleiche Ehre macht) frischt in mir die angenehmen Tage auf, die
Hn Maria Kant^ geb. Havemann 577
wir einstens in Belebung dessen, was wahr und gut und beiden
unvergänglich ist, zusammen genossen; welches jetzt in meinem
yy. Jahre, wo Leibesschwächen (die gleichwohl noch nicht auf
ein nahes Hinscheiden deuten) meine letzte Bearbeitungen er-
schweren, aber, wie ich hoffe, doch nicht rückgängig machen
sollen, — keine gringe Stärkung ist, — in dieser meiner Lage,
sage ich, ist mir dieses Geschenk doppelt angenehm.
Ihre Besorgnis: daß die im vergangenen Herbst übersandten
Rüben durch den damals so früh eingetretenen und so lange an-
gehaltenen Frost Schaden gelitten haben dürften, hat nicht statt-
gefunden; denn ich habe nur vorgestern an einem Sonntage die
letzten derselben in einer Gesellschaft — wie gewöhnlich, zwi-
schen 2 Freunden, die letzten derselben mit allem Wohlgeschmack
verzehrt.
Sein Sie glücklich; lieben Sie mich ferner als Ihren unver-
änderÜchen Freund und lassen mich dann und wann von Ihrer
dortigen Lage und Hterärischen Verhältnissen einiges erfahren.
Mit der größten Ergebenheit und Freundschaft und Hoch-
achtung bleibe ich jederzeit Ihr unveränderlich- treuer Freund und
Diener.
Königsberg
d. 8. Juli I Kant
1800
454-
Von Maria Kant geb. Havemann.
Wohlgeborner Herr
besonders hochzuehrender Herr Professor!
Mit gerührtem und von Dankbarkeit durchdrungenem Herzen
habe ich Ew. Wohlgebornen menschenfreundliche Zusicherung
einer wohlwollenden Unterstützung, für mich und meine hülfs-
bedürftige Familie, gelesen, und mit gleichen Empfindungen bereits
das erste Quartal derselben erhalten — . Die heißen Segenswünsche
für Deroselben Wohlergehen und der innige Dank, von mir und
meinen noch unversorgten Kindern für diese nie genug zu schätzende
Wohltat, sind der unbegrenzten Hochachtung gleich, mit der wir
Dieselben als unsern zweiten Vater verehren, und mit welcher ich
'i>\
378
Von Friedrich August Hahnrieder
noch ganz besonders mich zu unterzeichnen die Ehre habe als
Ew. Wohlgebornen
ganz ergebene Dienerin
Altrahden im Pastorat Maria verwitwete Pastorin
in Kurland, Kant, gebornc Havemann.
den 19. JuJi 1800.
455-
Von Friedrich August Hahnrieder.
Achtungswürdiger Mann!
Daß ich so lange geschwiegen, hat nichts weiter zum Grunde,
als daß ich nicht eher schreiben wollte, bis ich etwas Bestimmtes
über mein Schicksal sagen könnte, dieses ist itzt der Fall, und
nun würde ich es für unverzeihüch halten, länger zu schweigen.
Daß man mir ein ländliches Etablissement in Westpreußen
geben wollte, ist Ihnen bekannt, allein das General-Direktorium
war mit den Vorschlägen, die ich machte, nicht zufrieden, und
ich war nicht willens, andere zu tun, die Sache zerschlug sich also
und ich wartete nun, was endlich aus mir werden dürfte; endlich
bin ich zum Besitz eines kleinen köllmischen Gütchens von V.
Hufen kullmisch gelangt und befinde mich nun an dem Ziel meiner
Wünsche. Ob ich nun ausdauren werde, kann nicht mehr die
Frage sein, denn es ist das letzte, was ich wollte, und ich habe
auch geheiratet, also ist mein Schicksal gänzHch entschieden. Itzt
stehe ich, meiner Meinung nach, auf der höchsten Stufe, auf
welcher ein Sterblicher stehen kann, denn es läßt sich in der Tat
nichts Größeres denken, als unabhängig von den Launen anderer,
das Land zu bauen; ich fühle dieses Glück ganz und würde meine
Lage mit keiner andern vertauschen.
Mein Leben gleicht einem Roman, wo ich mir zum Teil viele
Szenen selbst schuf, zum Teil auch in welche wider mein Wissen
und Willen versetzt wurde; indessen kann ich aus allen Nutzen
ziehen und wo ich gefehlt habe, itzt verbessern ; in meinem gegen-
wärtigen Wirkungskreise kommt mir sehr vieles zustatten, woran
ich vorher nicht gedacht. Bei meinem Aufenthalt in Rußland
lernte ich so manches Nützliche für Ökonomie und Menschen-
kunde, hauptsächlich lernte ich daselbst in den Gefängnissen der
Inquisition Ihre Schriften kennen, welches für mich das größeste
An Samuel Thomas Soemmering 379
Glück ist, denn ohne diesen Leitfaden wäre ich ein bloßer frag-
mentarischer Mensch gebHeben, und nie das geworden, was ich
schon geworden bin und insonderheit noch werden kann; an
gutem Willen fehlt es mir nicht und durch mancherlei Mißgriffe bin
ich eines besseren belehrt, so daß ich itzt weniger fehlen werde,
als ich gefehlt habe; ob ich gleich gar wohl weiß, daß Voll-
kommenheit eine Idee ist, zu welcher nur Annäherung, aber nie
gänzliche Erreichung sich denken läßt, so bin ich gleichwohl
überzeugt, daß der, welcher sich dieselbe zum Ziel gesteckt,
immer weniger der Gefahr ausgesetzt ist, zu straucheln. Mein
Aufenthalt und Beschäftigung in Berlin ist für mich auch von
großem Nutzen sowohl in praktischer als technischer Rücksicht,
und nie werde ich es bedauern, diese Laufbahn gemacht zu haben.
Gerne würde ich noch mehr schreiben, allein was soll ich
weiter sagen? und wenn ich gleich noch mancherlei zu sagen
hätte, so ist es leicht möglich, daß der Brief für Dieselben zu
lang würde, ich breche daher ab und bitte Sie — im Fall es
Gesundheit und anderweitige Verhältnisse erlauben — mir auch
nur durch ein paar Zeilen, von Dero Gesundheitsumständen Nach-
richt zu geben. Leben Sie, edler Mann! recht wohl imd sein
versichert, daß ich nicht aufhören werde zu sein
Langgrund im Amte Rhein u 1? j
°°, ^ ,. ganz ergebner rreund
den ^ I Juh ^ f t^.
- ^ •' und Diener
Hahnrieder.
456.
An Samuel Thomas Soemmering.
(Entwurf.)
[4. Aug. I 800.]
An Herrn Hofrat Soemmering in Frankfurt a. Main.
Geliebter und hochgeschätzter Freund!
Ihren Brief vom 3. Mai 1800 allererst den 4. August be-
antwortet zu haben, unerachtet er mit kostbaren literarischen Ge-
schenken begleitet war, als
„Soemmering Icones embryonum humanorum
ejusd. Tabula Baseos Encephali
hiebei ein gebundenes Buch vom Bau dts menschlichen
Körpers Fünften Teils erste Abteilung „Hirn und Nerven-
lehrc zweite umgearbeitete Ausgabe"
380 Aus einem Briefe von Reinhold Bernhard Fachmann
welche (nämlich die Icones) ich mir die Erlaubnis genommen
habe, sie meinem lieben gründlich gelehrten, in England zum
Doct. Med. creierten und in Berlin den Kursus rühmlich ver-
richteten, jetzt in Königsberg mit großem Beifall praktisierenden
Freunde D. MOTHERBY zum Geschenk zu machen mir die Frei-
heit genommen habe und dessen Ansicht ich hiebei die Beurteilung
Ihrer Ideen, so viel an mir ist, zu benutzen Gelegenheit habe.
Diesen Brief, sage ich, so spät zu beantworten, würde un-
verzeihliche Nachlässigkeit sein, wenn ich nicht diese Zeit hin-
durch unter der Last einer den Gebrauch meines Kopfs zwar
nicht schwächenden, aber im hohen Grad hemmenden Uh-
päßlichkeit läge, die ich keiner Ursache als der wohl schon 4
Jahre hindurch fortgewährten Luftelektrizität zuzuschreiben weiß,
welche mein Nervensystem (einem Gehirnkrarnpf ähnlich) affiziert,
indirekt aber auch die mechanische Muskelkräfte der Bewegung
(das Gehen) in meinem jy. Lebensjahre bei sonstiger nicht krank-
hafter Leibesbeschaffenheit beinahe unmöglich macht.
Diesen Brief nicht früher beantwortet zu haben, werden Sie
mir unter diesen Umständen gütigst verzeihen.
Nun zur Sache, nämlich die an mich ergehende Aufforderung
selbst. Eine Erklärung meinerseits: daß ich gar nicht gesonnen
sei, mir durch meinen Brief zu verstehen zu geben, daß Sie Ihr
Werk als etwas Absurdes ja nicht drucken lassen sollten
und daß ich es einmal bei Gelegenheit äußerte.
Nun bin ich hiezu gerne erbötig, weil ich mir bewußt bin,
daß dergleichen mir gar [nicht] in den Sinn hat kommen können.
Aber die Gelegenheit dazu muß ich mir dazu erbitten. Sie würde
in den Jahrbüchern der preußischen Monarchie, die bei Unger in
Berlin herauskommt, genommen werden, wenn ich nur nicht von
diesem Vorfall in der größten Unkunde wäre. [Bricht ab.]
Aus einem Briefe von Reinhold Bernhard Jachmann.
Hochzuverehrender Herr Professor!
. . . bie hatten die Güte, teuerster Herr Professor, mir bei meiner
letzten Anwesenheit in Königsberg das Versprechen zu geben, mir
die wichtigsten Umstände aus Ihrer Lebensgeschichte mitzuteilen.
Aus einem Briefe von Reinhold Bernhard Fachmann 381
Ich bin jetzt so frei, Ihnen beiliegend verschiedene darauf sich be-
ziehende Fragen vorzulegen. Viele derselben würden unter allen
andern Umständen sehr indiskret sein und ich würde es mir nie
haben in den Sinn kommen lassen, solche Fragen zu tun. Nur
der Zweck, den ich vorhabe, und die Unentbehrlichkeit dieser
Umstände zu einer vollständigen Biographie kann diese anschei-
nende Indiskretion heben und meine Freiheit entschuldigen. Sollten
einige der angeführten Fragen zur Beantwortung mehr Raum er-
fordern, als die leere Kolonne verstattet, so wünschte ich, daß
Sie die Güte hättert, sie in numerierten Beilagen mir gefälligst
mitzuteilen. — Die ganze Welt wünscht Ihre authentische Bio-
graphie und wird Ihr eignes Zutun zu derselben mit dem höch-
sten-Dank erkennen. Sollten Ihnen einige von mir übergangene
Umstände noch wichtig scheinen, so bitte ich dieselben nur an-
zuführen. Daß ich übrigens von allem nur zu der Zeit erst,
wenn eine Biographie vollständig ans Licht treten kann und mit
der größten Diskretion Gebrauch machen werde, darf ich wohl
nicht versichern. Mein höchster Wunsch ist, daß Sie noch lange
mit Gesundheit und Kraft unter uns bleiben mögen. Ich empfehle
mich Ihrem wohlwollenden Andenken und bin mit Liebe und
Hochachtung
Ihr dankbarer Schüler
Marienburg d. 16. Aug. Jachmann.
1800.
Beilage.
Materialien zu Herrn Professor Kants
Biographie.
1 . Tag und Stunde der Geburt.
2. Stand und Herkunft der Eltern.
3. Wie alt sie damals waren.
4. Das Charakteristische ihrer Denkungsart in moralischer und reli-
giöser Rücksicht.
5. Was sie für die Erziehung des Herrn Professor taten.
6. Wieviel Kinder sie hatten.
7. Das wievielste der Herr Professor war.
8. Sein Verhältnis zu dem übrigen Geschwister in der Jugend.
9. Wie waren seine Gesundheitsumstände in der Jugend?
10. Hatte er die gewöhnlichen Kinderkrankheiten? und welche? und
wie wurden sie überstanden?
3 8z Aus einem Briefe vofi Reinhold Bernhard Fachmann
11. Hat er in der Folgezeit bedeutende Krankheiten gehabt und
welche? — — —
12. Das Temperament, die besonderen Züge der Sinnesart und des Cha-
rakters in der Jugend.
13. Welches waren die hervorstechenden Neigungen in früher Jugend
und inwiefern wurden sie befriedigt.
14. Die jugendlichen Spiele. — |'
\$. Wann und von wem den ersten Unterricht empfangen. >,
16. In welche Schulen gegangen und wie lange?
17. Wer waren die Lehrer, wenigstens die vorzüglichsten.
18. Welche Wissenschaften und Sprachen wurden vorzüglich geliebt und
getrieben?
19. Bei welcher wissenschaftlichen Beschäftigung äußerten sich zuerst
und in welchem Alter vorzügliche Geistesanlagen? —
ao. Welches waren die jugendlichen Schulfreunde und welchen Einfluß
hatten Lehrer und Jugendfreunde auf Verstandesbildimg und
Denkungsart?
21. Wie waren die ersten Religionsüberzeugungen und welchen Gang
nahmen sie zum echten Religionsglauben? —
22. Wann auf die Universität gegangen und wie lange studiert?
23. Welchen Gang in den Studien genommen und auf welche Wissen-
schaften sie besonders gelegt?
24. Welches waren die vorzüglichsten akademischen Lehrer?
25. Bei wem und nach welchem System die Philosophie gehört?
26. Auf welche Wissenschaften bezog sich vorzüglich die Lektüre ixnd
das Privatstudium?
27. Wurde keine von den sogenannten 3 obern Fakultätswissenschaften
studiert?
18. War es schon früh der Plan, sich dem akademischen Lehramt in
der philosophischen Fakultät zu widmen?
29. Welche Geschäfte ' übernommen nach vollendeten Universitäts-
jahren.
30. Wem und worin als Jugendlehrer Unterricht gegeben, Universitäts-
freunde. —
31. Welchen anderweitigen Umgang gepflegt.
32. Erholungen und Lieblingsvergnügungen. —
3 3 . Hat nicht ein Frauenzimmer das Glück gehabt, ausschließliche Liebe
und Achtung auf sich zu ziehen?
34. Welche Frauenzimmer sind überhaupt zur Bildung in geselligen
Eigenschaften beförderlich gewesen?
35. Wann die Magisterwürde übernommen?
36. Welche Collegia und wieviel täglich in der Regel als Magister ge-
lesen?
An Christian Friedrich Mensch 383
37. Die ökonomischen Umstände zu der Zeit.
38. Ob und wem privatissima gelesen?
39. Wann in eine Professur getreten?
40. Wann und weshalb die Professur der Mathematik mit der der
Metaphysik vertauscht?
41. Welche Anerbiefungen gehabt, auf andern Universitäten eine Pro-
fessur 7u übernehmen?
42. Auf welche Weise wurde der Herr Professor dem Friedrich II.
bekannt?
43. Wie bewies dieser seine Achtung? wie der Minister v. Zedlitz?
44. Die Hauptmomente von der Veränderung in philosophischen Mei-
nungen und die Veranlassungen dazu besonders zum Übergang in
den Kritizism.
45. In welcher Reihordnung die philosophischen Systeme der alten und
neueren Philosophen studiert worden?
46. Inwiefern sie auf die Philosophie des Hrn. Professor Einfluß hatten.
47. Wurden die kirchlichen Gebräuche der christlichen Kirche je mit-
gemacht und wann wurden sie aufgegeben?
48. Sind einige Predigten gerne angehört.
49. Hat das Studium der Bibel iind einiger theologischen Schriften nicht
auf die Lehrbegriffe der praktischen Philosophie Einfluß gehabt.
50. Was hat zum ehelosen Stand bestimmt und ist nie der Wille ge-
wesen sich zu verheuraten.
51. Welche Merischen haben das Glück gehabt als Freunde vorzüglich
wertgehalten zu werden.
5a. Über die Verhältnisse mit Herrn Kaufmann Green.
53. Wie teuer sind die Schriften des Herrn Professor von Anfang an
bis zuletzt bezahlt worden und was haben sie wohl überhaupt ein-
gebracht.
54. Bei welchen Speisewirten und in welcher Tischgesellschaft gegessen.
55. Was hat zur Errichtung einer eigenen Ökonomie Veranlassung ge-
geben und wieviel hat sie jährlich gekostet.
56. Über den Umgang mit Schwestern imd Verwandten und ihre Unter-
stützung.
458.
An Christian Friedrich Jensch.
Meine augenblickliche Störung, geehrtester Freund, in Ihrem
Amtsgesch'äfte, durch die Anfrage: ob Sie v^egen der Passenheimer
Rüben sicher sind, sie gebetenermaßen anzuschaffen? bitte er-
384 An ^oh. Gottfr, Lehmann. — An ^oh. Friedr. Vigilantius
gebenst, mir nicht zu verübeln und sie bloß mit einem einfachen ||
Ja aus dem Collegio zurücksagen zu lassen, wenn dazu gegründete
Erwartung ist. ^
Ihr
treuer Diener
I. Kant. d. z8. Oktober
I
800.
459-
An Johann Gottfried Lehmann.
(Entwurf.)
Herbst 1800.
Im vorigen Jahr, unter dem Dato d. 4. November 1799 habe
ich von Ew. Hochwohlehrw. eine Quantität geschältes und ge-
trocknetes Obst (in Schälbirn und Schäläpfeln, doch ohne ge-
trockente Pflaumen, weil diese damals nicht gedeiheten) durch
Besorgung Ihres in Göttingen den Herrn v. FAHRENHEIT beglei-
tenden lieben und dankbaren Sohns zugeschickt, der sich dieses jähr-
liche Geschenk zum Gesetz gemacht hat, wohl erhalten. Einer
ähnhchen Absendung aus Ihrer Güte sehe ich auch in diesem
Jahr entgegen, für welche ich Ihrem Herrn Sohn meinen großen
Dank abzustatten jetzt gleichfalls nicht ermangeln werde.
460.
An Johann Friedrich Vigilantius.
Ew. Wohlgeb.
bitte ergebenst mich, da ich im Begrifi^ bin,
morgen an das Oberschulkollegium, wegen der jährlichen mir zu-
gesicherten Gehaltszulage aus dem Fonds des Oberschulkollegiums,
den Brief abgehen zu lassen, mich gütigst zu belehren, ob der bei-
gehende Stempelbogen nur als Enveloppc (oder zum Kuvert) dienen
oder mein Brief auf diesem Stempelbogen selbst geschrieben wer-
den könne oder müsse, wobei doch das Inkonveniens ehitreten
würde, zwei Siegel zu einem Briefe aufzudrücken.
I
An E. A. Chr. Wasianski. — An Andreas Richter 385
Ich bitte mir die Beschwerde, die Ihnen meine Unkundc in
Geschäftssachen macht, nicht ungütig aufzunehmen und bin mit
vollkommener Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ergebenster treuer Diener I. Kant.
Königsberg d. i6. 1800.
4<5i.
An Ehregott Andreas Christoph Wasianski.
Mit der Bitte, mich heute zur Mittagsmahlzeit mit Ihrer Ge-
sellschaft zu beehren, verbinde ich ergebenst die zweite: nämlich
eine zweite Gardine von grünem Zindeltaffet für mein zweites
Fenster rechter Hand mit eben solchen Messingsringen gütigst ver-
fertigen zu lassen, weil mich die Sonne rechter Hand schräge
trifft und mich von meinem Schreibtische verjagt. Vielleicht wäre
es am besten, jene alte Gardine ganz zu verwerfen und eine so
breite, als nötig ist, beide Fenster zugleich zu bedecken und rechts
sowohl als links sie an Ringen vermittelst der längeren Schnur
laufen zu lassen. — Ihr glücklicher Künstlerblick vnrd dem Dinge
abhelfliche Maß zu verschaffen wissen.
Ich bin mit freundschaftüchem Vertrauen und der größten
Ergebenheit
Ihr
Königsb. treuer Diener I. Kant.
d. 12. Dez. I 800.
462.
An Andreas Richter.
(Entwurf.)
1801P]
M. H. Ihren sine die et Consule an mich abgelassenen Brief
bejahend zu beantworten, trage kein Bedenken, da er nichts weiter
von mir verlangt als: „daß wenn ich nicht selber ein System der
Politik herauszugeben gemeinet sein sollte, Sie die Erlaubnis haben
wollten, eine solche nach kritischen Grundsätzen zu bearbeiten",
Kants Schriften. Bd. X. Ij
II
1^6 Von J. Glover
wovon Sie mir zugleich den Plan mitgeteilt haben. — Daß mein
(7 /jähriges) Alter mir es nicht wohl möglich macht, es selbst zu
verrichten, vornehmlich mit der Ausführlichkeit, die der mir zu-
gestellte Abriß Ihres vorhabenden politischen Werkes sehen läßt,
beurteilen Sie ganz richtig wie auch das Terrain, auf welcherai
Sie Ihr Lehrgebäude aufzuführen gedenken.
Von Herrn NICOLOVIUS wird dann also die Spedierung
dieses Briefes nach der darin vorgeschriebenen Adresse abhängen,
wobei ich bin
Ihr Diener
I. Kant.
463.
Von J. Glover.
Mein Herr!
Der Wert Ihres neuen Lehrgebäudes der Philosophie ist zu
allgemein anerkannt, und die daraus entsprossene Berichtigung der
Prinzipe für alle Fächer menschlicher Kunde in ihren Folgen zu
heilreich gewesen, daß Sie nicht auch in Bataviens feuchtem Him-
melsstrich Ihre Bewunderer sollten gefunden haben, unter deren
Zahl ich mir die Freiheit nehme, mich Ihnen mit Ehrfurcht an-
zubieten.
Sklavische Schmeichelei war nie meine Sache : auch dann nicht,
wenn gleich alle Verdienste und Tugenden in einer Person zu-
sammengedrängt wären; lieber referier ich mich auf das, was der
gelehrte Herr SCHULZ in seiner Vorrede seiner Erläuterungen
sagt. Nur allein erlauben Sie mir, mein Herr, Ihnen dies Opfer
der Bekenntnis darbringen zu dürfen: daß ich nicht aufhöre, der
Gottheit für das Glück zu danken, mit Ihnen gleichzeitig gelebt
zu haben!
Es ist eins meiner angenehmsten Gefühle, Ihnen melden zu
dürfen, daß Ihr kritisches Werk auch bei dem batavischen Volke
nicht vergebens erschien. Seit einiger Zeit, besonders aber seit
dem Jahre 1796 erscheinen auch hier Männer auf der Bühne,
die mit stetem Andränge Geisteskraft zeigen^ ihren Landgenossen
nützlich zu werden, wovon Sie einen kurzen Abriß von dem Zu-
stande der kritischen Philosophie in der Batavischen Republik
weiter unten finden werden.
Doch aber fehlt es uns auch hier keineswegs an solche, be-
sonders unter der Klasse kirchlicher Dogmatisten, die nach Ge-
Von y. Glover 387
legenheit haschen, in Ihrer Philosophie Sonnenflecke zu entdecken;
allein andere wieder beweisen jenen, daß Unkunde und Mißver-
stand ihre Teleskope zusammenstellte, und dann tritt das Licht
mit noch größerem Glänze hervor wie zuvor. Dieser Andrang
erzeugt die wohltätigste Rückwürkung, und daher Verbreitung
menschlicher Kenntnisse. Ihre Kritik gleicht einem Felsen, der im
Ebenmaße der auf ihn gefallenen Schläge Funken verspreitet; und
darum wünscht mancher mit mir dieser wohltätigen Schläge
viele.
Obschon Ihre Philosophie hier viele Verehrer findet und auch
bearbeitet wird, so is: noch keines Ihrer Werke im Zusammen-
hange in die holländische Sprache übersetzt. Doch in diesem
Augenblicke erfahre ich von sicherer Hand, daß man uns bald
mit einer Übersetzung Ihrer Kritik der prakt. Vernunft beschenken
wird.
Schon längst entdeckte ich meinen Wunsch und bat vergeb-
lich einen meiner Freunde um die Übersetzung des mir so schätz-
baren Werks „Metaphysische Anfangsgründe der Natur-
wissenschaft" ins Holländische! Doch da der Wunsch, meinen
Landgenossen diese reiche Quelle der Vernunft zu eröffnen, wie-
der mit erneuerter Kraft in mir rege wird, so habe ich mich
entschlossen, selbst Hand ans Werk zu legen.
Da es aber mit meinen Grundsätzen nicht zutrifft, dieses Ihr
Werk auf eigne Autorität in ein niederdeutsches Gewand zu klei-
den, ohne zuvor Ihre Erlaubnis dazu erbeten und erhalten zu
haben, noch auch bei Ihnen angefragt, ob Sie vielleicht noch ein
oder das andere aufzuklären, verändern, oder zu vermehren wün-
schen, so hoffe ich, wird dies zureichen, meine genommene Frei-
heit, mich schriftlich an Sie zu wenden, zu entschuldigen.
Sind Sie so gütig, mich mit einer Antwort zu beehren, so
wird sich dadurch glücklich schätzen der die Ehre hat sich unter
herzlicher Anwünschung alles Heils zu nennen Mein Herr
Ihr aufrichtigster Verehrer
Driel, den r6. Februar 1802. JGlover
adress
J Glover
te Driel by Arnhem
in de Bataavsche Republik.
388 Von J. Glover
Beilage.
Kurze Übersicht der Förderungen und des Zustandes der kritischen
Philosophie in der Batavischen Republik.
Vor dem Jahre 1792 kannte man in den Niederlanden die kritische
Philosophie nur dem Namen nach. Doch im Anfange dieses genannten
Jahres gab mein Freund Paulus van Hemert zu Amsterdam (dessen
zwei gekrönte Preisabhandlungen ins Hochdeutsche übersetzt sind) in
einer Monatschrift einen kurzen Abriß von dieser Philosophie, wurde
aber von wenigen verstanden. Die Jahre 93, 94 und 95 brachten wie-
der nichts Merkenswertes zum Vorschein, obgleich eine Übersetzung
Ihrer Metaphys. Anfangsgr. der Rechtslehre und Logik angekündigt
wurde, die jedoch noch vergeblich erwartet wird; bis endlich wieder
v. Hemert im Jahre 1796 den ersten Teil einer freien Nachfolgung
von Borns Versuch unter dem Titel Beginzeln der Kantiaansche
Wysgeerte, herausgab, wovon der 4. und letzte Teil im Jahre 1798
erschien.
Im Jahre 1798 erschien abermals durch v. Hemert ein Werk, ganz
gebaut auf die Gründe der Kritik der prakt. Vernunft unter dem Titel
„Proeven oover het bestaan van beginzeln eener belangloozen
goedwilligheid in het menschlyke hart", welches ebenfalls, wie
ich glaube, ins Hochdeutsche übersetzt ward, wenigstens wurde es im
Intelligenzblatt zur Jen. Litt.-Zeitg. angekündigt. Auch wurde durch
W. Servaas in einer periodischen Schrift, Kunst en Letrerbode,
von Zeit zu Zeit einige kurze Erklärungen dieser Philosophie gegeben.
Im Herbste des Jahrs 1798 trat wieder Paulus v. Hemert mit
seinem Kritischen Magazin hervor. Dieses Werk enthält mehrere
herrliche Aufsätze sowohl vom Herausgeber selbst als von einigen
seiner Mitarbeiter, wird viel gesucht, hat sich schon bis zu vier Teile,
jeden zu zirka 400 pag. in octavo angehäuft. Hierin findet man vor-
züglich die gründlichsten Widerlegungen gegen die Anfechtet.
Endlichhin zeugen die akademischen Dissertationen, daß mehrere
Professoren sich alle Mühe geben, diese Philosophie zu promulgieren,
von dessen glücklicher Wirkung eine zu Amsterdam bestehende Ge-
sellschaft unter dem Titel der Kritischen zum Beweise dient.
I
An Carl Christoph Schoen. — An Friedrich Stuart 389
464.
An Carl Christoph Schoen.
Hochwohlehrwürdiger Herr Pastor
Hochzuehrender Herr
Das geneigte Schreiben Ew. Hochwohlehrwürden vom 1 6. März
habe ich am 17. April erhalten, und aus demselben die beiden
für mich angenehmen Nachrichten der Versorgung Ew. Hoch-
wohlehrwürden sowohl; als auch dero Verbindung mit meiner
Brudertochter ersehen. Ich nehme an beiden Ereignissen den auf-
richtigsten Anteil und begleite sie mit meinen besten Wünschen.
Meine Kräfte nehmen mit jedem Tage ab, meine Muskeln
schwinden, und ob ich gleich keine eigentliche Krankheit jemals
gehabt habe, und auch jetzt keine befürchte; so bin ich doch
bis jetzt seit zwei Jahren nicht aus meinem Hause gewesen, sehe
aber mit Mut jeder mir bevorstehenden Veränderung entgegen.
Meine gute Gesinnungen gegen meine Verwandten werde ich bis
zu diesem Zeitpunkt unveränderlich erhalten, und auch nach
meinem Tode dieselben beweisen. Ich kann die Empfehlung an
die Meinen keinem besser auftragen, als Ihnen, der Sic sich bald
auch in den Kreis derselben einschließen werden. Ich habe die
Ehre zu sein
Ew.
Königsberg Hochwohlehrwürden
d. 2 8. April ergebenster Diener
1802. Immanuel Kant.
465.
An Friedrich Stuart.
Wohlgeborner Herr
Insonders Hochzuehrender Herr
Inspektor.
Die schmeichelhafte Zuschrift Evv. Wohlgebornen vom 20. März
und besonders die darin mir bekanntgemachte Verbindung Ew.
Wohlgeb. mit meiner Brudertochter hat mir ein wahres Vergnügen
gemacht, und das in den Tagen meines Lebens, da man nur für
wenige Freuden mehr empfänglich ist. Die Versicherung meines
390 An Friedrich Stuart
hiesigen Freundes Herrn JACOßl, der vom Herrn von HAGEDORN
dieselbe erhalten hat; daß die Verbindung für meine Brudertochter
in mehr als Einer Rücksicht vorteilhaft sei, hat meine Teilnahme
an ihrem Glücke mit Grund vermehrt. Empfangen Sie, beide ^
Verlobte, statt meines verstorbenen Bruders hiemit meinen väter- H
liehen Segen, der Sie und alle Meinigen, zu welchen ich von nun
an Ew. W^ohlgebornen zu zählen die Ehre habe, gewiß begleitet.
Ich ersuche Sie ergebenst, mich meinen dortigen Verwandten zu
empfehlen; sich selbst aber von der vollkommensten Hochachtung
zu überzeugen, mit welcher ich zu verharren die Ehre habe
Ew.
Wohlgebornen
ergebener Freund und
Königsberg Diener
d. 9. April I. Kant.
1803.
Lesarten.
Zur Textbehandlung siehe Band IX, Seite 4J7fF. — Auch im vor-
liegenden Band sind einzelne offenbare Schreibversehen stillschweigend
berichtigt worden; von anderen Abweichungen gegenüber dem Text
der Reickeschen Ausgabe der Kantischen Briefe seien die folgenden
erwähnt:
Seite 150, Zeile 16 wol] wo (R). 150, 18 perfugium] per-
fiigiam (R). 158, 20 also] als (R). 160, 10 v. u. unterscheiden
wollen] worden (R). 165, 12 v. u. Kritik der Urth. Kr.] Kritik der
prakt. Urth. Kr. (R). 175, 22 und der Erde gegen sie] und die
Erde (R). 183, 18 verschiedene] verschieden (R). 209, 2 kann]
fehlt bei (R). 225, 9 innerhalb der Grenzen] innerhalb den Gren-
zen (R). 248, 16 das] daß (R). 334, 5 synthetische] syntheti-
scher (R). 334>6 v. u, oder] aber (R). 335> 16 wie er uns er-
scheint] wie es uns erscheint (R). 342, 19 einige] einigen (R).
342, 21 des] dem (R).
Inhaltsübersicht des zehnten Bandes.
2.11.
111.
llTf.
11^.
ll'y.
ii6.
227.
228.
229.
230.
231.
232.
233.
234.
235.
Z3<5.
237.
238.
239.
240.
241.
242.
243.
244.
245.
246.
1790.
An Theodor Gottlieb v. Hippel. 6. Januar lypo .
An Johann Gottfried Kiesewetter. 21. Januar i/po
An F. Th. de la Garde. 21. Januar ijpo
An F. Th. de la Garde, ß. Februar lypo
Von Johann Gottfried Kiesewetter. 3. März 1790
Von Ludwig Ernst Borowski. 6. März 1790
An Ludwig Ernst Borowski. März lypo .
An F. Th. de la Garde, p. März lypo
Von Ludwig Ernst Borowski. 22. März 1790 .
An F. Th. de la Garde. 2j. März ijpo .
Von Johann Wilhelm Andreas Kosmann, i 5 . April i
An Johann Gottfried Kiesewetter. 20. April lypo
Von Johann Gottfried Kiesewetter. 20. April 179
Von Karl Leonhard Reinhold. 30. April 1790
Von Ludwig Heinrich Jakob. 4. Mai 1790
Von Salomon Maimon. 9. Mai 1790
Von Salomon Maimon. 15. Mai 1790
An Johann Schultz. 2p. Juni ijpo
An Johann Schultz. 2. August ijpo
An Johann Friedrich Blumenbach. j. August lypo
An Johann Schultz, ij. August lypo . . .
An Johann Schultz, lö. August lypo ....
Von Johann Friedrich Reichardt. 28. August 1790
An F. Th. de la Garde. 2. September ijpo .
Von August Wilhelm Rehberg. September 1790
An August Wilhelm Rehberg. September ijpo
90
Seite
I
2
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1 1
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41
43
Inhaltsübersicht des zehnten Bandes
393
Seite
247. Von Johann Benjamin Jachmann. 14. Oktober 1790
148. An Johann Friedrich Reichardt. ij. Oktober ijpo .
249. An Markus Herz. ij. Oktober ijpo 55
250. An F. Th. de la Garde, ip. Oktober ijpo .... 56
251. Von Christoph Friedrich Hell wag. i 3 . Dezember 1790
252. Von Abraham Gotthelf Kästner. 20. Dezember 1790
47
54
57
66
253.
254.
255.
256.
257.
258.
259.
260.
261.
262.
263.
264.
265.
i66.
167.
268.
269.
270.
271.
272.
273.
274.
1791.
An Christoph Friedrich Hellwag. j. Januar ijpi
Von Jacob Sigismund Beck. 19. April 1791 .
An Jacob Sigismund Beck. p. Mai lypi .
Von Jacob Sigismund Beck. i. Juni 1791 .
Von Johann Gottfried Kiesewetter. 14. Juni 179
Von Johann Gottfried Kiesewetter. 3. Juli 1791
Von Fräulein Maria von Herbert. August 1 7 9 i
Von Ludwig Ernst Borowski. August 1791 •
An F. Th. de la Garde. 2. August ijpi .
Von Johaun Gottlieb Fichte. 18. August 1791
Von Johann Gottlieb Fichte. 2. September 1791
An Ludwig Ernst Borowski. 16. September lypi
Von Salomon Maimon. zo. September 1791 •
An Carl Leonhard Reinhold. 21. September lypi
An Jacob Sigismund Beck. 27. September lypi .
Von Jacob Sigismund Beck. 6. Oktober 1791
An Theodor Gottlieb v. Hippel. 2^. Oktober ijpi
An F. Th. de la Garde. 2S. Oktober lypi .
Von Georg Christoph Lichtenberg. 30. Oktober 1791
An Jacob Sigismund Beck. 2. November ijpi
Von Johann Benjamin Erhard. 6. November 1791
Von Jacob Sigismund Beck. 1 i. November 1791
68
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102
103
105
105
107
1 1 1
1792.
275. An Jacob Sigismund Beck. 20. Januar ijp2 .
276. Von Johann Gottlieb Fichte. 23. Januar 1792
zyj. An Johann Heinrich Kant. 2(>. Januar ijp2
278. An Johann Gottlieb Fichte. 2. Februar ijp2
279. Von Johann Heinrich Kant. 8. Februar 1792
280. Von Johann Gottlieb Fichte. 17. Februar 1792
281. An Christian Gottlieb Seile. 2^. Februar ijp2 .
114
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283.
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290.
291.
292.
293.
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295.
296.
297.
298.
299.
300.
301.
302.
303.
304.
305.
306.
307.
308.
309.
310.
311.
312.
3n-
Inhaltsübersicht des zehnten Bandes
Von Johann Erich Biester. 6. März 1792 .
An F. Th. de la Garde, jo. März ijpz
An Fräulein Maria von Herbert. Frühjahr lypz?
An Heinrich Christian Reichsgraf v. Keyserling. S. Mai lypz
Von Jacob Sigismund Beck. 31. Mai 1792
An F. Th. de la Garde, iz. Juni lygz .
Von Christian Garve. 18. Juni 1792
Von Johann Erich Biester. 18. Juni 1792 .
An Fürst von Beloselsky. Sommer lypz
An Jacob Sigismund Beck. ^. Juli ijpz .
An Johann Erich Biester, ßo. Juli lypz .
Von Johann Gottheb Fichte. 6. August 1792
Von Friedrich Victor Lebrecht Plessing. 6. Aug. 1792
An die theologische Fakultät in ^*n.. Ende August i/pz
Von Jacob Sigismund Beck. 8. September 1792 .
Von Friedrich Bouterwek. 17, September 1792 .
Von Johann Erich Biester. 22. September 1792 .
An Theodor Gottlieb von Hippel. zS. September ijpz
An F. Th. de la Garde, z. Oktober lypz
Von Ludwig Ernst Borowski. 12. Oktober 1792
An Rudolph Gotthold Raht. 16. Oktober 17 pz . .
An Jacob Sigismund Beck. ij. Oktober ijpz .
Von Johann GottUeb Fichte. 17. Oktober 1792 .
An Ludwig Ernst Borowski. z^. Oktober ijpz .
Von Ludwig Ernst Borowski. 24. Oktober 1792
Von Carl Leonhard Reinhold. 29. Oktober 1792
Von Jacob Sigismund Beck. 10. November 1792
Von Salomon Maimon. 30. November 1792 .
An Jacob Sigismund Beck. ^. Dezember ijpz .
An F. Th. de la Garde, zi. Dezetnber ijpz .
An Johann Benjamin Erhard, zi. Dezember lypz
An Carl Leonhard Rein hold. 21. Dezember ijpi
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^9
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73
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84
85
%6
^791-
314. Von Maria von Herbert. Januar 1793 .
315. An F. Th, de la Garde. 4. Januar ijpj
31 6. Von Johann Benjamin Erhard. 1 7. Januar 1793
317. Von Carl Leonhard Reinhold. 21. Januar 1793
318. An Elisabeth Motherby. 11. Februar ijpj
. ,87
191
191
194
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2 I.
11.
13.
24.
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I.
2.
3-
4-
5-
6.
7-
8.
9-
40.
41.
42.
Inhaltsübersicht des zehnten Bandes
An Johann Christoph Linck. ij. Februar lyp^ .
An Carl Spener. zz. März lyp^
Von Johann Gottlieb Fichte. 2. April 1793 .
An Johann Christoph Linck. ij. April ijpj .
Von Jacob Sigismund Beck. 30. April 1793 .
An Abraham Gotthelf Kästner. Mai ijßj
An Georg Christoph Lichtenberg. Mai ijp^ .
An Carl Friedrich Stäudlin. 4. Mai 17p ^
An Matern Reuß. Mai lyp^
An Friedrich Bouter'wek. 7. Mai ijp^
An Carl Leonhard Reinhold. 8. Mai lyp^
An Johann Gottlieb Fichte. 11. Mai ijpj
An Georg Heinrich Ludwig Isiicolovius. 16. August i
An Jacob Sigismund Beck. iS. August lypj . .
Von Jacob Sigismund Beck. 24. August 1793
Von Friedrich Bouterwek. 25. August 1793 .
Von Johann Gottlieb Fichte. 20. September 1793 .
An Carl August von Struensee. zo. Septeittber ijpj
An F. Th. de la Garde, zo. September lypj
Von Johann Erich Biester. 5. Oktober 1793 . . .
Von Johann Gottfried Kiesewetter. 23. November 1793
Von Salomon Maimon. 2. Dezember 1793
Von Theodor Gottlieb von Hippel. 5. Dezember 1793
An Johann Gottfried Kieseivetter. /j*. Dezember ly^^ .
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11^
^79^
1794.
343. Von Fräulein Maria von Herbert. Anfang
344. Von Johann Erich Biester. 4. März 1794 .
345. An Carl Leonhard Reinhold. z$. März lyp^
346. An Johann Erich Biester. 10. April lyp^
347. Von Georg Samuel Albert Meilin. 12. April
348. An Johann Erich Biester. iS. Mai lyp^ . .
349. Von Friedrich Schiller. 13. Juni 1794 .
350. Von Jacob Sigismund Beck. 17. Juni 1794
351. Von Johann Gottlieb Fichte. Juni 1794
352. Von Joachim Heinrich Campe. 27. Juni 1794
353. An Johann Erich Biester, zp. Juni typ 4
354. An Jacob Sigismund Beck. i. Juli iyp4 .
355. An Joachim Heinrich Campe. i(f. Juli iyp4
1794
. 231
. 232
• ^35
• ^37
.238
. 2^0
. 241
. 242
. 245
. 246
• 247
. 248
. 250
39<5 Inhaltsübersicht des zehnten Bandes
Seire
356. Von Jacob Sigismund Beck. 16. September 1794 • ^5''
357. Von Johann Gottlieb Fichte. 6. Oktober 1794 • • 25^
358. An F. Th. de la Garde, z^. November lyp^j.. . . .254
359. An Carl Friedrich Stäudlin. 4. Dezember //^-f - . • i 5 5
360. Von Johann Erich Biester. 17. Dezember 1794 . .158
1795-
361. Von Carl Friedrich Stäudlin. 21. Februar 1795 . «259
362. Von Friedrich Schiller. i. März 1795 260
363. An die Fürstin Catharina Daschkoxo. März ijpj . .261
364. An Dietrich Ludwig Gustav Karsten. 16. März ijpj . i6i
365. Von Carl Leonhard Reinhold. 29. März 1795 . .265
366. An Friedrich Schiller, jo. März ijpj 265
367. An F. Th. de la Garde. ^0. März ijpj i66
368. Von Johann Gottfried Kiesewetter. 8. Juni 1795 . 267
3 ($9. Von Jacob Sigismund Beck. 17. Juni 1795 . . .269
370. Von Ludwig Heinrich Jakob. 22. Juni 1795 . . .270
371. An Carl Leonhard Reinhold. i. Juli lypj . . . .271
372. An Samuel Thomas Soemmering. 10. August lypj . .272
373. An Friedrich Nicolovius. ij. August i/pj . . . .273
374. An Karl Morgenstern, i^. August ijpj 273
375. An Georg Friedrich Seiler, i^. August lypj . . .274
3 76. Von den Kindern Johann Heinrich Kants. 1 9. Aug. 1 795 275
377. An Ehregott Andreas Christoph Wasianski. ij. Sept. ijpj 276
378. An Samuel Thomas Soemmering. ly. September lypj . iy6
379. An Theodor Gottlieb von Hippel. zS. September lypj . 277
380. Von Friedrich Bouterwek. 29. September 1795 . . 278
381. An Johann Gottfried Kiesewetter, ij. Oktober lypj . 279
1796.
382. Von Johann Plücker. 5. Januar 179Ö 280
383. An Johann Plücker. z6. Januar iyp6 282
384. Von Matern Reuß. i. April 1796 284
385. An Friedrich August Hahnrieder. 16. April lypö . .285
386. An Johann Gottfried Kiesewetter. Juni iyp6 . . .28^
387. Von Friedrich August Hahnrieder. 20. September 179Ö 287
388. Von Ernst Ferdinand Klein. 11. Oktober 1796 . . 289
389. An Jacob Sigismund Beck. ip. November lypö . . ,290
Inhaltsübersicht des zehnten Bandes 397
^797'
Seite
35>o. Von Friedrich August Hahnrieder. 3. Dezember 1796 291
391. Von Christoph Wilhelm Hufeland. 12. Dezember 1796 294
392. An Carl August von Struensee. Dezember ijgö . -295
393. An Johann Gottfried Kiesewetter. ij. Dezember iyp6 . 296
394. An Johann Heinrich Kant. //. Dezember ijp6 . . .297
395. An Carl Wilhelm Rickmann, ij. Dezember lygö . .297
298
299
00
Ol
10
14
14
17
lg
396. An Johann Friedrich Hartknoch. zS. Januar lypj .
397. An Christoph Wilhelm Hufeland. März lypj
398. An Christoph Wilhelm Hufeland. ip. April lypy
399. Von Jacob Sigismund Beck. 20. Juni 1997
400. Von Jacob Sigismund Beck. 24. Juni 1797
40 T. An Georg Heinrich Ludwig Nicolovius. 7. Juli lypj
402. An Christian Gottfried Schütz. 10. Juli lypy
403. An Johann Heinrich Tieftrunk. 12. Juli lypj .
404. An Johann Heinrich Ludwig Meierotto. August lypy
405. An Eberhard Julius Wilhelm Ernst v. Massow. August lypy 319
40Ö. Von Johann Erich Biester. 5. August 1797 . . .320
407. An Johann Böninger und Johann Langer. 2^. August lypy 321
408. Von Georg Samuel Albert Meilin. 6. September 1797 322
409. Von Jacob Sigismund Beck. 9. September 1797 . «323
410. Von Christoph Wilhelm Hufeland. 30. September 1797 324
411. Von Jacob Sigismund Beck. 6. Oktober 1797
412. An Johann Gottfried Kiesewetter. ij. Oktober lypy
413. An Jacob Lindblom. /j. Oktober lypy ....
414. An Johann Heinrich Tieftrunk. ij. Oktober lypy .
415. An Johann Heinrich Tieftrunk. ly. Oktober lypy .
416. An den Rektor, j. Dezember lypy
417. An Johann Gottlieb Fichte. Dezember lypy .
418. An Johann Heinrich Tieftrunk. 11. Dezember lypy
419. Von Markus Herz. 25. Dezember 1797
25
^5
i6
28
^9
30
3^
33
37
1798.
420. Von Johann Gottlieb Fichte. i. Januar 1798 . . -338
421. An Johann Schultz, p. Januar lypS 339
422. An Christ. Wilhelm Hufeland. d. Februar lypS . . .340
423. An Johann Heinrich Tieftrunk. 6. Februar lypS . .341
398
4H-
4Z5-
426.
427.
428.
429.
430.
431-
43 2.
433-
434-
435-
43<^-
43 7-
438.
Inhaltsübersicht des zehnten Bandes
An Johann Ernst Lüdcke. Februar ijpS ....
An Johann Friedrich Vigilantius. z-j. Februar ijpS
An Johann Heinrich lieftrunk. j. April ijpS
An Friedrich Nicolovius. p. Mai jypS .
An Georg Christoph Lichtenberg. 1. Juli ijpS
An Carl Friedrich Stäudlin. 1. Juli lypS
An Friedrich Ludwig Hagen, j. August i^pS
Von Christian Garve. September 1798 .
An Christian Garve. 21. September 17 p^ .
An Johann Gottfried Kieseivetter. ig. Oktober lypS
An Johann Schultz und Christian Jacob Kraus. Okt. lypS
Von Johann Gottfried Kiesewettcr. 2 <^. November 1798
Von Georg Christoph Lichtenberg. 9. Dezember 1798
Von Carl Friedrich Stäudlin. 9. Dezember 1798 .
Von Johann Ernst Lüdeke. 19. Dezember 1798 .
Seite
34z
54z
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354
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359
360
439-
440.
441.
442.
443-
444.
445-
1799.
An Johann Georg Scheffner. 2^. Januar ijpp . . .36z
An Robert Motherby. 28. März 17 pp 36z
An Carl Arnold Wilmans. Mai lypp 363
An Friedrich Theodor Rink. F. August i/pp . . .3(^4
Von Johann Gottfried Kiesewetter. 15. November 1799 364
An Johann Gottfried Kiesewetter. 20. Dezember ijpp . 3(^7
An Johann Benjamin Erhard. 20. Dezember lypp . .367
446.
447-
448.
449.
450.
451.
452.
453-
454-
455-
456.
457-
1800.
Von Ernst Ferdinand Klein. 28. Februar 1800
An Friedrich Nicolovius. 28. März iSoo .
An Friedrich Nicolovius. 2. April iSoo
An Carl Gottfried Hagen. 2. April iSoo .
Von Carl Gottfried Hagen. 12. April 1800 .
Von Georg Samuel Albert Meilin. 13. April 1800
Von Maria Kant, geborene Havemann. 16. Mai 1800
An Johann Gottfried Kiesewettcr. S. Juli iSoo .
Von Maria Kant, geb. Havemann. 10. Juli iSoo .
Von Friedrich August Hahnrieder. 31. Juli 1800
An Samuel Thomas Soemmering. 4. August 1800 .
Aus einem Briefe von Reinhold Bernhard Jachmann
lö. August 1800
3<$9
370
370
370
37i
373
375
37<^
377
378
379
380
Inhaltsübersicht des zehnten Bandes 599
458. An Christian Friedrich Jensch. zS. Oktober iSoo . .383
^^9. An Johann Gottfried Lehmann. Herbst 1^00 . . . .384
460. An Johann Friedrich Vigilantius. zd. Novetnber 1800 . 384
461. An Ehregott Andreas Christoph Wasianski. iz. Dez. iSoo 385
1801.
462. An Andreas Richter. iSoi 385
1802.
463. Von J. Glover. 1 6. Februar 1802 386
464. An Carl Christoph Schoen. zS. April lioz . . . .389
1803.
465. An Friedrich Stuart. <?. Aprit iSoj 389
Lesarten 39'
Inhaltsverzeichnis des zehnten Bandes 392
Zusammenstellung der Briefe nach den einzelnen Korre-
spondenten 400
Zusammenstellung der Briefe nach den
einzelnen Korrespondenten.
Die kursiv gedruckten Nummern bedeuten Briefe von Kant; die
Nummern in gewöhnlicher Schrift Briefe an Kant. — Die Nummern
1 — 220 belinden sich in Band IX, die Nummern 221—465 in Band X.
ßriefwechseJ mit v. Abel Nr. 164.
Abicht z o I .
An ? /.
V. Baczko i<f/.
Bahrdt 161, 1^2.
Basedow <J'<f.
Beck 208, 254, 2j)j 1^6, z6jy 268, zyz, ij^^ zjj, 286, zpi,
i9<^, 30S7 308, jio, 323, s3Zj 333, 350, ss^j 356, 369.
ßPj 399? 40O' 409. 4"-
V. Beloselsky zpo.
Bering 130, i^Sj 151, 157, 166.
Bernoulli loo, loi.
Biester pi, iz$, 132, 138, 146, 154, 156, 185, 195,220, 282;
289, zgz, 298, 338, 344, S4<^> J'f^j SSSy 3<^o, 40<^-
Blumenbach z^o.
Böninger ^oj.
Born 150, 159, 182, 183, 187.
Borowski iZj ij, 116, zzj, 229, 260, z6^j 301, 30 ^j 306.
Bouterwek 297, ^z^^ 334, 380.
Breitkopf lyp.
Campe 7/, jz, jj, 172, 351, SSS-
Crichton tz.
Daschkow 363.
Elisabeth, Kaiserin von Rußland 6.
Engel pi,
Erhard 152, 273, _?/2 316, -^^/.
Verzeichnis der Briefe nach den einzelnen Korrespondenten 40 1
Fichte 262, 263, 276, 27S, 280, 293, 304, ii\, jjo, 335,
351, 3 57» ^'7^ 4^0-
V. Finkenstein iS.^.,
Formey i<f, 160,
FriedJänder ijjf..
Friedrich II. j, iS, zpy 30, 4^.
Friedrich Wilhelm 11. ip6,
V. Fürst ig, zS, ßz.
de la Garde zij, zzj, zz^, zzS, zßo, z^^j zja, z(fi, zjo, zSj,
2^7. 300j Jih S'Jy 337^ 3S^, 3^7*
Garvc 109, iiOj 288, 431, 43z.
Glover 463.
Hagen 430, 449, 450.
Hahnrieder ßSj 387, 390, 455.
Hamann 7, 9, 10, 11, 50, 51, 52, 53, 55, 57, 58.
Hartknoch ^(;>6.
Hellwag 251, 2/y.
V.Herbert 259, zi4, 314, 343.
Herder 2j, i6.
Herz sh 34' 35> ^<^ 4^' ^^;» 4^> <^7; 70, So, Sj, %6, 87, n, Sg,
ßo, P4, ßö, 140, 141, 14z, 145, 7^;?, ///, 197, zos, Z4P, 419.
V. Hippel izo, 124, ijS, lyo, zzi, z6p, zpp, 341, jjg,
Hufeland I3<$, 391, ^pj, SpS, 410, 4ZZ.
V. Hülsen 2, izz.
Jachmann 200, 214, 247, 457.
Jacobi, Frau 14.
Jacobi zio, 2i<5, zi^.
Jakob 147, IS33 1)5= i<^9> '7/:» 192, i55. 37o-
Jenisch 165.
Jensch 4^S.
Jung-Stilling 193, ip4.
Kant, Joh. Heinrich 15, 46, <f/, iz, 63, 73, 102, 209, zjj,
Kant, Joh. Heinr., Kinder 376.
Kant, Maria 452, 454.
Karsten j(f4.
Kästner 252, JZ4.
V. Keyserling zSj.
Kiesewetter 219, zzz, ii^, zjz, 233, 257, 258, 339, ^^2^ 3<$8,
SSi, 3U, 39j, 4t 2, 433y 435» 4^3» 44^ 4S3'
Kants Schrifttn. Bd. X. l6
40 2 Verzeichnis der Briefe nach den einzelnen Korrespondenten
Klein 388, 446.
V. Knobloch //.
Kosmann 2 [ i, 212, 231.
Kraus ^j^.
Lambert 20, 21, ii, jj, ^6.
Langer ^0/.
Lavater 49, 54, jp, 60, 64.
Lehmann ^-jp.
Lichtenberg 271, ^2j, ^2%, 43<$.
Linck i26j jiq, ^22.
Lindblom -f/-^.
Lindner 8.
Lüdeke 93, 42^, 438.
Maimon 198, 20^ 207, 236, 237, 265, 309, 340.
V. Massow 40J.
Mcicrotto 404.
MeUin 347, 408, 451.
Mendelssohn 2j, 2^, 38, Si, 105, ///, 137.
Metzger 104.
Morgenstern ^y^.
Motherby jiS, 440.
Nicolai ^j, /j.
Nicolovius sji, S73> 40h ^^7> -f-f/^ 44^^
Penzcl (fp.
Philosophische Fakultät /.
Plessing 106, iid, 294.
Plücker 382, ß^S-
Raht j02.
Reccard pj.
Regge (fS.
Rehberg 245, 2^<f.
Reichardt loß, 243, 24S.
Reinhold 173, ly^f, 178, 180, iSi, 1^^,202^ 20j, io6, 21^, 21/,
234, 266, 307, s'S, 317» S^I^f 34J> 3<^5s 37^'
Rektor und Senat der Universität Königsberg ^, 41 ö.
Reusch s<^> 9^> '^7^ ^o8y iiy, i2ij i^^y ipo.
Reuß j2j, 384.
Richter 188, 4^2.
Rickmann jpj.
Rink 442.
Verzeichnis der Briefe nach den einzelnen Korrespondenten 403
Ruhnken 39.
SchcflFher 4^p.
Schiller 349, 5<S2, S<f^'
Schmid 191.
Schoen ^(f^.
Schultz pp, 1 1 2, 113, 114} 1 1 5> "^^ "^^ '^Ä ^J^^ -2^^^ "2^^ 2^2,
Schütz 125, 127, /i^, 135, 139, '^i> 144» 103» ^^^i '^<^,
229, -fö2.
Seiler ^7/.
Seile 177, 2^/.
Soemmering 371, S7S, 4^6.
Spalding 179.
Spener pj, 320.
Stäudlin SSP> ?,^^> i<^^> 4^^^ 437-
V. Struensee 3 ja, spz.
Stuart 4<fs.
Suckow 2j.
Sulzer 37.
Theologische Fakultät zpj'
Tieftrunk 40 j, 414, 41s, 41 ^^ 4^3» 4^^-
Ulrich 131.
Vigilantius ^2f, 460.
Wachowski 123.
Wasianski 377, 461.
Wieland 44, 45.
Wilmans 441,
Wolke 64, 84.
V. Zedlitz 74, 7Ö, 78, 83.
F Ullmann G. m. b. H., Zwickau Sa.
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