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Full text of "Werke. In Gemeinschaft mit Hermann Cohen [et al.] hrsg. von Ernst Cassirer"

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IMMANUEL  KANTS 
WERKE 

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LIBRARY 

71805S 

UNIVERSITY  OF  TORONTO 


IMMANUEL  KANTS 
WERKE 


IN  GEMEINSCHAFT 

MIT 


HERMANN  COHEN, 

ARTÜR  BUCHENAU,  OTTO  BUEK, 

ALBERT  GÖRLAND,  B.  KELLERMANN, 

OTTO  SCHÖNDÖRFFER 


HERAUSGEGEBEN  VON 


ERNST  CASSIRER 


BAND  X 


VERLEGT  BEI  BRUNO  CASSIRER 

BERLIN 


BRIEFE 
VON  UND  AN  KANT 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

ERNST  CASSIRER 


ZWEITER  TEIL: 
1790-1803 


VERLEGT  BEI  BRUNO  CASSIRER 
BERLIN    1923 


3— 5-  TAUSEND 


221. 

An  Theodor  Gottlieb  von  Hippel. 

Ew.  Wohlgeb.  sind  so  gütig  gewesen,  dem  jüngeren  JACH- 
MANN in  seinem  Gesuch  um  ein  Stipendium  Ihre  geneigte 
Unterstützung  zu  versprechen.  Er  hat  mir  gestern  eine  Ver- 
änderung in  seiner  bisherigen  Lage  erzählt,  die  ihn  jetzt  dieser 
Beihilfe  sehr  bedürftig  macht :  da  nämlich  der  Postdirektor  seinen 
Sohn,  für  dessen  Leitung  und  Unterricht  er  bisher  gut  bezahlt 
worden,  zum  Herrn  D.  SCHMALTZ  hinzugeben  beschlossen  hat, 
mithin  ihm  hiedurch  das  Einkommen  für  seine  dringendste  Be- 
dürfnisse entzogen  wird,  und  er  besorgt,  in  die  für  alle  seine 
guten  Aussichten  nachteilige  Notwendigkeit  versetzt  zu  werden, 
irgend  eine  Landkondition  anzunehmen  und  so  die  Vollendung 
seiner  Ausbildung  auf  der  Universität  aufzugeben. 

Erlauben  Sie,  daß  er  diesen  Morgen  Ihnen  seine  Aufwartung 
machen  darf,  um  teils  sein  Anhegen  selbst  vorzutragen,  teils  auch 
zu  erkunden,  was  er  seinerseits  zu  tun  habe,  um  sein  Gesuch  in 
gehöriger  Form  anzubringen;  so  bitte  ergebenst  ihm  durch  Über- 
bringern dieses  einen  Wink  zu  geben.  Die  ihm  hierunter  zu  er- 
zeigende Wohltat  kann  schwerüch  einem  Würdigern  bewiesen  und 
so  Ihre  weise  Absicht  in  Austeilung  der  Stipendien  besser  er- 
reicht werden. 

Ich  bin  mit  der  vorzüglichsten  Hochachtung 

Ew.  Wohlgeb. 

ganz  ergebenster  treuer  Diener 

I.  Kant 

d.   6.  Jan.    1790. 

Kants  Schriften.    Bd.  X.  I 


An  Johann   Gottfried  Kiesewetter 


222. 


An  Johann    Gottfried  Carl    Christian  Kiesewetter. 

Ich  habe,  wertester  Freund!  an  Herrn  De  la  GARDE  mit 
der  heutigen  fahrenden  Post  die  erste  Versendung  meines  Mskrpts 
der  Kritik  der  Urteilskraft  mit  40  Bogen  gemacht,  denen  das 
Übrige  in  14  Tagen  sicher  folgen  soll.  Da  jenes  nun  einige 
Tage  später  in  Berlin  eintreffen  wird,  als  dieser  mein  Brief,  so 
bitte  sehr  so  gütig  zu  sein  und  mit  ihm  wegen  der  Ausfertigung 
des  Werks  zur  Ostermesse  zu  sprechen;  weil  er  mir  in  seinem 
Briefe  Bedenklichkeiten  geäußert  hat,  daß  sich  schwerlich  jetzt  in 
Berlin  ein  Buchdrucker  finden  würde,  dessen  Pressen  für  diese 
Messe  nicht  schon  so  besetzt  wären,  daß  er  diese  Arbeit  zu  über- 
nehmen imstande  wäre;  wiewohl  er  doch  zugleich  die  Über- 
sendung wenigstens  der  Hälfte  des  Mskrpts  verlangte  und  also 
diese  Hoffnung  doch  nicht  aufgegeben  zu  haben  scheint.  Sollte 
er  gleichwohl  sich  nicht  anheischig  machen  wollen,  die  Ausfertigung 
um  diese  Zeit  zu  leisten,  so  würde  ich  bitten,  mir  davon  eilige 
Nachricht  zu  geben  und  vorläufig  darüber  mit  dem  Buchhändler 
Herrn  HIMBURG  zu  sprechen  (die  Bedingungen  sind:  der  Ab- 
druck auf  Druckpapier  mit  derselben  Schrift  als  meine  andere 
Kritik,  2  Dukaten  pro  Bogen  für  jede  Auflage  von  1000  Exem- 
plar und  20  Exemplare  frei)  woran  ich  aber  sehr  ungern 
gehe;  daher  ich  auch  bitte  Herrn  De  la  GARDE  vorher  freund- 
lich zu  befragen  (ohne  ihn  das  letztere  wissen  zu  lassen),  ob  ich 
mich  darauf  verlassen  könnte.  Im  Falle,  daß  er  sich  dazu  an- 
heischig macht,  ist  Ihre  Antwort  auf  diesen  meinen  Brief  nicht 
nötig.  Wegen  des  Honorars  für  Ihre  Bemühung  der  Korrektur 
habe  ihm  geschrieben,  nicht  karg  zu  sein. 

Ihr  letzterer  Brief  ist  mir  sehr  angenehm  gewesen,  noch  mehr 
die  mündliche  Nachricht,  daß  es  mit  Ihren  Vorlesungen  guten 
Fortgang  habe.  Ein  mehreres  von  Ihrer  jetzigen  Verfassung  und 
Aussichten  hoffe  gelegentlich  von  Ihnen  zu  vernehmen,  wobei  ich 
mich  mit  dem  Postporto  nicht  zu  schonen  bitte.  —  Herr  Prediger 
JENISCH  hat  an  mich  wegen  jener  ungereimten  Sache  selbst  ge- 
schrieben und  eine  der  Ihrigen  ähnlichen  Beschreibung  davon 
gemacht,  worauf  ich  ihm  auch  bereits  geantwortet  habe  und  hoffe 


An  F.   Th.  de  la  Garde  3 

das  Gerede  hievon  werde    jetzt    ein  Ende    haben    und    ihm  nicht 
nachteilig  werden.^) 

Ich  bin  mit  aller  Hochachtung  und  Freundschaft 

Ihr 
'  ergebenster 

Königsberg,  I.  Kant, 

d.   21.  Jan. 
1790. 

223. 
An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Ew.  Hochedelgeb.  überschicke  mit  der  heutigen  fahrenden 
Post  40  Bogen  Mskrpt.,  welche  nahe  an  die  Hälfte  des  ganzen 
austragen,  denn  84  Bogen,  wozu  noch  17  Bogen  Einleitung  (die 
aber  von  mir  vielleicht  noch  abgekürzt  werden  sollen)  alles  ohn- 
gefähr  in  eben  so  weidäuftiger  Schrift  als  das  Überschickte,  kommen 
w^erden,  machen  das  ganze  Werk  aus.  —  Den  ganzen  Rest  werde 
nach  14  Tagen  ebenfalls  auf  die  Post  geben;  worauf  Sie  sich 
verlassen  können. 

Ich  habe  Ihnen  nicht  eher  etwas  zuschicken  mögen,  als  bis 
die  Abschrift  des  Werks  vollendet  und  Ihnen  die  Bogenzahl  ge- 
meldet werden  könnte:  damit  Sie  mit  dem  Buchdrucker  den 
Überschlag  machen  und  auch  versichert  sein  könnten,  daß  Sie 
nicht  aufgehalten  würden.  Daß  ich  aber  nicht  eher  und  so  früh, 
wie  ich  sicher  hoffte,  ferrig  geworden,  daran  sind  Hindernisse 
schuld,  denen  man  nicht  ausweichen  konnte. 

Die  erste  und  vornehmste  Bedingung,  unter  der  ich  Ew.  Hoch- 
edelgeb. dieses  Mkrpt.  zu  Ihrem  Verlage  übergebe,  ist;  daß  es 
zur  rechten  Zeit  auf  der  nächsten  Leipz.  Ostermesse  fertig  ge- 
liefert werde.  Sollten  Sie  dieses  zu  leisten  sich  nicht  getrauen, 
so  bitte  es  an  Herrn  KIESEWETTER  zu  melden,  der  hierüber 
von  mir  einen  Auftrag  bekommt.  Allein  ich  hoffe:  daß  es  doch 
irgend   eine  Presse  in  Berlin  oder  dem  benachbarten  Sachsen  geben 

^)  Jenisch  war  beschuldigt  worden,  einen  Taufschein  gefälscht  und 
ihn  dem  Konsistorium  eingereicht  zu  haben;  die  nähere  Untersuchung 
hatte  jedoch  ergeben,  daß  die  Schuld  nicht  ihn  selbst,  sondern  einen 
seiner  Freunde  traf. 

\* 


4  An  F,  Th,  de  la  Garde 

wird,  welche  in  14  Tagen  5  Bogen  drucken  wird,  dadurch  denn 
der  Druck  ganz  zeitig  vollendet  sein  kann.  Da  ich  aber  nicht 
zweifle ,  daß  Sie  einen  solchen  Buchdrucker  in  Berlin  antreffen 
werden,  so  wiederhole  meine  Empfehlung,  den  Herrn  KIESE- 
WETTER zum  Korrektor  zu  brauchen,  den  Sie  dann  auch  dafür 
so  reichlich  als  für  dergleichen  Arbeit  nur  zu  geschehen  pflegt, 
zu  bezahlen   beheben  werden. 

Das  Werk  wird  auf  reinem  weißen  Druckpapier,  mit  einer 
Schrift  von  der  Art,  wie  die  Kritik  der  reinen  praktischen  Ver- 
nunft, gedruckt.  Für  mich  bitte  4  Exemplare  auf  Postpapier  und 
noch  andere  i<5  auf  Druckpapier,  als  Zuschuß  zu  dem  honorario 
von  2  Dukaten  pro  Bogen,  für  jede  Auflage  von  lo'oo  Exem- 
plaren, welches  Sie  mir  in  dem  Briefe,  darin  Sie  mir  den  Empfang 
des  Mskpts  mit  der  nächsten  umgehenden  Post  berichten 
werden,  bestätigen  wollen. 

Ich  habe  das  Paket  nicht  frankiert,  noch  den  gegenwärtigen 
Brief;  weil  die  dafür  getragene  Kosten  mir  am  honorario  ab- 
gerechnet werden  können. 

In  den  Meßkat(al)og  werden  Sie  die  Einrückung  zeitig  besorgen. 
Der  Titel  ist: 

Kritik 
der  Urteilskraft 

von 
Immanuel  Kant. 

Für  den  Setzer  habe  hiebei  eine  Anweisung  beigelegt,  auf 
deren  Vollziehung  Sie  zu  sehen  belieben  werden. 

Was  die  Geschichte  mit  Herrn  JENISCH  betriflft;  so  ist  mir 
durch  seinen  Brief  nichts  Unangenehmes  widerfahren,  wie  ich 
ihm  denn  auch  schon  vor  einiger  Zeit  geantwortet  habe,  als  von 
einer  Sache,  die  mich  schlechterdings  nichts  angeht;  in  der  ich 
auch  bei  Gelegenheit  seinen  Charakter  freundschafthch  zu  recht- 
fertigen nicht  ermangelt  habe. 

Einliegenden  Brief  bitte  an  Herrn  KIESEWETTER,  der  bei 
der  Korrektur  wegen  meiner  Hinweisungen  am  besten  Bescheid 
weiß,  abgeben  zu  lassen  und  versichert  zu  sein,  daß  ich  jederzeit 
mit  Hochachtung  und  Freundschaft  sei 

Königsberg,  Ew.  Hochedelgeb. 

d.   21.  Januar.  ergebenster  Diener 

i75>o.  I.  Kant. 


An  F.   Th.  de  la   Garde  5 

224. 
An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Ew.  Hochedelgeb.  werden  ein  Paket  durch  die  gestern  ab- 
gegangene fahrende  Post  mit  40  Bogen  Mskpts.,  als  den  Rest 
des  Tcxts,  (drei  Bogen,  die  ich  nicht  Zeit  gehabt  habe  durch- 
zusehen, ausgenommen)  erhalten.  Diese,  zusamt  der  etwa  zwölf 
Bogen  starken  Einleitung,  werde  über  14  Tage  ebenfalls 
nachschicken:  so,  daß  der  Buchdrucker  gar  nicht  aufgehalten 
werden  soll. 

Anbei  bitte  mir,  so  wie  der  Druck  fortgeht,  von  acht  zu 
acht  Bogen  durch  die  fahrende  Post  auf  meine  Kosten  jederzeit 
zuzuschicken,  damit  von  einigem,  was  ich  da  noch  Fehlerhaftes 
anträfe,  in  der  Vorrede  (die  ich  in  einem  Briefe  mit  der 
reitenden  Post  nachschicken  kann)  Erwähnung  getan  werden 
können. 

Von  EBERHARDS  phil.  Magazin  bitte  ich  des  zweiten  Bandes 
3.  und  4.  Stück  oder  auch  das  3.  allein  (wenn  das  4.  noch  nicht 
heraus  ist)  mit  der  nächsten  fahrenden  Post  zuzuschicken.  Die 
2  ersten  Stücke  des  zweiten  Bandes  habe  ich  von  Ew.  Hoch- 
edelgeb. schon  erhalten  und  es  kann  alles  gegen  Ostern  ver- 
rechnet werden. 

Ich  hoffe,  der  Setzer  werde  darauf  sehen^  daß  er  mit  einem 
Sternchen  *  bezeichnete  Absätze,  wie  gewöhnlich,  unter  den 
Text  setze:  dagegen  die  mit  anderen  Zeichen  bemerkte  in  den 
Text  einrücken. 

Ich  bin  mit  allen  von  Ihnen  getroffenen  Anstalten,  die  mir 
Herr  KIESEWETTER  sehr  gerühmt  hat,  ganz  zufrieden,  erwarte, 
mit  dem  Nächsten,  die  erste  Zusendung  der  abgedruckten  Bogen 
und  bin  mit  aller  Hochachtung 

Ew.  Hochedelgeb. 

ergebenster  Diener 
Königsberg,  I.  Kant, 

d.   9.  Febr. 
1790. 


6  Von  jfohann   Gottfried  Kieseiaetter 

11'). 
Von  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter, 

Bester  Herr  Professor. 

Was  Sie  mir  in  Ihrem  letzten  Briefe  (für  den  ich  Ihnen  den 
besten  Dank  abstatte)  vorausgesagt  haben,  ist  richtig  eingetroffen, 
mein  Körper  hat  meinen  wirkHch  zu  sehr  gehäuften  Arbeiten 
unterhegen  müssen,  und  ich  habe  14  Tage  hindurch  an  Krämpfen 
im  Unterleibe  so  gelitten,  daß  ich  das  Bett  nicht  verlassen  konnte, 
kaum  hatten  sie  im  Unterleibe  nachgelassen,  so  stiegen  sie  nach 
der  Brust  und  zogen  die  Lunge  so  zusammen,  daß  mir  das  Reden 
äußerst  beschwerlich  wurde.  Das  letzte  Übel  ist  nun  gehoben, 
aber  die  Krämpfe  stellen  sich  doch  immer  noch  zuweilen  ein, 
und  ich  muß  zu  meinem  Arger  wie  ein  altes  Weib  Asa  foetida 
gebrauchen.  Nun  bestürmt  man  mich  von  allen  Seiten,  daß  ich 
weniger   studieren    soll,  und    ich  muß  wirklich  etwas  nachgeben. 

Was  meine  äußere  Lage  betrifft,  so  ist  diese  um  ein  gut  Teil 
besser,  und  ich  habe  alle  Ursach  zufrieden  zu  sein.  Der  Minister 
von  SCHULENBURG  tat  mir  gestern  schriftlich  den  Antrag  zu 
ihm  ins  Haus  zu  ziehen  und  der  Gesellschafter  (nicht  Hofmeister, 
denn  dazu  würde  ich  mich  nie  verstehen)  seines  1 7  jährigen 
Sohnes  zu  werden;  er  sagt  mir  in  seinem  Briefe,  daß  ich  weiter 
keine  Verpflichtung  auf  mich  nehmen  sollte,  als  der  Freund  und 
Ratgeber  seines  Sohnes  zu  sein,  daß  ich  meine  völlige  Freiheit 
behalten  und  Collegia  lesen  könnte,  warm  und  wieviel  ich  wollte. 
Er  hat  mich  auf  künftigen  Sonntag  zu  Tisch  gebeten,  wo  wir 
uns  über  die  anderweitigen  Bedingimgen  unterreden  wollen;  wie 
mir  der  Kanzler  von  HOFFMANN  vorläufig  gesagt  hat,  so  wird 
er  mir  freie  Station  und  200  Taler  Gehalt  anbieten.  Ich  bin 
bis  jetzt  entschlossen  das  Anerbieten  anzunehmen.  —  Ferner 
arbeitet  man  jetzt  stark  daran,  daß  ich  den  Unterricht  der  beiden 
jüngsten  Prinzen  des  Königs  in  der  Mathematik,  und  wenn  es 
möglich  ist,  des  zweiten  Sohnes  desselben  (des  Prinzen  Louis)  in 
der  Philosophie  erhalten  soll;  der  Kronprinz  hat  ENGEL  zum 
Lehrer.  Bis  jetzt  gehen  die  Negoziationen  ganz  gut.  —  Der 
Unterricht  der  Prinzessin  AUGUSTE  ist  mir  für  das  künftige 
Jahr  nicht  mehr  zu  nehmen.  Sollte  ich  reüssieren,  so  sollen  Sie, 
verehrungswürdiger  Mann,  es  gewiß  am  ersten  wissen. 


Von    'Johann  Gottfried  Kiesewetter  7 

Sie  werden  sich  vielleicht  noch  erinnern,  daß  ich  Ihnen 
während  meines  Aufenthalts  in  Königsberg  einmal  sagte;  ich 
fürchtete,  man  würde  in  mich  dringen,  etwas  drucken  zu  lassen, 
und  was  ich  fürchtete,  ist  wirklich  geschehen.  Da  nun  die  erste 
Ausgabe  meiner  kleinen  Schrift  über  den  ersten  Grundsatz  der 
Moralphilosophie  ^)  vergriffen  ist,  so  habe  ich  mich  entschlossen, 
eine  neue  ganz  umgearbeitete  Auflage  zu  besorgen,  sie  mit  3  Ab- 
handlungen über  die  Übereinstimmung  Ihres  Moralsystems  mit 
den  Lehren  des  Christentums,  über  den  Glauben  an  die  Gottheit 
und  über  die  Unsterblichkeit  der  Seele  zu  vermehren  und  sie 
dem  Könige  zuzueignen,  und  alle  haben  dies  sehr  gut  gefunden. 
Wenn  Sie  etwa  in  Ihrem  nächsten  Briefe  mir  einige  Bemerkungen 
zu  den  drei  letzten  Abhandlungen  mitteilen  wollten,  so  würde 
ich  mich  unendlich  glücklich  schätzen.  Vorzüglich  liegt  mir  der 
erste  Zusatz  am  Herzen,  und  Sie  können  leicht  einsehen,  wes- 
halb; ich  bin  überzeugt,  daß  man  wenigstens  das  ganz  deutlich 
machen  kann,  daß  der  Grundsatz  Ihres  Moralsystems  sich  mit  den 
Lehren  der  christlichen  Religion  ganz  wohl  verträgt,  vielleicht 
auch,  daß,  wenn  Christus  Sie  gehört  und  verstanden  hätte,  er  ge- 
sagt haben  würde,  ja  das  wollte  ich  auch  durch  mein  Liebe 
Gott  usw.  sagen.  Heucheln  kann  ich  und  werde  ich  nicht,  aber 
ich  will  für  die  gute  Sache  tun,  was  ich  kann.  —  WOLLNER 
hat  sich  sehr  darüber  gefreut,  daß  ich  die  erste  Abhandlung  an- 
hängen will.  Ich  versichre  Sie,  teuerster  Herr  Professor,  daß  ich 
zuweilen  in  Lagen  gesetzt  worden  bin,  wo  ich  alle  mögliche 
Aufmerksamkeit  nötig  hatte,  um  weder  auf  der  einen  Seite  der 
Wahrheit  etwas  zu  vergeben,  noch  auf  der  andern  meine  Ge- 
sinnungen zu  entdecken  und  mir  zu  schaden. 

Unsern  neuen  Katechismus  wird  Ihnen  Herr  de  la  GARDE 
geschickt  haben;  über  den  Wisch  selbst  keine  Anmerkung.  Im 
Consistorio  hat  es  mächtigen  Streit  gegeben;  als  WOLLNER  die 
Sache  vorgetragen  und  die  Kabinettsorder  des  Königs,  die  ich  in 
Abschrift  gesehen  habe  und  die  ziemlich  hart  war,  vorgelegt 
hatte,  so  mußte  ZÖLLNER  als  jüngster  Rat  zuerst  votieren.  Er 
sprach  mit  vieler  Wärme  dagegen,  und  alle  geistliche  und  welt- 
liche Räte,  den  Präsident  HAGEN  und  SILBERSGHLAG  ausge- 
nommen, traten  ihm  bei;  vorzüglich  ereiferten  sich  TELLER  und 
DIETRICH;  der  letzte  sagte  mit  tränenden  Augen,  daß  er  wünsche, 

')  Zuerst  erschienen:   Leipzig  und  Halle    1788. 


8  Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter 

nie  den  Katechismus  geschrieben  zu  haben,  der  dem  neuen  zum 
Grunde  gelegt  ist,  und  daß  er  nie  einwilHgen  werde.  WÖLLNER 
sagte,  daß  man  schon  Mittel  finden  würde,  sich  den  Beitritt 
zu  verschaffen ;  darauf  so  sagten  viele  von  den  Räten,  sie  würden 
sich  eher  kassieren  lassen,  als  beitreten  und  DIETRICH  (ein 
alter,  schwächlicher  Greis)  stand  auf  und  sagte:  Icli  haDe  nur 
noch  wenige  Jahre  zu  leben,  und  also  mache  man,  was  man 
will;  aber  solange  ich  noch  ins  Konsistorium  kommen  darf, 
werde  ich  nie  einwilligen.  Darauf  setzte  das  Konsistorium  eine 
Protestation  an  den  König  auf,  die  alle  bis  auf  HAGEN  und 
SILBERSCHLAG  unterschrieben;  der  letztere  hing  vielmehr  dem 
Zirkulare  eine  8  Bogen  lange  Verteidigung  des  Katechismus  (der 
sein  Machwerk  ist)  an.  Jetzt  sagt  man  nun  einstimmig,  der 
König  sei  bewogen  worden,  die  Kabinettsorder  zurückzunehmen 
und  WÖLLNER  habe  die  ganze  Auflage  des  Katechismus  an  sich 
gekauft;  und  einer  meiner  Freunde  der  nach  der  Verlagshandlung 
der  Realschule  schickte,  um  sich  einen  Katechismus  holen  zu  lassen, 
hat  wirklich  keinen  erhalten  können. 

Neuigkeiten,  die  den  Hof  betreffen,  sind  wenig.  Die  Königin 
ist  krank,  man  weiß  selbst  nicht  recht,  woran,  und  da  sie  stark 
ist,  ist  man  ihretwegen  besorgt.  Der  König  lebt  a  son  aise,  er 
ist,  wie  alle  die  ihn  kennen,  sagen,  ein  gutmütiger  Fürst,  es 
kömmt  nur  auf  die  an,  die  ihn  leiten.  Er  bemüht  sich  jetzt  um 
die  Gunst  einer  gewissen  Gräfin  von  DEHNHOF,  einer  Hofdame 
bei  der  regierenden  Königin;  hat  aber  bis  jetzt  noch  nicht  reüs- 
siert. Die  Gräfin  ist  unermeßlich  reich  und  ihr  also  von  der 
Seite  nicht  anzukommen.  Vielleicht  warnt  sie  das  bedenkliche 
Schicksal  der  verstorbenen  Gräfin  INGENHEIM.  —  Graf  BRÜHL, 
der  alles  gilt,  soll  ein  Mann  von  sehr  gutem  Herzen  aber  ganz 
gewöhnlichem  Kopfe  sein;  ich  kenne  ihn  nicht.  —  Man  spricht 
hier  freier,  als  man  glauben  sollte,  und  es  wird  in  mehreren 
Köpfen  licht,  als  die  wohl  selbst  glauben  mögen,  die  Aufklärung 
hindern  wollen.  Seitdem  der  Kaiser  tot  ist,")  hört  man  hier  nichts 
mehr  von  Kriegszurüstungen,  und  selbst  die  beiden  ältesten  Prinzen 
von  Preußen,  die  mit  zu  Felde  ziehen  wollten,  lassen  ihre  Feld- 
cquipage  abbestellen. 

An  Ihrer  Kritik  der  Urteilskraft  wird  emsig  gedruckt;  nur 
bin  ich  schon    einigemal    bei  der  Korrektur    in  Verlegenheit  ge- 


^)  Joseph  II,  gestorben  20.  Februar  1790. 


Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter  9 

wcsen;  es  sind  nämlich  Stellen  im  Manuskript,  die  offenbar  den 
Sinn  entstellende  Schreibfehler  enthalten,  und  wo  ich  mich  ge- 
nötigt gesehen  habe  zu  ändern.  Da  ich  jetzt  eben  den  Bogen 
M  vor  mir  liegen  habe,  so  will  ich  nur  zum  Beispiel  die  aus- 
zeichnen, die  in  demselben  enthalten  sind.  Seite  181  Zeile  1 4 
von  unten  steht  statt  mit  dem  der,  weil  er  usw.  im  Manu- 
skript mit  dem  der  welcher,  ferner  Seite  183  Zeile  13  und 
14  von  oben  statt  nicht  der  Nachmachung,  sondern  der 
Nachahmung,  steht  im  Manuskript  nicht  der  Nachahmung, 
sondern  der  Nachahmung,  Seite  185  Zeile  4  von  unten,  steht 
im  Manuskript  zu.  Ferner  hat  mir  ein  Titel  Schwierigkeiten  ge- 
macht, der  nicht  mit  dem  vom  Herrn  Professor  geschickten  Zettel 
stimmen  wollte.  Es  war  nämlich  im  Manuskript  und  auf  dem 
Zettel 

Erster  Abschnitt 

Analytik  der  ästhetischen  Urteilskraft 

Erstes  Buch 

Analytik  des  Schönen 

Zweites  Buch 
Analytik  des  Erhabenen 

Nun  kam  im  Manuskript  Dritter  Abschnitt  der  Analytik  der 
ästhetischen  Urteilskraft.  Deduktion  der  ästhetischen  Urteile; 
im  Zettel  fehlte  dieser  Titel  ganz.  Dies  paßte  also  gar  nicht, 
ich  habe  es  so  abgeändert:  Drittes  Buch  Deduktion  der  ästhetischen 
Urteile.  — 

Durch  diese  Fehler  im  Manuskript,  und  dadurch,  daß  ich  bei 
der  Korrektur  vom  2.  bis  6.  Bogen  krank  war,  und  also  ein 
anderer,  der  dem  Manuskripte  treulich  folgte,  die  Korrektur  über- 
nahm, ist  es  auch  zu  meinem  größten  Arger  gekommen,  daß  im 
Bogen  B.  und  noch  in  einem  andren,  2  den  Sinn  entstellende 
Fehler  stehen  gebheben  sind,  die  ich  aber  als  Errata  hinten  an- 
hängen w^erde. 

Wie  gern  fragte  ich  Sic  noch  in  Ansehung  einiger  Schwierig- 
keiten um  Rat,  aber  ich  bin  selbst  durch  dies  wenige  Schreiben 
so  an  Kräften  erschöpft,  daß  ich  anhalten  muß,  und  de  la 
GARDE  wartet  auf  diesen  Brief.  Doch  ganz  kurz  muß  ich  noch 
etwas  berühren.  Ich  muß  in  meiner  Schrift  von  den  Kriterien 
eines  wahren  Moralprinzips  reden,  sie  sind  Allgemeinheit  und 
Notwendigkeit.     Ich    habe    einen    doppelten    Beweis    zu    fuhren 


lo  Von  Johann  Gottfried  Kieseivetter 

gesucht.  Der  eine  gründet  sich  auf  die  beiden  Sätze,  die  selbst 
HUME  aJs  Grundsätze  darstellt:  Tugend  ist  das,  was  von  allen 
vernünftigen  Wesen  (HUME  sagt  Menschen)  mit  Beifall  begleitet 
wird,  Laster  was  der  Gegenstand  eines  allgemeinen  Tadels  ist.  — 
Der  zweite  beruht  auf  den  negativen  Begriff  der  Freiheit.  Jeder, 
der  Moralität  statuiert,  muß  diesen  negativen  Begriff  zugeben,  und 
der  Theoretiker  sichert  die  Möglichkeit  desselben.  Ich  bin  nur 
besorgt,  daß  mir  Kenner  Ihres  Systems  beim  letzten  Beweis 
einwenden  werden,  daß  ich  einen  Zirkel  begangen  habe,  weil 
man  die  Freiheit  erst  aus  dem  Moralgesetzc  erkeime.  Ich  glaube 
aber  diesen  Einwurf  dadurch  heben  zu  können,  daß  ich  sage, 
dadurch  daß  wir  annehmen  oder  überzeugt  sind,  es  gibt  Moral- 
gesetze, indem  wir  sehen,  daß  uns  unsere  Vernunft  gebietet, 
schließen  wir  auf  Freiheit  im  negativen  Verstände,  und  sobald 
diese  nun  als  Datum  betrachtet  wird,  so  kann  man  daraus  die 
Beschaffenheit  des  echten  Grundsatzes  der  Moral  herleiten.  Doch 
muß  ich  gestehen,  daß  mir  dies  selbst  noch  nicht  satisfazicrt; 
ich  bin  also  entschlossen,  wenn  Sie  es  nicht  billigen  sollten,  diesen 
zweiten  Beweis  auszustreichen,  ob  er  gleich  in  der  ersten 
Ausgabe  vorkommt.  Dürfte  ich  Sie  wohl  ersuchen,  mir  diese 
Frage  bald  zu  beantworten,  da  das  Buch  noch  zur  Ostermesse 
erscheinen  soll? 

Empfehlen  Sie  mich  dem  würdigen  Herrn  Prof.  KRAUSE, 
und  machen  Sie  dem  Herrn  JACHMANN  mein  Kompliment.  —  Ich 
wünsche  nichts  mehr,  als  daß  es  Ihnen  nie  an  Gesundheit  und 
Heiterkeit  fehlen  möge,  und  daß  Sie  nie  den  vergessen,  der  gewiß 
ewig  sein  wird 

Ihr 
Sie  über  alles  schätzender  Verehrer 

Berlin,  den   3.  März    i7$»o.  J.  G.  C.  Kiesewetter. 


Von  Ludwig  Ernst  Borowski  1 1 

22Ö. 

Von  Ludwig  Ernst  Borowski. 

Eur.  Wohlgebornen  remittiere  ich  hiebei  anliegend 
den  neuen  Katechismus  und 

den  Versuch  der  Kritik  der  ReHgion,')  welche  zwo 
Schriften  Sie  mir  gütigst  kommunizierten  und  die  ich  Ihnen  Ende 
dieser  Woche  zurück  liefern  sollte.  Ich  erfülle  meine  Zusage 
und  verknüpfe  damit  meinen  ehrerbietigsten  Dank  für  die 
gütige  Mitteilung. 

Zugleich  lege  ich  das  neueste  Blatt  des  Cagliostro  an,  wo- 
raus Eur.  Wohlgebornen  den  Gang,  den  ich  in  der  Darstellung 
dieses  Menschen  genommen  habe,  werden  beurteilen  können.^) 
Die  vorhergehende  Blätter,  die  ich  selbst  noch  nicht  zusammen 
habe,  sollen  Eur.  Wohlgebornen  auch  noch  eingeliefert  werden.  — 
Es  ist  mir  von  ganzem  Herzen  um  die  Zurechtstellung  so  mancher 
schwärmerischen  Köpfe  auch  in  unserm  Lande  zu  tun  —  und 
dazu  wird  mir  das  von  Ihnen,  würdigster  Lehrer  und  Gönner! 
zu  entwerfende  kurze  Räsonnement  über  den  Unfug  dieser  Art 
ganz  außerordentlich  behülfüch  sein,  von  welchem  ich  Gebrauch 
machen  werde  so  und  in  der  Art,  wie  Sie  es  haben  wollen. 
Ich  erwarte  solches  mit  der  regesten  Freude  zu  meiner  und 
anderer  Belehrung  —  und  bin  mit  der  herzüchsten  und  ehrer- 
bietigsten Hochachtung 

Eur.  Wohlgebornen 

ganz  gehorsamster  Diener 

Borowski. 

6.  März   1790. 


^)  Versuch  einer  Kritik  der  Religion  und  aller  religiösen  Dogmatik 
mit  besonderer  Rücksicht  auf  das  Christentum;  Berlin  179°  (Verf.:  Joh. 
Heinrich  Tieftrunk  [1760— 1837J). 

')  Borowski,  Cagliostro  einer  der  merkwürdigsten  Abenteurer 
seines  Jahrhunderts,  seine  Geschichte,  nebst  Raisonnement  über  ihn  und 
den  schwärmerischen  Unfug  unserer  Zeit  überhaupt,   Königsberg   179°« 


12  An  Ludwig  Ernst  ßorowski 

227. 

An  Ludwig  Ernst  Borowski. 

(Antwort  auf  den  Brief  vom  6.  März    1790.) 

Sie  fragen  mich,  wo  der  Hang  zu  der  jetzt  so  überhand- 
nehmenden Schwärmerei  herkommen  möge,  und  wie  diesem  Übel 
abgeholfen  werden  könne?  Beides  ist  für  die  Seclenärzte  eine 
eben  so  schwer  zu  lösende  Aufgabe,  als  der  vor  einigen  Jahren 
postschnell  seinen  Umlauf  um  die  Welt  machende,  in  Wien  so- 
genannte russische  Katarrh,  (Influenza)  der  unaufhaltsam  viele  be- 
fiel, aber  von  selbst  bald  aufhörte,  es  für  unsere  Leibesärzte  war, 
die  mit  jenen  darin  viel  Ähnliches  haben,  daß  sie  die  Krank- 
heiten besser  beschreiben,  als  ihren  Ursprung  einsehen,  oder  ihnen 
abhelfen  können;  glücklich  für  den  Kranken,  wenn  ihre  Vor- 
schriften nur  diätetisch  sind  und  reines  kaltes  Wasser  zum  Gegen- 
mittel empfehlen,  der  gütigen  Natur  aber  das  übrige  zu  verrichten 
überlassen. 

Wie  mich  dünkt,  ist  die  allgemein  ausgebreitete  Lesesucht 
nicht  bloß  das  Leitzeug  (Vehikel)  diese  Krankheit  zu  verbreiten, 
sondern  auch  der  Giftstoff  (Miasma)  sie  zu  erzeugen.  Der  wohl- 
habendere, mitunter  auch  der  vornehmere  Stand,  der,  wo  nicht 
auf  Überlegenheit,  doch  wenigstens  auf  Gleichheit  in  Einsichten 
mit  denen  Anspruch  macht,  welche  sich  dahin  auf  dem  dornichten 
Wege  gründlicher  Erlernung  bemühen  müssen,  begnügt  sich, 
gleichsam  den  Rahm  der  Wissenschaften  in  Registern  und  sum- 
marischen Auszügen  abzuschöpfen,  will  aber  doch  gerne  die  Un- 
gleichheit unmerklich  machen,  die  zwischen  einer  redseligen  Un- 
wissenheit und  gründlicher  Wissenschaft  bald  in  die  Augen  fällt 
und  dieses  gelingt  am  besten,  wenn  er  unbegreifliche  Dinge, 
von  denen  sich  nur  eine  luftige  Möglichkeit  denken  läßt,  als 
Fakta  aufhascht  und  dann  den  gründlichen  Naturforscher  auf- 
fordert, ihm  zu  erklären,  wie  er  wohl  die  Erfüllung  dieses  oder 
jenen  Traums,  dieser  Ahndung,  astrologischen  Vorhersehung,  oder 
Verwandelung  des  Bleies  in  Gold,  usw.  erklären  wolle,  denn 
hiebei  ist,  wenn  das  Faktum  eingeräumt  wird  (welches  er  sich 
nicht  streiten  läßt)  einer  so  unwissend  wie  der  andere.  Es  war 
ihm  schwer,  alles  zu  lernen  und  zu  wissen,  was  der  Naturkenner 
weiß;  daher  versucht    er    es,    auf   dem  leichteren  Wege  die  Un- 


An  Ludwig  Ernst  ßorowski  i  3 

gleichheit  verschwinden  zu  machen,  indem  er  nämlich  Dinge  auf 
die  Bahn  bringt,  davon  beide  nichts  wissen  und  einsehen,  von 
denen  er  also  die  Freiheit  hat,  allerlei  zu  urteilen,  worin  es  der 
andere  doch  nicht  besser  machen  kann.  —  Von  da  breitet  sich 
nun  die  Sucht  auch  unter  andere  im  gemeinen  Wesen  aus. 

Wider  dieses  Übel  sehe  ich  kein  anderes  Mittel,  als  das 
Vielerleilernen  in  Schulen  auf  das  Gründlichlernen  des  Wenigren 
zurückzuführen  und  die  Lesebegierde  nicht  sowohl  auszurotten, 
als  vielmehr  dahin  zu  richten,  daß  sie  absichtlich  werde;  damit 
dem  Wohlunterwiesenen  nur  das  Gelesene,  welches  ihm  baren 
Gewinn  an  Einsicht  verschafft,  gefalle,  alles  übrige  aber  anekele.  — 
Ein  deutscher  Arzt  (Herr  GRIMM)  hält  sich  in  seinen  Bemer- 
kungen eines  Reisenden  usw.')  über  die  französische  All- 
wissenheit, wie  er  sie  nennt,  auf;  aber  diese  ist  lange  nicht  so 
geschmacklos,  als  wenn  sie  sich  bei  einem  Deutschen  eräugnet, 
der  gemeiniglich  daraus  ein  schwerfällig  System  macht,  von  dem 
er  nachher  nicht  leicht  abzubringen  ist,  indessen  daß  eine  Mes- 
meriade  in  Frankreich  einmal  eine  Modesache  ist  und  bald  dar- 
auf gänzlich  verschwindet. 

Der  gewöhnliche  Kunstgriff,  seiner  Unwissenheit  den  Anstrich, 
von  Wissenschaft  zu  geben,  ist,  daß  der  Schwärmende  fragt;  Be- 
greift ihr  die  wahre  Ursache  der  magnetischen  Kraft,  oder  kennt 
ihr  die  Materie,  die  in  den  elektrischen  Erscheinungen  so  wun- 
derbare Wirkungen  ausübt?  Nun  glaubt  er  mit  gutem  Grunde 
von  einer  Sache,  die,  seiner  Meinung  nach,  der  größte  Natur- 
forscher ihrer  inneren  Beschaffenheit  nach  ebensowenig  kennt, 
als  er,  auch  in  Ansehung  der  möglichen  Wirkungen  derselben 
ebensogut  mitreden  zu  können:  aber  der  letzte  läßt  nur  solche 
Wirkungen  gelten,  die  er  vermittelst  des  Experiments  jederzeit 
unter  Augen  stellen  kann,  indem  er  den  Gegenstand  gänzlich 
unter  seine  Gewalt  bringt:  indessen  daß  der  erstere  Wirkungen 
aufrafft,  die,  so  wohl  bei  der  beobachtenden,  als  der  beobachteten 
Person,  gänzlich  von  der  Einbildung  herrühren  können  und  also- 
sich  keinem  wahren  Experimente  unterwerfen  lassen. 

Wider  diesen  Unfug  ist  nun  nichts  weiter  zu  tun,  als  den 
animaüschen    Magnetiseur    magnetisieren    und    desorganisieren    zu 


')  Joh.  Fr.  Karl  Grimm,  Bemerkungen  eines  Reisenden  durch 
Teutschland,  Frankreich,  England  und  Holland,  3  Theile,  Altenburg 
1775. 


14  An  F.   Th.  de  la  Garde 

lassen,  solange  es  ihm  und  andern  Leichtgläubigen  gefällt;  der 
Polizei  aber  es  zu  empfehlen,  daß  der  Moralität  hiebei  nicht  zu 
nahe  getreten  werde,  übrigens  aber  für  sich  den  einzigen  Weg 
der  Naturforschung,  durch  Experiment  und  Beobachtung,  die  die 
Eigenschaften  des  Objekts  äußeren  Sinnen  kenntlich  werden  lassen, 
ferner  zu  befolgen.  Weitläuftige  Widerlegung  ist  hier  wider  die 
Würde  der  Vernunft  und  richtet  auch  nichts  aus:  verachtendes 
Stillschweigen  ist  einer  solchen  Art  von  Wahnsinn  besser  ange- 
messen: wie  denn  auch  dergleichen  Eräugnisse  in  der  moralischen 
Welt  nur  eine  kurze  Zoit  dauren.  um  andern  Torheiten  Platz  zu 
machen.     Ich  bin  u.  s.  f. 


228. 
An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Ew.  Hochedelgeb. 

habe  mit  der  gestrigen  fahrenden  Post  den 
Rest  des  Mskrpts,  was  den  Text  betrifft,  bestehend  aus  9  Bogen 
von  81  bis  8  9,  zugeschickt.  Da  das  Werk  hiemit  vollendet  ist 
und  nur  Vorrede  und  Einleitung,  die  nicht  über  drei  Bogen  ge- 
druckt ausmachen  sollen,  bei  mir  im  Rückstande  bleiben:  so 
werden  Sie  desto  genauer  den  Kalkül  ziehen  können,  wie  bald 
der  Druck  vollendet  sein  kann. 

Die  erwähnte  Vorrede  und  Einleitung  werde  so  abschicken, 
daß  sie  vor  Ende  der  Passionswoche  sicher  bei  Ihnen  eintreffen 
kann.  Ich  hoffe,  Sie  werden  nichts  dawider  haben,  daß  sie 
nicht  früher  abgeht:  sonst  Sie  mir  es  nur  mit  der  umgehenden 
Post  melden  dürfen;  da  ich  dann  die  Zeit,  wiewohl  ungerne, 
abkürzen  würde,  weil  ich  gerne  den  kurzen  Begriff  vom  Inhalte 
des  Werks  bündig  abfassen  wollte,  welches  Mühe  macht,  indem 
die  schon  fertig  vor  mir  liegende  Einleitung,  die  zu  weitläuftig 
ausgefallen  ist,  abgekürzt  werden  muß. 

Die  Aushängebogen  zeigen  von  einer  sehr  guten  Ausführung 
des  Drucks,  sowohl  was  Papier  als  Lettern  betrifft.  —  Die  3 
Stücke  von  EBERHARDs  Magaz.  sind  mir  wohl  zu  Händen  ge- 
kommen, wie  auch  die  für  Herrn  Kr.  R.  SCHEFFNER  bestimmte 
Sachen,  die  ich  morgen,  nachdem  ich  sie  durchgelesen,  an  Herrn 
WAGNER  zur  weiteren  Spedition  werde  abgeben  lassen. 


Von  Ludiüig  Ernst  ßorowski  15 

Wegen  des  Herrn  KIESEWETTERs,  den  ich  aufs  verbind- 
lichste von  mir  zu  grüßen  bitte,  Gesundheit,  bin  ich  sehr  besorgt. 
Er  hat  sich  in  der  Tat  zu  viel  Arbeit  auf  einmal  aufgeladen. 
Ersuchen  Sie  ihn  in  meinem  Namen  davon,  so  viel  er  kann, 
wenigstens  auf  einige  Zeit,  abzuwälzen,  nicht  um  meiner  Ange- 
legenheit willen,  sondern  damit  der  Geist  den  Körper  nicht  zu 
Boden  werfe.  Ich  verspare  mir  nächstens  an  ihn  zu  schreiben; 
noch  bin  ich  etwas  zu  sehr  beschäftigt. 

Ich  verbleibe  mit  aller  Hochachtung 

Ew.  Hochedelgeb. 

ergebenster  Diener 

Königsberg,  d.   9.  Mart.    1790. 

I.  Kant. 


229. 
Von  Ludwig  Ernst  Borowski. 

Mit  der  aller  aufrichtigsten  Ergebenheit  überreiche  ich  an- 
liegend Ew.  Wohlgebornen  die  3  letzten  Blätter  des  Cagliostro, 
samt  Titel  und  Vorrede. 

Von  Seite  159  an  habe  ich,  ohne  Ew.  Wohlgebornen  kennt- 
lich bezeichnen  zu  wollen,  Sie  reden  lassen. 

Dank,  tausend  Dank  Ihnen,  würdigster  Gönner  und  Lehrer! 
fiir  das  kurze  aber  kräftige  Wort,  was  Sie  wider  die  Sache  der 
Schwärmer  sprachen.  Es  wird  ganz  gewiß  nicht  ohne  sehr  guten 
Erfolg  sein. 

Ich  empfehle  mich  Ihrer  Gewogenheit  und  bin  mit  der  unter- 
scheidendsten  Verehrung 

Ew.  Wohlgebornen 

ganz  gehorsamster  Diener 

Borowski 

am   2  2 .  März    1790. 


i6  An  F.  Th.  de  la  Garde 

Z30. 
An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Vorigen  Montag,  als  den  Z2.  März,  habe  an  Ew.  Hochedel- 
geb.  die  letzte  Versendung  des  Mskrpts,  bestehend  aus  10  Bogen 
Einleitung  und  Vorrede  samt  Titel  2  Bogen,  welche  doch  zu- 
sammen kaum  3  Bogen  gedruckt  ausmachen  werden,  durch  die 
fahrende  Post  gemacht  (also  2  Tage  früher  als  der  mir  von 
Ihnen  gesetzte  späteste  Termin).  Es  wäre  mir  Heb,  wenn  die 
Einleitung  mit  etwas  kleineren  und  anderen  Lettern  gedruckt 
würde  als  das  Buch  selbst. 

Wenn  der  Druck  vollendet  ist,  welches,  wie  ich  hoffe,  für 
die  Messe  zur  rechten  Zeit  geschehen  wird,  so  bitte  von  den  20 
mir  zugestandenen  Exemplaren  folgenden  Gebrauch  zu  machen. 

1 .  An  den  Herrn  Grafen  von  V^INDISCH-GRAETZ  in  Böhmen 

2.  —  —  Geheimen  Rat  JACOBI  in  Düsseldorf 

3.  —  —  Professor  REINHOLD  in  Jena 

4.  —  —  Prof  JACOB  in  Halle 

5.  —  —  Prof.  BLUMENBACH  in  Göttingen 

(An  jeden  ein  Exemplar.  Insgesamt  geheftet,  in  farbigtem  Papier, 
mit  steifen  Deckeln,  durch  die  auf  der  Messe  befindliche  Buch- 
händler von  diesen  Orten,  an  genannte  Männer  abzuschicken. 
Ausgenommen  die  an  P.  REINHOLD  und  Prof  JACOB  in  Halle, 
welche  mit  der  fahrenden  Post,  so  bald  als  es  möglich  ist,  zu 
übermachen  bitte.) 

6.  An  Herrn  G.  F.  Rat  WLOEMER  in  Beriin 

7.  _       _     D.  BIESTER  —     — 

8.  —     —     KIESEWETTER  —    — 

(in  halbenglischem  Bande  abzugeben)*) 

Dazu  6  Exemplare  ebensowohl  halbenglisch  gebunden, 
zusammt  den  noch  übrigen  6  ungebundenen,  durch  die  fahrende 

^)  Job.  Friedr.  Blumenbach  (1752— 1840),  Professor  der  Medizin 
in  Göttingen ;  seine  Theorie  des  „Bildungstriebes"  wird  Krit.  d,  Urteilskr. 
$  81  erwähnt;  der  Geh.  Finanzrat  Joh.  Heinr.  Wlömer  in  Berlin 
war  einer  der  ältesten  und  vertrautesten  Freunde  Kants  aus  seiner  Stu- 
dienzeit (näheres  bei  Emil  Arnoldt,  Kants  Jugend,  Ges.  W.  III, 
125  fF.,   151). 


An  F.   Th.  de  la   Garde  17 

Post,  oder,  wenn  dieses  zu  teuer  scheint  (wobei  es  mir  doch 
nicht  auf  ein  paar  Taler  Postporto  ankommt)  durch  die  nächste 
Gelegenheit  an  mich  baldigst  zu  überschicken;  unter  den  letzteren 
nehme  ich  auch  dasjenige,  wovon  Sie  mir  die  Aushängebogen 
bis  N  zugeschickt  haben,  und  wovon  ich  das  übrige,  sobald 
der  Druck    vollendet  ist,  mit  der    fahrenden  Post  eiligst  erwarte. 

9.  Noch  habe  vergessen,  ein  in  steifen  Deckeln  geheftetes 
Exemplar  an  D.  und  Prof.  HERTZ  zu  bestellen.  Bleiben  also 
für  mich  zur  Übersendung  nur  noch  5  Exemplare  ungebunden, 
neben  den  6  gebundenen.  Am  besten  wird  es  durch  die  fahrende 
Post  sein,  die  Kosten  mögen  sein,  welche  sie  wollen. 

Herrn  KIESEWETTER  bitte  nach  Empfang  meines  letzten 
Mskrpts  die  Einleitung  zu  zeigen,  der,  nach  meiner  in  beigelegtem 
Briefe  ihm  getanen  Anzeige,  eine  gewisse  Note  unter  derselben 
in  Ihrem  Beisein  streichen  wird,  ehe  der  Bogen  in  die  Druckerei 
kommt. 

Alle  mir  zum  Durchlesen  kommunzierte  für  Herrn  Kriegsrat 
SCHEFFNER  bestimmte  neue  gedruckte  Sachen  habe  heute  an 
Herrn  WAGNER  zu  weiterer  Beförderung  abliefern  lassen. 

Herren  Abt  DENINA  bitte  von  mir  zu  grüßen  und  zu  sagen, 
daß  ich  sehr  befremdet  gewesen,  eine  so  mitleidenerregende  Be- 
schreibung von  meiner  häuslichen  Verfassung  auf  der  Universität, 
vor  Gelangung  zum  Professorgehalt,  in  seiner  Gelehrtengeschichte 
anzutreffen.^)  Er  ist  gewiß  sehr  falsch  benachrichtigt  worden. 
Denn,  da  ich  von  dem  ersten  Anfange  meiner  akademischen 
Laufbahn  an  (im  Jahre  1755)  ununterbrochen  ein  zahlreiches 
Auditorium  gehabt  und  nie  Privatinformation  gegeben  habe  (man 
müßte  denn  das  collegium  privatissimum  in  seinem  eigenen  Auditorio, 
welches  gemeiniglich  sehr  gut  bezahlt  werden  muß,  darunter 
verstehen),  so  habe  ich  immer  mein  reichliches  Auskommen  ge- 
habt; so,  daß  es  nicht  allein  zureichte,  für  meine  2  Stuben  den 
Zins  und  meinen  sehr  guten  Tisch  zu  bezahlen,  ohne  nötig  zu 
haben  bei  irgend  jemanden,  selbst  nicht  bei  meinem  Freunde,  dem 
jetzt    verstorbenen  Engländer,    ohne    zu    jeder  Mahlzeit    besonders 

^)  Denina,  La  Frusse  litteraire  sous  Frederic  II,  2  vol.,  Berlin 
1790;  IL  soff.  (Art.:  Kant):  „Les  parens  ne  l'ont  laisse  rien  moins 
qua  dans  Taisance.  II  se  soutint  par  des  le^ons  particulieres  qu'il 
donnoit.  II  crut  devoir  manquer  absolument  du  necessaire  lorsqu'il  perdit 
vm  ancien  ami  negociant  anglois,  cbez  lequel  il  dinoit  ordinairement." 

Kants  Schriften.  Bd,  X.  i 


i8  An  F.  Th.  de  la  Garde 

invitirt  zu  sein,  gleichsam  als  zu  einem  Freitische  zu  gehen, 
sondern  immer  noch  dazu  einen  eigenen  Bedienten  halten  konnte 
und  jene  Jahre  gerade  die  angenehmsten  meines  Lebens  gewesen 
sind;  welches  auch  dadurch  bewiesen  werden  kann,  daß  ich 
binnen  dieser  Zeit  4  Vokationen  auf  auswärtige  Universitäten 
ausgeschlagen  habe.  —  Bei  Gelegenheit,  da  er,  wie  er  Ihnen  ge- 
äußert hat,  das  Wort  ahsurdit'es  im  Artikel  EBERHARD  zurück- 
nimmt (welches  auch,  wie  mich  dünkt,  nötig  ist,  weil  es  sich 
sonst  nicht  mit  manchen  Stellen  im  Artikel  KANT  zusammen 
reimen  läßt)')  könnte  er,  wenn  es  ihm  so  beliebt,  in  allgemeinen 
Ausdrücken  jene  Unrichtigkeit  in  meiner  Lebensbeschreibung 
zurücknehmen. 

Alle  Ihre  bei  diesem  Geschäfte  gemachte  Auslagen  werden 
Sie,  bei  der  nach  beendigtem  Drucke  geschehenden  Auszahlung 
des  Honorars,  mit  in  Rechnung  bringen,  wenn  die  Versendung 
der  an  mich  gelangenden  Exemplare  vor  sich  gehen  wird. 

Ich  verbleibe  mit  aller  Hochachtung 

Ew.  Hochedelgeb. 

ergebenster  Diener 

Königsberg  I.  Kant, 

d.  25.  Mart.  1790. 

N.  S.  Ich  habe  von  Ihnen  die  3  ersten  Stücke  des  2.  Bandes 
des  EBERHARD  sehen  Magazins  bekommen  und  sehe  aus  dem 
Hamburg.  Korresp.,  daß  das  4.  Stück  auch  heraus  ist;  welches 
ich  mir  mit  der  nächsten  fahrenden  Post  auch  ausbitte,  weil  mir 
daran  viel  gelegen  ist.  —  Noch  liegen  bei  mir  Examen  polit'tque 
d^un  Ouvrage  intitule  Histoire  secrette  usw.  im  gleichen  Briefe 
eines  Staatsministers  über  die  Aufklärung.  Was  soll  ich  damit 
machen?     Ich  werde  sie  an  Ihren  Herrn  Bruder  abliefern. 


*)  Denina,  a.  a.  O.,  Artikel:  Eberhard:  „Dans  la  metaphysique  il 
ne  donne  pas  dans  les  absurdites  de  M.  Kant"(!).  Denina  nahm  später 
diesen  Ausdruck  zurück,  indem  er  „absurdites"  durch  „abstrusites"  er- 
setzte; die  Daten  aus  Kants  Lebensgeschichte  blieben  jedoch  un- 
geändert. 


Föw  Johann   Wilhelm  Andreas  Kosmann  19 

MI. 
Von  Johann  Wilhelm  Andreas  Kosmann. 

Wbhlgeborner, 

Hochgeehrtester  Herr  Professor! 
Endlich  ist  es  mir  gelungen  mein  Magazin  für  kritische  und 
populäre  Philosophie,    das    ich   dem  EBERHARD  sehen  vorzüglich 
entgegen  setze,  zustande  zu  bringen.     Noch  vor  Johannis  erscheint 
das  erste  Stück  und  enthält: 

1.  einen  Aufsatz  von  Herrn  Prof  JAKOB  über  Erkennen: 
ein  Vorschlag  zur  Beseitlegung  einiger  philosophischen 
Streitigkeiten.  Der  Herr  Professor  erklärt  erkennen 
durch  das  Beziehen  einer  Vorstellung  auf  einen  bestimmten 
Gegenstand.  Insofern  ich  nun  durch  allgemeine  Begriffe 
mir  Gott  denke  und  diese  Vorstellung  auf  den  durch 
diese  allgemeine  Begriffe  bestimmten  Gegenstand  beziehe, 
insofern  kann  ich  in  dieser  Hinsicht  wohl  sagen  ich  er- 
kenne Gott,  aber  ich  kann  ihm  das  Prädikat  der  Existenz 
der  objektiven  ReaHtät  desfalls  nicht  beilegen. 

2.  einen  namenlosen  Aufsatz  über  die  bisherigen  Gründe  der 
praktischen  Weltweisheit.  Ein  lesenswürdiger  Kommentar 
über    einige  Stellen  Ihrer  Kritik  der    praktischen  Vernunft 

3.  Über  die  transszcndentelle  Ästhetik  ein  Aufsatz  von  mir. 
selbst,  wo  ich  den  Einwürfen  der  Herren  FEDER,  MAAS, 
WEISHAUPT  und  den  Rezensenten  der  Allg.  deutsch.  Bibl. 
begegne  und  es  dartue,  daß  sie  meist  auf  MißverständnJ.ssen 
beruhn.')  Wer  das  System  der  Vernunftkritik  erschüttern 
will,  muß  hier  beginnen,  anders  ist  es  nicht  möglich. 
Aber  auch  dies  ist  unmöglich,  falls  man  nicht  die  ganze 
apodiktische  Gewißheit  der  Mathematik  über  den  Haufen 
stoßen  will.  Wäre  die  Geometrie  eine  Wissenschaft  aus 
Vernunftbegriffen,  so  müßte  sie  sich  auch  ohne  Figuren 
zu  gebrauchen,  ohne  an  den  Raum  als  eine  unendliche 
und  einige  Größe,  wenn  ich  mich  so  ausdrücken  darf,  zu 
denken,  tradieren  lassen. 


^)  Kosmann,  Beweis,  daß  die  Vorstellung  des  Raumes  kein  all- 
gemeiner Begriff,  sondern  eine  reine  Anschauvmg  sei,  im  Allg.  Magaz. 
für  krit.  u,  popul.  Philos.  I  (i790»  S.  99  fF. 


2* 


20  An  Johann  Gottfried  Kiesewetter 

Einen  Aufsatz  von  Herr  REINHOLD  erwarte  ich  noch. 
Ew.  Wohlgeb.  bitte  ich  gehorsamst  um  die  Erlaubnis  Ihnen  den 
ersten  Teil  zu  senden  und  dann  Ihr  Urteil  erwarten  zu  dürfen, 
ob  das  Buch  es  verdient  mit  Ihrem  Bildnis  geziert  zu  werden. 
Hätten  Sie  einst  einen  kleinen  Aufsatz  und  wollten  mich  damit 
beehren  oder  mir  einige  Rezensionen  zu  senden,  so  würde  es 
dankbar  erkennen  und  Ihnen  gern  alles,  was  Sie  verlangten,  an 
Honorar  übersenden.  Ich  glaube  meine  individuelle  Lage  und 
Schicksale  sollen  der  Welt  dartun,  daß  es  nicht  an  Ihrer  Kritik 
liegt,  daß  Sie  so  häufig  mißverstanden  werden.  Die  Vernunft- 
kritik glaube  ganz  zu  verstehen,  noch  nicht  aber  Ihre  übrige 
Schriften,  woran  ich  mich  jetzt  eben  auch  wage.  Ich  wünschte 
mein  Magazin  mit  einigen  Datis  zu  Ihrem  Leben  bereichern  zu 
können,  ein  Geschenk,  das  die  Welt  gewiß  dankbar  annehmen 
würde.  Überbringern  dieses  kann  ich  Ihnen  als  einen  sehr 
fleißigen  und  rcchtschaflPenen  Jüngling  empfehlen. 
In  Hochachtung  verharre  ich 

Ew.  wohlgeb. 

ganz  gehorsamster  Diener 
Schweidnitz,  den    15.  April  J.  W.  A.  Kosmann. 

1790. 


232. 

An  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Königsberg,  d.  20.  April  1790. 
Daß  Ihren,  den  5.  März  datierten,  mir  sehr  angenehmen  Brief, 
auf  welchen  Sie  übcrdem  eine  eilige  Antwort  erwarteten,  so  spät 
beantworte,  ist  wirklich  nicht  meine  Schuld.  —  Denn  ich  habe 
ihn  allererst  vorgestern  zu  sehen  bekommen.  Die  Ursache  davon 
ist  diese.  Herr  DELAGARDE  hatte  den  10.  März  ein  Pack  Probe- 
bogen, die  bis  N  reichten,  von  Berlin  an  mich  abgehen  lassen, 
welches  denn  nach  etwa  10  Tagen  an  mich  gelangete.  Ich  fing 
an,  sie  durchzugehen,  (wegen  der  Druckfehler)  aber  es  war  mir 
nach  gerade  verdrießlich  und  schob  es  also  auf,  bis  ich  mehr  der- 
selben bekommen  haben  würde,  um  es  auf  einmal  abzumachen. 
Bald  darauf  schickte  er  mir  durch  seinen  Bruder  die  Bogen  V 
und  X  und  meldete  zugleich;    daß  die  dazwischen  fehlende  (von 


An  Johann  Gottfried  Kiesewetter  21 

O  bis  T)  an  Herrn  Prof.  MICHELSEN  abgegeben  worden,  der  sie 
(mit  einem  mir  zugeschriebenen  Buche)  an  mich  schon  würde 
haben  gelangen  lassen.  Allein  diese  erhielt  ich  allererst  vor  4  Tagen, 
mit  einem  Briefe  von  gedachtem  Herrn  Professor  d.  d.  den  5.  April. 
Den  Tag  nach  dem  Empfang,  nänüich  den  vorigen  Sormtag  mor- 
gens, nahm  ich  nun  jene  mir  schon  im  März  zugeschickte  Bogen 
vor,  um  sie  wegen  etwaniger  Druckfehler  durchzusehen,  und,  als 
ich  an  den  Bogen  N  kam,  fiel  Ihr  Brief  heraus,  den  Sie  sorg- 
fältig zwischen  die  Blätter  gesteckt  hatten.  Sie  können  glauben, 
daß  es  mich  nicht  wenig  befremdete  und  verdroß,  Ihnen,  obzwar 
ohne  meine  Schuld,  ein  unangenehmes  und  vergebliches  Warten 
verursacht  zu  haben.  —  Aber,  lieber  Freund,  warum  geben  Sic 
Ihre  Briefe  an  mich,  die  ich  jederzeit  mit  Vergnügen  empfange, 
nicht,  wie  ich  gebeten  habe,  und  zwar  unfrankiert  auf  die  Post? 
Diese  kleine  Ausgabe,  die  ohnedem  doch  nicht  eben  so  oft 
kommen  kann,  achte  ich  nicht.  —  Was  die  von  mir  verlangte 
Bemerkungen  zu  der  zweiten  Auflage  Ihrer  Schrift  von  dem  ersten 
Grundsatze  betriflPt,  so  ist  ohne  Zweifel  jetzt  dazu  schon  die  Zeit 
verflossen;  es  müßte  denn  sein,  daß  diese  Auflage  nicht  zur  Oster- 
messe herauskommen  sollte,  worüber  ich  dann  Nachricht  erwarten 
würde. 

Ich  lege  hier  einen  Aufsatz  von  den  gefundenen  Druckfehlern, 
auch  einen  Auslassungsfehler,  bei,  welche  vielleicht  noch  dem 
Werke  angehängt  werden  können.  Für  die,  so  Sie  selbst  geändert 
haben,  danke  ich  sehr.  Aber  ich  wünschte,  daß  der  Schreibe- 
fehler (Dritter  Abschnitt  der  Analytik  der  ästhetischen  Urteilskraft) 
von  mir  wäre  bemerkt  und  dieser  Titel  ganz  weggestrichen  wor- 
den. Sonst  haben  sie  freilich  ihn  ganz  schicklich  in  den;  Drittes 
Buch,  Deduktion  usw.  verändert.  Aber  da  müßte  dieses  nun  auch 
auf  der  Tafel  der  Einteilung,  die  der  Vorrede,  oder  vielmehr  der 
Einleitung,  angehängt  wird,  ebenso  abgeändert  werden.  Ist  es  aber 
noch  Zeit,  so  bitte  ich  den  von  Ihnen  geänderten  Titel 
hinten  unter  die  Druckfehler  zu  bemerken  und  die 
Tafel  der  Einteilung  so  wie  sie  aufgesetzt  ist  und  die 
vom  ersten  Abschnitt  nur  2  Bücher  nennt,  abdrucken  zu 
lassen.  Ich  zweifle  aber,  daß  dieses  noch  zur  rechten  Zeit  an- 
kommen werde.  —  Wenn  nur  die  verzweifelte  Irrung  mit  dem 
Briefe  nicht  vorgefallen  wäre. 

Wegen  Ihrer  letzten  Fragen  merke  ich  nur  an:  daß  das  Kri- 
terium eines  echten  Moralprinzips  allerdings  die  unbedingte  prak- 


2  2  Von  jfohann  Gottfried  Kiesetoetter 

tische  Notwendigkeit  sei,  wodurch  es  von  allen  anderen  prakti- 
schen Prinzipien  sich  gänzlich  unterscheidet.  Zweitens,  daß  die 
Möglichkeit  der  Freiheit,  wenn  sie  vor  dem  moralischen  Gesetze 
betrachtet  wird  (in  der  Kritik  der  reinen  Vernunft),  nur  den 
transszendentalen  Begriff  der  Kausalität  eines  Weltwesens  über- 
haupt bedeutet  (ohne  darunter  besonders  die  durch  einen  Willen 
anzeigen  zu  wollen),  so  fern  sie  durch  keine  Gründe  in  der 
Sinnenwelt  bestimmt  wird  und  daß  daselbst  nur  gezeigt  wird,  daß 
sie  keinen  Widerspruch  enthalte.  Nun  wird  durchs  -  moralische 
Gesetz  jene  transszendentale  Idee  realisiert  und  an  dem  Willen, 
einer  Eigenschaft  des  vernünftigen  Wesens  (des  Menschen),  ge- 
geben, weil  das  moralische  Gesetz  keine  Bestimmungsgründe  aus 
der  Natur  (dem  Inbegriffe  der  Gegenstände  der  Sinne)  zuläßt  und 
der  Begriff  der  Freiheit,  als  Kausalität,  wird  bejahend  erkannt, 
welcher  ohne  einen  Zirkel  zu  begehen  mit  dem  moralischen  Be- 
stimmungsgrunde reziprokabel  ist.  Ich  wünsche  gute  Besserung, 
rate  vor  aÜen  Dingen  Zerstreuung  und  Aufschub  von  Arbeiten  an 
und  beharre 

Ihr  treuer  Freund  und  Diener 
I.  Kant. 


^33- 
Von  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Berlin,  den   20.  April  i/po. 
Teuerster,  bester  Herr  Professor! 

Sie  haben  große  Ursach  mit  mir  sehr  unzufrieden  zu  sein, 
daß  ich  so  lange  gezaudert  habe,  Ihnen  Nachricht  von  mir  und 
meiner  Lage  zu  erteilen;  aber  ich  bin  zum  voraus  überzeugt,  Sie 
werden  mir  mein  langes  Stillschweigen  vergeben,  wenn  Sie  hören 
werden,  daß  Kränklichkeit  und  gehäufte  Geschäfte  die  Ursach  da- 
von sind.  Ihr  letzter  Brief,  den  ich  durch  Herrn  DE  LA  GARDE 
erhalten  habe,  läßt  mich  vermuten,  daß  Sie  den  Brief,  den  ich 
Ihnen  als  Einlage  durch  ihn  geschickt  habe,  nicht  erhalten  haben. 
Herr  DE  LA  GARDE  aber  versicherte  mich,  er  habe  ihn  ab- 
geschickt und  ihn  in  dem  Aushängebogen  I  gelegt.  — 

Meine  Lage  hat  sich  seit  meinem  letzten  Briefe  an  Sie  gar 
sehr    geändert.      Ich   wohne    jetzt    in    dem    Hause    des    Ministers 


Von  Johann   Gottfried  Kiesewetter  25 

Grafen  VON  SCHULENBURG  und  bin  der  Gesellschafter  seines 
1 7  jährigen  Sohnes.  Der  Minister  ist  ein  vortreflFlicher  Mann  und 
sein  Sohn  überaus  für  mich  eingenommen  und  folgsam.  Da  der 
Minister  mir  diese  Stelle  antrug,  so  habe  ich  die  Bedingungen  so 
gemacht,  daß  ich  so  wenig  als  möglich  von  meiner  Freiheit  ein- 
gebüßt habe;  ich  kann  so  viel  Vorlesungen  halten,  als  ich  vnll; 
bin  zu  keinen  Lehrstunden  mit  dem  Grafen  verpflichtet,  ich  brauche 
ihn  bei  seinen  Vergnügungen  und  in  Gesellschaften  nicht  zu  be- 
gleiten, habe  aber  doch  alle  seine  Vergnügungen  zu  bestimmen. 
Der  junge  Graf  ist  zwar  nur  das  einzige  Kind,  aber  doch  nicht  ver- 
zogen; der  Minister  hat  keinen  Ministerstolz  und  die  Gräfin  mischt 
sich  nicht  in  meine  Angelegenheiten.  Ich  habe  vollkommen  freie 
Station,  das  Gehalt  ist  aber  noch  nicht  bestimmt,  wahrscheinlich 
150   oder   200  Taler. 

Was  mich  aber  noch  weit  unabhängiger  vom  Minister  macht, 
ist,  daß  ich  Lehrer  der  königlichen  Prinzen  Heinrich  und  Wilhelm 
und  der  Prinzessin  Auguste  geworden  bin.  Der  Prinz  Heinrich 
und  die  Prinzessin  Auguste  erhalten  wöchentüch  jeder  3  Stunden 
in  der  physischen  Geographie,  der  Prinz  Wilhelm  nach  meinem 
Willen  2  auch  3  Stunden  in  der  Arithmetik.  Der  Gehalt  ist  vom  Könige 
noch  nicht  bestimmt,  wird  aber  in  einigen  Wochen  bestimmt 
werden.  Ich  glaube  auf  diese  Art  am  ersten  dereinst  unabhängig 
leben  zu  können,  da  mit  dem  Unterricht  der  königlichen  Kinder 
gewöhnlich  eine  lebenslängliche  Pension  verknüpft  ist.  Prinz  Hein- 
reich ist  ein  aufgeweckter  Kopf  und  sehr  lernbegierig,  Prinz  Wil- 
helm ist  noch  ganz  Kind  und  die  Prinzessin  Auguste  hört  mich 
mit  Aufmerksamkeit  an.  —  Man  arbeitet  jetzt  daran,  mir  wo- 
möglich den  Unterricht  des  Prinzen  Louis  in  der  Philosophie  zu 
verschaffen. 

Diese  Verbindung  mit  dem  Hofe  habe  ich  größtenteils  der 
Baronesse  von  Bielefeld,  der  Oberhofmeisterin  der  Prinzessin  Auguste 
zu  danken,  der  ich  Privatvorlesungen  über  die  Anthropologie  halte; 
der  Kanzler  VON  HOFFMANN  hat  auch  das  Seinige  dazu  bei- 
getragen. Was  werden  Sie  aber  sagen,  wenn  ich  Ihnen  erzähle, 
daß  eine  junge,  schöne  Dame,  denn  das  ist  die  Baronesse  von 
Bielefeld,  es  wagt,  in  die  Geheimnisse  Ihres  Systems  einzu- 
dringen, daß  sie  den  Unterschied  der  analytischen  und  syntheti- 
schen Urteile,  der  Erkenntnisse  a  priori  und  a  posteriori,  die 
Theorie  von  Raum  urd  Zeit,  sich  nicht  bloß  hat  vortragen  lassen, 
sondern  wirklich  gefaßt  hat.     Noch  mehr  aber    werden  Sie   sich 


24  f^on  Johann  Gottfried  Kiesewetter 

wundern,  wenn  ich  Ihnen  sage,  daß  sie  sich  nicht  mit  der  Philo- 
sophie beschäftigt,  um  dadurch  zu  glänzen,  denn  sie  ist  über  alle 
Vorstellung  bescheiden,  und  bei  unserm  Hofe  glänzt  man  durch 
Philosophie  nicht;  daß  sie  keins  ihrer  Geschäfte  über  das  Studium 
der  Philosophie  versäumt. 

Meine  Vorlesungen  über  die  Logik  habe  ich  vor  ungefähr 
6  Wochen  geschlossen,  und  die  über  die  Kritik  der  praktischen 
Vernunft  denke  ich  in  14  Tagen  zu  schließen.  Ich  werde  diesen 
Sommer  zwei  Stunden  in  der  Woche  ein  Colleg.  privatissimum 
über  die  reine  Mathematik  und  2  Stunden  eins  über  die  Kritik 
der  reinen  Vernunft  lesen. 

Der  erste  Teil  meiner  Schrift  über  das  Moralprinzip  wird 
diese  Woche  fertig,  und  ich  denke  künftige  Woche  das  Ver- 
gnügen zu  haben  Ihnen  und  dem  Herrn  Prof.  KRAUSE  ein  Exem- 
plar zu  überschicken.  Ich  habe  den  ersten  Teil  dem  Könige 
dediziert,  und  werde  ihm  noch  vor  Ende  der  Woche  das  Exem- 
plar übersenden.  Der  Druck  Ihrer  Schrift  wird  auch  gegen  das 
Ende  dieser  Woche  fertig. 

Der  Herr  Kanzler  VON  HOFFMANN  ist  vor  14  Tagen  nach 
Halle  zurückgereist  und  hat  mir  aufgetragen,  Ihnen  seine  un- 
begrenzte Achtung  zu  bezeigen.  Er  wird  ungefähr  6  Wochen 
in  Halle  bleiben  und  dann  mit  seiner  Gemahlin  eine  Reise 
nach  der  Schweiz  und  Italien  machen,  um  seine  Gesundheit  her- 
zustellen. 

Mein  Vorsatz,  Sie,  teuerster  Herr  Professor,  in  den  Hundstags- 
ferien zu  besuchen,  steht  unerschüttert  fest,  ich  habe  mir  die  Er- 
laubnis zu  dieser  Reise  sowohl  b'»,im  Minister  als  bei  Hofe  aus- 
bedungen. Ich  denke  14  Tage  in  Königsberg  zu  bleiben,  und 
wünsche  nichts  mehr,  als  daß  Sie  mir  sodann  erlauben  möchten, 
mich  mit  Ihnen  über  einige  Dinge  zu  unterreden. 

Professor  SELLE  hat  eine  Abhandlung  gegen  Ihr  System  in 
der  Akademie  vorgelesen,  und  wird  sie  auch  drucken  lassen,  er 
glaubt,  wie  er  sagt,  Ihrem  System  dadurch  den  Todesstoß  gegeben 
zu  haben.")  So  viel  ich  gehört  habe,  so  zweckt  sein  Haupt- 
argument dahin,  daß  gesetzt  auch,  Sie  hätten  bewiesen,  R.  und  Z. 
wären  die  Formen  unserer  Sinnlichkeit,  Sie  doch  nicht  zeigen 
könnten,    daß    sie    nur  Formen    der  Sinnlichkeit    wären,  weil  es 

*)  „De  la  realite  et  de  l'idealite  des  objets  de  nos  connaissances" 
(zuerst  in  den  Schriften  der  Berl.  Akad.   1792). 


Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter  25 

immer  doch  möglich  sei,  sich  zu  denken,  daß  R.  u.  Z.  den 
Dingen  an  sich  zukämen,  welches  Sie  um  so  weniger,  leugnen 
könnten,  da  Sic  selbst  behaupteten,  man  könne  von  den  Dingen 
an  sich  nichts  wissen,  und  es  daher  ganz  wohl  möglich  sei,  daß 
R.  u.  Z.  den  Dingen  an  sich  selbst  zukämen.  Überdies  könne  man 
auf  die  Art  allein  die  Frage  beantworten,  warum  wir  gerade  in 
diesen  und  keinen  andern  Formen  anschauten?  Seiner  Meinung 
nach  wären  R.  u.  Z.  zwar  subjektivnotwendige  Bedingungen  unserer 
Anschauungen,  aber  es  korrespondieren  ihnen  demungeachtet  auch 
Eigenschaften  der  Dinge  an  sich.  —  Sollte  es  wahr  sein,  daß  der 
ganze  Einwurf  nichts  Wichtigeres  enthält,  so  finde  ich  ihn  eben 
so  schreckhaft  nicht.  Wodurch  will  Herr  S.  beweisen,  daß  R.  u.  Z. 
den  Dingen  an  sich  selbst  zukommen?  Und  gibt  er  zu,  daß 
R.  u.  Z.  Formen  der  Sinnlichkeit  sind,  wie  will  er  behaupten,  daß 
sie  doch  von  den  Dingen  an  sich  abhingen;  denn  werden  sie  uns 
durch  die  Objekte  gegeben,  so  gehören  sie  ja  sodann  zur  Materie 
der  Anschauung  und  nicht  zur  Form  derselben.  So  bald  die  Schritt 
erscheint,  werde  ich  das  Vergnügen  haben  Ihnen  ein  Exemplar  zu 
übersenden. 

Jetzt  gehn  hier  sonderbare  Dinge  vor.  Der  König  hat  sich 
vergangenen  Sonntag  vor  8  Tagen  auf  dem  hiesigen  Schlosse  in 
einem  seiner  Zimmer  mit  der  Gräfin  VON  DEHNHOF  trauen 
lassen.  Die  größte  Wahrscheinlichkeit,  für  mich  beinahe  Gewiß- 
heit, ist,  daß  ZÖLLNER  die  Trauung  verrichtet  hat.  Gegenwärtig 
waren  Minister  WÖLLNER  und  der  Herr  VON  GEYSAU  auf 
Seiten  des  Königs;  die  Mutter  und  Schwester  der  Gräfin-  und  ihr 
Stiefbruder  (oder  Cousin,  das  habe  ich  vergessen)  auf  selten  der 
Braut.  Der  König  kam  den  Sonnabend  Abend  von  Potsdam  hie- 
her  und  die  Trauung  ging  Sonntag  Abend  um  6  Uhr  vor  sich. 
Die  Gräfin  war  (wie  eine  Romanheldin)  weiß  gekleidet,  mit 
fliegendem  Haar.  Sie  hält  sich  jetzt  in  Potsdam  auf.  Man  ver- 
mutet, daß  der  Kurfürst  von  Sachsen  sie  in  den  Reichsfürsten- 
stand wird  erheben  müssen.  Die  Gräfin  war  vorher  Hofdame  bei 
der  regierenden  Königin.  Schon  beinahe  ein  Jahr  hindurch  stand 
der  König  mit  ihr  in  Unterhandlungen,  sie  nahm  sich  hingegen 
so,  daß  man  im  Pubhco  nicht  wußte,  ob  sie  dem  Könige  Gehör 
gab  oder  nicht.  Vor  14  Tagen  ungefähr  kömmt  ihre  Mutter, 
wie  die  Gräfin  verbreitet  hatte,  auf  ihre  Bitte,  um  sie  nach  Preußen 
mitzunehmen.  Die  Gräfin  nimmt  öffentlich  am  Hofe  Abschied. 
Die  regierende  Königin  schenkt  ihr  ein  Paar  brillantne  Ohrgehänge 


2Ö  Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter 

und  läßt  ihr  sagen;  sie  würde  am  besten  wissen,  ob  sie  sich  ihrer 
dabei  erinnern  dürfe.  Jedermann  glaubt  sie  abgereist,  als  die 
Trauung  geschieht.  Die  Königin  hat  die  Sache  mit  ziemlicher  Ruhe 
angehört.  Was  ich  bis  jetzt  erzählt  habe,  ist  die  genauem  Neben- 
umstände abgerechnet  beinahe  jedermann  bekannt;  und  es  macht 
im  Publico  gewaltige  Sensation.  ZÖLLNERS  Zulauf  in  seinen 
Predigten  hat  sich  vermindert  und  selbst  bei  einer  Introduktion, 
die  er  neulich  gehalten  hat,  und  wo  sonst  hier  alles  zuströmt,  ist 
die  Kirche  leer  gewesen.  —  Folgendes  wissen  wohl  nur  wenige 
Personen.  Es  ist  eine  Scheidung  des  Königs  und  der  Königin 
vorhanden,  die  mit  ihrer  Einwilligung  zur  Zeit  der  Unterhand- 
lungen mit  der  verstorbenen  INGENHEIM  aufgesetzt  ist;  der 
König  hat  sich  aller  ehelichen  Rechte  begeben,  und  die  Königin 
hat  bloß  die  Honneurs  behalten.  Doktor  BROWN  hat  sie  für 
gestört  erklärt,  und  es  ist  dies  in  der  Tat  auch  sehr  wahrschein- 
lich, da  dieser  Zufall  ein  Famiüenfchler  ist.  Sie  tanzt  oft  auf 
Tisch  und  Stühle  herum,  und  sieht  Geister.  Wie  unglücklich 
würde  unser  Staat  dereinst  sein,  wenn  sich  dieser  Fehler  auch  auf 
ihre  Kinder  fortgepflanzt  hätte. 

Die  Kriegsrüstungen  gehen  hier  immer  noch  fort.  Das  Merk- 
würdigste aber  ist,  daß  nicht  das  Ministerium,  sondern  der  König 
den  Krieg  wünscht.  Man  trägt  sich  hier  mit  folgendem  Plan  im 
Publico:  Unsrere  Armee  wird  sich  in  4  Korps  teilen,  das  erste 
geht  unter  Anführung  des  Königs,  unter  dem  MOLLENDORF 
kommandieren  wird,  gegen  die  Österreicher,  das  zweite  unter  An- 
führung des  Herzogs  von  Braunschweig  gegen  die  Russen,  Prinz 
FRIEDRICH  kommandiert  das  Observationskorps  gegen  die 
Sachsen,  und  dann  soll  noch  ein  sogenanntes  fliegendes  Korps 
statthaben.  Was  Sachsen  betrifft,  so  erzählt  man,  es  habe  noch 
bei  Lebzeiten  des  verstorbenen  Kaisers  der  Gesandte  desselben  am 
sächsischen  Hofe  um  eine  Privataudienz  beim  Kurfürsten  angehalten, 
die  ihm  auch  bewilligt  worden;  in  dieser  fragte  er  den  Kurfürsten, 
wie  er  sich,  wenn  es  mit  Preußen  zu  einem  Kriege  käme,  nehmen 
würde,  und  dieser  antwortete:  er  werde  neutral  bleiben.  Der  Ge- 
sandte ergrift'  begierig  diese  Antwort  und  bat  den  Kurfürsten,  sie 
ministeriell  zu  machen.  Dies  hat  der  MARCHESE  LUCCHESINI 
glücklich  verhindert,  doch  hat  der  Kurfürst  die  Antwort  einmal 
mündlich  gegeben.  Man  v^rd  also  durch  eine  Armee  den  Kur- 
fürsten nötigen,  auf  unsere  Seite  überzutreten. 

Da  ich  den  Brief  schließen  will,  fällt  mir  ein,  daß  Sie,  teuerster 


Von  Carl  Leonhard  ReinhoU  27 

Herr  Professor,  mit  dem  morgenden  Tage  Ihr  67  Jahr  antreten. 
Niemand  nimmt  gewiß  herzlichem  Anteil  daran  als  ich;  niemand 
hegt  gewiß  einen  aufrichtigem  Wunsch,  Sie  noch  lange  der  Welt 
erhalten  zu  sehen  als  ich,  der  ich  in  Ihnen  meinen  zweiten  Vater 
verehre. 

Dem  Herrn  Prof.  KRAUSE,  Ihrem  vortrefflichen  Freunde, 
machen  Sie  meine  beste  Empfehlung,  und  da  ich  von  seiner  Güte 
überzeugt  bin,  daß  er  sich  für  mich  interessiert,  so  haben  Sie  die 
Gewogenheit,  ihm  die  Verändemng  meiner  Lage  bekannt  zu  machen. 
Auch  den  Herrn  JACHMANN  grüßen  Sie  in  meinem  Namen, 
und  sagen  Sie  ihm,  daß  ich  eine  Antwort  auf  meinen  letzten  Brief 
von  ihm  erwarte. 

Verzeihen  Sie  mir,  daß  ich  schon  wieder  einen  so  langen 
Brief  geschrieben  habe,  der  vielleicht  so  wenig  Interesse  für  Sie 
hat.  Der  Minister  VON  SCHULENBURG,  die  Baronesse  VON 
BIELEFELD,  Herr  Hofrat  HERZ  haben  mir  aufgetragen,  Sie 
ihrer  Achtung  zu  versichern.  Ich  bin  mit  der  wärmsten  Hoch- 
achtung 

Ihr 
innigster  Verehrer 
J.  G.  C.  Kiesewetter. 

N.  S.  Aus  meinem  letzten  Briefe  haben  Sie  die  Geschichte  dcs^ 
vom  O.  C.  verworfenen  Katechismus  ersehen;  jetzt  arbeitet 
Herr  SILBERSCHLAG  und  der  Prediger  HECKER  einen 
alten  Katechismus  um,  der  den  verstorbenen  Inspektor 
HECKER  zum  Verfasser  hat,  und  eine  Kompilation  von 
theologischem  Unsinn  enthält. 


M4- 
Von  Carl  Leonhard  Reinhold. 

Verehrungswürdigster  Freund ! 
Unsre  Universität  wird  sehr  stark  von  Livländern  besucht. 
Der  größere  Teil  davon  hört  meine  Vorlesungen;  und  mehrere, 
die  zu  Land  und  folglich  über  Königsberg  in  ihr  Vaterland  zurück- 
kehren, hoffen  und  wünschen  durch  einen  Brief  von  mir  begleitet 
das  Glück,  das  Angesicht  meines  großen  Lehrers  zu  sehen,  weniger 


2  8  Von  Ludwig  Heinrich  Jakoh 

zu  verfehlen.  Der  Respekt  für  Ihre  unschätzbare  Zeit  hat  mich 
bisher  zurückgehalten,  diesem  Verlangen  zu  willfahren;  und  nur 
der  seltene  Wert  des  von  selten  seines  Kopfes  und  Herzens  gleich  vor- 
trefflichen jungen  Mannes,  der  heut  von  mir  Abschied  genommen 
hat,  konnte  mich  bewegen,  eine  Ausnahme  zu  machen,  und  ihm 
selbst  anzubieten,  was  ihn  seine  Bescheidenheit  zu  fordern  ge- 
hindert hat.  Herr  SALEMANN  gehört  unter  die  wenigen,  die 
den  akademischen  Lehrer  für  die  vielen,  an  denen  sie  gewöhn- 
lich ihre  Mühe  verlieren,  reichlich  schadlos  halten.  Es  dürfte  wohl 
noch  nicht  viele  Philosophen  von  Profession  geben,  die  diese  neun 
Jahre  her  in  den  Geist  der  kritischen  Philosophie  so  tief  ein- 
gedrungen haben,  als  dieser  junge  Denker  in  einem  halben  Jahre, 
wie  ich  durch  vielfältige  zuverlässige  Proben  weiß. 

Mit  Sehnsucht  sehe  ich  der  Kritik  der  Beurteilungskraft  und 
der  Schrift  gegen  EBERHARD  entgegen,  und  freue  mich  an  der 
Moralphilosophie  unsres  Adjunktes  SCHMID  und  der  Ästhetik  des 
Prof.  HEYDENREICHs  in  Leipzig  zwei  treffliche  neue  Produkte 
der  kritischen  Philosophie  erlebt  zu  haben,*)  da  leider  die  gute 
Sache  derselben  nicht  immer  durch  die  besten  Hände  geführt  wird, 
und  die  ABICHTe,  BORNe  u.  dergl.  besser  getan  hätten,  wenn 
sie  noch  ein  paar  Jahre  im  stillen  sich  mit  dem  Geiste  der  krit. 
Philosophie  vertraut  zu  machen  gesucht  hätten. 

Mit  tiefster  Verehrung  und  innigster  Liebe 

Ihr  ganz  eigener 
Jena,  den   30.  April    1790.  Reinhold 


M5- 
Von  Ludwig  Heinrich  Jakob. 

Halle,  den  4.  Mai    1790. 
Verehrungswürdiger  Herr  Professor! 
Zuförderst  sage   ich  Ihnen   meinen   verbindlichsten  Dank    für 
das    Geschenk,    welches    Sie    mir    mit    Ihrer    Kritik    der    Urteils- 
kraft   durch    Herrn    LAGARDE    gemacht    haben.     Ich    habe    sie 
bis  jetzt  noch  nicht  durchstudieren   können,    da    ich    noch   nicht 


^)  C.  Chr.  E.  Schmid,  Versuch  einer  Moralphilosophie,  Jena  1790; 
Hey  den  reich,  System  der  Ästhetik,  Bd.  I,  Leipzig   1790. 


Von  Ludwig  Heinrich  Jakoh  x^ 

einmal  die  Bogen  alle  habe;  aber  die  einzelnen  Blicke,  welche  ich 
hinein  geworfen  habe,  eröffnen  mir  schon  große  und  herrliche 
Aussichten. 

Zugleich  erlauben  Sie  eine  Anfrage  den  Begriff  oder  vielmehr 
den  Ausdruck  Erkenntnis  betreffend  zu  tun,  worüber  ich  vor 
kurzen  mit  Herr  REINHOLD  in  Zwiespalt  geraten  bin.  So  viel  ich 
sehe,  gebrauchen  Sie  in  der  Krit.  d.  r.  V.  den  Ausdruck  Erkenntnis 
in  einem  doppelten  Sinne,  einmal,  daß  er  die  Gattung  der  ob- 
jektiven Vorstellungen  bedeutet  und  der  Empfindung  entgegen- 
steht, so  daß  Anschauung  und  Begriff  Arten  derselben  folglich 
selbst  Erkenntnisse  sind;  das  anderemal  heißen  Erkenntnisse  solche 
Vorstellungen,  die  aus  einer  Anschauung  und  einem  Begriffe  zu- 
sammengesetzt sind.  Herr  R.  gebraucht  es  durchgehends  in  dem 
letztern  Sinne,  und  wo  in  der  Kr.  d.  r.  V.  gesagt  wird,  daß  kein 
Erkenntnis  übersinnlicher  Objekte  möglich  sei,  wird  der  Ausdruck 
Erkenntnis  ebenfalls  nur  im  letztern  Sinne  genommen. 

Wenn  ich  nun  den  Sprachgebrauch  frage,  so  scheint  er  jedes- 
mal nur  für  die  erste  Bedeutung  zu  stimmen,  so  daß  das  Wort 
Erkenntnis  eine  jede  Vorstellung  bedeutet,  die  auf  ein  Objekt  be- 
zogen wird.  Man  legt  Tieren  ohne  Bedenken  Erkenntnisse  bei, 
ohnerachtet  man  ihnen  den  Verstand  oder  das  Vermögen  der  Be- 
griffe abspricht.  Und  wiederum  wird  eine  Idee,  wenn  auch  zu- 
gestanden wird,  daß  ihr  kein  Objekt  in  der  Erfahrung  gegeben 
werden  könne,  und  daß  in  ihr  nichts  Anschauliches  enthalten  sei, 
dennoch  eine  Erkenntnis  genannt,  sobald  nur  eingeräumt  werden 
muß,  daß  sie  eine  Vorstellung  sei,  die  überhaupt  auf  etwas  hin- 
weiset, das  von  der  Vorstellung  verschieden  ist.  So  führt  z,  E. 
der  bloße  Begriff  einer  Erscheinung  auf  ein  Etwas,  das  nicht  Er- 
scheinung ist;  dieses  Etwas  kann  ich  nicht  materialiter  bestimmen, 
es  wird  aber  doch  mit  der  Vorstellung  der  Erscheinung  als  not- 
wendig verbunden  gedacht.  Ich  habe  also  eine  bloße  Idee  von 
diesem  Etwas,  aber  wenn  ich  nun  diese  Idee  nicht  etwa  selbst 
für  das  der  Ersch.  zum  Grunde  liegende  halte;  so  kann  ich  sie 
doch  ohne  Bedenken  so  interpretieren,  daß  sie  ein  reales  Etwas 
überhaupt  andeutet,  welches  sowohl  von  der  Idee  als  der  Er- 
scheinung verschieden  ist,  ob  ich  gleich  nicht  bestimmen  kann, 
ob  dieses  Etwas  vorstellbar  ist  oder  nicht.  Die  Auktoritat,  die 
mich  zwingt  ein  solches  Objekt  anzunehmen,  ist  meine  Vernunft, 
aber  diese  nötigt  mich  ebenso  die  Wirklichkeit  eines  Etwas,  das 
da  erscheint  zum  voraus    zu  setzen,    als    mich    die  Sinne    nötigen 


50  Von  Ludwig  Heinrich  ^akob 

die  Wirklichkeit  der  Erscheinungen  zuzugestehen.  Im  ersten  Falle 
weiset  mich  die  Vernunft  auf  ein  Objekt  hin,  im  andern  Falle 
stellen  mir  die  Sinne  solches  vor.  Ich  kann  der  Auktorität  der 
Vernunft  nicht  weniger  trauen  als  den  Sinnen,  Wir  erkennen 
also  wirklich  durch  die  Vernunft,  daß  es  Dinge  an  sich  gebe 
und  zwar  durch  die  Idee.  Diese  Idee  drückt  nichts  von  den 
Dingen  an  sich  aus,  sie  läßt  sie  unbestimmt,  aber  sie  deutet  doch, 
wie  mich  dünkt,  ihr  Dasein  an.  So  leer  also  diese  Idee  auch 
sein  mag;  so  bald  sie  nur  auf  ein  reales  Objekt  hindeutet,  kann, 
wie  mich  dünkt,  [sie]  doch  Erkenntnis  heißen.  Ich  weiß  wohl, 
daß  ich  nicht  bestimmen  kann,  was  reales  Dasein  ist,  wenn  ich 
solches  nicht  durch  ein  Verhältnis  in  der  Zeit  auf  mein  Wahr- 
nehmungsvermögen bestimmen  kann;  aber  der  bloße  logische  Be- 
griff, den  ich  damit  verknüpfe,  wenn  ich  sage,  das  Ding  an  sich 
ist  da,  und  der  nichts  sagen  will,  als  es  enthält  den  unbedingten 
Grund  der  Wirklichkeit  der  Erscheinung,  ist  dennoch  ein  solches 
Merkmal,  wodurch  ich  in  den  Stand  gesetzt  bin,  gesetzt,  es  würde 
mir  ein  intellektuales  Anschauungsvermögen  gegeben,  das  Ding  an 
sich  zu  suchen  und  zu  finden;  es  ist  ein  formaler,  vorläufiger  Be- 
griff, aber  wirklich  nie  objektive  Vorstellung,  ohngefehr  so  wie 
ein  Tauber  sich  vorläufige  Begriffe  vom  Hören  machen  kann,  die 
wirklich  im  Zustande  der  Taubheit  bloß  formal  sein  körmen,  die 
ihn  aber  doch  in  den  Stand  setzen  würden,  gesetzt,  sie  erhielten 
mit  einem  Male  das  Gehör,  zu  erkennen,  daß  sie  jetzo  hörten. 
Ich  sehe  nicht,  warum  man  nicht  sagen  könnte,  daß  Taube, 
Blinde  vorläufige  Erkenntnisse  vom  Hören  und  Sehen  haben 
könnten  (Begriffe),  ob  sie  gleich  keine  Anschauungen  haben. 

Mein  Hauptaugenmerk  hierbei  ist,  ob  nicht  durch  eine  solche 
Nachgiebigkeit  im  Ausdrucke  die  Vereinigung  der  Parteien,  da  es 
doch  der  Kritik  angelegen  ist,  sie  mit  sich  selbst  einig  zu  machen, 
befördert  werden  könnte.  Im  Grunde  hat  man  doch  der  Kritik 
schon  sehr  viel  zugestanden.  Der  Hauptanstoß  scheint  den  Geg- 
nern nur  noch  zu  sein,  daß  sie  keine  Erkermtnis  von  Gott,  Un- 
sterblichkeit usw.  haben  sollen.  Daß  ihre  Erkenntnis  nicht  an- 
schaulich sein  könne,  geben  sie  allgemein  zu.  Wenn  man  ihnen 
nun  beweist,  daß  die  Prädikate  einfach,  immateriell  usw.  anschau- 
liche Prädikate  sind,  so  müssen  sie  diese  aufgeben,  weil  sie  nicht  für 
uns  anschaulich  sind.  Geben  sie  also  zu,  daß  wir  bloß  Verhältnisse 
des  Unbedingten  zu  uns  und  der  Sinnenwelt  angeben  können,  so 
dünkt  mich,  kann  man  ohne  Bedenken  die  Vorstellung  dieser  Ver- 


Von  Ludwig  Heinrich  ^akob  3 1 

hältnisse  auch  Erkenntnisse  nennen,  da  doch  zugestanden  wird, 
daß  wir  diese  Verhältnisse  nicht  bloß  denken  (sie  uns  einbilden), 
sondern  daß  sie  real  sind,  daß  wir  sie  also  für  objektiv  halten, 
der  Grund  der  uns  hierzu  bestimmt,  mag  nun  das  Objekt  oder 
das  Subjekt  sein.  In  den  Krit.  Versuchen  über  den  ersten  Band 
des  HUME  habe  ich  einen  Versuch  gemacht,  diese  Begriffe  deut- 
lich vorzutragen.  Ich  wünsche  sehnlich  hierüber  belehrt  zu  werden. 
Ich  bin  es  nicht  allein,  der  hierinne  Schwierigkeiten  findet.  Ihnen 
würde  es  etwas  Leichtes  sein,  über  diese  Sprachzweideutigkeit  Auf- 
schlüsse zu  geben  und  die  Wortbedeutung  deren  Sie  sich  bedienen 
mit  dem  gemeinen  Sprachgebrauche  zu  vereinigen.  Ich  glaube 
gewiß,  daß  dieses  die  Vereinigung  sehr  befördern  würde. 

Übrigens  glaube  ich,  kann  es  Ihnen  nicht  unangenehm  sein, 
HUMEn  im  deutschen  Gewände  zu  sehen.')  Der  Grund  seines 
Raisonnements  kann,  wie  ich  glaube,  bloß  durch  Ihre  Kritik  ge- 
hörig verstanden  werden  und  wenn  ich  etwas  durch  die  bei- 
gefügten Versuche  zur  Erleichterung  der  richtigen  Beurteilung  bei- 
getragen habe;  so  fällt  der  schönste  Teil  des  Verdienstes  auf  Sie 
zurück.  Eben  so  ist  es  auch  mit  der  Preisschrift,  welche  Sie 
ebenfalls  durch  einen  Buchhändler  erhalten  werden.*)  Ich  wünsche 
nichts  mehr,  als  daß  Sie  urteilen  mögen,  daß  ich  mich  Ihrer 
Grundsätze  recht  bedient  habe,  und  daß  ich  nicht  ganz  unfähig 
sei,  etwas  zur  Ausbreitung  und  Beförderung  der  wahren  Philo- 
sophie beizutragen.  Der  Himmel  verleihe  Ihnen  noch  recht  lange 
Kraft  und  Stärke,  damit  Sie  der  Welt  noch  lange  Ihre  Schätze 
mitteilen  können.  Möchten  Sie  sich  doch  entschließen  uns  mit 
einer  Anthropologie  zu  beschenken. 

Ich  bin  mit    der    tiefsten    Achtung    und    Ehrfurcht    ganz    der 
Ihrige 

Jakob. 


0  David  Hume  über  die  menschliche  Natur.  Aus  dem  Englischen 
nebst  kritischen  Versuchen  zur  Beurteilung  dieses  Werks,  3  Bände, 
Halle   1790 — 92. 

*)  Beweis  für  die  Unsterblichkeit  der  Seele  aus  dem  Begriffe  der 
Pflicht  .  .  .  eine  Preisschrift.     Züllichau   1790. 


5  2  yon  Salomon  Adaimon 

236. 
Von  Salomon  Maimon. 

Wohlgeborner,  wohlgelahrter. 

Höchstzuehrender  Herr  Professor! 
Ew.  Wohlgeb.  werden  mir  gewiß  verzeihen,  daß  ich  mir 
abermals  erlaube  gegenwärtige  Zuschrift  an  dieselben  zu  richten. 
Ich  habe  vor  nicht  langer  Zeit  BAKONTs  Schriften  erhalten  und 
gelesen;  dieses  hat  mich  veranlaßt  eine  Vergleichung  zwischen 
BAKONTs  und  Ew.  Wohlgeb.  Bemühungen  um  die  Philosophie 
anzustellen,  und  dieselbe  in  dem  Berlinischen  Journal  für  Auf- 
klärung abdrucken  zu  lassen.*)  I>a  ich  aber  besorge,  hierin  ent- 
weder zu  viel  oder  zu  wenig  getan  zu  haben,  so  erbitte  ich  mir 
hierüber  Ew.  Wohlgeb.  gütiges  Urteil,  welches  niir  gültiger  und 
angenehmer  sein  wird,  als  das  irgendeines  eifrigen  Anhängers  oder 
Gegners.  Daß  man  bei  Darstellung  der  Gedanken  eines  etwas 
alten  Schriftstellers  nicht  behutsam  genug  verfahren  kann,  um  von 
der  einen  Seite  dem  Vorwurfe  der  Verstümmelung,  und  von  der 
andern  dem  des  Unterschiebens  neuerer  Gedanken  auszuweichen, 
weiß  ich  sehr  wohl;  daher  ich  auch  Ew.  Wohlgeb.  in  der  Hoff- 
nung einer  gütigen  Erfüllung  meines  gethahenen  Gesuchs  zugleich 
ergebenst  um  die  gütige  Erlaubnis  bitte,  daß  ich  Dero  Be- 
urteilung in  dem  gedachten  Journal  darf  abdrucken  lassen.  Mit 
dem  Gefühl  der  innigsten  Hochachtung  habe  ich  die  Ehre  zu 
sein 

Ew.  Wohlgeb. 
Berlin,  ergebener  Diener 

am  9.  Mai  Salomon  Maimon 

1790. 

Z37. 

Von  Salomon  Maimon. 

Wohlgeborner  Herr, 

insonders  hochzuehrender  Herr  Professor! 
Für  das    mir    gütigst    übersandte  Geschenk  Ihrer  Schrift,  der 
Kritik  der  Urteilskraft,  woraus  ich  Ew.  Wohlgeborn  freundschaft- 
liche Gesinnimg   gegen   mich    ersehe,    welche  mir   sehr   teuer  ist, 

^)  Siehe  Berliner  Journal  für  Aufklärung,  Bd.  VII,  Stück  2,   1790« 


Föw  Salomon  Ma'tmon  33 

und  worauf  ich  stolz  zu  sein  Ursache  habe,  sage  ich  Ihnen  den 
ailerverbindlichsten  Dank.  Ich  habe  zwar  noch  nicht  Zeit  gehabt, 
dieses  wichtige  Werk  durchzulesen,  oder  wie  dies  erforderlich 
ist,  durchzudenken,  sondern  es  erst  bloß  durchblättern  können. 
Gleichwohl  aber  bin  ich  durch  den  Beifall,  welchen  Sie  dem 
H.  R.  BLUMENBACH  erteilen,  veranlaßt  worden,  dessen  vortreff- 
liche kleine  Schrift  zu  lesen: ^)  und  hiedurch  ist  bei  mir  ein  Ge- 
danke rege  gemacht  worden,  der,  wiewohl  er  nicht  neu  ist,  doch 
paradox  genug  scheinen  mag,  nämlich  die  Realität  der  Weltseele 
bestimmen  zu  wollen,  wovon  ich  mich  erdreuste  Ew.  Wohlgeborn 
den  Plan  zur  Prüfung  vorzulegen.^)  Ich  kann  zwar  nicht  ganz 
genau  bestimmen,  was  die  Alten  hiemit  für  einen  Begriff  ver- 
knüpften; ob  sie  darunter  Gott  selbst,  oder  etwas,  was  außer  dem- 
selben ist,  verstanden.  Demohngeachtet  denke  ich  mir  diesen 
Begriff  folgendermaßen:  Die  Weltseele  ist  eme  der  Materie  über- 
haupt (dem  Stoff  aller  reellen  Objekte)  beiwohnende  vmd  auf 
dieselbe  würkende  Kraft,  deren  Würkung  nach  der  vcrschicdnen 
Modifizierung  der  Materie  verschieden  ist.  Sie  ist  der  Grund  der 
besondern  Art  der  Zusammensetzung  in  jedem  (auch  unorgani- 
sierten), der  Organisation  in  jedem  organisierten  Körper,  des 
Lebens  im  Tier,  des  Verstandes  und  der  Vernunft  im  Menschen 
usw.;  kurz,  sie  gibt  die  Formen  aller  Dinge  nach  Beschaffenheit 
ihrer  Materie,  so  daß  sie  durch  die  eine  Form  die  Materie  zur 
Annehmung  einer  andern  Form  von  einer  höhern  Ordnung  ge- 
schickt macht.  Und  da  die  Materie  unendliche  Modifikation  an- 
nehmen kann,  so  kann  diese  Entelechie  auch  unendlich  verschiedne 
Formen  liefern.  Sie  ist  also  der  Grund  aller  möglichen  Würk- 
samkeit.  Ich  sehe  nicht  ein,  was  die  neueren  Philosophen  habe 
bewegen  können,  diese  Meinung  gänzlich  zu  verwerfen.  Sollte 
es  deshalb  geschehen  sein,  weil  man  von  dieser  Weltseele,  als 
Objekt  keinen  Begriff  hat?  Wir  haben  aber  von  unsrer  eignen 
Seele  ebenso  wenig  einen  Begriff.  Oder  fürchtet  man  hier 
Spinozismus;  so,  dünkt  mich,  ist  nach  obiger  Definition  demselben 
genugsam  zuvorgekommen.  Denn  dem  Spinozismus  zufolge  ist 
Gott  und  die  Welt  ein  und  ebendieselbe  Substanz.  Jener  Er- 
klärung   aber   zufolge   ist  die  Weltseele  eine  von  Gott  erschaffne 

^)   Über  den  Bildungstrieb,  Göttingen   1789. 

2)  Siehe    Maimons    Aufsatz    „Über  die  Weltseele"  (Berl.  Journ.  f. 
Aufklär.,  Bd.   8,  St.    i). 

KantS'Schrif ten.  Bd.  X.  3 


34  yon  Saloj7ion  Maimon 

Substanz.    Gott  wird  als  intelligentta  pura  extramundana  vorgestellt. 
Die  Weltseele    hingegen  wird    zwar  als  eine  Intelligenz,    aber  als 
eine   solche,  welche  mit  einem  Körper  (der  Welt)  in  Verbindung 
steht,  folglich   eingeschränkt  und   den  Gesetzen  der  Natur  unter- 
worfen   ist,    vorgestellt.     Als   Ding   an    sich    kann   man  ebenso 
wenig  behaupten,  daß  es  mehrere  Substanzen,  als  daß  es  nur  eine 
einzige  in  der  Welt    gäbe.     Als  Phänomene  hingegen  glaube  ich 
aus  guten  Gründen  für  das  letztere  entscheiden  zu  können.    Denn 
a)  die  gänzliche  Unterbrechung  der  Würksamkeit  der  sogenannten 
Substanzen  z.  E.  des    Denkens   im   Schlafe    usw.  muß    gegen    die 
Substanzialität    derselben    ein    Mißtrauen    erregen.     LOCKE    be- 
hauptet, die   menschliche  Seele  denke  nicht    beständig,  und  führt 
jene  Unterbrechung  als  Beispiel  an.    LEIBNIZ  nimmt  dieserwegen 
zu  den  dunkeln  Vorstellungen  seine  Zuflucht,  und  sucht  derselben 
Realität   aas  der  Verbindung  der   auf  die  Unterbrechung   folgen- 
den Vorstellungen  mit  den  ihr  vorhergehenden  zu  beweisen.  Was 
sind   aber   diese   dunkle  Vorstellungen   anders,   als   bloße  Disposi- 
tionen   und    zurückgelassene   Spuren    der    die   Ideen    begleitenden 
Bewegungen  in  den  Organen?  Nach  dem  BegriflF  einer  Weltseele 
hingegen    läßt   sich   dieser  Zusammenhang    auf   eine   faßliche  Art 
erklären.     Jede  Bewegung   in   den  Organen  wird  von   einer  der- 
selben   entsprechenden  Vorstellung    begleitet,    wozu   aber    ein   ge- 
wisser Grad  der  Intensität   gehöret.      Während  des  Schlafes    aber 
läßt  diese  Intensität  nach.  Diese  Weltseele  kann  also  alsdann  keine 
Vorstellungen   bewürken.     Beim  Erwachen   aber  nimmt  diese  In- 
tensität   wieder    zu,    so    daß    jene  Bewegungen  von    denen   ihnen 
entsprechenden  Vorstellungen   begleitet   werden.     Und  da  die  auf 
den  Schlaf   folgenden  Bewegungen    mit   den  vor  demselben   her- 
gehenden und  während  desselben  fortdauernden  Bewegungen,  nach 
den  Gesetzen   der  Natur,    in   genauen  Zusammenhang   stehen,    so 
muß   dies   auch  bei  den  diesen  Bewegungen    entsprechenden  Vor- 
stellungen stattfinden,   b)  Auch  scheinet  die  Natur  der  objektiven 
Wahrheit,   die   alle  Menschen  voraussetzen,   die  Idee   einer  Welt- 
seele notwendig  zu  erfordern;  woraus  sich  die  Identität  der  Formen 
des    Denkens    bei    allen   denkenden  Subjekten,    und   die  Überein- 
stimmung in  den  dieser  Form  gemäß  gedachten  Objekten  erklären 
läßt,    c)   Die  Lehre  von  den  Zwecken  in  der  Natur  (Teleologie) 
scheint  diese  Vorstellung  auch  zu  erfordern.    Ich  glaube  nämlich, 
daß  ein  Zweck  nicht  hervorgebracht,  sondern  durch  etwas  schon 
Hervorgebrachtes  erreicht  wird.    Die  Formen  halte  ich  daher  fiir 


An  Johann  Schultz  35 

Zwecke  der  Natur,  welche  durch  die,  auf  eine  bestimmte  Art, 
nach  mechanischen  Gesetzen,  hervorgebrachte  Objekte  erreicht 
werden.  Dies  beweiset  also  notwendig  das  Dasein  eines  allge- 
meinen Grundes  der  Verbindung  dieser  Formen  untereinander  als 
besondere  Zwecke  zu  einem  Hauptzweck,  und  der  Übereinstim- 
mung der  nach  den  Naturgesetzen  hervorgebrachten  Objekte  mit 
diesen  Formen  überhaupt;  so  daß  man  in  diesem  Betracht  die 
formengebende  Intelligenz  mit  der  gesetzgebenden,  und  die  mecha- 
nischen Gesetze  der  Natur  mit  der  vollziehenden  Macht  eines 
wohleingerichteten  Staats  vergleichen  kann. 

Dies  sind  ohngefähr  mit  kurzen  Worten  meine  Gründe,  welche 
ich  Ew.  Wohlgeborn  zur  Beurteilung  vorzulegen  wage.  Mit  Un- 
geduld erwarte  ich  Dero  Entscheidung  hierüber,  und  habe  die 
Ehre  zu  verharren 

Ew.  Wohlgeborn 
Berlin,  gehorsamster  Diener 

d.  15.  Mai  Salomon  Maimon. 

1790. 

138. 

An  Johann  Schultz. 

29.  Juni  1790. 
Hiemit  nehme  mir  die  Freiheit  Ew.  Hochehrwürd.  noch 
einiges  (manches  vielleicht  schon  in  den  vorigen  zwei  Bogen,  doch 
nicht  so  klar,  vne  mich  dünkt,  vorgebrachtes)  zum  beliebigen 
Gebrauche  in  der  Rezension  zuzusenden.')  Das  Blendwerk  von 
dem  Bildlichen,  mit  dem  EB.[ERHARD]  immer  um  sich  wirft, 
scheint  nötig  zu  sein  aufzudecken,  imgleichen  auch  die  letzte  Auf- 
forderung, um  ihn  so  geschwinde  als  möglich  zu  nötigen,  sich 
in  seiner  Blöße  darzustellen.  —  Mit  mehrerem  werde    ich    nicht 


^)  Der  zweite  Band  von  Eberhards  Philos.  Magazin  (i79°)  enthält 
im  vierten  Stück  mehrere  Aufsätze  des  bekannten  Mathematikers  A.  G. 
Kaestner  (171 9— 1800)  über  Kants  Philosophie  der  Mathematik.  Kant 
beabsichtigte  zunächst,  hierauf  selbst  zu  erwidern,  überließ  indes,  dann 
den  Entwurf  seiner  Entgegnung  dem  Hofprediger  Schultz  als  Material 
für  eine  ausführliche  Rezension  in  der  AUg.  Litt.-Ztg.  (Jahrg.  1790, 
S.  768—814).  Der  Text  dieser  Rezension  ist  in  Bd.  VI  dieser  Aus- 
gabe, S.  75— 117  wiedergegeben  worden;  vgl.  auch  Bd.  VI,  S.  517  ff- 


3* 


^6  An  Johann  Schultz 

beschweren:  außer  nur  etwas  aus  den  KÄSTNER  sehen  Aufsätzen, 
aber  nur  um  ihm  zu  zeigen,  daß  in  diesen  nichts  sei  was  ihm 
zum  Vorteil  gereiche. 

I.  Kant. 
Den  29.  Juni    1790. 

239. 

An  Johann  Schultz. 

Von  gegenwärtigen  2  Blättern,  welche  ich  die  Ehre  habe, 
Ew.  Hochehrwürd.  hiemit  zuzuschicken,  glaube  ich,  daß  es  gut 
wäre,  wenn  sie  ohne  Abkürzung  in  die  Rez.  könnten  eingerückt 
werden;  nicht  allein  um  dem  Übermut  des  Herrn  EBERHARDS, 
wegen  dieser  scheinbaren  Verstärkung  seiner  Partei,  dadurch  die 
Nahrung  zu  benehmen,  sondern  auch  Herrn  KAESTNER  selbst 
von  der  Einbildung  abzubringen,  als  habe  jener  etwas  mit  seiner, 
d.  i.  der  WOLFFischen  Philosophie  Einstimmiges  gesagt. 

Zugleich  nehme  mir  die  Freiheit  unmaßgeblich  anzuraten,  auf 
die  Stellen,  da  KAESTNER  auf  Ihre  Theorie  des  Unendlichen*) 
anzuspielen  scheint,  in  dieser  Rezension  nicht  Rücksicht  zu  nehmen, 
um  den  Verfasser  derselben  dadurch  nicht  zu  entdecken.  Sie 
könnten  in  dem  von  Ihnen  jetzt  bearbeiteten  Stücke  Ihrer  Prü- 
fung usw.  sich  darüber  ausführlich  erklären  und  rechtfertigen ;  zu 
welchem  Behuf  ich  glaube,  daß  beiliegendes  Blatt  b,  wie  ich  mir 
schmeichle,  einigen  neuen  Stoff  darbieten  möchte,  um  Ihre  Theorie 
mit  dem,  was  die  Kritik  in  dem  Stücke  von  der  Antinomie  in 
Ansehung  des  Unendlichen  im  Räume  sagt,  in  Übereinstimmung 
zu  bringen. 

Mit  dem  Anwunsche  einer  guten  Gesundheit  und  Munterkeit 
zu  allen  diesen  beschwerlichen  Arbeiten  bin  ich  mit  vorzüglicher 

Hochachtung 

Ew.  Hochehrwürden 

ganz  ergebenster  Diener 

I.  Kant. 

Den   2.  August    1790. 


')  Zu  Schultz'  Theorie  des  Unendlichen  vgl.  die  Schriften:  Vor- 
läufige Anzeige  des  entdeckten  Beweises  für  die  Theorie  der  Parallel- 
linien, Königsberg   1780;  Entdeckte  Theorie  der  Parallelen,  ebd.  1784; 


An   'Johann  Friedrich  Blumenbach  37 

240. 

An  Johann  Friedrich  Blumenbach. 

Königsberg,  d.  5.  Aug.  1790. 
Wohlgeborner  verehrungswürdiger  Herr! 

Der  die  Ehre  hat  Ihnen  Gegenwärtiges  zu  überreichen,  Herr 
Dokt.  med.  JACHMANN,  mein  ehemaliger  Zuhörer,  gibt  mir,  bei 
dem  Wunsche  von  einem  berühmten  Manne  gütige  Anweisung  zu 
erhalten,  wie  er  seinen  kurzen  Aufenthalt  in  Göttingen  am  besten 
benutzen  könne,  Anlaß,  meinen  ergebensten  Dank  für  Ihre  mir 
im  vorigen  Jahre  gewordene  Zusendung  des  trefflichen  Werks 
über  den  Bildungstrieb  abzustatten.  Ihre  Schriften  haben  mich 
vielfältig  belehrt;  doch  hat  das  Neue  in  der  Vereinigung  zweier 
Prinzipien,  dem  der  physisch-mechanischen  und  der  bloß  teleolo- 
gischen Erklärungsart  der  organisierten  Natur,  welche  man  sonst 
geglaubt  hat  unvereinbar  zu  sein,  eine  nähere  Beziehung  auf  die 
Ideen,  mit  denen  ich  mich  vorzüglich  beschäftige,  die  eben  einer 
solchen  Bestätigung  durch  Facta  bedürfen.  Meine  Erkenntlichkeit 
für  diese  mir  gewordene  Belehrung  habe  ich  in  einer  Stelle  des 
Buchs,  welches  der  Buchhändler  DE  LA  GARDE  Ihnen  zugesandt 
haben  wird,  zu  bezeigen  gesucht. 

Dem  Herrn  Geh.  Sekr.  REHBERG  bitte,  unter  Versicherung 
meiner  wahren  Hochachtung,  auf  sein  durch  Herrn  H.  R.  METZGER 
geäußertes  Verlangen,  alle  meine  kleine  Schriften  zu  haben,  gütigst 
zur  Antwort  zu  erteilen:  daß  sie  sich  schon  vorlängst  nicht  mehr 
in  meinen  Händen  befinden,  indem  ich,  bei  meinem  nachher  vor- 
genommenen Gedankengange,  darum  mich  nicht  mehr  bekümmert 
habe,  und,  was  vollends  die  Programmen  betrifft,  einige  derselben 
so  flüchtig  hingeworfen  worden,  daß  ich  selbst  nicht  gern  sähe, 
wenn  sie  wieder  ans  Tageslicht  gezogen  werden  sollten. 

Unter  Anwünschung  alles  Wohlergehens  und  der  besten  Ge- 
sundheit, um  die  Welt  noch  fernerhin  zu  belehren,  bin  ich  mit 
der  vorzüglichsten  Hochachtung  Ew.  Wohlgeb.  ganz  ergebenster 
Diener 

I.  Kant. 


Darstellung  der  vollkommenen  Evidenz  und  Schärfe  seiner  Theorie  der 
Parallelen,  ebd.   1786. 


38  An  Johann  Schu/tz 

141. 

An  Johann  Schultz. 

Ew.  Hochehrw,  gratuliere  von  Herzen  zur  glücklichen  und 
meisterhaften  Vollendung  einer  höchstbeschwerlichen  Arbeit,  bei 
der  es  noch  ein  Trost  ist,  daß  eine  ihr  ähnliche  nur  allenfalls 
über  ein  Jahr  wiederum  veranlaßt  werden  dürfte.  Für  Ihre  gütige 
Bemühung,  was  meine  kleine  mitgeteilte  Anmerkungen  betrifft, 
und  deren  geschickte  Benützung,  sage  den  ergebensten  Dank  und 
habe  die  Ehre  mit  der  größten  Hochachtung  jederzeit  zu  sein 

Ew.  Hochehrwürden 

ganz  ergebenster  Diener 

I.  Kant. 

Den   1 5.  Aug.  1790. 

Z4Z. 

An  Johann  Schultz. 

Des  Herren  Hofprediger  SCHULTZ 

Hochehrwürden 

Erlauben  mir  Ew.  Hochehrw.  eine  Bedenklichkeit,  die  mir 
nach  Durchlesung  Ihrer  gründlichen  Rezension  eingefallen  ist,  doch 
unmaßgebhch,  mitzuteilen.  Sie  betrifft  die  Stelle  von  Ihrer  Theorie 
der  Parallellinien.  Ich  besorge  nämlich,  daß  EBERHARD,  welcher, 
um  seiner  Schreiberei  durch  fremde  Federn  ein  gewisses  Ansehen 
zu  geben,  Mathematiker  geworben  hat,  hieran  Anlaß  und  Vor- 
wand nehmen  möchte,  sie  aufzuwiegeln  von  dieser  Seite  die  Kritik 
anzufechten,  wenigstens  zum  Scheine,  und  dadurch  die  Würdigung 
seiner  Behauptungen  (wegen  der  gemischten  Materien)  in  der 
künftigen  Beurteilung  derselben  sehr  erschweren  möchte.  Da  Ihr 
gründUches  Werk  der  reinen  Mathesis  ohne  Zweifel  entweder  jenen 
Streit  beendigen,  oder  zu  Abfertigung  der  Gegner  Ihrer  Theorie 
ohne  Zweifel  hinreichenden  Anlaß  geben  wird,  so  wäre  meine 
Meinung,  Herrn  EBERHARD,  der  ohnedem  so  gern  von  der 
Klinge  abspringt,  nicht  dadurch  in  seiner  Gewohnheit,  den  Stand- 
punkt der  Beurteilung  unaufhörhch  zu  verrücken,  Vorschub  zu 
geben,  vornehmlich  da  das  vor  jener  Stelle  Vorhergehende  schon 
für  sich  hinreichend  ist,  die  von  Mißdeutungen  Ihrer  Theorie  her- 


Fon  Johann  Friedrich  Reichardt  39 

genommene  Einwürfe  abzuweisen.  Doch  habe  ich  hiedurch  nichts 
vorschreiben  wollen,  sondern  überlasse  alles  Ihrem  eigenen  gründ- 
lichen Ermessen  und  beharre  mit   vorzüglicher  Hochachtung 

Ew.  Hochehrwürden 

ganz  ergebenster  Diener 

1.  Kant, 

Den    16.  Aug.  1790. 

245. 

Von  Johann  Friedrich  Reichardt. 

Teuerster  Herr  Professor! 

Die  große  Verbindlichkeit,  die  ich  Ihnen  von  Kindheit  an 
habe,  wächst  mit  jeder  neuen  Schrift  von  Ihnen  über  allen  Aus- 
druck. Ihr  weiser  gütiger  Rat  allein  half  mir  auf  den  Weg  zur 
literarischen  Bildung,  die  mir  bald  meine  Kunst  aus  einem  höheren 
Gesichtspunkt  ansehen  ließ,  und  Ihre  edle  Uneigennützigkeit,  mit 
der  Sie  mir  die  Freiheit  erteilten,  Ihren  Vorlesungen  beiwohnen 
zu  dürfen,  verhalf  mich,  wenn  gleich  damals  noch  nicht  zu  der 
philosophischen  Bildung,  die  ich  itzt  gewiß  aus  Ihrer  Nähe  ziehen 
würde,  dennoch  zu  der  Aufmerksamkeit  und  Liebe  zu  eigenem 
Nachdenken,  die  mich  itzt  besser  in  den  Stand  setzen,  aus  Ihren 
vortrefflichen  Werken  mich  zu  unterrichten.  Seit  drei  Jahren  be- 
schäftige ich  mich  sehr  ernstlich  mit  Ihren  Werken,  zu  denen 
mich  die  Gegenschriften  meiner  Herzensfreunde  JACOBI  und 
SELLE  führten  und  ich  vermag  es  Ihnen  gar  nicht  auszudrücken, 
wieviel  dieses  Studium  zum  Glück  meines  Lebens  beiträgt.  Un- 
aussprechlich hat  mich  Ihre  Kritik  der  Urteilkraft  beglückt.  Ich 
werde  nicht  ehe  aufhören,  sie  zu  studieren,  als  bis  ich  imstande 
bin,  eine  vollständige  Kritik  der  schönen  Künste  darnach  vorzu- 
tragen, um  so  durch  die  weitere  Ausbreitung  Ihrer  Philosophie, 
so  weit  meine  Fähigkeit  reicht,  auf  die  angemessenste  Art,  das 
innige  Gefühl  meiner  Dankbarkeit  und  Verehrung  lebenslang  an 
den  Tag  zu  legen. 

Um  fürs  erste  mein  Kunstpublikum  darauf  aufmerksamer  zu 
machen,  hab'  ich  die  Hauptsätze  über  schöne  Kunst,  Genie, 
Geschmack  herausgezogen  und  lasse  solche,  mit  Rückweisung  auf 
das  Werk  selbst,  in  einem  Stück  meines  Kunstmagazins  abdrucken, 
an  welchem   eben  gedruckt  wird.     L^nd  so  will  ich  mein  Kunst- 


40  An  F.   Th.  de  la  Garde 

magazin,^)  das  mit  mancher,  gutgemeinten  aber  luftigen  Phantasie 
anhub,  mit  Wahrheit  beschließen.  Ich  hofFe,  Sie  haben  nichts  da- 
gegen, bester  Herr  Professor. 

Vor  kurzem  hab'  ich  aus  Neapel  die  ganz  vortrefflichen  Land- 
karten vom  Königr.  Neapel,  die  nach  ZANONI  und  andern  dort 
mit  einer  Pracht  und  Genauigkeit  gestochen  werden,  die  alle  fran- 
zösische und  englische  Landkarten  zurückläßt,  für  Sie,  bester  Herr 
Professor,  mitgenommen.  Sie  sind  leider  noch  mit  andern  Sachen, 
die  ich  für  den  König  mitgebracht,  auf  der  See,  sonst  würde  ich 
sie  Herrn  KIESEWETTER  mitgeben.  Erlauben  Sic  mir  aber,  sie 
Ihnen,  sobald  sie  hier  ankommen,  als  ein  sehr  geringes  Zeichen 
der  dankbaren  Verehrung  zu  übersenden,  mit  der  ich  lebenslang 
verharre 

Ihr 
Berlin,  den   28.  Aug.  1790.  ganz  ergebenster 

Reichardt. 


244. 
An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Kw.  Hochedelgeb. 

gütige  Zuschrift  vom  1 2 .  Aug.,  zusamt 
des  Abts  DENINA  Buche  (welches  ich  nach  Durchlesung  der 
mich  angehenden  Stelle  sofort,  Ihrer  Bestimmung  gemäß,  weiter 
befördert  habe),  ist  mir  richtig  zu  Händen  gekommen. 

Es  sollte  mir  leid  tun,  wenn  Sie,  als  eine  Vernachlässigung 
einer  Ihnen  schuldigen  Antwort,  es  übel  aufnähmen,  daß  ich  keinen 
Bericht  wegen  des  Empfangs  des  Honorars  abgestattet  habe,  worin 
ich  vielleicht  aus  Unkunde,  aber  nicht  aus  Mangel  an  Achtung 
und  Freundschaft  gefehlt  habe,  indem  ich  dachte,  die  Zurück- 
sendung  der  Assignation  sei  eine  hinreichende  Bescheinigung  des 
Empfangs,  übrigens  aber  meinen  Dank,  für  diesen  sowohl,  als  die 
gute  Ausführung  des  Drucks  des  Werks,  soviel  auf  Ihnen  be- 
ruhte, auf  eine  andere  Zeit,  die  mir  dazu  bequemer  schiene,  ver- 
schob.  —    Es  ist  wahr,  was  Sie  mir  damals  meldeten,   daß    über 


*)    Das    von    Reichardt    begründete    „Musikalische  Kunstmagazin" 
(Berlin   1781 — 92). 


Von  August   Wilhehn  Rehberg  41 

die  hinten  angehängte  errata  noch  viele  Druckfehler  übrig  ge- 
blieben sind,  derentwegen  ich  bitte:  wenn  Sie  eine  zweite  Auf- 
lage zu  veranstalten  nötig  fänden,  mir  davon  zeitig  Nachricht  zu 
geben,  imgleichen  damit  ich  auch,  was  den  Inhalt  betrifft,  noch 
einiges  nachbesseren  oder  zusetzen  könne. 

Herren  KIESEWETTER  werden  vermutlich  dringende  Ge- 
schäfte genötigt  haben,  seine  Reise  nach  Königsberg  für  diesmal 
ausfallen  zu  lassen;  ich  wünsche  nur,  daß  nicht  Krankheit  die 
Ursache  davon  gewesen  sei  und  bitte  ihn  meiner  Freundschaft  zu 
versichern. 

Übrigens  bin  ich  mit  Hochachtung  imd  Freundschaft  jederzeit 

Ihr 
Königsberg,  ganz   ergebener  Diener 

d.  2,  Sept.  I.  Kant. 

1790. 

245. 

Von  August  Wilhelm  Rehberg. 

Sept.  1790. 

Es  heißt  p.  188  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  2.  Aufl.: 
Mathematische  Sätze  werden  aus  der  Anschauung  und  nicht 
aus  dem  Verstandesbegriffe  gezogen. 

In  Ansehung  der  geometrischen  hat  dies  wohl  keinen  Zweifel; 
wie  denn  auch  z.  B.  der  Satz,  daß  in  jedem  Triangel  zwei  Seiten 
größer  sind  als  die  dritte  und  andere,  nicht  aus  dem  Schema,  das 
dem  Begriffe  vom  Triangel  zum  Grunde  liegt,  sondern  nur  also 
erwiesen  wird,  daß  die  drei  Arten  von  Dreiecken  in  der  An- 
schauung dargestellt  werden. 

In  Ansehung  der  arithmetischen  Wahrheiten  aber  scheint  es 
nicht  also  beschaffen  zu  sein.  Zum  Beispiel  erhellt  die  Unmög- 
lichkeit von  V^  nicht  aus  der  Anschauung  des  Schema  2 
in  irgend  einer  Anschauung,  sondern  aus  der  Zahl  selbst.  Es 
heißt  zwar  p.  182  der  Kritik,  daß  die  Zahl  eine  successive  Addi- 
tion sei,  und  es  scheint  sonach,  als  wenn  der  Grund  der  synthe- 
tischen Sätze  der  Arithmetik  und  Algebra  in  dem  Anschauen  der 
reinen  Form  aller  Sinnlichkeit  der  Zeit  zu  suchen  sein  solle,  so 
wie  der  Grund  der  synthet.  Sätze  der  Geometrie  in  der  An- 
schauung des  Raums  erhellt.     Allein,  wenn  gleich    die  siimlichen 


42  Von  August    Wilhehn  Rehberg 

Erscheinungen  der  Anwendung  arithmetischer  Wahrheiten 
unstreitig  nur  dadurch  unterworfen  sind,  daß  die  Zeit  als 
allgemeine  Form  jener,  durch  die  transszendentale  Synthesis  der 
Einbildungskraft:  der  Anwendung  der  VerstandesbegrifFe  unter- 
worfen ist,  so  scheint  es  doch,  als  ob  die  Wahrheit  der  arithme- 
tischen Sätze  selbst  nicht  aus  dem  Anschauen  der  reinen  Form 
der  Sinnlichkeit  erhelle:  indem  kein  Anschauen  der  Zeit  da- 
zu erforderlich  ist,  um  die  arithmetischen  und  algebrai- 
schen Beweise  zu  führen,  welche  vielmehr  unmittelbar  aus 
den  Begriffen  der  Zahlen  erhellen,  und  nur  sinnlicher  Zeichen 
bedürfen,  woran  sie  während  und  nach  der  Operation  des  Ver- 
standes wieder  erkannt  werden:  keineswegs  aber  reinsinnlicher 
Bilder,  so  wie  die  Geometrie,  um  an  ihnen  die  Beweise  zu 
fuhren. 

Hieraus  würde  begreiflich  werden,  warum  die  beiden  Formen 
der  Sinnlichkeit,  Raum  sowohl  als  Zeit,  den  synthetischen  arith- 
metischen und  algebraischen  Wahrheiten  unterworfen  sind, 
denn  die  Anwendung  der  Arithmetik  und  Algebra  auf  Geometrie 
scheint  nicht  der  geringsten  Dazwischenkunft  der  Vor- 
stellung Zeit  zu  bedürfen:  die  Gegenstände  der  Geometrie  sind 
der  Algebra  weder  als  successiv  noch  als  koexistent,  sondern  über- 
haupt, dafern  sie  nur  vorgestellt  werden,  nicht  dafern  sie,  oder 
weil  sie  in  der  Zeit  gedacht  würden,  unterworfen. 

Es  entsteht  hier  freilich  eine  große  Schwierigkeit,  und  welche 
unauflöslich  sein  dürfte.  Wie  geht  es  nämlich  zu,  daß  der 
Verstand  bei  der  Erzeugung  der  Zahlen,  welches  ein  reiner 
Aktus  seiner  Spontaneität  ist,  an  die  synthetischen  Sätze  der 
Arithmetik  und  Algebra  gebunden  ist?  Warum  kann  er, 
der  Zahlen  willkürlich  hervorbringt,  keine  V^  in  Zahlen 
denken?  da  ihn  doch  die  Natur  der  Form  der  Sinnlich- 
lichkeit  nicht  verhindert,  so  wie  die  Natur  des  Raumes  ihn 
hindert  gerade,  Linien  zu  denken,  die  gewissen  krummen  gleich 
wären.  Der  Grund  dieser  Unmöglichkeiten  und  der  Grund  aller 
synthetischen  Wahrheiten  der  Arithmetik  und  Algebra  müßte  in 
der  alles  menschliche  Untersuchungsvermögen  übersteigenden  Natur 
des  ursprünglichen  transszendentalen  Vermögens  der  Einbil- 
dungskraft und  der  Verbindung  desselben  mit  dem  Ver- 
stände zu  suchen  sein. 

Dies  vorausgesetzt  fragt  sich's,  ob  es  nicht  möglich  sei,  ein 
transszendentales  System  der  Algebra  zu  entdecken,  in  welchem 


An  August  Wilhelm  Rehberg  43 

die  Möglichkeit  und  die  Art  der  Auflösung  derjenigen  Glei- 
chungen, welche  bis  itzt  nur  einzeln,  durch  regellose  Ver- 
suche gesucht  wird,  a  priori  aus  Prinzipien  entschieden  würde? 
Die  Beantwortung  dieser  Frage  scheint  auf  die  oben  angegebene 
Schwierigkeiten  großes  Licht  werfen  zu  können. 


1^6. 

An  August  Wilhelm  Rehberg. 

Sept.  1790. 

Die  Aufgabe  ist:  Warum  kann  der  Verstand,  der  Zahlen  will- 
kürlich hervorbringt,  keine  Y^  in  Zahlen  denken?  Denn,  wenn 
er  sie  denkt,  so  muß  er  sie,  wie  es  scheint,  auch  machen 
können;  indem  die  Zahlen  reine  Aktus  seiner  Spontaneität  sind 
und  die  synthetische  Sätze  der  Arithmetik  und  Algebra  können 
ihn  durch  die  Bedingungen  der  Anschauung  in  Raum  und  Zeit 
nicht  einschränken.  Es  scheint  also:  man  müsse  ein  transszenden- 
tales  Vermögen  der  Einbildungskraft,  nämlich  ein  solches,  welches 
in  der  Vorstellung  der  Objekte,  unabhängig  selbst  von  Raum  und 
Zeit,  bloß  dem  Verstände  zufolge,  Vorstellungen  synthetisch  ver- 
bände, und  von  dem  ein  besonderes  System  der  Algebra  abgeleitet 
werden  könnte,  annehmen,  dessen  nähere  Kenntnis  (wenn  sie  mög- 
lich wäre)  die  l'/Iethode  der  Auflösung  der  Gleichungen  zu  ihrer 
größten  Allgemeinheit  erheben  würde. 

So  verstehe  ich  nänüich  die  an  mich  geschehene  Anfrage. 


Versuch  einer  Beantwortung  derselben. 

I.  Ich  kann  jede  Zahl  als  das  Produkt  aus  zwei  Faktoren  an- 
sehen, wenn  diese  mir  gleich  nicht  gegeben  sind  und  auch  nie 
in  Zahlen  gegeben  werden  können.  Denn  es  sei  die  gegebene 
Zahl  =  15,  so  kann  ich  den  einen  Faktor,  daraus  sie  ent- 
springt, =  3  annehmen,  und  der  andere  ist  alsdann  =  5,  mit- 
hin 3X5  =  15.  Oder  der  gegebene  Faktor  sei  =  2;  so  würde 
der  gesuchte  andere  Faktor  t  sein.  Oder  der  erstere  sei  ein 
Bruch  =  V75  so  ist  der  andere  Faktor  105  usw.  Also  es  ist  möglich 
zu  jeder  Zahl  als  Produkt;  wenn  ein  Faktor  gegeben  ist,  den 
andern  zu  finden. 


^4  An  August   Wilhelm  Rehberg 

2.  Wenn  aber  keiner  der  beiden  Faktoren,  sondern  nur  ein 
Verhältnis  derselben,  z.  B.  daß  sie  gleich  sein  sollten,  gegeben  ist, 
so,  daß  das  gegebene  Faktum  =  tf,  der  gesuchte  Faktor  =  x  ist, 
so  ist  die  Äquation  \:x^x:a^  d.i.,  er  ist  die  mittlere  geo- 
metrische Proportionalzahl  zwischen  i  und  a  und,  da  diesem  ge- 
mäß a  =  x^  so  ist  X  =  Vä,  d.  i.  die  Quadratwurzel  aus  einer  ge- 
gebenen Größe,  z.  B.  V^  ist  durch  die  mittlere  Proportionalzahl 
zwischen  i  und  der  gegebenen  Zahl  =  i  ausgedrückt.  Es  ist 
also  auch  möglich  eine  solche  Zahl  zu  denken. 

Daß  nun  die  mittlere  Proportionalgröße  zwischen  einer, 
die  =  I  und  einer  andern,  welche  =  2  ist,  gefunden  werden 
könne,  mithin  jene  kein  leerer  Begriff  (ohne  Objekt)  sei,  zeigt 
die  Geometrie  an  der  Diagonale  des  Quadrats.  Es  ist  also  nur 
die  Frage,  warum  für  dieses  Quantum  keine  Zahl  gefunden 
werden  könne,  welche  die  Quantität  (ihr  Verhältnis  zur  Einheit) 
deutlich  und  vollständig  im  Begriffe  vorstellt. 

Daß  auch  daraus,  daß  jede  Zahl  als  Quadratzahl  von  irgend 
einer  andern  als  Wurzel  müsse  vorgestellt  werden  können,  nicht 
folge,  die  letztere  müsse  rational  sein,  d.  i.  ein  auszählbares  Ver- 
hältnis zur  Einheit  haben,  läßt  sich  nach  dem  Satze  der  Identität, 
aus  dem  der  Aufgabe  zum  Grunde  liegenden  Begriffe,  nämlich 
dem  zweier  gleichen  (aber  unbestimmten)  Faktoren  zu  einem  ge- 
gebenen Produkt  einsehen;  denn  in  diesen  ist  gar  kein  bestimmtes 
Verhältnis  zur  Einheit,  sondern  nur  ihr  Verhältnis  zueinander  ge- 
geben. —  Daß  aber  diese  Wurzel  gleichwohl  in  der  Zahlreihe, 
zwischen  zwei  Gliedern  derselben  (so  fern  sie  z.  B.  dekadisch  ein- 
geteilt ist)  immer  noch  ein  Zwischenglied  und  in  demselben  ein 
Verhältnis  zur  Einheit  angetroffen  wird,  folgt  aus  Nr.  i,  wenn 
nämlich  ein  Glied  der  Wurzel  in  dieser  Reihe  gefunden  worden. 
—  Daß  aber  der  Verstand,  der  sich  willkürlich  den  Begriff  von 
V2  macht,  nicht  auch  den  vollständigen  Zahlbegriff,  nämlich  durch 
das  rationale  Verhältnis  derselben  zur  Einheit  hervorbringen  könne, 
sondern  sich,  gleichsam  von  einem  andern  Vermögen  geleitet, 
müsse  gefallen  lassen  in  dieser  Bestimmung  eine  unendliche  An- 
näherung zur  Zahl  einzuschlagen,  das  hat  in  der  Tat  die  successive 
Fortschreitung  als  die  Form  alles  Zählens  und  der  Zahlgrößen,  als 
die  dieser  Größenerzeugung  zum  Grunde  liegende  Bedingung,  die 
Zeit,  zum  Grunde. 

Zwar  bedarf  der  bloße  Begriff  einer  Quadratwurzel  aus  einer 
positiven   Größe   =  /ä,  wie  ihn  die  Algebra  vorstellt,  gar  keiner 


An  August   Wilhelm  Rehberg  45 

Synthesis  in  der  Zeit;  ebenso  auch  die  Einsicht  der  Unmöglich- 
keit der  Wurzel  aus  einer  negativen  Größe  =  K^^^  (in  welcher 
sich  die  Einheit,  als  positive  Größe,  zu  einer  andern  =  x  eben 
so  verhalten  müßte  wie  diese  zu  einer  negativen)*),  welche 
sich,  ohne  Zeitbedingung  damit  zu  benötigen,  aus  bloßen  Größen- 
begriffen  erkennen  läßt.  Sobald  aber,  statt  tf,  die  Zahl,  wovon 
CS  das  Zeichen  ist,  gegeben  wird,  um  die  Wurzel  derselben  nicht 
bloß  zu  bezeichnen,  wie  in  der  Algebra,  sondern  auch  zu 
finden,  wie  in  der  Arithmetik;  so  ist  die  Bedingung  aller  Zahl- 
erzeugung, die  Zeit,  hiebei  unumgänglich  zum  Grunde  liegend, 
und  zwar  als  reine  Anschauung,  in  welcher  wir  nicht  allein  die 
gegebene  Zahlgröße,  sondern  auch  von  der  Wurzel,  ob  sie  als 
ganze  Zahl,  oder  wenn  dieses  nicht  möglich  ist,  nur  durch  eine 
ins  Unendliche  abnehmende  Reihe  von  Brüchen,  mithin  als  Irra- 
tionalzahl gefunden  werden  könne,  uns  belehren  können. 

Daß  nicht  der  bloße  Verstandsbegriff  von  einer  Zahl,  sondern 
eine  Synthesis  in  der  Zeit,  als  einer  reinen  Anschauung,  dem  Be- 
griffe der  Quadratwurzel  einer  bestimmten  Zahl,  z.  B.  der 
Zahl  5,  zum  Grunde  gelegt  werden  müsse,  ist  daraus  klar:  daß 
wir  aus  dem  bloßen  Begriffe  einer  Zahl  allein  niemals  beurteilen 
können,  ob  die  Wurzel  derselben  rational  oder  irrational  sein 
werde.  Wir  müssen  es  mit  ihr  versuchen,  entweder,  indem  wir 
in  Zahlen  bis  100  die  Produkte  aller  kleinern  ganzen  Zahlen  in 
sich  selbst  mit  dem  gegebenen  Quadrat  bloß  nach  dem  Einmal- 
eins vergleichen,  oder  in  größern  durch  Einteilung  desselben,  nach 
dem  allgemein  bewiesenen  Satze  der  Bestandteile  eines  Quadrats, 
einer  zwei-  oder  überhaupt  vielteiligen  Wurzel,  die  Teile  der- 
selben nach  und  nach  suchen,  in  allen  aber,  wo  der  Versuch  mit 
einer  in  sich  selbst  multiplizierten  ganzen  Zahl  nicht  das  Quadrat 
gibt,  die  Teiler  der  Einheit,  nach  einer  gewissen  Proportion,  z.  B. 
der  dekadischen,  wachsen  lassen,  welche  zu  Nennern  einer  ins 
Unendliche  abnehmenden  Reihe  von  Brüchen  dienen,  die,  weil  sie 
nie  vollendet  sein  kann,  obgleich  sich  der  Vollendung  so  nahe 
bringen  läßt  als  man  will,  die  Wurzel  (aber  nur  auf  irrationale 
Art)  ausdrückt. 

Gesetzt  nun,    wir  körmten  nicht  a  priori  beweisen  und  auch 
nicht,  wie  es  zugehe,  erklären:    daß,    wenn  die  Wurzel   einer 


*)  Da    dieses   widersprechend    ist,    so  ist  Y—  a    der  Ausdruck  für 
euie  unmögliche  Größe. 


4d  An  August   Wilhelm  Rehberg 

gegebenen  Größe  nicht  in  ganzen  Zahlen  gefunden  wer- 
den kann,  sie  auch  nicht  in  Brüchen  bestimmt  (gleichwohl 
aber  doch  so  weit  ailnähernd  als  man  will)  gegeben  werden 
könne,  so  würde  dieses  ein  Phänomen  von  dem  Verhältnis  unserer 
Einbildungskraft  zum  Verstände  sein,  welches  wir  zwar  durch  mit 
Zahlen  angestellte  Versuche  wahrnehmen,  aber  uns  gar  nicht  aus 
VerstandesbegrifFen  erklären  könnten.  Nun  kann  aber  das  erstcrc 
allerdings  geschehen;  folglich  ist  die  Vermutung  des  letzteren  nicht 
nötig. 

Mir  scheint  das  Befremdliche,  welches  der  scharfsinnige  Ver- 
fasser der  Aufgabe  in  der  Unangemessenheit  der  Einbildungskraft 
in  der  Ausführung  des  VerstandesbegrifFs  von  einer  mittleren 
Proportionalgröße  durch  die  Arithmetik  gefunden  hat,  sich  eigent- 
lich auf  die  Möglichkeit  der  geometrischen  Konstruktion 
solcher  Größen,  die  doch  in  Zahlen  niemals  vollständig  gedacht 
werden  können,  zu  gründen. 

Denn,  daß  sich  zu  jeder  Zahl  eine  Quadratwurzel  finden 
lassen  müsse,  allenfalls  eine  solche,  die  selbst  keine  Zahl,  sondern 
nur  die  Regel  der  Annäherung  zu  derselben,  wie  weit  man  es 
verlangt,  scheint  mir  diese  Befremdung  des  Verstandes  über  V^ 
eben  nicht  zu  bewirken:  sondern  daß  sich  dieser  Begriff  geome- 
trisch konstruieren  läßt,  mithin  nicht  bloß  denkbar,  sondern  auch 
in  der  Anschauung  adäquat  anzugeben  sei,  wovon  der  Verstand 
den  Grund  gar  nicht  einsieht,  ja  nicht  einmal  die  Möglichkeit 
eines  Objekts  ==  I/2"  anzunehmen  befugt  ist,  weil  er  sogar  nicht 
einmal  den  Begriff  einer  solchen  Quantität  in  der  Zahlanschauung 
adäquat  darzulegen  imstande  ist,  desto  weniger  also  erwarten  sollte, 
daß  ein  solches  Quantum  a  priori  gegeben  werden  könne. 

Die  Notwendigkeit  der  Verknüpfung  der  beiden  sinnlichen 
Formen,  Raum  und  Zeit,  in  der  Bestimmung  der  Gegenstände 
unserer  Anschauung,  so  daß  die  Zeit,  wenn  sich  das  Subjekt  selbst 
zum  Objekte  seiner  Vorstellung  macht,  als  eine  Linie  vorgestellt 
werden  muß,  um  sie  als  Quantum  zu  erkennen,  sowie  umgekehrt 
eine  Linie  nur  dadurch,  daß  sie  in  der  Zeit  konstruiert  werden 
muß,  als  Quantum  gedacht  werden  kann,  —  diese  Einsicht'  der 
notwendigen  Verknüpfung  des  innern  Sinnes  mit  dem  äußern 
selbst  in  der  Zeitbestimmung  unseres  Daseins,  scheint  mir  zum 
Beweise  der  objektiven  Realität  der  Vorstellungen  äußerer  Dinge 
(wieder  den  psychol.  Idealism.)  Handreichung  zu  tun,  die  ich 
aber  jetzt  nicht  weiter  verfolgen  kann. 


Von  Johann  Benjamin   'Fachmann  47 

Von  Johann  Benjamin  Jachmann. 
(Im  Auszug.) 

Wohlgeborner  Herr  Professor, 

mir  ewig  teurer  Lehrer  und  Freund ! 
Das  warme  Interesse,  das  Ew.  Wohlgeboren  an  meinem  Schick- 
sale nehmen,  davon  mich  mein  Bruder  in  seinen  Briefen  vielfältig 
benachrichtiget,  und  dessen  ich  auch  schon  ohne  dies  völlig  über- 
zeugt wäre;  das  gütige  Vertrauen  und   die  geneigte   Gewogenheit, 
womit  Sie  mich  seit  einigen  Jahren  beehret  haben,  sind  für  mich 
zu  schmeichelhaft  und  rührend,  als  daß  ich  nicht  darin  einen  Ent- 
schuldigungs-  ja  selbst  einen  Aufmunterungsgrund  für  mich  linden 
sollte,  Sie  gelegenthch  mit  meinen  Briefen  beschweren,  und  Ihnen 
von    Zeit    zu    Zeit   Nachrichten    von    meiner   Lage    und  Befinden 
geben  zu  dürfen.  —  Das  Unstete  in  meiner  Lebensart,  die  öftere 
Veränderung   des  Orts   meines  Aufenthalts,   und   die   häufige  Zer- 
streuungen,   denen    man   dadurch    notwendig    ausgesetzt    ist,    sind 
Ursache   gewesen,  daß   ich  nicht  eher  als   jetzt,  mir  wieder  diese 
Erlaubnis    genommen   habe.      Ohne    allen  Zweifel  sind  Sie  davon 
unterrichtet,  daß  ich  meinem  vorherigen  Entschluß  durch  Holland 
oder  über  Hamburg  nach  Göttingen  zu  gehen  zuwider  jetzt  meinen 
Weg  über  Paris   genommen   habe,  und  ich  hoffe,   daß  Sie  dieses 
nicht  mißbilligen  werden.    Die  Ursachen,  die  mich  zu  dieser  Ab- 
änderung in  meinem  Plane  bestimmten,  waren,  weil  ich  nach  ge- 
nauer Berechnung    fand,    daß    der  Unterschied    in   den  Unkosten, 
ich    möchte    wählen,    welchen  Weg    ich    wollte,    keineswegs    be- 
trächtlich war,  und  weil  ich  auf  jeden  Fall  zu  spät  nach  Göttingen 
kam,  um  die  hiesige  Lehrer  und  Bibliothek  gehörig  benutzen  zu 
können.     Der  Hauptgrund  meiner  Reise  aber  nach  Paris  war,  um 
an  diesem  Ort  in  der  Hauptepoche  seiner  Geschichte  zu  sein,  da 
ich    ihm    einmal   so   nahe   war.     Auf   diese  Weise    bin    ich    also 
Zeuge  des    großen  Bundesfestes    der  Franzosen   gewesen;    wie  ich 
mich  denn   auch   bemüht   habe,  Augen-  und  Ohrenzeuge  zu  sein 
von   jeder   merkwürdigen  Begebenheit,  die  sich  während    meinem 
Aufenthalt  in  Paris  ereignet  hat.  —  Im  Anfange  glaubte  ich  mich 
im  Lande  der  Glücklichen  zu  befinden;  denn  jeder,  auch  der  ge- 
ringste Einwohner,    schien   durch    sein  Betragen  und  durch  seine 


48  Von  Johann  Benjamin  Fachmann 

Worte  zu  bezeigen,  wie  sehr  er  es  fühle,  daß  er  in  einem  Lande 
lebe,  wo   man   das  Joch   und  den  Druck  der  Großen   völlig   ab- 
geschüttelt  habe,   und  wo   Freiheit   und   die  Rechte  der  Mensch- 
heit im  allgemeinen  aufs  höchste  geehrt  und  in  ihrer  Würde  er- 
halten wurden.     Ich  stand  daher  auch  gar  nicht  an,  jetzt  Frank- 
reich in  dieser  Rücksicht  dem  Lande  des  stolzen  Briten  vorzuziehen, 
der    alle    andere  Nationen  verachtet   und  sie  als  Sklaven   ansieht, 
obgleich  sich  gegen  die  britische  Freiheit  noch  manches  erwähnen 
ließe.     Einige  Tage  vor  und  nach  dem  Bundesfeste  sähe  man  in 
Paris  Beispiele  von  Patriotismus,  GleichheitsÜebe  in  allen  Ständen 
usw.  realisiert,  die  man   sonst   kaum  gewagt  hatte,  sich   träumen 
zu   lassen.     Dieser  Geist   schien   aber  nur  zu   herrschen,  so  lange 
man  das  Volk    durch  Feste,  Tänze   imd    Schmausereien   unterhielt 
und  ihm  auf  mancherlei  Art  vorgaukelte.    Sobald  man  diese  ein- 
stellte und  die  Deputierten  aus  den  Provinzen   sich   zurückzogen, 
so   hörte   man  von   allen  Seiten  Klagen  und  Unzufriedenheit  laut 
werden,  selbst  unter  denen]  enigen,  die  sich  für  echte  Freunde  der 
Revolution    erklärt    hatten.      Sehr    viele    adlige    und    bürgerliche, 
obgleich  patriotisch  gesinnte  Famiüen  fingen  bald  an  sich  zu  be- 
schweren, daß  die   Nationalversammlung    in   ihren   Dekreten  und 
Neuerungen  zu  weit  gehe,  daß  es  weit  zu  frühe  sei  gewisse  Miß- 
bräuche durch   absolute  Gesetze  einzustellen,  die  bei  der  jetzigen 
Staatsverfassung    ohne    Erfolg    und   Nachteil  wären    und  die    die 
bloße    Zeit    völlig    entkräften    und    unbedeutend    machen    würde, 
ohne,  wie  jetzt,  dergleichen  Mißvergnügen  und  Unwillen  bei  den- 
jenigen zu  erregen,  die  schwach  genug  sind,  an  gewisse  angeerbte, 
wären   es   auch   nur  Nominal-   und  Scheinprivilegien   einen  Wert 
zu  setzen.  —  Das  entsetzlich  große  und  fast  bis  zur  Unbilligkeit 
getriebene   Einziehen    und   Schmälern    der   Pensionen    und    Besol- 
düngen    erregt    gleichfalls    ein    sehr   lautes  Murren  und  emc  leb- 
hafte Unzufriedenheit.     Und  dies   kann  gar  nicht   fehlen,  da  fast 
nicht    eine  Familie    in    ganz   Frankreich    ist,    die    nicht    entweder 
mittelbar  oder  unmittelbar  dadurch  verlöre,  die  nicht  etwa  einen 
Sohn  oder  sonstigen  Verwandten  hätte,  deren  Einkünfte  nicht  um 
mehr   als   die  Hälfte  verringert    sind,   und  es    gehört   doch   mehr 
Philosophie  und  Patriotismus  dazu,  als  zu  erwarten  steht,  um  der- 
gleichen große  Privat-Aufopfeningen  fürs  allgemeine  Beste  zu  tun. 
Auf  der   andern  Seite   kennt  wiederum  der  Pöbel  in  seinen  Ge- 
suchen   und   Ansprüchen    keine    Grenzen.     Er    fühlt    jetzt    seinen 
Einfluß  und  Kräfte  und  mißbraucht  sie,  vielleicht  zu  seinem  eigenen 


Von  Johann  Benjamin   'Fachmann  49 

Ruin.  Anstatt  das  edle  Kleinod,  gesetzmäßige  Freiheit,  wel- 
ches er  jetzt  besitzt,  zu  bewachen,  strebt  er  nach  gesetzlose  Zügel- 
losigkeit,  will  den  Gesetzen  nicht  weiter  gehorchen,  sondern  über 
alles  eigenmächtig  urteilen  und  Recht  sprechen,  davon  man  in 
Paris  täglich  Beispiele  sieht  und  hört.  Der  Pöbel  und  einige  un- 
ruhige Köpfe  sinds,  die  anjetzt  ganz  Frankreich  regieren.  Ich  bin 
selbst  mehrmalen  in  der  Nationalversammlung  gewesen,  wenn  sie 
gezwungen  wurde,  gewisse  Dekrete  abzufassen,  weil  es  niemand 
wagen  durfte,  die  geringste  Einwendung  dagegen  vorzubringen, 
ohne  von  dem  Pöbel  auf  den  öffentlichen  Tribunen  insultiert  und 
für  einen  Aristokraten  ausgeschrien  zu  werden.  Viele  von  den 
Mitgliedern  der  Nationalversammlung,  um  sich  bei  dem  gemeinen 
Volke  beliebt  zu  machen  und  in  Ansehen  zu  bringen,  machen 
in  den  Sitzungen  solche  Vorschläge,  die  vielleicht  nicht  zum  all- 
gemeinen Besten  abzwecken,  von  denen  sie  aber  wissen,  daß  sie 
das  Volk  mit  allgemeinen  Beifallsgeschrei  empfangen  werde,  die 
dann  auch  durchgehen,  weil  niemand  es  wagen  darf,  Gegenvor- 
stellungen zu  machen.  Viele  von  den  MitgUedern,  mit  diesem 
Verfahren  unzufrieden,  haben  auch  schon  gänzHch  die  Versamm- 
lung verlassen  und  wollen  sie  auch  fernerhin  nicht  mehr  be- 
suchen und  mit  den  Angelegenheiten  nichts  weiter  zu  schaffen 
haben.  Welchen  Ausgang  dieses  zuletzt  nehmen  werde,  wagt 
niemand  mit  einigem  Anschein  von  Wahrscheinlichkeit  zu  ent- 
scheiden. Die  von  der  Sache  am  günstigsten  urteilen,  glauben, 
daß  Frankreich  noch  manche  Veränderung  zu  erleiden  habe,  ehe 
seine  Konstitution  fest  gegründet  wird.  Andere,  die  vielleicht 
alles  aus  einem  ungünstigen  Gesichtspunkte  betrachten,  befürchten, 
daß  ein  National-Bankerott  unvermeidlich  und  ein  allgemeiner 
Bürgerkrieg  die  notwendige  Folge  sei,  besonders,  da  in  einigen 
Provinzen  die  Bauren  sich  schon  sollen  haben  verlauten  lassen, 
daß  sie  keine  Abgaben  entrichten  wollen,  weil  sie  sonst  nicht  ab- 
sehen können,  was  sie  denn  durch  die  gegenwärtige  Revolution 
gewonnen  hätten.  —  Das  Schicksal  des  Landes  sind  die  Haupt- 
gegenstände der  Unterredung  in  Frankreich,  daher  man  auch  mit 
Gelehrten  selten  über  etwas  anderes  als  hierüber  sprechen  kann, 
die,  wenn  sie  unter  60  Jahren  sind,  noch  einen  tätigen  Anteil 
nehmen  müssen,  da  sie  sämtlich  wie  jeder  andere  Franzose  zur 
Nationalgarde  gehören  und  Wache  tun  müssen.  Eine  Flinte,  eine 
Grenadiermütze  und  die  Nationaluniform  zieren  daher  gewöhn- 
lich dieser  Herren  Lesekabinette.    Ich  habe  einige  sehr  angenehme 

Kanrs  Schriften.   Bd.  X.         '  4 


jo  f^ow  Johann  Benjamin  Fachmann 

Bekanntschaften  unter  ihnen  gemacht,  vorzüglich  unter  den  Physi- 
kern und  Chemikern,  davon  mir  die  von  dem  berühmten  CHARLES, 
der  ein  sehr  liebenswürdiger  Mann  ist,  und  von  dem  Chemisten 
PELETIER  die  interessantsten  sind.')  Bei  PELETIER  habe  ich  mit 
an  dem  berühmten  Versuch  gearbeitet,  aus  den  2  Luftarten  Wasser 
zu  machen,  den  eigentlich  Herr  v.  JACQUIN,  mein   nachheriger 

Reisegefährte  bis  Straßburg,  anstellte 

Endlich  langte  ich  Dienstag,  den  21.  Sept.,  in  Göttingen  an. 
Ich  besuchte  sogleich  meinen  Freund  Prof.  ARNEMANN,  wo 
ich  meinem  heißen  Verlangen  gemäß  Briefe  von  meinen 
königsbergschen  Freunden  fand,  die  mir  einen  wahren  Festtag 
machten.  Herzinniglich  freuete  ich  mich  in  allen  Briefen  die 
Versicherung  zu  lesen,  daß  ich  noch  in  meiner  Vaterstadt  in 
gutem  Andenken  stehe.  Vorzüglich  aber  war  ich  erfreut  in 
den  5  Briefen,  durch  die  Sie  mir  die  Bekanntschaft  der  3  be- 
rühmtesten Lehrern  Göttingens  verschafften,  einen  neuen  schätz- 
baren Beweis  Ihrer  Güte  und  Gewogenheit  für  mich  zu  finden. 
Zuerst  besuchte  ich  den  folgenden  Morgen  H.  R.  BLUMEN- 
BACH, der  ein  offener  und  liebenswürdiger  Mann  ist.  Er  fühlte 
sich  durch  Ihren  Brief  sehr  geschmeichelt,  erbot  sich  mir  jeden 
Dienst  während  meinen  Aufenthalt  in  Göttingen  zu  erweisen. 
Sonnabend  speiscte  ich  bei  ihm  zu  Abend.  Sonntag  vormittag 
führte  er  mich  ins  Museum  usw.  Er  hat  mir  beikommenden  Brief 
für  Sie  gegeben,  wie  auch  das  i.  Stück  seiner  Beiträge  zur  Natur- 
geschichte,*) die  ich  aber  bis  auf  bequeme  Gelegenheit  zurück- 
behalte, weil  ich  glaube,  daß  Sie  es  schon  gelesen  haben,  und  es 
auch  zu  unwichtig  ist  es  durch  die  Post  zu  überschicken.  Den- 
selben Tag  gab  ich  auch  den  Brief  an  LICHTENBERG  und 
KAESTNER  ab.  Herr  Hofr.  LICHTENBERG  hielt  eben  Vor- 
lesungen und  da  es  mitten  in  der  Stunde  war,  wollte  ich  ihn 
nicht  stören,  ließ  daher  den  Brief  und  meine  Adresse  zurück. 
Er  fährt  gleich  nach  geendigten  Vorlesungen  nach  seinen  Garten 
außerhalb  der  Stadt,  schickte  mir  aber  sogleich  seinen  Bedienten 
zu,  dessen  ich  mich  bedienen  sollte,  um  mich  allenthalben  herum- 

»)  J.  A.  C.  Charles    (1746-1823),    Physiker    in    Paris;    Bertrand 
Peletier  (1761—97),    Professor   der    Chemie    an    der    Ecole  Polytech- 

nique. 

*)  Blumenbach,    Beiträge    zur  Naturgeschichte    der  Vorwelr,    er- 
schienen im  Magazin  für  das  Neueste  aus  der  Physik,  Bd.  VI,  Stück  4. 

(1790)- 


Von  Johann  Benjamin  Fachmann  5  i 

führen    zu   lassen.      Er   selbst   hoffte  mich  den   folgenden  Tag  zu 
sehen.     Ich  besuchte  ihn  daher  auch  den  andern  Morgen,  sobald 
er  nur  in  die  Stadt   gekommen  war.     Ich  glaube,  Sie  wissen  es, 
daß  er   ein   kränklicher   bucklichter  Mann   ist,    der   schon   mehr- 
malcn  seinem  Tode  nahe  gewesen,  jetzt  hatte  er  sich  wieder  etwas 
erholt.    Seine  Freude  über  Ihren  Brief  war  sehr  groß.    Er  sprach 
mit  großer  Wärme,  wobei  seine  geistreichen  und  lebhaften  Augen 
strahlten,  wie  sehr,  und  wie  lange  er  Sie  schon  schätze,  wie  Sie 
ihm  schon  aus  Ihren  ältesten  Abhandlungen  bekannt  wären.      Er 
sagte,  daß  er  sich   äußerst  freuen  würde,  Ihnen  oder  mir  irgend 
einen  Dienst  erweisen  zu  können.     Er  bot  mir  sogleich  an  seine 
Vorlesungen  zu  "besuchen,  so  oft  ich  Vergnügen  finde.   Den  folgen- 
den Tag  zeigte  er  mir   seine  Instrumentensammlung,   ich   brachte 
den   ganzen  Nachmittag   bei   ihm   zu  und    trank  Coffee  bei   ihm. 
Ich  wohnte  alle  seine  Vorlesungen  bei,  solange  ich  in  Göttingen 
war,  er  war   eben  mit  der  Elektrizität   beschäftigt.     Er  bat  mich 
nochmals  von  seinem  Bedienten  Gebrauch  zu  machen,  so  viel  ich 
wollte.    Ich  habe  ihn  alle  Tage  besucht  und  gesprochen,  weil  er 
so    ein  äußerst  liebenswürdiger  und   artiger  Mann   ist.     Er  wird 
nächstens  durch  die  Post  an  Sie   schreiben.     Ich   habe  auch  von 
anderen  Professoren  gehört,  daß  er  sich  so  sehr  gefreut  hat,  einen 
Brief  von  Ihnen  erhalten  zu  haben.    Er  sagt,  er  habe  durch  mich 
einen  Brief  von  dem  Propheten  aus  Norden  erhalten.  —  Ich  kann 
Ihnen  nicht  sagen,  wie  sehr  ich  mich  beim  Anblick  des  Hofrats 
KAESTNERs  in  der  Vorstellung   betrogen  fand,  die  ich  mir  aus 
seinen  Epigrammen  und  aus  dem,  was  ich  sonst  von  ihm  gehört 
und  gelesen  hatte,  von  seiner  Person  und  Betragen  vormals  machte. 
Anstatt  einen  Mann  zu  finden,  für  dessen  schneidende  Zunge  man 
sich  nicht  genug  hüten  könne,  fand  ich  ein  ganz  kleines  Männ- 
chen   im    Schlafrock    und    einem    runden    Perückchen    vor    einer 
brennenden  Lampe  in  einer  überaus  heißen  Stube  sitzend,  dem  es 
zwar  anzusehen  war,  daß  er  sich  freue,  mich  zu  sehen,  nachdem 
ich    einen  Gruß    von  Ihnen    bestellt   und  Ihren  Brief   ihm   über- 
geben hatte,  der  aber  aus   sichtbarer  Verlegenheit  und  Ängstlich- 
keit, worin  er  sich  befand,  nicht  zu  sprechen  vermochte.     Mehr 
durch  Zeichen    als    durch  Worte    nötigte    er    mich    zum  Nieder- 
zusitzen,  sagte  dann  unter  beständigen  Händewinden  und  Beugen 
des  Körpers    in    halbverschluckten  Worten,  wie   willkommen    ich 
ihm  wäre,  da  ich  ihm  Nachrichten  von  Ihnen  brächte.     Er  fuhr 
fort  unter  denselben  Zeichen  seiner  Verlegenheit  sich  nach  Ihrem 

4* 


5  2  Von  Johann  Benjamin  'Jachmann 

Alter  und  Befinden,  wie  auch  nach  Prof.  KRAUSE  sich  zu  er- 
kundigen, wie  überhaupt  fast  alle  Professoren,  z.  B.  HEYNE, 
LICHTENBERG,  FEDER  mit  vielem  Interesse  sich  nach  Herrn 
Prof.  K.  erkundiget  haben.  —  Er  fragte,  wie  lange  ich  in  Göt- 
tingen bleiben  würde  und  bedauerte,  daß  mein  Aufenthalt  nur 
so  kurz  sei,  erbot  sich  mich  allenthalben  mit  Vergnügen  herum- 
zuführen, welches  ich  aber  verbat,  da  ich  schon  andere  Freunde 
gefanden  hatte,  die  es  tun  würden.  Endlich  nach  einer  abge- 
brochnen  Unterredung  von  lo — 15  Minuten  nahm  ich  von  ihm 
Abschied  und  er  bat  mich,  ihn  wieder  zu  besuchen,  und  sagte, 
daß  es  ihm  leid  wäre,  daß  ich  seine  Dienstanbietungen  nicht 
annehmen  wollte.  Den  Tag  vor  meiner  Abreise  von  Göttingen 
besuchte  ich  ihn  noch  einmal,  und  fand  ihn  just  wie  vorher.  Er 
bedaurete,  daß  Sie  genötiget  worden,  sich  in  einen  Streit  mit  Herrn 
EBERHARD  einzulassen,  bat  mich,  wenn  ich  an  Sie  schriebe  oder 
Sie  wieder  sehe,  recht  viele  Versicherungen  von  seiner  Hochachtung 
für  Sie  zu  bestellen.  Mit  nächsten  wird  er  selbst  an  Sie  schreiben. 
—  Ich  habe  auch  den  Hofrat  FEDER  besucht,  der  mich  als  einen 
Schüler  von  Ihnen  mit  sehr  vieler  Artigkeit  empfing.  Er  sprach 
mir  sehr  viel  von  seiner  unbegrenzten  Hochachtung  für  Sie,  ver- 
sicherte, daß,  so  oft  er  Ihnen  widersprochen,  solches  aus  bloßer 
Wahrheitsliebe  geschehen  sei,  ja  er  überredet  sich  sogar,  daß  Ihre 
Sätze  und  Behauptungen  von  den  seinigen  eben  nicht  mehr  sehr 
weit  verschieden  seien.  Er  hat  mich  ein  paar  Male  besucht  und 
ich  bin  mehrere  Male  in  seinem  Hause  gewesen.  —  Einen  er- 
klärten Anhänger  und  Verteidiger  Ihrer  philosophischen  Grund- 
sätze haben  Sie  in  Göttingen  an  Herrn  Prof.  BUHLE,^)  den  ich 
aber  zu  sprechen  nicht  Gelegenheit  gehabt  habe.  Man  hält  aber 
eben  nicht  viel  von  ihm.  ...  In  Hannover  besuchte  ich  gleich 
nach  meiner  Ankunft  den  Herr  Geh.  S.[ekretär]  REHBERG,  einen 
Ihrer  vorzüglichsten  Verehrer  und  Anhänger.  Er  ist  ein  junger 
Mann  von  etwa  30  Jahren,  der  mir  aber  beim  ersten  Besuch  eben 
nicht  sehr  gefiel.  Er  schien  sehr  verschlossen,  etwas  kalt,  und 
sehr  geniert  zu  sein,  daher  ich  mich  auch  nur  einige  Minuten 
bei  ihm  verweilte.  In  seinem  Hause  sah  ich  die  marmorne  Büste 
zur  Verewigung  des  berühmten  LEIBNIZ.  —  Denselben  Tag 
nachmittags  machte  er  mir  noch  die  Gegenvisite,  war  weit  freund- 


')  Joh.  Gottl.  Buhle  (1763  — 1821),    Entwurf  der  Transscendental- 
philosophie,  Göttingen   1798. 


Von  Johann  Benjamin  Tachmalin  53 

schaftlicher  und  offner  und  sehr  gesprächig,  und  bat  mich  für 
den  andern  Mittag  bei  sich  zu  Tische,  wo  ich  in  Gesellschaft 
seiner  achtungswerten  Mutter,  seiner  liebenswürdigen  Schwester 
und  des  jungen  Herrn  BRANDES  speisete,  und  ich  zähle  diesen 
Tag  unter  die  angenehmste,  die  ich  auf  meiner  Reise  durchlebt 
habe-  Herr  Geh.  Sekr.  REHBERG  ist  in  seinem  Gespräche  ein 
sehr  bescheidener  Mann,  aber  man  kann  darin  den  Mann  von 
Kopf,  Originalität  der  Gedanken  und  ausgebreiteter  Gelehrsamkeit 
nicht  verkennen.  Ich  halte  ihn  für  den  feinsten  Kopf  unter  allen 
Ihren  Schülern,  die  ich  bis  jetzt  noch  habe  kennen  lernen.  Von 
Ihrer  Kritik  der  p.  Vernunft  spricht  er  mit  einer  Wärme,  als  ich 
noch  nie  einen  Menschen  über  eine  Schrift  habe  sprechen  hören. 
Er  wird  mit  der  Zeit  ein  Naturrecht  schreiben,  worin  er  zeigen 
wird,  daß  es  darin  eben  solche  Antinomien  der  Vernunft  gebe, 
als  in  der  spekulativ.  Philosophie  und  Moral.  Seine  Bescheiden- 
heit und  weil  er  wußte,  daß  Sie  so  sehr  mit  Briefen  belästiget 
werden,  hat  ihn  abgehalten,  an  Sie  zu  schreiben;  doch  hat  er 
jetzt  gewagt,  in  einem  Briefe  an  NICOLOVIUS  einige  Fragen 
zu  schicken,  davon  er  sich  bei  Gelegenheit  die  Auflösung  von 
Ihnen  gütigst  erbittet.  In  Hannover  besuchte  ich  auch  noch  den 
Ritter  v.  ZIMMERMANN,  der  äußerst  artig  mich  empfing.^) 
Ich  war  beim  ersten  Besuch  über  eine  Stunde  bei  ihm,  er  er- 
kundigte sich  gleichfalls  nach  Ihrem  Befinden  und  bat  mich  ihn 
zu  empfehlen.  Den  andern  Tag  machte  er  mir  auch  den  Gegen- 
besuch und  blieb  auch  über  7^  Stunde  bei  mir.  Der  Herr  RITTER 
hat  mich  sehr  gnädig  behandelt,  da  er  wohl  sonsten  Gräfe  und 
andere  hohe  Adlige  nicht  vor  sich  lassen  soll.  Sonsten  habe  ich 
noch  den  Hofmedikus  WICHMANN  und  einige  andere  Ärzte 
besucht,  die   aber  für  Sie  weiter  kein  Interesse  haben.  .... 

Von  Magdeburg  ging  auf  Halle,  woselbst  ich  mich  jetzt  seit  einigen 
Tagen  befinde,  und  bei  Ihrem  treuen  Verehrer,  dem  Prof.  JACOB, 
recht  frohe  Stunden  genieße.  Magister  BECK,  der  sich  bestens 
Ihnen  empfehlen  läßt,  wohnt  in  demselben  Hause  und  macht  unsern 
Mitgesellschafter  aus.  Ich  habe  schon  die  meisten  von  den  hiesigen 
Prof.  besucht  und  unter  anderm  auch  Herrn  EBERHARD,  bei 
dem  ich  schon  zweimal  gewesen  bin  und  zwar  jedesmal  über 
I  Stunde.    Er  hat  aber  auch  nicht  im  mindesten  von  Ihnen  oder 

^)  Der  bekannte  Arzt  Johann  Georg  v.  Zimmermann  (1728—95) 
vgl.   über  ihn  „Dichtung  und  Wahrheit",    i?.  Buch. 


54  ^^  j^ohann  Friedrich  Rekhardt 

seinen  Streitigkeiten  gesprochen,  sondern  sich  nur  vorzüglich  über 
politische  Angelegenheiten  Frankreichs  mit  mir  unterhalten,  woran 
er  ein  großes  Interesse  nimmt,  und  ich  ihm  einige  Nachrichten 
mitteilen  kann.  Übrigens  kann  ich  Ihnen  nichts  Besonderes  von 
Halle  melden,  außer  daß  ich  von  verschiedenen  Professoren,  Herren 
FORSTER,  SEMLER  usw^.,  wie  auch  von  Dr.  und  jetzigen  Bier- 
schenken BAHRDT  viele  Empfehlungen  an  Sie  zu  bestellen  habe. 
—  In  wenigen  Tagen  gehe  ich  von  hier  nach  Jena  und  viel- 
leicht auch  Weimar  und  dann  über  Leipzig  nach  Berlin.  Ich 
nähere  mich  also  dem  Ziel  meiner  Reise  und  denke  schon  mit 
entzückender  Freude  an  die  Zeit,  da  ich  wieder  in  Königsberg 
sein  und  das  Glück  haben  werde,  Ihren  unmittelbaren  Umgang 
zu  genießen.  Ich  vereinige  hier  den  wärmsten  Wunsch  meines 
Herzens  mit  dem  oft  gehörten  Wunsch  Ihrer  Freunde  und  Ver- 
ehrer für  Ihr  Glück,  langes  Lebens,  und  die  dauerhafteste  Ge- 
sundheit zur  Glorie  unseres  Vaterlandes  und  zum  Wohl  der 
Menschheit. 

Ich  empfehle  mich  und  meinen  Bruder  der  fernem  Fortdauer 
Ihrer  Gewogenheit  und  verharre  mit  der  vollkommensten  Hoch- 
achtung und  in  der  tiefsten  Ergebenheit 

Ew.  Wohlgeboren 
Halle,  d.  14.  Oktober  dankbarster  Schüler  und  Freund 

1790.  Joh.  Benj.  Jachmann. 


248. 
An  Johann  Friedrich  Reichardt. 

Tcurester  Freund. 

Meine  gringe  Bemühungen  im  ersten  philosoph.  Unterrichte, 
welchen  Sie  bei  mir  genommen  haben,  wenn  ich  mir  schmeicheln 
darf,  daß  sie  zu  der  jetzigen  rühmlichen  Entv^dckelung  Ihrer  Talente 
etwas  beigetragen  haben,  belohnen  sich  von  selbst  und  Ihre 
Äußerung  einer  Erkenntlichkeit  dafür  nehme  ich  als  ein  Zeichen 
der  Freundschaft  gegen  mich  dankbarlich  an. 

Aus  dem  Gesichtspunkte  der  letzteren  muß  ich  es  auch  be- 
urteilen, wenn  Sie  von  meinen  Schriften  seelenberuhigende  Er- 
öffnungen hoffen,  wiewohl  ihre  Bearbeitung  diese  Wirkung  bei 
mir  getan  hat,  die  sich  aber,  wie  ich  aus  vielen  Beispielen  ersehe. 


An  Markus  Herz  55 

nur  mit  Schwierigkeit  anderen  mitteilen  läßt;  woran  wohl  die 
domichte  Pfade  der  Spekulation,  die  doch,  um  solchen  Grundsätzen 
Dauerhaftigkeit  zu  verschaffen,  einmal  betreten  werden  müssen, 
eigentlich  schuld  sein  mögen. 

Angenehm  würde  es  mir  sein,  wenn  die  Grundzüge,  die  ich 
von  dem  so  schwer  zu  erforschenden  Geschmacksvermögen  ent- 
worfen habe,  durch  die  Hand  eines  solchen  Kenners  der  Pro- 
dukte desselben,  mehrere  Bestimmtheit  und  Ausführlichkeit  be- 
kommen könnten.  Ich  habe  mich  damit  begnügt,  zu  zeigen: 
daß  ohne  sittliches  Gefühl  es  für  uns  nichts  Schönes  oder  Er- 
habenes geben  würde;  daß  sich  eben  darauf  der  gleichsam  ge- 
setzmäßige Anspruch  auf  Beifall  bei  allem,  was  diesen  Namen 
führen  soll,  gründe  und  daß  das  Subjektive  der  Moralität  in 
unserem  Wesen,  welches  unter  dem  Namen  des  sittlichen  Gefühls 
unerforschlich  ist,  dasjenige  sei,  worauf,  mithin  nicht  auf  ob- 
jektive Vernunftbegriffe,  dergleichen  die  Beurteilung  nach  mora- 
lischen Gesetzen  erfordert,  in  Beziehung,  urteilen  zu  können, 
Geschmack  sei:  der  also  keinesweges  das  Zufällige  der  Empfindung, 
sondern  ein  (obzwar  nicht  diskursives,  sondern  intuitives)  Prinzip 
a  priori  zum  Grunde  hat. 

Das  Geschenk  mit  den  schönen  Landkarten,  welches  Sie  mir 
zugedacht  haben,  wird  mir,  vornehmlich  als  ein  Denkmal  Ihres 
freundschaftlichen  Angedenkens  an  mich,  sehr  angenehm  sein, 
wie  ich  denn  mit  vollkommener  Hochachtung  und  Freundschaft 
jederzeit  bin 

Ew.  Wohlgeb. 
Königsberg,  ganz  ergebenster  Diener 

d.  15.  Oktbr.  1790.  I.  Kant. 


249. 

An  Markus  Herz. 

Wohlgeborner  Herr 
Sehr  hochgeschätzter  Freund 
Mit  diesen  wenigen    Zeilen    nehme    mir    die    Freiheit    Ihrem 
gütigen  Wohlwollen  Überbringern  dieses,    Herren  Dokt.  GOLD- 
SCHMIDT,   meinen    fleißigen,    fähigen,    wohlgesitteten    und    gut- 
mütigen Zuhörer,    bestens    zu    empfehlen.      Ich    hoffe,    daß    nach 


56  An  F.  Th.  äe  la  Garde 

der    ersten    Bekanntschaft,    er    Ihre    Liebe    sich    von    selbst    er- 
werben wird. 

Ihr  sinnreiches  Werk  über  den  Geschmack,*)  für  dessen  Zu- 
sendung ich  Ihnen  den  ergebensten  Dank  sage,  würde  ich  in 
manchen  Stücken  benutzt  haben,  wenn  es  mir  früher  hätte  zu 
Händen  kommen  können.  Indessen  scheinet  es  mir  überhaupt, 
vornehmlich  in  zunehmenden  Jahren,  mit  der  Benutzung  fremder 
Gedanken  in  bloß  spekulativen  Felde  nicht  gut  gelingen  zu 
wollen,  sondern  ich  muß  mich  schon  meinem  eigenen  Gedanken- 
gange, der  in  einer  Reihe  von  Jahren  sich  schon  in  ein  gewisses 
Gleis  hineingearbeitet  hat,  überlassen. 

Mit  dem  größten  Vergnügen  sehe  ich  Sie  in  Ruhm  und  Ver- 
diensten beständig  Fortschritte  tun,  wie  es  mich  Ihr  Talent  schon 
frühzeitig  hoffen  ließ  und  es  Ihre  gute  und  redliche  Gesinnungen 
auch  würdig  sind;  von  denen  Herr  KIESEWETTER  mir  aus 
seiner  eigenen  Erfahrung  nicht  gnug  zu  rühmen  weiß.  —  Be- 
halten Sie  mich  in  Ihrem  freundschaftlichen  Angedenken  und 
sein  Sie  von  der  größten  Hochachtung  und  Ergebenheit  versichert, 
mit  der  ich  jederzeit  bin  : 

Ew.  Wohlgebornen 
Königsberg,  ganz  ergebenster  Diener 

d.  15.  Okt.  1790.  I.  Kant. 

250. 

An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Ew.  Hochedelgeb. 

werden  hoffentlich  meine  Antwort  auf  Ihr 
letzteres  Schreiben  durch  Herrn  Professor  BODE  erhalten  haben. 
Ich  habe  darin  vergessen,  was  ich  jetzt  tue,  nämlich  für  das  mir 
überschickte  schön  gebundene  Exemplar  meiner  Krit.  d.  Urtlk. 
auf  holländisch  Papier  gedruckt  zu  danken.  —  Da  mir  Herr 
M.  KIESEWETTER  gesagt  hat,  Sie  wären  willens  eine  neue 
Auflage  von  diesem  Werke  für  künftige  Ostern  zu  veranstalten, 
so  bitte  mir  Nachricht  zu  geben,  wenn  spätestens  ich  die 
Verbesserungen,  es  sei  an  Druckfehlern,  oder  auch  einigen  Stellen 

*)  Die  zweite  Auflage  des  früher  (Bd.  IX,  S.  152)  erwähnten  Werkes, 
Berlin  1790. 


Von  Christoph  Friedrich  Hellwag  57 

der  Ausarbeitung;   einzuschicken   nötig   habe.     Es  w'äre  mir  lieb, 
wenn  es  bis  zu  Weihnachten  Zeit  hätte;  indessen  könnte  die  erste 
Versendung  auch  früher  geschehen.  Es  liegt  Ihnen  und  mir  dran, 
daß  das  Werk  so  viel  als  möglich  fehlerfrei  werde. 
In  bin  übrigens  mit  Hochachtung 

Ew.  Hochedelgeb. 
Königsberg,  ganz  ergebener  Diener 

d.  19.  Okt.  I.  Kant. 

1790. 

251. 

Von  Christoph  Friedrich  Hellwag.') 

Eutin,  d.    13.  Dezemb.    1790. 
Wohlgeborner 
Hochzuverehrender  Herr  Professor! 

Euer  Wohlgeboren  erlauben,  daß  ich  mich  unterstehe,  Ihre 
kostbare  Muße  durch  mein  Schreiben  zu  unterbrechen:  ich  glaubte 
in  Ansehung  dessen,  was  ich  vorzutragen  habe,  eine  Nachlässig- 
keit mir  vorwerfen  zu  müssen,  wenn  ich  nicht  darüber  an  Sic 
schriebe,  indem  ich  hoffte,  eine  Sache,  die  Sie  problematisch  vor- 
stellen, einer  Entscheidung,  die  Ihrem  Sinne  gemäß  ist,  näher 
gebracht  zu  haben.  Es  betrifft  die  Vergleichung  der  Farben  des 
Regenbogens  mit  den  Tönen  der  musikalischen  Oktave ;  ein  Auf- 
satz von  mir  darüber  ist  in  einem  Stücke  des  Deutschen  Museums 
vom  Oktober  1786  S.  293  —  197  abgedruckt;  und  verschiedene 
lehrreiche  Stellen,  die  sich  auf  eine  solche  Vergleichung  beziehen, 
fand  ich  neulich  zu  meinem  Vergnügen  in  Ihrer  Kritik  der  Ur- 
teilskraft, womit  Sie  kürzlich  so  manchem  ehrüchgesinnten  Wahr- 
heitsfreunde von  neuem  ein  schätzbares  Geschenk  gemacht  haben. 
Anstatt  eine  Abschrift  von  meinem  angeführten  Aufsatze  beizu- 
fügen, nehme  ich  mir  die  Freiheit,  das  Wesentliche  daraus  in 
einem  kurzen  Auszuge  in  dem  Briefe  selbst,  der  freilich  dadurch 
ausgedehnt  wird,  anzuführen. 

Schon  KIRCHER  stellte  die  Regenbogenfarben  mit  den  Tönen 

^)  Christoph  Friedrich  Hellwag  (i754— 1835),  seit  1788  Arzt  in 
Eutin,  wo  er  mit  J.  H.  Voss  in  nahem  freundschaftlichen  Verhältnis 
stand. 


58  Von  Christoph  Friedrick  Hellwag 

der  Oktave  zusammen:  NEWTON  bestimmte  sogar  die  Breite  des 
Bildes  von  jeder  Farbe  nach  der  Länge  der  Saite  für  den  zu- 
stimmigen Ton;  endlich  wollte  CASTELL  Farbenakkorde  und 
Farbenmelodien  auf  einem  Farbenklaviere  darstellen,')  aber  die 
Versuche  entsprachen  der  angenommenen  Erwartung  nicht,  weil 
die  Vergleichung,  worauf  sie  beruhten,  unrichtig  war.  Man  kann 
Licht  und  Schall  in  vieler  Rücksicht  miteinander  vergleichen,  wie 
EULER  auch  getan  hat:  ihre  beiderseitige  Erregung  in  einem 
elastischen  Mittel,  ihr  Fortrücken,  ihre  Ausbreitung,  den  Durch- 
gang imd  die  Zurückprallung  ihrer  Strahlen,  und,  in  Ansehung 
unseres  Standpunktes,  die  Schätzung  der  Gegend,  wo  das  Licht 
und  der  Schall  herkommen.  Bei  so  mannigfaltiger  Überein- 
stimmung ist  es  natürlich,  unter  den  Erscheinungen  des  Lichts 
eine  zu  suchen,  die  sich  mit  den  Stufen  der  Tonleiter  vergleichen 
ließe,  und  eine  unter  den  Erscheinungen  des  Schalls,  die  mit  den 
Farben  des  Prisma  übereinkäme,  und  leicht  verfällt  man  also 
darauf,  also  die  Töne  mit  den  Farben  zu  vergleichen.  Ich  wage 
CS,  die  Richtigkeit  dieser  Vergleichung  zu  bestreiten.  Alles,  was 
wir  sehen,  hat  Farbe  und  eine  Stelle  im  Gesichtsfelde,  und,  was 
wir  hören,  Spezifiken  Klang,  und  eine  Stelle  in  der  Tonleiter. 
Farbe  ist  dem  Auge,  was  spezifiker  Klang  dem  Ohre  ist,  und  die 
Stelle  eines  sichtbaren  Punktes  im  Gesichtsfelde  dem  Auge,  was 
dem  Ohre  eine  gegebene  Stelle  in  der  Tonleiter.  Durch  den 
Sinn  des  Gesichts  vergleicht  und  unterscheidet  man  die  Farben 
nach  ihrer  Mischung,  durch  den  Sinn  des  Gehörs  die  Verschieden- 
heit des  Klangs  verschiedener  und  gleicher  auf  verschiedene  Art 
gerührter  Instrumente,  auch  nach  einer  Art  von  Mischung  die 
bei  den  Stellen  der  Tonleiter  nicht  stattfindet.  Die  Farben  für 
das  Gehör  scheinen  viel  mannigfaltiger  zu  sein,  als  für  das  Ge- 
sicht. Letztere  lassen  sich  alle  auf  weiß,  gelb,  rot,  blau  und 
schwarz  reduzieren,  aber  die  demente  für  alle  Arten  von  Klang 
sind  vieheicht  unerschöpflich;  ein  Beispiel  davon  ist  die  mensch- 
liche Spri.che.  Darin  sind  die  Vokalen  insonderheit  merkwürdig, 
daß  sie  zu  einem  Systeme  zu  gehören  scheinen,  welches  sich  als 
vollständig  denken  läßt,  a  und  i  und  u  sind  die  Hauptvokalen; 
e  steht  zwischen  a  und  i,  ä  zwischen  a  und  e,  o  zwischen  a  und 


')  Athanasius  Kircher  (1601  —  80);  Ars  magna  lucis  et  umbrae 
(1646);  L.  B.  Castel  (1688 — 17J7)  L'optique  des  Couleurs,  fondee  sur 
es  simples  Observations  etc.,  Paris   1740. 


Von  Christoph  Friedrich  Hellrcag  ^^ 

u,  ä  zwischen  a  und  o;  ü  zwischen  u  und  i,  ö  zwischen  o  und 
e.  Bei  dem  Diphthongen  ai  werden  mit  einem  Schwünge  der 
Sprachwerkzeuge  alle  mögliche  von  a  nach  i  laufende  Zwischen- 
stufen in  einer  stetigen  Folge  ausgesprochen;  ebenso  sind  die 
übrigen  Diphthongen  beschaffen;  sie  sind  stetig  von  einer  Stelle 
des  stetigen  Vokalensystems  zur  andern  übergehende  Mischungen, 
ähnlich  dem  Farbenspiele  der  Seifenblasen.  Auf  der  andern  Seite 
beruht  das  Hervorbringen  und  Schätzen  der  Töne,  der  Akkorde 
und  der  Melodien  auf  der  Ausmessung  der  Tonleiter,  so  wie  die 
Verzeichnung  von  Punkten  und  Zügen,  mit  ihren  Proportionen 
und  Gestalten  auf  der  Ausmessung  des  Gesichtsfeldes,  und  hierin 
gewährt  umgekehrt  das  Gesicht  eine  größere  Mannigfaltigkeit  als 
das  Gehör,  weil  die  Tonleiter  nur  eine  Dimension,  das  Gesichts- 
feld hingegen  zwei  Dimensionen  mit  sich  bringt,  worin  überdies 
der  Spielraum  der  Standpunkte  viel  größer  ist,  als  bei  der  Ton- 
leiter. Bei  den  Stellen  des  Gesichtsfeldes  sowohl  als  bei  den 
Stellen  der  Tonleiter  vidrd  nicht  an  Mischung  gedacht. 

So  weit  der  Auszug:  nun  komme  ich  zu  den  Stellen  aus 
Ihrer  Kritik  der  Urteilskraft:  ich  führe  dieselbe  nicht  durchaus 
mit  Ihren  Worten  an,  teils  um  kurz  zu  sein,  teils  um  eine  Probe 
zu  geben,  wie  fern  ich  den  Sinn  derselben  treffe.  Sie  sagen 
S.  209.^)  Man  kann  nicht  mit  Gewißheit  sagen,  ob  eine  Farbe, 
oder  ein  Ton  (Klang)  bloß  angenehme  Empfindungen,  oder  an 
sich  schon  ein  schönes  Spiel  von  Empfindungen  seien.  —  Für 
bloß  angenehm  möchte  man  Farben  und  Töne  halten,  weil  man 
von  den  Licht-  und  Luftbebungen  nur  die  Wirkung  auf  den  Sinn 
vernimmt,  die  bloß  empfunden  wird,  nicht  aber  die  Zeiteinteilung, 
die  ein  Gegenstand  der  Reflexion  wäre;  für  bloß  schön  hingegen, 
erstlich  weil  man  sich  die  Proportion  der  Schwingungen  bei 
Tönen  und  auf  ähnliche  Weise  die  Farbenabstechung  mathematisch 
bestimmbar  vorstellt;  und  zweitens,  weil  Scharfsehende  oft  Farben 
verwechseln,  ebenso,  wie  Scharfhörende  auch  Töne  oft  falsch  an- 
geben oder  schätzen  können.  Hierauf  darf  ich  erwidern:  man 
kann  bei  dem  besten  Gesichte  ein  schlechtes  Augenmaß  haben, 
und  bei  dem  besten  Gehöre  die  Aussprache  einer  fremden  Sprache 
falsch  vernehmen,  daß  man  nicht  imstande  ist,  sie  treffend  nach- 
zuahmen, aus  Mangel  an  Fertigkeit,  nicht  bloß  der  Sprachwerk- 
zeuge,  sondern    des  Gehörs;    und  was  den   ersten  Punkt   betrifft, 

')  Siehe  Kritik  der  Urteilskraft  §   51. 


öo  Von  Christoph  Friedrich  Hellwag 

so  sind  im  Gesichtsfelde  nicht  allein  Farbenmischungen,  sondern 
vornehmlich  die  scheinbare  Größen  darin,  und  vor  dem  Sinn  des 
Gehörs  nicht  allein  die  Töne,  sondern  auch  stufenweise  Misch- 
ungen von  Klängen,  wie  in  der  angeführten  Vokalenleiter,  einer 
mathematischen  Bestimmung  fähig;  und  auf  diese  Art  sind  sicht- 
bare und  hörbare  Qualitäten  und  Quantitäten,  nämlich  Farben, 
und  Klänge,  scheinbare  Größen  und  Töne  sowohl  objektiv  genau 
bestimmbar  als  auch  subjektiv  einer  möglichen  fehlerhaften 
Schätzung  unterworfen;  und  es  steht  hier  also  nichts  im  Wege, 
warum  Musik  nicht  ein  schönes  Spiel  angenehmer  Empfin- 
dungen, und  Farbenkunst  nicht  auch  ein  schönes  Spiel  derselben 
heißen  könnte.  Daß  Sie  nicht  abgeneigt  sein  werden,  meine 
Vergleichungen  der  Farben  und  Töne  zu  billigen,  darf  ich  aus 
S.  19^)  schließen,  wo  Sie  sagen:  —  Dem  einen  ist  die  violette 
Farbe  lieblich,  dem  andern  erstorben.  Einer  liebt  den  Ton  der 
Blasinstrumente,  der  andere  den  von  Saiteninstrumenten.  —  Mit 
dem  Schönen  ist  es  anders  bewandt,  —  Das  Gebäude,  was  wir 
sehen,  das  Konzert,  was  wir  hören,  ist  schön,  also  nicht  für  einen, 
sondern  für  alle.  Hieher  gehört  auch,  was  Sie  S.  39*)  erklären, 
wo  Sie  von  einem  reinen  Geschmacksurteile  allen  Anteil  eines 
Reizes  ausschließen,  und  dagegen  wieder  eine  Instanz  einwerfen, 
wornach  der  Reiz  für  sich  zur  Schönheit  hinreichend  scheinen 
möchte.  Die  grüne  Farbe  des  Rasenplatzes,  der  bloße  Ton  einer 
Violin,  zum  Unterschiede  von  (gleichgültigem)  Schalle  und  Ge- 
räusche, wird  von  den  meisten  an  sich  für  schön  erklärt,  ob 
zwar  beide  lediglich  Empfindung  zum  Grunde  zu  haben  scheinen, 
und  darum  nur  angenehm  genannt  zu  werden  verdienten.  Allein 
man  wird  sie  doch  nur  sofern  schön  finden,  als  beide  rein  sind. 
Vollkommene  Reinigkeit  ist  nämlich  hier  außer  den  objektiv 
genau  bestimmbaren,  aber  subjektiv  unzuverlässigen  Graden  der 
Reinigkeit  der  einzige  subjektiv  sichere  Grad,  und  hat  dadurch 
denjenigen  Charakter  der  Schönheit,  der  auf  subjektiv  sichere 
Schätzung  Anspruch  macht.  Ihre  Antwort,  womit  Sie  die  Ein- 
wendung abfertigen,  beruht  also  auch  auf  derselben  von  mir  be- 
merkten Mischbarkeit,  die  den  gemeinschaftlichen  Charakter  der 
Farben  und  der  Klänge  ausmacht. 

Hiemit  beschließe  ich  diese  Untersuchung,  und  bitte  zugleich 

^)  Ebd.  §  7. 
*)  Ebd.  $  13. 


Von  Christoph  Fi'iedrich  Helliaag  6i 

um  Geduld  für  die  Verlängerung  des  Schreibens  über  einige 
Stücke,  die  ich  gerne  zugleich  anbringen  möchte. 

Zu  der  Stelle  S.  1 6  Ihres  angeführten  Werks,  wo  Sie  von 
dem  Geschmacke  alles  Interesse  absondern,  kann  ich  Ihnen  ein 
merkwürdiges  Beispiel  anführen,  von  einem  ehemaligen  hiesigen 
Küchenmeister,  dem  ein  Philosoph,  der  hiesige  Herr  Justizrat 
TREDE,  das  Zeugnis  gibt,  daß  er  über  den  Sinn  des  Geschmacks 
sehr  richtig  philosophiert  habe;  derselbe  Mann  pflegte  über  ge- 
wisse kunstmäßige  Tafelgerichte  das  Urteil  zu  fällen:  sie  schmecken 
gut,  aber  mir  nicht  angenehm. 

Folgende  Nachricht  kann  dem  Herzen  des  Mannes,  der  die 
Grundlegung  zur  Metaphysik  der  Sitten  und  die  Kritik  der 
praktischen  Vernunft  geschrieben  hat,  nicht  gleichgültig  sein. 
Der  hiesige  Konrektor  an  der  lateinischen  Schule  Herr  BOIE, 
ein  Bruder  des  Herausgebers  vom  Deutschen  Museum,  und 
Schwager  des  hiesigen  Rektors  Herrn  Hofrats  VOSS,  studiert 
Ihre  Schriften,  besonders  die  eben  genannten,  und  nahm  Gelegen- 
heit von  dem,  was  er  Ihnen  verdankt,  in  einer  Predigt  über  Ap. 
Gesch.  10,  34  Gebrauch  zu  machen:  es  war  hier  nichts  von  der 
der  Kanzel  unwürdigen  ors  oratoria^  und  doch  machte  die  Predigt 
auf  mehrere,  die  nicht,  wie  ich,  die  Quelle  davon  kannten,  einen 
ungewöhnlichen  Eindruck,  und  mir  war  es,  als  wenn  ich  eine 
solche  Predigt  noch  nie  geholt  hätte.  Sie  hatte  aber  auch  den 
Charakter,  den  sie  nach  der  Note  S.  3  3  Ihrer  Grundlegung  zur 
Metaph.  d.  Sitten  haben  mußte. 

Ich  schätze  mich  glückHch,  an  TREDE  und  BOIE  zwei 
Freunde  zu  besitzen,  mit  denen  ich  mich  über  Ihre  Schriften  bis- 
weilen unterhalten  kann.^) 

Nun  eine  Beobachtung  über  synthetische  und  analytische 
Sätze:  nämlich  solche  Sätze,  die  sich  umkehren  lassen,  werden 
aus  synthetischen  zu  analytischen  und  umgekehrt.  Das  Subjekt 
im  synthetischen  Satze  faßt  zwei  Begriffe  in  sich,  deren  Synthesis 
die  Bedingung  des  Prädikats  ist;  nach  dem  Umkehren  vertreten 
diese  beiden  BegriflFe  die  Stelle  des  Prädikats,  und  können  als 
einzelne  Prädikate  dienen  in  zweien  Sätzen,  weil  die  Synthesis 
dem  Prädikate  nicht  notwendig  zukommt,  außer  in  Definitionen, 


^)  Der  Justizrat  Ludwig  Bendix  Trade  (17 39— 18 19)  in  Eutin; 
Heinrich  Christian  Boie  (1744— 1806),  der  bekannte  Dichter,  Heraus- 
geber des  Göttinger  Musenalmanachs. 


6i  Von  Christoph  Friedrich  Hellwag 

wo  das  Definitum  Subjekt  ist.  Wird  ein  analytischer  Satz  um- 
gekehrt, dessen  Prädikat  nicht  beide  Begriffe,  die  zusammen- 
gehören, enthält,  so  wird  in  dem  Subjekte  des  umgekehrten 
nunmehr  synthetischen  Satzes  der  fehlende  Begriff  durch  einen 
Beisatz  bemerkt,  wie  durch  x  die  unbekannte  Größe  in  der 
Buchstabenrechnung.  Zum  Beispiel:  alle  physische  Körper  sind 
schwer  ist  ein  synthetischer  Satz:  die  Synthesis  von  physisch  und 
Kürper  ist  Bedingung  des  Prädikats:  schwer;  denn  nicht  alles 
Physische  ist  schwer,  ein  Regenbogen  ist  physisch;  nicht  alle 
Körper  in  der  weitern  Bedeutung  sind  schwer,  der  geometrische 
Körper  ist  auch  ein  Körper.  Durch  Umkehrung  ergeben  sich 
hieraus  zwei  von  einander  unabhängige  analytische  Sätze;  alles 
Schwere  ist  ein  physischer  Körper;  nämlich  alles  Schwere  ist 
physisch;  alles  Schwere  ist  Körper.  Kehrt  man  jeden  Satz  für 
sich  um,  so  bekömmt  das  Subjekt  des  umgekehrten  nunmehr 
synthetischen  Satzes  einen  Zusatz:  nämlich  gewisse  physische  Dinge 
sind  schwer;  gewisse  Körper  siad  schwer.  Ein  anderes  Beispiel: 
alle  Körper  sind  ausgedehnt,  ist  ein  analytischer  Satz;  dazu  ge- 
hört noch  einer:  alle  Körper  haben  drei  Dimensionen;  daraus 
durch  Umkehrung  der  vollständige  synthetische  Satz;  alles  Aus- 
gedehnte mit  drei  Dimensionen  ist  Körper;,  die  Verbindung  der 
beiden  Begriffe  im  Subjekte  ist  Bedingung  des  Prädikats;  denn 
nicht  alles  Ausgedehnte  ist  Körper;  Flächen  sind  auch  ausgedehnt; 
nicht  alle  Größen  von  drei  Dimensionen  sind  Körper;  Kubik- 
zahlen  sind  auch  Größen  von  drei  Dimensionen,  wenn  man  den 
Begriff  der  Dimension  nicht  auf  ausgedehnte  Größen  einschränkt. 
Wenn  also  in  einem  synthetischen  Satze  die  synthetische  Hinzu- 
fügung des  Prädikats  zum  Subjekte  auf  einer  Verknüpfung  von 
Begriffen  im  Subjekte  beruht,  so  darf  ich  hoffen,  daß  diese 
meine  Bemerkung  Ihrer  Erklärung  vom  synthetischen  Satze  ge- 
mäß sei. 

Noch  eine  Frage  möchte  ich  gerne  vornehmen,  wenn  ich 
nicht  beschwerlich  falle.  Wie  geht  es  zu,  daß  ein  bewegter 
Körper  seine  Bewegung  fortsetzt,  wofern  ihn  nichts  daran  hindert, 
und  daß  ein  Körper  dem,  was  seinen  Bewegungszustand  zu  ver- 
ändern strebt,  widersteht?  Ein  Körper  sei  in  einem  abgesonderten 
leeren  Räume  äußer  aller  Verbindung  mit  andern  Körpern;  er 
werde  nun  durch  einen  andern  ihm  näher  kommenden  Körper, 
der  mit  andern  Körpern  außer  dem  leeren  Räume  in  gehöriger 
Verbindung  steht,  fortgeschoben:  ich  kann  mir  den  Erfolg  nicht 


Von  Christoph  Friedrich  Hellwag  63 

anders  vorstellen,  als  der  isolierte  Körper  werde  dem  forttreiben- 
den Körper  keinen  mechanischen  Widerstand  leisten,  und  sobald 
das  Forttreiben  aufhört,  in  Ruhe  sein.  Denn,  was  durch  das 
Fortschieben  verändert  wird,  ist  nicht  der  isolierte  Körper,  auch 
nicht  der  leere  Raum,  sondern  das  Ganze,  das  der  geschobene 
Körper  mit  dem  umgebenden  Leeren  ausmacht:  nun  ist  aber 
dieses  Ganze  nichts  Reales,  weil  ein  Teil  desselben,  das  Leere, 
nichts  Reales  ist.  Jede  Wirkung  setzt  aber  etwas  Reales  voraus, 
dem  die  Kraft  zu  wirken  zugeschrieben  wird,  also  findet  bei  dem 
Mangel  des  Realen  keine  Wirkung  statt,  nämlich  der  Körper  und 
das  umgebende  Leere  können  miteinander  keine  Bewegung  unter- 
halten, und  keiner  bewegenden  Ursache  widerstehen.  Wenn  also 
im  freien  Räume  ein  Körper  seine  Bewegung  von  selbst  fort- 
setzt, und  ohne  offenbare  sinnliche  Ursache  dem,  was  seinen  Be- 
wegungszustand verändern  will,  widersteht,  so  ist  etwas  Reales, 
mit  dem  er  im  Räume  gemeinschaftlich  beides  bewirkt.  Diese 
ungenannte  reale  Ursache  aller  freien  Bewegung  und  alles  mecha- 
nischen Widerstandes  gegen  bewegende  Kräfte  muß  schlechter- 
dings durch  den  Spielraum  aller  möglichen  Bewegungen  stetig 
und  gleichmäßig  verbreitet,  und  jedem  bewegten  oder  ruhenden 
Punkte  jedes  realen  stetigen  Körpers  gleich  gegenwärtig  sein. 
Sie  ist  unbeweglich,  weil  sie  keiner  Bewegung  bedarf,  um  auf 
bewegliche  Dinge  zu  wirken;  sie  ist  für  alle  bewegliche  Dinge 
vollkommen  durchdringlich,  um  allen  Punkten  derselben  gegen- 
wärtig zu  sein;  sie  macht  von  den  4  Lehrsätzen  der  Mechanik 
in  Ihren  metaphysischen  Anfangsgründen  der  Naturwissenschaft 
S.  108.  iid.  119.  121  den  Hauptgrund  aus,  ihre  Vorstellung 
macht  den  mechanischen  Begriff  von  der  Quantität  der  Bewegung 
möglich;  sie  tut  bei  aller  unmittelbaren  Einwirkung  auf  jeden 
Punkt  des  Beweglichen,  das  heißt,  bei  ihrer  Durchdringlichkeit, 
der  Quantität  der  Materie  keinen  Eintrag;  ihre  Wirkung  wird 
durch  Ursachen  außer  ihr  und  außer  dem  bewegten  Körper  ver- 
ändert; sie  erhält  den  Körper  in  seinem  Zustande  der  Ruhe  oder 
der  Bewegung  (in  seinem  Bewegungszustande)  in  derselben  Rich- 
tung, und  mit  derselben  Geschwindigkeit,  wenn  er  nicht  durch 
eine  Ursache  außer  ihm  und  außer  ihr  genötigt  wird,  diesen  Zu- 
stand zu  verlassen;  sie  ist  es,  die  in  aller  Mitteilung  der  Bewegung 
Wirkung  und  Gegenwirkung  einander  gleich  macht.  Diese  Be- 
trachtungen hatte  ich  für  mich  schon  so  weit  vollendet,  als  mir 
neuüch  LAMBERTS  Beiträge  zum  Gebrauche  der  Mathematik  und 


64  Von  Christoph  Friedrich  Hellwag 

deren  Anwendung')  in  die  Hände  kamen,  wo  ich  das  unerwartete 
Vergnügen    hatte,    einen    neuern    Philosophen    zu    finden,    dessen 
Spekulationen  über  die  Trägheit  der  Körper  mit  meinen  Gedanken 
so  sehr  übereinstimmen.      Die  Hauptstelle  darüber  findet  sich  im 
§    121    der  Abhandlung  von  den  Gnindlchren  des  Gleichgewichts 
und    der   Bewegung    im    zweiten   Bande    des    angeführten   Werks. 
Ich  will  meinen  langen  Brief  nicht  mit  Abschreibung  dieser  Stelle 
weiter  ausdehnen,  da  ich  voraussetzen  kann,  daß  Sie  Gelegenheit 
haben,  das  Buch  selbst  nachzulesen;  ich  führe  nur  an,  daß  mein 
freier  Raum  bei  LAMBERT  von  aller  Materie,  aber  nicht  von 
immateriellen  Substanzen  leer  ist;  und  meine  ungenannte  Ursache 
der   freien  Bewegung   und   des  Widerstandes   freier  Massen  heißt 
bei   ihm  ein  Vehikulum  zur  Fortsetzung  der  Bewegung,  welche 
er  durch  eine  fortgepflanzte  Undulation  erklärt,  vermittelst  welcher 
die    bewegte  Materie  fortgeführt  wird.      Der  Widerstand  erfodert 
ihm    ein    Haften    der  Materie    an    dem  Orte,    wo    sie   ist;    und 
dieses  Haften   erklärt  er  sich  auch  durch  sein  sogenanntes  Vehi- 
kulum.    Er   läßt  es  §    125    unentschieden,    ob    dieses  Vehikulum 
nicht  an  verschiedenen  Orten  verschiedene  Intensität  habe.    Außer 
LAMBERT  ist  mir  von  neuern  Philosophen  keiner  vorgekommen, 
der  diese  Idee  verfolgt  hätte.    In  STURMs  Physica  electiva  T.  i") 
werden    hierüber    verschiedene   Meinungen    zusammengestellt,    und 
am  Ende,  Seite   757,  der  Wille  Gottes  zur  unmittelbaren  Ursache 
des  Gesetzes  der  Bewegung   und  des  Widerstandes   freier  Körper 
angegeben.     Auch   MALEBRANCHE    begnügt    sich    mit    diesem 
Prinzip    in    seinen    Recherches    de    la    Verit'e    T.   IL    L.   6.    C.  p. 
Hingegen    BACO  VON  VERULAM,    der   Erweiterer    der  Natur- 
wissenschaft seines  Zeitalters,  eifert  über   die  unbefriedigende  Ab- 
fertigungen dieser  Frage,  besonders  von  ARISTOTELES  und  dessen 
Schülern  und  Nachbetern:  die  Hauptstelle  hievon  steht  in  seinem 
Werke   Impetus  philosophicij   im  Abschnitte  cogitationes  de  nat  rer. 
VIII.    de    motu    violento,    S.   722  ff.    Opp.    omn.    ed.    Arnoldi  16^4. 
Seine  Erklärung  —  fit  continua  ^  tnteniiss'ima  {licet  minime  visi- 
hilis)  partium   trepidatio  Ö'  commotio  —  finde    ich    übrigens    auch 
nicht    befriedigend.    In  ihren  schätzbaren  Schriften  finde  ich  von 
meiner  gegenwärtigen  Frage  keine  ausdrückliche  Erörterung;  Ihre 
Vergleichung  des  PLATO   mit  einer  Taube,  die,  um  freier  fliegen 

»)  Teil   1  —  3,  Berlin   176J— 72. 

*)  Chr.  Sturm,  Physica  electiva  sive  hypothetica  (1697). 


Von  Christoph  Friedrich  Hellwag  6^ 

zu  können,  den  luftleeren  Raum  suchen  möchte,  (Krit.  der  r.  V. 
S.  9  d.  2.  Ausg.)  ließ  es  mich  hoffen,  sie  noch  zu  entdecken. 
Daß  Sie  mit  MALEBRANCHE  und  STURM  nicht  einstimmen, 
wußte  ich  gewiß,  wenn  Sie  sich  auch  in  der  Krit.  der  r.  V. 
S.  8oi  gegen  das  Prinzip  der  ratio  ignava  nicht  erklärt  hätten, 
und  vermuten  darf  ich  vielleicht,  daß  Sie  mein  allgemeines  reales 
stetiges  Medium,  wodurch  ich  die  Bewegung  und  den  Wider- 
stand freier  Massen  zu  erklären  suche,  nicht  verwerflich  finden 
werden.  Sie  wollen  zwar  die  Benennung  vis  inertia  abgeschafft 
wissen  (Anfgr.  d.  Nat.  W.  S.  132)^),  aber  ich  habe  mich  der- 
selben enthalten,  weil  ich  ihrer  vollkommen  entbehren  kann,  und 
ihr  die  Schuld  beimesse,  warum  ich  glaube,  daß  man  den  Gegen- 
stand meiner  Frage  so  stillschweigend  übergeht;  und  Ihre  ge- 
rechten Vorwürfe  gegen  jenen  Namen  treffen,  dünkt  mich,  meine 
Erklärung  nicht. 

Wo  ich  nicht  irre,  unterhielt  ich  mich  einst  in  Göttingen 
mit  dem  Herrn  Prof.  KRAUSS  über  diese  Materie.  Ich  nehme 
hier  gerne  Gelegenheit,  von  diesem  würdigen  Manne,  der  ohne 
Zweifel  Ihr  Freund  ist,  zu  bezeugen,  daß  sein  für  Kopf  und  Herz 
mir  damals  so  interessanter  Umgang,  dessen  ich  zeitlebens  mich 
dankbar  erinnern  werde,  manche  noch  lange  nachher  wohltätige 
Eindrücke  bei  mir  hinterlassen  hat,  und  sein  Andenken  erregt  oft 
den  Wunsch  in  mir,  um  ihn  sein  zu  dürfen.  Darf  ich  so  frei 
sein,  und  bitten  meinen  besten  Gruß  ihn  wissen  zu  lassen?  Er 
wird  Ihnen  sagen,  daß  ich  ein  Württemberger  bin.  Ich  kam  im 
Jahr  1782  nach  Oldenburg  bei  Bremen  zu  dem  jetzigen  Fürst- 
bischof zu  Lübeck  und  Herzog  zu  Oldenburg,  der  damals  Koad- 
jutor  war,  als  Leibarzt;  ich  heuratete  daselbst  im  Jahre  1784; 
und  wurde  im  Jahr  1788  hieher  nach  Eutin  versetzt,  mit  dem 
Charakter  als  Hofrat  und  Leibarzt,  indem  nach  Oldenburg  der 
berühmte  Herr  D.  MARCARD  als  Leibarzt  berufen  wurde. 
Diese  Nachrichten  können  vielleicht  meinen  ehmaligen  Freund 
interessieren.  Nun  vergeben  Sie  mir  meinen  langen  Brief;  ich 
würde  mich  unaussprechlich  freuen,  wenn  Sie  mich  mit  einer 
auch  noch  so  kurzen  Antwort  beehrten;  aber  ich  bescheide  mich 
gerne,  wenn  es  auch  nicht  geschieht,  weil  viel  wichtigere  Dinge 
Anspruch    auf   Ihre    Muße    machen.      Gott    erhalte   Ihr   kostbares 


')  Siehe  Mechanik,  Lehrs.  4,  Zus.  2,  Anmerk. 

Kants  Schriften.    Bd.  >'. 


66  Von  Abraham  Gotthelf  Kastner 

Leben  und  Gesundheit   noch  lange:   dieses  ist  der  lebhafteste   red- 
lichste Wunsch 

Ihres 

aufrichtigen  Verehrers 
Christoph  Friederich  Hellwag. 
Med.  &  Philos.  Dr. 


252. 

Von  Abraham  Gotthelf  Kästner. 

Wohlgeborner  Herr  y 

Verehningswürdiger  Herr 

Es  ist  eine  starke  Prüfung  in  praktischer  Philosophie,  der  Ew. 
W.  mich  aussetzen:    durch  Ihre  Zuschrift    nicht   stolz  zu  werden. 

Ew.  W.  tiefe  Einsichten  und  Scharfsinnigkeit  zu  kennen  und 
zu  verehren  habe  ich  schon  in  meinen  Jüngern  Jahren  viel  Ver- 
anlassung gehabt.  Bei  Ew.  W.  spätem  philosophischen  Be- 
mühungen habe  ich  bedauert,  daß  meine  gegenwärtige  Bestimmung 
mir  nicht  gestattet  hat  davon  den  Nutzen,  den  ich  wünschte,  mir 
zu  verschaffen. 

In  der  WOLFischen  Philosophie,  die  ich  in  meiner  Jugend 
lernte,  fand  ich  doch  die  Gewißheit  nicht,  die  WOLF  glaubte 
erreicht  zu  haben,  als  ich  mathematische  Gewißheit  kennen 
lernte.  Vielleicht  ging  ich  damals  in  meiner  Geringschätzung 
zu  weit. 

Neuere  philosophische  Schriften,  z.  E.  der  Engländer,  die  als 
große  Beobachter  gepriesen  wurden,  zu  studieren,  machte  mir  das 
eben  nicht  Lust,  daß  ich  in  einigen,  die  ich  las,  eben  nichts 
fand,  das  mir  unbekannt  war,  oder  das  ich  nicht,  wenn  die 
Kenntnis  davon  mir  wichtig  schien,  aus  dem  was  ich  zu  wissen 
glaubte,  herzuleiten  unternommen  hätte.  So  bin  ich  nach 
und  nach  von  dem  eigentlichen  Fleiße  auf  Philosophie  ange- 
wandt sehr  abgekommen,  und  wage  nicht  darin  etwas  zu  be- 
urteilen. 

So  viel  sah  ich  wohl,  daß  nach  dem  Verfall  der  WOLFischen 
Philosophie  eine  aufstand,  die,  um  gerade  das  Gegenteil  von  ihr 
zu  sein,  im  geringsten  nicht  systematisch  sein  wollte.  Die 
schlechten  WOLFianer  hießen  System;    Definitionen  und  Beweise 


Von  Abraham  Gotthelf  Kästner  6"/ 

auswendig  gelernt  zu  haben,  ohne  sie  recht  zu  verstehen,  oder 
prüfen  zu  können.  Ihre  Verächter  nannten  eklektisch  philo- 
sophieren Worte  ohne  Erklärung,  ohne  bestimmte  BegrifFe  brauchen, 
Meinungen  zusammentragen  ohne  zu  untersuchen,  ob  sie  zusammen 
passen,  und  deklamieren,  wo  bewiesen  werden  soll. 

LESSING  war  das  letztemal  auf  seiner  Rückreise  aus  der 
Pfalz  hier,  und  bei  unserm  Gespräche  über  die  itzige  Philo- 
sophie äußerte  er  die  Hoffnung,  es  müsse  damit  bald  anders 
werden,  denn  sie  sei  so  seicht  geworden,  daß  die  Seichtigkeit 
selbst  bei  Leuten,  die  nicht  viel  Nachdenken  anwenden  wollen, 
sich  doch  nicht  in  Ansehen  erhalten  könne. 

Ew.  Wohlgeb.  haben  das  große  Verdienst,  die  Erkenntnis 
dieser  Seichtigkeit  beschleunigt  zu  haben  und  die  Philosophen 
auf  Anstrengung  des  Verstandes  und  zusammenhängendes  Denken 
wiederum  zu  führen.  Werden  Ihre  Bemühungen  mißverstanden, 
so  dächte  ich,  durch  deutliche  Erklärung  und  Bestimmung  der 
Wörter  und  Redensarten  ließe  sich  solches  heben.  Es  ist  frei- 
lich die  Sitte  der  itzigen  Schriftsteller,  Wörter  nachzubrauchen, 
ohne  recht  zu  wissen,  was  sie  bedeuten,  ein  Fehler,  über  den 
man  sonst  bei  dem  gemeinen  Mann  lachte,  wenn  er  französische 
Wörter  mißhandelte,  aber  jetzo  kann  man  ihn  bei  Gelehrten  be- 
lachen. Und  da  ist  dann  natürlich,  daß  Leute  über  Wörter 
streiten,  mit  denen  sie  nicht  die  gehörigen  BegrifFe,  manchmal 
gar  keine  verbinden.  Ew.  W.  haben  einmal,  ich  glaube  in  der 
Berliner  Monatsschrift,  eine  vortreffliche  Erläuterung  gegeben,  was 
orientieren  heißt.  Wollten  Sie  dergleichen  mit  mehrern 
Modewörtern  vornehmen,  so  würden  Sie  sich  um  den  jetzigen 
philosophischen  Jargon  viel  Verdienst  erwerben.  Die  Franzosen 
haben  längst  ihrem  Witze  die  Freiheit  gelassen,  ein  auch  längst 
bekanntes  Wort  mit  einem  NebenbegrifFe  zu  brauchen,  den 
man  aus  der  Art,  wie  es  gebraucht  wird,  erraten  soll,  und  viel- 
leicht nicht  ganz  richtig  errät.  Braucht  nun  ein  Deutscher  das 
Wort  nach,  natürlich  in  einem  andern  Zusammenhange  als  es  zu- 
erst gebraucht  ward,  so  ist  manchmal  die  Frage,  was  das  Wort 
bedeutet,  eine  unbestimmte  Aufgabe.  So  haben  die  tierischen 
Magnetisierer  von  desorganisieren,  manipulieren  .  .  .  geschwatzt, 
und  jetzo  ist  Organisation,  Manipulation  bei  den  Statistikern  ge- 
wöhnlich, da  ich  nicht  verstehe,  was  sie  damit  haben  wollen. 
Soviel  sehe  ich  wohl,  daß  Frankreich  durch  die  Manipulationen 
der  Nationalversammlung  ziemlich  desorganisiert  ist. 


^g  An  Christoph  Friedrich  Hellwag 

Ew.  Wohlgcb.  stellen  auch  sehr  oft  den  Philosophen  das 
Verfahren  der  Mathematikverst'ändigen  zum  Beispiele  vor,  und 
werden  mich  also  desto  eher  entschuldigen,  wenn  ich  mich  nur 
auf  dieses  Verfahren,  mit  dem  ich  am  bekanntesten  bin,  ein- 
schränke; allenfalls  manchmal  die  Philosophen  frage,  ob  sie  es 
nicht  auch  so  machen  könnten?  Daß  es  ganz  angeht,  glaube 
ich  nicht,  weil  die  philosophischen  Begriffe  nicht  so  leicht 
gestatten,    dem    Verstände    durch    sinnliche    Bilder    zu    Hülfe    zu 

kommen. 

Zu  der  Aufstellung  der  Metaphysik  im  Zusammenhange,  wünsche 
Ew.  W.  Leben  und  Gesundheit,  und  hoffe  die  Ausführung  zum 
Vorteile  der  Wissenschaft. 

In  einer  Zeit,  da  die  Philosophie  Geschwätz  geworden  war, 
überhaupt  alle  Anstrengung  des  Verstandes  vermieden  ward,  und 
die  Gelehrten  durch  Schriften  berühmt  wurden,  die  man  bei 
einer  Pfeife  Tabak  verfertigen,  lesen,  und  auch  verbrauchen  kann, 
gelang  es  Ew.  W.  auf  tiefsinnige  philosophische  Untersuchungen 
Aufmerksamkeit  zu  erregen,  und  sie  zu  einer  häufigen  Beschäftigung 
von  Schriftstellern  zu  machen.  Das  ist  sicher  ein  Umstand,  der 
Ew.  W.  besonders  auszeichnet,  und  Sie  in  der  Geschichte  der 
Wissenschaften  unvergeßlich  machen  wird. 

Ich  verharre  mit  vollkommenster  Hochachtung 

Ew.  Wohlgeb. 

gehorsamster  Diener 
Göttingen,  20.  Dczbr.  1790.  A.  G.  Kästner. 


153- 
An  Christoph  Friedrich  Heliwag. 

Wohlgeborner 

Hochzuverehrender  Herr. 
Der  Ew.  Wohlgeb.  Gegenwärtiges  zu  überreichen  die  Ehre 
hat,  Herr  NICOLOVIUS,  mein  ehemaliger  Zuhörer  und  sehr 
wohldenkender  junger  Mann,  erbittet  sich  für  die  kurze  Zeit 
seines  Aufenthalts  in  Eutin  einige  Bekanntschaft  mit  dem  schätz- 
baren Zirkel  Ihrer  Freunde,  dergleichen  man  in  großen  Städten 
oft  vergeblich  zusammen  zu  bringen  sucht  und  der  für  Kopf 
und    Herr    doch    so    wohltätig    ist.     Seine    Bescheidenheit    wird 


An  Christoph  Friedrich  Helluoag  dp 

CS  verhüten,  daß  dieses  sein  Gesuch  Ihnen  nicht  zur  Beschwerde 
gereiche.^) 

Die  scharfsinnige  Bemerkungen,  womit  Sie  Ihren  angenehmen 
Brief  angefUllet  haben,  werden  mir  noch  manche  Unterhaltung 
verschaffen.  Für  jetzt,  da  ich  noch  nicht  die  Zeit  habe  gewinnen 
können,  denselben  anhaltend  nachzudenken,  muß  ich  bitten  mit 
meinem  noch  unreifen  Urteile  hierüber  zufrieden  zu  sein. 

Was  erstlich  die  Analogie  zwischen  Farben  und  Tönen  betrifft, 
so  bringen  Sie  freilich  die  Aufgabe  über  ihr  Verhältnis  zum  Ge- 
schmacksurteile (welches  nicht  ein  bloßes  Sinnenurteil  des  Ange- 
nehmen und  Unangenehmen  sein  soll)  der  Entscheidung  näher; 
wobei  mir  Ihre  Stufenleiter  der  Vokalen,  als  der  einzigen  Laute, 
die  für  sich  selbst  einen  Ton  bei  sich  führen  können,  wenn  sie 
weiter  verfolgt  vvmrde,  von  Erheblichkeit  zu  sein  dünkt;  weil 
niemand  Musik  denken  kann,  die  er  nicht  zugleich,  so  ungeschickt 
es  auch  sei,  mit  zu  singen  vermag;  wobei  denn  zugleich  der 
Unterschied  zwischen  dem  Farben-  und  Tonspiele,  von  denen 
das  erstere  kein  solches  produktives  Vermögen  der  Einbildungs- 
kraft voraussetzt,  klar  einleuchtet.  Allein  ich  habe  mich  jetzt 
zu  sehr  in  andere  Materien  hinein  gedacht,  als  daß  ich  vor  der 
Hand  mich  in  die  gegenwärtige  Untersuchung  gehörig  versetzen 
könnte.  Nur  muß  ich  anmerken;  daß,  wenn  ich  in  der  Krit. 
d.  UKr.  von  Personen  redete,  die  bei  dem  besten  Gehör  doch 
nicht  Töne  unterscheiden  konnten,  ich  dadurch  nicht  sagen  wollte, 
daß  sie  nicht  einen  Ton  vom  anderen,  sondern  schlechterdings 
nicht  den  Ton  vom  bloßen  Schalle  zu  unterscheiden  imstande 
waren;  wobei  mir  mein  vor  4  Jahren  verstorbener  bester  Freund, 
der  engl.  Kaufmann  Herr  GREEN,  in  Gedanken  war,  an  welchem 
seine  Eltern  in  seiner  Kindheit  diesen  Fehler  bemerkten,  ihn  da- 
her auch  das  Klavier  nach  Noten  spielen  lernen  ließen,  der  aber 
weder  da-  noch  nachmals  es  dahin  gebracht  hat,  daß,  wenn  im 
anderer  nun  auf  dem  Klavier  ein  ganz  anderes  Stück  spielete  oder 
sang,    er  den   mindesten  Unterschied   dazwischen   hätte    bemerken 


^)  Georg  Heinrich  Ludwig  Nicolovius^  geb.  1767  in  Königsberg, 
gesr.  1839;  vgl.  über  ihn  „Denkschrift  auf  G,  H.  L.  N."  von  Alfred 
Nicolovius,  Bonn  1841.  N.  ging  im  Januar  1791  auf  Einladung  des 
Grafen  Friedrich  Leopold  von  Stolberg  nach  Eutin  und  begleitete  ihn 
später  auf  seiner  bekannten  Reise  durch  Deutschland,  die  Schweiz  und 
Italien. 


7©  An  Christoph  Friedrich  Hellwag 

können,  so  daß  ihm  Töne  ein  bloßes  Geräusch  waren,  so  wie 
ich  von  einer  Familie  in  England  irgendwo  gelesen  habe,  daß  es 
darin  Personen  gegeben  habe,  die  in  der  ganzen  Natur  nichts  als 
Licht  und  Schatten  antrafen  und  bei  den  gesundesten  Augen  alle 
Gegenstände  nur  wie  in  einem  Kupferstiche  sahen.  Merkwürdig 
war  es  bei  meinem  Freunde  GREEN,  daß  dieses  Unvermögen 
sich  auch  auf  die  Poesie  erstreckte,  deren  Unterschied  von  der 
Prose  er  niemals  woran  anderes  als,  daß  die  erstere  eine  ge- 
zwunge[ne]  und  geschrobene  Silbenstellung  sei,  erkennen  konnte ^ 
daher  er  des  POPE  Essays  ort  Man  wohl  gerne  las,  es  aber  un- 
angenehm fand,  daß  sie  in  Versen  geschrieben  waren. 

Ihren  Betrachtungen  über  das,  was  aus  dem  Unterschiede  der 
synthetischen  und  analytischen  Sätze  für  die  Logik,  nämlich  in 
Ansehung  der  Inversionen  folgt,  werde  ich  gelegentlich  nach 
gehen.  Für  die  Metaphysik,  die  nicht  so  wohl  auf  das  sieht, 
was  in  Ansehung  der  Stellung  der  Begriffe  in  einem  Urteile,  mit- 
hin aus  der  bloßen  Form  folgt,  als  vielmehr  ob  durch  eine  ge- 
wisse Art  zu  urteilen  den  gegebenen  Begriffen  etwas  (der  Materie 
nach)  zuwachse  oder  nicht,  gehörte  jene  Untersuchung  eben 
nicht. 

Was  aber  die  Frage  betrifft:  welcher  Grund  sich  wohl  von 
dem  Gesetze  der  Abhängigkeit  der  Materie  in  Ansehung  aller 
ihrer  Veränderungen  von  einer  äußeren  Ursache,  imgleichen  von 
der  Gleichheit  der  Wirkung  und  Gegenwirkung  in  dieser 
Veränderung  durch  äußere  Ursache  geben  lasse,  so  hätte  ich  frei- 
lich wohl  in  meinen  Met.  Anf.  Gr.  d.  N.  W.  auch  den  allge- 
meinen transszendentalen  Grund  der  Möglichkeit  solcher  Gesetze 
a  priori  angeben  können,  der  etwa  mit  folgendem  in  der  Kürze 
vorgestellt  werden  kann. 

Alle  unsere  BegriflFe  von  Materie  enthalten  nichts  als  bloß 
Vorstellungen  von  äußeren  Verhältnissen  (wie  dann  der  Raum 
auch  nichts  anders  vorstellig  macht);  das  aber,  was  wir  im  Räume 
als  existierend  setzen,  bedeutet  nichts  weiter,  als  ein  Etwas  über- 
haupt, woran  wir  uns  auch  keine  andre  Prädikate,  als  die  eines 
äußeren  Verhältnisses  vorstellen  müssen,  so  fern  wir  es  als  bloße 
Materie  betrachten,  mithin  nichts,  was  schlechterdings  inner- 
lich ist  (Vorstellungskraft,  Gefühl,  Begierde).  Hieraus  folgt: 
daß,  da  alle  Veränderung  eine  Ursache  voraussetzt  und  eine 
schlechthin  innerliche  Ursache  der  Veränderung  äußerer  Verhält- 
nisse (kein  Leben)  in  der   bloßen  Materie  nicht  gedacht  werden 


An  Christoph  Friedrich  Hellwag  71 

muß,  die  Ursache  aller  Veränderung  (aus  der  Ruhe  in  Bewegung 
und  umgekehrt,  zusamt  den  Bestimmungen  der  letzteren)  in  der 
Materie  außerhalb  liegen  müsse,  mithin  ohne  eine  solche  keine 
Veränderung  stattfinden  könne;  woraus  folgt,  daß  kein  besonderes 
positives  Prinzip  der  Beharrlichkeit  der  Bewegung,  in  der  ein 
Körper  einmal  ist,  erforderlich  sei,  sondern  bloß  das  negative, 
daß  keine  Ursache  der  Veränderung  da  ist.  —  Was  das  zweite 
Gesetz  betrifft,  so  gründet  es  sich  auf  dem  Verhältnisse  der 
wirkenden  Kräfte  im  Räume  überhaupt,  welches  Verhältnis 
notwendig  wechselseitig  einander  entgegengesetzt  und  jederzeit 
gleich  sein  muß  (actio  est  aequalis  reaction'i),  weil  der  Raum  keine 
einseitige,  sondern  jederzeit  wechselseitige  Verhältnisse,  mithin 
auch  die  Veränderung  derselben  d.  i.  die  Bewegung  und  die 
Wirkung  der  Körper  auf  einander  sie  hervorzubringen  lauter 
wechselseitige  und  gleiche  einander  entgegengesetzte  Bewegungen 
möglich  macht.  Ich  kann  mir  keine  Linien  von  dem  Körper  A 
zu  allen  Punkten  des  Körpers  B  gezogen  denken,  ohne  auch  um- 
gekehrt ebensoviel  gleiche  Linien  von  Körper  A  zu  B  zu  ziehen 
und  die  Veränderung  dieses  Verhältnisses  eines  Körpers  (B)  durch 
den  Stoß  des  andern  (A)  zu  diesem  als  wechselseitig  und  gleich 
zu  denken.  Es  bedarf  hier  also  ebensowenig  einer  positiven  be- 
sonderen Ursache  der  Gegenwirkung  des  Körpers,  in  den  gewirkt 
wird,  als  beim  obigen  Gesetze  der  Trägheit;  im  Räume  und  der 
Eigenschaft  desselben,  daß  in  ihm  die  Verhältnisse  wechselseitig 
-entgegengesetzt  imd  zugleich  sind  (welches  beim  Verhältnisse 
successiver  Zustände  in  der  Zeit  nicht  der  Fall  ist)  liegt  der 
alleinige  hinreichende  Grund  dieser  Gesetze.  Übrigens  werde 
ich  LAMBERTS  Meinung  über  diesen  Punkt  in  seinen  Beiträgen 
nachsehen. 

Ew.  Wohlgeb.  freundschaftliche  Erinnerung  an  Herrn  Prof. 
KRAUS  ist  an  diesen  würdigen  Maim,  der  eine  Zierde  imserer 
Universität  ist,  wohl  bestellet  worden.  Die  Weitläufigkeit  unseres 
Orts  vermindert  gar  sehr  die  Vereinigung  des  Umgangs  auch  bei 
den  freundschaftlichsten  Gesinnungen,  daher  ich  den  Gegengruß 
desselben  jetzt  noch  nicht  melden  kann. 

An  den  Zirkel  Ihrer  vortrefi^lichen  Freunde  Herrn  J.  R.  TREDE, 
Herrn  H.  R.  VOSS  und  beide  Herrn  BOIE  bitte  mich  zu 
empfehlen.  Was  Sie  mir  von  dem  jüngeren  der  letzteren  ge- 
meldet haben,  ist  mir  überaus  angenehm  gewesen.  Eine  solche 
Methode  zu  predigen  wird  aber  nicht  eher  allgemein  werden,  als 


72  Von  jfakob  Sigismund  Beck 

bis  die  Rechtschaffenheit  der  Gesinnungen  bei  Lehrern  (die 
nicht  damit  zufrieden  ist,  daß  gute  Handlungen,  gleich  gut  aus 
welchen  Gründen,  ausgeübt  werden:  sondern  auf  die  Reinigkeit 
des  Bewegungsgrundes  alles  anlegt)  gleichfalls  allgemein  wird.  — 
Übrigens  wünsche  ich  Zufriedenheit  des  häuslichen,  Vergnügen  im 
geselligen  und  gutes  Gelingen  in  Ihrem  geschäftigen  Leben  noch 
lange  Jahre  und   bin  mit  vollkommener  Hochachtung 

Ew.  Wohlgeb. 


ganz  ergebenster  Diener 
L  Kant. 


Königsberg,  d.  3.  Januar  17  91. 


254. 
Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Wohlgeborner  Herr, 

Hochzuehrender  Herr  Professor! 
Erlauben  Sie,  daß  ich  Ihnen  ein  Exemplar  meiner  Disser- 
tation schicken  darf.  Dieses  geschieht  nicht,  weil  ich  ihr  einen 
Wert  beilege;  sondern  weil  ich  wünsche,  daß  Sie  sich  an  mich 
eines  ihrer  Wahrheit  liebenden  Schüler  erinnern  wollen.  Mein 
eigenes  Bewußtsein  überfuhrt  mich,  daß  es  auch  solche  Menschen 
gibt,  die  viel  Gefühl  für  Wahrheit  haben  und  die  mit  wahrer 
Wärme  andern  ihre  Einsichten  mitteilen  mögen,  die  aber  doch 
nur  Pfuscher  sind,  wenn  sie  Schriftsteller  sein  wollen.  Dieses 
letzte  in  meiner  Rücksicht  beweist  meine  Ihnen  mitgeteilte  Schrift. 
Ich  habe  nunmehr  die  Lizenz  zu  lesen.  Da  ich  die  Freundschaft 
des  KLÜGELs')  besitze,  so  zweifele  ich  nicht  Zuhörer  zu  meinen 
mathematischen  Kollegien  zu  erhalten,  und  bin  herzlich  froh,  daß 
ich  jetzt  auf  einer  Laufbahn  bin,  zu  der  ich  glaube  bestimmt  zu 
sein.  Bekomme  ich  Zuhörer  zu  philosophischen  Vorlesungen,  so 
werde  ich  im  stillen  die  Überzeugung  zu  verbreiten  suchen,  die 
Ihr  mündlicher  und  schrifthcher  Unterricht  in  mir  bewirkt  hat. 
Ich  bin  mit  einer  herzlichen  Hochachtung  ganz 

Halle,  der  Ihrige 

d.    19.  April    1791.  Beck. 

0  Über  Klügel  s.  Bd.  IX,  S.  439. 


An  Jakoh  Sigtsmund  Beck  7j 

An  Jakob  Sigismund  Beck. 

Hochedelgeborner  Herr  Magister 
Sehr  wertgeschätzter  Freund 

Die  Nachricht,  die  Sie  mir  von  dem  Antritt  Ihrer  neuen 
Laufbahn,  nämlich  der  eines  akademischen  Lehrers,  geben,  ist  mir, 
zusamt  dem  Geschenk  Ihrer,  die  dazu  erforderliche  große  Ge- 
schicklichkeit hinreichend  beweisenden  Dissertation,  sehr  angenehm 
gewesen;  zugleich  aber  hat  sie  mich  auch  an  eine  Unter- 
lassungssünde erinnert,  die,  wie  ich  hoffe,  doch  wieder  gut  ge- 
macht werden  kann. 

Ich  hatte  Sie  nämlich,  als  Sie  das  erstemal  in  Halle  waren, 
an  den  Kanzler  Herrn  von  HOFFMANN,  mit  welchem  ich  zu- 
fälligerweise in  Korrespondenz  kam,  nach  Möglichkeit  empfohlen; 
erfuhr  aber  nachher,  daß  Sie  Ihr  damaliges  Vorhaben  der  Pro- 
motion noch  aufgeschoben  hätten  und  nach  Preußen  auf  ein  Jahr 
zurückgegangen  wären.  Als  ich  nachdem  hörete,  daß  Sie  sich 
zum  zweiten  Male  in  Halle  befänden,  so  schrieb  ich  abermal  an 
den  Herren  v.  HOFFMANN,  um,  was  in  seinem  Vermögen  wäre, 
zur  Beförderung  Ihres  akademischen  Fortkommens  beizutragen. 
Dieser  hochschätzungs- würdige  Mann  schrieb  mir  darauf:  „Herrn 
Mag.  BECK  habe  ich  kennen  lernen,  als  ich  von  meiner 
Schweizerreise  zurück  kam;  ihm  nützlich  zu  sein,  soll 
mir  Wonne  werden".  Er  setzte  hinzu;  daß,  ob  er  zwar  seine 
wiederholentlich  gebetene  Dimission  von  der  Kanzlerstelle  erhalten 
und  sein  Wort  also,  weder  bei  der  Universität  Halle  (von  der 
er  sagt,  daß  das  Interesse  derselben  ihm  jederzeit  ins  Herz  ge- 
prägt bleibe  und  er  stets  bemüht  sein  werde,  ihr  nützlich  zu  sein) 
noch  beim  Oberschulcollegio  viel  Nachdruck  haben  könne,  er 
sich  doch  für  einen  verdienten  Mann  verwenden  wolle. 

Nun  wäre  es  notwendig  gewesen,  Ihnen  hievon  Nachricht  zu 
geben,  damit  Sie  gelegentlich  selbst  an  Herrn  v.  HOFFMANN 
(Geheimen  Rat)  schreiben  und  etwas,  was  Ihnen  nützlich  sein 
könnte,  vorschlagen  möchten.  Allein,  gleich  als  ob  ich  voraus- 
setzte, daß  Sie  das  von  selbst  tun  würden,  oder  ob  ich  mir  es 
vorsetzte  Ihnen  jenes  zu  melden  und  es  hernach  vergessen  habe, 
so  habe  ich  es  Ihnen  zu  melden  unterlassen. 


74  ^w  Jakoh  S'tgismund  Beck 

Meine  Meinung  war  nämlich:  daß,  da  die  Subsistenz,  die  auf 
bloßer  Lesung  von  Kollegien  beruht,  immer  sehr  mißlich  ist,  Sie 
gleich  anderen  Lehrern  Ihres  Orts  eine  Stelle  beim  Pädagogio 
und  was  dem  ähnlich  ist  suchen  möchten,  die  Ihnen  Ihre  Be- 
dürfnis sicher  verschaffte,  wozu  die  Verwendung  des  Herrn  Ge- 
heimen Rat  \.  HOFFMANN  wohl  beitragen  könnte.  —  Ist  es 
nun  dieses,  oder  etwas  anderes  dem  Ahnliches,  dazu  dieser  würdige 
Mann  Ihnen  behülflich  werden  kann,  so  wenden  Sie  sich  getrost 
an  ihn,  indem  Sie  sich  auf  mich  berufen. 

Aus  den  Ihrer  Dissertation  angehängten  thesibus  sehe  ich,  daß 
Sie  meine  Begriffe  weit  richtiger  aufgefaßt  haben,  als  viele 
andere,  die  mir  sonst  Beifall  geben.  Vermutlich  würde  bei  der 
Bestimmtheit  und  Klarheit,  die  Sie  als  Mathematiker  auch  im 
metaphysischen  Felde  ihrem  Vortrage  geben  können,  die  Kritik 
Ihnen  Stoff  zu  einem  Collegio  geben,  welches  zahlreicher  be- 
sucht würde,  als  es  gemeiniglich  mit  den  mathematischen,  leider! 
2U  geschehen  pflegt.  —  Herrn  Prof.  JACOB  bitte  meine  Empfeh- 
lung zu  machen,  mit  Abstattung  meines  Danks  für  seine  mir  im 
vorigen  Jahr  zugeschickte  Preisschrift.  Den  damit  verbundenen 
Brief  habe,  leider!  noch  nicht  beantwortet.  Ich  hoffe  es  näch- 
stens zu  tun  und  bitte,  der  wackere  junge  Mann  wolle  hierin 
dem  68.  Lebensjahre,  als  in  welches  ich  im  vorigen  Monat  ge- 
treten bin,  etwas  nachsehen.  Kürzlich  vernahm  ich  von  Herrn 
D.  und  Stabsmedikus  CONRADI  (einem  herzhchen  Freunde  des 
Herrn  Prof.  JACOB)  daß  er  eine  Vokation  auf  die  Universität 
Gießen  bekommen  habe;  woran  ich  jetzt  zu  zweifeln  anfange.  — 
Wenn  Sie  einige  Zeit  übrig  haben,  so  geben  Sie  mir,  so  wohl 
was  die  obige  Angelegenheit  betrifft,  als  auch  sonst  von  literari- 
schen Neuigkeiten  gütige  Nachricht;  aber  wohl  zu  verstehen,  daß 
Sie  Ihren  Brief  nicht  frankieren,  welches  ich  für  Beleidigung  auf- 
nehmen würde. 

GelegentUch  bitte  meine  Hochachtung  an  Herrn  Prof.  KLÜGEL 
zu  versichern  und  übrigens  versichert  zu  sein,  daß  ich  mit  Hoch- 
achtung und  Freundschaft  jederzeit  sei 

Ew.  Hochedelgeb. 

ergebenster  Diener 

Königsberg,  d.  9.  Mai  1791.  L  Kant. 


Von  Jakoh  Sigismund  Beck  y^ 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Mein  teuerster  Lehrer! 

Die  freundschaftliclien  Gesinnungen,  die  Sie  in  Ihrem  Briefe 
gegen  mich  äußern,  stärken  mein  Gemüt,  das  leider!  manchmal 
wegen  Zweifel  an  eignen  Kräften  und  Tauglichkeit  niedergeschlagen 
ist.  Ich  danke  Ihnen  herzlich  dafür  und  auch  für  die  Erlaubnis 
wieder  an  Sie  schreiben  zu  dürfen.  Beim  Herrn  Geheimen  Rat 
V.  HOFMANN  bin  ich  gewesen  und  habe  ihm  für  seine  Geneigt- 
heit gegen  mich,  die  er  in  seinem  Briefe  an  Sie  hat  blicken  lassen, 
gedankt.  Er  begegnete  mir  sehr  gütig  und  ich  kann  wohl  glauben, 
daß  er  mir  nützen  werde,  wenn  er  Gelegenheit  dazu  haben  wird. 
Sonst  genösse  ich  hier  wirklich  einen  Vorteil  und  zwar  durch 
die  Fürsorge  des  Herrn  Professor  JAKOB,  der,  sobald  ich  nach 
Halle  kam,  mich  dem  Schulkollegium  des  hiesigen  Gymnasiums 
so  sehr  dringend  empfahl,  daß  es  mich  bei  diesem  Gymnasium, 
bei  dem  er  selbst  so  lange  Schulkollege  gewesen,  zum  Kollabo- 
rator  wählte.  Dieser  Vorteil  beträgt  etwa  90  oder  100  Taler 
und  ist  überdem  mit  der  ziemlich  sichern  Hoffnung  verknüpft, 
Schulkollege  zu  werden,  wenn  eine  Vakanz  vorfällt.  Herr  Pro- 
fessor JAKOB  ist  jetzt  von  der  Schule  abgegangen;  allein  ein  - 
anderer  als  ich,  der  ein  älteres  Recht  dazu  hatte,  ist  an  seiner 
Stelle  Lehrer  geworden.  Seit  vorigen  Montag  sind  hier  die 
Collegia  angegangen.  Ich  lese  die  reine  Mathematik  nach 
KLÜGELS  Lehrbuch  und  habe  etwa  acht  Zuhörer,  die  aber 
wahrscheinlich  mir  nichts  bezahlen  werden.  Auch  habe  ich 
heute  ein  PubUkum  zu  lesen  angefangen,  nämlich  die  mathe- 
matische Geographie,  worin  freilich  eine  ganze  Menge  Studenten 
waren,  die  sich  aber,  weil  es  Vorkenntnisse  verlangt,  wahrschein- 
lich bis  auf  wenige  verlieren  werden.  Zur  philosophischen  Vor- 
lesung hat  sich  niemand  bei  mir  gemeldet.  Ich  bin  dieses 
schlechten  Anfangs  wegen  aber  gar  nicht  mutlos.  Denn  ich 
meine  es  ehrUch  und  glaube,  daß  man  die  Absicht  zu  nutzen 
mir  anmerken  werde.  Schelten  Sie  aber  doch  nicht,  daß  ich 
Sie  von  meinen  Umständen  so  lange  unterhalte. 

Auch  von  literarischen  Dingen  haben  Sie  mir  erlaubt  Ihnen 
zu  schreiben.  Verehrungswürdiger  Mann!  Sie  lieben  die  Sprache 
der  Aufrichtigkeit,  und  verstatten  es  mir  Ihnen  herzlich  zu  beichten. 


7Ö  f^on  fakoh  Szgismunä  Beck 

was  mir  auf  dem  Herzen  liegt.  Die  Kritik  habe  icli  gefaßt.  Es 
war  mir  Herzenssache  sie  zu  studieren,  und  nicht  Sache  des  Eigen- 
nutzes. Ich  habe  Ihre  Philosophie  liebgewonnen,  weil  sie  mich 
überzeugt.  Aber  unter  den  lauten  Freunden  derselben  kenne  ich 
keinen  einzigen,  der  mir  gefällt.  Soviel  ich  spüren  kann,  ist  es 
eitel  Gewinnsucht,  welche  die  Leute  belebt,  und  das  ist  un- 
moralisch und  schmeckt  wahrlich  nicht  nach  Ihrer  praktischen 
Philosophie.  Herr  Professor  REINHOLD  will  durchaus  alle 
Aufmerksamkeit  an  sich  ziehen.  Aber  so  viel  ich  auch  auf- 
gemerkt habe,  so  verstehe  ich  doch  kein  Wort  und  sehe  nichts 
ein  von  seiner  Theorie  des  Vorstellungsvermögcns.  Dem  Pro- 
fessor JAKOB  bin  ich  gut,  bis  auf  seine  Büchermacherei.  Er  ist 
wirküch  ein  Mann  von  guter  Denkungsart.  Aber  er  hat  kritische 
Versuche  seinem  HUME  angehängt,  welche  ein  schlechtes  Contrc- 
fait  dazu  sind.  Er  will  hin  und  wieder  Mathematiker  darin 
scheinen,  und  da  er  es  doch  nicht  ist,  so  begeht  er  außerordent- 
liche Absurditäten.  Im  verlaufenen  Winter  halben  Jahre  hat  er 
die  Logik  und  Metaphysik,  eine  empirische  Psychologie  und  einen 
moralischen  Beweis  des  Daseins  Gottes  geschrieben.  Auf  die  Art 
verdirbt  man  viel.  Denn  statt  dem  Publikum  bei  einer  der 
Menschheit  interessanten  Angelegenheit  behilflich  zu  sein,  bringt 
man  dem  denkenden  Teil  desselben  Verdacht  gegen  die  gute 
Sachp  bei.*)  Sonst  ist  JAKOB  gewiß  ein  guter  Mann,  den  ich 
aber  noch  weit  mehr  lieben  würde,  wenn  Philosophie  ihm  mehr 
Herzenssache  als  Vorteilssache  wäre.  Ich  halte  mich  ledigHch  an 
die  Kritik  und  lese  nichts  mehr  was  von  Gegnern  oder  Freunden 
derselben  geschrieben  ist. 

Herr  KIESEWETTER  hat  an  JAKOB  geschrieben,  daß  die 
Ostermesse  Ihre  Moral  herauskommen  würde.  Auf  diese  bin 
ich  begierig.  Denn  es  schweben  mir  in  diesem  Felde  noch  manche 
Dunkelheiten  vor,  die  eine  Moral  von  Ihnen  aufhellen  wird. 

Daß  Herr  Professer  JAKOB  jetzt  hier  Professor  Ordinarius  ge- 
worden, werden  Sie  aus  seinem  Briefe  an  Sie  wahrscheinlich  schon 
erfahren  haben.  Die  Gießener  haben  dem  Magister  SCHMIDT 
die  Vokation  angetragen.    Er  hat  sie  aber,  wie  mir  JAKOB  sagt. 


*)  Über  Jakobs  Hume  s.  S.  3 1 ;  vgl.  ferner  Grundriß  der  allgem. 
Logik  und  kritische  Anfangsgründe  der  Metaphysik,  2.  umgearb.  Aufl., 
Halle  1791 ;  Grundriß  der  Erfahrungsseelenlehre,  Halle  1791 ;  Über 
den  moralischen  Beweis  für  das  Dasein  Gottes,  Libau   1791- 


yon  jfohann   Gottfried  Kiesewetter  jj 

ausgeschlagen,  weil  er  in  Jena  eine  Predigerstelle  und  sonst   gute 
Aussichten  hat. 

Sie  verlangten,  daß  ich  unfrankiert  an  Sie  schreiben  sollte. 
Dann  aber  nehmen  Sie  es  mir  auch  wohl  nicht  übel,  daß  ich 
einen  Brief  an  Herrn  Professor  KRAUS  einlege. 

Herr  Professor  KLÜGEL  empfiehlt  sich  Ihnen.  Er  sagt,  die 
Ursache,  warum  Sie  von  Freunden  und  Gegnern  nicht  verstanden 
werden,  ist,  weil  diese  nicht  Mathematiker  sind. 

Ich  bin  mit  der  lautersten  Hochachtung 

Halle,  der  Ihrige 

den    I.Juni    1791.  Beck. 


257. 

Von  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Berlin,  den    14.  Juni    179 1. 
Teuerster  Herr  Professor, 

Ich  mache  mir  selbst  die  bittersten  Vorwürfe,  daß  ich  in  so 
langer  Zeit  nicht  an  Sie  geschrieben  habe,  und  dies  um  so  mehr, 
da  ich  fürchten  muß,  daß  Sie  böse  auf  mich  sind ;  aber  ich  tröste 
mich  dadurch,  daß  ich  es  von  Ihrer  Güte  dreist  erwarten  kann,  daß 
Sie  mir  vergeben  werden,  wenn  ich  Ihnen  sage,  daß  mein  Still- 
schweigen nicht  aus  Verminderung  meiner  Achtung  und  Liebe 
fiir  Sie  entsprungen  ist.  Es  ist  gewiß  niemand  in  der  Welt,  der 
eine  reinere  und  größere  Liebe  für  Sie  fühlt,  wie  ich,  aber  es 
ist  gewiß  auch  niemand,  der  Ihnen  so  viel  verdankt,  als  ich  Ihnen 
verdanke. 

Herr  NICOLOVIUS,  der  es  gütigst  übernommen  hat,  Ihnen 
diesen  Brief  zu  überbringen,  wird  Ihnen  zugleich  ein  Exemplar 
der  reinen  allgemeinen  Logik  überreichen,  die  in  dieser  Messe 
von  mir  erschienen  ist,  und  die  ich  Ihnen  zugeeignet  habe.^) 
Erschrecken  Sie  nur  nicht  über  die  Stärke  des  Werks,  Sie  erhalten 
ein  Exemplar  auf  starkem  Papier  und  das  vergrößert  das  Volumen 
gewaltig.     Ich  habe  aus  der  Logik  alles  Fremdartige  abzuscheiden 


^)  Grundriß  einer  reinen  allgemeinen  Logik  nach  Kantischen  Grund- 
sätzen, Berlin   1791. 


78  Voti  Johann  Gottfried  Kiesewettet 

gesucht  und  die  Sätze  derselben,  wie  ich  wenigstens  glaube,  in 
eine  strenge  systematische  Ordnung  gebracht.  Dadurch  ist  nun 
freilich  die  Wissenschaft  selbst  sehr  zusammengeschrumpft  (denn 
das  Kompendium  ist,  wie  Sie  sehen  werden,  nur  sechs  Bogen 
stark),  aber  ich  glaube,  daiS  nur  allein  durch  eine  solche  Scheidung 
für  die  Wissenschaft  selbst  etwas  gewonnen  werden  kann.  Daß 
trotz  aller  angewandten  Mühe  noch  immer  vieles  Mangelhafte  an 
diesem  Werke  sich  finden  muß,  bin  ich  überzeugt,  und  ich  er- 
suche Sie  daher  recht  sehr,  wenn  es  Ihnen  die  Zeit  erlaubt,  die 
Schrift  durchzulesen  und  mir  Ihre  Bemerkungen  darüber  gütigst 
mitzuteilen.  —  Eine  Sache  hat  mir  viel  Freude  gemacht;  Herr 
Professor  CÄSAR  in  Leipzig,  der  dort  die  kritische  Philosophie 
vorträgt,  wird  über  mem  Kompendium  Logik  vortragen. 

In  Ansehung  meiner  Lage  ist  keine  Veränderung  vorgegangen. 
Für  den  Sommer  habe  ich  Moral  und  eine  Einleitung  in  die 
Ästhetik  angekündigt;  ob  eins  von  beiden  Kollegien  zustande 
kommen  wird,  weiß  ich  noch  nicht;  auch  werde  ich  nach 
WÖLLNERS  Willen  Logik  unentgeltlich  lesen. 

Daß  Ihre  Moral  diese  Messe  nicht  erschienen  ist,  hat  viel 
Aufsehen  gemacht,  weil  man  sie  sicher  erwartete.  Man  erzählte 
hier  allgemein  (die  Sache  ist  freilich  nur  Erdichtung  und  kann 
nur  Erdichtung  sein),  der  neue  O.  C.  R.  WOLTERSDORF  habe 
es  beim  Könige  dahinzubringen  gewußt,  daß  man  Ihnen  das 
fernere  Schreiben  untersagt  habe,  und  ich  bin  selbst  bei  Hofe 
dieser  Erzählung  halber  befragt  worden.  —  Mit  WOLLNER  habe 
ich  neulich  gesprochen,  er  machte  mich  durch  Lobeserhebungen 
schamrot  und  stellte  sich,  als  wäre  er  mir  sehr  gewogen,  aber 
ich  traue  ihm  gar  nicht.  Man  ist  jetzt  beinahe  überzeugt,  daß 
er  selbst  als  Instrument  von  andren  gebraucht  wird,  die  ihn 
zwingen,  Dinge  zu  tun,  die  er  sonst  nicht  tun  würde. 

Dem  Könige  ist  der  Herr  Jesus  schon  einigemal  erschienen, 
und  man  sagt,  er  werde  ihm  in  Potsdam  eine  eigene  Kirche 
bauen  lassen.  Schwach  ist  er  jetzt  an  Leib  und  Seele,  er  sitzt 
ganze  Stunden  und  weint.  Die  DEHNHOF  ist  in  Ungnade  ge- 
fallen und  zu  ihrer  Schwägerin  gereist,  allein  der  König  hat  schon 
wieder  an  sie  geschrieben  und  sie  wird  wahrscheinlich  bald  zu- 
rückkommen. Die  RIETZ  ist  noch  nicht  ohne  allen  Einfluß. 
BISCHOFSWERDER,  WÖLLNER  und  RIETZ  sind  diejenigen, 
die  den  König  tyrannisieren.  Man  erwartet  ein  neues  Religions- 
edikt  und    der  Pöbel    murrt,   daß  man  ihn  zwingen  will,   in  die 


Von  jfohann  Gottfried  Kiesewetter  79 

Kirche  und  zum  Abendmahl  zu  gehen;  er  fühlt  hierbei  zum  ersten 
Male,  daß  es  Dinge  gibt,  die  kein  Fürst  gebieten  kann,  und  man 
hat  sich  zu  hüten,  daß  der  Funke  nicht  zündet.  Die  Soldaten 
sind  ebenfalls  sehr  unzufrieden.  Im  vergangenen  Jahre  haben  sie 
keine  neue  Kleidung  erhalten,  denn  die  RIETZ  erhielt  das  Geld, 
um  nach  Pyrmont  zu  gehen;  ferner  erhielten  sie  vom  verstorbenen 
Könige  gleich  nach  jeder  Revue  3  gl.  als  ein  don  gratuit,  jetzt 
haben  sie  nur   8  Pf.  erhalten. 

Wir  bauen  hier  Modelle  zu  schwimmenden  Batterien,  setzen 
alles  in  marschfertigen  Stand,  allein  ganz  sicher  wird  man  auch 
diesmal  bloß  mit  unserer  Schatzkammer  Krieg  führen.  Der  tür- 
kische Gesandte,  einer  der  unbedeutendsten  Menschen,  den  ich 
je  gesehen  habe,  ist  immer  noch  hier,  zu  seiner  und  aller  Ennuye. 
Man  spricht  viel  von  einer  Vermählung  des  HERZOGS  VON  YORK 
mit  der  Prinzessin  FRIEDERIKE,  allein  die  Nebenumstände,  die 
man  miterzählt,  machen  die  Sache  unwahrscheinlich;  man  sagt 
nämlich,  der  König  wolle  zwei  Millionen  zur  Tilgung  seiner 
Schulden  geben,  und  ihr  überdies  jähdich  100  000  Rhtlr.  aus- 
zahlen lassen,  da  doch  nach  den  Gesetzen  jede  Prinzessin  nur 
100  000  Rhtlr.  überhaupt  zur  Mitgift  erhält.    — 

Aber  was  habe  ich  Ihnen  doch  alles  vorgeschwatzt,  Dinge, 
die  Sie  entweder  zu  wissen  nicht  begierig  sind,  oder  die  Sie 
schon  wissen;  aber  nur  die  Mutmaßung,  daß  Sie  dies  interessieren 
könnte,  hat  mich  vermocht,  Ihnen  dies  zu  schreiben. 

Literarische  Neuigkeiten  weiß  ich  nicht,  wenigstens  keine 
solche,  die  Ihnen  nicht  durch  die  gelehrten  Zeitungen  bekannt 
sein  sollten.  SNELL  hat  eine  Erläuterung  Ihrer  Kritik  der  ästheti- 
schen Urteilskraft  geliefert,  die  meines  Erachtens  vortrefflich  ist. 
SPATZIER  hat  einen  Auszug  aus  der  Kritik  der  teleologischen 
Urteilskraft  gehefert,  die  aber  bei  weitem  nicht  so  gut  ge- 
raten   ist.  ^) 

Und  nun,  teuerster  Herr  Professor,  leben  Sie  recht  wohl  und 
glücklich.  Unendlich  würde  ich  mich  freuen,  wenn  Sie  mir 
Nachricht  von  Ihrem  Befinden  erteilten.     Herrn  Dr.  JACHMANN 

^)  F.  W.  D.  Snell,  Darstellung  und  Erläuterung  der  Kant.  Kritik 
der  Urteilskraft,  2  Th.,  Gießen  und  Mannheim  1791  f.;  Spazier,  Ver- 
such einer  kurzen  und  faßlichen  Darstellung  der  teleolog.  Prinzipien. 
Ein  Auszug  aus   Kants  Kritik  der   teleologischen  Urteilskraft,    Neuwied 

1791- 


8o  Von  jfohann   Gottfried  Kiesewetter 

und  seinem  Bruder  machen   Sie  recht  viel  Empfehlungen  von  mir. 
—  Ich  umarme  Sie  in  Gedanken  und  bin 

Ihr 
Sie  innig  liebender  Freund  und  Diener 
J.  G.  C.  Kiesewetter. 


258. 

Von  Johann   Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Berhn,  den   3.  Juli    1791. 
Teuerster  Herr  Professor, 

Herr  LA  GARDE  hat  mir  die  unangenehme  Nachricht  hinter- 
bracht, daß  Sie,  wie  ihm  Herr  D.  BIESTER  erzählt,  auf  ihn  und 
mich  sehr  ungehalten  sind,  daß  ich  diese  Messe  in  seinem  Ver- 
lage ein  Lehrbuch  einer  reinen  allgemeinen  Logik  nach  Ihren 
Grundsätzen  herausgegeben  habe,  und  ich  versichre  Sie,  daß  diese 
Nachricht  mich  ganz  erschüttert  hat.  —  Ein  Mann,  den  ich  so 
aufrichtig  verehre  und  liebe,  ist  mit  meinem  Betragen  nicht  zu- 
frieden, ist  sogar  ungehalten  auf  mich  —  Sie  können  glauben, 
daß  mich  das  schmerzen  mußte.  Allein  ich  bin  mir  keines  Ver- 
gehens bfc,vußt,  und  je  länger  ich  über  die  Sache  nachdenke, 
desto  mehr  leuchtet  es  mir  ein,  daß  hier  ein  bloßes  Mißverständnis, 
welches  ich  freilich  trotz  alles  Nachdenkens  nicht  herausbringen  kann, 
zum  Grunde  liegen  muß.  Erlauben  Sie  daher,  daß  ich  Ihnen 
die  ganze  Sache  vortrage,  Sie  als  ein  so  billig  denkender  Mann 
werden  sodann  gewiß  finden,  daß  mich  auch  nicht  einmal  der 
Schein  eines  Vergehens  treffen  kann. 

Schon,  als  ich  noch  in  Halle  war,  faßte  ich  den  Entschluß, 
den  Versuch  zu  machen,  nach  Ihrer  Angabe  eine  reine  allgemeine 
Logik  zu  schreiben  und  ich  arbeitete  auch  schon  damals  über 
mehrere  einzelne  Gegenstände  derselben  etwas  aus.  Diese  wenigen 
Blätter  brachte  ich  nach  Königsberg  mit.  Ich  erzählte  Ihnen,  daß 
ich  in  Berlin  Vorlesungen  über  Logik  zu  halten  gesonnen  sei 
und  daß  ich  zu  diesem  Behuf  in  der  Folge  einige  Bogen  drucken 
lassen  wollte;  fragte  Sie  eben  damals,  was  für  ein  Lehrbuch  Sie 
wohl  unterdessen  für  das  Beste  hielten,  und  Sie  gaben  mir  (dies 
steht  alles  noch  lebhaft  in  meinem  Gedächtnis)  zur  Antwort,  daß 
Sie,  wie  ich  wüßte,  Logik  nach  MAIER   läsen,   daß  Sie  aber  mit 


Von  jfohann  Christian  Kiesewetter  8i 

diesem  Lehrbuch  nicht  zufrieden  wären.  Ich  arbeitete  noch  in 
Königsberg  den  größten  Teil  der  Hefte  zu  diesen  logischen  Vor- 
lesungen aus,  las  Ihnen  mehremal  Stücke  derselben  zur  Beurteilung 
vor,  und  Sie  \varen  so  gütig,  sich  mit  mir  darüber  zu  unterhalten 
und  meine  Vorstellungen  zu  berichtigen,  dies  war  zum  Beispiel 
der  Fall  bei  der  Einteilung  der  Begriffe  nach  den  Tafeln  der 
Kategorien,  bei  der  Einteilung  der  Schlüsse  in  Verstandesschlüsse, 
in  Schlüsse  der  Urteilskraft  und  der  Vernunft  usw.,  ja  Sie  waren 
so  gütig,  mir  Materialien  zu  einer  Einleitung  in  die  Logik  zu 
diktieren.  —  Ich  ging  nach  Berlin  und  las  zweimal  Logik  nach 
meinen  Heften;  aber  meine  Zuhörer  w^ollten  einen  Leitfaden 
haben,  und  ob  ich  ihnen  gleich  das  Lehrbuch  des  Herrn  Professor 
JAKOB  dazu  vorschlug  und  von  diesem  auch  mehrere  Exemplare 
von  Halle  kommen  ließ,  so  waren  sie  doch  nicht  damit  zufrieden, 
weil  sein  Gang  und  der  raeinige  verschieden  waren  und  lagen 
mich  an,  meine  Hefte  drucken  zu  lassen.  Ich  sprach  vorläufig 
deshalb  mit  Herrn  LA  GARDE,  ohne  doch  etwas  Gewisses  fest- 
zusetzen und  daher  kam  es,  daß  mein  Buch  vergangene  Michaelis- 
messe nicht  unter  die  zukünftigen  Bücher  angekündigt  wurde. 
Als  ich  vergangene  Michaelis  nach  Königsberg  kam,  um  Sie  zu 
besuchen,  nahm  ich  meine  Hefte  mit,  und  legte  Ihnen  noch  über 
mehrere  Gegenstände,  die  ich  bei  der  Ausarbeitung  mir  nicht 
ganz  hatte  entwickeln  können,  Fragen  vor,  die  Sie  mir  gütigst 
beantworteten.  —  Konnte  ich  also  nicht  mit  Wahrheit  sagen, 
daß  ich  Ihnen  einen  großen  Teil  der  Materialien  zu  dieser  Schrift 
verdanke,  daß  Sic  einen  Teil  dieser  Arbeiten  kennen  und  würde 
ich  nicht  undankbar  gegen  Sic  gewesen  sein,  wenn  ich  das  Be- 
kenntnis nicht  freimütig  getan  hätte,  daß  das  wenige  Gute,  was 
etwa  in  dem  Buche  sei,  Ihnen  angehöre?  —  Heimlich  habe  ich 
die  Herausgabe  eines  Lehrbuchs  der  r.[einen]  a.[llgemeinen]  Logik 
nie  gehalten,  ich  habe  mit  Herrn  Hofprediger  SCHULZ  und  mit 
Herrn  Mag.  GENSICHEN  cft  über  diesen  Punkt  gesprochen,  und 
warum  sollte  ich  auch  ein  Geheimnis  daraus  machen?  Ist  es 
denn  etwa  unerlaubt,  den  Versuch  zu  wagen,  eine  reine  allg. 
Logik  nach  Ihren  Grundsätzen  zu  verfertigen  und  dem  Publico 
zur  Prüfung  vorzulegen,  selbst  wenn  ich  dergleichen  auch  nicht 
als  Lehrbuch  gebraucht  hätte,  hat  Herr  Professor  JAKOB,  Herr 
Adj.  SCHMIDT,  Herr  Prof.  HUFELAND  mit  mehreren  Teilen 
des  dogmatischen  Teils  Ihres  Systems  nicht  dasselbe  getan?  Allein 
wenn  ich  auch  annehme,    daß  Sie  vergessen  hätten,  oder  daß  es 

Kant*  Schriften.  Bd.  X.  6 


82  Fow  Johann  Christian  Kiesewetter 

Ihnen  entgangen  sei,  daß  ich  Ihnen  gesagt  habe,  ich  sei  willens, 
dereinst  einige  Bogen  über  die  r.  a.  Log.  herauszugeben,  so  seh»^ 
ich  doch  noch  nicht  ein,  was  Sie  ungehalten  machen  könnte. 
Ich  habe  ja  nicht  Hefte  von  Ihnen  drucken  lassen,  dazu  bedurfte 
ich  Ihrer  Erlaubnis,  das  Ganze  ist  ja  meine  Arbeit,  wie  können 
Sic  über  den  Druck  derselben  böse  sein?  Ich  wußte  wohl,  daß 
Sie  nach  Jahren  den  dogmatischen  Teil  Ihres  Systems  und  also 
auch  eine  Logik  herausgeben  würden,  aber  das  war  nach  Jahren, 
ich  machte  einen  vorläufigen  Versuch,  wie  Herr  JAKOB  dies  bei 
der  Log.  und  Metaph.,  Herr  SCHMIDT  bei  der  Moral  und  Herr 
HUFELAND  beim  Naturrecht')  getan  hatte,  müßte  ich  nicht  der 
albernste  Mensch  sein,  wenn  ich  mir  einbilden  könnte,  ich  könnte 
Ihnen  vorgreifen?  —  Daß  ich  auch  nicht  entfernt  etwas  Unrechts 
in  der  Herausgabe  meines  Lehrbuchs  gesehen  habe,  erhellt  daraus, 
daß  ich  mich  als  Verfasser  genaimt,  ja  es  Ihnen  sogar  zugeeignet 
habe;  konnte  ich  das,  wenn  ich  die  Herausgabe  des  Werks  für 
unrecht  hielt? 

Der  einzige  Fehler,  den  ich  begangen  habe,  der  mir  aber 
wahrlich  nicht  zuzurechnen  ist,  besteht  darin,  daß  ich  Ihnen  das 
Dedikationsexemplar  so  spät  geschickt  habe,  daß  Sie  weit  eher 
ein  ander  Exemplar  in  die  Hände  bekamen,  aber  ich  erhielt  das 
Dedikationsexemplar  erst  in  der  zweiten  Meßwochc  vom  Herrn 
LA  GARDE,  das  Binden  nahm  auch  Zeit  weg,  darübel  kam  Herr 
NICOLOVIUS  nach  Berlin,  und  ich  nutzte  diese  Gelegenheit,  es 
ihm  mitzugeben. 

Dies  die  Erzählung  des  ganzen  Vorfalls,  und  ich  bin  versichert, 
Sie  werden  überzeugt  werden,  daß  auch  kein  Schein  von  Schuld 
für  mich  und  Herrn  LA  GARDE  übrigbleibt.  —  Ich  ersuche 
Sie  daher,  würdiger  Mann,  ich  beschwöre  Sie,  mir  zu  melden, 
wodurch  Sie  sich  von  mir  beleidigt  halten,  damit  ich  mich  recht- 
fertigen kann,  denn  ich  will  lieber  alles  in  der  Welt  als  Ihre 
Achtung,  die  mir  unschätzbar  ist,  verlieren.  Wie  konnten  Sie 
auch  nur  einen  Augenblick  voraussetzen,  daß  ich,  der  ich  Ihnen 
so  sehr  verbunden  bin,  die  Absicht  haben  konnte,  Sie  auch  nur 
durch  die  geringste  Kleinigkeit  kränken  zu  wollen.  —  Ich  muß 
Sie    um  so  mehr  um  die  Auflösung   des  Rätsels  bitten,  da  mein 

^)  Über  Jakob  und  Schmid  s.  früher;  Hufelands  Lehrsätze  des 
Naturrechts  und  der  damit  verbundenen  Wissenschaften  sind  Jena  1790 
erschienen. 


Von  Fraulein  Maria  von  Herbert  83 

ganzer  Ruf  davon  abhängt;  Sie  sind  aber  zu  gerecht,  als  daß 
Sie  wollen  könnten,  daß  mir  ohne  Verteidigung  etwas  zuschulden 
käme. 

Ich  habe  vom  Herrn  Kapellmeister  REICHARD  schon  seit 
einiger  Zeit  den  Auftrag,  Ihnen  ein  Kästchen  mit  Landkarten  zu 
schicken,  und  ich  habe  immer  auf  Gelegenheit  gehofft,  da  ich 
aber  keine  finden  kann,  so  sehe  ich  mich  genötigt,  sie  Ihnen 
mit  einem  Frachtfuhrmann  zu  schicken,  und  ich  denke,  daß  sie 
noch  diese  Woche  abgehen  w^erden. 

Ich  bitte  Sie  nochmals  inständigst,  mir  Ihre  Gewogenheit  nicht 
zu  entziehen,  Sie  können  gewiß  versichert  sein,  daß  es  mir  nie, 
auch  nur  entfernt  in  den  Sinn  gekommen  ist,  etwas  zu  tun,  was 
Ihnen  mißfällig  sein  könnte.  Ich  werde  gewiß  so  lange  in  einer 
ängstlichen  Ungewißheit  schweben,  bis  Sie  mir  gütigst  antworten 
und  mir  sagen,  daß  Sie  noch  mein  Freund  sind.  Ich  bin  mit 
aller  Hochschätzung 

Ihr 
aufrichtiger  Verehrer 

J.  G.  C.  Kiesewetter. 


2^p. 

Von  Fräulein  Maria  von  Herbert. 

Großer  Kant.  [August   1791.] 

Zu  dir  rufe  ich  wie  ein  gläubiger  zu  seinen  Gott  um  Hilf, 
um  Trost,  oder  um  Bescheid  zum  Tod,  hinlänglich  waren  mir 
deine  Gründe  in  deinen  Werken  vor  das  künftige  seyn,  daher 
meine  Zuflucht  zu  dir,  nur  vor  dieses  leben  fand  ich  nichts,  gar 
nichts,  was  mir  mein  verlohrnes  Gut  ersezen  könnt,  den  ich  liebte 
einen  gegenständ  der  in  meiner  Anschauung  alles  in  sich  faste, 
so  das  ich  nur  vor  ihn  lebte  er  war  mir  ein  gegensaz  vor  das 
übrüge,  dan  alles  andere  schien  mir  ein  Tand  und  alle  Menschen 
waren  vor  mich  wie  auch  wirklich  wie  ein  gwasch  ohne  inhalt, 
nun  diesen  gegenständ  hab  ich  durch  eine  langwirige  lug  be- 
leidigt, die  ich  ihn  jezt  entekte,  doch  war  vür  mein  karaktcr 
nichts  nachteihliges  darin  enthalten,  dan  ich  habe  kein  laster  in 
meinem  leben  zu  verschweigen  gehabt,  doch  die  lug  allein  war 
ihn  genug,  und  seine  liebe  verschwand,  er  ist  ein  Ehrlicher  Maim, 

6* 


84  yon  Ludwig  Ernst  Borouoski 

darum  versagt  er  mir  nicht  Freindschaft  und  treu^  aber  dasjenige 
innige  gefühl  welches  uns  ungerufen  zu  einander  fürte  ist  nicht 
mehr,  o  mein  Herz  springt  in  Tausend  stük,  wen  ich  nicht  schon 
so  viel  von  ihnen  gelesen  hätte,  so  häte  ich  mein  leben  gewis 
schon  mit  gewalt  geändet,  so  aber  haltet  mich  der  schlus  zurük 
den  ich  aus  ihrer  Tehorie  ziehen  muste,  das  ich  nicht  sterben 
soll,  wegen  meinen  quelendcn  leben,  sondern  ich  solt  leben  wegen 
meinen  daseyn,  nun  sezen  sie  sich  in  meine  lag  und  geben  sie 
mir  trost  oder  vcrdamung,  metaphisik  der  Sitten  hab  ich  gelesen 
samt  den  Kategorischen  imperatif,  hilft  mir  nichts,  meine  Vernunft 
verlast  mich  wo  ich  sie  am  besten  brauch  eine  antwort  ich  be- 
schwöre dich,  oder  du  kanst  nach  deinen  aufgeseten  imperatif 
selbst  nich  handln  — 


z6o. 
Von  Ludwig  Ernst  Borowski. 

Euer  Wohlgebornen  händige  ich  in  der  Anlage  den  sonder- 
baren Brief  der  MARIA  HERBERT  aus  Klagenfurt  in  gehor- 
samster Ergebenheit  ein,  den  ich  gestern,  da  das  letzte  Gespräch 
mit  Euer  Wohlgebornen  mir  so  sehr  interessant  ward,  aus  Ver- 
schen in  die  Tasche  gesteckt  hatte,  wo  ich  ihn  beim  Auskleiden 

fand. Und  wenn  Euer  Wohlgebornen  dem  zerrissenen  Herzen 

Ihrer  Korrespondentin  auch  nur  bloß  durch  Ihre  Antwort  einige 
Zerstreuung  und  Ablenkung  ihres  Herzens  von  dem  Gegenstande, 
an  den  sie  gefesselt  ist,  für  einige  Tage  —  vielleicht  aber  auch 
durch  Ihre  ernste  Belehrungen  für  immer,  gewähren:  so  bewirken 
Sie  wahrlich  schon  sehr  was  Großes  und  Gutes.  Eine  Person, 
die  doch  auch  nur  Lust  hat,  Ihre  Schriften  zu  lesen  —  die  eine 
solche  Stärke  des  Vertrauens,  einen  solchen  Glauben  an  Sie  hat 
—  ist  doch  immer  einiger  Achtung  von  Ihnen  und  des  Ver- 
suches, sie  zu  beruhigen,  wert. 

Ich  bin  mit  der  ausgezeichnetsten  Verehrung 

Euer  Wohlgebornen 

[Das   Übrige  mit  Vntcrschrift  und  Datum  ist  vjeggeschnitten.] 


An  F.  Th.  de  la  Garde.  —   Von  Johann  Gottlieh  Fichte    85 

An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Hochedelgeborner 

Hochzuehrender  Herr! 

Zum  Behuf  der  Revision  der  Kritik  der  U.  Kr.  für  eine  zweite 
Auflage  haben  mir  Euer  Hochedelgeboren  in  Ihrem  Geehrtesten 
vom  5.  Juli  c.  ein  mit  weißem  Papier  durchschossenes  Exemplar 
versprochen,  welches  ich  hiemit,  so  bald  als  möglich  mir  zu- 
kommen zu  lassen,  bitte. 

Der  Gedanke,  daß  Euer  Hochedelgeboren  vielleicht  darum 
gewußt  hätten,  daß  Herr  M.  KIESEWETTER,  ohne  mich  um 
meine  Einwilligung  befragt  zu  haben,  in  Ihrem  Verlage  eine  Logik 
herausgegeben,  fallt  dadurch  gänzlich  weg,  daß  Euer  Hochedel- 
geboren von  ihm,  vor  seiner  Reise  des  vorigen  Sommers  nach 
Königsberg,  vernommen  haben,  er  wolle  es  mir  bei  seiner  An- 
wesenheit allhier  kommunizieren.  Daß  er  es  aber  doch  nicht 
getan  hat,  dient  auch  mir  zu  einiger  Entschuldigung,  wie  wohl 
der  Unwille  sich  leicht  weiter  verbreitet  als  er  befugt  ist.  Sonst 
ist  Ihr  Charakter  allgemein  so  rühmHch  bekannt,  daß  ich  auch 
hier  keinen  ihn  treffenden  Verdacht  in  Gedanken  gehabt  habe. 

Ich  beharre  übrigens  mit  vollkommener  Hochachtung 

Euer  Hochedelgeboren 
Königsberg,  ganz  ergebenster  Diener 

den   2.  Aug.  1791.  I.Kant. 

262. 
Von  Johann  Gottlieb  Fichte. 

[18.  August  179 1.] 

Verehrungswürdiger  Mann, 
Denn  andre  Titel  mögen  für  die  bleiben,  denen  man  diesen 
nicht  aus  der  Fülle  des  Herzens  geben  kann.  —  Ich  kam  nach 
Königsberg,  um  den  Mann,  den  ganz  Europa  verehrt,  den  aber 
gewiß  in  ganz  Europa  wenig  Menschen  so  lieben,  wie  ich,  näher 
kennen  zu  lernen.  Ich  stellte  mich  Ihnen  dar.  Erst  später  be- 
dachte ich,  daß  es  Vermessenheit  sei,  auf  die  Bekanntschaft  eines 


86  Von  Johann  Gottlieb  Fichte 

solchen  Mannes  Anspruch  zu  machen,  ohne  die  geringste  Befugnis 
dazu  aufzuweisen  zu  haben.  Ich  hätte  Empfehlungsschreiben  haben 
können.  Ich  mag  nur  diejenigen,  die  ich  mir  selbst  mache.  Hier 
ist  das  meinige. 

Es  ist  mir  schmerzhaft,  es  Ihnen  nicht  mit  dem  frohen  Be- 
wußtsein übergeben  zu  können,  mit  dem  ich  mir's  dachte.  Es 
kann  dem  Manne,  der  in  seinem  Fache  alles  tief  unter  sich  er- 
blicken muß,  was  ist,  und  was  war,  nichts  Neues  sein,  zu  lesen, 
w^as  ihn  nicht  befriedigt;  und  wir  andern  alle  werden  uns  ihm, 
wie  der  reinen  Vernunft  selbst  in  einem  Menschenkörper,  nur 
mit  bescheidner  Erwartung  seines  Ausspruchs  nahen  dürfen.  Es 
würde  vielleicht  mir,  dessen  Geist  in  mancherlei  Labyrinthen 
hcrumirrte,  ehe  ich  ein  Schüler  der  Kritik  wurde,  der  ich  dies 
erst  seit  sehr  kurzer  Zeit  bin,  und  dem  seine  Lage  nur  einen 
kleinen  Teil  dieser  kurzen  Zeit  diesem  Geschäfte  zu  widmen 
erlaubt  hat,  von  einem  solchen  Manne  und  von  meinem  Gewissen 
verziehen  werden,  wenn  meine  Arbeit  auch  noch  unter  dem  Grade 
der  Erträglichkeit  wäre,  auf  welchem  der  Meister  das  Beste  erblickt. 
Aber  kann  es  mir  verziehen  werden,  daß  ich  sie  Ihnen  übergebe, 
da  sie  nach  meinem  eignen  Bewußtsein  schlecht  ist?  Werden  die 
derselben  angehängten  Entschuldigungen  mich  wirklich  entschul- 
digen? Der  große  Geist  würde  mich  zurückgeschreckt  haben, 
aber  das  edle  Herz,  das  mit  jenem  vereint  allein  fähig  war,  der 
Menschheit  Tugend  und  Pflicht  zurückzugeben,  zog  mich  an. 
Über  den  Wert  meines  Aufsatzes  habe  ich  das  Urteil  selbst  ge- 
sprochen: ob  ich  jemals  etwas  Besseres  liefern  werde,  darüber 
sprechen  Sie  es.  Betrachten  Sie  es  als  das  Empfehlungsschreiben 
eines  Freundes,  oder  eines  bloßen  Bekannten,  oder  eines  gänzlich 
Unbekannten,  oder  als  gar  keins.  Ihr  Urteil  wird  immer  gerecht 
sein.  Ihre  Größe,  vortrefflicher  Mann,  hat  vor  aller  gedenkbaren 
menschlichen  Größe  das  Auszeichnende,  das  Gottähnliche,  daß 
man  sich  ihr  mit  Zutrauen  nähert. 

Sobald  ich  glauben  kann,  daß  Dieselben  diesen  Aufsatz  gelesen 
haben,  werde  ich  Ihnen  persönlich  aufwarten,  um  zu  erfahren, 
ob  ich  mich  ferner  nennen  darf 

Euer  Wohlgeboren 

innigsten  Verehrer 
Johann  Gottlieb  Fichte.') 

^)  Fichte  war  auf  der  Rückreise  von  Warschau,  wo  er  kurze  Zeit 
als  Hauslehrer    tätig  war,    am   i.Juli  1791   in  Königsberg   eingetroffen. 


Von  Johann  Gottlieb  Fichte  87 

Von  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Wohlgcborner  Herr  [2.  September  179 1.] 

Höchstzuverehrender  Herr  Professor, 

Kuer  Wohlgeborn  verzeihen  gütigst,  daß  ich  abermals  lieber 
schriftlich  als  mündlich  mit  Ihnen  reden  will. 

Dieselben  haben  mich  mit  einer  gütigen  Wärme  empfohlen, 
um  die  ich  nicht  gew^agt  hätte,  Sie  zu  bitten;  eine  Großmut,  die 
meine  Dankbarkeit  unendhch  vermehrt,  und  mir  Mut  macht, 
mich  Euer  Wohlgeborn  ganz  zu  entdecken;  welches  ich  in  Absicht 
Ihres  Charakters  zwar  auch  vorher  wagen,  aber  ohne  eine  nähere 
Erlaubnis  von  Ihnen  mir  nicht  verstatten  durfte,  ein  Bedürfnis, 
das  derjenige,  der  sich  nicht  gern  jedermann  entdeckt,  gegen  den 
ganz  guten  Charakter  doppelt  fühlt. 

Zuerst  erlauben  mir  Euer  Wohlgeborn,  zu  versichern,  daß 
mein  Entschluß  lieber  nach  Königsberg,  als  sogleich  zurück  nach 
Sachsen  zu  gehen,  zwar  insofern  eigennützig  war,  daß  ich  das 
Bedürfnis,  dem  Manne,  dem  ich  alle  meine  Überzeugungen  und 
Grundsätze,  dem  ich  meinen  Charakter  bis  auf  das  Bestreben, 
einen  haben  zu  wollen,  verdanke,  einen  Teil  meiner  Empfindungen 
zu  entdecken,  befriedigen,  so  viel  in  kurzer  Zeit  möglich,  Sie 
benutzen,  und  wenn  es  sein  könnte,  mich  Ihnen  für  meine  et- 
wanige  künftige  Laufbahn  vorteilhaft  empfehlen  wollte;  daß  ich 
aber  ein  so  gegenwärtiges  Bedürfnis  Ihrer  Güte  nicht  voraussetzen 
konnte,  weil  ich  mir  teils  Königsberg  so  reich,  und  noch  reicher 
an  Hilfsmitteln,  als  zum  Beispiel  Leipzig  vorstellte,  teils  im  äußersten 
Falle  durch  einen  Freund,  der  in  einem  angesehnem  Amte  in  Riga 
steht,  von  hier  aus  in  Livland  unterzukommen  glaubte.  —  Ich 
glaube  diese  Versicherung  teils  mir  selbst  schuldig  zu  sein,  um 
auf  Empfindungen,  die  rein  aus  meinem  Herzen  flössen,  keinen 
Verdacht  eines  niedern  Eigennutzes  zu  lassen;  teils  Ihnen,  wenn 
ein  freier  ofFeiier  Dank  des  durch  Sie  Unterrichteten  und  Ge- 
besserten Ihnen  lieb  ist. 


Über  seinen  dortigen  Aufenthalt  und  sein  Verhältnis  zu  Kant  finden 
sich  nähere  Nachrichten  in  seinem  Tagebuch  aus  dieser  Zeit  (Fichtes 
Leben  und  literarischer  Briefwechsel,  hrsg.  von  J.  H.  Fichte,  I,  iipfF.). 
Die  Schrift,  die  Fichte  an  Kant  übersendet,  ist  sein  „Versuch  einer 
Kritik  aller  Offenbarung". 


88  Von  Johami  Gottlieh  Fichte 

Ich    habe   das    Geschäft    des    Hauslehrers  fünf  Jahre   lang  ge- 
trieben und  die  Unannehmlichkeit  desselben,  Unvollkommenheiten 
sehen  zu  müssen,  die  von  wichtigen  Folgen  sind,  und  an  dem  Guten, 
das  man  stiften  könnte,  kräftig  verhindert  zu  werden,  so  empfunden, 
daß  ich  es  nunmehr  vor  eineinhalb  Jahre  auf  immer   aufzugeben 
glaubte;   und  daß  ich  ängstlich  werde,    wenn    ein  wohlwollender 
Mann    es    übernimmt,    mich    zu    diesem    Geschäfte   zu  empfehlen, 
indem    ich    befürchten    muß,    daß   es  nicht   ganz  zu  seinem  Ver- 
gnügen ausschlagen  möchte.     Ich  ließ  mich  durch  die  wenig  ge- 
gründete   HoflFnung,    es    einmal    besser    anzutreflPen,   und  vielleicht 
unmerklich  durch  Aussicht  auf  Geldvorteil  und  Größe   ohne  ge- 
hörige   Überlegung    hinreißen,     dies     Geschäft    noch    einmal    in 
Warschau    zu    übernehmen;    ein   Entschluß,  dessen  Vereitlung  ich 
nach    Entwicklung    der  Verlegenheiten,    in    denen    ich   jetzo    bin, 
segnen  werde.     Ich   fühle   dagegen   das   Bedürfnis,   alles  das,  was 
zu    frühes    Lob    gütiger    aber    zu  wenig  weiser  Lehrer,   eine  fast 
vor  dem  Übertritte  ins  eigentliche  Jünglingsalter  durchlaufene  aka- 
demische Laufbahn,  und  seitdem  die  beständige  Abhängigkeit  von 
den    Umständen    mich    versäumen    ließen,    nachzuholen,    ehe    die 
Jahre  der   Jugend   vollends   verfliegen,    mit  Aufgebung    aller    ehr- 
geizigen Ansprüche,  die  mich  eben  zurückgesetzt  haben,  mich  zu 
allem  zu  bilden,  wozu  ich  tüchtig  werden  kann,  und  das  übrige 
den    Umständen    zu    überlassen,    täglich    stärker.      Diesen    Zweck 
kann  ich  nirgends   sichrer   erreichen,    als    in    meinem  Vaterlande. 
Ich  habe  Eltern,   die   mir   zwar   nichts   geben  können,  bei  denen 
ich  aber  doch  mit  geringem  Aufwand  leben  kann.     Ich  kann  da 
mich    mit    schriftstellerischen    Arbeiten    beschäftigen    (das    wahre 
Mittel  der  Ausbildung  für  mich,    der    ich   alles   in    mich  hinein- 
schreiben   muß,  und    der    ich    zu  viel  Ehrliebe    habe,   um   etwas 
zum  Druck  zu  geben,  worüber  ich  nicht  selbst  völlig  gewiß  bin) 
und    eben    beim    Aufenthalte    in    meiner    vaterländischen    Provinz 
(der  Ober-Lausitz)   am  ehsten    und    leichtesten    durch    eine  Dorf- 
pfarre die  völlige  literarische  Muße  erhalten,  die  ich  bis  zu  meiner 
völligen    Reife    wünsche.     Das   Beste    für    mich    scheint   also,    in 
mein  Vaterland  zurückzugehen.      Hierzu  aber  sind  mir  die  Mittel 
abgeschnitten.      Ich  habe  noch  zwei  Dukaten,  und  diese  sind  nicht 
mein,    denn  ich  habe  sie  für  Miete   und  dergleichen  zu  bezahlen. 
Es   scheint  also  kein  Mittel  übrig  zu  sein,  mich  zu  retten,  wenn 
sich  nicht  jemand  findet,  der  mir  Unbekannten,  bis  auf  die  Zeit, 
da   ich  sicher  rechnen  kann,  wieder  zu  bezahlen,  das  ist  bis  Ostern 


Von  Johann   Gottlieb  Fichte  89 

künftigen  Jahrs,  gegen  Verpfändung  meiner  Ehre,  und  im  festen 
Vertrauen  auf  dieselbe,  die  Kosten  der  Rückreise  vorstrecke.  Ich 
kerme  niemanden,  dem  man  dieses  Pfand,  ohne  Furcht,  ins  Gesicht 
gelacht  zu  bekommen,  anbieten  dürfte,  als  Sie,  tugendhafter 
Mann. 

Ich  habe  die  Maxime,  niemanden  etwas  anzumuten,  ohne 
untersucht  zu  haben,  ob  ich  selbst  vernünftigerweise  bei  um- 
gekehrtem Verhältnisse  eben  das  für  jemand  tun  könnte;  und 
habe  in  gegenwärtigem  Falle  gefunden,  daß  ich,  die  physische 
Möglichkeit  vorausgesetzt,  es  für  jeden  tun  würde,  dem  ich  die 
Grundsätze  sicher  zutrauen  könnte,  von  denen  ich  wirklich  durch- 
drungen bin. 

Ich  glaube  so  sicher  an  eine  eigentliche  Hingebung  der  Ehre 
zum  Pfände,  daß  ich  durch  die  Notwendigkeit  etwas  auf  sie  ver- 
sichern zu  müssen,  einen  Teil  derselben  zu  verlieren  glaube;  und 
die  tiefe  Beschämung,  die  mich  dabei  betrifft,  ist  Ursache,  daß 
ich  einen  Antrag  von  gegenwärtiger  Art  nie  mündlich  machen 
kann,  da  ich  niemand  zum  Zeugen  derselben  wünsche.  Meine 
Ehre  scheint  mir  so  lange,  bis  das  bei  derselben  geschehene  Ver- 
sprechen erfüllt  ist,  wirklich  problematisch,  weil  es  dem  andern 
Teile  immer  möglich  ist,  zu  denken,  ich  werde  es  nicht  erfüllen. 
Ich  weiß  also,  daß,  wenn  Euer  Wohlgeborn  meinen  Wunsch 
erfüllen  sollten,  ich  zwar  immer  mit  inniger  Verehrung  und 
Dankbarkeit,  aber  doch  mit  einer  Art  von  Beschämung  an  Sie 
zurückdenken  werde,  und  daß  das  völlig  freudige  Andenken  einer 
Bekanntschaft,  die  ich  bestimmte,  mir  lebenslang  wohl  zu  machen, 
mir  nur  dann  möglich  sein  wird,  werm  ich  mein  Wort  werde 
gelöst  haben.  Diese  Gefühle  kommen  aus  dem  Temperamente, 
ich  weiß  es,  und  nicht  aus  Grundsätzen,  und  sie  sind  vielleicht 
fehlerhaft;  aber  ich  mag  sie  nicht  ausrotten,  bis  die  völlige  Festig- 
keit der  letztern  mir  diese  Ergänzung  derselben  ganz  entbehrlich 
macht.  Insoweit  aber  kann  ich  mich  auch  auf  meine  Grundsätze 
verlassen,  daß,  wenn  ich  fähig  sein  sollte,  mir  ein  Ihnen  ge- 
gebenes Wort  nicht  zu  halten,  ich  mich  zeitlebens  verachten,  und 
scheuen  müßte,  einen  Blick  in  mein  Inneres  zu  tun,  Grundsätze, 
die  mich  stets  an  Sie,  und  an  meine  Ehrlosigkeit  erinnerten,  auf- 
geben müßte,  um  mich  der  peinlichsten  Vorwürfe  zu  entledigen. 

Dürfte  ich  eine  solche  Denkungsart  bei  jemanden  vermuten, 
so  würde  ich  das,  wovon  die  Rede  ist,  sicher  für  ihn  tun;  wie 
aber,  und   durch  welche  Mittel  ich  mich,   wenn   ich  an  Ihrer 


po  Von  Johann  Gonlieb  Fichte 

Stelle  wäre,  von  der  Anwesenheit  einer  solchen  Denkungsart  bei 
mir  überzeugen  könnte,  ist  mir  nicht  eben  so  klar. 

Ich,  verehrungswürdiger  Mann,  schloß,  wenn  es  mir  erlaubt 
ist,  sehr  Großes  mit  sehr  Kleinem  zu  vergleichen,  aus  Ihren 
Schriften  mit  völliger  Zuversicht  auf  einen  musterm'aßigen  Cha- 
rakter, und  ich  würde,  auch  noch  ehe  ich  das  geringste  von 
Ihrer  Handlungsart  im  bürgerlichen  Leben  wußte,  alles  verwettet 
haben,  daß  es  so  sei.  Von  mir  habe  ich  Ihnen,  jedoch  zu  einer 
Zeit,  da  es  mir  noch  gar  nicht  einfiel,  je  so  einen  Gebrauch  von 
Ihrer  Bekanntschaft  zu  machen,  nur  eine  Kleinigkeit  vorgelegt, 
und  mein  Charakter  ist  wohl  noch  nicht  fest  genug,  um  sich  in 
allem  abzudrücken;  aber  dafür  sind  Euer  Wohlgeborn  auch  ein 
ohne  Vergleich  größrer  Menschenkenner,  und  erblicken  vielleicht 
auch  in  dieser  Kleinigkeit  Wahrheitsliebe  und  Ehrlichkeit,  wenn 
sie  in  meinem  Charakter  sind. 

Endlich  —  und  dies  setze  ich  beschämt  hinzu  —  ist,  wenn 
ich  fähig  sein  sollte,  mein  Wort  nicht  zu  halten,  auch  meine 
Ehre  vor  der  Welt  in  Ihren  Händen.  Ich  denke  unter  meinem 
Namen  Schriftsteller  zu  werden;  ich  werde  Sie,  wenn  ich  zurück- 
reisen sollte,  um  Empfehlungsschreiben  an  einige  Gelehrte  bitten. 
Diesen,  deren  gute  Meinung  ich  dann  Ihnen  dankte,  meine  Ehr- 
losigkeit zu  melden,  wäre,  meiner  Meinung  nach,  Pflicht,  sowie 
es  überhaupt,  glaub  ich,  Pflicht  wäre,  die  Welt  vor  einem  so 
schlechterdings  unverbesserlichen  Charakter  zu  warnen,  als  darzu 
gehören  würde,  um  zu  dem  Manne,  in  dessen  Atmosphäre  der 
Falschheit  weh'  werden  sollte,  zu  kommen,  und  durch  angenom- 
mene Miene  der  Ehrlichkeit  seinen  Scharfblick  [zu]  täuschen,  und 
der  Tugend  und  der  Ehre  so  gegen  ihn  zu  spotten. 

Das  waren  die  Betrachtungen,  die  ich  anstellte,  ehe  ichs  wagte. 
Euer  Wohlgeborn  diesen  Brief  zu  schreiben.  Ich  bin,  zwar  mehr 
aus  Temperament  und  durch  meine  gemachte  Erfahrungen,  als  aus 
Grundsätzen,  sehr  gleichgültig  über  das,  was  nicht  in  meiner 
Gewalt  ist.  Ich  bin  nicht  das  erstemal  in  Verlegenheiten,  aus  denen 
ich  keinen  Ausweg  sehe;  aber  es  wäre  das  erstemal,  daß  ich  in 
ihnen  bleibe.  Neugier,  wie  es  sich  entwickeln  wird,  ist  meist 
alles,  was  ich  in  solchen  Vorfällen  fühle.  Ich  ergreife  schlecht- 
weg die  Mittel,  die  mir  mein  Nachdenken  als  die  besten  zeigt, 
und  erwarte  dann  ruhig  den  Erfolg.  Hier  kann  ich  es  um  desto 
mehr,  da  ich  ihn  in  die  Hände  eines  weisen  und  guten  Mannes 
lege.     Aber  von   einer  andern  Seite   überschicke  ich  diesen  Brief 


An  Ludwig  Ernst  Borowski  91 

mit  einem  ungewohnten  Herzlclopfen.  Ihr  Entschluß  mag  sein, 
welcher  es  will,  so  verliere  ich  etwas  von  meiner  Freudigkeit  zu 
Ihnen.  Ist  er  bejahend,  so  kann  ich  das  Verlorne  einst  wieder 
erwerben;  ist  er  verneinend,  nie,  wie  es  mir  scheint. 

Indem  ich  schließen  will,  fällt  mir  die  Anekdote  von  jenem 
edlen  Türken  bei,  der  einem  ganz  unbekannten  Franzosen  einen 
ähnlichen  Antrag  machte.  Der  Türk  ging  gerader  und  offener; 
er  hatte  unter  seiner  Nation  wahrscheinlich  nicht  die  Erfahrungen 
gemacht,  die  ich  unter  der  meinigen  gemacht  habe:  aber  er 
wußte  auch  nicht  mit  der  Überzeugung,  daß  er  mit  einem  edlen 
Mann  zu  tun  habe,  mit  der  ich  es  weiß.  Ich  schäme  mich  der 
Scham,  die  mich  zurückhält,  bei  dieser  Empfindung  meinen  Brief 
ins  Feuer  zu  werfen,  hinzugehen  und  Sie  anzureden,  wie  der 
edle  Türk  den  Franzosen. 

Wegen  des  Tones,  der  in  diesem  Briefe  herrscht,  darf  ich 
Euer  Wohlgeborn  nicht  um  Verzeihung  bitten.  Das  ist  eben  eine 
Auszeichnung  des  V\^eisen,  daß  man  mit  [ihm]  redet,  wie  ein 
Mensch  mit  einem  Menschen. 

Ich  werde,  sobald  ich  hoffen  darf.  Dieselben  nicht  zu  stören, 
Ihnen  aufwarten,  um  Ihren  Entschluß  zu  wissen;  und  bin  mit 
inniger  Verehrung  und  Bewunderung 

Euer  Wohlgeborn 

ganz  gehorsamster 
J.  G.  Fichte. 

264. 

An  Ludwig  Ernst  Borowski. 

Überbringer  dieses,  Herr  FICHTE,  hat  aus  der  Unterredung, 
deren  Euer  Hochwohlehrwürden  ihn  teilhaftig  gemacht  haben,  ein 
so  großes  Zutrauen  zu  Ihnen  gefaßt,  daß  er  wegen  seiner  Ver- 
legenheit, davon  er  Ihnen  selbst  Eröffnung  tun  wird,  auf  Ihre 
gütige  Vorsprache  sich  Rechnung  macht.  Es  kommt  darauf  an, 
daß  sein  Manuskript:  Versuch  einer  Kritik  der  Offenbarung 
hier  einen  Verleger  bekomme  und  dieser  dafür  ein  honorarium, 
und  zwar  bei  Überlieferung  desselben,  sogleich  bezahle.  —  Ich 
habe  zwar  nur  Zeit  gehabt,  es  bis  S.  8  zu  lesen,  weil  ich  durch 
soviel  andere  Abhaltungen  beständig  unterbrochen  werde;  aber 
soweit    ich    gekommen   bin,    finde  ich  es  gut  gearbeitet  und  der 


p2  Von  Salomon  Maimon 

gegenwärtigen  Stimmung  zum  Untersuchen  der  Religionssachen 
wohl  angemessen.  Besser  werden  Euer  Hochwohlehrwürden  darüber 
urteilen  können,  wenn  Sie  sich  die  Bemühung  geben  wollen,  es 
durchzulesen.  Nun  ist  sein  Wunsch,  daß,  wenn  Sie  dieser  Schrift 
eine  gute  Abnahme  zu  prognostizieren  sich  getraueten,  Sie  Herrn 
HÄRTUNG  dazu  zu  bewegen  suchen  möchten,  ihm  sie  abzu- 
kaufen, um  vor  der  Hand  sich  dafür  das  Unentbehrlichste  zu 
verschaffen.  Die  weitern  Aussichten  wird  er  Ihnen  selbst  bekannt 
zu  machen  die  Ehre  haben. 

Ich  bitte  mir  die  Zumutung  nicht  ungütig  auszulegen,  welche 
Ihnen  eine  Beschwerde  macht,  aber  doch  Ihrem  wohlwollenden 
Charakter  nicht  zuwider  ist  und  ich  bin  mit  der  vollkommensten 

Hochachtung  • 

Euer  Hochwohlehrwürden 

ganz  ergebenster  Diener 
Den    1 6.  September    1791.  I.Kant. 


265. 

Von  Salomon  Maimon. 

Wohlgeborner  Herr, 

Hochzuehrender  Herr  Professor! 

Ich  weiß,  wie  ungerecht  derjenige  ist,  der  Ihnen  das  mindeste 
von  Ihrer  der  Welt  so  schätzbaren  Zeit  raubet,  weiß,  daß  es  für 
Sie  kein  wichtigeres  Geschäft  geben  kann,  als  Ihren  so  fest  ge- 
gründeten Werken  die  höchste  Vollkommenheit  zu  geben;  doch 
konnte  ich  nicht  umhin,  dieses  einzigemal  Sie  mit  meinem  Schreiben 
zu   belästigen. 

Ich  habe  mir  seit  einiger  Zeit  vorgenommen,  außer  Ihren 
Werken,  nichts  mehr  zu  lesen.  Von  dem  skeptischen  Teil  Ihrer 
Kritik  bin  ich  völhg  überzeugt;  der  dogmatische  kann  auch  hypo- 
thetisch angenommen  werden,  und  obschon  ich  durch  eine  psycho- 
logische Deduktion  die  Kategorien  und  Ideen  nicht  dem  Ver- 
stände und  der  Vernunft,  sondern  der  Einbildungskraft  beilege; 
so  kann  ich  doch,  das  erste  zum  wenigsten,  problematisch  zu- 
geben; und  auf  diese  Art  kann  ich  mit  der  Kritik  recht  gut 
fertig  werden. 


Von  Salomon  Matmon  93 

Da  aber  Herr  REINHOLD  (ein  Mann,  den  ich  wegen  seines 
ungemeinen  Scharfsinnes,  nach  Ihnen,  am  meisten  schätze)  in  seinen 
Schriften  vorgibt,  nicht  nur  Ihrem  Systeme  die  formelle  Voll- 
ständigkeit gegeben,    sondern  auch,    das    einzige    allgemein- 
gültige und  allgemeingeltende   (ji  diis  placet)    Prinzip,  worauf 
dieses  aufgeführt  werden  kann,  gefunden  zu  haben;  so  zog  dieses 
meine    ganze    Aufmerksamkeit    auf   sich.      Nach    genauer   Unter- 
suchung aber  fand  ich  mich  in  meiner  Erwartung  betrogen.     Ich 
schätze  ein  jedes  System  nach  seiner   formellen  Vollständig- 
keit; kann  es  aber  nur  nach  seiner  objektiven  Realität  gelten 
lassen,  und  nach  dem  Grade  seiner  Fruchtbarkeit  anpreisen. 
Nun    finde    ich   zwar  Herrn  REINHOLDS  Theorie  des  Vor- 
stcllungsvermögens   in    Ansehung    ihrer    systematischen    Form    un-    . 
vcrbesserlich.     Hingegen  kann  ich  dieses  so   hoch  gepriesene  all- 
gemeingültige   und    allgemeingeltende    Prinzip    (den    Satz    des  Be-     * 
wußtseins)  kcineswegcs  zugeben,  und  noch  viel  weniger  mir  von 
seiner  Fruchtbarkeit  große  Erwartungen  machen. 

Ich  leugne  geradezu,    daß    in    jedem  Bewußtsein    (auch  einer 
Anschauung  und  Empfindung,  wie  sich  Herr  REINHOLD  darüber 
erklärt)    die    Vorstellung    durch    das    Subjekt    vom    Subjekt    und 
Objekt    unterschieden    und    auf   beide    bezogen   wird.     Eine  An- 
schauung wird  meiner  Meinung  nach  auf  nichts  außer  sich   selbst 
bezogen;    und    nur    dadurch,   daß   sie  mit  anderen  Anschauungen 
in  eine  synthetische  Einheit  gebracht,  wird  sie  zur  Vorstellung, 
und  beziehet  sich  als   Bestandteil  einer  Synthesis  auf  dieselbe,  das 
heißt,  auf  ihr  Objekt.     Die  bestimmte  Synthesis,  worauf  die  Vor- 
stellung   bezogen  wird,   ist    das  vorgestellte  Objekt;  eine  jede 
unbestimmte    Synthesis,    worauf  die  Vorstellung    bezogen  werden 
kann,    ist    der    Begriff  eines    Objekts    überhaupt.      Wie    kann 
also    Herr    REINHOLD    den    Satz    des    Bewußtseins   für   ein  all- 
gemeingültiges  Prinzip    ausgeben?     Da,    wie    ich  gezeigt  habe,  er 
nur  von  Bewußtsein  einer  Vorstellung,    das   heißt,   auf  eine  Syn- 
thesis   als    Bestandteil    bezogener    Anschauung    gelten    kann.      Ja! 
sagt  Herr  REINHOLD;  man  ist  sich  freiUch  dies?  Beziehung  der 
Anschauung   auf  das    Subjekt    und    Objekt   nicht   immer  bewußt, 
sie    ist    dennoch    immer    in    derselben    anzutreffen.     Aber  woher 
weiß  er  dieses?     V^as    in   der  Vorstellung   nicht  vorgestellt  wird, 
gehört   nicht   zur  Vorstellung.     W^ie    kann    er  also  dieses  Prinzip 
als  Faktum  ^t%  Bewußtseins    für    allgemeingeltend   ausgeben?     Da 
es  ein   anderer    £  s    seinem   eigenen  Bewußtsein   geradezu  leugnen 


94  ^o?t  Salomon  Maimon 

kann.  Daß  man  eine  jede  Anschauung  auf  irgendein  Substratum 
beziehet,  ist  eine  Täuschung  der  transszendenten  Einbil- 
dungskraft, die,  aus  Gewohnheit,  eine  jede  Anschauung  als 
Vorstellung  auf  ein  reelles  Objekt  (eine  Synthesis)  zu  beziehen, 
endlich  auf  gar  kein  reelles  Objekt,  sondern  auf  eine  an  seiner 
Stelle  untergeschobene  Idee  beziehet. 

Das  Wort  Vorstellung  hat  viel  Unheil  in  der  Philosophie  ge- 
stiftet, indem  es  manche  veranlaßt  hat,  sich  zu  einer  jeden  Seelen- 
modifikation, ein  objektives  Substratum  hinzuzudichten.  LEIBNIZ 
vergrößerte  noch  das  Unheil  durch  seine  Lehre  von  den  dunkeln 
Vorstellungen.  Ich  muß  gestehen,  daß  es  in  der  Anthro- 
pologie keine  wichtigere  Lehre  geben  kann.  Aber  in  einer  Kritik 
des  Erkenntnisvermögens  taugt  sie  gewiß  nichts.  Die  dunkeln 
Vorstellungen  sind  keine  Modifikation  der  Seele  (deren  Wesen 
im  Bewußtsein  bestehet),  sondern  vielmehr  des  Körpers.  LEIB- 
NIZ bedienet  sich  derselben,  bloß  um  die  Lücken  in  der  Sub- 
stantialität  der  Seele  auszufällen.  Ich  glaube  aber  nicht,  daß 
irgend  ein  Selbstdenker  sich  im  Ernste  einfallen  lassen  wird,  da- 
durch diese  Lücken  wirklich  ausfüllen  zu  können.  Die  dunkeln 
Vorstellungen  sind  bloß  die  Brücken,  worüber  man  von  der  Seele 
zum  Körper,  und  wiederum  von  diesem  zu  jener  übergeht  (ob- 
schon  LEIBNIZ  gute  Ursachen  gehabt  hat,  diesen  Durchgang  zu 
verwehren). 

Sogar  mit  Herrn  REINHOLDS  Erklärung  der  Philosophie 
kann  ich  nicht  zufrieden  sein.  Er  begreift  unter  Philosophie 
überhaupt,  was  Sie  mit  Recht  unter  dem  besonderen  Namen 
Transszendentalphilosophie  (die  Lehre  von  den  Bedingungen  der 
Erkenntnis  eines  reellen  Objekts  überhaupt). 

Ich  wünsche  hierüber,  wie  auch  etwas  über  mein  Wörter- 
buch (das  allem  Anscheine  nach  entweder  gar  nicht,  oder  schlecht 
rezensiert  werden  wird,')  Ihre  Meinung  zu  vernehmen.  In  Er- 
wartung dieser  verharre  ich,  ehrfurchtsvoll 

Euer  Wohlgeboren 

ganz  ergebenster 

Berlin,  Salomon  Maimon. 

den  20.  September  1791. 

^)  Philosophisches  Wörterbuch  oder  Beleuchtung  der  wichtigsten 
Gegenstände  der  Philosophie  in  aiphabet.  Ordnung,  i.  Stück,  Berlin 
1791- 


An  Carl  Leonhard  Reinhold  9^ 

z66. 

An  Carl  Leonhard  Reinhold. 

Königsberg,  den  21.  September  1791. 
Wie  können  Sie  mich,  teuerster  Mann,  auch  nur  einen  Augen- 
bück  in  Verdacht  haben,  daß  meine  Unterlassungssünden,  deren 
ich  viele  auf  meiner  Rechnung  habe,  irgend  einer  Abneigung,  ja 
gar  auch  nur  der  mindesten  Kaltsinnigkeit  gegen  Sie,  die  mir, 
wer  weiß  wer  meiner  bloß  nachbetenden  Anhänger  eingeflößt 
haben  sollte,  zuzuschreiben  wären,  da,  wenn  es  auch  nicht  die 
Herzensneigung  gegen  einen  so  Hebens-  und  hochachtungswürdigen 
Mann  täte,  mich  schon  das  Verdienst,  welches  Sie  um  die  Auf- 
hellung, Bestärkung  und  Verbreitung  meiner  geringen  Versuche 
haben,  zu  Dankbarkeit  verbinden  müßte  und  ich  mich  selbst  ver- 
achten würde,  wenn  ich  an  dem  Spiele  der  Eifersucht  imd  Recht- 
haberei im  Felde  der  Spekulation  mehr  Interesse  nähme,  als  an 
den  rechtschaffenen  Gesinnungen  der  Mitwirkung  zu  allem,  was 
gut  und  selbständig  ist,  wozu  das  volle  Zutrauen  und  die  Herzens- 
vereinigung zwischen  Wohldenkenden,  selbst  bei  großer  Ver- 
schiedenheit der  Meinungen  (welches  zwischen  uns  doch  der  Fall 
nicht  ist)  notwendig  gehört.  Ach,  wenn  es  für  uns  ein  Ver- 
hältnis der  wechselseitigen  Mitteilung  durch  den  Umgang  gäbe, 
welche  Süßigkeit  des  Lebens  würde  es  für  mich  sein,  mit  einem 
Manne,  dessen  Geistes-  und  Seelenstimmung  der  seines  Freundes 
ERHARD')  gleichförmig  ist,  uns  über  das  Nichts  menschlicher 
Eitelkeit  wegzusetzen  -und  unser  Leben  wechselseitig  ineinander  zu 
genießen?  Aber  nun  durch  Briefe!  Lassen  Sie  mich  Ihnen  meine 
Saumseligkeit  in  Ansehung  derselben,  die  Nachlässigkeit  zu  sein 
scheint,  aber  es  nicht  ist,  erklären. 

Seit  etwa  zwei  Jahren  hat  sich  mit  meiner  Gesundheil,  ohne 
sichtbare  Ursache  und  ohne  wirkUche  Krankheit  (wenn  ich  einen 
etwa  drei  Wochen  dauernden  Schnupfen  ausnehme)  eine  plötz- 
hche  Revolution  zugetragen,  welche  meine  Appetite  in  Ansehung 


^)  Kant  hatte  Erhard  inzwischen  persönlich  kennen  gelernt,  da 
dieser  ihn  im  Jahre  1791  in  Königsberg  besuchte  (s.  Erhards  Autobio- 
graphie S.  33). 


96  An  Carl  Leonhard  Re'mhold 

des  gewohnten  täglichen  Genusses  schnell  umstimmte,  wobei  zwar 
meine  körperlichen  Kräfte  und  Empfindungen  nichts  litten,  allein 
die  Disposition  zu  Kopfarbeiten,  selbst  zu  Lesung  meiner  Kollegien, 
eine  große  Veränderung  erlitt.  Nur  zwei  bis  drei  Stunden  vor- 
mittags kann  ich  zu  den  ersteren  anhaltend  anwenden,  da  sie 
dann  durch  eine  Schläfrigkeit  (unerachtet  des  besten  gehabten 
Nachtschlafs)  unterbrochen  wird  und  ich  genötigt  werde,  nur 
mit  Intervallen  zu  arbeiten,  mit  denen  die  Arbeit  schlecht  fort- 
rückt und  ich  auf  gute  Laune  harren  und  von  ihr  profitieren 
muß,  ohne  über  meinen  Kopf  disponieren  zu  können.  Es  ist, 
denke  ich,  nichts,  als  das  Alter,  welches  einem  früher,  dem  andern 
später  Stillstand  auferlegt,  mir  aber  desto  unwillkommener  ist,  da 
ich  jetzt  der  Beendigung  meines  Planes  entgegenzusehen  glaubte. 
Sie  werden,  mein  gütiger  Freund,  hieraus  leicht  erklären,  wie 
diese  Benutzung  jedes  günstigen  Augenblicks  in  solcher  Lage 
manchen  genommenen  Vorsatz,  dessen  Ausführung  nicht  eben 
pressant  zu  sein  scheint,  dem  fatalen  Aufschub,  der  die  Natur 
hat,  sich  immer  selbst  zu  verlängern,  unterwerfen  könne. 

Ich  gestehe  es  gern  und  nehme  mir  vor,  es  gelegentlich 
öffentlich  zu  gestehen,  daß  die  aufwärts  noch  weiter  fortgesetzte 
Zergliederung  des  Fundaments  des  Wissens,  sofern  es  in  dem  Vor- 
stcllungsvermögen  als  einem  solchen  überhaupt  und  dessen  Auf- 
lösung besteht,  ein  großes  Verdienst  um  die  Kritik  der  Vernunft 
sei,  sobald  mir  nur  das,  was  mir  jetzt  noch  dunkel  vorschwebt, 
deutlich  geworden  sein  wird;  allein  ich  kann  doch  auch  nicht, 
wenigstens  in  einer  vertrauten  Eröffnung  gegen  Sie  nicht,  bergen, 
daß  sich  durch  die  abwärts  fortgesetzte  Entwickelung  der  Folgen, 
aus  den  bisher  zum  Grunde  gelegten  Prinzipien,  die  Richtigkeit 
derselben  bestätigen  und  bei  derselben,  nach  dem  vortrefi^lichen 
Talent  der  Darstellung,  welches  Sie  besitzen,  gelegentlich  in  An- 
merkungen und  Episoden  so  viel  von  Ihrer  tieferen  Nachforschung 
anbringen  lasse,  als  zur  gänzlichen  Aufhellung  des  Gegenstandes 
nötig  ist,  ohne  die  Liebhaber  der  Kritik  zu  einer  so  abstrakten 
Bearbeitung  als  einem  besonderen  Geschäfte  zu  nötigen  und  eben 
dadurch  viele  abzuschrecken.  —  Dieses  war  bisher  mein  W^unsch, 
ist  aber  weder  jetzt  mein  Rat,  noch  weniger  aber  ein  darüber 
ergangenes  und  anderen,  zum  Nachteil  Ihrer  verdienstvollen  Be- 
mühungen, mitgeteiltes  Urteil.  —  Das  letztere  werde  ich  noch 
einige  Zeit  aufschieben  müssen,  denn  gegenwärtig  bin  ich  mit 
einer    zwar    kleinen,    aber    doch    Mühe    machenden    Arbeit,    im- 


An  ^akob  Sigismund  Beck  ^j 

gleichen  dem  Durchgehen  der  Kritik  der  Urteilskraft  für  eine 
zweite,  auf  nächste  Ostern  herauskommende,  Auflage,  ohne  die 
Universitätsbeschäftigungen  einmal  zu  rechnen,  für  meine  jetzt  nur 
geringen  Kräfte  mehr  als  zu  viel  belästigt  und  zerstreut. 

Behalten  Sie  mich  ferner  in  Ihrer  gütigen  Zuneigung,  Freund- 
schaft und  offenherzigem  Vertrauen,  deren  ich  mich  nie  unwürdig 
bewiesen  habe,  noch  jemals  beweisen  kann,  und  knüpfen  Sie 
mich  mit  an  das  Band,  welches  Sie  und  Ihren  lauteren,  fröhHchen 
und  geistreichen  Freund  ERHARD  vereinigt,  und  welches  die, 
wie  ich  mir  schmeichle,  gleiche  Stimmung  unserer  Gemüter  lebens- 
lang unaufgelöst  erhalten  wird. 

Ich  bin  mit  der  zärtlichsten  Ergebenheit  und  vollkommener 
Hochachtung  usw. 


267. 

An  Jakob  Sigismund  Beck, 

Aus  beihegendem  Briefe  HARTKNOCHS  an  mich  werden 
Sie,  wertester  Freund,  ersehen,  daß,  da  jener  einen  tüchtigen 
Mann  wünschte,  der  aus  meinen  kritischen  Schriften  einen  nach 
seiner  eigenen  Manier  abgefaßten  und  mit  der  Originaütät  seiner 
eigenen  Denkungsart  zusammenschmelzenden  Auszug  machen  könnte 
und  wollte,  ich  nach  der  Eröffnung,  die  Sie  mir  in  Ihrem  letzteren 
Briefe  von  Ihrer  Neigung  gaben,  sich  mit  diesem  Studio  zu  be- 
schäftigen, keinen  dazu  geschickteren  und  zuverlässigem  als  Sic 
vorschlagen  konnte  und  Sie  daher  ihm  vorgeschlagen  habe.  Ich 
bin  bei  diesem  Vorschlage  freilich  selber  interessiert,  allein  ich 
bin  zugleich  versichert,  daß,  wenn  Sie  sich  von  der  ReelHtät 
jener  Bearbeitungen  überzeugen  können,  Sie,  wenn  Sie  sich  einmal 
darauf  eingelassen  haben,  einen  unerschöpfHchen  Quell  von  Unter- 
haltung zum  Nachdenken,  in  den  Zwischenzeiten,  da  Sie  von 
Mathematik  (der  Sie  keinesweges  dadurch  Abbruch  tun  müssen) 
ausruhen,  für  sich  finden  werden  und  umgekehrt,  wenn  Sie  von 
den  ersteren  ermüdet  sind,  an  der  Mathematik  eine  erwünschte 
Erholung  finden  können.  Denn  ich  bin  teils  durch  eigene  Er- 
fahrung, teils,  und  weit  mehr,  durch  das  Beispiel  der  größten 
Mathematiker  überzeugt,  daß  bloße  Mathematik  die  Seele  eines 
denkenden  Mannes  nicht  ausfülle,    daß    noch    etwas    anderes   und 

Kants  Schriften.  Bd.  X.  7 


5)8  An  fakoh  Sigtsmund  Beck 

wenn  es  auch,  wie  bei  KÄSTNER,  nur  Dichtkunst  wäre,  sein 
muß,  was  das  Gemüt  durch  Beschäftigung  der  übrigen  Anlagen 
desselben  teils  nur  erquickt,  teils  ihm  auch  abwechselnde  Nahrung 
gibt  und  was  kann  dazu,  und  zwar  auf  die  ganze  Zeit  des  Lebens, 
taugUcher  sein,  als  die  Unterhaltung  mit  dem,  was  die  ganze 
Bestimmung  des  Menschen  betrifft;  wenn  man  vornehmlich  Hoff- 
nung hat,  daß  sie  systematisch  durchgedacht  und  von  Zeit  zu 
Zeit  immer  einiger  bare  Gewinn  darin  gemacht  werden  kann. 
Überdem  vereinigen  sich  damit  zuletzt  Gelehrte-  sowohl  als  Welt- 
geschichte, auch  verliere  ich  nicht  die  HoflFnung  gänzlich,  daß, 
wenn  dieses  Studium  gleich  nicht  der  Mathematik  neues  Licht 
geben  kann,  diese  doch  umgekehrt,  bei  dem  Überdenken  ihrer 
Methoden  und  heuristischen  Prinzipien,  samt  den  ihnen  noch  an- 
hängenden Bedürfnissen  und  Desideraten,  auf  neue  Eröffnungen 
für  die  Kritik  und  Ausmessung  der  reinen  Vernunft  kommen  und 
dieser  selbst  neue  Darstellungsmittel  für  ihre  abstrakte  Begriffe, 
selbst  etwas  der  ars  universalis  characteristica  combinatoria  LEIB- 
NIZENS  Ähnliches,  verschaffen  könne.  Denn  die  Tafel  der 
Kategorien  sowohl  als  der  Ideen,  unter  welchen  die  kosmologische 
etwas  den  unmöglichen  Wurzeln  Ähnliches  an  sich  zeigen,') 
sind  doch  abgezählt  und  in  Ansehung  alles  möglichen  Vernunft- 
gebrauchs durch  Begriffe  so  bestimmt,  als  die  Mathematik  es  nur 
verlangen  kann,  um  es  wenigstens  mit  ihnen  zu  versuchen,  wie 
viel  sie,  wo  nicht  Erweiterung,  doch  wenigstens  Klarheit  hinein 
bringen  könne. 

Was  nun  den  Vorschlag  des  Herrn  HARTKNOCH  betrifft, 
so  ersehe  ich  aus  Ihrem  mir  von  ihfn  kommunizierten  Briefe, 
daß  Sie  ihn  nicht  schlechterdings  abweisen.  Ich  denke,  es  wäre 
gut,  wenn  Sie  ungesäumt  daran  gingen,  um  allererst  ein  Schema 
im  großen  vom  System  zu  entwerfen,  oder,  wenn  Sie  sich  dieses 
schon  gedacht  haben,  die  Teile  desselben,  daran  Sie  sich  noch 
etwa  stoßen  möchten,  aussuchen  und  mir  ihre  Zweifel  oder 
Schwierigkeiten  von  Zeit  zu  Zeit  kommunizieren  möchten  (wobei 
mir  lieb  wäre,  wenn  Ihnen  jemand,  vielleicht  Herr  Professor 
JACOB,  den  ich  herzlich  zu  grüßen  bitte,  behilflich  wäre,  aus 
allen  Gegenschriften  (als  den  Abhandlungen,  vornehmlich  Rezen- 
sionen im  EBERHARDSCHEN  Magazin,  aus  den  älteren  Stücken 


*)  Siehe  Kritik  der  reinen  Vernxmft,  2.  Aufl.,  S.  346  fF. 


An  Jakob  Sigismtind  Beck  99 

d?r  Tübinger  gel.  Zeitung  und  wo  sonst  noch  dergleichen  anzu- 
treffen sein  mag),  vornehmlich  die  mir  vorgerückte  Wider- 
sprüche in  terminis  aufzusuchen;  denn  ich  habe  den  Mißverstand 
in  diesen  Einwürfen  zu  entwickeln  so  leicht  gefunden,  daß  ich 
sie  längstens  alle  insgesamt  in  einer  Kollektion  aufgestellt  und 
w^iderlegt  haben  würde,  wenn  ich  nicht  vergessen  hätte,  mir  die 
jedesmal  bekannt  gewordene  aufzuzeichnen  und  zu  sammeln).  An 
die  lateinische  Übersetzung  kann,  wenn  Ihr  Werk  im  Deutschen 
herausgekommen  wäre,  immer  noch  gedacht  werden. 

Was  die  dem  HARTKNOCH  vorgeschlagene  zwei  Abhand- 
lungen, nämlich  die  über  REINHOLDS  Theorie  des  Vorstellungs- 
vermögens und  die  Gegeneinanderstellung  der  HUMESCHEN  und 
K — tschen  Philosophie  betrifft  (in  Ansehung  der  letzteren  Abhand- 
lung bitte  ich  den  Band  von  seinen  Versuchen  nachzusehen, 
darin  sein  —  HUMES  —  moralisches  Prinzip  anzutreffen  ist,  um 
es  auch  mit  dem  meinigen  zu  vergleichen,  mit  welchem  auch 
sein  ästhetisches  daselbst  angetroffen  wird),  so  würde,  wenn  letztere 
Ihnen  nicht  zu  viel  Zeit  wegnähme,  es  allerdings  der  Bearbeitung 
des  ersteren  Thema  vorderhand  vorzuziehen  sei.  Denn  REINHOLD, 
ein  sonst  lieber  Mann,  hat  sich  in  seine  mir  noch  nicht  wohl 
faßliche  Theorie  so  leidenschaftlich  hineingedacht,  daß,  wenn  es 
sich  zutrüge,  daß  Sie  in  einem  oder  anderen  Stücke,  oder  wohl 
gar  in  Ansehung  seiner  ganzen  Idee,  mit  ihm  uneins  wären,  er 
darüber  in  Unzufriedenheit  mit  seinen  Freunden  versetzt  werden 
könnte.  Gleichwohl  wünsche  ich  wirklich,  daß  Sie  nichts  hinderte, 
jene  Prüfung  zu  bearbeiten  und  heraus[zu]geben  und  tue  dazu  den 
Vorschlag:  daß,  wenn  Sie  mich  mit  Ihrer  Antwort  auf  diesen 
meinen  Brief  beehren,  Sie  mir  auch  Ihre  Meinung  darüber  sagen 
möchten:  ob  Sie  wohl  dazu  einstimmeten,  daß  ich  an  REINHOLD 
schriebe,  ihn  mit  Ihrem  Charakter  und  jetziger  Beschäftigung 
bekannt  machte  und  zwischen  Ihnen,  beiden,  da  Sie  einander  so 
nahe  sind,  eine  literarische  Korrespondenz,  die  ihm  gewiß  sehr 
lieb  sein  wird,  veranstaltete,  wodurch  vielleicht  eine  freundschaft- 
liche Übereinkunft  in  Ansehung  dessen,  was  Sie  über  jene  Materie 
schreiben  wollen,  zustande  gebracht  werden  könnte. 

Das  Honorarium  für  Ihre  Arbeiten  (philosophische  sowohl 
als  mathematische)  würde  ich  zwischen  Ihnen  und  HARTKNOCH 
schon  vermitteln,  wenn  Sie  mir  darüber  nur  einigen  Wink  geben; 
unter  5  oder  6  Rhtlr.  den  Bogen  brauchen  Sie  Ihre  Arbeit  ihm 
nicht  zu  lassen. 

7* 


loo  Von  ^akob  Sigismund  Beck 

Ich  beharre  mit  der  größten  Hochachtung   und  freundschaft- 
lichsten Zuneigung 

der  Ihrige 
Königsberg,  I.  Kant, 

den   27.  September    1791. 

N.  S.    Wegen  des  Postporto  bitte  ich  nochmals,  mich  keines- 
weges  zu  schonen. 

zö8. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den   6.  Oktober    1791. 
Teuerster  Herr  Professor! 
Vor  einiger  Zeit  erhielt  ich  einen  Brief  von  dem  Buchhändler 
Herrn  HARTKNOCH  aus  Riga,  der  mich  bat  und  zwar,  wie  er 
sagte,    auf  Ihren    Rat,    einen    Auszug    Ihrer    sämtlichen   Schriften 
lateinisch  zu  schreiben.     Da  ich  keinesweges  mir  die  dazu  gehörige 
Fertigkeit  des  Ausdrucks  in  dieser  Sprache  zutraue,  so  lehnte  ich 
ohne    Bed":nken    diesen    Antrag  von    mir    ab.      Ich    tat  ihm  aber 
einen    andern  Vorschlag,    den    nämlich,  Verleger  zu  werden  von 
einer  Prüfung  der  Theorie   des  Vorstellungsvermögens   des  Herrn 
REINHOLDS;    oder    auch    von    einer  Vergleichung   der   HUME- 
SCHEN Philosophie  mit  der  Ihrigen,  die  ich  nach  und  nach  aus- 
arbeiten wollte.     Was    mich    nun    auf  einmal    dazu  brachte,   was 
schreiben  zu  wollen,  war  in  Wahrheit  nicht  Geniedrang,  sondern 
eine    behutsame  Überlegung.      Da    ich   nämlich  bedachte,    daß  es 
um  das  Lesen  eines  neuen  Magisters  eine  mißliche  Sache  ist,  und 
mein  anderweitiger  Verdienst  so  geringe  ist,    daß    bei   aller   Ein- 
schränkung   ich    dennoch    davon    nicht   subsistieren   kann,   so  fiel 
ich  auf  die,  in  unsern  Tagen  leider!  von  zuvielen   zugesprochene, 
aber  doch  noch  immer  ergiebige  Quelle,  was  zu  schreiben.     Nun 
muß  ich  freilich  gestehen,    daß   ich   nicht   sehr  gehindert  werde, 
alle  bloße  Büchermacher  als  Betrüger  anzusehen.     Auch  muß  ich 
das    gestehen,    daß   wegen    meiner    sehr   langsamen  Progressen  in 
der  Mathematik,    ja    deswegen,    weil   ich  nichts    Neues  der  Welt 
zu  sagen  habe,    ich    mich    eben  für  keinen  berufenen  Skribenten 
ansehen    kann.      Da    ich    aber    an    die  Theorie    des   Vorstellungs- 
vermögens dachte,  so  schien  der  Vorwurf,  darüber  was  zu  schreiben. 


J^on  Jakob  Sigismund  Beck  loi 

einen  Teil  meiner  Bedenklichkeiten  zu  heben.  Ich  bin  von  der 
Nichtigkeit  dieser  Theorie  so  sehr  überzeugt,  daß  ich  imstande 
bin,  gar  Ihnen,  mein  Urteil  darüber  zu  sagen,  und  da  die  Kritik 
mich  überzeugt  hat,  so  glaubte  ich  über  diese  Theorie,  nach  An- 
strengung meiner  Kräfte,  was  Gedachtes  und  nicht  ganz  Unnützes 
hervorzubringen.  Um  jedoch  nichts  zu  unternehmen,  das  auch 
späterhin  mich  mit  mir  selbst  unzufrieden  machen  dürfte,  entschloß 
ich  mich  zu  dem,  Ihnen,  bester  Herr  Professor,  offenherzig  mein 
Unternehmen  anzuzeigen,  und  Ihren  Rat  mir  darüber  auszu- 
bitten. 

Den  8.  Oktober. 
So  v/eit  war  ich,  da  ich  Ihren  freundschaftlichen  Brief  vom 
27.  September  erhielt.  Nun  darf  ich  mit  ttvf2iS  mehr  Mut  weiter- 
schreiben. Zuerst  muß  ich  Ihnen  sehr  danken  für  das  Vertrauen, 
das  Sie  zu  mir  fassen.  So  gut  ich  nur  immer  kann,  werde  ich 
desselben  mich  wert  zu  machen  suchen.  Mit  Freimütigkeit,  aber 
auch  mit  Furchtsamkeit  schicke  ich  Ihnen  eine  Probe  meiner 
Aufsätze  über  die  Theorie  des  Vorstellungsvermögens.  Sie  haben 
die  Form  der  Briefe,  weil  ich  sie  wdrklich  an  einen  hiesigen 
Freund  einen  gewissen  Magister  RATH,  der  im  stillen  die  Kritik 
beherzigt,  und  den  ich  sehr  liebe,  gerichtet  habe,  der  mir  auch 
ein  paar  Aufsätze  dazu  als  Antworten  versprochen  hat,  so  daß 
die  ganze  Schrift  vielleicht  acht  Bogen  stark  werden  könnte. 
Aber  Sie  bitte  ich  vor  allen  Dingen,  sie  zu  beurteilen.  Das  im- 
primatur  oder  non  imprimatur  soll  ganz  von  Ihnen  abhängen. 
Eigentlich  habe  ich  wohl  die  Absicht,  sie  anonymisch  zu  schreiben. 
Wenn  Sie  aber  Gelegenheit  haben,  mich  mit  Herrn  REINHOLD 
bekannt  zu  machen,  so  würde  das  gleichwohl  mir  angenehm  sein, 
und  ich  würde  auch  in  dem  Fall  sehr  sorgfältig  alles,  was  selbst 
entfernt  ihn  böse  machen  könnte,  meiner  Schrift  benehmen.  Einen 
Auszug  aus  Ihren  kritischen  Schriften  zu  machen,  wird  vorzüglich 
daher  mir  ein  angenehmes  Geschäfte  sein,  weil  Sie  mir  erlauben, 
meine  Bedenklichkeiten  grade  Ihnen  vorzulegen.  Die  Kritik  der 
reinen  Vernunft  habe  ich  mit  dem  herzlichsten  Interesse  studiert, 
und  ich  bin  von  ihr  wie  von  mathematischen  Sätzen  überzeugt. 
Die  Kritik  der  praktischen  Vernunft  ist  seit  ihrer  Erscheinung 
meine  Bibel.  Aber  ich  wünsche  jetzt  nicht  so  viel,  Ihnen  ge- 
schrieben zu  haben,  um  einige  mir  vorkommende  Schwierigkeiten, 
welche  jedoch  die  eigentliche  Moral  betreffen,  Ihnen  vorlegen 
zu  können. 


102  An  Theodor  Gottlieb  von  Hippel 

An  Herrn  Professor  KRAUS  bitte  ich  inliegenden  Brief  abzu- 
geben. Vor  allen  Dingen  habe  ich  diesem  vortrefflichen  Mann 
die  Ursache  angeben  müssen,  warum  ich  Schriftstellern  will.  Aber 
Sie  habe  ich  noch  ganz  vorzüglich  zu  ersuchen,  ihn  zu  bitten, 
daß  er  mir  deshalb  nicht  böse  sein  wolle.  Seinen  Unwillen 
fürchte  ich  mehr  als  den  Tadel  der  Rezensenten. 

Da  Sie  so  gütig  sind,  zu  verlangen,  daß  ich  meinen  Brief 
nicht  frankiere,  so  tue  ich  es  auch  diesesmal  nicht.  Da  jedoch 
ich  künftig  was  verdienen  werde,  so  bitte  ich  für  die  Zukunft 
mir  das  Porto  tragen  zu  lassen.  Ich  bin  mit  der  herzlichsten 
Hochachtung 

der  Ihrige 
Beck. 

An  Theodor  Gottlieb  von  Hippel. 

Ew.  Hochwohlgeboren  nehme  mir  die  Freiheit,  Inliegendes 
zum  Durchlesen  zu  kommunizieren.  Herr  NICOLOVIUS,  der 
mir  diesen  Brief  seines  Bruders  mitgeteilt  hat,  hat  mir  nicht  ver- 
boten, einen  solchen  Gebrauch  davon  zu  machen,  und  er  enthält 
auch  keine  Heimlichkeit;  indessen  kann  er  Sie  doch  einige  Augen- 
blicke amüsieren. 

Herr  Hofprediger  SCHULTZ  hat  mich  auf  übermorgen 
(den  nächsten  Mittwoch)  zur  Mittagsmahlzeit  invitiert,  und  ich 
habe  zugesagt.  Zugleich  aber  hat  die  Frau  Hoipredigerin  mich 
ersucht,  Sie  durch  meinen  LAMPE  zu  eben  derselben  Mahlzeit 
inständigst  zu  invitieren.  Warum  durch  diesen  Umschweif  weiß 
ich  nicht.  Indessen  wünsche  ich  sehr,  daß  Sie  durch  diesen 
meinen  Boten  zusagen  möchten,  um  die  Ehre  zu  haben,  Ihrer 
Gesellschaft  zu  genießen:  der  ich  mit  der  vorzüglichsten  Hoch- 
achtung jederzeit  bin 

Ew.  Hochwohlgeboren 

ganz  ergebenster  Diener 
I.  Kant. 

Den   24.  Oktober    1791. 


/in  F.  Th.  de  la  Garde.  —  Von  Georg  Christoph  Lichtenberg    i  o  3 

170. 
An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Ew.  Hochedelgeboren  haben  mich,  bei  Überschickung  eines 
durchgeschossenen  Exemplars  von  der  Kritik  der  Urteilskraft, 
wissen  lassen,  daß  Sie  dasselbe,  mit  der  Korrektur  der  Druck- 
fehler und  den  sonst  etwa  dabei  zu  machenden  Verbesserungen 
und  Zusätzen,  zu  Ende  des  Oktobers  zurück  erwarteten.  —  Allein, 
da,  vornehmlich  was  die  letztere  betrifft,  ich  notwendig  meine 
ganze  Zeit  ununterbrochen  dem  Durchdenken  d$r  hier  abgehan- 
delten Sachen  widmen  muß,  welche  ich  aber  im  vergangenen 
Sommer  bis  in  den  Oktober  hinein,  durch  ungewohnte  Amts- 
geschäfte und  auch  manche  literarische  unvermeidliche  Zerstreu- 
ungen abgehalten,  nicht  habe  gewinnen  können:  so  werden  Sie 
sich  bis  zu  Ende  Novembers  zu  gedulden  belieben,  um  welche 
Zeit,  wie  ich  hoffe,  das  Exemplar  wieder  in  Ihren  Händen  sein 
soll;  welches  ich  hiemit  habe  melden  wollen,  damit  der  Buch- 
drucker darauf  gefaßt  sein  könne. 

Ich  bleibe  übrigens  mit  vollkommener  Hochachtung 

Ew.  Hochedelgeboren 

Königsberg,  ganz  ergebenster  Diener 

den   28.  Oktober   175)1.  I.Kant. 

271. 

Von  Georg  Christoph  Lichtenberg. 

Vergeben  Sie,  verehrungswürdiger  Herr,  einem  armen  Nerven- 
kranken, daß  er  die  Zuschrift  eines  Mannes,  den  er  schon  so 
lange  über  alles  schätzt,  so  spät  beantwortet.  Was  mich  bei 
dieser  Schuld  immer  vor  mir  selbst  wenigstens  etwas  rechtfertigt, 
wenn  sie  mich  zu  hart  zu  drücken  anfing,  war  das  Vertrauen  auf 
die  Freundschaft  unsers  vortrefflichen  Herrn  Dr.  JACHMANNS, 
der  Ihnen  sowohl  meine  seltsamen  Umstände  erklärt,  als  Sie  auch 
von  dem  Enthusiasmus  überzeugt  haben  wird,  womit  ich  Sie, 
teuerster  Mann,  verehre.  Herrn  Dr.  JACHMANNS  Schilderung 
von  ersteren  selbst  etwas  zuzusetzen,  hindern  mich  eben  diese 
Umstände  selbst,  etwa  so  wie  beim  LESSING  dem  Heldensänger 


I04  yon  Georg   Christoph  Lichtenberg 

der  Faulheit,  die  Heldin  selbst  bei  der  zweiten  Zeile  dem  Sänger 
den  Mund  stopft,  und  statt  alles,  was  ich  über  letztern  sagen 
könnte,  empfangen  Sie  hier  aus  dem  Innersten  meines  Herzens 
die  Versicherung:  daß  es  meine  ganze  Meinung  von  mir  selbst 
nicht  wenig  erhöht  hat,  daß  ich  Ihre  Schriften  schon  im  Jahr 
1767  mit  einer  Art  von  Prädilektion  gelesen,  und  daß  ich  bei 
der  Erscheinung  Ihrer  Kritik,  sobald  ich  nur  davon  so  viel  gefaßt 
hatte,  um  zu  sehen,  wo  alles  hinaus  wollte,  gegen  einige  meiner 
Freunde  schriftlich  und  mündlich  erklärt  habe:  gebt  acht,  das 
Land,  das  uns  das  wahre  System  der  Welt  gegeben  hat, 
gibt  uns  noch  das  befriedigendste  System  der  Philo- 
sophie. Das  waren  meine  Worte,  ob  ich  gleich  noch  nicht  alles 
übersah,  und  mit  diesen  Gesinnungen  schrieb  ich  auch  jene  im 
Taschen-Kalender,  die  Ihnen  zu  Gesicht  gekommen  sind.  Ich 
rechnete  auf  diesen  Umstand  nicht,  sondern  schrieb  sie,  weil  ich 
glaubte,  sie  Ihren  großen  Talenten  nach  meiner  Überzeugung 
schuldig  zu  sein.     Soviel  für  jetzt. 

Da  Herr  DIETERICH  soeben  ein  Paket  nach  Königsberg  ab- 
schickt, so  habe  ich  mir  die  Freiheit  genommen,  ein  Exemplar 
von  meiner  neuen  Auflage  von  ERXLEBENS  Physik  beizulegen. 
Was  ich  in  der  Vorrede  darüber  gesagt  habe,  ist  im  strengsten 
Verstände  wahr.  Ich  wünschte  nun  fast,  daß  ich  dem  Vorschlag 
des  Verlegers  gefolgt  wäre,  die  vorletzte  Ausgabe  ohne  Verände- 
rung, weU  es  an  Exemplaren  fehlte,  abdrucken  zu  lassen,  denn 
ich  finde  nun  fast  täglich  die  traurigsten  Spuren  der  Eile  und 
des  Mißmutes.  Einige  Verbesserungen  habe  ich  auch  noch  hinter 
dem  Register  angezeigt.  Zugleich  erfolgen  hierbei  zwei  Exem- 
plare des  Taschen-Kalenders,  wovon  ich  das  eine  nach  dessen 
Adresse,  nebst  meiner  gehorsamsten  Empfehlung  gütigst  bestellen 
zu  lassen  bitte.  Sie  werden  diese  heilige  Christw^are  mit  den 
Augen  ansehen,  mit  denen  man  überhaupt  Nürnberger  Ware  ansieht. 
Der  Goldschaum  und  die  Farben  und  die  unschuldige  Absicht 
sind  immer  das  beste  daran.  Ich  schreibe  diese  Blätter  deswegen 
immer  ununterbrochen  fort,  weil  ich  damit  meinen  etwas  schweren 
Hauszins  bezahle,  und  mein  gütiger  Wirt,  der  Verleger  diese 
Münze,  ohne  sie  zu  wägen  oder  selbst  sie  nur  anzusehen,  einsteckt, 
daher  ich  denn  schlau  genug  bin,  immer  etwas  Rechenpfennige 
und  metallene  Knöpfe  mit  darunter  zu  mischen.  S.  ipp  unten 
ist  eine  Stelle,  die  mich  in  einige  Verlegenheit  gesetzt  hat.  Im 
Manuskript  stund  Freunde  der  neuen  Philosophie,  allein,  als  ich 


An  3^akob  Sigistnund  Beck  105 

die  Stelle  im  Druck  las,  kam  sie  mir  so  beleidigend  für  einige 
meiner  besten  Bekannte  vor,  und  das  so  ganz  wider  meine 
Absicht,  daß  ich,  um  keine  Partei  zu  beleidigen  und  um  kurz 
abzukommen.  Feinde  setzte,  da  sie  denn  beide  wohl  mit  mir  eins 
sein  werden.^) 

Nun  leben  Sic  recht  wohl,  verehrungswürdiger  Mann,  und 
nehmen  Sie  mich  in  Ihren  Schutz,  denn  auch  ich  habe  meine 
Feinde,  und  sein  Sie  versichert,  daß  ich  mit  der  größten  Hoch- 
achtung und  Verehrung  bin 

Ihr 

gehorsamster  Diener 

Göttingen,  den  30.  Oktober  1791.  G.  C.  Lichtenberg. 


272. 
An  Jakob  Sigismund  Beck. 

Wertester  Herr  Magister! 

Meine  Antwort  auf  Ihr  mir  angenehmes  Schreiben  vom 
8.  Oktober  kommt  etwas  spät,  aber,  wie  ich  hoffen  will,  doch 
nicht  zu  spät,  um  Sie  in  Ihren  Arbeiten  aufgehalten  zu  haben. 
Meine  Dekanats-  und  andere  Geschäfte  haben  mich  zeither  auf- 
gehalten und  selbst  das  Vorhaben,  zu  antworten,  mir  aus  den 
Gedanken  gebracht. 

Ihre  Bedenklichkeit,  sich  um  bloßen  Gevv'inns  willen  dem 
leidigen  Troß  der  Büchermacher  beizugesellen,  ist  ganz  gerecht. 
Eben  so  vernünftig  ist  aber  auch  Ihr  Entschluß,  wenn  Sie  glauben 
dem  Publikum  „etwas  Gedachtes  und  nicht  Unnützes"  vorlegen 
zu  können,  auch  ohne  den  Bewegungsgrund  des  Erwerbs  zu  dem 
öffenthchen  Kapital  der  Wissenschaft  gleich  Ihren  Vorfahren  (deren 
hinterlassenen  Fonds  Sie  benutzt  haben)  auch  Ihren  Beitrag  zu  tun. 

*)  Vgl.  Lichtenbergs  Erklärung  Hogarthischer  Kupferstiche  im 
Göttinger  Taschen  Calender  für  das  Jahr  1792.  Bei  der  Erklärung  des 
achten  Blattes,  das  ein  Festmahl  darstellt,  bemerkt  L.  zu  der  Figur 
eines  Gastes,  der  am  Essen  nicht  teilzunehmen  scheint:  „Nur  der  arme, 
arme  Nr.  3,  was  wird  aus  dem  werden?  Er  geht  zum  Schmaus  und 
ißt  nicht.  Oder  zehrt  er  vielleicht  an  sich?  Die  Feinde  der  neueren 
Philosophie  werden  sagen:  seht  da  das  Ebenbild  einer  Metaphysik,  die 
sich  selbst  auffrißt." 


io6  Von  Jak  oh  S'tgismund  Beck 

Zwar  hätte  ich  gewünscht,  daß  Sie  von  den  zwei  Abhand- 
lungen, die  Sie  Herrn  HARTKNOCH  in  Vorschlag  brachten,  die 
erstere  gewählt  hätten,  um  damit  zuerst  aufzutreten;  weil  die 
Theorie  des  Vorstellungsvermögens  des  Herrn  REINHOLD  so 
sehr  in  dunkele  Abstraktionen  zurückgeht,  wo  es  unmöglich  wird, 
das  Gesagte  in  Beispielen  darzustellen,  so,  daß,  wenn  sie  auch  in 
allen  Stücken  richtig  wäre  (welches  ich  wirklich  nicht  beurteilen 
kann,  da  ich  mich  noch  bis  jetzt  nicht  habe  hineindenken  können), 
sie  doch  eben  dieser  Schwierigkeit  wegen  unmöglich  von  aus- 
gebreiteter oder  daurender  Wirkung  sein  kann,  vornehmlich  aber 
auch  Ihre  Beurteilung,  so  sehr  mich  auch  die  mir  gütigst  zu- 
geschickte Probe  derselben  von  Ihrer  Gabe  der  DeutHchkeit  auf 
angenehme  Art  überzeugt  hat,  die  der  Sache  selbst  anhängende 
Dunkelheit  nicht  wohl  wird  vermeiden  können.  —  Vor  allem 
wünsche  ich,  daß  Herr  REINHOLD  aus  Ihrer  Schrift  nicht  den 
Verdacht  ziehe,  als  hätte  ich  Sie  dazu  aufgemuntert  oder  an- 
gestiftet, da  es  vielmehr  Ihre  eigene  Wahl  ist;  auch  kann  ich, 
wenigstens  jetzt  noch  nicht,  Sie  mit  demselben,  wie  ich  Sinnes 
war,  bekannt  machen,  weil  es  ihm  alsdann  leichtlich  falsche 
Freundschaft  zu  sein  scheinen  möchte.  Übrigens  zweifle  ich  gar 
nicht,  daß  der  Ton  Ihrer  Schrift  nichts  für  diesen  guten  und 
sonst  aufgeweckten,  jetzt  aber,  wie  mir  es  scheint,  etwas  hypo- 
chondrischen Mann,  Hartes  oder  Kränkendes  enthalten  werde. 

Ihr  Vorhaben,  wertester  Freund,  aus  meinen  kritischen  Schriften 
einen  Auszug  zu  machen,  da  Sie  von  deren  Wahrheit  und  Nütz- 
lichkeit überzeugt  zu  sein  bezeugen,  ist  ein  für  mich  sehr  inter- 
essantes Versprechen;  da  ich  meines  Alters  wegen  dazu  selbst 
nicht  mehr  wohl  auferlegt  bin  und  unter  allen,  die  diesem  Ge- 
schäfte sich  unterziehen  möchten,  der  Mathematiker  mir  der  liebste 
sein  muß.  Die  Ihnen,  die  eigene  Moral  betrefi^ende,  vorgekom- 
mene Schwierigkeiten  bitte  mir  zu  eröffiien.  Mit  Vergnügen 
werde  ich  sie  zu  heben  suchen  und  ich  hoffe  es  leisten  zu  körmen, 
da  ich  das  Feld  derselben  oft  und  lange  nach  allen  Richtungen 
durchkreuzt  habe. 

Die  mir  zugesandte  Probe  Ihrer  Abhandlung  behalte  ich 
zurück,  weil  in  Ihrem  Briefe  nicht  angemerkt  ist,  daß  ich  sie 
zurückschicken  solle. 

Aber  darin  kann  ich  mich  nicht  finden;  was  Sie  zum  Schlüsse 
Ihres  Briefes  anmerken,  daß  Sie  ihn  auf  mein  Verlangen  für  das- 
mal    nicht   frankierten    und    dennoch    habe   ich  ihn  frankiert  be- 


Von   'Johann  Benjamin  Erhard  -107 

kommen.  Tun  Sic  doch  dieses  künftig  beileibe  nicht.  Der 
Aufwand  bei  unserer  Korrespondenz  ist  für  mich  unerheblich, 
für  Sie  aber  jetzt  sowohl  als  noch  eine  ziemhche  Zeit  hin  er- 
heblich gnug,  um  die  letztere  deswegen  bisweilen  auszusetzen, 
welches  für  mich  Verlust  wäre. 

Daß  Herr  Professor  KRAUS  alle  Gelehrte  gern  zu  Hagestolzen 
machen  möchte,  die,  weil  so  viel  Kinder  bald  nach  der  Geburt 
sterben,  sich  untereinander  bereden,  keine  mehr  zu  zeugen,  gehört 
zu  seinen  fest  beschlossenen  Grundsätzen,  von  denen  unter  allen 
Menschen  wohl  keiner  weniger  als  ich  imstande  sein  würde,  ihn 
abzubringen.  In  Ansehung  der  Partei,  die  Sie  in  diesem  Punkte 
zu  nehmen  haben,  bleiben  Sie,  was  mich  betrifft,  noch  immer 
völlig  frei.  Ich  verlange  mich  nicht  einer  Autorsünde  teilhaftig 
zu  machen  und  wegen  der  Gewissensskrupel,  die  Ihnen  darüber 
etwa  dereinst  entspringen  oder  von  andern  erregt  werden  möchten, 
die  Schuld  zu  tragen:  und  bleibe  übrigens  mit  aller  Hochschätzung 
und  Freundschaft 

Ihr 

Königsberg,  ergebenster  Diener 

den   2.  November    1791.  I-  Kant. 


273. 
Von  Johann  Benjamin  Erhard. 

Jena,  den   6.  September   1791. 
Teurster  Lehrer! 

Innig  Hebte  und  verehrte  ich  Sie,  da  ich  es  noch  nicht  wagen 
durfte,  Sie  mir  unter  einen  andern  Namen  zu  denken,  aber  viel 
hat  diese  Liebe  und  Achtung  an  frohen  Genüsse  für  mich  und 
an  Einfluß  auf  mein  Leben  gewonnen,  seitdem  mir  das  Glück 
zuteil  wurde,  Sie  auch  meinen  Freund  nennen  zu  dürfen. 

Meine  Reise  von  Königsberg  hieher,  wo  ich  bloß  meine 
Freunde  SCHILLER  und  REINHOLD,  in  dessen  Hause  ich  nun 
wohne,  besuche  und  dann  meine  Reise  meinem  Plan  gemäß  weiter 
fortsetze,  machte  ich  ohne  allen  widrigen  Zufall  und  mit  den 
seligsten  Rückerinncrungen.  In  Berlin  fand  ich  bei  Professor 
HERZ   eine    sehr    gute  Aufnahme    und    machte    durch    ihn   viele 


I  o  8  Von  !7ohann  Beiiajmin  Erhai'd 

angenehme  Bekanntschaften.  Er  selbst  hat  zwar  keine  Zeit  mehr, 
sich  eigentlich  mit  Philosophie  zu  beschäftigen,  aber  er  hat  dafür 
sehr  gute  Köpfe  um  sich  gesammelt.  Ein  gewisser  BEN  DAVID') 
verspricht  mir  darunter  sehr  viel  für  die  Zukunft.  MAIMON 
lernte  ich  nicht  persönlich  kennen,  ich  suchte  ihn  ein  paarmal 
auf  und  fand  ihn  nicht,  aber  da  ich  nun  sein  philosophisches 
Wörterbuch  sah,  so  bedauere  ich  es  nicht  im  geringsten,  denn 
dieses  verrät,  was  ich  am  wenigsten  leiden  mag,  schrecklichen 
Hang  zum   Tiefsinn   —  ohne  allen  tiefen  Sinn. 

Eine  meiner  wertesten  Bekanntschaften  machte  ich  am  Kam- 
mergerichtsrat KLEIN.  ^)  Dies  ist  einer  von  den  seltnen  Männern, 
deren  Enthusiasmus  ihlrer  Einsicht  untergeordnet  ist,  ohne  erkaltet 
zu  sein.  Der  vorzüglichste  Gegenstand  unserer  Unterhaltung  war 
das  Kriminalrechr  Ich  will  die  Hauptpunkte,  in  denen  wir 
übereinkamen,  Ihnen  zu  Ihrer  Prüftmg,  die  Sie  mir  wohl  nicht 
versagen?  vorlegen. 

1.  Die  Übertretung  der  Gesetzen,  nicht  der  Schaden  der  Ge- 
sellschaft bestimmt  die  Größe  des  Verbrechens. 

2.  EigentUch  Verbrechen  (Crimina)  können,  da  das  moralische 
Gesetz  nicht  bedingt  unter  Drohung  eines  gewissen  Ver- 
lustes gebietet,  auch  nicht  bedingt  verboten  sein,  so  näm- 
lich, daß  durch  die  Erduldung  der  Strafe  allein,  ohne 
Buße  der  Verbrecher  wieder  eben  so  moraHsch  als  vor 
den  Verbrechen  anzusehen  sei. 

3.  Da  das  Gesetz  absolut  gebietet,  so  kann  auch  die  Strafe 
nicht  als  ein  Mittel  zu  einem  andern  Zweck,  sondern 
einzig  zur  Heiligung  (nicht  zur  Erfüllung  auf  eine  andere 
Art)  des  Gesetzes  gebraucht  werden. 

4.  Sie  ist  also  etwas  Verwirktes,  das  ohne  alle  andere  Er- 
wartung oder  Absicht  erduldet  werden  muß. 

5.  Aber  da  nicht  Genugtuung  des  Schadens,  noch  Besserung 
noch  Beispiel  die  Absicht  der  Strafe  sein  kann,  so  kann 
man  auch  nicht  sagen,  daß  sie  die  Erduldung  eines  physi- 
schen Übel,  als  solches,  wegen  eines  moralischen  Vergehens 
sei,  sondern  sie  ist  das  Symbol  der  Strafwürdigkeit  einer 
Handlung,  durch  eine  denen  Rechten,  die  der  Verbrecher 
verwirkt  hat,  entsprechende  Kränkung  desselben. 

^)  Lazarus  Bendavid  s.  Bd.  IX,  S.  367. 

*)  Ernst   Ferdinand    Klein    (1744  — 18 10),    hervorragender    Jurist, 
Kammergerichtsrat  in  Berlin. 


Von  'Johann  Benjamin  Erhard  109 

6.  Die  Bestrafung  setzt  die  Einsicht  der  Verbindlichkeit  mo- 
ralisch zu  handeln,  die  Mündigkeit  des  Verbrechers  voraus. 
Unmündige  können  nur  gezüchtigt  werden. 

7.  Die  Bestrafung  setzt  die  Fähigkeit  der  Reflexion  während 
der  Handlung  voraus,  im  Falle  diese  bei  dem  Verbrecher 
nicht  stattfand,  kann  er  auch  nicht  gestraft  werden,  sondern 
er  ist  der  Rechte  der  Mündigkeit  verlustigt  und  wird  ge- 
züchtigt. 

8.  Meinen  Rechten  ist  ihre  Gültigkeit  entweder  durch  die 
Gesellschaft  allein  gesichert,  oder  auch  einesteils  durch 
mich  selbst,  obgleich  meine  Macht  nicht  immer  hinläng- 
lich ist.  Im  ersten  Fall  macht  sich  der  Verbrecher  dieser 
Gültigkeit  verlustigt,  und  im  andern  Falle  ersetzt  die  Ge- 
sellschaft meine  physische  Macht  und  behandelt  den  Ver- 
brecher nach  dem  Recht,  das  er  mir  durch  seine  Be- 
leidigung über  ihn  gab.  Zum  Beispiel  der  Dieb  macht 
sich  seines  Eigentums  verlustigt.  Der  Mörder  hätte  dürfen 
von  mir  umgebracht  werden,  ehe  er  seine  Absicht  aus- 
führte, die  Gesellschaft  übt  also  meinRecht  über  ihn  aus. 

9.  Das  morahsche  Gesetz  gibt  mir  nicht  allein  die  Vorschrift, 
wie  ich  andere  behandeln  soll,  sondern  auch,  wie  ich 
mich  von  andern  soll  behandeln  lassen,  es  verbietet  mir 
sowohl  den  Mißbrauch  anderer  Menschen,  als  die  Er- 
duldung  desselben,  die  Wegwerfung  meiner   selbst. 

10.  Es  ist  mir  daher  ebensowohl  befohlen,  kein  Unrecht  zu 
leiden  als  keines  zu  tun.  Aber  ersteres  ist  mir  allein 
ohne  Hilfe  zwar  im  Vorsatz  aber  nicht  in  der  Ausfährung 
möglich,  und  dadurch  ist  mir  und  allen  Menschen  die 
Aufgabe  gemacht,  ein  Mittel  zu  finden,  durch  welches 
meine  physischen  Kräfte  meinen  moralischen  Forderungen 
gleich  würden.  Hieraus  entspringt  der  moralische  Trieb 
und  die  Verbindlichkeit  zur  Geselligkeit, 

1 1.  Durch  die  Gesellschaft  wird  nun  das  Erlaubte  zum  Recht, 
und  die  Übertretung  der  Sittengesetze  zum  Verbrechen. 
Nur  nach  der  Entwicklung  der  Rechte  lassen  sich  die 
Verbrechen  richtig  ihrer  Größe  nach  bestimmen. 

1 2.  Die  Gesellschaft,  insofern  sie  den  Schutz  der  Rechte  und 
die  Bestrafijng  der  Verbrechen  zur  Hauptabsicht  hat,  heißt 
bürgerliche  Gesellscliaft.  Sie  ist  daher  nicht  bloß  nützlich, 
sondern  heilig. 


I  10 


Von  !^ohann  Benjamin  Erhard 


13.  Verachtung  und  Zerstörung  der  bürgerlichen  Gesellschaft, 
Hochverrat  ist  daher  das  größte  Verbrechen,  und  seine 
Strafe  darf  durch  keine  andere  irgend  eines  Verbrechens 
übertrotFen  werden. 
Ich  bleibe  hier  stehen,  weil  ich  einige  Anmerkungen  über 
diese  i  3  Sätze  beifügen  will.  Die  Ordnung,  in  der  ich  sie  stellte, 
mag  wohl  nicht  die  beste  sein,  aber  ich  folgte  meinem  Ideen- 
gang, der  immer  halb  analytisch  und  halb  synthetisch  ist.  Dann 
machte  es  mir  auch  einige  Mühe,  aufrichtig  zu  sein,  weil  ich 
hier  schon  den  Anfang  eines  Aufsatzes  meines  Freundes  über  die 
Prinzipien  des  Naturrechts  las,  worinnen  ich  manche  ßegrifi-  viel 
besser  entwickelt  und  ausgedrückt  fand,  als  sie  bei  mir  waren, 
da  ich  mit  KLEIN  sprach,  und  ich  Ihnen  doch  unsere  gemein- 
schaftlichen Grundsätze  vorlegen  wollte.  Der  1 3 .  Satz  gehört 
auch  eigentlich  nicht  mehr  hinzu,  aber  ich  fügte  ihn  bei,  weil 
er  mir  eine  Bestätigung  meiner  Lieblingshypothese  scheint,  daß 
die  Menschen  nie  etwas  hervorbrachten,  glaubten,  liebten  oder 
verabscheueten,  wozu  sich  nicht  eine  Veranlassung  in  den  edlern 
Teil  ihrer  Natur  findet.  Ihre  Verirrungen  kommen  immer  daher, 
daß  sie  ihre  eigenen  Geschöpfe  für  ihre  Götter  ansehen.  Ich 
stelle  mir  die  Sache  so  vor.  Bei  der  Philosophie  (worunter  ich 
hier  alles  verstehe,  was  sich  auf  das  moralische  Interesse  der 
Menschen  bezieht,  auch  die  Theologie)  ist  es  nicht  wie  mit 
andern  Wissenschaften  und  Künste,  deren  Stoffe  sich  nur  nach 
und  nach  darbieten,  deren  Beobachtung  oft  Werkzeuge  erfordert, 
sondern  aller  Stoff  der  Philosophie  war  von  jeher  dem  Menschen 
ganz  gegeben,  und  von  seiner  Kraft  und  Willen  hing  es  ab,  wie 
viel  er  zum  klaren  oder  deutlichen  Bewußtsein  davon  brachte.  Für 
den,  dessen  reine  Moralität  ihn  fähig  machte,  in  sich  zu  kehren, 
waren  diese  Kenntnisse  das,  was  sie  sind,  Entdeckungen  des  edlern 
Teil  des  Menschen,  und  keine  außer  uns  hypostasierte  Ideale, 
aber  für  den,  der  diese  Entdeckungen  nicht  selbst  machte,  waren 
sie  etwas,  das  der  Erkenntnis,  die  einen  objektiven  Stoff,  fordert, 
ganz  analog  war,  und  sie  setzten  einen  erdichteten  objektiven 
Stoff  voraus,  ja  selbst  die  ersten  Entdecker  konnten,  da  sie  oft 
schon  in  Rücksicht  anderer  Erkenntnisse  zu  dieser  Verfahrungsar t 
gewöhnt  waren,  endlich  selbst  in  Rücksicht  auf  ihre  eigene 
Lehren  in  diesen  Irrtum  verfallen.  War  nun  einmal  ein  hypo- 
stasiertes  Ideal  angenommen,  so  wurde  es,  da  ihm  kein  Objekt 
korrespondierte    und    doch    jeder    eine    neue    Entdeckung    daran 


Von  ^akob  Sigismund  Beck 


1 1 1 


machen  wollte,  zum  Phantom,  und  in  dieser  Gestalt  blieb  es  den 
Scharfsichtigen  und  Boshaften  nicht  mehr  heilig  genug,  um  nicht 
zu  betrügerischen  Absichten  gebraucht  zu  werden.  Ein  gleiches 
Schicksal  hatte  auch  der  Begriff  von  Hochverrat  und  seine  ge- 
rechteste Bestrafung  die  Achtserklärung. 

Gleiches  Schicksal  werden  alle  philosophische  Kenntnisse  noch 
immer  haben,  bis  sich  die  Menschen  an  dem  behutsamen  Geist 
des  Piülosophierens  allgemein  gewöhnen,  den  Sie  ihnen  zeigten. 
Ich  Weiß  nicht,  ob  ich  mich  deutlich  über  meine  letzte  Meinung 
ausdrücken  konnte,  ich  zweifle  selbst  daran,  aber  ich  hoffe,  daß 
Ihre  Erinnerung  mir  dazu  verhelfen  werden. 

Leben  Sie  noch  lange  wohl. 

Ihr 
Sie  innigst  verehrender 

Jo.  Benj.  Erh. 

N.  S.  Meine  Adresse  ist  an  Herrn  FRANZ  PAUL  Baron 
VON  HERBERT  in  Klagenfurt. 


Z74. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den  ii.  November  1791. 
Teuerster  Herr  Professor! 
Bald  nachdem  ich  den  Brief  vom  2.  Oktober  an  Sie  geschrieben 
hatte,  und  noch  täglich  an  der  Prüfung  der  Theorie  des  Vor- 
steUungsvermögens  etwas  arbeitete,  wurde  der  Gedanke  mir  immer 
auffallender,  daß  ich  doch  im  Grunde  für  kein  Publikum  schriebe. 
Da  ich  nun  gestern  Ihren  mir  sehr  heben  Brief  vom  2.  No- 
vember erhielt,  so  beschloß  ich  gleich,  diese  Arbeit  ganz  beiseite 
zu  legen.  Aber,  obgleich  dem  so  ist,  so  liegt  mir  doch  daran, 
Sie  zu  versichern,  daß  ich  weit  entfernt  gewesen,  etwas  in  meine 
Schrift  zu  setzen,  -was  Herrn  REINHOLD  auf  den  Gedanken 
bringen  könnte,  daß  Sie  was  darum  wüßten.  Auch  hatte  ich 
mir  nichts  Hartes  gegen  diesen  Mann  erlaubt,  der  des  Wahrheit- 
gefühls wegen,  das  er  in  seiner  Schrift  äußert,  mir  immer  sehr 
schätzbar  ist.  Ganz  unnütze  für  mich  ist  auch  meine  Beschäfti- 
gung mit  seiner  Theorie  nicht  gewesen,  indem  ich  vieles  mehr 
nachgedacht  und  mir  auch  geläufiger  gemacht  habe. 


112 


Von  fakob  Sigismund  Beck 


Ich  wende  mich  nun  zu  der  mir  weit  interessanteren  Arbeit, 
einen  Auszug  aus  Ihren  kritischen  Schriften  zu  verfertigen,  und 
schiebe  die  dem  Herrn  HARTKNOCH  angebotene  Schrift  über 
HUME  noch  etwas  auf.  Mit  dem  mir  möghchen  Fleiß  will  ich 
arbeiten  und  werde,  bester  Herr  Professor,  da  Sie  es  mir  ja  er- 
lauben, Ihnen  das  schreiben,  was  ich  noch  nicht  tief  genug  bis 
zur  eigenen  Beruhigung  einsehe.  Wenn  Sie  nun  so  gütig  sein 
wollen,  deswegen  an  Herrn  HARTKNOCH  zu  schreiben,  so  wird 
mir  das  sehr  angenehm  sein.  Er  wird  aber  auch  so  gut  sein 
müssen,  mir  aus  seinem  Lager  in  Leipzig  einige  Sachen,  besonders 
Journale,  die  ich  mir  ausbitten  werde,  zu  schicken. 

Und  nun,  erlauben  Sie  mir  zu  fragen,  ob  ich  in  folgendem 
Ihren  Sinn  treffe.  Nur  muß  ich  Sie  vorher  bitten,  doch  nicht 
verdrüßlich  zu  werden,  wenn  bei  der  Versicherung  die  Kritik 
beherzigt  zu  haben,  ich  doch  vielleicht  zu  fehlerhaft  schreibe. 

Die  Kritik  nennt  die  Anschauung  eine  Vorstellung,  die  sich 
unmittelbar  auf  ein  Objekt  bezieht.  Eigentlich  aber  wird  doch 
eine  Vorstellung  allererst  durch  Subsumtion  unter  die  Kategorien 
objektiv.  Und  da  auch  die  Anschauung  diesen,  gleichsam  objek- 
tiven Charakter,  auch  nur  durch  Anwendung  der  Kategorien  auf 
dieselbe  erhält,  so  wollte  ich  gern  jene  Bestimmung  der  An- 
schauung, wonach  sie  eine  auf  Objekte  sich  beziehende  Vor- 
stellung ist,  weglassen.  Ich  finde  doch  in  der  Anschauung  nichts 
mehr,  als  ein  vom  Bewußtsein  (oder  dem  einerlei  Ich  denke) 
begleitetes  und  zwar  bestimmtes  Mannigfaltige,  wobei  noch  keine 
Beziehung  auf  ein  Objekt  scattfindet.  Auch  den  Begriff  will 
ich  nicht  gern  eine  Vorstellung,  die  sich  mittelbar  auf  ein 
Objekt  bezieht,  nennen;  sondern  unterscheide  ihn  darin  von  der 
Anschauung,  daß  diese  durchgängig  bestimmt,  und  jener  nicht 
durchgängig  bestimmt  ist.  Denn  Anschauung  und  Begriff  erhalten 
ja  erst  durch  das  Geschäfte  der  Urteilskraft,  die  sie  dem  reinen 
Verstandesbegriff  subsumiert,  das  Objektive,  f) 


f)  Anmerkung  Kants:  „Die  Bestimmung  eines  Begriffs  durch  die  An- 
schauung zu  einer  Erkenntnis  des  Objekts  gehört  für  die  Urteilskraft,  aber 
nicht  die  Beziehung  der  Anschauung  auf  ein  Objekt  überhaupt;  denn  das 
ist  bloß»  der  logische  Gebrauch  der  Vorstellung,  dadurch  diese  als  zum 
Erkenntnis  gehörig  gedacht  wird,  dahingegen  wenn  diese  einzelne  Vor- 
stellung bloß  aufs  Subjekt  bezogen  wird,  der  Gebrauch  ästhetisch  isc  (Ge- 
fühl) und  die  Vorstellung  kein  Erkenntnisstück  werden  kann." 


Von  Jakoh  Sigismuyid  Beck  1 1  j 

Unter  dem  Worte  verbinden  in  der  Kritik  verstehe  ich 
nichts  mehr  noch  minder,  als  das  Mannigfaltige  von  dem  identi- 
schen Ich  denke,  begleiten,  wodurch  überhaupt  eine  Vorstellung 
entsteht.  Nun  meine  ich,  daß  die  ursprüngliche  Apperzeption 
eben  um  dieser  einen  Vorstellung  willen,  die  dadurch  nur  zu- 
stande kommen  kann,  von  der  Kritik  die  Einheit  der  Apper- 
zeption genannt  wird.  Aber  habe  ich  auch  darin  recht,  daß  ich 
beide  verwechsele,  oder  vielmehr  darin  lediglich  den  Unterschied 
finde,  daß  das  reine  Ich  denke,  obgleich  es  nur  an  der  Syn- 
thesis  des  Mannigfaltigen  erhalten  wird,  doch  überhaupt  (da  es 
selbst  nichts  Mannigfaltiges  in  sich  schließt)  als  etwas  Unab- 
hängiges von  demselben  gedacht  wird;  hingegen  die  Einheit  des 
Bewußtseins  in  der  Identität  desselben  bei  den  Teilen  des  Man- 
nigfaltigen zu  setzen  sei?  Diese  Einheit  erhält  nun  in  meinen 
Augen  den  Charakter  der  objektiven  Einheit,  wenn  die  Vor- 
stellung selbst  unter  die  Kategorie  subsumiert  wird.  Herr  REIN- 
HOLD spricht  von  einer  Verbindung  und  einer  Einheit  im  Be- 
griff, einer  zweiten  Verbindung  und  einer  zweiten  Einheit  (von 
der  zweiten  Potenz,  wie  er  sich  ausdruckt)  im  Urteil.  Auch  hat 
er  noch  eine  dritte  im  Schluß.  Davon  verstehe  ich  zwar  nicht 
ein  Wort,  indem  ich  unter  Verbinden  nichts  mehr  als  das  Man- 
nigfaltige vom  Bewußtsein  begleiten,  verstehe,  aber  doch  macht 
es  mich  mißtrauisch  gegen  mich  selbst. 

Mein  teuerster  Lehrer,  Ihnen  Zeit  rauben  ist  nicht  meine 
Sache.  Aber,  indem  ich  für  diesesmal  nichts  weiteres  Ihnen  vor- 
legen will,  muß  ich  Sie  inständigst  bitten,  mit  wenigen  Worten 
mich  über  das  Vorgelegte  zu  beruhigen.  '  Denn  wenn  ich  irre, 
so  würden  doch  wohl  nur  einige  Winke  hinlänghch  mich  auf 
die  rechte  Bahn  führen.  Es  verhält  sich  mit  diesem  Studium 
darin  ganz  anders  wie  mit  dem  der  Mathematik.  Sätze  der  letztern, 
einmal  deutlich  eingesehen,  können  wohl  an  Deutlichkeit  nichts 
mehr  gewinnen.  Dies  letztere  findet  doch  in  der  Philosophie 
statt.  KLÜGEL,  dessen  Scharfsinn  ich  oft  zu  bemerken  Gelegen- 
heit habe,  versichert  mich,  daß,  obgleich  gar  einmal  er  ein 
Kollegium  über  die  Metaphysik  der  Natur  gelesen,  er  lange 
nachher  erst  ein  einigermaßen  wid  ges  Vorurteil  sowohl  gegen 
jene  Metaphysik,  als  auch  wohl  gegen  die  Kritik  bis  auf  den 
Punkt,  daß  er  sie  schätze,  indem  er  sie  immer  mehr  verstehe, 
abgelegt  habe.  Ich  erinnere  mich  noch  gar  wohl,  wie  er,  um  die 
Zeit,  da  ich  hier  angekommen  war,  über  die  Bestimmung,  wonach 

Kants  Schriften.    Bd.  X.  g 


114  ^^^  .7akoh  Sigismund  Beck 

die  Mathematik  eine  Wissenschaft  durch  Konstruktion  der  Be- 
griffe sei,  urteilte.  Ich  konnte  lange  nicht  erraten,  was  er  damit 
haben  wollte,  daß  sie  eine  Wissenschaft  der  Formen  der  Größen 
sei,  und  erfuhr  erst,  da  ich  disputierte,  daß  seine  Erklärung  genau 
mit  der  Ihrigen  kongruiere.  Die  Kritik  der  Urteilskraft  befriedigt 
mich  ganz.  Nur  müssen  Sie  nicht  zürnen,  daß  ich  jetzt  erst  mit 
dem  ästhetischen  Teil  fertig  bin.  Ich  bin  mit  der  reinsten  Hoch- 
achtung 

der  Ihrige 
Beck. 

An  Jakob  Sigismund  Beck. 

Wertester  Freund  20.  Januar    1792. 

Ich  habe  Sie  auf  Ihren  Brief  vom  9.  Dezember  vorichten  Jahres 
lange  warten  lassen,  doch  ohne  meine  Schuld,  weil  mir  dringende 
Arbeiten  auf  dem  Halse  lagen,  das  Alter  mir  aber  eine  sonst 
nicht  gefühlte  Notwendigkeit  auferlegt,  über  einen  Gegenstand, 
den  ich  bearbeite,  das  Nachdenken  durch  keine  allotria  zu  unter- 
brechen» bis  ich  mit  diesem  zu  Ende  bin;  weil  ich  sonst  den 
Faden  nicht  mehr  wohl  auffinden  kann,  den  ich  einmal  aus  den 
Händen  gelassen  habe.  Künftig  soll  es,  wie  ich  hoffe,  keinen 
so  langen  Aufschub  mehr  geben. 

Sie  haben  mir  Ihre  gründliche  Untersuchung  von  demjenigen 
vorgelegt,  was  gerade  das  schwerste  von  der  ganzen  Kritik  ist, 
nämlich  die  Analysis  einer  Erfahrung  überhaupt  und  die  Prinzipien 
der  Möglichkeit  der  letzteren.  —  Ich  habe  mir  sonst  schon  einen 
Entwurf  gemacht  in  einem  System  der  Metaphysik  diese  Schwierig- 
keit umzugehen  und  von  den  Kategorien  nach  ihrer  Ordnung 
anzufangen  (nachdem  ich  vorher  bloß  die  reine  Anschauungen 
von  Raum  und  Zeit,  in  welchen  ihnen  Objekte  allein  gegeben 
werden,  vorher  exponiert  habe,  ohne  noch  die  Möglichkeit  der- 
selben zu  untersuchen)  und  zum  Schlüsse  der  Exposition  jeder 
Kategorie,  zum  Beispiel  der  Quantität  und  aller  darunter  ent- 
haltenen Prädikabilien,  samt  den  Beispielen  ihres  Gebrauchs,  nun 
beweise:  daß  von  Gegenständen  der  Sinne  keine  Ei  fahrung  möglich 
sei,  als  nur,  sofern  ich  a  priori  voraussetze,  daß  sie  insgesamt 
als  Größen  gedacht  werden  müssen  und  so  mit  allen  übrigen; 
wobei  dann  immer  bemerkt  wird,  daß  sie  uns  nur  als  in  Raum 


An  Jakoh  Sigismund  Beck  1 1 5 

und  Zeit  gegeben  vorgestellt  werden.  Woraus  dann  eine  ganze 
Wissenschaft  der  Ontologie  als  immanenten  Denkens  das  ist 
desjenigen,  dessen  Begriffen  man  ihre  objektive  Realität  sichern 
kann,  entspringt.  Nur  nachdem  in  der  zweiten  Abteilung  gezeigt 
worden,  daß  in  derselben  alle  Bedingungen  der  Möglichkeit 
der  Objekte  immer  wiederum  bedingt  seien  und  gleichwohl  die 
Vernunft  unvermeidlich  aufs  Unbedingte  hinauszugehen  antreibt, 
wo  unser  Denken  transszendent  wird,  das  ist  den  Begriffen 
derselben  als  Ideen  die  objektive  Realität  gar  nicht  verschafft 
werden  und  also  kein  Erkenntnis  der  Objekte  durch  dieselbe 
stattfinden  kann:  in  der  Dialektik  der  reinen  Vernunft  (der  Auf- 
stellung ihrer  Antinomien)  wollte  ich  zeigen,  daß  jene  Gegen- 
stände möglicher  Erfahrung  als  Gegenstände  der  Sinne  die  Objekte 
nicht  als  Dinge  an  sich  selbst,  sondern  nur  als  Erscheinungen  zu 
erkennen  geben  und  nun  allererst  die  Deduktion  der  Kategorien 
in  Beziehung  auf  die  sinnliche  Formen  von  Raum  und  Zeit  als 
Bedingungen  der  Verknüpfung  derselben  zu  einer  möglichen  Er- 
fahrung vorstellig  machen,  den  Kategorien  selbst  aber  als  Begriffen, 
Objekte  überhaupt  zu  denken  (die  Anschauung  mag  von  einer 
Form  sein  welche  sie  wolle)  dann  den  auch  über  die  Sinnen- 
grenzen erweiterten  Umfang,  der  aber  kein  Erkenntnis  verschafft, 
ausmachen.     Allein  hievon  gnug. 

Sie  haben  es  ganz  wohl  getroffen,  wenn  Sie  sagen:  „Der  In- 
begriff der  Vorstellungen  ist  selbst  das  Objekt  und  die  Hand- 
lung des  Gemüts,  wodurch  der  Inbegriff  der  Vorstellungen  vor- 
gestellt wird,  heißt  sie  auf  das  Objekt  beziehen."  Nur  kann  man 
noch  hinzufügen:  wie  kann  ein  Inbegriff:  Complexus  der  Vor- 
stellungen vorgestellt  werden?  Nicht  durch  das  Bewußtsein,  daß 
er  uns  gegeben  sei;  denn  ein  Inbegriff  erfordert  Zusammen- 
setzen (synthesis)  des  Mannigfaltigen.  Er  muß  also  (als  In- 
begriff) gemacht  werden  und  zwar  durch  eine  innere  Handlung, 
die  für  ein  gegebenes  Mannigfaltige  überhaupt  gilt  und  a  priori 
vor  der  Art,  wie  dieses  gegeben  wird,  vorhergeht,  das  ist  er  kann 
nur  durch  die  synthetische  Einheit  des  Bewußtseins  desselben  in 
einem  Begriffe  (vom  Objekte  überhaupt)  gedacht  werden  und 
dieser  Begriff,  unbestimmt  in  Ansehung  der  Art,  wie  etwas  in 
der  Anschauung  gegeben  sein  mag,  auf  Objekt  überhaupt  bezogen, 
ist  die  Kategorie.  Die  bloß  subjektive  Beschaffenheit  des  vor- 
stellenden Subjekts,  sofern  das  Mannigfaltige  in  ihm  (für  die  Zu- 
sammensetzung   und    die    synthetische  Einheit    desselben)    auf  be- 


iiö  An  Jakoh  S'tgtsmund  Beck 

sondere  Art  gegeben  ist,  heißt  Sinnlichkeit  und  diese  Art  der 
Anschauung  a  priori  gegeben  die  sinnliche  Form  der  Anschauung. 
Beziehungsweise  auf  sie  werden  vermittelst  der  Kategorien  die 
Gegenstände  bloß  als  Dinge  in  der  Erscheinung  und  nicht  nach 
dem,  was  sie  an  sich  selbst  sind,  erkannt;  ohne  alle  Anschauung 
werden  sie  gar  nicht  erkannt,  aber  doch  gedacht,  und  wenn  man 
nicht  bloß  von  aller  Anschauung  abstrahiert,  sondern  sie  sogar 
ausschließt,  so  kann  den  Kategorien  die  objektive  Realität  (daß 
sie  überhaupt  etwas  vorstellen  und  nicht  leere  Begriffe  sind)  nicht 
gesichert  werden. 

Vielleicht  können  Sie  es  vermeiden,  gleich  anfänglich  Sinn- 
lichkeit durch  Rezeptivität,  das  ist  die  Art  der  Vorstellungen,  wie 
sie  im  Subjekte  sind,  sofern  es  von  Gegenständen  affiziert  wird, 
zu  definieren  und  es  in  dem  setzen,  was  in  einem  Erkenntnisse 
bloß  die  Beziehung  der  Vorstellung  aufs  Subjekt  ausmacht,  so, 
daß  die  Form  derselben  in  dieser  Beziehung  aufs  Objekt  der 
Anschauung  nichts  mehr  als  die  Erscheinung  desselben  erkennen 
läßt.  Daß  aber  dieses  Subjektive  nur  die  Art,  wie  das  Subjekt 
durch  Vorstellungen  affiziert  \vird,  mithin  bloß  Rezeptivität  des- 
selben ausmache,  liegt  schon  darin,  daß  es  bloß  die  Bestimmung 
des  Subjekts  ist. 

Mit  einem  Worte:  da  diese  ganze  Analysis  nur  zur  Absicht 
hat,  darzutun:  daß  Erfahrung  selbst  nur  vermittelst  gewisser  syn- 
thetischer Grundsätze  a  priori  möglich  sei,  dieses  aber  alsdann, 
wenn  diese  Grundsätze  wirklich  vorgetragen  werden,  allererst 
recht  faßlich  gemacht  werden  kann,  so  halte  ich  für  ratsam,  ehe 
diese  aufgestellt  werden,  so  kurz  wie  möglich  zu  Werke  zu  gehen. 
Vielleicht  kann  Ihnen  die  Art,  wie  ich  hiebei  in  meinen  Vor- 
lesungen verfahre,  wo  ich  kurz  sein  muß,  hiezu  einigermaßen 
behülflich  sein. 

Ich  fange  damit  an,  daß  ich  Erfahrung  durch  empirische 
Erkenntnis  definiere.  Erkenntnis  aber  ist  die  Vorstellung  eines 
gegebenen  Objekts  als  eines  solchen  durch  Begriffe;  sie  ist 
empirisch,  wenn  das  Objekt  in  der  Vorstellung  der  Sinne  (welche 
also  zugleich  Empfindung  und  diese  mit  Bewußtsein  verbunden, 
das  ist  Wahrnehmung  enthält)  Erkenntnis  aber  a  priori,  wenn 
das  Objekt  zwar,  aber  nicht  in  der  Sinnenvorstellung  (die  also 
doch  nichtsdestoweniger  immer  sinnlich  sein  kann)  gegeben  ist. 
Zum  Erkenntnis  werden  zweierlei  Vorstellungsarten  erfordert: 
I.  Anschauung,    wodurch    ein    Objekt    gegeben,    und    2.  Begriff^ 


An   'Jakoh  Sigismund  Beck  1 1 7 

wodurch  es  gedacht  wird.  Aus  diesen  zwei  Erkenntnisstücken 
nun  ein  Erkenntnis  zu  machen,  wird  noch  eine  Handlung  er- 
fordert: das  Mannigfaltige  in  der  Anschauung  Gegebene 
der  synthetischen  Einheit  des  Bewußtseins,  die  der  Begriff  aus- 
drückt, gemäß,  zusammenzusetzen.  Da  nun  Zusammensetzung 
durch  das  Objekt  oder  die  Vorstellung  desselben  in  der  An- 
schauung nicht  gegeben,  sondern  nur  gemacht  sein  kann,  so 
beruht  sie  auf  der  reinen  Spontaneität  des  Verstandes  in  Begriffen 
von  Objekten  überhaupt  (der  Zusammensetzung  des  mannigfaltigen 
Gegebenen)  Weil  aber  auch  Begriffe,  denen  gar  kein  Objekt 
korrespondierend  gegeben  werden  könnte,  mithin  ohne  alles 
Objekt  nicht  einmal  Begriffe  sein  würden  (Gedanken,  durch  die 
ich  gar  nichts  denke),  so  muß  ebensowohl  a  priori  ein  Mannig- 
faltiges für  jene  Begriffe  a  priori  gegeben  sein  und  zwar,  weil 
es  a  priori  gegeben  ist,  in  einer  Anschauung  ohne  Ding  als  Gegen- 
stand, das  ist  in  der  bloßen  Form  der  Anschauung,  die  bloß 
subjektiv  ist  (Raum  und  Zeit),  mithin  der  bloß  sinnlichen  An- 
schauung, deren  Synthesis  durch  die  Einbildungskraft  unter  der 
Regel  der  synthetischen  Einheit  des  Bewußtseins,  welche  der 
Begriff  enthält,  gemäß;  da  dann  die  Regel  auf  Wahrnehmungen 
(in  denen  Dinge  den  Sinnen  durch  Empfindung  gegeben  werden) 
angewandt,  die  des  Schematismus  der  Verstandesbegriffe  ist. 

Ich  beschließe  hiemit  meinen  in  Eile  abgefaßten  Entwurf  und 
bitte,  sich  durch  meine  Zögerung,  die  durch  zufällige  Hindernisse 
verursacht  worden,  nicht  abhalten  zu  lassen,  Ihre  Gedanken  mir, 
bei  jeder  Veranlassung  durch  Schwierigkeiten,  zu  eröffnen  und  bin 
mit  der  vorzügUchsten  Hochachtung 

Der  Ihrige 

Königsberg,  I.  Kant, 

den   ZG.  Januar    1791. 

N.  S.  Inliegenden  Brief  bitte  doch  sofort  auf  die  Post  zu 
geben. 


1 1  8  Von  Johann  Gottlieb  Fichte 

Von  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Wbhlgeborner  Herr, 

Höchstzuverehrender  Herr  Professor, 

Ich  habe  ohnlängst  die  meinem  Herzen  sehr  erfreuHche  Nach- 
richt erhalten,  daß  Euer  Wohlgeborn  mit  der  liebevollsten  Be- 
sorgsamkeit  bei  jener  unerwrarteten  Zensurverweigerung')  und 
Herrn  HARTUNGS  darauf  gefaßten  Entschlüsse  in  Ihrem  Rate 
dabei  auf  mein  mögliches  künftiges  Wohl  bedacht  gew^esen  sind. 
Das  Andenken  und  die  Besorgsamkeit  eines  Mannes,  der  meinem 
Herzen  über  alles  ehrw^ürdig  ist,  ist  mir  teuer,  und  ich  versichere 
Dieselben  hierdurch  meiner  wärmsten  Dankbarkeit  dafür;  eine 
Versicherung,  die  ich,  um  Ihrer  Zeit  zu  schonen,  erst  später  würde 
gegeben  haben,  wenn  ich  nicht  zugleich  Ihres  Rats  bedürfte. 

Ein  Gönner  nämlich,  den  ich  verehre,  bittet  mich  in  einem 
Briefe  über  diesen  Gegenstand,  der  mit  einer  Güte  geschrieben 
ist,  die  mich  rührt,  bei  einer  durch  diesen  Aufschub  des  Drucks 
vielleicht  möglichen  Revision  der  Schrift  doch  noch  ein  paar 
Punkte  in  ein  ander  Licht  zu  stellen,  die  zwischen  ihm  und  mir 
zur  Frage  gekommen  sind.  Ich  habe  nämlich  gesagt,  daß  der 
Glaube  an  eine  gegebene  Offenbarung  vernunftmäßig  nicht  aut 
Wunderglauben  gegründet  werden  könne,  weil  kein  Wunder,  als 
solches,  zu  erweisen  sei;  habe  aber  in  einer  Note  hinzugesetzt, 
daß  man,  nach  anderweitigen  guten  Gründen,  daß  eine  Offen- 
barung als  göttlich"  annehmbar  sei,  sich  allenfalls  der  Vorstellung 
von  bei  ihr  geschehnen  Wundern  bei  Subjekten,  die  so  etwas 
bedürfen,  zur  Rührung  und  Bewunderung  bedienen  könne;  die 
einzige  Milderung,  die  ich  diesem  Satze  geben  zu  können  glaubte. 
Ich  habe  ferner  gesagt,  daß  eine  Offenbarung  weder  unsre  dog- 
matischen noch  moralischen  Erkenntnisse  ihrer  Materie  nach 
erweitern  könne;  aber  wohl  zugestanden,  daß  sie  über  transszen- 
dente  Gegenstände,  über  welche  wir  zwar  das  Daß  glauben,  über 
das  Wie  aber  nichts  erkennen  können,   etwas  bis  zur  Erfahrung 

^)  Der  Dekan  der  theologischen  Fakultät  in  Halle  hatte  die  Druck- 
erlaubnis für  Fichtes  „Versuch  einer  Kritik  aller  Offenbarung"  ver- 
weigert; doch  konnte  die  Schrift  erscheinen,  nachdem  er  von  seinem 
Amt  zurückgetreten  war  (s.  Fichtes  Leben  I,    138  f.). 


An  Johann  Heinrich  Kant  119 

provisorisch,  und  für  die,  die  es  sich  so  denken  wollen,  subjektiv 
Wahres  hinstellen  könne,   welches   aber   nicht   für  eine  materielle 
Erweiterung,    sondern    bloß    für    eine    zur    Form    gehörige    ver- 
körpernde Darstellung  des  schon  a  priori   gegebnen   Geistigen  zu 
halten    sei.      Ohnerachtet    fortgesetzten    Nachdenkens    über    beide 
Punkte  habe  ich  bis  jetzt  keine  Gründe  gefunden,   die  mich  be- 
rechtigen  könnten,    jene   Resultate  abzuändern.     Dürfte  ich  Euer 
Wohlgeborn,  als  den  kompetentesten  Richter   hierüber,    ersuchen, 
mir    auch    nur   in   zwei  Worten  zu  sagen,  ob,  und  auf  welchem 
Wege  andere  Resultate   über   diese  Punkte   zu  suchen  seien,  oder 
ob    eben    jene    die    einzigen    seien,    auf  welche    eine    Kritik   des 
Offenbarungsbegritfes    unausweichlich    führen   müsse?     Ich  werde, 
wenn    Euer  Wohlgeborn    die    Güte   dieser  zwei  Worte   für  mich 
haben  sollten,    keinen  andern  Gebrauch  davon  machen,    als   den, 
der  mit  meiner  innigen  Verehrung  gegen  Sic  übereinkommt.    Auf 
oben  gedachten  Brief  habe  ich  mich  schon  dahin  erklärt,  daß  ich 
der  Sache  weiter  nachzudenken  nie  ablassen  und  stets  bereit  sein 
würde,   zurückzunehmen,    was   ich  als  Irrtum  anerkennen  würde. 

Über  die  Zensurverweigerung  an  sich  habe  ich,  nach  den  so 
deutlich  an  den  Tag  gelegten  Absichten  des  Aufsatzes,  und  nach 
dem  Tone,  der  durchgängig  in  ihm  herrscht,  [mich]  nicht  anders 
als  wundern  können.  Auch  sehe  ich  schlechterdings  nicht  ein, 
woher  die  theologische  Fakultät  das  Recht  bekam,  sich  mit 
der  Zensur  einer  solchen  Behandlung  einer  solchen  Frage  zu  be- 
fassen. 

Ich  wünsche  Euer  Wohlgeborn  die  unerschüttertste  Gesund- 
heit, empfehle  mich  der  Fortdauer  Dcroselben  gütiger  Gesin- 
nungen, und  bitte  Sie  zu  glauben,  daß  ich  mit  der  innigsten 
Verehrung  bin 

Euer  Wohlgeborn 
Krockow,  p.  Neustadt  ganz  gehorsamster 

den   2  3 .  Januar    1792.  J.  G.  Fichte. 

277. 

An  Johann  Heinrich  Kant. 

Lieber  Bruder! 
Bei  dem  Besuche,  den  Überbringer  dieses,  Herr  REIMER,  ein 
Verwandter  von  Deiner  Frau,  meiner  werten  Schwägerin,  bei  mir 


120 


An  jfohamt  Gottlieb  Fichte 


abgelegt  hat,  ermangle  ich  nicht,  was  sich  meiner  überhäuften 
Beschäftigungen  wegen  nur  in  außerordentlichen  Fällen  tun  läßt, 
mich  bei  Dir  durch  einen  Brief  in  Erinnerung  zu  bringen.  Un- 
erachtet  dieser  scheinbaren  Gleichgültigkeit  habe  ich  an  Dich, 
nicht  allein  so  lange  wir  beiderseitig  leben,  oft  genug,  sondern 
auch  für  meinen  Sterbefall,  der  in  meinem  Alter  von  6%  Jahren 
doch  nicht  mehr  sehr  entfernt  sein  kann,  brüderlich  gedacht. 
Unsere  zwei  übrige,  beides  verwitwete  Schwestern  sind,  die  älteste, 
welche  fünf  erwachsene  und  zum  Teil  schon  verheiratete  Kinder 
hat,  gänzlich  durch  mich,  die  andere,  welche  im  Sankt  Georgen- 
hospital eingekauft  ist,  durch  meinen  Zuschuß  versorgt.  Den 
Kindern  der  ersten  habe,  bei  ihrer  anfänglichen  häuslichen  Ein- 
richtung, meinen  Beistand,  und  auch  nachher,  nicht  versagt;  so, 
daß,  was  die  Pflicht  der  Dankbarkeit,  wegen  der  uns  von  unseren 
gemeinschaftlichen  Eltern  gewordenen  Erziehung  fordert,  nicht 
versäumt  wird.  Wenn  Du  mir  einmal  von  dem  Zustande  Deiner 
eigenen  Familie  Nachricht  geben  willst,  so  wird  es  mir  angenehm 
sein. 

Übrigens  bin  ich,  in  Begrüßung  meiner  mir  sehr  werten 
Schwägerin,  mit  unveränderlicher  Zuneigung 

Königsberg,  Dein 

d.  26.  Januar  treuer  Bruder 

17p 2  I.  Kant. 

278. 

An  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Ew.  Wohlgeboren  verlangen  von  mir  belehrt  zu  werden,  ob 
nicht  für  Ihre  in  der  jetzigen  strengen  Zensur  durchgefallene  Ab- 
handlung eine  Remedur  gefunden  werden  könne,  ohne  sie  gänz- 
lich zur  Seite  legen  zu  dürfen.  Ich  antworte:  Nein!  soviel  ich 
nämlich,  ohne  Ihre  Schrift  selbst  durchgelesen  zu  haben,  aus  dem, 
was  Ihr  Brief  als  Hauptsatz  derselben  anführt,  nämlich  „daß  der 
Glaube  an  eine  gegebene  Offenbarung  vernunftmäßig  nicht  auf 
Wunderglauben  gegründet  werden  könne",  schließen  kann. 

Denn  hieraus  folgt,  unvermeidlich,  daß  eine  Religion  über- 
haupt keine  andern  Glaubensartikel  enthalten  könne,  als  die  es 
auch  für  die  bloße  reine  Vernunft  sind.  Dieser  Satz  ist  nun 
meiner  Meinung  nach  zwar  ganz  unschuldig  und  hebt  weder  die 


An  Johann   Gottlieb  Fichte 


IZI 


subjektive  Notwendigkeit  einer  Offenbarung,  noch  selbst  das 
Wunder  auf  (weil  man  annehmen  kann,  daß,  ob  es  gleich  mög- 
lich ist,  sie,  wenn  sie  einmal  da  sind,  auch  durch  die  Vernunft 
einzusehen,  ohne  Offenbarung  aber  die  Vernunft  doch  nicht  von 
selbst  darauf  gekommen  sein  würde,  diese  Artikel  zu  introdu- 
zieren,  allenfalls  anfangs  Wunder  vonnöten  gewesen  sein  können, 
die  jetzt  der  Religion  zugrunde  zu  legen,  da  sie  sich  mit  ihren 
Glaubensartikeln  nun  schon  selbst  erhalten  kann,  nicht  mehr 
nötig  sei);  allein  nach  den,  wie  es  scheint,  jetzt  angenommenen 
Maximen  der  Zensur  würden  Sie  damit  doch  nicht  durchkommen. 
Denn  nach  diesen  sollen  gewisse  Schriftstellen  so  nach  dem  Buch- 
staben in  das  Glaubensbekenntnis  aufgenommen  werden,  wie  sie 
von  dem  Menschenverstände  schwerlich  auch  nur  gefaßt,  viel 
w^eniger  durch  Vernunft  als  wahr  begriffen  werden  können,  und 
da  bedürfen  sie  allerdings  zu  allen  Zeiten  der  Unterstützung  durch 
Wunder  und  können  nie  Glaubensartikel  der  bloßen  Vernunft 
werden.  Daß  die  Offenbarung  dergleichen  Sätze  nur  aus  Akkom- 
modation für  Schwache  in  einer  sinnlichen  Hülle  aufzustellen  die 
Absicht  hege,  und  dieselbe  insofern  auch,  ob  zwar  bloß  subjek- 
tive Wahrheit  haben  könne,  findet  bei  jenen  Zensurgrundsätzen 
gar  nicht  statt;  denn  diese  fordern  Anerkennung  der  objektiven 
Wahrheit  derselben  nach  dem  Buchstaben. 

Ein  Weg  bliebe  Ihnen  aber  doch  noch  übrig,  Ihre  Schrift 
mit  den  (doch  nicht  völlig  bekannten)  Ideen  des  Zensors  in 
Übereinstimmung  zu  bringen;  wenn  es  Ihnen  gelänge,  ihm  den 
Unterschied  zwischen  einem  dogmatischen,  über  allen  Zweifel 
erhabenen  Glauben  und  einem  bloß  moralischen,  der  freien,  aber 
auf  moralische  Gründe  (der  Unzulänglichkeit  der  Vernunft,  sich 
in  Ansehung  ihres  Bedürfnisses  selbst  Genüge  zu  leisten)  sich 
stützenden  Annehmung  begreiflich  und  gefällig  zu  machen; 
da  alsdann  der  auf  Wunderglauben  durch  moralisch  gute  Ge- 
sinnung gepfropfte  Religionsglaube  ungefähr  so  lauten  würde; 
„Ich  glaube,  lieber  Herr!  (d.  i.  ich  nehme  es  gern  an,  ob  ich  es 
gleich  weder  mir  noch  andern  hinreichend  beweisen  kann);  hilf 
meinem  Unglauben!"  Das  heißt  den  moralischen  Glauben  in 
Ansehung  alles  dessen,  was  ich  aus  der  Wundergeschichtserzählung 
zu  innerer  Besserung  für  Nutzen  ziehen  kann,  habe  ich  und 
wünsche  auch  den  historischen,  sofern  dieser  gleichfalls  dazu  bei- 
tragen könnte,  zu  besitzen.  Mein  unvorsätzlicher  Nichtglaube 
ist    kein    vorsätzlicher    Unglaube.       Allein    Sie    werden    diesen 


122 


Von  Johann  Heinrich  Kant 


Mittelweg  schwerlich  einem  Zensor  gefällig  machen,  der,  wie  zu 
vermuten  ist,  das  historische  Credo  zur  unnachläßlichen  Rcligions- 
pflicht  macht. 

Mit  diesen  meinen  in  der  Eile  hingelegten,  ob  zwar  nicht 
unüberlegten  Ideen  können  Sie  nun  machen,  was  Ihnen  gut 
deucht,  ohne  jedoch  auf  den,  der  sie  mitteilt,  weder  ausdrücklich 
noch  verdeckt  Anspielung  zu  machen;  vorausgesetzt,  daß  Sic  sich 
vorher  von  deren  Wahrheit  selbst  aufrichtig  überzeugt  haben. 

Übrigens  wünsche  ich  Ihnen  in  Ihrer  gegenwärtigen  häus- 
lichen Lage  Zufriedenheit  und  im  Falle  eines  Verlangens,  sie  zu 
verändern,  Mittel  zu  Verbesserung  derselben  in  meinem  Ver- 
mögen zu  haben,  und  bin  mit  Hochachtung  und  Freundschaft 

Ew.  Wohlgeboren 

ergebenster  Diener 

Königsberg,  den   2.  Febr.  1792.  I.  Kant. 


279. 
Von  Johann  Heinrich  Kant. 

Lieber  Bruder! 

Dein  Brief  vom  26.  Januar  a.  c.  ward  mir  von  REIMERS 
den  5.  Februar  eingehändigt;  es  war  mir  ein  festlicher  Tag,  an  dem 
ich  einmal  wieder  die  Hand  meines  einzigen  Bruders,  und  den 
Ausdruck  seines  gegen  mich  wahrhaftig  brüderlich  gesinneten 
Herzens  sah  und  mit  rechten  Freudengefühl  genoß:  mein  gutes 
Weib,  die  Dich,  obgleich  persönlich  unbekannt,  recht  innig  liebet 
und  ehret,  trat  ganz  in  meine  Empfindungen  ein;  die  sich  auch 
meinen  guten.  Dich  aufrichtig  liebenden  und  ehrenden  Kindern 
recht  lebhaft  mitteilte. 

Deine  liebreiche  Versicherung,  Du  habest  auf  den  künftigen 
Sterbefall  —  ferne  möge  er  noch  sein  —  brüderlich  an  mich 
gedacht,  bewegte  uns  alle  bis  zu  Tränen.  Dank  —  herzlicher 
Dank  Dir  mein  Bruder,  für  diese  Erklärung  Deines  Wohlwollens; 
meinem  treuen  Weibe  und  meinen  wahrhaftig  gut  ge- 
arteten Kindern  möge  das,  was  Du  uns  von  Deinem  Ver- 
mögen so  gütig  zugedacht  hast,  dereinst  zuteil  werden, 
wenn  ich  einmal  der  wahrscheinlichen  Regel  nach  sie  hinter  mich 


Von  Johann  Heinrich  Kant  125 

gelassen  habe.  Glaube  mir  —  wenn  ich  Dir  noch  ein  recht 
langes  Leben  wünsche;  —  so  ist  dieser  Wunsch  wahr  —  er  liegt 
lebendig  in  meiner  Seelen. 

Ich  genieße  freudenvoll  den  Ruhm  mit,  den  Du  Dir  als  Welt- 
weiser erster  Größe,  als  Schöpfer  eines  neuen  philosophischen 
Lehrgebäudes  erwirbst;  Gott  lasse  Dich  doch  die  Vollendung 
Deines  Werks,  und  seine  Ausbreitung  auch  außer  Deutschland, 
über  den  Rhein  und  über  den  Pas  de  Calais  erleben.  Im  68.  Jahre 
scheint  man  freilich  schon  nahe  am  Ziel  zu  stehen  —  aber  so 
oft  ich  ein  Gelehrten-Lexikon  durchblättere,  finde  ich  auf  allen 
Seiten  so  viele  Schriftsteller,  die  über  80  hinausgegangen  sind, 
daß  ichs  als  bekannt  annehme,  ein  hohes  Alter  sei  caeteris  pari- 
bus  das  glückliche  Los  der  Denker,  —  und  Gelehrten,  und  da- 
bei hoffe,  dieses  Los  werde  auch  Dir  mein  Bruder  zuteil  werden: 
daß  Du  schwächlich  und  valetudinair  bist,  irrt  mich  in  meiner 
Hypothese  nicht  —  Fontenelle  war  es  von  Kindheit  an,  und  er- 
reichte doch  beinahe  90.^) 

Ich  jetzt  in  meinem  57.  Lebensjahre,  bei  einer  Gesundheit,  die 
nie  wankte,  noch  in  voller  Lebenskraft,  wünsche,  noch  etwa 
15  bis  20  Jahre  zu  leben,  damit  die  Meinigen  bei  meinem  Tode 
nicht  ganz  leer  ausgehen  mögen.  Im  vorigen  Jahre  endigte  ich 
die  Bezahlung  der  Schulden,  die  ich  als  Rektor  in  dem  teuern 
—  teuern  Mitau  machen  mußte  —  und  nun  soll  der  Überschuß 
der  Einkünfte  meines  Amtes,  das  mich  nähret,  Weib  und  Kin- 
dern aufgespart  werden. 

Meine  Lage  war  nie  so  gut,  daß  ich  etwas  für  meine  armen 
Schwestern  tun  konnte,  um  desto  lebhafter  danke  ich  Dir  mein 
Bruder,  daß  Du  alles  für  sie  getan  hast.  Du  willst,  mein 
Bruder  —  und  das  ist  sehr  liebreich  von  Dir  —  meine  Familien- 
geschichte wissen.  —  Hier  ist  sie.  Seit  1775  mit  einem  guten 
Mädchen  ohne  Vermögen  verheiratet,  habe  ich  fünf  lieben  Kinder 
gezeuget  —  mein  guter  Sohn  Eduard  ward  nur  i  Jahr  alt.  Vier 
leben  noch,  und  versprechen  mir  lange  zu  leben,  und  herzlich 
gute  Menschen  zu  werden.  Meine  älteste  Tocher  Amalia  Char- 
lotte, seit  dem  15.  Januar  1 6  Jahr  alt:  ein  lebhaftes,  aber  wiß- 
begieriges Mädchen  und  emsige  Buchleserin.    Minna  wird  den 


^)  Fontenelle,    geb.   11.  Februar    1657,    ist    am    9.  Januar   1757, 
also  fast  hundert  Jahre  alt,  gestorben. 


124 


Von  Johann  Heinrich  Kant 


24.  Aug.  13  Jahre  haben  —  sie  verbindet  mit  einem  stillen 
Charakter  gute  Naturgaben,  und  eine  unverdrossene  Emsigkeit. 

Friedrich  Wilhelm  —  den  z/.  Novbr.  11  Jahre  —  bieder 
und  gutartig  —  ein  Israelite  in  dem  kein  Falsch  ist  —  er  wird 
gewiß  nie  eine  andere  Linie  betreten,  als  die  gerade  von  einem 
Punkte  zum  andern. 

Henriette  d.  5.  Aug.  9  Jahre  —  voller  Feuer  bei  dem  besten 

Herzen. 

Diese  guten  Kinder  unterrichte  ich  jetzt  selbst.  Denn  der 
Versuch  adelige  Kostgänger,  und  mit  ihnen  zwei  Hauslehrer  hinter- 
einander zu  halten,  mißlang  mir  gänzlich.  —  Leider  sieht  nichts 
in  Kurland  so  schlecht  aus  als  die  Erziehung  der  Jugend.  —  Die 
Leute  —  die  sich  als  Hauslehrer  durch  Empfehlung  einschleichen  — 
sind  oft  wahre  Adepten  —  sie  versprechen  goldene  Berge  und 
zeigen    sich    am    Ende    als    unwissende   Betrüger.      So    gings    mir 

auch. 

Lebe  ich,  und  schenkt  mir  Gott  die  Mittel  dazu,  so  wird 
mein  Junge  ein  Wundarzt  —  aber  studieren  soll  er  die  Chirurgie, 
und  nicht  in  einer  tonstriua  handwerksmäßig  erlernen  —  dieses 
Fach  kann  ihm  noch  in  seinem  Vaterlande  Brod  geben,  denn 
mit  der  Theologie  wäre  es  zu  mißlich  für  ihn,  da  hier  so  viele 
auf  der  Expektanten-Bank  sitzen  —  davon  über  ein  Drittel  im 
Schulstaube  verschmachtet.  Onkel  und  Tante  RICHTER  —  wer- 
den wohl  beide  schon  in  der  Ewigkeit  sein.  —  Sie  waren  mir 
väterl.  und  mütterl.  Wohltäter  und  Pfleger,  ich  segne  ihr  An- 
denken —  Sit  illis  Terra  levis  —  gelegentlich  bitte  ich  ihren 
nachgelassenen  Sohne  meinen  Vetter  LEOPOLDEN  herzlich  von 
mir  zu  grüßen,  und  ebenso  aufrichtig  meine  guten  Schwestern 
und  ihre  Kinder,  meine  Frau  und  Kinder  vereinigen  sich  in  diesem 
Gruß  mit  mir  —  jede  Nachricht,  daß  es  ihnen  wohlgeht,  wird 
mir  erfreulich  sein.  Meine  Frau  ist  nicht  wenig  stolz  darauf, 
daß  Du  sie  in  Deinem  Briefe  als  Deine  werte  liebe  Schwägerin 
begrüßest,  sie  umarmet  dich  —  und  danket  nochmals  recht  leb- 
haft für  das  große  ökonomische  Werk  Die  Hausmutter,  das  Du 
ihr  vor  einigen  Jahren  zum  Geschenke  überschicktest  —  das  Buch 
ist  ihre  Enzyklopädie.  Meine  Kinder  wollen  sich  durchaus  dem 
Gedächtnis  ihres  Onkels  einverleiben  —  ehe  Du  Dich  versiehst, 
hast  Du  einen  Brief  von  ihnen,  der  Dir  freilich  zum  Durchlesen 
nicht  so  viel  Zeit  stehlen  wird  als  der  meinige  —  er  wird  kürzer 
sein.  —  Verzeihe  mir  diese  weitläuftige  Schreiberei  —  mein  Herz 


yon  Johann  GottUeb  Fichte  1 2  5 

riß  meine  Feder  fort  —  und  dieses  Herz  saget  Dir   —   daß    ich 

aufrichtig  bin  Dein  dich 

liebender  treuer 

Altrahden,  Bruder 

d.  8.  Febr.  I.  H.  Kant. 

179z. 

280. 

Von  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Wohlgeborner  Herr, 
Höchstzuverehrender  Herr  Professor! 

Ew.  Wohlgeborn  gütiges  Schreiben  hat  mir,  sowohl  um  der 
Güte  willen,  mit  der  Sie  meine  Bitte  so  bald  erfüllten,  als  um" 
seines  Inhalts  willen,  innige  Freude  gemacht.  Ich  fühle  jetzt  über 
die  in  Untersuchung  gekommenen  Punkte  ganz  die  Ruhe,  welche 
nächst  eigner  Überzeugung  auch  noch  die  Autorität  desjenigen 
Mannes  geben  muß,  den  man  über  alles  verehrt. 

Wenn  ich  Ew.  Wohlgebor.  Meinung  richtig  gefaßt  habe,  so 
bin  ich  den  durch  Sie  vorgeschlagenen  Mittelweg  der  Unter- 
scheidung eines  Glaubens  der  Behauptung  von  dem  eines  durch 
Moralität  motivierten  Annehmens  in  meinem  Aufsatze  wirklich 
gegangen.  Ich  habe  nämlich  die  meinen  Grundsätzen  nach  einzig 
mögliche  vernunftmäßige  Art  eines  Glaubens  an  die  Göttlichkeit 
einer  gegebnen  Offenbarung,  welcher  (Glaube)  nur  eine  gewisse 
Form  der  Religionswahrheiten  zum  Objekte  hat,  von  demjenigen, 
der  diese  Wahrheiten  an  sich  als  reine  Vernunftpostulate  annimmt, 
sorgfältig  zu  unterscheiden  gesucht.  Es  war  nämlich  eine  auf 
Erfahrung  von  der  Wirksamkeit  einer  als  göttlichen  Ursprungs 
gedachten  Form  dieser  Wahrheiten  zur  moralischen  VervoU- 
kommnerung  sich  gründende  freie  Annahme  des  göttlichen  Ur- 
sprungs dieser  Form,  den  man  jedoch  weder  sich  noch  andern 
beweisen  kann,  aber  eben  so  sicher  ist,  ihn  nicht  widerlegt  zu 
sehen;  eine  Annahme,  welche,  wie  jeder  Glaube,  bloß  subjektiv, 
aber  nicht,  wie  der  reine  VernunftgLube,  allgemeingültig  sei,  da 
er  sich  auf  eine  besondere  Erfahrung  gründe.  —  Ich  glaube 
diesen  Unterschied  so  ziemlich  ins  Licht  gesetzt  zu  haben,  und 
ganz  zum  Beschlüsse  suchte  ich  die  praktischen  Folgen  dieser 
Grundsätze  darzustellen;  daß  sie  nämlich  zwar  alle  Bemühungen, 
unsre    subjektive  Überzeugungen    andern    aufzudringen    aufhöben. 


126  An  Christian  Gottlieb  Seile 

daß  sie  aber  auch  jedem  den  unstörbaren  Genuß  alles  dessen, 
was  er  aus  der  Religion  zu  seiner  Besserung  brauchen  kann, 
sicherten,  und  den  Bestreiter  der  positiven  Religion  nicht  weniger 
als  ihren  dogmatischen  Verteidiger  zur  Ruhe  verwiesen,  usw.  — 
Grundsätze,  durch  die  ich  bei  wahrheitsliebenden  Theologen  keinen 
Zorn  zu  verdienen  glaubte.  Aber  es  ist  geschehen,  und  ich  bin 
jetzt  entschlossen  den  Aufsatz  zu  lassen,  wie  er  ist,  und  dem 
Verleger  zu  überlassen,  damit  zu  verfahren,  wie  er  will.  Euer 
W^ohlgeborn  aber,  denen  ich  alle  meine  Überzeugungen  überhaupt, 
als  besonders  die  Berichtigung  und  Befestigung  in  denen,  wovon 
hier  vorzüglich  die  Rede  war,  verdanke,  bitte  ich  die  Versiche- 
rung der  Hochachtung,  und  vollkommensten  Ergebenheit  gütig 
aufzunehmen,  mit  der  ich  die  Ehre  habe  zu  sein 

Euer  Wohlgeborn 
Krockow,  inniger  Verehrer 

d.  17.  Februar  J.  G.  Fichte. 

1792. 

281. 

An  Christian  Gottlieb  Seile. 

Wohlgeborner 
hochzuverehrender  Herr ! 

Es  sind  nun  schon  beinahe  drei  Monate,  seit  denen  ich  mit 
Ihrer  tiefgedachten  Abhandlung  De  la  R^alite  et  de  l'idealit^  etc. 
beschenkt  worden  und  ich  habe  diese  Gütigkeit  noch  durch  nichts 
erwidert;  sicherlich  ist  es  aber  nicht  aus  Mangel  an  Achtung  für 
die  mir  bezeugte  Aufmerksamkeit  oder  aus  Geringschätzung  der 
wider  mich  gerichteten  Argumente  geschehen.  Ich  wollte  im 
Drucke  antworten  und  würde  es  vielleicht  in  der  über  diesen 
Vorsatz  verflossenen  Zeit  ausgerichtet  haben,  wenn  mich  nicht 
allerlei  einander  durchkreuzende  Störungen  immer  davon  abgebracht 
hätten,  zumal  es  mir  mein  Alter  höchst  schwer  macht,  einen  ein- 
mal verlassenen  Faden  des  Nachdenkens  wieder  aufzufassen  und 
unter  öfteren  Unterbrechungen  doch  planmäßig  zu  arbeiten. 

Neuerdings  aber  eröffnet  sich  eine  neue  Ordnung  der  Dinge, 
welche  diesen  Vorsatz  wohl  gar  völlig  vereiteln  dürfte,  nämlich 
Einschränkung  der  Freiheit,  über  Dinge,  die  auch  nur  indirekt 
auf  Theologie  Beziehung  haben  möchten,    laut    zu   denken.     Die 


Von  Johann  Erich  Biester  127 

Besorgnisse  eines  akademischen  Lehrers  sind  in  solchem  Falle  viel 
dringender  als  jedes  anderen  zunftfreien  Gelehrten  und  es  ist  der 
gescheuten  Vorsicht  gemäß,  alle  Versuche  dieser  Art  so  lange 
wenigstens  aufzuschieben,  bis  sich  das  drohende  Meteor  entweder 
verteilt,  oder  für  das,  was  es  ist,  erklärt  hat.  —  Es  wird  bei 
dieser  Friedfertigkeit  auf  meiner  Seite  Ihnen  deswegen  doch  nicht 
an  Gegnern  von  der  dogmatischen  Partei,  obwohl  nach  einem 
andern  Stil,  fehlen,  denn  den  Empirism  können  diese  ebenso 
wenig:  einräumen,  ob  sie  es  zwar  freilich  auf  eine  so  schale  und 
inkonsequente  Art  (da  er  nicht  halb  auch  nicht  ganz  angenommen 
werden  soll)  tun,  daß  Ihre  determinierte  Erklärung  für  dieses 
Prinzip   dagegen  sehr  zu  Ihrem  Vorteil  absticht. 

Ich  bitte  daher,  teuerster  Herr,  ergebenst  mir  diese  Verbind- 
lichkeit zu  erlassen,  oder  den  Anspruch  auf  dieselbe  und  meine 
Erwiderung  Ihrer  Einwürfe  weiter  hinaus  zu  setzen,  indem  diese 
Arbeit  vorjetzt  allem  Ansehen  nach  auf  reinen  Verlust  unternommen 
werden  würde. 

Mit  der  größten  Hochachtung  für  Ihr  Talent  und  mannig- 
faltige Verdienste  bin  ich  übrigens 

Ihr 
Königsberg,  ergebenster  Diener 

den  24.  Febr.  1791.  !•  Kant. 

282. 

Von  Johann  Erich  Biester. 

Verehrungswerter  Mann! 

Sie  tun  in  der  Tat  den  gewöhnlichen  poHtischen  Einrichtungen 
zu  viel  Ehre  an,  wenn  Sie  nach  einer  Maxime  dabei  fragen,  und 
gar  Konsequenz  bei  Befolgung  derselben  verlangen.  Man  findet 
sich  oft  veranlaßt  —  vielleicht  auch  genötigt,  irgendeine  Ver- 
fügung zu  geben;  an  den  ganzen  Zusammenhang  aber  hat  man 
dabei  nicht  gedacht.  Und  wohl  oft  der  Menschheit,  daß  eine  so 
wohltätige  Inkonsequenz  bei  den  Regenten  stattfindet!  Sie  ist 
ein  sicherer  Beweis,  daß  man  nicht  im  Ganzen,  und  planvoll, 
das  Böse  will;  sondern  sich  nur  bei  einzelnen  Dingen  irrt. 

Um  indes  unserer  Frage  näher  zu  kommen,  so  ließe  sich  doch 
wohl  eine  Maxime  herausfinden,  welche  in  der  höchsteigenen 
Entscheidung  bei    der  ViUaume'schen   Sache  zum  Grunde  lag,  und 


128  Von  jfohann  Erich  Biester 

deutlich  darin  ausgedrückt  war.  Man  hat  nämlich  die  Idee:  Be- 
willigung der  Zensur  sei  Billigung  aller  in  einer  Schrift  vorgetragenen 
Grundsätze:  nun  aber  könnten  doch  keine  Grundsätze  gebilligt 
werden,  deren  Gegenteil  man  vorher  gebilligt,  oder  gar  selbst 
bekannt  gemacht  habe.  Darum  sei  nur  der  Druck  hier  unter 
den  Augen  nicht  zu  leiden;  auswärts  gedruckt  und  herein- 
gebracht könnte  ein  solches  Buch  aber  werden,  wie  alle  andern 
(nicht  offenbar  gotteslästerlichen  oder  schändlichen)  Bücher  ja 
von  Leipzig  kommen,  und  keiner  Durchsicht  und  Erlaubnis  zum 
Verkauf  erst  bedürfen.') 

Was  nun  mich  insbesondere  betrifft,  so  ist  meine  strenge 
Regel:  mich  genau  in  den  Schranken  des  Gesetzes  zu  halten. 
Auswärts  drucken  zu  lassen,  ist  nie  hier  verboten  gewesen.  Den- 
noch aber  würde  ich  es  für  unrecht  halten,  ein  Blatt,  welches 
die  hiesige  Kgl.  Zensur  gestrichen  hätte,  gleichsam  zum  Trotz  der- 
selben, auswärts  drucken  zu  lassen  (obgleich  auch  dies  nicht  ver- 
boten ist).  Dies  aber  würde  ich  für  eine  unanständige  und 
meiner  unwürdige  Neckerei  halten,  —  oder  es  müßte  ein  ganz 
sonderbarer  Umstand  mich  dazu  nötigen.  Dies  ist  aber  gar  nicht 
mein  Fall;  ich  habe  nie  mit  der  hiesigen  Zensur  Händel  gehabt; 
sondern  bloß:  ich  habe  bis  1791  die  Berl.  Monatsschr.  in  Berlin 
bei  Spener  drucken  lassen,  und  lasse  sie  seit  1792  bei  Mauke 
in  Jena  drucken.  Oder  vielmehr,  mein  Verleger  tut  dies.  Aus 
welchen  Gründen  wir  das  tun?  ist  eine  andere  Frage;  welche 
wahrscheinlich  niemand,  bei  einer  unverbotenen  Handlung,  auf- 
zuwerfen das  Recht  hat. 

So  ist  die  Sache,  teurester  Mann;  und  ich  glaube  nicht,  daß 
Sie  einigen  Grund  haben,  mit  dieser  Einrichtung  unzufrieden  zu  sein, 
oder  sie  gar  für  gesetzwidrig  und  unrechtmäßig  zu  erklären. 

Um  indes  jeder  Forderung  eines  Mannes  wie  Sie  zu  genügen; 
habe  ich  Ihren  vortrefflichen  Aufsatz*)  —  welcher  nicht  in  den 

^)  Eine  Schrift  von  Villaume  (1746—1806),  Vorleser  Friedrichs 
des  Großen,  später  Professor  am  Joachimsthalschen  Gymnasium),  „Über 
das  Verhältnis  der  Religion  zur  Moral  und  zum  Staate"  ist  1791  in 
Libau  erschienen;  wie  aus  der  obigen  Stelle  hervorgeht,  war  ihr  die 
Druckerlaubnis  für  Preußen  verweigert,  dagegen  für  das  Ausland  erteilt 
worden. 

^)  Der  Aufsatz  „Über  das  radikale  Böse",  der  später  als  erstes 
Stück  von  Kants  ,, Religion  innerhalb  der  Grenzen  der  bloßen  Vernunft" 
erschien. 


An  F.  Th.  de  la  Garde  129 

März  kommen  konnte,  aber  den  April  zieren  wird  —  sogleich 
nach  Empfang  Ihres  letzten  Briefes  bei  der  hiesigen  Zensur  ein- 
gereicht. Weil  er  moralischen  Inhalts  ist,  so  fällt  er  dem  Herrn 
Geh.  und  Ob.  Konsist.  Rat  HILLMER.  anheim.  Dieser  schickte 
ihn  mir  auch,  Tages  darauf,  mit  seinem  Imprimatur  zu;  und 
schrieb  mir  dabei  folgenden  weisen  Bescheid;  er  habe  den  Druck 
vergönnt,  „weil  er,  nach  sorgfältiger  Durchlesung,  diese  Schrift, 
wie  die  übrigen  Kantischen,  nur  nachdenkenden,  untersuchungs- 
und  unterscheidungsfähigen  Gelehrten,  nicht  aber  allen  Lesern 
überhaupt,  bestimmt  und  genießbar  finde." 

Ich  würde  mich  schämen,  gegen  einen  Mann  wie  Sie  die 
geringste  Unredlichkeit  zu  begehen.  Ob  Sie  also  gleich  selbst 
glaubten,  Ihr  Aufsatz  sei  schon  nach  Jena  geschickt,  und  ich  Sie 
bei  diesem  Glauben  lassen  konnte;  so  habe  ich  dennoch,  da  er 
durch  einen  Zufall  noch  hier  lag,  Ihrem  Begehren  genüget;  am 
3.  ist  er  nun  nach  Jena  abgegangen.  —  Hier  haben  Sie  den 
ganzen  Verlauf  der  Sache.  Sehr  angesehene  und  gelehrte  Märmer 
haben  mir  seitdem,  wie  vorher,  Beiträge  mitgeteilt.  Ich  hoffe, 
Sie  werden  hierin  nicht  anders  denken.  Auch  erwarte  ich  Ihre 
bestimmte  Entscheidung:  ob  ich  noch  künftig  Ihre  Aufsätze  für 
die  Berl.  Monatsschrift  hier  zur  Zensur  einreichen  soll? 

Daß  ich,  was  Sie  auch  entscheiden,  genau  Ihren  Willen  er- 
füllen werde,  versteht  sich  von  selbst. 

Die  Vorsehung  erhalte  Sie  noch  lange  den  Wissenschaften,  der 
Aufklärung,  und  der  edlen  bessern  moralischen  Denkart! 

Biester, 
d.  6.  März  179z. 

Ihr  Brief  an  Herrn  Seile  ist  sogleich  abgegeben. 


283. 

An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Ew.  Hochedelgeb.! 
Danke  ergebenst  für  die  mir  den  17.  hujus  durch  Ihren  Herrn 
Bruder  ausgezahlte  200  Reichstaler,  worüber  er  Ihnen  meine 
Quittung  zugesandt  haben  wird.  Ich  werde  bald  nach  Ostern 
das  korrigierte  Exemplar  der  Krit.  d.  Urth.  Kr.  zu  überschicken 
bedacht  sein,  wobei  ich  doch  glaube:  daß,  wenn  mich  un ver- 
Kants Schriften.  Bd.  X.  9 


130  An  Frau/ein  Maria  von  Herbert 

meidliche  Störungen  in  der  Durchsicht  und  Nachfeilung  derselben 
aufhalten  sollten,  es,  wenn  es  nur  vor  Pfingsten  in  Berlin  an- 
kommt, nicht  zu  spät  eintreffen  werde. 

Wegen  des  Gesuchs,  von  dem  Sie  dafür  halten,  daß  es  nicht 
unschicklich  wäre,  wenn  unsere  Universität  ihn  der  Zensurfreiheit 
halber  höheren  Orts  anbrächte,  bin  ich  der  Meinung,  daß  er  nicht 
allein  dort  fruchtlos,  sondern  auch  hier  die  Gesinnung  so  ver- 
schiedener Köpfe  hiezu  zusammenstimmend  zu  machfn,  ein  ver- 
geblicher Versuch  sein  würde.  Indessen  kömmt  es  mir  vor:  als 
ob  die  angedrohte  Strenge  der  Zensur  vielleicht  nicht  so  ganz, 
als  befürchtet  wird,  in  Ausübung  kommen  dürfte:  zumal  darüber 
noch  kein  bestimmtes  Edikt  ergangen  ist.  Sollte  es  Sie  nicht 
inkommodieren,  mir  einmal  von  dem  Zustande  der  Zensursache, 
so  weit  er  öffentlich  bekannt  ist,  wovon  wir  aber  hier  nur 
widersprechende  Nachrichten  haben,  mir  einige  Nachricht  (auch 
nur  durch  die  Feder  eines  Ihrer  Leute)  zu  erteilen,  so  würde  es 
mir  angenehm,  zum  Teil  auch  nützlich  sein. 

Ich  beharre  übrigens  mit  vollkommener  Hochachtung  zu  sein 

Ew.  Hochedelgeb. 

Königsberg,  ganz  ergebenster  Diener 

d.  3  o.  Mart.  I.  Kant. 

1792. 

284. 

An  Fräulein  Maria  von  Herbert.') 

(Entwurf.) 

[Frühjahr  1792.] 
Ihr  affektvoller  Brief  aus  einem  Herzen  entsprungen,  das  für 
Tugend  und  Rechtschaffenheit  gemacht  sein  muß,  weil  es  für  eine 
Lehre  derselben  so  empfänglich  ist,  die  nichts  Einschmeichelndes 
bei  sich  führt,  reißt  mich  dahin  fort,  wo  Sie  mich  hin  verlangen, 
nämlich  mich  in  Ihre  Lage  zu  versetzen  und  so  über  das  Mittel 
einer  reinen  moralischen  und  dadurch  allein  gründlichen  Be- 
ruhigung für  Sie  nachzudenken.  Ihr  '^'■:rhältnis  zu  dem  geliebten 
Gegenstande,  dessen  Denkungsart  eben  so  wohl  echt  und  achtungs- 
voll für  Tugend  und    den  Geist    derselben,    die  Redlichkeit,  sein 

')  Vgl.  oben  Nr.  259  (S.  8 3  f.). 


An  Fräulein  Maria  von  Herbert  1 3 1 

muß,  ist  mir  zwar  unbekannt,  ob  es  nämlich  ein  eheliches  oder 
bloß  freundschaftliches  Verhältnis  sein  mag.  Ich  habe  das  letztere 
aus  ihrem  Briefe  als  wahrscheinlich  angenommen;  allein  das  macht 
in  Ansehung  .  dessen,  was  Sie  beunruhigt,  keinen  erheblichen 
Unterschied;  denn  die  Liebe,  es  sei  gegen  einen  Ehemann  oder 
gegen  einen  Freund,  setzen  gleiche  gegenseitige  Achtung  für  Ihrer 
beiden  Charakter  voraus,  ohne  welche  sie  nur  eine  sehr  wandel- 
bare sinnliche  Täuschung  ist. 

Eine  solche  Liebe,  die  allein  Tugend  (die  andere  aber  bloß 
blinde  Neigung)  ist,  will  sich  gänzlich  mitteilen  und  erwartet 
von  Seiten  des  anderen  eine  eben  solche  Herzensmitteilung,  die 
durch  keine  mißtrauische  Zurückhaltung  geschwächt  ist.  So  sollte 
es  sein  und  das  fordert  das  Ideal  der  Freundschaft.  Aber  es 
hängt  dem  Menschen  eine  Unlauterkeit  an,  welche  jene  Offen- 
herzigkeit, hier  mehr,  dort  weniger,  einschränkt.  Über  dieses 
Hindernis  der  wechselseitigen  Herzensergießung,  über  das  geheime 
Mißtrauen  und  die  Zurückhaltung,  welche  machen,  daß  man  selbst 
in  seinem  innigsten  Umgange  mit  seinem  Vertrauten  doch  einem 
Teile  seiner  Gedanken  nach  immer  noch  allein  und  in  sich  ver- 
schlossen bleiben  muß,  haben  die  Alten  schon  die  Klage  hören 
lassen:  meine  lieben  Freunde,  es  gibt  keinen  Freund!  Und  doch 
wird  Freundschaft  aber  als  das  Süßeste,  was  das  menschliche  Leben 
nur  immer  enthalten  mag,  kann  nur  in  der  Offenherzigkeit  statt- 
finden und  von  wohlgearteten  Seelen  mit  der  Sehnsucht  ge- 
wünscht. 

Von  jener  Zurückhaltung  aber  als  dem  Mangel  dieser  Offen- 
herzigkeit, die  man,  wie  es  scheint,  in  ihrem  ganzen  Maße  der 
menschlichen  Natur  nicht  zumuten  darf  (weil  jedermann  besorgt, 
wenn  er  sich  völlig  entdeckte,  von  dem  andern  gering  geschätzt 
zu  werden)  ist  doch  der  Mangel  der  Aufrichtigkeit  als  eine  Un- 
wahrhaftigkeit  in  wirklicher  Mitteilung  unserer  Gedanken  noch 
gar  sehr  unterschieden.  Jene  gehört  zu  den  Schranken  unserer 
Natur  und  verdirbt  eigentlich  noch  nicht  den  Charakter,  son- 
dern ist  nur  ein  Übel,  welches  hindert,  alles  Gute,  was  aus  dem- 
selben möglich  wäre,  daraus  zu  ziehen.  Diese  aber  ist  eine  Kor- 
ruption der  Denkungsart  und  ein  positives  Böse.  Was  der  Auf- 
richtige, aber  Zurückhaltende  (nicht  Offenherzige)  sagt,  ist  zwar 
alles  wahr,  nur  er  sagt  nicht  die  ganze  Wahrheit.  Dagegen  der 
Unaufrichtige  etwas  sagt,  das  dessen  er  sich  als  falsch  bewußt  ist. 
Die    Aussage    von    der    letzteren    Art   heißt    in    der    Tugendlehre 


132  An  Fräule'm  Maria  von  Herbert 

Lüge.  Diese  mag  auch  ganz  unschädlich  sei,  so  ist  sie  darum 
doch  nicht  unschuldig;  vielmeiir  ist  sie  eine  schwere  Verletzung 
der  Pflicht  gegen  sich  selbst  und  zwar  einer  solchen,  die  ganz 
unerläßlich  ist,  weil  ihre  Übertretung  die  Würde  der  Menschheit 
in  unserer  eigenen  Person  herabsetzt  und  die  Denkungsart  in  ihrer 
Wurzel  angreift,  denn  Betrug  macht  alles  zweifelhaft  und  ver- 
dächtig und  benimmt  selbst  der  Tugend  alles  Vertrauen,  wenn 
man  sie  nach  ihrem  Äußeren  beurteilen  soll. 

Sie  sehen  wohl,  daß,  wenn  Sie  einen  Arzt  zu  Rate  gezogen 
haben,  Sie  auf  einen  solchen  trafen,  der,  wie  man  sieht,  kein 
Schmeichler  ist,  der  nicht  durch  Schmeicheleien  hinhält  und 
wollten  Sie  einen  Vermittler  zwischen  sich  und  Ihrem  Herzens- 
freunde meine  Art  das  gute  Vernehmen  herzustellen  der  Vorliebe 
fürs  schöne  Geschlecht  gar  nicht  gemäß  sei,  indem  ich  für  den 
letzteren  spreche  und  ihm  Gründe  an  die  Hand  gebe,  welche  er 
als  Verehrer  der  Tugend  auf  seiner  Seite  hat  und  die  ihn  dar- 
über rechtfertigen,  daß  er  in  seiner  Zuneigung  gegen  Sie  von 
Seiten  der  Achtung  wankend  geworden. 

Was  die  erstere  Erwartung  betrifft,  so  muß  ich  zuerst  an- 
raten sich  zu  prüfen,  ob  die  bittere  Verweise,  welche  Sie  sich  wegen 
einer,  übrigens  zu  keiner  Bemäntelung  irgendeines  begangenen 
Lasters  ersonnenen  Lüge  machen,  Vorwürfe  einer  bloßen  Unklug- 
heit  oder  eine  innere  Anklage  wegen  der  Unsittlichkeit,  die  in 
der  Lüge  an  sich  selbst  steckt,  sein  mögen.  Ist  das  erstere,  so 
verweisen  Sie  sich  nur  die  Offenherzigkeit  der  Entdeckung  der- 
selben, also  reuet  es  Sie  diesmal  Ihre  Pflicht  getan  zu  haben; 
(denn  das  ist  es  ohne  Zweifel,  wenn  man  jemanden  vorsätzlich 
obgleich  in  einen  ihm  unschädlichen  Irrtum  gesetzt  und  eine 
Zeitlang  erhalten  hat,  ihn  wiederum  daraus  ziehen);  und  warum 
reuet  Sie  diese  Eröffnung?  Weil  Ihnen  dadurch  der  freilich 
wichtige  Nachteil  entsprungen  das  Vertrauen  ihres  Freundes  ein- 
zubüßen. Diese  Reue  enthält  nun  nichts  Moralisches  in  Ihrer 
Bewegursache,  weil  nicht  das  Bewußtsein  der  Tat,  sondern  ihrer 
Folgen  die  Ursache  derselben  ist.  Ist  der  Verweis,  der  Sie  kränkt, 
aber  ein  solcher,  der  sich  wirklich  auf  bloßer  sittlicher  Beurteilung 
Ihres  Verhaltens  gründet,  so  wäre  das  ein  schlechter  moralischer 
Arzt,  der  ihnen  riete,  weil  das  Geschehene  doch  nicht  ungeschehen 
gemacht  werden  kann,  diesen  Verweis  aus  Ihrem  Gemüte  zu  ver- 
tilgen und  sich  bloß  fortmehr  einer  pünktlichen  Aufrichtigkeit 
von  ganzer  Seele  zu  befleißigen,  denn  das  Gewissen  muß  durch- 


I 


An  Fraulein  Maria  von  Herbert  135 

aus  alle  Übertretungen  aufbehalten  wie  ein  Richer,  der  die  Akten 
wegen  schon  abgeurteilter  Vergehungen  nicht  kassiert,  sondern 
im  Archiv  aufbehält,  um  bei  sich  eräugncnder  neuen  Anklage 
wegen  ähnlicher  oder  auch  anderer  Vergehungen  das  Urteil  der 
Gerechtigkeit  gemäß  allenfalls  zu  schärfen.  Aber  über  jener  Reue 
zu  brüten  und  nachdem  man  schon  eine  andere  Denkungsart  ein- 
geschlagen ist,  sich  durch  die  fortdauernde  Vorwürfe  wegen  vor- 
maliger nicht  mehr  herzustellender  für  das  Leben  unnütze  zu 
machen,  würde  (vorausgesetzt,  daß  man  seiner  Besserung  ver- 
sichert ist)  eine  phantastische  Meinung  von  verdienstlicher  Selbst- 
peinigung sein,  die,  so  wie  manche  vorgebliche  Religionsmittel, 
die  in  der  Gunstbewerbung  bei  höheren  Mächten  bestehen  sollen, 
ohne  daß  man  eben  nötig  habe,  ein  besserer  Mensch  zu  sein, 
zur  moralischer  Zurechnung  gar  nicht  gezählt  werden  müssen. 

Wenn  nun  eine  solche  Umwandlung  der  Denkungsart  Ihrem 
geliebten  Freunde  offenbar  geworden  —  wie  denn  Aufrichtigkeit 
ihre  unverkennbare  Sprache  hat  —  so  wird  nur  Zeit  dazu  er- 
fordert, um  die  Spuren  jenes  rechtmäßigen  selbst  auf  Tugend- 
begriffe begründeten  Unwillens  desselben  nach  und  nach  aus- 
zulöschen und  den  Kaltsinn  in  eine  noch  fester  gegründete  Neigung 
zu  verändern.  Gelingt  aber  das  letztere  nicht,  so  war  die  vorige 
Wärme  der  Zuneigung  desselben  auch  mehr  physisch  als  moralisch 
und  würde  nach  der  flüchtigen  Natur  derselben  auch  ohne  das 
mit  der  Zeit  von  selbst  geschwunden  sein;  ein  Unglück,  dergleichen 
uns  im  Leben  mancherlei  aufstoßt  und  wobei  man  sich  mit  Ge- 
lassenheit finden  muß,  da  überhaupt  der  Wert  des  letzteren,  so- 
fern es  in  dem  besteht,  was  wir  Gutes  genießen  können  von 
Menschen,  überhaupt  viel  zu  hoch  angeschlagen  wird,  sofern  es 
aber  nach  dem  geschätzt  wird,  was  wir  Gutes  tun  können,  der 
höchsten  Achtung  und  Sorgfalt  es  zu  erhalten  und  fröhlich  zu 
guten  Zwecken  zu  gebrauchen  würdig  ist.  —  Hier  finden  Sie  nun, 
meine  liebe  Fr.,  wie  es  in  Predigten  gehalten  zu  werden  pflegt, 
Lehre,  Strafe  und  Trost,  bei  deren  ersterer  ich  etwas  länger  als 
bei  letzterem  ich  Sie  zu  verweilen  bitte,  weil,  wenn  jene  ihre 
Wirkung  getan  haben,  der  letztere  und  verlorene  Zufriedenheit 
des  Lebens  sich  sicherlich  von  selber  finden  wird. 


134     -^^  Heinrich  Christian  Reichsgraf  von  Keyserling 

285. 

An  Heinrich  Christian  Reichsgraf  von  Keyserling. 

Hocligeborner  Reichsgraf 
t  Hochzuverehrender  Herr 

Die  Ursache,  wodurch  die  Ausrichtung  des  mir  gewordenen 
Auftrages  verspätet  worden,  werden  Ew.  Hochgebornen  aus  der 
Einlage  zu  ersehen  und  meiner  Schuld  nicht  beizumessen  ge- 
ruhen, die  auch  in  einem  Falle,  da  es  um  die  Beförderung  einer 
großmütigen  wohlwollenden  Absicht  zu  tun  ist,  unverzeihlich  sein 
würde. 

Meine  Erkundigung  nach  dem  Fleiße  und  den  Sitten  des 
Herrn  SCHMIDT,  während  seines  Aufenthalts  auf  unserer  Uni- 
versität, ist  zu  seinem  Vorteile  ausgefallen,  welches  mich  auch 
bewogen  hat,  ihn  in  die  Kondition  des  Herrn  Baron  v.  LINGK 
zu  empfehlen.  Mein  eigenes  Zeugnis  wegen  seines  in  meinen 
Vorlesungen  angewandten  Fleißes  hat  darum  nicht  zu  denen  der 
anderen  Professoren  hinzukommen  können,  weil  ich,  außer  den 
Lehrstunden,  nicht  leicht  Gelegenheit  habe,  meine  Zuhörer,  mithin 
nicht  persönlich,  nach  ihrem  Talent  und  Fleiße  kennen  zu  lernen. 
—  Herrn  SCHMIDTs  angeschlossener  Brief  war,  allem  Ansehen 
nach,  nicht  in  der  Meinung  geschrieben,  daß  er  Ew.  Hochgeb. 
vor  Augen  kommen  sollte.  Desto  besser  und  unverstellter  wird 
er  seine  Gedanken  und  Absichten  in  gegenwärtiger  Situation  zu 
erkennen  geben. 

Ich  habe  nichts  weiter  hinzuzusetzen,  als  den  Wunsch,  daß 
der  Himmel  Ew.  Hochgeb.,  sowie  die  edle  wohltätige  Gesinnung, 
samt  den  Mitteln  der  Befriedigung  derselben,  fernerhin  erhalten, 
also  auch  die  Zufriedenheit,  aus  dem  Gelingen  dieser  großmütigen 
Absichten  in  reichem  Maße  wolle  genießen  lassen. 

Mit  der  größten  Verehrung  bin  ich  jederzeit 

Ew.  Hochgeboren 
Königsberg,  untertäniger  Diener 

d.  8.  Mai  1792.  I-  Kant. 


Von  Jakoh  Sigismund  Beck  135 

286. 
Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle  d.  ^iten  Mai  1792. 
Teuerster  Herr  Professor, 
Heute  habe  ich  das  Vergnügen  gehabt,  Herrn  HARTKNOCH 
persönlich  kennen  zu  lernen.  Er  sagt,  Sie  erlauben  es  mir,  in 
die  Vorrede  des  Auszugs  aus  Ihren  kritischen  Schriften  zu  setzen, 
daß  er  mit  Ihrem  Wissen  geschrieben  sei.  Das  ist  nun  wohl 
sehr  gut,  aber  ich  bin  dadurch  noch  nicht  ganz  beruhigt.  Ich 
trete  zum  erstenmal  ins  Publikum,  und  muß,  wenn  ich  auch  nur 
auf  meinen  Vorteil  bedacht  sein  will,  alle  Vorsicht  und  Fleiß 
anwenden,  um  mit  einigem  Anstand  zu  erscheinen.  Wollen  Sie 
mir  erlauben,  Ihnen  das  Manuskript  zu  schicken,  und  darf  ich 
Sie  bitten,  entweder  selbst  es  durchzulaufen,  oder,  da  ich  dieses 
wohl  nicht  erwarten  kann,  wollen  Sie  den  Herrn  Hofprediger 
SCHULTZ  in  meinem  Namen  darum  ersuchen?  Er  kennt  mich 
sehr  wohl,  und  würde  vielleicht  auch  aus  Freundschaft  für  mich, 
und    wenigstens    wenn    Sie    insbesondere    ihn    darum    bitten,    es 

wohl  tun. 

Ich  wünsche  gar  sehr  zu  wissen,  ob  ich  in  folgenden  Ihre 
Gedanken  treflFe.  Ich  meine,  daß  man  in  der  transszendentalen 
Ästhetik  die  Anschauung  gar  nicht  erklären  dürfe,  durch  die 
Vorstellung,  die  sich  unmittelbar  auf  einen  Gegenstand  bezieht, 
und  die  da  entsteht,  indem  der  Gegenstand  das  Gemüt  affiziert. 
Denn  in  der  transszendentalen  Logik  kann  erst  gezeigt  werden, 
wie  wir  zu  objektiven  Vorstellungen  gelangen.  Die  reine  An- 
schauung verbietet  jene  Erklärung  schon  von  selbst.  Ich  sehe 
doch  in  Wahrheit  nicht,  daß  ich  irre,  wenn  ich  sage:  die  An- 
schauung ist  eine  durchgängig  bestimmte  Vorstellung  in  Ansehung 
eines  gegebenen  Mannigfaltigen.  Auch  wird  es  mir  so  recht 
deutlich,  daß  die  Mathematik  eine  Wissenschaft  durch  Konstruktion 
der  Begriffe  sei.  Denn  auch  die  Algeber  kann  nicht  anders  als 
vermittelst  durchgängig  bestimmter  Vorstellungen  ihre  Sätze  be- 
weisen. Auch  muß  man  meiner  Meinung  nach  gar  sehr  bedacht 
sein,  das  Subjektive  der  Sinnlichkeit  von  dem  Objektiven  zu 
scheiden,  um  nachher  desto  besser  das  eigene  Geschäfte  der  Ka- 
tegorien, welche  die  Objektivität  den  Vorstellungen  geben,  ins 
Auge  zu   fassen. 


1-^6  Von  Jakoh  Sigtsmund  Beck 

Zweitens  ist  es  mir  sehr  begreiflich,  daß  die  Gegenstände 
der  Sinnenwelt,  den  Grundsätzen  der  transszendentalen  Urteilskraft 
unterworfen  sein  müssen.  Um  dieses  im  hellen  Lichte  zu  sehen, 
so  subsumiere  man  die  empirische  Anschauung  unter  die  Schemate 
der  Kategorien;  so  sieht  man  sofort,  daß  sie  nur  dadurch  Ob- 
jektivität erhält,  da  dann  die  Frage,  wie  es  zugeh'-,  daß  die 
Gegenstände  sich  nach  jenen  synthetischen  Sätzen  a  priori  richten 
müssen,  aufhört.  Sie  sind  ja  nur  darum  Gegenstände,  so  fern 
ihre  Anschauung  der  synthetischen  Verknüpfung  des  Schema 
unterworfen  gedacht  wird.  Zum  Beispiel  sehe  ich  die  Gültigkeit 
der  Analogie,  daß  allen  Erscheinungen  was  Beharrliches  zum 
Grunde  liege,  daher  ein,  weil,  wenn  ich  das  Schema  der  Sub- 
stantialität  auf  die  empirische  Anschauung  beziehe,  diese  eben 
hiedurch  Objektivität  erhalte,  mithin  muß  der  Gegenstand  selbst, 
dieser  synthetischen  Verknüpfung  der  Substanz  und  Akzidenz 
unterworfen  sein.  Aber  wenn  ich  bis  zu  dem  Prinzip  der  ganzen 
Sache  hinaufsteige,  dann  treffe  ich  doch  eine  Stelle  an,  wo  ich 
sehr  gern  mir  mehr  Licht  wünsche.  Ich  sage,  die  Verbindung  der 
Vorstellungen  im  Begriff  ist  von  derjenigen  im  Urteil  verschieden, 
so  daß  in  der  letzten  noch  über  jene  Verknüpfung  die  Handlung 
der  objektiven  Beziehung  vorgehe^  also  die  nämliche  Handlung, 
durch  welche  man  einen  Gegenstand  denkt.  In  der  Tat  ist  es 
doch  ganz  was  Verschiedenes,  wenn  ich  sage,  der  schwarze 
Mensch,  oder,  der  Mensch  ist  schwarz*),  und  ich  meine,  daß 
man  sich  nicht  fehlerhaft  ausdrücke,  wenn  man  sagt,  die  Vor- 
stellungen im  Begriff  sind  zur  subjektiven  Einheit,  dagegen  im 
Urteil  zur  objektiven  Einheit  des  Bewußtseins  verbunden.  Aber 
ich  gebe  viel  darum,  wenn  ich  tiefer  in  die  Sache  greifen  könnte, 
und  eben  diese  Handlung  der  objektiven  Beziehung  dem 
Bewußtsein  besser  darstellen  könnte.  In  meinem  letzten  Briefe 
berührte  ich  diesen  Punkt  als  eine  mir  vorkommende  Dunkelheit, 
und  bester  Herr  Professor,  aus  Ihrem  Schweigen  darauf,  argwöhnte 
ich,  daß  ich  Unsinn  darin  verraten  haben  dürfte.  Aber  ich  mag 
die  Sache  um  und  um  ansehen,  so  sehe  ich  nicht,  daß  ich  grade 
was  Ungereimtes  getan,  wenn  ich  Belehrung  darüber  mir  aus- 
gebeten und  Sie  noch  darum  ganz  inständigst  ersuche. 

*)  Kant  hat  hierzu  airf  derselben  Seite  unten  beinerkt:  „Der  Ausdruck: 
der  schwarze  Mensch  bedeutet  den  Menschen,  sofern  der  Begriff  von  ihm 
in  Ansehung  der  Schwärze  bestimmt  gegeben  ist,  aber  der:  der  Mensch 
ist  schwarz,  bedeutet  die  Handlung  meines  Bestimmens." 


An  F.  Th.  de  la  Garde  1 3  7 

Drittens,  ist  mir  das  Verfahren  der  Kritik  der  praktischen 
Vernunft  außerordentlich  einleuchtend  und  fürtreflFlich.  Sie  hebt 
von  objektiv-praktischen  Prinzipien  an,  welche  die  reine  Vernunft 
ganz  unabhängig  von  aller  Materie  des  Willens,  für  verbindend 
anerkennen  muß.  Dieser  anfänglich  problematische  Begriff  erhält 
unwiderlegbare  objektive  Realität  durch  das  Faktum  des  Sitten- 
gesetzes. Aber  ich  gestehe,  daß  so  einleuchtend  wie  der  Über- 
gang der  synthetischen  Grundsätze  der  transszendentalen  Urteils- 
kraft zu  Gegenständen  der  Sinnenwelt,  die  ihnen  unterworfen 
sind  vermittelst  der  Schemate,  mir  vorkömmt,  mir  der  des  Sitten- 
gesetzes vermittelst  ^t%  Typus  desselben,  nicht  erscheint,  imd  ich 
würde  wie  von  einer  Last  befreiet  sein,  wenn  Sie  freundschaftlich, 
die  Nichtigkeit  folgender  Frage  mir  zeigen  wollten.  Ich  frage 
nämlich,  kann  man  sich  nicht  denken,  daß  das  Sittengesetz  etwas 
geböte,  das  seinem  Typus  zuwider  wäre,  mit  andern  Worten: 
kann  es  nicht  Handlungen  geben,  bei  denen  eine  Naturordnung 
nicht  bestehen  kann,  und  die  doch  das  Sittengesetz  vorschreibt? 
Es  ist  ein  bloß  problematischer  Gedanke,  aber  ihm  liegt  doch 
das  Wahre  zum  Grunde,  daß  die  strenge  Notwendigkeit  des 
kategorischen  Imperativs  keinesweges  von  der  Möglichkeit  des  Be- 
stehens einer  Naturordnung  herzuleiten  ist;  aber  darin  werde  ich 
irren,  wenn  ich  die  Übereinstimmung  beider  für  zufällig  erkläre. 

Und  nun,  lieber  teurer  Lehrer,  werden  Sie  mir  doch  nicht 
abgeneigt,  wegen  meines  vielleicht  ungestümen  Anhaltens  mit 
meinen  Briefen.  Ich  liebe  und  verehre  Sie  unaussprechlich,  und 
bin  mit  Herz  und   Seele  der 

Ihrige 
Beck. 

287. 

An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Kw.  Hochedelgeb. 

habe  ich  den  10.  Juni  das  korrigierte 
Exemplar  der  Kritik  der  Urt.  Kr.  in  einem  Pack,  sign.  D.  L.  G., 
mit  der  fahrenden  Post  zugeschickt.  —  Die  Korrektur  fängt  vom 
Buchstaben  A,  mit  Ausschließung  der  Vorrede  und  der  Einleitung, 
an  und  es  ist,  außer  der  Note  (*)  S.  4Ö2,  von  mir  nichts  zum 
Text    hinzugetan  worden;    weil  ich  es  nicht  nötig   fand.    —    Die 


1 3  8  Von  Christian  Garte 

Korrektur  der  Vorrede  und  Einleitung  werde,  wenn  sich  darin 
Errata  finden,  oder  Einschiebsel  nötig  wären,  in  kurzem  nach- 
schicken; weshalb  ich  bitte,  den  Druck  mit  dem  Bogen  A  an- 
zufangen. 

Beiliegenden  Brief  bitte  an  Herrn  D.  BIESTER  gütigst  ab- 
geben zu  lassen  und  versichert  zu  sein,  daß  ich  jederzeit  mit 
vollkommener  Hochachtung   sei 

,,....    ,  Ew.  Wbhlgebornen 
Königsberg,  °  i  t^- 

j       °  T     •  ganz  ergebenster  Diener 

d.  12.  Tum  °  °,   -^ 

•'  I.  Kant. 

1792. 

N.  S.  Darf  ich  bitten,  beikommenden  Brief  an  Herrn  Kandidat 
NITSCH  gütigst  zu  bestellen? 


288. 

Von  Christian  Garve. 

Teuerster  Mann, 
Da  der  Sohn  eines  ehemaligen  würdigen  Arztes  unsrer  Stadt 
und  Neffe  eines  Rats  Ihres  Königsbergischen  obersten  Justiz- 
kollegiums, Herr  KRUTGE,  selbst  ein  Jüngling  von  den  besten 
Anlagen  und  einem  liebenswürdigen  Charakter,  Ihre  Universität 
bezieht,  und  wünscht,  durch  einen  Brief,  den  er  von  einem  Be- 
kannten an  Sie  mitbringt,  einen  nähern  Zutritt  zu  Ihnen  zu  be- 
kommen: so  habe  ich  ihm  diese  kleine  Gefälligkeit  um  desto 
weniger  abschlagen  wollen,  da  ich  selbst  mit  Vergnügen  eine 
sich  darbietende  Gelegenheit  ergreife,  Sie  von  meiner  Hochachtung 
zu  versichern.  Ich  kenne  Sie  gnugsam  aus  Ihren  Schriften,  und 
selbst  aus  dem  einzigen  Briefe,  den  ich  vor  einigen  Jahren  von 
Ihnen  erhalten  habe,  um  überzeugt  zu  sein,  daß  Sie  jungen  lehr- 
begierigen Leuten,  die  durch  ihre  gute  Aufführung  sich  Ihrer 
Freundschaft  würdig  machen,  sich  gerne  mitteilen,  und  was  Sie 
können,  zu  deren  Ausbildung  beitragen.  Für  den  jungen  Mann, 
den  ich  Ihnen  empfehle,  kann  ich  stehen,  daß  er  gesittet  und 
fleißig  ,ist,  und  sich  so,  auch  als  akademischer  Bürger,  zeigen 
wird.  Erzeigen  Sie  ihm  also,  auch  um  meinetwillen,  alle  die 
Gefälligkeiten,  deren  er  in  dem  Laufe  seiner  Studien  benötigt 
sein  könnte;  erlauben  Sie  ihm  insbesondre  den  Zutritt  zu  Ihrem 


Von  Johann  Erich  Biester  139- 

Umgange,  wenn  Sie    ihn,   nach   genauerer  Prüfung,  fähig    finden, 
davon  einen  nützlichen  Gebrauch  zu  machen. 

Von  wissenschaftlichen  Gegenständen  erlaubt  mir  die  Kürze 
der  Zeit  und  des  Raums  nicht  zu  reden.  Sie  sind  auch  mein 
Lehrer,  in  vielen  Punkten,  sowie  der  Lehrer  von  Deutschland. 
Da  Sie  keine  nachsprechende  Schüler  verlangen,  so  werden  Sie 
meinen  Dank,  den  ich  Ihnen  hier  von  neuem  für  Ihren  philo- 
sophischen Unterricht  sage,  nicht  weniger  wahr  und  aufrichtig 
finden,  wenn  ich  hinzusetze,  daß  ich  nicht  über  alle  von  Ihnen 
behandelten  Materien  mit  Ihnen  gleichförmig  denke.  Es  ist  die 
größte  Belohnung  des  Selbstdenkers,  wenn  er  die  Denkkräfte 
andrer  in  Tätigkeit  setzt.  Wenige  Schriftsteller  haben  diesen  End- 
zweck durch  ihre  Werke  in  einem  so  hohen  Grade  erreicht, 
wenige  noch  bei  ihrem  Leben  eine  so  ausgebreitete  Wirkung 
davon  gesehen  als  Sie.  Aber  eben  mit  dieser  Erweckung  des 
eignen  Nachdenkens  bei  den  Lesern,  ist  eine  solche  Gelehrigkeit 
derselben,  welche  in  alle  Sätze  und  Formen  des  Schriftstellers 
einstimmt,  unverträglich.  —  Wie  sehr  wünschte  ich,  daß  unsre 
Wohnplätzen  weniger  voneinander  entfernt  wären.  Wie  sehr 
wünschte  ich  auch  als  Mensch,  Ihnen  bekannt  zu  sein,  und  aller 
Schätze  Ihres  Geistes  in  vertraulichem  Umgange  zu  genießen. 
Da  die  Vorsicht  unsre  Laufbahnen  anders  gezeichnet  hat,  so 
wollen  wir,  zufrieden  mit  derjenigen  unsichtbaren  Verbindung, 
die  zwischen  Wahrheit  liebenden  Denkern  an  den  entferntesten 
Orten  vorhanden  ist,  uns,  ohne  uns  gesehen  zu  haben,  lieben, 
und  uns  einander  mitteilen,  so  weit  es  unsre  örtliche  Entfernung 
erlaubt.    Ich  bin  von  Herzen  Ihr  Verehrer  und  Freund 

Breslau,  d.  18.  Juni  Garve. 

289. 
Von  Johann  Erich  Biester. 

Ich  habe  es  nie  recht  begreifen  können,  warum  Sie,  mein 
verehrter  Freund,  durchaus  auf  die  hiesige  Zensur  drangen.  Aber 
ich  gehorchte  Ihrem  Verlangen  und  schickte  das  Manuskript*)  an 

')  Das  Manuskript  der  Abhandlung  „Von  dem  Kampf  des  guten 
Prinzips  mit  dem  bösen  etc",  später  als  zweites  Stück  von  Kants  „Re- 
ligion" erschienen. 


i^o  An  Fürst  von  Beloselsky. 

Herrn  HILLMER.  Dieser  antwortete  mir  dann  zu  meinem  nicht 
geringen  Erstaunen:  „da  es  ganz  in  die  biblische  Theologie  ein- 
schlage, habe  er  es,  seiner  Instruktion  gemäß,  mit  seinem  Kol- 
legen Herrn  HERMES  gemeinschaftlich  durchgelesen,  und  da 
dieser  sein  Imprimatur  verweigere,  trete  er  diesem  bei."  Ich 
schrieb  nun  an  Herrn  HERMES  und  erhielt  zur  Antwort;  „Das 
Religionsedikt  sei  hierin  seine  Richtschnur,  weiter  könne  er  sich 
nicht   darüber  erklären." 

Es  muß  wohl  jeden  empören,  daß  ein  HILLMER  und  HER- 
MES sich  anmaßen  wollen,  der  Welt  vorzuschreiben,  ob  sie  einen 
Kant  lesen  soll  oder  nicht.  —  Es  ist  dies  erst  soeben  passiert; 
ich  weiß  nun  durchaus  noch  nicht,  was  weiter  zu  tun  ist.  Aber 
ich  glaube  es  mir  und  den  Wissenschaften  in  unserm  Staate 
schuldig  zu  sein,  etwas  dagegen  zu  tun. 

Leben  Sie  recht  wohl,  wenn  ein  solcher  Verfall  unserer 
Literatur  anders  Ihnen  keine  unangenehme  Stunde  macht! 

Berlin,  i8.  Juni  1792.  Biester. 


290. 

An  Fürst  von  Beloselsky. 

(Entwurf.) 

[Sommer  1792.] 
Das  schätzbare  Geschenk,  welches  Ew.  Erlaucht  mir  im  ver- 
gangenen Sommer  mit  Ihrer  vortrefflichen  Dianiologie  usw.')  zu 
machen  geruheten,  ist  mir  richtig  zu  Händen  gekommen,  von 
welchem  ich  zwei  Exemplare  an  Männer,  die  den  Wert  desselben 
zu  schätzen  imstande  sind,  ausgeteilt  habe.  Meinen  schuldigen 
Dank  dafür  abzustatten  habe  die  darüber  verflossene  Zeit  hin- 
durch keineswegs  vergessen,  wohl  aber  überhäufter  Hinderungen 
wegen  immer  aufschieben  müssen,  um  dabei  auch  zugleich  etwas 


^)  Dianyologie  ouTableau  Philosophique  de  l'Entendement.  A  Dresde 
1790.  Das  Werk  versucht  den  Verstand  (rintelligence  universelle^  in 
fünf  „Tätigkeitskreise"  (cercles  d'activite)  einzuteilen.  Über  seinen 
näheren  Inhalt  und  seinen  Verfasser,  den  Fürsten  Alexander  Beloselsky 
Beloselsky  (175:7  —  1809),  russischen  Gesandten  in  Dresden,  s.  Arthur 
Warda,  Altpreußische  Monatsschr.  XXXVJI,    3 16  ff. 


An  Fürst  von  Beloselsky  141 

von  der  Belehrung  zu  sagen  die  ich   daraus  gezogen  habe,  wovon 
ich  aber  auch  jetzt  nur  einige  Hauptzüge  anführen  kann. 

Ich  bin  seit  einigen  Jahren  damit  beschäftigt,  die  Grenze  des 
menschHchen  spekulativen  Wissens  überhaupt  auf  das  bloße  Feld 
aller  Gegenstände  der  Sinne  einzuschränken,  da  alsdann  die  spe- 
kulative Vernunft,  wenn  sie  sich  über  diese  Sphäre  hinauswagt,  in 
jene  in  Ihrem  Tableau  bezeichneten  espaces  imaglnaires  fällt,  wo 
für  sie  nicht  Grund,  nicht  Ufer  d.  i.  schlechterdings  kein  Erkennt- 
nis möglich  ist.  —  Es  war  aber  Ew.  Erl.  aufbehalten  jene  meta- 
physische Grenzbestimmung  der  menschlichen  Erkenntnisvermögen, 
womit  ich  mich  seit  einigen  Jahren  beschäftigt  habe,  der  mensch- 
lichen Vernunft  in  ihrer  reinen  Spekulation  auch  auf  einer  anderen 
nämlich  anthropologischen  Seite  zu  bewerkstelligen,  welche  (die) 
für  jedes  Individuum  die  Grenzen  der  ihm  angemessenen  Sphäre 
zu  unterscheiden  lehrt,  und  zwar  vermittelst  eines  Demarculum, 
welche  sich  auf  sicheren  Prinzipien  gründet  und  ebenso  neu  und 
scharfsinnig  als  schön  und  einleuchtend  ist. 

Es  ist  eine  herrliche,  nie  gehörig  eingesehene,  noch  weniger 
aber  so  gut  ausgeführte  Bemerkung,  daß  einem  jeden  Individuum 
für  seinen  Verstandesgebrauch  die  Natur  eine  eigentümliche  Sphäre 
bestimmt  habe,  in  der  er  sich  erweitern  kann,  daß  es  deren  vier 
gebe  und  niemand  die  seinige  überschreiten  könne,  ohne  in  die 
Intervalle  zu  fallen,  welche  insgesamt  denen  benachbarten  Sphären 
sehr  angemessen  benannt  sind  (wenn  man  die  Sphäre,  welche  der 
Mensch  mit  den  Tieren  gemein  hat,  nämlich  die  des  Instinkts, 
beiseite  setzt).  Wenn  es  mir  erlaubt  ist,  unter  dem  Allgemeinen 
Gattung  des  Verstandes  {l'inteüigence  universelle)  den  Verstand  in 
besonderer  Bedeutung  (fentenciemeni)  die  Urteilskraft  und  die 
Vernunft,  alsdann  aber  die  Verbindung  dieser  drei  Vermögen  mit 
der  Einbildungskraft,  welche  das  Genie  ausmacht  [bricht  ab.] 

Zuerst  die  Einteilung  des  Vorstellungsvermögens  in  die  der 
bloßen  Auffassung  der  Vorstellungen  apprehcnsio  bruta  ohne  Be- 
wußtsein, ist  lediglich  für  das  Vieh  und  die  Sphäre  der  appcr- 
ceptio,  d.  i.  der  Begriffe,  die  letztere  nicht*)  die  Sphäre  des  Ver- 
standes überhaupt.  Diese  ist  die  Sphäre  i.  der  inteüigence  des 
Verstehens,  d.  i.  des  Vorstellens  durch  allgemeine  Begriffe  in  ab- 
stracto 1  des  Beurteilens  der  Vorstellung  des  Besonderem  als  unter 
dem  Allgemeinen    enthalten   subsumtis   unter  Regeln   allgemein   /;/ 

*)  Ist(?) 


1^1  An  Fürst  von  Beloselsky 

concreto  der  Urteilskraft  3.  des  Einsehens  persplcere  der  Ableitung 
des  Besonderen  aus  dem  Allgemeinen,  d.  i.  die  Sphäre  der  Ver- 
nunft. —  Über  diese  die  Sphäre  der  Nachahmung,  es  sei  der 
Natur  selbst  nach  ähnlichen  Gesetzen  apprentissage  oder  der  ori- 
ginal'itaet  transscendance  der  Ideale.  Diese  ist  entweder  die  der 
transszendenten  Imagination,  d.  i.  der  Ideale  der  Einbildungs- 
kraft gerne  Geist  —  espr'it,  welche,  wenn  die  Formen  der  Einbildung 
der  Natur  widersprechen  die  Sphäre  der  Hirngespenster  monstren 
Phantasterei  oder  der  transszendenten  Vernunft,  d.  i.  der  Ideale 
der  Vernunft,  welche,  wenn  sie  auf  bloße  Erweiterung  der  Spe- 
kulation über  das,  was  gar  nicht  Gegenstand  der  Sinne  sein, 
mithin  nicht  zur  Natur  gehören  kann,  lauter  leere  Begriffe  sind. 
Die  Sphäre  der  Schwärmerei  qu't  cum  ratione  tnsaniunt  und  den 
Verstand  dahin  zurückbringen,  wo  die  het'ise  war,  nämlich  nichts 
von  seiner  Idee  zu  verstehen. 

Folgendes  ist  die  Belehrung,  die  ich  für  mich  aus  dieser  vor- 
trefflichen Zeichnung  [ziehe?].  Verstand  {Yentendemeni)  in  all- 
gemeiner Bedeutung,  das,  was  man  sonst  das  obere  Erkenntnis- 
vermögen benennt,  dem  die  sensualite  entgegengesetzt  ist.  Er  ist 
überhaupt  das  Vermögen  zu  denken,  da  die  letzte  ist  das  Ver- 
mögen der  gedankenlosen  anzusehen  oder  zu  empfinden  ist.  Die 
Sphäre  der  letzteren  haben  Sie  sehr  wohl  (wenn  der  Verstand 
darin  fällt)  die  Sphäre  der  betise  genannt.  Unter  jener  ist  der 
Verstand  in  besonderer  Bedeutung  die  Urteilskraft  und  die  Ver- 
nimft  enthalten.  Der  erste  ist  das  Vermögen  zu  verstehen  (jn- 
teUtgence^  die  zweite  das  Vermögen  zu  beurteilen  (Jugemeni),  die 
dritte  einzusehen  (perspica[cP\te\  der  Vernunft  durch  Vernachlässigung 
kaim  der  Mensch  bisweilen  aus  der  Sphäre  des  Verstandes  in  das 
Leere  der  betise  zurückfallen  oder  durch  Überspannung  in  die  der 
leeren  Vernünftelei  espace  imaginaire.  Daher  Ihre  Einteilung  in 
fünf  Sphären,  wo  denn  für  den  Verstand  {C entendemeyit)  eigent- 
lich nur  drei  übrig  bleiben.  Mit  Recht  haben  Sie  Verstand  l'in- 
telligence  und  Urteilskraft,  ob  sie  zwar  ganz  verschiedene  Vermögen 
sind,  in  eine  Sphäre  zusammengezogen,  weil  die  Urteilskraft  nichts 
weiter  ist  als  das  Vermögen,  seinen  Verstand  in  concreto  zu  be- 
weisen und  die  Urteilskraft  nicht  neue  Erkenntnisse  schafft,  son- 
dern nur  wie  die  vorhandenen  anzuwenden  sind,  unterscheidet. 
Der  Titel  ist  bon  sens,  der  in  der  Tat  hauptsächlich  auf  der 
Urteilskraft  ankommt.  Man  könnte  sagen,  durch  Verstand  sind 
wir  imstande,  zu  erlernen  (das  ist  Regeln  zu  fassen),  durch  Urteils- 


An  ^akoh  Sigismund  Beck  145 

kraft  vom  Erlernten  Gebrauch  zu  machen  (Regeln  in  concreto  an- 
zuwenden), durch  Vernunft  zu  erfinden,  Prinzipien  für  mannig- 
faltige Regeln  auszudenken.  Daher,  wenn  beide  erstere  Vermögen 
unter  dem  Titel  bon  sens  (eigentlich  inteäigence  und  jugejiient  zu- 
sammen vereinigt)  die  erste  eigentliche  Sphäre  des  Verstandes 
ausmachen,  so  ist  die  Sphäre  der  Vernunft,  etwas  einzusehen,  mit 
Recht  die  zweite.  Alsdann  aber  ist  die  Sphäre,  zu  erfinden  (de 
transscendance^j  die  dritte.  Die  vierte  gehört  zur  Verbindung  der 
Sinnlichkeit  mit  dem  oberen  Vermögen,  das  ist  der  Erfindung 
dessen,  was  zur  Regel  dient,  ohne  Leitung  der  Regeln  vermittelst, 
der  imaginatioti^  das  ist  die  Sphäre  des  Genie,  welche  wirklich 
nicht  zum  bloßen  Verstände  gezählt  werden  kann. 

[Am  Rande.]  Die  Sphäre  der  persptcacite  ist  die  der  systematischen 
Einsicht  des  Zusammenhanges  der  Vernunft  der  Begriffe  in  einem  System, 
Die  des  Genie  die  der  Verbindung  der  ersten  mit  der  Originalität  der 
Sinnlichkeit. 


291. 

An  Jakob  Sigismund  Beck. 

Es  ist,  hochgeschätzter  Freund,  ganz  gewiß  nicht  Gering- 
schätzung Ihrer  mir  vorgelegten  Fragen  gewesen,  was  mich  ge- 
hindert hat,  Ihren  letzten  Brief  zu  beantworten,  sondern  es  waren 
andere  Arbeiten,  auf  die  ich  mich  damals  eingelassen  hatte,  und 
mein  Alter,  welches  mir  es  jetzt  notwendig  macht,  mein  Nach- 
denken über  eine  Materie,  mit  der  ich  mich  beschäftige,  durch 
nichts  Fremdartiges  zu  unterbrechen,  indem  ich  sonst  den  Faden, 
den  ich  verlassen  hatte,  nicht  wohl  wieder  auffinden  kann.  — 
Der  Unterschied  zwischen  der  Verbindung  der  Vorstellungen  in 
einem  Begriff  und  der  in  einem  Urteil,  zum  Beispiel  der  schwarze 
Mensch  und  der  Mensch  ist  schwarz,  (mit  andern  Worten:  der 
Mensch,  der  schwarz  ist  und  der  Mensch  ist  schwarz)  liegt 
meiner  Meinung  nach  darin,  daß  im  ersteren  ein  Begriff  als  be- 
stimmt, im  zweiten  die  Handlung  meines  Bestimmens  dieses 
Begriffs  gedacht  wird.  Daher  haben  Sie  ganz  recht  zu  sagen, 
daß  in  dem  zusammengesetzten  Begriff  die  Einheit  des  Be- 
wußtseins,   als    subjektiv   gegeben,    in   der   Zusammensetzung 


144  ^  .7^7/^0^  Sigismund  Beck 

der  Begriffe  aber  die  Einheit  des  Bewußtseins,  als  objektiv  ge- 
macht, das  ist  im  crstcren  der  Mensch  bloß  als  schwarz  gedacht 
(problematisch  vorgestellt),  im  zweiten  als  ein  solcher  erkannt 
werden  solle.  Daher  die  Frage,  ob  ich  sagen  kann:  der  schwarze 
Mensch  (der  schwarz  ist  zu  einer  Zeit")  ist  weiß  (das  ist  er  ist 
weiß,  ausgebleicht,  zu  einer  anderen  Zeit)  ohne  mir  zu  wider- 
sprechen? Ich  antworte  nein;  weil  ich  in  diesem  Urteile  den 
Begriff  des  Schwarzen  in  den  Begriff  des  Nichtschwarzen  mit 
herüberbringe,  indem  das  Subjekt  durch  den  ersteren  als  be- 
stimmt gedacht  wird,  mithin,  da  es  beides  zugleich  sein  würde, 
sich  unvermeidlich  widerspräche.  Dagegen  werde  ich  von  eben 
demselben  Menschen  sagen  können,  er  ist  schwarz  und  auch 
eben  dieser  Mensch  ist  nicht  schwarz  (nämlich  zu  einer 
anderen  Zeit,  wenn  er  ausgebleicht  ist),  weil  in  beiden  Urteilen 
nur  die  Handlung  des  Bestimmens,  welches  hier  von  Er- 
fahrungsbedingungen und  der  Zeit  abhängt,  angezeigt  wird.  In 
meiner  Krit.  d.  r.  V.  werden  Sie  da,  wo  vom  Satz  des  Wider- 
spruchs geredet  wird,  hievon  auch  etwas  antreffen. 

Was  Sie  von  Ihrer  Definition  der  Anschauung,  sie  sei  eine 
durchgängig  bestimmte  Vorstellung  in  Ansehung  eines  gegebenen 
Mannigfaltigen,  sagen,  dagegen  hätte  ich  nichts  weiter  zu  erinnern, 
als  daß  die  durchgängige  Bestimmung  hier  objektiv  und  nicht  als 
im  Subjekt  befindlich  verstanden  werden  müsse  (weil  wir  alle 
Bestimmungen  des  Gegenstandes  einer  empirischen  An€chauung 
unmöglich  kennen  können),  da  dann  die  Definition  doch  nicht 
mehr  sagen  würde  als:  sie  ist  die  Vorstellung  des  einzelnen  Ge- 
gebenen Da  uns  nun  kein  Zusammengesetztes  als  ein  solches 
gegeben  werden  kann,  sondern  wir  die  Zusammensetzung  des 
mannigfaltigen  Gegebenen  immer  selbst  machen  müssen,  gleich- 
wohl aber  die  Zusammensetzung  als  dem  Objekte  gemäß  nicht 
willkürlich  sein  kann,  mithin,  wenngleich  nicht  das  Zusammen- 
gesetzte doch  die  Form,  nach  der  das  mannigfaltige  Gegebene 
allein  zusammengesetzt  werden  kann,  a  priori  gegeben  sein  muß, 
so  ist  diese  das  bloß  Subjektive  (Sinnliche)  der  Anschauung, 
welches  zwar  a  priori,  aber  nicht  gedacht  (denn  nur  die  Zu- 
sammensetzung als  Handlung  ist  ein  Produkt  des  Denkens), 
sondern  in  uns  gegeben  sein  muß  (Raum  und  Zeit),  mithin 
eine  einzelne  Vorstellung  und  nicht  Begriff  (repraesentatio  com- 
munis) sein  muß.  —  Mir  scheint  es  ratsam,  sich  nicht  lange  bei 
der    allersubtilsten    Zergliederung   der  Eiementarvorstellungen   auf- 


An  'Johann  Erich  Biester  145 

zuhalten,  weil  der  Fortgang  der  Abhandlung  durch  ihren  Gebrauch 
sie  hinreichend  aufklärt. 

Was  die  Frage  betrifft:  Kann  es  nicht  Handlungen  geben,  bei 
denen  eine  Naturordnung  nicht  bestehen  kann  und  die  doch  das 
Sittengesetz  vorschreibt,  so  antworte  ich:  allerdings!  nämlich  eine 
bestimmte  Naturordnung,  zum  Beispiel  die  der  gegenwärtigen 
Welt,  zum  Beispiel  ein  Hofmann  muß  es  als  Pflicht  erkennen, 
jederzeit  wahrhaft  zu  sein,  ob  er  gleich  alsdann  nicht  lange  Hof- 
mann bleiben  wird.  Aber  es  ist  in  jenem  Typus  nur  die  Form 
einer  Naturordnung  überhaupt,  das  ist  der  Zusammenhang 
der  Handlungen  als  Begebenheiten  nach  sittlichen  Gesetzeu 
gleich  als  Naturgesetzen  bloß  ihrer  Allgemeinheit  nach; 
denn  dieses  geht  die  besondere  Gesetze  irgend  einer  Natur  gar 
nicht  an. 

Doch  ich  muß  schließen.  —  Die  Übersendung  Ihres  Manu- 
skripts wird  mir  angenehm  sein.  Ich  werde  es  für  mich  und 
auch  in  Gemeinschaft  mit  Herrn  Hofprediger  SCHULTZ  durch- 
gehen. —  Herrn  Professor  JACOB  bitte  ich  für  die  Übersendung, 
imgleichen  die  mir  erzeigte  Ehre  seiner  Zuschrift  gar  sehr  zu 
danken;  imgleichen  dem  Herrn  Magister  HOFFBAUER,  der  mir 
seine  Analytik  zugeschickt  hat,')  dafür  zu  danken  und  beiden  zu 
sagen,  ich  v/ürde  nächstens  ihre  Briefe  zu  beantworten  die  Ehre 
haben.  —  Leben  Sie  übrigens  recht  glücklich  —  und  ich  verbleibe 

Der  Ihrige 
Königsberg,  I.  Kant, 

d.  T^.  Juli  1792. 

29z. 

An  Johann  Erich  Biester. 

Königsberg,  d.  30.  Juli  1792. 
Ihre  Bemühungen,  geehrtester  Freund,  die  Zulassung  meines 
letzten  Stücks  in  der  Berliner  Monatsschrift  durchzusetzen,  haben 
allem  Vermuten  nach  die  baldige  Zurückschickung  derselben  an 
mich,  warum  ich  gebeten  hatte,  gehindert.  —  Jetzt  wiederhole 
ich  diese  Bitte,  weil  ich  einen  anderen  Gebrauch,  und  zwar  bald, 

^)  Joh.  Christ.  Hofbauer,  Analytik  der  Urteile  und  Schlüsse 
Halle   1792. 

Kants  Schriften.    Bd.  X.  lo 


1^6  An  Johann  Erich  Biester 

davon  zu  machen  gesinnet  bin,  welches  um  desto  nötiger  ist,  da 
die    vorhergehende  Abhandlung,    ohne    die    nachfolgende    Stücke, 
eine  befremdliche  Figur  in  Ihrer  Monatsschrift  machen  muß;  de,* 
Urtcilsspruch  aber  Ihrer  drei  Glaubensrichter  unwiderruflich  zu  sein 
scheint.  —  Es  ist  also  mein  dringendes  Gesuch,  mein  Manuskript 
mir,  auf  meinen  Kosten,  sobald   als   möglich,  mit  de-   fahrenden 
Post   wieder    zuzusenden;    weil   ich  von   verschiedenen   unter  den 
Text  eigenhändig  geschriebenen  Anmerkungen  keine  Abschrift  auf- 
behalten   habe,    sie    aber    auch    nicht    gern    missen    wollte.     Den 
Grund,    warum   ich   auf   die   Berliner  Zensur    drang,    werden  Sie 
sich  aus  meinem  damaligen  Briefe  leicht  erinnerlich  machen.    So- 
lange   nämlich   die   Abhandlungen   in    Ihrer   Monatsschrift,    sowie 
bis    jetzt,    sich   in   den   engen  Schranken   halten,   nichts,  was  der 
Privatmeinung  Ihrer  Zensoren  in  Glaubenssachen  einigermaßen  zu- 
wider   zu    sein    scheinen    könnte,   einfließen   zu   lassen,    macht  es 
keinen  Unterschied,  ob  sie  innerhalb  den  königlichen  Landen  oder 
auswärts  gedruckt  würde.     Da  ich  aber  in  Ansehung  meiner  Ab- 
handlung des   letzteren  wegen  etwas  besorgt  sein  mußte,  so  war 
die    natürliche   Folge,    daß,    wenn   sie    dennoch,    wider   ihre  Ein- 
stimmung,  in  der  Monatsschrift   erschienen  wäre,    diese  Zensoren 
darüber  Klage  erheben,  den  Umschweif,  den  sie  nimmt,  fernerhin 
verhindern  und   meine  Abhandlung,  die  sie  alsdann  ohne  Zweifel 
weidlich  anzuschwärzen  nicht  ermangeln  würden,  zur  Rechtfertigung 
ihres  Gesuchs  (um  Verbot  dieses  Umschweifs)  anführen  möchten, 
welches  mir  Unannehmlichkeiten  zuziehen  würde.  Ich  werde  dem- 
ungeachtet    nicht    unterlassen,    anstatt    dieser    Abhandlung    Ihnen, 
wenn  Sie    es    verlangen,    eine    andere,   bloß    moralische,    nämlich 
über  Herrn  GAR  VE  in  semen  Versuchen,  I.  Teil,  neuerdings  ge- 
äußerte Meinung  von   meinem  Moralprinzip,')   bald    zuzuschicken 
und  bin  übrigens  mit  unwandelbarer  Hochschätzung  und  Freund- 
schaft der  Ihrige 

Kant. 


^)  Chr.  Garve,  Versuche  über  verschiedene  Gegenstände  aus  der 
Moral,  Littera  ur  und  dem  gesellschaftlichen  Leben,  Berlin  1791  fF., 
vgl.  Kants  Abhandlung  „Über  den  Gemeinspruch:  das  mag  in  der 
Hieorie  richtig  sein,  taugt  aber  nicht  für  die  Praxis"  (Berl.  Monatsschr., 
September   1793).,  s.  Bd.  VI,  S.  gjyff. 


Von  Johann   Gott  lieb  Fichte  147 

293. 
Von  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Wohlgeborner  Herr, 

Höchstzuverehrender  Herr  Professor, 
Durch  einen  Umweg,  weil  ich  selbst  die  Literaturzeitung  sehr 
spät  erhalte,  bekomme  ich  eine  unbestimmte  Nachricht,  daß  in 
dem  Intelligenzblatte  derselben  meine  Schrift  für  eine  Arbeit  von 
Euer  Wohlgeborn  ausgegeben  worden,  und  daß  Dieselben  sich 
genötigt  gesehen,  dagegen  zu  protestieren/)  In  welchem  Sinne 
es  möglich  war,  so  etwas  zu  sagen,  sehe  ich  nicht  ein;  und 
kann  es  um  so  weniger  einsehen,  da  ich  die  Sache  nur  unbe- 
stimmt weiß.  —  So  schmeichelhaft  ein  solches  Mißverständnis 
an  sich  für  mich  sein  müßte,  so  erschreckt  es  mich  doch  sehr, 
wenn  ich  es  mir  als  möglich  denke,  daß  Euer  Wohlgeborn  oder 
ein  Teil  des  Pubhkum  glauben  könnten,  ich  selbst,  habe  durch 
eine  Indiskretion  diejenige  Art  der  Hochachtung,  die  Ihnen  jeder- 
mann um  desto  mehr  schuldig  ist,  da  sie  fast  die  einzige  bleibt, 
die  wir  Ihnen  erweisen  dürfen,  verletzt,  und  dadurch  auch  nur 
die  entfernteste  Veranlassung  zu  diesem  Vorfalle  gegeben. 

Ich  habe  sorgfältig  alles  zu  vermeiden  gesucht,  was  Dieselben 
die  eigentlich  wohltätige  Verwendung  —  ich  weiß  das,  und 
anerkenne  es  —  um  meinen  ersten  schriftstellerischen  Versuch 
bereuen  machen  könnte.  Ich  habe  nie  gegen  irgend  jemand 
etwas  gesagt,  das  Ihrer  Äußerung,  daß  Sie  nur  einen  kleinen 
Teil  meines  Aufsatzes  gelesen,  und  aus  diesem  auf  das  übrige 
nur  geschlossen,  widerspräche;  ich  habe  vielmehr  eben  das  mehr- 
mals gesagt.  Ich  habe  in  der  Vorrede  den  kaum  merklichen  W^ink, 
daß  ich  so  glücklich  gewesen  bin,  wenigstens  zum  Teil  gütig 
von  Ihnen  beurteilt  zu  werden,  vertilgt.  (Ich  wünschte  jetzt, 
leider  zu  spät,  die  ganze  Vorrede  zurückbehalten  zu  haben.) 

Dies  ist  die  Versicherung,  die  ich  Euer  Wohlgeboren  nicht 
aus  Furcht,  daß  Sie  ohne  gegebene  Veranlassung  mich  für  indis- 
kret halten  würden,  sondern  um  Denenselben  meine  Teilnahme 
an  dem  unangenehmen  Vorfalle,  die  sich  auf  die  reinste  Ver- 
ehrung gegen  Sie  gründet,  zu  erkennen  zu  geben,  machen  wollte. 
Sollte,  wie   ich  vor   völliger  Kunde   der  Sachen    nicht    beurteilen 

*)  Vgl.  hierzu  die  öffentlichen  Erklärungen  Kants  Nr.  IL 

10* 


148  Von  Friedrich  Viktor  Lebrecht  Plessing 

kann,  und  worüber  ich  mir  Euer  Wohlgeboren  gütigen  Rat  er- 
bitte, noch  eine  öffentliche  Erklärung  von  meiner  Seite  nötig 
sein,  so  werde  ich  sie  ohne  Anstand  geben. 

Werden  Euer  Wohlgcboren  der  Frau  Gräfin  von  KROCKOW, 
in  deren  Hause  ich  so  glückliche  Tage  verlebe,  welche  mir  auf- 
trägt, Ihnen  Ihre  Hochachtung  zu  versichern,  und  welche  selbst 
die  aller  Welt  verdient,  eine  kleine  Neugier  für  gut  halten?  Sie 
findet  ohnlängst  im  bischöflichen  Garten  zu  Oliva  an  der  Statue 
der  Gerechtigkeit  Ihren  Namen  angeschrieben,  und  wünscht  zu 
wissen,  ob  Sie  selbst  dagewesen  sind.  Olingeachtet  ich  ihr  nun 
vorläufig  zugesichert  habe,  daß  aus  dem  angeschriebnen  Namen 
sich  gar  nichts  schließen  lasse,  weil  Sie  es  sicher  nicht  gewesen, 
der  ihn  hingeschrieben;  so  hat  sie  sich  doch  schon  zu  sehr  mit  dem 
Gedanken  familiarisiert,  an  einem  Orte  gewesen  zu  sein,  wo  auch 
Sie  einst  waren,  und  besteht  auf  ihrem  Verlangen,  Sie  zu  fragen. 
Ich  finde  aber,  daß  dieser  Neugier  noch  etwas  anders  zum  Grunde 
liegt.  „Sind  Sie  in  Oliva  schon  einmal  gewesen,  denkt  sie,  so 
könnten  Sie  wohl  einst  in  Ihren  Ferien  wieder  dahin,  und  von 
da  aus  wohl  auch  nach  Krockow  kommen"  —  und  es  gehört 
unter  ihre  Lieblingswünsche,  Sie  einmal  bei  sich  zu  sehen  und 
Ihnen  ein  paar  vergnügte  Tage  oder  auch  Wochen  zu  machen; 
und  ich  glaube  selbst,  daß  sie  den  zweiten  Teil  ihres  Wunsches 
sicher  erreichen  würde,  wenn  sie  den  ersten  erreichen  könnte. 

Ich  bin  mit  warmer  Verehrung 

Euer  Wohlgeborn 
Krockow,  d.  6.  August  gehorsamster  Diener 

1792.  J.  G.  Fichte. 


Von  Friedrich  Viktor  Lebrecht  Plessing. 

Wohlgeborner  Herr 

Hochzuehrender  Herr  Professor. 
Süß  ist  mir  dieser  so  lange  gewünschte  Augenblick,  wo  ich 
einer  Pflicht  Gnüge  tun  kann,  wegen  deren  Nichterfüllung,  die 
bisher  nicht  in  meiner  Gewalt  stand,  ich  von  manchem  innem 
Kummer  gedrückt  worden  bin.  Ich  entschuldige  mich  hier  nicht 
weiter.     Denn  bloße  Worte,    die    sich   leicht   finden   lassen,  sind 


Von  Friedrich   Viktor  Lebrecht  Vlessing  14p 

noch  keine  würklichen  Gründe.  Wenn  ich  einigen  Glauben  bei 
Ihnen  habe,  so  wird  die  simple  Versicherung  von  meiner  Seite: 
daß  es  nicht  in  meiner  Gewalt  gestanden,  diese  Pflicht  eher  zu 
erfüllen,  für  Sie  hinreichend  sein.  Es  sind  nunmehr  neun  Jahre, 
da  Euer  Wohlgeboren  30  Rhtlr.  (ich  hoffe,  in  der  Summe  mich 
nicht  zu  irren)  für  mich  ausgelegt  hatten.  Eine  so  lange  Zeit 
schuldig  gebliebene  Summe  muß  zugleich  mit  den  Zinsen,  die 
sie  während  dieser  neun  Jahre  getragen,  abbezahlt  werden.  Dies 
gebühret  sich  nach  der  Ordnung  der  Dinge,  und  ist  mir  daher 
Pflicht.  Ich  übersende  acht  Friedrichsdor,  die  mit  dem  Agio 
(das  auf  jedes  Stück,  zehn  bis  elf  Ggl.,  nach  sächsischen  Münz- 
fuß, beträgt)  die  Summe  ausmachen  werden,  die  ich  Ihnen  (nämlich 
die  30  Rhtlr.,  nebst  neunjährigen  Zinsen,  fünf  vom  Hundert) 
schuldig  bin.  Ich  begleite  den  Abgang  dieses  Geldes  mit  meinem 
herzlichsten  und  innigsten  Dank,  den  ich  Ihnen,  nicht  bloß  für 
die  so  lange  bewiesene  gütige  Nachsicht,  sondern  noch  für  mehr 
als  dies,  für  das  widme,  was  Sie  mir  vor  zehn  Jahren  (in  dieser 
für  mich  so  merkwürdigen  und  traurigen  Periode  meines  Lebens, 
deren  Andenken  mit  unauslöschlichen  Zügen  in  mein  Innerstes 
gegraben  ist)  waren.  Nochmals  meinen  innigsten  Dank  Ihnen 
dafür,  edler  Mann!  meinen  innigsten  Dank,  von  dem  das  Herz 
eines  Mannes  erfüllt  ist,  das  seine  Verbindlichkeit  und  Ihr  Verdienst 
ganz  fühlt.  Noch  bleibt  mir  aber  etwas  zu  erfüllen  übrig,  das 
Sie  vermutlich  erraten  werden.  Es  betrifft  nämlich  jenen  groß- 
mütigen Mann,  dessen  Namen  ich  noch  nicht  kenne.  Allein  noch 
zu  sehr  unter  dem  harten  Gesetz  zwingender  äußerer  Umstände 
gehalten  —  die  ich  zwar  seit  neun  Jahren,  durch  anhaltendes 
Ankämpfen  und  Anstrengung  aller  meiner  Kräfte,  gegen  die  vorigen 
Zeiten  gerechnet,  um  ein  Großes  erträglicher  gemacht  habe,  aber 
doch  noch  nicht  so  zu  verbessern  imstande  gewesen  bin  (wozu 
ich  noch  einige  Jahre  brauche,  und  mir  daher  nur  noch  so  lange 
das  Leben  wünsche,  um  auch  diese  Pflichten  noch  erfüllen  zu 
können),  um  alles  ins  reine  bringen  zu  können  —  ist  es  mir 
bis  gegenwärtig  nicht  möglich,  mich  von  dieser  mir  auf  dem 
Herzen  liegenden  Verbindlichkeit  zu  befreien.  Allein  ich  ersuche 
Euer  Wohlgeboren  (auf  Lebens-  und  Sterbensfall),  mir  irgend  eine 
Adresse  zu  übermachen,  wohin  oder  an  wen,  sobald  ich  dazu 
vermögend  bin,  ich  die  bewußte  Summe  übermachen  kann.  — 
Ich  habe  ein  hartes  Tagewerk  gehabt.  Doch  fühle  ich  in  dem 
Bewußtsein :  mit  Mühe  und  Arbeit,  im  Schweiß  meines  Angesichts 


150  Von  Friedrich   Viktor  Lebrecht  Vlessing 

mich    durchgedrungen    zu    haben,    zugleich    Beruhigung    und    Be- 
lohnung. 

Itzt  muß  ich  Euer  Wohlgeboren  doch  noch  einige  Nach- 
richten von  mir  selbst  mitteilen.  Was  meine  individuelle  Lage, 
als  Mensch  und  akademischer  Lehrer  hier  an  diesem  Ort  betrifft, 
so  lebe  ich,  gewisse  Rücksichten  ausgenommen,  zufrieden,  mit 
meinen  Kollegen*)  in  Ruhe  und  Einigkeit,  sowie  mit  allen  übrigen 
Menschen.  Bei  Führung  meines  Lehramts  suche  ich,  soviel  ich 
kann,  und  soviel  es  der  Geist  der  hiesigen  Denkart  zu  ertragen 
imstande  ist,  Nutzen  zu  stiften.  Freilich  ist  in  diesen  Gegenden, 
die  sich  durch  so  manche  Eigenheiten  vor  andern  auszeichnen, 
Philosophie  eine  ziemlich  fremde  Wissenschaft;  Herrn  JACOBI  in 
Düsseldorf  ausgenommen,  sonst  weiß  ich  keinen,  mit  dem  ich 
mich  mündlich  über  dergleichen  Gegenstände  unterhalten  könnte. 
Wäre  meine  Einnahme  etwas  ansehnlicher  und  herrschte  hierzu- 
lande, wol  wegen  des  starken  Handels  und  der  ansehnlichen  Geld- 
masse, die  im  Umlauf  ist,  nicht  eine  große  Teuerung,  so  würde 
—  da  ich  einsam  und  abgezogen  lebe,  und  mich  soviel  möglich 
von  äußern  Bedürfnissen  unabhängig  zu  machen  suche  —  auch 
in  noch  einer  andern  Rücksicht,  meine  Lage  erträglicher  sein. 
Man  hatte  mir  vorm  Jahr  eine  Zulage  gegeben,  aber  mit  der 
Bedingung,  die  lutherische  Dogmatik  zu  lesen.  Überrascht  an- 
fänglich nahm  ich  diesen  Antrag  an.  Allein  aus  Gründen,  die 
mir's  zur  Pflicht  machten,  habe  ich  dieses  Amt,  nebst  der  Zulage, 
schon  vor  einiger  Zeit  wieder  niedergelegt. 

Meine  in  einem  imgewöhnlichen  Grade  vormals  lebhafte  Ein- 
bildungskraft, die  in  meinen  jüngeren  Jahren  die  Herrschaft  führte, 
mir,  bei  der  ansehnlichen  Rolle,  die  sie  spielte,  so  viele  Übel 
schuf,  ist  gegenwärtig  erkaltet,  so  daß  ich  itzt  die  Dinge  ziemlich 
so  sehe,  wie  sie  sind.  Zurückgekommen  von  so  manchen  Prä- 
tensionen, könnte  ich  daher  -Ä^ohl  in  der  Folge  negativ  glück- 
licher leben;  allein  ich  fürchte,  unter  den  fortdaurenden  Geistes- 
anstrengungen (denen  ich  noch  zurzeit,  wegen  ökonomischer  Ver- 
hältnisse, keine  engern  Schranken  setzen  darf),  die  baldige  Ab- 
stumpfung meines  Körpers  und  Geistes.  Möge  aber  alsdann  auch 
nur  das  Ende  meiner  Tage  nicht  mehr  fern  sein!  Ein  kurzes 
Lebensziel  und  baldige  Befreiung  des  Vernunftmenschen  von  der 
Herrschaft  der  sinnlichen  Natur  und  aus  dem  Leibe  dieses  Todes 

*)  Die  mit  *)  angedeutete  Fußnote  ist  weggeschnitten. 


Von  Friedrich   Viktor  Lebrecht  Plessing  1 5 1 

ist  in  dieser  gegenwärtigen  Zeit  mehr  zu  wünschen,  als  zu  fürchten. 
Mir  fällt  hierbei  eine  herrhche  an  BRUTUS  gerichtete  Stelle,  aus  dem 
ersten  Buch  der  Tuscul.  quaest.  (am  Ende  desselben)  ein,  die 
CICERO,  während  der  Stürme,  die  sein  Vaterland  zerrütteten, 
und  das  Menschengeschlecht  in  ein  länger  als  tausendjähriges  Elend 
stürzten,  schrieb:  Magna  eloquentia  est  utendum,  atque  ita  velut 
superiore  e  loco  concionandum,  ut  homines  mortem  vel  optare 
incipiant,  vel  certe  timcre  desistant.  Nam  si  supremus  ille  dies 
non  exstinctionem,  sed  commutationem  affert  loci,  quid  optabilius? 
sin  autem  perimit  ac  delet  omnino,  quid  melius,  quam  in  mediis 
vitae  laboribus  obdormiscere,  &  ita  conniventem  somno  consopiri 
sempiterno?  —  Nos  vero,  si  quid  tale  acciderit,  ut  a  Deo  denun- 
tiatum  videatur,  ut  exeamus  e  vita,  laeti,  &  agentes  gratias  pareamus; 
emittique  nos  e  custodia  &  levari  vinculis  arbitremur,  ut  aut  in 
aeternam,  &  plane  in  nostram  domum  remigremus,  aut  omni  sensu, 
molestiaque  careamus.  Sin  autem  nihil  denuntiabitur,  eo  tamen 
simus  animo,  ut  diem  illum,  horribilem  aliis,  nobis  faustum 
putemus;  portum  paratum  nobis  &  perfugium  putemus.  Quo 
utinam  velis  passis  pervehi  liceat!  sin  restantibus  ventis  rejiciemur, 
tamen  eodem,  paulo  tardius,  referamur  necesse  est. 

Die  Geschichte  unserer  Tage  zeugt  von  einem  traurigen  Verfall 
der  Menschheit  ynd  weissagt  derselben  Schicksale,  die  zittern 
machen;  alle  Anstalten  sind  wenigstens  da,  um  es  zu  bereiten. 
Die  heilige  aiScü?  scheint  ganz  den  Erdboden  verlassen  zu  wollen. 
Ein  sich  selbst  zerstörender  Egoismus  entartet  die  Europäer  und 
verschlingt  alle  edle  Gefühle  bei  ihnen.  In  gewissen  bedrängen- 
den Augenblicken  des  tiefsten  Seelenschmerzes  und  inniglichsten 
Unwillens  wird  einem  der  Gedanke  denkbar:  Gott  könne  die 
Menschen  wegen  moralischer  Verderbnis  aus  freiwilliger  Bestim- 
mung vom  Erdboden  vertilgen,  um  ihn  von  den  Verschuldungen 
zu  reinigen  und  einer  bessern  Menschenart  Platz  zu  machen.  Es 
geschehen  itzt  Dinge  auf  Erden,  die  das  moralische  Gefühl  so 
empören,  daß  es  ihm  zum  äußersten  Bedürfnis  wird:  Strafe  und 
Verdammnis  in  einem  andern. Leben  zu  wünschen,  um  die  Vernunft 
durch  diesen  zum  Glauben  gewordnen  Wunsch  vor  der  Ver- 
zweiflung zu  retten:  sich  solbst  für  ein  Unding  und  die  Welt 
für  ein  Irrenhaus  zu  halten,-  wo  die  Tollhäusler  einander  die 
Köpfe  zerschlagen. 

Doch    ich    muß   hier  abbrechen.     Sie  haben  in  letzter  Messe 
ein  neues  Werk  ohne  Ihren  Namen  herausgegeben;  aber  ich  habe 


i5t  Von  Friedrich   Viktor  Lebrecht  Fiessing 

den  Verfasser  bald  erkannt.  Möge  dieses  Buch  viel  Segen  stiften! 
—  Teilnehmend  begleiten  meine  Blicke  Sie  auf  Ihrer  glänzenden 
Laufbahn,  und  der  Ruhm,  der  Sie  am  Abend  Ihrer  Tage  krönt, 
ist  für  mich  ein  erhebender  Anblick!  Widmen  Sie,  ehrwürdiger 
Greis,  Ihr  noch  übriges  Leben  dazu,  den  Menschen  Wahrheiten 
zu  sagen,  die  sie  itzt  am  meisten  bedürfen.  Es  wird  so  wenig 
für  die  gute  Sache  der  Menschheit  geschrieben;  und  das,  was 
darüber  geschrieben  wird,  ist  meistens  zweckwidrig.  Mehrere 
unserer,  in  andern  Fächern  guten,  Schriftsteller  scheinen,  wenn  sie 
über  diesen  Punkt  schreiben,  den  Kopf  zu  verlieren.  Ich  ver- 
misse Überzeugung,  Nachdruck,  Würde,  Ernst,  männliche  Kraft, 
ruhige  Fassung,  Weisheit  und  Klugheit,  bei  dem  Inhalt  und  Ge- 
präge ihrer  Schriften.  Wie  sehr  kann  ein  Mann  wie  Sie  itzt 
ein  Wort  zu  rechter  Zeit  reden! 

Ob  ich  gleich  diesen  Sommer  zum  dritten  Male  meine  Meta- 
physik, die  ich  dieses  halbe  Jahr  wieder  Itst,  ausarbeite,  so  bin 
ich  mit  meinem  System  doch  nicht  aufs  reine.  Ihre  Werke  liegen 
auf  meinem  Schreibtisch  mir  immer  zur  Hand.  Zuvor  aber,  ehe 
ich  mich  diesen  Untersuchungen  ganz  und  gar  widm«,  werde  ich 
noch  eine  Wallfahrt  ins  Altertum  tun.  Mein  Hauptzweck  mit 
bei  diesem  Studium  ist,  die  Nichtigkeit  des  der  menschlichen 
Vernunft  gemachten  Vorwurfs  zu  zeigen,  als  wenn  sie  nur  erst 
seit  Jüngern  Zeiten  auf  die  Idee  eines  Göttlichen  Wesens  ge- 
kommen wäre,  und  hiezu  einer  andern  als  ihrer  eignen  Hilfe 
bedurft  hätte;  ferner,  die  Geschichte,  den  Zusammenhang  und 
alten  entfernten  Ursprung  jenes  merkwürdigen  Systems  zu  ent- 
wickeln, das  auf  die  Schicksale  und  die  Denkart  der  Menschen 
einen  so  unermeßlichen  Einfluß  gehabt  und  daher  genauer  unter- 
sucht zu  werden  doch  wohl  verdient.  Es  ergeben  sich  hieraus 
Wahrheiten,  als  Resultate,  die,  wenn  sie,  so  wie  sie  schon  philo- 
sophisch erkannt  sind,  auch  historisch  anschauend  gemacht,  recht 
verstanden  und  beherzigt  werden,  die  menschliche  Erkenntnis 
über  verschiedene  wichtige  Gegenstände  sehr  berichtigen  können. 
Ehe  der  Satz  nicht  als  allgemein  wahr  anerkannt  wird:  daß  keine 
Vernunftwahrheit  offenbart  werden  kann,  ist  kein  daurendes  Heil 
und  Wohl  für  die  Menschen  zu  hoffen.  Allein  das  Publikum, 
das,  da  ich  einige  Jahre  zu  spät  kam,  schon  Partei  ergriffen  hatte, 
kann  oder  will  mich  zum  Teil  nicht  verstehn.  Ich  habe  zeither 
noch  einmal  die  Alten  studiert,  auch  zum  Teil  die  Astronomie 
derselben    (als    mit  welcher    die    alte   Metaphysik    in  Verbindung 


Von  Friedrich   Viktor  Lebrecht  Fiessing  153 

steht),  vorzüglich  aber  ganz  von  vorn,  den  PLATO  und  ARISTO- 
TELES, wo  ich  manchen  Fund  wieder  getan  und  zum  bessern 
Verständnis  der  ELEATISCHEN  und  ARISTOTELISCHEN  Philo- 
sophie gelangt  bin;  in  deren  Darstellung,  wie  sie  im  zweiten 
Bande  meiner  Versuche  zur  Aufklärung  der  Philosophie  des  ältesten 
Altertums  enthalten  ist,  ich  manches  verändern,  und  ein  neues 
Werk,  unter  dem  vermutlichen  Titel:  Resultate  aus  der  Geschichte 
der  Menschheit  im  ältesten  Altertum,  herausgeben  werde.  Aus 
der  Vergleichung  und  Vereinigung  der  Entdeckungen  der  neuern 
Naturgeschichte  mit  den  Resultaten  der  ältesten  Urkunden  der 
Geschichte  über  eine  große  Erdrevolution  ist  es  mir  zur  höchsten 
Wahrscheinlichkeit  gediehen:  daß  eine  große  physische  Revolution 
vormals  einen  großen  Teil  der  Oberfläche  des  Erdbodens  ins 
Meer  versenkt,  dadurch  neues  Land  hervorgebracht  und  die 
physische  und  klimatische  Beschaffenheit  desselben  ganz  verändert 
und  verschlimmert  habe.  Diese  große  Weltbegebenheit,  glaube 
ich,  ist  der  erste  feste  Standpunkt,  von  dem  man  bei  der  Ge- 
schichte der  Menschheit  ausgehn  muß.  Indem  man  seine  Unter- 
suchungen hier  anknüpft,  gewinnen  sie  durch  diese  Verbindung 
mehr  Licht  über  den  Ursprung  und  die  Natur  gewisser  Lehrsätze 
jenes  alten  Systems;  über  die  dann  auch,  aus  der  Natur  der  Ver- 
nunft selbst,  wenn  man  dem  natürlichen  Gange  nachspürt,  den 
sie  in  jenen  Zeiten  und  unter  jenen  Umständen  nehmen  mußte, 
mancher  Aufschluß  geschöpft  werden  kann. 

Doch  ich  muß  hier  abbrechen,  schon  zu  lange  habe  ich  Sie 
hiemit  unterhalten.  —  Leben  Sie  wohl,  ehrwürdiger  Mann!  Lassen 
Sie  mich  Ihrem  Andenken  von  neuem  empfohlen  sein,  und  nehmen 
Sie  das  herzliche  Bekenntnis  meiner  Verehrung  und  Hrochjachtung 
an,  mit  der  ich  bin 

Dero 

Duisburg  am  Rhein,  treugehorsamster 

den  6.  August  92.  Plessing. 

Königsberg  ist  mir  ganz  unbekannt  geworden.  Ist  Herr 
BRAHL  noch  am  Leben  oder  noch  in  Königsberg,  und  sollten 
Sie  Gelegenheit  haben,  ihn  zu  sehen,  so  haben  Sie  die  Güte, 
ihm  mein  Andenken  zu  bezeugen. 


* 
*  * 


154  ^"  ^^^  theologische  Fakultät  in 

295. 
An  die  theologische  Fakultät  in  ;^  *  *•') 

(Entwurf.) 

[Ende  August   1792.] 
Ich  habe  die  Ehre,  Euer  Hochchrwürden  drei  philosophische 
Abhandlungen,  die  mit  der  in  der  Berl.  Monatsschrift  ein  Ganzes 
ausmachen  sollen,  nicht  sowohl  zur  Zensur,  als  vielmehr  zur  Be- 
urteilung, ob  die  theologische  Fakultät  sich  die  Zensur  derselben 
anmaße,  zu  überreichen,  damit  die  philosophische  ihr  Recht  über 
dieselbe  gemäß  dem  Titel,   den  diese  Schrift  führt,  unbedenklich 
ausüben  könne.   —   Denn  da   die   reine  philosophische  Theologie 
hier    auch    in    Beziehung    auf  die    biblische  vorgestellt  wird,  wie 
weit  sie  nach  ihren  eigenen  Versuchen    der   Schriftauslegung  sich 
ihr  anzunähern  getraut,  und  wo  dagegen  die  Vernunft  nicht  hin- 
reicht   oder    auch   mit  der  angenommenen  Auslegung  der  Kirche 
nicht  folgen  kann,  so  ist  dieses  eine  unstreitige  Befugnis  derselben, 
bei    der    sie    sich    in    ihren    Grenzen    hält    und    in    die    biblische 
Theologie  keinen  Eingriff  tut,  ebensowenig,  als  man  es  der  letzteren 
zum    Vorwurfe    des    Eingriffs    in    die    Rechtsame    einer    anderen 
Wissenschaft  macht,  daß  sie  zu  ihrer  Bestätigung  oder  Erläuterung 
sich    so    vieler    philosophischer    Ideen    bedient,    als    sie    zu    ihrer 
Absicht    tauglich    glaubt.    — -    Selbst    da,    wo    die    philosophische 
Theologie  der  biblischen  entgegengesetzte  Grundsätze  anzunehmen 
scheint,  zum  Beispiel  in  Ansehung  der  Lehre  von  den  Wundern, 
gesteht  und  beweist  sie,   daß  diese  Grundsätze  von   ihr  nicht  als 
objektive,  sondern  nur  als  subjektive  geltend,  das  ist  als  Maximen 
verstanden  werden  müssen,  wenn  wir  bloß  unsere  (menschliche) 
Vernunft    in    theologischen  Beurteilungen   zu  Rate  ziehen  wollen, 
wodurch    die  Wunder    selbst    nicht   in  Abrede  gezogen,    sondern 
dem  biblischen  Theologen,  sofern  er  bloß  als  ein  solcher  urteilen 
will    und    alle  Vereinigung    mit    der  Philosophie  verschmäht,  un- 
gehindert überlassen  werden. 

^)  Das  Schreiben  ist  wahrscheinlich  an  die  Königsberger  theolog. 
Fakultät  gerichtet;  ihr  Votum  ging  dahin,  daß  sie  die  philosophische 
Fakultät  für  die  Beurteilung  von  Kants  „Religion  innerhalb  der  Grenzen 
der  bloßen  Vernunft"  als  zuständig  erklärte.  Kant  wandte  sich  hierauf 
an  die  philosophische  Fakultät  in  Jena,  deren  Dekan  J.  Chr.  Hennigs 
das  Imprimatur  erteilte. 


Von  Jakoh  Sigismund  Beck  155 

Da  nun  seit  einiger  Zeit  das  Interesse  der  biblischen  Theo- 
logen als  solcher  zum  Staatsinteresse  geworden,  gleichwohl  aber 
auch  das  Interesse  der  Wissenschaften  ebensowohl  zum  Staats- 
interesse gehört,  welches  eben  dieselben  Theologen  als  Universi- 
tätsgelehrte (nicht  bloß  als  Geistliche)  nicht  zu  verabsäumen  und 
einer  der  Fakultäten,  zum  Beispiel  der  philosophischen,  zum  ver- 
meinten Vorteil  der  anderen  zu  verengen,  sondern  vielmehr  jeder 
sich  zu  erweitern  befugt  und  verbunden  sind,  so  ist  einleuchtend, 
daß,  wenn  ausgemacht  ist,  eine  Schrift  gehöre  zur  biblischen 
Theologie,  die  zur  Zensur  derselben  bevollmächtigte  Kommission 
über  sie  das  Erkenntnis  habe,  wenn  das  aber  noch  nicht  aus- 
gemacht, sondern  noch  einem  Zweifel  unterworfen  ist,  diejenige 
Fakultät,  auf  einer  Universität  (welche  diesen  Namen  darum 
führt,  weil  sie  auch  darauf  sehen  muß,  daß  eine  Wissenschaft 
nicht  zum  Nachteil  der  andern  ihr  Gebiet  erweitere),  für  die 
das  biblische  Fach  gehört,  allein  das  Erkenntnis  habe,  ob  eine 
Schrift  in  das  ihr  anvertraute  Geschäfte  Eingriffe  tue  oder  nicht, 
und  im  letzteren  Fall,  wenn  sie  keinen  Grund  findet,  Anspruch 
darauf  zu  machen,  die  Zensur  derselben  derjenigen  Fakultät  anheim- 
fallen müsse,  für  die  sie  sich  selbst  angekündigt  hat. 


29Ö. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den  8.  September  1792. 
Teuerster  Herr  Professor, 
Sie  haben  mir  erlaubt,  Ihnen  mein  Manuskript  zu  schicken, 
und  ich  benutze  hiemit  dieses  gütige  Anbieten.  Da  ich  es  mit 
Sorgfalt  aufgesetzt  und  kein  Nachdenken  in  dieser  Arbeit  mir 
erspart  habe,  so  gibt  mir  dieses  einigen  Mut,  dieselbe  Ihnen 
vorzulegen.  Was  die  Schwierigkeiten  betrifft,  die  mich  bisweilen 
quälten,  und  die  ich  zum  Teil  Ihnen  vorgelegt  habe,  so  habe  ich 
großenteils  und  nach  und  nach  aus  eigenem  fundo  sie  mir  selbst 
gehoben.  Daß  der  grade  Gang  auch  in  Wissenschaften  der  beste 
ist,  erfahre  ich  täglich,  indem  jedesmal,  daß  ich  mich  überredete, 
auch  in  der  Kritik  was  eingesehen  zu  haben,  das  ich  doch  nicht 
hatte,  ich  mich  nur  vom  Ziel  auf  längere  Zeit  entfernt  habe. 
Der    Auszug   aus    der   Kritik    der  reinen  Vernunft  geht  in  diesen 


156  Von  ^akoh  Sigismund  Beck 

Heften  bis  zur  transszendentalen  Dialektik.  Ich  habe  ihn  schon 
einmal  ganx  fertig  gehabt;  aber  der  Fortschritt  in  diesem  Studium 
und  die  dadurch  erhaltene  Aufklärung  hat  mich  vermocht,  die 
ganze  Arbeit  umzuwerfen  und  von  neuem  den  Aufsatz  zu  machen. 
Aber  um  eine  Unart  muß  ich  um  Verzeihung  bitten.  Ich  habe 
zwar  das  Manuskript  so  leserlich  als  ich  konnte  geschrieben,  aber 
es  war  mir  unmöglich,  es  abschreiben  zu  lassen,  weil  die  Leute, 
die  man  hier  dazu  braucht,  Soldaten  sind,  und  diese  sich  jetzt 
in  Frankreich  befinden. 

Und  nun,  lieber,  teurer  Lehrer,  darf  ich  freilich  nicht  wähnen, 
daß  Sie  mein  ganzes  Geschreibe  selbst  durchgehen  werden.  Nur 
um  die  Gefälligkeit  muß  ich  Sie  wirklich  ersuchen,  die  e'uiige 
Blätter  von  der  Deduktion  der  Kategorien  und  den  Grundsätzen 
durchzugehen,  woran  mir  am  meisten  gelegen  ist  und  mir  zu 
zeigen,  was  ich  wohl  gar  falsch  dürfte  gefaßt,  oder  Ihrem  Wunsche 
nicht  gemäß  dargestellt  haben.  Der  Buchdrucker  verlangt  aber 
das  Manuskript  in  einer  Zeit  von  acht  Wochen  und  ich  bin 
daher  genötigt,  es  mir  gegen  Ende  des  Novembers  zurückzu- 
erbitten. 

Noch  eine  Privatfrage  möchte  ich  gern  tun,  wozu  mir  Ihre 
Kritik  durch  die  mir  außerordentlich  einleuchtende  Bemerkung, 
daß  man  einen  Raum  durchweg  erfüllt  mit  Materie  sich  denken 
und  gleichwohl  das  Reale  desselben  durch  unendlich  viele  Grade 
verschieden  setzen  könne.  Ich  habe  mich  niemals  in  die  Vor- 
stellungsart KÄSTNERS,  KARSTENS  usw.,  daß  man  die  Materie 
aus  gleichförmigen  Moleculis  von  einerlei  Schwere  bestehend  sich 
denken  müsse,  um  die  verschiedenen  Gewichte  gleicher  Volumina 
sich  zu  erklären,  finden  können.  Die  kritische  Philosophie  hat 
bis  zum  Ergötzen  mich  hierüber  belehrt.  Um  nun  jene  Erschei- 
nung mir  zu  erklären,  stelle  ich  mir  die  Sache  so  vor.  Die  Erde 
zieht  jeden  Körper  auf  ihrer  Oberfläche  an,  so  wie  sie  auch  von 
ihm  angezogen  wird.  Aber  die  Wirkung  des  Körpers  gegen  die 
Erde  ist  unendlich  klein  gegen  die,  welche  die  Erde  auf  ihn  hat, 
und  daher  kommt  es,  daß  die  Fallhöhe  im  luftleeren  Raum  aller 
Körper  ganz  gleich  ist.  Hänge  ich  aber  zwei  Körper  von 
gleichem  Volumen,  in  denen  kein  Teil  leer  sein  mag,  an  die 
Wage,  so  wird  die  Wirkung,  welche  die  Erde  auf  beide  äußert, 
gegeneinander  aufgehoben,  aber  die  Kräfte,  womit  beide  Körper 
die  Erde  anziehen,  bleiben  und  sind  es  nun  allein,  welche  ein 
Verhältnis  gegeneinander  haben.     Im  luftleeren  Raum  ist  das  Ver- 


Von  'jfakob  Sigismund  Beck  157 

hältnis  der  Kräfte,  womit  beide  Körper  zur  Erde  fallen  =  a-\-dx'.a-\- dy 
=  a:a  also  ein  Verhältnis  der  Gleichheit;  aber  an  der  Wage 
='dx'.dy  ein  Verhältnis  der  Ungleichheit.  Würden  beide  Körper 
auf  eine  Mondesweite  etwa  von  der  Erde  erhoben,  so  würden 
gewiß  ihre  Fallhöhen  nicht  mehr  gleich  sein.  Ob  ich  darin 
wohl  recht  habe? 

Inliegenden  Brief  an  Sie  zu  bestellen,  hat  mich  Herr  M.  RATH 
gebeten.  Er  hat  Lust,  die  Kritik  ins  Latein  zu  übersetzen,  und 
will  Sie  darum  befragen.  Da  Ihnen  dieser  Mann  gänzlich  un- 
bekannt ist,  so  darf  ich  wohl  einige  Worte,  die  ihn  kenntlich 
machen  sollen,  hersetzen.  Er  ist  kein  junger  Mensch,  sondern 
ein  Mann  zwischen  dreißig  und  vierzig.  Wirklich  reine  Liebe 
zu  den  Wissenschaften  hat  ihn  vom  schriftstellerischen  Pfad,  und 
diese  sowohl  als  eine  grade  aufrichtige  Denkungsart  von  dem 
Bestreben,  das  andern  manchmal  schnell  Ehren  bringt,  abgehalten. 
Daß  er  die  alten  Sprachen  kenne,  habe  ich  aus  dem  Munde  der- 
jenigen, die  hierselbst  ein  Ansehen  deshalb  haben.  Daß  er  aber 
die  kritische  Philosophie  mit  glücklichem  Erfolg  studiere,  davon 
überführt  mich  mein  vertrauter  Umgang  mit  ihm,  der  mir  das 
seltene  Glück  gewährt,  meine  Gedanken  einer  menschlichen  Seele 
mit  Wohlgefallen  mitteilen  zu  können. 

Künftiges  Winterhalbejahr  werde  ich  ein  Publicum  lesen 
der  praktischen  Philosophie,  worauf  ich  mich  herzlich  freue,  in- 
dem ich  gewiß  viel  belehrter  es  schließen,  als  ich  es  anfangen 
werde. 

Ich  schließe  hiemit  und  empfehle  mich  Ihrer  Gewogenheit, 
der   ich  mit  Hochachtung  und  Liebe  bin 

der  Ihrige 

Beck. 

Bemerkungen  Kants  zu  vorstehendem  Briefe. 

Die  größte  Schwierigkeit  ist,  zu  erklären,  wie  ein  bestimmtes 
Volumen  von  Materie  durch  die  eigene  Anziehung  seiner  Teil[e] 
in  dem  Verhältnis  des  Quadrats  der  Entfernung  inverse,  bei  einer 
Abstoßung,  die  aber  nur  auf  die  unmittelbar  berührenden  Teile 
(nicht  auf  die  entferneten)  gehen  kann,  im  Verhältnis  des  Kubus 
derselben  (mithin  des  Volumens  selber)  möglich  sei.  Denn  das 
Anziehungsvermögen  kommt  auf  die  Dichtigkeit,  diese  aber  wieder 
aufs  Anziehungsvermögen  an.  Auch  richtet  sich  die  Dichtigkeit 
nach    dem    umgekehrten  Verhältnis    der    Abstoßung,    das   ist    des 


1^8  Von  fakob  Sigismund  Beck 

Volumens.    —    Nun   fragt    sich,    ob,    wenn    ich    eine    Quantität 
Materie,    darin    ihre  Teile    einander    in    allen   Entfernungen    nach 
obigem    Gesetz    anziehen,    aber    ders[elbcn]    Zurückstoßung    doch 
größer  ist,    sich  selbst   überlasse,   ob  es  eine  gewisse  Grenze  der 
ferneren  Ausdehnung    gebe,    da    die    Anziehung   mit   der  Zurück- 
stoßung im  Gleichgewicht  ist,  oder  ob  nicht,  wenn  die  Zurück- 
stoßung bei  einer    Dichtigkeit    größer   ist   als  die  Anziehung,  sie 
es    nicht    ins   Unendliche    bei   größerer  Ausdehnung  bleibe.     Die 
Abnahme    nach    dem    Kubus    der    Entfernungen    aber   scheint  das 
erstere    zu    bestätigen.      Nun    kann    man    viele    solche    aggregata 
außer    einander    denken,    darin    jedes    gleichsam  einen  Dienst  für 
sich  ausmacht  und  die  sich  einander  anziehen,  wodurch   sie   sich 
mehr  verdichten,  welche    Nähertretung   aber,   von  einer  gewissen 
ursprünglichen    Dünnigkeit    des    Universum   durch  plötzliche  Los- 
lassung geschehen,  eine  immerwährende  Konkussion  zuwege  bringen 
würde,   wodurch    die    Materie[n]    bestimmte    für    sich   beharrliche 
Klumpen   ausmachen   könnten,    die    einen  Zusammenhang,  das  ist 
eine    Anziehung    haben,    die    nicht  von    den    anziehenden  Kräften 
aller  Teile  derselben,  sondern  nur  von  der  berührenden  herrührete, 
als  im  Grunde  nicht  dem  Zug,    sondern  dem  Druck  beizumessen 
wäre. 

Die  Kräfte,  womit  jene  zwei  Körper  die  Erde  anziehen,  wür- 
den, geben  immer  gleiche  Geschwindigkeit  derselben,  weil,  so  viel 
ihre  Masse    grösser  ist,   indem  sie  insgesamt  die  Erde  ziehen,   sie 
zwar  so  viel  größere  Sollizitation  der  Erde  eindrücken,   aber  um 
so  viel  auch  ihre   eigene  Annäherung    zur  Erde  vermindert  wird 
(wegen    ihrer    größern  Masse)    mithin    immer   dieselbe  bleibt,  so 
lange  das  gemeinschaftliche  Zentrum  der  Schwere  von  dem  Zen- 
trum der  Erde  nur  unendlich  wenig  entfernt  bleibt.  —  Man  muß, 
um  den  Unterschied  der  Dichtigkeit  zu  erklären,   annehmen,  daß 
dieselbe  Anziehungskraft  einer  gegeben[en]  Quantität  Materie  gegen 
eine    unendliche    verschiedene    Zurückstoßungskraft    wirke,    dieser 
aber    das    Ge[gen]gewicht    (oder    die    Gegenwirkung   die   zur    be- 
stimmten Einschränkung  des  Raumes  der  isolierten  Materie)  nicht 
leisten    könne,    ohne   vermittelst    der   Anziehung   aufs   ganze  Uni- 
versum.     Da   aber    diese  mit  den  Quadraten  der   Entfernung  ab- 
nimmt, so  würde  sie  durch  den  Druck  der  auf  solche  Weise  an- 
gezogenen Materie  dieses   Gleichgewicht  einer  bestehenden  Zusam- 
mendrückung   nicht   leisten,    wenn    nicht    die    Zurückstoßung    als 


Von  ^akob  Sigismund  Beck  159 

wie  der  Kubus  der  Entfernung  umgekehrt  abn'ähme.  Hiedurch 
wird  nicht  der  Zusammenhang  (denn  der  läßt  sich  durch  keine 
drückende  Kräfte  erklären),  sondern  bloß  der  Unterschied  der 
Materien  ihrer  Qualität,  nämlich  der  Zurückstoßung  nach  erklärt; 
den[n]  die  Zurückstoßung  läßt  sich  ohne  eigene  Bewegung  des 
Abstoßenden,  folglich  auch  ohne  Verschiedenheit  der  Masse  in 
demselben  Volumen  verschieden  denken.  Daher  die  Verschieden- 
heit der  Quantität  derselben  nur  durch  Stoß  oder  Zug  und  ver- 
mittelst eines  gemeinschaftlichen  Maßstabes,  nämlich  den  Zug  der 
Erde,  gemessen  werden  kann  und  nicht  die  Mehrheit  der  Teile 
ungleichartiger  Materien,  sondern  ihr  Gewicht  die  Dichtigkeit 
unter  demselben  Volumen  messen  kann. 

Die  Schwierigkeit  ist  hier,  daß  man  das,  was  sich  bewegt, 
in  Gedanken  haben  muß,  in  der  Erfahrung  aber  nur  die  an  einem 
Ort  oder  von  einem  Orte  aus  wirkenden  Kräfte,  von  denen  nur 
ein  Grad  den  Raum  erfüllt  oder  die  Entfernung  des  Mittelpunkts 
der  einen  Kraft  von  der  andern  bestimmt.  Da  aber  Punkte  nicht 
einen  Raum  einnehmen  können  (nicht  einzelne  also  auch  nicht 
viele  zusammen),  so  kann  man  die  Körper  nicht  nach  der  Menge 
der  Teile  in  Vergleichung  mit  andern  der  Quantität  der  Substanz 
nach  schätzen  und  dennoch  muß  man  sie  sich  als  gleichartig  und 
nur  durch  die  Menge  der  Teile  unterschieden  vorstellig  machen, 
weil  wir  auf  andere  Art  kein  Verhältnis  der  Massen  uns  be- 
greiflich machen  können. 

Die  Quantität  der  Materie  in  demselben  Volumen  ist  nicht 
nach  dem  Widerstand  der  expansiven  Kraft  gegen  die  Kompression, 
auch  nicht  nach  dem  Widerstände  der  Attraktion  eines  Fadens 
durch  den  Schleuderstein  gegen  die  Zentrifugalkraft  zu  schätzen. 
Das  erste  darum  nicht,  weil  eine  kleine  Quantität  der  Materie 
eben  so  viel  Widerstand  durch  ausdehnende  Kraft  leistet  als  eine 
große:  das  [andere]  darum  nicht,  weil  das  Volumen  nichts  in 
Ansehung  der  Bewegung  eines  Körpers  von  seiner  Stelle  bestimmt. 
Sondern  die  lokomotive  Kraft  in  einer  Wage  (bei  gleicaem  Vo- 
lumen) oder  die  in  der  Dehnung  oder  Zusammendrückung  eines 
zusammenhängenden  oder  elastischen  Körpers  und  also  die  Über- 
wältigung eines  Moments  der  toten  Kraft  bei  demselben  Volumen 
und  zwar  durch  die  Bewegungsbestrebung  des  Körpers  und  aller 
seiner  Teile  in  derselben  Richtung  kann  das  Maß  abgeben. 

Weil  die  Erfüllung  des  Raumes  nur  durch  Räume,  nicht  durch 
Punkte,  weder  durch  ihre   bloße  Nebeneinanderstellung  noch  aus 


i6o  Von  ^akob  Stgismund  Beck 

jedem    Punkt    umher    in    einem  Räume  verbreitete  Kraft,   in  der 
keine    andere   gleichartige    Zentralpunkte    wären,    möglich    ist,   so 
enthält  die  Undurchdringlichkeit  der  Materie  eigentlich  nicht  die 
Substanzen    als   eine  Menge    außer    einander   befindlicher  für  sich 
bestehender    Dinge,    sondern    nur   einen  Umfang  von  Wirkungen 
der  Dinge  außer  einander,  die  in  allen  Punkten  eines  gegebenen 
Raumes   nicht    durch  Erfüllung   desselben    gegenwärtig  sind.      Die 
Punkte    der    Anziehung    enthalten    eigentlich    die    Substanz.      Die 
Anziehungskräfte   sind   in  allen  Punkten  gleich,    in  jedem  Punkte 
aber  wird  sie  (in  Vergleichung  mit  andern)   durch  das  Abstoßungs- 
vermögen, welches  in  ihm  verschieden  sein  kann,  bestimmt,   und 
desto  größer,  je  kleiner  die  abstoßende  Kräfte  derselben  Materie 
sind,  mithin  die  Dichtigkeit  der  Materie  desto  größer.   —   Es  ist 
aber  eigentlich  nur  der  Körper,   sofern  er  den  Raum  erfüllt,  die 
den  Sinnen  unmittelbar  gegebene  Substanz.      Weil  aber  dieses  Er- 
füllen selbst  nicht  wirklich  sein  würde  (es  wäre  durch  die  bloße 
Abstoßung  im  leeren  Räume)  die  Anziehung  doch  für   sich  alles 
in  einen  Punkt  bringen  würde,  so  ist  das  Maß  der  Quantität  der 
Materie    die    Substanz,    sofern    sie   anziehend   ist,  weil  darin  alles 
innerlich    in    einem   Punkt    sein   würde    und   das  außerhalb  nicht 
v\äeder    durch    etwas    Äußeres,    sondern   zuletzt    durch  das  Innere 
gemessen    werden    muß,    dessen    äußere    Wirkimg    jener    äußern 
gleich  ist. 

Wenn  in  einem  Räume  keine  Zurückstoßungskraft  wäre,  so 
würde  auch  gar  keine  Substanz  da  sein,  die  da  zöge,  denn  sie 
würde  keinen  Raum  einnehmen.  Man  könnte  sich  aber  doch 
eine  Abstoßungskraft,  die  einen  Raum  erfüllete,  denken,  die  nicht 
durch  eigne  Anziehungskraft  ihrer  Teile,  sondern  durch  äußern 
Druck  zurückgehalten  würde,  obzwar  dieses  nicht  ins  Unendliche 
ginge.  Also  wird  das  Volumen  nur  durch  Zurückstoßungskraft 
bestimmt.  —  Wenn  wir  also  die  Dichtigkeit  unterscheiden  wollen, 
so  müssen  die  Volumina  zuvor  als  durch  die  Abstoßung  bestimmt 
vorgestellt  werden.  Aber  dadurch  wird  der  Widerstand,  den  eine 
Materie  der  andern,  sofern  sie  von  dieser  aus  ihrem  Orte  bewegt 
werden  soll,  tut,  nicht  bekannt.  Mithin  nur  durch  die  Anziehung, 
welche  die  darin  enthaltene  Materie  auf  andere  außer  ihr  (die 
Erde)  und  dadurch  zu  ihrer  eignen  Bewegung  (durch  die  Schwere) 
ausübt.  Je  größere  Zurückstoßung  dazu  gehört,  um  diese  An- 
näherung (zur  Erde)  zu  hindern,  desto  mehr  Substanz  in  dem- 
selben Volumen.     Man    muß    aber   die  Anziehung   nur  als  durch 


Von  jfakob  Sigismund  Beck  i6i 

die  Zurückstoßung  eingeschränkt  auf  ein  Volumen  mithin  als  an 
sich  gleich  denken.  Das  Volumen  selbst  braucht  nicht  von  etwas 
anderm  außer  ihm:  es  kann  durch  die  Anziehung  seiner  eignen 
Teile  eingeschränkt  gedacht  werden  —  der  Grund  davon,  daß 
die  Abstoßung  in  einem  Volumen,  ohne  daß  die  inncrn  Teile 
sich  ziehen,  von  außen  bewirkt  werde,  liegt  darin,  daß  die  Teile 
sich  nicht  in  der  Entfernung  abstoßen,  da  hingegen  sie  sich 
in  der  Entfernung  unmittelbar  anziehen  können:  dagegen  ist  es 
unmöglich,  daß  sich  die  Teile  bloß  in  der  Berührung  anziehen 
sollten,  weil  diese  schon  eine  Zurückstoßung,  mithin  ein  Volumen 
erfordert,  mithin  keine  bloße  Fläche  voraussetzt. 

Der  Grad  der  Zurückstoßung  wird  bei  gleichartiger  Ver- 
größerung des  Volumens  nicht  vermehrt,  aber  wohl  der  Grad 
der  Anziehung.  —  Weil  im  ersten  die  Teile  innerhalb  eine  die 
andere  Bewegung  aufheben  und  die  ausdehnende  Kraft  nur  auf 
der  Oberfläche  ist  (die  Abstoßung  geht  nicht  quer  durch  in  die 
Weite),  dagegen  die  Anziehungen  durch  Hinzufügung  die  äußere 
Kraft  vermehren.  Daher  ist  die  ganze  Kraft  der  Substanz  nach 
der  Anziehung  zu  schätzen.  Sie  muß  aber  auch  als  gleichartig 
angesehen  werden,  weil  sie  für  sich  gar  keine  Materie  geben 
würde,  und  da  sie  nur  durch  die  Zusammendrückung  bestimmt 
wird,  diese  aber  durch  das  Ganze  eines  Volumens  allenthalben 
gleich  ist,  so  muß  auch  die  daraus  entspringende  Dichtigkeit 
gleich  sein.  Die  Abstoßung  aber  kann  ursprünglich  ungleich  sein 
in  einem  gewissen  Volumen.  Denn  da  die  Dichtigkeit  ins  Un- 
endliche muß  verschieden  sein  können,  dieses  aber  nicht  auf  der 
ursprünglichen  Verschiedenheit  der  Anziehung  beruhen  kann,  muß 
sie  auf  der  der  Abstoßung  beruhen.  Man  kann  auch  so  sagen, 
weil  die  Stärke  der  Abstoßung  auf  der  Verschiedenheit  des  äußern 
Zusammendrucks  beruht,  so  ist  innerlich  der  Grad  derselben  nicht 
bestimmt,  kann  also  nach  Belieben  größer  oder  kleiner  sein. 

[y4w;  oberen  Rande.']  Man  kann  keinen  Grund  angeben,  warum  die 
Materie  ursprünglich  eine  gewisse  Dichrigkeit  in  einer  gegebenen  Quan- 
tität haben  müsse.  —  Man  [kann]  diese  Frage  nicht  wegen  der  Anziehung 
unter  einem  gewissen  Volumen  tun,  denn  daß  sie  nicht  größer,  ja  so  groß 
oder  klein  ist,  wie  man  will,  kommt  nicht  auf  sie,  sondern  auf  die  Zurück- 
stoßung an:  je  kleiner  diese,  desto  größer  die  Dichtigkeit  aus  jener.  Die 
verschiedene  Dichtigkeit  einer  gegebenen  Quantität  Materie  rührt  aber 
nicht  von  dieser  ihrer  Anziehung,  denn  die  ist  zu  klein,  sondern  von  der 
des  ganzen  Universi  her. 

Kants  Schriften.    Bd  X.  II 


IÖ2  Von  F.  Bottterwek 

297. 
Von  F.  Bouterwek.') 

Wohlgeborner  Herr  Professor! 

Verehrungswürdigster  Mann! 
Ein  Opfer  der  Verehrung,    sei    es   auch   noch    so    klein,    ist 
Bedürfnis  für  den,   der    es    darbringt,    wenn    es    aus    freier  Seele 
dargebracht  wird.     Dies  ist  alles,  was  ich  zu   meiner  Entschuldi- 
gung sagen  kann,    da    ich    einem    innern  Aufruf   gehorche,    Ew. 
Wohlgeb.  die  einliegende  Kleinigkeit  mit  einem  Zutrauen  zu  über- 
schicken, als  ob  im  Ernst  auch  Ihnen   etwas    daran    gelegen   sein 
könne.^)     Ich    bin    der    erste,    der    es    wagt,    auf   dieser   Georg- 
Augusts-Universität,  wo  so  ein  Unternehmen    in    mehr    als   einer 
Rücksicht  gewagt  heißen  kann,  Kritik  der  reinen  Vernunft  nach 
Ihrem  System  öffentlich  vorzutragen.     Eigner  —  ich  darf   es    ja 
hier  wohl  sagen    —    Enthusiasmus  für  dies  System  und  Unwillen 
über  die  Koalitionsversuche  derjenigen,    mit    denen    ich    übrigens 
im  besten,  friedlichsten  Vernehmen  gern  fortleben   möchte,    weil 
ich  doch  mit  ihnen  lebe,  gaben  mir  den  Mut  und  äußere  Um- 
stände   die    Veranlassung,    meine    Vorlesung    (mit    Erlaubnis    der 
philosophischen  Fakultät)  wirklich  anzukündigen.     Der  ganze  Ton 
dieser  Ankündigung  gleicht  deswegen,  wie  das  Ohr  des  Meisters 
auch    ohne    meine    Erklärung    hören    wird,    dem  Ton    eines    ge- 
dämpften Instruments.    Das  Lokal  wollte  dies  so.    Leichter  wurde 
mir  die  Bemühung,  den  freien  Schwung  der  Saiten    zu   hemmen, 
weil  ich  mich  selbst  nicht  befugt  halte,    mein  Votum    zu   geben 
in  der  Versammlung  der  Wahrheitsprüfer.    Von  den  ersten  Zeiten 
der  Selbsttätigkeit  meines  Geistes  an,  waren  Schönheit  und  Wahr- 
heit seine  Idole;    aber  die  Schönheit  riß   ihn    mit  ihren  Zauber- 
kräften so  gewaltig  fort,    daß    ihr  Dienst    sein  Geschäft   mehrere 
Jahre  hindurch  einzig  und  ausschließlich  war.    Als  determinierter 
AUesbezvveifler   wagte    ich    mich  vor    vier  Jahren    an  Ihre  Kritik, 
sträubte  mich,  lernte  mich  meiner  Vernunft  erfreuen  und  wurde. 


^)  Friedrich  Bouterwek  (1766—1828). 

^)  Anzeige  einer  Vorlesxing  über  die  Kantische  Philosophie,  GöttLngen 
1791. 


Von  F.  Bouterwek  165 

was  ich  seitdem  geblieben  bin  und  ewig  bleiben  werde,  Ihr  dank- 
barer Schüler.  Wer  Ihr  System  in  seiner  ganzen  majestätischen 
Einfalt  umfaßt  hat  oder  umfaßt  zu  haben  glaubt,  der  kann  un- 
möglich auf  den  betrübten  Einfall  geraten,  es  zu  zerstückeln,  um 
die  Fragmente  mit  diesem  oder  jenem  andern  System  zusammen- 
zupfuschen. Sollte  er  auch  hier  und  da  eine  abweichende  Meinung 
für  sich  haben,  so  wird  er  diese  um  so  ruhiger  für  sich  be- 
halten, wenn  er  jedem  andern  ein  gleiches  Recht  gönnt.  Mag, 
wer  es  nicht  ändern  kann,  sein  Wohnzimmer  im  Gebäude  der 
Wahrheit  mit  Tapeten  bekleiden;  mag  ein  andrer  die  weiß- 
getünchten Wände  vorziehen;  genug,  daß  das  Gebäude  in  seinen 
Fugen  auf  einer  unerschütterlichen  Grundfeste  steht.  Wer  aber 
andern  den  Grundriß  erklären  will,  der  ist  es  der  Wahrheit 
schuldig,  seine  Grillen  beiseite  zu  setzen  und  nichts  zu  lehren, 
als  was  der  ehrwürdige  Baumeister  lehrt.  Dies  wird  aber  dem- 
jenigen am  besten  gelingen,  dessen  produktive  Geisteskräfte,  so 
gering  sie  auch  sein  mögen,  eine  andre  Richtung  genommen 
haben,  als  die  metaphysische  und  der  sich  doch  zugleich  des  Ge- 
dankens erfreut,  die  ganze  Vernunftkritik  vollkommen  verstanden 
zu  haben.  So  habe  ich  mir  meine  Befugnis  deduziert,  die  Kritik 
der  reinen  spekulativen  und  praktischen  Vernunft  strenge  nach 
Ihren  Grundsätzen  vorzutragen. 

Die  Anordnung  des  Plans,  so  wie  ich  ihn  aufgestellt  habe, 
gründet  sich  auf  meine  Überzeugung  von  der  Geneigtheit  des 
ungeübten  Verstandes,  in  der  Erweiterung  seiner  Begriffe  am 
liebsten  diesen  Gang  zu  gehen.  Ob  die  Erfahrung  mich  künftig 
anders  belehren  wird,  muß  sich  im  kurzen  zeigen. 

Was  ich  zum  Beschluß  gesagt  habe,  ist  nicht  so  gemeint,  daß 
ich  nicht  gern  auf  die  Ehre  in  dieser  Rücksicht  der  dreizehnte 
unter  den  kleinen  Propheten  zu  sein,  Verzicht  tun  möchte.  Was 
aber  vorher  zur  Erläuterung  oder,  besser  gesprochen,  zur  An- 
deutung des  Begriffs  von  einem  synthetischen  Grundsatze  a  priori 
dasteht,  ist  mit  Fleiß  xat'  dvdpioTiov  stümperhaft  und  halbwahr 
ausgedrückt.  Daß  der  Begriff  einer  Figur  nicht  in  dem  Be= 
griffe  von  drei  Linien  steckt,  davon  überzeugt  man  sich  im 
Augenblick.  Daß  aber  der  Begriff  von  9  nicht  in  7  +  2  steckt, 
leuchtet  nicht  so  geschwind  ein.  Deswegen  erwähnte  ich  der 
Arithmetik  gar  nicht  und  nahm  das  Exempel  aus  der  Geometrie 
allein.  Fast  aber  gereut  es  mich  denn  doch,  mich  so  ausgedrückt 
zu  haben,  als  wenn  nicht   die    ganze   reine  Mathematik    auf  syn- 


II* 


164  f^'on  Johann  Ertch  Biester 

thetischen  Grundsätzen  a  priori  beruhte.    Aber  so  geht  es,  wenn 
man  popularisiert!  f) 

Wüßte  ich,  daß  mein  Skelett  zu  einer  populären  Vernunft- 
kritik den  Beifall  des  Meisters  hätte,  so  führte  ich  wohl  einen 
Gedanken  aus,  der  sich  mir  angeschmeichelt  hat  —  in  der  Form 
platonischer  Dialogen  Ihr  System  denen  in  die  Hände  zu  spielen, 
die  zurückbeben  vor  dem  festen  Schritte  der  systematischen  Dar- 
stellung.') Wie  es  nun  auch  damit  werden  mag,  so  werde  ich 
leben  und  sterben  mit  dem  Gefühl  der  Verehrung,  mit  dem  ich 

itzt  bin 

Ew.  Wohlgeb. 

ganz  gehorsamster  Dr. 
F.  Bouterwek, 
dem  Titel  nach  Rath,  dem 
Wesen  nach  privatisierender  Frei- 
bürger der  Gelehrten-Republik. 
Göttingen,  d.  17.  Sept.  179  z. 

Z98. 
Von  Johann  Erich  Biester. 

Berlin,   zi.  Septcmb.  179z. 

Ihr  letzter  Brief  mit  der  Aufforderung  um  Ihr  Manuskript 
muß  meinem  Pakete,  welches  dasselbe  enthielt,  begegnet  sein. 
Sie  werden  es  itzt  erhalten  haben,  und  mein  Bedauren,  daß  ich 
es  nicht  drucken  durfte.  Ihr  gütiges  Versprechen  eines  andern 
Aufsatzes  über  eine  Äußerung  des  Herrn  GARVE  tröstet  mich 
wieder.  Ich  stelle  Ihnen  selbst  anheim,  ob  es  nicht  geratener 
ist,  bei  der  hiesigen  Zensur  nichts  mehr  einzureichen. 

Leben    Sie    herzlichst    wohl    und    bleiben    meiner  Verehrung 

gewiß.  Biester. 


[Atn  Rande:]  \)  Da  sehe  ich  eben  itzt  noch,  daß  mir  das  Wort 
Realität,  worunter  ich  die  objektive  (den  Erscheinungen  notwendig 
anpassende)  Realität  des  Raums  durchaus  nicht  verstanden  haben  will, 
häßlich  gemißdeutet  werden  könnte. 

')  Daß  dieser  Plan  von  Kant  mit  großer  Freude  aufgenommen 
wurde,  berichtet  Borowski  S.  92. 


An  Theodor  Gottlieh  v.  Hippel.  —  An  F.  Th.  de  la  Garde     1Ö5 

299. 

An  Theodor  Gottlieb  von  Hippel. 

Ew.  Hochwohlgebornen 
haben  bisher  die  Gewogenheit  gehabt,  mich  Ihres  Zutrauens,  in 
Ansehung  meines  Vorschlags  junger  Studierenden  zu  einem 
Magistratsstipendio  zu  würdigen.  Dürfte  ich  mich  dasselbe  jetzt 
für  den  Studiosus  LEHMANN  erbitten,  der  einer  der  fleißigsten 
und  fähigsten  ist,  die  ich  je  unter  meinen  Auditoren  gehabt 
habe? 

Mit   der    größten  Hochachtung   und  Dicnstwilligkeit    bin  ich 
jederzeit 

Ew.  Hochwohlgeboren 

ganz  ergebenster  treuer  Diener 
1.  Kant. 
Den    28.  Sept.  1792. 


300. 

An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Ew.  Hochedelgeb. 

überschicke  hiemit  die  Korrektur  der  Ein- 
leitung der  Kritik  der  Urth.  Kr.,  worin  die  Note  zu  S.  XXII 
wohl  das  einzige  Wichtige  ist. 

Auf  den  Titel  den  Ausdruck;  zweite  verbesserte  Ausgabe 
zu  setzen  halte  ich  nicht  für  schicklich,  weil  es  nicht  ganz  ehr- 
lich ist;  denn  die  Verbesserungen  sind  doch  nicht  wichtig  gChug, 
um  sie  zum  besonderen  Bewegungsgrunde  des  Ankaufs  zu  machen: 
deshalb  ich  jenen  Ausdruck  auch  verbitte. 

Ich  bin  jetzt  in  Eil  und  kann  nichts  hinzusetzen,  als  daß  ich 
mit  Hochachtung  beharre 

Ew.  Hochedelgeb. 

ergebenster  Diener 
Königsberg,  I.  Kant, 

d.  2.  Okt. 
1792. 


1 66      Von  Ludwig  Ernst  Boi'owski  —  An  Rudolph  Gott  hold  Eaht 

301. 
Von  Ludwig  Ernst  Borowski. 

Es  ist,  sehr  verehrungswürdiger  Mann!  wiederum  die  Reihe 
an  mir,  in  der  deutschen  Gesellschaft  eine  öffentliche  Vorlesung 
zu  halten.  Ich  habe  diesesmal  —  Sie  selbst  zum  Thema  gewählt 
und  es  hat  mir  in  den  Tagen  der  abgewichenen  Woche  recht 
sehr  frohe  Stunden  gemacht,  mich  von  Ihnen  und  über  Sie  zu  unter- 
halten. —  Hier  ist's,  was  ich  darüber  unter  der  Aufschrift: 
Skizze  zu  einer  künftigen  Biographie  u.  f.  zu  Papier  ge- 
bracht habe.  Verurteilen  Sie  es  ja  nicht  gleich,  indem  Sie  diese 
Aufschrift  lesen,  zum  Nichtanblick  —  dieses  würde  mir  wehe 
tun.  Ich  sage  am  Anfange  meine  Gründe  zu  einem  Aufsatze 
dieser  Art,  die  ich  wenigstens  für  hinreichend  halte.  Bei  dem 
übrigen  hab  ich  beinahe  jedes  Wort  sorgfältig  abgewogen. 

Aber  ich  wollte  doch  nicht  gerne  auch  nur  ein  Wort,  nur 
einen  Buchstaben  sagen,  den  Sie  etwa  —  nicht  wollten  gesagt 
haben.  Deswegen  habe  ich's  auf  gebrochnen  Bogen  geschrieben 
und  Sie  haben  nun  völlige  Freiheit,  zu  —  streichen,  oder  hinzu- 
zusetzen, zu  berichtigen  u.  f.  Ich  halte  es  für  schickliche  Dis- 
kretion —  und  noch  mehr,  ich  halte  es  meiner  alten  und  sich 
immer  gleichbleibenden  Verehrung  für  Sie  gemäß,  Ihnen  diese 
wenigen  Blätter  zuvor,  ehe  noch  irgendein  Gebrauch  davon  für 
mehrere  gemacht  wird,  einzuhändigen  und  erbitte  mir,  da  Sie, 
wie  ich  wohl  einsehe,  kein  notwendigeres  Geschäft  um  dieses 
Aufsatzes  willen  versäumen  können,  ihn  etwa  Mittwochs  in  Er- 
gebenheit zurück.  —  Mit  der  entschiedensten  Hochachtung  ver- 
harre ich  u.  f. 

Königsberg,    12.  Oktober    1792. 


302. 

An  Rudolph  Gotthold  Raht.') 

Hochedelgeborncr  Herr, 

hochzuehrender  Herr  Magister! 
Es  ist  längst  mein  Wunsch  gewesen,  daß  sich  jemand  finden 
möchte,    der  Sprach-  und  Sachkenntnis  gnug  hätte  und  die  Kritik 

')  R.  G.  Raht  in  Halle,    ein    Freund  Becks,    hatte    sich    in  einem 


An  Rudolph   Gotthold  Raht  167 

ins  Lateinische  zu  übertragen  Belieben  trüge.  Ein  gewisser  Pro- 
fessor in  Leipzig,  ein  auf  beide  Art  geschickter  Mann,  hatte  sich 
vor  einigen  Jahren  von  selbst  dazu  verstanden;  aber  vermutlich 
(wie  der  selige  HARTKNOCH  dafür  hielt)  wegen  überhäufter 
anderer  Beschäftigung,  um  seine  schmale  Einkünfte  zu  ergänzen, 
es  wieder  liegen  lassen.  Herr  Professor  SCHÜTZ  in  Jena,  dem 
dies  Vorhaben  darhals  kommuniziert  wurde,  hielt  dafür,  daß  von 
seiner  (des  Leipziger  Professors)  Feder,  durch  Geflissenheit  der 
echtlateinischen  Eleganz,  wider  die  Faßlichkeit  leicht  verstoßen 
werden  könnte,  und  wollte  damals  es  übernehmen,  die  Über- 
setzung in  dieser  Rücksicht  selbst  durchzugehen,  welches  dann 
durch  obige  Ursache  zugleich  unterblieben  ist. 

Aus  der  Probe,  welche  Sie  die  Güte  gehabt  haben,  Ihrem 
Briefe  beizufügen,  ersehe  ich:  daß  Sie  die  letztere  Schwierigkeit 
gar  wohl  vermeiden  und  doch  zugleich  durch  Germanismen,  wie 
es  durch  Deutsche  oft  geschehen  ist,  den  Auswärtigen  nicht  un- 
verständlich sein  würden  und,  wegen  des  zu  treffenden  Sinnes, 
setze  ich  in  Ihre  Einsicht,  nach  einem  so  beharrlichen  Studium, 
dessen  Sie  dieses  Werk  gewürdigt  haben,  ebensowohl  völliges 
Vertrauen. 

Fangen  Sie  also,  würdiger  Mann,  diese  Arbeit  getrost  an. 
Vielleicht  rückt  sie  mit  der  Bekanntschaft,  die  sich  mit  diesen 
Sachen  durch  die  Beschäftigung  selbst  hervorfinden  wird,  schneller, 
als  Sie  jetzt  vermuten,  fort,  so  daß  ich  ihre  Herausgabe  noch  er- 
leben kann. 

Hiezu  wünsche  ich  gute  Gesundheit  und  sonst  gutes  Gedeihen 
aller  Ihrer  übrigen  guten  Absichten  und  bin  mit  der  vollkommen- 
sten Hochachtung 

Ew.  Hochedelgeboren 

1792,  Königsberg,  ergebenster  Diener 

d.  1 6.  Oktober.  I.  Kant. 


Briefe  an  Kant  erboten,  die  Kritik  der  reinen  Vernunft  ins  Lateinische 
zu  übersetzen;  der  Plan  kam  jedoch  nicht  zvu:  Ausführung. 


1^8  An  jfakob  Sigismund  Beck 

303. 

An  Jakob  Sigismund  Beck. 

Königsberg  den    17.  Oktober    1792. 
Hochgeschätzter  Freund! 

Ich  habe  vorgestern  den  15.  Oktober  Ihr  Manuskript  in  grau 
Papier  eingepackt,  besiegelt  und  A.  M.  B.  signiert  und  auf  die 
fahrende  Post  zur  retour  gegeben,  aber,  wie  ich  jetzt  sehe,  zu 
eilig;  indem  ich  durch  einen  Erinnerungsfehler  statt  des  Novem- 
bers, vor  dessen  Ablauf  Sie  Ihre  Handschrift  zurück  erwarteten, 
mir  das  Ende  Oktober,  als  den  gesetzten  Termin,  vorstellte  und, 
bei  der  schnell  gefaßten  Entschließung  den  eben  nahe  bevor- 
stehenden Abgang  der  Post  nicht  zu  verfehlen,  es  unterließ,  Ihren 
Brief  nochmals  darüber  nachzusehen,  und,  da  ich  im  Durchsehen 
der  ersten  Bogen  nichts  Erhebliches  anzumerken  fand,  Ihre  De- 
duktion der  Kategorien  und  Grundsätze  ihrem  Schicksal  in 
gutem  Vertrauen  überließ. 

Dieser  Fehler  kann  indessen,  v^^enn  Sie  es  nötig  finden,  doch 
dadurch  eingebracht  werden:  daß  Sie  diejenigen  Blätter,  worauf 
jene  befindlich,  in  der  Eile  abschreiben  lassen,  sie  mir  durch  die 
reitende  Post  eilig  (versteht  sich  unfrankiert)  überschicken  und 
so  noch  vor  Ablauf  der  Zeit  die  Antwort  von  mir  zurück  er- 
halten. —  Meinem  Urteile  nach  kommt  alles  darauf  an:  daß, 
da  im  empirischen  Begriffe  des  Zusammengesetzten  die  Zu- 
sammensetzung nicht  vermittelst  der  bloßen  Anschauung  und  deren 
Apprehension,  sondern  nur  durch  die  selbsttätige  Verbindung 
des  Mannigfaltigen  in  der  Anschauung  gegeben  und  zwar  in  ein 
Bewußtsein  überhaupt  (das  nicht  wiederum  empirisch  ist)  vor- 
gestellt werden  kann,  diese  Verbindung  und  die  Funktion  der- 
selben unter  Regeln  a  priori  im  Gemüte  stehen  müssen,  welche 
das  reine  Denken  eines  Objekts  überhaupt  (den  reinen  Ver- 
standesbegriff) ausmachen,  unter  welchem  die  Apprehension  des 
Mannigfaltigen  stehen  muß,  so  fern  es  eine  Anschauung  aus- 
macht, und  auch  die  Bedingung  aller  möglichen  Erfahrungs- 
erkenntnis vom  Zusammengesetzten  (oder  zu  ihm  Gehörigen)  aus- 
macht, (d.  i.  darin  eine  Synthesis  ist)  die  durch  jene  Grundsätze 
ausgesagt  wird.  Nach  dem  gemeinen  Begriffe  kommt  die  Vor- 
stellung des  Zusammengesetzten  als  solchen  mit  unter  den  Vor- 
stellungen   des  Mannigfaltigen,    welches    apprehendiert  wird,    als 


An  fakoh  Sigismund  Beck  löp 

gegeben  vor  und  sie  gehört  sonach  nicht,  wie  es  doch  sein 
muß,  gänzlich  zur  Spontaneität  usw. 

Was  Ihre  Einsicht  in  die  Wichtigkeit  der  physischen  Frage: 
von  dem  Unterschiede  der  Dichtigkeit  der  Materien  betrifft,  den 
man  sich  muß  denken  können,  wenn  man  gleich  alle  leeren 
Zwischenräume,  als  Erklärungsgründe  derselben,  verbannt,  so  freut 
sie  mich  recht  sehr;  denn  die  wenigsten  scheinen  auch  nur  die 
Frage  selbst  einmal  recht  zu  verstehen.  Ich  würde  die  Art  der 
Auflösung  dieser  Aufgabe  wohl  darin  setzen:  daß  die  Anziehung 
(die  allgemeine.  Newtonische,)  ursprünglich  in  aller  Materie  gleich 
sei  und  nur  die  Abstoßung  verschiedener  verschieden  sei  und  so 
den  spezifischen  Unterschied  der  Dichtigkeit  derselben  ausmache. 
Aber  das  führt  doch  gewissermaßen  auf  einen  Zirkel,  aus  dem 
ich  nicht  herauskommen  kann  und  darüber  ich  mich  noch  selbst 
besser  zu  verstehen  suchen  muß. 

Ihre  Auflösungsart  wird  Ihnen  auch  nicht  genug  tun;  wenn 
Sie  folgendes  in  Betrachtung  zu  ziehen  belieben  wollen.  —  Sie 
sagen  nämlich:  Die  Wirkung  des  kleinen  Körpers  der  Erde  auf 
die  ganze  Erde  ist  unendlich  klein,  gegen  die,  welche  die  Erde 
durch  ihre  Anziehung  auf  ihn  ausübt.  Es  sollte  heißen:  gegen 
die,  welcher  dieser  kleine  Körper  gegen  einen  anderen  ihm 
gleichen  (oder  kleineren)  ausübt;  denn  so  fern  er  die  ganze 
Erde  zieht,  wird  er  durch  dieser  ihren  Widerstand  eine  Bewegung 
(Geschwindigkeit)  erhalten,  die  gerade  derjenigen  gleich  ist, 
welche  die  Anziehung  der  Erde  ihm  allein  erteilen  kann:  so, 
daß  die  Geschwindigkeit  desselben  doppelt  so  groß  ist,  als 
diejenige,  welche  eben  der  Körper  erhalten  würde,  wenn  er 
selbst  gar  keine  Anziehungskraft  hätte,  die  Erde  aber  durch 
den  Widerstand  dieses  Körpers,  den  sie  zieht,  eben  so  eine 
doppelt  so  große  Geschwindigkeit,  als  sie,  wenn  sie  selbst  keine 
Anziehungskraft  hätte,  von  jenem  Körper  allein  würde  bekommen 
haben.  —  Vielleicht  verstehe  ich  aber  auch  Ihre  Erklärungsart 
nicht  völlig  und  würde  mir  darüber  nähere  Erläuterung  recht 
lieb  sein. 

Könnten  Sie  übrigens  Ihren  Auszug  so  abkürzen,  ohne  doch 
der  Vollständigkeit  Abbruch  zu  tun,  daß  Ihr  Buch  zur  Grundlage 
für  Vorlesungen  dienen  könnte,  so  würden  Sie  dem  Verleger 
und  hierdurch  auch  sich  selbst  sehr  viel  Vorteil  verschaflFen;  vor- 
nehmlich, da  die  Kritik  der  praktischen  Vernunft  mit  dabei  ist. 
Aber    ich  besorge    die    transszendentale    Dialektik    wird    ziemlich 


I/o  Von  Johann   Gott  Heb  Fichte 

Raum    einnehmen.     Doch    überlasse    ich    dieses    insgesamt    Ihrem 
Gutdünken    und    bin  mit  wahrer  Freundschaft  und  Hochachtung 

Ihr 
Königsberg  ergebenster  Diener 

d.  i6.  Oktober  I.  Kant. 

1792. 

304. 

Von  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Verehrungswürdigster  Gönner, 

Schon  längst  würde  ich  Euer  Wohlgeboren  meine  Dankbar- 
keit für  Ihr  letztes  gütiges  Antwortschreiben  bezeigt  haben,  wenn 
ich  nicht  vorher,  um  ganz  übersehen  zu  können,  wie  viel  ich 
Ihnen  schuldig  sei,  Ihre  Anzeige  im  Intelligenz- Blatte  der  A.  L.  Z. 
zu  lesen  gewünscht  hätte.  Das  gütige  Privat-Urteil  eines  Mannes, 
den  ich  unter  allen  Menschen  am  meisten  verehre,  und  liebe, 
war  mir  das  beruhigendste,  und  das  mir  nun  bekannte  öffentliche 
Urteil  eben  des  Mannes,  den  der  ehrwürdigere  Teil  des  Publikum 
wohl  nicht  viel  weniger  verehrt,  das  rühmlichste,  was  mir  be- 
gegnen konnte.  Die  erste  ehrenvolle  Folge  eines  so  gewichtvollen 
Urteils  war  die  ohnlängst  erhaltene  Einladung  zur  Mitarbeit  an 
der  A.  L.  Z.;  eine  wichtige  Zunötigung  zum  Fortstudieren,  der 
ich  mich,  nach  Erhaltung  einiger  mir  notwendigen  Nachrichten, 
um  die  ich  gebeten  habe,  wohl  unterwerfen  dürfte. 

Der  Frau  GÄFIN  VON  KROCKOW,  die  Sie  ihrer  fort- 
dauernden Hochachtung  versichert,  tat  es  weh,  einen  schönen 
Traum  vernichtet  zu  sehen;  und  mich  hat  die  Stelle  Ihres 
Briefes,  wo  Sie  von  der  Reise  in  eine  andere  Welt  reden,  innigst 
gerührt. 

Ich  bitte  Sie,  mir  das  Schätzbarste,  was  mir  der  Aufenthalt 
in  Königsberg  geben  konnte,  Ihre  gute  Meinung,  zu  erhalten» 
und  mir  gern  zu  vergönnen,  mich  zu  nennen 

Euer  Wohlgeboren 
Krockow  bei  Neustadt,  dankbarsten  Verehrer 

d.    17.  Oktober    1792.  Johann  Gottlieb  Fichte. 


Aji  Ludwig  Ernst  Borowski  171 

305. 

An  Ludwig  Ernst  Borowski. 

Eur.  Hochw.  freundschaftlicher  Einfall,  mir  eine  öffentliche 
Ehre  zu  bezeugen,  verdient  zwar  meine  ganze  Dankbarkeit;  macht 
mich  aber  auch  zugleich  äußerst  verlegen,  da  ich  einerseits  alles, 
was  einem  Pomp  ähnlich  sieht,  aus  natürlicher  Abneigung  (zum 
Teil  auch,  weil  der  Lobredner  gemeiniglich  auch  den  Tadler  auf- 
sucht) vermeide  und  daher  die  mir  zugedachte  Ehre  gerne  ver- 
bitten möchte,  andererseits  aber  mir  vorstellen  kann,  daß  Sie  eine 
solche  ziemlich  weitläuftige  Arbeit  ungerne  umsonst  übernommen 
haben  möchten.  —  Kann  diese  Sache  noch  unterbleiben,  so  wer- 
den Sie  mir  dadurch  eine  wahre  Unannehmlichkeit  ersparen  und 
Ihre  Bemühung,  als  Sammlung  von  Materialien  2u  einer 
Lebensbeschreibung  nach  meinem  Tode  betrachtet,  würde 
denn  doch  nicht  ganz  vergeblich  sein.  —  In  meinem  Leben  aber 
sie  wohl  gar  im  Drucke  erscheinen  zu  lassen,  würde  ich  aufs 
inständigste  und  ernstlichste  verbitten. 

In  jener  Rücksicht  habe  ich  mich  der  mir  gegebenen  Frei- 
heit bedient,  einiges  zu  streichen  oder  abzuändern,  wovon  die 
Ursache  anzuführen,  hier  zu  weitläuftig  sein  würde,  und  die  ich 
bei  Gelegenheit  mündlich  eröffnen  werde.  —  Die  Parallele,  die 
auf  der  von  den  drei  letzten  Blättern  vorhergehenden  Seite  (wo 
ein  Ohr  eingeschlagen  ist)  zwischen  der  christlichen  und  der  von 
mir  entworfenen  philosophischen  Moral  gezogen  worden,  könnte 
mit  wenigen  Worten  dahin  abgeändert  werden,  daß  statt  derer 
Namen,  davon  der  eine  geheiliget,  der  andere  aber*  eines  armen 
ihn  nach  Vermögen  auslegenden  Stümpers  ist,  diese  nur  eben 
angeführten  Ausdrücke  gebraucht  würden,  weil  sonst  die  Gegen- 
einanderstellung etwas  für  einige  Anstößiges  in  sich  enthalten 
möchte.  —  Ich  beharre  übrigens  mit  der  vollkommensten  Hoch- 
achtung und  Freundschaft  zu  sein 

Eur.   Hochw. 
Königsberg,   24.  Oktober   1792. 

ganz  ergebenster,  treuer  Diener 
I.  Kant. 


I  -j  2  Von  Ludwig  Ernst  ßorowski 

506. 
Von  Ludwig  Ernst  Borowski. 

Eyben  kehre  ich,  edler,  verehrungswürdiger  Mann!  von  einer 
Mahlzeit  außer  meinem  Hause  zurück  und  finde  Ihre  gütige  Zu- 
schrift nebst  meinem  Ihnen  eingehändigten  Manuskripte.  —  Auch 
nicht  eine  einzige  unangenehme  Minute  sollen  Sie  —  durch  mich 
haben;  deswegen  schreibe  ich,  nachdem  ich  Ihre  Deklaration  ge- 
lesen habe,  augenblicklich  zurück.  Die  Handschrift  soll  weder 
vorgelesen  und  noch  weniger  bei  Ihrem  Leben  abgedruckt  wer- 
den; sie  soll  zu  derjenigen  Bestimmung,  die  Sie  selbst  ihr  zu 
geben  gewürdiget  haben,  aufbehalten  bleiben.  Sie  hatten.  Teuerster! 
keine  inständige  und  ernstliche  Bitte  an  mich  nötig,  denn  Ihr 
kleinster  Wink  ist  mir  so  heilig  und  wert,  daß  ich  ihn  sogleich 
befolge. 

Tausend  Dank  für  Ihr  Beigcschriebencs!  Die  übrigen  mir 
zum  künftigen  Gebrauch  zugesandten  Materialien  remittiere  ich 
morgen  zu  Ihren  Händen.  —  Das  Manuskript  wird  nun  gänzlich 
an  die  Seite  gelegt.  Wie  freu'  ich  mich,  daß  Sie  meine  wahr- 
lich gute  Intention  doch  nicht  verkannt  haben!  Ich  fange  gleich 
diesen  Abend  an,  über  einer  andern  Vorlesung,  da  ich  doch  eine 
halten  muß,  zu  brüten.  Etwa  „Über  die  Veränderungen  des 
Geschmacks  in  philosophischen  und  theologischen  Wissenschaften 
in  Preußen  u.  s.  f."  oder,  was  ich  der  Notbroschüre  für  einen 
Namen  geben  werde.  Und  nun,  gütigster  Freund!  leben  Sie  noch 
lange  und  recht  wohl.  Sie  müssen,  wenn  ich  vor  Ihnen  heim- 
gehe, einen  Ihrer  würdigen  Biographen  finden,  und  Sie  werden 
ihn  auch  gewiß  finden.  Mir  hat  der  weggelegte  Aufsatz,  da  ich 
ihn  entwarf,  frohe  Stunden  gemacht,  weil  ich  mich  mit  Ihnen 
beschäftigte  —  und  mit  gehorsamer  und  gegen  Sie  dankvoiler 
Empfindung  lege  ich  diesen,  durch  Ihre  Beischriften  bereicherten 
und  nun  von  Ihnen  autorisierten  biographischen  Entwurf  an  die 
Seite,  weil  ich  dadurch  Ihren  Willen  erfülle.  Mit  wahrer  und 
herzlicher  Ehrerbietung  bin  u.  f. 

Königsberg,   24.  Oktober    179^. 


l^n  Carl  Leonhard  Re'mhold.  —  Von  ^akob  Sigismund Beck    1 7 5 

307. 

Von  Carl  Leonhard  Reinhold. 

Erlauben  Sie,  mein   höchstverehrter  Lehrer  und  Freund,    daß 
ich  durch    den    gegenwärtigen    zweiten    Band    meiner  Briefe  über 
Ihre  Philosophie  mein  Andenken    bei  Ihnen   erneure;    und  mich 
der  Fortsetzung  Ihrer  unschätzbaren  Gewogenheit  empfehle. 
Jena,  den   zp.  Oktober    179z.  Reinhold. 

N.  S. 
Sie  werden  mich  durch  eine  Zeile  Nachricht  über  den  Emp- 
fang dieses  Buches  ungemein  verbinden. 

308. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den    10.  November    1792. 
Bester  Herr  Professor! 

Ich  habe  Ihren  freundschaftlichen  Brief  vom  17.  Oktober 
und  einige  Tage  später  auch  mein  Manuskript  zurück  erhalten. 
Sie  erlauben  mir  Ihnen  die  einige  Bogen,  worauf  die  Deduktion 
der  Kategorien  steht,  noch  einmal  zu  schicken.  Ich  habe  sie 
abschreiben  lassen  und  lege  sie  hier  bei,  indem  ich  Sie  ergebenst 
ersuche,  die  Freundschaft  für  mich  zu  haben,  mir  zu  zeigen,  was 
ich  vielleicht  nicht  nach  Ihrem  Sinn  getroffen  haben  möchte. 
Der  Druck  geht  erst  gegen  Ende  des  Novembers  an  und  ich 
werde  Ihren  Brief  noch  zeitig  genug  erhalten,  wenn  ich  ihn 
nach  vier  Wochen  erhalten. 

Der  Professor  GARVE  war  vor  einiger  Zeit  hier  und  Herr 
Pr.  EBERHARD  hat  mir  einiges  von  seinen  Gesprächen  mit  ihm, 
in  Beziehung  auf  die  kritische  Philosophie  mitgeteilt.  Er  sagt,  daß 
so  sehr  auch  GARVE  die  Kritik  verteidigt,  so  habe  er  doch  ge- 
stehen müssen,  daß  der  kritiscüe  Idealismus  und  der  BERKLEYsche 
gänzlich  einerlei  sein.  Ich  kann  mich  in  die  Gedankenstimmung 
dieser  achtungswürdigen  Männer  nicht  finden  und  bin  fürwahr! 
vom  Gegenteil  versichert.    Gesetzt  aucü  daß  die  Kritik  der  Unter- 


174  ^^^  ^ahb  Sigisf?mmi  Beck 

Scheidung    der  Dinge  an    sich  der  Erscheinungen  gar    nicht  hätte 
erwähnen    dürfen,    so    hätte    sie    doch    zum    mindesten    erinnern 
müssen,    daß    man    die    Bedingungen,  unter   denen  uns  etwas  ein 
Gegenstand    ist,    ja    nicht    aus    der  Acht  zu  lassen  habe,    weil  zu 
besorgen    ist,    daß    man  auf  Irrtum  gerate,    wenn  man  diese  Be- 
dingungen aus    dem   Sinne  läßt.     Erscheinungen    sind    die  Gegen- 
stände der  Anschauung    und    jedermann   meint  dieselbe,   wenn  er 
von    Gegenständen    spricht,    die    ihn    umgeben,    und    eben    dieser 
Gegenstände  Dasein  leugnete  BERKELEY,  welches  die  Kritik  gegen 
ihn  dargetan  hat.    Wenn  man  nun  eingesehen  hat,  daß  der  Raum 
und     die    Zeit     die     Bedingungen    der    Anschauung     der    Gegen- 
stände sind  und  nun    nachsinnt,    welches    wohl    die    Bedingungen 
des    Denkens    der    Gegenstände  sein  mögen,    so  sieht    man   doch 
leicht,    daß  die   Dignität,    welche    die  Vorstellungen,    in    der    Be- 
ziehung   auf   Objekte,    erhalten,    darin    bestehe,    daß  dadurch  die 
Verknüpfung    des    Mannigfaltigen    als    notwendig    gedacht    wird. 
Diese    Gedankenbestimmung    ist    aber    eben    dieselbe,    welche   die 
Funktion    in    einem    Urteil    ist.     Auf   diesem  W^ege    ist    mir    der 
Beitrag,  den  die  Kategorie  zu  unserm  Erkenntnis  tut,  faßlich  ge- 
worden, indem  durch  diese  Untersuchung  es   mir  einleuchtet,  daß 
sie  derjenige  Begriff   ist,    durch    welchen    das  Mannigfaltige  einer 
sinnlichen  Anschauung  als  notwendig  (für  jedermann  gültig)  ver- 
bunden   vorgestellt    wird.     Einige  Epitomatoren    haben  sich  hier- 
über,   so  viel  ich  einsehe,    falsch    ausgedrückt.     Diese   sagen:    ur- 
teilen heiße    objektive  Vorstellungen   verbinden.     Ganz    etwas   an- 
deres ist  es,  wenn  die  Kritik  lehrt:  urteilen  ist  Vorstellungen  zur 
objektiven  Einheit  des  Bewußtseins  bringen,   wodurch    die  Hand- 
lung einer    als  notwendig    vorgestellten  Verknüpfung  ausgedrückt 

wird. 

Wenn  ich  von  meiner  Überzeugung  darauf  schließen  kann, 
daß  ich  in  meinem  Auszuge  Ihren  Sinn  getroffen,  dann  müßte 
ich  mich  beruhigen.  An  der  Darstellung  der  Deduktion  der 
Kategorien  ist  mir  vorzüglich  gelegen,  und  eine  Musterung  der- 
selben von  Ihnen,  lieber  Lehrer,  würde  mir  die  wünschenswerteste 
Sache  sein.  Mittlerweile  werde  ich  mich  noch  selbst  über  die 
ganze  Ausarbeitung  hermachen,  um  ein  so  vernünftiges  Buch  her- 
vorzubringen, als  ich  es  noch  vermag. 

Nun  erlauben  Sie  mir  noch  meine  ncuUche  physische  Frage 
2U  berühren.  Ich  habe  lange,  noch  ehe  ich  recht  eigentlich  die 
Kritik    studierte,    in    meiner    mathematischen    Lektüre,    den    zwar 


Von  Jakob  Sigtsmund  Beck  ij^ 

gegebenen,  aber  mir  immer  sehr  unverständlich  vorgekommenen 
Begriff  von  Masse,  mit  dem  des  Wirksamen  vertauscht.  EULER 
gibt  nun  den  bestimmten  Begriff  von  Masse,  indem  er  sie  vrs 
tnert'iae  nennt,  qua  corpus  in  statu  suo  perseverare,  quaque  omni  muta- 
tioni  reluctari  conatur,  und  indem  er  eine  verschiedene  vis  inertiae 
den  Partikeln  der  Materie  gibt,  scheint  er  die  ungleichen  Ge- 
wichte zweier  Körper  von  gleichem  Volumen  zu  erklären,  ohne 
zu  leeren  Räumen  flüchten  zu  dürfen.  Dagegen  scheint  es 
doch  auch,  daß  alle  Teile  der  Materie  mit  einer  gleichen 
quantitas  inertiae  versehen  sein,  weil  die  Fallhöhen  derselben, 
in  gleichen  Zeiten  im  widerstandsfreien  Raum  gleich  sind. 
Dann  aber  ist  man  wohl  genötigt,  zu  den  leeren  ports  seine  Zu- 
flucht zu  nehmen  um  die  verschiedenen  Gewichte  gleicher  Volu- 
mina sich  zu  erklären.  Ich  habe  mir  auf  folgende  Art  zu  helfen 
gesucht.  Man  setze  die  anziehende  Kraft  der  Erde  in  einer  be- 
stimmten Gegend  ihrer  Oberfläche  und  gegen  ein  bestimmtes 
Volumen,  das  ich  durchweg  von  Materie  erfüllt  sein  lasse,  sei 
=  a\  die  anziehenden  Kräfte  zweier  Körper,  von  einem  Volumen 
das  dem  vorigen  gleich  und  durchweg  erfüllt  ist,  gegen  die  Erde 
seien  dx  und  dy^  die  ich  als  Differentiale  ansehen  kann,  weil  ich 
sie  im  Verhältnis  gegen  a  betrachte.')  Weil  ich  nun  die  wechsel- 
seitige Anziehung  dieser  Körper  gegen  die  Erde  und  der  Erde 
gegen  sie,  im  Sinn  habe,  so  kann  ich  die  Kräfte  addieren  und 
sagen,  daß  die  Erde  den  einen  Körper  anziehe  mit  der  Kraft 
a  +  dx^  den  andern  mit  a  +  dy.  Daraus  aber  folgt,  daß  die  Fall- 
höhen beider  Körper  im  widerstandsfreien  Raum  gleich  sein 
müssen,  weil  das  Verhältnis  von  a  -^^  dx  :  a  -^  dy  ein  Verhältnis 
der  Gleichheit  ist.  Aber  an  der  Wage  w^ürde  sich  a  gegen  a 
aufheben  und  es  würde  das  Verhältnis  bleiben  wie  dx  :  dy^  welches 
allerdings  ein  Verhältnis  der  Ungleichheit  sein  kann,  wenngleich 
a  -\-  dx  '.  a  ^  dy  =  \  :  i.  Sollte  ich  auf  eine  grobe  Art  mich 
irren,  so  bitte  ich  Sie  mir  es  schon  nachzusehen. 

HARTKNOCH  hat  mich  durch  den  Buchdrucker  GRUNERT 
bitten  lassen,  die  Anzeige  von  meinem  Buch  in  der  Literaturzeitung 
zu  besorgen.  Nun  kann  es  weder  ihm  noch  mir  gleichgültig  sein, 
ob  in  dieser  Anzeige  es  erwähnt  wird,  daß  Sie  um  diese  Schrift 
wissen,  da  der  Auszüge  aus    der  Kritik    unter   vielerlei  Titeln  so 

^)  Den  Gedanken  dieser  Kräfte  wird  man  woran  knüpfen  müssen. 
Ich  knüpfe  ihn  an  die  Wege  die  in  der  Zeit  i  beschrieben  werden. 


ij6  Von  Salomon  Ma'imon 

viele  sind,  daß  auf  eine  bloße  Anzeige  unter  meinem  Namen 
auch  ganz  und  gar  nichf  geachtet  werden  möchte.  Es  könnte 
der  Fall  sein,  daß  Sie  es  mir  erlauben  wollten,  Ihren  Namen  in 
der  Anzeige  zu  nennen.  Wenn  das  ist,  dann  ersuche  ich  Sie  so 
gütig  zu  sein,  mir  die  Worte  anzugeben,  die  auf  Sie  Beziehung 
haben  sollen.  Ich  möchte  dieser  Schrift  den  Titel  geben:  Er- 
räuternder  Auszug  aus  den  kritischen  Schriften  des  Herrn  Pr.  Kant 
und  zum  zweiten  Bande  desselben,  den  Auszug  aus  der  Kritik  der 
Urteilskraft  und  eine  erläuternde  Darstellung  der  metaphysischen 
Anfangsgründe    der    Naturwissenschaft    bestimmen.    Was    meinen 

Sie  dazu? 

Ich  bin  übrigens  mit  der  größten  Hochachtung  und  Liebe 

der  Ihrige 

Beck. 

309. 

Von  Salomon  Maimon. 

Berlin,    30.  November   1792. 
Würdigster  Mann! 

Obschon  ich  auf  meine  letzte  zwei  Briefe  keine  Antwort  von 
Ihnen  erhalten  habe,  so  soll  dieses  mich  doch  nicht  abhalten, 
jetzt,  da  ich  bloß  Belehrung  von  Ihnen  erwarte,  die  Feder  aufs 
neue  zu  ergreifen.  Denn  außerdem,  daß  Ihr  Verfahren  hierin 
sich  durch  Ihr  ehrwürdiges  der  Welt  so  schätzbares  Alter,  und 
Ihren  überhäuften  wichtigen  Geschäften,  Ihre  unsterblichen  Ar- 
beiten, der  kritischen  Forderungen  gemäß,  zu  vollenden  [erklärt], 
so  vermute  ich  noch  eine  Art  des  Mißfallens  an  mein[em]  Ver- 
fahren, die  ich  mir  erst  jetzt  begreiflich  machen  kann. 

Der  erste  Brief  betraf  die  von  mir  angestellte  Vergleichung 
zwischen  BACONS  und  Ihren  unsterblichen  Bemühungen  um 
die  Reformation  der  Wissenschaften.  Ich  glaube  nicht 
nur,  sondern  bin  völlig  überzeugt,  daß  ich  hierin  unparteiisch 
verfahren  bin;  obschon  diese  Vergleichung  selbst  in  mancher 
Rücksicht  genauer  und  ausführlicher  hätte  angestellt  werden 
können.  Ich  bemerke  darin,  daß  beide  Methoden  zwar  an  sich 
einander  entgegengesetzt,  daß  aber  beide  zur  Vollständigkeit 
unsrer  wissenschaftlichen  Erkenntnis  unentbehrlich  sind.  Die 
eine    nähert     sich    immer,     durch    eine    immer    vollständigere 


Von  Salomon  Maimon  177 

Induktion,  zu  den  durchgängig  bestimmten  notwendigen  und 
allgemeingültigen  Prinzipien,  ohne  sich  Hoffnung  zu  machen,  sie 
auf  diesem  Wege  völlig  zu  erreichen. 

Die  andere  sucht  diese  Prinzipien  in  der  ursprünglichen  Ein- 
richtung unsres  Erkenntnisvermögens,  und  stellet  sie  zum  künftigen 
Gebrauch  auf;  gleichfalls  ohne  sich  Hoffnung  zu  machen,  diesen 
Gebrauch  bis  auf  empirischen  Objekten  (als  solchen)  auszu- 
dehnen. 

Die  kritische  Philosophie  ist,  meiner  Überzeugung  nach  (Herr 
REINHOLD  mag  sagen,  was  er  will)  durch  Sie,  sowohl  als  eine 
reine  Wissenschaft  an  sich,  als  eine  angewandte  Wissen- 
schaft (wie  weit  sich  ihr  Gebrauch  erstrecket)  schon  vollendt. 

Die  Methode  der  Induktion  hingegen  wird,  bei  all  ihre 
Wichtigkeit  im  praktischen  Gebrauch  nie  als  Wissenschaft  vollendt 
werden. 

In  meinem  zweiten  Brief  äußerte  ich  ein  Mißfallen  an  das 
Verfahren  des  Herrn  Professor  REINHOLD.  Dieser  scharfsinnige 
Philosoph  sucht  überall  zu  zeigen,  daß  Ihre  Prinzipien  nicht 
durchgängig  bestimmt  und  völlig  entwickelt  sind,  und 
muß  sich  durch  seine  Bemühungen,  diesem  vermeinten  Mangel 
abzuhelfen,  im  beständigen  Zirkel  herumdrehen. 

Sein  Satz  des  Bewußtseins  setzt  schon  Ihre  Deduktion 
voraus,  kann  folglich  nicht  als  ein  ursprüngliches  Faktum 
unseres  Erkenntnisvermögens  dieser  Deduktion  zum  Grunde  gelegt 
werden;  wie  ich  dieses  (Magazin  zur  Erfahrungsseclenkunde  9.  Band. 
3.  Stück)  gezeigt  habe.  Auch  jetzt,  da  ich  den  zweiten  Teil  seiner 
Briefe  gelesen  habe,  bemerke  ich,  daß  sein  Begriff  von  dem 
freien  Willen  auf  das  allerunerklärbarste  Indeterminismus 
firhre. 

Sie  setzen  die  Freiheit  des  Willens  in  der  hypothetisch 
angenommene  Kausalität  der  Vernunft.  Nach  ihm  hingegen 
wäre  die  Kausalität  der  Vernunft  an  sich  Naturnot- 
wendigkeit. Er  erklärt  daher  den  freien  Willen  als  „ein 
Vermögen  der  Person,  sich  selbst,  in  Rücksicht  auf  die  Be- 
friedigung oder  Nichtbefriedigung  des  eigennützigen  Triebs,  der 
Forderung  des  Uneigennützigen  gemäß  oder  derselben  zuwider 
zu  bestimmen."  Ohne  sich  um  den  Bestimmungsgrund  im 
mindstn  zu  bekümmern.  Aber  ich  will  Sie  hiemit  nicht  länger 
aufhalten. 

Mein    jetziger   Wunsch    gehet    bloß    dahin,    eine   Belehrung 

Ktnts  Schriften.    Bd.  X.  12 


1/8  Von  Salomon  Maimon 

von  Ihnen  zu  erhalten,  über  den  wichtigen  Punkt  ihrer  trans- 
szendentalen  Ästhetik,  nämlich  über  die  Deduktion  der  Vor- 
stellungen von  Zeit  und  Raum.  Alles,  was  Sie  darin  gegen  die 
dogmatische  Vorstellungsart  anführen,  hat  mich  völlig  überzeugt. 
Es  kann  aber,  wie  ich  dafür  halte,  noch  eine  skeptische,  sich 
auf  psychologischen  Gründen  stützende  Vorstellungsart  gedacht 
werden,  die  auch  von  der  Ihrigen  in  etwas  abweicht,  obschon 
die  daraus  zu  ziehenden  Resultate  vielleicht  von  den  Ihrigen 
nicht  verschieden  sein  möchten. 

Nach  Ihnen  sind  die  Vorstellungen  von  Zeit  und  Raum 
Formen  der  Sinnlichkeit,  das  heißt  notwendige  Bedingungen 
von  der  Art  wie  sinnliche  Objekte  in  uns  vorgestellt  werden. 

Ich  behaupte  hingegen  (aus  psychologischen  Gründen),  daß 
dieses  nicht  allgemein  wahr  sei.  Die  einartigen  sinnlichen 
Objekte  werden  von  uns  unmittelbar  weder  in  Zeit  noch  in 
Raum  vorgestellt.  Dieses  kann  nur  mittelbar  durch  Vergleichung 
derselben  mit  den  verschiedenartigen  Objekten,  mit  welchen 
sie  eben  durch  Zeit  und'  Raum  verknüpft  sind,  geschehen.  Zeit 
und  Raum  sind  also  keine  Formen  der  Sinnlichkeit  an  sich, 
sondern  bloß  ihrer  Verschiedenheit.  Die  Erscheinung  des 
Roten  oder  des  Grünen  an  sich  wird,  so  wenig  als  irgendein 
VerstandesbegriflP  an  sich,  in  Zeit  oder  Raum  vorgestellt.  Dahin- 
gegen das  Rote  und  das  Grüne  miteinander  verglichen,  und  in 
einer  unmittelbarn  Koexistenz  oder  Succession  aufeinander 
bezogen,  nicht  anders  als  in  Zeit  und  Raum  vorgestellt  werden 
können. 

Zeit  und  Raum  sind  also  keine  Vorstellungen  von  den  Be- 
schaflFenheiten  und  Verhältnissen  der  Dinge  an  sich,  wie  schon 
die  kritische  Philosophie  gegen  die  dogmatische  bewiesen 
hat.  Sie  sind  aber  ebensowenig  Bedingungen  von  der  Art  wie 
sinnliche  Objekte  an  sich  vor  ihrer  Vergleichung  unterein- 
ander in  uns  vorgestellt  werden,  wie  ich  schon  bemerkt  habe. 
Was  sind  sie  also?  Sie  sind  Bedingungen  von  der  Mög- 
lichkeit einer  Vergleichung  zwischen  den  sinnlichen 
Objekten,  das  heißt  eines  Urteils  über  ihr  Verhältnis  zuein- 
ander.    Ich  will  mich  hierüber  näher  erklären. 

1.  Verschiedene  Vorstellungen  können  nicht  zu  gleicher  Zeit 
(in  eben  demselben  Zeitpunkt)  in  eben  demselben  Subjekt  ko- 
existieren. 

z.    Ein    jedes    Urteil   über  das  Verhältnis   der  Objekte  zuein- 


Von  Salomon  Ma'tmon  179 

ander  setzt  die  Vorstellung  eines  jeden  an  sich  im  Gemüte  voraus. 
Dieses  vorausgeschickt,  so  ergibt  sich  diese  wichtige  Frage:  Wie 
ist  ein  Urteil  über  ein  Verhältnis  der  Objekte  zuein- 
ander möglich?  Ich  nehme  dieses  an  sich  so  evidente  Urteil: 
zum  Beispiel  das  Rote  ist  vom  Grünen  verschieden.  Diesem 
müßte  die  Vorstellung  des  Roten  und  Grünen  an  sich  im  Ge- 
müte vorausgehen.  Da  aber  diese  Vorstellungen  in  eben  dem- 
selben Zeitpunkt,  in  eben  demselben  Subjekt  einander  ausschließen, 
und  das  Urteil  sich  doch  auf  beide  zugleich  bezieht  und  beide 
im  Bew^ußtsein  vereinigt,  so  kann  die  Möglichkeit  desselben  auf 
keinerlei  Weise  begreiflich  gemacht  werden.  Die  Zuflucht,  die 
einige  Psychologen  hier  zu  den  zurückgelassenen  Spuren 
nehmen,  kann  zu  nichts  helfen.  Denn  die  zurückgelassenen 
Spuren  verschiedener  Vorstellungen  können  ebensowenig  als  diese 
Vorstellungen  selbst  (wenn  sie  nicht  in  eine  einzige  zusammen- 
fließen sollen)  zugleich  im  Gemüte  stattfinden. 

Dieses  Urteil  ist  also  nur  durch  die  Vorstellung  einer  Zeit- 
folge möglich. 

Zeitfolge  ist  schon  an  sich  ohne  Beziehung  auf  die  darin 
vorgestellten  Objekten,  eine  Einheit  im  Mannigfaltigen.  Der 
vorhergehende  Zeitpunkt  ist,  als  ein  solcher,  vom  folgenden 
unterschieden.  Sie  sind  also  nicht  analytisch  einerlei;  und 
doch  können  sie  nicht  ohne  einander  vorgestellt  werden;  das 
heißt  sie  machen  zusammen  eine  synthetische  Einheit  aus. 
Die  Vorstellung  einer  Zeitfolge  ist  also  eine  notwendige  Be- 
dingung, nicht  von  der  Möglichkeit  der  (wenn  auch  sinnlichen) 
Objekten  an  sich,  sondern  der  Möglichkeit  eines  Urteils 
über  ihre  Verschiedenheit,  welche  ohne  Zeitfolge  kein  Gegen- 
stand unsrer  Erkenntnis  sein  kann. 

Von  der  andern  Seite  aber  ist  wiederum  die  objektive 
Verschiedenheit  eine  Bedingung  von  der  Möglichkeit  einer 
Zeitfolge,  nicht  bloß  als  Gegenstand  unsrer  Erkenntnis,  sondern 
auch  als  Objekt  der  Anschauung  an  sich  (indem  Zeitfolge  nur 
dadurch,  daß  sie  Gegenstand  unsrer  Erkenntnis  wird,  an  sich  vor- 
stelibar  ist).  Die  Form  der  Verschiedenheit  (wie  auch  die 
objektive  Verschiedenheit  selbst)  und  die  Vorstellung  einer 
Zeitfolge  stehen  also  in  einer  wechselseitigen  Verhältnis  zuein- 
ander. Wäre  das  Rote  nicht  vom  Grünen,  als  Erscheinung  an 
sich,  verschieden,  so  könnten  sie  von  uns  nicht  in  einer  Zeit- 
folge vorgestellt  werden.    Hätten  wir  aber  nicht  die  Vorstellung 

12* 


1 8o  Von  Salomon  Maimon 

einer  Zeitfolge,  so  könnten  immer  das  Rote  und  das  Grüne 
verschiedene  Objekte  der  Anschauung  sein,  wir  könnten  aber  sie 
nicht  als  solche  erkennen. 

Eben  dieses  Verhältnis  findet  auch  statt  zwischen  der  Form 
der  Verschiedenheit  und  der  Vorstellung  des  Außereinander- 
seins  im  Räume.  Diese  kann,  ohne  daß  jene  in  den  Objekten 
anzutreffen  ist,  nicht  stattfinden.  Jene  ist  ohne  diese  für  uns 
nicht  erkennbar. 

Die  Verschiedenheit  der  äußeren  Erscheinungen  wird  nur 
alsdann  in  Zeit  vorgestellt,  wenn  sie  in  Raum  nicht  vorgestellt 
wird,  und  so  auch  umgekehrt.  Eine  und  eben  dieselbe  sinnliche 
Substanz  (dieser  ßaum  zum  Beispiel)  wird  nicht  im  Räume,  son- 
dern in  der  Zeit,  als  von  sich  selbst  verschieden  (verändert) 
vorgestellt.  Verschiedene  sinnliche  Substanzen  werden  als  solche 
nicht  in  der  Zeit  (indem  das  Urteil  über  ihre  Verschiedenheit 
sie  in  eben  demselben  Zeitpunkt  zusammenfaßt),  sondern  im 
Räume  vorgestellt. 

Die  Form  der  Zeit  kömmt  also  nicht  allen  Objekten  der 
äußern  Anschauung  ohne  Unterschied  zu,  sondern  nur  solchen, 
die  nicht  in  Raum  vorgestellt  werden,  und  so  auch  umgekehrt, 
die  Form  des  Raums  kömmt  nur  denjenigen  äußern  Objekten 
zu,  die  nicht  in  Zeit  (in  einer  Zeitfolge,  denn  das  Zugleich- 
sein ist,  wie  ich  dafür  halte,  keine  positive  Zustimmung, 
sondern  bloß  Verneinung  einer  Zeitfolge)  vorgestellt 
werden. 

Diese  Betrachtungen  grenzen  an  meine  Erörterung  der  trans- 
szendentalen  Täuschungen  (Philosophisches  Wörterbuch  Art. 
Fiktion),  deren  Beurteilung  ich  von  Ihnen  mit  dem  größten 
Verlangen  erwarte,  womit  ich  Sie  aber  hier  nicht  länger  auf- 
halten will. 

Würdigster  Mann!  Da  die  von  Ihnen  zu  erwartende  Beant- 
wortung dieses  Schreiben[s]  mir  von  der  äußersten  Wichtigkeit 
ist,  indem  sie  mir  die  skeptischen  Hindernisse  im  Fort- 
schritt des  Denkens  benehmen,  und  eine  bestimmte  Richtung 
verschaffen  wird;  da  ich  mein  ganzes  Leben  bloß  der  Erforschung 
der  Wahrheit  widme,  und  sollte  ich  auch  zuweilen  auf  Abwege 
geraten,  so  sind  doch  wenigstens  meine  Fehler  einer  Zurecht- 
weisung wert;  so  bitte  ich  Sie  ergebenst,  ja  ich  beschwöre 
Sie  bei  der  Heiligkeit  Ihrer  Moral,  mir  diese  Beantwortung 
nicht  zu  verweigern.     In  deren  Erwartung  ich  verbleibe  mit  den 


An  ^akob  Sigismund  Beck  i8i 

Gesinnungen    der    größten    Hochachtung    und    innigsten    Freund- 
schaft 

Ihr  ergebenster 

Salomon  Maimon. 

P.  S.  Sollte  Ihre  Beantwortung  auch  nicht  ausführlich  ge- 
schehen, so  sind  mir  doch  einige  Fingerzeige  von  Ihnen  wichtig 
genug.     Ihr  Brief  kann  gradezu  an  mich  adressiert  werden. 


510. 

An  Jakob  Sigismund  Beck. 

4^.  Dezember  1792. 
Da  Sie  mir,  würdiger  Mann,  in  Ihrem  Briefe  vom  10.  No- 
vember einen  Aufschub  von  vier  Wochen  bis  zu  meiner  Antwort 
gelassen  haben,  welchen  dieser  Brief  nur  um  wenig  Tage  über- 
steigen wird,  so  glaube  ich,  beigehende  kleine  Anmerkungen 
werden  nicht  zu  spät  anlangen.  —  Hiebei  muß  ich  vorläufig 
erinnern;  daß,  da  ich  nicht  annehmen  kann,  daß  in  der  mir  zu- 
geschickten Abschrift  die  Seiten  und  Zeilen  mit  Ihrer  in  Händen 
habenden  eben  korrespondieren  werden,  Sie,  wenn  Sie  die  Seite 
der  Abschrift,  die  ich  zitiere,  nach  den  Anfangsworten  eines 
Perioden,  die  ich  hier  durch  Häckchen  „  "  bemerke,  nur  einmal 
aufgefunden  haben,  Sie,  wegen  der  Gleichförmigkeit  der  Abschrift, 
die  korrespondierende  Seiten  in  Ihrem  Manuskript  wohl  auffinden 
werden.  —  Denn  das  mir  zugeschickte  mit  der  fahrenden  Post 
an  Sie  zurückzusenden  würde  die  Antwort  an  Sie  gar  zu  sehr 
verweilen,  Sie  aber  mit  der  reitenden  Post  abzusenden  ein  wenig 
zu  kostbar  sein:  indem  Ihr  letzter  Brief  mit  dem  Manuskript  mir 
gerade  zwei  Reichstaler  Postporto  gekostet  hat,  welche  Kosten  der 
Abschreiber  leicht  um  Dreiviertel  hätte  vermindern  können,  wenn 
er  nicht  so  dick  Papier  genommen  und  mehr  kompreß  ge- 
schrieben hätte. 

Seite  5  heißt  es  von  der  Einteilung:  „Ist  sie  aber  synthetisch, 
so  muß  sie  notwendig  Trichotomie  sein";  dieses  ist  aber 
nicht  unbedingt  notwendig,  sondern  nur,  wenn  die  Ein- 
teilung I.  a  priori,  2.  nach  Begriffen  (nicht,  wie  in  der 
Mathematik,    durch  Konstruktion  der  Begriffe)   geschehen 


8  z  An  fakob  Sigismund  Beck 


löZ 


soll.      So    kann    man    zum    Beispiel  die  reguläre  Polyedra 
in    fünferlei    Körper    a  priori   einteilen,    indem    man    den 
Begriff    des    Polyedri    in    der    Anschauung    darlegt.     Aus 
dem    bloßen    Begriffe    desselben    aber    würde    man    nicht 
einmal  die  Möglichkeit  eines  solchen  Körpers,  viel  weniger 
die  mögliche  Mannigfaltigkeit  derselben  ersehen. 
S.  —  7.     Anstatt  der  Worte    (wo  von    der   Wechselwirkung 
der  Substanzen  und  der  Analogie  der  wechselseitigen  Be- 
stimmung der  Begriffe  in  disjunktiven  Urteilen  mit  jener 
geredet  wird)    „Jene  hängen  zusammen    indem  sie":    Jene 
machen  ein  Ganzes  aus  mit  Ausschließung  mehrerer  Teile 
außer  demselben;  im  disjunktiven  Urleil  usw. 
S.  —  8.      Statt    der  Worte    am  Ende   des  Absatzes    „das  Ich 
denke  muß  alle  Vorstellungen  in  der  Synthesis  derselben 
begleiten*'  begleiten  können. 
S.  —  17.      Statt  der  Worte  „Ein  Verstand,  dessen  reines  Ich 
denke"  Ein  Verstand,  dessen  reines  Ich  bin  usw.   (denn 
sonst  würde  es  ein  Widerspruch  sein    zu   sagen,  daß  sein 
reines  Denken  ein  Anschauen  sein  würde). 
Sie   sehen,    lieber  Freund,    daß   meine   Erinnerungen   nur  von 
geringer  Erheblichkeit  sein;  übrigens  ist  Ihre  Vorstellung  der  De- 
duktion richtig.     Erläuterungen  durch  Beispiele  würden  manchem 
Leser   zwar   das  Verständnis   erleichtert   haben;    allein  auf  die  Er- 
sparung des  Raums  mußte  auch  gesehen  werden. 

Herrn  EBERHARDS  und  GARVEN  Meinung  von  der  Iden- 
tität des  BERKLEYSCHEN  Idealism  mit  dem  kritischen,  den  ich 
besser  das  Prinzip  der  Idealität  des  Raumes  und  der  Zeit  nennen 
könnte,  verdient  nicht  die  mindeste  Aufmerksamkeit;  denn  ich 
rede  von  der  Idealität  in  Ansehung  der  Form  der  Vorstellung: 
jene  aber  machen  daraus  Idealität  derselben  in  Ansehung  der  Ma- 
terie, das  ist  des  Objekts  und  seiner  Existenz  selber.  —  Unter 
dem  angenommenen  Namen  ÄNESIDEMUS  aber  hat  jemand  einen 
noch  weitergehenden  Skeptizism  vorgetragen'):  nämlich,  daß  wir  gar 
nicht  wissen  können,  ob  überhaupt  unserer  Vorstellung  irgend  etwas 
Anderes  (als  Objekt)  korrespondiere,  welches  etwa  soviel  sagen 
möchte,  als:    Ob    eine  Vorstellung  wohl   Vorstellung   sei  (Etwas 


»)  Gottlob  Ernst  Schulze  (1761  — 1833),  Aenesidemus  oder  über 
die  Fundamente  der  von  dem  H.  Prof.  Reinhold  in  Jena  gelieferten 
Elementarphilosophie,  o.  O.   1791- 


An  Jakoh  Sigismund  Beck  185 

vorstelle).  Denn  Vorstellung  bedeutet  eine  Bestimmung  in  uns, 
die  wir  auf  etwas  Anderes  beziehen  (dessen  Stelle  sie  gleichsam 
in  uns  vertritt). 

Was  Ihren  Versuch  betrifft,  den  Unterschied  der  Dichtigkeiten 
(wenn  man  sich  dieses  Ausdrucks  bedienen  kann)  an  zweien 
Körpern,  die  doch  beide  ihren  Raum  ganz  erfüllen,  sich  verständ- 
lich zu  machen,  so  muß  das  Moment  der  Acceleration  aller  Körper 
auf  der  Erde  hiebei,  meiner  Meinung  nach,  unter  sich  doch  als 
gleich  angenommen  werden,  so:  daß  kein  Unterschied  derselben, 
wie  zwischen  dx  und  dy^  angetroffen  wird,  wie  ich  in  meinen 
vorigen  Briefe  angemerkt  habe  und  die  Quantität  der  Bewegung 
des  einen  mit  der  des  andern  verglichen  (das  ist  die  Masse  der- 
selben), doch  als  ungleich  können  vorgestellt  werden,  wenn  diese 
Aufgabe  gelöset  werden  soll;  so  daß  man  sich  sozusagen  die 
Masse  unter  demselben  Volumen  nicht  durch  die  Menge  der 
Teile,  sondern  durch  den  Grad  spezifisch  verschiedenen 
Teile,  womit  sie,  bei  eben  derselben  Geschwindigkeit  ihrer  Be- 
wegung, doch  eine  verschieden [e]  Größe  derselben  haben  könne, 
denken  könne.  Denn,  wenn  es  auf  die  Menge  ankäme,  so 
müßten  alle  ursprünglich  als  gleichartig,  folglich  in  ihrer  Zusam- 
mensetzung unter  einerlei  Volumen  nur  durch  die  leere  Zwischen- 
räume unterschieden  gedacht  werden  (quod  est  contra  hypo- 
thesin). —  Ich  werde  Ihnen  gegen  Ende  dieses  Winters  meine 
Versuche,  die  ich  hierüber  während  der  Abfassung  meiner  Metaph. 
Anf.-Gründe  der  N.  W.  anstellete,  die  ich  aber  verwarf,  mit- 
teilen, ehe  Sie  an  die  Epitomierung  derselben  gehen.  —  Zum 
Behuf  Ihres  künftigen  Auszugs  aus  der  Kritik  der  U.  Kr.  werde 
Ihnen  nächstens  ein  Pack  des  Manuskripts  von  meiner  ehedem 
abgefaßten  Einleitung  in  dieselbe,  die  ich  aber  bloß  wegen 
ihrer  für  den  Text  unproportionierten  Weitläuftigkeit  verwarf, 
die  mir  aber  noch  manches  zur  vollständigeren  Einsicht  des  Be- 
griffs einer  Zweckmäßigkeit  der  Natur  Beitragendes  zu  enthalten 
scheint,  mit  der  fahrenden  Post  zu  beliebigem  Gebrauche  zu- 
schicken.") —  Zum  Behuf  dieser  Ihrer  Arbeit  wollte  ich  auch 
raten,  SNELLS,  noch  mehr  aber  SPAZIERS  Abhandlungen,  oder 
Kommentarien  über  dieses  Buch  in  Überlegung  zu  ziehen. 

^)  Diese  Abhandlung  ist  später  unter  dem  Titel  „Über  Philosophie 
überhaupt,  zur  Einleitung  in  die  Kritik  der  Urteilskraft"  von  Beck  aus- 
zugsweise veröffentlicht  worden,  vollständig  erschien  sie  zum  ersten  Mal 
in  dieser  Ausgabe,  Bd.  V,  S.  177—231. 


184  An  F,  Th.  de  la  Garde 

Den  Titel,  den  Sie  Ihrem  Buche  zu  geben  denken:  Erläu- 
ternder Auszug  aus  den  krit.  Schriften  des  K.  Erster 
Band,  der  die  Krit.  der  spekul.  und  prakt.  Vernunft  ent- 
hält, billige  ich  vollkommen. 

Übrigens  wünsche  Ihnen  zu  dieser,  sowie  zu  allen  Ihren  Unter- 
nehmungen,   den    besten    Erfolg    und    bin    mit  Hochachtung  und 

Ergebenheit 

der  Ihrige 

Königsberg,  I«  Kant. 

den  4.  Dezember    1792. 


An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Euer  Hochedelgeborer 

sage  den  ergebensten  Dank  für 
die  mir  überschickte  acht  Exemplar  der  Krit.  d.  U.  Kr.  und  was 
die  zwölf  übrige  betrifft,  die  ich  mir  gütigst  aufzubehalten  bitte, 
so  werde  darüber  nächstens  die  Bestimmung  erteilen. 

Was  die  Benennung  auf  dem  Titel,  verbesserte  Auflage 
betriflFt,  so  hat  das  im  Grunde  wenig  zu  bedeuten;  denn  unwahr 
ist  es  wenigstens  nicht,  wenn  es  mir  gleich  ein  wenig  prahlend 
zu  sein  schien. 

Für  den  vortrefflichen  Druck  und  das  Korrekte  dieser  Auf- 
lage danke  gar  sehr  und  wünsche  mit  einem  solchen  Manne 
mehrmalen  in  Geschäfte  zu  kommen. 

Inliegenden  Brief  bitte  gütigst  auf  die  Post  zu  geben  und 
versichert  zu  sein,  dass  ich  jederzeit  mit  Hochachtung  und  Freund- 
schaft sei 

Euer  Hochedelgeboren 

ergebenster  Diener 
Königsberg,  I.  Kant, 

den   21.  Dezember    1792. 


An  fohann  Benjamin  Erhard  185 

312. 
An  Johann  Benjamin  Erhard. 

ZI.  Dezember    1792. 
Innigstgeliebter  Freund! 

Daß  Sie  das  Ausbleiben  meiner  über  ein  Jahr  schuldigen 
Antwort  mit  einigem  Unwillen  vermerken,  verdenke  ich  Ihnen 
gar  nicht,  und  doch  kann  ich  es  mir  nicht  als  verschuldet  an^ 
rechnen;  weil  ich  die  Ursachen  desselben,  welche  zu  entfernen 
nicht  in  meinem  Vermögen  ist,  mehr  fühlen  als  beschreiben  kann. 
Selbst  Ihre  Freundschaft,  auf  die  ich  rechne,  macht  mir  den 
Aufschub  von  Zeit  zu  Zeit  zulässiger  und  verzeihlicher,  der  aber 
durch  den  Beruf,  den  ich  zu  haben  glaube,  meine  Arbeiten  zu 
vollenden  und  also  den  Faden  derselben  nicht  gern,  wenn  Dispo- 
sition dazu  da  ist,  fahren  zu  lassen  (diese  Indisposition  aber, 
welche  mir  das  Alter  zuzieht,  kommt  oft),  und  durch  andere  un- 
umgängliche Zwischenarbeiten,  ja  viele  Briefe,  deren  Verfassern 
ich  soviel  Nachsicht  nicht  zutrauen  darf,  mir  fast  abgedrungen 
wird.  —  Warum  fügte  es  das  Schicksal  nicht,  einen  Mann,  den  ich 
unter  allen,  die  unsere  Gegend  je  besuchten,  mir  am  liebsten  zum 
täglichen  Umgang  wünschte,  mir  näher  zu  bringen? 

Die  mit  Herrn  KLEIN  verhandelte  Materien  aus  dem  Krimi- 
nalrecht betreffend,  erlauben  Sie  mir  nur  einiges  wenige  anzu- 
merken; da  das  meiste  vortrefflich  und  ganz  nach  meinem  Sinn 
ist;  wobei  ich  voraussetze,  daß  Sie  eine  Abschrift  der  Sätze  mit 
eben  denselben  Nummern,  als  in  Ihrem  Briefe  bezeichnet*)  vor 
sich  haben. 

Ad.  N.  5.  Die  Theologen  sagten  schon  längst  in  ihrer 
Scholastik  von  der  eigentlichen  Strafe  (pocna  vindicativa) ;  sie 
würde  zugefügt,  nicht  ne  peccetur,  sondern  quia  peccatum  est. 
Daher  definierten  sie  die  Strafe  durch  malum  physicum  ob  malum 
morale  illatum.  Strafen  sind  in  einer  Welt,  nach  moralischen 
Prinzipien  regiert  (von  Gott),  kategorisch  notwendig  (sofern  darin 
Übertretungen  angetroffen  werden).  Sofern  sie  aber  von  Menschen 
regiert  wird,  ist  die  Notwendigkeit  derselben  nur  hypothetisch 
und  jene  unmittelbare  Verknüpfung  der  Begriffe  von  Übertretung 
und  Strafwürdigkeit  dienen  den  Regenten  nur  zur  Rechtfertigung, 


»)  S.  oben  S.  108  f. 


i86  Aji  Carl  Leonhard  Reinhold 

nicht  zur  Vorschrift  in  ihren  Verfügungen,  und  so  kann  man 
mit  Ihnen  wohl  sagen:  daß  die  poena  mere  moralis  (die  darum 
vielleicht  vindicativa  genannt  worden  ist,  weil  sie  die  göttliche  Ge- 
rechtigkeit rettet),  ob  sie  zwar  der  Absicht  nach  bloß  medicinalis 
für  den  Verbrecher,  aber  exemplaris  für  andere  sein  möchte,  doch,, 
was  jene  Bedingung  der  Befugnis  betrijfft,  ein  Symbol  der  Straf- 
würdigkeit sei. 

Ad.  N.  9,  10.  Beide  Sätze  sind  wahr,  obgleich  in  den  ge- 
wöhnlichen Moralen  ganz  verkannt.  Sie  gehören  zu  dem  Titel 
von  den  Pflichten  gegen  sich  selbst,  welche  in  meiner  unter 
Händen  habenden  Metaphysik  der  Sitten  besonders,  und  auf 
andere  Art  als  wohl  sonst  geschehen,  bearbeitet  werden  wird. 

Ad.  N.  12.  Auch  gut  gesagt.  Man  trägt  im  Naturrecht  den 
bürgerlichen  Zustand  als  auf  ein  beliebiges  pactum  sociale  ge- 
gründet vor.  Es  kann  aber  bewiesen  werden,  daß  der  Status  na- 
turalis ein  Stand  der  Ungerechtigkeit,  mithin  es  Rechtspflicht  ist, 
in  den  statum  civilem  überzugehen. 

Von  Herrn  Professor  REUSS  aus  Würzburg,  der  mich  diesen 
Herbst  mit  seinem  Besuch  beehrte,  habe  Ihre  Inauguraldissertation 
und  zugleich  die  angenehme  Nachricht  erhalten,  daß  Sie  in  eine 
Ehe,  die  das  Glück  Ihres  Lebens  machen  wird,  getreten  sind,  als 
wozu  ich  von  Herzen  gratuliere. 

Mit  dem  Wunsch,  von  Ihnen  dann  und  wann  Nachricht  zu 
bekommen,  untern  anderm  wie  Fräulein  HERBERT  durch  meinen 
Brief  erbauet  worden,*)  verbinde  ich  die  Versicherung,  daß  ich 
jederzeit  mit  Hochachtung  und  Ergebenheit  sei 

Königsberg,  der  Ihrige 

den    2  1.  Dezember    1792.  I.  Kant. 


3M- 
An  Carl  Leonhard  Reinhold. 

2  I.  Dezember    1792. 

Eine  jede  Zeile  von  Ihnen,  teuerster  Mann!  ist  für  mich  ein 

aufmunterndes   Geschenk,  vornehmlich  wenn  es  durch  ein  solches 

begleitet    wird,    als    Sie    mir    mit    dem    zweiten  Teil   Ihrer  geist- 

und  anmutsvollen   Briefe  machen.     Wie  sehr  wünschte  ich  durch 

»)  S.  oben  Brief  Nr.  284. 


Von  Fräulein  Maria  von  Herbert  187 

Schriftwechsel  öfters  dieses  Vergnügens  teilhaftig  zu  werden,  aber 
auch  an  der  neueren  Bearbeitung  zur  Erörterung  der  höchsten 
Prinzipien  der  Erkenntnis,  welche  nur  jetzt  eine  zur  Wegräumung 
aller  Schwierigkeiten  gegen  das  System  der  Kritik  dienliche  Wen- 
dung genommen  zu  haben  scheinen,  tätigen  Anteil  nehmen  zu 
können;  wenn  ich  nicht,  außer  anderen  Hindernissen,  noch  durch 
die  Bemühung,  meinen  Plan  noch  vor  dem  Toresschlüsse  zu  be- 
endigen, zurückgehalten  würde,  als  wovon  Sie  mit  der  nächsten 
Ostermesse  ein  Stück  erhalten  werden,  wovon  ich  den  Titel  jetzt 
noch  nicht  melden  will,  wovon  Sie  die  Ursache  zu  derselben 
Zeit  auch  erfahren  werden/) 

Ich  weiß  keinen  besseren  Kanal,  inneliegenden  Brief  an  unseren 
gemeinschaftlichen  Freund  Herrn  D.  ERHARD  in  Nürnberg  sicher 
überkommen  zu  lassen,  als  durch  Ihre  gütige  Bestellung,  die  ich 
mir  hiemit  erbitte. 

Mit  der  größten  Hochachtung  und  Ergebenheit  bin  ich  jederzeit 
Koenigsberg,  der  Ihrige 

d.  21.  Dez.  1792  I.  Kant. 

314. 
Von  Maria  von  Herbert. 

[Januar  1793-] 
Lieber  ehrenwerter  Herr. 
Daß  ich  so  lange  säumte,  Ihnen  von  jenen  Vergnügen  was 
zu  sagen,  welches  mir  Ihr  Schreiben  verursachte,  ist,  weil  ich 
Ihre  Zeit  für  so  kostbar  schätze,  daß  ich  mir  nur  dann  getrau, 
Ihnen  eine  zu  entwenden,  wenn  sie  nicht  einzig  für  meine  Lust, 
sondern  auch  zugleich  zur  Erleichterung  meines  Herzens  dienen 
kann,  welche  Sie  mir  schon  einst  verschafften,  als  ich  im  größten 
Affekt  meines  Gemüts  bei  Ihnen  Hilfe  suchte,  Sie  erteilten  mir 
selbe  meinen  Gemüt  so  angemessen,  daß  ich  sowohl  durch  Ihre 
Güte,  als  durch  Ihre  genaue  Kenntnüs  des  menschlichen  Herzens 
aufgemuntert,  mich  nicht  scheue,  Ihnen  den  fernem  Gang  meiner 
Seele  zu  schildern.  Die  Lug,  wegen  der  ich  mich  bei  Ihnen 
anklagte,  war  keine  Bemäntlung  eines  Lasters,  sondern  nur  in 
Rücksicht  der  dazumal  entstandenen  Freindschaft   (noch    in  Liebe 

')  Die  Schrift  über  die  „Religion",  näheres  s.  unten  Brief  Nr.  326 
und   329. 


i88  yon  Fraulein  Maria  von  Herbert 

verhüllt),  ein  Vergehn,  der  Zurückhaltung,  daß  ich's  aber  meinen 
Freind  so  spat,  und  doch  entdeckte,  war  der  Kampf  der  vorher- 
sehenden meiner  Leidenschaft  kränkenden  Folgen,  mit  dem  Be- 
wußtsein der  an  Freindschaft  schuldigen  Aufrichtigkeit  Ursach 
endlich  gewann  ich  so  viel  Kraft,  und  vertauschte  den  Stein  meines 
Herzens  durch  die  Entdeckung,  mit  der  Beraubung  seiner  Liebe, 
dann  ich  genoß  im  Besitz  dieses  von  mir  selbst  nicht  vergönnten 
Vergnügen  so  wenig  Ruh,  als  nachdem,  von  der  verwundeten 
Leidenschaft,  welche  mein  Herz  zerrissen,  und  mich  so  marterte, 
wie  ich's  keinen  Menschen  wünsch,  der  auch  seine  Bosheit  mit 
einen  Prozeß  behaupten  wollte.  Indessen  verharrte  mein  Freind 
in  seinen  Kaltsinn,  so  wie  Sie  es  in  Ihren  Brief  mir  wahrsagten, 
doch  ersetzte  er  mir's  in  der  Folge,  doppelt,  durch  die  innigste 
Freindschaft,  welche  mich  seinerseits  glücklich,  mich  aber  doch 
nicht  zufrieden  macht,  weil's  nur  vergnügt,  und  nicht  nutzt, 
welches  mir,  meine  hellen  Augen  jetzt  immer  vorwerfen  und 
mich  dabei  eine  Leere  fühlen  machen,  die  sich  in  und  außer 
mir  erstreckt,  so  daß  ich  mir  fast  selbst  überflüssig  bin.  Vor 
mich  hat  nichts  einen  Reiz,  auch  könnte  mich  die  Erreichung 
aller  möglichen  mich  betreffenden  Wünsche,  nicht  vergnügen, 
noch  erscheint  mir  eine  einzige  Sache  der  Mühe  wert,  daß  sie 
getan  werde,  und  dies  alles  nicht  aus  Mißvergnügen,  sondern  aus 
der  Abwägung,  wie  viel  bei  was  guten  Unlauteres  mitlauft,  über- 
haupt möchte  ich  das  zweckmäßige  Handln  vermehren,  und  das 
unzweckmäßige  vermindern  können,  welches  letztere  die  Welt 
allein  zu  beschäftigen  scheint,  denn  mir  ist,  als  wenn  ich  den 
Trieb  zur  reelln  Tätigkeit  nur  um  ihm  zu  ersticken  in  mir  fühlte, 
wenn  ich  auch  von  keinem  Verhältnüs  gehindert,  doch  den  ganzen 
Tag  nichts  zu  handln  hab,  so  quält  mich  eine  Langeweile,  die 
mir  das  Leben  unerträglich  macht,  obwohlen  ich  doch  tausend 
Jähr  so  leben  wollt,  wenn  ich  denken  könnt,  daß  ich,  Gott,  in 
solcher  Untätigkeit,  auch  gefällig  bin.  Rechnen  Sie  mir's  nicht 
als  Hochmut  zu,  wenn  ich  Ihnen  sage,  daß  mir  die  Aufgaben 
der  Moralität  zu  gering  sind,  denn  ich  wollt  mit  größten  Eifer 
noch  einmal  so  viel  erfühlen,  indem  sie  ihr  Ansehen  so  nur 
durch  eine  gereizte  Sindlichkeit  erhaltet,  wegen  der  es  mich  fast 
keine  Überwündung  kostet,  solcher  Abbruch  zu  tun,  daher  es 
mir  auch  scheint,  daß,  wem  das  Pflichtgebot  einmal  recht  klar 
geworden,  dem  steht  es  gar  nicht  mehr  frei,  selbes  zu  übertreten, 
dann   ich  müßte  selbst  mein   sindliches  Gefühl    beleidigen,   wenn 


Von  Fraulein  Maria  von  Herbert  i8p 

ich  pflichtwidrig  handJn  müßte,  es  kommt  mir  so  instinktartig 
vor,  daß  ich  gewiß  nicht  das  geringste  Verdienst  hab,  moralisch 
zu  sein.  Ebensowenig,  glaub  ich,  kann  man  jene  Menschen  der 
Zurechnung  fähig  halten,  welche  in  ihren  ganzen  Leben  nicht 
zum  wahren  Selbstbewußtsein  kommen,  stets  durch  ihre  Sinnlich- 
keit überrascht  können  sie  sich  auch  nie  Rechenschaft  geben, 
warum  sie  etwas  tun  oder  lassen,  und  war  Moralität  vor  die 
Natur  nicht  am  zuträglichsten,  so  würden  ihr  diese  Menschen 
wohl  noch  mehr  kontrachiern. 

Zum  mein  Trost  denk  ich  mir  oft,  weil  die  Ausübung  der 
Moralität  so  fest  auf  die  Sinnlichkeit  gebunden  ist,  sie  darum 
nur  vor  diese  Welt  taugen  kann,  und  somit  hätte  ich  doch 
Hoffnung,  nach  diesen  Leben  nicht  noch  einmal  ein  so  leeres 
vegetierendes  mit  so  wenig  und  leichten  Aufgaben  der  M.  zu 
führen,  Erfahrung  will  mir  zwar  diese  böse  Laune  gegen  mein 
Hiersein,  damit  zurechtweisen,  daß  es  fast  jedermann  zu  früh  ist, 
seine  Laufbahn  zu  schließen  und  alle  so  gern  leben,  um  also 
nicht  in  der  Regl  eine  so  seltne  Ausnahm  zu  machen,  will  ich 
eine  entfernete  Ursach  dieser  meiner  Abweichung  angeben,  näm- 
lich meine  stets  unterbrochne  Gesundheit,  schon  seit  der  Zeit, 
da  ich  Ihnen  das  erstemal  geschrieben.  Genoß  ich  sie  nie  mehr, 
die  doch  manchmal  einen  Sinnenrausch  gestattet,  welches  Vernunft 
nicht  allein  verschaffen  kann,  und  ich  also  entbehre.  Was  ich 
sonst  noch  genüßen  könnt,  intressiert  mich  wieder  nicht,  denn, 
alle  Wissenschaften  der  Natur  und  Könntnüssen  der  Welt  studier 
ich  nicht,  weil  ich  kein  Genie  in  mir  fühl,  sie  zu  erweitern,  und 
vor  mich  allein  hab  ich  kein  Bedürfnüs,  es  zu  wissen,  was  nicht 
den  kategorischen  Imperativ  und  mein  transszendentales  Bewußtsein 
betrifft,  ist  mir  alles  gleichgültig,  obwohlen  ich  mit  diese  Ge- 
danken auch  schon  längst  firtig  bin.  Alls  dies  zusammen  ge- 
nommen, könnt  ihnen  vielleicht  den  Wunsch  in  mir  wohl  an- 
schaulich machen,  der  einzige,  den  ich  habe,  nämlich  mir  dieses 
so  unnütze  Leben,  in  welchen  ich  fest  überzeugt  bin,  weder 
besser,  noch  schlimmer  zu  werden,  zu  verkürzen,  wenn  Sie  er- 
wägen, daß  ich  noch  jung  bin,  und  kein  Tag  ein  anders  Interesse 
vor  mich  hat,  als  daß  er  mich  meinen  Ende  näher  bringt,  so 
werden  Sie  auch  abmessen  können,  welch  ein  Wohltäter  Sie  mir 
werden  könnten,  und  wie  sehr  Sie  dadurch  aufgemuntert  werden, 
diese  Frage  genau  zu  untersuchen,  daß  ich  sie  aber  an  Sie  machen 
darf,  ist,   weil  mein  Begriff  von  Moralität  hier  schweigt,   wo  er 


ipo  Von  Fraulein  Maria  von  Herbert 

doch  sonst  überall  den  entschiedensten  Ausspruch  macht.  Können 
Sie  aber  dieses  von  mir  gesuchte  negative  Gut  nicht  geben,  so 
fodere  ich  Ihr  Gefühl  des  Wohlwollens  auf,  mir  etwas  an  die 
Hand  zu  geben,  womit  ich  diese  unerträgliche  Leere  aus  meiner 
Seele  schaffen  könnt,  wenn  ich  dann,  ein  tauglichers  Glied  der 
Natur  werde,  und  meine  Gesundheitsumstände  mirs  vergönnen, 
so  bin  ich  willens,  in  etlichen  Jahren  eine  Reise  nach  Königsberg 
zu  machen,  wozu  ich  jedoch  im  voraus  um  die  Erlaubnus  bei 
Ihnen  vorzukommen  ansuchen  will,  da  müßten  Sie  mir  Ihre  Ge- 
schichte sagen,  dann  ich  möchte  wissen,  zu  welcher  Lebensweise 
Ihre  Philosophie  Sie  führte,  und  ob  es  Ihnen  auch  nicht  der 
Mühe  wert  war,  sich  ein  Weib  zu  nehmen  oder  sich  irgend 
wem  von  ganzen  Herzen  zu  widmen,  noch  Ihr  Ebenbild  fortzu- 
pflanzen, ich  hab  Ihr  Porträt  von  Leipzig  bei  Bause  in  Stich  be- 
kommen, in  welchen  ich  wohl  einen  moralischen,  ruhigen,  tiefen, 
aber  keinen  Scharfsinn  entdecke,  den  mir  die  Kritik  der  reinen 
Vernunft  doch  vor  allen  andern  versicherte,  auch  bin  ich  nicht 
zufrieden,  daß  ich  Sie  nicht  ins  mitte  Gesicht  sehen  kann  — 
erraten  Sie  meinen  einzigen  sinnlichen  Wunsch,  und  erfüllen  Sie 
ihm,  wenn  es  Ihnen  nicht  zu  unbequem  ist,  werden  Sie  nur  nicht 
unwillig,  wenn  ich  erst  mit  der  sehnlichsten  Bitte  um  eine  Antwort 
heran  rucke,  die  Ihnen  auf  mein  Kauderwelsch  nur  zu  beschwer- 
lich fallen  wird,  doch  scheint's  mir  notwendig,  Sie  zu  erinnern, 
daß,  wenn  Sie  mir  aber  doch  den  großen  Gefallen  erweisen  und 
sich  mit  einer  Antwort  bemühen  wollen,  sie  so  einzurichten, 
daß  sie  nur  das  Einzelne,  nicht  das  Allgemeine  betrifft,  welches 
ich  schon  in  Ihren  Werken  an  der  Seite  meines  Freinds  glücklich 
verstanden  und  mit  ihm  gefühlt  hab,  welcher  Ihnen  gewiß  ge- 
fallen würde,  dann  sein  Charakter  ist  grad,  sein  Herz  gut  und 
sein  Verstand  tief,  daneben  glücklich  genug,  in  diese  Welt  zu 
passen,  auch  ist  er  selbständig  und  stark  genug,  alles  zu  meiden, 
drum  trau  ich  mich  auch,  mich  ihn  zu  rauben,  haben  Sie  auf 
Ihre  Gesundheit  acht,  dann  Sie  können  der  Welt  noch  vieles 
nutzen,  daß  ich  Gott  wäre  und  Sie  dafür  belohnen  könnt,  was 
Sic  an  uns  getan,  ich  bin  mit  tiefster  Hochachtung,  auch  Wahr- 
heit, ehrende 

Maria  Herbert. 


An  F.  Tb.  de  la  Garde,  —  Von  'Johann  Benjamin  Erhard     1 9 1 

An  F.  Th.  de  Ja  Garde. 

In  meinem  letzten  Schreiben  habe  vergessen.  Euer  Hochedel- 
geboren  für  das  herrlich  gebundene  Exemplar  meiner  Krit.  d. 
U.  Kr.  meinen  Dank  abzustatten. 

Gegenwärtige  wenige  Zeilen  gehen  dahin,  um  Ihnen  wegen 
der  Disposition  über  die  für  mich  bestimmte  Exemplare  die  Mühe 
zu  machen,  solche  noch  einige  Zeit,  bis  ich  mir  die  Freiheit 
nehmen  werde,  etwas  Näheres  deshalb  zu  verfügen,  für  mich 
aufzubehalten,  außer  daß  Sie  die  Güte  haben  wollen,  ein  Exem- 
plar an  Herrn  Rat  REINHOLD  in  Jena  und  eines  an  Herrn 
Magister  BECK  in  Halle  zu  überschicken,  zugleich  auch  einliegende 
Briefe  gütigst  zu  bestellen.  —  Der  ich  übrigens  mit  vollkomme- 
ner Hochachtung  jederzeit  bin 

Euer  Hochedelgeboren 

ganz  ergebenster  Freund  und  Diener 

Königsberg,  I.  Kant, 

den  4.  Januar    1793. 

316. 
Von  Johann  Benjamin  Erhard. 

Nbg.,  d.  17.  Jan.  1793. 
Mein  Lehrer  und  mein  Freund  1 
Ihr  Brief  war  mir  eine  Quelle  des  Trostes.  Er  traf  mich  in 
einer  melancholischen  Stimmung,  die  mich  öfters  anwandelt  und 
gewöhnlich  bald  besiegt  ist,  diesmal  aber  durch  einen  Haufen 
kleiner  Umstände  sehr  mächtig  wurde.  Ihr  Brief  schlug  einen 
großen  Teil  dieser  Gründe  meines  Mißmuts  in  die  Flucht,  da- 
durch, daß  er  mir  zeigte,  ich  hätte  in  Ihren  Augen  einigen  Wert, 
und  meine  Hoffnung  wieder  belebte,  daß  ich  auch  bei  andern 
denkenden  und  redlichen  Menschen  noch  etwas  gelten  könnte. 
Die  Ebbe  und  Flut  meiner  Selbstachtung  und  meines  Vertrauens 
auf  andere  Menschen  ist  die  Seelenkrankheit,  der  ich  von  Jugend 
auf  unterworfen  war.  Ich  wüßte  sie  mir  nicht  besser  als  durch 
den    Ausdruck    moralisches    Fieber    zu    charakterisieren,    und    das 


_   ip2  Von  Johann  Benjamin  Erhard 

meinige  gehörte  dann  unter  die  Wechsclfieber.  Mein  Trost  ist 
auf  diese  Vergleichung  gegründet,  denn  ich  hoffe,  so  wie  das 
Fieber,  wenn  es  gut  kuriert  wird,  keine  nachteilige  Spur  im 
Körper  zurückläßt,  so  wird  auch  diese  Krankheit  keinen  Nachteil 
in  der  Seele  zurücklassen,  wenn  es  mir  gelingen  sollte,  sie  zu 
kurieren.  Die  Mittel,  die  ich  gebrauchen  will,  sind  folgende: 
I.  Schmiegung  unter  Konvenienz,  wenn  es  mir  nicht  mein  Ge- 
wissen verbietet;  z.  Arbeit  nach  Vorsatz,  nicht  bloß  nach  meinen 
Hang,  ich  will  daher  mir  eine  medizinische  Praxin  zu  erwerben 
suchen  und  mich  in  das  hiesige  Kollegium  aufnehmen  lassen; 
3.  mich  manchmal  zwingen,  seichten  Gesprächen  zuzuhören.  Sollten 
diese  Mittel  gut  sein,  so  brauche  ich  keine  weitere  Antwort,  wo 
nicht,  so  bitte  ich  Sie,  mir  bessere  zu  raten.  Hier  erlauben  Sic 
mir  eine  Gewissensfrage  an  Sie,  deren  Beantwortung  mich  trösten 
könnte.  Hat  es  Ihnen  nicht  sehr  viele  Mühe  gekostet,  nichts  als 
Professor  in  Königsberg  zu  werden?  das  heißt,  wie  ich  es  ver- 
stehe, Ihre  Talente  für  die  Welt  allein,  und  nicht  auch  für  sich 
selbst  zu  gebrauchen?  Mir  kostet  es  viele  Anstrengung,  in  der 
Welt  mein  Glück  nicht  zu  machen,  das  heißt  die  Schwächen, 
die  ich  an  den  Menschen  bemerke,  nicht  zu  benutzen. 

Nun  wieder  zu  Ihrem  Brief.  Ich  freue  mich,  daß  ich  bald  die 
Metaphysik  der  Sitten  werde  zu  sehen  bekommen.  Sie  werden,  hoffe 
ich,  die  Vollendung  Ihrer  Arbeiten  noch  erleben  und  dann  mit 
Freuden  sterben.  Ich  für  meinen  Teil  sehe  gerade  in  meinen 
heitersten  Stunden  den  Tod  als  ein  Glück  an,  das  ich  mir  wün- 
schen würde,  wenn  ich  nur  schon  so  viel  nach  meinen  Kräften 
getan  hätte,  daß  ich  mit  gutem  Gewissen  verlangen  könnte,  schon 
wieder  vom  Schauplatz  abtreten  zu  dürfen.  Dieses  Gefühl  des 
Verlangens  nach  dem  Tode  finde  ich  wesentlich  von  der  Stim- 
mung zum  Selbstmord,  der  ich  öftrer  ausgesetzt  war,  unterschieden. 
Auffallend  ist  es  mir,  daß  unter  den  neuern  Schriftstellern  dieses 
moralische  Sehnen  nach  dem  Tode  fast  ganz  unberührt  geblieben 
ist.  Der  einzige  Schwift  in  seinen  vermischten  Gedanken  hat 
unter  den  mir  bekannten  Schriftstellern  folgenden  Gedanken 
„Niemand,  der  sein  inneres  Bewußtsein  aufrichtig  fragt,  wird 
seine  Rolle  auf  der  Welt  wiederholen  mögen".  Am  ersten  fand 
ich  diesen  Gedanken  bei  Ihnen  und  er  hatte  sogleich  volle  Evi- 
denz für  mich.  Für  Ihre  Erinnerung  über  meine  Gedanken  bin 
ich  Ihnen  herzlich  verbunden. 

Von  Fräulein  Herbert    kann    ich  wenig   sagen.     Ich  hatte  in 


i^n  Johann  Benjamin  Erhard  195 

Wien  bei  einigen  ihrer  Freunde  meine  Meinung  über  einige  mir 
erz'ählte  Schritte  von  ihr  freimütig  gesagt,  und  es  dadurch  mit 
ihr  so  verdorben,  daß  sie  mich  nicht  sprechen  mochte;  als  einen 
Menschen,  der  nach  bloßer  Weltklugheit  urteilte,  und  kein  Gefühl 
für  das  bloß  individuell  moralisch  Richtige  und  Wahre  hätte. 
Ich  weiß  nicht,  ob  es  sich  mit  ihr  derzeit  gebessert  hat.  Sie  ist 
an  der  Klippe  gescheitert,  der  ich  vielleicht  mehr  durch  Glück 
als  durch  Verdienst  entkam,  an  der  romantischen  Liebe.  —  Eine 
idealische  Liebe  zu  realisieren,  hat  sie  sich  zuerst  einem  Menschen 
übergeben,  der  ihr  Vertrauen  mißbrauchte,  und  wiederum  einer 
solchen  Liebe  zu  Gefallen  hat  sie  dies  einen  zweiten  Liebhaber 
gestanden  —  dies  ist  der  Schlüssel  zu  ihren  Brief.  Wenn  mein 
Freund  Herbert  mehr  Delikatesse  hätte,  so  glaube  ich,  wäre  sie 
noch  zu  retten.  Ihr  jetziger  Gemütszustand  ist  kurz  dieser;  Ihr 
moralisches  Gefühl  ist  mit  der  Weltklugheit  völlig  entzweit,  und 
dafür  mit  der  feinern  Sinnlichkeit  der  Phantasie  im  Bündnis.  Für 
mich  hat  dieser  Gemütszustand  etwas  Rührendes  und  ich  bedaure 
solche  Menschen  mehr,  als  eigentlich  Verrückte,  und  leider  ist 
die  Erscheinung  häufig,  daß  Personen  der  Schwärmerei  und  den 
Aberglauben  nur  dadurch  entfliehen,  daß  sie  sich  der  Empfindelei, 
den  Eigendünkel  und  den  Traumglauben  (fester  Entschluß,  seine 
Chimären,  die  man  für  Ideale  hält,  zu  realisieren)  in  die  Arme 
werfen,  und  glauben,  sie  tun  der  Wahrheit  einen  Dienst  dadurch. 

Mit  meiner  Frau  kann  ich  mit  Recht  zufrieden  sein. 

Nun  leben  Sie  diesmal  wohl.  Ich  werde  nächstens  Ihnen 
über  einige  Gegenstände  meiner  jetzigen  Untersuchungen  konsul- 
tieren, wo  ich  in  Ihren  künftigen  Schriften  Belehrung  zu  er- 
warten habe,  darüber  verlange  ich  keine  Antwort.  Ich  kann  mich 
so  gut  den  Ihrigen  nennen,  als  wenn  Sie  mein  leiblicher  Vater 
wären;   denn   Sie  taten  mehr  an  mir. 

Ihr 

Erhard, 

N.  S.  GIRTANNER  will  immer  wissen,  ob  Sie  seine  Chemie 
gelesen  haben,  und  was  Sie  davon  halten. 


Kants  Schriften.    Bd.  X.  I^ 


194  ^"  ^^'"^  Leonhard  Reinholä 

Von  Karl  Leonhard  Reinhold. 

Mein  hochstverehrungswürdiger  Lehrer! 

Ihre  überaus  gütige  Zuschrift,  durch  welche  Sie  mir  den 
Empfang  des  zweiten  Teiles  meiner  Briefe  über  Ihre  Philosophie 
berichten,  und  das  Exemplar  der  zweiten  Ausgabe  Ihrer  Kritik 
der  Urteilskraft,  das  vermutlich  in  Leipzig  eine  Zeitlang  auf- 
gehalten wurde,  und  mich  daher  bereits  in  Gesellschaft  und  im 
Genüsse  eines  früher  eingetroflFenen  gefunden  hat,  sind  mir  vor 
drei  Wochen  fast  zugleich  zu  Händen  gekommen.  Beide  sind 
mir  unschätzbare  Beweise  Ihrer  fortdaurenden  Gewogenheit,  und 
nur  die  Unpäßlichkeit,  die  mich  diesen  Winter  um  so  manche 
gute  Stunde  gebracht  und  zumal  diesen  Monat  über  meine  Ge- 
mütskräfte untätig  gemacht  hat,  hat  mich  bis  itzt  abgehalten, 
Ihnen  meinen  wärmsten  Dank  zu  sagen. 

Dies  ist  nun  das  viertemal,  daß  ich  die  Kritik  der  Urteilskraft 
lese  und  studiere.  Jedesmal  überrascht  sie  mich  im  eigentlichsten 
Verstände  mit  einer  solchen  Menge  neuer  Aufschlüsse,  daß  ich 
zumal  bei  der  Menge  meiner  Arbeiten  mich  immer  in  Verlegen- 
heit befinde,  wie  ich  die  reiche  Ausbeute,  ohne  das  meiste  davon 
wieder  einzubüßen,  unterbringe.  Noch  nie  hat  wohl  ein  Mensch 
einem  andern  so  viel,  so  unermeßlich  viel  zu  danken  gehabt  als 
ich  Ihnen. 

Da  mein  Geist  täglich  mit  dem  Ihrigen  beschäftigt  ist,  da 
mir  kein  Mensch,  selbst  von  denen,  die  um  mich  herum  leben, 
so  sehr  gegenwärtig  ist  als  Sic,  so  wird  mir  die  Pflicht,  Ihre  der 
ganzen  Menschheit  heilige  Zeit  durch  ehrerbietiges  Stillschweigen 
zu  schonen,  um  so  leichter;  und  da  meine  Lebensjahre  schwerlich 
zureichen  werden,  um  mir  die  Schätze  der  Belehrung,  die  in 
Ihren  Schriften  für  mich  enthalten  sind,  zu  Nutzen  zu  machen; 
so  kann  ich  den  Versuchungen,  die  mich  sehr  oft  anwandeln, 
mir  für  meine  schriftstellerischen  Versuche  neue  und  besondere 
Belehrungen  auszubitten,  ohne  sonderliche  Selbstverleugnung  wider- 
stehen. Je  mehr  sich  die  Arbeiter  Ihrer  Schüler  vervielfältigen, 
desto  weniger  können  Sie  Muße  haben,  dieselben  zu  lesen,  ge- 
schweige denn  verbessernde  Hand  daran  zu  legen.  Ich  wünsche 
es  nicht  nur  nicht,  daß  Sie  die  meinigen  lesen;  sondern  ich 
glaube  sogar,  dadurch  selbst  einzubüßen,  wenn  Sie  von  der  Zeit, 


MfH  Carl  Leonhard  Reinbold  ip^ 

die  Sie  Ihren  doktrinalen  Werken  gewidmet  haben,  auch  nur 
eine  Stunde  auf  die  Lektüre  von  denjenigen  Ausarbeitungen  ver- 
wenden, durch  welche  ich  die  ewigen  Wahrheiten,  die  sie  mich 
gelehrt  haben,  gegen  Mißverständnisse  zu  sichern  suche. 

Wenn  ich  aber  diesfalls  irgend  eine  Ausnahme  mir  zu  wünschen 
erlaubte,  so  würde  dieselbe  die  Briefe  über  Ihre  Philosophie 
treffen,  die  mir  durch  Ihren  Beifall  (den  diejenigen  des  ersten 
Bandes,  welche  der  Merkur  vorläufig  bekannt  machte,  zu  erhalten 
das  Glück  hatten)  besonders  lieb  geworden  sind.  Sollten  Sie 
unbeschäftigte  Zeittrümmerchen  über  kurz  oder  lang  übrig  haben, 
und  dieselben  dem  zweiten  Teile  der  gedachten  Briefe  zuwenden 
können  —  auch  dann  würde  ich  Sie  bitten,  keineswegs  das 
ganze  Buch,  sondern  aus  den  zwölf  Briefen  nur  fünf,  nämlich 
den  sechsten,  siebenten,  achten,  eilften  und  zwölften  zu 
lesen.  Der  sechste  versucht  es,  die  Begriffe  von  Sittlichkeit,  Pflicht, 
Recht  und  Naturrecht,  der  siebente  von  Begehren  und  Wollen, 
der  achte  von  der  Freiheit  zu  entwickeln;  der  cilfte  enthält  eine 
Skizze  zur  Geschichte  der  Moralphilosophie;  und  der  zwölfte 
enthält  meine  Erwartungen  von  dem  Erfolg  Ihrer  Bemühungen. 
Wenn  ich  nicht  unrecht  berichtet  bin,  so  sind  sie  eben  mit  der 
Metaphysik,  der  Sitten  und  folglich  mit  Ideen  beschäftiget, 
bei  denen  ich  nicht  fürchten  darf,  durch  den  Inhalt  jener  Briefe 
Veranlassung  zu  einer  Unterbrechung  Ihres  Geschäftes  zu  werden  — 
und  Sie  haben  dasjenige,  was  Sie  etwa  mir  zur  Berichtigung 
meiner  Versuche  zu  sagen  für  gut  finden  dürften,  eben  bei  der 
Hand. 

Ihr  Urteil  über  den  Inhalt  besonders  des  siebenten  und  achten 
Briefes  würde  mir,  dasselbe  möchte  nun  für  meine  Theorie  von 
Willen  und  Freiheit  günstig  oder  ungünstig  ausfallen,  zum  Behuf 
meines  Versuches  einer  Theorie  des  Begehrungsvermögens, 
den  ich  schon  seit  einigen  Jahren  in  meiner  Seele  herumtrage, 
die  größte  Wohltat  sein.  Ein  paar  Winke  in  ein  paar  Zeilen 
hingeworfen,  werden  mich  entweder  über  das  Protonpseudos  be- 
lehren und  gegen  das  Unglück  auf  einem  unrichtigen  Wege 
weiter  fortzugehen  bewahren,  oder  falls  der  Weg  nicht  verfehlt 
ist,  Herzstärkung  zur  Überwindung  der  großen  Schwierigkeiten 
sein,  die  ich  bereits  aus  Erfahrung  kenne,  und  die  mir  noch  auf 
demselben   bevorstehen. 

Die  Kantische  Philosophie  wird  hier  sehr  eifrig  studiert.  Ich 
lese    jedes    Winterhalbjahr    über    die    Kritik,    aus    der    ich    einen 

13' 


ip5  An  Elisabeth  Motherby 

Auszug  diktiere.    Im  Jahr  1790  hatte  ich  in  diesem  Kollegium  95, 
im  Jahr    1791    107   und   diesen  Winter    158   Zuhörer. 

Wenn  Ihnen  meine  schriftlichen  Besuche  nicht  ungelegen 
kämen,  wenn  die  Mitteilung  kleiner  Notizen  zur  Literargeschichte 
Ihrer  Philosophie  Ihnen  einiges  Vergnügen  machte,  wie  gerne 
wollte  ich  auf  Erwiderung  melier  Briefe  Verzicht  tun,  und  mich 
glücklich  schätzen,  Ihnen  monatlich  oder  vierteljährig  schreiben 
zu  dürfen.     Geben  Sie  hierüber  nur  einen  Wink 

Jena,   den   21.  Jänner   1792.  (verschrieben  statt   1793.) 

Ihrem  ewig  verpflichteten 
Verehrer 

Reinhold. 

Mit  lebhafter  Sehnsucht  sehe  ich  dem  neuen  Werke  entgegen, 
das  Sie  mir  unter  einem  so  strengen  Inkognito  ankündigen  — 
und  freue  mich  auf  die  Überraschung,  die  ich  von  seinem  Inhalt 
erwarte. 


318. 
An  Elisabeth  Motherby. 

Die  Briefe,  die  ich  Ihnen,  meine  geehrteste  Mademoiselle, 
hiemit  zuzuschicken  die  Ehre  habe'),  habe  ich  von  außen,  nach 
der  Zeit,  wie  sie  eingelaufen  sind,  numeriert.  Die  kleine  Schwär- 
merin hat  daran  nicht  gedacht,  ein  Datum  beizusetzen.  —  Der 
dritte  Brief  von  der  Hand  eines  andern  ist  nur  beigelegt  worden, 
weil  eine  Stelle  in  demselben  wegen  ihrer  seltsamen  Geistes- 
anwandlungen einigen  Aufschluß  gibt.  Mehrere  Ausdrücke,  vor- 
nehmlich im  ersten  Briefe,  beziehen  sich  auf  meine  von  ihr  ge- 
lesene Schriften  und  können  ohne  Ausleger  nicht  wohl  verstanden 
werden. 

Das  Glück  Ihrer  Erziehung  macht  die  Absicht  entbehrlich, 
diese  Lektüre  als  ein  Beispiel  der  Warnung  vor  solchen  Verirrungen 


^)  Die  beiden  Briefe  Maria  v.  Herberts  (Nr.  zS9  und   314),  denen 
Kant  wohl  den  Brief  Erhards   (Nr.  316)  beigelegt  hat. 


An  Johann  Christoph  Linck.  —  An  Karl  Spener.     197 

einer  sublimierten  Phantasie  anzupreisen,  aber  sie  kann  doch  dazu 
dienen,  um  dieses  Glück  desto  lebhafter  zu  empfinden. 
Mit  der  größten  Hochachtung  bin  ich 

meine  geehrteste   Mademoiselle 

Ihr 
ergebenster  Diener 

I.  Kant, 
d.  1 1.  Febr.  1793. 


319. 

An  Johann  Christoph  Linck. 

Ew.  Wohlgebornen 

habe  die  Ehre,  hiemit  den  Überbringern 
dieses,  Herrn  KRÜGER  aus  Pommern,  meinen  bisherigen,  soviel 
ich  weiß,  wohlgesitteten  Zuhörer,  für  Ihre  Wahl  zum  Hofmeister 
bei  Herrn  Major  v.  STUTTERHEIM  vorzustellen.  Herr  Geheimrat 
SCHLEMÜLLER  und  Herr  Hofrat  ESPANHIAC  würden  von 
seiner  condu'tte  weitere  Auskunft  geben  können;  womit  ich  mich 
Ihrer  Freundschaft  und  Gewogenheit  ferner  empfehle  und  mit 
vollkommener  Hochachtung  jederzeit  bin 

Ew.  Wohlgeb. 

ganz  ergebenster  treuer  Diener 

I.  Kant. 

d.  15.  Febr.  1793. 


320. 

An  Karl  Spener.') 

Hochgeschätzter  Mannl 

Ihr  den  9.  März   an   mich    abgelassener,  den    17.   angelangter 

Brief   hat    mich    dadurch    erfreut,    daß    er   mich   an  Ihnen    einen 

Mann  hat  kennen  lernen,  dessen  Herz  für  eine  edlere  Teilnahme, 

als    bloß    der    des   Handlungsvorteils,    empfänglich   ist.     Allein  in 

^)  Spener,   der  Verleger  der  Berliner  Monatsschrift. 


198  Von  jfohann   Gottlieb  Fichte 

den  Vorschlag  einer  neuen  abgesonderten  Auflage  des  Stücks  der 
B.  Monatsschrift  „über  die  Abfassung  einer  allgemeinen  Geschichte 
in  weltbürgerlicher  Absicht",  am  wenigsten  mit  auf  gegenwärtige 
Zeitumstände  gerichteten  Zusätzen,  kann  ich  nicht  entrieren.  — 
Wenn  die  Starken  in  der  Welt  im  Zustande  eines  Rausches  sind, 
er  mag  nun  von  einem  Hauche  der  Götter,  oder  einer  Mufette 
herrühren,  so  ist  einem  Pygmäen,  dem  seine  Haut  lieb  ist,  zu 
raten,  daß  er  sich  ja  nicht  in  ihren  Streit  mische,  sollte  es  auch 
durch  die  gelindesten  und  ehrfurchtvollsten  Zureden  geschehen; 
am  meisten  deswegen,  weil  er  von  diesen  doch  gar  nicht  gehört, 
von  andern  aber,  die  die  Zuträger  sind,  mißgedeutet  werden 
würde.  —  Ich  trete  von  heute  über  vier  Wochen  in  mein 
70.  Lebensjahr.  Was  kann  man  in  diesem  Alter  noch  Sonder- 
liches, auf  Männer  von  Geist  wirken  zu  wollen,  hoffen?  und, 
auf  den  gemeinen  Haufen?  Das  wäre  verlorene,  ja  wohl  gar  zum 
Schaden  desselben  verwandte  Arbeit.  In  diesem  Reste  eines  halben 
Lebens  ist  es  Alten  wohl  zu  raten,  das  „wo;?  defensorthm  istis 
tempus  egef-"  und  das  Kräftemaß  in  Betrachtung  zu  ziehen,  welches 
beinahe  keinen  andern  Wunsch,  als  den  der  Ruhe  und  des  Friedens 
übrig  läßt. 

In  Rücksicht  hierauf  werden  Sie  mir,  wie  ich  hoffe,  meine 
abschlägige  Antwort  nicht  für  Unwillfährigkcit  auslegen;  wie  ich 
denn  mit  der  vollkommensten  Hochachtung  jederzeit  bin 

Ihr 

ganz  ergebenster  Diener 
Königsberg,  den  22.  März  1793.  1.  Kant. 


3  2  I , 


Von  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Wohlgeborner  Herr, 

Höchstzuverehrender  Herr  Professor, 
Schon    längst    hat    mein    Herz    mich    aufgefordert,    an    Euer 
Wohlgeborn    zu    schreiben;    aber   ich   habe  diese  Aufforderungen 
nicht  befriedigen  können.  Euer  Wohlgeborn  verzeihen  auch  jetzt, 
wenn  ich  mich  allenthalben  so  kurz  fasse   als  möglich. 

Da  ich  mir  —  schmeichelt  mir  das  eine  jugendliche  Eitelkeit, 
oder   ist  es  in   der  Erhabenheit  Ihres  Charakters,    sich   auch   zum 


Von  S^ohann  Gottlieb  Fichte  199 

Kleinen  herabzulassen?  —  da  ich  mir  einbilde,  daß  Euer  Wohl- 
geborn  einigen  Anteil  an  mir  nehmen,  so  lege  ich  Ihnen  meine 
Pläne  vor.  —  Jetzt  habe  ich  vors  erste  meine  OfFenbarungs- 
theorie  zu  begründen.  Die  Materialien  sind  da;  und  es  wird 
nicht  viel  Zeit  erfordern,  sie  zu  ordnen.  —  Dann  glüht  meine 
Seele  von  einem  großen  Gedanken:  die  Aufgabe,  S.  372-74  der 
Kritik  d.  r.  Vft.  (3.  Auflage)  zu  lösen.*)  —  Zu  allem  diesen  be- 
darf ich  sorgenfreie  Muße;  und  sie  gibt  mir  die  Erfüllung  einer 
unerläßlichen  aber  süßen  Pflicht.  Ich  genieße  sie  in  einem  mir 
sehr  zuträglichen  Klima,  bis  jene  Aufgaben  gelöst  sind. 

Ich  habe  zu  meiner  Belehrung  und  zu  meiner  Leitung  auf 
meinem  weitern  Wege  das  Urteil  des  Mannes,  den  ich  unter  allen 
an  meisten  verehre,  über  meine  Schrift  gewünscht.  Krönen  Sie 
alle  Ihre  Wohltaten  gegen  mich  damit,  daß  Sie  mir  dasselbe 
schreiben.  Ich  habe  jetzt  keine  bestimmte  Adresse.  Kann  nicht 
etwa  Ihr  Schreiben  mit  einem  der  Königsberger  Buchhändler  nach 
Leipzig  zur  Messe  abgehen  (in  welchem  Falle  ich  es  abholen 
werde),  so  hat  die  Frau  Hofpredigerin  SCHULZ  eine  sichere, 
aber  in  etwas  verspätende  Adresse  an  mich.  —  Der  Rec.  der 
N.  D.  A.  B.  setzt  mich  in  den  krassesten  Widerspruch  mit  mir 
selbst;  doch,  das  weiß  ich  zu  lösen:  aber  er  setzt  mich  in  den 
gleichen  offenbaren  Widerspruch  mit  dem  Urheber  der  kritischen 
Philosophie.  Auch  das  wüßte  ich  zu  lösen,  wenn  es  nicht  nach 
seiner  Relation,  sondern  nach  meinem  Buche  gehn  soll. 

Und  jetzt,  wenn  die  Vorsehung  nicht  das  Flehen  so  vieler 
erhören,  und  Ihr  Alter  über  die  ungewöhnlichste  Grenze  des  Men- 
schenalters hinaus  verlängern  will,  jetzt,  guter,  teurer,  verehrungs- 
würdiger Mann,  nehme  ich  auf  diese  Welt  für  persönliches  An- 
schauen Abschied;  und  mein  Herz  schlägt  wehmütig,  und  mein 
Auge  wird  feucht.  In  jener  Welt,  deren  Hoffnung  Sie  so  manchem, 
der  keine  andre  hatte,  und  auch  mir  gegeben  haben,  erkenne  ich 
gewiß  Sie,  nicht  an  den  körperlichen  Zügen,  sondern  an  Ihrem 
Geiste  wieder.  Wollen  Sie  mir  aber  auch  in  meiner  künftigen 
weiteren  Entfernung  erlauben,  schriftlich  —  nicht  Ihnen  zu  sagen, 
was  ewig  unabänderlich  ist,  daß  ich  Sie  unaussprechlich  verehre  — 


^)  Die  Aufgabe  des  Entwurfs  ,, einer  Verfassung  nach  Gesetzen, 
welche  machen,  daß  jedes  Freiheit  mit  der  anderen  ihrer  zusammen- 
bestehen kann." 


2  00  An  Johann  Christoph  Linck 

sondern    mir   Ihren  Rat,  Ihre  Leitung,  Ihre  Beruhigung   vielleicht 
zu  erbitten,  so  werde  ich  eine  solche  Erlaubnis  bescheiden  nützen. 
Ihrer  Gunst  empfiehlt  sich 

Eurer  Wohlgeborn 
Berlin,  innigster  Verehrer 

d.  2.  April  Johann   Gottlieb  Fichte. 

1793- 


322. 
An  Johann  Christoph  Linck. 

Ew.  Wohlgeborn 

kann  ich  jetzt  ein  für  die  vakante  Kondition 
taugliches  Subjekt  in  Vorschlag  bringen.  Es  ist  Herr  Magister 
JACOBI,  der  vor  kurzem  hier  ein  Institut  zur  Unterweisung  junger 
Leute,  die  sich  dem  Handel  widmen  wollen,  öffentlich  ankündigte, 
diesen  Anschlag  aber,  wegen  Mangel  an  Liebhabern,  jetzt  auf- 
gegeben hat.  —  Ich  hatte  ihm  nämlich,  bei  den  Besuchen,  die 
er  mir  abstattete,  von  dem  Auftrage,  den  ich  habe,  einen  Erzieher 
für  einen  jungen  Menschen  von  etwa  7  Jahren  mit  200  Reichs- 
taler jährlichem  Gehalt  zu  suchen,  doch  unter  Verschweigung  aller 
Namen,  Eröffnung  getan  und  er  setzte  mich  vorgestern  in  Ver- 
wunderung, als  er  sich  gegen  mich  erklärte,  eine  solche  Stelle 
wohl  selbst  annehmen  zu  wollen,  wenn  vornehmlich  dabei  einige 
Aussicht  zur  Versorgung  mit  einer  Priesterstelle  verbunden  wäre; 
denn  er  hat  sich  uranfänglich  zur  Theologie  habilitiert  und  ist 
nur  auf  jenen  Plan  gekommen,  weil  er  dabei  einen  kürzeren 
Weg  zur  Versorgung  zu  finden  hoffte.  —  Sonst  ist  er  auch  als 
Autor  einiger  in  die  Geographie  einschlagender  und  nicht  übel 
aufgenommener  Schriften  bekannt  geworden. 

Sollten  Euer  Wohlgeboren  nun  noch  keinen  Kandidaten  in 
Bereitschaft  haben,  so  glaube  ich,  dieser  würde  zu  dieser  Stelle 
recht  gut  sein.  Denn  ob  er  gleich  für  einen  Patron,  der  ein 
Vergnügen  daran  fände,  sich  an  dem  Hofmeister  seines  Hauses 
zu  reiben,  vielleicht  nicht  gewaffnet  gnug  sein  dürfte:  so  wird 
er  doch  auf  sich  auch  nicht  Prise  geben,  indem  er  gutmütig, 
überlegt  und  von  Natur  gefällig  ist. 


l^n  Jakob  S'tgismund  Beck  201 

Wenn  Sie  ihn  also  schon  kennen,  so  würde  ich  ihn,  im  Fall 
daß  Sie  diesen  Vorschlag  acceptieren,  heute  nachmittag  nach  3  Uhr 
zu  Ihnen  schicken;  sollten  Sie  ihn  aber  noch  nicht,  wenigstens 
nicht  nahe  genug  kennen,  so  schlage  ich  vor:  mich  heute  um 
dieselbe  Zeit  mit  Ihrem  gütigen  Besuch,  der  als  von  ungefähr  so 
zutreffend  angesehen  werden  könnte,  zu  beehren,  weil  Sie  ihn 
alsdann  bei  mir  finden  würden  und  ich  das  Gespräch  darauf 
lenken  könnte. 

Es   ist   nicht   mehr   nötig,    als   Überbringern    mündlich    durch 
Ja  oder  Nein  von  Ihrem  Vorsatz  zu  belehren. 

Übrigens  bin  mit  der  vollkommensten  Hochachtung 
Euer  Wohlgeboren 

K.,  ganz  ergebenster  Diener 

den   15.  April    1793.  I.  Kant. 


323. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den  30.  April  1793. 
Teuerster  Lehrer. 
Ich  bin  mit  dem  Druck  des  ersten  Bandes  meines  Auszugs 
fertig  und  ich  werde  das  Vergnügen  haben,  Ihnen  ein  Exemplar 
mit  den  nach  Königsberg  gehenden  Meßwaren  zu  überschicken. 
Herr  HARTKNOCH  setzte  mich  aber  vor  einiger  Zeit  durch 
eine  Bitte  in  einige  Verlegenheit.  Er  wollte  auf  dem  Titel  ge- 
setzt wissen,  daß  Sie  um  meine  Arbeit  etwas  gewußt  haben,  um 
sie  dadurch  den  Buchhändlern  auf  der  Messe  zu  empfehlen.  Er 
schrieb  mir,  daß  Sie  ihm  dieses  mündlich  zugestanden  hätten. 
Ich  wollte  deshalb  an  Sie  schreiben;  aber  es  sähe  mir  nach  Zu- 
dringlichkeit aus,  und  ich  unterließ  es.  Das  Wort:  mit  Ihrer 
Bewilligung,  schien  mir  bedcutungsleer;  das  aber:  mit  Ihrer  Billi- 
gung, wäre  nicht  allein  widerrechtlich  gewesen,  sondern  ich  hätte 
Sie  auch  damit  kompromittieren  können.  Ich  habe  auf  das  Titel- 
blatt gesetzt:  auf  Ihr  Anraten.  Ich  habe  hin  und  her  überlegt, 
ob  ich  auch  damit  etwas  Ihnen  Mißfälliges  tue,  aber  keinen  Grund 
dazu  auffinden  können,  weil,  wenn  sogar  das  Publikum  mein  Buch 
für  schlecht  halten  sollte,    auf  Sie   nichts  weiter    fallen  kann,    als 


zoz 


Von  Jakoh  Sigismund  Beck 


daß  Sie  in  der  Wahl  des  Subjekts,  das  Sie  dem  HARTKNOCH 
vorgeschlagen,  sich  geirrt  haben.  Den  Brief  aber,  worin  mir 
dieser  Mann  schreibt,  daß  Sie,  so  etwas  auf  den  Titel  .zu  setzen 
ihm  bewilligt  haben,  habe  ich  in  Händen  und  kann  deshalb  mich 
bei  Ihnen  rechtfertigen.  Vielleicht  sage  ich  unnützerweise  darüber 
soviel;  es  kömmt  aber  lediglich  daher,  weil  ich  nicht  will,  daß 
Sie  einigen  Unwillen  gegen  mich  haben. 

Und  nun,  mein  teuerster  Lehrer,  danke  ich  Ihnen  für  die 
Güte,  daß  Sie  diese  Arbeit  mir  wirklich  zugewandt  haben.  Denn 
nicht  allein,  daß  meine  äußere  Umstände  dadurch  sehr  sind  ver- 
bessert worden;  so  habe  ich  mir  sehr  viel  mehr  Einsicht  in  die 
kritische  Philosophie,  als  ich  vorhin  hatte,  und  eine  sehr  ge- 
gründete und  starke  Überzeugung  davon  verschafft.  Diese  Philo- 
sophie ist  mein  größtes  Gut,  und  in  der  gegenwärtigen  Beschäfti- 
gung mit  ihr  erkenne  ich  mehr  als  jemals  die  wichtige  Wohltat, 
die  Ihre  Bearbeitungen  der  Menschheit  erweisen  und  preise  mich 
glücklich,  weil  ich  in  dieser  Periode  und  in  Umständen  lebe, 
da  ich  daran  Anteil  nehmen  kann.  Dieses  Geständnis  einer  Seele, 
die  so  spricht  wie  sie  denkt,  erlauben  Sie  mir,  Ihnen  zu  machen, 
und  mich  dadurch  gewissermaßen  von  einer  Last  zu  entledigen: 
Es  gehört  nur  ein  unermüdctes  Nachdenken  dazu,  um  Ihren  Sinn 
richtig  zu  fassen  und  sich  sodann  auch  davon  zu  überzeugen, 
wozu  der  Mut  keinem  Menschen  entfallen  darf,  und  zwar  wegen 
der  Verwandtschaft  dieser  Wissenschaft  mit  der  Mathematik,  in 
dem  Punkte,  daß  die  Sache  doch  nicht  außer  uns  liegt.  Die 
Beschäftigung  mit  der  Kritik  der  Urteilskraft  gibt  mir  einen 
abermaligen  Beweis  davon.  Ehe  ich  die  Feder  ansetzte,  habe  ich 
sie  mehrmals  durchgelesen  und  durchgedacht.  Die  vielen  Schwierig- 
keiten, die  ich  anfänglich  antraf^  verschwinden  mir  zusehends.  Ich 
nehme  mir  die  Freiheit,  Ihnen  mein  Manuskript,  welches  den 
Auszug  der  Einleitung  und  der  Exposition  eines  reinen  Geschmacks- 
urteils enthält,  zu  überschicken,  und  bitte  Sie,  die  Freundschaft 
für  mich  zu  haben,  die  Einleitung  anzusehen  und  die  Stellen  zu 
bemerken,  wo  ich  Ihren  Sinn  dürfte  verfehlt,  oder  wenigstens 
nicht  deuthch  dargestellt  haben.  Sie  erlauben  mir  aber  wohl, 
Sie  an  das  Versprechen  zu  erinnern,  das  Sie  mir  in  Ihrem  letzten 
Briefe  taten,  mir  zur  Benutzung  ein  paar  Manuskripte  zuzuschicken, 
eins,  welches  die  Kritik  der  Urteilskraft  und  ein  anderes,  welches 
die  Metaphysik  der  Natur  angeht.  Sie  sind  so  gütig  gewesen, 
mir  ein  Exemplar  der  neuen  Auflage  Ihrer  Kritik   der  Urteilskraft, 


An  Abraham  Gotthelf  Kästner  203 

durch    Herrn   LAGARDE  zuschicken   zu  lassen,   wofür   ich  Ihnen 
ergebenst  danke,  und  mit  innigster  Hochachtung  hin 

der  Ihrige 
Beck. 
N.  S.  Die  im  vorigen  Jahr  Ihnen  zugeschickte  Abschrift  meines 
Manuskripts  war  mit  der  reitenden  Post  nach  Königsberg  ge- 
gangen und  dieses  konnte  nach  einem  Mißbrauch  Ihrer  Güte 
aussehen.  Den  Fehler,  den  ich  dabei  begangen,  war  aber  eigent- 
lich der,  daß  ich  mich  nicht  genau  auf  dem  hiesigen  Postamte 
erkundigte,  wenn  eigentlich  von  Berlin  aus  die  fahrende  Post  ab- 
geht, da  von  Halle  aus  keine  andere  als  die  fahrende  abgeht. 
In  dieser  Rücksicht  bitte  ich,  über  die  begangene  Unart  nicht 
zu  schelten.  Ein  Mensch,  dem  ich  das  beikommende  Manuskript 
zum  Abschreiben  gegeben,  hat  mich  getäuscht,  und  ich  muß  es 
so  schicken,  wie  ich  es  geschrieben  habe.  Ich  glaube  aber  doch, 
daß  Sie  die  Einleitung  leserlich  finden  werden  und  eigentlich 
liegt  mir  nur  daran,  daß  Sie  die  Güte  haben  möchten,  diese 
zu  lesen. 


324. 

An  Abraham  Gotthelf  Kästner. 

[Mai  1793.] 
Nehmen  Sie,  verehrungswürdiger  Mann!  meinen  Dank  für 
Ihren  aufgeweckten  und  belehrenden  Brief  gütigst  an  (den  mir 
eine,  dem  durch  Göttingen  durchreisenden  Doktor  JACHMANN 
mitgegebene,  Empfehlung  erwarb),  zu  dessen  Bezeugung  ich  nicht 
eher  eine  schickliche  Gelegenheit  als  die  Übersendung  einer  bis 
jetzt  verspäteten  Abhandlung,  die  hiemit  erfolgt,  habe  auffinden 
können. 

Die  Gründlichkeit  der  Erinnerung,  die  Sie  mir  damals  gaben, 
die  neugemodelte,  in  der  Kritik  und  ihren  Gnindzügen  kaum 
vermeidliche  rauhe  Schulsprache  gegen  eine  populäre  zu  vertauschen, 
oder  wenigstens  mit  ihr  zu  verbinden,  habe  ich  oft,  vornehmHch 
bei  Lesung  der  Schriften  meiner  Gegner,  lebhaft  gefühlt;  haupt- 
sächlich den  dadurch  unschuldigerweise  veranlaßten  Unfug  der 
Nachbeter,  mit  Worten  um  sich  zu  werfen,  womit  sie  keinen, 
wenigstens   nicht    meinen  Sinn    verbinden ;    zu    dessen   Verhütung 


204 


An  Georg  Christoph  Lichtenberg 


ich  die  nächste  Gelegenheit  ergreifen  werde,  die  eine  trockene 
Darstellung  erfordert  und  mit  jener  Schulsprache  die  gemeine  zu 
verbinden  Anlaß  gibt. 

Was  Sie,  vortrefflicher  Mann,  mir  und  jedermann  bewunderns- 
w^ürdig  macht,  ist,  daß  Ihre  in  so  viele  Fächer,  der  Wissenschaften 
sowohl  als  des  Geschmacks,  eingreifende,  durch  ihre  Eigentüm- 
lichkeit, auch  ohne  Namensnennung,  kennbare  Schriften,  noch 
immer  den  kraftvollen  Geist  und  die  Leichtigkeit  der  Jugend 
atmen;  wobei  Sie  denn  auch  der  Himmel  bis  in  die  Jahre  eines 
FONTENELLE,  des  Lieblings  der  Musen,  erhalten  wolle,  ohne 
welches  das  letztere  für  einen  Gelehrten  auch  kein  sonderlich  wün- 
schenswertes Glück  sein  würde.  Das  erstere  scheint  mir  die  Natur 
nicht  beschieden  zu  haben,  indem  ich  nach  dem  Antritt  meines 
70.  Jahres,  ohne  krank  zu  sein,  doch  schon  die  Last  des  Alter 
und  die  Beschwerlichkeit  der  Kopfarbeiten  in  "demselben  zu  fühlen 
anfange. 

Mit  der  innigsten  Verehrung  bin  ich  jederzeit 

Euer  Wohlgebornen 

gehorsamster  Diener 
L  Kant. 


325. 

An  Georg  Christoph  Lichtenberg. 

(Entwurf.) 

[Mai  1793.] 
Ks  sind  nun  beinahe  anderthalb  Jahre,  daß  ich  den  Gedanken 
bei  mir  herumtrage,  Ihren  seelenstärkenden  liebevollen  Brief,  ver- 
ehrungswürdiger Flerr,  zusamt  dem  ihn  begleitenden  Geschenke 
der  Erxleb.  Physik  und  dem  Taschenkalender  von  92  durch  irgend 
etwas  dem  Ähnliches  zu  erwidern.  Aber  der  sich  mir  aufdrin- 
gende öftere  Wechsel  der  Arbeiten  samt  der  schon  drückend 
werdenden  Last  der  Lebensjahre,  in  deren  70.  ich  vor  kurzem 
eingetreten  (wovon  beigehende  kleine  Abhandlung  auch  reichlich 
die  Spuren  an  sich  zeigen  wird),  haben  mir  immer  den  Aufschub 
abgenötigt.  —  Ihre  als  eines  so  geistvollen  Mannes  Nerven- 
beschwerden sind  gewöhnlich  von  nicht  so  schlimmer  Bedeutung, 
als  die  mit  dem  Alter,  bei  einem  früher,  bei  dem  andern  später. 


An  Carl  Friedrich  Staudlin  205 

eintretende  Abstumpfung  und  Unbelebtheit  derselben  und  lassen 
von  Ihnen  noch  eine  lange  der  gelehrten  sowohl  als  geschmack- 
vollen Welt  erwünschte  Lebensdauer  hoffen. 

Was  kann  aufmunternder  sein,  als  der  Beifall  eines  einzigen 
Mannes  [der]  nur  die  Natur  [als]  echten  Maßstab  des  Werts  der 
Dinge  selbst  gelegt  hat,  wogegen  die  einander  durchkreuzende, 
oft  im  Lob  sowohl  als  Tadel  gleich  unvernünftige  öffentliche 
Urteile  leicht  übersehen  werden  können.  —  Herr  D.  JACHMANN, 
der  von  Bewunderung  und  Dankbarkeit  für  Ihre  gütige  Aufnahme 
voll  ist,  läßt  für  diese  und  das  ihm  von  Ihnen  zuteil  gewordene 
Geschenk  hiedurch  beides  durch  mich  versichern. 


326. 

An  Carl  Friedrich  Staudlin. 

Königsberg,  den  ^.  Mai  1795. 
Sehen  Sie,  verehrungswürdiger  Mann,  die  Verspätung  meiner, 
auf  Ihr  mir  schon  den  9.  November  1791  gewordenes  Schreiben 
und  wertes  Geschenk  Ihrer  Ideen  einer  Kritik  usw.  schuldigen 
Antwort  nicht  als  Ermangelung  an  Aufmerksamkeit  und  Dank- 
barkeit an;  ich  hatte  den  Vorsatz,  diese  in  Begleitung  mit  einem, 
jenem  gewissermaßen  ähnlichen  Gegengeschenk  an  Sie  ergehen  zu 
lassen,  welche  aber  durch  manche  Zwischenarbeiten  bisher  auf- 
gehalten worden.')  —  Mein  schon  seit  geraumer  Zeit  gemachter 
Plan  der  mir  obliegenden  Bearbeitung  des  Feldes  der  reinen  Philo- 
sophie ging  auf  die  Auflösung  der  drei  Aufgaben:  i.  Was  kann 
ich  wissen?  (Metaphysik).  2.  Was  soll  ich  tun?  (Moral).  3.  Was 
darf  ich  hoffen?  (Religion);  welcher  zuletzt  die  vierte  folgen 
sollte:  Was  ist  der  Mensch?  (Anthropologie;  über  die  ich  schon 
seit  mehr  als  20  Jahren  jährlich  ein  Kollegium  gelesen  habe).  — ■  Mit 
beikommender  Schrift:  Religion  innerhalb  den  Grenzen  usw. 
habe  die  dritte  Abteilung  meines  Plans  zu  vollführen  gesucht,  in 
welcher  Arbeit  mich  Gewissenhaftigkeit  und  wahre  Hochachtung 


')  C.  Th.  Staudlin  (1761  — 1826),  Professor  in  Göttingen,  hatte  an 
Kant  seine  „Ideen  zur  Critik  des  Systems  der  christlichen  Religion" 
(Göttingen  1791)  gesandt;  das  „Gegengeschenk"  Kants  bestand  in  der 
Widmung  seines  „Streites  der  Fakultäten". 


2o6  An  Carl  Friedrich  St  audiin 

für  die  christliche  Religion,  dabei  aber  auch  der  Grundsatz  einer 
geziemenden  Freimütigkeit  geleitet  hat,  nichts  zu  verheimlichen, 
sondern,  wie  ich  die  mögliche  Vereinigung  der  letzteren  mit  der 
reinsten  praktischen  Vernunft  einzusehen  glaube,  offen  darzulegen. 
—  Der  biblische  Theolog  kann  doch  der  Vernunft  nichts  anderes 
entgegensetzen,  als  wiederum  Vernunft  oder  Gewalt,  und  will  er 
sich  den  Vorwarf  der  letzteren  nicht  zu  schulden  kommen  lassen 
(welches  in  der  jetzigen  Krisis  der  allgemeinen  Einschränkung 
der  Freiheit  im  öffentlichen  Gebrauch  sehr  zu  fürchten  ist),  so 
muß  er  jene  Vernunftgründe,  wenn  er  sie  sich  für  nachteilig 
hält,  durch  andere  Vernunftgründe  unkräftig  machen  und  nicht 
durch  Bannstrahlen,  die  er  aus  dem  Gewölke  der  Hofluft  auf 
sie  fallen  läßt;  und  das  ist  meine  Meinung  in  der  Vorrede  S.  XIX 
gewesen,  da  ich  zur  vollendeten  Instruktion  eines  biblischen  Theo- 
logen in  Vorschlag  bringe,  seine  Kräfte  mit  dem,  was  Philo- 
sophie ihm  entgegenzusetzen  scheinen  möchte,  an  einem  System 
aller  ihrer  Behauptung  (dergleichen  etwa  gegenwärtiges  Buch 
ist),  und  zv;ar  gleichfalls  durch  Vernunftsgründe  zu  messen,  um 
gegen  alle  künftige  Einwürfe  gewaffnet  zu  sein.  —  Die  auf  ge- 
wisse Art  geharnischte  Vorrede  wird  Sie  vielleicht  befremden; 
die  Veranlassung  dazu  ist  diese.  Das  ganze  W^erk  sollte  in  vier 
Stücken  in  der  Berliner  Monatsschrift,  doch  mit  der  Zensur  der 
dortigen  Kommission  herauskommen.  Dem  ersten,  Stück  gelang 
dieses  (unter  dem  Titel;  vom  radikalen  Bösen  in  der  m.  N.); 
indem  es  der  philosophische  Zensor,  Herr  G.  R.  HILLMER,  als 
zu  seinem  Departement  gehörend  annahm.  Das  zweite  Stück  aber 
war  nicht  so  glücklich,  weil  Herr  HILLMER,  dem  es  schien,  in 
die  biblische  Theologie  einzugreifen  (welches  ihm  das  erste,  ich 
weiß  nicht,  aus  welchem  Grunde,  nicht  zu  tun  geschienen  hatte), 
es  für  gut  fand,  darüber  mit  dem  biblischen  Zensor,  Herrn 
O.  C.  R.  HERMES  zu  konferieren,  der  es  alsdann  natürlicher- 
weise (denn  welche  Gewalt  sucht  nicht  ein  bloßer  Geistlicher 
an  sich  zu  reißen?)  als  unter  seine  Gerichtsbarkeit  gehörig  in 
Beschlag  nahm  und  sein  legi  verweigerte.  —  Die  Vorrede  sucht 
nun  zu  zeigen,  daß,  wenn  eine  Zensurkommission  über  die  Recht- 
same dessen,  dem  die  Zensur  einer  Schrift  anheimfallen  sollte,  in 
Ungewißheit  ist,  der  Autor  es  nicht  auf  sie  dürfe  ankommen 
lassen,  wie  sie  sich  untereinander  einigen  möchten,  sondern  das 
Urteil  einer  einheimischen  Universität  aufrufen  könne;  weil  da 
allein   eine    jede  Fakultät   verbunden    ist,    auf  ihre  Rechtsame    zu 


An  Matern  Reuß  207 

halten  und  eine  der  anderen  Ansprüche  zurückzuhalten,  ein  aka- 
demischer Senat  aber  in  diesem  Rechtsstreit  gültig  entscheiden 
kann.  —  Um  nun  alle  Gerechtigkeit  zu  erfüllen,  habe  ich  diese 
Schrift  vorher  der  theologischen  Fakultät  zu  ihrer  Beurteilung  vor- 
gelegt, ob  sie  auf  dieselbe,  als  in  biblische  Theologie  eingreifend, 
Anspruch  mache  oder  vielmehr  ihre  Zensur,  als  der  philosophi- 
schen zuständig,  von  sich  abweise,  und  diese  Abweisung,  dagegen 
Hinweisung  zu  der  letzteren  auch  erhalten. 

Diesen  Vorgang  Ihnen,  würdigster  Mann,  mitzuteilen,  werde 
ich  durch  Rücksicht  auf  den  möglichen  Fall,  daß  darüber  sich 
etwa  ein  öffentlicher  Zwist  ereignen  dürfte,  bewogen,  um  auch 
in  Ihrem  Urteil  wegen  der  Gesetzmäßigkeit  meines  Verhaltens, 
wie  ich  hoffe,  gerechtfertigt  zu  sein.  —  Wobei  ich  mit  der  auf- 
richtigsten Hochachtung  jederzeit  bin 

Euer  Hochehrwürden 

gehorsamster  Diener 
I.  Kant. 


3^7- 

An  Matern  Reuß. 

(Entwurf  in  zwei  Bruchstücken.) 


[Mai    1793.] 


I. 


iSehmen  Sie,  Ehrwürdiger  Mann,  nochmals  meinen  Dank  für 
den  Besuch  und  eine  Bekanntschaft  an,  die  jederzeit  unter  die 
angenehmste  Erinnerungen  meines  Lebens  gehören  wird.  Ich 
füge  diesem  Bekenntnisse  eine  kleine  Abhandlung  philosophisch-, 
nicht  eigentlich  biblisch-theologischen  Inhalts  bei,  mit  welcher 
keiner  Kirche  einen  Anstoß  zu  geben  bedacht  gewesen,  indem 
darin  nicht  die  Rede  ist,  welches  Glaubens  der  Mensch  überhaupt, 
sondern  nur  der,  welcher  sich  bloß  auf  die  Vernunft  fußt,  allein 
sein  könne,  die  mithin  gänzlich  auf  Gründen  a  priori  beruht, 
die  ihre  Gültigkeit  unter  allen  Glaubensarten  behauptet,  was  das 
Objektive  der  Gesinnung  betrifft,  was  aber  die  Ausführung  dieser 
Absicht  betriflPt  als  Gegenstand  der  Erfahrung,  dadurch  die  all- 
gemeine Weltregierung  jene  Ideen  in  der  Ausführung  hat  dar- 
stellen wollen,  das  Herz  nicht  vor   dem    empirischen  Glauben   in 


2o8  An  Friedrich  ßouferwek 

Ansehung  irgendeiner  Offenbarung  verschließt,  sondern,  wenn  sie 
in  Einstimmung  mit  jenem  stehend  befunden  wird,  es  für  die- 
selbe offen  erhält  [bricht  ab]. 

2. 

Reuß 
Ich  sage  hier  nicht,  daß  die  Vernunft  in  Sachen  der  Religion 
sich  selbst  gnug  zu  sein  zu  behaupten  wage,  sondern  nur,  wenn  sie 
sich  nicht  sowohl  in  Einsicht,  als  im  Vermögen  der  Ausübung 
gnug  ist,  sie  alles  übrige,  was  über  ihr  Vermögen  noch  hinzu- 
kommen muß,  ohne  daß  sie  wissen  darf,  worin  es  bestehe,  von 
dem  übernatürlichen  Beistande  des  Himmels  erwarten  muß  [bricht  ah]. 


328. 

An  Friedrich  Bouterwek. 

Sie  haben,  vortrefflicher  Mann!  mir  durch  die  Nachricht  von 
Ihrem  Vorsatz,  Vorlesungen  über  die  Kritik  d.  r.  V.  in  Göttingen 
zu  halten,  und  durch  die  damit  verbundene  Übersendung  eines 
dazu  entworfenen  wohl  ausgedachten  Plans,  eine  unerwartete 
Freude  gemacht.  Es  war  in  der  Tat  ein  dichterischer,  die  den 
reinen  Verstandesbegriffen  korrespondierende  Darstellung  in  Ge- 
walt habender  Kopf,  den  ich  immer  wünschte,  aber  zu  hoffen 
mir  nicht  getraute,  um  die  Mitteilung  dieser  Grundsätze  zu  be- 
fördern, denn  die  scholastische  Genauigkeit  in  Bestimmung  der 
Begriffe,  mit  der  Popularität  einer  blühenden  Einbildungskraft  ver- 
einigen können,  ist  ein  zu  seltenes  Talent,  als  daß  man  so  leicht 
darauf  rechnen  könnte,  es  bald  wo  anzutreffen.  —  Um  desto 
mehr  und,  da  mich  Ihr,  eine  gründliche  Einsicht  in  das  Wesen 
und  die  Artikulation  des  Systems  verratender  Abriß,  von  Ihrer 
Geschicklichkeit  in  Ausführung  desselben  überzeugt  hat,  so  gra- 
tuliere ich  den  Teilnehmern  an  demselben  und  mir  selbst  zu  dem 
Beitritt  eines  so  würdigen  Mitarbeiters.  Die  frohe  geistvolle 
Laune,  dadurch  mich  Ihre  Gedichte  oft  vergnügt  haben,  hatten 
mich  nicht  erwarten  lassen,  daß  die  trockene  Spekulation  auch  für 
Sie  Reiz  bei  sich  führen  könnte.  Aber  sie  führt  doch  unausbleiblich 
zu  einer  gewissen  Erhabenheit  der  Idee,  welche  die  Einbildungs- 
kraft mit  ins  Spiel  ziehen  und,  obzwar  durch  diese  unerreichbar. 


An  Carl  Leonhard  Reinhold  209 

doch  das  Gemüt  durch  analogische  Vorstellungsart  in  Bewegung 
setzen  und  für  sie  einnehmen  [kann].  — ■  Das  Übel,  wovon  mir 
Hr.  Hofrat  Kaestner  in  seinem  Schreiben  merken  ließ,  daß  die 
neue  Terminologien  von  Nachbetern  öfters  gebraucht  würden, 
ohne  ihren  Sinn  zu  fassen,  kann  durch  Ihren  Reichtum  und  Ge- 
wandtheit der  Sprache  auch  großenteils  gehoben  werden.  Wobei 
ich  unter  Anwünschung  des  besten  Fortgangs  Ihrer  Unternehmung, 
mit  der  vollkommensten  Hochachtung  und  Zuneigung  jeder 
Zeit  bin 

Ew.  Wohlgeboren 
Königsberg,  g^nz  ergebenster  Diener 

d.   7.  Mai  I.   Kant. 

1793- 

329. 

An  Carl  Leonhard  keinhold. 

Königsberg,  d.   8.  Mai  1793. 

Ihren  liebevollen  Brief  vom  21.  Januar,  teuerster  Herzens- 
freund, werde  ich  jetzt  noch  nicht  beantworten.  Ich  habe  Ihrer 
gütigen  Besorgung  noch  Briefe  an  D.  ERHARD  und  BARON 
VON  HERBERT  anzuempfehlen,  die  ich,  samt  meiner  schuldigen 
Antwort,  innerhalb    14  Tagen  abgehen  zu  lassen  gedenke. 

Bei  dem  Empfang  der  Abhandlung,  die  ich  die  Ehre  habe 
diesem  Briefe  beizufügen,  wird  es  Sie  befremden,  welche  Ursache 
ich  damals,  als  ich  deren  erwähnte,  haben  konnte,  damit  geheim 
zu  tun.  Diese  bestand  darin,  daß  die  Zensur  des  zweiten  Stücks, 
derselben,  das  in  die  Berliner  M.  S.  hatte  kommen  sollen,  dort 
Schwierigkeiten  fand,  welche  mich  nötigten,  sie,  ohne  weiter 
davon  zu  erwähnen,  anderwärts  drucken  zu  lassen. 

Ihr  gütiges  Versprechen  der  gelegentlichen  Mitteilung  einiger 
literarischer  Geschichten,  nehme  ich  mit  sehr  großem  Dank  an, 
worunter  mir  die  von  dem  starken  Anwachs  der  Zahl  Ihrer,  die 
Philosophie  lernenden,  Zuhörer  schon  viel  Vergnügen  macht, 
welches  aber  durch  die  Nachricht  von  Ihrer  befestigten  Gesund- 
heit sehr  erhöhet  werden  würde.  Doch  Ihre  Jugend  gibt  mir 
dazu  die  beste  Hoffnung,  wenn  sich  damit  die  philosophische 
Gleichgültigkeit  gegen  das,  was  nicht  in  unserer  Gewalt  ist,  ver- 
bindet,   die    allein    in    das    Bewußtsein    seiner    Pflichtbeobachtung 

Kants   Schriften.   Bd.  X.  ix 


2 1  o  An  Johann   Gottlieb  Fichte 

den  wahren  Wert  des  Lebens  setzt,  zu  welcher  Beurteilung  uns 
endlich  die  lange  Erfahrung  von  der  Nichtigkeit  alles  anderen 
Genusses  zu  bringen  nicht  ermangelt. 

Indem  ich  das  übrige,  was  noch  zu  sagen  wäre,  meinem 
nächsten  Briefe  vorbehalte,  empfehle  ich  mich  jetzt  Ihrem  ferneren 
Wohlwollen  etc. 


330. 
An  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Zu  der  der  Bearbeitung  wichtiger  philosophischer  Aufgaben 
geweihten,  glücklich  erlangten  Muße  gratuliere  ich  Ihnen,  wür- 
diger Mann,  von  Herzen,  ob  Sie  zwar,  wo  und  unter  welchen 
Umständen  Sie  solche  zu  genießen  hoffen,  zu  verschweigen  gut 
finden. 

Die  Ihnen  Ehre  machende  Schrift  „Kritik  aller  Offenbarung" 
habe  ich  bisher  nur  teilweise  und  durch  dazwischenlaufende  Ge- 
schäfte unterbrochen  gelesen.  Um  darüber  urteilen  zu  können, 
müßte  ich  sie  in  einem  stetigen  Zusammenhange,  da  das  Gelesene 
mir  immer  gegenwärtig  bleibt,  um  das  Folgende  damit  zu  ver- 
gleichen, ganz  durchgehen,  wozu  ich  aber  bis  jetzt  weder  die 
Zeit  noch  die  Disposition,  die  einige  Wochen  her  meinen  Kopf- 
arbeiten nicht  günstig  ist,  habe  gewinnen  können.  Vielleicht 
werden  Sie  durch  Vergleichung  Ihrer  Arbeit  mit  meiner  neuen 
Abhandlung:  „Religion  innerhalb  usw.",  am  leichtesten  ersehen 
können,  wie  meine  Gedanken  mit  den  Ihrigen  in  diesem  Punkte 
zusammenstimmen  oder  voneinander  abweichen. 

Zu  Bearbeitung  der  Aufgabe:  „Kritik  der  reinen  Vernunft", 
S.  372  flg.,  wünsche  und  hoffe  ich  gutes  Glück  von  Ihrem  Talent 
und  Fleiße,  Wenn  es  nicht  jetzt  mit  allen  meinen  Arbeiten  sehr 
langsam  ginge,  woran  wohl  mein  vor  kurzem  angetretenes  sieb- 
zigstes Lebensjahr  schuld  sein  mag,  so  würde  ich  in  der  vor- 
habenden „Metaphysik  der  Sitten"  schon  bei  dem  Kapitel  sein, 
dessen  Inhalt  Sie  sich  zum  Gegenstande  der  Ausführung  gewählt 
haben,  und  es  soll  mich  freuen,  wenn  Sie  mir  in  diesem  Ge- 
schäfte zuvorkommen,  ja  es  meinerseits  entbehrlich  machen 
könnten. 

Wie    nahe    oder    wie    fern    auch  mein  Lebensziel  ausgesteckt 


An  Georg  Heinrich  Ludwig  Nicolovius  1 1 1 

sein  mag,  so  werde  ich  meine  Laufbahn  nicht  unzufrieden  en- 
digen, wenn  ich  mir  schmeicheln  darf,  daß,  was  meine  geringen 
Bemühungen  angefangen  haben,  von  geschickten,  zum  Weltbesten 
eifrig  hinarbeitenden  Männern  der  Vollendung  immer  näher  ge- 
bracht werden  dürfte. 

Mit  dem  Wunsche,  von  Ihrem  Wohlbefinden  und  dem  glück- 
lichen Fortgange  Ihrer  gemeinnützigen  Bemühungen  von  Zeit  zu 
Zeit  Nachricht  zu  erhalten,  bin  ich  mit  vollkommener  Hoch- 
achtung und  Freundschaft  usw. 

Königsberg,  den    12.  Mai    1793.  I.  Kant. 


An  Georg  Heinrich  Ludwig  Nicolovius. 

Ew.  Hochedelgeb.  Vorsatz,  von  Ihren  erworbenen  Kennt- 
nissen in  Ihrem  Vaterlande  Gebrauch  zu  machen,  vorher  aber 
meine  Meinung  von  der  Art,  wie  dieses  auf  eine  sichere  Ihnen 
selbst  vorteilhafte  Art  geschehen  könne,  zu  erfahren,  ist  mir  ein 
Beweis  von  Ihrer  gründlichen,  durch  Reisebelustigung  nicht  — 
wie  es  wohl  sonst  geschieht  —  für  Amtsgeschäfte  verdorbenen 
Denkungsart.  —  Ihr  Vorsatz  die  letztere,  auf  und  für  unsere 
Universität,  zu  suchen,  hat  auch  meinen  ganzen  Beifall.  Erlauben 
Sie  mir  aber  die  Ihnen  wohlbekannte  jetzt  herrschende  Grund- 
sätze des  Studierens  der  Jugend  auf  unserer  Akademie  in  Erinne- 
rung zu  bringen;  die  darin  bestehen,  sie  gleichsam  kuriermäßig 
zu  durchlaufen,  um  sich,  so  früh  als  mögUch,  um  ein  Amt  be- 
werben zu  können;  da  es  dann  von  denjenigen,  welche  an  der 
eleganten  Literatur  und  Kultur  Interesse  nehmen  möchten,  nicht 
eine  zu  Eröffnung  eines  sich  hinreichend  belohnenden  Kollegiums 
nötige  Zahl  der  Zuhörer,  wenigstens  gleich  anfangs  geben  dürfte; 
wiewohl  ich,  wenn  die  Sache  einmal  in  Gang  gebracht  worden, 
desfalls  am  meisten  auf  den  Adel  und,  im  Winterhalben  jähr,  auf 
die  Offiziere  rechne.  —  Indessen  ist  dieser  Anschlag  nicht  bei 
Seite  zu  setzen,  weil  er,  was  noch  nicht  Mode  ist,  wohl  dazu 
machen  kann. 

Was  ich,  nach  der  von  Ihnen  erklärten  Abneigung  gegen  ein 
theologisches  Amt,  zur  Basis  eines  sicheren,  obgleich  anfänglich 
kleinen  Einkommens,  vorschlage,  ist  ein  Schulamt.  —  Er- 
schrecken   Sie    darüber    nicht;    das    Bedürfnis    des  PubUkums,  die 


2  12 


An  Georg  Heinrich  Ludwig  Nico/ovius 


Schulen  dem  Fortrücken  in  der  Kultur  des  Geschmackvollen  an- 
gemessener zu  machen,  wird  immer  stärker  gefühlt,  und  ein  Mann, 
wie  Sie,  würde  hierin  bald  Epoche  machen  und  überdem  haben 
Sie  den  Mann,  welcher  in  Besetzung  der  Lehrstellen  auf  unseren 
Stadtschulen  den  größten  Einfluß  hat,  zu  Ihrem  Freunde;  da 
Ihnen  eine  Rektorstelle  nicht  so  leicht  entgehen  dürfte;  bei  der 
noch  Zeit  gnug  für  Sie  übrig  bleiben  würde,  um  jene  schöne 
Kenntnisse  und  Wissenschaften  als  Universitätsglied   zu    betreiben. 

Wenn  Sie  in  diesen  Vorschlag  einwilligen,  so  würde  ich 
raten,  so  bald  als  möglich  sich  nach  Berlin  zu  verfügen  und  sich 
an  den  Hrn.  Oberschulrat  MEIEROTTO,')  mit  welchem  ich  hier 
(bei  seiner  ihm  aufgetragenen  allgemeinen  Schulvisitation)  Be- 
kanntschaft gemacht  habe,  zu  schlagen,  wozu  ich  Ihnen  meine 
beste  Empfehlung  mitgeben  würde.  Er  würde  Sie  gewiß  in  die 
dortige  Schulanstalten  als  Auskultator  einführen,  vielleicht  Sic 
selbst  einige  Versuche  in  der  Methode  machen  lassen  und  so 
durch  seinen  vielvermögenden  Einfluß,  vielleicht  gar  nach  einem 
neuen,  von  ihm  zu  entwerfenden  Plan,  hier  ansetzen. 

Vor  allem  scheint  mir  zu  Ihrer  Absicht  ratsam  zu  sein,  um 
die  hiesigen  Formalitäten  des  Eintritts  in  die  Universität  als  Lehrer 
zu  umgehen,  den  Magistergrad,  es  sei  in  Frankfurt  a.  d.  O., 
oder  Erlangen,  oder  Halle,  zu  erwerben.  Mittlerweile  würde  die 
Bekanntschaft  mit  dem  Staatsminister,  Hrn.  VON  WÖLLNER, 
Ihnen  auch  vorteilhaft  sein;  weil  es  sich  wohl  zutragen  könnte, 
daß  irgend  eine  Professur,  die  Ihnen  konvenierte,  hier  vakant 
würde.  Hierzu  habe  ich  zwar  keinen  Weg  einer  unmittelbaren 
Empfehlung,  ich  würde  sie  aber  doch  durch  den  in  Berlin  woh- 
nenden Hrn.  Geheimen  Rat  SIMPSON  (den  ich  gelegenthch  zu 
besuchen  und  ihn  in  meinem  Namen  zu  komplimentieren  bitte) 
versuchen.  —  Das  Weitere  hängt  von  der  Eröffnung  ab  die  Sie 
mir  wegen  meines  Vorschlages  tun  werden. 

Die  Anfrage  wegen  des  Konciompax  war  ein  bloßer  Einfall 
und  kann  zur  Seite  gelegt  beiben. 

Mit  aufrichtiger  Teilnehmung  an  allem,  was  Sie  interessiert 
und  vollkommener  Hochachtung  bin  ich  jederzeit 

Ew.  Hochedelgeb. 
Königsberg,  d.    i6.  August   1793.  ergebenster  Diener 

L  Kant. 

»)  Joh.  Heinr.  Ludwig  Meierotto  (1742—1800),  Direktor  des 
Joachimsthalschen  Gymnasiums  und  Oberschulrat  in  Berlin. 


Jn  fakoh  Sigismund  Beck  213 

332. 
An  Jacob  Sigismund  Beck. 

Königsberg,  den    18.  August    1793. 

Ich  übersende  Ihnen,  wertester  Mann,  hiermit,  meinem  Ver- 
sprechen gemäß,  die  vordem  zur  Vorrede  für  die  Kritik  der 
U.  Kr.  bestimmte,  nachher  aber  ihrer  WeitJäuftigkeit  wegen  ver- 
worfene Abhandlung,  um  nach  Ihrem  Gutbefinden,  Eines  oder 
das  Andere  daraus,  für  Ihren  konzentrierten  Auszug  aus  jenem 
Buche  zu  benutzen  —  zusamt  dem  mir  durch  Herrn  Hofprediger 
SCHULTZ  zugestellten  Probestück  desselben. 

Das  Wesentliche  jener  Vorrede  (welches  etwa  bis  zur  Hälfte 
des  Manuskripts  reichen  möchte)  geht  auf  die  besondere  und 
seltsame  Voraussetzung  unserer  Vernunft:  daß  die  Natur  in  der 
Mannigfaltigkeit  ihrer  Produkte,  eine  Akkommodation  zu  den 
Schranken  unserer  Urteilskraft,  durch  Einfalt  und  spürbare  Ein- 
heit ihrer  Gesetze,  und  Darstellung  der  unendlichen  Verschieden- 
heit ihrer  Arten  (jpecies)^  nach  einem  gewissen  Gesetz  der  Stetig- 
keit, welches  uns  die  Verknüpfung  derselben,  unter  wenig  Gat- 
tungsbegriffe, möglich  macht,  gleichsam  willkürlich  und  als  Zweck 
für  unsere  Fassungskraft  beliebt  habe,  nicht  weil  wir  diese  Zweck- 
mäßigkeit, als  an  sich  notwendig  erkennen,  sondern  ihrer  bedürftig, 
und  so  auch  a  priori  anzunehmen  und  zu  gebrauchen  berechtigt 
sind,  so  weit  wir  damit  auslangen  können.  —  Mich  werden  Sie 
freundschaftlich  entschuldigen,  wenn  ich  bei  meinem  Alter,  und 
manchen  sich  durchkreuzenden  vielen  Beschäftigungen,  auf  das 
mir  mitgeteilte  Probestück  die  Aufmerksamkeit  nicht  habe  wenden 
können,  die  nötig  gewesen  wäre,  um  ein  gegründetes  Urteil 
darüber  zu  fällen.  Ich  kann  aber  hierüber  Ihrem  eigenen  Prü- 
fungsgeiste schon  vertrauen.  —  Übrigens  verbleibe  ich  in  allen 
Fällen,  wo  ich  Ihren  guten  Wünschen  mein  ganzes  Vermögen 
leihen  kann, 

Ihr 

dienstwilligster 
I.  Kant. 


2  r  4  Von  ^akob  Sigismund  Beck 

333- 
Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den   24.  August    1793. 
Sehr  teurer  Lehrer, 
In  meinem  Auszuge  aus  Ihrer  Kritik  der  Urteilskraft  bin  ich 
bis    zu    der  Dialektik    der  teleologischen  Urteilskraft    gekommen. 
Eine  Folge  von  der  sehr  großen  Deutlichkeit,   mit  der  ich  diese 
Materie  einsehe,  und  der  sehr  festen  Überzeugung,  die  ich  davon 
habe,  ist  die  gewesen,   daß  ich   lange  Ihnen    mit  meinen  Briefen 
nicht    habe     beschwerlich    sein     dürfen.     Auch    ist     das     Licht, 
welches  das  Studium  dieser  Kritik  der  Urteilskraft  auf  die  Trans- 
szendentalphilosophie  überhaupt  und  auf  die  Kritik  der  praktischen 
Vernunft  für  meine  Augen  zurückgeworfen  hat,  beträchtlich.    Er- 
lauben Sie  mir,    Ihnen  sagen    zu    dürfen,    daß    meine  Seele  noch 
nie    einem  Gelehrten    sich    so    verbunden   gefühlt  hat,   als  Ihnen, 
ehrwürdiger  Mann.     Ich  habe  seit  der  Zeit,  da  ich  Ihren  münd- 
lichen Vortrag  anhörte,  sehr  viel  Vertrauen  zu  Ihnen  gehabt;  aber 
ich  gestehe    auch,    daß    bei    den  Schwierigkeiten,  die  mich  lange 
gedrückt  haben,  dieses  Vertrauen  öfters    zwischen   dem   zu  Ihnen 
und  dem  zu  mir    selbst  gewankt  hat.     Mein  ziemlicher  Fortgang 
in  der  Mathematik,  und  die  so  vielfach  fehlgeschlagenen  Versuche 
in  der  Philosophie  mancher  berühmten  Männer  war  mir  nämlich 
ein  Grund,  nicht  alle  Zuversicht  zu  mir   selbst  aufzugeben.     Von 
der    andern    Seite    aber    mußte    ich    notwendig    denken,   daß  das 
Los    des    Menschen    das    betrübteste    sein    müßte,    wenn  er  nicht 
einmal  mit  sich  selbst  fertig  werden   könnte  und  sich  selbst  von 
dem,  was    er  dächte,   nicht    völlige  Rechenschaft   ablegen  könnte. 
Ich  habe  daher  Ihre  Schriften  immerfort    sorgfältig  studiert,  und 
ich  darf  es  jetzt  sagen,    weil    es  wahr    ist,    daß    die  dadurch  er- 
langte innige  Bekanntschaft    mit    denselben,    mich    mir   selbst  be- 
kannt  gemacht   hat.     Was   wohl    einem   vernünftigen  Wesen    das 
wünschenswürdigste  Gut  sein  muß,  das  hat  mir  Ihre  Philosophie 
gewährt.     Denn  ich  bin  durch  sie  aufmerksam  gemacht   und  be- 
lehrt   worden    in    Ansehung    des     vielbedeutenden    Unterschiedes 
zwischen    denken    und    erkennen,    zwischen    dem:    mit    Begriffen 
spielen,  und  BegriiFe  haben  objektive  Gültigkeit,    und  was  mehr, 
als  alles  ist,  ich   habe  die  Verknüpfung,    die   wir   im  Sittengesetz 
denken,  die  man  sich  so  gern  als  analytisch  vorstellen   mag,   um 


J^on   'Jahoh  Sigismund  Beck  215 

wahrscheinlich  dadurch  nicht  allein  sich   das  Nachdenken    zu  er- 
leichtern, sondern  dem  Willen  auch  einen,  obwohl  der  praktischen 
Vernunft    sehr    heterogenen  Sporn    zu  geben,    als   synthetisch  an- 
sehen   gelernt.     Die    eigentliche    Ursache    aber,    warum    so    viele 
sonst  sehr    berühmte  Männer    ihren  Beifall    der  kritischen  Philo- 
sophie immerfort  versagen,  liegt  meiner  Meinung  nach  wohl  darin, 
daß  sie    sich    nicht    aufmerksam    wollen    machen    lassen    auf  den 
mächtigen    Unterschied    zwischen    Denken    und    Erkennen.     In 
ihrer  Sprache   sind   alle    diese  Ausdrücke    entweder    gleichgeltend, 
oder  sie  legen  ihnen    nach    ihrer  Art   einen  Sinn    unter,    welches 
ihnen  auch  wohl  immer,  wenn  der  Sprachgebrauch  es  leidet,  frei- 
stehen mag,  wenn  dabei  nur  die  Sache  selbst,   die  wichtigste  für 
einen  Mann,    dem    es   um    reeller  Wahrheit,    und    nicht    um    ein 
Gedankenspiel  zu  tun  ist,  verloren  ginge.     Ich  habe  auch  gemerkt, 
daß  auch  viele  von  den  Freunden  der  Kritik    den    ganzen  Gehalt 
einer  Transszendentalphilosophie,  und  insbesondere  einer  transszen- 
dentalen  Logik  nicht  gut  in  Überlegung   nehmen,   indem   sie    die 
allgemeine  Logik  von  ihr,  bloß  durch    den  Ausdruck;  sie  abstra- 
hiere von  den   Gegenständen,    unterscheiden,   welcher  Begriff  aber 
doch  die  nähere  Bestimmung,    daß    die   allgemeine  Logik    eigent- 
lich   die    objektive    Gültigkeit    der    Vorstellungen    beiseite    setze, 
und    diese    Untersuchung    der    transszendentalen    Logik    überlasse, 
verlangt. 

Seit  einiger  Zeit  habe  ich  auch  Ihre  metaphysischen  Anfangs- 
gründe der  Naturwissenschaft  wieder  durchzudenken  angefangen. 
In  der  Phoronomie  und  Dynamik  habe  ich  keinen  Anstoß  ge- 
nommen. Aber  in  der  Mechanik  stoße  ich  an  etwas,  welches 
ich  nicht  mir  wegzuräumen  weiß  und  auf  die  folgende  Theorie 
mir  ein  unangenehmes  Dunkel  wirft.  Es  ist  der  Begriff  der 
Quantität  der  Materie.  Ihre  Definition  lautet  (S.  107):  Die 
Quantität  der  Materie  ist  die  Menge  des  Beweglichen  in  einem 
bestimmten  Raum.  Ich  weiß  eigentlich  nicht,  wie  Sie  dieses  Be- 
wegliche verstehen,  ob  dynamisch  oder  mechanisch.  Mechanisch 
kann  es  nicht  verstanden  sein,  weil  die  Materie  mechanisch  be- 
trachtet, bloß  als  Maß  der  Quantität  der  Materie  (nach  dem 
ersten  Lehrsatz)  gesetzt  wird,  diese  letzte  demnach  doch  ebenso- 
wohl von  der  Materie,  sofern  sie  bewegende  Kraft  hat,  verschieden 
sein  muß,  als  ein  Winkel  von  dem  Zirkelbogen,  der  ihn  mißt. 
Dynamisch  kann  ich  diesen  Begriff  auch  nicht  nehmen,  weil  die 
Quantität    der   Materie    als    unveränderlich    soll    gedacht    werden. 


2 1 6  Von  fakoh  Sigismund  Beck 

wenngleich  die  Ausdehnungskraft  verschieden  gesetzt  würde.  In 
der  nämlichen  Definition  sagen  Sie:  die  Größe  der  Bewegung  ist 
diejenige,  die  durch  die  Quantität  der  bewegten  Materie 
und  ihre  Geschwindigkeit  zugleich  geschätzt  wird,  und  in  dem 
gleich  darauf  folgenden  Lehrsatz  wird  doch  bewiesen,  daß  die 
Quantität  der  Materie  lediglich  durch  die  Größe  der  Bewegung 
geschätzt  werde. 

Ich  weiß  recht  wohl,  daß  die  ganze  Ursache  dieser  Unver- 
ständlichkeit  in  meinem  Kopfe  liege.  Aber  aller  Unwille  deshalb 
gegen  mich  selbst  räumt  sie  mir  nicht  aus  dem  Wege.  Ich  bitte 
Sie,  teurer  Lehrer,  auf  die  inständigste  Weise  mich  hierüber  zu 
belehren.  Ihnen  einige  Beschwerde  zu  machen,  ist  mir  sehr  un- 
angenehm; aber  da  ich  mir  wirklich  hierin  nicht  recht  helfen 
kann,  so  muß  ich  meinen  Wunsch  gestehen,  daß  Sie  sich  ent- 
schließen möchten,  mir  hierauf  bald  zu  antworten.  KLÜGEL  hat 
in  mathematischer  Rücksicht  mich  manchmal  ausgeholten.  Aber 
aus  seinem  Gespräche  bin  ich  genötigt,  zu  schließen,  daß  er  über 
die  Prinzipien  der  reinen  Naturwissenschaft  niemals  gehörig  nach- 
gedacht habe. 

Der  M.  RATH,  der  die  Kritik  ins  Lateinische  zu  übersetzen 
sich  erbot,  tat  dem  Buchhändler  HARTKNOCH  den  Antrag,  Ver- 
leger von  dieser  Arbeit  zu  werden.  Vor  etwa  <;  Wochen  schrieb 
ihm  HARTKNOCH,  daß  der  Professor  HEYDENREICH  in  Leipzig 
ihm  auch  einen  Mann  für  diese  Übersetzung  vorgeschlagen  habe, 
und  daß  er,  aus  Achtung  für  das  Publikum,  genötigt  sei,  eine 
vernünftige  Wahl  zu  treffen.  Er  bat  ihn,  ihm  eine  Probe  von 
seiner  Arbeit  zu  überschicken,  wie  dann  darum  auch  der  andere 
Gelehrte  ersucht  werden  sollte,  und  beide  Proben  sollten  dann 
einem,  beiden  unbekannten,  fähigen  Richter  zur  Entscheidung  vor- 
gelegt werden.  Anfänglich  war  RATH  hiezu  entschlossen.  Jetzt 
aber  weiß  ich  nicht,  was  ihn  bedenklich  macht,  den  Vorschlag 
anzunehmen.  Mir  tut  dieses  leid,  weil  ich  nicht  glaube,  daß  viele 
mit  dem  reinen  wissenschaftlichen  Interesse  Ihre  Schriften  stu- 
dieren, so  wie  mein  Freund,  und  weil  ich  geneigt  bin,  zu  zweifeln, 
daß  jener  mir  fremde  Mann  auch  so  gut  den  Sinn  der  Kritik 
treffen  werde,  als  er.  Indessen  kann  ich  nicht  einsehen,  daß 
HARTKNOCH  fehle,  und  ich  will,  so  gut  ich  kan[n  meinen] 
Freund  zu  dem  Entschluß,  auch  seine  Probe  einzuschicken,  zu  be- 
wegen suchen. 

Vor  einiger  Zeit  las  ich  in  CRUSII  Weg,  zur  Gewißheit  und 


Von  Friedrich  Bouteriuek  1 1 7 

Zuverlässigkeit,  voran  [laßt  durch]  Herrn  SCHMIDTS  Lexikon") 
und  zu  meinem  Verwundern  habe  ich  (§  2Ö0)  die  Unterschei- 
dung der  analytischen  und  synthetischen  Urteile  weit  deutlicher 
darin  gefunden,  als  in  der  von  Ihnen  zitierten  Stelle  des  LOCKE.^) 
Denn  ob  er  gleich,  meiner  Meinung  nach,  keine  Einsicht  in  das 
Prinzip  der  synthetischen  Erkenntnisse  a  priori  verrät,  so  enthält 
doch  diese  Stelle  wenigstens  soviel,  daß  ein  nachdenkender  Leser 
wohl  aufmerksam  auf  ihre  Wichtigkeit  dadurch  gemacht  werden 
könnte,  indem  CRUSIUS  geradezu  diese  Synthesis  als  die  Grund- 
lage der  Realität  unserer  Begriffe  andeutet. 

Sie  haben  auch  die  Güte  gehabt,  mir  ein  Exemplar  Ihrer 
Religion  in  den  Grenzen  der  Vern[un]ft  überschicken  zu  lassen. 
Ich  danke  Ihnen  ergebenst  dafür.  Ich  muß  aber  leider  noch 
einige  Zeit  verfließen  lassen,  ehe  ich  sie  so  ganz  eigentlich  zu 
studieren  werde  unternehmen  können. 

Leben  Sie  wohl,  mein  teurer  Lehrer.  Ich  wünsche,  daß  die 
Vorsehung  Sie  uns  noch  lange  und  gesund  erhalten  wolle,  und 
bin  mit  der  reinsten  Achtung 

der  Ihrige 
Beck. 

Daß  Herr  Rat  REINHOLD  einen  Ruf  nach  Kiel  erhalten 
habe,  wird  er  vielleicht  Ihnen  schon  geschrieben  haben.  Er  soll 
ihn   auch,  wie  man  sagt,  angenommen  haben. 


3  34- 
Von  Friedrich  Bouterwek. 

Verehrungswürdiger  Mann, 

Wen  die  Natur  nicht  zum  Erfinder 
in  einer  Wissenschaft  bestimmte,  aber  mit  Verstand  und  Beharrlich- 
keit genug  ausrüstete,  um  alles,  was  über  die  größte  Menschen- 
angelegenheit von  Erfindern  gesagt  worden  ist,   zu  verstehen  und 

*)  Schmids  Lexikon  (s.  Bd.  IX.  S.  373  Anm.);  vgl.  Crusius,  Weg 
zur  Gewißheit  und  Zuverlässigkeit  der  menschlichen  Erkenntnis,  Leipzig 
1747,  §   260. 

^)  Das  Zitat  aus  Locke  s.  Prolegomena  §   3. 


2  I 


8 


Fon  Friedrich  Bouterwek 


zu  prüfen,  der  ist  eigentlich  zum  Apostel  des  Evangeliums,  an 
welches  er  glaubt,  berufen.  So  dachte  ich  wenigstens,  als  ich, 
zum  ersten  Male  in  meinem  Leben  den  Versuch  wagte,  eine 
szientifische  Darlegung  der  Wahrheit  zustande  zu  bringen.  Müde 
des  Temporisierens,  wozu  ich  mich  anfangs  nur  mit  harter  Mühe 
bequemt  hatte,  wollte  ich,  ohne  die  Miene  der  Belehrung,  die 
mich  noch  nicht  kleidet,  freimütig  mich  zu  der  Lehre  bekennen, 
die  doch  am  Ende  die  einzige  bleiben  wird,  zu  der  sich  ein 
freier  und  alle  luftigen  Wahrscheinlichkeitsformeln  und  Argumen- 
tationsträume verschmähender  Geist  bekennen  kann.  Dann  wollte 
ich  auch  (durch  ein  Buch,  in  der  Kunstsprache  verfaßt),  mich 
gewissermaßen  legitimieren  zur  Herausgabe  eines  andern,  das  die- 
selben Wahrheiten,  verständlich  für  jedermann,  wer  nur  irgend 
über  seinen  animalischen  Lebenskreis  sich  zu  erheben  vermag, 
enthalten  soll  mit  der  sorgfältigsten  Vermeidung  aller 
Kunstsprache.  Eine  leichte  Girlande  von  Blumen  der  Phan- 
tasie soll  dies  Werkchen  umgeben.  Systematische  Vollständigkeit 
würde  da  ein  Fehler  sein,  wo  man  dem  Volke  das  Seine  geben, 
nicht  aber  mit  den  Gelehrten  in  Reihe  und  Glied  treten  will. 

Kann  dies  kleine  Buch,  welches  ich  Ihnen  hier  darzubieten 
wage')  und,  damit  ich  mir  diese  Freude  gewähre,  hundert  Meilen 
mit  der  Post  reisen  lasse,  Ihnen  mehr  als  nicht  mißfallen,  so 
wird  es  mich  wenig  kümmern,  wenn  ich  hier  und  dort  mit 
einem  zweideutigen  Blicke  mich  fragen  lassen  muß,  v/ie  Saul 
unter  die  Propheten  kömmt.  Die  Weiland-Metaphysiker  gleichen 
den  exilierten  französischen  Aristokraten  von  mehr  als  einer  Seite, 
namentlich  aber  darin,  daß  sie  auf  hindostanische  Kastenordnung 
halten  und  nicht  dulden  können,  wenn  ein  Bürger  der  Gelehrten- 
Republik  votieren  will  außer  dem  Range,  den  sie  ihm  anweisen. 
Wie  trübselige  Urteile  habe  ich  nicht  anhören  müssen  über  Ihr 
mir  so  teures  und  wertes  Buch  über  Vernunftreligion,  wofür  ich 
Ihnen  noch  meinen  herzlichsten  Dank  schuldig  bin!  So  überall 
aufklären,  meinen  diese  Herren,  stehe  nur  einem  LEIBNIZ  wohl, 
und  bedenken  nicht,  daß  eben  die  Fackel,  bei  deren  Licht  die 
ganze  Leibnizische  Monadenwelt  wie  ein  Dunst  erscheint,  ihre 
Strahlen  unvermeidlich  nach  allen  Seiten  wirft.  Einer  Ihrer  wahr- 
haftigsten  Verehrer  hier  ist  unser  trefflicher  LICHTENBERG. 

Unwert  der  Sache,  die  mir  am  Herzen  liegt,  würde  ich  sein. 


')  Aphorismen  nach  Kantischer  Lehre,  Göttingen    I793' 


Von  Johann   Gott  lieb  Fichte  1 1  p 

wenn  ich  mich  bei  Ihnen  entschuldigen  wollte  wegen  der  An 
merkungen  zu  meinem  kleinen  Buche,  besonders  denen  zum  zweiten 
Teile.  Vielleicht  seh'  ich  mich  genötigt,  sie  künftig  zurückzunehmen 
oder  anders  zu  modifizieren.  Aber  wen  auch  die  ehrwürdigste 
Autorität  bindet,  den  werden  Sie  sich,  das  weiß  ich,  nicht  zum 
Mitarbeiter  an  der  Sache  der  Wahrheit  wünschen. 

Leben    Sie    nur    noch    lange,    verehrungswürdiger    Mann,    um 
alles  sagen  zu  können,  was  die  Ihren  bedürfen,  und  namentlich 

Göttingen,  den   25.  August    1793.  F.  Bouterwek. 


335- 
Von  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Mit  inniger  Freude,  verehrungswürdigster  Gönner,  erhielt  ich 
den  Beweis,  daß  Sie  auch  noch  in  der  Entfernung  mich  Ihres 
gütigen  Wohlwollens  würdigten,  Ihren  Brief.  Meine  Reise  war 
nach  Zürich  gerichtet,  wo  schon  bei  meinem  ehemaligen  Aufent- 
halte ein  junges  sehr  würdiges  Frauenzimmer  mich  ihrer  beson- 
dern Freundschaft  wert  hielt.  Noch  ehe  ich  nach  Königsberg 
reiste,  wünschte  sie  meine  Rückkehr  nach  Zürich,  und  unsre 
völlige  Verbindung.  Was  ich  damals,  da  ich  noch  nichts  getan 
hatte,  mir  nicht  für  erlaubt  hielt,  erlaubte  ich  mir  jetzo,  da  ich 
wenigstens  für  die  Zukunft  versprochen  zu  haben  schien,  etwas 
zu  tun.  —  Diese  Verbindung,  welche  bisher  durch  unvorher- 
gesehne  Schwierigkeiten,  welche  die  Zürcher  Gesetze  Fremden 
entgegensetzen,  aufgehalten  worden,  in  einigen  Wochen  aber  statt- 
hnden  wird,  gäbe  mir  die  Aussicht,  mich  in  unabhängiger  Muße 
dem  Studieren  zu  widmen,  wenn  nicht  der  an  sich  herzensgute, 
mit  meinem  individuellen  Charakter  aber  sehr  unverträgliche  Cha- 
rakter der  Zürcher  mich  eine  Veränderung  des  Wohnorts  wün- 
schen machte. 

Ich  erwarte  die  gleiche  Freude  von  der  Erscheinung  Ihrer 
Metaphysik  der  Sitten,  mit  welcher  ich  Ihre  Religion  innerhalb 
der  Grenzen  usw.  gelesen  habe.  Mein  Plan  in  Absicht  des  Natur- 
rechts, dts  Staatsrechts,  der  Staatsweisheitslehre  geht  ins  weitere, 
und  ich  kann  leicht  ein  halbes  Leben  zur  Ausführung  desselben 
bedürfen.  Ich  habe  also  immer  die  frohe  Aussicht,  Ihr  Werk 
für  dieselbe  zu  benutzen.  —    Sollten  bis   dahin  meine  Ideen  sich 


HO 


Von  Johann   Gottlieb  Fichte 


formen,  und  ich  auf  unerwartete  Schwierigkeiten  stoßen;  wollen 
Sie  dann  wohl  erlauben,  daß  ich  mir  Ihren  gütigen  Rat  erbitte? 
Vielleicht  lege  ich,  doch  anonym,  in  verschiednen  Einkleidungen 
meine  der  Entwicklung  entgegenstrebende  Ideen  dem  Publikum 
zur  Beurteilung  vor.  Ich  gestehe,  daß  schon  etwas  dieser  Art 
von  mir  im  Publikum  ist,  wovon  ich  aber  vor  der  Hand  nicht 
wünschte,  daß  man  es  für  meine  Arbeit  hielte,  weil  ich  viele 
Ungerechtigkeiten  mit  voller  Freimütigkeit  und  Eifer  gerügt  habe, 
ohne  vor  der  Hand,  weil  ich  noch  nicht  soweit  bin,  Mittel  vor- 
geschlagen zu  haben,  wie  ihnen  ohne  Unordnung  abzuhelfen  sei.*) 
Ein  enthusiastisches  Lob,  aber  noch  keine  gründliche  Beurteilung 
dieser  Schrift  ist  mir  zu  Gesichte  gekommen.  Wollen  Sie  mir 
dieses  —  soll  ich  sagen  Zutrauen,  oder  Zutraulichkeit?  —  er- 
lauben, so  schicke  ich  es  Ihnen  zur  Beurteilung  zu,  sobald  ich 
die  Fortsetzung  aus  der  Presse  erhalte.  Sie,  verehrungswürdiger 
Mann,  sind  der  einzige,  dessen  Urteile  sowohl,  als  dessen  strenger 
Verschwiegenheit  ich  völlig  traue.  Über  poHtische  Gegenstände 
sind  leider!  bei  der  jetzig>;n  besondren  Verwickelung  fast  alle 
parteiisch,  selbst  recht  gute  Denker;  entweder  furchtsame  An- 
hänger des  Alten,  oder  hitzige  Feinde  desselben,  bloß  weil  es 
alt  ist.  —  Wollen  Sie  mir  diese  gütige  Erlaubnis  erteilen,  ohne 
welche  ich  es  nicht  wagen  würde,  so  wird,  denke  ich,  der  Herr 
Hofprediger  SCHULZ  Gelegenheit  haben,  Briefe  an  mich  zu  be- 
sorgen. 

Nein  —  großer,  für  das  Menschengeschlecht  höchstwichtiger 
Mann,  Ihre  Arbeiten  werden  nicht  untergehen,  sie  werden  reiche 
Früchte  tragen,  sie  werden  in  der  Menschheit  einen  neuen  Schwung 
und  eine  totale  Wiedergeburt  ihrer  Grundsätze,  Meinungen,  Ver- 
fassungen bewirken:  Es  ist,  glaube  ich,  nichts,  worüber  die  Folgen 
derselben  sich  nicht  verbreiteten.  Und  diesen  Ihren  Entdeckungen 
gehen  frohe  Aussichten  auf.  Ich  habe  Herrn  H.  PR.  SCHULZ 
darüber  einige  Bemerkungen  geschrieben,  die  ich  auf  meiner  Reise 
gemacht,  und  ihn  gebeten,  sie  Ihnen  mitzuteilen. 

Was  muß  es  sein,  großer  und  guter  Mann,  gegen  das  Ende 
seiner  irdischen  Laufbahn  solche  Empfindungen  haben  zu  können, 
als  Sie!  Ich  gestehe,  daß  der  Gedanke  an  Sie  immer  mein  Genius 
sein    wird,    der    mich    treibe,    soviel    in    meinem   Wirkungskreise 


')  Fichtes    Beiträge    zur    Berichtigung    der  Urtheile  des  Publikums 
über  die  französische  Revolution,  anonym  erschienen,  2 Teile,  o.  J.  (i793)- 


An  Carl  August  von  Struensee  i  z  i 

liegt,    auch    nicht    ohne  Nutzen    für    die    Menschheit    von    ihrem 
Schauplatze  abzutreten. 

Ich  empfehle  mich  der  Fortdauer  Ihres  gütigen  Wohlwollens 
und  bin  mit  der  vollsten  Hochachtung  und  Verehrung 

Euer  Wohlgeboren 
Zürich,  innigst  ergebener 

den    lo.   September    1793.  Fichte. 


3^6. 
An  Carl  August  von  Struensee.*) 

(Entwurf.) 

[20.  September  1793.] 
rLuer  Exzellenz  dem  Staatsbesten  geweihete  kostbare  Zeit 
einige  Augenblicke  zu  entziehen,  würde  ich  mir  selbst  zum  Vor- 
wurf machen,  wenn  mir  nicht  meine  gehorsamste  Bitte,  einen 
Mann,  der  hierzu  in  Ihren  Händen  auch  ein  sehr  brauchbares 
Werkzeug  sein  kann,  Ihrer  gnädigen  Aufmerksamkeit  zu  würdigen 
hierin  nicht  zur  Entschuldigung  zu  dienen  schiene.  —  Der  Ein- 
nehmer BRAHL,  der  bisher  in  seinem  Posten  die  pünktlichste 
unbestechhche  Treue  bewiesen  hat  und  damit  einen  hellen  Kopf, 
der  die  Mißbräuche  durchschaut  und  eine  Offenheit,  die  keine 
parteiische  Verheimlichung  zuläßt,  verbindet,  schmeichelt  sich  in 
gegenwärtigen  Zeitumständen  einigen  Fortschritt  zur  Verbesserung 
zu  tun,  wenn  sein  Schicksal  es  nicht  will,  daß  er  übersehen  wird. 
Die  Vorschläge  dazu  hat  er  auf  mein  Verlangen  auf  beiliegendem 
Blatte  ausgedrückt,  an  deren  Bescheidenheit  und  Wahrheit  ich 
mich  nach  seinem  mir  gnugsam  bekannten  Charakter  verbürgen 
kann. 

Die  Zufriedenheit,  welche  Euer  Exzellenz  Vortrag  unter  der 
hiesigen  Kaufmannschaft  verbreitet  hat,  die  Hoffnung  des  gemeinen 
Wesens  unter  einer  solchen  Administration  das  öffentliche  Beste 
im  kleinen  sowohl  als  im  großen  befördert  zu  sehn,  endlich 
auch    der  Anteil,    den  Sie    mich    an   Ihrer    angenehmen   und    be- 

')  K.  A.  von  Struensee  (173J  — 1804),  seit  1791  preußischer 
Staatsminister  und  Chef  des  Zolldepartements. 


111     An  F.  Th.  de  la  Garde.  —   Von  Johann  Erich  Biester 

lehrenden    gesellschaftlichen   Unterhaltung   nehmen    zu    lassen,    Sic 
mir  die  Ehre  bewiesen  haben,  lassen  mich  hoffen,    daß  die  Frei- 
heit meines  Gesuchs  nicht  ungeneigt  werde  aufgenommen  werden. 
Mit  der  größten  Verehrung  bin  ich  jederzeit 


H7- 
All  F.  Th.  de  la  Garde. 

Euer  Hochedelgeboren 

werden  sich  erinnern,  daß  Sie  mir 
noch  einige  Freiexemplare  von  der  zweiten  Auflage  meiner  Kritik 
der  Urteilskraft  versprochen.  Da  ich  deren  nun  eben  nicht  be- 
darf, so  schlage  ich  vor,  mir,  statt  derselben,  die  Reisen  des 
jüngeren  Anacharsis^)  oder,  wenn  das  zuviel  ist,  Mon- 
taignes  Gedanken  und  Meinungen  usw.  aus  Ihrem  Verlage 
zum  Ersatz  zu  geben  und,  was  ich  zulegen  müsse,  um  auch  die 
erstere  zu  bekommen,  mir  zu  melden. 

Wenn  sich  Gelegenheit  findet,  Ihnen  sonst  gefällig  zu  werden, 
so  werde  nicht  ermangeln,  zu  beweisen,  daß  ich  jederzeit  sei 

Ihr 
ergebenster  Freund  und  Diener 

Königsberg,  I.   Kant, 

den    20.  September    1793. 


338. 

Von  Johann  Erich  Biester. 

Berlin,  den  5.  Oktober  1793. 
Endlich  bin  ich  imstande,  mein  verehrungswürdigster  Freund, 
Ihnen  das  neue  Quartal  der  Berliner  Monatsschrift  zuzusenden; 
und  ich  tue  es  mit  dem  allerverpflichtetesten  Danke  für  den  treff- 
lichen Aufsatz  im  September.^)  Er  ist,  Ihrem  Willen  gemäß,  un- 
geteilt   in    einem    Stücke    abgedruckt.      Wie    reichhaltig    an    den 

')  Barth  elemy,  Voyage  du  jeune  Anacharsis  en  Grece,  Paris  1788, 
deutsch  von  Biester,  Berlin   1792/93. 
*)  S.  oben  S.  146,  Anm.  i. 


Vojt   'Johann  Erich  Biester  225 

wichtigsten  Belehrungen  ist  er  nicht!  Vorzüglich  hat  mir  die 
Ausführung  des  zweiten  Abschnitts  ganz  ungemein  gefallen,  wegen 
der  neuen  Vorstellungsart  und  der  meisterhaften  Entwicklung  der 
Begriife.  Um  ganz  unverhohlen  zu  reden,  hat  er  mir  vielleicht 
darum  um  desto  mehr  gefallen,  weil  er  mir  das  (von  Anfang  an 
mir  unwahrscheinliche)  Gerücht  zu  widerlegen  scheint,  als  hätten 
Sie  sich  sehr  günstig  über  die  mir  immer  ekelhafter  werdende 
französische  Revolution  erklärt,  worin  doch  die  eigentliche  Frei- 
heit der  Vernunft  und  die  MoraHtät  und  alle  weise  Staatskunst 
und  Gesetzgebung  auf  das  schändlichste  mit  den  Füßen  getreten 
werden,  —  und  welche  selbst,  wie  ich  aus  Ihrer  itzigen  Ab- 
handlung lerne,  das  allgemeine  Staatsrecht  und  den  Begriff  einer 
bürgerlichen  Verfassung  auf  das  gröbste  verletzet  und  aufhebt. 
Freilich  ist  das  Kopfabschneiden  (vornehmlich,  wenn  man  es 
durch  andere  tun  läßt)  leichter,  als  die  starkmütige  Auseinander- 
setzung der  Vernunft-  und  Rechtsgründe  gegen  einen  Despoten, 
sei  er  ein  Sultan  oder  ein  despotischer  Pöbel;  bis  itzt  sehe  ich 
aber  bei  den  Franzosen  nur  jene  leichteren  Operationen  der  blu- 
tigen Hände,  nicht  der  prüfenden  Vernunft. 

In  Absicht  Ihres  ersten  Abschnittes  wünschte  ich  wohl,  daß 
Sie  den  Aufsatz  von  SCHILLER  „Über  Anmut  und  V^ürde"  (in 
der  Thalia  1795,  Stück  2,;  auch  einzeln  gedruckt)  einmal  ansehn 
und  gelegentlich  auf  dasjenige  Rücksicht  nehmen  möchten,  was 
er  recht  speziös  über  Ihr  Moralsystem  sagt,  daß  nämlich  darin 
zu  sehr  die  harte  Stimme  der  Pflicht  (eines  zwar  von  der  Ver- 
nunft selbst  vorgeschriebenen,  aber  gewissermaßen  doch  fremden 
Gesetzes)  ertöne  und  zu  wenig  auf  die  Neigung  Rücksicht  ge- 
nommen sei. 

Mit  Ihrem  Auftrage  und  Herrn  BRAHLS  Briefe  bin  ich  so- 
gleich zu  dem  Herrn  Minister  VON  STRUENSEE  gegangen.  Er 
wiederholt  Ihnen  sein  Versprechen,  daß  er  auf  die  tätigste  und 
beste  Weise  für  Herrn  BRAHLS  Fortkommen  sorgen  wolle.  Die 
itzige  Stelle  desselben  sei  noch  nicht  ganz  reguhert;  er  werde 
mehr  Emolumcnte  dabei  finden,  als  er  itzt  selbst  glaube.  Auch 
sei  es  der  Eintritt  in  eine  bessere  höhere  Laufbahn,  wo  derselbe 
immer  weiter  fortrücken  werde,  nur  müsse  er  etwas  Geduld 
haben.  Über  seine  Vorschläge  äußerte  sich  der  Minister  dahin: 
daß,  wenn  solche  Veränderungen  vorgingen,  die  Aufrückungen, 
ob  man  sie  gleich  oft  in  den  Provinzen  genau  berechnen  wolle, 
nicht  so    bestimmt    wären,    sondern    er    sich    durchaus    das  Recht 


22. 


Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter 


vorbehalte,  neue  Einrichtungen,  Versetzungen  der  Personen,  Ver 
teilungen  der  Stellen  usw.  zu  treffen.  Die  von  Herrn  BRAHL 
genannten  zwei  Männer  w^ürden  nicht  in  dem  geglaubten  Maße 
aufrücken.  Er  (der  Minister)  wolle  immer  gern  Wünsche  an- 
hören, nur  müsse  man  nicht  übel  nehmen,  wenn  er  sie  nicht 
jedesmal  in  der  vorgelegten  Art  befriedige.  —  Übrigens  trug  er 
mir  recht  viele  Grüße  und  herzliche  Empfehlungen  an  Sie,  teurester 
Mann,  auf. 

Leben    Sie    herzlich    wohl    und    bleiben    meiner    gütigst    ein- 
gedenk ! 

Biester. 

Ihr  Briefchen  an  Herrn  LAGARDE  ist  sogleich  besorgt  wor- 
den.    Darf  ich    bitten,    die  Einlage    auf  die  Westpreußische  Post 


zu 


send 


en; 


339- 
Von  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Berlin,  den   15.  November    1793. 
Hochzuehrender  Herr  Professor, 

Ich  habe  mir  die  Freiheit  genommen,  Ihnen  vor  ungefähr  14 
Tagen  ein  kleines  Fäßchen  mit  Teltower  Rüben  zu  überschicken, 
und  ich  würde  Sie  auch  schon  davon  benachrichtigt  haben,  wenn 
ich  nicht  gewünscht  hätte,  Ihnen  zugleich  das  erste  Stück  der 
philosophischen  Bibliothek,  die  ich  mit  dem  Herrn  Prof.  FISCHER 
gemeinschaftlich  herausgebe,  übersenden  zu  können;  allein  da  der 
auswärtige  Druck  die  Sache  ins  weite  zieht,  so  habe  ich  mich 
schon  entschließen  müssen,  Ihnen  das  Werkchen  nachzuschicken, 
damit  Sie  nicht  die  Rüben  erhalten,  ohne  davon  benachrichtigt 
zu  sein.  Ich  wünsche  nichts  mehr,  als  daß  sie  Ihren  Beifall  er- 
halten mögen;  dafür  habe  ich  gesorgt,  daß  sie  wirklich  aus 
Teltow  sind. 

Sie  werden  sich  wundern,  daß  ich  die  philosophische  Bibliothek 
auswärts  drucken  lasse,  allein  Herr  HERMES  haben  es  für  gefähr- 
lich halten,  einen  Auszug  aus  HEIDENREICHS  natürlicher  Religion 
drucken  zu  lassen  und  in  dem  ersten  Bogen  eine  solche  Menge 
Korrekturen  gemacht,  daß  ich  mich  zum  auswärtigen  Druck 
entschließen    mußte.     Seine   Korrekturen    sind  Meisterstücke,    und 


Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter  125 

verdienten  wohl,  als  ein  Aktenstück  der  Berliner  Zensur  gedruckt 
zu  werden,  wenn  ich  nicht  die  Ruhe  liebte.  Er  will  Gott  fiir 
kein  Individuum  gelten  lassen,  man  soll  durch  Tugend  sich  nicht 
der  Glückseligkeit  würdig,  sondern  fähig  machen,  und  was  des 
Zeugs  alles  mehr  ist.  Ich  erwarte  nun,  ob  er  das  Buch  verbieten 
wird;  tut  er  dies,  so  bin  ich  entschlossen,  gegen  ihn  zu  klagen. 
Mich  hat  er  hingegen  noch  glimpflich  behandelt,  Herr  Professor 
GRILLO,  ein  Mann,  von  60  Jahren,  wollte  einen  Auszug  aus 
Ihrer  Religion  innerhalb  der  Grenzen  der  Vernunft  drucken  lassen, 
dem  hat  er  wie  einem  Schulknaben  Knittel  am  Rande  des  Manu- 
skripts   gemacht.     Wäre   GRILLO  nur  nicht    zu  friedliebend.   — 

Sie  sehen,  wir  stehen  unter  harten  Zuchtmeistern,  und  HERMES 
hat  selbst  zu  meinem  Verleger  gesagt,  er  erwarte  nur  den  Frieden, 
um  mehrere  Kabinettsordres,  die  er  im  Pulte  habe,  ans  Tagslicht 
zu  bringen.  Jetzo  besuchen  diese  Herren  die  Schulen  und  exa- 
minieren die  Kinder,  unter  andern  erzählt  man  ein  Examen  von 
WOLTERSDORF  in  der  Schule  des  grauen  Klosters,  was  wirk- 
lich merkwürdig  ist.  Ganz  dasselbe  herzusetzen,  wäre  Zeitverlust, 
aber  nur  die  beiden  ersten  Fragen:  W.  Wie  alt  bist  du,  mein 
Sohn?  K.  9  Jahr.  W.  Wo  warst  du  denn  vor  10  Jahren?  — ! 
Übrigens  ist  die  Sache  keine  Erdichtung  eines  lustigen  Kopfs, 
sondern  strenge  Wahrheit. 

Das  neue  Gesetzbuch  wird  nunmehro  eingeführt,  aber  mit  4 
Abänderungen,  wovon  mir  die  eine  entfallen  ist.  i.  wird  aus  der 
Vorrede  die  Anpreisung  weggelassen,  daß  die  Monarchie  die  beste 
Regierungsform  sei,  weil  sich  dies  von  selbst  versteht;  2.  der 
Artikel  wegen  der  Ehe  an  der  linken  Hand  ausgestrichen  und 
3.  der  Artikel  über  die  Strafen  der  Geisterbeschwörer  aufgehoben. 

Wie  es  mit  dem  Kriege  werden  wird,  weiß  niemand.  Gestern 
versicherte  mich  jemand,  daß  wir  an  Ostreich  eine  Forderung  von 
45  Millionen  machten,  unter  welcher  Bedingung  wir  den  Krieg 
allein  fortsetzen  wollten.  Gewiß  ist  es  wohl,  daß  wir  zu  An- 
fange des  Kriegs  den  Ostreichern  viel  Vorschüsse  getan  haben, 
weil  bei  ihnen  nicht  alles  so  ordentlich  ist,  als  bei  uns.  Man 
erwartet  hier  einen  außerordentlichen  Gesandten  von  Ostreich. 
Die  Prinzen  werden  in  8  Tagen  erwartet,  so  auch  der  König, 
der  jetzt  in  Potsdam  ist.  LUCCHESINI,  der  Schwager  von 
BISCHOFSWERDER,  geht  als  Gesandter  nach  Wien.  Jedermann 
wünscht  sehnlich  den  Frieden. 

Gern   möchte  ich  Ihnen  noch  vieles  schreiben,  aber  ich  habe 

Kants  Schriften.  Bd.  X.  15 


ii6  Hn  Salomon  Maimon 

vergessen,  daß  der  Brief  vor  5  Uhr  auf  der  Post  sein  muß,  und 
es  ist  gleich  5  Uhr.  —  Ich  empfehle  mich  Ihrer  fortdaurenden 
Freundschaft  und  bin  mit  der  höchsten  Achtung 

Ihr 

dankbarer  Schüler 

JGG.  Kiesewetter. 

Von  Salomon  Maimon. 

Durchdrungen  von  der  Ihnen  schuldigen  Hochachtung  und 
Ehrerbietung,  die  ich  nie  aus  den  Augen  gelassen  habe,  und  mir 
meiner  unschicklichen  Zudringlichkeit  bewußt,  konnte  ich  doch 
nicht  umhin,  mir  diesmal  die  Freiheit  zu  nehmen,  an  Sie  zu 
schreiben,  und  Ihnen  beiliegendes  Exemplar  einer  kleinen  Schrift 
zur  Beurteilung  zu  überschicken.*) 

Durch  Sie,  würdiger  Mann!  überzeugt,  daß  allen  unsern  Er- 
kenntnissen eine  Kritik  des  Erkenntnisvermögens  vorhergehen  muß, 
müßte  es  mich  nicht  wenig  befremden,  daß  seit  der  Erscheinung 
dieser  Kritik,  und  einiger  Versuche,  besondere  Wissenschaften  den 
Forderungen  dieser  Kritik  gem'äß  zu  bearbeiten,  keine  Logik  den 
Forderungen  einer  solchen  Kritik  gemäß  bearbeitet,  zum  Vorschein 
gekommen  ist.  Meiner  Überzeugung  nach  kann  sich  selbst  die 
Logik,  als  Vv^issenschaft,  der  Kritik  nicht  entziehen.  Die  all- 
gemeine Logik  muß  zwar  von  der  transszendentalen  getrennt, 
aber  mit  Rücksicht  auf  diese  bearbeitet  werden. 

Ich  glaube  in  dieser  kleinen  Schrift  die  Notwendigkeit  und 
Wichtigkeit  einer  solchen  Behandlung  der  Logik  genugsam  gezeigt 
zu  haben.  Die  Logik  ist,  meiner  Überzeugung  nach,  nicht  bloß 
einer  Berichtigung,  sondern  auch  einer  Erweiterung  und 
systematischen  Ordnung  fähig.  Berichtigt  wird  die  Logik 
dadurch,  daß  man  die  logischen  Formen  nicht  (wie  es  vermutlich 
die  ersten  Logiker,  selbst  ARISTOTELES  nicht  ausgenommen, 
getan  haben)  von  ihrem  Gebrauche  abstrahiert,  wodurch  ihnen 
etwas  Fremdartiges  noch  immer  anklebt,  sondern  vielmehr  durch 
Reflexion  über  das  Erkenntnisvermögen  zu  bestimmen  und  voll- 
zählig   zu    machen    sucht.     Erweitert  kann  sie  dadurch  werden, 

*)  Streifereien  im  Gebiete  der  Philosophie,  Berlin   I793' 


Von   Theodor  Gottlieb  von  Hippel  217 

daß  man  Methoden  angibt,  alle  mögliche  zusammengesetzten  in 
die  einfachen  Formen  aufzulösen.  Die  systematische  Ordnung 
aber  kann  sie  dadurch  erhalten,  daß  man  die  sogenannten  Opera- 
tionen des  Denkens  und  die  logischen  Formen  nicht  isoliert, 
sondern  nach  ihrer  wechselseitigen  Abhängigkeit  von  einander 
abhandelt.  Dieses  würde  einen  logischen  Stammbaum  abgeben, 
den  man  mit  Recht  Baum  der  Erkenntnis  nennen  könnte. 

Ich  bin  jetzt  damit  beschäftigt,  eine  Logik  dieser  Idee  gemäß 
auszuarbeiten;^)  werde  mich  also  glücklich  schätzen,  wenn  ich 
Ihre  Meinung,  sowohl  über  den  Plan  als  über  die  mögliche  Aus- 
führbarkeit desselben,  erhalten  und  zum  Richtschnur  meiner  Arbeit 
machen  könnte.  In  Erwartung  dessen  verbleibe  ich  wie  immer 
mit  aller  Hochachtung  und  innigsten  Freundschaft 

Ew  Wohlgeborn 
Berlin  Ergebenster  Diener 

2ten  Dezember  S.  Maimon 

1793 

341. 

Von  Theodor  Gottlieb  von  Hippel. 

Verehrungswürdigster  Teurester  Freund. 
Ihre  gütige  Zuschrift  ist  von  der  Art,  daß  ich  sie  nicht  be- 
antworten kann.  Ich  habe  mir  zwar  von  jeher  den  Vorzug  Ihrer 
gütigen  freundschaftlichen  Gesinnungen  zugeeignet;  auf  den  herz- 
lichen Anteil  indes,  den  Sie  an  meiner  Krankheit  nehmen,  konnte 
ich  ohne  übertriebene  Selbstliebe  nicht  rechnen.  Empfangen  Sie, 
teurester  Lehrer  und  Freund,  meinen  vorläufigen  Dank,  den  ich 
bald  mündlich  ergänzen  werde.  Wie  sehr  ich  mich  nach  Ihrem 
lehrreichen  Umgang  sehne,  der  mir,  das  wissen  Sie  selbst,  mehr 
gilt  als  alles,  was  Königsberg  hat,  darf  ich  Ihnen  nicht  sagen, 
da  Sie  überzeugt  sind,  wie  innigst  ich  Sie  verehre.  Schon  ist  es 
mir  erfreulich,  Ihr  nachbarliches  Haus  aus  meinem  Arbeitszimmer 
zu  sehen,  und  mein  erster  Blick  war  täglich  dahin  gerichtet.  So 
soll  es  auch  immerwährend  bleiben,  solange  ich  sehen  kann  und 
solange  ich  durch  diese  Nachbarschaft  beglückt  werde. 

^)  Maimon,  Versuch  einer  neuen  Logik  oder  allgemeine  Theorie 
des  Denkens  etc.,  Berlin  1794. 

15* 


2z8  Von  Theodor  Gottlieb  von  Hippel 

Mein  Augenübel  verleugnet  nicht  die  Natur  der  Krankheiten, 
die  gemeinhin  geschwinde  kommen  und  langsam  gehen,  obgleich 
meine  Augen,  wie  Sie  sich  erinnern  werden,  schon  seit  geraumer 
Zeit  mir  ihren  Dienst  erschwerten.  Die  Wohnung,  die  ich  in 
Danzig  den  ganzen  Sommer  hindurch  hatte,  meine  vielen  Arbeiten 
und  die  hiesige  Schärfe  der  Luft,  die  wegen  der  Nachbarschaft 
der  See  auffallend  ist,  hat  diesen  Zufall  ohne  allen  Zweifel  be- 
schleuniget, der  mir  auf  immer  die  Lehre  zurücklassen  wird,  mich 
mehr  zu  schonen.  Herr  Kriminalrat  JENSCH  kann  Ihnen  die  Art 
der  hiesigen  Geschäfte  am  zuverlässigsten  anzeigen. 

Man  hat  der  Stadt  Danzig  bei  der  Okkupation  außerordent- 
lich viel  versprochen,  und  es  ist  billig,  daß  man  soviel  erfüllt, 
als  sich  nur  mit  den  Einrichtungen  der  preußischen  Staatsverfassung 
verträgt.*)  Die  Stadt  wird  also  nicht  wie  Königsberg,  sondern  nach 
eigener  Melodie  eingerichtet.  Auch  ohne  diese  Gnadenversiche- 
rungen hätte  man  auf  die  vorzüglichen  Rechte  Rücksicht  nehmen 
müssen,  welche  Danzig  nach  förmlichen  Verträgen  mit  Engeland, 
Dänemark  und  andern  Staaten  genießt,  und  die  man  dieser  Stadt, 
der  preußischen  Okkupation  ohnerachtet,  zu  erhalten  suchen  mußte. 
Die  Einrichtung  von  Thorn  ist  auch  von  hier  aus  besorgt  wor- 
den, und  außer  diesen  Geschäften  fallen  täglich  kurrente  Sachen 
vor,  die  oft  sehr  wichtig  sind,  indem  die  alte  Danziger  Verfassungen 
mit  der  unsrigen  in  einzelnen  Fällen  nicht  ohne  Schwierigkeiten 
zu  vereinbaren  sind.  Wenn  man  den  alten  Magistrat  und  die 
ganze  alte  Einrichtung  so  lange  unverletzt  gelassen  hätte,  bis  die 
StadtcoUegia  auf  preußischen  Fuß  wären  organisieret  worden,  so 
würden  diese  letzten  Arbeiten  nicht  stattfinden,  die  jetzo  durch 
den  gleich  bei  der  Okkupation  eingesetzten  Interimistischen  Magi- 
strat notwendig  werden.  Es  wird  also  jetzt  Danzig  halb  nach 
ihrer  vorigen,  halb  nach  unserer  Verfassung  regiert.  Alle  diese 
Umstände  indes  bleiben  unter  uns. 

Jetzt  ist  alles  dem  Ziel  nahe,  indem  bereits  sehr  viel  von  Hote 
aus  genehmiget  ist,  doch  wird  der  Verbindung  halber  alles  aut 
einmal  organisieret  werden  müssen.  Wem  die  Verhältnisse  der 
hiesigen  Arbeiten  nicht  genau  bekannt  sind,  hat  die  gerechteste 
Ursache  von  der  Welt,  über  meinen  hiesigen  verlängerten  Aufent- 
halt sich  zu  wnndern.    Verzeihen   Sie,  teurester  Freund,  diese  Ab- 


^)  Danzig  war  bei  der  zweiten  Teilung  Polens  (i793)   an  Freuden 
gekommen. 


An   'Johann  Gottfried  Kieseuoetter  izp 

Schweifung,  die  Herr  Kriminalrat  JENSCH,  wenn  Sie  sie  so  viel 
wert  halten,  noch  näher  ins  Licht  setzen  kann.  Soviel  bleibt 
gewiß,  daß  Danzig  den  Herrn  Oberpräsidenten  als  einen  Wohl- 
täter verehren  kann,  und  daß  die  Organisation  für  diese  Stadt 
bei  weitem  nicht  so  vorteilhaft  ausgefallen  sein  würde,  wenn 
derselbe  nicht  das  Zutrauen  des  Königes  zum  Besten  Danzigs  be- 
nutzt hätte. 

Ehe  ich  schließe,  muß  ich  noch  bemerken,  wie  wohltätig 
Ihre  mir  unvergeßliche  Zuschrift  vom  2.  Dezember  gewesen,  ich 
verdanke  ihrem  Inhalt  die  vorzüglichste  Nacht,  die  ich  noch  in 
meiner  Krankheit  gehabt  habe.  Die  Religion  innerhalb  der  Grenzen 
der  bloßen  Vernunft  habe  ich  mir  in  meiner  Krankheit  vorlesen 
lassen,  und  tausendmal  gewünscht,  daß  man  jetzt  in  Frankreich 
dieses  Buch  lesen  möchte,  welches  hier  in  Danzig  den  Namen: 
Kants  Religion  führt.  Der  unsterbliche  Name:  Immanuel  Kant 
darf  wahrlich  kein  Bedenken  tragen,  dieser  Schrift  vorgesetzt  zu 
sein,  die  sehr  viel  Gutes  stiften  kann  und  wird.  Jetzt  hab  ich 
nur  noch  die  Bitte,  daß  des  großen  Segens  ohnerachtet,  den  Ihre 
Bücher  stiften,  Sie  nicht  vergessen  mögen,  sich  zu  schonen.  Diese 
Bitte  darf  ein  Sohn  seinem  "Vater  tun,  wenngleich  er  überzeugt 
ist,  daß  der  Anspruch,  den  die  Welt  auf  seinen  Vater  hat,  dem 
seinigen  vorgeht. 

Herr  D.  JACHMANN,  an  den  ich  heute  wegen  meiner  Augen 
schreibe,  wird  Ihnen  von  ihrer  Beschaffenheit  Nachricht  erteilen. 
Sie  wissen,  wieviel  ich  auch  selbst  in  diesem  Fach  Ihrer  Einsicht 
traue. 

Eigenhändig  nenn  ich  mich  mit  der  treusten  Verehrung  und 
der  treusten  Freundschaft  den 

Ihrigen 
Danzig  d.  5.  Dezbr.  Hippel. 

342. 

An  Johann    Gottfried  Carl   Christian  Kiesewetter. 

Hochzuehrender  Herr  Professor. 
Ihr    freundschaftlicher  Brief   ist   mir  als  ein  solcher,  und  zu- 
gleich   durch    das    beigefügte   Geschenk  (welches  richtig  erhalten 
habe)   auf  doppelte  Art  angenehm  gewesen,  und  ich  wünsche  Ge- 
legenheit zu  haben,  beides  erwidern  zu   können. 


230  '^w  Fraulein  Maria  von  Herbert 

Zu  Ihrer  philos.  Bibliothek  guten  Aufnahme  im  Publikum 
habe  ich  mehr  Vertrauen,  als  zu  der  des  bestallten  Vormundes 
desselben,  welcher  als  biblischer  Theolog  die  Schranken  seiner 
Vollmacht  gerne  überschreitet  und  sie  auch  über  bloß  philoso- 
phische Schriften  ausdehnt,  die  doch  dem  philosophischen  Zensor 
zukommt,  der,  was  das  Übelste  bei  der  Sache  ist,  nicht,  wie  er 
sollte,  sich  dieser  Anmaßung  widersetzt,  sondern  sich  darüber  mit 
ihm  einversteht,  über  welche  Koalition  es  doch  einmal  zur  Sprache 
kommen  muß;  zu  geschweigen,  daß  ein  Buch  zensurieren  und  ein 
Exerzitium  korrigieren  zwei  ganz  verschiedene  Geschäfte  sind,  die 
ganz  unterschiedene  Befugnisse  voraussetzen.  Indessen,  da  Lärm 
blasen,  wo  lauter  Ruhe  und  Friede  ist,  jetzt  zum  Ton  der  Zeit 
gehört,  so  muß  man  sich  gedulden,  dem  Gesetz  genaue  Folge 
leisten  und  die  Mißbräuche  der  literarischen  Polizeivcrwaltung  zu 
rügen  auf  ruhigere  Zeiten  aussetzen. 

Ich  muß  mir  die  Bestellung  inliegender  Briefe  von  Ihrer  Güte 
erbitten,  weil  ich  nicht  weiß,  durch  wessen  Besorgung  es  eben- 
sogut geschehen  würde.  Alle  Aufträge  Ihrerseits  werde,  soviel 
in  meinem  Vermögen  ist,  gleichmäßig  auszurichten  bereit  sein, 
wobei  ich  jederzeit  bin 

Ihr 

Königsberg  ergebenster  Freund  und  Diener 

d.    13.  Dez. 


i75>3- 


I.  Kant. 


343- 
Von  Fräulein  Maria  von  Herbert. 

Klagenfurt,  im  Anfang  des  Jahres    1794. 

Hochgeehrter  und  innigstgeliebter  Mann! 

Haben  Sie  mir's  nicht  vor  ungut,  und  gönnen  Sie  mir  das 
Vergnügen,  mit  Ihrem  gewöhnlichen  Wohlwollen,  Ihnen  wieder 
einmal  schreiben  zu  können,  denn  ich  empfinde  dabei  den  höch- 
sten Genuß  der  tiefsten  Achtung  und  Liebe  gegen  Ihre  die  Mensch- 
heit erhöhende  Person,  und  daß  diese  für  uns  beglückende  Ge- 
fühle   sind,    darf  ich    Ihnen    nicht    erst    beweisen,    indem  Sie  so 


Pon  Fräulein  Maria  von  Herbert  231 

glücklich  waren,  uns  das  reinste  und  heiligste  Gefühl  aufzufinden, 
und  es  auch  allzeit  vor  Religionsverunstaltungen  zu  retten.  Ich 
kann  nicht  umhin,  Ihnen  insbesondere  für  „die  Religion  inner- 
halb der  Gränzen  der  Vernunft"  im  Namen  aller  jenen  aufs  wärmste 
zu  danken,  die  sich  von  denen  so  vielfach  verstrickten  Fesseln 
der  Finsternis  losgerissen  haben.  Entziehen  Sie  uns  nicht  Ihrer 
weisen  Leitung,  solang  Sie  finden,  daß  es  uns  noch  an  etwas 
mangeln  kann,  denn  nicht  unser  Begehren  nach  Befriedigung, 
sondern  nur  Ihre  Übersicht  kann  urtheilen,  was  uns  noch  ferner 
nöthig  ist.  Ich  fühlte  mich  bei  der  Kritik  der  reinen  Vernunft 
schon  ganz  berichtiget,  und  doch  fand  ich  bei  Ihren  folgenden 
Schriften,  daß  keine  überflüssig  waren;  gern  wollt'  ich  dem  Lauf 
der  Natur  Stillstand  gebieten,  um  nur  versichert  zu  sein,  daß  Sie 
vollenden  können,  was  Sie  für  uns  angefangen,  und  gern  wollt' 
ich  meine  künftigen  Lebenstage  an  die  Ihrigen  hängen,  um  Sie 
beim  Ausgang  der  französischen  Revolution  noch  in  dieser  Welt 
zu  wissen. 

Ich  hatte  das  Vergnügen,  ERHARD  selbst  zu  sehen,  welcher 
mir  sagte,  daß  Sie  sich  nach  mir  erkundigten,  aus  dem  schloß 
ich,  daß  Sie  meinen  Brief,  bei  Anfang  des  Jahrs  1793  erhalten 
haben,  denn  ich  habe  keine  Antwort  bekommen,  weil  Sie's  ver- 
muthlich  besser  verstanden,  als  ich,  daß  mir  durch  Ihre  Werke  der 
Weg  schon  gebahnt  ist,  selbst  darauf  zu  stoßen.  Da  ich  voraus- 
setze, daß  Sie  der  Gang  jedes  Menschen  interessirt,  der  Ihrer 
Leitung  so  viel  zu  danken  hat,  als  ich,  so  will  ich  versuchen, 
Ihnen  die  ferneren  Fortschritte  meiner  Stimmung  und  Gesinnung 
mitzutheilen.  Lange  hatte  ich  mich  gequält,  und  vieles  nicht  ver- 
eint, denn  ich  mischte  Gottes  Anordnung  in  das  Zufällige  des 
Schicksals,  und  begnügte  mich  nicht  lediglich  mit  dem  Gefühl 
von  Dasein;  da  sehen  Sie  nun  gleich,  wie  es  mir  ging,  weil  ich  zu 
viel  erwischte,  ich  betrachtete  die  widrigen  Zufälle  des  Lebens  von 
ihm  an  mich  gesandt,  und  sträubte  mich  dagegen  als  gegen  eine 
Ungerechtigkeit,  weil  mich  mein  Bewußtsein  der  Schuld  frei 
sprach,  oder  ich  dachte  es  nicht  von  ihm  geordnet,  und  das  Ge- 
fühl für  ihn  war  zugleich  auf  diesem  Weg  verloren.  Endlich 
die  Antinomien,  welche  die  Hauptursache  meiner  dauerhaften  Ge- 
nesung sind,  hätten  mich  ebenso  leicht  zu  einer  unwiderrufÜchen 
Handlung  verleiten  können,  so  lange  zog  ich  damit  herum,  denn 
darüber  abzuschließen  war  ich  nicht  imstande,  bis  dann  ganz  auf 
einer  andern  Seite  in  mir  ein  moralisches  Gefühl  erwachte,    was 


2)2 


Von  J^ohann  Erich  Biester 


fest  neben  den  Antinomien  stehenblieb,  und  ich  fühlte  von  der 
Zeit  an,  daß  ich  überwunden  und  meine  Seele  gesund  sei.  Es 
hat  mir  indessen  an  langwierigen  Widerwärtigkeiten  des  Lebens 
nicht  gemangelt,  die  meine  dermalige  Stimmung  genugsam  prüften, 
daß  sie  endlich  nach  schwerer  Arbeit  einer  unerschütterlichen 
Ruh'  genießt.  Auch  verstand  ich  in  der  Folge,  mir  den  Wunsch 
des  Todes  zu  erklären,  was  mir  dazumal  eine  widernatürliche  Ver- 
folgung meiner  selbst  schien,  und  mich  es  grad  nach  meiner  Zer- 
nichtung lüstete,  auch  das  Vergnügen  der  Freundschaft,  für  welche 
mein  Herz  doch  allzeit  deutlich  geschlagen,  schützte  mich  nicht 
davor;  ich  betrachtete  auch  das  als  einen  unverdienten  Zustand, 
mit  welchem  ich  kein  anderes  Wesen  behaftet  wissen  wollte,  denn 
in  Betracht,  daß  ich  endlich  wäre,  war  mir  nie  kein  Vergnügen, 
welches  es  auch  geben  mag,  dafür  Ersatz,  ohne  Zweck  zu  leben; 
nun  aber  ist  mein  Wunsch  geblieben,  und  meine  Anschauung  hat 
sich  geändert;  ich  denke,  daß  jedem  reinen  Menschen  der  Tod, 
in  einer  egoistischen  Beziehung  auf  sich  selbst,  das  Angenehmste 
ist,  nur  in  Rücksicht  der  Moralität  und  Freunde  kann  er,  mit  der 
größten  Lust  zu  sterben,  das  Leben  wünschen,  und  es  in  allen 
Fällen  zu  erhalten  suchen.  Ich  wollte  Ihnen  noch  gern  vieles 
sagen,  wenn  ich  mir  nicht  ein  Gewissen  daraus  machete^  Ihre 
Zeit  zu  rauben;  mein  Plan  ist  noch  immer,  Sie  einst  in  Begleitung 
meines  Freundes  (von  dem  ich  jetzt  leider  vielleicht  mehr  als  ein 
Jahr  abwesend  sein  werde,  und  schon  lange  bin)  zu  besuchen, 
indessen  kann  ich  Ihr  Andenken  nie  anders  als  mit  dem  wärm- 
sten Gefühl  des  Danks,  der  Liebe  und  Achtung  weihen,  der 
Himmel  beschütze  Sie  vor  allem  Ungemach,  auf  daß  Sie  lang 
leben  auf  Erden!      Ihre  mit  ganzem  und  vollem  Herzen 

ergebene  Maria  Herbert. 


'  344- 
Von  Johann  Erich  Biester. 

Sie  konnten  wohl  nur  vermuten,  mein  verehrungswürdiger 
Freund,  daß  ich  Ihre  treflPlichen  Beiträge  nicht  mehr  zu  erhalten 
wünschte,  wenn  ich  durch  einen  Umstand  veranlaßt  würde,  die 
Berl.  Monatsschrift  ganz  aufzugeben.  Sollte  dies  aber  je  der  Fall 
sein,  so  würde  ich,  meiner  Schuldigkeit  gemäß,  eilen,  die  gütigen 


Von  Johann  Erich  Biester  233 

Freunde,  welche  mich  unterstützen,  davon  zu  benachrichtigen;  und 
gewiß  vor  allen  Dingen  Sie.  Bei  der  letzten  Absendung  drängten 
mich  verschiedene  Geschäfte;  und  da  in  dem  Quartale  vom 
Oktob. — Dezember  kein  Aufsatz  von  Ihnen  gedruckt  war,  so  hielt 
ich  es  mir  für  erlaubt,  diesmal  bloß  die  Stücke  ohne  einen  Brief 
von  mir  einzupacken.  Recht  herzlich  bitte  ich  Sie  aber  um  Ver- 
zeihung, wenn  ich  Ihnen  dadurch  auch  nur  eine  Stunde  Verlegen- 
heit oder  unangenehme  Empfindung  verursacht  habe.  Daß  dies 
meine  Absicht  nicht  gewesen  ist,  noch  hat  sein  können,  werden 
Sie  mir  gewiß  glauben,  und  mir  also  nichts  von  Ihrer  gütigen 
Freundschaft  entziehen. 

Ihr  letzter  sachreicher  Aufsatz  im  September  beschäftigt  noch 
immer  manche  Köpfe  und  Federn.  Ich  selbst  habe  es  gewagt,  in 
einer  kleinen  Nummer,  welche  ich  gegen  Herrn  ZIMMERMANN 
in  Braunschweig  schrieb  (Novemb.  Nr.  6),  mich  darauf  zu  be- 
ziehen, und  einigermaßen  bei  dieser  Gelegenheit,  soviel  es  sich 
dabei  tun  ließ,  das  auszudrücken,  was  ich  über  den  Aufsatz  und 
über  den  Verfasser  denke.  —  Die  Abhandlung  des  Herrn  Kriegsrat 
GENZ  im  Dez.  werden  Sie  itzt  gelesen  haben.  Aufrichtig  gesagt, 
scheint  er  mir  und  mehrern  Beurteilern,  die  ich  bis  itzt  darüber 
gehört  habe,  nicht  tief  eingedrungen  zu  sein,  keine  erhebliche 
Bemerkung  oder  Anwendung  gemacht  zu  haben.  Ich  kann  dies 
um  so  freier  hier  sagen,  da  ich  es  ihm  selbst,  als  er  mir  das 
Manuskript  schickte,  z.  B.  über  seine  Einwendung  gegen  Ihren 
so  gerechten  Tadel  der  väterlichen  Regierung  im  Gegensatz  der 
vaterländischen,  geschrieben  habe.  Er  hat  indes  nicht  für  gut 
gefunden,  diese  Stelle  zu  ändern,  obgleich  er  es  bei  mehrern, 
welche  ich  ihm  anzeigte,  getan  hat.  Ein  Hauptzusatz  zu  Ihrer 
Abhandlung  wäre  die  Bemerkung  von  GENZ  über  die  Konsti- 
tution, welche  uns  nämlich  von  dem  freilich  nicht  rechtmäßigen, 
aber  doch  auch  nicht  mit  Gewalt  zu  hindernden  Druck  der 
Tyrannei  retten  soll;  —  ich  sage,  es  wäre  ein  Hauptzusatz, 
wenn  er  nur  mehr  als  das  Wo  rt  Konstitution  enthielte,  und  aus 
Prinzipien  des  Rechts  a  priori  zeigte  (oder  zeigen  könnte),  wie 
eine  solche  Konstitution  zu  machen  ist,  wer  sie  eigentlich  machen 
soll  u.  darf,  mit  welchen  rechtlichen  Mitteln  man  sie  aufrecht 
erhalten  kann  u.  s.  w.  GENZ  ist  gewiß  ein  guter  Kopf;  nur 
dieser  Aufsatz  ist  zu  flüchtig  geschrieben,  u.  nicht  mit  dem 
Nachdenken,  welches  der  große  Gegenstand  verdient  und  er- 
fordert. 


M4 


yon  jfoharm  Erich  Biester 


Im  Februarstück  dies.  Jahrs,  welches  hoflPentlich  bald  erscheint, 
werden  Sie  einen  Aufsatz  von  Herrn  REHBERG  in  Hannover 
finden,  über  Ihren  Aufsatz  im  September.*)  Er  weicht  in  manchem 
ganz  von  Ihnen  ab;  der  Aufsatz  scheint  mir  aber  gut  u.  gedacht 
geschrieben.  Was  ich  wünschte,  und  gewiß  mehrere  Leser  mit 
mir,  wäre:  daß  Ihnen  dies  eine  Veranlassung  würde,  sich  über 
manches  noch  ausführlicher  zu  erklären.  —  Um  diesen  Brief  etwas 
interessanter  zu  machen,  als  wenn  ich  bloß  selbst  rede,  lege  ich 
ein  Schreiben  des  Herrn  GARVE  an  mich  bei,  welcher  im  Grunde 
denselben  Wunsch  oder  Gedanken  äußert. 

Die  spätere  Erscheinung  der  Stücke  kömmt  davon  her,  daß 
der  Verleger  Herr  SPENER,  der  hiesigen  Zensur  wegen,  die 
Monatsschrift  an  einem  auswärtigen  Ort  (ehmals  Jena,  itzt  Dessau) 
muß  drucken  lassen,  und  den  blauen  Umschlag  an  einem  andern 
Ort  (Halle)  drucken  läßt,  damit  er  eine  Art  von  Kontrolle  über 
den  ersten  Drucker  zu  führen  imstande  ist,  welcher  sonst,  wenn 
er  Monatsschrift  u.  Umschlag  beides  druckte,  soviel  Exemplare 
als  er  Lust  hätte,  setzen  könnte  über  die  von  dem  Verleger  ihm 
vorgeschriebene  Anzahl.  Der  Jänner  ist  itzt  da,  bald  auch  der 
Februar;  ich  hoflFe,  es  künftig  möglich  zu  machen,  daß  die  Stücke 
etwas  früher  erscheinen. 

Sie  sehen  also,  mein  Teurester,  daß  ich  die  Monatsschrift  noch 
fortsetze;  Sie  sehen,  woran  Sie  auch  wohl  nie  können  gezweifelt 
haben,  daß  ich  (und  alle  Leser  mit  mir)  Ihre  Beiträge  auf  das 
höchste  schätze.  Nehmen  Sie  also  meine  Bitte  um  die  Fortsetzung 
derselben  mit  Ihrer  gewohnten  Güte  und  Bereitwilligkeit  zur  Er- 
füllung auf;  und  nehmen  Sie  zugleich  meinen  herzlichsten  Dank 
dafür  an,  daß  Sie  mir  bald  nach  Ostern  einen  Beitrag  zu  senden 
versprechen.  Ich  freue  mich  begierig  darauf,  und  werde  ihn,  wie 
sich  versteht,  sogleich  zum  Druck  befördern.  Fahren  Sie,  bitte 
ich,  dann  von  Zeit  zu  Zeit  mit  Ihren  Beiträgen  fort.  Außer  daß 
Sie  ein  gutes  Werk  darali  tun,  mich  zu  unterstützen,  bedenken 
Sie  auch;  daß  ein  solcher  in  vieler  Leser  Hände  kommender  Auf- 
satz oft  mehr  Wirkung  tut,  als  ein  eigenes  besonders  gedrucktes 
Buch. 


^)  Vgl.  Genz,  „Nachtrag  zu  dem  Raisonnement  des  Herrn  Prof. 
Kant  über  das  Verhältnis  zwischen  Theorie  und  Praxis"  (Berl.  Monats- 
schrift, Dezember  1793);  die  Abhandlung  von  Rehberg  behandelt  das 
gleiche  Thema. 


An  Carl  Leonhard  Re'mhold  235 

Besonders  aber,  bitte  ich,  lassen  Sie  nie  einiges  Mißtrauen 
oder  beunruhigende  Vermutung  über  mich  bei  sich  stattfinden; 
sondern  erkennen  mich  immer  dafür,  was  ich  wahrhaft  u.  auf- 
richtig bin, 

Ihr 
herzlicher  Verehrer  und 
treuer  Freund  und  Diener 
Berlin,  Biester. 

4  März  1794. 

An  Carl  Leonhard  Reinhold. 

Verehrungswürdiger  Herr 
Teurester  Freund! 
Aoit  dem  herzlichen  Wunsche,  daß  Ihre  Entschließung,  den 
Platz  der  Verbreitung  Ihrer  gründlichen  Einsichten  zu  verändern, 
Ihnen  selbst  ebenso  ersprießlich  und  für  alle  Ihre  W^ünsche  so 
befriedigend  sein  möge,  als  sie  gewiß  denen  sein  wird,  zu  welchen 
Sic  übergehen,  verbinde  ich  noch  denjenigen,  auch  mit  mir  nicht 
unzufrieden  zu  sein,  obzwar  ich  dazu,  dem  Anschein  nach,  Ur- 
sache gegeben  habe;  wegen  Nichterfüllung  meines  Versprechens, 
die  Aufforderung  betreffend,  Ihre  vortreffliche  mir  angezeigte 
Briefe,  vornehmlich  die  Prinzipien  des  Naturrechtes  angehend  (als 
mit  denen  ich  im  wesentlichen  mit  Ihnen  übereinstimme)  durch- 
zugehen und  Ihnen  mein  Urteil  darüber  zu  eröffnen.  Daß  dieses 
nun  nicht  geschehen  ist,  daran  ist  nichts  geringeres  schuld  als 
mein  Unvermögen!  —  Das  Alter  hat  in  mir,  seit  etwas  mehr  als 
drei  Jahren,  nicht  etwa  eine  sonderliche  Veränderung  im  Mecha- 
nischen meiner  Gesundheit,  noch  auch  eine  große  (doch  merk- 
liche) Abstufung  der  Gemütskräfte,  den  Gang  meines  Nachdenkens, 
den  ich  einmal  nach  einem  gefaßten  Plane  eingeschlagen,  fortzu- 
setzen, sondern  vornehmlich  eine  mir  nicht  wohl  erklärliche 
Schwierigkeit  bewirkt,  mich  in  die  Verkettung  der  Gedanken 
eines  Anderen  hineinzudenken  und  so  dessen  System  bei  beiden 
Enden  gefaßt  reiflich  beurteilen  zu  können  (denn  mit  allgemeinem 
Beifall  oder  Tadel  ist  doch  niemanden  gedient).  Dies  ist  auch 
die  Ursache,  weswegen  ich  wohl  allenfalls  Abhandlungen  aus 
meinem    eigenen  Fonds    herausspinnen  kana:    was  aber  z.  B.  ein 


1-^6  An  Carl  Leonhard  Reinhold 

MAIMON  mit  seiner  Nachbesserung  der  kritischen  Philosophie 
(dergleichen  die  Juden  gerne  versuchen,  um  sich  auf  fremde  Kosten 
ein  Ansehen  von  Wichtigkeit  zu  geben)  eigentlich  wolle,  nie 
recht  habe  fassen  können  und  dessen  Zurechtweisung  ich  anderen 
überlassen  muß.  —  Daß  aber  auch  an  diesem  Mangel  körperliche 
Ursachen  schuld  seien,  schließe  ich  daraus:  daß  er  sich  von  einer 
Zeit  her  datiert  vor  etwas  mehr  als  drei  Jahren,  da  ein  wochen- 
lang anhaltender  Schnuppen  eine  schleimichte  Materie  verriet,  die, 
nachdem  jener  aufgehört  hat,  sich  nun  auf  die  zum  Haupt  führende 
Gefäße  geworfen  zu  haben  scheint,  dessen  stärkere  Absonderung, 
durch  dasselbe  Organ,  wenn  ein  glückliches  Niesen  vorhergeht, 
mich  sogleich  aufklärt,  bald  darauf  aber  durch  seine  Anhäufung 
wiederum  Umnebelung  eintreten  läßt.  Sonst  bin  ich  für  einen 
70jährigen  ziemlich  gesund.  —  Dies  Bekenntnis,  welches,  einem 
Arzt  getan,  ohne  Nutzen  sein  würde,  weil  er  wider  die  Folgen 
des  Alters  nicht  helfen  kann,  wird  mir  hoffentlich  in  Ihrem  Ur- 
teile über  meine  wahrhaftig  freundschaftlich-ergebene  Gesinnung 
den  gewünschten   Dienst  tun. 

Und  nun  noch  etwas  von  unseren  Freunden.  —  Was  ist  aus 
unserem  gemeinschaftHchen  Freunde,  D.  ERHARD  aus  Nürnberg, 
geworden?  Denn  ohne  Zweifel  wird  Ihnen  nicht  allein  sein 
Abenteuer,  sondern,  woran  mir  vornehmlich  gelegen  ist,  es  zu 
erfahren,  vermutlich  auch  der  Ausgang  desselben  bekannt  gewor- 
den sein.  —  In  der  Mitte  des  Februars  erhielt  ich  einen  Briet 
dd.  Würzburg  d.  31  Januar.  94  von  einem  (mir  sonst  unbekannten) 
Herrn  BAUR,  des  dortigen  Stifts  Vikar,  welcher  der  Hauptsache 
nach  folgendes  enthielt:  Daß  ein  gewisser  sich  WILLIAMS  nennen- 
der Engländer  im  Oktobr.  9  3  sich  in  Nürnberg  bei  Herrn  ERHARD 
eingefunden  und  von  diesem,  samt  seiner  Frau  und  Schwester  (beides 
schönen  Weibern)  in  sein  Haus,  unter  dem  Vorwande,  das  Eng- 
lische von  ihnen  zu  profitieren,  aufgenommen  worden:  daß  D.  E. 
soviel  Zutrauen  auf  jenes  seine  vorgezeigte  Dokumente  bewiesen, 
ihm  auf  einen  Wechsel  nach  London  Z500  Fl.  zu  geben:  daß 
WILLIAMS  mit  Bewilligung  der  ganzen  Familie  dem  D.  E.  eine 
Regiments-Oberchirurgusstelle  zu  öooo  Fl.  in  amerikanischen  Dien- 
sten (vorgeblich)  verschaffte,  und  dieser  im  April  94  Europa  zu 
verlassen  und  nach  Philadelphia  reisen  zu  wollen  an  Herrn  BAUR 
d.  iz.  Dez.  93  schrieb:  daß  W.  eine  Reise  auf  kurze  Zeit  vorschützte 
und  den  E.  bewog,  mitzureisen,  da  sie  dann  zusammen  nach 
München  abgingen:    daß    14  Tag  nachher  der  Betrug  sich  durch 


An  'Johann  Erich  Biester  137 

einen  Brief  des  W.  an  seinen  Bruder  in  Wien  und  in  welchem 
er  sich  Anton  Simmon  unterschrieben  hatte,  welcher  Brief,  da 
letzterer  in  W— n  nicht  anzutreffen  war,  offen  nach  Nbg.  zurück- 
lief, entdeckte:  daß  der  ausgestellte  Wechsel  als  falsch  zurückkam: 
daß  endlich,  obgleich  ihm  die  nachgeschickte  Steckbriefe  auf  die 
Spur  gekommen,  er  doch  nicht  hat  eingeholt  werden  können  und 
nun  seine  jetzt  schwangere,  dem  zweiten  Kinde  entgegensehende 
Frau  und  ihre  Familie  diesen  schrecklichen  Vorfall  beweinen  und, 
da  E.  in  einem  Briefe  aus  Salzburg  d.  20.  geäußert  habe,  mich 
besuchen  zu  wollen,  ich  aufgefordert  werde,  sobald  ich  etwas 
von  seinem  Aufenthalt  erfahre,  es  zu  berichten.  Herr  BAUR 
glaubt:  daß  dieser  „Philosoph"  durch  Verliebung  so  grob  betört 
und   zu  so  unerhörter  Untreue  verleitet  worden.') 

Wenn  Ihnen,  teuerster  Freund,  etwas  von  dem  Ausgang  dieser 
Geschichte  bekannt  värd,  so  erbitte  mir  davon,  wie  auch  von 
den  litterärischen  Merkwürdigkeiten  Ihres  jetzigen  Aufenthalts  gütige 
Nachricht,  imgleichen  versichert  zu  sein,  daß  niemand  mit  mehr 
Hoch-  und  Wertschätzung  Ihnen  ergeben  sein  kann,  als 

Ihr 
Königsberg  treuer  Freund  und  Diener 

d.    z8.  Mart.    1794  I  Kant 


346. 

An  Johann  Erich  Biester. 

Hier  haben  Sic,  würdigster  Freund,  etwas  für  Ihre  M.  S., 
was,  wie  SWIFTS  Tonne,  dazu  dienen  kann,  dem  beständigen 
Lärm  über  einerlei  Sache  eine  augenblickliche  Diversion  zu 
machen.^)  Herrn  REHBERGS  Abhandlung  ist  mir  nur  gestern  zu 
Händen  gekommen,  bei  deren  Durchlesung  ich  fand;  daß,  für 
den  unendlichen  Abstand  des  Rationalism  vom  Empirism  der 
Rechtsbegriffe,  die  Beantwortung  seiner  Einwürfe  zu  weitläuftig, 
bei  seinem  Prinzip  des  auf  Macht  gegründeten  Rechts  der  ober- 
sten Gesetzgebung    zu    gefährlich,    und,    bei    seiner  schon  ent- 

')  Näheres  hierüber  in  Erhards  Autobiographie  S.  3  6  f. 
*)  Den  Aufsatz    über    den  Einfluß  des  Mondes  auf  die  Witterung 
(erschienen  Berliner  Monatsschr.,  Mai   1794). 


zj8  Von  Georg  Samuel  Albert  Meilin 

schiedcnen  Wahl  der  zu  nehmenden  Partei  (wie  S.  122)  ver- 
geblich sein  würde;  daß  aber  ein  Mann  von  70  Jahren  sich 
mit  beschwerlichen,  gefährlichen  und  vergeblichen  Arbeiten  ab- 
gebe, kann  ihm  biUigermaßen  nicht  zugemutet  werden.  —  Herr 
REHBERG  will  den  eigentUchen  Juristen  (der  in  der  Wage  der 
Gerechtigkeit  der  Schale  der  Vernunftgründe  noch  das  Schwert 
zulegt)  mit  dem  Rechtsphilosophen  vereinigen,  wo  es  dann 
nicht  fehlen  kann,  daß  jene  so  gepriesene,  der  Theorie  zur  Zu- 
länglichkeit (dem  Vorgeben  nach,  aber  eigentlich  um  jener  ihre 
Stelle  zu  vertreten)  so  notwendige,  Praxis  nicht  in  Praktiken 
ausschlage.  In  der  Tat  enthält  auch  eine  solche  Schrift  das  Verbot 
schon  in  sich,  dawider  etwas  zu  sagen.  —  Das  letztere  wird 
vermatlich  in  kurzem  seine  volle  Kraft  erhalten;  seitdem  die 
Herren  HERMES  und  HILLMER  im  Oberschulcollegio  ihre  Plätze 
eingenommen,  mithin  auf  die  Universitäten,  wie  und  was  daselbst 
gelehrt  werden  soll,  Einfluß  bekommen  haben. 

Die  Abhandlung,  die  ich  Ihnen  zunächst  zuschicken  werde, 
wird  zum  Titel  haben  „Das  Ende  aller  Dinge",  welche  teils  kläg- 
lich, teils  lustig  zu  lesen  sein  wird. 

Ich  bin  mit  unveränderter  Gesinnung 

Ihr 
Königsberg,  den  10.  April  1794.       ergebenster  Freund  und  Diener 

I  Kant 


Von  Georg  Samuel  Albert  Mellin. 

Wohlgeborner  Herr, 

Höchstzuverehrender  Herr  Professor, 
Mit  einer  gewissen,  leicht  zu  erklärenden,  Ängstlichkeit  bin  ich 
so  frei,  Ew.  Wohlgebor,  ein  Exemplar  der  Marginalien  und  des 
Registers  zur  Kritik  der  reinen  Vernunft  zu  überreichen.*)  Sie 
werden  die  reinste  Absicht,  die  ich  bei  der  Ausarbeitung  derselben 
immer  vor  Augen  gehabt  und  in  der  Vorrede  angegeben  habe, 
nicht  verkennen.    Mein  Enthusiasmus  für  die  kritische  Philosophie 


*)  Georg  Sam.  A.  Mellin  (17 jj— 1825),  Marginalien  und  Register 
zu  Kants  Kritik  der  Erkenntnisvermögen,   i.Teil,  ZüUichau  1794- 


Von  Georg  Samuel  Albert  Mellin  139 

und  das  unselige  Bemühen  so  vieler,  die  Quelle  derselben  zu 
trüben,  wovon  sich  einer  sogar  erdreistete,  sich  auf  dem  Titel 
seiner  Schrift  Ihres  gütigen  Beistandes  zu  rühmen,  bewogen  mich 
vorzüglich  zu  der  Herausgabe  dieses  Hilfsmittels,  die  Übersicht  der 
Kritik  zu  erleichtern.  Möchte  ich  wenigstens  dadurch  Ew.  Wohl- 
gebor, nicht  mißfallen.  Habe  ich  hier  und  dort  gefehlt,  so  tröste 
ich  mich  damit,  wenigstens  die  Idee  der  Wissenschaft  nicht  so 
verkannt  zu  haben,  wie  der  Stifter  einer  gewissen  Schule,  der 
durch  seine  Bemühungen,  etwas  Neues  zu  sagen,  die  kritische 
Philosophie,  zu  meinem  Leidwesen,  so  vielen  Einwürfen  aussetzt, 
die  doch  nicht  ihr,  sondern  dem  Dolmetscher  derselben  zur  Last 
fallen. 

Möchte  doch  die  Vorsehung  es  gut  finden,  Ihnen,  verehrungs- 
würdigster Herr  Professor,  Gesundheit  und  Kräfte  zu  verleihen, 
zur  Herausgabe  Ihrer  Schriften,  die  Ihre  Verehrer  so  begierig  er- 
warten. Da  ich  mir  mit  der  Hoffnung  schmeichele,  mit  einer  Ant- 
wort von  Ew.  Wohlgebor,  beehrt  zu  werden,  so  bin  ich  so  frei, 
Sie  um  einiges  zu  befragen.  Allen  Verehrern  der  Kritik,  die  ich 
noch  gesprochen  habe  und  mir  selbst,  liegt  die  Beantwortung  der 
Frage  auf  dem  Herzen;  wie  deduziert  man  die  Vollständigkeit 
der  Tafel  der  Urteile,  auf  der  die  Vollständigkeit  der  Tafel  der 
Kategorien  beruhet?  —  —  ich  habe  nie  Ihre  Schrift  über  die 
Figuren  der  Syllogismen  bekommen  können,  und  doch  möchte 
ich  gern  wissen,  wie  Sie  LAMBERTS  Vorstellung  von  der  Reahtät 
der  drei  übrigen  Figuren,  im  Organon,  entkräften  und  die  Un- 
richtigkeit derselben  beweisen,  da  Sie  in  einer  Anmerkung  zur 
Kritik  sich  dagegen  erklären.  —  —  In  der  Religion  innerhalb 
den  Grenzen  ist  eine  Anmerkung  über  die  Unbrauchbarkeit  der 
Auferstehung  Jesu  zu  Vernunftbegriffen,  weil  sie  die  Vernunft  auf 
eine  einzige  Erklärungsart  der  Art  unserer  Fortdauer  nach  dem 
Tode  einschränkt.  Aber  ist  nicht  die  Auferstehung  Jesu  bloß  ein 
Symbol  der  sinnlichen  Fortdauer,  die  uns  in  unserm  gegen- 
wärtigen Zustande  nur  unter  dem  Bilde  einer  materiellen  Fort- 
dauer vorgestellt  werden  kann? 

Eine  kleine  Gesellschaft,  die  ich  hier  bloß  zum  Studium  der 
kritischen  Philosophie  gestiftet  habe,  und  aus  dem  Prediger  SILBER- 
SCHLAG, Sohn  des  ehemaligen  Oberkons.-Rats,  dem  Prediger 
FRITZE,  dem  Rektor  NEIDE,  einem  Lehrer  an  Klosterfrau  Namens 
ROLLE,  Sohn  des  berühmten  Musikdirektors,  und  einem  jetzt  in 
Halle    als  Hofmeister   lebenden  ROLOFF  besteht,    versichern  Ew. 


240  An  Johann  Erich  Biester 

Wohlgebornen  nebst  mir,  ihre  innigste  Verehrung.  Diese  Gesell- 
schaft haben  wir  vor  2V2  Jahren  gestiftet.  Sie  hat  den  Nutzen 
bewirkt,  daß  das  Studium  der  kritischen  Philosophie  sich  hier  sehr 
ausbreitet.  Möchten  wir  nur  bald  eine  Transszendentalphiloso- 
phie,  eine  Metaphysik  der  Sitten,  Anthropologie  und  Moral  von 
Ihnen  bekommen.  Mit  Sehnsucht  ergreifen  wir  immer  den  Meß- 
katalog. 

Ich  rechne  es  zu  dem  größten  Glück  meines  Lebens,  und  mit 
mir  gewiß  schon  in  Deutschland  eine  große  Anzahl  denkender 
Menschen,  Ew.  Wohlgebor.  Zeitgenosse  zu  sein  und  von  Ihnen 
zu  lernen.  Vergeblich  würde  ich  Worte  suchen,  die  vollkommenste 
und  größte  Hochachtung  auszudrücken,  mit  der  ich,  solange  ich 
denken  kann  und  das  Bewußtsein  habe,  wem  ich  meine  Er- 
kenntnis verdanke,  stets   sein   werde 

Ew.  Wohlgeborn. 
Magdeburg  aufrichtigster  und 

den    12.  April    1794.  innigster  Verehrer 

Meilin 


348. 

An  Johann  Erich  Biester. 

Ich  eile,  hochgeschätzter  Freund!  Ihnen  die  versprochene  Ab- 
handlung zu  überschicken,  ehe  noch  das  Ende  Ihrer  und  meiner 
Schriftstellerei  eintritt.')  Sollte  es  mittlerweile  schon  eingetreten 
sein,  so  bitte  ich  solche  an  Herrn  Professor  imd  Diakonus  EHR- 
HARD  SCHMIDT  in  Jena  für  sein  philosophisches  Journal 
zu  schicken.  —  Ich  danke  für  die  mir  erteilte  Nachricht,  und 
überzeugt,  jederzeit  gewissenhaft  und  gesetzmäßig  gehandelt  zu 
haben,  sehe  ich  dem  Ende  dieser  sonderbaren  Veranstaltungen 
ruhig  entgegen.  Wenn  neue  Gesetze  das  gebieten,  was  meinen 
Grundsätzen  nicht  entgegen  ist,  so  werde  ich  sie  ebenso  pünktlich 
befolgen;  eben  das  wird  geschehen,  wenn  sie  bloß  verbieten 
sollten,  seine  Grundsätze  ganz,  wie  ich  bisher  getan  habe  (und 
welches  mir  keinesweges  leid  tut),  bekannt  werden  zu  lassen.  — 
Das  Leben  ist  kurz,   vornehmlich  das,    was  nach  schon  verlebten 


^)  „Das  Ende  aller  Dinge",  erschienen  Berl.  Monatsschr.,  Juni  1 794- 


Von  Friedrich  Schiller  241 

70  Jahren  übrig  bleibt;  um  das  sorgenfrei  zu  Ende  zu  bringen, 
wird  sich  doch  wrohl  ein  Winkel  der  Erde  ausfinden  lassen.  — 
Wenn  Sie  etwas,  das  kein  Geheimnis  ist,  aber  uns  hiesiges  Ort 
doch  nur  spät  oder  unzuverlässig  bekannt  wird,  mir,  wenn  es 
mich  interessieren  könnte,  mitteilen  wollen,  wird  es  mir  ange- 
nehm sein. 

Ich  beharre  indes  zu  sein 

der  Ihrige 

Königsberg  I  Kant 

d.    18.  Mai 

1794 

P.  S.  Ich  habe  an  einer  Stelle  dieser  Abhandl.  den  Setzer 
angewiesen,  wie  er  eine  durch  des  Amanuensis  Ungeschicklichkeit 
in  den  Text  geratene  Note  zurechtsetzen  soll,  —  und  bitte  ihn  darauf 
aufmerksam  zu  machen. 


349- 
Von  Friedrich  Schiller. 

Jena.  Den  13.  Jun.  94. 
Aufgefodert  von  einer,  Sie  unbegrenzt  hochschätzenden,  Ge- 
sellschaft, lege  ich  Ew.  Wohlgeboren  beiliegenden  Plan  einer 
neuen  Zeitschrift  und  unsre  gemeinschaftliche  Bitte  vor,  dieses 
Unternehmen  durch  einen,  wenn  auch  noch  so  kleinen,  Anteil 
befördern  zu  helfen.  Wir  würden  nicht  so  unbescheiden  sein, 
diese  Bitte  an  Sie  zu  tun,  wenn  uns  nicht  die  Beiträge,  womit 
Sie  den  Deutschen  Merkur  und  die  Berliner  Monatschrift  beschenkt 
haben,  zu  erkennen  gäben,  daß  Sie  diesen  Weg,  Ihre  Ideen  zu 
verbreiten,  nicht  ganz  verschmähn.  Das  hier  angekündigte  Journal 
wird  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  von  einem  ganz  andern  Publi- 
kum gelesen  werden,  als  dasjenige  ist,  welches  sich  vom  Geist 
Ihrer  Schriften  nähret,  und  gewiß  hat  der  Verfasser  der  Kritik 
auch  diesem  Publikum  manches  zu  sagen,  was  nur  Er  mit  diesem 
Erfolge  sagen  kann.  Möchte  es  Ihnen  gefallen,  in  einer  freien 
Stunde  sich  unsrer  zu  erinnern,  und  dieser  neuen  literarischen 
Sozietät,  durch  welchen  sparsamen  Anteil  es  auch  sei,  das  Siegel 
Ihrer  Billigung  aufzudrücken. 

Kants  Schriften.  Bd.  X.  l6 


24.1 


Von  j^akob  S'tgismund  Beck 


Ich  kann  diese  Gelegenheit  nicht  vorbeigehen  lassen,  ohne 
Ihnen,  verehrungswürdigster  Mann,  für  die  Aufmerksamkeit  zu 
danken,  deren  Sie  meine  kleine  Abhandlung  gewürdigt,  und  für 
die  Nachsicht,  mit  der  Sie  mich  über  meine  Zweifel  zurecht- 
gewiesen haben.')  Bloß  die  Lebhaftigkeit  meines  Verlangens,  die 
Resultate  der  von  Ihnen  gegründeten  Sittenlehre  einem  Teile  des 
Publikums  annehmlich  zu  machen,  der  bis  jetzt  noch  davor  zu 
fliehen  scheint,  und  der  eifrige  Wunsch,  einen  nicht  unwürdigen 
Teil  der  Menschheit  mit  der  Strenge  Ihres  Systems  auszusöhnen, 
konnte  mir  auf  einen  Augenblick  das  Ansehen  Ihres  Gegners 
geben,  wozu  ich  in  der  Tat  sehr  wenig  Geschicklichkeit  und  noch 
weniger  Neigung  habe.  Daß  Sie  die  Gesinnung,  mit  der  ich  schrieb, 
nicht  mißkannten,  habe  ich  mit  unendlicher  Freude  aus  Ihrer  An- 
merkung ersehen,  und  dies  ist  hinreichend,  mich  über  die  Miß- 
deutung zu  trösten,  denen  ich  mich  bei  andern  dadurch  ausgesetzt 
habe. 

Nehmen  Sie,  vortrefflicher  Lehrer,  schließlich  noch  die  Ver- 
sicherung meines  lebhaftesten  Danks  für  das  wohltätige  Licht  an, 
das  Sie  in  meinem  Geist  angezündet  haben;  eines  Danks,  der  wie 
das  Geschenk,  auf  das  er  sich  gründet,  ohne  Grenzen  und  un- 
vergänglich ist. 

Ihr 

aufrichtiger  Verehrer 
Fr.  Schiller. 

350. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Hochachtungswürdiger  Lehrer, 
Die  Versäumung  meines  Druckers  macht  es,  daß  der  zweite 
Band  von  meinem  Auszuge  erst  zur  Michälismesse  fertig  werden 
wird.  Die  Anfangsgründe  zur  Metaphysik  der  Natur  habe  ich 
mir  sehr  deutlich  aufgewickelt.  Mein  letzter  Brief  an  Sie  konnte 
Ihnen  vielleicht  eine  schlimme  Vermutung  in  Ansehung  meiner 
Bearbeitung  beigebracht  haben.  Denn  da  ich  mir  das,  warum  ich 
Sie  fragte,  selbst  nicht  deutlich  dachte,  so  kam  es,  daß  ich  auch 


^)  S.  Kants    Bemerkung    über    Schillers    „Anmut    und  Würde"  im 
ersten  Stück  seiner  „Religion". 


Von  fakoh  Sigismund  Beck  243 

ganz  unverständlich  fragen  mußte.  Im  ganzen  Ernst,  ich  habe  mich 
in  Ihre  Entwickelung  sehr  genau  hineinstudiert,  und  ich  meine, 
daß  Sie  so  urteilen  werden,  wenn  Sie  mein  Buch  ansehen  werden. 

Schätzungswürdiger  Mann,  ich  bin  auf  die  Idee  zu  einer  Schrift 
gestoßen,  die  ich  Ihnen  hier  ganz  kurz  vorlegen  und  dabei  bitten 
will,  Ihre  wahre  Meinung  deshalb  meinem  Verleger  zu  sagen. 

Sie    fuhren  Ihren  Leser   in  Ihrer  Kritik   der  reinen  Vernunft, 
allmählich,  zu  dem  höchsten  Punkt  der  Transszendentalphilosophie, 
nämlich    zu    der    synthetischen  Einheit.      Sie   leiten  nämlich  seine 
Aufmerksamkeit     zuerst    auf    das     Bewußtsein    eines    Gegebenen, 
machen    ihn  nun     auf    Begriffe,    wodurch    etwas    gedacht    wird, 
aufmerksam,    stellen    die  Kategorien    anfänglich  auch  als  Begriffe, 
in    der    gewöhnlichen  Bedeutung  vor,    und    bringen  zuletzt  Ihren 
Leser  zu  der  Einsicht,  daß  diese  Kategorie  eigentlich  die  Handlung 
des  Verstandes  ist,  dadurch  er  sich  ursprünglich  den  Begriff  von 
einem  Objekt  macht,    und    das:     ich    denke    ein    Objekt   erzeugt. 
Diese  Erzeugung    der   synthetischen  Einheit  des  Bewußtseins  habe 
ich    mich    gewöhnt,    die  ursprüngliche  Beilegung  zu  nennen. 
Sie  ist  die  Handlung,  unter  andern,  die  der  Geometer  postuliert, 
wenn  er  seine  Geometrie  von  dem  Satze  anfängt;  sich  den  Raum 
vorzustellen,  und  welcher  er  mit  keiner  einzigen  diskursiven  Vor- 
stellung gleichkommen  würde.     So  wie  ich  die  Sache  ansehe,  so 
ist  auch  das  Postulat:  durch  ursprüngliche  Beilegung  sich  ein  Objekt 
vorstellen,  das  höchste  Prinzip  der  gesamten  Philosophie,  auf  wel- 
chem die  allgemeine  r.   Logik  und   die  ganze  Transsz;  Philosophie 
beruht.    Ich  bin  daher  fest  überzeugt,  daß  diese  synthetische  Ein- 
heit derjenige  Standpunkt  ist,    aus  welchem,  wenn  man  sich  ein- 
mal seiner  bemächtigt  hat,  man  nicht  allein  in  Ansehung  dessen, 
was  wohl    ein    analytisches    und    synthetisches  Urteil  ist,   sondern 
was  wohl  überhaupt  a  priori  und  a  posteriori  beißen    mag,    was 
das  sagen  wolle,  wenn  die  Kritik  die  Möglichkeit  der  geometri- 
schen Axiome    darin    setzt,    daß  die  Anschauung,    die  man  ihnen 
unterlegt,    rein  sei,    was    das  wohl  ist,    was  uns  affiziert,    ob  das 
Ding  an  sich,    oder  ob  damit  nur  eine  transsz:  Idee  gemeint  sei, 
oder  ob  es  nicht  das  Objekt  der  empirischen  Anschauung  selbst, 
die  Erscheinung    sei,    und    ob    wohl    die  Kritik    im  Zirkel    gehe, 
wenn  sie  die  Möglichkeit  der  Erfahrung  zum  Prinzip  der  synthe- 
tischen Urteile  a  priori  mache,  und  doch  das  Prinzip  der  Kausa- 
lität   in    den  Begriff  dieser  Möglichkeit  verstecke,    ich  sage,    daß 
man  von  alle  diesem,    ja  von  dem  diskursiven  Begriff:    Möglich- 

16* 


2  44  ^^"  Jakoh  Sigismund  Beck 

kcit  der  Erfahrung  selbst,  allererst  dann,  vollendete  Erkundigung 
erhalten  kann,  wenn  man  sich  dieses  Standpunkts  vollkommen 
bemeistert  hat,  und  daß,  solange  man  diese  Möglichkeit  der  Er- 
fahrung nur  noch  immer  selbst  bloß  diskursiv  denkt,  und  nicht 
die  ursprünglich  beilegende  Handlung,  eben  in  einer  solchen  Bei- 
legung selbst  verfolgt,  man  so  viel  w^ie  nichts  einsieht,  sondern 
wohl  eine  Unbegreiflichkeit  in  die  Stelle  einer  andern  schiebt. 
Ihre  Kritik  aber  führt,  wie  ich  sage,  nur  nach  und  nach,  ihren 
Leser  auf  diesen  Standpunkt,  und  da  konnte  nach  dieser  Methode, 
sie  gleich  anfänglich,  als  in  der  Einleitung,  die  Sache  nicht  voll- 
kommen aufhellen,  und  die  Schwierigkeiten,  die  dabei  sich  auf- 
decken, sollten  den  nachdenkenden  Mann  zum  beharrlichen  Aus- 
dauern locken.  Weil  aber  die  wenigsten  Leser  sich  jenes  höchsten 
Standpunkts  zu  bemächtigen  wissen,  so  werfen  sie  die  Schwierig- 
keit auf  den  Vortrag,  und  bedenken  nicht,  daß  sie  der  Sache  an- 
klebe, die  sich  gewiß  verlieren  würde,  wenn  sie  einmal  in  Stande 
wären,  die  Forderung  zu  überdenken,  die  synthetische  Einheit  des 
Bewußtseins  hervorzubringen.  Ein  Beweis  aber,  daß  die  Freunde 
der  Kritik  doch  auch  nicht  recht  wissen,  woran  sie  sind,  ist  schon 
das,  daß  sie  nicht  recht  wissen,  wohin  sie  den  Gegenstand  setzen 
sollen,  welcher   die  Empfindung  hervorbringt. 

Ich  habe  mir  daher  vorgenommen,  diese  Sache,  wahrlich  doch 
die  Hauptsache  der  ganzen  Kritik,  recht  zu  betreiben,  und  arbeite 
an  einem  Aufsatz,  worin  ich  die  Methode  der  Kritik  umwende. 
Ich  fange  von  dem  Postulat  der  ursprünglichen  •  Beilegung  an, 
stelle  diese  Handlung  in  den  Kategorien  dar,  suche  meinen  Leser 
in  die  Handlung  selbst  zu  versetzen,  in  welcher  sich  diese  Bei- 
legung an  dem  Stoffe  der  Zeitvorstellung  ursprünglich  offenbart  — 
Wenn  ich  nun  so  glaube,  meinen  Leser  gänzlich  auf  die  Stelle 
gesetzt  zu  haben,  auf  der  ich  ihn  haben  will,  so  führe  ich  ihn 
zur  Beurteilung  der  Kritik  d.  r.  V.  in  ihrer  Einleitung,  Ästhetik 
und  Analytik.  Sodann  will  ich  ihn  die  vorzüglichsten  Einwürfe 
beurteilen  lassen,  insbesondere  die   des  Verfassers  des  Aenesidemus. 

Was  urteilen  Sie  wohl  davon?  Ihr  Alter  drückt  Sie,  und  ich 
will  Sie  gar  nicht  bitten,  mir  hierauf  zu  antworten,  obwohl  ich 
gestehen  muß,  daß  Ihre  Briefe  mir  die  kostbarsten  Geschenke 
sind.  Aber  darum  bitte  ich  Sie,  daß  Sie  die  Freundschaft  für 
mich  haben  wollen,  Ihre  wahre  Meinung  darüber  meinem  Verleger 
2U  sagen.  Denn  er  wird  sich  darnach  bestimmen.  Es  versteht 
sich    aber  wohl  von  selbst,    daß  ich  nichts  anderes  wollen  kann. 


Von  Johann  Gottlieb  Fichte  245 

als  daß  Sie  ihm  gerade  heraussagen,  was  Sie  von  diesem  Projekt 
haken,  ob  eine  solche  Schrift,  von  mir  bearbeitet,  für  das  Publikum 
nützlich  ausfallen  dürfte. 

Auch  sein  Sie  so  gütig,  mich  zu  entschuldigen,  wenn  ich  etwas 
zu  behauptend  Ihnen  scheinen-  möchte.  Ich  muß  diesen  Brief  auf 
der  Post  dem  HARTKNOCH  nachschicken,  und  die  Post  will 
abgehen,  daher  ich  etwas  flüchtig  schreiben  mußte.  Behalten  Sic 
Ihre  Gewogenheit  für 

Ihren 
Halle  Sie  verehrenden 

d.  17.  Juni  17P4.  Beck. 

Von  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Verehrungswürdigster  Mann,  [Jena,  Juni  1794.] 

Es  ist  vielleicht  Anmaßung  von  mir,  wenn  ich  durch  meine 
Bitte  dem  Antrage  des  Herrn  SCHILLER,  der  vorigen  Posttag  an 
Sie  ergangen,  ein  Gewicht  hinzufügen  zu  können  glaube.  Aber  die 
Lebhaftigkeit  meines  Wunsches,  daß  derjenige  Mann,  der  die  letzte 
Hälfte  dieses  Jahrhunderts  für  den  Fortgang  des  menschlichen  Geistes 
für  alle  künftigen  Zeitalter  unvergeßlich  gemacht  hat,  durch  seinen 
Beitritt  ein  Unternehmen  autorisieren  möchte,  das  darauf  ausgeht, 
seinen  Geist  über  mehrere  Fächer  des  menschlichen  Wissens  und 
über  mehrere  Personen  zu  verbreiten;  vielleicht  auch  die  Aussicht, 
daß  ich  selbst  mit  Ihnen  in  einem  Plane  vereinigt  würde,  läßt 
mich  nicht  lange  untersuchen,  was  der  Anstand  mir  wohl  erlauben 
möge.  —  Sie  haben  von  Zeit  zu  Zeit  in  die  Berliner  Monats- 
schrift Aufsätze  gegeben.  Für  die  Verbreitung  dieser  ist  es  völlig 
gleichgültig,  wo  sie  stehen;  jede  periodische  Schrift  wird  um  ihrer 
willen  gesucht:  aber  für  unser  Institut  wäre  es  vor  Welt  und 
Nachwelt  die  höchste  Empfehlung,  wenn  wir  Ihren  Namen  an 
unsrer  Spitze  nennen  dürften. 

Ich  habe  Ihnen  durch  Herrn  HÄRTUNG  meine  Einladungs- 
schrift überschickt;  und  es  würde  höchst  unterrichtend  für  mich 
sein,  wenn  ich  —  jedoch  ohne  Ihre  Unbequemlichkeit  —  Ihr 
Urteil  darüber  erfahren  könnte.  —  Ich  werde  von  nun  an  durch 
den  mündlichen  Vortrag  mein  System  für  die  öffentliche  Bekannt- 
machung reifen  lassen. 


246  Von  jfoachim  Heinrich  Campe 

Ich  sehe  mit  Sehnsucht  Ihrer  Metaphysik  der  Sitten  entgegen. 
Ich  habe  besonders  in  Ihrer  Kritik  der  Urteilskraft  eine  Harmonie 
mit  meinen  besondern  Überzeugungen  über  den  praktischen  Teil 
der  Philosophie  entdeckt,  die  mich  begierig  macht,  zu  wissen,  ob 
ich  durchgängig  so  glücklich  bin,  mich  dem  ersten  Denker  anzu- 
nähern. 

Ich  bin  mit  innigster  Verehrung  Ihnen  ergeben. 

Fichte. 

Von  Joachim  Heinrich  Campe. 

Verchrungswürdiger  Mann, 
Zum  Erstaunen  aller  denkenden  und  gutgesinnten  Menschen 
verbreitet  sich  hier  das  Gerücht,  daß  es  der  blinden  Glaubenswut 
gelungen  sei,  Sie  in  den  Fall  zu  setzen,  entweder  die  Wahrheiten, 
die  Sie  ans  Licht  gezogen  und  verbreitet  haben,  für  Unwahrheiten 
zu  erklären,  oder  Ihr  Amt,  das  Sie  so  sehr  verherrhchet  haben, 
niederzulegen.  Ich  will  zwar  zur  Ehre  des  ablaufenden  Jahrhunderts 
noch  hoffen  und  wünschen,  daß  dieses  empörende  Gerücht  eine 
Erdichtung  sei;  sollte  es  sich  aber  dennoch  wirkHch  so  verhalten, 
sollte  der  Lehrer  des  Menschengeschlechts  den  Königsbergischen 
Lehrstuhl  wirklich  nicht  mehr  betreten  dürfen,  und  sollte  für  Sie, 
edler  Mann,  auch  nur  die  geringste  Verlegenheit  —  sei's  in  Ansehung 
Ihrer  körperlichen  oder  geistigen  Bedürfnisse  —  daraus  entstehen: 
so  erlauben  Sie  mir  eine  Bitte,  durch  deren  Erfüllung  Sie  mich 
sehr  glücklich  machen  würden.  Sehen  Sie  in  diesem  Falle  sich 
als  den  Besitzer  alles  dessen  an,  was  ich  mein  nennen  darf; 
machen  Sie  mir  und  den  Meinigen  die  Freude,  zu  uns  zu  kommen 
und  in  meinem  ziemlich  geräumigen  Hause,  welches  von  dem  Augen- 
blicke an  das  Ihrige  sein  wird,  die  Stelle  eines  Oberhaupts  meiner 
kleinen  Familie  einzunehmen;  genießen  Sie  hier  aller  der  Ruhe, 
BequemHchkeit  und  Unabhängigkeit,  welche  dem  Abend  Ihres 
so  sehr  verdienstlichen  Lebens  gebühren;  und  sein  Sie  versichert, 
daß  Sie  den  Meinigen  und  mir  jeden  Lebensgenuß  dadurch  aus- 
nehmend erhöhen  und  versüßen  werden.  Ich  bin  zwar  nicht 
reich,  aber  da  ich  weniger  Bedürfnisse  als  andere  habe,  deren 
Einkünfte  und  bürgerHche  Verhältnisse  den  meinigen  gleich  sind: 
so   bleibt  mir,  nach  Abzug  dessen,  was  ich  zum  Unterhalt  meiner 


An  'Johann  Erich  Biester  Z47 

kleinen  Familie  bedarf,  immer  noch  mehr  übrig,  als  zur  Verpflegung 
eines  Weisen  nötig  ist. 

Außer  der  allgemeinen  Verpflichtung,  die  jeder  denkende  Mensch 
jetzt  fühlen  muß,  Ihnen,  wofern  Sie  sich  auch  nur  in  der  min- 
desten Verlegenheit  befinden  sollten,  die  Hand  zu  reichen,  habe 
ich  für  meine  Person  noch  die  besondere,  daß  Sie  einst  unter 
ähnlichen  Umständen  eine  ähnliche  Sorge  für  mich  äußerten. 
Denn  noch  stehen  die  gütigen  Anerbietungen,  die  Sie  mir  machten, 
da  ich  Dessau  verließ,  mit  frischen  Buchstaben  in  meinem  Ge- 
dächtnis angeschrieben,  und  werden,  so  lange  ich  denken  kann, 
darin  nie  verlöschen.*) 

Aber  wirklich  ist  es  nicht  Dankbarkeit,  sondern  reine  Eigen- 
nützigkeit, was  mich  angetrieben  hat,  Ihnen  meine  obige  Bitte 
vorzutragen:  denn  ich  fühle  es  gar  zu  stark,  wie  sehr  Sie  durch 
Erfüllung  derselben  mein  Glück  erhöhen  würden. 

Ich  wiederhole  also  diese  Bitte  auf  die  dringendste  Weise, 
selbst  auf  die  Gefahr  hin,  daß  sie  zudringlich  scheinen  kann. 
Aber  wenn  sie  dies  auch  selbst  in  Ihren  Augen  scheinen  sollte: 
so  werden  Sie  doch  —  dies  bin  ich  von  Ihrer  Güte  versichert  — 
der  Quelle  meiner  Zudringlichkeit  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen. 
Diese  ist  die  herzUchste  Teilnahme  und  die  lauterste  Verehrung, 
die  ein  Sterblicher  für  den  andern  empfinden  kann. 

Campe 
Braunschweig  d.  27:  Jun.  94.  Schulrat. 


353- 
An  Johann  Erich  Biester. 

Der  Ihnen,  teuerster  Mann!  Gegenwärtiges  zu  überreichen  die 
Ehre  hat,  Herr  Kriminal-  und  Stadtrat,  imgleichen  Oberbillietier 
der  Stadt  Königsberg,  JENSCH,  mein  vieljähriger,  wohldenkender, 
aufgeweckter  und  im  literarischen  Fache  wohlbewanderter,  zuver- 
lässiger Freund,  würde  gewiß  bei  Ihrem  Hiersein  (als  mit  Ihren 
Freunden  V.  HIPPEL  und  SCHEFFNER  *)  innigst  verbunden),  auch 

»)  S.  Kants  Brief  an  Campe  vom   31.  Okt.  1777   (Bd.  IX,  S.  163 ff.). 

')  Joh.  Georg  Scheffner  (1736—1820)  in  Königsberg,  später 
Kriegs-  und  Steuerrat  in  Gumbinnen,  über  ihn  vgl.  seine  Autobiogra- 
phie, Leipzig   18  16. 


248  An  Jak  oh  S'tgismund  Beck 

mit  Ihnen  Bekanntschaft  gemacht  haben,  wäre  er  nicht  damals  an 
einem  Schaden  am  Fuße  krank  gewesen.  Ich  wünsche  sehr:  daß 
Sie  ihn,  als  neuen  Freund,  in  Ihre  Zuneigung  und  Vertraulichkeit 
aufnehmen  und  ihn,  so  weit  es  Ihre  Geschäfte  zulassen,  mit  den 
Merkwürdigkeiten  von  Berlin,  vornehmlich  einigen  Personen,  deren 
Bekanntschaft  ihn  interessieren  könnte,  bekannt  machen  möchten; 
so  weit  dieses  ohne  Ihre  Beschwerde  und  Aufwand  geschehen 
kann. 

Von  unseren  gemeinschaftlichen  literarischen  Angelegenheiten 
habe  ich  für  jetzt  nichts  anzumerken,  als  daß  meine,  in  der  Berl. 
Zeitung  angezeigte  Abhandlung  vom  Mondseinflusse  (Monat  Mai) 
bis  jetzt  in  Königsberg  noch  nicht  angelangt  ist.  —  Die  über 
das  Ende  aller  Dinge  erwarte  ich  also  nicht  vor  Ende  des 
Julius  bei  uns  anlangen  zu  sehen. 

Was  es  auch  mit  dem  Tichten  und  Trachten  der  Menschen 
immer  für  eine  Bewandtnis  haben  mag,  das,  wenn  es  der  Natur 
der  Dinge  widerstreitet,  ein  Ende  haben  muß,  so  kann  das  doch 
der  Freundschaft  nicht  widerfahren,  niit  der  ich  bin  ' 

der  Ihrige 
Königsberg,  I.  Kant, 

d.  19.  Juni 

1794- 

354- 

An  Jakob  Sigismund  Beck. 

Wertester  Freund 
Auf  die  Mitteilung  Ihrer  Idee,  von  einem  vorhabenden  Werk, 
über  die  „ursprüngliche  Beilegung"  (der  Beziehung  einer  Vorstellung, 
als  Bestimmung  des  Subjekts,  auf  ein  von  ihr  unterschiedenes 
Objekt,  dadurch  sie  ein  Erkenntnisstück  wird,  nicht  bloß  Gefühl 
ist)  habe  ich,  außer  daß  mir  alle  Ihre  Zuschriften  jederzeit  an- 
genehm sind,  jetzt  nichts  zu  erwidern,  als  folgende  kleine  Bemer- 
kungen ; 

I.  Ob  Sie  das  Wort  Beilegung  auch  wohl  im  Lateinischen 
ganz  verständlich  ausdrücken  könnten?  Ferner,  kann  man  eigent- 
lich nicht  sagen:  daß  eine  Vorstellung  einem  anderen  Dbge  zu- 
komme, sondern  daß  ihr,  wenn  sie  Erkenntnisstück  werden  soll, 
nur  eine  Beziehung  auf  etwas  anderem  (als  das  Subjekt  ist,  dem 


An  ^akob  Sigismund  Beck  Z49 

sie  inhäriert)  zukomme,  wodurch  sie  anderen  kommunikabel 
■wird;  denn  sonst  würde  sie  bloß  zum  Gefühl  (der  Lust  oder  Un- 
lust) gehören,  welches  an  sich  nicht  mitteilbar  ist.  Wir  können 
aber  nur  das  verstehen  und  anderen  mitteilen,  was  wir  selbst 
machen  können,  vorausgesetzt,  daß  die  Art,  wie  wir  etwas  an- 
schauen, um  dies  oder  jenes  in  eine  Vorstellung  zu  bringen, 
bei  allen  als  einerlei  angenommen  werden  kann.  Jenes  ist  nun 
allein  die  Vorstellung  eines  Zusammengesetzten.      Denn: 

2.  Die  Zusammensetzung  können  wir  nicht  als  gegeben  wahr- 
nehmen, sondern  wir  müssen  sie  selbst  machen:  wir  müssen  zu- 
sammensetzen, wenn  wir  uns  etwas  als  zusammengesetzt 
vorstellen  sollen  (selbst  den  Raum  und  die  Zeit).  In  Ansehung 
dieser  Zusammensetzung  nun  können  wir  uns  einander  mitteilen. 
Die  Auffassung  (apprehensio)  des  Mannigfaltigen  Gegebenen  und 
die  Aufnehmung  in  die  Einheit  des  Bewußtseins  desselben  (apper- 
ceptio)  ist  nun  mit  der  Vorstellung  eines  Zusammengesetzten  (d.  i. 
nur  durch  Zusammensetzung  Möglichen)  einerlei,  wenn  die  Syn- 
thesis  meiner  Vorstellung  in  der  Auffassung,  und  die  Analysis 
derselben,  sofern  sie  Begriff  ist,  eine  und  dieselbe  Vorstellung 
geben  (einander  wechselseitig  hervorbringen),  welche  Übereinstim- 
mung, da  sie  weder  in  der  Vorstellung  allein,  noch  im  Bewußt- 
sein allein  liegt,  dennoch  aber  für  jedermann  gültig  (cojnmunicabet) 
ist,  auf  etwas  für  jedermann  Gültiges,  von  den  Subjekten  Unter- 
schiedenes, d.  i.   auf  ein  Objekt  bezogen  wird. 

Ich  bemerke,  indem  ich  dieses  hinschreibe,  daß  ich  mich  nicht 
einmal  selbst  hinreichend  verstehe,  und  werde  Ihnen  Glück  wünschen, 
wenn  Sie  diese  einfache  dünne  Fäden  unseres  Erkenntnisvermögens 
in  genugsam  hellen  Lichte  darstellen  können.  Für  mich  sind  so 
überfeine  Spaltungen  der  Fäden  nicht  mehr;  selbst  Hrn.  Prof. 
REINHOLDS  seine  kann  ich  mir  nicht  hinreichend  klar  machen. 
Einen  Mathematiker  wie  Sie,  werter  Freund,  darf  ich  wohl  nicht 
erinnern,  über  die  Grenze  der  Klarheit,  sowohl  im  gewöhnlich- 
sten Ausdrucke,  als  auch  der  Belegung  durch  leichte  faßliche  Bei- 
spiele, nicht  hinauszugehen.  —  Herren  HARTKNOCH  wird  Ihre 
vorhabende  Schrift  sehr  lieb  sein. 

Behalten  Sie  mich  lieb  als 

Ihren  aufrichtigen  Freund  und  Diener 
Königsberg  I  Kant 

d.  I.  Juli. 

1794 


2  50  An  Joachim  Heinrieb  Campe 

355- 
An  Joachim  Heinrich  Campe. 

Würdigster,  vortrefflicher  Mann! 

Das  menschenfreundliche,  aus  liebevollem  Herzen  entsprungene, 
zugleich  auch  mit  der  äußersten  Schonung  auch  der  zartesten  Be- 
denklichkeit, in  Annehmung  der  Wohltaten  begleitete  Anerbieten, 
welches  Sie  mir  in  Ihrem,  mir  unvergeßlichen  Briefe  vom  27.  Juni 
zu  tun  beliebt  haben,  hat  mich  in  die  größte  Rührung  versetzt, 
und  verdient  meine  innigste  Dankbarkeit,  obgleich  der  Fall  nicht 
existiert,  davon  Gebrauch  zu  machen. 

Der  Kommandant  unserer  Stadt  (soll  wohl  eigentlich  der  Gou- 
verneur Herr  Generalleutnant  v.  BRUNNECK  sein)  hat  keine  Auf- 
forderung zum  Widerruf  meiner  Meinungen  an  mich  getan;  folg- 
lich ist  auch  kein  Entsetzungsurteil  von  meiner  Stelle,  auf  höchsten 
Befehl,  an  mich  ergangen.  Ein  falsches  Gerücht,  als  ob  ich  mit 
diesem  Herrn,  der  mir  immer  alle  Merkmale  seiner  Gewogenheit 
bewiesen  hat,  wegen  der  Bestellung  eines  neuen  Hauslehrers  für 
seine  Kinder,   zerfallen  wäre,   kann  hierzu  Anlaß  gegeben  haben. 

Was  die  Zumutung  des  Widerrufs,  im  Fall,  daß  die  vorgeb- 
liche Bedrohung  stattgefunden  hätte,  betrifft:  so  haben  Sie  ganz 
richtig  geurteilt,  wie  ich  mich  dabei  würde  benommen  haben. 
Außerdem  halte  ich  in  meiner  jetzigen  Lage  und,  da  mir  keine 
Verletzung  der  Gesetze  schuld  gegeben  werden  kann,  eine  solche 
Zumutung  oder  Androhung  kaum  für  möglich.  Auf  den  äußersten 
Fall  aber  bin  ich  von  Mitteln  der  Selbsthilfe  nicht  so  entblößt, 
daß  ich  Mangels  wegen  für  die  kurze  Zeit  des  Lebens,  die  ich 
noch  vor  mir  habe,  in  Sorgen  stehen,  und  irgend  jemanden  zur 
Last  fallen  sollte;  so  gern  er  diese  auch  aus  edler  Teilnehmung 
zu  übernehmen  gesinnt  sein  möchte. 

Und  nun,  teuerster  Freund,  wünsche  ich  Ihnen  ein  Glück  des 
Lebens,  dessen  Ihre  rühm-  und  liebenswürdige  Denkungsart  so 
sehr  würdig  ist;  empfehle  mich  Ihrem  ferneren  Wohlwollen,  und 
bin  mit  der  größten  Hochachtung 

Königsberg,  d.  16,  Jul..  1794.  der  Ihrige 

Kant. 


Von  Jakoh  Sigismund  Beck  251 

35(5. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den  1 6.  September  1794. 
Verehrungswürdiger  Lehrer, 
Hierbei  erhalten  Sie  ein  Exemplar  vom  zweiten  Bande  meines 
Auszugs  aus  Ihren  kritischen  Schriften,  welches  Sie  von  mir  an- 
zunehmen so  gütig  sein  wollen.  Daß  ich  Ihnen  für  diese  ganze 
mir  übertragene  und  jetzt  vollendete  Arbeit  sehr  verbunden  bin, 
das  vinll  ich  Ihnen  nicht  weiter  sagen.  Ich  hatte  gewünscht,  daß 
die  Reife  der  Einsicht  in  diese  philosophische  Angelegenheiten, 
und  gewissermaßen  die  Gewandtheit,  die  ich  allererst  in  dieser 
Arbeit  in  einigem  Grade  erlangt  habe,  mir  schon  vor  derselben 
beschert  gewesen  wäre;  so  würde  ich  derselben  mehr  Vollkom- 
menheit gegeben  und  sie  dem  etwas  viel  versprechenden  Titel 
eines  erläuternden  Auszuges  entsprechender  gemacht  haben.  Wäh- 
rend dieses  ganzen  Geschäftes  habe  ich  meinen  Blick  auf  das 
eigentliche  Transszendentale  unserer  Erkenntnis  immer  wieder 
zurückgewandt  und  diesen  Punkt  so  scharf  zu  fassen  gesucht,  als 
ich  nur  immer  konnte.  Hierdurch  bin  ich  inne  geworden,  daß 
die  Möglichkeit  der  Erfahrung,  sofern  dieselbe  den  wahren  trans- 
szendentalen  Standpunkt  selbst  ausmacht,  ganz  was  anderes  ist, 
als  diejenige  bloß  abgeleitete,  diskursive  Vorstellung  der  Möglich- 
keit der  Erfahrung,  die  ein  bloßes  und  großenteils  unverständ- 
liches Hypothesenspiel  ist,  das  zu  tausend  Fragen  Anlaß  gibt.  Mit 
Ihrer  Kritik,  fürtrefflicher  Mann,  ist  es  fast  so  bewandt,  wie  mit 
der  Astronomie,  insbesondere  der  physischen.  Man  wird  so  oft 
darin  hin-  und  hergeworfen,  daß  man  lange  Zeit  nicht  weiß, 
woran  man  ist.  Allererst  wenn  man  den  eigentlichen  Standpunkt 
der  Transszendental philosophie  erreicht  hat,  und  so  den  Geist 
Ihrer  synthetischen  objektiven  Einheit  des  Bewußtseins  in  seine 
Denkart  gleichsam  übertragen,  und  sich  in  die  Handlungsweise 
der  ursprünglichen  Beilegung  (der  Synthesis  nach  den  Kategorien) 
und  der  ursprünglichen  Anerkennung  (des  transszendentalen  Sche- 
matismus) gewissermaßen  versetzt  hat,  ist  man  imstande,  die  Kritik 
von  ihrem  Anfange  bis  zu  ihrem  Ausgange  zu  fassen  und  sie  zu 
übersehen,  und  sonach  ist  man  wahrhaftig  erst  imstande,  so  simpel 
es  auch  sehr  vielen  scheinen  mag,  zu  wissen  was  ein  Erkenntnis 
a    priori    und    a    posteriori    heiße.      In    dem    Briefe,    den    Ihnen 


M^ 


Von  jfohann   Gottlieb  Fichte 


HARTKNOCH  wird  überbracht  haben,  schrieb  ich  Ihnen,  daß 
ich  an  einer  Schrift  arbeite,  in  der  ich  diesen  transszendentalen 
Standpunkt  etwas  hervorheben  will.  Da  habe  ich  nun  folgende 
Gegeneinanderstellung  im  Kopfe.  Ich  will  zeigen,  wie  nicht  allein 
alle  Mißverständnisse  der  Kritik,  sondern  auch  alle  Verirrungen 
der  Vernunft,  überhaupt  ihre  Quelle  darin  haben,  daß  man  eine 
Verbindung  zwischen  der  Vorstellung  und  ihrem  Gegenstande 
annimmt,  die  selbst  Nichts  ist,  und  nachdem  ich  nun  diese  ver- 
meintliche Erkenntnis  der  Dinge  an  sich  in  ihrer  ganzen  Leerheit 
werde  dargestellt,  und  ganz  besonders,  obzwar  mit  aller  Be- 
scheidenheit werde  gezeigt  haben,  daß  die  meisten  Ausleger  der 
Kritik,  ob  sie  gleich  dieselbe  unterschreiben,  sich  dieses  Vorurteils 
noch  gar  nicht  entschlagen  haben,  und  indem  sie  so  an  der  bloß 
abgeleiteten  Vorstellungsart  hängen,  der  Frage  des  Skeptikers:  was 
verbindet  meine  Vorstellung  von  einem  Gegenstande,  mit  diesem 
Gegenstande?  nimmermehr  ausweichen,  so  werde  ich  in  der  Aus- 
einandersetzung der  ursprünglichen  Vorstellungsart  im  Gegensatze 
zeigen,  worin  denn  die  Verbindung  liege,  und  folglich  was  die 
ganze  Behauptung  der  Kritik:  Wir  erkennen  die  Dinge  bloß  als 
Erscheinungen,  sage,  zeigen. 

Ich  habe  sehr  viel  auf  dem  Herzen,  was  ich  Ihnen  von 
meinen  nunmehr  etwas  fester  gewordenen  Einsichten  in  Ihre  un- 
sterbliche Kritik  gern  sagen  möchte.  Aber  meine  Briefe  mögen 
Ihnen  vielleicht  lästig  sein  und  ich  schließe  daher  mit  der  einzigen 
Bitte,  daß  Sie  mich  in  freundschaftlichem  Andenken  behalten  wollen. 

Beck. 

557- 
Von  Johann  Gottlieb  Fliehte. 

Darf  ich  Ihre  Muße, 

verehrungswürdigster  Mann, 
durch  die  Bitte  unterbrechen,  beigeschloßnen  kleinen  Teil  des 
ersten  Versuchs  den  in  meiner  Schrift:  Über  den  Begriff  der 
Wissenschaftslehre  usw.  angedeuteten  Plan  auszuführen,  wenn  Ihre 
Geschäfte  irgend  es  erlauben,  durchzulesen,  und  mir  Ihr  Urteil 
darüber  zu  sagen.*) 

')    Fichtes  Grundlage    der    gesamten  Wissenschaftslehre,  Jena  und 
Leipzig,   1794- 


Von  Johann  Gottlieh  Fichte  255 

Abgerechnet,  daß  der  Wink  des  Meisters  dem  Nachfolger  un- 
endlich wichtig  sein  muß,  und  daß  Ihr  Urteil  meine  Schritte 
leiten,  berichtigen,  beschleunigen  wird,  wäre  es  vielleicht  auch 
nicht  unwichtig  für  den  Fortgang  der  Wissenschaft  selbst,  wenn 
man  dasselbe  wüßte.  Bei  dem  Tone,  der  im  philosophischen 
Publikum  herrschend  zu  werden  droht;  bei  dem  anmaßenden 
Absprechen  derer,  die  in  Posseß  zu  sein  sich  dünken;  bei  ihrem 
ewigen  Machtspruche  vom  Nichtverstanden  haben  und  Nicht- 
verstanden  haben  können,  und  gegenseitigen  Niever- 
stehen werden,  wird  es  immer  schwerer,  sich  auch  nur  Gehör 
zu  verschaffen;  geschweige  denn  Prüfung  und  belehrende  Beur- 
teilung. 

Von  innigster  Verehrung  gegen  Ihren  Geist  durchdrungen, 
den  ich  zu  ahnden  glaube;  des  Glücks  teilhaftig,  Ihren  persön- 
lichen Charakter  in  der  Nähe  bewundert  zu  haben;  wie  glücklich 
wäre  ich,  wenn  meine  neuesten  Arbeiten  von  Ihnen  eines  günstigem 
Blicks  gewürdigt  würden,  als  man  bisher  darauf  geworfen!  Herr 
SCHILLER,  der  Sie  seiner  Verehrung  versichert,  erwartet  sehn- 
suchtsvoll Ihren  Entschluß  in  Absicht  des  geschehenen  Ansuchens 
in  einer  Sache,  die  ihn  ungemein  interessiert;  und  uns  andere 
nicht  weniger.  Dürfen  wir  hoffen?  Ich  empfehle  mich  Ihrem 
gütigen  Wohlwollen. 

Ihr 

innigst  ergebener 

Jena,  Fichte. 

den   6.  Oktober  1794. 

Ich  lege  ein  Exemplar  von  tünf  mir  abgedrungenen  Vor- 
lesungen bei.^)  Sie  scheinen  mir  selbst,  wenigstens  für  das  Publi- 
kum, höchst  unbedeutend. 


')  Einige  Vorlesungen    über    die  Bestimmung  des  Gelehrten,    Jena 
und  Leipzig,    I794- 


Z54  An  F.  Th.  de  la  Garde 

358. 

An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Kw:  Hochedelgeb. 

den  8.  Nov.  an  mich  abgelassenes, 
den  2Z.  cjusd.  eingegangenes  Schreiben,  zusamt  einem  Teile  des 
Anacharsis  und  einem  des  Montaigne,  nebst  dem  beigefügten  Ge- 
schenk der  Philosophie  Sociale,  deren  Äußerung  mir  viel  Ver- 
gnügen gemacht  hat,  verdienen  meinen  herzlichen  Dank.  Auch 
weiß  ich  nicht,  daß  Sic  wegen  des  Äquivalents  fiir  die  Frei- 
exemplare bei  mir  noch  im  Rest  sein  sollten,  vornehmlich  wenn 
künftig  der  sechste  Teil  des  Montaigne  noch  dazu  kommt;  daher 
die  Beilegung  Ihres  Verlagskatalogs  (den  ich  aber  im  Paket  nicht 
vorgefunden  habe)  in  dieser  Absicht  nicht  nötig  war.  Aber  darin 
tun  Sie  mir  unrecht,  daß  Sie  die  Saumseligkeit  meiner  Korre- 
spondenz einer  Unzufriedenheit  meinerseits  zuzuschreiben  scheinen; 
wozu  ich  in  der  Tat  gar  keine  Ursache  habe. 

Daß  ich  bei  einigen  meiner  neueren  Verlagsartikel  mich  nicht 
an  Sie  gewandt  habe,    davon   ist   nichts  anders   Ursache,   als  weil 
ich,  bei  meiner  eingezogenen  Lebensart,  täglich  einen   hinreichen- 
den Vorrat    neuen   Meßguts,    gleichsam    als   Nahrung,    statt    alles 
übrigen    Genusses,   des  Abends    nötig    habe   und   hiezu  der  VV^iil- 
tährigkeit  eines  oder  des  anderen  der  hiesigen  Buchhändler  bedarf, 
die    mir,  wenn    ich    ihnen    nicht    auch    etwas    zum  Verlag    gebe, 
verweigert  wird,    als  wovon    ich    schon    die   Erfahrung   habe.  — 
Indessen  hoffte  ich  doch  dieses  Verkehr  teilen  und  so  mit  Ihnen 
auch  Geschäfte  machen  zu  können  und  gebe  diese  Hoffhung,  un- 
erachtet    zweier   Hindernisse   auch  jetzt  nicht  auf:   deren  eine  ist, 
daß    in    meinem    ziemlich    hohen    Alter    meine    schriftstellerische 
Arbeit    nur    langsam    und    mit   vielen    durch   Indisposition  verur- 
sachten Unterbrechungen  fortrückt,  so,  daß  ich  für  die  Vollendung 
derselben  keinen  Termin  (wenigstens  jetzt  nicht)  sicher  bestimmen 
kann:  die  andere,  daß,  da  mein  Thema  eigentlich  Metaphysik  in 
der  weitesten    Bedeutung    ist    und,    als    solche,  Theologie,  Moral 
(mit    ihr   also    Religion)    imgleichen    Naturrecht    (und    mit    ihm 
Staats-    und  Völkerrecht),    obzwar    nur    nach  dem,  was  bloß  die 
Vernunft  von  ihnen  zu  sagen  hat,  befaßt,  auf  welcher  aber  jetzt 
die  Hand  der  Zensur  schwer  liegt,  man  nicht  sicher  ist,  ob  nicht 
die    ganze  Arbeit,    die    man   in  einem  dieser  Fächer  übernehmen 


An  Carl  Friedrich  Staudlin  255 

möchte,  durch  einen  Strich  des  Zensors  vereitelt  werden  dürfte. 
—  Wenn  nur  der  Friede,  welcher  nahe  zu  sein  scheint,  ein- 
getreten sein  wird,  so  werden  hoffentlich  noch  bestimmtere  Ver- 
ordnungen die  Schranken,  in  denen  sich  der  Autor  zu  halten  hat, 
genauer  vorzeichnen:  so,  daß  er  in  dem,  was  ihm  noch  frei  ge- 
lassen wird,  sich  für  gesichert  halten  kann.  —  Bis  dahin,  werter 
Freund,  werden  Sie  sich  also  gedulden:  indessen  daß  ich  meine 
Arbeiten  in  guter  Erwartung  fortsetze. 

Eines  bitte  ich  doch  mir  zu  Gefallen  zu  tun:  nämlich  Herren 
Dr.  BIESTER  zu  fragen,  was  die  Ursache  sei,  daß  ich,  außer 
dem  ersten  Quartal  der  Berl:  M.  S.  (nämlich  dem  Jan:,  Febr.  u. 
Mart.),  bis  jetzt  noch  kein  Stück  von  ihm  erhalten  habe;  nicht 
einmal  die  zwei,  in  welchen  ich  Abhandlungen  geliefert  habe, 
von  denen  es  Sitte  ist,  dem  Autor  ein  Exemplar  zuzuschicken. 
Lieber  wäre  es  mir  wohl,  wenn  es  ihm  gefiele,  mir  schriftlich 
hierüber  einen  Aufschluß  zu  geben;  doch,  wenn  das  nicht  sein 
kann,  bin  ich  auch  mit  einer  mündlichen  Antwort  zufrieden.  — 
Von  Ihrer  Seite  erbitte  mir  alsdann  die  Gefälligkeit,  diese  Ant- 
wort, auf  welche  ich  mit  einiger  Ungeduld  warte,  mit  der  nächsten 
Post  auf  meine  Kosten  gütigst  mir  zukommen  zu  lassen. 

Übrigens    bin    jederzeit   mit  vollkommener   Hochachtung   und 
Freundschaft 

Ew.  Hochedelgeb. 

Königsberg,  ,  ganz  ergebener  Diener 

den   24.  Nov.  1794. 

I.  Kant. 


An  Carl  Friedrich  Staudlin. 

Hochehrwürdigster  Herr,  4.  Dez.  1794. 

teurester  Freund! 

Für  Ihr   mir   gütigst   zugeschicktes,   jetzt  vollendetes,  eben  so 

nützliches  als  mühsames  und  scharfsinniges  Werk,  Geschichte  dL^% 

Skepticismus,  als    einem  Zeichen   Ihrer   mir   so  werten  Zuneigung 

gegen    mich,    danke    ich    mit    gleicher   Empfindung.^)     Eben  das 

^)  Staudlin,    Geschichte    und  Geist    des  Skepticismus,    vorzüglich 
in  Rücksicht  auf  Moral  und  Religion,  Bd.  i,  Leipzig  1794- 


1^6  An  Carl  Friedrich  St'äudlin 

tue  ich  für  Ihren  mir  sehr  angenehmen  und  gleichwohl  so  lange 
unbeantwortet  gelassenen  Brief,  welche  Unterlassung  Sie  nicht 
einer  Achtlosigkeit,  sondern  dem  Vertrauen  zuschreiben  wollen, 
welches  ich  in  die  Nachsicht  gegen  mein,  zwar  noch  nicht  krankes, 
aber  doch  mit  Ungemächlichkeit  behaftetes  Alter  setze,  das  mir 
bei  der  Mannigfaltigkeit  dringender  und  doch  nur  langsam  fort- 
gehenden Beschäftigungen,  manchen  Aufschub  abnötigt,  wofür 
ich  von  meinen  gütigen  Freunden  Vergebung  hoffe.  —  In  An- 
sehung dieses  Briefes  und  des  mir  darin  geschehenen  Antrages 
muß  ich  mich  Ihnen  noch  eröffnen. 

Dieser  Antrag,  in  einem,  von  Ihnen  herauszugebenden  theo- 
logischen Journal,  auch  Stücke  von  mir  aufzunehmen,  wobei  ich 
auf  die  uneingeschränkteste  Preßfreiheit  rechnen  könne,  ist  mir 
nicht  allein  rühmlich,  sondern  kam  mir  auch  erwünscht,  weil, 
ob  ich  gleich  diese  Freiheit  in  ihrem  ganzen  Umfange  nicht 
einmal  zu  benutzen  Sinnes  war,  doch  das  Ansehen  einer  unter 
dem  orthodoxen  GEORG  III.,  mit  dem  eben  so  rechtgläubigen 
FRIEDRICH  W^ILHELM  IL,  als  befreundeten  desselben,  stehen- 
den Universität,  mir,  meiner  Meinung  nach,  zum  Schilde  dienen 
könnte,  die  Verunglimpfiingen  der  Hyperorthodoxen  (welche  mit 
Gefahr  verbunden  sind)  unseres  Orts  zurückzuhalten.   — 

—  Ich  habe  daher  eine  in  dieser  Idee  abgefaßte  Abhandlung 
unter  dem  Titel:  „Der  Streit  der  Fakultäten"  schon  seit  einiger 
Zeit  fertig  bei  mir  liegen,  in  der  Absicht,  sie  Ihnen  zuzuschicken. 
Sie  scheint  mir  interessant  zu  sein,  weil  sie  nicht  allein  das  Recht 
des  Gelehrtenstandes,  alle  Sachen  der  Landesreligion  vor  das  Urteil 
der  theologischen  Fakultät  zu  ziehen,  sondern  auch  das  Interesse 
des  Landesherrn,  dieses  zu  verstatten,  überdem  aber  auch  eine 
Oppositionsbank  der  philosophischen  gegen  die  erstere  einzu- 
räumen ins  Licht  stellt,^)  und  nur  nach  dem  Resultat  der  Idee, 
der  durch  beide  Fakultäten  instruierten  Geistlichen,  als  Geschäfts- 
männer der  Kirche,  sofern  sie  ein  Oberkonsistorium  ausmachen, 
die  Sanktionierung  einer  Glaubenslehre  zu  einer  öffentlichen  Religion 
dem  Landesherren  zur  Pflicht-  sowohl  als  Klugheitsregel  macht, 
indessen  daß  er  andere  fromme  Gesellschaften,  die  nur  der  Sitt- 
lichkeit nicht  Abbruch  tun,  als  Sekten  tolerieren  kann.  —  Ob 
nun  gleich  diese  Abhandlung  eigentlich  bloß   publizistisch  und 


*)  S.  hierzu  Streit  der  Fakultäten  I,  Abschn.  4 :  „Vom  gesetzmäßigen 
Streit  der  obern  Fakultäten  mit  der  unteren." 


Von  Johann  Erich  Biester  257 

nicht  theologisch  ist  (de  jure  prtncipis  circa  religionem  et  ecclesiam), 
so  habe  ich  doch  nötig  gefunden,  um  diejenige  Glaubenslehre, 
die  ihrer  inneren  Beschaffenheit  wegen  nie  Landesreligion,  sondern 
nur  Sekte  abgeben  und  von  der  Landesherrschaft  nicht  sanktioniert 
werden  kann,  deuthch  zu  bezeichnen,  Beispiele  anzuführen,  die 
vielleicht  die  einzige  sind,  welche  die  Unfähigkeit  einer  Sekte 
Landesreligion  zu  werden,  ihrer  Ursache  sowohl  als  Beschaffen- 
heit nach  begreiflich  machen.  Hiebei  muß  ich  doch  fürchten, 
daß  —  nicht  bloß  um  dieser,  sondern  auch  anderer  Anführungen 
von  Beispielen  willen  —  die  jetzt  unseres  Ortes  in  grosser  Macht 
stehende  Zensur  Verschiedenes  davon  auf  sich  deuten  und  ver- 
schreien möchte  und  habe  daher  beschlossen,  diese  Abhandlung 
in  der  Hoffnung,  daß  ein  naher  Frieden  vielleicht  auch  auf  dieser 
Seite  mehr  Freiheit  unschuldiger  Urteile  herbeiführen  dürfte,  noch 
zurückzuhalten;  nach  diesen  aber  sie  Ihnen,  allenfalls  auch  nur 
zur  Beurteilung,  ob  sie  wirklich  als  theologisch  oder  als  bloß 
statistisch  anzusehen  sei,  mitzuteilen. 

Noch  bitte  ich  inständigst:  Ihrem  vortrefflichen  Herrn  Hofrat 
LICHTENBERG,  der,  durch  seinen  hellen  Kopf,  seine  rechtschaffene 
Denkungsart  und  unübertreffbare  Laune  vielleicht  besser  dem  Übel 
eines  trübseligen  Zwangsglaubens  entgegenwirken  kann,  als  andere 
mit  ihren  Demonstrationen  —  meinen  größten  Dank  für  sein 
gütiges  und  unverdientes  Geschenk  „der  Sammlung  und  Be- 
schreibung HOGARTSCHER  Kupferstiche"  zu  sagen,  indem  ich 
zugleich  den  Kostenaufwand  der  Fortsetzung  derselben  verbitte.  — 
An  Herrn  D.  FLANK')  bitte  gelegentlich  meine  Empfehlung  zu 
machen,  wobei  ich  das  Vergnügen  nicht  bergen  kann,  daß,  da 
die  vorhin  bei  uns  so  geschätzte  Denkfreiheit  entflohen  ist,  sie 
doch,  bei  so  wackeren  Männern,  als  Ihre  Universität  enthält,  hat 
Schutz  finden  können. 

Mit  der  vollkommensten  Hochachtung  und  wahrer  Zuneigung 

bin  ich  jederzeit 

Ew.  Hochehrwürd. 

ganz  ergebenster  treuer  Diener 

I.  Kant. 


^)  Gottl.  Jac.  Planck  (1751  — 1833),    Professor    der    Theologie    in 
Göttingen. 


Kants   Schriften.  Bd.  X.  '7 


258  Von  Johann  Erich  Biester 

160. 

Von  Johann  Erich  Biester. 

Berhn,  17.  Dezemb.  1794. 
Eben  als  ich  das  letzte  Quartal  der  Berl.  Monatsschrift  für 
Sie,  verehrungswürdiger  Mann,  einsiegeln  will,  sagt  mir  Herr 
LAGARDE  ganz  unerwartet,  daß  Sie  außer  den  drei  ersten  Mo- 
naten dieses  Jahrs,  kein  Stück  erhalten  hätten.  Dies  ist  mir  un- 
begreiflich; ich  habe  Ihnen  auch  sicherlich  die  drei  vom  zweiten 
Quartal  zugesandt,  und  ich  finde  in  meinem  Handbuch  darüber 
notiert,  daß  sie  am  ii.  Juli  abgegangen  sind.  Ich  sage  dies  bloß 
zu  meiner  nötigen  Entschuldigung;  denn  es  wäre  ja  unverant- 
wortlich, wenn  ich  Ihnen  diese  Stücke  nicht  zusendete,  zumal  da 
zwei  so  yortreflPliche  Aufsätze  von  Ihnen  darin  enthalten  sind. 
Mit  Vergnügen  lege  ich  diese  Stücke  hier  noch  einmal  bei;  es 
ist  wenig  genug,  womit  ich  Ihnen  meine  so  verpflichtete  Dank- 
barkeit einigermaßen  bezeigen  kann.  Sie  erhalten  also  itzt  April 
bis  September  inclus.,  denn  die  drei  letzten  Monate  kann  ich 
noch,  wegen  der  durch  den  auswärtigen  Druck  geschehenden  Ver- 
zögerung, nicht  beilegen. 

Sollte  Ihre  Muße  Ihnen  erlauben,  mir  einmal  wieder  einen 
Beitrag  zu  schenken,  so  wissen  Sie  selbst,  wie  sehr  Sie  sich  da- 
durch alle  Leser  verbinden  werden. 

Ich  habe  Gelegenheit  gehabt,  Ihre  Verteidigung  an  das  Geist- 
liche Departement  über  die  Beschuldigung  wegen  Ihrer  Schrift; 
„Die  Religion  innerhalb  der  Grenzen  der  Vernunft"  zu  lesen.  Sie 
ist  edel,  männlich,  würdig,  gründlich.  —  Nur  muß  es  wohl  jeder 
bedauren,  daß  Sie  ad  2)  das  Versprechen  freiwillig  ablegen:  über 
Religion  (sowohl  positiv-,  als  natürliche)  nichts  mehr  zu  sagen. 
Sie  bereiten  dadurch  den  Feinden  der  Aufklärung  einen  großen 
Triumph,  und  der  guten  Sache  einen  empfindlichen  Verlust.  Auch, 
dünkt  mich,  hätten  Sie  dies  nicht  nötig  gehabt.  Sie  konnten 
auf  eben  die  philosophische  und  anständige  Weise,  ohne  welche 
Sie  überhaupt  nichts  schreiben,  und  welche  Sie  so  vortrefflich 
rechtfertigen,  noch  immer  fortfahren,  über  die  nämlichen  Gegen- 
stände zu  reden;  wobei  Sie  freilich  vielleicht  wieder  über  einzelne 
Fälle  sich  zu  verteidigen  würden  gehabt  haben.  Oder  Sie  konnten 
auch    künftig    bei    Ihren    Lebzeiten   schweigen;   ohne  jedoch  den 


l^n  Carl  Friedrich  Staudlin  259 

Menschen  die  Freude  zu  machen,  sie  von  der  Furcht  vor  Ihrem 
Reden  zu  entbinden.  Ich  sage:  bei  Ihrem  Leben;  denn  daß  sie 
demungeachtet  fortfahren  werden,  an  dem  großen  von  Ihnen  so 
glückUch  begonnenen  Werke  der  philosophischen  und  theologi- 
schen Aufklärung  zu  arbeiten,  in  Hoffnung,  daß  wenigstens  einst 
die  Nachwelt  (und  in  der  Tat,  vielleicht  eine  sehr  bald  ein- 
tretende Zeit  der  Nachwelt)  diese  Arbeiten  wird  lesen  und  be- 
nutzen dürfen:  davon  sind  wir  alle,  aus  Liebe  zur  Vernunft  und 
Sittlichkeit,  überzeugt. 

Leben  Sie  wohl,  vortrefflicher  Mann;  und  sein  uns  noch  lange 
ein  Beispiel,  wie  ein  weiser  und  edler  Mann  auch  unter  den 
Stürmen,  welche  der  Vernunft  drohen,  sich  in  Gleichmut  und 
innerer  Zufriedenheit  erhalten  kann. 

Biester. 

Von  Carl  Friedrich  Staudlin. 

Verehrungswürdigster  Mann, 

Ihre  gütige  Aufnahme  meines  mangelhaften  Werks  hat  mich 
mit  der  lebhaftesten  Freude  erfüllt.  Ihr  Urteil  hat  einen  Wert 
für  mich,  der  mir  für  manche  ungerechte  Urteile,  die  das  Werk 
schon  hat  erfahren  müssen,  mehr  als  Entschädigung  ist.  Ich  kenne 
zwar  die  Flecken  und  UnvoUkommenheiten  dieses  Werks  sehr  gut, 
es  ist  auch  manches  mit  Recht  öffentüch  gegen  dasselbe  gesagt  worden. 
Von  der  andern  Seite  hat  man  mich  nach  Idealen  von  Pragma- 
tismus beurteilt,  die  in  der  Geschichte  der  Philosophie  nicht  er- 
reichbar sind;  man  hat  mir  vieles  aufgebürdet,  was  ich  nicht 
gesagt  habe;  man  hat  oft  die  Hauptzwecke  des  Werks  gänzlich 
verkannt  oder  verschwiegen.  Ich  werde  daher  bald  als  Beilage 
zu  meiner  Geschichte  noch  eine  kleine  Schrift  über  den  Begriff 
und  die  Geschichte  des  Skepticismus,  auch  dessen  Ver- 
hältnis zur  kritischen  Philosophie  herausgeben.  Sie  haben 
mir  so  viel  Zutrauen  eingeflößt,  daß  ich  mir  vielleicht  die  Freiheit 
nehme,  Sie  späterhin  wegen  einiger  Hauptpunkte  zu  befragen,  die 
ich  in  dieser  Schrift  zu  entscheiden  suchen  werde.  Doch  ver- 
zeihen Sie,  daß  ich  so  viel  von  mir  rede. 

Der  mir  versprochenen  Abhandlung:  „Der  Streit  der  Fakul- 
täten" sehe  ich  mit  der  größten  Sehnsucht   entgegen.      Ich  habe 

17* 


2  6o  Von  Friedrich  Schiller 

über  diesen  höchst  wichtigen  Gegenstand  noch  nie  recht  einig 
mit  mir  werden  können.  Desto  mehr  freue  ich  mich,  hoffen 
zu  dürfen,  von  einem  so  großen  Manne  darüber  belehrt  zu  werden, 
und  bitte  auch  in  dieser  Rücksicht  den  Himmel,  daß  recht  bald 
Friede  werden  möchte.  In  jedem  Falle  bitte  ich  inständigst 
wenigstens  um  die  Privatmitteilung  derselbigen.  Was  könnten 
aber  auch  einem  Manne,  wie  Sie,  Zensuren  und  Verschreiungen 
bei   dem  Drucke  derselben  schaden? 

Herr  H.  R.  LICHTENBERG  sagt,  daß  bei  dem  Zwangs- 
glauben schon  die  Etymologie  des  Worts  etwas  habe,  was  ihm 
in  gewisser  Rücksicht  nicht  ganz  mißfalle.  Wenn  er  einige  teio 
erhalten  könnte  —  zum  Abschießen  sei  er  sehr  bereit.  Er  empfiehlt 
sich  Ihnen  bestens  und  entschuldigt  sich,  daß  er  seinem  geringen 
Geschenke  keinen  Brief  beigelegt  habe.  „Es  war  eigentlich,"  schreibt 
er  mir,  „bloß  eine  Buchhändlersendung  und  eine  sehr  erbärmliche 
Vergeltung  für  sein  mit  einem  Briefe,  den  ich  mit  Rührung  ge- 
lesen habe,  begleitetes  Geschenk.  An  KAMT  zu  schreiben  ist  ein 
Nonkonformist  von  meinem  Fleische  nicht  immer  aufgelegt." 
Sie  werden  vielleicht  wissen,  daß  Herr  LICHTENBERG  sehr 
schwächlich  und  kränklich  ist  und  sich  daher  nach  manchen  For- 
malitäten nicht  konformieren  kann. 
Mit  ungeheuchelter  Verehrung 

Ihr 

geh.  Dr.  u.  Freund 
Göttingen,  D.  Stäudlin. 

d.  2  I.  Febr.  1795. 

362. 

Von  Friedrich  Schiller. 

Jena,  den  i.  März  1795. 
Verehrtester  Herr  Professor, 
Ich  habe  Ihnen  im  vorigen  Sommer  den  Plan  zu  einer  Zeit- 
schrift vorgelegt,  mit  der  Bitte,  irgend  einigen  Anteil  an  derselben 
zu  nehmen.  Die  Unternehmung  ist  zur  Ausführung  gekommen, 
und  ich  lege  Ihnen  hier  die  zwei  ersten  Monatstücke  vor,  herz- 
lich wünschend,  daß  diese  ersten  Proben  Sie  geneigt  machen 
möchten,  den  vereinigten  Wunsch  unserer  Sozietät  zu  erfüllen, 
und  unsere  Schrift  mit  einem  kleinen  Beitrage  zu  beschenken. 


An  die  Fürstin  Catharina  Daschkow  i6i 

Besonders  wünschte  ich,  daß  Sic  die  darin  vorkommenden 
Briefe  über  die  ästhetische  Erziehung  des  Menschen,  als  zu  deren 
Verfasser  ich  mich  gegen  Sie  bekenne,  Ihrer  Prüfung  wert  finden 
möchten.  Es  sind  dies  die  Früchte,  die  das  Studium  Ihrer 
Schriften  bei  mir  getragen,  und  wie  sehr  würde  es  mir  zur  Auf- 
munterung gereichen,  wenn  ich  hoffen  könnte,  daß  Sie  den  Geist 
Ihrer  Philosophie  in  dieser  Anwendung  derselben  nicht  ver- 
missen. 

Mit  unbegrenzter  Hochachtung 
verharre  ich  Ihr 

aufrichtigster  Verehrer 
Fr.  Schiller. 

363. 

An  die  Fürstin  Catharina  Daschkow.') 

(Entwurf.) 

[März    1795.] 

Daß  Ew;  Durchl.  nach  der  erhabenen  Absicht  Ihrer  großen 
Monarchin  den  Fleiß  der  Gelehrten  zu  wahrer  Aufklärung  durch 
ehrende  Aufmunterungen  zu  beleben  sich  zum  Geschäfte  gemacht 
haben,  verdient  und  erwirbt  die  Bewunderung  und  den  Dank  des 
ganzen  gelehrten  gemeinen  Wesens. 

Daß  aber  meine  gringe  Bemühungen  zu  diesem  Zweck  hinzu- 
wirken Ihrer  Aufmerksamkeit  nicht  entgangen  sind  und  so  Ihre 
Auswahl  zu  Gliedern  der  berühmten  Russisch.  Kaiserl.  Akademie 
der  Wissenschaften  auch  auf  mich  gefallen  ist,  erkenne  ich  be- 
sonders mit  dankbarer  Verehrung  als  Aufforderung  und  zugleich 
meinerseits  als  Verbindlichkeit,  soviel  als  in  meinen  Kräften  steht, 
noch  ferner  zu   dieser  Absicht  beizutragen. 

In  diesem  Wunsche,  daß  Ew.  Durchl.  als  Vorsteher  und  zu- 
gleich als  Beispiel  dieses  edle  Geschäfte  einer  wichtigen  mensch- 
lichen Angelegenheit  noch  viele  Jahre  mit  Zufriedenheit  und  gutem 
Erfolg  verwalten  mögen,  bin  ich  mit  der  tiefsten  Verehrung 

Ew.  D. 

')  Kant  war  am  28.  Juli  1794  zum  auswärtigen  Mitgliede  der  unter 
dem  Protektorate  der  Fürstin  Catharina  Daschkow  stehenden  Petersburger 
Akademie  der  Wissenschaften  ernannt  worden. 


262  An  Dietr.  Ludw.  Gustav  Karsten 

An  Dietr.  Ludw.  Gustav  Karsten.') 

Wohlgeborner,  hochzuverehrender  Herr  Bergrat. 

Alit  einem  Schreiben  von  Ew.  Wohlgeb.  beehrt  zu  werden, 
dadurch  mit  Ihnen  in  einige  Bekanntschaft  zu  kommen,  um  viel- 
leicht gelegentlich  die  ausgebreitete  Kenntnisse  in  Ihrem  Fache 
der  Wissenschaften,  die  doch  alle  vermittelst  der  Philosophie  in 
Verwandtschaft  stehen,  zu  benutzen,  ist  mir  sehr  angenehm  ge- 
wesen; so  unangenehm  mir  auch  die  Ursache  ist,  welche  dieses 
veranlaßt  hat. 

Ich  habe  wirklich,  etwa  im  Jahre  1790,  vom  Herrn  Grafen 
VON  WINDISCHGRÄTZ  eine  Menge  kleiner  Schriften  erhalten, 
z.  B.  „Histoire  metaphysique  de  l'Organisation  animale",  2  Teile, 
die  ich  vor  mir  liegen  habe,  vornehmlich  eine  auf  Politik  und 
Grundsätze  der  bürgerlichen  Konstitution  bezogene,  sehr 
gründliche  und  (was  ich  mich  wohl  erinnere,  weil  es  auf  mich 
besonderen  Eindruck  gemacht  hat)  gleichsam  aus  einer  Divina- 
tionsgabe  geflossene  Schrift:  „Von  dem,  was  die  Regenten  zu  tun 
haben,  wenn  sie  nicht  wollen,  daß  es  das  Volk  selber  tue",  die 
einige  Jahre  vor  dem  wirklichen  Eräugnis  des  letzteren  heraus- 
gegeben war,  die  ich  aber  jetzt  (sowie  die  zwei  ersten  Teile  der 
„Histoire  metaphysique  de  l'organisation  animale")  wegen  einer 
gewissen  Unordnung,  darin  mein  sonst  nicht  großer  Büchervorrat 
geraten  ist,  nicht  vorfinden  kann,  um  sie  zu  spezifizieren.*) 

Ob  ich  dem  Herrn  Grafen  dieserhalb  meinen  Dank  schrift- 
lich abgestattet  habe,  kann  ich  mich  nicht  mit  Gewißheit  erinnern, 
wohl  aber,  daß  ich  durch  meinen  Verleger,  dem  Buchhändler 
DE  LAGARDE  in  Berlin,  meine  damals  herausgekommene  Schrift: 
„Kritik  der  Urteilskraft"  von  der  Leipziger  Messe  aus  an  hoch- 
gedachten Herrn  Grafen  zu  übermachen  aufgetragen  habe. 

Nun  bitte  ich  ergebenst  den  Herrn  DE  LAGARDE,  einen  sonst 
zuverlässigen  und  wohldenkendcn  Mann,  zu  befragen:  wie  es  zu- 
gegangen,   daß    jene    Bestellung    ihren    Zweck   nicht  erreicht  hat, 

')  Dieser  Brief,  der  in  der  Akademie-Ausgabe  fehlt,  ist  in  dem 
Nachlaß  von  Dietrich  Ludw\  Gust.  Karsten  (1768 — 1810)  von  Iwan 
Bloch  aufgefunden  und  zuerst  im  Berliner  Tageblatt  (28.  Februar  ipio) 
veröffentlicht  worden. 

^)  Vgl.  Bd.  IX,  S.  43if. 


Von  Carl  Leonhard  Reinhold  263 

die  Antwort  desselben  dem  Herrn  Grafen  bekannt  zu  machen, 
wie  auch  denselben  in  meinem  Namen  um  Verzeihung  zu  bitten, 
wegen  meiner  nicht  aus  Fahrlässigkeit  unterlassenen  Erwiderung 
der  mir  bezeigten  Aufmerksamkeit,  sondern  aus  einem,  wegen 
einander  drängender  Beschäftigungen,  oft  schwer  zu  vermeidenden 
und  so  zufälligerweise  bis  zum  Vergessen  hinausgehenden  Auf- 
schub, dessen  Schuld  mein  ziemlich  hoch  angewachsenes  Alter 
auch  zum  Teil  mag  tragen  helfen. 

Was  Ew.  Wohlgeb.  betrifft,  so  bin  ich  nicht  so  tief  in  Meta- 
physik versunken,  daß  ich  nicht  an  Ihrer  glücküchen  Erweiterung 
der  Wissenschaften  im  Felde  der  Erfahrung,  sofern  diese  Stufen 
des  Aufsteigens  zur  Philosophie  legt,  wenigstens  als  Dilettante, 
Anteil  nehmen  sollte:  zumal  die  Reformation  unserer  Begriffe  in 
der  Archäologie  der  Natur  von  dem  praktischen  Bergkundigen, 
der  zugleich  Philosoph  ist,  vorzüglich  erwartet  werden  muß. 

Mit  der  vollkommensten  Hochachtung  bin  ich  jederzeit 

Ew.  Wohlgeboren 

ergebenster  treuer  Diener 
Königsberg,  I.  Kant, 

d.  16.  Mart.  1795- 


365. 

Von  Carl  Leonhard  Reinhold. 

Verehrungswürdigster  Lehrer  und  Freund! 
Seit  zehn  Jahren  bin  ich  gewohnt,  alles,  was  mir  besonders 
teuer  und  wert  ist,  Ihnen  zu  verdanken.  Dies  ist  auch  mit  der 
Freundschaft  des  edlen  jungen  Mannes  Kammerherrn  Grafen  VON 
PURGSTALL  aus  Steiermark,  der  Ihnen  diese  Zeilen  bringen  soll, 
der  Fall.  Das  Verlangen,  sich  bei  dem  Studium  Ihrer  Philosophie 
durch  mich  unterstützen  zu  lassen,  fährte  ihn  aus  seinem  Vater- 
lande zu  mir  nach  Jena  und  mit  mir  nach  Kiel.  Ich  habe  ihn 
durch  fünf  Vierteljahre,  die  er  mit  mir  als  mein  Zuhörer,  Haus- 
genosse und  treuer  Lebensgefährte  zugebracht  hat,  sehr  genau 
kennen,  und,  was  bei  ihm  eine  natürliche  Folge  davon  ist,  innig 
lieben  und  hochachten  gelernt;  und  Ihre  Philosophie  und  seine 
Empfänglichkeit  haben  mich  in  den  Stand  gesetzt,  zur  Vollendung 
der  Eintracht  zwischen  einem  der  besten  Köpfe  und   besten  Herzen, 


2  ($4  ^on  Carl  Leonharä  Re'mhold 

die  ich  kenne,  mitzuwirken.  Er  verdient  Ihre  persönliche  Be- 
kanntschaft ebenso  sehr,  als  er  dieselbe  wünscht;  und  er  wünscht 
sie  nicht  wenig;  denn  er  geht  schlechterdings  aus  keiner  andern 
Absicht  von  Kiel  nach  Königsberg.  Er  sehnt  sich  der  Humanität 
in  der  Person  des  Mannes  zu  huldigen,  dem  er  mit  Zeitgenossen 
und  Nachwelt  den  bestimmten  Begriff  von  der  Würde  derselben 
verdankt,  und  hofft  von  ihm  den  Segen  zur  Ausführung  desjenigen 
zu  empfangen,  was  er  durch  ihn  kennen  und  wollen  gelernt  hat, 
und  wozu  er  vor  so  vielen  andern  durch  Natur  und  Glück  aus- 
gerüstet ist.  Es  sei  auch  mir  vergönnt,  die  Versicherung  meiner 
Verehrung,  Liebe,  Dankbarkeit  und  Bewunderung,  die  kein  toter 
Buchstabe  auszudrücken  vermag,  und  die  ich  Ihnen  diesseits  des 
Grabes   wohl    schwerlich    in    Person    darbringen  kann,    durch  ihn 

—  ich  kenne  keinen  lieberen  Stellvertreter  —  an  Sie  gelangen 
zu  lassen.  Ich  werde  Sie  durch  seine  Augen  sehen,  durch  seine 
Ohren  hören    —   und   falls    Sie   mir  selbst  dies  erlauben  würden 

—  durch  sein  Herz  Sie  an  das  meinige  drücken.  —  Aber  er 
hat  den  Wert  Ihrer  Zeit  kennen  gelernt;  und  w^ird  sich  in  den 
wenigen  Wochen  seines  Aufenthaltes  in  Königsberg  mit  wenigen 
Zeittrümmerchen ,  die  Sie  ihm  ohne  Ihre  Ungelegenheit  zukom- 
men lassen  können,  genügen  lasseh.') 

Er  wird  Ihnen  sagen:  daß  auch  hier  das  Evangelium  der  prak- 
tischen Vernunft  nicht  weniger  als  in  Jena  Eingang  gefunden  hat. 
Doch  ich  besinne  mich,  daß  ich  für  diesesmal  nichts  schreiben 
kann,  was  Sie  nicht  durch  seinen  Mund  ausführlicher  vernehmen 
könnten.  Es  soll  mir  genug  sein,  wenn  Sie  mir  durch  ihn  ant- 
worten; mich  durch  ihn  hören  lassen,  was  ich  nicht  oft  genug 
hören  kann,  daß  sich  noch  immer  Ihrer  Liebe  zu  ertreuen  hat 
Kiel,  den   zp.  März    1795. 

Ihr  wärmster  Verehrer 
Reinhold. 


^)  Gottfr.  W.  Graf  v.  Purgstall  (1773  — 1812);  er  selbst  hat  von 
seinem  Aufenthalt  in  Königsberg  in  einem  interessanten  Brief  berichtet, 
der  eine  lebendige  Schilderung  von  Kants  Persönlichkeit  und  Lehrarc 
enthält  (vgl.  Altpreuß.  Monatsschr.    1879,  S.  607  ff.). 


An  Friedrich  Schiller  i6f 

An  Friedrich  Schiller. 

Königsberg,  den  30.  März  1795. 
Hochzuverehrender  Herr 
Die  Bekanntschaft  und  das  liter'ärische  Verkehr  mit  einem 
gelehrten  und  talentvollen  Mann,  wie  Sie,  teuerster  Freund,  anzu- 
treten und  zu  kultivieren,  kann  mir  nicht  anders  als  sehr  er- 
wünscht sein.  —  Ihr  im  vorigen  Sommer  mitgeteilter  Plan  zu 
einer  Zeitschrift  ist  mir,  wie  auch  nur  kürzlich  die  zwei  erste 
Monatsstücke,  richtig  zu  Händen  gekommen.  —  Die  Briefe  über 
die  ästhetische  Menschenerziehung  finde  ich  vortrefflich  und  werde 
sie  studieren,  um  Ihnen  meine  Gedanken  hierüber  dereinst  mit- 
teilen zu  können.  —  Die  im  zweiten  M.  Stück  enthaltene  Ab- 
h^dlung  über  den  Geschlechtsunterschied  in  der  organischen 
Natur  kann  ich  mir,  so  ein  guter  Kopf  mir  auch  der  Verfasser 
zu  sein  scheint,^)  doch  nicht  enträtseln.  Einmal  hatte  die  A.  L.  Z. 
sich  über  einen  Gedanken  in  den  Briefen  des  Herrn  HUBE  aus 
Thorn  (die  Naturlehre  betreffend),  von  einer  ähnlichen  durch 
die  ^anze  Natur  gehenden  Verwandtschaft,  mit  scharfem  Tadel 
(als  über  Schwärmerei)  aufgehalten.  Etwas  dergleichen  läuft 
einem  zwar  bisweilen  durch  den  Kopf;  aber  man  weiß  nichts 
daraus  zu  machen.  So  ist  mir  nämlich  die  Natureinrichtung: 
daß  alle  Besamung  in  beiden  organischen  Reichen  zwei  Ge- 
schlechter bedarf,  um  ihre  Art  fortzupflanzen,  jederzeit  als  erstaun- 
lich und  wie  ein  Abgrund  des  Denkens  für  die  menschliche 
Vernunft  aufgefallen,  weil  man  doch  die  Vorsehung  hiebei  nicht, 
als  ob  sie  diese  Ordnung  gleichsam  spielend,  der  Abwechselung 
halber,  beliebt  habe,  annehmen  wird,  sondern  Ursache  hat  zu 
glauben,  daß  sie  nicht  anders  möglich  sei;  welches  eine  Aus- 
sicht ins  Unabsehliche  eröffnet,  woraus  man  aber  schlechterdings 
nichts  machen  kann,  so  wenig  wie  aus  dem,  was  Miltons  Engel 
dem  Adam  von  der  Schöpfung  erzählt:  „Männliches  Licht  ent- 
ferneter  Sonnen  vermischt  sich  mit  weiblichem,  zu  unbekannten 

')  „Über  den  Geschlechtsunterschied  und  dessen  Einfluß  auf  die 
organische  Natur"  (Hören  1795);  der  Verfasser  des  Aufsatzes  ist 
Wilhelm  v.   Humboldt. 


2 66  An  F.  Tk  de  la  Garde 

Endzwecken."')  Ich  besorge,  daß  es  Ihrer  M.  S.  Abbruch  tun 
dürfte,  daß  die  Verfasser  darin  ihre  Namen  nicht  unterzeichnen 
und  sich  dadurch  für  ihre  gewagte  Meinungen  verantwortHch 
machen;  denn  dieser  Umstand  interessiert  das  lesende  PubUkum 
gar  sehr. 

Für  dies  Geschenk  sage  ich  also  meinen  ergebensten  Dank; 
was  aber  meinen  gringen  Beitrag  zu  diesem  Ihren  Geschenk  fürs 
Publikum  betrifft,  so  muß  ich  mir  einen  etwas  langen  Aufschub 
bitten;  weil,  da  Staats-  und  Religionsmaterien  jetzt  einer  gewissen 
Handelssperre  unterworfen  sind,  es  aber  außer  diesen  kaum  noch, 
wenigstens  in  diesem  Zeitpunkt,  andere  die  große  Lesewelt  inter- 
essierende Artikel  gibt,  man  diesen  Wetterwechsel  noch  eine  Zeit- 
lang beobachten  muß,  um  sich  klüghch  in  die  Zeit  zu  schicken. 

Herren  Prof:  FICHTE  bitte  ich  ergebenst  meinen  Gruß  und 
meinen  Dank  für  die  verschiedenen  mir  zugeschickten  Werke  von 
seiner  Hand  abzustatten.  Ich  würde  dieses  selbst  getan  haben, 
wenn  mich  nicht,  bei  der  Mannigfaltigkeit  der  noch  auf  mir 
liegenden  Arbeiten,  die  Ungemächlichkeit  des  Altwerdens  drückte, 
welche  denn  doch  nichts  mehr  als  meinen  Aufschub  rechtfertigen 
soll.  —  Den  Herrn  SCHÜTZ  und  HUFELAND  bitte  gleichfalls 
gelegentlich  meine  Empfehlung  zu  machen. 

Und  nun,  teuerster  Mann!  wünsche  ich  Ihren  Talenten  und 
guten  Absichten  angemessene  Kräfte,  Gesundheit  und  Lebensdauer, 
die  Freundschaft  mit  eingerechnet,  mit  der  Sie  den  beehren  wollen, 
der  jederzeit  mit  vollkommener  Hochachtung  ist 

Ihr 

ergebenster  treuer  Diener 
I.  Kant. 

An  F.  Th.  de  la  Garde. 

Königsberg,  den   30.  März    1795. 
W^elche  Überraschung  haben  Sie,  geehrtester  Freund!   mir  ge- 
macht   und    in   welche  Verlegenheit    mich    gesetzt,    ein    Denkmal 
Ihrer  Freundschaft,  welches  Ihnen  doch  viel  Kosten  gemacht  haben 
muß,    zu    erwidern?      Für    jetzt    kann    ich    nichts    diesem    Ihrem 

^)  S.  Milton,  Paradise  lost,  VIII,   148—52. 


Von  Johann  Christian  Kiesewetter  267 

Wohlwollen  Entsprechendes,  als  meinen  verbindlichsten  Dank  für 
dies  Geschenk  einlegen,  und  dieses,  im  Entwurf  sinnreiche,  in 
der  Ausführung  durch  die  Porzellanfabrik  schöne  Produkt  der 
Kunst  meinen  und  Ihren  Freunden  sehen  zu  lassen,  und  auf  die 
Art  zu  denken,  wie  ich  es,  so  bald  als  möglich,  durch  etwas 
Ihnen  Angenehmes  vergelten  könne. 

Es  wird  vermutlich  bei  Ihnen  eine  Erkundigung  von  Herrn 
Bergrat  KARSTEN,  die  mir  im  Jahr  1790  von  Herrn  R.  Grafen 
V.  WINDISCHGRÄTZ  zugeschickte  Schriften  betreffend,  ein- 
gegangen sein,  die  ich  aus  meiner  eigenen  Erinnerung  nicht  zu 
beantworten  wußte  und  ihn  deshalb  an  Sie  gewiesen  habe:  ob 
Sie  nämlich  sich  nicht  etwa  erinnern  könnten,  an  gedachten  Grafen 
ein  Exemplar  meiner  Kritik  d.  U.  K.  zur  Zeit  der  damaligen  Leip- 
ziger Ostermesse,  in  meinem  Namen  geschickt  zu  haben.  Sonst 
hat  diese  Sache  nicht  viel   zu  bedeuten. 

Inliegende  Briefe  bitte  an  ihre  Bestimmung  gelangen  zu  lassen 
und  versichert  zu  sein,  daß  ich  mit  aller  Hochachtung  jederzeit 
bleibe 

Ihr 

ergebenster  Diener 
I.  Kant. 

368. 

Von  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Berlin,  den  8.  Juni  1795. 
Wertgeschätzter  Herr  Professor, 
Ich  nehme  mir  die  Freiheit,  Ihnen  die  zweite  Auflage  meiner 
Logik  und  das  andere  Werkchen,  was  von  mir  in  dieser  Messe 
erschienen  ist,  zu  überschicken,^)  und  ich  würde  mich  glücklich 
schätzen,  wenn  Sie  meine  Arbeiten  Ihrer  Aufmerksamkeit  nicht 
ganz  unwürdig  hielten.  So  sehr  ich  mich  auch  in  dem  letztern 
Buch  bemüht  habe,  die  Resultate  Ihres  Scharfsinns  populär  vor- 
zutragen, so  viel  bleibt  mir  dennoch  zu  wünschen  übrig  und  ich 
habe  nur  zu  sehr  empfunden,   daß  das  bloße  Verstehen  und  Bc- 

^)  Kiesewetter,  Versuch  einer  faßlichen  Darstellung  der  wich- 
tigsten Wahrheiten  der  neueren  Philosophie  für  Uneingeweihte  I:  Berlin 
1795    (II:  Berlin   1803). 


i6S 


Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter 


greifen  uns  nicht  so  gleich  in  den  Stand  setzt,  unsere  Erkennt- 
nisse ä  port'ee  de  tout  le  monde  vorzutragen.  Den  Vorwurf,  etwas 
Wichtiges  aus  Ihrem  System  übergangen  zu  haben,  tiirchte  ich 
nicht,  wohl  aber  den,  daß  ich  noch  manches  hätte  herauslassen  sollen, 
weil  es  dem  im  Philosophieren  ungeübten  Leser  zu  schwer  werden 
möchte.  Die  Lehre  von  Raum  und  Zeit  scheint  mir  ziemlich 
faßlich  dargestellt  zu  sein,  aber  mehr  Schwierigkeiten  wird  der 
Leser  bei  der  Deduktion  der  Kategorien  und  bei  der  Aufstellung 
der  reinen  Verstandesgesetze  finden.  Die  Deduktion  des  Moral- 
prinzips und  die  Beantwortung  der  Frage:  was  darf  ich  hoffen? 
hat  mir  weniger  Anstrengung  gekostet.  Sollten  Kenner  mit 
diesem  Werkchen  nicht  unzufrieden  sein,  so  wäre  ich  entschlossen, 
auf  eine  ähnliche  Art  die  Kritik  der  Urteilskraft  zu  bearbeiten,  ein 
Werk,  an  dem  meine  ganze  Seele  hängt. 

Zu  meiner  großen  Betrübnis  ist  diese  Messe  nichts  von  Ihnen 
erschienen,  so  sehr  ich  dies  auch  gewünscht  habe.  Ihre  Hand- 
bücher der  Metaphysik  und  Moral  werden  wir  freilich  wohl  noch 
eine  Zeitlang  erwarten  müssen,  aber  Sie  haben  schon  seit  einigen 
Jahren  einige  Bogen  dem  Public©  schenken  wollen,  die  den  Über- 
gang von  Ihren  metaphysischen  Anfangsgründen  der  Naturwissen- 
schaft zur  Physik  selbst  enthalten  sollten  und  auf  die  ich  sehr 
begierig  bin.  —  Es  ist  mir  eine  sehr  auffallende  Erscheinung,  daß, 
so  sehr  man  Ihre  übrigen  Schriften  genützt,  erklärt,  ausgezogen, 
erläutert  usw.  hat,  sich  doch  nur  sehr  wenige  bis  jetzt  erst  mit 
den  metaphysischen  Anfangsgründen  der  Naturwissenschaft  be- 
schäftigt haben.  Ob  man  den  unendlichen  Wert  dieses  Buchs 
nicht  einsieht,  oder  ob  man  es  zu  schwierig  findet,  weiß  ich 
nicht.  Mir  ist  jetzt  keine  Bearbeitung  dieses  Werks  bekannt,  als 
der  vortreffliche  Auszug  aus  demselben  vom  Herrn  Hofprediger 
SCHULZ  in  der  allgemeinen  Literaturzeitung  und  der  erläuternde 
Auszug  vom  Herrn  Mag.  BECK,  den  ich  aber  bis  jetzt  noch  nicht 
gelesen  habe.  Sollte  es  dem  Publico  nicht  angenehm  sein,  wenn 
ein  Kommentar  über  dies  Werk  erschiene?  Mir  hat  es  unter 
allen  Ihren  Schriften  die  meiste  Mühe  gemacht  und  ich  denke 
immer  noch  mit  großer  Dankbarkeit  daran,  daß  ich  das  völlige 
Verstehen  desselben  Ihrem  mündlichen  Unterricht  schuldig  bin. 

Die  letzte  Nachricht  von  Ihrem  Wohlsein,  eine  Nachricht,  die 
mir  jedesmal  herzliche  Freude  macht,  habe  ich  vor  einigen  Tagen 
von  den  Herren  NICOLOVIUS  und  HARTKNOCH,  die  ich  auf 
einige  Augenblicke  in  Freyberg  sprach,    erhalten.     Es  würde  mir 


Von  ^akob  Sigismund  Beck  i6p 

äußerst  angenehm  sein,  wenn  ich  auch  nur  durch  einige  Zeilen 
von  Ihnen  die  Nachricht  erhielte,  daß  Sie  gesund  und  froh  sind, 
und  ich  würde  dies  zugleich  als  einen  Beweis  ansehen,  daß  Sic 
mich  Ihrer  Freundschaft  nicht  ganz  unwert  halten. 

Machen  Sie,  wenn  ich  bitten  darf,  recht  viel  herzliche  Emp- 
fehlungen von  mir  an  Herrn  Prof.  KRAUSE  und  an  den  Herrn 
Münzdirektor  GÖSCHEN  und  seine  Familie.  Ich  wünschte  sehr, 
daß  der  gute  Mann  einige  Erleichterung  seines  Übels  durch  den 
Gebrauch  des  Bades  erhalten  hätte.  — 

Ich  bin  mit  der  aufrichtigsten  Hochachtung  und  Liebe 

Ihr 

dankbarer  Schüler 
J.  G.  C.  Kiesewetter 

3Ö9. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den    17.  Juni   i/pj. 
Verehrungswürdiger  Lehrer, 

Herr  Prof.  JAKOB  bietet  mir  eine  Gelegenheit  an,  einen  Brief 
an  Sie  zu  bestellen,  die  ich  sehr  gern  ergreife,  weil  ich  mich 
versichert  halte,  daß  Sie  freundschaftlich  gegen  mich  gesinnt  sind, 
und  aus  diesem  Grunde  Nachrichten,  die  mich  betreffen,  mit 
einigem  Interesse  aufnehmen  werden. 

Die  ersten  Jahre  meines  Aufenthalts  in  Halle  waren  von 
mancherlei  Kümmernissen  begleitet.  Jetzt  aber  wird  derselbe  vc«i 
Tage  zu  Tage  heiterer.  Ich  habe  hier  viele  und  herzliche  Freunde, 
und  nachdem  ich  bald  fünf  Jahre  lang  den  hiesigen  Studierenden 
ein  wahrer  Obscurus  war,  so  bin  ich  jetzt  in  ziemlichem  Beifall 
als  akademischer  Dozent.  Von  der  Schule,  auf  der  ich  so  lange 
lebte,  habe  ich  in  diesem  Frühjahr  mich  frei  gemacht  und  lebe 
jetzt  ganz  dem  akademischen  Unterricht.  Ich  war  dem  Graf 
KEYSERLING  1 00  Taler  schuldig,  womit  er  mich  vor  fünf  Jahren 
unterstützte,  und  diese  habe  ich  jetzt  schon  abgetragen.  Ihnen, 
fürtrefflicher  Mann,  verdanke  ich  meine  bessere  Lage;  denn  Sie 
haben  mir  dazu  die  Hand  geboten. 

Künftige  Michälismesse  kömmt  ein  dritter  Teil  zu  meinem 
Auszuge  zum  Vorschein,  welche  Schrift,  auch  besonders  unter  dem 
Titel:    „Einzig   möglicher  Standpunkt,   aus  welchem    die   kritische 


2/0  Von  Ludwig  Heinrich  Jakoh 

Philosophie  beurteilt  werden  muß,"^)  erscheinen  wird.  Sobald 
sie  fertig  gedruckt  sein  wird,  werde  ich  mir  die  Freiheit  nehmen, 
Ihnen  ein  Exemplar  zu  überschicken.  Ich  habe  Ihnen  von  diesem 
Plan  schon  einmal  was  geschrieben.  Meine  ganze  Absicht  ist, 
zu  zeigen,  daß  die  Kategorien  der  Verstandesgebrauch  selbst  sind, 
daß  sie  allen  Verstand  und  alles  Verstehen  ausmachen,  und  daß 
der  wahre  Geist  der  kritischen  Philosophie,  die  das  Publikum 
Ihnen  verdankt,  darin  besteht,  daß  dieselbe  an  ihrer  Transszen- 
dentalphilosophie,  die  Kunst,  sich  selbst  zu  verstehen,  aufgestellt 
habe.  Dieses:  Sichselbst- Verstehen,  ist  in  meinen  Augen  der 
oberste  Grundsatz  aller  Philosophie,  und  ich  bin  versichert,  daß 
nur  demjenigen,  der  dieses  wohl  vernim.mt,  Ihre  kritische  Werke 
aufgeschlossen  sein  können.  —  Möchte  die  Vorsehung  Sie  noch 
lange  im  Leben  erhalten.  Erhalten  Sie  Ihre  Gewogenheit  gegen 
mich  Ihren 

Ihnen  ergebenen 
Beck. 

370. 

Von  Ludwig  Heinrich  Jakob. 

Halle,  den  22.  Juni  1795. 
Ich  kann  die  Gelegenheit,  welche  sich  mir  anbietet,  an  Sie 
zu  schreiben  und  Ihnen,  verehrungswürdiger  Mann,  meine  innigste 
Verehrung  zu  bezeugen,  unmöglich  vorbeigehen  lassen.  Zugleich 
habe  ich  die  Ehre,  Ihnen  hierbei  die  Stücke  der  Annalen,  soweit 
sie  vollendet  sind,  zu  überschicken,  und  es  wird  lediglich  auf 
Sie  ankommen,  zu  bestimmen,  ob  Sie  die  Fortsetzung  davon 
wünschen.  In  den  Rezensionen  spekulativen  Inhalts  über  REIN- 
HOLD,  FICHTE,  ABICHT  usw.  werden  Sie  den  Herrn  M.  BECK 
nicht  verkennen.  Ich  halte  mit  ihm  die  Art  zu  philosophieren, 
welche  diese  Männer  einführen  wollen,  für  eine  völlige  Abweichung 
von  der  kritischen  Methode,  wovon  Sie  ein  so  vollkommenes 
Beispiel  gegeben  haben.  Es  ist  unbegreiflich,  wie  man  nach  Er- 
scheinung der  Kritik  noch  nach  einem  einzigen  obersten  Grund- 
satze suchen  kann,  der  nicht  bloß  die  Grenzen  der  menschlichen 
Erkenntnis   bestimmen,  sondern  auch  sogar  über  jeden  Inhalt  kate- 

0  Riga  1796. 


An  Carl  Leonhard  Reinhold  271 

gorisch  entscheiden  soll.  Herr  BECK  ist  sehr  begierig,  zu  erfahren, 
ob  Sie  mit  seinen  Bemerkungen  zufrieden  sind  und  ob  Sie  glauben, 
daß  er  auf  diesem  Wege  das  wahre  Verständnis  der  Philosophie 
befördern  werde,  und  es  würde  uns  beiden  eine  ungemeine  Freude 
machen,  wenn  Sie  uns  Ihre  Gedanken  hierüber  in  einigen  Zeilen 
wollten  wissen  lassen.  Herr  B.  ist  jetzt  hauptsächhch  mit  Aus- 
arbeitung des  dritten  Teils  seiner  Schrift  beschäftiget,  worin  er 
darauf  ausgehet,  nicht  etwa  der  Kritik  eine  Stütze  durch  einen 
neuen  noch  höheren  Grundsatz  zu  verschaffen,  sondern  nur  das 
wahre  Verständnis  derselben  durch  eine  ganz  simple  aber  ver- 
änderte Darstellung  ihres  Inhalts  zu  befördern.  Der  Anzeiger 
vom  Junius  enthält  einige  Auszüge  aus  seinem  Mspte. 

Wenn  ich  nicht  fürchten  darf,  lästig  zu  werden,  so  wieder- 
hole ich  nochmals  meine  Bitte,  die  Annalen  mit  einigen  Beiträgen 
zu  beehren,  wenn  sich  eine  Gelegenheit  dazu  findet,  die  Ihnen 
keine  Zeit  raubt.  Der  Wunsch,  diesem  Journale  diejenige  Voll- 
kommenheit zu  verschaffen,  die  es  allein  bei  der  Menge  der 
Zeitschriften  erhalten  kann,  mag  mein  Anmuten  entschuldigen, 
der  ich  die  Ehre  habe  mit  der  innigsten  Hochachtung  zu  sein 

Ihr 

aufrichtiger  Verehrer 
L.  H.  Jakob. 


371. 
An  Carl  Leonhard  Reinhold. 

Königsberg,  den  i.  Juli  1795. 
Ihre  werte  Zuschrift,  welche  mir  der  sehr  schätzungs würdige 
Herr  Graf  v.  PURGST ALL  einhändigte,  hat  mir  die  Freude  ge- 
macht, zu  sehen,  daß  Ihre  Äußerung  einer  gewissen  Unzufrieden- 
heit über  mein  Stillschweigen  in  Ansehung  Ihrer  Fortschritte,  die 
kritische  Philosophie,  aufwärts,  bis  zu  der  Grenze  ihrer  Prinzipien 
vollständig  zu  machen,  keinen  wahren  Unwillen  zum  Grunde 
gehabt  hat,  sondern  Sie  nach  vne  vor  mir  Ihre  Freundschaft 
erhalten.  Mein  Alter  und  einige  davon  unzertrennliche  körper- 
liche Ungemächlichkeiten  machen  es  mir  zur  Notwendigkeit,  alle 
Erweiterung  dieser  Wissenschaft  nun  schon  meinen  Freunden  zu 
überlassen  und  die  wenige  Kräfte,   die  mir  noch  übrig  sind,  auf 


17  z  An  Samuel  Thomas  Soemmering 

die  Anhänge  dazu,  welche  ich  noch  in  meinem  Plane  habe,  ob- 
gleich langsam  zu  verwenden. 

Erhalten  Sie  mich,  teuerster  Mann,  in  Ihrer  Freundschaft  und 
sein  Sie  versichert,  daß  ich  an  allem,  was  Sie  betrifft,  jederzeit 
die  größte  Teilnahme  haben  werde,  als 

Ihr  ergebenster  treuer   Diener 
I.  Kant. 


37^- 
An  Samuel  Thomas  Soemmering. 

Sie  haben,  teuerster  Mann,  als  der  erste  philosophische  Zer- 
gliederer des  Sichtbaren  am  Menschen,  mir,  der  ich  mit  der  Zer- 
gliederung des  Unsichtbaren  an  demselben  beschäftigt  bin,  die 
Ehre  der  Zueignung  Ihrer  vortrefflichen  Abhandlung,  vermutlich 
als  Aufforderung  zur  Vereinigung  beider  Geschäfte  zum  gemein- 
samen Zwecke,  bewiesen. 

Mit  dem  herzlichen  Danke  für  dieses  Ihr  Zutrauen  lege  ich 
den  Entwurf,  von  der  Vereinbarkeit  einerseits  und  der  Unverein- 
barkeit beider  Absichten  andererseits,  hiermit  bei;  mit  der  Er- 
klärung, davon  nach  Ihrem  Gutbefinden  allen  beliebigen,  allenfalls 
öffentlichen,  Gebrauch  zu  machen.^) 

Bei  Ihrem  Talent  und  blühender  Kraft,  Ihren  noch  nicht 
weit  vorgeschrittenen  Jahren,  hat  die  Wissenschaft  von  Ihnen 
noch  große  Erweiterung  zu  hoffen;  als  wozu  ich  Gesundheit  und 
Gemächlichkeit  von  Herzen  wünsche,  indessen  daß  der  Ablauf 
der  meinigen  von  mir  nur  wenig  mehr  erwarten  läßt,  als  die 
Belehrung  anderer  noch  so  viel  als  möglich  zu  benutzen. 

Ihr 

Verehrer  und  ergebenster  Diener 
Königsberg,  den  lo.  Aug.  1795.  I.  Kant. 


^)  S.  Th.  Soemmering  (1755  —  1830),  der  bekannte  Anatom;  vgl. 
Kants  Anmerkungen  zu  seiner  Schrift  über  das  Organ  der  Seele,  Königs- 
berg  1796  (Werke  Bd.  VI). 


An  Fi'iedrkh  ISlicolovius.  —  An  Karl  Morgenstern     275 

373- 
An  Friedrich  Nicolovius. 

Wenn  Ew.  Hochedelgeb.  eine  Abhandlung,  die,  auf  weißen 
Druckpapier,  etwa  fünf  Bogen  austragen  dürfte  und  vor  Ende 
künftiger  Woche  Ihnen  in  Mspt.  überhefert  werden  kann,  zur 
nächsten  Michaelismesse  fertig  schaffen  können  und  mir  für  jeden 
Bogen  pro  honorario  10  Reichstaler  (unter  der  gewöhnlichen  Be- 
dingung eben  desselben  Honorars  bei  jeder  neuen  Auflage)  zu- 
gestehen, so  können  Sie  für  diese  nächste  Messe,  unter  der  Rubrik 
der  fertig  gewordenen  Schriften,  setzen  lassen: 

Zum  ewigen  Frieden.      Ein  philosophischer  Entwurf 
von  Immanuel  Kant. 

I.  Kant 
d.  I  3.  Aug.  1795. 

N.  S.  Den  Ihnen  zugedachten  Verlag  der  Sammlung  meiner 
kleinen  Abhandlungen  [hin  und  wieder  vermehrt  oder  verbessert] 
kann  ich  jetzt  nicht  abschließen,  weil  ich  dazu  den  künftigen 
Winter  nötig  habe.      I.  K. 

•    374- 
An  Karl  Morgenstern. 

Königsberg,  den  14.  August  1795. 
Für  das  Geschenk  Ihres  Werkes  de  Piatonis  republica,  welches 
Sie  nicht  bloß  mir,  sondern  der  philosophischen  Welt  machen, 
statte  ich  Ihnen,  würdigster  Mann!  den  verbindlichsten  Dank  ab. 
—  Ich  werde  daraus  viel  lernen,  vornehmlich  auch  in  Beziehung 
auf  die  Stelle  pag.  195,')  und  ich  glaube,  an  Ihnen  den  Mann 
zu  finden,  der  eine  Geschichte  der  Philosophie,  nicht  nach  der 
Zeitfolge  der  Bücher,  die  darin  geschrieben  worden,  sondern  nach 
der  natüdichen  Gedankenfolge,   wie   sie  sich  nach  und  nach  aus 

')  Karl  Morgenstern,  ein  Schüler  Fr.  Aug.  WolfFs  (1770— 1852); 
er  hatte  Kant  eine  Schrift  De  Piatonis  Republica  Commentationes  tres, 
Hallae  1794,  zugesandt,  in  der  er  sich  auf  Kants  Verteidigung  des 
Platonischen  Staatsideals  (s.  Kritik  der  reinen  Vernunft,  2.  Auflage, 
S.  3  6^  fF.)  beruft. 

Kants  Schriften.    Bd.  X.  18 


274  ^"  Georg  Friedrich  Seiler 

der  menschlichen  Vernunft  hat  entwickeln  müssen,  abzufassen  im- 
stande ist,  sowie  die  Elemente  derselben  in  der  Kritik  der  reinen 
Vernunft  aufgestellt  werden.') 

Von  Ihrem  aufblühenden  Genie,  dessen  Fruchtbarkeit  sich  in 
seiner  ersten  Erscheinung  schon  so  vorteilhaft  äußert,  läßt  sich 
viel  erwarten  und  auch  hoffen,  daß  die  Glücksumstände  sein  Ge- 
deihen begünstigen  werden;  als  welches  innigst  wünscht 

Ihr  ganz  ergebener  treuer  Diener 
I.  Kant. 

375- 
An  Georg  Friedrich  Seiler.  =") 

Königsberg,  d.  14.  Aug.  1795. 
Hochehrwürdiger  Beförderer  des  Guten! 

Diese  Ihre  ruhmwürdige  Gesinnung  mit  meinen  geringen 
Kräften  zu  dem  Besten,  was  nur  immer  in  der  W^elt  Zweck  sein 
kann,  zu  vereinigen  und  das  Geschenk  Ihres  vortreffüchen  Werks 
„Der  vernünftige  Glaube"  usw.,  womit  Sie  dieselbe  begleiten, 
verdienen  meinen  größten  Dank. 

Möchte  es  nur  in  meiner  Macht  stehen,  das,  was  Sie  von  mir 
verlangen  und  in  Ansehung  dessen  Sie  mich  mit  so  gütigem  Zu- 
trauen beehren,  ins  Werk  zu  richten!  Allein  es  sind  mir  bereits 
vor  einem  Jahre  bedeutende  und  vielvermögende  Winke  gegeben 
worden,  welche  aller  Schriftstellerei  dieser  Art,  wenn  sich  die 
Umstände  nicht  ändern,  ein  Ende  machen.  In  der  Hoffnung, 
daß  dieses  vielleicht  noch  geschehen  könne,  strebe  ich  diesem 
Ziele  im  Willen  nach,  um  wenigstens  meine  eigene  Begriffe 
hierüber  mehr  und  mehr  ins  klare  zu  bringen  und  so,  wenn 
gleich  nicht  durch  Mitteilung  außerhalb  mir,  doch  durch  innig- 
liche Überzeugung  mir  selbst,  in  Ansehung  jenes  Zwecks,  nützlich 
zu  sein. 

Daß  Sie  über  alle  andere  Glückseligkeit  des  Lebens,  auch  jener 

*)  S.  den  Schluß  der  Kritik  der  reinen  Vernunft:  „Die  Geschichte 
der  reinen  Vernunft." 

»)  Georg  Fr.  Seiler  (1733— 1807),  Professor  der  Theologie  in 
Erlangen:  „Der  vernünftige  Glaube  an  die  Wahrheit  des  Christentums 
etc.",  Erlangen  1795;  Seiler  hatte  Kant  gebeten,  diese  Schrift  zu  rezen- 
sieren. 


Von  den  Kindern  Johann  Heinrich  Kants  ij^ 

mir  mangelnden    Freiheit    zum    Besten    der    Menschen    genießen 
mögen,  ist  der  herzliche  Wunsch  ^^^^^ 

Verehrers 
I.  Kant. 


376. 

Von  den  Kindern  Johann  Heinrich  Kants. 

Bester  Onkel, 
Sie  persönlich  zu  kennen,  —  und  Ihnen  die  Hand  zu  küssen 
—  so  wohl  wird  es  uns  wohl  nie  werden;  erlauben  Sie  also  — 
daß  wir  uns  einmal  schriftlich  an  Sie  anschmiegen,  durch  diesen 
jungen  Mann,  mit  dessen  väterlichen  Hause  wir  einen  vertrauten 
Umgang  unterhalten.  —  Kann  es  Sie  wohl  befremden,  verehrungs- 
würdiger Herr  Onkel:  daß  wir  den  Bruder  unsers  Vaters  lieben, 
und  den  berühmten  Mann,  an  den  uns  Bande  des  Bluts  schließen, 
mit  innerem  Stolze  verehren?  und  daß  es  der  lebhafteste  Wunsch 
unseres  Herzens  ist,  von  Ihnen  geliebet  zu  sein?  Bei  dem  allen 
bleiben  Sie  uns  doch  immer  abwesend  —  immer  entfernt:  — 
Etwas  also,  das  die  Vorstellung  belebt  —  etwas,  das  Sie  uns  ge- 
wissermaßen gegenwärtig  machen  würde;  eine  Locke  von  Ihren 
ehrwürdigen,  grauen  Haaren  hätten  wir  doch  sehr  gerne  —  die 
würden  wir  in  Ringe  fassen  lassen,  uns  so  fest  einbilden,  wir  hätten 
linsern  Onkel  bei  uns  —  und  uns  bei  dieser  Täuschung  recht 
glücklich  fühlen.  —  Diese  einmütige  Bitte  können  Sie  uns  ge- 
währen, geliebtester  Oncle.  —  Nächstens  wird  ein  Freund  unseres 
Vaters,  ein  Prediger  WEWEL,  in  Königsberg  eintreffen,  um  dort 
seine  Kinder  in  eine  Schule  unterzubringen,  er  wird  Ihnen  gevdß 
mit  einem  Gruße  von  unserem  Vater,  seinen  Besuch  machen,  und 
der  bringt  uns  dann,  was  wir  wünschen.  Nehmen  Sie,  ver- 
ehrungswürdigster Herr  Onkel,  die  wärmsten  Grüße  unsrer  Eltern 
an  und  leben  Sie  noch  lange  glücklich  und  heiter  für  die  Welt 
und  für 


herzlich  liebende  und 


Ihre  Sie 

Alt-Rahden  verehrende 

d.  19.  Aug.  —   Amalia  Charlotte  Kant 

1795  - 


Minna  Kant, 
Friedrich  Wilhelm  Kant, 
Henriette  Kant. 
l8* 


2/0      An  E,  A.  C.   Wasianski.  —  An  S,  Th.  Soejjimer'mg 

177- 
An  Ehregott  Andreas  Christoph  Wasianski.') 

Ew:  Hochwohlehrwürd. 

haben  die  GefälÜgkeit  gehabt,  zu  er- 
lauben, daß  ich  den  Herrn  Geh.  Rat  v.  HIPPEL,  nebst  einem 
und  anderem  Freunde,  eines  Tages  zu  Ihnen  führen  dürfte,  um 
Ihr  schönes  Instrument  anzuhören.  Morgen  (Mittwochs)  wäre, 
nach  dem  Wunsche  des  Herrn  v.  HIPPEL,  der  gelegenste  Tag, 
etwa  um  4  Uhr  nachmittag,  Ihnen  diesen  Besuch  abzustatten; 
worüber  ich  mir  gütige  Antwort  erbitte  und  mit  vollkommener 
Hochachtung  jederzeit   bin 

Ew:  Hochwohlehrwürden 

ganz  ergebenster  Diener 

I.  Kant 

d.  I  5,  Sept.  1795. 

378. 
An  Samuel  Thomas  Soemmering. 

Da  Herr  NICOLOVIUS  mich  fragt,  ob  ich  etwas  als  Ein- 
schluß zu  seinem  Briefe  an  Sie,  teuerster  Freund,  mitzugeben  habe; 
so   mag  es  folgender  Einfall  sein.   — 

In  der  Aufgabe  vom  gemeinen  Sinnenwerkzeug  ists  darum 
hauptsächlich  zu  tun,  Einheit  des  Aggregats  in  das  unendlich 
Mannigfaltige  aller  sinnlichen  Vorstellungen  des  Gemüts  zu  bringen, 
oder  vielmehr  jene  durch  die  Gehirnstruktur  begreiflich  zu  machen, 
welches  nur  dadurch  geschehen  kann,  daß  ein  Mittel  da  ist, 
selbst  heterogene,  aber  der  Zeit  nach  aneinander  gereihte  Ein- 
drücke zu  assoziieren,  z.  B.  die  Gesichtsvorstellung  von  einem 
Garten,  mit  der  Gehörvorstellung  von  einer  Musik  in  demselben, 
dem  Geschmack  einer  da  genossenen  Mahlzeit  usw.,  welche  sich 
verwirren  würden,    wenn   die  Nervenbündel  sich  durch  wechsel- 

')  E.  A.  C.  Wasianski,  Pfarrer  in  Königsberg,  der  rreue  Freund 
Kants  in  seinen  letzten  Lebensjahren,  vgl.  seine  Schrift:  Kant  in  seinen 
letzten  Lebensjahren,  Königsberg  1804.  Über  den  Besuch,  von  dem 
hier  die  Rede  ist,  s.  diese  Schrift  S.  \^^(. 


An  Theodor  Gottlieh  von  Hippe/  277 

seifige  Berührung  einander  affizierten.  So  aber  kann  das  Wasser 
der  Gehirnhöhlen  den  Einfluß  des  einen  Nerven  auf  den  andern 
zu  vermitteln  und,  durch  Rückwirkung  des  letzteren,  die  Vor- 
stellung, die  diesem  korrespondiert,  in  ein  Bewußtsein  zu  ver- 
knüpfen dienen,  ohne  daß  sich  diese  Eindrücke  vermischen,  so 
wenig  wie  die  Töne  in  einem  vielstimmigen  Konzert  vermischt 
durch  die  Luft  fortgepflanzt  werden. 

Doch  dieser  Gedanke  wird  Ihnen  wohl  selbst  beigewohnt 
haben;  daher  setze  ich  nichts  weiter  hinzu,  als  daß  ich  mit  dem 
größten  Vergnügen  die  Äußerung  Ihrer  Freundschaft  und  der 
Harmonie  unsrer  beiderseitigen  Denkungsart  in  Ihrem  angenehmen 
Schreiben  wahrgenommen  habe. 

den    17.  Sept.  1795.  I-  Kant. 


379- 
An  Theodor  Gottlieb  von  Hippel. 

Ew.  Hochwohlgeboren. 

Haben  mehrmalen  die  Gütigkeit  gehabt,  meiner  Fürbitte  für 
nicht  unwürdige  Studierende,  in  Ansehung  eines  Stipcndii,  ge- 
neigtes Gehör  zu  verstatten.  —  Der,  welcher  die  Ehre  hat,  Ihnen 
Gegenwärtiges  zu  überreichen,  der  Stud.  Juris  LEHMANN,  bittet 
um  das  Boehmianum,  es  bis  zu  Ostern  künftigen  Jahres,  welches 
etwa  IG  Reichstaler  betragen  würde,  zu  genießen,  indem  er  als- 
dann nach  Stettin  an  die  dortige  Regierung  abzugehen  gedenkt. 
—  Er  wird  alle  nötige  Zeugnisse  seines  angewandten  Fleißes  und 
seiner  erworbenen  Geschicklichkeit  beibringen,  wozu  ich  auch 
das  meinige   mit  voller  Wahrheit  beilegen  kann. 

In  der  Bitte,  ihm,  wo  möglich,  in  diesem  seinem  Gesuch  be- 
hilflich   zu    sein,    bin    ich    mit   ausgezeichneter  Hochachtung  und 

Ergebenheit 

Ew.  Hochwohlgeb. 

gehorsamster  treuer  Diener 

I.  Kant 

d.  28.  Sept.  1795. 


2/8  Von  Friedrich  Bouteriuek 

380. 

Von  Friedrich  Bouterwek. 

Darmstadt,  d.  zp.  Sept.  1795. 
Schon  zum  dritten  Male,  verehrungswürdiger  Lehrer,  werden 
Sie  von  einem  Mann,  der  vielleicht  besser  täte,  für  sich  als  für 
die  Welt  zu  philosophieren,  mit  der  Zumutung  beschwert,  einen 
neuen  Versuch  zur  Beförderung  Ihrer  Sache  und  der  Sache  der 
Wahrheit  als  einen  Beweis  einer  Dankbarkeit,  die  mehr  als  Ver- 
ehrung ist,  mit  Nachsicht  aufzunehmen.  Soll  ich  mich  aber  auch 
diesmal  entschuldigen?  Ich  glaube,  ich  darf  nicht.  Wenigstens 
liegt  es  mir  wde  eine  Pflicht  auf  dem  Herzen,  die  Aphorismen, 
mit  denen  ich  in  einem  Gedräng  von  erfreulichen  und  lästigen 
Geschäften  der  Welt  zur  Last  fiel,  auch  gegen  Sie  wieder  gut 
zu  machen.  Und  sollte  ich  selbst,  was  ich  denn  doch  kaum 
glauben  kann,  durch  diesen  Paullus  Septimius^)  meine  Sache 
verschlimmert  haben,  so  würde  ich  ihn  doch  Ihnen  haben  vor- 
legen müssen,  weil  ich  dann,  wenn  auch  dieser  Versuch  verun- 
glückt ist,  nicht  ein  fünfjähriges  pythagoreisches,  sondern  ein 
lebenslängliches  Stillschweigen  in  der  philosophierenden  Welt  zu 
beobachten  entschlossen  bin.  Auch  kann  ich  dieses  Buch  nicht 
wie  die  Aphorismen  ein  Werk  der  Übereilung  nennen.  Ich  habe 
es  mehr  als  einmal  durchzuprüfen  Zeit  gehabt  und  habe  es  also 
ganz  zu  verantworten.  Über  das  Kleid  zu  disputieren,  das  ich 
der  Wahrheit  umzuhängen  gewagt  habe,  werde  ich  nicht  nötig 
haben,  wenn  nur  die  Wahrheit  nicht  durch  dieses  Kleid  entstellt 
ist.  Aber  wird  die  reine  und  entkleidete  Wahrheit,  die  Unsicht- 
bare und  Unsterbliche,  die  Ihnen  erschien,  als  Sie  den  Begriff 
einer  reinen  Erkenntnisform  fanden  und  die  Tafel  der  Kategorien 
aufstellten,  wird  diese  sich  erkennen  in  der  Lehre  meines  elcu- 
sinischen  Priesters?  Hätte  ich  nicht  wenigstens  vor  der  Berührung 
der  transszendentalen  Logik  mich  scheuen  sollen?  Wird  meine 
Bestimmung  der  Begriffe  der  Freiheit  und  des  Willens  die  Probe 
halten?  Ist  meine  Theorie  vom  Glauben  an  eine  beste  Welt 
nicht  eine  Verirrung  der  Spekulation  über  die  Grenze,  die  Sie 
ihr  vorgezeichnet  haben?     Wenn  ich  doch  darüber  die  Wahrheit 

^)  Paulus  Septimius    oder    das    letzte  Geheimnis    des  Eleusinijchen 
Priesters,   i.  Teil,  Halle   1795. 


An  Johann  Gottfried  Kiesetoetter  279 

selbst  fragen  könnte!  Oder  wenn  ich  von  Ihnen  hören  könnte, 
ob  Sic  die  Abweichungen  der  Lehre  THEOPHRANORS  von  Ihrer 
Kritik  der  reinen  Vernunft  für  ganz  grundlos  erkennen!  —  Aber 
Sie  haben  mehr  zu  tun  in  Ihrem  Wegeweiser-Amt,  als  sich  um- 
zusehen, ob  nicht  einer  oder  anderer  stolpert,  der  Ihre  Wege 
betreten  will.  Wer  gefallen  ist,  fühlt  doch  am  Ende  selbst,  daß 
er  am  Boden  liegt,  wenn  er  nicht  durch  übermäßige  Träumerei 
alle  Besonnenheit  verloren  hat;  und  wer  stolpert,  ohne  zu  fallen, 
fühlt  wenigstens,  daß  er  sich  stößt.  Ein  Wanderer,  wie  ich, 
kann  schon  aus  der  Erfahrung  sprechen.  Seitdem  ich  mich  von 
Göttingen  getrennt,  darauf  eine  Reise  durch  die  Schweiz  gemacht, 
und  jetzt  mich  in  einen  stillen  Privatstand  in  diese  Rheingegend 
zurückgezogen  habe,  ist  mir  mancher  Irrtum  mit  dem  Staube  von 
meinen  Füßen  gefallen,  und  manche  Empfindungen,  die  mir  fest 
anhingen,  haben  mich  verlassen,  nur  nicht  meine  Überzeugung 
von  Ihrem  unvergänglichen  Verdienst  in  der  größten  Angelegen- 
heit der  Vernunft,  und  nicht  die  innige  Verehrung,  mit  der  ich  bin 

Ew.  Wohlgeb. 

gehorsamster  Dr. 
F.  Bouterwek. 

381. 

An  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Wertester  Freund 

Sie  haben  mich  durch  die  schöne  Teltower  Rüben  vom 
vorigen  Jahre  so  verwöhnt,  daß  die  hiesige  meinem  Gaumen  nicht 
mehr  behagen  wollen.  Wollten  Sie  wohl  auch  jetzt  die  Güte 
haben,  mir  einen  Scheffel  von  diesem  Hausbedarf  zu  überschicken? 
wo  ich,  wenn  die  Adresse  an  den  Kaufmann  Herrn  J.  CONRAD 
JACOBI  gestellt  würde,  dem  Fuhrmann  die  Kosten  für  Ware  und 
Fuhrlohn  entrichten  könnte,  oder  sonst  auf  eine  Ihnen  behebige 
Art  Ihre  Auslage  vergüten;  denn  es  wäre  unbescheiden,  Ihre  Höf- 
lichkeit zur  Gewohnheit  werden  zu  lassen. 

Ihr  Versprechen,  uns  hier  etwa  in  anderthalb  Jahren  zu  be- 
suchen, ist  mir  und  Ihren  hiesigen  Freunden  sehr  angenehm  ge- 
wesen. Eine  Freundin  von  Ihnen,  die  Frau  Hofpredigerin  SCHULTZ, 
werden  Sie  nicht  mehr  antreffen;  denn  sie  ist  den  10.  Oktober 
nach  langem  Leiden  verstorben.     Vielleicht  werde  ich  auch  binnen 


8o 


Pbn  Johann  Flücker 


dieser  Zeit  expediert,  ob  ich  gleich  jetzt  noch  so  ziemlich  gesund 
bin;  denn  die  siebziger  Jahre  machen  gewöhnlich  einen  kurzen 
Prozeß. 

Wenn  Sie  mich  mit  einer  baldigen  gütigen  Antwort  beehren 
wollen,  so  wünschte  ich  wohl  über  den  wunderlichen  Vorgang 
mit  den  Preisaufgaben  der  Akad.  d.  Wissensch.  einige  Belehrung: 
z.  B.  warum  die  Austeilung  nicht,  wie  gewöhnlich,  am  Geburts- 
tage des  Königes,  sondern  acht  Tage  hinten  nach  geschehen;  wie 
CS  habe  kommen  können:  daß  SCHWAB,  ABICHT  und  REIN- 
HOLD in  bunter  Ordnung  dabei  zusammen  kommen  und  irgend 
etwas  Einstimmiges  aus  so  viel  Dissonanzen  herausgebracht  werden 
kann,  u.  d.  g.  ^) 

Meine  reveries  „zum  ewigen  Frieden"  werden  Sie  durch 
NICOLOVIUS  bekommen.  Mit  dem  Unfrieden  unter  den  Ge- 
lehrten hat  es  nicht  viel  zu  bedeuten,  wenn  sie  nur  nicht  Kabalen 
machen  und  sich  mit  den  Politikern  vom  Handwerk  verbrüdern, 
und  HORAZENS  atrum  desinit  in  ptscem  bei  ihren  höfischen  Ma- 
nieren darstellen. 

Ich  bin  jederzeit  mit  Hochachtung  und  Freundschaft 

Ihr 
Königsberg,  ergebenster  treuer  Diener 

den    15.  Oktober  I.Kant. 

1795. 

382. 

Von  Johann  Plücker. 

Elberfeld,  den    5.  Januar    1796. 
Herr  Professor  Emanual  Kant  in  Königsberg. 
Übel  werden  Sie's  doch  mir  nicht  nehmen!     Wann  ich  durch 
diese  gute   Gelegenheit  die  Freiheit  brauche,  diese  wenige  Zeilen, 
in  Hoffnung  meiner  Belehrung,  an  Sie  zu  schreiben! 


')  Der  Preis,  den  die  Akademie  fiir  die  Beantwortung  der  Frage 
ausgeschrieben  hatte:  „Welches  sind  die  wirklichen  Fortschritte,  die  die 
Metaphysik  seit  Leibnizens  und  Wolffs  Zeiten  in  Deutschland  gemacht 
hat?",  war  zur  einen  Hälfte  an  Joh.  Christ.  Schwab  in  Stuttgart  (i743  — 
1821),  zur  anderen  Hälfte  an  Reinhold  und  Abicht  gefalle«;  ein 
Accessit  erhielt  der  Prediger  Jenisch.     Kant  selbst  hat,    wie  bekannt, 


Von  jfohann  F lücker  281 

voraus  muß  ich  sagen,  daß  ich  von  Jugend  auf,  jetzt  in  die 
60  alt  seiende,  mich  nach  Wahrheit  umgesehen,  und  wo  ich 
dieselbe  nur  fand!  lieb  gewann!  —  auffallender  aber  hab  ich  nie 
etwas  —  als  Dero  Schriften  gefunden!  als  mir  dieselbe  zuerst  zu 
Gesichte  kamen  —  von  vielen  Vorurteilen  entbunden,  las  ich 
dieselbe  mit  vielem  Nachdenken  und  öfter  wiederholt  fleißig  — 
bis  ich  —  das  in  mir  durcheinander  liegende  Chaos  ziemlich  in 
Ordnung  brachte!  Neues  haben  Sie,  meinem  Dünken  nach,  mir 
nichts  gesagt  —  weil  es  in  mir  lag  —  aber  dasjenige  geordnet, 
was,  ich  weiß  nicht,  wie?  Alles  in  mir  —  möcht  ich  sagen, 
konfus  durcheinander  lag?  Sie  gaben  mir  den  Schlüssel  —  zur 
Erkenntnis  —  der  tiefen  Weisheit  —  die  Jesus  Christus  — 
durch  seine  Lehre  und  Reden  geäußert! 

und  ich  danke  meinem  Schöpfer!  daß  Er  mich  die  Tage  er- 
leben lassen!  Wo  Sie,  edler  Mann,  am  Ende  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  —  als  ein  hell  scheinendes  Licht  die  Welt  er- 
leuchten. 

beurteilen  Sie  gütigst  folgenden  Brief,  den  ich  vor  wenig 
Jahren  an  einen  Freund  —  auf  gewisse  Veranlassung  schrieb  — 
und  demnächst  meine  Gedanken,  die  ich  bei  Gelegenheit  einer 
Wahrnehmung  —  vermittels  eines  Microscopii  compositi  —  für 
mich  entw^arf  —    der  Brief  war  wie  folgt! 

„keine    gute   Handlung,    kein    gutes  Wort   geht  verloren, 

„der    Lohn    ist    unausbleiblich!    —    dies    darf   man    dem 

„publico    zur    Anlockung    und    Nachahmung    sagen!    der 

„Weise    handelt   aus    Pflicht!    der   noch  Weisere    aber  aus 

„Hochachtung    für    die    Pflicht!    bückt    sich    tief  für   des 

„Gesetzes    Heiligkeit!      Er   wähnt    einen    Gott!    und    ihm 

„ahndet  dessen  Majestät!   — !"  so  weit  der  Brief. 

durch  ein  vortreffliches  Microscopium  compositum  ließ  mich 

einst    der    Besitzer  und  Künstler  davon,    mein  Freund!    ein  kaum 

zu  bemerkendes  kleines  westindisches  Würmchen  sehen!   und  wie 

staunt'   ich,    da    ich    es    als   mit   den  feinsten  Perlen  wie  bedeckt 

fand!      Demnächst   legte    mein  Freund  ein  Miniaturgemälde,  etwa 

so    groß  wie    der    Nagel    aufm    kleinen  Finger  darunter,  mit  der 

Versicherung,    daß    er    darauf  so  viel   Fleiß  und  Mühe  gewendet 

—   daß  es  nicht  bezahlt  werden  würde!  —  auch  so  vollkommen 

das  Thema  bearbeitet  (s.  Werke,  Bd.  VIII),  seine  Abhandlung  aber  nicht 
eingereicht. 


282 


An  Johann  Plücker 


gut  schien  es  zu  sein!  aber  noch  mehr  staunte  ich  —  da  ich 
die  Striche,  wie  Kraut  und  Rüben,  unordentlich  durcheinander 
liegen  fand?  und  fast  keinen  einzigen  vollkommen  guten  Strich 
wahrnahm?  lang  läge  mir  das  Gemälde  und  dessen  Karikatur 
mit  dem  Würmchen  in  den  Gedanken,  bis  ich,  nach  meinem 
Urteil  —  und  zu  meiner  Belehrung  den  richtigen  Schluß  machte! 
so  wie  sich  die  Natur  verhält  zur  Kunst  —  so  verhält  sich  das 
Ideal  des  vollkommenen  Menschen  in  uns  —  zu  unserem  Ver- 
halten und  Betragen!  —  diesem  Ideal  sich  zu  nähern,  wird  die 
Würde  des  Menschen  befördern  und  ihn  beseligen!  —  das  Reich 
Gottes  ist  inwendig  in  euch,  sagt  ja  auch  der  lieber  Weiser  Jesus! 
um  nichts  mehr  —  edler  Mann,  ersuch  ich  Sie  nun,  als 
mir  in  Antwort  gütigst  freimütig  zu  sagen,  inwiefern  Sie  mit 
mir  in  Besagtem  einstimmig  sind?  und  was  mehreres  dabei  zu 
erinnern  sein  möchte?  Sie  werden  mich  dadurch  unendlich  ver- 
pflichten —  dann  nie  vergaß  ich  von  Jugend  auf  den  —  der 
zu  meiner  Belehrung  was  beitrug!  in  Erwartung  Ihrer  lieben 
Antwort,  direkt  über  die  Post,  bin  Ihr,  obwohl  unbekannter, 
doch  aber  ganz  ergebener  Freund 

Johann  Plucker  Werners  Sohn. 

P.  S.  auch  werden  Sie  mich  sehr  verbinden,  wann  Sie  das 
Haus  von  CARL  LUDWIG  KIRSCHNICK  dort  kennen?  mir  in 
Antwort  zu  sagen  belieben?  ob  demselben  einige  tausend  Reichs- 
taler zu  fidieren  sein?  dies  Haus  empfahl  mir,  und  durch  das- 
selbe empfangen  Sie  mein  Schreiben,     bin  wie  oben. 


383. 
An  Johann  Plücker. 

Königsberg,   2  <5.  Januar   179^. 

Fahren  Sie  fort,  wackerer  Mann,  in  Beherzigung  der  ersten 
Grundsätze  desjenigen  Lebenswandels,  der  Ihnen  nicht  allein  hier 
den  Frieden  der  Seele  sichern,  sondern  Sic  auch  für  die  Zukunft 
aller  Bekümmernis  überheben  wird. 

Daß  ich  gleichsam  nur  die  Hebamme  Ihrer  Gedanken  war, 
und  alles,  wie  Sie  sagen,  schon  längst  obwohl  noch  nicht  ge- 
ordnet in  Ihnen  lag,  das  ist  eben  die  rechte  imd  einzige  Art 
zur  gründlichen  und  hellen  Erkenntnis  zu  gelangen.  Denn  nur 
das,  was  wir  selbst  machen  können,  verstehen  wir  aus  dem  Grunde; 


An  fohann  P/ücker  z8j 

was  wir  von  andern  lernen  sollen,  davon,  wenn  es  geistige  Dinge 
sind,  können  wir  nie  gewiß  sein,  ob  wir  es  auch  recht  ver- 
stehen, und  die  sich  zu  Auslegern  aufwerfen,  eben  so  wenig. 

Die  Stelle  aus  Ihrem,  vor  wenig  Jahren  an  einen  Ihrer  Freunde 
abgelassenen  Brief,  hat  meinen  ganzen  Beifall  und  enthält  das 
Gesetz  und  die  Propheten. 

Auch  hat  mir  das  Experiment  mit  dem  Würmchen  und  dem 
fleißigsten  Gemälde  von  demselben  unter  dem  Mikroskop  ver- 
glichen, als  lebendig  vorgestellter  Abstand  des  Menschen  (wie  er 
hier  ist)  von  dem  Ideal  der  Menschheit  (was  er  sein  und  werden 
soll)  und  seiner  Bestimmung  sich  diesem  beständig  zu  nähern, 
durch  seine  Neuheit  und  Tauglichkeit,  solche  Beispiele  in  Er- 
ziehung der  Jugend  zu  benutzen,  nicht  wenig  vergnügt.  Die 
daraus  gezogene  Analogie  zwischen  dem  physischen  und  morali- 
schen Menschen  (in  seiner  ganzen  Reinheit)  ist  sinnreich  und 
vornehmlich  zu  jenem  Zweck  überaus  wohl   ausgedacht. 

Mit  einem  Wort,  Ihr  Brief,  lieber  Freund,  hat  mir  eine  an- 
genehme Stunde  gemacht;  von  meinen  geringen  Bestrebungen, 
solche  Wirkungen  hin  und  wieder  wahrzunehmen;  welche  tröstende 
Empfindung  dem  noch  auch  von  Zeit  zu  Zeit  durch  die  Be- 
mühung derer  trübe  gemacht  wird,  die  die  einfachste  Sache  von 
der  Welt  geflissentlich  zu  der  schwierigsten  machen,  indem  sie, 
wie  Ärzte,  in  Rezepten,  des  Guten  nicht  zu  viel  tun  zu  können 
wähnen,  und  die  moralisch  Kranken  mit  Glaubensvorschriften 
überfüllen,  bis  ihnen  darüber  der  Geist  (das  wahre  Prinzip  der 
guten  Deutungsart)  ausgeht. 

Einem  Mann,  wie  Sie,  der  es  wohl  verdient,  daß  man  ihn 
bei  seiner  Erkundigung  nach  der  Zuverlässigkeit  anderer  in  bürger- 
lichen Geschäften  nicht  unberaten  lasse,  habe  ich  bei  meiner 
eignen  Unkunde,  einem  andern  wichtigen  und  wohldenkenden 
Mann,  Herrn  Komm.-Rat  TOUSSAINT,  substituiert,  der  sein  Urteil 
über  den  Kaufmann  quaestionis  an  Sie  abgeben  wird  und  durch 
den  Sie  auch,  wenn  es  Veranlassung  gäbe,  an  mich  zu  schreiben, 
mir  Ihre  Briefe  überschicken  werden. 

Übrigens  wünsche  ich,  daß,  so  wie  Sie  sich  in  Geistes-An- 
gelegenheiten  auf  der  Bahn  der  Rechtschaffenheit,  so  auch  in 
bürgerlichen  und  häuslichen  auf  der  des  Glücks  und  der  Ehre 
jederzeit  befinden  mögen  und  bin  mit  Hochachtung  Ihr 

ergebenster  Freund  und  Diener 

I.  Kant, 


284  /^'^  Matern  Reuß 

384. 
Von  Matern  Reuß. 

Würzb.  d.    I.  April. 
Euere  Wohlgeborr  ^79^- 

erwarten  ja  von  mir  keine  Versicherungen  meiner  fortdauernden 
Ergebenheit  gegen  Sie;  ich  setze  deswegen  auch  alle  Erklärung 
meiner  Hochschätzung  gegen  Sie  beiseite;  aber  unangenehm  wird 
es  Ihnen  nicht  sein,  wenn  ich  Ihnen,  wenigstens  überhaupt  (denn 
cn  detail  werde  ich  es  öffentlich  also  auch  Ihnen  bekannt  machen) 
den  Zustand  der  kritischen  Phlie  im  katholischen  Teutschland  be- 
kannt mache.  Hier  fahre  ich  ungehindert  fort,  theor.  u.  prakt. 
Phlie  nach  Ihren  Grundsätzen  zu  erklären,  auch  Ästhetik  wird 
vom  Fr.  ANDRES  nach  Ihren  Grundsätzen  gelehrt.  Die  Professoren 
der  Theologie  und  Rechtsgelahrtheit  modeln  fast  alle,  wo  nicht 
die  Wissenschaft,  die  sie  lehren,  wenigstens  die  Art  ihres  Vortrages 
nach  den  nämüchen  Grundsätzen,  sogar  beim  Religionsunterricht 
benutzt  man  Ihre  Grundsätze,  in  Katechese  u.  in  Predigten:  bloß, 
um  Kantische  Phlie  bei  mir  zu  hören,  kommen  viele  Fremde 
hieher;  und  mein  Fürst,  der  mich  sehr  unterstützt,  nahm  mir  alle 
übrigen  Geschäfte,  die  ich  sonst  dabei  besorgen  mußte,  ab,  damit 
ich  mich  der  Phlie  allein  widmen   könne. 

Nicht  gar  so  hell,  doch  ziemlich  hell  sieht  es  auf  den  hohen 
Schulen  Bamberg,  Heidelberg  u.  andern  katholischen  Schulen  aus, 
desto  finsterer  ist  es  aber  in  Bayern,  Schwaben  u.  der  katholischen 
Schweiz,  ich  machte  eine  Reise  in  diese  3  Länder,  u.  hoffe  Nutzen 
gestiftet  zu  haben;  da  in  diesen  kathol.  Ländern  die  Schulen 
meistens  von  Mönchen  besorgt  werden,  die  aber  nur  nicht  nach 
einem  teutschen  Vorlesbuch  lesen  dürfen,  nach  einem  protestan- 
tischen (so  sagen  sie)  gar  nicht,  so  habe  ich  diesen  Schulen  zu- 
lieb über  theor.  Phlie  ein  Vorlesbuch  in  latein.  Sprache  geschrieben, 
welches  aber  erst  nächstens  gedruckt  wird;')  auch  in  der  italieni- 
schen u.  französischen  Schweiz  wünschte  man  über  KANTS  Phlie 
eine  Erklärung  in  lateinischer  Sprache;  Pr.  ITT  zu  Bern  bat  mich 
deswegen,  so  etwas  zu  besorgen. 

^)    Reuss,    Initia    doctrinae  philosophicae  solidioris,    P.  I,    Salzburg 
1798;  F.  II,  Salzburg   1801. 


An  Friedrich  August  Hahnrieder  285 

Ich  kann  Ihnen  nicht  beschreiben,  wie  enthusiastisch  auch  jene, 
die  sonst  Ihren  Grundsätzen  nicht  gut  waren,  sogar  unsre  Damen 
jetzt  für  Sie  eingenommen  sind,  da  wir  in  mehreren  Zeitungen 
gelesen  haben,  daß  Sie  als  Gesetzgeber,  als  Stifter  der  Ruhe  u. 
des  Friedens  nach  Frankreich  gerufen  worden  seien,  u.  dazu  von 
Ihrem  König  Erlaubnis  erhalten  haben  ;^)  auch  ich  bekomme  jetzt 
von  mancher  Dame  ein  freundlicheres   Gesicht  als  zuvor. 

Auf  die  Frage:  ob  die  Nachricht  gegründet  sei,  bat  ich  Hrn. 
Hofpr.  SCHULTZE  um  eine  Antwort,  weil  Sie  dazu  nicht  Zeit 
haben.      Ich  bitte  Sie  um  Ihre  fernere  Freundschaft  u  erharre 

Er.  Wohlg. 

Dienstfertigster  Diener 
Reuß  Prof 
Hr.  STANG  empfiehlt  sich  bestens. 


385. 
An  Friedrich  August  Hahnrieder. 

Ew:  Hochedelgeb. 

Zuschrift  vom  p.  April  c.  enthält  so  subtil  ausgedachte  Skrupel 
und  moralische  Bedenklichkeiten,  irgendein  Amt  zu  übernehmen,  in 
sich,  zugleich  aber  auch  einen  so  unwandelbaren  Vorsatz  der  Be- 
harrlichkeit bei  dieser  Ihrer  Meinung,  daß  aller  Versuch  Ihnen 
denselben,  wenngleich  mit  triftigen,  nicht  weniger  moralischen. 
Gründen  auszureden,  vergeblich  zu  sein  scheint. 

Noch  bleibt  aber  doch  ein  Vorschlag,  der  Ihrem  eigenen  Plane 
analogisch,  nämhch  kein  Amt,  sondern  eine  Kommission  betrifft, 
übrig  und  der  Sie  dahin  leiten  könnte,  wohin  Sie  selbst  wün- 
schen, nämlich  im  Unterricht  Anderer  Ihre  Beschäftigung  zu 
suchen.  —  Wenn  Sie  sich  nämlich  „in  der  reinen  Mathematik, 
der  Algebra  und  der  Fortifikation",  wie  Sie  sich  äußern,  stark 
gnug  fühlen,  so  würden  Sie  auch  sehr  leicht  die  Feldmeß kunst 
hinzusetzen  können.  -  -  Nun  haben  des  Herrn  Etatsminister  Baron 


^)  Die  Zeitungen  hatten  die  falsche  Nachricht  gebracht,  daß  die 
französische  Nation  durch  den  Abt  Sieyes  Kant  ersucht  habe,  den 
Entwurf  der  Konstirutionsgesetze  durchzusehen  und  nach  seinen  Grund- 
sätzen zu  verbessern. 


2  86  An  Johann   Gottfried  Kieseioetter 

V.  SCHROETTER  Exzcll.  vor  etwa  4  Wochen  unserem  Professor! 
Matheseos  Ordinario  zu  wissen  tun  lassen,  daß  eine  große  Ver- 
messung, der  jetzt  preußischen  (ehedem  zu  Polen  gehörigen) 
Länder  vor  sich  gehen  soll  und  von  gedachtem  Professore,  Herrn 
Hofprediger  SCHULTZ,  darüber  Vorschläge  verlangt,  an  welchen 
Sie,  sobald  der  Plan  zur  Ausführung  gereift  ist,  sich  wenden  und 
dann  das  übrige  veranstalten   können. 

Hiezu  und  zu  allen  übrigen  wohlgemeinten  und  redlichen  Ab- 
sichten wünsche  das  beste  Glück  und  bin  mit  aller  Hochachtung 

Ew.   Hochcdelgeb.   ergebenster  Freund     ■ 
Koenigsberg,  imd  Diener 

d.  lö.  April  I  Kant. 

1796. 

An  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Hochgeschätzter  Freund  1  [28.  Juni  1796.] 

Der  Ihnen  dieses  zu  überreichen  die  Ehre  hat,  Herr  HAHN- 
RIEDER  aus  Lötzen  in  Ostpreußen,  mein  ehemaliger  Zuhörer, 
mag  Ihnen  seine  Lebensgeschichte,  seine  Grundsätze  zu  handeln 
und  seine  Absichten  selbst  erzählen.  Was  ich  hiebei  noch  zu 
sagen  habe,  ist:  Sie  zu  bitten,  ihm  zur  Ausführung  seines  von  ihm 
selbst  entworfenen  und  mit  Festigkeit  beschlossnen  Lebensplan, 
der  zwar  paradox  und  ungewöhnlich,  aber  doch  keinesweges  phan- 
tastisch ist,  durch  Ihren  Rath  und  Empfehlung  beförderlich  zu 
sein,  oder  auch  allenfalls,  wenn  sich  Ihres  Orts  dazu  Gelegenheit 
fände,  ihm  einen  andern  Plan  vorzuschlagen;  denn  sein  Talent, 
seine  Geschicklichkeit  (zumal  da  er  in  der  Mathematik  nicht  un- 
bewandert ist)  und  sein  Charakter,  der  nicht  allein  untadelig, 
sondern  auch  entschlossen  und  soweit  ich  ihn  kenne  ausdaurend 
ist,  lassen  an  ihm  einen  guten  und  brauchbaren  Bürger  erwarten, 
als  worin  er  auch  ohne  Rücksicht  auf  Standesunterschiede  (die 
doch  größtenteils  von  der  Meinung  abhängen)  seinen  Ehrbegriff 
setzt. 

[Das  Übrige  fehlt.] 


J^n  Friedrich  August  Hahnrieder  i%j 

387. 

Von  Friedrich  August  Hahnrieder. 

Berlin  d.  20.  Sept. 
Achtungswürdiger  Mann!  '^79^- 

Die  Ungewißheit  der  Entwickelung  meines  Schicksals  ist  die 
eigentliche  Ursache  der  Verzögerung  eines  Schreibens,  ich  wollte 
mir  die  Freiheit,  Denenselben  zu  schreiben,  nicht  eher  zu  nutze 
machen,  als  bis  ich  imstande  wäre,  eine  gänzliche  Schilderung 
aller  gehabten  Fatalitäten  zu  liefern,  izt  ist  mein  Schicksal  ent- 
schieden, und  ich  eile  Ihnen  davon  getreue  Nachrichten  zu  liefern. 
Sobald  das  Schiff  aus  Königsberg  ausgelaufen  war,  veränderte  sich 
der  Wind,  wir  mußten  vor  Fischhof  zu  Anker  gehen,  dieses  be- 
gegnete uns  noch  einmal  auf  dem  Haff,  nicht  eher  als  in  ohngefähr 
drei  Tagen  kamen  wir  nach  Pillau,  woselbst,  w^idrigen  Windes 
wegen,  wir  acht  Tage  Hegen  mußten;  die  Teurung  in  Pillau  ver- 
minderte um  vieles  meine  Barschaften,  welche  ohnehin  äußerst 
mäßig  waren.  Nachdem  der  Wind  günstig  geworden,  gingen  wir 
unter  Segel,  eilf  Tage  waren  wir  auf  offner  See,  in  Swinemünde 
bheben  wir  hegen,  und  einige  Meilen  von  Swinemünde  widerfuhr 
uns  dasselbe,  nach  einer  Reise  von  viertehalb  Wochen  kamen  vsdr 
nach  Stettin,  von  da  ging  ich  mit  noch  zwei  Reisekameraden  zu 
Fuß  nach  Berlin,  die  Sachen  wurden  auf  einen  Oderkahn  geladen. 
Die  Empfehlungen,  die  Sie  mir  mitzugeben  die  Güte  gehabt,  gab 
ich  ab;  Herr  Doktor  BIESTER  und  Herr  Professor  KIESEWETTER 
hatten  wider  meinen  Plan  nichts  einzuwenden,  letzterer  gab  sich 
Mühe,  mich  bei  einem  Meister  unterzubringen,  aber  es  war  ver- 
gebens, keiner  von  allen,  wohin  mich  KIESEWETTER  brachte, 
woUte  sich  entschließen,  mich  anzunehmen,  der  eine  entschuldigte 
sich,  daß  er  keinen  Platz  habe,  der  andre,  daß  ich  in  den  Jahren 
nicht  viel  lernen  würde,  der  dritte  meinte,  er  könnte  mich  nicht 
so  als  einen  gewöhnlichen  Lehrjungen  behandeln,  ein  vierter  hatte 
andere  Gründe,  und  so  war  alles  Bemühen  fruchtlos,  ich  bat  daher 
Herrn  Prof.  KIESEWETTER,  irgendeinen  andern  Plan  zu  meinem 
Furtkommen  zu  entwerfen,  indessen  wollte  er  meinen  einmal  ent- 
worfhen  Plan  durchgesetzt  wissen,  es  koste  was  es  wolle,  er  riet 
mir  mich  an  Herrn  Doktor  BIESTER  zu  wenden,  dieser  würde 
vielleicht  einen  Meister  ausfindig  machen,  und  dann  sollte  ich, 
die  Bedingungen  möchten  sein  welche  es  wollten,  in  Arbeit  gehen. 


z88  Von  Friedrich  August  Hahnrieder 

nach    seiner    Zurückkunft    (er    reiste    eben    auf   einige  Zeit    nach 
Freienwalde,    sechs    Meilen    von    hier,    ins    Bad)    würde    er   alles 
arrangieren,    er    hätte    schon    mit  mehreren  Freunden  gesprochen, 
die  mich  während  meinen  Lehrjahren  zu  unterstützen  versprachen, 
da  eine  Unterstützung  unter  solchen  Umständen  als  ein  allgemeines 
Gesetz  sehr  wohl  bestehen  könnte,  so  nahm  ich  dieses  Anerbieten 
an,  Herr  Doktor  BIESTER  empfohl  mich  dem  braven  ZÖLLNER, 
welcher    mich    vermittelst    eines    Tischlers    bei    einem  geschickten 
hiesigen    Tischler    unterbrachte,    die    Bedingungen    waren    freilich 
meinen  Verhältnissen  nicht  angemessen,  ich  sollte  nemHch  auf  drei 
Jahre  eingeschrieben  werden,  fünfzig  Taler  Lehrgeld  bezahlen  und 
Tisch,  Quartier  und  Kleidung  selbst  besorgen,  allein  in  Hoffnung 
auf  die  so  sicher  zugesagte  Unterstützung  fing  ich  an  zu  arbeiten; 
nachdem  KIESEWETTER  zurückgekommen,  stellte  ich  ihm  dieses 
vor,    er    hatte    dawider    nichts    einzuwenden,    munterte   mich  auf, 
meinem  Vorsatz  treu  zu  bleiben,  und  versicherte  mir,  da  ich  einige 
Zweifel    gegen  Unterstützung    hegte,    daß    ich  nichts  zu  besorgen 
hätte,    ohngeachtet    aller    Versicherungen    konnte    ich    doch    nicht 
ganz  zufrieden  sein,   ich  sprach  Herrn  Doktor  BIESTER  darüber, 
dieser  meinte,  daß  das  Versprechen  zu  voreilig  wäre,  ich  bat  nun 
Prof.  KIESE  WETTER,    mir    ganz    bestimmt  darüber  Auskunft  zu 
geben,  denn  sollte  es  mit  der  Unterstützung  Schwierigkeiten  setzen, 
so  könnte  ich  ja,  da  ich  noch  nicht  eingeschrieben  wäre,  mit  der 
Arbeit  aufhören  und  irgend  etwas  anderes  entrieren,  zugleich  er- 
suchte ich  ihn,  mich  als  Hofmeister  ohnweit  Berlin  zu  engagieren, 
er  indessen  wollte  davon  nichts  hören,  sondern  sprach  immer  von 
Unterstützung,  dieses  hatte  schon  mehrere  Wochen  gedauert,  und 
ich    muß    gestehen,    daß    mir    meine   Lage    sehr  zur  Last  wurde; 
während    der  Zeit    war    der    Rat  CAMPE   aus  Braunschweig  hier 
gewesen,   mit  diesem  hatte  KIESEWETTER  meinetwegen  gespro- 
chen, und  ihm  den  Brief  von  Ihnen  gezeigt,  in  Rücksicht  des  für 
mich  so  günstigen  Urteils  wollte  dieser  rechtschaffene  Mann  mich 
gerne  in  Braunschweig    haben,    versprach  mit  einem  dasigen  sehr 
geschickten  Tischler  und  Mechanikus  darüber  zu  sprechen  und  mit 
nächstem  darüber  Nachricht  zu  erteilen,  ich  hatte  ihn  besucht  und 
dieses  Versprechen  von  ihm  selbst  gehört,  da  mir  meine  Lage  in 
die  Zukunft    nicht    als    die    günstigste    erschien,    so  ging  ich  vor 
einigen  Tagen  zum  Buchhändler  Herrn  VIEHWEG,  der  der  Schwie- 
gersohn   von  CAMPE    ist,    um    nachzufragen,    ob    eine  Nachricht 
aus    Braunschweig    eingelaufen    wäre,   VIEHWEG  sagte    mir,    daß 


Von  Ernst  Ferdinand  Klein  289 

CAMPE  geschrieben,  daß  ich  bei  dem  Meister,  indem  er  nicht 
zünftig  wäre,  nicht  Neues  lernen  könnte,  wenn  ich  als  zünftig 
gelernter  Tischler  einst  subsistieren  können  wollte,  —  also  wieder 
eine  fehlgeschlagene  Hoffnung  — ,  die  Rätin  CAMPE,  die  itzt  hier 
ist,  kam  dazu,  sprach  mit  mir  über  meinen  Plan,  und  da  ich  alle 
Umstände  auseinandergesetzt,  so  versprach  sie  und  Herr  VIEHWEG 
für  meinen  Unterhalt  zu  sorgen,  überdem  gibt  Herr  VIEHWEG 
mir  bei  sich  frei  Quartier,  und  so  hat  mich  denn  diese  gute  Frau, 
freilich  nicht  meines  Verdienstes  oder  Würdigkeit  willen,  sondern 
bloß  Ihrer  so  guten  Empfehlung  wegen,  aus  der  größesten  Ver- 
legenheit gerissen,  denn  von  meinen  Eltern  darf  ich  keine  Unter- 
stützung erwarten,  diese  wissen  von  meinem  Entschlüsse  nichts, 
und  würden  ihn  auch  nie  billigen.  Die  gute  CAMPE  hat  mir 
aufgetragen,  Ihnen  unbekannter  Weise  sie  zu  empfehlen,  ich 
wünschte,  daß  Sie  diese  Familie,  die  aus  lauter  braven  Menschen 
besteht,  kennen  möchten,  es  gibt  doch  noch  gute  Menschen  unter 
dem  Monde!  Schenken  Sie  mir  die  Fortdauer  Ihrer  Freundschaft, 
ich  werde  alle  meine  Kräfte  aufbieten,  mich  derselben  nie  un- 
würdig zu  machen,  redhch  und  ohne  zu  wanken  will  ich  den 
dornichten  Pfad  der  Tugend  wandeln!  Herrn  Hofprediger  SCHULTZ 
bitte  ich  mich  zu  empfehlen  und  mit  der  vollkommensten  Hoch- 
achtung habe  ich  die  Ehre  zu  sein 

Ew.  Wohlgebornen 

aufrichtig    ergebner 

Freund  und  Diener 

Hahnrieder. 

N.  S.  Mit  der  Arbeit  geht's  recht  gut,  ich  habe  bereits  einige 
Fußbanken,  einen  Tischfuß,  ein  Fußgestelle  zu  einer  Hobelbank 
gemacht,  itzt  arbeite  ich  an  einem  kleinen  eichnen  Tischchen, 
welches  auf  Möbel-Magazin  gestellt  werden  soll! 


^88. 
Von  Ernst  Ferdinand  Klein. 

Verehrungswürdiger  Greis 
In    der  Hoffnung,    daß  Sie    uns  selbst  ein  Naturrecht  liefern 
würden,  habe  ich  lange  Zeit  mit  der  Herausgabe  meines  Lehrbuchs 
der  natürlichen  Rechtswissenschaft,  welches  ich  Ihnen  hierbei  über- 
Kants Schriften.   Bd.  X.  *9 


2po  An  jfakob  Sigismund  Beck 

sende,  zurückgehalten/)  Bis  jetzt  ist  diese  Hoffnung  nicht  erfüllt 
worden.  Ich  wünschte  daher,  daß  es  Ihnen  nicht  an  Zeit  und 
Lust  mangelte,  mein  System  zu  prüfen.  Ob  ich  gleich  nicht  in 
verba  magistri  schwöre;  so  haben  doch  die  Lehren  großer  Männer 
bei  mir  ein  großes  Gewicht,  hierdurch  will  ich  Sie  aber  von 
wichtigern  und  nützlichem  Arbeiten  nicht  abhaken.  Ich  will  Sie 
daher  auch  nicht  einmal  mit  einer  Antwort  bemühen,  wenn  Sie 
nicht  nötig  finden  sollten,  mir  über  den  Inhalt  meiner  Schrift 
etwas  zu  sagen.  Das  Beste  darin  ist  wohl  das,  was  ich  Ihnen  zu 
verdanken  habe. 

Sorgen  Sie  für  Ihre  Gesundheit  und  denken  Sie  nicht  zu 
schlecht  von  Ihrem  Verehrer 

Klein 
Halle 
den  II.  Oktober  \J^6. 

389. 

An  Jakob  Sigismund  Beck. 

t 

Wertester  Freund! 

Sie  haben  mich  mit  verschiedenen  Ihnen  Ehre  bringenden 
Schriften,  zuletzt  noch  mit  dem  Grundrisse  der  krit.  Phil.,  be- 
schenkt und  ich  mache  mir  darüber  Vorwürfe,  die  in  Ihren  Briefen 
an  mich  gerichtete  Anfragen,  Entwürfe  und  Nachrichten,  so  an- 
genehm sie  mir  auch  allemal  waren,  durch  keine  Antwort  er- 
widert zu  haben.  —  Werfen  Sie  immer  die  Schuld  auf  die 
Unbehaglichkeit  meines  Alters,  dessen,  übrigens  sonst  ziemliche, 
Gesundheit  doch  nicht,  wie  bei  einem  K.AESTNER.,  durch  körper- 
liche Stärke  unterstützt  wird  und  mich,  da  ich  immer  beschäftigt 
sein  muß,  durch  seine  Launen  unaufhörlich  abzubrechen  und  mit 
Beschäftigungen  zu  wechseln  nötigt. 

Man  hat  mir  versichert,  daß  Sie  provisorisch  vom  Petersburgi- 
schen Hofe  einen  Ruf  auf  die  in  Kurland  zu  errichtende  Univer- 


^)  Über  E.  F.  Klein  s.  oben  S.  108,  seine  „Grundsätze  der  natür- 
lichen Hechtswissenschaft  nebst  einer  Geschichte  derselben"  (Halle 
1797)  sowie  seine  „Grundsätze  des  gemeinen  teutschen  und  preussischen 
peinlichen  Rechts"  (Halle  179J)  sind  von  hervorragender  Bedeutung 
fiir  die  Gestaltung  der  preußischen  Gesetzgebung  gewesen. 


Von  Friedrich  August  Hahnrieder  ipi 

sität  hätten.  Verhält  sich  dieses  so,  so  würde  ich  mich,  auch 
meinentwegen,  freuen,  eine  Gelegenheit  zu  finden,  die  es  mir  er- 
leichterte, unsere  beiderseitige  Ideen,  Entwürfe  und  Fortschritte 
wechselseitig  mitzuteilen.  —  Ein  Gedanke  des  Herrn  HINDEN- 
BURG,  den  Sie  mir  mitzuteilen  die  Güte  hatten,  ist  mir  zwar 
sehr  schmeichelhaft,  was  das  Zutrauen  betrifft,  übersteigt  aber 
meine  mathematische  Kenntnis  viel  zu  weit,  als  daß  ich  die  An- 
wendung der  Kombinationsmethode  auf  die  Philosophie  auch  nur 
versuchen  sollte. 

Herren  Prof.  JACOB  bitte  gelegentlich,  neben  meiner  besten 
Empfehlung,  für  die  Übersendung  seiner  Annalen  den  ergebensten 
Dank  abzustatten.  Wenn  ich  nur  etwas  zur  Erwiderung  dieser 
Güte  tun  könnte! 

Mit  der  größten  Hochachtung  und  Ergebenheit  bin  ich  jederzeit 

der  Ihrige 
Königsberg  J  Kant 

d.  ip  Nov. 
175)  (5. 

390. 

Von  Friedrich  August  Hahnrieder. 

Achtungswürdiger  Mann! 
Kiesewetter  hat  mir  die  Stelle  ihres  Schreibens  an  ihn, 
wo  Sie  meiner  erwähnen,  vorgelesen;  mit  dem  größten  Vergnügen 
nahm  ich  wahr,  daß  ich  Ihnen  nicht  gleichgültig  bin,  Sie  fordern 
mich  sogar  auf,  Ihnen  zu  schreiben,  ich  versäume  daher  keine  Zeit, 
Ihrem  Verlangen  Gnüge  zu  leisten,  gerne  hätte  ich  schon  mehr- 
malen, seit  meinem  ersten  Briefe,  den  Sie  durch  Herrn  NICO- 
LOVIUS  werden  erhalten  haben,  geschrieben,  allein  ich  fürchtete, 
durch  meine  Zudringlichkeit  einem  Manne  lästig  zu  werden,  den 
ich  von  ganzer  Seele  hochschätze,  und  deswegen  alle  Gelegenheit 
sorgfältig  vermeiden  wollte,  beschwerlich  zu  fallen.  Sie  muntern 
mich  auf,  bei  meinem  einmal  gefaßten  Vorsatze  zu  bleiben  und 
nicht  zu  wanken,  nein,  edler  Mann!  ich  wanke  nicht,  Himmel 
und  Erde  mögen  vergehen,  mein  Körper  in  seine  Elemente  auf- 
gelöset  werden,  aber  mein  Vernunft  läßt  sich  nicht  erschüttern, 
ein  einmal  gefaßter,  in  der  Vernunft  gegründeter  Entschluß  muß 
durchgesetzt  werden,  es  koste  was  es  wolle;  Sittlichkeit  ist  keine 

19* 


2p2  Von  Friedrich  August  Hahnrieder 

Chimäre,  das  haben  Sie  bewiesen,  ich  bin  davon  überzeugt  und 
fest  entschlossen  nach  Überzeugung  zu  handeln,  an  Kräften  fehlt's 
mir  nicht,  ich  habe  Mut  gehabt,  allen  Gefahren  und  Widerwärtig- 
keiten, die  mir  in  Rußland  droheten,  zu  trotzen,  ich  zagte  nicht 
auf  der  unwegsamen  Bahn,  die  mir  Pflicht  vorzeichnete,  fortzu- 
wandeln,  und  itzt  sollte  ich  wanken,  itzt  sollte  ich  meinen  Mut 
sinken  lassen,  da  ich  doch  bei  v  eitem  mit  weniger  Widerwärtig- 
keiten zu  kämpfen  habe?  Zwar  verlassen  mich  meine  Eltern, 
meine  Freunde  sind  unzufrieden  mit  mir,  und  es  tut  mir  weh, 
es  ist  ein  harter  Kampf,  den  ich  zu  kämpfen  habe,  aber  es  sei, 
ich  will  ihn  kämpfen,  ich  will  tugendhaft  sein,  und  soll  es  sein, 
dieses  Gesetz  gibt  mir  meine  Vernunft,  und  die  Neigungen,  sie 
mögen  so  laut  rufen,  als  sie  immerhin  wollen,  müssen  am  Ende 
verstummen. 

Da  Sie  mir  doch  einmal  die  Erlaubnis  gegeben  haben,  zu 
schreiben,  so  will  ich  Ihnen  von  allem,  was  auf  mich  Beziehung 
hat,  Nachricht  erteilen.  Mit  dem  Hobeln  und  Sägen  geht's  gut, 
ich  habe  darin  ziemliche  Progressen  gemacht,  verschiedene  Stücke 
habe  ich  bereits  verfertigt,  die  schon  Liebhaber  gefunden  und  ge- 
kauft worden,  ich  hoff'e,  daß  ich  während  den  drittehalb  Jahren, 
die  zu  meiner  Lehrzeit  bestimmt  w^orden,  es  dahin  bringen  werde, 
daß  ich  als  ein  geschickter  Geselle  mein  Brot  werde  verdienen 
können;  meine  körperlichen  Kräfte  nehmen  zu  und  ich  habe  die 
frohe  Aussicht,  eine  dauerhafte  Gesundheit  zu  genießen  vor  mir. 
Verschiedene  Bekanntschaften  habe  ich  hier  gemacht,  zum  Teil 
mit  Männern,  die  diesem  Ehrennamen  keine  Schande  machen;  der 
Geheimrat  SCHULZ,  der  bei  Ihnen  gewesen,  und  ein  gewisser 
Professor  FESSLER  interessieren  mich  am  mehresten,  ersterer  scheint 
mir  ein  sehr  redlicher  Mann  zu  sein,  er  hat  mir  Unterstützung 
angeboten,  wovon  ich  bisher  noch  keinen  Gebrauch  gemacht, 
weil  ich  glaube,  daß  man  sich  lieber  kümmerlich  behelfen  muß 
als  andern  zur  Last  zu  fallen;  letzterer  ist  ein  Mann,  durch  dessen 
Umgang  mein  sittlicher  Charakter  mehr  und  mehr  ausgebildet 
wird,  sein  Beispiel  ist  mir  eine  heilsame  Lehre,  daß  Widerwärtig- 
keiten nie  einen  für  die  Sittlichkeit  nachteiligen  Einfluß  auf  unsere 
Handlungen  haben  müssen;  dieser  Mann  war  ehedem  beim  Fürsten 
zu  CAROLATH  engagiert,  sein  Engagement  hatte  ein  Ende,  da 
der  Fürst  bankrott  wurde,  itzt  lebt  er  hier  und  wird  nicht  ange- 
stellt, sich  seiner  Würde  bewußt,  verachtet  er  alle  die  Schleich- 
wege,  die  ihn   zu   einem  Posten  führen   könnten,    er  leidet  lieber 


l'bn  Friedrich  August  Hahnrieder  293 

alles  Ungemach,  welches  seine  brave  Frau  gerne  mit  ihm  teilet, 
und  schränkt  sich  so  sehr  ein  als  möglich,  um  nur  nicht  nach 
Maximen  handeln  zu  dürfen,  die  mit  der  Sittlichkeit  im  Wider- 
spruch stehen. 

Was  mich  als  Staatsbürger  betrifft,  so  befolge  ich  treulich  den 
Vorschriften  der  Vernunft,  die  Sie  so  vortrefflich  in  der  Abhand- 
lung „was  in  der  Theorie  richtig  ist,  gilt  nicht  für  die  Praxis", 
auseinandergesetzt  haben.  Sie  haben  nichts  zu  befürchten,  daß  ich 
vielleicht  durch  Mißverstehen  auf  Abwege  geraten  könnte,  ich 
habe  kein  Talent  zu  tiefsinnigen  Spekulationen,  aber  Einsicht  genug, 
um  Wahrheiten,  die  aufs  Praktische  Beziehung  haben,  nicht  zu  ver- 
fehlen, mit  Ungeduld  warte  ich  auf  die  Metaphysik  des  Rechts 
und  die  Tugendlehre,  wo  ich  glaube  über  mehrere  Gegenstände, 
die  mir  bisher  dunkel  gebheben,  Licht  zu  erhalten. 

Madame  CAMPE  hatte  mir  aufgetragen,  Ihnen  unbekannter- 
weise ein  Kompliment  zu  machen,  welches  ich  auch  in  meinem 
ersten  Briefe  bestellt.  Kurz  vor  ihrer  Abreise  haben  wir  in  Ge- 
sellschaft mehrerer  Berliner  Damen  auf  Ihre  Gesundheit  getrunken, 
ich  habe  es  der  Gesellschaft  versprochen,  Ihnen  davon  Nachricht 
zu  geben,  und  erfülle  nun  mein  Versprechen,  auch  Damen  schätzen 
den  Weisen,  der  ohne  Menschenfurcht  Lehren  der  Wahrheit  ver- 
kündigt. 

Herr  LA  GARDE  behandelt  mich  in  Rücksicht  der  Emp- 
fehlungen, die  Sie  mir  mitgegeben,  sehr  freundschaftüch,  er  hat 
sich  nach  Ihrem  Befinden  sehr  genau  erkundigt,  und  nimmt  an 
allem,  was  Sie  betrifft,  lebhaften  Anteil. 

Die  Berliner  im  ganzen  sind  mit  meinem  entworfnen  Plane 
zufrieden,  ich  werde  von  einigen  unterstützt;  um  diesen  gutgesinnten 
Menschen  so  wenig  als  möglich  beschwerlich  zu  sein,  habe  ich 
mich  auf  fünf  Taler  monatliche  Ausgabe  eingeschränkt,  ich  muß 
mich  freilich  kümmerlich  genug  behelfen,  indem  ich  damit  Quar- 
tier, Essen,  Wäsche  und  Licht  besorge,  indessen  beruhige  ich  mich, 
weil  ich  überzeugt  bin,  daß  die  Bestimmung  des  Menschen  nicht 
ist,  beständig  auf  Rosen  zu  tanzen. 

Daß  ein  Schreiben  von  Ihnen  mir  äußerst  angenehm  sein 
würde,  versichere  ich  Ihnen  aufs  feierlichste,  Ihre  Briefe,  womit 
Sie  mich  bisher  beehrt  haben,  hebe  ich  als  ein  Heiligtum  auf, 
indem  eine  einzige  Zeile  von  der  Hand  eines  so  rechtschaffenen 
Mannes  bei  mir  einen  unendlichen  Wert  hat.  Sollten  Sie  mich 
mit  einem  Schreiben  beehren,  so  würde  KIESEWETTER,  bei  dem 


194  ^^  Christoph   Wilhelm  Hufeland 

ich    Sonntags  Vorlesungen    über    die    physische  Geographie    höre, 
mir  solches  einhändigen. 

Inliegenden  Brief  bitte  ich  Herrn  Hofprediger  SCHULTZ  ab- 
geben zu  lassen.     Mit  der  innigsten  Verehrung  bin  ich 

Ihr 

ganz  ergebner  Freund 
Berlin  d.  3.  Dezembr  und   Diener 

1796.  Hahnriedcr. 


391. 

Von  Christoph  Wilhelm  Hufeland.') 

Wohlgeborner  Herr  Jena  d.  12.  Dez.  IJ96. 

Hochzuverehrender  Herr  Professor. 

Erlauben  Sie,  verehrungswürdiger  Mann,  daß  ich  Ihnen  ein 
Buch  zuschicke,  das  Ihnen  in  mehr  als  einer  Rücksicht  zugehört, 
teils  als  einem  der  ehrwürdigsten  Nestors  unserer  Generation,  der 
nicht  allein  zeigt,  daß  man  auch  mit  angestrengter  Geistesarbeit 
alt  werden,  sondern  daß  man  auch  noch  wirken  und  nützlich  sein 
kann,  teils  als  einem  Manne,  dem  die  Kenntnis  des  Menschen, 
die  wahre  Anthropologie,  so  viel  verdankt,  und  der  sich  um  die 
Medizin  selbst  dadurch  so  viel  Verdienst  erworben  hat,  und  gewiß 
noch  mehr  in  der  Zukunft  erwerben  wird. 

Zugleich  nutzte  ich  diese  Gelegenheit  gern,  um  Ihnen  meine 
innigste  Verehrung  zu  bezeugen,  und  den  Wunsch  beizufügen,  daß 
Sie  das  neueste  Beispiel  des  höchsten  Menschenalters  mit  fortwir- 
kender Geisteskraft  geben  mögen,  was  bei  einem  solchen  Vorrat 
und  so  harmonischer  Wirksamkeit  dieser  Kraft  wohl  gehofft  wer- 
den kann. 

Glücklich  würde  ich  mich  schätzen,  wenn  Ihnen  mein  Bestreben, 
das  Physische  im  Menschen  moralisch  zu  behandeln,  den  ganzen, 
auch  physischen,  Menschen  als  ein  auf  Moralität  berechnetes  Wesen 
darzustellen,  und  die  moralische  Kultur,  als  unentbehrlich  zur  phy- 
sischen Vollendung    der    überall    nur    in  der  Anlage  vorhandenen 

^)  Der  bekannte  Mediziner  Christ.  Wilhelm  Hufeland  (1761  — 
1836);  Makrobiotik  oder  die  Kunst  das  menschliche  Leben  zu  ver- 
längern, Jena    1796. 


An  Carl  August  von  Struensee  195 

Menschennatur  zu  zeigen  —  nicht  mißfallen  sollte.  Wenigstens 
kann  ich  versichren,  daß  es  keine  vorgefaßten  Meinungen  waren, 
sondern  ich  durch  die  Arbeit  und  Untersuchung  selbst  unwider- 
stehlich in  diese  Behandlungsart  hineingezogen  wurde. 

Ich  wiederhole  nochmals  meine  besten  Wünsche  für  die  noch 
lange  Erhaltung  Ihres  jedem  denkenden  und  fühlenden  Menschen 
so  teuren  Lebens,  und  bin  mit  der  aufrichtigsten  Verehrung 

Ihr 

gehorsamster  Diener 
D.  Hufeland. 


An  Carl  August  von  Struensee. 

(Entwurf.) 

[Mitte  Dezember   1796] 
Einen  Augenblick  von  Ihren  großen  Geschäften  zu  rauben  — 
wäre    es    auch   nur  zu  Bezeigung  meiner  Verehrung  und  den  für 
den  jetzigen   Oberstadtinspektor  zum  wahren  Vorteil  der  Stadt  be- 
wirkten Anstellung  desselben  auf  meine  geringe  Vorstellung  schul- 
digen Dank  abzustatten,  kann  schon  Tadel  verdienen.    Noch  mehr 
aber  der  Anschein  der  Zudringlichkeit  und  eines  Dünkels  bei  Ewr 
Exzellenz  durch  meine  Fürbitte  etwas  zu  vermögen,  indem  ich  aufs 
neue  eine  Fürbitte  für  einen  mir  bekannten  Mann  in  Berlin  ein- 
zulegen wage.    Der  Prof.  KIESEWETTER,  welcher  als  Instruktor 
der  beiden  Königl.  Prinzen,  da  seine  Lage  durch  die  zu  Anfange 
des  künftigen  Jahres  erfolgende  Vermählung  der  Prinzessin  Augusta 
mit    dem    Erbprinzen    von    Hessen-Kassel    sehr    verändert    werden 
wird,  indem  das  Gehalt,  welches  er  für  ihren  Unterricht  bekommt, 
für    die    notwendigste    Bedürfnisse    nicht   zureicht  —  beurteilt  es 
ganz  richtig,   daß  durch  fürstliche  Empfehlungen  —  die  ihm  sonst 
nicht  entgehen  dürften   —   angegangen  zu  werden,    einem  hohen 
Staatsbeamten,    der    auf   die  Tüchtigkeit    seiner    Leute    vorzüglich 
Rücksicht    nimmt,    er    also    dem  Gesuch    gerne  willfahren  müsse, 
unangenehm  fallen  [muß],  ist  auf  den  Entschluß  gefallen  mich  — , 
den    er    in    einem    etwa    zweijährigen    Aufenthalt    in    Königsberg 
durch    öfteren    Umgang    hat    kennen    lernen,    der    auch    ihn  hin- 
reichend   kennen    müsse,    um  eine  Empfehlung  an  Ewr  Exzellenz 


2p<5  An  Johann  Gottfried  Kiesewetter 

zu  einer  solchen  Anstellung  zu  ersuchen,  da  er  in  seinem  lite- 
rarischen Fache  bei  dem  Mangel  hinreichender  Erhaltungsmittel 
und  der  entferneten  Aussicht  zur  Versorgung  sein  Fortkommen 
nicht  wohl  hoffen  könne.  —  Den  Gang  der  Geschäfte,  gesteht 
er,  freilich  allererst  lernen  zu  müssen,  ehe  er  eine  Stelle  bei 
diesem  Departement  bekommen  kann,  nur  glaubt  er  die  nötige 
Kenntnisse   durch  unermüdeten  Fleiß  leicht  erwerben  zu  können. 

Was  meine  Kenntnis  dieses  Imploranten  betrifft,  so  bezeuge 
mit  Aufrichtigkeit,  daß  ich  ihm  sowohl  die  Talente  als  auch  den 
tätigen  Willen  zu  den  Geschäften,  zu  denen  er  sich  zu  unterziehen 
Vorhabens  ist,  zutraue,  für  mich  aber  muß  ich  desto  mehr  um 
Vergebung  bitten,  einen  Antrag  vor  Ewr.  Exzellenz  gebracht  zu 
haben,  der  für  meine  Gringfügigkeit  mir  anmaßlicher  zu  sein 
scheint,  als  daß  ich  fernerhin  dergleichen  Vermittelung  zu  unter- 
nehmen mich  unterstehen  sollte. 

Mit  der  tiefsten  Verehrung  verbleibe  jederzeit 

untertäniger 

393- 
An  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Ihre  Entschließung,  teurester  Freund,  den  Lebensplan,  dem 
Sit  bisher  gefolgt  waren,  ganz  abzuändern  und  die  literarische 
Laufbahn  ganz  zu  verlassen,  dafür  aber  in  das  von  der  Accise  über- 
zugehen, hat  mich  ungemein  befremdet.  —  Indessen  habe  ich 
Ihrem  Verlangen  zufolge  inneliegenden  Brief  mit  allen  mir  zur 
Hand  gegebenen  Gründen  abgefaßt,  und  hoffe  davon  einige  Wir- 
kung, von  der  ich  gelegentlich  Nachricht  zu  erhalten  erwarte. 
Daß  zu  Ihrem  Glück  etwas  tun  zu  können  mir  die  größte  Freude 
sein  würde,  werden  Sie  von  selbst  glauben.  Nur  wünsche  ich; 
daß  Sie  in  der  Meinung  von  dem,  was  Ihr  Glück  ausmachen 
dürfte,  nicht  irren   möchten. 

Einlage  an  Hrn.  LAGARDE  bitte  gütigst  zu  bestellen. 
Das   beliebte   Geschenk   der  Teltower  Rüben  ist  glücklich  an- 
gekommen;  wofür   ergebenst   danke. 

Mit  der  größten  Freundschaft  und  Hochachtung  bin  ich  jederzeit 

der  Ihrige 
Königsberg  ^  Kant, 

d.  13.  Dez. 
1796 


An  Johann  Heinrich  Kant.  —  An  Carl  Wilhelm  Rickmann     i<)j 

394- 
An  Johann  Heinrich  Kant. 

Lieber  Bruder 

Die  Veränderungen,  die  in  unserer  Familie  hiesigen  Orts  kürz- 
lich vorgegangen  sind,  bestehen  darin:  daß  deine  ältere  Schwester 
im  vorigen  Sommer  nach  einem  langen  Krankenlager  auch  mit  Tode 
abgegangen  und  dadurch  eine  Pension,  die  ich  ihr  seit  1768  zu 
ihrem  Unterhalt  gab,  vakant  geworden,  welche  ich  aber,  aufs 
Doppelte  erhöhet,  an  die  unterlassene  Kinder  gegeben;  wozu 
noch  eine  an  die  einzige  noch  lebende,  im  St.  Georgenhospital 
sonst  gut  versorgte  Schwester  BARBARA  kommt:  so  daß  ich 
keinen,  weder  von  meinem  Geschwister,  noch  ihren  zahlreichen 
Kindern,  deren  ein  Teil  schon  wieder  Kinder  hat,  habe  Not  leiden 
lassen  und  so  fortfahren  werde,  bis  mein  Platz  in  der  Welt  auch 
vakant  wird:  da  dann  hoffentlich  etwas  auch  für  meine  Verwandte 
und  Geschwister  übrigbleiben  wird,  was  nicht  unbeträchtlich  sein 
dürfte. 

Meinen  Neffen,  namentlich  der  AMALIA  CHARLOTTE,  mache 
ich  meinen  freundschaftlichen  Gruß,  —  bitte  Einlage  zu  bestellen 
und  bin  mit  brüderlicher  Zuneigung 

Dein 
Königsberg  Dir  ergebener 

d.  17.  Dezembr  L  Kant 

1796 

395- 
An  Carl  Wilhelm  Rickmann. 

Ew.  Hochedelgeb.  Verlobung  mit  meiner  Cousine  ist  mir, 
teils  nach  dem  Lobe  von  meinem  Bruder,  teils  nach  dem  Cha- 
rakterzuge Ihres  eigenen  Briefes  sehr  angenehm.  Da  das  Blut  meiner 
beiden  verehrten  Eltern  in  seinen  verschiedenen  Abflüssen  sich  noch 
nie  durch  etwas  Unwürdiges,  dem  Sittlichen  nach,  verunreinigt  hat: 
so  hoffe  ich,  Sie  werden  es  ebenso  bei  Ihrer  Geliebten  finden, 
wozu  ich  dann  von  Herzen   Glück  wünsche. 

Meine  Zögerung  mit  der  Antwort  auf  Ihre  gütige  Zuschrift 
werden  Sie  mir  verzeihen,  weil  ich  mit  Geschäften,  die  ich  nicht 


298  An  Johann  Friedrich  Hartkmch 

wohl  unterbrechen  kann,  beladen  bin  und  es  sich  im  73Sten  Jahr 
seines  Alters  nicht  gut  wieder  einbringen  läßt,  wenn  man  aus 
der  vorgezeichneten  Bahn  sich  Abweichungen  erlaubt  hat. 

Mit  dem  größten  Vergnügen  werde  ich  jede  mir  zukommende 
Nachricht  von  Ihrem  beiderseitigen  Wohlbefinden  aufnehmen  und 
bin  mit  Hochachtung  und  Verwandtschaftsneigung 

Ihr  ergebenster  treuer  Diener 
Königsberg,  d.  17.  Dez.  17^6.  I.  Kant. 


396. 
An  Johann  Friedrich  Hartknoch. 

Ew.  Hochedelgeb. 

mir  gewordene  Anfrage:  ob  ich  zu  der 
neuen  Auflage  meiner  „Grundlegung  der  Metaphysik  der  Sitten" 
imgleichen  „der  Kritik  der  praktischen  Vernunft"  einige  Änderungen 
vornehmen,  oder  sie  ungeändert  wolle  abdrucken  lassen,  zufolge, 
bitte  ich  mir  eine  Bedenkzeit  von  etwa  14  Tagen  aus,  um, 
währenddessen  der  Druck  des  Textes  der  Grundlegung  der  Met: 
d.  S.  immer  fortgeht,  zu  sehen,  ob  ich  nicht  einige  Veränderungen 
in  der  Vorrede  anzubringen  gut  fände.  —  Da  indessen  diese  auch 
nicht  von  sonderlicher  Wichtigkeit  sein  könnten,  meine  jetzige 
Unpäßlichkeit  mir  auch  alle  Kopfarbeit  sehr  erschwert,  so  kaim 
es  auch  beim  alten  bleiben. 

Das  Versprechen:  mir  das  honorarium  für  beide  Schriften 
durch  Herrn  TOUSSAINT  &  COMP,  mit  109  Thlr.  in  kurzem 
auszahlen  zu  lassen,  ist  mir  sehr  angenehm;  wie  ich  denn  auch 
nicht  vergessen  werde,  eine  Arbeit,  die  ich  besonders  für  Ihren 
Verlag  beabsichtige  und  davon  ich  schon  sonst  Ihnen  Nachricht 
gab,  zu  seiner  Zeit  zustande  zu  bringen. 

Mit  der  umgehenden  Post  erwidere  ich  hiermit  Ihre  Zu- 
schrift und  verbleibe  mit  Freundschaft  und  Hochachtung 

Ihr 

ergebenster  Diener 
Königsberg,  I.  Kant, 

d.   2  8  sten  Januar 
^797- 


An  Christoph  Wilhelm  Hufeland  299 

397- 
An  Christoph  Wilhelm  Hufeland. 

Hochzuverehrender  Herr! 
Mit  keinem  Buche  konnte  mir  ein  angenehmeres  Geschenk 
gemacht  werden,  als  mit  dem,  womit  Sie  so  gütig  gewesen  sind 
meine  Stunden  auszufüllen  und  in  angenehmer  Unterhaltung  zu- 
gleich zu  belehren;  vornehmlich  da  ich  das,  was  ich  aus  Ihren 
Schriften  nur  fragmentarisch  gelernt  hatte,  jetzt  systematisch  vor 
mir  liegen  habe;  welches  einem  alten  Kopf  sehr  zuträglich  ist, 
um  das  Ganze  übersehen  zu  können.  —  Ich  werde  mir  diesen 
Genuß  nur  langsam  zumessen,  um  teils  den  Appetit  immer  rege 
zu  erhalten,  teils  auch  um  Ihre  kühne  aber  zugleich  seelenerhebende 
Idee,  von  der  selbst  den  physischen  Menschen  belebenden  Kraft 
der  moralischen  Anlage  in  ihm,  mir  klar  zu  machen  und  sie 
auch  für  die  Anthropologie  zu  benutzen.  —  Von  meinen  Be- 
obachtungen, die  ich  hierüber  an  mir  selbst  zu  diesem  Behuf  in 
Absicht  auf  die  Diät  gemacht  habe,  werde  ich  Ihnen  vielleicht  in 
kurzem  öffentlich  Nachricht  zu  geben  mir  die  Ehre  nehmen. 

Mit  dem  lebhaften  Wunsche   für  Ihr   beständiges  Wohlergehen 
und  mit  der  vollkommensten  Hochachtung  bin  ich  jederzeit 

Ihr  ergebenster  treuer  Diener 
Königsberg  I  Kant 

d.     Mart. 

1797. 

N.  S.  Ihr  wertes  Schreiben  vom  12.  Dec:  vorigen  Jahres 
ist  mir  allererst  in  der  Mitte  des  Märzes  des  gegenwärtigen,  zu- 
samt dem  Buche  zu  Händen  gekommen;  wovon  die  Ursache  wohl 
sein  wird,  daß  das  Meßgut  über  Lübeck  mit  dem  ersten  Schiffe 
nur  zur  Hälfte  im  vorigen  Jahr,  und  die  andere  Hälfte  medio 
Februar  des  gegenwärtigen,  durch  ein  anderes  Schiff,  bei  uns  an- 
gelangt ist. 


300  An  Christoph   Wilhelm  Hufeland 

398. 

An  Christoph  Wilhelm  Hufeland. 

Königsberg,  d.  19.  April  IJ*^J' 
Ew.  Wohlgeboren 
werden  hoffentlich  meinen,  durch  Herrn  D.  FRIEDLÄNDER  in 
Berlin  an  Sie,  mit  der  Danksagung  für  Ihr  Geschenk  des  Buchs 
von  der  Lebensverlängerung  abgelassenen,  Brief  erhalten  haben.  — 
Jetzt  erbitte  ich  für  den,  welcher  Ihnen  den  gegenwärtigen  zu 
überreichen  die  Ehre  hat,  Herrn  MOTHERBY  Gewogenheit 
und  Freundschaft,  einen  von  engländischer  Abkunft  in  Königs- 
berg geborenen  jungen  Mann  von  großem  Talent,  vieler  schon 
erworbenen  Kenntnis,  festem  Vorsatz  und  tugendhafter,  dabei 
offener  und  menschenfreundlicher  Denkungsart,  wie  sein  Vater 
der  englische  Negoziant  allhier,  von  jedermann  geachtet  und  ge- 
liebt und  mein  vieljähriger  vertrauter  Freund  ist.  —  Was  von 
mir  und,  was  sonst  auf  unserer  Universität  in  sein  Fach  (die 
Medizin)  Einschlagendes  zu  lernen  war,  hat  er  gründlich  gelernt 
und  so  bitte  ich  ihm  die  mehrere  und  größere  Hilfsquellen  für 
sein  Studium  auch  Ihres  Orts  zu  eröffnen;  wobei  er  wegen  des 
dazu  erforderlichen  Kostenaufwands  nicht  in  Verlegenheit  sein 
wird. 

Mir  ist  der  Gedanke  in  den  Kopf  gekommen:  eine  Diätetik 
zu  entwerfen  und  solche  an  Sie  zu  adressieren,  die  bloß  „die 
Macht  des  Gemüts  über  seine  krankhafte  körperliche  Empfin- 
dungen" aus  eigener  Erfahrung  vorstellig  machen  soll;  welche 
ein,  wie  ich  glaube,  nicht  zu  verachtendes  Experiment,  ohne  ein 
anderes  als  psychologisches  Arzneimittel,  doch  in  die  Lehre  der 
Medizin  aufgenommen  zu  werden  verdiente;  welches,  da  ich  mit 
Ende  dieser  Woche  in  mein  74.  Lebensjahr  eintreten  und  da- 
durch bisher  glücklich  alle  wirkliche  Krankheit  (denn  Unpäßlich- 
keit, wie  der  jetzt  epidemisch  herrschende  köpf  bedrückende 
Katarrh,  wird  hiezu  nicht  gerechnet)  abgewehrt  habe,  wohl 
Glauben  und  Nachfolge  bewirken  dürfte.  —  Doch  muß  ich  dieses, 
wegen  anderweitiger  Beschäftigung,  jetzt  noch  aussetzen.') 

*)  Die  Abhandlung  erschien  zuerst  in  Hufelands  Journal  der  prak- 
tischen Arzneikunde  und  Wundarzneikunde  (Januar  1798);  später  als 
dritter  Abschnitt  des  „Streites  der  Fakultäten". 


Von  Jakoh  Sigismund  Beck  301 

Dem  Manne,  der  Lebensverlängerung  mit  so  einleuchtenden 
Gründen  und  Beispielen  lehrt,  langes  und  glückliches  Leben  zu 
wöinschen,  ist  schuldige  Pflicht,  mit  deren  Anerkennung  und  voll- 
kommener Hochachtung  ich  jederzeit  bin 

Ihr  ergebenster  treuer  Diener 
L  Kant. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  d.    20.  Juni    1797. 
Hochachtungswürdiger  Mann, 

Ich  kann  es  mir  wohl  denken,  wie  ein  Mann,  der,  indessen 
er  dem  Ziel  sich  nähert,  zu  seinen  Vätern  zu  gehen,  sich  bewußt 
ist,  ein  großes  Gut  der  Nachwelt  zu  hinterlassen,  wornach  alle 
Vorwelt,  als  nach  der  interessantesten  Angelegenheit,  so  lange  und 
doch  so  vergebli.h  gerungen  hat,  bei  der  Nachricht,  daß  diese 
Wohltat  in  Gefahr  gesetzt  worden,  unmöglich  gleichgültig  sein 
könne.  So  wie  ich  Sie,  herrlicher,  weiser  Mann,  kenne,  so  bin 
ich  versichert,  daß  Sie  Ihres  Innern  großen  Werts  sich  bewußt, 
über  die  Nachricht,  daß  ein  Fremder  Ihre  Arbeiten  und  wichtige 
Entdeckungen  sich  zugeeignet  habe,  sich  wohl  wegsetzen  würden; 
aber  daß  ein  böser  Feind  Unkraut  unter  Ihrem  Weizen  gesäet 
habe,  daß  das  Gut  selbst,  das  Sie  gegründet  haben,  verdorben, 
und,  wie  Herr  Hofprediger  SCHULTZ  sich  ausdruckt,  in  der  Wurzel 
angegriffnen  worden,  das  kann  der  tugendhafte  Mann  unmöglich 
mit  gleichgültigen  Augen  ansehen.  Ich  eile  Ihnen  diese  Besorgnis 
zu  benehmen,  indessen  ich  mich  herzlich  freue,  diesmal  von  der 
mir  interessantesten  Sache,  unmittelbar  und  ohne  Beistand  eines 
Referenten,  mit  meinem  großen  Lehrer  mich  unterhalten  zu 
können,  wenn  es  gleich  mir  allerdings  wehe  tut,  jene  unangenehme 
Empfindungen  bei  Ihnen  veranlaßt  zu  haben. 

Sie  wissen  es  wohl  aus  eigener  Erfahrung,  daß  in  den  sehr 
schweren  transszendentalphilosophischen  Untersuchungen,  man  nur 
durch  vielfach  wiederholtes  und  scharfes  Nachdenken  endlich 
dahin  kommt,  sich  selbst  vollkommen  verständlich  zu  sein,  und 
daß,  bevor  man  diesen  Zustand  erreicht  hat,  es  auch  nicht  gut 
tunlich  ist,  andern  verständlich  zu  werden.  Wenn  nun  Herr 
Hofprediger  SCHULTZ  in   meinen  unter  dem  Titel,  die  kritische 


30Z  Von  ^akob  Sigismund  Beck 

Philosophie  erläuternden,  ihren  wahren  Standpunkt  darstellenden 
Schriften,  so  viel  gerade  auf  den  Umsturz  derselben  gerichtete 
Momente  erblickt,  daß  ich  gar  fast  glaube,  der  würdige,  gute, 
mir  sonst  sehr  liebe  Mann  möchte  mich  vielleicht  für  den 
tückischen  Feind  derselben  halten,  der  unter  der  Maske  der  An- 
hänglichkeit auf  ihren  Ruin  ausgeht,  wie  ich  geneigt  bin  zu 
glauben,  daß  er  manchen  vorgeblichen  Freund  der  christlichen 
Religion  für  den  boshaftesten  Widersacher  derselben  hält,  so 
dürfte  dieses  wenigstens  wohl  ein  Beweis  a  posteriori  sein,  daß 
ich  in  meinen  Schriften,  ob  ich  gleich  darin  den  Boden  aller 
Verständlichkeit  ebenen  und  bearbeiten  wollte,  ich  mich  doch 
selbst  noch  nicht  recht  wohl  darin  verstanden  habe.  Mit  mensch- 
lichen Arbeiten  geht  es  aber  nun  einmal  nicht  anders,  als  daß  sie 
unvollkommen  ausfallen  und  ein  Transszendentalphilosoph  kommt 
nur  nach  und  nach  dahin,  die  Prinzipien  zu  allen  objektiv  gültigen 
Begriffen  selbst  auf  Begriffe  zu  bringen  und  sie  dann,  weil  er 
sich  dann  selbst  nicht  mehr  mißversteht,  auch  andern  so  mitzu- 
teilen, daß  sie  ihn  verstehen  können.  Ich  glaube  daher  gar  nicht 
mich  schämen  zu  dürfen,  wenn  ich  frei  bekenne,  daß  seit  den 
anderthalb  Jahren,  da  ich  mit  meinem  Grundriß  fertig  wurde,  seit 
welcher  Zeit  ich  jede  Gelegenheit  ergriff,  die  meine  wissenschaft- 
liche Arbeiten  mir  anboten,  um  mein  Auge  auf  das  Objekt  der 
Transszendentalphilosophie  fallen  und  darauf  riihen  zu  lassen,  daß 
seit  dieser  Zeit,  ich  in  vielen  Stellen  die  Sache  besser  als  vorhin 
getroffen  habe,  und  daß  noch  ehe  ich  Ihren  Brief  erhielt,  ich  mir 
schon  vorgenommen  hatte,  Retraktationen  meiner  Arbeit  abzufassen. 
Allein  ich  glaubte  dieses  Geschäft  für  eine  künftige  Ausgabe 
meines  Grundrisses  aufbewahren  zu  können.  Ich  bemerke  aber, 
daß  ich  darunter  auch  nur  solche  Retraktationen  meine,  wie  ich 
glaube,  daß  der  heil.  Augustin  meinte.  Ich  glaube  nämlich  nicht 
eben  Falschheiten  in  meinen  Büchern  gesagt  zu  haben,  als  vielmehr 
Unbestimmtheiten,  weil  ich  selbst  noch  nicht  bestimmt  genug 
gegriffen  hatte.  Denn,  vortrefflicher  Mann,  ich  glaube  in  ein  paar 
Worten  den  Satz,  der  die  Seele  der  kritischen  Philosophie  ist, 
Ihnen  wenigstens  so  auseinander  legen  zu  können,  daß  Sie  gewiß 
sagen  sollen:  „Du  hast  eigentlich  nichts  Neues  in  deinen  Schriften 
gelehrt;  aber  verstanden  hast  du  mich  vollkommen",  und  ich  muß 
mich  erinnern,  daß  ich  an  Sie  schreibe  um  nicht  warm  zu  werden, 
daß  der  gute  würdige  SCHULTZ  ganz  unnützerweisc  Feuer!  rufen 
will.     Sie  müssen  mich  selbst  vernehmen. 


Von  ^akoh  Sigismund  Beck  503 

Ich  bemerke  nämlich  an  den  Kategorien  erstens,  daß  in  dem 
Gebrauch  derselben  als  Prädikate  der  Objekte,  der  logische  Ver- 
standesgebrauch besteht.  Hiernach  heißt  es  dann  ein  Ding  hat 
Größe,  hat  Sachheit,  ihm  kommt  zu  Substantialität,  Kausalität  usw. 
Diesen  logischen  Verstandesgebrauch  sage  ich  auch  in  den  syn- 
thetischen Urteilen  a  priori  aus,  z.  B.  Bei  allem  Wechsel  der  Er- 
scheinung beharret  die  Substanz;  Was  geschieht  hat  eine  Ursache  usw. 
Wie  fällt  nun  die  Auflösung  dieser  Synthesis  von  Begriffen  aus? 
Ich  bemerke  das  ursprüngliche  Verstandesverfahren  in  der  Kategorie, 
wodurch  gerade  die  synthetisch  objektive  Einheit,  die  das  aus- 
macht, was  Sinn  und  Bedeutung  meines  Begriffs  heißt,  erzeugt 
wird.  Was  ist  es,  frage  ich,  was  den  Chemiker  nötigt  bei  seinem 
Prozeß  des  Verbrennens  des  Phosphors  in  atmosphärischer  Luft, 
zu  sagen  daß  dasjenige,  um  was  die  Phosphorblumen  schwerer 
geworden  sind,  eben  das  ist,  um  was  die  Luft  leichter  geworden? 
Ich  antworte:  sein  eigener  Verstand,  das  Erfahrende  in  ihm, 
welches  ursprüngliche  Verstandes -Verfahren  ich  einem  bemerkbar 
mache,  wenn  ich  ihn  bitte,  alle  Objekte  im  Raum  aufzuheben 
und  nach  Ablauf  von  50  Jahren  eine  Welt  wieder  zu  setzen.  Er 
wird  gestehen,  daß  beide  Welten  zusammen  fallen  und  keine  leere 
Zeit  abgelaufen  ist,  das  ist,  daß  nur  am  Beharrlichen  er  sich  die 
Zeit  selbst  vorstellen  könne.  Hierher  muß  der  Blick  gerichtet 
sein  um  das  Phantom  des  BERKLEYISCHEN  Idealisms  zu  wider- 
legen. Ebenso  wenn  ich  auf  das  Erfahrende  in  mir  achte,  wo- 
durch ich  zu  der  Aussage,  daß  etwas  geschehen  ist,  gelange,  so 
bemerke  ich,  daß  das  Verursachen,  das  ich  damit  verbinde,  nichts 
anders  als  das  Festmachen  der  Synthesis  von  Wahrnehmungen  als 
eine  successive  ist  (das  ursprüngliche  Setzen  eines  Etwas,  wonach, 
als  nach  einer  Regel  die  Begebenheit  folgt),  dadurch  also  Er- 
fahrung einer  Begebenheit  erzeugt  wird.  Überhaupt  aller  dieser 
synthetischen  Urteile  a  priori  Auflösung  fällt  dahin  aus,  daß  das 
Prädikat,  das  ich  in  einem  solchen  Urteil  mit  dem  Subjekt  ver- 
binde, das  ursprüngliche  Verstandesverfahren  ist,  dadurch  ich  zu 
dem  Begriff  von  dem  Objekt  gelange.  Hiernach  (in  dem  Be- 
wußtsein dieser  Prinzipien)  verstehe  ich  mich  hoffentlich  richtiger 
in  dem  Urteil;  meine  Vorstellung  von  dem  Tisch,  der  vor  mir 
steht,  richtet  sich  nach  dem  Tisch,  und  dieses  Objekt  affiziert 
mich,  es  bringt  Empfindung  in  mir  hervor,  als  jeder  andere  der 
dieses  ursprünglichen  Verstandesverfahrens  nur  in  der  Anwendung, 
aber    nicht    abgezogen    sich    bewußt  ist,  und   da    bin  ich  freilich 


304  ^«  ^akob  Sigismund  Beck 

überzeugt,  daß  die  Abteilung  des  Erkenntnisvermögens,  in  Sinn- 
lichkeit, als  das  Vermögen  des  Subjektiven  (das  Vermögen  von 
Gegenständen  affiziert  zu  werden)  und  in  Verstand,  das  Vermögen 
Gegenstände  zu  denken  (dieses  Subjektive  auf  ein  Objekt  zu  be- 
ziehen) mit  erforderlicher  Deutlichkeit  allererst  nach  richtiger 
Ansicht  der  Kategorie  als  eines  ursprünglichen  Verstandesverfahrens 
ausgeht. 

Der  Düsseldorfer  JACOBI  sagt  in  seinem  DAVID  HUME 
betitelten  Gespräch:  „Ich  muß  gestehen,  daß  dieser  Umstand  (daß 
nämlich  die  Gegenstände  Eindrücke  auf  die  Sinne  machen)  mich 
bei  dem  Studio  der  KANTISCHEN  Philosophie  nicht  wenig  auf- 
gehalten hat,  so  daß  ich  verschiedene  Jahre  hintereinander,  die 
Kritik  der  reinen  Vernunft  immer  wieder  von  vorne  anfangen 
mußte,  weil  ich  unaufhörlich  darüber  irre  wurde,  daß  ich  ohne 
jene  Voraussetzung  in  das  System  nicht  hineinkommen,  und  mit 
jener  Voraussetzung  darin  nicht  bleiben  konnte".^)  Wenn  ich 
nun  über  diese  Bedenklichkeit,  welche  gewiß  sehr  vielen  wichtig 
ist,  mein  Urteil  sagen  und  auch  bestimmen  soll,  was  Ihre  Kritik 
eigentlich  meine,  wenn  sie  auf  der  ersten  Seite  der  Einleitung  von 
Gegenständen  spricht,  welche  die  Sinne  rühren,  ob  sie  darunter 
Dinge  an  sich  oder  Erscheinungen  meine?  so  werde  ich  antworten, 
daß,  da  Erscheinung  das  Objekt  meiner  Vorstellung  ist,  in  welcher 
Bestimmungen  desselben  gedacht  werden,  die  ich  durch  das 
ursprüngliche  Verstandesverfahren  (z.  B.  durch  das  ursprüngliche 
Fixieren  meiner  Synthesis  von  Wahrnehmungen,  als  eine  successive, 
dadurch  Erfahrung  einer  Begebenheit  möglich  wird)  erhalte,  so  ist 
der  Gegenstand,  der  mich  affiziert,  eben  daher  Erscheinung  und 
nicht  Ding  an  sich.  Meint  aber  jemand  von  den  Kategorien  einen 
absoluten  Gebrauch  machen  zu  können,  sie  als  Prädikate  der 
Dinge  schlechthin  ansehen  zu  können,  ohne  Hinsicht  des  ursprüng- 
lichen Verstandesverfahrens,  das  in  ihnen  liegt  (nach  Ihrem  Aus- 
druck: eine  Anwendung  von  ihnen  auf  Objekte  ohne  Bedingung 
der  Anschauung  machen  zu  können)  der  ist  in  der  Meinung  die 
Dinge  an  sich  zu  erkennen  und,  wenn  ich  ein  klein  wenig  auf 
Herrn  SCHULTZ  böse  sein  wollte,  so  würde  ich  gewiß  mit  mehrerm 
Fug  ihm  den  Vorwurf  machen,  daß  er  im  Besitz  einer  Verstandes- 
anschauung   zu    sein    sich    dünke,    als   er  Recht   hat,   ihn   mir  zu 

')  F.  H.  Jacobi,  David  Hume  über  den  Glauben  oder  Idealismus 
und  Realismus,  Werke,  Bd.  II,  Leipzig   1815:,  S.  304. 


Von  ^akoh  Sigismund  Beck  305 

machen.  Das  einzige,  was  meiner  Meinung  nach  dem  Menschen 
vergönnt  ist,  ist  die  Beziehung  der  Natur  überhaupt  auf  ein  Sub- 
strat derselben,  eine  Beziehung,  der  er  sich  in  seiner  Anlage  für 
Moralität,  in  dem  Bewußtsein  der  Bestimmbarkeit  des  Begehrens 
durch  die  bloße  Vorstellung  der  Gesetzmäßigkeit  der  Handlungen 
bewußt  ist.  Denn  in  diesem  Bewußtsein,  (aus  welchem  gerade 
so  die  synthetisch- praktischen  Grundsätze  hervorgehen,  wie  jene 
synthetische  theoretische  Urteile  a  priori  aus  dem  ursprünglichen 
Verstandesverfahren)  erhebt  er  sich  über  die  Natur  und  setzt  sich 
außer  ihrem  Mechanism,  ob  er  gleich  als  Mensch  doch  wieder 
Naturgegenstand  ist,  und  sonach  seine  Moralität  selbst  etwas  An- 
gefangenes ist  und  Naturursachen  voraussetzt.  Der  einer  Zweck- 
einheit entsprechende  fortgehende  Naturmechanism  stimmt  ihn  zu 
dieser  Beziehung  noch  mehr  und  erhebt  und  stärkt  die  Seele  des 
sittlich  guten  Menschen,  ob  er  gleich  doch  nur  immer  auf  sym- 
bohsche  Weise  sich  dieses  Substrat  vorzustellen  weiß.  Selbst  der 
Lauf  menschhcher  Begebenheiten,  Naturbegebenheiten,  wie  z.  ß. 
die  Erscheinung  der  christlichen  Religion,  von  der  als  einem 
Kirchenglauben  man  sagen  kann,  daß  sie  das  Prinzip  zu  ihrer 
eigenen  Auflösung  in  sich  selbst  trägt,  Naturbegebenheiten,  die 
sichtbarlich  hinzielen,  den  rein  moralischen  Glauben  in  unserm 
Geschlecht  hervorzubringen  —  Alles  dieses  leitet  den  Verstand 
zu  einer  solchen   Beziehung. 

Aber  ich  schreibe  als  wollte  ich  Ihnen  etwas  Neues  lehren! 
Verehrungswürdiger,  großer  Mann,  ich  kann  nicht  ohne  Entzücken 
diese  Angelegenheiten  des  Menschen  überdenken,  und  Ihnen  ver- 
danke ich  es,  Sie  haben  mich  darauf  geführt.  Ich  befinde  mich 
in  meinen  besten  Jahren,  und  was  meine  Seele  täglich  erheitert, 
ist,  der  auf  meine  jetzige  Einsichten  in  die  Prinzipien  der  kritischen 
Philosophie  gegründete  Gedanke,  einst  auch  nach  dem  Abgange 
des  großen  Stifters  derselben,  diese  dem  Menschengeschlecht 
wichtige  Angelegenheit  kräftiglich  besorgen  zu  können.  Ihre 
metaphysische  Prinzipien  der  Rechtslehre  haben  mich  seit  ihrer 
Erscheinung  beschäftigt,  und  die  Aufklärungen,  die  ich  durch  diese 
kleine  Schrift  erhalten,  sind  sehr  groß.  Um  so  mehr  tut  es  mir 
wehe,  daß  der  gute  Hofpr.  SCHULTZ  meine  Bemühungen  in 
einem  so  gehässigen  Licht  hat  stellen  wollen.  Mir  war  bei 
meinem  Standpunkt  alles  darum  zu  tun,  die  wahre  Ansicht  der 
Kategorien  als  des  ursprünglichen  Verstandesverfahrens  zu  eröffnen 
und  den  nur  unter  dieser  Bedingung  gültigen  empirischen  Ge- 
Kants Schriften.   Bd.  X.  *0 


3o6  Von   'Jakob  Sigismund  Beck 

brauch  meinem  Leser  unter  die  Augen  zu  stellen  und  ihm  die 
Nichtigkeit  des  transszcndentalen  Gebrauchs  derselben  zu  zeigen. 
In  dieser  Hinsicht,  da  ich  sonach  Ihre  Methode  umkehrte  und 
von  den  Kategorien  sofort  anfing,  nannte  ich  meine  Arbeit 
Transszendentalphilosophie  und  teilte  sie  nicht  ein  in  trans.  Ästhetik 
und  Logik.  In  dem  ersten  Abschnitt  meiner  Schrift  handele  ich 
von  den  Schw^ierigkeiten  in  den  Geist  der  Kritik  zu  dringen  und 
mache  darin  den  Skeptiker;  bloß  um  sehr  viele  kritische  Philo- 
sophen, die  wirklich  den  dogmatischen  Schlaf  schlafen,  zu  wrecken, 
und  um  Herrn  REINHOLD  und  andern  sich  nennenden  Elementar- 
philosophen zu  Gemüt  zu  führen,  daß,  indem  sie  Ihre  Kritik 
meistern,  weil  sie  einen  Satz,  aus  dem  alle  Philosophie  quellen 
soll,  ihrer  Meinung  nach  anzugeben  unterlassen  habe,  und  von 
denen  der  eine  diesen,  ein  anderer  einen  andern  Satz  als  Tatsache 
des  Bewußtseins  aufführt,  um  diesen  Männern  zuzurufen,  daß  sie 
nicht  bemerken,  daß  dasjenige,  worauf  jeder  mögliche  Satz,  wenn  er 
Sinn  haben  soll,  beruht,  gerade  von  Ihnen  in  dem  ursprünglichen 
Verstandesverfahren  der  Kategorien  angegeben  worden.  Ich  zeigte 
den  Nachsprechern  Ihrer  Kritik,  die  mit  Ihren  Worten  groß  taten, 
daß  in  ihrem  Munde  es  mir  ganz  sinnlos  vorkomme,  wenn  sie 
von  Begriffen  a  priori  reden,  die  sie  doch  nicht  mit  LEIBNIZ 
angeboren  heißen  wollten,  lediglich  um  nachher  den  großen  Unter- 
schied, der  zwischen  Ihrer  Behauptung,  daß  die  Kategorien  Be- 
griffe a  priori  sind  und  jener  von  angebornen  auffallend  zu 
machen  und  um  zu  zeigen,  daß  diese  Kategorien  durchweg 
eigentlich  das  Verstandesverfahren  sind,  wodurch  ich  zu  dem  Be- 
griff von  einem  Objekt  gelange,  dazu  gelange,  daß  ich  überhaupt 
sage;  hier  ist  ein  von  mir  verschiedener  Gegenstand.  Niemand 
kann  von  der  Richtigkeit  seiner  Einsichten  heller  überzeugt  sein, 
als  ich  in  diesem  Augenblick  bin.  Was  mir  Herr  SCHULTZ 
Schuld  gibt,  davon  ist  mir  auch  niemals  der  Gedanke  eingefallen. 
Nicht  eingefallen  ist  es  mir,  die  Sinnlichkeit  weg  zu  exegesieren. 
Wie  gesagt,  ich  konnte  mein  Auge  nicht  dem  Lichte  verschließen, 
das  ich  erblickte,  als  ich  auf  den  Einfall  kam,  von  dem  Stand- 
punkte der  Kategorien  auszugehen,  und  das  was  Sie  in  Ihrer 
transz.  Ästhetik  besonders  abhandeln  (Raum  und  Zeit)  mit  den 
Kategorien  zu  verbinden.  Herr  REINHOLD  hatte  Sie  korrigiert, 
wenn  Sie  sagen:  der  Raum  ist  eine  Anschauung  a  priori  und 
dahin  gemeistert,  daß  es  nach  ihm  heißen  soll,  die  Vorstellung 
vom  Raum  ist  Anschauung.    Ich  zeige  ihm,  daß  der  Raum  selbst 


Von  fakob  Sigismund  Beck  307 

eine  reine  Anschauung  ist,  das  heißt,  die  ursprüngliche  Verstandes- 
synthesis  worauf  die  objektive  Verbindung  (ein  Objekt  hat  diese 
oder  jene  Größe)  beruht.  Nie  in  den  Sinn  ist  es  mir  gekommen, 
zu  sagen,  daß  der  Verstand  das  Ding  macht;  ein  barer  Unsinn! 
Wie  kann  Herr  SCHULTZ  so  unfreundlich  sein  mir  dieses  zu- 
schulden kommen  zu  lassen.  Wie  gesagt,  ich  wollte  nicht  im 
geringsten  mehr,  als  die  Leute  darauf  führen,  daß  wir  nichts 
objektiv  verknüpfen  können  (urteilen,  mit  einem  Wort,  sagen: 
ein  Ding  hat  diese  oder  jene  Größe,  diese  oder  jene  Realität, 
Substantialität  usw.)  was  der  Verstand  nicht  vorher  selbst  ver- 
bunden hat,  und  daß  hierin  die  objektive  Beziehung  liegt.  Hierauf 
will  ich  jeden,  wie  mit  der  Nase  darauf  führen  und  wie  sollte 
einer  bei  diesem  Licht  nicht  sehen  können!  da  heißt  nun  dieser 
auf  mich  wirkende,  die  Sinne  rührende  Gegenstand,  Erscheinung 
und  nicht  Ding  an  sich,  wovon  ich  lediglich  den  negativen  Be- 
griff aufstellen  kann,  als  von  einem  Dinge  dem  Prädikate  schlecht- 
hin (ganz  abgesehen  von  diesem  ursprünglichen  Verstandesver- 
fahren) zukommen,  —  eine  Idee  und  so  auch  die  von  einem 
urbildlichen  Verstände,  die  natürlich  durch  Entgegensetzung  aus 
jener  Eigenheit  unsers  Verstandes  entspringen.  Meine  Absicht 
ging  dahin,  dem  Begriff  von  Ding  an  sich  den  Zugang  in  die 
theoretische  Philosophie  zu  verschließen,  auf  dessen  ganz  eigene 
Art  von  Realität  ich  lediglich  in  dem  moralischen  Bewußtsein 
geleitet  werde.  In  jenem  ersten  Abschnitt  meiner  Schrift  spreche 
ich  etwas  laut,  nenne  auch  freilich  die  Anschauung  sinnlos.  Ich 
nenne  alle  Resultate  Ihrer  Arbeit  so,  ich,  der  indem  ich  sie  so 
nannte,  der  größte  Bewunderer  derselben  war  und  Herr  Hof- 
prediger S.  sie  gewiß  nicht  mehr  verehren  konnte  als  ich.  Auch 
ist  er  der  einzige,  der  mich  so  mißverstanden  hat.  Fast  kann  ich 
mir  dieses  Mißverstehen  nicht  anders  als  durch  die  Nachricht  er- 
klären, die  mir  Herr  MOTHERBEY,  der  so  gut  war,  mich  zu 
besuchen,  gegeben  hat,  daß  der  würdige  Mann  seine  Frau  vor 
einiger  Zeit  verloren  hat,  welches  Ereignis  ihm  vielleicht  einige 
Grämlichkeit  zurückgelassen  hat.  Auch  kann  wohl  immer  etwas 
frommer,  von  seiner  theologischen  Denkart  übrig  gebliebener  Eifer 
im  Hintergrunde  sein,  der  gewiß  wohl  von  wackerer  Denkungsart 
einen  Beweis  ablegt,  aber  andern  ehrlichen  Leuten  doch  immer 
etwas  beschwerlich  fällt.  Niemand  hat  der  Sache  nach,  von  allen 
Freunden  der  kritischen  Philosophie  auf  die  Unterscheidung  der 
Sinnlichkeit  vom  Verstände  mehr   als   ich  gedrungen.     Ich  tue  es 


20 


3o8  Von  ^akoh  Sigismund  Beck 

unter  dem  Ausdrucke:  daß  ein  Begriff  nur  sofern  Sinn  und  Be- 
deutung habe,  sofern  das  ursprüngliche  Verstandesverfahren  in  den 
Kategorien  ihm  als  Basis  unterliegt,  welches  der  Sache  nach 
einerlei  mit  Ihrer  Behauptung  ist,  daß  die  Kategorien  lediglich 
auf  Anschauungen  Anwendung  haben,  welchen  Ausdruck  ich  aber 
meines  Gesichtpunkts  wegen  wählte.  Eigentlich  liegt  aber  der 
ganze  Grund  Ihres  Briefes  und  was  auf  Sie  Eindruck  gemacht 
hat,  in  der  Nachricht,  die  Ihnen  Herr  SCHULTZ  gibt,  daß  ich 
auf  den  Titel  meiner  Schrift:  auf  Anraten  K —  gesetzt  habe 
und  er  erregt  die  Besorgnis,  daß  das  Publikum  deswegen  glauben 
werde,  daß  Sie  meine  vermeintlich  falsche  Vorstellungsart  für 
gültig  anerkennen  und  so  Ihre  eigene  Arbeit  durch  mich  um- 
werfen lassen.  Wirklich  deswegen  habe  ich  Ursache  gegen  ihn 
unwillig  zu  sein.  Die  Sache  verhält  sich  so.  Da  ich  dem  Buch- 
händler HARTKNOCH  meinen  Standpunkt^)  antrug,  so  trug  ich 
sie  ihm  als  eine  vor  sich  bestehende  Schrift  an,  die  gar  nichts 
mit  dem  Auszuge  zu  tun  hatte.  Er  antwortete  mir  von  Riga  aus 
und  bat  mich  sie  mit  zwei  Titeln  (auf  der  einen  Seite:  Stand- 
punkt usw.  und  auf  der  andern:  Auszug  usw.)  ausgehen  zu  lassen. 
Ich  sähe  nichts  Unrechtes  darin  und  tat  was  er  wollte,  wohl  aber 
mit  der  Vorsicht,  daß  ich  Jiicht  auf  dem  Titelblatt  des  Stand- 
punkts auf  Ihr  Anraten  und  nur  auf  dem  andern  es  setzte,  weil 
ich  dieses  (was  den  Auszug  überhaupt  betraf)  tun  konnte.  In- 
dessen wenn  ich  geirrt  habe,  so  habe  ich  doch  nichts  verbrochen 
und  ich  bin  bereit  die  Sache  bei  der  ersten  Gelegenheit  gut  zu 
machen,  nämlich  zu  erklären,  daß  der  Standpunkt  nicht  auf  Ihr 
Anraten  geschrieben  worden  sei,  wiewohl  ich  auch  nicht  einsehen 
kann,  daß  das  Wort:  Anraten  überhaupt  etwas  anderes  sagen 
kann,  als  daß  Sie  mich  überhaupt  für  einen  Mann  halten,  der  eine 
der  Beachtung  des  Publikums  werte  Sache  produzieren  könne. 
Die  Sache  kann  aber  auf  mehrere  Art  gut  gemacht  werden.  Vor 
allen  Dingen  wünsche  ich  es  nicht  auf  eine,  denjenigen  Leuten, 
die  die  kritische  Philosophie  wie  den  Tod  hassen,  willkommene 
Weise  zu  tun,  welches  durch  eine  in  die  Lit.  Zeitung  oder  in 
Jakobs  Annalen  inserierte  Nachricht  geschehen  würde;  denn  bei 
aller  Vorsicht  im  Ausdruck  würden  diese  Zänkerei  und  Uneinigkeit 
wittern,   welches    der    guten    Sache    schaden    würde.     Am    besten 

^)  Becks  „Einzig  möglicher  Standpunkt,    aus  welchem  die  kritische 
Philosophie  beurteilt  werden  kann",  Riga   1796. 


J^n  Jakob  Sigismund  Beck  309 

geschehe  es  in  der  Vorrede  zu  einer  Schrift.  Ich  gehe  nämlich 
mit  einer  Arbeit  um,  die  aber  künftige  Ostern  erst  herauskommen 
kann.  Oder,  möchte  sich  nicht  Herr  Hofprediger  SCHULTZ 
entschließen,  selbst  einen  Aufsatz,  der  bloß  die  Hauptmomente  des 
kritischen  Idealisms  auseinandersetzte,  zu  verfertigen  und  Retrak- 
tationen  meiner  Arbeit,  von  mir,  als  einen  zweiten  Teil  eben 
dieser  Schrift  aufzunehmen  (so  wie  Herr  HINDENBURG  in  der 
verlaufenen  Michaelismesse  die  Schrift:  Der  polynomische  Lehr- 
satz, das  wichtigste  Theorem  der  ganzen  Analysis,  neu  dargestellt 
von  KLÜGEL,  KRAMP,  PFAFF,  TETENS  und  HINDENBURG, 
herausgegeben  hat)?  Keiner  dürfte  die  Arbeit  des  andern  vor 
dem  Druck  gesehen  haben.  Ich  denke  eine  solche  von  zwei 
Männern,  mit  Ernst  und  Wahrheitsliebe  abgefaßte  Schrift,  von 
denen  jeder  die  Sache  auf  die  ihm  eigene  originale  Art  ansieht, 
müßte  nützlich  werden.  Ich  will  doch  nicht  hoffen,  daß  der 
gute  Mann  diesen  Vorschlag  übel  aufnehmen  werde.  Denn  vor 
IG  Jahren  war  ich  freilich  sein  Schüler,  bin  aber  jetzt  selbst  ein 
Mann,  habe  auch  in  dem  besondern  wissenschaftlichen  Gebiet, 
das  er  betreibt,  nach  vielen  Richtungen  hin  mich  umgesehen  und 
glaube  der  Achtung  meiner  Mitmenschen  nicht  unwert  zu  sein. 
Wenn  Sie  in  wenig  Worten  mir  Ihre  Meinung  mitteilen  wollten, 
so  würde  mir  das  sehr  angenehm  sein. 

So  wie  ich  Ihren  Brief  erhielt,  teilte  ich  ihn  meinem  würdigen 
Freunde  dem  Prof.  TIEFTRUNK  mit.  Er  hatte  den  Einfall,  daß  es 
gut  wäre,  wenn  Sie  auch  die  Art,  wie  ein  anderer  meine  Be- 
mühung im  Standpunkt  aufnehme,  sich  sagen  ließen,  und  ich 
dankte  ihm  für  sein  freundschaftliches  Anerbieten,  dieserwegen  an 
Sie  zu  schreiben. 

Und  nun,  mein  ewig  verehrungswürdiger  Lehrer,  mir  müssen 
Sie  dieser  Geschichte  wegen  Ihr  Wohlwollen  nicht  entziehen. 
Wahrlich  das  würde  mich  kränken,  der  ich  für  die  Sache  der 
Philosophie  zu  leben  wünsche.  Ich  denke,  daß  in  diesen  An- 
gelegenheiten man  ruhig  jeden,  von  dem  man  sieht,  daß  er  es 
bieder  meint,  seinen  Weg  gehen  lassen  müsse.  Mit  der  innigsten 
Hochachtung   bin  ich  ganz 

der  Ihrige 

Beck. 

Von  Herrn  SCHLETTWEINS  Existenz  weiß  ich  gar  nichts 
mehr,  als  daß   mir  ahndet,  daß  ein  Journal  unter  seinem  Namen 


3 1  o  Von  ^akob  Sigismund  Beck 

da  sei.  Was  Sie  in  der  Lit.  Z.  ihn  Betreffendes  haben  einsetzen 
lassen,  habe  ich  noch  nicht  gelesen.')  Daß  dieser  Rodomontaden- 
macher  Sie  veranlassen  könnte,  etwas  mich  Betreffendes,  das  mich 
in  ^tn  Augen  des  Publikums  lädieren  könnte,  darin  zu  sagen, 
darf  ich  nicht  einmal  vermuten,  ohne  Ihnen  dadurch  zu  mißfallen. 
Ich  kann  mich  nicht  überreden,  daß  Herr  Prof  PÖRSCHKE, 
meine  Darstellung  des  Geistes  der  kritischen  Philosophie,  ihrem 
wahren  Geiste  so  entgegen,  wie  Herr  Hofpr.  SCHULTZ  halten 
sollte.  Wie  wenn  dieser  brave  Mann  sein  Urteil  Ihnen  darüber 
sagen  möchte.  Ich  habe  hier  auch  meinem  Freunde  RATH  Ihren 
Brief  mitgeteilt.  Dieser  sehr  einsehende  Mann,  der,  ob  er  gleich 
nichts  geschrieben  hat,  doch  viel  Gutes  schreiben  könnte  und  der 
mir  immer  seine  Zufriedenheit  mit  meiner  Darstellung  gestanden 
hat,  erstaunte  wie  es  möglich  sei,  so  sonderbar  meine  Be- 
hauptungen auszulegen,  wie  es  Herr  Hofprediger  S.  getan  hat. 
Auf  jeden  Fall,  hochachtungswürdiger  Mann,  können  Sie  ver- 
sichert sein  (auch  auf  den  Fall  daß  Sie  auf  diesen  Brief  nicht 
antworten  sollten),  daß  ich  bei  der  ersten  Gelegenheit,  die  ich 
haben  werde  von  kritischer  Philosophie  zum  Publikum  zu  sprechen, 
sagen  werde,  daß  Sie  gar  keinen  Anteil  weder  an  meinem  Stand- 
punkt, noch  am  Grundriß  haben.  Ich  werde  mich  so  erklären, 
daß  Sie  und  jedermann  vollkommen  mit  mir  zufrieden  sein  sollen, 
und  darauf  haben  Sie  meine  Hand!  Geständnisse  aber  eines  Ver- 
sehens in  der  Sache,  die  kann  ich  nicht  tun,  weil  niemand  von 
seiner  Einsicht  überzeugter  ist,  als  ich. 


400. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den  24.  Juni  1797. 
Hochachtungswürdiger  Mann, 
Als  ich  schon  meinen,  verlaufenen  20.  an  Sie  gerichteten 
Brief  auf  die  Post  gebracht  hatte,  nahm  ich  den  Ihrigen  noch 
einmal  in  die  Hände.  Indem  ich  nun  bei  dem  Anfange  desselben, 
und  bei  einigem,  was  Herr  Hofprediger  SCHULTZ  mich  sagen 
läßt,  etwas  verweilte,  wurde  mir  die  eigentliche  Veranlassung  so- 


^)  Siehe  Kants  öffentliche  Erklärungen  (Werke,  Bd.  VIII)  Nr.  5. 


Von  ^akob  Sigismund  Beck  3 1 1 

wohl  zu  Ihrem  Briefe,  als  auch  zu  dem  Unwillen  dieses  würdigen 
Mannes  etwas  begreiflicher,  und  da  ich  nun  die  Sache  in  einem 
etwas  andern  Lichte  ansah,  faßte  ich  den  Entschluß,  mit  der 
heutigen  Post  noch  dasjenige  nachzuholen,  was  mir  jetzt  noch 
nötig  scheint,  Ihnen  zu  sagen. 

Sie  geben  nämlich  die  Veranlassung  zu  Ihrem  Briefe  mit  den 
Worten  an:  daß  er  die  schnelle  und  öffentliche  Beilegung  der 
Mißhelligkeit  kritischer  Prinzipien  vom  obersten  Rang  betreffe. 
Aus  diesem  nun,  und  aus  den  Bemerkungen  des  Herrn  Hof- 
prediger, da  er  mich  z.  B.  sagen  läßt:  „Realität  ist  die  ursprüng- 
liche Synthesis  cTes  Gleichartigen  der  Empfindung,  die  vom  Ganzen 
zu  den  Teilen  geht  (wobei  wahrscheinlich  Sie  es  sind  der  mich, 
und  zwar  mit  allem  Recht  fragt:  ,Was  hier  Empfindung  bedeuten 
mag,  wenn  es  keine  Sinnlichkeit  gibt,  sehe  ich  nicht  wohl  ein'. 
Gewiß,  vortrefflicher  Mann,  wenn  mir  so  etwas  jemals  in  den 
Sinn  gekommen  wäre,  müßte  ich  dieses  Unsinns  wegen  mich 
selbst  anfeinden);  daß  der  Verstand  die  Objekte  erzeugt",  schließe 
ich,  daß  Sie  mit  Herrn  SCHULTZ  über  das  sonderbare  Zeug  des 
Herrn  FICHTE  sich  unterhalten  haben  müssen,  indem  mir  diese 
Ausdrücke  gänzlich  Fichtisch  klingen.  Hierauf  kann  ich  nun  nicht 
anders,  als  noch  Folgendes  erinnern  und  einen  Vorschlag  tun,  der 
mir  durch  den  Kopf  geht. 

Ich  versichere  Sie,  so  wahr  ich  ein  ehrlicher  Mann  bin,  daß 
ich  unendlich  weit  von  diesem  Fichtischen  Unsinn  mich  entfernt 
befinde.  Ich  hielt  es  bloß  vor  nötig,  auf  die  Ansicht  der  Kate- 
gorien, als  eines  ursprünglichen  Verstandesverfahrens,  wohin  ihre 
ganze  Deduktion,  als  Beantwortung  der  Frage:  wie  sind  sie  auf 
Erscheinungen  anwendbar,  gerichtet  ist,  die  Augen  der  philo- 
sophierenden Männer  zu  lenken,  weil  ich  mich  versichert  hielt, 
daß  ihre  Mißhelligkeiten  verschwinden  müßten,  wenn  sie  das 
träfen,  daß  der  Verstand  nichts  objektiv  verknüpfen  könnte,  was  er 
nicht  vorher  ursprüngUch  verbunden  hat.  Wenn  ich  nun  aller- 
dings sage,  daß  die  Kategorie  Realität  die  Synthesis  der  Empfindung 
ist,  die  vom  Ganzen  zu  den  Teilen  (durch  Remission)  geht,  so 
kann  doch  vernünftigerweise  meine  Meinung  keine  andere  sein, 
als  daß  die  Sachheit  eines  Dinges,  (das  Reale  der  Erscheinung 
die  mich  affiziert,  und  diese  Empfindung  in  mir  hervorbringt) 
allemal  eine  Größe  (intensive)  ist,  daß  eben  daher  eine  absolute 
Sachheit  (die  nämlich  keine  Größe  wäre,  wie  nach  CARTESII 
Meinung,  daß   die  Materie  durch  ihre  bloße  Existenz  einen  Raum 


3 1 2  P^on   'Jakob  Sigismund  Beck 

erfüllt)  nichts  bedeutet.  Dieses  ursprüngliche  Verstandesverfahren 
in  der  Kategorie  Realität,  fällt  mit  dem  in  den  Kategorien  der 
Existenz  zusammen,  vermöge  dessen  ich  eben  aus  mir  selbst 
herausgehe,  und  sage:  hier  ist  ein  Objekt  das  mich  affiziert;  aber 
der  Transszendentalphilosoph  muß  diese  verschiedene  Seiten  des 
Verstandes  voneinander  scheiden.  Ich  fand  für  nötig,  auf  jede 
Kategorie  besonders,  das  Auge  des  Lesers  zu  lenken.  Wenn  mich 
einer  fragt:  „wenn  du  nun  dich  selbst  in  Gedanken  aufhebst, 
dann  hebst  du  ja  auch  vv^ohl  alle  Dinge  außer  dir  zugleich  auf?" 
so  werde  ich  doch  nicht  verrückt  sein,  solch  dummes  Zeug  zu 
bejahen.  Hebe  ich  mich  in  Gedanken  auf,  so  betrachte  ich  mich 
ja  eben  unter  Zeitbedingungen,  welchen  Ablauf  der  Zeit  ich  mir 
selbst  nur  am  Beharrlichen  vorstellen  kann.  Absehen  von  diesem 
ursprünglichen  Verstandesverfahren,  ist  doch  nicht  mit  Aufheben 
meiner  selbst  einerlei.  Ja  wohl,  werde  ich  sagen,  wenn  ich  von 
der  ursprünglichen  Synthesis,  der  ich  mir  im  Ziehen  einer  Linie 
bewußt  bin,  wegsehe,  denn  vergeht  mir  freilich  aller  Sinn  von 
extensiver  Größe,  die  ich  einem  Objekt  beilege,  weshalb  eben 
das  Objekt  meiner  Vorstellung,  Erscheinung  und  nicht  Ding  an 
sich  heißt.  Gewiß,  vortrefflicher  Mann,  wenn  Sie  mir  die  Ehre 
erweisen,  und  ein  wenig  nur  selbst  %uf  diese  meine  Methode  von 
dem  Standpunkt  der  Kategorien  abwärts  zu  gehen,  so  wie  Sie  in 
Ihrem  unsterblichen  Werk  aufwärts  gehen,  aufmerksam  sein  wollten, 
so  würden  Sie  die  Tunlichkeit  derselben  bemerken.  Man  muß 
nur  innig  mit  dem  ganzen  Gegenstand  vertraut  sein,  so  kann  man 
besonders  im  Lehrvortrage,  mit  vieler  Leichtigkeit,  mit  den  wahren 
kritischen  Prinzipien,  jeden  der  Interesse  und  etwas  Talent  hat, 
auf  diesem  Wege  bekannt  machen.  Herr  Hofprediger  SCHULTZ, 
den  ich  immer  sehr  liebe,  seine  Kenntnisse  achte  und  seiner 
Redlichkeit  wegen  hochschätze,  hat  mich  wirklich  nicht  gut  ver- 
nommen und  ich  bin  betrübt,  daß  der  biedere  Mann  imstande  ist, 
mich  solcher  unsinnigen  Behauptungen,  wie  die  ist,  daß  der  Ver- 
stand das  Ding  macht,  fähig  zu  glauben,  deren  er  mich  wohl 
nicht  fähig  hielt,  als  er  mich  als  seinen  aufmerksamen  Schüler  in 
der  Mathematik  lieb  hatte. 

Aber  ich  weiß  es,  daß  Herr  FICHTE,  der,  wie  es  scheint, 
Anhänger  sucht,  von  mir  sagt,  daß  ich  mit  ihm  mich  auf  einerlei 
Weg  befinde,  so  sehr  ich  auch  in  einer  Rezension  in  Herrn 
JAKOBS  Annalen,  ja  auch  in  meinem  Standpunkt  das  Gegenteil 
gesagt  habe.     Da  ich  ihn  in  Jena  verlaufene  Osterferien  besuchte. 


J^n   'Jakoh  Sigismund  Beck  3 1 3 

so  wollte  er  mich  wirklich  auf  diese  Art  berücken.  Ein  Gespräch 
mit  mir  fing  er  wirklich  damit  an:  „Ich  weiß  es,  Sie  sind  meiner 
Meinung,  daß  der  Verstand  das  Ding  macht".  —  Er  sagte  mir 
manche  närrische  Sachen  und  vielleicht  ist  er  noch,  da  ich  meinen 
Mann  bald  durchsah,  von  niemanden  durch  freundliche  Antworten 
so  verlegen  gemacht  worden,  als  durch  mich.  Was  ich  nun  noch 
sagen  will,  ist  Folgendes.  FICHTE  sagte  mir,  daß  er  in  seinem 
neuen  Journal,  worin  er  seine  Wissenschaftslehre  neu  bearbeitet 
hat,  und  unter  andern  nur  eine  Philosophie  und  keinen  Unter- 
schied zwischen  theoretischer  und  Moralphilosophie  annimmt,  weil 
überall  der  Verstand,  durch  seine  absolute  Freiheit  die  Dinge  setzt 
(ein  dummes  Zeug!  wer  so  reden  kann,  kann  wohl  niemals  die 
kritischen  Prinzipien  beherzigt  haben)  und  daß  er  darin  viel  von 
meinem  Standpunkt  spreche.  Ich  habe  nun  wohl  diese  Sachen 
noch  nicht  in  Händen  gehabt,  aber  ich  bin  vorher  versichert, 
daraus  ganz  leicht  eine  Veranlassung  nehmen  zu  können,  mich 
etwa  in  JAKOBS  Annalen  zu  erklären,  daß  erstens  meine 
Meinung  gar  nicht  mit  der  seinigen  zusammenstimme,  daß  ich 
zweitens  glaube  die  Kritik  richtig  exponiert  zu  haben,  und 
daher  von  ihrem  Sinn  nicht  abzuweichen  glaube,  weil  mir  nichts 
so  angelegentlich  ist,  als  Sinnlichkeit  (das  Vermögen  von  Gegen- 
ständen affiziert  zu  werden)  vom  Verstände  (das  Vermögen  sie  zu 
denken,  dieses  Subjektive  auf  Objekte  zu  beziehen)  zu  unter- 
scheiden, daß  aber  drittens,  ich  durch  das  zweite  gar  nicht 
gesonnen  bin,  den  Stifter  der  kritischen  Philosophie  im  geringsten 
zu  kompromittieren,  indem  der  Standpunkt  gänzlich  meine  eigene 
Idee  ist,  und  ja,  da  Ihre  Werke  am  Tage  liegen,  jedermann  mit 
eigenen  Augen  vergleichen  und  ein  eigenes  Urteil  haben  kann. 
Den  FICHTE  selbst  will  ich  mir  wohl  nicht  auf  den  Hals  laden, 
und  werde  daher  ganz  glimpflich,  was  ihn  betriflft,  sprechen. 
Aber  in  Ansehung  des  zweiten  Punkts  will  ich  mich  umständlich 
auslassen,  und  das  berichtigen,  was  fehlerhaft  von  mir  im  Stand- 
punkt ist  gesagt  worden.  Geben  Sie  hierzu  Ihre  Beistimmung? 
Ehe  ich  diese  erhalte,  möchte  ich  nicht  gern  was  tun.  Nur  auf 
mich,  Hochachtungswürdiger  Mann,  lenken  Sie  keinen  Unwillen. 
Ich  finde  meinen  Beruf  in  wissenschaftlichen  Arbeiten,  und  wie 
müßte,  bei  dieser  Abgezogenheit,  mir  der  Gedanke  wehe  tun,  in 
Ihren  Augen  gesunken  zu  sein. 

Der  Ihrige 
Beck. 


314      An  G.  H.  L.  Nicolovius.   —  An  Chr.   G.  Schütz 

401. 

An  Georg  Heinrich  Ludwig  Nicolovius. 

Ew.  Wohigeb. 

bitte  ergebenst  mit  ein  paar  Worten  hierunter 
nur  anzuzeigen,  welche  Nachricht  Herr  Kollegien-Rat  EULER  in 
Petersburg,  bei  Übersendung  des  Diploms  meiner  Aufnahme  zum 
Mitghede  der  Russisch-Kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch.,  meinerseits 
noch  vermißt:  damit  ich  den  hiesigen  Negozianten,  Herrn 
COLONS,  durch  den  ich  die  Korrespondenz  hierüber  geführt 
habe,  deshalb  befragen  könne.  ^)  —  Wobei  ich  mit  Anwünschung 
einer  glücklichen  Reise  und  vollkommener  Hochachtung  jeder- 
zeit bin 

Ew.  Wohigeb. 
Königsberg,  ergebenster  treuer  Diener 

den   7.  Juli  L  Kant. 

U97- 

40  z. 
An  Christian  Gottfried  Schütz. 

Königsberg,    10.  Juli    1797. 

Unaufgefordert  von  Ihnen,  würdiger  Mann,  doch  veranlaßt 
durch  Ihren  an  unsern  gemeinschaftlichen,  vortrefflichen  Freund, 
den  Herrn  -Hofprediger  SCHULTZ,  abgelassenen  Brief,  ergreife 
ich  diese  Gelegeuheit,  Ihnen  meine  Freude  über  Ihren  besseren 
Gesundheitszustand,  als  ihn  das  Gerücht  seit  geraumer  Zeit  ver- 
breitet hatte,  bezeugen  zu  können.  Ein  so  gemeinnützig  tätiger 
Mann  muß  froh  und  lange  leben! 

Der  Anstoß,  den  Sie  im  gedachten  Briefe  an  meinem  neuer- 
dings aufgestellten  Begriffe  des  „auf  dingliche  Art  persönlichen 
Rechts"^)    nehmen,    befremdet    mich    nicht,   weil  die  Rechtslehre 

^)  Der  Kollegien-Rat  Euler  in  Petersburg  (1734— 1800),  der  Sohn 
des  berühmten  Mathematikers,  seit  1769  ständiger  Sekretär  der  Aka- 
demie der  Wissenschaften.. 

^)  S.  die  Metaphysischen  Anfängsgründe  der  Rechtslehre,  §  zz — 30. 


An  Christian  Gottfried  Schütz  315 

der  reinen  Vernunft,  noch  mehr  wie  andere  Lehren  der  Philo- 
sophie, das:  entia  praeter  necessitatem  non  sunt  multiplicanda  sich 
zur  Maxime  macht.  Eher  möchte  es  Ihr  Verdacht  tun,  daß  ich, 
durch  Wortkünstelei  mich  selbst  täuschend,  vermittelst  erschlichener 
Prinzipien  das,  wovon  noch  die  Frage  war;  ob  es  tunlich  sei, 
für  erlaubt  angenommen  habe.  Allein  man  kann  im  Grunde 
niemandem  es  verdenken,  daß  er,  bei  einer  Neuerung  in  Lehren, 
deren  Gründe  er  nicht  umständlich  erörtert,  sondern  bloß  auf 
sie  hinweiset,  in  seinen  Deutungen  den  Sinn  des  Lehrers  verfehlt, 
und  da  Irrtümer  sieht,  wo  er  allenfalls  nur  über  den  Mangel 
der  Klarheit  Beschwerde  führen  sollte. 

Ich  will  hier  nur  die  Einwürfe  berühren,  die  Ihr  Brief  enthält, 
und  behalte  mir  vor,  dieses  Thema  mit  seinen  Gründen  und 
Folgen  an  einem  andern  Orte  ausführlicher  vorzutragen. 

1.  „Sie  können  sich  nicht  überaeugen,  daß  der  Mann  das 
Weib  zur  Sache  macht,  sofern  er  ihr  ehelich  beiwohnet  et  vice 
versa.  Ihnen  scheint  es  nichts  weiter,  als  ein  mutuum  adiutorium 
zu  sein."  —  —  Fixilich,  wenn  die  Beiwohnung  schon  als  ehe- 
lich, d.  i.  als  gesetzlich,  obzwar  nur  nach  dem  Rechte  der 
Natur,  angenommen  wird:  so  liegt  die  Befugnis  dazu  schon  im 
Begriffe.  Aber  hier  ist  eben  die  Frage:  ob  eine  eheliche  Bei- 
wohnung, und  wodurch  sie  möglich  sei;  also  muß  hier  bloß 
von  der  fleischlichen  Beiwohnung  (Vermischung)  und  der  Be- 
dingung ihres  Befugnisses  geredet  werden.  Denn  das  mutuum 
adiutorium  ist  bloß  die  rechtlich  notwendige  Folge  aus  der  Ehe, 
deren  Möglichkeit  und  Bedingung  allererst  erforscht  werden  soll. 

2.  Sagen  Sie:  „KANT's  Theorie  scheint  bloß  auf  einer  fallacia 
des  Wortes  Genuß  zu  beruhen.  Freilich  im  eigentlichen 
Genuß  eines  Menschen,  wie  das  Menschenfressen,  würde  es  ihn 
zur  Sache  machen;  allein  die  Eheleute  werden  doch  durch  den 
Beischlaf  keine  res  fungibiles."  —  —  Es  würde  sehr  schwach 
von  mir  gewesen  sein,  mich  durch  das  Wort  Genuß  hinhalten 
zu  lassen.  Es  mag  immer  wegfallen  und  dafür  der  Gebrauch 
einer  unmittelbar  (d.  i.  durch  den  Sinn,  der  hier  aber  ein  von 
allem  andern  spezifisch  verschiedener  Sinn  ist),  ich  sage  einer 
unmittelbar  vergnügenden  Sache  gesetzt  werden.  Beim  Ge- 
nüsse einer  solchen  denkt  man  sich  diese  zugleich  als  verbrauch- 
bar (res  fungibilis),  und  so  ist  auch  in  der  Tat  der  wechsel- 
seitige Gebrauch  der  Geschlechtsorgane  beider  Teile  untereinander 
beschaffen.      Durch   Ansteckung,   Erschöpfung   und  Schwängerung 


3 1(5  An  Christian  Gottfried  Schütz 

(die  mit  einer  tödlichen  Niederkunft  verbunden  sein  kann)  kann 
ein  oder  der  andere  Teil  aufgerieben  (verbraucht)  werden,  und 
der  Appetit  eines  Menschenfressers  ist  von  dem  eines  Freidenkers 
(libertin)  in  Ansehung  der  Benutzung  des  Geschlechts  nur  der 
Förmlichkeit  nach  unterschieden. 

Soweit  vom  Verhältnisse  des  Mannes  zum  Weibe.  Das  vom 
Vater  (oder  Mutter)  zum  Kinde  ist  unter  den  möglichen  Ein- 
würfen übergangen  worden. 

3.  „Scheint  es  Ihnen  eine  petitio  principii  zu  sein,  wenn  K. 
das  Recht  des  Herrn  an  den  Diener,  oder  Dienstboten,  als  ein 
persönlich-dingliches  (sollte  heißen:  auf  dingliche  Art  [folglich 
bloß  der  Form  nach]  persönliches)  Recht  beweisen  will;  weil 
man  ja  den  Dienstboten  wieder  einfangen  dürfe  usw.  Allein 
das  sei  ja  eben  die  Frage.  Woher  wolle  man  beweisen,  daß 
man  jure  naturae  dieses  tun  dürfe?" 

Freilich  ist  diese  Befugnis  nur  die  Folge  und  das  Zeichen 
von  dem  rechtlichen  Besitze,  in  welchem  ein  Mensch  den  andern 
als  das  Seine  hat,  ob  dieser  gleich  eine  Person  ist.  Einen  Men- 
schen aber  als  das  Seine  (des  Hauswesens)  zu  haben,  zeigt  ein 
jus  in  re  (contra  quemlibet  hujus  rei  possessorem  gegen  den  In- 
haber desselben)  an.  Das  Recht  des  Gebrauchs  desselben  zum 
häuslichen  Bedarf  ist  analogisch  einem  Rechte  in  der  Sache,  weil 
er  nicht  frei  ist,  als  GUed  sich  von  dieser  häuslichen  Gesellschaft 
zu  trennen,  und  daher  mit  Gewalt  dahin  zurückgeführt  werden 
darf,  welches  einem  verdungenen  Tagelöhner,  der  bei  der  Hälfte 
der  Arbeit  (wenn  er  sonst  nichts  dem  Herrn  entfremdete)  sich 
entfernt,  nicht  geschehen  kann,  nämlich  ihn  einzufangen,  weil  er 
nicht  zu  dem  Seinen  des  Hausherrn  gehörte,  wie  Knecht  und 
Magd,  welche  integrierende  Teile  des  Hauswesens  sind. 

Jedoch  das  Weitere  bei  anderer  Gelegenheit.  Jetzt  setze  ich 
nichts  hinzu,  als:  daß  mir  jede  Nachricht  von  Ihrer  Gesundheit, 
Ihrem  Ruhm  und  Ihrem  Wohlwollen  gegen  mich  jederzeit  sehr 
erfreulich  sein  wird. 


An  Johann  Heinrich  Tieftrunk  317 

403- 
An  Johann  Heinrich  Tieftrunk. 

Daß  die  Verhandlung  mit  Herrn  BECK,  wegen  eines  ihm  in 
Vorschlag  gebrachten  Liber  retractationum,  die  Veranlassung  zu 
einer  schriftlichen  Unterhaltung  mit  Ihnen,  würdiger  Mann!  ge- 
worden ist,  ist  mir  sehr  angenehm;  sowie  auch  der  Gebrauch, 
den  Sie  von  meiner  R.  L.  in  Ihrem  neuesten  Werk  über  das 
privat  und  öfFentl.  R.  gemacht  haben.  —  Es  wäre  mir  lieb,  wenn 
Herr  BECK  Ihre  „Kurze  Darstellung  eines  wesentlichen  Punkts 
in  der  transszendentalen  Ästhetik  und  Logik"  usw.,  wofern  er 
sich  von  der  Richtigkeit  derselben  überzeugen  kann,  sich  zum 
Bewegungsgrunde  dienen  ließe,  seinen  Standpunkt  zu  veränderen 
und  ihn  wieder  zurecht  zu  stellen.  In  dem  Falle  aber,  daß  er 
dazu  nicht  entschlossen  ist,  wäre  es  am  besten,  die  Sache  auf 
sich  beruhen  zu  lassen;  es  müßte  denn  Herr  SCHLETTWEIN 
oder  ein  anderer  dieses  Stillschweigen  für  Eingeständnis  ausgeben 
und  darauf  seine  Befehdungen  gründen  wollen.  —  Wenn  die  Zu- 
rechtweisung fruchtlos  ist,  warum  sollen  andere  von  der  Miß- 
helligkeit öffentlich  benachrichtigt  werden? 

Meine  Liebe  und  Achtung  für  Herrn  BECK,  und  selbst  die 
des  würdigen  Herren  Hofprediger  SCHULTZ,  soll  hiebei  nichts 
verlieren;  wiewohl  der  letztere  eine  gewisse  ihn  befremdende 
Bitterkeit  im  Briefe  des  Herren  BECK,  den  ich  ihm  kommuni- 
zierte, gar  wohl  bemerkte,  von  der  ich  wünschte,  daß  er  diesen 
Ton  bei  Gelegenheit  in  den  Ton  der  Freundschaft  umstimmen 
möchte;  denn  was  sollen  uns  alle  Bearbeitungen  und  Streitig- 
keiten der  Spekulation,    wenn   die  Herzensgüte    darüber  einbüßt? 

Hoffentlich  wird  Herr  BECK,  den  ich  hiemit  freundschaftlich 
zu  grüßen  bitte,  bald  seine  Finalresolution,  öffentlich  oder  in 
einem  Privatbriefe,  erklären.  Hiervon,  oder  jeder  anderer  lite- 
räischer  Neuigkeit  von  Belang,  durch  Ihre  Vermittelung  Nach- 
richt zu  erhalten,  wird  mir  angenehm  sein;  der  ich  mit  Liebe 
und  Hochachtung  jederzeit  bin 

Ihr 

ergebenster  treuer  Diener 
Königsberg,  I.  Kant. 

den    12.  Juli 

^797' 


3 1 8  An  jfohann  Heinrich  Ludwig  Meierotto 

404. 

An  Johann  Heinrich  Ludwig  Meierotto. 

(Entwurf.) 

[ca.  August   1797.] 
WohJgebor.  Herr  Prof:  u.   Oberschulrat 

Das  Andenken  an  die  mit  Ihnen  unseres  Ort  gemachte  Be- 
kanntschaft und  wie  ich  mir  schmeichle  getroffene  sehr  schätz- 
bare Freundschaft  —  woran  mich  unser  gemeinschaftl.  Freund, 
der  jetzt  Witwer  gewordene  Kriegsrat  HEILSBERG,  oft  mit  Ver- 
gnügen erinnert  —  aufzufrischen,  trifft  sich  jetzt  eine  Veranlassung, 
nämlich  Sie  um  die  Genehmigung  des  Vorschlags  der  Stettini- 
schen Regierung  den  Kandidat  LEHMANN  sen:  zum  Lehrer  der 
Mathematik,  Philosophie  und  Latinität  an  die  Stelle  des  bis 
jetzt  wie  es  heißt  hoffnungslos  kranken  Herrn  Professor  MEYE 
im  Fall  seines  Absterbens  inständig  zu  bitten.   — 

Dieser  junge  Mann  kann,  was  die  erste  Qualität  (die  Mathe- 
matik) betrifft,  seine  Kenntnisse  darin  hinreichend  selbst  doku- 
mentieren, was  die  zweite  (die  Philosophie)  anlangt,  kann  ich 
ihm  ein  vor  den  meisten  seiner  Mitzuhörer  vorzügliches  Lob 
geben,  an  der  notwendigen  Latinität  wird  es  ihm,  wie  ich  glaube, 
auch  nicht  mangeln.  Die  Lehrgabe  (donum  docendi)  wohnt  ihm 
auch,  wie  ich  es  bezeugen  kann,  vorzüglich  bei,  so  daß  ich  mit 
Zuversicht  hofften  kann,  Ew.  Wohlgeb.  werden,  wenn  Sie  als 
Oberschulrat  der  Wahl  desselben  zum  Prof:  jener  Wissenschaften 
in  Stettin  Ihre  Beistimmung  geben,  dem  Endzweck  derselben  voll- 
kommen gemäß  verfahren;  als  um  welche  ich  also  hiemit  er- 
gebenst   bitte. 

Ich  wünsche,  daß  so  wie  alle  Ihre  große  Bearbeitungen  zum 
Besten  des  Schulwesens  überhaupt  also  auch  diese  zu  dem  der 
Stettinschen  Schule,  wie  ich  festiglich  hoffe,  gedeihen  möge  und 
habe  die  Ehre,  mit  der  vollkommensten  Hochachtung 


An  Eberhard  Julius   Wilhelm  Ernst  von  Massoio     3 1  p 

405. 

An   [Eberhard  Julius  Wilhelm   Ernst  von   Massow.] 

(Entwurf.) 

[ca.  August    1797.] 
Hochwohlgeb.  Hr.  Regierungspräsident 

Der  Besuch,  womit  mich  Ew:  Exzell.  vor  wenigen  Jahren  be- 
ehrten, ist  mir  unvergessen  geblieben,  sowie  die  Erinnerung  Ihrer 
wohlwollenden  Gesinnung  in  mir  das  Vertrauen  erweckt,  es  werde 
das  Vorwort,  welches  ich  hiemit  für  den  Kandidat  LEHMANN 
sen:   einlege,  nicht  ungeneigt  aufgenommen  werden. 

Er  tut  Ansuchung  um  die  Stelle  des  Professors  der  Mathe- 
matik und  Physik  des  Herrn  MEYE,  wenn  dieser,  wie  seine 
schwere  Krankheit  besorgen  läßt,  etwa  mit  Tode  abginge  und 
verlangt  von  mir  an  Ew.  Hochwohlgeb.  eine  Empfehlung.  In 
Hoffnung,  diese  werde  nicht  als  Anmaßung  abgewiesen  werden, 
getraue  ich  mir,  sie  ihm  mit  voller  Aufrichtigkeit  und  Über- 
zeugung in  Absicht  auf  die  V^ürdigkeit  zu  dieser  Stelle  geben  zu 
können. 

Herr  LEHMANN  hat  allen  meinen  Kollegien  der  Logik, 
Metaphysik,  der  Moral,  des  Naturrechts,  Physik,  der  Anthro- 
pologie und  physischen  Geographie  nicht  allein  mit  unausgesetztem 
Fleiß  und  dem  besten  Fortgange  (wie  mir  die  Examina,  die  ich 
anstellete,  es  bewiesen)  frequentiert,  sondern  ist  auch  immer  einer 
von  den  Wenigen  gewesen,  welche  auch  ihr  Talent  zum  Vor- 
trage dessen,  was  sie  gelernt  hatten,  an  den  Tag  legten  und  sich 
also  zu  künftigen  Lehrern  qualifizierten.  Überdem  sind  seine 
Umgangseigenschatten  so  beschaffen,  daß  ich  ihn  meiner  eigenen 
Erholung  wegen  am  häufigsten  an  meinen  Tisch  gezogen  habe 
und  noch  invitiere,  sooft  es  nur  ohne  Nachteil  seiner  ander- 
weitigen Geschäfte  geschehen  kann;  welches  von  seiner  Verträg- 
lichkeit und  Eintracht  mit  seinen  etwanigen  künftigen  Kollegen 
zum  voraus  schon  einen  vorteilhaften  Begrifi^  gibt. 

In  Ansehung  seiner  anderen  Kollegien  wird  er  die  erforder- 
liche Zeugnisse  vorbringen;  das  meine  gebe  ich  ihm  hierdurch 
mit  Zuversicht. 

Mit  der  größten  Hochschätzung  und  Verehrung  habe  ich  die 
Ehre  jederzeit  zu  sein 


3  20  Von  Johann  Erich  Biester 

4od. 
Von  Johann  Erich  Biester. 

Kndlich,  Verehrtester  Herr  Professor,  bin  ich  imstande,  Ihnen 
den  Beschluß  der  Berl.  Monatsschrift  zuzusenden,  deren  Ende  Sie 
noch  bekrönet  haben.  Dieser  treffhche  und  geistvolle  Aufsatz  ist 
ein  wichtiges  Wort  zu  seiner  Zeit,')  möge  er  doch  recht  viel 
w^irken,  um  die  unberufenen  Wortführer  über  Philosophie  zurück- 
zuweisen, um  die  Würde  und  die  Unumstößlichkeit  der  prakti- 
schen Gebote  einleuchtend  zu  machen,  und  um  Wahrhaftig- 
keit überall,  auch  in  theologischen  und  philosophischen  Streitig- 
keiten einzuführen! 

Die  Berl.  Monatsschrift,  welche  langsam  ihrem  Hinscheiden 
entgegen  schlich,  hat  nunmehr  ganz  aufgehört.  Eben  die  Ver- 
zögerung des  Abdruckes  der  Stücke  hat  den  völligen  Beschluß 
des  Journales  endlich  notwendig  —  und  in  der  Tat,  für  mich 
selbst  wünschenswert  —  gemacht.  Mit  dem  Julius  dies.  J.  habe 
ich  eine  neue  periodische  Schrift  angefangen,  die  wenigstens 
richtig  und  ununterbrochen  erscheinen  wird,  da  sie  in  Berlin 
gedruckt  wird  und  der  Verleger  ein  eifriger,  tätiger  Mann  ist. 
Wenn  nur  die  gütigen  Männer,  welche  die  Monatsschrift  mit 
ihren  Aufsätzen  beehrten,  auch  meine  Blätter  ihrer  Beiträge 
würdigen  wollen!  Ich  bin  so  frei,  Ihnen  die  bis  [jetzt^  er- 
schienenen Bogen  beizulegen. 

den  Verlust,  welchen  unser  Staat  durch  des  vortrefflichen 
WLÖMERS  Tod  erlitten,  hat  Ihre  langjährige  Freundschaft  gewiß 
noch  schmerzhafter  empfunden.  Er  ist  ohne  beträchtliche  Schmerzen 
verschieden,  und  glaubte  eben  daher  sein  Ende  noch  nicht  so 
nahe.  Eigentlich  war  nur  Mattigkeit,  gänzliche  Abspannung  aller 
Kräfte,  seine  Krankheit;  wenn  er  ausgestreckt  lag,  selbst  wenn  er 
im  Wagen  fuhr  (welches  er  in  seiner  Krankheit  zuweilen  tat), 
erklärte  er,  daß  er  sich  völlig  wohl  und  wie  gesund  befinde; 
aber  sobald  er  nur  mit  einem  Fuß  auftreten  oder  gar  ein  paar 
Schritte  machen  sollte,  fühlte  er  seine  gänzliche  Kraftlosigkeit.  — 
Er  war  ein  höchst  edler,  schätzens-  und  dabei  liebenswürdiger 
Mann ! 

*)  Die  Abhandlung  „Von  einem  neuerdings  erhobenen  vornehmen 
Ton  in  der  Philosophie"  (Berliner  Monatsschrift,  Mai   1796). 


An  Johann  Böninger  und  jfohann  Langer  321 

Der    Minister    STRUENSEE    hat    mir    aufgetragen,    Sie    recht 
sehr  von  ihm  zu  grüßen. 

Bleiben  Sie  gütigst  gewogen 

Ihrem 
Berlin,  sehr  verpflichteten 

5.  August   1797.  Biester. 


407. 

An  Johann  Böninger  und  Johann  Langer. 

Meine  hochzuehrende  Herren! 
Den  1 8.  Juli  a.  c.  ist  mir  das  schon  vor  einigen  Monaten 
von  Ihnen  aus  eigener  Bew^egung  versprochene  Probestück  Ihrer 
Kunst,  welches  die  Urania  vorstellt,  in  einem  Kasten  wohlbehalten 
zu  Händen  gekommen.  Ich  danke  für  dieses  Ihr  Geschenk  auf 
das  verbindlichste;  besonders  für  die  Meinung,  womit  Sie  mich 
zu  beehren  scheinen,  vermittelst  meiner  Bekanntmachnng  die  Lieb- 
haber der  Kunst  darauf  aufmerksam  zu  machen.  —  In  der  Tat 
ist  das  Urteil  besserer  Kenner  als  ich  zu  sein  mich  anmaßen  darf, 
sehr  zu  Ihrem  Vorteil  ausgefallen,  vornehmlich  darüber,  daß  jene 
Figur  von  weißer  Farbe  auf  himmelblauem  Grunde,  in  einer 
kleinen  Weite  davon  ein  bas  relief  täuschend  darstellt.  —  Auch 
wird  meine  Übertragung  dieses  Stücks,  in  ein  weit  vornehmeres 
und  frequentierteres  Haus,  zur  Zelebrität  dieser  Kunst  unseres  Orts, 
und  vielleicht  auch  eine  Anzeige,  die  Sie  davon  in  öffentlichen 
Blättern   geben  möchten,  einiges  beitragen. 

Mit  Hochachtung  und  Ergebenheit  bin  ich 
Meiner  hochzuehrenden  Herren 
Königsberg,  ergebener  Diener 

24.  August  I.  Kant. 

^797' 


Kants  Schriften.    Bd.  X. 


^11  Von  Georg  Samuel  Albert  Mellm 

408. 
Von  Georg  Samuel  Albert  Meilin. 

Verehrungswürdiger  Herr  Professor, 
icb  bin  so  frei,  Ihnen  beikommendes  Exemplar  meines  Enzyklo- 
pädischen Wörterbuchs  der  kritischen  Philosophie')  zu 
übersenden,  und  bitte  Sie,  dasselbe  mit  Güte  und  Nachsicht  an- 
zunehmen. Durch  dieses  Werk  denke  ich  die  Anzahl  der  Ver- 
ehrer einer  Philosophie  zu  vergrößern,  die  es  so  sehr  verdient, 
von  denkenden  Köpfen  gekannt,  verstanden  und  geschätzt  zu 
werden,  und  die  das  Glück  meines  Lebens  ist.  Ich  schmeichle 
mir,  mich  des  Geistes  dieser  Philosophie,  durch  anhaltendes, 
zwölfjähriges  Studium  derselben  bemächtigt,  und  Ihre  Schriften, 
innigst  verehrter  Herr  Professor,  wenigstens  größtenteils  verstan- 
den zu  haben.  Die  Ausarbeitung  der  Artikel  des  Wörterbuchs 
gibt  mir  Veranlassung,  alles  aufs  neue  und  sorgfältigst  zu  durch- 
denken und  meine  Überzeugungen  zu  befestigen.  Es  wird  mir 
eine  sehr  schmeichelhafte  und  schätzbare  Aufmunterung  sein,  mit 
zwei  Worten  von  Ihnen  zu  hören,  daß  meine  Bemühungen  Ihnen 
nicht  unangenehm  sind  und  im  ganzen  ihren  Beifall  haben.  Ohne 
Zweifel  haben  Sie  zu  seiner  Zeit  die  Grundlegung  zum  Na- 
turrecht erhalten.^) 

Ich  rechne  es  zu  den  glücklichsten  Ereignissen  meines  Lebens, 
daß  es  mir  zuteil  wird,  Ihnen  wenigstens  schriftlich,  selbst  die 
unvergleichbare  Achtung  zu  versichern,  mit  der  ich,  so  lange  ich 
denken  kann,  sein  werde 

Ihr 

aufrichtiger  treuer  und  dankbarer 
Magdeburg,  den   6.  Septbr.  Verehrer 

17^7.  Meilin. 


^)  Enzyklopädisches  Wörterbuch  der  kritischen  Philosophie  I. 
ZüUichau  und  Leipzig   1797- 

*)  Grundlegung  zur  Metaphysik  der  Rechte  oder  der  positiven  Ge- 
setzgebung, Züllichau   1796. 


M)n  ^akob  Sigismund  Beck  \i% 

409. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den   9.  September    1797. 
Hochachtungswürdiger  Mann, 

In  Ihrem  Briefe  an  Herrn  Prof.  TIEFTRUNK,  den  er  die 
Güte  gehabt,  mir  mitzuteilen,  schreiben  Sie,  daß  es  Ihnen  nicht 
nötig  zu  sein  dünke,  andere  mit  den  Mißhelligkeiten  bekannt  zu 
machen,  welche  zwischen  meiner  Darstellung  der  kritischen  Philo- 
sophie und  dieser  selbst  schweben  möchten.  Es  betrübt  mich, 
daß  Sie  das  Dasein  dieser  Mißhelligkeiten  hierin  zuzugeben 
scheinen.  Ware  es  möglich,  persönlich  über  diesen  Gegenstand 
mich  mit  Ihnen  zu  unterhalten,  so  ist  meine  Gewißheit,  Sie  vom 
Gegenteil  zu  überzeugen,  so  groß,  daß  ich  ohne  Bedenken  alles, 
was  ich  besitze,  dabei  aufs  Spiel  zu  setzen  bereit  sein  würde. 
Was  Herrn  SCHULTZ  betrifft,  so  ist  mein  Herz  von  aller  Bitter- 
keit gegen  ihn  frei,  und  ich  wünsche  mir  Gelegenheit,  ihm  dieses 
durch  die  Tat  zu  beweisen.  Wenn  er  sich  an  meine  Stelle 
setzen  möchte,  so  würde  er  das  Beleidigende,  das  in  seinem  Vor- 
wurf liegt,  der  einmal  nichts  Geringeres  als  Unterschiebung  einer 
unredlichen  Absicht  enthält,  und  wodurch  er  zweitens  mich  mit 
den  neuen  philosophischen  Irrlichtern  in  eine  Klasse  setzt,  wohl 
selbst  bemerken.  Aber  an  sich  selbst  liegt  diesem  Betragen 
Achtung  für  Sie  und  Interesse  für  die  Philosophie  zum  Grunde, 
und  in  diesen  Stücken  kann  niemand  einverstandener  mit  ihm 
sein,  als  ich  es  bin. 

Künftige  Ostern  werde  ich  wahrscheinlich  meinen  Aufenthalt 
nach  Leipzig  verlegen.  Ich  werde  von  meinen  Leipziger  Freunden 
dazu  ermuntert,  weil  mir  als  einem  preußischen  Landeskindc 
Aussichten  auf  die  für  Preußen  bestimmte  Kollegiatur  oflFen  und 
ihrer  Wahrscheinlichkeit  und  Beträchtlichkeit  wegen  nicht  in  den 
Wind  zu  schlagen  sind.  Wenn  ich  dann  kein  mathematisches 
Thema  zu  meiner  Disputation  wählen  sollte,  so  hätte  ich  fast 
Lust,  in  einer  philosophischen  Arbeit  das  Fehlerhafte  meiner  bis- 
herigen Darstellungen  auszubessern.  Geschieht  dieses  aber  auch 
nicht  bei  dieser  Gelegenheit,  so  werde  ich  dazu  eine  andere  be- 
nutzen.    Herrn  Hofprediger  SCHULTZ  bitte  ich  bei  Gelegenheit 


21* 


324  ^^  Christoph   Wilhelm  Hufeland 

meiner    Hochachtung    zu    versichern,    der    ich    mit    der    größten 
Hochachtung  bin 

der  Ihrige 
Beck. 
410. 

Von  Christoph  Wilhelm  Hufeland. 

Jena,  den   30.  Sept.  179 7. 

Ew.  Wohlgeb. 

kann  ich  nicht  beschreiben,  wie  sehr  mich  die  zwei  Briefe, 
womit  Sie  mich  beehrt  haben,  erfreut  haben,  und  ich  würde  dies 
Gefühl  nicht  so  lange  haben  zurückhalten  können,  wenn  ichs 
nicht  getan  hätte,  um  Ihnen  zugleich  etwas  über  den  jungen 
MOTHERBY,  den  Sie  mir  empfahlen,  schreiben  zu  können.  — 
Um  so  mehr  freut  es  mich,  daß  ich  Ihnen  in  betreflf  seiner  das 
Beste  melden  kann.  Ich  habe  nicht  leicht  einen  jungen  Menschen 
gesehen,  der  mit  soviel  Lebhaftigkeit  des  Geistes  solche  Festigkeit, 
Wahrheit  und  Sittlichkeit  des  Charakters  verbindet,  und  der  mir 
in  so  kurzer  Zeit  so  herzlich  lieb  und  wert  geworden  wäre. 
Seine  Aufführung  ist  untadelhaft,  sein  Fleiß  unermüdet,  und  er 
gehört  zu  denen  meiner  Zuhörer,  die  mir  wahre  Aufmunterung 
und  Belehrung  in  meinem  Geschäfte  sind.  Ich  habe  nichts  an 
ihm  auszusetzen,  als  daß  er  zu  selten  zu  mir  kommt,  und  ich 
w^erde,  um  dies  mehr  zu  bewirken,  ihn  in  mein  Konservatorium 
und  Disputatorium  diesen  Winter  ziehen.  Überhaupt  verspreche 
ich  Ihnen,  alles  zu  tun,  soviel  an  mir  liegt,  um  ihn  zu  einem 
brauchbaren  und  nützlichen  Bürger  zu  bilden. 

Ew.  Wohlgeb.  haben  mich  mit  der  angenehmen  HoflFnung 
sehr  erfreut,  daß  Sie  geneigt  wären,  einen  medizinischen  Gegen- 
stand zu  bearbeiten,  und  zwar  den  so  interessanten  von  der  Macht 
des  Gemüts  über  seine  krankhaften  körperlichen  Empfindungen. 
Wäre  es  Ihnen  doch  bald  gefällig  und  wegen  andrer  Geschäfte 
möglich!  Denn  eben  in  diesen  psychologisch -medizinischen 
Gegenständen  hat  es  noch  so  sehr  an  philosophischer  Behand- 
lung gefehlt,  und  wie  viel  würde  sich  nicht  unsre  Kunst  noch 
nebenbei  fruchtbare  Bemerkungen  und  Aufschlüsse  versprechen 
können!  Ich  wiederhole  also  nochmals  im  Namen  des  ganzen 
medizinischen  Publikums,  das  Sie  sich  dadurch  verpflichten  würden, 
die  Bitte,    dieser    schönen  Idee    bald    einige   Stunden  zu  widmen. 


Von  ^akob  Slgismund  Beck.  —  An  "Joh.  Gottfr,  Kiesewetter    525 

und  füge  noch  den  Wunsch  bei,  daß  Sie  dann  die  Güte  haben 
und  den  Aufsatz  mir  für  das  Journal  der  praktischen  Heilt^unde 
überlassen  möchten,  wo  er  am  schnellsten  im  medizinischen  Publi- 
kum bekannt  werden,  und  zugleich  diesem  Journal  zur  großen 
Zierde  gereichen  würde. 

Übrigens  wünsche  ich  von  Herzen,  daß   Gott,  so  wie   er  Ihre 
Kräfte  und  Verdienste  verdoppelt  hat,  auch  Ihre  Tage  verdoppeln, 
und  Ihnen  ferner  ein  dauerhaftes  Wohlsein  schenken  möge.     Lassen 
Sie  mich  ferner  Ihrem  Andenken  empfohlen  sein. 
Mit  größter  Verehrung  bin  ich 

der  Ihrige 
D.  Hufeland. 
41  r. 

Von  Jakob  Sigismund  Beck. 

Halle,  den  6.  Oktober  1797. 
Herr  RAUPACH,  der  vor  zwei  Jahren  meine  Vorlesungen 
besuchte  und  den  ich  als  einen  braven  und  geschickten  jungen 
Mann  kenne,  schreibt  mir  von  Liegnitz  aus,  wo  er  sich  jetzt  als 
Hofmeister  aufhält,  daß  er  in  kurzem  nach  Livland,  als  Erzieher 
in  das  Haus  des  Herrn  VON  RENNEKAMP  gehen  werde  und 
bittet  mich,  ihm  einen  Brief  an  Sie,  verehrungswürdiger  Mann, 
mitzugeben,  als  einen  Titel,  meint  er,  Sie  besuchen  und  seine 
Hochachtung  Ihnen  bezeigen  zu  dürfen.  Wenn  er  Zeit  und  Ge- 
legenheit haben  sollte,  Ihnen  bekannter  zu  werden,  so  hoffe  ich, 
daß  er  schon  selbst  sich  vorteilhaft  empfehlen,  und  meiner  Emp- 
fehlung nicht  weiter  bedürfen  werde.  Ich  möchte  ihn  des  Glücks, 
das  er  jetzt  erfährt,  sich  persönlich  mit  Ihnen  zu  unterhalten, 
beneiden.  Ihr  freundschaftliches  Wohlwollen  ist  mir  über  alles 
wert;  erhalten  Sie  es  mir  Ihrem  ewig  ergebenen 

Beck. 

412. 

An  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Um  einmal  wieder  Nachricht  von  Ihrem  Wohlbefinden,  wer- 
tester Freund,  zu  erhalten,  weiß  ich  keine  bessere  Veranlassung 
als   die,  welche   mir   die  Jahreszeit  gibt:  mir  doch  wiederum  ein 


3  2  <$  An  'Jakob  Lindhlom 

ScheflFel  Teltower  Rüben  gütigst  zu  besorgen.  —  Ich  verbitte  es 
sehr,  dies  auf  Ihre  Kosten  zu  tun;  es  ist  Freundschaft  genug, 
wenn  Sie  nur  sie  eben  so  schön  wie  voriges  Jahr,  im  Fäßchen 
eingepackt  und  wider  den  Frost,  der  etwa  einfallen  möchte,  ge- 
sichert, die  Absendung  an  mich  zu  besorgen  die  Güte  haben 
wollen. 

Von  literarischen  Neuigkeiten  Ihrer  Gegend  erwarte  bei  dieser 
Gelegenheit  auch  einige  Nachricht.  Was  mich  betrifft,  so  ist 
Ihnen  ohne  Zweifel  schon  bekannt,  daß  ich,  durch  Alter  und 
Kränklichkeit  schon  seit  anderthalb  Jahren,  meine  akademische 
Arbeiten  einzustellen  genötigt  worden  und  von  meiner  Existenz 
nur  dann  und  wann  durch  die  Berl.  Blätter  Nachricht  gebe. 

Sie  Ihrerseits  sind  noch  in  Geschäften,  zu  deren  Betreibung 
und  jeder  anderen  dem  gemeinen  Wesen  nützlichen  Bearbeitung 
ich  von  Herzen  Gesundheit  und  frohen  Mut  anwünsche  und  mit 
wahrer  Freundschaft  und  Hochachtung  jederzeit  bin 

Königsberg,  der  Ihrige 

d.   13.  Okt.  I.  Kant. 

1797. 

413. 

An  Jakob  Lindblom. 

Hochwürdiger  Herr  Bischof 
Hochzuverehrender  Herr! 

Die  Bemühung,  die  sich  Ew:  Hochwürd.  gegeben  haben, 
meinen  Abstamm  zu  erkunden  und  mir  das  Resultat  Ihrer  Nach- 
forschung gütigst  mitzuteilen,  verdient  allen  Dank;  wenn  gleich 
daraus  weder  für  mich  noch  für  andere,  nach  Lage  der  Sache, 
irgendein  barer  Nutzen  zu  ziehen  sein  möchte. 

Daß  mein  Großvater,  der  in  der  preußisch-litauischen  Stadt 
Tilsit  lebte,  aus  Schottland  abgestammt  sei:  daß  er  einer  von  den 
Vielen  war,  die  am  Ende  des  vorigen  und  im  Anfange  dieses 
Jahrhunderts  aus  Schottland,  ich  weiß  nicht,  aus  welcher  Ur- 
sache, in  großen  Haufen  emigrierten  und  davon  ein  guter  Teil 
sich  unterwegens  auch  in  Schweden,  der  Rest  aber  in  Preußen, 
vornehmlich  über  Memel  verbreitet  hat  (beweisen  die  dort  noch 
bestehende  Familien  der  SIMPSON,  MACLEAN,  DOUGLAS, 
HAMILTON  und  anderer  mehr,   unter   denen  auch  mein  Groß- 


An  jfakob  Lindblom  317 

vater  gewesen  und  in  Tilsit  gestorben  ist)  *),  war  mir  längst  gar 
wohl  bekannt.  Von  lebenden  Verwandten  väterlicherseits  und 
außer  den  Deszendenten  meiner  Geschwister  ist  also  (da  ich  selbst 
ledig  bin)  mein  Stammbaum  völlig  geschlossen.  —  Soviel  von 
meiner  Abstammung,  die  nach  dem  von  Ihnen  entworfene[n] 
genealogische  Schema,  von  guten  Bauern  in  Ostgotland  (welches 
ich  mir  zur  Ehre  anrechne)  bis  auf  meinen  Vater  (sollte  allenfalls 
eher  Großvater  lauten)  erkundet  sein  soll;  wobei  ich  das  Interesse 
der  Menschenliebe,  welches  Ew:  Hochwürd.  an  diesen  Leuten 
nehmen,  mich  nämlich  zur  Unterstützung  dieser  angeblichen  Ver- 
wandten zu  bewegen,  nicht  verkenne. 

Denn  es  ist  zu  gleicher  Zeit  ein  Brief  aus  Larum,  den  i  o.  Juli 
1797  datiert,  mir  zu  Händen  gekommen,  der  eine  ähnliche  Ent- 
wicklung meiner  Abstammung,  zugleich  aber  auch  das  Ansinnen 
enthält,  ihm,  dem  Briefsteller,  der  sich  meinen  Cousin  nennt,  „auf 
einige  Jahre  mit  8  a  10  tausend  Taler  Kupfermünze  gegen 
Interessen  zu  dienen,  durch  welche  er  glücklich  werden  könne." 
Dieses  imd  jedes  andere  ähnliche  Ansinnen  werden  aber  Ew: 
Hochwürd.  selbst  als  ganz  unstatthaft  erkennen,  wenn  ich  Ihnen 
sage,  daß  ich  eine  Schwester  am  Leben,  6  Geschwisterkinder  von 
meiner  verstorbenen  Schwester,  deren  einige  selbst  wieder  Kinder 
haben,  aber  nur  einen  Bruder,  den  Pastor  KANT  in  Altrahden  in 
Kurland,  der  aber  auch  4  Kinder,  unter  diesen  i  Sohn,  der  er- 
wachsen ist,  hat,  deren  eines  neuerlich  schon  verheuratet  ist,  am 
Leben  habe,  meine  Verlassenschaft  also  durch  diese  nächste  na- 
türliche Kompetenten  bei  meinem  Ableben  so  verdünnet  werden 
dürft'i,  daß  für  eine  entfernete  Vetterschaft,  deren  Naheit  selbst 
noch  problematisch  ist,  wohl  nichts  übrig  bleiben  kann. 
Mit  der  größten  Hochachtung  bin  ich  indes  jederzeit 

Ew.  Hochwürden 
Königsberg,  I.  Kant, 

d.    13.  Oktober 
^797- 


")  Mein  Vater  ist  in  Königsberg  und  in  meinem  Beisein  gestorben. 


328  An  Johann  Heinrich  Tieftrunk 

414. 
An  Johann  Heinrich  Tieftrunk. 

Hochgeschätzter  Freund ! 

Ihre  Verhandlungen  mit  Herrn  BECK,  (den  ich  hiermit  meiner 
Hochachtung  zu  versichern  bitte),  deren  AusschJag  hoffentlich 
beiderseitige  Einhelligkeit  in  der  Absicht  sein  wird,  habe  mit 
Vergnügen  vernommen.  Ebenso  auch  Ihren  Vorsatz  eines  erläutern- 
den Auszugs  aus  meinen  kritischen  Schriften;  imgleichen 
daß  Sie  mir  die  Mitwirkung  dazu  erlassen  wollen,  nehme  ich 
dankbar  an.  —  Bei  dieser  Gelegenheit  bitte  ich  zugleich  meiner 
hyperkritischen  Freunde  FICHTE  und  REINHOLD  mit  der  Be- 
hutsamkeit zu  gedenken,  deren  ihre  Verdienste  um  die  Wissen- 
schaft vollkommen  wert  sind. 

Daß  meine  Rechtslehre  bei  dem  Verstoß  gegen  manche  schon 
für  ausgemacht  gehaltene  Prinzipien  viele  Gegner  finden  würde, 
war  mir  nicht  unerwartet.  Um  desto  angenehmer  ist  es  mir, 
zu  vernehmen,  daß  sie  Ihren  Beifall  erhalten  hat.  Die  Göttingi- 
sche  Rezension  im  z8.  Stück  der  Anzeigen,  die,  im  Ganzen  ge- 
nommen, meinem  System  nicht  ungünstig  ist,  wird  mir  Anlaß 
geben,  in  einer  Zugabe  manche  Mißverständnisse  ins  klare  zu 
setzen,  hin  und  wieder  auch  das  System  zur  Vollständigkeit  zu 
ergänzen. 

Meinen  Freund,  Herrn  Professor  POERSCHKE,  bitte  ich, 
wenn  sich  dazu  Veranlassung  finden  möchte,  wegen  seiner  im 
Ausdruck  etwas  zu  heftigen  Manier,  die  doch  mit  sanften  Sitten 
verbunden  ist,  mit  Wohlwollen  zu  behandeln.  —  Mit  seinem 
Grundgesetz:  Mensch  sei  Mensch  hat  er  wohl  nichts  anderes 
sagen  wollen,  als:  Mensch  als  Tierwesen  bilde  dich  zum  morali- 
schen Wesen  aus  usw.  —  Indessen  weiß  er  von  diesem  Ihrem 
Urteil,  imgleichen  meiner  Apologie  nichts. 

Zu  Ihrem  Vorschlag  einer  Sammlung  und  Herausgabe  meiner 
kleinen  Schriften  willige  ich  ein;  doch  wollte  ich  wohl,  daß  nicht 
ältere  als  von  1770  darin  aufgenommen  würden,  so  daß  sie  mit 
meiner  Dissertation:  „De  mundi  sensibilis  et  intelligibilis  forma" 
usw.  anfange.  —  In  Ansehung  ^ts  Verlegers  mache  ich  keine 
Bedingungen  und  verlange  keinen  Vorteil,   der  mir  etwa  zufallen 


An  fohann  Heinrich  Tieftrunk  329 

sollte.     Die    einzige    ist,    daß    Sie    mir   den    Aufsatz    aller  Piecen 
vorher  mitteilen  möchten. 

Inliegende  Briefe  empfehle  ich  Ihrer  gütigen  Bestellung,  die 
Auslagen  für  diejenigen,  die  für  einen  Teil  des  Weges  müssen 
frankiert  werden,  um  bis  dahin  zu  gelangen,  wo  die  preußischen 
Posten  nicht  hinreichen,  bitte  zu  machen  und  mir  den  Belauf 
derselben  zu  Wiedererstattung  zu  melden. 

Es  könnte  wohl  sein,  daß  mich  der  Tod  während  dieser 
Anstalten  überraschte.  In  diesem  Falle  würde  unser  Herr  Pro- 
fessor GENSICHEN  zwei  Abhandlungen  in  meiner  Kommode 
antreffen,  deren  eine  ganz,  die  andere  beinahe  ganz  fertig  liegt 
(und  zwar  seit  mehr  als  zwei  Jahren,')  über  deren  Gebrauch  er 
alsdann  Ihnea  Nachricht  geben  würde,  —  doch  bleibt  dieses  unter 
uns;  denn   vielleicht  gebe  ich  sie  noch  bei  meinem  Leben  heraus. 

Meine  Langsamkeit  in  Beantwortung  der  mir  zugekommenen 
Briefe  werden  Sie  mir  nicht  zur  Schuld  anrechnen;  mein  Gesund- 
heitszustand macht  sie  mir,  bei  der  unter  Händen  habenden 
A^rbeit,  zur  Notwendigkeit;  vielmehr  seien  Sie  von  der  wahren 
Hochachtung  versichert,  mit  der  ich  jederzeit  bin 

Ihr 

Königsberg,  ergebenster  treuer  Diener 

d.  13.  Oktober  L  Kant. 

1797- 

415.  ■ 

An  Johann  Heinrich  Tieftrunk. 

Königsberg,  den  17.  Oktober  1797. 
Meinen  Brief  vom  i  3 .  werden  Sie,  wertester  Freund,  erhalten 
haben.  Wenn  dabei  eine  Irrung  vorgegangen  ist;  daß  ich  näm- 
lich gewisse  andere  Briefe  in  dem  Kuvert  an  Sie  zum  weitern 
Abschicken  beigeschlossen  zu  haben  glaube,  v/elches  doch  vielleicht 
nicht  geschehen  ist,  sondern  unter  den  Kuvert  an  BIESTERN  ge- 
schehen sein  mag.  welches  ich,  bei  der  Eile  der  Abfertigung  auf 
die  Post,  nun  mich  nicht  erinnern  kann,  —  so  werden  Sie  sich 
dies  nicht  irren  lassen. 

')  Die  beiden  Abhandlungen,  die  später  als  erster  und  zweiter 
'Abschnitt  des  „Streites  der  Fakultäten"  erschienen. 


3  30  An  den  Rektor 

Übrigens  wird  es  mir  sehr  angenehm  sein,  bald  wieder,  teils 
mit  einem  auf  ihren  vorigen  Brief  bezogenen,  teils  auch  anderen 
literarische  Nachrichten  enthaltenden  Schreiben,  unterhalten  und 
erfreut  zu  werden,  wobei  ich  jederzeit  mit  Hochachtung  und 
Freundschaft  bin 

Ihr 

ergebenster 
I.  Kant. 
416. 

An  den  Rektor. 

Academiae  Rector  Magnifice! 

Auf  die  von  Ew:  Magnifizenz  mir  d.  d.  d.  zz.  November 
1791  [statt  i7P7\  bekannt  gemachte  Vorstellung  lllustris  Canceliarii 
et  Direct.  unserer  Akademie:  bei  E.  Königl.  Etatsministerio  um 
Adiunctos  bei  zweien  Senatsstellen,  —  von  welchen  auf  die  des 
Herren  Konsistorialrat  RECCARD  einerseits  und  auf  die  meinige 
andererseits  unverkennbar  hingewiesen  wird,  —  anzuhalten,  er- 
mangle ich  nicht,  folgende  Gegenvorstellung  einzureichen;  mit 
der  Bemerkung,  daß  dieser  Vorschlag  einen  dreifachen  Fehler 
enthalte,  nämlich  unrichtig  in  seiner  Angabe,  widersprechend  in 
seinem  Plane  und  beleidigend  in  seiner  Zumutung  zu  sein. 

Erstlich  ist  es  ganz  unrichtig:  daß  jemand,  der,  ausdrücklich 
oder  stillschweigend,  erklärt,  er  könne.  Alters  oder  sonst  körper- 
lichen Unvermögens  halber,  den  Sessionen  des  Senats,  als  Glied 
desselben  nicht  ferner  beiwohnen,  dafür  gehalten  werden  müsse, 
er  habe  seine  Stelle  als  stimmendes  Senatsglied  aufgekündigt. 
Denn  in  der  letzteren  Funktion  kann  er  sich  immer  tätig  beweisen 
und  jeder  von  den  beiden  hat  es  auch  bisher  getan,  wenn  die 
Vota  durch  Kapsulation  gesammelt  werden;  von  welcher  Ver- 
fahrungsart  wohl  zu  wünschen  wäre,  daß  sie,  vornehmlich  in 
wichtigen  Fällen,  mehr  gebraucht  würde:  weil  sie  zu  reifer  Über- 
legung mehr  Zeit  gibt.  Die  auffallendeste  Unrichtigkeit  aber  in 
der  Vorstellungsart  ist  die:  daß  gedachte  zwei  Glieder  durch  ihre 
mehr  als  ein  Jahr  hindurch  beständig  fortgewährte  Abwesenheit 
nicht  von  der  Akademie,  sondern  von  dem  Sessionszimmer  der- 
selben sich  für  cmeritos  haben  erklären  wollen:  welcher  Ausdruck 
da,  wo  er  gebräuchlich  ist,  — ■  nämlich  auf  Reichsuniversitäten 
—  denjenigen  bedeutet,  der,  nachdem  er  gänzlich  von    der   Akar 


An  den  Rektor  331 

demie  Abschied  genommen,  jubiliert,  d.  i.  in  den  Ruhestand  ge- 
bracht und  auf  Pension  gesetzt  ist;  ein  Gebrauch,  der  bei  uns 
unerhört  ist  und  auch  wohl  immer  bleiben  wird. 

Zweitens  ist  der  vorgelegte  Plan  zur  Ausfüllung  jener  zwei 
ledig  gewordenen  Stellen,  oder,  wie  es  hier  heißt,  zu  Bewirkung 
der  Integrität  des  Senats  durch  Adjunkten,  welche  —  statt  der 
jetzt  von  der  Session  fortwährend  Abwesenden  für  sich  selbst 
stimmend  sein  sollen,  ohne  doch  Glieder  des  Senats  zu  sein  — 
mit  sich  selbst  im  Widerspruch:  nämlich  der  beabsichtigten  Inte- 
grität gerade  zuwider.  Denn  diese  würden  als  Nichtglieder  des 
Senats  doch  nur  in  ihrem  eigenen  Namen,  also  nach  Privat- 
absichten votieren  können;  —  welches  man  von  einem  Gliede 
desselben  nicht  präsumieren  darf  —  mithin  den  vorgeblichen 
Defekt  des  Senats  nicht  ergänzen:  weil  sie  keinen  integrierenden 
Teil  desselben  ausmachen. 

Drittens  ist  die  Zumutung  für  beleidigend,  nämlich  das  wohl- 
begründete Recht  der  Senatoren  schmälernd,  anzusehen.  —  Illustri 
Cancellario  wird  es  aoch  erinnerlich  sein:  wie  in  dem  Streit 
über  die  Stellvertretung  des  D.  BOHLIUSschen  Rektorats,  bei 
dessen  Unvermögen  es  selbst  zu  führen,  unter  dem  v.  ZEDLITZ'- 
schen  Obercuratorio  durch  ein  königl.  rescript  entschieden  und 
zum  Gesetz  gemacht  worden,  oder  dieses,  was  es  schon  immer 
war,  nur  in  Erinnerung  gebracht  wurde,  zu  welchem  Sie  selbst 
damals  mitwirkten,  eben  dadurch  aber  auch  das  Recht  der  Sena- 
toren, auch  in  ihrer  persönlichen  Abwesenheit  aus  Unvermögen, 
zur  Amtsführung  derselben,  mitzuwirken  stillschweigend  aner- 
kannten; welches  Sie  ihnen  jetzt  strittig  machen. 

Aus  den  angeführten  Gründen  protestiere  ich  nun  wider  den 
gedachten  Entwurf  und  bin  übrigens  mit  vollkommener  und 
schuldiger  Hochachtung 

Ew.  Magnifizenz 
ganz  gehorsamster  Diener 
Königsberg,  I.  Kant, 

den    3.  Dezember 

^797- 


33 z  An  Johann  Gottlieb  Fichte 

417. 

An  Johann  Gottlieb  Fichte. 

[Dezember   1797?] 
Hochgeschätzter  Freund ! 

AVenn  Sie  meine  dreiviertel  Jahr  verzögerte  Antwort  auf  Ihr 
an  mich  abgelassenes  Schreiben  für  Mangel  an  Freundschaft  und 
Unhöflichkeit  halten  sollten,  so  würde  ich  es  Ihnen  kaum  ver- 
denken können.  Kennten  Sie  aber  meinen  Gesundheitszustand 
und  die  Schwächen  meines  Alters,  die  mich  genötigt  haben,  schon 
seit  einem  und  einem  halben  Jahre  alle  meine  Vorlesungen,  gewiß 
nicht  aus  Gemächlichkeit,  aufzugeben,  so  würden  Sie  dieses  mein 
Betragen  verzeihlich  finden,  ungeachtet  ich  noch  dann  und  wann 
durch  den  Kanal  der  „Berliner  Monatsschrift"  und  auch  neuerlich 
durch  den  der  „Berliner  Blätter"  von  meiner  Existenz  Nachricht 
gebe,*)  welches  ich  als  Erhaltungsmittel  durch  Agitation  meiner 
geringen  Lebenskraft,  obzwar  langsam  und  nur  mit  Mühe,  tue, 
wobei  ich  mich  jedoch  fast  ganz  ins  praktische  Fach  zu  werfen 
mir  geraten  finde  und  die  Subtilität  der  theoretischen  Spekulation, 
vornehmlich  wenn  sie  ihre  neuern,  äußerst  zugespitzten  Apices 
betrifft,  gern  andern  überlasse. 

Daß  ich  zu  dem,  was  ich  neuerlich  ausgefertigt  habe,  kein 
anderes  Journal  als  das  der  „Berliner  Blätter"  wählte,  werden  Sie 
und  meine  übrigen  philosophierenden  Freunde  mir  als  Invaliden 
zugute  halten.  Die  Ursache  ist:  weil  ich  auf  diesem  Wege  am 
geschwindesten  meine  Arbeit  ausgefertigt  und  beurteilt  sehe,  indem 
sie,  gleich  einer  politischen  Zeitung,  fast  posttäglich  die  Erwartung 
befriedigt,  ich  aber  nicht  weiß,  wie  lange  es  noch  dauern  möchte, 
daß  ich  überhaupt  arbeiten  kann. 

Ihre  mir  1795  und  179Ö  zugesandten  Werke  sind  mir  durch 
Herrn  HÄRTUNG  wohl  zu  Händen  gekommen. 

Es  gereicht  mir  zum  besondern  Vergnügen,  daß  meine  Rechts- 
lehre Ihren  Beifall  erhalten  hat. 

Lassen  Sie  sich,  wenn  sonst  Ihr  Unwille  über  meine  Zögerung 
im  Antworten  nicht  zu  groß  ist,  ferner  nicht  abhalten,  mich  mit 
Ihren    Briefen    zu    beehren    und    mir    literarische   Nachrichten   ru 

')  S.  den  Aufsatz  „Über  ein  vermeintes  Recht  aus  Menschenliebe 
zii  lügen"  (Berliner  Blätter   1797). 


An  Johann  Heinrich   Tieftrunk  333 

erteilen.  Ich  werde  mich  ermannen,  künftig  hierin  fleißiger  zu 
sein,  vornehmlich  da  ich  Ihr  treffliches  Talent  einer  lebendigen 
und  mit  Popularität  verbundenen  Darstellung  in  Ihren  neuern 
Stücken  sich  entwickeln  sah,  damit  Sie  die  dornigen  Pfade  der 
Scholastik  nun  durchwandert  haben  und  nicht  nötig  finden  werden, 
dahin  wieder  zurückzusehen. 

Mit    vollkommener    Hochachtung    und    Freundschaft    bin    ich 
jederzeit  usw.  I.  Kant. 


418. 
An  Johann  Heinrich  Tieftrunk. 

Hochgeschätzter  Freund ! 

Zerstreut  durch  eine  Mannigfaltigkeit  von  Arbeiten,  die  sich 
einander  wechselseitig  unterbrechen,  ohne  doch  meinen  letzten 
Zweck  der  Vollendung  derselben  vor  dem  Torschlüsse  aus  den 
Augen  zu  verlieren,  ist  mir  jetzt  nichts  angelegener,  als  die  Stelle 
in  Ihrem  mir  sehr  angenehmen  Briefe  vom  5.  Novbr.  „wie  der 
Satz  der  Kritik  der  reinen  Vernunft,  S.  177,  zu  verstehen  sei, 
der  die  Anwendung  der  Kategorien  auf  Erfahrungen  oder  Er- 
scheinungen unter  sich  vermittelt"  von  der  ihr  anhängenden 
Schwierigkeit  befreit  werden  könne,')  —  Ich  glaube  dieses  jetzt 
auf  eine  Art  tun  zu  können,  die  befriedigend  ist  und  zugleich 
ein  neues  Licht  über  diese  Stelle  im  System  der  Kritik  verbreitet; 
doch  so,  daß  Gegenwärtiges  bloß  als  roher  Entwurf  angesehen 
werden  muß,  und  seine  Eleganz  nur,  nachdem  vnx  uns  in  einem 
zweiten  Briefe  einverständigt  haben  werden,  erwartet. 

Der    Begriff  des    Zusammengesetzten    überhaupt   ist   keine 


^)  Tieftrunk  hatte  Kant  die  Frage  vorgelegt,  wiefern  es  möglich 
sei,  die  VerstandesbegrifFe  auf  die  sinnlichen  Erscheinungen  anzuwenden. 
Nach  der  Lehre  vom  Schematismus  nämlich  werde  hierzu  Gleichartig- 
keit zwischen  beiden  vorausgesetzt;  —  auf  der  anderen  Seite  aber 
müsse  im  kritischen  System  für  die  VerstandesbegrifFe  eine  völlig  andere 
Quelle  als  für  die  sinnlichen  Vorstellungen  angenommen  werden,  was 
der  Voraussetzung  der  Homogeneität  zu  widersprechen  scheint.  Die 
folgenden  Darlegungen  Kants  dienen  der  Beantwortung  dieses  Ein- 
wands. 


334  ^«  3^ohann  Heinrich  Tieftrunk 

besondere  Kategorie,  sondern  in  allen  Kategorien  (als  syntheti- 
sche Einheit  der  Apperzeption)  enthalten.  Das  Zusammengesetzte 
nämlich  kann,  als  ein  solches,  nicht  angeschauet  werden;  sondern 
der  Begriff  oder  das  Bewußtsein  des  Zusammensetzens  (einer 
Funktion,  die  allen  Kategorien  als  synthetische  Einheit  der  Apper- 
zeption zum  Grunde  liegt)  muß  vorhergehen,  um  das  mannig- 
faltige der  Anschauung  Gegebene  sich  in  einem  Bewußtsein  ver- 
bunden, d.  i.  das  Objekt  sich  als  etwas  Zusammengesetztes  zu 
denken,  welches  durch  den  Schematism  der  Urteilskraft  geschieht, 
indem  das  Zusammensetzen  mit  Bewußtsein  zum  inneren  Sinn, 
der  Zeitvorstellung  gemäß  einerseits,  zugleich  aber  auch  auf  das 
mannigfaltige  in  der  Anschauung  Gegebene  andererseits  bezogen 
•wird.  —  Alle  Kategorien  gehen  auf  etwas  a  priori  Zusammen- 
gesetztes und  enthalten,  wenn  dieses  gleichartig  ist,  mathematische 
Funktionen,  ist  es  aber  ungleichartig,  dynamische  Funktionen, 
zum  Beispiel  was  die  ersten  betrifft:  die  Kategorie  der  extensiven 
Größe  betrifft:  Eines  in  Vielen;  was  die  Qualität  oder  intensive 
Größe  betrifft.  Vieles  in  Einem.  Jenes  die  Menge  des  Gleich- 
artigen (zum  Beispiel  der  QuadratzoUe  in  einer  Fläche);  dieses 
der  Grad  (zum  Beispiel  der  Erleuchtung  eines  Zimmers).  Was 
aber  die  dynamische  angeht,  die  Zusammensetzung  des  Mannig- 
faltigen, sofern  es  entweder  einander  im  Dasein  untergeordnet 
ist  (die  Kategorie  der  Kausalität)  oder  eines  dem  andern  zur  Ein- 
heit der  Erfahrung  beigeordnet  ist  (der  Modalität  als  notwendige 
Bestimmung  des  Daseins  der  Erscheinungen  in  der  Zeit). 

Herr  M.  BECK,  den  ich  hierdurch  freundlich  von  mir  zu 
grüßen  bitte,  könnte  also  wohl  auch  hierauf  seinen  Standpunkt 
von  den  Kategorien  aus  zu  den  Erscheinungen  (als  Anschauungen 
a  priori)  nehmen.  —  Die  Synthesis  der  Zusammensetzung  des 
Mannigfaltigen  bedarf  einer  Anschauung  a  priori,  damit  die  reinen 
Verstandesbegriffe  ein  Objekt  hätten,  und  das  sind  Raum  und 
Zeit.  —  Aber  bei  dieser  Veränderung  des  Standpunkts  ist  der  Begriff 
des  Zusammengesetzten,  der  allen  Kategorien  zum  Grunde  liegt,  für  sich 
allein  sinnleer,  d.  i.  man  sieht  nicht  ein,  daß  ihm  irgendein  Objekt 
korrespondiere:  zum  Beispiel  ob  so  etwas,  das  extensive  Größe  oder 
intensive  (Realität)  ist,  oder,  im  dynamischen  Fach  der  Begriffe, 
etwas,  was  dem  Begriffe  der  Kausalität  (einem  Verhältnis  durch 
seine  Existenz  der  Grund  der  Existenz  eines  andern  zu  sein)  oder 
auch  der  Modalität  ein  Objekt  möglicher  Erfahrung  zu  sein 
gegeben  werden    könne:    weil    es    doch   nur  bloße  Formen  der 


An  Johann  Heinrich   Tieftrunk  335 

Zusammensetzung  (der  synthetischen  Einheit  des  Mannigfaltigen 
überhaupt)  sind,  und  zum  Denken,  nicht  zum  Anschauen  gehören. 
—  Nun  gibt  es  in  der  Tat  synthetische  Sätze  a  priori,  denen 
Anschauung  a  priori  (Raum  und  Zeit)  zum  Grunde  liegt;  mithin 
denen  ein  Objekt  in  einer  nicht-empirischen  Vorstellung  korre- 
spondiert (den  Denkformen  können  Anschauungsformen  unterlegt 
werden,  die  jenen  einen  Sinn  und  Bedeutung  geben.)  —  Wie 
sind  diese  Sätze  nun  möglich?  —  Nicht  so:  daß  diese  Formen 
des  Zusammengesetzten  in  der  Anschauung  das  Objekt,  wie  es 
an  sich  selbst  ist,  darstellen:  denn  ich  kann  mit  meinem  Begriffe 
von  einem  Gegenstand  nicht  a  priori  über  den  Begriff  von  diesem 
Gegenstande  hinauslangen.  Also  nur  so:  daß  die  Anschauungs- 
formen nicht  unmittelbar  als  objektiv,  sondern  bloß  als  subjek- 
tive Formen  der  Anschauung,  wie  nämlich  das  Subjekt,  nach 
seiner  besondern  Beschaffenheit,  vom  Gegenstande  affiziert  wird, 
d.  i.  wie  er  uns  erscheint,  nicht  nach  dem,  was  er  an  sich  ist 
(also  indirekt)  vorgestellt  wird.  Denn  wenn  die  Vorstellung  auf 
die  Bedingung  der  Vorsteilungsart  des  Vorsteliungsvermögens  des 
Subjekts  bei  den  Anschauungen  restringiert  wird,  so  ist  leicht  zu 
begreifen,  wie  es  möglich  ist,  a  priori  synthetisch  (über  den  ge- 
gebenen Begriff  hinausgehend)  zu  urteilen  und  zugleich  daß  der- 
gleichen a  priori  erweiternde  Urteile  ''  auf  andere  Art  schlechter- 
dings unmöglich  sind. 

Hierauf  gründet  sich  nun  der  große  Satz:  Gegenstände  der 
Sinne  (des  äußern  sowohl  als  des  innern)  können  wir  nie  anders 
erkennen  als  bloß  wie  sie  uns  erscheinen,  nicht  nach  dem,  was 
sie  an  sich  selbst  sind:  imgleichen :  übersinnliche  Gegenstände 
sind  für  uns  keine  Gegenstände  unseres  theoretischen  Erkenntnisses. 
Da  aber  doch  die  Idee  derselben  wenigstens  als  problematisch 
(quaestionis  instar)  nicht  umgangen  werden  kann,  weil  dem  sinn- 
lichen sonst  ein  Gegenstück  des  Nichtsinnlichen  fehlen  würde, 
welches  einen  logischen  Mangel  der  Einteilung  beweiset;  so  wird 
das  letztere  zum  reinen  (von  allen  empiri^hen  Bedingungen  ab- 
gelöseten)  praktischen  Erkenntnis,  für  das  Theoretische  aber  als 
transszendent  betrachtet  werden  müssen,  mithin  die  Stelle  für 
dasselbe  auch  nicht  ganz  leer  sein. 

Was  nun  die  schwierige  Stelle  der  Kritik  S.  177  usw.  betriflft: 
so  wird  sie  auf  folgende  Art  aufgelöst.  —  Die  logische  Subsum- 
tion eines  Begriffs  unter  einem  höheren  geschieht  nach  der  Regel 
der  Identität:  und  der  niedrigere  Begriff  muß  hier  als  homogen 


II 6  An  Johann  Heinrich  Tieftrunk 

mit  dem  höhern  gedacht  werden.  Die  transszendentale  da- 
gegen, nämlich  die  Subsumtion  eines  empirischen  Begriffs  unter 
einem  reinen  Verstandesbegriffe  durch  einen  Mittelbegriff,  nämlich 
den  des  Zusammengesetzten  aus  Vorstellungen  des  innern  Sinnes 
ist  unter  eine  Kategorie  subsumiert,  darunter  etwas  dem  Inhalte 
nach  Heterogenes  wäre,  welches  der  Logik  zuwider  ist,  wenn 
es  unmittelbar  geschähe,  dagegen  aber  doch  mögUch  ist,  wenn 
ein  empirischer  Begriff  unter  einen  reinen  Verstandesbegriff  durch 
einen  Mittelbegriff  [subsumiert  wird],  nämlich  den  des  Zusam- 
mengesetzten aus  Vorstellungen  des  inneren  Sinnes  des  Subjekts, 
sofern  sie  den  Zeitbedingungen  gemäß,  a  priori  nach  einer  all- 
gemeinen Regel  ein  zusammengesetztes  darstellen,  enthält,  welches 
mit  dem  Begriffe  eines  Zusammengesetzten  überhaupt  (dergleichen 
jede  Kategorie  ist)  homogen  ist  und  so  unter  dem  Namen  eines 
Schema  die  Subsumtion  der  Erscheinungen  unter  dem  reinen 
Verstandesbegriffe  ihrer  synthetischen  Einheit  (des  Zusammen- 
setzens) n?ch,  möglich  macht.  Die  darauf  folgenden  Beispiele 
des  Schematismus  lassen  diesen  Begriff  nicht  verfehlen.*) 

Und  nun,  würdigster  Mann,  breche  ich  hiermit  ab,  um  die 
Post  nicht  zu  verfehlen,  schließe  einige  Bemerkungen,  die  von 
Ihnen  projektierte  Sammlung  meiner  kleinen  Schriften  betreffend, 
an,  —  bitte  Herrn  Professor  JACOB  für  die  Übersendung  seiner 
Annalen  zu  danken  —  mich  bald  wiederum  mit  Ihrer  Zuschrift 
zu  beehren  und  die  Langsamkeit  meiner  Beantwortung  meinem 
schwächlichen  Gesundheitszustande  und  der  Zerstreuung  durch 
andere  an  mich  ergehende  Ansprüche  zuzuschreiben;  übrigens  aber 
von  meiner  Bereitwilligkeit  in  Ihre  tunlichen  Plane  einzutreten 
und  von  der  Hochachtung  versichert  zu  sein,  mit  der  ich  jeder- 
zeit bin 

Ihr 
Königsberg,  ganz  ergebenster 

den    1 1 .  Dezember  L  Kant 

^797- 

*)  Sie  werden  hier  die  Flüchtigkeit  bemerken,  der  in  einem  andern 
[Aufsatze  wohl]  nachgeholfen  werden  könnte. 


Von  Markus  Herz  537 

419. 
Von  Markus  Herz. 

Verehmngswürdiger  Lehrer. 

Der  große  aUen  bekannte  MECKEL^)  verlangt  dem  großen 
alles  kennenden  KANT  durch  mich  so  wenig  bekannten  und  so 
wenig  kennenden  HERZ  empfohlen  zu  sein,  und  ich  würde  mit 
der  Befriedigung  dieses  überflüssigen  Verlangens  großen  Anstand 
genommen  haben,  wenn  sie  nicht  zugleich  eine  so  erwünschte 
Veranlassung  wäre,  meinen  Namen  wieder  einmal  in  dem  An- 
denken meines  unvergeßlichen  Lehrers  und  Freimdes  aufzufrischen, 
und  ihm  wieder  einmal  zu  sagen,  welche  Seligkeit  die  Erinnerung 
an  die  ersten  Jahre  meiner  Bildung  unter  seiner  Leitung  noch 
immer  über  mein  ganzes  Wesen  verbreitet  und  wie  brennend 
mein  Wunsch  ist,  ihn  in  diesem  Leben  noch  einmal  an  mein 
Herz  zu  drücken!  Warum  bin  ich  nicht  ein  großer  Geburts- 
helfer, Starstecher  oder  Krebsheiler,  der  einmal  über  Königsberg 
zu  einem  vornehmen  Russen  gerufen  wird?  —  Ach  ich  habe  leider 
nichts  in  der  Welt  gelernt!  Die  wenige  Geschicklichkeit,  die 
ich  besitze,  ist  auf  jedem  Dorfe  in  Kamschatka  zehnfach  zu  haben, 
und  darum  muß  ich  in  dem  Berlin  versauern  und  auf  das  Glück, 
Sie,  ehe  einer  von  uns  die  Erde  verläßt,  noch  zu  sehen,  auf 
immer  resignieren! 

Um  so  stärkender  ist  mir  dafür  jede  kleine  Nachricht  von 
Ihnen  aus  dem  Munde  eines  Reisenden,  jeder  Gruß,  den  ich  aus 
dem  Briefe  eines  Freundes  von  Ihnen  erhalte.  Laben  Sie  mich 
doch  öfter  mit  diesen  Erquickungen  und  erhalten  mir  noch  lange 
Ihre  Gesundheit  und  Freundschaft. 

Ihr  ergebenster 
Berlin,  den    25.  Dezember  Markus  Herz. 

1797. 

')  Der  Chirurg  und  Geburtshelfer  Ph.  Friedr.  Theod.  Meckel 
(1756— 1803),  Professor  in  Halle. 


Kants  Schriften.    Bd.  X.  22 


358  Von  Johann  Gott  lieb  Fichte 

-ij.20. 
Von  Johann  Gottlieb  Fichte. 

Verehrungswürdjger  Freund  und  Lehrer. 

Meinen  innigsten  Dank  für  Ihr  gütiges  Schreiben,  welches 
meinem  Herzen  wohltätig  war.  Meine  Verehrung  für  Sic  ist  zu 
groß,  als  daß  ich  Ihnen  irgend  etwas  übelnehmen  könnte;  und 
noch  dazu  etwas  so  leicht  zu  Erklärendes,  als  Ihre  verzögerte 
Antwort:  aber  es  würde  mich  betrübt  haben,  Ihre  gute  Meinung, 
die  ich  mir  erworben  zu  haben  glaubte,  wieder  verloren  zu 
haben.  Ich  lebe  im  Mittelpunkte  der  literarischen  Anekdoten- 
jägerei und  Klatscherei;  (ich  meine  damit  nicht  sowohl  unser 
Jena;  denn  hier  haben  wir  größtenteils  ernsthaftere  Beschäftigungen, 
als  den  ganzen  Umkreis,  der  uns  umgibt)  und  hatte  seit  Jahren 
mancherlei  hören  müssen.  Ich  kann  mir  sehr  wohl  denken,  wie 
man  endlich  der  Spekulation  satt  werden  müsse.  Sie  ist  nicht 
die  natürliche  Atmosphäre  des  Menschen;  sie  ist  nicht  Zweck, 
sondern  Mittel.  Wer  den  Zweck,  die  völlige  Ausbildung  seines 
Geistes,  die  vollkommne  Übereinstimmung  mit  sich  selbst,  erreicht 
hat,  der  läßt  das  Mittel  liegen.  Dies  ist  Ihr  Zustand,  verehrungs- 
würdiger Greis. 

Da  Sie  selbst  sagen,  daß  „Sie  die  Subtilität  der  theoretischen 
Spekulation,  besonders  was  ihre  neuere  äußerst  zugespitzte  Apices 
betrifft,  gern  andern  überlassen",  so  bin  ich  desto  ruhiger  wegen 
der  mißbilligenden  Urteile  über  mein  System,  welche  fast  jeder, 
der  sich  zu  dem  zahlreichen  Heere  der  deutschen  Philosophen 
rechnet,  von  Ihnen  in  den  Händen  zu  haben  vorgibt;  wie  denn 
noch  ganz  neuerlich  Herr  BOUTERWECK,  der  genügsame  Re- 
zensent Ihrer  Rechtslehre, ')  und  der  REINHOLDschen  vermischten 
Schriften,  in  den  Göttingischen  Anzeigen,  ein  solches  von  Ihnen 
erhalten  haben  will;  wie  ich  durch  den  Kanal  meiner  Zuhörer 
vernehme.   —   Dies  ist  nun  so  die  Welt,  in  der  ich  lebe. 

Es  gereicht  mir  zum  lebhaftesten  Vergnügen,  daß  meine  Dar- 

^)  Zu  Bouterweks  Rezension  von  Kants  „Rechtslehre"  (Gott.  gel. 
Anz.  18.  Februar  1797)  s.  Kants  eigene  Bemerkungen  in  der  zweiten 
Auflage  dieses  Werkes  (Anhang  erläuternder  Bemerkungen  zu  den 
metaphysischen  Anfangsgründen  der  Rechtslehre). 


An  Johann  Schultz  j^p 

Stellung  Ihren  Beifall  findet.  Ich  glaube  es  nicht  zu  verdienen, 
wenn  derselbe  BOUTERWECK  sie  für  barbarisch  (in  den  Götting- 
schen  Anzeigen)  ausschreit.  Ich  schätze  das  Verdienst  der  Dar- 
stellung sehr  hoch,  und  bin  mir  einer  großen  Sorgfalt  bewußt, 
die  ich  sehr  früh  angewendet,  um  eine  Fertigkeit  darin  zu  er- 
halten; und  werde  nie  ablassen,  da  wo  es  die  Sache  erlaubt, 
Fleiß  auf  sie  zu  wenden.  Deswegen  aber  denke  ich  doch  noch 
gar  nicht  daran,  der  Scholastik  den  Abschied  zu  geben.  Ich  treibe 
sie  mit  Lust  und  Leichtigkeit,  und  sie  stärkt  und  erhöht  meine 
Kraft.  Überdies  habe  ich  ein  beträchtliches  Feld  derselben  bisher 
bloß  im  Vorbeigehen  berührt,  aber  noch  nicht  mit  Vorsatz  durch- 
messen: das  der  Geschmacks- Kritik. 
Mit  innigster  Verehrung 

Ihr 

ergebenster 
Jena,  den    i.  Jänner    1798.  Fichte. 


4z  I. 
An  Johann  Schultz. 

Ew.  Hochehrwürd. 

nehme  mir  die  Freiheit,  in  Ansehung  des 
hiebei  zurückkommenden  SCHLETTWEINschen  Briefes')  zu  Er- 
sparung Ihrer  kostbaren  Zeit  den  Rat  zu  geben:  in  Ihrer  Antwort 
sich  ja  nicht  zur  Korrespondenz  mit  ihm  verbindlich  zu  machen; 
sondern  in  Ansehung  der  Prüfung  des  von  ihm  selbst  vor- 
geschlagenen, aus  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  ausgehobenen, 
Begriffs  vom  Raum  ihn  nur  aufzufordern:  daß  er  die  Sätze  der 
kritischen  Philosophie,  wie  er  sich  dazu  erboten  hat,  aber  nicht 
schriftlich,  sondern  sofort  im  Druck  widerlege;  damit,  weim 
vielleicht  seine  Argumente  gar  keine  Widerlegung  verdienen 
sollten,*)  das  Publikum  sie  auch  nicht  erwarten  dürfte,  weil  sie 
eines   natürlichen  Todes    und   nicht  eines    durch    Gegenargumente 

*)  welches  im  Intel!.  Blatt  der  A.  L.  Z.  mit  wenig  Worten  angezeigt 
werden  könnte. 


^)  Siehe  Kants  öffentliche  Erklärungen  (Werke,  Bd.  VIII)  Nr.  5. 


34°  ^  Christoph   Wilhelm  Hufeland 

gewaltsamen  Todes  erblichen  sein  würden.  —  Denn  ich  habe 
gegründeten  Verdacht;  daß  SCHLETTWEIN  nur  darauf  ausgehe, 
durch  Schriftstellerei  etwas  zu  verdienen  und  von  Ihnen  erwarte, 
daß  Sie,  wegen  Ihres  Anteils  am  Honorar,  nachsichtlich  sein 
dürften;  die  Zelebrität  der  Sache  aber  eine  zahlreiche  Abnahme 
verspreche.  —  Hätten  Sie  sich  aber  vorher  schriftlich  zur  Beant- 
wortung anheischig  gemacht,  ehe  er  noch  sein  Werk  öflFentlich 
herausgegeben,  so  würde,  wenn  darauf  keine  Beantwortung  im 
Drucke  Ihrerseits  erfolgte,  es  von  ihm  als  Bekenntnis  des  Unver- 
mögens dasselbe  zu  widerlegen   ausgeschrien  werden. 

Ich     bin    übrigens     mit     der     vollkommensten    Hochachtung 
jederzeit 

Ew.  Hochehrwürden 

ganz  ergebenster  treuer  Diener 

Königsberg,  den  9.  Jan.  1798.  I.  Kant. 


422. 
An  Christoph  Wilhelm  Hufeland. 

Königsberg,  den   6.  Februar   1798. 

Hier  haben  Sie,  geehrtester  Freund!  die  versprochene  Ab- 
handlung „Von  der  Macht  des  Gemüts"  usw.,  welche  Sie  nach 
Ihrem  Belieben  in  Ihr  Journal  einrücken,  oder  auch,  wenn  Sie 
es  gut  finden,  [oder  auch]  als  eine  abgesonderte  Schrift,  mit  Ihrer 
Vorrede  oder  Anmerkungen  begleitet,  herausgeben  können;  wobei 
ich  zugleich  allen  Verdacht,  als  ob  ich  auch  wohl  Autorsporteln 
beabsichtigte,  verbitte. 

Wäre  etwas  im  großen  Reichtum  Ihrer  medizinischen  Kennt- 
nisse, was  mir  in  Ansehung  meiner  Kränklichkeit,  die  ich  Ihnen 
beschrieben  habe,  Hilfe  oder  Erleichterung  verschaffen  könnte: 
so  würde  mir  die  Mitteilung  desselben  in  einem  Privatschreiben 
angenehm  sein;  wiewohl  ich  offenherzig  gestehen  muß,  daß  ich 
wenig  davon  erwarte  und  des  Hippocrates  iudicium  ancepSj  ex- 
perimentum  periculosum  zu  beherzigen  überwiegende  Ursachen  zu 
haben  glaube,  —  —  Es  ist  eine  große  Sünde,  alt  geworden  zu 
sein;  dafür  man  aber  auch  ohne  Verschonen  mit  dem  Tode 
bestraft  wird. 


An  Johann  Heinrich  Tieftrunk  341 

Daß    dieses    Ihnen    nur    nach    einem   langen   und   glücklichen 
Leben  widerfahre,  wünscht 

Ihr  Verehrer  und  ergebener 
treuer  Diener 
I.  Kant. 
N.  S.     Sobald  wie    möglich  würde    ich    mir    die   Herausgabe 
dieser    Schrift    erbitten    imd,    wenn    es   sein   kann,  einige  wenige 
Exemplare  derselben.  !•  K.» 


423. 

An  Johann  Heinrich  Tieftrunk. 

Königsberg,  den   6.  Februar  1798. 
Würdiger  Mann 

hochgeschätzter  Freund! 
Aus  Ihrem  mir  sehr  angenehmen  Schreiben  vom  2.  Jan.  a.  c. 
ersehe  ich  mit  Vergnügen,  daß  Sie  die  Sache  der  Kritik,  welche 
zu  führen  Sie  allerdings  vermögen,  auch  (im  Ganzen  dieses  Systems) 
zu  behaupten  entschlossen  sind:  wobei  zum  Gelingen  dieses  Vor- 
satzes es  meiner  Meinung  nach  sehr  dienlich  wäre:  Kürze  und  Prä- 
zision der  Lehrsätze  im  Text,  der  Übersicht  halber,  zu  beobachten, 
die  ausführliche  Erörterung  derselben  aber  wie  zum  Beispiel  die 
mit  S.  210  zu  vergleichende  S.  413  in  die  Anmerkungen  zu 
werfen;  wenn  von  der  intensiven  Größe  (in  der  Beziehung 
des  Gegenstandes  der  Vorstellung  auf  den  Sinn)  in  Vergleichung 
mit  der  extensiven  (in  Beziehung  auf  das  bloße  Formale  der 
reinen  sinnlichen  Anschauung)  die  Rede  ist.  —  doch  ich  be- 
sorge, mit  diesem  meinen  Anraten  selbst  undeuthch  zu  werden, 
und  schließe  für  diesmal  mit  der  Bitte:  einliegende  Briefe  gütigst 
zu  bestellen:  von  deren  Absicht  ich  Ihnen  nächstens  Bericht  ab- 
statten werde.  —  Wobei  ich  mit  beständiger  Hochachtung  und 
Freundschaft  jederzeit  bin 

Ihr 

ergebenster  treuer  Diener 
I.  Kant. 


54^     An  jfoh.  Ernst  Lüdeke.  —  An  Joh.  Friedr.  Vigilantius 

424. 

An  Johann  Ernst  Lüdeke. 

(Entwurf.) 

[Februar    1798.] 

Den  innigsten  Dank,  verchrungswürdiger  Freund,  für  Ihren 
mir  den  30.  Dezember  1797  gewordnen,  die  Zeit  eines  frohen 
nicht  ganz  tatleeren  Lebens  wiederum  ins  Gedächtnis  rufenden 
und  mich  durch  Ihr  Beispiel  gleichsam  verjüngenden  Briet. 

Was  kann  ich  hiebei  anders  tun,  als  wünschen,  daß  Ihre  eigene 
Verdienste  durch  den  moralischen  Lebensgenuß,  auf  den  Sie  mit 
Recht  Anspruch  machen  können,  Sie  dafür  noch  lange  Jahre 
lohnen  möge  und  die  durch  Ihren  ganzen  Brief  herrschende 
Heiterkeit  nicht  durch  Beschwerden  des  Alters,  wie  ich  sie 
wenigstens  mit  Intervallen  fühlen  muß,  möge  getrübt  werden. 

Doch  da  das  Frohsein  nicht  so  ganz  vom  Körper  abhängt, 
daß  nicht  neue  sich  fürs  Weltbeste  eröffnende  Aussichten  wie 
die,  zu  welchen  der  junge  König  Hoffnung  gibt,  jene  Beschwerden 
vergüten  und  von  Zeit  zu  Zeit  überwiegen  sollten,  so  verliere 
ich  darum  nicht  die  Hoffnung,  wiederum  soweit  belebt  zu  werden, 
daß  ich  einige  meiner  Arbeiten,  die  bisher  unter  dem  Interdikt 
waren  oder  der  Vollendung  bedürfen,  wiederum  vornehmen  sollte. 

Mit  dem  Wunsche  eines  des  SPALDINGschen  Glücks  würdigen 
Alters  für  Sie,  werter  Freund,  und  der  Bitte,  mich  gelegentlich 
durch  Herrn  Kirchen-R.  BOROWSKI  von  literarischen  Neuig- 
keiten Nachrichten  zu  erteilen  bin  ich  mit  usw.^) 

425. 
An  Johann  Friedrich  Vigilantius. 

Ew:  Wohlgebornen  27.  Febr.  1798. 

vergeben  mir  meine  Zudringlichkeit,  Sie 
in  so  früher  Morgenzeit  in  Ihren  Geschäften  zu  unterbrechen: 
daß  ich  mir  die  Beantwortung  einiger  Fragen  ergebenst  er- 
bitte, die  mich  zur  Vollendung    meines    morgen  zu   vollendenden 

^)  Über  Lüdeke  s.  Bd  IX,  S.  193;  er  hatte  in  einem  Briefe  an 
Kant  von  der  Rüstigkeit  und  geistigen  Frische  des  84iährigen  Spalding 
(s.  Bd.  IX,  S.  54)  berichtet. 


An  Johann  Heinrich   Tief tr unk  343 

Zwecks")  (da    ich    im    gerichtlichen  Fache    ein  Kind    bin)  leiten 
können. 

1.  Wie  wird  die  Aufschrift  auf  dem  Kuvert  meines  ver- 
siegelten Testaments  gemacht?  —  Kann  sie  etwa  so  lauten: 
Mein  letzter  Wille,  niedergelegt  beim  Akademischen  Senat. 
Königsberg,  den    28.  Febr.  1798?     I.  Kant. 

2.  Muß  ich,  wenn  ich  an  den  Rector  Magn:  deshalb 
schreibe,  ihn  ersuchen,  dieser  Absicht  wegen  den  Senat  zu- 
sammen zu  berufen,  oder  nur  nach  der  Zeit,  wann  ich  vor 
demselben  erscheinen  soll,  fragen,  weil  der  Konseß  desselben 
an  Mittwochen  gewöhnlich  ist? 

3.  Soll  ich  mein  älteres  nun  zu  kassierendes  Testament 
vor  oder  nach  der  Übergabe  des  neuen  von  Herren  Tribu- 
nalsrat BUCHHOLTZ,  mit  Beilegung  des  Rekognitionsscheins 
des  ersteren,  zurückfordern  —  oder  kann  ich,  nachdem  ich 
wegen  meiner  morgenden  Erscheinung  vor  dem  Senat  be- 
nachrichtigt bin,  den  Gesuch  um  eine  Deputation  des  Stadt- 
gerichts bei  Herren  Tribunalsrat  BUCHHOLTZ  schon  heute 
vormittag  tun  (auf)  einen  Stempelbogen  ä  6  Ggl.?  —  Und 
um  welche  Zeit  kann  ich  dieses  am  schicklichsten  verrichten? 

Vergeben  Sie  mir  diese  Unterbrechung  Ihrer  Geschäfte  und 
lassen  Sie  mich  hoffen,  daß  ich  übermorgen  die  Ehre  haben 
könne,  zu  Mittage  von  der  Ausrichtung  dieses  Geschäfts  Ew; 
Wohlgeb.   Bericht  abzustatten. 

I  Kant 
d.   27.  Februar   1798 

426. 

An  Johann  Heinrich  Tieftrunk. 

Ihren  Brief,  wertester  Freund!  habe  mit  Vergnügen  gelesen: 
vornehmlich,  daß  ich  Sie  so  entschlossen  finde,  die  Sache  der 
Kritik  in  ihrer  Lauterkeit  zu  erhalten,  sie  aufzuhellen  und  mann- 
haft zu  verfechten,  welches,  wie  der  Erfolg  es  zeigen  wird,  Sie 
niemals  zu  bereuen  Ursach  haben  sollen.  —  Eine  Vorrede  zu 
meinen  kleinen  Schriften,  welche  nicht  bloß  meine  Genehmigung 


^)  Am  28.  Februar  1798  hat  Kant  vor  dem  versammelten  akademi- 
schen Senat  sein  Testament  niedergelegt. 


344  ^w  Johann  Heinrich  Tieftrunk 

ihrer  Herausgabe,  sondern  auch  die  etwanige  von  Ihnen  gemachte 
Anmerkungen  beträfe,  würde  ich  gern  hinzufügen,  wenn  es 
tunUch  wäre,  daß  Sie  mir  das  Werk  vor  Abfassung,  oder  viel- 
mehr Publikation  der  erstereren,  zuschickten,  um  der  RENGER- 
schen  Buchhandlung  auch  hiermit  zu  Gefallen  zu  sein.*)  —  Jetzt 
noch  ein  Anliegen  meinerseits. 

Ich  hatte  vor  einigen  Jahren  ein  Werk  vor  unter  dem  Titel: 
„Der  Streit  der  Fakultäten  von  I.  Kant",  aber  sie  fiel  unter 
HERMES'  und  HILLMERs  Zensur  durch  und  mußte  liegen  bleiben. 
—  Nun  ist  ihr  zwar  jetzt  der  Ausflug  offen;  allein  es  hat  sich 
ein  anderer  Mißfall  im  Gebären  meines  Genius  zugetragen,  daß 
nämlich  eine  neuere  Schrift  unter  dem  Titel  „Erneuerte  Frage, 
ob  das  menschliche  Geschlecht  im  beständigen  Fortschreiten  zum 
Bessern  sei",  von  mir  dem  Bibliothekar  BIESTER  für  seine  Berl. 
Blätter  zugeschickt,  ich  weiß  nicht  wie,  dem  Stadtpräsidenten 
EISENBERG  zur  Zensur  eingereicht  wurde  und  zwar  den  2  3 .  Ok- 
tober 1797,  also  noch  bei  Lebzeiten  des  vorigen  Königs,  und 
ihm  das  Imprimatur  abgeschlagen  wurde;  ein  Vorfall,  von  dem 
mir  es  unbegreiflich  bleibt,  wie  es  möglich  war,  daß  ihn  mir 
Herr  BIESTER  allererst  den  28.  Febr.  1798  meldete.  —  Da  nun 
jedermann  bekannt  ist,  wie  sorgfältig  ich  mich  mit  meiner  Schrift- 
stellerei  in  den  Schranken  der  Gesetze  halte:  ich  aber  auch  nicht 
mühsame  Arbeit  um  nichts  und  wieder  nichts  weggeworfen  haben 
mag,  so  habe  ich,  nach  geschehener  Erkundigung  bei  einem 
rechtskundigen  Manne,  beschlossen,  dieses  Stück,  samt  der  auf 
denselben  gezeichneten  EISENBERGschen  Zensurverweigerung, 
durch  meinen  Verleger  NICOLOVIUS  nach  Halle  zu  schicken 
und  durch  Ihre  gütige  Mühwaltung  daselbst  die  Zensur  zu  suchen; 
welche,  wie  ich  festiglich  glaube,  mir  dort  nicht  fehlschlagen 
wird,  und  werde  es  so  einzuleiten  suchen,  daß  beide  Stücke,  als 
zu  einem  Ganzen  gehörend,  ein  Buch  ausmachen  sollen;  wo  Sie 
dann,  wenn  es  Ihnen  beliebt,  das  letztere  auch  abgesondert  in 
der  Sammlung  meiner  kleinen  Schriften  mit  hinein  tragen  können. 

Was  halten  Sie  von  Herrn  FICHTE  allgemeine  Wissenschafts- 
lehre? einem  Buche,  welches  er  mir  vorlängst  zugeschickt  hat, 
dessen  Durchlesung  ich  aber,   weil   ich  es  weitläuftig  und  meine 

^)  Imm.  Kants  vermischte  Schriften.  Ächte  und  vollständige  Aus- 
gabe. Halle,  in  der  Rengerschen  Buchhandlung,  I799.  herausgegeben 
von  Tieftrunk. 


An  Friedrich  Nicolovius  345 

Arbeit  zu  sehr  unterbrechend  fand,  zur  Seite  legte  und  jetzt  nur 
aus  der  Rezension  in  der  A.  L.  Z.  kenne?  Für  jetzt  habe  ich 
nicht  die  Muße,  es  zur  Hand  zu  nehmen;  aber  die  Rezension 
für  FICHTE  (welche  mit  vieler  Vorliebe  des  Rezensenten  ab- 
gefaßt ist)  sieht  mir  wie  eine  Art  von  Gespenst  aus,  was,  wenn 
man  es  gehascht  zu  haben  glaubt,  man  keinen  Gegenstand,  son- 
dern immer  nur  sich  selbst  und  zwar  hievon  auch  nur  die  Hand, 
die  darnach  hascht,  vor  sich  findet.  —  Das  bloße  Selbstbewußt- 
sein, und  zwar  nur  der  Gedankenform  nach,  ohne  Stoff,  folglich 
ohne  daß  die  Reflexion  darüber  etwas  vor  sich  hat,  worauf  es 
angewandt  werden  könne  und  selbst  über  die  Logik  hinausgeht, 
macht  einen  wunderlichen  Eindruck  auf  den  Leser.  Schon  der 
Titel  (Wissenschaftslehre)  erregt,  weil  jede  systematisch  geführte 
Lehre  Wissenschaft  ist,  wenig  Erwartung  für  den  Gewinn,  weil 
sie  eine  Wissenschaftswissenschaft  und  so  ins  unendliche 
andeuten  würde.  —  Ihr  Urteil  darüber,  und  auch  welche  Wirkung 
es  auf  andere  Ihres  Orts  hat,  möchte  ich  doch  gern  vernehmen. 
Leben  Sie  wohl,  wertester  Freund. 

I.  Kant. 

den   5.  April    1798 

Mit  der  fahrenden  Post. 


4^7-    .  ^ 

An  Friedrich  Nicolovius. 

Ew;  Hochedelgeb. 

erwidere  ich  auf  Ihren  Brief  vom  2.  Mai 
1798,  daß  ich  dem  Herrn  Prof.  HUFELAND,  bei  Übersendung 
des  philosophisch-medizinischen  Stücks  für  sein  Journal,  wirklich 
die  Freiheit  gegeben  habe,  es  in  dieses  einzurücken,  oder  auch 
nach  Belieben  abgesondert  herauszugeben;  weil  ich  damals  noch 
nicht  den  Plan  in  Gedanken  hatte,  das  Buch  „Der  Streit  der 
Fakultäten"  in  drei  Abteilungen,  nämlich  der  philosophischen 
mit  der  theologischen,  der  Juristen-  und  der  medizinischen  Fakultät 
auszufertigen  und  so  in  einem  System  darzustellen;  wie  ich  es 
auch  mit  Ihnen  vor  Ihrer  Abreise  verabredet  habe.")  —  Zugleich 

*)  Vgl,  oben  Brief  No.  340. 


34^  An  Friedrich  Nicolovius 

bitte  ich  dem  Herrn  Prof:  HUFELAND  eben  dasselbe  zu  melden 
und  mich,  wegen  der  Einrückung  des  ihm  eigentlich  gewidmeten 
Stücks  in  jenes  Werk,  aus  der  angeführten  Ursache  zu  ent- 
schuldigen. 

Noch  habe  ich,  was  die  zweite  Auflage  der  metaph.  Anf. 
Gr.  der  Rechtslehre  betrifft,  anzumerken:  daß  zweierlei  Titel 
dazu  gemacht  werden  müßten:  der  eine,  welcher  nur  das  Wort 
„Zweite  Auflage"  hinzufügte,  der  andere  aber,  welcher  so  lautete: 
„Erräuternde  Anmerkungen  zu  den  metaph.  Anfangsgründen  d. 
Rechtslehre  von  I.  Kant":  damit  die,  welche  das  erstere  Buch 
schon  besitzen,  nur  das  zweite  zu  kaufen  nötig  haben. 

Sie  schreiben  mir,  daß  Ihnen  noch  der  Titel  des  ganzen 
Werks:  Der  Streit  der  Fakultäten  mangle.  Meines  Wissens 
habe  ich  ihn  schon  gegeben.      Er  heißt 

Der  Streit 
der  Fakultäten 

in 
drei  Abschnitten 

von 
Immanuel  Kant. 

Alsdann  kommen  die  Titelblätter  für  jeden  dieser  drei  Ab- 
schnitte, zum  Beispiel:  „Erster  Abschnitt:  Der  Streit  der  philo- 
sophischen Fakultät  mit  der  theologischen;  zweitens:  Der 
Streit  der  philos.  mit  der  Jurist.  Fak:"  usw. 

Noch  bitte  ich,  den  Setzer  und  den  Korrektor  dahin  anzu- 
weisen, daß,  da  ich  wohl  hin  und  wieder  das  c  mit  dem  k  ab- 
gewechselt haben  mccht,  zum  Beispiel  practisch  mit  praktisch, 
er  hierin  eine  Gleichförmigkeit  beobachten  möchte  und  sich  nach 
der  Schreibart  richten  möge,  die  er  auf  den  ersteren  Blättern  an- 
treffen wird;  imgleichen,  daß  ich  die  Druckfehler  frühzeitig  zu- 
geschickt erhalte. 

Gegen  Ende  dieses  Buchs  werden  Sie  über  einem  Abschnitt 
den  Titel  finden:  „Kasuistische  Fragen",  den  Sie  so  abzuändern 
bitte;  „Biblisch-historische  Fragen." 

Ich  bin  Ihr  ergebener 

Freund  und  Diener  L  Kant. 

Königsberg,  den  9.  Mai    1798. 


An  Georg  Christoph  Lichtenberg  347 

428. 
An  Georg  Christoph  Lichtenberg. 

Der  Ihnen,  verehrungswürdiger  Mann!  Gegenwärtiges  zu  über- 
reichen die  Ehre  hat,  Herr  v.  FARENHEID,  Sohn  eines  noch 
lebenden  Vaters  von  großen  Glücksumständen  und  für  sich  selbst 
von  sehr  guten  Anlagen,  in  Talent  sowohl  als  Denkungsart, 
verlangt  von  mir,  zu  seiner  Bildung  auf  Ihrer  Universität,  in 
Begleitung  des  Kandidaten  LEHMAN,  meines  ehemaligen  Auditors, 
an  einen  Lehrer  empfohlen  zu  werden,  der  teils  ihn  in  dem, 
was  zu  seinem  Hauptstudium  erforderlich  ist,  nämlich  dem  Kame- 
ralfach,  in  allem,  was  dazu  direkt  und  indirekt  gehört  (zum 
Beispiel  Mathematik,  Naturwissenschaft,  Mechanik,  Chemie  usw.) 
Anleitung  gebe,  teils  ihm  auch  die  geschickte  Männer  anweise, 
durch  die  er  in  dieser  Wissenschaft  und  Kunst  gründlichen  Unter- 
richt erlangen  könne. 

Wer  aber  könnte  dieses  wohl  sonst  sein,  als  der  verdienst- 
volle, mir  besonders  wohlwollende,  öffentlich  mich  mit  seinem 
Beifall  beehrende  und  durch  Beschenkung  mit  seinen  belehrenden 
sowohl  als  ergötzenden  Schriften  zur  Dankbarkeit  und  Hoch- 
achtung verpflichtende  Herr  Hofrat  LICHTENBERG  in  Göttingen? 
—  Herr  LEHMAN,  der  schon  seit  einiger  Zeit  vom  theologi- 
schen Fache  zum  juristischen  übergegangen  ist,  wird  bei  dieser 
Apostasie  zugleich  für  sich  gewinnen;  öffentlich,  in  den  Kollegien, 
die  er  mit  besuchen  wird,  und  häuslich,  als  Repetent,  indem  er 
dazu  auch  alle  nötige  Vorübungsmittel  und  allen  Fleiß  besitzt, 
sie  in  Wirkung  zu  setzen. 

Für  mich  erwarte  ich  durch  dieses  Verhältnis  von  Zeit  zu 
Zeit  erfreuhche  und  belehrende  Nachrichten  von  Ihrem  Wohl- 
befinden und  wissenschaftlichem  Fortschreiten  zu  erhalten;  als 
von  welchen,  vornehmlich  dem  letztern,  ich  in  meinem  fünfund- 
siebzigsten Lebensjahr,  obgleich  bei  noch  nicht  völlig  eingetretener 
Hinfälligkeit,  mir  nur  wenig  versprechen  kann;  weshalb  ich  auch 
geeilet  habe,  mit  dieser  Michaehsmesse  noch  einige  Reste  hin- 
zugeben; indessen  das,  was  ich  nun  unter  der  Feder  habe,  ob  es 
völlig  zustande  kommen  werde,  mich  in  Zweifel  läßt. 

Mit  der  größten  Hochachtung,  Zuneigung  und  Ergebenheit 
bin  ich  jederzeit 

Königsberg,  der  Ihrige 

den  I.  Juh  1798.  L  Kant 


34^     An  Carl  Friedr.  Sfäudlin.  —  An  Friedr.  Ludia,  Hagen 

429. 

An  Carl  Friedrieb  Stäudlin. 

Hochgeschätzter  Freund! 
Mein  vor  einigen  Jahren  Ihnen  gegebenes  Wort:  den  Streit 
der  Fakultäten  zum  Behuf  Ihres  theologischen  Journals  aufzu- 
sparen, wird  mit  der  diesjährigen  Michäelismesse  in  Erfüllung 
gehen;  aber,  veränderter  Umstände  wegen,  freilich  nicht  buch- 
stäblich in  Ihrem  Magazin,  was  jetzt  nicht  tunlich  ist,  weil  es 
mit  fremdartigen  Materien  verbunden  jetzt  ans  Licht  treten  muß, 
sondern  vermittelst  einer  Ihnen  gewidmeten  Zueignungsschrift 
vor  der  Vorrede.  —  Ich  werde  besorgen:  daß  Ihnen  dies  Buch, 
sobald  der  Druck  fertig  ist,  zu  Händen  komme.  Übrigens  läßt 
sich  in  diesem,  vielleicht  schon  erschöpften,  Fache  von  mir  in 
meinem  fünfundsiebzigjährigen  Alter  schwerlich  noch  etwas  mehr 
erwarten. 

Herren  D.  und  Prof.  AMMON  bitte  gelegentlich  für  seine 
mir  zugeschickte  Abhandlung  meinen  größten  Dank  abzustatten, 
übrigens  aber  mir  Ihre  Gewogenheit  und  Zuneigung  zu  erhalten 
und  versichert  zu  sein:  daß  ich.,  mit  der  vollkommensten  Hoch- 
achtung für  solche  wackere  aufgeklärte  Männer  jederzeit  bin 

Ihr 
Königsberg,  ergebenster  treuer  Freund 

den    I.  Juli  I.  Kant. 

1798. 

430. 

An  Friedrich  Ludwig  Hagen. 

Mit  Zustellung  der  mir  gütigst  erteilten  Notiz,  zugleich  auch 
der  Behutsamkeit  davon  nichts  vor  der  Zeit  emanieren  zu  lassen, 
sage  ich  Ew:  Wohlgebornen  für  Ihre  Gütigkeit  den  ergebensten 
Dank;  bitte  meinem  verehrungswlirdigen  Herren  Kollegen,  meine 
Mitfreude,  den  gegenwärtigen  Zustand  nicht  geändert  zu  sehen, 
gütigst  wissen  zu  lassen  und  bin  mit  dem  herzlichsten  Anteil  an 
dem,  was  das  ganze  HAGENSCHE  Haus  angeht,  und  mit  der 
vollkommensten  Hochachtung 

Ew:  Wohlgeborn 

ganz  ergebenster  treuer  Diener 

I  Kant 

d.   5.  Aug.    1798. 


Von  Christian   Garve  349 

431. 

Von  Christian  Garve. 

[Mitte  September    1798.] 
Teuerster  Freund, 

Ich  habe  alles,  was  sich  auf  die  Schrift,  welche  ich  Ihnen 
widme,  und  mit  diesem  Briefe  überschicke,  bezieht,  und  das,  was 
meine  Gesinnungen  gegen  Sie  betrifft,  in  der  Zueignungsschrift 
selbst  so  vollständig  gesagt,  daß  ich  hier  nichts  hinzuzusetzen  habe.*) 

Ich  werde  Sie  immer  als  einen  unserer  größten  Denker,  und 
der  mich  selbst,  zur  Zeit  als  ich  nur  noch  Lehrhng  und  Anfänger 
war,  als  Meister  der  Kunst  zu  denken,  darin  übte,  hochachten. 
Ich  bin  von  der  andern  Seite  überzeugt,  daß  Sie  auch  von  mir, 
so  weit  man  einen  Mann  bloß  aus  seinen  Schriften  kennen  lernen 
kann,  nicht  ungünstig  urteilen,  und  selbst  eine  Neigung  zur 
Freundschaft  gegen  mich  fühlen. 

Diese  verborgne  und  stillschweigende  Verbindung,  welche 
schon  lange  unter  uns  vorhanden  ist,  gegen  das  Ende  unsers 
Lebens  noch  fester  zu  knüpfen:  dazu  ist  diese  Zueignung  be- 
stimmt. Kann  ich  auch  davon  keinen  großen  oder  langen  Genuß 
mehr  hoffen;  so  wird  doch  auch  dies  mich  freuen,  wenn  ich  es 
noch  erlebe,  Ihr  Urteil  über  diese  kleine  Schrift,  welche  die 
Resultate  vieler  meiner  Meditationen  zusammengedrängt  enthält, 
erfahre,  und  wenn  ich  zugleich  von  Ihren  freundschaftlichen  Ge- 
sinnungen versichert  werde. 

Ich  wünschte  zwar  auch,  Ihr  Urteil  über  die  neuesten  Fort- 
schritte, welche  einige  Ihrer  Schüler,  besonders  FICHTE,  glauben, 
in  der  Philosophie,  seit  der  Erscheinung  der  Kritik  gemacht  zu 
haben,  zu  wissen.  Aber  Sie  können  billige  Ursachen  haben,  warum 
Sie  weder  öffentlich  noch  in  Privatbriefen  ein  entscheidendes 
Urteil  darüber  fällen  wollen.  Ich  selbst  bin  nur  sehr  oberflächlich 
davon  unterrichtet.  Ich  habe  die  Schwierigkeiten  der  Kritik  über- 
wunden; und  ich  bin  im  Ganzen  dafür  belohnt  worden.  Aber 
ich  habe  nicht  das  Herz  noch  die  Kraft,  mich  den  noch  weit 
größern  Schwierigkeiten  zu  unterziehen,  welche  mir  die  Lektüre 
der  Wissenschaftslehre  machen  würde.     Jetzt  macht  meine  täglich 


')   Garve,    Übersicht    der  vornehmsten  Prinzipien  der  Sittenlehre, 
Breslau    1798- 


3  50  Von  Christian   Garve 

wachsende  Krankheit  mir  solche  überfeine  Spekulationen  ohnedies 
unmöglich.  Ich  würde  Ihnen  hier  meinen  Zustand  schildern,  der 
gewissermaßen  ebenso  merkwürdig  und  sonderbar  als  kläglich  ist: 
aber  eine  genaue  Beschreibung  desselben  würde  ein  weitläufiges 
Werk  sein,  wozu  es  mir  an  Kräften  gebricht;  und  ohne  Ge- 
nauigkeit, wozu  kann  eine  solche  Schilderung  dienen?  Ein  äußerer 
Schaden,  der  vor  ungefähr  dreizehn  Jahren,  sehr  unschuldig 
scheinend,  am  rechten  Nasenflügel,  nicht  weit  vom  Augenwinkel 
entstand,  —  der  eigenthch  nicht  Krebs  nach  allen  Symptomen, 
aber  darin  vollkommen  krebsartig  ist,  daß  er  sich  nicht  bloß 
nach  der  Oberfläche,  sondern  im  kubischen  Verhältnisse  erweitert, 
und  eben  so  tief  aushöhlt  als  weit  er  sich  ausbreitet,  und  der 
endlich  allen  Heilmitteln  widerstand,  zu  welchen  freilich  der 
Nachbarschaft  des  Auges  wegen  keine  ätzenden  Mittel,  vielleicht 
die  wirksamsten  in  solchen  Fällen,  gebraucht  werden  konnten:  — 
dieser  Schaden  hat  nunmehr  das  ganze  rechte  Auge  und  einen 
Teil  der  rechten  Wange  verzehrt,  hat  eine  ebenso  große  Höhle 
in  den  Kopf  gebohrt  und  Zerstörungen  einer  seltnen  Art  an- 
gerichtet. Es  scheint  unmöglich,  daß  ein  Mensch  dabei  leben 
könne;  es  scheint  noch  unmöglicher,  daß  er  dabei  denken,  und 
selbst  mit  einem  gewissen  Scharfsinn  und  einer  Exaltation  des 
Gemütes  denken  könne:  und  doch  ist  beides  wahr.  Dieser 
unwahrscheinliche  aber  glückliche  Umstand  hat  mir,  der  ich  von 
Schwäche  und  Schmerz  wechselsweise  geplagt  und  von  der  mensch- 
lichen Gesellschaft  entfernt  bin,  die  vorzüglichste  Erleichterung 
und  den  Trost  meines  Lebens  verschafft.  Nie  habe  ich  die  Schön- 
heit eines  Verses,  die  Bündigkeit  eines  Räsonnements  und  die 
Annehmlichkeit  einer  Erzählung  deutlicher  wahrgenommen  und 
mit  mehr  Vergnügen  empfunden. 

Aber  wie  klein  bleibt  bei  allem  diesen  der  Ersatz  für  die 
Leiden,  welche  ich  von  Zeit  zu  Zeit  auszustehen  habe!  und  wie 
lange  werde  ich  diesen  Kampf  noch  kämpfen  müssen! 

Sie  haben  von  der  Macht  des  Gemüts  über  den  Schmerz  und 
selbst  über  Krankheiten  in  Ihrem  Briefe  an  Hufeland,  geredet. 
Ich  bin  vollkommen  darüber  mit  Ihnen  einig,  und  weiß  es  aus 
eigner  Erfahrung,  daß  das  Denken  eine  Heilkraft  habe.  Aber 
dieses  Mittel  läßt  sich  nicht  bei  allen  auf  gleiche  Weise  anwenden. 
Einige,  zu  welchen  auch  Sie  gehören,  helfen  ihrem  Übel  dadurch 
ab,  daß  sie  ihre  Aufmerksamkeit  davon  abwenden.  Ich  habe  den 
meinigen,  z.  B.  Zahnschmerzen,  dadurch  am  besten  abhelten  körmen. 


An  Christian  Garve  351 

indem  ich  meine  Aufmerksamkeit  darauf  konzentriert,  und  an 
nichts  als  an  meinen  Schmerz  gedacht  habe.  Aber  solche  äußere 
Übel,  wie  das,  an  welchem  ich  jetzt  leide,  sind  der  Macht  des 
Gemüts  am  wenigsten  unterworfen;  und  w^ie  es  scheint  ganz 
mechanisch  und  körperlich.  Doch  sie  sind  der  Macht  der  Vor- 
sehung und  des  Weltregierers  unterworfen.  Dieser  erhalte  Ihnen 
die  Gesundheit  und  die  Kräfte,  deren  Sie  bisher  in  einem  hohen 
Alter  genossen  haben.  Er  bringe  mich  mit  erträglichen  Schmerzen 
zum  Ziele  meines  Lebens;  da  eine  frühere  Befreiung  von  den- 
selben   unmöglich   ist.*)     Ich    bin   mit    dem   aufrichtigsten  Herzen 

Ihr 

ergebener  Freund 

C  Garve 
452. 

An  Christian  Garve. 

Königsberg  d.  21.  Sept.  1798. 
Ich  eile,  teuerster  Freund!  den  mir  d.  19.  Septembr.  ge- 
wordenen Empfang  Ihres  liebevollen  und  seelenstärkenden  Buchs 
und  Briefes  (bei  deren  letzterem  ich  das  Datum  vermisse)  zu 
melden.  —  Die  erschütternde  Beschreibung  Ihrer  körperlichen 
Leiden,  mit  der  Geisteskraft,  über  sie  sich  wegzusetzen  und  fürs 
Weltbeste  noch  immer  mit  Heiterkeit  zu  arbeiten,  verbunden, 
erregen  in  mir  die  größte  Bewunderung.  —  Ich  weiß  aber  nicht, 
ob,  bei  einer  gleichen  Bestrebung  meinerseits,  das  Los,  was  mir 
gefallen  ist,  von  Ihnen  nicht  noch  schmerzhafter  empfunden  werden 
möchte,  wenn  Sie  sich  darin  in  Gedanken  versetzten;  nämlich 
für  Geistesarbeiten,  bei  sonst  ziemlichen  körperhchen  Wohlsein, 
wde  gelähmt  zu  sein:  den  völligen  Abschluß  meiner  Rechnung,  in 
Sachen  welche  das  Ganze  der  Philosophie  (sowohl  Zweck  als 
Mittel  anlangend)  betreffen,  vor  sich  Hegen  und  es  noch  immer 
nicht  vollendet  zu  sehen;  obwohl  ich  mir  der  Tunlichkeit  dieser 
Aufgabe  bewußt  bin:  ein  Tantalischer  Schmerz,  der  indessen  doch 
nicht  hoffnungslos  ist.  —  Die  Aufgabe,  mit  der  ich  mich  jetzt 
beschäftige,  betrifft  den  „Übergang  von  den  metaphys.  Anf.  Gr. 
d.  N.  W.  zur  Physik".^)    Sie  will  aufgelöset  sein;  weil  sonst  im 

^)  Garve  ist  wenige  Wochen  nach  diesem  Brief  am  i.  Dezember 
1798  gestorben. 

*)  Über  Kants  Arbeit  an  diesem  Werk  seiner  letzten  Jahre  vgl.  z.  B.  die 
Nachrichtenbei  Wasianski,  Kant  in  seinen  letzten  Lebensjahren,  S.  i94f. 


3  5^  An  Christian  Garve 

System  der  krit.  Philos.  eine  Lücke  sein  würde.  Die  Ansprüche 
der  Vernunft  darauf  lassen  nicht  nach:  das  Bewußtsein  des  Ver- 
mögens dazu  gleichfalls  nicht;  aber  die  Befriedigung  derselben  wird, 
wenn  gleich  nicht  durch  völlige  Lähmung  der  Lebenskraft,  doch 
durch  immer  sich  einstellende  Hemmungen  derselben  bis  zur 
höchsten  Ungeduld   aufgeschoben. 

Mein  Gesundsein,  wie  es  Ihnen  andere  berichtet  haben,  ist 
also  nicht  die  des  Studierenden,  sondern  Vegetierenden  (Essen, 
Gehen  und  schlafen  können);  und  mit  dieser  reichte,  in  meinem 
75.  Jahre,  für  Ihre  gütige  Aufforderung,  daß  ich  meine  dermalige 
Einsichten  in  der  Philosophie  mit  denen,  zu  welchen  Sie  binnen 
der  Zeit,  da  wir  miteinander  freundschaftlich  kontro vertierten, 
vergleichen  möchte,  mein  sogenanntes  Gesundsein  nicht  zu;  wenn 
es  sich  nicht  damit  etwas  bessert:  als  wozu  ich,  da  meine  jetzige 
Desorganisation  vor  etwa  anderthalb  Jahren  mit  einem  Katarrh 
anhob,  nicht  alle  Hoffnung  aufgegeben  habe. 

Ich  gestehe:  daß,  wenn  dieser  Fall  eintritt,  es  eine  meiner 
angenehmsten  Beschäftigungen  sein  wird,  diese  Vereinigung,  ich 
will  nicht  sagen  unserer  Gesinnungen,  (denn  die  halte  ich  für 
einhellig)  sondern  der  Darstellungsart,  darin  wir  uns  vielleicht 
einander  nur  mißverstehen  mögen  —  zu  versuchen;  wozu  ich 
denn  in  langsamer  Durch lesung  Ihres  Buchs,  bereits  den  Anfang 
gemacht  habe. 

Beim  flüchtigen  Durchblättern  desselben  bin  ich  auf  die  Note 
S.  339  gestoßen:  in  Ansehung  deren  ich  protestieren  muß.  — 
Nicht  die  Untersuchung  vom  Dasein  Gottes,  der  Unsterblichkeit  usw. 
ist  der  Punkt  gewesen,  von  dem  ich  ausgegangen  bin,  sondern  die 
Antinomie  der  r.  V.:  „Die  Welt  hat  einen  Anfang  — :  sie  hat 
keinen  Anfang  usw.  bis  zur  vierten:  Es  ist  Freiheit  im  Menschen, 
—  gegen  den:  es  ist  keine  Freiheit,  sondern  alles  ist  in  ihm 
Naturnotv/endigkeit;"  diese  war  es,  welche  mich  aus  dem  dog- 
matischen Schlummer  zuerst  aufweckte  und  zur  Kritik  der  Ver- 
nunft selbst  hintrieb,  um  das  Skandal  des  scheinbaren  Wider- 
spruchs der  Vernunft  mit  ihr  selbst  zu  heben. 

Mit  der  vollkommensten  Zuneigung  und  Hochachtung  bin  ich 
jederzeit 

Ihr 

ergebenster  treuer  Diener 
I  Kant 


An  Johann  Gottfried  Kiesewetter  353 

433- 
An  Johann   Gottfried   Carl   Christian   Kiesewetter. 

Sie  geben  mir,  wertester  Freund!  von  Zeit  zu  Zeit,  durch 
Ihre  gründhche  Schriften,  hinreichenden  Anlaß  zur  angenehmen 
Erinnerung  unserer  unwandelbaren  Freundschaft.  Erlauben  Sie  mir 
jetzt  auch  jene  periodische  Erinnerung,  wegen  der  Teltower  Rüben, 
in  Anregung  zu  bringen,  womit  ich  für  den  Winter  durch  Ihre 
Güte  versorgt  zu  werden  wünsche;  ohne  Sie  doch  dabei  in 
Unkosten  setzen  zu  wollen  als  welche  ich  gerne  übernehmen 
würde. 

Mein  Gesundheitszustand  ist  der  eines  alten,  nicht  kranken, 
aber  doch  invaliden;  vornehmlich  für  eigentHche  und  öffentliche 
Amtspflichten  ausgedienten  Mannes,  der  dennoch  ein  kleines  Maß 
von  Kräften  in  sich  fühlt,  um  eine  Arbeit,  die  er  unter  Händen 
hat,  noch  zustande  zu  bringen;  womit  er  das  kritische  Geschäfte 
zu  beschließen  und  eine  noch  übrige  Lücke  -auszufüllen  denkt; 
nämlich  „den  Übergang  von  den  metaph.  A.  Gr.  der  N.  W. 
zur  Physik",  als  einen  eigenen  Teil  der  philosophia  naturahs,  der 
im  System  nicht  mangeln  darf,  auszuarbeiten. 

Ihrerseits  sind  Sie  bisher,  was  Ihnen  nicht  gereuen  wird,  der 
krit.  Phil,  standhaft  treu  geblieben:  indessen  daß  andere,  die  sich 
gleichfalls  derselben  gewidmet  hatten,  durch  zum  Teil  lächerliche 
Neuerungssucht  zur  Originalität,  nämlich,  wie  Hudibras,  aus  Sand 
einen  Strick  drehen  zu  wollen')  um  sich  her  Staub  erregen,  der 
sich  doch  in  kurzem  legen  muß. 

So  höre  ich  eben  jetzt  durch  eine  (doch  noch  nicht  hin- 
reichend verbürgte)  Nachricht:  daß  REINHOLD,  der  FICHTEN 
seine  Grundsätze  abtrat,  neuerdings  wiederum  anderes  Sinnes  ge- 
worden und  rekonvertiert  habe.  Ich  werde  diesem  Spiel  ruhig 
zusehen  und  überlasse  es  der  jüngeren  und  kraftvollen  Welt,  die 
sich  dergleichen  ephemerische  Erzeugnisse  nicht  irren  läßt,  ihren 
Wert  zu   bestimmen. 

Wollten  Sie    mich    bei    dieser  Gelegenheit    mit  Notizen  Ihres 

')  Vgl.  Butlers   Hudibras,    frei    übersetzt   von  Dietr.  Wilh.  Soltau 
Königsberg   1798,  Buch  I,  Ges.  i,  S.  159  f. 

Kants  Schriften.  Bd.  X.  23 


3  54    ^w  ^-  ^^^«^2;  und  J.  Chr.  Kraus,  —  Von  y.  G.  Kiesewetter 

Orts,  vornehmlich  aus  dem  literarischen  Fach,  regalieren:  so  würde 
es  mir  sehr  angenehm  sein:  —  wobei  ich  mit  der  vollkommensten 
Freundschaft,  Hochachtung  und  Ergebenheit  jederzeit  bin 

Der  Ihrige 
Königsberg,  I  Kant 

d.  19.  Okt. 
1798. 

434- 
An  Johann  Schultz  und  Christian  Jacob  Kraus. 

(Entwurf.) 

Nach  d.  Z5.  Okt.  1798. 
Aus  inliegendem  Briefe,  welchen  ich  mir  womöglich  noch 
heute  oder  morgen  früh  zurück  erbitte,  werden  Ew.  Hochehrwürd. 
und  Ew.  Wohlgeb.  das  Ansuchen  des  Herrn  GRUSE  in  Riga  er- 
sehen und  Ihr  Urteil  über  die  Kapazität  dieses  Mannes  zu  einer 
Professur  in  Rußland  empfohlen  zu  werden  in  diesem  Billet  ab- 
zugeben belieben;  worauf  ich  mich,  da  ich  meinerseits  darüber 
keine  Kundschaft  habe,  sondern  ihn  nur  als  einen  wackeren  imd 
ehrliebenden  Mann  kenne,  fußen  und  ihn  in  meinem  morgen 
früh  abzufassenden  Briefe,  wenn  Ihre  Beistimmung  dahin  ausfällt, 

dazu  empfehlen  würde 

I  K 

435- 
Von  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Innigstgeliebter  Freund  und  Lehrer, 
Seien  Sie  nur  nicht  böse,  daß  ich  erst  jetzt  Ihren  lieben  Brief 
beantworte,  ich  wollte  Ihnen  nicht  eher  schreiben  bis  ich  Ihnen 
den  Abgang  der  Rüben  melden  könnte  und  da  diese  fortgeschickt 
waren,  fanden  sich  eine  Menge  Hindernisse,  die  mich  bis  jetzt 
vom  Schreiben  abhielten.  Das  Fäßchen  mit  Rüben  müssen  Sie 
bald  nach  Empfang  dieses  Briefes  erhalten,  der  Fuhrmann,  der  es 
Ihnen  bringt,  heißt  Wcgener,  das  Fäßchen  ist  gezeichnet:  H.  P.  K. 
in  Königsberg  in  Preußen,  Fracht,  Accise  und  Zoll  ist  alles  schon 


l^n  Johann  Gottfried  Kiesewetter  355 

errichtet,  so  daß  Sie  es  durch  Lampe  ohne  alle  weitere  Umstände 
können  abholen  lassen.  Sie  glauben  nicht,  wie  herzlich  ich  mich 
freue,  wenn  ich  eine  Gelegenheit  erhalte  Ihnen  irgend  worin 
dienen  zu  können;  ich  wünsche  nur  recht  sehr,  daß  die  Rüben 
Ihren  Beifall  erhalten  möchten;  es  sind  cingeborne  Teltower  und 
die  ich  zur  Probe  kochen  ließ,  haben  mir  gefallen.  Ihre  Köchin 
muß  sie  an  einem  trockenen  Ort  in  Häcksel  aufbewahren,  und 
wenn  sie  sie  kocht,  mit  lauem,  nicht  mit  kaltem  Wasser  ab- 
waschen, u.  sogleich  in  die  heiße  Fleischbrühe  oder  das  heiße 
Wasser  kochen.  Setzen  Sie  kein  Mißtrauen  in  den  Rat,  er  kömmt 
nicht  von  mir,  sondern  von  meiner  Mutter,  die  eine  gute  alte 
Hausfrau  ist.   — 

Ihr  Streit  der  Fakultäten  und  Ihre  Anthropologie  haben  mir 
unendlich  viel  Freude  gemacht,  die  letztere  vergegenwärtigt  mir 
oft  die  glückliche  Zeit,  da  ich  Ihres  mündlichen  Unterrichts  ge- 
noß; eine  Zeit,  die  mir  ewig  unvergeßlich  sein  wird.  Könnte  ich 
Sie  doch  noch  einmal  sehen  und  Ihnen  persönlich  danken.  Sie 
sind  der  Schöpfer  meines  Glücks,  was  ich  etwa  weiß  und  was 
ich  bin,  verdanke  ich  größtenteils  Ihnen,  und  der  Gedanke,  daß 
ich  kein  unwürdiger  Schüler  von  Ihnen  bin,  macht  mich  froh.  — 
O  mein  teurer  Freund,  wie  unendlich  viel  Gutes  haben  Sie  durch 
Ihre  Schriften  gestiftet,  welch  eine  reiche  Ernte  kann  die  Welt 
von  dem  Samen  erwarten,  den  Sie  ausgestreut  haben. 

Was  Ihr  System  in  England  für  Fortschritte  macht,  werden 
Sie  wahrscheinlich  durch  Herrn  NITSCH  erfahren  haben;  ich 
habe  neuerdings  Nachrichten  aus  Frankreich  über  diesen  Gegen- 
stand erhalten,  die  ich  Ihnen  mitteilen  will.  Ihre  Schrft,  zum 
ewigen  Frieden,  erregte  wegen  des  Gegenstandes  durch  die  in 
Königsberg  veranstaltete  Übersetzung')  Aufsehen  in  Paris,  allein 
man  fand  die  Übersetzung  hart  und  sie  wollte  dem  eklen  Pariser 
nicht  gefallen,  nur  da  erst,  als  ein  Pariser  Gelehrter,  dessen  Name 
mir  entfallen  ist,  in  einer  Zeitschrift  den  Inhalt  nach  französischer 
Manier  aufstellte,  woraus  nachher  im  Moniteur  Auszüge  geliefert 
wurden,  ward  jedermann  enthusiastisch  eingenommen  u.  wünschte 
mit  Ihrem  System  näher  bekannt  zu  werden.  Dieser  Wunsch 
ward    vorzüglich    bei    mehreren  Mitgliedern  des  institut  national 


^)  Projet  de  paix  perperuelle.  Essai  philosophique  par  Emmanuel 
Kant.  Traduit  de  TAIlemand  avec  un  nouveau  Supplement  de  l'auteur. 
Königsberg   1796. 

^3* 


3  5<^  ^w  jfohann  Gottfried  Kiesewetter 

rege,  u.  man  trug  vor  einiger  Zeit  dem  Herrn  VON  HUMBOLDT 
dem  altern  auf,  über  die  Resultate  Ihres  Systems  im  institut  eine 
Vorlesung  zu  halten.  Dieser  unterzog  sich  auch  dieser  Sache,  ob  er 
gleich  nicht  das  gehörige  Zeug  dazu  hat  und  zeigte,  der  Nutzen 
der  kritischen  Philosophie  sei  negativ,  sie  halte  die  Vernunft  ab, 
im  Felde  des  Übersinnlichen  Luflschlösser  zu  bauen.  Die  Pariser 
Gelehrten  antworteten,  daß  sie  nicht  in  Abrede  sein  wollten,  daß 
Sie  auf  eine  neue  und  scharfsinnigere  Art  die  W^ahrheit  dieses 
Resultats  bewiesen  hätten,  daß  aber  dadurch  so  viel  eben  nicht 
gewonnen  sei,  weil  dies  Resultat  auch  schon  sonst  bekannt  ge- 
wesen, sie  fragten,  ob  Sie  denn  bloß  eingerissen  und  nichts  auf- 
gebaut hätten,  und  denken  Sie  sich,  Herr  VON  HUMBOLDT 
kannte  bloß  den  Schutt  der  durch  die  Kritik  eingestürzten  Systeme. 
Si  tacuisset,  philosophus  mansisset.  Der  Gesandte  der  Hansestädte, 
Hamburg,  Bremen,  Lübeck  u.  Frankfurt  in  Paris,  wohnte  dieser 
Vorlesung  bei,  und  da  er  mit  den  kritischen  Schriften  nicht 
unbekannt  ist,  nahm  er  an  dieser  Vorlesung  großes  Ärgernis,  er 
bestritt  HUMBOLDTS  Behauptung,  war  aber  nicht  imstande  Ihr 
System  selbst  aufzustellen.  Dieser  Gesandte  kam  vor  einigen 
Wochen  nach  Berlin,  suchte  meine  Bekanntschaft,  erzählte  mir 
den  Vorfall  und  nützte  die  Zeit  seines  Aufenthalts  allhier,  um  mit 
dem  Geiste  und  den  Resultaten  Ihres  Lehrgebäudes  näher  bekannt 
zu  werden.  Er  war  entzückt  über  das  was  er  hörte  und  wünschte 
nun  nichts  sehnlicher,  als  die  Pariser  Gelehrten  von  ihrem  Irrtum 
zurückzuführen;  ich  habe  ihm  versprochen,  dazu  mitzuwirken. 
Dies  wird  nun,  wie  ich  glaube,  am  besten  auf  folgende  Weise 
geschehen.  Ich  will  zuvörderst  die  Resultate  Ihrer  philosophischen 
Untersuchungen  kurz  zusammengedrängt,  leicht  und  faßlich  auf- 
stellen, doch  so,  daß  ich  mich  auf  die  Beweise  nicht  weiter  ein- 
lasse. Das  Ganze  darf  nicht  über  6  bis  8  Bogen  einnehmen. 
Mit  Aufstellung  des  formalen  Moralprinzips  u.  mit  einem  kurzen 
Abriß  der  Ethik  u.  des  Naturrechts  will  ich  den  Anfang  machen, 
durch  die  Antinomie  über  Freiheit  u  Naturnotwendigkeit  will  ich 
den  Übergang  zur  Kritik  der  reinen  Vernunft  machen,  auf  diese 
den  Abriß  der  metaphysischen  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft 
folgen  lassen,  u.  so  dann  mit  den  Prinzipien  der  Kritik  der 
Urteilskraft  schließen.  Bin  ich  mit  diesem  Aufsatze  zufrieden,  so 
will  ich  sodann  dieselben  Ideen  französisch  niederschreiben,  und 
die  Schrift  mit  einem  meiner  besten  Schüler,  der  das  Französische 
vollkommen  inne  hat,  durchgehen,  um  Sprachfehler  u.  Germanismen 


Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter  357 

auszumerzen.  Beide,  den  deutschen  und  französischen  Aufsatz,  will 
ich  an  meinen  Freund  nach  Paris  schicken,  er  soll  den  letztern 
mehreren  Gelehrten,  die  gar  nicht  wissen  müssen,  daß  er  eine 
Übersetzung  ist,  vorlesen,  damit  diese  alles  was  hart  und  eckicht  ist, 
wegschleifen,  u.  sodann  mag  er  ins  Publikum  gehen.  Ich  wünsche, 
mein  teurer  Freund,  daß  dieser  Plan  von  Ihnen  genehmigt  werde, 
geschieht  dies,  so  will  ich  mich  getrost  an  die  Arbeit  machen.  — 
Es  gäbe  freilich  einen  kürzern  Weg  zum  Ziel,  ein  Mann,  der  sich 
jetzt  bei  uns  in  Berlin  findet,  würde  gern  die  Hände  dazu  bieten, 
allein  die  Regierung  hat  hier  eine  für  mich  wenigstens  unüber- 
steigliche  Barriere  gezogen.  Ich  denke  Sie  werden  mich  ver- 
stehen. 

Meine  übrigen  schriftstellerischen  Arbeiten  sind  ein  Lehrbuch 
der  reinen  Mathematik  und  die  Besorgung  der  dritten  Auflage 
meiner  Schrift  über  den  ersten  Grundsatz  der  Moralphilosophic, 
welche  ich  völlig  umzuarbeiten  und  mit  einem  dritten  Teil  zu 
vermehren  gedenke.  Was  das  Lehrbuch  der  reinen  Mathematik 
betriflFt,  so  werde  ich  eine  ganz  neue  Methode  befolgen;  ich  will 
nämlich  in  demselben  nicht  die  Auflösungen  und  Beweise,  wie  dies 
immer  geschieht,  selbst  aufstellen,  sondern  nur  Anleitung  geben, 
wie  man  dieselben  finden  kann,  diejenigen  Fälle  ausgenommen, 
wo  die  Auffindung  mit  zu  viel  Schwierigkeiten  verknüpft  wäre. 
Ich  glaube,  daß  ein  mathematisches  Lehrbuch  in  dieser  Form 
dem  Lehrer  und  Zuhörer  angenehm  sein  wird.  — ■  Bei  Bearbeitung 
dieses  Werks  aber  stoße  ich  auf  eine  Schwierigkeit,  über  die  ich 
mir  Ihren  gütigen  Rat  erbitte.  Es  scheint  mir,  als  wenn  man 
bisher  einen  Teil  der  reinen  Mathesis  mit  Unrecht  zur  an- 
gewandten gezählt  habe,  dies  ist  nämlich  die  reine  Größenlehrc 
der  Bewegung.  Die  reine  Mathesis  zerfällt  meines  Erachtens  in 
zwei  Hauptteile,  der  erste  beschäftigt  sich  mit  der  Quantität 
überhaupt,  Arithmetik,  sie  hat  bloß  symbolische  Konstruktion, 
der  zweite  auf  Quanta;  reine  Quanta  gibt  es  zwei,  Raum  und 
Zeit,  der  erste  ist  Gegenstand  der  Geometrie;  die  zweite  ist  an 
sich  nicht  zu  konstruieren,  sondern  nur  durch  Bewegung  im 
Raum,  die  reine  Größenlehre  der  Bewegung  würde  also  den 
dritten  Teil  der  reinen  Mathesis  ausmachen.  —  Auch  wünschte 
ich,  mein  hochgeschätzter  Freund,  eine  Definition  von  Postulat 
zu  haben,  wodurch  dieser  BegriflF  sowohl  für  die  Mathematik 
als  Philosophie  hinreichend  bestimmt,  und  sein  Unterschied  von 
Grundsatz  angegeben  würde.  —  Verzeihen   Sie   meine  Zudring- 


358  Von  Georg  Christoph  Lichtenberg 

lichkeit,  die  sich  freilich  nur  durch  das  feste  Vertrauen  auf  Ihre 
Güte  entschuldigen  läßt. 

Von  literarischen  Neuigkeiten  weiß  ich  wenig.  GARVE.  ist 
dem  Ende  seines  Unglücks  nahe.  —  MATTERN  REUSS,  der  so 
viel  zur  Verbreitung  der  kritischen  Philosophie  im  südlichen 
Deutschland  beitrug,  ist  tot,  er  hat  mir  von  seinem  Todbette 
durch  zwei  seiner  liebsten  Schüler  den  letzten  Gruß  gesandt;  ich 
erhielt  diesen  mit  der  Nachricht  von  seinem  Tode  zu  gleicher 
Zeit.      Die  Nachricht  hat  mich  sehr  erschüttert. 

Der  gelehrte  Parteigänger  Kriegsrat  GENZ  hat  von  der  Re- 
gierung 800  Reichstaler  jährliche  Zulage  und  den  Auftrag  erhalten, 
ein  Regierungsjournal  zu  schreiben ;  wie  dies  eigentlich  beschaffen 
sein  soll,  weiß  ich  noch  nicht,  so  viel  aber  ist  ausgemacht,  es 
soll  ein  Gegengift  sein. 

Ich  fürchte,  Ihre  Geduld  zu  ermüden,  darum  schheße  ich 
meinen  Brief.  —  Meine  besten  Wünsche  für  Ihr  Wohl.  —  Darf 
ich  eine  baldige  Antwort  von  Ihnen  hoffen?  —  Um  diese  und 
daß  Sie  einen  Mann  ein  wenig  heb  behalten,  der  Sie  über  alles 
liebt  und  schätzt,  bittet  Sie 

Ihr 
Berlin,  den   25.  November  1798.  dankbarer  Schüler 

Kiesewetter. 


436. 

Von  Georg  Christoph  Lichtenberg. 

Empfangen  Sie,  verehrungswürdiger  Mann,  meinen  herzlichsten 
Dank  für  Ihr  gütiges  Andenken  an  mich,  wovon  Ihr  letztes 
Schreiben  wieder  so  manchen  unschätzbaren  Beweis  enthielt.  Die 
Freude,  die  mir  jede  Zeile,  die  ich  von  Ihnen  erhalte,  zu  jeder 
Zeit  macht,  wurde  diesmal  nicht  wenig  durch  einen  Umstand 
vermehrt,  der  meinem  kleinen  häusHchen  Aberglauben  gerade 
recht-  kam:  Ihr  vortrefflicher  Brief  war  am  ersten  Julii  datiert, 
und  dieser  Tag  ist  mein  Geburtstag.  Sie  würden  gewiß  lächeln, 
wenn  ich  Ihnen  alle  die  Spiele  darstellen  könnte,  die  meine 
Phantasie  mit  diesem  Ereignisse  trieb.  Daß  ich  alles  dabei  zu 
meinem  Vorteil  deutete,  versteht  sich  von  selbst.  Ich  lächele  am 
Ende  darüber,  ja  zuweilen  sogar  mitten  darunter,  und  fahre  gleich 


Von  Carl  Friedrich  Staudltn  359 

darauf  wieder  damit  fort.  Ehe  die  Vernunft,  denke  ich,  das 
Feld  bei  dem  Menschen  in  Besitz  nahm,  worauf  jetzt  noch  zu- 
weilen diese  Keime  sprossen,  wuchs  manches  auf  demselben  zu 
Bäumen  auf,  die  endlich  ihr  Alter  ehrwürdig  machte  und  heiligte. 
Jetzt  kömmt  es  nicht  leicht  mehr  dahin.  Es  freute  mich  aber 
in  Wahrheit  nicht  wenig,  mich  gerade  Ihnen,  verehrungswürdiger 
Mann,  gegenüber,  auf  diesem  Aberglauben  zu  ertappen.  Er  zeugt 
auch  von  Verehrung  und  zwar  von  einer  Seite  her,  von  welcher 
wohl,  außer  dem  KANTischen  Gott,  alle  übrige  stammen  mögen. 
Die  Bekanntschaft  des  Herrn  VON  FARENHEID  und  Herrn 
LEHMANNS  macht  mir  sehr  viel  Freude.  In  Preußen  gibts  doch 
noch  Patrioten.  Dort  sind  sie  aber  auch  am  nötigsten.  Nur 
Patrioten  und  Philosophen  dorthin,  so  soll  Asien  wohl  nicht  über 
die  Grenzen  von  Kurland  vorrücken.  Hie  murus  aheneus  esto. 
O,  wenn  mir  nur  meine  elenden  Gesundheitsumstände  verstatteten, 
mehr  in  Gesellschaft  mit  diesen  vortrefflichen  Leuten  zu  sein. 
Wir  wohnen  wie  in  einem  Hause,  nämlich  in  verschiedenen,  die 
aber  demselben  Herrn  gehören  und  in  allen  Etagen  Kommuni- 
kation haben,  so  daß  man  zu  allen  Zeiten  des  Tages  ohne  Hut 
und  im  Schlafrock  zusammenkommen  kann,  wenn  man  will.  Ich 
hoffe,  die  wiederkehrende  Sonne  soll  mir  neue  Kräfte  bringen, 
von  jener  hauslichen  Verbindung  häufigem  Gebrauch  zu  machen, 
als  mir  bisher  möglich  gewesen  ist. 

Mit  der  innigsten  Verehrung  und  unter  den  aufrichtigsten 
Wünschen  für  Ihr  Wohlergehen  habe  ich  die  Ehre   zu  verharren 

ganz  der  Ihrige 
Göttingen,  den   9.  Dez.  G.  C.  Lichtenberg. 

1798. 

437- 
Von  Carl  Friedrich  Stäudlin. 

Empfangen  Sie,  aller  Liebe  und  Verehrung  würdiger  Mann, 
meinen  aufrichtigsten  Dank  für  die  ehrenvolle  Zueignung  Ihres 
Streits  der  Fakultäten  an  mich,  wodurch  Sie  noch  mehr 
getan  haben,  als  Sie  mir  vor  einigen  Jahren  versprochen  haben. 
Schon  vor  einiger  Zeit  hatte  mir  ein  Brief,  den  mir  Herr  LEH- 
MANN überbracht  hat,  diese  Freude  angekündigt  und  mich  von 
Ihrem    fortdauernden  Wohlwollen    gegen    mich    versichert,    aber 


^6o  Von  Johann  Ernst  Lüdeke 

erst  vor  einigen  Tagen  ist  mir  das  Exemplar  Ihrer  Schrift  zu 
Händen  gekommen,  welches  ich  aus  Ihren  Händen  zu  besitzen 
das  Glück  habe.  Ich  werde  nicht  aufhören,  Ihre  Schriften  zu 
studieren,  aus  ihnen  zu  lernen  und  an  ihnen  die  Kraft  des  Selbst- 
denkcns  zu  üben.  Was  ich  selbst  kürzlich  herausgegeben  habe, 
und  soeben  drucken  lasse  (meine  Geschichte  der  Sittenlehre 
Jesu)^)  will  ich  Ihnen  lieber  durch  eine  sich  zeigende  Gelegen- 
heit, als  durch  die  Post  übersenden.  Der  Himmel  segne  ferner 
Ihr  mit  hohem  Verdienste,  Ruhm  und  Freude  geschmücktes  Alter! 
Schenken  Sie  mir  auch  in  Zukunft  Ihr  Wohlwollen  und  seien 
Sie  meiner  reinsten  Verehrung  versichert. 
Göttingen,  den  9.  Dez.  1798. 

C.  F.  Stäudlin. 

438. 

Von  Johann  Ernst  Lüdeke. 

Hochgeschätztester  Lehrer. 

Großer  Männer  Sekretär  sein  ist  auch  ehrenvoll,  und  jetzt 
bin  ich  des  Patriarchen,  im  edelsten  Sinne  des  Wortes,  unsers 
SPALDINGs  Sekretär. 

Er  empfiehlt  sich  Ihnen  in  dem  Gefühl  der  reinsten  Hoch- 
achtung und  bittet,  ihm  zu  verzeihen,  daß  er  auf  Ihr  ihn  er- 
freuendes Schreiben  nicht  eigenhändig  geantwortet  hat.  Seine 
Hand  will  seinen  Gedanken,  die  noch  immer  im  Strömen  sind, 
nicht  mehr  so  folgen  wie  sonst.  Er  hat  jetzt  nichts  mehr  mit 
dem  Consistorio  zu  tun.  —  Aber  er  hat  die  RINGKische  Sache 
dem  Herrn  Rat  TELLER  übertragen,  und  dieser  schätzt  den  RING 
vom  edelsten  Metall,  nach  seinem  wahren  Werte  und  wird  gewiß 
alles,  was  tunlich  ist,  auch  für  diesen  würdigen  Mann  tun. 

Nun  lege  ich  mein  Sekretariat  nieder  und  schreibe  als  Ihr 
dankvollester  Schüler.  So  haben  Sie,  teuerster  Greis,  denn  meine 
An-  und  Zudringlichkeit  so  gütig  aufgenommen?  Ich  sollte 
gegen  Sie  drucken  lassen?  die  Rabbinen  sagen:  Es  ist  weise 
unter  Weisen  schweigen.     Mache    ich   auch  just   nicht  auf  Weis- 

^)  Erschienen  Götringen  1799  als  dritter  Teil  der  von  Stäudlin 
herausgegebenen  „Moral"  von  J.  D.  Michaelis. 


Von  jfohann  Ernst  Lüdeke  361 

hcit  Ansprüche,  so  möchte  ich  mich  doch  nicht  gern  zum  Anti- 
poden der  Weisheit  selbst  herabdrücken.  Ein  Brief  ist  doch  nur 
ein  leises  Reden  und  grenzt  am  Schweigen.  Aber  drucken  lassen 
ist  doch  immer  eine  Art  des  lauten  Redens;  ich  begnüge  mich 
(vorderhand)  mit  Ihrer  gütigen  Äußerung  und  hoflFe,  Sic  werden 
nächstens  sich  so  erklären,  daß   Sie  uns  beruhigen. 

Freilich,  nimmt  man  das  auf  einer,  wie  es  mir  unleugbar 
scheint,  sehr  unvollkommenen  Exegese  ruhende  streng-orthodoxe 
System,  als  die  einzig  wahre  Theologie  an,  dann  ist  durchaus 
nichts  konsequenter,  als  es  von  der  Vernunft  ganz  unabhängig 
darzustellen.      Das  müßte  also   allerdings  erst  ausgemacht  sein.  — 

Mein  Glaubensbekenntnis  ist  dieses:  Ohne  Vernunftgebrauch 
Theologe  sein  sollen,  kommt  mir  vor  als  unter  der  ausgepumpten 
Glocke  der  Luftpumpe  atmen  und  singen  sollen.  Das  können 
doch  höchstens  nur  Frösche.  —  Nun  will  ich  es  gar  nicht 
leugnen,  daß  es  von  jeher  viel  theologische  Frösche  gegeben  hat 
und  auch  noch  gibt,  die  in  iinstern  Sümpfen  quaken.  Aber  sind 
und  sollen  denn  alle  Theologen  Frösche  sein?  Gab  es  und  gibt 
es  nicht  auch  unter  ihnen  Schwäne,  die  den  Genuß  des  Wassers 
und  der  Luft  verbinden?  und  sollte  nicht  selbst  Ihre  Philosophie 
auch  diesen  Schwänen  die  Luft  gereiniget  haben?  Ich  will  lieber 
gestehen,  daß  ich  mir  überall  von  der  orthodoxen  Offenbarung 
gar  keinen  Begriff  machen  kann,  und  wenn  ich  auch  auf  die 
höchste  Fichte  steige  —  als  daß  ich  auf  dem  weiten  Ozean 
moralischer  Wahrheiten  ohne  den  Phanis  der  Vernunft  und  ohne 
ihr  Steuer  mich  einem  Sturm  überlassen  sollte,  von  dem  ich  nicht 
weiß,  von  wannen  er  kommt  und  wohin  er  fähret.  Ich  denke, 
die  höchste  Güte  wird  ihr  edelstes  Geschenk  einem  so  großen 
Teil  seiner  Geschöpfe,  als  die  Theologenrasse  ist  und  zwar  bei 
Besorgung  der  wichtigsten  Angelegenheit  des  Menschen  nicht 
zum  verbotenen  Baum  gemacht  haben.  Wenigstens  habe  ich  bis 
jetzt  noch  keinen  Fluch  dafür  empfunden,  daß  ich  die  Religion, 
die  ich  lehre,  wenigstens  nach  meiner  Vernunft  suche  vernünftig 
zu  lehren.  Zu  diesem  vernünftigen  Lehren  rechne  ich  freilich 
nicht  jedem  alten  Mütterchen  ihren  alten  Trost  weg  zu  syllogi- 
sieren.  —  Volk  bleibt  immer  Kind,  und  es  ist  ja  die  erste  päda- 
gogische Regel  sich  an  die  Ideen  der  Unmündigen  anschmiegen 
und  ihnen  unmerklich  sicherere  Richtung  geben.  — 

Doch  was  ermüde  ich  Sie  mit  meinem  Geschwätze.  Ich 
denke    aber    so:    wäre   ich  in  Königsberg,  so  könnte  mich  doch 


3ÖZ     An  fohann  Georg  Schejfner,  —  An  Robert  Motherby 

nichts  abhalten,  oft  zu  Ihnen  zu  kommen,  und  das  wäre  für  Sie 
doch  noch  ärger,  als  solch  klein  Oktavbriefchen. 

Nun  empfehle  ich  mich  Ihnen  von  ganzer  Seele  und  wünsche 
Ihnen,  nicht  aus  nichtiger  Mode,  in  der  vollesten  Bedeutung,  ein 
recht  ftöhliches,  neues  Jahr,  und  in  diesen  unveränderlichen,  es 
sei  dann  in  Rücksicht  des  Wachsens  veränderlichen  Gesinnungen 
bin  ich  so  ganz 

Ihr 

Ihnen  ergebenster 
Berlin  Verehrer,  Schüler 

am    ic;.  Dezember  und  Freund 

1798.  Lüdeke. 

439- 
An  [Johann  Georg  Scheffner]. 

Ew:  Wohlgcb. 

habe  die  Ehre,  meine  Antwort,  auf  des  Herrn 
LAGARDE  Brief,  verlangtermaßen  zuzuschicken.  Meine  mich 
noch  immer  schikanierende  Unpäßlichkeit,  die  zwar  eben  nicht 
zum  Tode  hindeutet,  aber  doch  zur  Arbeit  und  für  die  Gesell- 
schaft unlustig  macht,  beraubt  mich  des  Vergnügens,  der  Ihrigen 
teilhaftig  zu  werden;  wie  ich  mir  schmeichle.  —  Von  der  Ver- 
änderung der  sonderbaren,  mir  schon  lange  nachteiligen,  Luft- 
beschaffenheit, hoffe  ich  indessen  vor  der  Hand,  daß  sie  sich 
nicht  in  Krankheit  auflösen  werde. 

Der  Ihrige 
d.  24.  Jan.  1799.  I.  Kant. 

440. 
An  Robert  Motherby. 

Ich  gratuliere  von  Herzen  zu  dem  mit  Herren  KÄYSER  aus 
Pillau  getroffenen  ehelichen  Versprechen  Ihrer  zweiten  Mdselle 
Tochter  mit  einem  so  verdienten  Manne,  den  ich  bei  Ihnen  ge- 
sehen zu  haben  mich  gar  wohl  erinnere:  und  bedanke  mich  für 
die  Güte  Ihrer  Notifikation. 

I.  Kant, 
d.  z8.  Mart.  1799. 


An  Carl  Arnold  Wilmans  363 

441. 

An  [Carl  Arnold  Wilmans]. 

(Entwurf.) 

Mai    1799. 

Verzeihen  Sie  es  der  Schwäche  meines  von  Unpäßlichkeit 
gedrückt[en]  Alters,  daß  ich  durch  eine  mir  jetzt  nicht  ungewöhn- 
liche Zerstreuung  Ihren  mühsam  und  weitläuftig  ausgearbeiteten 
Brief  vom  z8.  Oktober  1798  bis  jetzt  unbeantwortet  gelassen 
habe.  Ich  hatte  mir  zur  Beendigung  einer  gewissen  unter  Händen  . 
habenden  Arbeit  eine  Frist  genommen  und  jenen  Brief  so  lange 
auf  meinem  Bureau  zurückgelegt,  auf  welchem  zugleich  der  Brief 
vom  2C.  Januar  1798  sich  befand,  aber  unter  andere  Briefe  un- 
vorsichtigerweise geschoben  worden,  so  daß,  da  ich  nun  an  die  Beant- 
wortung des  Ihrigen  gehen  wollte  und  Ihre  Hand  auf  dem  von 
1798  sähe,  ohne  das  Datum  desselben  nachzusehen,  ich  annahm, 
dieser  sei  die  letztere  an  mich  ergangene  Zuschrift  und  ich  müsse 
die  Ihrige  schon  beantwortet  haben;  welcher  Irrtum  desto  eher 
vorfallen  konnte,  da  ich  in  der  Tat  in  meiner  Antwort,  wie 
auch  jetzt  geschieht,  nichts  Erhebliches  hierauf  zu  antworten 
wußte:  durch  meinen  Freund,  Herrn  Dr.  med.  JACHMANN,  ward 
ich  nach  Erhaltung  des  Ihrigen  von  diesem  Irrtum  belehrt  und 
indem  ich  die  Unannehmlichkeit^  die  ich  durch  so  lange  Ver- 
zögerung Ihnen  verursacht  habe,  bedaure  und  abbitte,  sehe  mich 
überhaupt  nicht  imstande,  eine  Ihnen  gnügende  Antwort  auf  den- 
selben zu  erteilen,  weil  der  Gegenstand  Ihrer  Wahl  ganz  außer- 
halb meiner  Sphäre  gelegen  ist. 

Ihr  Satz:  in  dessen  Sinn  und  Behauptung  ich  schlechterdings 
mich  nicht  versetzen  kann,  steht  auf  der  ersten  Seite  und  dem 
ersten,  Absatz  desselben,  daß  nämhch  zwischen  Vernunft  und  Ver- 
stand ein  gänzlicher  Unterschied,  der  letztere  aber  ein  bloß 
materielles  Wesen  sei.  —  Da  nun  die  materielle  Vielheit,  welche 
keine  Einheit  des  Bewußtseins  des  Subjekts  verstattet,  mit  der 
das  Viele  der  Vorstellungen  in  einem  Bewußtsein  verknüpfende 
Einheit  des  Denkens  nach  meinen  Begriffen  schlechterdings  nicht 
in  demselben  Subjekte  und  dessen  Natur  vereinbar  ist,  so  ver- 
zweifle ich  daran,  sie  jemals  auf  gleichen  Fuß  stellen  zu  können. 

Vielleicht  aber  könnten  Ihre  gewagten  Behauptungen  doch 
unter     gewissen    Modifikationen     etwas    herausbringen,    was    bei 


5  6^     An  Friedr.  Theod.  Rink.  —  Von  ^oh.  Gottfr.  Kiesewetter 

fernerer  Erörterung  und  näherer  Bestimmung  Ihrer  Ideen  auf  ein 
drittes  hahbareres  Prinzip  etwa  führen  möchte,  als  wozu  ich  mit 
aufrichtiger  Freundschaft  Glück  wünsche;  übrigens  aber  mit  der 
vollk.  Hochachtg. 

An  [Friedrich  Theodor  Rink]. 

Da  Ew;  Hochedelgeb.  das  Inserat  in  das  Intelligenzblatt  der 
Jenaischen  A.  L.  Z.  abzusenden  gesonnen  sind:  so  will  ich  nur 
erinnern,  daß  der  Brief  morgen  (Freitags)  vor  8  Uhr,  —  etwa 
um  halb   8    —   auf  die  Post  gegeben  werden  müsse. 

I.  Kant, 
d.  8.  August   1799. 

443- 
Von  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Berlin  den    15.  November   1799. 
Innigstgeliebter  Freund, 

Wie  sehr  habe  ich  mich  gefreut,  von  Ihnen  einen  Brief  zu 
erhalten;  er  ist  mir  ein  überzeugender  Beweis,  daß  Sie  mich  nicht 
ganz  vergessen  haben;  aber  es  hat  mich  auch  sehr  betrübt,  aus 
Ihrem  Briefe  zu  ersehen,  daß  Sie  an  heftigem  Kopfschmerz  leiden. 
Guter  Mann,  wer  wünschte  Ihnen  nicht  ein  glückliches,  schmer- 
zenloses Alter! 

Die  Teltower  Rüben  waren  für  Sie  schon  längst  bestellt,  ehe 
Sie  an  mich  schrieben;  ich  habe  sie  nur  später  erhalten  als  ich 
es  erwartete,  weil  in  diesem  Jahre  selbst  die  Erdfrüchte  beinahe 
4  Wochen  später  zeitig  geworden  sind,  als  gewöhnUch.  Künftigen 
Montag  gehen  sie  mit  dem  Frachtfuhrmann  von  hier  ab,  und  ich 
hoffe,  Sie  werden  sie  vor  dem  Frost  erhalten.  Ich  werde  Fracht, 
Accise  und  alles  andere  berichtigen,  so  daß  Sie  nur  nötig  haben, 
sie  abholen  zu  lassen.  Es  wird  mich  sehr  freuen,  wenn  meine 
kleinen  Landsleute  nach  Ihrem  Geschmack  sind;  meine  Mutter, 
die  von  derselben  Art  gekauft  hat,  hat  mir  davon  zur  Probe 
kochen  lassen,   und  ich  habe  sie  sehr  wohlschmeckend  gefunden. 

Außer  diesem  Produkte  meines  vaterländischen  Bodens  aber 
erhalten  Sie  noch  ein  Produkt  von  mir,  den  ersten  Teil  der  Prü- 


Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter  365 

fung  der  HERDERSCHEN  Metakritik.')  Die  Wahrheit  gesagt,  so 
hielt  ich  das  HERDERSCHe  Geschwätz  an  sich  kaum  einer  Wider- 
legung würdig,  und  ich  würde  mich  auch  nicht  damit  befaßt  haben, 
wenn  der  alte  radottierende  WIELAND  im  Deutschen  Merkur 
nicht  so  gewaltig  zum  Lobe  dieses  Geschreibsel  in  die  Posaune 
gestoßen  hätte,  und  der  Ton  des  sonst  so  gleisnerischen  pfäffischen 
HERDERS  mich  nicht  so  sehr  beleidigt  hätte.  —  Ich  bin,  wie 
Sie  sehen  werden,  streng,  aber  wie  ich  glaube,  als  ein  Gentleman 
mit  ihm  verfahren.  Auffallend  und  lächerlich  ist  es,  daß  die  meisten 
Gegner  Ihres  Systems  sich  vorzüglich  gegen  den  Einwurf  sträuben, 
sie  hätten  Sie  nicht  verstanden,  und  daß  man  doch  größtenteils 
mit  Recht  ihnen  diesen  Vorwurf  machen  muß.  Nichts  hat  mich 
mehr  amüsiert,  als  wenn  HERDER  über  Mathematik  zu  schwatzen 
anhebt;  es  ist  kaum  möglich,  weniger  als  er  in  den  Geist  dieser 
Wissenschaft  eingedrungen  zu  sein  und  doch  arroganter  darüber 
zu  sprechen.  Man  kann  ihm  wahrlich  mit  Recht  zurufen:  Si 
tacuisses   — 

In  der  literarischen  Welt  hat  sich  nichts  von  Bedeutung  zu- 
getragen. FICHTE  befindet  sich  noch  hier,  ich  habe  ihn  im 
Schauspielhause  gesehen,  aber  nicht  gesprochen.  Er  lebt  sehr  ein- 
gezogen und  hat,  außer  GEDICKE,  niemanden  von  den  hiesigen 
Gelehrten  besucht.  Man  sagt,  er  sei  beim  Staatsrat  um  die  Er- 
laubnis, in  Berlin  öffentliche  Vorlesungen  halten  zu  können,  ein- 
gekommen, dieser  aber  habe  sein  Gesuch  abgeschlagen.  Jetzt  be- 
schäftigt er  sich  bloß  mit  Schriftstellerei  und  arbeitet,  wie  mir 
BENDAVID  erzählte,  an  einem  philosophischen  Werk,  das  er  in 
drei  Bänden  mit  den  Titeln:  Wissen,  Zweifel,  Glauben  heraus- 
geben will.')  Von  dem  Ertrage  des  Bücherscl\reibens  möchte  er 
wohl  schwerlich  leben  können,  allein  ich  glaube,  daß  er  mit  seiner 
Frau  ein  beträchtliches  Vermögen  erheiratet  hat. 

Einiges  Aufsehen  macht  hier  DIOGENES  mit  der  Laterne, 
den  man  allgemein  dem  Prediger  JENISCH  zuschreibt.  Das  Werk 
ist  zynisch.  Der  Verfasser  hat  es  auch  mit  der  kritischen  Philo- 
sophie, die  er  aber  meines  Erachtens  wohl  nicht  durchaus  gefaßt 
haben  möchte,  hin  und  wieder  zu  tun.  Von  Ihnen  erzählt  er 
drei  Urteile,  über  REINHOLD,  BECK  und  FICHTE,  deren  Wahr- 


')  Bd.  I:  Berlin    1799;  Bd.  II:  Berlin   1800. 

')  Fichtes  „Bestimmung  des  Menschen"  (Berlin  1800),  dessen  drei 
Bücher  „Zweifel",  „Wissen",  „Glaube"  überschrieben  sind. 


^66  Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter 

heit  ich  dahingestellt  sein  lasse.*)      Sollte  JENISCH  wirklich   der 
Verf.  sein,  so  würde  es  ihm  gewiß  nicht  zur  Ehre  gereichen. 

NICOLAI  phantasiert  noch  immer  über  kritische  Philosophie 
und  Fichtianismus;  und  nun  er  Academicien  geworden,  hält  er 
es  für  Pflicht,  sein   Geschreibsel  zu  verdoppeln.   — 

Sie  werden  aus  den  Berliner  Zeitungen  gesehen  haben,  daß 
in  Berlin  gewaltig  viel  Vorlesungen  angekündigt  werden,  wenn  sie 
gleich  nicht  zur  Hälfte  zustande  kommen.  Ich  muß  ex  officio  sehr 
viel  Vorlesungen  halten,  allein  ich  bin  doch  mit  meinem  applausu 
zufrieden  und  die  Anzahl  meiner  Zuhörer  nimmt  von  Jahr  zu 
Jahr  zu.  Sonntags  von  i  o  bis  i  z  lese  ich  über  Ihre  Anthropo- 
logie und  mein  ziemlich  großer  Hörsaal  ist  gedrängt  voll.  Ich 
zähle  Personen  von  allen  Ständen,  Studierende,  Bürger,  Offiziere 
usw.  zu  meinen  Zuhörern. 

Soeben  erfahre  ich  den  Namen  des  Frachtfuhrmanns,  der  Ihnen 
die  Rüben  bringt,  er  heißt  Segemund.  Meine  Mutter  erirmert,  daß 
die  Rüben  nur  eine  Viertelstunde  zu  kochen  nötig  haben,  und  daß 
sie  von  ihrer  Güte  verlieren,  wenn  sie  länger  kochen. 

Dürfte  ich  Sie  ersuchen,  Herrn  Hofprediger  SCHULTZ  ein- 
liegendes Briefchen  zu  schicken. 

Geben  Sie  mir  doch  recht  oft  Gelegenheit,  Ihnen  zu  zeigen, 
wie  herzlich  ich  Sie  Hebe  und  hochschätze.  Wenn  Sic  wüßten, 
wie  oft  ich  mich  innigst  gerührt  Ihres  genossenen  Umgangs  und 
Ihrer  Belehrung  erinnere  und  wie  sehnlich  ich  wünsche,  Sie 
einmal  wiederzusehen. 

Ich  habe  hier  Ihre  Büste  gekauft,  die  mir  sehr  ähnlich  zu 
sein  scheint,  und  sie  ist  mir  unschätzbar,  weil  sie  mir  das  Bild  des 
Mannes  vor  Augen  stellt,    dem  ich  mein  ganzes  Glück  verdanke. 

Leben  Sie  wohl,  teurer  Mann,  genießen  Sie  frohe  und  glück- 
liche Tage,  niemand  verdient  sie  gewiß  mehr  als  Sie. 

Vergessen  Sie  nicht  ganz 

Ihren 

dankbaren  Schüler 
J.  G.  C.  Kiesewetter. 

N.  S.  Die  Prüfung  der  Metakritik  will  Ihnen  der  Buchhändler 
mit  Gelegenheit  schicken. 

*)  Siehe  „Diogenes-Laterne",  Leipzig  1799  hei  Wilhelm  Rein, 
S.  367:  „Etwas  was  Kant  von  seinen  drei  hedeutendsten  Schülern  ge- 
sagt haben  soll";  die  hier  berichteten  Äußerungen  machen  einen  sehr 
wenig  glaubwürdigen  Eindruck. 


An  ^oh.  Gottfr,  Kiesewetter.  —  An  Job.  Benj.  Erhard     367 

444. 
An  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Ihre  gütige  mir  erteilte  Nachricht  von  der  schon  geschehenen 
Abschickung  der  Tekower-Rüben  vernehme  mit  dem  größten  Dank. 
Sie  sind  zwar  noch  nicht  angekommen;  vermutlich  wegen  des 
durch  den  eingetretenen  Frost  verdorbenen  Weges;  ich  sehe  aber 
diesem  Geschenk  posttäglich  entgegen:  und  daß  sie  durch  jenen 
nicht  gelitten  haben  werden;  da  Sie  die  Vorsorge  zu  haben  pflegen, 
sie  in  Häcksel  zu  verpacken;  welches  sie  trocken  erhält  und,  im 
Fall  der  binnen  der  Zeit  eingetretenen  gelinden  Witterung,  wider 
Fäulnis  bewahrt. 

Bleiben  Sie  mein  gütiger  Freund  so  wie  ich  mit  innigster 
Liebe  und  Hochachtung 

Ihr 
Königsberg  stets  ergebener 

d  20.  Dez.  I  Kant 

^799 

445- 

An  Johann  Benjamin  Erhard. 

Hochgeschätzter  Freund! 

Einen  Brief  von  Ihnen  zu  erhalten  —  und  zw^ar  aus  Berlin: 
um  da  nicht  zu  hospitieren,  sondern  zu  wohnen,  —  erheitert 
mich  durch  meine  sonst  trübe  Gesundheitsanlage,  welche  doch 
mehr  Unbehaglich keit  als  Krankheit  ist,  schon  durch  den  Prospekt, 
mit  literarischen  Neuigkeiten  von  Zeit  zu  Zeit  unterhalten  und 
aufgefrischt  zu  werden. 

Was  das  erstere  betrifft:  so  besteht  es  in  einer  spastischen 
Kopf  bedrückung,  gleichsam  einem  Gehirnkrampf,  von  dem  ich  mir 
doch  schmeichle,  daß,  da  er  mit  der  außerordentlich-langen  Dauer 
einer  weit  ausgebreiteten  Luftelektrizität,  sogar  vom  Jahr  ij<^6  an 
bis  jetzt,  fortgewähret  hat,  (wie  es  schon  in  der  Erlanger  Gd. 
Zeitung  angemerkt  worden  und  mit  dem  Katzentod  verbunden 
war)  und,  da  diese  Luftbeschaffenheit  doch  endlich  einmal  um- 
setzen muß,  mich  befreiet  zu  sehen  ich  noch  immer  hoffen  will.'^) 

^)  „Ein  Zeichen  seiner  Schwäche"  —  so  berichtet  Wasianski 
(S.  So  f.)  über  Kants  letzte  Jahre  —  „war  seine  Theorie  über  das  aller- 


3(58  An  Johann  Benjamin  Erhard 

Daß  Sie  das  BROWNSCHE  System  adoptieren  und  in  Kredit 
zu  setzen  suchen,  ist,  was  die  formale  Prinzipien  derselben  betrifft, 
meinem  Urteile  nach  wohl  gegründet;  wenngleich  die  mate- 
rialen  zum  Teil  waghalsig  sein  möchten.')  Vielleicht  könnte 
man  mit  ihm  sagen:  der  krankhafte  Zustand  ist  =  3C  und  der 
Arzt  bekämpft  nur  die  Symptome;  zu  deren  Kenntnis  er  Weisheit 
bedarf,  um  die  Indikationen  derselben  aufzufinden.  Doch  ich  ver- 
irre mich  aus  meiner  Sphäre. 

Was  mich  aber  sehr  erfreut,  ist:  daß  sich  zugleich  Herr  WILLIAM 
MOTHERBY,  der  jetzt  in  Berlin  seinen  medizinischen  Kursus 
macht,  da  ist;  mit  welchem  ich  bitte  in  Konversation  zu  treten; 
der  ebenso  wie  sein  würdiger  Vater  mein  vorzüglicher  Freund, 
ein  heiterer,  wohldenkender  junger  Mann  ist.  Dieser  hat  mir  seine 
in  Edimburg  im  vorigen  Jahr  gehaltene  Inaugural-Dissertation 
dediziert  (de  Epilepsia)  und  ich  bitte  ihm  dafür  zu  danken.  — 
Rechtschaffenheit  ist  sein  und  seiner  Familie  angeborner  Charakter 
und  es  wird  Ihnen  so  wie  ihm,  Ihr  Umgang  unterhaltend  und 
erbaulich  sein.  —  Gelegentlich  bitte  ich  auch  Herren  D.  ELSNER, 
Sohn  unseres  jetzigen  Rectoris  Magnifici,  M.  D.  gelegentlich  von 
mir  zu  grüßen:  einen  jungen  Mann,  der  viel  Talent  hat  und  bin 
mit  Ergebenheit  und  Hochachtung 

Ihr  treuer  Freund  und  Diener 
Königsberg  I.  Kant, 

d.  20.  Dez.  1799 

N.  S.     Einlage  bitte  zu  bestellen. 


dings  merkwürdige  Phänomen,  den  Katzentod  in  Basel,  Wien,  Kopen- 
hagen und  andern  Orten.  Er  hielt  ihn  für  eine  Folge  der  damals  nach 
seiner  Meinung  herrschenden  Elektrizität  von  eigener  Art  . . .  Aber  .  . . 
auch  seine  Kopfbedrückungen  leitete  er  von  derselben  Ursache  ab. 
Einer  jeden  Remonstration  gegen  seine  Theorie  suchte  er  auszuweichen. 
Seine  Überzeugung  von  ihrer  Gewißheit  wurde  auch  dadurch  noch  ver- 
größert, daß  seine  Freunde  aus  Schonung  vmd  Delikatesse  für  ihn  nicht 
geradezu  widersprachen." 

^)  John  Brown  (1735—88);  das  von  ihm  eingeführte  medizinische 
System  (Elementa  medicinae,  1780)  erregte  auch  Kants  lebhaftes  Interesse ; 
(vgl.   Wasianski  S.  42  f.). 


Von  Ernst  Ferdinand  Klein  369 

446. 
Von  Ernst  Ferdinand  Klein. 

Verehrungswürdiger  Greis, 

Erlauben  Sie  gütigst,  daß  ich  Ihnen  die  Beilage  übersende  und 
Sie  besonders  auf  N.  4,  und  vorzüglich  auf  S.  9  7  sqq.  aufmerksam 
mache. 

Es  fängt  jetzt  an,  eine  neure  Theorie  im  Kriminalrechte  Auf- 
sehen zu  erregen,  nach  welcher  die  Menschen  bloß  wie  Tiere 
behandelt  werden. 

Ich  weiß  wohl,  daß  die  Freiheit  des  Willens  nicht  sinnlich 
wahrgenommen  werden  kann;  aber  eigentliche  Strafe  setzt  doch 
den  Fall  voraus,  wo  der  Mensch  nicht  bloß  als  Pflanze  oder  Tier 
wirksam  gewesen  ist,  sondern  wo  er  als  Mensch  gehandelt  hat, 
und  wo  die  Freiheit  des  Willens  (vorausgesetzt,  daß  sie  überhaupt 
geglaubt  werde)   als  anwendbar  gedacht  werden  kann. 

Ich  habe  zwar  auch  bei  Ihrer  Straftheorie  einige  Zweifel,  die 
ich  Ihnen  gern  zur  Auflösung  vorgelegt  hätte,  wenn  ich  nicht 
Bedenken  getragen  hätte,  Ihnen  damit  beschwerlich  zu  fallen. 
Allein  darin  glaube  ich  doch  Ihre  Meinung  richtig  gefaßt  zu 
haben,  daß  die  eigentliche  Strafe,  wenn  sie  nicht  in  eine  bloß 
tierische  Züchtigung  ausarten  soll,  welcher  man  auch  die  Wahn- 
sinnigen und  Rasenden  unterwerfen  könnte,  menschliche  d.  i. 
solche  Handlungen  voraussetze,  welche  als  frei  gedacht  werden 
können. 

Ich  glaube  daher,  daß  üble  Gewohnheiten  und  Leidenschaften 
die  gesetzliche  Strafe  nicht  ausschließen  können,  weil  diesen  durch 
Annahme  anderer  Maximen  entgegengewirkt  werden  kann,  aber 
wohl  Affekten,  welche  bei  einer  schnell  wirkenden  Veranlassung 
bloß  tierische  Handlungen  hervorbringen. 

Die  Sache  ist  wichtig  und  ich  wünschte,  wenn  es  nicht  zu 
viel  gebeten  wäre,  hierüber  Ihre  Belehrung. 

Mit  inniger  Verehrung  bin  ich 

Ihr 
Halle  ergebenster 

d.  28.  Februar  Klein 

1800. 

Kants   Schriften.    Bd.  X.  24 


370     An  Friedrich  Nicolovius.  —  An  Carl  Gottfried  Hagen 

447- 
An  Friedrich  Nicolovius. 

Herren  FR.  NICOLOVIUS  ersuche  hiedurch,  mir  wiederum 
60  fl.  auf  Abschlag  des  Honorars  für  die  Anthropol.,  in  den 
obbenannten  Geldsorten,  Guld.,  halbe  Gulden,  und  Sechsern  gütigst 
zukommen  zu  lassen:  in  beigehenden  die  3  kleinern  enthaltenden 
Beutel.  —  Die  Quittung  über  den  Empfang  den  28.  März  werde 
zu  Ihrer  Unterschrift  wie  gewöhnlich  zuschicken. 

den   28.  März  1800.     I  Kant. 

N.  S.  Darf  ich  mir  wohl  die  Hoffnung  machen:  daß  Sie  die 
Güte  gehabt  haben  werden,  mir  die  Göttinger  Würste  zu  be- 
sorgen, für  welche  ich  die  Kosten  mit  Freuden  entrichten  werde. 

eod.      I.  K. 

448. 
An  Friedrich  Nicolovius. 

Den  größten  Dank  an  Herrn  NICOLOVIUS  für  die  mir 
gestern  zugeschickte  und,  wie  ich  aus  der  unbedingten  Zusendung 
ersehe,  geschenkte  i6  Göttingsche  W^ürste,  wodurch  ich  für  ein 
ganzes  Jahr  in  Ansehung  dieses  Artikels  meines  Hauswesens  reich- 
lich versorgt  bin. 

d.  2.  April  1800.     I  Kant 


449- 
An  Carl  Gottfried  Hagen. 

In  der  Reisebeschreibung  eines  sich  so  nennenden  TAURI- 
NIUS"*),  eines  Buchdruckers,  der  durch  Japan  reisetc,  auf  dessen 
Wahrhaftigkeit    man    sich  verlassen    kann,    ist  eine  Stelle,    wo  er 

*)  Der  Verfasser  dieses  Buches  heißt  eigentlich  Stirisch  und  hat 
jenen  Namen  aus  der  Analogie  mit  dem  Worte  Stier  (Taurus)  ge- 
nommen. 


An  Carl  Gottfried  Hagen  371 

erzählt:  „daß  geschmolzenes  Kupfer  über  Wasser  gegossen  darüber 
ruhig  starr  werde,  dahingegen  Wasser  über  geschmolzenes  Kupfer 
gegossen,  dieses  gänzlich  zersprengen  werde",   wobei  der  Professor 
EBERT  in  Wittenberg  (als  Herausgeber  jener  Reise)  in  der  An- 
merkung sagt:  „daß  ihm  dieses  unbegreiHich  sei,  und  ein  Druck- 
fehler   sein    müsse";    er    also    die   Richtigkeit   dieser  Beobachtung 
bezweifelt.      Ehe    man   aber    die   Wirklichkeit   dieses   Experiments 
oder  Observation  verwirft,  scheint  es  doch  ratsam  zu  sein,  sie  nach 
der  Analogie    anderer  Beobachtungen   zu  examinieren.      Der  Graf 
von  RUMFORD*)  hat  den  Versuch  gemacht:   daß  wenn  man  eine 
kleine  Eistafel  unter  Wasser  durch  kleine  Holzsplitter  (als  Streben) 
auf  dem  Boden  des  Gefäßes  niedergedrückt  erhält:   da  sie  sonst  — 
weil  Eis  leichter  ist  als  Wasser  —  im  Wasser  aufsteigen  und  oben 
schwimmen  würde,    das  nun  oben  schwimmende  Eis  schnell  zer- 
schmilzt;   was  zum  Beweise  dient,    daß   der  Wärmestoff  oder  die 
erwärmende  Ursache    (um  hiezu  nicht  einen  hypothetischen  Stoff 
annehmen   zu   dürfen)    aufwärts,    d.  i.    in    der  Gravitätsanziehung 
entgegengesetzter    Direktion    wirke,    und    es    hiedurch    begreiflich 
werde:    wie    geschmolzenes  Kupfer    über  Wasser    (freilich   in  auf 
der  Oberfläche    glitschender,    nicht   eintröpfelnder  Bewegung)  ge- 
gossen werden  könne,  weil  die  Wärme  des  geschmolzenen  Kupfers 
oder  der  Stoff,  welcher  sie  erregt,  aufwärts,  folglich  von  dem  Wasser, 
womit  es  übergössen  wird,  ab  bewegt  ist,  da  dann  das  geschmol- 
zene Kupfer  über  und  auf  dem  Wasser  schwimmend  das  Phänomen 
einer  ruhigen  Kristallisierung  darbieten  würde. 

Es  wäre  also  ein  Experiment  durch  die  Geschicklichkeit  meines 
verehrten  und  geliebten  Freundes,  des  Herrn  Dr.  HAGEN,  zu 
machen:  ob  die  TAURINISCHE  Geschichtserzählung  wahrhaft  sei 
oder  nicht,  und  findet  sich  das  erstcre,  so  würde  es  eine  sehr 
wichtige  Erweiterung  in  der  Physik  zur  Folge  haben. 

—   2.  April  1800.  I-  K:ant 


^)  B.  Th.  v.  Rumford  (i7  5  3  — i8i4),  einer  der  Vorläufer  der 
mechanischen  Wärmetheorie;  —  das  im  folgenden  Briefe  genannte 
„Rumfordsche  Getränke"  ist  ein  von  ihm  hergestelltes  Nährmittel. 


i4' 


37^  ^on  Carl  Gottfried  Hagen 

450.      , 
Von  Carl  Gottfried  Hagen. 

Es  macht  mir  gewiß  sehr  viele  Freude,  daß  das  RUMFORD- 
SCHE  Getränke  Ew.  Wohlgebornen  Gesundheit  entspricht,')  die, 
insofern  meine  Wünsche  es  vermögen,  sich  noch  lange  erhalten 
mag. 

Gewiß  werden  Dieselben  es  mit  Vergnügen  hören,  daß  der 
TAURINIUSSCHE  Versuch,  den  ich  eben  angestellt  habe,  gegen 
mein  Erwarten  ganz  glücklich  ausgefallen  ist.  Ich  habe  ihn  auf 
folgende  Art  angestellt.  Um  das  schmelzende  Kupfer  an  dem 
Niedersinken  im  Wasser  beim  Ausgießen  zu  hindern,  überspannte 
ich  eine  Schachtel,  deren  Deckel  und  Boden  herausgenommen 
war,  mit  Leinwand,  stellte  sie  in  eine  Wanne  mit  kaltem  Wasser 
so  hinein,  daß  die  Leinwand  einige  Linien  unter  dem  Wasser 
stand,  und  goß  jetzt  über  die  Leinwand  das  vollkommen  ge- 
schmolzene Kupfer  glühend  darüber  aus.  Weder  das  Zischen  wurde 
wahrgenommen,  welches  sonst  beim  schnellen  Abkühlen  im  Wasser 
schmelzende  Metalle  zeigen,  noch  das  mindeste  Umherspritzen. 
Bloß  das  Wasser,  welches  in  der  Nähe  und  über  dem  Kupfer 
stand,  geriet  in  Wallen,  indem  dieses  noch  einige  Minuten  hin- 
durch im  Wasser  glühend  verblieb.  An  zwei  Stellen  hatte  es  die 
Leinwand  durchbrannt,  und  hievon  war  etwas  weniges  auf  den 
Boden  der  Wanne  geflossen. 

Das  Stück  Kupfer,  welches  auf  diese  Weise  abgekühlt  worden, 
schicke  ich  mit. 

Es  ist  die  größeste  Hochachtung,  mit  der  ich  bin 

Ew.  Wohlgebornen 

ganz  ergebenster  Diener 

Flagen. 

d.  I  2.  April  1800. 


Vbn  Georg  Samuel  Albert  Mellin        ,  373 

451. 
Von  Georg  Samuel  Albert  Mellin. 

Empfangen  Sie  hiermit,  verehrungswürdigster  Lehrer  und 
Freund,  die  zweite  Abteilung  des  II.  Bandes  des  encyklopädi- 
schen  Wörterbuchs.  Möchte  dieses  Werk  auch  in  der  Fortsetzung 
Ihres  mir  über  alles  schätzbaren  Beifalls  nicht  ganz  unwürdig 
sein.  — 

Mein  Sohn  hat  mir  geschrieben,  daß  er  die  Freude  gehabt 
hat,  Ihnen  aufzuwarten;  er  war  mit  dem  Geh.  Rat  EYTELWEIN 
und  Leut.  v.  TEXTER  bei  Ihnen.  Mir  würde  es  ein  unbeschreib- 
liches Vergnügen  sein,  den  Mann,  welchen  ich  unter  allen  jetzt 
lebenden  Menschen  am  meisten  verehre  und  bewundere,  persön- 
lich kennen  zu  lernen,  aber  die  Entfernung  ist  zu  groß:  Möchte 
es  der  Vorsehung  gefallen,  Ihnen  in  Ihrem  Alter  Gesundheit  und 
Kräfte  zu  schenken!  Ihre  Erklärung  gegen  FICHTE  hat  viel  Sen- 
sation gemacht,  aber  sie  war  nötig.  Der  vortreffliche  Schluß 
dieser  Erklärung  hat  mich  recht  gestärkt  und  ist  mir  aus  der 
Seele  geschrieben.  Nun  hat  man  wieder  das  mißverstanden,  was  Sie 
in  Ihrer  Erklärung  über  die  Vollständigkeit  der  Grundhnien  Ihrer 
Transszendentalphilosophie  in  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  ge- 
sagt haben,  und  meint  die  Behauptung  darin  zu  finden,  Sie  hätten 
bereits  das  vollständige  und  ausführliche  System  der  Transszen- 
dentalphilosophie geliefert,  welches  doch  mit  so  vielen  Stellen  der 
Kritik  in  Widerspruch  stehe.  In  der  Oberdeutschen  Lit.  Zeit,  ist 
darüber  viel  geschwatzt  worden. 

Ich  habe  viel  über  den  dogmatischen  Vortrag  des  Systems 
der  Transszendentalphilosophie  nachgedacht.  Es  ist  dabei  die  eigene 
Schwierigkeit,  daß  man  die  Kategorien  schon  immer  gebrauchen 
muß,  ehe  man  sie  noch  untersucht  und  die  Theorie  derselben 
vorgetragen  hat.  Soll  man  die  Theorie  von  Raum  und  Zeit,  die 
transszend.  Idealität  derselben,  als  durch  die  Kritik  ausgemacht, 
vorausgesetzt,  folglich  bloß  die  verschiedenen  Modos  derselben, 
und  ihre  Analysis,  vor  der  Theorie  der  Kategorien  vortragen  j  so 
muß  man  diese  schon  dazu  gebrauchen;  dies  ist  nun  nicht  er- 
laubt. Soll  man  aber  die  Lehre  von  Raum  und  Zeit  nach  der 
Theorie  der  Kategorien  vortragen,  so  fehlt's  den  Kategorien  an 
der  Realisierung    durch  Schemate.      Soll    man    beides  miteinander 


374  ^^   Georg  Samuel  Albert  MeJlin 

verbinden,  so  kann  man  die  transszend.  Ästhetik  nicht  von  der 
Analytik  des  reinen  Verstandes  trennen.  Diese  Schwierigkeit  gibt 
auch  einen  eignen  Einw^urf  gegen  die  kritische  Philosophie,  den 
niir  bereits  ein  Freund  gemacht  hat,  nämlich,  da  vv^ir  doch  die 
Kategorien  z.  B.  die  der  Kausalität  usw^.  gebrauchen,  um  über  die 
transsz.  Beschaffenheit  des  Raumc^  und  der  Zeit  nachzudenken,  so 
ist  selbst  diese  Erkenntnis  nur  Erscheinung,  woraus  dann  folgt, 
daß  wir  nur  genötigt  sind,  uns  den  transsz.  Idealismus,  als  das 
einzige  richtige  System  von  der  Möglichkeit  der  Erfahrung  vor- 
zustellen, nicht  aber  behaupten  können,  daß  es  das  wahre  System 
von  der  Möglichkeit  der  Erfahrung  an  sich  selbst  sei.  Ich  er- 
innere mich  nicht  mehr,  wie  mein  abwesender  Freund  sich  hier- 
über ausdrückte,  aber  das,  was  ich  jetzt  geschrieben  habe,  enthält 
wenigstens  seinen  Hauptgedanken.  Er  war  vor  anderthalb  Jahren 
willens,  das  System  eines  transsz.  Realismus  herauszugeben,  doch 
mit  Beibehaltung  einer  ganzen  Reihe  der  wichtigsten  Lehren  der 
Kritik  der  rein.  Vern.  Es  ist  schade,  daß  in  der  Kritik  d.  r.  V. 
nicht  zur  Beantwortung  dieses  Einwurfs  ein  Wink  gegeben  ist. 
Auf  einen  besondern  Fall  angewendet,  kann  man  diesen  Einwurf 
auch  so  ausdrücken:  sagt  die  Deduktion  der  Kategorien  nicht 
durch  die  Art,  wie  sie  geführt  wird:  man  gebe  mir  zu,  daß  ich 
den  Begriff  der  Ursache  gebrauchen  dürfe,  um  die  Realität  dieses 
Begriffs  zu  zeigen,  so  will  ich  die  Realität  desselben  für  die  Er- 
fahrungserkenntnis dartun;  und  ist  das  nicht  ein  Zirkel?  Die 
Schwierigkeit  liegt  freilich  nicht  in  dem  kritischen  System,  son- 
dern in  der  Natur  einer  sinnlichen  und  diskursiven  Erkenntnis. 
Unsere  Erkenntnis  a  priori  ist,  der  Natur  unseres  Erkenntnisver- 
mögens gemäß,  etwas  in  unserm  innern  Sinn  Befindliches,  und 
insofern  selbst  Erscheinung  und  wir  können  freilich  nicht  wissen, 
was  sie  an  sich  sein  mag.  Wir  können  daher  auch  von  der  Mög- 
lichkeit der  Erfahrung,  als  etwas  an  sich,  nichts  wissen,  sondern 
nur  wie  sinnlich  erkennende  Wesen  sich  die  Möglichkeit  der  Er- 
fahrung vorstellen  müssen,  wie  Gott  unsere  Erfahrungserkenntnis 
sich  vorstellt,  wissen  wir  nicht. 

Verzeihen  Sie,  verehrungswürdigster  Freund,  daß  ich  Sie  so 
weitläuftig  von  einem  Gegenstande  unterhalten  habe,  der  Ihnen 
nicht  fremd  ist,  der  mir  aber  wichtig  ist,  weil  er  mich  bisher 
noch  immer  abgehalten  hat,  Hand  an  ein  System  der  Transszen- 
dentalphilosophie  zu  legen,  das  ich  gar  gern  zustande  gebracht 
sehen    möchte.      Was    man   bisher  darin  geleistet  hat,    ist  fast  für 


l^n  Maria  Kant,  geh,  Havemann  375 

nichts  zu  rechnen.  Das  SCHMIDSCHE  Werk*)  ist  ohne  alle 
Deduktion  der  Vollst'ändigkeit  der  Prädikabilien,  ohne  alle  Unter- 
suchung der  Moden  des  Raumes  und  der  Zeit.  Die  Rezension 
dieser  Metaphysik  in  der  Literat.  Zeitung  ist  sonderbar  genug, 
und  behauptet,  es  sei  ein  von  der  Kritik  abgesondertes  System 
nicht  nötig. 

O  könnte  ich  Ihnen  doch  20  Jahre  von  Ihrem  Alter  ab- 
nehmen! Möchte  das  jetzige  Jahr  Ihrer  Gesundheit  recht  günstig 
sein.  Das  wünscht  gewiß  niemand  von  Ihren  unzähligen  Verehrern 
mit  größerer  Innigkeit  und  Teilnehmung  als 

Ihr 
ewig  dankbarer  und  treuer 
Magdeburg  den  13  April  i8qo.*)  Verehrer  Meilin. 

*)  Am  Rande  der  vierten  Seite:  Ich  hatte  diesen  Brief  schon  längst 
geschrieben,  als  mich  eine  tödliche  Krankheit  meiner  geliebten  Frau 
zu  allem  unfähig  machte,  was  Freude  gewähren  kann.  Sie  starb  mir 
den  29,  März  und  ihr  Tod  machte  mich  zum  zweitenmal  zum  Wittwer. 
Sie  hinterläßt  mir  5  Kinder,  die  nun  nebst  3  Kindern  erster  Ehe,  ganz 
meiner  Vorsorge  allein  überlassen  sind. 


452. 

Von  Maria  Kant,  geb.  Havemann. 

Wohlgeborner  Herr, 
Insonders  hochzuehrender  Herr  Professor, 
Verehrungswerter  Herr  Bruder! 
Ich  hielt  es  für  meine  Pflicht,  Ew,  Wohlgebornen  schon  vor 
vielen    Wochen    den    erfolgten    tödlichen  Hintritt    meines    innig- 
geliebten Gatten,  Johann  Heinrich  KANT,  weiland  Predigers  zu  Alt- 
und    Neurahden    in    Kurland,    den    am   22.  Februar   dieses   Jahres 
der  Tod    mir    und    meinen    unversorgten  Kindern,  zu  unser  aller 
namenlosen   Schmerz,  entriß,   geziemend  anzuzeigen  — .     Zugleich 
war    ich  auch  so  dreist,    im  Vertrauen   auf  die  dem  Wohlseligen 
von  Ew.  Wohlgebornen  geschenkte  brüderliche  Gewogenheit,  mich 
und  meine  armen  Kinder,  bei  unsrer  so  zerrütteten  und  traurigen 
ökonomischen   Lage,    Deroselben  menschenfreundlichen  Herzen  zu 
empfehlen.    Allein  bis  jetzt  habe  ich  vergebens  auf  eine  geneigte 

^)  K.  Chr.   Erh.  Schmid,     Grundriss     der    Metaphysik,     Altenbürg 
1799;  vgl.  AUg.  Litt.-Ztg.  vom  6.  Januar   1800. 


37^  ^  Johann  Gottfried  Kiesewetter 

günstige  Antwort  von  Denenselben  gewartet,  und  die  Zukunft  ver- 
dunkelt sich  je  mehr  und  mehr  unsern  tränenvollen  Blicken  — . 
Daher  wage  ich's  noch  einmal,  Ew.  Wohlgebornen  Mitleidsgefühl 
gegen  die  verlassene  Familie  Ihtes  seligen  Bruders,  der  Dieselben 
sowie  wir  alle  innig  verehrte,  in  Ansprache  zu  nehmen  — .  Mein 
letzter  Brief  hat  Ew.  Wohlgebornen  eine  getreue  Darstellung 
unsrer  Lage  gegeben,  die  bei  aller  Ökonomie  und  Frugalität  unsrer 
Lebensart,  da  besonders  in  den  letzten  Jahren  die  Einkünfte  meines 
seligen  Mannes  sehr  geringe  und  die  Ausgaben  bei  unsrer  starken 
Haushaltung  groß  waren,  traurig  geworden;  indem  er  nicht  nur 
gar  keinen  Fonds,  von  dem  wir  leben  könnten,  sondern  noch  dazu 
einige  Schulden  hinterlassen  hat.  Durch  Veräußerung  unsrer  Wirt- 
schaft hoffe  ich  zwar  die  Schulden  zu  tilgen;  allein  wovon  ich 
mit  meinen  drei  unversorgten  Kindern  subsistiercn  soll,  das  weiß 
Gott,  der  Vater  der  Witwen  und  Waisen  — f  Nochmals  flehen 
wir  daher  Ew.  Wohlgebornen  menschenfreundliches  Herz  um 
einige  Hülfe  und  Unterstützung  in  dieser  traurigen  Lagen  an,  und 
hoffen  mit  gutem  Grunde  keine  Fehlbitte  zu  tun   — ! 

Indem  wir  mit  Zuversicht  der  Erfüllung  unsrer  notgedrungenen 
Bitte  entgegensehen,  und  schon  im  voraus  Deroselben  gütigen  und 
menschenfreundlichen  Gesinnungen,  die  unsern  Kummer  lindern, 
mit  inniger  Dankbarkeit  verehren,  und  die  heißesten  Segenswünsche 
für  dieselben  zum  Himmel  tun,  habe  ich  noch  besonders  die  Ehre, 
mit  der  vollkommensten  Hochachtung  und  Ergebenheit  zu  sein 

Ew.  Wohlgebornen 

ergebene   Dienerin 
Maria  verwitwete 
Pastorin  Kant,  geborne 
Altrahdensches  Pastorat  in   Kurland,  Havemann. 

den  i6.  Mai  i  800. 


453. 
An  Johann  Gottfried  Carl  Christian  Kiesewetter. 

Wertester  und  alter  Freund 
Das  Geschenk:   der  Widerlegung  der  HERDERSCHEN  Meta- 
kritik, nunmehro  in    i   Bänden  (welches  Ihrem  KopF  und  Herzen 
gleiche  Ehre  macht)   frischt  in  mir  die  angenehmen  Tage  auf,  die 


Hn  Maria  Kant^  geb.  Havemann  577 

wir  einstens  in  Belebung  dessen,  was  wahr  und  gut  und  beiden 
unvergänglich  ist,  zusammen  genossen;  welches  jetzt  in  meinem 
yy.  Jahre,  wo  Leibesschwächen  (die  gleichwohl  noch  nicht  auf 
ein  nahes  Hinscheiden  deuten)  meine  letzte  Bearbeitungen  er- 
schweren, aber,  wie  ich  hoffe,  doch  nicht  rückgängig  machen 
sollen,  —  keine  gringe  Stärkung  ist,  —  in  dieser  meiner  Lage, 
sage  ich,  ist  mir  dieses   Geschenk  doppelt  angenehm. 

Ihre  Besorgnis:  daß  die  im  vergangenen  Herbst  übersandten 
Rüben  durch  den  damals  so  früh  eingetretenen  und  so  lange  an- 
gehaltenen Frost  Schaden  gelitten  haben  dürften,  hat  nicht  statt- 
gefunden; denn  ich  habe  nur  vorgestern  an  einem  Sonntage  die 
letzten  derselben  in  einer  Gesellschaft  —  wie  gewöhnlich,  zwi- 
schen 2  Freunden,  die  letzten  derselben  mit  allem  Wohlgeschmack 
verzehrt. 

Sein  Sie  glücklich;  lieben  Sie  mich  ferner  als  Ihren  unver- 
änderÜchen  Freund  und  lassen  mich  dann  und  wann  von  Ihrer 
dortigen  Lage  und  Hterärischen  Verhältnissen  einiges  erfahren. 

Mit  der  größten  Ergebenheit  und  Freundschaft  und  Hoch- 
achtung bleibe  ich  jederzeit  Ihr  unveränderlich- treuer  Freund  und 
Diener. 

Königsberg 

d.  8.  Juli  I  Kant 

1800 

454- 
Von  Maria  Kant  geb.  Havemann. 

Wohlgeborner  Herr 
besonders  hochzuehrender  Herr  Professor! 
Mit  gerührtem  und  von  Dankbarkeit  durchdrungenem  Herzen 
habe  ich  Ew.  Wohlgebornen  menschenfreundliche  Zusicherung 
einer  wohlwollenden  Unterstützung,  für  mich  und  meine  hülfs- 
bedürftige  Familie,  gelesen,  und  mit  gleichen  Empfindungen  bereits 
das  erste  Quartal  derselben  erhalten  — .  Die  heißen  Segenswünsche 
für  Deroselben  Wohlergehen  und  der  innige  Dank,  von  mir  und 
meinen  noch  unversorgten  Kindern  für  diese  nie  genug  zu  schätzende 
Wohltat,  sind  der  unbegrenzten  Hochachtung  gleich,  mit  der  wir 
Dieselben  als  unsern  zweiten  Vater  verehren,  und  mit  welcher  ich 


'i>\ 


378 


Von  Friedrich  August  Hahnrieder 


noch    ganz    besonders    mich    zu    unterzeichnen  die  Ehre  habe   als 
Ew.  Wohlgebornen 

ganz  ergebene  Dienerin 
Altrahden  im  Pastorat  Maria  verwitwete  Pastorin 

in  Kurland,  Kant,  gebornc  Havemann. 

den    19.  JuJi    1800. 


455- 
Von  Friedrich  August  Hahnrieder. 

Achtungswürdiger  Mann! 

Daß  ich  so  lange  geschwiegen,  hat  nichts  weiter  zum  Grunde, 
als  daß  ich  nicht  eher  schreiben  wollte,  bis  ich  etwas  Bestimmtes 
über  mein  Schicksal  sagen  könnte,  dieses  ist  itzt  der  Fall,  und 
nun  würde  ich  es  für  unverzeihüch   halten,   länger  zu  schweigen. 

Daß  man  mir  ein  ländliches  Etablissement  in  Westpreußen 
geben  wollte,  ist  Ihnen  bekannt,  allein  das  General-Direktorium 
war  mit  den  Vorschlägen,  die  ich  machte,  nicht  zufrieden,  und 
ich  war  nicht  willens,  andere  zu  tun,  die  Sache  zerschlug  sich  also 
und  ich  wartete  nun,  was  endlich  aus  mir  werden  dürfte;  endlich 
bin  ich  zum  Besitz  eines  kleinen  köllmischen  Gütchens  von  V. 
Hufen  kullmisch  gelangt  und  befinde  mich  nun  an  dem  Ziel  meiner 
Wünsche.  Ob  ich  nun  ausdauren  werde,  kann  nicht  mehr  die 
Frage  sein,  denn  es  ist  das  letzte,  was  ich  wollte,  und  ich  habe 
auch  geheiratet,  also  ist  mein  Schicksal  gänzHch  entschieden.  Itzt 
stehe  ich,  meiner  Meinung  nach,  auf  der  höchsten  Stufe,  auf 
welcher  ein  Sterblicher  stehen  kann,  denn  es  läßt  sich  in  der  Tat 
nichts  Größeres  denken,  als  unabhängig  von  den  Launen  anderer, 
das  Land  zu  bauen;  ich  fühle  dieses  Glück  ganz  und  würde  meine 
Lage  mit  keiner  andern  vertauschen. 

Mein  Leben  gleicht  einem  Roman,  wo  ich  mir  zum  Teil  viele 
Szenen  selbst  schuf,  zum  Teil  auch  in  welche  wider  mein  Wissen 
und  Willen  versetzt  wurde;  indessen  kann  ich  aus  allen  Nutzen 
ziehen  und  wo  ich  gefehlt  habe,  itzt  verbessern ;  in  meinem  gegen- 
wärtigen Wirkungskreise  kommt  mir  sehr  vieles  zustatten,  woran 
ich  vorher  nicht  gedacht.  Bei  meinem  Aufenthalt  in  Rußland 
lernte  ich  so  manches  Nützliche  für  Ökonomie  und  Menschen- 
kunde, hauptsächlich  lernte  ich  daselbst  in  den  Gefängnissen  der 
Inquisition  Ihre  Schriften  kennen,  welches  für  mich  das  größeste 


An  Samuel  Thomas  Soemmering  379 

Glück  ist,  denn  ohne  diesen  Leitfaden  wäre  ich  ein  bloßer  frag- 
mentarischer Mensch  gebHeben,  und  nie  das  geworden,  was  ich 
schon  geworden  bin  und  insonderheit  noch  werden  kann;  an 
gutem  Willen  fehlt  es  mir  nicht  und  durch  mancherlei  Mißgriffe  bin 
ich  eines  besseren  belehrt,  so  daß  ich  itzt  weniger  fehlen  werde, 
als  ich  gefehlt  habe;  ob  ich  gleich  gar  wohl  weiß,  daß  Voll- 
kommenheit eine  Idee  ist,  zu  welcher  nur  Annäherung,  aber  nie 
gänzliche  Erreichung  sich  denken  läßt,  so  bin  ich  gleichwohl 
überzeugt,  daß  der,  welcher  sich  dieselbe  zum  Ziel  gesteckt, 
immer  weniger  der  Gefahr  ausgesetzt  ist,  zu  straucheln.  Mein 
Aufenthalt  und  Beschäftigung  in  Berlin  ist  für  mich  auch  von 
großem  Nutzen  sowohl  in  praktischer  als  technischer  Rücksicht, 
und  nie  werde  ich  es  bedauern,  diese  Laufbahn  gemacht  zu  haben. 
Gerne  würde  ich  noch  mehr  schreiben,  allein  was  soll  ich 
weiter  sagen?  und  wenn  ich  gleich  noch  mancherlei  zu  sagen 
hätte,  so  ist  es  leicht  möglich,  daß  der  Brief  für  Dieselben  zu 
lang  würde,  ich  breche  daher  ab  und  bitte  Sie  —  im  Fall  es 
Gesundheit  und  anderweitige  Verhältnisse  erlauben  —  mir  auch 
nur  durch  ein  paar  Zeilen,  von  Dero  Gesundheitsumständen  Nach- 
richt zu  geben.  Leben  Sie,  edler  Mann!  recht  wohl  imd  sein 
versichert,  daß  ich  nicht  aufhören  werde  zu  sein 

Langgrund  im   Amte  Rhein                                      u         1?         j 

°°,               ^  ,.  ganz   ergebner  rreund 

den   ^  I    Juh  ^            f  t^. 

-  ^  •'  und  Diener 

Hahnrieder. 

456. 

An  Samuel  Thomas  Soemmering. 

(Entwurf.) 

[4.  Aug.  I  800.] 
An  Herrn  Hofrat  Soemmering  in  Frankfurt  a.  Main. 
Geliebter  und  hochgeschätzter  Freund! 
Ihren    Brief   vom   3.  Mai    1800    allererst    den    4.  August    be- 
antwortet zu  haben,  unerachtet  er  mit  kostbaren  literarischen  Ge- 
schenken begleitet  war,  als 

„Soemmering  Icones  embryonum  humanorum 

ejusd.  Tabula  Baseos  Encephali 

hiebei    ein    gebundenes    Buch    vom    Bau    dts   menschlichen 

Körpers  Fünften  Teils  erste  Abteilung  „Hirn  und  Nerven- 

lehrc  zweite  umgearbeitete  Ausgabe" 


380     Aus  einem  Briefe  von  Reinhold  Bernhard  Fachmann 

welche  (nämlich  die  Icones)  ich  mir  die  Erlaubnis  genommen 
habe,  sie  meinem  lieben  gründlich  gelehrten,  in  England  zum 
Doct.  Med.  creierten  und  in  Berlin  den  Kursus  rühmlich  ver- 
richteten, jetzt  in  Königsberg  mit  großem  Beifall  praktisierenden 
Freunde  D.  MOTHERBY  zum  Geschenk  zu  machen  mir  die  Frei- 
heit genommen  habe  und  dessen  Ansicht  ich  hiebei  die  Beurteilung 
Ihrer  Ideen,  so  viel  an  mir  ist,  zu  benutzen  Gelegenheit  habe. 

Diesen  Brief,  sage  ich,  so  spät  zu  beantworten,  würde  un- 
verzeihliche Nachlässigkeit  sein,  wenn  ich  nicht  diese  Zeit  hin- 
durch unter  der  Last  einer  den  Gebrauch  meines  Kopfs  zwar 
nicht  schwächenden,  aber  im  hohen  Grad  hemmenden  Uh- 
päßlichkeit  läge,  die  ich  keiner  Ursache  als  der  wohl  schon  4 
Jahre  hindurch  fortgewährten  Luftelektrizität  zuzuschreiben  weiß, 
welche  mein  Nervensystem  (einem  Gehirnkrarnpf  ähnlich)  affiziert, 
indirekt  aber  auch  die  mechanische  Muskelkräfte  der  Bewegung 
(das  Gehen)  in  meinem  jy.  Lebensjahre  bei  sonstiger  nicht  krank- 
hafter Leibesbeschaffenheit  beinahe  unmöglich  macht. 

Diesen  Brief  nicht  früher  beantwortet  zu  haben,  werden  Sie 
mir  unter  diesen  Umständen  gütigst  verzeihen. 

Nun  zur  Sache,  nämlich  die  an  mich  ergehende  Aufforderung 
selbst.  Eine  Erklärung  meinerseits:  daß  ich  gar  nicht  gesonnen 
sei,  mir  durch  meinen  Brief  zu  verstehen  zu  geben,  daß  Sie  Ihr 
Werk  als  etwas  Absurdes  ja  nicht  drucken  lassen  sollten 
und  daß  ich  es  einmal  bei  Gelegenheit  äußerte. 

Nun  bin  ich  hiezu  gerne  erbötig,  weil  ich  mir  bewußt  bin, 
daß  dergleichen  mir  gar  [nicht]  in  den  Sinn  hat  kommen  können. 
Aber  die  Gelegenheit  dazu  muß  ich  mir  dazu  erbitten.  Sie  würde 
in  den  Jahrbüchern  der  preußischen  Monarchie,  die  bei  Unger  in 
Berlin  herauskommt,  genommen  werden,  wenn  ich  nur  nicht  von 
diesem  Vorfall  in  der  größten  Unkunde  wäre.     [Bricht  ab.] 


Aus  einem  Briefe  von  Reinhold  Bernhard  Jachmann. 

Hochzuverehrender  Herr  Professor! 
.  .  .  bie  hatten  die  Güte,  teuerster  Herr  Professor,  mir  bei  meiner 
letzten  Anwesenheit  in  Königsberg  das  Versprechen  zu  geben,  mir 
die  wichtigsten  Umstände    aus  Ihrer  Lebensgeschichte  mitzuteilen. 


Aus  einem  Briefe  von  Reinhold  Bernhard  Fachmann     381 

Ich  bin  jetzt  so  frei,  Ihnen  beiliegend  verschiedene  darauf  sich  be- 
ziehende Fragen  vorzulegen.  Viele  derselben  würden  unter  allen 
andern  Umständen  sehr  indiskret  sein  und  ich  würde  es  mir  nie 
haben  in  den  Sinn  kommen  lassen,  solche  Fragen  zu  tun.  Nur 
der  Zweck,  den  ich  vorhabe,  und  die  Unentbehrlichkeit  dieser 
Umstände  zu  einer  vollständigen  Biographie  kann  diese  anschei- 
nende Indiskretion  heben  und  meine  Freiheit  entschuldigen.  Sollten 
einige  der  angeführten  Fragen  zur  Beantwortung  mehr  Raum  er- 
fordern, als  die  leere  Kolonne  verstattet,  so  wünschte  ich,  daß 
Sie  die  Güte  hättert,  sie  in  numerierten  Beilagen  mir  gefälligst 
mitzuteilen.  —  Die  ganze  Welt  wünscht  Ihre  authentische  Bio- 
graphie und  wird  Ihr  eignes  Zutun  zu  derselben  mit  dem  höch- 
sten-Dank  erkennen.  Sollten  Ihnen  einige  von  mir  übergangene 
Umstände  noch  wichtig  scheinen,  so  bitte  ich  dieselben  nur  an- 
zuführen. Daß  ich  übrigens  von  allem  nur  zu  der  Zeit  erst, 
wenn  eine  Biographie  vollständig  ans  Licht  treten  kann  und  mit 
der  größten  Diskretion  Gebrauch  machen  werde,  darf  ich  wohl 
nicht  versichern.  Mein  höchster  Wunsch  ist,  daß  Sie  noch  lange 
mit  Gesundheit  und  Kraft  unter  uns  bleiben  mögen.  Ich  empfehle 
mich  Ihrem  wohlwollenden  Andenken  und  bin  mit  Liebe  und 
Hochachtung 

Ihr  dankbarer  Schüler 

Marienburg  d.  16.  Aug.  Jachmann. 

1800. 

Beilage. 

Materialien  zu  Herrn  Professor  Kants 
Biographie. 

1 .  Tag  und  Stunde   der  Geburt. 

2.  Stand  und  Herkunft  der  Eltern. 

3.  Wie  alt  sie  damals  waren. 

4.  Das  Charakteristische    ihrer    Denkungsart    in    moralischer    und  reli- 
giöser Rücksicht. 

5.  Was  sie  für  die  Erziehung  des  Herrn  Professor  taten. 

6.  Wieviel  Kinder  sie  hatten. 

7.  Das  wievielste  der  Herr  Professor  war. 

8.  Sein  Verhältnis  zu  dem  übrigen  Geschwister  in  der  Jugend. 

9.  Wie  waren  seine  Gesundheitsumstände  in  der  Jugend? 

10.  Hatte    er    die  gewöhnlichen  Kinderkrankheiten?    und  welche?    und 
wie  wurden  sie  überstanden? 


3 8z     Aus  einem  Briefe  vofi  Reinhold  Bernhard  Fachmann 

11.  Hat     er    in     der    Folgezeit    bedeutende     Krankheiten     gehabt    und 
welche?  —  —  — 

12.  Das  Temperament,  die  besonderen  Züge  der  Sinnesart  und  des  Cha- 
rakters in  der  Jugend. 

13.  Welches  waren  die  hervorstechenden  Neigungen  in  früher  Jugend 
und  inwiefern  wurden  sie  befriedigt. 

14.  Die  jugendlichen  Spiele.  —  |' 
\$.  Wann  und  von  wem  den  ersten  Unterricht  empfangen.                                  >, 

16.  In  welche  Schulen  gegangen  und  wie  lange? 

17.  Wer  waren  die  Lehrer,  wenigstens  die  vorzüglichsten. 

18.  Welche  Wissenschaften  und  Sprachen  wurden  vorzüglich  geliebt  und 
getrieben? 

19.  Bei  welcher  wissenschaftlichen  Beschäftigung  äußerten  sich  zuerst 
und  in  welchem  Alter  vorzügliche  Geistesanlagen?  — 

ao.  Welches  waren  die  jugendlichen  Schulfreunde  und  welchen  Einfluß 
hatten  Lehrer  und  Jugendfreunde  auf  Verstandesbildimg  und 
Denkungsart? 

21.  Wie  waren  die  ersten  Religionsüberzeugungen  und  welchen  Gang 
nahmen  sie  zum  echten  Religionsglauben?  — 

22.  Wann  auf  die  Universität  gegangen  und  wie  lange  studiert? 

23.  Welchen  Gang  in  den  Studien  genommen  und  auf  welche  Wissen- 
schaften sie  besonders  gelegt? 

24.  Welches  waren  die  vorzüglichsten  akademischen  Lehrer? 

25.  Bei  wem  und  nach  welchem  System  die  Philosophie  gehört? 

26.  Auf  welche  Wissenschaften  bezog  sich  vorzüglich  die  Lektüre  ixnd 
das  Privatstudium? 

27.  Wurde  keine  von  den  sogenannten  3  obern  Fakultätswissenschaften 
studiert? 

18.  War  es  schon  früh  der  Plan,  sich  dem  akademischen  Lehramt  in 
der  philosophischen  Fakultät  zu  widmen? 

29.  Welche  Geschäfte  '  übernommen  nach  vollendeten  Universitäts- 
jahren. 

30.  Wem  und  worin  als  Jugendlehrer  Unterricht  gegeben,  Universitäts- 
freunde. — 

31.  Welchen  anderweitigen  Umgang  gepflegt. 

32.  Erholungen  und  Lieblingsvergnügungen.  — 
3  3 .  Hat  nicht  ein  Frauenzimmer  das  Glück  gehabt,  ausschließliche  Liebe 

und  Achtung  auf  sich  zu  ziehen? 

34.  Welche  Frauenzimmer  sind  überhaupt  zur  Bildung  in  geselligen 
Eigenschaften  beförderlich  gewesen? 

35.  Wann  die  Magisterwürde  übernommen? 

36.  Welche  Collegia  und  wieviel  täglich  in  der  Regel  als  Magister  ge- 
lesen? 


An  Christian  Friedrich  Mensch  383 

37.  Die  ökonomischen  Umstände  zu  der  Zeit. 

38.  Ob  und  wem  privatissima  gelesen? 

39.  Wann  in  eine  Professur  getreten? 

40.  Wann  und  weshalb  die  Professur  der  Mathematik  mit  der  der 
Metaphysik  vertauscht? 

41.  Welche  Anerbiefungen  gehabt,  auf  andern  Universitäten  eine  Pro- 
fessur 7u  übernehmen? 

42.  Auf  welche  Weise  wurde  der  Herr  Professor  dem  Friedrich  II. 
bekannt? 

43.  Wie  bewies  dieser  seine  Achtung?  wie  der  Minister  v.  Zedlitz? 

44.  Die  Hauptmomente  von  der  Veränderung  in  philosophischen  Mei- 
nungen und  die  Veranlassungen  dazu  besonders  zum  Übergang  in 
den  Kritizism. 

45.  In  welcher  Reihordnung  die  philosophischen  Systeme  der  alten  und 
neueren  Philosophen  studiert  worden? 

46.  Inwiefern  sie  auf  die  Philosophie  des  Hrn.  Professor  Einfluß  hatten. 

47.  Wurden  die  kirchlichen  Gebräuche  der  christlichen  Kirche  je  mit- 
gemacht und  wann  wurden  sie  aufgegeben? 

48.  Sind  einige  Predigten  gerne  angehört. 

49.  Hat  das  Studium  der  Bibel  iind  einiger  theologischen  Schriften  nicht 
auf  die  Lehrbegriffe   der  praktischen  Philosophie  Einfluß  gehabt. 

50.  Was  hat  zum  ehelosen  Stand  bestimmt  und  ist  nie  der  Wille  ge- 
wesen sich  zu  verheuraten. 

51.  Welche  Merischen  haben  das  Glück  gehabt  als  Freunde  vorzüglich 
wertgehalten  zu  werden. 

5a.  Über  die  Verhältnisse  mit  Herrn  Kaufmann  Green. 

53.  Wie  teuer  sind  die  Schriften  des  Herrn  Professor  von  Anfang  an 
bis  zuletzt  bezahlt  worden  und  was  haben  sie  wohl  überhaupt  ein- 
gebracht. 

54.  Bei  welchen  Speisewirten  und  in  welcher  Tischgesellschaft  gegessen. 

55.  Was  hat  zur  Errichtung  einer  eigenen  Ökonomie  Veranlassung  ge- 
geben und  wieviel  hat  sie  jährlich  gekostet. 

56.  Über  den  Umgang  mit  Schwestern  imd  Verwandten  und  ihre  Unter- 
stützung. 

458. 

An  Christian  Friedrich  Jensch. 

Meine  augenblickliche  Störung,  geehrtester  Freund,  in  Ihrem 
Amtsgesch'äfte,  durch  die  Anfrage:  ob  Sie  v^egen  der  Passenheimer 
Rüben    sicher    sind,    sie    gebetenermaßen    anzuschaffen?     bitte    er- 


384     An  ^oh.  Gottfr,  Lehmann.  —  An  ^oh.  Friedr.  Vigilantius 

gebenst,  mir  nicht  zu  verübeln  und  sie  bloß  mit  einem  einfachen  || 

Ja  aus  dem  Collegio  zurücksagen  zu  lassen,  wenn  dazu  gegründete 

Erwartung  ist.  ^ 

Ihr 

treuer  Diener 
I.  Kant.    d.   z8.   Oktober 


I 


800. 


459- 
An  Johann  Gottfried  Lehmann. 

(Entwurf.) 

Herbst  1800. 
Im  vorigen  Jahr,  unter  dem  Dato  d.  4.  November  1799  habe 
ich  von  Ew.  Hochwohlehrw.  eine  Quantität  geschältes  und  ge- 
trocknetes Obst  (in  Schälbirn  und  Schäläpfeln,  doch  ohne  ge- 
trockente  Pflaumen,  weil  diese  damals  nicht  gedeiheten)  durch 
Besorgung  Ihres  in  Göttingen  den  Herrn  v.  FAHRENHEIT  beglei- 
tenden lieben  und  dankbaren  Sohns  zugeschickt,  der  sich  dieses  jähr- 
liche Geschenk  zum  Gesetz  gemacht  hat,  wohl  erhalten.  Einer 
ähnhchen  Absendung  aus  Ihrer  Güte  sehe  ich  auch  in  diesem 
Jahr  entgegen,  für  welche  ich  Ihrem  Herrn  Sohn  meinen  großen 
Dank  abzustatten  jetzt  gleichfalls  nicht  ermangeln  werde. 


460. 

An  Johann  Friedrich  Vigilantius. 

Ew.  Wohlgeb. 

bitte  ergebenst  mich,  da  ich  im  Begrifi^  bin, 
morgen  an  das  Oberschulkollegium,  wegen  der  jährlichen  mir  zu- 
gesicherten Gehaltszulage  aus  dem  Fonds  des  Oberschulkollegiums, 
den  Brief  abgehen  zu  lassen,  mich  gütigst  zu  belehren,  ob  der  bei- 
gehende Stempelbogen  nur  als  Enveloppc  (oder  zum  Kuvert)  dienen 
oder  mein  Brief  auf  diesem  Stempelbogen  selbst  geschrieben  wer- 
den könne  oder  müsse,  wobei  doch  das  Inkonveniens  ehitreten 
würde,  zwei  Siegel  zu  einem  Briefe  aufzudrücken. 


I 


An  E.  A.  Chr.   Wasianski.  —  An  Andreas  Richter     385 

Ich  bitte  mir  die  Beschwerde,  die  Ihnen  meine  Unkundc  in 
Geschäftssachen  macht,  nicht  ungütig  aufzunehmen  und  bin  mit 
vollkommener  Hochachtung 

Ew.  Wohlgeboren 
ergebenster  treuer  Diener  I.  Kant. 
Königsberg  d.    i6.    1800. 

4<5i. 

An  Ehregott  Andreas  Christoph  Wasianski. 

Mit  der  Bitte,  mich  heute  zur  Mittagsmahlzeit  mit  Ihrer  Ge- 
sellschaft zu  beehren,  verbinde  ich  ergebenst  die  zweite:  nämlich 
eine  zweite  Gardine  von  grünem  Zindeltaffet  für  mein  zweites 
Fenster  rechter  Hand  mit  eben  solchen  Messingsringen  gütigst  ver- 
fertigen zu  lassen,  weil  mich  die  Sonne  rechter  Hand  schräge 
trifft  und  mich  von  meinem  Schreibtische  verjagt.  Vielleicht  wäre 
es  am  besten,  jene  alte  Gardine  ganz  zu  verwerfen  und  eine  so 
breite,  als  nötig  ist,  beide  Fenster  zugleich  zu  bedecken  und  rechts 
sowohl  als  links  sie  an  Ringen  vermittelst  der  längeren  Schnur 
laufen  zu  lassen.  —  Ihr  glücklicher  Künstlerblick  vnrd  dem  Dinge 
abhelfliche  Maß  zu  verschaffen  wissen. 

Ich  bin  mit  freundschaftüchem  Vertrauen  und  der  größten 
Ergebenheit 

Ihr 

Königsb.  treuer  Diener  I.  Kant. 

d.    12.  Dez.  I  800. 

462. 

An  Andreas  Richter. 

(Entwurf.) 

1801P] 
M.  H.  Ihren  sine  die  et  Consule  an  mich  abgelassenen  Brief 
bejahend  zu  beantworten,  trage  kein  Bedenken,  da  er  nichts  weiter 
von  mir  verlangt  als:  „daß  wenn  ich  nicht  selber  ein  System  der 
Politik  herauszugeben  gemeinet  sein  sollte,  Sie  die  Erlaubnis  haben 
wollten,    eine  solche  nach  kritischen  Grundsätzen  zu  bearbeiten", 

Kants  Schriften.    Bd.  X.  Ij 


II 


1^6  Von  J.   Glover 

wovon  Sie  mir  zugleich  den  Plan  mitgeteilt  haben.  —  Daß  mein 
(7 /jähriges)  Alter  mir  es  nicht  wohl  möglich  macht,  es  selbst  zu 
verrichten,  vornehmlich  mit  der  Ausführlichkeit,  die  der  mir  zu- 
gestellte Abriß  Ihres  vorhabenden  politischen  Werkes  sehen  läßt, 
beurteilen  Sie  ganz  richtig  wie  auch  das  Terrain,  auf  welcherai 
Sie  Ihr  Lehrgebäude  aufzuführen  gedenken. 

Von  Herrn  NICOLOVIUS  wird  dann  also  die  Spedierung 
dieses  Briefes  nach  der  darin  vorgeschriebenen  Adresse  abhängen, 
wobei  ich  bin 

Ihr  Diener 

I.  Kant. 
463. 

Von  J.  Glover. 
Mein  Herr! 

Der  Wert  Ihres  neuen  Lehrgebäudes  der  Philosophie  ist  zu 
allgemein  anerkannt,  und  die  daraus  entsprossene  Berichtigung  der 
Prinzipe  für  alle  Fächer  menschlicher  Kunde  in  ihren  Folgen  zu 
heilreich  gewesen,  daß  Sie  nicht  auch  in  Bataviens  feuchtem  Him- 
melsstrich Ihre  Bewunderer  sollten  gefunden  haben,  unter  deren 
Zahl  ich  mir  die  Freiheit  nehme,  mich  Ihnen  mit  Ehrfurcht  an- 
zubieten. 

Sklavische  Schmeichelei  war  nie  meine  Sache :  auch  dann  nicht, 
wenn  gleich  alle  Verdienste  und  Tugenden  in  einer  Person  zu- 
sammengedrängt wären;  lieber  referier  ich  mich  auf  das,  was  der 
gelehrte  Herr  SCHULZ  in  seiner  Vorrede  seiner  Erläuterungen 
sagt.  Nur  allein  erlauben  Sie  mir,  mein  Herr,  Ihnen  dies  Opfer 
der  Bekenntnis  darbringen  zu  dürfen:  daß  ich  nicht  aufhöre,  der 
Gottheit  für  das  Glück  zu  danken,  mit  Ihnen  gleichzeitig  gelebt 
zu  haben! 

Es  ist  eins  meiner  angenehmsten  Gefühle,  Ihnen  melden  zu 
dürfen,  daß  Ihr  kritisches  Werk  auch  bei  dem  batavischen  Volke 
nicht  vergebens  erschien.  Seit  einiger  Zeit,  besonders  aber  seit 
dem  Jahre  1796  erscheinen  auch  hier  Männer  auf  der  Bühne, 
die  mit  stetem  Andränge  Geisteskraft  zeigen^  ihren  Landgenossen 
nützlich  zu  werden,  wovon  Sie  einen  kurzen  Abriß  von  dem  Zu- 
stande der  kritischen  Philosophie  in  der  Batavischen  Republik 
weiter  unten  finden  werden. 

Doch  aber  fehlt  es  uns  auch  hier  keineswegs  an  solche,  be- 
sonders   unter   der  Klasse  kirchlicher  Dogmatisten,    die  nach  Ge- 


Von  y.   Glover  387 

legenheit  haschen,  in  Ihrer  Philosophie  Sonnenflecke  zu  entdecken; 
allein  andere  wieder  beweisen  jenen,  daß  Unkunde  und  Mißver- 
stand ihre  Teleskope  zusammenstellte,  und  dann  tritt  das  Licht 
mit  noch  größerem  Glänze  hervor  wie  zuvor.  Dieser  Andrang 
erzeugt  die  wohltätigste  Rückwürkung,  und  daher  Verbreitung 
menschlicher  Kenntnisse.  Ihre  Kritik  gleicht  einem  Felsen,  der  im 
Ebenmaße  der  auf  ihn  gefallenen  Schläge  Funken  verspreitet;  und 
darum  wünscht  mancher  mit  mir  dieser  wohltätigen  Schläge 
viele. 

Obschon  Ihre  Philosophie  hier  viele  Verehrer  findet  und  auch 
bearbeitet  wird,  so  is:  noch  keines  Ihrer  Werke  im  Zusammen- 
hange in  die  holländische  Sprache  übersetzt.  Doch  in  diesem 
Augenblicke  erfahre  ich  von  sicherer  Hand,  daß  man  uns  bald 
mit  einer  Übersetzung  Ihrer  Kritik  der  prakt.  Vernunft  beschenken 
wird. 

Schon  längst  entdeckte  ich  meinen  Wunsch  und  bat  vergeb- 
lich einen  meiner  Freunde  um  die  Übersetzung  des  mir  so  schätz- 
baren Werks  „Metaphysische  Anfangsgründe  der  Natur- 
wissenschaft" ins  Holländische!  Doch  da  der  Wunsch,  meinen 
Landgenossen  diese  reiche  Quelle  der  Vernunft  zu  eröffnen,  wie- 
der mit  erneuerter  Kraft  in  mir  rege  wird,  so  habe  ich  mich 
entschlossen,  selbst  Hand  ans  Werk  zu  legen. 

Da  es  aber  mit  meinen  Grundsätzen  nicht  zutrifft,  dieses  Ihr 
Werk  auf  eigne  Autorität  in  ein  niederdeutsches  Gewand  zu  klei- 
den, ohne  zuvor  Ihre  Erlaubnis  dazu  erbeten  und  erhalten  zu 
haben,  noch  auch  bei  Ihnen  angefragt,  ob  Sie  vielleicht  noch  ein 
oder  das  andere  aufzuklären,  verändern,  oder  zu  vermehren  wün- 
schen, so  hoffe  ich,  wird  dies  zureichen,  meine  genommene  Frei- 
heit, mich  schriftlich  an   Sie  zu  wenden,  zu  entschuldigen. 

Sind  Sie  so  gütig,  mich  mit  einer  Antwort  zu  beehren,  so 
wird  sich  dadurch  glücklich  schätzen  der  die  Ehre  hat  sich  unter 
herzlicher  Anwünschung  alles  Heils  zu   nennen  Mein  Herr 

Ihr  aufrichtigster  Verehrer 
Driel,  den    r6.  Februar    1802.  JGlover 

adress 
J  Glover 

te  Driel  by  Arnhem 
in  de   Bataavsche  Republik. 


388  Von  J.  Glover 

Beilage. 

Kurze  Übersicht    der    Förderungen    und    des  Zustandes    der   kritischen 
Philosophie  in  der  Batavischen  Republik. 

Vor  dem  Jahre  1792  kannte  man  in  den  Niederlanden  die  kritische 
Philosophie  nur  dem  Namen  nach.  Doch  im  Anfange  dieses  genannten 
Jahres  gab  mein  Freund  Paulus  van  Hemert  zu  Amsterdam  (dessen 
zwei  gekrönte  Preisabhandlungen  ins  Hochdeutsche  übersetzt  sind)  in 
einer  Monatschrift  einen  kurzen  Abriß  von  dieser  Philosophie,  wurde 
aber  von  wenigen  verstanden.  Die  Jahre  93,  94  und  95  brachten  wie- 
der nichts  Merkenswertes  zum  Vorschein,  obgleich  eine  Übersetzung 
Ihrer  Metaphys.  Anfangsgr.  der  Rechtslehre  und  Logik  angekündigt 
wurde,  die  jedoch  noch  vergeblich  erwartet  wird;  bis  endlich  wieder 
v.  Hemert  im  Jahre  1796  den  ersten  Teil  einer  freien  Nachfolgung 
von  Borns  Versuch  unter  dem  Titel  Beginzeln  der  Kantiaansche 
Wysgeerte,  herausgab,  wovon  der  4.  und  letzte  Teil  im  Jahre  1798 
erschien. 

Im  Jahre  1798  erschien  abermals  durch  v.  Hemert  ein  Werk,  ganz 
gebaut  auf  die  Gründe  der  Kritik  der  prakt.  Vernunft  unter  dem  Titel 
„Proeven  oover  het  bestaan  van  beginzeln  eener  belangloozen 
goedwilligheid  in  het  menschlyke  hart",  welches  ebenfalls,  wie 
ich  glaube,  ins  Hochdeutsche  übersetzt  ward,  wenigstens  wurde  es  im 
Intelligenzblatt  zur  Jen.  Litt.-Zeitg.  angekündigt.  Auch  wurde  durch 
W.  Servaas  in  einer  periodischen  Schrift,  Kunst  en  Letrerbode, 
von  Zeit  zu  Zeit  einige  kurze  Erklärungen  dieser  Philosophie  gegeben. 

Im  Herbste  des  Jahrs  1798  trat  wieder  Paulus  v.  Hemert  mit 
seinem  Kritischen  Magazin  hervor.  Dieses  Werk  enthält  mehrere 
herrliche  Aufsätze  sowohl  vom  Herausgeber  selbst  als  von  einigen 
seiner  Mitarbeiter,  wird  viel  gesucht,  hat  sich  schon  bis  zu  vier  Teile, 
jeden  zu  zirka  400  pag.  in  octavo  angehäuft.  Hierin  findet  man  vor- 
züglich die  gründlichsten  Widerlegungen  gegen  die  Anfechtet. 

Endlichhin  zeugen  die  akademischen  Dissertationen,  daß  mehrere 
Professoren  sich  alle  Mühe  geben,  diese  Philosophie  zu  promulgieren, 
von  dessen  glücklicher  Wirkung  eine  zu  Amsterdam  bestehende  Ge- 
sellschaft unter  dem  Titel  der  Kritischen  zum  Beweise  dient. 


I 


An  Carl  Christoph  Schoen.  —  An  Friedrich  Stuart     389 

464. 

An  Carl  Christoph  Schoen. 

Hochwohlehrwürdiger  Herr  Pastor 
Hochzuehrender  Herr 
Das  geneigte  Schreiben  Ew.  Hochwohlehrwürden  vom  1 6.  März 
habe  ich  am  17.  April  erhalten,  und  aus  demselben  die  beiden 
für  mich  angenehmen  Nachrichten  der  Versorgung  Ew.  Hoch- 
wohlehrwürden sowohl;  als  auch  dero  Verbindung  mit  meiner 
Brudertochter  ersehen.  Ich  nehme  an  beiden  Ereignissen  den  auf- 
richtigsten Anteil  und  begleite  sie  mit  meinen  besten  Wünschen. 
Meine  Kräfte  nehmen  mit  jedem  Tage  ab,  meine  Muskeln 
schwinden,  und  ob  ich  gleich  keine  eigentliche  Krankheit  jemals 
gehabt  habe,  und  auch  jetzt  keine  befürchte;  so  bin  ich  doch 
bis  jetzt  seit  zwei  Jahren  nicht  aus  meinem  Hause  gewesen,  sehe 
aber  mit  Mut  jeder  mir  bevorstehenden  Veränderung  entgegen. 
Meine  gute  Gesinnungen  gegen  meine  Verwandten  werde  ich  bis 
zu  diesem  Zeitpunkt  unveränderlich  erhalten,  und  auch  nach 
meinem  Tode  dieselben  beweisen.  Ich  kann  die  Empfehlung  an 
die  Meinen  keinem  besser  auftragen,  als  Ihnen,  der  Sic  sich  bald 
auch  in  den  Kreis  derselben  einschließen  werden.  Ich  habe  die 
Ehre  zu  sein 

Ew. 
Königsberg  Hochwohlehrwürden 

d.  2 8.  April  ergebenster  Diener 

1802.  Immanuel  Kant. 


465. 

An  Friedrich  Stuart. 

Wohlgeborner  Herr 
Insonders  Hochzuehrender  Herr 
Inspektor. 
Die  schmeichelhafte  Zuschrift  Evv.  Wohlgebornen  vom  20.  März 
und    besonders    die    darin   mir  bekanntgemachte  Verbindung  Ew. 
Wohlgeb.  mit  meiner  Brudertochter  hat  mir  ein  wahres  Vergnügen 
gemacht,  und  das  in  den  Tagen  meines  Lebens,  da  man  nur  für 
wenige  Freuden  mehr  empfänglich  ist.     Die  Versicherung  meines 


390  An  Friedrich  Stuart 

hiesigen  Freundes  Herrn  JACOßl,  der  vom  Herrn  von  HAGEDORN 
dieselbe  erhalten  hat;  daß  die  Verbindung  für  meine  Brudertochter 
in  mehr  als  Einer  Rücksicht  vorteilhaft  sei,  hat  meine  Teilnahme 
an    ihrem    Glücke    mit    Grund    vermehrt.      Empfangen  Sie,  beide  ^ 

Verlobte,  statt  meines  verstorbenen  Bruders  hiemit  meinen  väter-  H 

liehen  Segen,  der  Sie  und  alle  Meinigen,  zu  welchen  ich  von  nun 
an  Ew.  W^ohlgebornen  zu  zählen  die  Ehre  habe,  gewiß  begleitet. 
Ich  ersuche  Sie  ergebenst,  mich  meinen  dortigen  Verwandten  zu 
empfehlen;  sich  selbst  aber  von  der  vollkommensten  Hochachtung 
zu   überzeugen,  mit  welcher  ich  zu  verharren  die  Ehre  habe 

Ew. 

Wohlgebornen 

ergebener  Freund  und 
Königsberg  Diener 

d.   9.  April  I.  Kant. 

1803. 


Lesarten. 

Zur  Textbehandlung  siehe  Band  IX,  Seite  4J7fF.  —  Auch  im  vor- 
liegenden Band  sind  einzelne  offenbare  Schreibversehen  stillschweigend 
berichtigt  worden;  von  anderen  Abweichungen  gegenüber  dem  Text 
der  Reickeschen  Ausgabe  der  Kantischen  Briefe  seien  die  folgenden 
erwähnt: 

Seite   150,    Zeile   16    wol]    wo    (R).  150,  18    perfugium]    per- 

fiigiam  (R).  158,  20  also]  als  (R).  160,  10  v.  u.    unterscheiden 

wollen]  worden  (R).  165,  12  v.  u.  Kritik  der  Urth.  Kr.]  Kritik  der 

prakt.  Urth.   Kr.  (R).  175,  22   und   der  Erde  gegen  sie]   und  die 

Erde  (R).  183,  18  verschiedene]  verschieden  (R).  209,  2  kann] 

fehlt  bei  (R).  225,  9  innerhalb  der  Grenzen]  innerhalb    den  Gren- 

zen (R).  248,  16  das]  daß  (R).  334,  5  synthetische]  syntheti- 

scher (R).  334>6  v.  u,  oder]  aber  (R).  335>  16  wie   er  uns   er- 

scheint]  wie   es  uns  erscheint    (R).  342,  19    einige]    einigen    (R). 

342,  21  des]  dem  (R). 


Inhaltsübersicht  des  zehnten  Bandes. 


2.11. 
111. 
llTf. 
11^. 

ll'y. 

ii6. 

227. 

228. 

229. 

230. 

231. 

232. 

233. 

234. 

235. 

Z3<5. 

237. 

238. 

239. 

240. 

241. 

242. 

243. 

244. 

245. 

246. 


1790. 

An    Theodor  Gottlieb  v.  Hippel.      6.  Januar  lypo   . 

An  Johann   Gottfried  Kiesewetter.     21.  Januar  i/po 

An  F.   Th.  de  la   Garde.     21.  Januar  ijpo 

An  F.    Th.   de  la   Garde,     ß.  Februar  lypo 

Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter.      3.  März    1790 

Von  Ludwig  Ernst  Borowski.      6.  März   1790 

An  Ludwig  Ernst  Borowski.     März  lypo    . 

An  F.   Th.  de  la   Garde,     p.  März  lypo 

Von  Ludwig  Ernst  Borowski.      22.  März    1790  . 

An  F.   Th.  de  la  Garde.     2j.  März  ijpo  . 

Von  Johann  Wilhelm  Andreas  Kosmann,     i  5 .  April  i 

An  Johann   Gottfried  Kiesewetter.      20.  April  lypo 

Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter.      20.  April    179 

Von  Karl  Leonhard  Reinhold.      30.  April    1790 

Von  Ludwig  Heinrich  Jakob.      4.  Mai    1790 

Von  Salomon  Maimon.      9.  Mai    1790 

Von  Salomon  Maimon.      15.  Mai    1790 

An  Johann  Schultz.     2p.  Juni  ijpo 

An  Johann  Schultz.     2.  August  ijpo 

An  Johann  Friedrich  Blumenbach.     j.  August  lypo 
An  Johann  Schultz,      ij.  August  lypo     .     .     . 
An  Johann  Schultz,     lö.  August  lypo      .... 
Von  Johann  Friedrich  Reichardt.      28.  August    1790 
An  F.    Th.  de  la   Garde.      2.  September  ijpo     . 
Von  August  Wilhelm  Rehberg.      September    1790 
An  August   Wilhelm  Rehberg.      September  ijpo 


90 


Seite 

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41 

43 


Inhaltsübersicht  des  zehnten  Bandes 


393 

Seite 


247.  Von  Johann  Benjamin  Jachmann.      14.   Oktober    1790 
148.  An  Johann  Friedrich  Reichardt.      ij.  Oktober  ijpo     . 

249.  An  Markus  Herz.     ij.  Oktober  ijpo 55 

250.  An  F.   Th.   de  la   Garde,      ip.   Oktober  ijpo    ....      56 

251.  Von  Christoph  Friedrich  Hell  wag.     i  3 .  Dezember  1790 

252.  Von  Abraham  Gotthelf  Kästner.      20.  Dezember  1790 


47 
54 


57 
66 


253. 

254. 
255. 
256. 
257. 
258. 
259. 
260. 
261. 
262. 
263. 
264. 
265. 
i66. 
167. 
268. 
269. 
270. 
271. 
272. 
273. 
274. 


1791. 

An  Christoph  Friedrich  Hellwag.     j.  Januar  ijpi 

Von  Jacob  Sigismund  Beck.      19.  April    1791    . 

An  Jacob  Sigismund  Beck.     p.  Mai  lypi    . 

Von  Jacob  Sigismund  Beck.      i.  Juni    1791  . 

Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter.      14.  Juni    179 

Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter.      3.  Juli    1791 

Von  Fräulein  Maria  von  Herbert.      August  1 7  9  i 

Von  Ludwig  Ernst  Borowski.     August   1791     • 

An  F.  Th.  de  la  Garde.     2.  August  ijpi . 

Von  Johaun  Gottlieb  Fichte.      18.  August    1791 

Von  Johann  Gottlieb  Fichte.      2.  September    1791 

An  Ludwig  Ernst  Borowski.     16.  September  lypi 

Von  Salomon  Maimon.      zo.  September    1791    • 

An   Carl  Leonhard  Reinhold.     21.  September  lypi 

An  Jacob  Sigismund  Beck.     27.  September  lypi     . 

Von  Jacob  Sigismund  Beck.      6.  Oktober    1791 

An    Theodor   Gottlieb  v.  Hippel.      2^.  Oktober  ijpi 

An  F.    Th.  de  la   Garde.      2S.  Oktober  lypi    . 

Von  Georg  Christoph  Lichtenberg.    30.  Oktober  1791 

An  Jacob  Sigismund  Beck.      2.  November  ijpi 

Von  Johann  Benjamin  Erhard.      6.  November    1791 

Von  Jacob   Sigismund  Beck.      1  i.  November    1791 


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1 1 1 


1792. 

275.  An  Jacob  Sigismund  Beck.      20.  Januar  ijp2  . 

276.  Von  Johann  Gottlieb  Fichte.      23.  Januar    1792 
zyj.  An  Johann  Heinrich  Kant.      2(>.  Januar  ijp2 

278.  An  Johann   Gottlieb  Fichte.      2.  Februar  ijp2 

279.  Von  Johann  Heinrich  Kant.      8.  Februar    1792 

280.  Von  Johann  Gottlieb  Fichte.      17.  Februar    1792 

281.  An  Christian   Gottlieb  Seile.      2^.  Februar  ijp2     . 


114 
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290. 
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294. 
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300. 
301. 
302. 
303. 
304. 
305. 
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307. 
308. 
309. 
310. 
311. 
312. 

3n- 


Inhaltsübersicht  des  zehnten  Bandes 

Von  Johann  Erich  Biester.      6.  März    1792    . 

An  F.  Th.  de  la   Garde,     jo.  März   ijpz 

An  Fräulein  Maria  von  Herbert.      Frühjahr  lypz? 

An  Heinrich  Christian  Reichsgraf  v.  Keyserling.   S.  Mai  lypz 

Von  Jacob   Sigismund  Beck.      31.  Mai    1792 

An  F.  Th.  de  la   Garde,      iz.  Juni  lygz    . 

Von  Christian  Garve.      18.  Juni    1792 

Von  Johann  Erich  Biester.      18.  Juni    1792  . 

An  Fürst  von   Beloselsky.     Sommer  lypz 

An  Jacob  Sigismund  Beck.     ^.  Juli  ijpz    . 

An  Johann  Erich  Biester,     ßo.  Juli  lypz  . 

Von  Johann  Gottheb  Fichte.      6.  August    1792 

Von  Friedrich  Victor  Lebrecht  Plessing.     6.  Aug.    1792 

An  die  theologische  Fakultät  in  ^*n..      Ende  August  i/pz 

Von  Jacob  Sigismund  Beck.      8.  September    1792   . 

Von  Friedrich  Bouterwek.      17,  September    1792     . 

Von  Johann  Erich  Biester.      22.  September   1792   . 

An    Theodor  Gottlieb  von  Hippel.      zS.  September  ijpz 

An  F.  Th.  de  la   Garde,     z.  Oktober  lypz 

Von  Ludwig  Ernst  Borowski.      12.  Oktober   1792 

An  Rudolph  Gotthold  Raht.     16.  Oktober  17 pz       .     . 

An  Jacob  Sigismund  Beck.      ij.  Oktober  ijpz . 

Von  Johann  GottUeb  Fichte.      17.  Oktober   1792  . 

An  Ludwig  Ernst  Borowski.      z^.  Oktober  ijpz   . 

Von  Ludwig  Ernst  Borowski.      24.  Oktober     1792 

Von  Carl  Leonhard  Reinhold.      29.  Oktober    1792 

Von  Jacob  Sigismund  Beck.      10.  November    1792 

Von  Salomon  Maimon.      30.  November    1792  . 

An  Jacob  Sigismund  Beck.      ^.  Dezember  ijpz     . 

An  F.  Th.  de  la   Garde,      zi.  Dezetnber  ijpz  . 

An  Johann  Benjamin  Erhard,      zi.  Dezember  lypz 

An  Carl  Leonhard  Rein  hold.     21.  Dezember  ijpi 


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^791- 

314.  Von  Maria  von  Herbert.     Januar    1793   . 

315.  An  F.  Th,  de  la   Garde.     4.  Januar  ijpj 

31 6.  Von  Johann  Benjamin  Erhard.      1 7.  Januar    1793 

317.  Von  Carl  Leonhard  Reinhold.      21.  Januar    1793 

318.  An  Elisabeth  Motherby.      11.  Februar  ijpj 


.  ,87 

191 

191 

194 

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I. 

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6. 

7- 
8. 

9- 

40. 

41. 
42. 


Inhaltsübersicht  des  zehnten  Bandes 

An  Johann  Christoph  Linck.      ij.  Februar  lyp^    . 

An   Carl  Spener.     zz.  März   lyp^ 

Von  Johann  Gottlieb  Fichte.      2.  April    1793     . 
An  Johann  Christoph  Linck.      ij.  April  ijpj  . 
Von  Jacob   Sigismund  Beck.      30.  April    1793    . 
An  Abraham   Gotthelf  Kästner.     Mai  ijßj 
An   Georg  Christoph  Lichtenberg.     Mai  ijp^    . 
An  Carl  Friedrich  Stäudlin.     4.  Mai  17p ^ 

An  Matern  Reuß.     Mai  lyp^ 

An  Friedrich  Bouter'wek.     7.  Mai  ijp^ 

An   Carl  Leonhard  Reinhold.      8.  Mai  lyp^ 

An  Johann   Gottlieb  Fichte.      11.  Mai  ijpj 

An   Georg  Heinrich  Ludwig  Isiicolovius.    16.  August  i 

An  Jacob  Sigismund  Beck.      iS.  August  lypj   .     . 

Von  Jacob  Sigismund  Beck.      24.  August    1793 

Von  Friedrich  Bouterwek.      25.  August    1793    . 

Von  Johann  Gottlieb  Fichte.      20.  September    1793     . 

An  Carl  August  von  Struensee.     zo.  Septeittber  ijpj 

An  F.  Th.  de  la   Garde,     zo.  September  lypj 

Von  Johann  Erich  Biester.      5.  Oktober    1793    .      .      . 

Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter.    23.  November  1793 

Von  Salomon  Maimon.      2.  Dezember    1793 

Von  Theodor  Gottlieb  von  Hippel.    5.  Dezember  1793 

An  Johann   Gottfried  Kieseivetter.      /j*.  Dezember  ly^^  . 


793 


395 

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^79^ 


1794. 

343.  Von  Fräulein  Maria  von  Herbert.     Anfang 

344.  Von  Johann  Erich  Biester.      4.  März    1794  . 

345.  An   Carl  Leonhard  Reinhold.     z$.  März  lyp^ 

346.  An  Johann  Erich  Biester.     10.  April  lyp^ 

347.  Von  Georg  Samuel  Albert  Meilin.      12.  April 

348.  An  Johann  Erich  Biester.      iS.  Mai  lyp^  .     . 

349.  Von  Friedrich  Schiller.      13.  Juni    1794  . 

350.  Von  Jacob  Sigismund  Beck.      17.  Juni    1794 

351.  Von  Johann  Gottlieb  Fichte.     Juni    1794 

352.  Von  Joachim  Heinrich  Campe.      27.  Juni    1794 

353.  An  Johann  Erich  Biester,     zp.  Juni  typ 4 

354.  An  Jacob  Sigismund  Beck.      i.  Juli  iyp4    . 

355.  An  Joachim  Heinrich  Campe.      i(f.  Juli  iyp4 


1794 


.  231 
.  232 

•  ^35 

•  ^37 
.238 

.  2^0 

.  241 

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.  245 

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•  247 
.  248 
.  250 


39<5  Inhaltsübersicht  des  zehnten  Bandes 


Seire 


356.  Von  Jacob   Sigismund  Beck.      16.  September    1794  •    ^5'' 

357.  Von  Johann  Gottlieb  Fichte.      6.  Oktober    1794     •  •    25^ 

358.  An   F.  Th.  de  la   Garde,      z^.  November  lyp^j..      .      .  .254 

359.  An   Carl  Friedrich  Stäudlin.     4.  Dezember  //^-f  -      .  •    i  5  5 

360.  Von  Johann  Erich  Biester.      17.  Dezember    1794    .  .158 

1795- 

361.  Von  Carl  Friedrich  Stäudlin.      21.  Februar   1795    .      «259 

362.  Von  Friedrich  Schiller.      i.  März    1795 260 

363.  An  die  Fürstin   Catharina  Daschkoxo.      März  ijpj    .      .261 

364.  An  Dietrich  Ludwig  Gustav  Karsten.      16.  März  ijpj    .   i6i 

365.  Von  Carl  Leonhard  Reinhold.      29.  März    1795      .     .265 

366.  An  Friedrich  Schiller,     jo.  März  ijpj 265 

367.  An  F.  Th.  de  la  Garde.     ^0.  März  ijpj i66 

368.  Von  Johann   Gottfried  Kiesewetter.      8.  Juni    1795       .    267 
3  ($9.  Von  Jacob   Sigismund  Beck.      17.  Juni    1795     .      .      .269 

370.  Von  Ludwig  Heinrich  Jakob.      22.  Juni    1795  .     .     .270 

371.  An  Carl  Leonhard  Reinhold.     i.  Juli  lypj      .     .     .     .271 

372.  An   Samuel  Thomas  Soemmering.      10.  August  lypj   .      .272 

373.  An  Friedrich  Nicolovius.     ij.  August  i/pj       .     .     .     .273 

374.  An  Karl  Morgenstern,      i^.  August  ijpj 273 

375.  An   Georg  Friedrich  Seiler,      i^.  August  lypj       .     .      .274 
3  76.  Von  den  Kindern  Johann  Heinrich  Kants.    1 9.  Aug.  1 795    275 

377.  An  Ehregott  Andreas  Christoph  Wasianski.     ij.  Sept.  ijpj  276 

378.  An  Samuel  Thomas  Soemmering.     ly.  September  lypj     .  iy6 

379.  An  Theodor  Gottlieb  von   Hippel.      zS.  September  lypj    .  277 

380.  Von  Friedrich  Bouterwek.      29.  September    1795    .      .  278 

381.  An  Johann   Gottfried  Kiesewetter,      ij.  Oktober  lypj       .  279 

1796. 

382.  Von  Johann  Plücker.      5.  Januar   179Ö 280 

383.  An  Johann  Plücker.     z6.  Januar  iyp6 282 

384.  Von  Matern  Reuß.      i.  April    1796 284 

385.  An  Friedrich  August  Hahnrieder.      16.  April  lypö     .      .285 

386.  An  Johann   Gottfried  Kiesewetter.     Juni  iyp6      .      .      .28^ 

387.  Von  Friedrich  August  Hahnrieder.    20.  September  179Ö    287 

388.  Von  Ernst  Ferdinand  Klein.      11.  Oktober    1796    .     .    289 

389.  An  Jacob  Sigismund  Beck.     ip.  November  lypö   .     .     ,290 


Inhaltsübersicht  des  zehnten  Bandes  397 


^797' 


Seite 


35>o.  Von  Friedrich  August  Hahnrieder.     3.  Dezember  1796    291 

391.  Von  Christoph  Wilhelm  Hufeland.    12.  Dezember  1796    294 

392.  An   Carl  August  von  Struensee.     Dezember  ijgö      .      -295 

393.  An  Johann   Gottfried  Kiesewetter.      ij.  Dezember  iyp6  .   296 

394.  An  Johann  Heinrich  Kant.     //.  Dezember  ijp6  .     .     .297 

395.  An  Carl  Wilhelm  Rickmann,      ij.  Dezember  lygö      .     .297 


298 

299 

00 

Ol 

10 

14 

14 
17 
lg 


396.  An  Johann  Friedrich  Hartknoch.     zS.  Januar  lypj   . 

397.  An  Christoph   Wilhelm  Hufeland.      März  lypj 

398.  An   Christoph   Wilhelm  Hufeland.      ip.  April  lypy 

399.  Von  Jacob   Sigismund  Beck.      20.  Juni    1997 

400.  Von  Jacob  Sigismund  Beck.      24.  Juni    1797 
40  T.  An   Georg  Heinrich  Ludwig  Nicolovius.     7.  Juli  lypj 

402.  An   Christian   Gottfried  Schütz.      10.  Juli  lypy 

403.  An  Johann  Heinrich   Tieftrunk.      12.  Juli  lypj    . 

404.  An  Johann  Heinrich  Ludwig  Meierotto.      August  lypy 

405.  An  Eberhard  Julius  Wilhelm  Ernst  v.  Massow.  August  lypy    319 
40Ö.  Von  Johann  Erich  Biester.      5.  August    1797      .      .      .320 

407.  An  Johann  Böninger  und  Johann  Langer.    2^.  August  lypy   321 

408.  Von  Georg  Samuel  Albert  Meilin.    6.  September  1797    322 

409.  Von  Jacob  Sigismund  Beck.      9.  September    1797   .      «323 

410.  Von  Christoph  Wilhelm  Hufeland.    30.  September  1797    324 

411.  Von  Jacob   Sigismund  Beck.      6.  Oktober    1797 

412.  An  Johann   Gottfried  Kiesewetter.      ij.  Oktober  lypy 

413.  An  Jacob  Lindblom.      /j.  Oktober  lypy       .... 

414.  An  Johann  Heinrich   Tieftrunk.      ij.  Oktober  lypy     . 

415.  An  Johann  Heinrich   Tieftrunk.      ly.  Oktober  lypy    . 

416.  An  den  Rektor,     j.  Dezember  lypy 

417.  An  Johann   Gottlieb  Fichte.      Dezember  lypy  . 

418.  An  Johann  Heinrich    Tieftrunk.      11.  Dezember  lypy 

419.  Von  Markus  Herz.      25.  Dezember    1797 


25 

^5 
i6 

28 

^9 
30 
3^ 
33 
37 


1798. 

420.  Von  Johann  Gottlieb  Fichte.      i.  Januar    1798  .      .      -338 

421.  An  Johann  Schultz,     p.  Januar  lypS 339 

422.  An  Christ.   Wilhelm  Hufeland.      d.  Februar  lypS  .      .     .340 

423.  An  Johann  Heinrich   Tieftrunk.      6.  Februar  lypS     .     .341 


398 

4H- 

4Z5- 
426. 

427. 
428. 

429. 

430. 

431- 
43  2. 

433- 

434- 

435- 

43<^- 

43  7- 
438. 


Inhaltsübersicht  des  zehnten  Bandes 

An  Johann  Ernst  Lüdcke.      Februar  ijpS  .... 

An  Johann  Friedrich   Vigilantius.      z-j.  Februar  ijpS 

An  Johann  Heinrich    lieftrunk.     j.  April  ijpS 

An  Friedrich  Nicolovius.     p.  Mai  jypS  . 

An   Georg  Christoph  Lichtenberg.      1.  Juli  ijpS 

An   Carl  Friedrich  Stäudlin.     1.  Juli  lypS 

An   Friedrich   Ludwig  Hagen,     j.  August  i^pS 

Von  Christian   Garve.      September    1798  . 

An   Christian   Garve.      21.  September  17 p^  . 

An  Johann   Gottfried  Kieseivetter.      ig.  Oktober  lypS 

An  Johann  Schultz  und  Christian  Jacob  Kraus.    Okt.  lypS 

Von  Johann  Gottfried  Kiesewettcr.    2  <^.  November  1798 

Von  Georg  Christoph  Lichtenberg.      9.  Dezember  1798 

Von  Carl  Friedrich  Stäudlin.      9.  Dezember    1798  . 

Von  Johann  Ernst  Lüdeke.      19.  Dezember    1798    . 


Seite 
34z 
54z 

343 

345 

347 
348 

348 
349 
351 
353 
354 
354 
358 

359 
360 


439- 
440. 

441. 

442. 

443- 
444. 

445- 


1799. 

An  Johann   Georg  Scheffner.      2^.  Januar  ijpp    .      .      .36z 

An  Robert  Motherby.      28.  März  17 pp 36z 

An   Carl  Arnold  Wilmans.      Mai  lypp 363 

An  Friedrich   Theodor  Rink.     F.  August  i/pp       .     .     .3(^4 
Von  Johann  Gottfried  Kiesewetter.    15.  November  1799    364 

An  Johann   Gottfried  Kiesewetter.      20.  Dezember  ijpp   .   3(^7 

An  Johann  Benjamin  Erhard.      20.  Dezember  lypp   .      .367 


446. 

447- 
448. 

449. 

450. 

451. 

452. 

453- 

454- 

455- 
456. 

457- 


1800. 

Von  Ernst  Ferdinand  Klein.      28.  Februar    1800 
An  Friedrich  Nicolovius.      28.  März   iSoo   . 
An  Friedrich  Nicolovius.      2.  April  iSoo 
An   Carl  Gottfried  Hagen.      2.  April  iSoo  . 
Von  Carl   Gottfried  Hagen.      12.  April    1800     . 
Von  Georg  Samuel  Albert  Meilin.      13.  April    1800 
Von  Maria  Kant,  geborene  Havemann.     16.  Mai  1800 
An  Johann   Gottfried  Kiesewettcr.      S.  Juli  iSoo  . 
Von  Maria  Kant,  geb.  Havemann.      10.  Juli  iSoo    . 
Von  Friedrich  August  Hahnrieder.      31.  Juli    1800 
An  Samuel  Thomas  Soemmering.     4.  August  1800    . 
Aus    einem    Briefe    von  Reinhold  Bernhard  Jachmann 
lö.  August    1800 


3<$9 

370 
370 

370 
37i 
373 
375 
37<^ 
377 
378 
379 

380 


Inhaltsübersicht  des  zehnten  Bandes  599 

458.  An  Christian  Friedrich  Jensch.      zS.  Oktober  iSoo      .      .383 

^^9.  An  Johann   Gottfried  Lehmann.     Herbst  1^00  .     .     .      .384 

460.  An  Johann  Friedrich   Vigilantius.     zd.  Novetnber  1800    .    384 

461.  An  Ehregott  Andreas  Christoph  Wasianski.     iz.  Dez.  iSoo    385 

1801. 

462.  An  Andreas  Richter.      iSoi 385 

1802. 

463.  Von  J.  Glover.      1 6.  Februar    1802 386 

464.  An  Carl  Christoph  Schoen.      zS.  April  lioz      .      .      .      .389 

1803. 

465.  An  Friedrich  Stuart.      <?.  Aprit  iSoj 389 

Lesarten 39' 

Inhaltsverzeichnis  des  zehnten  Bandes 392 

Zusammenstellung    der    Briefe    nach    den    einzelnen    Korre- 
spondenten       400 


Zusammenstellung  der  Briefe  nach  den 
einzelnen  Korrespondenten. 

Die  kursiv  gedruckten  Nummern  bedeuten  Briefe  von  Kant;  die 
Nummern  in  gewöhnlicher  Schrift  Briefe  an  Kant.  —  Die  Nummern 
1 — 220  belinden  sich  in  Band  IX,  die  Nummern  221—465  in  Band  X. 

ßriefwechseJ  mit  v.  Abel  Nr.  164. 
Abicht   z  o  I . 
An  ?  /. 
V.  Baczko   i<f/. 
Bahrdt    161,  1^2. 
Basedow   <J'<f. 

Beck   208,   254,  2j)j    1^6,  z6jy    268,  zyz,    ij^^  zjj,   286,  zpi, 
i9<^,    30S7     308,  jio,   323,   s3Zj    333,   350,   ss^j    356,    369. 

ßPj   399?  40O'  409.  4"- 
V.  Beloselsky  zpo. 

Bering   130,  i^Sj    151,    157,   166. 

Bernoulli  loo,  loi. 

Biester  pi,   iz$,    132,    138,    146,    154,   156,   185,  195,220,  282; 

289,  zgz,   298,   338,   344,  S4<^>  J'f^j  SSSy   3<^o,  40<^- 
Blumenbach  z^o. 
Böninger  ^oj. 

Born    150,    159,    182,   183,    187. 

Borowski  iZj   ij,    116,  zzj,    229,   260,  z6^j    301,  30 ^j    306. 
Bouterwek   297,  ^z^^    334,   380. 
Breitkopf  lyp. 

Campe  7/,  jz,   jj,    172,    351,  SSS- 
Crichton  tz. 
Daschkow  363. 

Elisabeth,  Kaiserin  von  Rußland  6. 
Engel  pi, 
Erhard    152,   273,  _?/2     316,  -^^/. 


Verzeichnis  der  Briefe  nach  den  einzelnen  Korrespondenten     40 1 

Fichte    262,    263,    276,    27S,    280,    293,    304,   ii\,  jjo,    335, 

351,  3  57»  ^'7^  4^0- 
V.  Finkenstein  iS.^., 

Formey  i<f,   160, 

FriedJänder  ijjf.. 

Friedrich  II.  j,  iS,  zpy   30,  4^. 

Friedrich  Wilhelm  11.  ip6, 

V.  Fürst  ig,  zS,  ßz. 

de  la  Garde   zij,    zzj,    zz^,   zzS,   zßo,  z^^j  zja,  z(fi,  zjo,  zSj, 

2^7.  300j  Jih  S'Jy  337^  3S^,  3^7* 
Garvc    109,  iiOj    288,  431,  43z. 
Glover  463. 
Hagen  430,  449,  450. 
Hahnrieder  ßSj   387,   390,  455. 
Hamann   7,  9,    10,    11,  50,   51,  52,   53,   55,   57,   58. 
Hartknoch  ^(;>6. 
Hellwag   251,  2/y. 
V.Herbert   259,  zi4,   314,   343. 
Herder  2j,    i6. 
Herz  sh   34'  35>  ^<^  4^'  ^^;»  4^>  <^7;  70,  So,  Sj,  %6,  87,  n,  Sg, 

ßo,  P4,  ßö,   140,    141,  14z,  145,  7^;?,  ///,  197,  zos,  Z4P,  419. 
V.  Hippel  izo,  124,   ijS,  lyo,  zzi,  z6p,  zpp,   341,  jjg, 
Hufeland    I3<$,   391,  ^pj,  SpS,  410,  4ZZ. 
V.  Hülsen  2,  izz. 
Jachmann   200,   214,   247,  457. 
Jacobi,  Frau    14. 
Jacobi  zio,    2i<5,  zi^. 

Jakob   147,  IS33    1)5=    i<^9>  '7/:»   192,   i55.  37o- 

Jenisch   165. 

Jensch  4^S. 

Jung-Stilling    193,   ip4. 

Kant,  Joh.  Heinrich    15,  46,  <f/,   iz,  63,  73,   102,   209,  zjj, 

Kant,  Joh.  Heinr.,  Kinder   376. 

Kant,  Maria  452,  454. 

Karsten  j(f4. 

Kästner   252,  JZ4. 

V.  Keyserling  zSj. 

Kiesewetter   219,  zzz,   ii^,  zjz,   233,  257,  258,  339,  ^^2^  3<$8, 

SSi,  3U,  39j,  4t 2,  433y  435»  4^3»  44^  4S3' 

Kants  Schrifttn.   Bd.  X.  l6 


40  2      Verzeichnis  der  Briefe  nach  den  einzelnen  Korrespondenten 

Klein   388,  446. 

V.  Knobloch  //. 

Kosmann   2  [  i,  212,   231. 

Kraus  ^j^. 

Lambert  20,  21,  ii,  jj,   ^6. 

Langer  ^0/. 

Lavater  49,  54,  jp,  60,  64. 

Lehmann  ^-jp. 

Lichtenberg   271,  ^2j,  ^2%,  43<$. 

Linck  i26j  jiq,  ^22. 

Lindblom  -f/-^. 

Lindner  8. 

Lüdeke  93,  42^,  438. 

Maimon   198,  20^   207,   236,   237,   265,   309,   340. 

V.  Massow  40J. 

Mcicrotto  404. 

MeUin  347,  408,  451. 

Mendelssohn  2j,  2^,   38,    Si,   105,  ///,    137. 

Metzger  104. 

Morgenstern  ^y^. 

Motherby  jiS,  440. 

Nicolai  ^j,  /j. 

Nicolovius  sji,  S73>  40h  ^^7>  -f-f/^  44^^ 

Penzcl  (fp. 

Philosophische  Fakultät  /. 

Plessing   106,   iid,   294. 

Plücker  382,  ß^S- 

Raht  j02. 

Reccard  pj. 

Regge  (fS. 

Rehberg   245,  2^<f. 

Reichardt  loß,   243,  24S. 

Reinhold   173,  ly^f,    178,    180,  iSi,  1^^,202^  20j,  io6,  21^,  21/, 

234,  266,  307,  s'S,  317»  S^I^f  34J>  3<^5s  37^' 
Rektor  und  Senat  der  Universität  Königsberg  ^,  41  ö. 
Reusch  s<^>  9^>  '^7^   ^o8y  iiy,  i2ij   i^^y   ipo. 
Reuß  j2j,   384. 
Richter   188,  4^2. 
Rickmann  jpj. 
Rink  442. 


Verzeichnis  der  Briefe  nach  den  einzelnen  Korrespondenten    403 

Ruhnken   39. 

SchcflFher  4^p. 

Schiller  349,   5<S2,  S<f^' 

Schmid   191. 

Schoen  ^(f^. 

Schultz  pp,   1 1 2,  113,  114}   1 1 5>  "^^   "^^  '^Ä  ^J^^  -2^^^  "2^^  2^2, 

Schütz   125,    127,    /i^,    135,    139,    '^i>    144»    103»    ^^^i   '^<^, 

229,     -fö2. 

Seiler  ^7/. 

Seile    177,  2^/. 

Soemmering  371,  S7S,  4^6. 

Spalding   179. 

Spener  pj,  320. 

Stäudlin  SSP>   ?,^^>  i<^^>  4^^^  437- 

V.  Struensee  3 ja,  spz. 

Stuart  4<fs. 

Suckow  2j. 

Sulzer  37. 

Theologische  Fakultät  zpj' 

Tieftrunk  40 j,  414,  41s,  41  ^^  4^3»  4^^- 

Ulrich   131. 

Vigilantius  ^2f,  460. 

Wachowski  123. 

Wasianski  377,  461. 

Wieland  44,  45. 

Wilmans  441, 

Wolke  64,  84. 

V.  Zedlitz  74,  7Ö,  78,  83. 


F   Ullmann  G.  m.  b.  H.,  Zwickau   Sa. 


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